Robert E. Howard
Kull von Atlantis Ins Deutsche übertragen von Hubert Straßl
Abenteuer aus dem Hyborischen Zeitalter, ...
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Robert E. Howard
Kull von Atlantis Ins Deutsche übertragen von Hubert Straßl
Abenteuer aus dem Hyborischen Zeitalter, aus der Zeit vor der Sintflut Kull ist ein Atlantis-Geborener unbekannter Herkunft. Er flieht vor der Rache seiner barbarischen Stammesgenossen und gelangt schließlich nach Valusien, wo er sich in blutigen Kampf die Königswürde erwirbt. Von tödlichen Intrigen, Verrat, Heimtücke und Schwarzer Magie umgeben, regiert er mit starker Hand sein Königreich, in dem er ein fremder unter Fremden ist, und bekämpft das Böse, wo auch immer es ihm begegnet.
Inhalt Inhalt ................................................................................................ 2
Prolog .............................................................................................. 3
FLUCHT AUS ATLANTIS.............................................................. 5
DAS SCHATTENKÖNIGREICH .................................................12
DER ALTAR UND DER SKORPION..........................................50
DELCARDES’ KATZE..................................................................55
DER SCHÄDEL DER STILLE.....................................................86
DIESE AXT IST MEIN ZEPTER!.................................................96
NUR EINEN GONGSCHLAG LANG........................................120
VERSCHWÖRUNG BEI NACHT .............................................126
DER KÖNIG UND DIE EICHE..................................................158
OHNE TITEL...............................................................................160
DIE SPIEGEL DES TUZUN THUNE ........................................164
DIE SCHWARZE STADT ..........................................................175
OHNE TITEL...............................................................................179
EPILOG.......................................................................................200
NACHWORT ..............................................................................207
Prolog (Prolog)
Über jene Ära, die die nemedischen Chronisten das präkata
klystische Zeitalter nennen, gibt es kaum Berichte, außer über
den letzten Abschnitt, und der liegt hinter einem Schleier von
Sagen verborgen. Die Geschichtsaufzeichnung beginnt mit dem
Verfall der präkataklystischen Zivilisation, in der Kamelien,
Valusien, Verulien, Grondar, Thule und Kommorien die
mächtigsten Königreiche waren. Diese Völker besaßen
verwandte Sprachen, was auf einen gemeinsamen Ursprung
schließen läßt. Es gab noch weitere, nicht minder zivilisierte
Reiche, deren Bewohner jedoch andere und augenscheinlich
ältere Rassen waren.
Die Barbaren jener Epoche waren die Pikten, die auf einer
Inselgruppe weit draußen im westlichen Ozean lebten; die
Atlanter auf einem kleinen Kontinent zwischen den Pikten-inseln
und dem Hauptkontinent Thuria; und die Lemurier, die eine Kette
von großen Inseln in der östlichen Hemisphäre bewohnten.
Es gab weite unerforschte Gebiete. Die zivilisierten Reiche
nahmen trotz ihrer gewaltigen Größe nur einen vergleichsweise
kleinen Teil des Planeten ein. Valusien war das westlichste
Königreich des thurischen Kontinentes, Grondar das östlichste.
Östlich von Grondar, dessen Volk nicht so hoch entwickelt war
wie jene der anderen Königreiche, erstreckte sich ein wildes,
rauhes Land, Wüste zum größten Teil. In den fruchtbareren
Gebieten, in den Dschungeln und in den Bergen lebten verstreute
Sippen und Stämme primitiver Eingeborener. Weit im Süden gab
es ein rätselhaftes Reich, das nicht mit der thurischen Kultur in
Zusammenhang stand und offensichtlich bereits vor dem
Auftauchen des Menschen existierte. An den fernen östlichen
Küsten des Kontinentes lebte eine andere Rasse, menschlich,
geheimnisumwittert und nicht-thurisch, auf die die Lemurier von
Zeit zu Zeit stießen. Sie mußte von einem dunklen und
namenlosen Erdteil irgendwo im Osten der lemurischen Inseln
stammen.
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Die thurische Zivilisation zerfiel. Ihre Armeen bestanden zum Großteil aus Barbarensöldnern. Pikten, Atlanter und Lemurier waren ihre Generäle, ihre Staatsmänner und nicht selten ihre Könige. Über Streit und Hader zwischen den Königreichen und die Kriege zwischen Valusien und Kom-morien, als auch über die Eroberungszüge der Atlanter, denen es gelang, ein Königreich auf dem Festland zu erschaffen, erfahren wir mehr aus Sagen denn geschichtlichen Fakten. Das Hyborische Zeitalter
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FLUCHT AUS ATLANTIS (Exile of Atlantis)
Die Sonne ging unter. Ihr letzter Schein tauchte das Land in Rot
und lag wie eine Blutkrone auf den schneebestäubten Gipfeln.
Die drei Männer, die das Sterben des Tages beobachteten,
atmeten tief den Duft ein, den der frühe Abendwind aus den
fernen Wäldern herbeitrug, dann wandten sie sich einer
wichtigeren Sache zu. Einer der Männer briet Wild über einem
kleinen Feuer. Er tupfte mit einem Finger an das brutzelnde
Fleisch und kostete es mit der Miene eines Feinschmeckers.
"Es ist fertig, Kull, Khor-nah. Wir können essen." Der Sprecher
war kaum mehr als ein Junge: groß, schmalhüftig, breitschultrig,
und er bewegte sich mit der Geschmeidigkeit eines Leoparden.
Der eine seiner Begleiter war ein älterer Mann mit kräftiger
Statur, dichtem Haarwuchs und harten, herausfordernden Zügen.
Der andere war ein Ebenbild des Sprechers, nur ein wenig
größer und eine Spur breiter um Brust und Schultern. Mehr noch
als der Junge vermittelte er den Eindruck von Kraft und
Geschmeidigkeit. "Gut", sagte er. "Ich bin hungrig." "Wann bist du
das nicht, Kull?" spöttelte der Junge. "Wenn ich kämpfe",
erwiderte Kull ernst. Der Jüngling warf dem Freund einen
forschenden Blick zu, als wolle er in sein Inneres sehen, denn
nicht immer wurde er klug aus ihm.
"Und dann bist du durstig - blutdurstig", warf der Ältere ein.
"Genug der Worte, Am-ra. Schneide das Fleisch."
Die Nacht brach herein. Die ersten Sterne funkelten am Himmel.
Der Nachtwind strich über das Bergland. In der Ferne brüllte
plötzlich ein Tiger. Instinktiv tastete Khor-nah nach dem Speer
mit der Steinspitze/ der neben ihm lag. Kull drehte den Kopf. Ein
eigentümliches Licht blitzte in seinen eisgrauen Augen.
"Die gestreiften Brüder jagen heute nacht", stellte er fest.
"Sie verehren den aufgehenden Mond." Am-ra deutete nach
Osten, wo ein rötliches Glühen sichtbar wurde.
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"Weshalb?" fragte Kull. "Der Mond verrät sie nur ihrer Beute und ihren Feinden." "Vor vielen hundert Jahren", erzählte Khor-nah, "bat ein Königstiger, der von Jägern verfolgt wurde, die Frau im Mond um Hilfe. Sie warf ihm eine Ranke herab, an der er hochkletterte und sich in Sicherheit brachte. Viele Jahre blieb er im Mond. Seither verehren alle Gestreiften den Mond." "Das glaube ich nicht", brummte Kull. "Weshalb sollten alle Gestreiften den Mond verehren, weil er einem ihrer Rasse vor so langer Zeit geholfen hat? So mancher Tiger ist die Todesfelsen emporgeklettert und den Jägern entkommen, aber keiner verehrt diese Felsen. Und woher sollten sie wissen, was vor so langer Zeit geschehen ist?" Khor-nahs Miene verfinsterte sich. "Es steht dir nicht an, Kull, abfällig über die Worte der Älteren zu urteilen oder dich über die Legenden des Volkes lustig zu machen, das dich bei sich aufnahm. Diese Geschichte muß wahr sein, denn sie wurde von Generation an Generation weitergegeben, länger schon, als die Menschen sich zu erinnern vermögen. Was immer war, wird auch immer sein." "Ich glaube es nicht", widersprach Kull erneut. "Diese Berge waren schon immer, aber eines Tages werden sie zerfallen und verschwinden. Eines Tages wird das Meer sie überspülen ..." "Genug dieser Lästerungen!" rief Khor-nah mit einer Heftigkeit, die an Zorn grenzte. "Kull, wir sind gute Freunde, und ich halte deiner Jugend so manches zugute, doch eines mußt du lernen: Achtung vor der Überlieferung. Du verspottest die Sitten und Gebräuche unseres Volkes, ausgerechnet du, den dieses Volk aus der Wildnis rettete und dem es ein Zuhause und einen Stamm gab." "Ich war ein nackter Affe, der in den Wäldern umherstrich", gab Kull offen und ohne Scham zu. "Ich konnte nicht wie die Menschen sprechen, und meine einzigen Freunde waren die Tiger und Wölfe. Ich weiß nicht, woher ich komme, oder welches Blut in meinen ..." -6
"Das ist nicht von Bedeutung", unterbrach ihn Khor-nah. "Deinem
Äußeren nach könntest du einer vom Stamm der Geächteten aus
dem Tigertal sein, die in der Großen Flut umkamen, doch das ist
nicht von Bedeutung. Du hast dich als tapferer Krieger und
großer Jäger erwiesen ..."
"Wo findet man schon einen Jüngling, der ihm im Speerwerfen
oder im Ringen auch nur ebenbürtig ist?" warf Am-ra mit
leuchtenden Augen ein.
"Das ist wahr", stimmte Kor-nah zu. "Er ist eine Bereicherung für
den Stamm aus den Küstenbergen, trotzdem muß er lernen,
seine Zunge im Zaum zu halten und die heiligen Dinge der
Vergangenheit und der Gegenwart in Ehren zu halten."
"Ich spotte nicht", erklärte Kull ohne Arg. "Aberich weiß, daß
vieles, was die Priester behaupten, nicht der Wahrheit entspricht,
denn ich habe mit den Tigern gejagt, und ich kenne die wilden
Tiere besser als die Priester. Tiere sind weder Götter noch
Dämonen, sondern auf ihre Art Menschen, doch ohne die
Mordlust und Machtgier der menschlichen ..."
"Noch schlimmere Lästerung!" rief Khor-nah ergrimmt. "Der
Mensch ist Valkas größte Schöpfung."
"Ich hörte die Küstentrommeln früh am Morgen", warf Am-ra ein,
um das Thema zu wechseln. "Draußen auf dem Meer wird
gekämpft. Valusien zieht gegen die lemurischen Piraten."
"Mögen sie sich gegenseitig umbringen", brummte Khor-nah.
Kulls Augen leuchteten wieder. "Valusien! Land der Träume!
Eines Tages werde ich die große Stadt sehen, von der soviel
Wundersames berichtet wird."
"Das wird dein schlimmster Tag sein", knurrte Khor-nah. "Ketten
werden dich niederdrücken, und Folter und Tod werden dir gewiß
sein. Keiner unserer Rasse bekommt die Große Stadt zu
Gesicht - außer als Sklave!"
"Möge Unheil über sie kommen", murmelte Am-ra.
"Verwüstung und Verheerung!" rief Khor-nah und schüttelte
seine Faust gen Osten. "Für jeden Tropfen atlantischen Blutes,
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das sie vergossen haben, für jeden Sklaven, der auf ihren verdammten Galeeren geschunden wird, soll eine andere Plage über Valusien und die Sieben Reiche kommen!" Am-ra sprang begeistert auf und wiederholte einen Teil des Fluches. Kull schnitt sich unbeeindruckt ein Stück Fleisch ab. "Ich habe gegen die Valusier gekämpft", sagte er. "Sie griffen mutig an, aber sie waren nicht schwer zu töten. Sie waren nicht die Teufel, die du in ihnen siehst." "Du hast gegen die schwachen Wachtrupps an der Nordküste gekämpft", brummte Khor-nah. "Oder gegen die Besatzung eines gestrandeten Kauffahrers. Warte ab, bis du den Schwarzen Reitern gegenüberstehst oder der Großen Armee - wie einst ich. Hei! Dann fließt Blut in Strömen! Mit Gandaro dem Speermann machte ich die valusischen Küsten unsicher, als ich noch jünger war als du, Kull. Ja, mit Feuer und Schwert stießen wir weit vor ins Reich. Fünfhundert waren wir, aus allen atlantischen Küstenstämmen. Zu viert nur kehrten wir zurück! Nicht weit von Hawks, einer Ansiedlung, die wir plünderten und niederbrannten, zermalmte uns die Vorhut der Schwarzen Reiter, Hei! Dort tranken die Speere, und die Schwerter litten nicht Durst! Wir lichteten ihre Reihen und sie die unseren, doch als der Schlachtenlärm verklungen war, gab es nur noch vier von uns. Schwer verwundet konnten wir fliehen." "Von Ascalante hörte ich", fuhr Kull unbeirrt fort, "daß die Mauern um die Kristallstadt zehnmal so hoch sind wie ein großer Mann; daß man von all dem Gold und Silber geblendet wird und daß die Frauen, die durch die Straßen wandeln oder sich aus den Fenstern der Häuser lehnen, in seltsame weiche und schimmernde Gewänder gekleidet sind." "Ascalante muß es wohl wissen", erwiderte Khor-nah grimmig. "Er war so lange ihr Sklave, daß er seinen guten atlantischen Namen nicht mehr weiß und nur den kennt, den die Valusier ihm gegeben haben." "Ihm gelang die Flucht", gab Am-ra zu bedenken.
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"Ja, aber für jeden Sklaven, der es schafft, den Klauen der Sieben Reiche zu entkommen, schmachten sieben in ihren Verliesen und sterben jeden Tag ein wenig/ denn ein Atlanter ist nicht zum Sklaven geboren." "Seit dem Anbeginn der Zeit sind wir die Feinde der Sieben Reiche", sagte Am-ra nachdenklich. "Und wir werden es bleiben, bis die Welt untergeht", erklärte Khor-nah mit finsterer Genugtuung. "Denn Atlantis, Valka sei Dank dafür, ist jedermanns Feind." Am-ra stand auf und nahm seinen Speer, um Wache zu halten. Die beiden anderen legten sich ins Gras und schliefen. Wovon wohl Khor-nah träumte? Vom Schlachten-getümmel, vom Donnern von Büffelhufen oder von einem Höhlenmädchen. Und Kull ... Durch die Schleier seines Schlafes drangen aus weiter Ferne die triumphierenden Klänge goldener Trompeten. Wolken strahlenden Glanzes umhüllten ihn. Dann tat sich ein gewaltiger Ausblick vor seinem Traum-Ich auf. Eine riesige Menschenmenge hatte sich vor ihm versammelt, und ein donnernder Ruf in einer fremden Sprache drang aus ihren Kehlen zu ihm empor. Waffen klirrten, und wie Schatten verhielten mächtige Armeen zur Linken und zur Rechten im Schritt. Die Schleier zerrissen, ein Gesicht blickte kühn in die Menge, eine Herrscherkrone über der Stirn - ein scharfgeschnittenes, kühles, unbewegtes Gesicht mit Augen wie das Grau der kalten See. Wieder jubelte die Menschenmenge: "Heil dem König! Heil dem König! Heil König Kull!" Kull fuhr aus dem Schlaf hoch. Die fernen Berggipfel schimmerten im Mondlicht, der Wind strich über das hohe Gras. Khor-nah lag schlafend neben ihm, und Am-ra hob sich wie eine Bronzestatue gegen den sternenfunkelnden Himmel ab. Kulls Blick wanderte über sein einziges Kleidungsstück - ein Leopardenfell, das er um die panthergleichen Hüften geschlungen hatte. Ein nackter Barbar war er - Kulls -9
gletschergraue Augen glitzerten. Kull, der König! Er sank in den
Schlaf zurück.
Am Morgen machten sie sich auf den Weg zu den Höhlen ihres
Stammes. Die Sonne stand noch nicht hoch, als das breite Band
des blauen Stromes in Sicht kam und die Höhlen des Stammes
vor ihnen lagen.
"Seht!" entfuhr es Am-ra. "Sie verbrennen jemanden!"
Ein Brandpfahl war vor den Höhlen errichtet worden. Ein junges
Mädchen war daran gefesselt. Die Augen der Herumstehenden
verrieten kein Mitleid.
"Sareeta", stellte Khor-nah fest/ und seine Züge wurden hart.
"Sie wählte den Platz an der Seite eines lemurischen Piraten,
diese Dirne!"
"Meine eigene Tochter", sagte eine alte Frau mit harter Stimme.
"Sie hat Schande über Atlantis gebracht. Sie ist nicht mehr meine
Tochter. Ihr Gefährte ist tot. Sie wurde an Land gespült, als ein
atlantisches Schiff das ihre zerstörte."
Kull sah das Mädchen voll Mitgefühl an. Er konnte es nicht
verstehen - weshalb verdammten diese Menschen, ihre eigenen
Stammesleute, sie so sehr, nur weil sie einen Feind ihres Volkes
zum Gefährten erwählt hatte? In all den Gesichtern, die ihr
zugewandt waren, konnte Kull nur in einem Mitleid entdecken -
Am-ras blaue Augen blickten bekümmert und voller Mitgefühl.
Niemand sah, was Kulls eigenes unbewegtes Gesicht verriet, nur
die Augen des zum Feuertod verdammten Mädchens hingen an
ihm. Keine Furcht sprach aus ihnen, nur
ein inbrünstiges Flehen. Kulls Blick wanderte zum Reisig um
ihren Füßen. Bald würde es der Priester, der sie bei seinen
Göttern verdammte, mit seiner Fackel entzünden. Kull sah, daß
sie mit einer schweren Holzkette, wie nur die Atlanter sie
anzufertigen wußten/ an den Pfahl gefesselt war. Er konnte sie
von dieser Kette nicht befreien, selbst wenn es ihm gelang, sich
einen Weg durch die Menge zu bahnen. Ihre Augen flehten. Er
blickte auf das angehäufte Reisig, und seine Hand glitt zu dem
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langen Steindolch in seinem Gürtel. Das Mädchen verstand. Sie nickte, und er sah die Erleichterung in ihren Augen. Kull schlug so blitzschnell und unerwartet wie eine Kobra zu. Er riß den Dolch aus dem Gürtel und warf ihn. Er traf knapp unter dem Herzen und tötete sie augenblicklich. Während die Menschen noch wie vom Donner gerührt standen, wirbelte Kull herum und rannte katzengleich die steile Felswand empor. Immer noch war die Menge erstarrt, dann riß ein Mann Bogen und Pfeil hoch und spannte. Kull schwang sich über den Rand der Steilwand. Die Augen des Schützen verengten sich. Wie zufällig stolperte Am-ra gegen ihn, und der Pfeil schoß weit an seinem Ziel vorbei. Dann war Kull verschwunden. Er hörte das wütende Geheul seiner Verfolger - seiner eigenen Stammesbrüder, die nach seinem Blut lechzten, weil er gegen ihre grausamen und unbegreiflichen Sitten verstoßen hatte. Doch kein Mann in ganz Atlantis konnte Kull vom Stamm aus den Küstenbergen einholen. Kull entkommt seinen aufgebrachten Stammesbrüdern, fällt jedoch den Lemuriern in die Hände. Die nächsten beiden Jahre ist er Rudersklave auf einer Galeere, dann gelingt ihm die Flucht. Er schlägt sich nach Valusien durch und lebt als Gesetzloser in den Bergen, bis er gefangengenommen und in einen valusischen Kerker geworfen wird. Doch das Glück ist ihm hold. Er bewährt sich als Gladiator in der Arena, dann als Soldat in der Armee und steigt zum Heerführer auf. Mit Unterstützung von Söldnern und einigen unzufriedenen valusischen Edlen greift Kull nach dem Thron. Kull selbst ist es der den tyrannischen König Borna tötet und ihm die Krone vom blutigen Haupt reißt. Der Traum ist Wirklichkeit geworden: Kull von Atlantis herrscht über das uralte Königreich Valusien.
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DAS SCHATTENKÖNIGREICH (The Shadow Kingdom)
l Parade für einen König
Die Trompeten schallten lauter, dem tiefen Brausen der
Brandung, dem sanften Tosen der Abendflut an den schimmernden Küsten Valusiens gleich. Die Menschenmenge jubelte, Frauen warfen Rosen von den Dächern, als das rhythmische Stampfen silberner Hufe näher kam und die erste Reihe des gewaltigen Aufmarsches in die breite helle Straße einbog, die um den Turm des Glanzes mit seinen goldenen Spitztürmen herumführte. Voran ritten die Trompeter, schlanke, scharlachrot gewandete Jünglinge, die in ihre langen, goldenen Instrumente stießen. Ihnen folgten die Bogenschützen, hochgewachsene Männer aus den Bergen, und diesen das schwerbewaffnete Fußvolk, dessen Rüstzeug im Takt mit den Schritten klirrte und dessen lange Speere sich in perfektem Einklang hoben und senkten. Danach folgte die mächtigste Truppe der Welt: die Roten Reiter. Vom Helm bis zu den Sporen in Rot gerüstet, saßen sie auf ihren Pferden und ritten stolz einher, den Blick starr geradeaus, doch nur scheinbar umbekümmert um den Beifall der Menge. Sie glichen Bronzestatuen, und kein Schwanken ging durch den Wald ihrer aufragenden Speere. Dieser stolzen und Respekt einflößenden Garde folgten die bunten Reihen der Söldner: grimmige, wilde Krieger, Männer aus Mu und Kaa-u, aus den Bergen im Osten und von den Inseln im Westen. Sie waren mit Speeren und mit großen Schwertern bewaffnet. In einigem Abstand marschierten in dichter Formation die lemurischen Bogenschützen. Dann kam das leichte Fußvolk des Landes, und den Schluß bildeten wiederum Trompeter. Ein prächtiger Anblick, ein Anblick, der ein wildes Gefühl des Triumphes aufwallen ließ in der Brust Kulls, des Königs von Valusien. Als echter Kriegerkönig saß er nicht auf dem Topasthron vor dem Turm des Glanzes, sondern auf dem -1 2
Rücken eines mächtigen Hengstes. Er hob seinen muskulösen Arm in Erwiderung des Grußes der vorbeimarschierenden Scharen. Sein stolzer Blick glitt über die prächtig gewan-deten Trompeter, haftete länger an den Soldaten, die hinter ihnen folgten. Seine Augen blitzten auf, als die Roten Reiter mit Waffengeklirr und tänzelnden Pferden vor ihm anhielten, um ihrem König den Ehrengruß zu entbieten; sie verengten sich eine Spur, als die Söldner vorbeizogen. Diese Söldner salutierten niemandem. Mit straffen Schultern marschierten sie vorbei und maßen Kull kühn und herausfordernd, doch nicht ohne eine gewisse Anerkennung. Ihre Gesichter waren grimmig, der Blick ihrer Augen voll Wildheit unter zottigen Mähnen und buschigen Brauen. Und Kull erwiderte diesen Blick. Tapferen Männern gestand er vieles zu, und es gab keine mutigeren auf der Welt, selbst unter den wilden Stämmen nicht, die sich weigerten, ihn anzuerkennen. Aber Kull war selbst zu sehr Barbar, um viel für sie übrig zu haben. Es gab zu viele Fehden zwischen ihnen. Die meisten waren seit unzähligen Generationen Feinde von Kulls Volk, und obgleich der Name Kull in den Bergen und Tälern seiner Heimat nun verflucht war und diese Heimat ihm fremd geworden war, ließen sich die alten Abneigungen nicht so einfach abschütteln. Denn Kull war kein Valusier, sondern ein Atlanter. Als die Kampftruppen hinter den edelsteinfunkelnden Wänden des Turmes des Glanzes seinem Blick entschwunden waren, gab Kull seinem Hengst die Zügel und ritt gemächlich zum Palast zurück. Unterwegs besprach er die Parade mit den Befehlshabern, die mit ihm ritten. Mit wenigen Worten strich er das Wesentlichste heraus. "Die Armee ist wie ein Schwert", sagte Kull, "und ein Schwert darf nicht rosten." So ritten sie die Straße hinab, und Kull schenkte dem Geflüster keine Beachtung, das aus der noch immer die Straßen säumenden Menschenmenge an seine Ohren drang. "Seht, das ist Kull! Valka! Welch ein König! Und welch ein Mann! Seht nur seine Arme! Und seine Schultern!" -1 3
Aber auch ein drohendes, finsteres Gemurmel: "Kull! Verfluchter Thronräuber von den Heideninseln!" Und: "Welche Schmach! Ein Barbar auf unserem Königsthron ...!" Kull scherte sich wenig darum. Mit Gewalt hatte er nach dem morschen Thron des uralten Valusiens gegriffen, und mit mehr Gewalt hielt er ihn nun: ein Mann gegen ein Reich. Erst die Ratsversammlung, dann die Hofgesellschaft, bei der Kull die schmeichlerischen Huldigungen der Edlen und ihrer Damen über sich ergehen lassen mußte und dieses oberflächliche Geschwätz mit sorgsam verborgener, grimmiger Belustigung ertrug. Endlich verabschiedeten sich die Höflinge, und Kull lehnte sich in seinen Hermelinthron zurück, um Regierungsgeschäfte zu überdenken, bis ein Diener die Erlaubnis des großen Königs erbat, sprechen zu dürfen. Er meldete einen Abgesandten der piktischen Botschaft. Kulls Gedanken kehrten aus dem Labyrinth valusischer Staatsaffären zurück, durch das sie gestreift waren. Er musterte den Pikten unfreundlich. Der Mann erwiderte den Blick des Königs ruhig. Er war ein schmalhüftiger, mittelgroßer Krieger, kräftig gebaut, mit breiten Schultern und der dunkleren Haut seiner Rasse. Die scharfgeschnittenen, unbewegten Züge und der furchtlose Blick verrieten nichts. "Ka-nu, Ratsoberhaupt des Stammes, rechte Hand des Königs aller Pikten, sendet Grüße und läßt wissen: >Beim Fest des aufgehenden Mondes steht ein Thron bereit für Kull, den höchsten der Könige, den Edelsten der Edlen und Herrscher von Valusien.
Verfluchten RaumMeine Lieder sind die Nägel zu des Königs Sarg!
Damals war ich der Befreier - heute Ein Raum, der trotz der kostbaren Wandbehänge und der schweren Teppiche auf dem Boden seltsam karg wirkte. Ein kleiner Schreibtisch, hinter dem ein Mann saß. Dieser Mann wäre unter Millionen aufgefallen. Das lag nicht so sehr an seiner ungewöhnlichen Statur, seiner Größe und seinen mächtigen Schultern, obgleich diese Merkmale den Eindruck verstärkten. Es war sein Gesicht, das mit seiner düsteren Unbewegtheit den Blick auf sich zog, und es waren seine schmalen grauen Augen, die den Willen seines Gegenübers mit ihrer eisigen Kraft bezwangen. Jede seiner Bewegungen, auch die kleinste, verriet stählerne Muskeln und einen Verstand, der sich ihrer zu bedienen wußte. Nichts an seinen Bewegungen war bewußt oder überlegt. Er war entweder im Zustand vollkommener Reglosigkeit - einer Bronzestatue gleich - oder er war in Bewegung, und zwar mit einer katzenhaften Schnelligkeit, der das Auge kaum zu folgen vermochte. Im Augenblick hatte er das Kinn auf die Fäuste gestützt und die Ellenbogen auf den Schreibtisch und blickte düster auf den Mann, der vor ihm stand und gerade damit beschäftigt war, die Riemen seines Brustpanzers zu schließen. Dabei pfiff er geistesabwesend vor sich hin. Das war ein ganz und gar ungewöhnliches Verhalten für einen, der sich in der Gegenwart eines Königs befand. "Brule", sagte der König, "diese Regierungsgeschäfte ermüden mich mehr, als es alle meine Schlachten zusammen getan haben." "Das gehört nun einmal zum Spiel, Kull", antwortete Brule. "Ihr seid der König. Ihr müßt Euch an die Regeln halten." -1 0 1
"Ich wollte, ich könnte mit dir nach Grondar reiten", sagte Kull
neiderfüllt. "Es ist eine Ewigkeit her, daß ich ein Pferd zwischen
den Schenkeln hatte, aber Tu sagt, daß dringliche
Angelegenheiten meine Anwesenheit erfordern. Valka verdamme
ihn!
Ich habe aufgehört, die Monate zu zählen", fuhr er mit
wachsendem Grimm fort, als er keine Antwort erhielt, "seit ich
das alte Herrschergeschlecht aus dem Palast fegte und den
Thron Valusiens bestieg. Davon hatte ich schon geträumt, als ich
noch ein kleiner Junge im Land meiner Stammesbrüder war. Und
wie einfach war es. Wenn ich jetzt auf den langen harten Weg
zurückschaue, kommen mir alle Anstrengungen, Kämpfe und
Entbehrungen so fern und unwirklich vor, als hätte ich sie nur
geträumt. Und welch ein Aufstieg war es: vom einfachen Jäger in
Atlantis zu den lemurischen Galeeren - zwei Jahre an ihre Ruder
gekettet -, dann zum Gesetzlosen in den Bergen Valusiens, zum
Gefangenen in den Kerkern der Stadt, zum Gladiator in der
Arena, zum Soldaten der valusischen Armee, zu ihrem
Befehlshaber, schließlich zum König!
Mein Fehler, Brule, war, daß ich nicht zu Ende träumte. Ich sah
mich immer nur den Thron erobern. Darüber blickte ich nicht
hinaus. Als König Borna tot vor meinen Füßen lag und ich die
Krone von seinem blutigen Kopf riß, hatte ich die fernste Grenze
meiner Träume erreicht. Von da an war alles trügerisch und
falsch.
Ich hatte nie mehr gewollt, als einen Thron zu erobern, nicht
darauf zu sitzen.
Als ich Borna stürzte, damals jubelte mir das Volk zu. Damals
war ich der Befreier - heute murren sie hinter meinem Rücken
und blicken finster hinter mir her. Sie spucken auf meinen
Schatten, wenn sie glauben, daß ich es nicht sehe. Von Borna,
dem toten Schwein, haben sie eine Statue im Tempel der
Schlange aufgestellt und bejammern, daß ihr großer geheiligter
König von einem blutrünstigen Barbaren erschlagen worden ist.
Als ich als Krieger ihre Armeen zum Sieg führte, da sahen sie
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über die Tatsache hinweg, daß ich ein Fremder bin. Aber jetzt
können sie es mir nicht verzeihen.
Und jetzt kommen sie in den Tempel der Schlange gekrochen,
um Räucherwerk zu Bornas Andenken zu entzünden ... Männer,
die seine Henker geblendet und verstümmelt haben, Väter, deren
Söhne in seinen Kerkern ein Ende fanden, Ehemänner, deren
Frauen in seinem Harem verschwanden. Pah! Die Menschen
sind alle Narren."
"Dafür ist hauptsächlich Ridondo verantwortlich", erklärte der
Pikte und schnürte den Schwertgurt um ein Loch enger. "Die
Lieder, die er singt, machen das Volk verrückt. Hängt ihn in
seinen Narrenkleidern auf den höchsten Turm der Stadt. Laßt ihn
Reime für die Geier schmieden."
Kull schüttelte die Löwenmähne. "Nein, Brule. Er steht außerhalb
meiner Gewalt. Ein großer Dichter steht über dem höchsten
König. Er haßt mich, dennoch wäre ich gern sein Freund. Seine
Lieder sind mächtiger als mein Zepter, denn immer wieder hat er
mich zutiefst bewegt, wenn er für mich sang. Ich werde sterben
und vergessen sein. Seine Lieder werden ewig leben."
Der Pikte zuckte die Schultern. "Wenn Ihr es so wollt. Ihr seid der
König, und das Volk kann Euch nicht absetzen. Die Roten Reiter
stehen wie ein Mann hinter Euch, zusammen mit dem ganzen
Piktenreich. Wir sind beide Barbaren, wenn wir auch den größten
Teil unseres Lebens in diesem Land verbracht haben. Ich muß
jetzt gehen. Ihr habt nichts zu befürchten, außer einem Dolch im
Rücken, was so gut wie unmöglich ist, weil Tag und Nacht eine
Abteilung Rote Reiter für Eure Sicherheit sorgt."
Kull hob grüßend die Hand, und der Pikte schritt mit schweren
Schritten aus dem Raum.
Ein anderer Mann wartete bereits auf eine Audienz, was Kull
erneut zu Bewußtsein brachte, daß die Zeit eines Königs seinen
Untertanen gehörte.
Es war ein junger Edelmann aus der Stadt mit Namen Seno val
Dor. Dieser berühmte Schwertkämpfer und Draufgänger
erschien in einem Zustand deutlicher Verstörtheit vor dem König.
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Seine Samtkappe war zerknittert, und als er sie fallen ließ,
während er sich auf die Knie warf, hing die große Feder traurig
herab. Seine kostbaren Kleider waren schmutzig, so als wäre
ihm in seiner tiefen Verzweiflung seine äußere Erscheinung seit
Tagen gleichgültig gewesen.
"König, o mein Lord König", sagte er aus tiefster Seele, "um der
ruhmreichen Taten meiner Familie willen, Majestät, und um
meiner Treue willen, flehe ich Euch an, gewährt mir in Valkas
Namen eine Bitte."
"Nenne sie."
"Mein Lord König, ich liebe ein Mädchen. Ohne sie kann ich nicht
mehr leben. Ohne mich wird sie sterben. Ich kann nicht mehr
essen und nicht mehr schlafen, weil ich immer an sie denken
muß. Ihre Schönheit verfolgt mich am Tag und in der Nacht - das
strahlende Bild ihrer Lieblichkeit ..."
Kull bewegte sich unruhig. Er war nie verliebt gewesen.
"Dann heirate sie doch, in Valkas Namen!"
"Ah!" rief der Jüngling. "Das geht ja nicht! Sie ist eine Sklavin.
Sie heißt Ala und gehört Ducalon, dem Grafen von Komahar. In
den schwarzen Gesetzbüchern Valusiens steht geschrieben,
daß ein Edelmann keine Sklavin ehelichen darf. Das war schon
immer so. Ich habe Himmel und Hölle in Bewegung gesetzt und
doch immer nur die gleiche Antwort erhalten. Edelleute können
niemals Sklaven heiraten. Es ist schrecklich. Sie sagen, daß es
noch nie in der langen Geschichte des Reiches vorgekommen
ist, daß ein Edelmann eine Sklavin heiraten wollte. Gibt es keinen
Weg für mich? Ich wende mich an Euch als meine letzte
Hoffnung."
"Und verkauft dieser Ducalon sie nicht?"
"Doch, aber das würde wenig ändern. Sie wäre dann noch immer
eine Sklavin, und man darf ebensowenig seine eigene Sklavin
heiraten. Und ich will sie nur als mein Weib. Alles andere wäre
nur eine Verhöhnung unserer Liebe. Ich möchte sie der Welt
zeigen, geschmückt und gewandet wie es einer Gemahlin val
Dors geziemt. Aber das ist nur möglich, wenn Ihr mir helfen
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könnt. Sie wurde als Sklavin geboren, als Kind von Sklaven, deren Vorfahren seit hundert Generahonen Sklaven sind. Sie wird eine Sklavin sein, so lange sie lebt, und ihre Kinder ebenso. Daher darf sie keinen Freien heiraten." "Dann werde selbst ein Sklave", schlug Kull vor und beobachtete den Jüngling scharf.
"Das wollte ich", erwiderte Seno so aufrichtig, daß Kull ihm sofort
glaubte. "Ich ging zu Ducalon und sagte zu ihm:
>Ihr besitzt eine Sklavin, die ich liebe. Ich möchte sie heiraten. Nehmt mich als Euren Sklaven, so daß ich ihr nah sein kann.< Entsetzt schlug er mir meinen Wunsch ab. Er wollte mir das Mädchen verkaufen, ja, sie mir schenken, aber er wollte mich nicht als Sklaven nehmen. Und mein Vater hat den Bluteid geschworen, mich zu töten, wenn ich die Schande der Sklaverei über den Namen val Dor brächte. Nein, mein Lord König, nur Ihr könnt mir noch helfen." Kull rief nach Tu und legte ihm den Fall dar. Tu, der oberste Berater, schüttelte den Kopf. "In den großen eisengebundenen Büchern steht es geschrieben, so wie Seno es gesagt hat. Es war immer Gesetz und wird es auch immer sein: Einer von edlem Geschlecht darf sich nicht verbinden mit einem Sklaven." "Kann ich dieses Gesetz nicht ändern?" fragte Kull. Tu legte eine Steintafel vor ihn auf den Tisch, in die das Gesetz
gemeißelt war.
"Seit Tausenden von Jahren besteht dieses Gesetz. Seht her,
Kull, die ersten Gesetzgeber schrieben es in Stein nieder, vor so vielen Jahrhunderten, die ein Mann im Verlauf einer ganzen Nacht nicht zählen könnte. Weder Ihr noch ein anderer König besitzt die Macht, es zu ändern." Kull fühlte plötzlich wieder das unerträgliche Gefühl völliger Hilflosigkeit, wie so oft in letzter Zeit. Es schien ihm, daß Regentschaft nur eine andere Art der Sklaverei war. Er hatte sich immer mit seinem Schwert durchgesetzt und erschlagen, wer sich ihm in den Weg stellte. Wie konnte er sich gegen besorgte und respektvolle Freunde behaupten, die sich vor ihm -1 0 5
verbeugten, ihm schmeichelten und sich gegen jede Neuerung
sträubten; die sich und ihre alten Bräuche hinter Tradition und
Unantastbarkeit verschanzten und ihm jede Änderung
verwehrten?
"Geh", sagte er mit einer müden Handbewegung. "Es tut mir leid,
aber ich kann dir nicht helfen."
Seno val Dor verließ den Raum mit hängendem Kopf und
gebeugten Schultern, mit leerem Blick und schlurfenden
Schritten. Er war ein gebrochener Mann.
3 >Ich hielt Euch für einen Tiger in Menschengestalt! Tu, Lordkanzler von Valusien< und versehen mit dem Siegel des königlichen Siegelringes. -1 3 8
Kull zog finster die Brauen zusammen. Die Sache gefiel ihm
nicht. Aber er erkannte Tus Handschrift an dem eigenwilligen,
winzigen Schnörkel am Ende des Namens, dem
unverwechselbaren Kennzeichen des Kanzlers gewissermaßen.
Und dann der Abdruck des Siegels, der nicht nachgemacht
werden konnte. Kull seufzte.
"Also gut", stimmte er zu. "Warte, bis ich meine Waffen angelegt
habe."
Wieder bekleidet und mit einem leichten Kettenhemd gerüstet
erschien Kull erneut am Fenster. Er packte die Stäbe, spannte
seine Muskeln und spürte, wie die Stäbe nachgaben - weit
genug, daß selbst seine breiten Schultern durchschlüpfen
konnten. Er kletterte hinaus und griff nach den Ranken. An ihnen
kletterte er mit der gleichen Leichtigkeit und Gewandtheit hinab
wie der kleine Bettler. Unten angelangt ergriff Kull seinen
Begleiter am Arm. "Wie bist du an den Wachen
vorbeigekommen?" flüsterte er.
"Wenn sie mich entdeckten, zeigte ich ihnen das königliche
Siegel."
"Damit werden wir nicht beide unerkannt hinauskommen",
brummte Kull. "Bleib hinter mir. Ich bin mit ihrem Dienst vertraut."
Die nächsten zwanzig Minuten verbrachten sie damit, hinter
Büschen den Vorbeimarsch von Wachtposten abzuwarten,
blitzschnell im Schatten unterzutauchen und lautlos von Deckung
zu Deckung zu huschen. Schließlich erreichten sie die
Außenmauer. Kull ergriff seinen Führer bei den Füßen und hob
ihn hoch, bis seine Finger den oberen Mauerrrand zu fassen
bekamen. Als er oben war, reichte der Bettler dem König die
Hand, um ihm hochzuhelfen, doch Kull winkte nur verächtlich,
nahm einen kurzen Anlauf, schnellte empor, packte die
Mauerkrone mit einer ausgestreckten Hand und schwang sich
mit einer unglaublichen Leichtigkeit und Gewandtheit hinüber.
Gleich darauf erreichte das höchst ungleiche Paar die Seite
jenseits der Mauer und verschwand in der Dunkelheit.
4 >Ich bin zum Kampf bereit!
andere