Holger Lengfeld Klasse – Organisation – soziale Ungleichheit
Sozialstrukturanalyse Herausgegeben von Peter A. Berger ...
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Holger Lengfeld Klasse – Organisation – soziale Ungleichheit
Sozialstrukturanalyse Herausgegeben von Peter A. Berger
Holger Lengfeld
Klasse – Organisation – soziale Ungleichheit Wie Unternehmensstrukturen berufliche Lebenschancen beeinflussen
Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über abrufbar.
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1. Auflage 2010 Alle Rechte vorbehalten © VS Verlag für Sozialwissenschaften | GWV Fachverlage GmbH, Wiesbaden 2010 Lektorat: Frank Engelhardt VS Verlag für Sozialwissenschaften ist Teil der Fachverlagsgruppe Springer Science+Business Media. www.vs-verlag.de Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlags unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Die Wiedergabe von Gebrauchsnamen, Handelsnamen, Warenbezeichnungen usw. in diesem Werk berechtigt auch ohne besondere Kennzeichnung nicht zu der Annahme, dass solche Namen im Sinne der Warenzeichen- und Markenschutz-Gesetzgebung als frei zu betrachten wären und daher von jedermann benutzt werden dürften. Umschlaggestaltung: KünkelLopka Medienentwicklung, Heidelberg Druck und buchbinderische Verarbeitung: Rosch-Buch, Scheßlitz Gedruckt auf säurefreiem und chlorfrei gebleichtem Papier Printed in Germany ISBN 978-3-531-16965-1
Inhalt
Vorwort ............................................................................................................. 11 Einleitung .......................................................................................................... 13
I
Die zwei Perspektiven der organisierten Ungleichheit ........................ 25
1.
Vertikal organisierte Ungleichheit ............................................................ 1.1 Wrights neomarxistische Klassentheorie .......................................... 1.2 Berufsklassenschema nach Goldthorpe ............................................ 1.3 Organisierte Ungleichheit aus klassentheoretischer Perspektive ......
27 28 32 37
2.
Horizontal organisierte Ungleichheit ........................................................ 2.1 Die individualistische Perspektive ................................................... 2.2 Organisationstypen und Zuweisungsmechanismen .......................... 2.3 Strukturelle Varianz ......................................................................... 2.4 Das Mehrebenenproblem .................................................................
41 43 46 48 54
3.
Arbeitsorganisation: horizontale Verteilungsmechanismen ..................... 3.1 Organisationsgröße ........................................................................... 3.2 Interner Arbeitsmarkt ....................................................................... 3.3 Die Population der Organisationen .................................................. 3.4 Demografische Zusammensetzung ...................................................
57 57 67 73 79
Exkurs: Zur Rolle von Tarif- und Bildungsorganisationen ............................... 89 4.
Getrennte Welten? .................................................................................... 95
II
Klasse und Organisation: Empirische Analysen .................................. 99
5.
Strukturelle Unabhängigkeit ................................................................... 5.1 Unabhängigkeit der Ursachen ........................................................ 5.2 Unabhängigkeit der Verteilungseffekte .......................................... 5.3 Hypothesen .....................................................................................
103 104 108 110
6
Inhalt
5.4 5.5 5.6 5.7
Daten, Methode und Variablen ...................................................... Ergebnisse ...................................................................................... Was zählt mehr? ............................................................................. Zusammenfassung ..........................................................................
113 122 132 134
6.
Die Produktion klasseninterner Ungleichheiten ..................................... 6.1 Die Ausdifferenzierung klasseninterner Lebenschancen ................ 6.2 Unterschiede zwischen den Klassen ............................................... 6.3 Daten, Methode und Variablen ...................................................... 6.4 Ergebnisse ...................................................................................... 6.5 Zusammenfassung ..........................................................................
137 138 140 147 148 154
7.
Organisierte Ungleichheit im Wandel .................................................... 7.1 Flexibilisierung von Beschäftigung und vertikale Desintegration ................................................................................ 7.2 Strukturelle Unabhängigkeit im Wandel: Empirische Befunde ..... 7.3 Die Kontinuität klasseninterner Ungleichheiten ............................. 7.4 Klasseninterne Ungleichheit im Wandel: Empirische Befunde .....
157 159 167 182 186
Schlussfolgerungen ........................................................................................ 193 8.
Zusammenfassung .................................................................................. 195
9.
Ein kombiniertes Klassen-Organisationsschema .................................... 201
10. Das Legitimitätsproblem horizontal organisierter Ungleichheit ............. 211 11. Überlegungen zum Gesellschaftsvergleich ............................................. 217
Anhang ............................................................................................................ 227 Literaturverzeichnis ......................................................................................... 235
Verzeichnis der Tabellen und Abbildungen
Tabellen Tabelle 1.1: Klassenschema nach E.O. Wright ............................................... 30 Tabelle 2.1: Ranking und Sorting in Arbeitsorganisationen ........................... 47 Tabelle 2.2: Auszahlungen für Rekrutierungsmechanismus in zwei Varianten .................................................................................... 51 Tabelle 2.3: Effekt der Variantenzahl auf die Ungleichheit der Auszahlungen ............................................................................. 53 Tabelle 3.1: Index der durchschnittlichen Stundenlöhne nach Industriezweig und Unternehmensgröße 1954 in den USA ........ 61 Tabelle 3.2: Bildung, Unternehmensgröße und Geschlecht ............................ 66 Tabelle 3.3: Einkommensverteilung nach Arbeitsmarkttypen (in Prozent) .... 72 Tabelle 3.4: Beispiel: Alterstruktur im Unternehmen ALPHA ...................... 80 Tabelle 3.5: Rechenbeispiel: Mobilität und Einkommensentwicklung im Vergleich ............................................................................... 82 Tabelle 5.1: Die Verteilung der EGP-Klassen im GSS/NOS-1991 .............. 119 Tabelle 5.2: Branchen (gruppiert) im GSS/NOS-1991 ................................. 122 Tabelle 5.3: Determinanten des Erwerbseinkommens in den USA (1991) ....................................................................................... 123 Tabelle 5.4: Determinanten von Lohnzusatzleistungen in den USA (1991) ....................................................................................... 126 Tabelle 5.5: Determinanten der Beförderung in den USA (1991) ................ 129 Tabelle 5.6: Determinanten der Beschäftigungsstabilität in den USA (1991) ....................................................................................... 131 Tabelle 5.7: Erklärungsanteile von Klasse und Organisationsstruktur im Überblick ............................................................................. 132 Tabelle 6.1: Postulierte maximale klasseninterne Differenzen im Überblick ............................................................................. 146
8
Tabellen und Abbildungen
Tabelle 6.2: Klasseninterne Unterschiede organisierter Ungleichheit in den USA 1991 (I) ................................................................. Tabelle 6.3: Klasseninterne Unterschiede organisierter Ungleichheit in den USA 1991 (II) ................................................................ Tabelle 6.4: Empirisch vorgefundene maximale klasseninterne Differenzen in den USA 1991 im Überblick ............................ Tabelle 6.5: Absolute Lebenschancen nach Klassenlage .............................. Tabelle 7.1: US-Branchenstruktur 2002 (gruppiert), Veränderung gegenüber 1991 ......................................................................... Tabelle 7.2: US-Klassenstruktur 2002, Veränderung gegenüber 1991 ......... Tabelle 7.3: Interne Arbeitsmärkte in den USA im Wandel ......................... Tabelle 7.4: Einkommensungleichheit und interner Arbeitsmarkt in den USA im Wandel ............................................................. Tabelle 7.5: Ungleiche Beschäftigungsstabilität und interner Arbeitsmarkt in den USA im Wandel ....................................... Tabelle 7.6: Determinanten des US-Erwerbseinkommens im Wandel ......... Tabelle 7.7: Determinanten der US-Beschäftigungsstabilität im Wandel .... Tabelle 7.8: Vergleich der Erklärungsanteile von Klasse und Organisationsstruktur auf Einkommen und Beschäftigungssicherheit in den USA 1991 & 2002 ................ Tabelle 7.9: Klasseninterne Ungleichheiten im Jahr 2002 ........................... Tabelle 7.10: Vergleich der klasseninternen Ungleichheiten 1991 und 2002 ................................................................................... Tabelle 7.11: Klasseninterne Differenzen in den USA 1991 & 2002 im Überblick ............................................................................. Tabelle 9.1: EGP-Subklassenschema nach Organisationsgröße ................... Tabelle 9.2: Der Einfluss von Klassen- und Subklassenlagen auf das Erwerbseinkommen im Vergleich ......................................
150 151 153 154 168 169 173 174 175 176 180
181 188 189 191 205 207
Tabelle A.1: Determinanten des Erwerbseinkommens 2002 ......................... 228 Tabelle A.2: Determinanten der Beschäftigungsstabilität 2002 .................... 229 Tabelle A.3: Verzeichnis der verwendeten Variablen ................................... 230
Tabellen und Abbildungen
9
Abbildungen Abbildung 1.1:
Arbeitsorganisatorische Dimensionen und Klassenlagen bei Goldthorpe ...................................................................... 34 Abbildung 1.2: Klassenschema nach Erikson & Goldthorpe ......................... 35 Abbildung 11.1: Postulierte Organisations-Ungleichheits-Effekte im Gesellschaftsvergleich ........................................................ 225
Vorwort
Dieses Buch handelt vom Einfluss der Organisationsstruktur von Unternehmen und Verwaltungen auf soziale Ungleichheit. Es thematisiert damit einen Gegenstand, der in die Zuständigkeit der Sozialstrukturanalyse fällt, der aber auch eine große Schnittmenge mit der Organisationssoziologie aufweist. Bis in die 1990er Jahre hinein wurden auf diesem Forschungsfeld umfangreiche Studien durchgeführt. Seither geht es dort deutlich ruhiger zu; offenbar scheinen die meisten Probleme gelöst worden zu sein. Dennoch habe ich mich, gegen den Trend, dem Gegenstand erneut zugewandt. Dabei habe ich mich zu Beginn meiner Recherchen darüber gewundert, dass wir zwar umfangreiches Detailwissen über den Einfluss von vielfältigen Organisationsstrukturen auf ungleiche Güterverteilungen angehäuft haben, dass von diesem Wissen in der Breite des Fachs Sozialstrukturanalyse aber kaum Kenntnis genommen wurde. Dies gilt, so meine ich, insbesondere für solche Makrotheorien, die mit dem Klassen- oder Schichtungskonzept operieren. Meine Hoffnung ist, mit dieser Studie auch eine Brücke zu schlagen zwischen der organisationsbezogenen Ungleichheitsforschung auf der einen Seite und der makrosoziologischen Sozialstrukturanalyse auf der anderen. Die vorliegende Studie wurde im Jahr 2008 als Habilitationsschrift am Fachbereich Politik- und Sozialwissenschaften der Freien Universität Berlin angenommen. Für den Druck wurde sie etwas gekürzt und um ein neues Kapitel ergänzt. Bei ihrer Abfassung habe ich von der Unterstützung durch eine Reihe von Menschen profitiert. Jürgen Gerhards (FU Berlin) hat den Fortgang der Arbeit ideenreich kommentiert; Jürgen Schupp (DIW Berlin) hat konstruktive Hinweise vor allem zur Empirie gegeben; Arne Kalleberg (Univ. of North Carolina) hat mir Zugang zu unveröffentlichten US-Employer-Employee-Daten eröffnet; Peter A. Berger (Uni. Rostock) hat die Studie in die Reihe „Sozialstrukturanalyse“ aufgenommen und mit sanftem Druck ein Kapitel zum Gesellschaftsvergleich eingefordert; und Jessica Gabski, Olaf Bittner und Giuseppe Vieni (alle FernUni. Hagen) haben zuverlässig redigiert und korrigiert. Ihnen allen möchte ich meinen herzlichen Dank aussprechen. Mein besonderer Dank aber geht an meine Frau Viola und meinen Sohn Justin für die Geduld mit dem Verfasser, der wieder einmal ausufernd Familienzeit in Arbeitszeit umgewandelt hat. Hagen und Berlin, im September 2009
H.L.
Einleitung
Wer bekommt was, warum und mit welchen Folgen? So kann man das Leitthema der sozialen Ungleichheitsforschung auf den Punkt bringen. Zerlegt man diese Kurzformel, so ergeben sich drei zentrale Fragestellungen. In welcher Hinsicht und in welchem Ausmaß sind Menschen sozial ungleich gestellt? Welches sind die Mechanismen der Herstellung ungleicher Güterzuweisungen? Und: Worin liegen die sozial- und systemintegrativen Folgen der Ungleichheit? Ich gehe in dieser Arbeit der zweiten Frage nach. Ich frage, wie Arbeitsorganisationen die Ungleichheit in den Lebenschancen von Erwerbspersonen in modernen Gesellschaften beeinflussen. Unter Arbeitsorganisationen verstehe ich korporative Gebilde, in denen in irgendeiner Form abhängig beschäftigte und entlohnte Erwerbsarbeit stattfindet, also Unternehmen, Verwaltungen, öffentliche Betriebe und nicht-kommerzielle Vereinigungen (Kirchen, Verbände, Parteien). Zur Beantwortung meiner Fragestellung gehe ich strukturalistisch vor: Ich lege das Hauptaugenmerk auf Ungleichheiten, die durch die Formalstruktur von Arbeitsorganisationen (z. B. ihre Größe, das Positionssystem oder den Grad der internen Differenzierung) ausgelöst werden. Analyseeinheit sind Individuen, in diesem Fall die abhängig Beschäftigten der betreffenden Arbeitsorganisationen. Gleichwohl untersuche ich keine organisationsinternen Ungleichheiten, sondern ich interessiere mich für Ungleichheiten zwischen Beschäftigten, die unterschiedlichen Arbeitsorganisationen angehören. Die Untersuchungsebene ist damit die Makroebene der Gesellschaft. Analysiert werden Ungleichheiten in der individuellen Verfügung über Ressourcen, die in und durch Arbeitsorganisationen verteilt werden. Dies sind typischerweise Einkommen und Lohnzusatzleistungen, aber auch innerbetriebliche Aufstiege und Beschäftigungssicherheit. Mein besonderes Augenmerk gilt der Frage, inwiefern Arbeitsorganisationen Lebenschancen quer zur Erwerbsklassenstruktur moderner Gesellschaften verteilen. Im Kern untersuche ich, inwieweit Verteilungen, die durch die Formalstruktur der Organisationen ausgelöst werden, zwischen abhängig Beschäftigten mit gleicher sowie mit unterschiedlicher Klassenlage variieren. Die Beeinflussung von Lebenschancen durch Organisationen nenne ich im Folgenden „organisierte Ungleichheit“ (vgl. Lengfeld 2007, 2008). Um zu erläutern, inwieweit Arbeitsorganisationen soziale Ungleichheit auslösen und was organisatorische Formalstruktur und soziale Klassen mitein-
14
Einleitung
ander zu tun haben, muss ich ein wenig ausholen. Folgt man nämlich der Lehrmeinung im Fach, so scheinen Arbeitsorganisationen keine entscheidende Größe im Prozess der Herstellung von sozialer Ungleichheit zu sein. Diesen Eindruck kann man durch einen kleinen empirischen Test gewinnen. Dazu habe ich einschlägige Lehr-, Hand- und Wörterbücher der Ungleichheitsforschung daraufhin durchgesehen, inwiefern Organisationen in irgendeiner Art und Weise thematisiert werden.1 Dies ist natürlich ein unsystematisches Verfahren, weil nicht frei von einer gewissen Subjektivität in der Auswahl der Schriften. Da jedoch einige der gegenwärtig am meisten verbreiteten Werke dabei sind, kann man der Durchsicht zumindest erste Hinweise über die relative Bedeutung von Organisationen für soziale Ungleichheit entnehmen. Mein Eindruck aus der Literaturdurchsicht lautet im Einzelnen:
In den Sachregistern und Kapitelüberschriften der meisten einschlägigen deutschsprachigen Lehrbücher und Einführungswerke der Ungleichheitsforschung kommt der Begriff „Organisation“ nicht vor.2 In einem von David Grusky herausgegebenen einflussreichen Reader beschäftigen sich fünf von 88 Aufsätzen in irgendeiner Weise mit Organisationen. Darunter stellen nur drei Beiträge eine direkte Beziehung zwischen Ungleichheit und Organisation her (Grusky 2001).3 In der von Hans-Peter Müller und Michael Schmid editierten Rezensionssammlung zu den „Hauptwerken der Ungleichheitsforschung“ werden Organisationen in neun von 144 besprochenen Büchern thematisiert, darunter in zwei Werken zentral (Müller/Schmid 2003).4
1
2
3
4
Da die Arbeitsorganisation (und dabei wiederum das Unternehmen) der wichtigste Unterfall des Organisationsbegriffs sind, habe ich mich bei der Durchsicht auf den allgemeinen Organisationsbegriff beschränkt. Eine alternative Suche mit dem Begriff des Unternehmens führt jedoch zum mehr oder weniger gleichen Resultat. So beispielsweise bei Burzan (2007), Geißler (2008), Hradil (2005), Hradil (2006) und Schäfers (2002). Eine Ausnahme findet sich bei Kreckel (1992), der den Organisationen des Tarifvertragssystems (und den politischen Parteien) eine zentrale Stellung im „ungleichheitsbegründenden Kräftefeld einräumt (Kreckel 1992: 149 ff.). Allerdings ist Kreckels Werk kein Lehrbuch, sondern eine argumentierende Monografie. Das Lehrbuch von Groß (2008) thematisiert zwar nicht ausdrücklich Organisationen, es geht jedoch ausführlich auf die Rolle von internen Arbeitsmärkten als Mechanismen der positionalen Schließung ein. Dabei handelt es sich um einen sozialpsychologischen Aufsatz von Kohn (2001), der auf die Bedeutung der Autonomie am Arbeitsplatz für die Persönlichkeitsentwicklung verweist, und um die Beiträge von Piore (2001) sowie Sørensen/Kalleberg (2001), die Organisationen als Orte der Segmentierung des Arbeitsmarkts im Zusammenhang mit dem Statuszuweisungsprozess erwähnen. Nämlich in James Colemans „Asymmetric Society“ (Coleman 1986) und Charles Tillys „Durable Inequality“ (Tilly 1998).
Einleitung
15
Das Sachregister des von Günther Endruweit und Gisela Trommsdorff herausgegebenen „Wörterbuch der Soziologie“ enthält rund 70 Seiten, auf denen der Begriff „Organisation“ vorkommt, und etwa 45 Seiten für „Ungleichheit, soziale“. Vergleicht man die Seiteneinträge beider Begriffe miteinander, so gibt es nur drei Seiten, auf denen beide Begriffe vorkommen, ohne jedoch aufeinander bezogen zu sein (Endruweit/Trommsdorff 2002).5
Offenbar sind Arbeitsorganisationen aus der Sicht des Lehrbuchbestands der Ungleichheitsforschung keine bedeutsame Größe im Prozess der Zuweisung ungleicher Lebenschancen. Zu einem ähnlichen Schluss gelangt man, wenn man in den Lehrbüchern der Organisationssoziologie Ausschau hält.6 Zwar sollte man diesen Befund, wie bereits gesagt, nicht überbewerten. Er verweist jedoch darauf, dass man schon genauer hinschauen muss, um zu sehen, wie sich Organisationen auf die Ungleichheit materieller Lebenschancen auswirken. Um dies zu tun, werde ich im ersten Teil dieses Buchs eine entsprechende Bestandsaufnahme der theoretischen und empirischen Befunde vornehmen. Ein erster Schritt dazu ist, sich die zentrale Funktion von Arbeitsorganisationen in modernen Gesellschaften zu vergegenwärtigen, nämlich Güter zu produzieren, Dienstleistungen bereitzustellen und, damit verbunden, Belohnungen an ihre Mitglieder in Form von Einkommen, Beschäftigungssicherheit, Aufstiegschancen und anderen erstrebenswerten materiellen und immateriellen Gütern zu verteilen. Was läge da näher, als davon auszugehen, dass die Art und Weise, wie in und durch Arbeitsorganisationen Belohnungen verteilt werden, sich im Grad der Ungleichheit der Lebenschancen der Organisationsmitglieder niederschlagen würde? Allerdings beziehe ich mich im Folgenden nicht auf die klassische Diagnose der Ungleichheit zwischen Kapitaleignern und abhängig Beschäftigten. Denn dies ist ein altes Thema, untrennbar verbunden mit der Herausbildung des Fabrikkapitalismus seit Mitte des 19. Jahrhunderts. Bereits Karl Marx und Max Weber zeigen, dass die Entwicklung des Kapitalismus auf der Herausbildung eines arbeitsteiligen, hierarchisch organisierten Fabriksystems aufbaute. Ar-
5
6
Dies sind die Stichworte „Arbeitsteilung“, „Gesellschaft“ und „Sozialer Wandel“. Wechselseitige Einträge von „Organisation“ im Stichwortartikel „Ungleichheit, soziale“ oder umgekehrt gibt es nicht. Hierzu habe ich die folgenden Texte durchgesehen: die deutschsprachigen Lehrbücher von Abraham/Büschges (2004), Endruweit (2004), Müller-Jentsch (2003), Preisendörfer (2008), das wichtige US-amerikanische Lehrbuch von Scott (2003), die Sammlung organisationssoziologischer Klassiker von Handel (2003) und die von Türk (2000) vorgelegte Rezensionssammlung „Hauptwerke der Organisationstheorie“. Einige dieser Texte enthalten zwar Kapitel bzw. einzelne Abschnitte zu den gesellschaftlichen Folgen der Organisationsexistenz, von wenigen Ausnahmen abgesehen (Preisendörfer 2008: 153 ff.; Scott 2003: 131 ff.) werden Ungleichheitseffekte nicht direkt thematisiert.
16
Einleitung
beitszerlegung, betriebliche Hierarchie und bürokratische Organisation machten die effektive Ausnutzung der Produktionsmittel erst möglich. Sie sind damit die wichtigste Voraussetzung dafür, dass sich die Lebenschancen des sich herausbildenden Fabrikbürgertums auf der einen und die der Masse der abhängig Beschäftigten auf der anderen Seite ungleich entwickelten. Ich betrachte stattdessen Ungleichheiten zwischen abhängig beschäftigten Personen mit unterschiedlichen Klassenpositionen (erstes Kapitel). Es geht mir um die Ursachen der Ausdifferenzierung von Klassenlagen in den modernisierten Gesellschaften des späten 20. Jahrhunderts. Eines dieser Differenzierungsphänomene ist der zahlenmäßige Zuwachs der sogenannten Mittelklassen, vor allem jener Erwerbstätigen, die Tätigkeiten mit Kontroll- und Anweisungsaufgaben ausführen. Die Ursachen dieser Ausdifferenzierung sind vor allem von Erik Olin Wright und John Goldthorpe analysiert worden. Besieht man sich ihre Entwürfe genauer, so stellt man fest, dass beide trotz der Unterschiedlichkeit von theoretischen Basisannahmen und der jeweils gezogenen empirischen Schlussfolgerungen einen gemeinsamen organisationstheoretischen Kern aufweisen: Die Kontroll- und Steuerungsprobleme bei der Anwendung von Arbeitskraft entscheiden über die Struktur der Klassen abhängig Beschäftigter sowie über die zahlenmäßige Besetzung der einzelnen Klassenpositionen. Je nachdem, wie betriebliche Arbeitsteilung, Qualifikationserfordernisse und Kontrollstrukturen etabliert wurden, ergeben sich andere Ungleichheitsrelationen zwischen den Klassen. Allerdings wurde diese organisationstheoretische Begründung der Ausdifferenzierung von Klassen bislang nur von wenigen Ungleichheitsforschern (z. B. von Liebig/Krause 2006; Rössel 2007: 200ff.) auch wahrgenommen. Damit lautet die erste Antwort auf meine eingangs gestellte Frage: Arbeitsorganisationen sind beteiligt an der Konstitution sozialer Klassen, und sie beeinflussen die zahlenmäßige Besetzung der Klassenstruktur. Dies ist jedoch nur eine der möglichen Sichtweisen auf das zu untersuchende Phänomen. Denn seit den 1970er Jahren gibt es mit der empirischen Stratifikationsforschung ein zweites Forschungsfeld, auf dem Ungleichheitseffekte von Organisationen untersucht werden (zweites Kapitel). Innerhalb zweier Jahrzehnte wurde eine Vielzahl von empirischen Studien zu den Effekten unterschiedlicher Organisationsmerkmale vorgelegt, die von der Organisationsgröße über die Organisationsdemografie bis hin zur Organisationspopulation reichen. Anhand von Einkommensunterschieden und innerbetrieblicher Mobilität fanden diese Studien heraus, dass die Lebenschancen eines (bzw. einer) Beschäftigten mit verschiedenen Strukturelementen der Arbeitsorganisation variieren, der er (bzw. sie) aktuell angehört (drittes Kapitel). Basierten die meisten Arbeiten zunächst auf reinen Bevölkerungsumfragen, so wurden ab Ende der 1980er Jahre auch verstärkt
Einleitung
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kombinierte Organisations- und Bevölkerungsumfragen durchgeführt. Da die meisten Studien auf theoretischen ad hoc-Annahmen basierten, gelang es ihnen jedoch nicht, die Vielzahl an empirischen Einzelbefunden über den Einfluss der Organisationsstruktur auf ungleiche Lebenschancen in ein mehr oder weniger konsistentes Theoriegebäude zu integrieren. Noch etwas anderes fällt an der empirischen Stratifikationsforschung ins Auge, das einen weiteren Ausgangspunkt der vorliegenden Studie darstellt: Die empirische Forschung blieb konsequent der Mikroebene der individuellen Erwerbsperson verhaftet. Fast immer ging es um individuelle Ungleichheiten im Einkommen, der Beschäftigungssicherheit oder den Aufstiegschancen. Bezüge zur Makroebene der gesellschaftlichen Ungleichheitsverhältnisse fehlen vollständig. Insbesondere ist unklar, ob die analysierten Organisationsstrukturen Ungleichheiten zwischen Beschäftigten unterschiedlicher Klassenlagen hervorrufen, oder inwieweit mittelfristige Veränderungen in der Organisationsstruktur zu einem Wandel der gesellschaftlichen Ungleichheitsstruktur führen könnten. Umgekehrt betrachtet nahm auch die mit dem Klassenkonzept operierende makrosoziologische Forschung von diesen Befunden keine Kenntnis, wenn es darum ging zu fragen, inwieweit gesellschaftliche Verteilungsprozesse, die durch variierende Organisationsstrukturen ausgelöst werden, zur Ausdifferenzierung von Lebenschancen innerhalb derselben Klassenlage beitragen. In einem Exkurs werde ich zeigen, dass auch auf anderen gesellschaftlichen Feldern auf die Bedeutung von Organisationen für soziale Ungleichheit hingewiesen wurde. So auf dem Gebiet der kollektiven Arbeitsbeziehungen, wo die Bedeutung von Gewerkschaften für die politische Repräsentation bzw. die Marginalisierung von Erwerbspersonen mit bestimmten Klassenlagen hervorgehoben wurde. Parallel dazu haben empirische Studien gezeigt, dass die Struktur des nationalen Tarifvertragssystems Einkommensungleichheit und Beschäftigungssicherheit beeinflusst. Zum anderen hat Bourdieu im Rahmen seiner Studien zur Bildungsungleichheit darauf hingewiesen, wie die Strukturen von Schulen und Hochschulen sozioökonomische Herkunftseffekte verstärken und damit zur Perpetuierung der französischen Klassenstruktur beitragen. Zugleich hat die empirische Bildungsforschung vielfältige Befunde zum Einfluss der Schulstruktur auf den Bildungserfolg der Schüler vorgelegt. Im Ergebnis zeigt sich, dass der Einfluss von Organisationen auf soziale Ungleichheit weit über den der Arbeitsorganisationen hinausgeht und im Lebenslauf vorgelagerte (Bildung) sowie parallele (Tarifsystem) Verteilungsprozesse einschließt (vgl. Lengfeld 2007). Ich ziehe ein Zwischenfazit: Entgegen des ersten Eindrucks auf der Grundlage des oben berichteten Literaturdurchgangs gibt es zumindest zwei unterschiedlich ausgearbeitete Perspektiven auf Organisation und Ungleichheit: eine
18
Einleitung
klassentheoretische und eine organisationsstrukturelle. Beide zeigen, dass Arbeitsorganisationen ein zentraler sozialer Ort sind, an dem über die gesellschaftliche Struktur und das individuelle Ausmaß von Lebenschancen mit entschieden wird. Doch wenn es richtig ist, dass Arbeitsorganisationen auf zwei Wegen Ungleichheit herstellen, dann stellt sich die Frage, wie diese beiden Wege miteinander in Beziehung stehen (viertes Kapitel). Dieser Frage gehe ich im Detail im zweiten Teil dieses Buchs nach. Ich beantworte sie in vier Unterfragen. Vorab möchte ich jedoch auf eine konzeptionelle Entscheidung hinweisen, die für die Beantwortung der folgenden Fragen wichtig ist. Auch meine empirischen Analysen beziehen sich, wie bereits erwähnt, ausschließlich auf Erwerbstätige, die einer unselbständigen Beschäftigung nachgehen. Damit spare ich jene Seite des Klassenverhältnisses aus, ohne die Klassen, zumindest für die konflikttheoretische Traditionslinie in der Soziologie, gar nicht existieren können. Ich tue dies aus folgendem Grund: Folgt man der empirischen Forschung, so beeinflussen variierende Organisationsstrukturen entweder ausschließlich die Lebenschancen der abhängig Beschäftigten, oder die Effekte schlagen sich nur für diese Seite des Klassenverhältnisses nennenswert in den individuellen Lebenschancen nieder. Um ein Beispiel zu geben: Das Einkommen abhängig Beschäftigter variiert direkt mit der Existenz eines internen oder externen Rekrutierungssystems im Unternehmen. Das Einkommen des Kapitaleigners des betreffenden Unternehmens bleibt davon jedoch unberührt, schließlich nimmt er ja keine Position innerhalb der betriebsinternen Aufstiegsleiter ein oder wird vom externen Arbeitsmarkt angeworben. Vergleichbares gilt empirisch für die Wirkungen der Organisationsgröße: je größer das Unternehmen oder der Betrieb, so zeigen Studien, desto besser ist die materielle Güterausstattung seiner abhängig beschäftigten Mitglieder. Auch dieser Effekt gilt nicht systematisch (oder nur unmaßgeblich) für den Kapitaleigner: Einzeleigentümer oder Aktionäre erzielen ihre Einkommen nicht maßgeblich in Abhängigkeit von der Größe ihrer Unternehmen, auch ergeben sich für sie daraus keine Effekte auf Aufstiege, Beschäftigungssicherheit oder Lohnzusatzleistungen. Die „organisierte Ungleichheit“, wie ich sie in diesem Buch darlege, ist somit vorrangig ein Phänomen der abhängig beschäftigten Erwerbsklassen: der „kleinen“ und „großen“ Manager, Spezialisten, Dienstleistungsarbeiter, Handwerker, Techniker, der gelernten und der ungelernten Arbeiter. Ebenfalls ausgespart bleiben die Nicht-Mitglieder der Arbeitsorganisation, Arbeitslose und Personen, die dem Arbeitsmarkt nicht zur Verfügung stehen (Rentner/innen, Nicht-Erwerbstätige, Personen im Bildungssystem). Damit wird auch deutlich, dass diese Studie nur einen Ausschnitt der Sozialstruktur moderner Gesellschaften beleuchtet, nämlich jene Personen, die in den Arbeitsmarkt integriert sind.
Einleitung
19
Die erste Frage, der ich im zweiten Teil dieses Buchs nachgehe, lautet: Inwiefern beeinflusst der strukturelle Aufbau von Arbeitsorganisationen die Lebenschancen der Beschäftigten unabhängig von ihrer gesellschaftlichen Klassenlage? Diese Frage zielt auf die Interaktion der beiden Determinanten Klasse und Organisationsstruktur ab. Konkret geht es mir darum zu überprüfen, inwieweit die Lebenschancen der abhängig Beschäftigten systematisch mit den Strukturelementen ihrer Arbeitsorganisationen variieren und welche Ursachen diese Variation haben könnte. Im fünften Kapitel werde ich argumentieren, dass die Ausprägung der Kontroll- und Steuerungsstruktur, die zur Ausdifferenzierung von Klassen führt, und die Ausprägung der verteilungsrelevanten Elemente der Organisationsstruktur unterschiedliche Ursachen haben. Daraus folgt, dass auch die Verteilungsfolgen der jeweiligen Determinanten weitgehend unabhängig voneinander zustande kommen. Den Einfluss der Organisationsstruktur überprüfe ich anhand von fünf Elementen: der Unternehmens- und der Betriebsgröße, dem Ausmaß der Schließung des internen Positionssystems und der Zahl der hierarchischen Ebenen. Zur Bestimmung der individuellen Klassenlage greife ich auf das Berufsklassenschema von Goldthorpe, Erikson und Portocarero zurück. Ich teste die Annahme der strukturellen Unabhängigkeit anhand der Verteilung von vier Ressourcenarten, die Beschäftigte von ihrem Unternehmen erhalten können: Einkommen, Lohnzusatzleistungen, interne Aufstiege und Beschäftigungsstabilität. Mit der Wahl dieser Ressourcenarten möchte ich vermeiden, Ungleichheit auf die zumeist ausschließlich gewählte Einkommensdimension zu reduzieren und um damit ein möglichst breites Spektrum von materiellen Lebenschancen abzudecken. Mit US-Daten zeige ich, dass diese Güter (in unterschiedlichem Ausmaß) sowohl mit der Klassenlage der Beschäftigten als auch mit spezifischen Organisationsstrukturen der betreffenden Arbeitsorganisationen variieren. Eine Zwischenbemerkung möchte ich zu den in dieser Studie verwendeten Daten machen. Für meine Analysen benötige ich Umfragedaten, die Informationen über die Klassenlage der Befragten, über unterschiedliche Lebenschancenindikatoren, über ausgewählte Strukturmerkmale der Arbeitsorganisation, in der ein Befragter bzw. eine Befragte tätig ist, und über weitere Kontrollvariablen (Individual- und Branchenmerkmale) enthalten. Leider stehen nur sehr wenige Datensätze zur Verfügung, die alle erforderlichen empirischen Informationen enthalten. Die meisten Datensätze, wie auch der für Analysen dieser Art in Deutschland bereit stehende und aufwändig kodierte LIABS-Datensatz des Instituts für Arbeitsmarkt und Berufsforschung (IAB), enthalten für meine Zwecke entweder nicht genügend Informationen über die Verteilungsstruktur der Arbeitsorganisationen, oder sie stellen nur begrenzt Daten zu den verteilten Ressourcen bereit. Daher kann ich mich im Folgenden nicht auf Daten für
20
Einleitung
Deutschland oder, was wünschenswert wäre, gar auf international vergleichende Daten stützen. Ich greife stattdessen auf einen US-amerikanischen Datensatz zurück, der meinen Anforderungen am besten genügt. Aus der Wahl des Datensatzes ergibt sich jedoch eine wichtige inhaltliche Festlegung. Denn damit nehme ich durchgängig, in der Analyse des sozialen Wandels (siebtes Kapitel) jedoch ausdrücklich, Bezug auf die US-amerikanischen Verhältnisse. Ich beziehe ich mich auf Strukturveränderungen, die in den 1990er Jahren auf dem USamerikanischen Arbeitsmarkt und in den US-Arbeitsorganisationen stattgefunden haben. Dennoch bin ich nicht vorrangig an der US-amerikanischen Gesellschaft als solcher interessiert. Ich behandele die USA als Kontext, innerhalb derer ich die Wirkungsweisen der organisierten Ungleichheit überprüfe. Ob die empirischen Ergebnisse, die ich im siebten Kapitel darlege, auch für andere OECD-Gesellschaften gelten, kann ich nicht klären (siehe dazu weiter unten). Bei den in dieser Studie verwendeten Daten handelt es sich um zwei Employer-Employee-Datensätze, die sich aus jeweils zwei verbundenen Umfragen zusammensetzen: dem „General Social Survey“ (GSS), eine dem deutschen ALLBUS vergleichbare allgemeine Bevölkerungsumfrage, die in den USA jährlich durchgeführt wird, und dem „National Organizations Survey“ (NOS), eine in den Jahren 1991, 1996 und 2002 durchgeführte Befragung von USArbeitsorganisationen. Die NOS-Befragungen 1991 und 2002 enthalten ausschließlich Informationen über Organisationen, in denen Beschäftigte arbeiten, die auch in der GSS-Bevölkerungsumfrage befragt wurden. Damit liegt ein Datensatz vor, der sowohl Personeninformationen als auch Informationen über die jeweiligen Arbeitsorganisationen enthält. Jede befragte Person repräsentiert genau eine Arbeitsorganisation, Dopplungen kommen nicht vor. Dieser kombinierte Datensatz liegt für die Jahre 1991 und 2002 vor (leider nicht für das Jahr 1996, in dem nur Organisationen, nicht aber die Beschäftigten befragt wurden). Da die für mich wichtigen Informationen in beiden Datensätzen fast ausnahmslos identisch erhoben wurden, ist es möglich einen Zeitpunktvergleich durchzuführen. Meine zweite Frage lautet: Sind Klasse und Organisationsstruktur gleich wichtig für die Zuteilung von individuellen Lebenschancen? Im Zentrum dieser Frage steht die relative Stärke des Einflusses beider Determinanten. Wie groß ist der jeweilige Einfluss, und inwiefern variiert er mit der Art der Güter, die für das Ausmaß der Lebenschancen relevant sind? Weiterhin zeige ich, dass, über die erwähnten vier Güterarten hinweg, der Einfluss in der Summe durchaus vergleichbar ist. Beide Determinanten tragen jeweils nur zwischen einem und acht Prozent der gesamten Varianz einer Güterart bei. Der größere Erklärungsanteil geht aber auf das Konto von verschiedenen soziodemografischen Merkmalen der abhängig Beschäftigten.
Einleitung
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Drittens frage ich nach klasseninternen Ungleichheiten: Sind alle Klassen a) generell und b) in gleichem Ausmaß von den Folgen variierender Organisationsstrukturen betroffen? Selbst wenn sich zeigen sollte, dass alle Klassen betroffen sind, so ist damit noch nichts darüber gesagt, ob sie es auch in gleichem Maße sind. Konkret geht es darum zu prüfen, ob die Lebenschancen (bezogen auf die oben genannten Güterarten) von bestimmten Klassen mit der Organisationsstruktur stärker variieren als die anderer Klassen, und wenn ja, warum dies so ist. Die zentralen Befunde des sechsten Kapitels lauten, wieder mit US-Daten belegt: Zwar variieren die Lebenschancen aller Klassen mit den verteilungsrelevanten Organisationsstrukturen nahezu ausnahmslos, jedoch in unterschiedlichem Ausmaß. Die Lebenschancen der am schlechtesten gestellten Klassen, die an- und ungelernten Arbeiter sowie die gering qualifizierten Dienstleistungsangestellten mit einem hohen Anteil an Routineaufgaben, variieren über alle Güterarten hinweg am stärksten mit den Organisationsstrukturen. Mit anderen Worten: Bei diesen Klassen kumuliert die durch die Organisationsstruktur ausgelöste klasseninterne Ungleichheit. Meine vierte Frage bezieht sich auf den sozialen Wandel. Wie stabil sind Klassen- und Organisationseffekte im Zeitverlauf? Im siebten Kapitel überprüfe ich, inwiefern sich die Zusammenhänge, die in den vorangegangenen Kapiteln aufgezeigt wurden, mit der Entwicklung des wirtschaftlichen Kontexts verändern, in den Arbeitsorganisationen eingebettet sind. Die Veränderung des Kontexts, die ich untersuche, ist die Globalisierung der Märkte in den 1990er Jahren. Wie hat sich die Globalisierung auf die Gestaltung der Organisationsstruktur ausgewirkt, und welche Folgen ergeben sich daraus für die oben beschriebenen Zusammenhänge? Ich untersuche diese Fragen erneut am Beispiel der USA. Im Ergebnis zeigt sich, dass sowohl die strukturelle Unabhängigkeit von Klasse und Organisationsstruktur als auch die Kumulation der klasseninternen Ungleichheiten bei den am schlechtesten gestellten US-Beschäftigten über die 1990er Jahre stabil geblieben sind. Dagegen hat sich die Struktur der Organisationseffekte gewandelt: Die Schutzfunktion des internen Arbeitsmarkts hat zu Beginn der 2000er Jahre nachgelassen, ebenso der Verteilungseffekt der Größe der Gesamtorganisation. Dagegen hängen die individuellen Lebenschancen nunmehr in höherem Maße von der ökonomischen Leistungsfähigkeit der dezentralen Organisationseinheit, des Betriebs oder der lokalen Behörde, ab. Ebenfalls rückläufig ist der Einfluss der Klassenlage auf die individuellen Lebenschancen. Im dritten Teil fasse ich die wichtigsten Befunde zunächst zusammen (achtes Kapitel) und diskutiere zwei Schlussfolgerungen, die sich aus diesen Befunden ergeben. Meine erste Schlussfolgerung bezieht sich auf die Spezifikation des Klassenschemas. Im neunten Kapitel werde ich vorschlagen, das EGPKlassenschema um die Kategorie der Organisationsstruktur zu erweitern. Ziel
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Einleitung
ist es, ein strukturelles Schema zu erhalten, das die erwerbsbezogenen Lebenschancen differenzierter zu erfassen vermag als das originäre EGP-Schema. Meine zweite Schlussfolgerung handelt von der gesellschaftlichen Legitimität der organisierten Ungleichheit. Im elften Kapitel diskutiere ich die Frage, inwieweit Organisationseffekte auf die Zuweisung von Lebenschancen gesellschaftlich illegitim sind, jedenfalls dann, wenn man unterstellt, dass knappe Güter in der Arbeitswelt primär nach dem meritokratischen Prinzip verteilt werden (sollen). Dabei gehe ich insbesondere auf das Phänomen der klasseninternen Ungleichheiten ein. Weil die Lebenschancen der am schlechtesten gestellten Klassen in höherem Maße von dem Einfluss der Organisationsstruktur abhängen, besitzen diese Klassen auch geringere Möglichkeiten, ihre Lebenschancen durch individuelle Anstrengungen zu maximieren. Anders gesagt: Jene Klassen, die am wenigsten haben, können dies aufgrund der Organisationseffekte aus eigener Kraft auch am wenigsten ändern. Ich beschließe diese Einleitung mit zwei Bemerkungen darüber, welche Problemstellungen ich in dieser Studie nicht bearbeiten kann. Die erste Bemerkung ist der Klassentheorie gewidmet. In der deutschsprachigen wie in der internationalen Ungleichheitsforschung findet seit über 20 Jahren eine anhaltende Debatte um die Erklärungskraft der Klassentheorie statt. Jüngst fasste Jörg Rössel die vorgebrachte Kritik zu drei Argumenten zusammen (Rössel 2007: 24 ff.): 1. Die Lebenslagen der Erwerbspersonen haben sich seit den 1980er Jahren erheblich ausdifferenziert; 2. die Menschen wechseln aufgrund von zunehmender beruflicher Mobilität ihre soziale Position im Lebenslauf; 3. Ungleichheiten zwischen Berufen, in Arbeitsorganisationen und zwischen den Geschlechtern haben sich im Zeitverlauf nivelliert. Da ich in dieser Arbeit ausführlich auf die Erklärungskraft der Klassentheorie rekurriere, könnte man erwarten, dass ich im Folgenden auch auf die skizzierten Einwände gegen die Klassentheorie eingehe. Dies tue ich jedoch nicht. Der Grund ist, dass die Klassentheorie vor allem dafür kritisiert wird, dass sie Einstellungen und Verhaltensweisen der zu Klassen aggregierten Personen (nur noch) unzureichend erklären könne. Weniger wird ihr vorgeworfen, dass sie ungeeignet sei, Unterschiede in den objektiven Ressourcenausstattungen der Erwerbspersonen zu erklären. Hierfür, d. h. für die Klassengebundenheit von Ungleichheiten z. B. in der Verfügung über Einkommen, Vermögen oder Bildungschancen, gibt es nach wie vor hinreichend empirische Evidenz. Ich konzentriere ich mich vielmehr darauf, die Klassentheorie zur Erklärung von Ressourcenungleichheiten unter Angabe von sozialen Mechanismen in Anschlag zu bringen. Ich tue dies, wie dargelegt, ausschließlich aus dem Interesse heraus, zu untersuchen, wie Variationen in den Strukturmerkmalen der Arbeitsorganisationen, denen die Beschäftigten angehören, sich auf Ungleich-
Einleitung
23
heiten zwischen und innerhalb von Klassen auswirken. Ich folge damit dem auf Max Weber zurückgehenden Verständnis, Klassen als sozialstatistische Aggregate von Menschen anzusehen, deren Lebenschancen sich aufgrund ähnlicher (Arbeits-) Marktchancen gleichen. Ob soziale Klassen darüber hinaus spezifische soziale Einstellungen, soziale Milieus, politische, konsumbezogene und andere Verhaltensweisen (heute noch) ausbilden, die mehr oder weniger distinkt von denen anderer Klassen sind, oder ob Organisationsstrukturen sogar Einfluss auf solche Einstellungen und Verhaltensweisen nehmen, ist nicht Gegenstand dieser Studie. Meine zweite Bemerkung bezieht sich auf die Kontexte der Makroebene, in die Organisationen eingebettet sind. Dies sind vor allem nationale Institutionensysteme, vor allem das Beschäftigungssystem und die Struktur des nationalen Tarifvertragssystems. So kann man annehmen, dass organisationsstrukturelle Effekte auf individuelle Lebenschancen in Gesellschaften mit stark reguliertem Arbeitsmarkt, hoch formalisiertem Bildungssystem und relativ hohem Zentralisationsgrad eines Tarifvertragssystems (z. B. in Deutschland oder Österreich) geringer ausfallen als in Gesellschaften, die durch offene Arbeitsmärkte, „Training on the Job“ und geringem tariflichen Zentralisationsgrad geprägt sind (USA oder Kanada). Um diese Institutioneneffekte zu überprüfen, benötigt man international vergleichende Daten. Diese Daten müssten, wie oben geschrieben, für jedes Land Informationen über die Individuen und über Strukturmerkmale ihrer jeweiligen Arbeitsorganisationen enthalten. Oder man analysiert verschiedene nationale, voneinander unabhängig erhobene Datensätze, die identische Informationen enthalten. Dies wäre vergleichbar mit den Daten des „International Social Survey Programme“ (ISSP). Beide Arten von Datensätzen sind meiner Kenntnis nach derzeit nicht verfügbar. Den vorliegenden Datensätzen fehlen zumeist die benötigten Organisationsmerkmale. Bestenfalls wird die Organisationsgröße erhoben, nicht aber Informationen über das Personalrekrutierungssystem, den Grad der hierarchischen Differenzierung oder die demografische Zusammensetzung einer Organisation, nur um einige der für Güterzuweisungen wichtigen Indikatoren zu nennen. Damit erscheint mir die Datengrundlage zur Organisationsstruktur derzeit zu dünn zu sein, um das Phänomen der organisierten Ungleichheit im Ländervergleich empirisch hinreichend aussagekräftig untersuchen zu können. Gleichwohl formuliere ich hierzu im elften Kapitel einige vorläufige theoretische Überlegungen, die in weiteren Schritten ausgearbeitet werden könnten.
I
Die zwei Perspektiven der organisierten Ungleichheit
Auf welche Weise beeinflussen Arbeitsorganisationen die Verteilung von Lebenschancen in modernen Gesellschaften? Diese Frage ist sicher sehr allgemein gehalten. Denn wie bereits eingangs angedeutet, gibt es durchaus eine Vielzahl theoretischer Konzepte und empirischer Studien, die in irgendeiner Weise den Zusammenhang zwischen Ungleichheit und Arbeitsorganisation behandeln. Sieht man jedoch genauer hin, so lassen sich zwei systematische Forschungsperspektiven auf das Thema ausmachen. Die erste Perspektive ist die der Klassenanalyse, die zweite die der an Sozialstrukturphänomenen interessierten Organisationsforschung. Weithin bekannt ist, dass Klassentheorien, die sozioökonomische Strukturen als Ursache von Ungleichheiten untersuchen, die vertikale Strukturierung von Lebenschancen in den Mittelpunkt stellen. Weniger klar scheint, dass die Ursache, die zur Ausdifferenzierung von Klassenlagen abhängig Beschäftigter führt, in Arbeitsorganisationen liegt. Aus dieser Sicht stellen Organisationen soziale Positionen mit unterschiedlicher sozialer Wertigkeit bereit, woraus sich ungleiche Zuweisungen an Lebenschancen an die Inhaber dieser Positionen ergeben. Zentral ist dabei, dass Arbeitsorganisationen soziale Klassen konstituieren. Ich nenne diesen Mechanismus vertikal organisierte Ungleichheit. Wie Arbeitsorganisationen dies tun, rekonstruiere ich im ersten Kapitel anhand von zwei zeitgenössischen Klassentheorien. Organisationen, in denen gearbeitet wird, tun aber noch etwas anderes. Sie verteilen Güter und Chancen zwischen Personen mit gleicher sozialer Position. Dies sind die horizontalen Verteilungseffekte von Arbeitsorganisationen. Organisationen stellen hierbei keine hierarchisierten Positionen her, sondern weisen gleichrangigen Positionen ungleiche Lebenschancen zu. Die Ursache dafür ist, dass Organisationen in einer gegebenen Gesellschaft unterschiedliche Strukturmerkmale aufweisen und unterschiedliche Strategien bei der Verfolgung ihrer jeweiligen Ziele anwenden. Einige dieser Strukturmerkmale und Strategien beeinflussen die Verteilung von knappen Gütern an die Organisationsmitglieder. Je nachdem, welche Struktur bzw. Strategie eine Organisation kennzeichnet, ergeben sich andere Güterzuweisungen an die Mitglieder der betreffenden Organisation. Diesen Umstand bezeichne ich als horizontal organisierte Ungleichheit. Diese Ungleichheit ist horizontal, weil sie nicht zwischen ungleichrangigen,
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I Die zwei Perspektiven der organisierten Ungleichheit
sondern zwischen gleichrangigen Positionen besteht. Im zweiten Kapitel arbeite ich die Besonderheit dieser Perspektive auf Organisation und Ungleichheit heraus. Dabei gehe ich auf die grundlegenden organisationalen Zuweisungsmechanismen ein, und ich zeige, welche Verteilungsfolgen sich aus der Variation von Organisationsstruktur und -strategie für die Beschäftigten ergeben. Im dritten Kapitel zeichne ich die Strukturmerkmale und Mechanismen der horizontalen Verteilungsdimension von Organisationen nach. Ich beschreibe vier Strukturmerkmale, deren Varianz ungleiche Einkommen, Mobilitätschancen und weitere Güterausschüttungen an die Beschäftigten auslösen, wobei ich zwei Strukturmerkmale ausführlich behandele: die Organisationsgröße, der Modus der Personalrekrutierung, die Organisationspopulation und die Organisationsdemografie. In einem Exkurs zeige ich auf, dass neben Arbeitsorganisationen auch andere Organisationstypen die Klassenstruktur der Gesellschaft beeinflussen und zugleich Lebenschancen horizontal zur Hierarchie der sozialstrukturellen Positionen verteilen, nämlich Bildungsorganisationen (Schulen, Hochschulen) und Tariforganisationen (Gewerkschaften und Arbeitgeberverbände). Im vierten Kapitel fasse ich die Befunde der vertikalen und horizontalen Perspektive auf Organisation und Ungleichheit zusammen und frage nach möglichen Verbindungslinien zwischen beiden. Ich argumentiere, dass beide Perspektiven gemeinsam die Ursachen ungleicher Lebenschancen in Arbeitsorganisationen lokalisieren, dabei jedoch ganz unterschiedliche Wirkungen von Arbeitsorganisationen hervorheben. Zwischen Klassenanalyse (vertikal) und der Analyse organisationaler Verteilungsmechanismen (horizontal) bestehen weder empirische noch theoretische Verbindungslinien. Dabei nehmen beide Forschungsperspektiven die Ergebnisse der jeweils anderen ganz überwiegend nicht wahr. Damit wird aus meiner Sicht eine entscheidende Wirkung von Organisationen übersehen. Ich versuche abschließend plausibel zu machen, dass diese Unverbundenheit grundsätzlich nicht sinnvoll ist, weil sie Einblicke in die komplexen Wechselwirkungen zwischen strukturellen Elementen bei der Herstellung von ungleichen Lebenschancen verstellt. Wie eine sinnvolle Verbindung im Einzelnen aussehen kann und welchen analytischen Mehrwert sie erbringt, steht im Mittelpunkt des zweiten Teils dieser Studie.
1.
Vertikal organisierte Ungleichheit
Folgt man der üblichen soziologischen Lesart, so erklären sozioökonomische Klassentheorien, allgemein gesagt, ungleiche Lebenschancen aus der Institutionenordnung einer Gesellschaft. Derzeit sind nach wie vor zwei Varianten einflussreich. Die erste Variante ist die neomarxistische Klassentheorie, wie sie vor allem von Erik Olin Wright verkörpert wird. Sie rückt das Kapitalverhältnis und die weltwirtschaftliche Dynamik sowie weitere andere Faktoren auf der Makroebene einer Gesellschaft in den Mittelpunkt der Erklärung von sozialer Ungleichheit. Die zweite Variante enthält verschiedene Spielarten einer berufsbezogenen Schichtungsforschung, z. B. das verbreitete Berufsklassenschema von Goldthorpe und Erikson, aber auch die funktionalistische Schichtungstheorie (Parsons, Davis/Moore). Hier ist es die Berufsstruktur einer Gesellschaft, die über die Lebenschancen ihrer Mitglieder entscheidet. Weil mit den Berufen u. a. das Maß an erforderlichen Qualifikationen variiert, variieren auch die Lebenschancen der Berufsinhaber. Diese Lesart der sozioökonomischen Klassentheorie ist keineswegs falsch. In vielen forschungspraktischen Fällen reicht es vollkommen aus zu wissen, dass der Wandel der Klassenstruktur auf spezifische Globalisierungsphänomene zurückgeht oder darauf, dass bestimmte Berufe z. B. aufgrund von Tertiarisierungsprozessen abgewertet werden und ihre Inhaber an Lebenschancen verlieren. Nichtsdestotrotz ist diese Lesart unvollständig. Ihr fehlt die Angabe eines Mechanismus, aufgrund dessen ein Makrophänomen (Globalisierung, Tertiarisierung) die Veränderung eines anderen Makrophänomens (Klassenstruktur) hervorruft. Für eine vollständige Erklärung klassenstrukturierter Ungleichheit muss man angeben können, warum bestimmte Mittelklassen von De-Qualifizierung betroffen sind oder warum spezifische Berufe im sozialen Wandel wegfallen. Und man kann ihn angeben: Er ist in den erwähnten Klassenkonzepten von Wright und Goldthorpe durchaus enthalten, nur wird er bei der Rezeption in der Regel übersehen. Der Mechanismus, von dem ich spreche, ist Teil der formalen Struktur von Arbeitsorganisationen. In diesem Kapitel möchte ich zeigen, dass sozioökonomische Klassentheorien einen organisationstheoretischen Kern aufweisen. Ihnen zufolge sind Organisationen gesellschaftliche Einheiten, die maßgeblich an der Produktion und Aufrechterhaltung der Klassenstruktur beteiligt sind. Allerdings spielt dieser
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1. Vertikal organisierte Ungleichheit
organisationstheoretische Kern in der ungleichheitstheoretischen Diskussion bislang keine wichtige Rolle. Soweit ich sehe, wurde er, von wenigen Ausnahmen abgesehen, kaum wahrgenommen. Daher gehe ich in diesem Kapitel daran, den organisationstheoretischen Kern anhand von ausgewählten Klassentheorien zu rekonstruieren. Tut man dies, so kann man konkrete Mechanismen identifizieren, die die Struktur der sozialen Klassen und ihres Wandels durch die Struktur und den Wandel von Elementen der Organisationsstruktur beeinflussen. Diesen Zusammenhang werde ich an den Theorien Erik Olin Wrights (Abschnitt 1.1) und John Goldthorpes (Abschnitt 1.2) zeigen. In beiden Theorien stehen Arbeitsorganisationen im Mittelpunkt der Betrachtung. Im dritten Abschnitt fasse ich die Klassentheorien im Hinblick auf ihre gemeinsame These zur Rolle formaler Organisationen zusammen. Betonen möchte ich, dass ich die genannten Theorien nicht auf ihre theoretische Schlüssigkeit oder ihre empirische Validität diskutieren werde. Mir geht es allein um die Rekonstruktion ihres organisationstheoretischen Kerns und den Nachweis, dass und wie die Form der Struktur von Organisationen die ungleiche Verteilung von Lebenschancen in Gegenwartsgesellschaften beeinflusst.
1.1
Wrights neomarxistische Klassentheorie
Erik Olin Wrights Klassentheorie zählt ohne Zweifel zu den prominentesten ihrer Art. In einer Reihe von Publikationen hat Wright versucht, die analytische Lücke zu schließen, die die Desavouierung der Marxschen Arbeitswerttheorie hinterlassen hat. Wrights Grundidee lautet: Man halte am Marxschen Konzept der Ausbeutung fest, ohne sich in den Fängen des Problems der Entstehung des Mehrwerts zu verheddern; man löse das von Marx stiefmütterlich behandelte Problem der Mittelklassen; man biete Wege zur empirischen Operationalisierung des Klassenkonzepts an und überprüfe dieses dann an verschiedenen, für individuelle Lebenschancen und kollektives Handeln relevanten gesellschaftlichen Bereichen (vgl. Wright 1979; 1985; 1997; 2001; Wright/Martin 1987). Im Zentrum der Überlegungen Wrights steht die These, dass Klassen durch Ausbeutungsverhältnisse definiert sind: „The rich are rich because the poor are poor.“ (Wright 2001: 119) Warum dies so ist, zeigt Wright unter Rückgriff auf spieltheoretische Überlegungen John Roemers (Roemer 1982). In einem Gedankenexperiment modelliert Roemer zwei alternative Spiele. Im ersten, eher realistischen Spiel besitzen die Kapitalisten alle produktiven Vermögenswerte („Productive Assets“) und die Arbeiter keine. Im zweiten, hypothetischen Spiel werden die produktiven Vermögenswerte unter allen am Spiel Beteiligten in gleiche Anteile aufgeteilt. Weil die Arbeiter im zweiten Spiel besser und die Kapitalis-
1.1 Wrights neomarxistische Klassentheorie
29
ten schlechter gestellt sein würden, herrscht im ersten Spiel Ausbeutung vor (Wright 1985: 74 ff.). Ausbeutung setzt drei Bedingungen voraus: 1.
2.
3.
„The inverse interdependent welfare principle: the material welfare of exploiters causally depends upon the material deprivations of the exploited. This means that the interests of actors within such relations are not merely different, they are antagonistic: the realization of the interests of exploiters imposes harms on the exploited. The exclusion principle: this inverse interdependence of the welfare of exploiters and exploited depends upon the exclusion of the exploited from access to certain productive resources. The appropriation principle: exclusion generates material advantage to exploiters because it enables them to appropriate the labor effort of the exploited.“ (vgl. Wright 2005: 23)
Wenn die Fähigkeit einer Klasse, eine andere auszubeuten, auf der Verfügbarkeit über produktive Vermögenswerte beruht, dann stellt sich die Frage, welche Vermögenswerte dabei wichtig werden. Der erste Vermögenswert, das Eigentum an Produktionsmitteln, ist jedenfalls nicht die alleinige Ausbeutungsquelle, weil es sich indifferent zum Problem der Mittelklassen verhält. Mittelklassen entsprechen zwei denkbaren sozialen Positionen. Die erste Position ist dadurch gekennzeichnet, dass deren Inhaber zwar über Produktionsmittel verfügen, aber im Marxschen Sinne niemanden ausbeuten können, weil sie, als Kleingewerbetreibende oder selbständige Alleinunternehmer, keine Angestellten beschäftigen. Die zweite Position entspricht der eines Managers. Der Manager besitzt zwar kein Kapital. Aber auch er beutet die Arbeiter aus, da er im Produktionsprozess die Rolle des anweisenden Unternehmers einnimmt – auch wenn er den Großteil der Früchte der Ausbeutung nicht behält. Dieser Fall weist darauf hin, dass Ausbeutung auch innerhalb der Gruppe der abhängig Beschäftigten auftritt, dann jedenfalls, wenn man das Eigentum an Produktionsmitteln zum harten Kriterium der Klassengrenzen ernennt und die Manager zur Arbeiterklasse zählt. Da diese Zuordnung aus der Sicht des Wrightschen Ausbeutungsbegriffs theoretisch aber unsinnig wäre, müssen weitere Ausbeutungsquellen hinzutreten. Dies sind zweitens Organisationsmacht und drittens das Ausmaß an beruflicher Qualifikation eines Beschäftigten. Über Organisationsmacht („Organization Asset“)7 verfügt, wer andere innerhalb der Hierarchie einer Arbeitsorganisation anweisen kann. Je höher eine
7
In späteren Arbeiten spricht Wright von Weisungsbefugnissen („authority“, vgl. Wright 1997: 22).
30
1. Vertikal organisierte Ungleichheit
Position in der Hierarchie angesiedelt ist, desto größer ist die Verantwortlichkeit des Positionsinhabers für andere Organisationsmitglieder, und desto größer sind die mit der Position verbundenen Lebenschancen. Unterschiedliche berufliche Qualifikationen („Skills“) führen aus zwei Gründen zu Ausbeutungsverhältnissen. Erstens steigt die Nachfrage auf dem Arbeitsmarkt mit dem Qualifikationsniveau an (Wright 1997: 22), wodurch höher qualifizierte Beschäftigte relativ höhere Löhne realisieren können. Zweitens setzt höher qualifizierte Arbeit größere Freiräume bei der Arbeitsdurchführung voraus, weshalb diese Beschäftigten eher in der Lage sind, sich der Überwachung durch die Kapitalisten zu entziehen. Wright leitet aus den drei Dimensionen 12 Klassen ab (vgl. Tabelle 1.1; die Nummerierung gibt die Hierarchie der Klassen an). Dabei unterscheidet er neben den relativ klaren Lagen der ausbeutenden und der ausgebeuteten Klassen „widersprüchliche“ Klassenlagen, die weder der einen noch der anderen Kategorie eindeutig zuzurechnen sind. Auf der Seite der Produktionsmittelbesitzer sind dies die kleinen Arbeitgeber, die, obschon sie Personal beschäftigen, zugleich von der Marktmacht großer Unternehmen abhängig sind. Auf der Beschäftigtenseite handelt es sich um Angehörige der mittleren Führungsebene, die über begrenzte Organisationsmacht und mittlere Qualifikationsgrade verfügen.
Tabelle 1.1:
Klassenschema nach E.O. Wright Ausstattung mit Produktionsmitteln
Besitz
Nicht-Besitz Ausbeuter
Weder / noch
Ausgebeutete
Ausbeuter
1 Bourgeoisie
4 fachlich qualifizierte Manager
7 fachlich teilw. qual. Manager
10 fachlich nicht-qual. Manager
Weder/ noch
2 Kleine Arbeitgeber
5 fachlich qualifizierte Aufsichtspersonen
8 fachlich teilw. qual. Aufsichtspersonen
11 fachlich. nicht-qual. Aufsichtspersonen
Ausgebeutete
3Kleinbürgertum
6 fachlich qualifizierte Experten
9 fachlich teilw. qual. Arbeiter
12 Proletarier
+ Anm.: Quelle: Wright 1985: 88
Qualifikationsgrad
+
Organisationsmacht
–
–
1.1 Wrights neomarxistische Klassentheorie
31
Um zu überprüfen, inwiefern das revidierte Klassenschema individuelle Unterschiede in der Einkommensverteilung oder in den sozialen Einstellungen erklären kann, führt Wright verschiedene empirische Analysen durch, denen ich an dieser Stelle nicht näher nachgehen möchte (vgl. Wright 1985: 192 ff.; 1997). Mich interessiert vielmehr der Status des Faktors Organisationsmacht innerhalb des Schemas. Indem Wright Organisationsmacht in den Rang eines Klassen strukturierenden Merkmals erhebt, zieht er eine direkte Verbindungslinie zwischen Organisationsstruktur und Ungleichheit. Denn die Ausdifferenzierung von Verantwortlichkeiten und Weisungsbefugnissen innerhalb der Organisation führt in Kombination mit den Qualifikationserfordernissen dazu, dass sich weisungsbefugte Manager und die den Weisungen unterworfenen Beschäftigte als eigenständige Klassen mit abgrenzbaren Lebenschancen konstituieren. Im Mittelpunkt der Klassentheorie steht damit die innerorganisatorische Positionshierarchie als kausaler Mechanismus, der dem Inhaber einer bestimmten Position eine erwartbare Summe an Lebenschancen zuweist. Dass dies so ist und welche Folgen diese organisationsbezogene Modellierung des Klassenbegriffs mit sich bringt, wird deutlich, wenn man fragt, worin die Ursachen des Wandels der Klassenstruktur liegen. Dieser Frage ist Wright anhand von Daten zur USamerikanischen Klassenstruktur für den Zeitraum von 1960 bis 1990 nachgegangen (Wright 1997: 97 ff.). Er stellt fest, dass die Klasse der ausführenden Arbeiter (Klasse 12) und die der Facharbeiter (Klasse 9) im Umfang geschrumpft sind, während alle anderen Klassen an Umfang zugelegt haben. Den größten Sprung machten dabei die Klassen der hoch qualifizierten Manager, Führungskräfte und Experten (Klassen 4 bis 6), gefolgt von den mittleren Vorgesetzten (Klasse 8). Was ist die Ursache dieses Wandels, der ja immerhin die marxistische Prognose von der De-Qualifizierung der Arbeit bzw. der Proletarisierung der Klassenstruktur in Frage stellt (vgl. statt anderer Braverman 1977)? Wright benennt zwei Faktoren (Wright/Martin 1987; Wright 1997: 108 f.). Der erste Faktor spiegelt die veränderte Branchenstruktur im Übergang von der Industriezur wissensbasierten Dienstleistungsgesellschaft wieder (vgl. Bell 1973). Weil die Zahl wissensbasierter Branchen im Verhältnis zu den traditionellen Industriebranchen steigt, führt dieser Wandel zum relativen Anwachsen der Expertenklassen sowie zur Schrumpfung der Arbeiterklasse. Diese These ist empirisch gut belegt. So zeigen Studien für Großbritannien (Marshall/Rose 1988) und für die USA (Singelmann/Marta 1985), dass ein Großteil der von Wright genannten Verschiebung innerhalb der Klassenstruktur auf Inter-Branchen-Effekte zurückzuführen ist. Der zweite Erklärungsfaktor ist der für meine Fragestellung wichtigere. Der Wandel der Klassenstruktur wird zugleich organisationsendogen angesto-
32
1. Vertikal organisierte Ungleichheit
ßen, nämlich durch einen Wandel der Organisationsstruktur. Diesen Prozess möchte ich als „intra-organisationale Differenzierung“ bezeichnen. Intraorganisationale Differenzierung bedeutet, dass es im Zeitverlauf zu einer relativen Zunahme an Leitungspositionen gekommen ist. Nimmt die Zahl der Positionen mit Weisungsbefugnis innerhalb einer Organisation zu und bzw. oder nimmt gleichzeitig die Zahl der Positionen von Weisungsunterworfenen ab, so führt das dazu, dass die innerorganisatorische Leitungsspanne schmaler wird. Für diese Interpretation spricht, dass die Zahl der Leitungspositionen auf jeder der drei von Wright bezeichneten Ebenen der Organisationsmacht angestiegen ist, also auch dort, wo es sich nicht um Expertenarbeit handelt. Hätte sich nun die Besetzung der Klassenlagen zwischen 1960 und 1990 in der von Wright genannten Weise gewandelt, so wäre dies nicht nur auf einen Wandel der Wirtschaftsstruktur zurückzuführen, sondern auch auf intra-organisationale Differenzierungsprozesse. Wie Wright zeigt, ist empirisch genau das der Fall. Mehr noch: Zerlegt man das Anwachsen von Experten- und Vorgesetztenpositionen sowie den Rückgang der Zahl der Arbeiterpositionen in einen Inter-Brancheneffekt und einen Intra-Organisationseffekt, so zeigt sich, dass der Intra-Organisationseffekt über alle Klassen in den 1970er Jahren größer ist als der Inter-Brancheneffekt (vgl. Wright/Martin 1987; zum gleichen Befund gelangen auch Singelmann/Marta 1985). Mit anderen Worten: Zumindest für die 1970er Jahre lässt sich sagen, dass der Wandel der Klassenstruktur offenbar maßgeblich auf intraorganisationale Differenzierungsprozesse von Organisationsmacht zurückgeht. Wir brauchen diese Überlegungen an dieser Stelle nicht zu vertiefen. Für meine Zwecke ist es ausreichend festzuhalten, dass Arbeitsorganisationen bei Wright Institutionen der Ausdifferenzierung der Klassenlagen von abhängig Beschäftigten sind. Die entscheidende organisationale Einflussgröße ist die über die Positionshierarchie verteilte Organisationsmacht. Wird Organisationsmacht über die bestehenden Positionen ausdifferenziert, kommt es zur Verschiebung der Zellenbesetzungen im Klassenschema: Der Umfang der Klassen mit Leitungsfunktion nimmt zu, während jener der Klassen ohne Leitungsbefugnisse abnimmt.
1.2
Berufsklassenschema nach Goldthorpe
Im Unterschied zur Wrightschen Klassentheorie ist das von John Goldthorpe vorgeschlagene Klassenschema explanatorisch weniger ambitioniert (Goldthorpe 1982; 1987; 2000; Erikson/Goldthorpe 1992). Zum einen steht es in der Tradition des Weberschen Begriffs der Erwerbsklassen, der bekanntermaßen auf
1.2 Berufsklassenschema nach Goldthorpe
33
die unmittelbare Kopplung von Klassenlage und Klassenbewusstsein bzw. Klassenhandeln verzichtet. Zum anderen dient es nicht dazu, die Existenz eines bestimmten Mechanismus nachzuweisen, aus dem sich spezifische Muster sozialer Beziehungen zwischen den Klassen ableiten ließen. Es erfüllt den pragmatischen Zweck, das Ausmaß der Mobilität zwischen sozialen Positionen in modernen Gesellschaften empirisch zu erfassen (Erikson/Goldthorpe 1992: 35). Pragmatisch bedeutet jedoch nicht theorielos, denn das Klassenschema basiert auf Annahmen von Weber und Marx, gepaart mit Überlegungen aus Rational Choice-Theorie und ökonomischem Neoinstitutionalismus. Von Weber übernimmt Goldthorpe die bekannte definitorische Verbindung zwischen Marktlage, Klassenbildung und Lebenschancen: „Wir wollen da von einer ‚Klasse’ reden, wo 1. einer Mehrzahl von Menschen eine spezifische ursächliche Komponente ihrer Lebenschancen gemeinsam ist, soweit 2. diese Komponente lediglich durch ökonomische Güterbesitz- und Erwerbsinteressen und zwar 3. unter den Bedingungen des (Güter- oder Arbeits-) Markts dargestellt wird (‚Klassenlage’).“ (Weber 1972: 531) Von Marx entlehnt Goldthorpe die Überlegung, dass Lebenschancen nicht allein eine Folge der Marktlage einer sozialen Position sind, sondern auch innerhalb der produktiven gesellschaftlichen Einheiten, den Unternehmen, entstehen. Und vom Neoinstitutionalismus sowie der RC-Theorie stammen Überlegungen aus Transaktionskostentheorie und dem Principal Agent-Ansatz zum Problem der Ausgestaltung von Anreiz- und Kontrollsystemen in Organisationen. Hier schließt sich Goldthorpe dem Argument an, dass die Form eines Beschäftigungsverhältnisses innerhalb der Organisation davon abhängt, in welchem Maße die Anwendung der Arbeitskraft durch den Prinzipal überwacht werden kann (vgl. Erikson/Goldthorpe 1992: 35 ff.; siehe insbesondere Goldthorpe 2000). Aus der Verbindung dieser drei Theorielinien zieht Goldthorpe zwei Schlussfolgerungen. Die erste Schlussfolgerung betrifft die Inhaber der Produktionsmittel. Goldthorpe geht davon aus, dass in modernen Marktgesellschaften Kapitalgesellschaften die Rolle von personifizierbaren Großunternehmern eingenommen haben. Daneben besteht eine Vielzahl von Alleineigentümern, die über wenig oder gar kein Personal verfügen. Die zweite Schlussfolgerung bezieht sich auf die Differenzierung der abhängig Beschäftigten. Hier unterscheidet Goldthorpe zwei Dimensionen von Arbeitsvollzügen in Organisationen. Die erste Dimension „Asset Specifity“ gibt an, in welchem Umfang die Ausübung einer Tätigkeit firmenspezifische Qualifikationen und Wissensbestände erfordert. Die zweite Dimension „Difficulty of Monitoring“ bringt zum Ausdruck, wie schwierig es für den Prinzipal (Organisation) ist, die Abgabe von Arbeitsleistung des Agenten (Beschäftigte) zu steuern und zu überwachen. Aus der Kreu-
34
1. Vertikal organisierte Ungleichheit
zung beider Dimensionen leitet Goldthorpe zwei idealtypische Beschäftigungsverhältnisse ab: „Labour Contract“ und „Service Relationship“ (vgl. Abb. 1.1).
Abbildung 1.1:
Arbeitsorganisatorische Dimensionen und Klassenlagen bei Goldthorpe
Quelle: Goldthorpe 200: 233.
„Labour Contracts“ sind durch geringe firmenspezifische Qualifikationen, weisungsbezogene Arbeitsinhalte, enge Lohn-Leistungs-Kopplung mittels Stücklöhnen, direkte Verhaltenskontrolle und kurz- bis mittelfristige Vertragslaufzeiten gekennzeichnet. Für „Service Relationships“ sind umfangreiche firmenspezifische Qualifikationen und die Unmöglichkeit direkter, quantifizierender Überwachung von Arbeitsleistung typisch. Beides führt dazu, dass die Leistungserbringung im Dienstverhältnis zu weiten Teilen auf Freiwilligkeit und Identifikation mit den Zielen der Organisation beruht. Ein hohes Maß an Arbeitsautonomie, Zeitentgelte, erfolgsabhängige Bezahlung, (nicht-)materielle Sondergratifikationen sowie langfristige Betriebszugehörigkeit sind Mittel zur
1.2 Berufsklassenschema nach Goldthorpe
35
Sicherstellung der Leistungsabgabe (Goldthorpe 2000: 208f.; Erikson/Goldthorpe 1992: 41). Aus diesen idealtypischen Beschäftigungsverhältnissen leitet Goldthorpe im nächsten Schritt die beiden Hauptklassen Dienstklasse und Arbeiterklasse sowie dazwischen liegende Mischklassen ab, wobei letzteren sein besonderes Augenmerk gilt.8
Abbildung 1.2: I II
IIIa IIIb IVa IVb IVc V VI VIIa VIIb
Klassenschema nach Erikson & Goldthorpe
obere Dienstklasse (v.a. akademische Berufe mit Leitungsfunktion) untere Dienstklasse (qualifizierte technische Berufe / mittlere Leitungstätigkeit im nicht-manuellen Gewerbe) gehobene nicht-manuelle Berufe mit Routinetätigkeiten (Handel und öffentliche Verwaltung) einfache nicht-manuelle Berufe mit Routinetätigkeiten (Verkauf und Dienstleistungen) Kleingewerbetreibende und Handwerker mit Angestellten Kleingewerbetreibende und Handwerker ohne Angestellte Landwirte einfache Techniker und untere Leitungstätigkeiten im manuellen Gewerbe Facharbeiter un- und angelernte gewerbliche Arbeitnehmer Landarbeiter
Anm.: Quelle: Erikson/Goldthorpe 1992: 38 f.
Abbildung 1.2 gibt das siebenstufige Klassenschema wieder. Darin sind die Kapitaleigentümer unter der Klasse I subsumiert, während die Kleinunternehmer (IVa bis c) zwischen der Dienstklasse und der Arbeiterklasse angesiedelt sind. Dazwischen liegen zwei Mittelklassen: die gehobenen nicht-manuellen Berufe mit hohem Anteil an Routinetätigkeiten (IIIa) und die Techniker sowie
8
„The most obvious division to be made in this respect is that between the predominantly salaried professional, higher technical, administrative, and managerial positions of Classes I and II and the predominantly wage-earning manual occupations of Classes VI and VII. The former may be taken as those positions with which a service relationship is most characteristically associated, and thus as constituting the basis of the ‘service class’ or ‘salariat’ of modern industrial societies; the latter, as those where the labour contract usually prevails, and which thus constitute the basis of the working class.“ (Erikson/Goldthorpe 1992: 42)
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1. Vertikal organisierte Ungleichheit
untere Leitungstätigkeiten im manuellen Gewerbe (z. B. Meister oder Gruppenleiter; Klasse V). Beide Klassen zeichnen sich durch unterschiedliche Mischungsverhältnisse von firmenspezifischen Skills und Weisungsbefugnissen aus. Tätigkeiten der Klassen IIIa erfordern wenig firmenspezifische Skills, verfügen jedoch häufig über Weisungsbefugnisse und Dauerstellungen, während Tätigkeiten der Klasse V die umgekehrte Kombination aufweisen. Welche Schlussfolgerungen ergeben sich aus dem Klassenschema für das Verhältnis von Organisation und sozialer Ungleichheit? Im Grundsatz keine anderen als diejenigen, die aus der Klassentheorie Erik Wrights zu ziehen waren. Ähnlich wie Wright lokalisiert auch Goldthorpe die Ursachen der Ausdifferenzierung von Klassen in der Organisationsstruktur. Beide Dimensionen, die er zur Konstitution von Beschäftigtenklassen heranzieht – firmenspezifische Qualifikation und die Kosten der Überwachung des Leistungsprozesses –, sind Elemente der Positionsstruktur von Arbeitsorganisationen. Der Beruf, der zuweilen irrtümlich verkürzt als konstituierende Größe des Klassenschemas angesehen wird, ist lediglich eine Operationalisierung zur Erfassung der organisationsinternen Kontrolle der Anwendung von Arbeitskraft (Goldthorpe 2000: 224 ff.). Ähnlich wie die askriptiven Merkmale Geschlecht und Alter muss aber auch der Beruf aufgelöst werden in die dahinter liegenden sozialen Mechanismen der Zuweisung von Lebenschancen. Dieser Mechanismus ergibt sich für Goldthorpe aus der Kombination von Arbeitsanforderungen und Überwachungskosten, über die die Organisation entscheidet. Goldthorpes Klassenschema legt jedoch noch eine zweite Verbindungslinie zwischen Organisationsstruktur und Ungleichheit nahe, die er zwar nicht explizit ausgearbeitet hat, die sich aber aus dem bisher Gesagten ableiten lässt. Diese Verbindungslinie betrifft die Frage, wie stark ausdifferenziert die Mittelklassen sind. Ihr Differenzierungsgrad resultiert mehrheitlich aus der von Organisationen gewählten Strategie, das Überwachungsproblem über das Ausmaß an Dezentralisierung von Entscheidungsbefugnissen zu lösen. Werden Entscheidungsbefugnisse und Kompetenzen organisationsintern von einer hierarchischen Ebene auf eine darunter liegende dezentralisiert, so sinken die direkten Überwachungsmöglichkeiten, während die firmenspezifischen Qualifikationsanforderungen steigen. Ein Beispiel dafür ist die Einführung von teilautonomer Gruppenarbeit in der industriellen Produktion (vgl. Minssen 1999; Nordhause-Janz/Prekuhl 2000). Für Gruppenarbeit ist idealtypisch kennzeichnend, dass dispositive und koordinatorische Aufgaben von der untersten Hierarchieebene, vor allem den Meistern, an die in einer Gruppe zusammengefassten Arbeiter übertragen werden. Sodann sind die Gruppenmitglieder für die Sicherung des reibungslosen Produktionsablaufs zuständig, unter anderem für Materialzufluss, Termin- und
1.3 Organisierte Ungleichheit aus klassentheoretischer Sicht
37
Personaleinsatzplanung sowie Qualitätssicherung. Damit erhöht sich der Grad der Effektivität des Arbeitseinsatzes, es verändert sich aber auch die Kontrollstruktur und mit ihr – zumindest prospektiv – die Klassenstruktur. Was sich für die Meisterposition (Klasse V) als Verlust von Weisungsbefugnissen darstellt, bedeutet aus der Sicht der Organisation leichtere Überwachbarkeit des Meisters. Umgekehrt steigen die Überwachungsprobleme der Arbeiter (Klasse VI), weil Verantwortung für Disposition und Koordination Freiräume schafft, die die Arbeiter im Interesse des Unternehmens oder in ihrem eigenen Interesse nutzen können.9 In der Logik des Klassenschemas müsste die Entwertung der Meisterposition dazu führen, dass sich die Klassenlagen von Meister (bisher V) und qualifizierten Arbeiter (VI) annähern, während sich die der Techniker und der Meister (beide bisher V) voneinander entfernen. Im Ergebnis könnte dies auf eine Differenzierung der Klasse V in zwei Subklassen Va – mittlere firmenspezifische Skills ohne Leitungstätigkeiten (Techniker) – und Vb – keine firmenspezifischen Skills und untere Leitungstätigkeiten (Meister) – hinauslaufen.
1.3
Organisierte Ungleichheit aus klassentheoretischer Perspektive
Welchen Einfluss haben formale Organisationen innerhalb zeitgenössischer sozioökonomischer Klassentheorien für die Zuweisung von Lebenschancen in modernen Gesellschaften? Betrachtet man die beiden Theorien noch einmal in der Zusammenschau, so kann man zwei Gemeinsamkeiten ausmachen. Zum einen stellen Arbeitsorganisationen berufliche Positionen bereit, die zum Erhalt spezifischer Lebenschancen berechtigen. Die Zugehörigkeit zu einer der Klassen der abhängig Beschäftigten ergibt sich aus der organisationsinternen Bearbeitung des Problems der Anwendung von Arbeitskraft. Wright und Goldthorpe sind sich einig, dass der kausale Mechanismus, der einem Beschäftigten eine Klassenposition zuweist, die Ausgestaltung der innerorganisatorischen Positionshierarchie ist. Wright zufolge ergibt sich die Struktur der Erwerbsklassen einer Gesellschaft aus der Kreuzung der Dimensionen Organisationsmacht (bzw. Weisungskompetenz) und Qualifikationsgrad. Ähnlich argumentiert Goldthorpe. Für ihn ist die Klassendifferenzierung die Folge des Zusammentreffens der Dimensionen „firmenspezifische Qualifikation“ und „Probleme der Überwachung des Leistungsprozesses“. Je ausdifferenzierter Qualifikationsan-
9
Die in Unternehmen häufig praktizierte Lösung dieses Überwachungsproblems besteht in der Regel darin, das Stücklohnsystem auf ein Prämienlohnsystem mit Erfolgsbeteiligung umzustellen (vgl. Kötter 1993; Lengfeld/Liebig 2002).
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1. Vertikal organisierte Ungleichheit
forderungen und Macht bzw. Kontrollrechte über die Organisationsmitglieder verteilt sind, desto mehr Klassenpositionen bilden sich heraus, und desto differenzierter ist die gesellschaftliche Klassenstruktur. Damit ergibt sich der Aufbau der Klassengesellschaft maßgeblich aus den Kontrollproblemen der Anwendung von Arbeitskraft, mit denen Arbeitsorganisationen konfrontiert sind. Es ist hier nicht der geeignete Ort, um zu beurteilen, ob die genannten Mechanismen der Zuweisung von Lebenschancen tatsächlich die gewichtigsten in modernen Gesellschaften sind. Vielmehr geht es mir darum festzuhalten, dass Arbeitsorganisationen eine wichtige Rolle für die Konstitution von vertikaler Ungleichheit spielen und dass die dabei wirksamen Mechanismen soziologisch identifizierbar sind. Etwas komplizierter ist die Antwort zum Verhältnis von Organisation, Ungleichheit und sozialem Wandel. Dies deshalb, weil zumindest Goldthorpe hierzu keine explizite Aussage macht. Zur Veränderung der Struktur der Zuweisung von Lebenschancen, d. h. der gesamten Klassenstruktur, kommt es, wenn sich die Ungleichheit generierenden Strukturmerkmale innerhalb eines jeweiligen Organisationstyps im Zeitverlauf verändern. So wandeln sich die durchschnittlichen Lebenschancen einer qualifizierten Facharbeiterin, wenn sich die Positionsstruktur in einem durchschnittlichen Unternehmen im Zeitverlauf ändert (z. B. durch Ab- oder Aufwertung von Positionen infolge von Reorganisationsmaßnahmen). Dieser Erklärung sozialstrukturellen Wandels liegt die Annahme zugrunde, dass sich Klassenstrukturen im Zeitverlauf verändern, wenn sich zuvor Organisationsstrukturen ausdifferenzieren. Unterstellt wird dabei, dass sich für bestimmte Zeitabschnitte dominante Organisationsmodelle herausbilden, die wiederum spezifische Ungleichheitseffekte hervorrufen. Diese kann man sehr schön an der Wrightschen Widerlegung der neomarxistischen Dequalifizierungs- bzw. Proletarisierungsthese ablesen. Die Dequalifizierungsthese hatte ein Anwachsen der unteren, ungelernten (Arbeiter-)Klassen vorhergesagt. Diese Veränderung hätte sich organisationsintern in der Verbreiterung der Leitungsspanne zeigen müssen. Faktisch jedoch ist es zwischen den 1960er und 1990er Jahren zur intra-organisationalen Differenzierung gekommen: Seit Anfang der 1980er Jahre hat sich ein „post-fordistisches“ Organisationsmodell durchgesetzt, dass im Unterschied zum primär fordistischen Produktionsmodell der 1960er Jahre stärker auf Expertenarbeit, dezentralisierte Leitungspositionen und Verantwortungszuwachs auf der Ebene der ausführenden Arbeiter basiert (Wright 1997; siehe auch Kern/Schumann 1984; Piore/Sable 1989). Intra-organisationale Differenzierung in Arbeitsorganisationen ist ein Beispiel dafür, wie die Änderungen eines vormals dominanten Organisationsmodells einen sozialstrukturellen Wandel evoziert. Diese Tatsache nenne ich vertikal organisierte Ungleichheit. Organisiert, weil der sozialstrukturelle Wandel
1.3 Organisierte Ungleichheit aus klassentheoretischer Sicht
39
aus der Veränderung von Organisationsstrukturen folgt, und vertikal, weil auf diese Weise abhängig Beschäftigte in hierarchisch gegliederte Klassen mit relativ fest umrissenen Lebenschancen unterteilt werden. Nichtsdestotrotz wird dieser Zusammenhang in der Soziologie von wenigen Ausnahmen der jüngeren Zeit abgesehen (Liebig/Krause 2006; Rössel 2007) kaum wahrgenommen. Auch jene Autoren, die an der Erklärung ungleicher Lebenschancen durch organisationsstrukturelle Merkmale interessiert sind, gehen auf diesen Zusammenhang häufig nicht ein (vgl. z. B. Carroll/Mayer 1986). Die Ursache dafür, warum es ungleich bewertete Positionen gibt, wird nicht den Organisationen auf der gesellschaftlichen Mesoebene zugeschrieben, sondern als das Resultat gesellschaftlich institutionalisierter Makrostrukturen gedeutet. Im Falle der Arbeitsorganisationen sind es in der Wrightschen Klassentheorie die Kombination aus Eigentumsverhältnissen und beruflicher Stellung, und für die neo-weberianische Variante ist dies die gesellschaftliche Machtverteilung, die sich aus Berufsstruktur der Gesellschaft ergibt (vgl. statt anderer Burzan 2007; Giddens 1973; Müller 1996). Außer Zweifel steht, dass es Makroeffekte etwa der Eigentumsverhältnisse auf Klassenstrukturen gibt. Dass Teile dieser Effekte jedoch in und durch Arbeitsorganisationen und nicht durch Makroinstitutionen erzeugt werden, habe ich in diesem Kapitel plausibel zu machen versucht.
2.
Horizontal organisierte Ungleichheit
Die Ungleichheitswirkung von Organisationen erschöpft sich nicht darin, soziale Klassen zu konstituieren. Daneben beeinflussen Organisationen auch Verteilungen, die sich der Kategorisierung von Personen in vertikal gegliederte sozialstrukturelle Positionen offenbar entziehen. Diese Effekte resultieren daraus, dass Arbeitsorganisationen innerhalb einer gegebenen gesellschaftlichen Klassenstruktur unterschiedliche Strukturmerkmale aufweisen können, von denen einige in hohem Maße relevant für die Zuweisung individueller Lebenschancen sind. Die zentrale Frage lautet dann: Wenn jedes Strukturelement eine Güterverteilung auslöst und wenn diese Strukturelemente über die Organisationen innerhalb einer gegebenen Gesellschaft hinweg variieren, inwieweit variieren dann die Lebenschancen der Organisationsmitglieder? Um diese Frage zu beantworten, kann man nicht auf der Makroebene der sozialen Kollektive oder der gesellschaftlichen Institutionenordnung suchen. Man muss auf der Ebene des Individuums ansetzen. Wer so verfährt, interessiert sich nicht für den Aufbau der Klassenstruktur und ihren Wandel, sondern fragt gewissermaßen von unten, von der Mikroebene her, in welchem Umfang Unterschiede in den individuellen Güterausstattungen darauf zurückzuführen sind, dass Individuen verschiedenen Organisationen angehören, die sich im Hinblick auf bestimmte strukturelle Merkmale voneinander unterscheiden. Die zentrale These, die ich in diesem Kapitel erläutern möchte, lautet: Organisationen sind an der Herstellung von horizontaler Ungleichheit in modernen Gesellschaften beteiligt. Horizontal bedeutet, dass Organisationen Ungleichheiten zwischen Personen mit gleichrangigen sozialen Merkmalen erzeugen. So können zwei Personen desselben Geschlechts oder Alters oder des gleichen Bildungsgrads unter anderem deshalb über unterschiedliche Lebenschancen verfügen, weil sie unterschiedlichen Organisationen angehören. Der Begriff der horizontal organisierten Ungleichheit zielt also auf Ungleichheiten ab, die zwischen prinzipiell gleichrangigen sozialen Positionen entstehen. Dagegen liegt vertikale Ungleichheit zwischen Personen mit ungleichrangigen Positionen vor: Weil zwei Personen gesellschaftlich unterschiedlich bewertete Berufstätigkeiten ausüben, gehören sie unterschiedlichen Klassen mit ungleichen Lebenschancen an. Wirken Organisationen jedoch horizontal, dann ändert sich an der Gleichartigkeit der sozialen Merkmale der Betroffenen nichts. Organisationen stellen
42
2. Horizontal organisierte Ungleichheit
damit ungleiche Lebenschancen quer, d. h. horizontal zur vertikalen Positionsstruktur einer Gesellschaft her. Im Vergleich zum vertikalen Klassenkonzept sind die kausalen Effekte der horizontalen Dimension organisierter Ungleichheit theoretisch weniger klar ausgearbeitet. Dies liegt vor allem daran, dass die vielfältigen Studien, die hierzu vorgelegt worden sind, kein kohärentes Theoriengebäude entwickelt haben, wie es für die im letzten Kapitel besprochenen Klassentheorien gilt (Baron 1984; Preisendörfer 1987; Wharton 1994). Eine Ursache dafür ist die Fragmentierung des Forschungsfeldes. Diese Fragmentierung besteht vor allem darin, dass Organisationseffekte auf ungleiche Lebenschancen von verschiedenen (Teil-)Disziplinen untersucht werden, wie der Arbeitsmarkt- und Mobilitätsforschung, der Organisationssoziologie und der Arbeitsökonomik. Über die Grenzen dieser (Teil-)Disziplinen hinaus wurden kaum Bemühungen zur Integration der zumeist empirisch ermittelten Einzelbefunde angestellt. So liegen vielfältige Studien zu unterschiedlichen Kausaleffekten von Organisationsstrukturen auf individuelle Lebenschancen vor, über die man aber nicht weiß, ob sie sich z. B. wechselseitig bedingen, ob es für bestimmte sozialstrukturelle Gruppen kumulative Verstärkungseffekte gibt oder ob es sich um voneinander unabhängige Einflussgrößen handelt. Diese Fragmentierung macht es schwierig, die hinter der Vielzahl an Einzelbefunden stehende Logik zu identifizieren, der zufolge Organisationen individuelle Lebenschancen beeinflussen. Aus diesem Grund kann man die horizontalen Ungleichheitseffekte auch nicht anhand substantieller Theorien rekonstruieren, wie ich dies im letzten Kapitel getan habe. Ich gehe stattdessen analytisch vor. Im ersten Abschnitt (2.1) erläutere ich die individuumsbezogene Fundierung dieses Bereichs anhand von Arbeiten aus der Mobilitätsforschung. Im nächsten Abschnitt (2.2) beschreibe ich zwei allgemeine Mechanismen der Beeinflussung von Güterzuweisungen, „Ranking“ und „Sorting“. Anschließend erläutere ich die grundlegende Ursache der horizontal organisierten Ungleichheit, der Ungleichheit zwischen gleichartigen bzw. gleichrangigen sozialen Positionen, anhand des Begriffs der „strukturellen Varianz“. Strukturelle Varianz bedeutet, dass das Ausmaß an sozialer Ungleichheit in einer gegebenen Gesellschaft vom Grad der Variation der Strukturmerkmale von Arbeitsorganisationen beeinflusst wird. Im dritten Abschnitt gehe ich auf das Mehrebenenproblem ein, mit dem empirische Studien zur horizontal organisierten Ungleichheit konfrontiert sind. Dieses Problem besteht darin, dass bestimmte Verteilungsergebnisse auf anderen Ebenen der Gesellschaft als auf jener der Organisation verursacht werden, jedoch fälschlicherweise für organisational verursacht gehalten werden können (Abschnitt 2.3).
2.1 Die individualistische Perspektive
2.1
43
Die individualistische Perspektive
Es ist kein Zufall, dass ein Großteil der Arbeiten zur horizontalen Ungleichheitsdimension von Organisationen auf dem Gebiet der Mobilitätsforschung durchgeführt wurde. Anhand der Diskussion um eine der prominentesten Studien dieses Forschungsbereichs, der „American Occupational Structure“ von Peter Blau und Otis Duncan, kann man klar ablesen, dass und warum eine auf individuelle Lebenschancen fokussierte Perspektive auf andere, unter anderem auch durch Organisationen verursachte Ungleichheitseffekte stößt als die klassentheoretische Makroperspektive. Blau & Duncan (1967) unterscheiden drei typische Mobilitätsstufen im individuellen Lebenslauf: (1) der Eintritt von der Familie in die Schule und der damit verbundene Erwerb schulischer Bildungsqualifikationen, (2) der Eintritt ins Berufsleben und die damit verknüpfte Aneignung von beruflichen Qualifikationen und Erfahrungen, und (3) der Übergang von der ersten beruflichen Stellung zu weiteren Positionen. Wie groß das Ausmaß an Mobilität im Zuge einer Statuspassage ist, hängt maßgeblich vom Erfolg des Zuweisungsprozesses auf der jeweils darunter liegenden Stufe ab. Blau & Duncan zeigen, dass das Ausmaß an schulischen Bildungsqualifikationen von der eigenen sozialen Herkunft beeinflusst wird, d. h. vom Status des Vaters. Die erste berufliche Stellung hängt von den eigenen Bildungsqualifikationen und der sozialen Herkunft ab, und der Status des zweiten Jobs sowie jeder weiteren beruflichen Stellung wird vom Status des ersten Jobs, den Bildungsqualifikationen und der sozialen Herkunft beeinflusst. Blau & Duncan stellen fest, dass Mobilitätsprozesse auf der zweiten und dritten Stufe stärker von individuellen Dispositionen und weniger von der sozialen Herkunft abhängen: „A man’s social origins extert a considerable influence on his chances of occupational success, but his own training and early experience extert a more pronounced influence on his success changes.“ Und: „Inasmuch as social origins, education, and career origins are not independent, however, their influences on ultimative occupational achievements are not cumulative.“ (Blau/Duncan 1967: 402)
Bekanntermaßen ist am „Status Attainment“-Ansatz von Blau & Duncan vielfältig Kritik geübt worden. Der Großteil der Einwände richtet sich gegen die unterschwellig voluntaristische These, Richtung und Ausmaß von Aufstiegen hingen mit fortschreitender Mobilitätsdauer vorwiegend von individuellen Anstrengungen ab. Diese Interpretation übersehe die strukturellen Restriktionen dieses Mobilitätsprozesses (vgl. zum Überblick Baron/Bielby 1980; Beck u. a. 1978; Rosenfeld 1992; Wharton 1994). Folgt man dieser Kritik, so kommt es entscheidend darauf an zu erkennen, dass Mobilität stets zwischen strukturell geformten Positionen stattfindet (Statusübergänge), und dass diese Positionsstruk-
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2. Horizontal organisierte Ungleichheit
turen Selektionsprozesse im Übergang von einer zur nächsten Stufe steuern (Baron/Bielby 1980: 737). Dieser Einwand richtet sich also nicht prinzipiell gegen den Zusammenhang von sozialer Herkunft und Statuszuweisung. Er zielt vielmehr darauf ab, dass Mobilitätsprozesse auf allen Stufen maßgeblich strukturell beeinflusst sind und sich damit den individuellen Anstrengungen teilweise entziehen können. Was für Strukturen sind hier gemeint? In dem von James Baron & William Bielby (1980) „New Structuralism“ getauften Forschungsbereich dominieren arbeitsmarkt- und organisationsbezogene Ansätze (vgl. zum Überblick Baron 1984; Breiger 1995; Kerckhoff 1995; Preisendörfer 1987; Windzio 2003: 14 ff.). Für Baron & Bielby sind Arbeitsorganisationen die maßgeblichen strukturellen Mobilitätskontexte. Sie stellen die Positionen bereit, zwischen denen Personen im eigenen Lebenslauf wechseln. Denn Aufstiege, soweit sie die Klassen abhängig Beschäftigter betreffen, finden entweder innerhalb von Arbeitsorganisationen statt (interne Mobilität), oder sie vollziehen sich zwischen verschiedenen Firmen (Organisationswechsel). Andere Autoren weisen auf Brancheneffekte und auf die Segmentation des Arbeitsmarkts hin, oder sie heben die Struktur der beruflichen Tätigkeiten als entscheidenden Mobilitätskontext hervor (Browne/Misra 2003; Carroll/Mayer 1986; Kalleberg/Sørensen 1979; Piore 2001; Sørensen/Kalleberg 2001). Die Vielzahl der methodisch teilweise sehr elaborierten Studien zu einzelnen Organisationseffekten, die die verschiedenen Forschungszweige seit den 1970er Jahren vorgelegt haben, steht jedoch in Kontrast zu dem Mangel an theoretischer Integration der Forschungsergebnisse. Auf der einen Seite gibt es eine Reihe von Studien zu den Struktureffekten von Branchen, Arbeitsorganisationen und Tariforganisationen. Man kann zeigen, welches die maßgeblichen strukturellen Determinanten der jeweiligen Organisationstypen sind, welche Güterverteilungen durch sie beeinflusst werden und welche Mechanismen diese Verteilungsprozesse steuern. Auf der anderen Seite gibt es, soweit ich sehe, kaum Arbeiten, die der Frage nachgehen, ob sich diese Struktureffekte im individuellen Lebenslauf einander bedingen. So wäre es plausibel anzunehmen, dass sich organisationsstrukturelle Effekte in frühen Phasen des Lebenslaufs auf Mobilitätsprozesse in späteren Phasen auswirken. Dies wäre beispielsweise dann der Fall, wenn der erste Zugang zum Arbeitsmarkt in einem Unternehmen erfolgt, dessen Positionsstruktur zeitlich schnellere interne Aufstiege ermöglicht, als dies in anderen Unternehmen möglich wäre. Diese strukturell verursachte Mobilität wird oftmals fälschlicherweise dem aufsteigenden Individuum zugeschrieben, ganz in Sinne des Schlusses: Wer früh und schnell aufsteigt, muss über herausragende Qualifikationen und Fähigkeiten verfügen, sonst wäre er bzw. sie nicht derart erfolgreich. Im Falle eines Wechsels zum nächsten Un-
2.1 Die individualistische Perspektive
45
ternehmen käme es dann zur strukturellen Verstärkung der individuellen Mobilitätschancen (vgl. insbesondere Rosenbaum 1979b). In diesem Beispiel fungiert die Organisationsstruktur des ersten Unternehmens als Mobilitätskatalysator für spätere Aufstiege. Eine solche organisationsbezogene Lebenslaufperspektive hätte den Vorteil, zeitlich nachgelagerte Verteilungseffekte von Arbeitsmarktinstitutionen und von Arbeitsorganisationen zu erfassen. Denn indem man den Fokus auf den individuellen Lebenslauf richtet, geraten die Institutionen ins Blickfeld, die das Individuum im Zeitverlauf durchläuft, sowie die maßgeblichen Organisationen, in denen es vorübergehend oder dauerhaft als Mitglied angehört (vgl. für Ansätze dazu die Arbeiten von Carroll/Mayer 1984; Carroll/Mayer 1986 und Uunk u. a. 2005). Ich möchte die Diskussion um mögliche kumulative Effekte von organisationalen Strukturen auf individuelle Lebenschancen an dieser Stelle nicht weiterführen. Es liegt auf der Hand, dass solche Studien ein spezifisches und aufwändiges methodisches Design erfordern, weil sie Verknüpfungen von Individual- und Organisationsdaten zu Schulen und zu Arbeitsorganisationen erfordern, und weil sie zugleich als Panel bzw. retrospektiv angelegt sein müssen. Solche Daten werfen dann oftmals Validitätsprobleme auf, wenn man in retrospektiv angelegten Bevölkerungsbefragungen Strukturmerkmale der von den Individuen durchlaufenden Organisationen erheben möchte. Dies ist vermutlich der Grund, warum solche Analysen im Allgemeinen selten durchgeführt wurden und auch in dieser Studie nicht durchgeführt werden können. An dieser Stelle sollte allein deutlich geworden sein, dass die Erklärungskraft der am Individuum ausgerichteten Perspektive nicht voll ausgeschöpft ist. Denn Individuen verbringen einen Großteil ihres Lebens in und mit Organisationen – vor allem Schulen und Unternehmen, aber auch Gewerkschaften, Arbeitgeberverbände und Berufsverbände –, und in diesen Organisationstypen eignen sie sich Fähigkeiten und Qualifikationen an, die die Mobilitätschancen zu späteren Zeitpunkten nachhaltig beeinflussen können. Lässt man dieses Forschungsdesiderat zunächst beiseite, so kann man erkennen, dass eine auf das Individuum ausgerichtete organisationsbezogene Perspektive bestimmte strukturelle Einflussfaktoren von sozialer Ungleichheit detaillierter zu identifizieren vermag als die auf relativ grob klassifizierte Großgruppen konzentrierte Klassenanalyse. Diese Einschätzung richtet sich nicht prinzipiell gegen die Klassenanalyse. Denn die individualistische Perspektive ergänzt deren Befunde um die Ungleichheit generierenden, horizontal variierenden Organisationsstrukturen. Offen ist jedoch, in welcher Weise diese Organisationsstrukturen mit der Großkategorie der Klassenanalyse zusammenspielen. Zu dieser Frage komme ich im weiteren Verlauf dieses Buchs. Doch zuvor geht es
46
2. Horizontal organisierte Ungleichheit
darum, herauszuarbeiten, welche Kategorien von Organisationsmerkmalen Ungleichheit herstellen und welche Mechanismen dabei am Werk sind.
2.2
Organisationstypen und Zuweisungsmechanismen
Zu Beginn dieses Kapitels habe ich darauf hingewiesen, dass der Forschungsstand zu den Effekten von Organisationen auf die individuellen Lebenschancen fragmentiert ist. Dies gilt insbesondere für die Vielfalt von identifizierten Zuweisungsmechanismen. Um diese Vielfalt und die dafür verantwortlichen Strukturelemente systematisch zu erfassen, schlage ich vor, auf eine Unterscheidung zurückzugreifen, die von Mark Granovetter & Charles Tilly (1988) eingeführt wurde. Granovetter & Tilly stellen fest, dass die Positionen, die Organisationen bereitstellen, vielfältig im Hinblick auf die Mechanismen der Güterzuweisung variieren. Entsprechend resultieren Ungleichheiten erstens daraus, in welcher Weise Positionen, Berufe, Beschäftigungsstatus und ganze Firmen generiert, verändert und geordnet werden. Diesen Strukturierungsvorgang nennen sie Ranking (Granovetter/Tilly 1988: 177). Ranking kann dabei in einem engen und einem weiten Wortsinn verstanden werden. Eng ausgelegt (und so verstehen die Autoren den Begriff) bezeichnet Ranking die Hierarchisierung von Positionen in der Organisation und die Festlegung von Kriterien des Wechsels zwischen diesen Positionen (Mobilität). In einem weiten Sinn entspricht Ranking der Herstellung von jeder Art von Struktur innerhalb der Organisation, aus der sich direkt oder indirekt Effekte auf Güterzuweisungen ergeben. Diese Definition umfasst auch nicht-positionale Eigenschaften wie die Organisationsgröße oder das Organisationsalter. Zweitens ergeben sich Ungleichheiten aus der unterschiedlichen Zuordnung von Individuen zu den gerankten Positionen – Sorting. Der Begriff des Sorting beschreibt die Verteilung der Personen auf die Positionsstruktur der Organisation. Dabei sind unterschiedliche Verteilungen denkbar. Die Organisation kann viele oder wenige Frauen beschäftigen, sie kann einen höheren Anteil von älteren oder jüngeren Beschäftigten aufweisen, oder sie kann mehr oder weniger Qualifizierte in ihren Reihen wissen. Im Kern geht es um die soziodemografischen, vor allem askriptiven Merkmale der Mitglieder, von denen bekannt ist, dass sie im Aggregat, als Alters- oder Geschlechterquote, unterschiedliche Güterzuweisungen an einzelne Organisationsmitglieder auslösen. Granovetter & Tilly verwenden diese Unterscheidung, um zu zeigen, dass soziale Ungleichheit die Folge von Kämpfen von verschiedenen sozialen Gruppen in- und außerhalb von Organisationen um die Strukturierung des Arbeitsprozesses ist. Die Bedeutung von Ranking und Sorting weist meines Erachtens
2.2 Organisationstypen und Zuweisungsmechanismen
47
jedoch über diese Kämpfe hinaus: Beides sind, begrifflich weit ausgelegt, grundlegende alternative Mechanismen der Zuweisung knapper Güter in Arbeitsorganisationen. Mit ihrer Hilfe kann man für jeden Mechanismus angeben, auf welche Art von Organisationsstruktur er Bezug nimmt. Man kann damit beispielhaft zeigen, welche Elemente der jeweilige Strukturtyp enthält, und man kann für jedes Strukturelement den jeweils typischen Zuweisungseffekt darlegen. Tabelle 2.1 gibt die Zusammenhänge im Überblick wieder.
Tabelle 2.1:
Ranking und Sorting in Arbeitsorganisationen Ranking
Sorting
Analytischer Bezugspunkt
Arbeitsplatz
Soziodemografische Zusammensetzung der Mitgliedschaft
Elemente (Beispiel)
Personalrekrutierungssystem
Geschlechterquote Altersstruktur
Wichtigste Effekte
Mobilität Einkommenshöhe
Mobilität Einkommenshöhe
Anm.: Quelle: eigene Darstellung.
Ranking: Positionen werden durch ein spezifisches Verhältnis von Leistungserwartung und Lohnzuweisung definiert und in die Positionshierarchie eingegliedert. Hierzu ein Beispiel: Eine der wichtigen Fragestellungen der Mobilitätsforschung lautet, auf welche Weise Arbeitsorganisationen für frei werdende oder für neu geschaffene Stellen geeignetes qualifiziertes Personal finden. Ein Weg hierzu ist, einen internen Arbeitsmarkt zu etablieren im Sinne eines „complex of rules which determines the movement of workers among job classifications within administrative units, such as enterprises, companies or hiring halls“ (Dunlop 1966: 32). Interne Arbeitsmärkte schaffen Opportunitäten für Aufstiege und Einkommensverbesserungen, ohne dass die Beschäftigten die Firma dazu wechseln müssen. Grundsätzlich gilt: Personen“, die in Unternehmen mit internem Arbeitsmarkt beschäftigt sind, verdienen im Durchschnitt mehr als Personen in Unternehmen ohne internen Arbeitsmarkt. Auch sind sie in größerem Umfang vertikal mobil (vgl. Cappelli/Cascio 1991; Doeringer/Piore 1971; Felmlee 1982; Lazear/Rosen 1981). Der firmeninterne Arbeitsmarkt ist damit eines jener Strukturelemente, die sich unmittelbar aus dem Ranking von Positionen innerhalb der Organisationsstruktur ergeben. Sorting: Sorting-Effekte ergeben sich aus der soziodemografischen Zusammensetzung der Mitglieder einer Arbeitsorganisation. Je nachdem, welche
48
2. Horizontal organisierte Ungleichheit
Eigenschaften die Mitglieder aufweisen und in welcher quantitativen Zusammensetzung diese Eigenschaften in der Organisation vertreten sind, ergeben sich andere Güterverteilungen. Maßgeblich ist, dass Sorting sozial emergente Phänomene hervorruft: Ungleiche Güterzuweisungen sind nicht die Folge der personalen Merkmale eines Individuums, sondern der aggregierten Merkmale der Mitglieder. Ein Beispiel für Sorting-Effekte ist die Zusammensetzung nach Geschlecht. Wie allgemein bekannt ist, werden Frauen und Männer ungleich entlohnt und verfügen über unterschiedliche Karrierechancen (vgl. zum Überblick Achatz u. a. 2002; Reskin u. a. 1999). Diese Ungleichheiten resultieren unter anderem aus der beruflichen Segregation der Geschlechter. Während die berufliche Segregation ein institutionelles Merkmal der Wirtschaftsstruktur darstellt, ist die Geschlechterquote der Arbeitsorganisation ein emergentes Strukturmerkmal der Organisation. US-Studien haben gezeigt, dass die Geschlechterquote einer Firma die Bezahlung aller Beschäftigten beeinflussen kann: Je höher der Frauenanteil in der Organisation innerhalb der gleichen Berufsgruppe, desto geringer ist die Bezahlung der Beschäftigten, sowohl von Frauen als auch von Männern (vgl. Pfeffer/Davis-Blake 1987). Dieser Befund bleibt konstant, wenn man eine Vielzahl von möglichen Dritteffekten berücksichtigt, wie Branchenzugehörigkeit, Alter, Bildungsstand oder Dauer der Betriebszugehörigkeit. Abschließend möchte ich darauf hinweisen, dass die jeweils dargestellten Strukturelemente aus der Vielzahl bekannter Elemente mehr oder weniger willkürlich ausgewählt wurden. Sie dienen an dieser Stelle allein dazu, um zu veranschaulichen, dass man mithilfe der Begriffe Ranking und Sorting die Mechanismen beschreiben kann, mittels derer Organisationen individuelle Lebenschancen beeinflussen. Im dritten Kapitel lege ich die für Arbeitsorganisationen wichtigsten Mechanismen detaillierter dar. Diese Mechanismen werde ich im weiteren Gang der Studie wieder aufgreifen.
2.3
Strukturelle Varianz
Die Existenz von Ranking und Sorting ist eine notwendige Bedingung dafür, dass manche Menschen aus ihrer Organisationsmitgliedschaft größere Vorteile ziehen als andere, ohne dass die betroffenen Mitglieder dafür größere individuelle Anstrengungen unternehmen müssen. Denn als allgemeine Mechanismen entziehen sich Ranking und Sorting der Logik des meritokratischen Prinzips als
2.3 Strukturelle Varianz
49
zentraler Legitimationsnorm von Austauschprozessen in Organisationen. Sie ermöglichen unverdiente Güterzuweisungen.10 Doch warum fallen diese Zuweisungen ungleich aus? Die Antwort auf diese Frage ist keinesfalls evident. Um sie zu klären, macht es Sinn, sich nochmals die These der vertikal organisierten Ungleichheit ins Gedächtnis zu rufen. Wie Wright und Goldthorpe argumentieren, ist die Positionsstruktur eines Unternehmens das zentrale Element zur Ausdifferenzierung sozialer Klassen. Unterstellt wurde, dass bestimmte Organisationsmodelle zeitlich zumindest mittelfristig hegemonial sind, d. h. sie sind für eine bestimmte Periode für den jeweiligen Organisationstyp dominant. Diese Hegemonie ist die Voraussetzung der Stabilität der Klassenstruktur. Veränderungen in der Klassenstruktur kommen dann zustande, wenn sich die Organisationsstruktur im Zeitverlauf wandelt, etwa indem sie sich ausdifferenziert. Für horizontal organisierte Ungleichheit ist in einer gegebenen Gesellschaft aber nicht Dominanz, sondern Varianz von Zuweisungsmechanismen die entscheidende Ursache. Genauer gesagt, ist Ungleichheit hier die Folge der zeitgleichen Variation von verteilungsrelevanten Strukturelementen über verschiedene Organisationen gleichen Typs hinweg. Diese Varianz der Verteilungsmechanismen führt dazu, dass Personen der gleichen sozialen Herkunft und vergleichbarer Leistungsbereitschaft zum Teil unterschiedliche Zielpositionen in der Sozialstruktur erreichen, weil sie Arbeitsorganisationen mit verschieden strukturierten Zuweisungsmechanismen angehören. Diesen Umstand möchte ich „strukturelle Varianz“ nennen. Strukturelle Varianz soll heißen, dass jedes verteilungsrelevante Strukturmerkmal zum gleichen Zeitpunkt mindestens zwei Varianten aufweist. Diese Strukturmerkmale kann man erstens danach unterscheiden, welche Funktion sie für die Organisation erbringen. Zweitens kann man sie nach dem den Grad der Varianz unterscheiden. Ich beginne mit der Unterscheidung zwischen funktional-äquivalenten und strukturell-unintendierten Varianten. Verteilungsrelevante Strukturelemente besitzen dann funktional-äquivalente Varianten, wenn diese im Produktionsprozess die gleiche Funktion bei der Besetzung von Positionen und der Verteilung von Gütern erfüllen. Beispielsweise können Unternehmen vakante Positionen vom externen Arbeitsmarkt rekrutieren, oder sie können einen firmeninternen Arbeitsmarkt etablieren. Funktional-äquivalent bedeutet jedoch nicht, dass Organisationen jede beliebige Variante wählen können, ohne Rücksicht darauf zu nehmen, ob das gewählte Strukturelement zur bereits bestehenden Positionsstruktur passt. Wichtig ist allein, dass sie sich im Hinblick auf die funktional-
10
Dazu mehr im zehnten Kapitel.
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2. Horizontal organisierte Ungleichheit
äquivalenten Strukturelemente voneinander unterscheiden und dass jede Variante für den jeweiligen Organisationskontext die gleiche Funktion besitzt. Strukturell-unintendierte Varianten sind solche, die von der Organisation in der Regel nicht gewählt werden, sondern die sich als unintendierte Folge ihres Handelns, des Handelns anderer Organisationen und des Handelns von Individuen ergeben. Typisch hierfür sind Strukturen, die sich als Folge des Sortings ergeben, denn Organisationen können sich ihre Mitgliedschaft in der Regel nur bedingt aussuchen. So müssen Unternehmen ihre freien Stellen zumeist unter Rückgriff auf das Angebot des lokalen Arbeitsmarkts besetzen. Gleiches gilt zumindest teilweise für die geschlechtsspezifische Segregation des Arbeitsmarkts. So haben Kindertagesstätten Probleme, männliche Erzieher zu rekrutieren, oder Autowerkstätten, die sich als moderne, aufgeklärte Unternehmen präsentieren wollen, finden nur wenige weibliche Azubis. Die zweite Unterscheidung bezieht sich auf den Umfang der Variation. Viele verteilungsrelevante Strukturelemente variieren graduell zwischen den Organisationen. Die Größe einer Organisation oder ihre soziodemografische Zusammensetzung sind Beispiele hierfür. Andere Strukturmerkmale variieren kategorial. Ein Beispiel hierfür ist die Existenz eines firmeninternen Arbeitsmarkts. Entweder bevorzugt die Firma systematisch interne Bewerber, um eine freie Stelle zu besetzen, oder sie tut es nicht. Generell lässt sich sagen: SortingStrukturelemente variieren zumeist graduell, während Ranking-Strukturelemente kategorial wie graduell variieren können. Strukturelemente mit Verteilungswirkung variieren in der Regel zwischen den Organisationen, aber nicht nur. Teilweise bestehen Unterschiede zwischen verschiedenen Gruppen von Positionen innerhalb von ein und derselben Organisation. Eines der prominentesten Beispiele hierfür ist die firmeninterne Segmentation des Arbeitsmarkts in ein inneres, von Marktschwankungen geschütztes Kernsegment mit internem Arbeitsmarkt und ein Randsegment, in dem offene Stellen durch Rekrutierungen vom externen Arbeitsmarkt mit kurzfristigen Vertragslaufzeiten besetzt werden (Piore 2001). Auch können Firmen soziodemografisch segmentiert sein. Dies ist zum Beispiel dann der Fall, wenn sich berufliche Positionen im Hinblick auf ein soziodemografisches Merkmal voneinander unterscheiden, etwa dem Geschlecht. Im Ergebnis können Positionen mit ausführenden Tätigkeiten überwiegend von Frauen besetzt sein, während die Positionen der technischen Einrichtung und Wartung der Anlagen, an denen die Frauen tätig sind, mit Männern besetzt sind. Entsprechend wirken die im vorangegangenen Abschnitt beschriebenen Sorting-Effekte nicht auf alle Mitglieder der Organisation, sondern gelten nur für Beschäftigte der gleichen beruflichen Position. Damit komme ich zu der Frage, in welcher Weise ein Zusammenhang zwischen der Art der strukturellen Varianz und dem Ausmaß der sozialen Un-
2.3 Strukturelle Varianz
51
gleichheit in der Gesellschaft besteht. Diese Frage ist keine empirische, sondern eine logische, die mit dem Mittel einer einfachen Simulation beantwortet werden kann. Hierbei kann man zwei Regeln identifizieren. Beide Regeln haben den Umfang der Variation der mit den Verteilungsmechanismen verbundenen Güter zum Gegenstand. Die erste Regel bezieht sich auf das Ausmaß der Unterschiede in den individuellen Güterausschüttungen, die die verschiedenen Ausprägungen eines Strukturmerkmals hervorbringen.
Regel 1: Der Effekt eines beliebigen verteilungsrelevanten Strukturmerkmals auf das Ausmaß sozialer Ungleichheit ist – ceteris paribus – umso stärker, je größer die Differenz zwischen der Gütermenge der zuweisungsschwächsten Variante und der Gütermenge der zuweisungsstärksten Variante des Strukturmerkmals ist.
Diesen etwas kompliziert klingenden Satz möchte ich an einem Beispiel erläutern. Gehen wir von einem kategorial variierenden Strukturmerkmal aus und stellen uns beispielhaft das Strukturmerkmal „Rekrutierungsmechanismus für vakante Positionen“ vor. Dieses Strukturmerkmal weist zwei Varianten auf: eine firmenexterne Variante (externe Rekrutierung) und eine firmeninterne Variante (interner Arbeitsmarkt). Gehen wir weiter davon aus, dass ein Unternehmen mit externer Variante durchschnittlich 20 Einheiten Lohn an seine Beschäftigten auszahlt, während ein Unternehmen mit interner Variante im Schnitt 30 Einheiten Lohn ausschüttet. Es wird weiterhin angenommen, dass die zu leistende Arbeit in beiden Unternehmen gleich ist. Die Differenz bzw. das Ausmaß der Einkommensungleichheit beträgt demnach 10 Einheiten (siehe Tabelle 2.2).
Tabelle 2.2:
Auszahlungen für Rekrutierungsmechanismus in zwei Varianten Varianten des Rekrutierungstyps
Auszahlung Variante A
Extern
Intern
20
30
Differenz Auszahlung Variante B Differenz Anm.: Quelle: eigene Darstellung.
10 20
50 30
52
2. Horizontal organisierte Ungleichheit
Stellen wir uns nun eine Abwandlung des Beispiels dergestalt vor, dass die Beschäftigten im Unternehmen mit interner Variante 50 Einheiten Lohn erhalten, etwa weil sie sich firmenspezifische Fähigkeiten angeeignet haben, auf die das Unternehmen angewiesen ist, weswegen es unbedingt einen Wechsel der Beschäftigten zur Konkurrenz vermeiden will. In der Folge ergibt sich eine Auszahlungsdifferenz von 30. Wie man sieht, ist der Effekt des Strukturmerkmals „Rekrutierungsmechanismus“ auf die Einkommensungleichheit in Variante B größer, weil sich bei ansonsten gleichen Bedingungen höhere Auszahlungen in den Unternehmen mit firmeninternem Arbeitsmarkt ergeben. Es handelt sich bei These 1 also um keinen Kausalzusammenhang, sondern um eine logische Übersetzung der Effektstärke eines kategorial vorliegenden Strukturmerkmals in den metrischen Maßstab des Einkommenskontinuums. Je größer die Auszahlungsdifferenz, desto bedeutsamer ist das Strukturmerkmal im Hinblick auf das Ausmaß der Einkommensungleichheit. Doch nicht allein die Ausschüttungen variieren mit dem Strukturmerkmal. Auch das Strukturmerkmal selbst kann vielfältig variieren. Die zweite Regel lenkt das Augenmerk daher auf die Zahl der Varianten eines Strukturmerkmals.
Regel 2: Der Effekt eines beliebigen verteilungsrelevanten Strukturmerkmals auf das Ausmaß der sozialen Ungleichheit ist – ceteris paribus – umso größer, je weniger Varianten das verteilungsrelevante Strukturmerkmal aufweist.
Auch hierzu ist ein Beispiel instruktiv. Nehmen wir an, ein beliebiges Strukturmerkmal kann in drei Varianten auftreten. In Variante 1 besitzt das Strukturmerkmal zwei Ausprägungen, in Variante 2 sind es vier Ausprägungen und in Variante 3 sind es sieben Ausprägungen. In allen Varianten ist die Spannweite der Auszahlungen immer die gleiche; sie reicht von 20 bis 50. Auch die Abstände zwischen den Ausprägungen sind immer gleich groß. In Variante 1 besteht zwischen den Beschäftigten von Organisation A und Organisation B eine Einkommensdifferenz von 10, ebenfalls zwischen B und C sowie zwischen C und D. In Variante 3 betragen die Einkommensabstände jeweils 5. Zieht man den GINI-Koeffizienten als Maß zur Bestimmung der Verteilungsungleichheit heran, so sieht man, dass das Ausmaß der Ungleichheit mit der Anzahl der Ausprägungen abnimmt (vgl. Tabelle 2.3). Je mehr Varianten bei gleich bleibendem Range, desto geringer ist das durch das Strukturmerkmal erzeugte Ausmaß der Ungleichheit.
2.3 Strukturelle Varianz
Tabelle 2.3:
53
Effekt der Variantenzahl auf die Ungleichheit der Auszahlungen Org. A
Auszahlungen
Variante 1: Zwei Ausprägungen Org. B
20
50
GINI
0,22 Variante 2: Vier Ausprägungen Org. B Org. C
Org. A Auszahlungen
20
30
GINI
Auszahlungen
Org. D
40
50
0,18 Org.A
Org. B
20
25
GINI
Variante 3: Sieben Ausprägungen Org. C Org. D Org. E Org. F 30
35
40
45
Org.G 50
0,16
Anm.: Quelle: eigene Darstellung.
Gegen beide Regeln könnte man einwenden, dass sie hart an der Grenze zur Tautologie angesiedelt sind. Dieser Einwand wäre dann richtig, wenn man unterstellen würde, dass beide Sätze Kausalzusammenhänge zwischen der Variation der Organisationsstruktur und dem Ausmaß der Ungleichheit bezeichnen. Dies ist jedoch nicht der Fall, da wir auf beiden Seiten der Gleichung Verteilungen haben, die im Hinblick auf ihre Konzentration variieren. Denn die Variation der Strukturmerkmale steht für nichts anderes als dafür, dass die Auszahlungen an die Organisationsmitglieder variieren, die der jeweiligen Organisation angehören. Daher ist die Funktion der beiden Regeln keine kausale, sondern eine transformative. Sie zeigen, dass man kategoriale Merkmale von Organisationen in die Metrik von Auszahlungen übersetzen kann, die sich dann leicht mithilfe von Verteilungsmaßen abbilden lassen. Damit lässt sich logisch zeigen, dass Variationen von verteilungsrelevanten Strukturmerkmalen Effekte auf das Ausmaß von Ungleichheit zwischen Personen haben, die zum gleichen Zeitpunkt verschiedenen Organisationen angehören. Genau dies ist der Kern der durch Organisationen hergestellten horizontalen Ungleichheit.
54
2.4
2. Horizontal organisierte Ungleichheit
Das Mehrebenenproblem
Auf individuelle Lebenschancen bezogene Organisations-StratifikationsForschung, wie sie in diesem Kapitel vorgestellt wurde, ist ganz überwiegend Surveyforschung. Es dominieren Studien, die standardisierte Informationen über Organisationsmerkmale mit Individualdaten der befragten Organisationsmitglieder kombinieren. So werden Daten über die Positionsstruktur von Unternehmen z. B. mit solchen über Einkommen und berufliche Mobilität der Beschäftigten verknüpft. Damit liegt in den meisten Analysen eine Zwei-EbenenDatenstruktur vor. Das Ziel dieser Analysen ist es dann, denjenigen Anteil der Varianz auf der Ebene der individuellen Güterzuweisung zu ermitteln, der auf das Konto der Variation des untersuchten organisationsstrukturellen Merkmals geht. Nun wird jedoch nicht jeder Verteilungseffekt, den man auf der Ebene der Organisation beobachten kann, auch tatsächlich dort kausal verursacht. Verantwortlich dafür ist die Mehrebenenstruktur von Verteilungsmechanismen in modernen Gesellschaften. Denn Organisationen sind Einheiten der Mesoebene der Gesellschaft. Sie sind eingebettet in Wirkungszusammenhänge, die von gesellschaftlich darüber- oder darunter liegenden Ebenen hervorgerufen werden. Daraus ergibt sich ein Mehrebenenproblem. Dieses besteht darin, dass Ungleichheitseffekte fälschlicherweise der Organisation zugeschrieben werden könnten, obschon sie tatsächlich auf einer anderen Ebene der gesellschaftlichen Verteilungsmechanismen hervorgerufen werden. In diesen Fällen sind Organisationen lediglich die Orte der Manifestation des jeweiligen Effekts. Im Ergebnis droht die Stärke eines Organisationseffektes auf Verteilungsprozesse damit überschätzt oder gar als fälschlicherweise existent angenommen zu werden. Zur Lösung dieses Mehrebenenproblems sollte man sich vergegenwärtigen, von welchen Ebenen die sich in Organisationen manifestierenden Effekte ausgehen können. Soweit ich sehe, kann man grundsätzlich vier Ebenen unterscheiden: die Ebene der gesellschaftlich verankerten Institution (Ebene 1), die Ebene der Organisationspopulation (Ebene 2), die Ebene der individuellen Organisation (Ebene 3) und die Ebene des Individuums (Ebene 4). Da ich die Zusammenhänge auf Ebene 3 bereits hinreichend verdeutlicht habe, behandele ich im Folgenden nur die anderen drei Ebenen. Ebene 1: Institutionelle Effekte werden auf der Organisationsebene sichtbar, wenn alle untersuchten Organisationen in gleicher Weise dem Einfluss von ein und derselben gesellschaftlichen Institution unterliegen. Dies zeigt sich bei Ländervergleichen. Dann nämlich variieren nicht nur die Strukturmerkmale der untersuchten Organisationen, sondern auch die institutionellen Merkmale der Länder, in denen sich die Organisationen befinden bzw. in denen sie agieren. Zu
2.4 Das Mehrebenenproblem
55
welchen Missdeutungen dies führen kann, lässt sich am Fall der Unternehmensgröße verdeutlichen. So haben US-Studien einen Zusammenhang zwischen der Größe eines US-Unternehmens und der Einkommenshöhe der Beschäftigten ermittelt (siehe weiter unten Kapitel 3.1). Ein Teil dieses Effekts könnte möglicherweise aber auch auf das nationale System der industriellen Beziehungen der USA zurückgehen. Der Grund ist das Vorherrschen betriebsbezogener Tarifverhandlungen in den USA und die Tatsache, dass die Stärke der USBetriebsgewerkschaften mit der Unternehmensgröße deutlich zunimmt. In Deutschland dagegen engt das nach Branchen zentralisierte Tarifvertragssystem den Spielraum für einzelbetriebliche Lohnverhandlungen stärker ein. Daher würde der Größen-Einkommenseffekt in Deutschland geringer ausfallen. Im Ergebnis würde ein Teil des dem organisationsstrukturellen Merkmal zugeschriebenen Verteilungseffekts damit vom nationalen Institutionensystem verursacht. Ebene 2: Effekte der Organisationspopulation werden fälschlicherweise der Organisation (Ebene 3) zugeschrieben, wenn zwei Bedingungen gleichzeitig zutreffen: 1.
2.
Verteilungsrelevante Strukturmerkmale variieren nicht nur zwischen den Organisationen derselben Population, sondern auch zwischen Organisationen verschiedener Populationen. In der Analyse wird der Einfluss der Populationszugehörigkeit nicht kontrolliert.
Ein typisches Populationsmerkmal einer Organisation ist die Branche bzw. die organisationsübergreifende Art der Gütererstellung. Denkbar wäre, dass sich die Branchen zum Beispiel im Hinblick auf die Art des Restrukturierungsmechanismus voneinander unterscheiden. Kontrolliert man in der empirischen Analyse die Branchenzugehörigkeit nicht, so würde der Verteilungseffekt z. B. eines internen Arbeitsmarkts überschätzt werden. Ebene 4: Vom Individuum ausgehende Effekte würden dann fälschlicherweise für Organisationseffekte gehalten werden, wenn sich Personen mit unterschiedlichen verteilungsrelevanten Individualmerkmalen geklumpt über die Organisationen verteilen, ohne dass daraus ein Sorting-Effekt der soziodemografischen Verteilung der Mitglieder folgt. Hier ist ein Beispiel aus der Arbeitsmarktforschung instruktiv. Dort wurde gezeigt, dass sich Lohnunterschiede zwischen den Geschlechtern unter anderem auf unterschiedliche berufliche Tätigkeiten, auf unterschiedliche Ausstattungen mit Humankapital und auf Diskriminierungsfaktoren zurückführen lassen (vgl. statt anderer Hinz/Gartner 2005). Zugleich habe ich in Abschnitt 2.2 darauf hingewiesen, dass die Geschlechterverteilung einen emergenten Sorting-Effekt auf die Löhne aller Orga-
56
2. Horizontal organisierte Ungleichheit
nisationsmitglieder nach sich ziehen kann. Würde man empirisch allein den Effekt der Geschlechterquote einer Organisation auf die Einkommenshöhe berechnen, ohne zu berücksichtigen, dass die Organisationsmitglieder sich im Hinblick auf die verteilungsrelevanten Merkmale der Bildung, des ausgeübten Berufs und der beruflichen Stellung voneinander unterscheiden, so würde der Sorting-Effekt auf der Organisationsebene überschätzt werden, während der Individualeffekt unterschätzt werden würde. Wie die Beispiele zeigen, besteht das Mehrebenenproblem vor allem darin, dass die Stärke des Effekts eines interessierenden Organisationsmerkmals überschätzt werden kann. Im äußersten Fall bestünde gar kein eigenständiger Effekt. Für Analysen der Mikroperspektive auf organisierte Ungleichheit ergibt sich daraus eine zweistufige Anforderung. Zunächst ist theoretisch zu klären, auf welchen Ebenen jenseits der Organisationsebene Determinanten ungleicher Güterzuweisungen angesiedelt sein könnten. Liegen für diese Determinanten empirisch operationalisierbare Konstrukte vor, so sollten diese im zweiten Schritt in der empirischen Analyse zur Kontrolle des Effekts des Organisationsmerkmals eingesetzt werden.
3.
Arbeitsorganisation: horizontale Verteilungsmechanismen
Im zweiten Teil dieses Buchs werde ich einen Vorschlag unterbreiten, wie vertikal (Klassen) und horizontal (Organisationsstruktur) organisierte Ungleichheit systematisch zusammenhängen, und ich werde diesen Vorschlag anhand von empirischen Analysen plausibel zu machen versuchen. Um dies zu leisten, müssen zuvor zwei Arten von Informationen über die strukturelle Varianz von Arbeitsorganisationen ermittelt werden. Die erste Information betrifft die spezifischen Mechanismen, mittels derer ungleiche Verteilungen zustande kommen. Einige davon habe ich im zweiten Kapitel bereits benannt; ihre Funktionsweise wird im Folgenden näher ausgeführt. Die zweite Information betrifft die Verteilungswirkung der Varianz dieser Strukturmerkmale. Beide Informationen werde ich anhand des Forschungsstands der soziologischen und ökonomischen Arbeitsmarktforschung und der Organisationssoziologie darlegen. Im Zentrum der Betrachtung stehen dabei die Ranking-Strukturmerkmale Organisationsgröße (3.1), interner Arbeitsmarkt (3.2) und die Struktur der Organisationspopulation (3.3) sowie die Alters- und Geschlechterverteilung als Sorting-Strukturmerkmale (3.4). Für jedes Strukturmerkmal beschreibe ich zunächst den spezifischen Verteilungsmechanismus und lege dar, welche Güterarten in welcher Weise zwischen den Beschäftigten verschiedener Organisationen variieren. Dabei gehe ich auch der Frage nach, ob und unter welchen Bedingungen Organisationsstrukturen Lebenschancen ungleich zwischen Erwerbstätigen mit unterschiedlicher sozioökonomischer Position, insbesondere ihrer Klassenlage, verteilen.11
3.1
Organisationsgröße
Wohl kaum ein anderes Thema hat die organisationsbezogene Ungleichheitsforschung in den letzten vierzig Jahren intensiver beschäftigt als das der Organisationsgröße. Wie beim Organisations-Stratifikations-Link generell sind auch die meisten empirischen Forschungen zum Größeneffekt in den USA durchgeführt
11
Die folgenden Ausführungen basieren auf einer früheren Darstellung (Lengfeld 2007: 127 ff.). Sie sind gekürzt und, wo erforderlich, aktualisiert worden.
58
3. Arbeitsorganisation: horizontale Verteilungsmechanismen
worden. Für andere Länder liegen vereinzelt Befunde vor (für japanische Unternehmen vgl. Sakamoto/Chen 1993; für deutsche Firmen siehe Brüderl/Preisendörfer 1986; Carroll/Mayer 1986; Mayer/Carroll 1987). Deren Ergebnisse unterscheiden sich von denen der US-Studien jedoch kaum. Daher konzentriere ich mich im Folgenden auf die US-Studien zum Verteilungseffekt der Organisationsgröße. Die ersten Untersuchungen hierzu stammten aus Mitte der 1960er Jahre. Sie basierten vorwiegend auf Daten aus Haushaltsbefragungen (vgl. beispielhaft Stolzenberg 1978). Dabei wurden erwerbstätige Personen nebst einer Reihe von Indikatoren zum sozialen Status – Bildungsstand, Beruf und Einkommen – unter anderem danach gefragt, wie groß die Firma bzw. die Behörde ist, in der sie arbeiten. Problematisch an dieser Erhebungsmethode ist ihre Validität: Die Befragten wissen in der Interviewsituation häufig nicht genau, wie viele Beschäftigte ihr Betrieb oder gar der Konzern hat, dem ihr Betrieb angehört. Andere Studien verwendeten offizielle Angaben der nationalen Statistikbehörden, die Angaben zur Branchenstruktur und zur Verteilung von Unternehmensgröße und Einkommen bereitstellen (vgl. z. B. Lester 1967). Nachteilig an diesen Daten ist, dass sie es aufgrund ihres hohen Aggregationsniveaus nicht erlauben, Kausalanalysen vorzunehmen. Zudem basieren die Daten zumeist auf Querschnittserhebungen, was die kausale Interpretation von statistisch messbaren Unterschieden zusätzlich erschwert. In den 1980er Jahren wuchs das Forschungsinteresse an der Organisationsgröße nochmals stark an. Verantwortlich hierfür war vor allem die verbesserte Datenlage. Nunmehr standen neben unmittelbaren Organisationsbefragungen (z. B. bei Carroll/Mayer 1984) auch erste Employer-Employee-Datensätze zur Verfügung (Villemez/Bridges 1988; Kalleberg/Van Buren 1996). In diesen Datensätzen werden separat erhobene Informationen über die Unternehmen mit den ebenfalls separat erhobenen Individualdaten ihrer Beschäftigten verkoppelt. Beide Vorgehensweisen ermöglichen es, vielfältige Aspekte der Organisationsgröße kausalanalytisch wesentlich genauer zu überprüfen als es die früheren Studien vermochten. Unabhängig von der Datenqualität beschäftigen sich fast alle Studien zur Organisationsgröße mit zwei Fragen:
Hat die Größe einer Arbeitsorganisation einen Effekt auf die Höhe der Ausschüttung von verschiedenen Gütern bzw. Aufstiegschancen an die Beschäftigten und wenn ja, wieso ist das so? Fallen die beobachteten Effekte für Beschäftigte mit unterschiedlichen Merkmalen (wie z. B. Geschlecht, Qualifikationsgrad oder berufliche Stellung) verschieden stark aus?
3.1 Organisationsgröße
59
Was ist „Größe“? Bevor ich auf diese Fragen eingehe, muss zuvor geklärt werden, wie „Größe“ definiert ist. Gemessen an der Verwendungsweise in der Literatur lautet die Antwort lapidar: Die Größe einer Arbeitsorganisation bestimmt sich aus der Anzahl ihrer Beschäftigten. In einem frühen Überblicksartikel kommt Kimberly (Kimberly 1976: 582) zu dem Schluss, dass in mehr als 80 Prozent der damals vorliegenden organisationssoziologischen Studien, die sich in irgendeiner Hinsicht mit der Organisationsgröße auseinandersetzen (also auch solche, die sich nicht für Verteilungseffekte interessieren), Bezug auf die Anzahl der Beschäftigten genommen wird. So einsichtig diese Festlegung auf den ersten Blick erscheinen mag, so wenig ist sie in der Forschung systematisch begründet worden. Offenbar scheinen die meisten Autoren John Childs Begründung „It is people who are organized“ (Child 1973: 170) im Auge gehabt zu haben. Alternative Definitionen, z. B. der Umfang der Produktionskapazität oder der des Umsatzes, wurden selten berücksichtigt. In den vorliegenden Studien werden zwei verschiedene Größeneinheiten untersucht: zum einen die Größe des gesamten Unternehmens als rechtliche Einheit („Firm“), und zum anderen die Größe des konkreten Betriebs, in dem ein Beschäftigter tätig ist („Establishment“). Einige Autoren gehen davon aus, dass die Betriebs- und nicht die Unternehmensgröße maßgeblich sei, da erstere die konkrete Arbeitsmarktlage der Beschäftigten beeinflusse (vgl. Granovetter 1984; Lester 1967). Andere Autoren betonen dagegen den Zusammenhang zwischen Unternehmensgröße und der „Segmentierung“ des Arbeitsmarkts (vgl. Evans/Leighton 1988; Kalleberg u. a. 1981; Stolzenberg 1978): Je größer das Unternehmen, desto eher verfügt es über einen betriebsinternen Arbeitsmarkt, eines der bedeutendsten Stratifikationsmerkmale von Arbeitsorganisationen (hierzu näheres in Abschnitt 3.2). Da offenbar sowohl die Betriebs- als auch die Unternehmensgröße voneinander unabhängige, d. h. eigenständige Effekte zeitigen können, werden in vielen Studien beide Größenindikatoren analysiert (Villemez/Bridges 1988; Hodson 1984; Kalleberg/Van Buren 1996). Allgemeine Verteilungseffekte Auf den ersten Blick sind die empirischen Befunde zum Effekt der Organisationsgröße auf die Lebenschancen der Beschäftigten überwältigend einheitlich. Die vorliegenden bi- und multivariaten Studien zeigen: Beschäftigte in großen Unternehmen sind in fast jeder materiellen Hinsicht besser gestellt als ihre Kollegen in kleineren Unternehmen. Je größer das Unternehmen, die Verwaltung oder der Betrieb,
60
3. Arbeitsorganisation: horizontale Verteilungsmechanismen
desto höher ist das Einkommen der Beschäftigten (vgl. Brown/Medoff 1989; Brüderl/Preisendörfer 1986; Carroll/Mayer 1984; Evans/Leighton 1988; Hodson 1984; Kalleberg/Van Buren 1996; Kalleberg u. a. 1981; Lester 1967; Masters 1969; Mellow 1982; Pfeffer 1977; Stolzenberg 1978; Villemez/Bridges 1988; Weiss/Landau 1984); für weitere Literatur vgl. die Übersicht bei Groshen (1991); desto umfangreicher sind die betrieblichen Lohnzusatzleistungen wie Betriebsrente, Unfall- oder Lebensversicherung (Evans/Leighton 1988; Kalleberg/Van Buren 1996); desto besser sind die unternehmensinternen Aufstiegschancen (Bielby/Baron 1983; Kalleberg/Van Buren 1996; Wholey 1985); desto größer ist die individuelle Beschäftigungssicherheit – „Tenure“ – (Bielby/Baron 1983; Brown/Medoff 1989; Brüderl/Preisendörfer 1986; Evans/Leighton 1988; Schasse 1991).
Schauen wir uns eine ältere Studie zum Größeneffekt auf das Einkommen exemplarisch näher an (Lester 1967). Lester verwendet Angaben der offiziellen US-amerikanischen Betriebszählung für verschiedene Jahrgänge zwischen 1939 und 1964. Die aggregierten Daten geben die durchschnittlichen Stundenlöhne wieder, und zwar sowohl gruppiert nach dem Industriezweig als auch nach der Größenklasse des Betriebs. Tabelle 3.1 gibt die Verteilung des Indexes der Stundenlöhne für das Jahr 1954 wieder, wobei jeweils der Stundenlohn der obersten Größenklasse gleich 100 gesetzt wurde. Zu sehen ist, dass der Index des durchschnittlichen Stundenlohns in fast allen Industriezweigen mit ansteigender Größenklasse ebenfalls ansteigt. Einen ähnlichen Zusammenhang findet Lester für die Verteilung von betrieblichen Zusatz- und Sozialleistungen wie Versicherungen und Betriebsrente. Natürlich erlaubt es diese rein deskriptive Vorgehensweise nicht, Kausalzusammenhänge nachzuweisen. Dennoch kann Lesters einfache Auszählung als Pionierstudie auf diesem Gebiet gelten, da sie als eine der ersten den Größeneffekt empirisch plausibel gemacht hat.
3.1 Organisationsgröße
Tabelle 3.1:
61
Index der durchschnittlichen Stundenlöhne nach Industriezweig und Unternehmensgröße 1954 in den USA Anzahl der Beschäftigten
Industriezweig
1019
2049
5099
100249
250499
500999
>1.000
Bezugsstundenlöhne in $ ( = 100)
alle Industrien
73
73
74
77
81
87
100
2,16
Lebensmittel
64
67
71
77
85
92
100
2,08
Schlachtereien
72
74
79
85
88
97
100
2,10
Papierverarbeitung
79
82
87
95
100
104
100
1,91
Bauholzverarbeitung
65
70
73
76
83
88
100
1,99
Möbelproduktion
83
82
81
80
78
85
100
1,91
70
70
74
83
91
96
100
2,22
Brennstoffe
73
77
77
83
89
94
100
2,60
Kautschuk
71
68
70
77
83
84
100
2,26
Steine & Erden
70
71
75
81
85
89
100
2,17
Glasherstellung
83
78
82
91
88
91
100
1,96
Roheisenherstellung
76
78
82
86
91
93
100
2,35
Metallverarbeitung
80
81
83
85
88
94
100
2,34
Chemische Produkte
Anm.: Quelle: Lester 1967; gekürzte Darstellung.
Doch was erklärt der von Lester und vielen anderen gezeigte Größeneffekt wirklich? So eindeutig man weiß, dass sich Größe auszahlt, so wenig ist damit soziologisch erklärt. Denn Größe ist ein Strukturmerkmal, aufgrund dessen keine unmittelbaren Einkommenszahlungen vorgenommen werden. Größe verteilt nicht. Offenbar verändern sich aber mit der Größe ein oder mehrere organisationale Strukturmerkmale, was dazu führt, dass Beschäftigte in kleinen Unternehmen materiell schlechter als in großen Firmen gestellt sind. Daraus folgt, dass die Größe einer Organisation eine „Black Box“ darstellt, die analytisch aufgelöst werden muss in jene verborgenen Bestandteile, die für die unterschiedlichen Ressourcenzuweisungen verantwortlich sind. Diese Einsicht hat in der Forschung zu zahlreichen „De-Aggregations“-Versuchen geführt, unter anderem von Kalleberg & Van Buren (1996) und von Brown & Medoff (1989).
62
3. Arbeitsorganisation: horizontale Verteilungsmechanismen
Die Analyse von Arne Kalleberg & Mark Van Buren (1996), eine der umfassendsten überhaupt, ist Teil der in den USA durchgeführten, groß angelegten „National Organizations Study“ (NOS). Die NOS-Studie basiert auf einem 1991 erstellten Employer-Employee-Datensatz, in dem Informationen über 727 USamerikanische Unternehmen mit Individualdaten der in ihnen beschäftigten Personen verknüpft sind.12 In ihrer Teilstudie untersuchen Kalleberg & Van Buren die Effekte von drei Faktorengruppen auf die individuelle Einkommenshöhe: Personenmerkmale (z. B. Geschlecht und Hautfarbe, jedoch keine Klassenlage), Merkmale der Umwelt der Organisation (etwa der Grad der Konzentration innerhalb der Branche, die Marktmacht oder die Profitorientierung der Organisation) und Merkmale der Organisationsstruktur. Zur letzten Gruppe zählen unter anderem die Existenz eines betriebsinternen Arbeitsmarkts und der Grad der hierarchischen Differenzierung der Organisation. Alle genannten Merkmale, deren Existenz bzw. Umfang mit steigender Organisationsgröße immer wahrscheinlicher werden, haben in anderen Studien Effekte auf die Einkommenshöhe gezeigt. Wie wird die „Black Box“ von Kalleberg & Van Buren nun zerlegt? Dies geschieht mit Hilfe multipler Regressionsmodelle, in die neben der Unternehmens- und Betriebsgröße die genannten Faktorengruppen schrittweise als unabhängige Variablen in die Berechnungen eingehen. Angenommen wird, dass der Größeneffekt dann schrittweise zurückgeht, wenn es zu wechselseitigen Abhängigkeiten zwischen der Größe und den anderen oben genannten Strukturmerkmalen der Organisation kommt (Multikollinearität). Im idealen Fall der soziologischen „Auflösung“ wäre der Größeneffekt dann nach Hinzufügen aller unabhängigen Variablen verschwunden. Die Ergebnisse der Einkommensanalyse jedoch zeigen, dass dem nicht so ist. Nur der zuvor positive Effekt der Betriebsgröße wird nach Berücksichtigung aller unabhängigen Variablen insignifikant (Kalleberg/Van Buren 1996: 56). Nicht so jener der Unternehmensgröße: Er wird zwar schwächer, aber er ist noch da. Und dies, obwohl nahezu jede der in das Modell integrierten Organisationsvariablen einen eigenen plausiblen Effekt auf das Einkommen besitzt. Während Kalleberg & Van Buren (1996) den Größeneffekt „additiv“, unter Berücksichtigung aller bekannten und verfügbaren Einflussgrößen aufzulösen versuchen, versuchen Charles Brown & James Medoff (1989) das Problem auf theoriegeleitete Weise in den Griff zu bekommen. Die Autoren diskutieren die Implikationen von Neoklassik und Neoinstitutionalismus im Hinblick auf den
12
Diese Daten liegen auch den empirischen Analysen in diesem Buch zugrunde. Eine genaue Beschreibung findet sich im fünften Kapitel sowie im Anhang.
3.1 Organisationsgröße
63
Größen-Einkommenseffekt. Aus neoklassischer Perspektive wird behauptet, dass größere Unternehmen deshalb höhere Löhne zahlen, weil sie die leistungsfähigeren Arbeiter beschäftigen. Warum aber suchen sich große Unternehmen „bessere“ Arbeiter? Dafür gibt es mehrere Erklärungen. Zum einen steigen mit der Unternehmensgröße die Überwachungs- und Koordinationskosten an: Je mehr Arbeiter am Produktionsprozess mitwirken, desto mehr muss angewiesen, koordiniert, überwacht und sanktioniert werden, und desto mehr Personen müssen in den verschiedenen Stufen des Managements extra dafür beschäftigt werden. Arbeiter mit höherer Qualifikation und Produktivität, so die Annahme, übernehmen einen Teil dieser Anweisungs- und Koordinationsaufgaben gleich mit. Deshalb sei es rational, sie bevorzugt einzustellen (vgl. zu diesem Argument auch Oi 1983; Weiss/Landau 1984). Die neoinstitutionalistische Schule führt die höheren Löhne dagegen auf die Strategie der „Großen“ zurück, den Einfluss der Gewerkschaften im eigenen Hause gering zu halten („Union Avoidance“). Dahinter steht die Kalkulation des Managements, dass gut bezahlte Arbeiter keinen zusätzlichen Nutzen darin sehen werden, sich einer Gewerkschaft anzuschließen und Streikmaßnahmen zu organisieren. Doch ist diese Strategie nur in großen Unternehmen notwendig. Denn die Bedingungen für gewerkschaftlichen Einfluss sind in großen Arbeitsorganisationen deutlich besser als in kleineren. Hinzuzufügen ist jedoch, dass diese gewerkschaftsfeindliche Seite des Human Resources Management nur für US-amerikanische Unternehmen typisch ist; in Deutschland wurde derartiges bislang kaum beobachtet (vgl. Weitbrecht/Mehrwald 1999). Beide Erklärungsmodelle setzen Brown & Medoff einem empirischen Test aus. Dazu verwenden sie mehrere Datensätze, die sie parallel regressionsanalytisch auswerten. Ihr Befund lautet, dass der Größen-Einkommenseffekt zum guten Teil auf das Konto der individuellen Produktivität geht: Größere Firmen beschäftigen tatsächlich die „besseren“ Arbeiter. Kaum empirische Anhaltspunkte ergeben sich für die Existenz einer „Union-Avoidance“-Strategie: Große Unternehmen mit hoher Gewerkschaftsneigung zahlen nicht mehr als große Unternehmen, in denen traditionell eine geringe Neigung zu gewerkschaftlicher Organisation vorherrscht. Laut Union-Avoidance-Strategie müssten sie dies jedoch, um die Arbeiter von gewerkschaftlicher Aktivität abzuhalten. Im Ergebnis bleibt in den Analysen ein Erhebliches an Varianz des Einkommens übrig, das auf die bloße Organisationsgröße zurückgeführt wird. Angesichts dieser und weiterer Überprüfungen, die Brown & Medoff anstellen, kann ihr resignierendes Schlusswort stellvertretend für die gesamte bisherige Forschung zum Größeneffekt stehen:
64
3. Arbeitsorganisation: horizontale Verteilungsmechanismen
„Our bottom line is that the size-wage differential appears to be both sizable and omnipresent; our analysis leaves us uncomfortable unable to explain it, or at least the part of it that is not explained by observable indicators of labor quality.“ (Brown/Medoff 1989: 1056)
Gruppeneffekte In der bisherigen Darstellung habe ich mich mit den Verteilungseffekten der Größe und ihrer kausalen Auflösung ganz allgemein beschäftigt. Diesen Strang greife ich nun nochmals auf, indem ich frage, ob die Einkommens- und Gratifikationszuwächse, die durch die Organisationsgröße verursacht werden, allen Beschäftigten in der Organisation in gleicher Weise zugute kommen, oder ob es bestimmte soziale Gruppen gibt, die mehr als andere vom Größeneffekt profitieren bzw. von ihm benachteiligt werden. Wie die empirische Forschung zeigt, gibt es in der Tat erhebliche Gruppenunterschiede. Die wichtigsten Merkmale, aufgrund derer Gruppenunterschiede entstehen, sind der Bildungsgrad, das Geschlecht und die berufliche Stellung. Bildung: Beschäftigte mit höherer Bildung verdienen in großen Unternehmen mehr als in kleineren Firmen. Dieser Effekt wurde schon früh von Ross Stolzenberg (1978) entdeckt und in nachfolgenden Untersuchungen bestätigt (vgl. Brüderl/Preisendörfer 1986; Kalleberg u. a. 1981). Doch warum ist dies so? Stolzenberg argumentiert, dass in großen Unternehmen die Produktionsund Koordinationsprozesse nicht mehr allein mit den Mitteln der persönlichen Kontrolle durch die Vorgesetzten gesteuert werden können. Dazu ist der Arbeitsprozess zu komplex geworden. Produktionsprozesse werden stattdessen in zunehmendem Maße standardisiert, und die interne Kommunikation − Anweisungen und Kontrolle − wird formell dokumentiert. Standardisierung und Dokumentation produzieren damit große Mengen von Daten. Um diese Daten verstehen und verarbeiten zu können, müssen die Beschäftigten über vertiefte Kenntnisse organisatorischer Abläufe sowie instrumentelle Fähigkeiten verfügen, wozu üblicherweise ein längerer Schulbesuch erforderlich sei. Dies betrifft jedoch nicht nur das Kontrollpersonal, sondern auch die ausführenden Beschäftigten. Denn auch an diesen Arbeitsplätzen, z. B. in der Produktion, muss man sich mit Laufkarten und computergesteuerten Maschinen auskennen. Deshalb rekrutieren größere Unternehmen auf dem Arbeitsmarkt Personen mit höherer Bildung, denen sie jedoch einen entsprechend höheren Lohn zahlen müssen (Stolzenberg 1978). In kleineren Firmen ist hohe Bildung aufgrund der weniger standardisierten Arbeitsabläufe wesentlich weniger wichtig. Deshalb werden Beschäftigte mit höherer Bildung in kleineren Firmen entsprechend geringer entlohnt.
3.1 Organisationsgröße
65
Geschlecht: Im Hinblick auf das Geschlecht eines Beschäftigten fällt der Größen-Einkommens-Effekt widersprüchlich aus. Wie verschiedene Studien demonstrieren, scheinen Frauen stärker als Männer vom Größenfaktor zu profitieren. In einer der wenigen Untersuchungen zu deutschen Unternehmen zeigen Josef Brüderl & Peter Preisendörfer (1986), dass Frauen durchschnittlich 120 DM mehr verdienen, wenn sie in Unternehmen mit mehr als 50 Beschäftigten tätig sind. Für Männer springt hingegen nur ein vergleichsweise geringer Vorteil von 11 DM heraus. Zum gleichen Ergebnis gelangen auch Bridges (Bridges 1980) sowie Hodson (Hodson 1984) mit US-amerikanischen Daten. Hodson erklärt diesen Befund mit der für Großunternehmen typischen bürokratischen Struktur. Diese verringere die Möglichkeit zur Einkommensdiskriminierung, der insbesondere Frauen in kleineren Unternehmen ausgesetzt sind: „Based on the elimination of at least some discriminatory practices in bureaucratically organized companies, women may receive greater benefit from increased scale than men.“ (Hodson 1984: 344 f.)
Die Lage verkompliziert sich jedoch, wenn man, analog zu Stolzenberg (1978), zusätzlich den Bildungsfaktor in den Größen-Einkommens-Effekt hineinrechnet. Arne Kalleberg, Michael Wallace & Robert Althauser zeigen in einer Sekundäranalyse der bereits von Stolzenberg verwendeten Daten, dass sich höhere Bildung in größeren Unternehmen nur für Männer in einem höheren Lohn niederschlägt (Kalleberg u. a. 1981). Weibliche Beschäftigte profitieren von einer höheren Bildung dagegen stärker, wenn sie in kleineren Unternehmen tätig sind, obschon diese Unternehmen bekanntermaßen in geringerem Ausmaß standardisiert sind. Dieser Befund wird in der bereits erwähnten Studie von Josef Brüderl & Peter Preisendörfer (1986) bestätigt. Die Autoren untersuchen unter anderem, wie viel die Beschäftigten im Monat durchschnittlich zusätzlich verdienen, wenn sie über eine höhere Bildung verfügen. Tabelle 3.2 gibt einen Teil der Berechnungen von Brüderl & Preisendörfer wieder.
66
3. Arbeitsorganisation: horizontale Verteilungsmechanismen
Tabelle 3.2:
Bildung, Unternehmensgröße und Geschlecht Returns pro zusätzliches Bildungsjahr in DM-Einkommen¹
Alle Befragten Kleinbetriebe
120,9
Großbetriebe
181,2
Männer Kleinbetriebe
110,6
Großbetriebe
197,3
Frauen Kleinbetriebe
133,2
Großbetriebe
114,8
Anm.: Quelle: Brüderl/Preisendörfer 1986, gekürzte Darstellung.
Die Tabelle zeigt die mittleren Einkommen in absoluten Zahlen nach Geschlecht differenziert für kleine (< 50 Beschäftigte) und große Unternehmen (> 50 Beschäftigte). Wie wir in den ersten beiden Zeilen sehen, zahlt sich Bildung in der Tat in größeren Unternehmen stärker aus (181 vs. 121 DM). Nach Geschlecht differenziert sieht man jedoch, dass dies nur für Männer gilt. Frauen mit höherer Bildung verdienen dagegen in kleineren Unternehmen klar besser (133 vs. 114 DM; Brüderl/Preisendörfer 1986). Die Ursachen dieses Geschlechtereffekts sind weitgehend unklar. Möglicherweise verbirgt sich hinter dem Geschlechtereffekt ein Statusgruppeneffekt. Denkbar wäre, dass Frauen in kleineren Unternehmen im Verhältnis häufiger besser dotierte Angestelltenpositionen innehaben, z. B. in der Verwaltung. Dagegen würde man in Großunternehmen einen höheren Anteil einfach qualifizierter Produktionsarbeiterinnen vorfinden. Da dieser Effekt in den genannten Studien jedoch nicht geprüft werden konnte, bleibt die Antwort offen. Berufliche Stellung: Profitieren Arbeiter wie Angestellte in gleicher Weise vom Größeneffekt? Dieser Frage sind Wayne Villemez & William Bridges nachgegangen (Villemez/Bridges 1988). Sie zeigen zunächst, dass die Größe des Unternehmens für das Einkommen von Angestellten wichtig wird, nicht aber für das der Arbeiter. Für die Betriebsgröße zeigt sich der umgekehrte Ef-
3.2 Interner Arbeitsmarkt
67
fekt: Je größer der lokale Betrieb, desto höher das Arbeitereinkommen; für Angestellte zeigen sich keine nennenswerten Effekte. Wie ist ein solcher Unterschied von Unternehmens- und Betriebsgröße zu erklären? Für Villemez & Bridges ist entscheidend, in welchem räumlichen Kontext ein beruflicher Aufstieg stattfindet. Für Arbeiter wird angenommen, dass diese in der Regel in dem Betrieb aufsteigen, in dem sie sich einmal befinden. Entsprechend wichtiger wird für sie die Betriebsgröße. Angestellte dagegen wechseln ihre Position häufiger zwischen verschiedenen Betrieben desselben Unternehmens. Da sich ihre Beförderungschancen mit steigender Unternehmensgröße erhöhen, bringt die Unternehmensgröße für diese Gruppe den entscheidenden Vorteil. Die Autoren schlussfolgern: „To the extent that a person’s work career tends to be linked to a specific organization or suborganization, the attributes of the organization will have a stronger effect on that person’s earnings.“ (Villemez/Bridges 1988: 253)
3.2
Interner Arbeitsmarkt
Neben der Größe einer Organisation beeinflusst auch die hierarchische Struktur der in ihr befindlichen Positionen die gesellschaftliche Verteilung von Löhnen und Mobilitätschancen. Die Positionsstruktur ist ein hierarchisches, auf Dauer gestelltes Gefüge arbeitsteilig bestimmter Aufgaben, für deren Bewältigung jeweils spezifische Belohnungen zugewiesen werden. Aus dem Blickwinkel des Individuums sind Arbeitsorganisationen Elemente eines größeren sozialen Systems, des Arbeitsmarkts. Arbeitsmärkte sind Arenen, in denen Erwerbspersonen ihre Arbeitskraft gegen Güter wie Lohn, Prestige und andere Arten von Belohnungen austauschen (vgl. Kalleberg/Sørensen 1979: 351). In der neoklassischen Arbeitsmarkttheorie ist man noch davon ausgegangen, dass Personen, die ihre Fähigkeiten am Arbeitsmarkt optimal in klingende Münze umsetzen wollen, diejenigen freien Stellen annehmen werden, die bei identischer Tätigkeit den höchsten Lohn versprechen. In ihrer modernisierten Fassung, der Humankapitaltheorie (Becker 1964), wird jedoch postuliert, dass die Art und der Umfang der Bildungs- und Qualifikationsanstrengungen, die ein Individuum im Laufe des Erwerbslebens in sein „Humankapital“ investiert, maßgeblich über seine Arbeitsmarktchancen entscheiden. Beide Zweige der ökonomischen Arbeitsmarktforschung beschreiben daher vor allem die Effekte der individuellen Anstrengungen auf die Erwerbskarriere der Beschäftigten. Dies ist die eine Seite der Medaille. Die andere ist, dass ein Gutteil der Wechsel, die ein Individuum zwischen verschiedenen Stellen vollzieht, nicht zwischen verschiedenen Unternehmen auf dem Arbeitsmarkt stattfindet, son-
68
3. Arbeitsorganisation: horizontale Verteilungsmechanismen
dern sich innerhalb ein und desselben Unternehmens vollzieht. Diese Einsicht hat die sozialwissenschaftliche Arbeitsmarktforschung dazu gebracht, die Regeln und Institutionen, die organisationsinterne Karrieren ermöglichen, als „firmeninternen Arbeitsmarkt“ zu bezeichnen. Der firmeninterne Arbeitsmarkt ist, der immer noch geltenden Definition von John Dunlop zufolge, „the complex of rules which determines the movement of workers among job classifications within administrative units, such as enterprises, companies or hiring halls“ (Dunlop 1966: 32). Sein hervorstechendes Merkmal ist, dass er nach anderen Regeln funktioniert als der firmenexterne Arbeitsmarkt. Auf dem externen Markt entscheiden Angebot und Nachfrage im Zusammenspiel mit den Tariforganisationen über die Bereitstellung von freien Stellen und die Lohnhöhe. Dagegen sind Bewegungen innerhalb des firmeninternen Arbeitsmarkts von den Marktkräften weitgehend abgekoppelt. Auf internen Arbeitsmärkten findet horizontale und vertikale Mobilität statt. In horizontaler Hinsicht wechseln Beschäftigte zwischen verschiedenen Positionen, die sich in Hinblick auf Entlohnung oder Prestige voneinander kaum oder gar nicht unterscheiden. Wichtiger jedoch ist die vertikale Dimension; in der Regel ist sie gemeint, wenn vom internen Arbeitsmarkt gesprochen wird. Vertikal heißt, dass die Positionen innerhalb der Organisation hierarchisch nach arbeitsbezogenen Anforderungen sowie Lohnsätzen geordnet sind. Diese Ordnung ermöglicht eine klar definierte Abfolge, nach der Aufstiege über die einzelnen Positionen hinweg stattfinden. Wenn im Folgenden ausschließlich von vertikaler Mobilität im Sinne von Aufstiegen die Rede ist, dann deshalb, weil Abstiege (Degradierung) von einer höheren auf eine niedrigere Position innerhalb derselben Organisation sehr selten sind (vgl. Dalton 1951; Rosenbaum 1979a). Letzteres lässt darauf schließen, dass Beschäftigte wie Unternehmen einem absehbaren Abstieg durch Kündigung zuvorkommen. Die Aufstiegsleiter Im Folgenden konzentriere ich mich auf das rigide geschlossene Aufstiegssystem als Idealtypus eines internen Arbeitsmarkts. Sein wichtigstes Kennzeichen ist laut Peter Doeringer & Michael Piore die „Line of Progression“ (Doeringer/Piore 1971) bzw. „Promotion Ladder“. Eine Aufstiegsleiter liegt dann vor, wenn die Tätigkeitsmerkmale der hierarchisch über- und untergeordneten Positionen ähnlich sind, sich aber wesentlich in den Qualifikationsanforderungen unterscheiden: „This structure occurs in enterprises where jobs are differentiated by levels of skill and fall, or can be designed to fall, into natural skill progressions. Work on one job develops the skills re-
3.2 Interner Arbeitsmarkt
69
quired for the more complex tasks on the job above it, and those at one point in the line constitute the natural source of supply for the next job along the line.“ (Doeringer/Piore 1971: 58)
Einstiege von organisationsexternen Personen erfolgen in der Regel über sogenannte „Entry Ports“, d. h. zumeist auf der untersten Stufe der Leiter. Diese Einstiegspositionen verknüpfen damit den internen mit dem externen Arbeitsmarkt (vgl. Sengenberger 1987: 154). Für Außenstehende besteht dann nur die Möglichkeit, ein Beschäftigungsverhältnis zu den Bedingungen der Einstiegsposition zu ergreifen. Viele Einstiegspositionen sind daher als reine Durchgangsstationen konzipiert. Da wir es mit einem firmeninternen Markt zu tun haben, besteht zwischen den Beschäftigten der untersten Stufe S-1 der Organisation ein impliziter Wettbewerb darum, wer eine nächst höhere Position auf der Stufe S-2 einnehmen kann. Wird die Position S-4 vakant, entweder durch Ausscheiden des bisherigen Positionsinhabers oder weil die Position neu geschaffen wird, so ergibt sich für Personen auf der Stufe S-3 die Möglichkeit aufzusteigen. Die Vakanz wird geschlossen durch die Person, die sich nach spezifischen Auswahlkriterien als am besten geeignet herausgestellt hat. Doch weil nun deren vormalige Position auf der Stufe S-3 vakant ist, muss diese wieder durch einen nachrückenden Bewerber bzw. eine Bewerberin der Stufe S-2 besetzt werden. Während also einige Personen die Aufstiegsleiter nach oben klettern, wandern die Vakanzen entsprechend nach unten. Damit kommt ein Mobilitätsprozess in Gang, der von Aage B. Sørensen (1983) in Anlehnung an Harrison White als Vakanzkette („Vacancy Chain“) bezeichnet wird (White 1970; siehe auch Chase 1991): „In a hierarchically organized system, the filling of vacancies from within the system may be conceptualized as a process where a vacancy moves down as a person moves up. The chains thus formed are then vacancy chains moving in opposite direction of promotions, to be terminated by someone entering from the outside, or by a person being eliminated.“ (Sørensen 1983: 208)
Aufstiegsleitern sind berufsfachbezogen, was bedeutet, dass Aufstiege immer nur innerhalb einer spezifischen Berufsgruppe nach deren einschlägigen Anforderungen und Qualifikationen erfolgen. Dies gilt besonders dann, wenn bereits der „Entry Port“ ein Mindestmaß fachbezogener Qualifikationen erfordert, z. B. eine Facharbeiterlehre. Daraus folgt aber auch, dass es im gleichen Unternehmen für jeden Funktionsbereich (Produktion, Entwicklung, Verwaltung) unter Umständen mehrere Aufstiegsleitern geben kann. Welches Interesse haben Unternehmen an der Einrichtung von beruflichen Aufstiegsleitern? Werner Sengenberger nennt zwei Vorteile (Sengenberger 1987: 156): Zum einen ist das begleitende Anlernverfahren wesentlich kostengünstiger als eine vom externen Arbeitsmarkt eingekaufte Qualifikation oder auch als eine unternehmensintern durchgeführte Berufsausbildung. Denn je
70
3. Arbeitsorganisation: horizontale Verteilungsmechanismen
formalisierter eine Ausbildung ist, desto höhere Kosten entstehen durch Bereitstellung separater Räume, Materialien und Lehrpersonal. Zum anderen werden im internen Aufstiegsmodell nur jene Qualifikationen erzeugt, die im Rahmen der Arbeitsplatzkette tatsächlich gebraucht werden, nämlich diejenigen, die für die aktuelle Position und höchstens für die Position auf der nächst höheren Stufe benötigt werden. Aufstiegsleitern bieten weiterhin Anreize an die Beschäftigten, möglichst lange im Unternehmen zu verbleiben. Denn häufige Unternehmenswechsel können zum Teil erhebliche Lohneinbußen mit sich bringen. Folgt man der Effizienzlohntheorie, so ist es für das Unternehmen rational, den Beschäftigten auf den Eintrittspositionen Löhne knapp unterhalb ihres jeweiligen Grenzprodukts zu zahlen. Im Gegenzug werden ihnen bei langfristigem Verbleib im Unternehmen stetige Lohnzuwächse in Aussicht gestellt (vgl. hierzu grundlegend Lazear 1979). Das Ergebnis ist eine Bezahlung nach dem Senioritätsprinzip und eine mit zunehmender Dauer der Betriebszugehörigkeit ansteigende Einkommenskurve. Da innerhalb der Aufstiegsleiter mit jeder Stufe auch die Entlohnung ansteigt, sind Aufstiegsleitern auch Anreizinstrumente zum längerfristigen Verbleib im Unternehmen. Ein weiterer Vorteil für Unternehmen ist, dass Aufstiegsleitern Instrumente der Negativselektion von Arbeitskräften sind. Wird eine Position vom externen Arbeitsmarkt aus besetzt, dann besteht für die Arbeitsorganisation das Risiko, dass ein Kandidat oder eine Kandidatin im Bewerbungsverfahren behauptet, über Fähigkeiten zu verfügen, die faktisch jedoch nicht vorhanden sind. Innerhalb des internen Arbeitsmarkts entscheiden jedoch nicht allein Erwartungen gegenüber zukünftigen Leistungen. Wichtiger sind bereits erbrachte Leistungen. Parallel zur Aufstiegsleiter sind auch die Belohnungen hierarchisiert sowie formalisiert. Dies ist auch von Vorteil für die Beschäftigten, denn aus dieser Hierarchie ergeben sich relativ stabile Löhne. Mit einem Aufstieg von einer zur nächsten Position ist zumeist auch ein Anstieg des Prestiges der Tätigkeit verbunden. Ein letzter Vorzug der Aufstiegsleiter ist ihre relative Berechenbarkeit. Zwar ist den Beschäftigten oft nicht genau bekannt, wann eine Position auf der darüber liegenden Stufe vakant wird. Doch wenn dies der Fall ist, bietet sich die Chance zum Aufstieg. Aus dieser Aussicht schöpft sich ein Gutteil der Motivation, die die Arbeitskräfte zur Leistung anhält. Die Bedingung dafür ist jedoch, dass es auf keiner anderen Stufe als der Einstiegsposition zu Besetzungen durch externe Kandidaten kommt. Anderenfalls könnten solche „systemfremden“ Interventionen geeignet sein, die Berechenbarkeit der Aufstiege zu zerstören und damit zur Demotivation der Arbeitskräfte beizutragen. Interne Arbeitsmärkte haben sich weiter entwickelt. In der Realität gibt es zahlreiche Abweichungen und Modifikationen des rigiden geschlossenen Auf-
3.2 Interner Arbeitsmarkt
71
stiegsmodells. Sei es, indem für bestimmte, formal definierte Aufstiegsleitern Einstiege auf höheren Positionen möglich sind (vgl. Baron u. a. 1986a; DiPrete 1987); sei es, weil Einkommenssteigerungen nicht notwendigerweise parallel zu den Mobilitätssprossen der Aufstiegsleiter erfolgen, sondern auch auf der jeweiligen Position stattfinden (Baker u. a. 1994; Lazear 1992). Diese und weitere Fragen werde ich an dieser Stelle jedoch nicht weiterverfolgen (näheres dazu bei Althauser 1989; Osterman 1984). Verteilungseffekte Grundsätzlich gilt: Personen, die in Unternehmen mit internem Arbeitsmarkt beschäftigt sind, verdienen im Durchschnitt mehr als Personen in Unternehmen ohne internen Arbeitsmarkt. Auch sind sie im größeren Umfang vertikal mobil (vgl. u. a. Cappelli/Cascio 1991; Felmlee 1982; Lazear/Rosen 1981). Empirische Evidenz für diese Tatsache hat unter anderem die bereits zitierte NOSStudie erbracht (Kalleberg u. a. 1996). In der NOS-Studie wurden Personalmanager mit Hilfe eines standardisierten Fragebogens gefragt, ob vakante Stellen normalerweise durch interne oder betriebsexterne Kandidaten besetzt werden, ob es innerhalb einer Berufsgruppe Aufstiegsstufen gibt, und wie häufig diese Aufstiege normalerweise sind (Kalleberg u. a. 1996: 94). Auf dieser Basis wurde ein Index gebildet, der in die berechneten Regressionsmodelle als unabhängige Variable eingeht. Nachteilig an dieser Operationalisierung ist, dass nicht identifiziert werden kann, ob eine Person mit einem bestimmten Einkommen Teil des internen Arbeitsmarkts ist, sondern nur, ob und in welchem Ausmaß ein solcher Arbeitsmarkt im Unternehmen existiert. Dennoch zeigte sich in der gleichen Studie, dass Personen, die in Firmen mit internem Arbeitsmarkt tätig sind, ihre Beförderungsaussichten tatsächlich höher einschätzen als Personen in Unternehmen ohne ein solches Aufstiegssystem (Kalleberg/Van Buren 1996: 60). Eine andere Strategie, um Einkommenseffekte zu untersuchen, besteht darin, Arbeitsorganisationen danach zu typisieren, nach welchen Regeln vakante Positionen besetzt werden, um anschließend zu vergleichen, wie viel die Beschäftigten in den verschiedenen Typen jeweils verdienen. Einen solchen, mittlerweile klassischen Vorschlag hat Clark Kerr unterbreitet (Kerr 1954; vgl. auch Doeringer/Piore 1971: 2 ff.). Kerr unterscheidet drei Typen von Aufstiegssystemen: (1) offene („open“) Arbeitsmärkte, (2) berufsständische („guild“) Arbeitsmärkte, und (3) hierarchische („manorial“) Arbeitsmärkte. Im offenen Arbeitsmarkt wird jede freie Position durch externe Bewerber besetzt. Dieser Typ entspricht dem Bild des allgemeinen Arbeitsmarkts. Der berufsständische Arbeitsmarkt zeichnet sich dadurch aus, dass die Beschäftigten zwar von Firma zu
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3. Arbeitsorganisation: horizontale Verteilungsmechanismen
Firma wechseln, aber in der gleichen berufsständischen Position verbleiben. Dieses Modell trifft man häufig bei handwerklichen Unternehmen mit ständischer Tradition an. Der dritte, hierarchische Typ entspricht dem oben beschriebenen geschlossenen Arbeitsmarkt mit Aufstiegsleiter, „Entry Ports“ und standardisierter Gehaltshierarchie (Kerr 1954). In einer empirischen Untersuchung hat Arthur Alexander die Kerrsche Typologie aufgegriffen (Alexander 1974). Anhand von US-amerikanischen Branchendaten prüft er empirisch, inwiefern die durchschnittlichen Einkommen über die drei Typen hinweg variieren. Alexander rekonstruiert die drei Typen auf der Ebene von Branchen. Er teilt sie danach ein, wie viele Betriebswechsel die in ihr Beschäftigten in einem Jahr vollzogen haben. Eine Branche verfügt damit definitionsgemäß über einen offenen Arbeitsmarkt, wenn die zwischenbetriebliche Mobilität über 20 Prozent beträgt. Im Falle des berufsständischen Arbeitsmarkts sind es zwischen 10 und 20 Prozent; bei hierarchischen Arbeitsmärkten wird von weniger als 10 Prozent zwischenbetrieblicher Mobilität ausgegangen. Tabelle 3.3 zeigt die Verteilung der Einkommen über die drei Typen hinweg. Wie wir sehen, sind beim hierarchischen Arbeitsmarkt die höheren Einkommensgruppen ab 6.000 Dollar stärker besetzt als bei den anderen beiden Typen. Dagegen unterscheiden sich die Verteilungen der Einkommen beim offenen und berufsständischen Arbeitsmarkt kaum voneinander. Auch wenn man die Branchen zusätzlich nach Beschäftigtenmerkmalen kontrolliert, die sich einkommensverändernd auswirken können – wie Alter, Bildung und Berufserfahrung –, bleibt das Ergebnis das gleiche: Geschlossene firmeninterne Arbeitsmärkte zahlen sich für die darin beschäftigten Personen aus.
Tabelle 3.3:
Einkommensverteilung nach Arbeitsmarkttypen (in Prozent) Einkommensverteilung (in US-Dollar) 2.000
4.000
6.000
8.000
– 4.000
– 6.000
– 8.000
– 10.000
offener Arbeitsmarkt
29.6
31.7
21.6
8.9
8.2
berufsständischer Arbeitsmarkt
30.9
28.5
18.7
10.6
11.2
hierarchischer Arbeitermarkt
5.6
21.3
37.6
18.9
16.6
> 10.000
Anm.: Quelle: Alexander 1974: 81; Verteilung des Jahreseinkommens 1965 in Prozent.
3.3 Die Population der Organisationen
73
Ein zweiter Lebenschanceneffekt betrifft die vertikale Mobilität der Beschäftigten. Der interne Arbeitsmarkt ist zugleich ein Mechanismus der sozialen Schließung. Er verbessert die Mobilitätschancen der dazugehörigen Insider, während er die Chancen der Outsider auf dem externen Arbeitsmarkt in gleichem Maße verringert. „The emergence of job ladders divides the labour force because the relatively privileged position of those within the ladders gives them an incentive to exclude others. A system of ‘haves’ and ‘not haves’ is created and tends to perpetuate itself.“ (Garavan/Coolahan 1996: 30)
Diese Trennlinie zwischen Insidern und Outsidern verläuft jedoch nicht nur zwischen Organisationen mit offenen und geschlossenen Arbeitsmarktmodellen. Auch innerhalb derselben Arbeitsorganisation können geschlossene und offene Arbeitsmärkte nebeneinander existieren. Dies ist insbesondere in den USA der Fall, lässt sich aber auch für deutsche Unternehmen zeigen. So weisen Studien des „Segmentationsansatzes“ (Reich u. a. 1978; Sengenberger 1987) darauf hin, dass interne Arbeitsmärkte vor allem in den zentralen produktiven Bereichen eines Unternehmens anzutreffen sind. Diese produktiven Bereiche sind der technologische Kern einer Organisation. Entsprechend lang ist die Betriebszugehörigkeit dieser „Stammbelegschaften“; auch sind sie vergleichsweise überdurchschnittlich qualifiziert. Kommt es zu Nachfrageschwankungen, so werden diese damit ausgeglichen, dass in den Randbereichen des technologischen Kerns neue Positionen geschaffen bzw. vorhandene gestrichen werden. Das dazugehörige Rekrutierungsmodell ist das des offenen Arbeitsmarkts mit befristeten Anstellungen, mit Leiharbeitsverhältnissen und mit geringen Qualifikationsanforderungen. Übergänge zum geschlossenen Arbeitsmarkt, d. h. zu Positionen im technologischen Kern, gibt es in der Regel nicht.
3.3
Die Population der Organisationen
Organisationsgröße und interner Arbeitsmarkt sind Strukturmerkmale von Arbeitsorganisationen, die man auch als Ungleichheitsmechanismen erster Ordnung bezeichnen könnte. Sie beeinflussen die Lebenschancen direkt: Aufgrund der Organisationsmitgliedschaften der Personen führen Variationen in den Strukturmerkmalen zu Variationen in den Güterzuweisungen bzw. den Mobilitätschancen. Nun gibt es jedoch auch organisationale Verteilungsmechanismen, die soziale Ungleichheit indirekt beeinflussen. Sie sind in der Umgebung der einzelnen Organisation, ihrer Umwelt, angesiedelt. Man denke allein an ökonomische Faktoren (z. B. die Absatzmarktstruktur oder das Arbeitskräfteangebot), die sich im Einkommen bzw. in der Beschäftigungsstabilität niederschlagen, oder an rechtliche Faktoren (z. B. das Arbeitsrecht), die die industriellen Bezie-
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3. Arbeitsorganisation: horizontale Verteilungsmechanismen
hungen regeln. Ich konzentriere mich an dieser Stelle auf einen spezifischen Umweltfaktor, nämlich die Population der Organisationen. Eine Organisationspopulation besteht aus Organisationen, die ein zentrales Merkmal miteinander teilen. Folgt man Michael Hannan & John Freeman, so unterscheiden sich Organisationen, analog zur evolutionären Biologie, anhand von verschiedenen genetischen Strukturen (Hannan/Freeman 1977: 934 f.). Diese genetische Struktur ist im Bauplan („blueprint“) der Organisation enthalten. Der Bauplan entscheidet darüber, nach welcher Regel und mit welchen Verfahren bzw. welcher Technologie Inputs in Produkte oder Leistungen transformiert werden. Da die Bestimmung dieser Verfahren relativ aufwendig ist und viele Abgrenzungsprobleme aufwirft, werden Populationen in der Forschungspraxis üblicherweise über eng definierte Branchen bestimmt. Im Mittelpunkt der „Organizational Ecology“-Studien steht die Frage, in welcher Weise die Struktur einer Population die Gründungs- und Auflösungsraten der Organisationen beeinflusst, die dieser Population angehören. Während in diesem Forschungszweig alle Arten von Organisationen untersucht werden, also z. B. auch Verbände, Kirchen und politische Parteien, so konzentriere ich mich im Folgenden auf die Befunde zu Arbeitsorganisationen. Ökologische Mechanismen des Populationswandels Die Entwicklung von Organisationen wird in der Populationsforschung analog zur Evolution von Arten in der Biologie modelliert (vgl. für das Folgende Hannan/Freeman 1977; Hannan/Freeman 1989; gute Zusammenfassungen geben Carroll 1984; Kieser/Woywode 1999; Windzio 2003: 84 ff.). In der biologischen Welt überleben diejenigen Arten, die am besten in der Lage sind, sich an veränderte Umweltbedingungen anzupassen. Arten, die diese Anpassungsleistung nicht vollziehen können, sterben dagegen aus (Selektion). Ähnlich ist es in der Welt der Organisationen. Populationen von Organisationen (nicht: einzelne Organisationen) wandeln sich, indem unter veränderten Umweltbedingungen neue Organisationen gegründet werden. Diese Organisationen sind gewissermaßen Kopien (Imitationen) der in der Population bisher erfolgreichen Organisationen. Nun agieren Arbeitsorganisationen derselben Population nicht isoliert voneinander, sondern sie befinden sich in einem Wettbewerbsverhältnis. Diejenigen Arten, die sich den veränderten Umweltbedingungen nicht anpassen, sterben aus. Diese Unfähigkeit einer Organisation, sich in ihrem Bauplan strukturell weitgehend umzustellen, wird mit dem Begriff der „Trägheit“ beschrieben. Organisationen sind aus verschiedenen Gründen träge. Zum einen sind es vollzogene Investitionen z. B. in Anlagen und Personal, die eine Umstellung als zu
3.3 Die Population der Organisationen
75
aufwendig erscheinen lassen. Zum anderen fehlt dem verantwortlichen Management zur Umstellung oftmals das entsprechende Wissen. Auch Blockaden verschiedener Interessengruppen können die Umstellung behindern. Doch mündet Trägheit nicht zwingend in die Auflösung der Organisation. Auch häufig oder drastisch durchgeführte Wandlungsprozesse können den Bestand der Organisation gefährden: Anstatt ihr Überleben zu sichern, leitet der organisationale Wandel das Ende der Organisation ein. Wie Michael Hannan & John Freeman ausführen, gefährden Organisationen im Prozess des Wandels zwei ihrer wichtigsten Bestandsgrößen (Hannan/Freeman 1989): Erstens die Zuverlässigkeit, Güter und Dienstleistungen in stabiler Qualität am Markt bereitzustellen (Reliability), und zweitens ihren maßgeblichen Interessengruppen transparent Rechenschaft über den Leistungsprozess und die zugrunde liegenden Entscheidungen abzulegen (Accountability). Wird der Bauplan der Organisation nun drastisch geändert, ist diese in der Regel zumindest vorübergehend nicht in der Lage, beide Bestandsgrößen zu gewährleisten. Die Folge sind erhöhte Auflösungsraten während des Strukturwandels: „Versucht eine Organisation hingegen, sich auf jede Veränderung ihrer Umwelt einzustellen, verbraucht sie durch den internen Veränderungsprozess ihre Ressourcen und wird gerade durch den Versuch der Anpassung verwundbar.“ (Windzio 2003: 86) Im Mittelpunkt des Forschungsinteresses stehen die Ursachen der Gründungs- und Auflösungsraten von Organisationen. Drei der wichtigsten Determinanten sind: das Organisationsalter, die Organisationsgröße zum Gründungszeitpunkt, und die Populationsdichte. Organisationsalter: Mit zunehmendem Alter einer Arbeitsorganisation steigt die Wahrscheinlichkeit, sich auch in Zukunft am Markt behaupten zu können („Liability of Newness“). Anders gesagt: Junge Unternehmen haben eine wesentlich höhere Auflösungsrate als ältere Unternehmen. Diesen Effekt führt bereits Arthur Stinchcombe unter anderem darauf zurück, dass das Personal von neu gegründeten Unternehmen Anfangsprobleme hat, im Leistungsprozess Routinen aufzubauen und stabile Beziehungen zu Kapitalgebern, Kunden und Lieferanten zu entwickeln (Stinchcombe 1965). In der Begrifflichkeit von Hannan & Freeman (1989) formuliert, steigen Zuverlässigkeit (Reliability) und Verantwortlichkeit (Accountability) einer Organisation erst im Zeitverlauf. Allerdings steigt die Wahrscheinlichkeit des Überlebens nicht linear an. So wurde gezeigt, dass die Auflösungsrate kurze Zeit nach der Organisationsgründung zunächst stark ansteigt, um anschließend schrittweise abzufallen („Liability of Adolescence“, vgl. Brüderl 1993). Organisationsgröße zum Gründungszeitpunkt: Wie empirische Untersuchungen zeigen, nimmt die Auflösungsrate mit steigender Organisationsgröße ab (Brüderl/Schüssler 1990; Windzio 2003). Auch hier ist die Ursache unter
76
3. Arbeitsorganisation: horizontale Verteilungsmechanismen
anderem in der fehlenden Routine kleiner Organisationen zu suchen. Kleine Organisationen sind zwar flexibler in der Anpassung an die Umweltbedingungen (und damit wenig träge). Sie erkaufen sich diese Flexibilität aber mit übermäßigen Ressourcenaufwendungen. Neugegründete größere Organisationen sind dagegen eher in der Lage, stabile Kapitalgeber-, Kunden- und Lieferantenbeziehungen aufzubauen. Dichte: Während Alter und Größe strukturelle Merkmale der einzelnen Organisation sind, ist die „Dichte“, der dritte Erklärungsfaktor, ein Aggregatmerkmal der Organisationspopulation. Die Dichte ist definiert als die Zahl der Organisationen eines Populationstyps auf einem Markt. Folgt man Überlegungen von Michael Hannan und Glenn Carroll, so wirkt sich die Dichte der Population auf weitere Gründungen und Auflösungen von Organisationen aus (Hannan/Caroll 1992). Ist die Dichte auf einem Markt zunächst gering, so verfügen die vorhandenen Organisationen über ein geringes Ausmaß an Attraktivität und gesellschaftlicher Akzeptanz. Hannan und Carroll nennen diesen Effekt die „Legitimation“ einer Population. Treten weitere Organisationen hinzu, so wachsen die Legitimation und damit der Anreiz für weitere Neugründungen. Mit zunehmender Dichte nimmt jedoch auch der Wettbewerb der Organisationen um Ressourcen und Abnehmer zu. Ab einem bestimmten Punkt kommt es zu abnehmenden Gründungsraten und irgendwann zu Organisationsauflösungen. Bleiben die Umweltbedingungen jedoch stabil, so pendelt sich die Dichte mittelfristig auf einem Niveau nicht weit unterhalb des Maximums ein. Empirische Belege für diese Zusammenhänge liegen für US-amerikanische (Hannan/Caroll 1992) und auch für deutsche Arbeitsorganisationen vor (Windzio 2004). Mobilitätseffekte In den vorangegangenen beiden Abschnitten habe ich die vertikale Mobilität der Beschäftigten als eine Folge unterschiedlicher struktureller Elemente von Arbeitsorganisationen betrachtet. Diese Betrachtung war überwiegend statisch: Unterstellt wurde, wie unterschiedlich mobil Beschäftigte in Organisationen mit verschiedener Größe oder verschiedenen Personalrekrutierungssystemen sind. Im Unterschied dazu zeigt die Populationsperspektive, wie sich die Mobilität im Falle der Änderung dieser strukturellen Parameter verändert. Damit wird die Betrachtung dynamisch: Beschäftigte sind vertikal mobil, weil sich die Umwelt einer Population so verändert, dass es zu veränderten Gründungs- und Auflösungsraten der Population sowie zu Zusammenschlüssen kommt. Die Populationsperspektive ermöglicht es, Mobilitätsraten zu untersuchen, die sich ergeben, weil Beschäftigte zwischen Organisationen derselben Population wechseln (freiwillig oder gezwungenermaßen), oder weil sie die Population verlassen und
3.3 Die Population der Organisationen
77
ihr Glück in einer anderen Branche suchen. Besonders interessant ist, dass Gründungen, Auflösungen und Zusammenschlüsse beide Mobilitätsformen zugleich beeinflussen. a.
b.
Gründungen. Unter Mobilitätsgesichtspunkten betrachtet, bedeutet die Gründung einer Organisation, dass zusätzliche vakante Positionen geschaffen werden, die es innerhalb der betreffenden Population zuvor nicht gab. Diese Vakanzen können auf zwei Wegen geschlossen werden. Zum einen werden bislang branchenfremde beschäftigungslose Personen eingestellt. Dieser Umstand ist in der Rekrutierungspraxis der Unternehmen in der Regel von nachrangiger Bedeutung. Denn weil Branchenfremde häufig nur über geringe oder keine branchenspezifischen Qualifikationen und Erfahrungen verfügen, ist ihre Einstellung mit hohen Weiterbildungskosten verbunden. Der zweite Weg ist der wichtigere: Hier werden Personen eingestellt, die zuvor in der Regel ähnliche Positionen in Organisationen der gleichen Branche innegehabt haben. Während ein Beschäftigter die Herkunftsorganisation verlässt und in die neu gegründete Organisation wechselt, nimmt die vakante Position den umgekehrten Weg: Sie wandert in die Positionsstruktur der Herkunftsorganisation. Dort löst sie einen Mobilitätsprozess aus. Verfügt die Herkunftsorganisation über einen geschlossenen internen Arbeitsmarkt, so kommt es zum Anstieg von intra-organisationaler Mobilität. Ist dies nicht der Fall, d. h. werden die neuen Vakanzen überwiegend durch externe Bewerber geschlossen, so verstärkt sich die interorganisationale Mobilität, die ja ursprünglich direkt durch die Neugründung ausgelöst wurde (vgl. DiPrete 1993; Fujiwara-Grewe/Grewe 2001; Haveman/Cohen 1994; Windzio 2003: 193 ff.). Dabei zeigt sich, dass der größte Teil der durch Gründungen hervorgerufenen Mobilität Aufstiege sind (Windzio 2001). Auflösungen. Was für die Mobilität bei Gründungen beobachtet wird, gilt umgekehrt auch für Auflösungen innerhalb einer Population. Je mehr Organisationen aufgelöst werden, desto mehr Beschäftigte werden arbeitslos. Diese suchen dann in den überlebenden Organisationen nach vakanten Positionen. Weil dadurch das Angebot an Arbeitskräften auf dem Arbeitsmarkt steigt, sinkt in der Tendenz der Durchschnittslohn. Daher ist es für überlebende Organisationen häufig interessant, Vakanzen extern zu besetzen. Die Folge ist: die Rate der intra-organisationalen Mobilität sinkt. Zugleich verringert sich auch die Rate der inter-organisationalen Mobilität. Dies deshalb, weil es infolge der Auflösungen nun insgesamt deutlich weniger Vakanzen gibt, die aufgrund von Organisationswechseln geschlossen werden könnten. Zugleich steigt der Anteil der Beschäftigten, die aufgrund
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c.
3. Arbeitsorganisation: horizontale Verteilungsmechanismen
der verschlechterten Aufstiegschancen die Branche verlassen (Haveman/Cohen 1994). Diese durch Auflösungen hervorgerufenen Organisationswechsel sind zumeist mit positionalem Abstieg verbunden. Paradoxerweise finden im Zuge von Auflösungen auch Aufstiege statt, obgleich in geringerem Maße und dies auch nur in Organisationen, die ihren Personalbestand reduzieren und sich daher gewissermaßen nur „partiell“ auflösen. Zwei mögliche Erklärungen werden für diesen Umstand angeboten. Zum einen wird vermutet, dass mit zunehmendem Auflösungsrisiko die Verhandlungsmacht des Managements schwindet und den verbliebenen Beschäftigten Zugeständnisse gemacht werden müssen (Phillips 2001). Zum anderen müssen die verbliebenen Beschäftigten Teile der Aufgaben ihrer entlassenen Kollegen übernehmen. Dies führt zu organisationsinternen Personalumsetzungen und dabei eben auch zu Aufstiegen (Windzio 2002). Zusammenschlüsse. Der dritte Mobilitätseffekt entsteht dadurch, dass sich zwei oder mehr vormals eigenständige Organisationen des gleichen Populationstyps zusammenschließen. Dies kann als gleichberechtigte Fusion oder in Form einer Übernahme der einen durch die andere Organisation geschehen. Zusammenschlüsse ziehen in der Regel Stellenstreichungen nach sich. Der Grund ist, dass man für bestimmte Funktionsbereiche nicht zwei Abteilungen, sondern eben nur eine benötigt. Fallen diese Positionen weg, so müssen sich die bisherigen Positionsinhaber nach Vakanzen in anderen Organisationen umschauen. Folglich steigt der Grad an inter-organisationaler Mobilität. In vielen der zusammengeschlossenen Organisationen sinkt aber auch die intra-organisationale Mobilität, denn die bestehenden Vakanzen werden zumindest teilweise durch externe Bewerber besetzt. Und wie schon im Falle der Schließungen steigt auch die Zahl der Austritte von Beschäftigten aus ihrer bisherigen Branche (Haveman/Cohen 1994).
Im Vergleich zu anderen Feldern des Organisations-Stratifikations-Links ist die populationsökologische Mobilitätsforschung ein relativ junges und ausbaufähiges Gebiet. Denn leider liegen zum Beispiel so gut wie keine Befunde zur beruflichen Mobilität jenseits von Gründungen und Auflösungen vor. Man denke allein an Anpassungen von bestehenden Organisationen an veränderte Umweltzustände, die arbeitsorganisatorische Umbauten erzwingen, wie z. B. die Einführung von Gruppenarbeit oder von Profit Centers. Auch der Übergang von der hierarchischen Steuerung von Produktion und Absatz hin zu netzwerkförmigen Leistungsprozessen könnte sich in den Mobilitätschancen der Beschäftigten niederschlagen. Dazu jedoch bedarf es detaillierter Datensätze, die neben den Mobilitätsraten der Beschäftigten auch ausführliche Informationen über die Struktur von Organisationen jenseits ihrer Lebensdauer enthalten.
3.4 Demografische Zusammensetzung
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Demografische Zusammensetzung
Organisationsgröße, Personalrekrutierungssysteme und die Organisationspopulation stellen in unterschiedlicher Weise Ausformungen der Strukturgestaltung von Arbeitsorganisationen dar (Ranking), die die horizontale Verteilung von Gütern an die Beschäftigten beeinflussen. Bei der demografischen Struktur der Arbeitsorganisation liegt der Fall anders. Sie ist ein Sorting-Mechanismus: Personen mit individuellen soziodemografischen Eigenschaften werden auf vorhandene Strukturen verteilt. Die Folge ist eine soziodemografische Verteilung, die zwar auf der Positionsstruktur der Organisation auflagert, die jedoch emergente, vom Ranking unabhängige Verteilungseffekte hervorruft. Der Schwerpunkt der Demografieforschung liegt bei der Analyse der Altersstruktur der Organisation und ihrer Verteilungseffekte im Hinblick auf Einkommen und Mobilität. Weite Teile dieses Forschungsfelds führen Analysen zum internen Arbeitsmarkt weiter, indem sie auf die Probleme der Altersverteilung im internen Wettbewerb der Beschäftigten um Aufstiegspositionen hinweisen. Darüber hinaus sind vereinzelt Studien zur Geschlechterverteilung durchgeführt worden. Obschon der Forschungsstand hierzu recht übersichtlich ausfällt, möchte ich ihn dennoch darstellen, weil er zeigt, dass Organisationen geschlechtsspezifische Ungleichheiten jenseits der beruflichen und der branchenbezogenen Segregation des Arbeitsmarkts hervorrufen. Die Bedeutung der Altersstruktur Wovon hängt es ab, ob es in einer Organisation vakante Positionen gibt? Diese Frage wird vor allem jenem Forschungszweig zum Organisations-Stratifikations-Link behandelt, den man als „Organisationsdemografie“ bezeichnet (zum Überblick siehe Stewman 1988; Williams/O'Reilly 1998). Dort wird gezeigt, dass die Anzahl der vakanten Positionen zwei verschiedene Ursachen hat. Erstens können diese Positionen neu geschaffen werden. Dies geschieht in Arbeitsorganisationen oftmals in einer Phase des allgemeinen organisationalen Wachstums. Generell zeigt sich: Beschäftigte in wachsenden Unternehmen haben bessere Karrierechancen, denn sie steigen schneller und weiter auf als Beschäftigte in stagnierenden Unternehmen. Empirische Evidenz für diese These stammt von Brüderl (Brüderl 1991: 106 ff.) sowie von Preisendörfer & Burgess aus einer Längsschnitt-Fallstudie in einem deutschen Maschinenbauunternehmen (Preisendörfer/Burgess 1988), von Bielby & Baron auf der Basis einer repräsentativen US-Beschäftigtenbefragung (Bielby/Baron 1983: 98 ff.), von Rosenbaum aus einer Längsschnitt-Fallstudie von einem der größten US-
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3. Arbeitsorganisation: horizontale Verteilungsmechanismen
Konzerne (Rosenbaum 1979a) sowie von Wholey für Angestellte in großen USAnwaltskanzleien (Wholey 1985). Da diese Befunde nicht weiter überraschend sind, werde ich der Rolle des Wachstums an dieser Stelle nicht nachgehen, sondern stattdessen auf die zweite Ursache hinweisen, nämlich die Altersstruktur der Organisationsmitglieder über die Positionsstruktur hinweg. Gefragt wird, welche Auswirkungen die Altersstruktur der Beschäftigten einer Organisation auf die Mobilitätschancen und die Einkommenshöhe ihrer Mitglieder hat. Die Effekte der Altersstruktur kann man schön anhand eines Fallbeispiels darstellen. Nehmen wir ein beliebiges Unternehmen ALPHA und betrachten dort eine aus vier Stufen bestehende Aufstiegsleiter. Die einzelnen Positionen auf den vier Stufen verteilen sich in pyramidaler Weise wie über die Aufstiegsleiter. Zugleich ist jede Stufen mit Personen besetzt, die ein bestimmtes Durchschnittsalter pro Stufe aufweisen (vgl. Tabelle 3.4).
Tabelle 3.4:
Beispiel: Alterstruktur im Unternehmen ALPHA
Hierarchische Stufe
Positionen je Stufe
S1 Sachbearbeitung
40
30 Jahre
S2 Gruppenleitung
20
35 Jahre
S3 Abteilungsleitung
10
50 Jahre
5
60 Jahre
S4 Regionalleitung
Durchschnittsalter je Stufe
Anm.: Quelle: eigene Darstellung.
Nehmen wir an, dass die Altersverteilung der Beschäftigten auf jeder einzelnen Stufe relativ homogen ist. Weiterhin gehen wir davon aus, dass das Renteneintrittsalter für alle Beschäftigten unabhängig vom Geschlecht bei 65 Jahren liegt. Vorzeitige Ausstiege sowie Einstiege vom externen Arbeitsmarkt finden in diesem Beispiel nicht statt. Betrachtet man nun die Aufstiegschancen der Beschäftigten auf den Stufen S-1 bis S-3, so sieht man, dass in den nächsten fünf Jahren keine Beförderungen stattfinden werden. Solange dauert es, bis die Regionalleiter auf der Stufe S-4 in den Ruhestand gehen und eine gleich große Anzahl an Abteilungsleitern der Stufe S-3 nachrücken kann. Da die Positionsstruktur in unserem Beispiel pyramidal ist und sich die Anzahl der Positionen von der untersten bis zur obersten Stufe linear halbieren, betragen die Aufstiegschancen für die Beschäftigten jeweils 50 Prozent. Nur die Hälfte der Personen auf einer
3.4 Demografische Zusammensetzung
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Stufe kann auf die nächst höhere Stufe aufsteigen. Da der Altersabstand zwischen allen Stufen immer gleich ist, finden die weiteren Beförderungen alle zehn Jahre statt. Wie das Beispiel zeigt, legt die Altersverteilung in nicht unerheblichem Maße die zeitliche Dynamik der Mobilität fest. Dagegen beschreibt das Verhältnis der Positionen auf zwei benachbarten Stufen die Konkurrenz der potentiellen Kandidaten und damit über das Ausmaß der Mobilitätschancen. Nun modifiziere ich das Beispiel anhand einer zweiten Organisation BETA. Nehmen wir an, dort wären die Abteilungsleiter auf Stufe S-3 nicht durchschnittlich 50, sondern nur 40 Jahre alt. Alle anderen Altersmerkmale bleiben dagegen konstant. Wie in Organisation ALPHA findet auch in Organisation BETA die nächste Beförderungsrunde in fünf Jahren statt. Wer hier jedoch nicht mit aufsteigt, muss dann ganze 20 Jahre warten, bis die Vakanzkette aufgrund des Ausscheidens der Personen auf S-4 wieder in Gang kommt, weil die in Organisation BETA jüngeren Abteilungsleiter nach ihrem Aufstieg deutlich länger auf der Spitzenposition S-4 verweilen. In ALPHA erreichen die zehn aufgestiegenen Gruppenleiter aus Stufe S-2 in 15 Jahren die Spitzenposition der Regionalleitung und verbleiben dort für zehn Jahre. In Organisation BETA dauert es aufgrund des vergleichsweise niedrigen Alters der darüber befindlichen Personengruppe 25 Jahre, und die Verweildauer auf S-4 beträgt nur fünf Jahre. Weil in ALPHA also die zweite Beförderungsrunde früher stattfindet, haben dort die Beschäftigten auf Stufe S-1 bessere Mobilitätschancen. Einkommenseffekte Betrachten wir nochmals die Beispielorganisationen ALPHA und BETA. Zunächst unterstellen wir, dass in beiden Organisationen die folgenden Gehälter (in der fiktiven Einheit E) auf den verschiedenen Stufen gezahlt werden:
S-1 (Sachbearbeitung): S-2 (Gruppenleitung): S-3 (Abteilungsleitung): S-4 (Regionalleitung):
100 E 200 E 300 E 400 E
Nun betrachten wir ausschließlich diejenigen Beschäftigten, die bei jeder sich bietenden Gelegenheit tatsächlich aufgestiegen sind. Für jede Person, die zum Zeitpunkt t0 auf einer der beiden Stufen S-1 oder S-2 stand, kann man die Summe der Einkommen zunächst pro Verweildauer auf einer Stufe berechnen, um für jede Person die Summe aller erzielten Einkommen in der Zeit der von uns beobachteten Organisationszugehörigkeit zu bestimmen. Die Ergebnisse sind in Tabelle 3.5 festgehalten. Das Augenmerk liegt nur auf den Personen, die sich
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3. Arbeitsorganisation: horizontale Verteilungsmechanismen
zum Beobachtungszeitpunkt auf S-1 und auf S-2 befinden. Diese 10 Jahre Unterschied führen dazu, dass es in BETA einen Beförderungsstau gibt. Weil die Sachbearbeiter (S-1) und die Gruppenleiter (S-2) länger auf die nächste Aufstiegsmöglichkeit warten müssen, erhalten sie für diese Wartezeit auch ein im Vergleich zu ihren Kollegen in ALPHA niedrigeres kumuliertes Stufeneinkommen. Ihr Organisationseinkommen beträgt summa summarum 8.000 E. Wären sie stattdessen in Organisation ALPHA angestellt, so bräuchten sie für die beiden unteren Stufen nur 15 Jahre und befänden sich für 20 Jahre auf den beiden oberen Stufen. Das Resultat ist ein um 1.000 E oder 12,5 Prozent höheres Organisationseinkommen. Gleiches gilt analog für die Beschäftigten der Stufe S-2.
Tabelle 3.5:
Rechenbeispiel: Mobilität und Einkommensentwicklung im Vergleich
Stufe zum Beobachtungszeitpunkt t0 Verweildauer in Jahren auf Stufe N S-1 S-2 x Jahreseinkommen N Organisation ALPHA Verweildauer S-1 5 x 100 = 500 x Jahreseinkommen S-1 Verweildauer S-2 10 x 200 = 2.000 5 x 200 = 1.000 x Jahreseinkommen S-2 Verweildauer S-3 15 x 300 = 4.500 10 x 300 = 3.000 x Jahreseinkommen S-3 Verweildauer S-4 5 x 400 = 2.000 15 x 400 = 6.000 x Jahreseinkommen S-4 Summe Organisationseinkommen 9.000 E 10.000 E Organisation BETA Verweildauer S-1 5 x 100 = 500 x Jahreseinkommen S-1 Verweildauer S-2 20 x 200 = 4000 5 x 200 = 1.000 x Jahreseinkommen S-2 Verweildauer S-3 5 x 300 = 1500 20 x 300 = 6.000 x Jahreseinkommen S-3 Verweildauer S-4 5 x 400 = 2000 5 x 400 = 2.000 x Jahreseinkommen S-4 Summe Organisationseinkommen 8.000 E 9.000 E Anm.: Quelle: Lengfeld 2007: 159.
Fazit: Im Beispiel ergeben sich erhebliche Einkommensunterschiede für jene Beschäftigten, die zum gleichen Zeitpunkt auf gleicher Stufe in die jeweilige
3.4 Demografische Zusammensetzung
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Organisation eingetreten sind. Was sich im Fallbeispiel relativ einfach und nachvollziehbar auf die unterschiedliche Altersstruktur zurückführen lässt, ist in der Realität jedoch komplizierter. Denn in realen Unternehmen ist zwar der Aufbau der Positionsstruktur mehr oder weniger pyramidal. Dennoch nimmt die Aufstiegswahrscheinlichkeit je genommene Stufe nicht monoton ab. So hat z. B. Josef Brüderl in einer Fallstudie einen nicht-linearen Verlauf der Mobilitätschancen vorgefunden (Brüderl 1991: 99 ff). Er zeigt, dass im untersuchten Unternehmen die Aufstiegschancen in der sechsstufigen Aufstiegsleiter von S-2 nach S-3 am höchsten sind; knapp 70 Prozent der Beschäftigten haben diesen Aufstieg genommen. Dagegen sind nur 44 Prozent der Beschäftigten von S-1 nach S-2 aufgestiegen. Von S-3 nach S-4 und S-4 nach S-5 fallen sie zunächst schwach ab (47 bzw. 41 Prozent), um von S-5 nach S-6 mit rund vier Prozent stark zurück zu gehen (ebd., vgl. auch Brüderl 1993). Sanduhreffekte und Aufstiegsturniere Wie kann man diesen nicht-linearen Verlauf erklären? Folgt man einem Vorschlag von Shelby Stewman & Suresh Konda, so sind die Mobilitätschancen analog dem Bild einer umgekehrten Sanduhr verteilt (Stewman/Konda 1983: 644 ff.; vgl. auch Stewman 1986: 227 ff.). Dieser Sanduhreffekt entsteht aus dem Verhältnis der Positionen zweier benachbarter Stufen zueinander. Die Sanduhr verengt sich, wenn die Zahl der Positionen von einer Stufe zur nächst höheren Stufe stärker zurückgeht als auf den darunter liegenden Stufen. Je näher ein Bewerber dem Engpass kommt, desto geringer sind seine Mobilitätschancen. Für diejenigen, die den Engpass erfolgreich durchqueren, beschleunigt sich der Aufstieg anschließend wieder. Nun gibt es im Aufstiegsprozess nicht nur Gewinner, sondern immer auch Verlierer. Denn aufgrund der pyramidalen Positionsstruktur nimmt die Zahl der freien Positionen – absolut gesehen – nach oben hin ab. Damit stellt sich die Frage, nach welchen Kriterien Organisationen entscheiden, wer auf die nächste Stufe aufsteigt und wer nicht. Diese Frage wird in den sogenannten „Turniermodellen“ insbesondere von James Rosenbaum diskutiert (Rosenbaum 1979b; 1979a; 1981; 1984; vgl. auch Brüderl 1991: 122 ff.). Rosenbaum geht davon aus, dass man sich Aufstiegsmobilität als das Resultat von impliziten „Turnieren“ vorstellen kann. Turniere sind „Prozeduren zur ordinalen Reihung einer Population“ (Brüderl 1991: 112). In ihnen werden die Teilnehmer nach näher zu bestimmenden Leistungskriterien in eine Rangfolge gebracht. Werden eine oder mehrere Positionen z. B. auf der Stufe S-3 vakant, so wird unter den Positionsinhabern auf der Stufe S-2 ein implizites Aufstiegsturnier veranstaltet. Dessen wichtigstes Merkmal ist, dass nicht die absolute Leistung zählt, die ein Beschäf-
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3. Arbeitsorganisation: horizontale Verteilungsmechanismen
tigter erbringt. Entscheidend ist die relative Leistung im Vergleich zu den Mitstreitern. Das Turnier erbringt für die Organisation zwei wichtige Funktionen: Zum einen ist es ein Verfahren, mit deren Hilfe die „besten“ Kandidaten identifiziert werden sollen (und die weniger guten gleich mit). Während die Gewinner unmittelbar aufsteigen, bleiben die Verlierer auf ihrer gegenwärtigen Position. Letztere haben die Möglichkeit, zusammen mit den Nachrückern um die zum nächsten Zeitpunkt vakant werdenden Positionen zu konkurrieren. Zum anderen soll das Turnier − wie der interne Arbeitsmarkt generell − die Beschäftigten dazu motivieren, durch die Aussicht auf Beförderung hohe Leistungen zu erbringen. Dies setzt jedoch voraus, dass Aufstiege ausschließlich durch individuelle Leistung zu erreichen sind. Anderenfalls kommt es zur Zunahme von Frustration und von Leistungszurückhaltung (vgl. Rosenbaum 1984). Allerdings werden sowohl die Selektions- als auch die Anreizfunktion ihrem Anspruch in der Realität nur bedingt gerecht. Denn Rosenbaums empirische Analysen, durchgeführt an einer Längsschnitt-Fallstudie eines großen USKonzerns, zeigen, dass nicht allein die faktische Leistung, sondern das Alter eines Wettbewerbers maßgeblich über den Ausgang des Aufstiegsturniers entscheidet. Je jünger eine Person bei Organisationseintritt im Vergleich zu ihren Konkurrenten auf der gleichen Aufstiegsstufe ist, desto größer sind ihre Karrierechancen. Die Folgen sind:
Jüngere werden im Vergleich früher befördert, Jüngere erreichen häufiger höhere Positionen, Jüngere erzielen ein vergleichsweise höheres Einkommen.
Wie kann man diesen „Frühstarteffekt“ erklären? Rosenbaum geht davon aus, dass frühe Beförderungen als Indikator für ein hohes Leistungspotential angesehen werden. Wer früh aufsteigt, ist „positiv stigmatisiert“: Er (seltener jedoch: sie, vgl. dazu weiter unten) ragt aus der Menge der Konkurrenten um vakante Positionen auf der nächst höheren Aufstiegsstufe heraus. Und er tritt in ein eigenes, speziell für Frühstarter reserviertes Turnier ein, dass bessere Chancen (Bezahlung, Weisungskompetenzen, Prestige oder ähnliches) verspricht als das Turnier der älteren Konkurrenten. Damit wandelt sich das askriptive Merkmal des Alters zu einem Leistungsmerkmal. Ein Beförderungsautomatismus kommt in Gang: Wer jung aufsteigt, gilt als besonders leistungsstark und wird bei weiteren Beförderungen bevorzugt, was wiederum als Indikator von besonderer Leistungsfähigkeit gilt. Karrieren sind daher alters-pfadabhängig. Die Chancen auf Beförderung werden nicht bei jeder Aufstiegsrunde neu gemischt. Frühe Erfolge machen spätere Erfolge wahrscheinlicher, und frühe Misserfolge lassen sich in späteren Turnieren kaum mehr kompensieren.
3.4 Demografische Zusammensetzung
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Geschlechterverteilung Geschlechtsspezifische Ungleichheiten in Organisationen resultieren zum guten Teil daraus, dass die Geschlechter über die verschiedenen Stufen der Positionsstruktur ungleich verteilt sind (klassisch dazu: Kanter 1977; siehe auch Bielby/Baron 1986). Weil den unterschiedlichen Stufen einer Positionsstruktur ebenfalls hierarchisierte Lohngruppen zugewiesen werden, resultieren überproportional häufige Besetzungen von Frauen auf den unteren Stufen der Positionsstruktur in einem − statistisch gesehen − niedrigeren Gruppeneinkommen (vgl. u. a. Featherman/Hauser 1976; Randsom/Oaxaca 2005; Winter 1998). Auch haben zahlreiche empirische Studien gezeigt, dass die Mobilitätschancen von Frauen in Arbeitsorganisationen deutlich geringer sind als die ihrer männlichen Kollegen (vgl. u. a. Cannings/Montmarquette 1991; DiPrete/Soule 1988; Felmlee 1982; Halaby 1982; Spilerman/Petersen 1999). Aus der Vielzahl geschlechterbedingter Ungleichheitseffekte, die durch organisationale Strukturen hervorgerufen werden, ragt eine Beobachtung heraus, die wie kaum eine zweite den unsichtbaren Einfluss des Sorting auf die Lebenschancen sowohl von Frauen als auch von Männern bezeugt. Die Rede ist vom Einfluss der Geschlechterquote der Organisation auf das Einkommen der Beschäftigten. Die Geschlechterquote ist ein Strukturmerkmal der Organisation, das von verschiedenen Faktoren der Organisation selbst als auch von ihrer Umwelt abhängt (vgl. zum Überblick Reskin u. a. 1999: 337 ff.). So ist beispielsweise bekannt, dass der Anteil von Frauen in Dienstleistungsbranchen höher ausfällt als in der verarbeitenden Industrie. Ursächlich dafür ist unter anderem die geschlechtsspezifische Segregation von Berufen, die sich von Branche zu Branche unterscheidet. Wie nun verschiedene Studien auf der Basis von Daten aus U.S.amerikanischen Unternehmen zeigen, beeinflusst das Geschlechterverhältnis in einer Organisation die Bezahlung aller Beschäftigten: Je höher der Frauenanteil in der Organisation innerhalb der gleichen Berufsgruppe, desto geringer ist die Bezahlung der Beschäftigten, und dies gilt in der Regel sowohl für Frauen als auch für Männer (vgl. Hodge/Hodge 1965; Pfeffer/Davis-Blake 1987; Roos 1981; Snyder/Hudis 1976). Dieser Befund bleibt bestehen, wenn man eine Vielzahl von möglichen Dritteffekten berücksichtigt, die die Einkommenshöhe beeinflussen, wie z. B. Alter, Bildung, Dauer der Betriebszugehörigkeit oder Organisationsgröße. Schauen wir uns exemplarisch die Befunde einer Studie von Jeffrey Pfeffer & Alison Davis-Blake (1987) genauer an. Das Autorenteam untersucht, inwieweit die Gehälter von Verwaltungsangestellten in U.S.-amerikanischen Colleges und Universitäten vom Grad der Geschlechterquote in diesen Organisationen
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3. Arbeitsorganisation: horizontale Verteilungsmechanismen
abhängen. Diese doppelte Beschränkung auf Verwaltungspersonal und auf einen engen Kreis von Bildungseinrichtungen dient dazu, die untersuchten Zusammenhänge von Effekten der Geschlechtersegregation nach Berufen und Branchen frei zu halten. Die zu zwei Zeitpunkten (1978 und 1983) erhobenen Daten enthalten zwei Arten von Informationen: Angaben über die Organisationen (Größe, Ressourcenausstattung, regionale Lage, Geschlechterquote) und Informationen über die individuellen Positionen (Gehaltshöhe, Beschäftigungsdauer, ethnische Zugehörigkeit). Im Ergebnis zeigt sich, dass mit steigendem Frauenanteil das Gehalt pro Position in der Organisation sinkt, und zwar sowohl für Frauen als auch für Männer. Allerdings ist der fallende Verlauf nicht für beide Geschlechter identisch. Bei Frauen ist der Verlauf nicht-monoton: Zwischen fünf und 20 Prozent Frauenanteil fällt das Gehalt leicht ab, bis 35 Prozent fällt es stark ab, um anschließend wiederum nur in geringem Maße zurückzugehen. Bei Männern fällt das Gehalt bis zu einem Frauenanteil von 45 Prozent monoton, um jenseits dieser Geschlechterquote nur gering abzufallen. Um die Erklärung dieser Effekte konkurrieren zwei Theorien. Die erste, institutionalistische Theorie behauptet, dass der gesellschaftliche Prestigewert einer Tätigkeit umso geringer ist, je mehr Frauen diese Tätigkeit ausüben. Umso geringer erscheint dann die angemessene Bezahlung für diese Tätigkeit. Den Hintergrund dieser These bilden experimentelle Studien (vgl. Major/Deaux 1982). In diesen Studien hat sich gezeigt, dass Männer wie Frauen einer identischen Tätigkeit dann eine geringere ökonomische Bedeutung – und damit ein geringeres Gehalt − zumessen, wenn bekannt ist, dass die Tätigkeit von überproportional vielen Frauen ausgeübt wird. Diese Tätigkeit gilt jedoch erst ab einem bestimmten Schwellenwert als „weiblich markiert“. Dies erklärt den von Pfeffer & Davis-Blake (1987) beobachteten nicht-linearen Verlauf der beiden Kurven. Aus Sicht der zweiten Theorie, der Wettbewerbstheorie, resultiert der hohe Frauenanteil daraus, dass die betreffende Organisation aufgrund ihrer ökonomischen Situation nur niedrige Gehälter zahlen kann. Aufgrund der oben genannten Gründe sind diese Organisationen jedoch für Männer weniger interessant als für Frauen. Entsprechend höher ist der Frauenanteil. Wie wir sehen, dreht die Wettbewerbstheorie die Kausalität des beobachteten Zusammenhangs um: Hier ist der Frauenanteil die Folge des geringen Gehaltsniveaus der Organisation und nicht umgekehrt, wie es die institutionalistische Theorie formuliert. Die Wirkung der Geschlechterquote fügt dem Phänomen der ungleichen Verteilung von Lebenschancen aufgrund von demografischen Merkmalen der Organisation eine wichtige Facette hinzu. Weitere Effekte wären zu nennen, wie die ethnische Zusammensetzung oder die Bildungsstruktur der Organisation. Das Hauptargument dieses Abschnitts sollte jedoch deutlich geworden sein:
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Was eine Person in ihrer Organisationskarriere erreichen kann, hängt nicht allein davon ab, wie viel sie zu leisten imstande ist, wie die Positionsstruktur der Organisation aufgebaut ist oder nach welchen Aufstiegssystem − wie etwa dem internen Arbeitsmarkt − Beförderungen stattfinden. Ebenso wichtig für die berufliche Mobilität einer Person ist, wie alt die anderen Organisationsmitglieder sind, die sich über die verschiedenen Positionsstufen verteilen, und welches Geschlecht sie haben: beides Merkmale, die die Verteilung von Lebenschancen beeinflussen, weil die Menschen ihnen kulturell gefestigte Bedeutungen über Leistung und Erfolg beimessen.
Exkurs:
Zur Rolle von Tarif- und Bildungsorganisationen
Bisher habe ich mich auf die Ungleichheitseffekte von Arbeitsorganisationen als die produktiven sozialen Einheiten des Erwerbssystems konzentriert. Arbeitsorganisationen haben diese herausgehobene Bedeutung, weil sie unter ihrem Dach die Positionen bereitstellen, aus denen sich die ökonomische Basis der Sozialstruktur einer Gesellschaft zusammensetzt, und weil an die Einnahme einer Position die Zuweisung von ökonomischem Kapital (Lohn, Aufstiegschancen), symbolischem Kapital (Berufsprestige und Statussymbole), aber auch die Art der Arbeitsbedingungen und damit verbundene Gesundheitschancen geknüpft ist. In Arbeitsorganisationen der OECD-Gesellschaften entscheidet sich, in welchem Umfang eine Erwerbsperson nach Abschluss der schulischen Ausbildung Gelegenheit zum beruflichen und sozialen Aufstieg erhält, ob sich ihre früheren Anstrengungen im Bildungssystem materiell oder symbolisch bezahlt machen oder in welchem Ausmaß sie mit den Risiken der Arbeitslosigkeit und des damit verbundenen ökonomischen und sozialen Abstiegs konfrontiert ist. Gleichwohl gibt es noch andere Organisationstypen, die, wie Arbeitsorganisationen, die Klassenstruktur der Gesellschaft beeinflussen und die zugleich die Lebenschancen horizontal zur Hierarchie der sozialstrukturellen Positionen verteilen: Bildungsorganisationen und Tariforganisationen. Für beide Organisationstypen möchte ich nun vertikale und horizontale Ungleichheitseffekte darlegen. Bildungsorganisationen Insbesondere Pierre Bourdieu hat in seinen frühen bildungssoziologischen Studien darauf hingewiesen, dass Schulen und Hochschulen im französischen Bildungssystem in zwei Hinsichten soziale Ungleichheit verstärken. Oberflächlich betrachtet, ist die Schule ein Ort der Zuteilung von Bildungszertifikaten nach objektivierten, für jeden Schüler und jede Schülerin gleichermaßen geltenden Leistungsregeln. Ihre eigentliche Wirkung besteht jedoch darin, verschiedene kulturelle Kapitalien der Schüler zu verstärken, die aus deren unterschiedlicher sozialer Herkunft resultieren. Ursächlich dafür ist, dass der von der Schule definierte Bildungskanon an kulturellen Werten orientiert ist, die typischerweise von Angehörigen der oberen Klassen geteilt und an deren Kinder weitergegeben
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Exkurs: Zur Rolle von Tarif- und Bildungsorganisationen
werden (Bourdieu 1982: 52 f.). Dieser Startvorteil führt dazu, dass die Schule das bei Kindern mit bildungsbürgerlicher Herkunft angelegte kulturelle Kapital verstärkt. Zugleich werden Teile jener kulturellen Praktiken sanktioniert, über die die Schüler der unteren Klassen verfügen, weil diese Praktiken nicht mit dem kulturellen Kurrikulum der Schule übereinstimmen (vgl. auch Grundmann 1999). Einer der maßgeblichen Gründe, warum diese Kinder den Bildungsvorsprung im Verlauf ihres Schulbesuchs nicht aufholen, sieht Bourdieu in der Diskrepanz zwischen dem Sprachstil der Arbeiterklassen und dem der bildungsbürgerlichen Klassen (Bourdieu/Passeron 1971: 109 ff). Der Sprachstil der Kinder aus den Arbeiterklassen ist unter anderem dadurch gekennzeichnet, Informationen mittels Gestik, Körperlichkeit und direkte Rede zu übermitteln. Für Bildungsbürgerkinder dagegen ist der sichere Vortrag und die Kunst variierender rhetorischer Ausdrucksfähigkeit Stil prägend. Gleiches gilt für ästhetische Urteile in Bereich der Literatur und Kunst (Bourdieu 1982: 85 ff.). Weil die Schule aber die Verbalisierung von Erfahrung einfordert und hochkulturelle Kompetenzen positiv bewertet, sind die Schüler aus bildungsstarken Elternhäusern von Beginn der schulischen Ausbildung an im Vorteil. Sie verfügen über die kulturellen Fähigkeiten, die zum Erwerb von schulischem Sachwissen erforderlich sind. Dies hat zur Folge, dass Schulen klassenspezifische Ungleichheiten verstärken (Bourdieu/Passeron 1971: 125 f.). Bourdieu weist, wieder für die französische Gesellschaft noch auf einen zweiten Zusammenhang zwischen Bildungsorganisation und Ungleichheit hin, nämlich auf die ungleiche Verteilung von Studierenden unterschiedlicher sozialer Herkunft auf die Hierarchie der französischen Hochschulen. Je höher das durch soziale Herkunft und Schule verstärkte kulturelle Kapital, desto wahrscheinlicher ist es, dass ein Student nicht eine durchschnittliche Universität, sondern eine „grand ecole“ besucht. Die Differenzierung des Universitätssystems in normale und Elitenhochschulen führt damit zur Verstärkung des SchulHerkunfts-Effekts: Je höher das Ansehen der Hochschule, desto größer ist der Anteil der Studierenden aus Familien der höchsten Klassenpositionen (Bourdieu 1982: 204). Soziale Herkunft wirkt jedoch nicht direkt auf die Wahrscheinlichkeit des Hochschulbesuchs, sondern wird vermittelt über einen Ausleseprozess, der sich von der Grundschule über höhere Schulen bis hin zur Hochschule erstreckt (Bourdieu/Passeron 1971: 131 ff.). Zusammenfassend kann man festhalten, dass das kulturelle Kurrikukum der Schule die Chancengleichheit für Kinder unterschiedlicher sozialer Klassen beeinflusst, indem es die überkommene Klassenstruktur perpetuiert. Die ungleiche Eingangsausstattung mit kulturellem Kapital wird auf der untersten Bildungsebene (Grundschule) in ungleiches Bildungskapital transformiert, was auf den weiteren Bildungsebenen (weiterführende Schule, Hochschule) durch Her-
Exkurs: Zur Rolle von Tarif- und Bildungsorganisationen
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kunftsstatus beeinflusste Ausleseeffekte hervorruft. Doch wie im Fall der Arbeitsorganisation beeinflussen Schulen Bildungschancen auch jenseits der Verstärkung von klassengebundener sozialer Herkunft. Denn auch Schulen rufen horizontale Ungleichheitseffekte durch strukturelle Varianz hervor, die man mittels Ranking und Sorting klassifizieren kann. Ranking-Effekte in Schulen resultieren daraus, dass der schulische Lernprozess unterschiedlich strukturiert sein kann. Eine Variante besteht darin, die Schüler innerhalb ihrer Klasse nach dem Grad der individuellen Leistungsfähigkeit in Lerngruppen mit verschiedenen Leistungsniveaus einzuteilen („grouping“). Zu beachten ist, dass die Gruppierung in der Regel temporär ist und für bestimmte Lerninhalte innerhalb des Klassenverbunds stattfindet. In einer Vielzahl von US-Studien wurde z. B. nachgewiesen, dass temporär gruppierte Schüler in Grund- bzw. Primärschulen durchschnittlich höhere Leistungen erzielen als Schüler in ungruppierten Klassen (vgl. Slavin 1987). Dabei profitieren leistungsschwächere Schüler stärker von der Gruppierung als Schüler mit durchschnittlicher oder hoher individueller Leistung. Insgesamt jedoch führt Leistungsgruppierung in der Grundschule zur Steigerung der Lernerfolge aller Schüler. Sorting-Effekte ergeben sich aus der Zusammensetzung der Schülerschaft nach ihrer sozialen Herkunft. Hintergrund ist der für viele Länder belegte Befund, dass die sozioökonomische Herkunft eines Schülers einen Einfluss auf seine individuellen Lernleistungen hat (Blossfeld/Shavit 1993; OECD 2001, 2004a). Diesen Effekt findet man nicht allein auf der Ebene des individuellen sozioökonomischen Status eines Schülers. Vor allem James Coleman hat früh darauf hingewiesen, dass die sozioökonomische Verteilung der Schüler auf die Schulen sich auf die Lernleistung auswirkt (Schulstatus). So erbrachten die Angehörigen von sozioökonomisch schlechter gestellten ethnischen Minderheiten in US-Schulen mit weißer Schülermehrheit bessere Lernleistungen als die gleiche Gruppe in Schulen mit überwiegend schwarzen Mitschülern (Coleman u. a. 1966). Für die Weißen zeigt sich dagegen kein nachweisbarer Effekt. Weder steigt ihre Lernleistung bei höherem Anteil der eigenen Ethnie, noch sinkt sie, wenn der Anteil der schwarzen Schüler steigt. Diese Befunde konnten in späteren Untersuchungen bestätigt werden (vgl. OECD 2001: 236 ff.). Tariforganisationen Ähnlich wie die Klassentheorien von Goldthorpe und Wright betont auch das Klassenkonzept von Reinhard Kreckel die Organisationen des Arbeitsmarkts als zentral für die Konstitution von sozialen Klassen (Kreckel 1992: 153). Sie stehen im Zentrum eines „ungleichheitsbegründenden Kräftefeldes“, um das herum
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Exkurs: Zur Rolle von Tarif- und Bildungsorganisationen
weitere Akteursgruppen und Organisationen Einfluss auf Verteilungsprozesse auf dem Arbeitsmarkt nehmen. Im Zentrum des Kräftefelds bestehen zwei Machtasymmetrien: eine „primäre“ Machtasymmetrie zwischen Kapital und Arbeit und eine „sekundäre“ Machtasymmetrie, die innerhalb der Arbeitnehmerschaft bestimmten Gruppen privilegierte Zugänge zu Reichtum, Wissen, beruflicher Stellung und Durchsetzbarkeit kollektiver Interessen eröffnet (z.B. männliche Facharbeiter, Manager, Experten) und andere davon ausschließt (wie Geringqualifizierte, weibliche Beschäftigte oder Arbeitslose). Zwischen beiden Machtasymmetrien kommt es zu Interessenüberscheidungen. Als Beispiel für eine solche Interessenüberscheidung benennt Kreckel die Segmentierung des Arbeitsmarkts. Segmentierte Arbeitsmärkte stellen unter anderem sicher, dass Unternehmen auf Absatzmarktschwankungen flexibel mit Einstellungen und Entlassungen im Bereich gering qualifizierter Industrie- und Dienstleistungsarbeit reagieren können. Dagegen bleibt die Kernbelegschaft (Klassenlagen mit höheren Qualifikationsanforderungen) von Marktschwankungen weitgehend abgeschirmt. Da sich Gewerkschaften in der Regel aus den Angehörigen der (in der Industrie zumeist männlichen) Kernbelegschaften rekrutieren, deckt sich das Interesse des Unternehmens an der Aufrechterhaltung der Spaltung in diesem Punkt mit den Interessen eines Großteils der Gewerkschaftsmitglieder (Kreckel 1992: 194 ff.; 202 ff.). Wie Kreckel betont, sind soziale Ungleichheiten in modernen Gesellschaften weithin verhandelte Ungleichheiten. An diesen Verhandlungen sind nicht Individuen, sondern Tariforganisationen, Interessenverbände und NichtRegierungsorganisationen beteiligt. Je einfacher individuelle Interessen kollektiv organisierbar sind, desto größer ist die soziale Macht der betreffenden Organisation, und desto größer sind die Lebenschancen ihrer Mitglieder. Diese Schlussfolgerung ist für sich genommen nicht neu (vgl. statt anderer Offe/Wiesenthal 1980; Traxler 1999). Neu ist, Organisationen mit Interessenvertretungsfunktion im Zentrum der Verteilung von Lebenschancen anzusiedeln und sie nicht ganz außen vor zu lassen, wie im Falle von Goldthorpes Klassenschema, oder sie als abhängige Größe der Klassenstruktur zu betrachten, wie bei Wright. Auch Tariforganisationen evozieren horizontale Ungleichheiten als Folge von Ranking und Sorting (vgl. zum Überblick Lengfeld 2007: Kapitel 7). Ranking-Effekte sind vor allem für Gewerkschaften erforscht worden. Das elementare Element ist das der bloßen Organisationsexistenz. Durch die Zusammenlegung individueller Ressourcen in den Händen eines kollektiven Akteurs verfügen die Beschäftigten über ein Drohpotential, im Falle ungelöster Interessengegensätze mit dem Unternehmen ihre Arbeitskraft zurückzuhalten und Einnahmeausfälle auszulösen. Auf der aggregierten Ebene der gesellschaftlichen Ein-
Exkurs: Zur Rolle von Tarif- und Bildungsorganisationen
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kommensverteilung ist festzustellen, dass die Existenz von Gewerkschaften mit einer Reduktion der Einkommensungleichheit unter den abhängig Beschäftigten einhergeht (klassisch hierzu Freeman/Medoff 1984: 43 ff., 78 ff.). SortingEffekte ergeben sich auch bei Tariforganisationen aus der soziodemografischen Zusammensetzung ihrer Mitgliederschaft. Ein solches Element ist der Bildungsgrad. Je niedriger der Bildungsabschluss eines Gewerkschaftsmitglieds im nationalen Bildungssystem angesiedelt ist bzw. je geringer seine berufliche Qualifikation, desto größer ist sein relativer Lohnvorteil, d. h. jener Vorteil, den er gegenüber Nicht-Mitgliedern des gleichen Bildungs- und Qualifikationsstands hat (vgl. Blanchflower/Bryson 2004: 388 ff.; Chaykowski/Slotsve 2002; Kölling u. a. 2002). Die Ursache dafür liegt in der Bildungsstruktur der Gewerkschaftsmitglieder. Allgemein gilt, dass Gewerkschaften ihre lohnpolitischen Ziele an den Interessen ihrer Mitglieder orientieren müssen, wenn sie dem Tarifgegner gegenüber durchsetzungsfähig sein wollen ("Median Voter"-Effekt, vgl. Traxler 2003: 532 f.). Je höher der Anteil der formal gering gebildeten Mitglieder ist, desto stärker zielt die Organisation darauf ab, die Löhne der von ihnen besetzten niedrigen Tarifgruppen anzuheben. Die beschriebenen Ranking- und Sorting-Effekte erklären nur einen Teil des Einflusses von Tariforganisationen auf individuelle Lebenschancen. Ein weiterer Teil wird von der Struktur des Kollektivvertragssystems hervorgerufen, dass Tariforganisationen konstituieren.13 Eines dieser Strukturmerkmale ist der tarifvertragliche Deckungsgrad. Je mehr Beschäftigte in einem Unternehmen, in einer Branche oder in einem nationalen Verhandlungssystem tarifvertraglichen Regelungen unterliegen, desto höher ist ihr Deckungsgrad. Im Hinblick auf die Verteilungseffekte zeichnen international vergleichende Studien folgendes Bild: Je höher der Deckungsgrad eines nationalen Tarifvertragssystems, desto geringer ist die gesellschaftliche Einkommensungleichheit (vgl. Kahn 2000; Pontusson 2000). Das Ausmaß des Deckungsgrads hängt wiederum von der Bereitschaft der Unternehmen zur Verbandsbildung ab. Diese Bereitschaft ist eine Folge der Organisationsmacht der Gewerkschaften sowie der Neigung des Staates, Tarifverträge für allgemeinverbindlich zu erklären (Traxler u. a. 2001: 199 ff.). Fazit dieses Exkurses: Nicht nur die Forschungen zu Arbeitsorganisationen, sondern auch jene zu Bildungs- und Tariforganisationen folgen der doppelten Perspektive der organisierten Ungleichheit. Einerseits fokussieren sie auf die Beeinflussung der Lebenschancen von Personen mit unterschiedlicher Klassen-
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In manchen Ländern wirkt der Staat als dritter Akteur mit, z. B. in Form von Allgemeinverbindlichkeitserklärungen.
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Exkurs: Zur Rolle von Tarif- und Bildungsorganisationen
lage: Schulen und Gewerkschaften sind soziale Orte der Verstärkung bzw. der Nivellierung von Ungleichheiten zwischen den Klassen. Diesen Befund habe ich am Beispiel von Bourdieus Bildungsstudien und anhand des Klassenkonzepts von Kreckel skizziert. Andererseits finden sich auch für Bildungs- und Tariforganisationen Effekte der strukturellen Varianz, die den Struktureffekten von Arbeitsorganisationen vergleichbar sind: Mit der Schulstruktur, der demografischen Zusammensetzung von Schulen und der Mitgliederstruktur der Gewerkschaften variiert das Ausmaß der Lebenschancen der Mitglieder der konkreten Organisationen. Allein das Tarifvertragssystem nimmt eine Sonderrolle ein, da es kein Strukturelement einer einzelnen Organisation ist, sondern die emergente Folge des aufeinander bezogenen Handelns von Gewerkschaften und Arbeitgeberverbänden. Wie der Ländervergleich zeigt, variieren aber auch die verteilungsrelevanten Strukturen von Tarifvertragssystemen und mit ihnen die Einkommenshöhe und die Beschäftigungsstabilität der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer. Ich werde die Rolle von Bildungs- und Tariforganisationen im weiteren Verlauf dieser Studie nicht weiter aufgreifen, sondern mich allein auf den Zusammenhang von Erwerbklasse und der Struktur von Arbeitsorganisationen konzentrieren. Zweck dieses Exkurses war allein zu zeigen, dass, auf abstrakter Ebene betrachtet, die Mechanismen der Verteilung von Gütern der drei Organisationstypen sehr ähnlich wirken: Alle drei beeinflussen die vertikale Positionsstruktur moderner Gesellschaften, und alle drei verteilen Güter qua struktureller Varianz quer zur Hierarchie sozialstruktureller Positionen.
4.
Getrennte Welten?
Aus der vorangegangenen Darstellung ist deutlich geworden, dass Arbeitsorganisationen entscheidenden Anteil an der Herstellung von sozialer Ungleichheit in modernen Gesellschaften haben. Gezeigt wurde, dass es zwei Wege gibt, auf denen Arbeitsorganisationen diesbezüglich wirksam werden. Sie beeinflussen Güterverteilungen zwischen sozialstrukturell hierarchisierten Positionen (vertikal organisierte Ungleichheit) und zwischen nicht-hierarchisierten Positionen (horizontal organisierte Ungleichheit). Meine erste Schlussfolgerung aus dieser Feststellung ist, dass beide Perspektiven auf Organisation und Ungleichheit in der bisherigen Forschungspraxis getrennt voneinander existieren. Meine zweite Schlussfolgerung lautet, dass diese analytische Trennung für eine umfassende Analyse von sozialer Ungleichheit nicht in jedem Fall sinnvoll ist. Sie sollte für bestimmte Untersuchungszwecke überwunden werden. Beide Schlussfolgerungen führe ich im Folgenden jeweils kurz aus. Ich beginne mit einer kurzen Zusammenfassung der beiden Perspektiven. Vertikale Ungleichheitseffekte: Arbeitsorganisationen konstituieren soziale Klassen, indem sie die arbeitsteiligen Schritte des betrieblichen Leistungsprozesses auf die Hierarchie der beruflichen Positionen verteilen. Welcher Klasse ein Individuum angehört, hängt vom Grad seiner Qualifikation und damit von der Komplexität der Aufgabe ab, die zu bewältigen ist, sowie davon, in welchem Ausmaß die Ausführung der Aufgabe durch die Organisation gesteuert werden kann. Je ausdifferenzierter diese Hierarchie, d. h. je arbeitsteiliger der Leistungsprozess, desto ausdifferenzierter ist auch die Klassenstruktur. Auch die Ausdifferenzierung der Klassenstruktur wird durch Arbeitsorganisationen angestoßen. Wandelt sich das dominante Modell der betrieblichen Arbeitsteilung (Fordismus, postfordistische Spezialisierung, Toyotismus etc.), so wandelt sich auch die Verteilung von Befugnissen über die Positionsstruktur, etwa indem bestimmte Tätigkeiten und Kontrollrechte von einer Positionsstufe in die nächste hineinverlagert werden. In der Folge verändert sich die zahlenmäßige Besetzung der einzelnen Klassenlagen. Dies hat in vielen OECD-Ländern seit den 1970er Jahren zu einer Zunahme von mittleren Leitungspositionen geführt. Auch können im Zuge dieser intra-organisationalen Differenzierung manche Klassenpositionen an Wertigkeit verlieren, wie z. B. die Meisterposition.
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4. Getrennte Welten
Horizontale Ungleichheitseffekte: Hier resultieren Ungleichheiten zwischen Personen mit gleichrangigen sozialstrukturellen Merkmalen aus der Variation von Verteilungsmechanismen zwischen Organisationen des gleichen Typs und zum gleichen Zeitpunkt innerhalb einer gegebenen Gesellschaft. Auch hier ist – wie im Falle der vertikalen Dimension – die Organisationsmitgliedschaft die notwendige Voraussetzung für die Zuweisung ungleicher Lebenschancen. Die hinreichende Bedingung jedoch ist die Varianz der organisationalen Zuweisungsmechanismen. Dabei habe ich zwei allgemeine Zuweisungsmechanismen unterschieden: Ranking als Mechanismus der Hierarchisierung von Positionen und der Verknüpfung dieser Positionen mit spezifischen Güterzuweisungen, und Sorting als Mechanismus der Besetzung der gerankten Positionen mit Personen spezifischer soziodemografischer Merkmale. Beide Mechanismen führen dazu, dass die Lebenschancen der Beschäftigten mit der Struktur der Organisationen variieren, denen sie jeweils angehören. Das Resultat sind sozialstrukturell horizontal wirksame Ungleichheiten, weil Existenz und Wirkungsweise von Ranking und Sorting nicht an die Hierarchie der sozialstrukturellen Positionen geknüpft sind. Variieren die Verteilungsmechanismen zwischen den Organisationen, so hat dies kaum Folgen für die gesellschaftliche Klassenstruktur. Dies schließt nicht aus, dass die strukturelle Varianz von Organisationen nicht in dem einen oder anderen Fall vertikale Ungleichheiten beeinflussen kann. Der Regelfall ist es jedoch nicht. Die Unverbundenheit der Mechanismen: Vergleicht man beide Perspektiven miteinander, so kommt man zu dem Schluss, dass beide Ungleichheitsmechanismen analytisch unverbunden sind. Klassen spiegeln die vertikale, Organisationsstrukturen die horizontale Dimension der durch Organisationen beeinflussten Güterverteilung wieder; Verbindungen zwischen beiden Perspektiven sind nicht erkennbar. Versuche zur theoretischen Integration beider Konzepte fehlen völlig, und zwischen empirischen Analysen, die mit dem Klassenkonzept operieren, sowie organisationsstrukturellen Studien hat es bislang kaum Berührungspunkte gegeben. Nur wenige empirischen Studien untersuchen den Einfluss beider Determinanten simultan, ohne jedoch eine inhaltliche Interpretation der Beziehung zwischen ihnen vorzunehmen (Carroll/Mayer 1986; Uunk u. a. 2005; Wunderlich 1996; Wright 1997). Die Frage ist, ob diese forschungspraktische Unverbundenheit auch in der realen Welt existiert. Wenn ja, dann wäre sie Ausdruck einer sinnvollen sozialwissenschaftlichen Arbeitsteilung. Dafür spräche, dass beide Analyseperspektiven unterschiedliche gesellschaftliche Ebenen zum Gegenstand haben. Die Klassenanalyse ist an dem Wandel der gesellschaftlichen Makrostruktur interessiert, so an der Veränderung der Klassenbesetzung, der Veränderung von intergenerationellen Mobilitätsregimes oder an kollektiven Prozessen der Formie-
4. Getrennte Welten
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rung von Klassen als politische Akteure. Dagegen rückt die strukturalistische Arbeitsmarktforschung die Mikroebene des Individuums in den Mittelpunkt, seine Güterausstattung, seine Arbeitsmarktchancen und seine berufliche Mobilität. Weil beide Forschungsrichtungen demnach andere Fragen stellen, würde eine Integration der beiden Perspektiven aus dieser Sicht auch keinen Sinn machen. Tatsächlich kann es im Folgenden nicht darum gehen, beide Analyseperspektiven zwangsweise zu vereinigen. Was dagegen Sinn macht, ist, sich der Frage zu widmen, inwiefern Einsichten der einen Perspektive neue Einsichten bei der anderen hervorrufen könnten. Dies ist eine auf den ersten Blick schwächere Variante der Verbindung beider Perspektiven; es ist jedoch eine, die für die Ungleichheitsforschung gewinnbringend sein kann. Worin der Gewinn der wechselseitigen Integration der jeweils anderen Perspektive auf Seiten der makrobezogenen Klassenanalyse liegen kann, habe ich im ersten Kapitel bereits angedeutet. Dort wurde gezeigt, dass Veränderungen der Organisationsstruktur sich auf den Grad der Ausdifferenzierung der Klassenstruktur auswirken. Eine andere Frage wäre in diesem Zusammenhang, inwiefern ein möglicher Wandel der betrieblichen Rekrutierungsmechanismen, zum Beispiel der Lockerung interner Aufstiegsmodelle, zu mehr Auf- und Abstiegsmobilität innerhalb und zwischen den Klassen führen könnte. Der Großteil der offenen Fragen liegt meines Dafürhaltens aber nicht auf Seiten der Klassenanalyse, sondern auf der Mikroanalyse individueller Güterausstattungen. Dies deshalb, weil auf diesem Gebiet bislang weder Bemühungen zur theoretischen Rahmung der vielzähligen Einzelmechanismen vorgelegt wurden, noch gibt es jene bescheidenen Brücken zur Makroebene, so wie umgekehrt die Klassenkonzepte Wrights und Goldthorpes Brücken zur Organisationsstrukturanalyse aufweisen. Diese Diagnose ist nicht neu. Denn die Unverbundenheit von Klassen- und Organisationsstruktur wurde auf dem Gebiet der Arbeitsmarktforschung schon vor über 20 Jahren als Desiderat bezeichnet. So konstatierten Glenn Carroll & Karl Ulrich Mayer 1986: „Yet most analyses are glaringly remiss in their failure to consider explanations from more than one perspective“. Und: „Clearly, however, what is needed is integrative theory. “ (Carroll/Mayer 1986: 324, 336)
Ich gehe im Folgenden davon aus, dass eine Integration des makrosoziologischen Klassenkonzepts und der individuumsbezogenen Organisationsanalyse dazu beitragen kann, unsere Kenntnis der strukturellen Mechanismen ungleicher Lebenschancen zu verbessern. Wie gut dies gelingt, ist eine offene und damit empirische Frage. Insofern kann die Überzeugungskraft dieser Behauptung erst im weiteren Verlauf dieser Studie überprüft werden. Sie träfe z. B. dann zu, wenn sich etwa zeigen würde, dass Organisationsstrukturen und Klassenlagen
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4. Getrennte Welten
systematisch im Hinblick auf die Ausgestaltung von Lebenschancen interagieren. Wäre dies der Fall, so könnte die Integration beider Perspektiven auch dazu beitragen, eine exaktere, erklärungsträchtigere Variante der Klassentheorie zu entwickeln. Denn könnte man theoretisch plausibel machen und empirisch belegen, dass und wie sich horizontale Verteilungen in die gesellschaftstheoretisch angeleitete vertikale Klassenperspektive einfügen, so wird man meiner Auffassung nach ein genaueres Bild der sozialen Welt zeichnen als dies durch die bloße Addition von empirischen Einzeleffekten möglich wäre – so methodisch elaboriert diese auch immer abgesichert sein mögen. Dies zu zeigen, ist Aufgabe der folgenden Kapitel.
II
Klasse und Organisation: Empirische Analysen
In welcher Beziehung stehen Klassenlagen und Organisationsstrukturen als unterschiedliche Mechanismen der Verteilung individueller Lebenschancen? Im Folgenden möchte ich einen ersten Schritt zur Integration beider Mechanismen gehen. Allerdings ist die Wahl des analytischen Ausgangspunktes nicht ganz einfach. Wie ich im ersten Teil dieser Studie gezeigt habe, bietet weder die makrobezogene Klassentheorie noch die mikroanalytische Organisationsforschung dazu einen unmittelbaren theoretischen Anknüpfungspunkt. Ich habe ich mich daher für ein Vorgehen entschieden, dass man in gewisser Weise als „explorativ“ bezeichnen kann. Mit explorativ meine ich, dass die Integration beider Mechanismen schrittweise in einer Sequenz von aufeinander aufbauenden Fragen entwickelt werden muss: 1. 2. 3. 4.
Strukturelle Unabhängigkeit: Beeinflussen Organisationsstrukturen individuelle Lebenschancen unabhängig von der Klassenlage der Individuen? Relative Bedeutsamkeit: Sind Klassenlage und Organisationsstruktur gleich wichtig für die Zuteilung von Lebenschancen? Klasseninterne Ungleichheit: Inwieweit variiert das Ausmaß der horizontalen Ungleichheitseffekte innerhalb und zwischen den Klassen? Sozialer Wandel: Wie stabil ist die organisierte Ungleichheit über die Zeit?
Diese Fragen decken sicher nicht alle Facetten der theoretischen Interaktion beider Konzepte ab. Zusammengenommen beschreiben sie jedoch die aus meiner Sicht wichtigsten Facetten des Gegenstandsbereichs. Insbesondere fehlt die Frage, welchen Einfluss gesellschaftliche Makroinstitutionen auf die Interaktion von Klasse und Organisationsstruktur haben. Diese Frage zielt darauf ab, die Stabilität und die institutionelle Kontextabhängigkeit der horizontal organisierten Ungleichheit mittels Gesellschaftsvergleich zu prüfen. Diese Frage bleibt im Folgenden aus einem pragmatischen Grund ausgespart. Es fehlen Daten, die ausreichend Informationen über organisationsstrukturelle Merkmale im Ländervergleich bereitstellen. Die vorhandenen, für Ländervergleiche verfügbaren Daten enthalten in der Regel nur Informationen über die Unternehmensgröße, nicht aber über andere, im dritten Kapitel beschriebene Strukturmerkmale. Im elften Kapitel werde ich in einem Ausblick einige Vermutungen über die Wir-
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II Klasse und Organisation: Empirische Analysen
kung institutioneller Makrokontexte auf die von mir untersuchten Makroeffekte anstellen. Vorab drei Bemerkungen zur weiteren Vorgehensweise und zum empirischen Untersuchungsdesign. Erstens: In den folgenden drei Kapiteln stelle ich zunächst theoretische Argumente (jeweils zur strukturellen Unabhängigkeit, zum Ausmaß der Effekte, zur klasseninternen Ungleichheit und zum sozialen Wandel) vor. Darauf aufbauend formuliere ich jeweils Hypothesen, die ich, je nach Fragestellung, anhand von Daten zweier US-amerikanischer Datensätze aus den Jahren 1991 und 2002 überprüfe. Warum diese Datensätze gewählt wurden, erläutere ich im Methodenabschnitt des fünften Kapitels (eine Beschreibung der Variablen findet sich im Anhang). Aufgrund der Wahl des Datensatzes handelt das siebte Kapitel zum sozialen Wandel ausschließlich von Veränderungen in den USA und den dort ansässigen Unternehmen und Verwaltungen. Zwar unterstelle ich, dass meine Überlegungen zur strukturellen Unabhängigkeit, zum Ausmaß der Effekte und zur klasseninternen Ungleichheit nicht auf eine bestimmte Gesellschaft beschränkt sind sondern auch für die Gruppe der sozioökonomisch ähnlich entwickelten OECD-Gesellschaften Geltung beanspruchen. Der Grad der theoretischen Verallgemeinerung ist hier entsprechend höher, auch wenn ich ihren Aussagegehalt nicht, wie bereits gesagt, empirisch überprüfen kann. Zweitens: Empirische Studien zur horizontal organisierten Ungleichheit haben, wie viele andere Forschungsfelder natürlich auch, mit dem Problem zu kämpfen, dass die Daten, die sie zur Überprüfung ihrer Annahmen benötigen, in der Regel nicht oder nur bedingt das enthalten, was benötigt wird. Da es sich um eine Drei-Ebenen-Datenstruktur (Individuum, Organisation, Kontextfaktoren wie Branche) handelt, sind entsprechende Erhebungen teuer und methodisch aufwändig. Daher kann ich auch nicht auf Primärdaten zurückgreifen. Die Folge ist, dass ich einige der verteilungsrelevanten Organisationsmerkmale, die ich im dritten Kapitel beschrieben habe, nicht untersuchen kann. Im konkreten Fall fehlen vor allem empirische Informationen über das organisationsstrukturelle Sorting. Daher gehen im Folgenden nur Informationen über Ranking-Elemente in die empirischen Analysen ein. Welche Elemente dies sind und welche Güterverteilungen sie beeinflussen, beschreibe ich im fünften Kapitel. In den nachfolgenden Kapiteln wird auf diese Zusammenhänge zwischen Organisationsstruktur und Güterarten erneut Bezug genommen. Drittens: Im ersten Kapitel habe ich anhand der Klassenkonzepte von Wright und Goldthorpe gezeigt, dass Arbeitsorganisationen Orte der Genese der Klassenstruktur moderner Gesellschaften sind, soweit man die Differenzierung der Klassen abhängig Beschäftigter betrachtet. Auch wenn beide Konzepte in unterschiedlichen theoriegeschichtlichen Traditionen stehen und obschon sie zu
II Klasse und Organisation: Empirische Analysen
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unterschiedlichen analytischen Zwecken dienen, ist ihre Bauart so verschieden nicht. Beide Klassenkonzepte basieren im Kern auf dem Qualifikationsgrad, den die Arbeitsaufgabe erfordert, und dem Grad der Weisungskompetenz, mit der eine Position ausgestattet ist. Um die folgenden Analysen übersichtlich zu halten, habe ich mich für das von Goldthorpe mitentwickelte EGP-Klassenschema als Referenz entschieden. Der (für mich) entscheidende Vorteil des EGPSchemas ist, dass es sich in der international vergleichenden Arbeitsmarktforschung der letzten 15 Jahre durchgesetzt hat. Es kann in nahezu allen einschlägigen Datensätzen auf Basis der ISCO-Berufsklassifikation und einer Frage zur beruflichen Stellung repliziert werden, so auch in den hier verwendeten Daten. Daher lege ich den folgenden empirischen Analysen das EGP-Klassenschema zugrunde.
5.
Strukturelle Unabhängigkeit
Wenn Klassenlage und Organisationsstruktur als getrennte Welten gehandelt werden, so gibt dies Anlass zu fragen, welche inhaltlichen Gründe für die kausale Unabhängigkeit beider Determinanten sprechen könnten. Dass es diese Gründe gibt, möchte ich in zwei Schritten zeigen. Zunächst werde ich unter Rückgriff auf organisationssoziologische Befunde darlegen, dass die Wirkungsweisen beider Mechanismen vorrangig auf verschiedene Ursachen zurückzuführen sind (Abschnitt 5.1). Wie groß z. B. eine Organisation ist bzw. welches Rekrutierungssystem sie kennzeichnet, ist weitgehend unabhängig davon, welche Klassenlage ihre Beschäftigten aufweisen. In Abschnitt 5.2 werde ich plausibel machen, dass auch die Verteilungsfolgen beider Mechanismen unabhängig voneinander hervorgerufen werden. Aus diesen Befunden leite ich die These ab, dass Organisationen Lebenschancen quer zu den Klassenlagen verteilen. Zwar tragen Organisationen, wie Goldthorpe und Wright betonen, aufgrund der Hierarchisierung der beruflichen Positionen zur Konstitution der Klassenstruktur bei. Dennoch ruft die strukturelle Varianz von Arbeitsorganisationen eigenständige Effekte auf individuelle Lebenschancen hervor, die nicht auf die Hierarchisierung der beruflichen Positionen zurückführbar sind. Anders gesagt: Sowohl Klassen als auch Organisationsstrukturen beeinflussen die Verteilung von Lebenschancen, beide jedoch aufgrund anderer Ursachen, aber mit vergleichbaren Folgen für die Gesellschaftsmitglieder. In Abschnitt 5.3 überführe ich die allgemein gehaltene These der strukturellen Unabhängigkeit beider Ungleichheitsmechanismen in empirisch prüfbare Zusammenhänge. Dazu greife ich auf Befunde der organisationsbezogenen Arbeitsmarktforschung zurück, die bereits im dritten Kapitel behandelt wurden. Formuliert werden Hypothesen zum Effekt von Organisationsstrukturen auf folgende Güterarten: Erwerbseinkommen, Lohnzusatzleistungen, Beförderungen und individuelle Beschäftigungsstabilität. Zur Prüfung dieser Annahmen greife ich auf Umfragedaten zurück. An diese Daten sind hohe inhaltliche Anforderungen zu stellen, denn sie müssen sowohl Informationen über Personenmerkmale als auch über die Organisationen enthalten, in denen die Personen beschäftigt sind. Ich verwende den US-amerikanischen Datensatz GSS/NOS1991, der diesen Anforderungen vergleichsweise gut entspricht. Es handelt sich um einen Employer-Employee-Datensatz, der aus dem „General Social Survey“
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5. Strukturelle Unabhängigkeit
(GSS 1991) und dem „National Organisations Survey“ (NOS 1991) zusammengesetzt wurde. Er wird auch in den beiden nachfolgenden Kapiteln eine zentrale Rolle spielen. Abschnitt 5.4 beschreibt die Daten, die verwendeten Methoden und Variablen, und Abschnitt 5.5 berichtet die Ergebnisse. Die Unabhängigkeit beider Ungleichheitsfaktoren zu prüfen, ist das eine. Das andere ist, zu fragen, welcher der beiden Faktoren, Klasse und Organisationsstruktur, größeren Einfluss auf die individuelle Güterzuweisung zeitigt. Dies ist eine rein empirische Frage, die ich in Abschnitt 5.6 unter Rückgriff auf die zuvor durchgeführten Berechnungen beantworte. Abschnitt 5.7 schließlich fasst die Befunde unter dem Gesichtspunkt der These der strukturellen Unabhängigkeit zusammen und formuliert eine erste Schlussfolgerung.
5.1
Unabhängigkeit der Ursachen
Auf den ersten Blick betrachtet spricht nicht allzu viel dafür, dass Klasse und Organisationsstruktur die Zuweisung von knappen Gütern weitgehend unabhängig voneinander beeinflussen. Skepsis ergibt sich vor allem daraus, dass beide Determinanten auf demselben Typus organisationsinterner Differenzierung zurückführbar scheinen, nämlich auf der hierarchischen Anordnung von Positionen innerhalb einer Organisation (Ranking; vgl. die Ausführungen im zweiten Kapitel). Dennoch kann man zeigen, dass die gesellschaftliche Ausdifferenzierung von Klassenlagen und die Ausdifferenzierung von organisationalen Strukturelementen unterschiedliche Ursachen haben. Schauen wir uns diese Ursachen zunächst auf einer abstrakten Ebene an. Wie ich im ersten Kapitel dargelegt habe, liegen die Gründe dafür, dass sich innerhalb der Gruppe der abhängig Beschäftigten verschiedene Berufsklassen herausbilden, in den unterschiedlichen Steuerungs- und Kontrollerfordernissen der Arbeitsorganisation. Dies gilt, bei allen Unterschieden, für die Klassentheorie von Goldthorpe als auch für die von Wright. Goldthorpe weist darauf hin, dass die Klassenlage eines Beschäftigten sowohl vom Umfang der firmenspezifischen Arbeitsanforderungen als auch vom Grad der Steuerung des Beschäftigtenverhaltens abhängt (Goldthorpe 2000: 208 ff.). Die Kombination aus Tätigkeitsprofil und beruflicher Stellung gilt damit als Indikator für die Klassenlage. Wright zufolge führt die Ausdifferenzierung von Verantwortlichkeiten und Weisungsbefugnissen innerhalb der Organisation dazu, dass sich weisungsbefugte Manager und die den Weisungen unterworfenen Beschäftigte als eigenständige Klassen mit abgrenzbaren Lebenschancen konstituieren, wobei sich beide Klassen weiterhin in Abhängigkeit vom Qualifikationsgrad ausdifferenzieren (Wright 2005). Für Wright ergibt sich die Klassenstruktur, von den Kapi-
5.1 Unabhängigkeit der Ursachen
105
taleigentümern abgesehen, als Resultat der Kombination von Qualifikationsgrad und Weisungsbefugnissen. Die Ausdifferenzierung der Klassenstruktur ist also die Folge des Zusammenspiels von Merkmalen der Arbeitsaufgabe und der beruflichen Stellung innerhalb der Organisationen. Welche Ursachen hat demgegenüber die strukturelle Varianz von Organisationsmerkmalen? Warum weisen gleichartige Organisationen, d. h. zum Beispiel solche, die der gleichen Branche angehören, unterschiedliche Strukturmerkmale auf? Was sind die strukturellen Bedingungen der Existenz und der Nicht-Existenz interner Arbeitsmärkte oder der variierenden Organisationsgröße? Zu diesen Fragen hat die Organisationsforschung eine Reihe von Theoremen und empirischen Befunden zusammengetragen. Einige wenige davon sollen hier in knapper Form zur Sprache kommen. Dies sind (1) die Art der Produktionstechnologie, (2) die Struktur und Dynamik des Wettbewerbs, (3) die Qualifikationsanforderungen des Produktionsprozesses und (4) die Entscheidungsrationalität des Managements. Alle vier Faktoren deuten darauf hin, dass die Ausdifferenzierung von organisationalen Verteilungsmechanismen unabhängig von der Ausdifferenzierung der Klassenstruktur erfolgt. Produktionstechnologie Viele der für Güterverteilungen relevanten Strukturmerkmale einer Organisation hängen davon ab, welche Produkte oder Dienstleistungen sie herstellt bzw. am Markt anbietet. Dem kontingenztheoretischen Ansatz in der Organisationstheorie zufolge erfordert die eingesetzte Produktionstechnologie Entscheidungen über die Einführung spezifischer Organisationsstrukturen (vgl. zum Überblick Kieser 1999; Kieser/Kubicek 1992; Schreyögg 1994: 87 ff.). Die klassische Referenzstudie auf diesem Gebiet stammt von Joan Woodward (Woodward 1965; siehe auch Woodward 1971). Woodward fragt, inwiefern eine einmal gewählte Produktionstechnologie die Positionsstruktur des Unternehmens beeinflusst. Dabei unterstellt sie, dass Produktionsprozesse in Einzelfertigung grundsätzlich weniger komplex und damit einfacher zu steuern und zu kontrollieren sind als Massen- und Prozessfertigung. Empirisch zeigt sich, dass mit zunehmender technologischer Komplexität die Zahl der hierarchischen Ebenen im Unternehmen ansteigt. Zugleich steigt die Leitungsspanne, d. h. die Zahl der dem Vorgesetzten unterstellen Beschäftigten, mit jeder Komplexitätsstufe an. Und: je komplexer die Technologie, desto höher ist auch der Anteil des qualifizierten Leitungspersonals im Verhältnis zu den ausführenden Beschäftigten (Woodward 1965: 51 ff.). Die Woodward-Studie hat eine Reihe von Folge- und Replikationsstudien ausgelöst (vgl. zum Überblick Schreyögg 1994: 99 ff.). Kritisiert wurde unter
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5. Strukturelle Unabhängigkeit
anderem die unterstellte Determinationskraft der Produktionstechnologie. So stellen Hickson et al. (1969) anhand eines Unternehmenssamples fest, dass die von Woodward behaupteten Effekte auf die Positionsstruktur lediglich für den Grad der Integration des Fertigungsflusses gelten, nicht aber für andere Merkmale der Technologie. Die Autoren zeigen auch, dass der Einfluss der Technologie auf die Zahl der Vorgesetzten in kleineren Unternehmen höher ist als in größeren Unternehmen (Hickson u. a. 1969; ähnlich Child/Mansfield 1972). Schreyögg (1994) und Kieser (1999) kritisieren, dass das Management auch über Entscheidungsspielräume verfügt, die es zugunsten der einen oder anderen Variante der Positionsstruktur nutzen kann. − Trotz dieser Kritik kommt Woodward das Verdienst zu, als eine der ersten nachdrücklich darauf hingewiesen zu haben, dass Organisationsstrukturen unter Effizienzgesichtspunkten nicht frei gewählt, sondern auf die vorhandene Produktionstechnologie zumindest teilweise abgestimmt sind. Marktstruktur und -dynamik Auch die Analyse des Einflusses unterschiedlicher Marktsituationen wurde im Rahmen des Kontingenzansatzes untersucht. Die Referenzstudie hierzu stammt von Paul Lawrence & Jay Lorsch (Lawrence/Lorsch 1967). Die Autoren fragen, inwieweit die ökonomische Unsicherheit in der Umwelt der Abteilung eines Unternehmens (Produktion, Absatz oder Forschung & Entwicklung) den Grad der internen Differenzierung der Abteilung beeinflusst. Wichtige Dimensionen der Differenzierung sind der Grad der Formalisierung der Organisationsstruktur, vor allem die Leitungsspanne, die Zahl der hierarchischen Ebenen und die Kontrollintensität. Lawrence & Lorsch zeigen empirisch, dass mit steigender Unsicherheit der Abteilungsumwelt der Formalisierungsgrad der betreffenden Abteilung sinkt. Je unberechenbarer also der Produktabsatz ist, desto seltener finden sich stark formalisierte Koordinations- und Kontrollstrukturen. Und: Sind die einzelnen Abteilungen einer Organisation unterschiedlichen Graden von Unsicherheiten ausgesetzt, so nimmt der Grad der funktionalen Integration insgesamt ab (Lawrence/Lorsch 1967). Für meine Fragestellung ist entscheidend, dass sich der Grad der Wettbewerbsintensität in einer Branche, der ein Unternehmen angehört, positiv auf die Etablierung eines internen Arbeitsmarkts auswirkt. So zeigen die Arbeiten des Segmentationsansatzes, dass interne Arbeitsmärkte häufig in Branchen eingerichtet werden, die sich u. a. durch überdurchschnittliche Wettbewerbsintensität, Marktkonzentration, Profit- und Lohnentwicklung, hohem gewerkschaftlichen Organisationsgrad und großen Unternehmen auszeichnen (Doeringer/Piore 1971; Kerr 1954; Tolbert u. a. 1980; Wholey 1985). Jeffrey Pfeffer & Yinon
5.1 Unabhängigkeit der Ursachen
107
Cohen weisen nach, dass Unternehmen in diesen „Core Industries“ häufiger geschlossene interne Arbeitsmärkte aufweisen als die Unternehmen der peripheren Branchen (Pfeffer/Cohen 1984). Auch Werner Sengenberger argumentiert, dass Unternehmen interne Arbeitsmärkte unter der Bedingung wettbewerbsintensiver externer Arbeitsmärkte einrichten. So haben westdeutsche Unternehmen in den von Vollbeschäftigung gekennzeichneten 1960er Jahren interne Rekrutierungsmechanismen errichtet, die ein Abwandern von Beschäftigten und damit den Anstieg der Suchkosten verhindern sollten (Sengenberger 1981). In der Summe zeigen diese Studien, dass die Existenz interner Arbeitsmärkte eingebettet ist in hochkompetitive Marktsituationen, die zur Errichtung von Eintrittsbarrieren für externe Bewerberinnen und Bewerber führt, auch um den Preis verminderter Lohn- und Beschäftigungsflexibilität. Qualifikationsanforderungen des Produktionsprozesses Eine weitere Erklärung, warum manche Firmen interne Arbeitsmärkte aufweisen und andere nicht, haben arbeitsökonomische und arbeitsmarktsoziologische Studien vorgelegt (vgl. zum Überblick Althauser 1989; Kalleberg/Sørensen 1979). Ihnen zufolge richten Unternehmen interne Arbeitsmärkte unter anderem dann ein, wenn die eingesetzte Produktionstechnologie von den Beschäftigten firmenspezifische Qualifikationen erfordert, die nicht oder nur schwer über den externen Arbeitsmarkt angeworben werden können. Aus humankapitaltheoretischer (Becker 1964) und aus institutionalistischer Perspektive (Williamson 1981) wird argumentiert, dass der interne Arbeitsmarkt die Abwanderung von firmenspezifisch qualifizierten Arbeitskräften verhindert, indem er diesen dauerhaft die Möglichkeit interner Aufstiege und stetig steigender Löhne offeriert. Empirische Evidenz für diese These haben unter anderem James Baron et al. (1986a) in einer 100 US-Unternehmen umfassenden Organisationsbefragung erbracht. Sie zeigen, dass die Existenz eines internen Arbeitsmarkts einhergeht mit dem Bedarf an firmenspezifischen Qualifikationen (Baron u. a. 1986a). In der bereits erwähnten Studie zeigen Pfeffer & Cohen (1984) auf der Grundlage eines 282 Unternehmen umfassenden Samples, dass die Intensität eines internen Arbeitsmarkts mit dem Umfang der firmenspezifischen Qualifikationsmaßnahmen im Unternehmen zunimmt (Pfeffer/Cohen 1984). Vergleichbare Befunde berichten auch Althauser (1989) sowie Ryan (1984). Entscheidungsrationalität des Managements Studien des soziologischen Neo-Institutionalismus legen dar, dass Organisationsstrukturen nicht allein in Abhängigkeit von Anforderungen der ökonomi-
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5. Strukturelle Unabhängigkeit
schen Umwelt geformt werden. Ebenso bedeutsam sind normative Erwartungen der sozialen Umwelt gegenüber der Strukturgestaltung in Organisationen (DiMaggio/Powell 1983; Meyer/Rowan 1977; Meyer/Scott 1992; zusammenfassend Walgenbach 1999). Welche Struktur eine Organisation aufweist, hängt demnach auch von den kulturellen Überzeugungen der sozialen Umwelt ab, in der sie operiert. Diese Überzeugungen nennen John Meyer und Brian Rowan „rationalisierte Mythen“ (Meyer/Rowan 1977). Zu Mythen werden bestimmte Ideen über organisationale Strukturgestaltung, wenn sie empirisch weder bestätigt noch widerlegt werden können, und wenn die Menschen dennoch von ihrer Richtigkeit überzeugt sind. Rationalisiert sind diese Ideen, wenn ihnen die Akteure bei der Gestaltung von Organisationsstrukturen freiwillig und systematisch Folge leisten. Dies hat zwei Konsequenzen. Erstens legitimiert der rationalisierte Mythos spezifische Organisationsstrukturen. Zweitens geraten jene Organisationen unter Legitimationsdruck, deren Strukturen nicht der sozial erwünschten Variante entsprechen. Die Nachahmung dieser Varianten kann für Organisationen jedoch von erheblichem Nachteil sein, nämlich dann, wenn die adaptierte Struktur nicht zu den funktionalen Erfordernissen der spezifischen Organisation passt (Tolbert/Zucker 1983). So zeigen Baron et al. (1986b), dass bürokratische Methoden der Personalverwaltung in den USA vor dem zweiten Weltkrieg von großen umsatzstarken Unternehmen der aufstrebenden Industrien (Fahrzeugbau, Kautschukindustrie) eingeführt wurden. In den anschließenden Jahren setzen sich diese Verfahren auch in kleineren Unternehmen anderer Branchen durch, obwohl sie dort weitaus weniger effektiv waren (Baron u. a. 1986b).
5.2
Unabhängigkeit der Verteilungseffekte
Aus dieser holzschnittartigen Skizze wichtiger Befunde der Organisationsforschung kann man den Schluss ziehen, dass die Ausdifferenzierung von Klassenlagen und von Organisationsstrukturen offenbar mehrheitlich verschiedene Ursachen hat. Sowohl die Genese von Organisationsstrukturen, verstanden als formales System von Regeln zur Steuerung des Verhaltens der Organisationsmitglieder (Kieser/Kubicek 1992: 23), als auch die Ursachen der hier interessierenden verteilungsrelevanten Organisationsstrukturen scheinen von der Klassenstruktur der modernen Gesellschaft weitgehend unabhängig zu sein. Dieser Befund legt die Vermutung nahe, dass auch die Verteilungseffekte beider Mechanismen unabhängig voneinander zustande kommen. Denn wie eingangs dieses Abschnitts gezeigt wurde, ergibt sich die Klassenstruktur aus der Ausdifferenzierung der beruflichen Tätigkeiten und der Steuerungs- und Kontrollstruktur der Organisationen. Entsprechend hängen die Lebenschancen von der Positi-
5.2 Unabhängigkeit der Verteilungseffekte
109
on in der Hierarchie der Berufe und von der Stellung innerhalb der Hierarchie der Organisationen ab. Anders ist es im Falle von Verteilungen, die durch Organisationsstrukturen zustande kommen. Ob eine Firma beispielsweise einen internen Arbeitsmarkt besitzt, hängt, wie gezeigt, nicht vom durchschnittlichen Qualifikationsgrad eines Beschäftigten und vom Grad der Kontrolle durch die Firma (also von seiner Klassenlage) ab, sondern davon, ob die benötigten Qualifikationen am Arbeitsmarkt zu niedrigen Transaktionskosten einkaufbar sind oder ob sie firmenintern angelernt werden müssen. Gleiches gilt für die bekannten Effekte der Organisationsgröße. Dass große Unternehmen höhere Löhne zahlen als kleinere Unternehmen, hängt nicht davon ab, welche Klassenlage die Beschäftigten dieser Firma aufweisen, sondern von der ökonomischen Position des betreffenden Unternehmens auf dem Markt und weiteren, im dritten Kapitel genannten Faktoren. Welche empirische Evidenz gibt es nun für die These der strukturellen Unabhängigkeit der Verteilungseffekte? Ich möchte hierzu Ergebnisse aus zwei Mobilitätsstudien und einer Einkommensanalyse vorstellen, die neben der Klassenlage auch die Unternehmensgröße als unabhängige Variable berücksichtigen. Alle drei Studien basieren auf Bevölkerungsumfragen. Glenn Carroll & Karl Ulrich Mayer untersuchen den Einfluss von Organisationsstruktur, sozialer Klasse und Branchenzugehörigkeit auf Ausmaß und Form der beruflichen Mobilität (Carroll/Mayer 1986). Datenbasis ist die deutsche Lebensverlaufsstudie von 1979; sie enthält Retrospektivdaten über Berufsverläufe für drei Geburtskohorten (1929-31, 1939-41, 1949-51). Als Organisationsmerkmal firmiert die Unternehmensgröße. Die Klassenlage wird in Anlehnung an E.O. Wright über die Unterscheidung zwischen Eigentümerstatus und beruflicher Stellung operationalisiert. Empirisch zeigt sich, dass die Unternehmensgröße unter Kontrolle der Klassenlage einen positiven Effekt auf die Zahl der internen Arbeitsplatzwechsel hat. Zugleich sinken die zwischenbetrieblichen Wechsel (Carroll/Mayer 1986: 334). Zu einem ähnlichen Befund kommt auch die zweite Mobilitätsstudie von Wilfred Uunk, Bogdan Mach & Karl Ulrich Mayer (Uunk u. a. 2005). Darin untersuchen die Autoren die Ursachen unterschiedlicher Mobilitätsverläufe in Unternehmen der früheren Bundesrepublik und den Staatsbetrieben der DDR. Ebenfalls mit Lebensverlaufsdaten zeigen sie, dass die Unternehmensgröße der einflussreichste Prädiktor der innerbetrieblichen Mobilität ist: „Firm size has the strongest effect among the compositional characteristics investigated.“ (ebd.: 403) Dies gilt insbesondere für DDR-Firmen, in denen die innerbetrieblichen Mobilitätsraten höher ausfallen als in den westdeutschen Unternehmen. Als Grund geben die Autoren an, dass die früheren DDR-Betriebe deutlich größer waren als ihre westdeutschen Pendants. Der Erklärungsbeitrag der in den Reg-
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5. Strukturelle Unabhängigkeit
ressionsmodellen enthaltenen, nach Goldthorpe gebildeten Klassenvariablen ist zwar signifikant, aber fällt gegenüber der Unternehmensgröße recht gering aus. Die dritte Studie von Gaby Wunderlich untersucht unter anderem den Einfluss von Klassenstruktur und Organisationsgröße auf die Einkommenshöhe in West- und Ostdeutschland (Wunderlich 1996). Auf Basis von ALLBUS-Daten aus dem Jahr 1994 zeichnet die Autorin ein ähnliches Bild wie die beiden zitierten Mobilitätsstudien. Ebenfalls unter Rückgriff auf das EGP-Schema ergibt sich, dass Angehörige der Dienstklassen, der Techniker und der Facharbeiter mehr verdienen als die ungelernten Arbeiter. Zugleich zeigt sich ein eigenständiger positiver Effekt der Organisationsgröße auf das Einkommen.
5.3
Hypothesen
Sowohl die Ausführungen zu den Ursachen von Klassen- und Organisationsstrukturen als auch die empirischen Studien zu den Verteilungseffekten beider Faktoren deuten darauf hin, dass Organisationsstrukturen eigenständige Effekte auf das Ausmaß individueller Lebenschancen besitzen. Diese These ist jedoch noch zu allgemein gehalten. Denn sie lässt sowohl offen, welche Güter durch Organisationsstrukturen zugewiesen werden, als auch, welche Strukturelemente dafür verantwortlich sind. Im Folgenden gehe ich davon aus, dass diese Güter zwei Merkmale aufweisen: sie müssen, erstens, für das Ausmaß individueller Lebenschancen bedeutsam sein. Es handelt sich um Güter, die in der Bewältigung des eigenen Lebenslaufs dauerhaft eine zentrale Stellung einnehmen. Zweitens müssen sie aufgrund des Mitgliedschaftskriteriums verteilt werden. Ich nehme an, dass vier Güter den beiden Kriterien genügen: Erwerbseinkommen, Lohnzusatzleistungen, Beförderungen und individuelle Beschäftigungsstabilität. Welche Organisationsstrukturen für deren Verteilung maßgeblich sind, ergibt sich vor dem Hintergrund der Ausführungen im dritten Kapitel. 1. Erwerbseinkommen. Gemeint ist das unmittelbar aus abhängiger Erwerbsarbeit stammende individuelle Bruttoeinkommen, also der Lohn oder das Gehalt. Wie ich im dritten Kapitel dargelegt habe, steigt das Erwerbseinkommen mit steigender Organisationsgröße sowie bei Existenz eines internen Arbeitsmarkts an. Gemäß der These der strukturellen Unabhängigkeit müssen diese Effekte auch unter Kontrolle der Klassenlage empirisch nachweisbar sein. Entsprechend lautet meine erste Hypothese: H1:
Das Erwerbseinkommen eines Beschäftigten fällt umso höher aus, H1a: je größer die Organisation ist, der ein Beschäftigter angehört; H1b: wenn die Organisation einen internen Arbeitsmarkt aufweist.
5.3 Hypothesen
111
Beide Effekte sind unabhängig von der individuellen Klassenlage des Beschäftigten. 2. Lohnzusatzleistungen. Betriebsrenten, betriebliche Kranken-, Lebens- und Invaliditätsversicherungen sind nach dem Einkommen die zweite wichtige materielle Entlohnungskomponente. Sie sind als einkommensäquivalent zu betrachten, da sie im Fall des Eintritts des definierten Ereignisses (Renteneintritt, Invalidität) in Geld ausbezahlt werden. Aus zwei US-Studien ist bekannt, dass die Wahrscheinlichkeit des Auftretens von einer oder mehrerer dieser Zusatzleistungen mit steigender Unternehmensgröße sowie infolge der Existenz eines internen Arbeitsmarkts zunimmt (Evans/Leighton 1988; Kalleberg/Van Buren 1996). Wieder unterstellt, dass diese Effekte unter Kontrolle der Klassenstruktur konstant bleiben, lauten die zweite Hypothese: H2:
Der Umfang an gewährten Lohnzusatzleistungen ist umso größer, H2a: je größer die Organisation ist, der ein Beschäftigter angehört; H2b: wenn die Organisation einen internen Arbeitsmarkt aufweist. Beide Effekte sind unabhängig von der individuellen Klassenlage des Beschäftigten.
3. Beförderungen. Firmeninterne Aufstiege – Beförderungen – sind in zweifacher Hinsicht sozial begehrt. Zum einen sind sie in der Regel mit Einkommenssteigerungen verbunden. Zum anderen symbolisieren sie beruflichen Erfolg; sie stiften dem Beförderten einen Zuwachs an Sozialprestige. Wie ich im dritten Kapitel gezeigt habe, können Beförderungen die Folge eines spezifischen Altersaufbaus der Organisation, der Existenz eines internen Arbeitsmarkts oder von Veränderungen der Organisationspopulation (Organisationsfusionen und schließungen) sein. Leider enthalten die von mir analysierten Daten keine Informationen zur Altersverteilung oder zur Populationsdynamik. Daher bezieht sich die nächste Hypothese allein auf den internen Arbeitsmarkt: H3a: Die Wahrscheinlichkeit von Beförderungen ist in Organisationen mit firmeninternem Arbeitsmarkt höher als in Organisationen mit externer Personalrekrutierung. Dieser Effekt ist unabhängig von der individuellen Klassenlage eines Beschäftigten. Eine weitere in unserem Zusammenhang relevante These kann man aus den im dritten Kapitel vorgestellten organisationsdemografischen Studien von James Rosenbaum ableiten (Rosenbaum 1979b). Demzufolge lassen sich firmeninterne Aufstiege in Form von Turnieren modellieren, in denen das Verhältnis des Alters eines Bewerbers zum Alter seiner Konkurrenten auf der gleichen Hierarchiestufe über die Aufstiegschancen mitentscheidet. Rosenbaum zeigt: Je jünger eine Person bei Organisationseintritt im Vergleich zu ihren Konkurrenten auf
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5. Strukturelle Unabhängigkeit
der gleichen Aufstiegsstufe ist, desto größer sind ihre Aufstiegschancen pro Turnier. Interpretiert man Rosenbaums Befunde weiter, so müsste dieser „Frühstarteffekt“ unabhängig von der Klassenlage eines Befragten sein. Der Grund ist, dass Aufstiegsturniere nicht auf bestimmte Berufsgruppen beschränkt sein dürften, da es in jeder Berufsgruppe unterschiedliche Aufstiegsleitern gibt. H3b: Die Wahrscheinlichkeit firmeninterner Aufstiege sinkt, unter Kontrolle der Dauer der Betriebszugehörigkeit, mit steigendem Alter eines Beschäftigten („Frühstarteffekt“). Dieser Effekt ist unabhängig von der individuellen Klassenlage. Dagegen dürfte der Frühstarteffekt in Unternehmen mit internem Arbeitsmarkt deutlich geringer ausfallen. Dies deshalb, weil interne Arbeitsmärkte Senioritätsverstärker sind: Wer sich einmal in einer Aufstiegsleiter befindet, ist von jüngeren externen Konkurrenten geschützt. Damit reduziert sich das Feld der Turnierteilnehmer auf die internen Konkurrenten der gleichen Hierarchiestufe. Umgekehrt sehen sich Beschäftigte in Unternehmen, die ihr Personal auch von außen rekrutieren, permanent jüngerer externer Konkurrenz gegenüber. H3c: In Unternehmen mit internem Arbeitsmarkt zeigt sich kein negativer Effekt des Alters eines Beschäftigten auf die Wahrscheinlichkeit firmeninterner Aufstiege (Frühstarteffekt). Dieser Effekt ist unabhängig von der individuellen Klassenlage. 4. Beschäftigungsstabilität. Wie die soziologische Arbeitsmarktforschung darlegt, ist die individuelle Beschäftigungsstabilität unter der Bedingung krisenanfälliger Arbeitsmärkte eine wichtige Voraussetzung der Realisierung von individuellen Lebenschancen (vg. die Beiträge in Struck/Köhler 2004). Wie ich im dritten Kapitel gezeigt habe, steigt die individuelle Beschäftigungsdauer mit der Größe einer Organisation an (Brown/Medoff 1989; Brüderl/Preisendörfer 1986; Schasse 1991). Zugleich gibt es Hinweise aus der Segmentationstheorie, dass die Beschäftigungsstabilität auch für Beschäftigte in Organisationen mit internem Arbeitsmarkt zunimmt. Denn die Abschottung von den Schwankungen des externen Arbeitsmarktangebots führt dazu, dass die Beschäftigten vor Entlassungen in höherem Maße geschützt sind (Doeringer/Piore 1971; Sengenberger 1987). Entsprechend haben diese Beschäftigten längere Betriebszugehörigkeiten als jene Beschäftigte, deren Organisationen vakante Positionen unter Rückgriff auf externe Bewerber besetzen. H4:
Die individuelle Beschäftigungsstabilität ist umso höher, H4a: je größer die Organisation ist; H4b: wenn die Organisation einen internen Arbeitsmarkt aufweist.
5.4 Daten, Methode und Ergebnise
113
Beide Effekte sind unabhängig von der individuellen Klassenlage eines Beschäftigten. Im Unterschied zu den Effekten der Organisationsstruktur formuliere ich an dieser Stelle keine Hypothesen zum Zusammenhang von Klassenlage und Güterzuweisungen. Dies erscheint deshalb nicht notwendig, weil es mir nicht primär darum geht, zu überprüfen, in welcher Weise sich die individuelle Klassenlage auf die Verteilung der vier Güterarten auswirkt. Dies ist ohnehin für die meisten dieser Güter, vor allem zu Einkommen und Mobilität, in einer Vielzahl von Studien bereits nachgewiesen worden. Mir geht es allein um die Prüfung der strukturellen Unabhängigkeit der beiden Determinanten. Insofern hat die individuelle Klassenlage, technisch gesprochen, in den nachfolgenden Analysen den Status einer Kontrollvariablen. Welche inhaltlichen Aussagen zu Interaktionen zwischen Klassenlagen und Organisationsstruktur zu erwarten sind, werde ich im sechsten Kapitel erläutern.
5.4
Daten, Methode und Variablen
Um diese Hypothesen zu prüfen, sind an die zu analysierenden Daten vier Anforderungen zu stellen. Erstens muss der Datensatz ausreichend Informationen über die für Güterverteilungen zentralen organisationsstrukturellen Merkmale verfügen. Zumindest muss er Informationen über die Organisationsgröße und die Existenz eines internen Arbeitsmarkts enthalten. Letzteres ist jedoch nur mit Organisationsbefragungen möglich, da sowohl klassische Bevölkerungsbefragungen als auch Beschäftigtenbefragungen keine Möglichkeit bieten, organisationale Rekrutierungs- und Belohnungsstrukturen zu erheben. Zweitens muss man aus den Daten die Klassenlage der Befragten rekonstruieren können. Dies wiederum kann allein auf der Basis von Bevölkerungsumfragen geschehen, weil nur die Beschäftigten selbst valide Auskunft über ihre Berufstätigkeit und ihre berufliche Stellung geben können. Dies gilt, drittens, auch für die zu analysierenden Güter und Chancen, die die Beschäftigten erhalten, also Einkommen, Lohnzusatzleistungen, Aufstiege und Beschäftigungsstabilität. Und viertens sollten beide Typen von Daten, Organisations- und Individualmerkmale, methodisch unabhängig voneinander erhoben werden, um die Validität der Daten sicherzustellen. Um diesen Anforderungen zu entsprechen, muss man auf EmployerEmployee-Befragungen zurückgreifen. Leider existiert in Deutschland ein solcher Datensatz nicht, der aus meiner Sicht alle oben genannten inhaltlichen Anforderungen befriedigend erfüllt. Ein Datensatz, der den Anforderungen am Nahesten kommt, ist der aus dem Betriebspanel des Instituts für Arbeitsmarkt
114
5. Strukturelle Unabhängigkeit
und Berufsforschung (IAB) und der Beschäftigtenstatistik der Bundesanstalt für Arbeit zusammengefügte sog. LIABS-Datensatz (Alda 2005; Alda u. a. 2005). Dieser Datensatz enthält jedoch keine detaillierten Informationen über den Grad der Geschlossenheit eines internen Arbeitsmarkts. Zudem liegen keine expliziten Informationen über Lohnzusatzleistungen sowie über erfolgte Beförderungen (sondern nur über Berufswechsel) in derselben Arbeitsorganisation vor. Weil dadurch das Spektrum der zu erklärenden und der erklärenden Variablen eingeschränkt wäre, habe ich mich gegen die Verwendung dieses Datensatzes entschieden. Stattdessen greife ich auf den gepoolten Datensatz des USamerikanischen „General Social Survey“ und der „National Organizations Study“ zurück (GSS/NOS-1991).14 Daten Der GSS/NOS-1991 basiert auf zwei zeitlich aufeinander aufbauenden Umfragen (vgl. für das Folgende Kalleberg u. a. 1994; Kalleberg u. a. 1996). Im Jahr 1991 wurden im Rahmen des General Social Survey, einer jährlich durchgeführten repräsentativen US-Haushaltsbefragung, 1517 Personen unter anderem verschiedene Fragen zur Erwerbstätigkeit gestellt. Dabei wurden sie auch gebeten, den Namen, die Adresse und die Telefonnummer der Arbeitsorganisation zu nennen, in der sie zum Befragungszeitpunkt arbeiteten. Nach Löschung von Dubletten sowie Fällen mit fehlenden Adresswerten blieben 1.067 verwertbare Organisationsnennungen übrig. Diese von den Beschäftigten benannten Arbeitsorganisationen wurden vom NOS-Team telefonisch − bzw. wo dies nicht möglich war, schriftlich − befragt. Die Datenerhebung fand im zweiten Halbjahr 1991 statt. Realisiert wurden 727 Interviews mit Leitungsverantwortlichen. Das so gewonnene Organisationssample ist im Hinblick auf die Organisationsgröße für die USA repräsentativ, da die Wahrscheinlichkeit, dass eine Organisation sich im Sample befindet, proportional mit der Zahl ihrer Beschäftigten steigt (Kalleberg u. a. 1994: 3). Der NOS-Fragebogen umfasst im Wesentlichen drei Themenbereiche: (1) Fragen zur Organisationsstruktur (u. a. Rechtsform, Zahl der Beschäftigten, Personalstruktur), (2) Fragen zum Human Resources Management (u. a. Personalrekrutierung, Weiterbildung, Entlohnungskriterien, Aufstiegsmöglichkeiten) und (3) Fragen zur ökonomischen Umwelt der Organisation (u. a. Marktdynamik, Umsatz- und Gewinnentwicklung). Die so gewonnenen Informationen
14
Die Beschreibung der Daten und Variablen erfolgt an dieser Stelle ausführlich, da dieselben Daten auch in den folgenden Kapiteln analysiert werden.
5.4 Daten, Methode und Ergebnise
115
wurden anschließend den Daten der GSS-Befragten über die Befragten-ID wieder zugespielt. In diesem Datensatz repräsentiert jeder Befragte exakt eine Arbeitsorganisation. Zusätzlich wurden den Daten ökonomische Informationen über die Branche, zu der eine Organisation gezählt wird, hinzugefügt. Damit verfügen wir über einen Datensatz, der Mikrodaten der GSSBefragten, Mesodaten ihrer Arbeitsorganisationen und Makrodaten der Branchen enthält, darunter alle Informationen, die ich zur Prüfung der postulierten Hypothesen benötige.15 Ein weiterer Vorteil dieses Datensatzes ist es, dass er eine Vielzahl unterschiedlicher Arbeitsorganisationen umfasst. Neben den klassischen privatwirtschaftlichen Unternehmen (N = 474) enthält er 253 NonProfit-Organisationen, darunter Verwaltungen, öffentliche Betriebe, Krankenhäuser, Bildungseinrichtungen und kirchliche Einrichtungen. Allerdings weist der GSS/NOS-1991 einen klaren Nachteil auf. Er ist aufgrund des Erhebungszeitpunkts recht alt. Ich habe mich dennoch aus zwei Gründen für diesen Datensatz entschieden. Erstens sind die zu testenden Hypothesen als Zusammenhänge mittlerer Reichweite formuliert. So gehe ich davon aus, dass die grundsätzliche Änderung dieser Zusammenhänge einem langsamen sozialen Wandel unterliegt, der einen größeren Zeitraum umfasst als die seit 1991 vergangene Zeit. Dass dem so ist, zeigen die Befunde verschiedener USamerikanischer Studien, die mit dem Klassenkonzept arbeiten. Sie weisen darauf hin, dass der Zusammenhang zwischen Klassenstruktur und Lebenschancen in den 1990er Jahren nicht wesentlich schwächer geworden ist (Devine 1997; Gilbert 2002; Marshall 1997). Gleiches scheint auch für die Bundesrepublik Deutschland zu gelten. So hat Peter Sopp auf der Basis von SOEP-Daten die Effekte der Klassenlage (gemäß EGP-Schema) auf das Einkommen im Zeitraum von 1984 bis 1999 berechnet (Sopp 2005). Dabei kommt er zu dem Schluss, dass sich zwischen den Klassen kaum Einkommensverschiebungen ergeben haben. Auch der relative Einfluss der Klassenlage auf die Einkommenshöhe ist mehrheitlich stabil geblieben (ebd.: 153 f.). Der zweite Grund für die Verwendung des GSS/NOS-1991 ist, dass ich die Veränderung der Effekte von einigen der organisationsstrukturellen Merkmale und der Klassenstruktur auf die Einkommenshöhe mit einem zweiten Datensatz prüfen kann, nämlich den Daten der GSS/NOS-Wiederholungsbefragung aus dem Jahr 2002. Leider fehlen in dieser Wiederholungsbefragung eine Reihe von für meine Zwecke wichtige Individualmerkmale, die im GSS/NOS-1991 noch enthalten waren. Deshalb eignet sich die Replikationsstudie nicht als Basis für
15
Der Datensatz ist über das Zentralarchiv Köln (ZA) oder direkt über das „Inter-university Consortium for Political and Social Research (ICPSR)“ unter der Seriennummer ICPSR 6240 für Forschungszwecke zugänglich.
116
5. Strukturelle Unabhängigkeit
die umfangreiche Analyse der organisierten Ungleichheit. Der Vergleich beider Datensätze ist dann Gegenstand des siebten Kapitels. Methode Zur Überprüfung der Hypothesen verwende ich multiple lineare bzw. logistische Regressionen. Drei der abhängigen Variablen (Erwerbseinkommen, Umfang der Lohnzusatzleistungen, Beschäftigungsstabilität) liegen in metrischer bzw. quasimetrischer Form vor, weshalb lineare Regressionen zum Einsatz kommen. Zur Erklärung des firmeninternen Aufstiegs greife ich auf logistische Regressionen zurück, da es sich hierbei um eine binär skalierte Variable handelt. Um feststellen zu können, wie groß der Beitrag der verschiedenen unabhängigen Variablen zur Erklärung der Gesamtvarianz der abhängigen Variablen ist, berechne ich pro abhängiger Variable vier, im Fall der Aufstiege fünf schrittweise erweiterte Modelle. In diese Regressionen gehen neben den spezifizierten Organisationsund Klassenmerkmalen eine Reihe von Individualmerkmalen sowie Branchenindikatoren als Kontrollvariablen ein, die ich weiter unten beschreibe. Da pro Branche mehrere Personen befragt werden, muss man davon ausgehen, dass ein unbeobachteter Einfluss der Branchenzugehörigkeit auf die Zuweisung der Lebenschancen besteht. In diesem Fall wären die Modellannahmen der Regressionsanalyse verletzt. Aus diesem Grund schätze ich robuste Standardfehler unter Berücksichtigung von Branchenclustern („Huber-Regression“, vgl. Huber 1967). Abhängige Variablen16 1. Erwerbseinkommen: Im General Social Survey (GSS) werden grundsätzlich zwei Arten von Einkommen erhoben: das Haushaltsnettoeinkommen und das von der Arbeitsorganisation ausbezahlte individuelle Bruttoerwerbseinkommen. In die folgenden Analysen geht die zweite Einkommensart ein. Da das Einkommen gruppiert erhoben wurde, habe ich für jeden Befragten den Mittelwert der Einkommensgruppe berechnet und logarithmisiert.17 Auf diese Weise erhält man eine quasi-metrische Einkommensvariable, die in lineare Regressionsmodelle eingesetzt werden kann.
16 17
Eine ausführliche Variablenbeschreibung befindet sich im Anhang. Befragten, die der höchsten Einkommensgruppe angehören, wurde der Schwellenwert der höchsten Einkommenskategorie zugeordnet.
5.4 Daten, Methode und Ergebnise
117
2. Lohnzusatzleistungen: Im GSS wurde gefragt, ob die Interviewten berechtigt seien, vom Arbeitgeber Lohnzusatzleistungen zu erhalten. Erhoben wurden elf verschiedene Formen, die von betrieblichen Versicherungen über Gewinnbeteiligungen bis zu Informationen über die Bereitstellung von Kindergartenplätzen in der Kommune reichen. Ich habe daraus vier Formen ausgewählt, die für die Beschäftigten einen klaren geltwerten Vorteil bedeuten und die untereinander größere Ähnlichkeiten aufweisen: (a) betriebliche Krankenversicherung, (b) betriebliche Lebensversicherung, (c) betriebliche Invaliditätsrente, (d) betriebliche Altersrente. Aus diesen vier Dummyvariablen wurde ein Summenindex gebildet, der von 0 (keine Zusatzleistung) bis 4 (alle Zusatzleistungen) reicht. Die interne Konsistenz der Skala ist mit Cronbach’s Į = .86 zufrieden stellend. 3. Firmeninterner Aufstieg: Der GSS enthält die Frage, ob ein Beschäftigter zumindest einmal in der Arbeitsorganisation, der er gegenwärtig angehört, befördert wurde. Diese Variable liegt dummykodiert vor. Zwar wurde im GSS auch nach der Zahl der Aufstiege gefragt. Diese Variable enthält aber nur jene Fälle, die bereits mindestens einmal aufgestiegen sind (N = 161). Aufgrund der geringen Fallzahl habe ich von ihrer Verwendung Abstand genommen.18 4. Beschäftigungsstabilität: Die Beschäftigungsstabilität wurde über die Dauer der Betriebszugehörigkeit (in Jahren) operationalisiert. Die Variable wurde logarithmisiert, weil ich davon ausgehe, dass die Effekte der Organisationsgröße und des Grads der Schließung des internen Arbeitsmarkts auf die Betriebszugehörigkeit mit steigender Größe abnehmen werden. Zentrale unabhängige Variablen 1. Klassenlage: Die Klassenlage eines Beschäftigten wurde über das EGPSchema operationalisiert (siehe erstes Kapitel). Um die EGP-Klassenlage zu bilden, muss man auf die ISCO-Berufsklassifikation zurückgreifen. Im GSS/NOS-1991 ist jedoch nur die Berufsklassifikation der „US-Census Occupational Catagory“ (OCC-80) enthalten, nicht aber die Klassifikationen ICSO-88 oder ISCO-68. Da keine Transformationsvorschrift von einer zur anderen Klassifikation zugänglich ist, lassen sich die EGP-Klassen nicht innerhalb des gepoolten Datensatzes herstellen.
18
Zwar kann man die Fallzahl dieser Variable um die Zahl der nicht aufgestiegenen Befragten erhöhen, indem man diesen den Wert 0 zuweist. Diese Variable enthält jedoch nicht mehr Informationen als die Ausgangsvariable, da es keine Veränderungen im Wertebereich > 0 gibt. Alternativ durchgeführte lineare Regressionen mit dieser quasi-metrischen Variablen zeigen daher sehr ähnliche Effekte wie logistische Regressionen mit der Dummy-Variablen.
118
5. Strukturelle Unabhängigkeit
Allerdings enthält der allgemeine GSS-Datensatz von 1991, der zur Kontaktierung der NOS-Organisationen verwendet wurde, die ISCO-88Kodierung.19 Diesen Datensatz habe ich zunächst auf folgende Variablen reduziert: Befragten-ID, Jahr der Erhebung und ISCO-88-Code. Anschließend wurden beide Datensätze über die Befragten-ID zusammengeführt und die überzähligen Fälle, die im GSS, nicht aber im GSS/NOS enthalten sind, gelöscht.20 Im nächsten Schritt habe ich das EGP-Klassenschema generiert. Dazu wurden gemäß den theoretischen Vorgaben von Erikson/Goldthorpe (1992) drei Angaben verwendet: die ISCO-88-Codes, Informationen über selbständige Tätigkeit und darüber, ob der Befragte eine Vorgesetztenfunktion ausübt. Zur Generierung wurde ein Algorithmus verwendet, der von Harry Ganzeboom und Donald Treiman entwickelt wurde und der als Syntax-File öffentlich zur Verfügung steht (Ganzeboom/Treiman o.J.). Dieser Algorithmus generiert ein zehnstufiges Klassenschema (siehe Tabelle 5.1).21 Aus diesem Klassenschema wurden anschließend die Klassen IVa-c gelöscht, weil die postulierten Hypothesen sich nicht auf Gewerbetreibende, sondern auf abhängig Beschäftigte beziehen. Die Klasse der Landarbeiter wurde wegen geringer Fallzahl (N = 6) ebenfalls gelöscht.
19 20
21
Alle GSS-Wellen sind für registrierte Benutzer frei zu beziehen unter http://webapp.icpsr. umich.edu/GSS/. Im erweiterten GSS/NOS liegen für sieben Fälle Werte der Census-Variablen OCC-80 vor, nicht aber für die Variable ISCO-88. Unter Abgleich beider Klassifikationslisten wurden für sechs Fälle die fehlenden Werte ersetzt. Ein Fall konnte nicht zugewiesen werden. Die Klassen IIIa und IIIb werden im Algorithmus zusammengefasst und können daher nicht separat analysiert werden.
5.4 Daten, Methode und Ergebnise
Tabelle 5.1:
119
Die Verteilung der EGP-Klassen im GSS/NOS-1991
Klasse I Obere Dienstklasse II Untere Dienstklasse IIIa/b Nicht-manuelle Berufe mit Routinetätigkeiten IVa Kleingewerbetreibende und Handwerker mit Angestellten IVb Kleingewerbetreibende und Handwerker ohne Angestellte IVc Landwirte V Techniker und untere Leitungstätigkeiten im manuellen Gewerbe VI Facharbeiter VIIa Un- und angelernte gewerbliche Arbeitnehmer VIIb Landarbeiter Gesamt
N 96 190 116 36 28 8 32 70 144 6 726
N (%)* 13.2 26.1 15.9 4.9 3.8 1.1 4.4 9.6 19.8 0.8
Anm.: Quelle: GSS/NOS-1991, eigene Berechnungen * Angaben kumulieren wegen Rundungen nicht zu 100 %.
2. Organisationsgröße: In den Regressionen werden zwei Größenindikatoren verwendet: die Unternehmensgröße und die Betriebsgröße. Der Grund für diese doppelte Verwendung ist, dass in der Literatur Unklarheit darüber herrscht, welche der beiden Variablen für Einkommen und Mobilitätschancen der Beschäftigten wichtiger ist (vgl. Kapitel 3.1). Daher werden analog zu anderen Studien (Brown/Medoff 1989; Kalleberg/Van Buren 1996) beide Variablen gleichzeitig berücksichtigt (die Korrelation zwischen beiden Variablen beträgt r = .20). Die Unternehmensgröße ist definiert als die Summe der Beschäftigten aller rechtlich abhängigen wirtschaftlichen Einheiten einer Organisation.22 Die Betriebsgröße ist definiert als die Summe der Beschäftigten einer lokalen Arbeitsstätte. Ist die Organisation mit dem Betrieb identisch, so weisen beide Größenvariablen den gleichen Wert auf. 3. Interner Arbeitsmarkt: Zur Messung der Existenz eines internen Arbeitsmarkts wurden in der NOS-Erhebung drei Fragen verwendet, die nacheinander für drei verschiedene Beschäftigtengruppen gestellt wurden: a) für den Beruf des GSS-Befragten, b) für die in der Organisation wichtigste Berufsgruppe („Cores“), und c) für Manager (nur Fragen 1 & 2).
22
Der Begriff Unternehmensgröße ist etwas irreführend, denn die Stichprobe umfasst neben privatwirtschaftlichen ja auch Non-Profit- und öffentliche Organisationen. Mangels sinnvoller Alternativbegriffe verwende ich den Begriff dennoch.
120
1. 2. 3.
5. Strukturelle Unabhängigkeit
“Do you sometimes fill [Beschäftigtengruppe] vacancies with people already employed at [Organisation]? „Are there different levels of [Beschäftigtengruppe]?“ „Is it possible for a [Mitglied einer Beschäftigtengruppe] to be promoted to a level above?“
Damit liegen acht dichotome Variablen vor, aus der ich gemäß der Transformationsvorschrift des NOS-Teams einen Summenindex gebildet habe (vgl. Kalleberg/van Buren 1996). Dieser Summenindex gibt das Ausmaß der Schließung des internen Arbeitsmarkts wieder. Der Wert 0 steht für einen Rekrutierungsmechanismus, der vakante Positionen ausschließlich durch Personen des externen Arbeitsmarkts besetzt und der keine internen Beförderungen vorsieht. Der Wert 8 repräsentiert einen idealtypisch geschlossenen internen Arbeitsmarkt. Der Reliabilitätstest dieses Index’ weist ein zufriedenstellendes Cronbach’s Į von .86 aus. 4. Vertikale Differenzierung: In verschiedenen Studien wurde darauf hingewiesen, dass die Zahl der hierarchischen Ebenen einer Organisation mit ihrer Größe ansteigt (Blau/Schoenherr 1971; Child 1973). Und je mehr hierarchische Ebenen existieren, desto mehr Aufstiegschancen gibt es. Allerdings scheint der Effekt der Differenzierung eher schwach zu sein (Kalleberg/van Buren 1996). In den folgenden Analysen wird die Variable daher als Kontrollvariable des Größeneffekts verwendet. Damit kann man sicherstellen, dass der Größeneffekt nicht auf das Ausmaß der vertikalen Differenzierung zurückgeht. Kontrollvariablen 1. Soziodemografische Personenmerkmale: Wie in anderen US-amerikanischen Einkommens- und Mobilitätsanalysen auch (vgl. statt anderer Beck u. a. 1978; Lord/Fakl 1980) werden folgende Personenmerkmale überprüft: Alter (in Jahren), Geschlecht, ethnische Herkunft („race“; 0 = white, 1 = black, others“) und Dauer der Betriebszugehörigkeit in Jahren („tenure“).23 Aus der Literatur ist
23
Die Dauer der Betriebszugehörigkeit wird naheliegender Weise in der Analyse der Beschäftigungsstabilität nicht als unabhängige Variable verwendet. Unter den unabhängigen Variablen wird der Bildungsgrad eines Befragten nicht verwendet. Der Grund ist, dass der Bildungsgrad eine der maßgeblichen Voraussetzungen der Einnahme einer spezifischen Klassenposition ist. Weil Bildung der Klassenlage kausal vorausgeht, beeinflusst sie die Lebenschancen mehrheitlich indirekt. Würde man dennoch beide Variablen in die Regression einfügen, so führt dies zu Multikollinearität: Bildung (im GSS mit dem höchsten Bildungsgrad erfasst) und Klassenlage sind hoch korreliert (Pearson chi² = 163.7503, Pr = 0.000). Dies führt zu einer Unterschätzung der direkten Effekte der Klassenlage. Alternative Berechnungen mit beiden Variablen (o.
5.4 Daten, Methode und Ergebnise
121
bekannt, dass diese Personenmerkmale Einkommenshöhe, Umfang von Lohnzusatzleistungen, die Dauer der Betriebszugehörigkeit und firmeninterne Mobilität beeinflussen. Da diese Variablen allein den Status von Kontrollvariablen zur Korrektur der Haupteffekte haben, formuliere ich hierzu keine Hypothesen. 2. Marktlage und Branchenzugehörigkeit: Ungleichheiten mit Bezug auf Einkommen und Lohnzusatzleistungen, in den Mobilitätschancen und in der Beschäftigungsstabilität sind nicht nur auf Unterschiede in den Individual- und Organisationsmerkmalen zurückzuführen, sondern auch auf die ökonomische Position der Organisation im Markt. Diese Position kann zum einen über die Wettbewerbssituation der Organisation abgebildet werden. Je mehr Wettbewerb auf den für die Organisation zentralen Märkten bzw. Betätigungsfeldern herrscht, desto geringer werden die internen Verteilungsspielräume sein, und entsprechend geringer sind auch die Kompensationen. Um diesen Zusammenhang zu überprüfen, verwende ich eine Frage, in der das Management nach der Intensität des Wettbewerbs auf dem für die Organisation zentralen Betätigungsfeld befragt wurde. Zum anderen können die Lebenschancen der Beschäftigten maßgeblich mit der ökonomischen Situation der Branche einer Organisation variieren (vgl. statt anderer Carroll/Mayer 1986; Szydlik 1993). Im GSS/NOS-1991 sind die Branchen nach dem US Industry-Code von 1980 (dreistellig) klassifiziert. Aufgrund der reduzierten Stichprobengröße wegen fehlender Werte in den Regressionsmodellen war es nicht möglich, die Branchen nach dem verbreiteten siebenstufigen Klassifikationsschema von Stinchcombe (Stinchcombe 1979) zu gruppieren; einige der Kategorien wären sehr schwach besetzt gewesen. Stattdessen habe ich mich für folgende sechsstufige Gruppierung entschieden (vgl. Tabelle 5.2).
Abb.) führen dazu, dass der Effekt der Klassenlage geringer ausfällt. Die Effekte der anderen unabhängigen Variablen, insbesondere jene der Organisationsstrukturen, bleiben stabil.
122
5. Strukturelle Unabhängigkeit
Tabelle 5.2:
Branchen (gruppiert) im GSS/NOS-1991 N
N (%)*
Industrie, Bergbau & Baugewerbe
181
24.9
Handel (inkl. Groß- und Einzelhandel)
120
16.5
Personennahe Dienstleistungen (inkl. Pflege, Bildung, Gesundheit)
216
29.7
Transport & Infrastruktur (inkl. Personenbeförderung, Telekommunikation, Stadtwerke)
64
8.8
Sachdienstleistungen (inkl. Finanzdienstleistungen, Unternehmensberatung, Reparaturdienstleistungen)
85
11.7
59 725
8.1
Öffentliche Verwaltung
Anm.: Quelle: GSS/NOS-1991, eigene Berechnungen. Für zwei Fälle fehlen Branchenangaben im GSS-NOS-1991. * Angaben kumulieren wegen Rundungen nicht zu 100 %.
5.5
Ergebnisse
Erwerbseinkommen Tabelle 5.3 gibt die Effekte der Determinanten des Erwerbseinkommens als primärer Quelle materieller Lebenschancen wieder. Das Basismodell zeigt zunächst eine Vielzahl von signifikanten Effekten der Individualmerkmale. Die meisten dieser Effekte sind aus der Arbeitsmarktforschung wohlbekannt: Frauen erzielen (unter Kontrolle der Teilzeitarbeit) geringere Erwerbseinkommen als Männer, Teilzeitbeschäftigte erzielen geringere Einkommen, und mit zunehmender Betriebszugehörigkeit steigt auch das Einkommen. Dagegen zeigen nur das Alter eines Befragten und seine ethnische Abstammung keinen signifikanten Effekt. Insgesamt sind die Effekte des Basismodells recht stark, und die Varianzaufklärung ist mit 38 Prozent bereits hoch.
5.5 Ergebnisse
Tabelle 5.3:
123
Determinanten des Erwerbseinkommens in den USA (1991) Modell 1
Modell 2
Modell 3
Modell 4
.059 (1.10) -.223*** (-3.74) -.069 (-1.65) -.454*** (-8.86) .153** (2.89)
.030 (0.55) -.222*** (-3.97) -.064 (-1.66) -.436*** (-8.93) .191*** (3.66)
.004 (0.08) -.185*** (-3.81) -.013 (-0.29) -.404*** (-7.66) .190*** (3.98)
.041 (0.76) -.177*** (-3.64) -.008 (-0.20) -.390*** (-7.49) .169** (3.51)
.159** (2.66)
.152* (2.64)
.140* (2.46)
.049 (0.65) .186* (2.19) .171** (3.57) .119* (2.11) .143*** (3.91)
.088 (1.23) .135 (1.87) .160** (3.06) .078 (1.37) .106** (3.16)
.066 (0.91) .127 (1.74) .130** (2.86) .071 (1.31) .085* (2.39)
.298*** (4.19) .273** (3.40) .079 (1.42) .142** (3.18) .076 (1.31)
.308*** (4.58) .288*** (3.72) .074 (1.46) .156** (3.31) .079 (1.37)
.50
-.026 (-0.59) .092*** (4.83) .101** (2.64) .021 (0.73) .52
Personenmerkmale Alter (in Jahren) Geschlecht (Frau = 1) Ethnische Herkunft (farbig, andere = 1) Arbeitszeitumfang (Teilzeit = 1) Dauer der Betriebszugehörigkeit (in Jahren) Merkmale der Marktstruktur Wettbewerbsintensität Branche (Referenz: Handel) Industrie & Bau Personennahe Dienstleistungen Transport & Versorgung Finanz- & Unternehmensdienstleistungen Öffentliche Verwaltung Klassenlage (Referenz: ungelernte Arbeiter) I. Obere Dienstklasse II. Untere Dienstklasse III. Routinedienstleister V. Techniker und gewerbliche Vorgesetzte VI. Facharbeiter Organisationsstruktur Betriebsgröße Unternehmensgröße Interner Arbeitsmarkt Vertikale Differenzierung R2
.38
.43
Anm.: Quelle: GSS/NOS-1991, N = 282, eigene Berechnungen. Lineare Regressionsmodelle mit robusten Standardfehlern unter Berücksichtigung von Clustern nach Branchenzugehörigkeit. Angegeben sind standardisierte Koeffizienten; t-Werte in Klammern; * pt