Origenes Werke mit deutscher Übersetzung 10
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Origenes Werke mit deutscher Übersetzung 10
Origenes Werke mit deutscher Übersetzung Im Auftrag der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften und der Forschungsstelle Origenes der Westfälischen Wilhelms-Universität Münster herausgegeben von Alfons Fürst und Christoph Markschies
Band 10
Walter de Gruyter • Berlin • New York Herder Freiburg • Basel • Wien
Origenes Die Homilien zum Buch Jesaja Im Anhang:
Fragmente und Zeugnisse des Jesajakommentars und:
Theophilus von Alexandria Traktat gegen Origenes über die Vision Jesajas
Eingeleitet und übersetzt von Alfons Fürst und Christian Hengstermann
Walter de Gruyter • Berlin • New York Herder Freiburg • Basel • Wien
∞ Gedruckt auf säurefreiem Papier, das die US-ANSI-Norm über Haltbarkeit erfüllt. ISBN WdG: 978-3-11-020436-0 ISBN Herder: 978-3-451-32915-9
Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar. © Copyright 2009 by Walter de Gruyter GmbH & Co. KG, D-10785 Berlin Dieses Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlages unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Printed in Germany Einbandgestaltung: Martin Zech, Bremen
Inhalt Einleitung I. Die Jesajaauslegung des Origenes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
3 4 4 6 15 20 20 23 27 31
II. Die Jesajaexegese des Origenes in den Homilien . . . . . . . . . . . . .
35 36 37
1. Der Jesajakommentar . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Nachrichten über den Jesajakommentar . . . . . . . . . . . . . . . . b) Fragmente . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Testimonien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Die Jesajahomilien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Datierung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Die Echtheit der neunten Homilie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Kommentierte Jesajaverse und die Sequenz der Homilien . . d) Die lateinischen Jesajahomilien als Auswahlübersetzung . . . .
1. Die Gaben des Geistes in Jes. 11,1–3 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Exegetische Kombinatorik: Jes. 4,1 und 11,2 f. . . . . . . . . . . . b) Die sieben Gaben des Geistes in der altkirchlichen Theologie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Der Verstockungsauftrag in Jes. 6,9 f. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Der Verstockungsauftrag im Kontext des Buches Jesaja . . . . b) Der Verstockungsauftrag in jüdischen Traditionen und Übersetzungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Das Motiv der Verstockung Israels im urchristlichen Schrifttum . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . d) Das Verstockungsmotiv in der altkirchlichen Theologie . . . . e) Prädestination und Freiheit: Das Verstockungsmotiv bei Augustinus und Origenes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Die Vision Jesajas in Jes. 6,1–7 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Die Vision Jesajas als Symbol für die Trinität . . . . . . . . . . . . b) Engelchristologie? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Traditionsgeschichtliche Hintergründe der origeneischen Deutung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
40 45 46 50 53 62 65 74 75 77 83
VI
Inhalt
III. Die Theologie der Jesajahomilien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
1. Theologie des christlichen Lebens – Die Jesajadeutung des Origenes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Nachfolge und Teilhabe: Jesaja als Vorbild christlicher Vollkommenheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Platonismus im Christentum: Die Gottesschau und die Immanenz des Logos im Gläubigen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Stufen der Vollkommenheit: Die Entfaltung der Logosimmanenz im christlichen Leben . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Die Überwindung des „inneren Usija“ und die imitatio Iesu Die geistige Erkenntnis von Schrift und Wirklichkeit . . . . . Gotteserfahrung und geistige Sinnlichkeit . . . . . . . . . . . . . . . c) Der einzelne Christ und die Kirche . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Gott und Geschichte: Jesajas Vision des trinitarischen Gottes . . a) Gott – Anfang, Mitte und Ende: Christliche Weltdeutung zwischen Jes. 6 und Nom. 4 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Gottes Anfang und Ende: Der trinitarische Gott in sich . . . . c) Gottes Mitte: Der trinitarische Gott in Welt und Geschichte Gottes Wort: Urbild und Seele der Welt . . . . . . . . . . . . . . . . Die „Fülle der Herrlichkeit Gottes“ und die paideia Christi . Der Geist und seine Gaben . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Christus alles in allem und das certamen Dei – Der theologische Ertrag der Jesajahomilien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
IV. Die Jesajahomilien im ersten Origenismusstreit
............. 1. Altkirchliche Jesajakommentare . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Die Vision Jesajas in den trinitätstheologischen Debatten des 4. Jahrhunderts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Die Übersetzung der Jesajahomilien des Origenes durch Hieronymus . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Interpolationen und Eingriffe des Hieronymus in den Text . b) Das Schweigen des Hieronymus über die Jesajahomilien . . . 3. Der Traktat gegen Origenes über die Vision Jesajas . . . . . . . . . a) Entdeckung und Autorschaft: Theophilus von Alexandria . . b) Die Kritik des Theophilus an der Jesajadeutung des Origenes
V. Überlieferung, Ausgaben und Übersetzungen . . . . . . . . . . . . . . .
98 98 103 103 113 113 124 126 129 132 132 140 144 144 147 155 159 162 162 165 170 171 176 180 180 181 188
Die Homilien des Origenes zum Buch Jesaja in der Übersetzung des Hieronymus Homilie 1 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Homilie 2 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
194 208
Inhalt
Homilie Homilie Homilie Homilie Homilie Homilie Homilie
3 4 5 6 7 8 9
.............................................. .............................................. .............................................. .............................................. .............................................. .............................................. ..............................................
VII 218 228 242 254 280 294 300
Anhang Fragmente und Zeugnisse des Jesajakommentars Fragmente . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Zeugnisse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Hieronymus, Brief 18 B . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
308 314 322
Theophilus von Alexandria Traktat gegen Origenes über die Vision Jesajas . . . . . . . . . . . . . . . . .
330
Bibliographie Quellen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
367 368
Register 1. Bibelstellen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Origenesstellen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Namen und Sachen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
381 390 393
Einleitung
I. Die Jesajaauslegung des Origenes* Das Buch Jesaja spielte in der antiken christlichen Literatur eine herausragende Rolle. Jesaja wurde von den ersten Christen und insbesondere von den Verfassern der neutestamentlichen Schriften als der messianische Prophet par excellence angesehen; entsprechend oft wurde auf das unter seinem Namen überlieferte Buch zurückgegriffen. Im Neuen Testament ist das Buch Jesaja neben dem Psalter die am häufigsten verwendete Schrift des Alten Testaments: Zu ungefähr fünfzig expliziten Zitaten aus etwa vierzig Stellen der Jesajasammlung kommt, vor allem in der Offenbarung des Johannes, eine noch größere Zahl von mannigfaltigen Verweisen, Anspielungen und Reminiszenzen.1 Auch in den folgenden christlichen Generationen behauptete das Jesajabuch diese Stellung; in den theologischen Schriften wurde es ausgiebig benutzt und kommentiert, auch wenn wohl wegen seines großen Umfangs nur wenige vollständige Kommentare geschrieben wurden und noch weniger erhalten sind.2 Letzteres gilt gleich für den Kommentar des ersten christlichen Theologen, der sich intensiv mit dem Buch Jesaja beschäftigt hat. Origenes hat es Hieronymus zufolge in allen drei exegetischen Gattungen ausgelegt, die in der späteren Antike gängig waren und derer er sich in seiner exegetischen Arbeit auch sonst bediente: in einem wissenschaftlichen Kommentar, in Predigten (Homilien) und in Form von Notizen zu einzelnen Versen oder Perikopen (Scholien).3 Von dieser umfangreichen Jesajaauslegung ist jedoch nur wenig erhalten.4 Die Jesajahomilien gehören nicht zu den zentralen Werken des Origenes und spielen in der Origenesforschung keine große Rolle. Um diese Lücke zu füllen, werden sie in der folgenden Einleitung eingehend analysiert. * 1 2 3
4
Die Kapitel I, II, IV und V der Einleitung stammen von Alfons Fürst, Kapitel III von Christian Hengstermann. Für die gemeinsame Erarbeitung der übrigen Teile des Buches siehe unten S. 190 f. Siehe Jay, Art. Jesaja 787–792. Jay, ebd. 795–811. Zu Jesajazitaten in der altchristlichen Literatur: Ziegler, Isaias 17–21. Siehe die Übersicht über die altkirchlichen Jesajakommentare unten S. 162–165 . Hieronymus, in Es. I 1 (VL.AGLB 23, 137 f.). Zu diesen exegetischen Gattungen siehe die grundsätzliche Bemerkung des Hieronymus im Vorwort zu seiner Übersetzung der Ezechielhomilien des Origenes, in Hiez. hom. praef. (GCS Orig. 8, 318), und dazu Klostermann, Formen; Junod, Homilien; ders., Scholies. Für das Folgende siehe Gryson/Szmatula, Les commentaires patristiques 12–33; Fürst, Hieronymus gegen Origenes 199 f.
4
Einleitung
1. Der Jesajakommentar a) Nachrichten über den Jesajakommentar Auf seinen Jesajakommentar hat Origenes einmal selbst hingewiesen. Die „Auslegungen des Jesaja“, die er in der 248/49 geschriebenen Apologie gegen Kelsos neben denen des Ezechiel und einiger der zwölf kleinen Propheten erwähnte, dürften sich auf den Kommentar beziehen; im Kontext geht es nämlich darum, inkohärente und ganz unklare Stellen Wort für Wort zu erklären5 – was das für einen antiken exegetischen Kommentar typische Verfahren war. Was wir über diese Information des Origenes zur bloßen Existenz eines Jesajakommentars hinaus wissen, beruht auf Angaben des Pamphilus, des Eusebius und des Hieronymus. Eusebius von Caesarea berichtet in seiner Kirchengeschichte zur Regierungszeit des römischen Kaisers Gordian III. (Januar/Februar 238 – Anfang 244),6 Origenes habe um diese Zeit seine Erklärungen zu Jesaja (ferner zu Ezechiel und zum Hohenlied) verfasst. Genauere Angaben zur Datierung scheinen schon Eusebius nicht mehr vorgelegen zu haben, und wenn man seine Angaben sehr kritisch beurteilt, sieht es so aus, als habe er diese zeitliche Einordnung nur dazu vorgenommen, um diese Kommentare des Origenes irgendwo in dessen Biographie unterzubringen.7 Einigermaßen sicher wird man sagen können, dass der Jesajakommentar nicht zu den großen Werken gehört, die Origenes schon in Alexandria begonnen hat (wie der Genesis- und der Johanneskommentar), sondern dass er zur Gänze in Caesarea in Palästina entstanden ist. Eusebius lagen davon 30 Bücher vor, „die bis zum dritten Teil des Buches Jesaja, bis zur Vision der Vierfüßigen in der Wüste“, reichten,8 näherhin bis Jes. 30,5. Diese Vision selbst in Jes. 30,6 f. hat Origenes (zumindest in diesem Buch) nicht mehr kommentiert, denn in seinem eigenen Jesajakommentar hat Eusebius unmittelbar vor der Auslegung dieser Verse ausdrücklich darauf hingewiesen, „dass das dreißigste Buch des Kommentars des Origenes zu dem Propheten bis hierher (nämlich Jes. 30,5) reichte“.9
5 6 7 8 9
Origenes, Cels. VII 11 (GCS Orig. 2, 162); Text und Übersetzung unten S. 314 f. Borret, SC 150, 39, übersetzt daher die Wendung eÆn toiÄw pragmateyueiÄsin hëmiÄn eiÆw to Á n ëHsaiÉan zu Recht mit „dans mes Commentaires d’Isaı¨e“. Das Datum nach Kienast, Kaisertabelle 195. So Nautin, Orige`ne 87–89. Vgl. ebd. 247 f. Eusebius, hist. eccl. VI 32,1 (GCS Eus. 2, 586), zitiert in der Suda, V 182 (III p. 619 Adler); Text und Übersetzung unten S. 314 f. In Is. 98 (GCS Eus. 9, 195). Vgl. Gryson/Szmatula, Les commentaires patristiques 15. Siehe unten S. 316 f.
I. Die Jesajaauslegung des Origenes
5
Ob es je mehr Bücher gegeben hat, ist angesichts weiterer, aber widersprüchlicher Angaben in den Quellen nicht sicher auszumachen. Einerseits bestätigte Hieronymus im Prolog zu seinem Jesajakommentar die Angaben des Eusebius und ergänzte diese um einige Informationen. Origenes hat demnach iuxta editiones quattuor, d.h. auf der textlichen Basis der vier Versionen des griechischen Alten Testaments (nämlich des Aquila, des Symmachus, der Septuaginta und des Theodotion), die Origenes in der Hexapla synoptisch in den letzten vier Spalten hatte nebeneinander schreiben lassen, einen dreißigbändigen Jesajakommentar geschrieben, der „bis zur Vision der Vierfüßigen in der Wüste“ reichte. Das 26. Buch lag Hieronymus allerdings nicht mehr vor. Ferner kannte Hieronymus zwei andere Bücher über die Vision in Jes. 30,6 f., die einer ansonsten unbekannten Frau namens Grata gewidmet waren und schon zu seiner Zeit, wie er erwähnte, als pseudepigraphisch galten.10 Andererseits vermerkte Hieronymus in seinem Verzeichnis der Schriften des Origenes 36 Bücher des Jesajakommentars.11 Könnte diese Zahl vielleicht so zu erklären sein, dass die beiden Bücher ad Gratam doch authentisch waren und sich vier weitere Bücher (bis Jes. 35 oder 39) anschlossen?12 Angesichts des ausdrücklichen Hinweises des Hieronymus auf die Einschätzung der beiden Bücher an Grata als pseudepigraphisch darf das jedoch bezweifelt werden.13 Da Hieronymus im Brief an Paula die Zahl der Werke des Origenes, nicht ohne Protzerei, möglichst groß aussehen lassen wollte, scheint mehr für die Angabe von 30 Büchern zu sprechen. Auch die wenigen Spuren, die der Jesajakommentar in der handschriftlichen Überlieferung (speziell der Septuaginta) hinterlassen hat (s.u.), führen nicht über diese Zahl hinaus. Sicher scheint jedenfalls zu sein, dass Origenes nicht das ganze Jesajabuch kommentiert hat. Nebenbei sei bemerkt, dass ein derartiges Problem im Œuvre des Origenes nicht singulär ist. Auch im Falle des Johanneskommentars ist schwer zu sagen, ob er je mehr als die 32 Bücher umfasst hat, von denen Hieronymus berichtet,14 und von dem das 32. Buch auch erhalten ist. Dessen 10 Hieronymus, in Es. I 1 (VL.AGLB 23, 137 f.); Text und Übersetzung unten S. 318 f. 11 Epist. 33,4 (CSEL 54, 255). 12 So Gryson/Szmatula, Les commentaires patristiques 13–15, die diese hypothetische Überlegung damit kombinieren, dass laut Hieronymus, in Es. I 1 (VL.AGLB 23, 138), der Jesajakommentar Didymus’ des Blinden bei Jes. 40 einsetzte – gleichsam in Fortsetzung des origeneischen Kommentars? 13 Mit Jay, Art. Jesaja 805. 14 Hieronymus, epist. 33,4 (CSEL 54, 256); in Luc. hom. praef. (GCS Orig. 92, 1); vgl. Rufinus, apol. c. Hieron. II 26 (CChr.SL 20, 102). Die Zahl 22 bei Eusebius, hist. eccl. VI 24,1 (GCS Eus. 2, 570), ist möglicherweise mit Huet als Verschreibung der griechischen Zahl lb' (32) in kb' (22) zu erklären: E. Klostermann in seiner Rezension der Edition des Johanneskommentars durch Erwin Preuschen in den GCS, in: GGA 166 (1904) 265–282, hier: 265.
6
Einleitung
Schluss, in dem Origenes nicht, wie sonst üblich, auf die beabsichtigte Fortsetzung hinwies,15 könnte ein Indiz dafür sein, dass er die Auslegung damit abgebrochen hat.16 Es gibt aber einige, wenn auch schwache Hinweise darauf, dass die Auslegung über den zuletzt kommentierten Vers Joh. 13,33 hinausreichte. So bezog sich Origenes im Matthäuskommentar auf seine Ausführungen über Joh. 19,17 und in den Fragmenten aus den Katenen begegnen immerhin drei Bruchstücke aus späteren Stellen des Johannesevangeliums, nämlich zu Joh. 14,3, 17,11 und 20,2518 – falls denn diese Stücke zu Recht Origenes zugewiesen werden19 und falls sie aus dem Johanneskommentar und nicht aus anderen Werken des Origenes stammen.20 Die Frage ist so schwer lösbar wie beim Jesajakommentar, doch deuten die meisten Indizien darauf hin, dass der Johanneskommentar nie mehr als 32 und der Jesajakommentar nie mehr als 30 Bücher umfasste. Das würde bedeuten, dass Origenes seine ambitionierte und umfängliche Erklärung dieser zentralen biblischen Bücher zwar jeweils in Angriff genommen, aber nicht zu Ende geführt hat. Nicht einmal ein so unermüdlicher Arbeiter wie Origenes – der Adamantius, der „Mann aus Stahl“21 – vermochte ein so aufwändiges Unterfangen wie eine ebenso extensive wie intensive Kommentierung des umfangreichen Buches Jesaja durchzuhalten.
b) Fragmente Der Jesajakommentar ist bis auf drei Fragmente in der Apologie des Pamphilus untergegangen. Ihr Text ist, versehen mit einer deutschen Übersetzung, unten im Anhang abgedruckt. Da es sich um die wenigen Reste des Jesajakommentars des Origenes handelt, dürfte es angezeigt sein, ihnen an dieser Stelle einige erläuternde Bemerkungen zu widmen. Das erste Fragment stammt aus dem ersten Buch des Kommentars und erläutert wohl Jes. 1,2, wo „der Herr“ (kyÂriow) erklärt, er habe „Söhne 15 Origenes, in Ioh. comm. XXXII 401 (GCS Orig. 4, 480). 16 So Preuschen, GCS Orig. 4, LXXXI. Klostermann, Rez. GCS Orig. 4, 265 f., meint statt dessen eher auf „die resignierte Stimmung“ zu Beginn des 32. Buches verweisen zu müssen. 17 Origenes, in Matth. comm. ser. 133 (GCS Orig. 11, 270). 18 Frg. 105, 140 und 106 in den 141 Fragmenten bei Preuschen, GCS Orig. 4, 481–574. 19 Preuschen, ebd. LXXII, hält sie für verdächtig, weil sie eben jenseits von Joh. 13,33 liegen. 20 Vgl. Preuschen, ebd. LXXXI. 21 Als Adamantius und Chalcenterus, „der bei der anstrengenden Kommentierung der heiligen Schriften so viel Schweiß vergossen hat, dass er zu Recht den Beinamen ,der Stählerne‘ erhielt“, bezeichnete ihn Hieronymus, epist. 33,4 (CSEL 54, 255).
I. Die Jesajaauslegung des Origenes
7
hervorgebracht“ (yiëoy Á w eÆgeÂnnhsa). Origenes sagte dazu: „Von einem Gesalbten (Christus) stammen viele Gesalbte (Christen) ab.“22 Diesen Gedanken hat Origenes auch in anderen, früheren wie späteren Werken präsentiert.23 Im sechsten Buch des Johanneskommentars, das er zu Beginn seiner Tätigkeit in Caesarea verfasste, erklärte er die Aussage des Paulus in 2 Kor. 13,3: „Sucht ihr einen Beweis dafür, dass Christus in mir redet?“ hypothetisch so: „In jedem Heiligen wird Christus gefunden, und durch den einen Gesalbten entstehen viele Gesalbte, die seine Nachahmer und nach dem gestaltet sind, der das Bild Gottes ist; daher sagt Gott durch den Propheten: ,Rührt meine Gesalbten nicht an!‘ (Ps. 104[105],15).“24 In der gegen Ende seiner Tätigkeit in Caesarea geschriebenen Apologie gegen Kelsos argumentierte Origenes ebenfalls mit „vielen Gesalbten (Christen)“, die durch den einen „Gesalbten (Christus)“ entstanden seien, ging dabei aber auch auf den Unterschied dieser Salbungen ein. Ebenfalls nach Zitierung von Ps. 104(105),15 schrieb er: „Denn wie wir gehört haben, dass ein Antichrist kommt, und trotzdem wissen, dass es viele Antichristen in der Welt gibt (1 Joh. 2,18), so wissen wir auch, dass der Gesalbte (Christus) gekommen ist, und sehen zugleich, dass durch ihn viele Gesalbte (Christen) in der Welt entstanden sind, welche gleich wie er Gerechtigkeit liebten und Ungerechtigkeit hassten und deshalb von Gott, dem Gott des Gesalbten, ebenfalls mit Freudenöl gesalbt worden sind (Ps. 44[45],8; Hebr. 1,9).“ Dabei ist aber ein wichtiger Unterschied zu beachten: „Aber jener hat nun, da er mehr als die, die an ihm Anteil haben, Gerechtigkeit liebte und Ungesetzlichkeit hasste, die Erstlingsgabe des Salböls und, wenn ich so sagen soll, die ganze Salbung mit dem Freudenöl empfangen, während jeder von denen, die an ihm Anteil haben, nur soviel von seiner Salbung erhielt, wie er zu empfangen fähig war.“25 Die „vielen Gesalbten“ sind solche also durch Teilhabe an dem einen, einzigen Gesalbten (Christus), der im vollen und eigentlichen Sinn „Gesalbter“ ist.26 In der Ä n, hat er frühen Grundlagenschrift aus der alexandrinischen Zeit, PeriÁ aÆrxv diesen Unterschied mit dem Bild vom Gefäß des Salböls und dessen Duft erläutert: „Wenn es ferner heißt: ,Gesalbt hat dich Gott, dein Gott, mit Freudenöl mehr als die, die an dir Anteil haben‘ (Ps. 44[45],8), so zeigt das,
22 Origenes, in Is. frg. 1 bei Pamphilus, apol. Orig. 116 (SC 464, 192 bzw. FC 80, 336); Text und Übersetzung unten S. 308 f. 23 Siehe die Hinweise bei Amacker/Junod, SC 464, 193 Anm. 2. 24 Origenes, in Ioh. comm. VI 42 (GCS Orig. 4, 115). Siehe dazu die Hinweise von Blanc, SC 157, 160 f. Anm. 2 und 3. – Anlässlich der Gestalt Johannes’ des Täufers, der für Christus gehalten werden konnte, kam Origenes konkret auf diese Gestaltung nach dem Bild Gottes zu sprechen: ebd. VI 252 (4, 157 f.). 25 Cels. VI 79 (GCS Orig. 2, 150 f.); Übersetzung nach Koetschau, BKV2 I 53, 204 f. 26 Zur philosophischen und theologischen Reichweite dieses Gedankens siehe unten S. 103–112.
8
Einleitung
dass diese Seele (sc. die Seele Christi) in anderer Weise mit Freudenöl, das heißt mit dem Wort und der Weisheit Gottes, gesalbt wird als die, die an ihr Anteil haben, das heißt die heiligen Propheten und Apostel. Von jenen heißt es, sie seien im Duft seiner Salben gelaufen (Hld. 1,4), diese Seele aber war ein Gefäß des Salböls selbst, an dessen Duft die Würdigen Anteil erhielten und so Propheten und Apostel wurden.“ Und zur Verdeutlichung erklärte Origenes: „Wie man also den Duft des Salböls von seiner Substanz unterscheiden muss, so auch Christus von denen, die an ihm Anteil haben. Und wie das Gefäß, das die Substanz des Salböls enthält, auf keinen Fall einen schlechten Geruch annehmen kann, während die, die an seinem Geruch teilhaben, wenn sie sich von seinem Duft entfernen, einen üblen Geruch von außen annehmen können, ebenso konnte Christus, wie das Gefäß, das die Substanz des Salböls enthält, unmöglich den entgegengesetzten Geruch in sich aufnehmen, während bei denen, die an ihm teilhaben, die Teilhabe und Aufnahmefähigkeit sich nach ihrer Nähe zu dem Gefäß bemisst.“27 Diese Texte zeigen, dass Fragment 1 des Jesajakommentars sich nahtlos in das Denken des Origenes einfügt. Es handelt sich um einen der für ihn typischen kühnen Gedankengänge, die anstößig wirken konnten, weil er, griechisch ausgedrückt, von vielen „Christoi“ sprach, wo doch „Christos“ nur einer ist, in denen er aber mit Hilfe des platonischen Teilhabegedankens zugleich die enge Verbindung zwischen den „Christen“ und „Christus“ zum Ausdruck bringen konnte wie den Unterschied zwischen ihnen: Die Christen sind Gesalbte nur insofern, als sie Anteil an der Salbung Christi haben. Das zweite und das dritte Fragment stammen aus dem 28. Buch des Jesajakommentars, wo sie in kurzem Abstand aufeinander folgen.28 Sie erörtern das Thema der Auferstehung anhand von Jes. 26,19: „Die Toten werden auferweckt werden, und auferstehen werden, die in den Gräbern sind.“29 Mit der Auferstehung hat Origenes sich in Auseinandersetzung sowohl mit heidnisch-philosophischer Kritik an dieser für den christlichen Glauben grundlegenden Überzeugung als auch mit christlich-gnostischen Erklärungsmodellen und gängigen kirchlichen Ansichten intensiv beschäftigt und ausgesprochen differenzierte Überlegungen entwickelt.30 In den beiden Fragmenten zu diesem Thema aus dem Jesajakommentar geht es allerdings nicht um die komplexen Gedankengänge des Origenes zur Identität des
27 Princ. II 6,6 (GCS Orig. 5, 145 f.); Übersetzung nach p. 369–371 Görgemanns/Karpp. 28 Das geht aus Pamphilus, apol. Orig. 136. 138 (SC 464, 218–220. 224 bzw. FC 80, 354. 358), hervor. 29 Origenes, in Is. frg. 2 bei Pamphilus, apol. Orig. 137 (SC 464, 220–224 bzw. FC 80, 356–358); frg. 3 ebd. 139 (464, 224 bzw. 80, 358); Text und Übersetzung unten S. 308–311. 30 Eine präzise Zusammenfassung gibt Prinzivalli, Art. Resurrezione.
I. Die Jesajaauslegung des Origenes
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irdischen Leibes mit dem Auferstehungsleib, die ihm später den Vorwurf eingebracht haben, er leugne die Auferstehung.31 Zu der hierfür zentralen Stelle 1 Kor. 15,42–44, die in Fragment 2 zitiert ist, stellt Origenes in Fragment 3 lediglich klar, dass diese Aussagen des Paulus nur auf den Leib, nicht aber auf die Seele zu beziehen seien. Die eigentlich brisante Frage nach dem Verhältnis zwischen (paulinisch ausgedrückt) irdischem und geistlichem Leib hat er im Jesajakommentar an diesen Stellen entweder nicht erörtert, oder Pamphilus hat entsprechende Ausführungen nicht mitzitiert. Etwas ergiebiger sind die Ausführungen in Fragment 2. In der Frage, ob alle oder nur einige Menschen auferstehen, entscheidet sich Origenes für die Auferstehung aller. Diese Option hängt mit seiner Hoffnung auf Erlösung aller Menschen zusammen, der Apokatastasis.32 In der Auferstehung aller unterscheidet er jedoch das Schicksal der „Gottlosen“ oder „Sünder“ von dem der „Gerechten“ und spricht in Anlehnung an Offb. 20,6 von einer „ersten“ und einer „zweiten“ Auferstehung. Das hat er in ähnlicher Weise auch andernorts getan, dabei von einer „zweiten“ Auferstehung allerdings in zeitlichem Sinn gesprochen, so im Kommentar zum Römerbrief – einem Spätwerk, geschrieben vor dem Matthäuskommentar und der Apologie gegen Kelsos –, von dem ein griechisch erhaltenes Fragment zu Röm. 6,5 lautet: „Wie kann er hier sagen: ,Wir werden mit ihm auch in seiner Auferstehung vereinigt sein‘? Dazu ist zu sagen, dass der Apostel von einer zweifachen Auferstehung spricht: einer, die schon geschehen ist, der gemäß der Heilige mit Christus auferstanden und mit ihm auferweckt worden ist (Eph. 2,6) und sucht, was droben ist (Kol. 3,1); die andere Auferstehung geschieht dann, ,wenn das Vollendete kommt‘ (1 Kor. 13,10). Von dieser Auferstehung spricht Daniel in prophetischer Weise: ,Von denen, die im Land des Staubes schlafen, werden viele auferstehen, die einen zum ewigen Leben, die anderen zur Schmach, zu ewigem Abscheu‘ (Dan. 12,2). Von der einen Auferstehung können die Heiligen sagen, dass sie an ihnen schon vollzogen ist, von der anderen, dass sie noch kommt.“33 In der lateinischen Übersetzung des Rufinus kommt die zeitliche Folge dieser beiden Auferstehungen noch deutlicher zum Vorschein; aus denselben Bibelstellen Eph. 2,6 und Röm. 6,5 folgerte Origenes: „Daher ist eine zweifache Auferstehung zu erkennen: eine, durch die man in Geist, Verlangen und Glauben mit Christus vom Irdischen aufersteht, um das Himmlische im Sinn zu haben und das Zukünftige zu suchen, und eine andere, nämlich die allgemeine Auferstehung aller im Fleische. Die Auferstehung dem Geiste nach,
31 Siehe dazu Röwekamp, FC 80, 161–174. 32 Siehe dazu unten S. 226 Anm. 57. 33 Origenes, in Rom. frg. 29 Ramsbotham (FC 2/6, 172); Übersetzung: Heither, FC 2/6, 173.
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die aus dem Glauben kommt, ist offenbar schon in denen erfüllt, die ihren Sinn auf das richten, ,was im Himmel ist, wo Christus zur Rechten Gottes sitzt‘ (Kol. 3,1). Die allgemeine Auferstehung des Fleisches aber, die sich auf alle erstreckt, ist noch zukünftig; denn die eine wird bei der ersten, die andere bei der zweiten Ankunft des Herrn verwirklicht werden.“34 Diese Ausführungen im Römerbriefkommentar kommen mit dem zweiten Fragment aus dem Jesajakommentar darin überein, dass Auferstehung jeweils ethisch als Befreiung von Sünde gefasst wird; die ethische Komponente wird im Fragment sogar stark betont. Anders als im Römerbriefkommentar – und auch anders als in der späteren kirchlichen Eschatologie – versteht Origenes im Jesajakommentar die erste und zweite Auferstehung jedoch nicht in zeitlichem Sinn, sondern deutet sie auf zwei verschiedene Arten von Auferstehung, und zwar eine für „Gerechte“, eine für „Sünder“.35 Insofern diese Einteilung von der moralischen Qualität der Lebensführung abhängt, enthält sie dasselbe ethische Moment wie im Römerbriefkommentar, verteilt diese beiden Arten aber nicht zeitlich auf aufeinander folgende Etappen von Auferstehung. In diesem Sinne hat Origenes sich auch in einem Text aus dem zweiten Buch seiner verlorenen Frühschrift über die Auferstehung geäußert, den Pamphilus unmittelbar vor den Zitaten aus dem Jesajakommentar anführt: „So wie jemand sich in diesem Leben vorbereitet hat, so wird auch seine Auferstehung sein: Wer hier seliger (beatius) gelebt hat, dessen Leib wird auch bei der Auferstehung in göttlicherem Glanz erstrahlen und dem wird eine angemessene Wohnung an einem seligen Ort zuteil werden, wer aber die Zeit, die ihm für das gegenwärtige Leben gewährt worden ist, in Schlechtigkeiten verschwendet, dem wird ein Leib gegeben, der nur in Strafen existieren und fortbestehen kann.“36 Unter Hinweis auf seine diesbezüglichen längeren Ausführungen in den Büchern über die Auferstehung betont Origenes in einem in der Än lateinischen Übersetzung des Rufinus erhaltenen Abschnitt in PeriÁ aÆrxv gegen häretische Ansichten grundsätzlich die ethisch konstituierten Unterschiede zwischen den Auferstandenen.37 Im Hintergrund des zweiten Teils von Fragment 2 steht ein alter, recht kruder Einwand gegen den christlichen Glauben an eine Auferstehung des Leibes bzw. Fleisches, der sehr ausführlich in der unter dem Namen des Athenagoras überlieferten Schrift über die Auferstehung – deren Autorschaft umstritten ist – vorgeführt wird, nämlich der Fall aufeinander folgen34 In Rom. comm. V 9 (p. 441 Hammond Bammel); Übersetzung: Heither, FC 2/3, 167. 35 Crouzel, Re´surrection 7 f., geht auf diese spezielle Distinktion nicht weiter ein. 36 Origenes, res. II frg. bei Pamphilus, apol. Orig. 134 (SC 464, 216 bzw. FC 80, 354); Übersetzung nach Röwekamp, FC 80, 355. 37 Origenes, princ. II 10,2 (GCS Orig. 5, 174 f.).
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der Verspeisungen des Fleisches eines ums Leben gekommenen, aber nicht begrabenen Menschen: Wenn ein Teil eines solchen Menschen von einem wilden Tier gefressen wird (und dieses womöglich wiederum von einem anderen und so fort) und wenn ein solches Tier bei der Jagd erlegt und von einem Menschen verzehrt wird, wem wird dieser Teil des umgekommen Menschen, den ein anderer Mensch sich (unwissentlich) einverleibt hat, bei der Auferstehung gehören? Wie steht es in diesem Fall mit der Vollständigkeit des Auferstehungsleibes?38 Diesen Einwand haben Gegner der Christen gegen die Auferstehung erhoben,39 beispielsweise Porphyrius.40 Die verbreitete christliche Antwort verwies auf die Allmacht Gottes, der alles möglich sei, so etwa Justin generell für den Glauben an die Auferstehung41 oder Tatian im Blick auf das genannte Spezialproblem: „Ob ich in Strömen oder in Meeren zugrundegehe oder von wilden Tieren zerfleischt werde, in der Schatzkammer eines reichen Herrn werde ich geborgen“;42 ähnlich Tertullian: „Wo immer du auch zerfallen magst, welches Element dich auch zerstören, verschlingen, vertilgen, ins Nichts verwandeln mag, dies wird dich wieder herausgeben. Dem gehört auch das Nichts, dem das All gehört.“43 Noch Augustinus wusste sich angesichts dieser Schwierigkeit nur mit dem Hinweis auf den allmächtigen Gott zu helfen.44 Origenes hat darauf hingewiesen, dass einfache, ungebildete Christen angesichts dieser Schwierigkeit zur Allmacht Gottes ihre Zuflucht nähmen.45 Er selbst jedoch begnügte sich nicht mit dieser im Grunde hilflosen fideistischen Behauptung, weil er das Verhältnis zwischen irdischem Leib und Auferstehungsleib nicht durch materielle Kontinuität bestimmt sah, und lehnte die Rechtfertigung des Glaubens an die Auferstehung des Leibes bzw. Fleisches mit dem Argument der Allmacht Gottes gegen die diesbezügliche Kritik des Kelsos (und damit in der Sache mit ihm übereinstimmend) sogar ab.46 In Fragment 2 aus dem Jesajakommentar geht Origenes auf diese Zusammenhänge indes mit keinem Wort ein, sondern verweist ohne weitere Erläuterung – jedenfalls hat Pamphilus keine mitzitiert – dar38 (Pseudo-?)Athenagoras, res. 3,3–4,4 (p. 94–99 Schoedel). 39 Worauf Tertullian, res. mort. 4,3 (CChr.SL 2, 925), explizit hinweist. 40 Porphyrius, adv. Christ. frg. 94 Harnack aus Makarios Magnes, apocrit. IV 24 (TU 37/4, 92). 41 Justin, I apol. 18,6–19,7 (SC 507, 180–184). 42 Tatian, orat. 6,4 (PTS 43, 16); Übersetzung: Kukula, BKV2 I 12, 203. 43 Tertullian, apol. 48,9 (CChr.SL 1, 167); Übersetzung: p. 215 Becker. Vgl. res. mort. 11,5–10 (CChr.SL 2, 934). 44 Augustinus, civ. dei XXII 20 (II p. 600 f. Dombart/Kalb). 45 Origenes, in Ps. 1 frg. bei Methodius, res. I 21,1 (GCS 27, 243). Ganz ähnlich hatte sich Kelsos nach Origenes, Cels. V 14 (GCS Orig. 2, 15), in seiner Kritik am christlichen Auferstehungsglauben ausgedrückt. 46 Cels. V 23 (GCS Orig. 2, 24). Näheres dazu bei Chadwick, Resurrection 83–91.
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auf, dass die Aussage in Jes. 26,19 über die Auferstehung derer, „die in den Gräbern sind“, auch für Fälle wie die genannten Geltung habe. Im oben schon herangezogenen Fragment aus dem zweiten Buch der Schrift über die Auferstehung sagte er das ähnlich, auch da ohne nähere Erläuterung: „Dass er (sc. der menschliche Leib) aber überall, das heißt gleichgültig, wo er sich befunden hat, wiederhergestellt wird, sagt Johannes in seiner Offenbarung so: ,Und das Meer gab die Toten heraus, die in ihm waren, und der Tod und die Unterwelt gaben ihre Toten heraus, die in ihnen waren‘ (Offb. 20,13).“47 Diese kurzen, inhaltlich nicht sehr ergiebigen Texte sind alles, was vom vielbändigen Jesajakommentar des Origenes übriggeblieben ist. Dazu kommt nur noch ein Testimonium, nämlich die Notiz des Hieronymus, Origenes habe am Ende des 30. Buches seines Kommentars bei der Auslegung von Jes. 29,1: „Weh dir, Stadt Arie¨l, die David erstürmt hat!“ die Deutung des jüdischen Patriarchen „Hiullus“, eines Zeitgenossen, aufgegriffen und seine frühere Meinung über diese Stelle entsprechend geändert.48 Leider teilte Hieronymus weder die frühere Ansicht des Origenes noch diejenige des „Hiullus“ mit. Über die Person dieses „Hiullus“ gibt es allerdings eine Vermutung: Es dürfte derselbe sein, den Origenes in einem griechisch erhaltenen Fragment aus seiner Psalmenauslegung „Jullos“ (ÆIoyÂllow) nennt und gleichfalls als Patriarchen bezeichnet.49 Unter den vielen Bezugnahmen des Origenes auf einen „Hebräer“ ist das der einzige Fall, in dem ein solcher mit Namen genannt wird.50 Jullos dürfte die griechische Transkription des hebräischen Namens Hillel sein (Hiullus die lateinische Fassung bei Hieronymus). Da es in den beiden Jahrzehnten, in denen Origenes in Caesarea in Palästina wohnte, also etwa zwischen 232 und 251, jedoch keinen jüdischen Patriarchen dieses Namens gab, könnte Origenes (und ihm folgend Hieronymus) eine Verwechslung oder dem Schreiber der Handschrift ein Lapsus unterlaufen sein, nämlich dergestalt, dass es sich um Hillel, den Sohn des Patriarchen Gamaliel III. und den Bruder des nachmaligen Patriarchen Juda II., handelt, der selbst aber, vielleicht weil er wohl recht jung verstarb, nicht Patriarch wurde, sondern ein jüdischer Gelehrter war.51 Dass Origenes in Palästina mit einem jüdischen Gelehrten namens
47 Origenes, res. II frg. bei Pamphilus, apol. Orig. 134 (SC 464, 216 bzw. FC 80, 352); Übersetzung: Röwekamp, FC 80, 353. 48 Hieronymus, apol. c. Rufin. I 13 (CChr.SL 79, 12 f.); Text und Übersetzung unten S. 320 f. 49 Origenes, in Ps. prol. frg. 3,1 (p. 13 Rietz). 50 Krauss, Jews 140. 156 f.; Bardy, Les traditions Juives 223 f. 51 So Graetz, Hillel, von der Forschung vielfach akzeptiert, beispielsweise von Bietenhard, Caesarea 19. 20, und Y. Horowitz, Art. Hillel, in: EJ2 9 (2007) 110. Es könnte sein, dass es im Psalmenfragment statt ÆIoyÂllvì tv Äì patriaÂrxhì korrekt toy Ä Äì ) geheißen haben könnte: Graetz, ebd. 434 f. patriaÂrxoy (yiëv
I. Die Jesajaauslegung des Origenes
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Hillel, dem Sohn des Patriarchen, Gespräche über exegetische Fragen geführt hat, kann man sich gut vorstellen. Gleichwohl bleibt diese Identifizierung eine Hypothese, die man nicht überzeugend finden muss.52 Bei einem weiteren Hinweis des Hieronymus auf die Auslegung von Jes. 2,22 durch Origenes sagte er nicht dazu, welchem Werk er sie entnommen hat, so dass nicht sicher ist, ob sie aus dem Kommentar stammt.53 Zwei kleine griechische Fragmente aus der Jesajakatene (im Anhang unten gezählt als Nr. 4 und 5) dürften ebenfalls nicht dem Kommentar entstammen, sondern entweder den Scholien, von denen Hieronymus berichtet,54 oder einem anderen Werk des Origenes, denn die Katenenschreiber schöpften nicht nur aus exegetischen, sondern auch aus anderweitigen Schriften der altkirchlichen Theologen.55 Die beiden sehr kurzen Stücke, die Jean-Baptiste Pitra 1883 publiziert hat, behandeln Jes. 39,7 und 66,1 und werfen mehr Fragen auf, als sie Informationen liefern.56 Jes. 39,7 gehört zur Prophezeiung Jesajas an Hiskija (am Schluss des heute so genannten Protojesaja), in der Hiskija die Verbannung nach Babylon angekündigt wird (Jes. 39,5–7). Die Identifizierung der hier gemeinten Söhne Hiskijas mit den drei jungen Männern und Daniel ist jüdischen Ursprungs. Im Matthäuskommentar und in einer der in der lateinischen Übersetzung des Hieronymus erhaltenen Ezechielhomilien referierte Origenes jeweils eine jüdische Exegese, die er von einem „Hebräer“ gehörte hatte und in der Daniel ausdrücklich mit Jes. 39,7 in Verbindung gebracht wird.57 Bei Hieronymus findet sich dieselbe Tradition,58 und abhängig von Origenes und Hieronymus berichten viele Kirchenväter von ihr; auch in der jüdischen Literatur ist sie weit verbreitet.59 Eine andere, nicht historisierende, sondern moralisierende Erklärung gab Origenes zu einer ähnlichen Aussage in Ez. 17,13: „Er wird aus der Nachkommenschaft des Königtums nehmen“ in einer anderen
52 Siehe die Skepsis von de Lange, Origen and the Jews 23 f., und Sgherri, Patriarca Iullo, dessen Hypothese, unter dem Jullos des Psalmenprologs sei der jüdische „Patriarch“ von Alexandria zu verstehen (ein solcher Titel ist nicht bezeugt), allerdings auf einer Kette von unsicheren Annahmen und Schlussfolgerungen beruht. 53 Hieronymus, in Es. I 66 (VL.AGLB 23, 216); Text und Übersetzung unten S. 318 f. 54 Ebd. I 1 (23, 138); epist. 33,4 (CSEL 54, 255). 55 Siehe Gryson/Szmatula, Les commentaires patristiques 33. 56 Pitra, Analecta sacra III, 538; Text und Übersetzung unten S. 312 f. Das erste Fragment hatte schon A. Mai, Nova Patrum Bibliotheca, Bd. VI/2, Rom 1853, 239, ediert: Faulhaber, Propheten-Catenen 59 (vgl. ebd. 49. 51. 55 f.). 57 Origenes, in Matth. comm. XV 5 (GCS Orig. 10, 360); in Hiez. hom. 4,5.8 (GCS Orig. 8, 366. 369 f.). 58 Hieronymus, adv. Iovin. I 25 (PL 23, 244); in Dan. I 1,3–4a (CChr.SL 75A, 779): Krauss, Jews 155 f. 59 Siehe die Belege bei Krauss, ebd. 156; Bietenhard, Caesarea 29 mit Anm. 100 (ebd. 37).
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Ezechielhomilie: „Wir alle, die wir das Wort Gottes aufgenommen haben, sind königliche Nachkommenschaft“;60 in einem griechisch erhaltenen Fragment zu dieser Stelle wird diese Erklärung erneut mit Daniel und den drei jungen Männern kombiniert: „Nachkommenschaft des Königtums sind diejenigen, die das Wort Gottes aufgenommen haben, wie zum Beispiel Daniel und die drei jungen Männer.“61 Sehr viel rätselhafter wirkt Fragment 5. In den Handschriften, in denen Pitra das Stück entdeckte (Codex Ottobonianus 452, fol. 203 saec. X; Codex Vaticanus 1153, fol. 261 saec. XI), ist es zu Ez. 14,17 vermerkt, hat aber weder mit dieser Bibelstelle noch mit deren Auslegung durch Origenes (soweit diese bekannt ist) etwas zu tun; in der vierten der lateinisch erhaltenen Ezechielhomilien, in der er sich mit der zugehörigen Perikope (Ez. 14,12–23) beschäftigte,62 findet sich nichts dergleichen. Dass Origenes die metaphorische Aussage in Jes. 66,1 nicht wörtlich topographisch verstand, sondern auf die Beziehung zwischen geistigen Wesen bezog, lässt sich aus der präzisierenden Bemerkung, „nicht die Orte, sondern die (geistigen) Wesen an den Orten“ seien gemeint, noch ersehen. Was jedoch unter der „ungeheuren Bewegung“ und dem „langen Weg“ zu verstehen ist und welches gedankliche Subjekt zu diesen beiden Nomina gehört, bleibt im Text des Fragments unklar. Kombiniert man die Aussage jedoch mit der Spekulation des Origenes über die „Mitte Gottes“ in den Jesajahomilien, die im Gegensatz zu seinem „Anfang“ und seinem „Ende“ erkennbar sei und die er sowohl mit der Menschwerdung des Gottessohnes als auch mit der Heilsgeschichte verknüpft, lässt sich immerhin eine Vermutung wagen: Die „ungeheure Bewegung“ und der „lange Weg“ meinen möglicherweise die Dynamik der Heilsgeschichte in ihrer zeitlichen Erstreckung. Die „Erde“ in diesem Sinn ist der „Schemel“ für die „Füße Gottes“, d.h. in der Inkarnation begibt Gott selbst sich in Raum und Zeit als den „Ort“ seiner soteriologischen Interaktion mit den Vernunftwesen.63 Freilich besteht bei einer solchen Überlegung die Gefahr, ein so kleines Fragment mit so großer Theologie zu überfrachten. Mit so jämmerlichen Bruchstücken lässt sich letztlich nicht viel anfangen.
60 Origenes, in Hiez. hom. 12,3 (GCS Orig. 8, 435). 61 In Hiez. frg. (PG 13, 754 Anm. 30), abgedruckt bei Baehrens, GCS Orig. 8, 435 ad loc. 62 In Hiez. hom. 4 (GCS Orig. 8, 358–370). 63 Näheres siehe unten S. 150 f. Vgl. insbesondere in Is. hom. 1,2 (GCS Orig. 8, 245 f.); 4,1 (8, 257 f.).
I. Die Jesajaauslegung des Origenes
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c) Testimonien Weitere Informationen über den Jesajakommentar des Origenes sind dem Jesajakommentar des Eusebius von Caesarea zu entnehmen.64 Da Eusebius aus dem Kommentar des Origenes geschöpft hat, ist davon auszugehen, dass in seiner Auslegung von Jes. 1,1–30,5, bis wohin der Kommentar des Origenes vermutlich reichte, Gedanken und Wendungen aus diesem stecken und Eusebius einzelne Ausführungen des Origenes in veränderter Form übernommen hat. Genauere textliche Rekonstruktionen sind auf dieser Basis zwar nicht möglich, doch hat Eusebius gelegentlich notiert, bis zu welchem Jesajavers der betreffende Band des Origenes reichte. Daraus lassen sich einige Informationen über die Bucheinteilung des Origeneskommentars gewinnen. Der Schreiber des Florentiner Codex aus dem 11. Jahrhundert (Laurentianus XI 4) hat die entsprechende formelhafte Notiz, die Eusebius sicherlich überall in seinem Kommentar vermerkt hatte, leider nicht immer abgeschrieben. An ein paar Stellen hat er sie aber notiert, und daraus ergibt sich Folgendes: Der 11. Band reichte bis zur Erklärung von Jes. 10,11, der 12. Band bis Jes. 10,23, der 15. Band bis Jes. 13,16 und der 30. Band bis Jes. 30,5, übrigens ohne einen Hinweis darauf, dass dies der letzte Band des Kommentars des Origenes sei (s.o.).65 Vermutlich an der falschen Stelle stehen die Hinweise zu drei weiteren Bänden: Der Hinweis auf das Ende des 16. Bandes steht mitten in der Erklärung von Jes. 14,5 und gehört wahrscheinlich ein paar Zeilen höher hinter die Erklärung von Jes. 14,2 f., weil mit Jes. 14,4 eine neue Perikope beginnt; desgleichen würde man im selben Kapitel die Notiz über das Ende des 17. Bandes, die mitten in der Erklärung von Jes. 14,19 steht, eher hinter Jes. 14,21 erwarten, wo das Spottlied über den König von Babel endet; und schließlich würde der Hinweis auf das Ende des 19. Bandes unmittelbar hinter dem Zitat von Jes. 16,8a besser an den Schluss der Erklärung des 16. Jesajakapitels passen.66 Weiteren Aufschluss über die Bucheinteilung geben Scholien am Rand von Septuagintahandschriften. Ein Palimpsest in Grottaferrata (Codex olim C. 4, nunc A. g. XV = E. b. VII; Sigel bei Rahlfs: 393) enthält im ursprünglichen, im 8. Jahrhundert geschriebenen Text zahlreiche Fragmente der sechzehn alttestamentlichen Prophetenbücher; nur zu Jesaja stehen am Rand Scholien, sechzehn an der Zahl, das erste zu Jes. 6,2, das letzte zu Jes. 8,6, die eindeutig dem Kommentar des Eusebius entstammen.67 Über die aus dem 64 Das Folgende nach Ziegler, GCS Eus. 9, XXXI-XXXIV, und Gryson/Szmatula, Les commentaires patristiques 15–17. 65 Eusebius, in Is. 58 (GCS Eus. 9, 73); 60 (9, 77); 66 (9, 99); 98 (9, 195). 66 Ebd. 68 (9, 101); 68 (9, 103); 71 (9, 111); Text und Übersetzung aller dieser Stellen unten S. 314–317. 67 Näheres dazu bei Ziegler, GCS Eus. 9, XXVII-XXX. Siehe unten S. 318 f.
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Jesajakommentar des Eusebius bekannten Daten hinaus erfährt man hieraus, dass der 7. Band des Jesajakommentars des Origenes mit Jes. 6,5 endete und der 8. Band mit Jes. 7,9. Diese Einteilung wird von Hieronymus bestätigt, der in seinem Jesajakommentar zu Jes. 6,9 f. den 8. Band des Origenes erwähnt.68 Noch mehr Angaben enthalten der Codex Marchalianus aus dem 6. Jahrhundert (Codex Vaticanus graec. 2125; Sigel bei Rahlfs: Q) und die syrohexaplarische Jesajaübersetzung (Sigel: Syh). Der Jesajatext in Q stammt aus der Hexapla, und zum Vergleich wurde auch der Jesajakommentar des Origenes herangezogen, von dem der Schreiber der Marginalien allerdings nur die ersten 25 Bände (bis Jes. 23) zur Verfügung hatte.69 Am Rand dieser Handschriften stehen Varianten des Bibeltextes und Scholien aus den Kommentaren des Origenes und des Eusebius. Die Zählung der Origenesbände ist zu den Büchern 6–8, 10–16 und 21–30 notiert, und zwar in Q vollständiger als in Syh (in dem die Notierungen zum 6., 8., 12., 13. und 29. Band fehlen). Die Angaben stimmen mit zwei Ausnahmen überein: Q lässt den 22. Band mit Jes. 19,18 beginnen, Syh mit Jes. 21,1, und der 23. Band beginnt in Q mit Jes. 21,1, in Syh mit Jes. 21,13.70 Kombiniert man diese Informationen aus dem Jesajakommentar des Eusebius und den Scholien zu den genannten Septuagintahandschriften, ergibt sich folgende Übersicht über die Einteilung des origeneischen Jesajakommentars (notiert ist jeweils der Jesajavers, mit dem die Auslegung in dem betreffenden Buch einsetzt) und über die zu einzelnen Büchern erhaltenen Fragmente und Zeugnisse (Hinweise aus diesen Randnotizen zum Bibeltext des Origenes sind in den Fußnoten notiert):71 Buch
I II–V
VI VII VIII
Fragment 1 zu Jes. 1,2 Qmg zu Jes. 3,2472 Hieronymus, in Es. I 66 zu Jes. 2,22?
Jes.1,1 ? 4,1 5,20 6,6
Qmg Qmg Qmg
Syhmg
393 Hieronymus, in Es. III 9 zu Jes. 6,9 f.; epist. 18B (s.u.)?
68 Hieronymus, in Es. III 9 (VL.AGLB 23, 325). 69 Siehe Ziegler, GCS Eus. 9, XXX; Gryson/Szmatula, Les commentaires patristiques 16 f. 70 Ziegler, ebd. XXXIIIsq. 71 Siehe auch die Übersichten bei Ziegler, ebd. XXXIII; ders., Isaias 46–49; Gryson/Szmatula, Les commentaires patristiques 18 f. – Das hochgestellte Kürzel mg bedeutet „in margine“, „am Rand“ der Handschrift. 72 Zu einer Hinzufügung zu Jes. 3,24 aus der lukianischen Rezension des Alten Testaments merkte der Schreiber an, dass sie in der Hexapla fehle und dass Origenes in seinem Kommentar dazu nichts sage: Gryson/Szmatula, ebd. 16. Siehe unten S. 318 f.
I. Die Jesajaauslegung des Origenes
Buch
Jes. 7,10 8,1 XI 9,8 XII 10,12 XIII 10,24 XIV 11,10 XV 13,1 XVI 13,17 XVII 14,4? 14,6? XVIII 14,20? 14,22? XIX ? XX 16,8b? 17,1? XXI 19,1 XXII 19,18 XXIII 21,1 XXIV 22,1 XXV 23,1 XXVI 24,1 XXVII 26,1 XXVIII 26,16 IX
X
XXIX XXX
27,11b 29,1
Qmg Qmg Qmg Qmg Qmg Qmg Qmg
Qmg Qmg Qmg Qmg Qmg Qmg Qmg Qmg Qmg Qmg
Syhmg Syhmg Syhmg Syhmg Syhmg
17
393 Eusebius, in Is. 58 Eusebius, in Is. 60 Eusebius, in Is. 66 Eusebius, in Is. 6873 Eusebius, in Is. 68
Eusebius, in Is. 71 Syhmg Syhmg: 21,1 Syhmg: 21,1374 Syhmg75 Syhmg Qmg zu Jes. 23,1376 Syhmg Syhmg77 Syhmg Fragmente 2 und 3 zu Jes. 26,1978 Syhmg
Hieronymus, apol. c. Rufin. I 1379
73 In Jes. 14,6 las Origenes epatajen statt pataÂjaw (II p. 584 Rahlfs; p. 174 Ziegler), zu Jes. 14,11 wird am Rand des Codex Marchalianus eigens darauf hingewiesen, dass Origenes soy hat, obwohl alle Handschriften diese Lesart bieten (II p. 584 Rahlfs; p. 175 Ziegler). 74 Zu Jes. 21,8 wird (wie zu 26,8) das Tetragramm mit griechischen Buchstaben PIPI anstelle von kyriÂoy (II p. 592. 598 Rahlfs; p. 194. 210 Ziegler) dem Origenes zugeschrieben. Statt Dedan (so p. 195 Ziegler) hatte Origenes in Jes. 21,13 mit Daidan (so II p. 592 Rahlfs) dieselbe Lesart wie Theodotion und die Hauptzeugen des Septuagintatextes. In Jes. 21,15 bezeugte Origenes statt feygoÂntvn (II p. 593 Rahlfs; p. 196 Ziegler) mit pefoneymenvn eine hexaplarische Lesart der Septuaginta. 75 In Jes. 22,23 las Origenes sthlv statt sthÂsv (II p. 594 Rahlfs; p. 200 Ziegler). 76 Am Rand von Q ist eine Notiz darüber überliefert, dass Origenes die asterisierte Lesart in Jes. 23,13, die von Theodotion stammt und aus dessen Übersetzung in den Septuagintatext eingedrungen ist, im 25. Buch seines Jesajakommentars behandelt hat: Ziegler, GCS Eus. 9, XXXIV; Gryson/Szmatula, Les commentaires patristiques 16. Siehe unten S. 318 f. 77 Zu Jes. 26,8 siehe oben Anm. 74. 78 Zu Jes. 26,18 und 26,21 ist in der syrohexaplarischen Übersetzung vermerkt, dass sich die dazu am Rand notierten Lesarten nicht bei Origenes finden. Auf welche Wörter sich diese Glosse bezieht, ist nicht mehr sicher eruierbar: Ziegler, Isaias 47 f. 79 Am Rand des Codex Marchalianus ist vermerkt, Origenes habe statt eÆn eyÆfrosyÂnhì in Jes. 29,19 (II p. 603 Rahlfs; p. 225 Ziegler) die asterisierte Junktur é kai israhl gelesen. Nach Ziegler, Isaias 48, ist diese Notiz unverständlich und eher en agiv israhl zu erwarten, weshalb wahrscheinlich ein Überlieferungsfehler vorliegt.
18
Einleitung
Schluss XXXVI?
?
30,5?
39,7; 66,1
Eusebius, hist. eccl. VI 32,1; in Is. 98; Hieronymus, in Es. I 1 Hieronymus, epist. 33,4 Fragmente 4 und 5
Ein weiteres Testimonium aus dem Jesajakommentar des Origenes ist möglicherweise in dem lateinischen Text zu sehen, der in modernen Ausgaben der Briefe des Hieronymus als Epistula 18B gezählt wird.80 Diese Nummerierung ergab sich daraus, dass Domenico Vallarsi, der im 18. Jahrhundert eine einflussreiche Hieronymusausgabe besorgte, den Text aufgrund der gemeinsamen Thematik – es geht um die Auslegung der Vision Jesajas in Jes. 6 – mit dem Traktat, der heute als Epistula 18A gezählt wird, zu einem Brief zusammengefügt hatte.81 Erst Isidor Hilberg, der moderne Editor der Hieronymusbriefe, trennte sie wieder aufgrund der ältesten handschriftlichen Überlieferung, in der die beiden Texte im Briefcorpus des Hieronymus nicht einmal nebeneinander stehen,82 und versah sie dabei mit der genannten Zählung. Diese Epistula 18B ist ein seltsames Stück. Es fehlt jegliches Merkmal, das bei einem Brief zu erwarten wäre, desgleichen fehlen eine Einleitung und ein Schluss; der Text beginnt so abrupt, wie er endet. Inhaltlich bietet er exegetische, näherhin philologische Erörterungen zu Jes. 6,6–8 in der Form, dass die Varianten der vier griechischen Übersetzungen des Alten Testaments, der Septuaginta, des Aquila, des Theodotion und des Symmachus, miteinander verglichen und ihre jeweiligen Bedeutungen erläutert werden. Dieses methodische Vorgehen entspricht nun gerade der Arbeitsweise des Origenes, der laut Hieronymus seinen Kommentar zum Propheten Jesaja iuxta editiones quattuor, „auf der Basis der vier Ausgaben“, geschrieben hat (s.o.).83 Dazu kommt die Beobachtung, dass die Ausführungen über Jes. 6,6 in Epistula 18B die Deutung der beiden Seraphim in Jes. 6,2 f. als Sohn Gottes und Heiliger Geist voraussetzen. In der Septuaginta stand nämlich in Jes. 6,6, einer der Seraphim sei zu Jesaja „gesandt“ worden (missum est), während die anderen drei Übersetzer davon sprachen, er sei „geflogen“ (volavit); außerdem behandelten die Septuaginta, Aquila und Theodotion die Seraphim grammatikalisch als Neutrum (unum de seraphim), Symmachus sie 80 Hieronymus, epist. 18B (CSEL 54, 97–103); Text und Übersetzung unten S. 322–329. Siehe zum Folgenden Nautin, De seraphim 281–284; Gryson/Szmatula, ebd. 10. 19–24. 81 Opera Hieronymi I, ed. D. Vallarsi, Verona 1734, 44–62. 82 In den ältesten Handschriften stehen zwischen den Stücken 18A und 18B die Nummern 19, 20, 15 und 16, auf 18B folgt 21; erst in späteren Handschriften wurden die Texte 18A und 18B nebeneinander gestellt: Gryson/Szmatula, Les commentaires patristiques 10 Anm. 35. 83 Hieronymus, in Es. I 1 (VL.AGLB 23, 137).
I. Die Jesajaauslegung des Origenes
19
hingegen als Maskulinum (unus de seraphim). Das Verbum volavit wird vom Ausleger auf die „rasche Ankunft des göttlichen Wortes“ gedeutet – was impliziert, dass einer der Seraphim das Wort Gottes, also Christus, ist; das unterschiedliche Genus wird mit dem Hinweis darauf erläutert, dass der Heilige Geist im Hebräischen Femininum (ruach), im Griechischen Á pney Ä ma) und im Lateinischen Maskulinum (spiritus) ist – was Neutrum (to impliziert, dass einer der Seraphim als Heiliger Geist gedeutet wird.84 Die Seraphim in der Vision Jesajas als Sohn Gottes und Heiligen Geist aufzufassen ist aber gerade die später höchst umstrittene Auslegung des Origenes, von der Hieronymus sich in Epistula 18A und andernorts ausdrücklich distanzierte (s.u.), in Epistula 18B aber auffälligerweise nicht. Diese beiden Beobachtungen zum methodischen Vorgehen und zu einem charakteristischen Inhalt der in Epistula 18B anzutreffenden Exegese legen die Vermutung nahe, dass dieser Text zumindest im Wesentlichen von Origenes stammen könnte. Worum könnte es sich handeln? Gut vorstellbar wäre folgendes Szenario:85 Als Hieronymus in Konstantinopel bei Gregor von Nazianz im Jahre 380 Origenes entdeckte, könnte er sich mit dessen Jesajakommentar beschäftigt – er übersetzte zu dieser Zeit die Jesajahomilien (s.u.) – und als exegetische Übung dessen Auslegung der Vision von Jes. 6 im Kommentar zusammengefasst und um eigene Bemerkungen, insbesondere zum lateinischen Bibeltext und zum lateinischen Sprachgebrauch, ergänzt haben. Diese Notizen waren vielleicht nur für seinen privaten Gebrauch gedacht, etwa als Vorarbeit für seinen in diesem Jahr geschriebenen Traktat De seraphim (= Epistula 18A; s.u.), und wurden zu seinen Lebzeiten nicht publiziert. Nach seinem Tod fanden sich die Blätter womöglich in seinem Nachlass und wurden in die Sammlung seiner Briefe aufgenommen, die ja auch sonst Texte enthält, die eher Traktate sind, weil beide Gattungen in der Spätantike nicht streng unterschieden wurden. Auch wenn kein Beweis im strengen Sinn geführt werden kann, ist dies doch eine plausible Hypothese zur Erklärung dieses merkwürdigen Textes im Briefcorpus des Hieronymus. Da Hieronymus – sollte es sich so verhalten – den Text des Origenes exzerpiert, zusammengefasst und um eigene Angaben (und vielleicht auch solche aus anderen Exegeten) ergänzt hat, könnte es sich bestenfalls um ein Zeugnis für die Auslegung von Jes. 6,6–8 im Jesajakommentar des Origenes handeln. Als solches aber würde es einen gewissen, freilich durch die Brille des Hieronymus gebrochenen Eindruck von der Arbeitsweise des Origenes in diesem Kommentar vermitteln. Der exegetische Duktus der Ausführungen atmet so sehr den Geist des Origenes, dass die Art der Auslegung und die einzelnen Gedanken meines Erachtens
84 Epist. 18B,1 (CSEL 54, 97 f.). 85 Mit Gryson/Szmatula, Les commentaires patristiques 19 f.
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Einleitung
ohne Zweifel von Origenes stammen. Aus diesem Grund und wegen der Nähe zu den entsprechenden Ausführungen in den Jesajahomilien wird dieser „Brief“ des Hieronymus im Anhang dieser Ausgabe abgedruckt und erstmals in das Deutsche übersetzt.
2. Die Jesajahomilien Aufgrund dieser minimalen Überbleibsel des Jesajakommentars sind der einzige nennenswerte Rest der umfangreichen und vielfältigen Jesajaauslegung des Origenes die Homilien, die in der lateinischen Übersetzung des Hieronymus vorliegen. Wie viele es ursprünglich auf Griechisch waren, ist genauso unklärbar wie die Zahl der Bücher des Jesajakommentars. Griechische Fragmente der Jesajahomilien, aus denen möglicherweise Rückschlüsse gezogen werden könnten, sind bis jetzt nicht bekannt geworden. Hieronymus gab im Vorwort zu seinem Kommentar die Zahl 25 an, im Verzeichnis der Werke des Origenes führte er 32 Homilien auf.86 Möglicherweise war im Katalog der Bibliothek in Caesarea, auf dem das Verzeichnis des Hieronymus im Brief an Paula beruht, eine größere Zahl von Homilien notiert, als Hieronymus tatsächlich noch bekannt waren.87
a) Datierung Für eine Datierung der von Origenes über das Buch Jesaja gehaltenen Homilien gibt es kaum auswertbare Hinweise. Die Hypothese von Pierre Nautin, alle Homilien, die Origenes je gehalten hat, seien in einen fortlaufenden dreijährigen Zyklus von gottesdienstlichen Lesungen mit zugehöriger Predigt in den Jahren zwischen 238 und 241 oder eher 239 bis 242 zu datieren,88 beruht auf vielen arbiträren Argumenten. Aus den Jesajahomilien, die Nautin bei seiner Argumentation nicht berücksichtigt hat, ergeben sich zwei grundsätzliche Einwände dagegen. Erstens: Nach Nautin gab es zur Zeit des Origenes wochentags täglich eine Versammlung der christlichen Gemeinde am Morgen, in der die Schrif-
86 Hieronymus, in Es. I 1 (VL.AGLB 23, 138); epist. 33,4 (CSEL 54, 257). In zwei sekundären Zweigen der handschriftlichen Überlieferung des hieronymianischen Jesajakommentars ist von 20 bzw. 26 Homilien die Rede; die Zahl 25 ist demgegenüber besser bezeugt: Gryson/Szmatula, ebd. 24 Anm. 101. 87 So erklären Gryson/Szmatula, ebd. 24, die inkonsistenten Angaben des Hieronymus. 88 Nautin, Orige`ne 389–409, weitgehend destruiert von Grappone, Cronologia, und dems., Contesto liturgico.
I. Die Jesajaauslegung des Origenes
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ten des Alten Testaments fortlaufend gelesen und erklärt wurden; dieser nicht-eucharistische Gottesdienst habe etwa eine Stunde gedauert, woraus sich die Länge sowohl der gelesenen biblischen Perikopen als auch vieler der alttestamentlichen Predigten des Origenes erkläre. Angesichts von Hinweisen des Origenes in seinen Homilien auf tägliche Gemeindeversammlungen ist diese Annahme plausibel, auch wenn manche Aussagen vielleicht nur metaphorisch gemeint sind.89 Lesungen aus dem Evangelium und Predigten darüber habe es nur an Sonntagen gegeben, und zwar in den eucharistischen Gottesdiensten am Abend, desgleichen an Mittwochen und Freitagen. Von nicht-eucharistischen Zusammenkünften mit Schriftlesung und Predigt am Mittwoch und am Freitag berichtet der Kirchenhistoriker Sokrates für Alexandria im ersten Drittel des 3. Jahrhunderts;90 Eucharistiefeiern nicht am Mittwoch, aber am Freitag bezeugt Origenes für Caesarea, und zwar neben einer Bemerkung in der Apologie gegen Kelsos in der fünften Jesajahomilie.91 Aus dieser Stelle geht klar hervor, dass Origenes hier am Freitag in einem eucharistischen Gottesdienst über Jesaja, also über eine Schrift des Alten Testaments gepredigt hat: „Da das Volk jetzt zahlreich ist anlässlich des Rüsttags (parasceue), besonders aber an dem Tag des Herrn, der an Christi Passion erinnert – denn die Auferstehung des Herrn wird nicht nur einmal im Jahr oder immer nur nach acht Tagen gefeiert –, bittet Gott, den Allmächtigen, dass sein Wort zu uns kommen möge.“92 Dieser Text widerspricht der Annahme von Nautin, dass es in den eucharistischen Gottesdiensten am Mittwoch- und am Freitagabend wohl keine Lesungen aus dem Alten Testament gegeben habe, weil dieses an diesen Tagen schon in der Versammlung am Morgen gelesen und erklärt worden sei.93 Auf dieser Annahme baut aber der von ihm postulierte Lesezyklus zu einem guten Teil auf. 89 Nautin, ebd. 391 f. (vgl. ders., SC 232, 100–105), führt folgende Stellen an: in Gen. hom. 10,3 (GCS Orig. 6, 96. 97) mit den Stichworten cotidie, „täglich“, und omni die, „jeden Tag“ (vielleicht nur metaphorisch zu verstehen); in Num. hom. 13,1 (GCS Orig. 7, 107): hesterno die dixeramus, „gestern hatten wir gesagt“ (der deutlichste Beleg); in Ios. hom. 4,1 (GCS Orig. 7, 309): cotidie, „täglich“. Dazu kann man die Behauptung des Pamphilus, apol. Orig. 9 (SC 464, 44), nehmen, Origenes habe paene cotidie gepredigt. Grappone, Contesto liturgico 333–340, will diese Angaben so lesen, dass es zwar sehr häufig, aber doch nicht täglich nicht-eucharistische Gottesdienste gegeben habe (ebd. 339 f.), spricht ebd. 362 aber doch von täglichen Versammlungen. 90 Sokrates, hist. eccl. V 22,45 (GCS N.F. 1, 301). 91 Origenes, Cels. VIII 22 (GCS Orig. 2, 239); in Is. hom. 5,2 (GCS Orig. 8, 265). Grappone, Contesto liturgico 354–357, schließt aus diesen Stellen, dass es in Caesarea nur am Freitag und am Sonntag einen eucharistischen Gottesdienst gegeben habe, während sich ein solcher für Mittwoch aus den Schriften des Origenes nicht belegen lasse. 92 Siehe die Übersetzung unten S. 247 und dazu die Anm. 89–91. 93 Nautin, Orige`ne 398, und dagegen Grappone, Contesto liturgico 359.
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Einleitung
Zweitens: Origenes sei mit dem Predigen zu einem Zeitpunkt betraut worden, da der Lesezyklus bereits bis zu den Psalmen vorangeschritten sei. Nautin konstruiert folgende Abfolge der alttestamentlichen Lesungen mit Homilien des Origenes: Psalmen, Ijob, Sprichwörter, Kohelet, Hoheslied – Jesaja, Jeremia, Ezechiel – Genesis, Exodus, Levitikus, Numeri, Deuteronomium, Josua, Richter, 1 Samuel. Nun gibt es unter den Rekursen des Origenes auf eigene, früher gehaltene Predigten natürlich solche, die zu dieser Reihung passen.94 Die Jesajahomilien enthalten allerdings Bemerkungen, die ihr zuwiderlaufen. So wies Origenes in der ersten Homilie auf die Lesung des Buches Levitikus voraus – was nicht so richtig zu Nautins Reihung passt, denn Origenes sprach davon, dass das Buch Levitikus „in der (oder: einer) nächsten Zusammenkunft“ (in collecta, quae sequitur) gelesen wird;95 einen größeren zeitlichen Abstand, wie ihn Nautins Leseordnung erfordert, wird man da nicht annehmen wollen, wie aus einem analogen Fall in den Jeremiahomilien hervorgeht, wo Origenes mit der expliziten Zeitangabe „bald“ (oyÆ makraÂn) auf die „Lesungen aus dem Buch Numeri“ vorauswies.96 Dieselbe Homilie enthält ein möglicherweise gegenläufiges Beispiel, wenn sich nämlich die Bemerkung: „wie wir neulich dargelegt haben“ (ut nuper diximus)97 auf die Genesishomilien bezieht, in denen es eine Parallele zur fraglichen Deutung gibt.98 Einen Beweis dafür, dass eine Lesung aus dem Buch Genesis der Lesung aus dem Buch Jesaja vorausging, liefert schließlich das Zitat von Gen. 6,3 in der dritten Jesajahomilie, das Origenes mit dem Hinweis einleitete: „Vor kurzem hieß es in der Lesung“ (ante paululum lectum est).99 Die Jesajahomilien passen nicht in den von Nautin postulierten dreijährigen Lesungs- und Predigtzyklus und widerlegen ihn damit. 94 Nautin, ebd. 395. 403, stützt sich auf folgende Stellen: In Hier. hom. 8,3 (GCS Orig. 32, 58) und 18,10 (32, 164) verwies Origenes auf seine Auslegung von Psalm 134(135) bzw. 140(141), in Hiez. hom. 6,4 (GCS Orig. 8, 382) auf seine Hiobauslegung, in Lev. hom. 13,2 (GCS Orig. 6, 469) auf die Auslegung von Psalm 118(119), in Ios. hom. 15,6 (GCS Orig. 7, 391) auf die von Psalm 100(101) und in Hiez. hom. 11,5 (GCS Orig. 8, 431) wie in Ios. hom. 13,3 (GCS Orig. 7, 373) auf die Jeremiaauslegung. In Hier. hom. 12,3 (GCS Orig. 32, 89) wies Origenes auf die Lesung des Buches Numeri voraus. Der Verweis in Regn. hom. graec. 6 (GCS Orig. 32, 289) auf die Auslegung von Psalm 21(22) könnte sich auch auf den frühen, in Alexandria geschriebenen Kommentar zu Ps 1–25 beziehen. 95 In Is. hom. 1,1 (GCS Orig. 8, 244). Siehe die Übersetzung unten S. 199 mit Anm. 9 und 10. 96 In Hier. hom. 12,3 (GCS Orig. 32, 89). Vgl. dazu Grappone, Cronologia 49. 97 In Is. hom. 1,4 (GCS Orig. 8, 246). 98 In Gen. hom. 3,5 (GCS Orig. 6, 46). Siehe unten S. 205 mit Anm. 24. 99 In Is. hom. 3,2 (GCS Orig. 8, 255). Grappone, Contesto liturgico 348 f. Anm. 102, hält es für nicht entscheidbar, ob die hier gemeinte Lesung aus dem Buch Genesis in einem der vorausgehenden Gottesdienste oder im selben vorgetragen wurde. Wäre letzteres der Fall, würde man freilich einen deutlicheren Hinweis des Origenes darauf erwarten.
I. Die Jesajaauslegung des Origenes
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Für die Datierung der Jesajahomilien des Origenes ergibt sich daraus nur der schwache Hinweis auf eine mögliche relative Chronologie, nämlich deren Einordnung nach den Genesis- und vor den Levitikushomilien. Für ein Datum bleibt nur die oft bezweifelte Nachricht des Eusebius, Origenes habe erst unter Kaiser Philippus Arabs (Anfang 244 – September/Oktober 249)100 im Alter von über sechzig Jahren erlaubt, seine Predigten mitzuschreiben.101 Da Origenes um 185 geboren ist,102 führt diese Notiz in seine letzten Lebensjahre nach 244/45. Damit gelangt die Frage nach der Datierung der Jesajahomilien zu der Antwort, die schon Adolf von Harnack, der die Genesis- und die Levitikushomilien nach 244 datierte, gegeben hatte: „Zeit unbestimmt, wohl auch nach 244“.103 Das würde bedeuten, dass die Homilien nach dem Kommentar entstanden sind, doch Sicherheit ist in diesen letztlich von Eusebius abhängigen Daten nicht zu erreichen.
b) Die Echtheit der neunten Homilie Von diesen 25 oder 32 griechischen Jesajahomilien des Origenes hat Hieronymus im Jahre 380 in Konstantinopel die neun Predigten in das Lateinische übersetzt, die noch heute erhalten sind (dazu unten in Kapitel IV). Lange Zeit umstritten war die Echtheit der letzten Homilie, die sich in der handschriftlichen Überlieferung nur darin, dass sie ein Fragment ist, von den anderen abhebt. Nachdem sie in der neuzeitlichen Origenesforschung seit den Herausgebern der Humanistenzeit und seit Pierre-Daniel Huet problemlos akzeptiert worden war,104 hat der Herausgeber der modernen kritischen Edition der lateinisch erhaltenen Predigten des Origenes in den „Griechischen Christlichen Schriftstellern“, Wilhelm Adolf Baehrens, sie für eine Fälschung gehalten,105 worin ihm einige Rezensenten gefolgt sind.106 Seine Einwände stützen sich auf zwei Stellen in der neunten Homilie, von denen die eine gegen Origenes als Verfasser, die andere gegen Hieronymus als Übersetzer spreche. Beide Argumente lassen sich indes entkräften.
100 Kienast, Kaisertabelle 198. 101 Eusebius, hist. eccl. VI 36,1 (GCS Eus. 2, 590). 102 Alle für die Berechnung dieses Datums relevanten Stellen bei Fürst, IntellektuellenReligion 51 f. 103 Harnack, Geschichte II/2, 43. 104 Huet, Origeniana III 2,3 Nr. 8 (abgedruckt in PG 17, 1219 f.). Ferner Klostermann, Überlieferung 76–81; Harnack, Ertrag II, 18. 105 Baehrens, Fälschung; ders., GCS Orig. 8, XLI sq. 106 Namentlich P. Koetschau, in: ThLZ 51 (1926) 130–134, hier: 133, und F. Diekamp, in: ThRv 25 (1926) 367 f., hier: 368.
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Einleitung
In der neunten Homilie wird wie in der sechsten das Verhalten Jesajas bei seiner Berufung zum Propheten mit dem Verhalten Moses vor dem Dornbusch verglichen. Während Origenes in der sechsten Homilie seine Überlegungen mit der Beobachtung einleitet, „dass Mose sich anders verhalten hat als Jesaja“,107 wird in der neunten Homilie die Sache so dargestellt, dass Mose „dieselben Worte gebraucht hat“ wie Jesaja,108 beide also auf die Berufung durch Gott gleich reagiert hätten. Letzteres sieht nicht nur wie ein Widerspruch zu den Aussagen des Origenes in der sechsten Homilie aus, sondern steht auch in eklatantem Gegensatz zur biblischen Erzählung, in der Mose sich anders als Jesaja der Berufung entziehen will. Vittorio Peri, der sich ausführlich mit dem Problem der Echtheit der neunten Homilie befasst hat, wollte dieses Problem mittels einer Konjektur lösen. Sein Vorschlag für die fragliche Stelle lautet: Sed ut paratior esset ad hoc, meminerat vocis Moysi. Non autem (statt nam et) ille eadem utens voce: mitte me, princeps populi iudexque factus et famulus dei nuncupatus est.109 Mit dieser Änderung wird in den Text die Verneinung eingetragen, die man vermisst, und seine Aussage an den Bibeltext angepasst. Paläographisch lässt sich die Verschreibung von non autem in nam et durch falsche Abkürzungen bzw. Auflösungen für diese Wörter plausibel machen, doch ob der Text durch diese Konjektur einen Sinn ergibt, scheint zweifelhaft: Ist es logisch zu sagen, Jesaja habe sich bei seiner spontanen Annahme der Berufung zum Propheten der Worte des Mose in derselben Situation erinnert, – der aber nicht dasselbe gesagt habe wie Jesaja? Roger Gryson und Dominique Szmatula möchten den Satz daher lieber als Glosse streichen, was auch Peri schon erwogen, aber verworfen hatte.110 So recht befriedigen wollen derartige Eingriffe in den Text freilich nicht, weil das Problem damit einfach dadurch behoben wird, dass eine lectio difficilis in eine lectio facilis umgeschrieben wird, der lectio difficilior aber textkritisch der Vorzug zu geben ist, auch wenn diese schwer oder kaum verständlich ist – oder dies zu sein scheint. Letzteres gilt im vorliegenden Fall. Die Übersetzerin der italienischen Ausgabe in den „Collana di Testi Patristici“, Maria Ignazia Danieli, hat nämlich darauf hingewiesen, dass der hebräische Text von Ex. 4,13: „Schick doch, durch wen du schicken magst!“ die in der neunten Homilie vorgenommene Deutung durchaus zulässt.111 Rekurriert ein Ausleger auf den bloßen Wortlaut und zitiert er nur selektiv ein oder zwei Wörter aus dem zugrundeliegenden Bibeltext, nämlich „schick (doch)“, dann lässt sich auf dieser Basis durchaus behaupten, hier würden „dieselben Worte gebraucht“ wie in Jes. 6,8, nämlich „sende 107 108 109 110 111
Origenes, in Is. hom. 6,1 (GCS Orig. 8, 268). Ebd. 9 (8, 288). V. Peri, Tradizione manoscritta 220–229. Gryson/Szmatula, Les commentaires patristiques 28; V. Peri, ebd. 220 f. Danieli, CTePa 132, 169.
I. Die Jesajaauslegung des Origenes
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(mich)“. Auch der Gegensatz dieser Aussage in der neunten Homilie zu den Ausführungen des Origenes in der sechsten Homilie ist nicht so scharf, wie es zunächst scheinen könnte. Letztere zielen nämlich darauf, den Gegensatz zwischen den Verhaltensweisen des Mose und des Jesaja als situationsbedingt zu erklären. Jesaja habe, so Origenes, seine Berufung deshalb bereitwillig angenommen, weil ihm zuvor seine Sünden erlassen worden waren (Jes. 6,7); weil das bei Mose nicht der Fall gewesen sei – dieser habe vielmehr einen erschlagenen Ägypter auf dem Gewissen gehabt (Ex. 2,12) –, habe dieser seine Berufung nicht so direkt annehmen können.112 Ihre unterschiedlichen Reaktionen seien also in einer unterschiedlichen Situation begründet. Insofern sich aber jeder in der Situation des anderen wie der jeweils andere verhalten hätte, sei ihre Haltung letztlich identisch: „Wenn auch Mose eine entsprechende Gnade empfangen und vernommen hätte: ,Siehe, ich habe deine Verfehlungen von dir genommen‘ und: ,Ich habe dich von deinen Sünden gereinigt‘ (Jes. 6,7), hätte er vermutlich niemals gesagt: ,Bestimme und sende einen anderen!‘ (Ex. 4,13).“113 Dieser exegetische Gedankengang des Origenes folgt dem altkirchlichen Axiom der Widerspruchsfreiheit der Bibel. Er zeigt, dass die Aussagen in der sechsten und in der neunten Homilie nicht einfach widersprüchlich sind, auch wenn in letzterer abgekürzt so geredet wird, dass ein offenkundiger Widerspruch dazustehen scheint. Zuzugeben ist, dass beide Texte in ihrem Wortlaut in einer gewissen Spannung zueinander stehen, doch reicht diese angesichts der komplexeren Überlegungen des Origenes zu diesem Thema nicht aus, ihm die neunte Homilie abzusprechen. Außerdem teilt sie mit seinen anderen Homilien, nicht nur denen zum Buch Jesaja, so viele Charakteristika,114 dass es sich um einen durch und durch origeneischen Text handelt. Bestätigt wird diese Einschätzung durch den in ihr folgenden Rekurs auf die Auslegung eines „Hebräers“, in der Jes. 6,8 von Jes. 40,6 her erklärt und das Verhalten Jesajas mit dem Verhalten des Mose auf diese Weise ebenfalls parallelisiert wird: Jesaja habe die Berufung deshalb bereitwillig angenommen, weil er den traurigen Inhalt der Prophezeiung (Jes. 6,9 f.) noch nicht gekannt habe; daraufhin sei er jedoch „weniger folgsam gewesen“: Bei einem erneuten Verkündigungsauftrag habe er sich erst nach dem Inhalt der Verkündigung erkundigt: „Was werde ich laut rufen?“ (Jes. 40,6).115 Exakt dieselbe Deutung mit demselben Rekurs auf einen „Hebräer“ präsentierte Origenes in der letzten der griechisch erhaltenen Jeremiahomilien, um die Berufung Jesajas zu erklären.116 Der Hinweis von Baehrens, dass diese Ex112 113 114 115
Origenes, in Is. hom. 6,1.2 (GCS Orig. 8, 268 f. 270 f.). Ebd. 6,2 (8, 271). Zusammengestellt von V. Peri, Tradizione manoscritta 214–216. Origenes, in Is. hom. 9 (GCS Orig. 8, 288). Siehe dazu auch Bietenhard, Caesarea 27 f. 116 In Hier. hom. 20,2 (GCS Orig. 32, 179).
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Einleitung
egese auch in den Schriften des Hieronymus zu finden sei117 – der sie mit Sicherheit seinerseits von Origenes kannte – und ein Fälscher sie daraus leicht habe entnehmen können, ist zwar an sich richtig, aber kein Argument gegen die Autorschaft des Origenes. Als Beweis für die Annahme, dass Hieronymus nicht der Übersetzer dieser Predigt sei, verwies Baehrens auf den Satz: Propter hoc sermo Moysi subtilis erat (ut in Exodo scriptum est de eo), quod ait: quicumque fuerint propter tenuitatem eiusmodi mundo corde, isti Deum videbunt.118 Weil quod ait normalerweise ein Zitat einleitet, hier also nach einem expliziten Hinweis auf das Buch Exodus eine Stelle aus der Bergpredigt zitiert wird, sei die Zusammenstellung von Ex. 4,10 und Mt. 5,8 durch quod ait „eine äußerst unglückliche“; worin sich die damit dokumentierte „Unfähigkeit“ des Übersetzers sonst noch manifestiere, hat Baehrens nicht erläutert.119 Vittorio Peri versucht den Einwand erneut mittels einer Konjektur zu entkräften, indem er nach quod ait ein wörtliches Zitat von Ex. 4,10 einsetzt: subtilis vocis sum et tardilinguis.120 Gryson und Szmatula halten diese Einfügung für plausibel, wollen aber lieber, analog zu ihrem Verfahren an der ersten problematischen Stelle, quod ait streichen.121 Wie auch immer diese sprachlich gewiss unebene Stelle philologisch zu erklären sein mag: Israel Peri hat anhand des Sprachgebrauchs in der neunten Jesajahomilie den Nachweis geführt, dass ihr lateinischer Text von Hieronymus stammt.122 So wurde das Adjektiv iÆsxnoÂfvnow in Ex. 4,10 in den altlateinischen Bibelübersetzungen meist mit gracilis wiedergegeben – dieses Wort gebrauchte Rufinus in seiner Wiedergabe dieser Bibelstelle in den Genesis- und Exodushomilien (wobei er in einer Genesishomilie ausdrücklich aus den codices ecclesiae zitierte)123 –, daneben mit tenuis und exilis; letzteres verwendete Hieronymus zum Beispiel an einer Stelle in der sechsten Jesajahomilie.124 Wenige Zeilen weiter gebrauchte er dafür jedoch subtilis125 – wie in der neunten Homilie an der oben zitierten Stelle. Daraus ist zu
117 Hieronymus, epist. 18A,15 (CSEL 54, 93–96); in Es. III 8 (VL.AGLB 23, 322). Klostermann, Überlieferung 76–83, nahm an, dass Hieronymus an diesen Stellen zu gleichen Teilen von den Jesaja- und von den Jeremiahomilien abhängig zu sein scheint, falls nicht – was ebenfalls möglich ist – im verlorenen Jesajakommentar des Origenes eine entsprechende Passage stand und Hieronymus auf diese zurückgriff. 118 Origenes, in Is. hom. 9 (GCS Orig. 8, 289). 119 Baehrens, GCS Orig. 8, XLII. 120 V. Peri, Tradizione manoscritta 217–220. 121 Gryson/Szmatula, Les commentaires patristiques 27 f. 122 I. Peri, Echtheit 9 f. 123 Origenes, in Gen. hom. 3,5 (GCS Orig. 6, 45); in Ex. hom. 3,1 (GCS Orig. 6, 161. 162). 124 In Is. hom. 6,1 (GCS Orig. 8, 270 Zeile 11). 125 Ebd. 270 Zeile 14.
I. Die Jesajaauslegung des Origenes
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schließen, dass die Bemerkung zu Ex. 4,10 in der neunten Jesajahomilie nicht mit Blick auf einen lateinischen Bibeltext, in dem gracilis gestanden hätte, geschrieben worden ist, wie das für einen Fälscher anzunehmen wäre, sondern der Wortlaut wie in der sechsten Homilie dadurch zustande kam, dass aus dem Griechischen übersetzt wurde. Ferner gebrauchte Hieronymus in seinen Übersetzungen der Jeremia-, Ezechiel- und Jesajahomilien die Wörter propheta und prophetes ohne Unterschied – ebenso in der neunten Jesajahomilie.126 Außerdem wird der „Hebräer“ in dieser Homilie mit ganz ähnlichen Worten eingeführt wie der „Hebräer“ in einer Ezechielhomilie: audivi autem ego quendam Hebraeum exponentem hunc locum atque dicentem – audivi quondam a quodam Hebraeo hunc locum exponente atque dicente.127 Und schließlich begegnet in der neunten Jesajahomilie zweimal eine Übersetzung von Jes. 6,9: cernentes adspicietis,128 die sowohl von der üblichen altlateinischen Fassung (videntes videbitis) als auch von den Übersetzungen dieses Verses in der sechsten Jesajahomilie (videntes cernetis; videntes videbitis)129 abweicht, aber mehrfach im Traktat des Hieronymus über die Seraphim (Brief 18A) auftaucht.130 Da diese spezielle Wendung in Jes. 6,9 nur in diesen beiden Texten zu finden ist und sonst nirgends, ist das allein ein Beweis dafür, dass der lateinische Text der neunten Jesajahomilie von Hieronymus stammt. Die neunte Jesajahomilie bzw. das wenige, was von ihr noch übrig ist, ist gewiss kein besonders gelungener Text. Auch ist nicht auszuschließen, dass der Text an den beiden besprochenen Stellen verderbt ist. Gleichwohl gibt es keine ausreichenden Argumente dagegen, dass sie wie die anderen Jesajahomilien von Origenes stammt und von Hieronymus in das Lateinische übersetzt worden ist.
c) Kommentierte Jesajaverse und die Sequenz der Homilien Welche Perikopen bzw. Verse in den 25 oder 32 griechischen Homilien erörtert wurden, lässt sich nicht mehr feststellen. In den lateinischen Homilien werden folgende Verse kommentiert:131
126 Ebd. 288 Zeile 15 und 20: prophetes; 289 Zeile 27: propheta. 127 Ebd. 288 Zeile 18 f. bzw. ebd. 369 Zeile 21 f. (in Hiez. hom. 4,8). Auf diese Parallele hat schon V. Peri, Tradizione manoscritta 215 Anm. 6, aufmerksam gemacht. 128 Ebd. 288 Zeile 26 f.; 289 Zeile 6 f. 129 Ebd. 269 Zeile 1 (in Is. hom. 6,1); 272 Zeile 2 (in Is. hom. 6,3). 130 Hieronymus, epist. 18A praef. (CSEL 54, 74 Zeile 18). 4 (78 Zeile 14). 15 (93 Zeile 4 und 23). 16 (96 Zeile 4 f.). 131 Die Übersicht bei Gryson/Szmatula, Les commentaires patristiques 25, beansprucht zwar, präziser zu sein als üblich, beachtet aber nicht immer, welche Verse in
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Einleitung
Homilie
I II III IV
V VI VII VIII IX
Jes. 6,1–7 7,11–15 4,1 6,2–7 41,2; 6,1.5–6 6,8–10 8,18–20 10,10–13 6,8–10
Während die vierzehn Homilien zum Buch Ezechiel, die Hieronymus in das Lateinische übersetzt hat, der Sequenz des Bibeltextes folgen, hat er vierzehn Jeremiahomilien, wie er selbst sagte, confuso ordine, „ohne mich an ihre Reihenfolge zu halten“, übertragen.132 Für die Jesajahomilien gilt das offensichtlich ebenfalls. Allein fünf Homilien (I, IV, V, VI und IX) sind den Versen Jes. 6,1–10 gewidmet und beinhalten zahlreiche Doppelungen. Insbesondere in den Homilien I und IV und in den Homilien VI und IX werden dieselben Verse erörtert, wobei die Ausführungen sich teils decken, teils unterschiedlich nuanciert sind.133 Die übrigen vier Homilien befassen sich mit einzelnen Versen aus dem (nach heutiger Einteilung) ersten Teil des Jesajabuches (Jes. 1–12), deren Auswahl eher zufällig anmutet (zu Jes. 41,2 in der fünften Homilie s.u.). Eine Aufstellung nach Jesajaversen sieht daher so aus: Jes. 4,1 Homilie(n) 6,1–7 6,8–10 7,11–15 8,18–20 10,10–13 41,2
III
I – IV – V VI – IX II VII VIII
V
Eine Erklärung für die ungeordnete Sequenz der Homilien ergibt sich möglicherweise aus der unterschiedlichen Form der Titel, die diese Homilien in den Handschriften tragen: I
Visio prima. „Et factum est in anno, quo mortuus est Ozias rex, vidi Dominum sedentem super solium excelsum“ (Jes. 6,1).
den Homilien tatsächlich ausgelegt werden. Dasselbe gilt für Danieli, CTePa 132, 11, und Hollerich, Eusebius 50. 132 Hieronymus, in Hiez. hom. prol. (GCS Orig. 8, 318). 133 Eine Aufstellung für die Homilien I und IV sieht näherhin so aus: in Is. hom. 1,1 entspricht 4,3 (dazu 5,3); 1,2 – 4,1; 1,3 – 4,2; 1,4 – 4,3 (dazu 5,2); 1,5 – 4,4 f. (dazu 6,2).
I. Die Jesajaauslegung des Origenes
II III IV
V VI
VII VIII
IX
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„Ecce, virgo in utero accipiet“ (Jes. 7,14). De septem mulieribus (Jes. 4,1). Rursum in visione aliter. Visio de duobus Seraphin aliter. De visione Dei et (de) Seraphin (et cetera). De eo, quod scriptum est: „Quis elevavit ab oriente iustitiam?“ (Jes. 41,2) et de visione iterum aliter. De eo, quod scriptum est: „Quem mitto, et quis vadit?“ (Jes. 6,8) usque ad eum locum, in quo ait: „Et convertantur, et sanabo eos“ (Jes. 6,10). De eo, quod scriptum est: „Ecce, ego et pueri mei, quos mihi dedit Deus“ (Jes. 8,18) et cetera. De eo, quod scriptum est: „Ululate sculptilia in Hierusalem et in Samaria“ (Jes. 10,10) usque ad eum locum, in quo ait: „Et commovebo civitates, quae inhabitantur“ (Jes. 10,13). De eo, quod scriptum est: „Et audivi vocem Domini dicentis: Quem mittam, et quis ibit ad populum istum?“ (Jes. 6,8). Et transgrediens modica pervenit usque ad locum, in quo scriptum est: „Pete tibi signum a Domino Deo tuo in profundum aut in excelsum“ (Jes. 7,11).
Die Homilien I–IV tragen verschiedene Formen von Titeln: In der Überschrift zur ersten Homilie wird der erste Vers aus der Vision des Propheten Jesaja zitiert (Jes. 6,1),134 zur zweiten Homilie der kirchen- und theologiegeschichtlich zentrale Vers der besprochenen Perikope (Jes. 7,14), über der dritten Homilie steht eine Inhaltsangabe des besprochenen Verses (Jes. 4,1) in Form einer antiken Überschrift, und zur vierten Homilie finden sich in den Handschriften abweichende Angaben,135 die darin übereinkommen, dass sie den Inhalt der besprochenen Perikope (erneut die Vision Jesajas) benennen; der ursprüngliche Titel ist wohl verlorengegangen. Die Homilien V–IX weisen demgegenüber dieselbe Titelform auf: Identisch eingeleitet mit der Formel de eo, quod scriptum est, werden jeweils die ersten Wörter der ausgelegten Stelle zitiert, sodann die Wörter, bis zu denen die Auslegung reicht, was einmal abgekürzt ist zu et cetera, „usw.“ (Homilie VII), einmal zu einer Inhaltsangabe zusammengefasst wird (Homilie V: erneut die Vision Jesajas). Diese Titelform begegnet auch in den griechisch erhaltenen Jeremiahomilien (ebenso in den in das Lateinische übersetzten Jeremiahomilien) sowie in den lateinisch in der Übersetzung des Hieronymus überlieferten Lukashomilien. Sie geht vielleicht auf die Stenographen zurück, die die
134 Zur Zählung dieser Vision als visio prima siehe unten S. 194 Anm. 2. 135 Siehe dazu unten S. 228 Anm. 60.
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Predigten des Origenes mitgeschrieben haben, und ist in den aus den Mitschriften angefertigten bzw. später davon abgeschriebenen Handschriften erhalten geblieben.136 Beim Übersetzen der Homilien V–IX stand Hieronymus möglicherweise eine solche griechische Quelle zur Verfügung, während er für die Homilien I–IV auf andere Vorlagen zurückgegriffen haben könnte.137 Da Hieronymus die Jesajahomilien des Origenes in Konstantinopel übersetzt hat, ist es durchaus möglich, dass ihm diese dort in Manuskripten unterschiedlicher Art zur Hand waren. Die unterschiedlichen Titelformen und die ungeordnete Reihung der Homilien in den Handschriften lassen sich auf diese Weise einigermaßen verständlich machen. Über diese Überlegungen hinausgehend, könnte die Auswahl der kommentierten Jesajaverse mit ihrer auffälligen Konzentration auf die Vision Jesajas (Jes. 6,1–10) vielleicht so zu erklären sein: Die Übersetzung der Jesajahomilien war ein Erstlingswerk des Hieronymus, das er im Jahre 380 in Konstantinopel anfertigte. Wir wissen nicht, wieviele Homilien ihm dort auf Griechisch insgesamt vorlagen – die Zahlen 32 bzw. 25 nannte er erst in Werken, die er nach seinem Aufenthalt in Konstantinopel andernorts schrieb, nämlich in einem Brief an Paula, verfasst in Rom im Jahre 384, und im Vorwort zum Jesajakommentar, geschrieben in Betlehem im Jahre 408138 –, doch waren es wohl mehr als die von ihm übersetzten neun Stück. Dies angenommen, erwecken die vorliegenden lateinischen Texte den Eindruck, dass Hieronymus diejenigen Homilien – oder Passagen daraus (s.u.) – übersetzt hat, in denen Jesajaverse erklärt wurden, die ihn, aus welchen Gründen auch immer, besonders interessierten. Für die Homilien über die Vision Jesajas liegt ein solches Interesse insofern auf der Hand, als deren Deutung durch Origenes in den trinitätstheologischen Auseinandersetzungen des 4. Jahrhunderts und in deren Gefolge im Streit über die Rechtgläubigkeit des Origenes eine zentrale Rolle spielte. So wird möglicherweise verständlich, weshalb es in den lateinischen Jesajahomilien zum weitaus größten Teil um die Vision Jesajas geht und dazu sogar Dubletten vorliegen, während ansonsten nur noch eher sporadisch einzelne Verse behandelt werden. Mögliche weitere Gründe für die vorliegende Gestalt der Jesajahomilien hängen mit noch anderen, biographischen Hintergründen dieser Übersetzung des Hieronymus zusammen (Näheres dazu unten in Kapitel IV).
136 Plausible Argumente für diese Annahme liefert Nautin, SC 232, 49–53. 137 So die Überlegung von Gryson/Szmatula, Les commentaires patristiques 25–27. 138 Siehe oben S. 20 Anm. 86.
I. Die Jesajaauslegung des Origenes
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d) Die lateinischen Jesajahomilien als Auswahlübersetzung Wie auch immer Auswahl und Abfolge der neun lateinischen Jesajahomilien zustandegekommen sein mögen: Gegen die ursprünglich 32 oder 25 griechischen Homilien des Origenes gehalten, liegt mit der Übersetzung des Hieronymus nur noch eine Auswahl daraus vor, die in ihrem Umfang zusätzlich dadurch begrenzt wird, dass fünf Homilien, die zusammen mehr als die Hälfte des Gesamttextes ausmachen (28 von 48 GCS-Seiten), sich mit derselben Perikope beschäftigen (Jes. 6,1–10). Damit geben diese Homilien nur einen sehr begrenzten Einblick in die Jesajaauslegung des Origenes. Dazu kommt, dass manche dieser Homilien den Eindruck erwecken, nicht komplett zu sein. Lediglich die Homilien I, VI, VII und VIII sehen wie vollständige Predigten aus, und nur die Homilien V–VIII scheinen aus einer fortlaufenden Erörterung des Bibeltextes zu stammen. In den übrigen hingegen gibt es jeweils verschieden gelagerte Indizien dafür, dass es sich bei ihnen um Auszüge aus Predigten oder gar um fragmentarische Stücke handelt. So wirkt der Beginn von Homilie II, als würde der Text mitten im Gedankengang einsetzen. Zudem wird der in der Überschrift angegebene Versteil in der Predigt zwar noch dreimal im Kontext des ganzen Verses (Jes. 7,14) zitiert, aber nirgends besprochen, und das, obwohl es in der Sache um ein für die altkirchliche Theologie zentrales Thema geht: die Geburt Jesu aus einer Jungfrau. Statt dessen liest man ausführliche Reflexionen über den Butter und den Honig in Jes. 7,15. In Homilie III wird, auch ausweislich des Titels, nur ein Vers erörtert (Jes. 4,1). Auch wenn die Ausführungen durch eine Auslegung von Jes. 11,1–3 (die Gaben des Geistes) angereichert sind, könnte man sich doch gut vorstellen, dass in der griechischen Predigt noch mehr Verse besprochen wurden, zumal die Lesung sicher umfangreicher war. Allerdings ist in diesem Fall zu konzedieren, dass auch eine Predigt in der vorliegenden Form vorstellbar ist, da Origenes sich in seiner Exegese nicht selten auf einen einzigen Vers, ja auf ein einziges Wort des biblischen Textes konzentrierte und, von diesem ausgehend, weitreichende theologische Überlegungen anstellte. Bei Homilie IV gibt es deutliche Indizien dafür, dass der Anfang fehlt, doch nicht, weil Hieronymus ihn nicht übersetzt hätte, sondern weil er wohl im Laufe der handschriftlichen Überlieferung verlorengegangen ist. Darauf deutet der fehlende Titel, der in den vorhandenen Handschriften unterschiedlich ergänzt ist (s.o.),139 und darauf deutet, dass die Auslegung der Vision Jesajas mit Jes. 6,2 einsetzt, die zu Jes. 6,1 – ein Vers, zu dem Origenes Tiefgründiges zu sagen wusste140 – aber fehlt, bei 139 Siehe unten S. 228 Anm. 60. 140 Origenes, in Is. hom. 1,1 (GCS Orig. 8, 242 f.); vgl. 5,3 (8, 265–267). Siehe dazu unten S. 113–123.
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Einleitung
der Auslegung von Jes. 6,5 jedoch eingespielt wird, als wäre sie bekannt.141 Die vierte Homilie ist wohl ein Fragment, dessen Anfang fehlt, weil vielleicht schon im vorkarolingischen Archetyp (über diesen unten in Kapitel V) eines oder mehrere Blätter verlorengegangen sind.142 Eindeutig ein Fragment ist Homilie IX, die nach wenigen Sätzen mitten im Gedankengang bei der Erörterung von Jes. 6,10 abbricht, also weit vor dem in der Überschrift genannten Vers Jes. 7,11. In einer Handschrift ist noch ein weiterer Satz überliefert, in den meisten ist die fehlende Fortsetzung auf unsinnige Weise so hergestellt, dass der gesamte Schlussteil – ein längeres Stück Text – der neunten griechischen Jeremiahomilie in der Übersetzung des Hieronymus (darin als sechste Homilie gezählt) angehängt ist.143 Besonders unvollkommen wirkt Homilie V. Dieser Eindruck entsteht schon daraus, dass sie mit der Auslegung eines Verses einsetzt (Jes. 41,2), der weit ab vom eigentlichen Thema der Predigt liegt (erneut die Vision Jesajas) und auch weit ab von den in den Homilien ansonsten besprochenen Perikopen. Es entspricht zwar durchaus den Gepflogenheiten des Homileten Origenes, die Predigt mit einer Art Prolog, zumeist mit Auslegungen von Bibelstellen, die nicht Gegenstand der vorhergehenden Lesung waren, aber thematische Parallelen bieten, oder mit verwandten Themen beginnen zu lassen.144 Jes. 41,2 hat jedoch mit den im Folgenden ausgelegten Versen Jes. 6,1 und 6,5 f. sachlich nichts zu tun. Eine weitere Schwierigkeit dieses Prologs liegt darin, dass Origenes Jes. 6,1 als Beginn und Jes. 41,2 als Ende des Lesungstextes bezeichnete, den er auslegte. Weil eine derart lange Lesung undenkbar ist, könnte man einen nicht fortlaufenden Lesungstext vermuten.145 Da dies jedoch nicht der altkirchlichen Praxis entspricht, könnte diese Schwierigkeit vielleicht ein Indiz dafür sein, dass der Text, der als Homilie V fungiert, aus Exzerpten aus zwei verschiedenen Predigten besteht. Im Fortgang der Predigt fragt man sich sodann, worüber Origenes denn nun eigentlich reden wollte. Hauptsächlich geht es um Jes. 6,1, doch ganz anders als in Homilie IV, in der er bei der Auslegung der Vision Jesajas etliche neue Aspekte gegenüber den Ausführungen in Homilie I bringt, sagt er in Homilie V nichts über das hinaus, was auch schon in den Homilien I und IV zu lesen ist. Vollends unbefriedigend ist der Schluss: Unvermittelt kommt Origenes auf Bibelstellen zu sprechen (Mt. 25,27; Lk. 19,20.23), deren Zusammenhang mit der Vision Jesajas genauso wenig klar wird wie der seiner kurzen und kryptischen Ausführungen darüber mit dem vorausgehenden Teil der Predigt, und auffälligerweise fehlt auch noch die in den Predigten 141 142 143 144 145
Ebd. 4,3 (8, 260). So Gryson/Szmatula, Les commentaires patristiques 26. Genauere Angaben unten S. 305 Anm. 179. Beispiele dazu aus den Jeremiahomilien bei Nautin, SC 232, 123–125. Vgl. dazu die Problemanzeige bei Grappone, Contesto liturgico 348 f. Anm. 102.
I. Die Jesajaauslegung des Origenes
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des Origenes übliche, in allen anderen Jesajahomilien – außer der neunten, deren Schluss fehlt – anzutreffende Schlussdoxologie aus 1 Petr. 4,11.146 Dieser Befund kann verschieden erklärt werden. Zu banal dürfte wohl das Bonmot sein, auch ein Origenes habe nicht immer einen guten Tag gehabt. Schon erhellender könnte eine Bemerkung des Origenes sein, die auf Unruhe in der gottesdienstlichen Versammlung schließen lässt: „Wenn ihr zumindest jetzt hören wollt, lasst uns gemeinsam den Herrn bitten, dass wir wenigstens jetzt, beim Kommen des Wortes, dem, was der Prophet sagt, Aufmerksamkeit zu schenken vermögen.“147 Fühlte Origenes sich zu sehr gestört, als dass er in der Lage gewesen wäre, eine ordentliche Predigt zu halten, und hat er die Predigt möglicherweise deshalb abgebrochen, ohne sie richtig zu Ende zu bringen? Aber warum hat Hieronymus dann ausgerechnet eine solche Predigt für seine Übersetzung ausgewählt? Oder war es so, dass Hieronymus nur Auszüge aus der Predigt übersetzte, die ihn inhaltlich interessierten, und zwar vermutlich deshalb, weil es wiederum um die Vision ging, die sein Augenmerk generell am meisten auf sich zog? Diese Fragen werden sich kaum sicher beantworten lassen. Zusammen mit den Beobachtungen zu den Homilien II–IV und IX liefern sie aber in der Summe deutliche Indizien dafür, dass wir mit den von Hieronymus übersetzten Homilien nur zum Teil vollständige Predigten vorliegen haben, zum Teil hingegen Stücke, die eher als Teile von Predigten oder Auszüge daraus anzusprechen sind. Die Jesajahomilien des Origenes liegen uns nur noch in den unterschiedlich umfangreichen, mehr oder weniger vollständigen Exzerpten vor, die Hieronymus für seine lateinische Übersetzung ausgewählt hat. Mit der Charakterisierung der neun lateinischen Jesajahomilien als „Auswahl“ stehen diese Homilien im erhaltenen Predigtwerk des Origenes keineswegs isoliert da. Bekanntlich hat Origenes viel mehr Predigten gehalten, als heute noch vorhanden sind. Im griechischen Original sind nur 21 Homilien überliefert: die berühmte Predigt über die Wahrsagerin (die „Hexe“) von Endor (1 Sam. 28) und zwanzig Jeremiahomilien.148 In beiden Fällen beruht die Erhaltung auf einer einzigen Handschrift.149 Es waren also die Fährnisse der handschriftlichen Überlieferung, die diese im Grunde zufällige Auswahl aus den griechischen Homilien des Origenes getroffen haben, die wir heute noch lesen können. Aber auch mit den etwa zweihundert Ho146 Siehe dazu auch unten S. 250 Anm. 98 und S. 252 Anm. 100. 147 Origenes, in Is. hom. 5,2 (GCS Orig. 8, 265). Siehe unten S. 246 Anm. 89 und S. 248 Anm. 92. 148 Ediert von Klostermann/Nautin, GCS Orig. 32, 283–294 bzw. 1–194. 149 Die Samuelhomilie steht im Codex Monacensis graec. 331 saec. X, die Jeremiahomilien im Codex Scorialensis V III 19 saec. XI/XII; eine Abschrift davon ist Codex Vaticanus graec. 623 saec. XVI.
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milien, die in den lateinischen Übersetzungen des Rufinus und Hieronymus erhalten sind, wird uns eine Auswahl aus dem homiletischen Œuvre des Alexandriners präsentiert, und zwar nicht nur im Blick auf die ursprünglich noch viel zahlreicheren Homilien im griechischen Original, sondern auch im Blick auf die zu einzelnen biblischen Schriften lateinisch erhaltenen Predigten. Das gilt, wie Manlio Simonetti überzeugend gezeigt hat, auch für eine Sammlung, die so vollständig aussieht wie die 16 Genesishomilien, die in Rufins lateinischer Übersetzung vorliegen.150 Es lässt sich nämlich eine Reihe von überzeugenden Indizien dafür beibringen, dass Rufins lateinische Homilien eine Auswahl aus den Genesishomilien des Origenes darstellen: Die Homilien III–XIV (zu Gen. 17–26) bilden eine Einheit, die als geschlossener Zyklus aufgefasst werden kann, die ersten (über Gen. 1 und 6,13–16) und die letzten (über Gen. 45,25–46,4 und 47,21–27) beiden Predigten heben sich deutlich davon ab, ohne dass sicher gesagt werden kann, ob sie aus zwei anderen Predigtzyklen stammen; die heutige Anordnung der Homilien geht auf die handschriftliche Überlieferung zurück.151 Daraus sowie aus den hier gemachten Beobachtungen zu den Jesajahomilien geht hervor, dass die homiletische Hinterlassenschaft des Origenes insgesamt als (gewiss umfangreiche) Anthologie aus seinem Predigtwerk aufzufassen ist. Von den griechischen Jesajahomilien des Origenes liegt also nur noch eine lateinische Auswahlübersetzung aus dem Jahre 380 vor, deren spezifische Zusammensetzung mit der auffälligen Konzentration auf die Vision Jesajas (Jes. 6) sich der theologiegeschichtlichen Entwicklung des 4. Jahrhunderts und dem inhaltlichen Interesse des Übersetzers Hieronymus verdankt. Damit gehören diese Homilien gewiss nicht zu den Spitzentexten des Origenes, und so erklärt sich ihr Schattendasein in der Origenesforschung. Gleichwohl bieten sie einige nicht uninteressante exegetisch-theologische Gedanken, auf die im Folgenden einzugehen ist.
150 Die Zahl 17 im Katalog des Hieronymus, epist. 33,4 (CSEL 54, 257), erklärt sich nach Baehrens, GCS Orig. 6, XXVIII-XXX, daraus, dass dieses Verzeichnis nur in Handschriften erhalten ist, die ihrerseits von einer Handschriftengruppe abhängen, in denen eine 17. Genesishomilie enthalten ist, die aber nachweislich eine Fälschung ist. 151 Näheres bei Simonetti, Le Omelie sulla Genesi, bes. 265. 270, dazu die Hinweise von M. I. Danieli im zugehörigen „intervento“, ebd. 275–278. Siehe auch Simonetti, Opere di Origene 1, 8–11.
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II. Die Jesajaexegese des Origenes in den Homilien In diesem Kapitel sollen nicht die exegetischen und theologischen Ausführungen des Origenes zu jedem einzelnen der in den Homilien behandelten Verse aus dem Jesajabuch erörtert werden. Die Anmerkungen zur Übersetzung bieten zahlreiche Hinweise zur Einordnung der jeweiligen Exegese in die Theologie des Origenes. Das gilt insbesondere für folgende Predigten bzw. Perikopen:152 Homilie II enthält zwar mit der Immanuel-Weissagung in Jes. 7,14 einen Satz, der in der altkirchlichen Exegese auf die Geburt Jesu aus einer Jungfrau hin gedeutet wurde und in dieser Deutung eine enorme Bedeutung für die Kirchen- und Theologiegeschichte erhalten hat.153 In den Ausführungen des Origenes jedoch spielen weder dieser Satz noch die zugehörige christliche Auslegung eine Rolle.154 Vielmehr dachte er über eine philologische Spezialfrage nach – während das letzte Verbum in Jes. 7,14 in der lateinischen Übersetzung vocabis lautet, wird der Satz in Mt. 1,23 mit vocabunt zitiert155 – und legte ausgiebig die Begriffe „Butter“ und „Honig“ in Jes. 7,15 aus.156 Sie sind bis heute ausgesprochen interpretationsbedürftig – die Meinungen über ihren Sinn gehen stark auseinander –, bewegen sich aber anders als in der allegorischen Auslegung des Origenes, in der sie positiv als Symbol für Fülle und Wohlstand konnotiert sind, auf der historischen Ebene des Textes, dessen Kernbestand in die Zeit des syrisch-ephraimitischen Krieges (734–732 v.Chr.) gehört, und illustrieren darin wohl ein notdürftiges Leben (vgl. Jes. 7,22).157
152 Zum speziellen Fall von Jes. 41,2 in hom. 5,1 (GCS Orig. 8, 263) siehe oben S. 32 f. Die christliche Exegese bezog die Aussage über die Gerechtigkeit in Jes. 41,2 im Gefolge des Origenes auf Christus (siehe unten S. 99. 150 f.), die jüdische Auslegung im Targum hingegen auf Abraham; in der gegenwärtigen historisch-kritischen Forschung wird der Text auf den Perserkönig Kyros und seinen Siegeszug von Osten nach Westen bezogen: Berges, Jesaja 40–48, 179 f. 153 Ein zusammenfassender Überblick dazu bei Jay, Art. Jesaja 814 f. Für eine moderne Auslegung von Jes. 7,14 im alttestamentlichen Kontext siehe Beuken, Jesaja 1–12, 201–205. 210 f. 154 Eine Überlegung dazu, was Origenes im Jesajakommentar über Jes. 7,14 geschrieben haben könnte, bei Kamesar, Virgin 58–62, bes. 61. 155 Origenes, in Is. hom. 2,1 (GCS Orig. 8, 250). 156 Ebd. 2,2 (8, 251 f.). 157 Näheres bei Beuken, Jesaja 1–12, 206 f. 208 f.
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Die Homilien VII und VIII behandeln keine speziellen Themen, sondern mit Jes. 8,18–20 und 10,10–13 Verse, die sprachlich im Hebräischen wie im Griechischen sehr schwierig sind. Im Falle von Jes. 8,18–20 hat Origenes seine Zuhörer ausdrücklich darauf aufmerksam gemacht und zu Aufmerksamkeit aufgefordert: „Passt auf, denn das ist ja dunkel ausgedrückt ...“158 In den fraglichen Versen geht es um Wahrsagerei und Totenbefragung.159 Thema der Verse Jes. 10,10–13 sind der Selbstruhm des Königs von Assur und seine maßlosen Ambitionen.160 Hier weicht die griechische Übersetzung der Septuaginta, die Origenes auslegte, teilweise sehr stark vom masoretischen Text des Hebräischen ab.161 Die Ausführungen des Origenes zu den anderen in den Homilien kommentierten Versen, insbesondere zur Vision in Jes. 6, sind einerseits im Kontext der frühchristlichen Theologie so interessant und haben andererseits in der Entwicklung der altkirchlichen Theologie in der Spätantike eine so große und teils so kontroverse Wirkung entfaltet, dass auf sie ausführlicher eingegangen werden soll. Da sich die Jesajahomilien in der vorliegenden Gestalt nicht an die Sequenz des kommentierten Bibeltextes halten, macht das die folgende Besprechung der origeneischen Auslegung von Jes. 11,1–3 (mit 4,1), Jes. 6,9 f. und Jes. 6,1–7 auch nicht, sondern bildet eine inhaltliche Klimax. In diesem Kapitel II liegt der Akzent stärker auf der exegetischen Seite der Jesajaauslegung des Origenes. Die theologischen Aspekte in ihrer Verknüpfung mit philosophischen Hintergründen und Kontexten werden im folgenden Kapitel III dargestellt.
1. Die Gaben des Geistes in Jes. 11,1–3 Die Rede von den „(sieben) Gaben des (Heiligen) Geistes“ ist ein im Alten Testament gründendes und in der Alten Kirche ausgestaltetes Theologumenon, das seither in der christlichen Tradition verbreitet ist. Ausgehend von Gregor dem Großen, der mit Hilfe der siebenfachen Gabe des Heiligen Geistes eine geistliche Lehre vom Aufstieg über sieben Stufen zur Pforte des ewigen Lebens entwickelt hatte,162 entstanden im westkirchlichen lateinischen Mittelalter ganze theologische Abhandlungen und mystische Traktate über die sieben Geistesgaben.163 Der biblische Anknüpfungspunkt für dieses 158 Origenes, in Is. hom. 7,2 (GCS Orig. 8, 281). 159 Zu den philologischen Schwierigkeiten siehe unten S. 290–292 Anm. 153, 154 und 156; zur Erklärung in der heutigen Exegese Beuken, Jesaja 1–12, 241 f. Eine Paraphrase des Inhalts der siebten Homilie gibt Fe´dou, Re´ception 49 f. 160 Für die moderne Exegese siehe die Auslegung bei Beuken, ebd. 282–286. 161 Näheres siehe unten S. 294 Anm. 158. 162 Gregor der Große, in Hiez. II hom. 7,7 f. (CChr.SL 142, 320–322).
II. Die Jesajaexegese des Origenes in den Homilien
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Motiv ist Jes. 11,2 f. Von Origenes ist zwar keine eigene Homilie über diese Stelle bekannt, doch in der dritten Jesajahomilie, die den Titel „Die sieben Frauen“ trägt, kam er im Zuge der Auslegung von Jes. 4,1 auf sie zu sprechen. a) Exegetische Kombinatorik: Jes. 4,1 und 11,2 f. In Jes. 4,1 geht es eigentlich um ein anderes Thema: Der Vers bringt die äußerste Vereinsamung der hochmütigen Frauen der Oberschicht Jerusalems in einer Nachkriegszeit zum Ausdruck – ihre „Schmach“ bzw. „Schande“ ist es, ohne Mann dazustehen –, weshalb sich mehrere Frauen unter den „Namen“, d.h. unter die Verantwortung und den Schutz eines einzigen Mannes begeben und dabei auf Unterhalt durch diesen verzichten. Origenes hat diesen Mann auf Jesus gedeutet, „der dem Fleische nach aus der Wurzel Jesse (Isais, des Vaters Davids) hervorging“.164 Methodologisch gesehen geht das nicht völlig am Bibeltext vorbei, denn schon im Jesajabuch erscheinen die sieben Frauen, die einen Mann suchen, als Personifikation Zions, die ihren Mann sucht, nämlich Gott; in Jes. 62,1–5 wird Gott als Bräutigam Zions beschrieben.165 Origenes hat den Text nicht als Produkt eines Jahrhunderte währenden Bearbeitungsprozesses angesehen, sondern streng synchron als einen überlieferten Text. Auf dieser Ebene, nach heutigen literaturwissenschaftlichen Maßstäben ausgedrückt: auf der Ebene der Endredaktion des Jesajabuches ist die theologisch-spirituelle Dimension, in der Origenes den Text deutete, in ihm durchaus vorhanden. Spezifisch christlich ist natürlich die von einem veränderten historischen und hermeneutischen Horizont bestimmte inhaltliche Füllung dieses Deutungsmusters durch Origenes nicht mit Gott (und Zion), sondern mit Christus (und den Christen bzw. der Kirche). Auch eine zweite Kombination des Origenes entspricht der sprachlichen und literarischen Gestalt des Textes. Origenes zog zur Erklärung der sieben Frauen in Jes. 4,1, die zu einem einzigen Mann, das heißt: zu Gott gehören, die Aussagen über die sieben Gaben des Geistes in Jes. 11,1–3 heran (die Zahl Sieben ist dabei ein spezielles philologisches Problem – dazu gleich). In der vorkonstantinischen christlichen Literatur begegnet diese Kombination nur noch bei Victorinus von Pettau, der dabei wohl von Origenes abhängig ist.166 Die Verknüpfung dieser beiden Jesajastellen ist durchaus textgemäß. In 163 Darüber orientiert knapp B. J. Hilberath, Art. Gaben des Heiligen Geistes, in: LThK3 4 (1995) 253 f. 164 Origenes, in Is. hom. 3,1 (GCS Orig. 8, 253 f.). 165 Beuken, Jesaja 1–12, 121 f. 166 Victorinus von Pettau, fabr. mund. 8 (CSEL 49, 7); vgl. in Apoc. I 7 (CSEL 49, 28. 30): Hollerich, Eusebius 54 Anm. 155.
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Einleitung
der an Jes. 4,1 anschließenden Perikope, in der es um die „Reinigung“ Zions von moralisch verkommenen Amtsträgern (kritisiert in Jes. 3,1–15) und Frauen (kritisiert in Jes. 3,16–4,1) geht (Jes. 4,2–6), ist nämlich von Gaben des Geistes die Rede, dem „Geist des Rechts“ und dem „Geist der Säuberung“ (Jes. 4,4). Heutige Exegese sieht im Rahmen der Einheit Jes. 1–12 eine redaktionelle Verbindung zwischen Jes. 4,2–4 und 11,2 f.; in beiden Perikopen spielen Gottes Geist (hebräisch ruach) bzw. Gaben des Geistes eine zentrale Rolle.167 Auf der synchronen Ebene des Endtextes, auf der sich Origenes bei seiner Bibelauslegung ausschließlich bewegte, kommen der frühchristliche Theologe und moderne Exegeten also in erstaunlicher Weise darin überein, diese Stellen bei der Erklärung des Textes mittels der Stichwörter „Geist“ bzw. „Gaben des Geistes“ zusammenzunehmen. Eine Kombination von Jes. 4,1 und 11,2 f. über die Zahl Sieben – hier die sieben Frauen, dort die sieben Gaben des Geistes – funktioniert allerdings nur auf der Basis des griechischen Textes der Septuaginta. Im hebräischen Text von Jes. 11,2 f. nach dem Wortlaut der masoretischen Fassung wird der zentrale Begriff „Geist Gottes“ in 11,2 durch drei Wortpaare entfaltet; der letzte Begriff, „Furcht Gottes“, wird in 11,3 nochmals aufgegriffen. Im Hebräischen ist also nur von sechs Aspekten des Geistes Gottes die Rede: der Geist der Weisheit und der Einsicht, der Geist der Planung und der Stärke, der Geist der Erkenntnis und der Furcht Gottes. Daraus dürfte sich erklären, dass in der späteren rabbinischen Literatur nirgends die Theorie von einem siebenfach wirkenden Geist Gottes nachweisbar ist. Es gibt zwar eine jüdische Tradition, gemäß der der Geist Gottes in siebenfacher Weise wirkt. So heißt es im Henochbuch, die Engel „werden ,an jenem Tage‘ mit einer Stimme anheben, preisen, rühmen, loben und erheben im Geiste des Glaubens, der Weisheit, der Geduld, der Barmherzigkeit, des Rechts, des Friedens und der Güte“.168 Diese Siebenerreihe hat aber, wie die verwendeten Attribute zeigen, mit Jes. 11,2 f. nichts zu tun. Die jüdische Tradition, soweit sie auf dem hebräischen Bibeltext beruht, kennt Gaben oder besser: Aspekte und Wirkungen des Geistes Gottes, verbindet diese aber nicht mit einer Siebenzahl in Jes. 11,1–3. Man könnte diese Verse allerdings auch so lesen, dass durch die Entfaltung des Begriffes „Geist Gottes“ in drei Wortpaare auch im hebräischen Text „eine Art Siebener-Reihe“ entsteht.169 Das ist zwar nicht die Siebenerreihe, auf der das spätere christliche Theologumenon beruht (s.u.). Es gibt aber einen Traditionsstrom im Christentum, dem einerseits eine dem hebräischen Text entsprechende Fassung des Bibeltextes zugrundeliegt, der
167 Beuken, Jesaja 1–12, 118. 127. 309 f. 168 Hen. 61,11 (GCS 5, 78 f.), zitiert aus Schlütz, Isaias 11,2, 8 Anm. 51. 169 So Beuken, Jesaja 1–12, 308 f.
II. Die Jesajaexegese des Origenes in den Homilien
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andererseits jedoch von sieben Gaben des Geistes redet. In der syrischen Übersetzung nach der Peschitta ist der Geist Gottes wie im Hebräischen entfaltet zum Geist der Weisheit und des Verstandes, Geist des Rates und der Stärke, Geist der Erkenntnis und der Furcht des Herrn, also in sechs Aspekte.170 Der syrische Theologe Aphrahat, der „persische Weise“, hatte einen solchen Bibeltext vorliegen, sprach aber doch von sieben Gaben des Geistes, weil er den Geist Gottes offenbar als eigene Geistesgabe zu den sechs Aspekten hinzuzählte; so gab er zu Sach. 3,9: „Auf diesem Stein öffne ich sieben Augen“ folgende Erläuterung: „Was sind denn die sieben Augen, die auf diesem Stein geöffnet sind? Doch nur der Geist Gottes, der auf Christus sich niedergelassen hat in sieben Wirkweisen, wie der Prophet Jesaja gesagt hat: ,Es wird zur Ruhe kommen und sich niederlassen auf ihm der Geist Gottes, der Weisheit und des Verstandes, der Einsicht und der Stärke, der Erkenntnis und der Furcht vor dem Herrn‘ (Jes. 11,2). Das sind die sieben Augen, die geöffnet sind auf dem Stein; ,das sind die sieben Augen des Herrn, die umherblicken auf der ganzen Erde‘ (Sach. 4,10).“171 Diese Deutung von Sach. 3,9 und 4,10 in Kombination mit Jes. 11,2 war in der griechischen wie lateinischen altkirchlichen Theologie weit verbreitet.172 Trotz seines dem hebräischen Wortlaut entsprechenden Bibeltextes folgte Aphrahats Verwendung von Jes. 11,2 der gängigen altkirchlichen Auffassung. Sollte der Nachricht des Hieronymus, er habe diese Auslegung von Sach. 3,9 und 4,10 bei „Hebräern“, d.h. bei Judenchristen, gefunden,173 historischer Wert zukommen, könnte der Schluss gezogen werden, dass Aphrahat – und nach ihm desgleichen Ephräm der Syrer – auf altes Überlieferungsgut der syrischen Tradition rekurrierte, das möglicherweise aus judenchristlichen Kreisen stammte.174 Die christliche Lesart von Jes. 11,2 f. mit sieben Gaben des Geistes entstammt einem anderen religiösen Milieu, und zwar dem hellenistischen Judentum. In der griechischen Übersetzung des Buches Jesaja, die in der Mitte des 2. Jahrhunderts v.Chr. in Alexandria im Kontext des dortigen griechischsprachigen Judentums entstand, wurde Jes. 11,2 f. so übersetzt, dass der 170 Syrischer Text mit Übersetzung bei Schlütz, Isaias 11,2, 9. 171 Aphrahat, dem. 1,9; Übersetzung: Bruns, FC 5/1, 87. 172 Siehe die bei Schlütz, Isaias 11,2, 34 f. 109 f. 112 f. 118 f. 125 f., besprochenen Stellen. 173 Hieronymus, in Zach. I 4,2–7 (CChr.SL 76A, 778 f.). 174 Ausführlich dazu Schlütz, Isaias 11,2, 33–38, der den Hinweis des Hieronymus auf „Hebräer“ allerdings auf „Juden in Palästina“ bezog (ebd. 35; vgl. 137 f.). Da in der jüdischen Tradition eine siebenfache Gabe des Geistes aber nicht nachweisbar ist (s.o.) und die „Hebräer“ eine christologische Deutung vorlegten, ist das Wort „Hebräer“ im Text des Hieronymus auf Judenchristen zu beziehen. Das entspricht dem Sprachgebrauch des Origenes, von dem (oder von Eusebius) Hieronymus bei solchen Bemerkungen in der Regel abhängig war.
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Begriff „Furcht Gottes“, der sowohl in 11,2 am Ende als auch in 11,3 im ersten Kolon steht, wohl aus Gründen der sprachlichen Variation mit zwei verschiedenen Wörtern wiedergegeben wurde: eyÆseÂbeia, „Frömmigkeit“ in 11,2, foÂbow ueoyÄ, „Gottesfurcht“ in 11,3. Diese Übersetzungen sind durchaus sachgemäß, denn beide Begriffe bezeichnen die Haltung gegenüber Gott, die dem Menschen geziemt, einmal griechisch ausgedrückt: eyÆseÂbeia (lateinisch pietas), einmal hebräisch: „Gottesfurcht“.175 Der erste Satz in Jes. 11,3 erhielt dadurch einen neuen Sinn: Er wiederholte nicht die letzte Geistesgabe aus Jes. 11,2, sondern sprach von der Verleihung einer weiteren Á n pney Ä ma toy Ä ueoy Ä , pney Ä ma Gabe des Geistes: KaiÁ aÆnapayÂsetai eÆpÆ ayÆto sofiÂaw kaiÁ syneÂsevw, pney Ä ma boylh Ä w kaiÁ iÆsxyÂow, pney Ä ma gnvÂsevw kaiÁ eyÆsebeiÂaw´ eÆmplhÂsei ayÆto Á n pney Ä ma foÂboy ueoy Ä .176 In der Explikation des
„Geistes Gottes“ standen damit sieben verschiedene Begriffe.
b) Die sieben Gaben des Geistes in der altkirchlichen Theologie Diese Interpretation von Jes. 11,2 f. durch Übersetzung setzte eine weitreichende Wirkungsgeschichte in Gang. In allen Handschriften der Septuaginta und bei allen griechischen und lateinischen Kirchenvätern der ersten Jahrhunderte findet sich diese Textfassung von Jes. 11,2 f. mit sieben Aspekten oder Gaben des Heiligen Geistes,177 mit Ausnahme weniger Stellen in Schriften des Hieronymus und auch dort nur in wenigen Manuskripten bezeugt.178 Origenes kam in der christlichen Verwendung von Jes. 11,2 f. 175 Gryson, Les six dons du Saint-Esprit 395. 176 Jes. 11,2 f. LXX (II p. 581 Rahlfs; p. 165 Ziegler). 177 Aus der umfassenden Darstellung von Schlütz, Isaias 11,2, 10–16. 39–77. 106–147, seien exemplarisch folgende Stellen notiert: Justin, dial. 87,2 (PTS 47, 221); Irenäus, epid. 9 (FC 8/1, 38 f.), wo im Zitat von Jes. 11,2 f. der Geist der Erkenntnis wohl aufgrund eines Schreibfehlers fehlt, in der Erklärung dazu aber mitgezählt wird; ebd. 59 (8/1, 74); haer. III 9,3 (FC 8/3, 78); 17,3 (8/3, 214); Tertullian, adv. Marc. III 17,3 (CChr.SL 1, 530); V 8,4 (1, 686); adv. Iud. 9,26 (CChr.SL 2, 1373); Cyprian, test. II 11 (CSEL 3/1, 76); Novatian, trin. 168 (p. 186 Weyer); Victorinus von Pettau, fabr. mund. 7 (CSEL 49, 6 f.); in Apoc. 1,1 (CSEL 49, 16–18 bzw. 17–19 in der Rezension des Hieronymus); Laktanz, inst. IV 13 (p. 357 f. Heck/Wlosok); Gregor von Nazianz, orat. 31,29 (FC 22, 328); Ambrosius, expos. Ps. 118 5,39 (CSEL 622, 104); spir. I 159 (CSEL 79, 82); sacr. 3,8 (FC 3, 124); myst. 42 (FC 3, 236); Johannes Chrysostomus, c. Iud. et gent. 2 (PG 48, 815); expos. in Ps. 44,2 (PG 55, 186). 178 In epist. 121,2 (CSEL 56, 10), wo es Hieronymus auf den Wortlaut des hebräischen Textes ankam, zitierte er nach der ältesten Handschrift aus Bobbio (gegen 600) sechs Gaben des Geistes und gab die letzte als spiritus timoris dei an, wohingegen die späteren Handschriften das traditionelle spiritus pietatis einsetzten. Dies und Weiteres dazu bei Gryson, Les six dons du Saint-Esprit 397–400, der m.E. jedoch nur für
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eine Schlüsselrolle zu. Seine Äußerungen über diese Stelle stehen im Kontext philosophisch-mystischer Spekulationen über die Zahl Sieben als Symbol der vollkommenen Fülle und Einheit in der alexandrinischen Tradition.179 Die Wurzeln der mit der Sieben verbundenen Zahlensymbolik reichen zurück bis in die griechische Vorsokratik und erreichten in hellenistischer Zeit mit den pythagoreischen Zahlentheorien und der Kommentierung von Platons Timaios durch den Stoiker Poseidonios einen Höhepunkt. In Alexandria steht dafür der hellenistische Jude Philon, in dessen Schriften die gesamte, auf Mathematik fußende Spekulation seiner Zeit über die Sieben greifbar ist.180 Die Septuagintaversion von Jes. 11,2 f. mit der Zahl von sieben Geistesgaben ist möglicherweise als frühe Spur eines entsprechenden Einflusses aus dem griechischen Denken auf das hellenistische Judentum zu interpretieren.181 Über die von Philon abhängigen christlichen Theologen Clemens und Origenes gelangte diese Zahlensymbolik in das Christentum.182 Origenes hat sie freilich nur äußerst verhalten eingesetzt, etwa wenn er die Sieben als Zahl des Sabbats und damit als Zeichen für das Ausruhen bezeichnete183 und sie vor allem als Symbol der gegenwärtigen Welt betrachtete.184 Auch in der dritten Jesajahomilie, in der alle Gedanken des Origenes über Jes. 11,1–3 zusammenlaufen, wird die Zahl Sieben nicht eigens erörtert, sondern als selbstverständlich gegeben verwendet. Seine Überlegungen kreisen dort um zwei Aspekte. Zum einen werden die sieben Geistesgaben mit sieben Lastern bzw. korrespondierenden Fehlhaltungen kontrastiert, die nur den Schein von Tugend an sich tragen und auf diese Weise die wahren Tugenden schmähen: „Diese Weisheit ist es, die eine Schmach erleidet von Seiten der vielen Weisheiten, die sich gegen sie erheben; diese wahre Einsicht erträgt eine Schmach von Seiten der falschen Einsichten; dieser große Rat wird von vielen schlechten Ratschlägen geschmäht, diese Kraft von
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den Jesajakommentar nachweist, dass Hieronymus darin von sechs Gaben des Geistes sprach, nicht für die Vulgata. Das Wichtigste dazu bei Schlütz, Isaias 11,2, 77–81 in der langen Anm. 13, der die verstreuten Bemerkungen des Origenes allerdings überzogen ausdeutet; eine Sammlung von Belegen eher allgemeinen Charakters bei Harnack, Ertrag I, 52–55; II, 110–113. Insbesondere Philon, opif. mund. 89–128 (I p. 31–44 Cohn/Wendland), in einem langen Exkurs zur Aussage in Gen. 2,3, dass Gott den siebten Tag „segnete und heiligte“. So Schlütz, Isaias 11,2, 12. Für Clemens siehe etwa strom. V 34,8–35,2 (GCS Clem. 2, 349); VI 137,4–145,7 (2, 501–506). Origenes, in Hier. frg. 62 (GCS Orig. 32, 228); in Ioh. comm. XIII 408 (GCS Orig. 4, 290); 433 (4, 294). In Lev. hom. 8,4 (GCS Orig. 6, 399); in Num. hom. 6,4 (GCS Orig. 7, 36); 7,1 (7, 38).
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derjenigen verhöhnt, die, obwohl sie keine Kraft ist, verspricht, eine Kraft zu sein; diese Erkenntnis erleidet eine Schmach von Seiten einer fälschlich so genannten Erkenntnis, die sich ihren Namen anmaßt; diese Frömmigkeit wird von derjenigen getadelt, die, obwohl sie behauptet, Frömmigkeit zu sein, Gottlosigkeit ist und Menschen zur Gottlosigkeit anstiftet; diese Furcht erleidet eine Schmach durch diejenige, die für Furcht gehalten wird; denn viele versprechen Gottesfurcht, doch ist ihre Furcht ohne Erkenntnis.“185 In einer Homilie zum Buch Levitikus hat Origenes den Kontrast zwischen sieben bösen und sieben guten Geistern näher erläutert. Er deutet darin den siebenmaligen Besprengungsgestus mit Öl in Lev. 14,16 als Symbol für die siebenfache Kraft des Heiligen Geistes und fügt eine ethischspirituelle Erklärung an: „Da die Herzen der Sünder, wie der Herr im Evangelium bezeugt, von sieben Dämonen umlagert werden (Lk. 11,26), führt der Priester bei der Reinigung die Besprengung vor dem Herrn passenderweise siebenmal aus (Lev. 14,16), so dass die Vertreibung der sieben bösen Geister aus dem Herzen des Gereinigten dadurch angezeigt wird, dass mit dem Finger siebenmal Öl verspritzt wird. Auf diese Weise wird also denen, die sich von der Sünde abgekehrt haben, die Reinigung durch alle jene Handlungen zuteil, die wir weiter oben (in der Homilie) besprochen haben, die Gabe der Gnade des Geistes aber wird durch das Symbol des Öls bezeichnet, so dass jemand, der sich von der Sünde abkehrt, nicht nur gereinigt, sondern auch mit Heiligem Geist erfüllt werden kann, wodurch er sein früheres Kleid und den Ring zurückerhalten (Lk. 15,22) und, in allem mit dem Vater versöhnt, erneut die Stelle des Sohnes einnehmen kann.“186 Hinter diesem doppelten Vorgang von „Reinigung“ als Abkehr von Sünde und „Erfüllung“ mit Heiligem Geist steht wohl ein realer Vollzug im Leben der frühchristlichen Gemeinden, nämlich die Taufe, die mit einer räumlichen Metaphorik als Vertreibung der bösen Geister aus dem Menschen und Einzug des guten Geistes Gottes, des Heiligen Geistes, gedeutet wurde, konkret zelebriert im Ritus der Waschung im Taufbad (als Sündenvergebung) und der anschließenden Salbung der Stirn mit Öl (als Geistmitteilung). An Stelle der sieben Dämonen (aus Lk. 11,26) ziehen die sieben Kräfte des Heiligen Geistes (aus Jes. 11,2 f.) ein.187 Der Sinn dieses Rituals bestand in einer Verpflichtung des Getauften auf einen sittlichen Lebensstil nach christlichen Maßstäben, worauf Origenes oft hingewiesen hat.188 In der dritten Jesaja185 In Is. hom. 3,1 (GCS Orig. 8, 253). 186 In Lev. hom. 8,11 (GCS Orig. 6, 417). 187 Ebenso in Regn. hom. lat. 18 (GCS Orig. 8, 25). Bei Justin, dial. 39,2 (PTS 47, 134 f.), werden die durch die Taufe verliehenen sieben Gaben durch eine Kombination von Jes. 11,2 f. und 1 Kor. 12,9 f. exemplifiziert. Vgl. später Methodius, symp. III 8,72 f. (GCS 27, 36); Ambrosius, myst. 42 (FC 3, 236); dazu Schlütz, Isaias 11,2, 82–86. 133.
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homilie ging er auf die Taufe nicht ein, doch deutete er die „Rute“ und die „Blüte“ in Jes. 11,1 streng im ethischen Sinn: „Es ging also für den eine Rute aus der Wurzel Jesse hervor, an dem Strafe und Züchtigung vollzogen werden, eine Rute für den, der der Schelte bedarf, eine Rute für den, der sie zu seiner Bloßstellung nötig hat; die Blüte dagegen für den, der schon erzogen ist und keiner strengen Zurechtweisung oder zumindest keiner Strafen mehr bedarf, sondern bereits imstande ist, erste Blüten zu treiben auf dem Weg zur vollkommenen Frucht.“189 Zum anderen betonte Origenes in der dritten Jesajahomilie das Ruhen des Geistes, von dem in Jes. 11,2 in der hebräischen wie in der griechischen Version die Rede ist. In der Vorstellungswelt des Frühjudentums, in dem (etwa in den Schriften von Qumran) Jes. 11,1 messianisch interpretiert wurde,190 gehörte der Geist Gottes zur Ausstattung des Messias, noch mehr: Der Messias galt als die letzte und vollkommenste Ruhestation für den Geist Gottes.191 Im Johannesevangelium wurde diese Vorstellung explizit auf Jesus bezogen und damit aus Jes. 11,2 ein Schriftbeweis für die Messianität Jesu gewonnen; Johannes der Täufer sagt darin: „Auch ich kannte ihn nicht; aber er, der mich gesandt hat, in Wasser zu taufen, hat mir gesagt: Auf wen du den Geist herabkommen siehst und auf wem er bleibt, der ist es, der in heiligem Geist tauft. Und das habe ich gesehen und ich bezeuge, dass dieser der Sohn Gottes ist“ (Joh. 1,33 f.). Frühchristliche Theologen zogen Jes. 11,1–3 (neben Jes. 42,1 und 61,1) als biblische Beweise für die Ausstattung Jesu Christi mit dem Geist Gottes heran.192 In patristischer Zeit wurde Jes. 11,2 in diesem Sinne häufig mit Joh. 1,33 f. verbunden.193 Eben dies tat auch Origenes in der dritten Jesajahomilie, in der er Jes. 11,2 mit Joh. 1,33 f. auf Jesus bezog und damit argumentierte, dass sich in der Bibel niemand anderes finde, von dem gesagt werde, der Geist Gottes habe auf ihm geruht; im Unterschied zu allen anderen Propheten, auf die der Geist Gottes zwar gekommen, auf denen er aber nicht geblieben sei, weil sie als Menschen nicht frei von Sünde waren, seien die sieben Geistesgaben – im Sinne der 188 Etwa Origenes, in Ios. hom. 4,2 (GCS Orig. 7, 310); in Hiez. hom. 6,5 (GCS Orig. 8, 383). 189 In Is. hom. 3,1 (GCS Orig. 8, 254). 190 Beuken, Jesaja 1–12, 125 mit Belegen in Anm. 45. 191 Ps. Sal. 17,37 f. (II p. 488 Rahlfs); 18,6–9 (p. 489); Hen. 49,3 (GCS 5, 71); 62,2 (5, 81); test. XII patr. Levi 18 (JSHRZ III/1, 60 f.). Siehe Schlütz, Isaias 11,2, 20–24. 138. 192 Irenäus, epid. 9 (FC 8/1, 38); haer. III 9,3 (FC 8/3, 78–80); 17,1.3 (8/3, 210. 214); Tertullian, adv. Marc. III 17,3 (CChr.SL 1, 530); V 8,4 (1, 686). Siehe dazu Dünzl, Pneuma 87–90. 193 Schlütz, Isaias 11,2, 20. 106–108. Vgl. etwa Hieronymus, in Es. IV 13 (VL.AGLB 23, 437 f.), und die beiden oben S. 40 Anm. 177 notierten Stellen aus Johannes Chrysostomus.
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Zahlenmystik ein Symbol für die vollkommene Fülle und Einheit des Geistes – dauerhaft auf Jesus, dem einzigen sündenlosen Menschen, geblieben.194 Ein ausführliches Pendant zu dieser Exegese findet sich in einer Homilie zum Buch Numeri. Ausgehend von Num. 11,25: „Es ruhte auf ihnen (den siebzig Ältesten des Volkes Israel) der Geist, und sie prophezeiten“, erläuterte Origenes unter anderem: „Auf allen also, die prophezeiten, ruhte der Heilige Geist, und doch ruhte er auf keinem von ihnen so wie auf dem Erlöser. Deshalb steht auch über ihn geschrieben: ,Es wird eine Rute aus der Wurzel Jesse hervorgehen und eine Blüte aus seiner Wurzel emporsteigen. Und es wird auf ihm der Geist Gottes ruhen, der Geist der Weisheit und der Einsicht, der Geist des Rates und der Kraft, der Geist der Erkenntnis und der Frömmigkeit; und erfüllen wird ihn der Geist der Gottesfurcht‘ (Jes. 11,1–3). Aber vielleicht wendet jemand ein: Nach deiner Darlegung ist über Christus nicht mehr geschrieben als über die anderen Menschen; denn wie von den übrigen gesagt ist, dass der Geist auf ihnen ruhte, so wird auch vom Erlöser gesagt: ,Es wird auf ihm der Geist Gottes ruhen.‘ Aber sieh doch! Bei keinem anderen wird ausgeführt, dass der Geist Gottes mit siebenfacher Kraft auf ihm geruht habe, womit zweifellos prophezeit wird, dass jene Substanz des göttlichen Geistes selbst, die, weil das mit einer einzigen Bezeichnung nicht möglich ist, mit verschiedenen Begriffen erklärt wird, auf der Rute ruht, die aus der Wurzel Jesse hervorgeht.195 Ich habe auch noch einen anderen Beweis, mit dem ich zeigen kann, dass in meinem Herrn und Erlöser der Heilige Geist in einer ganz hervorragenden Weise und ganz anders geruht hat, als das bei den anderen berichtet wird. Johannes der
194 Origenes, in Is. hom. 3,2 (GCS Orig. 8, 255); ebenso in Ioh. comm. II 84 f. (GCS Orig. 4, 67). Justin, dial. 87,3.5 (PTS 47, 221. 222); 88,1 (47, 222), ist darin – pace Schlütz, ebd. 44 – nur bedingt ein Vorläufer des Origenes, weil er das Ruhen des Geistes auf Jesus vor allem als „zur Ruhe kommen“ im Sinne von „Aufhören“, nämlich als Ende der Prophetie, deutete; ebenso: Tertullian, adv. Marc. V 8,4 (CChr.SL 1, 686). Siehe auch Dünzl, Pneuma 92–94. 195 In Lev. hom. 3,5 (GCS Orig. 6, 309) sprach Origenes wohl in diesem Sinne von der „Kraft des Heiligen Geistes im Geheimnis der siebenfachen Gnade“, was sich auf Jes. 11,2 f. bezieht, nicht auf Offb. 1,4, wie Baehrens, GCS Orig. 6, 309 ad loc., und Borret, SC 286, 144 ad loc., angeben. Allerdings begegnet in der frühchristlichen Literatur seit Clemens von Alexandria, strom. V 35,2 (GCS Clem. 2, 349), der Sprachgebrauch von (sieben) pneyÂmata im Plural gelegentlich in Kombination mit Jes. 11,2 f., was wohl von Offb. 1,4; 3,1; 4,5 und vor allem 5,6 (hier von Sach. 4,10 aus) angeregt wurde; siehe die Belege aus früher Zeit bei Dünzl, ebd. 44–46, und spätere bei Schlütz, ebd. 115 f. 118. 119 f. (mit Problematisierung dieses Sprachgebrauchs durch Evagrius Ponticus). 157 f. 163 f. 165. Die sieben Geister in Offb. 1,4 sind allerdings nicht die sieben Gaben des einen Geistes Gottes, sondern die sieben Thronengel Gottes als seine ausführenden Organe (vgl. dazu etwa Tob. 12,15); in Offb. 3,1; 4,5 und 5,6 sind Geister und Engel austauschbar: Schlütz, ebd. 24–31 (vgl. ebd. 81 f.); Aune, WBC 52, 33–35; Witherington III, Revelation 75.
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Täufer sagt nämlich von ihm: ,Der mich gesandt hat, in Wasser zu taufen, der hat mir gesagt: Auf wen du den Geist herabsteigen siehst und auf wem er bleibt, der ist es‘ (Joh. 1,33). Hätte er gesagt: ,den Geist herabsteigen‘, und nicht hinzugefügt: ,und auf ihm bleiben‘, dann würde er sich offenbar durch nichts vor den anderen Menschen auszeichnen. Nun aber fügte er hinzu: ,und auf ihm bleiben‘, damit dies als das Zeichen am Erlöser wäre, das man an niemandem sonst zeigen konnte; von niemandem sonst steht nämlich geschrieben, dass der Heilige Geist auf ihm blieb.“196 Mit dieser Exegese hat Origenes ein doppeltes geleistet: Einerseits hat er den schon vor ihm geführten Schriftbeweis für die Messianität Jesu von Jes. 11,2 f. aus argumentativ untermauert. Andererseits – und das ist der wichtigere Aspekt – hat er mit der ethischen Dimensionierung seiner Auslegung den sieben Gaben des Heiligen Geistes einen wichtigen Platz in der christlichen asketisch-mystischen Spiritualität zugewiesen und damit der späteren theologischen und mystischen Reflexion darüber den Weg gewiesen.
2. Der Verstockungsauftrag in Jes. 6,9 f. Jes. 6,9
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Er sprach: „Geh, sprich zu diesem Volke: ,Höret nur, höret, aber kommt nicht zu Einsicht! Sehet nur, sehet, aber erkennt es nicht!‘ Verfette das Herz dieses Volkes, mache seine Ohren schwer und verklebe seine Augen, damit es nicht sehe mit seinen Augen, mit seinen Ohren nicht höre und sein Herz nicht zu Einsicht komme und Heilung finde für sich.“ Ich sprach: „Bis wann, o Herr?“ Er sprach: „Bis die Städte verwüstet sind – ohne Einwohner, die Häuser – ohne Menschen, und das Ackerland verwüstet ist – eine Einöde. Denn JHWH wird die Menschen entfernen und groß wird sein die Verlassenheit inmitten des Landes. Gibt es darin noch ein Zehntel, so wird (das Land) erneut der Abweide anheimfallen,
196 In Num. hom. 6,3 (GCS Orig. 7, 33 f.), noch ausführlicher zitiert bei Schlütz, ebd. 86–88.
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gleich einer Terebinthe und einer Eiche, von denen beim Fällen ein Wurzelstock bleibt. Heiliger Same ist sein Wurzelstock.“197
Dieser Dialog zwischen Gott und dem Propheten Jesaja ist einer der schwierigsten Texte der Bibel. Es ist hier nicht der Ort, die gesamte exegetische Fachdiskussion darüber aufzurollen. Ich begnüge mich daher mit einigen aus dem neuesten Kommentar von Willem Beuken gewonnenen Hinweisen198 und zeichne dann die Rezeptionsgeschichte dieser Verse bis an das Ende der Antike nach.199 Weil dieser Text in seiner christlichen antijüdischen Verwendung eine zum Teil katastrophale Wirkung entfaltet hat, lohnt es sich, darauf etwas näher einzugehen und insbesondere seine innerbiblische Geschichte im Alten wie im Neuen Testament genauer nachzuzeichnen. Erst auf dieser Basis gewinnt nämlich seine Verwendung bei den Kirchenvätern und speziell bei Origenes ihr Profil.
a) Der Verstockungsauftrag im Kontext des Buches Jesaja Die regelrecht schockierende Anstößigkeit dieser Passage besteht darin, dass dem Gott Israels hier etwas zugeschrieben wird, das in krassem Gegensatz zu allem steht, was im Alten Testament sonst von ihm gesagt wird. Dem Volk Israel wird nicht nur die Vernichtung angedroht, sondern darüber hinaus jede Chance genommen, ihr durch Einsicht und Besserung zu entgehen (Jes. 6,9 f.). Die Frage Jesajas auf diesen „schockierenden Auftrag“200 hin: „Bis wann, o Herr?“ (6,11) gehört zur in den altisraelitischen Schriften verbreiteten Bitte um Beendigung der Bedrückung und Bewahrung der Existenz Israels.201 Gerade diese Wende, mit der Jesaja (auf der literarischen Ebene des Textes) offenbar rechnet, wird in der Antwort Gottes verwehrt: Das Ende ist die totale Vernichtung (6,11–13, ohne den letzten Satz: s.u.).202 In der Darstellung dieser Passage sieht also Gott nicht nur vorher, dass die Botschaft des von ihm beauftragten Propheten auf Ablehnung stoßen wird.203 197 Übersetzung: Beuken, Jesaja 1–12, 160 f. 198 Siehe v.a. den Exkurs darüber bei Beuken, ebd. 164–167, der angesichts der unübersehbaren Literatur seinerseits darauf verzichtet, einzelne Titel zu nennen und zu diskutieren. Vgl. ferner Evans, To see and not perceive 17–52. 199 Siehe dafür Evans, ebd. 53–166 (mit ebd. 188–225); Kurzfassung: ders., Isaiah 6:9–10. 200 So Beuken, Jesaja 1–12, 166 gleich zweimal. 201 Beuken, ebd. 177 mit Belegen. 202 Die Totalität der Verwüstung kommt im verwendeten Vokabular zum Ausdruck: Beuken, ebd. 178 mit den Belegen. 203 So Beuken, ebd. 163, doch stellt eine solche Auffassung bereits eine Abschwächung des Textes dar.
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Es ist auch nicht so wie bei der Berufung Ezechiels, der schon bei seiner Beauftragung von Gott selbst über die Ablehnung seiner Botschaft informiert wird: „Aber das Haus Israel wird sich weigern, auf dich zu hören, weil sie sich weigern, auf mich zu hören; denn das ganze Haus Israel hat eine starke Stirn und ein hartes Herz“ (Ez. 3,7; vgl. 12,2: „Mensch, du lebst inmitten des widerspenstigen Hauses, die Augen haben zu sehen, aber nicht sehen, Ohren zu hören, aber nicht hören; denn sie sind ein widerspenstiges Haus“).204 Zwar wird man wohl sagen können, dass im historischen Hintergrund der literarischen Gestaltung von Jes. 6,9–13 das Misslingen von Jesajas Wirken im syrisch-ephraimitischen Krieg (734–732 v.Chr.) steht, also Jesaja selbst – wenn zumindest der Kern des Textes auf ihn zurückgehen sollte – oder seine Schüler sein Scheitern im Nachhinein damit erklärt haben, dass seine Sendung von Anfang an zur Erfolglosigkeit verurteilt gewesen sei. Als Paradox der prophetischen Sendung und als Problem des prophetischen Amtes an sich lässt sich das nachvollziehen.205 Was dadurch allerdings nicht erklärt wird, ist die spezifische Denkfigur dieses Textes: Gott sieht nicht bloß die Verstocktheit vorher und klärt seinen Propheten darüber auf, sondern ordnet (im Rahmen einer Gerichtsoffenbarung) die Verstockung des Volkes direkt an, und zwar unbegrenzt bis zur endgültigen Vernichtung.206 Dieser Gedanke – die Verstockung Israels nicht als vorhergesehenes, sondern als von Gott intendiertes und initiiertes, definitives Geschehen – macht den Text so anstößig. Er enthält die fragwürdige „Idee von einer göttlichen Vorherbestimmung zum Bösen“,207 und das ohne jede Chance für die Betroffenen, dieser Prädestination zu entgehen. Vor allen Versuchen einer Erklärung gilt es, diese Aussage des Textes in ihrer ganzen Schärfe wahrzunehmen. Erst von daher wird nämlich seine weitere Geschichte verständlich. Diese stellt sich als eine Geschichte der Rationalisierung des Unverständlichen durch Ergänzung oder Abschwächung dar.208 Die erstere Strategie beginnt schon im Text selbst, wie er in seiner Endgestalt vorliegt. Während umstritten ist, ob Jes. 6,12 f. ursprünglich zum Text gehörte – was aber nicht so entscheidend ist, weil sich der Grundtenor der Aussage von 6,11, der völlige Untergang des Volkes, darin
204 Übersetzung: Greenberg, Ezechiel 1–20, 77. 240. Vgl. Evans, To see and not perceive 19. 21 f. 205 In diesem Sinne Beuken, Jesaja 1–12, 175. 177. Insofern behält die sog. Rückprojizierungsthese ihre Berechtigung, abzüglich ihrer psychologisierenden Momente (ebd. 166), die bei Hesse, Verstockungsproblem, sowohl die Deutung des Verstockungsauftrags an Jesaja (ebd. 60. 83–86) als auch seine grundlegende Erörterung des Verstockungsproblems im Alten Testament (ebd. 40–44) dominieren. 206 So auch Hesse, ebd. 69. 83. 86; ferner Evans, To see and not perceive 20. 22–24. 207 So Beuken, Jesaja 1–12, 165. 208 Das hat schon Hesse, Verstockungsproblem 59 f., gesehen.
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fortsetzt –, ist es exegetischer Konsens, dass der letzte Satz eine spätere Hinzufügung aus nachexilischer Zeit darstellt: „Heiliger Same ist sein Wurzelstock“ (Jes. 6,13). Hinter dieser Aussage steht die ihrerseits bereits theologisch gedeutete Erfahrung, dass sich aus dem „Rest“, der vom Volk Israel übriggeblieben war, nach der Rückkehr aus dem babylonischen Exil (587/86–538 v.Chr.) ein neues Volk konstituiert hatte.209 Wenn diese Deutung und die damit verbundene redaktionskritische Beurteilung der Entstehung dieses Textes richtig sind, ergibt sich das Phänomen einer bereits innerbiblischen Ergänzung der anstößigen Verstockungspassage, die eine veritable Korrektur ihrer zweiten Aussage darstellt. Aus einer neuen geschichtlichen Erfahrung und damit aus einer historisch veränderten hermeneutischen Perspektive heraus haben die Redaktoren den Text einer relecture unterzogen und dabei das, was sich offenbar nicht bewahrheitet hatte, nämlich den völligen Untergang des Volkes, zwar interessanterweise nicht getilgt, aber doch so ergänzt, dass genau die Wende eintritt, auf die Jesajas Frage: „Bis wann, o Herr?“ zielt. Das Strafgericht Gottes hat doch ein Ende gefunden, der „Wurzelstock“ wurde zum „Samen“ für einen Neuanfang, was als Zeichen der totalen Vernichtung galt, wurde zur Quelle neuen Lebens.210 Damit wurde der Text in die alttestamentlich übliche Dialektik von Unheil als Mittel und Heil als Zweck eingeordnet. In ähnlicher Weise und mit ähnlichem Ergebnis verfahren moderne exegetische Erklärungen, wenn sie (zu Recht) darauf hinweisen, dass der Verstockungsauftrag nicht das prophetische Auftreten Jesajas als Ganzes kennzeichne und im Gesamt des Buches Jesaja (sowohl von Jes. 1–39 als auch von Jes. 1–66) nicht das Gericht als bewusst angezieltes Ende der Mühen Gottes mit seinem Volk verkündet werde.211 Mit dieser Strategie interpretierenden Ergänzens ist die Ausweglosigkeit der Gerichtsandrohung beseitigt. Nach wie vor anstößig bleibt die Anordnung der Verstockung des Volkes durch Gott selbst. Von der berühmten Verstockung Pharaos (Ex. 4,21; 7,3; 9,12; 10,20.27; 11,10) unterscheidet sich diese insofern, als jene die Verstockung eines Feindes ist und als strategisches Mittel zur Rettung des Volkes Israel gerechtfertigt werden könnte. Im Jesajatext hingegen führt Gott sein Volk – „dieses Volk“, wie es distanziert heißt (Jes. 6,9) – in die Verstockung, und das nicht als Mittel zum Heil, denn das Volk soll gerade nicht zur Einsicht kommen und nicht Heilung finden 209 Beuken, Jesaja 1–12, 164. Vgl. Evans, To see and not perceive 20 f. 210 Beuken, ebd. 181. Etwas zu harmonisierend ist seine Deutung von Jes. 6,13 ausgefallen (ebd. 179 f.); der Nachtrag steht doch stark kontrastiv zum älteren Textmaterial. 211 Beuken, ebd. 163. 165. Auf dieser Linie versteht Evans, To see and not perceive 36–40 bzw. 40–46, den Text, und zwar mit der bestreitbaren Prämisse, der Schlusssatz von Jes. 6,13 gehe auf Jesaja selbst zurück.
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(Jes. 6,10 am Ende).212 Die Vorstellung eines Gottes, der sein eigenes Volk ins Verderben führt, spottet jeglichen rationalen Erklärungsversuchen und ist schlechterdings unnachvollziehbar. Indes: Weil sich die Bibelausleger einerseits mit einem derartigen sacrificium intellectus nicht begnügen wollten, andererseits aber die Annahme, dieser Text präsentiere möglicherweise eine verfehlte oder irrige Vorstellung, innerhalb der hermeneutischen Vorgabe einer affirmativen Bezugnahme auf ihn nicht erschwinglich war, wurden zu allen Zeiten Erklärungen für das Unerklärliche gesucht. In der Regel laufen diese darauf hinaus, beim Volk Israel, meist unter Verweis auf das „Volk unreiner Lippen“, von dem in Jes. 6,5 die Rede ist, eine „Schuld“ oder „Sünde“ zu finden, die das Handeln Gottes als „Strafe“ begründet und rational erklärbar erscheinen lässt.213 Auch in einem modernen Kommentar wie dem von Beuken, der das Schockierende und Befremdliche dieses Textes nachdrücklich hervorhebt, findet sich teils explizit, teils implizit dieses Erklärungsmuster.214 Mag diese Deutung im größeren Kontext des Jesajabuches auch richtig sein: Das in Jes. 6,9–13 beschriebene Handeln Gottes entzieht sich in seiner schroffen Unbedingtheit dem Versuch, es in Denkmuster einzuordnen, die den Maßstäben menschlicher Rationalität Genüge tun. Gerade an der Unerklärbarkeit und Unnachvollziehbarkeit der hier präsentierten Denkfigur hat die Rezeption angesetzt, deren Wege sich erst erschließen, wenn man die ungeheuere Provokation wahrnimmt, die von diesem Text ausgeht.
212 Die Rückführung der auf Untergang angelegten Verstockung auf göttliche Initiative unterscheidet diesen Text von allen mehr oder weniger parallelen Verstockungstexten im Alten Testament (v.a. Jes. 43,8; 44,18; 63,17; Jer. 5,21–23; Ez. 12,2 f.; Sach. 7,11 f.; Dtn. 29,1–3): Evans, ebd. 47–52. 213 Die engste sachliche Analogie dazu ist, neben dem „Geist der Betäubung“ in Jes. 29,9 f., wo jedoch in 29,13 f. die Schuld des Volkes explizit als Ursache für das „seltsame“ Handeln Gottes benannt wird (vgl. Evans, ebd. 43), wohl die Rede von einem „bösen Geist“, der von Gott stammt und unter dem König Saul zu leiden hat (1 Sam. 16,14–23; 18,10; 19,9): Evans, ebd. 23. Diese Vorstellung löst wie der Verstockungsauftrag bis heute Unruhe unter den Gelehrten aus und ist auch in der frühchristlichen Literatur, die diesen Text freilich kaum beachtet hat, sogleich korrigierend interpretiert worden; Tertullian, fug. 2,7 (CChr.SL 2, 1138), etwa hat ihn dahingehend umgedeutet, dass der von Gott verworfene Sünder dem Teufel übergeben wird: Dünzl, Pneuma 51 f. Wie im Falle von Jes. 6,9 f. unterstellt die Auslegung eine Schuld des betroffenen Menschen, um das an sich verwerfliche Tun Gottes zu rechtfertigen. 214 Beuken, Jesaja 1–12, 165. 179. 181. – Auch die Überlegungen von Hesse, Verstockungsproblem 66 f., sind von diesem Denkmuster eingefärbt (vgl. generell ebd. 55 Anm. 2). Röhser, Prädestination und Verstockung 55–62, legt dieses Konzept seinen Ausführungen zugrunde, als wäre es selbstverständlich.
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b) Der Verstockungsauftrag in jüdischen Traditionen und Übersetzungen Das Unbehagen, das der Verstockungsauftrag in Jes. 6,9 f. mit seiner speziellen Konturierung auslöst, haben schon die alten Abschreiber und Übersetzer des Textes offenbar so stark empfunden, dass sie den Text in verschiedenen Weisen veränderten,215 und zwar schon innerhalb der jüdischen Tradition. So ist in der in den Höhlen von Qumran gefundenen vollständigen Jesajarolle, die um 140 v.Chr. entstanden ist und einen noch unpunktierten hebräischen Text enthält, der Schluss der beiden Verse mit Hilfe geringfügiger Veränderungen im Konsonantenbestand so umformuliert, dass die Absicht des Verstockungsauftrags doch die Bekehrung des Volkes ist: „Hört nur, weil ihr verstehen könnt, seht nur, weil ihr erkennen könnt! Verstöre das Herz dieses Volkes, verstopfe seine Ohren und seine Augen wende ab – damit es mit seinen Augen nicht sieht und mit seinen Ohren nicht hört. Mit seinem Herzen verstehe es und bekehre sich und werde geheilt.“216 Damit wird die Passage in das dialektische Schema von Verderben und Retten eingeordnet und erscheint der Auftrag des Propheten nicht als von vorneherein aussichtslos. Die jüdische Sekte in Qumran bezog die Prophetentexte auf sich selbst als „erwählten“, „heiligen Rest“, während sie den großen Teil des Volkes Israel als von Gott abgefallen und in Unglauben und Untreue verhärtet ansah. Für prophetische Selbstkritik war da kein Raum, und so wurde die Botschaft der Verdammung in Jes. 6,9 f. in eine Mahnung zur Bekehrung transformiert.217 Im Targum Jonathan, der ursprünglich mündlichen Wiedergabe der Prophetenbücher auf Aramäisch, die nach der Zerstörung Jerusalems 70 n.Chr. in einem jahrhundertelangen Prozess in Palästina verschriftlicht und im 4./5. Jahrhundert n.Chr. in Babylon einheitlich redigiert wurde, erscheint der Verstockungsauftrag in Jes. 6,10 als Strafe für den sündigen Teil des Volkes, indem die Imperative in 6,9 als Indikative in einem Relativsatz konstruiert werden: „Sprich zu diesem Volke, das hört, aber nicht zu Einsicht kommt“ etc.218 Auf dieselbe Weise wurden auch andere Verstockungsstellen im Buch Jesaja entschärft (Jes. 29,9 f.; 42,18–20; 43,8; 63,17), indem entweder die Verwerfung Israels auf die Verwerfung der Feinde übertragen oder individuell zwischen Gläubigen und Sündern unterschieden wurde.219 215 Siehe dazu Evans, Text. 216 1QJesa VI 2–5; Übersetzung: Beuken, Jesaja 1–12, 165. Die englische Übersetzung (mit philologischen Erläuterungen) bei Evans, To see and not perceive 55 f., deckt sich damit (kritische Hinweise dazu jedoch bei Karrer, Verstockungsmotiv 264 Anm. 46). 217 Näheres dazu bei Gnilka, Verstockung 155–185, und Evans, ebd. 53–60. 218 Übersetzung: Beuken, Jesaja 1–12, 165; englische Übersetzung mit Erläuterungen bei Evans, ebd. 69–71. Vgl. auch Obermann, Erfüllung der Schrift 240 f. 219 Evans, ebd. 73–75.
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Auf dieser Linie der Abmilderung der Härte dieses Textes liegen auch die sehr wenigen Verwendungen von Jes. 6,9 f. in der rabbinischen Literatur, in der die Anordnung definitiver Verstockung in die Verheißung von Vergebung umgedeutet wurde. Philologisch verfuhr man dabei so, dass man die Konjunktion pæn in 6,10, „damit nicht“, im Sinne von „wenn nicht“ bzw. „bis“ verstand und damit die Vermeidung der Verwerfung durch Reue in den Text hineinlas, die von diesem gerade ausgeschlossen wurde.220 In der rabbinischen Tradition hat dieser Text seinen originalen Sinn – der freilich, gleichfalls in der jüdischen Tradition, in der masoretischen Textfassung bewahrt blieb – vollständig verloren. Nach demselben Erklärungsmuster war der Text bereits Mitte des 2. Jahrhunderts v.Chr. in Alexandria in das Griechische übersetzt worden. In der Septuaginta sind die Imperative in Jes. 6,10 in den Indikativ Aorist gesetzt (das erste Verbum zudem in das Passiv) und kausal an 6,9 angeschlossen, wo die in das Futur gesetzten Verben (an Stelle der Imperative) die Folgen einer bereits vorhandenen Verstocktheit vor Augen führen: KaiÁ eiËpenÇ PoreyÂuhti kaiÁ eiËpon tv Äì lav Äì toyÂtvÇ ì ÆAkoh Äì aÆkoyÂsete kaiÁ oyÆ mh Á synh Ä te kaiÁ bleÂpontew bleÂcete kaiÁ oyÆ mh Á ÍidhteÇ eÆpaxyÂnuh ga Á r hë kardiÂa toy Ä laoy Ä toyÂtoy, kaiÁ toiÄw vÆsiÁn ayÆtv Ä n bareÂvw hÍkoysan kaiÁ toy Á w oÆfualmoy Áw ayÆtv Ä n eÆkaÂmmysan, mhÂpote Íidvsin toiÄw oÆfualmoiÄw kaiÁ toiÄw vÆsiÁn aÆkoyÂsvsin kaiÁ th Äì kardiÂaì synv Ä sin kaiÁ eÆpistreÂcvsin kaiÁ iÆaÂsomai ayÆtoyÂw.221 Aus dem
Auftrag zur Verstockung wird hier eine Anklage des verstockten Volkes; die fehlende Einsicht erscheint als vorhergesagte Folge der nicht von Gott angeordneten, sondern schon vorhandenen Verstocktheit. Ein kniffliges Detailproblem dieser Fassung ist der Wechsel von Subjekt, Tempus und Modus in den letzten beiden Verben. In der handschriftlichen Überlieferung begegnet bei beiden sowohl Konjunktiv Aorist (eÆpistreÂcvsin, iÆaÂsvmai) als auch Indikativ Futur (eÆpistreÂcoysin, iÆaÂsomai),222 was nach mhÂpote beides stehen kann.223 Auch wenn beide Verben oder das letzte im Indikativ Futur stehen, wirkt die Verneinung mhÂpote doch in ihnen bzw. in ihm weiter; ein solches, mit einem konsekutiven kai angeschlossenes 220 Siehe die Texte mit Erläuterungen bei Evans, ebd. 137–145. 221 Jes. 6,9 f. LXX (II p. 573 f. Rahlfs; p. 143 f. Ziegler). Zur Philologie der Septuagintafassung siehe Evans, ebd. 61–64, und unten S. 254 Anm. 101 und S. 256 Anm. 106. Während Aquila und Theodotion denselben Wortlaut haben, bietet Symmachus in Jes. 6,10 einen eigenen Text, der aber denselben Sinn hat wie die Septuagintafassung: Evans, ebd. 64 f. (siehe unten S. 52 Anm. 225). Die um 300 in der syrischen Kirche entstandene syrische Übersetzung der Peschitta entspricht textlich teils der aramäischen, teils der griechischen Version, im Sinn jedoch der Septuaginta: Evans, ebd. 77 f. 222 Siehe II p. 574 Rahlfs app. crit.; p. 144 Ziegler app. crit. 223 Bauer, Wörterbuch 1027 s.v.; Beispiele: Mk. 14,2; Mt. 7,6 (mit ebenfalls schwankender Lesart).
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Futur nach einem Konjunktiv bezeichnet ein weiteres Ergebnis der voraufgehenden Handlungen, in einem verneinten Satz eines, das vermieden werden soll.224 Der verneinte Finalsatz in Jes. 6,10 ist also (verkürzt) zu übersetzen: „... damit sie nicht sehen und (nicht) hören und (nicht) verstehen und sich (nicht) bekehren und ich sie (nicht) heilen werde.“225 Das Heil ist als reale Folge gedacht, die ausgeschlossen wird, weil die Voraussetzungen dafür auf Seiten der Menschen nicht gegeben sind. Eine enge sprachliche Parallele bietet Lk. 12,58, ebenfalls mit Subjektwechsel: mhÂpote katasyÂrhì ... kaiÁ ... paradvÂsei – Jesus mahnt, sich mit einem Gegner außergerichtlich zu einigen, „damit er dich nicht vor den Richter schleppt und der Richter dich dem Gerichtsdiener übergeben wird“. Die Septuagintafassung des Schlusses von Jes. 6,10 ist also nicht dahingehend zu verstehen, dass Gott seinem verstockten Volk Heil zusagt.226 Der griechische Text kommt mit dem hebräischen in der radikalen Konsequenz überein, nicht auf Heil, sondern auf Unheil hinauszulaufen, schiebt Ursache und Schuld dafür aber dem Volk zu.227 Da andere Verstockungsstellen in den Prophetenbüchern, die schon im Hebräischen dieser Logik folgen, in der Septuaginta recht wörtlich übersetzt sind und nur die Parallele in Jes. 29,9 f. im selben Sinn wie Jes. 6,9 f. signifikant abgewandelt ist, ist zu schließen, dass der Übersetzer den Text nicht missverstanden, sondern bewusst verändert hat, um das durch ihn aufgeworfene theologische Problem zu beseitigen.228 Die Verantwortung für das Verderben wird von Gott (und seinem Propheten) auf das Volk übertragen. In dieser Umdeutung, in der mit Modifikationen im Detail alle Überset-
224 Blass/Debrunner/Rehkopf, Grammatik 367 (§ 442, 2d) mit Beispielen ebd. 370 Anm. 8, darunter die Zitate von Jes. 6,9 f. im Neuen Testament. 225 So hat schon der antike Übersetzer Symmachus den Text aufgefasst, der im letzten Verbum einen durch mhÂpvw verneinten Konjunktiv (im Passiv, daher ohne Subjektwechsel) bietet: kaiÁ iÆauhÄì . Ein positives inhaltliches Pendant zu Jes. 6,9 f. steht übrigens in Jes. 19,22: „Und JHWH wird die Ägypter schlagen, schlagen und heilen. Und sie werden sich zu JHWH wenden, und er wird sich von ihnen erbitten lassen und sie heilen“; Übersetzung: Beuken, Jesaja 13–27, 175. 226 Anders Obermann, Erfüllung der Schrift 239 f., und Karrer, Verstockungsmotiv 257–259, dessen philologische Entscheidungen von theologischen Prämissen präjudiziert sind, die darauf hinauslaufen, die Anstößigkeit der Aussage in Jes. 6,9 f. zu beseitigen. 227 Karrer, ebd. 261, spricht von einer „Schuldfeststellung“ auf Seiten des Volkes im hebräischen wie im griechischen Text. In diesem Punkt liegt aber gerade der entscheidende Unterschied zwischen beiden Versionen. 228 Evans, To see and not perceive 66. 68. Siehe oben S. 49 Anm. 212 und 213. In der Septuaginta fehlt übrigens der letzte Satz von Jes. 6,13, der erst in der Hexapla, wo er mit einem Asteriskos markiert ist, und in späteren Rezensionen ergänzt ist: speÂrma aÏgion to Á sthÂlvma ayÆth Ä w; vgl. II p. 574 Rahlfs mit app. crit.; p. 144 Ziegler mit app. crit. und schon Hieronymus, in Es. III 10 (VL.AGLB 23, 330 f.).
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zungen übereinkommen, war dem Text die Spitze genommen und war er leichter zu verstehen und zu verwenden. Er formulierte einen klaren Schuld-Strafe-Zusammenhang, der sich mühelos ethisch und erkenntnistheoretisch auswerten ließ.
c) Das Motiv der Verstockung Israels im urchristlichen Schrifttum Ungleich stärker als im antiken Judentum wurde Jes. 6,9 f. im antiken Christentum aufgegriffen und historisch-theologisch ausgewertet. Den Kontext für die Verwendung dieser Aussage in den ältesten christlichen Schriften bildet die traumatische Erfahrung der ersten Christen, dass die Verkündigung Jesu von den meisten Juden abgelehnt wurde. Um die Deutung dieser Erfahrung mit Hilfe des jesajanischen Verstockungsauftrags historisch angemessen einordnen zu können, ist zu bedenken, dass das Christentum im Judentum entstand, als messianische Bewegung in Palästina, und dass die ersten Anhänger Jesu wie Jesus selbst Juden waren. Als solche versuchten sie das Auftreten Jesu wie dessen längerfristigen Auswirkungen mit Hilfe von Vorstellungen und Denkmustern zu erklären, die den Traditionen des jüdischen Volkes entstammten. Das gilt auch für die historische Tatsache, dass Jesu an das jüdische Volk gerichtete Botschaft bei einigen Juden auf Anklang stieß, von den meisten aber abgelehnt wurde, desgleichen die Verkündigung seiner Auferstehung durch seine Anhänger. Die weitgehende Ablehnung der Verkündigung Jesu und seiner ersten Anhänger durch das Judentum, die sich im Laufe des 1. Jahrhunderts verfestigte, stellte für die jüdisch-christliche Deutung des Lebens und Sterbens des Juden Jesus, der sich als Gesandter Gottes zu seinem Volk verstand bzw. als solcher verstanden wurde, eine enorme Herausforderung dar und bildete eine der Hauptschwierigkeiten für die entstehende christliche Theologie. In diesem anfangs innerjüdischen Diskurs über Person und Sendung des Juden Jesus aus Nazaret griffen die ersten christlichen Theologen auf die prophetischen Traditionen des Judentums zurück. In diesen fand sich verschiedentlich die Ablehnung prophetischer Verkündigung durch „das Volk“, nicht zuletzt im Buch Jesaja, das am häufigsten zur Deutung von Gestalt und Geschick Jesu herangezogen wurde und neben den Psalmen zu dem biblischen Buch avancierte, das in den urchristlichen Schriften am meisten zitiert wurde. Die Ablehnung der Botschaft Jesu konnte analog zur Erfolglosigkeit der Verkündigung Jesajas aufgefasst und mit Hilfe der Verstockungstheorie erklärt werden. Auf dieser Linie dachte als erster Paulus,229 der dafür allerdings nicht Jes. 6,9 f. heranzog, sondern die theologisch weniger proble229 Näheres dazu bei Evans, ebd. 81–89.
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matischen Aussagen zur Verstockung des jüdischen Volkes in Dtn. 29,3 und Jes. 29,10 (Röm. 11,7 f.; vgl. 2 Kor. 3,14). Dezidiert mit Jes. 6,9 f. argumentierten allerdings die Verfasser der Evangelien und der Apostelgeschichte. Am deutlichsten wird diese historische Perspektive und ihre theologische Deutung am Schluss der Apostelgeschichte, der zugleich den programmatischen Schlusspunkt unter das lukanische Doppelwerk setzt.230 Nach dieser Darstellung lassen sich in einer Diskussion mit führenden Leuten der jüdischen Gemeinde in Rom (Apg. 28,17–28) einige Juden von Paulus überzeugen – was wohl im Sinne einer Bekehrung zu verstehen ist231 –, andere nicht (28,24); ihre Uneinigkeit kommentiert Paulus mit einem wörtlichen und vollständigen Zitat von Jes. 6,9 f. in der Fassung der Septuaginta (28,25–27).232 Der Unglaube einiger Juden wird durch dieses Arrangement generalisiert zum Unglauben „der“ Juden, redet der Jesajatext in der Septuagintaversion doch allgemein von „diesem Volk“, das nicht „hört“ etc. und sich nicht bekehrt, und im anschließenden Satz wird daraus der generalisierende Schluss gezogen, dass das „Heil Gottes“ zu den nicht-jüdischen „Völkern“ „gesandt“ wird und diese „hören“ werden (28,28, wobei ignoriert wird, dass diese das weder alle noch geschlossen tun). In diesem Text steckt die Erfahrung der ersten Christen, dass die christliche Verkündigung von den meisten Juden abgelehnt wurde, gleichzeitig jedoch unter NichtJuden zunehmend erfolgreich war. Eine Erklärung für diesen schwer verständlichen Sachverhalt lieferte das biblische Motiv der Verstocktheit laut Jes. 6,9 f. LXX: Das Verhalten des Volkes Israel gegenüber der christlichen Verkündigung entspreche seinem Verhalten gegenüber der prophetischen Verkündigung; Israel erweise sich der Botschaft Jesu gegenüber als genauso „verstockt“ wie gegenüber der Botschaft Jesajas.233 Dieselbe Funktion hat dieser Jesajatext im Johannesevangelium (Joh. 12,37–43). Auch in diesem geht es im Abschluss der ersten Teils des Evan230 Siehe Gnilka, Verstockung 130–154; Evans, ebd. 120–123; ferner Pesch, EKK V/2, 309 f. 231 Die Gründe dafür bei Sellner, Heil Gottes 372 Anm. 46. 232 Die einzigen minimalen und sachlich unerheblichen Abweichungen vom Septuagintatext bestehen darin, dass der Anfang leicht umformuliert ist: „Geh zu diesem Volk und sage“ etc. und dass ayÆtv Ä n hinter dem ersten kaiÁ toiÄw vÆsiÂn in Jes. 6,10 fehlt (p. 408 Nestle/Aland27). 233 Sellner, Heil Gottes 373–375. Dieses Verhalten „der“ Juden wird damit nicht als heilsgeschichtliche Fügung erklärt: pace Evans, To see and not perceive 127, und Luz, EKK I/2, 314, für das Matthäusevangelium. Karrer, Verstockungsmotiv 267–271 (übernommen von Sellner, ebd. 376–378), trägt seine falsche Annahme, Jes. 6,9 f. münde in eine Heilszusage (siehe oben S. 52 Anm. 226), in den Text von Apg. 28,25–27 ein. Sein abschließendes Statement gegen einen damit begründeten Antijudaismus des lukanischen Doppelwerks – der aus dieser Stelle nicht folgt, auch wenn man Jes. 6,9 f. in eine Unheilsaussage münden sieht – ist gewiss richtig, doch leidet seine Argumentation daran, dass er auf eine historische Einbettung verzichtet.
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geliums bzw. der öffentlichen Wirksamkeit Jesu in einer Reflexion des Verfassers um den „Unglauben“ „der“ Juden zur Zeit Jesu und in seiner Gegenwart (12,37), von denen freilich einige der führenden Leute doch zum Glauben an Jesus kamen, ohne diesen aber aus Angst, aus der Synagogengemeinde ausgeschlossen zu werden, offen zu bekennen (12,42 f.). Der „Unglaube“ wird so erklärt, dass er in Jes. 53,1 (zitiert in der Septuagintafassung) vorhergesagt sei und Gott diese Vorhersage verwirklicht habe, wie aus Jes. 6,10 hervorgehe (12,38–40). Das Johannesevangelium bietet dabei eine eigenständige, freie Formulierung dieses Verses, die darauf hinausläuft, dass Gott die Verblendung und Verstockung mit dem Ziel des Ä n toy Á w oÆfualmoy Á w kaiÁ Nicht-Sehens etc. herbeiführte: TetyÂflvken ayÆtv eÆpvÂrvsen ayÆtv Ä n th Á n kardiÂan, Ïina mh Á Íidvsin toiÄw oÆfualmoiÄw kaiÁ nohÂsvsin th Äì kardiÂaì kaiÁ strafv Ä sin kaiÁ iÆaÂsomai ayÆtoyÂw.234 Mit dem Akzent darauf,
dass Gott die Verstockung verursacht, steht diese Wiedergabe zwar nicht sprachlich – da erinnert manches an die Septuagintaversion –, aber inhaltlich näher an der hebräisch-masoretischen Fassung als an der griechischen in der Septuaginta und der aramäischen im Targum. Sie stellt damit die Ablehnung der Botschaft Jesu durch „die“ Juden (die in Joh. 12,42 f. freilich relativiert wird) als von Gott produzierten Unglauben dar.235 In den synoptischen Evangelien ist Jes. 6,9 f. im selben Sinn benutzt, allerdings mit einer bestimmten Parabeltheorie verknüpft: Zweck des Redens Jesu in Gleichnissen, apokalyptisch verstanden als „Rätselrede“, sei die
234 Joh. 12,40 (p. 293 Nestle/Aland27). Der finale Ïina mhÂ-Satz und damit die Verneinung reichen bis ayÆtoyÂw; so richtig Schnackenburg, Schriftauslegung 174 (bzw. 150); ders., HThK IV/2, 519, und Menken, Schriftgebrauch 208, der, ebd. 206 f. (mit anderen Auslegern, etwa Schnackenburg, Schriftauslegung 150–152), in Jesus das Subjekt von iÆaÂsomai sieht (das ergibt sich aus der Form des Zitats, in dem das Subjekt der Verben von der 3. Person in die 1. Person wechselt, im Duktus des Johannestextes), dessen Handeln (hier: nicht heilen) dem Handeln Gottes (hier: verstocken) konform gehen muss; ebenso Kühschelm, Verstockung 30. 193, der, ebd. 194 f., im Finalsatz einen ironischen Tonfall meint wahrnehmen zu können, der dem Ernst der Thematik freilich nicht angemessen ist. Anders etwa Wengst, Theologischer Kommentar zum Neuen Testament 4/2, 75 f., und Obermann, Erfüllung der Schrift 235–255, der Jesus als Subjekt einer im Futur iÆaÂsomai zum Ausdruck kommenden eschatologischen Wende sieht (ebd. 249 f.) und einen „heilenden Jesus“ einem „verstockenden Gott“ gegenüberstellt (ebd. 245), ohne die markionitische Färbung eines solchen Gedankens, der dem Vater-Sohn-Verhältnis im Johannesevangelium gänzlich zuwiderläuft, wahrzunehmen; die von ihm diskutierten logischen Probleme (ebd. 242–246) sind eine Folge dieser Fehlinterpretation. 235 Siehe dazu Evans, Function 133–137; ders., To see and not perceive 129–135. Eine Anspielung auf Jes. 6,9 steckt möglicherweise in Joh. 9,39, doch steht dahinter wohl eher Jes. 29,10. Röhser, Prädestination und Verstockung 238–243, verkehrt mit einer widersprüchlichen Auslegung (bes. ebd. 238) die Logik des Zitats von Jes. 6,10 im Johannesevangelium in ihr Gegenteil.
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Verstockung des Volkes. Dieser auf den ersten Blick merkwürdig anmutende Gedanke lässt sich vielleicht in folgender Weise verständlich machen.236 Jesus stieß mit seinem Tun und Reden auf Akzeptanz und Ablehnung oder im Blick auf die in Rede stehende Gleichnistheorie formuliert: auf Verständnis und Unverständnis. Manche Leute verstanden seine Gleichnisse, manche nicht. Mittels einer in der jüdischen Tradition gängigen Denkfigur ließ sich diese Tatsache so auffassen, dass beides von Gott gegeben werde: das Verstehen wie das Nicht-Verstehen.237 Eine solche Vorstellung scheint im frühesten Christentum vorhanden gewesen zu sein, wie aus der Logienquelle Q hervorgeht,238 und konnte erklären helfen, weshalb manche Leute die Gleichnisse Jesu nicht verstanden: Gott ist es, der das Verstehen schenkt – und er ist auch die Ursache für das Nicht-Verstehen. Gleichsam als Schriftbeweis dafür konnte die Verstockungstheorie der jüdischen heiligen Schriften aufgegriffen und auf das Reden Jesu in Gleichnissen angewendet werden, was klar im Matthäusevangelium zum Ausdruck gebracht ist: Auf die Frage der Jünger, weshalb Jesus zu der Menschenmenge in Gleichnissen rede, antwortete er: „Weil es euch gegeben ist, die Geheimnisse des Himmelreichs zu erkennen; jenen aber ist es nicht gegeben“ (Mt. 13,11),239 und im Sinne eines Erfüllungszitates wird dazu vollständig (ohne die Redeeinleitung) und korrekt die Septuagintafassung von Jes. 6,9 f. zitiert (13,14 f.).240 Weil hier gesagt wird, dass es um Erkenntnis geht (13,11: gnv Ä nai), und weil ausdrücklich der Gegensatz zwischen denen, denen das Verstehen geschenkt wird, und denen, denen es nicht geschenkt wird, hervorgehoben wird, ist diese Fassung verständlicher als die zugrundeliegende, grundsätzlich aber wohl ebenso gemeinte Perikope im Markusevangelium, in der Jesus, gefragt nach den Gleichnissen, sagt: „Euch ist das Geheimnis der Gottesherrschaft gegeben. Jenen aber, die draußen sind, geschieht alles in Rätseln, damit (Ïina) sie zwar sehend sehen und doch nicht sehen und hörend hören und doch nicht verstehen, damit (mhÂpote) sie nicht umkehren und ihnen vergeben werde“ (Mk. 4,11 f.).241 236 Siehe die Ausführungen zum Markus- und zum Matthäusevangelium bei Gnilka, Verstockung 23–115; Evans, ebd. 91–113. 237 Vgl. beispielsweise Ex. 4,11: „Wer hat dem Menschen den Mund gegeben, und wer macht taub oder stumm, sehend oder blind? Doch wohl ich, der Herr!“ 238 Q 10,21 und 10,22 (aus Lk. 10,21 f. par. Mt. 11,25–27); Text mit Übersetzung bei Hoffmann/Heil, Spruchquelle 58 f. 239 Übersetzung: Luz, EKK I/2, 299. 240 Wie in Apg. 28,27 fehlt lediglich ayÆtv Ä n hinter dem ersten kaiÁ toiÄw vÆsiÂn in Jes. 6,10. Weil ein Zitat nach der Septuaginta im Matthäusevangelium ungewöhnlich ist, hält Gnilka, Verstockung 104 f.; ders., Verstockungsproblem 119. 127, das Zitat von Jes. 6,9 f. in Mt. 10,14 f. für interpoliert. Die Gründe dafür, dass es doch echt ist, bei Luz, ebd. 301 f. 241 Übersetzung: Gnilka, EKK II/1, 162. Die Wendung: „geschieht alles in Rätseln“ ist
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Der Zweck der „Rätsel“ (parabolaiÂ) ist nach diesem Text das Verhindern von Verständnis, Umkehr und Vergebung. Auch wenn die sprachliche Fassung dieser verkürzten Wiedergabe von Jes. 6,9 f. Ähnlichkeiten mit der aramäischen Version im Targum aufweist,242 steht sie insgesamt doch dem hebräischen Text nahe, insofern die Konjunktionen Ïina und mhÂpote in finalem Sinn aufzufassen sind. Sinn der Gleichnisse Jesu, die für „die draußen“ „Rätselreden“ sind, ist demnach die Verhüllung der Wahrheit, ist das Verhindern von Bekehrung und Vergebung. Alle anderen Verständnisweisen dieser Konjunktionen243 sind nichts anderes als Versuche, dem aufgrund dieser Zuspitzung anstößigen Text einen akzeptableren Sinn abzugewinnen.244 Er muss aber nicht durch abschwächende Interpretation seiner Vokabeln entschärft werden, sondern findet einen plausiblen Sinn im Kontext des gesamten Markusevangeliums. Dessen Parabeltheorie steht nämlich im Zusammenhang mit dem „Messiasgeheimnis“.245 Gemäß dieser Großtheorie des Markusevangeliums wird, stark verkürzt gesagt, die Bedeutung Jesu vor seiner Auferstehung nicht verstanden, auch von den Jüngern nicht (s.u.); dieses Unverständnis führt zum Tod Jesu und ist nötig, um durch die Auferstehung, und zwar erst durch diese, Verstehen zu ermöglichen. Erst im Wissen um die wahre Bedeutung Jesu erschließt sich der Sinn der Gleichnisse von der Gottesherrschaft. Das Nicht-Verstehen musste also gleichsam sein. In den Bahnen alttestamentlicher Traditionen wird dieses Nicht-Verstehen im Markusevangelium öfter als „Verstocktheit“ erklärt (Mk. 6,51 f.;
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im Sinne von: „wird alles zu Rätseln“ als Eintreten eines Zustands zu verstehen: ebd. 163. Wie im Targum stehen die Verben in Mk. 4,12 in der dritten Person (nicht in der zweiten wie in der Septuaginta) und im Indikativ (nicht im Imperativ wie im Hebräischen) und ist im Schlusskolon ein Verb gewählt („vergeben“ statt „heilen“), das der aramäischen Wiedergabe entspricht: kaiÁ aÆfeuhÄì ayÆtoiÄw (p. 99 Nestle/Aland27); letzteres erinnert formal an die griechische Version von Jes. 6,10 bei Symmachus (siehe oben S. 52 Anm. 225). Ein Unterschied zum hebräischen und griechischen Text besteht ferner darin, dass das Sehen vor das Hören gestellt ist: Gnilka, Verstockung 16; Evans, Function 126 f.; ders., To see and not perceive 91 f. Diskutiert bei Gnilka, ebd. 45–50; Evans, Function 127–133; ders., To see and not perceive 92–99: Ïina im Sinne von Ïina plhrvuhÄì als nicht zum Zitat gehörende Einleitung eines Erfüllungszitates (womit sich freilich, worauf Evans, ebd. 94, zu Recht hinweist, kein sachlicher Unterschied zu einem finalen Ïina ergibt) und mhÂpote wie bei den Rabbinen in der Bedeutung „wenn nicht“ oder „bis“, also mit der abschließenden Verheißung von Vergebung bei Reue; Ïina kausal und mhÂpote wie im Targum im Sinne von „vielleicht“, „es sei denn, dass“; Ïina konsekutiv; Ïina explikativ (vgl. Gnilka, EKK II/1, 166 Anm. 23 und 24). So richtig Evans, ebd. 95 f. Die Ausführungen von Gnilka, Verstockung 80–83, sind nicht konsistent, sondern schwanken implizit zwischen einem kausalen und einem finalen Verständnis. Näheres dazu in den Exkursen bei Gnilka, EKK II/1, 167–172.
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8,17 f., hier mit Jer. 5,21), und an der oben zitierten Stelle wird der Sinn der Gleichnisreden Jesu eben dahingehend erläutert, dass solches Nicht-Verstehen mit diesen „Rätselreden“ absichtlich herbeigeführt werden soll. Sollte das Logion in Mk. 4,11 f., wofür einiges spricht, auf Jesus selbst zurückgehen,246 dann könnte man es möglicherweise dahingehend deuten, dass sich schon Jesus selbst das Unverständnis, das seine Botschaft bei vielen Leuten hervorrief, wie Jesaja die Ablehnung seiner Verkündigung mit der Verstocktheit des Volkes erklärte und diese, weil er die Geschichte und darin sein eigenes Erleben im Sinne jüdischer Geschichtsdeutung als vom göttlichen Willen gelenkt interpretierte, als von Gott absichtlich herbeigeführt auffasste. So schwer verständlich diese Passage im Markusevangelium, an der zum ersten Mal in einem christlichen Text auf den Verstockungsauftrag in Jes. 6,9 f. zurückgegriffen wird, auch bleibt – weshalb sie zu den meist diskutierten Texten in den synoptischen Evangelien gehört –, lassen sich aus ihr und aus ihrer weiteren urchristlichen Verwendung doch einige aufschlussreiche Erkenntnisse gewinnen. So ergibt sich, dass im Markusevangelium die Problematik, in deren Rahmen das Verstockungsmotiv im frühesten Christentum herangezogen wurde, nämlich die Ablehnung Jesu durch den Großteil des Judentums, als bis in den ältesten Jüngerkreis zurückreichendes Problem dargestellt wird. Sollte das Logion in Mk. 4,11 f. auf Jesus zurückgehen, hätte sogar Jesus selbst dieses Problem bereits thematisiert. In der Darstellung des ältesten Evangeliums jedenfalls stößt Jesus immer wieder auf das Unverständnis auch der Jünger (vgl. Mk. 4,13; 6,52; 8,14–21; 9,32), das sich erst nach der Auferstehung in Verständnis wandelt (Mk. 15,39, im Präteritum: „Wahrhaftig, dieser Mensch war Gottes Sohn“). Die beiden vom Markusevangelium abhängigen Synoptiker haben dieses Unverständnis der Jünger ganz oder doch weitestgehend getilgt. Auch das Matthäusevangelium erklärt das Nicht-Verstehen mit dem Verstockungsmotiv, doch ist es peinlich darauf bedacht, solches Nicht-Verstehen von den Jüngern fernzuhalten – sie sind darin nie unverständig (vgl. etwa Mt. 13,51; 16,12; 17,13) und dürfen schon in Mt. 14,33 sagen: „Wahrhaftig, du bist Gottes Sohn“; auch kennt es nicht mehr die Vorstellung einer Verstockung durch Gott oder durch die Gleichnisse Jesu, sondern ist – ganz im Sinne der Septuagintafassung von Jes. 6,9 f. – die schon vorhandene Verstocktheit die Ursache für das Nicht-Verstehen; in der Paraphrase von Mk. 4,12 in Mt. 13,13 ist der Text charakteristischerweise so umgestaltet, dass das finale Ïina durch ein kausales oÏti ersetzt und der Text von Jes. 6,9 f. dahingehend verändert ist, dass er inhaltlich den theologisch unproblematischeren
246 Gnilka, Verstockung 198–205 (anders: ders., EKK II/1, 167); Evans, To see and not perceive 103–106.
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Verstockungsaussagen in Jer. 5,21 und Ez. 12,2 entspricht.247 In der sehr knappen Paraphrase von Jes. 6,9 f. auf der Basis von Mk. 4,12 im Lukasevangelium ist zwar die schwer verständliche Gegenüberstellung von „Geheimnissen des Gottesreiches“ und „Gleichnissen“ sowie die finale Verknüpfung zwischen Gleichnisreden und Verstockung aus dem Markusevangelium gewahrt: „Euch ist es gegeben, die Geheimnisse des Gottesreiches zu erkennen, den übrigen aber in Gleichnissen, damit (Ïina) sie sehend nicht sehen und hörend nicht verstehen“ (Lk. 8,10).248 Wie im Matthäusevangelium ist hingegen explizit von „Erkennen“ die Rede und gibt es kein NichtVerstehen der Jünger.249 Weil das Lukasevangelium keine Theorie von Gleichnissen als Mittel der Verhüllung kennt, erscheint dieser Vers als Traditionsgut, das im Gleichniskapitel nur ganz kurz abgehandelt wird, weil der Verfasser Jes. 6,9 f. anders verwendet und deshalb erst am Schluss der Apostelgeschichte ausführlich darauf rekurriert (s.o.).250 Im Matthäus- wie im Lukasevangelium ist damit das Faktum des Unverständnisses gegenüber der Botschaft Jesu nicht mehr als Problem auch unter seinen Gefolgsleuten präsent, sondern – vorgeprägt im Markusevangelium in der starken Unterscheidung zwischen „euch“, den Anhängern, und denen, „die draußen sind“ (Mk. 4,11) – nur noch als Verstehen bei den einen, in der ingroup, und Nicht-Verstehen bei anderen, in der outgroup; für das gesamte Matthäusevangelium ist „der Gegensatz von verstehenden Jüngern und verstocktem Volk von außerordentlicher Bedeutung“ (stark betont etwa in Mt. 13,16 f.).251 In der Apostelgeschichte und im Johannesevangelium ist diese Konstellation noch deutlicher in Richtung einer Dichotomie zwischen Juden als Gegnern und Nicht-Juden („Heiden“) als Anhängern Jesu verschoben, wobei freilich beiden Schriften noch völlig bewusst ist, dass es anfangs auch und gerade unter Juden nicht wenige Anhänger Jesu gab. Gleichwohl zeichnet sich in ihnen die Opposition zwischen (nicht-jüdischen) Christen und
247 Gnilka, Verstockung 93; ders., Verstockungsproblem 120; Evans, ebd. 110. Zu Jer. 5,21 und Ez. 12,2 siehe oben S. 49 Anm. 212. Wie Luz, EKK I/2, 299 mit Anm. 3 (vgl. ebd. 314), kai im letzten Kolon von Jes. 6,10 bzw. Mt. 13,15 als Einleitung zu einem selbstständigen Satz aufzufassen – „und ich werde sie heilen“ –, überzeugt deshalb nicht, weil das nicht zum scharfen Kontrast (so Luz, ebd. 314) in den folgenden Sätzen Mt. 13,16 f. passt und der Jesajatext damit in Richtung auf eine schließlich doch erfolgende Rettung abgeschwächt wird, die der ursprüngliche Text, wie oben gezeigt, auch in der Septuagintafassung nicht beinhaltet. 248 Die Wiedergabe von Ïina mit „denn sie sollen“ bei Bovon, EKK III/1, 403, trifft zwar den Sinn, könnte aber prägnanter sein. 249 Evans, To see and not perceive 115–120. 250 Gnilka, Verstockung 119–129. Siehe auch Bovon, EKK III/1, 406. 413 f. 251 Gnilka, ebd. 89; vgl. ebd. 94–102; ders., Verstockungsproblem 122–127. Ebenso: Luz, EKK I/2, 300 f. 311 f. 315.
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Juden ab. Was ursprünglich Unglaube „von“ Juden war, wurde zunehmend als Unglaube „der“ Juden aufgefasst.252 Das Motiv der Verstockung bzw. der Verstocktheit als biblische Erklärung für Unverständnis und Ablehnung wandert in diesen Verschiebungen der Konstellation gleichsam mit und entwickelt sich dabei allmählich zum generalisierenden, antijüdischen Motiv von der Verstocktheit „des“ jüdischen Volkes, mit dem in einem von theologischen Prämissen strukturierten Geschichtsbild dessen „Unglaube“ (aus christlicher Sicht) verständlich gemacht werden soll. Der Wortlaut der in den ersten christlichen Texten jeweils zitierten Fassungen von Jes. 6,9 f. ist für diese Geschichte von untergeordneter Bedeutung. Wenn sich das Johannesevangelium enger an den Sinn des hebräischen Textes hält, wenn das Markusevangelium gemeinsame Züge mit dem Targum aufweist und wenn im Matthäusevangelium und in der Apostelgeschichte die Septuaginta zitiert wird, dann zeigt das nur an, dass das Christentum zu Beginn ein Teil des aramäisch und/oder griechisch sprechenden Judentums war und sich auf die heiligen Texte Israels in hebräischer oder aramäischer Sprache, meist aber in der griechischen Übersetzung der Septuaginta bezog. Diese verschiedenen Textgrundlagen bedingten zwar Unterschiede in der Färbung des Verstockungsmotivs: Im Markus- und im Johannesevangelium, ebenso im von Markus abhängigen Lukasevangelium, ist es Gott, der absichtsvoll verstockt, und ist die Verstockung Zweck des göttlichen Handelns bzw. der Gleichnisreden Jesu. Im Matthäusevangelium hingegen und in der Apostelgeschichte ist das Volk bereits verstockt und ist diese Verstocktheit Ursache für das Nicht-Verstehen der Gleichnisreden Jesu bzw. für die Ablehnung seiner Botschaft. Trotz dieser Unterschiede in der spezifischen Denkfigur der Aussage von Jes. 6,9 f., die als solche theologisch von erheblicher Relevanz ist, bewegt sich die Verwendung dieser Verse im allgemeineren Kontext dieser urchristlichen Schriften inhaltlich insgesamt doch auf der Linie eines theologisch entschärften Jesajatextes. In allen christlichen Verwendungen von Jes. 6,9 f. geht es nie darum, dass Gott sein ganzes Volk, also alle, an die er sich wendet, ohne Ausnahme ins Nicht-Verstehen und ins Verderben führt. Der weitere Rahmen ist vielmehr immer der, dass ein Teil des Volkes versteht, umkehrt und glaubt und ein Teil des Volkes nicht.253 Die konkrete Identifizierung beider Teile verschiebt sich, wie gezeigt, in der Darstellung der Texte mit der darin jeweils reflektierten his252 Der Satz: „... jene, die zur Zeit Jesu die Annahme der Botschaft verweigerten, die Juden“ bei Gnilka, EKK II/1, 165, ist daher sehr unsauber und historisch falsch. Auch von einer pauschalen „Erfolglosigkeit des Wirkens Jesu in Israel“ (so ebd. 166) kann historisch keine Rede sein. Kühschelm, Verstockung 195 f., interpretiert Joh. 12,37–43 zu Recht als Ausdruck gegenwärtiger Erfahrungen der johanneischen Gemeinde. 253 Evans, To see and not perceive 100 f.
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torischen Situation, an keinem Punkt der geschichtlichen Entwicklung aber geht es um eine totale Verwerfung, sondern gibt es immer einen „Rest“, der versteht, sich bekehrt und glaubt. In den urchristlichen Schriften treffen wir damit in diesem Zusammenhang auf eine Anwendung bzw. Fortschreibung der nachexilischen jüdischen Theologie vom „Rest“, der gerettet wird.254 Das entspricht der Interpretation von Jes. 6,9 f. im Targum, dem die Fassung in Mk. 4,12 sprachlich nahesteht (und die wohl auf den aramäisch sprechenden Jesus selbst zurückgeht, der also möglicherweise seinerseits in solchen Bahnen dachte), und das entspricht zum Beispiel der Auffassung von Jes. 6,9 f. in Qumran (s.o.). Als im Zuge der fortschreitenden Trennung der Christen von den Juden das Verstockungsmotiv tendenziell auf das Volk Israel als ganzes angewandt zu werden begann, lebte diese theologische Tradition in der nunmehr neu akzentuierten Form weiter, dass Gott sein Volk nicht völlig vernichtete – womit er nach antiker Auffassung ein Gott ohne Volk geworden wäre, was ein unsinniger Gedanke ist –, sondern sich, ausgehend von dem „Rest“ der Juden, der aus christlicher Sicht Gott treu blieb, ein „neues Volk“ schuf, ein „neues Israel“ aus „Juden und Heiden“ (sehr schnell allerdings nur noch aus „Heiden“), als das sich die christliche Kirche dann zu verstehen begann. In dieser Konstellation galten die Gegner des Gottesvolkes als verstockt, aus christlicher Sicht vor allem die Juden. Das ist prinzipiell keine andere Konstellation und Exegese als die im Targum, in dem Jes. 6,9 f. unter anderem so aufgefasst wurde, dass man die Feinde Israels für verstockt hielt (s.o.). Derartige Oppositionen sind prinzipiell offen für verschiedene Konkretionen. Das eigentliche theologische Problem der spezifischen Denkfigur von Jes. 6,9 f. war in allen diesen Adaptionen nicht virulent, sondern wurde dadurch umgangen, dass man die Verse auf der Ebene des Endtextes des Jesajabuches las und, in welcher sprachlichen Fassung auch immer, im Sinne der übrigen, theologisch weniger anstößigen Verstockungsaussagen in dieser und in anderen Schriften des Alten Testaments verstand, und zwar in dem Sinn, dass es immer einen je verschieden identifizierten Teil des Gottesvolkes gab, der von Unverständnis und Versto-
254 Die Verwendung von Jes. 6,9 f. in den ersten christlichen Schriften von der nachexilischen Theologie des „Restes“ her zu verstehen entspricht sowohl den Texten als auch der komplexen historischen Entwicklung besser als die mittlerweile überholte Substitutionstheorie, mit der noch Gnilka, EKK II/1, 166, operierte, wenn er das Zitat von Jes. 6,9 f. in Mk. 4,11 f. so erklärte: „Im Markus-Kontext jedoch wird unter Israels Geschichte ein Schlussstrich gezogen. Die Vergebung ist verwirkt. An Israels Stelle ist die Gemeinde Jesu getreten, deren Kern die Zwölf sind.“ Eine solche Darstellung verkennt, dass „die Gemeinde Jesu“ zur Zeit Jesu ebenso wie „die Zwölf“ aus Juden bestand. Dem Verfasser des Markusevangeliums war das noch bewusst.
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ckung, in welchem Kausalzusammenhang auch immer diese gedacht wurde, nicht betroffen war. Die urchristliche Rezeption des Verstockungsauftrags in Jes. 6,9 f. bietet damit ein kleines, aber aussagekräftiges Beispiel dafür, in welch komplexem Prozess sich die Verkündigung Jesu und der ersten Christen zunächst innerhalb des Judentums, dann zunehmend aus diesem heraus entwickelte und wie stark dieser Trennungsprozess von den ersten Christen theologisch unter Rückgriff auf die jüdische Bibel reflektiert wurde.
d) Das Verstockungsmotiv in der altkirchlichen Theologie Die antiken christlichen, griechisch- wie lateinischsprachigen Theologen schrieben die in diesen biblischen Texten vorgezeichneten Interpretationen fort. Das gilt zum einen für den Text von Jes. 6,9 f., der zwar mit Varianten im Vokabular, doch immer mit den Verbformen und im Sinn der Septuaginta zitiert wurde; Jes. 6,10 wurde durch gaÂr bzw. enim als Begründung an 6,9 angeschlossen, die Verstocktheit also als schon vorhanden verstanden.255 Auch Origenes griff die Verse mehrmals wörtlich in dieser Form auf und gab sie so wieder, dass er Jes. 6,9 ganz oder fast ganz, 6,10 hingegen abgeÁ synh Ä te, kaiÁ bleÂpontew bleÂcete kaiÁ kürzt zitierte: ÆAkohÄì aÆkoyÂsete kaiÁ oyÆ mh oyÆ mh Á Íidhte. ÆEpaxyÂnuh ga Á r hë kardiÂa toy Ä laoy Ä toyÂtoy.256 Die vollständige lateinische Version von Jes. 6,9 f. in der sechsten Jesajahomilie entspricht exakt diesem griechischen Septuagintatext: Vade, et dic populo: Aure audietis et non intelligetis, et videntes cernetis et non videbitis. Incrassatum est enim cor populi huius, et auribus graviter audierunt et oculos clauserunt, ne quando videant oculis et auribus audiant et corde intelligant et convertantur et sanem eos.257 Hieronymus hat demnach die von Origenes verwendete und kommentierte Fassung getreu wiedergegeben. Das ist insofern nicht ganz trivial, als sich Hieronymus Jahre später, als er (wohl um 391) das Buch Jesaja in das Lateinische übersetzte, an der hebräischen Textfassung orientierte: Et dixit: Vade, et dices populo huic: Audite audientes et nolite intellegere, et videte visionem et nolite cognoscere! Excaeca cor populi huius et aures eius adgrava et oculos eius claude, ne forte videat oculis suis et auribus suis audiat et corde suo intellegat et convertatur et sanem eum!258 Die Vulgata bietet 255 Textbeispiele bei Evans, To see and not perceive 147–153; Zitate aus der Vetus Latina ebd. 219 Anm. 13. 256 So jeweils bei Origenes, Cels. II 8 (GCS Orig. 1, 134); in Hier. hom. 14,12 (GCS Orig. 32, 117); 20,2 (32, 179), an letzteren beiden Stellen zusätzlich eingeleitet mit: (poreyÂuhti kaiÁ) eiËpon tv Äì lav Äì toyÂtvì bzw. eÆkeiÂnvì . Ein Kurzzitat bzw. summary bietet er in Ioh. comm. II 178 (GCS Orig. 4, 86); in Matth. comm. XVI 9 (GCS Orig. 10, 502); in Ex. hom. 7,5 (GCS Orig. 6, 211). 257 In Is. hom. 6,3 (GCS Orig. 8, 271). 258 Jes. 6,9 f. Vulg. (p. 1103 Weber/Gryson) mit hinzugefügten Satzzeichen.
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damit das einzige Beispiel im altkirchlichen Schrifttum, in dem Jes. 6,9 f. nicht nach der Septuaginta, sondern nach dem Hebräischen wiedergegeben ist.259 Diese gleichsam härtere Version des Verstockungsauftrags war für die christliche Theologie allerdings nicht so problematisch, weil er meist antijüdisch gelesen wurde. Möglicherweise wählte Hieronymus diese Übersetzung daher nicht nur aus philologischen Gründen, sondern bereitete sie ihm auch theologisch keine Probleme.260 In dem knapp zwei Jahrzehnte nach der Übersetzung des Jesajabuches verfassten Kommentar hat Hieronymus die hebräische und die griechische Version (jeweils in lateinischer Übersetzung) miteinander verglichen und dabei die Septuagintafassung als leicht (secundum LXX facilis interpretatio est), die hebräische hingegen als schwer verständlich (in Hebraico difficultas est) eingestuft; als Erklärung vermochte er jedoch nicht mehr beizubringen als Zitate aus Röm. 11, die er ohne weitere Erläuterung ausschrieb.261 Das war das für ihn typische Vorgehen: Hieronymus versuchte theologischen Problemen nicht – wie etwa ein Origenes oder ein Augustinus (s.u.) – mit systematischer Reflexion beizukommen, sondern mit Bibelzitaten. Die theologische Schwierigkeit des Textes an sich war den christlichen Theologen meist nicht bewusst, weil diese in der Septuagintafassung schon beseitigt war. Vielmehr wurde er in der Regel als Erklärung dafür herangezogen, weshalb „die“ Juden Jesus abgelehnt hatten und das Christentum weiterhin ablehnten. Umgekehrt galt die jüdische Ablehnung Jesu den altkirchlichen Theologen als Beweis für die Erfüllung der Schriften, hier der Ankündigung der Uneinsichtigkeit des Volkes Israel durch den Propheten Jesaja (durch die futurischen Verbformen in der Septuagintafassung von Jes. 6,9), die von dessen Verstocktheit schuldhaft verursacht sei (durch den kausalen Anschluss von Jes. 6,10 an 6,9). Dabei wurde pauschal antijüdisch vom „Unglauben“ „der“ Juden geredet, nicht mehr wie in den urchristlichen Schriften differenziert.262 Die seit dem 2. Jahrhundert weitgehend vollzogene Trennung der Christen, die sich nunmehr nahezu ausschließlich aus Nicht-Juden rekrutierten, von den Juden führte zu einer zunehmenden Konfrontation zwi-
259 Allerdings mit Auffälligkeiten im Vokabular (visio und excaecare); zu deren Erklärung siehe Evans, Text 417 f.; ders., Jerome’s translation; ders., To see and not perceive 150–152. 260 Evans, ebd. 152 f. 261 Hieronymus, in Es. III 9 (VL.AGLB 23, 322–327, die zitierten Sätze ebd. 324). 262 Evans, To see and not perceive 159 f. Auch Johannes Chrysostomus, in Act. hom. 55,2 (PG 60, 382), bildet – pace Evans, ebd. – keine Ausnahme, weil seine Bemerkung, Jes. 6,9 f. bzw. Apg. 28,26 f. sei zu „jenen Ungläubigen“ gesprochen, sich nicht nur auf die „Ungläubigen“ unter den Juden bezieht, sondern auf alle Juden als „Ungläubige“.
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schen Judentum und Christentum. Der vielleicht älteste Text, in dem neben weiteren Verstockungstexten (Dtn. 28,28; Jes. 29,9 f.) wohl auch Jes. 6,9 f. – vermittelt durch neutestamentliche Zitate (v.a. Mt. 13,12) – zu überaus scharfer antijüdischer Polemik herangezogen wurde, ist ein christlicher Passus in den Sibyllinischen Weissagungen, der – die Datierung ist außerordentlich schwierig – in das 2./3. Jahrhundert gehören dürfte: „Und einem Trunkenen gleich kommt Israel nicht zur Besinnung, hört nicht die warnende Stimme, die Ohren durch Taubheit verschlossen; wenn aber einmal der Zorn des höchsten Gottes hereinbricht rasend auf die Hebräer und ihnen den Glauben hinwegnimmt, weil das Kind des himmlischen Herrn sie haben misshandelt, dann werden Backenstreiche und giftigen Speichel die Juden ruchlos entgegen ihm schleudern auf seine gedunsenen Lippen. Bittere Galle zur Speise und brennenden Essig zum Tranke flößen ihm ein die Unholde vom bösen Stachel getrieben, Herz und Gefühl verhärtet, von Wahne die Augen geblendet; gleich einem Maulwurfe blind, abscheulicher sind sie als Schlangen, scheußlich wie Natterngezücht: Tiefschlaf hält sie umfangen.“263 Wenn auch nicht immer so scharf und bösartig, war das doch der Tenor der christlichen Verwendungen dieser Jesajastelle: Jes. 6,9 f., oft zitiert im Rahmen der neutestamentlichen Interpretationen oder in Kombination mit ihnen, diente polemisch zur Erklärung des „Unglaubens“ „der“ Juden, der im Sinne der Septuagintaversion auf deren schuldhafte Verstocktheit zurückgeführt wurde.264 Nur gelegentlich wurde diese dem Willen Gottes zuge263 Orac. Sibyll. I 360–371 (p. 40 Gauger) im Kontext der christlichen Einfügung ebd. I 324–386 (p. 38–42); Übersetzung: p. 41 Gauger. Zur christlichen Herkunft dieser Einfügung und zu deren Datierung siehe ebd. 438 f. 264 Aus den Stellen bei Evans, To see and not perceive 153–160, seien beispielhaft genannt die Anspielungen bei Justin, dial. 12,2 (PTS 47, 89); 33,1 (47, 124); evtl. 69,4 (47, 190); ferner Tertullian, adv. Marc. III 6,5–7 (CChr.SL 1, 514 f.); V 11,9 (1, 697 f.); Cyprian, test. I 3 (CSEL 3/1, 41); syr. Didask. 26 (TU 25/2, 131) mit Mt. 13,15 f. – vgl. ebd. 21 (25/2, 109), dort jedoch ohne Jes. 6,9 f. –, aufgegriffen in const. apost. V 16,1–5 (SC 329, 262–264), wo wegen des Zitats von Jes. 53,1 weniger Apg. 28,26 f. (so der Verweis von Metzger, SC 329, 265 app. test.) im Hintergrund steht, auch wenn diese Stelle inhaltlich hierher gehört, als vielmehr Joh. 12,38–40 (so Evans, ebd. 221 Anm. 51); Eusebius, in Is. 42 (GCS Eus. 9, 42); Johannes Chrysostomus, in Is. VI 5 f. (SC 304, 280–282); Ambrosius, fid. II 15,130 (CSEL 78, 102) nach Mt. 13,15; Hieronymus, in Es. III 9 (VL.AGLB 23, 327 f.); III 10 (23, 329); in Hiez. III 12,1 f. (CChr.SL 75, 126 f.); Theodoret von Cyrus, in Is. I 3 zu Jes. 6,9 f. (SC 276, 268–270). – Möglicherweise (so Evans, ebd. 223 Anm. 73) stehen Jes. 6,9 f. und vergleichbare Verstockungstexte auch hinter einer Bemerkung
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schrieben und als Teil ihrer Bestrafung angesehen, so in einer Passage bei Irenäus, der Jes. 6,9 f. im Rahmen eines abgekürzten Zitats von Mt. 13,10–16 wiedergab – Irenäus zitierte frei Mt. 13,10–11.13–14a.15a.16 –, doch abweichend von der Textgestalt im Matthäusevangelium, in dem wörtlich die Septuaginta zitiert ist, durch die Imperative der Verben in Jes. 6,10 und durch die Einführung von Jes. 6,9 mit finalem ut (wie in Mk. 4,12 statt mit oÏti wie in Mt. 13,13) die Logik der hebräischen Fassung präsentierte.265 Auch bei solcher Verwendung des Verstockungsauftrags galt die Verstockung aber als verdiente Strafe, wurde also den Juden eine Schuld unterstellt, etwa von Tertullian: Dass die Juden in Jesus nicht den Messias (Christus) erkannten, „war die Schuld ihrer Sünden. Sie selbst lesen, wie geschrieben steht, zur Strafe seien sie der Weisheit, des Erkennens, des Dienstes der Augen und Ohren verlustig gegangen“.266
e) Prädestination und Freiheit: Das Verstockungsmotiv bei Augustinus und Origenes Ungleich elaborierter als diese Topoi waren Überlegungen zu Jes. 6,9 f., in denen die darin zum Ausdruck gebrachte Idee der Prädestination thematisiert wurde. Das tat insbesondere Augustinus im Rahmen seiner Prädestinationslehre. Nach seinem soteriologischen Konzept – dessen Beurteilung hier nicht zur Debatte steht – bilden alle Menschen eine massa perditionis, einen „Klumpen des Verderbens“, denn aufgrund der „in Adam“ von jedem einzelnen Menschen verantwortlich und schuldhaft begangenen „Ursünde“ (peccatum originale) sei die ganze Menschheit dem Untergang verfallen. Gott habe indes einige Menschen dazu vorherbestimmt, aus dem „Klumpen des Verderbens“ gerettet zu werden.267 Augustinus redete also nicht von einer Vorherbestimmung zum Bösen – das Verderben ziehe der Mensch sich durch sein Versagen selber zu –, sondern nur von einer zum Guten. Im Rahmen dieser Theorie deutete er Jes. 6,9 f. nicht so, dass die Juden dazu vorherbestimmt seien, Jesus zu verwerfen – das wisse Gott lediglich voraus,
im Koran, Sure 5,71: „Und sie (sc. die Juden) meinten, es käme keine Versuchung. Sie waren blind und taub. Hierauf wandte sich Gott ihnen gnädig zu. Dann wurden sie (wieder) blind und taub, und zwar viele von ihnen. Und Gott sieht wohl, was sie tun“; Übersetzung: A. Th. Khoury, Der Koran, Gütersloh 2004, 198. 265 Irenäus, haer. IV 29,1 (FC 8/4, 232). Anders als Brox, FC 8/4, 233 Anm. 142, weisen Rousseau u.a., SC 100, 265, zu Recht auf die hebräische Färbung dieses „Zitats“ hin. 266 Tertullian, apol. 21,16 (CChr.SL 1, 125); Übersetzung: p. 133 Becker. 267 Erstmals äußerte sich Augustinus so in div. quaest. ad Simpl. I 2,16 (CChr.SL 44, 42) von 396/97.
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und die Propheten sagten es voraus –, sondern so, dass sie nicht dazu vorherbestimmt seien, ihn anzunehmen; aus Texten wie Jes. 6,9 f. gehe hervor, dass die Juden nicht dazu bestimmt seien, die Wahrheit Jesu zu erfassen: „Die Vorherbestimmung der Heiligen ist dies und nichts anderes: das Vorherwissen nämlich und die Vorbereitung von Wohltaten Gottes, durch die diejenigen, die gerettet werden, mit absoluter Sicherheit gerettet werden. Wo aber verbleiben die übrigen, wenn nicht nach dem gerechten Urteil Gottes im Klumpen des Verderbens?“ Dies geschehe dann, „wenn sie nach einem höheren Urteil Gottes nicht durch gnadenhafte Vorherbestimmung aus dem Klumpen des Verderbens herausgenommen werden“. „In eben diesem Klumpen des Verderbens verblieben auch die Juden, die nicht zum Glauben an die so großen und herrlichen Machttaten vor ihren Augen zu gelangen vermochten“; als Ursache für den „Unglauben“ der Juden zitierte Augustinus dazu Joh. 12,37–40.268 Gott mache blind und verstockt, indem er im Stich lasse und nicht helfe; dieses Nicht-Helfen sei nicht willkürlich oder ungerecht, sondern gründe in der Gerechtigkeit Gottes, die – wie Augustinus mit dem in diesem Zusammenhang von ihm ständig zitierten Ausruf des Paulus über die Unbegreifbarkeit der göttlichen Entscheidungen (Röm. 11,33) einschärfte – dem Menschen verborgen bleibe, sein Helfen indes in seiner Barmherzigkeit.269 Obwohl Augustinus Jes. 6,9 f. dezidiert für seine Prädestinationslehre auswertete, spielte das eigentliche theologische Problem dieser Verse bei ihm doch keine Rolle. Den darin formulierten Gedanken einer von Gott ausgehenden Bestimmung des Menschen zum Verderben hat Augustinus in seinem Konzept von Prädestination gerade vermieden, weil er nicht zur Vorstellung eines gerechten und guten Gottes passt. Immerhin scheint er die Problematik dieser Stelle und vergleichbarer Aussagen gesehen zu haben. Die Prophezeiungen des Unglaubens im Jesajabuch, die diesbezügliche Blindheit des Volkes Israel (Jes. 1,3; 6,10; 29,10; 65,2), seien die gerechte Strafe für geheime Sünden, die Gott freilich kenne.270 In der Predigt über Joh. 12,37–43 sah Augustinus die Ursache für das Unvermögen der Juden zum Glauben paulinisch (vgl. Röm. 10,3) im Stolz auf die eigenen Leistungen, der ihnen als Schuld anzurechnen sei.271 In einer solchen Exegese steckt wohl die Einsicht, dass in Jes. 6,9 f. von Sünde und Schuld explizit nichts steht, doch ist Augustinus gezwungen, eine Schuld der Menschen zu postulieren, um das Handeln Gottes als gerechte Strafe und somit als rational nachvollziehbar darstellen zu können. 268 Don. persev. 35 (PL 45, 1014). Weiter unten an dieser Stelle zitierte er zudem Mt. 13,11. 269 In Ioh. ev. tract. 53,6 (CChr.SL 36, 454 f.) in einer Predigt über Joh. 12,37–43 (paraphrasiert bei Kühschelm, Verstockung 179). 270 Faust. XIII 11 (CSEL 25/1, 390 f.). 271 In Ioh. ev. tract. 53,9 (CChr.SL 36, 456).
II. Die Jesajaexegese des Origenes in den Homilien
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Wie Augustinus erörterte Origenes Jes. 6,9 f. unter anderem im Blick auf das Problem göttlicher Prädestination. Bei ihm stand die Diskussion allerdings im Kontext der Frage nach der Willens- und Entscheidungsfreiheit des Menschen.272 Im großen Kapitel über die Willensfreiheit in seiner Ä n, das in der Philokalie auf systematischen Grundlagenschrift PeriÁ aÆrxv Griechisch überliefert ist,273 diskutierte Origenes Bibelstellen, die, speziell von Gnostikern, gegen die Willensfreiheit angeführt wurden. Neben der Verstockung des Pharao (Ex. 4,21 etc.) und Stellen wie Ez. 11,19 f. und Röm. 9,16; 9,18–21; Phil. 2,13, die auch in Augustins Gnadenlehre eine zentrale Rolle spielten, kam er auf Jes. 6,9 f. zu sprechen, und zwar in der Verwendung dieser Stelle in Mk. 4,11 f. (par. Mt. 13,13–15; Lk. 8,10).274 Wie nahezu alle altkirchlichen Theologen las Origenes die Jesajastelle also durch die Brille ihrer Interpretation in den synoptischen Evangelien und in der Textfassung der Septuaginta, in der sie hinsichtlich ihrer internen Logik den anderen Verstockungstexten des Alten Testaments entspricht, weshalb Origenes sie in eine Reihe mit diesen stellen konnte. Gleichwohl hat er – wenn ich recht sehe, als einziger Kirchenvater – die spezielle Schwierigkeit der Aussage in Jes. 6,9 f. erkannt und über die Stelle daher eigens nachgedacht. Origenes zitierte Jes. 6,9 f. an der hier zur Debatte stehenden Stelle nach der Version dieser Verse im Markusevangelium, in der durch die finale Konstruktion mit Hilfe der Konjunktionen Ïina und mhÂpote die Sinnspitze des hebräischen Textes zum Ausdruck kommt: Sinn und Zweck des Redens
272 Das ist auch der Aufhänger für ein schwieriges Fragment zu Joh. 12,39 f.: Origenes, in Ioh. frg. 92 (GCS Orig. 4, 554–556): Subjekt der Verstockungsaussage in Joh. 12,40 sei „der Böse“ (oë ponhroÂw), also der „Teufel“, Subjekt der Aussage über Heilung und Bekehrung (die Origenes als vom verneinten Finalsatz abhängig auffasste; siehe auch unten S. 68 Anm. 276) müsse jedoch ein anderer sein, nämlich Jesus, wie aus den weiteren Bemerkungen hervorgeht. Manche Exegeten der Alten Kirche haben die Schwierigkeit einer Verstockung durch Gott an dieser Stelle ebenfalls damit beseitigt, dass sie im „Teufel“ das Subjekt der Verstockungsaussagen sahen: Apolinaris von Laodicea, in Ioh. frg. 87 (TU 89, 35); Cyrill von Alexandria, in Ioh. VII-VIII frg. zu Joh. 12,40 (PG 74, 96 f.); Ammonius von Alexandria, in Ioh. frg. 429. 432 (TU 89, 304). Augustinus, in Ioh. ev. tract. 53,5 (CChr.SL 36, 454), hat diese Auffassung verworfen, weil damit der Mensch seiner Verantwortung enthoben werde (siehe die Paraphrasen dieser Texte bei Kühschelm, Verstockung 178–180). Auch einige moderne Exegeten machen den „Teufel“ zum ersten Subjekt in Joh. 12,40 (Hinweise bei Kühschelm, ebd. 188 f.), allerdings von der falschen Vorraussetzung aus, dass die Aussage über Heilung (mit Subjektwechsel) nicht mehr vom verneinten Finalsatz abhänge, sondern einen positiven Neueinsatz markiere (siehe dazu oben S. 55 Anm. 234). 273 Philoc. 21 (p. 152–177 Robinson). 274 Origenes, princ. III 1,7 (GCS Orig. 5, 204–206). Die Paraphrase dieses Kapitels bei Calonne, Le libre arbitre 250–257, bleibt ganz oberflächlich.
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Jesu in Gleichnissen sei es, Einsicht, Verständnis, Bekehrung und Vergebung zu verhindern.275 Gegen mögliche Einwände gegen die Willensfreiheit, die sich daraus gewinnen ließen, „gäbe es“, meinte Origenes, „eine überzeugende Verteidigung, wenn nicht dabeistünde: ,damit sie sich nicht bekehren und ihnen vergeben werde‘, nämlich die, dass der Erlöser nicht wollte, dass die, die nicht vollkommen sein würden, die tieferen Geheimnisse verstünden, und dass er deshalb in Gleichnissen zu ihnen sprach“.276 Obwohl Origenes hier Jes. 6,9 f. in der neutestamentlichen Interpretation des Markusevangeliums aufgriff, hat er wahrgenommen, dass das Hauptproblem dieser alttestamentlichen Aussage ihr Schlusskolon ist: die explizite Verhinderung von Bekehrung und Vergebung. Ohne diese Zuspitzung würde Origenes den neutestamentlichen Text relativ einfach mit Hilfe einer Gleichnistheorie erklären, die sich von der Parabeltheorie des Markusevangeliums insofern unterscheidet, als sie mit der Unterscheidung zwischen einfachen und vollkommenen Christen operiert: Die „tieferen Geheimnisse“ seien nur vollkommenen Christen zugänglich; Gleichnisse seien „Verhüllung“ dieser Geheimnisse für einfache Christen, bis diese ihrerseits vollkommene Christen würden. So hat Origenes, die in der Grundlagenschrift reflektierte Zuspitzung ignorierend, in der sechsten und neunten Jesajahomilie Jes. 6,9 f. von Mk. 4,11 f. und Mt. 13,13–15 her erläutert und dabei betont, dass zum rechten Verständnis ein Verstehen „in geistiger Weise“ (iuxta notionem bzw. iuxta intellectum) erforderlich sei; wer nur „mit dem körperlichen Sinn“ (iuxta corpus) wahrnehme, sehe zwar ein Geschehen vor seinen Augen, verstehe aber dessen Bedeutung nicht.277 Mit dieser epistemologischen Dynamik lässt sich die Ankündigung von Verstocktheit im Rahmen einer pädagogisch-didaktischen Gleichnistheorie verständlich machen. Durch den Ausschluss von Bekehrung und Vergebung wird den Gleichnissen allerdings die propädeutische Funktion genommen, die sie im soteriologischen Denken des Origenes haben; dadurch „ist die Verteidigung schwieriger“.278
275 Ebd. 1,16 (5, 223). 276 Ebd. (5, 224); Übersetzung nach p. 521 Görgemanns/Karpp. Im griechischen Text ist gegen die Edition von Koetschau (übernommen von Görgemanns/Karpp) in der Junktur aus Mk. 4,12: mhÂpote eÆpistreÂcvsi kaiÁ aÆfeuhÄì ayÆtoiÄw vor kai kein Komma zu setzen, weil kai hier nicht einen eigenständigen Satz einleitet, der dann positiven Sinn hätte, sondern weiter von mhÂpote abhängig ist (siehe auch oben S. 52 Anm. 225, S. 57 Anm. 242 und S. 59 Anm. 247). Für die deutsche Übersetzung gilt das analog, in der die Wiedergabe von mhÂpote mit „damit nicht“ die Logik prägnanter zum Ausdruck bringt als ein schwächeres „auf dass nicht“. 277 In Is. hom. 6,3 (GCS Orig. 8, 271–274); 9 (8, 288 f.). Siehe dazu unten S. 262 Anm. 114, ferner S. 219 Anm. 45 zu ebd. 3,1 (8, 253). 278 Princ. III 1,16 (GCS Orig. 5, 224). Diese spezifische Zuspitzung des Problems kommt in den Ausführungen von Monaci Castagno, L’interpretazione 86–91. 99–101, nicht in den Blick.
II. Die Jesajaexegese des Origenes in den Homilien
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Auf der Suche nach einer Erklärung hierfür kritisierte Origenes zunächst die markionitische bzw. gnostische Argumentation, gemäß der an einer Stelle wie Jes. 6,9 f. „die Grausamkeit des Weltschöpfers sichtbar wird, sein Wille zur Rache und zur Vergeltung gegen die Schlechten, oder wie auch immer sie diese Eigenschaft nennen mögen“.279 Dass es Theologen gab, die Jes. 6,9 f. in diesem Sinne lasen, ist durch die Interpretation des Verstockungsauftrags in gnostischen Texten belegbar. In den koptischen Codices aus Nag Hammadi in Ägypten findet sich zweimal eine Wiedergabe von Jes. 6,10, im „Zeugnis der Wahrheit“ und im „Apokryphon des Johannes“. Beide Male wird der Vers als ein Text herangezogen, der das bösartige Wesen des alttestamentlichen Gottes zeigen soll, besonders im „Zeugnis der Wahrheit“: „Was ist dieser (also) für ein Gott? ... Und er sprach: Ich will ihre Herzen verhärten und ihren Verstand erblinden lassen, damit sie nicht verstehen noch begreifen, was gesagt wird. Aber (eben) das ist es, was er denen gesagt hat, die an ihn glauben [und] ihn verehren!“280 Der Text soll die gnostische Kritik am Gott Israels als „missgünstigem Neider“ demonstrieren.281 Setzt diese Interpretation ein Bewusstsein für die theologische Anstößigkeit des Textes voraus? Immerhin gibt die Formulierung die Logik der hebräischen Fassung wieder, und so könnte es sein, dass die anonymen Gnostiker, auf die diese beiden Traktate zurückgehen, einen Blick für die Problematik der Aussage in Jes. 6,9 f. hatten. Origenes lehnte eine solche Exegese allerdings ab, weil sie auf eine Abwertung des Alten Testaments zielte; es gebe nämlich auch im Neuen Testament vergleichbare Stellen – konkret die, an denen Jes. 6,9 f. aufgegriffen werde –, so dass exegetisch Altes und Neues Testament gleich zu behandeln seien.282 Der eigene Erklärungsversuch des Origenes bewegt sich, kaum überraschend, in den Bahnen der in der Rezeptionsgeschichte von Jes. 6,9 f. üblichen Deutemuster. Origenes interpretierte den Text dahingehend, dass das darin zum Ausdruck kommende, auf den ersten Blick unverständliche Handeln Gottes letztlich doch auf Heil, nicht auf Unheil ziele, sowie dahingehend, dass dieses besondere Vorgehen Gottes Strafe für frühere Sünden sei. Wie Augustinus sprach Origenes von einem „Nicht-Helfen“ Gottes, allerdings nicht im Sinne eines endgültigen „Nicht-Erlösens“, sondern im Sinne eines pädagogischen bzw. therapeutischen Aufschiebens der Hilfe, weil eine rasche Hilfe die beabsichtigte Heilung aufgrund der bleibenden 279 Ebd.; Übersetzung: p. 521 Görgemanns/Karpp. 280 NHC IX,3 test. ver. p. 48 (GCS N.F. 12, 707 in der Übersetzung von Plisch), ohne Verweis auf Jes. 6,10. Vgl. NHC II,1 (bzw. NHC IV,1; Kurzfassung: NHC III,1 bzw. BG 2) apocr. Ioh. p. 22 (GCS N.F. 8, 136). Siehe dazu Evans, To see and not perceive 160 f. 281 NHC IX,3 test. ver. p. 47 (GCS N.F. 12, 707). 282 Origenes, princ. III 1,16 (GCS Orig. 5, 224 f.).
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Uneinsichtigkeit der Geheilten gerade nicht herbeiführen würde. Ausgehend von den theologischen Axiomen der Güte und Gerechtigkeit Gottes hatte Origenes schon die Verstockung des Pharao dadurch erläutert, dass Gott damit nicht die Absicht gehabt habe zu verstocken, sondern eine gute Absicht verfolgt habe;283 näherhin erklärte er die biblische Rede von Verstockung am Beispiel des Pharao als abgekürzten Sprachgebrauch so, dass dieses Handeln Gottes eine schon vorhandene Verstocktheit zum Vorschein bringe.284 Im Rekurs darauf erklärte er Jes. 6,9 f. bzw. Mk. 4,11 f.: „Wir sagten schon, als wir über den Pharao nachdachten, dass zuweilen eine allzu rasche Therapie nicht zum Besten der Behandelten ist, falls diese aus eigener Verantwortung in Schwierigkeiten geraten sind und dann ganz leicht von diesen Schwierigkeiten befreit würden; denn sie würden das Übel als ein leicht heilbares für gering achten, sich ein weiteres Mal nicht davor in Acht nehmen hineinzugeraten und erneut in dasselbe Übel verfallen. Gott, der Ewige, der das Verborgene kennt, der ,alles weiß, bevor es geschieht‘ (Dan. 13,42), verschiebt deshalb in seiner Güte bei solchen Menschen die raschere Hilfe für sie; man könnte sagen: Sein Helfen besteht im Nicht-Helfen, weil eben dies ihnen zuträglich ist.“285 Obwohl Origenes das theologische Grundproblem der spezifischen Denkfigur des Verstockungsauftrags an Jesaja gesehen hat, ordnete er mit dieser Überlegung den Text entgegen seinem Wortlaut doch in die gängige biblische Dialektik von Unheil und Heil ein. Beim Nachdenken darüber, weshalb manchen Menschen durch ein vorübergehendes Nicht-Helfen auf lange Sicht besser geholfen werde als durch ein allzu rasches Helfen, verfiel Origenes sodann auf das zweite Erklärungsmuster für dieses Handeln Gottes: „Vielleicht ist es auch so: Sie büßten Strafen für frühere Sünden ab, die sie gegen die Tugend begangen hatten, indem sie sich von dieser entfernten, und hatten noch nicht die Zeit erfüllt, die dafür angemessen war, dass sie nach einer Zeit des Verlassenseins von der göttlichen Obsorge, in der sie sich immer mehr mit dem selbst gesäten Übel erfüllten, endlich zu einer beständigeren Reue berufen wurden, ohne Gefahr zu laufen, bald wieder zurückzufallen in das, worin sie vorher schon verfallen waren: in Frevel gegen die Würde des Guten und in die Hingabe an das Schlechte.“286 In den folgenden Gedankengängen zur Erläuterung 283 Ebd. 1,9.10 (5, 208. 209 f.). 284 Ebd. 1,8–14 (5, 206–221). Boyd, Pharaoh’s hardened heart 436–439, zeigte anhand von weiteren wichtigen Stellen, etwa einem Fragment der Exoduskommentierung in Philoc. 27,1 f. (p. 242–245 Robinson), dass Origenes die biblischen Texte zu diesem Thema (auch die paulinischen Aussagen in Röm. 9–11) mit den Maßstäben hellenistischer Rationalität gelesen und gedeutet hat. 285 Princ. III 1,17 (GCS Orig. 5, 225 f.); Übersetzung nach p. 523–525 Görgemanns/Karpp. 286 Ebd. (5, 226 f.); Übersetzung: ebd. p. 525–527.
II. Die Jesajaexegese des Origenes in den Homilien
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von Röm. 9,18–21 erklärte Origenes diesbezügliche Unterschiede zwischen den Menschen aus „älteren Ursachen“ bzw. „aus Gründen, die vor diesem Leben liegen“,287 also mit Hilfe der von ihm angenommenen Präexistenz der Seelen.288 Wie Augustinus suchte Origenes nach einer Schuld auf Seiten des Menschen, um das in Jes. 6,9 f. dargestellte Handeln Gottes rational nachvollziehbar zu machen. An den Erörterungen des Origenes wie des Augustinus über die Vorstellung einer Verstockung des Menschen durch Gott im Zusammenhang mit den komplementären Fragen nach Willensfreiheit und Prädestination zeigt sich, von beiden weder gewollt noch überhaupt bedacht, die Unannehmbarkeit der Aussage in Jes. 6,9 f. Gerade wenn ein Ausleger das theologische Kernproblem des Verstockungsauftrags an Jesaja, die Idee einer Prädestination zum Unheil, erkennt, zwingt ihn die Irrationalität dieser speziellen Denkfigur zu einer vom Text nicht mehr gedeckten Rationalisierungsstrategie. Bedenkt man die Entstehungsgeschichte dieses Passus als ganzen (Jes. 6,9–13), hat der Exeget – von der systematischen Konsistenz seines jeweiligen hermeneutischen und theologischen Konzepts einmal abgesehen – für dieses Verfahren den Bibeltext auf seiner Seite, denn dessen (End-) Gestalt beruht ihrerseits bereits auf derartigen Eingriffen und Ergänzungen (s.o.). Im Kontext der altkirchlichen Verwendung von Jes. 6,9 f. zeichnen sich diese Überlegungen des Origenes dadurch aus, dass sie nicht prinzipiell und schon gar nicht grob polemisch – das ist Origenes nie – antijüdisch konnotiert sind. In der sechsten Jesajahomilie übt er an nur einer Stelle pauschal, aber verhalten Kritik an „den“ Juden: „Alle Juden, die damals ihn, den Erlöser, hörten, hörten schwer; deshalb kamen sie nicht zum Glauben.“289 Deutlich stärker antijüdisch äußerte er sich in der siebten Homilie zum (angeblichen) „Übergang“ des Heils von den Juden zu den Christen: „Glücklich war ja einst das Volk der Juden, doch verlor es sein Glück und wurde seines Ranges enthoben, weil es den, der gesandt wurde und Zeugnis ablegte vom Vater, und zwar nicht nur durch das Gesetz und die Propheten, sondern auch durch Zeichen und Wunder, auf hinterhältige Weise umgebracht hat. Das Glück ist also auf uns, die Jünger Jesu Christi, übergegangen, und unser Glaube an ihn ist ganz unerschütterlich, unser Leben so, wie er es
287 Ebd. 1,21 f. (5, 238 f.) bzw. 1,23 (5, 241); Übersetzung: ebd. p. 555. 288 Vgl. dazu mit ähnlichen Überlegungen ebd. II 9,7 (5, 170 f.). Zur Orientierung über dieses Thema bei Origenes siehe G. Sfameni Gasparro, Art. Preesistenza, in: Monaci Castagno, Dizionario 359–363; L. Perrone, Art. Libero arbitrio, in: ebd. 237–243, bes. 238 f.; in dem kurzen Durchgang durch princ. III 1, ebd. 241 f., findet 1,16 f. mit den hier in Frage stehenden Bibelstellen keine Beachtung. Vgl. auch Boyd, Pharaoh’s hardened heart 440; Monaci Castagno, L’interpretazione 92–95. 289 In Is. hom. 6,6 (GCS Orig. 8, 277).
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uns gelehrt hat.“290 Gelegentlich rekurrierte auch Origenes in diesem konventionellen Sinn auf Jes. 6,9 f. Im indirekten Disput mit Juden – nämlich mit dem literarisch stilisierten Juden, den Kelsos in seiner antichristlichen Schrift gegen die Christen auftreten lässt291 – galt ihm der Text als prophetische Vorhersage bzw. als Schriftbeweis für den „Unglauben“ „der“ Juden.292 Ebenfalls im Sinne der frühchristlichen antijüdischen Polemik nutzte Origenes Jes. 6,9 f. zur Erklärung von Jer. 15,13: „Und deine Schätze werde ich zur Plünderung preisgeben, als Entgelt für alle deine Sünden“; mit dem Kommen Christi habe sich die Ankündigung im Buch Jesaja erfüllt.293 Auch in der sechsten Jesajahomilie bezog er die Ankündigung von Jes. 6,9 f. auf die Ankunft Christi.294 Wo Origenes eingehender über die Bedeutung von Jes. 6,9 f. nachdachte, kam diese antijüdische Front zwar vor, stand aber nicht im Vordergrund. Gerade in der sechsten Jesajahomilie dominiert ein anderer Aspekt. „Verstockung“ bzw. „Verstocktheit“ wird darin nicht einfach polemisch „den“ Juden zugeschrieben, sondern als generelles Problem des Verstehens des Evangeliums, gerade auch unter Christen, reflektiert. Diesen Wechsel der Blickrichtung hat Origenes seinen Zuhörern nachdrücklich eingeschärft: Was in Jes. 6,9 f. steht, werde nicht nur „über das Volk der Juden prophezeit“, sondern „über uns alle, wenn wir sündigen“.295 Was Origenes an diesem Jesajatext eigentlich interessierte, war die ethische Voraussetzung für Erkenntnis.296 Diese Frage behandelte er als allgemeines Problem für prinzipiell jeden Menschen, unabhängig von seiner Gruppenzugehörigkeit: „Bis heute“, sagte er im Anschluss an die oben zitierte kleine Polemik gegen den Unglauben „der“ Juden, „hören all diejenigen schwer, die beim Hören der Schriften nicht das geistige Wort vernommen haben, das leicht ist, sondern den Buchstaben, der schwer ist und tötet (2 Kor. 3,6). Und so wird die Schrift auf zweifache Weise vernommen: von dem, der das, was sie sagt, nicht geistig versteht, mit der Schwere des Hörens, von dem hingegen, der sie geistig versteht, nicht nur ohne Schwere des Hörens, sondern vielmehr mit feinem Gehör, was ihm, dem Hörer, Einsicht verschafft.“297 Origenes hat Jes. 6,9 f. vor allem ethisch-erkenntnistheoretisch interpretiert und in der 290 291 292 293
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Ebd. 7,2 (8, 282). Zu diesem: Lona, Die ,wahre Lehre‘ des Kelsos 172–177. Cels. II 8 (GCS Orig. 1, 134). In Hier. hom. 14,12 (GCS Orig. 32, 116 f.). Die Zitierung von Jes. 6,9 f. in ebd. 20,2 (32, 179) steht im Zusammenhang mit der von Origenes, in Is. hom. 9 (GCS Orig. 8, 288), erörterten Auslegung von Jes. 6,8; siehe dazu oben S. 23–27 im Rahmen der Diskussion über die Echtheit der neunten Jesajahomilie. In Is. hom. 6,3 (GCS Orig. 8, 271). Ebd. 6,7 (8, 278). Für diesen Zusammenhang siehe unten S. 113–123. In Is. hom. 6,6 (GCS Orig. 8, 277 f.).
II. Die Jesajaexegese des Origenes in den Homilien
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sechsten Jesajahomilie für eine entsprechende moralische Paränese ausgewertet: Das „verfettete Herz“ als Sorge um weltliche und körperliche Belange, „Schwerhörigkeit“ und „geschlossene Augen“ als bildliche Ausdrücke für moralisches Versagen – all das verhindere rechtes Verstehen, und all das war für Origenes weniger ein Problem der Juden zur Zeit Jesu als vielmehr ein drängendes Problem in der Gegenwart seiner christlichen Gemeinde.298 Origenes las Jes. 6,9 f. im Lichte der Verwendung dieser Verse im Neuen Testament. Schon im Jesajatext und mehr noch in den Evangelien im Kontext der Gleichnisreden Jesu geht es um Bedingungen und Ursachen für Verstehen und Nicht-Verstehen. Ein solcher Text musste den christlichen Gnostiker Origenes stark interessieren. Indem er ihn im großen Rahmen von Erkenntnistheorie und Ethik, zwei im Denken seiner Zeit eng verzahnter Bereiche, analysierte, rückte er seine antijüdische Verwendung an den Rand und erfasste den sachlichen Kern dieser Tradition im Kontext innerchristlicher Problemlagen. Origenes war im antiken Christentum nicht der einzige, der Jes. 6,9 f. in diesem Sinn verwendete. Neben der Hauptfunktion dieser Verse als biblischer Basis für christliche Polemik gegen jüdischen „Unglauben“ wurden sie im binnenchristlichen Kontext zuweilen in der moralischen Paränese eingesetzt.299 Zwei Beispiele aus der Zeit des Origenes mögen das illustrieren.300 Wie Origenes warnte Tertullian davor, dass Essen, Trinken und Luxus das „Herz verfetten“, d.h. das geistige Leben ruinieren.301 Insofern Tertullian dies freilich als Montanist polemisch gegen die katholischen Christen in Karthago sagte, die er „Psychiker“, dem irdischen Leben Verfallene, nannte, verwendete er Jes. 6,9 f. zwar innerchristlich, darin aber verteilt auf sich befehdende Gruppen. Nach demselben Muster hat später Ambrosius Jes. 6,9 f. auf die Arianer angewendet und diese dabei ausdrücklich mit „den“ Juden parallelisiert.302 Auf rein innergemeindliche Probleme indes ist dieser Jesajatext in einem Zusammenhang, der stark an entsprechende Äußerungen des Origenes erinnert,303 in der Syrischen Didaskalie bezogen. Deren Verfasser kritisiert Christen, „Frauen und Männer“, die während des Gottesdienstes schlafen, tuscheln oder sonstwie unaufmerksam sind und stören: 298 Ebd. 6,5–7 (8, 275–279). Ein weiterer Gedankengang dazu bricht, kaum begonnen, mit dem Ende der fragmentarischen neunten Homilie ab (GCS Orig. 8, 289). 299 Belege sind notiert bei Evans, To see and not perceive 223 Anm. 73, dem die Jesajahomilie des Origenes allerdings ebenso entgangen ist wie die besondere Profilierung der origeneischen Exegese von Jes. 6,9 f. 300 Aus späterer Zeit vgl. etwa Cyrill von Jerusalem, cat. 4,19 (I p. 110 Reischl/Rupp) mit Mt. 13,15. 301 Tertullian, ieiun. 6,4 (CChr.SL 2, 1262). 302 Ambrosius, fid. II 15,130 (CSEL 78, 102). 303 Origenes, in Ex. hom. 12,2 (GCS Orig. 6, 264); in Is. hom. 5,2 (GCS Orig. 8, 265): siehe oben S. 33 und unten S. 246 Anm. 89 und S. 248 Anm. 92.
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„Dergleichen Leute betreten leer die Kirche, besonders aber gehen sie leer wieder hinaus, weil sie nicht hören, was gesagt oder vorgelesen wird, um es aufzunehmen mit den Ohren ihrer Herzen. Es gleichen somit derartige Leute denen, über die Jesaja den Ausspruch getan hat: ,Ihr werdet wohl hören, aber nicht verstehen; ihr werdet wohl sehen, aber nicht erblicken. Denn das Herz dieses Volkes ist verstockt, und sie hören schwer mit ihren Ohren und ihre Augen haben sie geschlossen, sodass sie niemals mit ihren Augen sehen und mit ihren Ohren hören.‘“304 Eine solche Applizierung der Verstocktheit „dieses Volkes“ auf die christliche Gemeinde entspricht wie die Interpretation von Jes. 6,9 f. durch Origenes der anfänglichen urchristlichen Konstellation, als es – wie im Markusevangelium deutlich wird – um das Verstehen oder Nicht-Verstehen Jesu unter seinen ersten Anhängern und unter seinen jüdischen Zeit- und Glaubensgenossen ging. Neben der dominierenden antijüdischen Verwendung von Jes. 6,9 f. wurde der Text im antiken Christentum also zuweilen auch für die innerchristliche Katechese genutzt. Vor allem von Origenes wurde dabei sein sachlicher Gehalt, das Problem von Verstehen und Nicht-Verstehen innerhalb ein und derselben Gruppe, sei es im innerjüdischen, sei es im innerchristlichen Diskurs, bewahrt.
3. Die Vision Jesajas in Jes. 6,1–7 Es war ein bestimmtes Detail in der Jesajaexegese des Origenes, das in der späteren Theologie der Alten Kirche, besonders in der Trinitätstheologie, für zum Teil heftige Aufregung gesorgt hat: Origenes interpretierte die Seraphim in der Vision Jesajas (Jes. 6,1–7) als Sohn Gottes und Heiligen Geist. In den Jesajahomilien präsentierte er diese Auffassung in der ersten und vierten Predigt der lateinischen Auswahlübersetzung.305 Auch im Jesajakommentar dürfte er sie vorgeführt haben, doch gibt es dafür keine direkten Zeugnisse. Ob Hieronymus sich bei seiner Kritik daran306 auf die Homilien oder den Kommentar bezog, ist nicht erkennbar; allenfalls seiner Epistula 18B ist, falls dieser „Brief“ ein Testimonium für den Kommentar ist, ein indirekter Hinweis darauf zu entnehmen, dass Origenes diese Auslegung in ihm geboten hat.307 304 Syr. Didask. 15 (TU 25/2, 78 in der Übersetzung von Achelis/Flemming), aufgegriffen und fortgeschrieben in const. apost. III 6,5 (SC 329, 134). 305 Origenes, in Is. hom. 1,2–4 (GCS Orig. 8, 244–246); 4,1.4 (8, 258. 261 f.). Siehe dazu Fürst, Hieronymus gegen Origenes 200–202. 306 Hieronymus, epist. 18A,4 (CSEL 54, 78 f.); 61,2 (54, 577); 84,3 (55, 123 f.); in Es. III 4 (VL.AGLB 23, 314). 307 Epist. 18B,1 (CSEL 54, 97 f.). Siehe dazu oben S. 18–20.
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a) Die Vision Jesajas als Symbol für die Trinität Origenes hat diese Deutung nicht erst in den in Caesarea entstandenen Arbeiten zum Buch Jesaja vertreten, sondern auch schon davor in seiner Ä n kam er zweialexandrinischen Zeit. Bereits in seiner Frühschrift PeriÁ aÆrxv mal darauf zu sprechen, einmal in einem Stück im ersten Buch, das griechisch überliefert ist, weil Kaiser Justinian es im Jahre 543 in einem Brief an Menas, den Patriarchen von Konstantinopel, in dem er eine Reihe von Ansichten des Origenes als häretisch kritisierte, zitierte, und einmal in einem in der lateinischen Übersetzung des Rufinus erhaltenen Passus gegen Schluss des vierten Buches. An beiden Stellen nannte er einen „Hebräer“ bzw. „hebräischen Lehrer“ als Quelle für diese Deutung der Seraphim in Jes. 6,2 f., die er seinerseits damit stützte, dass auch in der Septuagintafassung von Hab. 3,2 von Christus und dem Heiligen Geist die Rede sei. Der griechische Text in Justinians Brief lautet: „Der Hebräer sagte, die zwei sechsflügeligen Seraphim bei Jesaja, die einander zurufen und sagen: ,Heilig, heilig, heilig, Herr Sabaoth‘ (Jes. 6,3), seien der einzige Sohn Gottes und der Heilige Geist. Wir aber meinen, dass auch im Lied des Habakuk der Satz: ,Inmitten zweier lebender Wesen wirst du erkannt werden‘ (Hab. 3,2 LXX) von Christus und dem Heiligen Geist gesagt ist.“308 Und im vierten Buch sagte er anlässlich von grundsätzlichen Erwägungen über die Begrenztheit menschlicher Gotteserkenntnis: „Dazu teilte mein hebräischer Lehrer Folgendes mit: Weil einzig und allein der Herr Jesus Christus und der Heilige Geist Anfang und Ende aller Dinge begreifen könnten, habe Jesaja, sagte er, unter dem Bilde einer Vision gesagt, es seien bloß zwei Seraphim, die ,mit zwei Flügeln das Antlitz‘ Gottes ,bedecken, mit zweien seine Füße und mit zweien fliegen, wobei sie einander zurufen und sagen: Heilig, heilig, heilig, Herr Sabaoth! Die ganze Erde ist erfüllt von deiner Herrlichkeit‘ (Jes. 6,2 f.).“309 Die Beziehung der Seraphim in der Vision Jesajas auf den Sohn Gottes und den Heiligen Geist findet sich damit nicht nur gelegentlich und nicht nur an einer Stelle in den Schriften des Origenes, sondern mehrmals und erscheint damit auffällig betont. Die erste Frage, die an diese Ansicht zu stellen ist, betrifft ihren Sinn. Nach wie vor überzeugend ist die Antwort, die schon Huet gegeben hat: Diese Beziehung ist symbolisch zu verstehen.310 Das heißt: Origenes iden308 Justinian, epist. Men. (ACO III 210) = Origenes, princ. I 3,4 (GCS Orig. 5, 52 f.); Übersetzung nach p. 165–167 Görgemanns/Karpp. Antipater von Bostra bekämpfte im 5. Jahrhundert diese Ansicht in einer nur fragmentarisch erhaltenen polemischen Schrift gegen Origenes; vgl. das Fragment bei Johannes von Damaskus, par. Rup. 75 (PG 96, 505). 309 Origenes, princ. IV 3,14 (GCS Orig. 5, 346); Übersetzung nach p. 777–779 Görgemanns/Karpp. Siehe dazu Fürst, Hieronymus gegen Origenes 202–204.
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tifizierte nicht den Sohn Gottes und den Heiligen Geist mit den Seraphim, sondern las die Vision Jesajas als Bild für die Trinität.311 Diese Auffassung ist einerseits hermeneutisch plausibel: Jes. 6 berichtet von einer Theophanie, einer Erscheinung bzw. Vision Gottes; für Origenes konnte das nur der trinitarische Gott sein. In einer solchen Hinsicht gelesen, liefert der Text mit der Konstellation seiner Figuren Anhaltspunkte, ihn so zu verstehen. Aus einer Andeutung in der Apologie gegen Kelsos, die er nicht weiter ausführte, geht hervor, dass er neben der Vision Jesajas auch die Gottesthron-Vision Ezechiels trinitarisch auffasste: „Ich könnte anführen, wie die von den Hebräern sogenannten Seraphim im Buch Jesaja geschildert sind, die das Angesicht und die Füße Gottes verhüllen (Jes. 6,2), und was von den sogenannten Cherubim, die Ezechiel beschrieben hat, und von ihren Gestalten zu sagen ist, und in welcher Weise Gott dort von den Cherubim getragen wird (Ez. 1,5–27; 10,1–21).“312 Andererseits gibt es in den Werken des Origenes eine Anzahl ähnlicher Personifikationen, in denen recht unterschiedliche Ausdrücke auf den Sohn Gottes und den Heiligen Geist bezogen werden, so die zwei lebenden Wesen, von denen in der Septuagintaversion des Liedes Habakuks die Rede ist (Hab. 3,2) und auf die Origenes für seine Auffassung der Seraphim bei Jesaja explizit hinwies,313 sowie die Augen der Braut, die im Hohenlied als Tauben bezeichnet werden (Hld. 1,15), und die beiden Ölbäume, die im Buch des Propheten Sacharja zur Rechten und zur Linken des siebenarmigen Leuchters stehen (Sach. 4,3). Im dritten Buch des Kommentars zum Hohenlied, das Origenes wohl um 240 in Athen verfasste,314 schrieb er (gemäß der lateinischen Version Rufins): „In einem vielleicht noch tieferen geheimnisvollen Sinn kann der Satz: ,Wie schön du bist, meine Gefährtin‘ (Hld. 1,15) zudem auf die gegenwärtige Welt bezogen werden, denn gewiss ist auch hier die Kirche schön, wenn sie die Gefährtin Christi ist und Christus nachahmt. Dass er (sc. der Bräutigam) aber wiederholt gesagt hat: ,Wie schön du bist‘, das kann sich auf die künftige Welt
310 Huet, Origeniana II 2,2 Nr. 26 (abgedruckt in PG 17, 785 f.), referiert von Barbel, Christos Angelos 271 f., der sich ebd. 277 allerdings etwas davon distanziert: Origenes habe „seine so oft betonte Auffassung der Isaiasstelle doch viel realistischer verstanden“. Das würde ich mit Saake, Tractatus 96 Anm. 5; 98 Anm. 3, das „wörtliche Missverständnis“ der Gedanken des Origenes nennen. Saake, ebd. 97–99, hat die symbolische bzw. typologische Auffassung dieser Exegese des Origenes nachdrücklich und grundsätzlich begründet: Aus der typologischen Hermeneutik ist mitnichten eine Identifikation von Typos und Antitypos zu folgern (vgl. ebd. 98 Anm. 2). 311 Kretschmar, Trinitätstheologie 65. 67 f.; Simonetti, Note sulla teologia trinitaria 294 f.; Röwekamp, FC 80, 107. 312 Origenes, Cels. VI 18 (GCS Orig. 2, 89). Siehe dazu Kretschmar, ebd. 66. 313 Siehe oben S. 75 Anm. 308. 314 Jedenfalls laut Eusebius, hist. eccl. VI 32,2 (GCS Eus. 2, 586).
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beziehen, wo sie (sc. die Kirche) nicht mehr nur durch Nachahmung, sondern in Vollendung ihrer selbst wohlgestaltet und schön ist, und dort, meint er wohl, sind ihre Augen Tauben, damit man versteht, dass die beiden Tauben, die ihre zwei Augen sind, der Sohn Gottes und der Heilige Geist sind. Und wundere dich nicht, wenn sie zugleich Tauben genannt werden, wo doch beide in gleicher Weise als Anwalt bezeichnet werden, wie der Evangelist Johannes erklärt, wenn er den Heiligen Geist Paraklet nennt (Joh. 14,16.26; 15,26; 16,7), das heißt Anwalt; und von Jesus Christus sagt er in seinem Brief gleichfalls, dass er höchst selbst der Anwalt beim Vater für unsere Sünden ist (1 Joh. 2,1). Ferner glaubt man, dass die beiden Ölbäume zur Rechten und zur Linken des Leuchters beim Propheten Sacharja (Sach. 4,3) gleichfalls den einzigen Sohn und den Heiligen Geist bezeichnen.“315 Niemand würde aus solchen Aussagen den Schluss ziehen, Christus und der Heilige Geist seien ihrer Natur nach Augen oder Tauben oder Ölbäume, und für die Beziehung der Seraphim auf sie gilt das analog. Ferner wird der symbolische Sinn der Deutung der Seraphim in Jes. 6,2 auf Christus und den Geist dadurch gestützt, dass der dominus Sabaoth im folgenden dreifachen „Heilig“-Ruf auf Christus bezogen wird; die Seraphim sagen: „,Heilig, heilig, heilig ist der Herr der Heere, erfüllt ist die ganze Erde von seiner Herrlichkeit‘ (Jes. 6,3). Meines Herrn Jesu Christi Ankunft verkündigen sie. Jetzt also ist die ganze Erde erfüllt von seiner Herrlichkeit.“316 Origenes las den Text von Jes. 6,2 f. nicht so, dass er gleichsam feste Verknüpfungen zwischen den einzelnen Figuren der Vision und den Personen der Trinität herstellte, so dass sich daraus umgekehrt auf deren Natur schließen ließe. Er las ihn vielmehr als symbolischen Text, als Bild, dessen Einzelzüge sich in mehrfacher Weise auf Daten der christlichen Heilsgeschichte, sei es die Trinität, sei es die Menschwerdung, beziehen lassen.
b) Engelchristologie? Diese Exegese des Origenes ist damit nicht im Sinne einer „Engelchristologie“ (oder „Engelpneumatologie“) aufzufassen. Im strikten Sinn des Wortes genommen, meint dieses Konzept, Christus seiner Natur nach als „Engel“ zu verstehen (unabhängig davon, welche Realität mit dieser Vokabel bezeichnet sein soll). Die Seraphim, mithin „Engel“, als Christus (und Heiligen Geist) zu deuten, könnte man so verstehen und hat man so verstanden; auf diesem Verständnis beruhte die gesamte spätere Kritik an dieser Vor-
315 Origenes, in Cant. comm. III (GCS Orig. 8, 174) bzw. III 1,10–13 (SC 376, 496–498). Siehe dazu auch Kretschmar, Trinitätstheologie 69 f. 316 In Is. hom. 1,2 (GCS Orig. 8, 245).
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stellung des Origenes. Dass das nicht die Intention des Alexandriners ist, sondern eines der zahllosen Missverständnisse, denen sein Denken ausgesetzt war, ergibt sich aus dem oben Gesagten. Zudem ist die Rede von einer „Engelchristologie“ aus verschiedenen Gründen reichlich problematisch. Sich Christus als „Engel“ vorzustellen, scheint im Frühchristentum nicht unpopulär gewesen zu sein, speziell in stark von frühjüdischen Traditionen, in denen Engel als Mittlerwesen eine wichtige Rolle spielten, geprägten christlichen Gruppen.317 Diesen Eindruck vermitteln jedenfalls die nicht nur vereinzelten Kritiken von Theologen an einer solchen Vorstellung.318 Insbesondere gnostischen Theologen wurde von ihren kirchlichen Gegnern eine derartige Christologie zugeschrieben und diese meist (wohl zu Unrecht) auf Valentin zurückgeführt oder mit seiner Schule in Verbindung gebracht.319 Später redeten Arianer von Christus als „Engel“, weil sie damit die Verschiedenheit des Sohnes vom Vater aussagen konnten. Vor allem antignostische Theologen wie Irenäus und Tertullian, die den Logos nie „Engel“ nannten, kritisierten eine solche Christologie: Christus sei nicht seiner Natur nach ein „Engel“, sondern werde nur in seiner Funktion als „Bote“ so bezeichnet; das Wort „Engel“ sei nur im Sinne seiner eigentlichen Bedeutung auf Christus anzuwenden, insofern dieser der „Bote“ Gottes für die Menschen bzw. der „Mittler“ zwischen Gott und Menschen sei.320 Kirchliche Theologen wie beispielsweise Justin und Novatian, die die Bezeichnung „Engel“ für Christus verwendeten, taten das in diesem Sinne.321 In der Regel wurden sie dazu vom Sprachgebrauch der Bibel animiert. In den alttestamentlichen Theophanien ist oft
317 Ein deutlicher Beleg dafür ist die Bezeichnung einer männlichen und einer weiblichen Gestalt von überdimensionaler Größe, des Sohnes Gottes und des Heiligen Geistes (der im Hebräischen und Aramäischen Femininum ist), als Engel in dem Buch, das Elchasai zu Beginn des 2. Jahrhunderts wohl im Ostjordanland geschrieben hat: frg. 1 (NTApo II6, 621) aus Hippolyt, haer. IX 13,2 f. (PTS 25, 357 f.). Weitere Belege dafür, sich den auferstandenen Christus als „Riesen“ vorzustellen, bei Grillmeier, Jesus der Christus 1, 153 f., zum Beispiel ev. Petr. 39 f. (GCS N.F. 11, 42). 318 So die Schlussfolgerung von Barbel, Christos Angelos 287. 309, gestützt vor allem auf Tertullian, carn. Christ. 14,1 (CChr.SL 2, 899). Siehe auch die Hinweise auf judenchristliche Traditionen bei Carrell, Jesus and the angels 101–103. 319 Dölger, IXUYS I, 273–297; Barbel, ebd. 204–206. 287 f., gestützt auf Irenäus, haer. I 2,6 (FC 8/1, 140); 4,5 (8/1, 152–254), und Clemens von Alexandria, exc. Theod. 35,1 (GCS Clem. 32, 118); 43,2 (32, 120); 64 (32, 128). Belege aus späteren Autoren sind notiert bei Barbel, ebd. 205 Anm. 113. 320 Barbel, ebd. 63–68. 70–79. Vgl. beispielsweise Tertullian, carn. Christ. 14,3 (CChr.SL 2, 899). 321 Dölger, IXUYS I, 290 f.; Barbel, ebd. 50–63. 80–94; Grillmeier, Jesus der Christus 1, 150–156. Zu nachnizänischen Theologen siehe Barbel, ebd. 108–180, beispielsweise Hilarius, trin. IV 23. 42 (CChr.SL 62, 126. 148); V 11 (62, 161).
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von einem „Boten Gottes“ bzw. „Engel des Herrn“ (mal’ak jhwh) die Rede. Da diese Theologen in diesen Theophanien den Sohn Gottes, den Logos, erscheinen sahen, der in ihrem philosophischen Weltbild die Vermittlungsinstanz zwischen Gott und der Welt war,322 nannten sie den Logos in dieser Funktion mit dem biblischen Sprachgebrauch „Bote“, wie man eigentlich genau sagen müsste, nicht „Engel“, denn sie meinten damit keine Wesensbezeichnung, sondern eben eine Funktion. Ein Satz aus Justins Dialog mit dem Juden Tryphon mag für viele stehen: Der „andere Gott und Herr“, der „unter dem Weltschöpfer“ steht und von dessen Existenz Justin seinen Gesprächspartner überzeugen will, „wird Bote (Engel) genannt, weil er den Menschen verkündet, was der Weltschöpfer, über dem kein anderer Gott steht, denselben verkünden will“.323 Die Bezeichnung aÍggelow, „Künder“, leitet sich aus der Aufgabe des aÆggeÂllein, des „Verkündens“ ab. Auch wenn Christus enger mit Engelvorstellungen verknüpft wird, wie etwa von Clemens von Alexandria, ist der „Logos“ doch nur „Angelos“, insofern er als „Bote“ Gottes fungiert,324 und den ihm unterstellten „Engeln“ absolut überlegen.325 Sogar in einem so volkstümlich geschriebenen Buch wie dem „Hirt“ des Hermas, der einer „Engelchristologie“ von allen frühchristlichen Autoren am nächsten kam, indem er den Sohn Gottes als „großen“, „herrlichen“, „erhabenen“ und „heiligen“ Mann oder Engel, einmal auch als „Engel des Herrn“ bezeichnete und mit Michael, dem führenden Engel des jüdischen Volkes, identifizierte,326 wurde Christus doch deutlich von den „Engeln“ (auch von den sechs Hauptengeln) unterschieden.327 Es scheint daher fraglich, ob es im antiken Christentum über volkstümliche Vorstellungen hinaus eine „Engelchristologie“ im Sinne eines theologisch reflektierten Konzepts gegeben hat.
322 Siehe die Belege dazu unten S. 206 Anm. 28. 323 Justin, dial. 56,4 (PTS 47, 161). Vgl. zum Beispiel noch I apol. 63,4 f.14 (SC 507, 294–296. 298). Auch die schwierige Stelle I apol. 6,2 (SC 507, 140–142), an der der Sohn Gottes in das „Heer der guten Engel“ eingereiht wird, ist wohl von daher zu verstehen (Dölger, IXUYS I, 288 f., fasste sie als von Philon abhängig auf); siehe dazu auch Carrell, Jesus and the angels 98–100. 324 Barbel, Christos Angelos 95–97, mit Verweis auf Clemens von Alexandria, paid. I 58,1 (GCS Clem. 1, 124); 59,1 (1, 124 f.). 325 Strom. VII 5,6 (GCS Clem. 32, 6). 326 Wichtige Stellen sind Hermas, vis. V 2 (SUC 3, 188); mand. V 1,7 (3, 204); sim. V 4,4 (3, 262); VII 1–3.5 (3, 276. 279); VIII 1,2.5 (3, 280); 2,1 (3, 282); IX 1,3 (3, 300); 7,1 (3, 312); 12,6–8 (3, 322–324); der „große und herrliche Engel“ als Michael: sim. VIII 3,3 (SUC 3, 284–286). Siehe dazu Barbel, Christos Angelos 196–198; Carrell, Jesus and the angels 106–108; Brox, KAV 7, 490 f. 502 f. 327 So das überzeugend an den Texten nachgewiesene Ergebnis von Brox, ebd. 505; ebenso: Grillmeier, Jesus der Christus 1, 152 f. Danie´lou, Trinite´ et ange´lologie 7–14, nivelliert die Differenz.
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Bei Origenes liegen die Dinge hinsichtlich dieses Themas allerdings etwas komplizierter.328 Im Rahmen seiner umfassenden kosmologischen Soteriologie reflektierte er neben der Menschwerdung Christi auch dessen Engelwerdung. Wie Christus „unter uns Menschen ,der Gestalt nach wie ein Mensch ausgesehen hat‘ (Phil. 2,7), so hat er auch unter den Engeln der Gestalt nach wie ein Engel ausgesehen“.329 Das hat Origenes nicht doketisch gemeint. Wie Christus nicht nur scheinbar Mensch geworden ist, so ist er konsequenterweise nicht nur scheinbar Engel geworden. Dieser Gedanke entspricht der soteriologischen Pädagogik des Origenes: Nicht nur den Menschen, sondern auch den anderen Vernunftwesen, die der Besserung, Heilung und Bekehrung bedurften, hat Christus die reine Lehre der Gottesverehrung gebracht.330 Der Logos wird jedem Vernunftwesen das, was dieses für seine Erlösung nötig hat, den Menschen also Mensch, den Engeln Engel: „Der Gott des Alls schuf zuerst eine erstrangige Art von Vernunftwesen, worunter ich die sogenannten Götter verstehe (vgl. etwa Ps. 49[50],1; 1 Kor. 8,5). Sodann schuf er die, die wir heute Throne nennen, und drittens zweifellos die Herrschaften. So muss ein vernünftiges Wesen schließlich hinabsteigen auf ein an letzter Stelle stehendes Vernunftwesen, das vielleicht kein anderes war als der Mensch. Der Erlöser wurde nun in viel göttlicherer Weise als Paulus allen alles, um alle zu gewinnen (1 Kor. 9,22) und ihrem Ziele zuzuführen, und offenkundig wurde er für die Menschen Mensch und für die Engel Engel. Keiner, der zum Glauben gekommen ist, zweifelt daran, dass er Mensch geworden ist. Davon, dass er auch Engel geworden ist, werden wir überzeugt, indem wir an den Erscheinungen und Worten der Engel festhalten, in denen er mit Engelmacht an einigen Stellen der Schrift erscheint, in denen die Engel sprechen, zum Beispiel: ,Es erschien der Engel des Herrn im Feuer des brennenden Dornbuschs und sagte: Ich bin der Gott Abrahams und Isaaks und Jakobs‘ (Ex. 3,2.6). Aber auch Jesaja spricht: ,Sein Name wird genannt Engel des großen Rates‘ (Jes. 9,6 LXX).“331 Diesen Gestaltwandel des Logos hat Origenes 328 Viele Stellen dazu aus griechisch und lateinisch überlieferten Werken bei Barbel, Christos Angelos 101–103. 288–292. Mögliche Parallelen zwischen diesbezüglichen origeneischen und buddhistischen Texten erörtert de Lubac, Textes 339–342. Siehe auch Grillmeier, ebd. 155 f. 329 Origenes, in Gen. hom. 8,8 (GCS Orig. 6, 83). 330 Cels. VIII 59 (GCS Orig. 2, 276). Vgl. in Ioh. comm. I 256 (GCS Orig. 4, 45): Christus „starb nicht nur für die Menschen, sondern auch für die übrigen Vernunftwesen“; in Matth. comm. XV 7 (GCS Orig. 10, 366); in Luc. hom. 10,3 (GCS 92, 60 f.); 23,7.9 (92, 145 f. 147); in Lev. hom. 2,3 (GCS Orig. 6, 294). Zu ähnlichen Gedanken vor Origenes (besonders bei Melito von Sardes und im Physiologus) siehe Barbel, Christos Angelos 293 f. 297–299. 331 In Ioh. comm. I 216–218 (GCS Orig. 4, 38 f.); Übersetzung nach Barbel, ebd. 291. Zur Vorstellung der Heil vermittelnden Anpassung des Logos an die Fassungskraft
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universal in dem Sinne gedacht, dass er „für das Heil aller alles geworden ist“, wobei „alles“ hier bedeutet, dass der Logos wirklich „alles“ geworden ist: „Denn was wäre er für unser Heil nicht geworden?“332 Die Stufen des Tempels in Jerusalem hat er im Johanneskommentar von daher so gedeutet: „Wie sich im Tempel Stufen befanden, durch die man in das Allerheiligste eintreten konnte, so ist der einzige Sohn Gottes alle unsere Stufen. Und wie er die erste Stufe nach unten ist (sc. die unterste Stufe), so ist er auch die Stufe oberhalb dieser, und so gelangt man bis zur höchsten Stufe, so dass alle Stufen der Erlöser sind. Die erste Stufe nach unten ist seine Menschheit. Wenn wir über sie hinaussteigen, durchschreiten wir nacheinander den ganzen Weg der Stufen, der er ist, so dass wir hinaufsteigen durch sein Engelsein und sein Die-übrigen-Kräfte-Sein.“333 Dieses Konzept der Menschwerdung und Engelwerdung des Erlösers gehört zu den vielen originellen und kühnen Ideen des Origenes und rückt ihn nahe an eine Engelchristologie heran, insbesondere wenn er von Christus als „Engel Gottes“ spricht. Aber gerade die entsprechende Stelle in der Apologie gegen Kelsos zeigt, dass auch Origenes keine Engelchristologie im eigentlichen Sinne konzipierte, denn Christus ist nicht seiner Natur nach ein Engel, sondern wird – hier kommt Origenes mit dem frühchristlichen Denken überein – in seiner Funktion als Erlöser so genannt: „Der Engel Gottes, der zur Erlösung der Menschen in die Welt gekommen und stärker war als seine Feinde, wälzte mit Hilfe des anderen Engels den schweren Stein hinweg“; diesen erlösenden „Engel Gottes“ unterschied Origenes dadurch deutlich von dem „anderen Engel“ – der laut Mt. 28,2 den Stein vom Grabe wegwälzte –, dass letzterer als „der Geringere und Diener“ bezeichnet wird.334 Außerdem gebrauchte Origenes die Bezeichnung Christi als Engel oft im Kontext symbolisch-allegorischer Schriftauslegung: „Durch seine Substanz ist unser Herr Jesus Christus einer (unus) und nichts anderes als der Sohn Gottes, in den Bildern (figura) und Ausdrucksformen (forma) der Schriften aber erscheint er als veränderlich und vielfältig“; so seien in Gen. 22 Isaak, aber auch der Widder ein Sinnbild (typus, forma) für Christus – und jedes einzelnen Vernunftwesens siehe in Matth. comm. XV 24 (GCS Orig. 10, 419 f.); in Matth. comm. ser. 100 (GCS Orig. 11, 218); Cels. IV 18 (GCS Orig. 1, 287); V 53 (2, 57); VI 77 (2, 146); in Ex. hom. 7,8 (GCS Orig. 6, 216); in Rom. comm. I 6(4) (p. 55 Hammond Bammel). Siehe dazu auch Dölger, IXUYS I, 294 f.; Carrell, Jesus and the angels 100 f., und zum „Engel des großen Rates“ unten S. 224 Anm. 54. 332 In Cant. hom. 2,3 (GCS Orig. 8, 45). 333 In Ioh. comm. XIX 38 (GCS Orig. 4, 305); Übersetzung nach Barbel, Christos Angelos 291 f. 334 Cels. V 58 (GCS Orig. 2, 61); Übersetzung: Koetschau, BKV2 I 53, 83. In Luc. hom. 3,3 (GCS Orig. 92, 20 f.) wird der „Herr“ und „Erlöser“ deutlich von den „Engeln“ unterschieden.
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ebenso sei unter dem Engel Christus zu verstehen.335 Seiner Substanz nach ist Christus weder Isaak noch ein Widder noch ein Engel. Nach demselben Muster symbolischer Schriftauslegung ist Christus der Führer der Engelheere, der Josua erscheint (Jos. 5,13 f.).336 Dieses exegetische Verfahren hat Origenes von Philon gelernt, der im „Engel Gottes“ eine Gestalt des Logos in der Funktion eines „Boten“ sah.337 Diese Redeweise hat Origenes postum heftige Kritik eingetragen, die aber seine Gedanken vergröberte und missverstand, so wenn Theophilus von Alexandria polemisierte, Origenes hätte eigentlich sagen müssen, Christus werde auch Dämon werden, um für die Dämonen zu leiden.338 Auch seine Deutung der Seraphim als Sohn Gottes und Heiliger Geist geriet von daher in Misskredit, doch kehrte die spätere Kritik den Gedanken des Origenes um: Während er die Seraphim im Bibeltext als Sinnbild für Christus und den Geist deutete, wurde ihm später umgekehrt die Identifizierung von Sohn und Geist mit den Seraphim und damit deren ontologische Einordnung als Engelwesen vorgeworfen – was Origenes aber gar nicht gemeint hatte. Seine Exegese ist nicht so zu verstehen, dass er Christus (und den Geist) seiner Natur nach als „Engel“ konzipiert hätte, sondern beruht vielmehr auf einem antignostischen soteriologisch-pädagogischem Konzept und liest die Bezeichnung „Engel“ in der Bibel an den Stellen, an denen eine Theophanie geschildert wird, als Sinnbild für Christus. Auch von daher wird man Origenes so verstehen müssen, dass er die Gottesthron-Vision des Propheten Jesaja als Symbol für die Trinität gelesen hat.
335 In Gen. hom. 14,1 (GCS Orig. 6, 121 f.); vgl. ebd. 8,6.9 (6, 81. 84) bzw. 8,8 (6, 83): evidenter hic angelus Dominus ostenditur. 336 In Ios. hom. 6,2 (GCS Orig. 7, 324). 337 Philon, leg. all. III 177 (I p. 152 Cohn/Wendland); conf. ling. 146 (II p. 257); migr. Abr. 174 f. (II p. 302); somn. I 232. 238 f. (III p. 254. 255 f.): Barbel, Christos Angelos 19–26. 293. 338 Theophilus bei Hieronymus, epist. 96,10 (CSEL 55, 168). Ebenso später Hieronymus, epist. 124,12 (CSEL 56, 114 f.), und noch einmal später der vierte und siebte Anathematismus in Justinians Brief an Menas (ACO III 213). Siehe dazu Barbel, ebd. 296 f., und schon die Verteidigung des Origenes durch Huet, Origeniana II 2,3 Nr. 23 (abgedruckt in PG 17, 826–829). – Hinter dieser Polemik gegen Origenes steht ein durchaus ernster Zusammenhang, den Philon, gig. 6 (II p. 43 Cohn/Wendland), explizit benannt hat: Den Mittlerwesen, die in der Bibel „Engel“ heißen, entsprechen im Platonismus die „Dämonen“, die nach Platon, symp. 202 d 13 – 203 a 6, zwischen Göttern und Menschen vermitteln. Siehe dazu Dillon, Dämonologie 134–137.
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c) Traditionsgeschichtliche Hintergründe der origeneischen Deutung Die zweite Frage, die an diese Exegese zu stellen ist, nämlich die nach ihrer Herkunft, ergibt sich aus dem zweimaligen Hinweis des Origenes auf einen „Hebräer“ bzw. „hebräischen Lehrer“. Origenes hat diese Deutung demnach nicht selbst erfunden, sondern rezipiert und in seine eigenen Überlegungen eingebaut. Zumindest wurde er von einer traditionellen Ansicht zu seiner Auslegung inspiriert. Angesichts ihres christlichen Inhalts war dieser „Hebräer“ sicher kein Jude339 – es verdient Beachtung, dass die Vision in Jes. 6 in der rabbinischen Literatur nur ein geringes Echo gefunden hat340 –, sondern ein Judenchrist.341 Ist dem so, dann ist die trinitarische Deutung der Seraphim in Jes. 6,2 f. möglicherweise judenchristlichen Ursprungs. Lassen sich in der frühchristlichen Theologie davon Spuren finden? In der christlichen Literatur vor Origenes ist eine Deutung der Seraphim in der Vision Jesajas auf Christus und den Heiligen Geist nirgends zu finden. Um die Herkunft dieser Vorstellung zu erhellen, ging Georg Kretschmar daher auf die Suche nach Anschauungsformen, in denen das Verhältnis zwischen Vater, Sohn und Geist zueinander in der christlichen Gottesvorstellung in analoger Weise erfasst wurde, wie es in der trinitarischen Deutung der Seraphim bei Origenes zum Ausdruck kommt.342 Das darin greifbare Konzept sieht nach Kretschmar so aus, dass Christus und Heiliger Geist nebeneinander unter Gott stehen und Gott loben (in der Vision Jesajas im dreifachen „Heilig“-Ruf). Also suchte Kretschmar nach Vorstellungen von einer „doppelten Spitze der kosmischen Hierarchie“.343 Dieses Konzept darf man zwar, was Origenes angeht, nicht verallgemeinern, denn zum Verhältnis zwischen Sohn und Geist gibt es in seinen Schriften sowohl gleichordnende als auch den Geist dem Sohn unterordnende Aussagen,344 was Ori-
339 Gegen Barbel, ebd. 272 f.; Bietenhard, Caesarea 27; de Lange, Origen and the Jews 43. 132. 340 Jay, Art. Jesaja 783. 341 Bardy, Les traditions Juives 221 f. 248 f.; Kretschmar, Trinitätstheologie 65; Danie´lou, Trinite´ et ange´lologie 26–28 (= ders., The´ologie 185 f.); Saake, Tractatus 98. Krauss, Jews 154, vermochte diese Exegese in keiner jüdischen Quelle zu finden. In Num. hom. 13,5 (GCS Orig. 7, 114) hat Origenes explizit auf einen judenchristlichen Lehrer hingewiesen: a magistro quodam, qui ex Hebraeis crediderat; vgl. in Hier. hom. 20,2 (GCS Orig. 32, 178). 342 Kretschmar, Trinitätstheologie 62–94. Schon Barbel, Christos Angelos 269–278, hat die dafür in Frage kommenden Stellen (soweit sie zu seiner Zeit bekannt waren) zusammengestellt. 343 Kretschmar, ebd. 71; vgl. ebd. 78. Siehe auch Simonetti, Note sulla teologia trinitaria 292–294. 344 Ziebritzki, Heiliger Geist 244–248. 265 f., übernommen von Dünzl, Pneuma 371 Anm. 27.
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genes damit begründet hat, dass in der Bibel beides begegne.345 Auch ist mehr als zweifelhaft, ob solche angelologischen Konzepte und Anschauungen einer einheitlichen Tradition namens „Judenchristentum“ zuzuweisen und ob in ihnen die Wurzeln der christlichen Trinitätslehre zu sehen sind.346 Zu der Konstellation, die in der Deutung der Seraphim durch Origenes greifbar wird, lassen sich allerdings durchaus einige Texte vergleichen. So findet sich in den Schriften des Clemens, des theologischen Vorgängers des Origenes in Alexandria, zwar nichts zu den Seraphim oder zur Vision Jesajas, wohl aber an einer Stelle der Kerngedanke von Kretschmars Konzept einer „doppelten Spitze der kosmischen Hierarchie“,347 und zwar in einer lateinisch erhaltenen Auslegung von 1 Joh. 2,1: Die Bezeichnung Jesu Christi an dieser Stelle als „Tröster“ (consolator, paraÂklhtow) kombinierte Clemens mit dem im Johannesevangelium verheißenen „Paraklet“ (Joh. 14,16.26; 15,26; 16,7) und stellte beide „Tröster“, Sohn und Geist, als „ursprüngliche und erstgeschaffene Kräfte, die in ewiger Ruhe aus ihrem Wesen heraus existieren“, hinsichtlich ihrer Funktionen gegenüber den Menschen über die „untergeordneten Engel und Erzengel, mit denen zusammen sie äquivok (aequivoce) genannt werden“.348 Das dürfte wohl so zu verstehen sein, dass Sohn und Geist mit dem Sprachgebrauch der Bibel zwar „Engel“ genannt werden, wegen ihrer substantiellen Unveränderlichkeit aber nicht selbst als „Boten“ fungieren (etwa gegenüber Mose, welches Beispiel Clemens in seiner Auslegung anführte), sondern durch untergeordnete Engel bzw. Boten mit den Menschen verkehren.349 Sohn und Geist stehen damit 345 Siehe vor allem seine Überlegungen in Ioh. comm. II 73–78.86 (GCS Orig. 4, 64 f. 67). 346 So die berechtigte Kritik von Barbel, Engel-Trinitätslehre, an den Thesen von Kretschmar und Danie´lou. 347 Kretschmar, Trinitätstheologie 68–71. 348 Clemens, adumbr. in I Ioh. 2,1 (GCS Clem. 32, 211); eine Übersetzung des ganzen Passus bei Barbel, Christos Angelos 201 f. Oeyen, Engelpneumatologie 117 f. 37–40, versteht unter den virtutes, griechisch dynaÂmeiw, an dieser Stelle wegen ihrer Bezeichnung als primo creatae, griechisch prvtoÂktistoi, die sieben „Protoktisten“, d.h. Engelwesen über den „untergeordneten Engeln und Erzengeln“, von denen Clemens öfters redete, etwa exc. Theod. 10 (GCS Clem. 32, 109 f.). Sein Argument, das Wort consolator habe hier eine unterschiedliche Bedeutung – in Bezug auf den Sohn heiße es „Anwalt“, in Bezug auf den Geist „Tröster“ (ebd. 38) –, geht aus dem Text jedoch nicht hervor, und sein Vorschlag, die schwierige und singuläre Stelle als Interpolation zu werten oder eine Lücke im Text anzunehmen, so dass die Junktur „erstgeschaffene Kräfte“ sich nicht mehr auf Sohn und Geist bezieht (ebd. 39 f.), ist eine Verlegenheitslösung. Die Interpretation Oeyens (mit Einschränkung übernommen von Ziebritzki, Heiliger Geist 121–123) überzeugt auch deshalb nicht, weil der Begriff aequivoce von ihm nicht erklärt und in seiner Deutung sinnlos wird und weil Clemens auch in exc. Theod. 20 (32, 113) den Logos als prvtoÂktistow bezeichnet. 349 So die Überlegungen von Barbel, ebd. 202 f.
II. Die Jesajaexegese des Origenes in den Homilien
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an der Spitze der kosmischen Hierarchie (unter Gott) und teilen mit den anderen Hierarchen äquivok die Bezeichnung „Engel“, sind von diesen aber wesensmäßig verschieden und ihnen übergeordnet. Unabhängig davon, wie Clemens sich diese in seinen Schriften singuläre Konstellation näherhin vorstellte, lässt sich sagen, dass das Denkmodell, das in der trinitarischen Auslegung der Vision Jesajas bei Origenes aufscheint, damit in Alexandria kurz vor der Zeit nachweisbar ist, in der Origenes dort seine Grundlagenschrift verfasste. Im oben zitierten Passus aus dem späteren Hoheliedkommentar hat er 1 Joh. 2,1 in trinitarischem Zusammenhang aufgegriffen. Eine noch deutlichere Spur für dieses Konzept begegnet in der „Himmelfahrt Jesajas“ (Ascensio Isaiae),350 einer ursprünglich wohl griechischen Schrift, die vollständig nur in einer äthiopischen Übersetzung vorliegt (nur noch der Abschnitt asc. Is. 2,4–4,4 ist in einem Papyrusfragment aus dem 5. oder 6. Jahrhundert auf Griechisch erhalten; dazu kommen Stücke auf Koptisch, Altslawisch und Latein). Der literarische Charakter und die Entstehungsgeschichte dieses Textes sind schwer zu beurteilen und entsprechend umstritten. Die Ansicht der älteren Forschung, es liege eine jüdische Schrift unter dem Titel „Martyrium Jesajas“ zugrunde (Martyrium Isaiae, bestehend aus asc. Is. 1,1–3,12 und 5,2–14), die in der zweiten Hälfte des 2. Jahrhunderts christlich überarbeitet und ergänzt worden sei (um asc. Is. 3,13–5,1 und 5,15–11,43),351 gilt als überholt. Es gibt plausible Argumente für eine von vorneherein christliche Entstehung der in die erste Hälfte des 2. Jahrhunderts oder vielleicht sogar in das letzte Drittel des 1. Jahrhunderts (etwa 70/80 n.Chr.) zu datierenden Schrift,352 sei es, dass sie in zwei Redaktionsstufen entstand, sei es, dass sie von einem einzigen Autor stammt und aus zwei komplementären Teilen besteht, in die zwar viele jüdische Traditionen eingegangen sind, ohne dass jedoch redaktionskritisch eine jüdische Grundschrift isoliert werden könnte.353 Der hier interessante Passus lautet folgendermaßen: Der in den höchsten, den siebten Himmel entrückte Jesaja „sah einen dastehen, dessen Herrlichkeit alles überragte, und seine Herrlichkeit war groß und wunderbar. Und nachdem ich ihn erblickt hatte, kamen alle Gerechten, die ich sah, und alle Engel, die ich sah, zu ihm, und Adam und Abel und Seth und alle Gerechten traten zunächst heran und beteten ihn an und priesen ihn alle mit einer Stimme, und auch ich lobsang mit ihnen und mein Lobgesang war wie der ihrige. Und dann traten alle Engel heran und 350 Barbel, ebd. 273–275; Kretschmar, Trinitätstheologie 71–74. 351 So noch Harnack, Ertrag II, 50, ferner zum Beispiel E. Hammershaimb, JSHRZ II/1, Gütersloh 1973, 15–34 (bes. ebd. 17–19); C. D. G. Müller, NTApo II, Tübingen 61997, 547–562 (bes. ebd. 548 f.); Carrell, Jesus and the angels 103 f. 352 Bauckham, The Ascension of Isaiah 381–390. 353 Siehe Pesce, Presupposti 22–28. 35–40. 45–48; Bauckham, ebd. 365–380; Jay, Art. Jesaja 776–778. 792–794.
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beteten und lobsangen. Und ich wandelte mich (Äthiop.: ... er wandelte sich) [wiederum] und wurde wie ein Engel. Und da sprach der Engel, der mich führte, zu mir: ,Den bete an!‘ Und ich betete an und lobsang. Und der Engel sprach zu mir: ,Es ist der Herr aller Herrlichkeit, den Du gesehen hast.‘ Und während er [der Engel] noch redete, sah ich einen anderen Herrlichen, der ihm glich, und die Gerechten traten zu ihm heran und beteten an und lobsangen, und auch ich lobsang mit ihnen, aber meine Herrlichkeit wandelte sich nicht nach ihrem Aussehen. Und danach traten die Engel heran und beteten an. Und ich sah den Herrn und den zweiten Engel, und sie standen, der andere aber, den ich gesehen hatte, war zur Linken meines Herrn. Und ich fragte: ,Wer ist dieser?‘ Und er sprach zu mir: ,Bete ihn an, denn dieser ist der Engel des Heiligen Geistes, der durch dich und die anderen Gerechten redet (Äthiop.: geredet hat).‘ Und ich schaute die große Herrlichkeit, indem die Augen meines Geistes geöffnet wurden, und ich vermochte danach nicht zu sehen, weder den Engel, der mit mir war, noch alle Engel, die ich meinen Herrn hatte anbeten sehen. Aber die Gerechten sah ich mit großer Kraft die Herrlichkeit jenes schauen. Und mein Herr trat zu mir und der Engel des Geistes und sprach: ,Siehe, wie dir gegeben ist, Gott zu schauen, und um deinetwillen ist dem Engel bei dir Macht gegeben worden.‘ Und ich sah, wie mein Herr anbetete und der Engel des Heiligen Geistes und wie beide zusammen Gott priesen. Und danach traten alle Gerechten heran und beteten an, und die Engel traten heran und beteten an, und alle Engel lobsangen.“354 Das christologische und das trinitarische Konzept dieses Textes erweisen sich als mehrschichtig. Während der Heilige Geist eindeutig und mehrmals als „Engel“ apostrophiert wird,355 wird in der äthiopischen Übersetzung der Sohn nur an einer Stelle so qualifiziert und das auch nur mit einer gewissen Distanz: „Er wandelte sich und wurde wie ein Engel.“356 Im selben Sinn wird der Abstieg des Sohnes durch die Himmel zur Erde so beschrieben, dass er sich dabei vorübergehend in die Gestalt eines Engels verwandelte, so dass die Engel ihn nicht erkannten.357 Eine Engelchristologie liegt damit nicht vor, zumal der Sohn im übrigen Text deutlich von den Engeln unterschieden wird und seine Verwandlung in einen Engel den funktionalen Zweck hat, die Eigenschaften eines Boten zu erhalten, um seine Aufgabe erfüllen zu können.358 Wohl aber könnte man von einer „Engelpneumato354 Asc. Is. 9,27–42 (CChr.SA 7, 104–109 äth. Text mit ital. Übersetzung); Übersetzung: Müller, NTApo II6, 558 f. 355 Danie´lou, Trinite´ et ange´lologie 17–21 (= ders., The´ologie 127–130), sah darin einen Konnex mit dem Engel Gabriel. 356 Asc. Is. 9,30 (CChr.SA 7, 106 f.); Übersetzung: Müller, NTApo II6, 559. 357 Ebd. 10,7–31 (7, 110–117). 358 Norelli im Kommentar in CChr.SA 8, 485. 487; Carrell, Jesus and the angels 104–106.
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logie“ sprechen.359 Was die Zuordnung von Vater, Sohn und Geist angeht, liegt nicht einfach die Anschauungsform vor, dass Christus und der Heilige Geist nebeneinander stehen und an der Spitze der ganzen himmlischen Engelschar Gott anbeten und preisen, auch wenn der Schluss der zitierten Passage das nahelegt. In der ganzen Schrift ist nämlich eine Tendenz zur Unterordnung des Geistes unter den Sohn nicht zu verkennen.360 Auch wenn der Text nicht auf Jes. 6 rekurriert, erinnert er gerade mit diesen Oszillationen durchaus an die trinitarische Deutung der Seraphim durch Origenes, der Sohn und Geist bisweilen gleich-, bisweilen den Geist dem Sohn untergeordnet hat (s.o.). Dasselbe gilt für ein weiteres Detail dieses Textes: Anders als Christus und der Heilige Geist sieht Jesaja die Herrlichkeit Gottes nicht: „Und sie wurden alle (sc. die Stimmen und Lobgesänge aus den sechs anderen Himmeln) jenem Herrlichen geschickt, dessen Herrlichkeit ich nicht sehen konnte. Und ich selbst hörte und sah den Lobgesang für ihn. Und der Herr und der Engel des Geistes hörten alles und sahen alles.“361 Gegen Schluss der Schrift wird das trinitarische Konzept dieser Vision noch deutlicher, wo Jesaja von dem nach seinem irdischen Dasein wieder durch alle Himmel hinaufsteigenden Christus sagt: „Und alsbald sah ich, wie er zur Rechten jener großen Herrlichkeit sich niedersetzte, deren Herrlichkeit ich, wie ich euch sagte, nicht zu schauen vermochte. Und auch den Engel des Heiligen Geistes sah ich zur Linken sitzen.“362 Man wird nicht fehlgehen, in solchen Vorstellungen eine der Wurzeln für die christliche Trinitätslehre zu erblicken.363 Eine gnostische Analogie hierzu bietet ein titelloser Traktat eines unbekannten Verfassers in den Codices von Nag Hammadi (NHC II,5), der in der Forschung aufgrund seines hauptsächlichen Inhalts den Titel „Vom Ursprung der Welt“ trägt.364 In diesem wird im Rahmen einer gnostischen Theogonie geschildert, wie „Sabaoth“, „der Herr der Mächte“, wie er in Anlehnung an die Bibel genannt wird,365 sich nach der Erringung der Herrschaft über die sieben Himmel einen Wohnort mit Thron schafft und vor diesem eine riesige Schar von Engeln, die ihn verehren; rechts und links des Thrones sitzen Jesus Christus und „die Jungfrau des Heiligen Geistes“ je auf 359 Hinweise dazu von Norelli, ebd. 486. 360 Nachgewiesen von Simonetti, Note sulla cristologia 187–193 (vgl. ebd. 203), akzeptiert von Norelli, Pneumatologia 260–266 (vgl. ebd. 272; ebenso im Kommentar in CChr.SA 8, 484), dessen Begriff „Syzygie“ (ebd. 261 f.) für das Verhältnis zwischen Sohn und Geist in der „Himmelfahrt Jesajas“ daher nicht passt. 361 Asc. Is. 10,2–4 (CChr.SA 7, 110 f.); Übersetzung: Müller, NTApo II6, 559. 362 Ebd. 11,32 f. (7, 126 f.); Übersetzung: Müller, ebd. 561. 363 Norelli, CChr.SA 8, 585 f., zustimmend zum Interpretationsansatz von Kretschmar. 364 Norelli, ebd. 586–589. 365 NHC II,5 p. 104,9 f. (GCS N.F. 8, 246).
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einem Thron: „Weil er (sc. Sabaoth) (nun) aber Macht hatte, schuf er sich zuerst einen Wohnort. Es ist ein großer, der überaus herrlich ist, der siebenmal (so groß) ist wie alles, was sich [in den] sieben Himmeln befindet. Vor seinem Wohnort aber schuf er sich einen großen Thron, der sich auf einem viergesichtigen Wagen befindet, der ,Cherubin‘ genannt wird. Der Cherubin aber hat acht Gestalten an jeder der vier Ecken: Löwengestalten und Rindergestalten und Menschengestalten und Adlergestalten, so dass sich alle Gestalten auf 64 Gestalten belaufen, und sieben Erzengel stehen vor ihm. Er ist der achte und hat Macht. Alle Gestalten (zusammen) betragen 72. Von diesem Wagen empfingen nämlich die 72 Götter ihre Prägung, (und zwar) erhielten sie ihre Prägung, damit sie über die 72 Sprachen der Völker herrschen. Bei jenem Thron aber schuf er andere Engel von Drachengestalt, die ,Seraphin‘ genannt werden366 und ihn allezeit preisen. Darauf schuf er eine Engelkirche367 – unzählige Tausende und Zehntausende (gehören zu ihr) –, die der Kirche in der Achtheit gleicht, und (er schuf) einen Erstgeborenen, der ,Israel‘ heißt, das heißt: ,der Mensch, der Gott sieht‘,368 und (er schuf) einen anderen, namens ,Jesus Christus‘, der dem Soter (d.h. Erlöser; A.F.) gleicht, der sich oben in der Achtheit befindet. Er sitzt zu seiner Rechten auf einem herrlichen Thron. Zu seiner Linken aber sitzt die Jungfrau des Heiligen Geistes auf einem Thron und preist ihn. Und vor ihr stehen die 〈sieben〉 Jungfrauen, während 30 (andere Jungfrauen) ihm 〈mit〉 Zithern und Harfen [und] Trompeten in den Händen Lobpreis spenden. Und die ganzen Heere der Engel preisen und verehren ihn.“369 Es gibt zwar Unterschiede zwischen dieser Beschreibung und derjenigen in der „Himmelfahrt Jesajas“; so setzen sich Christus und der Geist in dieser erst zur Rechten und Linken auf den Thron, nachdem Christus seinen Erlösungsauftrag erfüllt hat, während sie im gnostischen Text von Anfang an dort sitzen. Im Blick auf das Bild an sich bleiben solche Divergenzen aller-
366 Die Charakterisierung der Seraphim als „Engel von Drachengestalt“ ist deshalb auffällig, weil das hebräische Wort ´srp in der Bibel „Schlange“ heißt: Beuken, Jesaja 1–12, 171. Die Verwendung in der Vision Jesajas ist singulär: Nur Jesaja sieht „Seraphim“ (vgl. Kretschmar, Trinitätstheologie 67), die offenbar etwas anderes bezeichnen als normale „Schlangen“. Von daher verwundert es nicht, dass die Seraphim Jesajas in der Folgezeit (und so auch im vorliegenden Text) mit den Cherubim und anderen Engeln in Verbindung gebracht worden sind. 367 Nach Fallon, Enthronement 106 Anm. 45, ist dieser Ausdruck in der biblischen und zwischentestamentlichen Literatur nicht nachweisbar. 368 Vgl. für diese Etymologie Philon, Abr. 57 (IV p. 14 Cohn/Wendland); leg. Gai. 4 (VI p. 156): Fallon, ebd. 106 mit Anm. 48. 369 NHC II,5 p. 104,31–106,3; Übersetzung: Bethge, GCS N.F. 8, 247. Runde Klammern kennzeichnen erläuternde Zusätze in der Übersetzung, eckige Klammern eine Textlücke im Originalmanuskript, spitze Klammern eine Konjektur oder einen vermuteten Textausfall (vgl. ebd. XIII).
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dings marginal. Das in ihnen präsentierte trinitarische Konzept ist im Prinzip dasselbe: Christus und der Geist stehen an der Spitze der himmlischen Hierarchie und preisen Gott (der gnostisch freilich der minderwertige Demiurg ist, nicht die höchste Gottheit) – das ist die Anschauungsform, die auch der Deutung der Vision Jesajas durch Origenes zugrundeliegt; und Christus und der Geist sind von den Engeln unterschieden (in der gnostischen Schrift beide, in der „Himmelfahrt Jesajas“ der Sohn, nicht jedoch der Geist) und stehen bzw. sitzen, zur Rechten und Linken Gottes, dem Engelheer gegenüber. Dass der Heilige Geist als „Jungfrau“ charakterisiert wird, deutet auf jüdische Wurzeln dieses Konzepts, denn im Hebräischen ist der Geist weiblich. Wie die „Himmelfahrt Jesajas“ führt auch der gnostische Text darauf, dass hinter dieser Vorstellung der himmlischen Liturgie mannigfaltiges frühjüdisches Traditionsgut steht,370 das im frühchristlichen bzw. christlichgnostischen Kontext trinitarisch stilisiert wurde. Die „Himmelfahrt Jesajas“ und der gnostische Traktat „Vom Ursprung der Welt“ stehen wohl für die Tradition, in die Origenes mit seiner Deutung der Vision Jesajas konzeptionell gehört. Über regionale Zusammenhänge oder literarische Abhängigkeiten können wir allerdings kaum Aussagen machen. Der gnostische Traktat liegt in einer koptischen Übersetzung des ursprünglich griechischen Textes vor. Wegen der Nähe einiger Passagen zu manichäischem Gedankengut kann die griechische Fassung, auf der die koptische Übersetzung beruht, frühestens im letzten Drittel des 3. Jahrhunderts entstanden sein (und die koptische wohl etwas später, Ende des 3. Jahrhunderts oder im 4. Jahrhundert). Falls der Traktat einen mehrstufigen Entstehungsprozess durchlaufen hat, könnten die ältesten Schichten aus dem späteren 2. Jahrhundert stammen, doch bleibt das eine bloße Hypothese.371 Wann und wie auch immer der vorliegende Text entstanden sein mag: Hinter dem zitierten Passus steht in jedem Fall die jüdische Tradition, die in der „Himmelfahrt Jesajas“ greifbar wird und in deren Umfeld die Deutung der Vision Jesajas durch Origenes gehört. Ebenfalls hypothetisch bleiben Erwägungen zum Abfassungsort des gnostischen Traktats. Gewiss weisen etliche Merkmale nach Alexandria.372 Das Problem bei solchen Überlegungen, das für alle Texte von Nag Hammadi gilt, liegt dabei darin, dass in koptischen Übersetzungen der Spätantike (meist des 4. Jahrhunderts) Aufschlüsse über erheblich frühere griechische Traditionen gesucht werden, die sich methodisch kontrolliert aus ihnen jedenfalls bislang nicht haben gewinnen lassen.373 Für die hier interessierende Passage aus dem Traktat „Vom Ur370 371 372 373
Nachweise im Detail bei Fallon, Enthronement 101–110. Vgl. Bethge, ebd. 240. Siehe dazu Bethge, ebd. 237 (vgl. ebd. 240). Bethge, ebd. 237. Siehe Fürst, Intellektuellen-Religion 94–96, mit den dort vermerkten Beispielen, darunter auch NHC II,5.
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sprung der Welt“, in den sehr viele Überlieferungen unterschiedlicher Provenienz eingeflossen sind,374 ließe sich bestenfalls vermuten, dass die jüdischen und christlichen Traditionen, die darin greifbar werden, in Ägypten in Umlauf waren. Diese Hypothese könnte gestärkt werden, wenn die „Himmelfahrt Jesajas“ sich ebenfalls nach Ägypten lokalisieren ließe, doch stößt ein solches Unterfangen auf ähnliche Probleme wie die Lokalisierung des gnostischen Traktats. Angesichts der koptischen und äthiopischen Überlieferung ist denkbar, dass sie in Ägypten bzw. in Alexandria geschrieben wurde,375 doch muss man mit einer solchen Hypothese vorsichtig sein, weil wir über die Entstehungsorte und Verbreitungswege frühchristlicher Werke zu wenig wissen.376 Auch eine Lokalisierung nach Kleinasien aufgrund des jüdischen Einflusses und der Bedeutung der Prophetie in den dortigen christlichen Gemeinden hat gute Gründe für sich.377 Strenggenommen wissen wir also nicht, wo diese Schrift entstanden ist, und für den Traktat „Vom Ursprung der Welt“ gilt dasselbe. Lediglich hypothetisch ließe sich eine ägyptische oder alexandrinische Tradition ansetzen, die dann von der „Himmelfahrt Jesajas“ über eine mögliche erste Schicht des Traktats „Vom Ursprung der Welt“ und möglicherweise Clemens von Alexandria zu Origenes liefe. Aber im Grunde bleiben solche auf regionale Zusammenhänge abzielenden Überlegungen Spekulation. Sicherer kann man sagen, dass hier gemeinsame Vorstellungen greifbar werden – woher auch immer sie jeweils stammen und wie auch immer diese Schriften sich zueinander verhalten – und dass die trinitarische Auslegung der Vision Jesajas durch Origenes in dieses Umfeld gehört. Immerhin steht fest, dass Origenes die „Himmelfahrt Jesajas“ kannte, weil er sie im Matthäuskommentar explizit nannte378 und öfter verwendete, so auch am Schluss der ersten Jesajahomilie, wo er auf die legendäre Todesart Jesajas zu sprechen kam – er sei mit einer Baumsäge zersägt worden – und eine Frage diskutierte, die in der „Himmelfahrt Jesajas“ eine zentrale Rolle spielt, ob nämlich Jesaja im Unterschied zu Mose Gott gesehen habe.379 Es könnte kein Zufall sein, dass Origenes in derselben Predigt, in der er ausführlich seine trinitarische Auslegung der Seraphim in der Vision Jesajas darlegte, auf diese Schrift rekurrierte, auch wenn dieser Rekurs einen anderen Aspekt der Vision betraf. Zu einer wirklichen Identifizierung des „Hebräers“, auf den Origenes sich dabei berief, verhelfen diese
374 Hinweise dazu bei Bethge, GCS N.F. 8, 239 f. 375 So die Vermutung von Müller, NTApo II6, 548. 376 Siehe dazu meine kritischen Überlegungen in Fürst, Intellektuellen-Religion 76–80. 89–102, wo zu den dort diskutierten Schriften die Ascensio Isaiae hinzuzufügen ist. 377 Simonetti, Note sulla cristologia 204 f. 378 Origenes, in Matth. comm. X 18 (GCS Orig. 10, 24). 379 In Is. hom. 1,5 (GCS Orig. 8, 247). Siehe dazu unten S. 204 Anm. 26.
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beiden Schriften damit zwar nicht. Doch lässt sich von ihnen ausgehend doch plausibel machen, dass Origenes auf eine jüdische bzw. judenchristliche Tradition rekurrierte. Ob diese zugleich als alexandrinisch qualifiziert werden kann, bleibt aufgrund der Unsicherheiten über den Entstehungsort dieser Texte und aufgrund fehlender Zeugnisse für judenchristliche Gemeinden in Alexandria und Ägypten im 2. Jahrhundert allerdings eher fraglich. In diesen Zusammenhang gehört auch eine Notiz in der nur in armenischer Übersetzung erhaltenen „Darlegung der apostolischen Verkündigung“ des Irenäus von Lyon, dass nämlich „Gott von seinem Wort verherrlicht wird, das sein ewiger Sohn ist, und von dem Heiligen Geist, der die Weisheit des Vaters von allem ist; und die Mächte dieser letzteren, des Wortes und der Weisheit, welche Cherubim und Seraphim heißen, verherrlichen mit immerwährendem Lobgesang Gott; und alles, was immer es im Himmel für Wesen gibt, bringt Ehre Gott, dem Vater von allem.“380 So unklärbar wie die möglichen Abhängigkeitsverhältnisse – Von Philon (s.u.)?381 Oder von der „Himmelfahrt Jesajas“?382 –, so unentscheidbar ist auch die Frage, ob Origenes auch von Irenäus zu seinen Überlegungen angeregt worden sein könnte. Angesichts der Knappheit der Bemerkung des Irenäus wird man das für eher wenig wahrscheinlich halten, so dass dieser Text für diese Recherche nichts erbringt. Auf der Suche nach möglichen Quellgebieten für diese Exegese des Origenes kommt man noch weiter zurück, wenn man in das alexandrinische Judentum blickt. Der aufschlussreichste Text hierfür ist nämlich – bei der Frage nach Quellen des Origenes nicht überraschend – bei Philon von Alexandria zu finden.383 In einem armenisch überlieferten Fragment eines verlorenen Traktats mit dem philologisch ungenauen Titel De deo – präzise geht es um die Gottesbezeichnung „wohltätig verzehrendes Feuer“ –, in dem Philon Gen. 18,2 auslegte und der ursprünglich vermutlich Teil seines allegorischen Genesiskommentars war,384 kam er auf die Seraphim in Jes. 6 in Verbindung mit den Cherubim über der Bundeslade in Ex. 25 zu sprechen und erläuterte dazu unter anderem Folgendes: „Der in der Mitte wird ,Seiender‘ genannt (Ex. 3,14 LXX); doch ist dieses ,Seiender‘ nicht sein eigener und eigentlicher Name. Denn er selbst ist unnennbar und unsagbar, wie (er) auch unfasslich (ist). (Seinem Da-)Sein entsprechend wird er jedoch als ,der Seiende‘ benannt. Von den beiden Speerträgern aber zu (seinen) 380 Irenäus, epid. 10 (FC 8/1, 39). 381 So Lanne, Cherubim et Seraphim 529–533. 382 So Kretschmar, Trinitätstheologie 97; Danie´lou, Trinite´ et ange´lologie 31–33 (= ders., The´ologie 189–191). 383 Kretschmar, ebd. 82–91. 384 Adler, Fragment (kritisch dazu: Harl, Cosmologie 192); Siegert, WUNT 46, 1. 6.
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beiden Seiten ist der eine ,Gott‘ und der andere ,Herr‘, dementsprechend dass der eine (Mann) für die schöpferische, der andere für die herrscherliche Fähigkeit Symbol ist. Über diese drei Männer (Gen. 18,2) scheint mir jenes Orakel Gottes (im) Gesetz gegeben zu sein: ,Ich will zu dir sprechen von oberhalb des Sühnedeckels, mitten zwischen den beiden Cherubim‘ (Ex. 25,22). Da nämlich die Kräfte geflügelt sind, thronen sie naturgemäß in einem geflügelten Wagen über der ganzen Welt. Der Vater selbst aber hängt nicht oberhalb der Kräfte, sondern hat alles an sich hängen; denn Stütze des Bestehens und Säule des Alls ist er allein. Dass er aber ,von oberhalb‘ spricht, der (doch) in der Mitte ist, sagt (die Schrift) deshalb, weil der Seiende durchs Wort das Universum ausgestaltet hat und dieses (seinerseits) durch seine Vorsehung sprechend und vernünftig geworden ist. – In wessen Mitte er aber ist, hat (die Schrift) klargemacht, indem sie sie ,Cherubim‘ nennt: Davon ist der eine der schöpferischen Kraft geweiht und wird mit Recht ,Gott‘ genannt, während der andere der herrscherlichen und königlichen (Kraft zugehört und) ,Herr‘ (heißt). Diese Erscheinung erweckte auch den Propheten Jesaja und richtete ihn auf; er empfing nämlich einen Anteil an dem, was oberhalb des Alls das Pneuma der Gottheit ist. Von diesem ausgegossen, gerät der prophetische (Geist) in Verzückung und Taumel. Er spricht nämlich: ,Ich sah den Herrn auf einem hohen Thron sitzen; und das Haus war voll Herrlichkeit, und Seraphim standen rings um ihn. Sechs Flügel hatte jeder einzelne: Mit zweien bedeckten sie das Angesicht, mit zweien bedeckten sie die Füße, und mit zweien flogen sie‘ (Jes. 6,1 f.).“385 In diesem philosophisch und theologisch dichten Text bietet Philon eine hauptsächlich kosmologisch ausgerichtete Exegese von Jes. 6,1 f., die in seinen sonstigen Werken ohne Parallele ist.386 Die zwei Cherubim auf der Bundeslade in Ex. 25 setzte er darin mit den zwei Seraphim in Jes. 6 und diese wiederum mit den zwei (obersten) Kräften Gottes, der schöpferischen und der königlichen bzw. herrscherlichen, gleich. Die Rede von diesen zwei Kräften Gottes ist ein festes Theologumenon Philons, das in seinen Schriften häufig begegnet, etwa auch in der Auslegung von Gen. 18 im Traktat über Abraham: „Es ist aber – wie einer, der der Wahrheit sehr nahe kommt, sagen könnte – der Vater des Weltalls der mittlere, der in den heiligen Schriften mit seinem eigentlichen Namen ,der Seiende‘ genannt wird, auf beiden Seiten aber sind die höchsten und nächsten Kräfte des Seienden, die schöpferische und die regierende; die schöpferische heißt 385 Philon, De deo 4–6; Übersetzung: Siegert, ebd. 34 f. (mit einem ausführlichen, vorwiegend philologischen Kommentar ebd. 66–95). Mit der an einer griechischen Rückübersetzung (ebd. 23–32) orientierten Wiedergabe (ebd. 33–37) des armenischen Textes (ebd. 13–22) ersetzte Siegert seine erste deutsche Übersetzung und Beurteilung dieses Textstücks in WUNT 20, 84–93. 386 Harl, Cosmologie 194–197 (bes. ebd. 195 Anm. 1); Siegert, WUNT 46, 1. 39. 85.
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,Gott‘, denn mit dieser hat er das All ins Dasein gesetzt und eingerichtet, die regierende ,Herr‘, denn es ist billig, dass der Schöpfer über das Geschöpf herrscht und regiert.“387 Im „Leben des Mose“ setzte er die Cherubim in Ex. 25 wie im Traktat De deo mit den beiden „Kräften“ Gottes gleich: „Ich aber möchte meinen, dass sinnbildlich die zwei vornehmsten und obersten Kräfte des Seienden, die schöpferische und die herrschende, dadurch (sc. durch den Namen ,Cherubim‘) bezeichnet werden.“388 Angesichts der bekannten Abhängigkeit des Origenes von Philon liegt die Annahme nicht fern, dass er bei seiner Deutung der Seraphim in Jes. 6,2 f. von solchen und ähnlichen Texten Philons inspiriert war, freilich eher methodisch im Blick auf die symbolische Hermeneutik des Bibeltextes als inhaltlich, denn Philon dachte nicht trinitarisch. Die beiden „Kräfte“ Gottes, „des Seienden“, ließen sich in einem christlichen Denkrahmen allerdings leicht trinitarisch in Sohn und Heiligen Geist transponieren.389 Ein Indiz dafür könnte zudem sein, dass Origenes wie Philon selbstverständlich davon ausging, dass es zwei Seraphim seien, obwohl deren Zahl im Bibeltext nicht genannt ist.390 Im Referat der Erklärung des „Hebräers“ im Ä n ist diese Zahl betont (s.o.), in der vierten vierten Buch von PeriÁ aÆrxv Jesajahomilie schloss Origenes aus der Formulierung des Textes in Jes. 6,3: alter ad alterum (in der lateinischen Fassung), dass „nicht der eine mehreren, sondern der eine dem anderen“ zurufe,391 obgleich diese Formulierung auch innerhalb einer größeren Schar möglich wäre. Allzu aussagekräftig ist diese Beobachtung indes nicht, denn im Alten Orient wurden diese Flügelwesen, wie nicht zuletzt aus judäischen Stempelsiegeln hervorgeht, meistens paarweise dargestellt.392 Die Annahme, die Seraphim in Jes. 6 seien zwei, lag 387 Philon, Abr. 121 (IV p. 28 Cohn/Wendland); Übersetzung: Cohn, Philo, Werke I, 121 f. Vgl. ferner zum Beispiel sacr. 59. 60 (I p. 225 f.); quaest. in Gen. IV 2 (p. 270 f. Marcus in englischer Übersetzung des armenischen Textes) und dazu Lanne, Cherubim et Seraphim 528. 388 Vit. Mos. II 99 (III 8) (IV p. 223 f. Cohn/Wendland); Übersetzung: Badt, Philo, Werke I, 320. Vgl. ferner Cherub. 27 f. (I p. 176 f.); her. 166 (III p. 38); quaest. in Gen. I 57 (p. 35 Marcus); quaest. in Ex. II 62–68 (p. 108–118 Marcus in englischer Übersetzung des armenischen Textes; ebd. 253–256 das griechische Fragment dazu) und dazu die weiteren Hinweise bei Harl, Cosmologie 192 f. 200 f.; Siegert, WUNT 46, 73. 389 Barbel, Christos Angelos 273 (siehe auch ders., Engel-Trinitätslehre 57); Danie´lou, Trinite´ et ange´lologie 29–31 (= ders., The´ologie 188 f.). Zu den Differenzen zwischen Philon und der christlichen Theologie in diesem Punkt: Siegert, ebd. 62 f.; ebd. 73–78 (auch: ebd. 94) werden die Unterschiede jedoch zu wenig beachtet. 390 Origenes, in Is. hom. 1,2 (GCS Orig. 8, 244). 391 Ebd. 4,1 (8, 258). Die Vermutung von Michl, Duo Seraphim 443, Origenes habe einen Bibeltext gelesen, in dem von zwei Seraphim die Rede war, wird durch diese Erklärung des Origenes gegenstandslos. 392 Beuken, Jesaja 1–12, 169–171 mit Abbildungen.
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daher wohl nahe, zumal wenn man die Seraphim mit den zwei Cherubim rechts und links neben der Bundeslade im salomonischen Tempel (Ex. 25; 1 Kön. 6) in Verbindung brachte. Schon Clemens von Alexandria vermischte die Seraphim dadurch mit den Cherubim, dass er jedem sechs Flügel zusprach – eine Ausstattung, die im Bibeltext nicht ihnen, sondern den Seraphim zukommt.393 In der späteren christlichen Tradition begegnet diese Zahlenangabe noch vereinzelt,394 doch überwog die insbesondere von Eusebius und, wohl von diesem abhängig, von Hieronymus kritisch gegen Origenes vorgebrachte Annahme, da die Seraphim „rings um“ Gott „herum“ standen, könne es sich nicht nur um zwei gehandelt haben.395 Möglicherweise kommt man traditionsgeschichtlich sogar noch ein Stück hinter Philon zurück. Eine analoge Vorstellung gab es vielleicht im palästinischen Frühjudentum, so dass Philon von daher beeinflusst sein könnte. Die Belegstellen hierfür sind allerdings nicht sonderlich beweiskräftig.396 Aufschlussreicher ist demgegenüber der von Origenes zitierte Septuagintatext von Hab. 3,2.397 Der hebräische Satz hat einen zeitlichen Sinn: „In den nahenden Jahren“,398 das heißt „bald“ solle die Offenbarung, die der Prophet Habakuk nach Hab. 2,2 f. erhalten hat, verwirklicht werden.399 Durch verschiedene Punktion des Konsonantenbestandes von Hab. 3,2 kamen in der Septuaginta zwei verschiedene Übersetzungen zustande, deren zweite gedoppelt wurde: zunächst eine örtliche Wiedergabe des Attributivsatzes: „Inmitten zweier Lebewesen wirst Du erkannt werden“ (eÆn meÂsvì dyÂo zvÂì vn gnvsuhÂshì ), dann eine dem Hebräischen entsprechende Äì eÆggiÂzein zeitliche: „Wenn die Jahre nahen, wirst Du erkannt werden“ (eÆn tv ta Á eÍth eÆpignvsuhÂshì ), die gemäß dem Parallelismus im Hebräischen noch einmal übersetzt wird: „Wenn die Zeit da ist, wirst Du gezeigt werden“ (eÆn tv Äì pareiÄnai to Á n kairo Á n aÆnadeixuhÂshì ).400 Die Quelle für den in der Septuaginta dadurch entstehenden Zusatz zum hebräischen Text in Hab. 3,2
393 Clemens von Alexandria, strom. V 35,6 f. (GCS Clem. 2, 350). Vgl. Michl, Duo Seraphim 443 f. mit Belegen für die Konfusion von Cherubim und Seraphim in späteren Texten, ebd. Anm. 15. 394 Kretschmar, Trinitätstheologie 78–82, der die Belege allerdings überbewertet. 395 Michl, Duo Seraphim 444–446. Vgl. Eusebius, dem. ev. VII 1,9 (GCS Eus. 6, 299); in Is. 41 (GCS Eus. 9, 38), und dazu Hollerich, Origen’s Exegetical Heritage 544; ders., Eusebius 52; Hieronymus, in Es. III 7 (VL.AGLB 23, 318). 396 Kretschmar, Trinitätstheologie 94–121, der selbst auf die mangelnde Deutlichkeit hinwies (ebd. 110). 397 Kretschmar, ebd. 91 f. 398 So die Übersetzung von Buber/Rosenzweig (III p. 702). 399 Siehe Deissler, Zwölf Propheten II, 231 Anm. zu Hab. 3,1–19; Seybold, ZBK.AT 24/2, 76. 400 Hab. 3,2 LXX (II p. 535 Rahlfs); Übersetzung und philologische Erläuterungen: Ziegler, Ochs und Esel 389 f.
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dürfte in Ex. 25,21 f. zu finden sein, wo es heißt, dass Gott sich auf der Deckplatte (iëlasthÂrion) oben auf der Bundeslade zu erkennen geben (in der Septuaginta steht hier dasselbe Verbum wie in Hab. 3,2) und „inmitten der zwei Cherubim“ reden werde. An diese Stichwörter knüpfte der Übersetzer von Hab. 3,2 wohl an und gab den Text in den beiden Möglichkeiten wieder, nach denen er vokalisiert werden kann. Origenes hat diesen philologischen Zusammenhang richtig gesehen und bei der Auslegung des Begriffs iëlasthÂrion in Röm. 3,25 gemäß der lateinischen Version Rufins folgendermaßen dargelegt: Das iëlasthÂrion sei die Seele Jesu, in welcher Gottes Wort (sein einziger Sohn) und der Heilige Geist wohnen, was durch die zwei Cherubim in Ex. 25,18 f. angezeigt werde; Ex. 25,21 f. erläuterte er sodann unter Hinweis auf Hab. 3,2 LXX, was bedeutet, dass er die „zwei Lebewesen“, von denen da die Rede ist, als Christus und Heiligen Geist auffasste.401 Der griechische Text dieser Passage hat sich in dem Papyrus mit Origenestexten erhalten, der 1941 in Tura gefunden wurde: „Wer könnte die Lade unter der Sühneplatte und den Cherubim anderes sein als, wie ich meine, die heiligen und seligen Kräfte, die in der Lage sind, die Gottheit des einzigen Sohnes und des Heiligen Geistes zu tragen, die Körpern einwohnenden [...] und der Seele Jesu, die beide Cherubim trägt, weil sie die Sühneplatte ist und bildlich gesprochen oben auf der Lade ist? *** Um zu bezeugen, dass das göttliche Wort inmitten der zwei Cherubim erkannt wird, kann man ein Wort aus Habakuk aufnehmen (es folgt ein Zitat von Hab. 3,2 LXX).“402 Der Inhalt ist, bei Varianten in Details, die möglicherweise auf das Konto des Rufinus gehen, prinzipiell identisch, doch hat der griechische Exzerptor den Text des Origenes gekürzt, so dass die lateinische Übersetzung hier vollständiger ist.403 Von der Vision Jesajas und den Seraphim ist hier nicht die Rede, wohl aber kombinierte Origenes Hab. 3,2 LXX damit im oben zitierten Text aus dem Ä n,404 und bei der Auslegung von Ps. 67(68),11 ersten Buch von PeriÁ aÆrxv deutete er die „Lebewesen“, die „in Dir wohnen“, auf die Cherubim und Seraphim und berief sich dafür auf die Habakukstelle.405 Die Kombination 401 Origenes, in Rom. comm. III 5(8) (I p. 240. 242 Hammond Bammel). Siehe dazu Ziegler, ebd. 396; Lanne, Cherubim et Seraphim 527; Kretschmar, Trinitätstheologie 84 f. 402 In Rom. comm. V frg. 5 zu Röm. 3,25 f. (p. 158–160 Scherer); Übersetzung nach Heither, FC 2/6, 100. 403 Scherer, Commentaire 16. 96; Danie´lou, Trinite´ et ange´lologie 28 f. (= ders., The´ologie 187 f.). 404 Siehe oben S. 75 Anm. 308. 405 Origenes, sel. in Ps. 67,11 (PG 12, 1508). Vgl. Ziegler, Ochs und Esel 396. Diese Stelle, ferner Cels. VI 18 (GCS Orig. 2, 89); in Luc. hom. 3,2 (GCS Orig. 92, 20), widerlegt die Behauptung von Lanne, Cherubim et Seraphim 527 f., Origenes habe Cherubim und Seraphim nie zusammen erwähnt.
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der Cherubim in Ex. 25,21 f. mit Hab. 3,2 LXX war also schon in der Septuaginta gegeben, die Verbindung zwischen den Cherubim und den Seraphim in Jes. 6 hat Philon hergestellt (s.o.). Bei seiner Auslegung der Vision in Jes. 6,1–7 rekurrierte Origenes offensichtlich auf dieses Netz von biblischen Texten und ihrer Auslegung bei Philon und interpretierte sie trinitarisch. Als Ergebnis dieser Recherchen lässt sich festhalten: Jes. 6,1–7 schildert eine Theophanie. Für den christlichen Theologen Origenes konnte der Gott, der da erscheint, nur der trinitarische Gott sein. Bei seiner trinitarischen Auslegung dieser Vision und speziell der Seraphim als Sohn und Geist war er, so der wahrscheinlichste Schluss aus den vorgeführten Quellen, nicht monokausal von einer bestimmten Quelle abhängig, sondern verknüpfte verschiedene Überlieferungen zu einem eigenständigen Konglomerat. Anhaltspunkte für die Kombinierung einiger Bibelstellen, die er dabei vornahm, lieferte bereits der ihm vorliegende griechische Bibeltext. Weitere Kombinationen und inhaltliche Ideen entnahm er den Schriften Philons und möglicherweise auch der „Himmelfahrt Jesajas“, in der Jesaja ebenfalls, und sogar sehr ausführlich, von einer Vision Gottes berichtet. Die exakte Herkunft der spezifischen Deutung der Seraphim in Jes. 6 auf den Sohn Gottes und den Heiligen Geist bleibt zwar im Dunkeln, weil sich der Hinweis des Origenes auf den „Hebräer“ nicht weiter aufhellen lässt als bis zu der Aussage, dass dahinter eine judenchristliche Tradition steht. Im Blick auf die Septuaginta, im Blick auf Philon, eventuell im Blick auf die „Himmelfahrt Jesajas“ und den gnostischen Traktat „Vom Ursprung der Welt“ und sicher im Blick auf einige Bemerkungen bei Clemens von Alexandria lässt sich freilich sagen, dass die trinitarische Auslegung der Vision Jesajas durch Origenes hinsichtlich der Elemente, aus denen sie geschmiedet ist, der alexandrinischen Tradition im weiteren Sinne entstammen dürfte. Im Rahmen dieser Zusammenhänge spielt ein weiterer, bislang nicht beachteter Aspekt eine Rolle, der solche Exegesen stark geprägt hat: die antike Philosophie,406 in diesem Fall vor allem der sog. Mittelplatonismus, der in Alexandria zur Zeit Philons entstand und die folgenden zwei bis drei Jahrhunderte der Philosophiegeschichte maßgeblich bestimmte.407 Der Konnex zwischen Philon und Origenes, der in ihren Auslegungen der Vision Jesajas sichtbar wird, beruhte wesentlich darauf, dass beide einer gemeinsamen philosophischen Welt angehörten, die gerade in Alexandria tiefgehend und nachhaltig auf das religiöse Denken einwirkte (und umgekehrt: Die
406 Kretschmar, Trinitätstheologie 71, erwähnte diese, ging aber nicht darauf ein. Ziebritzki, Heiliger Geist 11–13, monierte dies zu Recht als entscheidenden Mangel der Studie Kretschmars. 407 Siehe dazu Dörrie, Eudoros von Alexandreia; Dillon, The Middle Platonists 114 f.
II. Die Jesajaexegese des Origenes in den Homilien
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Religionen beeinflussten das philosophische Denken). Um die Überlegungen, die Origenes zur Vision Jesajas anstellte, nicht nur hinsichtlich ihrer traditionsgeschichtlichen Herkunft und ihrer Verortung im Tableau frühchristlichen Gottesdenkens, sondern hinsichtlich ihres theologischen Gehalts zu verstehen, ist deren philosophisches Substrat zu beachten. Wie stark dieses in seinen Jesajahomilien zum Zuge kam, soll im folgenden Kapitel aufgezeigt werden.
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III. Die Theologie der Jesajahomilien 1. Theologie des christlichen Lebens – Die Jesajadeutung des Origenes Die erhaltenen neun Jesajapredigten des Origenes erwecken im Ganzen zwar mehr den Eindruck einer lose zusammengestellten Auswahl, die in ihrer jetzigen Gestalt zudem nicht auf Origenes selbst, sondern auf den Übersetzer Hieronymus zurückgehen dürfte. Sie weisen gleichwohl eine Reihe theologischer Grundgedanken auf, die der Sammlung eine einheitliche Form geben: Durchweg aus der Perspektive eines bewussten christlichen Lebens vorgetragen, entfalten die Homilien mit ihren gehaltvollen Ausführungen zur Gottesvision des Propheten, zu seinem vorbildlichen Leben und zu einzelnen Motiven seiner Schelt- und Drohpredigt im perspektivenreichen Umriss jene für Origenes insgesamt charakteristische Theologie des christlichen Lebens, „die dem einzelnen Christen wie der Kirche als Ganzer Orientierung über ihren ,Ort‘ in der Welt und Wegweisung für das Handeln gibt.“408 Entsprechend spannt sich der thematische Bogen des kurzen Homilienwerkes von der existentiellen Entscheidung des Einzelnen für oder gegen Christus und deren Grund im wachsenden Bewusstsein seiner Gegenwart in der Seele auf der einen bis zu einer von Gott und seiner Kirche mehr und mehr durchwalteten Gesamtwirklichkeit auf der anderen Seite; in einer kurz gefassten Metaphysik der Welt und ihrer Geschichte bildet diese den Hintergrund der vom Hörer eingeforderten sittlichen Anstrengung. Im Mittelpunkt der Sammlung steht die von Origenes trinitätstheologisch ausgelegte Gottesschau Jesajas (Jes. 6,1–7). Ihrer spekulativen Deutung sind mit den Stücken I, IV und V nicht weniger als drei der neun überlieferten Homilien gewidmet. Unter Hervorhebung des besonderen Ranges dieser Gottesvision – Jesaja sieht Gott in seinem himmlischen Thronsaal, also in seiner Eigenschaft als Herrscher, nicht etwa als Richter – identifiziert 408 So die treffende Charakterisierung der gesamten Theologie des Origenes bei Schockenhoff, Fest der Freiheit 17. Schockenhoffs Synthese von philosophisch-systematischer und geistig-spiritueller Deutung des Origenes, wie sie in der zitierten Formulierung programmatisch zum Ausdruck kommt, ist auch für die folgende Interpretation der Jesajapredigten leitend. Ausgangs- und Zielpunkt der origeneischen Theologie sind demnach der Mensch und sein Leben. Vgl. zu der Inhaltsangabe der einzelnen Predigten auch die kurze Übersicht bei Guinot, L’he´ritage 379 f.
III. Die Theologie der Jesajahomilien
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Origenes die beiden Seraphim zu seiner Rechten und Linken, die sein Angesicht und seine Füße mit zweien ihrer Flügel verhüllen, mit dem Sohn und mit dem Heiligen Geist. Sie verbergen den Anfang und das Ende Gottes, des Vaters, so dass lediglich seine Mitte Gegenstand einer möglichen Erkenntnis seitens des Menschen ist. Diese „Mitte Gottes“ deutet Origenes in den genannten Predigten einmal als Schöpfungswirklichkeit, von der sich auf Gott schließen lasse, dann, präzisierend, als Gottes Wirken, dessen Ursprung und Ende dem Menschen gleichermaßen verborgen blieben. Zusammen mit der biblischen Beschreibung des mit Rauch erfüllten Tempels und im Rekurs auf die Vaterunserbitten um das Kommen des Reiches und die Erfüllung des göttlichen Willens erscheint das dreifache „Sanctus“ der Seraphim und ihr Lobpreis der weltumspannenden Herrlichkeit Gottes sodann als prophetische Ankündigung der Ankunft Christi, mit der er sich die ganze Welt untertan und zu einer Stätte der göttlichen Herrlichkeit mache. In einem erratisch anmutenden, aber thematisch verwandten Passus zu Beginn der fünften Homilie identifiziert Origenes Christus zudem mit der in Jes. 41,2 genannten Gerechtigkeit, die zum Heil der Welt auf Gottes Ruf hin Mensch werde. Den Schemel für Gottes Füße, von dem bei Jesaja und im Psalter die Rede ist, deutet er darüber hinaus als den vergöttlichten Körper Jesu. Diese Ankunft und Menschwerdung Christi, so der damit verbundene Appell des Predigers, soll nun auch der Einzelne selbst in der eigenen Seele stattfinden lassen und so ebenfalls an der göttlichen Herrlichkeit teilhaben, wie sie in Gestalt der christlichen Kirchen überall auf Erden augenfällig zutage trete. Dazu sei es notwendig, das gesamte Leben an der Herrlichkeit Gottes auszurichten und diese in all seinen Vollzügen sichtbar werden zu lassen. Dementsprechend sind Ausführungen ethisch-paränetischen Inhalts nicht weniger ausführlich als die spekulativ-metaphysische Auslegung der Vision selbst. Sie nehmen ihren Ausgang bei der Person des Propheten Jesaja vor und nach der Schau: Der Tod Usijas, der vom Hagiographen nicht ohne Grund angegebene Zeitpunkt der Gottesschau, stehe für die Überwindung eines frevlerischen, gottfernen Lebens, wie es der israelitische König und der Pharao des Exodusbuches verkörperten. Zusammen mit der zeitgleichen Erhebung des Logos zum Prinzip des Lebens der Seele sei der Tod dieses inneren Widersachers damals wie heute unerlässliche Bedingung für die Gottesschau. Die Selbstanklage Jesajas, nachdem ihm der Christus-Seraph mit glühender Kohle die Lippen, sein Denken und Trachten, gereinigt und ihn von seinen Sünden befreit hat, deutet Origenes als notwendige Zerknirschung, die für die Befreiung von der Sünde essentiell sei. In der fünften Homilie parallelisiert er die Sündenreinigung durch die vom Altar Gottes genommene Kohle außerdem mit jener durch die Fußwaschung beim letzten Abendmahl Jesu und seiner Jünger.
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Die zweite Homilie behandelt das von Origenes mit Christus identifizierte Zeichen, das König Ahas, ein Sinnbild für Israel, entgegen der Aufforderung Gottes für sich zu erbitten ablehnt. Im Zuge einer doppelten christologischen Lesart der biblischen Vorlage ruft Origenes den Hörer abermals dazu auf, dem Gotteswort, das Himmel und Erde erfülle, endlich auch Einlass in die eigene Seele zu gewähren. Unter Hinzuziehung einer Stelle aus den Sprichwörtern, die den Leser dazu ermuntert, süßen Honig zu essen, erläutert Origenes die im Bibeltext genannte Nahrung des Christus, Butter und Honig, als Wort der Schrift, von dem sich die Seele entsprechend der Aufforderung des Heiligen Geistes ernähren solle. Prinzip der vom Geist verfassten Schrift sei Christus selbst, die höchste der Honig spendenden Bienen. Die Predigt schließt mit dem von Origenes breit entfalteten Bild einer im Innern der Seele stattfindenden Mahlgemeinschaft von Wort und Mensch, in der beide einander als Nahrung dienen: Der Logos speise die Seele mit sich und seinem göttlichen Wissen, die Seele ihn mit ihren guten Gedanken und Taten. Die dritte Homilie des Corpus stellt einen kurzen, von längeren christologischen Ausführungen unterbrochenen pneumatologischen Traktat dar. Die sieben Frauen, die sich nach Jes. 4,1 mit einem einzigen Mann verbinden wollen, identifiziert der Prediger mit den sieben Gaben des Heiligen Geistes, der bei der Taufe auf Jesus herabsteige und dauerhaft auf ihm ruhe. Die siebenfältige geistige Wirklichkeit des Pneumas sieht er in einem kosmischen Ringen mit ihren weltlichen Pendants begriffen, die sich zu Unrecht seine Namen angeeignet hätten und die die Menschen nun zu verführen suchten. Anhand dreier Christusbezeichnungen erläutert Origenes in diesem Zusammenhang auch dessen Heilswirken: Aus der „Wurzel“ der einen Natur entsprungen, erscheine Christus dem einen als strafende „Rute“, dem anderen, bereits weiter Fortgeschrittenen als anmutige „Blüte“. Mit der Dauerhaftigkeit, die er durch den im Taufbericht verwendeten Begriff des Ruhens ausgedrückt findet, benennt Origenes sodann das Spezifikum von Jesu Geistbesitz: Während seine Sündenlosigkeit den Geist beständig auf ihm ruhen lasse, verliere der niemals sündenfreie Mensch diesen wieder, wenn immer er ein Unrecht begehe. Die Homilie schließt mit einigen kürzeren Überlegungen zum Verhältnis des Geistes und des Sohnes zum Vater, der zugleich ihre Speise und die des ganzen Heilswerkes sei, sowie einem leidenschaftlichen Ausruf, in dem der Prediger die Einheit des Gläubigen mit Christus und die von ihm vermittelte Gemeinschaft mit dem Geist beschwört. Ein weiteres thematisches Ganzes bildet die Auslegung der in Jes. 6,8–10 dargestellten Sendung des Propheten, dem Gegenstand der umfangreichen sechsten und der nur fragmentarisch erhaltenen neunten Predigt.409 409 Zur Diskussion über die Echtheit der neunten Homilie siehe oben S. 23–27.
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In einem einleitenden Vergleich zu Anfang der sechsten Homilie gibt der Prediger der Reaktion des Mose, der dem Befehl Gottes im Bewusstsein der eigenen Unzulänglichkeit zunächst nur mit Widerwillen gefolgt sei, den Vorzug vor dem Leichtsinn, mit dem sich Jesaja ohne Kenntnis dessen, was er auf göttliches Geheiß würde verkünden müssen, Gott zur Verfügung gestellt habe: Auch heute tue man gut daran, sich wie Jesus und seine Apostel in Demut zu üben und nicht in Verkennung der eigenen Fähigkeiten leitende kirchliche Positionen anzustreben. Mit einer Gegenüberstellung der Sündenvergebung, die Jesaja durch den Seraphen zuteil wird und die Origenes als möglichen Grund für seinen Übereifer anführt, und der Schuld des Mose am Tod eines Ägypters schließt Origenes den Vergleich ab. Unter Beibringung reichen exegetischen Vergleichsmaterials erläutert er im Weiteren dann die Verstockung Israels, das zentrale Thema der prophetischen Predigt Jesajas: Auf der Grundlage einer Unterscheidung von sinnlichem und geistigem Hören und Sehen deutet er das „verfettete Herz“ der Israeliten als Vereinnahmung ihrer Seele durch irdische Dinge, durch die diese zusehends schwerfällig und behäbig und damit für die geistige Wahrheit Christi und der Schrift unempfänglich geworden sei. In einem dem neutestamentlichen Bericht von der Fußwaschung der Jünger durch Jesus gewidmeten Exkurs erläutert Origenes die Unterscheidung von körperlichem und intellektuellem Sinn weiter: Obwohl das Geschehen für alle anwesenden Apostel im körperlichen Sinn sichtbar gewesen sei, sei dessen eigentliche, tiefere Bedeutung, nämlich die von Jesus vollzogene Reinigung der Seele vom Staub dieser Welt und ihr Aufstieg zu ihm, dem geistigen Weg, nur von wenigen unter ihnen wirklich „gesehen“, d.h. begriffen worden. Entsprechend seien es auch die Füße der Seele und nicht die des Körpers, die der Seelsorger heute in der Nachfolge Christi mit geistigem Wasser reinigen müsse. Wie die Schrift insgesamt seien die Taten Jesu allesamt Bilder und Gleichnisse, die uns, geistig verstanden, zur Kirche führen wollten. Mit den zahlreichen Konversionen von Heiden und Sündern vollbringe diese, so schließt Origenes die umfangreiche exegetische Digression ab, Wunder, die Jesu Heilungen körperlicher Gebrechen sogar noch überträfen. Zum eigentlichen Thema, der Verstockung Israels, zurückgekehrt, erklärt der Prediger die geistige Schwerfälligkeit der von Gott und seinem Propheten getadelten Israeliten weiter: Wie die Ägypter, die infolge ihrer schweren Sündenlast im Meer irdischer Verstrickung untergegangen seien, so habe auch Israel die Schwingen des Geistes verloren und aus freien Stücken einen Lebenswandel gewählt, der es Christus und die wahre Bedeutung der Schrift nicht habe hören und sehen lassen. Dieses Thema greift er in der neunten Homilie noch einmal auf und erweitert es zudem um die infolge der Verstockung ebenfalls verschleierte Welterkenntnis: Der Kosmos werde zwar von allen Lebewesen, gleich ob Tier oder Mensch, wahrgenommen. Seine tieferen Gründe aber blieben einem „verfetteten Herzen“
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verborgen. Es sei daher unerlässlich, so die Zusammenfassung in Form eines Aufrufs an die Gemeinde, allen Ballast irdischer Sorge von sich abzuwerfen. Die Homilien VII und VIII greifen einzelne Motive der prophetischen Drohpredigt auf und transponieren sie in ethischer Deutung in die unmittelbare Gegenwart des einzelnen Gläubigen und der Kirche. In der ersten der genannten Predigten wendet Origenes den Gedanken der Kindschaft, mit dem der Prophet sein Verhältnis zu seinen Anhängern beschreibt, ins Christologische. Unter Hinzuziehung einer ähnlich lautenden Stelle aus dem Hebräerbrief führt er seinen Hörern zunächst den Abstieg des Logos vor Augen, der für das Heil des Menschen eine ihm fremde körperliche Natur angenommen habe. Sein gesamtes Heilswerk versteht Origenes dabei als pädagogische Bemühung um eine im Ganzen nur aus mehr oder weniger begabten Kindern bestehende Menschheit. Im Weiteren deutet er die Wunder und Zeichen, die Gott nach Jes. 8,19 vom Zion aus wirkt, als den christlichen Dienst der von ihm berufenen Seelen. Die „Wahrsager“, wörtlich: „Bauchredner“ (ventriloqui) des darauf folgenden Verses, die aufzusuchen und zu befragen dem Volk strikt verboten wird, erscheinen als Dämonen, die Christus zu überwinden suche. Bei ihnen handelt es sich nach Origenes um Menschen, denen ein voller Magen und die Befriedigung irdischer Bedürfnisse und Ambitionen alles gälten. Eine Unterscheidung von körperlichem und geistigem Magen, die den bald pejorativen, bald positiven Gebrauch des Wortes erklären soll, und die Verdammung der Wahrsager, die nicht an Christus, dem wahren Leben, teilhätten, schließt die ethische Dämonologie ab. Die Predigt selbst endet mit einem hymnischen Preis der Schrift, der sich nichts Vergleichbares an die Seite stellen lasse. Zu Beginn der achten Predigt deutet Origenes die prophetische Idolatriekritik als Abfall von Gott in der mit dem Dienst an selbst verfertigten Götzen gleichgesetzten Sünde: Götzendienst geschehe im Innern der Seele, in dem der Mensch einem irdischen Gut wie einem Götzen die eigentlich allein Gott zustehende Ehre gebe. In einem zweiten Teil identifiziert Origenes den hochmütigen Assyrerkönig mit dem Teufel, der auch jetzt der Kirche in Gestalt mannigfacher Versuchungen, falscher Lehren und inneren Zwistes zusetze. Die wenigen erhaltenen Fragmente des ursprünglich wohl 30 Bücher zählenden Jesajakommentars des Origenes komplettieren teils das Bild, das die Homilien bieten, teils führen sie thematisch weit darüber hinaus. In einem wichtigen ersten Fragment verwendet Origenes den Plural von „Gott“, „Geist“ und „Christus“, um das auch für die Theologie der Homilien zentrale Thema der Logosinwendigkeit terminologisch zu fassen: Die drei trinitarischen Personen teilten sich ihrem Geschöpf mit, das fortan selbst „Gott“, „Geist“ oder „Christus“ heißen dürfe. Origenes entfaltet hier auf mehr theoretische Weise, was er in den letzten Sätzen der dritten Homilie in Form eines begeisterten Ausrufs zum Ausdruck bringt: die Einheit von Gott
III. Die Theologie der Jesajahomilien
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und fortgeschrittener Seele. Das zweite und dritte Kommentarfragment sind der Frage der leiblichen Auferstehung gewidmet, die Origenes als Angleichung des irdischen Leibes an den verklärten Leib Christi versteht. Dabei legt er großen Wert darauf, dass der menschliche Körper, nicht aber die Seele in „Verweslichkeit“, wie es bei Paulus heißt, „gesät“ worden sei. Zudem unterscheidet Origenes zweierlei Formen der Auferstehung, die des Gerechten und die des Frevlers. Kriterium für die Zugehörigkeit zu der einen oder der anderen Gruppe ist die Teilhabe an dem auch in den Homilien in schillernden Farben ausgemalten Ringen zwischen Gott und Satan. Schließlich analysiert Origenes den biblischen Gebrauch des Wortes „Grab“, das allgemein für die letzte Ruhestätte eines Körpers stehe. Während das vierte Fragment den intendierten theologischen Gehalt nicht mehr erkennen lässt, ergänzt das fünfte die ebenfalls nur bruchstückhafte Auslegung des in Jes. 66,1 genannten „Schemels“ für die „Füße Gottes“. Demnach ist der Himmel Gottes Thron und die Welt als Gesamtheit der Vernunftwesen sein Schemel.
2. Nachfolge und Teilhabe: Jesaja als Vorbild christlicher Vollkommenheit a) Platonismus im Christentum: Die Gottesschau und die Immanenz des Logos im Gläubigen „Ja, lasst uns, damit auch wir die Vision haben, die Jesaja hatte“, so spornt der Prediger seine Gemeinde an, „Jesus anrufen, der denen, die nicht sahen, Augen gegeben hat.“410 Der eindringliche Appell fasst den Grundgedanken des in den Jesajahomilien skizzierten Ideals christlicher Vollkommenheit411
410 Origenes, in Is. hom. 5,2 (GCS Orig. 8, 264). 411 Die folgenden Ausführungen lehnen sich nicht nur in der Terminologie an das wichtige Werk von Völker, Vollkommenheitsideal, an, das man zu Recht als „Einschnitt in der Forschungsgeschichte“ (so Berner, Origenes 70) bezeichnet hat. In Völkers wegweisendem Werk wird Origenes erstmalig weniger als philosophischer Systematiker und Wegbereiter des christlichen Dogmas denn als Meister christlichen Lebens gewürdigt (siehe auch das kurze Origenes-Kapitel bei Viller/Rahner, Aszese und Mystik 188–195, das faktisch eine kurze, zustimmende Zusammenfassung von Völkers Studie darstellt). Nicht weniger bedeutsam als die noch immer grundlegenden und lesenswerten, wenn auch in vielerlei Hinsicht korrekturbedürftigen Ausführungen Völkers ist die Reaktion, die das Buch insbesondere von Seiten katholischer Patristiker und Theologen hervorgerufen hat. Die Kritik an der nur unzureichenden Berücksichtigung der ontologischen Dimension der origeneischen Ethik (siehe die Rezension von H. Rahner, in: ZAM 7 (1932) 183–185, und ders., Menschenbild, sowie insbesondere Lieske, Logosmystik, passim und bes. 8–13) hat
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prägnant zusammen: Ziel christlichen Lebens, zu dem die konsequent mystagogisch ausgerichteten Homilien Anleitung geben wollen, ist die Gottesschau, der Weg dorthin das Gotteswort, mit dessen erbetenem Kommen hier wie auch an anderer Stelle in den Predigten nicht dessen geschichtlich einmalige Gegenwart in Jesus von Nazaret, sondern seine geistige Ankunft im Innern der Seele gemeint ist. Durch Christi innere Gegenwart ihm gleich gestaltet und von ihrer (geistigen) Blindheit geheilt, schaut die Seele in ihm den trinitarischen Gott.412 Keine bloß intellektuelle Kategorie, bezeichnet die Schau,413 wie sie Jesaja zuteil wird, eine reale Vereinigung mit Gott,414 in der dieser sich der Seele mitteilt und sie an seinem Wesen teilhaben lässt.415 Von der göttlichen Natur erfüllt und durchdrungen, wird der Mensch in der Schau selbst mehr und mehr vergöttlicht.416 Da jedes Erkennen andererseits eine bereits bestehende Verwandtschaft zwischen Erkennendem und Erkanntem voraussetzt, muss der Vision ihrerseits eine Angleichung des Menschen an Gott vorausgehen,417 die Origenes in Übereinstimmung mit der platonischen Philosophie seiner Zeit als das „höchste Gut, zu dem die Vernunftnatur insgesamt strebt“,418 bezeichnet.419 Diese „Angleichung an Gott“ ist, wie der
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zu weiteren inhaltlich ähnlichen Studien Anlass geben, die diesem Mangel abgeholfen haben. Die umfassendste Darstellung bietet noch immer das Werk von Crouzel, The´ologie de l’image, überblickartig zusammengefasst in ders., Orige`ne 130–137, und in seinen Aufsätzen zur Anthropologie und Spiritualität. In Ioh. comm. II 57 (GCS Orig. 4, 61) spricht Origenes ausdrücklich von den „Augen des Wortes, mit denen es selbst und jeder, der an ihm teilhat, sieht“. Eine alternative Bezeichnung, die den engen Zusammenhang mit dem antiken Eudämonismus und seiner Frage nach einem gelingenden Leben deutlich macht, ist die der Schau eines „heiligen und seligen Lebens“; princ. I 3,8 (GCS Orig. 5, 62): „Wenn uns dann durch alle Stufen der Vervollkommnung hindurch das beständige Wirken des Vaters, des Sohnes und des Heiligen Geistes immer wieder zuteil geworden ist, können wir endlich mit Mühe – wenn überhaupt je – ein heiliges und seliges Leben erschauen“; Übersetzung: p. 183 Görgemanns/Karpp. Vgl. Crouzel, Orige`ne 162: „La connaissance me`ne a` l’union et mieux, est l’union. Et par la` la connaissance est l’amour.“ Vgl. ders., Connaissance mystique 508–513. Vgl. Völker, Vollkommenheitsideal 117–144, bes. 121–132. Zur Widerlegung der These Völkers, es handle sich hierbei um eine Vorwegnahme der visio beatifica und eine Schau ohne Vermittlung des Logos, siehe unten S. 132–140. Vgl. princ. I 1,7 (GCS Orig. 5, 24). Ebd. III 6,1 (5, 280); Übersetzung nach p. 643 Görgemanns/Karpp. In diesem Zusammenhang zitiert Origenes auch die berühmte Stelle aus Platon, Theait. 176 b 1 f., die ihm allerdings, ein apologetischer Topos, als biblischen Ursprungs gilt. In Is. hom. 9 (GCS Orig. 8, 289) benutzt Origenes zudem das platonische Motiv der „Flucht“ des Philosophen. Die Formel selbst ist im ersten vorchristlichen Jahrhundert von Eudoros von Alexandria (vgl. frg. 25 Mazzarelli), dem Begründer des mittleren Platonismus, anstelle des stoischen secundum naturam
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einleitend zitierte Jesusanruf deutlich macht, für Origenes untrennbar mit der Person Jesu Christi verbunden. Seine Ankunft und Herrschaft im Menschen, seine Immanenz in der Seele ist das Leitmotiv, mit dem Origenes seinen Hörern immer wieder die Notwendigkeit einer inneren Verwandlung einschärft. Gegenüber diesem alles beherrschenden Grundthema seiner Vollkommenheitsdoktrin erscheint alles andere als sekundär oder als bloßer Hintergrund der individuellen sittlichen und geistigen Anstrengung. So gilt dem Prediger das Wissen darum, dass Christus die Wirklichkeit gleichermaßen „in der Tiefe und in der Höhe“ erfüllt,420 als ganz und gar nutzlos, solange dieser Allgegenwart nicht auch eine Ankunft des Logos „in der Tiefe und in der Höhe“ der eigenen Seele entspreche. Ebenso hätte Christi Menschwerdung, immerhin der von den beiden Seraphim angekündigte Höhepunkt der Heilsgeschichte, mit dem die Herrlichkeit Gottes auf Erden anbricht, ihren Zweck verfehlt, wenn sich der Einzelne Christus nun verschließe und nicht zulasse, dass er auch im Hier und Jetzt in ihm Mensch werde.421 Dass es sich bei Christi Kommen, so zerstreut Origenes etwaige Bedenken seiner Hörer hinsichtlich des von ihm propagierten Ideals, keineswegs um ein historisch einmaliges Ereignis handelt, zeige die Gegenwart des Logos sowohl in den Propheten, ohne die sie, wie er an anderer Stelle begründet, gar nicht von ihm hätten künden können,422 wie auch in zahllosen anderen Gestalten des Alten Bundes, die für den Alexandriner ebenfalls bereits Zeugen der „Fülle“ der Zeit werden durften.423 Was aber nütze
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vivere zur Telosformel der platonischen Philosophie erhoben worden. Siehe dazu Dillon, Middle Platonists 122–126, und die neuere, systematisch orientierte Darstellung der mittelplatonischen homoiosis-Lehre bei Annas, Platonic Ethics 52–71. In Is. hom. 2,1 (GCS Orig. 8, 248 f.). Vgl. Gruber, ZVH 200 f. Vgl. princ. praef. 1 (GCS Orig. 5, 7): „Unter den Worten Christi verstehen wir aber nicht nur die, die er nach seiner Menschwerdung und Fleischesannahme gelehrt hat; denn schon vorher war Christus als Wort Gottes in Mose und in den Propheten. Denn wie hätten diese ohne das Wort Gottes von Christus prophezeien können?“ Übersetzung: p. 83 Görgemanns/Karpp. Im Hintergrund steht das im platonischen Menon (80 d 5 – 86 c 3) diskutierte Erkenntnisparadoxon, dass man nach etwas, von dem man keinerlei Kenntnis habe, nicht einmal frage könne, andererseits aber nach dem, was bereits bekannt sei, nicht zu fragen brauche. Die Lösung, die AnamnesisLehre mit ihrer Annahme eines vor der Geburt „erlangten“ apriorischen Wissens, ist der origeneischen einer apriorischen Christusinwendigkeit im Propheten und im Menschen allgemein analog. Vgl. in Ioh. comm. I 37 (GCS Orig. 4, 11 f.): „Außerdem darf nicht übersehen werden, dass Christus, noch ehe er in körperlicher Gestalt erschien, im Geistigen denjenigen bereits gegenwärtig gewesen ist, die dank ihrer größeren Vollkommenheit nicht mehr unmündige Kinder unter der Obhut von ,Schulmeistern‘ und ,Vormündern‘ waren (Gal. 3,25; 4,2) und in denen die geistige Fülle der Zeit schon gegeben war: in den Patriarchen etwa, im Diener Mose oder in den Propheten, die Christi Herrlichkeit geschaut haben.“
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es ihm nun, so wendet er sich direkt an seinen Hörer und lenkt dessen Blick von der Heilsgeschichte zurück in die unmittelbare Gegenwart, wenn Gottes Herrlichkeit tatsächlich, wie von den beiden Engeln prophezeit, in den „Gemeinden der Seligen, die überall sind“,424 allenthalben und für jedermann sichtbar Gestalt annehme, er selbst aber daran auf keine Weise Anteil habe? Der weltweite Erfolg der christlichen Kirche dient Origenes also lediglich als Folie, vor der er sein eigentliches homiletisches Anliegen, die Gegenwart des Logos im Einzelnen, umso wirkungsvoller artikulieren kann. Dazu gelte es, so der beherzte Appell an die Gläubigen, der die interpretierte Jesajastelle mit dem Johannesprolog verbindet, die „Herrlichkeit Gottes“ auch in sich „wohnen“ zu lassen und an der Engelprophezeiung sowie an Christi Fleisch und am Logos selbst teilzuhaben.425 Die Immanenz des Logos in der Seele bzw. die in dem referierten Aufruf gleich dreimal genannte „Teilhabe“ an ihm bzw. an der göttlichen Herrlichkeit426 – „Immanenz“ ist bei Origenes allgemein „terminus technicus für die Teilhabe“427 – ist nicht nur der Kern des origeneischen Vollkommenheitsideals. „Teilhabe“428 ist darüber hinaus diejenige begriffliche Kategorie, die sein gesamtes Denkgebäude von der Ethik und Anthropologie über die Kosmologie bis hin zur Gotteslehre trägt.429 Entsprechend der platonischen Ideenlehre und Urbild-Abbild-Ontologie,430 der er entstammt, 424 425 426 427
In Is. hom. 4,2 (GCS Orig. 8, 259). Ebd. (8, 259 f.). Zur Identität der plenitudo gloriae Dei mit Christus siehe unten S. 147–155. So Gruber, ZVH 207. Vgl. auch Crouzel, The´ologie de l’image 229. Neben die Rede von der Immanenz und Teilhabe tritt als drittes Wortfeld das des UrbildAbbild-Verhältnisses. 428 Siehe dazu und zum Folgenden die Überblicksdarstellung von Balas, Idea of Participation. 429 Vgl. Cadiou, Jeunesse d’Orige`ne 404: „Le syste`me d’Orige`ne peut se ramener a` une notion aussi ancienne que la philosophie grecque: il repose sur l’ide´e de participation.“ Cadiou betont zu Recht den auch für die vorliegenden Homilien zentralen Zusammenhang von platonischem Bildgedanken und biblisch-christlichem Vollkommenheitsideal. Genauso urteilt Völker, Vollkommenheitsideal 216: Auf der Unterscheidung von Substanz und Akzidenz – einer aristotelischen Unterscheidung, mit der Origenes ebenfalls den Unterschied zwischen Urbild und Abbild ausdrückt – „beruht das ganze System unsers Alexandriners.“ Diese Einschätzung kann als opinio communis der Forschung gelten. Vgl. die Zusammenstellung entsprechender Forschungsmeinungen bei Gruber, ZVH 208 Anm. 34. 430 Vgl. zum Folgenden auch V. Roth/C. Schäfer, Art. Teilhabe/Partizipation (metoche, methexis), in: Schäfer, Platon-Lexikon 277–282. Es ist im Übrigen bezeichnend für die Nicht-Beachtung des Origenes in der Philosophiegeschichtsschreibung, dass er als geistiger Urheber eines christlichen Platonismus auf der intellektuellen Höhe der Zeit, der gerade auf diesem Begriff fußt, in dem Artikel keine Erwähnung findet, obwohl seine Umformung der methexis-Vorstellung, wie auch in den Jesajahomilien deutlich wird, einen zugleich originellen und systema-
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erklärt der Teilhabebegriff das Verhältnis von Transzendenz und Immanenz im Sinne einer Dialektik von fundamentaler Identität und bleibender Differenz:431 Einerseits strebt das empirische Abbild nach der in seinem transzendenten Urbild beschlossenen Fülle seiner eigenen Wirklichkeit, der es sich nur annähern, die es aber nie ganz erreichen kann. Andererseits ist das Partizipierte dem Partizipierenden als gestaltendes Prinzip seines Daseins nicht nur immer schon immanent, sondern sein wirkliches Wesen, das es im tätigen Erkenntnisaufstieg zu verwirklichen sucht. Dieser dynamische Zusammenhang von – so die schulphilosophische Unterscheidung im Platonismus zur Zeit des Origenes432 – transzendenter „Idee“ einerseits und immanenter „Form“ andererseits begründet eine differenzierte Identität, eine „Wesensverwandtschaft“433 zwischen Ur- und Abbild, die für die vor allem in der zweiten Jesajahomilie gegebene ontologische Entfaltung des Motivs einer inwendigen Ankunft Christi maßgeblich ist. Der exegetische Ausgangspunkt dort ist das in Jes. 7,11 genannte Zeichen, das der Israelit Ahas entgegen dem Befehl Gottes „in der Tiefe oder in der Höhe“ für sich zu erbitten ablehnt. In einer doppelten christologischen Deutung identifiziert Origenes das Zeichen mit Christus, der nicht nur, so die kosmologische Interpretation, die „Höhen und Tiefen“ der himmlischen und irdischen Wirklichkeit erfüllt,434 sondern endlich auch – und auf diese existentielle Deutung legt Origenes den Schwerpunkt – in die „Höhen und Tiefen“ der menschlichen Seele Einzug halten soll. In Wendungen, die das augustinische Erschaudern angesichts der unergründbaren Tiefen des menschlichen Selbst vorwegnehmen, erscheint die Seele auch sonst bei Origenes als gewaltiger Raum, den es der Länge und der Breite, der Höhe und der Tiefe nach mit den christlichen Tugenden und Glaubensinhalten oder, kurz, einer ganzen „Arche und Bibliothek des Heils“435 zu füllen gelte. Ebenso stützt auch das hier als neutestamentlicher Beleg für den christologischen sensus moralis der Jesajastelle angeführte Pauluswort: „Ganz nahe ist dein Wort, in deinem Munde und in deinem Herzen“ (Röm. 10,8) an zahlreichen anderen Stellen die Doktrin der Logosimmanenz. Allerdings fungiert es in anderen Schriften436 als Beleg für eine mit der Partizipation des
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tisch höchst bedeutsamen Beitrag zur entsprechenden Diskussion im kaiserzeitlichen Platonismus darstellt. Die differenzierte Einheit von Urbild und Abbild ist seit dem Parmenides Platons ein, wenn nicht sogar das Grundthema platonischen Denkens überhaupt. Siehe dazu Beierwaltes, Identität und Differenz, bes. 9–23. Vgl. Alkinoos, didask. 9,1 (p. 20 Whittaker/Louis) und Apuleius, Plat. 6 (p. 65 Beaujeu). Gruber, ZVH 143. Siehe dazu ausführlich unten S. 144–147. Origenes, in Gen. hom. 2,6 (GCS Orig. 6, 37). Vgl. etwa princ. I 3,6 (GCS Orig. 5, 57 f.) und insbesondere die ausführliche Diskussion in Ioh. comm. I 267–276 (GCS Orig. 4, 47–49).
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Menschen am Logos bereits gegebene Gegenwart des Urbildes, des Logos, im Menschen, seinem Abbild, während es von Origenes hier offenbar im Sinne einer noch ausstehenden Ankunft Christi gedeutet wird. Der Widerspruch ist indes ein nur scheinbarer. Die Metapher der Ankunft Christi meint nämlich kein Eintreten von außen,437 sondern bezeichnet die Entfaltung seiner kraft der Teilhabe im Menschen keimhaft angelegten Gegenwart. Christus ist, wie Hans Urs von Balthasar den begrifflichen Gehalt des Bildes treffend zusammenfasst, „immer da, aber wie jemand, der nie aufhört anzukommen“.438 Das Paradoxon scheut Origenes auch in seiner Auslegung von Jes. 7,15 nicht, die den Abschluss der zweiten Homilie bildet. Christi Ankunft versteht er dort nicht allein im Sinne einer Gegenwart des Logos in der Seele, sondern überdies als „wechselseitiges Insein“,439 nach dem auch die Seele dem Logos immanent ist. Um es auf eine des Heiligen Geistes würdige Weise auszulegen, erklärt Origenes das prophetische Wort: „Butter und Honig wird er essen“ im Sinne eines im Innern der Seele stattfindenden Mahls mit dem Logos,440 das nicht nur die Intimität, sondern auch die Reziprozität der Beziehung von Logos und Seele zum Ausdruck bringt: Wie die verzehrte Speise zum Teil des Körpers wird, so werden Geist und Wort in der von Origenes beschriebenen Mahlgemeinschaft zum Teil des anderen.441 In die Seele eingetreten, so erläutert der Prediger seinen Hörern die biblische Metapher, sitze Christus mit ihr zu Tisch und reiche ihr seine „besseren geistigen und göttlicheren Speisen“,442 sich selbst443 und seine göttliche Natur, mit der er die Seele sich selbst gleich gestaltet und vergöttlicht. Umgekehrt ist aber auch die Seele Speise des Logos: Ihr bester Teil, ihre „süßen Taten“ sowie ihre „süßesten und nutzbringenden Worte“,444 bildet das Mahl, das sie ihm in ihrem Innern bereitet. Dadurch also, dass die
437 Vgl. in Gen. hom. 13,4 (GCS Orig. 6, 119): „In dir nämlich ist er und kommt nicht von außen, so wie auch das Reich Gottes in dir ist.“ 438 Von Balthasar, Mysterion 521: „Il est toujours la`, mais comme quelqu’un qui ne cesse d’arriver.“ 439 Gruber, ZVH 203. 440 Siehe zum Folgenden die umfangreichere Darstellung des Motivs geistiger Nahrung bei Origenes von Blanc, Nourritures spirituelles. 441 Die Reziprozität der Beziehung, wie sie in der biblischen Mahlmetapher für Origenes zum Ausdruck kommt, fasst Crouzel, Orige`ne 175, wie folgt zusammen: „Comme les aliments deviennent notre substance, cette nourriture divine qui est la personne du Verbe se transforme en nous et nous transforme en elle.“ Zum Gedanken der Wechselseitigkeit der Logosbeziehung siehe allgemein Lieske, Logosmystik 67–71. 442 In Is. hom. 2,2 (GCS Orig. 8, 252). 443 Vgl. ebd.: „Es ist aber gewiss, dass auch wir mit ihm essen, wenn wir ihn essen.“ 444 Ebd.
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Seele Christus Einlass in ihr Inneres gibt und ihn – ein Hinweis auf die Eucharistie – im gemeinsamen Mahl zu sich nimmt, wird sie ihrerseits von ihm verzehrt und zu einem Teil von ihm. Allerdings ist es, wie Origenes eigens in das Bildmotiv einträgt, nicht die ganze Seele, die Christus zu sich nimmt, noch tritt er einfach in die Seele als solche ein. So verweigert der Logos den Verzehr lasterhafter und von den Affekten beherrschter Gedanken, und der Ort, an dem die Mahlgemeinschaft stattfindet, ist nicht die gesamte Seele, sondern, wie Origenes präzisiert, lediglich ihr „Hegemonikon“, der „herrschende Teil unseres Herzens“: Dessen „Pforten“ müsse der Mensch öffnen und durch diese dem daran unentwegt klopfenden Logos Einlass gewähren.445 Von hierher erschließt sich der spekulative Sinn der ausführlich dargelegten biblischen Metapher: Zusammen mit dem biblischen Begriff des Herzens und seinem Inneren bezeichnet der ursprünglich stoische Begriff „Hegemonikon“ bzw. das synonym gebrauchte platonische Pendant „innerer Mensch“ (homo interior)446 die eigentliche Persönlichkeit des Menschen. Das Hegemonikon ist mit dem präexistenten Geist identisch, der ursprünglich, d.h. vor dem Abfall der Seele von Gott, ihr ganzes Wesen darstellt und als Träger der Gottebenbildlichkeit und Gottesverwandtschaft, seiner „ursprünglichen, höheren Substanz“,447 Stätte unmittelbarer und unverlierbarer Gottesgemeinschaft ist. So wie die Seele als „Absturz von der Existenz des reinen Geistseins“448 und damit als gestörte Gottesgemeinschaft bestimmt ist,449 so ist der Geist „seiner innersten Realität nach fortwährende Vereinigung mit Gott in Gottesschau und Gottesliebe“,450 ohne die der Mensch, ethisch unzurechnungsfähig und zu jeder Entwicklung im Negativen wie im Positiven außerstande, einem empfindungslosen Toten gliche.451 Zwischen (gefallener) Seele und (ursprünglichem bzw. wiederherzustellendem) Geist vermittelt die im Partizipationsverhältnis zum Ausdruck kommende teleologische Dynamik, die den inhaltlichen Kern der Speisemetapher darstellt: Nichts als unvollkommenes Bild (imago), ist der gefallene Geist, so die berühmte origeneische Auslegung von Gen. 1,26, dazu bestimmt, in sich die vollkommene Ähnlichkeit (similitudo) mit seinem Urbild, 445 Ebd. 446 Vgl. ebd. 6,5 (8, 275). Siehe dazu ausführlich Kobusch, Christliche Philosophie 64–71, der die patristische Rezeption dieses platonischen Konzepts im Sinne seiner Grundthese einer im Christentum vertieften „Entdeckung der Subjektivität“ nachzeichnet. 447 In Ioh. comm. XX 182 (GCS Orig. 4, 355). Vgl. auch die kurze Interpretation des Textstücks, dem die Formulierung entstammt, bei Crouzel, The´ologie de l’image 145. 448 Lieske, Logosmystik 117. 449 Vgl. dazu den ausführlichen Traktat De anima in princ. II 8 (GCS Orig. 5, 152–163). 450 Lieske, Logosmystik 117. 451 Vgl. in Is. hom. 4,3 (GCS Orig. 8, 260).
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dem Logos, (wieder)herzustellen.452 Hierzu muss sich der Mensch unter Aufgabe der mit dem Körper verbundenen Affekte, dem Resultat des vorzeitlichen Falls und der Einkörperung, die ihn von Gott trennen, nur mehr allein vom Logos und seiner ihn nach und nach transformierenden Betrachtung ernähren, d.h. die Teilhabe in der Kontemplation bis zur Einheit mit ihm vertiefen. Wie das Thema des Seelenfalls verdankt auch die Metapher der geistigen Speise dem platonischen Phaidros ebenso viel wie der Schriftstelle, die Origenes auf ihrer Grundlage interpretiert: Die Schau, erstmals in dem genannten Platondialog als Nahrung der Seele bezeichnet,453 ist vor wie nach dem Fall die Speise der Vernunftwesen, die sie nährt und erhält, und sie ist die Quelle, aus der schöpfend sie ihre ursprüngliche, göttliche Natur zurückgewinnen können. Und vor wie nach dem Fall ist ihre Partizipation am Sohn zugleich Teilhabe an seiner unaufhörlichen Schau des Vaters, die gleichermaßen sein und ihr (mit dem Sündenfall verstelltes, nicht aber verlorenes) eigentliches Wesen454 und so Teilhabe am Vater selbst ist. Entsprechend schließt auch das Bild des Mahles mit der Bitte, der Logos möge uns „zum großen Mahl des Vaters im Königreich der Himmel führen, das in Christus Jesus stattfindet“.455 Die Mitteilung der göttlichen Natur oder Schau, wie sie dem Propheten zuteil wird, geschieht demnach nirgends anders als im innersten Teil der Seele, dem Logos, ihrem Urbild und Lebensprinzip, das zugleich ihr „wahres Leben“456 und das Gottesreich in Person ist. Zugleich ist diese „Angleichung“ der Seele „an Gott“ wahres Be-
452 Siehe zu diesem Grundgedanken der „exstatischen“ Anthropologie des Origenes, die den Hintergrund der Bildmeditation bildet, die ausführliche Darstellung von H. Rahner, Menschenbild 218–222; von Balthasar, Mysterion 520 f.; insbesondere Crouzel, The´ologie de l’image 217–245. Die Grundbewegung des origeneischen Menschenbildes entspricht in allen wesentlichen Aspekten der (neu)platonischen der „Realisierung des Bildes“ (insbesondere im analogen Zusammenhang der Wiederherstellung der Seele zum und im Nus). Siehe dazu das entsprechend betitelte Kapitel bei Beierwaltes, Denken des Einen 73–113. 453 Vgl. etwa Platon, Phaidr. 248 b 5 – c 1: „Der Grund aber des vielen Eifers im Suchen nach dem Gefilde der Wahrheit ist, dass auf der Weide dort für den besten Teil der Seele die angemessene Nahrung sprießt und der Wuchs der Schwingen, auf denen die Seele sich erhebt, dadurch befördert wird“; Übersetzung: II p. 61 Apelt. Zur Bedeutung des Seelenmythos des Phaidros bei Origenes siehe von Stritzky, Phaidrosinterpretation. Es ist nach von Stritzky gerade der auch hier leitende Gedanke einer Rückkehr in der Wiedererinnerung an die eigentliche Heimat der Seele, ihr Urbild, den Origenes diesem im kaiserzeitlichen Platonismus viel diskutierten Text entlehnt. 454 Vgl. Lieske, Logosmystik 131: „Weil eben der Logos seinem Wesen nach selbst Schau und Liebe des Vaters ist, so kann auch die wahre Wirklichkeit des Logosabbildes ebenfalls nur in der Gottesschau bestehen.“ 455 In Is. hom. 2,2 (GCS Orig. 8, 252). 456 So die Grundthese von Gruber, ZVH.
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ziehungsgeschehen: Der Logos verbindet sich mit ihr in Liebe und wächst, von ihren guten Werken und Gedanken genährt, in ihr heran. Dabei ist diese Beziehung zur Seele auch für ihn kein verzichtbares, zufälliges Akzidenz, sondern, da die Mitteilung der Gottesgemeinschaft und Erfüllung des väterlichen Willens im Himmel wie auf Erden sein Lebensprinzip ist, innere Verwirklichung auch seines Wesens.457 Die Erlösung der Seele in guten Werken und Gedanken ist die Nahrung, die auch ihn erhält. Die Interpretation der Teilhabe im Sinne einer reziproken Beziehung von Partizipiertem, dem Gotteswort, und Partizipierendem, dem Menschen, wie sie der tiefgründigen Auslegung des Mahlmotivs zugrunde liegt, stellt dabei das spezifisch Neue des origeneischen Platonismus dar.458 Der christliche Weg von der (ursprünglichen) imago zur (eschatologischen) similitudo entspricht einer graduellen Aufhebung der Seele in das Leben des Logos und seine Gemeinschaft mit dem Vater: Vom Logos genährt, kehrt die Seele nach und nach in ihren ursprünglichen, höheren Zustand zurück und hört schließlich, ohne dass ihre personale Identität in der göttlichen Einheit verloren ginge, auf, Seele zu sein.459 Dieses höchste Ziel christlicher Existenz beschwört Origenes an anderer Stelle mit großer Emphase, wenn er unter Zugrundelegung des christologisch gedeuteten Bibelverses: „Lass uns deinen Namen tragen“ das Ideal einer Angleichung an Christus weiter entfaltet: „Ich selbst bin die Weisheit, ich selbst will mit deinem Namen angeredet werden, auf dass ich, die Weisheit, Jesus genannt werde, auf dass Einsicht, großer Rat, Kraft, Erkenntnis, Frömmigkeit und Gottesfurcht den Name Jesu tragen, auf dass alles in allem (1 Kor. 15,28) zu deinem Namen werde.“460 Das kontemplative Moment der Mahlmetaphorik entfaltet Origenes hier als Partizipation an der Weisheit, des Inbegriffs der intelligiblen Welt und der ursprünglichsten Existenzweise des Sohnes. Die paulinische Formel „alles in allem“, von Origenes sonst im Kontext der Apokatastasislehre gebraucht, drückt dabei die das Herz des Menschen in seinen „Höhen und Tiefen“ erfüllende Gegenwart aus: Im Sinne eines „Hylemorphismus der Seele“461 soll der Logos zum Prinzip des Lebens der in457 Siehe dazu unten S. 147–155. 458 Vgl. von Balthasar, Mysterion 527, der in der Umdeutung des platonischen Ideenaufstiegs zu einer „zwischenmenschlichen Beziehung“ das eigentümlich Origeneische und Christliche sieht. 459 Die hegelsche „Aufhebung“ ist nach von Balthasar, ebd. 62, ein zentraler Operator in der Theologie des Origenes. Sie folgt aus der Logik der Teilhabe und erlaubt es ihm, die höchste Einheit der Seele mit Gott zu denken, ohne ihre Individualität der alles erfüllenden Gottheit preiszugeben. Letztere Auffassung, eine Auslöschung der individuellen Persönlichkeit in Gott, vertritt mit Einschränkung Völker, Vollkommenheitsideal 128–130. 460 In Is. hom. 3,3 (GCS Orig. 8, 257). 461 Gruber, ZVH 207.
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dividuellen Seele, ihr „Form- und Bewegungsprinzip“,462 werden, das all ihr Trachten und Denken prägt und bestimmt, bis sie schließlich selbst den Namen „Weisheit“ oder „Jesus“ tragen und mit Paulus von sich sagen kann: „Nicht mehr ich lebe, sondern Christus lebt in mir.“463 Es ist daher nur konsequent, dass es nicht nur einen, sondern, wie Origenes in einem erhaltenen Fragment des Jesajakommentars schreibt, mehrere „Christoi“464 gibt, Seelen also, die, in die ursprüngliche Einheit mit dem Logos zurückgekehrt, nicht mehr Seelen, sondern selbst „Logoi“ sind. Neben dem kontemplativen Element umfasst das Motiv des „Christus alles in allem“ auch einen nicht minder wichtigen praktischen Aspekt: Wie Christus nicht nur Weisheit und Erkenntnis, sondern auch Tugend und Gerechtigkeit ist, so ist auch das nach seinem Bild geschaffene Hegemonikon der Seele zugleich „Organ der Schau Gottes und Sitz der Tugend“.465 Und wie die Schau des Logos den gefallenen Geist restituiert, so ist auch das christusgemäße Leben Medium der Erlösung. Die beiden Modi der Wiederherstellung der Seele, die vita activa, d.h. die Überwindung des Irdischen und der Sünde einerseits sowie die Teilhabe an Christus als Inbegriff des Guten andererseits, und die vita contemplativa, also die Teilhabe an ihm als Inbegriff des Wahren, sind für Origenes untrennbar miteinander verbunden: So nährt sich der Logos, wie gesehen, gleichermaßen von guten Taten und guten Worten, und die Teilhabe an der plenitudo gloriae Dei, zu der Origenes seine Hörer auffordert, geschieht ebenfalls zunächst als Teilnahme am Menschen Christus, in der Praxis, und dann am reinen Logos, in der Schau. Die Angleichung an Christus in Tat und Wort (und beider Verhältnis) ist zusammen mit der Theorie einer „geistigen Sinnlichkeit“, mit der Origenes das Einssein mit Christus sprachlich zum Ausdruck bringt, Gegenstand der in den vorliegenden Predigten gegebenen Anleitung zu einem bewussten christlichen Leben, in dem sich die skizzierte Verwandlung des Menschen bis hin zur Einheit mit Sohn und Vater vollzieht.
462 Gruber, ebd. 208. 463 Vgl. in Luc. hom. 22,3 (GCS Orig. 92, 134): „Lasst uns darum beten, dass er täglich zu uns komme und dass wir sagen können: ,Ich lebe, aber nicht mehr ich, sondern Christus lebt in mir‘ (Gal. 2,20). Wenn nämlich Christus nur in Paulus gelebt hat, aber nicht in mir, welchen Nutzen habe ich davon? Wenn Christus aber auch zu mir kommt und ich mich seiner erfreue, wie Paulus sich seiner erfreut hat, dann kann auch ich wie Paulus sagen: ,Ich lebe, aber nicht mehr ich, sondern Christus lebt in mir‘“; Übersetzung: Sieben, FC 4/1, 243. 464 In Is. frg. 1: siehe den Text unten S. 308 f. und zur Erklärung auch oben S. 6–8. 465 Crouzel, Anthropologie 370.
III. Die Theologie der Jesajahomilien
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b) Stufen der Vollkommenheit: Die Entfaltung der Logosimmanenz im christlichen Leben Die Überwindung des „inneren Usija“ und die imitatio Iesu Die ethische Dimension des origeneischen Vollkommenheitsideals, eine alle Lebensbereiche prägende Christus-Nachahmung und Christus-Nachfolge, zeichnet sich durch einen negativen und einen positiven Aspekt aus.466 Im Negativen hat das Ethos die Funktion einer Reinigung von Affekt und Sünde, die Voraussetzung für die Schau der göttlichen Geheimnisse ist: Der Mensch muss es Jesaja gleichtun und radikal mit der Welt und mit der Sünde brechen, um den weltenthobenen, heiligen Gott schauen zu können. Im Positiven ist der praktische Vollzug der Tugend zugleich aber selbst bereits Medium der Kontemplation Gottes: Als Teilhabe an Christus, der Tugend in Person, ist das in allen Vollzügen an ihm Maß nehmende gute Leben selbst bereits Gemeinschaft mit ihm und dem Vater. Schließlich ist die christliche Praxis in Umkehrung des Schemas auch Konsequenz der Gottesschau: Im Angesicht der Vollkommenheit Gottes ist sich Jesaja, das Vorbild christlicher Vollkommenheit, nicht nur mehr denn je der eigenen Niedrigkeit bewusst und zu Reue und Umkehr bereit. Darüber hinaus steht seine Schau nicht etwa am Anfang eines zurückgezogenen Philosophenlebens, sondern einer heilbringenden Sendung, mit der er im Auftrag Gottes das abgefallene Volk zu ihm zurückführen soll. Die Seele ist für Origenes ein bewegtes medium, ausgespannt zwischen dem Körper und der Welt auf der einen und dem Geist und dem Wort auf der anderen Seite. Hierin erschöpft sich ihr Wesen:467 Mit all ihren natür466 Origenes illustriert das ethische Schema eines Fortschritts von der Aktion zur Kontemplation gern an biblischen Bildern. So entspreche die Praxis dem täglichen Brot, die Theorie dagegen dem aus festlichem Anlass getrunkenen Wein; vgl. in Ioh. comm. I 208 (GCS Orig. 4, 37). Die klassische Formulierung des Problems geht auf Aristoteles (insbesondere eth. Nic. I und X) zurück, bei dem die Bestimmung des Verhältnisses von aktiver und beschaulicher Lebensform eine Frage von erheblicher systematischer Bedeutung ist. Seine Lösung ist allerdings infolge widersprüchlicher oder zumindest schwer vereinbarer Aussagen in ihrer Deutung noch immer umstritten. Vor diesem Hintergrund nimmt sich der genuin christliche Beitrag, den Origenes zu dieser auch in der Kaiserzeit noch kontrovers diskutierten Frage leistet, als einer der systematisch ambitioniertesten und konsistentesten überhaupt aus. Siehe zum Folgenden die Darstellung von Schockenhoff, Fest der Freiheit 283–294, der ich mich in Inhalt und Terminologie anschließe. 467 Vgl. in Rom. comm. I 7 (p. 58 Hammond Bammel): „Die Seele kann also weder zu dem gerechnet werden, was dem Fleisch nach ist, noch gehört sie zu dem Bereich, in dem er als Sohn Gottes in Kraft bestimmt wird dem Geist der Heiligung nach. ... Er (sc. Paulus) weiß, dass die Seele immer eine Mitte zwischen Geist und Fleisch ist, dass sie sich entweder mit dem Fleisch verbinden und mit dem Fleisch eins wird
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lichen Eindrücken und Impulsen, die sie mit dem Tier teilt,468 ist sie – mit der bedeutsamen Ausnahme der in ihrer Gottebenbildlichkeit gründenden unverlierbaren Gottesgemeinschaft, die zugleich Bedingung für ihre sittliche Entwicklung ist und sie ihrem Wesen nach für die Aufnahme des Logos prädisponiert469 – nichts anderes als die ungeformte Materie für das gestaltende Wirken Gottes und seines Wortes einerseits und jenes des Teufels und seiner Helfershelfer andererseits. Und genau wie sich auf die Hyle als wirklichkeitskonstituierendes Quantitätsprinzip schließen lässt, ohne dass es sie in Wirklichkeit rein als solche, d.h. ohne eine sie formende Qualität gäbe,470 so ist auch die Seele bloßes Substrat für Formen, die ihr das Wort bzw. Satan und seine Dämonen einzuprägen suchen, und existiert de facto niemals ohne eine solche Formgebung. Sobald der Mensch das entsprechende Alter erreicht hat und zu einer vernunftgeleiteten, selbstständigen Entscheidung in der Lage ist, muss er daher, so ein fundamentaler Gedanke der origeneischen Anthropologie, eine der beiden Lebensoptionen wählen bzw. hat er immer schon – bewusst oder unbewusst – eine solche Wahl getroffen.471 Zu dieser Grundentscheidung fordert Origenes seine Gemeinde auf, wenn er ein ver-
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oder sich dem Geist anschließt und eins wird mit dem Geist“; Übersetzung, geringfügig verändert, nach Heither, FC 2/1, 99. Siehe dazu Crouzel, Anthropologie, der in der hier angeführten Trichotomie der zwischen Sarx und Pneuma stehenden Psyche die eigentliche Ausdrucksform der origeneischen Anthropologie sieht, sowie die ausführliche Darstellung von Theiler, Seele als Mitte, der ausführlich den platonischen Hintergrund dieser Lehre darstellt. Kobusch, Initiator 42, findet in dieser ontologischen Unbestimmtheit der Seele die Freiheit als Realität sui generis zum Ausdruck gebracht (so auch ders., Kann Gott leiden? 330; Philosophische Bedeutung 97–102). Die Gegenüberstellung zu der (vermeintlich) einem statischen Substanzdenken verhafteten paganen „Wesensphilosophie“ ist allerdings allzu schematisch und lässt ihn analoge Überlegungen im klassischen wie insbesondere im neuplatonischen Denken zur Zeit des Origenes übersehen. Vgl. princ. II 8,1 (GCS Orig. 5, 152 f.). So spricht Plotin, dessen Psychologie in diesem Punkt exakt mit der des Origenes übereinstimmt, von der Seele als einer noyÄ yÏlh (enn. V 1,3) und bringt damit ebenfalls beide Aspekte, die Seele als Potenz und die Seele in ihrer Hinordnung auf den Geist, zum Ausdruck. Vgl. princ. II 1,4 (GCS Orig. 5, 109). Vgl. von Balthasar, Mysterion 529. Völker, Vollkommenheitsideal 43, moniert damit zu Unrecht das „Fehlen eines plötzlichen Bruches mit der Sünde“, eines paulinischen Grundgedankens, der bei Origenes und in seiner Deutung des christlichen Lebens, so Völker, zugunsten der Wegmetapher preisgegeben sei. Die Bedeutung, die Origenes einer ersten solchen „Revolution der Denkungsart“ beimisst, ist indes gerade der philosophische Nachvollzug dieser paulinischen Einsicht. So wendet Schockenhoff, Fest der Freiheit 47 f., mit Recht ein, dass Origenes zwar tatsächlich den Fortschritt zur Vollkommenheit als mühseligen Weg schildere, dass damit aber nichts vom „Gewicht“ genommen sei, „das auf dem ersten Schritt liegt“; vielmehr meine metanoia für Origenes gleichermaßen „Ereignis und Prozess“.
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mittelndes Drittes zwischen Gott und Satan apodiktisch ausschließt: „Jeder“, so sein striktes ethisches tertium non datur, „steht unter der Herrschaft der Sünde oder der Gerechtigkeit“,472 und „jedes Wort, das man sagt, ist entweder leer oder voller Wahrheit.“473 Und eben diese Grundentscheidung ist auch der Kern seiner ethisch-existentiellen Lesart des Textes, die er im Rückgriff auf andere biblische Figuren und Erzählungen, allen voran die des Exodus, ergänzt: Der frevlerische König Usija bzw. das Prinzip474 eines gottfernen Lebens, das er symbolisiert, musste erst sterben, ehe der Prophet unter der Herrschaft des inneren Christus Gott zu schauen vermochte. Entsprechendes gilt auch für das verstockte Volk Israel, das Gott durch den Mund des Propheten tadelt: Auch der von ihm repräsentierte Habitus muss in einer Grundentscheidung überwunden werden. Welche grundlegende Denkart verkörpern Israel und die genannten biblischen Figuren für Origenes? Usijas Frevel malt Origenes breit aus, wenn er im Rückgriff auf das zweite Chronikbuch schildert, wie der König sich, obwohl selbst kein Priester, priesterliche Kompetenzen angemaßt habe und dafür von Gott mit einem Ausschlag bestraft worden sei. Allerdings sei auch er nicht immer ein Frevler gewesen, sondern habe sich zu Lebzeiten des „verständigen Zacharias“ auf vielfache Weise um den Kult verdient gemacht.475 Mit dessen Tod allerdings wird Usija für Origenes zum Sinnbild eines geistlosen, rein irdischen Lebens. Jetzt wie zur Zeit des Propheten Jesaja sei es deshalb unerlässlich, dass der Logos und nicht der Zorn in uns regiere.476 „Zorn“ (ira), hier stellvertretend für die Affekte insgesamt genannt, variiert Origenes unmittelbar darauf mit dem Begriff der Sünde, die nach Paulus nicht über den Körper herrschen dürfe, und mit dem des Vergnügens (voluptas). Der von Sünde und Vergnügen beherrschte Mensch ist zugleich Feind des Himmelreiches, kann doch ein „Liebhaber des Vergnügens“ (voluptatis amator), so eine weitere Variante des ethischen Kontradiktionsprinzips, niemals zugleich „Liebhaber Gottes“ (amator Dei) sein. Auffallend ist die Leichtigkeit, mit der Origenes dabei zwischen biblischer und philosophischer Kategorie wechseln kann, wenn er binnen weniger 472 In Is. hom. 5,3 (GCS Orig. 8, 266). 473 Ebd. 7,2 (8, 282). Siehe dazu Schockenhoff, Fest der Freiheit 239–241. 474 Das lateinische principium nähert sich in der Bedeutung, die Origenes ihm in seiner ethischen Interpretation gibt, tatsächlich dem deutschen Fremdwort an: Usija bzw. Pharao steht, wie die Metapher einer Herrschaft über die Seele deutlich macht, für eine Grundausrichtung des Lebens. 475 Vgl. in Is. hom. 5,3 (GCS Orig. 8, 265 f.). Die knappen Ausführungen zu Usija vor seinem Sakrileg sollen der Gemeinde vermutlich vor Augen führen, dass auch der ärgste Frevler aus eigener Entscheidung zu einem solchen geworden ist. Dieser Gedanke ist für die antignostische Freiheitsphilosophie des Alexandriners zentral, wird hier aber nicht weiter entfaltet. 476 Vgl. ebd. 1,1 (8, 242).
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Einleitung
Sätze bald von „Zorn“ und „Vergnügen“, bald von „Sünde“ spricht. Entsprechend erscheinen auch Usija und Pharao nicht mehr nur als Verkörperungen eines frevlerischen, gottvergessenen Lebens, sondern auch als Chiffren für einen rein diesseitsbezogenen Hedonismus, der mit einem Leben im Sinne des Gotteswortes unvereinbar ist. Beide schließlich, die biblische Rede von der Sünde und die popularphilosophische Affektschelte, bringt Origenes, wie es scheint, zur Deckung, wenn er seine Hörer, das Negativvorbild des verstockten Israels vor Augen, eindringlich vor der „Lasterhaftigkeit der Körpersubstanz“477 warnt. Dass Origenes dennoch nicht, wie die vorhergehende Interpretation der Usija- bzw. Pharao-Figur vermuten lassen könnte, Affekt und Sünde miteinander identifiziert und ebenso wenig einer allgemeinen Verdammung des Körpers das Wort reden will, zeigt seine ungleich komplexere exegetische Auseinandersetzung mit dem Israel des Jesajabuches, einer weiteren Personifikation eines gottfernen Lebensprinzips. Zunächst gilt seine die prophetische Schelte aktualisierende Kritik nicht einfach irgendwelchen Affekten, etwa dem anfangs genannten „Vergnügen“ oder „Zorn“, sondern einer bestimmten allgemeinen Haltung, die er in paulinischer Diktion als „Klugheit des Fleisches“478 bezeichnet. Es ist also keineswegs der an sich indifferente Affekt, der Tadel verdient, noch meint diese fleischliche Klugheit, wie die weiteren Ausführungen zeigen, lediglich oder vorrangig ein Leben körperlicher Lustbefriedigung. Der Begriff steht vielmehr für ein Leben, das sich allgemein in irdischen Sorgen verliert und infolgedessen keinerlei Zugang zur eigentlichen, göttlichen Wirklichkeit mehr hat. Ein solches Leben nämlich habe das Herz der Israeliten, so deutet Origenes die prophetische Scheltrede, „verfetten“ – das in immer neuen Formulierungen und Begriffsverknüpfungen variierte Leitmotiv der sechsten Predigt – lassen: Wie die sündenbeschwerten Ägypter, so sei auch Israel, seiner Geistesflügel beraubt und von Gott verstockt,479 im Meer rein weltlicher Plagen untergegangen, wie Origenes in Verknüpfung von platonischem Seelenmythos und biblischer Geschichte sagt. In einem ersten Reflexionsschritt erscheint das IsraelPrinzip damit als Ausdruck einer fatalen Nachlässigkeit,480 die den in die 477 Ebd. 6,5 (8, 276). 478 Ebd. 479 Nach der Deutung des Origenes meint die biblische Rede vom „verstockten Herzen“ Pharaos oder Israels nicht, dass Gott sie zu guten Gedanken und Taten unfähig gemacht hätte, eine Vorstellung, die mit seinem Gottesbild und Freiheitsdenken gleichermaßen unvereinbar wäre. Vielmehr legt Gottes Heilshandeln offen, welches Herz für ihn offen ist und welches sich – wie im Fall der Israeliten in christlicher Zeit – ihm verschlossen hat. Siehe dazu die ausführliche Darstellung oben S. 66–74. 480 Vgl. die Auslegung der israelitischen „Schwerhörigkeit“ in Is. hom. 6,6 (GCS Orig. 8, 277), in der die Sünde nicht wie bei Usija und Pharao mit einem Affekt, sondern mit der Nachlässigkeit in Verbindung gebracht wird: „Wenn wir also Flügel erhalten,
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Vielfalt konkreter weltlicher Aktivität verstrickten Menschen daran hindert, die Flügel seines Geistes auszubreiten, bis sein Herz schließlich gänzlich „verfettet“ und zu jedem Aufstieg zum Geist außerstande ist. Das metaphysische Materialprinzip übersetzt Origenes hier ins Ethische: Anstatt sich zu gestalten und zu bilden, verflüchtigt sich das Seelen-medium in die Vielheit der sie umgebenden Welt und ihrer Tätigkeiten, ein Gedanke, der auch in der Etymologie von „Pharao“, „Zerstreuung“, zum Ausdruck kommt.481 Resultat ist nicht nur das mit dem „Zwang zum Tiefblicken“482 verbundene Verstocktsein, eine geistige Blindheit und Schwerhörigkeit, die den Menschen wie Israel einst am Verständnis der „behenden Leichtigkeit der Wahrheit“483 hindert. Zugleich ist ein solcher Zustand tiefste Selbstentfremdung des nach Gottes Abbild geschaffenen Geistes und als solche, philosophisch ausgedrückt, das Verfehlen der Eudämonie als höchsten Lebensziels. Es ist vor allem die biblische Urchiffre der Unfreiheit, Ägypten, die bei Origenes diesen traurigen Zustand der Seele symbolisiert. In psychologisch eindringlicher Form führt der Prediger seinen Hörern als Bild ihrer eigenen Misere ein gebeugtes Volk vor Augen, das ein trauriges Sklavendasein fristet und für Pharao niedere Arbeiten verrichten muss. In einem solchen Zustand, so beschreibt er das Elend der gefallenen Seele unter dem Pharao-Prinzip, „schlucken wir im Stillen die Tränen hinunter“.484 Ein Leben, wie es das Israel des Jesajabuches verkörpert, ist jedoch nicht nur Selbstentfremdung und Unglück, sondern zugleich, wie Origenes in einem weiteren Reflexionsschritt ausführt, Schuld und Sünde. So betont er ausdrücklich, die Israeliten hätten ihre geistigen Augen „absichtlich“ geschlossen.485 Im Zuge seiner Auslegung der prophetischen Invektive wider die Dämonen, die Israel aufsuche, und die Idolatrie, die es betreibe, verschärft Origenes seine Kritik des gottvergessenen, irdischen Lebenswandels: Wer entsprechend dem ethischen Kontradiktionsprinzip nicht unter der Herrschaft der Gerechtigkeit steht, steht unter der Despotie der Sünde, die Origenes im Rekurs auf den biblischen Begriff ventriloqui, „Bauchredner“, als „Bauchdienerei“ bezeichnet. Die prudentia carnis erscheint von dieser Warte aus als Grundmaxime derer, die „Diener ihres Bauches sind und für sein übermäßiges Wohlbefinden so ziemlich alles tun“.486 Dazu rechnet Ori-
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wird uns das Hören leicht fallen; wenn wir jedoch sündigen, die Schwingen vernachlässigen und uns die Flügel abfallen, werden wir schwer werden und schwer hören.“ Siehe dazu unten S. 195 Anm. 5. So die schöne Formulierung von Völker, Vollkommenheitsideal 33. In Ioh. comm. II 57 (GCS Orig. 4, 61 f.). In Is. hom. 5,3 (GCS Orig. 8, 267). Ebd. 6,7 (8, 279). Ebd. 7,3 (8, 283).
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genes allerdings nicht nur Völlerei im eigentlichen Wortsinne, sondern alle, die allein irdische Ambitionen verfolgen, darunter nicht zuletzt auch allzu ehrgeizige Kleriker: Ihre ganz und gar irdische Bemühung um das Prestige eines kirchlichen Amtes ist für Origenes nur eine weitere, nicht weniger ablehnenswerte Form, die das Streben nach einem „satten Magen“487 als Grundimpetus eines gottfernen Lebens annehmen kann. Mit einer aktualisierenden ethischen Deutung der prophetischen Idolatriekritik spitzt Origenes die Kritik des weltlichen Lebens noch weiter zu, wenn er das Wesen der Sünde als Götzendienst beschreibt: „Doch auch heute wird es einem, nach der großen Schar von Sündern insgesamt zu urteilen, nicht schwer fallen zu sagen, dass jeder einzelne, der sich das zu Gott macht, was er für ein Gut hält, und der Sünde dient, verflucht ist: Er stellt eine Schnitzerei her, gießt ein Werk von Künstlerhand und bringt es an einen verborgenen Ort; im Verborgenen unseres Herzens fertigen wir ja zahlreiche Götzenbilder an, wenn wir sündigen.“488 „Sünde“ bedeutet für Origenes demnach die Absolutsetzung eines innerweltlichen Gutes gleich welcher Art: Wo immer, so verbindet Origenes biblischen Sündengedanken mit der platonischen Partizipationsontologie,489 etwas Innerweltliches, sei es der Körper, sei es ein weltliches Ziel, in Verkennung seiner qua Abbild über sich hinaus- und auf Gott hinweisenden Natur zum höchsten Gut erhoben wird, betreibt der Mensch de facto Idolatrie. Ein rein irdisches Leben erscheint somit nicht nur als tiefes Unglück im philosophischen, sondern auch als Entfernung von Gott im biblischen Sinne. „Der Mensch“, so die Quintessenz der ethischen Allegorisierung des Jesajatextes, „entscheidet sich entweder für einen Götzen oder für das wahre Ideal.“490 Einer unwürdigen Existenz, wie sie ein solches Lebensprinzip mit sich bringt, steht das prophetische Leben einer konsequenten Weltentsagung gegenüber, das den überweltlichen Logos Gottes zum Prinzip und die Gemeinschaft mit Gott zum Ziel hat. Es zeichnet sich dadurch aus, dass es mit der äußeren Welt und mit dem eigenen Körper alles das überwindet, was die „verfettete“ Seele vom überweltlichen, körperlosen Gott trennt. Der erste Imperativ eines christlichen Lebens ist für Origenes deshalb ein kategorisches aÍfele paÂnta,491 ein radikaler Bruch mit der materiellen Welt außen wie innen, der das Herz wieder rein und so zur Gottesschau fähig sein lässt: „Fliehen wir also vor solchen Sorgen“, so fordert Origenes sich und seine Gemeinde auf, „auf dass unser Herz fein und Gott genehm werde! Fliehen wir vor weltlichen Beschäftigungen, sind sie es doch, durch die das Herz 487 488 489 490 491
Ebd. Ebd. 8,1 (8, 286). Vgl. Crouzel, Orige`ne 149. Von Balthasar, Mysterion 530: „L’homme se choisit ou une idole ou la vrai ideal.“ So die grundlegende ethische Maxime Plotins in enn. V 3,17.
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verfettet!“492 Es ist daher auch nicht von ungefähr, dass Origenes, wenn er in seiner großen Replik auf die Christentumskritik des Platonikers Kelsos auf die alttestamentlichen Propheten zu sprechen kommt, insbesondere ihre Furchtlosigkeit angesichts eines blutigen Martyriums sowie ihr konsequent asketisches Leben hervorhebt: Gegenüber ihrem Zeugnis, das sie unter blutiger Verfolgung und größten persönlichen Entbehrungen für Gottes Wahrheit abgelegt hätten, verblasse selbst der Glanz der antiken Philosophenvorbilder. Aus der Prophetenschar hebt Origenes Jesaja noch einmal besonders hervor. In ihm, „der“, wie er voller Bewunderung schreibt, „alle Abhärtung überbot, da er drei Jahre lang ,leicht bekleidet und barfuß‘ ging“,493 sieht er vor allem „den großen Überwinder des Fleisches“.494 Die radikale Askese Jesajas ist praktischer Ausdruck der entschlossenen Verneinung des Materiellen und Nichtgöttlichen, wie sie in den vorliegenden Homilien vor allem im Bild des reinigenden Feuers Christi, des einen der beiden Seraphim, zum Ausdruck kommt. Mit dem Martyrium, das weder Jesaja noch die übrigen Propheten gescheut hätten, eignet der asketischen Weltentsagung, als deren letzte Konsequenz es angesehen werden könnte, zudem die Dimension eines Sterbens in Christus: Wie Christus am Kreuz, so gibt auch der vollkommene Christ, den Jesaja präfiguriert, sein körperliches Leben für die geistige Wahrheit.495 Die christliche Weltentsagung, von Origenes an der zitierten Stelle aus Contra Celsum nicht nur selbst mit der paganen Philosophie in Verbindung gebracht, sondern regelrecht als deren Vollendung gepriesen, stellt dennoch keine bloße Wiederholung des stoischen Apathie-Ideals unter christologischen Vorzeichen dar.496 Wie die allegorischen Deutungen der Antagonisten Jesajas zeigen, sind es entgegen mancher vereinfachenden Formulierungen des Predigers nicht etwa die Welt und der Körper per se, die es zu überwinden gilt, sondern eine frei gewählte Haltung des Menschen beiden gegenüber. Entsprechend ist auch die vom Christen geforderte Weltflucht und Weltentsagung durchaus eine qualifizierte: Jesaja bzw. der von ihm verkörperte Christ der origeneischen Vollkommenheitsdoktrin steht der Vielheit seiner körperlichen Vollzüge und der Welt frei und souverän gegenüber.
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In Is. hom. 9 (GCS Orig. 8, 289). Cels. VII 7 (GCS Orig. 2, 159); Übersetzung: Koetschau, BKV2 I 53, 215. Völker, Vollkommenheitsideal 49. Vgl. Völker, ebd. 218. Es ist allerdings bezeichnend, dass mit Gregor dem Wundertäter bereits ein direkter Schüler des Origenes ihn in diesem Sinne missverstanden hat; vgl. pan. Orig. 9 (FC 24, 170): „Er wollte uns sowohl frei von Leid als auch unempfindlich gegen alles Übel, innerlich ausgeglichen, gefestigt und wahrhaft gottähnlich und glücklich machen“; Übersetzung: Guyot/Klein, FC 24, 171. Siehe dazu die kritische Auseinandersetzung mit Gregors Origenes-Deutung bei Völker, ebd. 229–235.
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Anders als bei Menschen, die nach dem Usija- oder Israel-Prinzip als „Bauchdiener“ faktisch Sklaven ihrer leiblichen Bedürfnisse und ihrer Umwelt sind, sind es sein freier Entschluss für den Logos und sein eigentliches geistiges Selbst, die ihn leiten und an denen er sein Leben ausrichtet. Ihrem Ausgeliefertsein an die Vielheit der körperlichen Welt stellt Origenes in den Jesajahomilien das Ideal eines Christen gegenüber, der sein Leben konsequent an dem einen Ideal der Nachfolge Christi ausrichtet.497 In buchstäblich allen Lebensvollzügen soll der Christ Gottes Herrlichkeit transparent werden lassen: „Wie geschieht durch jeden einzelnen von uns die Fülle der Herrlichkeit Gottes?“ So fragt Origenes provokant und gibt selbst die Antwort: „Wenn das, was ich tue oder sage, zur Verherrlichung Gottes geschieht, wird mein Reden und Handeln erfüllt von der Herrlichkeit Gottes. Wenn mein Kommen und Gehen zur Verherrlichung Gottes geschieht, wenn meine Speise, mein Trank, wenn alles, was ich tue, zur Verherrlichung Gottes geschieht, habe auch ich teil an dem Wort: ,Erfüllt ist die Erde von seiner Herrlichkeit‘.“498 Christliche Freiheit, zu der Origenes seine Gemeinde anleiten will, vollzieht sich demnach keineswegs als Negation des Lebens, sondern, im Gegenteil, als Verklärung der gesamten Lebenswelt des Menschen im Lichte der in Christus offenbar gewordenen göttlichen „Herrlichkeit“: Der Logos soll, so die ethische Anwendung des oben umrissenen psychologischen Hylemorphismus, zur Form des Lebens in all seinen Facetten werden. Bis hin zu elementaren Tätigkeiten wie Essen und Trinken499 soll die disparate Vielheit des menschlichen Daseins, die „Materie“ für
497 In Is. hom. 7,2 (GCS Orig. 8, 282): „Das Glück ist also auf uns, die Jünger Jesu Christi, übergegangen, und unser Glaube an ihn ist ganz unerschütterlich, unser Leben so, wie er es uns gelehrt hat.“ Die Unerschütterlichkeit ist zusammen mit der Orientierung am einheitsstiftenden Christusideal ein zentrales Charakteristikum der origeneischen Ethik, das er hier nur andeutet, in anderen Predigten aber breit entfaltet. Vgl. insbesondere in Hiez. hom. 9,1 (GCS Orig. 8, 406), wo Origenes die metaphysische Unterscheidung von Form und Materie, Einheit und Vielheit ebenfalls ins Ethische wendet: „Wo Sünden sind, da ist Vielheit, da sind Spaltungen, Häresien, Streitigkeiten; wo aber Tugend ist, da ist Einheit (singularitas), da ist Gemeinschaft (unio), die das Herz und die Seele aller Gläubigen eins sein lässt. Und, um es präziser zu formulieren, das Prinzip aller Übel ist die Vielheit, das Prinzip aller guten Dinge die Vereinheitlichung und die Rückführung von Vielem auf Eines.“ Den offenkundigsten Niederschlag findet die platonisch-spekulative Moralphilosophie des Origenes in der Telosformel des vir unus, der sich selbst ganz treu und nicht länger Knecht der vielheitlichen Welt ist. Vgl. dazu in Regn. hom. lat. 4 (GCS Orig. 8, 5–7). 498 In Is. hom. 4,2 (GCS Orig. 8, 259). 499 Jede körperliche Leidenschaft, so der Hintergrund des zunächst bizarr anmutenden Motivs einer Nahrungsaufnahme nach Jesu Vorbild, tendiert, sich selbst überlassen, nach Origenes dazu, maßlos und damit zur Besessenheit und gleichsam zu einem „Einfallstor“ für die Arglist von Dämonen zu werden. Den Zusammenhang von
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Christi gestaltendes Wirken, den einen Logos, Christus, zur Anschauung bringen und ihn dadurch, so eine notwendige ontologische Konsequenz des Partizipationsgedankens, wirklich gegenwärtig machen. Christus ist nämlich nicht nur, wie Origenes einem zu Beginn der fünften Predigt ausgelegten Prophetenwort entnimmt, „lebendige und für sich existierende Gerechtigkeit“,500 sondern insgesamt die „Tugend, die alle Tugenden in sich beschließt“,501 ein tugendhaftes Leben damit bereits reale Vereinigung mit dem Logos. Es stellt daher von der ersten Entscheidung gegen den inneren Usija und seinesgleichen an nicht weniger als ein Wunder dar, das sogar Jesu Krankenheilungen in den Schatten stellt,502 und eine wirkliche Theophanie. „Wenn er aber stirbt“, so betont Origenes die Gleichzeitigkeit von Weltüberwindung und Gottesschau, „dann sehen wir, sowie er stirbt, die Herrlichkeit Gottes.“503 Allerdings ist die in der Tugend vollzogene Verbindung mit dem Logos der Logik des Partizipationsgedankens entsprechend sowohl partiell als auch akzidentell. In der dritten Homilie zeigt Origenes dies ausführlich an der Teilhabe am Geist, der Vollendung des guten Lebens in der Heiligkeit: Während der Geistbesitz Jesu, angezeigt durch das Verb „ruhen“, ein substantieller und damit unverlierbarer ist, sündigt selbst der Heilige und verliert den Geist wieder: „Bedrängnis erleidet jeder Mensch, zu dem er gekommen ist. Denn jeder Mensch sündigt, ,gibt es doch keinen Gerechten auf Erden, der das Gute tut und nicht sündigt‘ (Koh. 7,20).“504 Die mit dem Tugendvollzug gegebene reale Vereinigung von Seele und Logos denkt Origenes also unter Wahrung einer bleibenden, unüberwindlichen Differenz. Mit der hier skizzierten substantiellen Heiligkeit des Menschen Jesus erhält auch das kategorische Gebot einer alle Lebensvollzüge prägenden imitatio Iesu ein ontologisches Fundament: Seine Seele ist, wie Origenes im Rückgriff auf die Klagelieder sagt, gleichsam der „Schatten“ des Logos, denn auch seinem Fleisch sei, so führt er in einem kurzen Exkurs zu Beginn der fünften Homilie aus, „die Würde der Göttlichkeit zuteil geworden“.505
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körperlicher Natur und dämonischem Wirken bestimmt der Alexandriner dahingehend, dass „die Anfänge, gewissermaßen die Samen der Sünde von Dingen kommen, die natürlich und alltäglich sind; wenn wir uns aber über Gebühr ihnen hingeben und nicht gegen die ersten Regungen der Zuchtlosigkeit Widerstand leisten, so ergreift die feindliche Macht die Gelegenheit dieser ersten Verfehlung, stachelt an und drängt weiter und sucht auf jede Weise die Sünden immer mehr auszuweiten“: princ. III 2,2 (GCS Orig. 5, 247 f.); Übersetzung: p. 569 Görgemanns/Karpp. Unmittelbar davor erwähnt Origenes auch das Essen und Trinken. In Is. hom. 5,1 (GCS Orig. 8, 263). Cels. V 39 (GCS Orig. 2, 43); Übersetzung: Koetschau, BKV2 I 53, 60. Vgl. in Is. hom. 6,4 (GCS Orig. 8, 274 f.). Siehe dazu ausführlich unten S. 129–131. Ebd. 1,1 (8, 242 f.) Ebd. 3,2 (8, 255). Ebd. 5,1 (8, 263).
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Einleitung
Jesu Geschichte auf Erden ist daher in jedem Detail Spiegel des Logos, der mit der Entscheidung gegen die Welt und für Gott im Einzelnen abermals einen Körper annimmt und Mensch wird. Diese ethische imitatio Iesu, in der sich ontologisch die Teilhabe verwirklicht, füllt Origenes auch in den vorliegenden Homilien mit Inhalt, wenn er insbesondere Christi Demut, wie sie in der Fußwaschung und bereits in der Kenosis zum Ausdruck kommt, herausstellt. Ihn, Jesus, der die Füße der Jünger vom Schmutz dieser Welt reinigt und sie auf den Weg zum Vater, der er selber ist, führt, sollten die Seelsorger sich zum Vorbild nehmen, wenn sie den einzelnen zu Christus leiteten.506 Desgleichen sei auch das kirchliche Amt in der Nachfolge Christi ein Dienst und kein Mittel zum Zweck eigener Ambition.507 Vor allem aber tritt das Demutsmotiv als zentraler Aspekt des origeneischen Jesusbildes im Negativen, d.h. in der Kritik ihres Gegenteils, des Stolzes, hervor. Als jene Sünde, die Satan zum Abfall von Gott bewegt hat, ist sie für Origenes das ärgste Unheil überhaupt.508 Dabei ist der Stolz nach seiner Überzeugung deshalb so überaus gefährlich, weil er sich einstellt, wenn der Mensch bereits weiter auf dem christlichen Weg fortgeschritten ist. Wenn er sich dessen stolz und selbstzufrieden brüstet, so ist gerade dies Gelegenheit für den Teufel, ihn abermals auf seine Seite zu ziehen.509 Jesaja ist auch darin Vorbild, dass er, der immerhin einer Gottesvision gewürdigt wird, nicht überheblich wird, sondern im Gegenteil die menschliche Sündhaftigkeit als umso bedrückender empfindet. Ihm müsse man es gleichtun und nicht nur einmal, sondern immer und immer wieder die eigene Niedrigkeit beklagen,510 damit man sich nicht in trügerischer Sicherheit wiegt und dem Ränkespiel des Teufels und seiner Dämonen erneut auf den Leim geht.511 Wie das Beispiel Jesajas zeigt, den Origenes wiederholt als Vorbild christlicher Vollkommenheit preist, versteht Origenes den Imperativ einer imitatio Iesu auch in einem weiteren Sinne. So kann er seine Gemeinde auffordern, nicht nur Christus selbst, sondern auch anderen biblischen Figuren nachzueifern. Abermals betont er dabei die jesuanische Demut, die er beim Büßer Jesaja ebenso entdeckt wie bei Mose, der die Berufung durch Gott im Bewusstein eigener Unzulänglichkeit ablehnt: „Wir tun also gut daran, die demütigen Worte und Taten des Herrn selbst und seiner Apostel nachzuahmen und zu tun, was Mose tat, so dass einer, auch wenn er in eine leitende Stellung berufen wird, sagt: ,Bestimme und sende einen anderen!‘“512 Die Übertragung des imitatio-Motivs auf andere biblische Figuren 506 507 508 509 510 511 512
Vgl. ebd. 6,3 (8, 272 f.). Vgl. ebd. 6,1 (8, 269). Vgl. ebd. 8,1 (8, 286). Vgl. ebd. 8,2 (8, 287). Vgl. ebd. 4,3 (8, 260 f.). Vgl. ebd. 8,2 (8, 287). Ebd. 6,1 (8, 270).
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ist vor dem Hintergrund der Ontologie, die es fundiert, der Annahme einer realen Christusgegenwart in der Seele des Fortgeschrittenen, nur konsequent. Schließlich steht es für Origenes außer Frage, dass Christus in den genannten biblischen Personen tatsächlich gegenwärtig gewesen ist. Neben den Aposteln, Mose und den Propheten, an denen sich die Gemeinde orientieren soll, kann er aus demselben Grund auch die Kirche als Vorbild empfehlen,513 ein Gedanke, der in der vom Prediger herausgestellten Parallelität zwischen der geschichtlich-kirchlich bereits augenfälligen und der biographisch-existentiell noch zu verwirklichenden plenitudo gloriae Dei indirekt hervortritt. Da es sich bei der Vorbildfunktion der Kirche und der genannten Personen jedoch um eine nur abgeleitete handelt und ihr Logosund Geistbesitz wie bei allen Geschöpfen zudem unvollkommener, akzidenteller Natur ist, scheut Origenes vor kritischen Äußerungen nicht zurück. So erscheint Jesaja beispielsweise in seinem Übereifer für die Berufung durch Gott im Vergleich mit den demutsvollen Bedenken des Mose geradezu als Negativvorbild. Desgleichen stellt Origenes den, wie er schreibt, weltweiten Erfolg der Kirche, mit dem die plenitudo Dei allenthalben sichtbar zutagetrete, zwar eigens als Antrieb für das sittliche Engagement des Einzelnen heraus. Dies hindert ihn aber, wie gesehen, keineswegs daran, Kritik an kirchlichen „Bauchdienern“ zu üben, die sich allein von ihrem – klerikal verbrämten – Ehrgeiz leiten lassen. Bei aller detaillierten Entfaltung seines Vollkommenheitsideals verliert Origenes niemals den Blick für die Bedeutung des ersten Schrittes, der Überwindung der Knechtschaft durch die Hingabe an Welt und Körper, von der der Beginn des Visionsberichts seiner Ansicht nach handelt. Die Entscheidung gegen Usija und Pharao und für den Logos – beides ist nicht zu trennen – ist für ihn innere Befreiung und Wiederholung des Exodusgeschehens: Wie die Israeliten bei Pharaos Tod atmet die Seele auf und schaut nicht länger gebeugt nach unten, sondern wendet ihren Blick zum Himmel.514 Ebenso erblickt Jesaja, gleich nachdem er den inneren Usija überwunden hat, die Herrlichkeit Gottes. Die Vertiefung der Logosgemeinschaft in der Kontemplation seines Wesens, wie sie der Seele mit der Aufgabe der Welt und Christi Ankunft zuteil wird, ist der zweite Bereich des origeneischen Vollkommenheitsideals: Die Teilhabe an Jesus und der im Logos beschlossenen Tugenden in der vita activa ist zugleich der Beginn der Teilhabe am Logos, dem Prinzip von Schrift und Wirklichkeit, in der vita contemplativa.
513 Zum Gedanken einer imitatio ecclesiae vgl. Crouzel, Imitation 35. 514 Vgl. in Is. hom. 1,1 (GCS Orig. 8, 242) mit 5,3 (8, 267).
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Die geistige Erkenntnis von Schrift und Wirklichkeit Mit seiner Ankunft im Hegemonikon der Seele gibt Christus der gefallenen Seele ihr (geistiges) Augenlicht zurück. In ihrem Innern hält sie mit ihm Mahl und verzehrt mit ihm zugleich die göttliche Natur, die sie in ihren ursprünglichen Zustand wiederherstellt. Zusammen mit der Erkenntnis des Logos in ihrem Innern erkennt die Seele aber auch die eigentliche, geistige Bedeutung der Heiligen Schrift und der gesamten Wirklichkeit um sie herum, die sie, mit dem Logos vereint, mit seinen und damit mit den Augen ihres Urhebers und Schöpfers zu betrachten beginnt. Wie sie selbst nämlich, so haben auch die Schrift und die Welt in all ihrer Vielfalt den einen Logos als Prinzip. Die Jesajahomilien sind reich an Äußerungen, die beredt Zeugnis für die ausgeprägte Bibelspiritualität ihres Autors ablegen. Fast enthusiastisch gibt er ihrem Wort die Ehre, wenn er sagt, „kein Wort in der Welt, ob bei den Griechen oder den Barbaren, sei wie das Wort des Gesetzes; denn von jedem Wort und von aller Lehre, die Wahrheit verspricht, hebt das Gesetz sich ab, das uns von Gott gegeben worden ist“.515 Und weit mehr noch als die Juden kann die Kirche stolz sagen: „Es gibt kein anderes Wort, das wie dieses wäre, das Fleisch geworden ist, das unter uns gewohnt hat, dessen Herrlichkeit wir gesehen haben, nicht wie Mose verdeckt durch eine Hülle (2 Kor. 3,13), sondern die Herrlichkeit als des Einziggeborenen vom Vater her, voller Gnade und Wahrheit (Joh. 1,14).“516 Die Schrift ist in ihrer Gesamtheit Christi Leib und Symbol.517 Ihr rechtes Verständnis ist für Origenes daher zugleich Christusbeziehung und Schau der göttlichen Herrlichkeit. Nicht anders als die Schau der Herrlichkeit im „inneren Menschen“ setzt auch die biblisch vermittelte Christuskontemplation die oben beschriebene innere Umkehr voraus, mit der sich der hier genannte Schleier von den Buchstaben hebt.518 Und wie die Absolutsetzung der irdischen Wirklichkeit, sei es als Leben bloßer Lustbefriedigung, sei es als weltliche Ambition in und außerhalb der Kirche, überwunden werden muss, so ist auch eine Bibellektüre, die ihren Buchstaben absolut setzt und sich ihrem geistigen Sinn verschließt, Verfehlung ihres essentiellen Symbolismus, wenn nicht Idolatrie. Als Symbol des Logos und als Symbole einer geistigen Wirklichkeit weisen die geschichtlichen Ereignisse,519 die sie erzählt, über sich 515 Ebd. 7,4 (8, 285). 516 Ebd. 517 Hierzu noch immer grundlegend: Gögler, Theologie des biblischen Wortes, konzis zusammengefasst in ders., Inkarnationsglaube und Bibeltheologie. 518 Vgl. Schockenhoff, Fest der Freiheit 41. 519 Mit Recht weist Schockenhoff, ebd. 4, darauf hin, dass die origeneische Schriftauslegung Deutung der Heilsgeschichte ist.
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hinaus. Breit legt Origenes seiner Gemeinde dies an dem zentralen (irdischen) Symbol der (geistigen) Wirklichkeit der Schrift, an Jesus selbst, dar: So hätten zwar gewiss alle anwesenden Jünger gesehen, wie Jesus einem nach dem anderen die Füße gewaschen habe. Einsicht in das eigentliche Wesen seiner Symbolhandlung (similitudo) aber, in ihr „Warum“ (cur), nämlich die Reinigung ihrer Seele durch geistiges Wasser, hätten sie nicht erlangt.520 Den Grundsatz seiner Bibel- und Geschichtshermeneutik legt Origenes offen, wenn er ausdrücklich zwischen einem körperlichen und einem begrifflichen Hören des Schriftwortes differenziert.521 Zudem übersetzt er dies in Termini der Heilsgeschichte, wenn er alles, was Jesus im Körper getan hat, als „Bild und Gleichnis des Künftigen“ bezeichnet:522 Schrifthermeneutik ist zugleich Hermeneutik der Welt und ihrer Geschichte, die der Logos schafft und lenkt.523 Mit der Abkehr von der Welt und der Umkehr zu Gott beginnt die Seele zugleich die sie umgebende Welt mit den Augen des Gotteswortes – ihres Schöpfers, ihres Urbildes und ihrer Seele – zu sehen. Auch der Kosmos ist sakramental verfasst, auch er ist Symbol des Logos, der auf seine geistige Wirklichkeit hin transzendiert werden will.524 Origenes bedient sich sogar desselben Vokabulars, wenn er die Erkenntnis der rationalen Strukturprinzipien der Wirklichkeit, ihrer rationes, einer Minderheit vorbehält: Wie selbst von den Jüngern, wenn überhaupt, nur einige wenige die rationes der Fußwaschung durch Jesus begriffen haben, so sehen auch die wenigsten die logoi der Natur um sie herum.525 Das Analogieverhältnis, in dem die Vielfalt der empirischen Phänomene zum einen Logos steht und das sie, wenn nicht Wahrheit, so doch auch nicht Lüge sein lässt,526 ist ständiger Impetus, sie im Hinblick auf ihn zu transzendieren. Die Erkenntnis der Welt und ihrer heilsgeschichtlichen Dynamik ist deshalb, so der Kern der Kosmologie der Jesajahomilien, wie Origenes sie im Zusammenhang mit dem Begriff eines medium Dei entfaltet, Schau Christi und der göttlichen Herrlichkeit in ihrer machtvoll anbrechenden Fülle. Genau wie eine letzte Erkenntnis der Schrift setzt für ihn auch eine vollkommene Welterkenntnis, die zugleich Chris520 521 522 523 524 525 526
In Is. hom. 6,3 (GCS Orig. 8, 272). Vgl. ebd. (8, 271). Ebd. (8, 273). Vgl. Schockenhoff, Fest der Freiheit 24. Siehe dazu ausführlich unten S. 144–147. In Is. hom. 9 (GCS Orig. 8, 289). Vgl. in Ioh. comm. I 167 (GCS Orig. 4, 31): „Nun ist der Christus als Licht der Welt wahres Licht im Gegensatz zum sinnlich wahrnehmbaren, denn nichts, was sinnlich wahrnehmbar ist, ist wahr. Doch folgt daraus, dass sinnlich Wahrnehmbares als solches nicht wahr ist, noch nicht, dass es falsch wäre. Schließlich kann das sinnlich Wahrnehmbare ja in Analogie zum Geistigen stehen; auf keinen Fall ließe sich vernünftigerweise alles, was nicht wahr ist, als falsch bezeichnen.“
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tuserkenntnis ist, auf Seiten des Betrachters nicht weniger als persönliche Heiligkeit voraus: Nur der Gerechte und Heilige, so sagt er seiner Gemeinde in der letzten Predigt ausdrücklich, vermag in den Dingen um sich, in ihrer Gestaltung und in ihrer Strukturiertheit, den Logos Gottes zu sehen.527 Dem Allegorismus der Schrift entspricht also in streng analoger Weise ein Allegorismus der Welt, und beide sind in den Jesajahomilien vermittelte Begegnung mit Christus im Medium der Kontemplation.528 Gotteserfahrung und geistige Sinnlichkeit Die Theorie einer geistigen Sinnlichkeit,529 mit der die unkörperliche und mit ihm verwandte Seele Gott erkennen und auf vielfältige Weise erfahren kann, stellt gleichsam das biblische Vokabular für eine Rede der Gotteserfahrung, die im Blick auf die Teilhabe an Gott in Denken und Handeln weithin den Regeln einer philosophischen Grammatik folgt. Angesichts der Zentralität des Themas eines Sehens bzw. Nicht-Sehens Gottes nimmt es nicht wunder, dass es in den Jesajahomilien eine bedeutende Rolle spielt. Die Annahme einer der sinnlichen Wahrnehmung analogen theia aisthesis ist durchweg Hintergrund der Auslegung und überdies Gegenstand von eigens ihr gewidmeten Ausführungen, in denen Origenes kurz ihr Wesen erläutert. Schließlich erweitert Origenes seine Theorie in den Jesajahomilien um eine Reihe weiterer geistiger Glieder und Körperteile. Die Theorie der geistigen Sinne macht Origenes im Rahmen seiner Deutung der in Jes. 8,19 genannten ventriloqui ausdrücklich zum Thema. Ausgangspunkt ist eine scheinbare Inkohärenz im biblischen Sprachgebrauch: Während das Wort „Magen“ in Verbindung mit einer Unterkategorie von Dämonen offenbar eine negative Bedeutung hat, eignet ihm im
527 Vgl. in Is. hom. 9 (GCS Orig. 8, 289). 528 Vgl. Bigg, Christian Platonists 134: „To him Allegorism is only one manifestation of the sacramental mystery of Nature. There are two heavens, two earths – the visible is but a blurred copy of the invisible. The divine wisdom and goodness, which are the cause of both, are in this world of ours distorted by refraction arising from the density of the medium.“ 529 Grundlegend ist noch immer der Aufsatz von K. Rahner, De´but, der eine hilfreiche Übersicht über die relevanten Stellen enthält (ebd. 114 Anm. 5). Mit ihrer Diskussion der Gottesvision Jesajas und der Verstockung Israels sowie einem eigens der theia aisthesis gewidmeten kurzen Exkurs gehören die in der Forschung bislang vernachlässigten Jesajapredigten zu den für die Thematik ergiebigsten Texten des Origenes. Rahners Liste ist ferner um den erst 1941 entdeckten Dialog mit Herakleides zu erweitern, der zu einem Gutteil der Homonymie-Lehre gewidmet ist. Anders als Rahner, der einen rein biblischen Ursprung der Theorie annimmt, arbeitet die neuere Darstellung von Dillon, Aisthesis Noete, auch die Parallelen zur zeitgenössischen Philosophie heraus.
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Neuen Testament vielfach ein unbestreitbar positiver Sinn – so etwa wenn von einer „Quelle von Wasser, sprudelnd zu ewigem Leben“,530 die im Magen oder Bauch des Gerechten entspringe, die Rede sei. Origenes löst das exegetische Dilemma, indem er zur Diskussion stellt, „ob wir nicht vielleicht zwei Bäuche haben, der eine körperlich, der andere geistig, wie man bei den übrigen Körperteilen sieht, denen man einen Namen gibt, beispielsweise bei den Augen, die einerseits die Augen des Körpers, andererseits die der Seele meinen.“531 Es sind also nicht nur die fünf Sinne – Origenes nennt hier stellvertretend die Augen, das Sehen –, sondern der gesamte Körper, der eine Entsprechung beim inneren geistigen Menschen hat. So lasse sich je nach Bibelstelle jeder Körperteil, der in ethischem oder theologischem Zusammenhang unmöglich eine Referenz im sinnlich Wahrnehmbaren haben kann, als sein unsinnliches Analogon auffassen. Dementsprechend drehe sich im Leben der ventriloqui des Jesajabuches tatsächlich alles um einen vollen Magen und andere irdische Belange,532 während die Quelle des neutestamentlichen Gerechten in seinem geistigen Magen entspringe. Gemeint sei dort der, wie Origenes sagt, „Bauch der Seele“.533 Ebenso sei es nicht der körperliche Fuß, der den Staub abschütteln und über Christus, den Weg, schreiten solle, sondern sein geistiges Pendant, von dem es auch an anderer Stelle in der Schrift heiße, dass er nirgendwo anstoßen solle.534 Und soll das Vorbild des fußwaschenden Jesus nicht absurd sein und seine verpflichtende Kraft verlieren, dann sind es auch sie, die Füße der Seele, die der Seelsorger in der imitatio Christi mit geistigem Wasser waschen soll.535 Aber auch jenseits einer expliziten Auseinandersetzung durchzieht das Prinzip der Analogie zwischen innerem und äußerem Menschen als wichtiger hermeneutischer Grundsatz das gesamte Predigtcorpus und trägt praktisch jedes Ergebnis der allegorischen Auslegung. Von der etwas gezwungen anmutenden Metapher einer Geburt des Geistes im Bauch der gerechten Seele536 abgesehen, handhabt der Prediger Origenes die Metapher des inneren Menschen und seiner Sinne und Leiden und Gebrechen im Allgemeinen mit großer Kunstfertigkeit: Es ist, wie gesehen, der innere Mensch, der Christus verzehrt, wie dieser umgekehrt von den guten Taten
530 Joh. 7,38; 4,14. 531 In Is. hom. 7,3 (GCS Orig. 8, 283). 532 Indem Origenes damit de facto auch den Magen der ventriloqui als Metapher interpretiert, droht die Trennlinie zwischen univok-körperlichem und analog-geistigem Sinn unscharf zu werden. Andererseits entspricht gerade dies der „Elastizität“ metaphorischer Sprache. 533 In Is. hom. 7,3 (GCS Orig. 8, 284). 534 Vgl. ebd. 6,3 (8, 273). 535 Vgl. ebd. (8, 272 f.). 536 Vgl. ebd. 7,3 (8, 284).
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und Gedanken der ihm anvertrauten Seele isst. Jesajas Lippen, die der Christus-Seraph mit Kohle verbrennt, stehen für sein Denken und Sprechen.537 Und bei den Blinden, die dank der Kirche heute wieder sehen, und den Lahmen, die dank ihrer wieder gehen können, handelt es sich nicht etwa um körperlich, sondern um geistig versehrte Menschen, die zu Christus zurückgefunden haben. Von großer Bedeutung ist die geistige Sinnlichkeit im Kontext zweier zentraler Themen der Sammlung, der Gottesvision Jesajas und der Verstockung Israels. Das „Sehen“ Gottes, das Origenes in immer neuen Anläufen zu ergründen sucht, so zu verstehen, als habe Jesaja Gott mit den körperlichen Augen wahrgenommen, käme einem kruden Anthropomorphismus gleich, wie ihn Kelsos dem Christentum unter Berufung auf entsprechende Bibelstellen tatsächlich auch zum Vorwurf macht.538 Origenes lässt freilich keinen Zweifel daran, dass in der behandelten Perikope ein geistiges Sehen, ein Verstehen Gottes in der Vermittlung durch Sohn und Geist, gemeint ist. So besteht, ohne dass er die an anderer Stelle ausführlich behandelte Unterscheidung von „sehen“ und „verstehen“ noch einmal wiederholt,539 das „Sehen“ im theologischen Zusammenhang in der Einsicht in die rationes der Dinge, ihre tiefere Bedeutung jenseits des bloßen Augenscheins. Beispiele hierfür sind so unterschiedliche Themen wie die im Evangelium berichtete Fußwaschung und die Welt in ihren Ordnungsstrukturen. Eine explizite Behandlung erfährt das geistige Sehen im Zusammenhang der Verstockung Israels: „Was aber ist der Grund dafür“, so die zentrale exegetische Frage, „dass der Hörende nicht versteht und der Sehende nicht sieht (Jes. 6,9)?“540 Zur Beantwortung dieser Frage unterscheidet der Alexandriner ausdrücklich zwischen einem geistigen Herzen und einem körperlichen, das „verfetten“ kann, ehe er die geistige „Verfettung“ Israels darstellt: Israel bzw. der Mensch, der das Prinzip Israel zur Lebensmaxime macht, hat, wie dargelegt, das Gotteswort und die Schrift (körperlich) vor Augen, ohne es doch (geistig) zu sehen. Analog verhält es sich nach Origenes mit dem prophetischen Vorwurf der Schwerhörigkeit, mit dem er nicht etwa ein physisches, sondern ein weit schwerer wiegendes psychisches Leiden anprangert. Die Theorie der geistigen Sinnlichkeit, eingeführt aus exegetischer (und apologetischer) Notwendigkeit, komplettiert das Vollkommenheitsideal der
537 Diese Deutung von „Lippe“ ähnelt der von „Magen“ im Fall der ventriloqui: Der metaphorische Gebrauch von „Lippe“ ist der univoken Bedeutung weit näher als beispielsweise der über den Weg, Christus, gehende „Seelenfuß“ dem körperlichen. 538 Vgl. Cels. VII 33 f. (GCS Orig. 2, 183–185). K. Rahner, De´but 117 f., sieht in der Abwehr einer anthropomorphen Gottesrede ein zentrales Motiv für die Entwicklung der Lehre von den geistigen Sinnen. 539 Vgl. princ. I 1,8 (GCS Orig. 5, 26). 540 In Is. hom. 6,4 (GCS Orig. 8, 275).
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Jesajahomilien: Die Sünde, die den Menschen in Gestalt eines Usija oder Pharao an der Rückkehr zu Gott hindert, erscheint als Krankheit eines Geistes, dessen mit Gott verwandte Sinne abgestumpft sind. Umgekehrt erschöpft sich die christliche Vollkommenheit, wie sie die Jesajahomilien schildern, nicht im rein Intellektuellen, sondern stellt sich als eine alle Sinne (und mehr) ansprechende Erfahrung dar, die der Prediger Origenes unter Verwendung einer Fülle biblischer Bilder und Motive plastisch auszumalen weiß.
c) Der einzelne Christ und die Kirche Ein letzter wichtiger Aspekt des Vollkommenheitsideals, das Origenes seiner Gemeinde vor Augen führt, ist sein kirchlicher Charakter. Die Äußerungen ausdrücklich ekklesiologischen Inhalts sind in den erhaltenen Jesajapredigten zwar rar. Dennoch stellen sie eine wichtige Ergänzung zu dem darin propagierten Vollkommenheitsideal dar, das Origenes nicht unabhängig von einer Einbindung in die Kirche, in ihr Leben und ihre Geschichte denkt. Der Repräsentant der Kirche ist für den vir ecclesiasticus, der Origenes als Philosoph und Exeget sein will, vor allem Diener und Seelenführer. Seine aufrichtige Sorge um die ihm anvertraute Gemeinde stellt Origenes nicht nur in der Vielzahl eindringlicher Appelle, die er an das einzelne Gemeindeglied richtet, eindrucksvoll unter Beweis. Das kirchliche Amt stellt er darüber hinaus auch ausdrücklich als soziale Dimension seines Ideals einer umfassenden imitatio Iesu dar. Wie Jesus bei der Fußwaschung sollen auch die Bischöfe und Presbyter niederknien und den ihnen anbefohlenen Seelen die geistigen Füße waschen. Jesaja ist auch hier Vorbild: Einer Schau Gottes gewürdigt, führt er nicht etwa ein zurückgezogenes, kontemplatives Leben, sondern legt sogar einen nicht ungefährlichen Eifer an den Tag, als Gott ihn zum Volk Israel sendet: „Lasst uns aber auch in bestimmter Hinsicht Partei für ihn ergreifen“, leitet der Prediger von der Kritik des Propheten zu einem neuen, wichtigen Aspekt der imitatio prophetae über, den er wie folgt erläutert: „So wollte er die Gnade, nachdem er sie bereits von Gott empfangen hatte, nicht vergebens empfangen (2 Kor. 6,1), sondern für etwas Wichtiges verwenden.“541 Das soziale Engagement ist notwendige Konsequenz der empfangenen Gottesschau. Jesaja gleicht damit in gewisser Weise dem platonischen Philosophen, der nach der beglückenden Ideenschau unter Gefahr für das eigene Leben in die Höhle der irdischen Welt zurückkehrt und andere aus der Finsternis befreien will.542 Direktes Vorbild ist aber auch
541 Ebd. 6,2 (8, 270). 542 Schockenhoff, Origenes und Plotin, sieht darin mit einigem Recht den zentralen
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hier niemand anderer als Jesus selbst, der keine der gefallenen Seelen aufgibt und sie aus der selbstverschuldeten Dunkelheit befreien will, indem er sich selbst erniedrigt und aus freien Stücken zu ihnen herabsteigt.543 Und mit Christus kehrt auch der Pneumatiker, nachdem er sich in die Knechtschaft eines kirchlichen Amtes begeben hat, irgendwann zusammen mit den von ihm bekehrten Seelen wieder in den himmlischen Thronsaal zurück.544 Dass es auch und vor allem dessen Wirken ist, das durch den einzelnen Pneumatiker geschieht, und dass Christus nicht zuletzt im Einzelnen „herumläuft“ und „sich“ die Welt nach und nach „unterwirft“,545 ist eine Konsequenz der mit der Partizipation gegebenen differenzierten Einheit von Logos und fortgeschrittenem Christen: Die Logosmystik, wie sie in dem Ausruf: „Ich selbst bin die Weisheit“ zum Ausdruck kommt, ist ebenso wenig rhetorisch-homiletische Ausschmückung wie die Rede von mehreren „Christoi“ im ersten Kommentarfragment, sondern, wie gesehen, logische Folge einer Ontologie der Christusgegenwart. In einer eigenen Theorie des Wunders wendet Origenes dies in ausgesprochen kühn anmutenden Ausführungen auf das Wirken der Kirche im Ganzen an: Gott sei, wie er seiner Gemeinde klarmacht, auch heute nicht „müßig“,546 sondern wirke, wo immer er von „Zion“, seinem hohen „Aussichtspunkt“ aus eine „Seele“ erspähe, „die geeignet ist“, durch diese noch immer „Zeichen und Wunder“.547 Wie er damals durch Christus und die Apostel gewirkt habe, so bediene er sich nun ihrer Fähigkeiten und Talente, um die gefallenen Seelen zu belehren und sie zu einem Gelingen ihrer Freiheit in Christus anzuleiten. Der Erfolg, den der Prediger der Kirche bei aller Kritik an einzelnen „Bauchdienern“ in ihren Reihen attestiert, spreche für sich: Die Wunder und Zeichen, die von ihren Vertretern gewirkt werden, übertreffen sogar jene, die der Logos selbst in körperlicher Gestalt gewirkt hat: „Bis auf den heutigen Tag aber“, so feiert Origenes die zahllosen „Wunder und Zeichen“ der Gegenwart, „sehe ich die Jünger Jesu dank ihres großen Glaubens Zeichen vollbringen, die größer sind als die körperlichen, die Jesus vollbrachte. Oder gibt es jetzt etwa keine Blinden, die sehen, Lahme, die gehen, und Aussätzige, die rein werden, u nd geschieht nicht auch das Übrige (Lk.
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Unterschied zwischen dem Platonismus des Origenes und dem seines Zeitgenossen Plotin: Während bei diesem die Einbindung der theoria in das platonische Ethos der Polis und ihrer paideia faktisch aufgegeben sei, erweise die konstitutive kirchlichsoziale Dimension der Schau bei Origenes diesen als den treueren der beiden spätantiken Platondiadochen. Vgl. in Is. hom. 6,7 (GCS Orig. 8, 278). Vgl. ebd. 6,1 (8, 269). Ebd. 1,1 (8, 243). Ebd. 7,2 (8, 281). Ebd.
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7,22), wenn der, der gestern so geblendet war, an ein Götzenbild heranzutreten, als sei es Gott, heute den lebendigen Gott anruft und alles Frühere aufgibt? Oder wenn, der gestern lahm war infolge der Sünde, jetzt, durch die Lehre der Jünger über den wahren Weg belehrt, diesen festen Schrittes beschreitet?“548 In der Auslegung der Sanctus-Doxologie lenkt Origenes den Blick, wie gesehen, auf den weltweiten Erfolg des Evangeliums, wie er in den „Kirchen der Seligen, die überall sind“,549 sichtbar werde. Der Erfolg der christlichen Gemeinden ist für Origenes nicht weniger als die sinnfällige Erfüllung der Seraphim-Prophezeiung einer Himmel wie Erde erfüllenden göttlichen Herrlichkeit, die mit Christi Ankunft Wirklichkeit geworden ist: Als die im Logos verklärte Menschheit550 weist die Kirche den Weg zum Ziel einer von Christus gänzlich unterworfenen Welt, in der Gott schließlich „alles in allem“ ist. Ihr Ringen mit dem hochmütigen Assyrerkönig, dem Teufel, der sie durch äußere Verfolgung und inneren Zwist zu Fall bringen will,551 steht also unter dem Vorzeichen der mit Jesus Christus bereits angebrochenen Fülle der göttlichen Herrlichkeit, seines unumkehrbaren Siegeszuges. Die Geschichte der Kirche bildet jedoch nicht nur den Hintergrund des geistigen Kampfes, den der Einzelne mit Satan und seinen Schergen auszutragen hat. In diesem Sinne hat der Hinweis auf die Kirche bei Origenes protreptischen Charakter: Angesichts des globalen Erfolgs des Evangeliums müsse auch er, der einzelne, endlich selbst aktiv werden und an der erregenden Entwicklung seiner Zeit teilhaben. Dass christliche Erlösung auch und vor allem eine soziale und sogar universale Kategorie ist, deutet Origenes selbst an, wenn er die siebte Homilie mit der Aussicht auf die Erlösung der gesamten Kirche schließt. Demnach ist Christus nicht nur der Logos, der die Seele des Einzelnen heilt und rettet, sondern zugleich, so die abschließende Doxologie der Homilie, das unvergleichliche Wort, „das die Kirche empfangen hat, an das sie glaubt, durch das sie auch gerettet werden wird“.552
548 Ebd. 6,4 (8, 274 f.). 549 Ebd. 4,2 (8, 259). 550 Vgl. zu dieser spekulativen Grundbestimmung der Kirche bei Origenes Lieske, Logosmystik 112. 551 Vgl. in Is. hom. 8,2 (GCS Orig. 8, 287 f.). 552 Ebd. 7,4 (8, 285).
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3. Gott und Geschichte: Jesajas Vision des trinitarischen Gottes a) Gott – Anfang, Mitte und Ende: Christliche Weltdeutung zwischen Jes. 6 und Nom. 4 Trotz einer dezidiert existentiell-ethischen Ausrichtung belassen es die vorliegenden Homilien nicht bei dem oben dargestellten Umriss einer christlichen Viatorik, die den Menschen zum göttlichen Wort und der in ihm vermittelten Gottesschau führen soll. Die spekulativ-theologische Deutung der Vision selbst stimmt mit dem im Vorhergehenden dargestellten Vollkommenheitsideal darin überein, dass sie kunstvoll biblische Erzählung und platonische Philosophie zu einer Synthese von höchstem metaphysischem Anspruch verbindet. So ist es nicht von ungefähr, dass Origenes die Jesajavision im literarischen Disput mit Kelsos553 mit einem Schlüsseltext des Platonismus in Verbindung bringt, nämlich einem Passus aus dem zweiten Brief,554 anhand dessen etwa Plotin seine Doktrin von den drei Hypostasen entfaltet.555 Seine ausführliche Behandlung der Vision in den Predigten stellt jene Theologie dar, die Origenes in der Apologie aufgrund ihrer Erhabenheit zu entfalten sich weigert. Als solche bietet sie einen Beitrag zu der Frage nach der Vermittlung von Transzendenz und Immanenz, von Einheit und Vielheit, die als Grundproblem der gesamten philosophiegeschichtlichen Epoche von Eudoros bis Proklos556 zugleich das Grundproblem des gesamten spekulativen Denkens des Origenes ist.557 Ergebnis dieser Anstrengung des Begriffs ist der Entwurf einer christlichen Weltdeutung, die Gott und
553 Vgl. Cels. VI 18 f. (GCS Orig. 2, 88–90). 554 Platon, epist. 2, 312 e 1 – 313 a 2: „Auf den königlichen Herrscher des Alls bezieht sich alles und jedes und er ist der Endzweck von allem sowie auch der Urheber von allem Schönen. Ein Zweites aber hat seine Beziehung auf das Zweite und ein Drittes auf das Dritte. Die menschliche Seele nun trägt Verlangen nach Erkenntnis der eigentlichen Beschaffenheit desselben, weil sie noch ganz befangen ist im Anschauen des ihr Verwandten, das dem Geiste doch in keinem Stück volle Befriedigung gewährt. Bei dem Allherrscher und dem, worauf meine Äußerungen (damals) gingen, findet sich von dergleichen Unvollkommenheit nichts“; Übersetzung: VI p. 26 Apelt. 555 Vgl. Plotin, enn. V 1,8. Zur Bedeutung des zweiten Briefes siehe den wichtigen Aufsatz von Findlay, Three Hypostases, der nicht nur für die Echtheit des Briefes, sondern, wichtiger noch, auch für den Ursprung der Dreihypostasenlehre bei Platon selbst eintritt. 556 Siehe Reale, Schools of the Imperial Age 215–227. Die Zentralität der Fragestellung ergibt sich aus der Wiederentdeckung der „zweiten Seefahrt“ Platons um die Zeitenwende: Mit der Annahme einer eigenen geistigen Wirklichkeit verbindet sich, sei es in der Kosmologie, sei es in der Ethik, mit Notwendigkeit die Frage nach ihrem Verhältnis zur empirischen Welt. 557 Vgl. p. 20 Görgemanns/Karpp.
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Welt im Sinne einer dynamischen Kosmologie und heilstrinitarischen Geschichtsphilosophie in einer differenzierten Einheit zusammendenkt. Was also, so die Leitfrage der Homilien, hat Jesaja nach Origenes genau gesehen, wenn es biblisch heißt, er habe den „Herrn auf einem erhabenen und hohen Thron sitzen sehen“?558 Die Frage scheint zunächst leicht und ohne weiteres beantwortbar. Bereits in der Prinzipienschrift559 vertritt Origenes unter Berufung auf einen nicht näher identifizierten „Hebräer“, vermutlich einen Judenchristen,560 die Deutung, die er in den vorliegenden Homilien ausführlich entfaltet: Jesaja sieht nicht zwei Seraphim,561 sondern Logos und Pneuma, die Anfang und Ende des Vaters verhüllen. Unter Hinzuziehung eines ähnlich lautenden Habakukzitates nimmt Origenes dort jedoch bereits eine wichtige Differenzierung vor: Jesaja sieht nicht einfach Vater, Sohn und Geist. Ihm wird vielmehr eine Erkenntnis oder Schau des Vaters zuteil, die der Sohn im Geist vermittle: „Denn jegliches Wissen über den Vater wird durch die Offenbarung des Sohnes im Heiligen Geist erlangt, so daß diese beiden, die nach dem Propheten ,lebende Wesen‘ heißen, den Grund des Wissens von Gott Vater bilden.“562 Der Gedanke einer „kosmischen Mittlerstellung des Sohnes und des Geistes“,563 wie er darin zum Ausdruck kommt, und seine spekulative Entfaltung als Wissens- und Wesensvermittlung in Welt und Geschichte ist der Kern der ungleich komplexeren Exegese der Vision in der vorliegenden Predigtsammlung, die von der ersten Zeile an das besondere Problembewusstsein ihres Autors dokumentiert. So arbeitet Origenes zunächst zwar die besondere theologische Dignität von Jesajas Gottesschau heraus. Anders als Daniel oder Micha etwa, die Gott in seiner Eigenschaft als vom Himmel herabsteigenden Richter gesehen haben, sieht Jesaja Gott „auf einem erhabenen und hohen Thron“, also in Ausübung einer mit der himmlischen Regentschaft weit erhabeneren Tätigkeit als der richterlichen.564 Ebenso ist, wie gesehen, das in den Jesajapredigten skizzierte Ideal christlicher Vollkommenheit ganz auf das Ziel der Gottesschau, wie sie Jesaja als vorbildlichem Asketen und Büßer zuteil wird, ausgerichtet. Indes verrät bereits die Diktion der einleitenden ethischen Deutung die große Vorsicht des Auslegers. So sieht der Prophet nach der
558 559 560 561
In Is. hom. 1,1 (GCS Orig. 8, 243). Vgl. princ. I 3,4; IV 3,14 (GCS Orig. 5, 53. 346 f.). Siehe dazu oben S. 83. Dass Sohn und Geist nicht auch Engel sind, wird an der zweiten Behandlung in PeriÁ aÆrxv Ä n deutlich, in deren Rahmen Origenes die himmlische Engelhierarchie scharf von beiden absetzt. Vgl. dazu auch Kretschmar, Trinitätstheologie 66 f.; Saake, Tractatus 98. 562 Princ. I 3,4 (GCS Orig. 5, 53); Übersetzung: p. 167 Görgemanns/Karpp. 563 Kretschmar, Trinitätstheologie 68. 564 Vgl. in Is. hom. 1,1 (GCS Orig. 8, 243).
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von Origenes gegebenen Paraphrase nicht einfach Gott, sondern eine „Vision Gottes“, und im Zusammenhang mit der hierfür erforderlichen Überwindung des „inneren Usija“ stellt der Prediger seinen Hörern als Lohn für ihre sittliche Bemühung nicht etwa eine Vision Gottes selbst, sondern eine solche der „Herrlichkeit Gottes“ in Aussicht.565 Und wenn er wenig später doch von einem videre Deum spricht, so präzisiert er dies wiederholt im Sinne der vom Propheten eigentlich geschauten Herrschertätigkeit Gottes im Wort.566 Auch im Folgenden ist es weniger Gott selbst als seine von den Seraphim gepriesene Herrlichkeit, die nach Origenes’ Lesart eigentlicher Gegenstand der Schau zu sein scheint.567 Dass es sich bei der Gottesvision Jesajas in der Tat keineswegs um eine innerweltliche Vorwegnahme der eschatologischen visio beatifica, einer umfassenden Gotteserkenntnis, handelt, hebt Origenes schließlich ausdrücklich hervor. Eine apokryphe Überlieferung der Juden aufgreifend, nach der Jesaja als Gesetzesübertreter von aufgebrachten Juden zersägt worden sein soll, argumentiert Origenes, dass Jesajas Behauptung, Gott gesehen zu haben, keinesfalls, wie von den Juden in der Geschichte fälschlich angenommen, im Widerspruch zu dem Schriftwort stehe: „Niemand wird mein Angesicht sehen und am Leben bleiben“ (Ex. 33,20). Ebenso wenig wie Mose, dem Gott lediglich seinen Rücken gezeigt habe, habe Jesaja nämlich Gott von Angesicht zu Angesicht gesehen.568 Schließlich spricht Origenes im Dialog mit Herakleides sogar unumwunden vom „Schatten, ... wie ihn Jesaja hatte, ,als er den Herrn Zebaot auf einem hohen und erhabenen Thron sitzen sah‘“.569 Der zentrale Begriff, mit dem Origenes in den Jesajapredigten den irdischen und damit notwendig bild- und schattenhaften Charakter der Gottesschau des Propheten zum Ausdruck bringt und bei dem es sich darüber hinaus, wie im Folgenden zu zeigen ist, um einen Schlüsselbegriff der theologischen Kosmologie des Origenes handelt, ist der der „Mitte Gottes“ (medium und media oder medietas). Sie allein ist dem Menschen zugänglich, während Gottes „Antlitz“ und „Füße“, sein „Anfang“ (exordium oder principium) und sein „Ende“ (novissimum bzw. novissima) von den mit dem Logos bzw. dem Pneuma identifizierten Seraphim verborgen werden. Der philosophische Terminus „Mitte“ wird von Origenes allgemein in einer Reihe von verschiedenen, aber doch von einer einzigen Grundbedeu-
565 Vgl. ebd. 566 Vgl. ebd. (8, 243 f.). 567 Vgl. etwa ebd. (8, 244): „Die Fülle der Herrlichkeit Gottes aber wirst du in der Gegenwart nicht finden; wenn jemand jedoch Gott einen Tempel erbaut, wird er die Herrlichkeit Gottes sehen, und wenn er befolgt, was gesagt worden ist, wird er das Haus von der Herrlichkeit Gottes erfüllt sehen.“ 568 Vgl. ebd. 1,5 (8, 247 f.). 569 Dial. 27 (SC 672, 108); Übersetzung: Früchtel, BGrL 5, 44.
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tung herleitbaren Bedeutungen verwendet,570 die allesamt für sein Verständnis in den vorliegenden Predigten von Bedeutung sind. Wie bei Platon und im zeitgenössischen Platonismus ist die Seele als Mitte und Mittlerin zwischen intelligibler und empirischer Welt, zwischen Geist und Leib, seine erste Referenz, von der her auch die übrigen Bedeutungen verständlich werden.571 Synonym für koinos bzw. communis gebraucht, bezeichnet der Begriff sodann das im Vergleich zum eigentlich bedeutsamen geistigen Leben und Sterben „banale“ Leben und den „banalen“ Tod,572 d.h. die bloß physische Existenz und ihr Ende. Der psychologische Zusammenhang dieser zweiten Bedeutung tritt in der vierten Predigt der vorliegenden Sammlung hervor: Eine Seele, die, ihres inneren Logos beraubt, zu keinerlei sittlicher Entwicklung imstande ist, also weder zu einem göttlichen geistigen Leben auf- noch zu einem körperlich-tierischen absteigen kann, ist zu einem banalen Leben verurteilt und gleicht einem jeder Schmerzempfindung beraubten Toten.573 Von daher erklärt sich auch die dritte Wortbedeutung, adiaphoron bzw. indifferens, denn die Seele als solche ist ihrem Wesen nach, wie gesehen, nur Potential und Materie für das gestaltende Wirken des Logos oder, negativ, des Teufels. Allerdings ist auch hier zu berücksichtigen, dass das von Origenes formulierte ethische Kontradiktionsprinzip die tatsächliche Existenz eines Adiaphoron ebenso wenig zulässt wie eine allein im Rahmen eines Gedankenexperiments abstrahierbare geistlose und zu jeder Entwicklung unfähige Seele. Vielmehr verhält es sich so, „dass“, wie Gruber schreibt, „das meÂson (wie auch der Terminus aÆdiaÂforon) nicht adäquat geschieden zwischen den Extremen steht, sondern als ihr gemeinsames Fundament (koinoÂn) in und gleichsam unter ihnen“.574 In beiden Fällen handelt es sich also um rein hypothetische Kategorien ohne Entsprechung in einer Schöpfungswirklichkeit, die, um der Wiederherstellung der gefallenen Geister willen geschaffen, immer schon teleologisch vordeterminierte Erlösungswirklichkeit ist: Als gefallener Geist bleibt die Seele wesenhaft Abbild des Logos und als solches stets auf ihre Aufhebung im göttlichen Urbild hingeordnet, ein Wesensmerkmal, das infolge eines sinnlich-irdisch orientierten Lebenswandels zwar verdeckt werden, niemals aber verloren gehen kann. 570 Vgl. zum Folgenden die kurzen Übersichten bei Scherer, Entretien 169 f. Anm. 15, sowie die darauf aufbauende schematische Auflistung der verschiedenen Bedeutungen bei Gruber, ZVH 131 f. Aufgrund der fehlenden (Scherer) bzw. nur sehr knappen (Gruber) Berücksichtigung der vorliegenden Homilien kommen in den genannten Übersichten weder der theologisch-kosmologische Gehalt des Begriffs noch der innere Zusammenhang der verschiedenen Bedeutungen von medium zur Geltung. 571 Siehe dazu auch oben S. 113–115. 572 So der treffende Übersetzungsvorschlag von Scherer, Entretien 169. 573 Vgl. in Is. hom. 4,3 (GCS Orig. 8, 260). 574 Gruber, ZVH 133 (mit einem erhellenden Schaubild).
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Dieser teleologische Grundcharakter des Seelischen ist für die vierte Wortbedeutung, medium als gegenwärtige Wirklichkeit und „Mittelbereich einer geschichtlichen Entwicklung“,575 von großem Belang. In Verbindung mit der Bestimmung Dei stellt medium in dieser letzten Bedeutung zudem einen für sein Verständnis in den Jesajapredigten wichtigen intertextuellen Bezug zu einer im Platonismus zur Zeit des Origenes viel diskutierten Passage aus Platons „Gesetzen“ her. Dort heißt es in der „Rede“ des Atheners „an die Siedler“: „Ihr Männer ..., der Gott (oë ueoÂw), welcher, wie auch der bekannte alte Spruch verkündet, Anfang, Ende und Mitte aller Dinge (aÆrxhÂn te kaiÁ teleyth Á n kaiÁ meÂsa tv Ä n oÍntvn aëpaÂntvn) in seiner Hand hat, wandelt ohne Fehl der Natur gemäß seine ewig gleiche Bahn; seine ständige Begleiterin aber ist die Gerechtigkeit (oder: Dike), die strenges Gericht hält über die, welche sich dem göttlichen Gesetze nicht fügen; ihr ergeben ist jeder, der glückselig werden will, und hält fest zu ihr in Demut und Bescheidenheit.“576 Bei „dem Gott“, von dem der Athener spricht, handelt es sich um die Weltseele. An ihrer stets gleichen Bahn, wie sie in der geordneten Bewegung der Gestirne sichtbar wird, soll der Mensch, so Platons Verknüpfung von Kosmologie und Ethik, Maß nehmen und an ihr sein Leben ausrichten. Nur so werde seine Seele „gerecht“, d.h. wohlgeordnet, und, das höchste Ziel aller antiken Ethik, „glücklich“.577 Heute weniger bekannt, hat der Text von der Alten Akademie bis in die Zeit des Origenes eine reiche Wirkungsgeschichte entfaltet. Sein Leitbegriff, das meÂson „des Gottes“, wird in der Folge zu einem Schlüsselterminus jeder philosophischen Gotteslehre in der Tradition der platonischen „zweiten Seefahrt“. So bezeichnet meÂson beim Akademiker Aristoteles den Fixsternhimmel, der gleich der Weltseele Platons zwischen unbewegtem Beweger und bewegter Welt vermittelt.578 Der pseudo-aristotelische Traktat De mundo hat einen längeren orphischen Hymnus bewahrt, in dem Zeus als „Haupt“ und „Mitte“ und als „der Erde
575 Gruber, ebd. 132 Anm. 2. Für diese vierte Bedeutung rekurriert Gruber auf die Jesajahomilien, ohne allerdings der mit dem Genitiv Dei ausdrücklich gemachten theologischen Dimension von medium Rechnung zu tragen. 576 Platon, nom. IV 715 e 7 – 716 a 4; Übersetzung: VII p. 131 f. Apelt. 577 Siehe die ausführliche Interpretation des Textes bei Bordt, Platons Theologie 175–184. 578 Vgl. Aristoteles, Met. L 1072 a 5–20. Zu der in der Forschungsgeschichte häufig übersehenen Bedeutung des Fixsternhimmels als mittlerer Instanz siehe den diesbezüglich wegweisenden Aufsatz von Oehler, Beweis. Zum Verhältnis des aristotelischen Gottes zur Weltseele Platons vgl. Detel, Aristoteles 81: „Aristoteles beschreibt den selbstbewegten Kosmos als funktional und gut strukturiert, scheint ihm also eine funktionale Form im Ganzen zuzuschreiben. Es liegt nahe anzunehmen, dass die funktionale Form des Kosmos insgesamt notwendig oder essenziell mit dem unbewegten Beweger verbunden ist: der Aristotelische Gott ist die Seele des Kosmos im Ganzen.“
III. Die Theologie der Jesajahomilien
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Grund und sternübersäten Himmels“ gepriesen wird.579 Das Werk schließt mit dem als quasikanonische Bestätigung angeführten Platontext selbst.580 Im kaiserzeitlichen Platonismus gehört der Text zum Grundinventar der theologisch-kosmologischen Spekulation: Apuleius übersetzt den genannten Traktat frei ins Lateinische.581 Im Zusammenhang mit der Telosformel der „Angleichung an Gott“ zitiert Alkinoos lediglich den Anfang des von ihm offenbar als bekannt vorausgesetzten Textes,582 und Numenios verwendet den Begriff des meÂson im Kontext seiner Seelenlehre.583 Wie bei Platon selbst ist die Weltseelenthematik bei den genannten Autoren untrennbar mit der Frage nach der menschlichen Geschichte und ihrer göttlichen Lenkung, der Vorsehung, verbunden:584 Der Seele der Welt entspricht eine gestufte göttliche Providenz, die beim ersten, transzendenten Gott ihren Ursprung nimmt und über die geordnete Bewegung der Gestirne und die Einflusssphäre der ätherischen Geistwesen und Dämonen bis in die Welt der verschiedenen Vernunftwesen hinabreicht.585 Beide Bedeutungen des platonischen meÂson, die kosmologisch-psychologische wie die geschichtsphilosophische, finden sich schließlich auch in der Auslegung der Cherubim- und Seraphim-Vision, die der jüdische Platoniker Philon von Alexandrien in seinem großen allegorischen Kommentar und einer nur armenisch überlieferten Predigt gibt. Sie, die beiden höchsten Kräfte des einen Logos, sind nach Philon gemeint, wenn es in Ex. 25,22 heißt, Gott wolle sprechen „von oberhalb des Sühnedeckels, mitten zwischen den beiden Cherubim“: „Der Vater selbst aber hängt nicht oberhalb der Kräfte, sondern hat alles an sich hängen; denn Stütze des Bestehens und Säule des Alls ist er allein. Dass er aber von oberhalb spricht, der (doch) in der Mitte ist, sagt (die Schrift) deshalb, weil der Seiende durchs Wort das Universum ausgestaltet hat und dieses (seinerseits) durch seine Vorsehung sprechend und vernünftig geworden ist.“586 579 Ps.-Aristoteles, mund. 401 a 29 – b 1 (p. 99 f. Lorimer); Übersetzung: p. 27 Schönberger. 580 Vgl. ebd. 401 b 24–29 (p. 101–103). 581 Die freie, kommentierende Übersetzung des Apuleius stellt bereits eine Erläuterung des Textes im Sinne des zuvor zitierten orphischen Gedichts dar: „deus namque, sicut uetus“, inquit, „continet ratio, principia et fines et media rerum omnium penetrat atque inlustrat“ (p. 157 Beaujeu). 582 Vgl. Alkinoos, didasc. 28,3 (p. 56 f. Whittaker/Louis). 583 Vgl. etwa Numenios, frg. 24,61 des Places und dazu allgemein den Index Verborum s.v. meÂsow. 584 Vgl. insbesondere den Geschichtsmythos im Politikos (268 d 5 – 274 e 1). Zu dessen Interpretation im Sinne einer Geschichtsphilosophie siehe Gaiser, Ungeschriebene Lehre 205–217. 585 Es handelt sich hierbei um das mittelplatonische Theoriestück einer providentia tripertita. Vgl. etwa Apuleius, Plat. I 12 (p. 89 f. Beaujeau) sowie den Überblick bei Dillon, Alcinous 160–164.
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Einleitung
Beide Bedeutungen, die Weltseele in der Doppelfunktion eines schöpferischen und eines providentiellen Prinzips, macht auch Origenes für seine Interpretation der „Mitte Gottes“ fruchtbar. In einer ersten Auslegung akzentuiert Origenes zunächst den kosmologischen Aspekt des als Interpretament des Jesajatextes eingeführten Begriffs.587 Das medium Dei erscheint hiernach allgemein als Gesamt der Wirklichkeit (das, „was ist“588), als Kosmos, dessen wohlgefügte, planmäßige Struktur, so ist wohl zu ergänzen, dem Menschen zumindest ein begrenztes Verständnis Gottes ermöglicht. An späterer Stelle erweitert Origenes den Gedanken einer Gotteserkenntnis aus der geschaffenen Wirklichkeit um den providentiell-geschichtsphilosophischen Aspekt, wenn er nicht einfachhin von einem „Ursprung Gottes“, sondern von einem „Ursprung der Bewegung Gottes“589 spricht, der der gesamten geschaffenen Wirklichkeit verborgen sei; „niemand noch etwas von dem, was ist“,590 so Origenes bestimmt, vermöge diesen zu sehen. Mit dem abstrakten Begriff eines motus Dei, der sich angesichts des aristotelischen Grunddogmas Gottes als „unbewegten Bewegers“ überaus kühn ausnimmt, sind, wie die unmittelbar daran anschließenden Ausführungen zeigen, sein „Wirken“ (negotia), sein Heilshandeln in der Welt gemeint. Ebenso identifiziert Origenes wenig später das Antlitz Gottes nicht einfach mit seinem Anfang, sondern mit dem, „was den Werken Gottes vorausliegt“ (priora operum Dei).591 Eine Erkenntnis Gottes, die über die Welt in ihrem geschichtlichen Lauf hinausgeht, schließt Origenes dabei kategorisch aus: So sicher auch die Existenz einer Wirklichkeit vor der Erschaffung der Welt und nach ihrem Untergang sei, so gewiss sei es auch, dass allein Gott selbst um diese wissen könne.592 Auffällig ist allerdings, dass Origenes einerseits die Möglichkeit protologischen Wissens rundweg bestreitet, andererseits aber im Bereich der Eschatologie lediglich sicheres Wissen in Abrede stellt.593 Andererseits bestätigt er wenige Zeilen später die Leugnung jeder über sein
586 Philon, De deo 5; Übersetzung: Siegert, WUNT 46, 34. Vgl. auch die Anspielung auf die zitierte Nomoi-Stelle und die Theologie der göttlichen Mitte im Traktat De Cherubim, Cher. 23 (III p. 177 f. Cohn/Wendland): „Der eine der Cherubim ist nun die äußerste Sphäre, der äußerste Teil des ganzen Himmels, die Rundung, in welcher die Fixsterne die sich immer gleich bleibende Reigenbewegung vollführen, ohne je von der Stelle zu weichen, die ihr Schöpfer, der Allvater, ihnen in der Weltordnung angewiesen hat“; Übersetzung: Cohn, Philo, Werke III, 177 f. 587 Origenes, in Is. hom. 1,2 (GCS Orig. 8, 245). 588 Ebd. 589 Ebd. 4,1 (8, 257). 590 Ebd. 591 Ebd. (8, 258). 592 Vgl. ebd. 593 Vgl. ebd.: „Was nach der Welt kommen wird, können wir nicht mit Gewissheit erfassen; doch wird es etwas anderes nach der Welt geben.“
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medium hinausgehenden Gotteserkenntnis, wenn er unmissverständlich sagt: „Sie bedeckten es aber nicht nur, sondern verhüllten es sogar ganz, das heißt sie bedeckten es so, dass man nicht einmal einen winzigen Teil des Früheren, ich meine des Angesichts, sehen, oder ein kleines Detail des Letzten, das heißt seiner Füße, erkennen konnte.“594 In alledem unterliegt es freilich, wie bereits die Qualifikation der Begriffe „Anfang“ und „Ende“ als „Anfang“ bzw. „Ende Gottes“ anzeigt, weder hier noch dort einem Zweifel, dass es sich bei der Wirklichkeit jenseits der zeitlichen Welt um die zeitenthobene Wirklichkeit Gottes handelt. Schließlich müssen die Ausführungen zum medium Dei als einzigem Gegenstand der Gotteserkenntnis mit den übrigen Ausführungen zur Vision Jesajas verknüpft werden, die, oben teilweise bereits referiert, das origeneische Verständnis der Reichweite irdischer Gotteserkenntnis komplettieren. In seiner kommentierenden Paraphrase des Textes nennt Origenes nämlich mindestens zwei weitere Dinge, die der Prophet in seiner Vision sehen kann: die Herrlichkeit Gottes und die beiden mit Sohn und Geist identifizierten Seraphim, die Antlitz und Füße Gottes verbergen. Liegt damit ein Widerspruch zu dem eben skizzierten Erkenntnisvorbehalt vor? Angesichts der Sorgfalt, mit der Origenes in den Jesajahomilien ein zentrales Thema wie die Möglichkeit menschlicher Gotteserkenntnis behandelt, erscheint dies ausgesprochen unwahrscheinlich. Vielmehr ist die von Origenes damit implizit vorgenommene Identifikation des medium Dei mit der gloria Dei einerseits und mit dem Logos und dem Pneuma andererseits gerade der Schlüssel zu einer angemessenen Interpretation der Homilien: Es ist Christus, der Schöpfungs- und Heilsmittler, der den Menschen als Herrlichkeit Gottes in Person und im Verein mit der heiligenden Kraft des Geistes Gott, den Vater, in Welt und Geschichte erfahren und erkennen lässt. Christus ist, wie Origenes an anderer Stelle ausdrücklich sagt, gerade die personale, kosmisch-geschichtliche „Mitte, d.h. der Mittler zwischen all diesen Geschöpfen und Gott“ (harum omnium creaturarum et Dei medium, id est ,mediatorem‘), und in dieser Eigenschaft ist er auch, wie es in der kürzeren ParallelausleÄ n heißt, zusammen mit dem Geist „Grund des Wissens gung in PeriÁ aÆrxv von Gott Vater“.595 Dementsprechend sind die christologischen Ausführungen in den Jesajapredigten insgesamt von zweifacher Art: Sie betreffen zum einen Christus, insofern er als Weisheit und Logos Urbild und Seele der Welt ist, und zum anderen Christus, den Erzieher und geschichtlichen Heilsmittler. Der Geist, dessen Wirken in den erhaltenen Predigten weniger ausführlich dargestellt wird, tritt Christus dabei bei der Taufe im Jordan helfend zur Seite. Das
594 Ebd. 595 Princ. II 6,1 (GCS Orig. 5, 139); Übersetzung: p. 357 Görgemanns/Karpp.
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Einleitung
Heilswerk, das in der Vermittlung der göttlichen Natur an die Schöpfung besteht, gründet dabei in einer strengen ontischen Kontinuität, die das medium Dei, den Sohn und den Geist, mit dem innergöttlichen Ursprung verbindet.
b) Gottes Anfang und Ende: Der trinitarische Gott in sich Trotz des massiven Vorbehalts gegenüber einer innerweltlichen Gotteserkenntnis enthalten die Jesajahomilien eine Reihe von kürzeren Ausführungen zum innergöttlichen Leben, wie sie sich an den beiden Komplementärbegriffen zum oben diskutierten medium Dei, dem „Anfang“ und dem „Ende Gottes“, entspinnen. Als heilsgeschichtliche Daten, die Origenes im Leben der Trinität vorgebildet und begründet sieht, lassen sie sich indes allesamt auf die oben genannten Quellen der dem Menschen zugänglichen Gotteserkenntnis zurückführen.596 Das außertrinitarische medium Dei ist – mit Aristoteles formuliert – das Erste „für uns“, das den innertrinitarischen Anfang, das „der Natur nach“ Erste, zum inneren Prinzip und Ziel hat: Gott ist als Anfang und Ursprung der Welt zugleich deren Ende und Ziel.597 Diese strenge Entsprechung von (innertrinitarischem) Ursprung und (heilsgeschichtlichem) Ziel, von Origenes an anderer Stelle zum axiomatischen Grundsatz erklärt,598 ist für sämtliche Überlegungen des Origenes zum inneren Leben Gottes maßgeblich.599 Es ist zunächst der innertrinitarische Lobgesang der Seraphim, der Origenes Anlass gibt, den Selbstvollzug Gottes in sich näher zu beleuchten. Entsprechend der Vollkommenheit der Dreizahl dreimal ausgesprochen, gilt ihm ihr „Sanctus“ als uneigentliches Sprechen. Er greift damit ein Motiv 596 So Holz, Begriff des Willens und der Freiheit 81 f.: „Man kann also zum Schluss sagen, dass bei Origenes ein trinitarischer Ökonomismus am Ausgangspunkt der Ausgestaltung seines ,Systems‘ gestanden hat. Innertrinitarische Prozessualität und intramundane Geschichtlichkeit scheinen sich darin wechselseitig zu bedingen.“ 597 Das doppelte Verständnis Gottes als des Ursprungs und Ziels der gesamten Wirklichkeit teilt Origenes mit Plotin, bei dem die erste Hypostase, das Eine, zugleich causa efficiens und causa finalis allen Seins vom Geist, seiner Fülle, bis zur Materie, seiner Negation, ist. Siehe dazu Bussanich, Metaphysics of the One 45–55. 598 Vgl. princ. I 6,2 (GCS Orig. 5, 79 f.): „Denn immer ist das Ende dem Anfang ähnlich; und daher muss, so wie das Ende von allem eines ist, so auch ein Anfang von allem angenommen werden; und so wie die vielen Dinge ein Ende haben, so entspringen die vielen Unterschiede und Abweichungen aus einem Anfang“; Übersetzung: p. 217 Görgemanns/Karpp. 599 Marcus, Subordinatianismus 88, sieht darin gerade das Spezifikum aller voraugustinischen Trinitätstheologie: „Die innertrinitarische Relationswelt steht immer im Zusammenhang, als Ursprung und als Modellwelt, mit der universal-kosmischen Relationswelt.“
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auf, das auch in der Nusmetaphysik Plotins600 Chiffre für die zeitlose Selbstvermittlung des Seins im noetischen Denken ist. Demnach geschieht die Verherrlichung des Vaters durch Sohn und Geist nicht etwa als verbale Kommunikation, sondern, wie Origenes in Abwehr einer möglichen anthropomorphen Lesart der Doxologie sagt, auf rein geistige Weise (sola cognitione).601 Allerdings ist der eigentliche Gehalt der klassisch-metaphysisch gedachten noetischen Selbstvorstellung Gottes kein ontologischer, sondern ein biblisch-ethischer: Der Sohn und der Geist preisen Gott als den Heiligen. Der Vater erscheint also nicht nur und nicht primär in seiner „Seinsvollkommenheit und Erhabenheit“, sondern mehr noch in seiner „absoluten ethischen Vollkommenheit“.602 Da er als solche Quelle aller Heiligung ist, ist die Doxologie für Origenes zugleich ein „Bekenntnis, das allen zum Heil dient“.603 Der Lobpreis, mit dem der Sohn und der Geist Gottes Wesen zum Ausdruck bringen, ist nach Origenes also nicht losgelöst von seinem heiligenden Wirken zu begreifen. Die exakte Korrespondenz von inner- und außertrinitarischem Leben gilt nicht nur für den Vater als Quelle aller Heiligkeit, sondern auch für den Logos und das Pneuma selbst: Auch heilsgeschichtlich zielt beider Wirken gerade dahin, den Heilswillen des Vaters zu erfüllen und die gefallenen Vernunftwesen zu seiner Verherrlichung zu ihm zurückzuführen.604 Wenngleich beider innertrinitarisches negotium im Sanctus-Lobpreis des Vaters besteht, so bleibt nach Origenes dennoch ihre Individualität gewahrt: Sie beide, so deutet Origenes den Umstand, dass sie das „Sanctus“ einander und nicht anderen zurufen, zeichnen sich dadurch aus, dass nur sie die Heiligkeitsbekundung des anderen auf angemessene Weise zu begreifen vermögen. So verfüge allein der Geist über die Gabe, den Lobpreis des Sohnes angemessen zu begreifen, so wie eine würdige Einsicht in die vom Geist angekündigte Inkarnation der göttlichen Heiligkeit Gottes andererseits Privileg des Sohnes ist. Zum einen wird damit die innere Gelichtetheit des trinitarischen Gottes, wie sie, philosophisch dicht formuliert, im sola cognitione dicere zum Ausdruck kommt, im Blick auf ein allen anderen Wesen verschlossenes Wissen um die Heilsgeschichte inhaltlich gefüllt. Mit der vom Heiligen Geist angekündigten Inkarnation Christi ist immerhin das
600 Vgl. die Metapher eines differenzlosen noe¨tischen Sprechens in enn. V 3,5: „Die Wahrheit nämlich darf nicht einem Verschiedenen angehören, sondern, was sie (aus)sagt, das muss sie auch selbst sein“; Übersetzung: Beierwaltes, Selbsterkenntnis 27. Siehe auch die Interpretation dieser Selbstaussage des göttlichen Geistes von Beierwaltes, ebd. 110–113; ders., Das wahre Selbst 36 f. 601 In Is. hom. 1,2 (GCS Orig. 8, 244). 602 Faessler, Hagiosbegriff 32. 603 In Is. hom. 1,2 (GCS Orig. 8, 244). 604 Vgl. in Ioh. comm. I 75–78 (GCS Orig. 4, 17 f.).
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Einleitung
Schlüsselereignis der Heilsgeschichte Gegenstand der innertrinitarischen Sanctus-Doxologie. Zum anderen gewinnt Origenes mit den unvertretbar individuellen Erkenntnismodi der einzelnen göttlichen Personen aber auch ein innertrinitarisches Differenzkriterium: Als Sohn, der selbst Fleisch wird, verfügt die zweite Person über ein besonderes Wissen, das sie gleichermaßen vom Vater und vom Geist unterscheidet. Ebenso eignet dem Geist als vorrangiger Verkörperung der göttlichen Heiligkeit ein von dem der beiden anderen Personen unterschiedenes Wissen um die Heiligkeit, die der Sohn ankündigt.605 Während einerseits beide dadurch vom Vater unterschieden sind, dass sie Sprecher des Lobes und er sein Adressat ist, betont Origenes andererseits ihre Einheit in der Heiligkeit des einen Gottes, die in nichts anderem bestehe als der „Gemeinschaft der dreimal wiederholten Heiligkeit“.606 Gottes Heiligkeit ist ihrem Wesen nach also gerade die vollkommene Vereinigung der je individuellen „Heiligkeiten“ der einzelnen Personen der Gottheit: „Mit der Heiligkeit des Vaters verbindet sich die des Sohnes und des Heiligen Geistes.“607 Obwohl vermutlich vom Übersetzer Hieronymus interpoliert,608 macht der Satz: „Und glaube nicht, das Wesen der Trinität zerfalle, wenn man an den spezifischen Funktionen der Namen festhält“609 damit lediglich das Grundprinzip der Trinitätstheologie des Origenes explizit, wie sich hier und an einer Reihe von Parallelstellen zeigt. So ist die Heiligkeit für Origenes trinitätstheologisch zugleich Differenz- und Identitätskriterium. Sie wird an der diskutierten Stelle von Origenes, wie gesehen, ausdrücklich im Sinne einer intimen Gemeinschaft der drei Personen expliziert, in der die Einheit der Gottheit ebenso gewahrt bleibt wie die Individualität der drei Personen. Die Tatsache, dass es sich bei der Heiligkeit der drei Personen um die eine substantielle Heiligkeit der göttlichen Natur handelt, ist auch für die Korrespondenz von trinitarischer Gemeinschaft und geschichtlicher Heiligung der Schöpfung von großer Bedeutung. Der überzeitliche Prozess, in dem sich die göttliche Dreiheit zur Einheit der göttlichen Natur vermittelt, ist zugleich nämlich das transzendente Vorbild für die weltimmanente Gottesgeschichte, in der sich der Logos mit Hilfe des 605 Dieser Interpretationsversuch der schwierigen, aber trinitätstheologisch wichtigen Stelle ist der von Fe´dou vorgeschlagenen Lösung der Frage einer von Origenes zuweilen erwogenen besonderen Selbsterkenntnis des Vaters, die ihn vom Sohn abhebe, analog. Die Tatsache, dass der Vater sich, so argumentiert Fe´dou, La Sagesse et le Monde 297, eben als Vater und nicht als Sohn vollständig begreife, unterscheide ihn vom Sohn: „Orige`ne ne le pre´cise pas dans nos textes, mais une seule re´ponse se pre´sente a` l’esprit: bien que le Pe`re communique au Fils toute la ve´rite´, il ne peut cependant lui communiquer la connaissance qu’il a en tant que Pe`re.“ 606 In Is. hom. 4,1 (GCS Orig. 8, 259). 607 Ebd. 608 Siehe darüber unten S. 171. 609 Ebd. 1,2 (8, 244 f.).
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Pneumas die Welt gleichsam einverleibt und sich zusammen mit ihr dem Vater, dem Ursprung und Ziel von innertrinitarischer Selbstvermittlung wie außertrinitarischer Geschichte, unterwirft. Den Zusammenhang von Trinität und Heilswerk unterstreicht Origenes noch einmal, wenn er innerhalb der streng trinitätstheologischen Diskussion auf den mit Christi Seele verbundenen Logos zu sprechen kommt, der qua „Mensch ..., der von Gott, dem Vater, die Heiligkeit empfängt“,610 Erlöser sei. Er ist es auch, der, wie Origenes in der weiteren Auslegung des Lobpreises erklärt, die in der Gemeinschaft der dreifachen Heiligkeit zeitlos gegebene „Fülle der göttlichen Herrlichkeit“ als ihr Mittler auch in der irdischen Geschichte verwirklicht. Wie die Formulierung „alle aus dem Einen“ des Hebräerbriefes (2,11) andeutet, die Origenes als Beleg für seine Trinitätsspekulation anführt, so verweist auch die oben referierte Bemerkung, der Sohn empfange seine Heiligkeit vom Vater, auf die erste Person als Ursprung innerhalb der Trinität. Während der Vater als Adressat des Lobpreises vornehmlich als Zielund Endpunkt des innertrinitarischen Selbstvollzuges erscheint, dient Origenes die Metapher der geistigen Speise als exegetischer Ausgangspunkt für eine Diskussion seiner Eigenschaft als innergöttlicher Ursprung. Bezeichnenderweise ist der größere Zusammenhang wieder der einer geschichtlichen Heilsvermittlung durch Sohn und Geist. Im Ausgang von der im Bibeltext erwähnten eigenen Speise der mit dem Geist identifizierten sieben Frauen bezeichnet Origenes den Vater als Nahrung des Heiligen Geistes und der Weisheit, d.h. der ursprünglichsten Daseinsweise des Sohnes. Die Nahrung ist beiden also gleichsam äußerlich, wie er kühn sagt: „Was ist das für eine Speise? Ich scheue mich nicht zu sagen: Die Speise ist ein anderer außerhalb von ihnen“.611 Wie im Zusammenhang der Ethik bezeichnet das Motiv der geistigen Speisung – Origenes stellt die Analogie zum Logos als Speise des Menschen eigens her – auch hier eine zwischen Sohn und Geist einerseits und dem Vater andererseits bestehende Partizipationsbeziehung: In der Kontemplation teilt der Vater dem Logos und, durch ihn vermittelt, dem Pneuma sein Wesen mit. Er ist ihnen so als innerstes Wesensprinzip immanent. Im Blick auf die zweite Person deutet Origenes die innergöttliche Teilhaberelation zudem in ethischen Termini. Das Wesen des Sohnes bestehe darin, den Willen des Vaters zu vollbringen.612 Ebenso ist aber auch die „Speise des gesamten Heilsplans eine einzige ...: das Wesen Gottes“.613 In Gestalt der göttlichen Mitte ist die Heilsökonomie, wie sie im Folgenden dargestellt wird, demnach wesentlich Mitteilung der einen göttlichen Natur,
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Ebd. 4,1 (8, 259). Ebd. 3,3 (8, 256). Vgl. ebd. (8, 257). Ebd.
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jener Speise, an der Sohn und Geist die Schöpfung im geistigen Mahl teilhaben lassen.614
c) Gottes Mitte: Der trinitarische Gott in Welt und Geschichte Gottes Wort: Urbild und Seele der Welt Die Welt im Ganzen ist wie der Mensch nach dem Bilde des Logos geschaffen. Er ist als Weisheit, die seine ursprünglichste Bezeichnung ist, die „in sich strukturierte geistige Schau des Universums“,615 d.h. der personale Inbegriff der Ideen und das intelligible Vorbild der empirischen Wirklichkeit.616 Christus ist der Welt jedoch nicht nur transzendent: In Gestalt der den Dingen selbst als gestaltende Prinzipien immanenten Logoi, die an ihm, dem einen Logos, teilhaben, ist er zugleich ihr innerstes Form- und Strukturprinzip, die Seele der Welt. Darin gründet das „sakramentale Geheimnis der Natur“,617 die in den Jesajahomilien als naturphilosophischer Aspekt des medium Dei ebenfalls als Medium des Gotteswissens und der Erlösung erscheint. Gott hat die Welt aus dem Nichts geschaffen. Selbst die mit der (platonisch-aristotelischen) Hyle in eins gesetzten Urwasser und die Finsternis, von der die Genesis spricht, sind als Teil der Welt, wie Origenes sagt, Produkt seines demiurgischen Wirkens.618 Die creatio ex nihilo ist hier wie auch sonst Ausdruck eines radikalen Monismus, wie ihn Origenes in Abkehr von der mittelplatonischen Prinzipientrias und der Annahme einer ungeschaffenen Materie mit dem paganen Neuplatoniker Plotin teilt.619 Damit ist die 614 Damit erweist sich Völkers Unterscheidung zwischen einer Mitteilung der göttlichen Natur als solcher und einer lediglich providentiellen Nähe Gottes zu seinem Geschöpf als Irrtum, mit dem auch der Zweck des Heilswerkes, die Angleichung der Schöpfung an Gott, unterminiert würde. Vgl. Völker, Vollkommenheitsideal 123: „Weiter führt schon das unus spiritus von I. Kor. 6,17, bezogen auf die Seele in ihrem Verhältnis zu Gott, und die bedeutsame Ausführung von Gen. Hom. 1,13,16,1 ff., wonach Gott nur in denen, deren Wandel bereits im Himmel ist, requiescit et residet, während zu den übrigen nur seine Vorsehung gelangt.“ 615 In Ioh. comm. I 111 (GCS Orig. 4, 23). 616 Zu Christus als Weisheit siehe die Darstellung von Fe´dou, La Sagesse et le Monde 261–310. 617 Bigg, Christian Platonists 134. Eine Darstellung des damit verbundenen Gedankens einer kosmischen Christusgegenwart bietet Lyons, Cosmic Christ 130–145. 618 Vgl. in Is. hom. 4,1 (GCS Orig. 8, 258). Vgl. dazu ausführlicher den kosmologischen Traktat princ. II 1 (GCS Orig. 5, 106–111) sowie die eingehende aÆrxhÂ-Spekulation in Ioh. comm. I 90–124 (GCS Orig. 4, 20–25). 619 Es ist nicht nur die Schrift selbst, die Origenes zur Annahme einer Schöpfung aus dem Nichts veranlasst. Auch Ammonios Sakkas, der philosophische Lehrer des Ori-
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Wirklichkeit insgesamt in den Dienst des Heilswerkes genommen, denn als Ganze ist sie durch den Logos geschaffen und von ihm durchwirkt. Christi gestaltende Allgegenwart im Kosmos, als die das medium Dei seiner ersten Bedeutung nach zu verstehen ist, tritt zunächst in der Auslegung des Ahaszeichens hervor. Die diffizile zweifache Ortsbestimmung „in der Tiefe oder in der Höhe“ deutet Origenes unter Hinzuziehung zweier neutestamentlicher Parallelstellen, an denen sich ähnliche topographische Angaben mit einem Bezug auf Christus finden, als Logos, der ihm als gleichermaßen welttranszendent (in excelsum und super caelos) und weltimmanent (in profundum), als allgegenwärtig gilt. „Er selbst aber“, so schreibt er an anderer Stelle ausdrücklich, „ist überall und durchdringt das ganze All.“620 Ebenso wenig nämlich wie die Bezeichnung Gottes als Anfang und Ende will die biblische Rede von einem höchsten und einem tiefsten Punkt Christi Gegenwart auf diese beiden Punkte begrenzen. Vielmehr sollen die beiden Extrema gerade, wie Origenes in Auslegung analoger Christus-Epitheta schreibt, seine alles – also auch die Mitte zwischen Anfang und Ende erfüllende – Gegenwart zum Ausdruck bringen: „Erster also und Letzter ist der Erlöser, nicht weil er Á metajyÂ) ist. Im Gegenteil, von den nicht auch das wäre, was dazwischen (ta äußersten Punkten ist die Rede, damit deutlich wird, dass er ,alles‘ geworden ist (Kol. 3,11).“621 Von Christus als ihrem kosmischen Gestaltungsprinzip durchwaltet, ist die Schöpfung insgesamt jenes über sich hinausweisende medium Dei. Es ist bedauerlich, dass der Passus, in dem Origenes diesen Gedanken erläutert, nur sehr unvollständig erhalten ist. Gegen Ende der neunten und letzten Homilie zählt Origenes noch einmal die drei vom Propheten verwendeten Ausdrücke für das Motiv der Verstockung Israels auf, sein „verfettetes Herz“, sein „schweres Hören“ und seine „verschlossenen Augen“,622 ehe er mit der Erläuterung einer neuen, kosmologischen Lesart der Motivkette beginnt.623 Demnach teilen viele Menschen beim Anblick der Schöpfung das Schicksal vernunftloser Tiere, wenn sie fälschlich annehmen, den bestirnten Himmel über ihnen tatsächlich zu „sehen“. In Wirklichkeit nämlich bleibt ihnen nach Origenes das Eigentliche, die rationes, verborgen. Die Verwendung gleich mehrerer verschiedener Ausdrücke der visuellen Wahrnehmung624 verbindet die zusätzliche Auslegung unverkennbar mit dem
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genes und Plotins, hat nach den Zeugnissen des Nemesius von Emesa und des Hierokles eine creatio ex nihilo gelehrt. Siehe dazu die Darstellung von Reale, Schools of the Imperial Age 299–303, der die wichtigsten Dokumente zusammenstellt und diskutiert. Vgl. auch unten S. 230 Anm. 65. Princ. II 11,6 (GCS Orig. 5, 190); Übersetzung: p. 455 Görgemanns/Karpp. In Ioh. comm. I 219 (GCS Orig. 4, 39). Vgl. in Is. hom. 9 (GCS Orig. 8, 289). Vgl. ebd.
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Einleitung
Grundmotiv der gesamten Sammlung, der Schau der Mitte Gottes, dessen erste Bedeutung, haec quae est, Origenes hier im Sinne der rationes, der inneren Strukturprinzipien der empirischen Dinge, erläutert. Der philosophische Sinn ist abermals der der platonischen Abbild- und Teilhabeontologie, nach der die eine ratio, Christus, in den hier genannten vielfältigen rationes der empirischen Wirklichkeit real, wenn auch auf niedere Weise gegenwärtig ist.625 Pate stehen hierbei die Doktrin der stoischen logoi spermatikoi, die, von ihrem materialistischen Gehalt bereinigt, integraler Bestandteil der platonischen Philosophie zur Zeit des Origenes ist, sowie die mittelplatonische Unterscheidung von transzendenter Idee und immanenter Form. Ihre Verbindung zum medium Dei, zum kosmischen Logos, dessen mannigfaltige Konkretionen sie sind, stellt Origenes mittels eines Psalmenzitates her, in dem der Himmel samt Mond und Sternen als „Finger Gottes“ bezeichnet werden. Die genannten Phänomene sind somit Teil des göttlichen Körpers, ein Anthropomorphismus, der sich gut in die vorherige Rede vom „Antlitz“ und den „Füßen“ Gottes fügt und der von Origenes im nicht erhaltenen Teil der Homilie vermutlich ganz im Sinne der göttlichen Mitte erklärt worden ist. Insbesondere die vom Psalmisten genannten Gestirne, die Origenes mit Platon als beseelte Wesen gelten und deren regelmäßige Bahn für ihn höchster sinnlich wahrnehmbarer Ausdruck der göttlichen Vernunft ist, erscheinen bei ihm (ebenfalls wie bei Platon) auch sonst als dienstbare Geister in Gottes soteriologischem Ringen.626 Die Parallele zur Nomoi-Stelle, dem literarischen Prätext der medium Dei-Spekulation, und ihrem Ethos einer Orientierung am beseelten Kosmos, an dessen Ordnung der Mensch sich orientieren soll, ist freilich auch so offenkundig. Den Bezug der so verstandenen kosmischen Mitte Gottes zu ihrem Anfang im Vater erklärt Origenes an anderer Stelle als dem Verhältnis von (formender) Seele und (geformtem) Körper analog.627 Als Einheit und Ge-
624 Mit den Verben contemplari und videre verwendet Origenes an der referierten Stelle zwei der Schlüsseltermini der Jesajahomilien. Zum Zwecke der stilistischen variatio tritt als drittes das Verb inspicere hinzu. 625 Aus diesem Grunde gibt es keine strikte Wesensgleichheit zwischen den vielen rationes und der einen ratio, Christus. 626 Vgl. princ. I 7,3 (GCS Orig. 5, 89): „Die Sterne nun bewegen sich in solcher Ordnung und Regelmäßigkeit, dass ihr Lauf keinerlei erkennbarer Störung unterliegt. Ist es da nicht der Gipfel der Torheit, zu meinen, dass solch eine Einhaltung von Zucht und Vernunftordnung von vernunftlosen Wesen verlangt und erfüllt werden könnte?“ Übersetzung: p. 239 Görgemanns/Karpp. Zur Solar- und Gestirnstheologie des Origenes siehe allgemein die Studie von Scott, Life of the Stars, bes. 113–149. 627 Vgl. die wichtige Stelle princ. II 1,3 (GCS Orig. 5, 108): „Wie unser Leib einer ist, aber aus vielen Gliedern zusammengefügt (vgl. 1 Kor. 12,12), und von einer Seele zusammengehalten wird, so muss man, meine ich, auch das Weltganze gleichsam als
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staltungsprinzip der Schöpfung ist der demiurgische Logos gleichsam „die Seele Gottes“ in der Welt.628 Wie im Fall der anthropologischen Teilhabe ist die kosmische wesentlich dynamisch: Der Logos ist unentwegt bemüht, die Welt zur Einheit in sich und im Vater zu formen.629 Zu ihrem eigenen Heil will er sich, wie im Vaterunser erbeten, die ganze Welt – terra meint, so Origenes’ Deutung des biblischen Sprachgebrauchs an anderer Stelle, nicht nur die Vernunftwesen und Menschen, sondern die gesamte Schöpfung630 – unterwerfen. Die Unterwerfung aller Dinge (omnia), der Welt, und ihre Rückführung zum Ursprung, wie sie der Logos in geduldigem Werben und mit Unterstützung des Pneuma herbeiführt, geschieht in der Heilsgeschichte Gottes mit dem Menschen, dem Hauptthema der Homilien. Die „Fülle der Herrlichkeit Gottes“ und die paideia Christi Christus ist der Mittler von Gottes universalem Heilswillen. In ihm, der personalen Verkörperung seiner Vorsehung, kommt der Vater seiner Schöpfung nahe, wie diese umgekehrt, dem Sohn gleich geworden, zu seiner Ehre und Verherrlichung zu ihm zurückkehrt. Christi vielfältigem Wirken entspricht dabei eine ebensolche Vielfalt von Christus-eÆpiÂnoiai,631 die sich über das gesamte Homiliencorpus verstreut finden. Als Schlüsselkategorie der Christologie des Origenes bringen sie die mannigfaltigen Wirkweisen der einen heilbringenden Wirklichkeit Christi zum Ausdruck, dessen umfassendes Erziehungswerk sich immer wieder aufs Neue dem einzelnen und seinem individuellen geistigen Fortschritt anpasst: „Beide sind nämlich“, so
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ein ungeheuer großes Lebewesen ansehen, das wie von einer Seele von Gottes Kraft und Planung beherrscht wird“; Übersetzung: p. 289 Görgemanns/Karpp. Vgl. ebd. II 8,5 (5, 162). Das Thema einer „Seele Gottes“ ist mit dem einer Weltseele, eines „kosmischen Christus“, eng verbunden. Die umstrittene Frage einer kosmischen Psyche bei Origenes, ein Themenkomplex, zu dem der Begriff der göttlichen Mitte seiner spekulativen Funktion und Bedeutung nach innerlich gehört, kann hier nicht ausführlicher diskutiert werden (siehe die kürzeren Darstellungen bei Lieske, Logosmystik 112–114; Danie´lou, Orige`ne 107 f.). Das Urteil Solmsens, bei Origenes finde sich „die größte Annäherung an die platonische und neuplatonische Weltseele, die ein Christ sich erlauben konnte“ (Plato’s Theology 190), scheint mir berechtigt und zentral für die Deutung der platonischen Kosmologie und christlichen Heilsmetaphysik des Alexandriners. Vgl. ebd. II 1,2 (5, 107 f.). Vgl. in Hiez. hom. 4,1.3 (GCS Orig. 8, 359. 364). Aus der Schelte gegen das „Land“ (terra) schließt Origenes dort ausdrücklich, „dass diese sichtbare Welt beseelt (quia animalis sit terra ista, quam cernimus)“ sein müsse (8, 359), da der Vorwurf andernfalls sinnlos wäre. Zur eÆpiÂnoia-Lehre siehe die umfassende Darstellung von Fe´dou, La Sagesse et le Monde 233–269, sowie Kobusch, Philosophische Bedeutung 95–97, und Crouzel, Contenu spirituel.
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fasst Origenes das Grundprinzip seiner eÆpiÂnoia-Doktrin im Hinblick auf die Christusprädikate „Blüte“ und „Wurzel“ konzis zusammen, „eins in ihrer Substanz; der Unterschied liegt vielmehr in ihrem Wirken.“632 Christi paideia ist so im Großen wie im Kleinen das Instrument von Gottes Herrschaft und Heilsökonomie, mit der er jedes einzelne Vernunftwesen und schließlich die ganze Schöpfung nach und nach zu sich zurückführt. Christi Heilswerk im Großen ist in den vorliegenden Homilien mit zwei christologischen Titeln verbunden: einmal mit der im Rahmen des Hauptteils des Corpus ausführlich diskutierten „Fülle der Herrlichkeit Gottes“, dann mit der lediglich in einer kurzen exegetischen Notiz behandelten „Gerechtigkeit“. Die plenitudo gloriae Dei stellt eine umfassende erste Christus-eÆpiÂnoia dar, die sein gesamtes soteriologisches Wirken zusammenfasst: Als633 personifizierte Fülle der göttlichen Herrlichkeit ist Christus geradezu das innere Ziel und Formprinzip, die Entelechie, einer, wie gesehen, insgesamt als medium Dei verstandenen Welt. Exegetischer Ausgangspunkt ist wiederum der Lobpreis der Seraphim, dem er dieses erste Christus-Prädikat entlehnt: Zunächst veranlasst ihn der im Hinblick auf die irdische Welt offenbar kontrafaktische Charakter der Engeldoxologie – „Die Fülle der Herrlichkeit Gottes aber wirst du in der Gegenwart nicht finden“,634 wie er nüchtern konstatiert – dazu, in den Worten der beiden Engel eine Prophezeiung zu sehen. Unter Hinzuziehung der beiden ersten Bitten des Vaterunsers bestimmt Origenes deren Gegenstand sodann als „meines Herrn Jesu Christi Ankunft“,635 die er im Sinne des kommenden Gottesreiches und der Erfüllung des väterlichen Willens interpretiert. Christi Herrschaft, die mit seiner Ankunft anbricht, erscheint auch in der weiteren Auslegung als Beginn dieser universalen Durchsetzung des göttlichen Heilswillens und der göttlichen Herrlichkeit auf Erden. Christus ist es, der sich die gesamte Wirklichkeit untertan macht und durch den der Wille des Vaters auch auf Erden geschieht. Mensch geworden und mit göttlicher Vollmacht versehen, ist er in die Welt gekommen, „damit man auf der Erde so an Gott glaubte, wie man im Himmel an ihn glaubte“,636 und er wird, mag seine Herrschaft auch „in denen, die sündigen“,637 noch ausstehen, auch weiterhin „umhergehen“ 632 In Is. hom. 3,1 (GCS Orig. 8, 254). 633 Die berühmte aristotelische Partikel ist Grundoperator der origeneischen eÆpiÂnoiaChristologie. Sie fungiert als Differenzierungsprinzip der einen Substanz Christi entsprechend der verschiedenen Daseins- und Wirkweisen, die ihm teils substantiell, teils im Rahmen der Heilsökonomie (und teils auch in beiderlei Hinsicht) zukommen. So ist Christus beispielsweise nur als Sophia, nicht einmal als Logos Anfang; vgl. in Ioh. comm. I 222 (GCS Orig. 4, 39). 634 In Is. hom. 1,1 (GCS Orig. 8, 244). 635 Ebd. 1,2 (8, 245). 636 Ebd. 637 Ebd.
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und „sich“ schließlich „alles unterwerfen“.638 Die Seraphim-Doxologie gerät in der christologisch-prophetischen Deutung des Origenes somit zum Lob einer Welt, die von Christus nach und nach zum Ort der göttlichen Herrlichkeit umgeformt wird. Allerdings ist Christus für Origenes nicht nur das Instrument, mit dem Gott die gesamte Welt mit seiner Herrlichkeit erfüllt. Als substantielle Erfüllung des väterlichen Willens und als Reich Gottes in Person ist er zugleich die göttliche Herrlichkeit, die er auf Erden herbeiführt. Die Identifikation selbst nimmt Origenes in den vorliegenden Homilien nur implizit vor. So verkünden, wie gesehen, die Seraphim, die Gott in seiner Herrlichkeit die Ehre geben, in Wahrheit Christus und sein Kommen, und die Teilhabe an der Fülle der göttlichen Herrlichkeit, zu der Origenes seinen Hörer aufruft, geschieht dadurch, dass sie, eine Anspielung auf den Prolog des vierten Evangeliums, im Menschen „wohnt“;639 bald danach erscheint die Teilhabe an der Herrlichkeit Gottes als gestufte Teilhabe an Jesus und am Logos.640 In anderem Zusammenhang dagegen verwendet der Alexandriner die Begriffe „Fülle der Gottheit“ und „Herrlichkeit“ ausdrücklich als Christus-Epitheta. Christus ist demnach als Weisheit nicht nur der „Ausfluß dieser Herrlichkeit“,641 in dessen vielfältigen Erscheinungsformen „sich die Fülle der Gottheit findet“,642 sondern auch, wie Origenes im Zusammenhang mit der Gottesbezeichnung „Vater der Herrlichkeit“ mittels eines Syllogismus beweist, die personifizierte gloria Dei643 selbst. Die mit dieser eÆpiÂnoia zum Ausdruck gebrachte Seinsweise des Sohnes, die Welt im geschichtlichen Prozess ihrer Erlösung, erklärt sich aus seinem Verhältnis zum Vater: Wie Origenes in der dritten Homilie der vorliegenden Sammlung ausführt, ist es seine Nahrung, d.h. sein innerstes Lebens- und Wesensprinzip, Gottes Güte, deren vollkommenes Abbild er ist, allenthalben zu verwirklichen und Gottes Willen, den nur er restlos zu erfüllen vermag, auch auf Erden durchzusetzen. Das noch ausstehende ir-
638 Ebd. (8, 245 f.). 639 Ebd. 4,2 (8, 259). 640 Ebd. (8, 259 f.). Hinzu kommt eine ambivalente Stelle, an der die Identifikation je nach Interpunktion eventuell doch ausdrücklich gemacht wird. Das Wort „Christus“ in der Junktur quia futurum sit, ut universam terram gloria Dei (,) Christus (,) impleat ließe sich auch als Apposition zu gloria Dei auffassen. 641 Princ. I 2,10 (GCS Orig. 5, 43); Übersetzung: p. 149 Görgemanns/Karpp. 642 Ebd. IV 4,1 (5, 350); Übersetzung nach p. 787. 643 Vgl. in Eph. frg. 9 (p. 398 Gregg): „Wenn der Vater Vater eines selbstständigen Wesens und einer Substanz ist und wenn er als ,Vater der Herrlichkeit‘ bezeichnet wird, so ist die Herrlichkeit offenbar etwas, das selbstständig existiert und das eine eigene Substanz hat. Und vermutlich ist unser Erlöser, so wie er Wort, Weisheit, Wahrheit, Friede und Gerechtigkeit ist, auch Herrlichkeit; und wenn es in der Schrift heißt, die Herrlichkeit Gottes sei erschienen, so ist dies nicht anders zu verstehen, als dass der Sohn Gottes erschienen ist.“
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dische Gottesreich und die erst damit überall verwirklichte plenitudo Dei ist damit nicht weniger als die Erfüllung seines Wesens, seine Speise, die er nicht nur, wie im Zusammenhang des Vollkommenheitsideals dargestellt, in einer, sondern in allen Seelen zu sich nehmen will: „Wie der Sohn Gottes“, so sagt er an anderer Stelle expressis verbis, „aufgrund seiner vielfältigen Beziehung und Gemeinschaft mit den Vernunftwesen gleichsam die Fülle der Vernunftwesen ist, so nimmt er sozusagen eine Fülle in sich auf, wenn er sich in jedem einzelnen Seligen voll und ganz erweist“.644 Im Rahmen eines wahrscheinlich fragmentarischen und zudem nur sehr lose in den Gesamtduktus eingefügten Exkurses führt Origenes zu Beginn der fünften Homilie mit der Gerechtigkeit ein weiteres Christus-Epitheton an, das seine Eigenschaft als Prinzip von Welt und Geschichte zum Ausdruck bringt und dessen Diskussion vermutlich die Ausführungen zur plenitudo Dei komplettieren sollte. Die in Jes. 41,2 genannte Gerechtigkeit, die Gott, wie es im Bibeltext heißt, aus dem Osten herbeiruft und die ihm auf Schritt und Tritt folgt, versteht er als den Fleisch gewordenen Gottessohn, der aus dem „Osten des wahren Lichts“, d.h. aus der intelligiblen Welt der Sophia, „um unseres Heiles willen“645 zu uns herabgestiegen sei. Bei einer anschließenden kurzen Auslegung des genannten Verses legt Origenes großen Wert auf die Individualität und Personalität der Gerechtigkeit, die sich auf Gottes Ruf hin bewege und deshalb, so der platonisierende Schluss von der Selbstbewegung auf die Seele als deren Quelle,646 ein lebendiges, beseeltes Wesen sein müsse. Qua Gerechtigkeit – ein Terminus, der auch im platonischen Subtext der gesamten medium Dei Spekulation, der Nomoi-Stelle mit ihrer Verknüpfung von Kosmologie und Ethik, eine wichtige Rolle spielt – ist Christus das schöpfungstheologische Prinzip, nach dem „alles so ist, wie es die Norm der Billigkeit und Gerechtigkeit fordert“.647 Als solches stellt die Gerechtigkeit geradezu die Voraussetzung dafür dar, dass die gefallene Schöpfung von Christus zur plenitudo Dei erlöst werden kann: Gott hat die Welt in Christus so eingerichtet, dass die Natur jedes 644 Ebd. (p. 402). Vgl. dazu abschließend auch die zusammenfassende Würdigung bei Schockenhoff, Fest der Freiheit 222: „Es ist die ,Speise‘ des Sohnes, den Willen des Vaters zu tun; erst indem er das Werk des Vaters vollendet und seinen Willen erfüllt, erst durch diese seine ,Speise‘ ist der Sohn, was er ist. Die Unvollkommenheit, die von den freien Vernunftwesen in Gottes vollkommene Welt hineingetragen wurde, als sie im Ungehorsam von ihm abfielen, berührt deshalb auch den Sohn, dessen innerer Seinsgrund es ist, das Werk des Vaters zu vollenden.“ 645 In Is. hom. 5,1 (GCS Orig. 8, 263). 646 Vgl. princ. I 7,3 (GCS Orig. 5, 88 f.): „Dabei ist es nun klar erwiesen, dass keine Bewegung eines Körpers ohne Seele erfolgen kann und dass (andererseits) beseelte Wesen nicht ohne Bewegung sein können“; Übersetzung: p. 239 Görgemanns/Karpp. 647 Ebd. II 9,4 (5, 167 f.); Übersetzung: p. 409.
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Vernunftwesens seinen Verdiensten entspricht und so auch jede Ungleichheit, die zu Zweifeln an Gottes Güte und mithin zum Ermatten des sittlichen Engagements Anlass geben könnte, ihren Grund nicht in der etwaigen Willkür des Schöpfers, sondern im Verhalten des Einzelnen selbst hat. Eine Auslegung der auch hier genannten „Füße Gottes“ findet sich nicht. Allerdings bringt Origenes sie im Rekurs auf ein Zitat aus den Psalmen mit Christi Körper in Verbindung, der als deren „Schemel“ bezeichnet wird: Sogar im Fleisch des Gottessohnes ist Gott gegenwärtig. Dass sich auch diese Inkarnation für Origenes im Menschen wiederholen kann und soll, geht auch aus einem Fragment des verlorenen Jesajakommentars hervor, in dem der Schemel zunächst mit der Erde, dann, präziser, mit den auf ihr lebenden Wesen identifiziert wird.648 Wie die Herrlichkeit Gottes, so geschieht auch die Gerechtigkeit in der Vermittlung durch das an Christus teilhabende Vernunftwesen. Christi Unterwerfung der von Gott abgefallenen Vernunftwesen, mit der die Gerechtigkeit und Fülle der göttlichen Herrlichkeit offenbar wird, geschieht „im Wort“649 und „nicht“, wie es in einer ausführlicheren parallelen Auslegung in der Prinzipienschrift heißt, „durch Gewalt und Zwang“: Gott regiert „nicht nur kraft seiner Herrschermacht, sondern auch kraft der freiwilligen Gefolgschaft der Untertanen“.650 Beide Momente der Erlösung sind auch in den vorliegenden Predigten eng miteinander verknüpft. Die Unterwerfung unter Gottes Allmacht tut der Seele keine Gewalt an, sondern geschieht gerade, wie Origenes gleich zu Anfang hervorhebt, als deren Heil und Wiederherstellung.651 Alles Wirken des Logos, angefangen bei der Erschaffung der empirischen Welt über die Menschwerdung bis hin zu seinem gegenwärtigen Werben, zielt auf die innere Transformation der individuellen Seele, ihre Reinigung von der sündigen, irdischen „Verfettung“ und ihre Teilhabe am Gotteswort, wie sie im Leitmotiv einer Ankunft Christi im „reinen Herzen“ des Gläubigen zum Ausdruck kommt. Heil ist für Origenes somit im Wesentlichen gelingende Freiheit, mit der die Seele nach ihrem irdischen Exil endlich zum Sohn und zum Vater zurückfindet. Entsprechend dem soteriologischen Grundsatz, dass „durch jeden von uns die Fülle der Herrlichkeit“ geschieht,652 findet das oben skizzierte kosmische Heilsgeschehen im einzelnen Menschen selbst statt. Er ist in seiner unvertretbaren Individualität eigentlicher Adressat der Heilsökonomie. Anhand seiner Menschwerdung, des Höhepunktes der Geschichte von Gott und Mensch, legt Origenes seiner Gemeinde die Grundprinzipien von Gottes providentiellem Wirken dar. 648 649 650 651 652
Vgl. in Is. frg. 5: siehe den Text unten S. 312 f. und dazu oben S. 14. In Is. hom. 1,1 (GCS Orig. 8, 243 f.) Princ. I 2,10 (GCS Orig. 5, 44); Übersetzung: p. 149 Görgemanns/Karpp. Vgl. in Is. hom. 1,2 (GCS Orig. 8, 246). Ebd. 4,2 (8, 259).
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Die Christologie der Jesajahomilien ist dabei insgesamt vom Fleisch gewordenen Gotteswort her gedacht. Selbst dort, wo der Kontext keinen Zweifel daran lässt, dass vom unkörperlichen Gotteswort die Rede ist, scheut sich der Alexandriner nicht, in konsequenter Idiomenkommunikation von Jesus zu sprechen. So ist es beispielsweise nicht einfach Christus, der vor und nach der Zeit seiner irdischen Gegenwart „umhergeht“ und „sich“ die Welt zu Ehren des Vaters „unterwirft“, sondern, wie Origenes eigens betont, „Christus als Mensch“.653 Auch Jesaja, dem alttestamentlichen Propheten, begegnet in dem einen der beiden Seraphim niemand anderer als Jesus von Nazaret.654 An ihm, dem Mensch gewordenen Logos, illustriert Origenes auch im Rahmen einer ausführlicheren Meditation zu Jes. 8,18 („Siehe, ich und meine Kinder, die mir Gott gegeben hat“)655 das facettenreiche Heilshandeln Gottes. Wie schon in der Natur und in der Schrift wird der Logos, so der Kenosis-Gedanke,656 den Origenes breit entfaltet, „um unseres Heiles willen“657 oder einfach „für uns“659 oder „für mich“660 Knecht und nimmt die ihm fremde körperliche Natur an. Grund ist, wie der Prediger im Rekurs auf eine verwandte Stelle im Hebräerbrief ergänzt, der Fall und die anschließende Einkörperung der ursprünglich mit ihm vereinten Geistwesen. Infolge ihrer Teilhabe an Fleisch und Blut nämlich ist ihr Blick auf die göttlichen Geheimnisse, jene lebenswichtige Nahrung des Geistes vor wie nach dem Fall, getrübt. Aus freien Stücken teilt der Logos nun ihr Schicksal, „um uns“, so das Ziel all seines Wirkens, „ihm gleich zu machen, nachdem wir uns durch die Sünde entfremdet hatten.“660 Christi Heilswerk zielt (negativ) also auf die Überwindung der Entfremdung durch die Sünde und (positiv) auf die Angleichung der gefallenen Seele an ihn. Beide Aspekte gehören, wie im Kontext des Vollkommenheitsideals dar653 Ebd. 1,2 (8, 245). 654 Über die Berechtigung dieser Sprachregelung im Zusammenhang seiner Metaphysik äußert Origenes sich in den vorliegenden Predigten nicht. Allerdings sind die drei trinitarischen Personen, wie gesehen, ganz im Blick auf die Entsprechung von Heilsökonomie und immanentem göttlichem Leben gedacht. Christi privilegiertes Wissen um die Ankündigung der Menschwerdung der Heiligkeit Gottes etwa gründet, wie gesehen, gerade darin, dass er und nicht der Vater oder Geist Mensch wird. Zudem verbietet allgemein der außerzeitliche Charakter des Zustands vor dem Fall die Annahme einer Phase, in welcher der Logos nicht mit der Seele Jesu vereint gewesen wäre. 655 Vgl. in Is. hom. 7,1 (GCS Orig. 8, 279 f.). 656 Siehe dazu ausführlich Fe´dou, La Sagesse et le Monde 311–331. 657 In Is. hom. 5,1 (GCS Orig. 8, 263). 658 Ebd. 7,1 (8, 279). 659 Ebd. 5,2 (8, 264). 660 Ebd. 7,1 (8, 279). Vgl. auch ebd. 7,2 (8, 282): „Doch unser Gott, der im Himmel und auf Erden tut, was er will, entreiße uns den Dämonen und mache uns durch unseren Erlöser Jesus Christus zu seinesgleichen!“
III. Die Theologie der Jesajahomilien
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gestellt, innerlich zusammen. Entsprechend der biblischen Vorlage, in welcher der mit Christus identifizierte Seraph dem Propheten mit Kohle die Lippen reinigt, erfährt gerade der negativ-kathartische Aspekt in den vorliegenden Predigten eine ausführliche Behandlung. So erscheint etwa die den Menschen reinigende Askese, ein zentraler Aspekt des in den Homilien propagierten christlichen Ethos, aus christologischer Perspektive weniger als Werk des Menschen denn als Heilstat des Logos. Er ist es, der, in die Seele des Einzelnen eingetreten, diese mitsamt ihren Sünden und Ungerechtigkeiten verbrennt.661 Und wie einst bei Jesaja, so brennt Christus auch nun alles, was im Menschen irdisch und sündhaft ist, fort, damit die Seele, wieder zu reinem Geist geworden, Gott erneut schauen kann. Dazu solle Christus, so die Bitte des Predigers, nicht nur wie einst bei Jesaja seine Lippen, sondern seinen ganzen Körper mit heilendem Feuer reinigen.662 In diesen Zusammenhang gehört auch Origenes’ Auslegung der Fußwaschung, die ebenfalls der Illustration seines kathartischen Wirkens dient: Mit geistigem Wasser reinigt Jesus den Jüngern die Füße, damit diese mit reinem Herzen zu ihm als dem geistigen Weg, der zum Vater führt, aufzusteigen vermögen.663 Den positiven Aspekt einer von Christus herbeigeführten Wiederherstellung der Seele zum Gott schauenden Geist erläutert Origenes im Rahmen seiner Auslegung des Kindschaftsmotivs im Sinne einer behutsamen Erziehung eines fürsorglichen Vaters. Die Menschen erscheinen demnach allesamt als mehr oder weniger begabte Kleinkinder, deren Unwissen hinsichtlich der göttlichen Dinge ihr Wissen bei weitem überwiegt – eine Einschätzung, von der Origenes nicht einmal die großen Gestalten des Alten und Neuen Testaments ausnehmen will. Auch sie gehören für ihn zu jenen, die – ein vom Alexandriner auch sonst sehr geschätztes paulinisches Bild – nur „Milch“, nicht aber „feste Speise“ zu sich nehmen können. Die Milch steht dabei für die vom Logos vermittelte Erkenntnis, die im Hier und Jetzt nicht die „wahre Wirklichkeit“, sondern lediglich die „Schatten der Wirklichkeit“, nicht das „Licht in Fülle“, sondern bloß „ein dunkles Bild“ umfasst.664 Das zentrale Thema der Jesajahomilien, die Unmöglichkeit einer Gotteserkenntnis jenseits der historisch-irdischen Mitte Gottes, übersetzt Origenes an dieser Stelle also in die Sprachwelt der göttlichen Vorsehung und Erziehung. Zu dieser gehören sachlich auch die beiden von Origenes an anderer Stelle diskutierten Christus-eÆpiÂnoiai „Rute“ und „Blüte“, wie er sie in Jes. 11,1 vorfindet: Beide gehen aus der einen „Wurzel“, aus der einen Substanz 661 Vgl. ebd. 4,6 (8, 262): „Beißen soll uns das göttliche Wort, unsere Seele verbrennen.“ 662 Vgl. ebd. 5,2 (8, 264). 663 Vgl. ebd. 6,3 (8, 272). 664 Ebd. 7,1 (8, 280). Siehe dazu unten S. 282 Anm. 139.
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Christi, hervor, doch zeigt sich diese dem erziehungsbedürftigen Kind entsprechend seinem jeweiligen Fortschritt entweder als „Rute“ oder als „Blüte“: „Es ging also für den eine Rute aus der Wurzel Jesse hervor, an dem Strafe und Züchtigung vollzogen werden, eine Rute für den, der der Schelte bedarf, eine Rute für den, der sie zu seiner Bloßstellung nötig hat; die Blüte dagegen für den, der schon erzogen ist und keiner strengen Zurechtweisung oder zumindest keiner Strafen mehr bedarf, sondern bereits imstande ist, erste Blüten auf dem Weg zur vollkommenen Frucht zu treiben.“665 Dabei besteht, wie der zitierte Passus deutlich macht, zwischen den Prügeln der „Rute“ und der Belohnung durch die Schau der „Blüte“ eine Kontinuität: Am Ende der strafenden Erziehung steht als Ziel die kontemplative Logosgemeinschaft des herangereiften Kindes, d.h. der von Christus mit Schlägen zur Räson gebrachten und mit reinigendem Feuer geläuterten Seele. Beides, Strafe wie Belohnung, ist zudem Begegnung mit der einen Wirklichkeit des Erziehers Christus. Zugleich führt die paideia Christi entsprechend seinem Wesen als Weg und Mittler zur Gemeinschaft mit Gott, dem Vater. Die Wurzel nämlich, aus der „Rute“ und „Blüte“ entspringen, ruht ihrerseits, so ließe sich das von Origenes verwendete Bild in seinem Sinne fortschreiben, im Boden der einen göttlichen Natur. Diese ist es, die beide, sei es als Heiligkeit, sei es als Güte, nährt und erhält und die Christus bald in Gestalt einer züchtigenden „Rute“, bald in der einer anmutigen „Blüte“ dem erlösungsbedürftigen Vernunftwesen mitteilt. Zum Abschluss seiner Auslegung des Kindschaftsmotivs, aus dem das einer stufenweise aufsteigenden Pädagogik organisch erwächst, stellt Origenes schließlich ein allzu schematisches Nacheinander von Christus- und Gottesbeziehung, wie es biblische Metaphern wie die des Weges durchaus nahelegen, rundweg infrage. Der biblischen Vorlage folgend, nach der Christus die Kinder anbefohlen worden sind, hebt er zunächst hervor, dass es der Vater sei, der als Ursprung und Prinzip der Vorsehung den Menschen zum Sohn führe und ihn seiner Erziehung anvertraue. Sodann destruiert er unter Aufbrechung jedes Heilsschematismus die Logik des biblischen Bildes selbst, wenn er in pointierter, paradoxer Formulierung die wesenhafte Einheit von Sohnes- und Gottesgemeinschaft konstatiert: „Und man darf nicht meinen, dass der, der sie angenommen hat, sie vorher noch nicht gehabt hätte, wenn noch der sie habe, der sie gegeben hat.“666 Hiernach gibt es keinen Moment, da der Sohn nicht im Besitz der nach seinem Bild geschaffenen Vernunftwesen wäre, wie umgekehrt die unaufhebbare Gemeinschaft des Menschen mit dem Sohn nicht nur kein Widerspruch zu ihrer ebenfalls unlöslichen Bindung zum Vater, sondern, im Gegenteil, ihr Medium ist. 665 Ebd. 3,1 (8, 254). 666 Ebd. 7,1 (8, 280).
III. Die Theologie der Jesajahomilien
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Mit der Vielzahl derer, die Christus in der skizzierten Weise in sich gewähren lassen, lenkt Origenes in den vorliegenden Homilien den Blick seiner Hörer kurz auf die Geschichte. Mit der Kirche, verstanden als die im Logos heimkehrende Menschheit, tritt Gottes Herrlichkeit überall augenfällig hervor. Anders nämlich als zur Zeit des Alten Bundes, in der das Bekenntnis zum wahren Gott auf lediglich „einen einzigen Winkel der Erde“667 beschränkt gewesen sei, zeige sich die Herrlichkeit Gottes in den christlichen Kirchen erstmalig auf der ganzen Welt.668 Zudem spielt Origenes in diesem Zusammenhang abermals auf die strenge Korrespondenz von Anfang und Ende an, die seiner Geschichtsdeutung zugrundeliegt: Im Rückgriff auf die Leitbegriffe der biblischen Vorlage spricht er zunächst von einem vormals von göttlicher Herrlichkeit erfüllten Haus – der innertrinitarischen Gemeinschaft, an der die Vernunftwesen vor ihrem Fall teilhatten – und unmittelbar darauf von einer Zukunft, in der Christus „die gesamte Erde mit der Herrlichkeit Gottes erfüllt“.669 Hierauf nämlich ist für ihn die geschichtliche Welt, verstanden als medium Dei, entsprechend der Prophezeiung von Sohn und Geist selbst mit Gewissheit hingeordnet. Der Geist und seine Gaben Christi Wirken, mit dem er die Welt zur göttlichen Herrlichkeit erlöst, ist, wie gesehen, zugleich Handeln des Vaters, der dem Sohn seine „Kinder“ anvertraut und sich ihnen in ihm mitteilt. Einige kürzere Bemerkungen und insbesondere die überwiegend dem Geist und seinem Verhältnis zum Sohn gewidmete dritte Homilie zeigen, dass Origenes das Heilswerk in den Homilien ebenso wie in der kürzeren Interpretation der Jesajavision in PeriÁ aÆrxv Ä n als gemeinsames Handeln der drei göttlichen Personen begreift. Mag zunächst auch ein Passus in der ersten Predigt, in dem die Wesenseinheit Gottes in den verschiedenen Wirkweisen eigens hervorgehoben wird, interpoliert sein,670 so bieten doch andere, zentrale Stellen Hinweise auf ein trinitarisches Verständnis der Heilsökonomie. So wird, wie gesehen, die Heiligkeit, deren Mitteilung im pneumatologischen Traktat der Prinzipienschrift als operatio specialis des Geistes erscheint,671 in den vorliegenden
667 Ebd. 4,2 (8, 259). 668 Zum globalen geographischen Horizont des antiken Christentums siehe Fürst, Ende der Erde; zu Origenes und seiner an sich realistischeren Perspektive: ebd. 277 f. 285. 669 In Is. hom. 4,2 (GCS Orig. 8, 259). 670 Siehe dazu unten S. 171. 671 Vgl. princ. I 3 (GCS Orig. 5, 48–63). Die Heiligung durch den Geist erscheint in einer ersten, mehr schöpfungstheologischen Bewegung das Ziel der Schöpfung, die vom Vater ihr Sein und vom Logos ihre Vernunft und ihre sittliche Zurechnungs-
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Predigten als Gemeinschaft der drei Personen charakterisiert. Bei der Heiligkeit, die der Sohn vom Vater empfängt, um sie der Schöpfung mitzuteilen,672 handelt es sich also, ohne dass Origenes dies eigens herausstellen müsste, auch um die Heiligkeit des Geistes.673 Außerdem gilt auch bei der in den Homilien behandelten heilsökonomischen Mitteilung der Heiligkeit das von Origenes andernorts formulierte trinitarische Grundschema sämtlicher Gnadenmitteilung, nach dem jedes Charisma vom Vater her durch den Sohn im Geist kommuniziert wird.674 Schließlich kommt hinzu, dass die innere Logik der mit der Begriffstrias von „Anfang“, „Mitte“ und „Ende“ operierenden Auslegung der Gottesschau mit ihrem christologischen Schwerpunkt, wie er in der Deutung der Mitte als „Fülle der Herrlichkeit Gottes“ zutage tritt, mutatis mutandis auch für den Geist und sein Wirken gilt: Jesaja sieht neben dem medium Dei auch den Geist, der zusammen mit dem Sohn Gottes „Anfang“ und „Ende“ verhüllt, und auch er ist nach der Parallelauslegung der Prinzipienschrift „Grund des Wissens von Gott Vater“.675 Dessen Anteil am Heilsgeschehen stellt somit einen integralen Bestandteil der für den Menschen sichtbaren „Mitte“ dar. Der Geist tritt Christus nach der Darstellung der Jesajapredigten vor allem als heilsgeschichtlicher Helfer zur Seite. So weist er dem Leser der Schrift als deren Urheber den Weg zum „Fürsten der Bienen“, dem Logos qua Prinzip der Prophetie und des biblischen Schrifttums allgemein.676 Seine
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fähigkeit erhält. Nach einer zweiten, mehr heilsgeschichtlichen Bewegung ist die Heiligung durch den Geist der Ausgangspunkt einer tieferen Erkenntnis zunächst des Sohnes, dann des Vaters. Siehe dazu die umfassende Interpretation von Saake, Tractatus. So charakterisiert Origenes das Heilswerk des Sohnes wie folgt: „Der Erlöser ist es, der heiligt, insofern er ein Mensch ist, der von Gott, dem Vater, die Heiligkeit empfängt“: in Is. hom. 4,1 (GCS Orig. 8, 259). Angesichts der Bedeutung, die Origenes dem Heiligkeitsmotiv in den vorliegenden Predigten beimisst, ist anzunehmen, dass er die Rolle des Geistes in einer oder mehreren nicht erhaltenen Predigten und insbesondere in dem gänzlich verlorenen Jesajakommentar weit ausführlicher behandelt hat. Hiernach ist der Geist nicht nur Mittler der Heiligkeit, sondern (geistige) Hyle aller göttlichen Heilsgaben: „Überdies meine ich, dass der Heilige Geist denen, die durch ihn und die Teilhabe an ihm heilig heißen, sozusagen die Materie der von Gott stammenden Gnadengaben darbietet. Sie, die eben genannte Materie der Gnadengaben, ist von Gott gewirkt, sie wird von Christus vermittelt und sie hat Existenz im Heiligen Geist“: in Ioh. comm. II 77 (GCS Orig. 4, 65). Fern von jedem „Binitarismus“, der Origenes zuweilen unterstellt wird, ist, wie Markschies, Geist 298, überzeugend darlegt, dieses Grundschema für Origenes auch dort in Geltung, wo er – wie im Falle der Heiligung in den vorliegenden Homilien – lediglich die Mittlerschaft Christi ausdrücklich thematisiert: „Zwar ist häufig davon die Rede, dass Christus oder der Logos Charismen geben, aber ebenso häufig meines Erachtens mitgedacht, dass der Geist sie vermittelt.“ Princ. I 3,4 (GCS Orig. 5, 53); Übersetzung: p. 167 Görgemanns/Karpp. Vgl. in Is. hom. 2,2 (GCS Orig. 8, 252).
III. Die Theologie der Jesajahomilien
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helfende Rolle im Heilswerk legt Origenes in den pneumatologischen Abschnitten der dritten Predigt ausführlicher dar, in der er die sieben Frauen aus Jes. 4,1 als Personifikation des Geistes und seiner sieben Gaben deutet: „Die sieben Frauen sind eine einzige; denn sie sind der Geist Gottes. Und bei dieser einen handelt es sich um sieben; denn der Geist Gottes ist ,der Geist der Weisheit und der Einsicht, der Geist des Rates und der Kraft, der Geist der Erkenntnis und der Frömmigkeit, der Geist der Furcht des Herrn‘ (Jes. 11,2 f.).“677 Die Übereinstimmung der Prädikate mit den eÆpiÂnoiai des Sohnes, allen voran mit dem der „Weisheit“, die Origenes wenig später auch als „Weisheit meines Christus“678 bezeichnet, rührt daher, dass der Geist sein Dasein und sein Wesen der Teilhabe am Sohn und der Vielzahl seiner Attribute verdankt.679 Zusammen mit entsprechenden Ausführungen im Johanneskommentar bietet die dritte Jesajapredigt mit ihrer Auflistung der verschiedenen Attribute so gleichsam die Umrisse einer eÆpiÂnoia-Pneumatologie, die Origenes freilich weder hier noch an einer anderen Stelle des erhaltenen Werkes systematisch entfaltet hat.680 Die verschiedenen Weisen der heilbringenden Wirklichkeit des Geistes sieht Origenes in einem kosmischen Ringen mit ihren jeweiligen weltlichen Pendants begriffen, die ihn, sei es in Gestalt der zu Unrecht so genannten Gnosis, sei es als irdische Wissenschaft und Weisheit, auf vielfache Weise schmähen und bedrängen. Ohne dass Origenes einen expliziten ekklesiologischen Bezug herstellt, erinnern die Ausführungen in Diktion und Inhalt an den Kampf der irdischen Kirche mit Satan und seinen Dämonen. Die Pneumatologie der Jesajahomilien ist so auch inhaltlich der als Ringen zwischen Gott und Teufel verstandenen Erlösungsgeschichte zugeordnet. Die Verbindung des Geistes mit einem einzigen Mann, von der die Schriftstelle spricht, stellt für Origenes ein bestimmtes Ereignis dieser Geschichte dar: Der alttestamentliche Text handelt nach seiner Deutung von der Taufe Jesu, bei der sich der Geist auf diesen herab begebe. Die Demütigung der hoffärtigen Frauen, von der im Bibeltext die Rede ist, nimmt die Verwerfung des Volkes Israel als Strafe für seine Ablehnung Christi vorweg. An anderer Stelle erzählt Origenes zusätzlich die „Vorgeschichte“ dieser Herabkunft des Geistes: Ursprünglich habe der Heilige Geist als Erlöser Mensch werden sollen. Allerdings habe dieser den Logos vorgeschoben
677 Ebd. 3,1 (8, 253). 678 Ebd. 679 Vgl. in Ioh. comm. II 76 (GCS Orig. 4, 65): „Ihn (sc. Christus), so scheint es, braucht er als Mittler seiner individuellen Existenz, und zwar nicht nur, um überhaupt zu existieren, sondern auch, um weise, vernünftig, gerecht und alles das zu sein, was er, wie man annehmen muss, entsprechend der Teilhabe an den oben von uns angeführten Aspekten Christi ist.“ 680 Vgl. Markschies, Geist 288.
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Einleitung
und dabei zugleich versichert, ihm bei seinem Heilswerk beizustehen,681 ein Versprechen, das er bei Jesu Taufe einlöst. Die substantielle Gegenwart des Geistes in Christus lässt den Mensch gewordenen Logos zum kraftvollen „Engel des großen Rates“ werden, der, von den übrigen Engeln bewundert, zum Himmel emporsteigt. Der Geist erscheint so auch als Instrument der von Origenes angenommenen „Engelwerdung“, mit der er, allen alles werdend, auch die gefallenen Engel in ihren alten Stand wiederherstellt.682 Der trinitarische Charakter des gesamten Heilswerkes findet am Ende der dritten Predigt weitere Bestätigung. Neben der engen Verbindung von Christus und Geist, wie sie im Begriff des „Ruhens“ zum Ausdruck kommt, betont Origenes dort noch einmal, dass der Vater Ursprung und Prinzip des von Logos und Pneuma vermittelten Heiles ist. So hebt er hervor, dass der Vater als der, der den Sohn in die Welt sendet, der (stets gegenwärtige) Ursprung des providentiellen Geschehens ist. Überdies vermittelt Christus nicht nur die väterliche Natur, seine Güte und Heiligkeit. Als der, auf dem der Geist Gottes dauerhaft ruht, ist Christus zudem Mittler einer Teilhabe am Pneuma und seinen Gaben: Mit der Weisheit, der Einsicht und den nicht näher spezifizierten „übrigen Tugenden“ des Geistes, so kehrt der Prediger eine allzu schematische Einteilung des trinitarischen Heilswirkens abermals um, soll die Seele sich in Christus „schmücken“.683 Im Zusammenhang mit den pneumatologischen Ausführungen erweist sich der mit dem medium Dei verbundene Providenzgedanke damit als heilstrinitarische Geschichtssicht,684 nach der die gefallene Welt vom Vater im Sohn und durch den Geist zu ihrem Ursprung, der zugleich ihr Ziel ist, zurückgeführt wird.
681 Vgl. in Ioh. comm. II 83 (GCS Orig. 4, 66 f.): „Vielleicht kann man aber auch sagen, die Schöpfung habe, um von der Sklaverei der Vergänglichkeit befreit zu werden, ebenso wie das Menschengeschlecht der Menschwerdung einer seligen und göttlichen Macht bedurft, die auch in irdischen Dingen Ordnung stiften würde, und in gewisser Weise oblag es dem Heiligen Geist, dies zu tun. Allerdings schlägt er dafür, unfähig, dergleichen auf sich zu nehmen, den Erlöser vor, weil dieser als einziger dazu in der Lage wäre, einen so bedeutsamen Kampf durchzustehen. Und als nun der Vater den Sohn kraft seiner Autorität entsendet, da sendet ihn auch der Heilige Geist: Er schickt ihn mit voraus und verspricht, zur rechten Zeit zum Gottessohn hinabzusteigen und zusammen mit ihm auf das Heil der Menschen hinzuwirken.“ 682 Siehe dazu oben S. 77–82. 683 In Is. hom. 3,3 (GCS Orig. 8, 257). 684 Die Charakterisierung des origeneischen Denkens als „Heilstrinitarismus“ geht auf Hans Urs von Balthasar zurück. „Was also“, so sein Urteil über die Trinitätstheologie des Origenes insgesamt, „an innertrinitarischer Theologie bei Origenes noch fehlt, das ersetzt er durch seinen großartigen heilsgeschichtlichen Trinitarismus“ (Geist und Feuer 26).
III. Die Theologie der Jesajahomilien
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4. Christus alles in allem und das certamen Dei – Der theologische Ertrag der Jesajahomilien In der Forschung bislang wenig beachtet, sind die Jesajahomilien in ihrer überlieferten Gestalt ein gehaltvolles Fragment, das auf schmalem Raum die Grundgedanken der origeneischen Vollkommenheitslehre in einer umfassenden theologischen Kosmologie fundiert. Zugleich sind sie ein höchst charakteristisches Zeugnis der origeneischen „the´ologie en recherche“,685 die jeder den Flug des Geistes hemmenden Schematisierung abhold ist und gerade darin ihre große spekulative Konsistenz erweist. Das Motiv des „Christus alles in allem“ ist der Grundakkord der ethischen Paränese, die das Kernstück des Homilienwerkes bildet. Es gilt, alles, was den Menschen von Gott trennt, abzuschütteln und in die Gemeinschaft des Sohnes mit dem Vater, die Heimat der Seele, zurückzukehren. Diese Grundbewegung, die sittliche „Rückwendung“ (eÆpistrofhÂ) der gefallenen Geister zu ihrem Ursprung, trägt sämtliche Überlegungen der Jesajapredigten. In immer neuen Bildmeditationen und philosophischen Argumenten beleuchtet Origenes diese Bewegung des Geistes durchweg aus zwei Perspektiven: aus der Perspektive des Menschen, dem der Prediger Origenes eine fundamentale Entscheidung für den Logos und gegen die Welt im Inneren und Äußeren abverlangt, und aus der Gottes, in der die Welt- und Affektaskese des Einzelnen als kathartisches Wirken des Logos und die sittliche Reifung der einstmals „verfetteten“ Seele als von ihm herbeigeführte Verwandlung erscheint. Die durchgängige Doppelperspektive gründet in einer ursprünglichen ontologischen Einheit: Der Logos ist nicht nur die reale Gegenwart Gottes in Welt und Mensch und Prinzip seines Wirkens, sondern auch das „wahre Leben“ der fortgeschrittenen Seele, das sie, eigenständig und doch immer Teil von ihm, nach und nach zurückerlangt.686 Mit dem zentralen Gedanken eines allein erkennbaren medium Dei wendet Origenes das Leitmotiv eines Iesus omnia in omnibus unter Beibehaltung der Doppelperspektive ins Kosmische und Weltgeschichtliche: Der Kosmos, zum Heil des gefallenen Geistes erschaffen, ist im Großen und Kleinen Symbol des Logos, und die Geschichte der Kirche und ihrer Menschen ist vom göttlichen Standpunkt aus die unaufhaltsame Verwirklichung der von Logos und Pneuma prophezeiten universalen plenitudo gloriae Dei. Vom Logos gelenkt und durchdrungen, ist die Wirklichkeit, in der sich die Seele bewähren soll, somit insgesamt Ort der Gottesgegenwart und -nähe, an der auch der Mensch, vom Logos umworben, teilhaben soll. Die paideia ist die
685 So die berühmte Charakterisierung des origeneischen Denkens bei Crouzel, Orige`ne 216–223. 686 Vgl. ders., The´ologie de l’image 245.
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Einleitung
große origeneische Chiffre für Christi Heilshandeln, das den Menschen mittels der Erziehung zu Freiheit und Selbstverwirklichung zur Gemeinschaft mit dem Vater zurückführen will. Wie der Fortschritt des einzelnen, so ist auch die Wiederherstellung aller dem trinitarischen Gott als sein weltliches medium zutiefst innerlich. Die Welt und ihre Geschichte sind die Stätte seiner, wie Origenes mal eher philosophisch, mal mehr biblisch sagt, „Bewegung“687 und seiner „Mühe“.688 Dass irdische Gotteserkenntnis streng auf dieses medium beschränkt wird, steht dabei einem allgemeinen Missverständnis des Origenes als weltenthobenen Metaphysikers geradezu diametral entgegen. Schließlich ist das vorliegende Werk auch als Zeugnis des eigentümlich origeneischen Denkstils von Belang: Ein Problem oder Thema immer neu aufgreifend und durchdenkend, gelangt Origenes nicht nur an keiner Stelle zu einer Formel, mit der er seine Lösung abschließend zusammenfasste. Im Gegenteil bieten die Jesajapredigten trotz ihres geringen Umfangs eine Fülle von vermeintlich widersprüchlichen Aussagen. So ist im Bereich der Vollkommenheitsdoktrin das aktive Leben zugleich Voraussetzung, Konsequenz und Medium einer Schau, die andererseits aber als Teilhabe am Logos die sittliche Praxis überhaupt ermöglicht. Im Bereich der Theologie ist es bald der Geist, der den Menschen zum Sohn führt, und bald der Sohn, der die Teilhabe am Geist vermittelt. Und wie der Logos den Menschen als Weg, der er ist, zum Vater führt, so ist es andererseits der Vater, der dem Logos seine Schützlinge anvertraut. Zugleich aber stehen diese niemals außerhalb der Gemeinschaft von Sohn oder Vater. Die Liste solcher „Widersprüche“ ließe sich fast beliebig verlängern. Allerdings sind diese nicht Ausdruck einer fehlenden systematischen Kohärenz, sondern, im Gegenteil, Ausdruck höchster spekulativer Konsequenz. So könnte etwa der Geist ohne eine unverbrüchliche Gottesgemeinschaft in seinem Innern weder im Denken noch im Handeln zu ihm zurückfinden. Und die scheinbare trinitätstheologische Verwirrung bringt gerade die fundamentale Überzeugung der Jesajadeutung des Origenes zum Ausdruck, dass es die eine heilige göttliche Natur ist, die, als Beziehung dreier individueller „Heiligkeiten“ gedacht, dem Menschen in Welt und Geschichte von Sohn und Geist mitgeteilt wird. Erweist der Denkstil, die dynamisch-experimentelle „the´ologie en recherche“, die fragmentarische Sammlung von Jesajahomilien als höchst charakteristische Schrift des Alexandriners, so beruht ihre inhaltliche Bedeutung innerhalb des Gesamtwerkes des Origenes fraglos auf der tiefgründigen Exegese der Gottesvision des Propheten: Die Anstrengung des Begriffs einer kosmisch-geschichtlichen Gottesmitte, wie Origenes sie auf der Grundlage
687 In Is. hom. 4,1 (GCS Orig. 8, 257). 688 Ebd. 2,1 (8, 248). Siehe dazu unten S. 210 Anm. 32.
III. Die Theologie der Jesajahomilien
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des biblischen Gottesbildes und in ständiger Auseinandersetzung mit der philosophischen Theologie Platons und seiner spätantiken Interpreten unternimmt, verbindet Schöpfer und Geschöpf, ohne ihre bleibende Differenz zu verwischen, in einer unauflöslichen Einheit und Gemeinschaft, die dem menschlichen Handeln in der Welt seinen Sinn bewahrt.
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IV. Die Jesajahomilien im ersten Origenismusstreit 1. Altkirchliche Jesajakommentare Es ist hier nicht der Ort, Einfluss und Schicksal der Jesajaexegese des Origenes in der späteren christlichen Tradition im Einzelnen zu untersuchen. Das wäre eine Aufgabe für eine Monographie, die noch zu schreiben wäre. In deren Zentrum müssten, neben der Interpretation oder Verwendung von einzelnen Versen im umfangreichen patristischen Schrifttum, die altkirchlichen Kommentare und Homilien zum Buch Jesaja stehen. Von diesen ist allerdings nur noch ein Teil erhalten, während das meiste, wie die Jesajakommentierung des Origenes, ganz oder teilweise untergegangen ist.689 So ist der erste Jesajakommentar in lateinischer Sprache, den Victorinus von Pettau in der zweiten Hälfte des 3. Jahrhunderts geschrieben hat,690 ebenso wenig überliefert wie derjenige des Ambrosius, dessen Existenz aufgrund eines Hinweises des Autors selbst gesichert ist,691 von dem sich aber nur wenige Fragmente in den antipelagianischen Schriften Augustins finden692 und den schon Cassiodor in der zweiten Hälfte des 6. Jahrhunderts nicht mehr ausfindig zu machen vermochte.693 Nur fünf knappe Fragmente werden in den Sacra parallela des Johannes von Damaskus aus dem Kommentar des Didymus von Alexandria mitgeteilt,694 der laut Hieronymus achtzehn Bücher über die beiden Teile des Jesajabuches umfasste, die heute als Deutero- und Tritojesaja bezeichnet werden (Jes. 40–66);695 möglicherweise schrieb Didymus auch einen Kommentar zum Protojesaja, denn im
689 Die folgenden Informationen nach Simonetti, Uno sguardo d’insieme, und Gryson/Szmatula, Les commentaires patristiques 4–12. 33–40. 690 Hieronymus, epist. 18A,6 (CSEL 54, 82); vir. ill. 74,2 (p. 180 Ceresa-Gastaldo); in Es. I 1 (VL.AGLB 23, 137). Vielleicht ist auch unter dem hyperbolischen Ausdruck quidam Latini in epist. 18A,4 (CSEL 54, 78) Victorinus gemeint: Nautin, De seraphim 270 f. Der ebenso übertreibende Hinweis auf quidam Latinorum in Es. III 4 (VL.AGLB 23, 315) dürfte sich indes – pace Gryson/Szmatula, ebd. 5 – nicht auf Victorinus, sondern auf Hieronymus selbst beziehen: Fürst, Hieronymus gegen Origenes 211 Anm. 75. 691 Ambrosius, in Luc. expos. II 56 (CChr.SL 14, 54 f.). 692 Zusammengestellt von P. A. Ballerini, CChr.SL 14, Turnhout 1957, 403–408. 693 Cassiodor, inst. I 3,6 (FC 39/1, 136). 694 Johannes von Damaskus, sacr. par. (PG 95, 1093. 1169); par. Rup. (PG 96, 525). 695 Hieronymus, vir. ill. 109,2 (p. 212 Ceresa-Gastaldo); in Es. I 1 (VL.AGLB 23, 138).
IV. Die Jesajahomilien im ersten Origenismusstreit
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1941 in Tura gefundenen Sacharjakommentar kommt Didymus mehrmals zu Versen aus diesem Teil des Jesajabuches auf einen Kommentar zu sprechen, den er zu schreiben gedenke.696 Mehr Fragmente sind von zwei weiteren Kommentaren in der Katene eines ansonsten unbekannten Johannes von Drungarien aus dem 7./8. Jahrhundert überliefert: 74 meist sehr kurze und nur zum Teil edierte Fragmente von Apolinaris von Laodizea697 und 253 sehr ungleichmäßig über den Jesajatext verteilte, mit unechten und zweifelhaften Stücken vermischte Fragmente von Theodor von Heraklea, dazu ein Fragment in einer anderen Katene.698 Schließlich wurden in einer vatikanischen Handschrift des 11. Jahrhunderts (Codex Vaticanus graec. 347, fol. 65v–143v) 2860 Glossen zu Jesaja, die Hesychius von Jerusalem zuzuschreiben sind, entdeckt und im Jahr 1900 publiziert.699 Zwei Kommentare blieben unvollendet und wurden zu Lebzeiten ihrer Autoren nicht publiziert, sind aber immerhin am Stück auf uns gekommen: Derjenige des Basilius von Caesarea umfasst Jes. 1–16 (mit Lücken), doch wird schon vom Katenenschreiber Johannes und später seit Erasmus und der Edition des Mauriners Julien Garnier von 1721700 immer wieder seine Echtheit in Zweifel gezogen. Derjenige des Johannes Chrysostomus, der vor 386 entstanden ist, ist nur bis Jes. 8,10 ausgearbeitet,701 doch reicht eine armenische Version des 5. Jahrhunderts, deren Herkunft von Chrysostomus freilich zweifelhaft ist, bis Jes. 64,10 (mit Lücken).702 Aus einer Schlussnotiz in zwei Handschriften geht hervor, dass Chrysostomus über Jes. 8,10 hinaus diktiert hatte, doch lagen dem griechischen Kopisten dazu nur die stenographischen Aufzeichnungen vor, die er nicht zu entschlüsseln vermochte und daher nicht abschrieb.703 Von Chrysostomus gibt es außerdem sechs Homilien über Jes. 6,1–6.704 Vier von ihnen (die zweite und dritte, die fünfte und sechste) entstanden nach seiner Priesterweihe und damit zu Be696 Siehe die Stellen bei L. Doutreleau, SC 83, Paris 1962, 122 f. 697 Teiledition: A. Mai, Nova Patrum Bibliotheca, Bd. VII/2, Rom 1854, 128–130. Der Kommentar des Apolinaris wird von Hieronymus, in Es. I 1 (VL.AGLB 23, 138), bezeugt. Siehe dazu Faulhaber, Propheten-Catenen 39–86, bes. 65–67. 698 Edition (in der neun Fragmente fehlen): Mai, ebd. VI/2, Rom 1853, 213–239, abgedruckt in PG 18, 1307–1378. Siehe dazu Faulhaber, ebd. 61–63. 699 Hesychii Hierosolymitani interpretatio Isaiae prophetae, nunc primum in lucem edita, prolegomenis, commentario critico, indice adaucta a M. Faulhaber, Freiburg i.Br. 1900. Siehe auch ders., Propheten-Catenen 69–71. 700 Mit einer Unmenge von Fehlern abgedruckt in PG 30, 117–668. 701 Edition: J. Dumortier/† A. Liefooghe, SC 304, Paris 1983. 702 Die Edition der Mechitharisten, Versio armenica in Is. 8–64, Venedig 1880, ist unvollständig, die lateinische Übersetzung dieser Version von A. Tiroyan, In Isaiam prophetam interpretatio S. Joannis Chrysostomi nunc primum ex Armenio in Latinum sermonem ... translata, Venedig 1887, ist ebenfalls unbefriedigend. 703 Dumortier, SC 304, 11 f. 704 Edition: J. Dumortier, SC 277, Paris 1981.
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Einleitung
ginn seiner Karriere als Redner Ende 386 und Anfang 387; sie behandeln, aufgehängt an der Datumsangabe in Jes. 6,1, vor allem die Geschichte des israelitischen Königs Usija in ethisch-paränetischer Absicht. Im Laufe der Überlieferung wurden zwei weitere Homilien hinzugefügt, von denen die erste wohl zwischen 395 und 398 in Antiochia gehalten wurde, während die Echtheit der vierten mehr als zweifelhaft ist. Im 5. Jahrhundert wurden diese sechs Homilien in das Armenische übersetzt. Damit bleiben lediglich vier komplette Jesajakommentare aus der Alten Kirche: Der mit großer Wahrscheinlichkeit zwischen 325 und 328 entstandene Kommentar des Eusebius von Caesarea umfasste nach den widersprüchlichen Angaben des Hieronymus zehn oder fünfzehn Bücher;705 ohne Bucheinteilung wurde er 1934 in vermutlich verkürzter, aber doch fortlaufender Form als Randglosse zu einem griechischen Jesajatext in einer Florentiner Handschrift (Codex Laurentianus XI 4) aus dem 11. Jahrhundert entdeckt, doch erst 1975 publiziert.706 Vor der nestorianischen Kontroverse entstand der umfangreiche und vollständig erhaltene Jesajakommentar des Cyrill von Alexandria,707 vom zwischen 435 und 447 entstandenen Kommentar des Theodoret von Cyrus waren nur Katenenfragmente bekannt, ehe im Jahre 1929 in einer Konstantinopler Handschrift (Metochion 17) aus dem 14. Jahrhundert das ganze Werk entdeckt wurde.708 Dazu kommt die Jesajakatene des Prokop von Gaza.709 Der einzige vollständige lateinische Kommentar zum Buch Jesaja schließlich ist das von 408 bis 410 geschriebene, achtzehn Bücher umfassende Werk des Hieronymus, in das seine am Literalsinn orientierte Auslegung der zehn Fremdvölkersprüche in Jes. 13–23 von 397 als fünftes Buch einging;710 dazu kommt, außer dem unten zu besprechenden Traktat De seraphim, eine in Betlehem gehaltene, aber nicht näher datierbare Homilie über Jes. 1,1–6 mit der Überschrift: In Esaia parvula adbreviatio de capitulis paucis.711 705 Hieronymus, vir. ill. 81,2 (p. 188 Ceresa-Gastaldo); in Es. I 1 (VL.AGLB 23, 138). 706 Editio princeps: J. Ziegler, GCS Eus. 9, Berlin 1975. Zur Auffindungsgeschichte: Möhle, Jesajakommentar; ausgezeichnete Studie dazu: Hollerich, Eusebius (die Argumente für die Datierung ebd. 19–26). Die davor bekannten Katenenfragmente sind, einerseits lückenhaft, andererseits vermischt mit nicht dem Eusebius gehörenden Stücken, in der Ausgabe von B. de Montfaucon von 1706 abgedruckt in PG 24, 77–526. 707 Die Ausgabe von J. Aubert, Paris 1638, ist abgedruckt in PG 70, 9–1450. 708 Editio princeps: A. Möhle, MSU 5, Berlin 1932. Möhles Text ist übernommen in die Ausgabe von J.-N. Guinot, SC 276. 295. 315, Paris 1980–1984. Die Fragmente sind abgedruckt in PG 81, 215–494. 709 Die Ausgabe von J. Curterius, Paris 1580, ist abgedruckt in PG 87, 1801–2718. Siehe dazu Faulhaber, Propheten-Catenen 78–80. 710 Verbesserte kritische Edition: R. Gryson et al., VL.AGLB 23. 27. 30. 35. 36, Freiburg u.a. 1993–1999; Rezension zum ersten Band: Milhau, Commentaires; ausführliche Untersuchung: Jay, L’exe´ge`se.
IV. Die Jesajahomilien im ersten Origenismusstreit
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Alle diese Kommentare sind in unterschiedlichen Graden von Origenes abhängig oder beeinflusst.712 Aus den Aspekten, die dabei zu untersuchen wären, sei in diesem Kapitel nur einer, und zwar der wichtigste herausgegriffen, weil er im Streit über die Rechtgläubigkeit des Origenes an der Wende vom 4. zum 5. Jahrhundert eine wichtige Rolle gespielt und zur Diskreditierung des Theologen Origenes beigetragen hat und weil dieser Zwist und seine Folgen die Textfassung, in der die Jesajahomilien des Origenes erhalten sind, nämlich in einer lateinischen Auswahlübersetzung des Hieronymus, beeinflusst hat.
2. Die Vision Jesajas in den trinitätstheologischen Debatten des 4. Jahrhunderts Aus der Jesajaauslegung des Origenes ist in der spätantiken christlichen Theologie insbesondere seine Deutung der Seraphim in der Vision Jesajas als Sohn Gottes und Heiliger Geist in die Kritik geraten. Den Kontext hierfür bildete die durch die trinitarischen Debatten des 4. Jahrhunderts veränderte theologiegeschichtliche Konstellation. Die Formel des ersten Konzils von Nizäa im Jahre 325, der Sohn sei dem Vater „wesensgleich“ (oëmooyÂsiow), hatte einen Maßstab gesetzt, an dem sich alle trinitätstheologischen Entwürfe fortan orientierten. Theologen, die diese Formel ablehnten – traditionell pauschal „Arianer“ genannt, obwohl es sich um unterschiedliche Persönlichkeiten, Richtungen und Entwürfe, weniger um feste Gruppierungen handelte –, rekurrierten offenbar auf die alte Vorstellung von Christus (und dem Heiligen Geist) als „Engel“, weil sie damit eine „Wesensgleichheit“ von Vater und Sohn (und Geist) vermeiden konnten.713 Dabei hat wohl auch die origeneische Auslegung der Seraphim eine Rolle gespielt. Allerdings gibt es dafür lediglich einen indirekten Beleg, und zwar in dem anonymen Dialog zwischen einem Anhomöer und einem Homousianer (Nizäner) über die Trinität, der unter dem Namen des Athanasius überliefert ist und in dem der Anhomöer in der Aussage, die Engel seien Lebewesen, weil auch die Seraphim aus Jes. 6,2 f. in Hab. 3,2 Lebewesen genannt wür-
711 Neuedition mit Analyse: Duval, Home´lie. Die Skepsis von Gryson/Szmatula, Les commentaires patristiques 11 f., gegen die Echtheit dieser Predigt ist unbegründet. 712 Für den Jesajakommentar des Eusebius gilt freilich, dass Eusebius bei aller Abhängigkeit von Origenes darin als eigenständiger Exeget auftritt: Hollerich, Eusebius 46–54. Näheres für den von Origenes und Eusebius abhängigen Kommentar des Hieronymus bei Simonetti, Fonti. 713 Vgl. beispielsweise Athanasius, epist. Serap. 1,27 (PG 26, 593; frz. Übersetzung: SC 15, 132 f.), geschrieben um 360.
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Einleitung
den, die auf Origenes zurückgehende Verbindung zwischen diesen beiden Bibelstellen voraussetzt.714 Die Exegese des Origenes wurde damit zwar missverstanden, weil ihre symbolische Hermeneutik ausgeblendet oder gar nicht wahrgenommen wurde, doch hat die „arianische“ Verwendung seiner Auslegung der Seraphenvision wohl zu ihrer Diskreditierung beigetragen.715 Eusebius von Caesarea kann nicht als Zeuge für diese Entwicklung aufgerufen werden. Auf der Linie der altkirchlich üblichen Deutung der alttestamentlichen Theophanien vertrat er zwar die Ansicht, Jesaja habe nicht die Trinität, sondern den Logos gesehen.716 Doch sowohl vor als auch nach dem Konzil von Nizäa präsentierte er die Exegese, die Origenes anlässlich der Flügel der Seraphim entwickelt hatte. In der Demonstratio evangelica schrieb er Folgendes: „Sie verhüllen Anfang und Ende der Erkenntnis Gottes, da diese ihrer Natur nach unaussprechlich und unbegreiflich sind, lassen aber die Mitte seines Heilswirkens unverhüllt, da allein diese der Natur der Menschen erkennbar ist, während das, was jenseits ist, und das, was danach kommt, in unaussprechlichem Schweigen verharrt.“717 Obwohl diese erÁ meÂsa) eng mit der kenntnistheoretische Reflexion über das medium Dei (ta trinitarischen Deutung der Vision Jesajas durch Origenes verknüpft war,718 wiederholte Eusebius sie gleichwohl im unmittelbar nach dem Konzil verfassten Jesajakommentar.719 Gegen die „arianische“ Gotteslehre suchten am Nizänum orientierte Theologen nach Bibelstellen, an denen Vater, Sohn und Geist dasselbe zugeschrieben wurde, um auf biblischer Basis die Identität hinsichtlich ihrer Gottheit demonstrieren zu können. Im Blick auf Jes. 6 zogen sie dafür die Zitierungen von Jes. 6,9 f. im Johannesevangelium (Joh. 12,39–41) und in der Apostelgeschichte (Apg. 28,25–27) heran.720 Da im Jesajabuch der Vater als Sprecher dieser Verse auftrete, im Johannesevangelium der Sohn und in der Apostelgeschichte der Geist, schien diese Triade diesem Bedürfnis zu entsprechen.721 Eine darauf abzielende Zusammenstellung dieser Bibelstellen
714 Ps.-Athanasius, dial. trin. I 21 (PG 28, 1148): Ziegler, Ochs und Esel 398; Kretschmar, Trinitätstheologie 68 Anm. 2; Trigg, The Angel of Great Counsel 36 Anm. 5. Siehe dazu oben S. 94–96. 715 Pieri, Isaia 6, 186–188. 716 Siehe unten S. 169 mit Anm. 735. 717 Eusebius, dem. ev. VII 1,10 (GCS Eus. 6, 299). 718 Siehe dazu ausführlich oben S. 132–158. 719 In Is. 41 (GCS Eus. 9, 39). Hollerich, Origen’s Exegetical Heritage 544–546; ders., Eusebius 51, konstruiert zu Unrecht einen Gegensatz zwischen diesen beiden Eusebiusstellen. 720 Siehe dazu oben S. 54 f. und 59 f. 721 Chavoutier, Querelle 10–13, übernommen von Nautin, De seraphim 274 f. Gregor von Nazianz, orat. 31,3 (FC 22, 276–278), ist anhand von anderen Bibelstellen nach demselben Prinzip verfahren, „dass wir dieselbe Schriftstelle nacheinander auf
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(näherhin Jes. 6,8–11 und Apg. 28,25 f.) hat im 4. Jahrhundert zum ersten Mal wohl Didymus von Alexandria, genannt „der Blinde“, in seinem Traktat über den Heiligen Geist vorgenommen, den er nach neueren Datierungsansätzen vermutlich 358/59 verfasste und der in einer von Hieronymus in den Jahren von 384 bis 387 angefertigten lateinischen Übersetzung vorliegt.722 Ausdrücklich auf alle drei Stellen bezog Didymus sich in der Schrift über die Trinität, deren Zuschreibung an ihn allerdings umstritten und eher unwahrscheinlich ist: Jesaja habe in dem, der ihm als „Herr Sabaoth“ erschien, Gott Vater erkannt, Paulus behaupte in der Apostelgeschichte, der Heilige Geist habe sich gezeigt, und nach Johannes habe es sich um den Sohn Gottes gehandelt.723 Im selben Sinn führte Gregor von Nyssa um 383/84, um gegen Eunomius von Cyzicus die Gottheit des Heiligen Geistes zu beweisen, Folgendes aus: „Der große Paulus bezeugt, dass in ihm (sc. im Heiligen Geist) die Fülle der Gottheit wohnt. Von der dem Propheten Jesaja zuteil gewordenen Erscheinung – als er nämlich denjenigen sah, der auf einem erhabenen und hohen Thron saß (Jes. 6,1) – sagt die ältere Überlieferung, dass der Vater erschienen sei. Der Evangelist Johannes überträgt die Prophetie auf den Herrn, als er zu den ungläubigen Juden die Worte sagte, die der Herr dem Propheten gesagt hatte: ,Das sagte Jesaja, als er seine Herrlichkeit sah und über ihn sprach‘ (Joh. 12,41). Der große Paulus aber wendet dieses selbe Wort auf den Heiligen Geist an in der Rede, die er den Juden in Rom hielt, indem er sagte: ,Treffend hat von euch der Heilige Geist durch den Propheten Jesaja gesagt, dass ihr hören und nicht verstehen werdet‘ (Apg. 28,25 f.). Er zeigte damit, wie ich glaube, durch die Heilige Schrift selbst, dass jede Gottesschau und jede Gotteserscheinung und jedes in der Person Gottes gesprochene Wort vom Vater gilt und vom Sohn und vom Heiligen Geist.“724 Nach derselben Denkfigur argumentierte Johannes Chrysostomus, um den dreifachen Heilig-Ruf der Seraphim in Jes. 6,3 auf die Trinität beziehen zu können: Im Johannesevangelium werde das Attribut
alle drei beziehen, mag das auch einigen Leuten allzu kühn erscheinen“; Übersetzung: Sieben, FC 22, 277–279. 722 Didymus, spir. 128–130 (FC 78, 168). Zur Datierung siehe Sieben, FC 78, 39–41. 723 (Ps.-)Didymus, trin. I 19. 31 (PG 39, 364 f. 424 f.); II 11. 23 (39, 657. 741–744). Im Anschluss an die erste Stelle im ersten Buch werden zwei analoge Verwendungen alttestamentlicher Aussagen in neutestamentlichen Texten vorgeführt, ebd. I 19 (39, 365–368): In Ps. 94(95),10–12 spricht nach David der Vater, in Apg. 7,51 und Hebr. 3,7–9 werden die Worte dem Heiligen Geist in den Mund gelegt. Nach Mose und Jeremia wurden die Israeliten vom Vater aus der Wüste geführt (Dtn. 32,12; Jer. 2,6), nach Jesaja vom Heiligen Geist (Jes. 63,13 f.), nach Paulus und dem Judasbrief von Christus (1 Kor. 10,4; Jud. 5): Barbel, Christos Angelos 142–144; Kretschmar, Trinitätstheologie 79; Nautin, De seraphim 275 Anm. 14 (ebd. 292). 724 Gregor von Nyssa, ref. Eun. 192 f. (GNO 2, 393 f.); Übersetzung: Barbel, ebd. 120, mit Modifizierungen.
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„heilig“ dem Sohn beigelegt (Joh. 6,69), im Lukasevangelium dem Geist (Lk. 2,25), in den Schriften der Propheten dem Vater (zum Beispiel Jes. 1,4; 5,16; 10,20; Hos. 11,9; Hab. 1,12).725 In diesen Kontext gehört auch die Deutung der Vision Jesajas durch Hieronymus, der sich seit 373/74 im Osten des Römischen Reiches aufhielt und in Syrien, konkret in Stadt und Umland von Antiochia am Orontes, mit den trinitätstheologischen Debatten in den griechischen Kirchen jener Zeit konfrontiert wurde.726 Von Antiochia aus begab er sich 379/80 nach Konstantinopel und hielt sich dort bis 382 auf, um dann nach Rom und schließlich 385 nach Palästina zu gehen, wo er sich 386 in Betlehem endgültig niederließ. Nachdem er schon in Antiochia bei Apolinaris, dem Bischof des benachbarten Laodizea, Exegese studiert hatte, setzte er dieses Studium in Konstantinopel bei Gregor von Nazianz fort und lernte dort – es ist die Zeit des ersten Konzils von Konstantinopel 381, auf dem das nizänische Bekenntnis, ergänzt um die Gottheit des Heiligen Geistes, endgültig religionspolitisch sanktioniert wurde – auch Gregor von Nyssa und Amphilochius von Iconium kennen. Ebenfalls in Konstantinopel begann Hieronymus mit seiner Tätigkeit als Übersetzer griechischer theologischer, vor allem exegetischer Werke und eigener Kommentierung der Bibel. Die erste erhaltene exegetische Schrift des Hieronymus ist ein im Jahre 380 in Konstantinopel geschriebener Traktat über die Vision Jesajas, den er laut des Verzeichnisses seiner Schriften in De viris illustribus unter dem Titel De seraphim publizierte727 und der im Laufe der Überlieferung Eingang in das Corpus seiner Briefe gefunden hat, wo er heute unter der Nummer 18A gezählt wird.728 Aus einem weiteren Text aus dieser Zeit über Jes. 6,6–8, der als Brief 18B gezählt wird und wohl eine Zusammenfassung der Auslegung dieser Verse im Jesajakommentar des Origenes darstellt,729 geht hervor, dass er sich für seine Arbeiten über die Vision Jesajas mit der Jesajaauslegung des Origenes beschäftigte, dessen Werke er in Konstantinopel überhaupt kennen und schätzen lernte. Die Deutung der Seraphim als Sohn Gottes und Heiliger Geist durch Origenes spielt in Hieronymus’ Traktat De seraphim eine auffällige Rolle.730 725 Johannes Chrysostomus, in Is. VI 3 (SC 304, 268). 726 Ein zusammenfassender Überblick dazu bei Fürst, Hieronymus 22–30. 727 Hieronymus, vir. ill. 135,2 (p. 230 Ceresa-Gastaldo). Siehe die späteren Rückverweise darauf in epist. 84,3 (CSEL 55, 124) und in Es. III 3 (VL.AGLB 23, 309). 728 Epist. 18A (CSEL 54, 73–96). 729 Epist. 18B (CSEL 54, 97–103). Siehe dazu oben S. 18–20 und unten S. 322–329. 730 Ausführlich dazu Fürst, Hieronymus gegen Origenes 204–211. Eine Paraphrase des Inhalts der Briefe 18A und B unter besonderer Berücksichtigung des von Hieronymus kommentierten lateinischen Bibeltextes gibt Menestrina, Visione; ein Überblick zum Stand der Forschung über die Auslegung von Jes. 6 bei Hieronymus ist zu finden bei Pieri, Isaia 6. Siehe auch Hollerich, Origen’s Exegetical Heritage 545.
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Während er darin nämlich weitgehend den Gedanken des Origenes in den Jesajahomilien folgte, etwa den Reflexionen über Anfang, Mitte und Ende Gottes, die von den Flügeln der Seraphim ver- bzw. enthüllt werden,731 kritisierte er die trinitarische Deutung der Seraphim. Wie in antiarianischen Schriften dieser Zeit üblich, argumentierte er dabei mit den Zitaten von Jes. 6,9 f. in Joh. 12,39–41 und Apg. 28,25–27, entwickelte auf der Basis der Kombination dieser Bibelstellen aber eine anders akzentuierte Auslegung der Vision Jesajas: Gestützt auf Joh. 12,39–41, verstand Hieronymus die Vision in Jes. 6 so, dass Jesaja nicht Gott (Vater) gesehen habe, sondern Christus, und folgerte daraus, dass dann nicht einer der Seraphim ebenfalls als Christus identifiziert werden könne. Analog schloss er daraus, dass in Apg. 28,25–27 Jes. 6,9 f. als Worte des Heiligen Geistes zitiert werden, dass der andere Seraphim nicht der Heilige Geist sein könne.732 Die damit entstehende Konkurrenz zwischen Christus und dem Heiligen Geist löste er mit Hilfe eines Rekurses auf die „Wesensgleichheit“ der göttlichen „Personen“, wie er sich lateinisch ausdrückte: „Die Verschiedenheit der Personen (personae diversitas) macht mir keine Probleme, da ich weiß, dass Christus und der Heilige Geist von einer einzigen Substanz (unius substantiae als Wiedergabe von oëmooyÂsiow) und die Worte des Geistes keine anderen sind als die des Sohnes noch der Sohn etwas anderes angeordnet hat als der Geist.“733 Mit der Deutung der Gottesvision Jesajas auf Christus stand Hieronymus nicht allein. Zum einen folgt sie dem altkirchlichen exegetischen Grundsatz, angesichts der Unsichtbarkeit Gottes die Theophanien im Alten Testament generell als Erscheinungen des Logos aufzufassen.734 Zum anderen vertraten im 4. Jahrhundert etliche Theologen diese Auffassung von Jes. 6, namentlich Eusebius von Caesarea, von dem Hieronymus sie höchstwahrscheinlich übernommen hat,735 ferner Cyrill von Jerusalem und Hilarius von Poitiers.736 Auch das freilich ging zumindest indirekt auf Origenes zurück, denn den dominus Sabaoth in Jes. 6,3 hatte auch dieser schon als Christus aufgefasst, der mit seiner „Herrlichkeit“ die ganze Erde erfüllt;737 dieser origeneischen Exegese hat Hieronymus sich ausdrücklich angeschlossen.738 731 Epist. 18A,7 (CSEL 54, 82 f.); ebenso in Es. III 4 (VL.AGLB 23, 313). Eine detaillierte Konkordanz zwischen Origenes, in Is. hom. 1, 4, 5, 6, und Hieronymus, epist. 18A, bietet Menestrina, ebd. 193 f. 732 Epist. 18A,4 (CSEL 54, 78 f.). 733 Ebd. (54, 79). 734 Siehe die Belege dazu unten S. 206 Anm. 28. 735 Eusebius, dem. ev. VII 1,5–12 (GCS Eus. 6, 298 f.); in Is. 41 (GCS Eus. 9, 35–37): Guinot, L’he´ritage 381 f.; Gryson/Deproost, VL.AGLB 23, 309 Anm. zu Zeile 13. 736 Cyrill von Jerusalem, cat. 14,27 (II p. 146 Reischl/Rupp); Hilarius, trin. V 33 f. (CChr.SL 62, 187 f.) mit Bezug auf Joh. 12,41. 737 Origenes, in Is. hom. 1,2 (GCS Orig. 8, 245).
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Da Hieronymus mit seiner christologischen Deutung der Vision Jesajas die Seraphim nicht auf Christus und den Geist beziehen konnte, musste er für sie eine andere Erklärung suchen: Wie Eusebius739 etymologisierte er das Wort seraph als incendium, „Brand“, und principium oris eorum, „Ursprung ihres Mundes (sc. Redens)“,740 und gewann daraus folgende allegorische Erklärung: „Wir fragen also, wo es diesen heilsamen Brand gibt: zweifellos in den heiligen Schriftrollen, durch deren Lektüre die Menschen von sämtlichen Fehlern gereinigt werden. ... Folglich sind der Brand und der Ursprung des Redens in den beiden Testamenten zu sehen. Dass diese um Gott herum stehen, ist nicht verwunderlich, da man durch sie über den Herrn (sc. Christus) selbst belehrt wird.“741 In der späteren Auseinandersetzung über Origenes hat Hieronymus seine Kritik an dessen „abscheulicher Auslegung“ der Seraphim in diesem Sinne zusammengefasst,742 und in seinem Jesajakommentar hat er unter Verweis auf seine ausführlichen Darlegungen im Traktat De seraphim743 seine Ansicht kurz und bündig referiert.745
3. Die Übersetzung der Jesajahomilien des Origenes durch Hieronymus Der skizzierte theologiegeschichtliche Hintergrund wirkte sich nicht erst aus, als die Theologie des Origenes in den letzten Jahren des 4. Jahrhunderts öffentlichkeitswirksam als ketzerisch hingestellt wurde, sondern kam auch schon zum Tragen, als Hieronymus einige der Jesajahomilien des Origenes, eben die heute erhaltenen neun Predigten, im Jahre 380 in Konstantinopel in das Lateinische übersetzte.745 Mehrere Indizien lassen darauf schließen, dass dem Hieronymus schon zu dieser Zeit, also mehr als ein Jahrzehnt vor dem Ausbruch der origenistischen Streitigkeiten in Palästina, die theologi-
738 Hieronymus, epist. 18A,7 (CSEL 54, 84). Siehe dazu Nautin, De seraphim 271–274. 739 Eusebius, dem. ev. VII 1,9 bzw. 11 (GCS Eus. 6, 299): eërmhneyÂetai ga Á r ta Á SerafiÁm „aÆrxh Á stoÂmatow ayÆtv Ä n“ bzw. ta Á SerafiÁm eërmhneyÂetai „eÆmprhsmoi“. 740 Die erste Etymologie, die auch bei Hieronymus, int. hebr. nom. p. 50,24 f. Lagarde (CChr.SL 72, 121 f.); in Es. III 7 (VL.AGLB 23, 318), steht, ist richtig, denn die hebräische Wurzel ´srp heißt als Verbum „verbrennen“ (Beuken, Jesaja 1–12, 171; vgl. auch oben S. 88 Anm. 366); die zweite hingegen ist fehlerhaft: Menestrina, Visione 183; Nautin, De seraphim 269. 741 Epist. 18A,6 (CSEL 54, 81 f.). Vgl. ebd. 18A,7.14 (54, 83. 91). 742 Epist. 84,3 (CSEL 55, 123 f.). 743 In Es. III 1. 3 (VL.AGLB 23, 307. 309). 744 Ebd. III 3. 4 (23, 310. 315). 745 Dass er diese Übersetzung schon zwischen 375/76 und 379/80 in Antiochia angefertigt habe, wie Nautin, Traduction 35–37, annahm, ist eher unwahrscheinlich.
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sche Problematik mancher Passagen dieser Homilien bewusst war. Dies hatte Folgen sowohl für die Textgestaltung seiner Übersetzung als auch für die Art und Weise, wie Hieronymus selbst mit dieser Übersetzung umging.
a) Interpolationen und Eingriffe des Hieronymus in den Text Hieronymus hat alle von ihm aus dem Griechischen in das Lateinische übersetzten Werke generell sehr getreu und zuverlässig wiedergegeben. Die Freiheiten, die er sich als Übersetzer nahm, etwa durch Steigerung des Ausdrucks, Ausmalung von Bildern und durch kleinere stilistische oder erläuternde Zusätze, beeinträchtigen diesen Gesamteindruck nicht. Im Falle der Jeremiahomilien des Origenes lässt sich das durch einen Vergleich zwischen den griechisch erhaltenen und den von Hieronymus in das Lateinische übertragenen an einer hinreichend großen Textmenge, nämlich zwölf Predigten, aufzeigen.746 Zu den Jesajahomilien erfahren wir allerdings von Rufinus von Aquileja, dass Hieronymus deren Text an einer trinitätstheologisch brisanten Stelle abgeändert hat, indem er zu der Deutung der Seraphim in der Vision Jesajas als Christus und Heiliger Geist den Satz hinzufügte: Nec putes trinitatis dissidere naturam, si nominum servantur officia – „Und glaube nicht, das Wesen der Trinität zerfalle, wenn man an den spezifischen Funktionen der Namen festhält.“747 Mit diesem Satz, der im Kontext der Homilie ziemlich isoliert steht, hat Hieronymus offenbar versucht, die viel kritisierte trinitarische Auslegung der Seraphenvision durch Origenes an Grundsätze der neunizänischen Orthodoxie seiner Zeit anzupassen. In den Jesajahomilien finden sich drei weitere Stellen, die vermutlich von Hieronymus eingefügt worden sind.748 Dieser Schluss ergibt sich zum einen aus der Einleitungsformel, die der von Rufinus aufgedeckten Ergänzung entspricht und mit der offenbar ein mögliches Missverständnis des Origenestextes abgewehrt werden soll, zum anderen aus dem Inhalt, der in jedem einzelnen Fall mit der Gotteslehre zu tun hat. Letzteres spricht dafür, dass es sich bei einer fünften Stelle ebenfalls um eine Interpolation des Hieronymus handeln könnte. Die Stellen lauten wie folgt: Nec putes naturae contumeliam, si filius a patre mittitur. Denique ut unitatem deitatis in trinitate cognoscas, solus Christus in praesenti lectione peccata nunc 746 Klostermann, Überlieferung 19–31; V. Peri, Passi sulla Trinita` 157–164. 747 Rufinus, apol. c. Hieron. II 31 (CChr.SL 20,106 f.), in modifizierter Form wiederholt ebd. II 50 (20, 122). Die fragliche Stelle ist Origenes (bzw. in diesem Fall Hieronymus), in Is. hom. 1,2 (GCS Orig. 8, 244 f.). 748 V. Peri, Passi sulla Trinita` 177–179, akzeptiert von Nautin, Orige`ne 257, und Fürst, Hieronymus gegen Origenes 222 f.
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dimittit et tamen certum est a trinitate peccata dimitti. Qui enim in uno crediderit, credit in omnibus – „Und halte es nicht für eine Schmähung der Wesenheit, wenn der Sohn vom Vater gesandt wird. Damit du schließlich die Einheit der Gottheit in der Trinität erkennst, ist es in der vorliegenden Lesung allein Christus, der jetzt Sünden erlässt, und dennoch werden Sünden gewiss von der Trinität erlassen. Wer nämlich an einen glaubt, glaubt an alle drei.“749 Nec putandum est aliquid indigere sapientiam et intellectum ceterosque spiritus, quia alium cibum habeant, cum totius dispensationis unus sit cibus natura Dei – „Aber man darf nicht annehmen, der Weisheit, der Einsicht oder den übrigen Geistesgaben fehle irgend etwas, weil sie einen anderen als Speise hätten, wo doch die Speise des gesamten Heilsplans eine einzige ist: das Wesen Gottes.“750 Nec putandus est non habuisse, qui accepit, cum adhuc habeat ipse, qui dederit – „Und man darf nicht meinen, der, der sie (sc. die Kinder, die Gott laut Jes. 8,18 gegeben hat) angenommen hat, hätte sie noch nicht erhalten, wenn noch der sie habe, der sie gegeben hat.“751 ..., quae est trinae sanctitatis repetita communitas; sanctitati patris sanctitas iungitur filii et Spiritus sancti – „..., die (sc. die Fülle der Heiligkeit Gottes) in der Gemeinschaft der dreimal wiederholten Heiligkeit besteht; mit der Heiligkeit des Vaters verbindet sich die des Sohnes und des Heiligen Geistes.“752 Gewiss, mehr als einen Verdacht gegen die Echtheit dieser Sätze kann man nicht formulieren. Dieser erhärtet sich jedoch aufgrund einer Stelle in den Jeremiahomilien, an der sich durch einen Vergleich zwischen der griechischen und lateinischen Fassung nachweisen lässt, dass Hieronymus den Text ergänzt, und zwar gleichsam trinitarisch komplettiert hat. Origenes hatte in Á n kaiÁ toÂte kaiÁ ny Ä n, eÏna Xristo Án einer Predigt gesagt: hëmeiÄw deÁ eÏna oiÍdamen ueo kaiÁ toÂte kaiÁ ny Ä n, was Hieronymus (korrekt) so übersetzte: nos unum novimus deum et in praeterito et in praesenti, unum Christum, et tunc et modo similiter, und so ergänzte: et unum spiritum sanctum, cum patre et filio sempiternum – „Wir kennen nur einen Gott, damals wie jetzt, einen Christus, ebenfalls damals wie jetzt, und einen Heiligen Geist, der zusammen mit dem Vater und dem Sohn ewig ist.“753 Hinter dieser nachweislichen Ergänzung steht die dogmengeschichtliche Entwicklung der zweiten Hälfte des 4. Jahrhunderts, in 749 750 751 752 753
Origenes (bzw. Hieronymus), in Is. hom. 1,4 (GCS Orig. 8, 246). Ebd. 3,3 (8, 257). Ebd. 7,1 (8, 281). Ebd. 4,1 (8, 259). In Hier. hom. 9,1 (GCS Orig. 32, 64 mit app. crit.): Klostermann, Überlieferung 27; V. Peri, Passi sulla Trinita` 161; Nautin, SC 232, 40.
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deren Verlauf die Gottheit des Heiligen Geistes betont und explizit in das nizänisch-homousianische Bekenntnis zur Trinität eingefügt wurde.754 Mag sich ein solcher Nachweis für die vier oben ausgeschriebenen Stellen nicht in der Weise wie für diese Stelle in den Jeremiahomilien und wie für die von Rufinus aufgedeckte Ergänzung in der ersten Jesajahomilie führen lassen, lässt sich auf der Basis dieser Belege doch sagen, dass Hieronymus an zwar nicht vielen, aber doch einigen trinitätstheologisch kritischen Stellen die Aussagen des Origenes beim Übersetzen in einer Weise ergänzt hat, dass sie im Kontext der trinitätstheologischen Entwicklungen des 4. Jahrhunderts dogmatisch akzeptabel klangen. Ein weiterer Schluss in diese Richtung lässt sich aus dem Traktat gegen Origenes über die Vision Jesajas (zu diesem s.u.) ziehen. In diesem wird eine Aussage des Origenes zitiert und kritisiert, die weder in den Jesajahomilien noch in sonstigen Werken des Origenes zu finden ist: A principali sancto Seraphin sanctitatis accipere consortium, „et alter clamat ad alterum: Sanctus, sanctus, sanctus“ – „Vom ursprünglichen Heiligen erhalten die Seraphim Anteil an der Heiligkeit, ,und der eine ruft dem anderen zu: Heilig, heilig, heilig!‘“755 Für dieses Origeneszitat gibt es mehrere Erklärungsmöglichkeiten.756 Der Autor des Traktats setzte sich sukzessive mit einer Passage in der ersten Jesajahomilie auseinander, in der Origenes seine Deutung der Seraphim als Sohn und Geist konzentriert vorlegte.757 Während seine sonstigen Zitate mit der Sequenz des Textes in der Homilie korrelierbar sind und nur mit kleinen Modifizierungen vom Text der Homilie abweichen758 – der Übersetzer beider Texte ist Hieronymus –, findet sich für den fraglichen Satz kein Äquivalent. Angesichts der Trümmerhaftigkeit der Überlieferung der Werke des Origenes ist natürlich nicht auszuschließen, dass der Verfasser mit diesem Zitat auf einen anderen Origenestext rekurrierte. Gegen eine solche Annahme spricht jedoch, dass alle sonstigen Zitate im Traktat in der ersten Jesajahomilie des Origenes verifizierbar sind.759 Dazu kommt die Beobachtung, dass der fragliche Satz in der Sequenz der Zitate im Traktat an einer Stelle steht, an der in der Homilie folgendes zu lesen ist: Et non leviter dicunt alter ad alterum: „Sanctus, sanctus, sanctus!“, sed salutarem omnibus confessionem clamore pronuntiant – „Und sie sagen nicht einfach zueinander: ,Heilig, heilig, heilig!‘, sondern verkünden mit lautem Rufen ein Bekenntnis, das allen zum
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Zahlreiche wichtige Texte dazu bei V. Peri, ebd. 170–176. Theophilus, tract. c. Orig. 5 (p. 119 Morin). Ausführlich darüber Fürst, Hieronymus gegen Origenes 220–224. Origenes, in Is. hom. 1,2 (GCS Orig. 8, 244 Zeilen 14–28). Im Traktat werden aus diesem Passus lediglich zwei Sätze (Zeilen 18–21) nicht behandelt. 759 Siehe die Gegenüberstellungen bei Gryson/Szmatula, Les commentaires patristiques 31 f., und Fürst, Hieronymus gegen Origenes 216 f. Anm. 116 und 117.
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Heil dient.“ Diese Beobachtung wird umso auffälliger, als der in der Homilie folgende Satz im Traktat im Anschluss an die in der Homilie nicht auffindbare Aussage ziemlich wörtlich zitiert wird: Quae sunt ista duo Seraphim? Dominus meus Iesus et Spiritus sanctus bzw. Quae sunt, inquit, ista Seraphin? Dominus meus et Spiritus sanctus – „Wer sind (sagt er) diese (beiden) Seraphim? Mein Herr (Jesus) und der Heilige Geist.“760 Aus dieser Gegenüberstellung ließe sich vielleicht der Schluss ziehen, dass der Verfasser des Traktats den Satz der Homilie mit dem dreifachen Heiligruf aus Jes. 6,3 in einer freien Version wiedergegeben habe könnte. Gegen eine solche Annahme spricht jedoch, dass sich beide Sätze so stark voneinander unterscheiden, dass abgesehen vom Bibelzitat kein gemeinsames Substrat erkennbar ist. Somit drängt sich die Vermutung auf, dass der fragliche Satz im Traktat durchaus in der Homilie des Origenes stand, Hieronymus ihn beim Übersetzen aber weggelassen hat.761 Angesichts der anderweitigen Retouschen, die Hieronymus in seiner Übersetzung vorgenommen hat, ist das durchaus vorstellbar. Wenn er an mehreren Stellen einen Satz in die Jesajahomilien einfügte, um den Text des Origenes dogmatisch weniger verfänglich aussehen zu lassen, dann ist es ihm auch zuzutrauen, in derselben Absicht einen Satz unterdrückt zu haben.762 Für diese These spricht nicht zuletzt, dass in diesem Satz ein Gedanke zum Ausdruck gebracht ist, der den Verfasser des Traktats an der trinitarischen Deutung der Seraphim am meisten gestört hat, nämlich die Inferiorität der Seraphim und damit des Sohnes und des Geistes gegenüber Gott: „Dem Sohn nun und dem Heiligen Geist kommt Heiligkeit nicht aufgrund der Teilhabe an einem anderen zu, damit sie nicht wie Geschöpfe aussehen und aus anderer Quelle erhalten, was sie nicht besaßen, und so unter dem stehen, dessen Heiligkeit sie besitzen.“763 Sohn und Geist dürfen, so dieser Einwand, nicht auf die Ebene der Geschöpfe geraten. Das war ein Hauptargument gegen die „arianische“ Gotteslehre, die Sohn und Geist als „geschaffen“ oder „entstanden“ vom „ungezeugten“ und „ursprungslosen“ Vater unterschied.764 Von da aus geriet die trinitarische Deutung der Vision Jesajas durch Origenes in den Verdacht der Häresie. Im Kontext der trinitätstheologischen Diskussionen im Umfeld des Konzils von Konstantinopel scheint Hieronymus sich dieser Problemlage
760 Origenes, in Is. hom. 1,2 (GCS Orig. 8, 244 Zeilen 25–27) bzw. Theophilus, tract. c. Orig. 5 (p. 119 Morin Zeilen 19 f.). 761 So schon Morin, AMar III/3, 119 Anm. zu Zeile 17, ferner Gryson/Szmatula, Les commentaires patristiques 33. 762 Auch Hieronymus hat Rufinus vorgeworfen, bei der Übersetzung des ersten Buches der Apologie des Pamphilus und Eusebius für Origenes kritische Passagen ausgelassen zu haben: apol. c. Rufin. II 15 (CChr.SL 79, 48 f.); vgl. ebd. I 8 (79, 7 f.). 763 Theophilus, tract. c. Orig. 5 (p. 120 Morin). 764 Vgl. etwa Eunomius, apol. 28 (p. 74 Vaggione).
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bewusst gewesen zu sein, als er die Jesajahomilien des Origenes übersetzte. Entsprechend hat er den Text abgeändert. Aus diesen Beobachtungen am Text der Jesajahomilien des Origenes und im Traktat gegen Origenes über die Vision Jesajas sowie aus der Information des Rufinus ergibt sich also, dass Hieronymus trinitätstheologisch sensible Passagen in den Jesajahomilien im Sinne der Orthodoxie seiner Zeit zu entschärfen versucht hat, meist durch Hinzufügung von klärenden Sätzen, die Missverständnisse abwehren sollten, einmal wohl auch durch Auslassung eines besonders brisanten Satzes. Die Dreistigkeit dieses Verfahrens wird aus einer späteren Bemerkung des Hieronymus über die Auffälligkeit von Fälschungen in den Werken des Origenes ersichtlich: Die systematische Ä n, stichelte Hieronymus gegen die Änderungen, die EuSchrift PeriÁ aÆrxv sebius von Cremona angeblich an der Übersetzung dieses Werkes durch Rufinus vorgenommen habe,765 sei derart stringent konzipiert und geschrieben, dass jede Änderung gleichsam von selbst offenkundig sei, „wo alles so miteinander verwoben ist und voneinander abhängt, dass jede Auslassung oder Ergänzung sogleich wie ein Flicken am Gewand auffallen würde“.766 Zwanzig Jahre früher, bei der Übersetzung der Jesajahomilien, scheint er darauf vertraut zu haben, dass Retouschen am Text des Origenes unentdeckt bleiben könnten. Rufinus hat ihn schmerzlich eines Besseren belehrt. Vor diesem Hintergrund dürfte auch die von Hieronymus getroffene Auswahl etwas verständlicher werden. Fünf von neun Homilien beschäftigen sich mit der Vision in Jes. 6.767 Vielleicht hat Hieronymus – oder andere Leute, die ihn auf die Jesajahomilien aufmerksam machten bzw. zum Übersetzen anregten – sich für diese Texte des Origenes besonders interessiert, weil ihr Inhalt dogmatisch nicht mehr akzeptabel aussah. Die Auswahl, die aus der Jesajakommentierung des Origenes vorliegt, verdankt sich also der theologiegeschichtlichen Konstellation der zweiten Hälfte des 4. Jahrhunderts und ist, allgemein formuliert, rezeptionsgeschichtlich bedingt. Das Ganze ist damit ein Lehrstück für die Problematik der lateinischen Überlieferung der Werke des Origenes. Für die Übersetzungen des Rufinus gilt das noch weit mehr als für diejenigen des Hieronymus. Deren Auswahl und Textgestalt ist von dogmatischen Optionen und Bedürfnissen des ausgehenden 4. Jahrhunderts geformt. Das bedeutet nicht, dass die betreffenden Origenestexte bis zur Unbrauchbarkeit verfälscht worden wären. Sogar für eine Ergänzung wie die von Hieronymus in der ersten Jesajahomilie vorgenommene lässt sich nämlich ein sachlicher Anhaltspunkt in den griechisch
765 So Rufinus, apol. c. Hieron. I 19–21 (CChr.SL 20, 53–55). Zu Eusebius siehe Fürst, Hieronymus 172 f. 766 Hieronymus, apol. c. Rufin. III 5 (CChr.SL 79, 77). 767 Siehe oben S. 27–30.
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überlieferten Texten des Origenes ausfindig machen. Im Johanneskommentar bemerkte Origenes anlässlich seiner Überlegungen zu den verschiedenen „Aspekten“ (eÆpiÂnoiai) Christi, niemand solle daran Anstoß nehmen, dass er am Erlöser solche Aspekte unterscheide, sondern bedenken, dass er ihn in seinem Wesen (oyÆsiÂa) als mit sich selbst identisch konzipiere.768 Der Hinweis des Hieronymus, durch die spezifischen Funktionen (officia) der „Namen“ werde das Wesen (natura) der Trinität nicht aufgelöst, muss also nicht notwendig eine pure Verfälschung der Gedanken des Origenes darstellen – freilich durchaus des konkreten Textes –, sondern kann gleichsam als Metamorphose einer christologischen Aussage (des Origenes) in eine trinitarische (des Hieronymus) aufgefasst werden. Zudem bringt der Satz das Grundprinzip der Trinitätstheologie des Origenes zum Ausdruck, nämlich die innere Differenziertheit der Einheit der Trinität durch das Moment der Heiligkeit.769 Indem Hieronymus den Text der Jesajahomilie an den trinitätstheologischen Standard des 4. Jahrhunderts anpasste, veränderte er zwar den konkreten Text des Origenes, verfälschte damit aber nicht dessen Theologie – ein erhellendes Beispiel für die komplexen Zusammenhänge.
b) Das Schweigen des Hieronymus über die Jesajahomilien Nicht erst in der modernen historisch-kritischen Forschung wirft diese Überlieferung der Werke des Origenes Probleme auf. Schon damals, an der Wende vom 4. zum 5. Jahrhundert, als die lateinischen Übersetzungen entstanden, bereiteten sie nicht nur ihren Lesern (sofern diese es bemerkten), sondern unter Umständen auch ihren Autoren Schwierigkeiten. Auch dafür ist die lateinische Übersetzung der Jesajahomilien des Origenes ein Lehrstück. Dass diese von Hieronymus stammt, wissen wir nur durch Rufinus, und zwar durch die genannten Bemerkungen zu dem von Hieronymus beim Übersetzen eingefügten Satz. Hieronymus selbst hat diese Übersetzung nie erwähnt.770 Im letzten Kapitel von De viris illustribus, in dem er seine bis 392/93 verfassten Werke aufzählte, hat er zwar die bis dahin fertiggestellten Origenesübersetzungen notiert, nämlich die 380/81 in Konstantinopel entstandenen Jeremia- und Ezechielhomilien, zwei Hoheliedpredigten, die er 383/84 in Rom anfertigte, und die im Jahre 392 übersetzten Lukashomilien, dazu auch den Traktat De seraphim,771 nicht aber seine Übersetzung der 768 Origenes, in Ioh. comm. I 200 (GCS Orig. 4, 36). Siehe auch unten S. 200 Anm. 16. 769 Siehe darüber ausführlich oben S. 141 f. 770 Zöckler, Hieronymus 87, wollte die Übersetzung deshalb dem Hieronymus absprechen, wogegen Bardenhewer, Geschichte II, 133 Anm. 1, zu Recht auf das Zeugnis des Rufinus verwies. 771 Hieronymus, vir. ill. 135,2.4 (p. 230. 232 Ceresa-Gastaldo).
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Jesajahomilien. Es gibt zwar noch einige weitere Schriften, die Hieronymus ebenfalls nicht aufführte, doch ist deren Fehlen anders geartet und in jedem einzelnen Fall erklärbar.772 Das Fehlen der Jesajahomilien ist die einzige wirkliche Lücke im Werkverzeichnis der Hieronymus. Eine solche Lücke zu erklären, ist naturgemäß schwierig, weil jede Überlegung notwendigerweise ein argumentum e silentio darstellt – in diesem Fall im wörtlichen Sinn. So ist nicht auszuschließen, dass es sich um einen Abschreibfehler im ältesten gemeinsamen Manuskript handelt, auf das alle bekannten Handschriften zurückgehen.773 Auch ließe sich der Schluss ziehen, Hieronymus habe die Jesajahomilien erst nach 392/93 übersetzt.774 Das überzeugt jedoch aus verschiedenen Gründen nicht. Zum einen deuten die sprachlichen Unbeholfenheiten des Textes, vor allem das Fehlen der für Hieronymus sonst typischen Klauseln,775 eher auf ein Jugendwerk, zum anderen wäre damit nicht erklärt, weshalb Hieronymus die Homilien im Jesajakommentar an keiner Stelle erwähnte, die zu diesem Zeitpunkt (408 bis 410) doch bekannt waren, da Rufinus im Jahre 401, als er seine Apologie gegen Hieronymus schrieb, auf sie rekurrierte. Zudem scheint es nicht sehr plausibel, dass Hieronymus diese Homilien noch übersetzt haben sollte, nachdem er sich in De seraphim von 380 so deutlich von der darin zu lesenden Auslegung der Seraphim distanziert hatte.776 Hält man solche Erklärungen in diesem Fall für wenig überzeugend, bleibt nur die Annahme, dass Hieronymus seine Übersetzung der Jesajahomilien des Origenes absichtlich totgeschwiegen hat. Sollte das der Fall gewesen sein, ist nach möglichen Motiven dafür zu fragen. Ein eher harmloser Grund dafür könnte gewesen sein, dass Hieronymus diese Übersetzung nicht für eine Publikation vorgesehen hatte – wofür das Fehlen der Klauseln sprechen könnte – und sie deshalb nicht in das Verzeichnis seiner veröffentlichten Werke aufnahm; vielleicht handelte es sich um eine lediglich private Vorarbeit für seinen eigenen Traktat über die Vision Jesajas (De seraphim).777 Dann müsste freilich erklärt werden, wie Rufinus in den Besitz des Manuskripts gelangte, und es wäre zu fragen, weshalb Hieronymus den Text des Origenes dogmatisch verändert hat,
772 Näheres bei Fürst, Hieronymus gegen Origenes 226, zum Teil mit, zum Teil gegen Nautin, Liste des œuvres 326–334. 773 So Nautin, Orige`ne 257. 774 Bardenhewer, Geschichte III, 612 (im Anschluss an Domenico Vallarsi, den Herausgeber der Werke des Hieronymus im 18. Jahrhundert); Baehrens, GCS Orig. 8, XLVI; V. Peri, Passi sulla Trinita` 166. 169 f. 171. 775 Dazu Baehrens, ebd. XLVI. XLVIII. 776 So zu Recht Nautin, De seraphim 276. 777 So Cavallera, Je´roˆme I, 71; II, 81; Gryson/Szmatula, Les commentaires patristiques 30 (vgl. ebd. 10 Anm. 35); Pieri, Isaia 6, 175 f.
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wenn er keine Veröffentlichung im Sinn hatte. Oder hat Hieronymus in Konstantinopel an der Übersetzung der Jesajahomilien gearbeitet, diese jedoch abgebrochen und unvollendet liegen lassen, weil er sich in einem eigenen Werk (De seraphim) mit der Vision Jesajas beschäftigen wollte?778 Oder hat er die Jesajahomilien in De viris illustribus nicht erwähnt, weil darin eine Auslegung stand, die er ablehnte?779 Aber warum hat er sie dann überhaupt übersetzt? Schon unmittelbar danach distanzierte er sich ja in De seraphim von der fraglichen Auslegung. Alle diese Vermutungen lassen sich weder mit Sicherheit behaupten noch von der Hand weisen. Ausgehend von der letztgenannten, die mit der brisanten Deutung der Seraphim zusammenhängt, lässt sich noch eine weitere anschließen, die recht gut in die theologiepolitische Szenerie der Zeit passen würde.780 Geht man davon aus, dass Hieronymus die Jesajahomilien des Origenes im Jahre 380 in Konstantinopel übersetzt und auch zur Publikation vorgesehen hat – jedenfalls sind sie offenkundig bekannt geworden, zumindest dem Rufinus –, dann lässt sich sowohl die Lücke in De viris illustribus von 392/93 als auch das Verschweigen dieser Arbeit in späteren Werken vielleicht folgendermaßen erklären: Im Schlusskapitel von De viris illustribus stilisierte Hieronymus sich selbst als Höhepunkt der kirchlichen Literaturgeschichte. Dabei wollte er seinen gebildeten Lesern ein bestimmtes Bild von sich vermitteln, nämlich das Bild des rechtgläubigen Doyen der lateinischen Übersetzer und Exegeten. Obwohl er zu diesem Zweck möglichst viele eigene Werke aufzählte, erstellte er doch nicht wie ein Archivar ein vollständiges Verzeichnis seiner Publikationen, sondern notierte, was er öffentlich bekanntmachen, und ließ weg, was er nicht gelesen haben wollte.781 Ein exegetisch und vor allem dogmatisch so hochproblematischer Text wie die Jesajahomilien des Origenes hätten da schlecht ins Bild gepasst. In der literarischen Kommunikation unter den Gebildeten der Spätantike, auch unter den christlichen, gehörte ein solches Verfahren zu den Mitteln der Stilisierung und Präsentierung der eigenen Person und Bedeutung, die auch in anderen Werken des Hieronymus greifbar werden. Was das Verschweigen der Jesajahomilien in späteren Werken des Hieronymus betrifft, muss man wohl die origenistischen Streitigkeiten in Rechnung stellen, die 393/94 ausbrachen und sich etwa ein Jahrzehnt hinzogen.782 Aus einer der ersten Äußerungen des Hieronymus zu diesem Streit in einem Brief aus dem Jahr 396 geht hervor, dass er sehr wohl wusste, dass die 778 So Jay, L’exe´ge`se 62 f. 779 So Nautin, Liste des œuvres 328 f. 780 Siehe dazu ausführlich Fürst, Hieronymus gegen Origenes 228–231; ders., Jerome keeping silent. 781 So richtig Nautin, Liste des œuvres 326 f. 334. 782 Ein zusammenfassender Überblick dazu bei Fürst, Hieronymus 30–37.
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trinitarische Deutung der Seraphim zu den am meisten kritisierten Anschauungen des Origenes gehörte: „Origenes der Häretiker – was geht das mich an, der ich nicht bestreite, dass er in sehr vielen Dingen häretisch ist? Er irrte sich über die Auferstehung des Körpers, er irrte sich über den Status der Seele und über die Bekehrung des Teufels, und – noch schlimmer als dies – er bezeugte, dass die Seraphim der Sohn und der Heilige Geist seien.“783 Nun hatte Hieronymus in seiner Übersetzung freilich gerade die trinitarisch brisanten Aussagen des Origenes durch Ergänzungen und wohl auch eine Auslassung dogmatisch für seine Zeit akzeptabel zu machen versucht. Als sich im Streit über die Rechtgläubigkeit des Origenes die Fronten zwischen Origenesanhängern und Origenesgegnern verhärteten, fand Hieronymus sich daher und wegen des früheren Lobes, das er Origenes gespendet hatte, in der öffentlichen Wahrnehmung nicht ohne Grund auf Seiten der Origenesfreunde wieder, die ihr Idol als rechtgläubigen und gottesfürchtigen Theologen und Kirchenmann präsentierten. Weil Hieronymus vermeiden wollte, dadurch selbst zum Häretiker erklärt zu werden, distanzierte er sich von Origenes. In diesem Kontext musste er taktisch – die moralische Seite seines Verhaltens ist nicht nur bedenklich, sondern verwerflich – reichlich Grund haben, gerade diejenige Übersetzung von Origenespredigten zu verschweigen, in der die von den Origenesfeinden am schärfsten kritisierte Exegese des Origenes stand, eben die trinitarische Deutung der Seraphim, die Hieronymus in seiner Übertragung gleichsam zu retten versucht hatte. Der Origenesanhänger, der sich im Zuge dieser Auseinandersetzungen nicht von Origenes distanzierte, sondern ihn, übrigens mit denselben Mitteln des interpretierenden und adaptierenden Übersetzens, als rechtgläubig zu erweisen versuchte, Rufinus von Aquileja, hat diese Strategie seines früheren Freundes, aber jetzigen Feindes Hieronymus prompt durchkreuzt und sowohl die Existenz dieser Übersetzung als auch den Eingriff des Hieronymus in den Text publik gemacht. Mit letzter Sicherheit lassen sich diese Zusammenhänge zwar nicht mehr aufklären, aber das Schweigen des Hieronymus über seine Übersetzung der Jesajahomilien des Origenes erhält in diesem Kontext doch recht plastische und plausible Konturen.
783 Hieronymus, epist. 61,2 (CSEL 54, 577).
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3. Der Traktat gegen Origenes über die Vision Jesajas Die trinitarische Deutung der Seraphim war im ersten Origenismusstreit einer der Hauptkritikpunkte am exegetisch-theologischen Denken des Origenes. Auch im zweiten Origenismusstreit hat das Thema wohl noch eine Rolle gespielt, sonst hätte Justinian den entsprechenden Passus aus dem ersÄ n nicht explizit zitiert784 und Origenes vorgeworten Buch von PeriÁ aÆrxv fen, Sohn und Heiligen Geist als „Geschöpfe“ und „dienstbare Lebewesen“ zu bezeichnen.785 Allerdings taucht dieser Aspekt weder in den neun Anathematismen gegen Origenes von 543, die Justinian seinem Brief an Menas anfügte, noch in den 15 Anathematismen von 553 auf. Im 6. Jahrhundert scheint dieser Punkt nicht mehr zu den zentralen Vorwürfen gegen die Theologie des Origenes gehört zu haben. Anderthalb Jahrhunderte zuvor war diese Exegese jedoch so wichtig, dass sogar ein ganzer Traktat gegen sie geschrieben wurde.786
a) Entdeckung und Autorschaft: Theophilus von Alexandria Dieser Traktat wurde von Ambrosius Amelli ohne Angabe eines Titels und eines Autors in der Bibliothek des Klosters Monte Cassino in zwei Handschriften aus dem 11. und 12. Jahrhundert (Biblioteca dell’Abbazia 342 E saec. XII, pp. 438–440, und 345 B, saec. XI um 1050, fol. 257–281),787 die Werke des Origenes und des Hieronymus enthalten, entdeckt und im Jahre 1901 publiziert.788 Zwei Jahre darauf brachte Germain Morin eine mit neuem kritischem Apparat versehene Neuedition heraus.789 Nachdem zunächst Hieronymus als Verfasser gegolten hatte790 und nachdem die Idee, der Text 784 Siehe oben S. 75 mit Anm. 308 und 309. 785 Justinian, epist. Men. (ACO III 210), in der Einleitung des Zitats mit einer Kombination von Hab. 3,2 und Hebr. 1,14. Siehe dazu p. 167 Anm. 11 Görgemanns/Karpp. 786 Das Folgende ist ausführlich dargestellt bei Fürst, Hieronymus gegen Origenes 211–224. 787 Lambert, Bibliotheca 2, 99 Nr. 210. In einer Handschrift in Paris (Bibliothe`que Nationale, Lat. 6237, saec. XIII) sind Fragmente auszumachen. 788 Und zwar im Spicilegium Casinense III/2 (1901) 387–399 (mit eigens paginierten Prolegomena: ebd. I-XIV). Sonderausgabe: Amelli, Tractatus. Die zentralen Gedanken der lateinischen Einleitung dieser Ausgabe sind italienisch zu lesen bei Amelli, Trattato. 789 Morin, AMar III/3, XVIII-XIX. 103–122. Weil dieser interessante Text an nicht so leicht sichtbaren Orten publiziert ist, drucken wir im Anhang dieser Ausgabe die Edition von Morin ab, versehen mit einer neuen deutschen Übersetzung: unten S. 330–365. 790 Amelli, Tractatus X-XV, der den Text zudem irrtümlich als die Schrift identifizier-
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könnte von Didymus von Alexandria stammen und von Hieronymus bearbeitet und übersetzt worden sein, rasch als abwegig erwiesen werden konnte,791 hat sich in der Forschung die Ansicht durchgesetzt, dass Theophilus von Alexandria diesen Traktat um 400 auf Griechisch geschrieben und Hieronymus ihn kurz danach in das Lateinische übersetzt hat.792 Für die Richtigkeit dieser Annahme spricht insbesondere die Tatsache, dass zwischen diesem Text und Briefen des Theophilus, die Hieronymus in den Jahren von 400 bis 404 in das Lateinische übertrug, zahlreiche phraseologische und lexikalische Analogien festzustellen sind.793 Die Autorschaft des Theophilus ist damit zwar nicht zwingend erwiesen, aber doch sehr plausibel und im Kontext des ersten Origenismusstreits gut vorstellbar. Die Überschrift: Tractatus contra Origenem de visione Isaiae, „Traktat gegen Origenes über die Vision Jesajas“, die Amelli dem Text gegeben hat, ist zutreffend, da der Traktat von Beginn an eine polemische Auseinandersetzung mit der Auslegung der Vision Jesajas durch Origenes ist, der insgesamt 27mal namentlich genannt wird.794
b) Die Kritik des Theophilus an der Jesajadeutung des Origenes Theophilus kritisierte fünf Aspekte der origeneischen Auslegung der Vision Jesajas, die sämtlich in der ersten Jesajahomilie begegnen. Der Wortlaut der Bezugnahmen des Theophilus auf diese Homilie deckt sich annähernd, jedoch nicht exakt wörtlich mit dem Text des Hieronymus,795 was wohl daran
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te, die Hieronymus in vir. ill. 135,2 (p. 230 Ceresa-Gastaldo) unter dem Titel De seraphim aufführte: ebd. V-VI. XVIII-XX; Mercati, Il nuovo trattato, der trotz seiner Bedenken (ebd. 389 f.) an der Autorschaft des Hieronymus festhielt; G. Grützmacher in einer Rezension der Edition von Amelli, in: ThLZ 26 (1901) 500 f.; Morin, Le nouveau traite´, der darin eine Predigt des Hieronymus sah: ebd. 821–823; ders., L’authenticite´; ders., E´tudes 22 f. Schade, BKV2 I 15, 197–201, ging angesichts dieses Forschungskonsenses bei seiner damaligen deutschen Übersetzung (ebd. 225–249) von der unbestrittenen Herkunft des Traktats von Hieronymus aus. Dietsche, Didymus. Würdigung und Kritik dieser verfehlten Studie: Altaner, Verfasser 149 f.; Chavoutier, Querelle 10. 13 f. Vermutet schon von F. Diekamp in einer Rezension der Ausgabe Amellis, in: LitRdsch 27 (1901) 293–295, hier: 294 f. Sodann: Cavallera, Je´roˆme II 81–86, der ferner die Origenesgegner Epiphanius von Salamis und Eustathius von Antiochia als mögliche Verfasser ins Feld führte; Altaner, ebd. 151; Favale, Teofilo 23 f.; Russell, Theophilus 91, der, ebd. 159–174, den Traktat in seine englische Auswahlübersetzung von Werken des Theophilus aufnahm. Es handelt sich um folgende Briefe im Briefcorpus des Hieronymus: epist. 92 (CSEL 55, 147–155); 96 (55, 159–181); 98 (55, 185–211); 100 (55, 213–232). Die markantesten Parallelen sind unten zur Übersetzung des Traktats vermerkt. Die Stellen sind verzeichnet bei Fürst, Hieronymus gegen Origenes 214 Anm. 101.
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liegt, dass Hieronymus beide Texte unabhängig voneinander aus dem Griechischen übersetzte und Theophilus seinerseits gewiss aus dem griechischen Text der Origenespredigt zitiert hat. Jenseits aller Polemik erweist Theophilus sich in diesem Traktat an manchen Stellen als durchaus fähiger Exeget und Theologe. Theologiegeschichtlich am interessantesten ist die Beobachtung, dass er trotz vehementer und polemischer Kritik an Origenes in entscheidenden Fragen, insbesondere im zweiten Kritikpunkt, gleichwohl vom theologischen Denken des Origenes geprägt ist. Mit Origenes gegen Origenes – ob Theophilus sich dieses Knotens bewusst war, darf freilich bezweifelt werden, denn diesen Zusammenhang zu durchschauen setzt ein hermeneutisches historisches Bewusstsein voraus, über das Theophilus so wenig verfügte wie seine Zeitgenossen. Die einzelnen Kritikpunkte des Theophilus sind folgende: Als erstes bestritt er die aus der Zeitangabe in Jes. 6,1 gewonnene Ansicht des Origenes, erst nach dem Tod des Königs Usija habe Jesaja eine Vision haben können.796 Gegen die ethischen und spirituellen Überlegungen, die Origenes daraus ableitete, und gegen die damit einhergehende allegorische Auslegungsmethode insistierte Theophilus auf der Bindung der Allegorese an den historischen Sinn des Bibeltextes und las die Sequenz der Visionen im Jesajabuch von da aus als chronologische Folge.797 Den Ausführungen des Origenes gegenüber, meinte er, „bin ich nicht so starrsinnig, dass ich eine allegorische Deutung, vorausgesetzt, sie ist gottgefällig und entspringt dem Quell der Wahrheit, meine zurückweisen zu müssen – zumindest so lange nicht, wie sie der Wahrheit nicht widerspricht, die Geschichte nicht aufhebt, dem Sinn der Heiligen Schrift folgt und nicht dem Anliegen eines fehlgeleiteten Exegeten den Vorzug vor der Autorität der Schriften gibt. So wollen also auch wir Origenes, der mit seinem Allegoriengewölk alles in Verwirrung stürzt, sagen: Fort mit deiner Weissagerei, fort damit! Die Geschichte nämlich berichtet von dem, was sich entsprechend dem Charakter der jeweiligen Zeit ereignet hat, und ruft ihre Leser durch ihr Beispiel dazu auf, das Beste zu befolgen und dessen Gegenteil zu meiden. Sodann steigt die Allegorie wie auf einer Reihe von Stufen durch die Geschichte zu höheren Dingen empor, so dass sie zwar über dieser steht, ihr aber nicht widerspricht.“798 Diese Konzeption des Zusammenhangs zwischen Geschichte (historia) und Allegorie (allegoria) erinnert an die Grundsätze der antiochenischen Exegese. So betrachtete Diodor von Tarsus die Geschichte 795 Die entsprechenden Stellen sind notiert bei Fürst, ebd. 216 f. Anm. 116 und 117, sowie unten an Ort und Stelle zur Übersetzung des Traktats. 796 Theophilus, tract. c. Orig. 1 (p. 103–107 Morin). 797 Siehe dazu unten S. 331 Anm. 4. 798 Theophilus, tract. c. Orig. 1 (p. 104 Morin). Siehe unten S. 332 f. Anm. 6 und 8–10.
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als „Basis und Grundlage der höheren Einsichten“, wie aus folgendem Passus im Vorwort zu seinem Psalmenkommentar hervorgeht: „Soweit möglich werden wir mit Gottes Hilfe eine Erklärung ... geben und uns nicht von der Wahrheit entfernen, vielmehr wird unsere Auslegung im historischen und wörtlichen Sinne erfolgen, wobei wir die Anagogie und die höhere Theoria nicht ablehnen. Der historische Sinn steht nämlich der höheren Theoria nicht entgegen; im Gegenteil erweist er sich als Basis und Grundlage der höheren Einsichten. Nur dieses eine gilt es zu beachten, dass die Theoria niemals als Zerstörung des zugrundeliegenden Textes erscheint; denn dieses wäre nicht mehr Theoria, sondern Allegorie. Wo nämlich über den Text hinaus etwas anderes gesagt wird, liegt keine Theoria mehr vor, sondern eine Allegorie.“799 Diodor nannte die „höheren Einsichten“ zwar nicht „Allegorie“, sondern „Theoria“, doch von dieser terminologischen Unterscheidung abgesehen stimmen beide Texte in der Methodik überein, denn auch für Theophilus ist „das geistige Verständnis auf das Fundament der Geschichte gebaut“ und hat das Verfahren, „die Geschehnisse einer höheren Deutung zu unterziehen“, so zu erfolgen, dass „das Dach aufgerichtet wird, ohne das Fundament darunter wegzuziehen“.800 Der alexandrinische Verfasser des Traktats gegen Origenes über die Vision Jesajas bietet damit eine antiochenisch klingende Anweisung für den Umgang mit der allegorischen Methode. Ob die Differenz zu den exegetischen Grundsätzen des Origenes allerdings so groß ist, wie Theophilus es darstellt, darf bezweifelt werden. In einem in der Apologie des Pamphilus überlieferten Fragment, das vermutlich aus der verlorenen Frühschrift De resurrectione stammt,801 betont Origenes ausdrücklich, dass die geistige Bedeutung einer Bibelstelle zusätzlich zu ihrer historischen Wahrheit anzunehmen ist und diese nicht aufhebt.802 Das deckt sich mit dem von Theophilus hier propagierten Grundsatz, durch eine höhere Deutung nicht die historische Grundlage zu zerstören. Zweitens kritisierte Theophilus die Auffassung des Origenes, die Seraphim in Jes. 6,2 bedeckten nicht ihr eigenes Angesicht und ihre eigenen Füße, sondern Angesicht und Füße Gottes.803 Diese Kritik verknüpfte er mit bemerkenswerten erkenntnistheoretischen Reflexionen über die Unsichtbarkeit Gottes und die Erkennbarkeit des Schöpfers aus der geschaffenen Welt, die eine gute Bibelkenntnis, eine nicht geringe spekulative Begabung und einen beachtlichen Grad an theologischer Selbstständigkeit erkennen lassen.804 Als Beispiel sei folgender Passus wiedergegeben: „Wir wissen näm799 Diodor von Tarsus, in Ps. prol. (CChr.SG 6, 7); Übersetzung: Fiedrowicz, Prinzipien 86–89. 800 Theophilus, tract. c. Orig. 1 (p. 104 f. Morin). 801 Röwekamp, FC 80, 144 f. 802 Origenes, res. frg. bei Pamphilus, apol. Orig. 113 (FC 80, 332–334). 803 Theophilus, tract. c. Orig. 2 (p. 107–113 Morin).
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lich, dass Gott existiert, und wir wissen auch, was er nicht ist. Was aber und von welchem Wesen er ist, das können wir nicht wissen. Da wir es ja der zu uns herabsteigenden Güte und Milde verdanken, dass wir überhaupt irgendetwas von ihm zu erkennen vermögen, so sollen uns seine Wohltaten erfahren lassen, dass er existiert. Sein Wesen dagegen kann aufgrund der dazwischenliegenden Kluft kein Geschöpf begreifen. Oder, um es noch etwas präziser zu sagen: Was Gott nicht ist, wissen wir, von dem aber, was er ist, können wir keinerlei Kenntnis haben.“805 Ähnliche Formulierungen sind bei Augustinus zu lesen.806 Im Blick auf den Griechen Theophilus wird man dieses Denken in die Tradition negativer Theologie einordnen, die im Umfeld des ersten Konzils von Konstantinopel im Jahre 381 vor allem von den drei Kappadokiern gegen die Gotteslehre des Eunomius betont worden ist. So hat Gregor von Nazianz gegen den Anspruch des Eunomius und seiner Anhänger, „alles zu wissen und über alles belehren zu können“, wie er polemisch formulierte,807 die zweite seiner fünf sog. Theologischen Reden gänzlich diesem Thema gewidmet.808 Diese Thematik führt also in die trinitarischen Kontroversen, von deren Ergebnissen aus das Denken des Origenes Ende des 4. Jahrhunderts in die Kritik geriet. Dass sich jedoch auch bei Origenes entsprechende Gedanken zur Unerkennbarkeit Gottes finden lassen,809 hat Theophilus freilich entweder nicht bemerkt oder geflissentlich ignoriert. Im Gegensatz zu diesen hochkarätigen Reflexionen ist Theophilus beim dritten Kritikpunkt810 ein gravierendes Missverständnis unterlaufen: „Während hieran (nämlich an den vorausgehenden erkenntnistheoretischen Überlegungen) niemand zweifelt, lobt Origenes die Seraphim, wo er sich ein weiteres Mal mit ihnen befasst, auf solch maßlose Weise, dass er damit den Sohn Gottes und den Heiligen Geist lästert. Er sagt nämlich weiter: ,So weit zu den Seraphim, die Gott umgeben und die allein mit Vernunft und Umsicht sprechen: Heilig, heilig, heilig (Jes. 6,3). Deswegen ist ihr Lob umsichtig und weise, weil sie heilig sind.‘ Auch wir können nicht leugnen, dass die Seraphim mit Vernunft und Umsicht sagen: ,Heilig, heilig, heilig‘, doch frage ich diesen herausragenden Lehrer, wo in den heiligen Schriften er gelesen hat, dass allein die Seraphim Gott mit Umsicht loben, wo doch alle vernunftbegabten Geschöpfe und die Erstgeborenen der himmlischen Kir-
804 So schon Altaner, Verfasser 147. Zur Leistung des Theopilus als Exegeten und Theologen siehe Russell, Theophilus 35–40. 805 Theophilus, tract. c. Orig. 2 (p. 110 Morin). 806 Siehe unten S. 342 Anm. 36. 807 Gregor von Nazianz, orat. 27,2 (FC 22, 71); Übersetzung: Sieben, FC 22, 72. 808 Orat. 28 (FC 22, 92–166). 809 Hinweise dazu unten S. 342–346 Anm. 35, 38, 40 und 41. 810 Theophilus, tract. c. Orig. 3 (p. 113–116 Morin).
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che Gott kennen?“811 Origenes hatte – in der lateinischen Übersetzung des Hieronymus – geschrieben: „Diese Seraphim aber, die Gott umgeben und im Akt reinen Erkennens sagen: ,Heilig, heilig, heilig‘ (Jes. 6,3), bewahren deswegen das Geheimnis der Trinität, weil auch sie selbst heilig sind.“812 Mit der Wendung sola cognitione dicere, „im Akt reinen Erkennens sagen“, die das „Sprechen“ der Seraphim als rein geistiges qualifiziert, ist ein überrationaler Modus der Erkenntnis gemeint, der nach platonischem Verständnis dem Bereich des reinen göttlichen Geistes, der noe¨tischen Sphäre, vorbehalten ist. Dieses „Sprechen“ findet „jenseits“ menschlicher Sprache statt und ist metaphorisch gemeint, als Vorgang, der sich rein im Erkennen abspielt, ja „jenseits“ des Erkennens liegt, soweit dieses sprachlich verfasst ist, also ein „Akt reinen Erkennens“ vor einer Versprachlichung dieses Erkenntnisaktes in menschensprachliche, zeitlich aufeinander folgende Zeichen und Laute. Diese Vorstellung ist insbesondere für die philosophische Erkenntnis- und Gotteslehre der späteren Antike von Belang.813 Durch die Wiedergabe von cognitio (bzw. der zugrundeliegenden griechischen Vokabel) im Text des Theophilus mit den Adverbien rationabiliter atque prudenter – wie immer diese Abweichung zwischen beiden Texten zustandegekommen sein mag – bezieht sich sola nicht mehr auf cognitio, sondern auf Seraphim, und verschiebt sich der Sinn des Satzes zu der Aussage, „allein“ die Seraphim würden „mit Vernunft und Umsicht“ sagen: „Heilig, heilig, heilig!“ Das hatte Origenes gar nicht gemeint, Theophilus aber kritisierte eben dies im Folgenden heftig. Damit liefert er ein typisches Beispiel für den oft ignoranten Umgang mit den Texten des Origenes in späteren Jahrhunderten, der nicht wenig zu seiner Verketzerung beigetragen hat. Verglichen damit ist der vierte Kritikpunkt an der Aussage des Origenes, nichts sei heiliger als die Seraphim,814 unspektakulär: „Darüber hinaus schwingt sich Origenes in seiner Untersuchung über die himmlischen Wesen zum Richter über die Heiligkeit eines jeden Geistwesens auf und erklärt hinsichtlich der Seraphim mit verwegenen Worten: ,Wir wissen nämlich, dass nichts von dem, was existiert, heiliger ist als sie.‘ Soweit seine Worte. Wir aber wissen, dass die Seraphim, die Throne, die Fürsten, die Mächte, die Kräfte und die Herrschaften, die, wie der Apostel Paulus sagt, Gott
811 Ebd. (p. 113 f.). 812 Origenes, in Is. hom. 1,2 (GCS Orig. 8, 244). 813 Vgl. etwa Alkinoos, didask. 4,2 (p. 5 Whittaker/Louis): „Die Vernunft aber ist zweifach: Die eine ist völlig unfassbar und präzise, die andere in Bezug auf die Erkenntnis der Dinge unfehlbar. Von diesen ist die erste dem Gott möglich, dem Menschen jedoch unmöglich, die zweite aber auch dem Menschen möglich“; Übersetzung: p. 7 Summerell/Zimmer; Augustinus, trin. XIII 1 (CChr.SL 50, 381). Siehe auch oben S. 140 f. 814 Theophilus, tract. c. Orig. 4 (p. 116–119 Morin).
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dienen, und auch alle Engel und Erzengel, die ihren Stand bewahrt haben, heilig sind. Dabei überlassen wir es der Einsicht Gottes, wer wen an Heiligkeit übertrifft. Wir wissen ja nicht, welche Erzengel heiliger als andere Erzengel sind oder welche Engel besser als andere Engel zu sein scheinen.“815 Zur Widerlegung dieser Ansicht des Origenes bediente Theophilus sich einer Reihe von Bibelstellen, an denen von der Heiligkeit himmlischer Wesen die Rede ist. Sehr viel brisanter hingegen ist wiederum der fünfte und letzte Einwand, den Theophilus sich für das Finale seiner Streitschrift aufgespart hat.816 Er betrifft die trinitarische Deutung der Seraphim als Sohn Gottes und Heiligen Geist, also die Exegese, die Ende des 4. Jahrhunderts stärksten Anstoß erregt hat: „Und hätte seine Verwegenheit an diesem Punkt (dem vierten Kritikpunkt des Theophilus) ein Ende gehabt, könnten wir seinen Irrsinn noch irgendwie ertragen. Doch nun stößt er (sc. Origenes) noch größere Lästerungen aus und schreckt in seiner Blasphemie nicht einmal vor Gott selbst zurück. Den Sohn und den Heiligen Geist bezeichnet er nämlich gleich einem, der Götzen herstellt und neue Götterbilder verfertigt, als zwei Seraphim. Dann speit er das folgende Sakrileg aus: ,Vom ursprünglichen Heiligen erhalten die Seraphim Anteil an der Heiligkeit, und der eine ruft dem anderen zu: Heilig, heilig, heilig (Jes. 6,3).‘817 Und weiter sagt er: ,Wer sind diese Seraphim? Mein Herr und der Heilige Geist.‘ Dass die Seraphim von Gott, der das Haupt der Heiligkeit aller ist, ihre Heiligkeit empfangen haben und einander zurufen: ,Heilig, heilig, heilig‘, können wir nicht leugnen. Seine Einschätzung von Sohn und Heiligem Geist aber weisen wir scharf zurück. Denn was immer durch Teilhabe an einem anderen Wesen Heiligkeit besitzt, wird nur auf uneigentliche Weise heilig genannt, ohne dass ihm die gleiche Heiligkeit zukommt wie der Instanz, von der es die Heiligkeit empfängt. Dagegen sind der Sohn und der Heilige Geist nicht auf uneigentliche Weise, durch Teilhabe an einem anderen, sondern kraft ihrer Natur [heilig].“818 Schon am polemischen Tonfall wird deutlich, dass diese Exegese von Jes. 6,2 f. in den Augen des Theophilus den schlimmsten Fehler des Origenes darstellt. Während in den ersten drei Kapiteln Origenes zwar deutlich kritisiert, aber nur gelegentlich mit polemischen Vokabeln bedacht wird, steigert sich die Frequenz polemischer Vorwürfe beim vierten Kritikpunkt, und zu Beginn und im weiteren Verlauf des fünften Kritikpunktes wird Origenes mit Beschimpfungen regelrecht überzogen.819 Auffällig ist 815 Ebd. (p. 116 f.). 816 Ebd. 5 (p. 119–122). 817 Zu diesem Satz des Origenes, den Hieronymus bei seiner Übersetzung der Jesajahomilien wohl unterdrückt, hier aber – was erstaunen mag – mitübersetzt hat, siehe oben S. 173 f. 818 Theophilus, tract. c. Orig. 5 (p. 119 f. Morin).
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dabei, dass Origenes im ganzen Traktat an keiner Stelle direkt als Häretiker disqualifiziert wird. Rhetorisch geschickt steigert Theophilus zu Beginn des zitierten Abschnitts die Spannung und treibt seine Kritik dem Höhepunkt zu. In der Sache betrifft sein Einwand die Inferiorität der Seraphim und damit in der Deutung des Origenes die Inferiorität des Sohnes und des Geistes gegenüber Gott: „Dem Sohn nun und dem Heiligen Geist kommt Heiligkeit nicht aufgrund der Teilhabe an einem anderen zu, damit sie nicht wie Geschöpfe aussehen und aus anderer Quelle erhalten, was sie nicht besaßen, und so unter dem stehen, dessen Heiligkeit sie besitzen.“820 Sohn und Heiliger Geist dürfen nicht auf die Ebene der Geschöpfe geraten – was Arius, Eunomius und deren Anhängern immer wieder vorgeworfen wurde. Mit dieser Bemerkung ordnet sich der Traktat in die trinitätstheologischen Debatten des 4. Jahrhunderts ein. Die von Theophilus bekämpfte Position wird konventionell unter das Stichwort Subordinatianismus gefasst. Ob das Gottesdenken des Origenes damit zutreffend charakterisiert ist, ist fraglich, doch zur Zeit der Abfassung des Traktats geriet es in den Verdacht, häretisch im Sinne des Subordinatianismus zu sein.821 Daraus erklärt sich, weshalb im Traktat gerade dieser Punkt in der origeneischen Auslegung von Jes. 6,2 f. die heftigste Kritik auf sich gezogen hat. Der von Theophilus verfasste und von Hieronymus übersetzte Traktat gegen Origenes über die Vision Jesajas ist Ausdruck dieser zunehmenden antiorigeneischen Stimmung; als solcher ist er in der Sache nicht besonders originell, im Ton aber sehr energisch.
819 Siehe die Sammlung der einzelnen Stellen bei Fürst, Hieronymus gegen Origenes 221 Anm. 143–145. 820 Theophilus, tract. c. Orig. 5 (p. 120 Morin). 821 Dieselbe Kritik äußerte Theophilus in einem Synodalschreiben an die Bischöfe von Palästina und Zypern im Jahre 400, lateinisch erhalten bei Hieronymus, epist. 92,2 (CSEL 55, 148 f.). Diese Überlieferung wird bestätigt von zwei der vierzehn griechischen Fragmente aus sechs Theophilusbriefen, die in einem Athos-Codex aus dem 12. Jahrhundert (Vatopedi 236, fol. 113r–127r) gefunden worden sind: frg. 4 und 5 aus einem Brief, den Theophilus im Jahre 403 in Konstantinopel geschrieben hat (Richard, Nouveaux fragments 62. 63), letzteres mit Kritik an der origeneischen Deutung der Seraphim. Vgl. dazu Clark, Origenist controversy 118 f.
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V. Überlieferung, Ausgaben und Übersetzungen Die Jesajahomilien des Origenes in der lateinischen Übersetzung des Hieronymus sind in den Handschriften nur zusammen mit den ebenfalls von Hieronymus übersetzten Jeremia- und Ezechielhomilien überliefert. Die bekannten etwa 70 Handschriften822 lassen sich nach den Forschungen von Wilhelm Adolf Baehrens, der 51 davon ausgewertet hat,823 in zwei Familien einteilen, die sich schon äußerlich dadurch unterscheiden, dass die 44 Manuskripte der größeren Gruppe nur die zwei ersten Ezechielhomilien enthalten (in manchen Manuskripten dieser Familie sind die weiteren zwölf Ezechielhomilien aus der anderen Familie ergänzt). Nur fünf Manuskripte bilden die zweite Gruppe, zwei Handschriften eignet ein Mischcharakter.824 Die beiden Familien gehen auf einen gemeinsamen vorkarolingischen Archetyp zurück, der anders als die Origeneshomilien zum Heptateuch und zum Hohenlied wohl nicht aus Süditalien stammt, da die Jesaja- wie die Ezechielhomilien weder in Cassiodors Bibliothek im Vivarium – Cassiodor besaß lediglich die Jeremiahomilien825 – noch in Monte Cassino vorhanden waren. Der Archetyp mit den Prophetenhomilien könnte in der ersten Hälfte des 6. Jahrhunderts oder sogar noch früher entstanden sein, vielleicht in Rom.826 Da Hieronymus diese Homilien in den Jahren 380/81 in Konstantinopel übersetzt und von dort gewiss nach Rom mitgenommen hat, als er sich 382 dorthin begab, wäre eine solche Zusammenstellung dort recht verständlich, zumal Rufinus die Existenz der Jesajahomilien in Rom im Jahre 401 bezeugt.827 Erst in karolingischer Zeit freilich tauchen die ersten Abschriften des Archetyps in Nordfrankreich (in Laon und Umgebung) auf. Die ältesten drei Handschriften aus dem 9. Jahrhundert befinden sich in 822 Lambert, Bibliotheca 2, 93–98 Nr. 209. 823 Die hier notierten Informationen nach Baehrens, Origeneshomilien 207–231, zusammengefasst und leicht ergänzt bei dems., GCS Orig. 8, XXVIII-XXXV. Siehe auch die ebenfalls darauf beruhende Zusammenfassung von Gryson/Szmatula, Les commentaires patristiques 24. 824 Eine weitere Handschrift, die den Text der Jesajahomilien enthält, ist bei Baehrens, ebd. LII Anm. 1, notiert. 825 Cassiodor, inst. I 3,3 (FC 39/1, 134). 826 Baehrens, Origeneshomilien 196. 827 Die Annahme von Baehrens, ebd. 230 f., erst der Schreiber des Archetyps habe die Jesajahomilien mit den Jeremia- und Ezechielhomilien vereint, beruht auf der falschen Annahme, die Jesajahomilien seien erst viel später als diese (etwa 392) übersetzt worden. Siehe dazu oben S. 176 f.
V. Überlieferung, Ausgaben und Übersetzungen
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Laon (Codex Laudunensis 299), Salzburg (Codex Salzburgensis monasterii s. Petri 16) und Kassel (Codex Kasselensis Theol. fol. 49); die letzteren beiden sind wahrscheinlich Abschriften der erstgenannten. Obwohl der lateinische Text der Jesajahomilien (und aller Prophetenhomilien) des Origenes damit in einer ziemlich großen Zahl von Handschriften überliefert ist, befindet er sich doch in einem viel schlechteren Zustand als der Text der übrigen Predigten, weil bereits die Vorlage der beiden Handschriftenfamilien sehr korrupt war. Auch die jüngeren Handschriften bieten zuweilen einen guten Text, weshalb sie für die Textgestaltung berücksichtigt werden müssen, und öfter als sonst in den Homilien und Kommentaren des Origenes muss zu Konjekturen gegriffen werden, um „dem traurigen Stand der Überlieferung in den Jesaja- und Ezechielhomilien“ abzuhelfen.828 Griechische Fragmente zu den Jesajahomilien sind nicht bekannt;829 die im Anhang der vorliegenden Ausgabe abgedruckten und übersetzten Fragmente und Zeugnisse gehören zum Jesajakommentar. An indirekter lateinischer Überlieferung stehen lediglich die wenigen Stellen zur Verfügung, die im Traktat gegen Origenes über die Vision Jesajas zitiert sind,830 doch hat Hieronymus diese aus dem griechischen Text des Theophilus in das Lateinische übersetzt und entspricht ihr Wortlaut nicht ganz exakt – was für die Textkritik wichtig wäre – dem entsprechenden Passus in der ersten Jesajahomilie. Immerhin steht mit den von Rufinus mitgeteilten, von Hieronymus unterdrückten Wörtern in dieser Homilie ein weiterer Satz von Origenes zur Verfügung.831 Die editio princeps der Jesajahomilien (und der Prophetenhomilien des Origenes überhaupt) erschien 1512 in der Origenesausgabe von Jacques Merlin in Lyon (in Band I/2), sodann in den Ausgaben von Desiderius Erasmus (Band I, Basel 1536) und Gilbert Genebrardus (Paris 1574) sowie in der Edition der Werke des Hieronymus durch Domenico Vallarsi (Band VI, Verona 1734; Venedig 21766). Einen Fortschritt in der Textrekonstruktion brachte die Origenesedition von Charles und Charles Vincent Delarue (Paris 1733–1759; hier in Band 3, 1740), die in die Ausgaben von Karl Heinrich 828 Baehrens, ebd. 224, der ebd. 224 f. (wiederholt in Orig. 8, XXXIV) die im Jesajatext von ihm vorgenommenen Konjekturen auflistet. Bei den lateinischen Jeremiahomilien ist die Situation dadurch besser, dass die Sekundärüberlieferung bei Hrabanus Maurus, der in seinem Jeremiakommentar den lateinischen Text des Origenes weithin ausgeschrieben hat, einen dem Griechischen näherstehenden Text bietet: ebd. 207. 829 Das hat schon Baehrens, ebd. 236; ders., GCS Orig. 8, XL, konstatiert, und das gilt nach wie vor. 830 Sie sind zur Übersetzung dieses Traktats unten S. 330–365 jeweils an Ort und Stelle notiert. 831 Baehrens, Origeneshomilien 226; ders., GCS Orig. 8, XXXV. Siehe dazu oben S. 173 f.
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Einleitung
Eduard Lommatzsch (Band 15, Berlin 1843) und Jacques-Paul Migne (PG 13, Paris 1857, Nachdruck Turnhout 1963, 215–254) eingegangen ist.832 Die erste, nach modernen Maßstäben kritische Ausgabe ist die von Baehrens im Rahmen der Ausgabe der Werke des Origenes in den „Griechischen Christlichen Schriftstellern der ersten drei Jahrhunderte“ (Band 33 in der Reihenfolge des Erscheinens, Band 8 der Werke des Origenes, Leipzig 1925, 242–289); dessen Text ist in der vorliegenden Ausgabe abgedruckt. Übersetzungen in moderne Sprachen liegen kaum vor. Es gibt lediglich eine in das Französische im Rahmen eines populärwissenschaftlichen, von Adalbert Hamman eingeleiteten Büchleins über die Auslegung des Buches Jesaja bei den Kirchenvätern von Jacques Millet (o.O. 1983), die ferner Stücke von Augustinus, Bernhard von Clairvaux, Rupert von Deutz und aus einer südgallischen Predigtsammlung des 7. Jahrhunderts enthält (übersetzt von Jacqueline Lege´e und den Karmeliterinnen des Klosters Mazille in Burgund), sowie eine auf wissenschaftlichem Niveau in das Italienische von Maria Ignazia Danieli in der Reihe „Collana di Testi Patristici“ (Rom 1996). Bezeichnend für die Randständigkeit der Jesajahomilien in der internationalen Origenesforschung ist die Tatsache, dass sie in der sonst nahezu vollständigen Origenesedition in den „Sources Chre´tiennes“ nach wie vor fehlen und dass es keine Übersetzung in das Englische gibt. Die vorliegende Ausgabe bietet die erste deutsche Übersetzung dieser Homilien und bemüht sich zugleich um eine erste wissenschaftliche Erschließung dieses wenig beachteten Textes. Aus diesem Grunde sind die Einleitung und die Anmerkungen zur Übersetzung deutlich umfangreicher ausgefallen, als es in dieser zweisprachigen Ausgabe ansonsten vorgesehen ist. Ferner wurden in einem Anhang Fragmente und Zeugnisse der Jesajakommentierung des Origenes beigegeben. Die Übersetzung ist an der Zielsprache orientiert, versucht also den lateinischen Text inhaltlich präzise und so eng an ihm wie möglich in ein gut lesbares Deutsch zu bringen. Bibelzitate werden nach dem Wortlaut und Sinn wiedergegeben, den sie im Text des Origenes bzw. Hieronymus haben. Markante Abweichungen vom hebräischen oder griechischen Text in modernen Bibelausgaben werden in den Fußnoten eigens erläutert. Die Übersetzung der Jesajahomilien und die Fußnoten dazu haben die beiden Autoren gemeinsam erstellt und im Oberseminar am Lehrstuhl für Alte Kirchengeschichte der Katholisch-Theologischen Fakultät der Universität Münster diskutiert. Den Teilnehmern an diesen Origenes-Symposien, namentlich Frau Dr. Christine Mühlenkamp und Luise Ahmed sowie den
832 Diese Informationen nach Baehrens, GCS Orig. 8, L. Ausführliche bibliographische Angaben zu den genannten Editionen sind zu finden bei V. Peri, Tradizione manoscritta 209 mit Anm. 1–8.
V. Überlieferung, Ausgaben und Übersetzungen
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Herren Rade Kisic´ und Fabian Tilling, sei für ihr Engagement und die erfrischenden Debatten an dieser Stelle herzlich gedankt. Auch der Anhang ist ein Gemeinschaftsprodukt: Die Übersetzung der Texte und die Anmerkungen dazu stammen von Alfons Fürst und Christian Hengstermann. In der Einleitung hat Christian Hengstermann das Kapitel III über die Theologie der Jesajahomilien geschrieben; die übrigen Teile der Einleitung stammen von Alfons Fürst. Übersetzungen in der Einleitung und in den Fußnoten, insbesondere solche von Origenestexten, wurden, sofern nichts anderes vermerkt ist, vom Verfasser des jeweiligen Kapitels angefertigt.
Die Homilien des Origenes zum Buch Jesaja in der Übersetzung des Hieronymus
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HOMILIA I. Visio prima. „Et factum est in anno, quo mortuus est Ozias rex, vidi Dominum sedentem super solium excelsum.“a
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1. Quamdiu Ozias rex vixit, videre non potuit visionem Isaias propheta. Erat enim Ozias peccator et faciens malignum ante conspectum Domini et agens adversus voluntatem divinae legis.b Ingressus est templum et sancta sanctorum et ob hoc lepra perfusus in fronte est, ita ut foras civitatem vadens inter immundos computaretur.c Talem ergo principem animae oportet mori, ut visionem Dei videre possimus; neque enim frustra scriptum est: „Et factum est in anno, quo mortuus est Ozias rex, vidi Dominum.“d Unicuique nostrum vivit Ozias sive Pharao et non suspiramus Aegyptia opera facientes. Si autem moritur, tunc suspiramus, ut in Exodo scriptum est.e Si Ozias vivit, non videmus gloriam Dei;f si autem moritur, tunc videmus, statim ut moritur Ozias, gloriam Dei, tantum hoc sit, ut regnet in nobis sermo, qui dixit: „Ego autem constitutus sum rex ab eo“,g et non regnet ira. Est quidem et peccati rex; Apostolus ita sciens ait: „Non ergo regnet peccatum in mortali vestro corpore.“h Miserabilis ille homo, cui peccatum regnat, qui tali se tradit regi despiciens regnum Dei et subiciens se voluptati. Propterea voluptatis a g
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Jes. 6,1 Ps. 2,6
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2 Kön. 13,2 Röm. 6,12
c
2 Chr. 26,16–21
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Jes. 6,1
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Ex. 2,23
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Ex. 16,7
Eine Übersetzung dieser Homilie in das Ungarische gibt Dömötör, Origen. Hinsichtlich der Abfolge der Visionen im Buch Jesaja ist die Nummerierung der Vision in Jes. 6 als „erste“ falsch. In manchen Septuaginta-Handschriften ist das Buch Jesaja in „Visionen“ (oëraÂseiw) eingeteilt, und mit Jes. 6 beginnt die dritte Vision, nicht die erste (vgl. die Liste p. 49 Ziegler, der p. 50 vermutet, die Zählung stamme aus dem Kommentar des Origenes). Gryson/Szmatula, Les commentaires patristiques 26, erklären den Fehler so, dass die Homilie ursprünglich wohl mit visio III überschrieben war, als sie jedoch an die Spitze der Sammlung rückte, von der alle Handschriften abstammen, habe ein Abschreiber die Zahl III in I geändert. Diese Aussage kritisierte Theophilus, tract. c. Orig. 1 (p. 103 Morin). Ähnlich äußerte sich Origenes, in Iud. hom. 1,1 (GCS Orig. 7, 465), doch verwechselte er dort Usija (Asarja) mit dessen Enkel, König Ahas, unter dem Jesaja öffentlich auftrat: „In den Tagen des ungerechten und sehr schlechten Königs Ahas war der Prophet Jesaja zu einer Vision außerstande; da war er nicht in der Lage, ,den Herrn der Heere auf einem erhabenen und hohen Thron sitzen zu sehen‘ (Jes.
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HOMILIE 11 Erste Vision.2 „Und es geschah in dem Jahr, in dem König Usija starb, da sah ich den Herrn auf einem erhabenen Thron sitzen.“a 5
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1. Solange König Usija am Leben war, war der Prophet Jesaja zu einer Vision außerstande.3 Usija war nämlich ein Sünder, der Böses tat vor den Augen des Herrn und dem Willen des göttlichen Gesetzes zuwiderhandelte.b Er drang in den Tempel und in das Allerheiligste ein und wurde deshalb von Aussatz auf der Stirn befallen, so dass er die Gemeinschaft verließ und zu den Unreinen gezählt wurde.c Ein solcher Herrscher der Seele muss also sterben, damit wir zu einer Vision Gottes imstande sind;4 denn nicht ohne Grund steht geschrieben: „Und es geschah in dem Jahr, in dem König Usija starb, da sah ich den Herrn.“d Für jeden von uns lebt ein Usija oder ein Pharao, und wir stöhnen nicht auf, während wir ägyptische Sklavenarbeit verrichten. Wenn er aber stirbt, dann stöhnen wir auf, wie es im Buch Exodus heißt.e 5 Solange Usija am Leben ist, sehen wir Gottes Herrlichkeitf nicht; wenn er aber stirbt, dann sehen wir, sowie er stirbt, die Herrlichkeit Gottes – vorausgesetzt nur, in uns herrscht das Wort, das gesagt hat: „Ich aber bin von ihm als König eingesetzt worden“,g und nicht der Zorn. Er (sc. Usija) ist aber auch ein König der Sünde; der Apostel, der darum weiß, drückt es so aus: „Daher soll nicht die Sünde in eurem sterblichen Leib herrschen.“h Elend ist der Mensch, über den die Sünde herrscht, der sich einem solchen König ausliefert, das Reich Gottes verachtet und sich dem Vergnügen unterwirft. Deswegen ist ein Liebhaber des Vergnügens kein
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6,1.3). Doch nach dem Tod des üblen Königs, dessen Tage böse waren (Eph. 5,16), war der Prophet zu einer Vision Gottes imstande.“ Die folgenden Gedanken des Origenes beruhen auf der Erklärung, die Philon dieser Bibelstelle in seiner Schrift „Über die Nachstellungen, die der Schlechtere dem Besseren zu bereiten pflegt“, gegeben hat: det. pot. ins. 93–95 (I p. 279 f. Cohn/Wendland); Origenes kannte diese Schrift und zitierte sie unter Anführung ihres Titels: in Matth. comm. XV 3 (GCS Orig. 10, 354 f.). Vgl. auch Philon, leg. all. III 211 f. (I p. 160), bes. ebd. 212: „Denn solange der König von Ägypten, die wollüstige Sinnesart, in uns lebt, bestimmt er die Seele, sich ihrer Sünden zu freuen; sobald er aber gestorben ist, stöhnt sie“; Übersetzung: Heinemann, Philo, Werke III, 153. Hinter dieser Exegese steht die etymologische Deutung des Namens „Pharao“ (pr h von pr , „frei laufen lassen“, „zerstreuen“) als „Sinnbild der Zerstreuung“ und „gottlosen, die Leidenschaften anführenden Wahn“ bei Philon, leg. all. III 12 f. (I p. 115); vgl. sacr. Abel. et Cain. 48. 69 (I p. 221. 230); somn. II 211 (III p. 292).
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Homilia I
amator non est amator Dei, et secundum Apostolum de quibusdam dicitur: „Amantes voluptatem magis quam Deum.“a Et quidem id ipsum non de his dictum est, qui omnino sunt infideles, sed de his, qui intrinsecus commorantur „voluptatem magis amantes quam Deum, qui habent figurationem pietatis, virtutem autem eius negantes“.b Haec propter mortem regis Oziae, post cuius interitum vidisse se ait visionem prophetes.c Quae est autem visio? „Vidi Dominum sedentem super thronum excelsum et elevatum.“d Non omnis, qui videt Dominum, videt eum sedentem super thronum excelsum et elevatum. Scio alium prophetam vidisse Dominum et vidisse eum sedentem super thronum, sed non excelsum neque elevatum. Disserens Scripturam Daniel dicit: „Throni positi sunt“,e et non erat excelsus ille thronus. Et: „Veniam, ut sedeam ad iudicandum populum in valle Iosaphat.“f Ergo hic in valle sedit et in valle, cum iudicaturus est, cum condemnaturus. Aliud autem est videre eum sedentem super thronum excelsum et elevatum. Et in Michea egreditur, et descendit Deus.g Et ut videat Sodomam, descendit: „Descendens“ ait „videbo, si secundum clamorem eorum venientem ad me consummaverunt.“h Igitur Deus aliquando sursum, aliquando deorsum iuxta dignitatem videtur negotiorum. „Vidi“ ergo „Dominum“ Isaias ait „sedentem super thronum excelsum et elevatum.“i Si video Deum eis, qui hic sunt, regnantem, non eum video super thronum excelsum et elevatum; si video eum regnantem caelestibus virtutibus, video eum super thronum excelsum et elevatum. Quid est, quod dixi caelestibus virtutibus? Throni, dominationes, principatus, potestatesj virtutes caelestes sunt. Et si video eum, quomodo iis regnet in verbo, vidi Dominum sedentem super thronum excelsum et elevatum. „Et plena domus gloria eius.“k Sursum quo elevatus est thronus eius plenaque est domus gloria eius. Non arbitror, quia plena est domus gloriae haec, quae in terra est. „Domini est terra et plenitudo eius.“l Plenitudinem autem gloriae Dei non invenies in praesenti; sed si quis aedificaverit tema g
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2 Tim. 3,4 Micha 1,3
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b c d e f 2 Tim. 3,4 f. Jes. 6,1 Jes. 6,1 Dan. 7,9 Joel 4,12 i j k l Gen. 18,21 Jes. 6,1 Kol. 1,16 Jes. 6,1 Ps. 23(24),1
Siehe auch unten in Is. hom. 4,3 (GCS Orig. 8, 260); 5,3 (8, 265–267). In der Heilstopographie des Origenes bedeutet „im Tal“, also unten, so viel wie sündig, unerlöst; vgl. etwa in Gen. hom. 8,7 (GCS Orig. 6, 82); in Num. hom. 12,2 (GCS Orig. 7, 98): in valle peccati – „im Tal der Sünde“; in Rom. comm. IX 41 (p. 773 Hammond Bammel).
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Homilie 1,1
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Liebhaber Gottes, und in den Worten des Apostels heißt es über manche: „Sie lieben das Vergnügen mehr als Gott.“a Das sagt er übrigens nicht über völlig Ungläubige, sondern über solche, die zwar zur Kirche gehören, aber „das Vergnügen mehr als Gott lieben, die zwar den Schein der Frömmigkeit wahren, ihre Kraft aber verleugnen“.b Soviel zum Tod des Königs Usija, nach dessen Ende der Prophet, wie er sagt, eine Vision hatte.c 6 Doch was für eine Vision? „Ich sah den Herrn auf einem erhabenen und hohen Thron sitzen.“d Nicht jeder, der den Herrn sieht, sieht ihn auf einem erhabenen und hohen Thron sitzen. Meines Wissens hat ein anderer Prophet den Herrn gesehen und ihn auf einem Thron sitzen sehen, aber nicht auf einem erhabenen noch auf einem hohen. Bei der Auslegung der Schrift sagt Daniel: „Throne wurden aufgestellt“,e doch war diese Art von Thron nicht erhaben. Oder: „Ich will kommen und mich niedersetzen, um Gericht zu halten über das Volk im Tal Joschafat.“f Also sitzt er hier in einem Tal, und zwar deswegen in einem Tal, weil er im Begriff ist, Gericht zu halten und Verurteilungen auszusprechen.7 Etwas anderes aber ist es, ihn auf einem erhabenen und hohen Thron sitzen zu sehen. Und im Buch Micha geht Gott heraus und steigt herab.g Und um Sodom zu sehen, steigt er herab: „Ich will hinabsteigen“, sagt er, „und sehen, ob ihr Tun dem Klagegeschrei entspricht, das zu mir dringt.“h Man sieht also, wie Gott sich je nach Rang und Wertigkeit dessen, womit er sich beschäftigt, einmal nach oben, einmal nach unten bewegt.8 „Ich sah“ also „den Herrn“, sagt Jesaja, „auf einem erhabenen und hohen Thron sitzen.“i Wenn ich Gott über die herrschen sehe, die hier leben, sehe ich ihn nicht auf einem erhabenen und hohen Thron; wenn ich ihn über die himmlischen Kräfte herrschen sehe, sehe ich ihn auf einem erhabenen und hohen Thron. Was ist unter den himmlischen Kräften zu verstehen? Throne, Herrschaften, Mächte und Gewaltenj sind die himmlischen Kräfte. Und wenn ich ihn sehe, wie er durch das Wort über sie herrscht, dann habe ich den Herrn auf einem erhabenen und hohen Thron sitzen sehen. „Und das Haus war erfüllt von seiner Herrlichkeit.“k Oben, wohin er erhoben ist, befindet sich sein Thron und ist das Haus erfüllt von seiner Herrlichkeit. Ich glaube nicht, dass es sich bei dem Haus, das von seiner Herrlichkeit erfüllt ist, um das handelt, das sich auf Erden befindet. „Dem Herrn gehören die Erde und ihre Fülle.“l Die Fülle der Herrlichkeit Gottes aber wirst du in der Gegenwart nicht finden; wenn jemand jedoch Gott 8
Ein anderer Aspekt dominiert in einem ähnlichen Gedanken des Origenes, in Gen. hom. 4,5 (GCS Orig. 6, 55): „Aber auch wenn er herabsteigt, bewegt er sich für die einen nach unten, für andere hingegen steigt er hinauf und bewegt sich nach oben ... Für diejenigen also, denen er die Geheimnisse des himmlischen Königreiches lehrt, bewegt er sich nach oben, für die Massen jedoch und für die Pharisäer, denen er ihre Sünden vorhält, bewegt er sich nach unten.“
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Homilia I
plum Deo, videbitur gloria Dei, et si servat hoc, quod dictum est, plena domus videbitur gloriae Dei. Nescio autem, an sic domus gloria compleatur. Et in Levitico, quantum ad praesens pertinet necdum, Deo autem largiente legetur in collecta, quae sequitur, quia praecepit Dominus quaedam fieri, ut videatur gloria Domini. Nec umquam apparebit gloria Dei, si non haec fiant. Cognoscemus autem illa, cum lecta fuerint. 2. „Et Seraphim stabant in circuitu eius, sex alae uni, et sex alae alteri.“a Duo video Seraphim, unumquodque eorum in semet ipso habens sex alas. Deinde dispositio alarum. „Et duabus quidem alis velabant faciem“ – non propriam, sed Dei – „duabus autem alis velabant pedes“ – non proprios, sed Dei – „duabus autem alis volabant.“b Iuxta quod scriptum est, contrarium sibi videtur: Si stabant, volare non poterant. Scriptum vero est: „Stabant in circuitu eius, sex alae uni et sex alae alteri; et duabus quidem velabant faciem et duabus velabant pedes, et duabus volabant; et clamabant alter ad alterum.“c Verum haec Seraphim, quae circa Deum sunt, quae sola cognitione dicunt: „Sanctus, sanctus, sanctus!“,d propter hoc servant mysterium trinitatis, quia et ipsa sunt sancta; his enim in omnibus, quae sunt, sanctius nihil est. Et non leviter dicunt alter ad alterum: „Sanctus, sanctus, sanctus!“, sed salutarem omnibus confessionem clamore pronuntiant. Quae sunt ista duo a
Jes. 6,2
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Jes. 6,2
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Jes. 6,2 f.
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Collecta ist einer der untechnischen Begriffe des Origenes für die „Versammlung“ zum Gottesdienst. Andere Begriffe dafür in den lateinischen Übersetzungen sind coetus und congregatio: in Hiez. hom. 1,11 (GCS Orig. 8, 335); in Luc. hom. 7,7 (GCS Orig. 92, 46). Im Griechischen gebrauchte Origenes syÂnajiw: in Regn. hom. graec. 1 (GCS Orig. 32, 283); syneÂleysiw: orat. 31,5 (GCS Orig. 2, 398); aÍuroisma: in Matth. comm. XI 18 (GCS Orig. 10, 65); XVI 22 (10, 551); synagvghÂ: ebd. XVI 21 (10, 548); in Hier. hom. 18,5 (GCS Orig. 32, 157). Vgl. dazu Schütz, Gottesdienst 17 f. Zur Bedeutung der vorliegenden Stelle für die Datierung der Jesajahomilien siehe oben S. 22. Die Übersetzung von Danieli, CTePa 132, 63, behilft sich an dieser schwierigen Stelle mit einer theologisch aufgeladenen Wiedergabe: „Anche nel Levitico, per quel che riguarda il presente, (la gloria) non (appare) ancora, ma che Dio la elargira`, verra` letto nella prossima riunione, cioe` che Dio ha dato alcune disposizioni, perche´ si veda la gloria del Signore.“ Dieses Verständnis entbehrt jedoch einer Stütze im Kontext. Unsere Übersetzung folgt dem Textverständnis der beiden Delarue, die aber einen anderen Text geben als Baehrens: Et in Levitico quantum ad praesens pertinet negotium, Deo largiente, legitur in collecta quae sequitur, quia etc. (PG 13, 221). Zur Zahl der Seraphim siehe oben S. 93 f. Diese Auslegung kritisierte Theophilus, tract. c. Orig. 2 (p. 107 Morin). Zur Wendung sola cognitione dicere siehe oben S. 140 f. 184 f. Die Bezeichnung Jesu als „mein Herr“ (oder „mein Jesus“, so aber seltener), die vor
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Homilie 1,1–2
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einen Tempel erbaut, wird er die Herrlichkeit Gottes sehen, und wenn er befolgt, was gesagt worden ist, wird er das Haus von der Herrlichkeit Gottes erfüllt sehen. Ich bin mir aber nicht sicher, ob das Haus tatsächlich auf diese Weise mit Herrlichkeit erfüllt wird. Im Buch Levitikus werden wir – jetzt noch nicht, so Gott will aber in der nächsten Zusammenkunft9 – lesen,10 dass der Herr die Anweisung gab, dass etwas getan werden muss, damit die Herrlichkeit des Herrn gesehen wird. Niemals wird die Herrlichkeit Gottes erscheinen, wenn nichts getan wird. Wir werden das verstehen, wenn es vorgelesen worden ist. 2. „Und Seraphim standen um ihn herum, mit sechs Flügeln der eine und mit sechs Flügeln der andere.“a Zwei11 Seraphim sehe ich, jeder von ihnen hat sechs Flügel. Dann die Anordnung der Flügel: „Und mit zwei Flügeln bedeckten sie das Angesicht“ – nicht das eigene, sondern das Angesicht Gottes –, „mit zwei Flügeln bedeckten sie die Füße“ – nicht die eigenen, sondern die Füße Gottes –, „mit zwei Flügeln flogen sie.“b 12 Was hier geschrieben steht, scheint sich zu widersprechen: Wenn sie standen, konnten sie nicht fliegen. Es steht jedoch geschrieben: „Sie standen um ihn herum, mit sechs Flügeln der eine und mit sechs Flügeln der andere. Mit zweien bedeckten sie das Angesicht, mit zweien bedeckten sie die Füße, und mit zweien flogen sie; und sie riefen einander zu.“c Diese Seraphim aber, die Gott umgeben und im Akt reinen Erkennens13 sagen: „Heilig, heilig, heilig!“,d bewahren deswegen das Geheimnis der Trinität, weil auch sie selbst heilig sind; in allem, was ist, gibt es nämlich nichts Heiligeres. Und sie sagen nicht einfach zueinander: „Heilig, heilig, heilig!“, sondern verkünden mit lautem Rufen ein Bekenntnis, das allen zum Heil dient. Wer sind diese beiden Seraphim? Mein Herr Jesus14 und der Heilige Geist.15 Und glaube Origenes nicht belegt ist, ist charakteristisch für die jesuanische Spiritualität des Origenes; vgl. zum Beispiel in Luc. hom. 12,1 (GCS Orig. 92, 72); 18,1 (92, 111); 22,4 (92, 134). In den Jesajahomilien begegnet sie häufig: in Is. hom. 1,2.4.5 (GCS Orig. 8, 244. 245. 246. 247); 2,1.2 (8, 248. 249. 252); 3,1.2 (8, 253. 255); 4,4 (8, 262); 6,3 (8, 271). Für Origenes war „Jesus“ mit Phil. 2,9 „der Name, der über alle Namen ist“: in Ex. hom. 11,3 (GCS Orig. 6, 255); in Ios. hom. 1,1 (GCS Orig. 7, 287 f.); in Luc. hom. 14,2 (GCS Orig. 92, 84). Siehe dazu Hausherr, Noms du Christ 43–52; Tzamalikos, Origen 435–438. – Möglicherweise lässt diese Redeweise sich auch in philosophische Kontexte der römischen Kaiserzeit einordnen, denn Origenes sprach von meus Iesus so wie Apuleius von meus Socrates: deo Socr. 174 f. (p. 36 f. Moreschini). 15 So auch Origenes, princ. I 3,4 (GCS Orig. 5, 52 f.); IV 3,14 (GCS Orig. 5, 346). Theophilus, tract. c. Orig. 3. 4. 5 (p. 114. 116. 119 Morin), gibt die Stücke von Verum haec – sanctius nihil est und von Quae sunt – Spiritus sanctus frei wieder und führt darüber hinaus ein Zitat an, das in der Hieronymusübersetzung der Jesajahomilien fehlt: A principali sancto Seraphin sanctitatis accipere consortium, et alter clamat ad alterum: Sanctus, sanctus, sanctus (vgl. Baehrens, GCS Orig. 8, 244). Siehe dazu oben S. 173 f.
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Homilia I
Seraphim? Dominus meus Iesus et Spiritus sanctus. Nec putes trinitatis dissidere naturam, si nominum servantur officia. Operiebant faciem Dei; exordium enim Dei ignotum est. Sed et pedes; novissimum enim quid in Deo nostro comprehenditur? Sola tantum media videntur, ante ista quae fuerint, nescio. Ex his, quae sunt, intelligo Deum; post ista quae futura sint, iuxta quod futura sunt, nescio. „Quis pronuntiavit ei?“ dixit Ecclesiastes.a „Adnuntiate mihi priora et novissima, quae erunt, et dicam quoniam Dii estis“ dixit Isaias.b Ex quo si quis dixerit praeterita et potuerit novissima dicere, Deus est; quis ergo potest dicere praeter Seraphim? Quis potest dicere: „Sanctus, sanctus, sanctus!“ praeter Seraphim? Nudaverunt autem quam partem Dei, ut ita dicam, medietatem eius, et clamabant aliud ad aliud assistentia Deo atque dicentia: „Sanctus, sanctus, sanctus!“c Stant igitur et moventur, stant cum Deo, moventur demonstrantia Deum; intellige enim quia velant faciem, velant pedes, non movent, quae velata sunt, non velant, quae volant. Et dicunt: „Sanctus, sanctus, sanctus Dominus Sabaoth, plena est omnis terra gloria eius.“d Domini mei Iesu Christi nuntiatur adventus; nunc itaque plena est omnis terra gloria eius. Aut certe necdum plena est, sed futurum est, ut impleatur, cum expleta fuerit oratio, qua patrem nos ipse Dominus iussit orare „cum oraveritis“ inquiens, „dicite: Pater noster, qui es in caelis, sanctificetur nomen tuum! Adveniat regnum tuum! Fiat voluntas tua, sicut in caelo et in terra!“e Adhuc in caelo voluntas est patris, in terris necdum voluntas eius expleta est, et ipse Iesus iuxta dispensationem carnis, quam induerat, ait: „Dedit mihi universam potestatem, ut in caelo et in terra“,f non quod potestatem non haberet in terra is, qui habebat in caelis et aliquid de mundo acciperet, qui in sua venerat,g sed, ut ita crederetur Deus in terra, quomodo credebatur in caelo, ergo accepit potestatem homo Christus, quam ante non habuit, et usque ad praesens necdum habet in terra omnium potestatem. In his quippe, qui peccant, necdum regnat, sed quando ei data est etiam horum potestas, cum ei subdita fuerint omnia, tunc complebitur potestas et perambulabit subiciens sibi omnia.h a g
Koh. 6,12; Vulg.: 7,1 b Jes. 41,22 f. h Joh. 1,11 Phil. 3,21
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Jes. 6,3
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Jes. 6,3
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Mt. 6,9 f.
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16 Laut Rufinus, apol. c. Hieron. II 31. 50 (CChr.SL 20, 106 f. 122), stammt dieser Satz nicht von Origenes, sondern von Hieronymus (siehe oben S. 171). In der Sache erinnert der Satz allerdings an eine Aussage wie die in Ioh. comm. I 200 (GCS Orig. 4, 36): „Es soll aber niemand daran Anstoß nehmen, dass wir im Erlöser verschiedene Aspekte (eÆpiÂnoiai – officia) unterscheiden, weil er meint, wir täten dasselbe hinsichtlich seines Wesens (oyÆsiÂa – natura).“ Was hier über Christus steht, wird in der fraglichen Stelle in der Jesajahomilie analog von der Trinität gesagt (siehe auch oben S. 175 f.).
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nicht, das Wesen der Trinität zerfalle, wenn man an den spezifischen Funktionen der Namen festhält.16 Sie bedeckten das Angesicht Gottes, denn der Ursprung Gottes ist unbekannt.17 Aber auch die Füße, denn was könnte man wohl als das Letzte in unserem Gott verstehen? Einzig das Mittlere kann man sehen; was davor gewesen ist, das weiß ich nicht. Aus dem, was ist, erkenne ich Gott; was danach sein wird, abgesehen davon, dass es sein wird, das weiß ich nicht. „Wer hat es ihm verkündet?“, fragte Kohelet.a „Verkündet mir das Erste und das Letzte, das sein wird, und ich werde sagen, dass ihr Götter seid“, sagte Jesaja.b Wenn demnach jemand sagen kann, was das Vergangene und was das Letzte ist, dann ist er Gott. Wer also könnte es sagen – außer den Seraphim? Wer könnte sagen: „Heilig, heilig, heilig!“ – außer den Seraphim? Sie aber ließen zumindest einen Teil Gottes, seine Mitte sozusagen, unverhüllt und riefen einander zu, während sie bei Gott standen und sprachen: „Heilig, heilig, heilig!“c Sie stehen also und sie bewegen sich, sie stehen bei Gott, bewegen sich aber, wenn sie Gott kundtun. Versteh es so: Sie bedecken das Angesicht, sie bedecken die Füße, sie bewegen nicht, was bedeckt ist, sie bedecken nicht, was fliegt. Dabei sagen sie: „Heilig, heilig, heilig ist der Herr der Heere, erfüllt ist die ganze Erde von seiner Herrlichkeit.“d 18 Meines Herrn Jesu Christi Ankunft verkündigen sie. Jetzt also ist die ganze Erde erfüllt von seiner Herrlichkeit. Allerdings ist sie noch nicht erfüllt, sondern wird erst künftig erfüllt werden, wenn dem Gebet Genüge getan ist, mit dem der Herr selbst uns mit folgenden Worten zum Vater zu beten geheißen hat: „Wenn ihr betet, sprecht: Vater unser, der du bist in den Himmeln, geheiligt werde dein Name! Dein Reich komme! Dein Wille geschehe, wie im Himmel, so auch auf Erden!“e Bis jetzt gilt der Wille des Vaters im Himmel, auf Erden ist sein Wille noch nicht erfüllt. Jesus selbst hat während seines Heilswirkens im Fleisch, das er angezogen hatte, gesagt: „Er hat mir alle Macht gegeben, wie im Himmel, so auch auf der Erde“,f nicht weil der die Macht auf der Erde nicht besessen hätte, der sie in den Himmeln besaß, oder weil der etwas von der Welt empfangen hätte, der in das Seine gekommen war,g sondern damit man auf der Erde so an Gott glaubte, wie man im Himmel an ihn glaubte, dazu hat Christus als Mensch eine Macht empfangen, die er zuvor nicht hatte, und bis in die Gegenwart hat er auf der Erde noch nicht die Macht über alles. In denen, die sündigen, herrscht er ja noch nicht, doch wenn ihm die Macht auch über diese gegeben ist, wenn ihm alles unterworfen ist, dann wird seine Macht ihre Fülle erreichen und er wird überall hingehen und sich alles unterwerfen.h Manche jedoch wollen
17 Die folgenden Überlegungen präsentierte Origenes erneut in Is. hom. 4,1 (GCS Orig. 8, 257 f.). Vgl. auch in Hiez. hom. 14,2 (GCS Orig. 8, 452 f.). 18 Dieselbe Auslegung von Jes. 6,2 f. in Origenes, princ. IV 3,14 (GCS Orig. 5, 346).
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Homilia I
Quidam autem necdum volunt subici ei, verum adhuc inimicis eius subiciuntur. Nos porro dicamus: „Nonne Deo subdita erit anima mea? Apud eum enim salutare meum.“a 3. „Et duabus volabant, et dicebant alter ad alterum: Sanctus, sanctus, sanctus Dominus Sabaoth, plena est omnis terra gloria eius. Et elevatum est superliminare a voce, qua clamabant“,b voce Iesu Christi et voce sancti Spiritus. Si aliquis e nobis clamantium audierit vocem Iesu Christi et sancti Spiritus, elevatur superliminare et altius fit quam eo tempore, cum elevatum est cumque dictum est: „Attollite portas, principes vestri, et elevamini, portae aeternales, et introibit rex gloriae.“c 4. „Et domus impleta est fumo.“d Ex remissione ignis cuncta impleta est domus. Fumus autem vapor ignis est. „Et dixi: O miser ego, quoniam compunctus sum, quia, cum sim homo et immunda labia habeam.“e Non possum sentire, quia humiliaverit se ipsum Isaias, verum dicit et testimonium dat Scriptura, quia mundentur eius labia ab uno Seraphim, qui missus est ad auferenda peccata eius.f Unus autem ex Seraphim Dominus meus Iesus Christus est, qui ad auferenda peccata nostra a patre missus est, et dicit: „Ecce, abstuli iniquitates tuas et peccata tua circummundavi.“g Nec putes naturae contumeliam, si filius a patre mittitur. Denique ut unitatem deitatis in trinitate cognoscas, solus Christus in praesenti lectione peccata nunc dimittit et tamen certum est a trinitate peccata dimitti. Qui enim in uno crediderit, credit in omnibus. Deferatur ergo mihi de altario caelesti forfex, ut tangat labia mea. Forfex Domini si tetigerit labia mea, mundat ea.h Et si mundaverit ea et circumciderit vitiis, ut nuper diximus, aperiam verbo Dei a g
b Ps. 61(62),2 Jes. 6,2–4 h Jes. 6,7 Jes. 6,6 f.
c
Ps. 23(24),7
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Jes. 6,4
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Jes. 6,5
f
Jes. 6,6 f.
19 Siehe dazu auch in Is. hom. 4,2 (GCS Orig. 8, 259 f.). 20 Das hebräische Wort r ˇs, „Kopf“, „Anfang“, griechisch aÆrxhÂ, ist in der Septuaginta an dieser Stelle mit aÍrxontew wiedergegeben (II p. 22 Rahlfs), was eigentlich „Herrscher“ bedeutet, hier aber die „Häupter“ der Tore meint, d.h. die Türsturze, die sich nach oben weiten sollen. Abweichend vom hebräischen Text, in dem die Tore angeredet werden – „Hebet, Tore, eure Häupter“ (IV p. 39 Buber/Rosenzweig) –, stehen diese in der Septuaginta im Akkusativ: aÍrate pyÂlaw (II p. 22 Rahlfs), was im vorliegenden lateinischen Text entsprechend wiedergegeben ist. Dieser wird dadurch unverständlich, doch darf er nicht nach der Vulgata zu principes vestras geändert werden, wie die beiden Delarue gemäß der Lesart mancher Handschriften vorgeschlagen haben (vgl. Baehrens, GCS Orig. 8, 246 app. crit.), weil principes vestri die – von Origenes wohl zitierte – griechische Fassung oië aÍrxontew yëmv Ä n korrekt wiedergibt. Hieronymus hat in seiner Psalmenübersetzung aus dem Hebräischen den
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sich ihm noch nicht unterwerfen, sondern unterwerfen sich immer noch seinen Feinden. Wir nun wollen sagen: „Soll meine Seele nicht Gott unterworfen sein? Bei ihm nämlich ist mein Heil.“a 3. „Und mit zweien flogen sie, und sie sagten zueinander: Heilig, heilig, heilig ist der Herr der Heere, erfüllt ist die ganze Erde von seiner Herrlichkeit. Und die Türschwelle erhob sich bei der Stimme, mit der sie riefen“,b der Stimme Jesu Christi und der Stimme des Heiligen Geistes.19 Wenn jemand von uns die Stimme Jesu Christi und des Heiligen Geistes rufen hört, erhebt sich die Türschwelle, und sie steigt höher als zu der Zeit, als sie sich erhob und als gesagt wurde: „Hebt hoch die Tore, eure Häupter,20 und erhebt euch, ewige Tore, und der König der Herrlichkeit wird einziehen.“c 4. „Und das Haus füllte sich mit Rauch.“d Weil das Feuer nachließ, füllte sich das Haus ganz. Rauch aber ist der Dampf von Feuer. „Und ich sagte: Ich Unglücklicher, denn ich gehe zugrunde, denn ich bin ja ein Mensch und habe unreine Lippen.“e 21 Ich kann mir nicht denken, dass22 Jesaja sich selbst erniedrigt hat, aber die Schrift sagt und bezeugt, dass seine Lippen von einem der Seraphim gereinigt werden, der gesandt worden ist zur Tilgung seiner Sünden.f Einer der Seraphim aber ist mein Herr Jesus Christus, der zur Tilgung unserer Sünden vom Vater gesandt worden ist, und er sagt: „Siehe, ich habe deine Vergehen getilgt und deine Sünden fortgew ischt.“g Und halte es nicht für eine Schmähung der Wesenheit,23 wenn der Sohn vom Vater gesandt wird. Damit du schließlich die Einheit der Gottheit in der Trinität erkennst, ist es in der vorliegenden Lesung allein Christus, der jetzt Sünden erlässt, und dennoch werden Sünden gewiss von der Trinität erlassen. Wer nämlich an einen glaubt, glaubt an alle drei. Es möge mir also vom himmlischen Altar die Zange gebracht werden, damit sie meine Lippen berühre; wenn die Zange des Herrn meine Lippen berührt, reinigt sie sie.h Und hat sie sie gereinigt und gleichsam in einer Beschnei-
Text grammatikalisch und terminologisch besser wiedergegeben: levate portae capita vestra (p. 795 Weber/Gryson). Das entspricht der Übersetzung Aquilas, die Hieronymus, epist. 18A,7 (CSEL 54, 84), so wiedergab: adtollite, portae, capita vestra. An derselben Stelle zitierte er den Vers freilich auch so: tollite portas, principes, vestras. 21 Siehe dazu auch in Is. hom. 4,3 (GCS Orig. 8, 260 f.). 22 Gegen die von den beiden Delarue präferierte Lesart quare der Handschriftengruppe B ist mit Baehrens, GCS Orig. 8, 246, die Lesart quia, „dass“, zu bevorzugen, denn Origenes dachte im Folgenden nicht über die Ursache der Selbsterniedrigung Jesajas nach, sondern über deren Faktizität. 23 Aufgrund der Parallelität dieser Wendung mit in Is. hom. 1,2 (GCS Orig. 8, 244 Zeile 28) und aufgrund der folgenden Erläuterung ist der Begriff natura wohl auf das „Wesen“ der Trinität zu beziehen. Dieser und die folgenden beiden Sätze sind wahrscheinlich eine Interpolation des Hieronymus: siehe oben S. 171 f.
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Homilia I
os meum nec ulterius sermo immundus exiet ex ore meo, „quia, cum sim homo et immunda labia habeam, in medio quoque populi immunda labia habentis habitem“.a Seraphim, quod missum fuit, mundavit labia prophetae, non mundavit autem labia populi. Confessus est enim ipse „immunda labia se habere et in medio populi immunda labia habentis habitare“.b Sed hoc, quod missum est Seraphim, non iudicavit dignos esse de populo, ut et illorum labia mundaverit, et idcirco adhuc impie agunt, idcirco adhuc Dominum meum Iesum Christum repudiant, adhuc ei maledicunt immundis labiis. Ego autem precor, ut veniens Seraphim mundet labia mea. 5. „Et regem Dominum Sabaoth vidi oculis meis.“c Cur non dicamus in praesenti traditionem quandam Iudaeorum verisimilem quidem nec tamen veram, et solutionem eius quare non inveniamus? Aiunt ideo esse Isaiam sectum a populo quasi legem praevaricantem et extra Scripturas adnuntiantem. Scriptura enim dicit: „Nemo videbit faciem meam et vivet“,d iste vero ait: „Vidi Dominum Sabaoth.“e Moyses, aiunt, non vidit, et tu vidisti? Et propter hoc eum secuerunt et condemnaverunt ut impium; non enim sciebant, quia duabus alis velaverunt faciem Dei Seraphim.f „Vidi Dominum.“g Si faciem vidit Isaias, et Moyses vidit. Posteriora vidit, ut scriptum est, Moyses;h verumtamen vidit Dominum, etiamsi faciem eius non vidit. a h
Jes. 6,5 Ex. 33,23
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Jes. 6,5
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Jes. 6,5
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Ex. 33,20
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Jes. 6,5
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Jes. 6,2
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Jes. 6,5
24 Baehrens, GCS Orig. 8, 246 app. crit., verweist als möglichen Bezugspunkt für diesen Rückverweis auf in Gen. hom. 3,5 (GCS Orig. 6, 46): „Auch solche, ,die Worte des Unrechts emporsenden und ihren Mund gegen den Himmel aufreißen‘ (Ps. 72[73],8 f.), wie es die Häretiker tun, sind als Menschen mit unreinen und unbeschnittenen Lippen zu bezeichnen, beschnitten und rein aber ist, wer immer vom Wort Gottes spricht und die gesunde, an der Richtschnur der Evangelien und der Apostel orientierte Lehre vorträgt.“ Zur Auswertung dieser Stellen für die relative Chronologie siehe oben S. 22. 25 Siehe dazu auch in Is. hom. 4,4 (GCS Orig. 8, 261 f.). 26 Die jüdische Tradition, mit der Origenes sich hier auseinandersetzte, kannte er laut eigener Aussage, in Matth. comm. X 18 (GCS Orig. 10, 24); epist. Afric. 13 (SC 302, 542–544), aus der „Himmelfahrt Jesajas“ (Ascensio Isaiae; zu dieser siehe oben S. 85–91): Im Unterschied zu den vom Glauben abgefallenen Bewohnern Jerusalems und Judas sei Jesaja standhaft geblieben, habe den falschen Propheten Balkira (Belchira), der ihn bei Manasse (König von Juda 697–642 v.Chr.) anklagte, verflucht und sei schließlich vor den Augen seiner Gegner mit einer Baumsäge zersägt worden: asc. Is. 1,1–3,12 (CChr.SA 7, 44–59 äth. Text mit ital. Übersetzung [für 2,4–3,12 siehe ebd. 7, 136–142 das griech. Fragment mit ital. Übersetzung]); 5,1–14 (7, 72–75); 11,41 (7, 128 f.); vgl. auch vit. proph. 1,1 (I p. 96 Schwemer); siehe dazu Origenes, in Hier. hom. 20,9 (GCS Orig. 32, 192); in Matth. comm. ser. 28 (GCS Orig. 11, 50. 52); in Ps. 37 hom. 1,1 (SC 411, 262); in Rom. comm. VIII 5 (p. 666 Hammond Bammel), dazu Harnack, Ertrag II, 49 f. Die Anklage, deren Unhalt-
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dung von ihren Lastern befreit, wie wir neulich dargelegt haben,24 so will ich dem Wort Gottes meinen Mund öffnen, und es wird kein unreines Wort mehr aus meinem Mund kommen, „denn da ich ein Mensch bin und unreine Lippen habe, wohne ich auch inmitten eines Volkes mit unreinen Lippen“.a Der Seraph, der gesandt worden ist, reinigte die Lippen des Propheten, nicht jedoch die Lippen des Volkes. Er selbst nämlich bekannte, „unreine Lippen zu haben und inmitten eines Volkes mit unreinen Lippen zu wohnen“.b Der Seraph aber, der gesandt worden ist, hat niemanden aus dem Volk für würdig erachtet, seine Lippen zu reinigen, und daher handeln sie noch immer gottlos, daher verwerfen sie noch immer meinen Herrn Jesus Christus, schmähen sie ihn noch immer mit unreinen Lippen. Ich aber bete, der Seraph möge kommen und meine Lippen reinigen. 5. „Und den König, den Herrn der Heere, habe ich mit meinen eigenen Augen gesehen.“c 25 Warum sollten wir hier nicht eine jüdische Tradition erwähnen, die zwar wahrscheinlich, aber doch nicht wahr ist, und warum sollte es uns nicht gelingen, das Problem zu lösen? Man sagt, Jesaja sei deswegen vom Volk zersägt worden, weil er das Gesetz übertreten und weil sich seine Verkündigung nicht an die Schriften gehalten haben soll.26 Die Schrift sagt nämlich: „Niemand wird mein Angesicht sehen und am Leben bleiben“,d dieser aber sagt: „Ich habe den Herrn der Heere gesehen.“e Mose, sagt man, hat nicht gesehen, du aber hast gesehen? Und deswegen haben sie ihn zersägt und als Frevler verurteilt, wussten sie doch nicht, dass die Seraphim mit zwei Flügeln das Angesicht Gottes bedeckten.f „Ich habe den Herrn gesehen.“g Wenn Jesaja sein Angesicht gesehen hat, dann hat auch Mose es gesehen. Mose jedoch hat den Rücken gesehen, wie es in der Schrift heißt;h aber er hat doch den Herrn gesehen, auch wenn er barkeit Origenes im Folgenden aufweisen will, lautet in asc. Is. 3,8 f. (CChr.SA 7, 58 f.): „Und Jesaja selbst hat gesagt: Ich sehe mehr als der Prophet Mose. Und Mose hat zwar gesagt: Es gibt keinen, der Gott schaute und am Leben blieb, und Jesaja aber hat gesagt: Ich habe Gott geschaut, und siehe, ich lebe“; Übersetzung: Müller, NTApo II6, 551; vgl. Hieronymus, in Es. I 14 (VL.AGLB 23, 162). Von dieser Todesart des Jesaja berichten sowohl der Talmud (jSanh 10,2, 28c; bYebamoth 49b; vgl. bSanhedrin 103b; siehe dazu Bietenhard, Caesarea 48; Pesce, Presupposti 40–44) als auch zahlreiche altchristliche Texte: Hebr. 11,37 (wo das „Zersägen“ wohl auf die diesbezügliche Legende zu beziehen ist: Grässer, EKK XVII/3, 212 mit Literaturhinweisen in Anm. 70), aufgegriffen von Origenes, in Ioh. comm. XIII 372 (GCS Orig. 4, 284) und epist. Afric. 13 (SC 302, 542); NHC IX,3 test. ver. p. 40 (GCS N.F. 12, 705); Justin, dial. 120,5 (PTS 47, 277 f.); Tertullian, pat. 14,1 (CChr.SL 1, 315); Scorp. 8,3 (CChr.SL 2, 1083); Pseudo-Tertullian, carm. adv. Marc. III 173–178 (CChr.SL 2, 1439); Johannes Chrysostomus, in Is. VI 5 (SC 304, 278); Hieronymus, in Es. XV 25 (VL.AGLB 35, 1610 f.); Theophylakt, in Hebr. 11,37 (PG 125, 364). Zur Herkunft dieser Legende siehe Norelli, Isaia segato; vgl. auch Bardy, Les traditions Juives 237 mit Anm. 2; de Lange, Origen and the Jews 78.
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Homilia I
Et hic ergo vidit, licet faciem non viderit. Male igitur condemnaverunt prophetam. „Et regem Dominum Sabaoth vidi oculis meis; et missus est ad me unus de Seraphim.“a Non est unus Domini mei Iesu Christi adventus, quo descendit ad terras; et ad Isaiam venit et ad Moysen venit et ad populum venit et ad unumquemque prophetarum venit; neque tu timeas: Etiamsi iam receptus est, iterum veniet. Quia autem et ante praesentiam carnalem venerit, ipsum accipe testem denuntiantem atque dicentem: „Hierusalem! Hierusalem! Quae occidis prophetas et lapidas eos, qui missi sunt ad te, quotiens volui colligere filios tuos!“b „Quotiens volui.“ Non dicit: Non vidi te nisi isto adventu, sed dicit: „Quoties volui.“ Et per singulos prophetarum convertens se, ego eram Christus, qui loquebar per prophetas, dixit: Neque tu timeas; et nunc mittitur Iesus Christus. Non mentitur. „Vobiscum sum“ ait „omnes dies usque ad consummationem saeculi.“c Non mentitur. „Ubi duo vel tres collecti sunt in meo nomine, et ego sum in medio eorum.“d Quoniam igitur praesto est et adsistit Iesus Christus et paratus est et praecinctus summus sacerdos offerre patri interpellationes nostras,e surgentes per ipsum sacrificia patri offeramus. „Ipse“ enim „propitiatio est pro peccatis nostris“,f „cui est gloria et imperium in saecula saeculorum. Amen!“g a g
b Jes. 6,5 f. Mt. 23,37 1 Petr. 4,11
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Mt. 28,20
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Mt. 18,20
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27 Siehe dazu auch in Is. hom. 4,5 (GCS Orig. 8, 262). 28 Ebenso in Matth. comm. ser. 28 (GCS Orig. 11, 53). Hinter dieser Aussage steht die exegetische These Justins, in den Theophanien des Alten Testaments sei wegen der Transzendenz Gottes Christus präsent, gleichsam „auf die Erde gekommen“: I apol. 63 (SC 507, 294–300); dial. 56,1 (PTS 47, 161); 60,2 (47, 173); 61,1 (47, 174 f.); 127 (47, 290 f.). Bei Origenes verbindet sich diese These mit einer umfassenden
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nicht sein Angesicht gesehen hat. Auch dieser (sc. Jesaja) also hat ihn gesehen, mag er auch nicht das Angesicht gesehen haben. Es war daher nicht gut, dass sie den Propheten verurteilt haben. „Und den König, den Herrn der Heere, habe ich mit meinen eigenen Augen gesehen; und einer der Seraphim ist zu mir gesandt worden.“a 27 Es gibt nicht nur eine Ankunft meines Herrn Jesus Christus, nicht nur einen Abstieg zur Erde; zu Jesaja ist er gekommen, zu Mose, zum Volk und zu jedem einzelnen Propheten.28 Sei auch du unbesorgt: Auch wenn er bereits zurückgekehrt ist, wird er noch einmal kommen. Dafür aber, dass er auch vor seiner leiblichen Gegenwart gekommen ist, nimm ihn selbst mit folgender Anklage zum Zeugen: „Jerusalem! Jerusalem! Du tötest die Propheten und steinigst die, die zu dir gesandt sind; wie oft wollte ich deine Kinder um mich sammeln!“b „Wie oft wollte ich.“ Er sagt nicht: Ich habe dich nur bei meinem jetzigen Aufenthalt gesehen, sondern er sagt: „Wie oft wollte ich.“ In jedem einzelnen Propheten war er gegenwärtig: Ich war es, Christus, der durch die Propheten sprach! Das hat er gesagt. Sei auch du unbesorgt! Auch jetzt noch wird Jesus Christus gesandt. Er lügt nicht. „Ich bin bei euch“, spricht er, „alle Tage bis zur Vollendung der Welt.“c Er lügt nicht. „Wo zwei oder drei in meinem Namen versammelt sind, bin auch ich mitten unter ihnen.“d Da Jesus Christus also gegenwärtig ist und uns beisteht und da er bereit ist und als Hoherpriester dazu gegürtet, dem Vater unsere Bitten darzubringen,e wollen wir uns erheben und durch ihn dem Vater die Opfer darbringen. „Er selbst“ nämlich „ist die Sühne für unsere Sünden“;f „sein ist die Herrlichkeit und die Macht in alle Ewigkeit. Amen!“g
Theorie der Immanenz des Logos im sittlich Fortgeschrittenen aller Zeiten (siehe oben S. 103–112). Zu analogen Konzepten bei kaiserzeitlichen paganen Autoren siehe Barbel, Christos Angelos 37–46. Aus frühchristlichen Autoren vgl. beispielsweise Theophilus, Autol. II 22,1 f. (PTS 44, 70); Irenäus, epid. 45 (FC 8/1, 64 f.); Tertullian, praescr. haer. 13,3 (CChr.SL 1, 197); Origenes, in Gen. frg. E 93 Metzler (zu Gen. 32,29, Jakobs Kampf mit „Gott“).
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HOMILIA II. „Ecce, virgo in utero accipiet.“a
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1. Quantum ad dictum attinet, verecunde fecit Achaz, cum ei fuisset imperatum, ut peteret signum in profundum aut in excelsum;b et rationem reddidit, cur petere noluerit, ait quippe: „Non petam neque tentabo Dominum.“c Et tamen super hoc verecundo culpatur et dicitur ad eum: „Audite nunc, domus David: Numquid modicum vobis praestare certamen hominibus, et quomodo Domino praestatis certamen?“d Deinde dicitur haec repromissio: „Ideo Dominus ipse dabit vobis signum: Ecce, virgo in utero accipiet et pariet filium, et vocabis nomen eius Emmanuel.“e Haec exponantur, et de reliquis videbimus indigentes et in illis gratia Dei, ut manifestentur. Iubetur, ut petat signum, non simpliciter, sed sibi ipsi; sermo quippe ait: „Pete tibi signum a Domino Deo tuo in profundum aut in excelsum.“f Propositum est signum Dominus meus Iesus Christus. Hoc enim est signum, quod iubetur, ut sibi postulet in profundum aut in excelsum. In profundum quidem, quia, qui descendit, ipse est. In excelsum vero, quia, qui adscendit super omnes caelos, ipse est.g Mihi autem hoc signum propositum Dominus meus Iesus Christus in profundum et in excelsum nihil prode est, si non mihi fiat mysterium de profundo et excelso eius. Cum enim ego recepero mysterium de Christo Iesu, de profundo et excelso, tunc accipiam signum secundum praeceptum Domini et dicetur mihi quasi habenti in semet ipso „in profundum“ et „excelsum“: „Ne dixeris in corde tuo: Quis adscendit in caelum? Hoc est Christum deducere. Aut quis descendit in abyssum? Hoc est Christum ex mortuis reducere. Iuxta est verbum tuum vehemens in ore tuo et in corde tuo.“h Praecipitur ergo nobis omnibus, ut petamus hoc nobis a h
Jes. 7,14 b Jes. 7,11 c Jes. 7,12 Röm. 10,6–8; vgl. Dtn. 30,12–14
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Jes. 7,14
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29 Enkel des Usija (vgl. Jes. 7,1) und König von Juda 742–728 v.Chr., der im syrischephraimitischen Krieg 734–732 versuchte, die Eigenständigkeit von Juda gegen die Expansionsbestrebungen des Königs von Assur (Tiglat-Pileser III., 745–727) zu behaupten: Beuken, Jesaja 1–12, 192 f. 30 Zur Innerlichkeit der Christusbegegnung des einzelnen Gläubigen siehe die ausführliche Darstellung in Luc. hom. 21,5 (GCS Orig. 92, 141): „Ist nicht vielmehr im Innern des Menschen dem Herrn ein Weg zu bereiten, und sind nicht vielmehr in unserem Herzen gerade und ebene Wege anzulegen? Ja, dies ist der Weg, auf dem
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HOMILIE 2 „Siehe, die Jungfrau wird schwanger werden.“a
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1. Soweit es seine Antwort betrifft, verhielt Ahas29 sich ehrfurchtsvoll, nachdem er aufgefordert worden war, ein Zeichen in der Tiefe oder in der Höhe zu erbitten;b und er erklärte, warum er nicht bitten wollte, sagte er doch: „Ich will nicht bitten und den Herrn nicht versuchen.“c Und dennoch wird er für diese ehrfurchtsvolle Antwort gescholten, und es wird zu ihm gesagt: „Hört nun, ihr vom Haus David: Ist es euch etwa nicht genug, den Menschen Mühe zu machen? Wie? Auch dem Herrn macht ihr Mühe?“d Dann ergeht folgende Verheißung: „Daher wird der Herr selbst euch ein Zeichen geben: Seht, die Jungfrau wird schwanger werden und einen Sohn gebären, und du wirst ihn Emmanuel nennen.“e Dies soll ausgelegt werden; auch das Übrige werden wir untersuchen, wobei wir auch darin der Gnade Gottes bedürfen, damit es klar wird. Er (sc. Ahas) wird aufgefordert, ein Zeichen zu erbitten, nicht einfach so, sondern für sich selbst; im Text heißt es ja: „Erbitte dir ein Zeichen vom Herrn, Deinem Gott, in der Tiefe oder in der Höhe.“f Das in Aussicht gestellte Zeichen ist mein Herr Jesus Christus. Dieser ist nämlich das Zeichen, das er in der Tiefe oder in der Höhe für sich zu erbitten aufgefordert wird. In der Tiefe einerseits, weil er selbst es ist, der herabsteigt, in der Höhe andererseits, weil er selbst es ist, der über alle Himmel emporsteigt.g Für mich aber ist dieses in der Tiefe und in der Höhe in Aussicht gestellte Zeichen, mein Herr Jesus Christus, ohne jeden Nutzen, wenn das Geheimnis um seine Tiefe und Höhe nicht mit mir zu tun hat. Habe ich selbst nämlich das Geheimnis um Christus Jesus, um seine Tiefe und Höhe, angenommen, dann werde ich das Zeichen gemäß der Weisung des Herrn erhalten und es wird mir, da ich das „in der Tiefe“ und das „in der Höhe“ in mir selbst habe,30 gesagt werden: „Sprich nicht in deinem Herzen: Wer steigt zum Himmel empor? Das hieße, Christus herabführen. Oder wer steigt in den Abgrund hinab? Das hieße, Christus von den Toten heraufführen. Ganz31 nahe ist dein Wort, in deinem Munde und in deinem Herzen.“h Also wird uns allen aufgetragen, uns dieses Zeichen zu erbitten, damit uns das das Wort Gottes seinen Einzug gehalten hat, das sich im Herzen eines Menschen niederlässt, wenn es Raum darin findet“; Übersetzung: Sieben, FC 4/1, 237. Siehe dazu ausführlich oben S. 103–112. 31 Vehemens ist adverbiell auf iuxta zu beziehen.
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Homilia II
signum, ut nobis utile fiat signum, quod dat Dominus Deus in profundum et in excelsum. Si quis autem est, qui sciat uti rationabili contemplatione, cognoscatz hoc, quod dictum est: „in profundum et in excelsum“, non disiunctive esse dictum; significat enim hoc, quod utrumque possit. „Pete tibi ipse signum a Domino in profundum et in excelsum.“a Et in promissione autem dixit Apostolus: „Ut cognoscamus, quid profundum et excelsum et latitudo et longitudo.“b „Et dicit Achaz: non petam.“c Incredulus fuit; dixit enim: „Pete tibi ipse.“d Populus autem usque hodie non petit signum, propterea non habet illum et praebet Domino certamen populus, qui non recipit Dominum meum Iesum Christum. Deinde alia sequitur quaestio. Isto enim dicente: „Non petam neque tentabo Dominum“e et aestimante tentationem esse, si peteret signum, ait: „Audite nunc, domus David: Numquid modicum vobis praestare certamen hominibus, et quomodo Domino praestatis certamen?“f Non praestat autem certamen Domino, sed neque hominibus eum arbitror praestare certamen, qui petit signum in profundum aut in excelsum.g Certamen quippe Dei est, quomodo salvet hominem. Non praestat igitur Domino certamen, qui confugit ad salutem; qui vero Domino certante, ut salvet hominem, fugit a salute et procul recedit a Domino, praestat Domino certamen. „Ideo dabit Dominus ipse vobis signum: Ecce, virgo in utero accipiet et pariet filium, et vocabis nomen eius Emmanuel.“h Veritas exemplariorum prophetae huius dicit: „Vocabis.“ In Matthaeo porro scimus lectitari: „Et vocabunt nomen eius Emmanuel.“i Non possumus dicere, quia oporteat minus aliquid facere de propheta. Quomodo vero Evangelium hanc habet scripturam? Utrum ab aliquo non intelligente et ad faciliora currente, quomodo et in aliis multis factum est, an sic a principio [ut] dicat forsitan aliquis editum esse Evangelium? Qui vult, deliberet. Propheta quidem manifeste habet: „Et vocabis nomen eius Emmanuel.“j Novi quendam in exordio scripturarum Evangelii a h
Jes. 7,11 Jes. 7,14
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Eph. 3,18 Mt. 1,23
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Jes. 7,12 Jes. 7,14
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Jes. 7,11
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Jes. 7,12
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Jes. 7,11
32 Im hebräischen Text von Jes. 7,13 ist davon die Rede, dass das Haus David Gott „ermüdet“ (l h). Der emotionsgeladene Begriff, der im Jesajabuch öfter vorkommt (Jes. 1,14; 16,12; 47,13), bringt die Erschöpfung und völlige Abkehr Gottes vom „Haus David“ zum Ausdruck; handelndes Subjekt des „Ermüdens“ ist das Königshaus in Jerusalem. Die Übersetzung dieses Verbums in der Septuaginta mit aÆgv Ä na pareÂxein, „Mühe machen“, fügt der Semantik von „ermüden“ eine weitere Nuance hinzu (vgl. Watts, WBC 24, 97), auf der Origenes seine Exegese aufbaut. Sein gegenüber dem Bibeltext neuer Gedanke ist dabei der, dass Gott zum Subjekt einer „Mühe“ wird, die er sich macht, um die Menschen zu erlösen. Der Bibeltext (in der Fassung der Septuaginta) bringt Origenes zu einer Aussage über Gott, die für sein heilsgeschichtliches Konzept von zentraler Bedeutung ist: siehe oben S. 159 f.
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Zeichen nützlich wird, das Gott der Herr in der Tiefe und in der Höhe gibt. Wenn es aber jemanden gibt, der sich auf eine geistige Betrachtung versteht, so soll er erkennen, dass die Aussage „in der Tiefe und in der Höhe“ nicht im Sinne einer Alternative gemeint ist; die Stelle besagt nämlich, dass beides möglich ist. „Erbitte dir selbst ein Zeichen vom Herrn in der Tiefe und in der Höhe.“a Und in einer Verheißung sagte der Apostel: „Auf dass wir erkennen, was Tiefe und Höhe, was Breite und Länge ist.“b „Und Ahas sagt: Ich will nicht bitten.“c Er war ungläubig; er (sc. der Herr) hat nämlich gesagt: „Bitte selbst für dich.“d Das Volk aber erbittet bis heute kein Zeichen, hat ihn (sc. Christus) deswegen nicht bei sich und macht dem Herrn Mühe – das Volk, das meinen Herrn Jesus Christus nicht annimmt. Darauf folgt ein anderes Problem. Denn weil jener (sc. Ahas) sagt: „Ich will nicht bitten und den Herrn nicht versuchen“e und weil er es für eine Versuchung hält, ein Zeichen zu erbitten, heißt es: „Hört nun, ihr vom Haus David: Ist es euch etwa nicht genug, den Menschen Mühe zu machen? Wie? Auch dem Herrn macht ihr Mühe?“f Der jedoch macht dem Herrn keine Mühe, meines Erachtens aber auch den Menschen nicht, der ein Zeichen in der Tiefe oder in der Höhe erbittet.g Die Mühe Gottes32 zielt ja darauf, wie er den Menschen erlösen kann. Daher macht der dem Herrn keine Mühe, der beim Heil Zuflucht sucht; wer aber trotz der Mühe des Herrn, den Menschen zu erlösen, vor dem Heil flieht und sich weit vom Herrn entfernt, der macht dem Herrn Mühe. „Daher wird der Herr selbst euch ein Zeichen geben: Seht, die Jungfrau wird schwanger werden und einen Sohn gebären, und du wirst ihn Emmanuel nennen.“h Die authentische Lesart33 der Ausgaben dieses Propheten lautet: „Du wirst nennen.“ Nun lesen wir aber bei Matthäus, wie wir wissen, regelmäßig: „Und sie werden ihn Emmanuel nennen.“i Wir können nicht sagen, dass man den Propheten irgendwie weniger wichtig nehmen müsse. Wie aber kommt das Evangelium zu diesem Wortlaut? Von jemandem, der den Text nicht verstanden und sich zu einer leichteren Lesart geflüchtet hat, wie es auch an zahlreichen anderen Stellen passiert ist? Oder hat es, wie vielleicht jemand sagen mag, von Anfang an so im Evangelium gestanden? Wer will, soll darüber nachdenken.34 Beim Propheten heißt es jedenfalls eindeutig: „Und du wirst ihn Emmanuel nennen.“j Ich bin mir sicher, dass jemand, als er am
33 Zur textkritischen Bedeutung des Begriffs veritas siehe Fürst, Veritas Latina 125 f. Den Unterschied zwischen dem Wortlaut im Jesajabuch und im Evangelium konstatiert später auch Eusebius, in Is. 44 (GCS Eus. 9, 49). 34 Eine ähnliche Bemerkung machte Origenes in der Homilie über die Wahrsagerin von Endor, in Regn. hom. graec. 2 (GCS Orig. 32, 284): Wenn die moralisch anstößige Geschichte von Lot und seinen Töchtern (Gen. 19,30–38) Nützliches im historischen Sinn enthält, „dann mag man danach forschen“ – für Origenes jedoch war eine solche Fragestellung offenkundig uninteressant.
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Homilia II
legentem: „Et vocabis nomen eius Emmanuel“a dixisse intra semet ipsum: „Quid est ,vocabis‘? Quis vocabit? Achaz; et quomodo potest Achaz de Salvatore, qui post generationes multas venit, audire: ,Vocabis nomen eius Emmanuel‘?“ atque ita pro eo, quod est: „vocabis“, scripsisse: „vocabunt“. Sed vide, quia non Achaz dicitur: „Et vocabis nomen eius Emmanuel“, sed domui David, vide manifeste dictum: „Audite nunc, domus David: Numquid modicum vobis praestare certamen hominibus, et quomodo Domino praestatis certamen? Ideo dabit Dominus ipse vobis signum: Ecce, virgo in utero accipiet et pariet filium, et vocabis nomen eius Emmanuel.“b Si quando itaque non intelligimus hoc, quod dictum est, nihil ex eo minus faciamus neque ad faciliora curramus, sed exspectemus, ut gratia Dei subiciat nobis per illuminationem scientiae explanationem quaestionis aut certe rursus gratia Dei, per quem vult, illuminet nos, ut ultra non quaeramus, sed quaestio nostra solvatur; si autem mereamur a Domino intellectum, promptius nos ipsos causabitur. Quae est ergo domus David? Si David Christus est, ut frequenter probavi, domus David nos sumus ecclesia Dei; et dicitur nobis, qui ecclesia sumus, ut non praestemus certamen Domino supra dictum, sed dante Domino signum suscipiamus illud. Nobis, non domui David ista dicuntur. Et prophetatur, quia, si quis est domus David, vocabit nomen eius Emmanuel; in adventu enim Christi sola ecclesia nostra de Christo dicit: „Nobiscum Deus.“c His, ut dedit gratia Domini, explanatis alia iam quaeramus aenigmata. 2. „Butyrum et mel manducabit.“d Quomodo Christus prophetatur butyrum et mel comesturus? Et si hoc fuerit expositum Domino tribuente, rursus ea, quae sequuntur, alias nobis ingerent quaestiones. Utinamque omnes faceremus illud, quod scriptum est: „Scrutamini scripturas.“e Plura ex corporalibus cibis nominata sunt in scripturis pro escis spiritalibus. „Quasi a
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Jes. 7,15; vgl. 7,22
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35 So dürfte nach heutiger exegetischer Sicht der Text zu verstehen sein: Beuken, Jesaja 1–12, 205. 36 Zum Beispiel in Ioh. comm. I 146 (GCS Orig. 4, 28): „Christus wird aber auch David genannt.“ Vgl. auch ebd. I 261 (4, 46). 37 Auf dieselbe Bibelstelle als Aufforderung zu wissenschaftlicher Bibelauslegung berief sich Origenes in princ. IV 3,5 (GCS Orig. 5, 331). Am Schluss des Vorworts zu PeriÁ aÆrxv Ä n, princ. praef. 10 (GCS Orig. 5, 16), rekurrierte er allgemeiner als biblische Begründung für theologisches Erkenntnisstreben auf Hos. 10,12: „Zündet euch selbst das Licht der Erkenntnis an“; vgl. zu diesem lumen scientiae bzw. fv Ä w th Äw
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Anfang der Evangelien las: „Und du wirst ihn Emmanuel nennen“,a sich gesagt hat: „Was heißt: ,Du wirst nennen‘? Wer wird nennen? Ahas?35 Und wie kann Ahas über den Erlöser, der viele Generationen später gekommen ist, hören: ,Du wirst ihn Emmanuel nennen‘?“ und dass er daher an Stelle dessen, was dasteht: „Du wirst nennen“, geschrieben hat: „Sie werden nennen.“ Aber sieh doch, nicht zu Ahas wird gesagt: „Und du wirst ihn Emmanuel nennen“, sondern zum Haus David; siehe, es heißt eindeutig: „Hört nun, ihr vom Haus David: Ist es euch etwa nicht genug, den Menschen Mühe zu machen? Wie? Auch dem Herrn macht ihr Mühe? Daher wird der Herr selbst euch ein Zeichen geben: Seht, die Jungfrau wird schwanger werden und einen Sohn gebären, und du wirst ihn Emmanuel nennen.“b Wenn wir also einmal den Wortlaut nicht verstehen, sollten wir ihn deshalb keineswegs weniger wichtig nehmen und nicht zu einer leichteren Lesart flüchten, sondern erwarten, dass die Gnade Gottes durch Erleuchtung unserem Erkennen zu einer Erklärung des Problems verhilft oder die Gnade Gottes uns zumindest, durch wen auch immer, einmal mehr erleuchtet, so dass wir nicht weiter suchen müssen, sondern unser Problem gelöst wird; wenn wir aber vom Herrn der Einsicht gewürdigt werden, wird er gerade mit uns umso strenger ins Gericht gehen. Was ist also das Haus David? Wenn David Christus ist, wie ich oft gezeigt habe,36 sind wir, die Kirche Gottes, das Haus David; und uns, die wir die Kirche sind, wird gesagt, wir sollten dem Herrn nicht die oben besprochene Mühe machen, sondern das Zeichen, das der Herr uns gibt, annehmen. Uns, nicht dem Haus David wird dies gesagt. Und es wird prophezeit: Wenn einer Haus David ist, wird er ihn Emmanuel nennen; denn bei der Ankunft Christi sagt allein unsere Kirche über Christus: „Gott mit uns.“c Nachdem wir dies, wie es die Gnade des Herrn gewährt hat, erklärt haben, wollen wir nun noch andere rätselhafte Ausdrücke untersuchen. 2. „Butter und Honig wird er essen.“d In welcher Hinsicht wird von Christus prophezeit, er werde Butter und Honig essen? Und wenn dies mit Hilfe des Herrn ausgelegt ist, wird uns das Folgende zu wieder neuen Fragen Anlass geben. Täten wir doch alle, was geschrieben steht: „Erforscht die Schriften!“e 37 Viele der körperlichen Speisen stehen in den Schriften für geistige Nahrung.38 „Wie neugeborene Kinder verlangt nach der truglosen gnvÂsevw auch in Ioh. comm. I 36 (GCS Orig. 4, 11). Origenes formulierte damit sein Selbstverständnis als Theologe und Exeget, dessen lebenslanges Bemühen dem Verstehen und Erklären der Bibel gilt. 38 Es folgt eine kurze Erklärung der für die origeneische Schrifthermeneutik wichtigen Lehre der Homonymie. Die danach angenommenen terminologischen Entsprechungen zwischen körperlicher und geistiger Sphäre ermöglichen exegetisch den Überstieg vom Buchstaben zum Geist, vom Literalsinn zum moralischen oder geistigen Verständnis; vgl. princ. IV 2,6 (GCS Orig. 5, 315–317) und dazu de Lubac, Geist aus der Geschichte 139–153, bes. 147 f. Da der Logos nicht nur Prinzip der
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Homilia II
modo nati parvuli rationabile sine dolo lac desiderate.“a Ergo est sine dubio lac rationabile et oportet nos istiusmodi lac quaerere. Rursum in Proverbiis de melle scriptum est: „Mel inveniens comede, quod sufficit, ne forte plenus evomas.“b Et curavit Spiritus sanctus de melle isto, quod notum est, ne forte plus comedamus? Sed sciens utique Spiritus sanctus mel spiritale dicit: „Mel inveniens comede, quod sufficit.“c Quid autem sentiens Spiritus sanctus praecepit nobis, ut, si invenerimus mel, inventibile est siquidem mel, comedamus, quod sufficit? „Vade“ ait „ad apem et disce, quomodo operatrix est.“d Et inveniuntur prophetae apes esse, fingunt siquidem ceras et mella conficiunt et, si audenti mihi expedit dicere, favi eorum scripturae sunt, quas reliquerunt. Et volens veni ad scripturas et invenies mel. Sed et: „Comede mel“, et in Proverbiis rursus dicitur: „Bonus enim favus, ut indulcentur fauces tuae.“e Putasne, hoc dicit Spiritus sanctus: „Comede mel“, quod in usu est, „bonum est enim“? Ego non audeo dicere, quia de melle corporeo mihi praecipiat Spiritus sanctus: „Comede mel“. Ecce, non habeo aut certe naturae eiusmodi sum, ut mel comedere non possim – qua ratione mihi dicit: „Comede mel“ et noli comedere carnes, sed: „Comede, fili, mel, bonum enim“? Si videas apes prophetas et opus eorum mella vel favos, tunc videbis, quomodo pro dignitate sancti Spiritus intelligas „comede fili, mel, bonum enim“.f Si quis meditatur eloquia divina et nutritur sermonibus scripturarum, complet mandatum iubens: „Comede, fili, mel“ et faciens, quod iussum est, potitur sermone, qui sequitur: „Bonum est enim“, quia bonum est hoc mel, quod in scripturis invenitur. Quod autem dicitur: „Vade ad apem“, istiusmodi est. Est quaedam, ut ita dicam, apis super apes; et quomodo inter apes rex quidam est, qui nominatur esse rex, sic princeps apum Dominus meus est Iesus Christus, ad quem mittit me Spiritus sanctus, a
1 Petr. 2,2
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Spr. 25,16
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Schrift, sondern auch des Kosmos ist (princ. II 9,4 [GCS Orig. 5, 167]; in Ioh. comm. I 95 f. [GCS Orig. 4, 21]), hat die Homonymie als hermeneutischer Grundsatz analog auch für die Naturbetrachtung Geltung; vgl. in Ps. prol. frg. = philoc. 2,4 (SC 302, 246) und dazu die Vorbemerkung von Trigg, Origen 69. 39 In Iud. hom. 5,2 (GCS Orig. 7, 493) sagt Origenes das noch deutlicher: „Debora bedeutet Biene oder Wort (apis sive loquela). Doch bereits in der vorigen Predigt haben wir gesagt (vgl. ebd. 4,4 [7, 491]), dass das Wort ,Debora‘ als eine Form von Prophezeiung aufzufassen ist, die wie eine Biene ist. Es ist nämlich sicher so, dass jede Prophezeiung die köstlichen Waben der himmlischen Lehre und den süßen Honig des göttlichen Wortes erzeugt.“ Der Gedanke ist in der Bibel selbst vorge-
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geistigen Milch!“a Es gibt also ohne Zweifel geistige Milch, und wir müssen Milch von solcher Art suchen. Im Buch der Sprichwörter heißt es andererseits über den Honig: „Findest du Honig, iss soviel, wie dir bekommt, damit du ihn nicht etwa satt wirst und erbrichst.“b Und hat der Heilige Geist Sorge dafür getragen, dass wir von dem Honig, den jeder kennt, nicht zuviel essen? Nein, ganz bewusst spricht der Heilige Geist doch von geistigem Honig: „Findest du Honig, iss soviel, wie dir bekommt.“c Was aber hat der Heilige Geist mit der Weisung gemeint, wir sollten, wenn wir Honig finden – soweit Honig etwas ist, das man finden kann –, soviel essen, wie uns bekommt? „Geh“, sagt er, „zur Biene und lerne, wie sie arbeitet.“d Und die Propheten, so findet man heraus, sind Bienen, insofern sie Wachs bilden und Honig herstellen, und ihre Waben sind, wenn ich es so kühn ausdrücken darf, die Schriften, die sie hinterlassen haben.39 Entscheide dich, komm zu den Schriften, und du wirst Honig finden. Es heißt aber auch: „Iss Honig“, und ebenso wird im Buch der Sprichwörter gesagt: „Denn Honig ist dazu gut, dass dein Gaumen Süßes koste.“e Glaubst du, der Heilige Geist sagt: „Iss Honig, denn er ist gut“, und meint dabei den üblichen? Ich wage nicht zu sagen, der Heilige Geist gebe mir zu materiellem Honig die Anweisung: „Iss Honig.“ Was, wenn ich keinen habe oder von solcher Konstitution bin, dass ich keinen Honig essen kann – in welchem Sinn sagt er mir: „Iss Honig“, und nicht: Iss Fleisch, sondern: „Iss Honig, Sohn, denn er ist gut“? Wenn du siehst, dass die Bienen die Propheten sind und ihr Werk Honig beziehungsweise Waben, dann wirst du sehen, wie du die Stelle: „Iss Honig, Sohn, denn er ist gut“f in einer der Würde des Heiligen Geistes angemessenen Weise40 verstehen kannst. Wenn jemand über göttliche Aussprüche nachsinnt und in den Worten der Schriften seine Nahrung findet, erfüllt er das Gebot, das befiehlt: „Iss Honig, Sohn“, und indem er das Befohlene ausführt, gelangt er in den Besitz des folgenden Wortes: „Denn er ist gut“, denn gut ist der Honig, den man in den Schriften findet. Die Stelle: „Geh zur Biene“ aber ist so zu verstehen: Es gibt sozusagen so etwas wie eine Biene über den Bienen; und wie es unter den Bienen so etwas wie einen König gibt, der auch König genannt wird, so ist der Erste unter den Bienen mein Herr Jesus Christus, zu dem mich der Heilige Geist sendet, prägt; vgl. Ps. 118(119),103: „Wie köstlich ist für meinen Gaumen deine Verheißung, süßer als Honig für meinen Mund.“ Vgl. Wutz, Onomastica sacra 194: DeboÂrra sofh Á hà maÂuhsiw hà meÂlissa; ebd. 523. 742. 881. 969; Hieronymus, int. hebr. nom. p. 5 Lagarde (CChr.SL 72, 64): Debbora apis sive eloquentia; ebd. p. 32 (72, 99): Debbora apis vel loquax. 40 Im Hintergrund steht die Überzeugung von der durchgängigen Verbalinspiration der Schrift, die den Exegeten Origenes hinter jedem einzelnen Wort eine tiefere Bedeutung, ein Geheimnis annehmen lässt. Die exegetische Forderung eines „Gott angemessenen Sinnes“ ist hiermit eng verknüpft; siehe dazu Lies, „Gottes würdige“ Schriftauslegung.
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Homilia II
ut comedam mel, bonum est enim, et favos eius, ut indulcentur fauces meae.a Et forte subtiliores litterae favi erunt; mel vero est, qui in his est intellectus. Iste porro, qui est natus ex virgine Emmanuel, butyrum et mel manducat et quaerit ab unoquoque nostrum butyrum manducare. Quomodo a singulis nostrum butyrum quaerit et mel, sermo docebit. Opera nostra dulcia, sermones nostri suavissimi et utiles mella sunt, quae manducat Emmanuel, quae manducat iste, qui de virgine natus est. Si vero sermones nostri amaritudine pleni sunt, ira, animositate, maestitia, turpiloquio, vitiis, contentione, dedit in os meum fel et non comedit ab his sermonibus Salvator. Comedet autem Salvator de sermonibus, qui sunt apud homines, si fuerint sermones eorum mel. Approbemus hoc de scripturis. „Ecce, steti ante ostium et pulso; si quis aperuerit mihi ostium, ingrediar ad eum et cenabo cum illo, et ille mecum.“b Igitur ipse pollicetur se ex nostris cenaturum esse nobiscum. Certum est autem, quia et nos cum illo cenamus, si cenemus illum. Comedens quippe de nostris bonis sermonibus, operibus et intellectu repascit nos suis escis spiritalibus et divinis et melioribus. Proptera quia beatum est suscipere Salvatorem, apertis ostiis principalis cordis nostri praeparemus ei mella et omnem cenam eius, ut ipse nos ducat ad magnam cenam patris in regno caelorum, quae est in Christo Iesu, „cui est gloria et imperium in saecula saeculorum. Amen!“c a
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damit ich Honig esse, denn er ist gut, und seine Waben, damit mein Gaumen Süßes koste.a Und vermutlich werden die Waben subtilere Stellen sein; der Honig dagegen ist der in ihnen enthaltene geistige Sinn. Der Emmanuel nun, der aus der Jungfrau geboren worden ist, isst Butter und Honig und verlangt von jedem von uns, Butter zu essen. In welchem Sinn er von jedem von uns Butter verlangt und Honig, das wird das Wort lehren. Unsere süßen Taten, unsere süßesten und nutzbringenden Worte sind der Honig, den der Emmanuel isst, den der isst, der aus der Jungfrau geboren worden ist. Sind aber unsere Worte voller Bitterkeit, Zorn, Feindseligkeit, Trauer, übler Nachrede, Lasterhaftigkeit und Streitsucht, so hat dies meinen Mund mit Galle erfüllt, und der Erlöser isst nicht von diesen Worten. Der Erlöser wird aber von den Worten, die bei den Menschen ausgesprochen werden, essen, wenn ihre Worte Honig sind. Wir wollen dies aus den Schriften belegen. „Siehe, ich bin vor die Tür getreten und klopfe; wenn mir jemand die Tür öffnet, werde ich bei ihm eintreten, und ich werde mit ihm speisen und er mit mir.“b Also verspricht er selbst, er werde mit uns von dem, was wir haben, essen. Es ist aber gewiss, dass auch wir mit ihm essen, wenn wir ihn essen. Er isst ja von unseren guten Worten, Taten und unserer guten Einsicht und nährt uns dafür mit seiner geistigen und göttlichen, seiner besseren Speise. Deswegen, weil es selig macht, den Erlöser aufzunehmen, lasst uns die Tore des herrschenden Teils unseres Herzens auftun und ihm Honig und sein gesamtes Mahl bereiten, damit er selbst uns zum großen Mahl des Vaters im Königreich der Himmel führe, das in Christus Jesus stattfindet; „sein ist die Herrlichkeit und die Macht in alle Ewigkeit. Amen!“c
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HOMILIA III.
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De septem mulieribus.a 1. Septem mulieres patiuntur opprobrium et circumeunt quaerentes eum recipere, qui possit auferre opprobrium earum. Ipsae septem mulieres repromittunt, ut suum panem manducent et vestimentis suis operiantur.b Non necesse habent panem eius, qui opprobrium earum aufert, non indigent vestimentis hominis, quem adsumunt. Meliora habent vestimenta, quam potest iis homo praestare; lautiores habent cibos, quam conditio potest humana largiri. Cuius ergo sint septem mulieres et quod opprobrium sit earum, dignum est considerare. Septem mulieres una sunt; spiritus enim Dei sunt. Et ista una septem sunt; spiritus enim Dei est „spiritus sapientiae et intellectus, spiritus consilii et virtutis, spiritus scientiae et pietatis, spiritus timoris Domini“.c Ista sapientia patitur opprobrium a multis sapientiis insurgentibus in se; iste verus intellectus sustinet opprobrium ab intellectibus falsis; istud magnum consilium opprobratur a multis consiliis non bonis, ista virtus maledicitur a quadam, quae, cum non sit virtus, repromittit se esse virtutem; ista scientia patitur opprobrium a quadam falsi nominis scientia nomen suum surripiente; ista pietas exprobratur ab ea, quae, cum se dicat esse pietatem, impietas est et impios instruit; iste timor patitur opprobrium ab eo, qui putatur esse timor; multi enim pollicentur divinum metum, sed non cum scientia metuunt. d Quomodo ergo istae septem patiuntur opprobrium, consideremus. Vide sapientiam saeculi huius, vide sapientiam a
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41 Eine Übersetzung dieser Homilie bietet Schlütz, Isaias 11,2, 90–94. 42 Im hebräischen Text ist von lediglich sechs Attributen des Geistes die Rede. Hier wie etwa auch in Regn. hom. lat. 18 (GCS Orig. 8, 25) zitiert Origenes den Text mit sieben Attributen. Siehe dazu oben S. 38–40. 43 Die Gegenüberstellung von Einheit und Vielheit ist das Grundprinzip der platonisch imprägnierten Theologie des Origenes. Es bestimmt die Stratifizierungen und Stufungen des gesamten kosmisch-heilsgeschichtlichen Geschehens vom Fall der präexistenten Seelen in die Vielheit des Materiellen bis hin zur eschatologischen Einheit aller in Gott; vgl. p. 19 Görgemanns/Karpp. 44 Mit dieser Formulierung (scientia – gnv Ä siw) meinte Origenes wohl die Gnosis, die seit 1 Tim. 6,20 (Roloff, EKK XV, 234: „Vertreter einer Frühform der christlichen Gnosis“) von den kirchlichen Theologen als „fälschlich so genannte Erkenntnis“ (ceydvÂnymow gnv Ä siw) kritisiert wurde; vgl. Irenäus, haer. I 11,1 (FC 8/1, 208); I 23,4 (8/1, 294); II praef. 1 (8/2, 16); II 13,10 (8/2, 104); III 11,1 (8/3, 96); Clemens von
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HOMILIE 341 Die sieben Frauen.a
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1. Sieben Frauen erleiden eine Schmach und gehen umher, weil sie den zum Mann nehmen wollen, der ihre Schmach von ihnen nehmen kann. Ihrerseits versprechen die sieben Frauen dafür, ihr eigenes Brot zu essen und ihre eigenen Kleider zu tragen.b Das Brot dessen, der ihre Schmach von ihnen nimmt, haben sie nicht nötig, noch bedürfen sie der Kleider des Menschen, den sie zum Mann nehmen. Bessere Kleider haben sie, als ein Mensch ihnen geben, feinere Speisen, als die Menschenwelt bieten kann. Um wessen sieben Frauen es sich handelt und worin ihre Schmach besteht, lohnt also der Untersuchung. Die sieben Frauen sind eine einzige; denn sie sind der Geist Gottes. Und bei dieser einen handelt es sich um sieben; denn der Geist Gottes ist „der Geist der Weisheit und der Einsicht, der Geist des Rates und der Kraft, der Geist der Erkenntnis und der Frömmigkeit, der Geist der Furcht des Herrn“.c 42 Diese Weisheit ist es, die eine Schmach von Seiten der vielen Weisheiten erleidet,43 die sich gegen sie erheben; diese wahre Einsicht erträgt eine Schmach von Seiten der falschen Einsichten; dieser große Rat wird von vielen schlechten Ratschlägen geschmäht, diese Kraft von derjenigen verhöhnt, die, obwohl sie keine Kraft ist, verspricht, eine Kraft zu sein; diese Erkenntnis erleidet eine Schmach von Seiten einer fälschlich so genannten Erkenntnis,44 die sich ihren Namen anmaßt; diese Frömmigkeit wird von derjenigen getadelt, die, obwohl sie behauptet, Frömmigkeit zu sein, Gottlosigkeit ist und Menschen zur Gottlosigkeit anstiftet; diese Furcht erleidet eine Schmach durch diejenige, die für Furcht gehalten wird; denn viele versprechen Gottesfurcht, doch ist ihre Furcht ohne Erkenntnis.d Wir wollen also untersuchen, wie45 diese sieben Frauen eine Schmach erleiden. Sieh dir die Weisheit dieser Welt und die Weisheit Alexandria, strom. III 30,1 (GCS Clem. 2, 209); Origenes, in Ioh. comm. V 8 (GCS Orig. 4, 105); Eusebius, hist. eccl. I 1 (GCS Eus. 2/1, 6). 45 In dieser Frage steckt ein Leitmotiv der Schrifthermeneutik des Origenes, das er in Is. hom. 6,3 (GCS Orig. 8, 272) explizit zum Ausdruck bringt: In der Bibel findet sich meist ausschließlich das „Dass“ (quia/oÏti), also eine bestimmte Tatsache der Heilsgeschichte, dokumentiert. Diese muss deshalb noch genauer hinsichtlich der exakten Bedeutung, seines „Wie“ (quomodo/pv Ä w), und der Gründe, seines „Warum“ (unde/poÂuen), reflektiert werden. Diese Reflexionsleistung hätten die Apostel den theologisch versierteren Christen späterer Generationen, erklärt Origenes, zum Zwecke der geistigen Übung überlassen: princ. praef. 3 (GCS Orig. 5, 9).
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Homilia III
principum mundi istius,a quomodo exprobrant sapientiam Christi mei, quomodo exprobrant sapientiam Iudaismi veri, iuxta quod nos circumcidimur spiritaliter, isti vero praeciduntur. Intellige itaque, quomodo sapientia saeculi huius et principum mundi istius maledicunt sapientiae; ac per hoc quaeritur homo, qui cum istis septem spiritalibus mulieribus sit, ut auferat opprobrium earum.b Proprie unus est homo, qui auferat opprobrium earum. Quis est iste homo? Iesus, qui exivit iuxta carnem de radice Iesse, „factus ex semine David secundum carnem, praedestinatus filius Dei in virtute iuxta spiritum iustificationis“.c „Exiit“ quippe „virga de radice Iesse.“d Virga non est „primogenitus omnis creaturae“,e virga non est, qui „in principio erat apud Deum Deus verbum“,f sed virga de radice Iesse, qui iuxta carnem natus est. „Exiit“ ergo „virga de radice Iesse, et flos de radice eius adscendit.“g Quis est flos, et quae est radix? Ambo enim unum in ipso subiacenti; differentia autem est negotiorum. Nam si peccator es, non est tibi flos neque videbis florem, qui est ex radice Iesse; veniet enim et ad te virga, quomodo discipulus virgae et floris loquitur. De virga quidem dicit: „Quid vultis? In virga veniam ad vos?“, de flore vero: „An in caritate Dei et spiritu mansuetudinis?“h Exiit ergo de radice Iesse virga ei, qui suppliciis plectitur, virga ei, qui indiget increpatione, virga ei, qui necesse habet, ut arguatur, flos vero ei, qui iam eruditus est et non indiget dura correctione vel certe non indiget poenis, sed valenti iam florere incipere ad perfectum fructum. Primum enim flos ostenditur, deinde post florem virga fit ad fructum. „Exiit virga de radice Iesse, et flos de radice eius adscendit.“ Et requiescent septem mulieres, „spia g
1 Kor. 2,6 Jes. 11,1
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b Jes. 4,1 1 Kor. 4,21
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Röm. 1,3 f.
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Joh. 1,1
46 Entsprechend der offenbar intendierten Antithese zum geistigen Pendant, das die Christen mit ihrem sittlichen Leben praktizieren, muss praeciduntur, hier vermutlich um der variatio willen als Synonym für das vorher gebrauchte circumcidimur verwendet, die körperliche Beschneidung der Juden bezeichnen. Vgl. dazu die dritte Predigt über die Genesis (GCS Orig. 6, 39–50), die insgesamt dieser für Origenes wichtigen Unterscheidung gewidmet ist. 47 Die Übersetzung von iustificatio richtet sich nach dem griechischen aëgivsyÂnh in Röm. 1,4. So zitiert Origenes den Vers etwa auch in Ioh. comm. II 70 (GCS Orig. 4, 64). 48 Das seltene hebräische Wort für „Reis“ in Jes. 11,1 (htr) begegnet sonst nur noch in der Bedeutung „Rute“: Spr. 14,3; Sir. 30,35; auch außerbiblisch: Beuken, Jesaja 1–12, 307 f. Weil die folgenden Ausführungen des Origenes nur auf der Basis dieser Semantik verständlich werden, übersetzen wir auch im Bibelzitat mit „Rute“. 49 Im Folgenden gibt Origenes einen Abriss seiner Lehre von den christologischen eÆpiÂnoiai, verbunden mit seinem Verständnis göttlicher Pädagogik und Überredungskunst. Demnach verweisen die zahlreichen biblischen Bezeichnungen für Jesus
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Homilie 3,1
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der Fürsten dieser Welt an,a wie sie die Weisheit meines Christus schmähen, wie sie die Weisheit des wahren Judentums schmähen, gemäß dem wir uns geistig beschneiden lassen, diese dagegen körperlich!46 Begreife also, wie die Weisheit dieser Welt und der Fürsten dieser Welt die Weisheit verhöhnen; und deshalb wird ein Mann gesucht, der mit diesen sieben geistigen Frauen zusammen sein soll, um ihre Schmach von ihnen zu nehmen.b Eigentlich gibt es nur einen einzigen Menschen, der ihre Schmach von ihnen nehmen kann. Wer ist dieser Mensch? Jesus, der dem Fleische nach aus der Wurzel Jesse hervorging, „nach dem Fleisch geworden aus dem Samen Davids, bestimmt zum Sohn Gottes in der Kraft nach dem Geist der Heiligung“.c 47 „Es ging“ ja „eine Rute48 aus der Wurzel Jesse hervor“.d Die Rute ist nicht der „Erstgeborene der ganzen Schöpfung“,e die Rute ist nicht der, „der im Anfang bei Gott war, Gott, das Wort“,f sondern die Rute aus der Wurzel Jesse ist der, der dem Fleische nach geboren worden ist. „Es ging“ also „eine Rute aus der Wurzel Jesse hervor, und eine Blüte stieg aus seiner Wurzel empor.“g Was ist die Blüte und was ist die Wurzel? Beide sind nämlich eins in ihrer Substanz; der Unterschied liegt vielmehr in ihrem Wirken.49 Denn sofern du Sünder bist, hast du die Blüte nicht noch wirst du die Blüte sehen, die aus der Wurzel Jesse stammt; denn die Rute wird auch zu dir kommen, wie es der Jünger von Rute und Blüte sagt. Zunächst sagt er über die Rute: „Was wollt ihr? Soll ich mit der Rute zu euch kommen?“, dann über die Blüte: „Oder in der Liebe Gottes und im Geist der Sanftmut?“h Es ging also für den eine Rute aus der Wurzel Jesse hervor, an dem Strafe und Züchtigung vollzogen werden, eine Rute für den, der der Schelte bedarf, eine Rute für den, der sie zu seiner Bloßstellung nötig hat, die Blüte dagegen für den, der schon erzogen ist und keiner strengen Zurechtweisung oder zumindest keiner Strafen mehr bedarf, sondern bereits imstande ist, erste Blüten auf dem Weg zur vollkommenen Frucht zu treiben. Zunächst wird nämlich die Blüte vor Augen gestellt, dann, nach der Blüte, wird die Rute zur Frucht.50 „Es ging eine Rute aus der Wurzel Jesse hervor, und eine Blüte stieg aus seiner Wurzel empor.“ Und ruhen werden die sieben Frauen, „der Christus nicht auf eine tatsächliche Unterscheidung innerhalb des göttlichen Logos selbst. Vielmehr sind sie Ausdruck seines Wirkens, das sich nach dem geistigmoralischen Fortschritt jedes einzelnen Menschen richtet. So ist Christus dem einen, der dem Werben des Logos um sein Heil beharrlich trotzt, strenger Lehrer und Zuchtmeister, dem anderen dagegen, der im Glauben bereits fortgeschritten ist, milder Wohltäter und Freund. Vgl. in Num. hom. 9,9 (GCS Orig. 7, 67): „Denn ist Christus in sich auch substantiell eins, nimmt er doch für einzelne verschiedene Gestalten an ... Wer der Schläge bedarf, zu dem geht er aus als Rute; wer aber zur Gerechtigkeit fortschreitet, für den steigt er zur Blüte empor.“ Siehe dazu ausführlich oben S. 152–155. 50 Den Übergang von strenger Zucht zu Einsicht und Besserung stellt Origenes, in Ioh. comm. I 262 f. (GCS Orig. 4, 46), ausführlicher dar: „So wird er auch, wenn
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Homilia III
ritus Dei, spiritus sapientiae et intellectus requiescet super eum“.a Spiritus enim sapientiae non requievit in Moyse, spiritus sapientiae non requievit in Iesu Nave, spiritus sapientiae non requievit in singulis prophetarum, in Isaia, in Hieremia. 2. Nec vero quasi blasphemantem me lapidetis, dum velim glorificare Dominum meum Iesum Christum, sed sustinentes considerate, quod dicitur, et videbitis, quia in nullo eorum requieverit spiritus, non quod ad nullum venerit, sed quod in nullo requiverit. Venit super Moysen, et non credit Moyses post spiritum sapientiae, qui venit ad eum. „Audite“ enim ait „contumaces: Numquid ex petra ista educam vobis aquam?“b Venit super omnes iustos, venit et super Isaiam. Sed quid ait? „Immunda labia habens, et in medio populi immunda labia habentis ego habito.“c Venit spiritus sapientiae post illam forficem et ignem,d venit ad immunda labia habentem, sed non requievit. Ministro quidem eo usus est, non autem requievit; tribulatur, ad quemcumque venerit hominum. Peccat enim omnis homo, „non est iustus super terram, qui faciat bonum et non peccet“;e „nemo mundus a sordibus, neque si una die sit vita eius, numerati autem menses eius.“f Igitur super nullum requiescit. Possumus et de Evangelio probare, quia venit spiritus super multos et non mansit in iis. Ante paululum lectum est: „Non permanebit spiritus meus in hominibus istis in aeternum“;g non ait: Non erit, sed: „Non permanebit.“ Unum vidit Iohannes solum, in quo permansit, et signum hoc erat: „Super quem videris Spiritum descendentem et manentem in eo, iste est filius Dei.“h Ministravit quidam verbo Dei spiritu descendente; post modicum peccat, post modicum otiosum verbum loquitur.i Nescio autem, an et sine peccato maneat; putasne, praesente spiritu peccare conceditur? Super nullum ergo requievit spiritus Dei, secundum quod scriptum est: „Exiit virga de radice Iesse, et flos de radice eius adscendit, et requiescet super eum spiritus Dei, spiritus sapientiae, spiritus intellectus, spiritus consilii et virtutis.“j Propter hoc magni consilii est angelus,k propter hoc invaluit et invalescens adscendit, et mirantur eum virtutes adscendentem et dicunt de a g
Jes. 11,1 f. Gen. 6,3
c Num. 20,10 Jes. 6,5 i Joh. 1,33 f. Mt. 12,36
b h
Jes. 6,6 f. Jes. 11,1 f.
d j
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f Koh. 7,20 Ijob 14,4 f. Jes. 9,6(5) LXX
er ,Rute‘ genannt wird, ,hervorgehen‘ (Jes. 11,1), denn er verharrt nicht in sich selbst, sondern steht, wie es scheint, außerhalb der früheren Würdestellung. Doch einmal ,hervorgegangen‘ und zur ,Rute‘ geworden, bleibt er nicht ,Rute‘, sondern wird nach der ,Rute‘ zur ,Blüte‘, die emporsteigt.“
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Geist Gottes, der Geist der Weisheit und der Einsicht wird auf ihm ruhen“.a Der Geist der Weisheit hat nämlich nicht in Mose geruht, der Geist der Weisheit hat nicht in Josua, dem Sohn Nuns, geruht, der Geist der Weisheit hat nicht in einzelnen Propheten geruht, in Jesaja oder Jeremia.51 2. Aber steinigt mich nicht, als wäre ich ein Gotteslästerer, wo ich doch meinen Herrn Jesus Christus verherrlichen will, sondern haltet an euch und bedenkt, was ich sage, und ihr werdet sehen, dass in keinem von ihnen der Geist geruht hat, nicht, dass er zu keinem gekommen wäre, sondern dass er in keinem geruht hat. Er kam über Mose, doch Mose glaubt nicht, nachdem der Geist der Weisheit zu ihm gekommen ist. „Hört, ihr Ungehorsamen“, sagt er nämlich, „soll ich euch etwa aus diesem Stein Wasser fließen lassen?“b Er kam über alle Gerechten, er kam auch über Jesaja. Doch was sagte der? „Ich habe unreine Lippen, und ich wohne inmitten eines Volkes mit unreinen Lippen.“c Der Geist der Weisheit kam nach jener Berührung mit der Zange und dem Feuer,d er kam zu ihm, der unreine Lippen hatte, aber er ruhte nicht. Er benutzte ihn zwar als Diener, aber er ruhte nicht. Bedrängnis erleidet jeder Mensch, zu dem er gekommen ist. Denn jeder Mensch sündigt, „gibt es doch keinen Gerechten auf Erden, der das Gute tut und nicht sündigt“.e „Niemand ist frei von Beschmutzung, nicht einmal wenn sein Leben erst einen einzigen Tag währt, seine Monate aber gezählt sind.“f Also ruht er auf niemandem. Wir können auch aus dem Evangelium Belege dafür anführen, dass der Geist über viele gekommen ist, ohne in ihnen zu bleiben. Vor kurzem hieß es in der Lesung:52 „Mein Geist wird nicht für immer in diesen Menschen bleiben“;g es heißt nicht: Er wird nicht sein, sondern: „Er wird nicht bleiben.“ Einen einzigen sah Johannes, in dem er blieb, und das Zeichen dafür war folgendes: „Auf wen du den Geist herabsteigen siehst und auf wem er bleibt, der ist der Sohn Gottes.“h Jemand hat dem Wort Gottes gedient, als der Geist herabstieg; nach einer Weile sündigt er, nach einer Weile spricht er ein unnützes Wort.i Ich weiß aber nicht, ob er auch frei von Sünde bleibt; glaubst du, es ist möglich, in Gegenwart des Geistes zu sündigen?53 Auf niemandem also ruhte der Geist Gottes so, wie geschrieben steht: „Es ging eine Rute aus der Wurzel Jesse hervor, und eine Blüte stieg aus seiner Wurzel empor, und der Geist Gottes wird auf ihm ruhen, der Geist der Weisheit, der Geist der Einsicht, der Geist des Rates und der Kraft.“j Deshalb ist er der Engel des großen Rates,k deshalb gewann er die Oberhand und stieg siegreich empor, und bei seinem Aufstieg bewundern ihn die Mächte und sagen über ihn: Dies ist „der Herr, tapfer
51 Zur Auszeichnung der Gegenwart des Geistes in Christus vor den Propheten vgl. in Num. hom. 6,3 (GCS Orig. 7, 33), zitiert oben S. 44. 52 Siehe dazu oben S. 22. 53 Vgl. dazu in Num. hom. 6,3 (GCS Orig. 7, 33 f.), zitiert oben S. 44 f.
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Homilia III
eo: Iste est „Dominus fortis et potens in proelio“.a Ad hunc ergo dicam adscendentem in caelestia vel ad fortitudinem eius, quia: „Requievit super eum spiritus consilii et fortitudinis“;b „fortitudo mea et laus mea Dominus, et factus est mihi in salutem.“c „Requievit“ ergo „super eum spiritus Dei, spiritus sapientiae et intellectus, spiritus consilii et virtutis, spiritus scientiae et pietatis, et implevit eum spiritus timoris Dei.“d 3. „Mulieres“ igitur quaerentes, quem „adsumant, apprehendent septem unum hominem“.e Et hoc ex prioribus pendet et oportet primo cognoscere, quando recipiant septem mulieres unum hominem. Cum fortes Hierusalem humiliati fuerint, cum luxerint thecae eorum ornamenti filiarum Sion, cum derelicta fuerit illa sola, cum elisa fuerit ad terram,f tunc „apprehendent septem mulieres unum hominem dicentes: Panem nostrum manducabimus et vestimentis nostris operiemur; verumtamen nomen tuum invocetur super nos“,g tunc apprehenderunt et vere tenuerunt septem mulieres hominem unum Iesum Christum Dominum nostrum, iuxta quod intelligitur homo, iuxta quod natus est, iuxta quod corpus adsumpsit. „Apprehendent septem mulieres hominem unum dicentes: Panem nostrum manducabimus.“h Multi ambulant homines et nullum apprehendunt mulieres, nullus iis placet homo; non enim propter inopiam hominum unum hominem apprehendunt, sed propter raritatem hominis, qualem voluerunt, qualem quaesierunt; unum solum reppererunt hominem, quem apprehenderunt, ut dicant ei: „Panem nostrum manducabimus et vestimentis nostris operiemur.“i Est quidam cibus a g
b c Ps. 23(24),8 Jes. 11,2 Jes. 12,2 h i Jes. 4,1 Jes. 4,1 Jes. 4,1
d
Jes. 11,2 f.
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Jes. 4,1
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Jes. 3,16.25 f.
54 Ähnlich wie die christologische Deutung des einen der beiden Gott umgebenden Seraphim stellt auch die Bezeichnung „Engel des großen Rates“ (II p. 578 Rahlfs; p. 156 Ziegler: megaÂlhw boylhÄw aÍggelow als Übersetzung von pl jw s, eigentlich: „wunderbarer Ratgeber“) den Versuch dar, Wesen und Wirken Christi mit den Mitteln alttestamentlicher Engelvorstellungen zu erklären. In Absetzung von gnostisch-naturalistischen Auffassungen, in denen Christus als Oberhaupt einer Engelhierarchie konzipiert ist (vgl. Clemens von Alexandria, exc. Theod. 43,2 f. [GCS Clem. 32, 120]), ist das Engelsprädikat hier und an anderer Stelle als funktionale und heilsgeschichtlich-ökonomische Christus-eÆpiÂnoia verwendet. Zum einen verkündet der Logos als „Bote“ Wissen um Gott und die Mittel des Aufstiegs zu ihm (in Ioh. comm. I 277 f. [GCS Orig. 4, 49]; Cels. V 53 [GCS Orig. 2, 57]); fortgeschrittenen Christen ist er nicht nur Ursprung ihres besonderen Wissens, sondern sogar persönlicher Schutzengel (in Ioh. comm. I 165 f. [GCS Orig. 4, 31]; in Matth. comm. XIII 26 [GCS Orig. 10, 253 f.]; Cels. VIII 27 [GCS Orig. 2, 243]; vgl. Gregor Thaumaturgos, pan. Orig. 42 [FC 24, 138], über den Engel Jakobs. Zum anderen
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und mächtig in der Schlacht“.a 54 Von ihm, der zum Himmel emporsteigt, und von seiner Kraft will ich daher sagen, dass „der Geist des Rates und der Kraft auf ihm geruht hat“;b „meine Kraft und mein Loblied ist der Herr, und er ist mir zum Heil geworden.“c „Geruht“ also „hat der Geist Gottes auf ihm, der Geist der Weisheit und der Einsicht, der Geist des Rates und der Kraft, der Geist der Erkenntnis und der Frömmigkeit, und es erfüllte ihn der Geist der Gottesfurcht.“d 3. „Die Frauen“ also, die suchen, wen sie „zum Mann nehmen können, werden sich zu siebt an einen einzigen Menschen klammern“.e Auch dies hängt von den vorhergehenden Ereignissen ab, und als erstes muss man feststellen, zu welchem Zeitpunkt die sieben Frauen den einen Menschen zum Mann nehmen. Wenn die Helden Jerusalems niedergeworfen sind, ihre Kästchen mit dem Schmuck der Töchter Zions einen traurigen Anblick bieten, wenn es (sc. Jerusalem) allein und verlassen ist und geplündert am Boden sitzt,f dann „werden sich die sieben Frauen an einen einzigen Menschen klammern und sagen: Wir werden unser eigenes Brot essen und unsere eigenen Kleider tragen; nur lass uns deinen Namen tragen“,g dann haben sich die sieben Frauen an einen einzigen Menschen, Jesus Christus, unseren Herrn, geklammert und ihn wirklich festgehalten, insoweit er als Mensch verstanden wird, geboren worden ist und einen Körper angenommen hat. „Sieben Frauen werden sich an einen einzigen Menschen klammern und sagen: Unser eigenes Brot werden wir essen.“h Viele Menschen sind unterwegs, und an keinen klammern sich die Frauen, kein Mensch gefällt ihnen; denn nicht wegen eines Mangels an Menschen klammern sie sich an einen einzigen Menschen,55 sondern wegen der Seltenheit des Menschen, den sie begehrten und suchten; nur einen einzigen Menschen fanden sie, an den sie sich klammerten, um ihm zu sagen: „Unser eigenes Brot werden wir essen und unsere eigenen Kleider tragen.“i Es gibt so etwas wie
wird der Logos im Einklang mit dem Grundsatz göttlicher Pädagogik auch den Engeln um ihres Heiles willen zu ihresgleichen (in Ioh. comm. I 217 f. [GCS Orig. 4, 38 f.]; in Gen. hom. 8,8 [GCS Orig. 6, 83]). Die Vorstellung einer Auszeichnung des geistig Fortgeschrittenen durch die Gegenwart des Göttlichen teilt Origenes mit seinem Zeitgenossen Plotin (vgl. enn. III 4,3.6), von dem sein Schüler Porphyrios berichtet, nicht ein niederer daiÂmvn, sondern ein Gott habe ihn als Schutzengel begleitet (vit. Plot. 56–59). Auf diesen wichtigen Aspekt im Denken des Origenes hat Trigg, The Angel of Great Counsel, aufmerksam gemacht. – Denselben funktionalen Sinn hat die Beziehung der Bezeichnung „Engel des großen Rates“ auf Christus schon bei Justin, dial. 76,3 (PTS 47, 201); 126,1 (47, 287); Tertullian, carn. Chr. 14,3 (CChr.SL 2, 899); Hippolyt, in Dan. II 32 (GCS N.F. 7, 120); siehe dazu Barbel, Christos Angelos 18 f. 60 Anm. 68. 68–70. 70 f. 55 Das ist freilich der historische Sinn des Textes, der einen Mangel an heiratsfähigen Männern in einer Nachkriegszeit voraussetzt: Beuken, Jesaja 1–12, 119.
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Homilia III
sapientiae, est quidam cibus similiter et intellectus et reliquorum spirituum. Quis est iste cibus? Non timeo dicere: Cibus alius est extra istos; forte ut meus cibus est sermo Dei, qui ait: „Ego sum panis vivens, qui de caelo descendi“a et „vitam do mundo“,b sic sapientiae cibus est ipse pater propter hoc: „Meus cibus est, ut faciam voluntatem eius, qui me misit, et consummem opus eius.“c Nec putandum est aliquid indigere sapientiam et intellectum ceterosque spiritus, quia alium cibum habeant, cum totius dispensationis unus sit cibus natura Dei. „Panem nostrum manducabimus et vestimentis nostris operiemur.“d Est quidam ornatus sapientiae, quo decoratur; ornata est sermone sapientia. Singulae harum mulierum habent ornamenta. „Verumtamen nomen tuum invocetur super nos, aufer opprobrium nostrum.“e Quod est nomen sapientiae? Iesus. Quid est: „Invocetur nomen tuum super nos“? Ego sum sapientia, volo nomine tuo vocari, ut ego sapientia dicar Iesus, ut intellectus et consilium magnum et fortitudo et scientia et pietas et timor Dei nominentur Iesus, ut omnia in omnibusf tuum nomen fiat. „Nomen tuum invocetur super nos, aufer opprobrium nostrum.“g Revera abstulit opprobrium Iesus. Idcirco surgentes oremus Deum, qui hunc misit hominem et septem mulierum spiritus in eo requievit, ut et nobis iste homo tribuat communionem harum mulierum et adsumentes eas fiamus sapientes et intelligentes in Deo ceteraeque virtutes exornent animam nostram in Christo Iesu, „cui est gloria et imperium in saecula saeculorum. Amen!“h a f
Joh. 6,51; vgl. 6,33.35 g 1 Kor. 15,28 Jes. 4,1
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Joh. 6,33 1 Petr. 4,11
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Joh. 4,34
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Jes. 4,1
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Jes. 4,1
56 Diesen Satz hat wahrscheinlich Hieronymus eingefügt: siehe oben S. 171 f. 57 Dieser Paulusvers wurde in der frühchristlichen Literatur nur von Irenäus, haer. V 36,2 (FC 8/5, 272), im eschatologischen Schlussteil dieses gesamten Werkes und von Tertullian, adv. Prax. 4,2 (FC 34, 114), im Kontext trinitätstheologischer Überlegungen, für die er aus der Stelle ein sprachlogisches Argument gewann, aufgegriffen. In der Eschatologie des Origenes fungierte er als zentraler biblischer Beleg für die Apokatastasis; vgl. in Ioh. comm. I 234 f. (GCS Orig. 4, 41 f.); princ. II 3,7 (GCS Orig. 5, 125); III 5,6 f. (5, 277 f.); in Lev. hom. 7,2 (GCS Orig. 6, 376 f.). Zahlreiche weitere Stellen bei Schendel, Herrschaft 80–110.
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eine Speise der Weisheit und gleichermaßen so etwas wie eine Speise der Einsicht und der übrigen Geistesgaben. Was ist das für eine Speise? Ich scheue mich nicht zu sagen: Die Speise ist ein anderer außerhalb von ihnen; wie meine Speise das Wort Gottes ist, das spricht: „Ich bin das lebendige Brot, das vom Himmel herabgestiegen ist“a und „sein Leben gibt für die Welt“,b so ist die Speise der Weisheit (sc. Christi) der Vater selbst, heißt es doch: „Meine Speise ist es, den Willen dessen zu tun, der mich gesandt hat, und sein Werk zu vollenden.“c Aber man darf nicht annehmen, der Weisheit, der Einsicht oder den übrigen Geistesgaben fehle irgend etwas, weil sie einen anderen als Speise hätten, wo doch die Speise des gesamten Heilsplans eine einzige ist: das Wesen Gottes.56 „Unser eigenes Brot werden wir essen und unsere eigenen Kleider tragen.“d Es gibt so etwas wie einen Schmuck der Weisheit, der sie ziert; geschmückt ist die Weisheit mit dem Wort. Jede einzelne dieser Frauen hat ihren Schmuck. „Nur deinen Namen lass uns tragen, nimm unsere Schmach von uns.“e Was ist der Name der Weisheit? Jesus. Was bedeutet: „Lass uns deinen Namen tragen“? Ich selbst bin die Weisheit, ich selbst will mit deinem Namen angeredet werden, auf dass ich, die Weisheit, Jesus genannt werde, auf dass Einsicht, großer Rat, Kraft, Erkenntnis, Frömmigkeit und Gottesfurcht den Namen Jesu tragen, auf dass alles in allemf 57 zu deinem Namen werde.58 „Deinen Namen lass uns tragen, nimm unsere Schmach von uns.“g Tatsächlich, Jesus hat unsere Schmach von uns genommen. Erheben wir uns also und bitten wir Gott,59 der diesen Menschen gesandt hat, auf dem der Geist der sieben Frauen ruhte, dass dieser Mensch auch uns Gemeinschaft mit diesen Frauen gebe und wir, indem wir diese zu uns nehmen, weise und verständig werden in Gott und dass die übrigen Tugenden unsere Seele schmücken in Christus Jesus; „sein ist die Herrlichkeit und die Macht in alle Ewigkeit. Amen!“h
58 Dieser Satz erinnert entfernt an das berühmte Bekenntnis des Origenes, in Luc. hom. 16,6 (GCS Orig. 92, 98), er wolle nach Christi Namen genannt werden: „Ich möchte diesen Namen tragen; ja, ich will in Tat und Denken Christ sein und heißen“; Übersetzung: Sieben, FC 4/1, 191. 59 Die Aufforderung zu einem solchen Gebet nach der Homilie begegnet auch in Num. hom. 20,5 (GCS Orig. 7, 198); 22,4 (7, 210); in Ios. hom. 20,6 (GCS Orig. 7, 427); in Cant. hom. 2,13 (GCS Orig. 8, 60): Grappone, Contesto liturgico 351 mit Anm. 114.
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HOMILIA IV. *****
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1. Impossibile est invenire principium Dei. Principium motus Dei nusquam comprehendis, non dico tu, sed neque aliqui neque aliud quicquam eorum, quae subsistunt. Solus Salvator et Spiritus sanctus, qui semper fuerunt cum Deo, vident faciem eius; forte et angeli, qui vident iugiter faciem patris, qui est in caelis,a vident et principia negotiorum. Sic autem et pedes abscondunt ante homines Seraphim;b novissima enim, ut sunt, non valent enarrari. „Quis adnuntiavit de novissimis?“c ait Scriptura. Quae videmus – ut tamen concedatur, quia aliquid videmus –, media sunt. Quae ante mundum fuerint, ignoramus; fuerunt porro quaedam ante mundum. Quae post mundum secutura sint, ad certum non apprehendimus; erunt autem alia post mundum. Ea igitur, quae scripta sunt: „In principio fecit Deus caelum et terram. Terra autem erat invisibilis et incomposita, et tenebrae erant super a
Mt. 18,10
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Jes. 6,2
c
Jes. 41,26
60 Für diese Homilie sind verschiedene Titel überliefert: Baehrens, GCS Orig. 8, 257 app. crit. Die zwei ältesten Codices aus dem 11. und 12. Jahrhundert (Codex Laudunensis 299 und Codex Vaticanus 212) bieten: Rursum in visione aliter; ähnlich der Codex Atrebatensis 303 (13. Jahrhundert) und der Mischcodex Barberinus 587: Visio de duobus Seraphin aliter. Eine etwas längere Fassung begegnet in zwei Handschriften des 15. Jahrhunderts (Codex Pragensis V B 16 und Codex Vindobonensis 3925; die Ergänzungen in Klammern stehen im Prager Codex): De visione Dei et (de) Seraphin (et cetera). Inhaltlich sind alle Überschriften zutreffend, textkritisch ist nicht zu entscheiden, welche Form als erste in der handschriftlichen Überlieferung aufgetaucht ist. 61 Zur Unmöglichkeit, den Anfang bzw. Ursprung (exordium) und das Ende (novissimum) Gottes zu sehen, siehe in Is. hom. 1,2 (GCS Orig. 8, 245). Der hier mit „Ursprung“ wiedergegebene Begriff aÆrxh (principium) ist doppeldeutig: Er bezeichnet sowohl einen (zeitlichen) Anfang als auch ein (logisches) Prinzip. Die ausführlichste Darstellung der zahlreichen Bedeutungen von aÆrxh findet sich in Origenes’ spekulativem Hauptwerk PeriÁ aÆrxv Ä n, das nach den Prinzipien von Kosmos und Sein eigens betitelt ist, sowie im ersten Buch seines Kommentars zum Johannesevangelium: in Ioh. comm. I 90–124 (GCS Orig. 4, 20–25). 62 Dieses eius fehlt in den Hauptzeugen der handschriftlichen Überlieferung der Jesajahomilien, steht aber im Codex Abricatensis 52 und wurde von den beiden Delarue in den Text genommen: Baehrens, GCS Orig. 8, 257 app. crit. 63 Hinter dieser Begriffen steht die Übersetzung des hebräischen tohuwabohu, „Irrsal und Wirrsal“ (I p. 9 Buber/Rosenzweig), in Gen. 1,2 mit aÆoÂratow kaiÁ aÆkata-
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1. Es ist unmöglich, den Ursprung Gottes zu finden.61 Den Ursprung der Bewegung Gottes bekommt man nirgends zu fassen – ich sage nicht: du, sondern überhaupt niemand noch etwas von dem, was ist. Allein der Erlöser und der Heilige Geist, die schon immer bei Gott gewesen sind, sehen sein62 Angesicht; und vielleicht sehen die Engel, die beständig das Angesicht des Vaters in den Himmeln sehen,a auch die Ursprünge seiner Werke. So verbergen die Seraphim aber auch die Füßeb vor den Menschen; denn es ist unmöglich zu beschreiben, wie die letzten Dinge sind. „Wer hat von den letzten Dingen gekündet?“,c sagt die Schrift. Was wir sehen – um gleichwohl einzuräumen, dass wir etwas sehen –, sind die mittleren Dinge. Was vor der Welt gewesen ist, wissen wir nicht; allerdings ist vor der Welt etwas gewesen. Was nach der Welt kommen wird, können wir nicht mit Gewissheit erfassen; doch wird es etwas anderes nach der Welt geben. Das also, was geschrieben steht: „Im Anfang schuf Gott Himmel und Erde. Die Erde aber war unsichtbar und ungeordnet,63 und Finsternis war über dem Abgrund; skeyÂastow in der Septuaginta (I p. 1 Rahlfs). Diese Adjektive konnten philoso-
phisch, näherhin stoisch-platonisch, im Sinne präexistenter Materie verstanden werden – darauf verwies Clemens von Alexandria, strom. V 90,1 (GCS Clem. 2, 385) –, so wenn es in Weish. 11,17 heißt, Gott habe den Kosmos „aus ungestalteter Materie“ erschaffen (II p. 361 Rahlfs: ktiÂsasa to Á n koÂsmon eÆj aÆmoÂrfoy yÏlhw). Auch Philon, plant. 3 (II p. 133 Cohn/Wendland), fasste die Weltschöpfung so auf, dass „der Weltbildner die an sich ungeordnete, wirre Masse von der Unordnung zur Ordnung, vom Wirrsal zur Klärung führte und sie zu gestalten begann“; Übersetzung: Heinemann, Philo, Werke IV, 152; vgl. plant. 5 (II p. 134); opif. 8 f. (I p. 2 f.). Im selben Sinne lässt sich Platon, Tim. 51 a 4 – b 2 deuten: Das, in dem alles Sichtbare und sinnlich Wahrnehmbare (oërato Á n kaiÁ aiÆsuhtoÂn) geworden sei, könnte unsichtbares, gestaltloses, allaufnehmendes Gebilde (aÆnoÂraton eiÆdoÂw ti kaiÁ aÍmorfon, pandexhÂw) genannt werden, das freilich nur äußerst schwierig zu erfassen sei. Die platonische Tradition kombinierte diese Stelle mit polit. V 477 a 1–4, wo es heißt, dass das Nicht-Seiende (mh Á oÍn) nicht Gegenstand des Erkennens sein könne, und gelangte so zu der Aussage, laut Platon sei das, in dem alles erschaffen sei, „nichtseiend“. Bestärkung fand dieser Gedanke bei Aristoteles, phys. I 7, 191 a 8–12; I 9, 192 a 6, der „das Gestaltlose“ (to Á aÍmorfon) im Blick auf die „Materie“ in Gegensatz zum „Sein“ gesetzt hatte. Auf dieser Linie behauptete Clemens von Alexandria, strom. V 89,6 f. (GCS Clem. 2, 385), Platon sei von nur einem Prinzip ausgegangen, ließ die Frage einer „Schöpfung aus dem Nichts“ aber offen: ebd. II 74,1 (2, 152); siehe dazu die Erläuterungen von Le Boulluec, SC 279, 293–295. In der früh-
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abyssum; et spiritus Dei ferebatur super aquas“,a apprehenduntur; mundi erant istae aquae, in quibus incubabat spiritus Dei. Sed et tenebrae, quae super abyssum erant, non sunt ingenitae; utrumque enim ex nihilo creatum est. Audi in Isaia dicentem Deum: „Ego Deus, qui construxi lucem et feci tenebras.“b Audi sapientiam in Proverbiis praedicantem: „Ante omnes abyssos nata sum.“c Non erant ista ingenita, sed quando vel quomodo nata sint, nescio. Velantur enim a Seraphim priora operum Dei, id est facies Dei; similiter autem et pedes.d Ea, quae post extremum saeculum in saecula saeculorum futura sunt, quis potest exponere? Garrulorum est hominum horum notitiam polliceri nescientium, quia homo ea tantum potest capere, quae media sunt. Et ea, quae post mundum usque ad consummationem in iudicio sunt futura, de poenis, de retributione, et horum quoque multa absconsa sunt nobis. Ista propter hoc, quod scriptum est: „Duabus velabant faciem.“e Non solum autem velabant, sed et contegebant, id est velabant, ut nec modicum videretur priorum, dico autem faciei, neque paululum quid agnosa
Gen. 1,1 f.
b
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Spr. 8,24
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Jes. 6,2
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Jes. 6,2
christlichen Tradition wurde „Schöpfung“ zunächst platonisierend als „Weltbildung“ aus der ungewordenen und ungeformten Materie verstanden, zum Beispiel von Justin, I apol. 10,2 (SC 507, 150); 59,1–5 (507, 282–284); siehe dazu May, Schöpfung 1–39. 120–150. Weiteres unten Anm. 65. 64 Die Stelle ist textkritisch umstritten (Baehrens, GCS Orig. 8, 258 app. crit.): Nach einer Lesart werden die Gewässer, über denen Gottes Geist schwebt, als „rein“ (mundae) charakterisiert. Die hier als lectio difficilior der Übersetzung zugrundegelegte Lesart mundi lässt sich, als Genitiv aufgefasst, als dezidiertes Bekenntnis zur später explizit angeführten Schöpfung aus dem Nichts lesen. Hierfür spricht auch das nachfolgende et, das die Bestimmungen mundi (aquae) und non ingenitae (tenebrae) parallelisiert. 65 Gegen die ontologische Einstufung der Materie als eigenständiger aÆrxh im Mittelplatonismus, etwa im Lehrbuch des Alkinoos, didask. 8 (p. 19 f. Whittaker/Louis), entwickelten frühchristliche Theologen, um Gott als einzige aÆrxh denken zu können, die Vorstellung einer Schöpfung der Welt nicht aus präexistenter Materie (dazu oben Anm. 63), sondern aus „Nichts“ (creatio ex nihilo), d.h. im zeitgenössischen Kontext, dass die Materie, aus der Gott die Welt gestaltete, ihrerseits von ihm geschaffen worden ist (zur creatio ex nihilo bei Ammonios Sakkas siehe oben S. 144 Anm. 619): Basilides laut Hippolyt, haer. VII 20,2–4 (PTS 25, 286 f.); 22,2 f. (25, 289); Tatian, orat. 5,7 (PTS 43, 14); Theophilus, Autol. II 4,4–9 (PTS 44, 42) mit Berufung auf 2 Makk. 7,28; Irenäus, haer. II 10,2–4 (FC 8/2, 74–76); IV 20,1 (8/4, 154); später beispielsweise Gregor von Nazianz, orat. 29,9 (FC 22, 186). Origenes, princ. praef. 4 (GCS Orig. 5, 9); I 3,3 (5, 50 f.); II 1,4 f. (5, 110 f.); in Ioh. comm. I 103 (GCS Orig. 4, 22), griff die noch nicht in diesem Sinn gemeinten Formulierungen in 2 Makk. 7,28 und bei Hermas, mand. 1,1 (SUC 3, 190), auf und wandte sich explizit gegen die platonische Lehre von der Ewigkeit der Materie, die er im
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und der Geist Gottes schwebte über den Wassern“,a kann man verstehen; die Wasser, in denen der Geist Gottes schlief, gehörten zur Welt.64 Aber auch die Finsternis, die über dem Abgrund war, ist nicht ungeschaffen; denn beides ist aus dem Nichts geschaffen.65 Höre, wie Gott bei Jesaja sagt: „Ich, Gott, bin es, der das Licht geformt und die Finsternis geschaffen hat.“b Höre, wie die Weisheit im Buch der Sprichwörter ausruft: „Vor allen Abgründen bin ich geboren.“c Es war dies nicht ungeschaffen, doch wann oder wie es entstanden ist, weiß ich nicht.66 Denn das, was den Werken Gottes vorausliegt, das heißt das Angesicht Gottes, wird von den Seraphim bedeckt; ebenso aber auch die Füße.d Wer könnte darlegen, was nach der letzten Welt von Ewigkeit zu Ewigkeit geschehen wird? Schwätzer sind die Leute, die Kenntnis darüber versprechen, wissen sie doch nicht, dass der Mensch nur die mittleren Dinge erfassen kann. Und das, was nach der Welt bis zur Vollendung im Gericht geschehen wird – die Strafen, die Belohnung67 – und viele andere dieser Dinge bleiben uns verborgen. Das zu der Stelle: „Mit zweien bedeckten sie das Angesicht.“e Sie bedeckten es aber nicht nur, sondern verhüllten es sogar ganz, das heißt sie bedeckten es so, dass man nicht einmal einen winzigen Teil des
Prolog zum verlorenen Genesiskommentar zu Gen. 1,2 ausgiebig diskutierte, wie aus dem Zitat bei Eusebius, praep. ev. VII 19 f. (GCS Eus. 8/1, 402 f.) = Origenes, in Gen. frg. D 3 Metzler, hervorgeht. Die von ihm an der vorliegenden Stelle dafür herangezogenen Bibelstellen Jes. 45,7 und Spr. 8,24 spielen bis heute eine zentrale Rolle in der Diskussion über eine biblische Grundlegung der Theorie einer Schöpfung aus dem Nichts, doch anders als von Origenes werden sie in der modernen Exegese so aufgefasst, dass ihnen eine kosmologische Spekulation fern liege: May, Schöpfung (zusammengefasst von W. Gross, in: RGG4 2 [1999] 485–487). 66 Zur Zeit des Origenes wurden die Begriffe „geschaffen“ bzw. „geworden“ (genhtoÂw) und „geboren“ (gennhtoÂw), von Hieronymus hier wiedergegeben mit non ingenitus (= genitus) und natus, terminologisch nicht scharf geschieden, wie dieser Satz unmittelbar zeigt (wobei im Griechischen die Schreiber der Handschriften das Ihre zur Konfusion beigetragen haben mögen); siehe dazu Prestige, God 37–52. 67 Von der Strafe und von der Belohnung, die den Menschen in der kommenden Welt erwarten, sprach Origenes oft, beispielsweise in Hier. hom. 19,15 (GCS Orig. 32, 175 f.): „Fürchte auch du, solange du noch Kind bist, die Drohungen, damit du nicht das, was über die Drohungen hinausgeht, erleiden musst: die ewigen Strafen (Mt. 25,46), das nie erlöschende Feuer (Mk. 9,43) oder vielleicht etwas Schlimmeres als dieses, – das, was denen, die größerenteils wider die rechte Vernunft gelebt haben, aufgespart ist. Die Erfahrung all dieser Dinge mag uns immerdar erspart bleiben. In Jesus Christus mögen wir vielmehr als Erwachsene die Berechtigung für die himmlischen Feste erlangen, für das Paschamahl, das während der Hinaufführung in Christus Jesus gefeiert wird“; Übersetzung: Schadel, BGrL 10, 216. Vgl. princ. praef. 5 (GCS Orig. 5, 11 f.); I 6,1 (5, 79); in Rom. comm. IX 41 (p. 773 f. Hammond Bammel); Cels. III 78 (GCS Orig. 1, 269); VI 26 (2, 96).
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ceretur novissimorum, hoc est, pedum eius. „Et duabus volabant.“a Aperta sunt media ad contemplandum. „Et clamabant alter ad alterum“,b non alter ad plures, sed alter ad alterum. Audire enim sanctitudinem Dei, quae adnuntiatur a Salvatore, iuxta dignitatem rei nemo potest nisi Spiritus sanctus, quomodo rursum inhabitare sanctimoniam Dei, quae annuntiatur a Spiritu sancto, nemo potest nisi solus Salvator. Ob id alter ad alterum clamabant et dicebant: „Sanctus, sanctus, sanctus!“c Non iis sufficit semel clamare „sanctus!“ neque bis, sed perfectum numerum trinitatis adsumunt, ut multitudinem sanctitatis manifestent Dei, quae est trinae sanctitatis repetita communitas; sanctitati patris sanctitas iungitur filii et Spiritus sancti. „Etenim sanctificans et sanctificati ex uno omnes.“d Qui sanctificat, Salvator est iuxta hoc, quod homo est a Deo patre accipiens sanctitatem. Dicunt itaque: „Sanctus, sanctus, sanctus Dominus Sabaoth!“e Interpretatur autem Sabaoth, ut Aquila tradidit, Dominus militiarum. 2. „Plena omnis terra gloria eius.“f Olim domus plena erat gloria,g nunc vero his, qui super terram sunt, a Seraphim prophetatur, quia futurum sit, ut universam terram gloria Dei Christus impleat. In omnibus quippe, qui conversatione sua glorificant Deum, gloria eius est, atque ita universa terra plena est gloria Dei. Olim non omnis terra plena erat gloria Dei, sed unus angulus terrae, quando dicebatur: „Notus in Iudaea Deus, in Istrahel magnum nomen eius.“h Gloria Deo, qui misit filium suum,i ut omnis terra plena fieret gloria sua.j Sed quid tibi prodest, si terra plena sit propter ecclesias beatorum, a h
b c d Jes. 6,3 Jes. 6,3 Jes. 6,3 Hebr. 2,11 i j Ps. 75(76),1 Röm. 8,3 Jes. 6,3
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68 Inhabitare ist hier vermutlich als Anspielung auf Joh. 1,14 und die Inkarnation Christi, von der einige Zeilen weiter ausdrücklich die Rede ist, verstanden und entsprechend übersetzt worden (zu inhabitare als theologischem terminus technicus allgemein siehe ThLL 7,1, 1586,24–27.33.46.49). Demnach ist allein der Sohn in der Lage, die Menschwerdung vollständig zu begreifen (vor inhabitare ist audire aus dem vorhergehenden Satz zu ergänzen). Zur schieren Unverständlichkeit dieses heilsgeschichtlichen Ereignisses vgl. darüber hinaus princ. II 6,2 (GCS Orig. 5, 140 f.). Siehe dazu oben S. 141 f. 69 Die Erklärung im quae-Satz hat vielleicht Hieronymus hinzugefügt: siehe oben S. 172. Im 4. Jahrhundert wurde das dreifache „Sanctus“ in Jes. 6,3 generell trinitarisch gedeutet: Johannes Chrysostomus, in Is. VI 3 (SC 304, 268); Theodor von Mopsuestia, hom. cat. 16,6 (FC 17/2, 426 f.); vgl. ebd. 16,36 (17/2, 449); Theodoret von Cyrus, in Is. I 2 zu Jes. 6,3 (SC 276, 260–262); vgl. dazu Kretschmar, Trinitätstheologie 134–182. 70 Vgl. Origenes, princ. II 6,3 (GCS Orig. 5, 141 f.): „So hat er, der selbst das unsichtbare ,Bild des unsichtbaren Gottes‘ (Kol. 1,15) war, allen Vernunftgeschöpfen in
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Früheren, ich meine des Angesichts, sehen oder ein kleines Detail des Letzten, das heißt seiner Füße, erkennen konnte. „Und mit zweien flogen sie.“a Der Betrachtung zugänglich sind die mittleren Dinge. „Und sie riefen einander zu, der eine dem anderen“,b nicht der eine mehreren, sondern der eine dem anderen. Denn die Kundgabe von Gottes Heiligkeit durch den Erlöser so zu vernehmen, wie es der Sache würdig ist, das kann niemand außer dem Heiligen Geist, wie andererseits niemand außer dem Erlöser allein angemessen vernehmen kann, dass die Herrlichkeit Gottes, die der Heilige Geist kundgibt, eine Wohnstatt nimmt.68 Deshalb riefen sie einer dem anderen zu und sagten: „Heilig, heilig, heilig!“c Es genügt ihnen nicht, ein- oder zweimal „heilig!“ zu rufen, sondern sie ziehen die vollkommene Zahl hinzu, die Drei der Trinität, um die Fülle der Heiligkeit Gottes zu offenbaren, die in der Gemeinschaft der dreimal wiederholten Heiligkeit besteht; mit der Heiligkeit des Vaters verbindet sich die des Sohnes und des Heiligen Geistes.69 „Denn der Heiligende und die Geheiligten stammen alle aus dem Einen.“d Der Erlöser ist es, der heiligt, insofern er ein Mensch ist, der von Gott, dem Vater, die Heiligkeit empfängt.70 Sie sagen also: „Heilig, heilig, heilig Herr Sabaoth!“e Sabaoth aber heißt nach der Übersetzung des Aquila Herr der Heere.71 2. „Erfüllt ist die ganze Erde von seiner Herrlichkeit.“f Einst war das Haus (sc. der Tempel) erfüllt von Herrlichkeit,g jetzt aber wird denen, die auf der Erde sind, von den Seraphim prophezeit, es werde eine Zeit geben, in der Christus die ganze Erde mit der Herrlichkeit Gottes erfüllt. Denn in allen, die durch ihren Lebenswandel Gott verherrlichen, ist seine Herrlichkeit, und so ist die ganze Erde von der Herrlichkeit Gottes erfüllt.72 Einst war nicht die ganze Erde von der Herrlichkeit Gottes erfüllt, sondern nur ein einziger Winkel der Erde, als es hieß: „Bekannt ist Gott in Juda, in Israel ist sein Name groß.“h Herrlichkeit gebührt Gott, der seinen Sohn gesandt hat,i damit die ganze Erde von seiner Herrlichkeit erfüllt würde.j Aber was unsichtbarer Weise Anteil an sich gegeben; und zwar richtete das Maß dieses Anteils sich nach der Stärke der Liebe, mit der das betreffende Geschöpf ihm anhing“; Übersetzung: p. 361 Görgemanns/Karpp. 71 Origenes greift hier auf die von ihm angefertigte Hexapla zurück, eine in sechs Spalten unterteilte Synopse des alttestamentlichen Bibeltextes. Diese enthielt neben dem unvokalisierten hebräischen Text und einer griechischen Transkription den kirchlich verwendeten Septuagintatext, in dem Auslassungen und Zusätze gegenüber dem Original mit textkritischen Zeichen vermerkt waren, sowie drei weitere griechische Übersetzungen, darunter als erste die hier zitierte pedantisch wörtliche des Proselyten Aquila, angefertigt um 128 n.Chr. (zu diesem: Fürst, Hieronymus 96 f.). Zu Origenes’ Verwendung der Hexapla im Rahmen der Predigt allgemein siehe Nautin, SC 232, 116–119. 72 Vgl. in Num. hom. 11,8 (GCS Orig. 7, 90): „Jedes Geschöpf wird nach der Würdigung durch den Heiligen Geist oder nach Maßgabe seiner Verdienste ,geheiligtes Heiligtum‘ genannt werden.“
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qui ubique sunt, gloria Dei, tu autem non sis particeps gloriae plenitudinis Dei?a Et tu ergo labora et in cunctis enitere gloriam Dei quaerens, ubi inhabitet et inveniat locum et in te, ut fias etiam tu cum omni terra, in qua est gloria Dei, plenus gloria eius. Quomodo fit per singulos nostrum plenitudo gloriae Dei? Si quae facio, quae loquor, in gloriam Dei fiant, plenus sermo meus et actus fit gloriae Dei. Si et processus et ingressus meus in gloriam Dei est, si cibus, si potus meus, si omnia, quae facio, in gloriam Dei fiunt, et ego particeps sum istius dicti: „Plena est terra gloria eius.“b Cum ergo omnia ista fecero, „elevatum est superliminare a voce, qua clamabant“.c Beatum est itaque unumquemque nostrum ita laborare, ut particeps fiat ostii et superliminaris ostii, quod est iuxta intellectum Christi Dei. Neque enim indecens dictu, reor, ostium carnem et superliminare verbum nuncupari. 3. „Elevatum est superliminare a voce, qua clamabant, et domus repleta est fumo“,d fumo isto bono de gloria Dei. „Et dixi: O miser ego, quoniam compunctus sum!“e Antequam videas visionem, non confiteris te esse miserum, o Isaia? Non ait: Quamdiu vixit Ozias, neque in sensum meum venit, quia miser essem; incipio enim nosse, quia miser sim, quando video visionem, moriente mihi Ozia leproso rege,f et dico: „O miser ego!“ Nunc incipio et ego confiteri Domino et dicere de memet ipso: „O miser ego!“, quomodo Isaias dicit: „O miser ego!“ Proxime autem huic et Apostolus dicit: „Miser ego homo, quis me liberabit de corpore mortis huius?“g Beatum est ergo, ut miserum ipse me fatear. Si me humiliavero et paenitens super peccatis meis flevero, exaudiet me Deus et dabit mihi liberatorem et dico: „Gratias Deo per Iesum Christum Dominum nostrum!“h Verum ex corde dicamus: „Miser ego“. Unusquisque recordetur causas miseriarum suarum et delicta et dicamus surgentes ad orationem, memores quidem quasi confitentes, obliti autem quasi iam non facientes, et dicamus: „Miser ego, quoniam compunctus sum!“i Non est compunctus, antequam videret visiPs. 23(24),1; vgl. Eph. 3,19 b Jes. 6,3 c Jes. 6,4 g h vgl. 2 Chr. 26,16 Röm. 7,24 Röm. 7,25
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d Jes. 6,4 Jes. 6,5
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Jes. 6,5
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Jes. 6,1;
73 Das proleptische gloriam ist mit Baehrens, GCS Orig. 8, 259 app. crit., als Subjekt des indirekten Fragesatzes aufzufassen. 74 Wir halten die von Baehrens, ebd., bloß vermutete Konjektur ut für die richtige Lesart. Et erklärt sich wohl als von den vier in diesem Satz vorausgehenden et verursachte Verschreibung.
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nützt es dir, wenn die Erde dank der Gemeinden der Seligen, die überall sind, mit der Herrlichkeit Gottes erfüllt ist, du aber nicht an der Herrlichkeit der Fülle Gottesa teilhast? Auch du also, streng dich an und strebe in allem nach der Herrlichkeit Gottes, suche danach, wo diese73 auch in dir wohnen und einen Platz finden kann, damit74 auch du zusammen mit der ganzen Erde, auf der sich die Herrlichkeit Gottes findet, von seiner Herrlichkeit erfüllt wirst. Wie geschieht durch jeden von uns die Fülle der Herrlichkeit Gottes? Wenn das, was ich tue oder sage, zur Verherrlichung Gottes geschieht, wird mein Reden und Handeln von der Herrlichkeit Gottes erfüllt. Wenn mein Kommen und Gehen zur Verherrlichung Gottes geschieht, wenn meine Speise, mein Trank, wenn alles, was ich tue, zur Verherrlichung Gottes geschieht, habe auch ich teil an dem Wort: „Erfüllt ist die Erde von seiner Herrlichkeit.“b Wenn ich daher all dies getan habe, „hat sich bei der Stimme, mit der sie riefen, die Türschwelle erhoben“.c 75 Ein Segen ist es also, wenn sich jeder von uns so anstrengt, dass er an der Tür und an der Schwelle der Tür teilhat, das heißt nach geistigem Verständnis an Christus, an Gott. Es ist meines Erachtens nämlich nicht ungebührlich, sein Fleisch Tür und das Wort Schwelle zu nennen. 3. „Die Schwelle erhob sich bei der Stimme, mit der sie riefen, und das Haus füllte sich mit Rauch“,d mit dem guten Rauch, der von der Herrlichkeit Gottes ausgeht. „Und ich sagte: Ich Unglücklicher, denn ich bin verloren!“e 76 Bevor du eine Vision hast, bekennst du da nicht, dass du unglücklich bist, Jesaja? Er sagt nein: Solange Usija am Leben war, kam es mir gar nicht in den Sinn, dass ich unglücklich sein könnte; denn erst in dem Moment, in dem ich eine Vision habe und Usija, der aussätzige König für mich tot istf, wird mir klar, dass ich unglücklich bin, und sage ich: „Ich Unglücklicher!“77 Nun fange auch ich an, dem Herrn zu bekennen und über mich selbst zu sagen: „Ich Unglücklicher!“, wie Jesaja sagt: „Ich Unglücklicher!“ Ganz ähnlich wie er sagt auch der Apostel: „Ich unglücklicher Mensch, wer wird mich aus dem Körper dieses Todes befreien?“g Es bringt also Segen, dass ich bekenne, ich sei unglücklich. Habe ich mich erniedrigt und voller Reue meine Sünden beweint, dann wird mich Gott erhören und mir den Befreier schicken, dann sage ich: „Dank sei Gott durch Christus, unseren Herrn!“h Lasst uns aber aus tiefstem Herzen sagen: „Ich Unglücklicher.“ Jeder erinnere sich an die Ursachen für sein persönliches Unglück und an seine Vergehen, und wenn wir uns zum Gebet erheben, lasst uns sagen – dann denken wir einerseits zurück, weil wir bekennen, andererseits haben wir es vergessen, weil wir nicht mehr so handeln –, lasst uns also sagen: „Ich Unglücklicher, denn ich bin verloren!“i Er fühlt sich nicht 75 Siehe dazu auch in Is. hom. 1,3 (GCS Orig. 8, 246). 76 Siehe dazu auch ebd. 1,4 (8, 246 f.). 77 Siehe dazu ebd. 1,1 (8, 242 f.).
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Homilia IV
onem, antequam Ozias moreretur;a cum incipit paenitentiam agere, statim dicit: „Quoniam compunctus sum.“b Si quis sine sensu est iuxta interiorem hominem,c cum peccator sit, non compungitur; sed quasi in exteriora membra licet adhibeas stimulum, non sentit mortuum corpus, eodem modo etiam si adhibeas peccatori verba divina mortificato per peccatum et non agenti paenitentiam, neque maestus est neque paenitet neque habet tristitiam operantem confessionem, tristitiam, quae secundum Deum est.d Si quis autem vult salvari et audierit sermones arguentis se et corripientis, statim dicit: „O miser ego.“ Nec sufficit dicere: „Miser ego“, apponendum est ei: „Quia compunctus sum.“ Utinamque amplius compungatur! Quanto enim plus compungimur, tanto plus peccatorum nobis vincula laxantur. Propter hoc Achab ille non multum utilitatis est consecutus, quia non multum compunctus est, sed compunctus quidem est, semel autem. Quam ob rem dictum est: „Vidisti, quomodo compunctus est Achab!“e Si vero quis talis fuerit, ut non cesset compungi, dicit similiter sicut Apostolus: „Non sum dignus vocari Apostolus propter hoc, quia persecutus sum ecclesiam Dei“,f et: „Mihi minimo omnium sanctorum data est gratia ista“g et: „Fidelis Deus, quia Iesus Christus venit in hunc mundum peccatores salvare, quorum primus sum ego.“h Videsne, quia multum compunctus est, non semel, sed semper, scribens et loquens et agens compunctus est? Quomodo et Isaias in praesenti, qui dicit: „O miser ego, quoniam compunctus sum, quia, cum sim homo et immunda labia habeam, in medio quoque populi immunda labia habentis habitem.“i Adnota et aliud quiddam, quia peccata Isaiae non et in factis, sed tantum in sermonibus erant; propter quod ait: „Quia cum homo sim et immunda labia habeam.“ Erat autem et populus immunda labia habens; non decuit eum accusare populum et dicere plura peccata in eo esse quam immundorum labiorum. 4. „Et regem Dominum Sabaoth vidi oculis meis.“j Si quando de Deo cogitaverimus, cum adhuc simus peccatores, et nos dicamus, quae nunc dicit propheta: „Et missus est ad me unus de Seraphim.“k Quam bonus Deus! Quia, inquit, audio confitentem Isaiam – dixit enim: „O miser ego!“ –, quia audio paenitentem – ait quippe: „Compunctus sum“ –, quia propria delicta pronuntiavit dicens: „Cum sim homo et immunda labia habeam, in medio quoque populi immunda labia habentis habitem“,l et ego adhuc loquente eo a g
Jes. 6,1 Eph. 3,8
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c d Jes. 6,5 Röm. 7,24 2 Kor. 7,10 h i j 1 Tim. 1,15 Jes. 6,5 Jes. 6,5
f 1 Kön. 21,29 1 Kor. 15,9 l Jes. 6,6 Jes. 6,5
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78 Dieselbe Deutung von Jes. 6,5 gibt Origenes, in Lev. hom. 9,7 (GCS Orig. 6, 430). Siehe auch in Is. hom. 5,2 (GCS Orig. 8, 264).
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verloren, ehe er nicht eine Vision hat und Usija stirbt;a sowie er Reue zu zeigen beginnt, sagt er: „Denn ich bin verloren.“b Wenn jemandem dem inneren Menschen nachc die Empfindung fehlt, weil er ein Sünder ist, hat er nicht das Gefühl, verloren zu sein; im Gegenteil: Ebenso wie ein toter Körper nichts fühlt, magst du auch seine äußeren Glieder noch so heftig packen, empfindet auch ein Sünder, der, durch die Sünde gestorben, keine Reue zeigt, selbst dann keine Trauer, wenn du ihn mit den Worten Gottes konfrontierst, noch verspürt er Reue oder Traurigkeit, die ein Bekenntnis bewirkt, Traurigkeit, die Gott gemäß ist.d Wenn aber jemand erlöst werden will und auf die Worte dessen, der ihn anklagt und tadelt, hört, sagt er sofort: „Ich Unglücklicher!“ Doch genügt es nicht zu sagen: „Ich Unglücklicher“, man muss hinzufügen: „Denn ich bin verloren.“ Und könnte man sich doch noch mehr verloren fühlen! Denn je mehr wir uns verloren fühlen, umso weiter lockern sich für uns die Fesseln der Sünden. Deshalb hat Ahab nicht viel Nutzen gehabt, weil er sich nicht sehr verloren gefühlt hat; er hat sich zwar verloren gefühlt, aber nur ein einziges Mal. Aus diesem Grunde heißt es: „Du hast doch gesehen, wie sich Ahab verloren gefühlt hat!“e Wenn aber jemand von der Art ist, dass er nicht aufhört, sich verloren zu fühlen, spricht er ähnlich wie der Apostel: „Ich verdiene es nicht, Apostel genannt zu werden, weil ich die Kirche Gottes verfolgt habe“,f und: „Mir, dem Geringsten unter allen Heiligen, ist diese Gnade gegeben worden“g und: „Treu ist Gott, denn Jesus Christus kam in diese Welt, um die Sünder zu retten, deren erster ich selbst bin.“h Siehst du, wie sehr er sich verloren fühlt, nicht nur einmal, sondern immer, wie er sich beim Schreiben und in Wort und Tat verloren fühlt? Wie auch Jesaja jetzt, der sagt: „Ich Unglücklicher, denn ich bin verloren, denn ich bin ja ein Mensch und habe unreine Lippen und wohne inmitten eines Volkes mit unreinen Lippen.“i Achte noch auf etwas anderes: Jesajas Sünden bestanden nicht auch in Taten, sondern allein in Worten; deshalb sagt er: „Denn ich bin ja ein Mensch und habe unreine Lippen.“78 Es hatte aber auch das Volk unreine Lippen; es hätte sich nicht gehört, das Volk anzuklagen und zu sagen, es fänden sich mehr Sünden an ihm als die unreiner Lippen. 4. „Und den König, den Herrn der Heere, habe ich mit meinen eigenen Augen gesehen.“j Wenn wir einmal über Gott nachdenken, obwohl wir noch Sünder sind, sollten auch wir sagen, was der Prophet jetzt sagt: „Und einer der Seraphim wurde zu mir gesandt.“k 79 Wie gut Gott ist! Weil ich höre, sagt er (sc. Gott), wie Jesaja bekennt – er sagte nämlich: „Ich Unglücklicher!“ –, und weil ich höre, wie er Reue empfindet – er sprach ja: „Ich bin verloren“ –, und weil er die eigenen Vergehen laut beim Namen nannte mit den Worten: „Denn ich bin ja ein Mensch und habe unreine Lippen und wohne inmitten eines Volkes mit unreinen Lippen“,l sage auch 79 Siehe dazu auch ebd. 1,5 (8, 247 f.).
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Homilia IV
dico: „Ecce, adsum.“a „Et missus est ad me unus de Seraphim, et in manu eius habebat carbonem.“b Carbo defertur ad prophetam, ut per ignis exustionem purgentur labia eius, quae aliquando peccaverant. Quis est iste unus de Seraphim? Dominus meus Iesus Christus: Iste iuxta dispensationem carnis missus est habens in manu sua carbonem et dicens: „Ignem veni mittere super terram, et utinam iam ardeat!“c 5. „Et missus est ad me unus de Seraphim, et in manu eius habebat carbonem, quem forfice acceperat de altare.“d Non quocumque simpliciter et fortuito propheta igne purgatur, sed eo, qui est de altario Dei. Si purgatus non fueris altaris igne, residet tibi ille, de quo dictum est: „Ite a me in ignem aeternum, qui praeparatus est Zabulo et angelis eius.“e Non est talis ignis de altari. Omnes igni tradendi sunt, sed non omnes uni igni; alios de altario ignis exspectat, alios ille, qui praeparatus est Zabulo et angelis eius. Tangat ergo labia mentis et animae nostrae sermo corripiens, ut et nos dicamus: „Et tetigit os meum.“f Si mundavero os meum, ut nihil otiosum, nihil fatuum, nihil turpe, nihil scurrile – ut omnia semel nominem –, nihil eorum, quae interdicta sunt, loquar, tunc possum dicere: „Tetigit os meum.“ Porro quamdiu immunda labia habeo et immundas res gero, propter verba peccati non tangit me ignis de altario neque mittitur ad me unus de Seraphim. 6. „Et dixit: Ecce, tetigit hoc labia tua, et abstulit iniquitates tuas, et peccata tua circumpurgavit.“g Mordeat nos sermo divinus, exurat animas nostras, dicamus audientes: „Nonne cor nostrum ardens erat in nobis?“,h ut auferantur iniquitates nostrae atque peccata et mundi effecti mundo ore a h
Jes. 58,9 Lk. 24,32
b
Jes. 6,6
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Lk. 12,49
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Jes. 6,6
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Jes. 6,7
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Jes. 6,7
80 Die Wirkung des „Feuers“, von dem an dieser und an den im Folgenden zitierten Bibelstellen (Lk. 12,49; 24,32; Mt. 25,41), auf die Origenes in diesem Zusammenhang oft rekurrierte, die Rede ist, hat er unter Rekurs auf 1 Kor. 3,11–15 als reinigend im übertragenen Sinn, d.h. als Sünden tilgend, aufgefasst: in Ex. hom. 6,4 (GCS Orig. 6, 196); 13,4 (6, 275 f.); in Lev. hom. 14,3 (GCS Orig. 6, 482); in Ios. hom. 15,3 (GCS Orig. 7, 385); in Hier. hom. 20,8 f. (GCS Orig. 32, 190–192); in Hiez. hom. 1,13 (GCS Orig. 8, 337 f.); 5,1 (8, 372); in Ps. 36 hom. 2,3 (SC 411, 104); in Ps. 38 hom. 1,7 (SC 411, 348–352); in Cant. comm. II (GCS Orig. 8, 129 f.) bzw. II 2,21 (SC 375, 312); Cels. V 15 (GCS Orig. 2, 16). 81 Das „ewige Feuer“, das in Mt. 25,41 angedroht wird, erklärte Origenes unter Beiziehung von Jes. 50,11: „Gehet hin in dem Licht eures Feuers und in den Flammen, die ihr euch selbst angezündet habt“, in princ. II 10,4 (GCS Orig. 5, 177) so: „Mit diesen Worten wird offenbar angedeutet, dass jeder Sünder sich selbst die Flammen seines eigenen Feuers anzündet und nicht in irgendein Feuer geworfen wird, das schon vorher von einem anderen entzündet war und vor ihm selbst existierte“; Übersetzung: p. 429 Görgemanns/Karpp. Origenes deutete dieses „Gewissens-
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ich, während er noch spricht: „Siehe, ich bin da.“a „Und einer der Seraphim wurde zu mir gesandt, und in seiner Hand hatte er glühende Kohle.“b Glühende Kohle wird zu dem Propheten hinabgebracht, damit seine Lippen, die einst gesündigt hatten, vom Feuer verbrannt und so gereinigt werden.80 Wer ist dieser eine der Seraphim? Mein Herr Jesus Christus: Dieser ist im Sinne seines Heilswirkens im Fleisch mit glühender Kohle in seiner Hand gesandt worden; er sagte: „Feuer auf die Erde zu werfen, bin ich gekommen; würde es doch schon brennen!“c 5. „Und einer der Seraphim wurde zu mir gesandt, und in seiner Hand hatte er glühende Kohle, die er mit einer Zange vom Altar genommen hatte.“d Der Prophet wird nicht einfach mit irgendeinem beliebigen Feuer gereinigt, sondern mit dem, das vom Altar Gottes stammt. Wenn du nicht mit dem Feuer vom Altar gereinigt worden bist, erwartet dich jener, über den es heißt: „Geh weg von mir ins ewige Feuer, das für den Teufel und seine Engel vorbereitet ist.“e Solches Feuer stammt nicht vom Altar. Alle müssen dem Feuer anheimgegeben werden, aber nicht alle einem einzigen Feuer: Die einen erwartet das Feuer vom Altar, die anderen jenes, das für den Teufel und seine Engel vorbereitet ist.81 Möge also das Wort mit seinem Tadel die Lippen unseres Geistes und unserer Seele berühren, damit auch wir sagen: „Und er berührte meinen Mund.“f Wenn ich meinen Mund gereinigt habe, so dass ich nichts Müßiges, nichts Einfältiges, nichts Unanständiges, nichts Albernes und – um alles mit einem Wort auszudrücken – nichts Verbotenes von mir gebe, dann kann ich sagen: „Er berührte meinen Mund.“ Solange ich hingegen unreine Lippen habe und unreine Dinge tue, berührt mich das Feuer vom Altar wegen der sündigen Worte nicht, noch wird einer der Seraphim zu mir gesandt. 6. „Und er sagte: Siehe, dies hat deine Lippen berührt, es hat deine Ungerechtigkeiten getilgt und deine Sünden gesühnt.“g Beißen soll uns das göttliche Wort, unsere Seele verbrennen! Und wenn wir hören: „Brannte nicht unser Herz in uns?“,h wollen wir darum bitten, dass unsere Ungerechtigkeiten und Sünden getilgt werden82 und wir, rein gemacht, mit reinem Feuer“ als „äonenlange“ (aiÆvÂniow in dieser Bedeutung), aber nicht endlos dauernde heilende Strafe in medizinischem Sinn im Unterschied zum „reinigenden Feuer vom Altar Gottes“ und sprach oft von diesen beiden Arten von Feuer: princ. I 1,2 (GCS Orig. 5, 17 f.); I 6,3 (5, 84); orat. 29,15 (GCS Orig. 2, 390); in Rom. comm. VIII 11 (p. 703 Hammond Bammel); in Ex. hom. 13,4 (GCS Orig. 6, 275 f.); in Lev. hom. 5,3 (GCS Orig. 6, 338 f.); 9,8.9 (6, 432 f. 437 f.); in Ios. hom. 4,3 (GCS Orig. 7, 311 f.); 8,5 (7, 340 f.); in Hier. hom. 16,5–7 (GCS Orig. 32, 137–139); 18,1 (32, 151). Mit dieser Idee eines pädagogisch-medizinischen Feuers wurde Origenes zu einem der Vorläufer der späteren Lehre vom „Fegefeuer“; siehe die Literatur bei Fürst, Eschatologie 336 Anm. 36. 82 Mit Bezug auf diese Bibelstelle sprach Origenes, in Ex. hom. 4,8 (GCS Orig. 6, 180), von ignis poenitentiae; vgl. auch ebd. 7,8 (6, 216 f.).
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Homilia IV
mundoque corde et munda tota conscientia gratias agamus omnipotenti Deo in Christo Iesu, „cui est gloria et imperium in saecula saeculorum. Amen!“a a
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Mund, mit reinem Herzen und mit ganz reinem Gewissen Gott, dem Allmächtigen, Dank sagen in Christus Jesus; „sein ist die Herrlichkeit und die Macht in alle Ewigkeit. Amen!“a
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HOMILIA V.
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De eo, quod scriptum est: „Quis elevavit ab oriente iustitiam?“a et de visione iterum aliter. 1. Ait prophetes esse et viventem iustitiam, et putabamus nos ab Apostolo solo dictum esse, quia Christus sit iustitia et sanctificatio et redemptio et sapientia.b Forte autem et Apostolus instructus a prophetis novit animalem esse iustitiam et viventem. Quae est ista iustitia? Unigenitus Deus.c Quia autem non ab Apostolo ortum est Christum esse iustitiam et viventem et subsistentem iustitiam, sed inveniens ex propheticis sermonibus hoc nobis mysterium exhibuerit, certum est a capitulo, in quo nunc lectio conquievit. „Quis“ enim inquit „surgere fecit ab oriente iustitiam, vocavit eam ad pedes suos?“d Vocavit iustitiam; manifestum est animalem eam esse, si ambulet vocata. Vocavit autem Christum pater, quia ob nostram salutem ad nos iter fecerat et descenderat de caelo ad nos: „Nemo enim adscendit in caelum, nisi qui de caelo descendit, filius hominis.“e Vocavit eum de oriente, non de isto sensibili, sed de oriente lucis verae. Propter quod scriptum est: „Quis exsurgere fecit de oriente iustitiam, vocavit eam ad pedes suos?“f Pater vocavit filium, immo ut vere dicamus, Deus hominem, vocavit iustitiam ad pedes suos, id est incarnationem filii sui. Ideo et adoramus scabellum pedum illius, iuxta quod scriptum est: „Adorate scabellum pedum eius, quia sanctum est“,g caro siquidem Domini honorem Deitatis adsumit. Quia autem principium lectionis altiori indiget expositione, oremus summum regem, ut sermo, qui vocatus abierat, ad nos iterum revertatur et pauca iuxta possibilitatem nostram edisseramus. a g
Jes. 41,2 Ps. 98(99),5
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1 Kor. 1,30
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Joh. 3,18
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Jes. 41,2
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Joh. 3,13
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Jes. 41,2
83 Damit ist die Auslegung von Jes. 41,2 als Exkurs charakterisiert. Wenn wir vocatus abierat richtig verstehen, verdankte dieser Einstieg sich dem Zuruf eines Zuhörers, zumal Jes. 41,2 mit den im Folgenden ausgelegten Versen Jes. 6,1.5 f. sachlich nichts zu tun hat. Dass Origenes auf Bemerkungen aus seinem Auditorium reagierte, zeigt in Hiez. hom. 4,6 (GCS Orig. 8, 367), wo er auf den Einwand eines eruditus auditor – Ist auditor hier allgemein der „Zuhörer“ oder terminus technicus für den „Hörer“
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HOMILIE 5 Über das Schriftwort: „Wer hat von Osten her die Gerechtigkeit erweckt?“a und noch einmal über die Vision. 5
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1. Der Prophet sagt, es gebe auch eine lebendige Gerechtigkeit; wir allerdings meinten, allein der Apostel hätte gesagt, Christus sei Gerechtigkeit, Heiligung, Erlösung und Weisheit.b Vielleicht verdankt aber auch der Apostel sein Wissen darum, dass die Gerechtigkeit beseelt und lebendig ist, der Unterweisung durch die Propheten. Was ist diese Gerechtigkeit? Der eingeborene Gott.c Dass der Apostel aber nicht als erster davon wusste, dass Christus Gerechtigkeit ist, und zwar eine lebendige und für sich existierende Gerechtigkeit, sondern uns dieses Geheimnis dargelegt hat, wie er es den prophetischen Worten entnahm, geht klar aus dem Kapitel hervor, mit dem die heutige Lesung endete. „Wer“, so hieß es nämlich, „hat die Gerechtigkeit aus dem Osten aufsteigen lassen, hat sie gerufen, ihm auf Schritt und Tritt zu folgen?“d Er hat die Gerechtigkeit gerufen; offensichtlich ist sie beseelt, wenn sie auf einen Ruf hin umhergeht. Der Vater hat aber Christus gerufen, denn um unseres Heiles willen hatte er sich zu uns begeben und war vom Himmel zu uns herabgestiegen: „Niemand ist nämlich in den Himmel hinaufgestiegen außer dem, der vom Himmel herabgestiegen ist: der Menschensohn.“e Er hat ihn aus dem Osten gerufen, nicht aus dem wahrnehmbaren hier, sondern aus dem Osten des wahren Lichts. Deshalb steht geschrieben: „Wer hat die Gerechtigkeit aus dem Osten aufsteigen lassen, hat sie gerufen, ihm auf Schritt und Tritt zu folgen?“f Der Vater hat den Sohn gerufen oder vielmehr, um es zutreffend auszudrücken, Gott den Menschen; er hat die Gerechtigkeit gerufen, ihm auf Schritt und Tritt zu folgen, das heißt seinen fleischgewordenen Sohn. Daher beten wir auch den Schemel seiner Füße an, heißt es doch in der Schrift: „Betet den Schemel seiner Füße an, denn er ist heilig“,g weil ja dem Fleisch des Herrn die Würde der Göttlichkeit zuteil wird. Da aber der Anfang der Lesung einer tiefgründigeren Auslegung bedarf, wollen wir den höchsten König bitten, dass wir mit der Predigt, die auf einen Zuruf hin abgeschweift war, fortfahren und einiges wenige nach unseren Möglichkeiten gründlich erklären können.83 d.h. den Katechumenen? – antwortete: Grappone, Contesto liturgico 342 f. Zu weiteren Schwierigkeiten dieses Prologs und daraus zu ziehenden Folgerungen siehe oben S. 32 f., zur theologischen Auswertung oben S. 99. 150 f.
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Homilia V
2. „Et factum est anno, quo mortuus est Ozias rex, vidi Dominum sedentem supra thronum excelsum; et plena domus gloria eius. Et Seraphim stabant in circuitu eius, sex alae uni et sex alae alteri; et duabus quidem velabant faciem eius, et duabus velabant pedes, et duabus volabant. Et clamabant alter ad alterum et dicebant: Sanctus, sanctus, sanctus Dominus Sabaoth, plena est terra gloria eius!“a et reliqua. Verum ut et nos videamus visionem, quam vidit Isaias, vocemus Iesum, qui non videntibus largitus est oculos. Potest enim etiam nunc venire et facere, ut ea, quae in lectione sacramenti dicta sunt, apertis oculis intueamur; repromittamus ei iam nos ultra non facere corpus Christi corpus meretricis,b non facere opera digna luctu. Unusquisque nostrum haec corde loquatur ad Deum et precemur, ut adventus eius etiam nunc fiat; si enim non advenit Iesus, ista videre non possumus. Precor, ut mittatur etiam ad me Seraphim et apprehenso de forfice carbone purget labia mea;c et quid dico labia? Isaias sanctus erat et ideo tantum labia eius purgata sunt, quia labiis tantum, id est sermone, deliquerat. Ego vero non sum talis, ut possim dicere: „Immunda labia habeo“;d metuo, ne immundum cor habeam, immundos oculos, immundas aures, immundum os. Quamdiu in omnibus istis pecco, totus immundus sum. Si videro mulierem ad concupiscendum, moechatus sum eam in corde meo.e Ecce immundos oculos. Si de pectore meo exeant cogitationes pessimae, adulteria, fornicationes, falsa testimonia,f ecce immundum cor. „Quam formosi pedes evangelizantium pacem, evangelizantium bona!“g Ego vero timeo, ne currens ad mala immundos pedes habeam. Extendo ad Deum manus meas, et forte avertens faciem suam dicit: „Si extenderitis manus, avertam faciem meam a vobis.“h Quis ergo me mundat? Quis lavat pedes meos? Iesu, veni, sordidos habeo pedes, propter me fiere servus, mitte aquam tuam in pelvim a g
Jes. 6,1–3 Jes. 52,7
h
b 1 Kor. 6,15 Jes. 1,15
c
Jes. 6,6
d
Jes. 6,5
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Mt. 5,28
f
Mt. 15,19
84 Der Plural Seraphim erklärt sich aus einer verkürzten Wiedergabe des Bibeltextes, in dem es heißt, unus e Seraphim sei zu Jesaja gekommen; siehe in Is. hom. 4,4 f. (GCS Orig. 8, 261 f.). 85 Siehe ebd. 4,3 (8, 261) und dieselbe Auslegung in Lev. hom. 9,7 (GCS Orig. 6, 430). 86 Den folgenden Abschnitt bis zum Zitat von Lk. 12,50 einschließlich fasst Christman, Origen’s Prayer, als aus dem Stegreif formuliertes Gebet auf, auch wenn eine Doxologie ebenso fehlt wie ein formaler Abschluss. Das ist deshalb nicht überzeugend, weil Origenes sich in seinen Predigten oft so direkt an Jesus wendet, als Teil der homiletischen Paränese, nicht als eingeschobenes Gebet. Die Stelle kann also – pace Hausherr, Noms du Christ 51, im Anschluss an Hamman, Gebete 82 f. mit Anm. 18 (ebd. 447) – nicht als Abweichung von seinem Prinzip gewertet werden, liturgische Gebete nur an den Vater zu adressieren: orat. 15,1–16,1 (GCS Orig. 2,
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2. „Und es geschah in dem Jahr, in dem König Usija starb, da sah ich den Herrn auf einem erhabenen Thron sitzen; und das Haus war erfüllt von seiner Herrlichkeit. Und Seraphim standen um ihn herum; sechs Flügel hatte der eine, sechs Flügel der andere; und mit zweien bedeckten sie sein Angesicht, mit zweien bedeckten sie die Füße und mit zweien flogen sie. Und sie riefen einander zu und sprachen: Heilig, heilig, heilig ist der Herr der Heere, erfüllt ist die Erde von seiner Herrlichkeit!“a usw. Ja, lasst uns, damit auch wir die Vision haben, die Jesaja hatte, Jesus anrufen, der denen, die nicht sahen, Augen gegeben hat. Er kann nämlich auch heute noch kommen und bewirken, dass wir das, von dem in der Lesung geheimnisvoll die Rede war, mit offenen Augen sehen können; versprechen wir ihm, Christi Körper nicht mehr länger zum Körper einer Dirneb zu machen noch beklagenswerte Dinge zu tun. Jeder von uns sollte Gott dies von Herzen sagen, und wir wollen darum bitten, dass sich sein Kommen auch heute noch ereigne; kommt Jesus nämlich nicht, können wir diese Dinge nicht sehen. Ich bitte darum, dass auch zu mir ein Seraphim84 gesandt werde, mit der Zange Kohle nehme und meine Lippen reinige;c doch was sage ich: Lippen? Jesaja war heilig, und deshalb wurden nur seine Lippen gereinigt, denn er hatte nur mit den Lippen, das heißt in Worten, gefehlt. Ich dagegen bin nicht von der Art, dass ich sagen könnte: „Unreine Lippen habe ich“;d ich fürchte, ich habe ein unreines Herz, unreine Augen, unreine Ohren, einen unreinen Mund. Solange ich in all dem sündige, bin ich ganz unrein.85 Wenn ich eine Frau voller Begehren angesehen habe, habe ich in meinem Herzen bereits Ehebruch mit ihr begangene – da: die unreinen Augen! Wenn aus meinem Herzen schlimme Gedanken hervorgehen, Ehebruch, Unzucht, falsches Zeugnisf – da: das unreine Herz! „Wie schön sind die Füße derer, die Frieden verkünden, die Gutes verkünden!“g Ich dagegen fürchte, dass ich auf einem schlechten Weg bin und unreine Füße habe. Ich strecke meine Hände aus zu Gott, doch vielleicht wendet er sein Angesicht ab und sagt: „Wenn ihr die Hände ausstreckt, werde ich mein Angesicht von euch abwenden.“h Wer also reinigt mich? Wer wäscht meine Füße? Jesus,86 komm, ich habe schmutzige Füße! Für mich werde87 zum Knecht! Gieße 333–336); 33,1.6 (2, 401. 402). Ungewöhnlich an der vorliegenden Stelle ist, dass Origenes den Vokativ „Jesus“ ohne jeden Zusatz gebraucht (Hausherr, ebd.), während er sonst in der Regel „mein Herr Jesus“ sagt (siehe oben S. 198 Anm. 14). Ein griechisches Pendant dazu ist ein Fragment zu Jer. 28,7, in Hier. frg. 36 (GCS Orig. 32, 217), wo einfach von oë ÆIhsoyÄw die Rede ist (Hausherr, ebd. 46). 87 Ein imperativisches fiere wird auch in Hiez. hom. 9,2 (GCS Orig. 8, 409) verwendet, weshalb diese Lesart des ältesten Codex, Laudunensis 299, aus dem 9. Jahrhundert korrekt ist: Baehrens, GCS Orig. 8, 264 app. crit. Gegen seine Auskunft, ebd. XLVI, eine solche Verbalform sei anderswo nicht bezeugt, verwies Baehrens, in: ThLZ 51 (1926) 134, auf die Imperative fiere bei Augustinus, epist. 153,11 (CSEL 44, 408), und utere im Zitat von 1 Tim. 5,23 bei Hieronymus, epist. 22,8 (CSEL 54,
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Homilia V
tuam, veni, lava pedes meos!a Scio temerarium esse, quod dico, sed timeo comminationem dicentis: „Si non lavero pedes tuos, non habebis partem mecum.“b Ideo lava pedes meos, ut habeam partem tecum! Sed quid aio: Lava pedes meos? Petrus potest hoc dicere, qui non habuit necesse, nisi tantum ut pedes eius lavarentur; totus quippe mundus erat. Ego vero cum semel lotus sim, illo indigeo baptismate, de quo Dominus ait: „Ego aliud baptisma habeo baptizari.“c Cur ista diximus? Praeparo et me et audientes ad maiora mysteria, si tamen veniat, si descendat ad nos sermo Dei; timeo enim, ne me fugiat, ne benedictionem quoque meam dedignetur. Fugit quondam sermo populum propter Achar unum peccatorem, fugit, inquam, sermo populum propter unum peccatorem Achar filium Zambri, filii Zara, ex tribu Iuda,d qui inoboediens fuit Deo et ideo anathematizatus est.e Et quia nunc populi multitudo est propter parasceuen et maxime in dominica die, quae passionis Christi commemoratrix est – neque enim resurrectio Domini semel in anno et non semper post octo dies celebratur –, orate Deum omnipotentem, ut veniat ad nos sermo eius. Etiamsi peccatores estis, orate; peccatores exaudit Deus. Quod si timetis illud, quod in Evangelio dicitur: „Scimus, quia peccatores non exaudit Deus“,f nolite pertimescere, nolite credere: Caecus erat, qui hoc dixit.g Magis autem credite ei, qui dicit et non mentitur: „Etsi fuerint peccata vestra ut foenicium, ut lanam dealbabo; et si volueritis et a g
Joh. 13,5 Joh. 9,24
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155), ferner auf die lateinische Version von Gen. 27,29 in der altlateinischen Bibel (p. 294 Rönsch), zitiert bei Augustinus, civ. dei XVI 37 (II p. 184 Dombart/Kalb): fiere dominus fratris tui. 88 Die von Origenes zitierte Genealogie Achans bzw. Achars bietet die Septuaginta, vom hebräischen Text abweichend, in zwei unterschiedlichen Fassungen. So heißt es zunächst: kaiÁ eÍlaben Axar yiëÁow Xarmi yiëoyÄ Zambri yiëoyÄ Zara (Jos. 7,1: I p. 363 Rahlfs), an späterer Stelle dann: kaiÁ eÆndeiÂxuh Axar yiëÁow Zambri yiëoyÄ Zara (7,18: ebd. 364). Origenes kam es auf die Aussage in Jos. 7,18 an, doch vermischte er bei der Benennung dieser Bibelstelle, die er aus dem Gedächtnis wiedergab, die beiden genealogischen Notizen. 89 Klagen über offensichtlich kleine Versammlungen nicht nur in den Werktagsgottesdiensten sind in den Predigten des Origenes Legion, beispielsweise in Gen. hom. 10,1 (GCS Orig. 6, 93. 94); 11,3 (6, 105 f.); in Ios. hom. 1,7 (GCS Orig. 7, 295); vgl. dazu Harnack, Ertrag I, 83. 90 Das latinisierte paraskeyhÂ, das im hellenistischen Judentum den Begriff prosaÂbbaton (vgl. etwa Jdt. 8,6 [I p. 986 Rahlfs]) ersetzt (in Lk. 23,54 ist prosaÂbbaton varia lectio von paraskeyhÂ), bezeichnet im Judentum den Freitag vor dem Sabbat und diente auch den Christen zur Bezeichnung des sechsten Wochentages: mart.
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dein Wasser in deine Schüssel, komm, wasche meine Füße!a Ich weiß, es ist verwegen, was ich sage, aber ich fürchte die Drohung dessen, der sagt: „Wenn ich deine Füße nicht wasche, wirst du keinen Anteil an mir haben.“b Deshalb wasche meine Füße, damit ich Anteil an dir habe! Aber was sage ich: Wasche meine Füße? Petrus kann das sagen, der es nur nötig hatte, dass ihm die Füße gewaschen werden; er war ja ganz rein. Ich dagegen bedarf, nachdem ich einmal gewaschen worden bin, derjenigen Taufe, über die der Herr sagt: „Ich muss mit einer anderen Taufe getauft werden.“c Warum haben wir von diesen Dingen gesprochen? Ich bereite mich und die Hörer auf größere Geheimnisse vor, wenn es denn kommt und zu uns herabsteigt, das Wort Gottes; denn ich fürchte, es könnte mich verwerfen und mir auch den Segen verweigern. Das Wort verwarf einst das Volk wegen Achan, wegen eines einzigen Sünders, das Wort verwarf, sage ich, das Volk wegen eines einzigen Sünders, wegen Achan, des Sohnes des Sabdi, des Sohnes des Serach, aus dem Stamm Juda,d der Gott nicht gehorchte und dafür gebrandmarkt wurde.e 88 Und da das Volk jetzt zahlreich ist89 anlässlich des Rüsttags,90 besonders aber an dem Tag des Herrn, der an Christi Passion erinnert – denn die Auferstehung des Herrn wird nicht nur einmal im Jahr oder immer nur nach acht Tagen gefeiert –,91 bittet Gott, den Allmächtigen, dass sein Wort zu uns kommen möge. Auch wenn ihr Sünder seid, bittet; Gott erhört die Sünder. Wenn ihr euch aber vor dem fürchtet, was im Evangelium gesagt wird: „Wir wissen, dass Gott Sünder nicht erhört“,f geratet nicht in Furcht, glaubt es nicht: Blind war der, der das gesagt hat.g Glaubt vielmehr dem, der, ohne zu lügen, sagt: „Mögen eure Sünden auch rot wie Purpur sein, werde ich sie weiß machen wie Wolle; und wenn ihr
Pol. 7,1 (p. 266 Lindemann/Paulsen); Origenes, in Ex. hom. 7,5 (GCS Orig. 6, 211). Aus der Bemerkung hier lässt sich folgern, dass an solchen Tagen die versammelte Gemeinde größer als an anderen Tagen war: Danieli, CTePa 132, 114 Anm. 17. 91 Demnach hat Origenes die Predigt an einem Freitag gehalten, der auf den Karfreitag verweist. Im 3. Jahrhundert wurde es üblich, nicht nur am eigentlichen „Tag des Herrn“, am Sonntag, die „Auferstehung des Herrn“ zu feiern, sondern auch an Wochentagen, etwa an Vorbereitungstagen in der „Karwoche“ auf Ostern oder an sogenannten Stationstagen (Fasttagen, zu denen der Freitag gehörte). Sokrates, hist. eccl. V 22,45 (GCS N.F. 1, 301), berichtet, in Alexandria habe es zu Beginn des 3. Jahrhunderts mittwochs und freitags eine Gemeindeversammlung mit Bibellesung und -auslegung gegeben, bei der Origenes exegetische Vorträge gehalten habe. Aus der vorliegenden Stelle und aus Cels. VIII 22 (GCS Orig. 2, 239) geht hervor, dass in Caesarea zumindest auch am Freitag ein eucharistischer Gottesdienst mit Lesung und Predigt gefeiert wurde; vgl. Nautin, Orige`ne 392 f. Die siebte Exodushomilie ist sicher an einem Werktag gehalten worden, weil „auch heute“ (et hodie) darin in Kontrast zu „am Herrentag“ (in dominica die) steht: in Ex. hom. 7,5 (GCS Orig. 6, 211); vgl. Harnack, Ertrag I, 65 Anm. 1.
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Homilia V
audieritis me, bona terrae edetis.“a Si vultis vel nunc audire, oremus in commune Dominum, ut saltem nunc adveniente verbo prophetica dicta valeamus advertere. 3. „Factum est“ inquit „in anno, quo mortuus est Ozias rex, vidi Dominum Sabaoth sedentem super thronum excelsum.“b „Visio“ adscripta est; cur regis tempus significatum? Intendite, quando oborta sit visio: Cum mortuus est Ozias rex, vidit Isaias Dominum Sabaoth sedentem super thronum excelsum. Si quis ex nostris novit, qui fuerit Ozias et quae gesserit, ille potest nosse, quid docuerit propheta per spiritum, quid exhibeat nobis sermo divinus. Vadam ad vitam regis Oziae et requiram ex Regnorum libris et ex Paralipomenon historia de Ozia ibique video, quia necessarium sit, si futurum est, ut videam Dominum Sabaoth sedentem super thronum excelsum, mori mihi Oziam regem. Iste Ozias ex semine David descendens et regnans populo Iuda, quamdiu quidem vixit Zacharias, qui intelligebat – sic enim scriptum est in secundo libro Paralipomenon –, fecit rectum in conspectu Domini.c Nec sufficiens isto fecit luminaria magna Domino et composuit templum Dei et multae fuerunt eius in religione virtutes. Quando autem mortuus est Zacharias intelligens, tunc fecit malignum. Vis hoc, quod fecit malignum, scire? Rex erat, non sacerdos (alius ordo regius, alius ordo sacerdotalis), voluit ingredi in templum et locum agere sacerdotis et facere opus, quod non fuerat ei concessum; introiit praeveniens sacerdotes et adsumpsit vas libaminis. Ingressus autem et princeps sacerdotum, qui tempore illo erat, et octoginta sacerdotes cum eo; dixit ad eum princeps sacerdotum: Nonne tu es Ozias, et non sacerdos? Violenter perseveravit et lepra adscendit in frontem eius; proiectus est mortuus, egressus est de templo, eduxit eum Dominus. Igitur leprosus factus est propter praevaricationem legis.d Unusquisque sub regno est sive peccatie sive iustitiae. Si peccatum mihi regnat, a
Jes. 1,18 f.
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2 Chr. 26,16–21
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92 Über die Disziplinlosigkeit im christlichen Gottesdienst beklagte sich Origenes oft, etwa ebd. 12,2 (6, 264): Manche verlassen den Gottesdienst gleich nach der Lesung, andere warten nicht einmal das Ende der Lesung ab, wieder andere bekommen von der Lesung überhaupt nichts mit, weil sie sich in eine abgelegene Ecke des Gotteshauses zurückziehen und über weltliche Dinge schwätzen. Vgl. ferner ebd. 13,3 (6, 272); in Gen. hom. 10,1 (GCS Orig. 6, 93); 11,3 (6, 105 f.); in Lev. hom. 9,7 (GCS Orig. 6, 431); in Ios. hom. 1,7 (GCS Orig. 7, 295). Siehe dazu Harnack, ebd. 68 f. 71. 83; Schütz, Gottesdienst 46–48; Nautin, SC 232, 111 f. 93 Die folgende Auslegung von Jes. 6,1 hat Origenes kürzer bereits in Is. hom. 1,1 (GCS Orig. 8, 242 f.) und 4,3 (8, 260) vorgetragen. 94 Die Übersetzung der Septuaginta: Zaxarioy toyÄ syniÂontow (eÆn foÂbvì kyriÂoy) (I p.
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wollt und auf mich hört, werdet ihr die Güter des Landes essen.“a Wenn ihr zumindest jetzt hören wollt, lasst uns gemeinsam den Herrn bitten, dass wir wenigstens jetzt, beim Kommen des Wortes, dem, was der Prophet sagt, Aufmerksamkeit zu schenken vermögen.92 3. „Es geschah in dem Jahr, in dem König Usija starb, da sah ich den Herrn der Heere auf einem erhabenen Thron sitzen.“b 93 „Vision“ lautet die Überschrift; warum der Hinweis auf die Regierungszeit des Königs? Achtet darauf, wann sich die Vision ereignet hat: Als König Usija starb, sah Jesaja den Herrn der Heere auf einem erhabenen Thron sitzen. Wer von uns weiß, wer Usija gewesen ist und was er getan hat, der kann verstehen, was der Prophet im Geist lehrt, was uns das göttliche Wort mitteilt. Ich werde mich dem Leben des Königs Usija zuwenden und anhand der Königs- und Chronikbücher Nachforschungen über Usija anstellen; wie ich dort sehe, ist es notwendig, dass König Usija, soll ich in der Zukunft den Herrn der Heere auf einem erhabenen Thron sitzen sehen, für mich tot ist. Dieser Usija, der aus dem Samen Davids stammte und über das Volk von Juda herrschte, handelte solange jedenfalls recht im Angesicht des Herrn, wie – so steht es nämlich im Zweiten Chronikbuch geschrieben – der verständige Secharja94 am Leben war.c Und damit nicht genug, stellte er große Leuchter für den Herrn her und schmückte den Tempel Gottes;95 zahlreich waren seine Verdienste um den Kult. Als aber der verständige Secharja starb, da tat er Böses. Willst du wissen, was er Böses tat? Er war König, kein Priester (es gibt einerseits einen königlichen, andererseits einen priesterlichen Stand); er wollte in den Tempel gehen und an die Stelle eines Priesters treten, also etwas tun, das ihm nicht gestattet war; er ging hinein, kam den Priestern zuvor und ergriff eine Räucherpfanne. Es traten aber auch der damalige Hohepriester und achtzig Priester mit ihm ein. Der Hohepriester sagte zu ihm: Du, bist du nicht Usija und kein Priester? Ungestüm fuhr dieser fort, und der Aussatz trat ihm auf die Stirn – da wurde er wie ein Toter hinausgeworfen. Er verließ den Tempel, der Herr brachte ihn hinaus. Also wurde er wegen einer Gesetzesübertretung zum Aussätzigen.d Jeder steht unter der Herrschaft entweder der Sündee oder der Gerechtigkeit.96 Wenn die Sünde über mich herrscht, bin ich einer von den Königen Israels, die gewaltsam in den 850 Rahlfs) weicht ebenso wie die darauf fußende des Hieronymus hier und in der Vulgata: Zachariae intellegentis (p. 619 Weber/Gryson) vom hebräischen Original („Secharja, der ihn in der Gottesfurcht unterwies“) ab. 95 Was Origenes hier Usija zuschreibt, wird in der Bibel von Salomo berichtet (1 Kön. 7,49; 2 Chr. 4,7). Vermutlich ist Origenes, der hier wie immer aus dem Gedächtnis referiert, eine Verwechslung unterlaufen. 96 Den Gedanken einer Herrschaft der Sünde bzw. der Gerechtigkeit formulierte Origenes, in Num. hom. 12,2 (GCS Orig. 7, 100), ähnlich: „Könige heißen sie, weil sie die Herrschaft der Sünde aus ihrem Körper vertrieben und der Herrschaft der Gerechtigkeit in ihren Gliedern den Weg bereitet haben.“
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Homilia V
unus sum de regibus Istrahel, qui templum violenter ingressi sunt; si iustus sum iuxta mensuram profectus mei et facio rectum et persevero ante conspectum Dei, regnat mihi iustitia. Quamdiu vero vixit leprosus, Isaias immunda labia habuit; quamdiu vixit iniquus, non potuit Isaias Dominum Sabaoth viderea et immunda labia habuit;b sub iniquo quippe rege erat. Quando autem incipit videre visionem Dei? „Anno, quo mortuus est Ozias.“c His similia et de multis scripturis poteris discere tribuente Deo. In Exodo istiusmodi quiddam scriptum est: „Et factum est post dies, mortuus est rex Aegypti, et suspiraverunt filii Istrahel, et adscendit clamor eorum ad Deum.“d Quamdiu vixit Pharao, non suspiraverunt filii Istrahel et in poenis positi nec gemendi quidem liberam habuerunt facultatem; vivebat quippe rex, qui imperabat iis et lateres et paleas facere.e Quamdiu vixit Pharao, non suspiraverunt ad Deum; cum mortuus est Pharao, tunc valuerunt madida fletibus ora sustollere. Vivit rex malignus in pectore nostro, quamdiu vivit Pharao Zabulus. Tunc lateres operamur et paleas, tunc lacrimas intra silentium devoramus et iniquitatis opera prima facimus; cum autem mortuus fuerit Domino Deo nos visitante, tunc suspiramus ad Dominum. Idcirco oremus, ut regnum peccati, quod est in mortali nostro corpore,f moriatur. „Peccatum“ enim ait „mortuum, ego autem revixi“; et rursum: „Peccatum revixit, ego autem mortuus sum.“g Moriente qui potitur regno peccati Ozias, moritur et Pharao. Cum moritur rex pessimus, erigo ad caelum oculos et exaudit vocem meam Deus, quomodo Abraham et Isaac et Iacob; et video Dominum Sabaoth sedentem et regnantem super excelsum solium,h quem populus non vidit; necdum enim Ozias mortuus fuerat. Volo quiddam simile interponere bonae rei, quae huic contraria est. Iste ipse Ozias, quamdiu vixit Zacharias intelligens, non fecit peccatum in conspectu Dei;i moriente Zacharia declinavit a Domino, ubi imperavit populo et rexit urbem. Et haec legentes diebus et noctibus et audientes Dominum dicentem: „Oportuit te mittere pecuniam in mensam, et ego veniens cum usuris eam exegissem“,j non colligemus in sudario minam creditam nec a h
Jes. 6,1 Jes. 6,1
b
Jes. 6,5 c Jes. 6,1 d Ex. 2,23 j 2 Chr. 26,4 f. Mt. 25,27
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Ex. 5,7
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Röm. 6,12
g
Röm. 7,9 f.
97 In Ex. hom. 6,1 (GCS Orig. 6, 192) identifizierte Origenes ausdrücklich Teufel und Pharao, wenn er vom verus Pharao, id est diabolus sprach. Eine andere etymologische Erklärung siehe oben S. 195 Anm. 5. 98 Sinn und Bezugspunkt dieses Satzes sind nicht deutlich und werden auch aus den wenigen noch folgenden Zeilen nicht verständlicher. Nicht klar wird auch, was der
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Tempel eindringen; wenn ich in dem Maße gerecht bin, wie es meinem persönlichen Fortschritt entspricht, recht tue und standhaft bin vor dem Angesicht des Herrn, herrscht die Gerechtigkeit über mich. Solange aber jener Aussätzige am Leben war, hatte Jesaja unreine Lippen; solange jener Ungerechte am Leben war, konnte Jesaja den Herrn der Heere nicht sehena und hatte unreine Lippen;b er stand ja unter der Herrschaft eines ungerechten Königs. Wann aber hat er erstmals eine Vision von Gott? „In dem Jahr, in dem Usija starb.“c Entsprechendes kannst du vielen Stellen der Schrift entnehmen, sofern Gott es gewährt. Im Buch Exodus steht etwas von der Art geschrieben: „Und es geschah nach einigen Tagen, da starb der König von Ägypten, und die Söhne Israels stöhnten auf, und ihr Rufen stieg zu Gott empor.“d Solange Pharao am Leben war, stöhnten die Söhne Israels nicht auf; und inmitten ihrer Drangsal hatten sie nicht einmal die Möglichkeit, offen zu stöhnen; es lebte ja ein König, der ihnen befahl, Ziegel und Spreu herzustellen.e Solange Pharao am Leben war, stöhnten sie nicht auf zu Gott. Als Pharao starb, da vermochten sie das Gesicht, naß von Tränen, gen Himmel zu wenden. Ein böser König lebt in unserer Brust, solange Pharao, der Teufel, am Leben ist.97 Dann verfertigen wir Ziegel und Spreu, dann schlucken wir im Stillen die Tränen hinunter und fangen an, Werke der Ungerechtigkeit zu verrichten; wenn er aber, sooft Gott, der Herr, uns aufsucht, stirbt, dann stöhnen wir auf zum Herrn. Lasst uns also darum bitten, dass die Herrschaft der Sünde in unserem sterblichen Körperf absterbe. „Die Sünde“ nämlich, heißt es, „starb, ich aber lebte auf“; und umgekehrt: „Die Sünde lebte auf, ich aber starb.“g Wenn der, der die Herrschaft über die Sünde innehat, Usija, stirbt, so stirbt auch Pharao. Wenn dieser ganz nichtswürdige König stirbt, erhebe ich meine Augen zum Himmel und erhört Gott meine Stimme wie die Abrahams, Isaaks und Jakobs; und ich sehe den Herrn der Heere auf einem erhabenen Thron sitzenh und herrschen, den das Volk nicht gesehen hat; Usija war nämlich noch nicht tot. Im Gegensatz dazu möchte ich noch etwas Ähnliches im positiven Sinn hinzufügen.98 Eben dieser Usija beging, solange der verständige Secharja am Leben war, keine Sünde vor dem Angesicht des Herrn;i nach dem Tod Secharjas aber wandte er sich vom Herrn ab, sobald er das Volk beherrschte und die Stadt regierte. Und wenn wir dies Tag und Nacht lesen und den Herrn sagen hören: „Du hättest das Geld auf die Bank bringen sollen, und ich hätte es bei meinem Kommen mit Zinsen zurückerhalten“,j dann werSchlussgedanke, in dem Origenes auf unvermittelt neu eingeführte Bibelstellen (Mt. 25,27; Lk. 19,20.23) rekurriert, mit den vorausgehenden Ausführungen über Jes. 6,1 zu tun hat. Zusammen mit dem „Exkurs“, mit dem die Predigt beginnt (siehe oben S. 242 Anm. 83), erweckt auch dieser Schluss den Eindruck, dass die Predigt in der vorliegenden Form möglicherweise nicht vollständig ist.
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Homilia V
pecuniam mittamus in mensam,a sed faeneremur eam populis. Et cum nos crediderimus dominicam rationem vobis, erit videndum, quomodo credita cum usuris exsolvatis. Amen! a
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99 Und zwar – das ist wohl die Pointe dieser Bemerkung – schon am Freitag, an dem diese Predigt gehalten worden ist: siehe oben S. 247 Anm. 91. 100 Auch das Fehlen des in den Predigten des Origenes üblichen Abschlusses mit der
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den wir die anvertraute Mine nicht in ein Schweißtuch wickeln noch das Geld auf die Bank bringen,a sondern es den Völkern gegen Zinsen leihen. Und nachdem wir euch die Summe des Sonntags anvertraut haben,99 müsst ihr sehen, wie ihr das Anvertraute mit Zinsen zurückzahlen könnt. Amen!100
Doxologie aus 1 Petr. 4,11 deutet auf den möglicherweise fragmentarischen Charakter dieser Homilie hin. Man könnte sich allerdings auch vorstellen, dass Origenes angesichts der offensichtlichen Unaufmerksamkeit der Zuhörer (dazu oben S. 248 Anm. 92) seine Predigt abrupt beendete.
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HOMILIA VI.
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De eo, quod scriptum est: „Quem mitto, et quis vadit?“a usque ad eum locum, in quo ait: „Et convertantur, et sanabo eos.“b 1. Videns Isaias Dominum Sabaoth sedentem super thronum excelsum et elevatum, videns autem et Seraphim circumstantia eumc et remissam peccatorum accipiens per eum ignem, qui allatus de altario labia eius contactu purgavit,d ait audisse se vocem Domini non imperantis, sed excitantis atque dicentis: „Quem mittam, et quis ibit ad populum istum?“ Deinde dicit respondisse se Domino: „Ecce, sum ego, mitte me.“e Factus autem in loco et scrutans ea, quae scripta sunt, invenio aliud fecisse Moysen, aliud Isaiam. Moyses enim electus ad eductionem populi de terra Aegypti ait: „Provide alium, quem mittas“f et videtur contradicere Deo; Isaias vero non electus, sed audiens: „Quem mittam, et quis ibit?“, „ecce“ inquit „ego sum, mitte me“.g Dignum est ergo spiritalibus spiritalia comparantemh requirere, quis e duobus melius fecerit; Moyses, qui, postquam electus est, recusavit, an Isaias, qui ne electus quidem ipse se obtulit, ut mitteretur ad populum. Nescio enim, si potest quis eam contrarietatem negotiorum, quae in utroque videtur, intendens dicere, quia id ipsum fecerit Moyses quod Isaias. Ergo audacter facio comparans duos sanctos et beatos viros et decernens et dicens a h
b Jes. 6,8 Jes. 6,10 1 Kor. 2,13
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Jes. 6,6 f.
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Jes. 6,8
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Ex. 4,13
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Jes. 6,8
101 Das zweifache Präsens in der Übersetzung des ersten Jesajazitats weicht vom Text der Septuaginta ab, der einmal einen Konjunktiv Aorist (aÆposteiÂlv), einmal ein Futur (poreyÂsetai) hat (II p. 573 Rahlfs; p. 143 Ziegler). Im Verlauf der Predigt (wie auch in der Vulgata: p. 1103 Weber/Gryson) übersetzt Hieronymus aber entsprechend dem griechischen Wortlaut. Ein ähnlicher Gebrauch des Präsens findet sich in Hieronymus’ Übertragung der Jeremiahomilien: in Hier. hom. lat. 1(3),1 (GCS Orig. 8, 306). Das ebenfalls ungewöhnliche Futur im zweiten Jesajazitat erklärt sich aus einer Inkonzinnität innerhalb der Konstruktion der griechischen Vorlage, in der das (textkritisch strittige) futurische iÆaÂsomai einen Finalsatz beschließt (II p. 574 Rahlfs; p. 144 Ziegler). Siehe dazu auch oben S. 51 f. 102 Die letzte Aussage (Jes. 6,6 f.) hat Origenes, in Is. hom. 4,4–6 (GCS Orig. 8, 261 f.), ausgelegt. Die sechste Homilie wirkt wie eine Fortsetzung der vierten Homilie. 103 Zu der hier untersuchten Frage gibt es eine frappant ähnliche Stelle bei Hieronymus, epist. 18A,15 (CSEL 54, 93), in der die Fragestellung auf einen „Hebräer“ zurückgeführt wird. Wenn es sich dabei nicht um eine literarische Fiktion des Hieronymus handelt, könnte man vermuten, dass auch den Ausführungen des Origenes
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HOMILIE 6 Über das Schriftwort: „Wen sende ich, und wer geht?“a bis zu der Stelle, wo es heißt: „... und sie sich bekehren werden und ich sie heilen werde.“b 101 5
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1. Jesaja sah den Herrn der Heere auf einem erhabenen und hohen Thron sitzen, er sah aber auch die Seraphim, die ihn umgaben;c außerdem wurden ihm die Sünden erlassen durch das Feuer, das, vom Altar genommen, seine Lippen berührte und reinigte;d 102 dabei, sagt er, habe er die Stimme des Herrn gehört, der nicht befohlen, sondern aufgerufen und gesprochen habe: „Wen soll ich senden, und wer wird zu diesem Volk gehen?“ Sodann, sagt er, habe er dem Herrn geantwortet: „Siehe, da bin ich, sende mich!“e An dieser Stelle aber fällt mir bei genauerer Betrachtung dessen, was dort geschrieben steht, auf, dass Mose sich anders verhalten hat als Jesaja.103 Dazu auserwählt, das Volk aus dem Land Ägypten herauszuführen, sagt Mose nämlich: „Bestimme und sende einen anderen!“f Allem Anschein nach widerspricht er Gott. Jesaja dagegen, der nicht auserwählt ist, sondern nur hört: „Wen soll ich senden, und wer wird gehen?“, sagt: „Siehe, da bin ich, sende mich!“g Es bietet sich deshalb an, Geistiges mit Geistigem vergleichend,h zu untersuchen, wer von den beiden sich besser verhalten hat: Mose, der sich, nachdem er auserwählt worden war, weigerte, oder Jesaja, der sich, ohne überhaupt auserwählt worden zu sein, anbot, zum Volk gesandt zu werden. Denn ich weiß nicht, ob nicht jemand im Blick auf den Widerstand gegen ihre Aufgabe, den man bei jedem der beiden sieht, sagen könnte, Mose habe sich genauso verhalten wie Jesaja.104 So ist es kühn von mir, einen Vergleich zwischen zwei heiligen und seligen Männern anzustellen und eine Entscheidung zu treffen, indem ich sage, Mose habe sich eine jüdische Tradition zugrundeliegt: Bardy, Les traditions Juives 238. Siehe auch in Is. hom. 9 (GCS Orig. 8, 288). 104 Ein schwieriger Satz: Nescio, si quis lässt sich kaum, wie Millet (p. 56) und Danieli, CTePa 132, 121, übersetzen, als Verneinung des folgenden Nebensatzes auffassen. Es handelt sich wohl eher um eine Umschreibung des Indefinitpronomens, das einen fictus interlocutor zu Wort kommen lässt (zu der im klassischen Latein mit nescio, an eingeleiteten Konstruktion siehe Hofmann/Szantyr, Lateinische Syntax und Stilistik 543). Ebensowenig bezeichnet die contrarietas, die im nachfolgenden Relativsatz eigens jeder der beiden biblischen Figuren für sich (utroque) zugesprochen wird, die Verschiedenheit ihrer Reaktionen auf den göttlichen Auftrag, zumal auch negotia weniger ein allgemeines Verhalten als eine besondere Aufgabe oder Tätigkeit mei-
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Homilia VI
verecundius Moysen fecisse quam Isaiam. Moyses quippe magnitudinem considerabat praeesse populo ad educendum eum de terra Aegypti, repugnare Aegyptiorum incantationibus et maleficiis;a propter hoc ait: „Provide alium, quem mittas.“b Iste autem non exspectans audire, quid ei iuberetur, ut diceret, [et]iam si electus fuisset, „ecce“ inquit „sum ego, mitte me“.c Unde quia ignorans, quid ei iuberetur, „ecce“ ait „ego sum, mitte me“, haec iubetur ut dicat, quae erant inoptata dicenti. An non erat inoptabile statim iusso prophetare a maledictionibus incipere dicentem: „Aure audietis et non intelligetis, et videntes cernetis et non videbitis; incrassatum est enim cor populi huius“d et reliqua? Forte ergo – si tamen audenter expedit dicere – temeritatis et audaciae mercedem consecutus est, ut ea iubeatur dicere, quae prophetare nolebat. Quia autem comparavimus Isaiam et Moysen, componamus et aliam proximam comparationem, Isaiam et Ionam. Ille mittitur praedicare eversionem Ninivitis post tres diese et piget eum proficisci nolentem causam malorum civitati.f Iste vero non exspectans, quid ei imperaretur, ut diceret, ait: „Ecce, sum ego, mitte me.“g Bonum est non prosilire ad eas, quae a Deo sunt, dignitates et principatus et ministeria ecclesiae; utinam imitaremur Moysen et diceremus cum a
Ex. 7,22
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Ex. 4,13
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Jes. 6,8
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Jes. 6,9 f.
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Jon. 3,3
f
Jon. 1,1 f.
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Jes. 6,8
nen dürfte. Bestätigung findet die hier vorgeschlagene Übersetzung einmal im Gang der weiteren Argumentation, in der Origenes gerade den Nachweis erbringen will, dass auch für Jesaja – genau wie für Mose und später Jona – der Inhalt seiner Berufung ungeachtet seines anfänglichen Enthusiasmus inoptabilis (GCS Orig. 8, 268 Zeile 28) gewesen sein muss, dann im abschließenden Resümee, in dem Origenes noch einmal ausdrücklich beider, also Jesajas und Moses Verlorenheit hervorhebt (ebd. 271 Zeile 2 f.: sancti compunguntur). 105 In der Vulgata: videte visionem (p. 1103 Weber/Gryson) ist wie in der griechischen Übersetzung: bleÂpontew bleÂcete (II p. 574 Rahlfs; p. 143 Ziegler) die figura etymologica der hebräischen Vorlage nachgebildet. 106 Der Text der Septuaginta verändert hier den Sinn der hebräischen Vorlage. Während im hebräischen Text die „Verfettung“ des Herzens ein Auftrag an den Propheten ist, ist sie in der griechischen Übersetzung als bereits eingetretenes Faktum (II p. 574 Rahlfs; p. 144 Ziegler: eÆpaxyÂnuh) aufgefasst. Siehe auch oben S. 51 f. 107 Das strenggenommen unrichtige ille, zu beziehen auf Jona, ist hier vermutlich dem Sinn nach an Stelle des eigentlich zu erwartenden (unten für Jesaja verwendeten) iste gesetzt. Grund ist wohl weniger die in der spätantiken lateinischen Prosa zunehmende Unschärfe in der Verwendung der Demonstrativpronomina als vielmehr eine Eigenart des Predigtstils: Aus der Sicht des Homileten, der gerade eine Jesajaperikope auslegt, ist Jona tatsächlich weiter entfernt als der Prophet Jesaja.
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ehrfurchtsvoller verhalten als Jesaja. Mose bedachte ja, dass es etwas Großes wäre, das Volk zu leiten, um es aus dem Land Ägypten herauszuführen, und den schädlichen Zaubereien der Ägyptera die Stirn zu bieten; deshalb sagte er: „Bestimme und sende einen anderen!“b Dieser (sc. Jesaja) dagegen wartete nicht ab, bis er hörte, was zu sagen ihm aufgetragen würde, sondern sagte, als wäre er bereits auserwählt worden: „Siehe, da bin ich, sende mich!“c Weil er also, ohne zu wissen, was ihm aufgetragen würde, sagte: „Siehe, ich bin da, sende mich!“, wird ihm aufgetragen, etwas zu sagen, was er sich, als er so sprach, nicht gewünscht hätte. Oder war es nicht alles andere als wünschenswert, seine Verkündigung, kaum dass er den Auftrag dazu erhalten hatte, mit den bösen Worten zu beginnen: „Hören, hören werdet ihr und nicht verstehen; sehen, wahrnehmen105 werdet ihr und nicht sehen; verfettet ist das Herz dieses Volkes“d usw.?106 Vielleicht also – wenn ich es denn so kühn ausdrücken darf – hat er für seine Unverfrorenheit und Kühnheit den Lohn erhalten: Ihm wurde aufgetragen zu sagen, was er nicht verkünden wollte. Da wir aber Jesaja und Mose miteinander verglichen haben, wollen wir auch noch einen anderen naheliegenden Vergleich anstellen, nämlich den zwischen Jesaja und Jona. Jener107 wird gesandt, den Einwohnern von Ninive die Zerstörung nach drei Tagen anzukündigen,e sträubt sich aber aufzubrechen, weil er der Stadt nicht das Strafgericht für ihre Schlechtigkeit wünscht.f 108 Dieser aber sagte, ohne abzuwarten, was ihm zu sagen aufgetragen würde: „Siehe, da bin ich, sende mich!“g Man tut gut daran, sich nicht um die von Gott stammenden Ehrenämter, Führungspositionen und Dienste in der Kirche zu reißen.109 Lasst uns
108 Die Bedeutung von causam malorum ist unklar. Entsprechend der Geschichte des Jonabuches fassen wir es hier als juristischen Terminus auf, der das göttliche Strafgericht über Ninive bezeichnet. Vgl. zu dieser Bedeutung ThLL 3, 680,16; 689,12. 109 Das Streben nach kirchlichen Ämtern scheint sehr verbreitet gewesen zu sein. Origenes beklagt Ehrgeiz, Gewinn- und Ehrsucht als falsche Motive: in Matth. comm. XI 15 (GCS Orig. 10, 59); in Rom. comm. II 2 (p. 101 Hammond Bammel); er klagt darüber, dass untaugliche Leute Gemeindeleiter werden: in Matth. comm. XVI 22. 25 (GCS Orig. 10, 552. 558); in Lev. hom. 6,2 (GCS Orig. 6, 361), ja regelrechte Schwindler und Heuchler darunter seien: in Matth. comm. ser. 24 (GCS Orig. 11, 40); und er führt oft Klage über die diesbezügliche triste Realität; diese und weitere Belege bei Harnack, Ertrag I, 69–71. 76; II, 129–141; Vogt, Kirchenverständnis 31 f.; Schütz, Gottesdienst 50–53. Bei einer Bischofswahl lasse sich das Volk bisweilen durch Geschrei oder Geldgeschenke zur Akklamation verleiten; Origenes warnt die Kandidaten daher eindringlich vor Ehrgeiz, Bestechung und Nepotismus: in Num. hom. 9,1 (GCS Orig. 7, 56). Die aus dem Amt scheidenden Bischöfe sollen die Wahl ihres Nachfolgers dem Urteil Gottes überlassen, sich selbst also heraushalten. Als Qualifikation für ein Amt der Gemeindeleitung betrachtet Origenes eine moralisch vorbildliche Lebensführung und besondere Fähigkeiten als geistlicher Lehrer: ebd. 22,4 (7, 208 f.); siehe dazu Harnack, ebd. 75 f. 77 f.; Vogt, ebd. 10–13; Schütz, ebd. 51 f.
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Homilia VI
eo: „Provide alium, quem mittas.“a Neque enim ad principatum ecclesiae venit, qui salvari vult, etsi praeest, sed ad servitutem, si oportet dicere et de Evangelio: „Principes quidem gentium dominantur iis, et qui potestatem habent in illis, magistratus vocantur; non sic autem erit in vobis.“b „Nec enim dominantur principes in vobis, sed qui vult vestrum esse maior, erit omnium minimus; qui vult esse primus, erit omnium novissimus.“c Qui vocatur ergo ad episcopatum, non ad principatum vocatur, sed ad servitutem totius ecclesiae. Si vis credere de scripturis, quia in ecclesia servus sit omnium,d qui praeest, suadeat tibi ipse Salvator et Dominus: talis tantusque factus est in medio discipulorum non quasi discumbens, sed quasi ministrans.e Accipiens enim linteum, postquam exutus est vestimentis, praecinxit se et mittens aquam in pelvim coepit lavare pedes discipulorum et detergere linteo, quo erat praecinctus.f Et docens, quia tales oporteat esse principes quemadmodum servos ait: „Vos vocatis me magistrum et Dominum et bene dicitis; sum enim. Si ergo ego Dominus et magister lavi vestros pedes, et vos debetis alterutrum lavare pedes.“g In servitutem igitur vocatur ecclesiae princeps, ut possit ex servitute ista ire ad solium caeleste, sicut scriptum est: „Sedebitis super thronos duodecim iudicantes duodecim tribus Istrahel.“h Audi vero et Paulum tam praeclarum virum dicentem, quia servus fuerit omnium credentium. „Ego enim sum minimus Apostolorum, qui non sum dignus vocari Apostolus, quia persecutus sum ecclesiam Dei.“i Porro si hoc non videtur approbare servitutem eius, sed tantum humilitatem, audi eum dicentem: „Facti sumus parvuli in medio vestrum, quasi si nutrix foveat filios suos, cum possimus graves esse ut Christi Apostoli.“j Imitatores ergo nos esse expedit humilium ipsius Domini sermonum atque factorum et Apostolorum eius et facere, quod factum est a Moyse, ut, etiamsi vocatur aliquis ad principatum, dicat: „Provide alium, quem mittas.“k Deo dicit: „Non sum dignus ante heri et nudius tertius; exilis vocis sum et tardilinguis.“l Et quia Deo dixit humiliter: „Exilis vocis sum et tardilinguis“, audit a Deo: „Quis dedit os homini, et quis fecit surdum et mutum, videntem et caecum? Nonne ego Dominus Deus?“m Crede Deo et consecra te ei. Licet subtilis vocis sis tardaeque linguae, trade te sermoni Dei; dices postea: „Os Ex. 4,13 b Lk. 22,25 f. c Mk. 9,34; Mt. 19,30; Lk. 22,26 d Mk. 9,35 e Lk. 22,27 g h i j Joh. 13,4 f. Joh. 13,13 f. Mt. 19,28 1 Kor. 15,9 1 Thess. 2,6 f. k l m Ex. 4,13 Ex. 4,10 Ex. 4,11 a f
110 Mit dem pleonastischen ante heri übersetzt Hieronymus die in der Septuaginta angeführte Zeitangabe pro Á th Ä w eÆxueÂw (I p. 91 Rahlfs) über Gebühr wörtlich. In der Vulgata steht anstelle von ante das inhaltlich und stilistisch angemessenere ab (p. 80 Weber/Gryson).
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lieber dem Beispiel des Mose folgen und mit ihm sagen: „Bestimme und sende einen anderen!“a Denn wer gerettet werden will, kommt nicht zur Kirche, um zu herrschen, mag er auch eine leitende Stellung innehaben, sondern um zu dienen; falls es noch nötig ist, einen Beleg aus dem Evangelium anzuführen: „Die Fürsten der Völker sind deren Herren, und die, die Macht haben über sie, werden Obrigkeiten genannt; so wird es aber bei euch nicht sein“;b „denn über euch herrschen keine Fürsten, sondern wer von euch größer sein will, der wird der Kleinste von allen sein; wer der Erste sein will, wird der Letzte von allen sein.“c Wer also zum Bischofsamt berufen wird, wird nicht zur Herrschaft berufen, sondern zum Dienst an der gesamten Kirche. Wenn du aufgrund der Schriften glauben willst, dass in der Kirche der, der eine leitende Stellung innehat, Diener aller ist,d so möge der Erlöser und Herr selbst dich überzeugen: Als solcher wurde er, der so Große, inmitten der Jünger nicht wie einer, der zu Tische sitzt, sondern wie einer, der bedient.e So nahm er, nachdem er sein Gewand abgelegt hatte, ein Leinentuch, umgürtete sich damit, goß Wasser in eine Schüssel und fing an, den Jüngern die Füße zu waschen und mit dem Leinentuch abzutrocknen, mit dem er sich umgürtet hatte.f Und er erklärte, Herren sollten Dienern gleichen, sagte er doch: „Ihr nennt mich Meister und Herr und sagt es zu Recht; denn ich bin es. Wenn nun ich, der Herr und Meister, euch die Füße gewaschen habe, dann müsst auch ihr einander die Füße waschen.“g Zum Dienst also wird ein Kirchenoberer berufen, um von diesem Dienst zum himmlischen Thron schreiten zu können, wie geschrieben steht: „Ihr werdet auf zwölf Thronen sitzen und die zwölf Stämme Israels richten.“h Höre aber auch, wie Paulus, ein so vortrefflicher Mann, sagt, er sei Diener aller Gläubigen gewesen: „Ich bin nämlich der geringste der Apostel, der ich nicht wert bin, Apostel genannt zu werden, weil ich die Kirche Gottes verfolgt habe.“i Wenn du meinst, dies beweise nicht, dass er Diener, sondern nur, dass er demütig gewesen sei, höre weiter, wie er sagt: „Wir haben uns ganz klein gemacht in eurer Mitte wie eine Amme, wenn sie ihre Kinder umsorgt, obwohl wir uns als Christi Apostel hätten wichtig machen können.“j Wir tun also gut daran, die demütigen Worte und Taten des Herrn selbst und seiner Apostel nachzuahmen und zu tun, was Mose tat, so dass einer, auch wenn er in eine leitende Stellung berufen wird, sagt: „Bestimme und sende einen anderen!“k Er (sc. Mose) sagt zu Gott: „Ich bin nicht geeignet, war es weder gestern110 noch vorgestern; ich habe eine schwache Stimme und eine schwerfällige Zunge.“l Und weil er demütig zu Gott sagte: „Ich habe eine schwache Stimme und eine schwerfällige Zunge“, vernimmt er von Gott: „Wer hat dem Menschen den Mund gegeben und wer macht taub und stumm, sehend und blind? Nicht etwa ich, der Herr, Gott?“m Vertraue Gott, weihe dich ihm! Magst du auch eine schwache Stimme haben und eine schwerfällige Zunge, gib dich dem Wort Gottes hin später wirst du sagen: „Meinen Mund habe ich; geöffnet und Geist
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Homilia VI
meum aperui et attraxi spiritum.“a Haec quidem propter hoc, quod ait Isaias: „Ecce, sum ego, mitte me.“b 2. Faciamus autem ex parte et cum eo. Voluit enim, cum iam accepisset gratiam a Deo, non in vacuum eam accipere,c sed uti ea ad necessaria. Videns Seraphim, videns Dominum Sabaoth sedentem super thronum excelsum et elevatum dixit: „O miser ego, quoniam compunctus sum, quia, cum homo sim et immunda labia habeam, in medio quoque populi immunda labia habentis habitem, et regem Dominum Sabaoth vidi oculis meis.“d Hoc dicens et miserum se faciens meretur auxilium suscipiente Deo humilitatem eius. Quod est istud auxilium? „Missus est“ ait „ad me unus de Seraphim, et habebat in forfice carbonem, quem attulerat de altari, et tetigit labia mea et dixit: Ecce, abstuli iniquitates tuas et peccata tua circumpurgavi.“e Consecutus est beneficium mundus effectus et remissionem accipiens peccatorum. Cum audisset: „Quem mittam ad populum istum, et quis ibit nobis?“, non propter priorem conscientiam ausus fuit dicere: „Ecce, ego, mitte me“, sed quia audierat: „Ecce, abstuli iniquitates tuas.“f Igitur quia sancti compunguntur et requiritur inter Moysen et Isaiam, satisfaciamus pro Moyse et etiam pro Isaia dantes et iis de scripturis sortem suam. Moyses non accepit remissionem peccatorum, ut diceret quasi iam conscius se mundatum: „Mitte me.“ Propter quod ait: „Provide alium, quem mittas“,g habebat enim in conscientia interfectionem Aegyptii;h forte autem ut homo sciebat se et alia quaedam habere peccata, propterea recusat. Iste autem non quasi natura iustus postulat ministerium, sed quasi gratiam consecutus. Si et Moyses similem gratiam percepisset audissetque: „Ecce, abstuli iniquitates tuas“ et hoc: „Circummundavi peccata tua“,i numquam forte dixisset: „Provide alium, quem mittas.“j Habet ergo aliquid rationis et Moyses recusans et Isaias dicens: „Ecce, sum ego, mitte me.“k a g
b c Ps 118(119),131 Jes. 6,8 2 Kor. 6,1 h i j Ex. 4,13 Ex. 2,12 Jes. 6,7 Ex. 4,13
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Jes. 6,5 k Jes. 6,8
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111 Siehe dazu oben S. 238 Anm. 80 zu in Is. hom. 4,4 (GCS Orig. 8, 261 f.).
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eingesogen.“a Soviel also zu dem, was Jesaja sagt: „Siehe, da bin ich, sende mich!“b 2. Lasst uns aber auch in bestimmter Hinsicht Partei für ihn ergreifen. So wollte er die Gnade, nachdem er sie bereits von Gott empfangen hatte, nicht vergebens empfangen,c sondern für etwas Wichtiges verwenden. Die Seraphim und den Herrn der Heere vor Augen, der auf einem erhabenen und hohen Thron saß, sagte er: „O ich Elender, denn ich bin verloren, weil ich, ein Mensch mit unreinen Lippen, auch inmitten eines Volkes mit unreinen Lippen wohne und den König, den Herrn der Heere, mit meinen eigenen Augen gesehen habe.“d Dies sagt er, er nennt sich selbst einen Elenden und gewinnt so die Hilfe Gottes, der sich seiner Demut annimmt. Worin besteht diese Hilfe? „Einer der Seraphim“, sagt er, „wurde zur mir gesandt, und in der Zange hatte er Kohle, die er vom Altar genommen hatte, und er berührte meine Lippen und sagte: Siehe, ich habe deine Verfehlungen von dir genommen und dich von deinen Sünden gereinigt.“e Darin bestand die Wohltat, die er erhielt: Er wurde rein, und die Sünden wurden ihm erlassen.111 Nachdem er gehört hatte: „Wen soll ich zu diesem Volk senden, und wer wird für uns gehen?“, da war es nicht wegen eines vorher schon reinen Gewissens, dass er zu sagen wagte: „Siehe, ich! Sende mich!“, sondern weil ihm gesagt worden war: „Siehe, ich habe deine Verfehlungen von dir genommen.“f Da also beide Heilige sich verloren fühlen und Mose und Jesaja miteinander verglichen werden, wollen wir Mose und auch Jesaja Gerechtigkeit widerfahren lassen, indem wir auch ihnen auf der Grundlage der Schriften jeweils das Ihre zukommen lassen. Mose wurden nicht die Sünden erlassen, so dass er nicht wie jemand, der bereits darum weiß, dass er rein ist, sagen konnte: „Sende mich!“ Deswegen sagte er: „Bestimme und sende einen anderen!“,g hatte er doch einen Ägypter auf dem Gewissen;h vermutlich war er sich aber auch bewusst, dass er als Mensch noch andere Sünden begangen hatte; deshalb weigert er sich. Dieser (sc. Jesaja) dagegen strebt nicht, weil er von Natur aus gerecht gewesen wäre, nach dieser Aufgabe, sondern wegen der Gnade, die er erhalten hat. Wenn auch Mose eine entsprechende Gnade empfangen und vernommen hätte: „Siehe, ich habe deine Verfehlungen von dir genommen“ und: „Ich habe dich von deinen Sünden gereinigt“,i hätte er vermutlich niemals gesagt: „Bestimme und sende einen anderen!“j Es hat also durchaus seinen Grund, dass Mose ablehnt und Jesaja sagt: „Siehe, da bin ich, sende mich!“k
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Homilia VI
3. Sed videamus etiam ea, quae praecepit Dominus, ut populo dicerentur: „Vade, et dic populo: Aure audietis et non intelligetis, et videntes cernetis et non videbitis. Incrassatum est enim cor populi huius, et auribus graviter audierunt et oculos clauserunt, ne quando videant oculis et auribus audiant et corde intelligant et convertantur et sanem eos.“a Bifariam sciens sermonum auditionem et duplicem noscens constitutionem, hoc est aliud eorum corporale, aliud spiritale, ait ad populum prophetans de his, quae in adventu Christi futura erant, quia esset tempus, quando audirent et non intelligerent ea, siquidem, cum audirent Dominum meum Iesum Christum, vocem tantum dictorum audiere, non sensum. Et hoc ex eo manifestum est quia foras ad populum in parabolis loquebatur, discipulis autem secreto dissolvebat eas.b Prophetat autem, quod evenit: „Aure audietis et non intelligetis.“c Porro quia de adventu Domini hoc sit populo prophetatum, ipse Salvator dicit: „Bene prophetavit Isaias de vobis inquiens: Aure audietis et non intelligetis.“d Concedamus ergo quia sermones Domini populus auscultans non potuerit nosse, quae dicta sunt. Videamus autem, quid sit hoc, quod sequitur: „Et videntes videbitis et non scietis.“e Non si quis vidit ea, quae Salvator faciebat, statim videns potuit intelligere, cur facta sint. Veluti exemplum adsumamus, lavit pedes discipulorumf et videbant quidem bene, quomodo lavabat pedes magister a f
Jes. 6,9 f. Joh. 13,5
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Mk. 4,11 f.; Mt. 13,13–15
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Jes. 6,9
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Mt. 15,7; 13,14
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112 Siehe dazu oben S. 256 Anm. 105. 113 Siehe dazu oben S. 256 Anm. 106. 114 Origenes hat diese neutestamentlichen Bibelstellen, an denen jeweils Jes. 6,9 f. zitiert wird, als Verhüllung der Wahrheit für solche Menschen interpretiert, die noch nicht reif genug seien, sie in der rechten Weise aufzunehmen; princ. III 1,17 (GCS Orig. 5, 226): „Nun ist auch anzunehmen, dass der Erlöser ... bei den Menschen draußen (Mk. 4,11), von denen hier die Rede ist, erkannt hatte, dass sie, wenn sie das Gesagte klarer hören würden, in ihrer Bekehrung doch nicht beständig sein würden; und dass der Herr deshalb über sie bestimmt hatte, dass sie nicht deutlicher von den tieferen Wahrheiten hören sollten, damit sie sich nicht allzu rasch bekehrten und geheilt würden, indem sie Vergebung erlangten, dann die Verwundungen der Schlechtigkeit als harmlos und leicht heilbar unterschätzten und aufs neue und noch schneller in sie verfielen“; Übersetzung: p. 525 Görgemanns/Karpp. In diesem Sinne hat Origenes sich oft geäußert, zum Beispiel auch in Rom. comm. VIII 11 (p. 704 Hammond Bammel): „Die Gläubigen und sogar die Vollkommenen sollten nämlich solche Gedanken in sich selbst wie ein Mysterium mit Schweigen verhüllen und sie nicht beiläufig den Unvollkommenen und weniger Aufnahmebereiten vortragen“; Übersetzung: Heither, FC 2/4, 309 (dort gezählt als VIII 12). Origenes hat das nicht esoterisch gemeint, sondern pädagogisch in dem Sinne, dass Gott die Mittel seiner Erziehung und Heilung individuell auf das intellektuelle Fassungsvermögen jedes einzelnen Menschen abstimme. So beurteilte er die Androhung von
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3. Aber schauen wir uns auch an, was sie dem Volk im Auftrag des Herrn sagen sollten: „Geh und sag dem Volk: Hören, hören werdet ihr und nicht verstehen; sehen, wahrnehmen112 werdet ihr und nicht sehen. Verfettet ist113 nämlich das Herz dieses Volkes; und mit den Ohren hörten sie schwer und die Augen verschlossen sie, damit sie niemals mit den Augen sehen und mit den Ohren hören, mit dem Herzen verstehen und sich bekehren und ich sie heilen werde.“a Auf zweierlei Art – so wusste er – geschieht das Hören von Worten, und diese – dessen war er sich bewusst – sind von doppelter Beschaffenheit, das heißt einerseits körperlich, andererseits geistig, und so wandte er sich an das Volk und kündete von dem, was bei Christi Ankunft geschehen würde, dass es nämlich eine Zeit gebe, da sie dies hörten und nicht verständen, weil sie ja, als sie meinen Herrn Jesus Christus hörten, lediglich den Klang der Worte vernahmen, nicht ihren Sinn. Und dies geht daraus hervor, dass er zum Volk draußen in Gleichnissen sprach, sie den Jüngern aber im Geheimen erklärte.b 114 Er prophezeit etwas, das tatsächlich geschehen ist: „Hören, hören werdet ihr und nicht verstehen.“c Dass dies dem Volk im Hinblick auf die Ankunft des Herrn prophezeit worden ist, sagt ferner der Erlöser selbst: „Treffend hat Jesaja von euch gekündet, als er sprach: Hören, hören werdet ihr und nicht verstehen.“d Räumen wir also ein, dass das Volk, auch wenn es den Worten des Herrn zuhörte, das Gesagte nicht verstehen konnte. Schauen wir uns aber an, wie es weiter heißt: „Sehen, sehen werdet ihr und nicht erkennen.“e 115 Dass jemand sah, was der Erlöser tat, heißt nicht unbedingt, dass er beim Sehen auch schon imstande war zu verstehen, warum er es tat.116 Nehmen wir ein Beispiel: Er wusch den Jüngern die Füße,f und sie konnten gut sehen, wie er, der Meister, ihnen, den Jüngern, die Strafe für die Sünden folgendermaßen: „Da der Geist das für die große Masse der künftigen Leser der Schrift Passende zubereiten will“ (Cels. V 15 [GCS Orig. 2, 16]), empfehle die Bibel „die Furcht vor der Gottheit ... als nützlich für die große Menge allen denen ..., die noch nicht imstande sind, das, was um seiner selbst willen gewählt zu werden verdient, zu erkennen und zu erwählen als das höchste Gut, das alle Verheißungen übertrifft“ (ebd. III 78 [1, 269]); Übersetzung: Koetschau, BKV2 I 53, 26 bzw. BKV2 I 52, 293. Weitere Stellen bei Fürst, Eschatologie 332 f. – Siehe auch in Is. hom. 9 (GCS Orig. 8, 288 f.). 115 Die Abweichung dieses Zitats von der zu Beginn des Abschnitts wiedergegebenen Fassung (videntes cernetis et non videbitis), wobei jetzt die figura etymologica des hebräischen Textes (siehe oben S. 256 Anm. 105) nachgeahmt ist (videntes videbitis et non scietis), ist wohl insofern aus dem Kontext zu erklären, als dadurch eine Parallele zum „Hören und nicht verstehen“ entsteht: „Sehen und nicht erkennen“. Hinter dem Verbum scire wird man das Nomen scientia = gnv Ä siw annehmen (siehe auch oben S. 218 Anm. 44). 116 Zu dieser hermeneutischen Grundfrage des Origenes, der Unterscheidung zwischen den Tatsachen der Heilsgeschichte und den Gründen für diese, siehe oben S. 219 Anm. 45 zu in Is. hom. 3,1 (GCS Orig. 8, 253).
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discipulis; videbant autem et alii, qui erant praesentes, sed id tantum, quod fiebat, non etiam cur fiebat. Similitudo quippe erat lavationis pedum, qua lavit verbum Dei pedes discipulorum; idcirco ait Salvator ad recusantem Petrum et dicentem: „Non lavabis pedes meos“,a quid ait? „Quod facio, tu nescis modo, scies autem postea.“b Quid ergo facis modo? dicit Petrus, video te lavantem pedes nostros, et pelvim positam, linteo te praecinctum et servientem nobis et detergentem pedes nostros.c Verum quia non erat hoc negotium – sed enim Salvator nudatus mittit spiritalem aquam in pelvem secundum scripturas et lavat pedes discipulorum, ut, cum mundi fuerint, adscendant ad dicentem: „Ego sum via“d et non pleni pulvere, quem excutere voluit super indignos et non suscipientes pacem neque dignos eorum, quae dicebanture – et quia hoc erat, quod significabatur, ideo ait: „Quod ego facio, tu nescis modo, scies autem postea.“f Erat autem hoc, quod in reliquis dictum est, quia: „Vos vocatis me magistrum et Dominum, et bene dicitis; sum enim. Si igitur ego Dominus et magister lavi pedes vestros, et vos debetis invicem lavare pedes.“g Ergo hoc dicit, ut episcopus mittens aquam in pelvem et exutus vestibus suis et praecinctus linteo me extendente lavet pedes meos, siquidem vos, inquit, debetis invicem pedes vestros lavare?h Si hoc est, quod dicitur, nemo nostrum mandatum servabit; nemo enim quibuscumque venientibus adsumens linteum diaconus vel presbyter sive episcopus lavit pedes. Sed si intelligas ea, quae scripta sunt, qui vere beati sunt episcopi, servientes ecclesiae mittunt aquam de scripturis in pelvem animae, quod est secundum scripturas, et tentant sordes pedum discipulorum lavare et eluere et proicere. Et sic custodiunt episcopi mandatum imitantes Iesum, a g
Joh. 13,8 Joh. 13,13 f.
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c Joh. 13,7 Joh. 13,4 f. h Joh. 13,14
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Joh. 14,6
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Mt. 10,13 f.
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Joh. 13,7
117 Alii, qui erant praesentes heißt auf Griechisch wohl: eÏteroi oië paroÂntew und dürfte so aufzufassen sein, dass unter alii nicht andere Personen als die Jünger zu verstehen sind, sondern „andere Anwesende“ aus dem Kreis der Jünger, und zwar „andere“ als die, denen Jesus jeweils gerade die Füße wusch. 118 Joh. 14,6 und insbesondere Jesu Selbstvorstellung als „Weg“ sind für die praktische Viatorik, die das theologische Denken des Origenes im Ganzen sein will, zentral. In dieser Selbstbezeichnung verdichtet sich für ihn nicht nur Christi gesamtes Heilswerk, sondern auch die urchristliche Erfahrung einer unmittelbaren Begegnung mit ihm. Und wie hier die Fußwaschung, die sich, als notwendige Reinigung verstanden, zwanglos in die Vorstellung Christi als Weg einfügt, so kann Origenes das Bild auch an anderer Stelle mit weiteren biblischen Motiven verbinden und theologisch vertiefen: Christus sei, so sagt er in einem beredten Zeugnis seiner Philosophie christlichen Lebens, „der Weg, auf den man nichts mitzunehmen braucht, keine Vorratstasche und kein Gewand, und auf dem man auch keinen Stock bei sich führen oder Sandalen an den Füßen tragen muss (Mt. 10,10). Dieser Weg bietet nämlich aus sich selbst alles, was für die Reise notwendig ist. Wer hier unterwegs ist, der hat auch keinerlei Bedürfnis, sondern trägt ein prächtiges Gewand, wie es sich für einen ziemt, der gerade der Einladung zu einem Hochzeitsfest folgt (Mt. 22,1).
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Füße wusch; aber auch einige der Anwesenden117 sahen es, doch sahen sie nur, was er tat, nicht, warum er es tat. Gleichnishaften Charakter hatte ja eine Fußwaschung, bei der das Wort Gottes den Jüngern die Füße wusch; deshalb sprach der Erlöser zu Petrus, der sich weigerte und sagte: „Nein, niemals wirst du mir die Füße waschen“,a was sagte er also? „Was ich tue, verstehst du jetzt noch nicht; du wirst es aber später erkennen.“b Was tust du also gerade?, fragt Petrus. Ich sehe, dass du uns die Füße wäschst, dass dort eine Schüssel steht und dass du uns, mit einem Leinentuch umgürtet, bedienst und uns die Füße abtrocknest.c Da dies aber nicht seine eigentliche Tätigkeit war – nein, in Wirklichkeit gießt der Erlöser, entkleidet, geistiges Wasser in eine Schüssel gemäß den Schriften; er wäscht den Jüngern die Füße, damit sie, einmal rein geworden, zu dem emporsteigen, der sagt: „Ich bin der Weg“,d und zwar nicht voller Staub; den, so wollte er, sollten sie auf die Unwürdigen schütteln und auf diejenigen, die den Friedensgruß nicht annahmen und dessen, was sie sagten, nicht würdig warene – und weil darin die eigentliche Bedeutung lag, deshalb sprach er: „Was ich tue, verstehst du jetzt noch nicht; du wirst es aber später erkennen.“f Dann aber sagte er, wie es heißt, Folgendes: „Ihr nennt mich Meister und Herr und sagt es zurecht; denn ich bin es. Wenn nun ich, der Herr und Meister, euch die Füße gewaschen habe, dann müsst auch ihr einander die Füße waschen.“g Meint er damit also, der Bischof solle Wasser in eine Schüssel gießen, seine Kleidung ablegen, sich mit einem Leinentuch umgürten und mir die Füße waschen, wenn ich sie ihm hinstrecke, sagt er ja: Ihr müsst einander die Füße waschen?h Wenn er das meint, wird niemand von uns seine Weisung erfüllen; niemand, gleich ob Diakon, Presbyter oder Bischof, wird doch, wenn irgendwer daherkommt, ein Leinentuch nehmen und ihm die Füße waschen! Wenn man aber versteht, was dort geschrieben steht, so sind es die, die wahrhaft selige Bischöfe sind, die im Dienste der Kirche Wasser aus den Schriften in die Schüssel der Seele gießen, was den Schriften entspricht, und sich daranmachen, ihren Jüngern den Schmutz von den Füßen zu waschen, ihn ganz zu entfernen und zu beseitigen. Und so erfüllen die Bischöfe seine Weisung, indem sie Jesus nachahmen, desgleichen die Presbyter.118 Wenn Er wird auch auf diesem Weg auf keine Schwierigkeiten stoßen, denn es lassen sich nach Salomon auf keinem Felsen Wegspuren von Schlangen ausmachen (Spr. 24,54; LXX: 30,19) noch je welche, so möchte ich selbst noch hinzufügen, von irgendeinem anderen wilden Tier. Deshalb braucht es auch auf einem Weg, der nicht einmal Spuren von Feinden aufweist und der kraft der Festigkeit, der er auch die Bezeichnung ,Fels‘ verdankt, bösen Menschen den Zugang verwehrt, keinen Stock. Weiter ist der einzige Sohn Wahrheit, weil er nach dem Willen des Vaters in sich das Prinzip des Alls vollständig und mit aller Klarheit erfasst hat und es, insofern er Wahrheit ist, jedem Einzelnen entsprechend der persönlichen Würdigkeit mitteilt“: in Ioh. comm. I 183–186 (GCS Orig. 4, 34). Eine eingehende Interpretation dieses Motivs bei Brox, Glaube als Weg 72–79.
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Homilia VI
sic et presbyteri. Utinam et ego accipiam nunc aquam, quae possit animae vestrae pedes lavare, ut unusquisque vestrum dicat, cum fuerit lotus: „Lavi pedes meos, quomodo inquinabo eos?“a Hoc enim sponsa dicit in Cantico Canticorum non ostendens corporeos pedes lotos, sed pedes non offendentes, de quibus dicit Solomon: „Pes autem tuus non offendat“,b de quibus et in Psalmis scriptum est: „Mei autem paene moti sunt pedes.“c Verum et quae constituuntur viduae in ecclesiis: „Si sanctorum“ inquit „pedes lavit.“d Si autem vis apertius audire, quomodo vidua lavat pedes sanctorum, audi Paulum in alio loco constituentem viduis et dicentem: „Bene docentes, ut pudicas efficiant adulescentulas“,e lavantes sordes pedum iuvencularum. Et istae viduae dignae sunt ecclesiastico honore, quaecumque sanctorum pedes lavant sermone spiritalis doctrinae, sanctorum vero non masculorum, sed mulierum; docere enim mulieri non permitto neque principari viro.f Vult esse mulieres bene docentes, ut ad castitatem suadeant non adulescentes, sed adulescentulas – indecens quippe est, ut mulier magistra viri fiat –, sed ut ad castitatem suadeant adulescentulas et amare viros et liberos suos.g Discamus ergo lavare pedes discipulorum.h Ista propter hoc dicta sunt: „Videntes videbitis et non scietis.“i Quoniam, si quid fiebat a Salvatore, ab his quidem, qui non intelligebant, videbatur iuxta corpus, non videbatur iuxta notionem; ab his vero, qui intelligebant, videbatur quidem iuxta oculos, videbatur autem et iuxta intellectum; ita ut non compleretur super beate videntes hoc, quod dictum est: „Videntes videbitis et non scietis“,j sed super peccatores. Et cuncta autem Evangeliorum oramus videntes dupliciter videre, quomodo facta sint iuxta corpus, quando Salvator noster descendit ad terras; etenim similitudo erat et typus futurorum unumquodque, quod fiebat in corpore. Veluti nescio quis a a g
Hld. 5,3 Tit. 2,3 f.
b
Spr. 3,23 h Joh. 13,5
c
Ps. 72(73),2 i Jes. 6,9
j
d 1 Tim. 5,10 Jes. 6,9
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Tit. 2,3 f.
f
1 Tim. 2,12
119 Zur übertragenen Bedeutung dieses Bibelverses siehe auch in Is. hom. 7,3 (GCS Orig. 8, 283 f.). 120 Vom folgenden constituentem viduis her verstehen wir viduae als Dativ zu constituuntur und das Zitat als Subjekt des Satzes, auf das sich das Relativpronomen quae bezieht. Die Bevorzugung des Singulars lavit gegenüber der Lesart lavant in einer Handschriftengruppe muss dann nicht damit erklärt werden, dass das Zitat nicht in den Zusammenhang eingeordnet sei (so Baehrens, GCS Orig. 8, 273 app. crit.). 121 Origenes, in I Cor. frg. 74,2–21.36 f. Jenkins, lehnte eine allgemeine theologische Lehrtätigkeit von Frauen ab, und zwar nicht nur, weil Paulus das verboten habe (das entnahm Origenes 1 Kor. 14,34 f.), sondern mehr noch, weil das Beispiel der montanistischen Prophetinnen Priscilla und Maximilla zeige, wo das hinführe: Die Gemeinde gerate in Verruf. Origenes begründete seine Ablehnung also mit den sozialen Bedingungen der Zeit: Vogt, Kirchenverständnis 57 f. Dennoch akzeptierte Origenes, und zwar erneut mit Paulus – bzw. mit dem „Paulus“ der Pastoralbriefe
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doch auch ich nun an Wasser käme, das geeignet wäre, eurer Seele die Füße zu waschen, damit jeder von euch, einmal gewaschen, sagen könnte: „Ich habe meine Füße gewaschen; wie sollte ich sie wieder beschmutzen?“a Denn das sagt die Braut im Hohenlied, und sie weist dabei nicht auf die gewaschenen Füße ihres Körpers, sondern auf die Füße, die nicht anstoßen, über die Salomo sagt: „Dein Fuß soll aber nicht anstoßen“b 119 und über die in den Psalmen geschrieben steht: „Meine Füße, um ein Haar wären sie gestrauchelt.“c Aber auch, was einer Witwe in den Gemeinden vorgeschrieben wird: „Wenn sie“, heißt es, „den Heiligen die Füße gewaschen hat.“d 120 Wenn du aber mit größerer Klarheit hören willst, wie eine Witwe den Heiligen die Füße waschen soll, höre, wie Paulus den Witwen an anderer Stelle Vorschriften macht und sagt: „Sie sollen Lehrmeisterinnen des Guten sein, die junge Mädchen Keuschheit lehren“,e und so den Schmutz von den Füßen der jungen Frauen waschen. Und all diejenigen Witwen verdienen eine Ehrenstellung in der Gemeinde, die den Heiligen mit dem Wort der geistlichen Lehre die Füße waschen – freilich nicht heiligen Männern, sondern heiligen Frauen; zu lehren gestatte ich der Frau nämlich nicht, noch dass sie sich über den Mann stelle.f Er (sc. Paulus) will, dass Frauen als Lehrmeisterinnen des Guten nicht junge Männer, sondern junge Mädchen zu Keuschheit anleiten – es schickt sich schließlich für eine Frau nicht, Lehrerin eines Mannes zu werden –, dass sie vielmehr also junge Mädchen zu Keuschheit anleiten und dazu, ihren Mann und ihre Kinder zu lieben.g 121 Lernen wir also, unseren Jüngern die Füße zu waschen.h Soviel zu dem Wort: „Sehen, sehen werdet ihr und nicht erkennen.“i 122 Denn wann immer der Erlöser etwas tat, sahen es die einen, die nicht verstanden, mit dem körperlichen Sinn und nicht nach Art des geistigen, die anderen dagegen, die verstanden, sahen es zwar mit ihren Augen, aber auch in geistiger Weise; so erfüllte sich das Wort: „Sehen, sehen werdet ihr und nicht erkennen“j nicht an denen, die glückselig sahen, sondern an den Sündern. Wir sehen uns aber alles, was in den Evangelien berichtet wird, an und bitten darum, beim Sehen auf zweifache Weise zu sehen, wie unser Erlöser es im körperlichen Sinne vollbracht hat, als er zur Erde hinabstieg; denn Bild und Gleichnis des Künftigen war alles und jedes, was er in seiner körperlichen Gestalt vollbracht hat. Ein Beispiel: Jemand, der von Geburt an –, eine Lehrtätigkeit von Frauen, allerdings nur gegenüber jüngeren Frauen: in I Cor. frg. 74,22–27 Jenkins; in Rom. comm. X 20 (p. 836 Hammond Bammel). Ob mit dem ecclesiasticus honor – so an der vorliegenden Stelle, in Is. hom. 6,3 (GCS Orig. 8, 273), griechisch in Ioh. comm. XXXII 131 (GCS Orig. 4, 444): eÆkklhsiastikh Á timh – eine amtliche Stellung oder nur ein ideeller Rang gemeint ist, ist nicht zu entscheiden. „Die Frage muss also offen bleiben, ob und in welcher Weise Origenes Frauen über die Belehrung der Mädchen hinaus mit kirchlichen Aufgaben betraut wissen wollte“ (Vogt, ebd. 56). 122 Zu dieser Version des Zitats siehe oben S. 232 Anm. 115.
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Homilia VI
nativitate caecusa visum recuperavit; vere autem a nativitate caecus iste erat gentilium populus, cui Salvator reddidit visum, saliva sua unguens oculos eius, et mittens ad Siloam, „quod interpretatur missus“.b Mittebat quippe eos, quos spiritu unxit, ut crederent, ad Siloam, id est ad Apostolos et magistros, propter quod scriptum est de Siloa quia „interpretatur missus“. Et quotienscumque incipimus ab Iesu visitari, ut recipiamus animae oculos, mittimur ad Siloam, hoc est „missus“. Et unusquisque ergo nostrum, quando legit ea, quae in Evangeliis facta sunt, oret, ne etiam in se compleatur: „Videntes videbitis et non scietis.“c 4. Si autem, ut aestimant simpliciores, illa, quae facta sunt, non propter nos,d sed tantum facta sunt et non erant exempla alterius rei, exponant, quomodo hoc, quod dictum est: „Videntes videbitis et non scietis“,e habeat sensum. Nam si non ea, quae videbantur, habebant aliquem sensum sacratum, ut, cum carnalibus oculis etiam spiritaliter inspicerentur, numquam dixisset: „Videntes videbitis et non scietis.“f Ad probationem autem horum et alterius scripti de Evangelio testimonium proferemus, quod iuxta eos, qui tantum litteram sequuntur, mendacium est. Dicit Salvator et Dominus noster ad discipulos in Evangelio secundum Iohannem: „Si credideritis, non solum, quae ego facio, facietis, sed et maiora horum facietis.“g Videamus ergo, si maiora aliqua fecerint discipuli. Quid maius est quam mortuum resuscitare?h Quis non dico nostrum, sed Apostolorum mortuum suscitavit? Refert historia, quia Paulus Eutychum resuscitaverit a mortuisi et Petrus Tabitham, quae interpretatur Dorcas.j Ista autem et alia istiusmodi invenire potes; sed ubi sunt maiora? Sed et caecos fecit Salvator rursum videre et, quod maius est, eos, qui sic nati fuerant: Exhibeant, quos caecos ab utero a h
Joh. 9,1 Joh. 5,21
b
Joh. 9,6 f. c Jes. 6,9 d 1 Kor. 9,10 i j Apg. 20,9–12 Apg. 9,36–41
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Jes. 6,9
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Jes. 6,9
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Joh. 14,12
123 „Schiloach“ abgeleitet von ˇslh, „senden“: Wutz, Onomastica sacra 135. 1017. 124 Die Rede vom „Auge der Seele“ (to Á th Ä w cyxh Ä w oÍmma) ist platonischen Ursprungs. In der Politeia führt Platon den Begriff im Zusammenhang des dialektischen Aufstiegs zur Idee des Guten ein, polit. VII 533 c 7 – d 4: „Nun ist aber die dialektische Methode die einzige, die, mit den bloßen Voraussetzungen aufräumend, zum Anfang selbst vordringt, um diesen völlig sicherzustellen; sie zieht das in Wahrheit in einem wahren Brei von Barbarei vergrabene Auge der Seele mit sanftem Druck ans Licht hervor und führt es aufwärts, wobei sie sich der genannten Künste als Mithelferinnen und Mitarbeiterinnen am Werke der Seelenumwendung bedient“; Übersetzung: V p. 298 Apelt. Von Platon aus (vgl. noch soph. 254 a 10; ähnlich symp. 219 a 2 f.: hë thÄw dianoiÂaw oÍciw) haben sich diese Wendung und die damit
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blind war,a gewann das Augenlicht zurück; in Wirklichkeit aber handelte es sich bei dem, der von Geburt an blind war, um das Volk der Heiden, dem der Erlöser das Augenlicht zurückgab, indem er mit seinem Speichel dessen Augen bestrich und es zum Schiloach schickte, „was übersetzt ,der Gesandte‘ heißt“.b 123 Er schickte ja die, die er, damit sie zum Glauben kämen, mit Geist salbte, zum Schiloach, das heißt zu den Aposteln und Lehrern, heißt es doch in der Schrift über Schiloach: „was übersetzt ,der Gesandte‘ heißt“. Und wann immer wir zum ersten Mal von Jesus aufgesucht werden, um die Augen der Seele124 wiederzuerhalten, werden wir zum Schiloach geschickt, das heißt „der Gesandte“. Deshalb soll auch jeder von uns, wenn er von den Ereignissen in den Evangelien liest, darum bitten, dass sich nicht auch an ihm das Wort erfülle: „Sehen, sehen werdet ihr und nicht erkennen.“c 4. Wenn aber, wie die einfacheren Gemüter meinen, das, was da geschah, nicht unseretwegen,d sondern einfach nur so geschehen ist, ohne Bild für etwas anderes zu sein, sollen sie erklären, wie das Wort: „Sehen, sehen werdet ihr und nicht erkennen“e einen Sinn ergeben soll! Denn wäre das, was man sah, ohne irgendeinen geheiligten Sinn gewesen, so dass es sich mit den Augen des Körpers auch hätte geistig betrachten lassen, dann hätte er (sc. Jesaja) niemals gesagt: „Sehen, sehen werdet ihr und nicht erkennen.“f Als Beweis hierfür wollen wir aber noch ein anderes Schriftzeugnis, eines aus einem Evangelium, anführen, das in den Augen derer, die sich nur an den Buchstaben halten, eine Lüge darstellen müsste. Im Evangelium nach Johannes sagt unser Erlöser und Herr zu den Jüngern: „Wenn ihr glaubt, werdet ihr nicht nur tun, was ich tue, sondern werdet ihr sogar Größeres als dies tun.“g Schauen wir also, ob die Jünger irgendetwas Größeres getan haben! Was ist größer, als einen Toten wiederzuerwecken?h Wer, ich meine nicht: wer von uns, sondern: wer von den Aposteln hat einen Toten auferweckt? Die Geschichte (sc. der Apostel) berichtet, Paulus habe Eutychus von den Toten wiedererweckt,i Petrus Tabita, was übersetzt „Gazelle“ heißt.j Dies und dergleichen mehr kann man durchaus finden, doch wo ist das Größere? Aber auch Blinde machte der Erlöser wieder sehend, sogar, was noch größer ist, solche, die so geboren waren: Sie sollen welche zeigen, zum Ausdruck gebrachte Vorstellung in der hellenistischen Philosophie verbreitet; vgl. etwa Cicero, Tusc. I 45: acies mentis; Apuleius, deo Socr. 121 (p. 9 Moreschini), dazu die Hinweise von M. Baltes, SAPERE 7, Darmstadt 2004, 94 f. Anm. 34; Philon, sacr. Abel. et Cain. 36 (I p. 217 Cohn/Wendland); spec. leg. III 2. 4. 6 (V p. 150. 151); in De deo 1 (WUNT 46, 33) entsprechen die „Augen der Seele“ den „Augen des Verstandes“ ebd. 2. 6 (46, 33. 35); siehe dazu den Kommentar und die Hinweise bei Siegert, WUNT 46, 40 f. In den Werken des Origenes vgl. in Ex. hom. 10,3 (GCS Orig. 6, 247); in Num. hom. 20,3 (GCS Orig. 7, 194); in Is. hom. 6,7 (GCS Orig. 8, 278); 7,3 (8, 283); in Luc. hom. 3,2 (GCS Orig. 92, 20). Zu den grundsätzlichen Erörterungen dazu in princ. I 1,9 (GCS Orig. 5, 27) siehe unten S. 289 Anm. 151.
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Homilia VI
manibus Apostolorum curatos adspexerint. Et alia infinita potest de Evangeliis invenire, qui quaerit, quia neque Apostoli his maiora fecerint neque eorum successores. Verum sermo Scripturae tale quiddam locutus est: His, quae ego feci, corporalibus vos maiora facietis. Ego feci resurgere ex mortuis corporaliter, vos resurgere facietis ex mortuis spiritaliter. Ego caecis sensibile hoc lumen infudi, vos spiritalem lucem non videntibus dabitis. Usque ad hanc autem diem haec maiora signa a corporalibus, quae fecit Iesus, ego video fieri per fidelissimos discipulos Iesu. An non caeci nunc vident et claudi ambulant et leprosi mundantur et reliqua fiunt,a si is, qui heri obcaecatus erat accedens ad idolum quasi ad Deum, hodie invocet Deum vivum pristina dereliquens? An non, qui heri claudus erat propter peccatum, nunc per doctrinam discipulorum iter verum edoctus stabili graditur pede, qui heri aridam habebat manum et otiosam ad benefaciendum,b hodie recipiens manum habet eam viventem? Si videris aliquem pollutum et lepram in anima habentem subito paenitere a doctrinae sermone compunctum, non te pigeat dicere, quia maius sit hunc spiritaliter leprosum quam quendam carnaliter fuisse purgatum. Et haec quidem largiter profudit oratio cupiens ostendere, quid sit hoc, quod dictum est: „Et videntes videbitis et non scietis.“c 5. Quae autem causa est audientem non intelligere et videntem non videre?d „Incrassatum est“ inquit „cor populi huius.“e Si quidem necessarium est intelligi et hoc, unde est, non eadem est corporalis et spiritalis pinguedo, neque eadem est corporalis tenuitas et spiritalis. Etenim quod corporaliter crassum est, in carne fit et nihil mihi nocet cor carneum, si incrassetur, neque prodest, si a languore vel a quacumque causa attenuetur. Tale autem aestimo fieri cor carneum eorum, qui formidine continentur. Quomodo enim toti tabescunt ab aegrotatione, sic aiunt et crassitudinem et, quidquid pingue est circa cor eorum, extenuari. Quid ergo mihi nocet, si corporale cor meum incrassetur? Esto vero et attenuari cor meum, quid mihi ex isto a
Lk. 7,22
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Lk. 6,6.8
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Jes. 6,9
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Jes. 6,9
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Jes. 6,10
125 Zu „Nachfolgern“ der Apostel bei Origenes vgl. das griechische Fragment zu Mt. 22,2–4, in Matth. frg. 431 (GCS Orig. 12, 197), und dazu Vogt, Kirchenverständnis 22–29. 126 Auch in Cels. I 46 (GCS Orig. 1, 95 f.) weist Origenes auf die Bekehrung zum Christentum als eines der Wunder hin, die „auch jetzt noch“, das heißt in seiner Zeit, von Christen gewirkt werden, und führt dies auf das kraftvolle Wirken des Heiligen Geistes zurück. 127 Das Bild erklärt sich aus dem biblischen Referenztext (Lk. 6,6–11), den Origenes gleichsam fortschreibt: Streckt der Mann dort, von Jesus aufgefordert, die Hand aus (Lk. 6,10), so zieht er sie hier wieder zurück und erkennt die Heilung. 128 Zwei Handschriften des 15. Jahrhunderts (Codices Pragensis V B 16 und Vindo-
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die vom Mutterleib an blind waren und vor ihren Augen von der Hand der Apostel geheilt wurden! Und wer sucht, kann in den Evangelien zahllose weitere Belege dafür finden, dass weder die Apostel Größeres als dies getan haben noch ihre Nachfolger.125 Dagegen hat das Schriftwort Folgendes gemeint: Größeres als das Körperliche, das ich getan habe, werdet ihr tun. Ich ließ körperlich Tote wiederauferstehen, ihr werdet Tote in geistiger Weise wiederauferstehen lassen. Ich habe Blinden dieses sichtbare Licht eingegossen, ihr werdet denen, die nicht sehen können, geistiges Licht geben. Bis auf den heutigen Tag aber sehe ich die Jünger Jesu dank ihres großen Glaubens Zeichen vollbringen, die größer sind als die körperlichen, die Jesus vollbrachte. Oder gibt es jetzt etwa keine Blinden, die sehen, Lahme, die gehen, und Aussätzige, die rein werden, und geschieht nicht auch das Übrige,a wenn der, der gestern so geblendet war, an ein Götzenbild heranzutreten, als sei es Gott, heute den lebendigen Gott anruft und alles Frühere aufgibt?126 Oder wenn der, der gestern infolge der Sünde lahm war, jetzt, durch die Lehre der Jünger über den wahren Weg belehrt, diesen festen Schrittes beschreitet? Wenn der, der gestern eine verdorrte und zu gutem Handeln unbrauchbare Hand hatte,b diese heute wieder zurückzieht und sie voller Leben ist?127 Wenn du siehst, wie jemand, beschmutzt und die Seele voller Aussatz, plötzlich, vom belehrenden Wort getroffen, Reue empfindet, dann kannst du doch wohl gern zugeben, dass die Reinigung dieses im Geiste Aussätzigen größer ist als jemandes körperliche Reinigung. Ausführlich hat mein Vortrag dies nun dargelegt,128 weil ich erklären wollte, was das Wort bedeutet: „Sehen, sehen werdet ihr und nicht erkennen.“c 5. Was aber ist der Grund dafür, dass der Hörende nicht versteht und der Sehende nicht sieht?d „Verfettet“, heißt es, „ist das Herz dieses Volkes.“e Wenn denn auch die Ursache hierfür einsichtig gemacht werden muss, so sind körperliches und geistiges Fettsein ebenso wenig dasselbe wie körperliches und geistiges Dünnsein. Denn was im körperlichen Sinne fett ist, betrifft das Fleisch, und in keiner Weise schadet mir das fleischerne Herz, wenn es verfettet, noch nützt es mir, wenn es durch Entkräftung oder aus irgendeinem anderen Grund dünn wird. So etwas aber, meine ich, geschieht mit dem fleischernen Herzen derer, die von Furcht beherrscht werden. Wie sie nämlic h bei einer Krankheit ganz dahinschwinden, so, sagt man, nehme auch die Fülle ihres Herzens und alles Füllige ringsherum ab. Was schadet es mir also, wenn mein körperliches Herz verfettet? Aber auch angenommen, bonensis 3925) überliefern profudi oratione, „ich habe in meiner Rede dargelegt“. Diese Lesart ist leicht verständlich, bietet aber einen Hiat. Eher wird man für die Wiederherstellung der im Codex Atrebatensis 303 (13. Jahrhundert) korrupten Fassung profudi* ratione als profudit oratio durch Baehrens, GCS Orig. 8, 275, votieren: Auch diese lectio difficilior ist verständlich, und das folgende cupiens ist dann als constructio ad sensum aufzufassen.
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Homilia VI
prodest? Sed nuncupativo cum corporeo corde vocabulo animae nostrae principale nominatur, ut manifestum est ex eo, quod in Evangelio dicitur: „beati mundo corde“;a neque enim hi mundo corde sunt, qui sanguinem vel quodcumque materiae corporalis intrinsecus non habent. Sed dictum est: „beati mundo corde“ pro eo, quod est beati, qui mundum cor habent, principali animae nominato pro corde. Quoniam igitur principale animae nostrae, quod esse dicitur in corde corporeo, sive mundum est sive immundum, et est cor nostrum immundum quidem, quando cogitationes pessimae egrediuntur ex eo, homicidia, adulteria, furta, falsum testimonium, blasphemiae,b mundum autem, quando cogitationes sanctae et intellectus divini et mens pura, propter hoc arbitrandum est attenuatum quidem esse dici a tenui et sancto Spiritu eius, qui salvatur, incrassatum autem a malitia et praefocatum eius, qui peccat. Dicitur enim de sancto Spiritu, qui est secundum sapientiam, quia sit „unigenitus, multifarius, tenuis, mobilis“c et quia iustus hunc accipiat subtilem spiritum; differt quippe hic spiritus ab omnibus spiritibus intellectualibus, mundis, subtilibus.d Est ergo principale cordis tenue quidem, quod spiritale est, pingue autem, quod ex corporalis materiae vitio concretum est, plenum cogitationibus corporalibus, quae sunt in reprehensione. Sic dicitur: „Incrassatum est cor populi huius.“e Intellige: Ex eo incrassatum est cor, quia nihil sit in eo praeter humanas et carneas sollicitudines; quo modo enim materia corporis pinguis est, eodem modo etiam corporei intellectus et cogitationes. Ex quo cum duo proposita sint, incrassari cor ex saecularibus curis et attenuari ex sollicitudine spiritali, cum quis cogitat ea, quae Domini sunt, proiciens pinguedinem ex corde et sciens, quia, si incrassatum fuerit cor eius, neque accipiat sermones Dei neque videat salutis sacramentum, deponamus nos crassitudinem et adsumamus eam, quae dicta est, tenuitatem, ut et nos dicamus quomodo prophetes: „Sitivit in te anima mea, quam multipliciter tibi caro mea, in terra deserta et invia et a
Mt. 5,8
b
Mt. 15,19
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Weish. 7,22
d
Weish. 7,23
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Jes. 6,10
129 Nuncupativus ist die Übersetzung von kataxrhstikoÂw; so auch bei Ambrosius, fid. V 1,22 (CSEL 78, 224), in trinitarischem Kontext; vgl. dazu Markschies, FC 47/3, 603 Anm. 481. Für den Sprachgebrauch bei Origenes ist die Theorie der Katachrese bei Philon grundlegend, dem alle Rede von Gott als Katachrese gilt; siehe dazu umfassend Runia, Naming and knowing. – Daher ist nicht, wie Baehrens, GCS Orig. 8, 275 app. crit., mit Verweis auf in Hier. hom. lat. 2(2),1 (GCS Orig. 8, 291) vermutet, connuncupativo zu lesen. 130 Die Wendung secundum sapientiam (griechisch: kata Á sofiÂan) ist nicht ein Verweis auf das Buch der Weisheit, wie Danieli, CTePa 132, 137, die Stelle übersetzt. Ori-
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mein Herz wird dünner, welchen Nutzen habe ich davon? Vielmehr wird mit dem Begriff „körperliches Herz“ in uneigentlicher Redeweise129 der herrschende Teil unserer Seele bezeichnet, wie aus dem hervorgeht, was im Evangelium gesagt wird: „selig, die reinen Herzens sind.“a Reinen Herzens sind nämlich nicht solche, die kein Blut noch sonst irgendeine körperliche Substanz in sich haben – nein, die Wendung: „selig, die reinen Herzens sind“ meint, dass die selig sind, die ein reines Herz haben, wobei mit Herz der herrschende Seelenteil gemeint ist. Da nun also der herrschende Teil unserer Seele, der sich im körperlichen Herzen befinden soll, entweder rein ist oder unrein – unser Herz ist unrein, wenn schlimme Gedanken aus ihm hervorgehen, Mord, Ehebruch, Diebstahl, falsches Zeugnis, Gotteslästerung,b rein dagegen, wenn es heilige Gedanken, göttliche Einsichten und klares Denken sind –, deshalb, so ist anzunehmen, heißt es auch bei dem, der gerettet wird, sein Herz sei durch feinen und heiligen Geist verdünnt, bei dem aber, der sündigt, es sei vor Bosheit verfettet und erstickt. Es heißt nämlich über den Heiligen Geist, der die Weisheit begleitet,130 dass er „einziggeboren, vielgestaltig, fein und gewandt“ seic und dass der Gerechte diesen zarten Geist empfange; dieser Geist unterscheidet sich ja von allen denkenden, reinen und zarten Geistern.d Der herrschende Teil des Herzens ist einerseits also fein, soweit er geistig ist, andererseits fett, soweit er infolge der Lasterhaftigkeit der Körpersubstanz beschwert und voll von tadelnswerten Gedanken an körperliche Dinge ist. In diesem Sinne heißt es: „Verfettet ist das Herz dieses Volkes.“e 131 Begreif doch: Deshalb ist das Herz verfettet, weil nichts als Sorgen um menschliche und körperliche Belange in ihm sind; wie nämlich Körpersubstanz fett ist, ganz so sind es auch Überlegungen und Gedanken an körperliche Dinge. Da es somit zwei Optionen gibt, nämlich das Herz in Sorge um weltliche Dinge verfetten oder es in Sorge um geistige fein werden zu lassen, indem man über das nachdenkt, was mit dem Herrn zu tun hat, alles Plumpe aus dem Herzen verbannt und darum weiß, dass man, wenn das eigene Herz verfettet ist, weder Gottes Worte empfangen noch das Geheimnis des Heils schauen kann, deshalb lasst uns alles Feiste aufgeben und das Feine, von dem die Rede ist, annehmen, damit auch wir wie der Prophet sagen können: „Meine Seele dürstete so viele Male nach dir wie mein Fleisch in verlassener, unwegsamer, wasserloser Wüste. So bin ich genes zitiert damit vielmehr die biblische Vorlage Weish. 7,22 in leicht veränderter Form; nach dieser ist der Geist nämlich nicht nur eng an die Weisheit herangerückt, sondern geradezu in ihr (II p. 355 Rahlfs: eÆn ayÆthÄì ). 131 Im Zusammenhang mit der Unterscheidung zwischen sensus crassus et carnalis und intellegentia spiritalis sagte Origenes, in Num. hom. 17,6 (GCS Orig. 7, 165), grundsätzlich: „Dass aber Verfettung in den Schriften für schuldhaft gehalten wird, das geht aus der Stelle hervor, an der es heißt: ,Verfettet ist das Herz dieses Volkes‘ (Jes. 6,10), und andernorts: ,Der Geliebte ist feist geworden, er ist fett geworden, und er bockte‘ (Dtn. 32,15).“
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inaquosa, sic in sancto apparui tibi“,a non quasi sanctus fuerim naturaliter, sed si carnis prudentia tabescit et si prudentia carnis extabuerit, tunc in sancto apparebo tibi. Haec in explanationem eius, quod dictum est: „Incrassatum est enim cor populi huius.“b 6. Sequitur autem: „Et auribus suis graviter audierunt.“c Nihil mihi nocet, si graviter audiam corporaliter, neque ista mihi causa fit, ut non audiam sermones Dei. Quomodo enim nihil mihi nocet caecitas corporalis, si non fuerit obcaecata anima mea, sic neque levitas neque gravitudo auditionis corporalis impedit mihi. Est autem quaedam gravitudo auditionis, quae noceat animae hominis. Quae est ista gravitudo, quae est in auditione animae? Peccatum secundum scripturas grave est. Propter quod sentiens quis peccata sua dicit: „Quasi onus grave gravatae sunt super me.“d Et quia gravis est iniquitas, propter hoc super talentum plumbi sedet, ut in Zacharia scriptum est.e Aegyptii autem non, quoniam gravia habebant corpora, „submersi sunt quasi plumbum in aqua vehementi“,f sed quia animae eorum a talento plumbi, super quod sedebat iniquitas, aggravatae erant, propter hoc „submersi sunt tamquam plumbum in aqua vehementi“. Gravitudo ergo aurium a peccato fit et levitas a iustitia. Quid est, quod faciat auditum non graviter audire, sed leviter? Pennae verbi, pennae virtutis; etenim pennae verbi multum levitatis attribuunt. „Quis dabit mihi pennas ut columbae, et requiescam?“g Hoc dicit prophetes non orans, ut corporales pennas accipiat columbae, sed pennas columbae Spiritus sancti. Dicit autem rursus Solomon de divite: „Componit autem sibi pennas quomodo aquila, et convertitur in domum eius, qui praeest illi.“h Si accipiamus igitur pennas, leviter audiemus; si autem peccaverimus et negligentes fuerimus circa alas et defluxerint pennae nostrae, gravabimur et graviter audiemus. Auribus ergo suis peccatores a g
Ps. 62(63),2 f. Ps. 54(55),7
h
b Jes. 6,10 Spr. 23,5
c
Jes. 6,10
d
Ps. 37(38),5
e
Sach. 5,7
f
Ex. 15,10
132 Im Rahmen einer Exoduspredigt erläuterte Origenes den hier zitierten Vers eben- ’ falls in Verbindung mit der oben angeführten Sacharjastelle, in Ex. hom. 6,4 (GCS Orig. 6, 195). „Daher heißt es über sie (sc. die Ägypter): ,Versunken sind sie wie Blei im tosenden Meer‘ (Ex. 15,10). Sünder sind schwer. Schließlich, so zeigt sich, sitzt auch die Ungerechtigkeit auf einem bleiernen Gewicht, wie der Prophet Sacharja sagt (Sach. 5,7).“ 133 Die griechische Übersetzung dieses Verses weicht von der hebräischen Vorlage in mancherlei Hinsicht ab: „Fliegen deine Augen drüber hin? Schon ists weg (sc. reich zu werden), denn es macht sich, macht sich Schwingen, wie ein Adler entfliegt es gen Himmel“ (IV p. 254 Buber/Rosenzweig). Demnach ist es im Hebräischen der Reichtum selbst, der sich, mit Adlerflügeln versehen, davonmacht. Darüber hinaus
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vor dir im Heiligtum erschienen“,a nicht weil ich von Natur aus heilig wäre, sondern dann, wenn die Klugheit des Fleisches dahinschwindet und wenn die Klugheit des Fleisches ganz vergangen ist, dann will ich im Heiligtum vor dir erscheinen. Soviel zur Erklärung der Aussage: „Verfettet ist das Herz dieses Volkes.“b 6. Es geht dann weiter: „Und mit ihren Ohren hörten sie schwer.“c Es schadet mir nicht, wenn ich im physischen Sinne schwer höre, noch hindert es mich daran, Gottes Worte zu hören. Wie mir nämlich körperliche Blindheit nicht schadet, wenn nur meine Seele nicht verblendet ist, so stellen für mich weder der Fall, dass das physische Hören leicht, noch der, dass es schwer fällt, ein Problem dar. Es gibt aber eine Art, schwer zu hören, die der Seele des Menschen Schaden zufügt. Was heißt hier „schwer“, bezogen auf das Gehör der Seele? Die Sünde ist es, die gemäß den Schriften schwer wiegt. Deshalb sagt auch jemand, der seine Sünden spürt: „Wie eine schwere Last ruhen sie schwer auf mir.“d Und weil die Ungerechtigkeit schwer wiegt, deshalb sitzt sie auf einem bleiernen Gewicht, wie es bei Sacharja geschrieben steht.e Auch die Ägypter sind nicht, weil sie schwere Körper gehabt hätten, „wie Blei im tosenden Meer versunken“,f sondern weil ihre Seelen mit dem bleiernen Gewicht, auf dem die Ungerechtigkeit saß, beschwert waren, deswegen „sind sie wie Blei im tosenden Meer versunken“.132 Diese Schwere der Ohren wird also von der Sünde, ihre Leichtigkeit von der Gerechtigkeit bewirkt. Was ist es, was das Gehör nicht schwer, sondern leicht hören lässt? Die Flügel des Wortes, die Flügel der Tugend; denn die Flügel des Wortes verleihen große Beschwingtheit. „Wer wird mir Flügel wie die der Taube geben, damit ich ruhen kann?“g So spricht der Prophet, doch bittet er nicht darum, die Flügel einer Taube im körperlichen Sinne zu bekommen, sondern die Flügel der Taube des Heiligen Geistes. Andererseits aber sagt Salomo über den Reichen: „Er verfertigt sich jedoch Flügel wie ein Adler und wendet sich um zum Haus seines Vorgesetzten.“h 133 Wenn wir also Flügel erhalten, wird uns das Hören leicht fallen; wenn wir jedoch sündigen, die Schwingen vernachlässigen und uns die Flügel abfallen, werden wir schwer werden und schwer hören.134 ist das Ziel des Reichtums bzw. des Reichen ein anderes: in der hebräischen Version der Himmel, in der griechischen das Haus des Vorgesetzten. 134 In die Aneinanderreihung biblischer Bilder flicht Origenes hier eine Reminiszenz an den platonischen Mythos vom Fall der Seele ein, die ihre Schwingen, mit denen sie sich in das Reich der Ideen emporschwingen kann, verliert und zur Erde hinabstürzt: Platon, Phaidr. 246 a 3 – 256 e 2, bes. 246 d 6 – e 4; 247 b 3–5; 248 c 5–8. Siehe dazu Courcelle, Flügel 30–32. Zur Rezeption des in der römischen Kaiserzeit und in der Spätantike von heidnischen wie christlichen Philosophen viel gelesenen Phaidros siehe ebd. 34–62 (eine besondere Nähe zu den origeneischen Gedanken weisen Aussagen Plotins auf: ebd. 35–37). Origenes (ebd. 43 f.) baute Elemente dieses Mythos in seine Lehre von der Willensfreiheit ein: princ. I 8,4 (GCS
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Homilia VI
graviter audierunt. Omnes quidem Iudaei, qui tunc audierunt Salvatorem, graviter eum audierunt, ideo non crediderunt. Usque hodie autem, quotquot audientes scripturas non audierunt sermonem spiritalem, qui levis est, sed litteram, quae est gravis et occidens,a graviter audiunt. Atque ita dupliciter auditur Scriptura; ab eo, qui non intelligit, quae dicuntur, graviter auditur, ab eo vero, qui intelligit eam, non solum non auditur graviter, sed potius acute, unde et fit intelligens quis auditor. 7. Et aliud autem prophetatur de populo Iudaeorum et de omnibus nobis, si peccaverimus. „Et oculos suos clauserunt, ne quando videant oculis et auribus audiant et corde intelligant.“b Eorum, qui non vident, quidam caeci sunt et propter caecitatem non vident, quidam in tenebris sunt et propterea non vident, alii autem neque in tenebris sunt neque caeci sunt, sed quia claudunt oculos, non vident. Et scit has differentias, quae principalis cordis nostri sunt, Scriptura divina; dicit enim Salvator „his, qui sunt in vinculis: exite, et his, qui in tenebris, ut iis reveletur“,c et „sedentibus in regione et umbra mortis: Lux orta est iis.“d Isti non viderunt ideo, quia fuerunt in tenebris, donec oriretur iis lux. „Surdi, audite, et caeci, adspicite!“e Isti ideo ante non viderunt, quia naturaliter caeci erant. Qui vero extra ista sunt quique ad comparationem caecorum et eorum, qui in tenebris sunt, multo peiores sunt, ii sunt, qui ideo non vident, quia oculos sponte clauserunt. Hoc autem ita esse, ut adseruimus, Salvator mihi testimonio erit dicens: „Si caeci essetis, non habebatis peccatum; nunc autem dicitis, quia videmus; peccatum vestrum manet.“f Et bene ait: „Dicitis, quia videmus“; vere enim dicunt, quia videant et habeant possibilitatem videndi, sed claudentes oculos non vident. Et si quando videris ingeniosam ad intelligendum animam et velocem et alacrem non meditantem eloquia Dei, cognosce, quia non propter caecitatem non videt ea, quae continentur in scripturis, non ob id, quia in tenebris sit, sed quia claudit oculos. Si ergo audieris Scripturam dicentem his, qui claudunt oculos: „Aperi oculos tuos et recta vide“,g aperi oculos ab eo, quod clauseras, tunc poteris videre recta et considerare lumen veritatis. Et accusat quidem eos, de quibus quaeritur, cur oculos claudant, ne videant; non autem et hoc dicit, quia non expediat aliquando et claudere a g
2 Kor. 3,6 b Jes. 6,10 Bar. 2,17; Spr. 4,25
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Jes. 9,1; Mt. 4,16
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Jes. 42,18
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Joh. 9,41
Orig. 5, 103); Cels. IV 40 (GCS Orig. 1, 313); VI 43 (2, 114 f.); VII 5 (2, 156). Die Verknüpfung des Motivs der Flügel bzw. eines Vogels mit der „Taube des Heiligen Geistes“ stammt nicht erst von Gregor von Nyssa, z.B. in Cant. hom. 15 (GNO 6, 449 f.) (so Courcelle, ebd. 47 f. 64), sondern geht ausweislich der vorliegenden Stelle auf Origenes zurück.
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Mit ihren Ohren also hörten die Sünder schwer. Alle Juden, die damals ihn, den Erlöser, hörten, hörten schwer; deshalb kamen sie nicht zum Glauben. Bis heute aber hören all diejenigen schwer, die beim Hören der Schriften nicht das geistige Wort vernommen haben, das leicht ist, sondern den Buchstaben, der schwer ist und tötet.a Und so wird die Schrift auf zweifache Weise vernommen: von dem, der das, was sie sagt, nicht geistig versteht, mit der Schwere des Hörens, von dem hingegen, der sie geistig versteht, nicht nur ohne Schwere des Hörens, sondern vielmehr mit feinem Gehör, was ihm, dem Hörer, Einsicht verschafft. 7. Und dann wird noch etwas anderes über das Volk der Juden prophezeit und über uns alle, wenn wir sündigen. „Und ihre Augen verschlossen sie, damit sie niemals mit den Augen sehen und mit den Ohren hören und mit dem Herzen verstehen.“b Von denen, die nicht sehen, sind einige blind und sehen wegen der Blindheit nicht, einige sind in der Finsternis und sehen deshalb nicht, einige aber sind weder in der Finsternis noch blind, sondern sehen nicht, weil sie die Augen verschließen. Und um diese Unterschiede, die unser herrschendes Vermögen, das Herz, betreffen, weiß die göttliche Schrift; denn der Erlöser spricht zu „denen, die in Fesseln sind: Hinaus, geht, und zu denen im Finstern, es werde für sie hell werden“,c und denen, „die im Land und im Schatten des Todes wohnten: Ein Licht ist ihnen erschienen.“d Diese haben deswegen nicht gesehen, weil sie in der Finsternis waren, bis ihnen ein Licht erschien. „Ihr Tauben, hört, und ihr Blinden, blickt auf!“e Diese haben deswegen vordem nicht gesehen, weil sie von Geburt an blind waren. Die aber, die nicht zu den eben Genannten gehören und um die es im Vergleich mit den Blinden und mit denen, die in der Finsternis waren, weit schlechter steht, das sind diejenigen, die deswegen nicht sehen, weil sie die Augen absichtlich verschlossen haben. Dass es sich aber so verhält, wie wir behauptet haben, dafür wird mir der Erlöser Zeuge sein, sagt er doch: „Wäret ihr blind, hättet ihr keine Sünde; nun sagt ihr aber: Wir können sehen – eure Sünde besteht fort.“f Und treffend heißt es: „Ihr sagt: Wir können sehen“; richtig sagen sie nämlich, dass sie sehen können, also die Möglichkeit haben zu sehen, doch verschließen sie die Augen und sehen nicht. Und wenn du einmal eine Seele mit einem außergewöhnlichen Auffassungsvermögen triffst, gewandt und aufgeweckt, die aber nicht über Gottes Worte nachsinnt, so sieh ein, dass es nicht an irgendeiner Blindheit liegt, dass sie den Inhalt der Schriften nicht sieht, noch daran, dass sie in der Finsternis wäre, sondern daran, dass sie die Augen verschließt. Wenn du also hörst, wie die Schrift zu denen, die die Augen schließen, sagt: „Öffne deine Augen und sieh das Rechte“,g so öffne die Augen, denn du hattest sie verschlossen; dann wirst du in der Lage sein, das Rechte zu sehen und das Licht der Wahrheit zu betrachten. Und gewiss, sie klagt an, wen sie fragt, warum er die Augen verschließe, um nicht zu sehen; sie stellt aber auch nicht in Abrede, dass es zuweilen auch von Nutzen sein
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Homilia VI
animae oculos. Expedit enim, sicut manifestum facit Isaias dicens in his, quae sequuntur: „Quis adnuntiabit vobis locum aeternum? Qui ambulat in iustitia et loquitur veram viam et rectam, obturans aures, ut non audiat iudicium sanguinis, claudens oculos, ut non videat iniquitatem.“a Si futurum est, ut aperiens oculos animae audiam et sentiam turpiloquia, melius est claudere aditus quam audire et intellegere, quae noceant. Quando ergo claudo? Quando mala dicuntur, ut neque intelligam ea. Quando videnda sunt eloquia Dei, et convertimur et sanat nos Deusb mittens verbum, quod sanat eos, qui volunt curari in Christo Iesu, „cui est gloria et imperium in saecula saeculorum. Amen!“c a
Jes. 33,14 f.
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135 Siehe dazu oben S. 268 Anm. 124 zu in Is. hom. 6,3 (GCS Orig. 8, 274). 136 Diese Frage stellt einen Zusatz der Septuaginta (II p. 609 Rahlfs; p. 240 Ziegler) gegenüber dem hebräischen Text dar.
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kann, die Augen der Seele135 zu verschließen. Dies kann nämlich von Nutzen sein, wie es Jesaja deutlich macht, wenn er im Folgenden sagt: „Wer wird euch vom ewigen Ort künden?136 Der, der in Gerechtigkeit wandelt und vom wahren und rechten Weg spricht, der die Ohren verstopft, um nicht das Urteil des Blutes zu hören, und die Augen verschließt, um nicht das Unrecht zu sehen.“a Wenn es so sein wird, dass ich gleich beim Öffnen der Augen der Seele schändliches Gerede mitbekomme und mitanhören muss, so ist es besser, ich verschließe die Gehörgänge, statt etwas aufzuschnappen und mir anzuhören, das von Schaden wäre. Wann also verschließe ich sie? Wenn etwas Schlechtes gesagt wird, um es nicht einmal mitzubekommen. Wenn der Blick auf Gottes Worte zu richten ist, so kehren wir um und heilt uns Gott,b sendet er doch das Wort, das die gesund macht, die sich heilen lassen wollen137 in Christus Jesus; „sein ist die Herrlichkeit und die Macht in alle Ewigkeit. Amen!“c
137 Zu diesem Gedanken vgl. den „Lehrsatz“ (xrhsmo Á w dogmatikoÂw) bei Philon, leg. all. III 215 (I p. 161 Cohn/Wendland): „Wenn der Gottesgedanke in die Seele einzieht, dann wirkt er sofort segensreich und heilt alle ihre Krankheiten“; Übersetzung: Heinemann, Philo, Werke III, 154.
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HOMILIA VII. De eo, quod scriptum est: „Ecce, ego et pueri mei, quos mihi dedit Deus“a et cetera.
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1. „Da sapienti occasionem, et sapientior erit“,b dixit sermo divinus. Occasionem autem accipientes sacratissimi Apostoli ad intellectum propheticorum sermonum oremus Deum, ut accipiamus sapientiam et possimus fieri sapientiores per occasionem Apostolorum ad prophetas exponendos. Apostolus recordans huius dicti: „Ecce, ego et pueri, quos Deus dedit mihi“c deinde infert et edisserit: „Quia ergo pueri communicaverunt sanguini atque carni et ipse proxime eos factus est, qui participantur eorum, ut per mortem destruat eum, qui imperium habet mortis, hoc est Zabulum, et eruat eos, quicumque metu mortis in sempiternam vitam rei errant servitutis.“d Igitur quia pueri participes effecti sunt sanguinis et carnis, et Salvator noster communicavit sanguini atque carni. Alienum enim erat a natura et divinitate eius sanguinem et carnem suscipere; propter nos autem ea, quae sibi erant aliena, suscepit, ut domesticos nos sibi faceret, qui facti fueramus alieni per peccatum. Et Apostolus quidem sic exposuit dicens: „Quia ergo pueri communicaverunt sanguini et carni, et ipse proxime eos factus est, qui participantur eorum“, ego autem dicam, quoniam, quomodo, quia pueri communicaverunt sanguini et carni, et ipse proxime eos factus est, qui participantur eorum, sic, quia pueri non possunt fortiores audire sermones – debent enim ut pueri audire sermones Dei –, propter hoc factus in sanguine puerorum causa, qui communicaverunt carni et sanguini, quasi parvulis loquens, loquitur non divina et ineffabilia, sed quaecumque capere possunt parvuli. Parvuli autem omnes homines sunt, si eos compares ad perfectionem verbi; licet Moysen nomines, licet unum dixeris de prophetis, licet Iohannem, quo maior in natis mulierum nemo fuit,e licet ad Apostolos venias, Petrum, cui portae inferni non invalescent,f vel Paulum, qui raptus est usque ad tertium caelum et audivit indicibilia verba,g non deponis eorum gloriam dicens, quia et ipsi in iis, quae intellexerunt, comparatione eorum, a g
b Jes. 8,18 Spr. 9,9 2 Kor. 12,2.4
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Mt. 11,11
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Mt. 16,18
138 ÆAformhÂ, ausgerechnet das Wort, das Origenes aus diesem Vers aufgreift, findet sich allein in der Septuaginta (II p. 198 Rahlfs), nicht im masoretischen Text, der lautet: „Gib dem Weisen, so wird er noch weiser“ (IV p. 227 Buber/Rosenzweig).
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HOMILIE 7 Über das Schriftwort: „Siehe, ich und meine Kinder, die mir Gott gegeben hat“a usw. 5
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1. „Gib dem Weisen Gelegenheit,138 und er wird noch weiser werden“,b sagte das göttliche Wort. Eine Gelegenheit, die Worte des Propheten zu begreifen, bietet sich uns aber in Gestalt des hochheiligen Apostels; lasst uns Gott darum bitten, dass wir dank dieser Gelegenheit, der Apostel, Weisheit empfangen und weiser werden können, um die Propheten auszulegen! Nachdem er das Wort: „Siehe, ich und meine Kinder, die mir Gott gegeben hat“,c zitiert hat, fährt der Apostel fort und erläutert ausführlich: „Da also die Kinder Anteil erhalten haben an Blut und Fleisch, ist auch er denen ganz ähnlich geworden, die daran teilhaben, um durch den Tod den zu zerstören, der Gewalt hat über den Tod, das heißt den Teufel, und um all die zu befreien, die in Todesangst ihr ganzes Leben lang der Knechtschaft verfallen waren.“d Da also die Kinder Anteil erhalten haben an Blut und Fleisch, erhielt auch unser Erlöser Anteil an Blut und Fleisch. Denn seiner göttlichen Natur war es fremd, Blut und Fleisch anzunehmen; für uns hat er aber angenommen, was ihm fremd war, um uns ihm gleich zu machen, nachdem wir uns durch die Sünde entfremdet hatten. Und so hat es der Apostel gedeutet, sagte er doch: „Da also die Kinder Anteil erhalten haben an Blut und Fleisch, ist auch er denen ganz ähnlich geworden, die daran teilhaben“; ich will meinerseits noch Folgendes sagen: So wie er, weil die Kinder Anteil erhalten haben an Blut und Fleisch, denen ganz ähnlich geworden ist, die daran teilhaben, so ist er deswegen, weil Kinder noch nicht in der Lage sind, sich anspruchsvollere Reden anzuhören – es ist ja nötig, dass sie Gottes Reden auf kindliche Weise vernehmen –, auch für sie, die Kinder, die Anteil erhalten haben an Fleisch und Blut, zu einem Wesen aus (Fleisch und) Blut geworden und spricht zu ihnen wie zu Kleinkindern, sagt also nicht göttliche oder unaussprechliche Dinge, sondern nur das, was sie als Kleinkinder auch begreifen können. Kleinkinder sind aber alle Menschen, vergleicht man sie mit der Vollkommenheit des Wortes. Man mag Mose anführen, man mag einen der Propheten oder Johannes nennen, den niemand unter denen, die von einer Frau geboren sind, übertraf,e man mag auch zu den Aposteln kommen, zu Petrus, den die Tore der Hölle nicht überwinden werden,f oder zu Paulus, der bis in den dritten Himmel entrückt wurde und unsagbare Worte vernahm,g – man schmälert ihren Ruhm nicht, wenn man sagt, selbst sie hätten in dem, was sie begriffen haben, verglichen mit dem,
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Homilia VII
quae non intellexerunt, parvulorum disciplinis eruditi sunt, quae hominibus traduntur. Dicit ergo Salvator non de his, quos Paulus in Christo parvulos nuncupat et adserit lacte potandos et non forti cibo,a sed de omnibus simul hominibus: „Ecce, ego et parvuli mei, quos mihi dedit Deus.“b Verum quomodo in pueris alii ab aliis alacriores et ea, quae his sunt tradita, velocius consequuntur, sic, inquam, similem ingeniosis pueris factum Moysen et prophetas, sed et Domini Iesu Christi Apostolos. Propterea sentientes semet ipsos, quia, etiamsi proficerent, puerorum proficerent profectu, dixerunt: „Ex parte cognoscimus et ex parte prophetamus.“c Nec enim adhuc veritatis negotia, sed umbras negotiorum conspiciebant, nec plenam lucem, sed obscuram imaginem; ideoque repetebant dicentes: „Videmus enim nunc per speculum et in aenigmate, tunc autem facie ad faciem.“d Quis ergo haec legens et intelligens inflabitur et erigetur super scientia seu super quocumque donorum? Etenim cum ea quae ad pueros devenerunt, multo inferiora sint his, quae reposita sunt viris, debent non elevari et superbire hi, qui videntur inter pueros acrioris ingenii et velocioris. Istos autem pueros homines dicit omnes, quos et Salvator demonstrabat, „ecce“ inquiens „ego et pueri, quos mihi dedit Deus“.e Donum accepit et Salvator a Deo; nemo enim venit ad eum, si non, qui misit eum, attraxerit venientem ad Salvatorem, sicuti in a
1 Kor. 3,2
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Jes. 8,18
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1 Kor. 13,9
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1 Kor. 13,12; vgl. Num. 12,8
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Jes. 8,18
139 Die Metapher von der Milch als Nahrung für Anfänger und von „fester Speise“ als Nahrung für Fortgeschrittene war, inhaltlich verschieden gefüllt, in der antiken ethischen Paränese und Pädagogik sehr verbreitet; vgl. etwa Epiktet, diss. II 16,39 (p. 176 Schenkl): „Willst du nicht endlich aufhören, ein Kind zu sein? Willst du dich nicht der Milch entwöhnen und stärkere Speise genießen?“; Übersetzung: p. 133 Mücke; vgl. ebd. III 24,9 (p. 323). Philon von Alexandria hat das Bild häufig verwendet: congr. 19 (III p. 75 f. Cohn/Wendland); somn. II 10 (III p. 261); omn. prob. lib. 160 (VI p. 45); agr. 9 (II p. 96 f.): „Da nun aber das Kind sich von Milch ernährt, der Erwachsene von Weizenbackwerk, so gibt es wohl auch eine Milchnahrung der Seele im Kindesalter, nämlich die Vorschule der enkyklischen Wissenschaften, als vollkommen und für Männer geziemend aber die Unterweisung in Vernunft, Besonnenheit und jeder anderen Tugend; denn werden diese in der Seele gesät und gepflanzt, so bringen sie nützliche Früchte: edle lobenswerte Handlungen“; Übersetzung: Heinemann, Philo, Werke IV, 114. In den urchristlichen Schriften begegnet diese Metaphorik neben 1 Kor. 3,1 f. in Hebr. 5,12–14 (nicht eigentlich in 1 Petr. 2,2, weil dort der Hunger des Säuglings das tertium comparationis des Vergleichs ist) und wurde von diesen Stellen aus zu einem beliebten Motiv in der frühchristlichen Literatur; vgl. Theophilus, Autol. II 25,2 f. (PTS 44, 74); Ire-
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was sie nicht begriffen haben, lediglich die Kenntnisse von Kleinkindern, wie sie Menschen vermittelt werden. Der Erlöser spricht also nicht nur von denen, die Paulus Kleinkinder in Christus nennt und die, wie er sagt, nur Milch zu sich nehmen sollten, nicht feste Speise,a sondern von allen Menschen gleichermaßen: „Siehe, ich und meine Kinder, die mir Gott gegeben hat.“b 139 Wie aber bei Kindern die einen mehr Eifer zeigen als andere und das, was man ihnen vermittelt hat, rascher begreifen, so, meine ich, sind Mose und die Propheten, aber auch die Apostel des Herrn Jesus Christus mit begabten Kindern vergleichbar. Da sie, selbst wenn sie Fortschritte machten, das Gefühl hatten, ihr Fortschritt sei nur der von Kindern, deswegen sagten sie: „Stückwerk ist unsere Erkenntnis und Stückwerk unsere prophetische Rede.“c Denn noch sahen sie die wahre Wirklichkeit nicht, sondern nur Schatten der Wirklichkeit, nicht Licht in Fülle, sondern nur ein dunkles Bild; und deswegen sagten sie noch einmal: „Wir sehen ja jetzt noch mittels eines Spiegels und Rätsels, dann aber von Angesicht zu Angesicht.“d 140 Wer wird sich da noch, wenn er dies mit Verstand liest, aufblähen und großtun mit seinem Wissen oder mit irgendeiner anderen Gabe? Denn da das, was Kindern zuteil geworden ist, dem, was Erwachsenen vorbehalten ist, weit unterlegen ist, dürfen die sich nicht stolz aufspielen, die zu den Kindern mit einem schärferen und flinkeren Verstand zu gehören scheinen.141 So aber, als Kinder, bezeichnete er alle Menschen, wie auch der Erlöser auf alle hinwies, als er sagte: „Siehe, ich und meine Kinder, die mir Gott gegeben hat.“e Als Geschenk hat auch der Erlöser sie von Gott erhalten; denn niemand kommt zu ihm, es sei denn, der, der ihn gesandt hat, zieht ihn und lässt ihn zum
näus, haer. IV 38,1 f. (FC 8/4, 332–336); act. Ioh. 45 (CChr.SA 1, 227). Die Version des Origenes, dass vor der Vollkommenheit der göttlichen Wahrheit alle Menschen wie Kinder seien, ist vorgeprägt bei Clemens von Alexandria, paed. I 12–52 (GCS Clem. 1, 96–121). Aus den Schriften des Origenes vgl. beispielsweise in Gen. hom. 7,1 (GCS Orig. 6, 70 f.); in Ex. hom. 7,8 (GCS Orig. 6, 215 f.); in Regn. hom. lat. 8 (GCS Orig. 8, 13 f.); in Hiez. hom. 7,10 (GCS Orig. 8, 399). 140 Die Spiegel-Metapher begegnet auch bei Philon, decal. 105 (IV p. 293 Cohn/Wendland): Die Zahl Sieben „erhielt aus keinem Grunde einen solchen Vorzug, als weil in ihr der Schöpfer und Vater des Weltalls sich am meisten kundtut: Gleichsam wie durch einen Spiegel sieht der Geist durch sie Gott in seinem Wirken, in seiner welterschaffenden und welterhaltenden Tätigkeit“; Übersetzung: Treitel, Philo, Werke I, 394. Vgl. auch leg. all. III 100–103 (I p. 135 f.). 141 Andernorts hat Origenes diesen Gedanken protreptisch gewendet, in Luc. hom. 20,7 (GCS Orig. 92, 124): „Lasst uns also aufhören, kleine Kinder zu sein, und anfangen, erwachsene Menschen zu werden, indem wir sagen: ,Als ich ein Mann geworden war, habe ich abgelegt, was eines kleinen Kindes war‘ (1 Kor. 13,11)“; Übersetzung: Sieben, FC 4/1, 231. Vgl. in Hier. hom. 19,15 (GCS Orig. 32, 175 f.) und dazu Fürst, Eschatologie 338.
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Homilia VII
Evangelio, quod secundum Iohannem est, didicimus.a Et quia accepit donum a Patre eos, qui credunt, idcirco prophetans de iis ait: „Ecce, ego et pueri, quos mihi dedit Deus.“b Nec putandus est non habuisse, qui accepit, cum adhuc habeat ipse, qui dederit. 2. Deinde in reliquis prophetat Salvator in propheta dicens futurum esse, ut, cum acceperit pueros, signa et prodigia fiant in Istrahel. Habet autem ita: „Et erunt signa et prodigia in Istrahel a Domino Sabaoth, qui habitat in monte Sion.“c Qui enim habitat in speculatorio et in omni anima potest conspicere veritatem, iste facit signa et prodigia per Salvatorem et post Salvatorem per Apostolos; et ubicumque invenitur apta anima ministerio signorum et portentorum Dei, sive iuxta spiritalem curationem sive sensibiliter ad exhortandos eos, qui vident, ad fidem, non est otiosus Deus, qui tunc fecit signa et prodigia, etiam nunc operari ea. „Et si dixerint ad vos: Quaerite ventriloquos et eos, qui de terra clamant, qui inania loquuntur, qui de ventre clamant, non gens ad Deum suum requirunt? Quid exquirunt de viventibus mortuos?“d Attendite, quoniam obscure dicta sunt et debet sensus Deo ipso largiente et revelante cohaerere superioribus. Docet ergo nos, ut non simus aliorum sermonum discipuli nisi caelestium et bonorum. Sunt enim quidam loquentium et pollicentium doctrinam veram, qui non loquuntur caelestia, sed terrena. „Qui est ex terra, de terra loquitur; qui de caelo venit, super omnes est; quod vidit et audivit, testificatur.“e Si quis, ait, pueris, qui in me credunt, dixerit: „Quaerite ventriloquos et eos, qui de terra clamant, qui inania loquuntur, qui de ventre clamant“f – veluti: QuaeÄ w omnia rite daemonia (ab una enim specie daemonis ventriloqui tropikv daemonia nuncupavit) – „si dixerint vobis: Quaerite ventriloquos“, hoc est quaerite a daemonibus sive divinationem sive veritatem sive sacratam contemplationem, respondete iis haec, quae dico. Quae sunt, quae eos docet? In sequentibus dicit. Et sunt quidam, qui mittunt vos, magis autem catechumenos, quantum in ipsis est, ad ventriloquos. Qui enim volunt vos ad idola a
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142 Das anziehende Werben Gottes um den Menschen stellt Origenes, in Num. hom. 20,3 (GCS Orig. 7, 194–196), nachdrücklich heraus. 143 Dieser Satz ist vielleicht eine Einfügung des Hieronymus: siehe oben S. 172. 144 Als skopeythÂrion erklärt Origenes das Wort „Zion“ auch in Ioh. comm. XIII 81 (GCS Orig. 4, 237); in Hier. hom. 5,16 (GCS Orig. 32, 46). Vgl. Wutz, Onomastica sacra 96. 193 f. 312. 748. 772. 145 Zu den philologischen Schwierigkeiten dieses Zitats siehe unten S. 290 Anm. 154. 146 Die gleiche Form des Zitats begegnet in Ioh. comm. XIX 127.130 (GCS Orig. 4, 320 f.).
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Erlöser kommen, wie wir aus dem Evangelium nach Johannes gelernt haben.a 142 Und weil er vom Vater die, die glauben, zum Geschenk bekommen hat, deswegen sagt er über sie in prophetischer Rede: „Siehe, ich und meine Kinder, die mir Gott gegeben hat.“b Und man darf nicht meinen, der, der sie angenommen hat, hätte sie noch nicht erhalten, wenn noch der sie habe, der sie gegeben hat.143 2. Weiter prophezeit der Erlöser dann durch den Mund des Propheten und sagt, es würden, sobald er die Kinder angenommen habe, Zeichen und Wunder in Israel geschehen. Der Text lautet so: „Und es wird Zeichen und Wunder in Israel geben vom Herrn der Heere, der auf dem Berg Zion wohnt.“c Der nämlich, der auf einem Aussichtspunkt144 wohnt und in jeder Seele die Wahrheit sehen kann, der wirkt Zeichen und Wunder durch den Erlöser und nach dem Erlöser durch die Apostel; und wo immer sich eine Seele findet, die geeignet ist, Gottes Zeichen und Wunder zu tun, sei es im Sinne von Sorge um die Seele, sei es in dem Sinne, die, die sehen können, auf einfühlsame Weise zum Glauben zu ermuntern, da ist Gott, der damals Zeichen und Wunder wirkte, nicht müßig und wirkt sie noch heute. „Und wenn sie zu euch sagen: Befragt Wahrsager und solche, die aus der Erde heraus rufen, die leeres Zeug schwätzen, die ihre Stimme aus dem Bauch kommen lassen, befragt da das Volk nicht seinen Gott? Warum über die Lebendigen die Toten befragen?“d 145 Passt auf, denn dies ist ja dunkel ausgedrückt, und der Sinn muss, wenn Gott selbst es eingibt und offenbart, mit dem Vorausgehenden übereinstimmen. Er lehrt uns also, uns ausschließlich in himmlischen und guten Reden unterweisen zu lassen. Es gibt nämlich Leute, die verheißungsvoll von einer wahren Lehre reden, doch nicht himmlische, sondern irdische Dinge sagen. „Wer aus der Erde stammt, redet aus der Erde heraus; wer aber vom Himmel kommt, steht über allen; was er gesehen und gehört hat, bezeugt er.“e 146 Wenn jemand, heißt es, den Kindern, die an mich glauben, sagt: „Befragt Wahrsager und solche, die aus der Erde heraus rufen, die leeres Zeug schwätzen, die ihre Stimme aus dem Bauch kommen lassen“f – im Sinne von: Befragt Dämonen (mit der einen Dämonenart, der des Wahrsagers, hat er nämlich metaphorisch147 alle Dämonen bezeichnet) – „und wenn sie euch sagen: Befragt Wahrsager“, das heißt: Ersucht Dämonen um eine Weissagung, die Wahrheit oder eine heilige Schau, so antwortet ihnen das, was ich sage. Was lehrt er sie? Er sagt es im Folgenden. Manche schicken, soweit es in ihrer Macht steht, euch, aber
147 Wenn der Hagiograph von „Wahrsagern“ spricht, so tut er dies nach Origenes tropikv Ä w und meint mit der einen Art von Dämonen die gesamte Gattung. Es handelt sich hierbei um den zweiten der von Aristoteles, poet. 21, 1457 b 6–9, unterschiedenen vier Modi metaphorischer Rede. Warum Hieronymus das griechische Wort unübersetzt lässt, ist unklar.
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Homilia VII
ire, de quibus scriptum est: „Omnes dii gentium daemonia“,a volunt vos ire non solum ad ventriloquos, sed ad omnem speciem daemonum. Verumtamen Deus noster, qui in caelo et in terra facit, quae vult,b avellat nos a daemonibus, familiares sibi faciat per Salvatorem nostrum Iesum Christum. Videte ergo, ne quando decipiatur alicuius ex vestris anima et adhuc ambigat et dubitet, cum audierit illum et illum hominem: In illo idolo daemonium curavit illum languorem, illud et illud divinavit; ista omnia idola sunt daemonum et hominum non cognoscentium veritatem. Adscendite animo ad eum, qui omnium est creator,c et comparate pietatem istam omni, quae adnuntiatur esse pietas nec est pietas, et videte quia vos beati estis. „Quis“ enim „similis tibi, popule salvate a Domino?“d Et „beata gens, cuius Dominus Deus eius, populus, quem elegit in hereditatem sibi.“e Beata quippe gens fuit quondam Iudaeorum, sed perdidit beatitudinem et eiecta est de loco suo, quia eum, qui missus est et testimonium habuit patris, non solum per legem et prophetas, verum et in signis et prodigiisf insidians interfecit. Beatitudo ergo transmigravit ad nos Iesu Christi discipulos et credimus in eo inconcusse et firme viventes iuxta hoc, quod docti sumus. 3. „Et si dixerint ad vos: Quaerite ventriloquos et eos, qui de terra clamant, qui inania loquuntur.“g Vaniloquos nominavit. Omnis sermo, qui dicitur, aut vacuus est aut plenus veritate. Vacuus est sermo omnis, qui mendax est, plenus est autem veritatis, qui habet scientiam Dei universorum et docet, ut credamus Deo pollicenti regna caelorum sanctis suis. Vide ergo, quid dicant, qui non fuerunt vaniloqui neque vacui umquam apparuerunt in conspectu Domini Dei: „Nos omnes ex plenitudine eius accepimus.“h Qui vaniloqui sunt, non habent omnes ex plenitudine, sed omnes vacui sunt veritate, vacui sunt virtute, vacui sunt Christo. „Si dixerint vobis: Quaerite eos, qui de terra clamant, qui inania loquuntur, qui de ventre clamant.“i Volo dicere et causam, quare hoc potissimum daemonum ventriloquorum nunc adsumpserit sermo, ut dicat: „Si dixerint ad vos: Quaerite ventriloquos.“j Invenies omnes, qui repromittunt nec habent veritatem, ventri suo a f
b Ps. 95(96),5 Ps. 113(114),11 g h Jes. 8,18 Jes. 8,19 Joh. 1,16
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Sir. 24,8 Jes. 8,19
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Dtn. 33,29
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Ps. 32(33),12
148 An die im Gottesdienst anwesenden Katechumenen, denen die Predigt als Unterricht diente, hat Origenes sich oft gewendet; siehe die Stellen bei Nautin, SC 232, 110 Anm. 4. Die vorliegende Bemerkung hängt möglicherweise mit den zahlreichen Exorzismen zusammen, die während der Taufvorbereitung, besonders intensiv in der letzten Phase kurz vor der Taufe, an den Katechumenen vollzogen wurden; vgl. trad. apost. 20 (FC 1, 254). Worauf indes Origenes hier genau anspielte, wird nicht deutlich. 149 Die folgende Erklärung des Origenes beruht darauf, dass das Wort „Wahrsager“
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mehr noch die Katechumenen148 zu Wahrsagern. Diejenigen, die wollen, dass ihr zu Götterbildern geht, über die geschrieben steht: „Alle Götter der Heiden sind Dämonen“,a wollen nicht nur, dass ihr zu Wahrsagern geht, sondern zu jeder Art von Dämonen. Doch unser Gott, der im Himmel und auf Erden tut, was er will,b entreiße uns den Dämonen und mache uns durch unseren Erlöser Jesus Christus zu seinesgleichen! Seht also zu, dass sich die Seele von keinem unter euch täuschen lasse und noch unsicher und in Zweifel sei, wenn sie diesen oder jenen Menschen sagen hört: In dem Götterbild da hat ein Dämon die und die Krankheit kuriert und dies und das geweissagt; das sind alles Götzen für Dämonen und für Menschen, die die Wahrheit nicht erkennen. Erhebt euch im Geist zu dem, der der Schöpfer von allemc ist, und vergleicht die Frömmigkeit dort mit jeder, die als Frömmigkeit angepriesen wird, aber keine Frömmigkeit ist, und seht, dass ihr, ja ihr glücklich seid! Denn „wer gleicht dir, du Volk, gerettet vom Herrn?“d Und „glücklich das Volk, das Gott zum Herrn hat, das Volk, das er sich zum Erbe erwählt hat.“e Glücklich war ja einst das Volk der Juden, doch verlor es sein Glück und wurde seines Ranges enthoben, weil es den, der gesandt wurde und Zeugnis ablegte vom Vater, und zwar nicht nur durch das Gesetz und die Propheten, sondern auch durch Zeichen und Wunder,f auf hinterhältige Weise umgebracht hat. Das Glück ist also auf uns, die Jünger Jesu Christi, übergegangen, und unser Glaube an ihn ist ganz unerschütterlich, unser Leben so, wie er es uns gelehrt hat. 3. „Und wenn sie zu euch sagen: Befragt Wahrsager und solche, die aus der Erde heraus rufen, die leeres Zeug schwätzen.“g Schwätzer von leerem Zeug hat er sie genannt. Jede Rede, alles, was man sagt, ist entweder ohne oder voller Wahrheit. Ohne Wahrheit ist jede Rede, wenn sie erlogen ist, voller Wahrheit dagegen, wenn sie Wissen um den Gott des Alls vermittelt und uns lehrt, Gott zu vertrauen, der seinen Heiligen das Reich der Himmel verspricht. Sieh also, was die sagen, die keine Schwätzer von leerem Zeug gewesen sind und sich niemals so armselig vor dem Angesicht Gottes, des Herrn, gezeigt haben: „Wir haben alle aus seiner Fülle empfangen.“h All die Schwätzer von leerem Zeug besitzen nichts aus der Fülle, sondern allesamt sind sie ohne Wahrheit, ohne Kraft, ohne Christus. „Wenn sie euch sagen: Befragt solche, die aus der Erde heraus rufen, die leeres Zeug schwätzen, die ihre Stimme aus dem Bauch kommen lassen.“i Ich will auch den Grund dafür nennen, dass der Text hier ausgerechnet diese Art von Dämonen, die Wahrsager, angeführt hat und entsprechend lautet: „Wenn sie zu euch sagen: Befragt Wahrsager.“j 149 Du wirst entdecken, dass alle, die Wahrheit verheiwörtlich übersetzt „Bauchredner“ heißt (griechisch: eÆggastriÂmyuow). Eine solche „Bauchrednerin“ bzw. „Wahrsagerin“ ist auch das Thema der berühmten, auf Griechisch erhaltenen Predigt des Origenes über 1 Sam. 28; vgl. etwa in Regn. hom. graec. 1 (GCS Orig. 32, 283): periÁ thÄw eÆggastrimyÂuoy.
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Homilia VII
servientes et quodammodo propter voluptatem eius et abundantiam cuncta facere, non solum autem gentiles, sed et eos, qui, cum repromittant in Christo religionem, haeretici sunt; et non tantum illos, sed etiam in nobis, qui ecclesiastici sumus, invenies aliquem pro saturitate ventris cuncta gerere, ut honoretur et accipiat munera, quae in ecclesiam deferuntur. Iste talis de ventre loquitur et fons sermonum eius in ventre consistit; non enim fons sermonum de corde fluit, non fluit de bonis cogitationibus, non de sancto spiritu. Si quis ergo aliquando docere se promittit, observate, utrum sermones eius de ventre habeant principium an non. Propositionem autem, quae mihi obici potest, ipse interponam, ne[mo] forte quis ex vobis a quoquam eam audiens aestimet aut Scripturam sibi esse contrariam aut nos non inspexisse, quomodo oporteat approbare sermonem in eos accusatorium, qui de ventre clamant. Quae est ergo propositio? „Si quis“ ait „credit in me, flumina de ventre eius fluent, fons aquae salientis in vitam aeternam.“a Dicat itaque aliquis de his, qui proponunt: Si Salvator repromittit de ventre fontem aquae salientis in vitam aeternam, de iusto egreditur et iustus de ventre clamat, siquidem fons aquae, quem Salvator repromittit, in ventre eius est. Sed dicendum, ne forte duos habeamus ventres et alius sit corporalis, alius spiritalis, quomodo reliquae partes, quae videntur in corpore nominari, veluti sunt oculi, verum alii corporis, alii animae. Si enim dicitur de oculis: „Mandatum Domini lucidum, illuminans oculos“,b non puto hoc referendum ad oculos corporales. Et si dicitur: „Qui habet aures audiendi, audiat“,c non est putandum hoc dici de corporis auribus, sed de animae, quas habent, qui mundi sunt, in auditu animae. Sed et si dicitur in repromissione: „Pes tuus non offendet“,d non est arbitrandum hoc dici de corporis pede; est enim quidam pes cordis ingrediens eum, qui a
Joh. 7,38; 4,14
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Ps. 18(19),9
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Mt. 13,9
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Spr. 3,23
150 Als aÆnh Á r eÆkklhsiastikoÂw, vir ecclesiasticus, als „Mann der Kirche“ bezeichnete Origenes den Angehörigen der rechtgläubigen Kirche im Gegensatz zum Häretiker: in Luc. hom. 2,2 (GCS Orig. 92, 13); 16,6 (92, 97 f.); in Tit. frg. 2 bei Pamphilus, apol. Orig. 33 (SC 464, 88). In Lev. hom. 1,1 (GCS Orig. 6, 281) nannte er sich selbst einen „Mann der Kirche (ego ecclesiasticus), der im Glauben an Christus lebt und inmitten der Kirche zum Opfern eingesetzt ist“. Im Gegensatz zu den Markioniten gehörte die Formel „wir von der Kirche“ (hëmeiÄw oië aÆpo Á th Ä w eÆkklhsiÂaw) zu den Selbstbezeichnungen des Origenes: Cels. II 6 (GCS Orig. 1, 132), lateinisch in Ios. hom. 9,8 (GCS Orig. 7, 353): nos, qui de ecclesia catholica sumus; vgl. mit variierter Formulierung in Ioh. comm. II 96 (GCS Orig. 4, 69): hëmeiÄw oië eyÆxoÂmenoi eiËnai aÆpo Á th Ä w eÆkklhsiÂaw. Siehe auch Schütz, Gottesdienst 57. 151 Diesen hermeneutischen Grundsatz formulierte Origenes, princ. I 1,9 (GCS Orig. 5, 27), allgemein so: „Häufig werden nämlich die Bezeichnungen der Sinnesorgane auf
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ßen, sie aber nicht besitzen, Diener ihres Bauches sind und für sein übermäßiges Wohlbefinden so ziemlich alles tun, und zwar nicht nur die Heiden, sondern auch diejenigen, die trotz der Christusverehrung, die sie verheißen, Häretiker sind; und nicht bloß jene – nein, auch bei uns Männern der Kirche150 wirst du manch einen finden, der für einen satten Magen alles tut, dafür, Ehre und Ämter zu ergattern, wie sie in der Kirche vergeben werden. Die Rede eines solchen kommt aus dem Bauch, und die Quelle seiner Worte liegt im Bauch; denn die Quelle seiner Worte entströmt nicht dem Herzen, nicht guten Gedanken, nicht heiligem Geist. Wenn also irgend jemand irgendwann verspricht, er sei Lehrer, so achtet darauf, ob seine Worte ihren Ursprung im Bauch haben oder nicht. Einen Einwand aber, den man mir entgegenhalten könnte, will ich selbst anführen, damit niemand von euch, wenn er ihn von jemandem hört, meine, die Schrift widerspreche sich oder wir hätten nicht geprüft, wie sich das Wort beweisen lässt, das diejenigen anklagt, die ihre Stimme aus dem Bauch kommen lassen. Was ist das für ein Einwand? „Wenn jemand“, heißt es, „an mich glaubt, so werden aus seinem Bauch Ströme fließen, eine Quelle von Wasser, sprudelnd zu ewigem Leben.“a Vielleicht sagt also einer von denen, die diesen Einwand vorbringen: Wenn der Erlöser eine dem Bauch entspringende, zu ewigem Leben sprudelnde Quelle von Wasser verheißt, geht sie aus dem Gerechten hervor, lässt also der Gerechte seine Stimme aus dem Bauch kommen, da sich ja die Quelle von Wasser, die der Erlöser verheißt, in seinem Bauch befindet. Dagegen ist zu fragen, ob wir nicht vielleicht zwei Bäuche haben, der eine körperlich, der andere geistig, wie man bei den übrigen Körperteilen sieht, denen man einen Namen gibt, beispielsweise bei den Augen, die einerseits die Augen des Körpers, andererseits die der Seele meinen.151 Wenn nämlich über die Augen gesagt wird: „Das Gebot des Herrn ist strahlend und erleuchtet die Augen“,b so kann sich das, meine ich, nicht auf die körperlichen Augen beziehen. Und wenn gesagt wird: „Wer Ohren hat zu hören, soll hören!“,c so darf man nicht meinen, das werde über die Ohren des Körpers gesagt, sondern vielmehr über die der Seele, wie sie die, die rein sind, im Gehör der Seele haben. Aber auch wenn in einer Verheißung gesagt wird: „Dein Fuß wird nicht anstoßen“,d so darf man nicht glauben, dies werde über einen Fuß des Körpers gesagt; es gibt nämlich so etwas wie einen Fuß des Herzens, der den die Seele bezogen, und man sagt dann, sie sehe mit den ,Augen des Herzens‘ (Eph. 1,18), das heißt: Sie erschließt einen geistigen Gegenstand durch die Kraft ihrer Vernunft. So sagt man auch, sie höre mit den Ohren, wenn sie die Wahrnehmung eines tieferen Wissens aufnimmt ... In ähnlicher Weise spricht man bei ihr auch von den Funktionen der übrigen Organe und überträgt die körperliche Benennung auf die Kräfte der Seele“; Übersetzung: p. 121 Görgemanns/Karpp. Zur platonischen Wendung „Auge(n) der Seele“ siehe oben S. 268 Anm. 124; zum Thema der „geistigen Sinnlichkeit“ bei Origenes siehe oben S. 126–129.
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Homilia VII
dixit: „Ego sum via.“a Sic igitur similis ventri corporali venter est animae, de quo loquitur iustus: „A timore tuo, Domine, in ventre accepimus et parturivimus et peperimus spiritum salutis tuae, quem fecisti super terram.“b Quicumque autem plenum habent ventrem vacuis sermonibus, qui de terra sunt, habent ventrem de terra subsistentem, de quo scriptum est: „Deus autem et istum et haec destruet.“c Sancti ergo ventrem habent, in quo a timore Domini et conceperunt,d et plenus est venter eorum fontibus aquae salientis in vitam aeternam.e De isto ventre ait ille: „Et venter meus quasi uter plenus musti alligatus.”f Haec enim dixit non de corporali ventre; nec enim venter eius corporalis plenus erat divinorum et his proximorum vino alligato in utre. Ista in solutionem propositionis. 4. Nunc ad hoc, quod coepimus, revertamur. „Si“ ergo „dixerint ad vos: Quaerite ventriloquos et eos, qui de terra clamant, qui inania loquuntur, qui de ventre clamant“ – „Non gens ad Deum suum?“, haec iis respondete; deficienter autem dicitur: Haec iis respondete: „Non gens ad Deum suum exquirunt?“g Unaquaeque gens, si quaerit, ad proprium Deum defert, quod quaesivit – haec iis respondete. Vos autem, Istrahelitae, habentes Deum verum, qui est super omnia,h cum quaeritis, nolite ventriloquos quaerere neque de terra clamantes neque vaniloquos, sed proprium Deum. „Quid quaerunt de viventibus mortuos?“i Mortui enim sunt daemones privati vera vita, quae dicit: „Ego sum vita.“j Nolite ergo mortuos sciscitari de vivis negotiis, legemk enim suscepistis. O vos, quibus persuaderi non potuit, ut quaereretis ista de ventriloquis et de terra clamantibus vanos sermones a g
Joh. 14,6 Jes. 8,19
Jes. 26,18 Röm. 9,5
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d e 1 Kor. 6,13 Jes. 26,18 Joh. 4,14 j k Jes. 8,19 Joh. 14,6 Jes. 8,20
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Ijob 32,19
152 Vgl. dazu in Is. hom. 6,3 (GCS Orig. 8, 272 f.). 153 Die Septuaginta weicht hier vom hebräischen Text von Jes. 26,18 ab, in dem die Geburt gerade erfolglos bleibt und kein Heil bringt: „Wir waren schwanger, wir wanden uns, und wie wir gebaren, wars Wind“ (III p. 83 Buber/Rosenzweig). 154 Der Sprecherwechsel in Jes. 8,19 f. ist schwer durchschaubar. Buber/Rosenzweig übersetzten: „Wenn sie aber zu euch sprechen: – Beforscht die Elben und die Wisserischen! – Die zirpenden, die murmelnden?! – – Soll nicht ein Volk seine Götter beforschen? – Für die Lebenden die Toten?! – Zur Weisung hin! zur Bezeugung hin!“ (III p. 32 mit dieser Einteilung und diesen Gedankenstrichen). Origenes setzte den Sprecherwechsel, dem griechischen Text angemessen, vor die Frage: oyÆk eÍunow pro Á w ueo Á n ayÆtoy Ä ; – in der Septuaginta (II p. 577 Rahlfs; p. 153 Ziegler) fehlt das Prädikat, eine Auslassung, die Origenes (oder Hieronymus, der Übersetzer) stillschweigend korrigierte – und fügte zur Klärung eine kurze Wendung ein, die sich so oder ähnlich auch in modernen Übersetzungen findet,
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beschreitet, der gesagt hat: „Ich bin der Weg.“a 152 So entspricht also dem körperlichen Bauch der Bauch der Seele, von dem der Gerechte spricht: „Von Furcht vor dir, Herr, empfingen wir im Bauch, gebaren und brachten Geist deines Heils hervor, das du über das Land gebracht hast.“b 153 Alle aber, die den Bauch voll mit leeren Reden haben und aus der Erde stammen, haben einen Bauch, der aus Erde besteht und über den geschrieben steht: „Gott aber wird ihn und diese (sc. Speisen) vernichten.“c Heilige haben also einen Bauch, in dem sie sogar von der Furcht des Herrn empfangen haben,d und ihr Bauch ist voll von Wasserquellen, die zu ewigem Leben sprudeln.e Über diesen Bauch sagt einer: „Und mein Bauch ist festgezurrt wie ein Schlauch voll Most.“f Dies hat er ja nicht über den körperlichen Bauch gesagt; denn es war nicht sein körperlicher Bauch, der voll war vom Wein göttlicher und solcherlei Dinge, festgezurrt in einem Schlauch. Soviel zur Klärung des Einwands. 4. Nun lasst uns zu unserem Ausgangspunkt zurückkehren. Also: „Wenn sie zu euch sagen: Befragt Wahrsager und solche, die aus der Erde heraus rufen, die leeres Zeug schwätzen, die ihre Stimme aus dem Bauch kommen lassen“ – „Nicht das Volk zu seinem Gott?“, so antwortet ihnen; elliptisch wird damit aber gesagt: So antwortet ihnen: „Das Volk, soll es nicht seinen Gott befragen?“g 154 Jedes einzelne Volk wendet sich, wenn es etwas fragen will, mit der Frage an den eigenen Gott – so antwortet ihnen. Ihr aber, ihr Israeliten mit eurem wahren Gott, der über allem ist,h befragt nicht, wenn ihr Fragen habt, Wahrsager noch solche, die aus der Erde heraus rufen oder leeres Zeug schwätzen, sondern euren eigenen Gott! „Warum über die Lebendigen die Toten befragen?“i Denn bei den Toten handelt es sich um Dämonen, die des wahren Lebens beraubt sind, das sagt: „Ich bin das Leben.“j Befragt also nicht Tote über Lebendiges – so die Weisung,k die ihr erhalten habt. Ihr, die ihr euch nicht dazu habt überreden lassen, Wahrsager nach so etwas oder solche, die aus der Erde heraus leere Worte rufen, nach dem Wort und dem Gesetz der Wahrheit zu fragen,155 richtet die
etwa in der Einheitsübersetzung: „Wenn man euch sagt: Befragt die Totengeister und die Zauberkundigen, die flüstern und murmeln!, (dann erwidert:) Soll ein Volk nicht lieber seinen Gott befragen? Warum soll man für die Lebenden die Toten befragen?“ Mit Beuken, Jesaja 1–12, 234 f., lässt sich jedoch auch der ganze Text als Rede der Gegner verstehen und so übersetzen: „Und wenn sie zu euch sagen: ,Befragt die Gruben- und Wahrsagegeister, die da flüstern und murmeln. Soll nicht ein Volk seinen Gott befragen? Für die Lebenden die Toten?‘“ Und die Antwort beginnt dann in Jes. 8,20: „Hin zur Weisung und Bezeugung!“ 155 Sowohl die französische Übersetzung von Millet (p. 79) als auch die italienische von Danieli, CTePa 132, 157, die im Nebensatz sogar eigens eine Verneinung ergänzt, versuchen der Bemerkung eine polemische Spitze zu geben, als wende sich Origenes hier gegen Übertreter der genannten Gesetzesbestimmung. Das ist aber
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Homilia VII
sermonem veritatis et legem, suscipientes eam in adiutorium legi vestrae attendite. In lege vestra scriptum est: Non sequaris idola;a iuxta legem facientes non attendatis ventriloquis, neque his, qui de terra clamant. „Legem enim in adiutorium dedit, ut dicant: non sicut verbum istud, pro quo non est munera dare.“b Qui enim adsumpsit legem et novit, quia lex in adiutorium est et praecipue spiritalis,c quae interdicit a ventriloquis et auguriis, is, cum intellexerit legem, debet admirans eam dicere nullum verbum in mundo apud Graecos et Barbaros, quale est verbum legis; ab omni enim verbo, universa doctrina, quae veritatem pollicetur, differt lex, quae a Deo nobis data est. „Legem enim in adiutorium dedit, ut dicant: non sicut verbum istud.“d Quid est, quod non est ut verbum istud? Multa sunt verba, sed non sicut verbum istud. Nullum enim verbum post verbum Moysi, post verbum prophetarum, multo autem amplius post verbum Iesu Christi et Apostolorum eius. Vide, si non clamavit sensus Dei, quod dictum est: Legem enim in adiutorium dedit, ut dicant, qui acceperunt legem in adiutorium: Non est ut verbum istud, quomodo locutus est Moyses in lege lata per angelos in manu mediatoris.e Multo autem dignius potest hoc ecclesia dicere: Non est ut verbum istud, quod caro factum est, quod habitavit in nobis, cuius vidimus gloriam, non sicut Moyses velamine obtectam,f sed gloriam tamquam unigeniti a patre, plenum gratiae et veritatis.g Non est ut verbum istud, quod suscepit ecclesia, in quo credit, per quod et salvabitur,h verbum, quod in principio erat apud Deum Deus, verbum,i „cui gloria et imperium in saecula saeculorum. Amen!“j a g
Ex. 20,4 Joh. 1,14
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Jes. 8,20 1 Kor. 15,2
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Röm. 7,14 i Joh. 1,1
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d Jes. 8,20 1 Petr. 4,11
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Gal. 3,19
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nicht der Fall: Vos meint hier wie auch an früherer Stelle, an der Origenes das besondere Glück der Christen hervorhebt (in Is. hom. 7,2 [GCS Orig. 8, 282 Zeile 14]), die Gemeinde, der er ausdrücklich ein Lob spendet. Später verwendet der Prediger wieder die erste Person Plural und bezieht so auch sich selbst in die Schar der mit dem Gesetz Gesegneten ein. 156 Die griechische Fassung der Septuaginta weicht hier stark vom hebräischen Text ab, der zudem sehr schwierig und unklar ist. Buber/Rosenzweig folgten einer älteren Auffassung der hebräischen Begriffe in Jes. 8,20 und übersetzten: „Zur Weisung hin! zur Bezeugung hin! Sprechen sie denn nicht solcher Rede gleich, jeder, der kein Morgenrot hat?“ Mit der Übersetzung des letzten Wortes in diesem Vers als „Morgenrot“ bezieht man die Aussage auf das Thema von Dunkelheit und Licht in den folgenden Versen Jes. 8,22–9,1; Hieronymus hat in der Vulgata entsprechend übersetzt (p. 1105 Weber/Gryson: matutina lux). Eine neuere Meinung nimmt als Bedeutung von ˇshr (Grundbedeutung: „suchen, fragen nach“) „zaubern“ an und übersetzt wie Beuken, Jesaja 1–12, 234: „Fürwahr, sie sprechen nach diesem Wort, das
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Aufmerksamkeit auf euer Gesetz und nehmt es als Hilfe! In eurem Gesetz steht geschrieben: Du sollst keinen Götterbildern folgen.a Handelt gemäß dem Gesetz und gebt nichts auf Wahrsager noch auf solche, die aus der Erde heraus rufen! „Denn das Gesetz hat er ihnen als Hilfe gegeben, damit sie sagen: ein Wort wie kein anderes, durch keine Gaben aufzuwiegen.“b 156 Wer nämlich das Gesetz empfangen hat und weiß, dass das Gesetz hilfreich ist, und zwar vor allem das geistige,c das den Umgang mit Wahrsagern und Wahrsagerei untersagt, der kann, hat er das Gesetz erst geistig begriffen, gar nicht umhin, es zu bewundern und zu sagen, kein Wort in der Welt, ob bei den Griechen oder den Barbaren,157 sei wie das Wort des Gesetzes; denn von jedem Wort und von aller Lehre, die Wahrheit verspricht, hebt das Gesetz sich ab, das uns von Gott gegeben worden ist. „Denn das Gesetz hat er ihnen als Hilfe gegeben, damit sie sagen: ein Wort wie kein anderes.“d Was heißt das: Es gibt kein anderes Wort, das wie dieses wäre? Viele Worte gibt es, doch kein anderes, das wie dieses wäre: kein Wort nach dem Wort des Mose, nach dem Wort der Propheten und weit weniger noch nach dem Wort Jesu Christi und seiner Apostel. Schau, ob nicht Gottes Geist ausrief, was da gesagt worden ist: Denn das Gesetz hat er ihnen als Hilfe gegeben, damit sie, die es als Hilfe bekommen haben, sagen: Es gibt kein anderes Wort, das wie dieses wäre – so Mose im Gesetz, das durch Engel in der Hand eines Mittlers erlassen worden ist.e Mit noch viel größerem Recht aber kann das die Kirche sagen: Es gibt kein anderes Wort, das wie dieses wäre, das Fleisch geworden ist, das unter uns gewohnt hat, dessen Herrlichkeit wir gesehen haben, nicht wie Mose verdeckt durch eine Hülle,f sondern die Herrlichkeit als des Einziggeborenen vom Vater her, voller Gnade und Wahrheit.g Es gibt kein anderes Wort, das wie dieses wäre, das die Kirche empfangen hat, an das sie glaubt, durch das sie auch gerettet werden wird,h das Wort, das im Anfang bei Gott war, Gott, das Wort;i „sein ist die Herrlichkeit und die Macht in alle Ewigkeit. Amen!“j keine Zaubermacht hat!“ (vgl. die Erläuterungen dazu ebd. 235 f.). Die Septuaginta hingegen lasen ˇshd (d, Daleth, statt r , Resch), „Bestechungsgeschenk“ (ebenso die syrische Übersetzung), das sie mit dv Ä ra übersetzten; der ganze Vers lautet in der griechischen Fassung: noÂmon ga Á r eiÆw bohÂueian eÍdvken, Ïina eiÍpvsin oyÆx vëw to Á rëh Ä ma toy Ä to, periÁ oyÎ oyÆk eÍstin dv Ä ra doy Ä nai periÁ ayÆtoy Ä (II p. 577 Rahlfs; p. 153 Ziegler). Dem entspricht die lateinische Übersetzung des Hieronymus an der vorliegenden Stelle, und diese Version hat Origenes ausgelegt. 157 Das ist die übliche hellenistische Einteilung der Welt nach der Sprache in Griechen und Nicht-Griechen, wie sie etwa Kelsos bei Origenes, Cels. VIII 72 (GCS Orig. 2, 288), formulierte, wenn er von „Hellenen (Griechen) und Barbaren“ sprach, die „Asien, Europa und Libyen bis zu den Grenzen hin bewohnen“, d.h. nach den damaligen geographischen Vorstellungen die gesamte Welt, und die Origenes, kulturell seinerseits durch und durch Hellene, als ganz selbstverständlich aufgriff: ebd. (2, 290); ebenso princ. IV 1,1 (GCS Orig. 5, 293), in griechischer Fassung erhalten in philoc. 1 (p. 8 Robinson); lateinisch in princ. I 3,1 (GCS Orig. 5, 48).
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HOMILIA VIII. De eo, quod scriptum est: „Ululate sculptilia in Hierusalem et in Samaria“a usque ad eum locum, in quo ait: „Et commovebo civitates, quae inhabitantur.“b 286
1. Olim quidem, quando peccavit populus prior, excidit a religione et sculptilia fabricatus est Iudas in Hierusalem et is, qui Istrahel vocabatur, in Samaria. Si autem et nunc aliquis consideret ex multitudine eorum, qui colliguntur peccatores, non pigebit eum dicere, quia unusquisque Deum faciens, quod aestimat esse bonum, et serviens peccato maledictus est faciens sculptile et conflans opus manuum artificis et ponens illud in absconso; in absconso quippe cordis multa facimus idola, si peccemus. Unde sermo nos edocet paenitentiam agere et ululare super sculptilibus et idolis, quae sunt in Hierusalem et Samaria.c Et si quidem nos peccemus, qui esse de ecclesia cupimus, in Hierusalem facimus sculptilia; si vero hi, qui foris ecclesiam constituti sunt, quomodo haeretici peccaverint, faciunt idola in Samaria. Verumtamen Deus omnes iuxta suam bonitatem ad paenitentiam provocat dicens: „Ululate sculptilia in Hierusalem et in Samaria; quemadmodum etenim feci Samariae et manufactis eius, ita faciam et Hierusalem et idolis eius.“d Comminatur, quaecumque fecit Samaritanis, etiam his, qui de ecclesia sunt. „Cum autem consummaverit Dominus omnia faciens in monte Sion et in Hierusalem, inducet super sensum magnum principem Assyriorum et super altitudinem gloriae oculorum eius.“e Docemur, quid futurum sit inimico nostro zabulo, quem sensum quendam magnum nunc prophetia a
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158 Die Septuaginta weicht in diesem Passus in manchen Kola erheblich vom hebräischen Text ab, der in der Übersetzung von Beuken, Jesaja 1–12, 272, lautet: „,Wie meine Hand [es spricht der König von Assur] die Königreiche der Götzen gefunden hat [die Septuaginta setzt ab hier neu ein:] – ihre Schnitzbilder übertrafen die von Jerusalem und von Samaria –, werde ich nicht, wie ich Samaria und seinen Götzen getan habe, ebenso Jerusalem und seinen Bildern tun?‘ Aber es wird geschehen: Wenn der Herr sein ganzes Werk am Berg Zion und an Jerusalem vollendet, ,werde ich die Frucht des großspurigen Herzens des Königs von Assur heimsuchen und den überheblichen Stolz seiner Augen‘.
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HOMILIE 8 Über die Schriftstelle: „Bejammert die Schnitzereien in Jerusalem und in Samaria“a bis zu der, an der es heißt: „Und ich will die bewohnten Städte erschüttern.“b 158 5
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1. Zwar geschah es vor langer Zeit, dass das frühere Volk, als es der Sünde verfiel, von den Kultregeln abwich und Juda in Jerusalem und der Israel genannte Teil in Samaria Schnitzereien verfertigten. Doch auch heute wird es einem, nach der großen Schar von Sündern insgesamt zu urteilen, nicht schwer fallen zu sagen, dass jeder einzelne, der sich das zu Gott macht, was er für ein Gut hält,159 und der Sünde dient, verflucht ist: Er stellt eine Schnitzerei her, gießt ein Werk von Künstlerhand und bringt es an einen verborgenen Ort; im Verborgenen unseres Herzens fertigen wir ja zahlreiche Götzenbilder an, wenn wir sündigen. Deswegen weist uns das Wort nachdrücklich an, Buße zu tun und die Schnitzereien und Götzenbilder in Jerusalem und Samaria zu bejammern.c Und wenn wir, die wir zur Kirche gehören wollen, Sünden begehen, verfertigen wir Schnitzereien in Jerusalem; wenn aber die, die sich wie die Häretiker außerhalb der Kirche gestellt haben, sündigen, verfertigen sie Götzenbilder in Samaria. Und trotzdem ruft Gott alle in seiner Güte zur Buße auf und sagt: „Bejammert die Schnitzereien in Jerusalem und in Samaria; wie ich nämlich an Samaria und den Erzeugnissen seiner Hand gehandelt habe, so werde ich auch an Jerusalem und seinen Götzenbildern handeln.“d 160 Er droht all das, was er den Samaritanern getan hat, auch denen an, die zur Kirche gehören. „Wenn aber der Herr auf dem Zionsberg und in Jerusalem alles getan und vollendet hat, wird er den Herrscher der Assyrer wegen seines großen Geistes und wegen des anmaßenden Dünkels seiner Blicke vorführen.“e Wir erfahren, was mit unserem Feind geschehen wird, dem Teufel, den die Prophezeiung hier Denn er hat gesagt: ,Durch die Kraft meiner Hand habe ich es getan und durch meine Weisheit. Ja, ich bin klug! Ich beseitige die Grenzen der Völker, raube ihre Leitböcke und stürze als Starker Thronende herab‘ ...“ 159 Ähnlich sagte Origenes, in Iud. hom. 2,3 (GCS Orig. 7, 476): „Was jeder vor allem anderen verehrt und was er mehr als alles andere bewundert und schätzt, das ist für ihn Gott.“ 160 Im hebräischen Text ist nicht Gott, sondern der assyrische König der Sprecher dieser zudem anders lautenden Verse: siehe oben Anm. 158.
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Homilia VIII
nuncupavit. Quomodo enim serpens sapientior erat omnibus bestiis, quae sunt super terram,a et filii saeculi huius sapientiores super filios lucis in generatione sua sunt et dispensator iniquitatis sapienter fecit secundum sapientiam non bonam,b eodem modo iste, qui figuraliter princeps Assyriorum dicitur, magnus est sensus et est mirari magnitudinem sensus eius; quo abusus est ad instruendos sapientes mundi istius, qui cum omni verisimilitudine cunctaque virtute falsitatem sectarum suarum componentes exhibent. Cum ergo omnia fecerit Deus in monte Sion et in Hierusalem et reddiderit ea, quae iustis repromissa sunt, tunc „inducet super sensum magnum principem Assyriorum et super altitudinem gloriae oculorum eius“.c Alta eum sapientemd sermo novit et exordium ruinae eius ab inflatione coepisse. Unde et si inflati fuerimus, in iudicium incidimus diaboli, in quo ipse incidit zabulus.e 2. Videamus autem et inflationem eius, quanta sit, ut eam caveamus et non permittamus eum super nos vera dicere. Quid igitur dicit? „Viribus faciam, et sapientia intellectus auferam fines gentium.“f Aestimat fortitudine sua, quod vult, in nobis se posse perficere. Et revera si vincamur et post haec verba peccemus, si post ecclesiam rursum in circum et ad equorum cursus et ad conventus gentilium eamus, quid aliud fit, quam superatos nos possidet? Et quod dixit zabulus: „Viribus faciam“, consequitur in nobis peccantibus, quod minatus est. Sed et si fornicemur post castitatem longi temporis, post sanctimoniam multam, quid aliud fit quam vera locutus probatur super nos, qui dixit: „Viribus faciam“? Quid autem et aliud repromittat iste magniloquax, intueamur. „Et sapientia intellectus auferam fines gentium.“g Sapientiam nescio quam pollicetur, de qua et propheta loquitur: „Alienigena quaea g
Gen. 3,1 Jes. 10,13
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Lk. 16,8
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Röm. 12,16
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1 Tim. 3,6
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161 Während im griechischen Text das machtvolle Handeln angekündigt wird (II p. 579 Rahlfs; p. 161 Ziegler: poihÂsv – aÆfelv Ä ), also noch aussteht, ist das Dargelegte gemäß dem hebräischen Text bereits geschehen: „Durch die Kraft meiner Hand habe ichs getan, durch meine Weisheit, denn ich bin gescheit, die Grenzen der Völker beseitigte ich“ (III p. 36 Buber/Rosenzweig). 162 Aufgrund der Fortsetzung dieses Satzes (post ecclesiam, „nach der Kirche“, d.h. nach dem Gottesdienst) sind offenbar die im Gottesdienst gesprochenen Worte gemeint, seien es die Worte der Lesung, also Bibeltexte, seien es die Worte der Predigt, also die Ermahnungen des Origenes, oder seien es – was allerdings weniger wahrscheinlich ist – die liturgischen Worte der Eucharistiefeier. 163 Das war ein Dauerthema der altkirchlichen Predigt, das aber offenbar so gut wie keinen Effekt hatte. Origenes kam nur selten darauf zu sprechen, etwa in Lev. hom. 11,1 (GCS Orig. 6, 447); in Ios. hom. 7,4 (GCS Orig. 7, 331); vgl. Harnack, Ertrag I, 67 Anm. 1. 68.
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einen großen Geist genannt hat. Denn wie die Schlange klüger war als alle Tiere auf der Erde,a die Kinder dieser Welt klüger unter ihresgleichen als die Kinder des Lichts und wie der ungerechte Verwalter im Sinne einer verwerflichen Klugheit klug gehandelt hat,b ebenso ist der, der typologisch der Herrscher der Assyrer genannt wird, ein großer Geist, und die Größe seines Geistes ist zu bestaunen; den hat er missbraucht, um die Klugen dieser Welt zu belehren, die zur Untermauerung ihrer falschen Grundsätze alle Wahrscheinlichkeitsgründe und alle Kraft aufbieten. Wenn daher Gott auf dem Zionsberg und in Jerusalem alles getan, also den Gerechten gegeben hat, was ihnen verheißen ist, dann wird er „den Herrscher der Assyrer wegen seines großen Geistes und wegen des anmaßenden Dünkels seiner Blicke vorführen“.c Das Wort weiß, dass er in hochtrabenden Dingen klug istd und dass der Anfang seines Endes seine Aufgeblasenheit war. Daher verfallen wir auch, wenn wir aufgeblasen sind, dem Gericht Satans, dem auch der Teufel verfallen ist.e 2. Schauen wir uns sodann auch seine Aufgeblasenheit, ihre Ausmaße, an, damit wir uns davor in Acht nehmen können und ihm nicht die Möglichkeit geben, Zutreffendes über uns zu sagen. Was sagt er also? „Mit Kraft will ich handeln und mit Klugheit und Verstand die Grenzen der Völker beseitigen.“f 161 Er meint, dank seiner Kraft könne er in uns bewirken, was immer er wolle. Und in der Tat: Wenn wir uns besiegen lassen und nach diesen Worten162 noch Sünden begehen, wenn wir nach der Kirche wieder in den Zirkus, zu den Pferderennen oder zu den Versammlungen der Heiden gehen,163 was geschieht da anderes, als dass wir besiegt in seinem Besitz sind? Und was seine Äußerung betrifft: „Mit Kraft will ich handeln“, so erreicht der Teufel in uns, wann immer wir sündigen, das, was er angedroht hat.164 Aber auch wenn wir nach einer langen Zeit der Enthaltsamkeit, nach einem vielbewährten heiligen Leben Unzucht treiben, was geschieht da anderes, als dass sich bestätigt, der habe Zutreffendes über uns gesagt, der da sprach: „Mit Kraft will ich handeln“? Schauen wir uns an, was dieser große Redenschwinger noch so verheißt. „Und mit Klugheit und Verstand will ich die Grenzen der Völker beseitigen.“g Eine Klugheit, wer weiß, was für eine, verspricht er, von der auch bei einem der Propheten die Rede ist: 164 Origenes kam in seinen Predigten immer wieder auf den „Teufel“ („Satan“) und seine „Dämonen“ als „feindliche Mächte“ zu sprechen, die den Menschen zum Sündigen verführen; vgl. zum Beispiel in Ex. hom. 3,2 (GCS Orig. 6, 162 f.); in Num. hom. 20,3 (GCS Orig. 7, 193 f.); in Ios. hom. 8,7 (GCS Orig. 7, 343 f.); 15,5.6 (7, 389. 391 f.); in Luc. hom. 22,2 (GCS Orig. 92, 133). Eine ausführliche systematische Erörterung darüber, „wie die feindlichen Mächte und der Teufel selbst gegen das Menschengeschlecht streiten, indem sie es zur Sünde locken und anreizen“, hat er in princ. III 2 f. (GCS Orig. 5, 244–263) geschrieben (das Zitat ebd. III 2,1; Übersetzung: p. 561 Görgemanns/Karpp). – Siehe auch das zweite Fragment aus dem Jesajakommentar unten S. 310 f.
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Homilia VIII
dam sapientia est in iis.“a Est aliqua extranea a veritate sapientia, quam disperdit Deus. Hanc iste habens aestimat se esse sapientem et dicit: „Sapientia intellectus auferam fines gentium, et vires eorum depascar.“b Pervenit enim ad omnes gentes operatio eius, sed Salvator in omnes gentes mittens sermones suos eruit eos, qui a zabulo in cunctis gentibus captivi tenebantur. „Et vires eorum depascar.“ Minatur se vires nostras praedatum ire et tradere adversum nos militantibus. Et revera est videre eum quibusdam hoc facientem. Quando enim quis vincitur a zabulo et traditur daemonibus spiritibus pessimis, virtutibus contrariis, quid aliud factum est, quam is, qui dixerat: „Et vires eorum depascar“, accipiens nostras vires depastus est nos? „Et commovebo civitates, quae inhabitantur.“c Et hoc zabulus comminatur, inhabitari cernit civitates ecclesias Dei in Christo Domino constructas, has commoturum esse se personat. Et frequenter quidem concussit civitates inhabitatas persecutionibus, frequenter concussit scandalis. Sed nos tentemus fundamentum habentes super petramd tales fieri, ut iste, qui dicit: „Commovebo civitates, quae inhabitantur“, nos movere non valeat per procellas suas nec per spiritus adversos, verum ad omnia, quae acciderint, stabiles perseveremus utpote habentes aedificium super petram Iesum Christum, „cui est gloria et imperium in saecula saeculorum. Amen!“e a
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165 Dass der „Teufel“ hinter der Verfolgung von Christen steckt und speziell ein Märtyrer gegen den „Teufel“ kämpft, ist seit 1 Petr. 5,8 ein verbreitetes Motiv der frühchristlichen Spiritualität; für Origenes vgl. etwa Cels. I 1 (GCS Orig. 1, 56); in Hiez. hom. 13,1 (GCS Orig. 8, 441 f.) mit Zitierung von Jes. 10,13 f.
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„Eine fremde Klugheit, so eine findet sich bei ihnen.“a Es gibt so etwas wie eine der Wahrheit fremde Klugheit, die von Gott vernichtet wird. Eine solche besitzt er, und deshalb meint er, er sei klug, und sagt: „Und mit Klugheit und Verstand will ich die Grenzen der Völker beseitigen und ihre Kräfte verzehren.“b So erstreckte sich sein Wirken auf alle Völker, doch befreite der Erlöser mit seinen Worten, die er an alle Völker richtete, diejenigen, die der Teufel unter all den Völkern gefangen hielt. „Und ihre Kräfte will ich verzehren.“ Er droht damit, unsere Kräfte zu rauben und sie denen zu übergeben, die gegen uns Krieg führen. Und tatsächlich kann man sehen, wie er dies bei einigen tut. Wenn man nämlich vom Teufel besiegt und Dämonen, bösen Geistern und feindlichen Mächten übergeben wird, was ist dann anderes geschehen, als dass der, der gesagt hatte: „Und ihre Kräfte will ich verzehren“, unsere Kräfte an sich genommen und uns verzehrt hat? „Und ich will die bewohnten Städte erschüttern.“c Auch damit droht der Teufel: Er sieht, die Städte sind bewohnt, die Kirchen Gottes, erbaut in Christus, dem Herrn, und ruft laut, er wolle sie erschüttern. Und schon oft hat er die bewohnten Städte durch Verfolgungen erschüttert,165 oft auch durch Skandale.166 Wir aber wollen versuchen, dank eines Fundamentes auf Felsd so zu werden, dass der, der sagt: „Ich will die bewohnten Städte erschüttern“, gar nicht in der Lage ist, uns mit seinen Stürmen und feindlichen Geistern zu erschüttern, und wir vielmehr bei allem, was passiert, einen festen Stand bewahren, da doch unser Haus auf dem Fels Jesus Christus ruht; „sein ist die Herrlichkeit und die Macht in alle Ewigkeit. Amen!“e
166 Als solche „Skandale“ hat Origenes nicht zuletzt häretische Abspaltungen empfunden, die er auf den „Teufel“ zurückführte; vgl. beispielsweise in Hier. hom. 5,16 f. (GCS Orig. 32, 46 f.); in Matth. comm. X 2 (GCS Orig. 10, 2); in Iob 41,19 frg. (PG 12, 1048 f.).
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HOMILIA IX. De eo, quod scriptum est: „Et audivi vocem Domini dicentis: Quem mittam, et quis ibit ad populum istum?“a Et transgrediens modica pervenit usque ad locum, in quo scriptum est: „Pete tibi signum a Domino Deo tuo in profundum aut in excelsum.“b „Et audivi vocem Domini dicentis: Quem mittam, et quis ibit ad populum istum? Et dixi: Ecce, ego sum, mitte me. Et ait: Vade et dic populo huic: Aure audietis et non intelligetis“ et reliqua.c De eo, qui nunc lectus est Isaiae prophetae sermo, oremus Deum, ut nobis gratiam largiatur et digna prophetico spiritu valeamus exponere. „Et audivi vocem Domini dicentis: Quem mittam?“d Postquam purgatus est labia prophetes, paratus suscepit ministerium Dei et dicit: „Ecce, ego sum, mitte me.“e Sed ut paratior esset ad hoc, meminerat vocis Moysi. Nam et ille eadem utens voce: „Mitte me“,f princeps populi iudexqueg factus et famulus Dei nuncupatus est.h Audivi autem ego quendam Hebraeum exponentem hunc locum atque dicentem, quia libenter quidem prophetes et paratus prophetiam suscepit ad populum ignorans, quae ei essent dicenda, porro audiens tristia, quae essent populo nuntianda, hoc est: „Aure audietis et non intelligetis“ et cetera,i in sequentibus pigrior fit; dicente ei voce Dei: „clama!“ respondit ei et dicit: „Quid clamabo?“j Arbitror autem haec prophetari de Salvatore, quia futurum erat, ut audientes non audirent et videntes non viderent.k Manifestius porro fiet, quod dicitur, si consulamus paululum locum: „Cernentes adspicietis et non videbitis.“l Istiusmodi est: Videbant quidem a h
b c d e f Jes. 6,8 Jes. 7,11 Jes. 6,8 f. Jes. 6,8 Jes. 6,8 Ex. 4,13 i j k l Jos. 1,13 u.ö. Jes. 6,9 Jes. 40,6 Mt. 13,13 Jes. 6,9
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167 Siehe hierzu oben S. 215 Anm. 40 zu in Is. hom. 2,2 (GCS Orig. 8, 251). 168 Die Negation des Originalzitats wird hier scheinbar geflissentlich übergangen. Danieli, CTePa 132, 169, hebt jedoch mit Recht hervor, dass der hebräische Text, wörtlich übersetzt: „Schick doch, durch wen du schicken magst!“ (I p. 161 Buber/Rosenzweig), die vorliegende Deutung durchaus zulässt. Zur Bedeutung dieser Stelle in der Diskussion über die Echtheit der Homilie siehe oben S. 24–26. 169 Siehe dazu oben S. 83 mit Anm. 341. Zur vorliegenden Stelle analoge Bemerkungen des Origenes sind notiert bei Bardy, Les traditions Juives 222 f. Von Origenes abhängig ist Hieronymus, in Es. III 8 (VL.AGLB 23, 322): Bardy, ebd. 239.
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Über das Schriftwort: „Und ich hörte die Stimme des Herrn, der sagte: Wen soll ich senden, und wer wird zu diesem Volk gehen?“a Und ein wenig später findet sich die Stelle, an der geschrieben steht: „Erbitte dir ein Zeichen vom Herrn, deinem Gott, in der Tiefe oder in der Höhe.“b „Und ich hörte die Stimme des Herrn, der sagte: Wen soll ich senden, und wer wird zu diesem Volk gehen? Und ich sagte: Siehe, da bin ich, sende mich! Und er sprach: Geh und sag diesem Volk: Hören, hören werdet ihr und nicht verstehen“ usw.c Was das Wort des Propheten Jesaja betrifft, das soeben vorgelesen worden ist, lasst uns Gott bitten, er möge uns seine Gnade schenken, damit uns eine des prophetischen Geistes würdige Auslegung167 gelingen kann. „Und ich hörte die Stimme des Herrn, der sagte: Wen soll ich senden?“d Nachdem der Prophet an den Lippen gereinigt worden war, nahm er den Auftrag Gottes bereitwillig an und sagt: „Siehe, da bin ich, sende mich!“e Um aber noch bereitwilliger daran zu gehen, rief er sich ein Wort des Mose in Erinnerung. Denn weil auch jener dieselben Worte gebraucht hat: „Sende mich!“,f 168 ist er zum Anführer und Richter des Volkesg gemacht und Diener Gottes genannt worden.h Ich selbst habe aber einmal einen Hebräer gehört,169 der bei der Auslegung dieser Stelle meinte, der Prophet habe sich zwar gern dazu bereit erklärt, dem Volk eine prophetische Botschaft zu überbringen, weil er noch in Unkenntnis darüber gewesen sei, was er ihm zu sagen hatte; als er dann aber die traurige Botschaft vernahm, die er dem Volk zu verkünden hatte, nämlich: „Hören, hören werdet ihr und nicht verstehen“ usw.,i sei er daraufhin weniger folgsam gewesen; als ihm die Stimme Gottes sagt: „Rufe laut!“, hält er ihm die Frage entgegen: „Was werde ich laut rufen?“j 170 Ich glaube, dass diese Prophezeiung im Blick auf den Erlöser davon spricht, dass sie in Zukunft hören und doch nicht hören und sehen und doch nicht sehen.k Noch klarer wird, was dort steht, wenn wir uns kurz die Stelle: „Wahrnehmen, hinschauen171 werdet ihr und nicht sehen“l anschauen. Damit ver-
170 Diese Deutung des „Hebräers“ steht auch bei Origenes, in Hier. hom. 20,2 (GCS Orig. 32, 179), und Hieronymus, epist. 18A,15 (CSEL 54, 93–96); in Es. III 8 (VL.AGLB 23, 322). 171 Der vorliegende Wortlaut des Zitats weicht von der in Is. hom. 6,1 (GCS Orig. 8,
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Homilia IX
tunc Iudaei caecos respicientes, rationem autem visionis ignorabant, audiebant parabolas, quas dissolvit secreto discipulis Salvator,a ipsi vero non audiebant nescientes, quae dicebantur; propter hoc testificans eos dixit: „Qui habet aures audiendi, audiat!“b Nec enim privati erant his auribus, ut non audirent, sed interiores eorum aures gravatae erant ad audiendum. Propter hoc praedicat iis et per prophetam futura praefatur dicens: „Aure audietis et non intelligetis, et cernentes adspicietis et non videbitis. Incrassatum est enim cor populi huius.“c Quid sit hoc, quod dicitur: „Incrassatum est enim cor populi huius“, inspiciamus. Omnis, qui in praesentis vitae curis versatur, cor incrassatum est; haud aliter iis, qui in saecularibus morantur, incrassatum est cor, quam si a spinis enecentur.d Idcirco pinguescit cor et non potest tenuioris spiritus suscipere notiones. Fugiamus ergo a talibus curis, ut attenuatum cor nostrum Deo acceptabile fiat. Fugiamus terrena negotia; ista sunt enim, quibus cor incrassatur. Propter hoc sermo Moysi subtilis erat (ut in Exodo scriptum est de eo),e quod ait: Quicumque fuerint propter tenuitatem eiusmodi mundo corde, isti Deum videbunt.f Talibus enim oculis Deus videtur. Tria sunt, quae dicuntur: „Incrassatum est enim cor populi huius“ et „auribus suis graviter audierunt“ et „oculos suos clauserunt.“g Possunt autem et aliter manifestius intelligi, quae dicuntur in loco. Multi enim hominum putant, inspicientes creaturas et mundum istum contemplantes, videre se ea. Et quid dico hominum? Ecce, volucres et quadrupedia vident solem et lunam et universum simul caelum cum stellarum choro, sed rationes eorum non intelligunt; soli vero iusti et sancti per sapientiae Dei rationem comprehendentes inspiciunt ea. Ideo in octavo Psalmo David dicit: „Quoniam videbo a g
Mk. 4,34 Jes. 6,10
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Mt. 13,9
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Jes. 6,9 f.
d
Mt. 13,7.22
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Ex. 4,10
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Mt. 5,8
269) zitierten Fassung (videntes cernetis) ab (siehe dazu oben S. 256 Anm. 105) und findet sich nur noch in epist. 18A des Hieronymus: siehe oben S. 27 mit Anm. 130. Im Hintergrund dieser Erklärung steht Joh. 9, die Heilung eines Blinden und ein anschließendes Streitgespräch zwischen Jesus und den Pharisäern. Zur Unterscheidung zwischen Tatsachen und Ursachen in der Heilsgeschichte siehe oben S. 219 Anm. 45 zu in Is. hom. 3,1 (GCS Orig. 8, 253) und S. 263 Anm. 116 zu ebd. 6,3 (8, 272). Zur Deutung dieser Bibelstelle bei Origenes siehe oben S. 262 Anm. 114 zu ebd. 6,3 (8, 271). Für diese Unterscheidung siehe oben S. 289 Anm. 151 zu ebd. 7,3 (8, 283). Weil omnis sich nicht auf cor beziehen kann, ist analog zum folgenden iis mögli-
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hält es sich so: Die Juden sahen damals natürlich, wie Blinde wieder sehen konnten; eine Erklärung für das, was sie sahen, hatten sie aber nicht.172 Sie hörten die Gleichnisse, die der Erlöser den Jüngern im Geheimen erklärte,a 173 aber sie hörten auch nicht, insofern sie nicht wussten, was er sagte; deshalb richtete sich sein Zeugnis gegen sie, als er sagte: „Wer Ohren hat zu hören, soll hören!“b Denn ihnen fehlten nicht diese Ohren hier, so dass sie gar nicht hätten hören können, sondern ihre inneren Ohren waren zu schwerfällig, um zu hören.174 Deshalb sagt er ihnen durch den Mund des Propheten ausdrücklich voraus, was geschehen wird: „Hören, hören werdet ihr und nicht verstehen; wahrnehmen, hinschauen werdet ihr und nicht sehen. Verfettet ist nämlich das Herz dieses Volkes.“c Schauen wir uns an, was das heißt: „Verfettet ist nämlich das Herz dieses Volkes.“ Jeder,175 der sich mit den Sorgen des gegenwärtigen Lebens befasst, hat ein verfettetes Herz; ebenso haben diejenigen, die sich mit weltlichen Dingen beschäftigen, ein verfettetes Herz, als ob sie von Dornen langsam zu Tode gebracht würden.d Deshalb wird ein Herz fett und unempfänglich für feinere geistige Gehalte.176 Fliehen wir also vor solchen Sorgen, auf dass unser Herz fein und Gott genehm werde! Fliehen wir vor weltlichen Beschäftigungen, sind sie es doch, durch die das Herz verfettet! Deshalb war die Rede des Mose fein177 (wie im Buch Exodus über ihn geschrieben steht),e heißt es doch: Alle, die ein feines Wesen haben und deshalb reinen Herzens sind, die werden Gott schauen.f Denn mit solchen Augen schaut man Gott. Von dreierlei ist die Rede: „Verfettet ist nämlich das Herz dieses Volkes“, „mit den Ohren hörten sie schwer“ und „ihre Augen haben sie verschlossen.“g Es ließe sich aber auch auf andere Weise noch klarer begreifen, was an dieser Stelle gesagt wird. So sind viele Menschen, wenn sie den Blick auf die Geschöpfe richten und diese Welt betrachten, der Ansicht, sie sähen all dies. Doch was rede ich von Menschen? Siehe: Vögel und Vierbeiner sehen die Sonne, den Mond und zugleich den ganzen Himmel mit seinem Sternenreigen, doch die Gründe für all dies begreifen sie nicht; allein die Gerechten und Heiligen blicken auf all dies und begreifen es dank der Weisheit Gottes.178 Deshalb sagt David im achten Psalm: „Denn ich cherweise omni (so V. Peri, Tradizione manoscritta 218 mit Anm. 1) oder, wie die beiden Delarue vorgeschlagen haben, omnibus zu schreiben; die Lesart omnis qui kann jedoch als Attraktion des Nomens an das folgende Relativpronomen erklärt werden: Baehrens, GCS Orig. 8, 289 app. crit. 176 Dieselbe Erklärung gab Origenes ausführlicher in Is. hom. 6,5 (GCS Orig. 8, 275 f.). 177 Lateinisch subtilis (Hieronymus übersetzte in der Vulgata: inpeditioris et tardioris linguae sum [p. 80 Weber/Gryson]), griechisch wohl iÆsxnoÂw, „vertrocknet“, „schmächtig“, hier angeführt in Anlehnung an Moses Eigencharakterisierung in Ex. 4,10 als iÆsxnoÂfvnow (I p. 91 Rahlfs), doch im Kontext der Predigt positiv gewendet. Siehe auch oben S. 26 f. 178 Vgl. dazu die ausführlichere Darstellung in princ. II 11,4 (GCS Orig. 5, 187), in der
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Homilia IX
caelos tuos, opera digitorum tuorum, lunam et stellas, quas tu fundasti.“a Quid enim nunc propheta non videt caelum et lunam? Sed hoc, quod ait: „Videbo“, si consideremus, poterimus intelligere. a
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die Bedeutung der rationes, der „Gründe“ oder tieferen „Erklärungen“ hinter dem bewunderten Phänomen, näher entfaltet wird: „Ebenso ist bei den Werken Gottes, die von ihm erschaffen sind, anzunehmen, dass die Planung und der Sinn (ratio et intellegentia) des Geschaffenen, das wir sehen, im Verborgenen bleiben. Wenn ferner unser Auge das von einem Künstler Gemachte sieht und erkennt, dass etwas Besonders meisterhaft gemacht ist, so brennt der Geist sogleich darauf, in Erfahrung zu bringen, wie, auf welche Weise, zu welchem Zweck es gemacht sei. Erst recht und über allen Vergleich hinaus brennt unser Geist von unaussprechlichem Verlangen, den Plan dessen kennenzulernen (agnoscere rationem), was wir als Gottes Werk erkennen. Diese Sehnsucht, dieses Verlangen, so glauben wir, ist sicherlich von Gott in uns hineingelegt; und wie das Auge von Natur nach dem Licht und dem Sehen begehrt und unser Körper von Natur nach Speise und Trank verlangt, so hat unser
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werde deine Himmel sehen, die Werke deiner Finger, den Mond und die Sterne, die du selbst befestigt hast.“a Warum sieht denn der Prophet nicht schon jetzt den Himmel und den Mond? Aber wenn wir uns seine Aussage: „Ich werde sehen“ genau anschauen, werden wir verstehen können.179
Geist ein ihm eigenes natürliches Verlangen, die Wahrheit Gottes zu wissen und die Gründe der Dinge (rerum causas) zu erkennen“; Übersetzung: p. 445–447 Görgemanns/Karpp mit Modifizierungen. 179 Der Text bricht mitten im Gedankengang ab. In den meisten Handschriften ist, inhaltlich unsinnig, der Schluss der neunten griechischen Jeremiahomilie in der Übersetzung des Hieronymus (in der sie als sechste gezählt wird) angehängt: Conversi sunt ad iniquitates. Quorum? ... in saecula saeculorum. Amen! (PG 13, 355–358). In einer Handschrift des 15. Jahrhunderts (Codex Vindobonensis 3925) ist folgendes nach intellegere ergänzt: „..., das heißt, ich werde sehen, wie die Heiligen sich durch das Geschenk deines Geistes von der Erde erheben und in gewisser Weise zu himmlischen Wesen werden, so dass sie hoch oben in der Höhe der Mächte mit dem Apostel sagen können: ,Unsere Heimat ist im Himmel‘ (Phil. 3,20).“
Anhang
308
Fragmenta Fragmentum I. Pamphilus, Apologia pro Origene 116 (SC 464, 192 bzw. FC 80, 336) Sicut enim, cum unus sit Spiritus sanctus, tanti per singulos dicuntur spiritus sancti, quanti sunt hi, qui habent in se Spiritum sanctum, ita et de Christo dicendum est; ab uno enim Christo multi christi fiunt, de quibus dicit Scriptura: „Nolite tangere christos meos et in prophetis meis nolite malignari“;a sic et ab uno Deo multi dii dicuntur, omnes scilicet hi, in quibus habitat Deus,b sed „nobis unus est Deus Pater, ex quo omnia“.c Unus ergo est verus Deus, qui, ut ita dixerim, praestator est deitatis et unus Christus factor christorum et unus Spiritus sanctus, qui per singulas animas sanctorum facit Spiritum sanctum. Christus vero, sicut per hoc, quod Christus est, christos facit, ita et per hoc, quod Filius Dei est et Filius proprius unigenitus, omnes eos, qui percipiunt ab eo spiritum adoptionis, filios Dei facit.
Fragmentum II. Pamphilus, Apologia pro Origene 137 (SC 464, 220–224 bzw. FC 80, 356–358) Melius est ergo dicere, quod omnes quidem resurgemus,d ut et impii veniant in illum locum, ubi fletus est et stridor dentium,e et iusti, ubi recipient unus quisque in suo ordinef secundum meritum bonorum gestorum suorum, cum transformabitur corpus humilitatis eorum, ut sit conforme corpori gloriae Christi.g Quod seminatur quidem in corruptione, surget in incorruptione; quod seminatum est in ignominia, surget in gloria; quod seminatum est in infirmitate, surget in virtute [resurrectionis scilicet tempore] et quod seminatum est corpus animale, surget corpus spiritale.h Licet ergo omnes resurgant et unus quisque in suo ordine resurgat, considerandum a e
1
b c Ps. 104(105),15 Ps. 81(82),6, zitiert in Joh. 10,34 1 Kor. 8,6 f g h Lk. 13,28 1 Kor. 15,23 Phil. 3,21 1 Kor. 15,42–44
Übersetzung in Anlehnung an Röwekamp, FC 80, 337.
d
1 Kor. 15,51
309
Fragmente Fragment 1. Pamphilus, Apologie für Origenes 116 Denn obwohl es nur einen Heiligen Geist gibt, spricht man doch von so vielen einzelnen heiligen Geistern, wie es Menschen gibt, die den Heiligen Geist in sich haben. So muss man auch von Christus sprechen. Denn von einem Gesalbten (Christus) stammen viele Gesalbte (Christen) ab, von denen die Schrift sagt: „Rührt meine Gesalbten nicht an und tut meinen Propheten nichts zuleide!“a So spricht man auch von vielen Göttern aus einem Gott, nämlich von allen, in denen Gott wohnt,b und „doch haben wir nur einen Gott, den Vater, aus dem alles ist“.c Ein einziger ist also der wahre Gott, sozusagen der Gewährleister der Göttlichkeit, und ein einziger Gesalbter ist Schöpfer der Gesalbten, und ein einziger Heiliger Geist erschafft in den einzelnen Seelen der Heiligen heiligen Geist. Wie nun Christus dadurch, dass er der Gesalbte ist, Menschen zu Gesalbten macht, so macht er auch dadurch, dass er Sohn Gottes, und zwar eigener und einziggezeugter Sohn ist, alle, die von ihm den Geist der Kindschaft erhalten, zu Söhnen Gottes.1
Fragment 2. Pamphilus, Apologie für Origenes 137 Also ist es besser zu sagen, dass wir alle auferstehen werden,d so dass die Gottlosen an den Ort gelangen, wo Heulen und Zähneknirschen ist,e die Gerechten aber an den Ort, wo jeder der Reihe nachf den Lohn entsprechend seinen guten Taten erhalten wird, wenn ihr armseliger Leib in die Gestalt des verherrlichten Leibes Christi verwandelt werden wird.g Denn was gesät ist in Verweslichkeit, steht auf in Unverweslichkeit; was gesät ist in Armseligkeit, steht auf in Herrlichkeit; was gesät ist in Schwachheit, steht auf in Kraft [zur Zeit der Auferstehung natürlich],2 und was gesät ist als irdischer Leib, steht auf als geistiger Leib.h Aber auch wenn alle auferstehen und jeder der Reihe nach aufersteht, muss man doch wegen der Aussage des Johannes in der Offenbarung: „Selig, wer an der ersten Auferstehung teil2
Die Worte in Klammern werden von Amacker/Junod, SC 464, 220 app. crit., als späterer Einschub getilgt.
310
Fragmenta
est tamen propter illum sermonem Iohannis, quem in Revelatione sua dixit: „Beatus, qui habet partem in prima resurrectione, in hoc secunda mors non habet potestatem“,a ne forte dividi possit omnis resurrectionis ratio in duas partes, id est in eos, qui salvandi sunt iustos et in eos, qui cruciandi sunt peccatores, ut sit una quidem bonorum, quae dicitur prima, illa vero, quae est miserorum secunda dicatur, et illam quidem in omnibus esse puram, hilarem, totius plenam laetitiae, illam vero alteram totam tristem, totam maeroris plenam et actibus ac vitae eorum dignam, qui in praesenti vita Dei mandata contempserint et iudicii eius timore neglecto semet ipsos tradiderint in operationem totius immunditiae et avaritiae nec se praeparare conati sint, ut resistere adversario possent adversus contrarias atque inimicas humano generi potestates. Sepulcra autem mortuorum in hoc locob sicut et in multis aliis secundum certiorem Scripturae sensum accipienda sunt non ea solum, quae ad depositionem humanorum corporum videntur esse constructa vel in saxis excisa aut in terra defossa, sed omnis locus, in quocumque vel integrum humanum corpus vel ex parte aliqua iacet; etiam si accidat, ut unum corpus per loca multa dispersum sit, absurdum non erit omnia ea loca, in quibus pars aliqua corporis iacet, sepulcra eius corporis dici. Si enim non ita accipiamus resurgere de sepulcris suis mortuos divina virtute, qui nequaquam sunt sepulturae mandati nec in sepulcris depositi sed sive naufragiis sive in desertis aliquibus defuncti sunt locis, ita ut sepulturae mandari non potuerint, non videbuntur adnumerari inter eos, qui de sepulcris resuscitandi dicuntur; quod utique valde absurdum est.
Fragmentum III. Pamphilus, Apologia pro Origene 139 (SC 464, 224 bzw. FC 80, 358) Cum ergo Paulus scribit, quod, „sicut stella ab stella differt in gloria, ita erit et resurrectio mortuorum“,c et dicit, quod „seminatur in corruptione, surget in incorruptione“d et cetera huius modi, manifeste haec de solo corpore scribit; non enim anima seminata est in corruptione aut in infirmitate aut in ignominia. Denique evidenter adiungit his omnibus et dicit: „Seminatur corpus animale“,e ut ne quis putaret animam esse, quae seminatur in corruptione vel in ignominia vel in infirmitate. a
3
Offb. 20,6
b
Jes. 26,19
c
1 Kor. 15,41 f.
d
1 Kor. 15,42
e
1 Kor. 15,44
Siehe dazu oben S. 297 Anm. 164 zu in Is. hom. 8,2 (GCS Orig. 8, 287).
Fragmente 2–3
311
hat; über ihn hat der zweite Tod keine Macht“,a überlegen, ob nicht das ganze Geschehen der Auferstehung in zwei Teile geteilt werden kann: auf der einen Seite die Gerechten, die gerettet werden, auf der anderen Seite die Sünder, die gepeinigt werden, so dass es eine Auferstehung der Guten gibt, genannt die erste, und eine der Unglücklichen, genannt die zweite. Die eine ist in jeder Hinsicht rein, heiter und ganz voll Freude, die andere aber vollkommen traurig, voll von aller Betrübnis und dem Leben und den Taten derer angemessen, die im gegenwärtigen Leben die Gebote Gottes missachtet haben, die sich ohne Furcht vor seinem Gericht vollkommen unreinen und habgierigen Taten überlassen und nicht versucht haben, sich vorzubereiten, um dem Widersacher gegen die dem Menschengeschlecht feindlichen Mächte widerstehen zu können.3 Mit den Gräbern der Verstorbenen sind an dieser Stelleb wie auch an vielen anderen, dem eindeutigen Sinn der Schrift zufolge, nicht nur die gemeint, die für die Bestattung der menschlichen Leiber errichtet worden sind – ob nun in den Fels gehauen oder in die Erde gegraben –, sondern alle Orte, an denen ein ganzer menschlicher Leib oder ein Teil davon ruht. Auch wenn ein Leib an vielen Stellen verstreut sein sollte, ist es nicht falsch, alle Stellen, an denen ein Teil des Leibes ruht, Gräber seines Leibes zu nennen. Denn würden wir annehmen, dass die, die nicht begraben und nicht in Gräbern bestattet wurden, sondern durch Schiffbruch oder in einsamen Wüsten umgekommen sind und deshalb nicht begraben werden konnten, nach dem Tod nicht durch Gottes Kraft aus ihren Gräbern auferstehen, rechneten wir sie offenbar nicht zu denen, von denen es heißt, dass sie aus den Gräbern auferstehen werden. Das wäre allerdings reichlich unsinnig.4
Fragment 3. Pamphilus, Apologie für Origenes 139 Wenn also Paulus schreibt: „Wie sich Stern von Stern im Glanz unterscheidet, so wird es auch bei der Auferstehung der Toten sein“,c und wenn er sagt: „Er wird gesät in Verweslichkeit, er steht auf in Unverweslichkeit“,d und das übrige in diesem Sinne, dann schreibt er das offenkundig nur über den Leib; denn die Seele ist nicht gesät in Verweslichkeit, Schwachheit oder Armseligkeit. Schließlich fügt er all diesem deutlich hinzu: „Gesät wird ein irdischer Leib“,e damit niemand meine, es sei die Seele, die gesät wird in Verweslichkeit, Armseligkeit oder Schwachheit.5
4 5
Übersetzung nach Röwekamp, FC 80, 357–359. Übersetzung nach ebd. 359.
312
Fragmenta
Fragmentum IV. (Pitra, Analecta sacra III, 538) „ÏOti kaiÁ aÆpo Á tv Ä n teÂknvn soy, v Î n gennhÂseiw, lhÂcontai kaiÁ poihÂsoysi spaÂdontaw eÆn tv Äì oiÍkvì toy Ä basileÂvw tv Ä n BabylvniÂvn.“a SpaÂdontew eyÆnoy Ä xoi eiÆsi. LeÂgetai de Á toy Ä to periÁ tv Ä n triv Ä n paiÂdvn kaiÁ DanihÂl,b vëw eÆj toyÂtoy ÆEzexiÂoy hËsan.
Fragmentum V. (Pitra, Analecta sacra III, 538) „OyÏtvw leÂgei KyÂriow´ ëO oyÆranoÂw moy uroÂnow, kaiÁ hë ghÄ yëpopoÂdion tv Ä n podv Ä n moy.“c ëO oyÆranoÂw moi uroÂnow, hë de Á gh Ä yëpopoÂdion tv Än podv Ä n moy´ oyÆx oië toÂpoi, aÆllÆ oië eÆn toiÄw toÂpoiw. ëYpopoÂdioÂn eÆstin hë gh Ä dia Á th Á n megaÂlhn kiÂnhsin kaiÁ th Á n pollh Á n oëdoÂn. a
Jes. 39,7
b
Dan. 1,3–6
c
Jes. 66,1
Fragmente 4–5
313
Fragment 4 „Auch von deinen Söhnen, die du zeugen wirst, werden sie einige nehmen und zu Kastraten im Haus des Königs der Babylonier machen.“a Kastraten sind Eunuchen. Berichtet aber wird das von den drei jungen Männern und Daniel,b als entstammten sie diesem Hiskija.
Fragment 5 „So spricht der Herr: Der Himmel ist mein Thron, und die Erde Schemel für meine Füße.“c Der Himmel dient mir als Thron, die Erde aber als Schemel für meine Füße – nicht die Orte, sondern die (geistigen) Wesen an den Orten. Schemel ist die Erde aufgrund der ungeheuren Bewegung und des langen Weges.
314
Testimonia Origenes, Contra Celsum VII 11 (GCS Orig. 2, 162) EiÆko Á w me Á n oyËn eiËnai loÂgoyw pollv Äì th Ä w hëmeteÂraw eÏjevw sofvteÂroyw, toy Á w dynameÂnoyw aÆpodeiknyÂnai ceydoÂmenon eÆn toyÂtoiw to Á n KeÂlson kaiÁ eÆnueÂoyw ta Á w profhteiÂaw´ plh Á n kaiÁ hëmeiÄw kata Á to Á dynato Á n hëmiÄn pepoihÂkamen, „ta Á “, v Ï w fhsi KeÂlsow, „paÂroistra kaiÁ paÂnthì aÍdhla“ pro Áw leÂjin dihghsaÂmenoi eÆn toiÄw pragmateyueiÄsin hëmiÄn eiÆw to Á n ëHsaiÉan kaiÁ eiÆw to Á n ÆIezekih Á l kaiÁ eiÍw tinaw tv Ä n dvÂdeka. ueoy Ä de Á didoÂntow th Á n eÆn tv Äì loÂgvì ayÆtoy Ä prokoph Á n kauÆ oyÊw boyÂletai xroÂnoyw prosteuhÂsetai toiÄw hÍdh eiÆw tay Ä ta yëpagoreyueiÄsin hÍtoi ta Á leiÂponta hà oÏsa gÆ aÃn fuaÂsvmen safhniÂsai.
Eusebius, Historia ecclesiastica VI 32,1 (GCS Eus. 2, 586) KaiÁ ÆVrigeÂnei de Á kata Á toy Ä ton to Á n xroÂnon ta Á eiÆw to Á n ëHsaiÉan, eÆn tayÆtv Äì de Á kaiÁ ta Á eiÆw to Á n ÆIezekih Á l synetaÂttetoÇ v Î n eiÆw me Á n to Á triÂton meÂrow toy Ä ëHsaiÉoy meÂxri th Ä w oëraÂsevw tv Ä n tetrapoÂdvn tv Ä n eÆn th Äì eÆrhÂmvì triaÂkontaa eiÆw hëma Ä w perih Ä luon toÂmoi, eiÆw de Á to Á n ÆIezekih Á l peÂnte kaiÁ eiÍkosi, oyÊw kaiÁ moÂnoyw eiÆw to Á n paÂnta pepoiÂhtai profhÂthn.
In Isaiam 58 (GCS Eus. 9, 73) ÆIsteÂon dÆ vëw meÂxri toyÂtvnb ÆVrigeÂnei proh Ä luen oë eëndeÂkatow tv Ä n eiÆw to Á n profhÂthn eÆjhghtikv Ä n toÂmow. a
6
Jes. 30,6 f.
b
Jes. 10,11
Kelsos bei Origenes, Cels. VII 9 (GCS Orig. 2, 161), warf den Propheten „unverständliche, verrückte und ganz unklare Worte“ vor, „deren Sinn kein Verständiger herausbringen könnte; denn sie sind dunkel und nichtssagend, geben aber jedem Toren und Betrüger in jeder Hinsicht eine Handhabe, das Gesagte so, wie er will, sich anzueignen“ (wiederholt in ebd. 10 [2, 162]); Übersetzung: Koetschau, BKV2 I 53, 220 (bzw. 221 f.).
315
Zeugnisse Origenes, Gegen Kelsos VII 11 Wahrscheinlich gibt es nun viel weisere Worte, als unsere Fähigkeit sie bieten kann, um den Nachweis zu erbringen, dass Kelsos hier die Unwahrheit sagt und dass die Weissagungen von Gott eingegeben sind.6 Indessen haben auch wir dies, so gut wir konnten, getan und in unseren Auslegungen des Jesaja, Ezechiel und einiger der zwölf kleinen Propheten jene Stellen, die Kelsos als „verrückt und ganz unklar“ bezeichnet, nach ihrem Wortlaut eingehend erklärt. Und wenn uns Gott zu der ihm gefälligen Zeit ein tieferes Verständnis seines Wortes verleiht, so soll zu den schon fertigen Auslegungen entweder das Fehlende, oder wenigstens soviel wir dann noch erläutert haben, hinzugesetzt werden.7
Eusebius, Kirchengeschichte VI 32,1 Um diese Zeit8 verfasste Origenes seine Erklärungen zu Jesaja, ebenso die zu Ezechiel. 30 Bücher zu Jesaja, welche bis zum dritten Teil, das heißt bis zur Erscheinung der vierfüßigen Tiere in der Wüste,a reichen, sind auf uns gekommen, ebenso 25 zu Ezechiel; nur so viele Bücher hatte er zum ganzen Propheten geschrieben.9
Jesajakommentar 58 Es sei vermerkt, dass das elfte Buch der Auslegungen des Origenes zum Propheten bis hierherb reichte.
7 8 9
Übersetzung: Koetschau, ebd. 220 f. Siehe hierzu oben S. 4. Nämlich zur Zeit Gordians III. (Januar/Februar 238 – Anfang 244); vgl. Eusebius, hist. eccl. VI 29,1 (GCS Eus. 2, 582). Übersetzung nach p. 302 Haeuser/Gärtner. Die letzte Bemerkung bezieht sich nur auf den Ezechielkommentar, denn im folgenden Satz berichtet Eusebius, dass Origenes diesen Kommentar während eines darauf folgenden Aufenthalts in Athen vollendet hat: hist. eccl. VI 32,2 (GCS Eus. 2, 582).
316
Testimonia
In Isaiam 60 (GCS Eus. 9, 77) ÆIsteÂon dÆ vëw meÂxri toyÂtvna ÆVrigeÂnei proh Ä luen oë dvdeÂkatow tv Ä n eiÆw to Án profhÂthn eÆjhghtikv Ä n toÂmow.
In Isaiam 66 (GCS Eus. 9, 99) ÆIsteÂon dÆ vëw meÂxri toyÂtvnb ÆVrigeÂnei proh Ä luen oë pentekaideÂkatow tv Ä n eiÆw to Á n profhÂthn eÆjhghtikv Ä n toÂmow.
In Isaiam 68 (GCS Eus. 9, 101) ÆIsteÂon dÆ vëw meÂxri toyÂtvnc ÆVrigeÂnei proh Ä luen oë eëjkaideÂkatow tv Ä n eiÆw to Án profhÂthn eÆjhghtikv Ä n toÂmow.
In Isaiam 68 (GCS Eus. 9, 103) ÆIsteÂon dÆ vëw meÂxri toyÂtvnd ÆVrigeÂnei proh Ä luen oë eëptakaideÂkatow tv Ä n eiÆw to Á n profhÂthn eÆjhghtikv Ä n toÂmow.
In Isaiam 71 (GCS Eus. 9, 111) ÆIsteÂon dÆ vëw meÂxri toyÂtvne ÆVrigeÂnei proh Ä luen oë eÆnneakaideÂkatow tv Ä n eiÆw to Á n profhÂthn eÆjhghtikv Ä n toÂmow.
In Isaiam 98 (GCS Eus. 9, 195) ÆIsteÂon dÆ vëw meÂxri toyÂtvnf ÆVrigeÂnei proh Ä luen oë triakosto Á w tv Ä n eiÆw to Án profhÂthn eÆjhghtikv Ä n toÂmow. a
Jes. 10,23
b
Jes. 13,16
c
Jes. 14,5
d
Jes. 14,19
e
Jes. 16,8a
f
Jes. 30,5
10 Zum Problem der Notizen zum Ende des 16., 17. und 19. Buches siehe oben S. 15.
Zeugnisse
317
Jesajakommentar 60 Es sei vermerkt, dass das zwölfte Buch der Auslegungen des Origenes zum Propheten bis hierhera reichte.
Jesajakommentar 66 Es sei vermerkt, dass das 15. Buch der Auslegungen des Origenes zum Propheten bis hierherb reichte.
Jesajakommentar 68 Es sei vermerkt, dass das 16. Buch der Auslegungen des Origenes zum Propheten bis hierherc reichte.
Jesajakommentar 68 Es sei vermerkt, dass das 17. Buch der Auslegungen des Origenes zum Propheten bis hierherd reichte.
Jesajakommentar 71 Es sei vermerkt, dass das 19. Buch der Auslegungen des Origenes zum Propheten bis hierhere reichte.10
Jesajakommentar 98 Es sei vermerkt, dass das 30. Buch der Auslegungen des Origenes zum Propheten bis hierherf reichte.
318
Testimonia
Codex 393mg (Ziegler, GCS Eus. 9, XXXIII) ÆIsteÂon vëw meÂxri toyÂtvna proh Ä luen ÆVrigeÂnei oë eÏbdomow (oÍgdoow) tv Ä n eiÆw to Á n profhÂthn eÆjhghtikv Ä n toÂmow.
Codex Qmg (Gryson/Szmatula, Les commentaires patristiques 16 Anm. 61) Oië gÆ stiÂxoi oië yëpokeiÂmenoib oyÆk eÆkeiÄnto eÆn tv Äì pentaseliÂdvì oyÆde Á ÆVr. eÆjhgoyÂmenow toyÂtvn eÆmnhÂsuh.
(Gryson/Szmatula, Les commentaires patristiques 16 Anm. 62; Ziegler, GCS Eus. 9, XXXIV) ToyÂtvn tv Ä n hÆsterismeÂnvnc ÆVrigeÂnhw vëw tv Ä n o meÂmnhtai eÆn tv Äì ke toÂmvì tv Ä n eiÆw to Á n ëHsaiÉan.
Hieronymus, In Esaiam I 1 (VL.AGLB 23, 137 f.) Scripsit enim in hunc prophetam iuxta editiones quattuor usque ad visionem quadrupedum in desertod Origenes triginta volumina, e quibus vicesimus sextus liber non invenitur. Feruntur et alii sub nomine eius de visione tetrapoÂdvn duo ad Gratam libri, qui pseudepigraphi putantur, et viginti quinque homiliae et shmeivÂseiw, quas nos excerpta possumus appellare.
a
Jes. 6,5 bzw. 7,9
b
Jes. 3,24
c
Jes. 23,13
d
Jes. 30,6 f.
11 Siehe dazu oben S. 15 f. 12 Zu diesen beiden Bemerkungen siehe oben S. 16 f. mit Anm. 72 und 76.
Zeugnisse
319
Codex 393mg Es sei vermerkt, dass das siebte (achte) Buch der Auslegungen des Origenes zum Propheten bis hierhera reichte.11
Codex Qmg Die vorliegenden Verseb lagen in der Hexapla nicht vor und auch Origenes erwähnte sie in seiner Auslegung nicht.
Diese mit einem Asteriskos versehenen Wortec erwähnt Origenes im 25. Band des Kommentars zu Jesaja als Teil des Septuagintatextes.12
Hieronymus, Jesajakommentar I 1 Origenes verfasste nämlich über diesen Propheten (sc. Jesaja) auf der Basis der vier Ausgaben bis zur Vision der Vierfüßigen in der Wüsted dreißig Bände, von denen das 26. Buch nicht auffindbar ist. Ferner sind unter seinem Namen über die Vision der Vierfüßigen zwei andere Bücher an Grata überliefert, deren Zuschreibung an ihn als falsch gilt, dazu fünfundzwanzig Homilien und Anmerkungen (Scholien), die wir als Auszüge (Glossen) bezeichnen können.13
13 Erläuterungen zu diesem Text siehe oben S. 5.
320
Testimonia
In Esaiam I 66 (VL.AGLB 23, 216) Origenes hunc locum ita interpretatus est: Quia singulariter de uno homine dicitur, referri potest et ad dominum salvatorem iubente propheta, ut quiescant ab eo, qui in magno aliquo reputatus est, licet impraesentiarum videatur ut homo et spiramen habere in naribus, sicut et ceteri spirant homines.
In Esaiam III 9 (VL.AGLB 23, 325) Quod si aliquis dixerit Hebraeos libros postea a Iudaeis esse falsatos, audiat Origenem, quid in octavo volumine explanationum Esaiae huic respondeat quaestiunculae, quod numquam dominus et apostoli, qui cetera crimina arguunt in scribis et pharisaeis, de hoc crimine, quod erat maximum, reticuissent.
Apologia contra Rufinum I 13 (CChr.SL 79, 12 f.) Ipse Origenes et Eusebius et Clemens aliique conplures, quando de scripturis aliqua disputant et volunt approbare, quod dicunt, sic solent scribere: „Referebat mihi Hebraeus“; et: „Audivi ab Hebraeo“; et: „Hebraeorum ista sententia est“. Certe Origenes etiam patriarchen Hiullum, qui temporibus eius fuit, nominat; et tricesimum tomum in Esaiam, in cuius fine edisserit: „Vae tibi, civitas Ariel, quam expugnavit David“,a illius expositione concludit; et cum aliter prius sensisse se dicat, doctum ab illo, id, quod est verius, confitetur. a
Jes. 29,1
14 Jes. 2,22 gemäß der lateinischen Fassung im Kommentar des Hieronymus: „Lasst also ab von dem Menschen, dessen Atem in seiner Nase ist, denn er selbst wird als erhaben erachtet.“ Schon Hieronymus, in Es. I 66 (VL.AGLB 23, 213 f.), wies darauf hin, dass dieser Vers in der Septuaginta fehlt und von Origenes in der Hexapla aus der Ausgabe des Aquila, versehen mit einem Asteriskos, hinzugefügt wurde.
Zeugnisse
321
Jesajakommentar I 66 Origenes hat diese Stelle14 so interpretiert: Weil im Singular von einem einzigen Menschen die Rede ist, kann sie auch auf den Herrn, den Erlöser, bezogen werden; der Prophet befiehlt, sie sollen ablassen von dem, der für etwas Großes erachtet wird, mag er auch momentan wie ein Mensch erscheinen und Atem in der Nase haben wie die übrigen Menschen, die atmen.
Jesajakommentar III 9 Sollte freilich jemand sagen, die hebräischen Bücher seien später von den Juden verfälscht worden,15 möge er hören, was Origenes im achten Band seiner Auslegung des Jesaja auf dieses nicht so große Problem geantwortet hat: Nie hätten der Herr und die Apostel, die den Schriftgelehrten und Pharisäern ihre anderen Vergehen sämtlich zum Vorwurf machten, dieses Vergehen, das doch das größte wäre, verschwiegen.
Apologie gegen Rufinus I 13 Origenes selbst, Eusebius, Clemens und etliche andere Exegeten pflegen, wenn sie irgendein biblisches Problem erörtern und ihre Aussagen bekräftigen wollen, Folgendes zu schreiben: „Ein Hebräer hat mir erzählt“; und: „Ich habe von einem Hebräer gehört“; und: „Das ist die Ansicht der Hebräer“. Origenes jedenfalls nennt sogar den Patriarchen Hiullus, der zu seiner Zeit lebte; und den 30. Band über Jesaja, an dessen Ende er den Vers erörtert: „Weh dir, Stadt Arie¨l, die David erstürmt hat!“,a schließt er mit dessen Auslegung ab; und während er, wie er sagt, früher anderer Meinung war, lässt er sich von ihm belehren und vertritt das, was wahrer ist.16
15 Anlässlich der textlichen Abweichungen zwischen hebräischer und griechischer Fassung von Jes. 6,9 f. diskutierte Hieronymus Zitate im Neuen Testament aus dem Alten, die zwar in der Septuaginta, aber nicht im hebräischen Bibeltext stehen. 16 Siehe dazu oben S. 12f.
322
Hieronymus, Epistula XVIII B (CSEL 54, 97–103) Ad Damasum.
98
1. Septuaginta: „Et missum est ad me unum de Seraphim“; Aquila et Theodotion: „Et volavit ad me unum de Seraphim“; Symmachus: „Et volavit ad me unus de Seraphim“.a Cotidie ad nos mittitur Seraphim, cotidie ingemescentium atque dicentium: „O miser ego, quoniam conpunctus sum“,b ora purgantur et, cum a peccatis fuerint liberati, praeparant se ministerio dei. Quod autem ceteri interpretes pro „missum esse“ „volasse“ dixerunt, intellege velocem divini sermonis adventum super eos, qui digni societate illius iudicantur. In genere quoque diversitas est. Septuaginta, Aquila et Theodotion Seraphim neutro genere transtulerunt, Symmachus masculino. Nec putandum sexum esse in virtutibus dei, cum etiam ipse Spiritus sanctus secundum proprietates linguae Hebraeae feminino genere proferatur „ruach“, Graece neutro to Á pney Ä ma, Latine masculino „spiritus“. Ex quo intellegendum est, quando de superioribus disputatur et masculinum aliquid seu femininum ponitur, non tam sexum significari, quam idioma sonare linguae; siquidem ipse Deus invisibilis et incorruptibilis omnibus paene linguis profertur genere masculino et cum in eum non cadat sexus. Illorum quoque, pius licet, attamen coarguendus error, qui in orationibus et oblationibus suis audent dicere: „Qui sedes super Cherubim et Seraphim“. Nam et super Cherubim scriptum est sedere Deum, ut ibi: „Qui sedes super Cherubim, ostendere“,c super Seraphim vero sedere Deum nulla scriptura a
Jes. 6,6
b
Jes. 6,5
c
Ps. 79(80),2
17 Nautin, Le „De seraphim“ 284–290, hält die Adressierung an Bischof Damasus von Rom (366–384) für fiktiv und datiert den Text in das Jahr 387. Mit Gryson/Szmatula, Les commentaires patristiques 10 (mit Anm. 35). 19 f., ist eine Abfassung in Konstantinopel im Jahre 380 allerdings wahrscheinlicher. Sollte es sich um einen bearbeiteten Auszug aus dem Jesajakommentar des Origenes handeln, den Hieronymus für seinen Privatgebrauch angefertigt und zu Lebzeiten nicht publiziert hat (dazu oben S. 18–20) ist anzunehmen, dass die Überschrift in Analogie zur Adressatenangabe von epist. 18A (CSEL 54, 73) hinzugefügt wurde, als der Text postum in die Sammlung der Hieronymusbriefe aufgenommen wurde, oder dass sie erst im Laufe der handschriftlichen Überlieferung dem Text vorangestellt wurde. 18 Zu den von Theodotion, Aquila und Symmachus im 2. Jahrhundert angefertigten Rezensionen des griechischen Textes des Alten Testaments siehe Fürst, Hieronymus 95–97. Siehe auch oben S. 233 Anm. 71.
5
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323
Hieronymus, Brief 18 B An Damasus.17
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1. Septuaginta: „Und eines der Seraphim wurde zu mir gesandt“; Aquila und Theodotion: „Und eines der Seraphim flog zu mir“; Symmachus: „Und einer der Seraphim flog zu mir“.a18 Tag für Tag wird ein Seraphim zu uns gesandt, Tag für Tag wird der Mund von Menschen gereinigt, die seufzend sagen: „Ich Unglücklicher, denn ich bin verloren!“,b und wenn sie von ihren Sünden befreit sind, bereiten sie sich auf den Dienst an Gott vor. Dass aber die anderen Übersetzer an Stelle von „gesandt sein“ das Wort „geflogen“ verwendet haben, das verstehe als die rasche Ankunft des göttlichen Wortes bei denen, die seiner Gemeinschaft für würdig befunden werden. Auch im Genus gibt es einen Unterschied. Die Septuaginta, Aquila und Theodotion übersetzten die Seraphim im Neutrum, Symmachus im Maskulinum. Doch darf man nicht meinen, bei den Kräften Gottes spiele das Geschlecht eine Rolle, wo doch auch der Heilige Geist selbst nach den der hebräischen Sprache eigenen Regeln im Femininum ruach heißt, auf Griechisch im Neutrum pneuma und auf Latein im Maskulinum spiritus.19 Daraus ergibt sich folgende Einsicht: Wenn über die höheren Mächte diskutiert und dabei etwas im Maskulinum oder im Femininum zur Sprache gebracht wird, wird damit nicht so sehr das Geschlecht bezeichnet, sondern hört man eine Eigenheit der jeweiligen Sprache, zumal ja der unsichtbare und unvergängliche Gott selbst in nahezu allen Sprachen mit einem Wort im Maskulinum zum Ausdruck gebracht wird, auch wenn die Kategorie ,Geschlecht‘ auf ihn nicht zutrifft. Auch der Irrtum jener Leute, die in ihren Gebeten und Bitten zu sagen wagen: ,Der du auf den Cherubim und den Seraphim thronst‘, ist zwar ein frommer Irrtum, aber doch zu widerlegen.20 Denn dass Gott sogar auf den Cherubim thront, das steht geschrieben, zum Beispiel hier: „Der du auf den Cherubim thronst, erscheine!“,c dass jedoch Gott auf den Seraphim
19 Hinter diesen beiden Erklärungen steht die Deutung der beiden Seraphim in Jes. 6,2 f. als Sohn Gottes bzw. Christus, das „Wort Gottes“, und als Heiliger Geist durch Origenes; vgl. in Is. hom. 1,2.3.4 (GCS Orig. 8, 244. 246); 4,1.4 (8, 258. 261) und dazu oben S. 168f. 20 Gryson/Szmatula, Les commentaires patristiques 20–24, versuchen mit beachtlichen Argumenten, die Existenz einer solchen Gebetsanrede im 3. Jahrhundert nachzuweisen, weshalb diese kritische Bemerkung nicht unbedingt von Hieronymus stammen muss, sondern auf Origenes zurückgehen kann.
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commemorat, et ne ipsa quidem Seraphim circa Deum stantia excepto praesenti locoa in scripturis omnibus invenimus. 2. Septuaginta: „Et in manu habebat carbonem, quem forcipe acceperat de altari, et tetigit os meum“; Aquila: „Et in manu eius calculus in forcipe, quem acceperat de altari, et tetigit os meum“; Theodotion: „Et in manu eius calculus in forcipe, quem acceperat de altari, et tetigit os meum“; Symmachus: „Et in manu eius calculus in forcipibus, quem sumpserat de altari, et detulit ad os meum“.b Quantum ad historiam pertinet, videtur Deus sedere in templo Hierusalem et ante eum de altari secundum Septuaginta ad Esaiam carbo deferri, de altari vero incensi sive holocaustorum. Quantum autem ad mysticos intellectus, ille eis ignis mittitur, quem Hieremias ferre non poterat,c qui, cum animae nostrae arcana penetrarit, ita nos dissolvit, ita a veteri homine in novum excoquit,d ut in illam vocem possimus erumpere: „Vivo autem iam non ego, sed gratia Dei, quae in me est.“e Forcipes quoque secundum interpretes ceteros, licet in sacerdotali semper suppellectile fuerint, diversas gratias debemus accipere, quibus multifarie et multis modis olim Deus patribus nostris locutus est in prophetis.f Quia in Hebraeo pro „carbone“ „calculus“ legitur ceteris quoque super hoc consonantibus, videtur mihi sermo divinus calculi appellatione signari. Sicut enim calculus genus est lapidis durissimi et rotundi et omni puritate levissimi, ita sermo Dei, qui neque hereticorum neque omnium adversariorum potest contradictionibus cedere, calculus dicitur. De hoc calculo Sephora filium circumciditg et Iesus populum purgat a vitiis;h et in Apocalypsi Dominus pollicetur vincentibus, ut accipiant calculum et scribatur super eum nomen novum.i Videtur autem mihi et Septuaginta in eo, quod aÍnuraka transtulerunt, idem sensisse, quod ceteri; aÍnuraj quippe, quem nos carbunculum interpretamur, genus lapidis fulgidi atque lucentis, quem etiam in duodecim lapidibus invenimus.j Sive igitur calculum sive carbunculum lapidem accipimus, in a Jes. 6,2 b Jes. 6,6 f. c Jer. 20,9 d Kol. 3,9 f. g h i 1,1 Ex. 4,25 Joh. 15,3 Offb. 2,17
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e Gal. 2,20; 1 Kor. 15,10 Ex. 28,18; 39,11
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Hebr.
21 Diese Angabe ist ungenau, denn nur im Text des Symmachus ist von Zangen im Plural (auf den es im Folgenden ankommt) die Rede. 22 Zur Auslegung von Jes. 6,6 f. als Reinigung durch Feuer siehe Origenes, in Is. hom. 4,4–6 (GCS Orig. 8, 261 f.) und dazu oben S. 238 f. Anm. 80–82. 23 In Joh. 15,3 ist von dem „Wort“ die Rede, das reinigt, also die Sachhälfte des Bildes angesprochen, das hier herangezogen wird, und in Offb. 2,17 ist näherhin von einem „weißen Stein“ die Rede, was gleichfalls die Konnotation von „sauber, rein“ impliziert. Im griechischen Bibeltext ist in Ex. 4,25 und Offb. 2,17 von chÄfow die
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thront, das erwähnt keine Stelle der Schrift, und dass die Seraphim ihrerseits um Gott herum stehen, das finden wir mit Ausnahme der vorliegenden Stellea in sämtlichen Schriften nicht. 2. Septuaginta: „Und in der Hand hatte es glühende Kohle, die es mit einer Zange vom Altar genommen hatte, und es berührte meinen Mund“; Aquila: „Und in seiner Hand: ein glühender Feuerstein in einer Zange, den es vom Altar genommen hatte, und es berührte meinen Mund“; Theodotion: „Und in seiner Hand: ein glühender Feuerstein in einer Zange, den es vom Altar genommen hatte, und es berührte meinen Mund“; Symmachus: „Und in seiner Hand: ein glühender Feuerstein in Zangen, den er vom Altar geholt hatte, und den brachte er zu meinem Mund“.b Was das historische Geschehen betrifft, sieht man, wie Gott im Tempel von Jerusalem thront und vor ihm vom Altar, gemäß der Septuaginta, glühende Kohle zu Jesaja gebracht wird, und zwar vom Räucher- oder Ganzopferaltar. Im Blick auf ein tieferes geistiges Verständnis jedoch wird ihnen jenes Feuer gesandt, das Jeremia nicht aushalten konntec und das, wenn es die geheimen Winkel unserer Seele durchdringt, uns derart auflöst, uns derart aus dem alten Menschen zu einem neuen umschmilzt,d dass wir in jenen Ruf ausbrechen können: „Aber nicht mehr ich lebe, sondern die Gnade Gottes, die in mir ist.“e Die Zangen, folgt man den anderen Übersetzern,21 gehörten zwar immer zu den priesterlichen Geräten, doch können wir auch diese als die unterschiedlichen Gunsterweise auffassen, in denen Gott einst viele Male und auf vielerlei Weise zu unseren Vätern in den Propheten gesprochen hat.f Die anderen Übersetzer stimmen auch darin überein, dass im Hebräischen an Stelle von Kohle von einem Feuerstein die Rede ist; die Bezeichnung „Feuerstein“ scheint mir ein Hinweis auf das göttliche Wort zu sein. Wie nämlich ein Feuerstein eine sehr harte, runde und vollkommen saubere und glatte Art von Stein ist, so wird das Wort Gottes, das weder dem Widerspruch der Häretiker noch dem sämtlicher Gegner zu weichen vermag, als Feuerstein bezeichnet.22 Mit diesem Feuerstein hat Zippora ihren Sohn beschnitteng und Jesus das Volk von seinen Sünden gereinigt;h und in der Offenbarung verspricht der Herr den Siegern, dass sie einen Stein erhalten werden und ein neuer Name auf ihm geschrieben steht.i23 Mir scheint aber auch die Septuaginta mit ihrer Übersetzung „Anthrax“ dasselbe gemeint zu haben wie die anderen, denn „Anthrax“, das wir mit „Kohle“ übersetzen, ist eine Art von schimmerndem und glänzendem Stein, den wir auch unter den zwölf Edelsteinen finden.j24 Ob wir den Stein also nun als Feuerstein oder Rede, im Lateinischen jedenfalls der Vulgata in Ex. 4,25 von acutissima petra (p. 81 Weber/Gryson), in Offb. 2,17 von calculus (p. 1884). Die Stellenkombination wird auf der Basis des griechischen Bibeltextes unmittelbar nachvollziehbar, was darauf hindeutet, dass sie auf Origenes zurückgeht, nicht auf Hieronymus. 24 Zu den zwölf Edelsteinen, mit denen die priesterliche „Brusttasche“ („Choschen“)
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calculo divini sermonis veritas et rigor, in carbunculo lucens doctrina et manifesta monstratur; „eloquia“ enim „Domini eloquia casta, argentum igne probatum terrae, purgatum septuplum“a et alibi: „Mandatum domini lucidum, inluminans oculos.“b Quod autem ait: „In manu habebat carbonem“,c manum intellegamus operationem ut ibi: „In manu linguae mors et vita“d et in psalmo: „Cadent in manu gladii.“e Aut certe vere manus apparuit, ut per similitudinem humanae formae, dum manus cernitur porrigentis, propheta non timeat; iuxta quod et ipsum Deum et angelos in humanas vidimus mutasse formas, ut metus videntibus demeretur. 3. Septuaginta: „Et dixit: Ecce, tetigit hoc labia tua et auferet iniquitates tuas et peccata tua circumpurgabit“; Aquila: „Ecce, tetigit hoc labia tua et recedet iniquitas tua et peccatum tuum propitiabitur“; ceteri interpretes in Aquilae verba consentiunt.f Primum necesse est, ut labia nostra tangantur; deinde, cum tacta fuerint, fugetur iniquitas et, cum iniquitas fuerit effugata, propitietur Dominus, quia apud ipsum est propitiatiog et secundum apostolum „ipse est propitiatio pro peccatis nostris“.h Purgatis autem peccatis nostris audibimus vocem Domini dicentis: „Quem mittam?“ et respondebimus: „Ecce, ego, mitte me!“i 4. Septuaginta: „Et audivi vocem Domini dicentis: Quem mittam et quis ibit ad populum istum?“ Aquila, Theodotion et Symmachus: „Et audivi vocem Domini dicentis: Quem mittam et quis ibit nobis?“j De conparatione Esaiae et Moysi, quomodo alius ministerium recusarit,k alius ultro se offerens dura perpessus sit, in alio loco disputavimus. Sed ne videremur aliquid praeterisse eorum, quas Iudaei vocant deytervÂseiw et in quibus universam scientiam ponunt, nunc breviter illud adtingimus, quare in Hebraeo sit positum: „Et quis ibit nobis?“ Sicut enim in Genesi dicitur: „Faciamus hominem ad imaginem et similitudinem nostram“,l ita et hic puto dictum: „Quis ibit nobis?“ „Nobis“ autem quibus aliis aestimandum est, nisi Patri et Filio et Spiritui sancto, quibus vadit, quicumque eorum obsequitur voluntati? Et in eo quidem, quod unius loquentis persona proponitur, divinitatis est unitas; a g
Ps. 11(12),7 Ps. 129(130),4
b
Ps. 18(19),9 h 1 Joh. 2,2
c
Jes. 6,6 Jes. 6,8
i
d j
Spr. 18,21 Jes. 6,8
k
e f Ps. 62(63),11 Jes. 6,7 l Ex. 4,13 Gen. 1,26
besetzt werden soll, zählt in Ex. 28,18 auch der aÍnuraj (I p. 134 Rahlfs; die Parallelstelle im masoretischen Text Ex. 39,11 fehlt in der Septuagintaübersetzung), ein dunkelroter Edelstein, also „Karfunkel“, „Rubin“, in der Vulgata an beiden Stellen übersetzt mit carbunculus (p. 115. 133 Weber/Gryson). 25 Diesen Vergleich hat Origenes, in Is. hom. 6,1 f. (GCS Orig. 8, 268–271), ausführlich durchgeführt. Worauf er hier verwies, wenn der Text von ihm stammt, ist
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als Kohle auffassen: Im Feuerstein zeigt sich die Wahrheit und Stärke des göttlichen Wortes, in der Kohle die glanzvoll strahlende Lehre, denn „die Worte des Herrn sind lautere Worte, wie im Feuer der Erde erprobtes Silber, siebenfach gereinigt“,a und andernorts: „Das Gebot des Herrn strahlt hell und erleuchtet die Augen.“b Wenn es aber heißt: „In der Hand hatte es glühende Kohle“,c verstehen wir die Hand als ein Tun, wie hier: „In der Hand der Zunge liegen Tod und Leben“d und im Psalm: „In die Hand des Schwertes werden sie fallen.“e Oder es ist tatsächlich eine echte Hand erschienen, damit durch die Ähnlichkeit mit der menschlichen Gestalt der Prophet nicht erschrickt, wenn er eine ihm hingestreckte Hand erblickt; in entsprechender Weise sehen wir auch, dass sowohl Gott selbst als auch die Engel sich in menschliche Gestalten verwandelt haben, um denen, die sie sahen, die Furcht zu nehmen. 3. Septuaginta: „Und es sagte: Siehe, dies hat deine Lippen berührt; es wird deine Ungerechtigkeiten tilgen und deine Sünden sühnen“; Aquila: „Siehe, dies hat deine Lippen berührt; deine Ungerechtigkeit wird weichen und deine Sünde wird versöhnt werden“; die übrigen Übersetzer stimmen mit dem Wortlaut bei Aquila überein.f Als erstes müssen unsere Lippen berührt werden; dann, sollten sie berührt worden sein, möge die Ungerechtigkeit vertrieben werden, und ist die Ungerechtigkeit restlos vertrieben, möge der Herr sich versöhnen lassen, denn bei ihm ist Versöhnungg und laut des Apostels „ist er selbst die Versöhnung für unsere Sünden“.h Sind wir aber von unseren Sünden gereinigt, werden wir die Stimme des Herrn hören, der sagt: „Wen soll ich senden?“, und wir werden antworten: „Siehe, ich, sende mich!“i 4. Septuaginta: „Und ich hörte die Stimme des Herrn, der sagte: Wen soll ich senden, und wer wird zu diesem Volk gehen?“ Aquila, Theodotion und Symmachus: „Und ich hörte die Stimme des Herrn, der sagte: Wen soll ich senden, und wer wird für uns gehen?“j Den Vergleich zwischen Jesaja und Mose, wie der eine den Auftrag ablehnte,k der andere sich von sich aus anbot und Schweres erlitt, haben wir an anderer Stelle erörtert.25 Aber damit wir nicht den Eindruck erwecken, etwas von dem übergangen zu haben, was die Juden Tradition und Brauchtum nennen und was für sie der Inbegriff ihres gesamten Wissens ist, beschäftigen wir uns jetzt kurz mit der Frage, weshalb im Hebräischen dasteht: „Und wer wird für uns gehen?“ Wie es nämlich im Buch Genesis heißt: „Lasst uns den Menschen machen nach unserem Bild und Gleichnis!“,l so ist, meine ich, auch hier gesagt: „Wer wird für uns gehen?“ Auf wen anders aber ist dieses „für uns“ zu beziehen, wenn nicht auf den Vater und den Sohn und den Heiligen Geist, allerdings nicht zu eruieren. Stammt der Text von Hieronymus, wäre auf dessen epist. 18A,15 (CSEL 54, 93–96) zu verweisen, doch gehen auch die dortigen Ausführungen auf Origenes zurück.
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in eo vero, quod dicitur „nobis“, personarum diversitas indicatur. Legimus in Canticis Canticorum vocem sponsi dicentis ad sponsam: „Surge, veni, proxima mea, sponsa mea, columba mea, quia, ecce, hiems transiit, pluvia abiit sibi.“a Quando enim anima in cogitationum tranquillitate consedit, quando supra petram fundata estb et fides eius alta radice fixa est, universi temptationum fluctus sibi pertranseunt et ei non pertranseunt, qui temptatur. Notandum autem, quomodo ad id, quod Dominus dixerat: „Quem mittam et quis ibit nobis?“ propheta ex parte responderit: „Ecce, ego, mitte me!“c et de sequenti tacuerit intellegens nullum hominum dignum esse, qui Deo pergeret et omne iter suum eius faceret esse, qui mitteret. Quam humilitatem Dominus advertens, quod se secundis putaret indignum, imperavit sequentia dicens: „Vade!“d 5. Septuaginta: „Et dixi: Ecce, ego sum, mitte me!“ Aquila et Theodotion: „Ecce, adsum, mitte me!“ Symmachus: „Ecce, mitte me!“e Deus, qui vocavit ea, quae non sunt, quasi sint,f et qui dixit: „Ego sum, qui sum“, et alibi: „Qui est, misit me“,g quoscumque vocaverit, statim facit subsistere, quoniam omnia, quae absque eo sunt, non sunt. Unde propheta purgatus a vitiis ausus est dicere: „Ecce, ego sum“, licet in Latinis codicibus propter interpretum varietatem „sum“ non sit adpositum. Quidam observandum putant, ad quos prophetas „mittentis“ aut „missi“ sermo dicatur, quod est Graece „apostolus“, et hanc esse differentiam volunt, ut, quicumque mittantur, et prophetae sint pariter et apostoli, ad quos vero mittentis sermo non ponitur, tantum prophetae sint; quod ego superfluum puto. Et quia semel ad tractatum istius vocabuli venimus, sciendum „Silam“, collegam Pauli, lingua Hebraea „apostolum“ dici, qui cum eo nonnullas epistulas scribit;h et vitiose „Silvanus“ legitur pro „Sila“, cum „Silvanum“ in apostolorum actibus non legimus. a g
Hld. 2,10 f. Ex. 3,14
h
b Mt. 7,24 f.; Lk. 6,48 1 Thess. 1,1
c
Jes. 6,8
d
Jes. 6,9
e
Jes. 6,8
f
Röm. 4,17
26 Die trinitarische Deutung des Plurals in alttestamentlichen Gottesreden ist christliches Gemeingut seit Justin, dial. 62,1 f. (PTS 47, 176 f.); darauf dürfte sich der Seitenhieb auf „Tradition und Brauchtum“ beziehen, die nicht übergangen sein sollen. Die Bemerkung zu Einheit und Verschiedenheit der „Personen“ in Gott dürfte auf Hieronymus zurückgehen, weil die lateinische Terminologie von drei „Personen“ erst in der zweiten Hälfte des 4. Jahrhunderts üblich wurde. Stammt dieser Text von Origenes, wäre dieser Satz als Einschub des Übersetzers Hieronymus zu bewerten, wie er in den Jesajahomilien in trinitarischen Kontexten an mehreren Stellen zu beobachten ist. Siehe dazu oben S. 171 f. 27 Diese Deutung der Antwort Jesajas gab Origenes, in Is. hom. 6,2 (GCS Orig. 8, 270 f.). 28 Wie alle Hinweise auf Lateinisches stammt diese Bemerkung von Hieronymus, der sich über die Uneinheitlichkeit des lateinischen Bibeltextes öfter beklagt hat, zum Beispiel Vulg. evang. praef. (p. 1515 Weber/Gryson); Paral. prol. (p. 546). Siehe
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für die jeder geht, der ihrem Willen gehorcht? Darin nämlich, dass als Sprecher eine einzige Person auftritt, liegt die Einheit der Gottheit, darin aber, dass „für uns“ gesagt wird, zeigt sich die Verschiedenheit der Personen.26 Im Hohenlied lesen wir von der Stimme des Bräutigams, der zur Braut sagt: „Steh auf, komm, meine Liebste, meine Braut, mein Täubchen, denn, siehe, der Winter ist vergangen, der Regen hat sich verzogen.“a Wenn nämlich die Gedanken still werden und die Seele zur Ruhe kommt, wenn sie auf einen Felsen gegründetb und ihr Glaube mit einer tiefen Wurzel fest verankert ist, rollen sämtliche Fluten der Versuchungen an ihr vorbei und über die, die in Versuchung geführt wird, rollen sie nicht hinweg. Zu beachten ist aber, wie der Prophet auf die Frage des Herrn: „Wen soll ich senden, und wer wird für uns gehen?“ nur zum Teil antwortete: „Siehe, ich, sende mich!“,c zum Folgenden aber schwieg, weil ihm klar war, dass kein Mensch würdig ist, für Gott zu gehen und den ganzen Weg dessen, der ihn sendet, zu seinem eigenen zu machen. Als der Herr diese Demut sah, dass er sich nämlich dem zweiten Teil der Frage gegenüber für unwürdig hielt, befahl er ihm das Folgende mit dem Wort: „Geh!“d 5. Septuaginta: „Und ich sagte: Siehe, da bin ich, sende mich!“ Aquila und Theodotion: „Siehe, ich bin hier, sende mich!“ Symmachus: „Siehe, sende mich!“e Gott, der das Nichtseiende als Seiendes gerufenf und der gesagt hat: „Ich bin, der ich bin“, und weiter: „Der, der ist, hat mich gesandt“,g dieser Gott bewirkt, dass alle, die er ruft, sogleich existieren, weil alles, was ohne ihn ist, nicht ist. Daher wagte der von seinen Sünden gereinigte Prophet zu sagen: „Siehe, da bin ich“,27 auch wenn in den lateinischen Handschriften aufgrund der Abweichungen der Übersetzer voneinander das Verbum ,bin‘ nicht dabeisteht.28 Manche Leute meinen beachten zu müssen, für welche Propheten der Begriff ,Sendender‘ oder ,Gesandter‘, was auf Griechisch ,Apostel‘ heißt, gebraucht wird, und konstruieren folgenden Unterschied: Alle, die gesandt werden, seien Propheten und zugleich Apostel, diejenigen jedoch, denen der Begriff ,Sendender‘ nicht beigelegt wird, seien nur Propheten. Ich halte das für überflüssig. Und da wir schon einmal dabei sind, dieses Wort zu behandeln: Man sollte wissen, dass ,Silas‘, der Mitarbeiter des Paulus, der zusammen mit ihm einige Briefe geschrieben hat,h in der hebräischen Sprache ,Apostel‘ bedeutet; und fälschlicherweise liest man ,Silvanus‘ an Stelle von ,Silas‘, obwohl wir in der Apostelgeschichte von einem ,Silvanus‘ nichts lesen.29 dazu Fürst, Hieronymus 99 f. mit Übersetzung der genannten Texte ebd. 265 f. 272 f. 29 Silas ist ein hebräischer Name, abgeleitet von ˇslh, „senden“. So wird ein Mitarbeiter des Paulus in der Apostelgeschichte durchweg genannt (erstmals Apg. 15,22, letztmalig 18,5), während Paulus ihn mit der latinisierten Form als Silvanus bezeichnet (1 Thess. 1,1; 2 Kor. 1,19; vgl. 2 Thess. 1,1; 1 Petr. 5,12).
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Theophili Tractatus contra Origenem de visione Esaiae (Morin, AMar III/3, 103–122)
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1. „Et factum est anno, quo mortuus est Ozias rex, vidi Dominum Sabaoth sedentem super thronum excelsum et elevatum; et Seraphin stabant in circuitu eius, sex alae uni et sex alae alteri.“a Videamus, quid de hoc loco Esaiae prophetae vir, ut putant, eruditissimus senserit. Oziam regem fuisse Iudaeae sacra scriptura commemorat. At Origenes: „Non poterat“, inquit, „Esaias propheta cernere visionem, nisi ei fuisset Ozias rex mortuus.“ Quod nos nequaquam recipimus; siquidem vivente Ozia ante hoc capitulum multa Esaiam vidisse legimus, sicut ipsius prophetae testatur exordium dicens: „Visio quam vidit Esaias filius Amos propheta, quam vidit contra Iudaeam et contra Hierusalem in diebus Oziae Ioatham et Achaz et Ezechiae regum Iuda.“b Quomodo ergo Origenes adserit non potuisse Esaiam videre visionem, nisi ei mortuus fuisset Ozias rex, cum perspicue, antequam Ozias moreretur, Esaias coeperit prophetare? Et idem ait: „Audi caelum, et auribus percipe, terra, quia Dominus locutus est“,c exponens, quae et post visionem Dominus sit locutus. Nec negatur, quod Ozias rex peccator fuerit, sed hoc quaerimus, quomodo propter regem peccatorem sanctus propheta visionem Dei videre non potuerit? Igitur in consequentibus idem Origenes Oziam regem allegorice interpretans inter cetera etiam hoc intulit: „Talem regem et principem animae oportet mori, ut possimus Dei cernere visionem. Neque enim frustra scriptum est: ,Factum est in anno quo mortuus est Ozias rex, vidi Dominum Sabaoth.‘d Unicuique nostrum ut vivit Ozias, vivit Farao, sed quamdiu Aegyptia opera facimus, et non ingemiscimus; si autem mortuus nobis fuerit Farao, statim dolorem gemitu protestamur, sicut in Exodo scripa
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Zur Frage der Verfasserschaft und zum Titel siehe oben S. 180f. Usija, der in 2 Kön. 14,21; 15,1–7 Asarja heißt, war nach Manasse, dessen Regierungszeit 55 Jahre währte (2 Kön. 21,1), der am längsten regierende König von Juda, nämlich von 773 bis vermutlich 734 v.Chr. Wegen Aussatzes, der in 2 Chr. 26,16–21 als Strafe für Hochmut erklärt wird, fungierten sein Sohn Jotam und später sein Enkel Ahas (zu diesem oben S. 208 Anm. 29) in den ungefähr letzten fünfzehn Jahren seiner Amtszeit als Mitregenten: Beuken, Jesaja 1–12, 167. Das ist weniger ein wörtliches Zitat als vielmehr eine inhaltliche Wiedergabe der Auslegung des Origenes, in Is. hom. 1,1 (GCS Orig. 8, 242; vgl. bes. ebd. Zeile 6f.).
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Theophilus, Traktat gegen Origenes über die Vision Jesajas1
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1. „Und es geschah in dem Jahr, in dem König Usija starb, da sah ich den Herrn Sabaoth auf einem erhabenen und hohen Thron sitzen. Und Seraphim standen um ihn herum, mit sechs Flügeln der eine und mit sechs Flügeln der andere.“a Schauen wir uns an, wie sich ein nach allgemeiner Meinung hochgelehrter Mann über diese Stelle beim Propheten Jesaja geäußert hat. Usija war nach dem Bericht der Heiligen Schrift König von Juda.2 Doch Origenes behauptet: „Der Prophet Jesaja hätte keine Vision haben können, wenn König Usija für ihn nicht tot gewesen wäre.“3 Dies scheint uns völlig unhaltbar, denn zu Lebzeiten Usijas hat Jesaja, wie wir in den Kapiteln davor lesen können, viele Dinge geschaut. So bezeugt es auch der Anfang des Propheten selbst, wo es heißt: „Vision, die der Prophet Jesaja, Sohn des Amoz, hatte. Vision gegen Judäa und gegen Jerusalem, die er in den Tagen Usijas, Jotams, Ahas’ und Hiskijas, der Könige von Juda, hatte.“b Wie kann Origenes also behaupten, Jesaja hätte keine Vision haben können, wenn König Usija für ihn nicht tot gewesen wäre, wo Jesaja doch offenbar bereits vor Usijas Tod zum ersten Mal als Prophet aufgetreten ist?4 Und dieser sagt selbst: „Höre, Himmel, und vernimm es, Erde, dass der Herr gesprochen hat“,c und legt dar, was der Herr auch nach der Vision noch gesprochen hat. Wir leugnen auch gar nicht, dass König Usija ein Sünder gewesen ist. Dies allerdings fragen wir: Wie sollte ein sündhafter König Grund dafür gewesen sein, dass ein heiliger Prophet keine Vision von Gott haben konnte? Im Weiteren fügt der genannte Origenes seiner allegorischen Deutung des Königs Usija daher unter anderem noch Folgendes hinzu: „Ein solcher König und Herrscher der Seele muss sterben, damit wir zu einer Vision Gottes imstande sind; denn nicht ohne Grund steht geschrieben: ,Es geschah in dem Jahr, in dem König Usija starb, da sah ich den Herrn Sabaoth.‘d So wie für jeden von uns ein Usija lebt, so lebt für jeden von uns auch ein Pharao, aber nur so lange, wie wir ägyptische Sklavenarbeit verrichten und nicht aufstöhnen. Wenn aber Pharao für uns tot ist, verleihen wir unserem Schmerz sogleich mit Stöhnen Ausdruck, wie es im 4
Theophilus las die literarische Folge der Visionen im Buch Jesaja offenbar als historische Chronologie. Moderne Exegese deutet die Komposition des Jesajabuches und speziell die Zeitangaben in Jes. 1,1 und 6,1 so, dass der Tod Usijas, der wohl in das Jahr 734 v.Chr. zu datieren ist, den Ausgangspunkt für das Auftreten Jesajas markiert: Beuken, Jesaja 1–12, 58f.
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Theophilus
tum est.a In hunc modum, quamdiu vivit Ozias, non possumus Dei cernere visionem.“ Cum haec ita disserat, non tam pertinaces sumus, ut allegoriam, si pia sit et de veritatis fonte ducatur, refutandam putemus, ita dumtaxat, si non sit contraria veritati, non pervertat historiam, si sensum scripturae sanctae sequatur et non voluntatem perversi interpretis scripturarum praeferat auctoritati. Dicamus igitur et nos Origeni, qui allegoriae nubilo universa confundit: Non sic divinatio tua, non sic! Historia enim pro qualitate temporum, quae gesta sunt, narrat et legentes exemplo sui provocat sequi optima et vitare contraria; porro allegoria quasi quibusdam gradibus per historiam ad excelsa conscendit, ut sublimior sit, non contraria. Denique beatus apostolus Paulus exponens sacramenta Adam et Evae non negavit plasmationem eorum, sed super fundamentum historiae spiritalem intellegentiam aedificans ait: „Propter hoc relinquet homo patrem suum et matrem suam et adhaerebit uxori suae et erunt duo in carne una. Sacramentum hoc magnum est, ego autem dico in Christo et in ecclesia.“b Et alibi, cum ex historia antiquissima proferret exemplum, in qua scriptum est, quomodo ad Moysi virgam de petra aqua eruperit, ut sitiens populus biberet, sic aptat intellegentiam spiritalem: „Bibebant“, inquit, „ex spiritali sequente eos petra; petra autem erat Christus.“c Apertissimam enim historiam nequaquam negat et ea, quae gesta sunt, ad excelsiorem intellegentiam trahens sic erigit culmen, ut fundamenta non subtrahat. Si in hunc modum Origenes allegorias quaereret, et nos libenter haberemus; sed quia sic aedificat mendacium, ut destruat veritatem, refutamus eius explanationem. a
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Origenes, in Is. hom. 1,1 (GCS Orig. 8, 242 Zeilen 10–17). Der Vorwurf, die allegorische Schriftauslegung des Origenes gebe die biblische Geschichte zugunsten zeitloser Vernunftwahrheiten preis, ist bis heute nicht verstummt; siehe dazu den Überblick über ältere und neuere Formulierungen dieser klassischen Kritik bei Lubac, Geist aus der Geschichte 21–31. Lubacs Werk stellt die wohl umfassendste Widerlegung dieses Vorwurfs dar. Scripturarum bezieht sich (gegen Russell, Theophilus 160) nicht auf interpretis, weil klar ist, dass es um Auslegung der Bibel geht, sondern auf auctoritati (so Schade, BKV2 I 15, 227), denn „die Autorität der Schriften“ ist ein Standardargument in antihäretischer Polemik. Zur Wendung: voluntatem perversi interpretis scripturarum praeferat auctoritati vgl. Theophilus, epist. pasch. bei Hieronymus, epist. 98,19 (CSEL 55, 204): qui auctoritati scripturarum Origenis praeferunt deliramenta. Solche Bezüge zwischen dem Traktat und den von Hieronymus in das Lateinische übersetzten Osterfestbriefen des Theophilus sowie zu Hieronymusbriefen hat meist schon Amelli entdeckt und Morin in seiner Neuedition in den Fußnoten notiert; von dort sind sie in die vorliegende Ausgabe übernommen.
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Buch Exodus heißt.a Insofern können wir, solange Usija am Leben ist, keine Vision von Gott haben.“5 Solchen Ausführungen gegenüber bin ich nicht so starrsinnig, dass ich eine allegorische Deutung, vorausgesetzt, sie ist gottgefällig und entspringt dem Quell der Wahrheit, meine zurückweisen zu müssen – zumindest so lange nicht, wie sie der Wahrheit nicht widerspricht, die Geschichte nicht aufhebt,6 dem Sinn der Heiligen Schrift folgt und nicht dem Anliegen eines fehlgeleiteten Exegeten den Vorzug vor der Autorität der Schriften7 gibt. So wollen also auch wir Origenes, der mit seinem Allegoriengewölk alles in Verwirrung stürzt,8 sagen: Fort mit deiner Weissagerei, fort damit! Die Geschichte nämlich berichtet von dem, was sich entsprechend dem Charakter der jeweiligen Zeit ereignet hat, und ruft ihre Leser durch ihr Beispiel dazu auf, das Beste zu befolgen und dessen Gegenteil zu meiden. Sodann steigt die Allegorie wie auf einer Reihe von Stufen durch die Geschichte zu höheren Dingen empor, so dass sie zwar über dieser steht, ihr aber nicht widerspricht.9 Schließlich hat der selige Apostel Paulus bei der Auslegung der Geheimnisse um Adam und Eva ihre Erschaffung nicht geleugnet, sondern das geistige Verständnis auf das Fundament der Geschichte gebaut,10 wenn er sagt: „Darum wird der Mann seinen Vater und seine Mutter verlassen und sich an seine Frau binden, und die zwei werden in einem Fleisch sein. Dieses Geheimnis ist groß. Ich beziehe es aber auf Christus und auf die Kirche.“b11 Und wo er an anderer Stelle ein Beispiel aus einer sehr alten Geschichte anführt, in der geschrieben steht, wie bei der Berührung mit dem Stab des Mose Wasser aus einem Felsen hervorbrach, so dass das durstige Volk trinken konnte, da fügt er das geistige Verständnis wie folgt an: „Sie tranken“, sagt er, „aus dem geistigen Felsen, der sie begleitete; der Fels aber war Christus.“c Denn die Geschichte, wie sie klar und deutlich vor Augen steht, leugnet er auf keine Weise, und indem er die Geschehnisse einer höheren Deutung unterzieht, richtet er das Dach auf, ohne das Fundament darunter wegzuziehen. Hätte sich Origenes auf diese Weise um allegorische Deutungen bemüht, würden auch wir sie gerne akzeptieren. Weil er aber so an der Lüge baut, dass er die Wahrheit niederreißt, weisen wir seine Erklärung zurück. 8
Zu: allegoriae nubilo universa confundit vgl. Hieronymus, ebd. 84,2 (55, 122): allegoriae nubilum serena expositione discutitur. 9 Dieser hermeneutische Grundsatz entspricht den Prinzipien der antiochenischen Exegese, wie aus Diodor von Tarsus, in Ps. prol. (CChr.SG 6, 7), hervorgeht; siehe oben S. 182f. 10 Zu: super fundamentum historiae spiritalem intellegentiam aedificans vgl. Hieronymus, in Es. VI 1 (VL.AGLB 27, 687): ut super fundamenta historiae ... spiritale exstruerem aedificium, und dazu Fürst, Hieronymus gegen Origenes 215f. 11 Die Form dieses Zitats entspricht der Fassung, in der Hieronymus diese Bibelstelle in adv. Iovin. I 16 (PL 23, 235) im Jahr 393 wiedergab.
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Consideremus ergo, quid dicat: „Non poterat cernere visionem propheta, quamdiu vivebat Ozias.“ Et allegorice interpretans statim infert: „Oportet principem animae Oziam primum mori, ut sic propheta cernat visionem.“ Quid ergo dicemus ad id, quod Esaias loquitur: „O miser ego, quoniam conpunctus sum, quoniam, cum sim homo et inmunda labia habeam, in medio populi inmunda labia habentis ego habito et regem Dominum Sabaoth vidi oculis meis“?a Si enim inmunda habebat labia, quomodo in huius anima mortuus erat rex Ozias, ut cerneret visionem? In tantum autem et sua et populi labia confitetur inmunda, ut postea se dicat purgationis gratiam consecutum. Sequitur enim: „Et missum est ad me unum de Seraphin, et in manu habebat carbonem, quem forcipe tulerat de altari. Et tetigit os meum et ait: Ecce, tetigit hoc labia tua et auferet iniquitates tuas et peccata tua purgat.“b Nec ante iniquitates eius ablatae sunt et peccata mundata, quam cerneret visionem. Quomodo ergo iuxta Origenis allegoriam Ozias princeps animae eius mortuus erat, qui adhuc labia post visionem habebat inmunda, quippe cum postea iniquitates eius ablatae sint et peccata mundata? Apparet enim Dominus etiam peccatoribus, ut eos retrahat a peccatis. Nam et sanctus Paulus, cum esset adulescens et vastaret ecclesiam et acceptis adversum apostolos litteris in eorum sanguinem desaeviret, apparuit ei Salvator et locutus est: „Saule, Saule, quid me persequeris?“c Sed et Nabuchodonosor rex Chaldaeus, cum in fornace ignis tres pueri deambularent, vidit quartum in medio eorum et ait: „Nonne tres pueros misimus in medium ignis ligatos? Et quomodo ego video quatuor viros solutos et ambulantes in medio ignis, et corruptio non est in eis, et visio quarti similitudo filii Dei?“d Moses quoque, qui nutritus in Aegypto est et eruditus omni Aegyptiorum sapientia, vidit visionem ardentis rubi, qui non comburebatur; cumque dixisset: „Transiens videbo visionem hanc magnam“,e Deus prius locutus est ad eum: „Mosi, Mosi, ne propinques huc, solve calciamentum de pedibus tuis; locus enim, in quo stas, terra sancta est.“f Qui eruditur deinceps, ut post visionem Dei gracilis vocis et linguae tardissimae esse se dicit,g id est indignum ministerio verbi Dei, pro quo ad populum mittebatur. In a
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Apg. 9,4
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Dan. 3,91f.
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Ex. 3,2f.
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Ex. 4,10
12 Siehe oben S. 330 Anm. 3. 13 Siehe oben S. 332 Anm. 5. 14 Mercati, Il nuovo trattato 389, wies darauf hin, dass die lateinische Fassung dieses Bibelzitats erheblich von derjenigen abweiche, die Hieronymus, in Dan. I 3,92b (CChr.SL 75A, 807), biete, doch hielt Morin, AMar III/3, 106 Anm. zu Zeile 13, zu Recht dagegen, dass Hieronymus in seinem Kommentar den Danieltext nach
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Prüfen wir also, was er sagt: „Der Prophet war zu einer Vision außerstande, solange Usija am Leben war.“12 Und gleich danach fährt er mit einer allegorischen Auslegung fort: „Zunächst muss der Herrscher der Seele, Usija, sterben, damit der Prophet sodann eine Vision hat.“13 Was sollen wir denn zu folgendem Ausspruch Jesajas sagen: „O ich Elender, denn ich bin verloren, da ich ein Mensch bin und unreine Lippen habe und inmitten eines Volkes mit unreinen Lippen wohne und den König, den Herrn Sabaoth, mit meinen eigenen Augen gesehen habe“?a Denn wenn er unreine Lippen hatte, wie konnte dann in seiner Seele König Usija tot sein, so dass er eine Vision hatte? So unrein waren doch nach seinem eigenen Bekenntnis seine Lippen und die des Volkes, dass er, wie er später sagt, die Gnade der Reinigung erhielt. Es heißt nämlich weiter: „Und einer der Seraphim wurde zu mir gesandt, und in der Hand hatte er Kohle, die er mit einer Zange vom Altar genommen hatte. Und er berührte meinen Mund und sprach: Siehe, dies hat deine Lippen berührt. Es wird deine Ungerechtigkeiten tilgen und deine Sünden fortwischen.“b Es war also keineswegs so, dass seine Ungerechtigkeiten getilgt und seine Sünden fortgewischt wurden, bevor er die Vision hatte. Wie also konnte nach der allegorischen Deutung des Origenes Usija, der Herrscher seiner Seele, tot sein, wo jener doch nach der Vision noch unreine Lippen hatte? Schließlich sind seine Ungerechtigkeiten erst später getilgt und seine Sünden erst später fortgewischt worden. Der Herr erscheint ja auch den Sündern, um sie den Sünden zu entreißen. Denn als der heilige Paulus in jungen Jahren die Kirche verheerte und, mit Briefen gegen die Apostel versehen, wütend auf deren Blut sann, da erschien ihm der Erlöser und sprach: „Saul, Saul, warum verfolgst du mich?“c Doch sogar der chaldäische König Nebukadnezzar sah, während die drei Jünglinge im Feuerofen umhergingen, noch einen vierten in ihrer Mitte und sprach: „Haben wir nicht drei Jünglinge gefesselt mitten ins Feuer geworfen? Wieso sehe ich nun vier Männer ohne Fesseln inmitten des Feuers umherwandeln, ganz unversehrt und der vierte mit einem Aussehen wie dem eines Gottessohnes?“d14 Auch Mose, der in Ägypten aufgezogen und in jeder Weisheit der Ägypter unterrichtet worden ist, hatte die Vision eines brennenden Dornbuschs, der nicht verbrannte; und nachdem er gesagt hatte: „Ich will hingehen und mir diese große Erscheinung ansehen“,e sprach zunächst Gott ihn an: „Mose, Mose, nähere dich nicht weiter. Streife die Schuhe von deinen Füßen, denn der Ort, an dem du stehst, ist heiliger Boden.“f Sodann wird er unterrichtet, so dass er nach der Gottesvision sagt, er habe eine schwache Stimme und eine schwerfällige Zunge,g15 das heißt er sei unwürdig, im Dienst an Gottes Wort zum Volk gesandt zu werden. Auf diese dem Hebräischen zitierte, ihn hier jedoch aus einer älteren griechischen Version in das Lateinische übersetzte. 15 Siehe dazu oben S. 303 Anm. 177 zu Origenes, in Is. hom. 9 (GCS Orig. 8, 289).
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hunc ergo modum clementissimus Deus et Esaiae, iuxta quod homo videre poterat, se offert videndum; et idcirco post visionem propheta loquitur: „O miser ego, quoniam conpunctus sum. Nam cum homo 〈sim〉 et inmunda labia habeam, in medio populi inmunda labia habentis habito et regem Dominum Sabaoth vidi oculis meis.“a Nihilque est aliud, quod propheta commemorat, nisi hoc: Cum peccator sim et plenus iniquitatum, vidi Dominum sedentem super thronum excelsum et elevatum. Quin rebus probatur Origenis allegoriam nec elegantiam habere nec veritatem. Non enim, ut ille testatus est, princeps animae eius mortuus est, et sic vidit visionem Dei, cum post visionem inmunda labia se habere testatus sit. Sive igitur iuxta historiam, sive iuxta allegoriam mentitus esse convincitur. Vivo enim Ozia vidit Esaias visionem contra Iudaeam et Ierusalem, sicut scriptum legimus;b et eodem anno, quo mortuus est Ozias, vidit aliam visionem.c Porro iuxta allegoriam sic errasse deprehenditur. Quomodo enim mortuus erat princeps animae eius Ozias, cum adhuc labia haberet inmunda? Si autem illi non erat mortuus, qui labia habebat inmunda, quomodo morietur et nobis, quando viderimus visionem, si post visionem adhuc labia habuerimus inmunda? Est autem sensus perspicuus iuxta illud, quod Paulus scripsit: „Cum ergo adhuc peccatores essemus, Christus pro nobis mortuus est.“d Et de Esaia dicimus similiter: Si adhuc labia habebat inmunda et necdum ei mortuus erat Ozias, quem Origenes interpretatur principem animae prophetalis, vidit Esaias non ex suo merito, sed ex clementia Salvatoris visionem; et licet eum inmunda labia prohiberent, ne videret divinam magnificentiam, tamen misericordia Creatoris sui videndam se offerebat, quae idcirco apparet peccatoribus, ut peccata eorum auferat. 2. Cessent ergo Origenis tendiculae, et veritas superet, adversum quam rursus loquitur: „Duo vidi Seraphin; in utroque erant senae alae; duabus tegebant faciem, non suam, sed Dei et duabus tegebant pedes, non suos, sed Dei et duabus volabant.“e In hoc quoque loco arguitur suum posuisse sensum, qui semper novitatibus gaudet et erubescit dicere, quod omnibus paa
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16 Siehe dazu oben S. 331 Anm. 4. 17 Zu dieser Verwendung des Adjektivs prophetalis vgl. unten den Ausdruck desiderium prophetale: tract. c. Orig. 2 (p. 109 Morin), sowie beispielsweise die Junkturen prophetale vaticinium und prophetalis sermo in Theophilus, epist. pasch. bei Hieronymus, epist. 96,3.9 (CSEL 55, 160. 167). 18 Zu dieser Ausdrucksweise vgl. ebd. 98,6 (55, 190): cessent Apollinaris discipuli; 98,8
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Weise also hat sich Gott in seiner großen Nachsicht auch Jesaja, soweit ein Mensch ihn zu schauen vermochte, in einer Vision gezeigt. Und deshalb sagt der Prophet nach der Vision: „O ich Unglücklicher, denn ich bin verloren. Denn obwohl ich ein Mensch 〈bin〉 und unreine Lippe habe und inmitten eines Volkes mit unreinen Lippen wohne, habe ich den König, den Herrn Sabaoth, mit meinen eigenen Augen gesehen.“a Der Prophet will damit nichts anderes zum Ausdruck bringen als dies: Obwohl ich ein Sünder und voller Ungerechtigkeiten bin, habe ich den Herrn auf einem erhabenen und hohen Thron sitzen sehen. Kein Zweifel: Die Sache selbst zeigt, dass der allegorischen Auslegung des Origenes weder Stringenz noch Wahrheit eignet. So war es, wie er selbst bezeugt, nicht nach dem Tod des Herrschers seiner Seele, dass er eine Vision von Gott hatte, denn auch nach der Vision bezeugte er, unreine Lippen zu haben. Gleich also, ob man von der geschichtlichen oder von der allegorischen Deutung ausgeht, ist er (sc. Origenes) der Unwahrheit überführt, denn die Vision gegen Judäa und Jerusalem hatte Jesaja zu Lebzeiten des Usija, wie wir in der Schrift lesen,b und in eben dem Jahr, in dem Usija starb, hatte er eine weitere Vision.c16 Überdies zeigt sich, was die allegorische Deutung betrifft, sein Irrtum auf folgende Weise: Wie konnte denn der Herrscher seiner Seele, Usija, tot sein, wo er doch immer noch unreine Lippen hatte? Wenn er aber für ihn, der unreine Lippen hatte, nicht tot war, wie wird er es dann, wenn wir eine Vision haben, auch für uns sein, wenn wir nach der Vision immer noch unreine Lippen haben? Der Sinn erschließt sich vielmehr, wenn man von dem ausgeht, was Paulus schreibt: „Als wir noch Sünder waren, ist Christus für uns gestorben.“d Und von Jesaja sagen wir ähnlich: Wenn er immer noch unreine Lippen hatte und Usija, den Origenes als Herrscher der Seele des Propheten17 interpretiert, für ihn noch nicht tot war, verdankte Jesaja die Vision nicht dem eigenen Verdienst, sondern der Gnade des Erlösers. Und mochten ihn auch die unreinen Lippen daran hindern, die göttliche Erhabenheit zu sehen, so offenbarte sich ihm doch die Barmherzigkeit seines Schöpfers, die den Sündern erscheint, um ihre Sünden von ihnen zu nehmen. 2. Hinweg also mit den Fallstricken des Origenes!18 Die Wahrheit soll triumphieren, gegen die er abermals sagt: „Zwei Seraphim sah ich; jeder von ihnen hatte sechs Flügel; mit zweien bedeckten sie das Angesicht, nicht das eigene, sondern das Angesicht Gottes, mit zweien bedeckten sie die Füße, nicht die eigenen, sondern die Füße Gottes, mit zweien flogen sie.“e19 Auch an dieser Stelle zeigt sich, dass er, der stets an Neuerungen seine Freude hat (55, 193): cessent illi a novorum dogmatum inpietate; 98,2 (55, 186): hereticorum vel maxime inpietatem et tendiculas declinantes. 19 Dieses Zitat entspricht in etwa Origenes, in Is. hom. 1,2 (GCS Orig. 8, 244 Zeilen 14–18).
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teat. Neque enim Dei faciem, iuxta quod Deus videri potest, duabus alis operiebant Seraphin, ut ille confixit, sed suam, ut prophetae ostenderent Dei faciem iuxta id, quod Deus est, mortalium oculis non videri. Unde et Moyses, cum loqueretur ad Dominum: „Ostende te mihi manifeste, ut videam te“,a audit ab eo: „Nemo videbit faciem meam et vivet.“b Quibus dictis docetur cupiditati suae modum ponere et fragilitatis propriae nosse mensuram. Sed et Iohannes clamat: „Deum nemo vidit umquam; unigenitus Deus, qui est in sinu Patris, ipse narravit.“c Cuius sententiae definitio non homines tantum, sed omnes rationabiles creaturas et quicquid extra Deum est, docet Deum videre non posse iuxta id, quod Deus, sed iuxta id, quod se creaturis suis dignanter ostendit. Quas ob causas et sanctus Paulus ait: „Regi autem saeculorum incorruptibili invisibili soli Deo honor et gloria.“d Quando dicit invisibilem Deum, non aliis visibilem et aliis invisibilem esse significat: Quicquid enim invisibile est, a nullo videri, sed invisibile est omnibus, ut invisibilis Dei natura servetur. Cui sensui et illud testimonium congruit: „Qui solus habet inmortalitatem et lucem habitat inaccessibilem; quem nullus hominum vidit umquam nec videre potest.“e Verbum inaccessibile 〈...〉 Ergo Seraphin suam operiebant faciem, non Dei, quia nulla creatura, sive visibilium sive invisibilium, divinam potest comprehendere magnitudinem. In consequentibus quoque non utile adserit: „Duo Seraphin operiebant Dei pedes.“ Si enim faciem illius et pedes Seraphin operiunt, maiora erunt Deo, cuius, ut ita dicam, summum ultimumque operiunt. Quod nequaquam ita accipiendum est, ne Seraphin Deo maiora credamus; quod Origenes, licet sermone taceat, consequentibus loquitur. Omne enim, quod aliud 〈operit〉, a
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20 Der Vorwurf, eine am auszulegenden Text vorbeigehende Privatansicht darzulegen, ist ebenso Topos der antiken Exegetenpolemik wie die Berufung auf die Evidenz. Origenes äußerte ähnliche Vorwürfe gegen Herakleon: in Ioh. comm. II 100–104 (GCS Orig. 4, 70). 21 In De seraphim folgte Hieronymus noch ohne Diskussion der Auffassung des Origenes, die Seraphim bedeckten Angesicht und Füße Gottes: epist. 18A,7 (CSEL 54, 82f.); siehe dazu Guinot, L’he´ritage 380f. Im Jesajakommentar indes wies er zu Jes. 6,2 darauf hin, dass der hebräische Text doppeldeutig sei und sowohl so gelesen werden könne, dass die Seraphim Angesicht und Füße Gottes bzw. des Herrn (eius), als auch so, dass sie ihr eigenes Angesicht und ihre eigenen Füße (suam) bedeckten, bevorzugte aber im Folgenden, ohne die Frage zu entscheiden, doch die Erklärung des Origenes: in Es. III 4 (VL.AGLB 23, 312f.); ebenso in Abac. II 3,2 (CChr.SL 76A, 620f.). Siehe dazu Fürst, Hieronymus gegen Origenes 218 mit Anm. 128. 22 Damit formuliert Theophilus ein beständig wiederkehrendes Leitmotiv seines Traktats gegen die „Maßlosigkeit“ der Schriftauslegung des Origenes.
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und sich scheut, das für jedermann Evidente zu sagen, seine private Auffassung20 darlegt. Es war nämlich nicht, wie jener sich zusammenreimt, das Angesicht Gottes, das die Seraphim, soweit Gott überhaupt gesehen werden kann, mit zwei Flügeln bedeckten, sondern ihr eigenes.21 Damit wollten sie dem Propheten zeigen, dass Gottes Angesicht entsprechend dem Wesen Gottes von den Augen der Sterblichen nicht gesehen werden kann. Deshalb bekam auch Mose, als er zum Herrn sagte: „Zeige dich mir klar und deutlich, damit ich dich sehe“,a zur Antwort: „Niemand wird mein Angesicht sehen und am Leben bleiben.“b Diese Worte lehren ihn, dem eigenen Verlangen ein Maß zu setzen22 und sich des Ausmaßes der eigenen Gebrechlichkeit bewusst zu werden. Ebenso ruft auch Johannes aus: „Gott hat niemand je gesehen – der einzige Sohn, der Gott ist und im Schoß des Vaters weilt, er selbst hat es uns erzählt.“c23 Der Gehalt dieses Satzes besteht darin, dass nicht nur die Menschen, sondern alle vernunftbegabten Geschöpfe und überhaupt alles, was außer Gott existiert, Gott nicht schauen können, insoweit er Gott ist, sondern nur, insoweit er sich seinen Geschöpfen zu zeigen beschließt. Aus diesen Gründen sagt auch der heilige Paulus: „Dem König der Welt, dem unvergänglichen, unsichtbaren, einzigen Gott sei Ehre und Herrlichkeit.“d Wenn er vom unsichtbaren Gott spricht, dann will er damit nicht sagen, er sei für manche sichtbar, für andere dagegen unsichtbar. Denn was auch immer unsichtbar ist, wird von niemandem gesehen, sondern ist für alle unsichtbar, wenn denn das Wesen des unsichtbaren Gottes gewahrt bleiben soll. Zu dieser Deutung passt auch folgendes Zeugnis: „Der allein Unsterblichkeit besitzt und in unzugänglichem Licht wohnt, den kein Mensch je gesehen hat noch sehen kann.“e24 Unzugängliches Wort 〈...〉25 Die Seraphim bedeckten also ihr eigenes Angesicht und nicht das Angesicht Gottes, da kein Geschöpf, sei es unter den sichtbaren, sei es unter den unsichtbaren, die göttliche Größe zu begreifen vermag. Die anschließend gegebene Erklärung ist ebenfalls unbrauchbar: „Zwei Seraphim bedeckten die Füße Gottes.“26 Denn wenn die Seraphim sein Angesicht und seine Füße bedecken, dann müssen sie größer sein als Gott, dessen – wenn ich es so ausdrücken darf – höchste und tiefste Stelle sie bedecken. Dies können wir so auf keinen Fall akzeptieren, wollen wir nicht die Seraphim für größer als Gott halten; mag Origenes das auch nicht ausdrücklich sagen, ergibt sich das doch aus seinen Worten.27 Alles nämlich, was 23 Beide Bibelstellen, Ex. 33,20 und Joh. 1,18, hat Hieronymus auch in Es. III 3 (VL.AGLB 23, 310) und dial. adv. Pel. III 12 (CChr.SL 80, 115) nebeneinandergestellt. 24 Auch diese Bibelstelle hat Hieronymus, ebd., herangezogen. 25 Morin, AMar III/3, 108 app. crit., vermutet an dieser Stelle eine Lücke. 26 Siehe oben S. 337 Anm. 19. 27 Fast wörtlich denselben Vorwurf erhob Theophilus, tract. c. Orig. 5 (p. 120 Morin): quod etiamsi sermone taceat, ipsa rerum consequentia loquitur; ähnlich bei Hieronymus,
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maius est eo, quod operit, et quicquid operitur, minus est eo, quo operitur. Ad quod ille, quid diceret, nesciens, inpietate pervenit. David quoque incircumscriptum asserens Deum mystica voce decantat: „Quo ibo ab spiritu tuo, et a facie tua quo fugiam? Si ascendero in caelum, tu illic es; si descendero in infernum, ades. Si assumpsero pinnas meas deluculo, et habitavero in extremis maris. Etenim manus tua illuc deducet me, et tenebit me dextera tua.“a Unde et sanctus Paulus loquitur de Mosi: „Invisibilem enim quasi videns expectabat.“b Iuxta quem sensum et Seraphin extrema Dei, quae spiritaliter appellantur pedes eius, non operiunt, sed suis gressibus et desiderio prophetali inponunt modum, ne ultra velint tendere, quam creaturarum fragilitas patitur. Unde suos operiunt pedes, ut plus, quam Deus se vult intellegi, scire non cupiant. Dicit etiam: „Seraphin stabant in circuitu eius.“c Stare ea indicat et in sua manere mensura, ne ad maiora festinent. Unde et mediis alis volabant, ut mediocritate contenta sint volatus, quae additur, ut humilia relinquentes, de Deo, quae excelsa sunt, cogitent. Omnipotentem autem esse Deum, qui maiestate sua cuncta continet, et publica mortalium vox est, et propheta testatur dicens: „Operuit caelos virtus eius.“d Ante quem Salomon aliis verbis eundem exprimit sensum: „Gloria Dei abscondit verbum.“e David quoque de Deo similia sentiens: „Posuit“, inquit, „tenebras latibulum suum.“f Unde ostenditur incomprehensibilem esse et invisibilem Deum. Etiam Esaias, qui ante dixerat: „Vidi Dominum Sabaoth sedentem super thronum excelsum a f
Ps. 138(139),7–10 Ps. 17(18),12
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Hebr. 11,27
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Jes. 6,2
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Hab. 3,3 LXX
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Spr. 25,2 LXX
epist. 98,15 (CSEL 55, 199): quod licet sermone taceat (sc. Origenes) ..., tamen ipsa dicere necessitate conpellitur, quae prioribus datis ordine nectit sequentia. In derselben Weise äußerte sich Hieronymus, in Abac. II 3,4 (CChr.SL 76A, 624), zum unten von Theophilus gemäß der Septuagintaversion zitierten Vers Hab. 3,3: in eo quod dictum est: ,operuit caelos virtus eius‘, nosse debemus minus esse quod operitur, ab eo quod operit. Ähnlich bei Hieronymus, epist. 98,14 (CSEL 55, 198): simili errore deceptus et nesciens, quid loquatur. Da Theophilus am Text des Origenes in der ersten Jesajahomilie entlangging, dürfte Origenes gemeint sein, der in Is. hom. 1,2 (GCS Orig. 8, 244 Zeile 19) seinerseits Jes. 6,2 zitierte. Subjekt kann Jesaja bzw. der Bibeltext sein, aber auch Origenes, der auf das „Stehen“ der Seraphim im Gegensatz zu ihrem „Fliegen“ eigens hinwies: ebd. (Zeile 18f.). Wörtlich: „Sie bleiben in ihrem Maß“. Siehe dazu oben S. 338 Anm. 22.
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ein anderes 〈bedeckt〉, ist größer als das, was es bedeckt, und was immer bedeckt wird, ist kleiner als das, wovon es bedeckt wird.28 Wohin hat ihn, ohne dass er weiß, was er sagt,29 seine Gottlosigkeit gebracht! Auch David spricht von Gottes Unermesslichkeit, wenn er in geheimnisvollem Gesang sagt: „Wohin soll ich gehen, um deinem Geist fern zu sein, wohin fliehen vor deinem Angesicht? Wenn ich in den Himmel emporsteige, bist du dort; steige ich in die Unterwelt hinab, bist du zugegen. Nehme ich mir Flügel von der Morgenröte und lasse mich nieder am Ende des Meeres, wird es ja doch deine Hand sein, die mich dort hinführt, und deine Rechte, die mich hält.“a Deshalb sagt auch der heilige Paulus von Mose: „Denn er hielt aus, als sähe er den Unsichtbaren.“b So verstanden, bedecken die Seraphim nicht das untere Ende Gottes, das auf geistige Weise als seine Füße bezeichnet wird. Stattdessen setzten sie ihren eigenen Schritten und dem Verlangen des Propheten ein Maß, damit sie nicht weiter streben, als es die Gebrechlichkeit von Geschöpfen zulässt. Deshalb bedecken sie ihre eigenen Füße, um ihren Wissensdrang auf das zu beschränken, was Gott ihnen nach seinem Willen von sich zu erkennen gibt. Er30 sagt außerdem: „Seraphim standen um ihn herum.“c Sie stehen, wie er sagt,31 und bleiben bei dem, was ihnen zugemessen ist,32 um nicht zu höheren Dingen zu enteilen. Deshalb flogen sie auch mit den mittleren Flügeln, damit sie, zufrieden mit der Mitte des Fluges, von der ebenfalls die Rede ist, allem Niederen den Rücken kehren und von Gott erhabene Dinge denken.33 Dass es der allmächtige Gott ist, der in seiner Erhabenheit alles in sich fasst,34 das sagen alle Sterblichen mit lauter Stimme und das bezeugt auch der Prophet, wenn er sagt: „Seine Macht bedeckt die Himmel.“d Vor ihm bringt Salomo eben diese Auffassung in anderen Worten zum Ausdruck: „Die Herrlichkeit Gottes verhüllt das Wort.“e Auch David vertritt eine ähnliche Auffassung von Gott, wenn er sagt: „Er machte Finsternis zu seinem Versteck.“f Hieraus geht hervor, dass Gott unfassbar und unsichtbar ist. Auch Jesaja, der zunächst gesagt hatte: „Ich sah den Herrn auf einem 33 Der vorliegende Satz bereitet Schwierigkeiten. So lässt sich etwa das zweite ut je nach Interpunktion entweder als Übersetzung für ein auf das nachfolgende Partizip bezogenes vëw verstehen (so Schade, BKV2 I 15, 233: „gleich als ob sie die Niederungen verlassend“) oder aber (mit Russell, Theophilus 164) als angefügter zweiter Finalsatz. Zudem scheint der Autor, nachdem er wiederholt die Beschränktheit kreatürlicher Gotteserkenntnis betont hat, allzu abrupt auf die von den Seraphim geschauten erhabenen Dinge zu sprechen zu kommen. Die Pointe der verschlungenen Argumentation dürfte in der Erklärung der mediocritas nach beiden Richtungen hin bestehen: Den Seraphim bleibt zwar – worin sie sich eben nicht von allen übrigen Geschöpfen unterscheiden – die Erkenntnis Gottes in seinem Wesen vorenthalten, gleichzeitig haben sie aber keine niedere Gotteserkenntnis und denken insofern durchaus Erhabenes. 34 Dieses Gottesbild entspricht dem des Origenes, wie er es anhand des medium Dei erklärt. Siehe dazu ausführlich oben S. 132–158.
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et elevatum“,a in consequentibus loquitur: „Et domus inpleta est fumo“,b ut inconprehensibilem Deum et inaccessibilem demonstraret; quo scilicet tenebris et caligine circa eum involuta sint omnia, licet appareat his, quos erudire voluerit, sicut ipse dignatur. Quod et sanctus Paulus intellegens ait: „O profundum divitiarum et sapientiae et scientiae Dei! Quam inscrutabilia iudicia eius et investigabiles viae illius! Quis enim cognovit sensum Domini, aut quis consiliarius eius fuit? Aut quis dedit ei, ut retribuatur illi? Quia ex ipso et per ipsum et in ipso sunt omnia.“c Si autem in ipso sunt omnia, et Seraphin sunt; et licet aliis creaturis maiora videantur, tamen Deus ab eis operiri non potest, sed et ista et omnes alias creaturas maiestas divina circumdat. In eo enim, quod dicitur: „O profundum divitiarum sapientiae et scientiae Dei!“ inconprehensibilitas illius demonstratur. Cumque idem apostolus Paulus scribit in alio loco: „Credere oportet accedentem ad Deum, quia est“,d non posuit, quis et qualis sit debere cognosci, sed tantum, quod sit. Scimus enim esse Deum scimusque, quid non sit; quid autem et qualis sit, scire non possumus. Quoniam bonitatis est atque clementiae descendentis ad nos, ut aliqua de eo aestimare valeamus, esse eum sentiamus beneficiis; qualis autem sit, propter profundum interiacens nulla potest intellegere creatura; et, ut pressius aliquid loquar, quid non sit Deus, novimus, quid autem sit, scire non possumus, non quo aliquid habens postea habere desierit, sed quo id, quod nobis iunctum est per naturae fragilitatem, ille non habeat, verbi gratia aut mutabilis ut corpus, ut aliquo indigeat, ut humanis pateat aspectibus et si qua sunt alia, quibus creatura subiecta est. Quae cum a Deo facta sit, sapientia eius et ratione perfecta est. Neque enim, ut quidam philosophorum putant, absque providentia fortuito cuncta esse coeperunt, quia quicquid fortuitum est, non habet ordinem atque consilium; quod ex arte descendit, quae apparet in cunctis, et artificis prudentiam suo declarat intuitu, non solum in opere, sed et in consilio operis atque ratione. Lucet itaque in omnibus creaturis Dei sapientia, nihilque, quod factum est, absque a
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35 Diese Paulusstelle hat auch Origenes immer wieder als Beleg für die Unerkennbarkeit Gottes angeführt, paradigmatisch am Ende seiner Grundlagenschrift: princ. IV 3,14 (GCS Orig. 5, 345). 36 Zu diesen erkenntnistheoretischen Überlegungen, die in die Tradition negativer Theologie gehören, verwies Amelli, p. 8 Anm. 1, auf ähnliche Formulierungen bei Augustinus, en. in Ps. 85,12 (CChr.SL 39, 1186); in Ioh. ev. tract. 23,9 (CChr.SL 36, 238). 37 Gemeint sind die in der Spätantike viel geschmähten Epikureer, die unter Berufung
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erhabenen und hohen Thron sitzen“,a fährt im Weiteren fort: „Und das Haus füllte sich mit Rauch“,b um Gottes Unfassbarkeit und Unzugänglichkeit herauszustellen. Zu diesem Zweck nämlich ist alles um ihn herum in Finsternis und Rauch gehüllt, mag er auch denen, die er belehren will, erscheinen, so wie er selbst es beschließt. Diese Einsicht bringt auch der heilige Paulus zum Ausdruck: „O Tiefe des Reichtums, der Weisheit und der Erkenntnis Gottes! Wie unergründlich sind seine Urteile, wie unerforschlich seine Wege! Wer nämlich hätte den Sinn des Herrn erkannt? Oder wer wäre sein Ratgeber gewesen? Oder wer hätte ihm etwas gegeben, dass er es ihm vergelten müsste? Denn aus ihm und durch ihn und in ihm ist alles.“c35 Wenn aber alles in ihm ist, so sind es auch die Seraphim. Und mögen sie auch größer scheinen als die übrigen Geschöpfe, so kann doch Gott auch von ihnen nicht bedeckt werden. Im Gegenteil: Sie und alle übrigen Geschöpfe umfasst die Erhabenheit Gottes. In den Worten: „O Tiefe des Reichtums, der Weisheit und der Erkenntnis Gottes!“ wird nämlich seine Unerkennbarkeit herausgestellt. Und wenn derselbe Apostel Paulus an anderer Stelle schreibt: „Wer an Gott herantritt, muss glauben, dass er ist“,d so fordert er nicht, man müsse wissen, wer und von welchem Wesen er ist, sondern lediglich, dass er ist. Wir wissen nämlich, dass Gott existiert, und wir wissen auch, was er nicht ist. Was aber und von welchem Wesen er ist, das können wir nicht wissen. Da wir es ja der zu uns herabsteigenden Güte und Milde verdanken, dass wir überhaupt irgendetwas von ihm zu erkennen vermögen, so sollen uns seine Wohltaten erfahren lassen, dass er existiert. Sein Wesen dagegen kann aufgrund der dazwischenliegenden Kluft kein Geschöpf begreifen. Oder, um es noch etwas präziser zu sagen: Was Gott nicht ist, wissen wir, von dem aber, was er ist, können wir keinerlei Kenntnis haben,36 und zwar nicht, weil er irgendetwas hat, das er später dann nicht mehr hätte, sondern weil ihm das nicht zukommt, was uns kraft unserer gebrechlichen Natur anhaftet. Er ist beispielsweise nicht wie ein Körper veränderlich, leidet keinen Mangel an irgendetwas und ist auch nicht für das menschliche Sehen wahrnehmbar und was es sonst noch an Dingen gibt, denen die Schöpfung unterworfen ist. Weil diese von Gott geschaffen worden ist, ist sie dank seiner Weisheit und Vernunft vollkommen. Das Universum ist nämlich nicht, wie gewisse Philosophen37 meinen, ohne Vorsehung, per Zufall, ins Dasein getreten, denn allem, was dem Zufall entspringt, fehlt es an Ordnung und Plan. Was auf Kunstfertigkeit, wie sie in allen Dingen sichtbar wird, zurückgeht, kündet durch seinen Anblick von einem Künstler, der sein Werk nicht nur mit Umsicht ausführt, sondern es auch umsichtig plant und entwirft. Deshalb leuchtet in allen Geschöpfen die auf den Atomismus der vorsokratischen Philosophen Leukipp und Demokrit einen zweckvollen Kosmos leugneten. Vgl. etwa auch Hieronymus, in Eccl. 9,7.8 (CChr.SL 72, 325).
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causa et utilitate factum est. Ipsa quoque utilitas habet in se pulchritudinem, et pulchritudo utilitate decoratur; unaque elementorum materies diversas accipit formas, ut in singulis speciebus Dei providentia cognoscatur. Quod considerans in laudes Dei psalmista prorumpit dicens: „Mirabilia opera tua, et anima mea cognoscit nimis.“a Et propheta ei adsentiens loquitur: „Consideravi opera tua et expavi.“b Illud quoque, quod scriptum est: „Ecce, omnia bona valde“,c non fortuito processisse significat creaturam, sed Dei cuncta facta consilio atque sapientia, ut et species et pulchritudo et incredibilis consonantia in omnium creaturarum diversitate noscatur. Beatus propheta: „Caeli“, inquit, „enarrant gloriam Dei“,d non quod caeli os et linguam et arterias moveant ad clamandum, sed quod ex sua consonantia et perpetua servitute creatoris indicent voluntatem. Ex magnitudine enim et pulchritudine creaturarum consequenter creatorem earum intellegimus, et „invisibilia Dei a constitutione mundi per ea, quae facta sunt, intellecta conspicimus“.e Quid sit igitur, ut diximus, Deus, scire non possumus; quod autem sit, intellegimus, non nostro sensu, sed illius misericordia per ea, quae fecit, factoris prudentiam contemplantes. An non in navi et aedificio artificem navium et caementarium cogitamus in opere videntes artem et in singulis, quae ratione perfecta sunt, rationem invisibilem cernimus? Unde et Deus per creaturas suas perspicitur et invisibilitatem suam quodammodo facit esse visibilem. Neque enim caelum operit Deum et facit esse invisibilem nec Seraphin et ceterae creaturae, quasi possit videri et eorum beneficio atque operimento visibilis esse desistat; sed in omnibus est et ubique est et super omnia est et cuncta percurrit visibilia et invisibilia regens omnia atque sustentans nec loca mutans locis, sed cuncta ratione dispensans, ut terrae moles illius voluntate solidata sit rursumque ad nutum eius concutiatur pavefaciens corda mortalium, quando correptione indigemus; ut maria soluto liquore a
Ps. 138(139),14
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Hab. 3,2 LXX
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Gen. 1,31
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Ps. 18(19),2
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38 Der enge Zusammenhang von Schöpfungs- und Vorsehungsgedanke in der platonisierenden Kosmologie des Theophilus erinnert an die Einheit dieser beiden höchsten Kräfte im philonischen Logos, wie sie auch für die medium Dei-Spekulation des Origenes leitend ist. 39 Die Rede von einem processus, einem „Hervorgehen“ der Welt, entspricht der neuplatonischen proÂodow.
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Weisheit Gottes auf und ist nichts, das geschaffen ist, ohne Grund oder Nutzen geschaffen. Dem Nutzen kommt auch für sich schon Schönheit zu, und die Schönheit hat den Nutzen zum Schmuck. Und die eine Materie der Elemente empfängt verschiedene Formen, so dass an den gestalteten Einzeldingen Gottes Vorsehung zu erkennen ist.38 Bei dem Gedanken hieran bricht aus dem Psalmisten das Lob Gottes nur so hervor, und so sagt er: „Wunderbar sind deine Werke, und ihre Erkenntnis zu viel für meine Seele.“a Und der Prophet pflichtet ihm bei, indem er sagt: „Ich habe deine Werke betrachtet und geriet dabei in Furcht.“b Auch das Schriftwort: „Siehe, alles sehr gut“c macht klar, dass die Schöpfung nicht zufällig hervorgegangen,39 sondern dass alles nach Gottes Plan und Weisheit geschaffen worden ist, dergestalt, dass sich in der Vielfalt aller Geschöpfe Anmut, Schönheit und eine unglaubliche Harmonie zeigen.40 „Die Himmel“, sagt der selige Prophet, „erzählen von der Herrlichkeit Gottes“,d nicht weil die Himmel Mund, Zunge und Luftröhre bewegen, um zu rufen, sondern weil sie mit ihrer Harmonie und ihrem ewigen Dienst den Willen des Schöpfers kundtun. Denn aus der Größe und Schönheit der Geschöpfe schließen wir auf ihren Schöpfer, und „die unsichtbare Wirklichkeit Gottes nehmen wir seit der Erschaffung der Welt durch die Schöpfungswerke geistig wahr“.e Was Gott ist, können wir also, wie gesagt, nicht wissen; die Einsicht aber, dass er existiert, verdanken wir nicht eigener Erkenntnis, sondern seiner Barmherzigkeit, insofern wir durch das, was er geschaffen hat, die Umsicht des Schöpfers betrachten können. Oder denken wir bei einem Schiff und einem Gebäude nicht an den Schiffsbauer und den Steinmetz, indem wir im Werk die Kunstfertigkeit sehen und in den Einzeldingen, wie sie die Vernunft zustandebringt, die unsichtbare Vernunft wahrnehmen? Deshalb wird auch Gott durch seine Geschöpfe wahrgenommen und in gewissem Sinne lässt er seine Unsichtbarkeit sichtbar werden. Es ist nämlich nicht der Himmel, der Gott bedeckt und unsichtbar sein lässt, noch sind es die Seraphim oder die übrigen Geschöpfe, als wenn man ihn sehen könnte und er nur aufgrund ihrer Einwirkung, also aufgrund der Tatsache, dass sie ihn bedecken, nicht mehr sichtbar wäre. Vielmehr ist er in allem, überall und über allem. Er durchdringt alles, Sichtbares wie Unsichtbares, regiert alles und erhält es. Er wandelt nicht von Ort zu Ort, sondern ordnet und fügt alles durch seine Vernunft, und zwar so, dass die Erde mit ihrer Masse nach seinem Willen einen festen Stand hat und doch auf seinen Wink hin erschüttert wird und die Herzen der Sterblichen vor Furcht erzittern lässt, sooft wir des Tadels bedürfen; dass sich die Meere, wenn sich ihr Wasser 40 Den physikotheologischen Gottesbeweis schätzte auch Origenes. Sein sakramentales Naturverständnis, nach dem die Welt als Abbild des Logos und Ort seiner Gegenwart auf Gott verweist, ist ein zentraler Aspekt der erkennbaren göttlichen „Mitte“. Siehe dazu ausführlich oben S. 132–158.
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diffusa sint et, cum ad statutos venerint terminos, inlisione fluctuum retundantur; ut in quatuor tempora anni circulus dividatur et per momenta decrescentia atque crescentia diversitate aeris foveantur semina, nutriantur germina et solis caloribus torreantur; rationabiles quoque et invisibiles creaturas suo illustrans lumine, ut semper Dei amore teneantur et nequaquam ad terrena declinent. Quin rebus ostenditur Seraphin non Dei vultum pedesque texisse, ut Origenes somniat volens illum probare invisibilem non naturae proprietate, sed beneficio creaturarum. Nam cum propheta dixisset: „Vidi Dominum Sabaoth sedentem super thronum excelsum et elevatum“,a rursum videntur Seraphin operire faciem suam et pedes, ut prophetae ostenderent Dei magnificentiam non videri, sed pro qualitate meritorum offerre se conspectui mortalium, ita tamen, ut invisibilis permaneret. Unde et Moyses erudiens populum, quod esset invisibilis Deus, loquitur: „Vocem sermonum eius audistis et similitudinem non vidistis, sed tantum vocem.“b Quod quidem Dominus atque Salvator etiam de Spiritu sancto dicit: „Spiritus, ubi vult, spirat, et vocem eius audis, sed nescis, unde veniat et quo vadit“,c etiam Spiritum invisibilem et incomprehensibilem esse protestans. A quo doctus apostolus Paulus in haec verba prorumpit: „Quis enim scit hominum ea, quae sunt in homine, nisi spiritus hominis, qui est in eo? Sic et ea, quae Dei sunt, nullus novit nisi Spiritus Dei, qui est in eo.“d Cumque Deus invisibilis sit, consequenter et Spiritus, qui in Deo est, invisibilis appellatur continens omnia atque pertransiens iuxta illud, quod alibi scriptum est: „Spiritus Domini inplevit orbem terrarum.“e Legimus de omnipotente Deo: „Nonne caelum et terram ego impleo?, dicit Dominus.“f Quod et de Salvatore, qui humanum corpus assumpsit, apostolus credens loquitur: „Qui descendit, ipse est et qui ascendit super omnes caelos, ut impleat omnia.“g Cuius participatione et Seraphin plenitudinem sortiuntur, et per sanctificationem Spiritus sancti omnes sanctae fortitudines recipiunt sanctitatem. Transeamus ad Hiezechihel, ut illum quoque similia sensisse doceamus. Describens visionem Cherubin et quatuor animantium sacramenta hoc etiam intulit: „Et alae eorum extentae desuper quatuor singula duas habebant alas coniunctas sibi et duabus operiebant corpora sua.“h Consideremus, quid dicat: Sua velabant corpora, non Dei, ut per haec verba discamus omnem a g
Jes. 6,1 Eph. 4,10
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Dtn. 4,12 h Ez. 1,11
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1 Kor. 2,11
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41 Den gleichen Gedanken formuliert auch Origenes im Ausgang von Joh. 6,33: in Is. hom. 2,1 (GCS Orig. 8, 248). Siehe dazu ausführlich oben S. 144–147.
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Bahn bricht, ausbreiten und dass ihre Fluten, sobald sie an die ihnen gesetzten Grenzen gelangt sind, gegen diese branden und dadurch ihren Schwung verlieren; dass der Jahreskreis in vier Jahreszeiten eingeteilt ist und dank der mal kürzeren, mal längeren Zeiten Samen infolge des wechselnden Wetters gedeihen und Sprösslinge genährt und in der Hitze der Sonne getrocknet werden. Und indem er auch die vernunftbegabten und unsichtbaren Geschöpfe mit seinem Licht erleuchtet, hat er es so gefügt, dass sie stets in der Liebe zu Gott gehalten werden und sich unter keinen Umständen zu irdischen Dingen hinabwenden. In der Tat: Die Sache selbst zeigt, dass die Seraphim nicht Gottes Antlitz und Füße bedeckt haben, wie Origenes faselt, wenn er beweisen will, dass er nicht deswegen unsichtbar ist, weil es seiner besonderen Natur entspricht, sondern weil Geschöpfe es bewirken. Denn nachdem der Prophet gesagt hat: „Ich sah den Herrn Sabaoth auf einem erhabenen und hohen Thron sitzen“,a sieht er noch einmal die Seraphim ihr Angesicht und ihre Füße bedecken, um dem Propheten zu zeigen, dass Gott in seiner Erhabenheit nicht geschaut werden kann, sondern sich dem Anblick von Sterblichen entsprechend der Art ihrer Verdienste darbietet – so freilich, dass er dabei unsichtbar bleibt. Deshalb sagt auch Mose, als er das Volk belehrt, dass Gott unsichtbar ist: „Den Klang seiner Worte habt ihr vernommen, aber seine Gestalt habt ihr nicht gesehen, sondern nur die Stimme.“b Eben dies sagt der Herr und Erlöser auch vom Heiligen Geist: „Der Geist weht, wo er will. Du hörst seine Stimme, weißt aber nicht, woher er kommt und wohin er geht“,c und macht damit klar, dass auch der Geist unsichtbar und unfassbar ist. Von diesem belehrt, entfahren dem Apostel Paulus folgende Worte: „Welcher Mensch weiß denn um das Innere des Menschen außer dem Geist des Menschen, der in ihm ist? Ebenso weiß auch niemand um die Wirklichkeit Gottes außer dem Geist Gottes, der in ihm ist.“d Und weil Gott unsichtbar ist, wird entsprechend auch der Geist, der in Gott ist, unsichtbar genannt, er, der alles umfasst und durchdringt, wie es in der Schrift an anderer Stelle heißt: „Der Geist des Herrn erfüllt den Erdkreis.“e Vom allmächtigen Gott lesen wir: „Bin nicht ich es, der Himmel und Erde erfüllt? Spruch des Herrn.“f Dies glaubt der Apostel auch vom Erlöser, der einen menschlichen Leib angenommen hat; er sagt: „Eben der, der hinabgestiegen ist, ist es auch, der über alle Himmel emporgestiegen ist, um alles zu erfüllen.“g41 Durch Teilhabe an ihm erhalten auch die Seraphim die Fülle, und mittels der Heiligung durch den Heiligen Geist empfangen alle heiligen Kräfte die Heiligkeit. Gehen wir zu Ezechiel über, um zu zeigen, dass auch er ähnlicher Ansicht gewesen ist. Bei der Beschreibung der Vision der Cherubim und der vier geheimnisvollen Lebewesen fügt er noch Folgendes hinzu: „Und ihre vier Flügel waren nach oben ausgespannt. Jedes hatte zwei miteinander verbundene Flügel und mit zweien bedeckten sie ihren Körper.“h Sehen wir uns seine Worte genau an: Ihren eigenen Körper bedeckten sie, nicht den
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creaturam, quamvis sit rationabilis et terrena transierit, tamen condicione fragilitatis suae Deum, ut est, videre non posse nec clarum lumen eius caligantibus oculis intueri. Quem sensum sub aliis verbis idem propheta mystica narratione describit: „Et ecce, vox super firmamentum, quod erat super caput eorum, quasi visio lapidis similitudine throni; et super similitudinem throni similitudo quasi species hominis. Et vidi quasi visionem electri a lumbis et supra; et a renibus deorsum quasi aspectum ignis et splendorem in circuitu quasi visionem arcus in nube in die pluviae. Haec erat visio splendoris in circuitu et hic aspectus similitudinis gloriae Domini.“a Qua descriptione demonstrat non Deum se cernere, sed similitudinem gloriae Domini, ut ex similitudine, quam ferre non sustinet, quanta sit veritas, valeat suspicari, cuius imaginem sanctis quibusque largitur, quia naturam divinae maiestatis creatura non conspicit. Unde idem propheta in consequentibus loquitur: „Et surrexi et egressus sum in campum; et ecce, ibi gloria Domini stabat sicut visio gloriae, quam prius videram super fluvium Chobar, et cado in faciem meam“,b ut ostenderet invisibilem esse Deum et omne, quod conditum est, conditorem suum videre non posse. Legimus in evangelio, cum transfiguratus Dominus fuisset in monte, cecidisse apostolos in faciem suam, quoniam gloriam vultus eius ferre non poterant.c Non solum enim Deus Pater omnipotens, sed etiam Filius, id est sermo Dei, iuxta naturam suam invisibilis est. Quamobrem et visibile idem humanum corpus assumpsit, ut per id, quod videri poterat, praesens Deus invisibilis loqueretur. 3. Cum hoc nemo dubitet, rursum Origenes de Seraphin disputans sic ea super mensuram suam laudat, ut Filium Dei blasphemet et Spiritum sanctum. Dicit enim in consequentibus: „Sed haec de Seraphin, quae circa Deum sunt et sola rationabiliter atque prudenter dicunt: Sanctus, sanctus, sanctus.d Ideo prudenter laudant atque sapienter, quia sancta sunt.“ Nec nos a
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42 Die schon öfter vorgekommene fragilitas ist ein Schlüsselbegriff der Anthropologie des Theophilus. 43 Der Wahrheitsbegriff, wie ihn Theophilus hier verwendet, ist der der Seinswahrheit. Gegenbegriff ist daher nicht Trug oder Unwahrheit, sondern Bild und Abbild, verstanden als defiziente, weil ontologisch abhängige Wirklichkeit. Origenes verwendete den Wahrheitsbegriff auf ebensolche Weise. Im Johanneskommentar etwa diskutierte er ausführlich die Wahrheitsfähigkeit der empirischen Welt, die er, so sein Lösungsversuch, durch das zwischen höherer intelligibler und niederer materieller Welt obwaltende Analogieverhältnis gewährleistet sah: in Ioh. comm. I 167 (GCS Orig. 4, 31): „Nun ist der Christus als Licht der Welt wahres Licht im Gegensatz zum sinnlich wahrnehmbaren, denn nichts, was sinnlich wahrnehmbar ist, ist wahr. Doch folgt daraus, dass sinnlich Wahrnehmbares als solches nicht wahr ist, noch nicht, dass es falsch wäre. Schließlich kann das sinnlich Wahrnehmbare ja in Ana-
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Gottes. Diese Worte sollen uns klarmachen, dass jedes Geschöpf, mag es auch Vernunft haben und das Irdische transzendieren, gleichwohl im Zustand seiner Gebrechlichkeit42 außerstande ist, Gott zu sehen, wie er ist, oder sein lauteres Licht mit seinen in Finsternis gehüllten Augen zu schauen. Diese Ansicht legt derselbe Prophet mit anderen Worten in einer geheimnisvollen Erzählung dar: „Und siehe, da war eine Stimme oberhalb des Firmaments und über ihren Köpfen, die dem Anblick eines Steins im Bild eines Thrones glich. Und über dem Bild des Thrones war ein Bild mit dem Aussehen wie dem eines Menschen. Und ich sah so etwas wie Bernstein von seinen Lenden aufwärts, und von seinen Nieren abwärts erblickte ich etwas, das Feuer glich, und ringsum einen Glanz, der das Aussehen eines Bogens hatte, wie er an einem Regentag in den Wolken erscheint. So weit die Vision des Glanzes ringsum, so weit auch der Anblick des Bildes der Herrlichkeit des Herrn.“a Mit dieser Beschreibung macht er deutlich, dass er nicht Gott, sondern ein Bild der Herrlichkeit des Herrn sieht, so dass er aufgrund des Bildes, das er schon nicht ertragen kann, erahnen kann, wie gewaltig die Wirklichkeit ist, von der er jedem Heiligen ein Abbild schenkt,43 da ein Geschöpf die Natur der göttlichen Majestät nicht schauen kann. Daher fährt derselbe Prophet fort: „Und ich erhob mich und schritt hinaus ins Freie. Und siehe, da stand die Herrlichkeit des Herrn, so wie ich sie zuvor am Fluss Chobar in einer Vision gesehen hatte, und ich falle nieder auf mein Angesicht.“b Damit will er zeigen, dass Gott unsichtbar ist und nichts Geschaffenes seinen Schöpfer zu schauen vermag. Wir lesen im Evangelium, bei der Verklärung des Herrn auf einem Berg seien die Apostel auf ihr Angesicht gefallen, da sie die Herrlichkeit seines Antlitzes nicht ertragen konnten.c Denn nicht nur Gott, der allmächtige Vater, sondern auch der Sohn, das heißt das Wort Gottes, ist seiner Natur nach unsichtbar.44 Deshalb hat derselbe auch einen sichtbaren menschlichen Körper angenommen, damit der unsichtbar gegenwärtige Gott durch etwas, das sichtbar war, sprechen konnte. 3. Während hieran niemand zweifelt, lobt Origenes die Seraphim, wo er sich ein weiteres Mal mit ihnen befasst, auf solch maßlose Weise,45 dass er damit den Sohn Gottes und den Heiligen Geist lästert. Er sagt nämlich weiter: „So weit zu den Seraphim, die Gott umgeben und die allein mit Vernunft und Umsicht sprechen: ,Heilig, heilig, heilig‘.d Deswegen ist ihr Lob umsichtig und weise, weil sie heilig sind.“46 Auch wir können nicht logie zum Geistigen stehen; auf keinen Fall ließe sich vernünftigerweise alles, was nicht wahr ist, als falsch bezeichnen.“ 44 Ebenso Hieronymus, in Es. III 3 (VL.AGLB 23, 310f.). 45 Siehe dazu oben S. 338 Anm. 22. 46 Dieses Zitat entspricht in etwa dem Text bei Origenes, in Is. hom. 1,2 (GCS Orig. 8, 244 Zeilen 22–24).
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possumus denegare, quod Seraphin rationabiliter dicant atque prudenter „Sanctus, sanctus, sanctus“; sed quaero a doctore praecipuo, ubi in sanctis scripturis legerit sola Seraphin Deum laudare prudenter, cum omnes rationabiles creaturae et primogenita caelestis ecclesiae Deum noverint? Et Throni et Dominationes et Principatus et Potestates et Fortitudines, quas Paulus enumerat,a prudenter sanctum praedicant Deum. Nam Esaias clamat: „Sanctus Dominus, qui habitat in excelsis.“b Et ante illum David: „Exaltate Dominum Deum nostrum et adorate scabillum pedum eius, quia sanctus est.“c Danihel quoque de angelorum exercitu loquitur: „Milia milium ministrabant ei.“d Omnes enim administratorii spirituse sanctum Deum prudenter et rationabiliter praedicant, quod et quattuor pueros in camino aestuantis incendii cecinisse legimus: „Benedicite, angeli Domini, Dominum, laudate et exaltate eum in saecula.“f Et non solum Seraphin, ut Origenes audacter pronuntiat, scienter et docte laudant Deum dicentia: „Sanctus, sanctus, sanctus“, sed et omnes creaturae iuxta Ananiam et Azariam et Misahel digne laudare Dominum comprobantur. Sequitur enim: „Benedicite, omnia opera Domini, Dominum, laudate et exaltate eum in saecula.“g Sed et in psalmis omnes creaturae ad laudem Domini provocantur dicente David: „Laudate Dominum de caelis, laudate eum in excelsis. Laudate eum, omnes angeli eius, laudate eum, omnes virtutes eius.“h Et utique, si laudant Deum, sanctum illum esse noverunt; et non solum Seraphin, ut ante iam diximus, sed omnia, quae laudant Deum, sanctum norunt esse, quem laudant. Scimus quidem multas esse mansiones apud Patrem;i sed in singulis mansionibus iuxta mensuram eorum, quae in mansionibus variis commorantur, Dei sanctitas praedicatur, ita ut Seraphin iuxta modum fidei suae Deum laudent et noverint sanctitatem, iuxta quam et Archangeli et Angeli et omnes administratorii spiritusj laudant sanctum Deum. Quod si solum iuxta Origenis errorem detur Seraphin, ergo Gabriheli archangelo et Michaheli et ceteris, qui eandem in servitute Dei obtinent dignitatem, scientia tolletur et ratio laudis Dei dicente Paulo: „Sed accessistis ad Sion montem et civitatem Dei viventis, Hierusalem caelestem, et multorum milium frequentiam et eccleKol. 1,16 b Jes. 33,5 LXX g LXX Dan. 3,57 LXX
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Ps. 98(99),5 Ps. 148,1f.
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d Dan. 7,10 Joh. 14,2
j
e Hebr. 1,14 Hebr. 1,14
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Dan. 3,58
47 Zu dem Missverständnis, das Theophilus hier unterlaufen ist, siehe oben S. 184f. 48 Die Zahl vier (statt drei) könnte im Blick auf Dan. 3,92 zustandegekommen sein, zumal dieser Vers in tract. c. Orig. 1 (p. 106 Morin) herangezogen ist, oder auch durch Verschreibung von III in IIII, da im folgenden Satz nur von drei Jünglingen die Rede ist: Morin, p. 114 zu Zeile 17. 49 Bei den Partikeln quidem und sed handelt es sich wohl eher um eine sehr wörtliche Wiedergabe der griechischen Strukturwörter meÂn und de als um einen Hinweis auf einen adversativen Sinn des Satzes.
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leugnen, dass die Seraphim mit Vernunft und Umsicht sagen: „Heilig, heilig, heilig“, doch frage ich diesen herausragenden Lehrer, wo in den heiligen Schriften er gelesen hat, dass allein die Seraphim Gott mit Umsicht loben,47 wo doch alle vernunftbegabten Geschöpfe und die Erstgeborenen der himmlischen Kirche Gott kennen? Auch die Throne, Herrschaften, Fürsten, Mächte und Kräfte, die Paulus aufzählt,a preisen Gott mit Umsicht als den Heiligen. So ruft Jesaja aus: „Heilig ist der Herr, der in der Höhe wohnt“,b und vor ihm David: „Rühmt den Herrn, unseren Gott, und werft euch nieder vor dem Schemel seiner Füße, denn er ist heilig.“c Überdies sagt Daniel vom Heer der Engel: „Abertausende dienten ihm.“d Alle dienstbaren Geistere preisen Gott nämlich mit Umsicht und Vernunft als den Heiligen. Ebenso haben auch, wie wir lesen, die vier48 Jünglinge im Feuerofen gesungen: „Preist den Herrn, ihr Engel des Herrn, lobt und rühmt ihn in Ewigkeit!“f Demnach sind es nicht, wie Origenes in seiner Verwegenheit erklärt, die Seraphim allein, die Gott mit Kenntnis und Wissen loben, indem sie rufen: „Heilig, heilig, heilig“. Vielmehr loben, wie es das Zeugnis von Hananja, Asarja und Mischael bestätigt, auch alle Geschöpfe Gott auf würdige Weise. Weiter heißt es nämlich: „Preist den Herrn, all ihr Werke des Herrn, lobt und rühmt ihn in Ewigkeit!“g Ebenso werden auch in den Psalmen alle Geschöpfe zum Lob des Herrn aufgefordert, sagt doch David: „Lobt den Herrn von den Himmeln her, lobt ihn in den Höhen. Lobt ihn, all seine Engel, lobt ihn, all seine Kräfte!“h Wenn sie Gott loben, dann wissen sie natürlich auch, dass er heilig ist. Und wie bereits gesagt: Nicht die Seraphim allein, sondern alles, was Gott lobt, weiß, dass der, den sie loben, heilig ist. Wie wir wissen, gibt es beim Vater viele Wohnungen,i und49 in jeder einzelnen Wohnung wird Gottes Heiligkeit entsprechend dem Maß derer, die sich in den verschiedenen Wohnungen aufhalten, gepriesen. Folglich entsprechen auch das Gotteslob der Seraphim und ihre Kenntnis seiner Heiligkeit dem Maß ihres Glaubens, gemäß dem auch die Erzengel, die Engel und alle dienstbaren Geisterj Gott als den Heiligen loben. Wollte man dies, wie Origenes es in seinem Irrtum tut,50 den Seraphim vorbehalten, so müsste man auch dem Erzengel Gabriel, Michael und allen anderen, die im Dienst Gottes denselben Rang innehaben, absprechen, dass ihr Lob Gottes mit Wissen und Vernunft geschieht, obwohl Paulus sagt: „Ihr seid zum Zionsberg hingetreten und zur Stadt des lebendigen Gottes, zum himmlischen Jerusalem, zum Versammlungsort vieler tausend 〈Engel〉51 und zur 50 Die Junktur iuxta Origenis errorem findet sich (mit leichten Variationen) öfter in den Osterfestbriefen des Theophilus bei Hieronymus, epist. 96,5.17 (CSEL 55, 162. 177); 98,12 (55, 195). 51 Das in der lateinischen Übersetzung fehlende aÆggeÂlvn des griechischen Bibeltextes muss ergänzt werden. Theophilus geht es an dieser Stelle gerade um den Nachweis, dass die Engel sehr wohl zu einem vernünftigen Lob Gottes in der Lage sind.
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siam primitivorum, qui scripti sunt in caelis.“a Quod si iuxta Origenen sola Seraphin laudant prudenter Deum, ergo haec omnia insipienter et irrationabiliter eum laudare credenda sunt. Et quomodo psalmista dicit: „Hymnus omnibus sanctis eius“?b Aut qua fiducia nos, qui homines sumus, Esaias ad laudem Domini cohortatur dicens: „Laudate Dominum, clamate nomen eius“?c Et rursum in eodem volumine Iudaeorum impietatem arguens loquitur: „Vae, gens peccatrix, populus plenus peccatis, semen peccati, filii iniqui; dereliquistis Dominum et ad iracundiam provocastis Sanctum Israhel.“d Hoc, quod dixit, „Sanctum Israhel“, prudenter dixit an inprudenter? Non puto aliquem tam vaesanum, ut audeat dicere prophetam stulte sanctum Dominum praedicare. Et in alio loco eiusdem prophetae legimus: „Sic dicit Dominus Sanctus Israhel: Cum conversus ingemueris, tunc salvus eris.“e Si sola Seraphin prudenter laudant sanctum Deum, ergo excluduntur angeli et omnes rationabiles creaturae et ipse propheta a laudatione prudenti, qua dicit: „Sanctus, sanctus, sanctus“. Anna quoque, cum ablactasset Samuhel, gratias referens Deo in haec verba prorupit: „Laetata sum in salutari tuo, quia nemo sanctus ut Dominus et non est sanctus sicut Deus noster.“f Ergo haec loquens inprudenter loquebatur. Sed et Esaias adventum Domini in carnem praenuntians scribit: „Sanctificate eum, qui contempnit animam suam, qui abominationi est gentibus, quae serviunt principibus.“g Quomodo eum laudare debemus nos, qui ex gentibus sumus? Prudenter an inprudenter? Si prudenter eum laudamus, et ipsi sumus laude condigni; sin autem stulte, ergo et nobis stultitia coaptabitur. Quod autem dixit: „Qui contempnit animam suam“, pro eo, quod est, humiliat et parvi ducit, debemus accipere, atque neglexit; quod Salvator fecit dicens: „Nunc anima mea turbata est“h et: „Tristis est anima mea usque ad mortem.“i Quod utique pro assumpti corporis humilitate dicebat. Haec ideo diximus, ut doceremus non solum Seraphin, sed et angelos quoque et alias rationabiles creaturas Deum sanctum laudare prudenter. 4. Porro Origenes de caelestibus disputans et arbitrum se faciens uniuscuiusque spiritalium sanctitatis et de Seraphin temeraria voce pronuntiat: „His enim nihil sanctius novimus inter ea, quae sunt.“ Haec ille dicit; nos a b c d Hebr. 12,22f. Ps. 148,14 Jes. 12,4 Jes. 1,4 g h i 2,1f. Jes. 49,7 LXX Joh. 12,27 Mt. 26,38
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52 Zur sprachlichen Fassung dieser Bibelstelle siehe die Überlegungen bei Morin, p. 115 zu Zeile 22. 53 Dieses Zitat entspricht ziemlich wörtlich Origenes, in Is. hom. 1,2 (GCS Orig. 8, 244 Zeile 24f.): his enim in omnibus, quae sunt, sanctius nihil est.
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Kirche der Erstgeborenen, die aufgeschrieben sind in den Himmeln.“a Wenn also, wie Origenes will, allein die Seraphim Gott mit Umsicht loben, dann muss man annehmen, dass die Genannten Gott allesamt auf törichte und vernunftlose Weise loben. Wie aber kann der Psalmist dann sagen: „Ein Loblied haben alle seine Heiligen“?b Und woher nimmt Jesaja die Zuversicht, uns, die wir Menschen sind, mit den folgenden Worten zum Lob Gottes zu ermuntern: „Lobt den Herrn, ruft laut seinen Namen“?c Und noch einmal sagt er im selben Buch, die Gottlosigkeit der Juden anprangernd: „Wehe dir, sündhaftes Geschlecht, Volk voller Sünden, Samen der Sünde, gesetzlose Söhne! Ihr habt den Herrn verlassen und den Heiligen Israels zum Zorn gereizt.“d52 Als er vom „Heiligen Israels“ sprach, hat er da mit oder ohne Umsicht gesprochen? Ich halte niemanden für so wahnsinnig, dass er zu sagen wagte, der Prophet preise den Herrn auf törichte Weise als den Heiligen. Und bei demselben Propheten lesen wir an anderer Stelle: „So spricht der Herr, der Heilige Israels: Wenn du umkehrst und Reue empfindest, dann wirst du gerettet sein.“e Wenn es allein die Seraphim sind, die Gott mit Umsicht als den Heiligen loben, so schließt man also für die Engel, für alle vernunftbegabten Geschöpfe und sogar für den Propheten aus, dass sie ein umsichtiges Lob sprechen und demgemäß mit Verstand sagen könnten: „Heilig, heilig, heilig“. Auch Hannah sagte, nachdem sie Samuel entwöhnt hatte, Gott mit folgenden Worten begeistert Dank: „Ich bin voller Freude über dein Heil, denn niemand ist heilig wie der Herr, und es gibt keinen, der heilig wäre wie unser Gott.“f So sprach sie diese Worte also in Unverstand. Aber auch Jesaja schreibt, wo er die Ankunft des Herrn im Fleisch ankündigt: „Heiligt ihn, der seine eigene Seele verachtet hat, der den Völkern ein Gräuel ist, die im Dienst der Fürsten stehen.“g Wie sollen wir, die wir aus den Völkern kommen, ihn loben? Mit oder ohne Umsicht? Wenn wir ihn mit Umsicht loben, dann verdienen auch wir Lob; tun wir es aber auf törichte Weise, so wird die Torheit auch uns zugerechnet. Den Ausdruck „der seine eigene Seele verachtet hat“ müssen wir in dem Sinne verstehen, dass er sie demütigt und gering achtet und ihr keinerlei Beachtung geschenkt hat; dies tat der Erlöser, als er sagte: „Nun ist meine Seele verwirrt“h und: „Betrübt ist meine Seele bis zum Tod.“i Das sagte er natürlich im Blick auf die Niedrigkeit des von ihm angenommenen Körpers. Von diesen Dingen haben wir deswegen gesprochen, weil wir klarmachen wollten, dass nicht allein die Seraphim, sondern auch die Engel und die anderen vernunftbegabten Geschöpfe Gott mit Umsicht als den Heiligen loben. 4. Darüber hinaus schwingt sich Origenes in seiner Untersuchung über die himmlischen Wesen zum Richter über die Heiligkeit eines jeden Geistwesens auf und erklärt hinsichtlich der Seraphim mit verwegenen Worten: „Wir wissen nämlich, dass nichts von dem, was existiert, heiliger ist als sie.“53 Soweit seine Worte. Wir aber wissen, dass die Seraphim, die Throne, die
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autem et Seraphin et Thronos et Principatus et Potestates et Virtutes et Dominationes, quae iuxta Paulum apostolum serviunt Deo, et omnes Angelos atque Archangelos, qui suum ordinem servaverunt, sanctos novimus Dei solius intellegentiae relinquentes, quis quo sanctior sit. Neque enim novimus, qui Archangeli quibus Archangelis sanctiores sint, nec, qui Angeli quibus Angelis videantur esse meliores. „Stella ab stella differt in claritate.“a Quas oculis contemplantes possumus iudicare, quae stella qua stella maior sit; de Angelis autem, quos non videmus, et Archangelis, Principatibus, Thronis et Dominationibus, Virtutibus et Potestatibus et de aliis ministeriis spiritalibus iudicare non possumus, quia inferior humiliorque natura de melioribus se non potest ferre sententiam, ut dicat: Ille Angelus illo Angelo melior est, et ista Dominatio et Potestas et Virtus illa Dominatione et Potestate et Virtute sublimior est. Quod Origenes de Seraphin audacter pronuntiat dicens, quod in his, quae sancta sunt, nihil Seraphin sanctius sit. Dicente autem David: „Qui regis Israhel, intende, qui deducis sicut oves Ioseph, qui sedes super Cherubin, manifestare“,b putasne, aliquis nostrum scire potest, utrum Cherubin sanctiora sint quam Seraphin, cum et illa sint sancta et Deus solus et hii, quibus ipse revelare dignatur, habeant huius rei notitiam, quae quibus sanctiora sint? Nam et apostoli, cum ignorarent mensuram suam et nescirent, quis quo maior esset, diiudicati sunt a Domino; et ita Petro datus est principatus, ut unusquisque suum ordinem possideret. Et David canit: „Domine, probasti me et cognovisti me.“c Si enim „nemo novit hominum ea, quae sunt in homine, nisi spiritus hominis, qui in eo est“,d qua temeritate Origenes ausus est dicere se nosse, quid quo in caelestibus sanctius sit, et quod nihil ei Seraphin sanctius esse videatur? Quis illi huius arbitrii tradidit potestatem, ut inter Cherubin et Seraphin diiudicet? Dicente autem Hiezechihel de Cherubin: „Et vox alarum Cherubin audiebatur usque ad atrium exterius sicut vox Dei Saddai“,e stultae temeritatis est aliquem velle decernere, quae inter Cherubin et Seraphin diversitas sit, cum haec solius Dei a
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Ps. 79(80),2
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Ps. 138(139),1
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1 Kor. 2,11
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54 Zu ignorarent mensuram suam vgl. Theophilus, epist. syn. bei Hieronymus, epist. 92,1 (CSEL 55, 148): nec intellegant mensuram suam. Für solche „Maßlosigkeit“ siehe oben S. 338 Anm. 22. 55 Theophilus bei Hieronymus, ebd. 96,6 (55, 163): qua temeritate Origenes ... ausus sit. 56 Et quod als Einleitungspartikel zu einer Ergänzung des Referats aufzufassen, verbietet nicht nur die daraus resultierende Inkonzinnität – Hieronymus müsste binnen we-
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Fürsten, die Mächte, die Kräfte und die Herrschaften, die, wie der Apostel Paulus sagt, Gott dienen, und auch alle Engel und Erzengel, die ihren Stand bewahrt haben, heilig sind. Dabei überlassen wir es der Einsicht Gottes, wer wen an Heiligkeit übertrifft. Wir wissen ja nicht, welche Erzengel heiliger als andere Erzengel sind oder welche Engel besser als andere Engel zu sein scheinen. „Ein Stern unterscheidet sich von einem anderen durch seinen Glanz.“a Da wir diese mit den Augen beobachten können, können wir auch beurteilen, welcher Stern größer als ein anderer ist. Über die Engel und Erzengel aber, über die Fürsten, Throne und Herrschaften, über die Kräfte und Mächte und über die anderen dienstbaren Geistwesen, die wir nicht sehen, können wir uns kein Urteil bilden, denn eine Natur von niedrigerem und geringerem Rang kann über solche, die ihr überlegen sind, kein Urteil abgeben und sagen: Dieser Engel ist besser als jener und diese Herrschaft, Kraft oder Macht erhabener als jene. Eben dies tut Origenes, wenn er hinsichtlich der Seraphim verwegen erklärt, von den Dingen, die heilig sind, sei nichts heiliger als die Seraphim. Und wenn David sagt: „Hirt Israels, höre, du, der du Josef wie Schafe führst und auf den Cherubim Sitz hast, zeige dich“,b meinst du dann, irgendeiner von uns könnte wissen, ob nicht die Cherubim vielleicht heiliger als die Seraphim sind, wo sie doch ebenfalls heilig sind? Schließlich haben ja nur Gott und jene, denen er es zu offenbaren geruht, Kenntnis darüber, wer wen an Heiligkeit übertrifft. Denn selbst die Apostel sind, als sie sich über die Rangfolge unter sich im Unklaren waren54 und nicht wussten, wer von ihnen über wem steht, vom Herrn beurteilt worden. Und mit der ersten Stelle, die dem Petrus gegeben wurde, erhielt jeder einzelne seinen Platz. Auch David singt: „Herr, du hast mich geprüft und kennst mich.“c Wenn nämlich „kein Mensch um das Innere des Menschen weiß außer dem Geist des Menschen, der in ihm ist“,d mit welcher Verwegenheit wagt dann Origenes55 zu behaupten, er wisse, welches der himmlischen Wesen heiliger als ein anderes ist, scheint es ihm ja,56 als sei nichts heiliger als die Seraphim? Wer hat ihm die richterliche Vollmacht übertragen, einen Unterschied zwischen Cherubim und Seraphim zu machen? Wenn aber Ezechiel von den Cherubim sagt: „Und der Hall der Cherubenflügel war bis in den äußeren Vorhof zu hören wie der Hall der Stimme des allmächtigen Gottes“,e so zeugt es von törichter Verwegenheit, wenn jemand entscheiden will, welcher Unterschied zwischen Cherubim und Seraphim besteht, denn dieses Wissen ist Gott allein vor-
niger Zeilen zunächst einen klassischem Latein entsprechenden Akkusativ mit Infinitiv und dann einen mit quod eingeleiteten indirekten Aussagesatz verwendet haben –, sondern auch die unsinnige Verknüpfung von „wissen“ und „scheinen“. In der vorliegenden Übersetzung ist et im Sinne eines erläuternden „und zwar“ aufgefasst.
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scientiae reservetur. Rursumque narrante eodem propheta de Cherubin: „Et egressa est gloria Domini de vestibulo domus et ascendit super Cherubin; et assumpserunt Cherubin alas suas et elevata sunt de terra in conspectu meo“,a quis hominum mensuram sanctitatis eorum se nosse iactabit et ad comparationem gloriae Seraphin minora subsistere aut pronuntiare de caelestibus, cum terrena non norit? Quis enim scit ad liquidum, qui homines quibus hominibus sanctiores sint, nisi forte nobis Sanctus revelarit? Quod ignorans Origenes linguae suae non ponit modum. Idem Hiezechihel rursum describens Cherubin ait: „Et gloria Domini Israhel erat super ea. Hoc est animal, quod vidi sub Deo Israhel super fluvium Chobar, et cognovi, quod Cherubin essent. Quatuor facies uni et octo alae uni et similitudo manuum hominum subter alas eorum. Haec erant facies, quas vidi subter gloriam Domini iuxta fluvium Chobar; unumquodque contra faciem suam gradiebatur.“b Esaia docente cognovimus, quod Seraphin senas habeant alas; porro Hiezechihel nos instruxit, quod unum Cherubin quaternas habuerit facies et octonas alas. Si licet pronuntiare de maioribus, quid, putas, maius est, qui unam habet faciem, sex alas, an qui quatuor facies et octo alas? Sed de his non solum loqui, sed et cogitare temerarium est, praesertim cum, qua ratione ipsi facti simus, ignoramus dicente David de Deo: „Ipse novit figmentum nostrum.“c Utraque sancta sunt, sed quae maiora, Deus viderit. Si enim maris atque harenarum, astrorum quoque et nubium imbriumque mensuram scire non possumus nec terrae profundum nec abyssi magnitudinem nec numerum herbarum, quae in montibus, campis vallibusque nascuntur, nec, qua ratione ipsi compacti simus, cur ea, quae excedunt humanae scientiae modum? Tanta Origenes desaevit audacia, ut, dum apud inperitos quosque et simplices gloriam quaerit novitate verborum, hominem se esse non noverit. De Iohanne Baptista Salvator ait in evangelio: „Quid existis in desertum videre? Calamum vento a
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57 Das Unwissen des Origenes bezieht sich entweder auf sein Unwissen um die Tatsache, dass kein Mensch zu einem Urteil über die himmlischen Wesen imstande ist (so Russell, Theophilus 170f.), oder auf das allgemeine Unwissen um die genannten Zusammenhänge, das Origenes mit einschließt (so Schade, BKV2 I 15, 244, und die vorliegende Übersetzung). 58 Siehe dazu erneut oben S. 338 Anm. 22. 59 An dieser Stelle liegt vermutlich ein Fehler des Übersetzers vor, der das griechische kata Á proÂsvpon ayÆtv Ä n (II p. 784 Rahlfs) statt mit „entsprechend ihrer Blickrich-
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behalten. Und wenn derselbe Prophet noch Folgendes von den Cherubim berichtet: „Und die Herrlichkeit des Herrn schritt aus dem Vorhof des Hauses und stieg auf die Cherubim. Da schwangen die Cherubim ihre Flügel und erhoben sich vor meinen Augen von der Erde“,a welcher Mensch wird sich da brüsten, er wisse um das Maß ihrer Heiligkeit, und sagen, im Vergleich zur Herrlichkeit der Seraphim komme ihnen eine geringere Stellung zu? Wer wird da großsprecherisch über himmlische Wesen urteilen, obwohl er doch die irdischen schon nicht kennt? Denn wer wüsste schon mit Gewissheit, wer unter den Menschen wen an Heiligkeit übertrifft, es sei denn, der Heilige hätte es uns offenbart? Obwohl auch Origenes dies nicht weiß,57 zügelt er seine Zunge nicht.58 Derselbe Ezechiel sagt in einer weiteren Beschreibung der Cherubim: „Und die Herrlichkeit des Herrn Israels war über ihnen. Dies ist das Lebewesen, das ich unter dem Gott Israels am Fluß Chobar gesehen habe. Und ich erkannte, dass es Cherubim waren, einer mit vier Angesichtern und einer mit acht Flügeln, und unterhalb ihrer Flügel war etwas, das menschlichen Händen glich. Dies waren die Angesichter, die ich unterhalb der Herrlichkeit des Herrn am Fluss Chobar gesehen habe; jedes bewegte sich entgegen59 seiner Blickrichtung.“b Der Darstellung Jesajas konnten wir entnehmen, dass jeder Seraphim sechs Flügel hat. Nun hat uns Ezechiel davon in Kenntnis gesetzt, dass ein einziger Cherub vier Angesichter und acht Flügel hat. Angenommen, man dürfte über höhere Wesen urteilen, welches hielte man dann für größer, eines, das ein einziges Angesicht und sechs Flügel, oder eines, das vier Angesichter und acht Flügel besitzt? Von ihnen zu sprechen ist freilich ebenso verwegen wie über sie nachzudenken, zumal wir nicht einmal wissen, auf welche Weise wir selbst geschaffen worden sind, wie auch David mit Blick auf Gott sagt: „Er ist es, der weiß, was für ein Werk wir sind.“c Beide sind heilig, doch wer von ihnen größer ist, das soll Gott sehen. Denn wenn sich schon die Ausmaße des Meeres und der Sandwüsten, der Sterne, der Wolken und der Regenströme unserem Wissen entziehen, desgleichen die Tiefe der Erde, die Größe des Weltraums,60 die Zahl der Pflanzen, die auf den Bergen, auf den Feldern und in den Tälern wachsen, oder die Art und Weise, wie wir selbst zusammengesetzt sind, wie sollten wir dann jene Dinge begreifen, die das Maß menschlichen Wissens überschreiten? In seiner Raserei ist Origenes so verwegen, dass er bei dem Bestreben, mit dem Neuen, das er vorbringt, bei allen Unkundigen und einfach Gestrickten Ruhm zu finden, vergisst, dass er ein Mensch ist. Von Johannes dem Täufer sagt der Erlöser im Evangelium: „Was wolltet ihr tung“ fälschlich mit contra faciem suam wiedergab. In der Vulgata übersetzte Hieronymus: ante faciem suam (p. 1277 Weber/Gryson). 60 „Weltraum“ ist die ursprüngliche Bedeutung des Wortes abyssus, das erst seit christlicher Zeit belegt ist. Siehe ThLL 1, 243,45f.
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agitari? Sed quid existis videre? Hominem mollibus vestitum? Ecce, qui mollibus vestiti sunt, in domibus regum sunt. Sed quid existis videre? Prophetam? Etiam dico vobis, et plus quam prophetam.“a Et statim iungit: „Non surrexit inter natos mulierum maior Iohanne Baptista.“b Et de Iob idem Dominus loquitur: „Vidisti servum meum Iob? Quoniam non est qualis ille super terram: homo sine querela, iustus Dei cultor recedens ab omni mala re et adhuc retinet innocentiam.“c Respondeat ergo nobis Origenes, si audivit Dominum loquentem sicut de Iohanne et Iob etiam de Seraphin, quod nihil illis sanctius sit. Si autem non audivit, taceat et Deo diiudicandi creaturas suas scientiam derelinquat. Dicente enim David de Deo: „Ascendit super Cherubin et volavit“d et sanctus Paulus ad Hebraeos ait de tabernaculo in ty〈...〉 factum erat: „Et super arcam Cherubin gloriae obumbrantia propitiatorium“,e periculosum est Seraphin sanctiora dicere quam Cherubin et modum humanae humilitatis excedere. Dominus ad Hieremiam loquitur: „Probatorem dedi te in populis, ut probes eos“;f et Origenes quasi probator caelestium et rerum invisibilium constitutus audet de Seraphin dicere, quod nihil illis inter rationabiles creaturas sanctius sit. 5. Et si huc usque temeritas processisset, ferremus utcumque eius amentiam; nunc autem maiora blasphemat, et inpietas eius ad ipsum pervenit Deum. Filium enim et Spiritum sanctum quasi quidam fictor idoli et novorum simulacrorum conditor appellat duo Seraphin; et in hunc sacrilegii erumpit vomitum „a principali Sancto Seraphin sanctitatis accipere consortium, ,et alter clamat ad alterum: Sanctus, sanctus, sanctus.‘“g Et iterum: „Quae sunt“, inquit, „ista Seraphin? Dominus meus et Spiritus sanctus.“ Quod Seraphin a Deo, qui sanctitatis omnium caput est, acceperint sanctitatem et clament alter ad alterum: „Sanctus, sanctus, sanctus“, negare non possumus; ut autem Filius aestimetur et Spiritus sanctus, hoc penitus refutamus. Quicquid enim consortio alterius possidet sanctitatem, abusive dicitur a g
Mt. 11,7–9 Jes. 6,3
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Mt. 11,11
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Ijob 2,3
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Ps. 17(18),11
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Hebr. 9,5
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Jer. 6,27 LXX
61 Die Ergänzung der Lücke im Text folgt der Konjektur von Morin, AMar III/3, 119 zu Zeile 6: in ty[po corporis Dominici, in cuius similitudinem Iudaicum illud tentorium] factum erat. 62 Siehe dazu oben S. 338 Anm. 22 und S. 348 Anm. 42. 63 Der Idolatrie bezichtigte Theophilus Origenes auch an anderer Stelle mit ähnlichen Wendungen: Hieronymus, epist. 96,11 (CSEL 55, 169): novorum dogmatum adsertor; 96,16 (55, 176): novae inpietatis adsertor; 100,13 (55, 226): Origenis simulacra contemnant. Vgl. ferner ebd. 92,5 (55, 153); 98,14 (55, 198f.). 64 Während das zweite Zitat weitgehend mit Origenes, in Is. hom. 1,2 (GCS Orig. 8,
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sehen, als ihr in die Wüste hinauszogt? Ein Rohr, das im Wind hin und herschaukelt? Doch was wolltet ihr sehen, als ihr hinauszogt? Einen Menschen in feinen Kleidern? Sieh, Leute in feinen Kleidern weilen in den Häusern von Königen. Doch was wolltet ihr sehen, als ihr hinauszogt? Einen Propheten? Ja, ich sage euch: noch mehr als einen Propheten!“a Und er fährt gleich fort: „Unter denen, die eine Frau geboren hat, ist noch keiner erstanden, der größer ist als Johannes der Täufer.“b Und genauso äußert sich der Herr über Ijob: „Hast du meinen Diener Ijob gesehen? Denn es gibt auf Erden keinen wie ihn: ein tadelloser Mensch und rechter Verehrer Gottes. Er meidet jede Schlechtigkeit und hat sich bis heute nichts zuschulden kommen lassen.“c So möge Origenes uns denn die Frage beantworten, ob er jemals gehört hat, wie der Herr auf gleiche Weise wie von Johannes und Ijob auch von den Seraphim gesagt hätte, nichts sei heiliger als sie. Wenn nicht, soll er schweigen und Gott die für die Beurteilung seiner Geschöpfe erforderliche Kenntnis überlassen. Denn wenn David von Gott sagt: „Er stieg auf die Cherubim und flog davon“d und wenn der heilige Paulus den Hebräern Folgendes über das Zelt als 〈Sinnbild des Körpers des Herrn, nach dessen Gleichnis jenes jüdische Zelt〉 konstruiert war,61 schreibt: „Und über der Lade waren die Cherubim der Herrlichkeit, die den Sühnedeckel in Schatten hüllten“,e dann ist es gewagt zu sagen, die Seraphim seien heiliger als die Cherubim, und damit das mit der menschlichen Niedrigkeit gegebene Maß62 zu überschreiten. Der Herr sagt zu Jeremia: „Zum Prüfer habe ich dich eingesetzt unter den Völkern, damit du sie prüfst.“f Und Origenes, als wäre er zum Prüfer himmlischer und unsichtbarer Dinge bestellt worden, wagt es, von den Seraphim zu sagen, dass nichts unter den vernunftbegabten Geschöpfen heiliger sei als sie. 5. Und hätte seine Verwegenheit an diesem Punkt ein Ende gehabt, könnten wir seinen Irrsinn noch irgendwie ertragen. Doch nun stößt er noch größere Lästerungen aus und schreckt in seiner Blasphemie nicht einmal vor Gott selbst zurück. Den Sohn und den Heiligen Geist bezeichnet er nämlich gleich einem, der Götzen herstellt und neue Götterbilder verfertigt,63 als zwei Seraphim. Dann speit er das folgende Sakrileg aus: „Vom ursprünglichen Heiligen erhalten die Seraphim Anteil an der Heiligkeit, ,und der eine ruft dem anderen zu: Heilig, heilig, heilig‘.“g Und weiter sagt er: „Wer sind diese Seraphim? Mein Herr und der Heilige Geist.“64 Dass die Seraphim von Gott, der das Haupt der Heiligkeit aller ist, ihre Heiligkeit empfangen haben und einander zurufen: „Heilig, heilig, heilig“, können wir nicht leugnen. Seine Einschätzung von Sohn und Heiligem Geist aber weisen wir scharf zurück. Denn was immer durch Teilhabe an einem an244 Zeile 27f.), übereinstimmt: Quae sunt ista duo Seraphim? Dominus meus Iesus et Spiritus sanctus, ist das erste weder in der Homilie noch in einem anderen Text des Origenes zu verifizieren; zur Erklärung siehe oben S. 173f.
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sanctum, nec eiusdem est sanctitatis cuius illud, a quo accipit sanctitatem; Filius autem et Spiritus sanctus non abusione alteriusque consortio, sed per naturam 〈...〉 quae sanctificante Deo sanctitatis nomen accepit aut permanet in sanctitate et sancta dicitur; aut per neglegentiam perdens, quod acceperat, sancta esse desistit. Porro Filius et Spiritus sanctus non alterius consortio habent sanctitatem, ne similes creaturis esse videantur et aliunde accipere, quod non habebant, inferioresque esse eo, cuius possident sanctitatem. Sicut enim corpus habens colorem non est ipsum quod color, sed coloris participatione aut album est aut rubrum aut nigrum nec est tale (quamquam absque colore esse non possit) qualis ipse color, sic Filius, si aliunde habet sanctitatem iuxta Origenem, sanctus non erit per naturam. Quod de Filio diximus, hoc et de Spiritu sancto intellegamus. Aliud enim est esse sanctum per naturam, aliud per participium, quia in altero non potest deesse, quod semper est, in altero potest auferri, quia acceptum est. Dicamus et aliud exemplum. Ignis calidus per naturam est, facit autem calere et alia, quae calorem illius participatione susceperint; et non tam per naturam calida sunt, quam caloris participatione dicuntur. Sic Filius et Spiritus sanctus, si aliunde possidet sanctitatem, non secundum naturam, sed secundum gratiam sanctitatem habere credendus est. Sed quid ad Origenem, qui Filium et Spiritum sanctum non natura, sed participatione sanctum ausus est dicere, ut non multum distet a nobis, qui sanctitatis ex alio meremur habere consortium (quod, etiamsi sermone taceat, ipsa rerum consequentia loquitur), et ignorat, quod, licet color non possit a corpore separari, tamen omnis participatio, quae aliunde descendit, inferioris meriti fit ab eo, cuius participatione fit
65 Griechisch: kataxrhstikv Ä w; siehe dazu oben S. 272 Anm. 129. Die Ausführungen des Theophilus an dieser Stelle sind nicht zutreffend: Das Partizipationsverhältnis bezeichnet eine wirkliche Wesensverwandtschaft von Ur- und Abbild, so dass ein auf beide bezogenes Prädikat, etwa die Heiligkeit, kraft der zwischen beiden bestehenden Wesensähnlichkeit analog und nicht katachrestisch gebraucht wird. 66 Auch die Ergänzung dieser Lücke in der Handschrift folgt der Konjektur von Morin, AMar III/3, 120 zu Zeile 5: sed per naturam [sancti sunt. Creatura vero] quae sanctificante Deo etc. 67 Bei Origenes entspricht dieser Alternative die Unterscheidung zwischen dem substantiellen und dem akzidentellen Besitz einer Eigenschaft, wie sie seiner Deutung des Geistbesitzes Jesu zugrundeliegt: Jesu Heiligkeit ist substantiell und unverlierbar, die des Menschen hingegen nur akzidentell, so dass er immer wieder sündigt und den Geist verliert; vgl. in Is. hom. 3,2 (GCS Orig. 8, 255). Auch das Motiv der Nachlässigkeit ist origeneisch und spielt im Zusammenhang des ursprünglichen Verlusts der Heiligkeit eine nicht unbedeutende Rolle; vgl. ebd. 6,6 (8, 277).
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deren Wesen Heiligkeit besitzt, wird nur auf uneigentliche Weise65 heilig genannt, ohne dass ihm die gleiche Heiligkeit zukommt wie der Instanz, von der es die Heiligkeit empfängt. Dagegen sind der Sohn und der Heilige Geist nicht auf uneigentliche Weise, durch Teilhabe an einem anderen, sondern kraft ihrer Natur 〈heilig. Ein Geschöpf aber,〉66 welches das Prädikat „heilig“ der Heiligung durch Gott verdankt, verbleibt entweder in der Heiligkeit und wird heilig genannt oder es verliert das Erhaltene durch Nachlässigkeit und hört damit auf, heilig zu sein.67 Dem Sohn nun und dem Heiligen Geist kommt Heiligkeit nicht aufgrund der Teilhabe an einem anderen zu, damit sie nicht wie Geschöpfe aussehen und aus anderer Quelle erhalten, was sie nicht besaßen, und so unter dem stehen, dessen Heiligkeit sie besitzen. Denn wie ein Körper mit einer bestimmten Farbe nicht selbst die Farbe ist, sondern durch Teilhabe an der Farbe weiß, rot oder schwarz ist, und wie er, obwohl er nicht ohne Farbe sein kann, doch von anderer Art ist als die Farbe selbst, so wird auch der Sohn, wenn er – so Origenes – die Heiligkeit anderswoher erhält, nicht kraft seiner Natur heilig sein. Was wir vom Sohn gesagt haben, das wollen wir auch vom Heiligen Geist annehmen. Es besteht nämlich ein Unterschied zwischen einem Heiligsein von Natur aus und einem Heiligsein durch Teilhabe, denn im ersten Fall kann es als etwas, das immer Existenz hat, niemals nicht sein, während es im zweiten als etwas Empfangenes auch wieder weggenommen werden kann. Führen wir noch ein anderes Beispiel an! Das Feuer68 ist von Natur aus heiß und lässt auch andere Dinge heiß sein, die seine Hitze durch Teilhabe in sich aufnehmen. Und diese sind nicht so sehr von Natur aus heiß, sondern werden infolge ihrer Teilhabe an der Hitze heiß genannt.69 Ebenso müsste man annehmen, dass dem Sohn und dem Heiligen Geist, wenn sie ihre Heiligkeit aus anderer Quelle erhalten, die Heiligkeit nicht von Natur aus, sondern aus Gnade zukäme. Doch was sollen wir noch zu Origenes sagen, der zu behaupten gewagt hat, der Sohn und der Heilige Geist seien nicht kraft ihrer Natur, sondern durch Teilhabe heilig, so dass kaum mehr ein Unterschied zu uns besteht, die durch Verdienst von einem anderen Anteil an der Heiligkeit bekommen (auch wenn er dies nicht ausdrücklich sagt, so ergibt sich dies doch aus der Logik der Sache70)? Es ist ihm auch nicht klar, dass, mag auch eine Farbe nicht vom Körper trennbar sein, doch etwas, das teilhat und aus einer anderen Quelle herabsteigt, von geringerem Wert ist als 68 Das Beispiel des Feuers geht auf Platon zurück: Phaid. 103 d 10–12. 69 Die enge Verknüpfung von ontologischer (sunt) und sprachlicher Dimension (dicuntur) ist typisch für die platonische Partizipationslehre; ein Überblick dazu bei V. Roth/C. Schäfer, Art. Teilhabe/Partizipation (metocheˆ, methexis), in: Schäfer, Platon-Lexikon 277–282. 70 Ebenso argumentierte Theophilus, tract. c. Orig. 2 (p. 109 Morin): quod Origenes licet sermone taceat, consequentibus loquitur. Siehe dazu oben S. 339 Anm. 27.
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sancta? Aliud enim est per naturam, aliud per accidentiam aliquid possidere. Igitur Filius et Spiritus sanctus, si ex aliquo principali accipiunt sanctitatem, non erunt sancta natura, sed abusione. Quicquid enim participatione fit sanctum, accipit, quod non habebat, ex eo, cuius coeperit habere consortium. Verum absit, ut hoc de Filio sentiamus et Spiritu sancto et in tantam erumpamus amentiam, ut iuxta deliramenta Origenis duo Seraphin Filium et Spiritum sanctum esse dicamus. Quin potius loquamur ad eum zelo apostoli: „Cui enim de Seraphin et aliis creaturis dixit Deus: Filius meus es tu, ego hodie genui te? Et iterum: Adorent eum omnes angeli eius? Ad angelos enim dicit: Qui facit angelos suos spiritus et ministros suos ignem urentem. Ad Filium vero: Thronus tuus in saeculum saeculi, virga directionis virga regni tui.“a Rursumque de Filio et nequaquam de Seraphin psalmista decantat: „Et tu in principio, Domine, terram fundasti, et opera manuum tuarum sunt caeli.“b Neque enim haec de Seraphin dicuntur, sed de Filio, nec Seraphin fundaverunt terram aut opera manuum eorum sunt caeli, ut iuxta Origenis furorem Filium et Spiritum sanctum esse credamus. Cui enim de Seraphin aut „cui angelorum dixit Deus: Sede a dextris meis, donec ponam inimicos tuos scabellum pedum tuorum? Nonne hi omnes sunt administratorii spiritus in ministerium missi propter eos, qui hereditate accepturi sunt salutem?“c Unde de Seraphin clamat Esaias: „Missum est ad me unum de Seraphin“,d haud dubium, quin quasi ministrum et Dei inperiis serviens. Mittitur autem propter eos, qui salutem consecuturi sunt. In hoc etiam evidenter agnoscimus secundum Origenis disputationem Seraphin non esse Filium et Spiritum sanctum, quoniam clamant: „Sanctus, sanctus, sanctus Dominus, Deus Sabaoth; plena est universa terra gloriae eius.“e Qui nisi essent ministri spiritus prophetantes Domini nostri Salvatoris adventum, dicerent sine dubio: Pleni sunt caeli et terra gloria mea. Dicit Esaias: „Missum est ad me unum de Seraphin et in manu sua habebat carbonem, quem forcipe tulerat de altari; et tetigit os meum et dixit: Ecce, tetigit hoc labia tua a
Hebr. 1,5–8
b
Ps. 101(102),26 LXX
c
Hebr. 1,13f.
d
Jes. 6,6
e
Jes. 6,3
71 Siehe oben S. 360 Anm. 65. 72 Zur Wendung in tantam erumpamus amentiam vgl. Theophilus bei Hieronymus, epist. 92,1 (CSEL 55, 148): in tantam prorumpentes dementiam; 96,10 (55, 168): in tantam eruperit vecordiam, immo dementiam. 73 Auch die Polemik iuxta deliramenta Origenis hat Theophilus so oder ähnlich öfter verwendet: ebd. 96,9 (55, 167); 98,19 (55, 204); 100,12 (55, 226). 74 Vgl. ebd. 100,12 (55, 225): nos ergo ad eum ... zelo fidei concitati loquamur. 75 Die Bedeutung dieses Satzes ist unklar. Will Theophilus Origenes unterstellen, er
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die Instanz, die es in der Teilhabe heilig sein lässt. Es ist eine Sache, etwas kraft seiner Natur, eine andere, es als Akzidenz zu besitzen. Wenn also der Sohn und der Heilige Geist ihre Heiligkeit aus irgendeiner ursprünglichen Quelle erhalten, so werden sie nicht von Natur aus, sondern auf uneigentliche Weise71 heilig sein. Was immer nämlich durch Teilhabe heilig wird, erhält etwas, das es nicht besaß, von der Instanz, an der es Anteil zu haben beginnt. Doch Gott bewahre, dass wir so etwas vom Sohn und vom Heiligen Geist denken oder uns zu solchem Irrsinn hinreißen lassen,72 dass wir mit Origenes albernes Zeug faseln73 und behaupten, die zwei Seraphim seien der Sohn und der Heilige Geist! Viel lieber wollen wir ihm mit dem Eifer des Apostels sagen:74 „Denn zu welchem der Seraphim und anderen Geschöpfen hätte Gott gesagt: ,Mein Sohn bist du, heute habe ich dich gezeugt‘ oder auch: ,Huldigen sollen ihm alle seine Engel‘? Von den Engeln sagt er nämlich: ,Er macht seine Engel zu Winden und seine Diener zu sengendem Feuer.‘ Vom Sohn aber: ,Dein Thron steht von Ewigkeit zu Ewigkeit, ein Zepter der Gerechtigkeit ist das Zepter deiner Herrschaft.‘“a Und weiter heißt es vom Sohn, nicht etwa von den Seraphim, im Gesang des Psalmisten: „Und du, Herr, hast im Anfang die Erde gegründet, und die Himmel sind das Werk deiner Hände.“b Es sind nämlich nicht die Seraphim, von denen dergleichen gesagt wird, sondern der Sohn. Die Seraphim haben auch nicht die Erde gegründet, noch sind die Himmel das Werk ihrer Hände, wie es uns Origenes in seinem Wahnsinn von Sohn und Heiligem Geist glauben machen will.75 Zu welchem Seraphen oder „zu welchem Engel hat Gott je gesagt: ,Sitze zu meiner Rechten, bis ich dir deine Feinde als Schemel zu deinen Füßen lege‘? Sind sie nicht allesamt dienstbare Geister, ausgesandt zum Dienst um der künftigen Erben des Heils willen?“c Darum ruft Jesaja auch von den Seraphim aus: „Einer der Seraphim ist zu mir gesandt worden“,d und zwar zweifellos als Diener, der den Befehlen Gottes gehorcht. Gesandt wird er aber für die, die das Heil erlangen sollen. Auch hier sehen wir klar, dass die Seraphim nicht, wie Origenes in seiner Untersuchung behauptet, der Sohn und der Heilige Geist sind, denn sie rufen: „Heilig, heilig, heilig ist der Herr, der Gott Sabaoth; erfüllt ist die ganze Erde von seiner Herrlichkeit.“e Wenn sie nicht dienstbare Geister wären, welche die Ankunft unseres Herrn und Erlösers verkünden, würden sie ohne Zweifel sagen: Erfüllt sind die Himmel und die Erde von meiner Herrlichkeit. Jesaja sagt: „Einer der Seraphim ist zu mir gesandt worden und in seiner Hand hatte er Kohle, die er mit einer Zange vom Altar genommen hatte; und er berührte meinen Mund und sagte: Siehe, dies hat deine Lippen berührt. Es habe gelehrt, der Sohn und der Heilige Geist seien Geschöpfe der Seraphim? Dies verträgt sich allerdings kaum mit der Identifikation beider, gegen die er sich mit seiner Kritik eigentlich wendet.
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et aufert iniquitates tuas et peccata tua mundat.“a Non ergo unum de Seraphin, sed carbo, quem tulerat de altari, ignitus videlicet sermo Dei atque doctrina, abstulit iniquitates prophetae et peccata mundavit. Quod si Dei Filius esset Seraphin, qui iniquitates abstulit et peccata mundavit, debuerat dicere: Ecce, abstuli iniquitates tuas et mundavi peccata tua. Sermo igitur Dei de spiritali raptus altari abstulit iniquitates prophetae et peccata mundavit. Qui si in credentium corde servetur, usque hodie aufert iniquitates et mundat peccata, ut David ait: „In corde meo abscondi eloquia tua, ut non peccem tibi.“b a
Jes. 6,6f.
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Ps. 118(119),11
76 In dieser Version hat Origenes Jes. 6,6f. zitiert und in dem Sinn aufgefasst, den Theophilus hier kritisiert: in Is. hom. 1,4 (GCS Orig. 8, 246, bes. Zeilen 17–20).
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tilgt deine Ungerechtigkeiten und wischt deine Sünden fort.“a Es war also gar nicht einer der Seraphim, sondern die Kohle, die er vom Altar genommen hatte, offenkundig das feurige Wort Gottes und seine Lehre, welche die Ungerechtigkeiten des Propheten getilgt und seine Sünden fortgewischt hat. Wenn also der Seraph, der die Ungerechtigkeiten getilgt und die Sünden fortgewischt hat, der Sohn Gottes wäre, hätte er sagen müssen: Siehe, ich habe deine Ungerechtigkeiten getilgt und deine Sünden fortgewischt.76 So war es also das Wort Gottes, das, von einem geistigen Altar genommen, die Ungerechtigkeiten des Propheten getilgt und seine Sünden fortgewischt hat. Wenn es im Herzen der Gläubigen bewahrt wird, tilgt es bis heute Ungerechtigkeiten und wischt Sünden fort, wie David sagt: „In meinem Herzen habe ich deine Worte verborgen, damit ich nicht gegen dich sündige.“b
Bibliographie Quellen Für Editionen und Übersetzungen der Werke des Origenes sowie weiterer wichtiger Quellen siehe das Verzeichnis in OWD 1/1. In den gängigen Reihen erschienene Quellen werden im Folgenden nicht eigens aufgeführt (PG, PL, PO, CSEL, GCS, CChr.SL, CChr.SG, SC, FC). Zur Erklärung der Abkürzungen siehe die Hinweise in OWD 1/1. Origenes Origene, Omelie sulla Genesi, a cura di M. Simonetti, traduzione di M. I. Danieli (Opere di Origene 1), Rom 2002. Orige`ne, Home´lies sur Isaı¨e, traduites par J. Millet, in: Isaı¨e explique´ par les Pe`res, o.O. 1983, 19–87. Origene, Omelie su Isaia, traduzione, introduzione e note a cura di M. I. Danieli (CTePa 132), Rom 1996. Origen. First Homily on the vision of Isaiah [PG 13, 217–224], translated in Hungarian by E´. Dömötör, in: Katekho´n 3 (2004) 285–291. Theophilus von Alexandria S. Hieronymi Stridonensis presbyteri tractatus contra Origenem de visione Esaiae, quem nunc primum ex codd. mss. Casinensibus A. M. Amelli in lucem edidit et illustravit, Montecassino 1901. [In Esaiam VI,1–7], in: G. Morin, AMar III/3, Maredsous/Oxford 1903, XVIII–XIX. 103–122. Über Isaias VI,1–7, in: Des heiligen Kirchenvaters Eusebius Hieronymus ausgewählte historische, homiletische und dogmatische Schriften, aus dem Lateinischen übersetzt von L. Schade (BKV2 I 15), Kempten/ München 1914, 225–249. Tractate on Isaiah 6:1–7, in: N. Russell, Theophilus of Alexandria, London/New York 2007, 159–174.
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Register 1. Bibelstellen Die Anordnung der biblischen Bücher des Alten Testaments folgt der Reihenfolge in der Septuaginta, da Origenes nach dieser zitiert hat. Die Seitenangaben beziehen sich sowohl auf den Text als auch auf die Fußnoten. Genesis 1 34 1,1f. 228, 230, 231 1,26 109, 326 2,3 41 3,1 296 6,3 222 6,13–16 34 17–26 34 18,2 91f. 18,21 196 19,30–38 211 22 81 27,29 246 32,29 207 45,25–46,4 34 47,21–27 34 Exodus 2,12 2,14 2,23 3,2.6 3,2f.5 3,14 LXX 4,10 4,11 4,13
25, 260 300 194, 250, 332 80 334 91, 328 26f., 258, 302, 334 56, 258 25, 254, 256, 258, 260, 300, 326
4,21 4,25 5,7 7,3 7,22 9,12 10,20.27 11,10 15,10 16,7 20,4 25,18f. 25,21f. 28,18 33,18 33,20 33,23 39,11
48, 67 324f. 250 48 256 48 48 48 274 194 292 95 91–93, 94, 95, 96, 137 324, 326 338 134, 204, 338f. 204 324, 326
Levitikus 14,16 42 Numeri 11,25 12,8 20,10
44 282 222
Deuteronomium 4,12 346
382
Register
28,28 29,1–3 29,3 30,12–14 32,12 32,15 33,29
64 49 54 208 167 273 286
Josua 1,13 5,13f. 7,1.18
300 82 246
Erstes Buch Samuel 2,1f. 352 16,14–23 49 18,10 49 19,9 49 28 33, 287 Erstes Buch der Könige 6 94 7,49 249 21,29 236 Zweites Buch der Könige 13,2 194 14,21 330 15,1–7 330 21,1 330 Zweites Buch der Chronik 4,7 249 26,3–5 248 26,4f. 250 26,16 234 26,16–21 194, 248, 330 Tobit 12,15
44
Zweites Buch der Makkabäer 7,28 230
Psalmen 2,6 194 8,4 304 11(12),7 326 17(18),11 358 17(18),12 340 18(19),9 288, 326 23(24),1 196, 234 23(24),7 202 23(24),8 224 32(33),12 286 37(38),5 274 44(45),8 7 49(50),1 80 54(55),7 274 61(62),2 202 62(63),2f. 274 62(63),11 326 67(68),11 95 72(73),2 266 72(73),8f. 204 75(76),1 232 322, 354 79(80),2 81(82),6 308 94(95),10–12 167 95(96),5 286 98(99),5 242, 350 101(102),26 LXX 362 102(103),14 356 104(105),15 7, 308 113(114),11 286 118(119),11 364 118(119),103 214f. 118(119),131 260 129(130),4 326 138(139),1 354 138(139),7–10 340 148,1f. 350 148,14 352 Sprichwörter 3,23 266, 288 4,25 276
383
1. Bibelstellen
6,8 LXX 214 8,24 230, 231 9,9 280 14,3 220 18,21 326 23,5 274 24,13 214, 216 24,54(30,19 LXX) 265 25,2 LXX 340 25,16 214 Kohelet 6,12 7,20
200 121, 222
Hoheslied 1,4 1,15 2,10f. 5,3
8 76 328 266
Ijob 2,3 14,4f. 32,19
358 222 290
Weisheit 1,7 346 7,22.23 272f. 11,17 229 Jesus Sirach 24,8 286 30,35 220 Hosea 10,12 11,9
212 168
Micha 1,3
196
Joe¨l 4,12
196
Jona 1,1f. 3,3
256 256
Habakuk 1,12 2,2f. 3,2 LXX 3,3 LXX
168 94 75f., 94–96, 165 340
Sacharja 3,9 4,3 4,10 5,7 7,11f.
39 76, 77 39, 44 274 49
Jesaja 1,1 1,2 1,3 1,4 1,15 1,18f. 2,22 3,1–15 3,16 3,16–4,1 3,24 3,25f. 4,1 4,2–6 5,16 5,20 6,1
16, 330f., 336 6f., 16, 330 66 168, 352 244 248 13, 16, 320 38 224 38 16, 318 224 16, 28, 29, 31, 36, 37f., 100, 157, 218, 220, 224, 226 38 168 16 28, 29, 31, 32, 164, 167, 182, 194, 196, 232, 236, 248, 250, 254, 330f., 336, 342, 346
384
Register
6,1f. 92, 242, 330 6,1–3 244 6,1(2)–7(10) 28, 30, 31, 36, 74–97, 98, 163, 164 6,2 15, 31, 183, 198, 204, 228, 230, 324, 336, 338, 340 6,2f. 18, 75–77, 83, 93, 165, 186, 198, 201, 323 6,2–4 202 6,3 93, 167, 169, 174, 184, 186, 194, 198, 200, 232, 234, 348, 358, 362 6,4 202, 234, 342 6,5 16, 32, 49, 202, 204, 222, 234, 236, 244, 250, 260, 318, 322, 334, 336 6,5f. 28, 32, 206, 242 6,6 16, 18, 236, 238, 244, 322, 326, 362 6,6f. 202, 222, 254, 260, 324, 334, 364 6,6–8 18, 19, 168 6,7 25, 202, 238, 260, 326 6,8 24, 25, 29, 254, 256, 260, 300, 326, 328 6,8f. 300 6,8–10 28, 167 6,9 27, 48, 262, 266, 268, 270, 300, 328 6,9f. 16, 25, 36, 45–74, 166, 169, 256, 262, 302, 321 6,9–13 45, 47, 49, 71 6,10 29, 32, 48, 66, 254, 270, 272f., 274, 276, 278, 302 6,11 46, 47 6,11–13 46 6,12f. 47 6,13 47, 48, 52 7,1 208 7,9 16, 318 7,10 17 7,11 29, 32, 107, 208, 210, 300
7,11–15 7,12.13 7,13f. 7,14 7,15 7,22 8,1 8,6 8,10 8,18
28 208, 210 212 29, 31, 35, 208, 210 31, 35, 108, 212 35, 212 17 15 163 29, 152, 172, 280, 282, 284, 286 8,18–20 28, 36 8,19 102, 126, 284, 286, 290 8,20 290, 292 8,22–9,1 292 9,1 276 9,6(5) LXX 80, 222 9,8 17 10,10 29, 294 10,10f. 294 10,10–13 28, 36 10,11 15, 314 10,12 17, 294, 296 10,13 29, 294, 296, 298 10,20 168 10,23 15, 316 10,24 17 11,1 43, 153, 220 11,1–3 31, 36–45 11,1f. 222 11,2 39f., 43, 224 11,2f. 37–41, 42, 44, 45, 157, 218, 224 11,10 17 224 12,2 12,4 352 13,1 17 13,16 15, 316 13,17 17 14,2f. 15 14,4 15, 17 14,5 15, 316 14,6 16, 17
385
1. Bibelstellen
14,11 16 14,19 15, 316 14,20 17 14,21 15 14,22 17 16,8a 15, 316 16,8b 17 16,12 210 17,1 17 19,1 17 19,18 16, 17 19,22 52 21,1 16, 17 21,8 17 21,13 16, 17 21,15 17 22,1.23 17 23,1 17 23,13 17, 318 24,1 17 26,1.8.16 17 26,18 17, 290 26,19 8, 12, 17, 310 26,21 17 27,11b 17 29,1 12, 17, 320 29,9f. 49, 50, 52, 64 29,10 54, 55, 66 29,13f. 49 29,19 17 30,5 4, 15, 18, 316 30,6f. 4f., 314, 318 30,15 LXX 352 33,5 LXX 350 33,14f. 278 39,5–7 13 39,7 13, 18, 312 40,6 25, 300 41,2 28, 29, 32, 35, 99, 150, 242 41,22f. 200 41,26 228 42,1 43
42,18 42,18–20 43,8 44,18 45,7 47,13 49,7 LXX 49,9 50,11 52,7 53,1 58,9 61,1 62,1–5 63,13f. 63,17 64,10 65,2 66,1
276 50 49, 50 49 230, 231 210 352 276 238 244 55, 64 238 43 37 167 49, 50 163 66 13, 14, 18, 312
Jeremia 2,6 5,21 5,21–23 6,27 LXX 8,9 15,13 20,9 23,24 28,7
167 l 58, 59 49 358 298 72 324 346 245
Baruch 2,17
276
Ezechiel 1,5–27 76 1,11 346 1,25–2,1 LXX 348 3,7 46f. 3,23 LXX 348 10,1–21 76 10,5 354 10,18f. 356
386 10,19–22 11,19f. 12,2 12,2f. 14,12–23 17,13
Register
356 67 47, 59 49 14 13
Daniel 1,3–6 312 3,57.58 LXX 350 3,91f. 334, 350 7,9 196 7,10 350 12,2 9 13,42 70 Matthäus 1,23 4,16 5,8 5,28 6,9f. 7,6 7,24f. 10,10.13f. 10,14f. 11,7–9 11,11 11,25–27 12,36 13,7 13,9 13,10–16 13,11 13,12 13,13 13,13–15 13,14 13,14f. 13,15 13,15f. 13,16f. 13,22
35, 210, 212 276 26, 272, 302 244 200 51 328 264 56 358 280, 358 56 222 302 288, 302 65 56, 66 64 58, 65, 300 67f., 262 262 56 59, 73 64 59 302
13,51 14,33 15,7 15,19 16,12 16,18 17,6 17,13 18,10 18,20 19,28.30 22,1 22,2–4 23,37 25,27 25,41 25,46 26,38 28,2 28,18 28,20 Markus 4,11f.
58 58 262 244, 272 58 280 348 58 228 206 258 264 270 206 32, 250, 251 238 231 352 81 200 206
4,12 4,13 4,34 6,51f. 6,52 8,14–21 9,32 9,34.35 9,43 14,2 15,39
56, 58, 59, 61, 67f., 70, 262 57, 58, 59, 61, 65, 68 58 302 57 58 58 58 258 231 51 58
Lukas 2,25 6,6.8 6,48 7,22 8,10
168 270 298, 328 130f., 270 59, 67
387
1. Bibelstellen
10,21f. 56 11,26 42 12,49 238 12,50 244, 246 12,58 52 13,28 308 15,22 42 16,8 296 19,20.23 32, 251, 252 22,25.26.27 258 23,54 246 24,32 238 Johannes 1,1 1,11 1,14 1,16 1,18 1,33f. 3,8 3,13.18 3,31f. 4,14 4,34 5,21 5,39 6,33.35 6,44 6,51 6,69 7,38 9 9,1 9,6f. 9,24.31 9,39 9,41 10,34 12,27 12,37–43 12,39f.
220, 292 200 124, 232, 292 286 338f. 43, 45, 222 346 242 284 127, 288, 290 226 268 212 226, 346 284 226 168 127, 288 302 268 268 246 55 276 308 352 54f., 60, 64, 66, 166, 167, 169 67
13,4f. 13,5 13,7 13,8 13,13f. 13,14 13,33 14,2 14,3 14,6 14,12 14,16.26 15,3 15,26 16,7 17,11 19 20,25
258, 264 246, 262, 266 264 246, 264 258, 264 264 6 350 6 264, 290 268 77, 84 324 77, 84 77, 84 6 6 6
Apostelgeschichte 7,51 167 9,4 334 9,36–41 268 15,22 329 18,5 329 20,9–12 268 28,17–28 54, 166f., 169 56 28,27 28,26f. 63, 64 Römerbrief 1,3f. 220 3,25 95 4,17 328 5,8f. 336 6,5 9 6,12 194, 248 7,9f. 250 7,14 292 7,24 234, 236 7,25 234 8,3 232 8,27.34 206
388 9,5 9,16 9,18–21 10,2 10,3 10,6–8 10,8 11 11,7f. 11,33 11,33–36 12,16
Register
290 67 67, 71 218 66 208 107 63 54 66 342 296
Erster Korintherbrief 1,30 242 2,6 220 2,11 346, 354 2,13 254 3,2 282 3,11–15 238 4,21 220 6,13 290 6,15 244 6,17 144 8,5 80 8,6 308 9,10 268 9,22 80 10,4 167, 332 12,9f. 42 12,12 146 13,9 282 13,10 9 13,11 283 13,12 282 14,34f. 266 15,2 292 15,9 258 15,10 324 15,23 308 15,28 111, 226 15,41 354 15,41f. 310
15,42–44 9, 308 15,44 310 15,51 308 Zweiter Korintherbrief 1,19 329 3,6 72, 276 3,13 124, 292 3,14 54 6,1 129, 260 7,10 236 12,2.4 280 13,3 7 Galaterbrief 2,20 112, 324 3,19 292 3,25 105 4,2 105 Epheserbrief 1,18 289 2,6 9 3,8 236 3,18 210 3,19 234 4,10 208, 346 5,16 195 5,31f. 332 Philipperbrief 2,7 80 2,9 199 2,13 67 3,20 305 200, 308 3,21 Kolosserbrief 1,15 220, 232 1,16 196, 350 3,1 9f. 3,9f. 324 3,11 145
389
1. Bibelstellen
Erster Thessalonicherbrief 1,1 328f. 2,6f. 258 Zweiter Thessalonicherbrief 1,1 329 Erster Timotheusbrief 1,15 236 1,17 338 2,12 266 3,6 296 5,10 266 5,23 245 6,16 338 6,20 218 Zweiter Timotheusbrief 3,4f. 196 Titusbrief 2,3f. 266 Hebräerbrief 1,1 324 1,5–8 362 1,9 7 1,13f. 362 1,14 350 2,11 232 2,14f. 280 3,7–9 167
5,12–14 9,5 11,6 11,27 11,37 12,22f.
282 358 342 340 205 352
Erster Petrusbrief 2,2 214, 282 4,11 33, 206, 216, 226, 240, 253, 278, 292, 298 5,8 298 5,12 329 Erster Johannesbrief 2,1 77, 84f. 2,2 206, 326 2,18 7 Judasbrief 5 167 Offenbarung 1,4 44 2,17 324f. 3,1 44 3,20 216 4,5 44 5,6 44 20,6 310 20,13 12
390
2. Origenesstellen Das Register der Origenesstellen folgt dem Abkürzungsverzeichnis der Werke des Origenes in OWD 1/1. Genesiskommentierung frg. D 3 Metzler: 230f.; E 93 Metzler: 207 Genesishomilien 2,6: 107; 3: 220; 3,5: 22, 26, 204; 4,5: 197; 7,1: 283; 8,6: 82; 8,7: 196; 8,8: 82, 225; 8,9: 82; 10,1: 246, 248; 10,3: 21; 11,3: 246, 248; 13,4: 108; 14,1: 81f. Exodushomilien 3,1: 26; 3,2: 297; 4,8: 239; 6,1: 250; 6,4: 238, 274; 7,5: 62, 247; 7,8: 239, 283; 10,3: 269; 11,3: 199; 12,2: 73, 248; 13,3: 248; 13,4: 238, 239 Levitikushomilien 1,1: 288; 3,5: 44; 5,3: 239; 6,2: 257; 7,2: 226; 8,4: 41; 8,11: 42; 9,7: 236, 244, 248; 9,8.9: 239; 11,1: 296; 13,2: 22; 14,3: 238 Numerihomilien 6,3: 44f., 223; 6,4: 41; 7,1: 41; 9,1: 257; 9,9: 221; 11,8: 233; 12,2: 196, 249; 13,1: 21; 13,5: 83; 17,6: 273; 20,3: 269, 284, 297; 20,5: 227; 22,4: 227, 257 Josuahomilien 1,1: 199; 1,7: 246, 248; 4,1: 21; 4,2: 43; 4,3: 239; 6,2: 82; 7,4: 296; 8,5: 239; 8,7: 297; 9,8: 288; 13,3: 22; 15,3: 238; 15,5: 297; 15,6: 22, 297; 20,6: 227
Richterhomilien 1,1: 194; 2,3: 295; 4,4: 214; 5,2: 214 Samuelhomilien graec. 1: 198, 287; 2: 211; 6: 22; lat. 4: 120; 8: 283; 18: 42, 218 Psalmenprologe frg.: 214; 3,1: 12 Psalmenkommentierung 1 frg.: 11; 67,11 frg.: 95 Psalmenhomilien in Ps. 36 hom. 2,3: 238; in Ps. 37 hom. 1,1: 204; in Ps. 38 hom. 1,7: 238 Hoheliedkommentar II (2,21): 238; III (1,10–13): 77 Hoheliedhomilien 2,13: 227 Jesajakommentierung frg 1: 6–8, 112, 308f.; frg. 2: 8–12, 308–311; frg. 3: 8f., 310f.; frg. 4: 13f., 312f.; frg. 5: 14, 151, 312f. Jesajahomilien 1,1: 22, 28, 31, 115, 121, 123, 130, 133f., 148, 151, 235, 248, 330, 332; 1,2: 14, 28, 77, 93, 138, 141, 142, 148f., 151, 152, 169, 171, 173f., 185, 199, 203, 228, 323, 337, 340, 349, 352, 358f.; 1,2–4: 74; 1,3: 28, 235, 323; 1,4: 172, 199, 235, 323, 364; 1,5: 28, 90, 134, 199, 237
2. Origenesstellen
2,1: 35, 105, 160, 199, 346; 2,2: 35, 108f., 110, 156, 199, 300 3,1: 37, 41f., 43, 68, 147f., 154, 157, 199, 263, 302; 3,2: 22, 43f., 121, 199, 360; 3,3: 111, 143, 158, 172 4,1: 14, 28, 74, 93, 138f., 142f., 144, 156, 160, 172, 201, 323; 4,2: 28, 105f., 120, 131, 149, 151, 155, 202; 4,3: 28, 31f., 109, 122, 135, 196, 203, 244, 248; 4,4: 74, 199, 204, 260, 323; 4,4f.: 28, 244; 4,4–6: 254, 324; 4,5: 206; 4,6: 153 5,1: 35, 121, 150, 152; 5,2: 21, 28, 33, 73, 103, 152, 153, 236; 5,3: 28, 31, 115, 117, 123, 196 6,1: 24, 25, 26f., 122, 130, 301f.; 6,1f.: 326; 6,2: 25, 28, 129, 328; 6,3: 27, 62, 68, 72, 122, 125, 127, 153, 199, 219, 267, 278, 290, 302; 6,4: 121, 128, 131; 6,5: 109, 116, 303; 6,5–7: 72f.; 6,6: 71, 72, 116, 360; 6,7: 72, 117, 130, 269 7,1: 152, 153, 154, 172; 7,2: 36, 71f., 115, 120, 130, 292; 7,3: 117f., 127, 266, 269, 302; 7,4: 124, 131 8,1: 118, 122; 8,2: 122, 131, 310 9: 23–27, 68, 72, 73, 104, 118f., 125, 126, 145f., 255, 263, 335 Jeremiakommentierung frg. 36: 245; 62: 41 Jeremiahomilien 5,16: 284; 5,16f.: 299; 8,3: 22; 9: 305; 9,1: 172; 11,5: 22; 12,3: 22; 14,12: 62, 72; 16,5–7: 239; 18,1: 239; 18,5: 198; 18,10: 22; 19,15: 231, 283; 20,2: 25, 62, 72, 83, 301; 20,8f.: 238; 20,9: 204; lat. 1(3),1: 254; lat. 2(2),1: 272 Ezechielkommentierung frg.: 14
391
Ezechielhomilien 1,11: 198; 1,13: 238; 4: 14; 4,1.3: 147; 4,5: 13; 4,6: 242f.; 4,8: 13, 27; 5,1: 238; 6,4: 22; 6,5: 43; 7,10: 283; 9,1: 120; 9,2: 245; 12,3: 14; 13,1: 298; 14,2: 201 Ijobkommentierung 41,19 frg.: 299 Matthäuskommentar X 2: 299; X 18: 90, 204; XI 15: 257; XI 18: 198; XIII 26: 224; XV 3: 195; XV 5: 13; XVI 9: 62; XVI 21: 198; XVI 22: 198, 257; XVI 25: 257 Matthäuskommentarreihe 24: 257; 28: 204, 206; 133: 6 Matthäuskommentarfragmente frg. 431: 270 Lukashomilien 2,2: 288; 3,2: 95, 269; 7,7: 198; 12,1: 199; 14,2: 199; 16,6: 227, 288; 18,1: 199; 20,7: 283; 21,5: 208f.; 22,2: 297; 22,3: 112; 22,4: 199 Johanneskommentar I 36: 212f.; I 37: 105; I 75–78: 141; I 90–124: 144, 228; I 95f.: 214; I 103: 230; I 111: 144; I 146: 212; I 165f.: 224; I 167: 125, 348f.; I 183–186: 264f.; I 200: 176, 200; I 208: 113; I 217f.: 225; I 219: 145; I 222: 148; I 234f.: 226; I 261: 212; I 262f.: 221f.; I 267–276: 107; I 277f.: 224 II 57: 104, 117; II 70: 220; II 73–78: 83f.; II 76: 157; II 77: 156; II 83: 158; II 84f.: 44; II 86: 83f.; II 96: 288; II 100–104: 338; II 178: 62 V 8: 219; VI 42: 7; VI 252: 7; XIII 81: 284; XIII 372: 205; XIII 408: 41;
392
Register
XIII 433: 41; XIX 127.130: 284; XX 182: 109; XXXII 131: 267; XXXII 401: 6
Johanneskommentarfragmente frg. 92: 67; 105: 6; 106: 6; 140: 6 Römerbriefkommentar
I 7: 113; II 2: 257; III 5: 95; V 9: 9f.; VIII 5: 204; VIII 11: 239, 262; IX 41: 196, 231; X 20: 267
Römerbriefkommentarfragmente frg. 5 (zu comm. V): 95; 29: 9 Korintherbriefkommentierung frg. 74: 266f. Epheserbriefkommentierung frg. 9: 149f. Titusbriefkommentierung frg. 2: 288 Über die Prinzipien praef. 1: 105; praef. 3: 219; praef. 4: 230; praef. 5: 231; praef. 10: 212 I 1,2: 239; I 1,7: 104; I 1,8: 128; I 1,9: 269, 288f.; I 2,10: 149, 151; I 3: 155; I 3,1: 293; I 3,3: 230; I 3,4: 75, 133, 156, 199; I 3,6: 107; I 3,8: 104; I 6,1: 231; I 6,2: 140; I 6,3: 239; I 7,3: 146, 150; I 8,4: 275f. II 1: 144; II 1,2: 147; II 1,3: 146; II 1,4: 114; II 1,4f.: 230; II 3,7: 226; II 6,1: 139; II 6,2: 232; II 6,3: 232f.; II 6,6: 7f.; II 8: 109; II 8,1: 114; II 8,5: 147; II 9,4: 150, 214; II 9,7: 71;
II 10,2: 10; II 10,4: 238; II 11,4: 303–305; II 11,6: 145 III 1,7: 67; III 1,8–14: 69f.; III 1,16: 67–69, 71; III 1,17: 70, 71, 262; III 1,21f.23: 70f.; III 2f.: 297; III 2,1: 297; III 2,2: 121; III 5,6f.: 226; III 6,1: 104 IV 1,1: 293; IV 2,6: 213; IV 3,5: 212; IV 3,14: 75, 133, 199, 201, 342; IV 4,1: 149
Apologie gegen Kelsos I 1: 298; I 46: 270; II 6: 288; II 8: 62, 72; III 78: 231, 263; IV 40: 276; V 14: 11; V 15: 238, 262f.; V 23: 11; V 39: 121; V 53: 224; VI 18: 76, 95; VI 18f.: 132; VI 26: 231; VI 43: 276; VI 79: 7; VII 5: 276; VII 7: 119; VII 9f.: 314; VII 11: 4, 314f.; VII 33f.: 128; VIII 22: 21, 247; VIII 27: 224; VIII 72: 293 Über das Gebet 15,1–16,1: 244f.; 29,15: 239; 31,5: 198; 33,1.6: 244f. Das Gespräch mit Herakleides 27: 134 Brief an Julius Africanus 13: 204f. Über die Auferstehung frg.: 183; II: 10, 12 Philokalie 1: 293; 2,4: 214; 21: 67; 27,1f.: 70
393
3. Namen und Sachen Abbild 7, 8, 81, 106–112, 114, 117, 118, 125, 134, 135, 139, 142, 144–147, 149, 153, 154, 232f., 267, 269, 283, 327, 345, 348, 349, 360 Abraham 35, 80, 92, 251 Abstieg/Aufstieg 36, 101, 107, 109f., 111, 117, 118, 124, 128, 130, 135, 152, 153, 158, 159, 182, 207, 223, 224, 253, 268, 275 Adam 65, 85, 333 Adiaphoron 135 Ähnlichkeit (homoı´osis) 102–105, 109–112, 137, 144, 152f., 281, 287 Affekt 109, 110, 113, 115f., 124, 159, 195, 197 Ägypten 25, 52, 69, 90, 91, 101, 116, 117, 195, 251, 255, 257, 274, 275, 331, 335 Ahas 100, 107, 145, 194, 209, 211, 213, 330 Akzidenz/akzidentell 106, 111, 121, 123, 360, 363 Alexandria 4, 7, 13, 21, 22, 39, 41, 51, 75, 84, 85, 89, 90, 91, 96, 247 Alkinoos 107, 137, 184, 230 Allegorie 35, 77, 81f., 91, 93, 101, 118, 119, 125, 126, 127, 137, 166, 170, 182, 183, 331, 332, 333, 335, 337 Allmacht 11, 21, 151, 341, 347 Ambrosius 40, 42, 64, 73, 162 Ammonios Sakkas 144, 230 Ammonius von Alexandria 67 Amphilochius von Iconium 168 Anagoge 183 Analogie (analogı´a) 125, 126, 127, 128, 143, 146, 200, 214, 348, 360 Anfang 14, 75, 99, 132, 133, 134, 136, 138, 139, 140–144, 145, 146,
147, 148, 154, 155, 156, 158, 166, 169, 201, 213f., 221, 224, 228, 229, 253, 265, 268, 289, 293, 297, 359, 363 Antiochenische Exegese 182, 183, 333 Antiochia 164, 168, 170 Antipater von Bostra 75 Apathie 119 Aphrahat 39 Apokatastasis 9, 10, 111, 138, 160, 226 Apolinaris von Laodicea 67, 163, 168 Apostel 8, 101, 122, 123, 125, 130, 204, 219, 259, 269, 270, 271, 281, 283, 285, 293, 321, 329, 335, 349, 355 Apuleius 107, 137, 199, 269 Aquila 5, 18, 51, 203, 233, 320, 323, 325, 327, 329 Aristoteles 106, 113, 136, 138, 140, 144, 148, 229, 285 Arius/Arianismus 73, 78, 165, 166, 169, 174, 187 Askese 45, 119, 133, 153, 159 Athanasius 165 Athen 76, 315 Athenagoras 10, 11 Auferstehung 8–12, 21, 53, 57, 58, 103, 179, 183, 247, 271, 309, 311 Augustinus 11, 63, 65–71, 107, 140, 162, 184, 185, 190, 245f., 342 Bild siehe Abbild Bildung (paideı´a) 68, 69, 80, 82, 102, 139, 147–155, 159, 160, 220f., 224f., 239, 262f., 282f. Babylon 13, 48, 50, 313 Basilides 230 Basilius von Caesarea 163
394
Register
Bernhard von Clairvaux 190 Betlehem 30, 164, 168 Buße 70, 122, 133, 295 Caesarea 4, 7, 12, 20, 21, 75, 247 Cassiodor 162, 188 Clemens von Alexandria 41, 44, 78, 79, 84, 85, 90, 94, 96, 218f., 224, 229, 283, 321 Constitutiones apostolicae 64, 74 Cyprian 40, 64 Cyrill von Alexandria 67, 164 Cyrill von Jerusalem 73, 169 Dämon 42, 82, 102, 114, 117, 120, 121, 122, 126, 137, 152, 157, 285, 287, 291, 297, 299 Daniel 9, 13, 14, 133, 197, 313, 334f., 351 David 12, 37, 167, 197, 209, 210, 211, 212, 213, 221, 249, 303, 321, 341, 351, 355, 357, 359, 365 Demiurg siehe Schöpfung Demokrit 343 Denken (dia´noia, no´esis) siehe Geist (nouˆs) Didymus von Alexandria 5, 162, 163, 167, 181 Diodor von Tarsus 182f., 353 Doketismus 80 Eine, der/das (heis, hen); der/das Einfache (haplouˆn, haplouˆs); Eines/Vieles 41, 44, 107, 111, 120, 132, 133, 142, 146f., 159, 171, 176, 203, 218, 328, 329 einfache/vollkommene Christen 11, 68, 206f., 220f., 224f., 262, 269, 282f., 357 Elchasai 78 Ende 14, 75, 99, 132–144, 145, 154, 155, 156, 158, 166, 169, 201, 228, 229, 231, 233, 341
Engel 38, 44, 77–82, 84, 85, 86, 87, 88, 133, 165, 186, 224f., 229, 239, 293, 327, 351, 355, 363 – Cherubim 76, 88, 91–96, 137, 138, 323, 347, 355, 357, 359 – Engel des großen Rates 80, 81, 158, 223, 224f. – Erzengel 84, 88, 186, 351, 353, 355 – Fürsten 185, 351, 353, 355 – Gewalten 197 – Herrschaften 80, 185, 197, 351, 355 – Kräfte 92, 185, 197, 351, 355 – Mächte 185, 197, 223, 305, 351, 355 – Seraphim 18, 19, 27, 29, 74, 75, 76, 77–97, 99, 101, 105, 106, 119, 128, 131, 133, 134, 137, 139, 140, 148, 149, 152, 153, 162, 164, 165–170, 171, 173, 174, 176–179, 180, 183–187, 198, 199, 201, 203, 205, 207, 224, 228, 229, 231, 233, 237, 239, 244, 245, 255, 261, 323, 325, 331, 335, 337, 338, 339, 340, 341, 343, 345, 347, 349, 351, 353, 355, 357, 359, 363, 365 – Throne 80, 185, 197, 349, 351, 355 Engelchristologie 77–82, 86, 165 Engelpneumatologie 77, 86f., 165 Entelechie 148 Enthaltsamkeit siehe Askese Ephräm der Syrer 39 Epinoia (epı´noia) 145, 147, 148, 149, 150, 153, 157, 175, 200, 220f., 224f. Erasmus von Rotterdam 163, 189 Erkenntnis (gnoˆsis) siehe Gottesschau/Gotteserkenntnis Erlösung 9, 48, 52, 54, 68–71, 80–82, 88, 99, 100, 102, 107, 111f., 113, 116, 131, 135, 139f.,
3. Namen und Sachen
141, 143, 144, 145, 146, 147–158, 159, 160, 166, 172f., 196, 199, 201, 203, 210, 211, 221, 224f., 227, 237, 239, 243, 264, 273, 290, 291 Erziehung siehe Bildung Eucharistie 21, 109, 247, 296 Eudoros von Alexandria 96, 104, 132 Eunomius von Cyzicus 167, 174, 184, 187 Eusebius von Caesarea 4, 5, 15, 16, 17, 18, 23, 39, 64, 76, 94, 164, 165, 166, 169, 170, 174, 211, 219, 231, 315, 321 Eusebius von Cremona 175 Evagrius Ponticus 44 Evangelium 72f., 131 Evangelium Petri 78 Ezechiel 46, 76, 315, 347, 355 Fall siehe Abstieg/Aufstieg Feuer 80, 91, 119, 153f., 203, 223, 231, 238f., 255, 324, 325, 327, 361 Freiheit 65–74, 114, 115, 116, 117, 120, 130, 151, 160, 203, 205, 223, 235, 275f., 281, 299, 323 Friede 38, 149, 245, 265 Frühjudentum 43, 78, 89, 94 Fußwaschung 99, 101, 122, 125, 127, 128, 129, 153, 245, 247, 259, 264f., 267 Gabriel 86, 351 Gamaliel III. 12 Gebet 104, 112, 201, 205, 227, 235, 243, 244f., 323 Geist (nouˆs) 9, 14, 101, 109, 112, 113, 115, 116, 117, 120, 127, 129, 132, 135, 152, 153, 159, 160, 239, 283, 287, 304f. geistige Sinnlichkeit 101, 112, 126–129, 287, 263, 265, 267, 269,
395
271, 273, 275, 277, 279, 287, 288f., 291 Gerechtigkeit 7, 9, 10, 35, 66, 70, 85, 86, 99, 103, 112, 115, 117, 121, 126, 127, 136, 148, 149, 150f., 153, 157, 221, 223, 243, 249, 251, 261, 273, 274, 275, 279, 289, 291, 297, 303, 309, 311 Gericht siehe Strafe Geschichte 14, 58, 77, 92, 98, 105, 116, 122, 124f., 129, 131, 132–161, 164, 182, 210, 218, 219, 224f., 232, 263, 302, 332, 333 Gesetz (no´mos) 71, 124, 134, 195, 205, 249, 287, 291, 293 Gestirne 136f., 145f., 303, 305, 311, 355, 357 Glaube 9f., 38, 50, 54f., 60, 63f., 66, 69, 71–74, 80, 107, 120, 130, 221, 264f., 269, 271, 277, 285, 287, 288, 329, 343, 351 Glück/Glückseligkeit 71, 104, 117–119, 120, 129, 136, 235, 237, 267, 287, 292f., 311 Gnade 25, 42, 44, 64, 66f., 124, 129, 156, 209, 213, 237, 261, 293, 301, 325, 335, 337, 361 Gnosis 8, 69, 73, 78, 82, 87–90, 96, 115, 157, 218f., 224 – Vom Ursprung der Welt 87–90, 96 Gordian III. 4, 315 Gott siehe Trinität bzw. Vater (Gott Vater) Gottesdienst 20–22, 33, 73, 198, 246, 248, 286, 296 Gottesschau/Gotteserkenntnis 18, 19, 28–34, 36, 62, 63, 74–97, 98f., 103–112, 113, 115, 118, 121, 122, 123, 124–126, 128, 129, 130, 132–158, 160, 165–176, 179–187, 194f., 197, 199, 201, 205, 207, 221, 228, 229, 233, 235, 237, 245, 249, 251, 261, 273, 283, 285, 293,
396
Register
303–305, 319, 325, 331, 337, 339, 341, 342, 343, 345, 347, 349, 357 Götze/Götzendienst siehe Idolatrie Gregor der Große 36, 230 Gregor von Nazianz 19, 40, 166, 168, 184 Gregor von Nyssa 167, 168, 276 Gregor der Wundertäter 119 gut/Güte 38, 66, 69f., 100, 102, 104, 111, 112, 118, 120f., 127f., 149, 151, 154, 158, 184, 215, 217, 223, 235, 237, 245, 263, 267, 268, 271, 285, 289, 295, 309, 311, 343, 345 Habakuk 75f., 94 Häresie 10, 75, 120, 174, 178f., 186, 204, 288, 289, 295, 299, 325, 332 Hebräer/hebräischer Lehrer 12, 13, 25, 27, 39, 75, 83, 90, 93, 96, 133, 254f., 300f., 321 Heil siehe Erlösung heilig/Heiligkeit/Heiligung 7, 9, 41, 46, 48, 50, 65, 75, 77, 79, 81, 83, 95, 104, 113, 121, 126, 139, 140–144, 152, 154, 155f., 158, 160, 167, 168, 172–176, 184–186, 199, 201, 221, 233, 243, 245, 267, 269, 273, 275, 287, 291, 297, 303, 305, 309, 331, 347, 349, 351, 353, 355, 357, 359, 360, 361, 363 Heilige Schrift 25, 72, 100–102, 123, 124–126, 128, 152, 156, 183, 203, 205, 213f., 215, 219, 259, 261, 263, 265, 273, 275, 277, 279, 289, 293, 332, 333 Heiliger Geist siehe Pneuma Heilstrinitarismus 133, 140–158 Hermas 79, 230 Herrlichkeit 75, 77, 85f., 87, 88, 91, 92, 99, 105, 106, 112, 120f., 123, 124, 125, 131, 134, 139, 141, 143, 147–155, 156, 159, 167, 169, 195, 197, 199, 201, 203, 223, 233, 235,
293, 309, 341, 345, 349, 357, 363 Hesychius von Jerusalem 163 Hexapla 5, 16, 17, 52, 233, 319 Hierokles von Alexandria 145 Hieronymus 3, 4, 5, 6, 12, 13, 16, 17f., 18–20, 23, 26, 27–34, 39, 40, 41, 43, 52, 62, 63, 64, 74, 75, 82, 94, 98, 142, 162, 163, 164, 165, 167, 168, 169, 170–179, 180f., 185, 186, 187, 188, 189, 190, 199, 200, 202, 203, 205, 215, 226, 231, 232, 233, 245, 249, 254, 258, 284, 285, 290, 292, 293, 300, 301, 302, 303, 305, 318–329, 332, 333, 334, 336, 338, 339, 340, 343, 349, 351, 354, 357, 358, 362 Hilarius von Poitiers 78, 169 Hillel 12f. Hippolyt 78, 255, 230 Hiskija 13, 313, 331 Hoffnung 9 homousios 165, 169, 173 Hrabanus Maurus 189 Hypostasis (hypo´stasis) 132, 140 Idee (ide´a, eıˆdos, morphe´, sche´ma, para´deigma) 106f., 111, 129, 144, 146, 268, 275 Idiomenkommunikation 152 Idolatrie 102, 117f., 124, 131, 186, 271, 287, 294, 295, 358, 359 Inkarnation 14, 77, 80f., 99, 102, 103, 105, 120–122, 124, 141, 142, 148, 150, 151, 152, 156, 157f., 201, 207, 221, 225, 232, 233, 235, 239, 243, 281, 293, 347, 349, 353 innerer Mensch 109, 124, 127, 237 Intellekt siehe Geist Irenäus von Lyon 40, 43, 65, 78, 91 Isaak 80, 81, 82, 251 Israel 44, 46, 47, 49, 50, 53, 54, 60, 61, 63, 66, 69, 88, 100, 115, 117, 120, 126, 128, 157, 167, 211, 233,
3. Namen und Sachen
247, 249, 251, 255, 257, 259, 263, 273, 275, 277, 285, 287, 291, 295, 301, 303, 353, 355, 357 Jakob 80, 207, 224, 251 Jeremia 167, 223, 325, 359 Jerusalem 29, 37, 50, 81, 204, 207, 210, 225, 294, 295, 297, 325, 331, 337, 351 Johannes der Täufer 7, 43, 44f., 359 Johannes Chrysostomus 40, 43, 63, 64, 163, 167, 168, 205, 232 Johannes von Damaskus 75, 162 Johannes von Drungarien 163 Josua 82, 223 Juda II. 12 Jungfrau 31, 35, 87, 88, 89, 209, 211, 213, 217 Justin 11, 40, 42, 44, 64, 78, 79, 205, 206, 225, 230, 328 Justinian I. 75, 82, 180 Kanon siehe Heilige Schrift Kelsos 11, 72, 119, 128, 293, 314 Kenosis 86, 102, 122, 150, 152, 207, 227, 243, 267, 347 Kirche 37, 61, 76f., 88, 98, 99, 101, 102, 106, 117f., 122, 123, 124, 128, 129–131, 155, 157, 159, 184, 197, 213, 233, 235, 245, 257, 259, 265, 267, 288, 289, 293, 295, 299, 333, 351, 353 Körper siehe Leib Konstantinopel 23, 30, 75, 164, 168, 170, 174, 176, 178, 184, 187, 322 Koran 64 Kosmos 101–103, 107, 125f., 132–140, 144–147, 150f., 159f., 213f., 228, 229, 231, 283, 303, 342f., 344, 345, 348f., 357 – creatio ex nihilo 144f., 228–230 – Weltseele 125, 136–139, 144–147
397
Kreuz 119 Laktanz 40 Leben 9f., 36, 42, 48, 70f., 73, 98–103, 104, 110–112, 113–131, 135f., 140f., 149, 152, 159f., 220, 233, 243, 257, 264, 287, 289, 291, 297, 303, 311, 327 Leukipp 343 Leib 8–12, 72f., 103, 110, 113, 115, 116–121, 123, 124, 135, 146, 150, 152, 153, 179, 195, 235, 237, 249, 251, 273, 304f., 343, 361 Liebe (aga´pe/e´ros) 109–111, 197, 221, 233, 267, 347 Logienquelle 56 Logos 8, 14, 19, 21, 33, 72, 77–82, 91, 92, 95, 99, 100, 102, 103–129, 130, 131, 132, 133, 134, 135, 137, 139, 141, 142, 143, 144–155, 156, 157, 158, 159, 160, 166, 169, 195, 197, 204, 205, 209, 211, 214f., 217, 221, 223, 227, 235, 239, 247, 249, 259, 271, 275, 279, 281, 295, 297, 323, 324f., 327, 349, 365 – Engelwerdung 80f., 158 – Mittler 78, 79, 133, 139, 143, 147, 154, 156, 157f., 293 Lüge 125, 269, 333 Lust siehe Affekt Manichäismus 89 Markion 55, 69, 197, 288 Martyrium 119 Materie 114, 117, 118f., 120, 140, 144, 156, 218, 229f., 230f., 345 Melito von Sardes 80 Merlin, Jacques 189 Messias 3, 43, 45, 53, 57, 65 Metapher siehe Analogie Methodius 11, 42 Michael 79, 351
398
Register
Mitte 14, 91f., 99, 113, 114f., 117, 132–140, 143, 144–158, 160, 169, 201, 231, 233, 239, 341, 345 Montanismus 73 Mose 24, 25, 84, 90, 93, 101, 105, 122, 123, 124, 134, 167, 205, 207, 223, 255, 256, 257, 259, 281, 283, 293, 301, 303, 327, 333, 335, 339, 341, 347 Mystik 44, 130, 217 Nachahmung/Nachfolge 101, 103–131, 259, 265, 271 Natur siehe Kosmos Negative Theologie 184, 339, 342, 343 Nemesius von Emesa 145 Nestorianismus 164 Nizäa (Konzil 325) 165, 166, 171, 173 Notwendigkeit siehe Freiheit Novatian 40, 78 Numenios 137 Offenbarung 47, 94, 120, 133, 151, 233, 285, 337, 355, 357 Oikonomia (oikonomı´a) siehe Geschichte Ordnung siehe Kosmos Origenistische Streitigkeiten 162–187 Orphik 136f. Palästina 4, 12, 39, 50, 53, 94, 168, 170, 186 Pamphilus 4, 6, 7, 8, 9, 10, 11, 12, 21, 174, 183, 288, 309, 311 Paulus 7, 9, 53, 54, 66, 80, 103, 107, 112, 113, 114, 115, 116, 153, 167, 185, 195, 197, 211, 235, 237, 243, 259, 266, 267, 269, 281, 283, 305, 311, 327, 329, 333, 335, 337, 339, 341, 343, 347, 351, 355, 359, 363
Peschitta 39, 51 Pharao 48, 67, 70, 99, 115–117, 123, 129, 195, 251, 331 Philippus Arabs 23 Philon von Alexandria 41, 79, 82, 88, 91–94, 96, 137f., 282 Physiologus 80 Platon 41, 82, 104f., 107, 110, 132, 135–137, 144, 146, 147, 150, 161, 229, 268f., 275, 361 Platonismus 82, 96, 103–112, 114, 116, 118, 120, 129f., 132, 135–137, 144, 146, 147, 150, 161, 185, 218, 229f., 230f., 275, 289, 344, 361 Plotin 114, 118, 129f., 132, 140f., 144f., 225, 275 Pneuma 18, 19, 31, 36–45, 74–97, 99, 100, 102, 104, 108, 113, 114, 117, 121, 123, 128, 133, 134, 139, 140–144, 147, 152, 155–158, 159, 160, 165–179, 180, 184, 186, 199, 203, 215, 218, 219, 221, 223, 225, 227, 229, 230, 231, 233, 249, 263, 269, 270, 273, 275, 276, 289, 301, 309, 323, 327, 347, 349, 359, 360, 361, 363 Pneumatiker siehe einfache/vollkommene Christen Porphyrius 11 Poseidonios 41 Prädestination 47, 65–74 Präexistenz 71, 109, 218, 229, 230 Prinzip siehe Anfang Proklos 132 Prokop von Gaza 164 Prophetie/Propheten 8, 43, 44, 47, 71, 90, 105, 118f., 123, 156, 207, 215, 223, 243, 266, 281, 283, 287, 293, 301, 314, 325, 329, 331, 353, 359 Pseudo-Aristoteles 136, 137
3. Namen und Sachen
Pseudo-Athanasius 166 Pseudo-Didymus 167 Pythagoreismus 41 Qumran 43, 50, 61 Rabbinische Literatur 38, 51, 83 Reinigung 9, 25, 38, 42, 99, 101, 113, 119, 122, 125, 127, 151, 153f., 159, 170, 203, 205, 238f., 245, 255, 261, 264, 271, 301, 323, 324, 325, 327, 329, 335 Rom 30, 167, 168, 176, 188, 322 Rufinus von Aquileja 5, 9, 10, 12, 26, 34, 75, 76, 95, 171, 172, 174–179, 188, 189, 200, 321 Rupert von Deutz 190 Schau (theorı´a) siehe Gottesschau/Gotteserkenntnis Schicksal siehe Freiheit Schöpfung siehe Kosmos Seele 7–9, 98–131, 132, 134–137, 147–155, 158, 159, 179, 195, 203, 227, 239, 265, 267, 268f., 271, 275, 277, 279, 282f., 285, 287, 289, 291, 309, 311, 325, 329, 331, 335, 337, 345 – Fall 109f., 117, 118, 124, 128, 130, 135, 152, 159, 253, 275f. – Hegemonikon/Herz 109, 112, 124, 208f., 217, 245, 257, 263, 271, 273, 275, 277, 289, 295, 303 – Seele Jesu 7f., 95, 143, 152, 353 Septuaguinta 5, 15, 16, 17, 18, 36, 38, 40, 41, 51, 52, 54, 55, 56, 57, 58, 59, 60, 62, 63, 64, 65, 67, 75, 76, 94, 95, 96 Sibyllinische Weissagungen 64 Sohn (Gottes) 14, 18, 19, 42, 43, 55, 58, 74, 75–97, 99, 100, 104, 110, 111, 112, 113, 128, 132–144, 147–160, 165–179, 180, 184, 186,
399
203, 209, 211, 213, 221, 223, 232, 233, 243, 264f., 309, 323, 327, 339, 349, 359, 361, 363, 365 Sokrates 21, 247 Stoa 119, 229 Strafe 10, 43, 48f., 50, 53, 65f., 69f., 100, 115, 154, 157, 221, 231, 238f., 257, 262f. Subordinatianismus 87, 187 Substanz/substantiell 8, 44, 81, 82, 84, 121, 142, 148, 149, 153, 158, 221, 360 Sünde 9, 10, 25, 41, 42, 44, 50, 65, 100, 101, 109, 115–118, 121, 131, 151, 152, 153, 195, 196, 197, 201, 203, 207, 221, 223, 235, 237, 238, 239, 245, 247, 249, 251, 255, 261, 262f., 271, 273, 274, 275, 277, 281, 295, 297, 311, 323, 325, 327, 329, 331, 335, 337, 360, 365 Symbol 35, 41–44, 75–77, 81f., 92f., 100f., 115, 117, 124f., 159, 195, 359 Symmachus 5, 18, 51, 52, 323, 325, 327, 329 Syrische Didaskalie 64, 73, 74 Targum 50, 57, 61 Tatian 11, 230 Taufe 43, 100, 157, 247, 286 Täuschung siehe Lüge Teilhabe 7, 8, 103–131, 143, 146, 147, 149, 151, 156, 157, 158, 159, 160, 173, 174, 186, 232f., 235, 247, 265, 281, 309, 311, 347, 359, 360, 361, 363 Tertullian 11, 40, 43, 44, 49, 64, 65, 73, 78, 205, 207, 225, 226 Teufel 103, 115, 122, 131, 135, 157, 179 , 239, 250, 251, 281, 295, 297, 298, 299 Theodor von Heraklea 163 Theodoret von Cyrus 64, 164, 232
400
Register
Theodotion 5, 17, 18, 51, 323, 325, 327, 329 Theophilus von Alexandria 82, 179–187, 330–365 Tod 135, 195, 197, 235, 251, 277, 281, 303, 309, 311, 327, 331, 337 Transzendenz 107, 132, 144, 206, 349 Trinität 30, 74, 75, 76, 77, 79, 82, 83, 84, 85, 87, 89, 93, 102, 104, 140–158, 160, 165–170, 171, 197, 199, 201, 203, 225, 226, 227, 229, 231, 233, 327 Tugend 41, 70, 107, 112, 113, 120f., 123, 158, 227, 275, 282 Typos 76, 81f., 93, 100, 267, 297 Ursprung siehe Anfang Usija 99, 113, 115, 116, 120, 121, 123, 129, 134, 164, 182, 194, 195, 197, 208, 235, 237, 245, 249, 251, 330, 331, 333, 335, 337 Valentin 78 Vallarsi, Domenico 18, 177, 189 Vater (Gott Vater) 42, 55, 71, 77, 78, 83, 87, 91f., 99, 100, 104, 110–112, 113, 122, 124, 132–161, 165–170, 171f., 174, 201, 203, 207, 217, 227, 229, 233, 243, 244f., 265, 283, 285, 287, 293, 309, 327, 339, 349, 351 Vaterunser 99, 147, 148, 201 Verstockung 45–74, 101, 115–119, 126, 128, 145, 151, 159, 257, 263, 271, 273, 275, 277, 279, 301, 303 Victorinus von Pettau 37, 40, 162
vollkommene Christen siehe einfache Christen Vollkommenheit 67f., 103–131, 132, 133, 140f., 150, 152, 159f., 221, 233, 281, 343 Vorsehung siehe Geschichte Wahrheit 57, 65, 92, 115, 117, 101, 110, 119, 124–126, 141, 149, 183, 219, 221, 243, 262f., 265, 271, 277, 279, 283, 285, 287, 291, 293, 299, 304f., 309, 327, 333, 337, 348f. Wahrsagerei 35f., 102, 285, 286f., 291, 293 Weg 81, 101, 104, 122, 127, 128, 130, 131, 144, 153, 154, 160, 208f., 264f., 271, 279, 291 Weisheit (sophı´a) 8, 38, 39, 41, 44, 91, 111, 112, 139, 143, 148, 149, 157, 158, 172, 219, 221, 223, 225, 227, 231, 243, 273, 281, 303, 343, 345 Weltseele 125, 136–139, 144–147 Wiedererinnerung (ana´mnesis) 105, 110 Willensfreiheit siehe Freiheit Wissen siehe Gottesschau/Gotteserkenntnis Wunder 71, 101, 102, 121, 130f., 269, 270, 271, 285, 287 Ziel/Zweck siehe Ende Zion 3 7f., 102, 130, 225, 284, 285, 294, 295, 297, 351