Atlan ‐ Im Auftrag der Kosmokraten Nr. 707 Das neue Konzil
Mrothyr, der Todesbote von H. G. Francis
Atlan ...
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Atlan ‐ Im Auftrag der Kosmokraten Nr. 707 Das neue Konzil
Mrothyr, der Todesbote von H. G. Francis
Atlan im Palast der Mächtigen
Auf Terra schreibt man gerade die Jahreswende 3818/19, als der Arkonide, eben noch dem sicheren Tode nahe, sich nach einer plötzlichen Ortsversetzung in einer unbekannten Umgebung wiederfindet, wo unseren Helden alsbald ebenso gefährliche Abenteuer erwarten wie etwa in der Galaxis Alkordoom, der bisherigen Stätte seines Wirkens. Atlans neue Umgebung, das ist die Galaxis Manam‐Turu. Und das Fahrzeug, das dem Arkoniden die Möglichkeit bietet, die fremde Sterneninsel zu bereisen, um die Spur des Erleuchteten, seines alten Gegners, wiederaufzunehmen, ist ein hochwertiges Raumschiff, das Atlan auf den Namen STERNSCHNUPPE tauft. Das Schiff sorgt für manche Überraschung – ebenso wie Chipol, der junge Daila, der zum treuen Gefährten des Arkoniden wird. Die Daten des Psi‐Spürers der STERNSCHNUPPE bringen Atlan dazu, den Planeten Cairon anzufliegen, dessen Bewohner, wie er meint, vom Erleuchteten bedroht werden. Doch die Bedrohung ist anderer Art, wie Atlan bald erfährt. Seine nächste Station ist der Planet Zyrph, eine Welt, die von Fremden manipuliert wird. Ein junger Zyrpher hat das ebenfalls ganz klar erkannt. Zusammen mit einem Häuflein Gesinnungsgenossen betätigt er sich als Systemveränderer. Er ist MROTHYR, DER TODESBOTE …
Die Hauptpersonen des Romans: Atlan ‐ Der Arkonide vor einem Exekutionskommando. Chipol ‐ Atlans junger Freund und Begleiter. Mrothyr ‐ Ein Freiheitskämpfer. Grareika ‐ Regentin von Mhyn. Tarlos und Uaru ‐ Atlans unversöhnliche Gegner.
1. Beruhige dich, kämpfte der Logiksektor gegen den Aufruhr meiner Gefühle an. Hast du den Zellaktivator vergessen? Ich war am ganzen Körper gelähmt. Unter unendlicher Mühe gelang es mir, die Augenlider zu bewegen. Das war aber auch alles. Ich horchte in mich hinein, spürte die Impulse des Zellschwingungsaktivators und hörte das Pochen meines Herzens. Die Abstände zwischen den einzelnen Herzschlägen schienen immer größer zu werden. Der Logiksektor versuchte, meine Angst zu dämpfen. Es gelang ihm nicht. Immer wieder sah ich die Aradiks vor mir, jene Insekten, die einer Kreuzung von Spinne und Skorpion zu entstammen schienen, und deren Gift in meinen Adern kreiste. »Es ist absolut tödlich«, hatte der Invast gesagt, jener feiste Zyrpher, der vorn im Gleiter saß und in das Schneegestöber hinausblickte. Chipol beugte sich über mich. Seine Finger legten sich auf meinen Hals und tasteten nach meiner Schlagader. Der Junge wollte prüfen, ob ich noch lebte. »Wir fliegen zu einer Maschinenfabrik«, hörte ich Tarlos sagen. »Sie liegt hoch oben in den Bergen. Fast dreitausend Meter hoch. Es ist nicht mehr weit.« Ich hatte einen schweren Fehler gemacht, als ich ihm vertraute. Er
hatte sich uns angeschlossen, nachdem unser Zug überfallen worden war, und da er sich in der gleichen Not befunden hatte wie Chipol und ich, hatte ich ihn als Verbündeten angesehen. Es war ein Trugschluß gewesen. Gewiß war er der gleichen Gefahr ausgesetzt gewesen wie der Junge aus dem Volk der Daila und ich, aber das bedeutete noch lange nicht, daß er unser Freund war. Darüber hinaus war er es gewesen, der uns in eine noch viel größere Gefahr gebracht hatte. Mrothyr hatte uns daraus gerettet. Tarlos hatte es ihm mit Verrat gedankt. Nein, so durfte ich es nicht sehen. Ich mußte anerkennen, daß Tarlos Mrothyr ganz anders gegenüberstand als ich. Für ihn war Mrothyr ein Feind, der eine tödliche Bedrohung für alles darstellte, woran er glaubte und wovon er lebte. Tarlos repräsentierte den Staat, den Mrothyr bekämpfte. Wenn er mit ihm sympathisierte, sägte er sozusagen an dem Ast, auf dem er saß. Und das war mehr, als man von ihm vernünftigerweise verlangen konnte. Ich allein hatte den Fehler gemacht. Als Tarlos sich uns anschloß, hätte ich mir Gedanken darüber machen müssen, was für ein Mensch er war, und ich hätte mich zu keiner Zeit darauf verlassen dürfen, daß er mich durch sein Verhalten nicht gefährdete. Wahrscheinlich hätte ich über mich selbst gelacht, wenn es mir nicht so schlecht gegangen wäre. Sogar dem Roboter hatte ich vertraut, obwohl ich ihm selbst den Namen Brutus gegeben hatte. Die Maschine hatte mich prompt hintergangen. Meine Gedanken wurden durch eine Ohnmacht unterbrochen. Ich wurde mir dessen zunächst gar nicht bewußt. Erst als ich merkte, daß man mich aus dem Gleiter hob, begriff ich. Schnee peitschte mir ins Gesicht. Vermutlich war es eisig kalt. Ich spürte davon nichts. Mir war unerträglich heiß. Mir war übel, und ich hatte das Gefühl, in einer unregelmäßig arbeitenden Zentrifuge zu sitzen. Ich würgte, und Chipol drehte mich auf die Seite, um mir zu helfen. Er kühlte meine Stirn mit Schnee.
Leise sprach er auf mich ein, aber ich verstand überhaupt nichts. Dann wurde es hell, und ich glaubte, durch ein gelbes Fenster in einen Raum sehen zu können, in dem ich selbst in einem Bett lag. Chipol massierte mir Brust und Arme mit kühlen Tüchern. Ich konnte nicht beurteilen, ob das sinnvoll war. Er tat es, wohl weil er das Gefühl hatte, irgend etwas unternehmen zu müssen. Der Daila blickte mich mit weit geöffneten, dunklen Augen an, während er versuchte, mich ins Leben zurückzuholen. Die silbrig‐hellen Fingernägel reflektierten das Licht der Lampen. Mir war, als ob von ihnen eine belebende Kraft ausginge. Unsinn, tadelte das Extrahirn. Ich weiß, antwortete ich. Sei nicht so unwirsch, damit änderst du nichts an meinen Gefühlen. Der Zellaktivator rettet dich. Niemand sonst. Auch das weiß ich. Wie schön, spöttelte der Logiksektor. Du scheinst wenig von dem Gift abbekommen zu haben. Die Anteile stimmen, aber sie beeinträchtigen mich nicht so wie dich. Ich verzichtete darauf, weiter an diesem Punkt zu rühren. Wahrscheinlich war der Logiksektor für die Impulse des Aktivators besonders empfänglich. Der Zellaktivator baute das Gift in meinem Körper ab, und im Bereich des Extrahirns sank der Anteil des Giftes am schnellsten. Die edelsten Teile werden zuerst gerettet, kommentierte mein zweites Ich in beispielloser Bescheidenheit. Ich lachte, und meine Sinne klärten sich ein wenig mehr. Ich sah Chipol und wunderte mich darüber, daß er nach wie vor so traurig und deprimiert war, bis ich mir dessen bewußt wurde, daß er von dem lautlosen Dialog zwischen meinem Logiksektor und mir nichts ahnte. Wie gern hätte ich ihm ein Zeichen gegeben, um ihm ein wenig Hoffnung zu machen. Er erhob sich und drehte mir den Rücken zu. Zwei Zyrpher hatten
den Raum betreten. Sie hüllten sich in dicke Pelze, die sich auch über ihre Köpfe hinwegzogen. Sie stampften den Schnee von den Füßen. Ich glaubte, daß sie etwas für mich tun wollten. Doch dann erkannte ich Tarlos, der mich mit keinem Blick bedachte. Neben ihm stand ein massiger, plump wirkender Mann, der mich mit seinen bernsteingelben Augen abfällig musterte. Als er sprach, entblößte er ein raubtierhaftes Gebiß. Geradezu unterwürfig verneigte sich der Massige vor Chipol. Ich hörte ihn sprechen, aber ich verstand ihn nicht. Dann trat Tarlos an mein Bett heran. Ihm war anzusehen, wie sehr er sich über mich wunderte. »Er lebt noch«, sagte er. Ein deutlicher Vorwurf klang in seiner Stimme mit. Seiner Erfahrung nach hätte ich eigentlich schon längst tot sein müssen. »Laß ihn«, entgegnete der andere. »Es ist schließlich egal, wann er stirbt. Wenn er sich länger quälen muß, ist das nur die gerechte Strafe dafür, daß er mit Mrothyr und seinen Leuten sympathisiert hat.« Was für nette Leute, bemerkte das Extrahirn. Hoffentlich drehen sie nicht durch, wenn ich morgen noch lebe. Tarlos und der andere wandten sich Chipol zu und versuchten, ihn zu einem Essen einzuladen. Er weigerte sich jedoch, mich und das Zimmer zu verlassen. Er forderte eine medizinische Behandlung für mich. Sie schienen nicht verstehen zu können, daß er mir helfen wollte. »Es gibt nichts, was wir tun könnten«, behauptete Tarlos. »Außerdem – wozu? Bisher hat noch niemand dieses Gift überlebt. Es löst die Nervenbahnen auf. Das kann keine Medizin verhindern. So sehr ich es dir wünsche, dein Freund Atlan wird sich nie mehr von diesem Bett erheben.« Ich hatte ihm das Leben gerettet, doch das schien er vergessen zu haben.
Die beiden Männer redeten weiter auf den Daila ein, und schließlich kühlte dieser mir noch einmal die Stirn und die Arme mit einem feuchten Lappen, schloß sich dann aber den Zyrphern an. »Ich bin bald zurück, Atlan«, versprach er. Ich versuchte, ihm ein Zeichen zu geben, indem ich die Augen bewegte, doch ich war dabei so langsam, daß er nicht begriff. Er folgte den beiden Männern. Kaum war ich allein, als ich eine Bewegung auf meiner Brust bemerkte. Mir stockte der Atem. Ein Aradik kroch über meine Brust. Er näherte sich meinem Kinn, berührte es jedoch nicht, sondern ließ sich dicht daneben sinken. Ein unerträgliches Gefühl der Kälte überfiel mich. Ich wußte, daß eine weitere Dosis Gift tödlich für mich sein würde. Schon jetzt hatte der Aktivator Mühe, mich am Leben zu erhalten und die Schäden zu beheben, die durch das Gift hervorgerufen wurden. Ich war extrem geschwächt. Wohl noch nie zuvor war mein Leben so gefährdet wie in diesen Minuten, und ich konnte absolut nichts tun. Tarlos mußte das Insekt auf meine Brust gesetzt haben, als er neben meinem Bett gestanden hatte. Ich haßte ihn aus tiefstem Herzen, und ich schwor ihm Rache für den Fall, daß ich überlebte. Die Aufregung war zuviel für mich gewesen. Meine Nerven versagten, und ich stürzte in eine tiefe Bewußtlosigkeit. Als ich daraus erwachte, war es dunkel. Nur das Licht der Sterne fiel durch das Fenster herein. Ich erinnerte mich an das Insekt. War es noch da? Lauerte es womöglich an meinem Hals oder an meiner Hand? Ich weiß nicht, ob ich in der Lage gewesen wäre, mich zu bewegen, denn ich wagte es nicht, es auszuprobieren. Tarlos hatte nicht unrecht.
Meine Lage war nahezu aussichtslos. Vielleicht überlebte ich das Gift, aber da gab es noch jemanden, der vermutlich darauf aus war, mich zu töten. Mrothyr! Ich mochte diesen Zyrpher, und ich hatte ihm geholfen, zu Waffen zu kommen. Ich war sogar bereit gewesen, an seiner Seite zu kämpfen, und ich hätte es auch jetzt noch getan, wenn ich die Kraft dazu gehabt hätte. Doch Mrothyr mußte mich für einen Verräter halten. Tarlos, der feiste Invast und Brutus, der Roboter, waren aus dem geheimen Lager der Freiheitskämpfer geflohen. Sie hatten Chipol und mich mitgenommen – ganz gegen unseren Willen. Das aber spielte für Mrothyr und seine Leute keine Rolle. Für sie war allein wichtig, daß ich zusammen mit dem Invast und Tarlos verschwunden war. Sie mußten glauben, daß ich sie verraten hatte. Früher oder später würde Mrothyr mir folgen. Er würde sich für den vermeintlichen Verrat rächen wollen, und er würde mir sicherlich keine Gelegenheit geben, ihm zu erklären, wieso ich das Lager verlassen hatte. Die Tür öffnete sich, und Licht flammte auf. Der Aradik kauerte noch auf meiner Brust. Leise zischend hob er den Schwanz mit dem Giftstachel. Es war offensichtlich, daß das Licht ihn irritierte. Doch seine Aggressivität richtete sich nicht gegen mich, sondern gegen denjenigen, der in den Raum getreten war. Es war Tarlos. Er näherte sich mir. Seine bernsteingelben Augen glühten vor Haß. Ich dachte daran, daß wir Gäste bei den Pfahlmännern gewesen waren, und daß er unsere Gastgeber beleidigt hatte. Er warf mir nun vor, daß ich sein Fehlverhalten kritisiert hatte. Eine andere Erklärung für sein feindseliges Verhalten gab es nicht, ließ man einmal außer acht, daß er mich mit Mrothyr und den Freiheitskämpfern auf eine Stufe stellte. Er stieß die Hand auf mich zu, um den Aradik aufzuschrecken.
Laut zischend wich das Tier vor ihm zurück. Ich sah, daß Gift aus seinem Stachel tropfte. »Töte ihn«, sagte Tarlos leise. »Nun los doch. Du sollst ihn stechen.« Er wedelte mit seiner Hand vor dem Insekt herum, um seine Angriffslust zu steigern. Er will, daß du stirbst. Er hat Angst vor dir. Er fürchtet, daß du wieder auf die Beine kommst, und dich dann an ihm rächst, ihn vielleicht gar an Mrothyr auslieferst, um dich selbst zu retten, erkannte der Logiksektor. Du weißt, daß ich so etwas niemals tun würde, antwortete ich. Ein Seufzen schien von meinem Extrahirn auszugehen. Tarlos schlug mir die flache Hand auf die Brust. Augenblicklich schnellte sich das Insekt auf die Hand zu und versuchte, sie mit den Zangen zu packen. Mir stockte der Atem, und ich fühlte, daß mir der Schweiß aus allen Poren brach. »Was tust du hier?« fragte eine helle Stimme von der Tür her. Tarlos fuhr herum. »Ein Aradik sitzt auf seiner Brust«, entgegnete er. »Ich habe versucht, das Tier zu vertreiben. Ich würde es ja erschlagen, aber ich fürchte, daß es ihn dann sticht.« »Danke«, sagte Chipol. »Ehrlich, ich hätte nicht gedacht, daß du das für meinen Freund tun würdest.« »Ich habe ihm einiges zu verdanken.« Tarlos wandte sich mir zu. In seinen Augen glühte der Haß. Ich glaubte, ihm ansehen zukönnen, was er dachte. Er konnte nicht zulassen, daß ich Chipol irgendwann die Wahrheit sagte. Gibt es außer dem Daila eigentlich noch irgend jemanden, der dich nicht töten will? fragte das Extrahirn. »Warte einen Moment«, rief der Daila. »Ich komme gleich wieder. Ich hole etwas, womit wir das Insekt töten können.« Damit eilte er hinaus. Ich hätte schreien mögen.
Chipol, ahnst du denn nicht, daß er mich umbringen will? * Tarlos blickte sich suchend um. Er überlegte fieberhaft, was er in der kurzen, ihm verbleibenden Zeit tun konnte. Er entschied sich für das einfachste und wirksamste Mittel. Er stieß mich mit dem Fuß an. Zunächst trat er mir gegen die Beine. Damit erschütterte er meinen ganzen Körper. Der Aradik richtete sich drohend auf. »Ah, das wirkt«, flüsterte der Zyrpher und trat noch einmal zu. Ich flog zur Seite, und das Insekt wäre beinahe von meiner Brust geworfen worden. »Ich habe etwas gefunden«, rief Chipol von draußen. Tarlos wich von mir zurück. »Beeile dich«, antwortete er. »Das scheußliche Ding sieht ganz so aus, als würde es gleich stechen.« Mein Freund Chipol stürzte in den Raum. Er hielt eine lange Eisenzange in den Händen. Damit packte er das Insekt, riß es hoch und tötete es. Danach trug er es erleichtert hinaus. Tarlos beugte sich über mich. »Das hilft dir gar nichts«, flüsterte er. »Ich werde nicht zulassen, daß du mich verrätst. Ich habe keine andere Wahl. Ich muß dich töten. Der schwarze Durchgang wird sich dir öffnen. Verlaß dich drauf.« Ich merkte, daß ich mich hätte bewegen können, aber ich verhielt mich still. Er trat zurück und wandte sich dem Ausgang zu. »Er hat eine erstaunliche Konstitution«, bemerkte er. »Eigentlich hätte er längst tot sein müssen. Es wäre großartig, wenn wir einen Mann wie ihn in den Dienst des Volkes stellen könnten. Aber leider geht das nicht.« Er ging an Chipol vorbei hinaus. Die Tür schloß sich hinter ihm.
Besorgt kam der Daila zu mir, setzte sich ans Bett und legte mir die Hand an den Hals, um mir den Puls zu fühlen. »Es geht schon wieder«, lallte ich. Seine Hand zuckte zurück, als ob sie gegen eine glühende Herdplatte gekommen sei. Ich hob eine Hand und legte sie auf seinen Arm. Es ging leichter, als ich erwartet hatte. Ich fühlte das Blut in meinem Arm pulsieren, und ich versuchte, auch den anderen Arm zu bewegen. Es ging nicht. »Keine Angst, Chipol«, murmelte ich. »So schnell öffnet sich der schwarze Durchgang nicht für mich.« Tränen der Freude schossen ihm in die dunklen Augen. Er warf sich über mich und umklammerte mich. Er redete pausenlos, aber ich verstand so gut wie nichts. Immerhin begriff ich, daß es uferlose Freude war, die ihn um seine Fassung brachte. Es war ein angenehmes Gefühl, einen solchen Freund zu haben. Als Chipol sich erholt hatte, richtete er sich verlegen auf, wischte sich die Tränen aus den Augen und fuhr sich mit dem Ärmel über die Nase. »Entschuldige«, schluckte er. »Ich habe mich wohl etwas gehen lassen.« Er lächelte und schüttelte fassungslos den Kopf. »Eben noch habe ich geglaubt, daß du sterben mußt, und jetzt …« Er schlug die Hände vors Gesicht und setzte sich wieder zu mir. »Ich schaffe es«, versprach ich ihm. »Was kann ich für dich tun«, fragte er. Die Worte sprudelten nun förmlich aus ihm hervor. »Sage mir, was ich tun muß, um dir zu helfen. Ich wußte ja nicht, ob es richtig war, dir die Stirn zu kühlen.« »Es war genau richtig«, beteuerte ich. »Aber jetzt? Was kann ich jetzt tun?« »Halte mir Tarlos vom Leib. Er wollte mich töten.« Seine Augen weiteten sich, und abermals sprang er auf. Meine Worte hatten ihn vollkommen überrascht. Ich wußte, daß er
keinerlei Sympathien für den Zyrpher empfand, aber für einen Mörder hatte er ihn wohl nicht gehalten. Mühsam berichtete ich ihm, was Tarlos getan hatte.. »Wir müssen so schnell wie möglich von hier verschwinden«, schloß ich. »Mrothyr wird kommen. Er darf uns nicht finden.« Er nickte. Daran hatte er auch schon gedacht. »Das wird nicht leicht sein«, erwiderte er. »Wir .sind auf dem Gelände einer großen Maschinenfabrik. Hier arbeiten mehr als vierzig Männer und Frauen. Daneben habe ich eine Reihe von Robotern gesehen – bewaffnete und unbewaffnete. Mnbrennham Ntrou ist der leitende Manager. Das ist dieser massige Mann, der hier bei dir war. Ich mag ihn nicht. Er hat eine hinterhältige Art. Er ist gefährlich. Außerdem hat er Angst vor Mrothyr und seinen Freunden. Er fürchtet, daß die Fabrik von ihm überfallen wird. Und Tarlos redet ständig davon, daß du Mrothyr provoziert hast. Er behauptet, daß er sich schwere Vorwürfe mache, weil er dich mitgenommen habe. Er meint, du seist nun zum Lockvogel für Mrothyr geworden, und das sei genau das, was er nicht beabsichtigt habe.« Chipol ballte die Hände zu Fäusten und schlug sie sich auf die Oberschenkel. »Ich hätte nie gedacht, daß Tarlos so ein Schuft ist«, fügte er hinzu. »Du solltest ihn nicht so hart verurteilen«, verteidigte ich den Zyrpher. »Vergiß nicht, daß wir für ihn Wesen von anderen Sternen sind, Fremde, mit denen er nicht das geringste zu tun hat, und denen er sich nicht verpflichtet fühlt. Er denkt nur an seine Welt und an sich. Was aus uns wird, ist ihm egal. Er würde sicherlich anders handeln, wenn auch wir Zyrpher wären.« Der Daila schüttelte den Kopf, widersprach mir aber nicht. Das war eine Lüge, tadelte mich das Extrahirn. »Ich gebe es zu, antwortete ich. Aber ich will nicht, daß Chipol sich allzu sehr von Gefühlen leiten läßt.« Ausnahmsweise muß ich dir mal recht geben.
»Wir müssen von hier verschwinden«, sagte der Junge. »Hier bist du nicht in Sicherheit. Mich behandeln sie gut, aber dich nicht. Mich scheinen sie für ganz besonders wichtig anzusehen. Ich bin noch nicht dahintergekommen, warum.« Ich wollte antworten, war jedoch zu erschöpft dazu. Erst einige Minuten später hatte ich mich soweit erholt, daß ich erwidern konnte: »Wie sollen wir wegkommen? Wir brauchen einen Gleiter.« »Ich habe mich schon umgesehen«, erklärte er. »Ich glaube nicht, daß wir uns einen besorgen können. Es gibt nur vier Antigravmaschinen, und die sind unter Verschluß. Sie werden von gefährlichen Tieren bewacht. Aber du hast recht. Es muß ein Gleiter sein. Es schneit nämlich wieder, und eine andere Transportmöglichkeit kommt nicht in Frage.« Ich verspürte eine Bewegung unter dem Hemd, und für einen kurzen Moment dachte ich, ein Aradik habe sich dorthin verkrochen. Doch dann schob ich diesen Gedanken wieder von mir. Das wäre wohl ein anderes Gefühl gewesen. »Es ist kalt. Das bedeutet, wir brauchen nicht nur ein geeignetes Transportmittel, sondern auch warme Kleidung.« »Das ist richtig«, bestätigte er. »Sobald wir jedoch unten im Tal sind, sieht es anders aus. Dort scheint es nicht so kalt zu sein, aber ich weiß noch nicht, wie wir ohne Gleiter dorthin kommen sollen.« Damit waren unsere Schwierigkeiten beträchtlich gestiegen. Ein anderes Transportmittel als ein Antigravgleiter kam wirklich nicht in Frage, zumal ich mich kaum bewegen konnte. Du sitzt in der Falle, stellte der Logiksektor fest. Welch scharfsinnige Überlegung, gab ich wütend zurück. »Ich geh noch mal nach draußen«, sagte der Daila. »Ich bin gleich zurück.« Er verließ den Raum, und ich horchte in mich hinein. Der Zellaktivator kämpfte gegen das Gift der Aradiks, und allmählich kehrte das Leben in meinen Körper zurück. Meine Finger krümmten sich, und ich konnte die Arme beugen und strecken. Die Beine
wollten meinen Befehlen allerdings noch nicht gehorchen. Eine Flucht unter solchen Umständen ist Wahnsinn, stellte das Extrahirn klar. Eine wahrhaft überflüssige Bemerkung. Solange ich nicht auf meinen eigenen Füßen stehen konnte, mußte ich bleiben. Die Müdigkeit übermannte mich erneut, und ich schlief ein. Erst als Chipol meine Schulter berührte, wachte ich wieder auf. Seine schwarzen Augen waren groß und unergründlich. Fast schien es mir, als läge ein Vorwurf in ihnen. »Es hilft nichts«, sagte er. »Wir müssen verschwinden.« »Warum?« fragte ich, und jetzt lallte ich nicht mehr. »Ich habe den Invast und Tarlos belauscht«, erwiderte er. »Die beiden sind der Meinung, daß sie einen schweren Fehler gemacht haben, als sie uns mitnahmen.« »Das haben sie doch nur getan, damit wir Mrothyr nicht alarmieren.« »Ich weiß. Und auch ihnen ist das klar. Nur, in der Schlucht waren sie noch nicht bereit, uns zu töten. Jetzt sind sie es. Der Manager dieser Fabrik wird die Tiere auf uns hetzen.« Er hob die Hand und zeigte mir einen kleinen Energiestrahler, kaum mehr als ein Spielzeug. »Damit können wir uns auf keinen Fall wehren.« Wir mußten die Flucht versuchen. Uns blieb keine andere Wahl. 2. »Und wie?« fragte ich Chipol. »Wir sind hier sehr hoch«, entgegnete er. »Über zweitausend Meter. Von hier aus geht es immer bergab, und draußen liegen Metallschalen. Wir werden sie als Schlitten benutzen.« Ich schüttelte den Kopf. Was für eine Idee!
»Das geht doch nicht, Chipol. Wie willst du so eine Schale steuern? Außerdem kennst du das Gelände nicht, und es ist dunkel. Wir werden in irgendeinem Abgrund landen. Und was machen wir, wenn wir es schaffen sollten und unten sind? Wie kommen wir dann weiter?« Er blickte mich ratlos an. Darüber hatte er noch nicht nachgedacht. »Wir müssen es versuchen«, sagte er dann trotzig. »Oder willst du warten, bis diese Bestien kommen und uns zerreißen?« Er raffte einige Decken zusammen. »Ich lege eine von den Schalen mit Decken aus. Dann packe ich dich rein und decke dich zu. Dann riskieren wir es.« Es war nicht mehr als eine Verzweiflungstat, aber was blieb uns denn schon? Der Daila rannte mit den Decken hinaus. Wenig später kam er wieder und richtete mich mühsam auf. Ich versuchte, ihm zu helfen, versagte dabei aber kläglich. Das Gift war noch immer wirksam. Auch kriechen konnte ich nicht. Chipol hatte keine andere Möglichkeit, als mich über den Boden zu schleifen. Mein Extrahirn schwieg. Was hätte dieses nüchtern und emotionslos denkende Organ auch sagen können? Unter derartigen Umständen eine Flucht zu beginnen, war derart unsinnig, daß sich jeder Kommentar von selbst verbot. Dennoch widersprach ich dem Daila nicht. Ein solcher Versuch war immer noch besser als eine Kapitulation. Und es entsprach nun einmal nicht meiner Mentalität, tatenlos abzuwarten, bis die Wachhunde des Fabrikmanagers kamen und mich zerrissen. Wenn Brutus doch wenigstens auf unserer Seite gewesen wäre. Doch er hatte sich als Verräter erwiesen. Als Chipol die Tür öffnete, schlug mir die eisige Gebirgsluft ins Gesicht, und Schnee wirbelte über mich hinweg. Aus der Ferne hallte das Gebrüll der Wachtiere zu uns herüber. Es hörte sich so an, als ob jemand dabei wäre, sie freizulassen.
»Tarlos und der Manager dieser Fabrik hängen geschäftlich irgendwie zusammen«, berichtete Chipol, während er mich zu einer der Schalen schleifte. »Mnbrennham Ntrou produziert hier Maschinen, die kaum ein Zyrpher haben will. Tarlos nimmt ihm fünf Prozent von seiner Produktion ab. Das andere wird auf Halde abgeschoben. Ich glaube, da draußen vor der Fabrik lagern Tausende von fertigen Maschinen, die zu nichts zu gebrauchen sind. Mnbrennham Ntrou stellt sie her, weil der Wirtschaftsplan für dieses Jahr dies vorsieht. Kannst du so was verstehen?« Ich wußte kaum, wovon er sprach. Mein Rücken schmerzte. Jedesmal, wenn Chipol an meinen Armen zog, ging eine Schmerzwelle durch meinen Rücken, so als ob sich Messer in ihn bohrten. Ich ließ mir jedoch nichts anmerken. Endlich hatten wir die Schale erreicht. Ihr Rand war etwa zwanzig Zentimeter hoch. Zu hoch für mich. Allein konnte ich nicht hineinsteigen. Chipol mußte mich aufrichten und dann in mühevoller Arbeit hineinwälzen. Immerhin gelang es mir, die Beine anzuziehen, als ich in der Schale lag. Er deckte mich zu, bis nur noch mein Gesicht frei war. Der Schnee fiel noch dichter als zuvor. Von einem der andern Häuser hallten die Stimmen von Tarlos und von Mnbrennham Ntrou herüber. Die beiden näherten sich uns. Kamen sie, um uns zu töten? Chipol ging davon aus. »Los jetzt«, sagte er leise. Dann lachte er. »Wie lange ist es her, daß du Schlitten gefahren bist?« »Ich erinnere mich nicht«, erwiderte ich. Es entsprach nicht ganz der Wahrheit, aber ich glaubte nicht, daß der Daila diese überhaupt hören wollte. Er stemmte sich gegen die Schale, und zunächst tat sich überhaupt nichts. Dann aber hörten wir, daß irgendwo eine Eisentür quietschte. Gleich darauf wurde das Gebrüll der Wachtiere lauter, und wir beide wußten, was dies zu bedeuten hatte. Die Hatz auf uns begann. In weniger als einer Minute würde Mnbrennham Ntrou
wissen, daß wir nicht mehr in dem Haus waren. Chipol setzte sich mit wilder Entschlossenheit ein. Die Schale ruckte an und rutschte ein Stückchen weiter. »Es geht los«, keuchte der Daila. Wieder stemmte er sich gegen die Schale, und dann sprang er hastig hinein. Er kauerte sich neben mich und hielt sich fest. Wir gewannen an Fahrt. »Kannst du etwas sehen?« fragte ich. »Wenig«, gestand er. Mit aller Kraft hob ich den Kopf. Mir schwindelte, und ich sah Sterne vor meinen Augen. Doch ich erkannte auch, daß wir uns in schneller Fahrt einem Felsdurchgang näherten. »Mutter«, keuchte Chipol. »Halte mir die Daumen. Ich fresse meine Schuhe, wenn das gut geht.« Wir kippten nach vorn. Für einen Moment stellte sich die Schale fast senkrecht. Ich sah eine steil abfallende Bahn vor uns, die zwischen die Felsen führte. Eine Sturmbö trieb den Schnee auseinander, und ich erkannte tief unter uns Lichter. Sie waren mehrere Kilometer entfernt, und ich hatte das Gefühl, daß wir nur über eine senkrecht abfallende Steilwand zu ihnen kommen konnten. Dann schlitterte die Schale wuchtig durch eine Senke. Mein Kopf flog zurück und prallte schmerzhaft auf. »Teufel auch«, stöhnte Chipol. Er lehnte sich weit zur Seite. Die Schale neigte sich nach rechts, so daß ich bereits fürchtete, sie werde umkippen. Dann rutschte sie mit beängstigender Geschwindigkeit an einem Felsbrocken vorbei, jagte über eine Kuppe hinweg und flog durch die Luft. Ich hielt den Atem an. Meine Phantasie gaukelte mir vor, daß ein Abgrund unter uns lag. Stürzten wir nun abermals in eine Schlucht, so wie wir es mit dem Zug getan hatten? Ich stöhnte unwillkürlich auf. Wenn ich doch wenigstens in der Hocke hätte sitzen können so
daß ich gesehen hätte, wohin die rasende Jagd ging. Weit hinter uns heulten Sirenen. »Aha«, brüllte Chipol. »Sie wissen, daß wir weg sind.« Mir gelang es, mich auf die Ellenbogen zu stemmen und den Kopf so weit zu heben, daß ich über den Rand der Schale blicken konnte. Wir rutschten mit atemberaubendem Tempo durch eine weite Senke, schnellten danach eine Schräge hoch und flogen abermals wenigstens zwanzig Meter weit durch die Luft. »Festhalten«, brüllte der Daila. Dann krachte es auch schon. Die Schale durchbrach ein Gebüsch und raste auf eine steil aufsteigende Felswand zu. Ich schrie entsetzt auf. Es schien keinen Ausweg zu geben. Wir waren in eine Sackgasse gefahren. Doch da warf sich Chipol so wuchtig über mich, daß sich die Schale für einen kurzen Moment auf die Seite stellte. Sie prallte mit der Unterseite gegen die Felswand und schleuderte von dort einen sanft abfallenden Hang hinunter. »Oh, Mutter«, stammelte Chipol. Ich wollte wissen, was ihn so entsetzt hatte, und blickte nach vorn. Vor uns lag ein Steilhang, der wenigstens fünfhundert Meter weit abfiel und danach in eine Schlucht mündete. Auf dieser Strecke würden wir auf eine geradezu wahnwitzige Geschwindigkeit beschleunigt werden. Nichts würde uns bremsen. Nichts konnte uns aufhalten. Wir konnten nichts tun. Die rasende Fahrt begann, und der Schnee peitschte uns ins Gesicht. Wir wurden schneller und immer schneller, und keiner von uns wagte auch nur daran zu denken, was uns am Ende der Fahrt in der Schlucht erwartete. »Mann, das ist zuviel des Guten«, stöhnte Chipol. »Wenn wir gegen die Felsen knallen, bleibt von uns nichts mehr übrig.« Ich hätte nie für möglich gehalten, daß wir so schnell werden würden. »Spring ab«, schrie ich dem Daila zu. »Und dann?« brüllte er zurück. »Was wird aus dir?«
Wieder hatte ich das Gefühl, daß mir etwas über die Brust kroch. Mir war, als würde ich von Eis durchdrungen. Für uns gab es nur eine einzige Chance. Wir mußten in die Schlucht gleiten, und dann mußte es irgendwie aufwärts gehen, damit wir an Fahrt verloren. Näher und näher kam die Felswand, und die Schlucht schien immer enger zu werden. Vergeblich versuchte ich, Einzelheiten in ihr zu erkennen. Sie war von einer undurchdringlichen Dunkelheit erfüllt, die keine Hoffnung für uns preisgab. »Mutter«, keuchte Chipol. »Wir müssen es riskieren.« Dann war es auch schon soweit. Wir rasten in die Schlucht hinein. Chipol schrie gellend auf. Er riß die Schale nach rechts. Sie hüpfte über eine Senke hinweg und durchbrach die Dunkelheit. Dann tanzte sie mit erschreckend steiler Neigung über einen eisbedeckten Pfad. Links von mir stiegen die Felsen senkrecht in die Höhe. Rechts von uns gähnte ein Abgrund, der bodenlos zu sein schien. Wir rutschten Zentimeter von ihm entfernt über das Eis, und nichts schien uns vor dem Absturz bewahren zu können. Ich konnte mich nicht mehr halten. Ich glitt mit der Schulter über den Rand der Schale hinaus, wurde aber von einem Eisbuckel zurückgeworfen. Ich prallte gegen den Daila. Dieser kippte nach hinten und fiel mit dem ganzen Gewicht gegen die fast senkrecht gestellte Schale. Diese neigte sich nun zur anderen Seite. Wir drehten uns wie ein Kreisel um uns selbst, so daß ich nicht mehr wußte, wo wir waren – und dann flogen wir nur noch. Das Entsetzen lähmte uns. Wir konnten nichts tun. Wir wußten den Abgrund unter uns, und wir waren uns klar darüber, daß uns nun nur noch eine höhere Macht retten konnte. »Mutter«, wisperte Chipol an meinem Ohr. Ich wollte ihm antworten, aber ich konnte nicht. Plötzlich traf uns ein fürchterlicher Schlag. Die Schale prallte auf, wurde wieder in die Höhe geschleudert und raste dann mit unverminderter Geschwindigkeit über ein Eisbrett in die Tiefe.
Fassungslos blickten wir zurück. Wir sahen hoch über uns den Ausgang der Schlucht. Wir erkannten die Öffnung, aus der wir wie eine Kanonenkugel hervorgeschossen waren, und wir begriffen, daß wir wenigstens hundert Meter weit durch die Luft geflogen waren, eine Schlucht dabei überwunden und nun wieder relativ sicheren, aber steil abfallenden Boden unter uns hatten. Das Eis war uneben, voller Risse und Kanten. Die Schale schleuderte darüber hinweg. Chipol war nicht in der Lage, sie durch Gewichtsverlagerung zu steuern. Das gelang ihm erst wieder, als wir tiefen Schnee erreichten. Doch nun tauchten vereinzelt Bäume vor uns auf und der Daila mußte seine ganze Geschicklichkeit einsetzen, um der rasenden Schale mal die eine, mal die andere Richtung zu geben. Immer häufiger rutschten wir nur knapp an einem Baum vorbei. Äste peitschten gegen die Schale, so daß Chipol sich tief ducken mußte. Dann endlich ging es bergauf, und die rasende Fahrt verringerte sich. Geradezu gemächlich glitten wir über Schnee und Eis dahin. »Oh, Mutter«, stöhnte Chipol. »Wenn ich das vorher gewußt hätte, wäre ich bestimmt nicht eingestiegen.« »Du hättest mich allein fahren lassen?« scherzte ich. Er lachte. »Die Frage ist nur – was nun?« bemerkte ich. Er wurde ernst. »Wir haben Tarlos, Mnbrennham Ntrou und die Meute der Tiere abgeschüttelt«, entgegnete er dann. »Die wissen bestimmt nicht, wo wir geblieben sind.« »Aber sie können unsere Spur verfolgen. Sie brauchen nur in den Gleiter zu steigen und an der Spur entlangfliegen. Früher oder später haben sie uns – vor allem, wenn wir jetzt keine Möglichkeit finden, weiterzukommen.« »Du bist ein unverbesserlicher Pessimist.« Ich mußte über meinen kleinen Freund lachen. Genau das war ich nicht.
»Fahren wir erst einmal weiter«, erwiderte ich. »Es wird uns gar nichts anderes übrigbleiben«, stöhnte er. Dann kippte die Schale auch schon wieder nach vorn, und wir stürzten einen Steilhang hinunter. Irgendwann einmal hatte eine Lawine eine Schneise in den Wald geschlagen. Das kam uns nun zugute. »Da unten ist eine Straße«, schrie Chipol plötzlich. Ich sah einen Graben vor uns, der sich quer durch die Schneise schnitt. Dann hatten wir ihn auch schon erreicht und sprangen darüber hinweg. Wir kamen so hart auf, daß Chipol sich nicht mehr halten konnte und hinausgeschleudert wurde. Ich hörte ihn schreien, dann raste ich allein weiter. Ich versuchte, die Arme nach den Rändern der Schale auszustrecken, doch es gelang mir nicht. Ich konnte die Schale auch nicht durch Gewichtsverlagerung steuern. Ich konnte gerade erkennen, wohin ich in ständig wechselndem Tempo rutschte – direkt auf die Straße zu, die Chipol erwähnt hatte. Ich sah die grellen Lichter von schweren Transportfahrzeugen, die über die Straße huschten, und ich war sicher, daß ich mitten zwischen ihnen landen würde. In meiner Verzweiflung wandte ich alle Kraft auf, die in mir war. Ich mußte die Schale verlassen haben, wenn sie über die Felskante zur Straße hinweghüpfte, oder ich würde unter den Rädern der Fahrzeuge zermalmt werden. Meine Hand erreichte den Rand der Schale, krallte sich um sie. Mühsam richtete ich mich auf. Die Schale knallte gegen einen Eisbuckel und wirbelte in die Höhe. Ich fiel zurück und erfaßte, daß die letzte Chance vertan war. Die Schale schoß über die Felsen hinaus und schien für eine Ewigkeit über der Straße zu schweben. Ich vernahm den Lärm der Motoren. Gleich würde ich die heranschießenden Scheinwerfer sehen, und dann würden die Räder mich überrollen. Ich riß den Mund auf. Ich wollte schreien, doch ich konnte nicht.
Mein Kampf gegen das Gift war vergeblich gewesen. Ich hätte einen leichteren Tod haben können. Ich hörte es krachen und spürte einen harten Schlag. Irgend etwas schleuderte mich wenigstens einen Meter in die Höhe. Ich sah die Lichter der Lastwagen – aber sie waren noch tief unter mir. Dann stürzte ich nach unten, durchbrach etwas, was mir nur wenig Widerstand entgegensetzte, und fiel wieder in die Schale zurück. Ich prallte so hart auf, daß ich beinahe das Bewußtsein verlor. Ein dumpfer Schmerz breitete sich in meinem Körper aus. Es wurde still. Ich hörte nur noch das Rauschen vorbeifahrender Fahrzeuge. Um mich herum war Dunkelheit. Wo war ich? Auf der Ladefläche eines Lastwagens, du Narr, antwortete der Logiksektor. Das Fahrzeug bremste scharf und hielt. Andere Fahrzeuge fuhren heulend an mir vorbei. Über mir war ein großes Loch, durch das Schnee hereinwehte. Türen öffneten sich, und Licht flammte auf. Das wutverzerrte Gesicht eines Zyrphers erschien über mir. Der Mann packte mich an den Armen und schüttelte mich. »Hast du den Verstand verloren?« brüllte er mich an. »Was fällt dir eigentlich ein? Du hast den Lastwagen beschädigt. Außerdem hättest du dir das Genick brechen können. Weißt du, wieviel Zeit mich dieser Unsinn kostet? Und hast du eine Vorstellung davon, welche Komplikationen das mit meinem Büro gibt? Ich kann tagelang Formulare ausfüllen.« Er stieß mich zurück, und mein Hemd zerriß über der Brust. Erschrocken fuhr der Mann zurück. Seine Augen weiteten sich. Mit offenem Mund starrte er mich an. »Invast«, stammelte er. »Du bist ein Invast. Das konnte ich nicht wissen.« Er fiel vor mir auf die Knie und preßte die Stirn auf den Boden. Ich begriff noch immer nicht.
»Verzeih mir, daß ich dich berührt habe«, fuhr der Mann fort. »Ich bin bereit, dafür zu büßen. Befiehl mir, mich zu töten, und ich werde es tun.« Er hält mich für einen heiligen Mann, erkannte ich. Aber warum? Ein bekanntes Gesicht tauchte neben dem Zyrpher auf. Ich traute meinen Augen nicht. Chipol blickte mich an, aber er machte nicht gerade einen fröhlichen Eindruck. Sein Gesicht war vielmehr grau vor Furcht. Er beugte sich über mich, griff entschlossen zu und richtete sich wieder auf. Ich sah, daß er einen Aradik in den Händen hielt. Er hatte ihn mit einer Hand am Schwanz gepackt und hielt ihn so, daß er nicht stechen konnte. Wortlos drehte er sich um und verließ die Ladefläche des Lastwagens. Der Zyrpher starrte mich ehrfurchtsvoll an, und jetzt wußte ich, weshalb er mich für einen Invast hielt. Mir fuhr noch nachträglich der Schrecken in die Glieder. Die ganze Zeit über hatte ich einen Aradik unter dem Hemd gehabt. Mein Gefühl hatte mich nicht getäuscht. Dieses Insekt mit dem tödlichen Gift war tatsächlich da gewesen. Der Aradik hatte die rasende Flucht mitgemacht, er war mit mir durchgeschüttelt worden. Es war wie ein Wunder, daß er mich nicht gestochen hatte. »Ich habe ihn in den Schnee gesetzt«, erklärte Chipol, als er zurückkam. »Ich hoffe, es ist dir recht, Meister.« »Es ist in Ordnung«, stöhnte ich, während ich mich voll auf die Suche nach einem weiteren Aradik konzentrierte, der möglicherweise noch unter meiner Kleidung steckte. Mit allen Sinnen versuchte ich, so ein Insekt aufzuspüren – glücklicherweise jedoch erfolglos, da es kein zweites Insekt dieser Art an mir gab. Ich atmete erleichtert auf. Mühsam streckte ich die Hand nach dem Lastwagenfahrer aus. Er blickte mich voller Ehrfurcht an. »Es mußte sein«, erläuterte ich ihm. »Vielleicht wirst du es später einmal begreifen. Fahre jetzt weiter. Du wirst niemandem erzählen,
daß ich hier bin.« »Natürlich nicht, Invast«, beteuerte er eilfertig. »Ich werde schweigen.« »Geh du mit nach vorn«, bat ich Chipol. Ich wollte dem Fahrer nicht blind vertrauen. »Ich werde dich allein lassen, um dich bei deinen Meditationen nicht zu stören«, antwortete der Daila und zwinkerte mir verstohlen zu, bevor er mich verließ. Das Licht erlosch, und die Türen schlossen sich. Ich ließ mich erschöpft zurücksinken. Der Lastwagen fuhr weiter. Wir waren unseren Verfolgern – jedenfalls vorläufig – entkommen. 3. Tageslicht schien zu der Öffnung über mir herein, als ich durch peitschende Schüsse aufgeweckt wurde. Es schneite nicht mehr. Ich richtete mich auf, und erst jetzt wurde ich mir dessen bewußt, daß ich die Auswirkungen des Insektengifts nicht mehr so deutlich spürte. Ich konnte mich wieder besser bewegen. Es gelang mir sogar, auf die Beine zu kommen. Der Lastwagen hielt, und der Motor ging aus. Jetzt hörte ich die Schüsse deutlicher. Die Autotür klappte. Jemand rannte zum Heck des Lastwagens, und dann öffnete sich die Tür. Chipol kroch zu mir herein. Er nickte anerkennend, als er sah, daß ich aufrecht stand. »Was ist los?« fragte ich. »Sieh hinaus«, forderte er mich auf. Ich stellte mich auf eine Kiste und hob den Kopf vorsichtig durch die Öffnung hinaus, die ich mit der Schale geschlagen hatte. Der Lastwagen stand eingekeilt zwischen Dutzenden von anderen Fahrzeugen in einer engen Schlucht. Ungefähr fünfzig Meter von mir entfernt befanden sich mehrere Militärfahrzeuge, die
Panzergleiter und Geschütze transportierten. Sie waren das Ziel von maskierten Zyrphern. Einer dieser Angreifer stand unübersehbar auf einem Felsvorsprung über den Militärfahrzeugen. Er trug eine blau‐grüne Pelzmütze, von der ein leuchtend orangefarbener Schwanz über seinen Nacken in den Rücken herabfiel. Mrothyr! Neben ihm schlugen einige Geschosse ein, aber er ließ sich nicht beeindrucken. Zur recht, wie ich erkannte, denn ich sah, daß die Schützen von mehreren Freiheitskämpfern überwältigt und gefesselt wurden. »Er darf uns nicht sehen«, sagte Chipol. »Er würde uns umbringen.« Eines der Geschütze explodierte. Ich zog den Kopf zurück. »Was tun wir denn nun?« fragte der Daila. »Wir können doch nicht in diesem Laster bleiben und abwarten, bis er uns herausholt.« »Er hat keine Ahnung, daß wir hier sind. Wie sollte er auf den Gedanken kommen, uns in diesem Wagen zu suchen?« Schweigend deutete Chipol auf die Öffnung im Dach. Ich mußte ihm recht geben. Mrothyr stand oben auf den Felsen. Fraglos würde ihm das Loch auffallen. Er würde nachsehen, was in den Laster gestürzt war. »Ich habe gesehen, daß die Lastwagenfahrer alle aussteigen und weglaufen«, berichtete der Daila. »Sie wollen möglichst weit weg sein vom Schuß. Es würde also nicht auffallen, wenn wir auch verduften.« »Ja, das wird das Klügste sein. Wir steigen aus, aber wir gehen nicht weit«, stimmte ich einschränkend zu. Ich öffnete die Tür, blickte vorsichtig hinaus und stieg dann auf den Boden hinab. Ich hatte Mühe, mich auf den Beinen zu halten. Noch immer spürte ich die Wirkung des Giftes. Es hatte mein Nervensystem stark beeinträchtigt, und dieses hatte noch nicht genügend Zeit gehabt, sich zu regenerieren.
Chipol hatte richtig beobachtet. Die meisten Fahrer waren geflüchtet. Keiner von ihnen hatte die Waffe gegen die Rebellen erhoben. Vielleicht weil sie mit ihnen sympathisierten, möglicherweise aber auch, weil sie nichts zu verteidigen hatten, was ihnen selbst gehörte. Die Reaktion der Zyrpher war günstig für uns. Wir brauchten uns nur zu bedienen. »Komm, wir nehmen gleich den nächsten Wagen«, rief ich dem Daila zu und kletterte bereits in das Fahrerhaus eines Lasters. Chipol folgte mir. Er stieg über mich hinweg. »Tut mir leid«, keuchte er. »Die Türen bei diesen Kisten lassen sich so schwer öffnen, das schaffe ich nicht.« Er setzte sich neben mich und deutete auf die vielen Hebel, die ich zu bedienen hatte. »Weißt du, wie das geht?« »Das kriege ich schon hin«, erwiderte ich zuversichtlich, während ich nach vorn blickte. Chipol schob mir eine Fellmütze hin, die auf den Sitzen lag, und ich stülpte sie mir über den Kopf. Ich konnte an dem Laster vor uns vorbei auf die Militärfahrzeuge sehen. Mrothyr stand noch immer auf dem Felsvorsprung. Mit energischen Gesten steuerte er die Aktion der Freiheitskämpfer. Er bot ein Bild gelassener Überlegenheit. Das änderte sich auch nicht, als aus einem der Militärfahrzeuge plötzlich drei grüne Gestalten hervorkamen. Sie waren etwa einen Meter groß und waren über und über mit dichten Fell bedeckt. Sie hatten vier sehr kurze, dicke Beine und zwei Arme mit hornigen Krallenhänden. Die Köpfe dieser Wesen saßen auf beweglichen Gelenken. Kohlschwarze, unproportional große Augen leuchteten aus dem grünen Pelz. Mit nahezu possierlich wirkenden Bewegungen eilten die drei Fremden zwischen den Fahrzeugen hin und her. Mühelos sprangen sie zu einigen Felsen hinauf, und sie drohten Mrothyr mit wütenden Gebärden. Niemand regte sich über den Überfall so auf wie sie, und sie dachten offensichtlich gar nicht daran, sich durch Flucht in
Sicherheit zu bringen. Mrothyr hätte sie mühelos erschießen können, wenn er es gewollt hätte. »Naldrynnen«, sagte Chipol. »Das müssen sie sein.« Die Fremden waren körperlich ungemein stark, und sie konnten sich trotz ihrer kurzen Beine äußerst schnell bewegen. Sie stammen von einem Planeten mit deutlich höherer Schwerkraft als Zyrph, stellte der Logiksektor fest. Einer von ihnen ist wenigstens so stark wie drei Zyrpher. Mrothyr löste sich plötzlich von den Felsen und schwebte sanft aus der Höhe herab. Er trug vermutlich einen Antigravgürtel. Gelassen ging er auf die Naldrynnen zu, wobei er seine Waffe ständig auf sie richtete. Ich sah, daß er auf sie einsprach. Sie wichen erschrocken zurück, wandten sich ab und eilten weiter nach vorn. Wenig später stieg ein halbverbrannter Gleiter auf und entfernte sich in langsamer Fahrt. Die Naldrynnen schafften es nur unter größter Mühe, die Maschine in der Luft zu halten. »Er hat sie verjagt«, bemerkte Chipol. »Sie sind viel stärker als er, aber sie haben eine gehörige Portion Respekt vor ihm und verschwinden.« Ich beobachtete, daß Mrothyr sich einem der Laster zuwandte und ihn kontrollierte. »Wie startet man?« fragte ich den Jungen. Er deutete auf einen der Hebel und berichtete, was er während der Fahrt beobachtet hatte. Ich stieß den Hebel nach vorn. Der Motor sprang an, und der Laster setzte sich mit einem Ruck in Bewegung. Ich riß das Steuer herum und schaffte es gerade noch, an dem Wagen vorbeizukommen, aus dem wir ausgestiegen waren. Dann trat ich den Gashebel voll durch. Der schwere Zug beschleunigte erstaunlich gut. Plötzlich waren wir neben den brennenden Militärfahrzeugen. Die Freiheitskämpfer sprangen zur Seite, um nicht übergefahren zu werden. Drohend hoben sie ihre Waffen, aber keiner von ihnen schoß auf uns. Ich zog mir die Fellmütze tief ins Gesicht.
Mrothyr tauchte zwischen zwei Fahrzeugen auf, und für einen kurzen Moment kreuzten sich unsere Blicke. Ich weiß nicht, ob er mich erkannte, aber ich hatte das Gefühl, nichts vor ihm verbergen zu können. Ein Abgrund schien sich vor mir zu öffnen. Doch dann war ich vorbei. Ein kleineres Fahrzeug stand verlassen vor uns auf der Straße. Ich hatte keine andere Wahl. Ich rammte es und schleuderte es zur Seite. Dann schoß der Laster brüllend aus der Schlucht hervor auf eine Straße hinaus, die sich mit einem geradezu abenteuerlichen Gefälle in ein weites Tal stürzte. »Oh, Mutter«, stöhnte Chipol an meiner Seite. »Geht es denn immer nur bergab?« Die Straße vor mir war frei, und tief unten im Tal konnte der Zug ausrollen. Ich gab Vollgas, weil ich einen möglichst großen Vorsprung gewinnen wollte. Der Laster gewann schnell an Fahrt. Chipol hob die Füße und setzte sie vor sich aufs Armaturenbrett. »Oh, Mutter«, seufzte er. »Jetzt sind nicht nur Tarlos und Mnbrennham Ntrou hinter uns her, sondern auch noch Mrothyr und die anderen Lastwagenfahrer.« »Die anderen Fahrer?« fragte ich. »Na klar«, antwortete der Daila. Er schnippte mit den Fingern. »Wir haben einem von ihnen den Wagen geklaut. Das scheint sie nicht gerade glücklich zu machen.« Ich gab noch mehr Gas. Meine Blicke richteten sich nach vorn. Ich sagte mir, daß wir irgendwann anhalten mußten, ob wir wollten oder nicht. Was war dann? Chipol beugte sich plötzlich nach vorn. »Moment mal«, sagte er. »So frei ist die Straße ja nun auch wieder nicht.« Erst jetzt konnten wir erkennen, daß die Straße weit vor uns noch einmal in eine Querrinne abfiel. In dieser standen eine Reihe von Gebäuden und zahlreiche Fahrzeuge. »Das sieht aus, als ob da eine Grenze wäre«, rief der Daila.
»Scheint so, daß das Land da drüben zu einem anderen Bundesstaat gehört.« Ich trat auf die Bremse – und erzielte nicht die geringste Wirkung. Chipol blickte mich erschrocken an. »Der Zyrpher hat mit dem Motor gebremst«, sagte er. »Aber ich weiß nicht mehr, wie er es gemacht hat.« Ich rief mir ins Gedächtnis zurück, wie ich beim Beschleunigen die Gänge bedient hatte. Irgend etwas mußte ich tun. Zahllose Schilder zu beiden Seiten der Straße machten allzu deutlich, wie gefährlich dieser Berg war. Die Fahrer wurden eindringlich darauf hingewiesen, daß sie rechtzeitig bremsen und langsam fahren sollten. »Das kann nicht weiter schwer sein«, entgegnete ich und stieß einen der Hebel nach vorn. Der Motor heulte auf, und drehte sich dann im Leerlauf. Der Lastwagen wurde schneller. »Das war falsch«, schrie Chipol. »Es muß dieser Hebel sein. Nein – dieser.« Er blickte mich hilflos an. Er wußte auch nicht, wie ich die Maschine zu bedienen hatte. Wir versuchten eine andere Schaltung und vernahmen ein infernalisches Kreischen. Ich blickte in den Rückspiegel. Hinter uns breitete sich eine schwärzliche Wolke aus. Ich hatte irgend etwas beschädigt, was für den Betrieb des Lasters wichtig war. Wir rasten unter Brücken mit warnend blinkenden Scheinwerfern hindurch. Farbmarkierungen auf der Straße warnten vor zu schneller Fahrt. Fieberhaft überlegte ich, was ich noch tun konnte. Links oder rechts ins Gelände hineinzufahren, war wenig ratsam. Erstens war es mit Felsbrocken übersät, so daß ein äußerst unsanftes Ende der Fahrt zu erwarten war, und zweitens waren Verfolger hinter uns her. Sie würden uns den Rest geben, falls wir nicht schon im Gelände scheiterten. Es blieb nur die Fahrt geradeaus. Aber vor uns lag eine Art Grenzsstation. Die Straße mündete in einen großen Platz, und auf
diesem standen zahlreiche Lastwagen. Sie warteten auf ihre Abfertigung. Hohe Zäune sperrten das Gelände dahinter ab. Für die Durchfahrt der Fahrzeuge waren nur schmale Tore vorgesehen. Neben ihnen erhoben sich große, beschriftete Tafeln. Offenbar gab es Hunderte von Vorschriften zu beachten, wenn man diese Grenze passieren wollte. Wir verstießen gegen sämtliche Bestimmungen. Ganz sicher brachten wir damit die Verantwortlichen gegen uns auf. »Wir müssen durch«, sagte ich und drückte gleichzeitig einen großen, roten Knopf am Steuerrad. Eine laute Sirene heulte auf. Sie schickte uns einen Lärm voraus, den man auf keinen Fall überhören konnte. Plötzlich zuckte ein sonnenheller Blitz an uns vorbei. »Sie schießen auf uns«, rief Chipol. Er deutete auf den Seitenspiegel neben sich. Von einem der hinteren Räder stieg eine schwarze Rauchwolke auf. Einer der Reifen brannte, und der Zug kam ins Schleudern, ich brachte ihn jedoch ziemlich rasch wieder unter Kontrolle, und die hinter uns schossen nicht mehr. Sie begriffen wohl, daß sie sich selbst damit am meisten schadeten, denn nun konnten sie kaum noch etwas sehen. »Nein«, brüllte Chipol. »Mutter, das ist zuviel.« Aus einer Senke rechts vor uns taumelte der Gleiter mit den Naldrynnen hervor. Er schwebte langsam auf die Straße. Rasend schnell näherten wir uns ihm. Ich drückte die Sirene immer wieder. Die Naldrynnen blickten mich durch die Fenster des Gleiters an, schienen jedoch nicht zu begreifen, welche Gefahr ihnen drohte. Plötzlich aber rissen sie die Türen auf und sprangen aus dem Gleiter. Sie flüchteten mit gewaltigen Sätzen von der Straße herunter und gingen hinter den Felsen in Deckung. Chipol und ich hielten uns die Arme vor die Augen. Dann krachte es auch schon, und die Trümmer des Gleiters wirbelten zu den Seiten weg. Sekundenlang schoben wir das Heck der Maschine vor uns her, so daß ich bereits glaubte, es werde uns abbremsen, aber dann rollten wir darüber
hinweg. »Da unten haben sie begriffen«, stöhnte Chipol. Tatsächlich bewegten sich die Lastwagen an der Station vor uns langsam auseinander. Wir näherten uns ihnen mit unverminderter Geschwindigkeit, doch die Fahrer der Laster schienen es nicht eilig zu haben. Ich ließ die Sirene heulen, um ihnen Beine zu machen. Doch vergeblich. Damit brachte ich niemanden aus der Ruhe. »Das geht nicht gut«, schrie der Daila. »Warum beeilen die sich denn nicht?« Und dann sahen wir auch schon, was der Grund für ihre Trägheit war. Auf dem Platz standen Roboter, die ganze Bündel von Papieren in den Armen hielten und sie zu den Fahrern der Lastwagen hineinreichten. »Sie brauchen eine Genehmigung«, erkannte der Junge neben mir. »Sieh dir das an. Vor den Durchfahrten sitzen Dutzende von uniformierten Männern. Ihre Tische quellen über von Papieren.« Er hatte recht. Es war unübersehbar, daß das Haupthindernis an dieser Station die Bürokratie war. Auf die konnten wir keine Rücksicht nehmen. »Augen zu«, rief ich. Die Uniformierten begriffen endlich. Sie brachten sich in Sicherheit. Mit beiden Händen hielt ich das Steuer fest. Der Lastwagen raste in die Station hinein, prallte krachend mit einem halben Dutzend Tischen zusammen, wirbelte dabei Tonnen von Papier auf, zerschmetterte Gitter und Zäune und brach durch. Dabei verloren wir ganz erheblich an Fahrt. »Jetzt haben wir die Bürokraten auch noch gegen uns«, bemerkte ich. »Das sind die schlimmsten Gegner«, lachte er. »Vor ihnen sollten wir uns am meisten fürchten. Sie geben niemals auf – und selbst wenn es uns gelingen sollte, auf einen anderen Planeten zu
entkommen, werden wir sie auf den Fersen haben.« Die Straße stieg sanft an, so daß wir weiterhin an Fahrt verloren. Wir waren jedoch noch immer so schnell, daß wir es nicht riskieren durften abzuspringen. »Sieh mal in den Spiegel«, empfahl mir Chipol. Mir stockte der Atem. Wenigstens zwanzig Lastwagen folgten uns. Aus dem Hintergrund näherten sich mehrere Gleiter. Die Station, die wir passiert hatten, war in einer gewaltigen Staubwolke verschwunden. »Und was jetzt?« fragte der Daila. »Wir sollten Friedensverhandlungen aufnehmen«, entgegnete ich. »Oder hast du eine andere Idee?« »Wir wärʹs, wenn wir den Wagen irgendwie zum Halten brächten?« »Wir könnten es immerhin versuchen.« Ich blickte ihn an und bemühte mich um ein zuversichtliches Lächeln. »Ich meine, wer ein hochkompliziertes Raumschiff bedienen kann, sollte auch mit so einem Laster fertig werden.« »Und das bald«, entgegnete er und machte mich zugleich auf die vielen Schilder am Straßenrand aufmerksam. Diese verdeutlichten vor allem eines – die Straße vor uns hatte ein extremes Gefälle. Als alle Versuche scheiterten, den Laster abzubremsen, schaltete ich den Motor aus. Im gleichen Moment blockierte die Lenkung. Ich erkannte, daß wir unweigerlich gegen einige Felsbrocken rasen würden, und schaltete den Motor wieder an. Damit wurde die Lenkung frei, und es gelang mir, das Fahrzeug auf der Straße zu halten. Dann ging es auch schon steil in die Tiefe – dieses Mal aber führte die Straße nicht geradeaus, sondern es ging in weit gezogenen Serpentinen in die Tiefe. »Das ist der schwarze Durchgang«, sagte Chipol mit tonloser Stimme, während der Laster schon wieder beschleunigte. »An der nächsten Kurve ist Schluß.« Ich widersprach ihm nicht. Wozu auch? Vielleicht gelang es mir
wider Erwarten, die nächste Kurve zu nehmen, aber dann kam unweigerlich an der übernächsten das Ende unserer Fahrt. Dreißig Meter vor der ersten Kurve erkannte ich, daß ich sie nicht durchfahren konnte. Aber ich hatte die Möglichkeit, geradeaus einen Hang hinaufzuflüchten. Und ich nutzte sie. Der Laster durchbrach die Abgrenzung der Straße, sprang über einen Graben hinweg, krachte mit seinem ganzen Gewicht ins Geröll und raste dann noch etwa hundert Meter weit den Hang hinauf. »Raus«, schrie ich, als wir beinahe zum Stillstand gekommen waren. Wir stießen die Türen auf und sprangen hinaus. Im gleichen Moment rollte der Laster rückwärts. Hundert Meter unter uns hielten die Fahrzeuge unserer Verfolger. Die Fahrer stiegen aus, um uns zu verfolgen. Zu spät erkannten sie, welch ungünstigen Platz sie sich ausgesucht hatten. Unser Laster rollte den Hang hinunter, beschleunigte immer mehr und fuhr schließlich wie ein gewaltiger Rammbock zwischen die Fahrzeuge. Wir beobachteten, daß die Zyrpher zur Seite sprangen und sich in Sicherheit brachten, während wenigstens vier Lastwagen über die Straße hinweg in einen Abgrund geschleudert wurden. Sie verschwanden in der Tiefe, und Sekunden später explodierten die Tanks. Ein brodelnder Feuerball stieg auf. »Jetzt aber los«, rief Chipol. Wir hetzten den Hang weiter hinauf bis zu einigen Bäumen. Dann blieben wir abrupt stehen. Wir blickten in eine Schlucht. Sie tat sich vor uns auf, schien unergründlich zu sein, und hatte zu allem Überfluß auch noch überhängende Wände. Damit war unsere Flucht zu Ende. Unsere Verfolger begriffen. Sie brüllten triumphierend. Chipol und ich zweifelten nicht daran, daß sie uns in die Schlucht werfen würden. Der Junge griff nach seinem Energiestrahler. Ein feines Surren ertönte hinter uns. Ich fuhr herum und blickte in das maskenhaft starre Gesicht von Mrothyr.
Der Freiheitskämpfer saß in einem Gleiter, der nahezu lautlos herangekommen war, und der nun neben uns über dem Abgrund schwebte. »Worauf wartet ihr noch? Wollt ihr nicht einsteigen?« fragte er uns. Chipol und ich stürzten uns im Hechtsprung durch die offene Tür in die Gleiterkabine. Dann sank diese auch schon nach unten in die Schlucht und ließ die tobenden Verfolger hinter uns. * Mrothyr saß mir gegenüber am Lagerfeuer. Eigenartige Reflexe tanzten in seinen bernsteingelben Augen. Er hatte die Beine hoch angezogen und legte die Unterarme quer über die Knie. Auch jetzt zierte die blaugrüne Fellmütze mit dem orangefarbenen Schweif seinen Kopf. Einige Haarbüschel lugten darunter hervor. Wir befanden uns in einem Schlupfwinkel der Freiheitskämpfer etwa dreihundert Kilometer südlich von der Stelle, an der Mrothyr Chipol und mich aufgenommen hatte. Die Höhle lag an einem Steilhang inmitten eines wilden, weitgehend unberührten Gebietes. Noch hatte der Anführer der Freiheitskämpfer nichts gesagt. Er blickte mich an. »Du schweigst, Atlan.« »Du bist ebenfalls nicht eben gesprächig.« »Du bist zusammen mit dem Verräter aus dem Lager verschwunden.« »Das läßt sich nicht leugnen.« »Du willst mir nichts erklären.« »Ist das notwendig?« Er blickte mich lange an. Die Muskeln seiner Wangen spannten sich. »Du weißt ja nicht, wie es wirklich war«, bemerkte Chipol, der die
Spannung nicht ertrug. Doch Mrothyr hob abwehrend die Hand. Von dem Jungen wollte er offenbar nichts hören. Ich schwieg weiterhin. »Wir haben die Reste der Aradiks gefunden. Sie hingen an dem Schalter für den Prallschirm«, bemerkte er. »Wir haben einige der Männer verhört, die in der Maschinenfabrik in den Bergen arbeiten, und wir haben mit einem Lastwagenfahrer gesprochen. Er hat dich einen Invast genannt. Wenn ich alles richtig verstanden habe, bist du von einem Aradik gestochen worden. Tarlos hat dich mitgenommen. Eigentlich hättest du an dem Gift sterben müssen, aber du hast überlebt.« »Ich spüre kaum noch etwas von dem Gift.« »Ein Wunder. Ich kenne niemanden, der den Stich eines Aradiks überlebt hat.« Er lächelte, und mir wurde klar, daß ich ihn unterschätzt hatte. Er wußte, daß ich ihn nicht verraten hatte. »Es tut mir leid, daß wir Tarlos und den Invast nicht daran hindern konnten, das Camp zu verlassen«, sagte ich. »Daß er entkommen ist, macht nichts«, antwortete Mrothyr. »Unangenehm ist dagegen, daß der Invast nicht mehr in unserer Hand ist. Durch ihn hätten wir viel erreichen können. Männer wie er genießen ein hohes Ansehen im Volk. Wir hatten einen Plan mit ihm, aber das können wir jetzt vergessen. Wir müssen versuchen, auf andere Weise zu verhindern, daß unser Planet weiterhin von Fremden ausgeplündert wird.« »Was hast du vor?« fragte ich. »Wir müssen die Öffentlichkeit aufrütteln. Jeder einzelne muß begreifen, daß Zyrph von Naldrynnen beherrscht wird – und vielleicht von noch anderen. Die Empörung muß so groß sein, daß die Fremden abziehen müssen.« »Und du hast gehofft, die Öffentlichkeit mit Hilfe des Invasts zu erreichen?« »Genau das. Aber dafür ist es nun zu spät. Er wird uns nicht noch
einmal in die Hände fallen.« »Und nun?« »Wir gehen nach Süden bis nach Mhyn.« »Das sagt mir nichts. Was ist Mhyn?« Er erhob sich, verschränkte die Arme vor der Brust und ging vor mir auf und ab. Das Lagerfeuer schuf ständig wechselnde Lichter auf seinem Gesicht. Mal schienen seine gelben Augen von innen heraus zu leuchten, mal schienen sie in rätselhafter Dunkelheit zu versinken. Wenn seine Augen schwarz zu werden schienen, nahm sein Gesicht ein fast dämonisches Aussehen an. »Grareika von Mhyn ist eine faszinierende Frau«, erläuterte er. »Sie ist die Regentin des Bundesstaats Mhyn, des größten und mächtigsten Staates dieser Welt. Fast alle lassen sich von ihrem Äußeren täuschen und halten sie für eine harmlose und kauzige Matrone. Aber das ist sie nicht. Sie ist aber auch nicht die einflußreiche und mächtige Regentin, die sie dem Namen nach ist. Die Funktionäre der Qurailequyren mißbrauchen sie für ihre Zwecke. Die allgegenwärtige Bürokratie schränkt sie in ihren Möglichkeiten ein – jedenfalls nach außen hin.« Ich ahnte, was er sagen wollte. »Sie ist deine Verbündete?« Er blickte mich anerkennend an. »Das ahnt niemand«, entgegnete er. »Offiziell gehört sie zu meinen schärfsten Feinden. Immer wieder befiehlt sie Fahndungsaktionen, mit denen sie uns das Leben schwermachen will. Zugleich aber sorgt sie dafür, daß wir stets rechtzeitig gewarnt werden, so daß wir die Möglichkeit haben, rechtzeitig auszuweichen oder für ein entsprechendes Tarnmanöver zu sorgen.« Er lächelte. »Wir werden uns zu ihr durchschlagen und den Kampf vom Palast in Mhyn aus weiterführen. Wirst du uns dabei helfen?« Ich sagte ihm meine Unterstützung zu.
»Ich will wissen, wer die Drahtzieher sind«, betonte ich. »Wenn ich dir helfe, könnte ich auf sie stoßen. Mir geht es nicht nur um das, was auf Zyrph geschieht, sondern um die kosmischen Zusammenhänge.« »Ein großes Wort, Atlan.« »Ich weiß, aber es ist so.« »Nun gut. Ich glaube dir. Im Palast wirst du die Möglichkeit haben, den Naldrynnen auf den Zahn zu fühlen.« »Ich muß soviel wie möglich über sie herausfinden.« »Ich werde dir helfen«, versprach er mir. »Ich glaube, daß sie das Grundübel von Zyrph sind. Wenn sie nicht wären, könnten wir alles in den Griff bekommen.« Ein junges Mädchen kam, lächelte Chipol und mir freundlich zu, und reichte uns mariniertes Fleisch, das ein unwiderstehliches Aroma verströmte. »Ich habe inzwischen mit Grareika von Mhyn gesprochen«, eröffnete Mrothyr mir, während wir das Fleisch zusammen mit frisch gebackenem Brot verzehrten. »Sie ist gespannt darauf, Chipol und dich kennenzulernen. Sie erwartet euch bereits. Die ZYRPHʹOʹSATH hat euch angekündigt.« »Und? Was erwartet sie von uns?« fragte Chipol. »Ich habe den Eindruck, daß sie nicht die einzige ist, die von unserer Ankunft weiß. Mnbrennham Ntrou und die anderen Leute von der Maschinenfabrik schienen es auch gewußt zu haben. Man verhielt sich mir gegenüber, als ob ich etwas Besonderes sei.« »Das ist nicht verwunderlich«, entgegnete Mrothyr. »Man weiß bei uns, daß die Naldrynnen auch noch anderen Völkern ihre seltsamen Verträge aufgezwungen haben, und man ist davon überzeugt, daß sich unter den Handelspartnern auch die Daila befinden.« Wir waren nicht überrascht, das zu hören. Die Art, wie man Chipol bisher behandelt hatte, ließ darauf schließen, daß man allerlei über die Daila wußte. Im Lauf des Gesprächs mit Mrothyr stellte sich heraus, daß die Zyrpher keine Ahnung davon hatten,
was mit der Familie Sayum wirklich los war. Sie hatten lediglich gehört, daß die Daila eine eigene Raumfahrt hatten, und sie glaubten, daß die Station auf Joquor‐Sa nichts weiter als eine Forschungsstation war. Sie nahmen an, daß Chipol einen gewissen Einfluß bei seinem Volk geltend machen konnte, und Mrothyr gab mir lächelnd zu verstehen, daß man mich für einen von den Daila geschulten Nomaden hielt. Diese Idee belustigte ihn offensichtlich, zumal er nicht im geringsten daran zweifelte, daß es ganz gewiß nicht so war. »Es kann für dich nur von Vorteil sein, wenn man in Chipol eine Art Prinz sieht, während man dich für weniger wichtig hält«, sagte er zu mir. »Dadurch könnten sich dir ungeahnte Informationsquellen eröffnen.« Im Lauf dieses Gesprächs wurde noch einmal deutlich, daß sich die Zyrpher von den Naldrynnen gründlich hatten blenden lassen. Es war den grünbepelzten Wesen gelungen, den Planetenbewohnern ganze Industriekomplexe aufzuschwatzen, die diese gar nicht benötigten, und die sie vor allem auch gar nicht bedienen konnten. Die meisten Zyrpher wurden mit der sogenannten Neuen Technik nicht fertig. Milliardenwerte verrotteten, und kein Zyrpher war in der Lage, den endgültigen Verfall zu verhindern. »Das größte Übel aber ist die sozialisierte Volkswirtschaft«, schloß Mrothyr seinen Bericht. »Sie führt dazu, daß sich letztendlich niemand für diese Werte verantwortlich fühlt. Die Funktionäre müssen nicht geradestehen für das, was sie anrichten. Aufkommen für die Verluste muß das Volk, dem mehr und mehr Steuern abgeknöpft werden.« »Wie willst du die Zustände ändern?« fragte Chipol. »Wenn ich dich richtig begriffen habe, kommt es dir darauf an, die Naldrynnen von Zyrph zu vertreiben. Aber ist damit wirklich etwas gewonnen? Solange sich das Wirtschaftssystem nicht ändert, werden die Bedingungen für alle sich nicht verbessern.«
»Alle Achtung! Du hast das Problem genau erkannt, Chipol. Genau das ist es«, antwortete Mrothyr anerkennend. »Es gibt genügend Idealisten unter uns, die davon überzeugt sind, daß man einen Staat der totalen Bürokratie aufbrechen und einer neuen Form zuführen kann. Ich glaube nicht daran. Mit einer Revolution beseitigt man vielleicht ein politisches System, aber nicht eine Bürokratie. Die Bürokratie ist wie ein Krebsgeschwür. Sie breitet sich unaufhaltsam aus, bis sie jeden Bereich des Lebens erfaßt hat, bis sie alles und jedes regelt, bis die Menschen an ihr ersticken. Sie ist der schlimmste Feind der Freiheit.« Einer der Mitkämpfer Mrothyrs kam zu uns. »Wir haben Funkgespräche abgehört«, berichtete er. »Man sucht uns in diesem Gebiet. Die Naldrynnen haben sich eingeschaltet. Sie setzen ihre Neue Technik ein, um uns zu finden.« »Auf einmal?« fragte Mrothyr erstaunt. »Das haben sie doch bisher nicht getan.« »Es sieht so aus, als hätten wir oben am Paß einen besonders prominenten Naldrynnen erwischt.« Der Anführer der Rebellen lachte. Seine Zähne blitzten im Widerschein des Feuers. »Den Eindruck hatte ich allerdings auch«, entgegnete er. »Der Bursche machte einen ausgesprochen wütenden Eindruck.« Er wandte sich mir zu. »Wir haben das militärische Material untersucht, das dort transportiert, und das von uns zerstört wurde«, erläuterte er. »Wir fanden einige Dinge, die wir wohl zur Neuen Technikrechnen müssen, aber auch etwas, was wir als Schmuck angesehen haben. Dazu mehrere Kleinigkeiten, die zu den persönlichen Habseligkeiten des Naldrynnen gehört haben dürften. Teilweise phantastische, räumliche Darstellungen, vielleicht gar kleine Kunstwerke. Ich kann das nur vermuten. Leider fiel alles einem Feuer zum Opfer, das ohne unser Dazutun ausbrach. Wahrscheinlich war der Kerl deshalb so sauer.«
»Ich kenne die Naldrynnen so gut wie gar nicht«, sagte ich. »Dennoch meine ich, du solltest sie nicht unterschätzen. Sie haben technische Möglichkeiten, von denen du keine Vorstellung hast. Damit werden sie dich jagen, bis sie dich haben.« »Das ist möglich«, gab er zu. »Ich habe mir bereits Gedanken gemacht, wie wir dem begegnen können.« »Und?« »Wir verschwinden noch heute nacht aus dieser Gegend. Wir müssen so schnell wie möglich nach Mhyn kommen. Bei Grareika werden wir uns verstecken. Niemand wird sich vorstellen können, daß wir ausgerechnet dort Unterschlupf finden.« Er blickte mich an, und plötzlich lachte er. »Worüber freust du dich?« fragte ich. »Darauf, daß du sie kennenlernst«, eröffnete er mir und lachte noch einmal laut auf. »Ich bin gespannt auf dein Gesicht, denn es ist durchaus nicht ausgeschlossen, daß sie dich einlädt, zu ihr ins Bett zu steigen.« 4. Der Talkessel weckte mein Mißtrauen. Aufpassen*, warnte das Extrahirn. Dabei sah alles so harmlos aus. Das Tal lag im warmen Sonnenlicht und schien ein Stück unberührte Natur zu sein. Riesige Greifvögel kreisten über den grünenden Busch‐ und Bauminseln, und kleine Herden von antilopenähnlichen Tieren ästen auf den Weideflächen. Ein riesiger Schwarm von weißen Vögeln bedeckte die Fläche eines Sees. Und doch war da irgend etwas, was mich unruhig werden ließ. Ich hob eine Hand, um die Aufmerksamkeit Mrothyrs auf mich zu lenken. »Vorsicht«, sagte ich. »Irgend etwas stimmt hier nicht.«
Wir flogen in einem geschlossenen Verband von acht zivilen Gleitern nach Süden. Dabei hielten wir die Maschinen so niedrig wie möglich, um nicht vom Radar erfaßt werden zu können. Wir nutzten jede Senke, jede Bodenrinne und jeden Flußlauf aus, um darin Deckung zu suchen. Hinter mir saßen Chipol und zwei Zyrpher. Sie hatten ihre Schußwaffen auf den Knien liegen und spähten wachsam nach draußen, obwohl sie seit Stunden nichts entdeckt hatten, was sie hätte alarmieren können. Und auch in diesem Tal schien nichts zu sein, was uns gefährlich werden konnte. »Immer mit der Ruhe«, lächelte Mrothyr. »Das sind die Nerven. Wenn man – so wie wir – ständig im Untergrund leben muß, fängt man manchmal an, Gespenster zu sehen.« Meine Unruhe legte sich nicht. Ich wußte, daß ich mich auf meine Instinkte verlassen konnte. Wir mußten dieses Tal meiden. Du hast recht, stimmte mir der Logiksektor zu. Obwohl wir hier weit von der nächsten Stadt entfernt sind, ist etwas nicht in Ordnung. Die Antenne beispielsweise. Ich stutzte. Dann fuhr ich herum und blickte zu einigen Büschen hinüber. Und dann sah ich die gefächerte Antenne. Sie war grün und hob sich von dem Hintergrund der Büsche kaum ab. »Runter«, rief ich. »Schnell. Wir müssen landen.« Mrothyr blickte mich an, als ob er an meinem Verstand zweifelte. »Wozu?« fragte er. »Die Motoren der Gleiter werden gleich aussetzen.« »Dann gehen wir nicht runter, sondern wir fliehen.« »Das wäre euer Tod. Die Maschinen stürzen gleich ab. Je weiter ihr unten seid, desto besser für euch.« Endlich reagierte er und ließ den Gleiter steil abfallen. Gleichzeitig befahl er den anderen Kämpfern seiner Gruppe, nach unten zu gehen. Sie handelten nicht weniger schnell als er. Und doch wäre es fast zu spät gewesen. Als wir noch zwei Meter über dem Boden waren, schlugen die Naldrynnen zu. Die Gleiter stürzten ab und schlugen hart auf. Ich hörte, wie einige Instrumente zersplitterten,
und die Geräusche im Heckbereich der Maschine zeigten mir unmißverständlich an, daß das Antigravaggregat den Aufprall nicht überstanden hatte. »Du hattest recht«, rief Mrothyr, während er aus dem Gleiter sprang. »Woher wußtest du das?« Ich stieg ebenfalls aus. Mein Rücken war gestaucht, und ich hatte Mühe, mich aufrecht zu halten. Sekundenlang spürte ich nicht nur heftige Schmerzen im Rücken, sondern auch die Nachwirkungen des Insektengifts. »Ich habe diese Antenne dort gesehen, und da wußte ich Bescheid«, erwiderte ich und zeigte ihm, was ich meinte. »Damit haben sie uns geortet. Sie konnten sich auf uns einpeilen und dann die Antrigravmaschinen ausschalten.« »Dann sitzen wir also fest«, entgegnete er ohne sich sonderlich aufzuregen. Er schien keineswegs für sich und die Sicherheit seiner Leute zu fürchten. »Wenn sie nicht wollen, können wir nicht mehr starten.« »Genauso ist es.« Glückspilz, spöttelte das Extrahirn. Du bist direkt in einen Stützpunkt der Naldrynnen gestolpert. »Jetzt geht es hart auf hart«, sagte ich zu Mrothyr. »Wenn dies wirklich ein geheimer Stützpunkt der Naldrynnen ist, lassen sie uns nicht mehr laufen.« Er blickte mich erschrocken an. »Du meinst, sie haben sich hier ein Nest eingerichtet, von dem wir Zyrpher nichts wissen dürfen?« Er wartete meine Antwort nicht ab, sondern rief den Frauen und Männern der anderen Gleiter eine Warnung zu. Dann tauchte auch schon der erste Naldrynne auf. In seinem olivgrünen Pelz fiel er mir zunächst gar nicht auf, weil er sich von den Büschen, zwischen denen er stand, kaum abhob. Erst als etwas an ihm blitzte, bemerkte ich ihn. Das Licht der Sonne war auf eine Gürtelschnalle gefallen. Nachtschwarze Augen blickten mich an. Ich sah, daß der
Naldrynne einen dreieckigen Mund hatte, dessen Spitze nach unten zeigte. Eine Waffe hielt er nicht in seinen hornigen Händen, aber die benötigte er wohl auch nicht. Er war etwa sechzig Zentimeter groß, in meinen Augen also ein Zwerg. Dennoch war er mir kräftemäßig weit überlegen. Obwohl ich mir darüber vollkommen klar war, fiel es mir schwer, in ihm einen schier unüberwindlichen Gegner zu sehen. »Aufpassen, Mrothyr«, sagte ich leise. »Da drüben steht schon der erste Naldrynne.« Der Zyrpher zuckte zusammen. Er hatte den Fremden noch nicht bemerkt. »Hallo, Freund«, rief er und hob grüßend die linke Hand. »Was wird hier gespielt? Unsere Gleiter haben versagt, dabei wollen wir nicht mehr als möglichst bald aus dieser Gegend verschwinden.« Einer der anderen Freiheitskämpfer, der näher bei dem Naldrynnen stand, trat einen Schritt auf ihn zu. Er lächelte und streckte ihm die Hände entgegen. Doch der Grüne stürzte sich auf ihn und streckte ihn mit einem fürchterlichen Hieb zu Boden. Mrothyr wich entsetzt zurück, als er erkannte, daß sein Mitkämpfer tot war. »Nein, nicht doch«, rief er. »Wir sind in friedlicher Absicht hier. Wir wollen …« Der Naldrynne beachtete ihn nicht. Er sprang aus dem Stand auf mich zu und überwand dabei eine Entfernung von fast zehn Metern. Er kam so schnell, daß ich nicht mehr ausweichen konnte. Ich warf mich zur Seite, doch das genügte nicht. Ein Dampfhammer schien mich zu treffen und auf den Boden zu schleudern. Instinktiv krümmte ich mich zusammen, so daß ich über den Rücken abrollte, mich überschlug und danach wieder auf die Beine kam. In diesen Sekunden machte sich das intensive Training bezahlt, dem ich mich immer wieder unterworfen hatte. Der Naldrynne griff schon wieder an. Er stieß einen schrillen Schrei aus, und ich hatte den Eindruck, daß ihm der Kampf Freude
machte. Er fühlte sich so überlegen, daß er eine Waffe für unnötig hielt. Er war sicher, daß er mich mit bloßen Händen umbringen konnte. Doch dieses Mal reagierte ich besser. Als seine Faust kam, versuchte ich nicht, ihr auszuweichen, sondern setzte einen Dagor‐ Griff an. Ich fühlte den Arme des Naldrynnen in meinen Händen, spürte, wie er sich mir entziehen wollte. Dann drehte ich mich zur Seite und schleuderte das kleine Wesen über mich hinweg. Dabei hatte ich das Gefühl, ein Tonnengewicht bewegen zu müssen. Der Naldrynne stürzte mit dem Rücken auf einen Felsen. Es krachte dumpf, und er blieb liegen. Bevor ich Gelegenheit hatte, nach ihm zu sehen, stürzten sich zwei weitere Naldrynnen auf mich. Aus den Augenwinkeln sah ich, daß auch Mrothyr und seine Leute angegriffen wurden. Die ersten Schüsse fielen. Dann sah und hörte ich nichts mehr. Ich hatte alle Hände voll zu tun mit den beiden Naldrynnen, die mich wütend attackierten. Zunächst fiel mir nichts Besonderes an ihnen auf, aber dann wurde mir klar, daß ich es mit einer Frau und einem Jugendlichen zu tun hatte – dem anderen Teil der Familie meines naldrynnischen Gegners. Jetzt mußte ich mein ganzes Können einsetzen, um mich meiner Haut zu wehren. Die Dagor‐Technik half mir dabei. Sie ließ mich auf eine Art und Weise kämpfen, mit der sie nichts anfangen konnten. Sie stützten sich hauptsächlich auf ihre überlegene Kraft, und sie suchten die Entscheidung allein durch den Einsatz brutaler Gewalt. Wenigstens zwölf Zyrpher lagen bewußtlos und verletzt auf dem Boden, und die anderen hatten einen äußerst schweren Stand. Chipol wehrte sich verzweifelt gegen einen jugendlichen Naldrynnen, der kaum vierzig Zentimeter groß war, aber über gewaltige Kräfte verfügte. Das grün bepelzte Wesen brachte es fertig, den Jungen zu packen, über den Kopf zu heben und mehrere Meter weit in einen Busch zu schleudern. Ich wollte dem Daila zu
Hilfe kommen. Narr! unterbrach der Logiksektor meine Bemühungen. Als sogenanntes Intelligenzwesen solltest du deine Kräfte dort einsetzen, wo du eine Entscheidung erreichen kannst. Eine naldrynnische Faust traf mich an der Hüfte und warf mich um. Dann stürzte sich ein grünes Wesen auf mich. Mit weit geöffneten Händen versuchte es, meinen Hals zu erreichen, um mich zu erwürgen. Doch so nah ließ ich es nicht an mich heran. Ich zog die Beine an, ließ mich auf den Rücken kippen und fing den Naldrynnen mit den Füßen ab. Dann schleuderte ich ihn über meinen Kopf hinweg ins Unterholz, wo er sich an einigen kaktusartigen Pflanzen verfing. Die Antenne! Warum bin ich nicht gleich darauf gekommen? Weil du nicht nüchtern und ruhig nachgedacht hast, erwiderte das Extrahirn. Ich duckte mich und wich zur Seite aus, als ein Naldrynne auf mich zuflog. Er verfehlte mich, konnte sich nicht mehr abfangen und prallte wuchtig mit dem Kopf gegen einen Felsen. Stöhnend blieb er auf dem Boden liegen. Mit wenigen Sätzen erreichte ich die Antenne. Sie war das Auge, mit dem die Naldrynnen unsere Gleiter erspäht und mit dessen Hilfe sie die Neutralisatoren auf unsere Antigravs gerichtet hatten. Ich warf mich mit ganzer Kraft dagegen und bog sie um. Schreiend stürzte sich ein Naldrynne auf mich, doch wiederum konnte ich zur Seite springen, und auch er flog an mir vorbei. Er fiel auf die Antenne. Dabei drückte er sie so weit herunter, daß sie nahezu flach auf dem Boden lag. Sie war nun nicht mehr zu gebrauchen. Die Naldrynnen unterbrachen den Kampf. Sie blickten mich an. In ihren tiefschwarzen Augen glühte der Haß. »Dafür wirst du bezahlen«, sagte der Grüne, der auf die Antenne gefallen war. Er griff zur Hüfte und zog einen Energiestrahler. Ich fuhr zurück, wußte aber im gleichen Moment, daß ich nicht mehr
weit genug fliehen konnte, um dem Energiefeuer zu entgehen. Ich blieb stehen. Meine Beine waren gelähmt. Abermals schien ich das Gift der Aradiks zu spüren. Der Naldrynne blickte mich haßerfüllt an. Er riß die Waffe hoch und legte auf mich an, um mich zu erschießen. Ein sonnenheller Blitz zuckte an mir vorbei, traf ihn und warf ihn zu Boden. Ich nahm seine Waffe an mich. Erst dann drehte ich mich um. Mrothyr hatte geschossen. Er hielt den Energiestrahler noch in der Hand und bedrohte damit die anderen Naldrynnen. Unsere Blicke kreuzten sich. Ich nickte ihm zu, und er lächelte flüchtig. Ich packte einen naldrynnischen Zwerg, der kaum vierzig Zentimeter groß war, und zog ihn an mich. Er wagte nicht, sich zu wehren. »Ihr laßt uns keine andere Wahl«, sagte ich. »Wir wollen verschwinden, und ihr werdet uns ziehen lassen. Der Kleine hier begleitet uns. Wir lassen ihn frei, sobald wir in Sicherheit sind. Wenn nicht …« Ich ließ offen, was dann geschehen würde. »Glaubst du, daß wir starten können?« fragte Mrothyr. »Wir müssen es versuchen. Vielleicht genügte es, die Antenne zu zerstören. Wenn nicht, müssen wir uns was anderes einfallen lassen.« Nur noch vier Gleiter waren einsatzbereit. Wir mußten uns auf sie verteilen und die anderen Maschinen zurücklassen. Dann stieg der erste Gleiter auf. Wir hasteten zu den anderen Maschinen. Ich legte mich mit dem jugendlichen Naldrynnen quer über das Dach einer Maschine. Dann starteten wir und entfernten uns – jeder in einer anderen Richtung. Ich ließ den jugendlichen Naldrynnen auf den Boden fallen, als wir eine Höhe von etwa fünf Metern erreicht hatten. Er landete geschickt und drohte mir mit der Faust. Die anderen griffen an. Sie versuchten, den aufsteigenden Gleiter im Sprung zu erreichen. Doch damit hatte Mrothyr gerechnet. Er beschleunigte so stark, daß die Grünen uns verfehlten. Um sie von
weiteren Attacken abzuhalten, löste ich den Energiestrahler aus und feuerte auf einen Felsen. Glutflüssiges Material spritzte von diesem hoch und trieb die Grünen auseinander. Ich vernahm ihr wildes Gebrüll. »Geh ruhig davon aus, daß sie uns verfolgen«, sagte ich durch das offene Fenster zu Mrothyr. »Sie haben die Mittel dazu. Wahrscheinlich können sie sogar kleine Raumschiffe einsetzen.« Er blickte mich mit einem rätselhaften Ausdruck in den Augen an, führte die Maschine aus dem Talkessel heraus und lenkte sie nach Süden. »Wir haben zwei Tote und viele Verletzte. Die Naldrynnen haben rücksichtslos zugeschlagen. So etwas ist noch nie passiert. Bisher haben die Naldrynnen Handel mit uns getrieben, aber sie haben noch nie jemanden von uns getötet.« »Auf jeden Fall ist das nicht bekannt geworden«, gab ich zurück. Er blickte mich abermals an, preßte die Lippen erbittert zusammen und nickte. Er gab mir recht. Wahrscheinlich hatten die Naldrynnen schon öfter getötet, doch bisher stets im geheimen. »Wir müssen die Gleiter aufgeben«, sagte er. »Und das so bald wie möglich. Wenn wir es nicht tun, holen sie uns ein und bringen uns alle um.« Wir erreichten ein breites Flußtal, das sich in weitem Bogen nach Süden schlängelte. Mrothyr ließ die Maschine absinken und landete an einem Hang. Als auch die anderen Gleiter bei ihm waren, befahl er seinen Leuten, sie auf Autopiloten zu stellen und weiterfliegen zu lassen. Sie gehorchten. Kaum eine Minute verging, dann stiegen die Maschinen wieder auf und entfernten sich in schneller Fahrt. Wir folgten ihnen mit unseren Blicken, bis sie in den Wolken verschwanden. »Da sind sie schon«, rief eine junge Frau. Sie zeigte zum Himmel hinauf. Von Norden näherten sich zwei schlanke Raumschiffe. Sie schlossen bis auf etwa einen Kilometer zu den Gleitern auf, dann schossen sie. Unmittelbar darauf sahen wir die vier Maschinen
brennend aus den Wolken herabstürzten. Wir hätten keine Chance gehabt, wenn wir nicht vorher ausgestiegen wären. Mrothyr blickte mich an. »Es ist unglaublich«, sagte er. »Wir Freiheitskämpfer haben nie direkt mit den Naldrynnen zu tun gehabt, aber jetzt müssen wir uns wohl mit ihnen befassen. Unser Kampf ist kein rein zyrpherisches Problem mehr.« »Ob sie wirklich glauben, daß wir an Bord waren?« fragte der junge Daila. »Davon bin ich überzeugt«, erwiderte ich. »Sie wollten nicht nur die Gleiter zerstören, sondern uns ausschalten.« Die vier Wracks schlugen weit von uns entfernt in der Wildnis auf. »Wie geht es weiter?« fragte ich den Anführer der Freiheitskämpfer. »Wir halten uns an den Fluß«, erklärte er. »Wir bauen ein Floß. Damit kommen wir bis zur Stadt Stolsanost. Die liegt an der Küste. Von dort aus versuchen wir, mit dem Zug weiterzukommen.« Wir gingen zum Fluß hinunter, wo wir genügend Material fanden, um ein ausreichend großes Floß bauen zu können. Mit Hilfe der Desintegratorstrahler ließen sich darüber hinaus mühelos Bäume fällen. Als die Dunkelheit hereinbrach, war es soweit, und wir konnten starten. Mrothyr beschrieb mir den Verlauf des Flusses. »Er fließt überall ruhig«, sagte er. »Stromschnellen gibt es nicht. Auf der Fahrt wirst du Gelegenheit .haben, einige Industrieanlagen zu bewundern, die die Naldrynnen verkauft haben. Die Stadt Stolsanost haben sie ebenfalls für uns gebaut. Das war ein glänzendes Geschäft für sie – nur nicht für uns. Eigentlich sollten die Industrieanlagen die Produkte herstellen, die im Hafen verschifft und in alle Welt verschickt werden sollten. Doch kaum jemand will das haben, was man hier fabrizieren könnte.« Am nächsten Morgen begriff ich, was er meinte. Wir glitten mit dem Floß an einem riesigen Industriekomplex vorbei. Der Anführer der Freiheitskämpfer zeigte auf eine Anlage, in der Kühlgeräte für
die Vorratshaltung hergestellt werden konnten. »Wir Zyrpher kennen eigentlich gar keine Vorratshaltung«, erklärte Mrothyr mir. »Fleisch dürfen wir aus religiösen Gründen nur ganz frisch essen, das heißt unmittelbar nach dem Schlachten. Ebenso Fisch. Ansonsten ziehen wir Früchte und Gemüse vor, aber das kühlen wir niemals. Es mag allenfalls im Hochsommer vorkommen, daß wir Getränke kühlen, aber dazu benötigen wir nicht mehr als einen Keller.« Wenig später kamen wir an einer Chemiefabrik vorbei, die ebenfalls gewaltige Ausmaße hatte. Auch sie war nicht in Betrieb, und die Zeichen des Verfalls waren überdeutlich. »Hier wurden anfänglich Pflanzenschutzmittel hergestellt«, berichtete der Anführer der Rebellen. »Diese wurden zunächst auch eingesetzt, und weite Kulturen wurden von Insekten befreit. Doch das Gemüse war danach nicht mehr abzusetzen. Für die Zyrpher sind bestimmte Gemüsearten nur dann genießbar, wenn sie von Insekten befallen sind. Diese werden mitgegessen und gelten als Delikatesse. Die wenigen, die nicht genießbar sind, werden herausgenommen und beseitigt.« Er blickte zu der Anlage hinüber, und seine Augen verdunkelten sich. Ich glaubte, seine Gedanken erfassen zu können. Er würde am liebsten anhalten und die Anlage in die Luft jagen, stellte das Extrahirn fest. Doch er weiß, daß dies nicht mehr notwendig ist. Hier kann ohnehin nichts mehr produziert werden. Ich sah Roboter zwischen den Gebäuden und Maschinen stehen. Sie sahen ebenso heruntergekommen aus wie die ganze Fabrik. Offenbar standen sie schon seit Jahren auf der gleichen Stelle, dem Wind und Wetter ausgesetzt. Einer der Männer auf dem Fluß stieß einen Warnschrei aus. Ich fuhr herum. »Ein Gleiter«, rief Chipol. »Eine Militärmaschine.« Wir befanden uns auf der Flußmitte und waren wenigstens zweihundert Meter vom Ufer entfernt.
»Immer mit der Ruhe«, sagte Mrothyr. »Noch wissen sie nicht, wer wir sind.« »Aber dich könnten sie leicht erkennen«, warnte ich ihn. »Deine Mütze ist ziemlich auffallend.« Er schüttelte den Kopf. »Sie wissen nicht, wie ich aussehe«, erwiderte er. »Sie suchen schon lange nach mir, aber sie haben keine Beschreibung von mir.« Der Militärgleiter schwebte heran. Nur ein Mann saß an den Steuerelementen. Er beugte sich zum offenen Fenster heraus, als er noch etwa zwanzig Meter von uns entfernt war, und dann schoß er plötzlich mit einer Handfeuerwaffe auf uns. Einer der Männer wurde an der Schulter getroffen. Er taumelte aufschreiend zurück und stürzte ins Wasser. Mrothyr erwiderte das Feuer. Er verfehlte den Schützen. Der Energiestrahl aus seiner Waffe schlug in die Maschine, und diese sackte augenblicklich ab. Sie fiel ins Wasser, versank jedoch nicht. Einer der Freiheitskämpfer lähmte den PilotertNmit einem Paralysator. Das Floß trieb an den Gleiter heran. Wir hielten uns daran fest, und dann hörten wir aus dem Lautsprecher die Stimme eines Offiziers, der den Piloten immer wieder aufforderte, sich zu melden. »Wenn du Mrothyr entdeckt hast, halte dich fern von ihm«, rief der Offizier. »Er ist ein Mörder, der vor nichts zurückschreckt. Nicht angreifen. Das übernehmen wir. Gib deine genaue Position durch.« Mrothyr stieß sich vom Gleiter ab, als hätte er sich daran verbrannt. Er vergewisserte sich, daß der verletzte Freiheitskämpfer auf das Floß gezogen worden war, dann erteilte er den Befehl, zum Ufer zu lenken. »Ich habe mich geirrt«, bekannte er. »Der Kerl hat mich erkannt.« »Und er hat es seiner Zentrale gemeldet«, unterstrich ich. Mrothyr nickte. Er schien nicht sonderlich beeindruckt zu sein. Nachdenklich blickte er auf das Wasser hinaus zu dem Gleiter hinüber, der schnell abtrieb.
»In spätestens einer Stunde wimmelt es hier von Soldaten«, sagte er. »Sie werden die ganze Gegend durchkämmen. Vor allem das Gebiet weiter flußabwärts. Aber sie werden uns nicht finden.« 5. Als wir das Ufer erreicht hatten, ließ er das Floß zerschlagen und die einzelnen Baumstämme in den Fluß hinausstoßen, wo sie nach und nach von der Strömung erfaßt wurden und weitertrieben. Dann wandte er sich einer verlassenen Fabrik zu. Ich vermutete, daß es eine Maschinenfabrik war. Auch sie hatte sicherlich seit Jahren schon nicht mehr gearbeitet. »Weißt du, was das für eine Fabrik ist?« fragte der Daila einen der Zyrpher. »Natürlich«, antwortete der Mann. »Hier wurden Spezialmaschinen für den Bergbau hergestellt. Als die Maschinen eingesetzt wurden, versagten sie. Es zeigte sich, daß die Lager mit einem Schmiermittel versorgt werden mußten, das sich unter dem Einfluß von auf Zyrph allgegenwärtigen Bakterien zersetzte. Die Maschinen fielen schon nach drei Tagen Arbeit aus. Sie waren nicht zu gebrauchen. Dennoch produzierte diese Fabrik noch ein Jahr lang weiter. Die Maschinen wurden sogar noch verschifft. Jetzt verrotten sie irgendwo im Süden in einem der Häfen.« Dunkle Wolken zogen auf, und plötzlich begann es zu regnen. Wir hasteten zu einer Tür hinüber, die mit einer Kette verschlossen war. Mrothyr schoß sie kurzerhand mit seinem Energiestrahler auf. Er stieß die Tür mit dem Fuß zur Seite. Im Dunkel der Fabrikhalle blitzte es auf. Chipol und ich taumelten geblendet zurück. Ich hörte jemanden schreien, und dann stürzte einer der Männer neben mir auf den Boden. Ich warf mich zur Seite und riß den Daila mit mir. »Mutter, was ist los?« schrie er, als ein Zyrpher ebenfalls schoß.
»Wir haben jemanden aufgescheucht, der sich in der Halle versteckt gehalten hat«, antwortete ich. Allmählich konnte ich wieder sehen. Mrothyr drückte sich mit dem Rücken an die Wand neben der Tür. Ich sprang hoch, warf mich mit einem Hechtsprung durch die Tür und rollte drinnen im Dunkel ab. Für denjenigen, der in der Halle lauerte, war ich auf jeden Fall zu schnell. Alles blieb still. Vorsichtig schob ich mich weiter. »Kerthrik hat geschossen«, rief Mrothyr mir zu. »Ich weiß nicht, ob er getroffen hat.« »Das werden wir gleich sehen«, antwortete ich, hob meinen Blaster und feuerte ihn ab, wobei ich ihn schräg nach oben richtete. Der Energiestrahl erhellte die Halle für den Bruchteil einer Sekunde. Das aber genügte. Ich sah einen Naldrynnen auf dem Boden liegen. Er hatte einen häßlichen Brandfleck auf der Brust, und ich zweifelte nicht daran, daß er tot war. »Kerthrik hat einen Naldrynnen getötet«, sagte ich. »Wo einer ist, ist mindestens noch ein zweiter«, warnte Mrothyr mich. Seine Stimme spiegelte wider, wie erschrocken und zugleich wie betroffen über den Tod des Grünen er war. Die Naldrynnen haben immer ihre Familie bei sich. Meistens eine Frau und ein Kind. Manchmal ist es auch nur eine Frau. Aber ich habe noch nie von einem Grünen gehört, der allein war.« Ich rief mir das Bild ins Gedächtnis, das ich beim Aufblitzen des Energiestrahlers gesehen hatte, und plötzlich wußte ich, wo der andere Naldrynne war. Zugleich hörte ich ein Geräusch, das mich warnte. Ich warf mich auf den Boden. Es knirschte hinter mir, als der Grüne absprang. Dann flog eine kleine Gestalt über mich hinweg. Sie stürzte kaum einen halben Meter neben meinem Kopf auf den Boden und rollte bis in die offene Tür. Und wieder schoß einer der Freiheitskämpfer. »Nein«, schrie Mrothyr. »Nicht schießen.«
Es war schon zu spät. Auch dieser Schuß war tödlich gewesen. »Er hat eine Waffe«, verteidigte sich der Schütze. »Sollte ich warten, bis er auf mich schießt?« Nrothyr kam herein. Er kniete neben dem Grünen nieder und untersuchte ihn. Niedergeschlagen schüttelte er den Kopf. »Das wäre nicht nötig gewesen«, tadelte er. »Nehmt euch gefälligst zusammen.« Er richtete sich auf und befahl, die beiden Toten nach draußen zu bringen und zu begraben. Ich ging zur Tür, neben der sich einige Schaltungen befanden. Diese untersuchte ich kurz, und dann flammte Licht in der Halle auf. Mrothyr kam mit seinen Kämpfern zu mir. Die Männer und Frauen zögerten einen kurzen Moment, dann verteilten sie sich in der näheren Umgebung und begannen damit, die Maschinen zu untersuchen, die in der Halle standen. »Ich glaube, die beiden waren allein«, meldete Kerthrik bald darauf. Er war bis zum anderen Ende der Halle vorgedrungen und kehrte nun zurück. Er deutete auf einen Glasbau, der sich zwischen den Maschinen erhob. »Da drüben befindet sich ein Verwaltungsraum. In ihm hatten sich die beiden eingerichtet.« Unlogisch! meldete sich das Extrahirn. Ich lauschte der Bemerkung nach und hoffte, daß eine Erläuterung folgen würde. Doch der Logiksektor schwieg. »Das ist doch Quatsch«, bemerkte Chipol. Er klopfte sich mit den Knöcheln an die Stirn. »Warum sollten sich Naldrynnen in so einer Halle verstecken wie die Landstreicher?« Zusammen mit ihm und Mrothyr ging ich zu dem Häuschen hinüber. Darin gab es allerdings zwei Lagerstätten, auf denen die Grünen geruht haben mochten. Ein Schrank enthielt einige Nahrungsmittel. Während wir noch überlegten, was hier nicht stimmte, fiel ein Schuß am anderen Ende der Halle. Ihm folgte eine dumpfe Explosion. Wir stürzten aus dem Häuschen und eilten an den
riesigen Maschinenanlagen entlang. Etwa zweihundert Meter von uns entfernt stiegen Flammen auf. »Was ist da los?« schrie Mrothyr. Vor uns öffnete sich der Boden der Halle, und auf einer Plattform stiegen zwei Kampfroboter auf. Es waren kastenförmige Maschinen, die mit Energiestrahlern ausgerüstet waren. Chipol, Mrothyr und vier Zyrpher feuerten auf die Automaten, bevor diese uns gefährlich werden konnten. Sie explodierten, und damit war für uns klar, was am anderen Ende der Halle geschehen war. Mrothyr rief seine Leute zusammen und befahl ihnen, die Fabrikationsanlage sorgfältig zu untersuchen. Sie schwärmten aus und kehrten nach einiger Zeit mit der Meldung zurück, daß sie keine weiteren Kampfmaschine gefunden hatten. Allmählich sollte der Groschen fallen, spöttelte der Extrasinn. Oder wann willst du endlich anfangen nachzudenken? »Wir konzentrieren uns auf die falsche Anlage«, sagte ich zu dem Anführer der Freiheitskämpfer. Mrothyr fuhr herum, und in seinem Gesicht war plötzlich wieder jener eigenartige Ausdruck, der mich an ihm so irritiert, und der Chipol zu der Behauptung verleitet hatte, er sei abgrundtief böse. »Was willst du damit sagen?« fragte er argwöhnisch. »Glaubst du, daß wir in eine Falle gegangen sind?« »Das nicht«, erwiderte ich gelassen. »Ich meine jedoch, wir sollten nachsehen, was unter uns ist. Ich bin sicher, daß wir eine Überraschung erleben werden.« Er schüttelte den Kopf. Es schien, als lehnte er es ab, sich überhaupt mit dem Gedanken zu befassen, unter uns könnte etwas sein. Doch dann überlegte er es sich anders. »Gut«, sagte er. »Die Roboter sind von unten gekommen. Wahrscheinlich aus Schächten, in denen sie verborgen waren. Aber dies ist eine Fabrik für Bergbaumaschinen. Was sollte unter ihr verborgen sein? Das ergibt doch keinen Sinn.«
Ich zuckte mit den Schultern. »Ich werde es allein untersuchen, wenn du nicht willst«, erwiderte ich, drehte mich um und ging zu dem Schacht, aus dem die Roboter aufgestiegen waren. Mrothyr folgte mir und legte mir die Hand auf die Schulter. »Du wirst nichts allein tun«, erklärte er. »Ich begleite dich.« »Und ich auch«, fügte Chipol hinzu. Er lachte mich unternehmungslustig an, so als stehe uns ein harmloses Abenteuer bevor. »Von mir aus«, antwortete ich und tat, als berühre es mich nicht, ob der Zyrpher dabei sein wollte oder nicht. »Aber bleib hinter mir, Mrothyr.« Auch über seine Lippen glitt ein Lächeln, aber es war ganz anders als das des Dailas. »Hinter dir? Ich werde mich nicht verstecken.« »Wir könnten es mit Neuem Wissen zu tun haben«, erläuterte ich ihm. »Wenn du meinst, daß du notfalls schneller darauf reagierst als ich, dann geh voran.« Das überzeugte ihn. Er wußte, daß er ohne meine Hilfe nicht weiterkam. »Versuche nicht, mich zu hintergehen«, sagte er drohend. »Du weißt genau, daß ich das nicht tun würde!« entgegnete ich. »Dazu hätte ich schon ausreichend Gelegenheit gehabt, wenn ich es gewollt hätte.« »Das stimmt«, sagte er, »doch niemand kann in die Seele eines anderen sehen.« Ein Schatten fiel über sein Gesicht. Mrothyr wandte sich ab und wartete, bis ich die Trümmer der Roboter weggeräumt und mich auf die Platte gestellt hatte. Diese ließ sich mit einem einfachen Schalter steuern. Als er sah, daß wir starten konnten, kam der Zyrpher zu mir. Chipol stellte sich neben mich, und wir sanken in die Tiefe. Ich war überzeugt davon, daß wir dort unten irgend etwas finden würden, was uns Antwort auf viele unserer Fragen geben würde.
Die Liftplatte hielt am unteren Ende des Schachtes vor einer Tür. Ich öffnete sie und trat lautlos in einen Hangar hinaus. Der Anblick, der sich mir bot, verschlug mir die Sprache. Im Hangar standen etwa fünfzig kleine Raumschiffe. »Raumschiffe der Naldrynnen«, sagte Mrothyr mit schwankender Stimme. »Sie sehen so ähnlich aus wie die Beiboote der ZYRPHʹ‐ OʹSATH.« In meinem langen Leben hatte ich Hunderte ähnlicher Anlagen gesehen. Ich erkannte sofort, nach welchem Startmuster die Raumschiffe ausgerichtet worden waren, und an welcher Stelle sich die Decke der Halle öffnen ließ. »Was hat das zu bedeuten?« fragte Chipol. »Wieso verstecken die Naldrynnen hier so viele Raumschiffe?« »Verstehst du nicht, Daila? Wir sind auf das Geheimnis der Naldrynnen gestoßen. Was für Dummköpfe wir Zyrpher doch sind«, stöhnte Mrothyr. »Es ist unglaublich. Die Naldrynnen plündern uns bis aufs Hemd aus, und wir wehren uns noch nicht einmal dagegen. Sie bauen geheime Stützpunkte, um uns jederzeit niederhalten zu können, falls wir doch einmal aufmucken sollten. Dies ist ganz sicher nicht das einzige Versteck, das die Grünen angelegt haben. Wir sollten die Waffen strecken. Es ist zu spät für uns. Wir haben die Stunde verpaßt, in der wir uns noch hätten wehren können.« »Wenn du aufgibst, ist es wirklich zu spät«, erwiderte ich. »Solange du kämpfst, hast du auch eine Chance. Erst wenn du deinem Gegner das Feld überläßt, ist alles vorbei.« »Was können wir denn hier tun?« fragte er mich. In seinen Augen glomm Verzweiflung. »Wir könnten dafür sorgen, daß keines dieser Raumschiffe sobald wieder fliegen kann«, schlug ich vor. »Du willst sie alle zerstören? Gute Idee. Wir werden eine Bombe legen und alles in die Luft jagen, was in dieser Halle ist.« »Das könnte die Naldrynnen dazu veranlassen, deinem Volk die
Daumenschrauben anzulegen. Sie könnten Schadenersatz verlangen. Du würdest alles nur noch schlimmer machen.« »Aber was können wir dann tun?« »An Bord eines jeden Raumschiffs befinden sich Computer«, erläuterte ich. »Es genügt, von jedem Computer einige schwer zu ersetzende Einzelteile herauszunehmen. Damit würden wir das gleiche erreichen. Die Raumschiffe könnten nicht mehr starten, bevor die Naldrynnen Ersatz herangeschafft haben, aber sie könnten kaum Schadensausgleich verlangen – und wenn sie es doch tun, so wird dieser nicht hoch sein.« »Du hast recht«, stimmte Mrothyr zu. »So machen wir es. Warte, ich muß meine Leute rufen.« Er wollte zum Lift zurückkehren, doch plötzlich vernahmen wir Stimmen. Warnend hob ich die Hand. »Leise«, flüsterte ich. »Hört ihr es nicht?« Irgendwo im Hintergrund der Halle öffnete sich eine Tür, und lautes Stimmengewirr hallte zu uns herüber. Schritte ertönten, und dann schloß sich die Tür wieder. Es wurde still. »Die Besatzungen der Raumschiffe«, wisperte Chipol. »Sie sind da drüben in einer Unterkunft.« »Also tatsächlich ein Stützpunkt«, stellte Mrothyr erbittert fest. »Zyrph ist keine freie Welt mehr. Schon lange nicht mehr. Zyrph ist eine Kolonie der Naldrynnen, zu nichts weiter da, als von ihnen ausgebeutet zu werden.« »Was tun wir denn jetzt?« fragte der Daila. »Wir räuchern das Nest aus«, erklärte der Anführer der Freiheitskämpfer. »Die Naldrynnen sollen begreifen, daß nicht alle Zyrpher so etwas mit sich machen lassen.« »Wie meinst du das?« faßte ich nach. Er blickte mich an, und in seinen Augen spiegelte sich tiefempfundener Haß ebenso wie Niedergeschlagenheit. Mrothyr spürte, daß er auf verlorenem Posten stand. Er wußte, daß er gegen die Naldrynnen und ihre Neue Technik nichts ausrichten würde,
wenn sie erst einmal ernst machten und konsequent zurückschlugen. »Wir müssen sie mit ganzer Härte treffen«, erklärte er. »Der Schlag muß so schwer sein, daß sie begreifen. Danach müssen sie erkennen, daß ihre Zeit auf Zyrph abgelaufen ist.« »Du willst die da drinnen also umbringen.« »Und du wirst mich nicht daran hindern«, fuhr er mich an. Sein Gesicht nahm einen geradezu dämonischen Ausdruck an. Erschrocken wich der junge Daila vor Mrothyr zurück. »Mit einer solchen Gewalttat würdest du einen Krieg beginnen, den du nicht gewinnen kannst«, sagte ich ruhig. »Die Naldrynnen verfügen über Möglichkeiten, die du dir noch nicht einmal in deinen kühnsten Träumen vorstellen kannst. Gewalt wäre mit Sicherheit das falsche Mittel gegen sie. Besser wäre es, sie mit ihren eigenen Waffen zu schlagen.« »Wie meinst du das?« fragte er. »Du hast gesagt, daß wir zum Palast von Mhyn wollen. Wenn ich dich richtig verstanden habe, ist Grareika von Mhyn eine Verbündete von dir.« »Sie ist auf meiner Seite.« »Die Mittel, die wir benötigen, finden wir nur in den Städten, nur dort, wo es die Neue Technik gibt. Nur wenn wir diese gegen die Grünen einsetzen, werden wir ihre Machtstellung nachhaltig erschüttern können, sie vielleicht gar von diesem Planeten vertreiben, ohne daß sie Rache üben und Zyrph verwüsten.« Er blickte mich nachdenklich an, wandte sich ab und entfernte sich einige Schritte von mir. Dann verschränkte er die Arme vor der Brust, senkte den Kopf und verharrte minutenlang in dieser Haltung. Ich ließ ihn in Ruhe. Er sollte nachdenken über das, was ich gesagt hatte – und er tat es. »Wir werden mit Paralysestrahlern angreifen«, erklärte er schließlich. »Wir werden nicht noch mehr von ihnen töten. Wir wollen beweisen, daß wir zivilisierte Wesen sind, die nicht sinnlos
Leben vernichten.« Er kam zu mir und blickte mich durchdringend an. Ein verzehrendes Feuer war in seinen Augen. Es verriet mir einiges über diesen Mann, der sein Leben in den Dienst des Volkes gestellt hatte, der konsequent das tat, wovon viele nur redeten. »Ich liebe Zyrph«, betonte er. »Und mir liegt daran, daß andere meine Welt so sehen, wie ich sie sehe – als eine Welt, die Wertschätzung verdient. Ich will nicht, daß man uns verachtet. Aber ich weiß, daß die Naldrynnen uns die Hölle bereiten werden, wenn sie sich aus ihrer Paralyse befreien.« Er wandte sich ab, eilte zum Liftschacht und kehrte gleich darauf mit seinen Kämpfern zurück. Lautlos verteilten die Zyrpher sich im Hangar. Chipol und ich schlossen uns ihnen an. Zusammen mit ihnen pirschten wir uns an die Unterkünfte der Naldrynnen heran. Als wir nur noch etwa zehn Schritte von ihnen entfernt waren, gab Mrothyr das entscheidende Kommando. Seine Männer hoben die Kombiwaffen und bestrichen die Unterkünfte der Naldrynnen mit Paralysestrahlen. Eine Alarmsirene heulte auf. Mrothyr rannte auf die Tür zu, hinter der wir die Grünen vermuteten. Als er dicht davor war, glitt sie zur Seite, und ein Naldrynne taumelte in den Hangar. Hinter ihnen sah ich Dutzende von anderen auf dem Boden liegen oder kauern. Mrothyr löste seinen Lähmstrahler wieder und wieder aus, bis alle Naldrynnen regungslos auf dem Boden lagen. Dann drang er in die Unterkünfte ein. Die Männer und Frauen seiner Kampftruppe folgten ihm. Chipol und ich aber stiegen in eines der Raumschiffe. Wir gingen in die Hauptleitzentrale, und ich untersuchte die naldrynnischen Computersysteme. Dabei stieß ich schon bald auf die Schwachstellen. Als Mrothyr später zu uns kam, wußte ich, was ich zu tun hatte. Ich öffnete einen der Computer und nahm einige positronische Bausteine heraus. »Ich bin ganz sicher, daß man diese Teile nicht ohne weiteres ersetzen kann«, erklärte ich. »Ohne sie kann niemand ein
Raumschiff starten. Die Naldrynnen müssen also von anderen Stützpunkten Ersatzteile herbeischaffen, oder sie müssen dich bitten, diese Bausteine herauszugeben. Damit hast du ein starkes Druckmittel in der Hand. Du kannst ihnen deinen Willen aufzwingen.« Mrothyr lächelte. Er war wieder der sympathische junge Mann, der mir wegen seiner Offenheit und seines gradlinigen Wesens gefiel. »Großartig«, sagte er anerkennend. »Das hast du gut gemacht. Es ist vorteilhaft, wenn man jemanden dabei hat, der sich mit der Neuen Technik auskennt.« Er ließ sich in einen Sessel sinken. »Die Naldrynnen sind alle unverletzt. Ich bin mit meiner Entscheidung zufrieden. Es ist besser, sie leben zu lassen, wenngleich ich sicher bin, daß sie zurückschlagen werden. Hoffentlich halten sie sich dabei ebenso zurück wie wir.« Ich erläuterte ihm, wie wir die Raumschiffe lahmlegen konnten, und er griff meine Vorschläge begeistert auf. Wir gingen zum nächsten Raumer, und ich überließ es ihm, die Computerteile herauszunehmen. Als ich sah, daß er begriffen hatte, rief ich einige andere Zyrpher zu mir und zeigte ihnen, worauf es ankam. Danach konnten sie allein weitermachen. Eine Stunde später kam Mrothyr zu mir und teilte mir mit, daß keines der Raumschiffe nun noch starten konnte. »Wir haben einen großen Gleiter gefunden«, berichtete er. »Darin haben wir alle Platz. Mit ihm werden wir nach Mhyn fliegen.« »Wie weit ist es noch bis dorthin?« »Nur noch etwa zweitausend Kilometer«, antwortete er. »Das können wir bis zum Abend schaffen.« 6.
Der Gleiter hatte über hundert Sitzplätze und bot somit genügend Raum für uns alle. Er war mit naldrynnischen Schalt‐ und Kontrollinstrumenten ausgerüstet, mit denen die Zyrpher nicht zurechtkamen. Daher mußte ich ihn fliegen. Mrothyr saß neben mir. Er hantierte an dem Fernsehgerät herum, das vor ihm eingebaut war. Erst nach etwa zehn Minuten gelang es ihm, Bild und Ton zu bekommen. »Endlich«, sagte er erleichtert. »Ich wußte doch, daß ich es schaffe. Warum müssen diese Dinge nur so kompliziert sein? Man könnte doch alles viel einfacher machen.« »Sie senden die Nachrichten«, bemerkte Chipol, der mir über die Schulter blickte. »Aber sie reden immer nur davon, daß alles in Ordnung ist.« »Sie berichten grundsätzlich nur von den Erfolgen der Regierung«, bestätigte Mrothyr. Er wollte noch einige Erklärungen anfügen, doch plötzlich erschien ein Bild von ihm auf dem Schirm. »Und jetzt wiederholen wir noch einmal die Meldung über den Terroristen Mrothyr«, hallte es aus den Lautsprechern. »Die Gesetzlosen haben eine Wohnsiedlung der Naldrynnen im Sgarfan‐ Tal überfallen und dabei naldrynnische Männer, Frauen und Kinder erschossen. Die Terroristen haben unsere naldrynnischen Freunde und Geschäftspartner gezwungen, ihre Quartiere zu verlassen, und sie dann ermordet. Mrothyr, der Anführer der Meuchelmörder, erklärte in einem Brief an die Presseagentur von Mhyn, die Naldrynnen seien keineswegs friedfertige Geschäftsleute, sondern sie hätten vor, den Planeten Zyrph militärisch zu besetzen und langfristig für sich selbst zu reservieren. Mrothyr behauptete, die Naldrynnen könnten nicht länger auf ihrem eigenen Planeten leben und müßten sich daher eine andere Welt suchen, auf der sie weiter existieren können. Es braucht kaum noch betont zu werden, daß diese Behauptungen unsinnig sind.« Mrothyr lehnte sich in seinem Sessel zurück. In seinem Gesicht arbeitete es. Ihm war anzusehen, daß er von diesen Meldungen
vollkommen überrascht worden war. Bis zu diesem Zeitpunkt war er davon überzeugt gewesen, daß kein Bild von ihm existierte. »Inzwischen hat eine intensive Fahndung nach den Terroristen begonnen«, fuhr der Sprecher fort. »Mehr als hunderttausend Soldaten durchkämmen das Land auf der Suche nach den Mördern. Uaru, der leitende Kommandeur der Einheiten, teilte Journalisten mit, daß er zuversichtlich sei, die Terroristen noch heute stellen zu können. Uaru, ein naldrynnischer Spezialist für die Bekämpfung von Untergrundkämpfern, fügte hinzu, er hoffe, ein Blutbad verhindern zu können, rechne jedoch mit einer Verzweiflungstat, wenn Mrothyr und seine Mitläufer in die Enge getrieben werden sollten.« »Er kündigt an, daß er uns zusammenschießen will«, kommentierte Mrothyr. »Sie haben uns schon zum Tode verurteilt«, stellte einer der anderen Zyrpher fest. »Sie bereiten die Öffentlichkeit auf die Nachricht vor, daß sie uns alle im Kampf erschießen mußten.« »Die Gelegenheit werden wir ihnen nicht geben«, beteuerte Mrothyr. Er sprang auf und drehte sich um. Erregt blickte er seine Mitkämpfer an. »Ich glaube, daß wir mit diesem Gleiter durchkommen. Wir sind schon weit von dem Tal entfernt, in dem wir gemordet haben sollen. Sie suchen uns weiter oben im Norden. Wenn aber jemand aussteigen und sich in die Büsche schlagen will, dann werde ich ihm keinen Stein in den Weg legen.« »Wozu darüber reden?« fragte Traht, eine junge Frau. »In den Nachrichten werden böswillige Lügen über uns verbreitet. Wenn wir uns jetzt trennen, haben wir vielleicht nie die Chance, uns dagegen zu wehren.« »Wir bleiben zusammen«, rief einer der anderen. Mrothyr wandte sich an mich. »Und du?« fragte er. »Was ist mit dir und Chipol?« »Wir wollen nach Mhyn«, erwiderte ich. »Fliegst du zufällig dorthin?«
Er zog die Lippen über die Zähne zurück und lachte laut. Dann ließ er sich wieder in seinen Sessel sinken. »Schneller«, drängte er. »Je früher wir dort sind, desto besser.« In den nächsten Stunden hörten wir die Nachrichten noch einige Male, und wir erfuhren aus ihnen, daß die Soldaten tatsächlich in einer Gegend suchten, die wir längst verlassen hatten. Die Fahndungsbehörden scheuten sich nicht, Falschmeldungen zu verbreiten, in denen behauptet wurde, Mrothyr sei bereits gefaßt worden. Später ließen sie ein Dementi folgen. »Damit versuchen sie, die Zuschauer in Spannung zu halten«, sagte Mrothyr verächtlich. »Etwas anderes fällt ihnen nicht ein.« Überraschenderweise war nicht ein einziges Mal von Chipol und mir die Rede. Wußten die Behörden nicht, wo wir geblieben waren? Suchten sie uns? Oder ahnten sie, daß wir mit Mrothyr und seinen Leuten zusammen waren, wollten dies die Öffentlichkeit jedoch nicht wissen lassen? Da der Großgleiter als Kampfgerätʹ konzipiert worden war, standen uns auch verschiedene Ortungsgeräte zur Verfügung. Mit ihrer Hilfe bemerkten wir jedes andere Fluggerät, das in unsere Nähe kam, so daß wir rechtzeitig ausweichen oder die natürlichen Gegebenheiten der Landschaft nutzen und uns verstecken konnten. Wir wurden nicht entdeckt, und als es dunkelte, tauchte die Stadt Mhyn am Horizont auf. Es war eine große Stadt, die zwei ausgedehnte Halbinseln überdeckte. »Wir landen«, entschied Mrothyr. »Das letzte Stück schlagen wir uns zu Fuß durch.« * Ich blickte ihn überrascht an. »Es geht nicht anders«, erklärte er mir. »Die Stadt gleicht einer Festung. Jedes Fahrzeug wird kontrolliert. Mhyn hat seine Eigenheiten. Wir müssen das akzeptieren. Wir können uns erst ein wenig sicherer fühlen, wenn wir im Palast sind.« Ich setzte den Gleiter am Rand eines kleinen Sees ab. Mrothyr erteilte seinen Freunden einige Befehle, und dann verabschiedeten wir uns von ihnen. Die Gruppe löste sich auf. Mrothyr, Chipol und
ich blieben beim Gleiter, bis alle in der Dunkelheit verschwunden waren. Wir warteten einige Minuten am See, dann gingen wir einen Pfad entlang. »Werden wir irgendwo kontrolliert?« fragte der Daila. »Das läßt sich nicht umgehen«, erwiderte Mrothyr. »Vor uns ist eine Kontrollstation, bei der man uns für ein kleines Bestechungsgeld durchlassen wird. Ich kenne die Leute dort, und sie kennen mich, aber wir tun seit Jahren so, als wüßten wir nichts voneinander.« Die Station bildete einen Durchgang durch die Stadtmauer, die düster und gewaltig bis zu einer Höhe von etwa fünfzig Metern aufragte. Wir betraten sie durch eine Eisentür. In einem verräucherten Raum beugten sich sieben Zyrpher über einen langen Tisch und aßen. Es sah aus, als ob sich ein Rudel Raubtiere über ihre Beute hermacht. Hinter ihnen flimmerte ein Bildschirm, auf dem die Berichte über die Jagd nach Mrothyr und seinen Leuten abliefen. Immer wieder wurde das Bild des Anführers dieser Gruppe gezeigt, doch niemand interessierte sich dafür. Einer der Wächter erhob sich und kam zu uns. Er blickte uns mürrisch an. »Ihr beiden habt doch bestimmt keinen Ausweis«, sagte er zu Chipol und mir. »Natürlich nicht«, erwiderte Mrothyr für uns. »Woher sollten sie? Ich übernehme die Verantwortung für sie.« »Ich muß ihnen einen Notausweis ausstellen«, erklärte der Beamte. Er war ein kahlköpfiger Mann mit weit vorspringenden Augenwülsten und aufgeworfenen Lippen. Seine Nase hatte beachtliche Dimensionen. An einer Schreibmaschine tippte er umständlich Notausweise für uns, ohne uns nach unserem Namen oder unserer Herkunft zu fragen. Er blickte uns nur einige Male prüfend an und beschrieb dann in dem Ausweis unser Aussehen. Mich charakterisierte er als
weißhaarig, rotäugig und auffallend schmächtig. Im Vergleich zu ihm, der etwa das Doppelte wog wie ich, war ich allerdings schmächtig. Mrothyr schob ihm nicht nur seinen Ausweis hin, sondern auch ein Bündel Geldscheine. Der Beamte betrachtete das Dokument und schüttelte mißbilligend den Kopf. Er blickte flüchtig zum Bildschirm hinüber, auf dem das Bild Mrothyrs zu sehen war. »Das Foto in dem Ausweis muß erneuert werden«, sagte er dann. »Es ist uralt und hat kaum noch Ähnlichkeit mit dir.« »Das spielt doch jetzt keine Rolle«, erwiderte Mrothyr. »Ich laß das später in der Stadt machen.« »Nein, ich habe Schwierigkeiten, wenn ich dich so durchlasse. Sieh dir das Bild selbst an. Es ist so verwaschen, daß es zu jedem anderen auch passen könnte.« »Was soll ich machen?« fragte der Freiheitskämpfer. »Ich kann es hier nicht erneuern lassen.« »Doch. Wir haben einen Automaten. Da hinten. Laß dich fotografieren. Dann haben wir ein neues Bild, und alles ist in Ordnung.« Mrothyr schob ihm einen weiteren Geldschein hin. Der Beamte steckte ihn ein, sagte dann aber: »Ich muß mich an die Bestimmungen halten, und die verlangen nun einmal ein brauchbares Bild.« »Geh schon«, drängte ich ihn. »Wir wollen uns nicht unnötig aufhalten lassen.« Er riß sich die Mütze vom Kopf und schlug sie ärgerlich auf den Tisch. Dann ging er zum Fotoautomaten. Er war kaum dort, als er den Beamten auch schon zu sich rief. »Das Ding ist kaputt«, sagte er ungehalten. »Es funktioniert nicht.« Der Beamte brummte etwas vor sich hin, versetzte dem Automaten einige Fußtritte und blickte ihn dann hoffnungsvoll an. Doch auch jetzt nahm dieser seine Arbeit nicht auf. Resignierend ließ der Beamte die Schultern hängen und kehrte mit Mrothyr zu
uns zurück. »Was jetzt?« fragte der Freiheitskämpfer. »Er bekommt einen Notausweis, so wie ihr auch«, entschied der Beamte. Er setzte sich erneut an die Schreibmaschine und schrieb den Ausweis umständlich aus, stempelte ihn ab und unterschrieb. Das Foto fehlte. An den entsprechenden Platz hatte der Beamte geschrieben: Foto siehe Foto im Originalausweis. Der Bürokratie war Genüge getan. Wir konnten die Station passieren und waren in der Stadt. »Das heißt noch nicht, daß wir in Sicherheit sind«, sagte Mrothyr. »Die Naldrynnen wissen nicht, daß wir zum Palast wollen, aber vermutlich überwachen sie die Stadt. Wenn sie uns erwischen, sieht es schlecht für uns aus.« Wir eilten durch eine Stadt, in der trotz der späten Abendstunde noch lebhafter Verkehr herrschte. Hier gab es nur bodengebundene Fahrzeuge. Die wenigen Gleiter, die wir sahen, waren der Polizei vorbehalten. Mrothyr führte uns durch dunkle Gassen und über verlassene Plätze bis zum Palast, der in der Mitte der Stadt auf einem Berg errichtet worden war. Durch ein ausgetrocknetes Flußbett schlichen wir uns an den Wachen vorbei. Wir mieden sie, weil wir immer wieder Naldrynnen in ihrer Nähe bemerkten. Wir wollten kein unnötiges Risiko eingehen. Schließlich standen wir vor einer hölzernen Tür. Mrothyr klopfte, und ein einäugiger Zyrpher öffnete uns. Er blickte den Anführer der Freiheitskämpfer prüfend an, trat dann ehrfürchtig zu Seite und ließ uns eintreten. Chipol schrie erstickt auf, als sich die Tür hinter uns geschlossen hatte. Wir standen neben einem Käfig, in dem Hunderte von Aradiks über dem Kadaver eines großen Tieres kauerten. Es schien so, als hätten sie durch die Gitter herauskommen können, doch sie blieben im Käfig. »Keine Angst«, sagte der Wächter mit krächzender Stimme. »Sie
können nicht heraus. Das Gitter steht unter Strom. Es hält sie zurück.« Er führte uns durch einen langen Gang zu einer anderen Tür, öffnete sie für uns und ließ uns in einen hell erleuchteten Raum treten, in dem mehrere uniformierte Zyrpher vor einem Fernsehgerät saßen. Auf dem Bildschirm war das Bild Mrothyrs zu sehen. Sie blickten auf, lachten und begrüßten den Freiheitskämpfer, indem sie ihm die geballte Faust entgegenstreckten. »Sie haben gerade gemeldet, daß sie dich tausend Kilometer von hier verhaftet haben.« »Sie haben sogar Bilder von einer Schießerei gezeigt«, rief ein anderer. »Uaru und die tapferen Männer der Spezialeinheit haben dein Versteck gestürmt und dich herausgeholt. Wir warten jetzt darauf, daß man dich vor die Kamera holt und interviewt.« Mrothyr lachte. »Ich frage mich, wie weit sie das Spiel noch treiben wollen«, entgegnete er. »Irgendwann müssen sie zugeben, daß sie sich geirrt haben.« Wir verließen den Raum und stiegen eine Treppe hoch bis in ein Büro, in dem eine Zyrpherin an einem mit Papieren übersäten Tisch saß. »Was kann ich für euch tun?« fragte sie. Mrothyr legte ihr wortlos seinen Ausweis und den Notausweis vor. Sie prüfte beide sorgfältig und reichte sie dann zurück. Wortlos verlangte sie meinen Ausweis und den von Chipol, um auch sie eingehend zu studieren. »In Ordnung«, erklärte sie schließlich. Sie blickte Mrothyr durchdringend an, und in ihren Augen war kein Funke Sympathie für ihn zu erkennen. »Was willst du?« »Melde mich bei Grareika an«, forderte er. »Wann?« »Jetzt. Sofort.« Sie schüttelte energisch den Kopf und zeigte ihm eine Liste, auf
der wenigstens zweihundert Namen verzeichnet waren. »Sieh dir diese Anmeldungen an«, sagte sie mit scharfer Stimme. »Das sind alles ehrbare und wichtige Männer und Frauen, die Grareika von Mhyn sprechen müssen. Sie sind alle vor dir an der Reihe. Ich trage dich ein. Komm in vier Monaten wieder, dann kannst du die Regentin sprechen.« Er lachte ihr ins Gesicht. »Du fliegst die Treppen runter, wenn du nicht augenblicklich aufstehst und Grareika sagst, daß ich hier bin und mit ihr reden will.« »Ich denke nicht daran. Ich werde die Polizei informieren, daß du in Mhyn bist. Ich werde dafür sorgen, daß du dorthin kommst, wo du hingehörst. An den Galgen.« »Morgen weiß ohnehin die ganze Stadt, daß ich hier bin. Und nicht nur die Stadt. Ich bin sicher, daß die Medien die Nachricht über den ganzen Planeten verbreiten werden. Das stört mich nicht. Geh jetzt endlich, oder ich melde mich selbst an.« »Das wagst du nicht.« Er lachte erneut. »Wenn man Weibern wie dir irgendeinen kleinen Posten gibt, dann blasen sie sich auf, bis sie platzen«, sagte er. »Mach dich auf die Beine, oder ich werde dir zeigen, wozu ein Terrorist fähig ist. Du hast sicher im Fernsehen gehört, wie ich mit Frauen und Kindern umspringe.« »Genau. Du hast Frauen und Kinder ermordet.« »Aus purem Vergnügen«, erwiderte Mrothyr. »Aber glaube mir, wenn ich dir die Hände um den Hals lege, dann wird mir das mehr Spaß machen als bei allen anderen Morden zuvor.« Sie wurde grau im Gesicht, stand auf und ging mit schleppenden Schritten durch eine Tür hinaus. »Sie ist meine Schwester«, erklärte Mrothyr. »Wie du siehst, sind wir in herzlicher Liebe miteinander verbunden.« Chipol lachte.
»Sie glaubt, was die im Fernsehen gesagt haben.« »Das tun doch die meisten«, entgegnete Mrothyr. »Das ist immer so gewesen, und das wird sich wohl auch nie ändern. Eben deshalb ist es so leicht, die Menschen zu beeinflussen.« Die Frau kam zurück. Sie setzte sich an ihren Tisch und kramte fahrig in den Papieren herum. »Ihr könnt reingehen«, sagte sie mit tonloser Stimme. »Nun geht schon endlich.« Mrothyr legte ihr einen Geldschein auf den Tisch. Ihre Hand zuckte vor und knüllte den Schein zusammen. »Dafür bringe ich dich um«, schrie sie. »Darauf freue ich mich schon«, grinste Mrothyr. Durch einen Gang, der mit edlen Steinen ausgelegt war, kamen wir in eine prunkvoll eingerichtete Halle. Unsere Blicke fielen auf ein riesiges Bett, das an der Stirnseite des Raumes stand. Es war ein Himmelbett, das mit kunstvollen Verzierungen versehen war. Im Bett lag eine kahlköpfige Zyrpherin. Sie hatte mächtige Augenwülste, eine gerade abenteuerlich große Nase und massige Lippen. Die Zähne ihres raubtierhaften Gebisses ragten bis weit über die Lippen hinaus. »Oh, Mutter«, flüsterte Chipol erschreckt. »Die sieht aus, als ob sie uns gleich fressen will.« »Grareika von Mhyn«, rief Mrothyr. Er schritt mit ausgebreiteten Armen auf das Bett zu. »Du glaubst gar nicht, wie ich mich freue, dich wiederzusehen.« Vor dem Bett blieb er stehen, senkte den Kopf, ließ sich dann langsam und voller Ehrfurcht auf die Knie herabsinken und streckte die Arme nach hinten aus. In dieser Stellung verharrte er. Grareika von Mhyn blickte jedoch nicht ihn, sondern den Daila und mich an. »Und ihr?« fragte sie schließlich. »Wollt ihr mich nicht begrüßen?« »Guten Abend«, sagte ich und neigte kurz den Kopf. »Es ist nicht meine Art, vor irgend jemandem auf die Knie zu fallen. Daß sich Mrothyr so verhält, wie es der Respekt vor dir gebietet, ist in
Ordnung. Ich begrüße dich auf meine Art.« Sie lachte schallend. »Ausgezeichnet«, rief sie. »Das gefällt mir. Mrothyr, steh endlich auf.« Sie schlug mit ihren gewaltigen Händen klatschend auf die Bettdecke. »Kommt, Kinder«, rief sie. »Setzt euch zu mir.« Ich erinnerte mich schaudernd an das, was Mrothyr gesagt hatte: Ich bin gespannt auf dein Gesicht, denn es ist nicht ausgeschlossen, daß sie dich einlädt, zu ihr ins Bett zu steigen. Mrothyr erhob sich. Er stieg auf das Bett und setzte sich auf eine Querstange zwischen den hinteren beiden Bettpfosten. Er winkte Chipol und mir zu, es ihm gleich zu tun. Zögernd kamen wir dieser Aufforderung nach. »Ich habe die Fernsehsendungen verfolgt«, verkündete Grareika von Mhyn. »Du bist ja ein schlimmer Terrorist. Man sollte dir wirklich den Garaus machen.« »Ja, das finde ich auch«, lachte Mrothyr. »Ich werde mir noch überlegen, ob es mich und diese Stadt aufwertet, wenn man dich hier verhaftet, aburteilt und hinrichtet. Aber das hat Zeit.« »Ja, völlig richtig. Zuvor solltest du dir die Naldrynnen vornehmen.« Er berichtete, wie wir mit den Naldrynnen zusammengeraten waren, und was wir in dem Hangar unter der Fabrik entdeckt hatten. »Ich habe mir so etwas gedacht«, erwiderte Grareika von Mhyn. Sie räkelte sich gähnend unter der Decke. »Was sagst du dazu, Atlan?« »Es wird Zeit, den Naldrynnen mal auf die Finger zu klopfen«, entgegnete ich. »Mrothyr möchte sie ganz von Zyrph vertreiben, aber ich glaube nicht, daß das möglich ist. Die Naldrynnen sind euch aufgrund ihrer Technik weit überlegen, und sie machen glänzende Geschäfte. Sie werden erst verschwinden, wenn sie
genügend Gewinne eingestrichen haben.« »Dann glaubst du also, daß die Naldrynnen abziehen, wenn wir ihnen begreiflich machen, daß sie keine Gewinne mehr machen werden?« »Genau das.« »Das ist schwer, wenn nicht gar unmöglich«, seufzte sie. »Wir haben nicht die Macht, das zu tun. Ich darf mich zwar Regentin von Mhyn nennen, und ich darf auch mal ein lautes Wort riskieren, ich darf einem Burschen wie Mrothyr Asyl gewähren, aber das ist auch alles. Die wahre Macht haben die Funktionäre, die Organisationen der Qurailequyren, also der Lohnabhängigen, und die Bürokraten.« »Es muß eine Möglichkeit geben, die Öffentlichkeit aufzurütteln«, sagte Mrothyr. »Man müßte ihr mal vor Augen führen, wie weit es mit uns gekommen ist. Man müßte ihr in aller Deutlichkeit zeigen, daß die Naldrynnen mittlerweile die wirklichen Herrscher von Zyrph sind, und wie sie es mit uns und unserem Planeten getrieben haben.« »Aha, du meinst also, sie stehen noch über den Funktionären?« »Aber sicher doch, Grareika. Sie können uns jederzeit in die Knie zwingen, da wir uns nicht einig sind. Sieh dir mein Beispiel an. Du weißt, für welche Ziele ich kämpfe, aber die Öffentlichkeit begreift mich nicht. Sie sieht einen Terroristen in mir, obwohl ich niemals Terror ausgeübt und noch nie einen Zyrpher, einen Naldrynnen oder sonst jemanden getötet habe. Sie würde gegen mich sein, wenn ich in aller Offenheit gegen die Naldrynnen kämpfen würde. Die Medien würde sie gegen mich aufbringen, weil irgendwo Funktionäre sitzen, die von den Naldrynnen geschmiert werden, und die Angst haben, daß sie ihre Posten verlieren, wenn sich meine Idee der Freiheit durchsetzt.« »Du hast vollkommen recht. Wir sind den falschen Weg gegangen. Aber es ist zu spät zum Umkehren.« »Es ist niemals zu spät«, rief Mrothyr voller Leidenschaft. »Wir haben mit unserer Gesellschaft jede Individualität erstickt, wir
haben die Einzelverantwortlichkeit abgeschafft und an ihre Stelle die Gesamtverantwortlichkeit des Staates gestellt. Sie findet ihren Niederschlag in der allgegenwärtigen Bürokratie, und diese ist es, die uns lähmt. Sie hat schließlich unsere Freiheit zu Tode verwaltet und zu Grabe getragen. Und das nutzen die Naldrynnen meisterhaft aus. Wie sonst wäre es möglich, daß sie uns ganze Industriekomplexe verkaufen, die zu absolut nichts nutze sind?« Grareika von Mhyn blickte ihn ratlos an. »Mach mir einen realisierbaren Vorschlag, wie diese Zustände zu ändern sind, und ich werde dir helfen«, sagte sie. Mrothyr setzte zu einer Antwort an, doch sie streckte ihm abwehrend die Hände entgegen. »Nein, nicht jetzt sofort. Ich will, daß du darüber nachdenkst. Die Vorschläge müssen Hand und Fuß haben. Wir sehen uns morgen wieder.« Damit waren wir entlassen. Wir kletterten vom Bett herunter und gingen hinaus. Mrothyrs Schwester blickte uns haßerfüllt an. »Ich habe den Sicherheitsdienst informiert, daß du hier bist«, eröffnete sie ihrem Bruder. »Sie haben die Fernsehsendung bereits beendet. Spätestens morgen wimmelt der Palast von Spezialagenten. Sie werden dich verhaften und irgendwohin bringen, wo Grareika dich nicht beschützen kann.« »Danke«, lächelte Mrothyr. »Da weiß man doch wenigstens, was man von seiner lieben Schwester hat.« 7. »Ist sie krank?« fragte Chipol, als wir eine Treppe zum Gästetrakt des Palasts hinaufstiegen. Mrothyr lachte laut. »Warum? Weil sie im Bett liegt? Grareika von Mhyn ist
kerngesund. Für sie gibt es jedoch keinen schöneren Platz als das Bett. Sie steht nur auf, wenn es sich gar nicht anders einrichten läßt.« Ein Bediensteter trat uns entgegen, um uns zu den Zimmern zu bringen, in denen wir übernachten sollten. Er wollte jedem von uns ein einzelnes Zimmer anweisen. »Kommt nicht in Frage«, wies Mrothyr ihn zurecht. »Wir nehmen ein Zimmer mit drei Betten. Wir bleiben zusammen.« Der Bedienstete verneigte sich demütig vor ihm und führte uns dann zu einem großen Raum, in dem – neben anderen Möbelstücken – drei Betten standen. »Wenn wir allein schlafen, kann man uns der Reihe nach umbringen«, erläuterte der Freiheitskämpfer seine Entscheidung. »Wenn wir zusammen bleiben, können wir uns gegenseitig warnen und notfalls auch helfen.« Er schaltete den Fernseher ein, der Bestandteil einer Möbelwand war. »Komm her, Chipol«, sagte er. »Ich will dir etwas zeigen.« Der junge Daila ging zu ihm. »Glaubst du wirklich, daß jemand versuchen könnte, uns zu töten?« fragte er. Auf dem Bildschirm erschien eine schemenhafte Gestalt. Deutlich zu erkennen war, daß sie in der erhobenen rechten Hand ein Messer hielt, mit dem sie auf eine schlafende Gestalt einstechen wollte. »Das kannst du niemals wissen«, erwiderte Mrothyr. Belustigt beobachtete er den Jungen, der seine Blicke nicht vom Bildschirm wenden konnte. Auf diesem war die Gestalt mit dem Messer mittlerweile deutlicher geworden. Sie hatte das Gesicht von Tarlos. »Grareika von Mhyn wußte sehr wohl, weshalb sie uns gewarnt hat«, fuhr der Freiheitskämpfer fort. Er nahm die Mütze ab und legte sie auf einen Tisch. »Sie weiß, daß es im Palast Agenten der Naldrynnen gibt, die bereit sind, für ein paar Geldscheine alles zu tun. Wir sind unseres Lebens keineswegs sicher. Im Gegenteil – wenn wir nicht aufpassen, ist es bald vorbei mit uns.«
Chipol zeigte erregt auf den Bildschirm. »Das ist genau das, was ich denke«, rief er mir zu. Das Bild wechselte, und ein blauer Ball erschien, der auf einer silbernen Fläche auf und ab hüpfte. Ein kleinerer Ball gesellte sich hinzu. Er sprang immer wieder über den anderen Ball hinweg. »Computergrafik«, sagte ich. »Neue Technik«, erklärte Mrothyr. »Wir nennen es Gedankenspiele. Das Gerät fängt unsere Gedanken auf, und wenn wir konzentriert genug sind, erscheinen die Bilder unserer Gedanken auf dem Bildschirm.« Das Bild wechselte erneut, und das Gesicht von Grareika von Mhyn erschien. Die Regentin streckte die Zunge heraus. Chipol bog sich vor Lachen. Er ließ Grareika in der Nase und in den Ohren bohren und trieb allerlei Schabernack mit ihr. Ich beobachtete ihn. Das ist die Chance, auf die du gewartet hast, stellte das Extrahirn fest. Ich begriff nicht. Ich verfolgte die Versuche Chipols, Bilder auf den Schirm zu zaubern. Je länger er sich mit der Maschine beschäftigte, desto besser gelang ihm dies. Er bat Mrothyr um eine Demonstration seiner Fähigkeiten, und der Freiheitskämpfer eröffnete uns einen Teil seiner Persönlichkeit. Er zauberte Bilder von unvergleichlicher Schönheit auf den Schirm, Bilder von Landschaften, die noch intakt waren, von architektonischen Meisterleistungen und von harmonischen Formen aus dem Bereich des Mikrokosmos. »Gehen wir schlafen«, schlug er danach vor. »Der Tag war lang und anstrengend.« Ich blieb noch lange wach. Viele Gedanken gingen mir im Kopf herum. Irgend etwas mußte geschehen. Zunächst hatte ich es als gut angesehen, daß wir in den Palast von Mhyn gegangen waren. Ich hatte geglaubt, daß wir damit zumindest für einige Zeit den Verfolgungen entgehen würden.
Doch jetzt wußte ich, daß genau das Gegenteil der Fall war. In Mhyn saßen wir in der Falle. Mittlerweise hatte sich die Nachricht über den ganzen Planeten verbreitet, daß Mrothyr hier war. Seine Feinde würden aus aller Welt nach Mhyn kommen, um ihn zu erledigen. Und der junge Daila und ich saßen mit ihm in einem Boot. Ich hatte keine Vorstellung davon, wie wir uns aus dieser Falle befreien sollten. Irgendwann schlief ich ein. Ein Schrei weckte mich auf. Ich fuhr aus dem Bett hoch. Im Zimmer brannte Licht. Chipol flog durch die Luft und landete auf meinem Bett. Mrothyr wehrte sich verzweifelt gegen einen Naldrynnen, der ihn mit einem Desintegratorschwert töten wollte. Ich sprang aus dem Bett und stürzte mich auf den Grünen. Es gelang mir, sein Handgelenk zu packen und ihn mit einem Dagor‐ Griff herumzureißen. Er stürzte krachend auf den Boden, rollte ein Stück weiter und blieb dann auf dem Bauch liegen. Er hielt das Desintegratorschwert noch immer in der Faust. Mit seinen übergroßen, schwarzen Augen blickte er mich neugierig an. Er schien nicht fassen zu können, daß ich ihn zu Fall gebracht hatte. »Also muß ich dich auch töten«, sagte er. »Das hatte ich eigentlich gar nicht vor.« »So ist das«, spöttelte ich. »Man fängt eine Arbeit an, und dann macht diese sich selbständig und wird mehr und mehr.« Der Naldrynne sprang auf. Er war etwa einen Meter groß und in den Schultern wenigstens ebenso breit. Das grüne Fell war auf der Brust besonders langhaarig. Unter dem Kopf trug es einen gelben Fleck. »Ich bin Uaru«, stellte er sich vor. »Ich bin der Leiter einer Delegation, die zu Gast bei der Regentin von Mhyn ist.« »Sieh an, der Leiter bist du. Dann bist du ja ein ganz hohes Tier. Und Fahndungsleiter bei der Aktion gegen Mrothyr bist du auch noch.«
»Sozusagen. Und weil dieser Bursche da hinten uns soviel Schwierigkeiten macht, werde ich es mir nicht nehmen lassen, ihn eigenhändig umzubringen. Du hast einen Fehler gemacht, als du ihm geholfen hast, die Computer unserer Raumschiffe lahmzulegen. Dadurch bist du sein Komplize geworden.« »Das weißt du also schon? Nicht schlecht.« »Ich bin über alles informiert.« »Schön und gut, aber bist du zum Reden hergekommen?« fragte ich ihn. »Dann sollten wir uns vielleicht in die Sessel setzen. Das ist bequemer.« Wütend hob er das Schwert, dessen »Klinge« in einem eigenartigen Grün leuchtete. Diese Waffe war außerordentlich gefährlich. Er brauchte mich nur damit zu streifen, um mir schwere Verletzungen beizubringen. »Na komm schon, du Wicht«, forderte ich ihn heraus. Er reagierte wie gewünscht. Laut schreiend stürzte er sich auf mich. Er fintierte geschickt, so daß es für einem Moment schien, als könne er mir das Desintegratorschwert ins Herz stoßen, doch dann täuschte ich ihn mit einer Körperbewegung, und er ging mir in die Falle. Ich konnte sein Handgelenk fassen und so die Hand mit dem Schwert zur Seite biegen. Gleichzeitig gab ich dem Schwung nach, mit dem er seinen Angriff vortrug. Ich ließ mich nach hinten fallen und über die Schultern abrollen. Dabei zog ich ihn über mich hinweg und stemmte ihm die Füße gegen den Leib. Danach streckte ich die Beine mit aller Kraft und schleuderte ihn von mir. Mrothyr hatte den Kampf aufmerksam verfolgt, und er ahnte, auf welche Weise ich Uaru überlisten wollte. Er stand am Fenster, und er stieß es rasch auf, als der Naldrynner angeflogen kam. Uaru segelte zum Fenster hinaus. Laut schreiend stürzte er in die Tiefe. »Wir wollen doch nichts beschädigen«, sagte Mrothyr grinsend, »wo Grareika von Mhyn uns doch so freundlich aufgenommen hat!« Chipol und ich eilten zum Fenster und blickten hinaus. Uaru war etwa zwanzig Meter unter uns in einem schlammigen Wassergraben
gelandet. Er kämpfte sich gerade durch Morast und Algen zum Ufer hinüber. »Dem juckt das Fell«, sagte Mrothyr. »Im Schlamm wimmelt es von winzigen Würmern. Die wird er nicht so leicht wieder los.« »Ihr sollt zu Grareika von Mhyn kommen«, meldete ein Bediensteter, als wir beim Frühstück saßen. »Jetzt sofort.« Wir blickten uns beunruhigt an, denn wir dachten an Uaru und daran, daß wir ihn kurzerhand zum Fenster hinausbefördert hatten. Hatte die Regentin plötzlich die Partei des Naldrynnen ergriffen? Unsinn – sie steht zu ihrem Wort, tadelte mich das Extrahirn. Sie ruft euch aus anderen Gründen. Als wir ihren Schlafsaal betraten, wußten wir, weshalb die Regentin uns zu sich befohlen hatte. Wir waren nicht die einzigen, denen sie etwas mitteilen wollte. Der Schlafsaal war bis auf den letzten Platz gefüllt. Grareika von Mhyn lag auch jetzt in ihrem Bett. Der Bedienstete führte uns zu ihr hin. Sie begrüßte uns, indem sie ihre mächtigen Raubtierzähne entblößte. Wahrscheinlich sollte dies eine freundliche Geste sein und ein Lächeln andeuten. Für mich war der Anblick dieses Gebisses eher erschreckend. Auf der anderen Seite des Bettes stand Uaru. Ich erkannte den Naldrynnen an dem gelben Fleck, den er auf der Brust hatte. Der Naldrynne war nicht allein. Sieben Männer, sieben Frauen und sieben Kinder hatten hinter ihm Position bezogen. Er blickte mich zornig an. »Wir werden ein großes Versöhnungsfest ausrichten«, teilte uns Grareika von Mhyn mit. »Ich will, daß ihr alle daran teilnehmt.« Wenige Meter seitlich von Uaru standen der feiste Invast und Tarlos. Auch ihn erkannte ich wieder. Er blickte mich nicht weniger mordlustig an als der Naldrynne, und auch der heilige Mann ließ erkennen, daß er von Rachsucht erfüllt war. Seine Religion schien nicht gerade von Liebe geprägt zu sein. Aber das waren nicht die einzigen Feinde, die wir hatten. Ich erkannte auch noch eine Gruppe von Zyrphern, die graue
Uniformen mit roten Aufsätzen trugen. Sie gehörten jener Spezialeinheit an, von der das Fernsehen berichtet hatte, und deren Aufgabe es war, Mrothyr zu erledigen. Chipol und ich waren ebenfalls in ihre Schußlinie geraten. Meine Blicke wanderten von ihnen zu Grareika von Mhyn. Sie entblößte ihre Zähne und grinste mich in einer geradezu teuflischen Weise an. Die Situation schien sie königlich zu amüsieren. Sie wußte, daß wir in der Falle saßen, und sie erwartete genüßlich, was nun geschehen würde. Ihr selbst konnte nichts passieren. Es ging nur um Mrothyr, Chipol und mich. Ein Zyrpher aus der Gruppe der Kampfspezialisten trat vor. »Erlaube mir ein Wort, Regentin«, sagte er. Grareika von Mhyn nickte ihm großmütig zu. »Rede«, antwortete sie. »Aber fasse dich kurz.« Der Mann zeigte mit ausgestrecktem Arm auf Mrothyr. »Da steht Mrothyr, ein Terrorist und Mörder«, rief er. »Ich muß ihn verhaften.« »In meinem Palast wird niemand verhaftet«, wies sie ihn zurück. »Außerdem kenne ich diesen Mann unter einem anderen Namen. Mrothyr sagst du, soll er heißen? Nie gehört.« »Aber er hat …«, versuchte der Offizier sich durchzusetzen. »Halte den Mund«, fuhr sie ihn an, »oder ich werfe dich hinaus.« Ich sah, daß Tarlos und der Invast miteinander flüsterten. Dabei blickten sie verstohlen zu Mrothyr hinüber. Offensichtlich diskutierten sie, ob sie Partei für den Spezialisten ergreifen sollten. Doch dann entschieden sie sich dafür zu schweigen. Der Invast hob die Hand an die Kehle und fuhr sich mit dem Finger quer darüber hinweg. Eine eindeutige Geste. Sie haben sich dafür entschieden, Mrothyr selbst umzubringen und dies nicht den anderen zu überlassen, stellte der Logiksektor nüchtern fest. Reizende Leute! dachte ich. Dann merkte ich, daß ihre Blicke auf mir ruhten. Ich wußte, was sie dachten, aber um mich machte ich mir keine
Sorgen. Ich konnte mich wehren, und notfalls half mir auch noch der Zellaktivator, Verletzungen zu überstehen. Anders aber sah es mit Chipol aus. Für ihn war die Situation noch weitaus gefährlicher als für mich. Sie haben viele Möglichkeiten, teilte mir das Extrahirn mit. Sie können Fallen aufstellen. Sie können es mit elektrischem Strom versuchen oder mit Gift, das sie den Speisen und Getränken beimischen. Sie können noch einmal Aradiks einsetzen, einen Roboter auf Mord programmieren oder aus sicherer Entfernung auf euch schießen. Ihr müßt den Palast verlassen, denn ihre Chancen sind hier ganz erheblich besser als draußen. »Es hat in letzter Zeit Unruhe gegeben«, rief Grareika von Mhyn. Sie rückte ihre Bettdecke zurecht und ließ sich von einem Bediensteten ein paar Früchte reichen. »Mir hat vor allem mißfallen, daß unsere Freunde, die Naldrynnen, verleumdet, beschimpft, verunglimpft und schließlich gar tätlich angegriffen worden, sind. Wie das Fernsehen gemeldet hat, sollen gar Terroristen über sie hergefallen sein. Wie scheußlich. Ich werde daher auf dem Fest, das schon morgen stattfinden wird, eine Freundschaftsrede halten. Sie wird auf ganz Zyrph übertragen werden.« Die Zyrpher im Saal trampelten laut Beifall. Die Naldrynnen stießen knarrende Laute aus, die wohl Zustimmung ausdrücken sollten. »Uaru«, rief sie. »Komm zu mir ins Bett.« Der Naldrynne zögerte zu meiner Überraschung keine Sekunde. Er trat an das Bett der Regentin heran, hob die Bettdecke an und legte sich auf ihre linke Seite. Sie zog ihm die Bettdecke bis ans Kinn hoch und strich sie glatt. Uaru blickte uns triumphierend an. Er empfand es als hohe Ehre, neben ihr liegen zu dürfen. Sei froh, daß sie dich nicht zu sich gerufen hat, empfahl das Extrahirn. Ich atmete insgeheim auf, denn erst jetzt wurde ich mir dessen bewußt, daß sie ihr Vertrauen zu mir sehr wohl durch die gleiche Geste mir gegenüber hätte unterstreichen können. »Es ist unumgänglich, daß unsere naldrynnischen Freunde auf
diese Weise so geehrt werden«, fuhr Grareika von Mhyn fort. »Aber ich möchte auch, daß unser Freund Uaru eine Rede hält. In ihr soll er die engen wirtschaftlichen Beziehungen zwischen unseren Völkern schildern. Er soll allen noch einmal vor Augen führen, wie sich der Handel zwischen unseren Völkern entwickelt hat, und wie segensreich die Neue Technik für uns alle ist. Er soll allen Zyrphern begreiflich machen, daß unsere wirtschaftliche Zusammenarbeit ausschließlich im Dienst des Volkes steht.« »Ich freue mich, daß du mir die Gelegenheit für eine solche Rede geben willst«, erwiderte Uaru. »Selbstverständlich werde ich sie gerne halten.« »Auch sie wird in alle Welt übertragen werden«, versprach die Regentin. »Das wärʹs.« Sie hob die Bettdecke an, und Uaru verließ ihr Bett. Dann ließ sie sich in die Kissen zurücksinken und schloß ermüdet die Augen. Zyrpher und Naldrynnen zogen sich nun rasch aus dem Saal zurück. Mrothyr, Chipol und ich ließen uns allerdings Zeit. Wir waren die letzten, die gingen. Wir wollten niemanden hinter uns haben, der uns ein Messer in den Rücken stoßen konnte. Vor der Tür warteten Tarlos, der Invast, Uaru und die Terrorspezialisten. Sie blickten uns grimmig an. »Hallo, Freunde«, sagte Mrothyr unerschrocken. »Ich bin entsetzt. Ehrlich.« »Du? Ausgerechnet du?« fauchte Tarlos ihn an. »Worüber?« Mrothyr lachte ihm ins Gesicht. »Ich hätte nicht gedacht, daß Grareika von Mhyn euch darauf aufmerksam machen muß, wie ihr euch als Gäste zu benehmen habt. Es war schon peinlich, das miterleben zu müssen.« Er schob Tarlos zur Seite und ging an ihm vorbei. Chipol und ich folgten ihm. Ich lauschte mit allen Sinnen. Ich war bereit, mich beim geringsten verdächtigen Geräusch umzudrehen – und zu kämpfen. Doch keiner unserer Feinde folgte uns. Wir atmeten auf, als die Tür zu unserem Zimmer hinter uns zufiel.
Der junge Daila begann sofort damit, den Raum zu durchsuchen. »Ich traue dem Invast zu, daß er inzwischen ein paar Aradiks unter unseren Betten oder sonstwo versteckt hat«, sagte er. »Ich möchte von ihnen nicht überrascht werden.« Doch er entdeckte nichts. Mrothyr setzte sich auf sein Bett. »Die Lage ist schwieriger als ich erwartet habe«, gab er zu. »Ich weiß ehrlich gesagt nicht, wie wir hier wieder herauskommen sollen.« »Dir bleibt nur noch eine Möglichkeit«, erwiderte ich. Er blickte mich forschend an. »Mir scheint, du hast auch einige Erfahrung im Untergrundkämpfer«, sagte er. »Ich denke schon.« »Was für eine Möglichkeit meinst du?« »Grareika von Mhyn hat dir den Ball zugespielt. Sie erwartet, daß du offensiv wirst.« Verwundert schüttelte er den Kopf. »Das sehe ich nicht so.« »Uaru wird morgen eine Rede halten, die auf ganz Zyrph übertragen werden wird. Grareika gibt dir die Chance, diese Rede als Waffe gegen den Naldrynnen zu benutzen.« Verblüfft stand er auf und kam zu mir. Er riß sich die Mütze vom Kopf und schlug sie sich mehrere Male gegen die Beine. »Das mußt du mir schon näher erklären«, forderte er. »Das begreife ich nicht.« Ich sagte ihm, was ich meinte. Mrothyr schlug mir die Hand auf die Schulter. »Eine glänzende Idee«, lobte er. »Ein großartiger Plan, fragt sich nur, ob wir ihn auch durchführen können.« »Das wird sich zeigen«, entgegnete ich. »Du hast recht. Versuchen müssen wir es. Am besten fangen wir sofort an. Was schlägst du vor? Was sollen wir tun?«
»Wir müssen den Palast verlassen. So schnell wie möglich. Alles weitere ergibt sich dann.« »Da liegt schon die erste Schwierigkeit.« Er zeigte auf die Tür. »Ich bin sicher, daß sie da draußen stehen und auf uns lauern. Sobald wir uns sehen lassen, wetzen sie die Messer.« »Es muß ja nicht unbedingt die Tür sein.« Mrothyr stülpte sich die Mütze über den Kopf. »Nein«, stöhnte er. »Das geht zu weit. Das kannst du nicht wirklich von mir verlangen.« Er öffnete das Fenster und blickte auf die Wasserfläche hinaus, die tief unter uns lag. »Es wimmelt darin von Würmern, und wir wären naß bis auf die Haut.« »Würmer jucken. Messer töten.« »Du hast keine Ahnung, wovon du sprichst. Wir können zwar sofort zu Freunden gehen und uns dort abduschen, aber bis dahin leiden wir Höllenqualen.« »So schlimm wirdʹs schon nicht werden«, sagte ich. »Wir ziehen die Bettdecken ab und steigen in die Bettbezüge. Dann springen wir runter. Wenn wir Glück haben, bleiben die meisten Würmer in der Bettwäsche hängen, und wir werden nur naß.« Wir zogen die Betten ab. Dann stieg ich auf das Fensterbrett, hüllte mich in den Bettbezug und sprang. Ich kam hart auf. Das Wasser schlug über mir zusammen, aber ich konnte mich trotz der Behinderung durch den Bezug rasch zum Ufer hinüberarbeiten. Als ich aus dem Wasser kroch, war der Bettbezug mit kleinen Würmern bedeckt, ich blieb jedoch weitgehend verschont. Ich streifte das Tuch ab und entfernte einige Würmer, die an den Händen klebten. Dann sprangen Mrothyr und Chipol. Ich half ihnen aus dem Wasser. Auch bei ihnen bewährten sich die Bettbezüge. »Ich hätte nicht gedacht, daß das so einfach ist«, lachte der Zyrpher. Er blickte an mir vorbei, und plötzlich erlosch sein Lächeln.
Ich fuhr herum. Eine kleine, grüne Gestalt sprang auf mich zu, und ich spürte den Griff der hornigen Hände. Unwillkürlich schrie ich auf. Mir war, als wolle der Naldrynne mir die Arme abquetschen. Ich stürzte zu Boden und versuchte vergeblich, meinen Gegner mit einem Dagor‐Griff zu packen. Der Naldrynne wußte auf jeden Trick eine Antwort. Dann schlug Mrothyr zu. Er hieb dem Grünen die Faust an den Kopf, und ich kam frei. »Es ist Uaru«, rief Chipol. »Der Kommandant der Naldrynnen. Er hat uns hier erwartet.« Der Grüne blickte uns wild an, schnellte sich hoch und wollte mich erneut angreifen. Mrothyr und ich packten gleichzeitig zu. Wir wußten beide, was wir zu tun hatten, ohne daß dazu ein Wort nötig gewesen wäre. Wir hielten Uaru an den Armen und warfen ihn weit in den Graben hinein. Wasser und Schlamm schlugen über seinem Kopf zusammen. »Würmer«, sagte Mrothyr voller Ekel. »Die werden ihm gar nicht gefallen.« 8. Es war, wie Mrothyr gesagt hatte. Wir kamen bei einem seiner Freunde unter, und im Lauf der nächsten Stunden fanden sich bei ihm nach und nach die anderen Freiheitskämpfer ein, mit denen Mrothyr bisher zusammengearbeitet hatte. Darüber hinaus standen noch weitere hundert Männer und Frauen zur Verfügung, die entschlossen waren, uns zu helfen. Die nächsten Stunden waren mit Vorbereitungsarbeiten ausgefüllt. Sie vergingen wie im Flug. Mrothyr erwies sich als kluger Planer, Taktiker und Logistiker, der genau wußte, was im einzelnen zu tun war.
Eine Stunde vor Beginn des Balls im Palast rückten wir aus. Chipol und ich trugen Mützen, die fast den ganzen Kopf umschlossen. Wir hatten uns die Gesichter dunkel gefärbt, so daß ein flüchtiger Betrachter uns für Zyrpher halten mußte. Mrothyr führte uns durch die Straßen und Gassen der Stadt, und nach kaum einer halben Stunde hatten wir unser Ziel erreicht. Vor uns lag das halbmondförmige Gebäude des Fernsehsenders. Mit einer derartigen Aktion, wie wir sie durchführten, rechnete niemand beim Sender. Wir drangen in das Gebäude ein und brachten sämtliche Anlagen innerhalb weniger Minuten unter unsere Kontrolle. Widerstand gab es nicht. Die wenigen Wachen, die vorhanden waren, streckten augenblicklich die Waffen. Der Chef vom Dienst blickte mich fassungslos an, als ich ihm sagte, was wir wollten. »Das wäre eine für die Naldrynnen unerträgliche Provokation«, erregte er sich. Er war ein fülliger Mann mit wuchtigen Augenwülsten, einer schnabelartig vorspringenden Nase, schmalen Lippen und einem kantigen Kinn. Seine Zähne waren gelb und ungepflegt. »Das laß nur unsere Sorge sein«, sagte Mrothyr. »Besorge das Material. Wir werden es senden.« Er beugte sich uns. Er gab unsere Wünsche in den Archivcomputer ein, und schon Minuten später lagen die Filme vor uns, die wir benötigten. Damit eilten wir zur Sendezentrale. Als wir dort eintrafen, begann gerade die Sendung über den Ball im Palast. Immer wieder erschienen Grareika von Mhyn, die ihr Bett verlassen hatte, und Kommandant Uaru im Bild. Der Naldrynne hatte sich einen weißen Rock übergestreift, der mit allerlei Orden und Ehrenzeichen geschmückt war. Ich arbeitete an einer Bildmaschine und ließ die Filme durchlaufen, die wir aus dem Archiv geholt hatten. Das Material war gut geeignet. Ich stellte in aller Eile einige Streifen zusammen und bereitete sie mit Hilfe eines Technikers für die Sendung vor.
Dann schlossen wir ein Gerät an, mit dem Gedankenspiele möglich waren, so daß wir die Sendung mit Computergrafiken unserer eigenen Phantasie anreichern konnten. Grareika von Mhyn hielt ihre Rede. Sie begrüßte die Gäste, unterstrich, wie bedeutungsvoll die guten Handelsbeziehungen mit den Naldrynnen waren, und betonte, nun sei man an einem Kulturaustausch mit den Naldrynnen interessiert, um auf diese Weise nicht nur die Zusammenarbeit zwischen den beiden Völkern zu verbessern, sondern auch zu mehr Verständnis für den anderen zu kommen. Es waren die erwartet bedeutungslosen Formulierungen, die bei solchen Anlässen gesucht werden. Dann aber trat Uaru zu seiner Rede an, und er kam unseren Wünschen ungewollt entgegen, als er weit ausholte und ausführlich über die Vorteile sprach, die sich durch die Handelsbeziehungen ergeben hatten. Der Bildregisseur blendete die von uns ausgesuchten Filme ein, während Uaru ahnungslos weiterredete. Als der Naldrynne von den Neuen Industrien sprach, die auf Zyrph angesiedelt worden waren, und die der Bevölkerung Wohlstand gebracht hatten, lief ein Film über verlassene und verfallene Industrieanlagen über den Bildschirm. Als er den hohen Nutzen der Neuen Technik schilderte, sahen die Zuschauer Bilder von Fabriken, die Kühlschränke produzierten und auf eine Müllhalde ausstießen, wo sie zunächst abgelagert und später verschrottet wurden. Als er den Reichtum erwähnte, der über Zyrph gekommen war, zeigten wir ausgebeutete und verwüstete Landschaften. Die Bilder ließen die Rede des naldrynnischen Kommandanten zur Groteske werden. Sie straften seine Worte Lügen. Nur wenige Minuten vergingen, dann kamen mehrere unserer Helfer in die Sendezentrale. »Die Telefone laufen heiß«, meldeten sie. »Die Zyrpher sind begeistert. Sie jubeln uns zu. Die Naldrynnen sind empört. Sie
werden den Sender stürmen.« Mrothyr saß an dem Gerät für Gedankenspiele. Er ließ Darstellungen in die Sendung einfließen, die noch deutlicher zeigten, in welch ungeheurem Maße Zyrph von den Naldrynnen ausgebeutet wurde. Und dann war es plötzlich vorbei. Uaru beendete seine Rede mitten im Satz. Wir verzichteten auf weitere Einblendungen, denn nun kamen Bilder aus dem Palast und dem tumultartigen Geschehen dort. Ein offener Kampf war zwischen Zyrphem und Naldrynnen ausgebrochen. Ich sah, daß sich Grareika von Mhyn mit Faustschlägen gegen Uaru wehrte, der sie wütend attackierte. »Abblenden«, rief der Bildregisseur. »Das können wir doch nicht senden.« »Das bleibt«, entschied Mrothyr, den ich noch nie zuvor so zufrieden gesehen hatte wie in diesen Minuten. »Alle Welt soll sehen, was da passiert.« »Das kostet mich Kopf und Kragen«, protestierte der Regisseur. »Nicht doch«, erwiderte Mrothyr. »Du brauchst ja nur zu sagen, daß dich die Terroristen bedroht haben. Wenn du dich später verantworten mußt, kannst du behaupten, daß wir dich umgebracht hätten, wenn du uns nicht gehorcht hättest.« »Den Eindruck hatte ich aber gar nicht.« »Das ist dein Problem.« Die Tür öffnete sich, und die Mitkämpfer Mrothyrs kamen herein. Sie fielen ihrem Anführer jubelnd in die Arme. Überschäumend vor Freude berichteten sie, daß überall auf Zyrph offene Kämpfe zwischen Naldrynnen und Zyrphern ausgebrochen waren. Mrothyr behielt einen kühlen Kopf. »Wir ziehen ab«, entschied er. Dann schickte er die Fernsehtechniker und den Regisseur hinaus. Die Sendung sollte so lange wie nur irgend möglich weiterlaufen. »Gehen wir zum Palast?« fragte er mich, als wir die Zentrale
verlassen hatten und über die Gänge des Gebäudes zum Ausgang hin eilten. »Wohin sonst?« entgegnete ich. »Grareika von Mhyn braucht dringend Unterstützung.« Wir rannten durch den Haupteingang auf einen Hof hinaus. Kaum waren die ersten von uns draußen, als Schüsse fielen. Die Freiheitskämpfer stürzten aus ihrer Euphorie in die Realität zurück. Ein Blitz zuckte siedend heiß an mir vorbei und schlug in eine Glaswand. Ich hörte, wie das Material explosionsartig zersprang. Einer der Zyrpher wurde von einem weiteren Energiestrahl getroffen. Er taumelte zurück und fiel gegen mich. Schlagartig wurde ich mir dessen bewußt, daß wir erst am Anfang eines langen Kampfes standen, bei dem wir nur geringe Chancen hatten. Die Bevölkerung von Zyrph hatte sich gegen die Naldrynnen erhoben. Das aber bedeutete noch lange nicht, daß sie für Mrothyr und seine Männer waren. Mein nächster Gedanke galt Chipol. Ich wollte nicht, daß der Junge in die Schußlinie geriet. Mrothyr rannte an mir vorbei. Er schoß mit einer Mini‐Rak. Heulend rasten die Geschosse über den Hof zu einem Kampfgleiter hinüber, der neben dem Pförtnerhäuschen schwebte. Ich sah, daß Explosionen das Heck der Maschine aufrissen. Eine grüne Gestalt sprang mich aus dem Dunkel heraus an, und schwere Schläge schleuderten mich zurück. Ich prallte mit dem Rücken gegen die Wand. Der Naldrynne setzte nach. Laut zischend baute sich das Energiefeld eines Desintegratorschwertes auf. Ich sah etwas Grünes vor mir leuchten und ließ mich auf die Knie herabfallen. Brüllend warf sich der Naldrynne auf mich. Das grüne Desintegratorfeld zuckte an mir vorbei und bohrte sich in die Wand. Der Naldrynne wurde vom eigenen Schwung bis an mich herangetragen. Mit aller Kraft schlug ich zu. Meine Faust traf die Brust meines Gegners, doch ich hatte das Gefühl, eine Wand getroffen zu haben.
Der Naldrynne wich langsam zurück, und ich richtete mich auf. Er hob das Schwert und blickte mich lauernd an. Ich wußte, daß der Angriff im nächsten Moment kommen mußte, und ich schob mich mit dem Rücken an der Wand entlang, um mehr Raum zu gewinnen. Ich versuchte, den Grünen mit einer Körpertäuschung zu überlisten. Er fiel jedoch nicht darauf herein. Ich sah keinen Ausweg mehr. Ich mußte angreifen, wenn ich diesen Kampf gewinnen wollte. Ich streckte die Hand nach meiner Waffe aus. In diesem Moment fiel ein Schuß, und der Naldrynne stürzte tot zu Boden. Das Desintegratorschwert fraß sich ins Erdreich und verschwand darin. Einer der Freiheitskämpfer kam zu mir. »Weg hier«, schrie er. »Schnell weg. Dort entlang.« . Zusammen mit ihm flüchtete ich in das Dunkel zwischen zwei Gebäuden. »Mrothyr, Chipol und die anderen sind schon vor uns«, rief er mir zu. »Wir mußten das Feld räumen. Es sind zu viele Grüne.« Er blieb stehen und zog mich zur Seite. Wir preßten uns an eine Wand. Du bist allein mit ihm und den Naldrynnen, meldete der Logiksektor. Die anderen sind weg. Ich vernahm die Stimmen einiger Naldrynnen, die uns gefolgt waren, jetzt aber zögerten, ins Dunkel hineinzulaufen. Naldrynnen kommen von einer lichtarmen Welt, stellte das Extrahirn nüchtern fest. Sie können im Dunkel besser sehen als du. Suche dir eine bessere Deckung als diese, oder sie werden dich finden. Ich sah einen abgestellten Gleiter und zog den Zyrpher dort hin. Wir kauerten uns auf den Boden und horchten. Die Naldrynnen näherten sich uns. Der Kies knirschte unter ihren Füßen. Zögernd und vorsichtig kamen sie heran. »Hier müssen sie irgendwo sein«, sagte einer von ihnen. »Wir müssen sie töten. Vor allem den Weißhaarigen. Uaru hat gesagt, er soll sterben. Von ihm geht die größte Gefahr für uns alle
aus.« »Wir werden ihn erwischen. Das ist sicher.« Keine drei Meter von uns entfernt blieben sie stehen. Wir hörten sie atmen. Jeden Moment mußten sie uns entdecken. Da hallte die Stimme Uarus vom Pförtnerhäuschen herüber. Die beiden Naldrynnen wandten sich ab und eilten davon. Wir atmeten auf. »Das war knapp«, seufzte der Zyrpher. »Und ich hätte noch nicht einmal schießen können. Meine Batterie ist leer.« Wir warteten einige Minuten, dann liefen wir in Richtung Palast. Von Mrothyr, Chipol. und den anderen war nichts mehr zu sehen. Aus allen Teilen der Stadt hallte Kampflärm zu uns herüber. »Was, glaubst du, werden die Naldrynnen tun?« fragte der Zyrpher mich. »Ehrlich gesagt, ich weiß es nicht«, antwortete ich. Wir erreichten einen großen Platz, der etwa einen Kilometer vom Palast entfernt war. Im Licht einiger Straßenlaternen kämpften etwa fünfzig Zyrpher mit einer nicht erkennbaren Zahl von Naldrynnen. Ein umgestürzter Gleiter brannte. Während wir noch überlegten, ob wir den Platz überqueren oder lieber einen Umweg machen sollten, rasten zehn naldrynnische Raumschiffe heran und landeten mit den lodernden Heckstrahltriebwerken voran auf dem Platz. Eine unerträgliche Hitze verbreitete sich. Wir flohen vor ihr durch die Straßen. Hinter uns fielen Schüsse. »Sieh doch – dort«, schrie der Zyrpher. Er zeigte zu einer Straße hinüber, die sich kilometerweit nach Südwesten erstreckte. Ich glaube, meinen Augen nicht trauen zu dürfen. Hunderte von naldrynnischen Raumschiffen landeten. Sie schwebten mit brüllenden Triebwerken herab. Vereinzelte Gebäude gingen unter dem Einfluß der Hitze in Flammen auf. Ich sah mehrere Zyrpher, die mit Handfeuerwaffen auf die Raumschiffe feuerten, dabei jedoch – wie kaum anders zu erwarten – keinerlei
Wirkung erzielten. Wir rannten zum Palast. Schon von Weitem bemerkte ich Mrothyr, der zusammen mit Chipol auf einer Brücke vor dem Hauptportal stand. Bei ihm waren die meisten der anderen Freiheitskämpfer. »Chipol«, rief ich. »Was ist los? Warum seid ihr hier draußen?« Der junge Daila wies stumm auf die Brücke. Ich schob mich an mehreren Zyrphern vorbei, bis ich sehen konnte, was er meinte. Hyptons! Im offenen Hauptportal kauerten drei Hyptons auf einem zertrümmerten Gleiter. Sieben Naldrynnen standen in unterwürfiger Haltung hinter ihnen. Unter ihnen befand sich Uaru. Mir fiel es wie Schuppen von den Augen. Die Hyptons waren kleine, koboldartige Wesen, die nur etwa 60 bis 70 Zentimeter groß waren. Sie glichen terranischen Riesenfledermäusen. Auffallend waren an ihnen die filigranartigen Gebilde, die sie anstelle der Ohren hatten, und ihre großen Augen, die rund waren, weit aus dem Schädel hervorquollen und starr und unbeweglich zu sein schienen. Hyptons waren weder kriegerisch veranlagt, noch neigten sie zu direkten Gewalttätigkeiten. Die Kämpfe in der Stadt mußten schockierend für sie sein – zumal die Zyrpher sich nach Kräften wehrten. Dennoch – sie waren dafür verantwortlich, denn sie kämpften um die Macht über Zyrph. »Was hat das zu bedeuten?« fragte Mrothyr mich. »Wer sind diese Wesen?« »Das sind die wahren Herrscher von Zyrph«, antwortete ich. »Die Drahtzieher, die bisher im verborgenen geblieben sind. Sie haben die Naldrynnen wie Marionetten benutzt, um dem Volk der Zyrpher ihren Willen aufzuzwingen.« Ich hörte das grollende Donnern heranfliegender Raumschiffe. Unwillkürlich blickte ich in den wolkenlosen Himmel hinauf. Ich sah Tausende von naldrynnischen Raumschiffen. Sie landeten in der unmittelbaren Umgebung der Stadt. Eine erdrückende Übermacht,
gegen die die Zyrpher absolut nichts ausrichten konnten. »Es ist aus«, sagte Mrothyr verbittert. »Jetzt zeigt sich, was die Funktionäre mit Zyrph gemacht haben. Sie haben uns einer fremden Macht ausgeliefert.« »Sie hatten keine Chance«, erwiderte ich. »Die Hyptons haben die Fähigkeit, anderen Lebewesen ganz sanft und allmählich ihren Willen aufzuzwingen. Bei euch Zyrphern scheinen sie es schwer gehabt zu haben, deshalb benötigten sie als Hilfsvolk die Naldrynnen. Aber sie haben es geschafft. Sie hätten Zyrph auch gegen den Widerstand der Funktionäre unter ihre Kontrolle gebracht. Die Funktionäre haben ihnen die Arbeit nur ein wenig erleichtert, da sie zur Zusammenarbeit bereit waren und glaubten, gute Geschäfte machen zu können.« Aus dem Hof des Palasts kamen ʹ mehrere Gestalten heran. Ich erkannte erst, als sie auf der Brücke bei den Hyptons waren, daß Tarlos und der feiste Invast bei ihnen waren. »Wir können doch nicht einfach aufgeben«, stöhnte Mrothyr. »Es darf nicht alles umsonst gewesen sein.« »Wir haben keine Chance mehr«, erwiderte ich. »Die Übermacht ist zu groß. Wir konnten nicht wissen, daß es so viele Naldrynnen auf Zyrph gibt.« Tarlos schob sich an den Hyptons und den Naldrynnen vorbei. Er blickte mich an, und seine bernsteingelben Augen waren von einem verzehrenden Feuer erfüllt. »Dies ist das Ende, Atlan«, sagte er zu mir. »Jetzt hast du endgültig verspielt. Und du auch, Mrothyr. Ich werde dafür sorgen, daß ihr beide die Strafe erhaltet, die ihr verdient habt. Ihr sollt noch in dieser Stunde sterben. Der Invast hat bereits ein Exekutionskommando zusammengestellt.« Unwillkürlich sah ich mich nach einem Fluchtweg um. Es gab keinen. Von den gelandeten Raumschiffen waren mittlerweile Tausende von Naldrynnen herangekommen. Sie bildeten einen Halbkreis um uns.
»Glücklicherweise entscheidest nicht du über uns«, entgegnete Mrothyr. »Tarlos hat freie Hand«, erklärte Uaru energisch. »Wenn er euch zum Tode verurteilt, dann ist das in Ordnung. Das Urteil wird vollstreckt.« Tarlos blickte mich triumphierend an. Ein diabolisches Lachen entstellte sein Gesicht. »Todesurteil für Terroristen und Verräter«, erklärte er. »Tod für Atlan und Mrothyr.« »Nein«, rief Chipol. »Hört nicht auf ihn.« Ein Bediensteter von Grareika von Mhyn stürmte über den Hof heran. »Hört mich an«, bat er atemlos. »Ich habe euch etwas von der Regentin zu sagen.« »Was gibt es?« fragte Uaru. »Überall auf Zyrph wird gekämpft. Nicht nur hier.« »Das ist mir längst bekannt«, erwiderte der Kommandant der Naldrynnen abweisend. »Grareika von Mhyn wird allen Zyrphern. befehlen, den Kampf zu beenden, wenn ihr Mrothyr und Atlan in Ruhe laßt.« »Die Regentin soll ins Bett gehen und schlafen«, antwortete Uaru verächtlich. »Sie hat nichts mehr zu befehlen. Wir bestimmen, was zu geschehen hat. Nicht sie. Ihr Spiel ist zu Ende. Sie hat schlechte Karten.« Der Bedienstete blickte ihn fassungslos an. Er wollte nicht glauben, was er gehört hatte. Da breitete einer der Hyptons die Hautflügel aus, und seine Augen begannen eigenartig zu glänzen. Der Bedienstete der Regentin drehte sich mit ruckartigen Bewegungen um und entfernte sich. Er gehorchte den geistigen Impulsen der Hyptons. Damit war unsere letzte Chance vertan. Ich wußte nicht mehr, was uns noch retten konnte, da auch die Hyptons mit unserem Tod einverstanden waren.
Ich blickte Mrothyr an. Mit stolz erhobenem Kopf stand er neben mir. Er blickte starr auf das Portal, schien die Hyptons und die Naldrynnen jedoch nicht zu sehen. »Wir haben für die Freiheit unseres Planeten gekämpft«, sagte er. »Wir haben den Kampf verloren, aber das spielt keine Rolle. Nach uns werden andere kommen, und ihre Zahl wird ständig wachsen. Sie werden euch das Vergnügen nehmen, unsere Welt ausbeuten zu können. Dies ist der Anfang vom Ende. Nichts wird euch mehr retten, und Verräter wie Tarlos oder dieser fette Invast dort werden euch auf eurem Weg in die Hölle folgen.« »Führt die beiden in den Hof«, brüllte Tarlos. »Im Dienst des Volkes! Tötet sie.« Aus dem Schatten der Burgmauern kamen mehrere Zyrpher hervor. Ich glaubte, die Schwester Mrothyrs unter ihnen erkennen zu können. Schweigend umringten sie uns, packten uns dann an den Armen und führten uns über die Brücke in den Burghof. Wir wehrten uns, obwohl wir wußten, wie sinnlos das war. Unsere Gegner waren kräftiger als wir, und sie waren in der Überzahl. Wir konnten nichts gegen sie tun. Tarlos trieb die Schergen an. Sein Triumph wurde mit jedem Wort deutlich, das ihm über die Lippen kam. Ein kleiner Funktionär, der ein wenig Bedeutung erhalten hatte und dabei die Perspektive verlor. Der Invast folgte ihm. Feist und widerwärtig stand er vor uns, als wir nur noch die Mauer im Rücken und die Abstrahlprojektoren der Energie Waffen vor uns hatten. »Trauert nicht«, sagte er zynisch, wobei er salbungsvoll die Hände hob. »Ihr habt den dunklen Durchgang vor euch. Eine Gnade für jeden Gläubigen, denn nun steht ihr an der Schwelle eines neuen Lebens, das erfüllter und schöner sein wird als jenes, das hinter euch liegt.« »Wir sind dir und Tarlos zu tiefem Dank verpflichtet«, erwiderte
Mrothyr verächtlich. Der Invast wurde grau im Gesicht. Seine Augen verengten sich. Niemals zuvor hatte ich jemanden gesehen, der so von Haß gezeichnet war. Und das alles nur, weil du ihn in deiner Ahnungslosigkeit nicht respektvoll genug behandelt hast, stellte das Extrahirn fest. Mrothyr blickte mich an. Er lächelte. »Ich weiß jetzt, was ein Freund ist«, sagte er. »Zu Anfang habe ich einen Feind in dir gesehen, aber das war bald vorbei.« »Tötet sie«, forderte Tarlos. »Tötet sie endlich.« Das Exekutionskommando hob die Waffen. Fünf Energiestrahler richteten sich auf uns. »Ihr schießt auf mein Kommando«, befahl Tarlos. »Zuerst tötet ihr Mrothyr.« »Wir sehen uns wieder«, sagte der Freiheitskämpfer mit stolz erhobenem Haupt. »Es dauert nicht lange.« Er blickte mich lächelnd an, und er strahlte Ruhe dabei aus, so als sei er ganz sicher, daß diese Hinrichtung im Grunde genommen bedeutungslos war, da sie sein Leben nicht beendete, sondern nur auf eine andere Ebene verschob. »Ja«, erwiderte ich. »Wir sehen uns wieder. Davon bin ich auch überzeugt.« »Hebt die Waffen«, befahl Tarlos. Ein dumpfes Grollen senkte sich über die Stadt. »Feuer«, schrie der Zyrpher. Aus den Wolken schien sich ein Gebirge herabzusenken. Krachend stürzten einige Gebäude ein, und riesige Trümmerstücke wirbelten über die versammelten Naldrynner hinweg. Das Exekutionskommando zögerte. »Feuer«, kreischte Tarlos. »Es ist die ZYRPHʹOʹSATH«, stammelte Mrothyr. »Sie landet.« Das riesige Raumschiff senkte sich herab und sprengte dabei alles zur Seite, was im Weg war.
»Feuer«, brüllte Tarlos mit versagender Stimme. »So schießt doch endlich!« Das Exekutionskommando lief auseinander. Staunend blickten Naldrynnen und Zyrpher zur ZYRPHʹOʹSATH hinüber. Tarlos bückte sich. Ich sah, daß er einen Energiestrahler aufhob, den irgend jemand verloren hatte. Er wollte vollenden, was das Erschießungskommando nicht getan hatte. Ich rannte zu ihm hin und sprang ihn an. Er schrie auf. Die Waffe flog im hohen Bogen in den Burggraben. Ich schickte ihn hinterher. »Nicht doch«, ächzte Mrothyr. »Denk doch an die Würmer!« Wir sahen, daß die Zyrpher die ZYRPHʹOʹSATH verließen. Naldrynnen gingen für sie an Bord. Uaru kam zusammen mit Chipol zu Mrothyr und mir. Er blickte uns kalt und abschätzend an. »Die ZYRPHʹOʹSATH ist nicht allein gekommen«, erklärte er. »Mit ihr sind noch vier weitere Raumschiffe der gleichen Klasse gelandet. Zyrph ist fest in unserer Hand.« »Was habt ihr vor?« fragte Mrothyr. »Wollt ihr Zyrph endgültig an euch reißen?« »Das Oberkommando hat mir gerade mitgeteilt, daß wir abrücken. Nur wenige von uns werden hier bleiben. Kredite für Zyrph wird es nicht mehr geben. Die Handelsbeziehungen werden weitgehend eingeschränkt. Zyrph wird seine Schulden bezahlen, aber wir werden nichts mehr liefern.« »Und was ist mit euch? Was ist mit Naldrynnen und Hyptons? Werdet ihr endlich verschwinden?« fragte Mrothyr. Uaru blickte ihn kalt und abweisend an. Natürlich dachten Naldrynnen und Hyptons gar nicht daran, diesen Planeten aufzugeben. Doch die Zukunft würde sich anders gestalten als geplant. »Ich habe Befehl, dich an Bord bringen zu lassen«, sagte der naldrynnische Kommandant zu mir.
»Ich bedaure zutiefst, daß du noch lebst. Ich hätte den Befehl über das Exekutionskommando übernehmen sollen.« Er streckte den Arm aus und zeigte auf die ZYRPHʹOʹSATH. »Geh«, befahl er. Dann blickte er Chipol an und fügte hinzu: »Und du auch.« ENDE Atlan und Chipol werden als Gefangene an Bord der ZYRPHʹOʹSATH gebracht und treten nun eine Reise ins Ungewisse an. Über das weitere Schicksal der beiden wird demnächst berichtet. Thema des Atlan‐Bandes der nächsten Woche sind die Erlebnisse des Sternentramps. Der Roman wurde von Hans Kneifel geschrieben und erscheint unter dem Titel: COLEMAYNS SUCHE.