Atlan - Der Held von
Arkon
Nr. 199
Kreuzzug nach Yarden Atlan und Prinzessin Cryasalgira
unter Tejonthern - und im ...
8 downloads
423 Views
1MB Size
Report
This content was uploaded by our users and we assume good faith they have the permission to share this book. If you own the copyright to this book and it is wrongfully on our website, we offer a simple DMCA procedure to remove your content from our site. Start by pressing the button below!
Report copyright / DMCA form
Atlan - Der Held von
Arkon
Nr. 199
Kreuzzug nach Yarden Atlan und Prinzessin Cryasalgira
unter Tejonthern - und im »Kerker
ohne Rückkehr«
von Clark Darlton
Im Großen Imperium der Arkoniden schreibt man eine Zeit, die auf Terra dem 9. Jahrtausend v. Chr. entspricht. Imperator des Reiches ist Orbanaschol III. ein bruta ler und listiger Mann, der seinen Bruder Gonozal VII. töten ließ, um selbst die Herr schaft antreten zu können. Gegen den Usurpator kämpft Gonozals Sohn Atlan, Kristallprinz und rechtmäßiger Thronerbe des Reiches, mit einer stetig wachsenden Zahl von Getreuen, die Orbana schols Helfershelfern schon manche Schlappe beibringen konnten. Mit dem Tage jedoch, da der Kristallprinz Ischtar begegnet, der schönen Varganin, die man die Goldene Göttin nennt, scheint das Kriegsglück Atlan im Stich gelassen und eine Serie von empfindlichen Rückschlägen begonnen zu haben, die schließlich zu einer erneuten Versetzung des Arkoniden in die Mikroweit führten. Dort – nach turbulenten und gefahrvollen Abenteuern mit Dophor, Gjeima, den Jansonthenern, dem wahnsinnigen Motros und den Zombies – ist Atlan mit Crysalgi ra, seiner arkonidischen Leidensgenossin und Kampfgefährtin, in die Gefangenschaft der Tejonther geraten. Diese Wesen aber, die zur Vruumys' Volk gehören, planen den KREUZZUG NACH YARDEN …
Kreuzzug nach Yarden
3
Die Hautpersonen des Romans:
Atlan und Crysalgira - Der Kristallprinz und die arkonidische Prinzessin als »Gäste« der Tejonther.
Klahngruit - Befürworter des Kreuzzugs nach Yarden.
Kenlath-Cel und Groya-Dol - Gegner des Kreuzzugs.
Rengot-Dol - Ein tejonthischer Pilot.
1. Crysalgira Quertamagin, die arkonidische Prinzessin, wirkte nicht mehr ganz so zuver sichtlich wie vorher, als das Schiff auf ei nem Raumhafen nie gesehenen Ausmaßes niederging und der Antrieb ausgeschaltet wurde. Sie schien erwartet zu haben, von Vruumys' Volk auf eine Welt gebracht zu werden, die uns schon bekanntwar. Wir standen an der großen Sichtluke und verfolgten die Landung. »Was haben sie mit uns vor, Atlan?« frag te sie mit unsicherer Stimme. »Zuerst retten sie uns, und nun bringen sie uns hierher.« »Sei froh, Crysalgira, daß sie uns nicht auf einer unbewohnten Welt absetzen«, ver suchte ich ihr Mut zuzusprechen. »Du siehst ja selbst, daß es hier von Raumschiffen nur so wimmelt. Aus großer Höhe konnten wir eine riesige Stadt erkennen, und wir haben auch gesehen, daß es sich um einen unge wöhnlich großen Planeten handelt, zum Glück mit atembarer Atmosphäre. Ich neh me an, er gehört den Tejonthern.« Während der Reise hierher hatten wir er fahren, daß sich die Angehörigen von Vruu mys' Volk selbst »Tejonther« nannten, aber das war auch so ziemlich alles, was sie uns sagten. Mit allen Mitteln der Überredungs kunst hatte ich versucht, mehr aus ihnen her auszubekommen, aber vergeblich. Die Tejonther hatten durchaus humanoide Körperformen, nur waren sie von den Zehen bis zum Kopf mit einem dichten, schwarzen Pelz bedeckt. Ihre Durchschnittsgröße ent sprach der unseren. Die Verständigung mit ihnen erfolgte durch einen Translator. »Vielleicht werden wir von hier aus wei tertransportiert«, hoffte meine Schicksalsge fährtin, die genau wie ich durch die neue
Waffe der Maahks, den sogenannten Mole kularverdichter, in den Mikrokosmos ver schlagen worden war. Obwohl alle Maßein heiten in der Relation zu stimmen schienen, wußte ich, daß Crysalgira und ich so winzig geworden waren, daß wir unter einem nor malen Mikroskop nicht mehr zu erkennen gewesen wären. »Sie können uns ja nicht ewig festhalten.« Einer der Tejonther näherte sich uns. Vorn auf der Brust trug er den kleinen Translator. Er deutete durch die Sichtluke und sagte: »Wir sind auf dem Planeten Belkathyr, ei ner unserer großen Stationen. Die Stadt trägt den gleichen Namen. Sie werden dort erwar tet, und man wird sich um Sie kümmern. Be trachten Sie sich als Gäste unseres Volkes.« Freundliche Worte, dachte ich bei mir und versuchte, ein Gefühl der Bitterkeit zu ver scheuchen. Gäste, denen man jede Auskunft verweigerte und die man festhielt, waren in meinen Augen nichts anderes als Gefangene. Aber vielleicht trafen wir auf dieser Welt je mand, der uns auf unsere Fragen Antwort gab. Crysalgira würdigte den Tejonther keines Blickes. Stolz aufgerichtet stand sie an der Sichtluke, neunzehn Arkonjahre jung und fast so groß wie ich. Ihr silbernes Haar war hochsteckt, und ihre vollen Lippen wirkten ein wenig schmollend. Die rötlichen und mandelförmigen Augen sahen dem Treiben draußen vor dem gelandeten Schiff zu. Der Tejonther schien Fragen erwartet zu haben, aber als keine erfolgten, entfernte er sich wieder. Wir hätten ja doch keine Ant wort erhalten, warum also sollten wir fra gen? Sowhl Crysalgira wie auch ich trugen einen flexiblen Metallanzug, der aus unzäh ligen kleinen Segmenten blauer Färbung zu
4 sammengesetzt war. Wir hatten sie von den Tejonthern erhalten. Mir fiel auf, daß die Tejonther nur zwei Schiffstypen besaßen. Die Bauart war iden tisch, die Größe jedoch verschieden. Die ei ne Sorte war dreißig, die andere etwa hun dertzwanzig Meter lang, stromlinienförmig und mit vier kräftigen Heckflossen, die zu gleich als Landestützen dienten. »Belkathyr also«, murmelte die Prinzes sin. »Damit wissen wir genauso viel wie vorher. Außerdem spielt es keine besondere Rolle, wohin man uns bringt. Wir werden den Weg zurück niemals mehr finden.« Zurück – das bedeutete den Makrokos mos, das normale Universum, das Große Im perium der Arkoniden – und es bedeutete Orbanschol III. den Mörder meines Vaters. Ich wußte, daß es einen Weg geben wür de, und wenn wir Glück hatten, fanden wir ihn auch. Die erste Spur war die ›Gefühlsbasis‹ der geheimnisvollen Tropoy thers gewesen, die man auch die ›Leerraumkontrolleure‹ nannte. Ich konnte mir einfach nicht vorstellen, daß eine solche Bezeichnung ohne tiefen Sinn gewählt wor den war. Dahinter steckte mehr, dessen war ich gewiß. Die Luke des Schiffes öffnete sich, und wenig später kam ein Tejonther, um uns ab zuholen. Auch er war höflich und bat uns, ihn zu begleiten. Gepäck besaßen wir kei nes, also folgten wir ihm ohne Umstände. Wir gingen durch den breiten Korridor, der zur Schleuse führte, und dann standen wir an der Schwelle der stabilen Leiter, die nach unten führte. Vom Rande des Landefelds her näherte sich eine Gruppe von mehreren Tejonthern, ebenfalls mit den blau schimmernden Metal lanzügen bekleidet. Wäre nicht das schwarze Fell auch im Gesicht gewesen, man hätte sie leicht für Arkoniden oder andere humanoide Intelligenzen des Normaluniversums halten können. Unser Begleiter brachte uns hinab, und dann standen wir auf der Oberfläche des Riesenplaneten Belkathyr, der in Wirklich-
Clark Darlton keit nicht größer als ein Atom sein mochte, wenn man die Maße des Makrokosmos zum Vergleich heranzog. Es folgte eine Unterhaltung, der wir aber nicht folgen konnten, weil die Translatoren abgeschaltet worden waren. Wahrscheinlich informierte der Offizier des Schiffes den Sprecher der Gruppe, die gekommen war, um uns in Empfang zu nehmen. »Sieht aus wie eine diplomatische Dele gation«, meinte Crysalgira neben mir. »Bin gespannt, was man von uns will.« »Wir werden es bald erfahren«, antworte te ich. Mir fiel auf, daß mehr dem Zentrum des Raumfelds zu die torpedoförmigen Schiffe in regelrechten Formationen aufgereiht stan den, als wollten sie bald starten. Meiner Schätzung nach handelte es sich um.Blöcke' von jedesmal knapp fünfzig Einheiten. War tungsmaschinen glitten durch die freigeblie benen Sektoren und überprüften die Außen hüllen der Schiffe. Überall waren Tejonther zu sehen, die ihrer Arbeit nachgingen. Der Sprecher der Delegation schaltete nun seinen Translator ein und sagte zu Crysalgi ra und mir: »Wir heißen euch auf Belkathyr willkom men und hoffen, daß es euch bei uns gefällt. Ich werde für eure Sicherheit und euer Wohlbefinden verantwortlich sein und heiße Klahngruit. Betrachtet mich als euren Freund und Verbindungsmann. Wenn ihr Fragen habt, so werde ich sie – soweit mir das erlaubt ist – beantworten. Folgt mir nun …« Ich sah ein, daß es in diesem Augenblick ziemlich sinnlos sein mußte, Fragen zu stel len. Es war besser, zuerst einmal abzuwar ten, wohin uns dieser Klangruit zu bringen gedachte. Ein flachgebautes Gefährt brachte uns – nur den Tejonther und uns beide – durch mehrere Sperrgürtel aus dem Raumhafenge lände heraus, das ziemlich abgesichert zu sein schien. Ich sah riesige Flachbauten, die von Uniformierten bewacht wurden. Trans portwagen verrieten mir, daß es sich um
Kreuzzug nach Yarden Warenlager handelte. Die Stadt selbst versetzte mich ein wenig in Erstaunen. Aus der Ferne hatte ich hohe Bauten gesehen, und nun stellte es sich her aus, daß es nur wenige davon gab. Sie stan den stets im Zentrum eines quadratisch an gelegten Wohnbezirks, der von breiten Al leen begrenzt wurde. Um sie herum waren die Häuser klein und niedrig. Wahrschein lich beherbergten die Hochhäuser die jewei ligen Einkaufszentren für das zu ihnen gehö rende Wohnquadrat. Wir fuhren durch belebte Straßen, wurden aber kaum beachtet. Ich begriff auch sehr schnell, warum nicht. Ich sah Dutzende von Angehörigen anderer Sternenvölker, die sich frei und ungezwungen auf den Bürgerstei gen bewegten und sich offensichtlich gut mit den Tejonthern zu verständigen wußten. Sie trugen nur selten Translatoren. »Wohin geht die Fahrt, Klahngruit?« frag te ich, als mir sein Schweigen allmählich auf die Nerven ging. Unser Führer warf einen kurzen Blick auf die automatischen Fahrtkontrollen, dann er widerte er: »Wie Sie feststellen können, leben auch Fremde in unserer Stadt. Sie sind frei und unsere Gäste – so wie Sie auch. Ich bringe Sie in eines der vielen Hotels. Auf Ihrem Zimmer finden Sie ein Gerät, das mit einem identischen in meiner Wohnung verbunden ist. Sie können mich also jederzeit erreichen. Aber ich glaube, Sie werden meine Hilfe kaum benötigen. Auf Belkathyr gibt es für unsere Gäste keine Gefahren. Niemand wird Sie belästigen, wenn Sie Ihr Hotel verlassen und sich umsehen. Aber bleiben Sie dem Raumhafen fern.« »Warum?« fragte Crysalgira aufsässig. »Es gibt sehr viele Gründe, die ich Ihnen nicht aufzählen kann und will. Ich habe Sie gewarnt, das ist alles.« »Und was ist mit Essen und Trinken?« wollte ich wissen. »Wir haben kein Geld.« »Zahlungsmittel brauchen Sie nicht. Sie können sich überall das holen, was Sie benö tigen. Niemand kann mehr verzehren als
5 produziert wird. Und genau diese Menge kann durch die unentgeltliche Arbeit eines jeden Tejonthers erzeugt werden – einge schlossen Reserven für den Notfall und für unsere Gäste.« Ein Gesellschaftssystem, das ich von an deren Zivilisationen her kannte. Es garan tierte ein Leben ohne Sorgen und Probleme, aber auch eines ohne persönliche Freiheit. Mir gefiel es nicht. »Und wie lange gedenken Sie, uns als Gä ste zu behalten?« erkundigte ich mich ein wenig spöttisch. »Das hängt nicht von mir ab«, wich er ei ner direkten Antwort aus. »Wenn ich ehrlich sein soll, so muß ich Ihnen gestehen, daß mir Ihre Anwesenheit keine große Freude bereitet, aber Ihre Betreuung gehört nun mal zu meinen Aufgaben. Machen Sie mir keine Schwierigkeiten. Es gibt verschiedene Kate gorien von Gästen bei uns.« Ich verstand, was er damit sagen wollte. »Können wir uns frei bewegen?« verge wisserte ich mich noch einmal. »Vom Raumhafen abgesehen, meine ich.« »Selbstverständlich. Sehen Sie sich unse re Welt an.« Er deutete auf eines der Hoch häuser. »Wir sind gleich am Ziel.« Das Fahrzeug bog in die Allee ein, folgte dann einer schmalen Straße, die durch lange Reihen kleiner und gleichmäßiger Häuser führte, bis es den Hochbau erreichte. Wie ich schon vermutet hatte, befanden sich un ten die Versorgungszentren, in denen man alles ohne Geld haben konnte. Darüber lag das eigentliche Hotel, wohl mehr ein gigan tischer Wohnblock. Klahngruit, der froh zu sein schien, uns endlich loszuwerden, ging uns voran. Wir folgten ihm mit gemischten Gefühlen. Nach der Reise im Raumschiff war ich auf der einen Seite ganz froh, endlich wieder in ei nem richtigen Bett schlafen zu können. Cry salgira schien an ähnliche Dinge zu denken, wenn ihr Gesicht auch einige Zweifel aus drückte. Ein Lift brachte uns bis in das oberste Stockwerk. Klahngruit übergab uns zwei
6 kleine Schüssel und deutete auf eine der zahllosen Türen. »Ein Apartment mit allem Luxus, das be ste in diesem Hotel. Ich nehme an, Sie wer den sich wohl fühlen.« Ich öffnete die Tür, betrat einen großen Raum mit gläserner Wand, durch die man eine grandiose Aus sicht auf die ganze Stadt hatte. Der Tejon ther war mitgekommen. »Dort auf dem Tisch ist das Visiphon, mit dem Sie jederzeit Verbindung zu mir aufnehmen können. Ich wünsche Ihnen einen angenehmen Aufent halt in Belkathyr.« Er ging, und hinter ihm schloß sich auto matisch die Tür. Ich legte meinen Schlüssel auf den Tisch und sah mich um. Natürlich nahm ich an, daß es Spione gab, akustische und optische. Aber so sehr ich auch danach suchte, ich entdeckte keine. Crysalgira hatte ganz andere Sorgen. Sie inspizierte unsere gemeinsame Wohnung, und als sie zurückkehrte, konnte sie ihre Er leichterung nicht verbergen. »Zwei Schlafzimmer und zwei Toiletten räume«, teilte sie mir erfreut mit. »Damit hätten wir zumindest schon ein Problem ge löst, ohne darüber diskutieren zu müssen. Die Tejonther scheinen zu wissen, daß wir nicht verheiratet sind.« »Oder es ist hier so üblich, daß jeder für sich allein schläft und badet«, gab ich iro nisch zurück. »Sicherlich werden Sie gestat ten, Prinzessin, daß ich ab und zu den ge meinsamen Wohnraum aufsuche …« »Rede keinen Unsinn, Atlan!« unterbrach sie mich, und es klang richtig erzürnt. »Ich weiß genau, daß ich nichts zu befürchten ha be … schließlich ist es ja nicht das erste Mal, daß wir zusammen schlafen müssen. Aber ich finde es eben bequemer. Hast du etwas dagegen, wenn ich jetzt bade?« »Absolut nichts, ich sehe mich inzwi schen noch hier um.« Ich ging in das zweite Schlafzimmer und fand einen Schrank mit Wäsche und Beklei dung. Auch im Baderaum befand sich alles, was benötigt wurde. Langsam begann ich mir einzureden, daß uns einige Tage der Er-
Clark Darlton holung guttun würden. Das Hotel gefiel mir. Ich kehrte in den Wohnraum zurück und setzte mich an das riesige Wandfenster. Un ter uns lag die Stadt. Nun erst war richtig er sichtlich, welche Fläche sie bedeckte. Links sah ich die Spitzen der Raumschiffe am Ho rizont, mindestens zwanzig Kilometer ent fernt, und so weit dehnte sich auch die Stadt nach dieser Richtung aus. Nach der anderen, wie mir schien, sogar noch weiter. Und im mer stand ein Hochhaus inmitten einer Sied lung kleinerer Bauten. Aber ich entdeckte auch Grünflächen und Parks, sogar einige Seen. Es dauerte eine halbe Stunde, dann erschi en Crysalgira wieder. Sie trug ein fast durch sichtiges Gewand, das ihre Figur noch mehr zur Geltung brachte. Sie bemerkte meinen bewundernden Blick und meinte: »Du wirst doch Chergost nicht vergessen …?« Der arkonidische Sonnenträger Chergost war ihr Geliebter, wenigstens war er das im Makrokosmos gewesen. Seinetwegen hatte sie unfreiwillig die Reise in den Mikrokos mos antreten müssen, und so waren wir uns begegnet. Ich schüttelte den Kopf. »Natürlich nicht, Crysalgira, obwohl es mir besonders schwerfällt, wofür du hoffent lich Verständnis zeigst. Du bist sehr schön, Prinzessin.« Sie nickte ein wenig schelmisch. »Was für ein Programm schlägst du also vor?« Ich sah wieder aus dem Fenster. »Meiner Schätzung nach wird es bald dunkel. Die Sonne ist in einer Stunde weiter gewandert, die Rotation läßt sich abschät zen. Ich meine, wir sollten heute hier blei ben. Ich werde versuchen, irgendwo etwas zu essen und zu trinken aufzutreiben und komme dann zurück.« »Keine Zimmerbedienung?« schmollte sie. Ich lächelte. »Und wenn schon, ich gehe selbst. Bei der Gelegenheit sehe ich mich gleich ein
Kreuzzug nach Yarden wenig im Hotel um. Verlasse bitte das Zim mer nicht ohne meine Begleitung. Warte auf mich, ich bin bald zurück.« »Du kannst beruhigt sein, Atlan, ich bin froh, ein wenig Ruhe zu finden. Außerdem gefällt mir die Aussicht.« Ich nahm meinen Schlüssel und schob ihn in die Tasche meines Anzugs. Die Tür ließ sich von innen leicht öffnen und schloß sich automatisch. Ich stand auf dem Korridor. Niemand war zu sehen. Mit Leichtigkeit fand ich den Lift und fuhr nach unten. Hier herrschte reger Betrieb, aber nie mand kümmerte sich um mich. Ungehindert konnte ich mich bewegen und betrat eines der Warenlager. Eine Weile sah ich zu, wie es die Tejonther machten, dann nahm ich einen kleineren Korb und ließ mich von der drängenden Menge mitschieben. Inzwischen kannte ich schon einige Nah rungsmittel der Bepelzten, aber meist unver packt. Jetzt wurde es schwieriger. Zum Glück jedoch war auf den meisten Packun gen der Inhalt abgebildet, oder die Ver packung selbst war transparent. Nach und nach füllte ich meinen Korb und vergaß auch einige Flaschen nicht, von denen ich annahm, daß sie eine trinkbare Flüssigkeit enthielten. Ohne angehalten zu werden, verließ ich das »Geschäft« und stand in der Vorhalle, deren Decke von runden Säulen getragen wurde. Viele der Tejonther, die ich im Lager gesehen hatte, betraten einen der Lifts. Sie wohnten also im Hochhaus. Andere gingen auf die Straße und strebten ihren kleinen Häusern zu. Es war ein so friedliches Bild, wie ich es selten auf anderen Welten gesehen hatte. Die Tejonther waren im Grunde zu benei den, wenn ihr gesamter Kosmos wahrschein lich auch in wenigen Kubikzentimetern Nor malmaterie Platz fand. Zwischen Daumen und Zeigefinger hätte ich früher ihr ganzes Universum halten können … Ich schüttelte den Gedanken ab. Ich war winzig wie sie geworden, und daher verlo ren alle Relationen ihre Gültigkeit.
7 Mit dem Lift kehrte ich in das oberste Stockwerk zurück. Eine breite Treppe führte noch weiter nach oben, und neugierig stieg ich sie hinauf. Meine Vermutung bestätigte sich. Ich stand auf einer riesigen Terrasse, von der aus man einen noch besseren Über blick als vom Zimmer aus hatte. Nach allen Seiten dehnte sich die Stadt, bis zum Hori zont, der durch Berge begrenzt wurde. Die Luft war angenehm kühl, aber die Sonne sank weiter, und bald würde es kalt werden. Schnell verließ ich die Terrasse und öffnete die Tür zu unserem Apartment. Crysalgira nahm mir den Korb ab und packte aus, während ich mir die Hände wu sch. In der kleinen Küche fanden wir Ge schirr, und bald standen die Köstlichkeiten von Belkathir auf dem Tisch am Fenster. »Nicht übel«, meinte die Prinzessin nach dem ersten Versuch. »Früchte, nehme ich an.« Auch ich verspürte Hunger und Durst. In den Flaschen war ein angenehm schmeckendes Getränk, das mich ein wenig an die Wei ne der Kolonialplaneten erinnerte. Nach zwei Gläsern fühlte ich mich bereits leicht beschwingt und vergaß alle Sorgen. Eine Weile verfolgten wir das Programm auf dem Videoschirm, verstanden aber leider kein Wort, weil wir keinen Translator besa ßen. Morgen würde ich bei Klahngruit einen anfordern. Wir wählten ein Musikprogramm und lie ßen uns von den merkwürdig anmutenden Melodien berieseln. Ich merkte, daß sie fast hypnotisch wirkten und uns regelrecht ein zulullen begannen. Vielleicht dienten sie den Tejonthern als Schlafmittel. Crysalgira jedenfalls gähnte bald und sag te. »Du kannst machen, was du willst, aber ich gene jetzt schlafen. Wer weiß, was mor gen noch alles passiert.« »Nichts passiert, wenn wir das nicht wol len«, tröstete ich sie. »Aber du hast schon recht: ich bin auch müde. Gehen wir schla fen.« Sie verschwand in ihrem Zimmer, nach
8
Clark Darlton
dem sie mir noch einen seltsamen Blick zu geworfen hatte. Ich blieb noch eine Weile sitzen und sah hinab auf das Lichtermeer der Stadt. Am Himmel standen Sterne, fremde Sterne, die ich noch nie zuvor gesehen hatte. Aber welche Rolle spielte das schon? Das ganze Mikrouniversum war uns fremd. Später ging ich ins Bad und dann ins Bett. Nebenan schlief Crysalgira.
* Klahngruit meldete sich sofort. Sein Ge sicht erschien auf dem kleinen, ovalen Bild schirm des Visiphons, und ich konnte die Tragriemen seines Translators sehen. »Ich hoffe, Sie hatten eine angenehme Nacht«, sagte er zur Begrüßung. »Warum rufen Sie mich?« Ich bedankte mich und bat um die Liefe rung eines Translators. Sein pelziges Gesicht verzog sich zu einem Lächeln – wenigstens konnte man es mit einigem guten Willen so bezeichnen. »Aber mein Freund, warum holen Sie sich denn keinen im Lager unter dem Hotel? Hat te ich vergessen, Ihnen das mitzuteilen? Oh, das tut mir leid. Sie finden dort alles, was Sie benötigen – natürlich keine Waffen. Wir haben oft fremde Besucher auf Belkathyr, darum gibt es auch genügend Translatoren. Sonst noch etwas?« »Nein«, erwiderte ich, denn seine falsche und unehrliche Freundlichkeit gefiel mit nicht besonders. »Wenn ich einen Translator habe, kann ich auch andere Tejonther fra gen. Veilleicht sind die mitteilsamer als Sie.« »Man wird Ihnen nicht mehr sagen kön nen als ich«, teilte er mit und unterbrach den Kontakt. Ich drehte mich um. »Nun, Prinzessin, was sagst du dazu?« Sie trug wieder ihre blaue Metallkleidung und kämmte sich die Haare. Die Tür zu ih rem Zimmer war geöffnet. »Ein schmieriger Typ!« schimpfte sie. »Freundlich – aber falsch!«
»Wir sind nicht auf ihn angewiesen. Ich hole einen Translator, und dann machen wir einen Spaziergang. Nicht weit von hier ist ein Park, den suchen wir auf. Wäre doch seltsam, wenn wir keine Gesprächspartner finden würden.« »Gut. Ich brauche ohnehin noch ein we nig Zeit, bis ich die Haare wieder in Ord nung habe. Ich warte hier auf dich.« Abermals suchte ich das Lagerzentrum auf, und mit einigen Gesten machte ich dem uniformierten Aufsichtspersonal klar, was ich wünschte. Höflich erbot sich jemand, mich dorthin zu führen. Als ich die bekannten Kästchen erblickte, die auf einem Stapel lagen, atmete ich erleichtert auf. Ich nahm eines und häng te es mir um. Ein Knopfdruck, und schon wurde das Stimmengewirr in der Halle um mich herum verständlich. Es wurde nur über belanglose Dinge ge sprochen, und von mir nahm niemand Notiz. Nur einmal meinte ein noch kleiner Tejon ther zu einem größeren, der wohl seine Mut ter oder sein Vater war: »Sie nur, er hat nur auf dem Kopf Haare, und viel hellere als wir. Ist das ein Frem der?« »Halt den Mund!« wurde er angewiesen. »Siehst du denn nicht, daß er einen Transla tor hat? Komm jetzt!« Ob es Höflichkeit einem Fremden gegen über war, oder nur Vorsicht, ich wußte es nicht. Ich ging weiter, fand den Lift und fuhr nach oben. Crysalgira war fertig zum Aus gang. Gemeinsam verließen wir unser Apartment und standen bald auf der nur mä ßig belebten Straße. Die Richtung zum Park kannte ich. Auf dem Weg dorthin begegneten uns nur wenige Tejonther und auch ein Fremder. Er war etwas kleiner als wir und stelzte auf drei Beinen einher. Zuerst wollte ich ihn anspre chen, gab aber meine Absicht auf, als ein Wagen mit uniformierten Beamten an uns vorbeifuhr. Später würde sich vielleicht eine bessere Gelegenheit zu einer solchen Unter haltung ergeben.
Kreuzzug nach Yarden Wir überquerten die breite Allee und er reichten das Viertel, in dem sich der Park befinden mußte. Rechts und links waren die niedrigen Häuser mit den kleinen Vorgärten. Dann, nach mehreren Straßen, lag der Park vor uns. Fremdartige Bäume und Sträucher säum ten die schmalen Fußwege, die sich durch das Stück Natur schlängelten. Überall stan den Bänke an sonnigen Plätzen, und es gab auch genug Tejonther, die auf ihnen saßen und den Frieden genossen. Wir fanden eine freie Bank unmittelbar an dem kleinen See und setzten uns. Crysalgira streckte die Beine weit von sich. »Fast wie ein Urlaub«, sagte sie. »Meinst du nicht auch?« »Hat jedenfalls Ähnlichkeit damit«, gab ich zu. »Ich schlage vor, wir warten ein paar Tage mit unseren Nachforschungen, bis wir uns eingelebt haben. Wenn wir die Verhält nisse besser kennen, wird es leichter sein, die richtigen Fragen zu stellen. Bis dahin, Crysalgira, wollen wir den Aufenthalt hier wirklich als Urlaub betrachten.« »Einverstanden«, murmelte sie schläfrig. Die Sonne schien warm auf uns herab. Der kaum spürbare Wind war lau und ange nehm. Ich konnte mir recht gut vorstellen, daß ›Gäste‹ der Tejonther ihren Zwangsauf enthalt auf Belkathyr in vollen Zügen genos sen und nichts unternahmen, ihn zu beenden. Diese Regel aber galt nicht für die Prin zessin und mich. In unserem Universum warteten noch Aufgaben auf uns. Wir konn ten nicht den Rest unseres Lebens hier im Mikrokosmos verträumen. Auch Crysalgiras scheinbare Gelassenheit würde bald schwin den, denn sie konnte Chergost nicht verges sen, den sie ehrlich liebte. Sicher, das Schicksal hatte sie und mich zusammenge kettet, wir waren Freunde und Gefährten ge worden, aber das war für sie noch lange kein Grund, mich als eine Art Ersatz für den ver lorenen Geliebten anzusehen. Eine Tatsache, die ich bedauerte, denn ich hatte selten ein schöneres Mädchen als sie gesehen.
9 »Worüber denkst du nach?« unterbrach sie meine Träumereien. »Oh – eigentlich über gar nichts«, log ich schnell. »Ich genieße die Ferien, das ist al les.« »So so«, meinte sie und glaubte mir kein Wort. »Noch ein oder zwei Tage kannst du das tun, aber dann beginnt die Arbeit!« Also doch! Ich hatte mich nicht in ihr ge täuscht. Wir blieben sitzen, bis wir Hunger ver spürten. Gemächlich spazierten wir dann zu rück ins Hotel, nachdem wir noch der Le bensmittelabteilung einen kurzen Besuch ab gestattet und uns versorgt hatten. Der Nachmittag verging in friedlicher Ru he, und als es dunkelte, summte das Visi phon. Es war Klahngruit. »Verzeihen Sie die Störung, aber ich wollte mich nach Ihrem Befinden erkundi gen. Haben Sie sich schon ein wenig einge lebt?« »Sehr aufmerksam von Ihnen, danke«, er widerte ich und lächelte in die winzige Ka mera unter dem Bildschirm. »Nur frage ich mich, wann uns eines der vielen Schiffe mit nehmen wird, die startbereit auf dem Raum feld stehen.« Der Ausdruck seines Gesichtes blieb un verbindlich. »Die Schiffe, die Sie bei der Landung be merkten, sind nicht für den Transport von Passagieren bestimmt. Sie werden für den Kreuzzug nach Yarden vorbereitet.« »Für was?« fragte ich verdutzt. Er machte eine abwehrende Geste. »Der Kreuzzug nach Yarden findet in re gelmäßigen Zeitabständen statt – aber wa rum sollte ich Ihnen das erklären? Sie wür den es doch nicht verstehen. Es ist Angele genheit der Tejonther, nicht die Ihre. Sobald die Schiffe gestartet sind, kann ich Ihre Fra gen besser beantworten, bis dahin müssen Sie sich gedulden. Ich wünsche Ihnen wei terhin einen angenehmen Aufenthalt.« »Könnten Sie mir nicht …?« begann ich, aber Klahngruit hatte die Verbindung schon unterbrochen. Wütend wollte ich sie wieder
10 herstellen, aber Crysalgira hielt meine Hand fest. »Laß das, Atlan, es hat keinen Sinn. Ich habe das Gefühl, er hat schon mehr gesagt, als er eigentlich wollte. Der Kreuzzug nach Yarden – was mag das bedeuten?« Ich lehnte mich im Sessel zurück und sah der sinkenden Sonne nach. »Da fragst du mich zuviel, Prinzessin. Ich habe nicht die geringste Ahnung. Aber im merhin erhielten wir einen Hinweis, mit dem sich einiges anfangen läßt. Dieser Kreuzzug scheint ein nationales Anliegen zu sein, eine Angelegenheit aller Tejonther. Es ist, als würden sie alle nur für diesen Kreuzzug le ben und arbeiten. Wir werden versuchen, mehr darüber herauszufinden, vielleicht hilft uns das weiter.« »Klahngruit will uns mehr darüber erzäh len, wenn die Flotte gestartet ist.« »Dann kann es schon zu spät sein«, ver mutete ich düster. »Wir müssen morgen schon mit unseren Nachforschungen begin nen. Die Sonne geht bald unter. Ich schlage vor, wir gehen früh schlafen, damit wir mor gen besonders munter sind.« »Kein Fernsehprogramm?« fragte sie. »Überhaupt kein Programm!« empfahl ich ihr. Ich badete und legte mich ins Bett. Ne benan rumorte Crysalgira noch eine Weile in ihrem Zimmer herum, dann trat Stille ein. Die zweite Nacht auf Belkathyr brach an – und ging vorüber. Der Tejonther auf der Bank war mir schon gestern bei unserem ersten Spazier gang aufgefallen. Er saß in der Nähe des Teiches, abseits vom Weg vor einer Strauch gruppe, die ihn fast einschloß und ihm eine gute Deckung bot. Wie gestern blickte er auch heute mehrmals zu uns herüber, ohne jedoch allzu deutlich zu zeigen, daß er mit uns sprechen wolle. Ich sagte zu Crysalgira: »Der will etwas von uns, wenn ich mich nicht sehr täusche, aber er ist vorsichtig. Wahrscheinlich legt er aus gewissen Grün den besonderen Wert darauf, daß wir den
Clark Darlton Kontakt herstellen. Das wiederum läßt be stimmte Schlüsse zu.« »Welche?« »Hm, vielleicht handelt er illegal, wenn er mit uns spricht.« »Der Kontakt mit der Bevölkerung wurde uns nicht verboten.« »Richtig, Prinzessin! Eben darum bin ich auch davon überzeugt, daß er uns etwas mit teilen will, das Klahngruit vielleicht unange nehm wäre. Was wissen wir von den Ver hältnissen hier? So gut wie nichts. Außer dem könnten wir ihn nach der Bedeutung des Kreuzzugs fragen. Mal sehen, wie er reagiert.« »Und wie willst du den Kontakt herstel len? Willst du einfach zu ihm gehen und ihn ansprechen?« Ich nickte. »Genau das werde ich tun, wenn er nach einer Stunde noch dort sitzt und uns beob achtet. Für einen Spitzel Klahngruits halte ich ihn nicht, werde ihm gegenüber aber so tun, als hielte ich ihn dafür.« Langsam nur wanderte die Sonne weiter, es wurde wärmer. Immer mehr Spaziergän ger tauchten auf, darunter auch Fremde, von denen viele einen Translator bei sich hatten. Keiner aber sprach uns an oder setzte sich gar zu uns auf die Bank. Ich ließ den Tejon ther bei den Büschen nicht aus den Augen. Oft genug begegnete sich unsere Blicke, und einmal glaubte ich einen Wink mit den Au gen von ihm bemerkt zu haben. Ein Blinzeln war es, sehr dezent und unauffällig. Es konnte kein Zufall sein. Beim nächsten Mal blinzelte ich zurück – und erhielt Antwort. Es war soweit. »Ich gehe jetzt zu ihm«, flüsterte ich Cry salgira zu. »Warte, bis ich dir ein Zeichen gebe, dann folgst du mir. Einverstanden?« »Geh nur, ich komme dann«, gab sie ebenso leise zurück. Ich schaltete den Translator ein, erhob mich und schlenderte zu den Büschen, vor denen die Bank stand. Höflich fragte ich: »Gestatten Sie, daß sich ein Fremder zu
Kreuzzug nach Yarden Ihnen setzt, um Ihnen einige Fragen zu stel len?« Er sah mich mit durchdringenden Blicken an, dann nickte er mir zu. »Ich habe nichts dagegen, aber ich glaube kaum, daß ich Ihre Fragen beantworten darf. Eine Unterhaltung hingegen ist nicht verbo ten.« Ich setzte mich. »Wer sollte eine Unterhaltung verbieten? Leben wir denn alle in einem Gefängnis? Ich will offen zu Ihnen sein: Schon gestern habe ich Sie gesehen, und Ihr Interesse an mir und meiner Begleiterin fiel mir auf. Ein gewisser Klahngruit brachte uns vom Raum hafen hier ins Hotel. Sind Sie ein Beauftrag ter dieses Klahngruit?« »Niemals!« Sein Protest kam so schnell und vehe ment, daß ich sofort das Gefühl hatte, er müsse Klahngruit hassen – oder fürchten. Jedenfalls klang das Wort trotz der Zwi schenschaltung des Translators ehrlich und überzeugend. »Gut«, sagte ich. »Bevor wir weiterspre chen, gestatten Sie, daß meine Begleiterin zu uns kommt?« »Ich habe nichts dagegen einzuwenden.« Ich winkte Crysalgira, die nur darauf ge wartet hatte, sich erhob und zu uns kam. Nach kurzer Begrüßung setzte sie sich. Ohne Umschweife stellte ich meine erste Frage: »Was bedeutet dieser Kreuzzug nach Yar den, von dem Klahngruit uns kurz erzählte? Welche Rolle spielt er im Leben der Tejon ther?« Er wirkte verwundert. »Sie wissen davon? Erstaunlich! Von Klahngruit selbst?« »Von keinem anderen! Also: was ist da mit? Wieviel können Sie mir sagen?« »Nicht viel – noch nicht. Sobald Sie bereit sind, Ihre Bequemlichkeit als Gast Klahn gruits aufzugeben, erfahren Sie mehr. Aber vorher muß ich davon überzeugt werden, daß Sie mich nicht im Auftrag Klahngruits aushorchen wollen. Er hat uns schon mehr
11 als einmal Spione geschickt.« Ich mußte lachen. »Und wir nahmen an, es sei umgekehrt. Sie können beruhigt sein, mein Freund, wir sind alles andere als Spione. Nur – wie sol len wir Ihnen das beweisen?« »Früher oder später finden wir das her aus«, versicherte er uns. »Ich werde Sie morgen zu einer Persönlichkeit bringen, die darüber entscheidet, ob wir Ihnen vertrauen können oder nicht. Soviel darf ich heute schon sagen. Die offiziellen Stellen wissen, daß es uns gibt.« »Wer ist uns?« »Auch das erfahren Sie früh genug. Stel len Sie jetzt bitte nur noch Fragen allgemei ner Natur. Sie wissen schon genug.« Zwar war ich gegenteiliger Meinung, aber wir durften es nicht auf die Spitze treiben. So entwickelte sich eine unverfängliche Unterhaltung, die sich in erster Linie auf die Gesellschaftsstruktur der Tejonther bezog und auf ihre Lebensgewohnheiten. Zum Bei spiel erfuhren wir erst jetzt, daß die Tejon ther dreigeschlechtlich waren. Namen wie »Klahngruit« bezeichneten das männliche Geschlecht. War dem Namen die Silbe »Cel« angehängt, handelte es sich um eine Frau. Die Silbe »Dol« kennzeichnete einen geschlechtslosen Vertreter der Tejonther. Schließlich meinte unser neuer Freund: »Es wird Zeit, daß ich aufbreche. Verhal ten Sie sich völlig normal und kommen Sie morgen hierher zurück. Bis dahin haben Sie Zeit, es sich zu überlegen, ob Sie den Kon takt aufrechterhalten wollen oder nicht. Ich sage Ihnen gleich, daß Sie unter Umständen Schwierigkeiten bekommen können. Klahn gruit ist da nicht zimperlich.« Er spazierte davon, ohne sich noch einmal umzusehen. Crysalgira seufzte: »Nun haben wir die Wahl zwischen Ur laub und Ärger. Aber ich glaube, ohne die sen Ärger sitzen wir für den Rest unseres Lebens hier fest. Klare Entscheidung?« »Natürlich! Wir haben bereits gewählt, Prinzessin.«
12 Wir blieben noch eine halbe Stunde auf der Bank sitzen, dann kehrten wir ins Hotel zurück. Den Nachmittag verbrachten wir auf der Dachterrasse. Abends erwartete ich einen erneuten Anruf Klahngruits, aber nichts geschah. Das Visiphon blieb stumm, der Bildschirm dunkel. Am anderen Tag verließen wir kurz vor Mittag das Hotel und fanden die Bank zwi schen den Büschen leer. Trotzdem setzten wir uns und warteten, mehr oder weniger ungeduldig. Unser Freund erschien eine Stunde später und blieb vor uns stehen. »Wie haben Sie sich entschieden?« fragte er. »Führen Sie uns zu den anderen«, erwi derte ich. »Vielleicht haben Sie inzwischen erfahren können, daß wir vertrauenswürdig sind.« »Unsere diesbezüglichen Informationen sind positiv. Folgen Sie mir, aber halten Sie Abstand. Niemand soll sehen, daß wir zu sammengehören. Sobald Sie bemerken, daß wir beschattet werden, kehren Sie einfach zum Hotel zurück. Wir treffen uns dann morgen um die gleiche Zeit auf der Bank wieder.« Er ging davon, ohne eine Antwort abzu warten. Wir warteten, bis er außer Hörweite war, dann standen wir auf und spazierten ihm nach. So sehr ich mich auch bemühte, einen Verfolger zu entdecken, es gelang mir nicht. Entweder waren Klahngruits Spione sehr ge schickt, oder es gab überhaupt keine. Insgesamt durchquerten wir nach Verlas sen des Parks drei Wohnquadrate, das ent sprach einem Fußmarsch von etwa einer hal ben Stunde. Dann strebte unser namenloser Freund auf ein Hochhaus zu, das mit unse rem identisch zu sein schien. Im Lift wartete er auf uns. »Wir sind am Ziel, und niemand ist uns gefolgt. Finden Sie von hier aus allein zu Ih rem Hotel zurück?« Ich versicherte ihm, das bedeute kein Pro blem.
Clark Darlton Wir fuhren einige Stockwerke hoch, dann hielt der Lift an. Wir verließen ihn und gin gen den Korridor entlang, bis unser Führer vor einer Tür anhielt, deren Nummer ich mir schnell einprägte. Er zog einen Schlüssel aus der Tasche und öffnete. Wir betraten den Raum dahinter, dann schloß sich die Tür wieder. Um einen runden Tisch vor dem Fenster saßen etwa ein Dutzend Tejonther, die uns neugierig entgegenblickten. Mit kurzen Worten berichtete unser Begleiter, dann setzte auch er sich. Wir blieben stehen und wurden weiter gemustert, bis sich endlich ei ner aus der Runde erhob und zu uns sagte: »Seid willkommen, Fremde. Mein Name ist Keniath-Cel, und ich führe diese Gruppe. Eure Namen sind uns inzwischen bekannt, und wir wissen, daß wir euch vertrauen dür fen. Es ist euer Bestreben, diese unsere Welt eines Tages verlassen zu können, um in die eure zurückzukehren … Das aber wird nie mals geschehen, wenn die Regierung und ihr Beauftragter Klahngruit ihre Absichten ver wirklichen. Damit berühren sich eure und unsere Interessen. Wir sind Verbündete. Nehmt Platz, bitte.« Keniath-Cel war als ein weiblicher Tejon ther. Der Unterschied war auf den ersten Blick nicht festzustellen, obwohl ihre Figur schmächtiger war als jene der anderen An wesenden. Sie machte auf mich einen ener gischen und zielbewußten Eindruck. Die üb rigen Tejonther wurden vorgestellt, aber ich vergaß die Namen wieder. Diese erste nun folgende Unterhaltung dauerte fast vier Stunden. Sie brachte für Crysalgira und mich einige neue Erkenntnis se, die ich hier kurz zusammenfassen möch te: Der Kreuzzug nach Yarden fand nach Zeitrechnung der Tejonther alle dreihundert Jahre statt und hatte etwas mit den Gefühls basen und den Leerraumkontrolleuren zu tun – aber was, das konnten uns die neuen Ver bündeten auch nicht verraten. Sie wußten es nicht. Sie waren Gegner des Kreuzzugs, da er
Kreuzzug nach Yarden ihnen als Verschwendung erschien. Die Be gründung klang einleuchtend: das Volk der Tejonther benötigte jedesmal fast dreihun dert Jahre dazu, den Kreuzzug vorzuberei ten, die geforderten zehntausend Schiffe zu bauen und auszurüsten, die Mannschaft aus zubilden und auf das Unternehmen vorzube reiten. Und dann kam das Hauptargument, das uns allerdings in großes Erstaunen versetzte: Von einem Kreuzzug nach Yarden war noch niemals ein Schiff oder ein Mitglied der Besatzung jemals zurückgekehrt. Die ge samte Flotte blieb für alle Zeiten verschol len. Ich konnte mir vorstellen, welche Bela stung der regelmäßig wiederkehrende Ver lust einer so riesigen Flotte für die Tejonther bedeutete. Da lebten und arbeiteten sie nur für das eine Ziel, zehntausend Schiffe nutzund sinnlos zu verlieren. Oder gab es Tejonther, die mehr darüber wußten? Ich fragte: »Diese Gefühlsbasen – was wißt ihr da von? Welche Rolle spielen sie beim Kreuz zug?« »Es sind nur Vermutungen, die wir äu ßern können. Wir nehmen an, sie dienen als kosmische Leuchtfeuer, denen die Flotte fol gen muß. Wer sie eingerichtet hat, ist unbe kannt. Wahrscheinlich aber die Tropoythers, die Kontrolleure des Leerraums.« Unwillkürlich zog ich Vergleiche zwi schen dem Mikrokosmos und dem Makro kosmos. Auch dort gab es Zonen und Leer räume, die jeweils Grenzen zu anderen Dimensionen und Existenzebenen darstellten. Wenn das auch in diesem Universum der Fall war, konnte mit dem Leerraum sehr gut der Übergang zum Makrokosmos gemeint sein. Zum Abschied sagte Keniath-Cel: »Ihr kehrt in euer Hotel zurück und ver haltet euch wie bisher. Die Bank im Park bleibt der Treffpunkt, bis weitere Entschei dungen gefallen sind. Es ist möglich, daß wir unser Quartier wechseln müssen. Dann
13 trefft ihr uns hier nicht mehr an, aber wir werden versuchen, den Kontakt so schnell wie möglich wiederherzustellen. Groya-Dol wird bald entscheiden, was zu geschehen hat. Er ist das Oberhaupt der Gegner der Kreuzzüge nach Yarden.« »Wie stellt ihr euch überhaupt die Verhin derung des Kreuzzugs vor?« fragte ich. »Wollt ihr die Regierung stürzen und das Volk aufwiegeln? Wird das nicht auf die Vertreter der Religionen alarmierend wir ken?« »Der Kreuzzug hat nichts mit Religion zu tun, wenn das auch den Anschein erwecken mag. Es ist auch kein bloßer Naturtrieb, wie er bei Tieren zu beobachten ist, die sich aus unbekannten Gründen selbst vernichten. Aber wir wissen, daß er den Fortschritt hemmt und uns alle dreihundert Jahre auf den Nullpunkt zurückwirft. Immer wieder sind wir gezwungen, von vorn zu beginnen, statt auf dem einmal Erreichten weiter auf zubauen. Das soll ein Ende haben.« Ich verstand diesen Standpunkt durchaus, nur war mir nicht klar, wie die Rebellen ihr Ziel erreichen wollten. In meinen Augen waren sie hoffnungslose Idealisten, die scheitern mußten. Trotzdem – oder vielleicht gerade auch deshalb – fühlte ich mich mit ihnen verbunden. »Betrachtet uns als Mitstreiter«, sagte ich, als wir zur Tür geleitet wurden. »Ihr könnt euch auf uns verlassen, Keniath-Cel.« »Vielleicht habt ihr schon bald die Probe zu bestehen«, erwiderte sie. »Ihr wißt, wie ihr Kontakt zu uns aufnehmen könnt. Lebt wohl, und hütet euch vor Klahngruit. Er hat unsere Spur längst gewittert, aber immer dann, wenn er zuschlagen wollte, kam er zu spät.« Nachdenklich traten wir den Rückweg an, und als wir den Park erreichten, dunkelte es bereits. Ich hatte Hunger, und so beeilten wir uns, die Lebensmittelabteilung rechtzei tig zu erreichen. Eine instinktive Ahnung verleitete mich dazu, mehr Lebensmittel als notwendig mitzunehmen. Ich untersuchte unser Apartment, konnte
14
Clark Darlton
aber keine Veränderung feststellen. Beruhigt aßen wir und gingen das heute Erfahrene noch einmal durch. Es war eine ganze Men ge, wenn man die Informationen Klahngruits damit verglich. Trotzdem ließ sich noch nicht viel damit anfangen. Auch war mir unklar, inwiefern es Crysal gira und mir half, wenn wir die Rebellen un terstützten. Wenn sie siegten, konnten wir ein Schiff von ihnen erhalten, aber wohin sollten wir damit fliegen? In diesem Univer sum gab es kein Ziel für uns. Auf der anderen Seite stellte sich die Fra ge, was es mit diesem sogenannten Kreuz zug auf sich hatte. Warum opferten die Te jonther alle dreihundert Jahre ihre mühsam zusammengestellte Flotte? Es gab insgesamt sieben »Stationen« wie Belkathyr. Auf all diesen Planeten wurde nur für den Kreuzzug gelebt und gearbeitet. Unverständlich und scheinbar sinnlos. Trotzdem: der Kreuzzug blieb unsere Hoffnung, denn ich ließ mich nicht davon abbringen, daß die mysteriösen Leerraum kontrolleure etwas mit der Grenze zum Ma krokosmos zu tun hatten. Sie schienen mir die einzigen zu sein, die uns helfen konnten – wenn sie dazu bereit sein würden. So betrachtet, saßen Crysalgira und ich in der Zwickmühle. In dieser Nacht gingen wir mit gemisch ten Gefühlen schlafen, aber wir waren fest entschlossen, Keniath-Cel und ihre Freunde nicht zu verraten, was immer auch gesche hen mochte. Am anderen Tag saßen wir mehrere Stun den im Park, aber unser Verbindungsmann ließ sich nicht sehen. Spät am Abend kehr ten wir in unser Hotel zurück, und als ich die Tür öffnete und eintrat, saß Klahngruit in meinem Sessel am Fenster und sah uns ziemlich unfreundlich entgegen. »Ich habe mit Ihnen zu sprechen«, emp fing er uns und deutete auf die anderen Ses sel. »Schließen Sie die Tür und setzen Sie sich.«
2.
Wir warteten schweigend ab, was Klahn gruit zu uns geführt hatte. Denken konnten wir es uns schon, obwohl mir nicht klar war, wie er es herausgefunden hatte. Er betrachtete uns eine Weile, dann sagte er: »Ich weiß, daß Sie Kontakt mit den Fein den des Volkes aufgenommen haben und die Absicht hegen, sich mit ihnen zu verbünden. Ich schließe aus Ihrer Haltung, daß Sie kei nen Wert mehr darauf legen, noch weiterhin unsere Gastfreundschaft in Anspruch zu nehmen. Die kommende Nacht können Sie noch hier im Hotel verbringen, aber morgen wird die Schloßkombination verändert. Ebenfalls erhalten Sie ab morgen keine Le bensmittel oder andere Güter mehr. Das Zentrallager wurde bereits informiert, versu chen Sie es also erst gar nicht. Sie dürfen sich auch weiterhin frei auf Belkathyr bewe gen, jedoch ohne die Privilegien eines Ga stes. Das ist alles, was ich Ihnen zu sagen habe.« Ehe er aufstehen konnte, erwiderte ich: »Es stimmt, daß wir Bekanntschaften ge schlossen haben, aber das war uns auch nicht verboten worden. Wie sollten wir wis sen, es mit Ihren Gegnern zu tun zu haben?« »Das haben Sie sehr genau gewußt! Strei ten Sie es nicht ab, Sie verschlechtern damit nur Ihre Lage.« »Ich streite es aber ab!« sagte ich wütend. »Na schön, die Leute mögen nicht ganz mit Ihrem mysteriösen Kreuzzug nach Yarden einverstanden sein, aber das ist noch lange kein Grund, sie wie Todfeinde zu behandeln – und uns dazu.« »Sie sprechen von Dingen, die Sie nicht verstehen …« »Dann klären Sie uns gefälligst auf!« for derte ich ihn energisch auf. »Sagen Sie uns, was hier los ist, was der Kreuzzug bedeutet und warum es Gegner gibt! Und erklären Sie mir, was wir beide damit zu tun haben sol len, nur weil wir den Leuten begegnet sind.« Klahngruit sah hinab auf die Lichter der Stadt. Seine Miene drückte Unbehagen aus. Schließlich bequemte er sich zu einer Ant
Kreuzzug nach Yarden wort: »Vielleicht wäre es mir unter anderen Umständen möglich gewesen, Ihrer Bitte nachzukommen, jetzt leider nicht mehr. Im merhin könnten Sie Ihre Lage dadurch ver bessern, indem Sie mir einige Namen nen nen. Oder sollten Sie die etwa vergessen ha ben …?« Ich nickte. »In der Tat, die haben wir vergessen. Den ganzen Tag heute haben wir versucht, uns an sie zu erinnern, aber vergeblich. Ihre Namen sind für uns sehr kompliziert und schwer zu behalten.« Er nickte gelassen. »Natürlich, das verstehe ich – aber wenn Sie einige Tage ohne Nahrung sind, werden Sie Ihnen schon wieder einfallen.« »Sie wollen uns verhungern lassen?« »Das ist nicht unsere Absicht. Sie haben schließlich Freunde, oder nicht? Die werden Ihnen schon helfen.« Ich beschloß, mich durch einen Gegenan griff zu verteidigen. »Es ist Ihnen also möglich, uns Quartier und Essen zu sperren, aber Ihre Rebellen können wohnen und essen, wo sie wollen? Ist das nicht ein wenig merkwürdig?« »Sie sind Tejonther!« erklärte Klahngruit. »Ihr aber seid Fremde!« Ich sah ein, daß es wenig Sinn hatte, ihn noch mehr herauszufordern. Gerechtigkeit war von ihm wohl kaum zu erwarten, und ganz so schlimm sah ich unsere Lage auch noch nicht. Keniath-Cel würde uns nicht im Stich lassen, denn wenn ihr Nachrichten dienst gut funktionierte, wußte sie schon jetzt, was geschehen war. Außerdem kann ten wir ihr Versteck. »Wenn Sie uns für vogelfrei erklären«, sagte ich ruhig, »dann werden Sie wohl auch verstehen, daß wir uns bemühen werden, ei ne Passage in einem Schiff zu erhalten, das Belkathyr verläßt.« »Wenn Sie in der Nähe des Raumhafens aufgegriffen werden, kann ich Sie nicht vor einer strengen Bestrafung schützen. Das gilt, bis die Flotte nach Yarden aufgebrochen
15 ist.« Er stand auf und ging zur Tür. Dort drehte er sich noch einmal um. »Ich wünsche Ihnen eine letzte angeneh me Nacht. Die folgenden werden sicherlich nicht so bequem werden.« Die Tür schloß sich hinter ihm. Wir waren wieder allein. Crysalgira seufzte: »Ich weiß nicht … vielleicht hätten wir ihn besänftigen können. Du hast ihm ziem lich offen deine Meinung gesagt.« »War es nicht auch deine?« »Natürlich. Aber bist du davon überzeugt, daß uns die Rebellen helfen werden? Wir sind doch jetzt nur noch Ballast für sie. Un nütze Esser, wenn du so willst.« »Es ist gut, daß wir heute abend noch ge nügend Vorräte mitgenommen haben, die helfen uns über die nächsten Tage hinweg, falls deine Befürchtung eintritt. Und wenn dann noch immer nichts geschieht, werden wir uns neue besorgen. Das dürfte nicht so schwer sein.« »Wir sind die einzigen Arkoniden hier, man erkennt uns überall auf den ersten Blick. Und du weißt ja nun, wie gut der Überwachungsapparat dieses Klahngruit funktioniert.« »Er kannte nicht einmal die Namen der Gruppe.« »Das kann ein Bluff gewesen sein.« Ich gähnte. »Meinetwegen. Aber ich schlage vor, wir schlafen uns erst einmal aus. Wer weiß, wo wir morgen unser müdes Haupt zur Ruhe niederlegen können.« Damit war sie einverstanden.
* Wir standen spät auf, kleideten uns an und packten die Vorräte zusammen. Vorsichts halber nahm ich meinen Schlüssel mit, als wir das Apartment verließen. Vielleicht er wies er sich später mal als nützlich. Ohne Aufenthalt gingen wir zum Park und setzten uns auf unsere Bank. Die ande
16 ren Müßiggänger kümmerten sich nicht um uns. Alles war so, als sei nichts geschehen. Vergeblich warteten wir auf den Verbin dungsmann zur Gruppe der Rebellen. Den ganzen Tag saßen wir im Park, sahen den Spaziergängern zu und hofften auf eine Kontaktaufnahme, aber nichts dergleichen geschah. Als es schon zu dämmern begann, sagte ich zu Crysalgira: »Es hat wenig Sinn, noch länger zu war ten. Wir gehen zu ihnen.« »Und wenn wir beobachtet werden?« »Das müssen wir riskieren. Ich glaube oh nehin, daß Klahngruit den Aufenthaltsort von Keniath-Cel schon kennt. Wie hätte er sonst wissen können, daß wir Kontakt mit ihr haben?« Trotzdem achteten wir darauf, nicht ver folgt zu werden. Da es allmählich dunkel wurde, fühlten wir uns sicherer, und nach ei ner halben Stunde erreichten wir das Hoch haus, in dem Keniath-Cel wohnte. Niemand hinderte uns daran, den Lift zu nehmen und nach oben zu fahren. Die Num mer des Apartments hatte ich mir gemerkt. Als wir vor der Tür standen, suchte ich ver geblich nach einem Klingelknopf oder einer Anmeldevorrichtung. Nichts. Ich klopfte vorsichtig gegen die Tür, dann kräftiger. Sie öffnete sich, und ein unbe kannter Tejonther sah mich an. »Verzeihen Sie«, sagte ich gefaßt. »Ich wollte zu Keniath-Cel. Sie wohnt doch hier?« »Hier wohnt niemand, der so heißt«, teilte er mir mit. »Ich besitze dieses Apartment schon seit vielen Jahren.« Er schloß die Tür, ehe ich noch etwas sa gen konnte. Verwirrt las ich noch einmal die Nummer, aber sie stimmte. Ich hatte mich keineswegs geirrt. Das war sehr merkwürdig. Natürlich war es auch möglich, daß die Gruppe dauernd ih ren Wohnsitz wechseln mußte, um den Ver folgungen ihrer Gegner zu entgehen. Ke niath-Cel hatte so etwas angedeutet.
Clark Darlton Unschlüssig fuhren wir mit dem Lift nach unten und verließen das Gebäude. Ich konn te sehen, daß sich die Portale hinter uns schlossen. Als wir kamen, waren sie offen gewesen. Ich probierte meinen Schlüssel aus. Wie erwartet – vergeblich. »Was nun?« fragte Crysalgira. »Keine Ahnung, Prinzessin. Ich fürchte, wir werden diese Nacht auf einer Parkbank verbringen müssen.« »Ob wir ihre Spur wiederfinden werden?« »Wichtig ist, daß sie unsere nicht verlie ren. Komm, ehe wir Aufsehen erregen.« Der Park war leer, und wir trafen nieman den. Aus reiner Gewohnheit suchten wir »unsere« Bank auf, immer in der Hoffnung, daß sich Keniath-Cel bemerkbar machen würde. Um uns gegenseitig warm zuhalten, schliefen wir auf einer Bank. Es war ein we nig unbequem, aber wenigstens froren wir nicht. Als der Morgen graute, wuschen wir uns im Wasser des Sees, frühstückten auf der Bank – und warteten. Der Tag verging, nichts geschah. Wieder schliefen wir im Park, und am nächsten Morgen verzehrten wir den Rest unserer Vorräte. Nun wurde es ernst. Ziellos wanderten wir an diesem Tag durch die Stadt, und als wir Hunger verspür ten, wollten wir eines der Vorratslager betre ten. Ich konnte keine Sperre oder Wache entdecken, aber als ich nach dem ersten Pa ket mit Lebensmitteln griff, wurde ich ziem lich unsanft daran gehindert. Ein kräftig wirkender Tejonther packte meinen Arm und riß mich zurück. Ich blick te in die Mündung einer Energiewaffe, die er auf mich gerichtet hatte. Crysalgira stand dahinter und wußte nicht, wie sie mir helfen konnte. Es hätte auch wenig Sinn gehabt, denn wir waren von Tejonthern regelrecht eingeschlossen. »Versucht das nicht noch einmal!« warnte der Bepelzte eindringlich. »Hier in der Stadt findet ihr niemanden, der euch helfen würde. Geht in die Wildnis, wenn ihr überleben wollt – oder geht zu Klahngruit und redet.
Kreuzzug nach Yarden Ihr habt die Wahl. Und nun verlaßt das La ger und kehrt nicht zurück!« Als wir draußen standen, kam mir der Ernst unserer Lage erst richtig zu Bewußt sein. Wir standen vor gefüllten Auslagen – und bekamen nichts. Der Tejonther hatte gut reden, wenn er meinte, wir sollten die Stadt verlassen und in die Wildnis gehen. Da konnten wir genausogut auf einem unbe wohnten Planeten sitzen und darauf warten, daß uns jemand abholte. Aber vielleicht war es eine Übergangslö sung. Wir durchquerten ein Wohnviertel nach dem anderen, immer in der verzweifelten Hoffnung, daß uns jemand ansprechen und sich als Ver bündeter von Keniath-Cel oder Groya-Dol ausgeben würde. Aber es kam keiner, und als es wieder dunkelte, befanden wir uns in einem fremden Park und hatten uns hoffnungslos verlaufen. Wir wußten nicht mehr, in welchem Teil der Stadt wir uns aufhielten. Übermüdet schliefen wir auf einer Bank ein, aber furchtbare Träume plagten mich. Ich stand in überfüllten Läden und war von den besten Delikatessen des Imperiums um geben, aber Wände aus Panzerglas trennten mich von diesen ersehnten Köstlichkeiten. Selbst im Schlaf verfolgte mich der nagende Hunger, und ich konnte nichts dagegen tun. Am anderen Tag erreichten wir am Nach mittag die Randgebiete der Stadt. Die Hoch häuser fehlten ganz, aber es gab noch immer genug kleine Siedlungsheime mit Vorgärten. Wir hatten darauf verzichtet, abermals ein Lebensmittellager aufzusuchen, und jetzt sa hen wir keine mehr. Weit im Hintergrund er kannte ich flache Hügel mit Vegetation. Crysalgira hielt es vor Hunger kaum noch aus. Sie wurde zusehends schwächer. Es mußte also etwas geschehen, und das bald. Einmal sprach ich einen Tejonther an, der mit seiner Einkaufstasche seinem Häuschen zustrebte. Ich bat ihn um eines der Pakete, ich bettelte ihn regelrecht an, aber er ging weiter, ohne mir eine Antwort zu geben. Als ich hinter ihm herwollte, um ihn zu berau
17 ben, hielt Crysalgira mich am Ärmel fest. »Das ist sinnlos, Atlan, und würde unsere Lage nur noch verschlimmern. Raub ist un bekannt auf Belkathyr, weil jeder alles kriegt, was er haben will. Wir würden eine deutliche Spur hinterlassen, und wenn man uns faßt, kennt Klahngruit kein Erbarmen mehr.« »Sollen wir vielleicht verhungern?« gab ich zornig zurück. »In der Wildnis, so riet uns der Tejonther, sollten wir es versuchen.« »Das hat er nicht ohne Grund gesagt«, meinte ich. »Wenn wir morgen nichts fin den, kannst du mich nicht davon abhalten, es mit Gewalt zu versuchen.« Wir wanderten weiter und ließen die letz ten Häuser hinter uns. Die Straßen endeten im Nichts, und vor uns lagen die flachen Hügel des unbebauten Geländes. Da es be reits dunkel wurde, wollte ich wenigstens noch den Schutz der Wälder erreichen, die ich aus der Ferne gesehen hatte. Ich schleppte Crysalgira mit mir, gehen konnte sie kaum noch. Auch meine Kräfte schwanden. In einer Mulde konnten wir nicht mehr weiter. Crysalgira war halb ohnmächtig und schlief sofort ein, kaum daß ich sie in das weiche Gras gelegt hatte. Ich selbst tastete mich durch die nähere Umgebung, konnte aber in der Dunkelheit nichts entdecken, was unsere Lage verbessert hätte. Also kehrte ich zurück und legte mich neben die fest schla fende Prinzessin. Morgen mußte eine Entscheidung fallen! Mit diesem Gedanken schlief auch ich ein.
* Wir fanden Beeren und Früchte, noch be vor es richtig hell wurde, aber beides war ungenießbar. Es schien lange nicht geregnet zu haben, denn das Zeug war total vertrock net und schmeckte bitter. Crysalgira wurde sofort schlecht und mußte sich übergeben. Auch Wasser entdeckten wir, aber es
18 stank wie eine Kloake. Mein Entschluß stand fest. Klahngruit hin, Klahngruit her – der erste Tejonther, der mit einem Lebensmittelpaket durch die Ge gend spazierte, würde es überraschend schnell los sein. Ich bat Crysalgira, in der Mulde zurückzubleiben und auf mich zu warten. Aber sie schien sich in der einen ru higen Nacht wieder gut erholt zu haben, denn sie protestierte heftig: »Ich gehe mit dir, Atlan! Wenn man dich faßt, bin ich allein in der Wildnis. Was soll ich ohne dich tun?« Da hatte sie recht. Wenn schon, dann mußten wir zusammenbleiben, was immer auch geschah. Ich durfte sie nicht schutzlos zurücklassen. Als wir den Stadtrand unter uns liegen sa hen, blieben wir stehen. Ich beobachtete die Straßen, auf denen nur wenige Passanten zu sehen waren. Einige trugen Behälter oder Körbe. Weiter links stand ein großes, flaches Ge bäude, das nicht an eins der üblichen Wohn häuser erinnerte. Fahrzeuge wurden beladen, die dann in Richtung City verschwanden. Ein Hauptlager, vielleicht ein Lebensmit teldepot …? Wenn ja, dann würde sich ein Überfall si cherlich lohnen. Mit dem Notwendigsten versehen, konnten wir es einige Tage in der unbewohnten Wildnis aushalten. Ich teilte Crysalgira meinen Plan mit, und sie stimmte zu. Aber sie begleitete mich, obwohl ich pro testierte. Und das war wohl auch gut so, denn sonst wären wir getrennt worden. Waffen besaßen wir keine, aber wir hätten ein paar Steine und einen handlichen Ast mitnehmen kön nen, doch ich verzichtete darauf. Wenn wir ohne jeden Gegenstand in den Händen auf tauchten, konnte niemand unsere Absichten so schnell erraten. Das Gebäude war nicht eingezäunt, denn sicherlich kannte man auf Belkathyr auch keinen Diebstahl. Auch Wachtposten konn ten wir nicht entdecken, lediglich einige Ar-
Clark Darlton beiter, die Fahrzeuge beluden und herumlun gernde Fahrer, die in Gruppen zusammen standen und sich unterhielten. Crysalgira und ich nahmen uns zusam men, um nicht von vornherein den Eindruck halbverhungerter Vagabunden zu erwecken. Gemächlich schlenderten wir quer über die Straße, und da uns jeder sofort als Fremde erkennen mußte, war unsere Neugier sicher lich verständlich. Die Hauptsache war, die Leute hier waren nicht über unseren Status unterrichtet. So erreichten wir den Hof mit Rampe und Fahrzeugen. Die Fahrer warfen uns gelang weilte Blicke zu und kümmerten sich nicht weiter um uns, also schien unsere Vermu tung zu stimmen. Am Ende der Rampe war eine Tür, weit geöffnet und einladend. Es wäre sinnlos gewesen, einem der Arbeiter ein Paket zu entreißen und damit zu flüch ten, ohne zu wissen, was wir erbeutet hatten. Ich wollte in Ruhe aussuchen und auch das richtige Zeug finden. Also gingen wir durch die Tür, die meiner Schätzung nach ins eigentliche Depot führte. Aber wir gelangten in eine Art Büro. Mehrere Tejonther saßen an Tischen vor komplizierten Maschinen, auf denen sie her umtippten. Sie blickten auf, als wir eintra ten, und ihre Mienen erstarrten förmlich. Of fensichtlich hatten sie eine Beschreibung von uns erhalten und entsprechende Anwei sungen dazu. Ich ergriff blitzschnell den erstbesten massiv aussehenden Gegenstand, der auf ei nem der Tische lag, und hob ihn mit drohender Gebärde hoch, so als wollte ich damit werfen. Mein Translator war eingeschaltet. »Ganz ruhig sitzen bleiben, Herrschaften! Einer darf aufstehen und mich ins Lebens mitteldepot führen.« Ich wandte mich an die Prinzessin: »Crysalgira, schließ die Tür! Komm mit, sonst kassieren sie dich. Den hier nehmen wir als Geisel mit.« Sie gehorchte sofort. Auch die Tejonther hatten verstanden, was ich zu ihr gesagt hat te. Sie rührten sich nicht vom Fleck, bis auf den einen, der uns als Führer und Geisel die
Kreuzzug nach Yarden nen sollte. Es war mir klar, daß wir uns beeilen muß ten, denn die Tejonther im Büro würden so fort die Polizei informieren. In wenigen Mi nuten konnten die ersten Alarmgleiter ein treffen, bis dahin mußten wir im Wald ver schwunden sein. Ich trieb den Burschen vor mir an. Er ging willig voran, und Sekunden später standen wir vor dem eigentlichen La ger. »Essen und Trinken!« befahl ich kurz. Crysalgira trieb einen größeren Korb auf, der hastig gefüllt wurde. Ich mußte mich da bei auf die unfreiwillige Hilfe meiner Geisel verlassen, denn Zeit zur Kontrolle blieb uns nicht. Es dauerte knapp eine Minute, bis wir uns versorgt hatten. Mehr konnten wir beim be sten Willen nicht tragen, ohne noch mehr behindert zu sein als ohnehin schon. »Gibt es einen anderen Ausgang?« fragte ich. Der Tejonther zögerte eine Sekunde, dann sagte er: »Die Verladerampe, sonst keinen.« »Gut, geh voran! Und keine Dummhei ten!« Wir eilten durch die langen Reihen der aufgestapelten Kisten und Pakete, bis wir die Türen zur Rampe erreichten. Hier war natürlich der befürchtete Betrieb, denn es wurde noch immer aufgeladen. Auf der an deren Seite war das beruhigend, denn die Arbeiter schienen von unserem Überfall noch nichts bemerkt zu haben. Ich trug den Korb und hatte Crysalgira die »Waffe« gegeben, um unsere Geisel in Schach zu halten. Schon überlegte ich, ob es ratsam sei, den Gefangenen als Sicherheit mitzunehmen, als ich jeder weiteren Überle gung enthoben wurde. Rechts und links von den Arbeitern tauch ten urplötzlich bewaffnete und uniformierte Tejonther auf. Sie richteten die Mündungen ihrer Strahler auf uns. Einer sagte mit Be fehlsstimme: »Stehenbleiben und nicht mehr rühren! Wir haben Befehl, Sie bei geringstem Wi
19 derstand zu erschießen! Wählen Sie!« Ehrlich gesagt, in diesem Augenblick fiel mir die Wahl nicht schwer. Vielleicht hätte ich anders gehandelt, wenn ich allein gewe sen wäre, aber die Prinzessin war bei mir. Ich behielt den Korb in der Hand, blieb aber stehen. Unsere Geisel ging ruhig weiter, nickte den Polizisten zu und verschwand. Wie ich die Tejonther kannte, würde er ins Büro zurückkehren, sich an seinen Platz set zen und gemächlich weiterarbeiten. Crysalgira ließ den Gegenstand fallen, der uns als Einschüchterungswaffe gedient hat te. Die Polizisten kamen herbei und durch suchten uns. Zu meinem Erstaunen kümmer ten sie sich nicht um den Korb mit Paketen und Flaschen, den ich noch immer in der Hand hielt. »Los, mitkommen!« befahl ihr Anführer und ging voran. Wir folgten ihm zu einem offenen Flug gleiter, um den herum mehrere Bewaffnete standen und aufpaßten, daß wir nicht im letzten Augenblick einen Fluchtversuch un ternahmen. Kaum saßen wir, nahmen einige rechts und links von uns Platz, dann stiegen wir geräuschlos in die Höhe und nahmen Kurs auf die nahe Stadt. Der Korb mit der Beute stand zwischen meinen Füßen.
* Klahngruit betrachtete uns mit undefinier baren Blicken. Er deutete auf den Korb. »Den dürft ihr behalten, denn es ist das letzte Mal gewesen, daß ihr Rationen geholt habt. Es wird vielleicht für zwei oder drei Tage reichen, aber dann …« Den Rest ließ er unausgesprochen. Noch machte ich mir keine Sorgen, denn was uns einmal gelungen war, konnte auch ein zwei tes Mal gelingen. Außerdem hatten wir nur wenig Zeit gehabt, uns im Wald umzusehen. Ich war überzeugt, daß wir auch dort noch etwas fanden, das unseren Hunger und Durst stillte. Und schließlich existierte auch noch Keniath-Cel.
20 Wenigstens hoffte ich das. Klahngruit fuhr fort: »Nach dem ersten Verbrechen entzog ich euch die Gastfreundschaft. Nach dem zwei ten wird nun der Entzug der Freiheit folgen. Man wird euch in den Kerker sperren, in ei ne Zelle. Aber man wird sich nicht mehr um euch kümmern. Ihr werdet weder Essen noch Trinken erhalten. Ihr sterbt – es sei denn, ihr berichtet von der Rebellengruppe. Das Urteil wurde bereits gefällt und von der Regierung bestätigt.« Ich starrte ihn an. »Das können Sie doch nicht machen, Klahngruit! Wir sind unfreiwillige Gäste Ih res Volkes und haben Ihnen nichts getan. Was geht uns Ihr Kreuzzug an? Den Rebel len, wie Sie sie nennen, begegneten wir aus reinem Zufall. Ist das unsere Schuld?« »Das Urteil ist gefällt!« wiederholte Klahngruit. »Und sollte es jemals zu einem dritten Verbrechen kommen, so kann ich euch schon jetzt die Strafe mitteilen, die dar auf steht: der sofortige Tod! Aber ihr werdet keine Gelegenheit zu einem dritten Verbre chen mehr haben. Der Weg ist zu Ende.« Diese winzigen Bakterien! dachte ich wü tend und voller Verzweiflung. Früher hätte ich sie und ihren ganzen Kosmos mit zwei Fingern zerquetschen können, und heute … Er wartete noch einige Sekunden, aber als wir beide schwiegen, drückte er auf einen verborgenen Knopf an seinem Tisch. Zwei bewaffnete Polizisten kamen in den Raum, packten uns und führten uns auf den Korri dor. Geistesgegenwärtig gelang es mir noch, den Korb zu ergreifen. Sie führten uns durch Gänge und lange Korridore, mit einem Lift fuhren wir tief un ter die Oberfläche von Belkathyr, bis wir endlich im richtigen Stockwerk angelangt zu sein schienen. Die Luft war hier nicht beson ders gut, obwohl eine Ventilation vorhanden war. Ich spürte den leichten Windhauch, der durch den dämmerigen Gang wehte. Es roch nach Schmutz. Und nach etwas anderem, das mich zu sammenschaudern ließ.
Clark Darlton Die Polizisten öffneten eine Tür und tra ten zur Seite. Ich ging voran, den Korb krampfhaft festhaltend. Crysalgira folgte mir. Sie stützte sich auf meinen Arm und wankte vor Schwäche. Die halbdunkle Zelle kam mir im ersten Augenblick wie ein Lu xusapartment vor, und als sich die Tür hinter uns schloß, konnte ich die Prinzessin noch gerade auf das eine der beiden Lager betten, ehe sie vollends zusammenbrach. »Bleib liegen und ruh dich aus«, riet ich. »Ich sehe mich inzwischen ein wenig um, solange noch Licht ist.« »Durst!« hauchte sie. »In wenigen Minuten nehmen wir ein fürstliches Mahl zu uns, bis dahin gedulde dich bitte. Es hängt vielleicht viel davon ab.« Mikrophone oder Kameras gab es keine, dessen war ich bereits nach einer ersten In spektion sicher. Aber es gab auch keinen Fluchtweg, soweit ich das beurteilen konnte. Ein Fenster war nicht vorhanden, nur ein vergitterter Ventilationsschacht. Aber auch wenn er nicht vergittert gewesen wäre, hätte er uns wenig genützt. Er war viel zu eng für einen arkonidischen Körper. Die Mauern machten einen massiven Ein druck. Es war Irrsinn, auch nur an eine Flucht zu denken. Dieses Gefängnis würden wir ohne fremde Hilfe niemals verlassen können. Mir kam der Gedanke, daß Klahn gruit uns nur einschüchtern wollte, aber dann verwarf ich ihn wieder. Warum sollte er das tun? Wenn er aus uns ein Geheimnis herauspressen wollte, besaß er sicherlich ef fektiviere Methoden und Mittel dazu. Ich kehrte zu Crysalgira zurück und setzte mich zu ihr. Ohne ein Wort zu sagen, packte ich den Korb aus und sortierte. »Wenn wir vernünftig einteilen, reicht es für eine ganze Woche. Heute essen wir uns richtig satt, ab morgen wird streng rationiert. Ein Glück, daß wir auch einige Flaschen mitgenommen haben, sonst würden wir hier verdursten. Also, Prinzessin, das Festmahl wartet …« Als wir satt waren, blieb der Korb noch
Kreuzzug nach Yarden immer fast bis zum Rand gefüllt. Zum ersten Mal seit zwei Tagen fühlten wir uns wieder wohl und zufrieden, obwohl die äußeren Umstände nicht dafür sprachen. Wir wollten nur schlafen und unbehelligt bleiben, mor gen würden wir weitersehen. Es mußte bald Abend sein, aber das würde im Kerker keine Rolle spielen. Entweder gab es hier ständig das Dämmerlicht, oder es würde völlig dun kel werden, und das für immer. »Gute Nacht!« sagte Crysalgira, richtete sich ein wenig auf und drückte ihre vollen Lippen sanft gegen die meinen. »Versuche zu schlafen, und vergiß nicht, daß KeniathCel noch existiert. Sie wird uns hier heraus holen.« »Gute Nacht, Prinzessin«, erwiderte ich. Dann legte ich mich auf die zweite Prit sche und versuchte, einen völlig nutzlosen Fluchtplan zu entwickeln …
3. Zum Glück hinderte mich der angenehm volle Magen daran, noch stundenlang wach zu bleiben und zu grübeln. Ich schlief sehr schnell ein und erwachte nach traumlosem Schlummer am nächsten Morgen, wie ich schätzte. Crysalgira war schon wach. Sie lag auf der Seite und sah zu mir herüber. »Und was nun?« fragte sie. »Abwarten«, entgegnete ich und setzte mich hin. »Klahngruit, so nehme ich an, wird sich bald melden. Er hat die Spur Ke niath-Cels verloren und hofft, wir könnten ihm einen Hinweis geben.« Ihr Gesicht verriet Unmut. »Willst du mich trösten? Dann gib dir kei ne Mühe, Atlan. Klahngruit wird sich nicht mehr um uns kümmern. Für ihn sind wir ge storben. Wir sehen ihn nie mehr wieder.« »Gestern hätte ich auch noch keinen Wert darauf gelegt, aber ab heute hoffe ich es doch.« Sie setzte sich ebenfalls. »Teile die Frühstücksration ein«, empfahl sie mir. »Ein Bad wird heute ja ausfallen
21 müssen …« Das störte mich weniger, weniger jeden falls als die absolute Stille, die uns umgab. Kein Laut war zu vernehmen. Die massive Tür mußte völlig schalldicht sein. Sie besaß kein Guckloch, und von elektronischen Überwachungseinrichtungen konnte ich nichts bemerken. Die Zeit, die wir noch zu leben hatten, ließ sich leicht abschätzen. Wenn diese Frist verstrichen war, würde man nach uns sehen. Dazu mußte die Tür geöffnet werden. Wenn wir unsere Lebensmittel streng ra tionierten, war es möglich, den wahrschein lichen Eintritt unseres Todes um zwei oder drei Tage hinauszuschieben. Und wenn sie dann kamen, um unsere Leichen fortzu schaffen … »Na, was ist mit dir? Du träumst ja mit of fenen Augen …« Ich schreckte aus meinen Gedanken hoch und entsann mich der Aufgabe, die sie mir aufgetragen hatte. Ich teilte das Frühstück ein. Sie maulte: »Du bist aber sehr sparsam. Wer soll denn davon satt werden?« »Niemand«, eröffnete ich ihr. »Aber wir wollen so lange wie möglich am Leben blei ben, Prinzessin.« Sie gab keine Antwort und aß schwei gend. Ich spendierte eine halbe Flasche »Wein«, um den ärgsten Durst zu stillen. Von meiner neuen Idee sagte ich ihr nichts, um keine Hoffnungen zu wecken, die sich vielleicht nie erfüllen würden. Nach dem Esssen legte sie sich wieder hin. Ich blieb hingegen auf und wanderte an den Wänden unseres Gefängnisses entlang, immer zwölf Schritte, dann eine Linkswen dung, wieder zwölf Schritte, abermals eine Wendung, weiter. Sie stöhnte: »Muß das sein, Atlan?« Ich blieb stehen. »Allerdings, Prinzessin. Und ich rate dir, dich ebenfalls etwas zu bewegen.« »Bewegung macht noch hungriger.« »Aber sie hält dich auch fit«, erinnerte ich
22
Clark Darlton
sie und setzte meinen Marsch durch den Kerker fort. Später legte ich mich, während Crysalgira ihre Runden drehte. Ich wußte natürlich, daß wir es so nicht lange aushielten, selbst wenn wir für ein ganzes Jahr Lebensmittel zur Verfügung gehabt hätten. In höchsten fünf oder sechs Tagen dieser Ungewißheit hatten wir den Verstand verloren, wenn wir uns nicht geistig beschäftigten. Also regte ich ein Frage- und Antwortspiel an, um unsere Gedanken nicht ins Uferlose treiben zu las sen. Wir mußten uns konzentrieren, um das Denken nicht zu verlernen. So hoffte ich, Körper und Geist aktiv zu halten, bis der Augenblick der Entscheidung nahte, den ich nur abschätzen konnte. Erst später erfuhren wir, was sich inzwi schen auf dem Planeten Belkathyrat …
* Keniath-Cel wurde alarmiert, als ihr Ver bindungsmann, der uns vom Park in das Versteck geführt hatte, von Klahngruits Leu ten festgenommen wurde. Im ersten Moment nahm sie an, daß zwischen der Verhaftung und uns ein Zusammenhang bestand und veranlaßte die Räumung des uns bekannten Verstecks. Man besaß deren mehr als nur das eine und war so in der Lage, alle Spuren zu verwischen. Zurück blieb ein unverdäch tiger Bürger der Stadt, der offiziell bereits seit Jahren in der Wohnung gemeldet war, womit jede Spur an seiner Tür endete. Die Spione der Gruppe überbrachten ihr am nächsten Tag die Nachricht, daß Klahn gruit uns aus dem Hotel gejagt hatte. Damit stand für sie fest, daß wir nichts mit der Festnahme des Verbindungsmanns zu tun hatten. Der Versuch einer Kontaktaufnahme mit uns mißglückte. Wir waren in der riesigen Stadt untergetaucht und spurlos verschwun den. Nun wurde Keniath-Cel erst richtig aktiv. Der Zeitpunkt des bevorstehenden Starts der Flotte rückte immer näher. Wenn man
ihn verhindern wollte, mußte schnell und be herzt gehandelt werden. Auch hatte KeniathCel inzwischen in Erfahrung gebracht, daß wir bei dem Verhör durch Klahngruit das Versteck nicht verraten hatten. Das bestärkte sie in ihrer Absicht, uns zu helfen und für ih re Pläne zu gewinnen. Doch: wo steckten wir? Einen ersten Hinweis erhielt sie, als sie von dem mißglückten Überfall auf ein Le bensmitteldepot hörte. Sie wußte sofort, wer die Täter gewesen waren und schickte ihre Agenten los, um mehr darüber zu erfahren. Das erwies sich als relativ einfach, denn es war niemandem verborgen geblieben, daß man die Verbrecher in den »Kerker ohne Rückkehr« geworfen hatte. Jeder wußte, daß diese Maßnahme ein indirektes Todesurteil war. Nun war höchste Eile geboten. KeniathCel konnte nicht wissen, wie lange wir es ohne Nahrungsaufnahme und Wasser aus hielten. Sie leitete die Rettungsaktion ein, deren Vorbereitungen jedoch drei volle Tage in Anspruch nahmen. Dann, endlich, war es soweit. Die Gruppe sammelte sich am Abend des dritten Tages nach unserer Verhaftung un weit des Kerkers, der äußerlich einem nor malen Verwaltungsgebäude glich. In einem sicheren Versteck warteten die Widerstands kämpfer die Nacht ab. »Der Pförtner ist auf unserer Seite?« frag te Keniath-Cel. »Er ist zuverlässig«, versicherte jemand. »Er ist gegen den Kreuzzug, wie viele ande re auch. Die Gefangenen interessieren ihn nicht. Er wird keinen Alarm schlagen, wenn wir eindringen, aber er besteht darauf, daß wir ihn betäuben. Er will seinen Posten nicht verlieren.« »Verständlich.« Keniath-Cel wandte sich an einen anderen ihrer Leute: »Und die übri gen Wärter und Beamten?« »Sie müssen von uns überwältigt werden, ehe sie etwas unternehmen können. Jeden falls haben sie keine Ahnung, es dürfte also nicht schwerfallen, sie zu überraschen.«
Kreuzzug nach Yarden »Narkosestrahlen!« entschied sie. »Wir dürfen niemanden töten oder verletzen, denn das würde Klahngruit nur neue Verbündete zuführen. Rohe Gewalt schadet uns nur. In Notwehr allerdings …« Den Rest ließ sie offen. Sie besprachen noch weitere Einzelheiten des geplanten Vorgehens, bis jeder alles fast auswendig wußte. Jemand hatte den Grund riß des Gebäudes besorgt, in dessen Keller räumen das Gefängnis lag. Es war das erste Mal, daß sie eine Befreiungsaktion aus dem »Kerker ohne Rückkehr« unternahmen. Die beiden Fremden waren ihnen das Risiko wert. Wenn die Aktion mißglückte, würde wahrscheinlich auch das nächste Unterneh men gefährdet sein. Die Befreiung wurde somit zu einer Art Generalprobe. Gegen Mitternacht war es dann soweit. Die Straße war leer und fast unbeleuchtet. Das Gebäude wirkte unbewacht und harm los, aber die Rebellen wußten es besser. Ke niath-Cel übernahm die Führung. An ihrer Seite war der Tejonther, der den Pförtner überredet hatte. Ohne Zwischenfall erreich ten sie das Portal, von den übrigen mit Ab stand begleitet. Sie warteten, und es dauerte auch nicht lange, als sich die breite Tür vorsichtig einen Spalt öffnete. Ein paar kurze Worte wurden gewechselt, dann gab Keniath-Cel den ande ren das verabredete Zeichen. Sie selbst war es auch, die dem Pförtner dankbar die Hand drückte und ihn dann mit der schwach ein gestellten Strahlwaffe paralysierte. Er wurde gefesselt und beiseite geschoben. Wenn man ihn später fand, besaß er ein einwandfreies Alibi. Auf dem oberen Gang begegnete ihnen niemand. Ungeschoren erreichten sie den Lift. Jetzt wurde es brenzlig. Sie drängten sich in der Kabine zusam men, um nicht getrennt zu werden. Der Ker ker lag tief unter der Oberfläche in der un tersten Etage. Als die Kabine anhielt, hoben sie die schußbereiten Waffen. Die Tür glitt zur Seite, und zwei völlig verdutzte Wärter
23 blickten in die Mündungen der Waffen. Ehe sie einen Laut von sich geben konnten, san ken sie betäubt zu Boden und rührten sich nicht mehr. »Gib mir den Plan!« forderte Keniath-Cel einen ihrer Freunde auf. Sie studierte ihn flüchtig. »Hier sind die Zellen des Todes sektors. Kommt!« Sie begegneten zwei weiteren Tejonthern, die ebenfalls unschädlich gemacht werden konnten. Man nahm ihnen die Schlüssel zu den elektronisch gesteuerten Schlössern ab und beeilte sich, zu den Zellen zu gelangen. Hier erwartete die Befreier eine echte Ent täuschung. Das Schloß reagierte nicht auf den Schlüssel. Keniath-Cel versuchte es bei anderen Tü ren, mit dem gleichen Mißerfolg. Schließ lich sagte sie: »Die Schlösser werden von einer Zentrale aus kontrolliert, der die Kodebezeichnung bekannt ist. Wahrscheinlich eine täglich wechselnde Programmierung. Die Wachstu be! Sie befindet sich laut Plan eine Etage hö her. Rengot-Dol und zwei andere erledigen das, wir warten hier.« Die drei Tejonther benutzten vorsichtshal ber die Treppe und fanden die Wachstube nach wenigen Minuten. Die Tür war nicht verschlossen, sondern stand halb offen. Ein facher konnten die nachlässigen und sich zu sicher fühlenden Wärter es den Rebellen nicht machen. Bis auf einen wurden sie pa ralysiert. Rengot-Dol knöpfte sich den Verschonten vor und holte Informationen aus ihm heraus. Die Kodeprogrammierung wurde aufgeho ben, so daß sich die Kerkertüren nun ohne Mühe mit dem Schlüssel öffnen ließen. Ren got-Dol paralysierte den Wärter und kehrte dann mit seinen beiden Begleitern zu den anderen zurück. Keniath-Cel blickte in die erste Todeszel le und wich schnell wieder zurück, als sie die beiden halbverwesten Leichen auf den Betten liegen sah. In der zweiten Zelle hielten sich zwei Ge
24
Clark Darlton
fangene auf, die sich nach einem kurzen Wortwechsel den Gegnern des Kreuzzugs anschlossen und ewige Treue schworen. Sie saßen bereits seit sieben Tagen hier. In der vierten Zelle wartete der verhaftete Verbindungsmann auf seine Befreiung und fiel seinen Rettern vor Freude um den Hals. Keniath-Cel schob den Schlüssel in das Schloß der vierten Zelle …
* Der zweite und dritte Tag im Kerker ver ging im gewohnten Rhythmus: Frühstück, Zellenspaziergang, Fragespiel, Zwischen mahlzeit, Ruhepause, und dann alles wieder von vorne. Um uns herum blieb es still und lautlos. Niemand kümmerte sich um uns. Ich begann zu begreifen, warum uns Klahngruit den Korb mit den Lebensmitteln gelassen hatte. Das war nicht aus Gutmütigkeit oder einer Anwandlung von Mitleid geschehen, son dern allein nur deshalb, um unsere Qualen zu verlängern. Und wenn er Wert auf unsere Aussage gelegt hätte, wäre er schon längst einmal bei uns erschienen und hätte Fragen gestellt. Aber nichts von alledem geschah. Als wir uns an diesem dritten Tag zum Schlafen niederlegten, war mir klar gewor den, daß ich etwas unternehmen mußte. Lan ge würde Crysalgira diesen Zustand der Un gewißheit nicht mehr aushalten – eine Unge wißheit, die in der Gewißheit des Todes gip felte. Trotz ihrer scheinbaren Ruhe und Gelas senheit waren ihre Nerven bis zum Zerrei ßen gespannt. Früher oder später mußte der unvermeidliche Zusammenbruch erfolgen. Ich schätzte, daß es noch mindestens drei oder vier Tage dauern würde, bis man kam, um unsere Leichen abzuholen, vielleicht auch mehr. Bis dahin mußten wir durchhal ten. Crysalgiras bedenklicher Zustand be wog mich, ihr meine Vermutung und mei nen darauf aufgebauten Plan mitzuteilen. Er leichtert stellte ich fest, daß sie neue Hoff-
nung schöpfte. »Und wenn sie länger warten?« schränkte sie dennoch ein, wahrscheinlich nur deshalb, um noch mehr tröstende Einzelheiten von mir zu hören. Ich tat ihr den Gefallen und steigerte mich dadurch selbst in eine Art Euphorie hinein, die ansteckend auf sie wirkte. Zum Schluß stand es für uns beide fest, daß wir in weni gen Tagen die in den Kerker kommenden Wärter überwältigen und ihre Stelle einneh men würden. Was danach geschehen sollte, hing von den Umständen ab. Wichtig war nur, daß wir dieses Loch verlassen konnten. Sie schlief endlich ein. Ich selbst fand trotz der relativ guten Stimmung, in die mich das Gespräch hineingetrieben hatte, keine Ruhe. Im Gegenteil: erst jetzt wurde mir klar, daß wir einen ausgeklügelten Plan ausarbeiten mußten, um nicht von den er hofften Ereignissen überrascht zu werden. Einer von uns würde zu gegebener Zeit stän dig wach bleiben müssen, um den anderen wecken zu können, wenn es soweit war. Und dieser Augenblick würde sich durch ein Geräusch ankündigen – durch irgendein Ge räusch, denn bisher gab es keine. Ich hatte keine Ahnung, ob es nun früher Morgen oder Mitternacht war, denn das Dämmerlicht im Kerker ließ keine Schlüsse auf den Zeitablauf zu. Gefühllos reflektier ten die Mauern des Raumes die Lautlosig keit, die uns umgab. Nur Crysalgiras Atem war zu hören, sonst nichts. Um so mehr erschrak ich, als ich plötzlich an der Tür ein Geräusch vernahm. Für eine Sekunde blieb ich wie gelähmt liegen. Der Gedanke, die Leichenträger könnten schon jetzt erscheinen, schoß mir durch den Kopf, aber dann sagte ich mir, daß Klahngruit auch rechnen konnte. Immerhin – es kam jemand! Mit einem Satz war ich von der Pritsche, jedoch blieb mir keine Zeitmehr, Crysalgira aufzuwecken. Ich hätte zuviel Zeit verloren. Jetzt kam es nur noch darauf an, möglichst schnell zu handeln und einem der Wärter die Waffe zu entreißen.
Kreuzzug nach Yarden Ich drückte mich gegen das Mauerwerk neben der Tür. Ich sah, daß sich die Tür öff nete und ein bewaffneter Tejonther zu uns hereinblickte. Er sagte nichts, winkte aber nach hinten, wo noch andere sein mußten. Er schien die schlafende Prinzessin gesehen zu haben. Nun zögerte ich nicht länger. Mit zwei Schritten war ich bei dem ver meintlichen Wärter und schlang einen Arm um ihn. Mit der freien Hand nahm ich ihm die Waffe ab und drückte die Mündung ge gen seinen Kopf. Mein Translator war eingeschaltet, aber er stand neben meinem Bett auf dem Boden. Meine Stimme kam von dort: »Keine Bewegung, oder du bist tot!« Zu meiner Überraschung erschlafften die im Überraschungsmoment gespannten Mus keln meines Gefangenen. Er versuchte keine Gegenwehr, sagte aber: »Gut gemacht, Atlan, aber überflüssig. Ich bin's, Keniath-Cel. Wir sind gekommen, um euch zu befreien.« Ich zögerte, aber inzwischen war Crysal gira erwacht. Sie sah in unsere Richtung, dann rief sie: »Es ist Keniath-Cel, ich erkenne sie wie der. Laß sie los!« Ich befolgte ihren Rat und trat zwei Meter zurück, die Waffe noch immer auf den Te jonther gerichtet. Doch dann sah ich die schlanke und geschmeidige Gestalt, die ich schon einmal in dem Apartment der Rebel len bewundert hatte. Ich senkte die Waffe und reichte sie ihr, mit dem Griff voran. Sie nahm sie. »Ein Glück, daß du nicht noch schneller warst«, meinte sie und nickte Crysalgira zu. »Danke für die Hilfe! Aber nun beeilt euch, wir müssen verschwinden …« In der Hast vergaß ich fast den Translator, dann folgte ich Keniath-Cel und der Prinzes sin. Auf dem Gang begrüßten uns die ande ren Mitglieder der Gruppe. Die Tür wurde wieder geschlossen, und dann eilten wir zum Lift, um nach oben zu fahren. Der Pförtner lag noch immer bewußtlos an der Stelle, an
25 der er schlafen geschickt worden war. Unbe hindert gelangten wir auf die leere Straße. Die Gruppe teilte sich auf. Zusammen mit Keniath-Cel erreichten Crysalgira und ich nach einem kürzeren Spaziergang ein klei nes, unscheinbares Haus, zu dem sie einen Schlüssel besaß. Sie führte uns in ein geräu miges Wohnzimmer, das mit Polstern ausge stattet war. »In wenigen Stunden wird es Tag, wir bleiben hier. Morgen nacht bringe ich euch in unser Hauptquartier. Dort werdet ihr Gro ya-Dol vorgestellt, der endgültig über euer Schicksal entscheidet. Bis dahin sind wir hier sicher. Legt euch schlafen.« »Aber Klahngruit wird alle Hebel in Be wegung setzen, nach dem, was geschehen ist«, sagte ich. »Haben wir nicht dich und deine Leute in Gefahr gebracht?« »Wir leben mit der Gefahr«, winkte sie ab. »Seid beruhigt, dieses Haus gehört offi ziell einem hohen Regierungsbeamten. Nie mand käme auf den Gedanken, es zu durch suchen.« Wir legten uns auf die Polster. KeniathCel suchte ein anderes Zimmer auf, um noch ein paar Stunden zu schlafen. »Dieser Wechsel der Situation – und das innerhalb weniger Minuten …!« flüsterte Crysalgira neben mir. »Wir sind gerettet! Aber ich habe ja immer gesagt, daß uns Ke niath-Cel nicht im Stich lassen wird.« »Aber wie wird es nun weitergehen?« flü sterte ich zurück. »Nun gehören wir zu den Rebellen, ob wir wollen oder nicht.« »Das ist selbstverständlich, wir, helfen ih nen, so wie sie uns geholfen haben. Haben wir eine andere Wahl?« »Natürlich nicht«, gab ich zu. »Und nun versuche zu schlafen. Morgen haben wir einen anstrengenden Tag vor uns – oder vielmehr: eine anstrengende Nacht. Denn am Tag werden wir kaum etwas unterneh men können.« Sie kuschelte sich an mich und schlief ge horsam ein.
4.
26 Keniath-Cel weckte uns erst spät am an deren Tag auf. Es gab ein reichhaltiges Frühstück, das uns für die Hungerkur ent schädigte, die wir im Gefängnis auf uns ge nommen hatten. Noch während wir aßen, kamen nach und nach die Mitglieder der Gruppe ins Haus, um Bericht zu erstatten. Unsere Befreiung war natürlich längst be merkt worden und hatte eine Großfahndung ausgelöst. In der Stadt wimmelte es von Streifen. Die Rebellen zeigten sich, soweit ich das beurteilen konnte, von dem behördli chen Aufruhr nicht sonderlich beeindruckt. In ihrem augenblicklichen Versteck schie nen sie sich absolut sicher zu fühlen. Hin und wieder ertönte ein verabredetes Summsignal an der Tür. Dann kam einer der Verbindungsleute, um über den Stand der Dinge zu berichten. Funkgeräte konnten we gen der Anpeilgefahr nicht eingesetzt wer den. Crysalgira und ich hielten uns meist in dem großen Wohnzimmer auf, in dem wir auch die Nacht verbracht hatten. KeniathCel sah öfters nach uns und informierte uns über die Lage. Die Polizei hatte bisher kei nen einzigen Hinweis gefunden, wenn sie auch wußte, wer die Täter gewesen waren. Der Tag verging in quälender Langsam keit. Wir bekamen reichlich zu essen und zu trinken, und über Abwechslung konnten wir uns auch nicht gerade beklagen, aber trotz dem … Allmählich begann es zu dunkeln. Wieder erschien einer der Verbindungsleute. Die Aktivität der Polizei hatte nachgelassen, be richtete er und fügte die Vermutung hinzu, es könne sich wohl auch um ein Täu schungsmanöver handeln, um uns in Sicher heit zu wiegen. Keniath-Cel stimmte ihm zu. »Wir werden noch warten müssen. Steht der Gleiter zum Abtransport unserer Gäste bereit?« »Alles wie geplant.« »Gut. Rengot-Dol wird uns begleiten, weil er der beste Pilot ist. In drei Stunden versuchen wir es.« »Wir überwachen den Weg bis zum Glei-
Clark Darlton ter. In dieser Gegend hat sich bisher noch kein Polizist sehen lassen. Sie haben sich in erster Linie auf den Stadtkern konzentriert. Auch die Wachen um den Raumhafen wur den verdoppelt.« »Das kann uns jetzt nicht stören, denn die Vorbereitungen zum Start der Flotte sind noch nicht abgeschlossen. In ein paar Tagen wird es wieder ruhiger werden. Sie wissen nun, daß wir die beiden Fremden befreit ha ben und werden sich damit abfinden müs sen, daß sie uns helfen. Das Gesicht von Klahngruit möchte ich jetzt sehen.« Wenn ich ehrlich sein soll, so hegte ich diesen Wunsch nicht. Ich konnte mir gut vorstellen, daß die Geduld des Tejonthers nun erschöpft war. Bereits bei unserer letzen Begegnung war er nicht zimperlich gewesen und hatte uns praktisch zum Tode verurteilt. Ich konnte mir sehr gut vorstellen, was pas sieren würde, wenn er uns noch einmal erwi schte. Draußen war es völlig dunkel geworden. Keniath-Cel kam zu uns und setzte sich. »Bald brechen wir auf«, teilte sie mit. »Vorher werden wir uns noch einmal stär ken, denn der Flug kann lange dauern, wenn wir zu Umwegen gezwungen werden. Ren got-Dol kennt die Strecke zwar sehr gut, aber wir dürfen trotz der Dunkelheit keine elektronischen Orientierungsgeräte einset zen, da ihre Energieabstrahlung zu leicht ge ortet werden kann. Wir überfliegen die Ebe ne und das Gebirge. Unser Versteck liegt zwischen hohen Bergen in einem Talkes sel.« »Unternehmen Klahngruit und seine Leu te keine Erkundungsflüge?« erkundigte ich mich skeptisch. »Es müßte doch leicht für sie sein, euch zu finden.« »Wir haben das Tal gut abgeschirmt, au ßerdem vermutet uns Klahngruit nicht so weit von der Stadt entfernt. Das ist nicht weiter verwunderlich, denn die Stadt selbst bietet mehr Verstecke als die einsame Land schaft. Wenn man unlogisch handelt, ist man vor logisch denkenden Verfolgern ziemlich sicher.«
Kreuzzug nach Yarden Das mochte stimmen, konnte mich aber nicht völlig überzeugen. Meiner Ansicht nach überließen die Rebellen zu viele Dinge dem Zufall. Und gerade ein solcher Zufall konnte es sein, der zur Entdeckung und da mit zu ihrer Vernichtung führte. Aber ich war nicht hier, um ihnen Lehren zu erteilen. Sie kannten diese Welt und die Mentalität ihres eigenen Volkes schließlich besser als ich. Ein Tejonther betrat den Raum. Er blieb bei der Tür stehen. »Es ist soweit, Keniath-Cel«, sagte er. Sie nickte uns zu. »Das ist Rengot-Dol, unser Pilot. Wir ma chen uns jetzt auf den Weg. Seid ihr bereit?« »Schon seit Stunden«, erwiderte ich und half Crysalgira, eine wärmende Pelzjacke anzuziehen, die man ihr gegeben hatte. »Haben wir keine Waffen?« »Sie sind überflüssig und würden nur Verdacht erregen, wenn uns jemand sieht. Euch wird man in der Dunkelheit nicht er kennen, und es ist unwahrscheinlich, daß wir einer Polizeistreife begegnen. Kommt jetzt!« Wir verließen das Haus, in dem die ande ren Rebellen zurückblieben. Die Straße war leer. In den Außenbezirken war die Beleuch tung nur sehr spärlich. Keniath-Cel führte uns durch verschiedene Seitenstraßen und einen Park, bis wir den eigentlichen Stadtrand erreichten. Der Weg endete im Gestrüpp, aber Rengot-Dol über nahm nun die Führung. Er schien das Gelän de bestens zu kennen. Nicht lange, und wir erreichten ein klei nes Felsplateau, auf dem ich gegen den Himmel die schattenhaften Umrisse eines Gleiters erkannte. Ohne Umstände kletterten wir hinein, dann startete Rengot-Dol und stieg sofort in größere Höhe hinauf. Weit hinter uns sah ich das Lichtermeer der Stadt, das schnell zu einer leuchtenden Glocke oh ne Einzelheiten wurde. Vor uns war nur Dunkelheit. »Wir müssen hoch steigen, um ohne Ge fahr das Gebirge überqueren zu können«, er klärte Keniath-Cel.
27 Es ist immer ein unangenehmes Gefühl, einer Gefahr ins Auge sehen zu müssen, oh ne etwas tun zu können. In diesem Fall muß ten wir uns voll und ganz auf Rengot-Dol verlassen, der diesen Flug sicherlich nicht zum ersten Mal unternahm. »Keine Sorge, Keniath-Cel, wir fürchten uns nicht«, beruhigte ich unsere Retterin. Im Schein der Sterne konnte ich die Gip fel der Berge ahnen. Einmal blinkte sogar die schimmernde Fläche eines Sees zu uns herauf. Dann sah ich weiter vorn ein Licht. Keniath-Cel deutete in Flugrichtung. »Wir sind am Ziel, meine Freunde. Heute nacht noch werdet ihr Groya-Dol gegen überstehen.« Ich gab keine Antwort und ließ das Licht nicht aus den Augen, auf das Rengot-Dol zusteuerte und dabei tiefer ging. Bald sah ich, daß es ein Scheinwerfer sein mußte, doch bereits etwas später mußte ich erken nen, daß es mehrere waren, die man in einer ganz bestimmten Anordnung angebracht hatte. Sie erinnerte mich an das Leuchtfeuer eines Raumhafens, der keine Anlage zur au tomatischen Landung besaß. Der Gleiter landete genau zwischen den Scheinwerfern, die sofort erloschen, kaum daß wir den Boden berührten. Das konnte nur eine Vorsichtsmaßnahme sein. Eine Ver mutung, die sich wenige Minuten später be stätigte, als wir aus der Kabine kletterten und warteten. Aus der Dunkelheit schälten sich ein paar Gestalten, und da meine Augen sich inzwi schen wieder an die Dunkelheit gewöhnt hatten, sah ich, daß sie Waffen trugen. Ke niath-Cel rief ihnen einige Worte zu, deren Sinn selbst mein Translator nicht erfaßte. Ebenfalls in Kode kam die Antwort zurück, dann wurden wir von den Tejonthern um ringt, die Keniath-Cel und Rengot-Dol herz lich begrüßten. Wir wurden als die befreiten Fremden vorgestellt, die vor Groya-Dol ge bracht werden sollten. »Er erwartet sie bereits«, lautete die Ant wort.
28 Ringsum bemerkte ich steil aufragende Felsen, deren Gipfel sich zwischen den Ster nen verloren. Im Tal selbst war es dunkel. Jemand nahm meine Hand, um mich zu füh ren, ich selbst hielt Crysalgira fest, damit sie nicht vom Weg abkam. Dann standen wir vor einer Felswand. Etwas schob sich zur Seite, dann leuchtete Licht auf. Schnell gin gen wir weiter, und hinter uns schloß sich das Tor wieder. Wir standen im Innern des Berges, in ei ner gewaltigen Höhle. Sie setzte sich nach hinten weiter fort, wie ich sofort feststellte. Mehrere Gänge führten in verschiedene Richtungen, immer tiefer in den Fels hinein. Ein besseres Versteck hät ten sich die Rebellen wirklich nicht aussu chen können. Im Gegensatz zu der Dunkelheit der Nacht draußen vor dem Höhlenlabyrinth herrschte hier eine wahre Festbeleuchtung. Energieprobleme jedenfalls schienen die Re bellen nicht zu kennen. Keniath-Cel schien meine Frage erahnt zu haben, denn sie sagte: »Wir haben genügend Energie, Atlan, aber wir können sie nicht immer voll einset zen – wegen der verräterischen Abstrahlung bei bestimmten Geräten. Licht ist ungefähr lich. Wenn wir schon sonst stets in der Dun kelheit und im Untergrund leben müssen, dann soll es wenigstens hier hell sein.« Damit mochte sie recht haben. Ein psy chologischer Effekt. Der Gang verbreiterte sich noch mehr und mündete in einer Halle, die keinen zweiten Ausgang zu besitzen schien. Die Wände wa ren mit primitiven Fellen behangen, die den Raum warm und behaglich machten. An Möbeln sah ich breite Liegestätten, einen Tisch und aus Holz gefertigte Sessel. Auch der Steinboden war mit dichten Fellen be deckt. In einer Ecke glühte ein elektrischer Ofen. Der Tejonther, der auf einem Stapel von Fellen saß und uns entgegenblickte, konnte nur Groya-Dol sein. Ich sah sofort, daß er sehr alt sein mußte, denn sein kurzer Pelz war an vielen Stellen bereits ergraut und
Clark Darlton licht geworden. In seinen Augen las ich Neugierde und ein wenig Erstaunen. So ein Lebewesen wie mich hatte er sicher noch nie in seinem Leben gesehen. Keniath-Cel übernahm die Vorstellung, während sich die anderen Tejonther, die uns hierher gebracht hatten, zurückzogen. »Groya-Dol, dies sind Atlan und Crysal gira, die beide aus einer fremden Welt zu uns gebracht wurden. Wir befreiten sie, nachdem unsere Feinde sie in den Kerker ohne Rückkehr geworfen hatten. Sie sind für unsere Sache und waren bereit, dir ins Auge zu sehen. Ich verbürge mich für sie.« Der Alte deutete wortlos auf die übrigen Sitzgelegenheiten und musterte uns unge niert. Er wirkte erfahren und abgeklärt. Ich wußte, daß ich einen alten Kämpen vor mir hatte, der die Untergrundbewegung leitete. Keniath-Cel war nur sein ausführendes Or gan. Schließlich deutete er auf mich. »Du bist Atlan, das männliche Wesen dei nes Volkes? Und Crysalgira, sie ist weib lich? Darum der umständliche Name?« »Nein, Groya-Dol, der Name bestimmt nicht das Geschlecht. Aber du hast recht: sie ist eine Frau. Wir sind bereit, deine Fragen zu beantworten, soweit wir dazu in der Lage sind.« »Nun gut, dann berichtet, woher ihr kommt – und warum.« Es wäre sinnlos gewesen, ihm die volle Wahrheit zu erzählen, er hätte sie niemals begreifen können. So blieb ich in dem ihm bekannten Universum und sagte nur, daß wir von einer anderen Welt kämen, deren Positi on wir verloren hätten. Man hätte uns gefan gen – was ja stimmte – und nach Belkathyr gebracht, wo sich Klahngruit unserer ange nommen hätte. Der Rest sei ihm bekannt. Er dachte lange darüber nach, dann fragte er: »Warum habt ihr ein Interesse daran, den Kreuzzug zu verhindern? Gibt es einen plau siblen Grund dafür, den ich als logisch be trachten könnte?« Das war eine gute Frage, sie erforderte ei
Kreuzzug nach Yarden ne ebenso gute Antwort. »Eigentlich nicht, Groya-Dol. Unser Be streben ist es, diese Welt so bald wie mög lich wieder zu verlassen, um unsere Heimat zu finden. Von Klahngruit erfuhren wir, daß alle Schiffe, die dein Volk besitzt, für den geplanten Kreuzzug benötigt werden. Die Rechnung für uns ist einfach: kein Kreuzzug – dann gibt es ein Schiff für uns. Darum sind wir auf eurer Seite.« »Das klingt sehr einleuchtend«, gab der Alte zu. »Wenn wir siegen, werdet ihr ein Schiff erhalten. Damit könnt ihr fliegen, wo hin ihr wollt. Aber soweit ist es leider noch nicht. Ihr wollt uns also helfen?« »Wir wollen es, Groya-Dol«, bestätigte ich, und auch Crysalgira bekräftigte meine Versicherung durch ihre Worte. Er betrachtete uns eine ganze Weile mit forschenden Blicken, als wolle er unsere ge heimsten Gedanken ergründen, dann nickte er Keniath-Cel zu. »Ich bin mit deiner Wahl und deinem Vorschlag einverstanden, aber bei einem Einsatz mußt du vorsichtig mit ihnen sein. Sie werden auf den ersten Blick erkannt werden. Aber du sagtest, sie wären mutig. Das ist entscheidend. Doch zuvor brauchen sie Ruhe, um sich vom Kerker zu erholen.« »Ihre Unterkunft ist vorbereitet, GroyaDol.« »Gut. Führe sie hin und sorge dafür, daß sie ausschlafen und sich satt essen können. Morgen dürfen sie sich das Tal ansehen, da mit sie es kennenlernen. Erkläre ihnen auch seine Lage, damit sie es wiederfinden, falls ihr einmal getrennt werden solltet.« Damit waren wir entlassen. Keniath-Cel sprach nicht, während wir den Gang bis zum Höhleneingang zurück gingen und dann in einen anderen einbogen, bis wir vor einer in den Felsen eingelassenen Holztür standen, die nur ein einfaches Schloß besaß. Keniath-Cel öffnete die Tür und bat uns, ihr zu folgen. Es war ein kleiner Höhlenraum, offen sichtlich mit entsprechenden Werkzeugen in den Berg hineingearbeitet. Auch seine Wän
29 de waren mit Fellen bedeckt, ebenso der Fußboden. An Möbeln gab es nur einen Tisch und zwei Stühle. »Die Felle sind weich und warm«, erklär te Keniath-Cel. »Schlaft in Ruhe und Frie den. Neben der Tür ist ein Knopf. Drückt ihn ein, wenn ihr Wünsche habt. Eine Stim me meldet sich dann.« Sie ging, ohne eine Antwort abzuwarten. Hinter ihr schloß sich die Tür. Ich inspizierte den Raum und entdeckte zu meiner Erleich terung eine Wasch- und Toiletteneinrichtung hinter einem Fellvorhang. Jetzt machten wir allerdings nicht viel Umstände, dazu waren wir viel zu müde. Aus reiner Gewohnheit legten wir uns wie der nebeneinander in eine Ecke und deckten uns mit den Fellen zu. Ich glaube, wir wech selten an diesem Abend nur noch ein paar Sätze, dann schliefen wir ein. Ein reichliches Frühstück entschädigte uns abermals für die Hungertage im Kerker, dann verließen wir unsere Unterkunft und suchten den Höhlenausgang. In dem Laby rinth wäre es nicht schwer gewesen, sich zu verirren. Wir begegneten nur wenigen Te jonthern, die unseren Gruß freundlich zu rückgaben. Meine Einstellung zu diesem merkwürdigen Volk veränderte sich zum Positiven. Draußen schien die Sonne, die dicht über den Rändern der hohen Berge stand, die das fast runde Tal einschlossen. Ich konnte kei nen Zugang entdecken. Aber vielleicht gab es doch einen, nur wurde er von den Wäl dern verdeckt, die am Rand des Talkessels wuchsen. Ein kleiner See ließ darauf schlie ßen, daß es genügend Trinkwasser gab. Ver geblich suchte ich nach technischen Anla gen. Wenn sie überhaupt welche besaßen, waren sie gut getarnt. Das schien mir auch notwendig zu sein, denn ich konnte mir nicht vorstellen, daß die Behörden auf In spektionsflüge verzichteten. Crysalgira und ich wanderten unbehelligt durch das Tal und genossen die Wärme ge nauso wie die Freiheit. Hier fühlten wir uns wohler als in der überfüllten Stadt, obwohl
30 wir der Rückkehr in unser eigenes Univer sum keinen Schritt näher gekommen waren. Außerdem stellte ich mir immer wieder die Frage, ob wir nicht mit dem Sturz aus dem Makrokosmos in den Mikrokosmos zugleich auch einen Sprung in eine andere Zeitdimen sion mitgemacht hatten. Wenn das der Fall war, konnten sich die unglaublichsten Phä nomene ergeben. Vielleicht gab es schon längst kein Großes Imperium der Arkoniden mehr, und Orbanaschol, der Mörder meines Vaters, war schon seit Jahrhunderten tot. Oder – umgekehrt – wir lebten hier Wochen und Monate, während »draußen« nur Minuten vergangen waren. Es waren Gedanken, die mich beunruhig ten, und Crysalgira schien es bemerkt zu ha ben. Sie fragte mich, und ich antwortete ihr offen. Wir saßen an einem kleinen Bach auf einem Stein. Sie meinte: »Warum machst du dir Gedanken über Dinge, die wir nicht wissen oder ändern können? Wichtig ist nur, daß wir überhaupt einen Weg zurück finden. Und wenn es dann geschehen ist, was du befürchtest, müssen wir uns eben damit abfinden – aber ich tue es jetzt noch nicht.« Sie sah mich an. Sie fuhr fort: »Ist der Ablauf der Zeit nicht kon stant, ob wir nun im normalen Universum oder hier sind? Was kann die Zeit ändern?« Ich sah einem Blatt nach, das von der Strömung des Baches mitgenommen wurde. »Zeit …? Crysalgira, ich weiß es nicht. Es gibt Spekulationen unserer Wissenschaftler, aber eben nur Spekulationen. Aber es könnte doch sein, daß in einer winzig kleinen Welt auch die Zeit langsamer vergeht – ich meine, in Relation zu unserer eigenen.« Das Blatt kam an einen winzigen Wasserfall und wur de förmlich weitergeschleudert. »Oder schneller, ganz wie du willst.« Sie schwieg. Lange saßen wir so da und ließen den Frieden der Umgebung auf uns einwirken. Mich überkam eine Ruhe, wie ich sie selten gekannt hatte. Mein ganzes Le ben und mein Kampf um Gerechtigkeit, mein Streben nach Rache für den Mord an
Clark Darlton meinem Vater – das alles erschien mir plötz lich wie ein Traum, aus dem ich jeden Au genblick erwachen konnte. Oder war ich schon erwacht, und dies war die Realität? Doch Crysalgiras nächste Worte brachten mich abrupt in die Wirklichkeit zurück: »Wie ergeht es Chergost?« Sie seufzte. »Ob er noch lebt?« Chergost, ihr Geliebter, hoher Würdenträ ger des Imperiums, aber anscheinend in Un gnade gefallen … »Natürlich lebt er noch, Prinzessin, und er wartet auf dich.« Ich glaubte selbst nicht daran. Vielleicht wollte ich auch nicht daran glauben – ich wußte es selbst nicht. »Sei ge wiß, daß auch ich meine Sorgen habe, die unser Universum betreffen, doch sagtest du nicht selbst vorhin, wir sollten nicht daran denken? Warum gibst du mir gute Ratschlä ge, ohne sie selbst zu befolgen?« Sie sah mich an und lächelte ein wenig gequält. »Hast du schon einmal jemanden geliebt, Atlan?« Ihre Frage traf mich bis ins Herz. Ich nickte. »Du hast recht, Crysalgira. Komm, gehen wir weiter.« Es war schon später Nachmittag, als wir zu der Höhle zurückkehrten. Keniath-Cel er wartete uns vor dem Eingang. Sie saß auf ei nem mit Fellen bespannten Sessel und sah der sinkenden Sonne nach. »Ihr habt euch umgesehen? Wie fühlt ihr euch?« Wir blieben dicht vor ihr stehen. »Gut«, erwiderte ich. »Wir müssen Bewe gung haben, das wirst du verstehen, und das Tal ist ein Ort des Friedens. Trotzdem möchte ich dich fragen: wann ist es soweit?« »Ungeduldig, Atlan?« Sie lächelte, wie eben ein Tejonther lächelte – ein wenig ver zerrt und undefinierbar. »Unsere Kundschaf ter haben berichtet, daß die Vorbereitungen zum Start der Flotte nicht unterbrochen wur den. Es liegt an uns, die Vorbereitungen zu verzögern, um Zeit zu gewinnen. Mehr kön
Kreuzzug nach Yarden nen wir jetzt nicht tun.« Ich hatte das Gefühl, daß sie überhaupt nicht mehr tun konnten, behielt aber meine Meinung für mich. Warum sollte ich sie ent mutigen? Ich wußte aus eigener Erfahrung, wie schwer es war, gegen die Machthaber eines Imperiums zu kämpfen, und dies war ein Imperium, wenn es auch nicht größer war als die Spitze einer Nadel. »Wie wollt ihr das anstellen, KeniathCel?« »Indem wir den Raumhafen angreifen und Verwirrung stiften. Veilleicht gelingt es uns auch, einige Schiffe zu vernichten. Es müs sen immer zehntausend sein, die zum Kreuz zug starten. Der Neubau würde Zeit bean spruchen.« »Habt ihr Waffen?« »Die haben wir, Atlan. Doch geht nun, das Essen wartet. Heute abend will GroyaDol noch einmal mit euch reden. Ich hole euch ab.« Ich nahm Crysalgiras Hand und zog sie mit, denn ich sah ihr an, daß sie noch mit Keniath-Cel sprechen wollte. Sie folgte mir ohne Widerstand, und als wir unseren Raum erreichten, war der Tisch bereits gedeckt. Wir aßen und tranken, dann fragte sie: »Warum hast du verhindert, daß ich mit ihr sprach?« »Ganz einfach, Prinzessin: ich wollte ver hindern, daß du ihr Fragen stellst, die nur Groya-Dol beantworten kann.« Sie sah mich forschend an, dann nickte sie. »Vielleicht hast du recht. Atlan. Ich lege mich jetzt schlafen, denn ich verspüre heute keine Lust mehr zu einem Spaziergang.« Sie verschwand unter den Fellen, und bald darauf war sie eingeschlafen. Ich selbst war nicht müde und blieb wach. Ich spürte förmlich, daß etwas in der Luft lag. Es war etwas geschehen, das Eile erforderte. Nun, wir würden bald mehr darüber er fahren. Als Keniath-Cel uns zu Groya-Dol brach te, wandte der Alte mit dem graumelierten Pelz uns den Rücken zu. Er beschäftigte sich
31 mit irgendwelchen Schriftstücken und schi en unser Eintreten nicht bemerkt zu haben. Da sein Oberkörper unbekleidet war, sah ich sofort die schreckliche Narbe dicht unter dem Nacken. Der Pelz war dort nicht nach gewachsen, was sie noch deutlicher markier te. Keniath-Cel machte sich bemerkbar. Er drehte sich langsam um und musterte uns, als hätte er uns noch nie zuvor gesehen, dann lächelte er breit. »Nehmt Platz, Freunde. Ich weiß nicht, ob Keniath-Cel es euch schon gesagt hat – aber wir müssen schneller handeln, als vorgese hen war. Wie wir in Erfahrung brachten, steht der Start der Teilflotte auf Belkathyr kurz bevor. Wenn sie sich mit dem Rest der Gesamtflotte vereinigt, ist es für uns zu spät, denn dann können wir nichts mehr errei chen. Der Kreuzzug nach Yarden ist ein Be trug, nichts anderes. Ich weiß es. Alle drei hundert Jahre verlieren wir zehntausend Schiffe – für nichts und wieder nichts. Das muß aufhören.« »Wo ist der gemeinsame Treffpunkt der Flotte?« fragte ich. »Die Schiffe von Belkathyr fliegen zu ei ner Gefühlsbasis, die im Raum stationiert ist, dort erwarten sie die anderen sechs Flot tenteile. Sie können jedoch nicht starten, wenn die geforderte Anzahl zu gering ist. Wenn wir also auch nur ein einziges Schiff zerstören, erhalten wir einen Zeitgewinn von Wochen, wenn nicht gar von Monaten, das kommt darauf an, ob man Reserveschiffe gebaut hat. Noch günstiger wäre es natür lich, wenn es uns gelänge, das Kontrollzen trum des Raumhafens so zu beschädigen, daß ein Start überhaupt unmöglich würde.« »Wurde ein Plan ausgearbeitet?« Groya-Dol deutete auf Keniath-Cel. »Sie führt die Angriffsgruppe, und sie hat auch einen Plan. Ihr könnt ihr vertrauen. Es ist nicht das erste Mal, daß sie für unsere Sa che kämpft. Außerdem werde ich selbst an dieser wichtigen Operation teilnehmen, wenn auch nicht als Kommandant.« »Du solltest hier bleiben«, sagte Keniath
32 Cel besorgt. »Hast du nicht schon genug ge kämpft? Hast du nicht die Eisnarbe?« Unwillkürlich fuhr sich der Alte mit der Hand über den Rücken. »Ja, die Eisnarbe …! Das ist schon lange genug her und gibt mir keine Berechtigung, euch allein in den Kampf ziehen zu lassen. Später, wenn es darum geht, die Gefühlsba sis im Raum anzugreifen und zu vernichten, werde ich nicht dabei sein. Doch dieser zweite Plan hat noch Zeit. Wichtig ist erst einmal, die Flotte am Start zu hindern. Ich weiß, das ist ein schweres und gefährliches Vorhaben, und vielleicht überleben war es nicht. Aber nach uns werden andere kom men, denn es gibt viele, die mit dem Kreuz zug nicht mehr einverstanden sind.« Das war ein schwacher Trost für Crysalgi ra und mich, die das alles im Grunde ge nommen nichts anging. Wir waren durch pu ren Zufall mitten in diese Auseinanderset zung geraten und vom Strudel der Ereignisse mitgerissen worden. Vielleicht hätten wir uns an dem Unternehmen der Rebellen nicht beteiligt, wenn Klahngruit uns gegenüber anders gehandelt hätte. »Wir brechen heute in der Nacht auf«, sagte Keniath-Cel entschlossen. »Es ist alles bereit, wie du es angeordnet hast. Die beiden Fremden sind bei meiner Gruppe. Insgesamt greifen wir mit dreihundert Tejonthern an.« »Sind alle unterrichtet?« wollte der Alte wissen. »Sie sind unterrichtet und bereits in der Stadt in den Verstecken. Die Polizei scheint arglos zu sein, es gibt auch keine Streifen mehr. Man hat sich also mit der gelungenen Befreiung aus dem Kerker abgefunden – oder es gibt andere und wichtigere Dinge zu erledigen.« Groya-Dol stellte noch ein paar belanglo se Fragen, dann entließ er uns. Auf dem Weg in unser Quartier sagte Keniath-Cel: »Wir werden uns mit zweihundert unserer Leute an das Kontrollgebäude heranschlei chen, während hundert einen Überfall auf das Warendepot vortäuschen, um die Wa chen abzulenken und zu beschäftigen. Wäh-
Clark Darlton rend sich alles auf die Verteidigung des De pots konzentriert, greifen wir die Kontroll zentrale an. Wenn wir Glück haben, legen wir die Anlage in wenigen Minuten lahm. Zur Flucht stehen uns Gleiter zur Verfü gung, die am Stadtrand in gut getarnten Ver stecken auf uns warten. Notfalls kennt ihr ja selbst den Weg zurück in dieses Tal. Zwei Tagesmärsche sind es, mehr nicht.« Vor der Tür verabschiedete sie sich von uns und gab uns noch den guten Rat, einige Stunden zu schlafen. Sie würde uns wecken, wenn es soweit war. Crysalgira legte sich sofort hin. Ich selbst fand keine Ruhe. Der Plan der Rebellen ge fiel mir nicht, vielleicht aber auch nur des halb, weil ich zu wenig von ihm kannte. Ich redete mir ein, daß sie mit den Verhältnissen besser vertraut waren als ich und sich eher ein Urteil über die Erfolgschancen erlauben konnten. Auch sie würden nicht blindlings in ihr Verderben rennen. Niemand starb ger ne, auch keine Fanatiker. Schließlich sagte ich mir, daß meine Überlegungen sinnlos waren, denn ich konn te nichts mehr an den bevorstehenden Ereig nissen ändern. Crysalgira und ich waren auf die Rebellen angewiesen, ob der Angriff auf den Raumhafen nun gelang oder nicht. Ihr Gegner war auch der unsere. Ich legte mich nun ebenfalls auf die Felle und versuchte ein wenig zu schlafen. Kaum hatte ich die Augen geschlossen, als Keniath-Cel auch schon kam, um uns ab zuholen.
5. Rengot-Dol flog den Gleiter, in dem Ke niath-Cel, Groya-Dol, Crysalgira und ich Platz genommen hatten. Wir überquerten das Gebirge und näherten uns dann in einem Bogen der Stadt. Das Raumhafengelände hob sich deutlich von ihr ab, denn es war von Scheinwerfern hell angestrahlt. Wir landeten noch außerhalb des Stadtge biets auf einer Waldlichtung. Meine Augen, die sich an die Dunkelheit hier gewöhnt hat
Kreuzzug nach Yarden ten, entdeckten die Umrisse anderer Gleiter. Groya-Dol war beweglicher, als ich ver mutet hatte. Behende kletterte er aus der Ka bine und war dann schnell von den warten den Rebellen umringt. Es waren nur noch wenige, denn die anderen hatten bereits ihre Posten in der Nähe des Raumhafens bezo gen. In zwei Stunden war Mitternacht. In kleine Gruppen aufgeteilt, wanderten wir quer durch die Stadt, und zwar stets so, daß die eine die andere im Auge behalten konnte. Wenn eine Streife der Polizei Schwierigkeiten machen sollte, konnte man eingreifen und eine Entdeckung verhindern. In dieser Nacht würde es keine Rücksichten mehr geben. Ich merkte mir den Weg und war über zeugt, ihn zurück auch allein und ohne frem de Hilfe zu finden. Mit einem Gleiter konnte ich notfalls auch umgehen, so daß ich mir den Fußmarsch ins Tal ersparen konnte, falls das Unternehmen, das vor uns lag, mißlang. Auf jeden Fall nahm ich mir vor, Crysalgira keine Sekunde aus den Augen zu lassen. Einige Polizeifahrzeuge fuhren an uns vorbei, aber sie hielten nicht an. Ich wunder te mich ein wenig darüber, denn um diese Zeit war nicht mehr viel Verkehr auf den Straßen. Keniath-Cel erklärte mir, einzelne Spaziergänger fielen gegen Mitternacht kaum auf, da die Vergnügungsstätten dann schlossen und viele Besucher es vorzögen, zu Fuß nach Hause zu gehen. Inzwischen hatte meine seelische Verfas sung ein Stadium erreicht, in dem mir so ziemlich alles egal war. Es gab einfach kei nen anderen Ausweg, als auf der Seite der Rebellen zu marschieren, obwohl es mir in nerlich völlig gleichgültig war, ob der Kreuzzug nun stattfand oder nicht. Im Not fall hätte ich auch ohne die Widerstands kämpfer versucht, ein Schiff für mich und die Prinzessin zu kapern. Einige Tejonther kamen uns entgegen. Groya-Dol begrüßte sie durch Handzeichen, dann berichtete einer von ihnen: »Wir haben außerplanmäßig einen kleinen Überfall auf ein Warenhaus im Zentrum der
33 Stadt inszeniert, um die Streifenpolizei ab zulenken. Der Weg zum Raumhafen ist frei, aber nur für kurze Zeit. Dann wird man den Bluff bemerken und Schlüsse ziehen.« Groya-Dol sprach zwar seine Anerken nung für das selbständige Handeln seiner Leute aus, aber ich spürte, daß er nicht ganz zufrieden damit war. Was nützte jetzt der freigewordene Weg, wenn die Polizei viel leicht Verdacht schöpfte …? Wir gingen nun schneller und sahen we nig später die Abgrenzung des Raumhafen geländes vor uns. Grell stachen die Schein werfer in das Dunkel der Nacht und leuchte ten fast jeden Winkel aus – aber eben nur fast. Keniath-Cel, die das Gelände besser kannte, übernahm nun wieder die Führung. Groya-Dol ging hinter ihr, Rengot-Dol, Cry salgira und ich folgten ihnen. Nach und nach stießen auch die anderen Gruppen zu uns. Es wurde kaum gespro chen, denn der Plan war von langer Hand vorbereitet. Jeder wußte genau, was er zu tun hatte. Ich bemerkte, daß viele der Tejon ther schwere Pakete trugen, die wohl Sprengstoffe enthielten. Alle waren mit Energiestrahlern bewaffnet, die Prinzessin und ich ebenfalls. Die letzte Gruppe der Rebellen erwartete uns unmittelbar an dem elektrisch geladenen Zaun, der das eigentliche Raumhafengelän de absicherte. Triumphierend berichtete ihr Anführer, daß sämtliche Wachtposten abge zogen worden seien, da man in der Nähe des Warendepots verdächtige Gestalten wahrge nommen habe. Auch das gehörte zum Plan. »Und was ist mit dem Zaun?« fragte Ke niath-Cel. »Wir haben den Strom unterbrochen, und bis jetzt erfolgte kein Alarm. Eine Überlei tung verhindert, daß die Kontrollinstrumente die Unterbrechung anzeigen.« Gut gemacht, dachte ich bei mir, ohne daß sich meine Zweifel an dem Gelingen des Unternehmens verringert hätten. Ich befand mich in einer merkwürdigen Situation. Ich glaubte nicht an den Sieg der Rebellen, aber
34 ich wünschte ihn sehnlichst herbei. Ich wür de alles tun, ihnen zu helfen, obwohl ich fast von einer Niederlage überzeugt war. Einer nach dem anderen passierten wir die Lücke im Zaun, die von der letzten Gruppe geschaffen worden war. Crysalgira hatte nun ihre Hand von der meinen gelöst, um ihren Energiestrahler schußbereit halten zu kön nen. Ich blieb dicht bei ihr. Auf keinen Fall wollte ich sie in dem bevorstehenden Durch einander, das unweigerlich eintreten würde, verlieren. Groya-Dol und Keniath-Cel übernahmen nun gemeinsam die Führung der nahezu zweihundert Rebellen. Das Kontrollgebäude lag etwa hundert Meter vor uns, und es war hell von den Scheinwerfern angestrahlt. Sie hatte man nicht außer Betrieb setzen kön nen. Wir mußten eine Fläche von etwa drei ßig Metern überqueren, die hell angestrahlt wurde. Groya-Dol hielt an. »Ein Risiko, das uns allen das Leben ko sten kann«, sagte er, nachdem er die Lage sondiert hatte. »Wir können nur darauf hof fen, daß sämtliche Wachen zum Warendepot geeilt sind, um es gegen die Angreifer zu verteidigen. Aber ich bin ziemlich sicher, daß einige zum Schutz der Kontrollanlage zurückblieben. Wenn wir mit ihnen fertig werden können …« »Wir schaffen es!« sagte Keniath-Cel energisch. Ihr Haß gegen die Regierung machte sie fast blind, erkannte ich in diesem Augen blick. Ihre Ansichten mochten gut und ge recht sein, aber ihr Kampf blieb deshalb trotzdem aussichtslos. Selbst wenn es uns gelang, die Kontrollzentrale zu vernichten, konnte es nur ein halber Sieg werden. Die Rebellen gewannen nur Zeit, nicht mehr. Am Ende des Weges würde dennoch der Kreuzzug stehen. Und der Tod für die Rebellen, wenn man sie faßte. Wir gehörten auch zu den Rebellen … Immer noch standen wir an der ver schwommenen Grenze zwischen Dunkelheit
Clark Darlton und Licht. Ganz weit links sah ich Leuchtra keten in den Himmel steigen, dazwischen waren die Lichtblitze und das Geräusch von Detonationen. In dieser Richtung, so wußte ich nun, lag das Warendepot, das angegrif fen wurde. Spätestens jetzt wußte die Polizei von Belkathy, daß die Gegner des Kreuz zugs aktiv geworden waren. »Wir greifen an!« sagte Keniath-Cel. »Einzeln und auf Deckung bedacht.« Ich hatte schon befürchtet, sie würde dar auf bestehen, daß wir in Marschordnung in unser Verderben rennen sollten, und atmete erleichtert auf. Nun war jeder auf sich selbst angewiesen, was meinen Pessimismus aller dings auch nicht verminderte. Ich nahm Cry salgira wieder bei der Hand. »Komm, dort drüben ist der Lichtstreifen am schmälsten.« Ich lief mit ihr ein wenig nach links und kam so dem Kontrollgebäude näher, ohne mich dem Schein der Lampen auszusetzen, dann hielt ich an. Es waren jetzt ungefähr noch hundert Meter bis zum Ziel, aber da zwischen lagen fast dreißig Meter Licht. »Wir warten«, flüsterte ich Crysalgira zu. Weiter rechts sah ich die Rebellen. Ob wohl auch sie noch in der Dunkelzone blie ben, hoben sich doch – von uns aus gesehen – ihre Gestalten scharf gegen die Scheinwer fer ab. Wir konnten nicht mehr länger warten, ohne hoffnungslos an Boden zu verlieren. Ich nahm Crysalgiras Hand noch fester als vorher und rannte los, mitten hinein in den grellen Lichtschein. Wir schafften die drei ßig Meter in wenigen Sekunden und erreich ten den toten Winkel vor dem Gebäude. Keuchend hielten wir an. Neben uns tauch ten die Rebellen auf, und Groya-Dol kam als letzter, von Rengot-Dol und Keniath-Cel ge stützt. Und eine Sekunde später mußten wir er kennen, daß wir in eine Falle getappt waren, denn zusätzliche Scheinwerfer flammten auf, die nicht nur die bisherige Dunkelzone grell beleuchteten, sondern auch den toten Winkel in grelle Helligkeit tauchten.
Kreuzzug nach Yarden Schutzlos und ohne Deckung standen wir da, während drüben auf dem Dach des Kon trollzentrums die ersten Energieschüsse auf blitzten und mitten zwischen uns fuhren. »Stürmen und angreifen!« rief KeniathCel und erwiderte das Feuer. »Verteilt euch und sucht Deckung!« Neben mir schrie Groya-Dol plötzlich schmerzerfüllt auf. Ich hatte den Blitz kom men sehen, der seine Brust durchbohrte und ihn zu Boden streckte. Die anderen waren schon zu weit entfernt, um ihm helfen zu können. Der Alte mit der Eisnarbe war mir jetzt wichtiger als der ganze Kreuzzug. Er wußte mehr, als er sagen wollte. Veilleicht würde er jetzt sprechen … Schnell sprang ich hinzu, nachdem ich Crysalgira meine Waffe in die freie Hand gedrückt hatte. »Dort drüben, in den Schatten!« drängte ich. »Da sind wir vorerst sicher. Lauf schon vor!« Es war ein flacher Schuppen, dessen Hin terseite in der Dunkelheit lag. Zwanzig Me ter weit schleppte ich den stöhnenden Gro ya-Dol mit mir, ehe ich ihn endlich auf den Boden legen konnte. Noch bevor ich ihn un tersuchte, war mir klar, daß er nicht mehr lange durchhalten konnte. Die Wunde war tödlich. Crysalgira beobachtete das weitere Ge schehen beim Kontrollgebäude, während ich mich neben den Alten kniete und sagte: »Ganz ruhig bleiben, Groya-Dol. Wir bringen Sie hier fort, sobald die Polizei et was anderes zu tun hat, als auf uns zu ach ten.« Mühsam flüsterte er: »Der Angriff … die anderen … laßt mich liegen …« Ich drückte ihn sanft zurück, als er sich aufrichten wollte. »Sie siegen auch ohne uns«, log ich, um ihm das Sterben zu erleichtern. »Wichtig ist, daß Groya-Dol seinen Freunden erhalten bleibt.« Aber er wußte, daß es mit ihm zu Ende ging.
35 »Nein, Atlan – Fremder von jenseits der Gefühlsbasen und jenseits von Yarden … ich fühle, daß ich sterben muß.« Jenseits von Yarden, hatte er gesagt. Also war das Ziel der Kreuzzugsflotte die Grenze zwischen den Dimensionen. Groya-Dol wußte, daß ich aus einem anderen Univer sum kam. »Groya-Dol, hilf uns! Wie können wir je in unsere Welt zurückkehren? Gibt es dieses Yarden überhaupt?« Crysalgira flüsterte mir zu: »Die Rebellen haben das Gebäude er reicht, aber das Abwehrfeuer ist stärker ge worden. Die Polizei muß auf sie gewartet haben. Ich sehe einige schon wieder zurück laufen. Ich fürchte, der Angriff ist fehlge schlagen.« Groya-Dol hatte die schlechte Nachricht ebenfalls vernommen. Er bäumte sich mit letzter Kraft noch einmal auf und flüsterte mir zu: »Meine Eisnarbe … Atlan … sie ist der Beweis. Ich war in Yarden, und ich bin zu rückgekehrt! Meine Augen sahen Yarden …« Ich hatte meinen Arm unter seinen Nacken geschoben, damit er nicht mit dem Kopf auf dem harten Boden lag. Sein Atem ging heftiger, aber er hielt nun die Augen geschlossen, mit denen er mich eben noch angesehen hatte. Weiter rechts hörte ich die Schritte der fliehenden Rebellen – und ver einzelte Todesschreie. Wir mußten hier weg, ehe die Polizei die Verfolgung begann. »Groya-Dol, wir nehmen Sie mit …« Er bäumte sich ein letztes Mal auf. »Geht und laßt mich allein sterben! Ke niath-Cel wird das Werk in meinem Sinne fortsetzen.« Er wurde plötzlich schlaff in meinen Armen. Seine letzten nur noch ge hauchten Worte waren: »Ihr müßt nach Yar den …« Dann war er tot. Behutsam zog ich meinen Arm unter ihm fort. Nach Yarden also mußten wir, und es gab
36 nur einen einzigen Weg nach dort – den Kreuzzug. Wir steckten noch mehr in der Klemme als zuvor, wurde mir klar. So be trachtet, kämpften wir auf der falschen Seite. Es war zu spät, sie noch zu wechseln, außer dem hätte ich es niemals fertiggebracht, Ke niath-Cel und ihre Rebellen an Klahngruit zu verraten. »Wir müssen fliehen!« drängte Crysalgi ra. »Ich glaube, wir sind schon die letzten. Die Überlebenden haben die Lichtzone überquert. Wenn es mehr als fünfzig sind, habe ich mich verzählt.« Ich warf einen letzten Blick auf den Toten, nahm meine Energiewaffe und richtete mich auf. Die Richtung, in der die Lücke im Zaun war, kannte ich ungefähr. Bis dahin war das Landefeld hell erleuchtet, aber das Feuer der Polizei hatte nachgelassen. Wahr scheinlich bereitete man sich auf die Verfol gung vor. Diese Pause mußten wir nutzen. »Komm, so schnell wie du rennen kannst!« Ich gab ihr einen Vorsprung und blieb dicht hinter ihr, um sie nicht aus den Augen zu verlieren. Nur vereinzelte Energieschüsse folgten uns, trafen aber weit daneben. Die Polizisten waren schlechte Schützen. Wir fanden die Lücke im Zaun sofort und schlüpften hindurch. Um die toten Tejon ther, die überall herumlagen, konnten wir uns nicht kümmern. Jetzt ging es um unser eigenes Leben. Auf keinen Fall durfte Klahngruit erfahren, daß wir an diesem Überfall teilgenommen hatten. Das würde das Ende bedeuten. An den Häusern vorbei erreichten wir den ersten Park und legten eine Verschnaufpause ein. Zwischen den Büschen fühlten wir uns sicher, wenigstens für ein paar Minuten. Drüben auf dem Gelände des Raumhafens war es noch heller geworden. Immer noch blitzten Energieschüsse auf. Sie galten wohl einigen Nachzüglern der fliehenden Rebel len, die sich nicht schnell genug abgesetzt hatten. In der Richtung, in der das Warende pot lag, war es hingegen ruhiger geworden. Entweder waren alle Angreifer tot, oder sie
Clark Darlton hatten sich rechtzeitig in Sicherheit ge bracht. »Wir müssen weiter«, sagte ich zu Crysal gira. »Wenn wir zu spät in den Wald kom men, sind die Gleiter weg.« Das machte sie wieder munter. Wir liefen durch den Park und stellten erleichtert fest, daß die Straßen leer und verlassen waren. Immer an den Hauswänden vorbei eilten wir weiter, durch den nächsten Park hindurch in ein anderes Viertel. Ganz sicher war ich nicht mehr, was die Richtung anbetraf, aber das spielte im Augenblick auch keine so große Rolle. Wichtig war nur, daß wir dem Gemetzel entkommen waren. Die Hochhäuser blieben zurück, wir nä herten uns also dem Rand der Stadt. Schon atmete ich auf, als aus dem Dunkel einer Seitenstraße plötzlich mehrere Gestalten auftauchten und auf uns zu schießen began nen. Ich packte Crysalgira und warf sie zu Boden. Dann schoß ich zurück. Viel war nicht zu erkennen in der Finster nis, aber die Energieblitze erhellten die Um gebung für Bruchteile von Sekunden. Mein Translator war eingeschaltet. »Aufhören!« rief ich in der Hoffnung, es mit versprengten Rebellen zu tun zu haben. »Wir sind Freunde!« Einen Augenblick war Stille, dann ertönte es zurück: »Die beiden Fremden! Auf ihren Kopf steht eine Belohnung! Los, erledigt sie …!« Ich rollte Crysalgira durch ein Gartentor, das ein kleines Haus von der Straße trennte. Dann erhob ich mich halb und feuerte in die Gruppe der vier Tejonther, die den Vorgar ten stürmen wollten. In Hintergrund flackerte eine defekte Straßenbeleuchtung, deren schwacher Schein genügte, meine Angreifer gut erken nen zu lassen, wenigstens ihre Gestalten. Es konnte kein Zweifel mehr daran bestehen, daß es sich um Leute Klahngruits handelte, der also auf unseren Kopf eine Belohnung ausgesetzt hatte. Wenn er nicht erfahren sollte, daß wir an dem Angriff auf den Raumhafen teilgenommen hatten, mußten
Kreuzzug nach Yarden die angreifenden Tejonther sterben, denn sie schienen die einzigen Zeugen unserer Akti vität zu sein – und sie hatten uns erkannt. Crysalgira richtete sich dicht neben mir halb auf und begann ebenfalls zu schießen. Das Gegenfeuer der Polizisten zerfetzte den Zaun und ließ die Büsche in Flammen auf gehen. Hinter mir im Haus hörte ich Stim men. Es konnte nur noch Minuten dauern, bis die Polizisten Verstärkung erhielten. Mit verbissener Wut zielte ich nun sorg fältiger und sah zwei der Angreifer stürzen. Den dritten erwischte Crysalgira. Der vierte machte kehrt und floh. Ich sprang durch die noch glühenden Überreste des Zauns und nahm die Verfolgung auf, Crysalgira dicht auf den Fersen. Hinter uns hörten wir den Heulton einer Sirene. Wir konnten den Flüchtling stellen, und als er das Feuer auf uns eröffnete, erledigten wir ihn. Noch zwei Stadtviertel und drei Parks, dann hatten wir es soweit geschafft. Die Fra ge war nur noch, ob wir das Versteck im Wald und damit die Gleiter fanden. Es beun ruhigte mich auch, daß wir keinem einzigen der überlebenden Rebellen begegnet waren. Die Häuser hatten aufgehört, aber in der Dunkelheit sah ein Strauch oder ein Baum wie der andere aus. Trotzdem war ich sicher, daß sich die Gleiter, ganz in der Nähe befan den. Wir blieben stehen und lauschten, aber kein Geräusch war zu hören. Nur in der Stadt heulten Sirenen. Die Fahrzeuge der Polizei waren noch immer unterwegs. »Sie können sich doch nicht einfach in Luft aufgelöst haben«, meinte Crysalgira be unruhigt. »Ich habe gesehen, daß es Überle bende gab.« »Vielleicht nahmen sie eine Abkürzung, jedenfalls einen anderen Weg als wir. Dar um sahen wir keinen von ihnen.« Allmählich verblaßten die Sterne. Im Osten begann es zu dämmern. Es wurde Zeit, daß wir in der Wildnis untertauchten. Ich war sicher, daß wir es ein oder zwei Ta ge ohne Nahrung aushielten, wenn es sein mußte.
37 Als die ersten Strahlen der Sonne die im Westen liegenden Bergspitzen trafen, fand ich die Richtung wieder, und eine halbe Stunde später entdeckten wir die Lichtung. Aber die Gleiter waren verschwunden. Die überlebenden Rebellen hatten sich in Sicherheit gebracht und hielten uns wahr scheinlich für tot. Ich zog Crysalgira in die Büsche, wo wir uns erst einmal setzten und von der Anstrengung erholten. Ich sagte nach einigem Überlegen: »Es hat keinen Sinn, wenn wir hier blei ben, Prinzessin. Der Angriff ist vereitelt worden, vielleicht sogar durch einen besto chenen Rebellen verraten. Klahngruit hilft uns nicht. Aber Keniath-Cel kann es. Wir müssen nach Yarden, was immer das auch sein mag. Die Rebellen wollen ein Schiff zu einer der Gefühlsbasen entsenden, um sie zu vernichten. Wir müssen dabei sein, denn nur die Basen helfen uns weiter. Die Berge zei gen uns die Richtung, in der wir gehen müs sen. Wir müssen das Gebirge überqueren, dann finden wir den Talkessel schon. Wir brechen sofort auf, um keine Zeit zu verlie ren.« »Aber die Polizei wird das Gelände über wachen.« »Natürlich wird sie das, aber Bäume und Büsche geben uns genügend Deckung. Einer muß jedoch ständig den Himmel beobach ten, am besten du. Ich kümmere mich um den Weg und die Richtung.« Wir brachen auf. Obwohl wir dadurch zu gelegentlichen Umwegen gezwungen wur den, achtete ich stets darauf, daß wir die schützende Vegetation in der Nähe hatten. Das Gelände stieg allmählich an, und die Stadt blieb hinter uns zurück. Einmal ent deckte Crysalgira einen Gleiter, der weite Kreise zog und uns dabei immer näher kam. Wir krochen unter ein dichtes Gebüsch und ließen ihn nicht aus den Augen. Er zog dicht über uns hinweg, dann ver schwand er in Richtung der Berge. Wir wan derten weiter, bis es zu dämmern begann. Sorgfältig studierte ich die Gipfel, bis ich endlich fand, was ich suchte. Ich zeigte es
38 Crysalgira: »Siehst du dort die beiden Gipfel? Der rechte erinnert an einen Kegel.« Als sie nickte, fuhr ich fort: »Dazwischen liegt ein Paß. Ich konnte ihn vom Gleiter aus erkennen, als Rengot-Dol mich darauf aufmerksam machte – immer hin war es dunkel. Wir müssen ihn finden, denn dann ist es nicht mehr weit bis zum Talkessel.« »Wir werden nachts marschieren?« fragte sie. »Wenn wir ausgeschlafen sind, erst dann«, tröstete ich sie. Wir fanden schließlich eine mit dichtem Gras bewachsene Mulde, die ein wenig Schutz versprach. Eng aneinandergepreßt gelang es uns, ein paar Stunden zu schlafen, und wir froren nicht einmal. Als wir auf wachten, war es vielleicht Mitternacht. Das Gelände wurde schon nach einer hal ben Stunde steiler. Dicht vor uns hoben sich die Schatten der Berge gegen den Himmel ab. Wir folgten einem wenig ausgetretenen Pfad, der wahrscheinlich auch von den Re bellen benutzt wurde. Nicht von der Polizei, wie ich hoffte. Die Sterne gaben genügend Licht, so daß wir den Weg auch in der Nacht nicht verlo ren. Die Gipfel kamen allmählich näher, und als der neue Tag zu dämmern begann, hatten wir die Paßhöhe erreicht. Vor uns lag eine Hochebene mit spärlicher Vegetation, tiefen Tälern und Schluchten, steil aufragenden Gipfeln und gefährlichen Geröllhängen. Zum Glück entdeckten wir auch Wasser. Crysalgira achtete wieder auf den Him mel, denn wir mußten uns beim Auftauchen eines Gleiters rechtzeitig um Deckung küm mern. Bergab kamen wir schneller voran, und bis gegen Mittag legten wir eine beacht liche Strecke zurück. Meiner Schätzung nach konnte der Talkessel nicht mehr weiter als zwei oder drei Marschstunden entfernt sein. Zweimal brachten wir uns vor Gleitern in Sicherheit, aber da sie keine Kreise zogen, sondern zielstrebig in der selben Richtung
Clark Darlton flogen, nahm ich an, daß es sich um Rebel len handelte. Aber wir wagten es nicht, uns bemerkbar zu machen. Es hatte wenig Sinn, im letzten Augenblick durch Leichtsinn un ser Leben zu gefährden. Wir machten eine Rast von drei Stunden, dann brachen wir erneut auf. Ich hoffte, das Tal noch vor Anbruch der Nacht zu errei chen. Der Pfad, den wir bisher benutzt hatten, endete auf einem Plateau. Nun waren wir nur noch auf unseren Instinkt und das Erin nerungsvermögen angewiesen, aber aus großer Höhe sah hier unten alles ganz anders aus. Trotzdem gab es Kennzeichen, die ich mir gemerkt hatte. Ich würde die Richtung nicht verlieren. Genau vor uns ragte ein breiter Gipfel steil in den Himmel. Er lag jenseits des Tal kessels. Unser Ziel war demnach nahe. Und dann, als es schon zu dämmern begann, standen wir vor einem senkrechten Abhang. Unter uns war der Talkessel. Wir hatten es geschafft. Die Frage blieb nur, wie wir hinunterge langten. Das Beste würde sein, wir gaben uns rechtzeitig zu erkennen, aber das würde nicht einfach sein, denn es wurde bald dun kel. Leuchtzeichen konnten wir auch nicht geben, und ein Schuß aus der Energiewaffe konnte zu Mißverständnissen führen. »Wir bleiben bis morgen«, entschied ich schließlich. »Es ist zu gefährlich jetzt. Au ßerdem werden wir niemals den Abstieg fin den. Dort drüben ist eine breite Felsspalte. Bis du nicht müde?« »Müde schon, aber unsere Höhlenkammer wäre mir lieber.« »Mir auch, aber nun kommt es auf ein paar Stunden auch nicht mehr an. Morgen klettern wir hinab ins Tal.« Wir schliefen gut in dieser Nacht, obwohl es recht kalt wurde. Aber dann graute end lich der Morgen und erneut brachen wir auf, diesmal das Ziel dicht vor Augen. Ich fand den Abstieg nach einigem Su chen. Der schmale Pfad war an manchen Stellen aus dem Fels gehauen worden. Wir
Kreuzzug nach Yarden folgten ihm und kamen gut voran. Als wir ein kleines Plateau erreichten, hatten wir be reits die Hälfte der Gesamtstrecke hinter uns. Wir sahen hinab ins Tal. Einige Gestalten waren zu erkennen. Die Gleiter entdeckte ich nicht. Sie waren gut getarnt worden. Plötzlich hörte ich eine Stimme seitlich aus den Felsen. Ich drehte mich um und sah einen Tejonther, der seine Waffe in der Hand hielt, sie aber nicht auf uns gerichtet hatte. Schnell schaltete ich den Translator ein und konnte ihn verstehen: »… erwartet euch, denn wir erfuhren, daß ihr noch lebt. Geht weiter, ich gebe den an deren ein Zeichen.« »Lebt Keniath-Cel?« fragte ich erleichert darüber, daß wir erkannt worden waren. »Sie ist es, die euch erwartet.« Eine halbe Stunde später standen wir auf der Talsohle. Keniath-Cel kam uns von den Höhlen her entgegen. »Ihr lebt, ich wußte es. Wo seid ihr ge blieben, als wir angriffen?« Ich berichtete ihr von Groyas Tod und daß wir versucht hatten, ihm zu helfen. In wenigen Worten schilderte ich ihr dann un sere Flucht durch die Stadt und die Wildnis. Sie erwiderte: »Ihr werdet müde sein und Hunger haben. Geht in eure Kammer, ihr werdet vor mor gen nicht gestört werden. Das Essen wird man euch bringen.« »Wie ging der Angriff aus?« fragte ich. »Sind viele von euch dabei ums Leben ge kommen?« »Mehr als die Hälfte, aber wir werden weiterkämpfen. Nur das ist im Sinne GroyaDols. Er wird immer bei uns sein.« Sie wandte sich ab und ging davon. Schweigend betraten wir das Labyrinth und gelangten in unsere Höhlenkammer. Das Essen stand bereits auf dem Tisch.
6. Ich bin ziemlich sicher, daß wir fast zwanzig Stunden schliefen. Draußen war es
39 noch hell – oder es war wieder hell –, als wir das Höhlensystem verließen und uns umsa hen. Einige Tejonther waren damit beschäf tigt, ihre Waffen zu reinigen. Andere trugen Pakete und Kisten aus den Gleitern in das Labyrinth, wahrscheinlich erbeutete Lebens mittel und Geräte oder Werkzeuge. Keniath-Cel kam auf uns zu und begrüßte uns. Ich kannte sie nun schon an ihrem Gang, weniger am Gesicht. »Wir wollten euch nicht stören, Freunde, aber das Leben geht weiter, und unser Kampf auch. Wir geben niemals auf.« Das hatte ich mir gedacht. Aber wenn Groya-Dol die Wahrheit gesprochen hatte, war sie im Recht. Der Alte hatte Yarden ge sehen – und er war zurückgekehrt, wenn auch mit einer fürchterlichen Narbe, die er Eisnarbe genannt hatte. »Wir sind auf euer Seite, Keniath-Cel, was immer auch geschieht.« »Berichtet mir ausführlicher von GroyaDols Tod. Wir haben bisher keine Zeit dazu gehabt.« Ich tat ihr den Gefallen und schilderte den tragischen Vorfall in allen Einzelheiten. Als ich erwähnte, daß der Alte Yarden gesehen hatte und zurückgekehrt war, nickte sie zu stimmend. »Ich habe es geahnt. Er hat aber niemals darüber gesprochen, auch mit uns nicht, die wir seine besten Freunde waren. Er muß sehr viel Vertrauen zu euch gehabt haben.« »Wir sind stolz darauf«, bekräftigte ich. »Aber – was ist Yarden?« Sie warf mir einen undefinierbaren Blick zu. »Was Yarden ist? Ich glaube, ihr wißt nun mehr darüber als ich oder ein anderer Tejon ther.« »Groya-Dol hat weiter nichts verraten.« »Vielleicht starb er zu schnell«, vermutete sie und fügte dann hinzu, indem sie das The ma wechselte: »Wir werden in zwei Tagen ein weiteres Unternehmen starten, und dies mal müssen wir erfolgreich sein. Den Plan hat Groya-Dol selbst ausgearbeitet. Er muß gelingen, denn wir haben nur ein einziges
40 Raumschiff zur Verfügung.« Ich horchte auf und versuchte, ganz ruhig zu bleiben. »Ihr habt nur ein Schiff?« vergewisserte ich mich. »Nur dieses eine«, wiederholte sie. »Es wird uns zum Treffpunkt der Flotte bringen, zur Gefühlsbasis der Tropoythers, der Kon trolleure des Leerraums. Wir werden sie zer stören.« Ich wußte aus eigener Erfahrung, wie schwer das war, wenn nicht gar unmöglich. Aber welchen Sinn würde es haben, Ke niath-Cel von ihrem Vorhaben abbringen zu wollen, zumal es sich um Droya-Dols letz ten Plan handelte …? Hätten die Rebellen wenigstens mehrere Raumschiffe zur Verfügung gehabt, dann wäre es vielleicht möglich gewesen, Ke niath-Cel zu bewegen, uns eines davon zur Verfügung zu stellen. Aber sie besaßen nur ein einziges, und wahrscheinlich nur ein kleines. »Ihr kennt die Koordinaten der Gefühls basis?« vergewisserte ich mich. »Wir haben Vertrauensleute beim Flotten personal, die uns ständig berichten. So er fuhren wir die genaue Position, und damit kennen wir unser Ziel. Es gibt nur eine ein zige Schwierigkeit.« »Und die wäre?« »Die Raumsicherung! Kein Schiff darf jetzt Belkathyr verlassen. Sämtliche Ab wehrforts sind in Kampfbereitschaft versetzt worden und würden sofort das Feuer auf uns eröffnen, wenn wir nicht eine Lücke in dem System wüßten. Wenn wir den richtigen Zeitpunkt wählen und dazu noch ein wenig Glück haben, wird unser Start nicht einmal registriert. Draußen im Raum sind wir dann sicher.« Ich hegte meine Zweifel, ließ sie aber nicht laut werden. Auf keinen Fall durfte ich Keniath-Cel verärgern, denn nun blieb sie unsere einzige Hoffnung, Belkathyr jemals verlassen zu können. Wie sie allerdings ein relativ lückenloses Sicherheitsnetz unbe merkt durchbrechen wollte, war mir ein Rät-
Clark Darlton sel. Am Nachmittag landete ein Gleiter im Tal. Zwei Tejonther entstiegen ihm und wurden zu Keniath-Cel gebracht, die sie al lem Anschein nach schon erwartet hatte. Sie blieben zwei Stunden bei ihr im Höhlenlaby rinth, von dem wir nur einen winzigen Teil kennengelernt hatten, dann kamen sie wie der zum Vorschein, kletterten in ihren Glei ter, der bald darauf im Dämmerhimmel ver schwand. Wenn ich insgeheim gehofft hatte, bald etwas über die geheimnisvolle Begegnung zu erfahren, so sah ich mich getäuscht. Zwar trafen wir Keniath-Cel noch einmal, bevor wir uns in die Wohnkammer zurückzogen, aber sie erwähnte den Vorfall mit keinem Wort. Ich war davon überzeugt, daß sie neue Informationen aus der Stadt erhalten hatte, sich aber darüber ausschwieg. Vielleicht wa ren es keine guten Nachrichten gewesen, die man ihr überbracht hatte, und sie wollte uns nicht beunruhigen. Während des Tages hatte ich beobachten können, daß auf der anderen Seite des Tales ein zweites Höhlensystem vorhanden sein mußte, denn ganze Trupps von Tejonthern waren durch einen schmalen Spalt im Fels verschwunden und nicht mehr zum Vor schein gekommen. Erst gegen Abend, als es schon dunkel wurde, kehrten sie zurück. Ob sie dort ihr Schiff verborgen hielten? Für einen Augenblick überkam mich der Gedanke, den Versuch zu unternehmen, das Schiff zu stehlen, aber ich verwarf ihn sofort wieder. Abgesehen davon, daß weder Crys algira noch ich die Abwehrkräfte der Tejon ther kannten, wäre ein solcher Versuch ein glatter Verrat an Keniath-Cel gewesen. Immerhin – zumindest vergewissern konnte ich mich ja. Als Crysalgira endlich eingeschlafen war, verließ ich heimlich die Felskammer und schlich mich vor bis zum Ausgang. Es war niemand zu sehen. Wahrscheinlich gab es nur rings um das Tal herum Wachtposten, nicht aber im Tal selbst. Den Weg hatte ich mir am Tag gemerkt,
Kreuzzug nach Yarden so daß ich keine Schwierigkeiten hatte, zur anderen Seite des Kessels zu gelangen. Dann allerdings stand ich vor der Felswand und suchte vergeblich nach dem Spalt. Doch so schnell wollte ich nicht aufgeben. Vorsichtig tastete ich mich an dem Ge stein entlang und stellte dann fest, daß ich mich um gute hundert Meter verschätzt hat te. Die Sterne gaben nur wenig Licht, aber meine Hände entdeckten den engen Gang, der in den Berg hineinführte. Ich lauschte, aber kein Laut war zu ver nehmen. Im Tal herrschte absolute Stille, nur das ferne Rauschen des Baches war zu hören. Schritt für Schritt drang ich in den Gang ein, der sich bald verbreiterte, und als ich zwei Biegungen hinter mir hatte und es völlig finster geworden war, flammte Licht auf. Ich war sicher, keinen Schalter oder etwas Ähnliches berührt zu haben. Reglos blieb ich stehen und überlegte, ob meine Ausrede überzeugend genug klingen würde. Neugier war immer verzeihlich, und meine Loyalität hatte ich bereits genügend unter Beweis ge stellt. Aber es kam niemand, um mir Fragen zu stellen. Alles blieb ruhig und still. Zögernd ging ich weiter und bemerkte, daß die Felswände mit einem lautdämpfen den Kunststoff verkleidet waren. Der Gang mündete in einer runden und sehr hohen Halle, in deren Mitte das Schiff stand. Es ge hörte zu den üblichen Typen der Tejonther und war dreißig Meter hoch. Startbereit ruh te es auf den Heckflossen, den Bug gegen die gewölbte Decke gerichtet, in der ich erst jetzt den Ausflugschacht sah. Nun wurde mir auch klar, warum ich bisher nichts von einem Schiff bemerkt hatte. Das Raumschiff startete direkt aus den Felsen heraus. Gemächlich umrundete ich es, um es von allen Seiten zu studieren. Die Heckluke stand offen und verleitete mich dazu, hinein zusteigen. Über eine Leiter gelangte ich in den Kontrollraum im Bug. Von außen fiel genügend Licht. Ich setzte mich in einen der
41 Kontursessel und betrachtete die Kontrollen. Nach wenigen Minuten war ich davon über zeugt, mit ihnen umgehen zu können. Der Start würde keine Schwierigkeiten bereiten. Ich blieb vielleicht eine halbe Stunde, dann trat ich den Rückweg an. Kurz vor dem Spalt, hinter dem das Tal lag, erlosch auto matisch das Licht. Es dauerte eine Weile, bis sich meine Augen an die plötzliche Dunkel heit gewöhnt hatten, und als das endlich ge schah, flammte erneut Licht auf. Es war grell und blendete mich, aber es kam dies mal nicht aus den Wänden. Jemand hatte ei ne starke Lampe auf mich gerichtet. Und dann sagte Keniath-Cel: »Was wolltest du bei unserem Schiff, At lan? Natürlich haben wir eine Alarmanlage, und wir konnten dich beobachten.« So ganz vermochte ich meine Verlegen heit nicht zu verbergen. »Es tut mir leid, Keniath-Cel, aber ich wollte das Schiff sehen, mit dem wir ein so waghalsiges Unternehmen durchzuführen beabsichtigten. Trotzdem tut es mir leid, dich nicht vorher gefragt zu haben.« Der Tejonther, der sie begleitete, hielt die Lampe nach unten gerichtet, damit ich nicht mehr geblendet wurde. »Dein Verhalten hat bewiesen, daß du keine bösen Absichten hegtest. Aber tue das nicht noch einmal, denn wir haben Sicher heitsanlagen eingebaut, die nicht zwischen Freund und Feind unterscheiden. Wärest du an eine geraten, lebtest du jetzt nicht mehr. Komm jetzt, jede Stunde Schlaf ist wichtig.« Als wir zur anderen Seite des Tals zurück gingen, fragte sie: »Warst du mit der Inspek tion zufrieden, Atlan?« Ich nickte. »Ein gutes Schiff. Wie steht es mit der Bewaffnung?« »Sie ist ausreichend, wenn wir nicht gera de von der ganzen Kriegsflotte angegriffen werden. Der Schutzschirm ist stark genug, erste Angriffe abzuwehren. Und das Schiff ist sehr schnell.« »Das werden wir vielleicht nötig haben«, sagte ich nur.
42
Clark Darlton
Crysalgira erwachte, als ich den Raum be trat. Sie schaltete das Licht ein. »Wo hast du denn gesteckt, Atlan? Gehst du nachts heimlich spazieren – oder hast du unter den Tejonthern eine Freundin gefun den?« Ich streckte mich auf meinem Bett aus und berichtete ihr, was geschehen war. Sie schüttelte den Kopf. »Das hättest du nicht tun sollen. Was wä re denn, wenn Keniath-Cel vermutet hätte, du wolltest den Start verhindern?« »Sie weiß, daß ich nur das Schiff sehen wollte, Prinzessin.« »Trotzdem war es nicht richtig von dir. Du hast ihr damit gezeigt, daß du kein Ver trauen zu ihr und ihren Freunden hast. Sie wird in Zukunft vorsichtiger sein.« Ich verspürte wenig Lust, mit ihr noch länger darüber zu diskutieren, außerdem war ich müde. »Es kommt nicht wieder vor«, versprach ich ihr und kroch unter meine Felle.
* Am anderen Tag hinderte uns niemand daran, im Tal herumzuwandern. Ich sprach mit einigen Tejonthern über das bevorste hende Unternehmen und fand heraus, daß nicht alle begeistert davon waren, ihr Leben erneut aufs Spiel zu setzen. Sie scheuten so gar nicht davor zurück, den Plan ihrer An führerin für undurchführbar zu halten. Das alles trug keineswegs dazu bei, mich zu ermuntern. Nur die Tatsache, daß ich nicht den Rest meines Lebens als Geächteter in diesem Tal verbringen wollte, hielt mich davon ab, die Leute in ihrem Pessimismus zu bestärken, im Gegenteil, im Sinne von Keniath-Cel sprach ich ihnen noch Mut zu. Später saßen wir wieder auf unserem alten Platz am Bach. »Du glaubst, daß wir es nicht schaffen?« fragte Crysalgira. »Ich bin fast davon überzeugt«, gab ich zu. »Warum sagst du es Keniath-Cel nicht?
Sie hat nicht deine Erfahrungen und wird vielleicht auf dich hören.« »Nein, das wird sie nicht, Prinzessin. Sie ist ehrgeizig und von dem Gedanken beses sen, den Kreuzzug zu verhindern und Gro ya-Dols Vermächtnis zu erfüllen. Nichts kann sie davon abhalten. Aber das allein ist es nicht, was mich dazu bewegt, ihr kein Hindernis in den Weg zu legen. Der Flug mit dem Schiff ist unsere einzige Chance, Belkathyr zu verlassen und vielleicht einen Weg zurück in unser Universum zu finden. Yarden, Prinzessin – das ist vielleicht unser Universum! Ich kann es nur vermuten, aber mit Sicherheit weisen uns die Gefühlsbasen der Leerraumkontrolleure den Weg dorhin.« »Und was ist, wenn das Unternehmen mißlingt?« Ich stellte die Gegenfrage: »Und was ist, wenn wir im Tal bleiben und warten, bis ein Wunder geschieht? Frü her oder später wird man das Versteck der Rebellen entdecken. Und wenn nicht – hier sind Plätze genug, um schöne Gräber zu schaufeln. Gräber für uns, wenn wir an Al tersschwäche gestorben sind, Crysalgira!« Sie sah an mir vorbei und gab keine Ant wort. Schweigsam wanderten wir zur Höhle zu rück, und noch bevor wir sie erreichen konn ten, kam uns Keniath-Cel entgegen. Ihr Ge sicht war nicht unfreundlich, wenn auch ein wenig besorgt – soweit ich das feststellen konnte. »Das Schiff startet morgen mittag«, sagte sie und deutete auf einen Baumstamm. »Setzen wir uns.« Wir nahmen Platz, und sie fuhr fort: »Ich weiß, daß ihr beide an einem Erfolg des Unternehmens zweifelt, und wenn ich ehrlich sein soll: ich tue es auch. Wenn ihr einen besseren Vorschlag habt, den Kreuzzug zu verhindern oder wenig stens zu verzögern, so teilt ihn mir mit. Ich werde zuhören, und wenn ihr mich überzeu gen könnt, ändern wir den Plan. Aber be denkt, daß wir nicht mehr viel Zeit haben. Die Flotte wird in wenigen Tagen starten, um sich mit den anderen sechs Verbänden
Kreuzzug nach Yarden zu treffen. Ist das einmal geschehen, wird es für uns zu spät sein. Unser Volk muß dann abermals dreihundert Jahre warten …« Ich erwiderte ohne Bedenkpause: »Wir haben nur eine sehr geringe Chance, Keniath-Cel, aber ich sehe keine andere Möglichkeit. Das Schiff ist gut, davon konn te ich mich überzeugen, aber gegen eine Übermacht ist es verloren. Du allein weißt, ob und wie wir eine Lücke in dem Sicher heitssystem finden. Ich kann mich nur dar auf verlassen, daß deine Verbindungsleute nicht getäuscht wurden. Und da ich keinen besseren Vorschlag habe, muß ich mich dei nen Plänen fügen. Das gilt auch für Crysal gira.« Sie starrte auf die Grasbüschel zu ihren Füßen. »Ich weiß, daß ihr beide keine Furcht kennt«, sagte sie endlich und stand auf. »Ich habe noch viel zu tun. Verbringt eine ruhige Nacht.« Sie ging davon, ohne eine Antwort abzu warten. Crysalgira sah Keniath-Cel nach, bis sie zwischen anderen Tejonthern verschwand. »Sie glaubt selbst nicht an einen Erfolg, Atlan. Als wir den Raumhafen angriffen, war sie optimistischer – und es ging schief.« Ich wollte sie nicht noch mehr entmuti gen. »Die Erfolgschancen sind sehr gering, aber wir müssen es versuchen, genauso wie Keniath-Cel. Von der Regierungsseite her haben wir nur den Tod zu erwarten. Die Wahl kann also nicht schwerfallen, stimmt es?« Sie nickte stumm. Eine Weile noch saßen wir in der Sonne, dann gingen wir essen, und später unternahmen wir noch einmal ei ne kleine Wanderung, um in der Nacht bes ser schlafen zu können.
7. Zwanzig Tejonther erwarteten Crysalgira, Keniath-Cel und mich am anderen Vormit tag in dem Hangar auf der anderen Seite des
43 Tales. Zum letzten Mal wurde das Schiff in spiziert, diesmal in unserem Beisein. Ich be teiligte mich an der Kontrolle und lernte da bei auch die letzten Funktionen kennen. Nun war ich restlos davon überzeugt, das Schiff im Notfall allein manövrieren zu können. Kurz vor dem Start landete ein Gleiter. Ein Tejonther in der Uniform der Polizei wurde in den Hangar geführt und erstattete Bericht. Er gehörte zu den Rebellen und war beim Gegner eingeschleust worden. Der Bericht war günstig. Die automatisch arbeitenden Überwa chungsstationen waren tagsüber nur halb be setzt, was die Gefahr der Entdeckung zwar keineswegs verringerte, uns aber im Fall des Alarms einige Minuten mehr Zeit zur Flucht gab. Wenigstens drückte Keniath-Cel eine sol che Hoffnung aus. Dann kam der Zeitpunkt des Starts. Die Tunnelöffnung war von ihrer Tarnung be freit worden. Nur ein leichtes Vibrieren ver riet die beginnende Arbeit des Antriebs, des sen Natur ich nicht kannte. Auf dem Bild schirm war der Flugschacht zu erkennen, ei ne runde Öffnung im Fels und ein Stück Himmel. Die Heckflossen lösten sich vom Boden, und dann stieg das Schiff langsam in die Höhe. Exakt eingepaßte Gleitschienen verhinderten, daß seine Hülle mit dem Ge stein kollidierte. Keniath-Cel saß neben Rengot-Dol, dem Piloten. Auf meine Bitte hin hatte sie auch mir einen Posten zugewiesen; ich übernahm die Kontrolle über den halbautomatischen Energieschirm, der uns vor Beschuß bewah ren sollte. Das Schiff beschleunigte, kaum daß wir den Schacht verließen. Ich sah das Tal ra send schnell zurückfallen und kleiner wer den, bis es in der wilden und unübersichtli chen Landschaft versank und damit unsicht bar wurde. Der Pilot richtete sich nach den Angaben, die er von den Verbindungsleuten erhalten hatte. Um die Sperre möglichst unbemerkt zu durchbrechen, mußte er senkrecht nach
44 oben steigen und versuchen, schnell an Hö he zu gewinnen. Die Reichweite der Tast sensoren war nicht unbegrenzt, und je später sie das Schiff erfaßten, desto größer war die Möglichkeit, daß sie es auch wieder verlo ren. Außerdem sollte der Kurs später mehr mals geändert werden, um eine direkte Ver folgung zu erschweren. Es dauerte ungewöhnlich lange, bis die Oberfläche des riesigen Planeten sich zu runden begann. Über die Vergrößerung konnten wir die Stadt und den Raumhafen erkennen, aber das Bild blieb undeutlich und verschwommen. Die Orterschirme registrier ten keinen Verfolger. In der Kontrollzentrale machte sich erste Erleichterung bemerkbar. Es sah ganz so aus, als hätten wir das Schwierigste über standen. Rengot-Dol nahm eine leichte Kurskorrektur vor, die Stadt verschwand un ter dem nun merklich gebogenen Horizont. Keniath-Cel ließ ihren Sessel herum schwenken. »Es sieht so aus, als würden wir es schaf fen, Atlan. Für eine Verfolgung wird es bald zu spät sein.« Ich gab keine Antwort. Neben mir saß der Tejonther, der für die Orterschirme verant wortlich war. Einer von ihnen begann plötz lich zu flackern, dann erschienen auf ihm ei nige undeutliche Objekte, die schnell an Größe zunahmen. Vor mir leuchtete eine Lampe auf. Der automatische Schutzschirm hatte sich eingeschaltet. Keniath-Cel hatte es auch gesehen. Sie sprang auf und kam zu uns. Der Orter sagte: »Schiffe! Sie kommen hinter uns her!« »Verfolger also!« Keniath-Cel blieb er staunlich ruhig, während ich meine Nervosi tät nur mühsam unterdrücken konnte. »Feuerleitstand klar zum Gefecht! Warten, bis sie nahe genug sind!« Ich hatte mich jetzt nur noch um den Schutzschirm zu kümmern. Wenn die Ener giebündel des Gegners ihn trafen, brach er bei Überladung zusammen und mußte ma nuell wieder aufgerichtet werden, denn die Automatik allein schaffte es nicht. Wenig-
Clark Darlton stens nicht so schnell. Crysalgira saß steif in ihrem Sessel. Ihr Blick war auf den Heckbildschirm gerichtet, der die Projektion des viel kleineren Orter schirms entsprechend vergrößert wiedergab. Ihre Hände lagen verkrampft auf ihrem Schoß. Ich konnte mir vorstellen, was jetzt in ihr vorging, und bedauerte, ihr diese seeli sche Belastung nicht ersparen zu können. Dabei erging es mir selbst auch nicht bes ser. Die Verfolger holten auf, daran konnte kein Zweifel bestehen. Es waren mindestens sieben Schiffe, alle von der kleinen Sorte, aber mit Sicherheit schwer bewaffnet. Belkathyr war stark geschrumpft and lag nun mehr als zweihunderttausend Kilometer hinter uns. Es konnte nicht mehr lange dau ern, bis wir die Höchstgeschwindigkeit er reichten und damit die des Lichtes über schritten. Im Mikrokosmos konnten alle die se Begriffe nur relativ sein. Das, was hier Lichtgeschwindigkeit war, bedeutete in mei ner Welt vielleicht nur ein Kriechen, das selbst mit einem Mikroskop schon nicht mehr wahrgenommen werden konnte. Doch diese Betrachtungen halfen jetzt nichts, und auch der Gedanke an die Relati on konnte mich nicht trösten. Die Verfolger waren Wirklichkeit, und sterben konnte man hier ebensogut wie im Normaluniversum. Meine Kontrollampe erlosch, als die Heckgeschütze feuerten. Dann leuchtete sie wieder auf, während sich der Schutzschirm stabilisierte. Gleichzeitig jedoch traf ihn eine Salve aus den Kanonen der Verfolger. Er fing die Energien auf und leitete sie ab, ohne daß ich eine Überladung registrierte. Der Schirm hielt. Ich wußte, daß sich das ändern würde, so bald man uns aus geringerer Entfernung un ter Feuer nahm. Keniath-Cel war zu RengotDol zurückgekehrt und beschwor ihn, die Antriebsaggregate noch mehr als bisher zu belasten, um die Geschwindigkeit zu erhö hen. Er tat es, ohne Widerspruch zu erheben. Aber der Abstand zu den Verfolgern verrin gerte sich trotzdem.
Kreuzzug nach Yarden »Warum sind sie schneller als wir?« frag te ich. Keniath-Cel erwiderte: »Der Typ wurde später gebaut als unser Schiff. Die Maschinen sind leistungsfähiger. Wenn wir noch eine Viertelstunde aushalten, haben wir es geschafft, dann finden sie uns nicht mehr.« Das war klar. Sobald das Schiff die Licht geschwindigkeit überschritt, entstand ein ähnlicher Effekt wie bei den Transitionen der arkonidischen Raumschiffe. Gewisser maßen flogen wir dann in entmaterialisier tem Zustand weiter. Für einen außenstehen den Betrachter wurden wir einfach unsicht bar. Eine zweite Salve hüllte uns in wabernde Energiebündel. Diesmal brach der Schutz schirm zusammen, aber ich konnte ihn wie der aktivieren, ehe die Verfolger uns erneut unter Beschuß nahmen. Und dann geschah etwas äußerst Seltsa mes. Rengot-Dol wurde plötzlich sichtlich ner vös. Er drückte auf verschiedenen Knöpfe und betätigte Schalter, ohne daß etwas ge schah. Die Beschleunigung blieb konstant, und auch der Kurs veränderte sich nicht. »Was ist los?« fragte Keniath-Cel besorgt. »Ich weiß nicht, das Schiff hat seine Ma növrierfähigkeit verloren. Es gehorcht mir nicht mehr. Ich fürchte, es kehrt in einem großen Bogen nach Belkathyr zurück – fern gesteuert!« »Ferngesteuert? Du meinst, man hat es unter Fernkontrolle gebracht?« »Ich fürchte – ja. Das würde auch erklä ren, warum sie das Feuer eingestellt haben, obwohl wir in günstiger Schußposition ste hen.« Es stimmte. Die Verfolger schossen nicht mehr hinter uns her, hielten sich aber in ge bührendem Abstand, so daß unsere eigenen Energiesalven nutzlos auf ihren Schutzschir men verpufften. »Wo liegt die Kontrollzentrale der Fern steuerung?« fragte ich. Keniath-Cel sagte:
45 »Irgendwo auf oder unter dem Planeten, wir haben es niemals herausfinden können. Ich hätte nicht gedacht, daß ihre Reichweite so groß ist. Sie holen uns zurück!« Ihre Stimme verriet Hoffnungslosigkeit. Das Unternehmen war fehlgeschlagen, und auf die Rebellen wartete das Gefängnis oder gar der Tod. Und auf uns, Crysalgira und mich, die sich den Rebellen angeschlossen hatten …? Ich wagte nicht, an die Konsequenzen zu denken. Immerhin hatte Klahngruit uns schon einmal zum Tode verurteilt, als er uns in den »Kerker ohne Rückkehr« werfen ließ. Es gab keinen logischen Grund, uns diesmal besser zu behandeln. Im Gegenteil. Auf dem Frontschirm war nun wieder Belkathyr zu sehen, dem wir uns mit ver minderter Geschwindigkeit näherten. Die sieben Verfolger hielten den Sicherheitsab stand. Wir hatten das sinnlose Feuer einge stellt und den Energieschirm ausgeschaltet. Keniath-Cel kam zu Crysalgira und mir. »Ich werde alles tun, um euch zu retten«, sagte sie und setzte sich zu uns. »Auch Klahngruit muß verstehen, daß ihr alles ver suchen wolltet, um in eure Welt zurückzu kehren. Die Gesetze der Tejonther sind nicht eure Gesetze. Warum also solltet ihr sie be folgen?« Ich schüttelte den Kopf. »Riskiere nicht zuviel, Keniath-Cel, und versuche lieber, deinen eigenen Kopf zu ret ten.« »Mein Urteil wurde bereits gesprochen, Atlan. Mir ist der Tod gewiß, daran kann kein Zweifel bestehen. Wir sind richtig in ei ne Falle gegangen, und ich bin nicht sicher, ob das Zufall ist. Es muß Verräter unter uns geben.« »Aber wer?« »Das werde ich nicht mehr herausfinden können, fürchte ich.« »Deine Leute werden dich befreien«, sag te ich und versuchte so, ihr Mut zu machen. »Sie lassen dich nicht im Stich.« »Befreien?« Sie sah mich an und lächelte bitter. »Klahngruit wird schon dafür sorgen,
46 daß keine Zeit für eine Befreiung bleibt. Sein Lebensziel ist es, diesen Kreuzzug mit zuorganisieren. Ich war dagegen und bin da mit seine Todfeindin.« »Wenn dem so wäre, warum läßt er dann dieses Schiff nicht vernichten, sondern nach Belkathyr zurückbringen?« »Der Sieg über mich muß allen Tejon thern demonstriert werden! Die einfache Meldung, man habe unser Schiff vernichtet, genügt ihm nicht. Er will mich sterben se hen, und nicht nur er, alle sollen es sehen. Mein Tod wird ein Schauspiel sein!« Ich hätte ihr gern widersprochen, aber ich vermochte es nicht. Ich wußte, daß sie recht hatte. Aber was konnten wir tun?Auf dem Bildschirm war bereits die Stadt zu erken nen. Dort mußte es später Nachmittag sein. Unser Abenteuer hatte nur wenige Stunden gedauert. Keniath-Cel stand auf und verschwand auf dem schmalen Korridor. Ich nahm an, daß sie Kontakt mit ihren Freunden suchte und mit ihnen sprechen wollte. Ich nickte Crysalgira zu. »Du mußt ganz ruhig bleiben, wenn wir gelandet sind. Keine Unbesonnenheiten Klahngruit gegenüber. Vielleicht haben wir noch eine Chance.« Ich stand auf und ging zu Rengot-Dol, um mich neben ihn zu setzen. »Wir können nicht ausbrechen?« verge wisserte ich mich. »Unmöglich! Das Fesselfeld ist zu stark. Wir landen in zwanzig Minuten.« »Wir werden gelandet!« berichtete ich dü ster. Er nickte hilflos. Die Geschwindigkeit verringerte sich, und mir schien es so, als vergingen auch die Mi nuten langsamer. Auf dem Bildschirm waren bereits Einzelheiten zu erkennen. Ein Teil des Landefelds war abgesperrt worden. Leichte Energiegeschütze waren aufgefah ren, und überall wimmelte es von bewaffne ten Polizeitruppen, die unsere Ankunft er warteten. Die eigentliche Bevölkerung der Stadt
Clark Darlton hatte mit den Vorgängen auf dem Raumha fen nichts zu tun. Ich vermutete sogar, daß die Tejonther über die Vorgänge bisher nicht informiert worden waren und erst dann et was erfuhren, wenn die Aktion abgeschlos sen war. Man würde ihnen über die Beweg gründe der Rebellen nichts sagen. Doch auch die langsamsten Minuten ver gehen. Wir setzten zu der erzwungenen Landung an. Sanft setzte das Schiff auf, während sich die Mündungen der Energiegeschütze auf uns richteten. Längst hatte ich meinen Po sten an der Energieschirm-Kontrolle verlas sen. Keniath-Cel war in die Kommandozen trale zurückgekehrt. Sie bewahrte eisern die Fassung, um ihre Gefährten nicht noch mut loser zu machen. In diesen Sekunden konnte ich nicht umhin, sie zu bewundern. Auch Crysalgira war tapfer. Sie ging zu Keniath-Cel und versuchte, ihr Mut zuzu sprechen. In diesem Augenblick fanden die beiden so ungleichen Geschöpfe endgültig zueinander. Jemand öffnete die Luke. Einer nach dem anderen kletterten die Tejonther heraus und wurden von den Polizisten in Empfang ge nommen. Die Tatsache, daß man sie nicht gleich erschoß, weckte Hoffnungen in mir. Dann wurde unser Bildschirm dunkel. Ren got-Dol hatte ihn ausgeschaltet. Er blieb an seinem Platz sitzen, bis Keniath-Cel ihm aufmunternd auf die Schulter klopfte. »Geh, Rengot-Dol. Ich werde das Schiff zuletzt verlassen.« Wir begleiteten ihn und standen dann vor der breitstufigen Leiter, die hinabführte. Im Hintergrund sah ich eines der bekannten Fahrzeuge stehen. In ihm saßen mehrere Te jonther, und einer von ihnen war Klahngruit. Rengot-Dol wurde festgenommen, dann kamen Crysalgira und ich an die Reihe. Die Metallfesseln schlossen sich um unsere Handgelenke. Unsanft stieß man uns zu den anderen, die keinen Blick für uns übrig hat ten und nur auf die Luke starr ten, in der jetzt Keniath-Cel erschien.
Kreuzzug nach Yarden Sie sah sich nach allen Seiten um. Ihre Haltung war stolz und gefaßt. Aber was sie erblickte, waren nur Polizisten und Leute der Abwehr. Sie konnte außer uns Gefessel ten keinen Freund entdecken. Klahngruit kam aus seinem Wagen. Er wurde von zwei Tejonthern in Uniform be gleitet, die Energiestrahler trugen. Zehn Me ter vor dem Schiff blieb er stehen. »Keniath-Cel, habe ich dich endlich!« Sie gab seinen Blick ungerührt zurück. Langsam stieg sie die Leiter hinab und ver scheuchte die beiden Polizisten, die sie fes seln wollten, mit einer heftigen Handbewe gung. »Ja, Klahngruit, du hast mich endlich! Aber glaube nicht, daß der Kampf nun zu Ende ist! Der Kreuzzug ist der Selbstmord unserer Völker, das weißt du so gut wie ich! Aber du unterstützt ihn, weil du glaubst, dein Prestige stärken zu müssen. Tief in dei nem Herzen liegt die Wahrheit begraben, doch das darf niemand je erfahren. In drei hundert Jahren wird es andere geben, die tapferer sind als du! Sie werden den Bestand unserer Völker nicht dem sinnlosen Kreuz zug opfern, der uns jedesmal aufs neue schwächt und den Fortschritt hemmt. So, und nun vollstrecke dein Urteil, Klahn gruit!« Ich mußte sie bewundern, ob ich wollte oder nicht. Welch eine Bundesgenossin wäre sie mir in meinem Universum gewesen! Klahngruit trat auf sie zu. »Warum hast du deine Waffe vergessen?« fragte er spöttisch. Sie erwiderte verächtlich: »Waffe? Wozu? Um dich zu töten? Ich weiß, daß ich sterben muß, aber ich will nie mandem einen Anlaß dazu geben, mich eine Mörderin zu nennen. Du kannst weiterleben, um die Schande zu genießen, die deine Stra fe sein soll. Das Urteil, das den Tod für mich bedeutet, wurde längst gesprochen. Warum vollstreckst du es nicht endlich?« Sie forderte ihn heraus, das spürte ich. Sie wollte es kurz machen. Aber Klahngruit ließ sich Zeit.
47 »Dein Urteil wurde bereits gefällt, das stimmt«, sagte er und streifte uns Gefangene nur mit einem kurzen Blick. »Die Voll streckung geht über die Bildinformation. Sie wird allein eine Warnung sein, die das Erbe unserer Vorfahren gefährden. Doch bevor du stirbst, Keniath-Cel, wirst du mir sagen, wo euer Versteck ist und wer die Anführer sind. Du bist nur ihr Werkzeug, mehr nicht, denn wärest du mehr, würden sie dir helfen. Ich sehe niemanden, der bereit wäre, sein Leben für dich zu opfern.« Rengot-Dol stand neben mir, hilflos und gefesselt. Ich spürte den Ruck, der durch seinen Körper ging, als er Klahngruits Wor te vernahm. Noch bevor ich seine Absicht ahnen konnte, sprang er vor und durchbrach die Kette der Polizisten, die uns bewachten. Er rannte auf die Gruppe zu und trat mit al ler Wucht nach Klahngruit. Ehe er jedoch ein zweites Mal zutreten konnte, hüllten ihn die Energiebündel der Polizeiwaffen ein. Er starb tapfer und lautlos. Klahngruit war gestolpert. Mühsam erhob er sich wieder. »Das wirst du mir büßen!« fauchte er Ke niath-Cel an. Er gab seinen beiden Beglei tern einen Wink. »Vollstreckt das Urteil!« Keniath-Cel sah in meine Richtung, um nicht in die Mündungen der Energiewaffen blicken zu müssen, die sich auf sie richteten. Sie starb wie ein echter Märtyrer für eine gerechte Sache, und es gab niemanden, der ihr helfen konnte. Ich haßte Klahngruit mehr denn je zuvor, und wenn ich meine Hände frei gehabt hätte, wäre er von mir erwürgt worden, selbst wenn es mich das Leben gekostet hätte. Aber ich war nicht frei. Als von Keniath-Cel nichts als davon schwebende Asche übriggeblieben war, kam Klahngruit auf uns zu. Wenige Meter vor uns blieb er stehen und betrachtete uns genüßlich, denn er wollte seinen Triumph auskosten. Sein Blick blieb auf mich gerichtet, als er sagte: »Ihr hättet alle den Tod verdient – so wie die Verräterin, die vor euren Augen starb.
48
Clark Darlton
Aber ich will euch eine Chance geben. Ihr sollt Zeit haben, euch zu besinnen und auf den rechten Pfad zurückzukehren. Nicht der ›Kerker ohne Rückkehr‹ wartet auf euch, sondern ein reguläres Gefängnis. Ihr werdet ein Jahr Bedenkzeit erhalten, und wer früher zur Vernunft kommt, ist frei.« Er sah mich an. »Du aber, der du jenseits von Yarden kommst, hast dein Leben verwirkt. Deine Gefährtin ebenfalls. Doch ihr werdet nicht sterben wie Keniath-Cel. Ihr sollt auf den Tod warten. Wer im Kerker schmachtet, dem erscheint das Ende wie eine Erlösung. Wer aber im Überfluß lebt, für den ist der Tod ein Schrecken. Führt sie fort!« Das galt den Polizisten. Yarden, hatte er gesagt. Crysalgira und ich kamen jenseits von Yarden! Das wußte er! Wieviel wußte er noch? Ich hatte keine Gelegenheit mehr, ihn da nach zu fragen, denn wir wurden von rohen Fäusten vorangestoßen und von den anderen getrennt. Es war mir klar, daß ich sie zum letzten Mal gesehen hatte. Kein Weg führte zurück in das Tal der Rebellen, in dem wir ein paar ruhige und er holsame Tage verbracht hatten. Aber viel leicht gelang uns doch die Flucht, und ich kannte den Weg. Ich hielt Crysalgiras Hand, während ich den Wachen folgte, die uns zu einem Fahr zeug führten, in das wir einstiegen.
* »Wer im Überfluß lebt, für den ist der Tod ein Schrecken«, hatte Klahngruit ge sagt. Und keine Erlösung, hätte er noch hin zufügen sollen. Ich begriff, warum man zum Tode Verurteilten am Abend vor der Hin richtung ein Festessen servierte. Wir hielten vor einem älteren Haus, das von einer hohen Mauer umgeben war. Die Wachen führten uns durch einen blühenden Garten und nahmen uns vor dem Eingang zu dem Haus die Fesseln ab. Man ließ uns den Translator. »Dies ist euer Gefängnis«, sagte einer der
Tejonther. »Ihr werdet in dem Haus alles vorfinden, was ihr benötigt. Ihr dürft es auch verlassen, aber kommt der Mauer nicht zu nahe. Die Zone des Todes reicht zehn Meter weit. Stellt keine Fragen, sondern genießt die Zeit, die euch noch bleibt. Eines Tages, ganz unerwartet, wird ein Kommando er scheinen und euch holen …« Sie drehten sich um und gingen. Das große Tor fiel hinter ihnen ins Schloß, und Sekunden später sah ich an allen Stellen über der Mauer ein bläuliches Flimmern. Die tödliche Sperre war eingeschaltet wor den. Crysalgira sah mich unsicher an. Ich nahm ihre Hand und führte sie ins Haus. Dicke Teppiche bedeckten den Boden der geräumigen Vorhalle, von der aus Türen ab gingen und eine breite Treppe nach oben führte. Wir inspizierten die Räume hinter den Tü ren und mußten feststellen, daß man uns in einer Luxusvilla untergebracht hatte. Zwei Wohnzimmer waren mit allem Komfort aus gestattet, und die vollautomatische Küche bot alle kulinarischen Genüsse, die man sich wünschen konnte. Im Keller fanden wir ein geheiztes Schwimmbad mit allen Raffines sen. Im oberen Stockwerk lagen die Schlaf räume mit Bädern. Wie im Paradies hätten wir hier leben können, wenn nicht die Drohung der baldi gen Hinrichtung gewesen wäre. Doch wie ich Klahngruit kannte, würde er sich damit noch Zeit lassen. Je mehr wir uns an den Lu xus hier gewöhnten, desto grausamer würde der Tod sein. Doch nicht allein die bevorstehende Hin richtung beunruhigte mich. Es war vielmehr die Ungewißheit darüber, was inzwischen im Normaluniversum geschah. Obwohl ich nichts an den Vorkommnissen dort ändern konnte, gab es keine Minute, in der ich nicht daran denken mußte. Draußen wurde es dunkel. Morgen würde ich die Mauer untersuchen. Vielleicht fiel mir etwas ein. »Ich bin erschöpft«, sagte Crysalgira und
Kreuzzug nach Yarden versuchte zu lächeln. »Bist du böse, wenn ich mich schlafen lege?« »Ruhe dich aus, Prinzessin. Ich sehe mich noch ein wenig hier um und komme später nach.« Sie ging nach oben. Als ich das Schließen ihrer Tür hörte, verließ ich das Haus und be gab mich in den Garten. Oben war Licht. Einmal sah ich sogar Crysalgiras Schatten hinter den Vorhängen. Die Mauerkrone rings um den Park flimmerte noch intensiver als bei Tageslicht. Ich näherte mich ihr, so weit es möglich war, um sie besser betrach ten zu können. Ich hielt an, als der bläuliche Schein knapp einen Meter vor mir den Bo den berührte. Mit den Füßen suchte ich nach einem Gegenstand, bis ein trockener Zweig knackte. Ich hob ihn auf und warf ihn in die Todeszone. Mitten in der Luft flammte er auf und be gann zu brennen. Wenige Zentimeter, bevor er die Erde wieder berühren konnte, erlosch er und blieb ausglimmend liegen. Damit war klar, daß dicht über dem Boden der Einfluß bereich der Todesstrahlen endete. Eine Maus würde wahrscheinlich ungefährdet die Mau er erreichen können, vielleicht auch ein grö ßeres Tier – aber nicht ich oder Crysalgira. Entmutigt kehrte ich ins Haus zurück und schloß die Tür.
* Noch einmal inspizierte ich die Mauer bei Tageslicht – mit dem gleichen Ergebnis wie in der Nacht. Es gab kein Durchkommen. Jeder Fluchtversuch war sinnlos. Erst jetzt wurde uns beiden so richtig klar, wie teuflisch grausam Klahngruits Folter war. Das Warten mußte zu einer fürchterli chen Qual werden, und die Ungewißheit konnte schon nach wenigen Tagen zum Wahnsinn führen. Aber, so tröstete ich mich, dann würde der Tod vielleicht doch als eine Art Erlösung kommen. Am dritten Tag erschien Klahngruit. Wir hielten uns gerade im Garten auf, als er mit seinen beiden Leibwächtern erschien,
49 die ihre Waffen ständig auf uns gerichtet hielten. Auch Klahngruit blieb in sicherer Entfernung, so daß ich meinen Plan, ihn als Geisel gefangenzunehmen, fallenließ. »Wie ich sehe, haben die Herrschaften sich eingewöhnt«, sagte er und deutete auf das Haus. »Wollen Sie wissen, wie lange Sie noch hier leben können?« »Sie behalten Ihr Wissen besser für sich«, erwiderte ich kalt. »Wir haben uns mit unse rem Schicksal abgefunden. Sie können uns nicht mehr erschrecken, Klahngruit.« »Oh, das glaube ich doch«, gab er zurück. »Die Kameras, die eure Hinrichtung übertra gen, werden bereits aufgebaut. Es kann also nicht mehr lange dauern. Vielleicht diese Nacht schon …« Eigentlich, dachte ich, haben wir nicht mehr viel zu verlieren. Vielleicht bin ich schnell genug, um bei ihm zu sein, ehe die beiden Wächter schießen können. Die Ent fernung zu Klahngruit betrug gut zehn Me ter. »Warum müssen Sie uns töten?« fragte Crysalgira. »Wir haben Ihnen und Ihrem Volk nichts getan. Fürchten Sie vielleicht, daß wir reden, weil wir jenseits von Yarden kommen? Soll niemand erfahren, wie es dort aussieht und wie sinnlos Ihr Kreuzzug ist?« Klahngruit sah sie haßerfüllt an. »Jetzt können Sie sprechen! Was ist denn in Yarden oder jenseits von Yarden? Was geschieht mit unseren Schiffen? Sagen Sie es mir! Sofort!« »Zu welchem Preis?« erkundigte sich Crysalgira. Ich wußte nicht, worauf sie hin auswollte, konnte es mir aber denken. Sie wollte Zeit gewinnen. »Nicht ich bin es, der über eure Zukunft entscheidet, aber ich kann einen Aufschub der Hinrichtung erwirken. Was ist Yarden?« Crysalgira warf mir einen hilfesuchenden Blick zu. Ich begriff, daß sie sich in eine Sackgasse geredet hatte. Sie wußte genauso wenig wie ich, was Yarden war – es sei denn, damit war unser Universum gemeint. »Nun?« machte Klahngruit ungeduldig. Ich sagte an ihrer Stelle:
50 »Was immer Yarden auch sein mag, Klahngruit, es ist mächtiger als das Reich der Tejonther. Yarden wird unseren Tod schrecklich rächen, ob der Kreuzzug nun stattfindet oder nicht. Die Tropoythers wer den euch vernichten!« Ich sagte es, ohne zu wissen, wovon ich sprach. Ich wollte Klahngruit schockieren und bluffen, mehr nicht. Wahrscheinlich war es mir auch gelungen, denn er wich einige Schritte zurück. Seine Stimme klang ver zerrt, als er rief: »Ihr lügt beide! Ihr wißt nichts von Yar den, darum könnt ihr auch nichts mitteilen. Die Hinrichtung findet noch vor morgen abend statt! Wir fürchten uns nicht vor der Rache der Leerraumkontrolleure! Ihr werdet sterben, vor den Augen aller Tejonther!« Er ging, und als ich ihm folgen wollte, hielt Crysalgira mich am Arm fest. »Nicht, Atlan! Sie würden dich schon jetzt töten. Wir haben noch eine Nacht Zeit …« Das Tor schloß sich, und das blaue Licht über der Mauer flammte wieder auf. Langsam kehrten wir ins Haus zurück. Obwohl wir keinen Appetit verspürten, aßen wir und tranken einen ganzen Krug des wohlschmeckenden Weines. Klahngruit hat te also selbst keine Ahnung, warum die zehntausend Schiffe vom Kreuzzug nie zu rückkehrten, aber er hätte es sicherlich gern gewußt. War das noch eine letzte Chance? Wir gingen an diesem Abend erst spät schlafen, denn die innere Unruhe stieg von Minute zu Minute. Es war unsere letzte Nacht, wußten wir nun. In uns beiden stieg nun die echte Angst vor dem Tode herauf, und sie verstärkte sich, je später es wurde. Erst kurz vor dem Morgengrauen schlief ich ein, aber wirre Träume ließen mir keine Ru he. Sollte nun wirklich alles zu Ende sein? Es war noch dämmerig, als sie kamen, um uns zu holen. Sie ließen uns Zeit zum Anziehen, und ich mußte Crysalgira dabei helfen, denn ihre Hände zitterten bei jeder Bewegung. Endlich
Clark Darlton konnten wir das Haus verlassen, wo uns ein Trupp von zwei Dutzend bewaffneter Tejon ther in Empfang nahm. Jeder Gedanke an Flucht wurde sofort im Keim erstickt, als man Crysalgira und mich trennte. Sie mußte im Wagen hinter mir einsteigen. Die Kolon ne setzte sich ohne Verzug in Bewegung und rollte durch die Straßen der Stadt. Stumm standen dort die Bewohner und sa hen uns nach. Ich glaubte hier und da eine verstohlene Geste zu sehen, aber das konnte auch nur Einbildung sein. Diesmal gab es niemanden, der uns rettete. Das Raumhafengelände kam in Sicht. Weiter rechts standen die startbereiten Schiffe, die für den Kreuzzug bestimmt wa ren. Die Wagenkolonne fuhr durch ein Spa lier von Soldaten und Polizisten, die den Raumhafen absperrten. Weiter vorn sah ich eine provisorisch errichtete Plattform, die von Energiegeschützen umgeben war. Die Richtstätte! Die Wagen hielten. Crysalgira und ich wurden herausgezerrt und zu der Plattform geführt. Die Linsen der Kameras waren auf uns gerichtet, aber auch die Waffen der Te jonther. Seitlich bemerkte ich plötzlich eine Bewegung in der Menge, so als versuche je mand, sie zu durchbrechen. Aber dann blieb mir keine Zeit mehr, darauf zu achten. Die Wachen schoben uns die Stufen zur Platt form hinauf. Die beiden Henker hielten einfache Ener giestrahler in ihren Händen. Sie waren sich ihrer Wichtigkeit bewußt und posierten wie Schauspieler vor den Kameras. Mich selbst hatte eine nie gekannte Ruhe und Gleichgül tigkeit befallen, und ich hoffte nur, daß bald alles vorüber war. Ich hielt Crysalgiras Hand und drückte sie – ein schwacher Trost in die sen furchtbaren Sekunden. Das Fahrzeug durchbrach die Mauer der Tejonther und kam in rasender Fahrt näher, um dicht neben der Plattform anzuhalten. Klahngruit kam herausgestürzt und winkte aufgeregt mit beiden Händen zu uns herauf. Ein neuer Trick, um noch einmal Hoff nung in uns zu wecken?
Kreuzzug nach Yarden Er schob die Wachtposten beiseite, aber ich konnte nicht verstehen, was er sagte. Man hatte mir längst den Translator abge nommen. Jedenfalls sprach er mit den Poli zisten und deutete mehrmals auf Crysalgira und mich. Die Kameras ignorierte er. Dann winkte er uns abermals zu, zweifel los wollte er, daß wir ihn begleiteten. Ich ließ Crysalgiras Hand nicht los, während ich mit ihr die Treppe wieder hinabstieg. Die Hen ker blieben ratlos auf der Plattform zu rück. Klahngruit brachte uns zum Wagen, der sofort anfuhr und die Richtung auf die Raumschiffe einschlug. In rasender Fahrt legten wir die kurze Strecke in kaum einer Minute zurück. Völlig sinnlos redete Klahn gruit auf uns ein, bis er endlich bemerkte, daß ich keinen Translator mehr besaß und ich ihn nicht verstehen konnte. Er lächelte breit und schwieg. Ich begann zu ahnen, daß etwas Unvor hergesehenes passiert sein mußte. Es erschi en mir unmöglich, daß Klahngruit seine Meinung so radikal und schnell allein von sich aus geändert hatte. Jemand mußte ihn dazu bewogen haben, eine höhere Instanz vielleicht, wenn er auf Belkathy überhaupt Vorgesetzte hatte. Oder kam der Befehl, uns nicht zu töten, von noch höherer Stelle? Und was sollte nun mit uns geschehen? Der Wagen hielt vor einem der wartenden Raumschiffe an. Klahngruit rief etwas dem Tejonther zu, der neben der Luke Wache hielt. Wenige Sekunden später erhielt ich einen Translator. »Stellt keine Fragen!« forderte Klahngruit uns auf. »Geht in das Schiff. Eine Kabine ist vorbereitet. Ihr werdet Belkathyr für immer verlassen. Kehrt nie mehr zurück! Das näch ste Mal wird die Hinrichtung wirklich statt finden!« »Haben wir Ihnen unser Leben zu verdan ken, Klahngruit?« fragte ich sarkastisch. Er sah mich merkwürdig an. »Nein!« sagte er dann kalt. »Mir nicht!« »Wem dann?«
51 Er wurde ungeduldig. »Stellt keine Fragen!« wiederholte er, wü tend geworden. »Geht in das Schiff und ver geßt Belkathyr. Das ist alles!« Er drehte sich um, kletterte in sein Fahr zeug, das sofort anfuhr und wendete. Wenig später verschwand es in der aufgeregten Menge, der ein Schauspiel entgangen war. Der Tejonther brachte uns ins Schiff. Er führte uns durch den Korridor, der jetzt noch ein senkrechter Schacht war, und öffnete ei ne der Türen. Dahinter sah ich eine kleine Doppelkabine. »Wann starten wir, und wohin geht die Reise?« fragte ich, während Crysalgira schon vorging. Ihr war jetzt alles egal, sie wollte nur ihre Ruhe haben. Ich sah, daß sie sich auf das Doppelbett legte. »Sagen Sie es mir, bitte.« Der Tejonther machte eine verneinende Kopfbewegung. »Ich weiß es selbst nicht. Ich weiß nur, daß Sie uns begleiten werden. Wenn Sie Wünsche haben, so drücken Sie auf den Knopf dort neben der Tür. Es wird dann so fort jemand kommen.« »Wann starten wir?« bohrte ich weiter. Er zögerte. »Ich darf es nicht sagen.« Ich wollte ihn nicht zu sehr drängen. Viel leicht wurde er später gesprächiger. »Gut, können wir etwas zu essen haben? Sie werden verstehen, daß wir jetzt …« Er ging davon, ohne die Tür zu verschlie ßen. Ich legte mich neben Crysalgira auf das Bett. »Was hat das alles zu bedeuten?« fragte sie, und ihre Stimme klang nicht mehr so be legt wie heute früh. »Warum hat Klahngruit seine Meinung geändert? Wohin fliegt das Schiff?« Ich zuckte die Schultern. »Frage mich nicht, denn ich habe nicht die geringste Ahnung. Es scheint sicher, daß auch Klahngruit nur Befehlsempfänger ist. Jemand wollte nicht, daß wir sterben. Viel leicht will man uns mit diesem Schiff auf ei
52
Clark Darlton
ne andere Welt bringen. Und das muß bald geschehen, denn der Kreuzzug steht unmit telbar bevor.« Mehr wollte ich nicht sagen, denn meine Vermutung hätte sie nur beunruhigt, und an Aufregungen hatte es in letzter Zeit wahr haftig keinen Mangel gegeben. Der Tejonther kam und brachte ein Ta blett, das er auf den Kabinentisch stellte. Ich fragte ihn: »Sie brauchen nur zu nicken, mehr nicht. Sagen Sie nichts. Ist es so, daß dieses Schiff mit den anderen startet? Fliegen wir zum ge meinsamen Treffpunkt der Flotte, zur Ge fühlsbasis der Leerraumkontrolleure?« Er nickte nach einigem Zögern und ver schwand dann, ohne ein Wort gesagt zu ha ben. Aber ich wußte auch so genug. Noch bevor es dunkelte, hörten wir drau ßen im Korridor das Geräusch vieler Schrit te. Die Mannschaft kam an Bord. Der Start stand kurz bevor. Niemand kümmerte sich um mich und Crysalgira. Ich öffnete die Blende der Sichtluke. Da standen sie, die Schiffe des Kreuzzugs, und bei einigen von ihnen schloß sich schon die Luke. Immer noch hielten Fahrzeuge und brachten Tejonther herbei, die eine Reise ohne Rückkehr antraten.
Als unter uns der Boden erzitterte und ein wenig später Belkathyr zu einer Kugel im All wurde, fragte Crysalgira: »Sie nehmen uns also mit auf den Kreuz zug?« Ich nickte und schloß die Blende wieder. »Der Kreuzzug nach Yarden, Prinzessin, ist die einzige Alternative zur Hinrichtung. Sie werden uns los, ohne uns töten zu müs sen. Es ist noch nie jemand von Yarden zu rückgekommen – außer Groya-Dol, aber das weiß niemand außer uns. Wir werden also zunächst die Gefühlsbasis anfliegen, wo sich die Flotte sammelt. Und dann …« »Und dann?« fragte sie etwas ängstlich. »Du brauchst keine Furcht mehr zu haben, Prinzessin. Was immer dann auch geschieht, es wird keine Hinrichtung sein. Wir werden endlich erfahren, was Yarden ist.« Sie schloß die Augen. Bald würde sie schlafen. Ich aber öffnete wieder die Sichtluke und sah hinaus in die Unendlichkeit des Kosmos, der in Wirklichkeit nicht größer war als mei ne Fingerkuppe im Normaluniversum. Vielleicht noch kleiner …
E N D E
ENDE