Nr. 438
Der Todesbote Das Unheil an Board der Zarkiet von Hubert Haensel
Nachdem Atlantis-Pthor, der Dimensionsfahrst...
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Nr. 438
Der Todesbote Das Unheil an Board der Zarkiet von Hubert Haensel
Nachdem Atlantis-Pthor, der Dimensionsfahrstuhl, in der Peripherie der Schwarzen Galaxis zum Stillstand gekommen ist, hat Atlan die Flucht nach vorn ergriffen. Nicht gewillt, untätig auf die Dinge zu warten, die nun zwangsläufig auf Pthor zu kommen werden, fliegt er zusammen mit Thalia, der Odinstochter, die Randbezirke der Schwarzen Galaxis an und erreicht das sogenannte Marantroner-Revier, das von Chirmor Flog, einem Neffen des Dunklen Oheims, beherrscht wird. Dort, von Planet zu Planet eilend und die Geheimnisse der Schwarzen Galaxis ausspähend, haben Atlan und seine Gefährtin schon so manche tödliche Gefahr ge meinsam bestanden – bis der Planet Dykoor zu Thalias Grab wurde. Doch auch nach Thalias Tod geht für den Arkoniden die kosmische Odyssee wei ter. Jetzt, zusammen mit seinen Freunden Razamon und Axton/Kennon, will er sich auf die Suche nach Pthor machen, das seine Position verlassen hat und zum RghulRevier unterwegs ist. Doch die Pläne des Arkoniden werden schnell durchkreuzt. Schuld daran ist DER TODESBOTE …
Der Todesbote
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Die Hautpersonen des Romans:
Atlan, Razamon und Axton/Kennon - Der Todesbote macht ihre Pläne zunichte.
Artin - Ein Scuddamore.
Artylleinor - Galionsfigur der ZARKIET.
Zortan, Villig-Ter und Perkat - Gestrandete Raumfahrer aus dem Rghul-Revier.
1. An Bord der ZARKIET Längst lag Säggallo hinter ihnen, und da mit auch die elf anderen Organschiffe. Wäh rend des Linearflugs war die ZARKIET ei nigermaßen sicher vor eventuellen Verfol gern. Was aber nicht heißen mußte, daß kei ne Gefahr bestand. Atlan hatte nach wie vor ein ungutes Gefühl, wenn er an die dreiund zwanzig Scuddamoren dachte, die sich ir gendwo an Bord aufhielten und vermutlich Rachepläne schmiedeten. Sie würden es nicht einfach hinnehmen, daß ihr Chef Artin als Geisel genommen und seit Stunden schon in der Zentrale der ZARKIET gefan gengehalten wurde. Sie würden alles versu chen, um das Schiff wieder in ihre Gewalt zu bekommen. Das Rghul-Revier war nahe. Von Acht pforg, dem Gersa-Predogg, hatte Atlan die Information über dieses vorläufige Ziel des Weltenfragments Pthor erhalten. Dort warte ten Freunde auf ihn, die er keinesfalls ent täuschen durfte. Was mochte inzwischen aus ihnen geworden sein, aus Koy, dem Tromm ler, dem Gefährten vieler gefährlicher Aben teuer; aus Kolphyr, dem Bera; aus den vie len anderen, die er kennen und schätzen ge lernt hatte? Lebten sie überhaupt noch? Auch Axton/Kennon hatte ihm darauf keine zufriedenstellende Antwort geben können. Und dann die Söhne Odins – Heimdall, Bal duur und Sigurd. Wie würden sie reagieren, wenn er ohne Thalia, ihre Schwester, zu rückkehrte? Vorsicht! warnte eine innere Stimme Atlan. Schwermut steht dir nicht – nicht hier und nicht jetzt. Du solltest ihren Tod längst überwunden haben. Werde ich das je können? gab er ebenso lautlos zurück. Du mußt, willst du nicht an deiner Aufgabe scheitern. Atlan kam nicht umhin, sich ein
zugestehen, daß sein Gesprächspartner recht hatte. Ohne seinen Extrasinn hatte er sich leer und ausgebrannt gefühlt. Er brauchte die stumme Art der Zwiesprache, die ihn zehntausend Jahre seines Lebens hindurch begleitet hatte. Insgeheim wartete Atlan auf eine Bestäti gung, daß sein Extrasinn ähn lich dachte. Daß sie ausblieb, irritierte ihn. Razamon mußte ihn mehrmals anspre chen, bevor er überhaupt reagierte. »Die Wirklichkeit hat ihn wieder«, grinste Axton dann. Atlan schreckte aus seinen Gedanken auf. Die besorgte Miene seines Freundes Raza mon ließ ihn alles andere schlagartig verges sen. Er sah hinüber zu Artin, der von Acht pforg bewacht und daran gehindert wurde, Dummheiten zu begehen. »Mit ihm ist alles in Ordnung«, sagte Razamon, den raschen Blick richtig deutend. »Die ZARKIET macht mir Sorgen. Irgend etwas scheint nicht zu stimmen, entweder mit den Antriebsaggregaten oder mit der Ga lionsfigur. Wir verlieren an Geschwindig keit.« Tatsächlich wurde das Organschiff zuse hends langsamer, und schon war abzuschät zen, wann es den Linearraum verlassen und in das Normaluniversum zurückstürzen wür de. Eine Aussicht, die Atlan absolut nicht gefiel. Denn wenn das Schicksal sich dabei einen seiner gelegentlichen Streiche erlaub te, konnte es durchaus geschehen, daß man inmitten einer wartenden ScuddamorenFlot te materialisierte. In aller Eile integrierte Atlan sich in das mechanischtelepathische Kommunikations system der ZARKIET.
* Atlan war in diesen Augenblicken Artyl
4 leinor, die Galionsfigur. Er identifizierte sich mit dem Vogelwesen. Es war wie ein Sog, der ihn mit sich riß, der ihn festhielt und alles dagegen Ankämpfen sinnlos er scheinen ließ. Und Artylleinor war das Schiff, war jedes Deck, jede Wand, war jede Kabelverbin dung, die irgendwo verlief. Atlan bemerkte nicht, daß er schrie, hörte nicht Artins triumphierendes Lachen, das dumpf hinter dem Schattenschild hervortön te. Er fühlte nur den höllischen Schmerz, der wie Feuer in seinem Körper wütete und ihm die Besinnung zu rauben drohte. Wie furcht bar mußte es erst für die Galionsfigur sein. Aber vor allem: Wodurch wurde der Schmerz ausgelöst? Was war geschehen, daß Artylleinor, die selbst dann nicht hand lungsunfähig werden durfte, wenn Teile des Schiffes im Feuer von Strahlenkanonen ver gingen, im Begriff war, die Kontrolle über sich zu verlieren? Atlan war nicht mehr imstande, auch nur einen klaren Gedanken zu fassen. Es war sein Extrasinn, der ihm die Fragen eingab. Daß Razamon und Lebo Axton ihm zu Hilfe eilten, ihn aus dem Sessel und von den vielen Anschlüssen zu befreien versuchten, nahm er nicht wahr. Auch nicht, daß beide scheiterten, weil er wie besessen um sich schlug und niemanden auch nur einen der Kontakte entfernen ließ, die ihn mit der Ga lionsfigur verbanden. Mit einem letzten Rest von Selbstbeherr schung, einem Aufbäumen seines Extra sinns, versuchte Atlan, die Quelle allen Un heils aufzuspüren. Doch die gedanklichen Fragen, die er an Artylleinor richtete, wur den nur mit weiteren, intensiveren Gefühls ausbrüchen beantwortet. Quälende Schmer zen, Furcht und Haß schlugen über ihm zu sammen. Der Augenblick kam, in dem die Ge schwindigkeit der ZARKIET zu gering wur de, um diese weiterhin in der Zwischenzone zu halten. Das Organschiff fiel in den Nor malraum zurück, wo es sofort verschiedene, einander widersprechende Kursänderungen
Hubert Haensel vornahm. Ein wenig wich der quälende Druck von Atlan. Pflichterfüllung! Gehorsam! Diese beiden Gedanken verdrängten vor übergehend alle anderen Empfindungen Ar tylleinors. Allem Anschein nach war der Schock, den die Galionsfigur durch den un kontrollierten Rücksturz aus dem Linear raum erlitten hatte, größer als der Schmerz, den sie noch immer fühlte. Atlan wußte, daß er die absolute Kontrol le über die ZARKIET nicht würde erringen können. Deshalb versuchte er lediglich mit Befehlen, der Lage Herr zu werden. Daß Ar tylleinor ihn verstand und auch versuchte, ihm zu gehorchen, bewiesen die Kontrollen. Sie hatte ihn als neuen Kommandanten aner kannt, weil er den Programmschlüssel für den Gersa-Predogg besaß und anzuwenden verstand. Das Organschiff beschleunigte und wich etwas von seinem irrsinnigen Kurs ab. Aber plötzlich waren da wieder die Schmerzen, die mit ungestümer Gewalt über das einsame Wesen in der transparenten Bugkuppel hereinbrachen. Im Bruchteil ei ner Sekunde, bevor auch er davon betroffen wurde, erkannte Atlan ihren Ursprung. Die Gewißheit, sich nicht getäuscht zu haben, wich einer endlosen Schwärze.
* Er erwachte, weil sein Gesicht brannte und sich der Zellaktivator in seiner Brust nachhaltig bemerkbar machte. Als er dann endlich die Augen aufschlug, kniete Razamon noch immer vor ihm. Ein Lächeln huschte über die Züge des Freun des, während er die zum Schlag erhobene Rechte sinken ließ. Deshalb also das ver dammte Gefühl, mit dem Kopf gegen eine Wand gerannt zu sein. »Du erhebst die Hand gegen deinen Kö nig?« Undeutlich kamen die Worte aus At lans Mund. Nur langsam fühlte er eine Bes
Der Todesbote serung seines Zustands. »Ich wagte es«, nickte Razamon, auf den Scherz eingehend. »Doch nur, um dich aus deinen Träumen zurückzuholen.« »Was ist geschehen?« »Du wurdest bewußtlos. Zum Glück, denn sonst hätten wir dich kaum von den Anschlüssen trennen können, die dich mit der Galionsfigur verbanden. Du hast wie ein Verrückter um dich geschlagen.« »Dann stehe ich dir in nichts nach.« Atlan nickte und grinste, wurde jedoch sofort wie der ernst. »Was ist mit Artylleinor? Ist sie immer noch außer Kontrolle?« »Sie?« Atlan winkte ab, was soviel bedeutete wie: Laß es gut sein. Er hätte nicht der geschulte Raumfahrer sein dürfen, wäre ihm entgangen, daß die ZARKIET hin und wieder förmlich durch geschüttelt wurde. In unregelmäßigen Inter vallen folgten Bremsmanöver und Beschleu nigung aufeinander, ohne daß die Absorber auf volle Leistung hochgefahren waren. Sei ne Frage hatte sich damit erübrigt. »Wenn unsere Galionsfigur so weiter macht, werden wir bald eine ganze Flotte am Hals haben«, warf Lebo Axton ein. »Konntest du etwas herausfinden, Atlan?« »Die Scuddamoren sind schuld daran.« Dabei deutete der Arkonide auf Artin, der jedoch durch nichts zu erkennen gab, daß ihn das Geschehen in irgendeiner Weise be rührte. »Was hast du vor?« fragte Razamon. »Was sie Artylleinor angetan haben, geht entschieden zu weit. Ich weiß jetzt wenig stens, von wo aus die Galionsfigur beein flußt wird. – Wir werden deinen Scuddamo ren zeigen, was sie zu tun und zu lassen ha ben. Die letzte Bemerkung war an Artin ge richtet. »Gib auf, Atlan. Auf die Dauer ent kommst du uns nicht«, lautete dessen spon tane Antwort. »Du selbst bist das beste Beispiel dafür«, spottete Razamon. »Atlan, ich bin dabei,
5 wenn es gilt, diesen Kerlen etwas heimzu zahlen.« »Ich habe nichts anderes erwartet«, nickte der Arkonide. »Dann bleibst du in der Zen trale, Lebo, damit unser Freund hier keinen Unfug macht.« »Ich werde aufpassen«, versprach Axton/ Kennon. »Und der Gersa-Predogg ist ja auch noch da.« Aber gerade darauf wollte Atlan sich nicht verlassen.
* Die ZARKIET war groß. Nicht so groß zwar wie viele der Organschiffe, die Atlan inzwischen kennengelernt hatte, hätte aber doch mit ihren beiden faßähnlichen Rümp fen, die jeweils sechzig Meter durchmaßen, Hunderten von Scuddamoren Unterschlupf gewähren können. Unter diesen Umständen die dreiundzwanzig Begleiter Artins aufzu spüren, wäre ein aussichtsloses Unterfangen gewesen, hätte Atlan nicht durch den Kon takt mit dem Vogelwesen gewußt, wo im Schiff diesem der Schmerz zugefügt worden war. Atlan und Razamon hatten die Zentrale verlassen und bewegten sich nun vorsichtig und nach allen Seiten sichernd auf den Ver bindungsgang zu, der in der Nähe der Bug kuppel zum anderen Rumpf hinüberführte. Hinter jeder Biegung des Ganges, hinter jedem halb geschlossenen Schott konnten Scuddamoren lauern, die nur darauf warte ten, die ZARKIET zurückzuerobern. »Ich kann mir nicht vorstellen, womit man einer Galionsfigur derartige Schmerzen zufügen kann, außer man jagt mindestens das halbe Schiff in die Luft«, überlegte Raz amon. Atlan, der unmittelbar vor ihm ging, blieb stehen und wandte sich um. »Ich weiß es auch nicht«, sagte er, und seine Stimme klang merkwürdig belegt. »Ich hoffe nur, daß wir die Ursache beseitigen können, denn sonst ist unser Flug zu Ende, bevor er richtig begonnen hat.«
6 Sie erreichten den Verbindungsgang zwi schen den beiden Schiffshälften. Das Schott war geschlossen und öffnete sich auch nicht, als sie unmittelbar davor standen. Einen deutlicheren Beweis für die Handlungsunfä higkeit Artylleinors konnte es kaum geben. Wie lange würde es noch dauern, bis das Vogelwesen endgültig die Kontrolle verlor, bis auch Sauerstoff und Energieversorgung zusammenbrachen und die ZARKIET zum langsam dahintreibenden Wrack wurde? Al lerdings konnte ein wichtiger Durchgang zwischen beiden Rümpfen nicht ausschließ lich der Steuerung durch die Galionsfigur unterliegen. Atlan zeigte auf mehrere skurril anmutende Hebel, die offenbar ein manuel les Öffnen und Schließen des Schottes er möglichen sollten. »Hier!« sagte er. Tatsächlich konnten sie schon Augen blicke später ihren Weg fortsetzen. Atlan zö gerte und mußte sich erst neu orientieren, denn jedes Organschiff war anders gebaut, schritt dann aber wieder zügig aus und bog in einen Seitengang ein. Eine unwirkliche und bedrückende Stille herrschte in diesem Teil des Schiffes. Der Gang teilte sich mehrfach und führte stern förmig in verschiedene Richtungen. Gefahr! signalisierte Atlans Extrasinn. Da war etwas gewesen – ein verschwom mener, nur für wenige Augenblicke sichtba rer Schatten. Scuddamoren! Die Gefahr erkennen und handeln war eins. Das galt für Atlan gleichermaßen wie für Razamon. Aber beide wollten sie nicht töten. Deshalb hatten sie ihre Waffen auch auf Lähmstrahlen umgeschaltet, deren Ener gien sich allerdings wirkungslos in den Gän gen verloren. Die sengende Hitze zweier Strahlschüsse schlug über Razamon zusammen. Unmittel bar hinter ihm rissen sie die Wand auf. Bei ßender Qualm breitete sich aus. Zwei Gegner, aus der sicheren Deckung eines Raumes heraus feuernd, hatten sich um Bruchteile einer Sekunde zu früh verra-
Hubert Haensel ten. Schon war Razamon etliche Meter vor At lan, rannte, warf sich zu Boden, rollte sich ab, stand und schoß. Erneut verfehlte ihn ein Strahlschuß nur um Haaresbreite. Glühende Fetzen organischer Materie wurden aus ei ner Wand herausgerissen und wirbelten weit in den Gang hinein. Doch da hatte Razamon schon das offen stehende Schott erreicht. Ein kleiner, abge dunkelter Raum lag dahinter. Unmittelbar vor sich sah er den mannshohen verschwom menen Schatten, der typisch war für einen Scuddamoren in seinem Schild. Eine Waffe ruckte herum, zielte auf ihn. Razamon war schneller. Mitten in der Be wegung gelähmt, brach sein Gegner zusam men. Mehrmals schoß der Pthorer in die Dun kelheit hinein. Jeden Winkel des Raumes, der so etwas wie ein Lager war, bestrich er mit Lähmstrahlen. Das dumpfe Geräusch ei nes fallenden Körpers bewies ihm, daß auch der zweite Scuddamore keine Gefahr mehr darstellte. »Was machen wir mit den beiden?« »Wir lassen sie hier. Sie wären nur eine unnötige Belastung für uns.« Die Schattenschilde! erinnerte eine leise, lediglich für Atlan hörbare Stimme. Sie kön nen von Vorteil für euch sein. Er zögerte zwar zunächst, kam aber dann zu der Ansicht, daß sein Extrasinn so un recht nicht hatte. Er löste die Magnetver schlüsse und nahm den Bewußtlosen die et wa zehn Zentimeter breiten, hellroten Kunst stoffgürtel ab, die in einer Schnalle den Pro jektor für die Energieaura enthielten. Zurück blieben zwei nackte graue Wesen, die nichts mehr mit der geheimnisvollen, furchterre genden Erscheinung der Scuddamoren ge mein hatten. In gewisser Weise wirkten sie jetzt sogar hilflos. In ihrer Grundhaltung sa hen sie noch jenen ähnlich, aus denen sie durch Metamorphose hervorgegangen wa ren: Einst mußten sie Noots gewesen sein. Nur Minuten später hatten Atlan und Raza mon ihr Ziel endlich erreicht. Daß es der
Der Todesbote Galionsfigur während dieser Zeit immer schlechter ging, war nicht zu übersehen – ein Grund mehr, sich zu beeilen. Wiederholt kam es zu vorübergehenden Ausfällen der Beleuchtung, und auch die künstliche Schwerkraft war unregelmäßigen Schwan kungen unterworfen, die mit jedem Wechsel intensiver wurden. Ob diese Störungen das ganze Schiff betrafen oder aber nur auf be stimmte Sektoren beschränkt blieben, war nicht feststellbar. Was immer Atlan zu sehen erwartet hatte, die Wirklichkeit war anders – weit weniger erschreckend oder gar bedrohlich. Drei Scuddamoren wurden von ihren ver meintlichen Artgenossen betäubt, bevor sie überhaupt begreifen konnten, was geschah. Sie kamen nicht mehr dazu, ihre Waffen zu ziehen. Eine Wand … vernarbte, runzlige Struk turen aus Organmaterie, die sich zentimeter dick um einen Kern technischer Einrichtun gen hüllte. Durch nichts unterschied sie sich von anderen Wänden innerhalb der ZAR KIET, und doch mußte sie von besonderer Bedeutung sein. Die biologische Masse war auf einer Flä che von mehreren Quadratmetern aufge schnitten und abgelöst worden. Ein Gewirr aus Verstrebungen, Kabelsträngen und arm dicken Versorgungsleitungen lagen frei. Atlans Blick glitt darüber hinweg und blieb schließlich an einem dünnen, durch sichtigen Schlauch hängen, der allem An schein nach erst vor kurzem angebracht wor den war. Er mündete in eine der stärkeren Leitungen, während sein anderes Ende in ei ner noch halbvollen Flasche steckte, die oberhalb des beschädigten Abschnitts befe stigt war. Atlan pfiff leise durch die Zähne. »Hm«, machte Razamon nur, der weit we niger Erfahrungen mit Organschiffen und Galionsfiguren besaß. Er hegte zwar einen ganz bestimmten Verdacht, war sich dessen aber beileibe nicht sicher. »Alles, was hier verläuft, sind Versor gungsleitungen. Die Scuddamoren haben ei
7 ne einfache, aber wirkungsvolle Methode gefunden, um Artylleinor auszuschalten. Ich nehme an, daß es sich bei der grünlichen Flüssigkeit in der Flasche um ein Nervengift handelt.« »Auf jeden Fall begehen wir keinen Feh ler, wenn wir den Zufluß unterbrechen«, sagte Razamon. Atlan nickte. »Die Frage ist nur, wie schnell Artylleinor sich wieder erholt. Eine Besserung ihres Zu stands kann Stunden auf sich warten lassen oder gar Tage oder auch überhaupt nicht mehr eintreten. In letzterem Fall wären un sere Bemühungen umsonst gewesen.« »Die Scuddamoren waren bestimmt nicht darauf aus, sich selbst um die Möglichkeit des Rückflugs zu bringen.« »Das denke ich auch.« Vorsichtig löste Atlan die Verbindung zwischen der Versorgungsleitung und dem dünnen Schlauch und nahm die Flasche von der Wand. Dabei geschah es, daß einige Tropfen der Flüssigkeit über seine Finger liefen. Sofort hatte er das Gefühl, sein gan zer Arm würde in siedendes Öl getaucht. Er biß die Zähne zusammen, um nicht laut auf zuschreien. Seine Hand brannte wie Feuer. Mit der unversehrten Rechten schlug Atlan auf die Gürtelschnalle und brachte den Schatten schild zum Erlöschen. Er erschrak, als er die unzähligen Brandblasen sah, die sich auf seinem Handrücken und zwischen den Fin gern gebildet hatten. »Eine Art Säure«, vermutete Razamon spontan. »Wie mag dieses Zeug erst auf Ar tylleinor wirken. Kein Wunder, daß wir den Linearraum verlassen mußten und kaum noch manövrierfähig sind.« »Wir nehmen die Flasche mit«, entschied Atlan. »Die Wand können wir leider nicht verschließen, doch dürfte dies auch wenig Sinn haben. Falls die Scuddamoren mit wei teren Überraschungen auf uns warten, kön nen wir sie damit kaum davon abhalten.« »Sobald die Galionsfigur wieder aufnah mefähig ist«, in Razamons unergründliche
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schwarze Augen trat ein gefährliches Leuch ten, »werden wir drastischere Maßnahmen als bisher ergreifen müssen.«
* Den Rückweg traten sie im Schutz der er beuteten Schattenschilde an. Atlan zweifelte nicht daran, daß die Gefolgsleute Artins ir gendwo im Schiff damit beschäftigt waren, einen neuen, womöglich wirkungsvolleren Schlag vorzubereiten. Aber noch konnte man nichts dagegen unternehmen, noch war die Galionsfigur unansprechbar, wie viele kleine Dinge bewiesen. Der Bordfunk war ausgefallen. Atlan hatte vergeblich versucht, sich mit der Zentrale in Verbindung zu set zen. »Wenn es nicht früher oder später zu ei ner Katastrophe kommen soll, müssen wir die Scuddamoren loswerden. Je eher, desto besser.« Wie die Dinge lagen, war diese Forderung keineswegs unberechtigt. Um die ZARKIET zu fliegen, war man auf Artin und seine Spießgesellen längst nicht mehr angewiesen. Dazu waren Atlan, Razamon und Lebo Ax ton inzwischen allein in der Lage, denn Ar tylleinor folgte ihren Anweisungen. Und dann war da noch Achtpforg, der Gersa-Predogg, über den man verfügen konnte. Allerdings war Atlan sich durchaus darüber im klaren, daß der Roboter ein ge wisses Sicherheitsrisiko darstellte, denn er wußte nicht, inwieweit die Zentrale im Zen trum der Schwarzen Galaxis sich über die mit dem Programmschlüssel gegebenen Be fehle hinwegsetzen und Achtpforg ihrerseits beeinflussen konnte. »Sobald wir wieder manövrierfähig sind und ein Linearflug möglich ist«, sagte er zu Razamon, »lasse ich Artylleinor eine geeig nete Welt anfliegen. Es muß in diesem gott verlassenen Raumsektor doch auch Dutzen de von Planeten geben, auf denen keine Ein heiten Chirmor Flogs stationiert sind, die aber dennoch gute Lebensmöglichkeiten bie ten. Wir werfen Artin und seine Scuddamo-
ren einfach aus dem Schiff und verschwin den dann in Richtung Rghul-Revier.« »Auf Nimmerwiedersehen«, stimmte Raz amon zu. »Wenn uns die Galionsfigur hilft, dürfte es ein leichtes sein.« Sie hatten den Verbindungsgang zwischen den beiden Schiffshälften erreicht und war teten darauf, daß das Schott sich öffnete. Aber selbst als sie die Hebel für die manuel le Bedienung umlegten, bewegte sich nichts. Eine neue Teufelei der Scuddamoren? Atlan versuchte es nochmals – mit dem gleichen negativen Ergebnis. »Dann sind wir gezwungen, einen Um weg durch das halbe Schiff zu machen«, stellte Razamon fest. »Das gefällt mir gar nicht.« »Meinst du, mir?« Atlan reagierte unge halten. »Also zurück. Wer weiß, was sie in zwischen …« Er kam nicht weit. Mit Donnergetöse fuhr unmittelbar vor ihm eine zentimeterdicke Metallplatte aus der Wand. Sie riegelte den Gang hermetisch ab. Ein Einsatz der Strahler verbot sich von selbst. Er hätte einen Hitzestau bewirkt, der auf engem Raum unerträglich gewesen wä re. Eine Falle, stimmte Atlans Extrasinn zu. »Ohne Hilfe von außen kommen wir hier nicht heraus.« Razamon untersuchte die Wände nach einem möglicherweise vorhan denen Öffnungsmechanismus, fand jedoch nichts, was auch nur entfernt darauf hinge deutet hätte. Eine schwere Erschütterung durchlief die ZARKIET, gefolgt von fernem Donner. At lan erinnerte sich, vor wenigen Minuten ein ähnliches, wenn auch ungleich schwächeres Beben bemerkt zu haben. Nur hatte er die sem keine Bedeutung beigemessen und es dem Wirken der Galionsfigur zugeschrie ben. Eine Explosion! behauptete sein Extrasinn jetzt. Atlan erschrak. Wenn die ZARKIET an gegriffen wurde, stand es schlecht um sie.
Der Todesbote Denn Artylleinor war sicher noch nicht fä hig, die Schutzschirme aufzubauen. Razamon schien sich mit ähnlichen Über legungen zu befassen. »Die Druckschotte schließen automa tisch«, sagte er. »Irgendwo muß es zu einem Druckabfall gekommen sein.« Atlan versuchte erneut, eine Verbindung zur Zentrale zu bekommen. Und diesmal waren seine Bemühungen endlich von Er folg gekrönt. Lebo Axton meldete sich. Wenn auch sein Bild von Störungen überla gert wurde, so war doch die Tonübertragung einigermaßen verständlich. Atlan war er leichtert, zu hören, daß Artylleinors Zustand sich besserte. Allerdings mußte Axton ein gestehen, daß auch er keine Erklärung für die vorangegangenen Explosionen hatte. Die Instrumente zeigten nichts an außer einem Druckabfall in mehreren Sektoren. Raza mons entsetzter Aufschrei ließ Atlan herum fahren. Er vernahm das feine Zischen und verstand. Die Scuddamoren hatten eine neue Möglichkeit gefunden, sich ihrer Gegner zu entledigen – eine sehr wirkungsvolle Metho de. Die Handlungsunfähigkeit der Galionsfi gur ausnutzend, hatten sie Löcher in die Au ßenhülle der ZARKIET gesprengt und wa ren nun dabei, die Atemluft ins Vakuum ent weichen zu lassen. Oder wußten sie genau, wo Atlan und Razamon sich aufhielten? Waren die Schat tenschilde als Schutz vor Entdeckung nutz los geworden, weil die Scuddamoren inzwi schen die Bewußtlosen gefunden und aus dem Fehlen deren Gürtel den einzig richti gen Schluß gezogen hatten? Tief sog Atlan den kostbar werdenden Sauerstoff in seine Lungen ein. Daß Raza mon sich verzweifelt gegen das millimeter weise zurückweichende Schott stemmte, war vergebliche Mühe. Er konnte es nicht auf halten. »Du mußt Artylleinor beeinflussen! So fort!« schrie Atlan Axton an, dessen Abbild noch immer vom Bildschirm herabstarrte. »Wie …?« »Achtpforg soll dir helfen, die Anschlüsse
9 anzulegen!« Schon bereitete ihm das Atmen Schwie rigkeiten. Schweiß trat ihm auf die Stirn und rann ihm in die Augen. Seltsam verschwom men war plötzlich alles um ihn herum. Razamon sank in die Knie; er rutschte an dem Metall ab, das sich unter seinen Händen zu verformen schien. Wie durch einen dich ten Nebel hindurch, sah Atlan ihn stürzen. Ein schier unerträgliches Brausen erfüllte jetzt den Gang, das sich zum tosenden Don nern sturmgepeitschter Brandung steigerte. Phantasie und Wirklichkeit vermischten sich. Aus weiter Ferne kommend, vernahm At lan seinen Namen. Es klang wie der Ruf des Todes – hohl und unwirklich verzerrt. Mit einer Erwiderung auf den Lippen, sank er in sich zusammen. Das Rauschen des Blutes in seinen Schläfen begleitete ihn hinüber in ei ne Welt, in der er nichts mehr fühlte.
* Lebo Axton wußte, daß es um Sekunden ging. Er warf sich förmlich in den Sitz hinter den Kontrollen. Ein scharfer Befehl an den Gersa-Predogg, dessen negative Aura kaum noch spürbar war, und der kastenförmige Roboter schloß ihn an das Kommunikations system der ZARKIET an. Axton hatte nicht die Qualen auszustehen wie Atlan vor ihm. Denn Artylleinor befand sich bereits auf dem Weg der Besserung, und sie reagierte dankbar auf den neuen Versuch einer Kontaktaufnahme. Ein Gefühl inniger Vertrautheit, das er in dieser Weise nie zuvor kennengelernt hatte, nahm Axton gefangen. Was er registrierte, waren die unbewußten Regungen eines im Grunde seiner Seele friedfertigen Wesens, das gegen seinen Wil len zum Werkzeug dunkler Mächte gewor den war, und das die Fesseln, die es von sei ner Freiheit trennten, nicht abstreifen konn te. Hilf uns! dachte der Mann, dessen Geist im Körper eines anderen wohnte. Es war ein
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Befehl, den er an die Galionsfigur richtete – immer und immer wieder. Mit den Sinnen Artylleinors, die von künstlichen Augen, von Kameras höchster Präzision, gespeist wurden, sah er das Innere der ZARKIET. Er beobachtete, wie zuerst Razamon und gleich darauf auch Atlan leb los zu Boden sank. Tu etwas dagegen! schrie alles in ihm. Was immer es sein mochte, was Artyl leinor jetzt unternahm, falls sie dazu über haupt in der Lage war – Axton wurde abge lenkt. Die ungeheure Anspannung, unter der er stand, ließ es nicht zu, daß er die von al len Seiten auf ihn einströmenden Eindrücke gleichzeitig verarbeitete. Ohne sich dessen bewußt zu werden, löste er den Alarm aus. Im nächsten Augenblick riß er sich die Anschlüsse ab, die ihn mit dem Schiff verbanden, und ließ sich zurück sinken. Lebo Axton lauschte in sich hinein. Doch da war nichts mehr, was er hätte wahrneh men können.
* Nur langsam kam Atlan wieder zu sich. Als er die Augen öffnete, schien sich alles um ihn herum in einem wilden Reigen zu drehen. Übelkeit stieg in ihm hoch, und er mußte gegen das würgende Gefühl ankämp fen, das von seinem Magen ausging. Willkommen unter den Lebenden. Danke, dachte Atlan zurück. Du solltest dich auch freuen, anstatt zynische Bemer kungen von dir zu geben. Was war geschehen? Nach einigen tiefen Atemzügen und mehreren Augenblicken der Ruhe stabilisierte sich alles. Atlan konnte es jetzt wagen, sich zu erheben, ohne gleich Gefahr zu laufen, mit einer der tanzenden Wände zusammenzuprallen. Sowohl das Druckschott als auch der Durchgang zur anderen Hälfte der ZAR KIET waren geöffnet. Das konnte nur be deuten, daß entweder Lebo Axton oder die Galionsfigur es noch rechtzeitig geschafft
hatten, das Leck in der Außenhülle des Or ganschiffs abzuriegeln. Damit war auch der zweite Versuch der Scuddamoren geschei tert, die Herrschaft über die ZARKIET zu rückzugewinnen. Wie viele weitere würden folgen? Atlan beugte sich zu Razamon hinab, der sich soeben stöhnend aufrichtete. Doch was er hatte sagen wollen, ging im plötzlichen Aufheulen der Sirenen unter. Ortungsalarm! Die beiden Unsterblichen sahen sich kurz an. Jetzt schien das eingetreten zu sein, was sie seit ihrem Rücksturz aus dem Linear raum befürchtet hatten. »Nun haben wir eine Scuddamoren-Flotte am Hals«, sagte Razamon.
2. Auf einer Welt irgendwo im Rghul-Re vier. Zortan fühlte sich wohl und geborgen. So geborgen, daß er seinen Organköcher weit ausfuhr und die Sinnesfühler pendeln ließ. Was kümmerten ihn Zukunft und Vergan genheit, nur eines war wichtig und zählte: das war der Augenblick. Die Gegenwart Vil lig-Ters war berauschend und schön. Zortan überlegte. Wie lange war dieses bezaubernde Geschöpf mit den anziehenden Säulenbeinen und den wunderschön gefärb ten Sehfühlern nun schon seine Gefährtin? Auf jeden Fall lange genug, um ihn glück lich zu machen. Sie beherrschte die Kodie rung der Wärme wie keine andere. Bei allen Trugenfrauen, die Zortan kann te, Villig-Ter hätte er nicht missen mögen. Immer enger preßte er sich an sie. Ihre Hän de tasteten nach seinem Köcher, kraulten in aufreizender Weise seine Fühler. Wohltuend war die Wärme, die auf ihn überströmte. Villig-Ter gab ihm wirklich al les, was ein Mann sich nur wünschen konn te. Sie ließ ihn vergessen, wo sie sich befan den, ließ ihn in Gedanken die Heimat sehen und die wärmende Sonne von Cagendar. Aber trotz allem fühlte Zortan, daß viel
Der Todesbote von Villig-Ters kräftesteigernder Meditation verlorenging. Er war nicht fähig, sich in dem Maße zu konzentrieren, wie es für eine ein wandfreie Kodierung nötig gewesen wäre. Er dachte an seine Aufgabe, denn heute war er an der Reihe. Was ihn draußen erwar tete, wußte er leider nur zu genau. Seit Ta gen hatte sich das Wetter nicht mehr geän dert. »Aber noch ist es nicht soweit«, quakte Zortan verdrossen. Er erschrak, als plötzlich das belebende Gefühl der Wärme ausblieb. Seine unbe dachte Äußerung hatte Villig-Ters Kodie rung endgültig unterbrochen. Ihre Sehfühler bogen sich ihm in einer be dauernden Geste entgegen. Als sich ihre Kö cher dann für einen kurzen Moment berühr ten, war Zortan, als würde sie einen Teil sei ner Erregung in sich aufnehmen. Villig-Ter wußte, wie sehr er sich davor scheute, ihre Behausung zu verlassen, wenn es auch nur eine notdürftige Hütte war, die kaum den Nachtstürmen standhalten konnte und schon gar nicht der eisigen Kälte, die vor wenigen Tagen über das Land hereingebrochen war. Was sollte er sagen? Der Abschied, wenn auch nur für wenige Stunden, fiel ihm schwer. Schweigend legte Zortan seinen Rauman zug an. Sein erster Handgriff war, die Kli maanlage auf volle Heizleistung einzustel len. Wenigstens die Kälte sollte ihm nichts anhaben können, wenn schon der Anblick der weißen Landschaft ihn innerlich frieren ließ. »Ich warte«, flüsterte Villig-Ter ihm zu, als er die Tür öffnete und hindurchtrat. Eiseskälte umfing ihn. Mit einem Fluch auf den Fühlern schloß Zortan den Helm sei nes Anzugs. Seit Tagen schneite es. Anfangs hatten die Trugen noch gehofft, die Sonne möge dem Spuk ein schnelles Ende bereiten. Aber inzwischen lag eine weiße Decke fast einen halben Meter hoch über den Hütten, hatte Bäume und Sträucher eingehüllt und selbst vor den unverwertbaren Überresten der Rettungskapseln nicht haltgemacht. Mit
11 einer widerwilligen Bewegung wischte Zort an einige Flocken von der Sichtscheibe. Mißgelaunt stapfte er durch den hohen Schnee. Seine Klauenfinger tasteten nach den beiden Schockschleudern, die mit Haft platten auf der Vorderseite seines Rauman zugs befestigt waren. Nach einiger Zeit blieb Zortan stehen und wandte sich um. Kaum etwas war noch von dem Lager zu erkennen. Nur mehrere dunkle Flecken inmitten trostloser weißer Wüste, umspielt vom Wind, der den Schnee aufwir belte und ihn an den Wänden der Hütten wieder ablagerte. Dabei hatten die Trugen vor wenig mehr als einem viertel Umlauf des Planeten um seine Sonne noch geglaubt, es leidlich gut getroffen zu haben – allen voran ihr Kom mandant, dem es überhaupt zu verdanken war, daß die Hälfte der Besatzung den Un tergang ihres Schiffes überlebt hatte. Den Planeten, auf dem sie mit wenigen Rettungskapseln niedergegangen waren, hat ten die Überlebenden nach ihrem Komman danten benannt: Garritz. Aber war der Name eines Trugen nicht zu schade für eine Welt, die sich im nachhinein von ihrer kältesten Seite zeigte? Zortan entfernte sich aus dem Tal, das er inzwischen kannte wie das Innere seines Kö chers. Hier gab es kein jagdbares Wild mehr. Er stieg die sanft ansteigende Ebene hinauf, überquerte den Paß, der auf der Hö he zwischen mächtigen Felsblöcken hin durchführte, und kletterte auf der anderen Seite über verschneites Geröll wieder hinab, bis er sein Ziel erreicht hatte. Eine weitläufige Ebene, auf drei Seiten von Bergen eingeschlossen, auf der vierten an einen See grenzend, der sich irgendwo im milchigen Dunst verlor. Auch hier, wie fast überall, wuchsen überwiegend verkrüppelte Pflanzen, dem steten Wind trotzend, der von den Hängen herabfuhr. Nur wenige Bäume hatten es verstanden, sich zu voller Größe aufzurichten. Ihr rissiges Antlitz bot über reichlich Platz für allerlei Schmarotzer und wurde auch von einer kleineren Tierart ger
12 ne als Unterschlupf genutzt. Viel lieber, als auf die Jagd zu gehen, hät te Zortan sich mit synthetischer Nahrung be gnügt. Aber die Vorräte waren seit Wochen zu Ende, was letztlich zu einer rapiden Dezi mierung des Tierbestands in der Umgebung des Lagers geführt hatte. Und nicht nur das. Nun, da sie endlich Hoffnung haben konn ten, einen Funkspruch abzusetzen, besaßen sie kaum noch spaltbares Material zur Ener gieerzeugung. Zortan schüttelte sich, bevor er sich in den Schnee kniete, um mit beiden Händen in einen hohlen Stamm hineingreifen zu kön nen. Bei dem Gedanken daran, daß er allein der lebensfeindlichen Kälte ausgesetzt war, daß er sich außerdem beeilen mußte, wollte er noch vor Beginn seiner nächsten Ruhepe riode ins Lager zurückkehren, fror er. Enttäuscht mußte er feststellen, daß die Höhle leer war. Schon wollte er sich abwen den, und es anderswo erneut versuchen, als er stutzte. Zortan erinnerte sich an eine Gruppe dich ter, verkrüppelter Büsche. Sie waren ver schwunden – etwas, was er sich nicht erklä ren konnte. Dort, wo sie gestanden hatten, schimmerten noch Gras und Erde unter einer dünnen Schneedecke hervor. Irritiert fuhr Zortan seinen Organköcher zentimeterweit ein, während er sich umsah. Wenig später entdeckte er das Tier, oder vielmehr das, was noch von ihm übrig war: ein zottiges, braunes Fell und fein säuberlich abgenagte Knochen. Die Stielaugen des Trugen beugten sich weit vor – bis sie gegen die Sichtscheibe des Helmes stießen. Von dort, wo vor kurzem noch die Büsche gegrünt hatten, zogen sich Spuren durch den Schnee bis hin zu dem Skelett. Sie waren fast schon verweht, schie nen aber ursprünglich an die zehn Zentime ter breit gewesen zu sein. Irgendwie erinner ten sie an die Abdrücke, die Raupenketten hinterlassen. Zortan bückte sich, seine Greif klauen fuhren suchend durch den lockeren Schnee. Aber auch dort, wo die Abdrücke unverhofft aufhörten, fand er nichts. Statt
Hubert Haensel dessen fühlte er sich plötzlich beobachtet. So intensiv war die Empfindung, daß er sei nen Organköcher ein weiteres Stück einfuhr und einmal um die eigene Achse wirbelte. Nichts. Nur das Schneetreiben war heftiger geworden. Der Wind hatte gedreht und weh te jetzt vom See her. Er brachte dicke, nasse Flocken mit. Zortan schüttelte sich ab, obwohl sein Raumanzug ihn hervorragend vor den Un bilden des Wetters schützte. Aber war es wirklich die Kälte, die ihn zittern ließ? Zortan spürte, wie sich etwas Fremdes in seine Gedanken einschlich. Und dann sah er es – nur wenige Schritte entfernt … Fast schien es, als würde der Schnee von innen heraus glühen. Drei winzige Leucht punkte hoben sich vom Boden ab; Zortan hatte den Eindruck, daß sie jeder seiner Be wegungen folgten. Im gleichen Augenblick wurde es stärker, das Fremde in seinen Gedanken, das er sich nicht erklären konnte. Was immer es sein mochte, es begann, Einfluß auf ihn zu neh men. Zortan riß seine Schockschleudern hoch. Das heißt, er hatte es tun wollen. Mitten in der Bewegung erstarrte er jedoch. Die drei Punkte vor ihm begannen sich aufzublähen, wurden größer und größer und versprachen Wärme und Geborgenheit. Zö gernd zunächst, doch dann immer schneller, setzte Zortan einen Fuß vor den anderen. Das hellrote Glühen wich vor ihm zurück. Zortan begann zu rennen. Er nahm nicht wahr, daß es immer mehr Leuchtpunkte wurden, die seinen Weg säumten, die ihn beobachteten und ihm folgten. Wie von unsichtbaren Fäden geleitet, stapfte er durch den tiefer werdenden Schnee. Als er über eine dicht unter der Oberflä che verborgene Wurzel stolperte und der Länge nach hinschlug, waren sie heran. Es mußten Dutzende sein, die sich förmlich auf ihn stürzten. Zortan sah nur das düstere Glü hen ihrer Augen, sah sie durcheinanderwir
Der Todesbote beln wie einen Schwarm Sternschnuppen … Er schrie auf. Genauso hatte er geschrien, als die ATROV mit den Asteroiden kollidiert war. Und die Erinnerung verdrängte für wenige Augenblicke das Fremde aus seinen Gedan ken. Mit einem Mal fühlte er die beißende Käl te, die langsam seinen Körper aufwärts kroch. Selbst die Heizung vermochte dieses fürchterliche Gefühl nicht zu verdrängen. Zortan war zu Tode erschrocken, als er das Loch ertastete, durch das Schnee und Eis in seinen Raumanzug eindrangen. Es war zu groß, um sich von selbst wieder zu schlie ßen, und es wurde von Sekunde zu Sekunde noch ein wenig größer. Mit den Fäusten schlug der Truge gegen den weichen Körper, der sich in seinen An zug verbissen hatte. Drei glühende Augen starrten ihn an; ein flacher, armlanger Kör per wand sich um seine Beine. Irgend etwas lähmte Zortans Bewegun gen. Doch die Angst davor, nie wieder Vil lig-Ters wunderbare Kodierung der Wärme in sich aufnehmen zu können, ließ ihn stär ker sein als den fremden Einfluß. Wie durch ein Wunder spürte er plötzlich wieder das Metall einer Schockschleuder in seiner Hand. Und er drückte ab, immer und immer wieder. Einige der Tiere fielen von ihm ab und wälzten sich im Schnee, die an deren preßten sich nur noch enger an ihn. Obwohl die Kälte wie mit Nadeln in sei nen Körper stach, schaffte Zortan es, auf die Beine zu kommen. Villig-Ter! schrie alles in ihm. Hilf mir! Sein Raumanzug schien un zählige Löcher zu haben. Er taumelte durch den Schnee. Er lief, rannte, stürzte, raffte sich auf und lief wei ter, nur ein Ziel vor Augen, das er erreichen mußte, bevor die letzte Wärme ihn verließ: das Lager. Irgendwie schaffte er es auch, den Paß zu erreichen. Und dann sah er endlich das Tal vor sich, die provisorisch errichteten Hütten, die Rettungskapseln … Ein Gefühl der Schwäche überfiel ihn. Voller Entsetzen er
13 kannte Zortan, daß die Zeit der Ruhe ge kommen war. Alle Anstrengungen, dagegen ankämpfen zu wollen, nun, da er die Rettung vor Augen hatte, waren umsonst. Die näch sten zwanzig Minuten würde er im Zustand völliger Empfindungslosigkeit verbringen, würde hilflos sein. Aber vielleicht war das Schicksal gnädig mit ihm, und der eisige Hauch des Todes umfing ihn während der Ruheperiode. Dann würde er nie mehr erwa chen. Zortan begann, sich auf die Welten des Jenseits zu freuen, die ewige Wärme verhießen. Ohne daß er es verhindern konn te, zog sich sein Organköcher völlig zurück. Es war ein Vorgang, der sich nicht moto risch steuern ließ, sondern dem vegetativen Nervensystem unterlag. Der Ruhezustand trat regelmäßig alle sechs Stunden ein, dann war jedes Gefühl erloschen. Es schneite ununterbrochen. Der Wind hatte erneut gedreht und wehte jetzt von den provisorischen Unterkünften der Trugen her über. Schon bald war der knallgelbe Rauman zug unter einer dünnen Neuschneedecke be graben.
* Sie hatten lange gebraucht, aber nun hat ten sie es endlich geschafft. Nicht ohne Stolz betrachtete Perkat sein Werk. Monate waren vergangen, bis aus Schaltelementen, Mikro kontakten und Leitfolien etwas Brauchbares entstanden war, etwas, das nicht schon beim ersten Stromfluß aufglühen und alle Hoff nungen mit einem Schlag zunichte machen würde. Was die Überlebenden des Organschiffs ATROV geschaffen hatten, beanspruchte den Raum einer halben Hütte. Es war alles andere als schön, aber es war funktionell. Während Perkat das undurchdringliche Gewirr mit einem letzten, fast flehenden Blick bedachte, schweiften seine Gedanken ab. Sie alle hatten einen Auftrag zu erfüllen, hatten trotz des Unheils, das über sie herein gebrochen war, die erhaltenen Befehle nicht
14 vergessen. Es war diese Aufgabe und ihre Treue dem Neffen Duuhl Larx gegenüber, die in ihnen den unbeugsamen Willen wach gehalten hatte zu überleben, um Garritz wie der verlassen zu können. »Es ist soweit!« Perkat war nicht allein. Alle waren sie ge kommen, um die entscheidenden Minuten mitzuerleben. Nur Zortan fehlte. Aber si cherlich würde er bald von der Jagd zurück kehren. »Glaubst du, daß die Energiereserven aus reichen, um wenigstens einige Dutzend Lichtjahre zu überbrücken?« Villig-Ter mu sterte Perkat eindringlich. »Der Hypersender wird funktionieren«, antwortete dieser. »Was aber die Reichweite betrifft …« Er zog seinen Organköcher ein – ein Zeichen von Unsicherheit. »Worauf warten wir noch?« Perkat legte das vorbereitete Band mit den Koordinatenangaben ein. Der Notruf würde sich solange automatisch wiederholen, wie die erforderliche Energie vorhanden war. Doch was danach kam, war ungewiß. Es gab kein Empfängerteil, das eine mögliche Ant wort hätte aufnehmen können. Dazu hatte das an Bord der Rettungskapseln vorhande ne Material nicht ausgereicht. Perkat schaltete. Sofort flammten mehrere Kontrolleuchten auf – ein Zeichen dafür, daß der Sender be triebsbereit war und auch wirklich in der ge wünschten Weise arbeitete. Man konnte es sich einfach nicht leisten, Energie zu ver schwenden, und hatte deshalb verschiedene Sicherungen eingebaut. Sie alle zählten die Sekunden, bis das Band zum erstenmal durchgelaufen war und sich wiederholte. Schon jetzt stand fest, daß sich all die Mühe und die Entbehrungen ge lohnt hatten. Vergessen schienen Schnee und Eis, vergessen die lebensfeindliche Käl te, die vor wenigen Tagen über die ahnungs losen Trugen hereingebrochen war. Es war unmöglich, jetzt noch alle Hütten zu behei zen. Man würde zusammenrücken müssen und die Batterien der Waffen als Energieträ-
Hubert Haensel ger verwenden. Und die letzte Lösung, wenngleich nur für kurze Zeit, waren die Raumanzüge. Wenn auch dann noch kein Schiff über Garritz erschien, war das Ende gekommen. Villig-Ter schrie auf. Entsetzt deutete sie auf eine Kontrolle, die nach mehrmaligem kurzem Aufflackern endgültig erlosch. Per kat reagierte sofort, indem er die gesamte Anlage abschaltete. »Ein Defekt im Antennensystem«, quakte er. »Wenn nur der Wind schuld daran ist, können wir es vielleicht reparieren. Wenn nicht …« Er ließ offen, was die anderen ohnehin wußten. »Jemand muß hinausgehen. Wir dürfen keine Zeit verlieren.« »Ich werde gehen«, erklärte Perkat, wäh rend er bereits seinen Raumanzug schloß und die Heizung einschaltete. »Der Sender ist mein Werk, also trage ich auch die Ver antwortung dafür.« Ohne daß es weiterer Worte bedurft hätte, trat er dann ins Freie hinaus. Es hatte aufge hört zu schneien. Aber es war noch immer recht stürmisch, und der Wind wirbelte den lockeren Neuschnee auf. Perkat mußte eine Zeitlang suchen, bis er endlich das Kabel fand, das unter der Hütte hervortrat und zu der wenige Meter entfern ten Gitterkonstruktion führte, die so etwas wie eine Karikatur einer Hyperantenne war. Perkat räumte den Schnee beiseite, um das Kabel auf seiner ganzen Länge freizule gen. Er bemerkte die Spuren nicht, die er da bei verwischte. Das Kabel war glatt durchtrennt. Alles mögliche ging Perkat durch den Sinn, als er die Schnittstelle hochhielt und sie eingehend betrachtete. Sollte jemand aus ihrer Gruppe …? Nein, das war undenkbar. Aber die Beschädigung war eindeutig auf äußere Einwirkung zurückzuführen. Wer ist noch auf Garritz? durchfuhr es ihn. Eingeborene, die sich bisher verborgen hielten? Perkat wirbelte herum. Er konnte sich ei
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nes leichten Schauders nicht erwehren. Je mand, der in der Lage war, ein Stahlmantel kabel glatt abzuschneiden, verfügte auch über technische Mittel, die gefährlich wer den konnten. War da nicht etwas? Eine sanfte Erhe bung, ein Schatten unmittelbar neben der Antenne. Perkat entsicherte seinen Strahler, dann stapfte er vorsichtig näher. Seine Sinne wa ren aufs Äußerste gespannt. Mit den Füßen stieß er den angehäuften Schnee beiseite.
* Zortan hatte das Gefühl, aus der Ewigkeit zurückzukehren. Hatte er die Welten des Jenseits gesehen und ihre Wärme gespürt? Wenn ja, dann mußte das alles schon unend lich lange zurück liegen. Denn ihm war kalt, bitterkalt. Zortan war kaum fähig, seine Sinnesorga ne über den Köcherrand zu erheben. Was er sah, war nicht gerade dazu angetan, den Pro zeß des Nachdenkens zu beschleunigen. Der Schnee um ihn herum wirkte wie eine stum me Drohung, die ihn lähmte. Geraume Zeit verging, bis Zortan endlich erkannte, welchem Umstand er es zu ver danken hatte, daß er noch lebte. Der dicke weiße Mantel, den der Wind über ihm aus gebreitet hatte, hatte ihn vor der tödlichen Unterkühlung bewahrt. Er versuchte, sich zu erheben. Obwohl die Ruheperiode ihm gutgetan hatte, war er noch schwach und konnte sich kaum auf den Beinen halten. Sein Organköcher zitterte, als er sich dann mühsam durch den tiefen Schnee voran ar beitete. Fast zum Greifen nahe schienen die Hütten, die sich tief in den Schnee duckten. Der Platz zwischen ihnen lag wie ausgestor ben. Das Gefühl grenzenloser Einsamkeit überfiel den Trugen so plötzlich, daß er sich nicht dagegen wehren konnte. Die Kälte lähmte ihn, schien sogar seine Gedanken zu blockieren. Er sank in die Knie und schlug
der Länge nach hin. Er wußte nicht, wie lange er so gelegen hatte, als er durch etwas aufgeschreckt wur de, das sich an ihm zu schaffen machte. Mühsam versuchte er sich umzudrehen. Die Last auf seinem Rücken verschwand darauf hin, doch nur, um sich gleich darauf erneut auf ihn zu werfen. Zortan sah den Schatten auf sich zuflie gen. Instinktiv riß er die Arme hoch. Die schnelle Bewegung schmerzte, nahm aber gleichzeitig ein wenig der beginnenden Le thargie von ihm. »Nein!« schrie Zortan. Was ihn streifte, noch im Sprung herumwirbelte und ihn so fort von der Seite her angriff, war ein arm langer, gedrungen wirkender Körper, der sich kaum gegen den Schnee abhob. Drei tückisch funkelnde, weit auseinanderstehen de Augen richteten sich auf ihn, eine mes serscharfe Zunge zerfetzte seinen Rauman zug entlang des linken Armes. Villig-Ter! Der letzte bewußte Gedanke Zortans galt seiner Gefährtin, galt ihrer un nachahmlichen Art der Kodierung. Allein die Vorstellung genügte, um die letzten Kraftreserven des Trugen zu mobilisieren. Er wußte, daß kurz darauf der endgültige Zusammenbruch folgen mußte, doch war er so oder so verloren. Mit der Waffe schlug er nach dem An greifer, dorthin, wo er dessen Kopf vermute te. Der Schlag, mit verheerender Wucht ge führt, verschaffte Zortan Luft – eiskalte, läh mende Luft, von winzigen Schneekristallen durchsetzt, die wie Hunderte spitzer Nadeln in seine Haut stachen. Sich festklammernd, hatte das Tier den Raumanzug endgültig aufgeschlitzt. Zortan war unfähig, jetzt noch Gefühle zu empfinden. Eine gähnende Leere löschte al les aus, was einmal gewesen war. Rein mechanisch setzte er einen Fuß vor den anderen, während sein Organköcher sich langsam mit Rauhreif überzog und die Durchblutung zum Stillstand kam. Die Welt begann sich um Zortan zu drehen, sein letz
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ter Gedanke war ein lautloser Hilferuf.
3. Begegnung im All Das Heulen der Sirenen schien nicht ver stummen zu wollen. Razamon sprang auf. »Wir müssen in die Zentrale zurück!« rief Atlan ihm zu. »Bist du wieder in Ordnung?« »Ich denke schon«, gab Razamon zurück. Und als er den besorgten Blick auf sich ru hen fühlte, fügte er schnell hinzu: »Nur wenn ich lache, tut mir noch alles weh.« »Dann ist es gut.« Atlan lief los. »Ich glaube nämlich, daß wir in nächster Zeit nichts mehr zu lachen haben werden.« Sie nahmen denselben Weg zurück, den sie gekommen waren. Laut hallten ihre Schritte durch die Gänge. Atlan befürchtete, daß sie die Scuddamoren damit auf sich auf merksam machten, doch konnten sie jetzt keine Rücksicht darauf nehmen. Auf alles gefaßt, stürmten sie durch das sich vor ihnen öffnende Schott in die Zentra le. Der Scuddamore Artin stand noch immer dort, wo Atlan und Razamon ihn zuletzt ge sehen hatten, reglos, wie es schien, und dem Schicksal ergeben – oder finstere Pläne aus heckend, wie er die Herrschaft über die ZARKIET wieder an sich reißen konnte. Neben ihm die kastenförmige Gestalt des Gersa-Predogg. Atlan erschrak, als er Axton leblos über den Kontrollen liegen sah. Er mußte den Alarm ausgelöst haben und nicht Artyl leinor, denn seine Hand ruhte noch immer auf dem betreffenden Kontakt. Eine flüchtige Untersuchung, dann konnte der Arkonide erleichtert aufatmen. Axton/ Kennon war nur bewußtlos; Verletzungen waren nicht festzustellen. Er hatte telepathische Verbindung mit der Galionsfigur, erinnerte der Logiksektor. Vermutlich hat sich sein Bewußtsein in die Ohnmacht geflüchtet, um nicht Schaden zu nehmen. Denke daran, wie es dir erging. Lebo ist ebenfalls mentalstabilisiert, gab
Atlan zurück. Er war es! Sein Körper befindet sich je doch auf Pthor. Was du vor dir siehst, ist die sterbliche Hülle Grizzards. Bei ihm hat nie mand einen entsprechenden Eingriff vorge nommen. Dennoch hatte Axton noch Zeit gefunden, den Alarm auszulösen. Mit einem Blick er faßte Atlan die wenigen Bildschirme, die ak tiviert waren. Neben einigen Ausschnitten vom Rumpf der ZARKIET zeigten sie nur die düstere Schwärze des Weltraums. Hatte er erwartet, Organschiffe zu sehen, so wurde er enttäuscht, spürte gleichzeitig aber unsag bare Erleichterung. Während Razamon sich des Bewußtlosen annahm, schaltete Atlan eine Direktverbin dung zur Galionsfigur. Bewußt verzichtete er darauf, sich in das mechanischtelepathi sche Kommunikationssystem einzugliedern. »Artylleinor«, rief er in das Mikrophon, das sich vor ihm aus der Konsole schob. »Hörst du mich?« Die Antwort war leise und stockend. Ein untrügliches Zeichen dafür, daß die Galions figur noch immer mit Schwierigkeiten zu kämpfen hatte. »Du bist … Atlan … hast das Komman do.« Das Bild auf einem der Schirme wechsel te und zeigte nun die transparente Bugkup pel der ZARKIET. »Artylleinor, was ist geschehen? Weshalb wurde der Alarm ausgelöst?« Die Galionsfigur zögerte mit der Antwort, als müsse sie sich erst besinnen, was vorge fallen war. »Ortung«, erklärte sie schließlich lako nisch. »Raumschiffe?« fragte Atlan nervös. Ihm fiel auf, daß die Stimme Artylleinors allmählich weicher wurde. Fast zwitscherte sie wieder so, wie er es von ihr gewohnt war. Das war wohl positiv zu werten – ihr Metabolismus schien sich wider Erwarten schnell zu regenerieren und die Folgen der Vergiftung zu überwinden. »Keine Raumschiffe. Das Objekt war zu
Der Todesbote klein …« »Besteht die Ortung noch?« »Ortung und Funkpeilung. Wir empfan gen schwache Notsignale.« »Verdammt«, entfuhr es Atlan ungewollt, »weshalb sagst du das erst jetzt?« Erneut veränderte sich die Wiedergabe auf einem der Bildschirme. Atlan mußte schon genau hinsehen, um den winzigen schimmernden Reflex zu entdecken, der an triebslos durch die ewige Schwärze fiel. Er besaß keinerlei Möglichkeit zum Größenver gleich, doch eine innere Stimme sagte ihm, daß es sich um ein relativ winziges Objekt handelte. »Entfernung?« Artylleinor nannte einige Zahlen. Umge rechnet ergaben sie einen Wert von nur we nig mehr als einer Lichtsekunde. Ohne dazu aufgefordert worden zu sein, gab die Galionsfigur weitere Daten durch. Demnach würde die kürzeste Entfernung – rund zweihundert Kilometer – in genau zehn Minuten erreicht sein. Von da ab würden beide Flugkörper unaufhaltsam auseinander streben und sich in den Weiten des Raumes verlieren. Wurde die ZARKIET damit zur letzten Hoffnung eines Schiffbrüchigen? Ein leises Stöhnen schreckte Atlan aus seinen Gedanken auf. Lebo Axton schien langsam wieder zu sich zu kommen. Unkon trolliert zuckten seine Arme über das Schalt pult. »Ich ahne, was du vorhast«, sagte Raza mon, an den Arkoniden gewandt. »Doch solltest du dir das lieber aus dem Kopf schlagen. Es wäre besser, schnellstens auf Überlicht zu gehen und möglichst viele Lichtjahre zwischen Säggallo und uns zu bringen.« Atlan schüttelte den Kopf. »Du verschließt dich vor der Notwendig keit«, erwiderte er. »Wir sind hier, um so viel wie möglich über die Schwarze Galaxis, die Neffen und den sogenannten Dunklen Oheim in Erfahrung zu bangen. Wie anders könnten wir hoffen, ihre unheilvolle Macht
17 jemals zu brechen?« Razamons unergründliche schwarze Au gen nahmen wieder jenen nur schwer zu be schreibenden Ausdruck an, den Atlan vor al lem zu Beginn ihrer gemeinsamen Odyssee auf Pthor/Atlantis oft hatte beobachten kön nen. »Ich fühle das Unheil förmlich, das auf uns zukommt«, erklärte Razamon. »Gib Ar tylleinor den Befehl zu beschleunigen.« Atlan winkte ab. »Was immer da durch den Raum treibt, es kann uns kaum gefährlich werden, wenn wir auf der Hut sind. Aber vielleicht können wir ein Leben retten.« »Vergiß nicht, daß ich dich gewarnt ha be«, erinnerte Razamon.
* Wieder eilten sie im Schutz der erbeuteten Schattenschilde durch die Gänge und Korri dore der ZARKIET. Ihr Ziel war der große Hangar mittschiffs, der mit zwei Fesselfeld projektoren ausgestattet war. Inzwischen war die Entfernung zu dem georteten Objekt bis auf weniger als hun derttausend Kilometer zusammenge schrumpft. Mit einiger Mühe hatte Artylleinor es fer tiggebracht, ein halbwegs klares Abbild auf die Schirme zu projizieren. Daß es sich um eine Art Behälter handelte, der entfernte Ähnlichkeit mit einem Raumanzug aufwies, bestärkte Atlan in seiner Vermutung, einen Schiffbrüchigen vor sich zu haben. Razamon blieb aber weiterhin skeptisch. Sie hatten et wa die halbe Strecke zwischen Zentrale und Hangar zurückgelegt, als Atlan plötzlich die Nase rümpfte. »Was stinkt hier so erbärm lich?« Er hätte sich wohl nichts dabei ge dacht, wäre nicht gleichzeitig dieses eigenar tige Glitzern gewesen, das fast bewegungs los in der Luft hing. So aber reagierte er mit gewohnter Schnelligkeit. Auch Razamon schloß seinen Helm. Wegen der bevorste henden Bergung hatten sie ihre Raumanzüge bereits angelegt.
18 »Sie wissen genau, wo wir sind«, stellte Razamon fest und meinte die Untergebenen Artins. »Damit haben die Schattenschilde jeden Wert für uns verloren und sind uns nur noch hinderlich.« »Ohne die Schilde hätten die Scuddamo ren erkennen können, daß wir Raumanzüge tragen. Die Folge davon wäre wohl gewe sen, daß sie uns auf andere Weise angegrif fen hätten.« »Der Versuch war ohnehin dilettantisch. Bei dem Gestank.« »Das will ich nicht sagen. Vermutlich handelt es sich um ein Giftgas, das für die Scuddamoren völlig geruchlos ist. Sicher warten sie jetzt darauf, daß wir wie die Flie gen umfallen und können es sich nicht erklä ren, weshalb wir ihnen den Gefallen nicht tun. Oder fühlst du irgend etwas?« Razamon verneinte. »Wir haben wohl zu wenig von dem Zeug abbekommen.« Atlan sah der glitzernden Wolke nach, die langsam weiter trieb und sich immer mehr verflüchtigte. »Unsere lieben Freunde scheinen einen reichlichen Vorrat an solchen Überraschun gen zu haben.« »Wir sollten ihr Lager ausräumen, bevor sie wirklich etwas anstellen«, pflichtete Raz amon bei. »Später – vielleicht«, nickte Atlan. Er trat vor ein in die Wand integriertes Kommuni kationsgerät hin. »Artylleinor …?« »Ich höre, Atlan.« »Schalte eine Verbindung über das ganze Schiff. Ich will, daß ich in jedem Raum ge hört werde.« Die Galionsfigur bestätigte: »Du kannst sprechen, Atlan.« »Danke.« In wenigen Sätzen, die er sich sorgfältig zurechtgelegt hatte, wandte der Arkonide sich an die Scuddamoren. Er ließ ihnen kei ne Wahl. Entweder stellten sie die ohnehin erfolglosen Angriffe ein, oder sie würden den Tod Artins zu verantworten haben. »Du kannst sie mit Worten nicht ändern«,
Hubert Haensel sagte Razamon. »Entweder sie oder wir. Ei ne andere Lösung gibt es nicht.« »Wir werden sie absetzen, sobald sich uns eine Möglichkeit dazu bietet. Auf irgendei nem einsamen Planeten.« Ohne daß es zu weiteren unliebsamen Zwischenfällen gekommen wäre, erreichten sie den Hangar. Razamon schloß das Innen schott und leitete den Absaugvorgang ein. Erst wenn die Halle luftleer war, würde sich die Außenwand öffnen. »Laß!« Atlan legte dem Freund die Hand auf den Arm, als dieser seinen Schatten schild abschaltete. Dann standen sie nebeneinander, nur we nige Schritte vom Abgrund der Unendlich keit getrennt, und versuchten, ein winziges Etwas vor dem Hintergrund leuchtschwa cher Sterne zu entdecken. Was sie schließlich sahen, war ein nur Se kunden währendes Aufblitzen, ein greller Reflex. Razamon deutete hinaus. Der Punkt entfernte sich bereits wieder von der ZAR KIET. Schon stand Atlan neben einem der Fes selfeldprojektoren und schaltete. Obwohl das Gerät auf den ersten Blick fremdartig wirkte, hatte er doch keine Schwierigkeiten bei dessen Bedienung. Fehler! konstatierte der Logiksektor. Aber es war ganz sicher nicht Atlans Ver schulden. Während die in einem drehbaren Kranz gelagerten Abstrahlpole sich beweg ten, annullierte er die letzten Schaltungen und programmierte neu. Dennoch kam der Vorgang nicht zum Stillstand. Der Projektor war bereits nicht mehr in den freien Raum gerichtet, sondern zielte mehr und mehr in den Hangar hinein. Gefahr! Noch einmal versuchte Atlan, das Gerät auszurichten. Das herrschende Vakuum übertrug keine Geräusche. Doch die stärker werdenden Vi brationen, die von dem Projektor ausgingen, waren eindeutig. Jetzt schlug Atlan auf die Kontaktplatte, die ein Abschalten bewirken sollte.
Der Todesbote Nichts geschah. Beide Abstrahlpole wa ren inzwischen in den Hangar gerichtet. Sobald sich das Fesselfeld aufbaut, wer det ihr in den Raum hinausgerissen. Was das für euch bedeutet, brauche ich dir wohl nicht auszumalen. Ich kann es mir vorstellen, dachte Atlan. Bis Artylleinor die ZARKIET wieder manö vrieren kann, werden Razamon und ich ir gendwo in den Weiten des Alls verschwun den sein. Mehrere rasch hintereinander ausgeführte Schaltungen folgten, die auch nichts änder ten, dann ein wütender Fußtritt, der aber ebenfalls keine Unterbrechung des angelau fenen Vorgangs bewirkte. Schon baute sich das Induktionsfeld auf. »Zurück!« schrie Atlan. Während er in Richtung auf das Innen schott losspurtete, riß er seinen Strahler aus der Halfter, entsicherte ihn und schoß. Eine glühende Furche bildete sich unmittelbar vor dem Projektor im Boden. Die sengende Glut griff nach der Verkleidung des Aggregats. Das war der Augenblick, in dem Atlan und Razamon sich hinter einer abgestellten Antigravplattform in Deckung warfen. Fast gleichzeitig aktivierte sich das Fesselfeld und griff in den Hangar hinein. Atlan fühlte sich angehoben, hörte Raza mons entsetzten Aufschrei. In Gedanken sah er sich bereits hilflos durch das All treiben, sah die ZARKIET als winzigen Stern in der Unendlichkeit verschwinden, war einsam. Eine Explosion blendete ihn. Trümmerstücke des in einem Feuerball vergehenden Projektors wirbelten durch den Hangar. Eines von ihnen traf Atlan am Arm. Zum Glück blieb sein Raumanzug unbe schädigt, wenn auch der Schmerz ihm fast die Besinnung raubte. Als der Sog des Fes selfelds gleich darauf wieder abklang, lande te Atlan unsanft auf seinem verlängerten Rückgrat. Sofort sah er sich um. Der Schaden, den die Explosion angerichtet hatte, war gering. Aber die Antigravplattform war verschwun den, und mit ihr zusammen Razamon.
19 Ein leises, kaum wahrnehmbares Flüstern ließ Atlan aufhorchen. Noch während er die Abgabeleistung seines Helmlautsprechers verstärkte, sah er es mehrmals hintereinan der kurz aufblitzen, schon weit von der ZARKIET entfernt. »Ich hole dich zurück«, rief er ins Mikro phon. »Bleib, wo du bist.« »Sehr freundlich von dir«, kam es von Razamon zurück. »Falls es dich beruhigt: Ich hatte ohnehin nicht vor, einen längeren Spaziergang zu unternehmen.« Atlan lachte. Er lief auf die andere Seite des Hangars hinüber und aktivierte den zweiten Projektor, den er für unbeschädigt hielt. Der Sachverhalt lag klar auf der Hand. Ir gendwie mußten die Scuddamoren von der Ortung erfahren und geahnt haben, daß man versuchen würde, das Objekt an Bord zu ho len. Aber hatten sie genügend Zeit gehabt, beide Aggregate zu sabotieren? Atlan blieb keine Wahl – er mußte es ein fach versuchen. Razamon, der seinen Stand ort erneut durch Strahlschüsse markierte, be fand sich Minuten später wieder an Bord. Mit Riesenschritten eilte die Zeit dahin. Die Koordinaten, die er nun von der Gali onsfigur erhielt, speiste Atlan in aller Eile in die automatische Steuerung des verbliebe nen Projektors ein. Aus den zweihundert Ki lometern von vor wenigen Minuten waren inzwischen wieder mehr als dreißigtausend geworden. »Der Notruf ist verstummt«, sagte Artyl leinor und spornte den Arkoniden damit zu noch größerer Eile an. Endlich zeigten aufleuchtende Kontrollen, daß das Fesselfeld etwas eingefangen hatte. Atlan und Razamon warteten angespannt. Doch hätte keiner von beiden zu sagen ver mocht, worauf. »Autsch!« Ein plötzlicher Krampf in der linken Wade ließ Razamon zusammen zucken. »Was ist?« fragte Atlan, ohne sich zu ihm umzuwenden. Er starrte hinaus in die düste re Schwärze des Alls, als könne er dort
20 schon erkennen, was sich ihnen näherte. »Nichts«, wehrte Razamon ab. Und dann sahen sie es. Es hatte Ähnlichkeit mit einem Rauman zug. Aber als es langsam in den Hangar her einschwebte und zwischen Atlan und Raza mon aufsetzte, erwies es sich als eine Art Behälter, als länglicher Kasten mit vielen abgerundeten Ecken, zahlreichen Luken, Antennen und Aufbauten, deren Zweck vor erst unbestimmbar blieb. Das Ganze war ziemlich genau zwei Meter lang und durch maß nicht viel mehr als einen Meter. Atlan fühlte sich unwillkürlich an ein Raumschiff erinnert, und etwas Ähnliches mochte es wohl sein. Auch die Siganesen bauten Miniaturraumer von nur wenigen Metern Größe, die es an Beschleunigung und Reichweite mit jedem anderen aufneh men konnten. Weshalb sollte es nicht auch in den Randgebieten der Schwarzen Galaxis ein Volk geben, das in dieser Hinsicht den Siganesen oder gar den Swoon, jenen an wandelnde Gurken erinnernden MikroTechnikern aus der heimatlichen Milchstra ße, ähnelte. Für einen kurzen Moment lauschte Atlan in sich hinein, doch sein Logiksektor erhob keine Einwände. Also versuchte er, den Ka sten zu öffnen. Es blieb allerdings bei dem Versuch. »Vielleicht sollten wir unsere Schatten schilde abschalten, um eine Reaktion zu er zwingen«, schlug Razamon vor, der Atlans Bemühungen mit der Waffe in der Hand verfolgt hatte. Das »Nein« des Arkoniden klang endgül tig. »Wir schaffen den Kasten in die Zentra le. Dort sind wir ungestört, haben alle tech nischen Hilfsmittel zur Verfügung und kön nen außerdem auf Achtpforg und Artylleinor zurückgreifen.« »Mir ist nicht wohl dabei«, bekannte Raz amon. »Wenn wir uns nur kein Kuckucksei an Bord geholt haben.« Da keine direkte Gefahr zu bestehen schi en, sah Atlan keine Veranlassung, sich auf eine Diskussion über Sinn und Zweck seines
Hubert Haensel Vorschlags einzulassen. Oder war die Bedrohung so fremdartig, daß sie nicht als solche zu erkennen war? Ein leiser, nagender Zweifel, das unbe stimmte Gefühl, einen Fehler zu begehen, blieb. Der Kasten erwies sich als unerwartet leicht, was wahrscheinlich auf in seinem In nern arbeitende Antigravaggregate zurück zuführen war. Aber wo es noch genügend Energie gab, um die Schwerkraft zu beein flussen, da konnte ein eventuell vorhandenes Lebenserhaltungssystem noch nicht ausge fallen sein. Obwohl Atlan hinter Razamon ging, als sie, den Kasten zwischen sich tragend, den Hangar verließen, bemerkte er nicht, daß der Freund leicht hinkte, stärker jedenfalls als gewöhnlich. Seine Gedanken weilten an derswo. Und Razamon sagte nichts – weil es ihn selbst noch kaum belastete. Atlan fiel nur auf, daß die Scuddamoren sich überraschend ruhig verhielten. Nach den Ereignissen der letzten Stunde hatte er eigentlich erwartet, erneut angegriffen zu werden. Etwas ging vor, das glaubte er deutlich zu spüren. Leider war er völlig ahnungslos und muß te die Dinge auf sich zukommen lassen. Auch sein Extrasinn schwieg sich aus.
* Das Ding ist unheimlich. Von ihm geht etwas aus, das sich nicht näher beschreiben läßt … Sie hatten den Behälter mitten in der Zen trale abgesetzt. Atlan, der ihn nicht eine Se kunde lang aus den Augen ließ, schreckte auf, als er die Bemerkung seines Logiksek tors vernahm. Es stimmte … Irgend etwas hatte sich in den letzten Minuten verändert, seit sie alle den Kasten anstarrten. Aber was? Der Scuddamore Artin hatte seinen Platz nicht verlassen; der Gersa-Predogg neben ihm stand reglos, solange er keine neuen Be
Der Todesbote fehle erhielt. Atlan gewann den Eindruck, daß die ne gative Aura Achtpforgs sich verstärkt hatte und deutlicher spürbar geworden war. Auch die Ausstrahlung von Artins Schattenschild schien intensiver, irgendwie umfassender geworden zu sein. Fast schien es, als griffen die Mächte der Schwarzen Galaxis nach dem Schiff, als for derten sie Atlan, Razamon und Axton zu ei nem Zweikampf heraus, den nur einer ge winnen konnte. Eine unausgesprochene Dro hung lag in der Luft. »Unsinn!« Die Bemerkung Lebo Axtons zeigte, daß auch er ähnlich empfand. Täuschte Atlan sich, oder wurde die Beleuchtung innerhalb der Zentrale tatsächlich um eine Nuance dü sterer? Es ist dunkler geworden, stimmte der Extrasinn zu. Dunkler und kälter – psy chisch kälter. Vieles konnte die Ursache für die immer deutlicher spürbare Veränderung sein. Auf jeden Fall schien eine Verbindung zu dem seltsamen Behälter zu bestehen. Konkretisiere deine Empfindungen! forderte Atlan seinen Logiksektor auf. Ich kann es nicht. Diese Antwort war überraschend. Atlan entschloß sich daraufhin, den Kasten näher in Augenschein zu nehmen und nicht länger nur abzuwarten. So einfach das Gebilde in seinem Äußeren auch war, wenn es sich da bei wirklich um ein Miniaturraumschiff oder etwas Ähnliches handelte, mußte es in sei nem Innern überaus kompliziert aufgebaut sein. Dann mußte es Ortungsanlagen enthal ten, Bildschirme für eine Direktbeobachtung und Konverter, die alles mit Energie ver sorgten, auch die Öffnungsmechanismen der bisher verborgen gebliebenen Schleusen. Vorsichtig strich Atlan mit beiden Hän den über den Kasten. Dieser schien aus un zähligen Einzelteilen zu bestehen, die zu sammen ein kompaktes Ganzes ergaben. Das graue, stellenweise sogar schwarz schimmernde Metall der Hülle fühlte sich kühl an. Auch als der Arkonide für längere Zeit seine Hände auf eine Stelle legte, er
21 wärmte es sich nicht. »Geh bitte zurück, Atlan!« Der GrizzardKörper, der das Bewußtsein des ehemaligen USO-Spezialisten Sinclair Marout Kennon alias Lebo Axton in sich trug, hatte sich bisher nur darauf beschränkt, zu beobachten. Wenn er nun eine Feststel lung traf, konnte Atlan sicher sein, daß sie Hand und Fuß hatte. Weshalb also hätte er der Bitte nicht nachkommen sollen? »Und nun berühre den Kasten wieder!« Keine feststellbare Reaktion, wie auch immer sie geartet sein mochte. Nur erneut die Kälte, die langsam in Atlan emporstieg. »Für einen Augenblick glaubte ich, der Behälter hätte bei deiner Berührung zu leuchten begonnen«, sagte Axton. »Aber ich muß mich wohl getäuscht haben. Jetzt schimmert er wieder so matt wie zuvor.« Razamon umrundete den Kasten. Er zog sein linkes Bein stark nach. »Wir haben nur zwei Möglichkeiten, in Erfahrung zu bringen, was sich unter dieser Hülle verbirgt«, stellte er fest, und seine Stimme klang bitter. »Entweder stehen wir weiter hier herum und warten darauf, daß es jemandem oder etwas allmählich zu dumm wird und dieser von selbst herauskommt, oder wir wenden Gewalt an.« Seine Worte waren eine unmißverständli che Aufforderung, endlich etwas zu unter nehmen. Nein, dachte Atlan, wir sollten eine Kon taktaufnahme nicht mit Gewalt einleiten. »Razamon hat recht«, stimmte Axton/ Kennon völlig überraschend zu. »Der Not ruf, den Artylleinor empfing, brach plötzlich ab. Vielleicht weil die benötigte Energie knapp wurde, vielleicht aber auch, weil das Leben im Innern des Kastens, falls diese Vermutung stimmt, dem Tod nahe ist. Gerade deshalb sollten wir nicht länger zögern.« »Hm«, machte Atlan. Eine lautlose Stim me warnte ihn. Ruckartig wandte er sich dann zu Artin um: »Welche Bewandtnis hat es damit?« Er deutete auf den Behälter.
22 Der Scuddamore schwieg. Hast du etwas anderes erwartet? Selbst wenn er es wüßte, würde er dir nichts sagen. Täuschte Atlan sich, oder war Artins Schattenschild erneut eine Nuance dunkler geworden? Er hätte viel dafür gegeben, hätte er jetzt das Gesicht des Scuddamoren sehen können. Doch der Blick auf das, was sich hinter dem wallenden Energieschleier ver barg, blieb ihm verwehrt. Welcher Rasse des Marantroner-Reviers mochte Artin wohl ent stammen? War er ein Noot, ein Tamater, vielleicht ein Camagur oder gar ein Havare? Was würde sich ändern, wenn du es wüß test? Nichts, dachte Atlan verärgert. »Unternimm endlich etwas!« verlangte Razamon. »Oder soll ich …?« Atlan wandte sich einfach um. Noch ein mal fuhren seine Hände über das kühle Me tall, tasteten seine Fingerspitzen entlang haarfeiner Rillen. Doch nichts geschah. Wenn Lebo Axton recht hatte, und dafür sprach mindestens ebenso viel wie für jede andere Vermutung, dann mußte Atlan bald handeln. Im nächsten Augenblick hielt er seinen Strahler in der Hand und stellte ihn auf schärfste Bündelung ein. Er würde an einer der abgerundeten Ecken beginnen und eines der Seitenteile abschneiden. Wenn er Glück hatte, kam es dabei zu keinen nennenswer ten Beschädigungen. »Im ungünstigsten Fall erleben wir ein kleines Feuerwerk, und das Ding fliegt uns um die Ohren.« »Ich glaube nicht …« Razamon zuckte plötzlich zusammen. »Der Zeitklumpen«, stöhnte er, »macht sich wieder bemerkbar.« Seine Hände ver krampften sich um sein linkes Bein, ohne al lerdings das heftige Ziehen und Pulsieren lindern zu können. Fast körperlich spürte Atlan die nahe Ge fahr. Da schrie Lebo Axton warnend auf. Der Arkonide folgte seinem ausgestreckten Arm mit den Augen und wirbelte förmlich herum.
Hubert Haensel Der Kasten hatte begonnen, sich zu verän dern.
4. Gefahr für die ZARKIET Der Behälter schien aufzuglühen. Es war ein düsteres, kaltes Leuchten, das er verbrei tete, der Schattenaura eines Scuddamoren nicht unähnlich. Ein helles, singendes Geräusch ertönte, nahm schnell an Intensität zu, wurde lauter und überschritt gleich darauf die Grenze zum Unhörbaren. Einen Augenblick lang fühlte Atlan Kopfschmerzen, die jedoch ge nauso schnell wieder verschwanden, wie sie aufgetreten waren. Zurück blieb eine vor übergehende Leere, die der Arkonide sich nicht erklären konnte. Daß es seinen Gefähr ten ähnlich erging, bewiesen ihm ihre fra genden, erschrockenen Blicke. Strahlung? Parapsychische Impulse? Keines von beiden, mußte Atlan sich ein gestehen. Was er fühlte, war anders, unsag bar fremd – selbst sein Extrasinn schien da für keine Erklärung zu haben. Lebo Axton hielt seinen Arm noch immer weit ausgestreckt. Wie gebannt starrte er auf das, was sich unmittelbar vor ihm abspielte. Die Entscheidung, wie sie den Kasten öff nen sollten, war ihnen abgenommen worden. Zunächst war es nur eine kleine, kaum weni ge Quadratzentimeter messende Fläche, die nach außen aufklappte, dann aber spaltete sich der Behälter der Länge nach, Antennen kippten zur Seite und Aufbauten – schließ lich war der Spalt so breit geworden, daß die beiden Hälften, von ihrem eigenen Gewicht gezogen, auf den Boden polterten. Ein wahres Konglomerat tat sich auf. Der Kasten war so vollgestopft mit Technik, daß selbst ein Siganese vor Neid erblaßt wäre. Dennoch besaß er in seinem Innern sehr viel freien Raum. So viel, daß ein lebendes Wesen bequem darin Platz gefunden hatte. Zu spät, dachte Atlan bedrückt. Du hättest dich früher entscheiden sollen.
Der Todesbote Doch das Wesen war nicht tot, denn plötzlich zuckte ein dünnes Greifärmchen in die Höhe. Dem Arm folgten zwei winzige Füße, tellerförmige Gebilde, die sich rhyth misch zusammenzogen und wieder auswei teten und deren Funktion es wohl war, den Körper ähnlich einem Saugnapf auf jedem beliebigen Untergrund festzuhalten. Obwohl Atlan in seinem langen Leben den unglaublichsten Lebensformen begegnet war, benötigte er mehr als nur einige Augen blicke, um sich die Erscheinung des Wesens einzuprägen, das sich jetzt langsam aufrich tete. Es war eines der merkwürdigsten Ge schöpfe, die er jemals zu Gesicht bekommen hatte. Man stelle sich sechs stangenförmige Ge bilde vor, die mit organischen Greifärmchen ineinander verflochten waren, die Stangen in der Form eines geometrisch exakten Sechs ecks angeordnet, am unteren Ende jeweils zwei der winzigen Füße, die noch immer in schneller Folge pulsierten. In verschiedenen Höhen ragten aus den Stangen Tentakel mit gespaltenen Enden, jedes in drei kurze Fin ger auslaufend, mit denen das Wesen offen bar sehr gut greifen konnte. Im Nu hatte es sich an den beiden auseinandergebrochenen Hälften des Behälters angeklammert und zu seiner vollen Größe aufgerichtet. Wie das Wesen so dastand, bewegungslos und die Tentakel schräg abgespreizt, erinnerte es in seiner grünen Färbung eher an eine Gruppe exotischer Pflanzen, denn an ein lebendes Geschöpf. Jede der Stangen war ziemlich genau eineinhalb Meter hoch und hatte einen Durchmesser von rund dreißig Zentimetern. Oben endeten sie in halbrunden, verdickten Enden, den »Köpfen« des Wesens. Unter ei ner glasig wirkenden, dünnen Haut, die fast bis zum Zerplatzen gespannt war, strömte eine grünliche Flüssigkeit und pulsierten Or gane. Atlan glaubte, auf der ihm am näch sten befindlichen Stange so etwas wie ein Gehirn erkennen zu können. Als er genau hinsah, entdeckte er auch in den verdickten Enden der anderen fünf Stangen jeweils eine faustgroße graugelbe zerfurchte Masse, die
23 durch Sehnenstränge in der Schwebe gehal ten wurde. Sechs Gehirne … War jedes einzelne von ihnen selbständig, oder waren sie nur in ih rer Gesamtheit fähig, den Körper zu lenken? Vergeblich suchte Atlan nach Sinnesorga nen. Weder konnte er Augen entdecken noch Gehöröffnungen, noch fand er heraus, wie das Wesen Nahrung aufnahm. Auch als er von oben in den freien Raum zwischen den einzelnen Stangen hineinblickte, ver mochte er nichts zu erkennen. Ein Netz von ineinander verflochtenen Verbindungen ver sperrte ihm den Blick in den sicherlich vor handenen Hohlraum. War die Bewegung von vorhin, dieses Aufrichten aus dem auseinandergebroche nen Kasten, die letzte Lebensäußerung ge wesen? Fast schien es so, denn das Wesen reagierte nicht einmal auf eine flüchtige Be rührung. Es hatte sich mit seinen Füßchen am Boden festgesaugt und stand nun unver rückbar, wie eine aus Stein gemeißelte Sta tue. »Ich weiß nicht, was ich davon halten soll«, bekundete Axton/Kennon nach einer Weile. Razamon humpelte um das Wesen herum, betrachtete es von allen Seiten, kam aber ebenfalls zu keinem eindeutigen Ergebnis. Dem Beispiel Atlans folgend, schaltete auch er jetzt seinen Schattenschild ab, um es nicht durch die düstere Aura zu erschrecken oder gar zu Angriffsreaktionen zu provozieren. »Eigentlich sieht es harmlos aus und un gefährlich«, stellte er zögernd fest. »Aber seit wir es an Bord geholt haben, schmerzt der Zeitklumpen an meinem Bein. Wenn das kein schlechtes Zeichen ist …« Je länger Atlan die sechs ineinander ver flochtenen Stangen anstarrte, desto unruhi ger wurde er. Er hätte nicht zu sagen ver mocht, woher das Gefühl heraufziehender Gefahr rührte. Das Gefühl war einfach da und ließ sich nicht verdrängen. Dabei wußte Atlan nicht einmal zu sagen, ob der Besucher überhaupt intelligent war. Tot konnte er nicht sein, dagegen sprach die
24 nach wie vor in den Köpfen pulsierende Flüssigkeit – aber vielleicht ohne Bewußt sein. Ein Vergleich drängte sich geradezu auf – der Vergleich mit den Anfängen irdischer Raumfahrt. Seinerzeit hatten die Experten in Ost und West Tiere ins All geschossen, um an ihnen die Auswirkungen der Schwerelo sigkeit am lebenden Organismus zu erfor schen. In kleinen engen Kapseln, die gerade groß genug gewesen waren, um den Ver suchstieren ausreichende Bewegungsmög lichkeit zu lassen. Weshalb sollte es hier anders sein? Ob wohl im Marantroner-Revier die Raumfahrt bereits zur Perfektion entwickelt war, konnte es auch hier Völker geben, die in dieser Hin sicht noch in den Kinderschuhen steckten. Möglich, daß sie für den Neffen Chirmor Flog in jeder Hinsicht uninteressant waren und er ihnen deshalb wenigstens vorerst das bißchen Freiheit gelassen hatte, das sie besa ßen. Hatte Atlan also das Testtier einer unbe kannten Zivilisation vor sich? Denkbar wäre es schon gewesen, wenn gleich die Frage, wie der Behälter in den in terstellaren Raum gelangt war, offen blieb. Vielleicht basierte dessen Antriebssystem auf grundlegend anderen Erkenntnissen, als Atlan vermutet hatte. Aber das wiederum hätte bedeutet, daß die Technik des raum fahrenden Volkes weiter fortgeschritten war, als zunächst angenommen. Zudem konnte ein Flug über Lichtmonate oder gar Licht jahre hinweg nicht mehr ferngesteuert wer den – dazu bedurfte es eines denkenden, in telligenten Wesens, das selbständig handeln und Entscheidungen treffen konnte. War das Sechs-Stangen-Geschöpf demnach ein Raumfahrer? Verhielt es sich nur deshalb passiv, weil es über den unverhofften Kon takt mit fremden, ihm in ihrem Äußeren wohl gespenstisch und überaus plump an mutenden Intelligenzen erschrocken war? Erschrockener noch als Perry Rhodan und Bully, als sie damals auf dem Mond den ge strandeten Forschungskreuzer der Arkoni-
Hubert Haensel den entdeckt hatten. Staunend hatten sie der für ihre Begriffe unbegreiflichen Supertech nik gegenübergestanden. »Ich bin Atlan«, sagte der Unsterbliche und bemühte sich, das Garva-Guva des Ma rantroner-Reviers deutlich und akzentfrei auszusprechen. Vielleicht verstand sein Ge genüber, was er von ihm wollte. Und wenn nicht, dann mußte der leise Klang seiner Stimme zumindest dazu beitragen, die von Minute zu Minute deutlicher werdende Spannung ein wenig abzubauen. »Wer immer du bist, du befindest dich bei uns in Sicherheit.« Freund oder Feind – nur dies galt es zu nächst zu klären. Alles Weitere würde sich im Laufe der Zeit wohl von selbst ergeben. Nachdem Atlan keine Antwort erhalten hatte, versuchte er es ein zweites Mal. »Wenn es dich wirklich versteht«, sagte Axton, »dann muß es doch überaus verstört sein, möglicherweise sogar unter Schockein wirkung stehen.« Es war offensichtlich, daß man gegensei tig nichts miteinander anzufangen wußte. Da war zum einen ein Wesen, das der Phantasie irgendeines genialen Künstlers entsprungen sein konnte – fremd und fast unwirklich. Starr und stumm, wie angewurzelt, stand es da, nur durch das gleichmäßige Pulsieren seiner Körperflüssigkeit verratend, daß noch Leben in ihm steckte. Zum anderen Atlan, Razamon und Axton, die sich zum wieder holten Mal fragten, ob eine Verständigung überhaupt möglich sein konnte, ob hier nicht grundlegend verschiedene Welten aufeinan dergestoßen waren. Dagegen sprach allerdings die Tatsache, daß die Galionsfigur deutliche Notsignale empfangen hatte. Das war es, was Atlan bei allen seinen Überlegungen außer acht gelassen hatte. Schnell schaltete er eine Direktverbindung in die Bugkuppel der ZARKIET. »In welcher Sprache war der Notruf abge faßt?« wollte er wissen. »In keiner«, antwortete Artylleinor. »Es handelte sich um die in unserem Revier ge
Der Todesbote läufige Impulsgruppe.« Also doch! Atlan schaltete ab und wandte sich wieder dem fremden Geschöpf zu. Die Aussage der Galionsfigur war der unwider legbare Beweis dafür, daß dieses Wesen mindestens einmal mit Scuddamoren oder einer der anderen raumfahrenden Rassen zu sammengetroffen war. Unter Umständen würde eine Untersu chung des Behälters die erhofften Hinweise erbringen. Atlan bat Razamon und Axton, sich darum zu kümmern, während er selbst sich dem Scuddamoren Artin zuwandte. »Du kennst Wesen dieser Art!« behaupte te Atlan frei heraus. Das rasche »Nein«, das er als Antwort erhielt, klang unglaubwürdig. Artin schien mehr zu wissen, als er zugab. Auch hatte Atlan das unbestimmte Gefühl, daß der Scuddamore viel von seiner alten Selbstsicherheit zurückgewonnen hatte, seit sich der Kasten in der Zentrale befand. Aber es war nur eine Ahnung, keineswegs zu kon kretisieren, eher aus der augenblicklichen Stimmung heraus entstanden, projizierbar in der Haltung Artins und im Ausdruck seines Schattenschilds. Bestand am Ende eine Verbindung zwi schen dem stummen Fremden und den Dunklen Mächten der Schwarzen Galaxis? Resultierten daraus die unerklärlichen Schmerzen, die der Zeitklumpen Razamon wieder verursachte? Lebo Axton brach die entstandene Stille: »Was der Kasten an technischen Innerei en beherbergt, muß uns vorerst wohl unver ständlich bleiben. Es könnte sich durchaus um ein Lebenserhaltungssystem handeln, das aber ebenso fremdartig ist wie das We sen, das daran angeschlossen war. Einige Antriebsaggregate noch, die aber keinesfalls ausreichend sind, um lichtjahreweite Entfer nungen zu überbrücken. Mehr läßt sich schon jetzt auf keinen Fall sagen.« »Keine große Reichweite?« murmelte At lan. Die nächste Sonne war vom augenblick lichen Standort der ZARKIET immerhin mehr als vier Lichtjahre entfernt. Weshalb fragst du? Du hast es doch deut
25 lich gehört. Dein Verhalten ist irrational, Atlan. Ich weiß – ich sollte das Wesen und sei nen Behälter schnellstens aus der Zentrale entfernen. Aber wohin? Solange wir vor Ar tins Gefolgsleuten nicht sicher sind, würde ich die Gefahr damit nur noch vergrößern Das ist deine Entscheidung. Ich wollte dich warnen. Weshalb erst jetzt und nicht schon eher? fragte Atlan in Gedanken. Doch der Logik sektor schwieg und ließ ihn mit den erneut aufkeimenden Befürchtungen allein. Wenn jemand die Antwort wußte, dann Achtpforg, der aus dem Zentrum der Schwarzen Galaxis stammende GersaPredogg. Roboter seines Typs waren Berater der Neffen und dienten ihnen gleichzeitig als Nachrichtenübermittler. Dabei konnte Atlan sich noch immer nicht sicher sein, ob nicht alles, was geschah, dem Dunklen Oheim übermittelt wurde, ob nicht die geheimnisvolle Zentrale, irgendwo, Tau sende von Lichtjahren entfernt, Einfluß auf Achtpforg nahm, ohne daß er dies bemerkte. Vielleicht würde der Roboter lügen … Zu Atlans Überraschung gestand Acht pforg wortwörtlich, das Stangenwesen zu kennen. »Die Rasse der Stangenwesen«, verbes serte der Unsterbliche. »Dieses Wesen«, behauptete der GersaPredogg. Atlan witterte zu Recht Gefahr. Aber noch ehe er reagieren konnte, hallte der Schrei durch die ZARKIET. Es war ein wilder, unmenschlicher Schrei, in höchster Verzweiflung oder gar Todes angst ausgestoßen. Etwas Grauenvolles mußte geschehen sein. Atlan wußte sofort, wer den Schrei ausge stoßen hatte: Artylleinor. Niemand außer ihr konnte die Lautspre cher eingeschaltet haben. Razamon wollte etwas sagen, brachte aber kein Wort über seine Lippen. Stöhnend sank er in die Knie, mit den Fäusten auf sein lin
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kes Bein trommelnd, als könne er dadurch den schier unerträglichen Schmerz vertrei ben, der ihn wie aus heiterem Himmel über fallen hatte. Noch einmal gellte ein Schrei durch die ZARKIET. Selbst Atlan erschauderte.
* Der Weltraum … Das Organschiff in der Form eines dop pelten, längs nebeneinander liegenden und mit einer Kuppel am Bug verbundenen Fas ses hatte seine irrsinnigen Flugmanöver be endet und begonnen, wieder zu beschleuni gen. Sein Kurs war eindeutig: Das Schiff wollte das MarantronerRevier verlassen. Aber noch war die für das Linearmanö ver erforderliche Eintauchgeschwindigkeit nicht erreicht, als erneut Unregelmäßigkei ten auftraten. Die Schubkräfte versiegten, kleinere Bremsdüsen zündeten. Und dann war da plötzlich – wie aus dem Nichts herbeigezaubert – ein weiteres Schiff. Ein Organschiff, wie die dunkle, zernarbte Außenhülle erkennen ließ. Im Vergleich zu dem anderen war es win zig. Dennoch strahlte es eine Machtfülle aus, der das Doppelfaß nichts entgegenzu setzen hatte. Die Entfernung zwischen beiden wurde zusehends geringer …
* Die Galionsfigur! durchzuckte es Atlan siedendheiß. Der zweite Schrei war so ab rupt abgebrochen, daß man fast schon mit dem Schlimmsten rechnen mußte. Aber was war ein Organschiff ohne sei nen Lotsen? Hilflos, zum freien Fall durch die Unendlichkeit verurteilt, ohne die Mög lichkeit zu manövrieren. Irgendwann wür den die vorhandenen Energievorräte aufge braucht sein und die Sauerstoffversorgung zusammenbrechen. Die Besatzung würde den Tod ihres Schiffes selbst in den Raum-
anzügen nur um wenige Stunden überleben. – Eine kärgliche Frist, die nur die Verzweif lung, das vergebliche Hoffen auf Rettung ein wenig verlängern würde, denn man be fand sich schon fern aller Schiffahrtsrouten. Atlan schaltete in die Transparentkuppel der ZARKIET durch – mehr konnte er von der Zentrale aus nicht tun. Das Bild, das sich ihm bot, verschlug ihm beinahe den Atem. Obwohl mit Dutzenden von Anschlüssen auf Gedeih und Verderb mit der Maschinerie des Organschiffs verbunden, schlug Artyl leinor wie besessen mit den Flügelstummeln um sich. Mehrere Kabelstränge hatten sich bereits gelöst; Blut kennzeichnete die Stel len, wo sie mit den Nerven der Galionsfigur verbunden gewesen waren. Schuld daran war das Wesen, das sich mit zerbrechlich wirkenden Ärmchen im Nacken der Gali onsfigur festgekrallt hatte. Es ließ sich nicht abschütteln. Immer wieder zuckte Artylleinor wie un ter heftigen Stromstößen zusammen, bäumte sich auf und versuchte, dem Peiniger zu ent kommen. Aber die einzige natürliche Waffe, mit der sie sich hätte zur Wehr setzen kön nen, ihr gebogener Schnabel, schien kraftlos. Artylleinor wurde förmlich gerupft. Im mer mehr bunte Federn wirbelten durch die Kuppel, legten sich auf die Objektive der Kameras und behinderten die Übertragung. Ein stangenähnliches grünes Gebilde quälte den Lotsen der ZARKIET. Atlan wir belte herum, von Entsetzen und Wut ge schüttelt. Er hatte richtig vermutet. Das SechsStangen-Geschöpf war nicht mehr vollzäh lig. Von allen unbemerkt, mußte sich eine von ihnen gelöst haben und war – auf wel che Art und Weise auch immer – im Bug der ZARKIET verschwunden. Damit wurde zwar keineswegs die Frage nach der Intelli genz des Fremden beantwortet, wohl aber bestätigt, daß es sich um sechs im Kollektiv zusammenlebende einzelne Wesen handelte. Instinktiv hatte Atlan seinen Strahler ge zogen und auf den gefährlichen Besucher gerichtet. Er wurde sich dieser Tatsache al
Der Todesbote lerdings erst bewußt, als fünf Stangen mit wahnwitzigem Tempo in verschiedene Rich tungen auseinanderliefen. Sie flohen – so schnell, daß das Auge ihnen kaum zu folgen vermochte. Atlan konnte nicht schießen, ohne die technische Einrichtung der Zentrale zu ge fährden. Seine Aufmerksamkeit konzentrier te sich deshalb auf das ovale, eiförmige Ge bilde, das dort zurückgeblieben war, wo die Stangen Sekunden vorher noch gestanden hatten. Es schien von innen heraus zu leuch ten, in einem düsteren, Gefahr verheißenden Licht. Alles ging so schnell, daß auch Razamon und Lebo Axton die fünf Mitglieder des multiplen Wesens nicht aufhalten konnten, als diese den Raum verließen und irgendwo im Schiff verschwanden. Nicht nur, daß sie damit praktisch außer Reichweite waren, die Gefahr bestand, daß sie sich mit den Scud damoren verbündeten und mit ihnen zusam men um so nachhaltiger zuschlugen. Zwar wußte Atlan nun, was den Hohl raum zwischen den sechs Stangen ausgefüllt hatte, doch was ließ sich mit dieser Erkennt nis schon anfangen. Er war überzeugt davon, daß das leuchtende Ei eine nicht zu unter schätzende Gefahr bildete. Obwohl es eben so unbeweglich schien wie zuvor die um es herum gruppierten Wesen. Nicht eine Se kunde lang ließ er es aus den Augen. Axton hatte die Bildschirme beobachtet. Jetzt stöhnte er auf. »Die Stange in der Kuppel ist spurlos ver schwunden.« »Was ist mit Artylleinor?« wollte Atlan wissen. »Sie blutet aus vielen Wunden und hat an scheinend das Bewußtsein verloren. Oder …« Axton zögerte, als wage er nicht, an die möglichen Konsequenzen zu denken. »Oder …« stieß er dann abrupt hervor, »… sie ist tot.« Zögernd näherte sich Atlans Finger dem Auslöser seiner Waffe. Weshalb sollte er das Ei noch schonen? Der vermeintliche Schiff brüchige hatte sich als Feind erwiesen und
27 erbarmungslos zugeschlagen. »Das würde ich nicht tun!« Hart und be fehlsgewohnt stand plötzlich Artins Stimme im Raum. »Was?« fragte Atlan nur, ohne sich umzu wenden. Er befürchtete, daß der Scuddamo re ihn ablenken wollte. »Niemand schießt ungestraft auf den To desboten eines Koordinators der Ewigkeit!« Auch ohne den Hinweis seines Logiksek tors erkannte Atlan, daß Artin Angst hatte. Angst davor, selbst mit zur Rechenschaft ge zogen zu werden, wenn Atlan jetzt schoß. Er ließ die Waffe sinken. Die Bezeichnung Ko ordinator der Ewigkeit sagte ihm mehr, als ihm lieb sein konnte. Namenloses Grauen war damit verbunden, Entsetzen über das Schicksal Hunderttausender intelligenter Le bewesen Tolfex! erinnerte der Extrasinn. Zögernd, als schrecke er davor zurück, die Geschehnisse, die auf Ghyx ihren Anfang genommen hatten, noch einmal zur Sprache zu bringen. Es waren keine angenehmen Er innerungen – für Atlan noch weniger als für seinen Extrasinn. Der Scuddamore Artin verband sich mit ihnen und sechzehn schwarze, sternförmige Transporter. Begonnen hatte alles im Stadtstaat Kudo naber auf dem Planeten Ghyx. In Tolfex' Auftrag war von Robotern eine großange legte Impfaktion unter den Eingeborenen durchgeführt worden. Die Betroffenen wa ren bald darauf in einen scheintoten Zustand versunken und in den Vorhallen der Ewig keit gelagert worden. Seine Neugierde und die intensiv betrie benen Nachforschungen hatten Atlan in Schwierigkeiten gebracht, die ohne Artin si cher noch größer gewesen wären. Dennoch war es ihm schließlich gelungen, sich bis zu Tolfex' Schiff durchzuschlagen, jedoch ohne daß er diesen selbst zu Gesicht bekommen hätte. Und obwohl er eine Falle witterte, be gab er sich an Bord eines der sechzehn Transporter, um sich persönlich vom Wohl ergehen der Geimpften zu überzeugen. Was folgte, war ein Flug des Grauens, verbunden mit dem Verlust des Extrasinns
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und der Erkenntnis, daß die verschleppten Ghyxaner kein anderes Schicksal erwartete als das, Rohstoffquelle für den Bau neuer Organschiffe zu sein. »Also doch ein Kuckucksei«, schloß Raz amon aus dem, was Artin gesagt hatte. »Aber so leicht lassen wir uns nicht aus dem Nest werfen.« Ohne darauf einzugehen, fragte Atlan: »Befindet sich ein Koordinator der Ewig keit in unserer Nähe?« Der Scuddamore schwieg. »Handelt es sich gar um Tolfex?« »Ich nehme es an.« »Aber – wie konnte der Koordinator uns aufspüren?« Artins Lachen klang spöttisch. »Du unterschätzt uns, Atlan, uns und die Macht des Dunklen Oheims. Seiner Strafe kann niemand entgehen.« »Wie?« wollte nun auch Lebo Axton wis sen. Artin machte einige hastige Schritte auf Atlan zu. Wieder lachte er laut auf. »Du bist ein Narr, Atlan!« stellte er fest, und seine Stimme troff förmlich vor Hohn. »Sonst hättest du eine solche ›Kleinigkeit‹ wie den Programmschlüssel für den GersaPredogg nicht übersehen. Ich erhielt ihn von Tolfex. Und wenn jemand den Impulsen fol gen kann, die dieser Schlüssel aussendet, ist es ein leichtes, ihn jederzeit wiederzufinden. – Gib ihn mir jetzt zurück!« »Nicht freiwillig«, sagte Atlan. »Es gibt Mittel und Wege, dich zur Her ausgabe zu zwingen«, fuhr Artin fort. »Ich wußte, daß Tolfex mich nicht im Stich las sen würde. Sein Todesbote hat uns bereits gefunden und dir einen Vorgeschmack von dem vermittelt, was dich erwartet.«
* Nur Minuten vergingen … Artylleinor war ausgefallen. Die Ortungen funktionierten nicht mehr, die Triebwerke der ZARKIET hatten aufgehört zu arbeiten – das Schiff driftete antriebslos durch den
Raum. Atlan litt. Irgendwie war Artylleinor ihm ans Herz gewachsen, vielleicht als Folge des intensiv durchlebten mechanischtelepathi schen Kontakts. Zusehen zu müssen, wie die gequälte Kreatur starb, ohne helfen zu kön nen, war das Schlimmste, was man dem Ar koniden antun konnte. Er war deshalb froh darüber, daß der Fun kempfänger unverhofft ansprach. Die Sen dung konnte nur für die ZARKIET bestimmt sein, denn sie kam nicht über Hyperfunk, sondern auf einer Normalwelle. Was letzt lich bedeutete, daß der Sender sich in der Nähe befinden mußte. Eine Stimme ertönte, die Arroganz und das Bewußtsein unbezwingbarer Macht mit einander verband. »Ich rufe Atlan an Bord der ZARKIET. Ich bin gekommen, um Artin und seine Be satzung zu übernehmen – nun, da die ZAR KIET nur noch ein flugunfähiges Wrack ist.« Tolfex? fragte sich Atlan sofort. Er ist es. »Ich sagte es«, triumphierte Artin. »Du hast das Spiel verloren, auch wenn du es noch nicht einsehen willst.« »So einfach kapituliere ich nicht …« »Du hast keine andere Wahl. Die Galions figur ist ausgeschaltet, wie willst du dich wehren?« »Atlan, da!« Aufgeregt deutete Axton auf einen der Bildschirme, die die unmittelbare Umgebung der ZARKIET zeigten. Die Übertragung erfolgte automatisch, lediglich der Tele-Bereich mußte manuell gesteuert werden. Ein kleines, dunkles Organschiff näherte sich. Es verzögerte und ging anschließend längsseits. Atlan erkannte den Raumer sofort als Tol fex' Schiff. »Besteht die Funkverbindung noch?« Axton nickte. Atlan zog daraufhin das Mikrophon zu sich heran. »Du hast mir einmal eine Falle gestellt, Tolfex. Glaube ja nicht, daß ich das verges sen habe.«
Der Todesbote Die Antwort kam überraschend schnell. »Ich hatte nicht erwartet, dir noch einmal zu begegnen, Atlan. Es ist mir immer noch unverständlich, wie du den Stern der Läute rung lebend wieder verlassen konntest.« »Du meinst, man hätte mich lieber als Be standteil eines Organschiffs gesehen …« Atlan wartete darauf, daß sich das Abbild des Koordinators der Ewigkeit endlich auf dem Schirm abzeichnete, doch die Übertra gung zeigte nichts als ein wesenloses düste res Wallen. Was verbarg sich hinter der hochtrabenden Bezeichnung? Ein Scudda more? Der Gedanke, den Koordinator zu über wältigen, erschien zwar verlockend, war aber in der augenblicklichen Situation un durchführbar. Solange der Todesbote unge hindert sein Unwesen treiben konnte, war jegliche Hoffnung Illusion. Als hätte allein schon der Gedanke mate rialisierende Wirkung, erschien das multiple Wesen wieder in der Zentrale. Die sechs Stäbe gruppierten sich um das leuchtende Ei herum, das noch in keiner Weise verraten hatte, ob es besondere Fähigkeiten besaß. Vielleicht war es das eigentliche Gehirn, das die Handlungen des Todesboten lenkte, das die ZARKIET aufgespürt und Tolfex herbei gerufen hatte. Razamon hielt plötzlich einen Strahler in der Hand. Aus der Hüfte heraus feuerte er. Im gleichen Moment, als er auf den Aus löser drückte, warf Artin sich von hinten auf ihn. Zischend fraß sich der Energiestrahl un mittelbar neben dem Todesboten in den Bo den. Die Waffe wurde Razamon aus der Hand gerissen. Er fühlte den Schattenschild über sich, ohne Artin jedoch greifen zu kön nen. Der Scuddamore war zu schnell in sei nen Bewegungen, und Razamon wurde nicht nur durch den erneut Schmerzen verursa chenden Zeitklumpen an seinem Bein behin dert, sondern auch durch die Aura des Schil des, die sich wie ein eisernes Band um sei nen Brustkorb legte und ihn am Atmen hin derte. Es war unzweifelhaft der Todesbote, der
29 Artin die starke negative Ausstrahlung eines Gersa-Predogg verlieh. Fast war es so wie bei der Begegnung mit Zwalltorg; selbst die Kräfte eines Berserkers konnten dem unheil vollen Einfluß nicht lange widerstehen. Be nommen sank Razamon zu Boden. »So ergeht es jedem, der glaubt, stark ge nug zu sein, um es mit mir aufzunehmen«, meldete sich Tolfex erneut. »Wer die War nung nicht ernst nimmt, stirbt.« Atlan hatte hoch gespielt und verloren. Vielleicht, wenn er das Goldene Vlies noch besessen hätte … Doch darüber nachzuden ken, war müßig. »Was verlangst du von uns?« Er war ge zwungen, nachzugeben. »Nur den ungehinderten Abzug der Scud damoren. Ihr bleibt an Bord der ZARKIET zurück.« Angesichts der hilflosen Lage, in der At lan und seine beiden Begleiter sich befan den, war die Forderung nach ungehindertem Abzug blanker Hohn. Selbst wenn man die Möglichkeit dazu gehabt hätte, man hätte die Scuddamoren nicht zurückhalten kön nen. Ein wahrhaft edles Angebot, bekundete der Logiksektor zynisch. Ohne Galionsfigur ist die ZARKIET wertlos. Ein fliegender Sarg, in dem wir zurückgelassen werden sol len. Solange wir am Leben sind, gibt es Hoff nung für uns, gab Atlan lautlos zurück. Es hätte durchaus schlimmer kommen können. Auf den Bildschirmen war zu erkennen, daß die ersten Scuddamoren zum Organ schiff des Koordinators überwechselten. Ar tin folgte dem Todesboten, der die Zentrale verließ, verhielt jedoch vor dem offenen Schott und kam dann noch einmal zurück. »Den Programmschlüssel!« forderte er. Gib ihn ihm! Der Gersa-Predogg kann dir keine Hilfe mehr sein. Aus einer Tasche seiner graublauen Uni formkombination zog Atlan den Schlüssel hervor. Sein Extrasinn hatte recht, er konnte nichts mehr damit anfangen. »Ich sehe, du wirst vernünftig«, sagte Ar
30 tin. Und wie zum Abschied erklärte er: »Normalerweise hätte Tolfex dich und deine beiden Kumpane sofort getötet. Nur dem Umstand, daß ihr euch so viel habt zu schulden kommen lassen, verdankt ihr vor erst noch euer Leben. Ein Strahlschuß wäre viel zu schnell. Tolfex hat für euch einen langsamen, qualvollen Tod bestimmt. Ihr sollt an Bord der steuerlos durch den Raum treibenden ZARKIET sterben. Vor allem du, Atlan, wirst genügend Zeit haben, darüber nachzu denken, daß Chirmor Flog jede Rebellion noch im Keim erstickt.« Damit verschwand auch Artin, gefolgt von Achtpforg, der ihm allem Anschein nach den Willen des Koordinators übermit telt hatte. Minuten später schloß sich die Luke von Tolfex' Schiff. Es beschleunigte und war in nerhalb weniger Sekunden aus dem Erfas sungsbereich der Kameras entschwunden. An Bord der ZARKIET herrschte die Stil le des Todes. Sämtliche Aggregate hatten aufgehört zu arbeiten, selbst das monotone Ticken der Kursschreiber war verstummt. Zum Sterben verurteilt Was unter dem an gehäuften Schnee zum Vorschein kam, war leuchtend gelb. Eine böse Vorahnung erfüll te Perkat, während er sich niederließ und – ungeachtet seiner Abneigung – den Schnee mit den Händen beiseite schaufelte. Er legte einen Arm frei und das Schulterteil eines Raumanzugs. Der Helm folgte. Da der Be dauernswerte mit dem Gesicht nach unten lag, konnte Perkat nicht erkennen, wen er vor sich hatte. Aber soweit er wußte, hatte in den letzten Stunden nur Zortan die primiti ven Behausungen verlassen. Doch weshalb lag er hier, unmittelbar neben einer der Hüt ten? Hatte er seinen Weg nicht angetreten? Perkat erschrak, als er die Beschädigungen des Raumanzugs erblickte. Für kurze Zeit hielt er inne. Unter diesen Umständen konn te Zortan nicht mehr leben. Schnee und Eis mußten durch die Löcher in seinen Anzug eingedrungen sein und ihn getötet haben. War es nicht besser, den Leichnam vorerst
Hubert Haensel wenigstens liegen zu lassen? In wenigen Ta gen würde Zortan den Übergang zu den Welten des Jenseits vollzogen haben, würde in die Ewige Wärme aufgenommen werden. Dann konnte man seinen steifgefrorenen Körper in eine der Hütten bringen und dem Feuer übergeben – falls nicht vorher ein Raumschiff landete, um die Schiffbrüchigen zu retten. Perkat bemerkte nicht, daß sich et liche Meter hinter ihm eine Tür öffnete und jemand die glockenförmige Behausung ver ließ. Deshalb zuckte er auch zusammen, als er unverhofft von hinten angestoßen wurde. Villig-Ter beugte sich über ihn. Sie be deutete ihm, den Helmfunk einzuschalten. Dadurch würde zwar die Heizleistung vor übergehend reduziert werden, doch hatte das Gespräch Vorrang. Villig-Ter deutete auf den leblosen Trugen. Ihre Miene drückte Besorgnis aus. »Es ist Zortan«, platzte Perkat unüberlegt heraus. Was er damit angerichtet hatte, er kannte er erst, als die Frau sich förmlich über ihren Gefährten warf. Er half ihr dabei, ihn umzudrehen. Beide starrten die dann auf Zortans halb eingefahrenen Organköcher, dessen sichtba rer Teil mit einer dünnen Reifschicht über zogen war. Unbeweglich ragten die Sinnes fühler aus der Öffnung. »Nein«, quakte Villig-Ter. »Nicht Zort an.« »Er ist für uns alle gestorben.« Perkat konnte nicht anders, als die unvermeidliche Pflicht zur Sprache zu bringen. »Er hat den Befehl bis zuletzt ausgeführt. Er war ein treuer Diener des Neffen.« »Das war er, wie wir alle«, stimmte Vil lig-Ter zu. »Duuhl Larx kann stolz auf ihn sein.« Perkat wippte zustimmend mit seinen Sprachfühlern. »Und nun hilf mir, ihn in die Hütte zu tra gen.« »Die Zeit ist noch nicht …« »Ich weiß. Doch soll Zortan die Kälte des Eises mitnehmen zu den Welten des Jen seits? Mit einer letzten Kodierung werde ich
Der Todesbote ihm den Weg erleichtern …« Sie hoben den leblosen Körper hoch. Da bei stellten sie fest, daß der Raumanzug mehr als ein Dutzend kleiner Löcher und Risse aufwies. »Was, bei den wärmenden Strahlen der Sonne, mag geschehen sein?« fragte VilligTer. »Ich habe keine Erklärung dafür«, ant wortete Perkat. »Ich fürchte mich«, sagte die Frau plötz lich. »Mir ist, als würden wir beobachtet.« In ihren eigenen Spuren stapften sie zur Hütte zurück. Perkat fiel das durchgeschnit tene Kabel ein. Hatte Zortan sterben müssen, weil er jemanden beim Versuch der Sabota ge überrascht hatte? Auch er fühlte sich mit einemmal unbe haglich, schrieb dieses Gefühl aber der wei ßen Landschaft zu, die für einen Trugen ein bedrückender Anblick war. Perkat sah sich um. Jetzt erst bemerkte er die drei glühenden Punkte im Schnee. Sie schienen ihn anzustarren und jede seiner Be wegungen aufmerksam zu verfolgen. Instinktiv wußte er, daß er den Mörder Zortans vor sich hatte. »Schnell!« schrie er Villig-Ter zu. »In der Hütte sind wir sicher.« Falls sie angegriffen wurden, konnte er sich nicht einmal verteidigen. Er trug zwar Waffen bei sich, doch hatte er deren Ener giemagazine zur Versorgung der Funkanlage ausgebaut. Als hätten die drei Punkte erfaßt, daß ihre Beute zu entkommen drohte, schnellten sie sich vorwärts. Im einen Moment sah Perkat noch einen langgestreckten, weißen Körper auf sich zufliegen, im nächsten fühlte er be reits einen stechenden Schmerz in seinem Bein. Sofort warf er sich herum. Er bekam et was Weiches, Nachgiebiges zu fassen und zerrte mit aller Kraft daran. Stoff zerriß, und die wohltemperierte Atemluft innerhalb des Raumanzugs ver mischte sich mit beißender Kälte. Die Wir kung auf Perkat war, als hätte er einen
31 Schlag auf den Köcher erhalten. Er taumelte, hatte aber noch immer die Kraft, das weiche Etwas mit den drei glühenden Augen weit von sich zu schleudern. Wie aus weiter Ferne drang Villig-Ters Stimme an seine Hörorgane. Er verstand nicht, was sie sagte, bis eine kräftige Hand ihn packte und in die Hütte zerrte. Perkat hörte noch, daß hinter ihm etwas gegen die Außenwand prallte, dann forderte die in seinen Anzug eingedrungene Kälte ihr Recht.
* Die Zeit ist knapp! Auch ohne die drängende Bemerkung sei nes Extrasinns wußte Atlan, daß es um Mi nuten ging. Tolfex' kleines Organschiff war noch nicht aus dem Erfassungsbereich der Optiken verschwunden, als er bereits die Zentrale verließ und in Richtung Bugkuppel rannte. Er sah nicht mehr Razamons und Axtons fragende Blicke, bemerkte nicht, daß sie aufsprangen und ihm folgten. Atlan hastete durch die Gänge. Nicht überall brannte die Beleuchtung noch, an manchen Stellen flackerte sie oder war schon völlig erloschen. Ein deutliches Zei chen, daß es schlecht um die Galionsfigur stand, wenn nicht einmal so relativ unbedeu tende Schaltungen, die ausschließlich vom vegetativen Nervensystem des Lotsen ge steuert wurden, aufrechterhalten werden konnten. Ein Schott öffnete sich nicht. Atlan verlor wertvolle Zeit, weil er es umständlich von Hand betätigen mußte. Währenddessen holten seine Freunde ihn ein. »Was hast du vor?« rief Razamon. Atlan antwortete nicht, sondern lief weiter, kaum daß die Öffnung groß genug war, daß er sich hindurchzwängen konnte. Dann – endlich – hatte er die Bugkuppel erreicht. Was er sah, bestätigte seine schlimmsten Befürchtungen. Artylleinor gab keine Lebenszeichen von sich. In sich zusammengesunken, hing sie inmitten ihres Lebenserhaltungssystems; nur die unzähligen Kabelverbindungen und An
32 schlüsse, die sie mit dem Organschiff ver banden, hielten ihren Oberkörper noch halb wegs aufrecht. Der Kopf des vogelähnlichen Wesens hing kraftlos zur Seite, der mächtige Schna bel war weit aufgerissen. Auch die Nickhäu te waren geöffnet. Atlan folgte dem Blick der leblos wirken den Augen: Er schien in die Unendlichkeit zu führen. Der Todesbote hatte tiefe Wunden im Nacken des Lotsen hinterlassen. Fast kahl gerupft war Artylleinor an manchen Stellen, während an anderen geronnenes Blut die bunten Federn verklebte. »Wenn sie nicht schon tot ist, dann geht es doch mit ihr zu Ende«, bemerkte Lebo Axton bedrückt. Er und Razamon hatten gleich hinter Atlan die Kuppel betreten. »Sie ist schwer verletzt«, nickte der Arko nide. »Aber zum Glück lebt sie noch.« Mit der Hand strich er über die Atemöffnungen auf der Oberseite des hornigen Schnabels. Ein schwacher Luftzug verriet ihm, daß Ar tylleinor noch atmete. »Ich glaube nicht, daß wir ihr noch helfen können«, stellte Razamon fest. »Andernfalls hätte Tolfex uns nicht an Bord zurückgelas sen.« Sein Gesichtsausdruck blieb zwar hart, doch wer ihn genauer kannte, wußte, daß er sich Sorgen machte. »Selbst der Koordinator der Ewigkeit ist nicht unfehlbar«, sagte Atlan. »Auch er kann etwas übersehen. Wir besitzen durchaus die Möglichkeit, Artylleinor zu retten oder ihr Leben zu verlängern, bis wir in Sicherheit sind.« »Ich kann mir nicht vorstellen …«, be gann Razamon, unterbrach sich dann jedoch. »Oder? Aber du wirst doch nicht …? Wir haben niemanden an Bord, der …« »Du und Lebo«, grinste Atlan, obwohl ihm keineswegs so zumute war. »Seid ihr niemand?« »Razamon meint, daß er kein Blut sehen kann«, eröffnete Axton völlig überraschend. Der Pthorer explodierte daraufhin förm lich.
Hubert Haensel »Ein Berserker aus der Sippe der Knyr kann sehr wohl …« Da erst bemerkte er, daß Axton ihn nur hatte auf den Arm nehmen wollen. »Also gut«, sagte er. »Ich mache es. Allerdings auf deine Verantwortung.« »Und du, Lebo?« »Selbstverständlich. Als ehemaliger USOSpezialist kann ich auch operieren, wenn gleich ich kaum fähig bin, einem Ara das Wasser zu reichen. Außerdem gibt es wohl keinen anderen Weg.« »Es gibt keinen«, nickte Atlan. Ein letzter Blick streifte das Vogelwesen, dessen Kör per hin und wieder konvulsivisch zuckte. Er hätte auch mit Medikamenten versuchen können, Artylleinor aus der Bewußtlosigkeit aufzuwecken, doch wäre dies sicherlich der falsche Weg gewesen. Zögernd nur wandte Razamon sich ab und verließ die Kuppel. Ihm war deutlich anzu sehen, wie wenig wohl er sich in seiner Haut fühlte. Seltsam … Atlan mußte plötzlich daran denken, daß auch ein relativ Unsterblicher an den Folgen einer stümperhaft ausgeführ ten Operation sterben konnte. »Bringen wir es rasch hinter uns!« ent schied er.
* Dreißig Minuten später war der Arkonide wieder auf den Beinen und fühlte sich sogar, den Umständen entsprechend, leidlich wohl, was aber nicht zuletzt den belebenden Impulsen seines Zellaktivators zu verdanken war, den er in der Hand hielt. Er betrachtete die fachmännisch verklebte Wunde auf seiner Brust und nickte dann zu frieden. »Ihr beide wart fast besser als die Mediziner der Scuddamoren. Wenn wir je mals wieder unsere heimatliche Milchstraße erreichen sollten, könnt ihr zweifelsohne auch auf Tahun euer Geld machen.« »Ich glaube nicht, daß ich bei der USO so schnell arbeitslos werde«, gab Axton/Ken non zu bedenken. »Vielleicht nimmt dieser Verein sogar
Der Todesbote mich«, überlegte Razamon. Atlan hüstelte indigniert. Der Pthorer war der erste, der die United Stars Organisation in seiner Gegenwart zu einem Verein herab würdigte. Ende der psychischen Aufmunterung! meldete der Logiksektor. Sieh zu, daß Artyl leinor endlich den Zellaktivator erhält! Die ersten schnellen Schritte – Atlan tau melte. Mit tiefen Atemzügen versuchte er, die wallenden rötlichen Nebel vor seinen Augen und das heftige Pochen unter seiner Brustplatte zu verdrängen. Es gelang ihm zunächst aber nur leidlich. Bis er die Bugkuppel der ZARKIET er reicht hatte, war der Schwächeanfall aller dings wieder abgeklungen. Artylleinors Zustand war unverändert ernst. Ob sie in der Zwischenzeit zumindest vorübergehend das Bewußtsein wiederer langt hatte, vermochte Atlan nicht festzustel len. Allerdings mußte sie sich bewegt haben, denn ihr Kopf baumelte nicht mehr haltlos seitlich am Körper herunter, sondern ruhte fest im Brustgefieder. Der Arkonide ergriff die verkümmerten Schwingen des Vogelwesens und zog sie zu sich heran, so weit die überall befestigten Kabel dies zuließen. Er verschränkte die Flügel derart ineinander, daß sie eine kleine Mulde bildeten, in die er den Zellaktivator legen konnte. Das war's fürs erste – später, wenn Artylleinor wieder zu sich kam, würde sich eine bessere Lösung finden lassen. Atlan hoffte, daß schon in Kürze eine Besserung im Zustand der Galionsfigur ein treten würde. Er selbst konnte bis zu zwei undsechzig Stunden ohne seinen Aktivator auskommen. Danach würde ein rascher Al terungsprozeß eintreten, der am Ende zum Tode führte. Doch wieviel konnte innerhalb von drei Tagen geschehen … Unendlich langsam tropften die Sekunden in das Meer der Zeit. Minuten wurden aus ihnen, schließlich Stunden. Wie stets, wenn man bedeutungsvoller Geschehnisse harrt, wurde das Warten zur Qual. Atlan hatte es vorgezogen, es sich auf
33 dem harten Boden der Bugkuppel bequem zu machen, anstatt in die Zentrale zurückzu kehren, wo er von allem abgeschnitten war. Denn inzwischen war auch die Energiever sorgung für die Bildübertragung ausgefallen. Razamon und Lebo Axton warteten eben falls an Ort und Stelle. Unablässig beobachteten sie die Galions figur, die von Zeit zu Zeit schrille, pfeifende Geräusche von sich gab, ansonsten aber nicht den Anschein erweckte, als würde sie schon bald wieder zu sich kommen. Das Warten zerrte an den Nerven. Wenn es auch niemand zugab, so wußte doch je der, daß sie verloren waren, falls Artylleinor starb. Drei Stunden waren vergangen, als sie endlich ihren Schnabel bewegte. Ein gellender Schrei zeugte von der Pein und dem Ent setzen, das die bedauernswerte Kreatur noch immer empfinden mußte. »Du bist in Sicherheit, Artylleinor«, sagte Atlan. Es dauerte eine geraume Weile, bis sie ihn erkannte. »Ich werde sterben!« eröffnete sie dann. Atlan erschrak ob so viel Gewißheit, wie diese Worte sie ausdrückten. Weder Trauer noch Selbstmitleid hatten in ihnen mitge klungen, einzig und allein Resignation. Aber weshalb hätte Artylleinor sich fürch ten sollen – mußte der Tod ihr doch wie eine Erlösung von all den Qualen erscheinen, de nen sie als Galionsfigur eines Organschiffs ausgesetzt gewesen war. Atlan erklärte ihr die Wirkung des Zellak tivators, während er das Gerät vorsichtig im Brustgefieder befestigte. »Auch das hilft mir nicht mehr, denn ich höre schon den Schrei des Todes und das Rauschen seiner mächtigen Flügelschläge. Ich werde ihm folgen müssen, zurück in das unzerbrechliche Ei des Vergessens. Viel leicht kann dein Gerät mir helfen, die letzten Stunden besser zu verbringen als die ganzen Jahre meines Sklavendaseins. Du, Atlan, bist der erste, der nicht Haß und Tod, Vernich tung und Trauer sät. Du stammst nicht aus
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der Schwarzen Galaxis oder ihren Randge bieten – woher kommst du?« So gut es ging, versuchte der Unsterbli che, eine Erklärung zu geben. Da er selbst nicht wußte, in welcher Dimension und zu welcher Zeit er sich befand, konnte diese aber nur sehr allgemein ausfallen. Dennoch schien Artylleinor ihn zu verstehen. »Es muß wunderschön sein«, sagte sie, »in einer Sterneninsel zu leben, in der Friede und der Wille zum Verständnis regieren. Was noch in meiner Macht steht, um dir und deinen Freunden zu helfen, das werde ich tun.« Für Atlan war damit endgültig erwiesen, daß es der Galionsfigur der ZARKIET ge lungen war, kurz vor ihrem Tode die ihr auf erlegten Zwänge des Bösen abzuschütteln. Ob letztlich die Impulse des Zellaktivators oder der durch den Überfall des Todesboten erlittene Schock oder gar beides zusammen der auslösende Faktor gewesen waren, wür de er wohl nie erfahren. »Wir sind verloren, wenn wir im interstel laren Raum bleiben«, stellte Razamon fest. »Ich kenne euer Problem«, antwortete Ar tylleinor. »Und ich glaube, daß meine Kräfte ausreichen werden, um euch sicher zu einer Welt im Rghul-Revier zu bringen.«
* Das Nichts, darin die strahlende Wärme Tausender Sonnen, alles zusammen ein bis her ungekanntes Gefühl der Geborgenheit vermittelnd … Die Welten des Jenseits wa ren ein Paradies für Trugen. Villig-Ter war in eine Konzentration ver sunken, die sie nie vorher für möglich gehal ten hätte. Die Bilder, die scheinbar in ihrem Innern entstanden, hielt sie nur für einen schönen Wachtraum. Oder sollten sie ihr zeigen, daß Zortan dort, wo er sich jetzt be fand, glücklich war? Nie wieder würde er der Kälte ausgesetzt sein. Nackt lag er ausgestreckt vor ihr. Sie selbst hatte ihn aus dem beschädigten Raum anzug herausgeschält. Zwar hatte sie dabei
zu ihrer Überraschung festgestellt, daß die Heizung noch immer funktionierte, doch war es müßig, darüber nachzudenken. Denn ein Truge, der stundenlang fast ungeschützt Schnee und Eis ausgesetzt war, konnte dies einfach nicht überleben. Die Kodierung der Wärme sollte ein Ab schied für Zortan sein. Obwohl Villig-Ter die beginnende Schwäche fühlte, gab sie ih re Konzentration nicht auf. Sie war mit Zortan allein. Die anderen hatten ihren Wunsch respektiert und die Hütte verlassen. Gerade deshalb erschrak sie, als die Stimme plötzlich an ihre Hörfüh ler drang. »Oh, Duuhl Larx, du glühende Erschei nung, steh mir bei, deinem gehorsamen Die ner Zortan!« Villig-Ter quakte vor Entsetzen. Sie war unfähig, sich von der Stelle zu bewegen. Von Furcht geschüttelt, zog sie erst ihre Sin nesorgane und dann auch noch den Organ köcher ein. Sie kapselte sich ab. Ein harter Schlag gegen die halb ge schlossenen Hautfalten veranlaßte sie je doch, wenigstens ein Stielauge ein wenig wieder auszufahren. Was sie sah, entlockte ihr eine Serie kläglicher Geräusche. Unmöglich, daß Zortan vor ihr stand … Und doch war es so. »Ich danke dir«, sagte er stockend. »Du … bist nicht … tot?« »Duuhl Larx muß mir geholfen haben, Schnee und Eis zu überwinden. Vielleicht bin ich dazu auserwählt, ihm einen besonde ren Dienst zu erweisen.« »Ja, vielleicht«, stimmte Villig-Ter nach denklich zu. Und Zortan berichtete ihr, was geschehen war. Kurze Zeit später wußten alle Trugen, daß ihnen Gefahr drohte.
6. Schiffbrüchige Die anfängliche Erleichterung, die Atlan empfunden hatte, war nur von kurzer Dauer gewesen. Der Gedanke, auf irgendeiner un bekannten, möglicherweise unbewohnten
Der Todesbote Welt zu landen, machte ihm zu schaffen. Denn wie sollte man jemals wieder von dort entkommen können, wenn Artylleinor nicht mehr war? Sogar der Gedanke, sich freiwil lig erneut in die Gefangenschaft der Scudda moren zu begeben und andere Organschiffe herbeizurufen, war illusorisch. Denn der To desbote des Koordinators hatte ganze Arbeit geleistet und die Hyperfunkanlage nachhal tig zerstört. »Wir können es drehen und wenden, wie wir wollen«, sagte Atlan. »Wenn der Zufall gegen uns ist, landen wir auf einer Welt, von der wir nicht mehr fortkommen.« »Bisher haben wir noch jeden Planeten wieder verlassen können«, meinte Razamon. »Irgendwann ist immer das erste Mal«, warf Axton ein. Atlan schüttelte den Kopf. »So kommen wir nicht weiter«, erklärte er. »Ganz deiner Meinung. Wenn uns jemand helfen kann, dann ist es nur Artylleinor.« »Sie hat genug damit zu tun, den Linear flug zu stabilisieren. Sieh doch auf die Kon trollen, Lebo, dann wirst du erkennen, mit welchen Schwierigkeiten sie zu kämpfen hat. Wollen wir es riskieren, noch im Ma rantroner-Revier in den Normalraum zu rückzufallen? Das ist einmal bös ausgegan gen.« »Du betreibst Schwarzmalerei«, warf Ax ton Razamon vor. »Und?« brauste dieser auf. »Ist das ein Wunder bei der Umgebung?« Mit einer energischen Handbewegung brachte Atlan beide zum Schweigen. »Bevor wir uns gegenseitig die Köpfe ein schlagen«, entschied er, »werde ich lieber Artylleinor zu Rate ziehen.« »Wer redet denn von Köpfe einschla gen?« brummte Razamon. »Wir sind schließlich nicht auf Terra.« »Barbar!« Atlan wandte sich abrupt ab und schaltete eine Verbindung in die Bug kuppel. So ziemlich alles an Bord der ZAR KIET funktionierte wieder; dennoch dauerte es eine Weile, bis die Galionsfigur endlich
35 reagierte. »Ich habe Schwierigkeiten«, eröffnete sie. »Ich weiß. Leider muß ich dich dennoch stören.« »Ich werde das Schiff nicht mehr lange kontrollieren können.« »Wie lange noch?« Atlan fror plötzlich. Später stellte er dann allerdings fest, daß die Galionsfigur die Warmluftzufuhr gedrosselt hatte – aus welchen Gründen auch immer. »Wir durchfliegen in Kürze die Grenze zum Rghul-Revier. Von da an vielleicht noch zwei Stunden eurer Zeitrechnung, kaum länger.« Atlan hörte hinter sich einen tiefen Seuf zer. »Selbst dein Zellaktivator versagt«, stieß Razamon hervor. »Das Gerät ist nicht dafür geschaffen, ab solut tödliche Wunden zu heilen«, erklärte der Unsterbliche. »Dennoch bin ich sicher, daß Artylleinor ohne seine lebensverlän gernden Impulse längst nicht mehr unter uns weilte.« Er wandte sich wieder an den Lotsen der ZARKIET: »Du mußt eine Welt anfliegen, die wir je derzeit wieder verlassen können. Einen Pla neten, der regelmäßig von Raumschiffen be sucht wird.« Eine Zeitlang schwieg die Galionsfigur. Atlan hegte schon die schlimmsten Befürch tungen, als sie sich endlich erneut meldete. »Ich kann es nicht.« »Du mußt!« »Ich bedaure, aber mir stehen nur die Ko ordinaten des MarantronerReviers zur Ver fügung. Mir ist nicht ein einziges System im Herrschaftsbereich des Neffen Duuhl Larx bekannt. Ich bin auf das angewiesen, was die Ortungen liefern.« »Mit anderen Worten«, sagte Atlan. »wir alle sind mehr oder weniger vom Zufall ab hängig.« Und darauf, wie lange Artylleinors Ende noch auf sich warten läßt, fügte der Logik sektor hinzu. Die Galionsfigur antwortete nicht mehr.
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* Drei Viertel der veranschlagten Zeit wa ren vergangen, und noch immer raste die ZARKIET durch den Linearraum. Die monotone Geräuschkulisse wirkte einschläfernd. Auch Atlan blieb nicht davon verschont. Jetzt, da er seinen Zellaktivator nicht mehr bei sich hatte, machten sich die Anstrengungen der letzten Tage unange nehm bemerkbar. Razamon und Axton schliefen. Da keiner von ihnen wissen konnte, was die nächste Zukunft für sie bereit hielt, nutzten sie die Gelegenheit, die sich ihnen bot. Razamon schien zu träumen. Er redete im Schlaf und vollführte ungestüme Bewegungen, doch konnte Atlan nicht verstehen, was er von sich gab. Es klang wie verfälschtes Pthora – möglicherweise ein alter Dialekt der Sippe der Knyr. Pthor – der Dimensionsfahrstuhl … Würde man ihn im Rghul-Revier wieder finden? Atlan schrak aus seinen Überlegun gen auf. Irgend etwas hatte sich verändert, das spürte er ganz deutlich. Allerdings benö tigte er einige Sekunden, bis er die Müdig keit von sich abgeschüttelt und herausgefun den hatte, was. Das Geräusch der Triebwer ke war lauter geworden, bedrohlicher. Im nächsten Augenblick überzogen sich die Bildschirme mit einer düsteren Schwärze, zeichneten sich mehrere ferne Sonnen ab. Die ZARKIET befand sich wieder im Nor malraum. »Was ist, Artylleinor?« rief Atlan. »Sind wir am Ziel angelangt?« Als die Galionsfigur nicht antwortete, handelte er, denn er ahnte, was ihr Schwei gen zu bedeuten hatte. Gleich darauf war er erneut mit Artylleinor verbunden und ver schmolz mit ihren Gedanken, mit ihren Ge fühlen und Empfindungen. Beinahe körperlich spürte Atlan den Hauch von Todesahnung, der die Galionsfi gur erfüllte. Mit letzter Kraft kämpfte sie um die Kontrolle über das Schiff, das ihr lang-
sam zu entgleiten drohte. »Hilf mir!« Ihr Ruf konnte eindringlicher nicht sein. Und dann war es, als würde die mecha nischtelepathische Kommunikationsschal tung Atlan Kräfte entziehen und sie der Ga lionsfigur zuführen. Artylleinor nahm sie be gierig in sich auf. Und Atlan, der den Fluß hätte unterbrechen können, ließ es gesche hen. Nach einer Weile spürte er, daß Artyl leinor die ZARKIET wieder in den Griff be kam. Doch als er sich dann aus der Ver bundschaltung zurückziehen wollte, hinder ten ihre Gedanken ihn daran. »Bleib! Ich brauche deine Gegenwart, um durchhalten zu können.« Artylleinor wurde wieder das, was sie im mer gewesen war: die Galionsfigur eines Or ganschiffs, die mit jedem Muskelzucken, mit jedem Nervenimpuls eine Reaktion der gigantischen mechanischorganischen Einheit hervorrief, die für sie war wie ihr eigener Körper. Über die Verbindung zu ihr identifi zierte auch Atlan sich mit dem Schiff, wenn gleich er sich, im Gegensatz zu Artylleinor, jederzeit daraus befreien konnte. Längst lag die Grenze zum Rghul-Revier hinter der ZARKIET. Die Hyperortung zeig te nur wenige Sonnen in Flugrichtung; ihre düstere Ausstrahlung war typisch für die Po pulation der Schwarzen Galaxis. Atlan brauchte nicht zu fragen – im sel ben Augenblick, in dem die Auswertungen vorlagen, kannte er auch schon ihren Inhalt. Der Sektor, in den sie eingeflogen waren, schien raumfahrttechnisch unbedeutend. Weder Hyperfunksprüche noch die typi schen Emissionen startender und landender Raumschiffe waren zu empfangen. Genau das hatte Atlan vermeiden wollen. Doch Artylleinor würde es nicht mehr schaf fen, weiter als bis zur nächsten, fünf Licht jahre entfernten Sonne zu fliegen. Die ZARKIET beschleunigte und trat er neut für wenige Minuten in den Linearraum ein. Als der Zielstern erreicht war, konnte Atlan den mentalen Kontakt mit der Gali
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onsfigur beenden. Sie hatte sich überra schend wieder erholt. »Ich werde aus eigener Kraft einen für euch geeigneten Planeten anfliegen kön nen«, sagte sie.
* Es war eine kleine rote Sonne mit mehre ren Planeten. Der zweite davon schien eine atembare Atmosphäre zu besitzen; dichte Wolkenbän ke verschleierten den Blick auf seine Ober fläche. Die Ortungen zeigten an, daß er etwa marsgroß war, und auch seine Schwerkraft entsprach diesem Wert. »Wir hätten es schlechter treffen können«, stellte Razamon fest. »Wenn wir auch noch …« Der aufheulende Alarm riß ihm das Wort von den Lippen. Ortung! Nur ein gelegentliches Aufblitzen im Licht der fernen Sonne ließ überhaupt erken nen, daß sich vor der ZARKIET etwas durch das All bewegte. Erst die Vergrößerung zeigte wirklich, worum es sich handelte. »Wrackstücke«, stieß Axton überrascht hervor. Damit hatte niemand mehr gerech net, bedeutete dies doch, daß in diesem Sy stem Raumfahrt stattfand oder zumindest stattgefunden hatte. »Kannst du die Trümmer nach ihrer Her kunft einordnen?« fragte Atlan die Galions figur. »Ein Organschiff!« Razamon war es, der einen leisen Pfiff ausstieß. »Feindeinwirkung?« wollte er wissen. »Das Wrack ist zwar völlig zerfetzt, doch sind keine Spuren von Energieschüssen fest zustellen.« Vielleicht, überlegte Atlan, lag die Ursa che in einer Katastrophe an Bord des frem den Schiffes begründet. Es konnte viele Er klärungen dafür geben, angefangen von ei nem Versagen des Lotsen bis hin zur Explo sion des Haupttriebwerks.
»Die Trümmer befinden sich bereits in nerhalb des Anziehungsbereichs des Plane ten und werden in wenigen Tagen in der At mosphäre verglühen«, meldete Artylleinor. Ein Organschiff! Hieß das gleichzeitig, daß auf einer der Welten ein Stützpunkt des Neffen Duuhl Larx existierte? Atlan befahl, die Ortungen nicht nur auf den angeflogenen Planeten zu richten, während die ZARKIET abbremste und in eine Umlaufbahn ein schwenkte. Daran, daß das Schiff auf die Lufthülle aufprallte wie ein schräg aufs Wasser ge worfener Stein, in den Raum zurückge schleudert wurde und erneut mit wachsender Geschwindigkeit eintauchte, erkannte Atlan, daß Artylleinor nunmehr endgültig am Ende ihrer Kräfte angelangt war. In dem Moment, als er sich wieder in die unlösbare Verbindung Galionsfigur/Organ schiff einschalten wollte, erfolgte die Ener gieortung – schwach nur, aber doch deutlich genug für eine exakte Einpeilung. Atlans Blick saugte sich förmlich an den Bildschirmen fest, die ein langgestrecktes Tal zeigten, das rundum von mittelgebirgs ähnlichen Bergformationen und einer weit läufigen Seenplatte begrenzt wurde. Winter herrschte in dieser Region des Planeten. Die ZARKIET wurde mit Höchstwerten abgebremst. Dennoch tauchte sie gleich ei nem riesigen Meteor in die tieferen Schich ten der Atmosphäre ein, einen glühenden Schweif ionisierter Gase hinter sich her zie hend. Von einem Landeanflug konnte dabei kaum noch die Rede sein. Die ZARKIET stürzte schräg in die Tiefe. Noch zwanzig Kilometer … fünfzehn … Die Bremstriebwerke zündeten, machten es unmöglich, sich jetzt noch normal mitein ander zu verständigen. Eine schier unerträgliche Hitze breitete sich aus. An verschiedenen Stellen des Rumpfes begann die Organmasse Blasen zu werfen und sich abzulösen. Noch zehn Kilometer … Urplötzlich brach der Gegenschub ab. »Atlan …!« Artylleinors Aufschrei über
38 tönte selbst das Ächzen und Stöhnen des Schiffskörpers. Der Arkonide sah noch die verzerrten Ge sichter seiner Begleiter, dann versank er er neut im geistigen Kontakt mit der Galionsfi gur. Mit ihren Sinnen erlebte er das Gesche hen völlig anders als von seinem Platz in der Zentrale aus. Er war nun unmittelbar betei ligt. Atlan mußte an Razamon und Axton den ken, die sich in diesem Augenblick an ihren Sitzen festklammerten. Die ZARKIET war noch immer viel zu schnell für eine auch nur halbwegs glückliche Landung. Du mußt dich konzentrieren! Der Extra sinn versuchte, seine Nervosität zu verdrän gen. Alles, was ihn irgendwie störte, fiel von ihm ab. Jetzt war er das Schiff. Intensiver war die Verbindung mit der Galionsfigur nie zuvor gewesen. Die ZARKIET durchstieß die oberste Wolkendecke. Noch immer war sie viel zu schnell … Endlich zündeten die Bremstriebwerke zum zweitenmal. Zuckende Flammenspeere stachen der rasch näherkommenden Plane tenoberfläche entgegen. Vorübergehend wurde Atlan schwarz vor Augen. Es war die Schwäche Artylleinors, die sich auch auf ihn übertrug. Mit letzter Kraft stemmte das Vogelwesen dann die verkümmerten Schwingen von sich: voller Gegenschub! Sekunden später erfolgte der Aufprall. Er fiel weit weniger hart aus als er wartet. Als die aufgewirbelten Schneemas sen sich schließlich wieder herabgesenkt hatten und die Sicht klar wurde, standen sie vor der ZARKIET: große, stämmige Wesen, die Mehrzahl von ihnen in gelbe Anzüge gehüllt, die anderen so dick vermummt, daß von ihrem eigentlichen Aussehen kaum et was zu erkennen war. Sie alle machten einen heruntergekommenen Eindruck. Der Jubel, mit dem sie den Raumer begrüßten, war ein deutig. Das Organschiff war erwartet wor den …
Hubert Haensel
* Zuerst war es nur ein dumpfes Dröhnen, wie ferner Donner, das sich aber schnell zum ohrenbetäubenden Lärm steigerte. Eine Erschütterung folgte, die die notdürftig zu sammengebauten Blechhütten schwanken ließ. Und dann der Schrei, der unsagbare Er leichterung ausdrückte: »Ein Organschiff!« In Windeseile pflanzte sich die Nachricht fort. Perkat war nicht der einzige, der seine Be hausung verließ. Mit ihm stürmten zwanzig weitere Trugen in den Schnee hinaus. Sie achteten nicht auf die Kälte, die ihnen entge genschlug. Ihre Augen ruhten auf dem doppelten Rumpf des Organschiffs, das kaum einen Kilometer von ihnen entfernt zur Ruhe ge kommen war. Sie waren gerettet!
7. Die neuen Herren der ZARKIET Atlan fühlte, daß es mit Artylleinor rasch zu Ende ging. Deshalb zog er sich nicht aus der Kommunikationsschaltung zurück. Er fühlte sich mitschuldig an den Qualen der Galionsfigur und wollte ihr wenigstens im Sterben das Gefühl geben, nicht alleingelas sen zu sein. Dennoch war Atlan von dem Geschehen in und um die ZARKIET nicht abgeschlos sen. Die Wrackteile im Raum fielen ihm ein, als er die winkenden Gestalten im Schnee sah, die eilig näherkamen. Schiffbrüchige! durchzuckte es ihn. Wel che Ironie des Schicksals, daß sie sich aus gerechnet dort Hilfe erhofften, wo niemand ihnen helfen konnte. Atlan und seine Freun de waren selbst zu Gefangenen dieser Welt geworden. »Es sind Trugen«, hörte der Arkonide Razamon sagen. »Sie bilden die Hauptmacht des Neffen Duuhl Larx und versehen im
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Rghul-Revier in etwa die Aufgaben, wie sie die Scuddamoren unter Chirmor Flog inne haben.« »Sie wollen an Bord kommen.« Aufmerk sam beobachtete Lebo Axton das Bild, das sich ihm bot. »Vermutlich handelt es sich um die Über lebenden des zerstörten Organschiffs, dessen Trümmer wir gesehen haben.« »Wenn sie charakterlich den Scuddamo ren ähnlich sind, werden sie wenig davon er baut sein, daß wir ihnen nicht helfen kön nen. Verstehst du, was sie rufen?« Razamon nickte. »Sie bedienen sich des Gonex, der Ein heitssprache im Rghul-Revier. Sie warten darauf, daß wir endlich die Schleuse öffnen und sie an Bord nehmen. Angeblich ertragen sie die draußen herrschende Kälte nicht mehr lange.« »Aber die Temperaturen liegen nur wenig unter dem Gefrierpunkt.« »Was weiß ich«, erwiderte Razamon un gehalten und zuckte mit den Schultern. »Auf jeden Fall sollten wir endlich hinausgehen und ihnen sagen, daß sie von uns keine Hilfe zu erwarten haben. Sonst schießen sie uns vielleicht noch das Schott auf.« Bevor Axton ihn zurückhalten konnte, war er verschwunden.
* Wesen dieser Art, wie zwei Exemplare sich jetzt in der Schleuse zeigten, hatte Per kat nie zuvor gesehen. Ihm war sofort klar, daß es sich um Fremde handelte, die nicht aus dem Rghul-Revier stammten. Sollte sich herausstellen, daß sie Spione Chirmor Flogs waren, würde er nicht zögern, kurzen Prozeß mit ihnen zu machen. Langsam tastete er nach den beiden Waffen auf seinem Raum anzug, die er wieder mit noch halbvollen Magazinen geladen hatte. Gespannt lauschte Perkat dem, was einer der beiden Fremden zu sagen hatte. Aber es blieb nur bei einer allgemeinen Begrüßungsfloskel. Der Truge erwiderte den Gruß und fügte die Frage hin
zu, ob denn ihr Notruf klar empfangen wor den sei. Sehr zu seiner Überraschung be hauptete der Fremde, nichts von einem Funkspruch zu wissen. Das Gonex, das er sprach, erhärtete die Vermutung, daß er nicht aus dem Revier stammte. Perkat ge langte zu dem Entschluß, daß ein schneller Vorstoß in dieser Situation angebracht war. »Nehmt uns an Bord eures Schiffes und bringt uns nach Cagendar!« verlangte er. Razamon sah viele Stielaugen auf sich ge richtet. Ihm entging aber auch nicht, daß ei nige der Schiffbrüchigen verstohlen zu ihren Waffen griffen. Trotzdem entschloß er sich, bei der Wahrheit zu bleiben. Wenn er erst Hoffnungen weckte, die er später doch nicht erfüllen konnte, würden die Trugen zu Recht verbittert sein. »Wir können euch nicht helfen«, sagte Razamon, »denn unsere Galionsfigur stirbt.« Eine Weile standen die dick vermummten Gestalten wie erstarrt, dann brach unvermit telt der Sturm los. In einem wütenden Auf schrei entlud sich die Anspannung entbeh rungsreicher Monate. Zwei gleichzeitig in der Schleusenkammer einschlagende Ener gieschüsse zwangen Razamon und Axton dazu, sich schleunigst zurückzuziehen. Fremde! dachte Perkat haßerfüllt. Spione! Zusammen mit ihm feuerten auch andere. »Vorwärts! Nehmt das Schiff!« Perkat sah die Fremden fliehen, während sich langsam das große Schott hinter ihnen schloß. Er fragte sich, weshalb sie nicht den Versuch unternommen hatten, die Trugen aufzuhalten, denn auch sie hatten Waffen getragen. Waren sie zu feige? Perkat hetzte vorwärts. Mit einem einzi gen Satz überwand er die drei Meter Höhen unterschied, die ihn von der Schleuse trenn ten. Er hatte Glück gehabt, denn unmittelbar hinter ihm schlug das Schott zu. Noch im Fallen schoß Perkat, weil er da mit rechnete, angegriffen zu werden. Doch die beiden Fremden waren verschwunden. Verwundert betätigte er den Öffnungsme chanismus. Ein quakender Mob stürmte hin ter ihm her, entschlossen, das Schiff zu er
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obern.
* Artylleinor lag im Sterben. Nur die Im pulse des Zellaktivators waren es, die ihr Le ben noch um eine winzige Spanne verlän gerten. Was Atlan empfing, waren keine klaren Gedanken mehr. Ihr Geist schien verwirrt. Verschwommene Bilder drangen an sein Be wußtsein, mit denen er nichts anzufangen wußte. Doch wie ein letztes Aufbäumen der Kreatur, so wurden diese Bilder plötzlich deutlich. Auf gewisse Weise war Atlan fasziniert. Da starb ein bedauernswertes Wesen, ein Sklave des Grauens, und in den letzten Se kunden seines Lebens offenbarte es ihm Dinge, die ihrer beider Verbundenheit zeig ten. Das Abbild eines großen, rechteckigen Gebäudes entstand vor seinem geistigen Au ge. Es schien aus glasähnlichem Material zu bestehen, das von dünnen Metallstreben durchzogen wurde. Zusammen mit unzähli gen anderen stand es inmitten einer weiten, sanft zu ihrem Zentrum hin abfallenden Ebe ne, die im Süden von einem mächtigen Fluß, im Norden von ausgedehnter Wüstenregion begrenzt wurde. Hunderte der verschiedenartigsten exoti schen Geschöpfe drängten sich hier zusam men. Sie schrien und kreischten und konnten doch nicht verhindern, daß sie das Bauwerk betreten mußten. Die Widerspenstigsten un ter ihnen bekamen die Schockpeitschen ihrer Aufseher zu spüren, bis auch sie sich fügten … Schlagartig brachen die Erinnerungen ab. Artylleinor lebte nicht mehr. Atlan war bedrückt, als er die Anschlüsse von seinen Schläfen löste. Nie wieder, so schwor er sich, sollten die Mächte der Schwarzen Galaxis den Dimensionsfahrstuhl für ihre Zwecke mißbrauchen. Er würde al les tun, um dies zu verhindern.
Ja, er hatte Pthor erkannt, die Senke der Verlorenen Seelen, die Glaspaläste. Auch diesmal hatte das Weltenfragment bei seiner Rückkehr zweihunderttausend armselige Kreaturen befördert, auf die das grauenvolle Schicksal einer Galionsfigur wartete. Atlan war noch im Begriff, in die Realität des Au genblicks zurückzufinden, als Razamon und Axton atemlos in die Zentrale stürmten. Ihre Worte bedeuteten Kampf – Auseinanderset zung um etwas, worum es sich nicht mehr zu kämpfen lohnte. Weshalb hätte er sich jetzt noch auf ein Blutvergießen einlassen sollen? Wahrscheinlich würden die Trugen bald ihre erste Enttäuschung, ihre Wut ver gessen haben. Dann war die Zeit reif, um einander näherzukommen, denn immerhin saß man im selben Boot. Das würden auch diejenigen einsehen müssen, die jetzt noch wild um sich schossen. »Wir geben das Schiff auf«, entschied At lan. Als Razamon vor Überraschung kein Wort hervorbrachte, fügte er hinzu: »Artylleinor ist tot, niemand kann die ZAR KIET fliegen.« »Dennoch müssen wir uns beeilen«, sagte Axton. »Sonst kommen wir nicht mehr un geschoren in die Bugkuppel.« »Gehen wir«, nickte Atlan. »Nur mein Zellaktivator ist noch wichtig.« Während sie durch die Gänge eilten, wur de es hinter ihnen laut. Die Trugen drangen in Richtung auf die Zentrale vor, wobei al lerdings erschwerend für sie war, daß sie mit dem Aufbau der ZARKIET nicht vertraut waren. Artylleinors Augen waren anklagend in die Höhe gerichtet. Sie hatte es überstanden. Atlan fühlte sich dazu verpflichtet, ihr die Nickhäute zuzudrücken, dann erst nahm er den Zellschwingungsaktivator wieder an sich, der sich sofort in seine Brust senkte. »Wenn wir den Trugen nicht doch noch in die Hände fallen wollen, müssen wir eine der kleinen Mannschleusen in Bugnähe be nutzen.« »Du meinst, daß wir draußen sicherer sind?«
Der Todesbote »Vorerst bestimmt. Wir werden in einer der Hütten abwarten, bis die Gemüter sich beruhigt haben.« Sie mußten stehenbleiben, als sie an einer Einmündung des Ganges in den Hauptkorri dor angelangt waren. Von rechts näherten sich ihnen vier klobig wirkende Gestalten in knallgelben Raumanzügen. Die Helme hat ten sie geöffnet. Atlan sah so etwas wie zy linderförmige, oben offene Köpfe, aus denen Stielaugen und andere Sinnesorgane heraus ragten. Die Trugen wirkten zwar schwerfällig, waren es aber nicht. Das bewiesen die Ener giestrahlen, die sofort unmittelbar vor Atlan und seinen Freunden in die Wand schlugen. »Wenn wir das Schiff verlassen wollen, müssen wir hier vorbei«, zischte Razamon. Atlan nickte. »Wir wollen!« Sie erwiderten das Feuer. Doch konnte keine der beiden Parteien einen Vorteil für sich verbuchen. Um die anderen wirklich gefährden zu können, hätte man die eigene Deckung verlassen müssen. Lähmstrahlen blieben erst recht wirkungslos. Nach einer Weile wurde es still. Atlan war überzeugt davon, daß die Trugen Ver stärkung holten, während sie selbst zur Un tätigkeit verurteilt waren. Man mußte dem Gegner zuvorkommen. Weiter vorne, etwa fünf Meter entfernt, zweigte ein weiterer Gang ab. Es war übri gens jener, der zu der kleinen Schleuse führ te, die Atlans Ziel gewesen war. Von dort aus würde es ein leichtes sein, die Trugen zurückzudrängen. »Gebt mir Feuerschutz!« forderte Atlan. »Laßt sie nicht erst aus ihrer Deckung her vorkommen.« »Soll nicht lieber ich …« begann Raza mon, wurde aber sofort unterbrochen. »Ich gehe, damit wir uns richtig verste hen.« Atlan nahm einen kurzen Anlauf und schnellte sich dann in den Gang hinein. Zwei Meter, drei … Jetzt hatten die Tru gen ihn entdeckt. Instinktiv ließ Atlan sich fallen. Vom eigenen Schwung getragen, sch
41 lidderte er weiter. Keine Sekunde zu früh, denn dicht über ihm schlugen mehrere Strahlschüsse ein, zerstoben funkensprühend und rissen aufglühende Organmasse aus der Wand. Blitzschnell wälzte Atlan sich herum. Ir gendwie schaffte er es auch, wieder auf die Beine zu kommen, warf sich noch einmal vorwärts und … war in Sicherheit. Axton folgte ihm, während Atlan die Tru gen mit gutgezielten Schüssen weiter in ihre Deckung zurücktrieb. Nur Razamon hatte das Pech, mit unverhofft auftauchenden wei teren Gegnern konfrontiert zu werden, die ihn sofort unter Feuer nahmen. Aber auch er kam mit heiler Haut davon. Zwei der An greifer schien es allerdings erwischt zu ha ben. Atlan bedauerte, daß er nicht mehr die Zeit gefunden hatte, seine Waffe auf Lähm strahlen umzustellen. Um weiteres Blutvergießen zu vermeiden, verließen Atlan, Razamon und Axton dann auf schnellstem Weg die ZARKIET. Zu ih rer Überraschung schienen die Trugen ihnen nicht zu folgen. »In unserer Lage können wir uns keine offene Feindschaft leisten«, sagte Atlan. »Es wird nicht lange dauern, bis auch die Trugen das einsehen. – Wir sitzen alle fest.« Er ahnte noch nicht, wie sehr er sich irrte.
* Wortlos starrte Zortan auf Villig-Ters ver färbten Köcher. Ihre Augen, die bei jeder Kodierung wie Sonnen geleuchtet hatten, waren jetzt leblos. Nie wieder würde er ihre Wärme spüren. Schmerz erfüllte den Trugen, und er schwor Rache. Die Fremden hatten VilligTer getötet. Es war unmaßgeblich, wer den Kampf begonnen hatte, für ihn zählte nur, daß Villig-Ter nie wieder bei ihm sein konn te. Jemand rüttelte Zortan, bis er endlich auf sah. »Komm mit! Perkat will uns alle spre chen.«
42 Zortan war der letzte, der in der Zentrale eintraf. Perkat bedachte ihn mit einem wü tenden Blick und begann dann sofort: »Einige wissen es bereits: Die Galionsfi gur dieses Schiffes ist tot. Das bedeutet für uns, daß wir zwar starten, keinesfalls aber den planetennahen Raum verlassen können. Mit anderen Worten, wir sitzen noch immer fest.« Es dauerte etwas, bis jeder begriff, doch dann brach ein Tumult aus, daß niemand mehr sein eigenes Quaken verstehen konnte. Perkat vermochte erst im dritten Anlauf die Ruhe wiederherzustellen. Was er sagte, klang eindrucksvoll, fast pathetisch. »Wir haben noch eine Möglichkeit, nach Cagendar zurückzukehren. – Garnim-Mol ist unsere Chance.« Der Operateur! Zortan glaubte, sich ver hört zu haben. Das also beabsichtigte Perkat. Nun ja, es half allen, und nur einer würde davon betroffen sein. Dieser eine allerdings würde nie wieder richtig leben können. Aber wozu sich Gedanken machen, dach te Zortan. Die Chancen standen neunzehn zu eins, daß er nicht derjenige sein würde. Es war wohl ein glücklicher Zufall, daß Gar nim-Mol sich unter der Besatzung befand. Nur er als Operateur war mit der Technik der Galionsfiguren vertraut. Er würde anstel le des ausgefallenen Lotsen einen Trugen mit dem Organschiff verbinden. Wahrlich kein schönes Schicksal für den Betroffenen, doch unumgänglich. »Wir werden losen!« bestimmte Perkat. Mochte Duuhl Larx wissen, woher er plötzlich die Handvoll schwarzer LuutKapseln hatte, jedenfalls verteilte er sie mit einer Sorgfalt, die beinahe schon Akribie zu nennen war. Mit den Spitzen seiner Klauen griff Zort an zu. Ein eigenartiges Gefühl überkam ihn, als er eine der Kapseln in der Hand hielt. Sie war winzig, und doch steckten Kräfte in ihr, deren Vorhandensein wohl nur mit Magie erklärt werden konnte. Ein magisches Gewächs. Zortan schau derte bei dem Gedanken.
Hubert Haensel In wenigen Minuten würden die LuutKapseln einen aus der Mitte der Trugen be stimmt haben, und die Wahl, die sie trafen, war unwiderruflich. Nach welchen Gesichts punkten die Kapseln dabei urteilten, entzog sich Zortans Kenntnis. Er wußte nur, daß die Samen der Luut-Frucht untereinander in Verbindung standen und daß sie durchaus in der Lage waren, die Gehirnschwingungen desjenigen, der sie in der Hand hielt, auszu werten. Zortans Klauen schlossen sich fest um die Kapsel. Nein – er war überzeugt davon, daß die Wahl nicht auf ihn fallen würde. Die ersten schwarzen Luut-Samen wurden Perkat zurückgegeben. Die betreffenden Trugen hatten allen Grund, erleichtert auf zuatmen. Aber wessen Kapsel hatte sich ver färbt? Zortan mußte sich förmlich dazu zwingen, die Hand zu öffnen und hinzusehen. Es traf ihn wie ein Schock, und beinahe hätte er laut aufgeschrien und sich damit verraten. Sein Luut-Samen war strahlend weiß geworden. Ein schneller Blick in die Runde zeigte Zortan, daß er noch nicht an der Reihe war. Zwei Gedanken bewegten ihn gleichzeitig. Zum einen erinnerte er sich daran, daß er vor nicht einmal einem Planetentag zu Vil lig-Ter gesagt hatte, er glaubte, er sei dazu auserwählt, Duuhl Larx einen Dienst zu er weisen. Zum anderen hatte er den Fremden Rache geschworen, denn der Tod seiner Ge fährtin sollte nicht ungesühnt bleiben. Der Zusammenhang war nicht zu überse hen – beides ließ sich miteinander verknüp fen. Doch nur dann, wenn Zortan nicht den Rest seines Daseins als Galionsfigur ver bringen mußte. Vorsichtig zog er sich in Richtung auf das offenstehende Schott zurück. Wenige Schrit te nur, dann hatte er den Ausgang erreicht. Fast gleichzeitig wurde Perkat auf ihn auf merksam. Zortan warf sich herum, versäumte aber nicht, den Schließmechanismus in Gang zu setzen. Bis die anderen das Schott wieder geöffnet hatten, befand er sich schon halb in
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Sicherheit. Er glaubte nicht, daß sie ihn weit verfolgen würden. Sie hatten es viel zu eilig, Garritz endlich zu verlassen, und würden deshalb lieber eine neue Wahl durchführen. Obwohl er durch seine Flucht alte Gesetze gebrochen hatte. Unbehelligt erreichte Zortan die Außen schleuse. Er schloß den Helm seines Raum anzugs und sprang. Fast bis zum Köcher versank er im angewehten Schnee, aus dem er sich mühsam freikämpfen mußte. Sein Ziel waren die nunmehr verwaisten Hütten, die ihm Schutz und etwas Wärme versprachen.
* Das charakteristische Fauchen von Strahl waffen war unverkennbar. Drüben bei der ZARKIET blitzte es mehr mals auf. Doch nicht Atlan und seine Freun de waren gemeint, sondern ein einzelner Truge, der mit verzweifelten Sprüngen zu entkommen suchte. Er stürzte, schlug hin, raffte sich auf und entging nur um Haares breite einem gut gezielten Schuß. »Wir müssen ihm helfen«, meinte Axton. »Aber wir können nicht die ZARKIET unter Feuer nehmen, dazu ist sie zu weit ent fernt«, erwiderte Razamon. »Und wenn es ganz einfach eine Falle ist, wenn die Trugen nur herausfinden wollen, wo wir uns befinden, um dann mit den Bordgeschützen das Feuer zu eröffnen?« »Ohne Galionsfigur dürfte ihnen das schwerfallen«, meinte Atlan. Inzwischen hatte der Truge den Wir kungsbereich der Waffen verlassen. Er hetz te auf die Hütten zu, in denen auch Atlan, Razamon und Axton vorerst Unterschlupf gefunden hatten. Niemand schien Interesse daran zu haben, ihm zu folgen. Im Gegenteil. Die deutlich erkennbare Öffnung im Rumpf des Organ schiffs schloß sich nach einer Weile. »Seltsam«, murmelte Razamon. »Welchen Grund sollte der Truge haben, vor seinen eigenen Leuten zu fliehen?«
Das Wesen in dem knallgelben Rauman zug schien sie nicht gesehen zu haben. Es lief auf eine der nächststehenden Hütten zu und verschwand darin. Keine voreiligen Entschlüsse, warnte der Logiksektor. Beschränke dich vorerst darauf zu beobachten. Die Trugen haben sich be reits als rasch und gezielt handelnde Gegner erwiesen.
* Einen halben Planetentag später … Das Geräusch anlaufender Triebwerke ließ jegliche Unterhaltung verstummen. At lan war der erste, der aufsprang und zur Tür hinausstürmte. Razamon und Axton folgten ihm etwas langsamer. Sie kamen gerade noch zurecht, um zu sehen, wie die ZAR KIET sich langsam erhob. Ein ohrenbetäu bendes Donnern erfüllte die Luft. Kein Zweifel, das Organschiff startete. Zufällig erhaschte Atlan einen Blick auf die transpa rente Bugkuppel, bevor der aufgewirbelte Schnee ihm die Sicht nahm. Was er sah, be stätigte seine geheimsten Befürchtungen. Der Platz des Lotsen war besetzt. Jemand mußte ihn eingenommen haben, um die ZARKIET wieder flugfähig zu machen. Bestimmt nicht freiwillig! durchzuckte es Atlan. Das also war der Grund für die Flucht des Trugen aus dem Schiff gewesen. Er mußte dazu bestimmt gewesen sein, die Funktion der Galionsfigur zu übernehmen. Ein wahrer Orkan verdrängter Luft fegte durch das Tal, als die ZARKIET nun schnell an Höhe ge wann. Ein Blizzard hätte verheerender nicht toben können. Wie mit eisigen Nadeln fiel die Kälte über die drei Menschen her und ließ sie schaudern. Schnee und Eis peitsch ten ihnen in die Gesichter. Plötzlich zuckte aus großer Höhe ein blendend heller Blitz herab. Er schlug irgendwo zwischen den Hütten ein und zerstörte viele von ihnen. Ein dampfender Krater war alles, was blieb. Dann trat Stille ein. Lautlos und wie eine dichte weiße Wand senkte sich der Schnee
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herab. »Verdammt!« Razamons Fluch drückte aus, was sie alle empfanden. Doch war es jetzt zu spät, um noch irgend etwas ändern zu können. Die ZARKIET war verschwun den.
8. Gefangen Hatte der Anblick des Organschiffs noch ein gewisses Gefühl der Hoffnung vermit telt, so war die kahle, schneebedeckte Land schaft allein nicht mehr geeignet, diese Empfindung wachzuhalten. Sehnsüchtig blickte Atlan in den Himmel hinauf, der grau war und kalt. Vielleicht würde es bald zu schneien beginnen. »Was mag aus dem Trugen geworden sein, der aus dem Schiff geflohen ist?« frag te Axton zögernd. »Die Hütte, in der er sich aufhielt, wurde zerstört«, antwortete Razamon. »Es ist anzu nehmen, daß er dabei ums Leben kam.« »Wir sollten uns dennoch umsehen«, schlug Atlan vor. »Vielleicht hatte er Glück. Für uns würde das sicher einige dringend benötigte Informationen bedeuten, die wir anders wohl kaum noch erhalten können.« Der Strahlschuß von der ZARKIET hatte eine Fläche von mindestens dreißig mal dreißig Metern verwüstet und verbranntes Erdreich hinterlassen, das nur deshalb nicht wieder zugeweht war, weil es noch immer Wärme abstrahlte. »Dort drüben«, sagte Axton. »Was ist das?« Inmitten eines Gewirrs verbogener Me tallteile, die früher einmal Dach und Seiten wand einer Hütte gebildet haben mochten, schimmerte es gelb. »Einer der Raumanzüge, wie sie von den Trugen getragen werden«, stellte Razamon fest. Er behielt recht. Nur war nicht zu erken nen, ob der Träger des Anzugs noch lebte oder schon von den Trümmern erdrückt worden war, die sich über ihm auftürmten. »Vorsichtig«, mahnte Atlan, als sie die
oberste Metallplatte weghoben. »Wenn das Zeug ins Rutschen kommt, war alles um sonst.« Razamon zeigte auf einige Teile, auf de nen noch Schriftzeichen zu erkennen waren. »Sie müssen fast alle tragenden Elemente ih rer Rettungsboote für den Bau verwendet haben.« Endlich konnten sie den Trugen unter den Trümmern hervorziehen. Er schien bewußt los zu sein. »Wir nehmen ihn mit«, bestimmte Atlan. »Später sehen wir weiter.« Sie hatten einige Mühe, den schweren, reglosen Körper dorthin zu bringen, wo sie ihn haben wollten, und ihn dann auch noch aus dem Anzug herauszuschälen. Der Truge wies alle Anzeichen einer Un terkühlung auf; sein Atem war flach und un regelmäßig. Nachdem Razamon in einer un zerstört gebliebenen Hütte drei Decken ge funden hatte, konnte man ihn etwas besser vor den niederen Temperaturen schützen, die sich bald unangenehm bemerkbar mach ten. Zwar war eine provisorische Heizung vorhanden, doch konnte diese mangels ge eigneter Brennelemente nicht betrieben wer den. Atlan sah nicht ein, weshalb man das Energiemagazin einer Waffe hätte opfern sollen, nur um es warm zu haben. Razamon hatte sogar Lebensmittel aufgetrieben – wenn auch nur rohes, gefrorenes Fleisch. Zumindest während der nächsten Tage wür de es also keine Ernährungsprobleme geben, und falls sich dann noch kein Ausweg ge funden hatte, würde man eben auf die Jagd gehen müssen. Gegen Ende der ersten Nacht begann es leicht zu schneien. Der Zustand des Trugen war unverändert, obwohl sein Atemrhyth mus regelmäßiger geworden zu sein schien. Razamon gestand ein, zu wenig über dieses Volk zu wissen, um sich ein Urteil erlauben zu können. Somit blieb nichts anderes übrig, als weiterhin abzuwarten. Im Lauf des Tages fiel der Schnee dichter. Der Himmel war wolkenverhangen und ließ den Stand der Sonne nur erahnen. Fast übergangslos wurde
Der Todesbote es dunkel. Irgendwann im Verlauf dieser zweiten Nacht auf Garritz begann der Truge, unkontrolliert um sich zu schlagen. Er stam melte zusammenhangloses Zeug, das selbst Razamon, der des im Rghul-Revier ge bräuchlichen Gonex mächtig war, nicht ver stand. Nur ein Begriff wiederholte sich im mer wieder, den Razamon für einen Namen hielt: Villig-Ter. Gegen Morgen tobte ein Schneesturm, der die Sichtweite übergangslos bis auf wenige Meter herabsetzte. Zu diesem Zeitpunkt er tönte der schrille Schrei zum erstenmal, be gleitet von einem lauten, kratzenden Ge räusch. Irgend jemand oder etwas machte sich an der Hütte zu schaffen. Als Atlan hinaus ging, um nachzusehen, konnte er nichts entdecken, auch keine Spu ren im frisch gefallenen Schnee. Die drei glühenden Punkte, die er für einen Moment zu sehen glaubte, erwiesen sich schnell als Täuschung. Dafür wartete eine Überraschung auf den Arkoniden, als er in die Hütte zurückkehrte. Der Truge war zu sich gekommen. War er zunächst nur damit beschäftigt, seine Stielaugen zu drehen und zu wenden und seine Gegenüber einer ausführlichen Musterung zu unterziehen, so ging er dann doch schnell auf Razamons Fragen ein und beantwortete diese mehr oder weniger aus führlich. Überhaupt schien der Truge, der sich Zortan nannte, nicht im geringsten er staunt über die Tatsache, daß die drei Frem den sich seiner angenommen hatten. Raza mon glaubte, der Physiognomie des Köchers entnehmen zu können, daß dieser darüber sogar erfreut war. Das Gonex, das Zortan sprach, ähnelte dem Garva-Guva des Marantroner-Reviers. In der Tat konnten beide Sprachen ihre Ver wandtschaft miteinander nicht leugnen, wenngleich immer wieder Begriffe und Aus drücke vorkamen, denen jegliche Ähnlich keit fehlte. Sehr schnell lernten Atlan und Axton, das Gonex nicht nur zu verstehen, sondern auch zu sprechen.
45 Nur eines konnten beide nicht wissen: daß sie nun endgültig für Spione gehalten wur den. Zortan waren ihre anfänglichen Schwierigkeiten bei der Verständigung durchaus nicht entgangen. Nach und nach erfuhren der Arkonide und seine Begleiter von der Havarie des Organ schiffs ATROV, davon, daß ein Teil der Be satzung sich auf den Planeten hatte retten können, und von den Versuchen, mit einem mühsam aufgebauten Hypersender Hilfe herbeizurufen. Ein wenig gab ihnen das neue Hoffnung, obwohl der Funkspruch der Trugen schon mehrere Tage zurücklag. Vielleicht befand sich gerade in diesem Augenblick ein Raum schiff im Anflug auf Garritz. Und was ist, wenn von der ZARKIET aus inzwischen alle angelaufenen Rettungsaktio nen abgeblasen wurden? Atlan ließ den sicherlich berechtigten Ein wand seines Logiksektors unbeantwortet. Das erneute Kratzen, das diesmal von meh reren Seiten zugleich zu kommen schien, schreckte ihn auf. Während er noch erstaunt bemerkte, daß Zortan seinen Organköcher einfuhr, fühlte er, wie sich etwas zwischen seine Überle gungen schob. Allerdings hatte er zu oft mit Mutanten zu tun gehabt, als daß ihm dieses Gefühl fremd gewesen wäre. Deshalb rea gierte er auch ruhig und abwartend auf das, was andere womöglich mit panischer Angst erfüllt hätte. Da er mentalstabilisiert war, konnte er nicht gegen seinen Willen beein flußt werden, falls das Fremde, das sich im mer deutlicher bemerkbar machte, bösartig war. Wer bist du? dachte Atlan intensiv. Eine Zeitlang schien es, als würde er kei ne Antwort bekommen, doch dann tauchten unverhofft drei glühende Punkte vor seinem inneren Auge auf. Atlan erinnerte sich. Sah so das Wesen aus, das den Kontakt mit ihm suchte? Ein flacher, armlanger Körper, in seiner Färbung so sehr dem Schnee ange paßt, daß es fast unmöglich war, ihn wahr zunehmen …
46 Du gehörst nicht zu jenen? entstand eine Frage, deren Drohung selbst im mentalen Bereich unüberhörbar war. Nein! erwiderte Atlan lautlos. Er wußte, daß nur die Trugen gemeint sein konnten. Sie haben uns ignoriert, fuhr das Fremde fort. Sie haben viele unserer .… es folgte ein Begriff, den der Arkonide nicht verstand, der ihm aber bildlich als eine niedrige, ver krüppelt aussehende Pflanze von buschähn lichem Charakter erklärt wurde, und der of fenbar ein Symbiosepartner des oder der Fremden darstellte, … vernichtet. Atlan sah auf, als Razamon ihn an der Schulter packte und heftig schüttelte. Etwas benommen fuhr er sich mit der Hand über die Augen. »Das hättest du nicht tun sollen.« Der Vorwurf, der in seiner Stimme mitschwang, war unüberhörbar. »Was – was hätte ich nicht tun sollen?« fragte Razamon verblüfft. »Wir machen uns Sorgen um dich, weil du seit über zehn Mi nuten völlig weggetreten bist, und du …« »Ist schon gut.« Atlan winkte besänfti gend ab. »Willst du uns nicht wenigstens eine Er klärung geben?« »Ihr habt nichts bemerkt?« »Was hätte uns auffallen sollen? Du schienst wie in Trance.« Atlan nickte flüchtig. »Wir sind nicht allein auf dieser Welt«, sagte er dann. »Sie ist die Heimat einer tele pathisch begabten Lebensform, die immer hin schon eine gewisse Intelligenz erlangt hat.« »Können wir von ihr Hilfe erwarten?« »Ich fürchte, …« Atlan kam nicht dazu, das Nein auszusprechen, denn Zortan sprang plötzlich auf. Mit einem einzigen Satz war er auf den Beinen und schnellte sich vor wärts. Seine Klauen schlossen sich um einen achtlos abgelegten Strahler. »Tod den Mördern Villig-Ters!« quakte er und löste gleichzeitig die Waffe aus. Der Schuß fauchte quer durch den Raum und riß eine der Wände auf.
Hubert Haensel Razamon wirbelte herum. Wieder feuerte Zortan. Glühende Hitze umfing den Pthorer, der sich instinktiv auf den Boden warf. Ir gendwelche brennbaren Einrichtungsgegen stände gingen in Flammen auf. Im Nu erfüll te dichter, beißender Qualm die Hütte. Zortan schien jetzt ganz ruhig. Seine Stielaugen richteten sich auf Razamon, der eben dabei war, sich zu erheben, dann auf die Mündung des Strahlers … Der Pthorer hätte keine Chance gehabt, wenn – ja, wenn Atlan und Lebo Axton nicht fast gleichzeitig geschossen hätten. Lautlos brach der Truge zusammen. Sein letzter Schuß fuhr in die Decke und ließ ein Stück wolkenverhangenen Himmel sichtbar werden. »Ich glaube, er ist tot«, sagte Razamon und deutete auf Zortan, dessen Köcher ein gefahren und von Hautlappen verschlossen war. »Wer war Villig-Ter?« »Ich weiß es nicht. Vielleicht einer der Trugen, die uns in der ZARKIET angegrif fen haben.« Atlan fühlte erneut das vorsichtige Tasten in seinen Gedanken. Ein drängender Impuls veranlaßte ihn dazu, sich zu konzentrieren. Da war es wieder, das Fremde. Wir hatten vor, euch anzugreifen, aber wir werden es nun nicht mehr tun. Denn ihr habt soeben bewiesen, daß ihr nicht unsere Feinde seid. Atlan dachte Fragen und erhielt Antwor ten, wurde selbst gefragt und versuchte zu erklären, so gut es ihm möglich war. Dabei stellte sich heraus, daß die fremden Wesen – in Ermangelung eines anderen Namens nannte er sie ›Schneewürmer‹ – keine Ah nung davon hatten, was ein Planet war, ein Sonnensystem oder gar ein Raumschiff. Sie lebten nur in den Tag hinein, verschliefen den Sommer und erwachten im Winter, so bald genug Schnee lag, daß sie sich wohl fühlen konnten. Die meiste Zeit des Jahres befanden sie sich also in einem Zustand, in dem ihre Körperfunktionen auf ein Mini mum herabgesetzt waren. Die Wurzeln der
Der Todesbote Pflanzen, mit denen sie sozusagen in Sym biose lebten, signalisierten ihnen, wann es Zeit war aufzuwachen, wann der Winter her eingebrochen war. Die Pflanzen nahmen da für gierig die Körperausscheidungen der Schneewürmer in sich auf, da der Boden, auf dem sie wuchsen, karg war und ohne Nährstoffe. Aber auch die Schneewürmer benötigten Nahrung, um Fettreserven für ih ren Sommerschlaf zu schaffen. Sie waren Fleischfresser, hatten nach ihrem letzten Aufwachen jedoch besorgt feststellen müs sen, daß es in diesem und den angrenzenden Tälern kaum noch Wild gab, das sie jagen konnten. Die Trugen hatten es entweder ver scheucht oder selbst erlegt. Sie waren es auch gewesen, die beim Bau ihrer Hütten Dutzende von Büschen gerodet hatten, was unzähligen Schneewürmern das Leben ko stete, da diese nun nie mehr aus ihrem Som merschlaf erwachen würden. Grund genug, die fremden Eindringlinge anzugreifen. Und die Pflanzen hatten sich nicht in Sicherheit bringen können, da es ihnen nur dann mög lich war, ihre Wurzeln aus der Erde zu zie hen und sich fortzubewegen, wenn ihre Symbiosepartner aufgewacht waren. Jetzt wurde Atlan auch klar, weshalb die Tiere, trotz offensichtlich vorhandener Intel ligenz, nicht fähig waren, eine eigene Zivili sation aufzubauen. Sie verschliefen die mei ste Zeit ihres Daseins. Aber war das überhaupt ein Nachteil? War ein unzivilisiertes Leben nicht einer Versklavung durch die Neffen oder den Dunklen Oheim, wer immer das sein moch te, vorzuziehen? Noch war Garritz jungfräulich zu nennen, noch gab es hier keine Station raumfahren der Völker. Für Atlan, Razamon und Lebo Axton bedeutete dies aber gleichzeitig, daß sie keine Möglichkeit hatten, den Planeten in absehbarer Zeit wieder zu verlassen. Sie waren zum Warten verurteilt und zum Hof fen. Ihre einzige sinnvolle Tätigkeit be schränkte sich darauf, den Leichnam Zortans in der gefrorenen Erde zu begraben. Ein Tag war trostloser als der andere, eine
47 Nacht länger und bedrückender als die vor angegangene. Fast ununterbrochen schneite es, und wenn der Himmel einmal für wenige Minuten aufriß, dann schien eine trübe rote Sonne, deren Strahlen jeglicher Wärme ent behrten. Der fünfte Tag brachte die betrübliche Er kenntnis, daß es um die Lebensmittelvorräte schlecht bestellt war. Genau genommen lie ßen sie sich selbst bei strenger Rationierung nur für einen weiteren Tag aufsparen. Eine unmißverständliche Warnung der Schneewürmer verbot es, auf die Jagd zu ge hen. Was blieb also anderes übrig, als die schützende Hütte zu verlassen und anderswo auf eine freundlichere Umgebung zu hoffen? »Wir warten noch«, entschied Atlan. »Vielleicht wurde der Funkspruch der Tru gen doch empfangen, und Hilfe ist bereits unterwegs.« So recht daran glauben wollte er allerdings selbst nicht mehr. Dafür war in zwischen zu viel Zeit vergangen.
* Der folgende Tag begann mit einem Schneesturm, der es unmöglich machte, die Unterkunft zu verlassen. Es wurde empfind lich kalt. Gegen Mittag riß der Himmel erstmals für wenige Augenblicke auf, doch nur um sich gleich darauf mit undurchdringlicher Schwärze zu überziehen. Ferner Donner ver kündete rasch herannahendes Unheil, und dann prasselte auch schon der Hagel herab und zuckten Blitze in nicht enden wollender Folge über das Firmament. Mehr als einen halben Meter hoch lag der Hagel, als es endlich wieder zu schneien be gann. Das Gewitter aber blieb. Es schien im Kreis gezogen zu sein, von den Bergen der Umgebung immer wieder zurückgeworfen. In der Pause zwischen zwei dröhnenden Donnerschlägen glaubte Atlan plötzlich, ein vertrautes Geräusch gehört zu haben. Doch Razamon und Axton verneinten. Das Geräusch kam wieder: ein fernes, ste tes Brausen, das sich langsam steigerte und
48 deutlicher wurde. Dann schien es über dem Tal zu verharren. Atlan riß die Tür auf. Schnee und Eis wurden hereingewirbelt; es störte ihn nicht. Über den Bergen hing ein Organschiff. Es hatte die Form einer unregelmäßigen Kugel. Atlan schätzte ihren Durchmesser auf zweihundert Meter. Das Ungewöhnliche an diesem Schiff war ein kastenförmiger Auf satz von etwa dreißig mal dreißig Meter, der rund zwanzig Meter über die pockennarbige Außenhülle hinausragte und dann erst in die Transparentkuppel überging. Als das Schiff sich so weit herabgesenkt hatte, daß es fast schon die Baumkronen berührte, konnte At lan die Galionsfigur sehen. Es handelte sich um ein krabbenähnliches Geschöpf von der ungefähren Größe eines Menschen. Razamon entzifferte den Schiffsnamen: HARSCHIER. Die Schrift war Gonex. Die HARSCHIER landete in unmittelba rer Nähe der Hütten. »Gehen wir hinaus?« Atlan schüttelte den Kopf. »Wer immer mit dem Organschiff gekom men ist«, sagte er, »ist dem Notruf der Tru gen gefolgt. Wenn die Besatzung nun nicht die erwarteten Schiffbrüchigen vorfindet, sondern ihnen unbekannte Wesen, kann es leicht geschehen, daß sie schneller ver schwinden, als sie gekommen sind.« »Du hast recht«, pflichtete Axton bei. »Das Risiko sollten wir nicht eingehen.« Sie brauchten nicht lange zu warten, bis im Rumpf der HARSCHIER eine Öffnung entstand. Ein Dutzend schwerbewaffneter Raumfahrer betrat den Planeten. Sie alle tru gen gelbe Raumanzüge, und sie kamen di rekt auf die noch stehenden Hütten zu. »Trugen!« stöhnte Razamon. »Das kann heiter werden.« Die Retter – im Fall von Atlan, Axton und Razamon sicher wider Willen – waren bis auf wenige Meter herangekommen, als At lan sich endlich dazu entschloß, das Ver steckspiel aufzugeben. Er trat ins Freie hin aus, die leeren Handflächen den Trugen ent gegenstreckend.
Hubert Haensel »Was soll das?« Nur der Anführer, ein großer, stämmiger Bursche, dem Atlan nicht einmal bis an die Schultern reichte, kam noch näher. Die anderen waren stehenge blieben. »Ihr habt den Notruf nicht abge sandt.« »Nein«, gestand Atlan ein. »Es waren Trugen wie ihr.« »Wo sind sie?« Der Arkonide hatte sich vorgenommen, wenigstens zum Teil die Wahrheit zu sagen. Alles andere würde sein Gegenüber ihm wohl nicht abnehmen. »Wir sind ebenfalls Schiffbrüchige; unse re Galionsfigur starb kurz nach der Lan dung. Die Trugen setzten einen der Ihren als neuen Lotsen ein und verschwanden mit un serem Schiff.« »Welchem Schiff?« »Der ZARKIET.« »Nie gehört. Ich habe auch Wesen wie euch im Rghul-Revier noch nie gesehen. Wie heißt du überhaupt?« »Man nennt mich Atlan.« »Gut, Atlan, ich glaube, daß du lügst. Und niemand soll es wagen, einen Trugen zum besten zu halten. – Nehmt sie mit!« Der Be fehl galt den hinter ihm Stehenden, die dar aufhin die drei Menschen nicht gerade sanft in ihre Mitte nahmen und abführten. »Zumindest haben wir es geschafft, daß wir diesen langweiligen Planeten endlich verlassen können«, bemerkte Razamon leichthin. Ein harter Schlag zwischen die Rippen überzeugte ihn davon, daß es besser war zu schweigen. »Ab sofort redet ihr nur, wenn ihr gefragt seid. Kenzon, unser Kommandant, wird die Wahrheit schon aus euch herausbekom men.« »Wir haben die Wahrheit gesagt«, be merkte Axton trotzig. Sie wurden an Bord der HARSCHIER ge bracht und zunächst in einem engen, düste ren Raum eingesperrt. Erst etliche Stunden später wurden sie von der Qual der Unge wißheit erlöst, was nun mit ihnen geschehen sollte.
Der Todesbote
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Während einige Trugen mit gezogenen Waf fen sie zur Zentrale geleiteten, hatten sie ge nügend Zeit, sich umzusehen. Alles deutete auf einen bevorstehenden Start hin. Der Kommandant tat zunächst, als habe er ihr Eintreffen nicht bemerkt, unterbrach dann aber seine Tätigkeit und wandte sich kurz an die Galionsfigur: »Schwebte, du übernimmst die Schiffs führung! Ich habe zu tun.« Einer der Trugen, die Atlan und die ande ren bewachten, flüsterte ihm etwas zu. Ken zon richtete daraufhin seine Stielaugen auf den Arkoniden und quakte verdrießlich. »Du«, sagte er, »hast einen Notruf vorge täuscht. Woher kommst du?« Noch einmal erzählte Atlan seine Ge schichte, mit einigen Ausschmückungen vielleicht, um sie glaubhafter erscheinen zu lassen. Auf jeden Fall aber vermied er es ge
flissentlich, das Marantroner-Revier auch nur zu erwähnen. Er bemerkte, daß die HARSCHIER unterdessen startete und Kurs in den freien Raum nahm. Nach dem Ziel des Fluges zu fragen, wagte er indes nicht. »Du bleibst dabei?« wollte Kenzon schließlich wissen. »Ja«, sagte Atlan. »Es gibt Mittel und Wege, um die Wahr heit aus euch herauszubekommen!« Unüber hörbar war die Drohung, die in diesen Wor ten lag. Atlan war überzeugt davon, daß die kommenden Stunden nichts Gutes bringen würden. Nur am Rande nahm er wahr, daß die HARSCHIER zum Linearflug überging.
ENDE
Weiter geht es in Band 439 von König von Atlantis mit: Treffpunkt Atlantis von Detlev G. Winter