G.F. UNGER SEINE GRÖSSTEN WESTERN-ERFOLGE Band 1297
Keine Gnade für Carlos Es war nun einmal so, dass die Apachen nich...
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G.F. UNGER SEINE GRÖSSTEN WESTERN-ERFOLGE Band 1297
Keine Gnade für Carlos Es war nun einmal so, dass die Apachen nichts anderes als Raubguerillas waren, nachdem ihre Vorfahren einst in grauer Vorzeit aus Alaska nach Süden kamen. Sie waren niemals Sammler, Hirten, Ackerbauern oder Reiter. Sie waren auch niemals edel und gut. Eigentlich hießen sie »Enju« oder »Yndye«, was so viel wie »Volk« bedeutet. Ihre Nation bestand aus vielen Stämmen, und insgesamt zählten sie nicht mehr als achttausend Seelen. Doch das Gebiet, welches sie beherrschten und in all den Jahrhunderten mehr oder weniger in Angst und Schrecken hielten, war riesengroß. Ihren Namen bekamen die Apachen von dem Wort »Apachus« der Pueblo-Indianer, welches so viel wie »Feinde« bedeutet. Über nahezu drei Jahrhunderte hinweg wurden die Apachen von Spaniern, Mexikanern, Amerikanern und allen anderen indianischen Stämmen bekämpft, angegriffen und massakriert, wo immer das möglich war. Sie schlugen stets mit aller Grausamkeit zurück. Ihr naturhafter Freiheitswille war größer als der aller anderen Indianervölker. Dies ist die Geschichte von Carlos und dessen Coyoteros, einem der vielen kleinen Stämme, der sich wiederum in kleine Gruppen oder Horden teilte…
Die Coyoteros lebten lange Zeit unbehelligt von Feinden im Gila-River-Land, auch im Tonto-Becken. Doch dann kamen die Weißen ins Land – Siedler und Goldund Silbersucher. Und um sie zu beschützen, sandte General Crook eine Armeeabteilung in dieses Land unter dem Kommando von Captain Caesar Wellington, der den Ehrgeiz hatte, einst in die Geschichte einzugehen wie der große Caesar, jener römische Feldherr, und wie Wellington, der die Franzosen aus Spanien vertrieb und mit Blücher bei Waterloo Napoleon besiegte… Captain Wellington ist General Crook noch niemals begegnet, doch er hat schon eine Menge über den Brigadegeneral gehört. Und so weiß er, was man sich über ihn erzählt, zum Beispiel, dass ihm keiner als Indianerkämpfer gleichkam, dass er geduldig und zielstrebig war und eine Ausdauer besaß, die es mit der Zähigkeit eines Apachenkriegers aufnehmen konnte. Doch obwohl er ein berühmter Indianerkämpfer war, hatte er großes Verständnis für die Roten. Er konnte sie schonungslos bekämpfen bis zur Vernichtung, war aber rücksichtsvoll und menschlich zu jenen, die sich ergaben, also den Kriegspfad verließen. Er gehörte zu den wenigen Offizieren, die niemals leere Versprechungen machten und die Indianer schamlos belogen. Es ist im Jahre 1871, als General Crook seinen Apachenfeldzug in Arizona beginnt, wo er der oberste Militärbefehlshaber ist. Und so trifft er eines Tages im Juni in Fort Apache ein. Wenig später wird Captain Wellington in die Kommandantur gerufen. Als er eintritt, sitzt General Crook hinter dem Schreibtisch des Kommandanten, welcher rechts hinter ihm an der Wand lehnt und eine Zigarre raucht, die Crook ihm mitgebracht hat. Captain Wellington meldet sich vorschriftsmäßig und harrt
dann der Dinge, die nun kommen werden, ja, ganz zwangsmäßig kommen müssen. Denn warum sonst ließ der General ihn rufen? Doch vorerst betrachten sie sich beide eine Weile schweigend und versuchen die Strömungen zu spüren, die ja stets zwischen Männern vorhanden sind, die sich zum ersten Mal begegnen. In solchen Momenten entscheidet sich oft viel. Doch offenbar verspürt der General instinktiv kein Gefühl der Abneigung. Er nickt nach einer Weile. Was er sieht, ist ein indianerhaft wirkender Offizier, von dem etwas ausgeht, was man auch gebändigte und kontrollierte Wildheit nennen könnte, gepaart mit Härte und dem absoluten Glauben an sich selbst. Crook nickt schließlich und sagt: »Stehen Sie bequem, Captain. Ihr Name ist Caesar Wellington. Ist das Zufall?« »Vielleicht war es eine Laune meines Erzeugers«, erwidert Wellington. »Der war nämlich Geschichtsprofessor in Boston, Sir.« Crook lächelt zwischen seinem Bartgestrüpp und nickt. Dann fragt er. »Hassen Sie die Apachen?« »Sir, ich mag sie nicht, aber ich respektiere sie. Und wäre ich ein Apache, dann wäre ich wie sie, Sir. Doch ich bin kein Apache. Deshalb gelten für mich andere Regeln, Sir, obwohl…« »Obwohl was?« Crooks Stimme klingt etwas schärfer. Aber die Stimme des Captains bleibt ruhig, als er spricht: »In grauer Vorzeit kamen die Apachen als Eroberer in dieses Land, so wie jetzt wir Weißen. Nun sind sie zum Untergang verurteilt, selbst wenn sie sich ergeben und in Reservate eingesperrt werden. Sie sind zum Untergang verurteilt.« Als er verstummt, da grinst Crook zwischen seinem Bartgestrüpp so richtig hart und böse.
Dann spricht er: »Unsere Meinungen zählen nicht. Wir sind Soldaten und machen keine Politik. Wir führen Befehle aus.« Er macht eine kleine Pause. Seine Finger trommeln auf der Schreibtischplatte. Dann spricht er: »Ich kämpfe hier in Arizona und auch in New Mexico gegen ein halbes Dutzend Apachenstämme. Aber einen überlasse ich Ihnen, Captain Wellington. Es handelt sich um Carlos und dessen Coyoteros und die mit ihm verbündeten Tontos. Sie betrachten das Gila-River-Land immer noch als ihr Eigentum und versuchen jeden Weißen dort umzubringen, auf welche Art auch immer. Nur die kleinen Kinder lassen sie am Leben und nehmen sie mit. Denn aus ihnen machen sie Apachen, um ihre eigenen Verluste etwas auszugleichen. Carlos hat nun schon etwa ein halbes Dutzend solcher Kinder mitgenommen. Die Siedler, Rancher, Minenleute und auch die Frachtfahrer haben sich an die Regierung gewandt und um Schutz gebeten. Und so bekam ich den Befehl, Carlos unschädlich zu machen. Und wenn er lebend gefangen wird, dann soll er hängen. Captain, diesen Befehl gebe ich jetzt an Sie weiter. Es gibt keine Gnade mehr für Carlos, selbst wenn er sich ergeben sollte. Er hat schon zu viel gemordet mit seiner Horde. Haben Sie verstanden? Keine Gnade.« Abermals schweigt Crook einige Atemzüge lang. Er knetet seine Hände, so als müsste er innerlich Gefühle bekämpfen und unter Kontrolle bekommen. Dann spricht er ruhig: »Sie rücken mit hundert Mann und der dafür notwendigen Bagage aus ins Gila-River-Land, beschützen alle Weißen und jagen Carlos. Sie bekommen Ihren Befehl noch schriftlich. Mit Ihrer Abteilung sind Sie auf sich allein gestellt. Sie können auch Scouts anwerben. Wenn Sie Erfolg haben, können Sie mit einer Beförderung rechnen. Sonst aber…« Crook bricht ab und macht eine wegwerfende Handbewegung. Dann sagt er seltsam milde: »Also los, mein Junge!
Kommen Sie in Gang! Sie haben Zeit bis morgen. Dann sind Sie unterwegs.« Als er verstummt, bleibt es einige Atemzüge lang still. Dann aber fügt der General noch hinzu: »Sie dürfen sich Ihre Leute unter der ganzen Truppe hier in Fort Apache aussuchen. Jetzt raus hier, Captain. Es eilt!« Wellington salutiert und geht. Im Vorzimmer empfängt ihn der Adjutant mit den Worten: »Ich helfe Ihnen, Caesar.« Drinnen aber sehen sich der General und der Colonel eine Weile schweigend an. Dann spricht Crook: »Ja, wir stehen unter Befehl, und manchmal ist es ein verdammter Befehl. Für die Bürokraten im Osten sind die Apachen nur blutdürstige Wilde, verrückte Mörder. Die begreifen nicht, dass die Apachen mit allen Mitteln gegen ihren Untergang kämpfen, gegen einen Vernichtungskrieg und um ein Land, welches einst ihre Vorfahren eroberten. Sie sind ein Volk mit einem ungeheuren Freiheitswillen. Manchmal weiß ich nicht, ob ich sie hassen oder bedauern soll, verdammt!« Der Colonel aber tritt an die große Karte an der Wand und klatscht mit der Hand auf die Stelle, wo sich der Gila mit dem San Pedro vereint. »Das wird ein langer Krieg«, knurrt er. »Wellington wird viele Männer verlieren. Wie wird er das verkraften – und wie groß wird deswegen sein Hass werden? General, Sie haben ihn in die Hölle geschickt, aber ich denke, er wird nicht zerbrechen.« * Es ist Mittagszeit, als Wellington und der Adjutant über den hitzeflimmernden Paradeplatz gehen. Unter ihren Stiefeln wirbelt Staub auf, rötlicher Staub.
Inmitten des Platzes steht der Mast, an dem die Flagge der Union schlaff in der Windstille hängt. Die beiden Offiziere treten wenig später in die Sergeantkantine, wo die Sergeants der Garnison nach dem Mittagessen noch etwas entspannen, bevor der Dienstbetrieb wieder losgeht. »Achtung!« So ruft eine heisere Stimme. Dann springen die zwei Dutzend Sergeants auf. Doch Wellingtons Stimme klingt sofort: »Setzen!« Sie setzen sich wieder auf die langen Bänke, scharren mit den Füßen auf den mit Sand bestreuten Holzbohlen. Dann warten sie. Und längst wittern sie mit ihrer Erfahrung, dass gleich einige von ihnen nur noch wenig Freude haben werden. Wellingtons Stimme klingt ganz ruhig, als er halblaut ruft: »Sergeant Pesulsky!« Er muss einige Atemzüge lang warten, dann erhebt sich ein rotköpfiger Sergeant und spricht heiser: »Hier, Sir.« »Warum dauert es so lange, bis Sie sich melden, Sersch?« Wellingtons Stimme klingt hart. Doch Sergeant Hogjaw Pesulsky erwidert ganz ruhig: »Sir, man nennt mich hier in Fort Apache nur Sergeant Bull oder einfach nur Red Bull. Ich habe meinen richtigen Namen fast vergessen. Ich musste erst überlegen.« »Gut, Sersch Bull, gut.« Wellington grinst. »Es soll mir recht sein. Doch Sie gelten als der härteste Sersch in diesem Fort. Und weil das so ist, suchen Sie jetzt sechs weitere Sergeants von Ihrer Sorte aus, auf die Sie glauben, sich verlassen zu können. Und dann lassen wir die ganze Garnison antreten, um hundert Mann auszusuchen. Dämmert es langsam bei Ihnen, Sersch Bull?« Dieser stößt einen seltsamen Laut aus, der sich wie ein Fluch und freudiger Schrei zugleich anhört. »Oho, es dämmert, Sir, es dämmert!« So ruft er dann fast
wild vor Freude. Aber es ist gewiss keine Freude in ihm. Er will nur auf sarkastische Art den Anschein von Freude erwecken. Er ruft nun schnell ein halbes Dutzend Namen auf. Und die Aufgerufenen erheben sich und wirken grimmig, mürrisch und missmutig. Wellingtons Stimme verkündet: »Es wird auf euch Sergeants ankommen, ob unsere Abteilung gut genug ist für einen Krieg gegen Carlos im Gila-River-Land. Ihr kennt eure Männer besser als ich. Also los, gehen wir!« Er geht mit dem Adjutanten hinaus. Drinnen in der Kantine bleibt es eine Weile still. Dann tönen heisere und wilde Flüche. Und eine Stimme ruft schrill: »Halleluja, hoffentlich kann ich diese Nacht noch die dicke Estrella bumsen – noch einmal in meinem Leben!« Dann kommen die sieben Sergeants heraus. Und im Fort tönt nun das Hornsignal zum Heraustreten. Und bald stehen siebenhundert Mann unter der schlaff hängenden Flagge. Das ganze Regiment ist angetreten. Und die sieben Sergeants gehen die Reihen entlang und wählen aus. Oben auf der Veranda der Kommandantur stehen der General und der Colonel und sehen zu. Crook spricht schließlich aus seinem Bartgestrüpp heraus. »Der Junge macht wenigstens den Anfang gut. Sie verlieren jetzt die besten Männer. Diese nimmt der Captain alle mit.« »Auch die schlimmsten Säufer«, knurrt der Colonel. * Es ist am nächsten Morgen noch vor Sonnenaufgang, als die Kommandos ertönen: »Fertig zum Aufsitzen! Aufsitzen! In Doppelreihe anreiten!«
Und indes sie anreiten, schallt das mehr als hundertstimmige »Johooo!«. Es hallt über die Wälle des Forts in alle Richtungen hinaus. Dann hört man nur noch Hufschlag, der zum klirrenden Trab wird. Dieser klirrende Trab hallt stets der reitenden Kavallerie voraus und wird von all den Metallteilen der Ausrüstung erzeugt, von den Säbelgehängen, Gebissketten, all den Schnallen und Sporenrädchen. In dem stillen und weiten Land ist dieser klirrende Trab meilenweit zu hören. Er steht im totalen Gegensatz zu den lautlosen und schattenhaften Bewegungen streifender Apachenhorden. Doch der klirrende Trab wirkt so ungeheuer selbstbewusst, so als bewegte sich eine starke Macht, käme etwas Unaufhaltsames. Captain Wellington reitet an der Spitze, seine beiden Lieutenants rechts und links etwas hinter ihm. Dann folgt Master Sergeant Hogjaw Pesulsky, den sie im Regiment nur Red Bull nennen. Dahinter reitet der Corporal mit der Flagge, neben ihm der Hornist. Dann folgen die vier Reiterzüge mit dem Wimpel an der Spitze. Und hinter der langen Doppelreihe von mehr als hundert Kavalleristen fahren die sechs Bagagewagen, jeder gezogen von sechs Maultieren. Den Schluss macht der Sanitätswagen mit dem Feldarzt und dem Sanitätercorporal. So ziehen sie also aus dem Fort nach Westen zum Gila River. Im Süden werden in weiter Ferne allmählich die Santa Catalinas sichtbar. Im Norden, jenseits der Bradshaws und der Black Hills aber wird man bei besserer Sicht das Great Plateau – die Mogollon Mesa mit dem Tonto Rim – zu sehen bekommen in der dann trockenen und klaren Luft. Wellington reitet so richtig stolz an der Spitze. Er fühlt sich
als Truppenführer, als selbstständiger Kommandeur, der nach eigenem Ermessen handeln kann. Er verspürt einen ehrgeizigen Stolz in seinem Kern. Einige Male wendet er sich im Sattel um und blickt zurück. Was er sieht, macht ihm aber ganz plötzlich klar, dass er die Verantwortung für all die Seelen trägt, die nun unter seinem Befehl stehen, mögen es schwarze oder helle sein, böse oder gute. Und er weiß, dass die meisten dieser Reiter hinter ihm mehr oder weniger schwarze Seelen haben und die Armee ihre letzte Zuflucht war: Viele hatten Schatten auf ihren Fährten. Nun schützt sie die Armee und deshalb ertragen sie den Drill, fügen sich der Disziplin und führen die Befehle aus. Wellington denkt an den Apachen Carlos, den er vernichten soll. Wie viele Männer wird er verlieren? Oder wird es ihn gar selbst erwischen? Doch er schiebt die Frage in seinen Gedanken beiseite. Er will und muss gewinnen. Denn dann… Ja, er will so schnell wie möglich Major werden. Er ist genau dreißig Jahre alt. Custer war mit vierundzwanzig Jahren schon General, wenn auch nur auf Kriegszeit. Als er sich wieder einmal umblickt in Richtung Fort, welches nun schon eine Meile zurück liegt, da sieht er die beiden Scouts kommen. Wenig später sind sie neben ihm. Einer, den er für einen Texaner hält, spricht ruhig: »Captain, wir wurden Ihnen von General Crook zugeteilt. Dies ist Pat Alvarez. Ich bin Al Rourke. Wir sollen Sie zum Gila bringen und dann auf Sie und Ihre Männer aufpassen, damit Carlos nicht zu viele Soldaten umbringen kann.« In seiner ruhig klingenden Stimme liegt bei den letzten Worten kein Spott, kein Sarkasmus. Und in seinen rauchgrauen
Augen ist nur Ernst zu erkennen. Dennoch ärgert sich Wellington und erwidert: »Ich denke, Sie trauen diesem Carlos und dessen Horde vielleicht zu viel zu und mir verdammt wenig!« Die Augen von Al Rourke werden einen Moment schmal. Dann erwidert er knapp: »Wir werden das alles noch herausfinden, Captain, denke ich. Hatten Sie schon mal mit Apachen zu tun? Sie sind ja noch nicht lange in Fort Apache.« »Vier Wochen«, erwidert Wellington. »Ich war in Fort Laramie und hatte es mit Sioux, Cheyennes und Arapahoes zu tun. Ich kenne die Roten.« Er verstummt selbstbewusst. Doch Al Rourke erwidert: »Dann vergessen Sie all Ihre Erfahrungen mit den Reiterstämmen der Hochprärie. Die Apachen sind anders, völlig anders. Sie werden eine Menge lernen müssen, Captain, und je schneller Sie das können, umso weniger von Ihren Männern werden sterben. Folgen Sie unserer Fährte. Los, Windy!« Seine beiden letzten Worte gelten Pat Alvarez, der bisher der Unterhaltung grinsend zuhörte. Sie reiten an, und nach einigen Yards hebt Alvarez den Hintern im Sattel hoch und lässt knatternd seine Winde abgehen. Es ist ein lauter Furz. Und nun wird klar, warum man Pat Alvarez Windy Pat nennt. Captain Wellington aber verspürt nun einen bösen Zorn, und zugleich weiß er, dass er auf diese beiden Scouts angewiesen sein wird, was die Apachen betrifft. Er ist nicht so dumm, diese Abhängigkeit nicht zu begreifen. Einer der beiden jungen Lieutenants faucht: »Dieser Bursche ist eine verdammte Sau, eine Erzsau.« Aber Wellington erwidert nichts, sondern reitet weiter an der Spitze seiner Truppe, stolz und selbstbewusst. *
Um diese Zeit, da Wellington mit seiner Truppe ausrückt, um Carlos und dessen Horde zu vernichten, da feiert diese Horde eines ihrer Siegesfeste an der Tinaja zwischen den »Siete Toros«. Es sind sieben schwarze Felsen, welche wie versteinerte Kampfstiere aussehen und damals von den spanischen Hidalgos so getauft wurden, als diese mit ihren eisengepanzerten Soldaten nach den sieben goldenen Städten von Cibola suchten, die es gar nicht gab. Eine Tinaja, dies ist eine Wasserstelle. Carlos und dessen Krieger haben wieder einmal einen Sieg errungen, Weiße getötet und eine Frau mit zwei Kindern geraubt. Sie haben die ganze Nacht Tiswin getrunken, einen Schnaps aus gegorenen Maiskeimen. Sie haben getanzt, ein Pferd geschlachtet und davon jeder zwei Pfund Fleisch vertilgt, welches nur halb gar gebraten war. Carlos hat im Verlaufe der Nacht die Frau vergewaltigt und genau das getan, was weiße Skalpjäger einst mit seiner Frau taten, als sie während seiner Abwesenheit sein kleines Dorf überfielen, um Frauen- und Kinderskalpe zu erbeuten, für die in Tucson Prämien gezahlt werden. Die beiden Kinder – es sind Zwillinge im Alter von zwei Jahren – schliefen zum Glück vor Erschöpfung und mussten nicht zusehen. Und ihre Mutter ertrug alles still. Wahrscheinlich hätte sich Sally Malton das Leben genommen auf irgendeine Art. Doch wegen der beiden Kinder tat sie es nicht und wird sie es auch nicht tun, zumal Carlos sagte: »Du bist jetzt meine Frau – und diese sind meine Söhne.« Dann ließ er sie allein, ging zu seiner tanzenden und lärmenden Horde hinüber. Nun ist es Tag. Sally Malton hockt auf der anderen Seite der Wasserstelle neben ihren schlafenden Zwillingen Jim und Bill.
Sie sieht arg mitgenommen aus. Dennoch kann man erkennen, dass sie eine mehr als hübsche Frau ist, eine von jener Sorte, von der die Männer träumen. Jack Malton hatte sie bekommen, als er aus dem Krieg heimkehrte. Und alle hatten ihn beneidet. Er selbst war der glücklichste Mann auf dieser Erde gewesen. Ja, so hatte er sich gefühlt. Und dann waren sie eines Tages losgezogen nach Westen mit einem Wagenzug von Landsuchern. Sie gelangten nach monatelangem Treck ins Land des Gila River und ließen sich nieder, arbeiteten zwei Jahre lang hart. Doch dann kam Carlos mit seiner Horde. Sally Malton schließt wieder die Augen und sieht abermals ihren Mann Jack Malton kämpfen und sterben. Und dann stand Carlos vor ihr und sah sie an. Sie hielt ihre kleinen Kinder in den Armen und war bereit zu sterben. Doch er nahm sie mit. Jetzt ist sie seine Frau. Sie betrachtet die schlafenden Zwillinge neben sich. Diese sind so unschuldig und rein wie kleine Engel und können nicht ahnen, was ihnen bevorsteht. Denn man wird sie zu Apachenkriegern erziehen. Sally blickt auf die andere Seite der Wasserstelle. Dort liegt die Horde kreuz und quer durcheinander, erschöpft vom Tanzen und Singen, betrunken vom Tiswin. Sally blickt auf die Oberfläche der Tinaja. Die Wasserstelle ist gewiss tief genug, um sie und ihre Kinder ertrinken zu lassen. Sie müsste sich nur hineinwerfen mit Jim und Bill. Die Horde würde es gewiss nicht wahrnehmen. Sie schläft noch ihren Rausch aus. Einen Moment will Sally handeln, es wahrhaftig tun. Dann aber wird ihre Lebenskraft wieder stärker. Sie wird Carlos ertragen und darauf hoffen, dass ihre Kinder vielleicht irgendwann eine Chance bekommen. Tief in ihrem
Kern glimmt noch ein Fünkchen Hoffnung. Die aufsteigende Sonne beginnt zu wärmen. Und die Horde auf der anderen Seite der Tinaja erwacht zum Leben. Da und dort taumeln sie hoch, auch Carlos. Sally sieht sofort, dass er zu ihr und den Zwillingen herüberblickt. Sie bewegt sich nicht, bleibt mit angezogenen Knien hocken, die sie etwas tiefer umschlingt. Dann kommt Carlos herüber und verhält vor ihnen. Sie sehen sich lange an. Sallys Gesicht bleibt ausdruckslos. Carlos aber verzieht den hartlippigen Mund zu einem Lächeln. Er ist für einen Apachen sehr groß, auch prächtig gewachsen. Eigentlich sieht er nicht wie ein Apache aus, eher wie ein Comanche. Er sagt: »Auch meine Frau war schön, ebenso meine beiden kleinen Söhne. Wir alle lebten glücklich in unserem Wickiup. Ich war mit meinem Kriegern unterwegs zum Pferdehandel in Sonora. Da überfielen weiße Skalpjäger mein Dorf und töteten alle Frauen und Kinder, nahmen deren Skalpe. Auch ich verlor meine Frau, meine Kinder. Nun nehmt ihr deren Stelle ein. Und ich werde dir Kinder machen, sodass wir mit deinen zusammen eine große Familie sind. Basta! Finde dich damit ab.« Sally hört es und wischt sich mit einer Hand übers Gesicht. Doch als sie die Hand herunter nimmt, da sieht sie immer noch Carlos. Sie erwidert mit spröder Stimme: »Ich bin in deiner Hand, Carlos, und will am Leben bleiben wegen meiner beiden Söhne. Also muss ich wohl alles auf mich nehmen und ertragen in meiner Wehrlosigkeit.« Als sie verstummt, da funkelt es in seinen schwarzen Augen. »Ich habe mit meinen Kriegern an einem verborgenen Ort wieder ein kleines Dorf, das kein Weißer finden kann. Dort
haben wir auch wieder einige Frauen und Kinder. Ich lasse dich dorthin bringen. Du wirst in unserem verborgenen Dorf nicht allein sein. Und eines Tages werde ich kommen mit reicher Beute. Finde dich damit ab, dass du nun einen Apachen zum Mann hast.« Er wendet sich ab und springt so wie er ist in das tiefe Wasser des felsigen Beckens und taucht mehrmals unter. Als er auf der anderen Seite wieder aus der Tinaja steigt, ruft seine Stimme laute Befehle auf Apache. * Es ist am Nachmittag des vierten Tages, als der Scout Al Rourke auftaucht und seinen zähen Mustang neben den schwitzenden Wallach von Wellington lenkt. Eine Weile reiten sie nebeneinander. Dann spricht Al Rourke: »Wir reiten nicht mehr allein zum Gila, den wir noch vor Nachtanbruch erreichen. Wir werden jetzt links und rechts von etwa einem Dutzend Apachen begleitet.« Wellington starrt ihn an. »Ich habe noch keinen gesehen«, spricht er ungläubig. »Und ich habe scharfe Augen.« Al Rourke grinst nachsichtig. »Das ist es ja«, erwidert er. »Captain, das ist es! Sie müssen noch viel lernen. Apachen kann man nicht sehen, wenn man sie nicht kennt mit all ihren Tricks. Sie sind ein Greenhorn hier. Captain, wir werden wahrscheinlich in dieser Nacht die ersten Toten bekommen.« »Wie das?« Wellingtons Stimme klingt böse. »He, Rourke, wollen Sie, dass ich mir in die Hosen mache?« Rourke schüttelt wortlos den Kopf. Dann sehen sie sich beide, indes sie Steigbügel an Steigbügel reiten, eine Weile schweigend an. Sie sind sehr unterschiedliche Männer, schon äußerlich.
Captain Wellington ist dunkel wie ein Comanche, aber er verkörpert sozusagen den tadellosen, stets beherrschten und selbstbewussten Offizier, welcher befähigt ist, Männer anzuführen und stets die richtigen Befehle zu erteilen. Der Scout Al Rourke ist ein hellblonder Texaner mit stahlblauen Augen und einem Sichelbart über dem harten Mund. Wahrscheinlich war er in Texas ein Revolvermann, denn das kann man unschwer daran erkennen, wie er seinen Revolver trägt. Wellington will es plötzlich wissen, denn er fragt: »Rourke, warum leben Sie in diesem Land? Warum sind Sie Scout?« »Ah, das wäre eine lange Geschichte, Captain«, erwidert Al Rourke, und nun ist in seiner Stimme ein Klang von trügerischer Sanftheit, so als wollte er schon allein mit seiner Stimme seine innerlichen Gefühle und Gedanken verbergen. Sie reiten nun über die letzte Bodenwelle, die sie vom Gila River trennt. Nun sehen sie den Fluss eine Viertelmeile vor sich inmitten von Paloverde-Hainen. Das Gelände senkt sich nur leicht. »Da ist der Gila«, sagt Al Rourke lässig. »Captain, schlagen Sie das Camp inmitten eines Haines auf, selbst wenn Sie eine Lichtung schlagen lassen müssen. Die Truppe braucht Deckung. Denn wenn die Nacht schwarz wird, sind Ihre Posten in Gefahr. Und wenn die Nacht hell genug ist, werden Pfeile fliegen. Captain, Sie werden in dieser Nacht die ersten Verluste haben. Und Sie können nichts dagegen tun.« »Das werden wir ja sehen, Rourke«, schnaubt der Captain. »Sie können so klug reden, aber eine Lösung haben Sie auch nicht – oder?« »Nein, denn Apachen sind in solchen Nächten wie Schlangen. Sie müssen ihre Männer stets in Deckung halten. Das ist die einzige Chance. Apachen kämpfen auch in den Nächten. Da unterscheiden sie sich von den Reiterstämmen der Hochprärie. Denn diese fürchten sich davor, dass die Seelen
ihrer Toten in den Nächten nicht den Weg zum Sammelplatz der Seelen, also nach ›Wanagi Yata‹ finden und ewig umherirren müssen. Die Apachen haben einen anderen Glauben. Die sterben auch in der Nacht ohne Furcht. Also halten Sie Ihre Truppe die ganze Nacht in Deckung.« Er reitet nach diesen Worten wieder an. Denn unten am Fluss, da ist Pat Alvarez aus einem Paloverde-Hain aufgetaucht und schwingt seinen alten Hut, so als wollte er signalisieren, dass hier der beste Platz für das Camp wäre. Als Al Rourke bei ihm ist, lässt Windy Pat wieder furzend seine Winde aus dem Körper. Dann aber fragt er: »Hast du es ihm gesagt, Al?« Al Rourke nickt nur. * Captain Wellingtons Truppe schlägt im letzten Licht des sterbenden Tages das große Camp auf. Die sechs Bagagewagen bilden eine Wagenburg. Aber sie müssen zwischen ihnen große Lücken lassen, weil es nur sechs sind. Wellington müsste für eine große, dicht geschlossene Wagenburg zwei Dutzend Wagen haben. Und so wird er sich seiner Schwäche bewusst. Ja, es ist eine Schwäche. Er kommandiert mehr als hundert Mann. Und dort draußen irgendwo sind vielleicht nur ein Dutzend Apachen, wenn er Al Rourke glauben darf. Aber trotz seiner großen Übermacht muss er Verluste befürchten. Das kann und will er noch nicht so richtig glauben und ahnt dennoch, dass der Scout mit seiner Warnung nicht übertrieb. Er inspiziert dann das Camp. Es wurde dicht am Fluss aufgeschlagen. Sie mussten in den Paloverde-Hain auch eine Lichtung schlagen.
Innerhalb der Wagenburg, die ja eigentlich keine ist, weil die Abstände von Wagen zu Wagen zu groß sind, befinden sich auch die Pferde der Truppe und die Maultiere der Bagagewagen. Es herrscht große Enge, zumal die Truppe jetzt abkocht, die Soldaten sich also ihr Essen zubereiten, wie es unterwegs üblich ist. Wellington geht von Feuer zu Feuer und spricht mit seinen Männern. Es ist seine Absicht, sie alle zu einer verschworenen Gemeinschaft zu formen, einer Truppe, in der jeder für den anderen einsteht. Aber er spürt ständig den Atem einer Abneigung, eines Trotzes und begreift wieder einmal mehr, dass diese Männer nur Soldaten wurden, weil dies ihre letzte Rettung vor dem völligen Absturz war und sie deshalb nur unter Zwang funktionieren. Er kann von ihnen keinen Idealismus erhoffen. Vom benachbarten Feuer kommt sein Bursche herüber und bringt ihm auf einem Brett den gebratenen Speck, zwei Tortillas und eine Hand voll Trockenobst, dazu einen Becher Kaffee. Wenig später wird es still im großen Camp. Selbst die Pferde und Maultiere schnaufen und stampfen nicht mehr in der Enge. Sie sind in vielen Reihen angebunden an ausgespannten Leinen. Über ihnen am Nachthimmel jagen kleine Nachtfalken. Diese Nacht ist zu dunkel. Sie könnten selbst mit ihren Falkenaugen keine Beute am Boden erblicken. Al Rourke und Pat Alvarez aber schleichen hinaus aus dem Camp und hinunter zum Gila. Bevor sie sich trennen, flüstert Rourke: »Furze nur nicht zu laut in der schwarzen Nacht. Dann finden sie dich schnell.« *
Einige Stunden sind vergangen. Wellington hat zwei Stunden geschlafen und wird jäh wach. Er war müde und ausgebrannt. Eigentlich hätte er tief und fest schlafen müssen nach diesem langen Tag, so wie seine Soldaten. Er hört sie nun überall im Camp schnarchen. Es gibt viele Schnarcher in seiner Truppe. Vielleicht hat auch er vorhin geschnarcht und ist von seinem eigenen Schnarchen geweckt worden. Doch er glaubt es nicht. Er weiß plötzlich, dass sein Instinkt ihn weckte. Und so liegt er still da und lauscht angespannt. Doch er kann nichts hören außer den normalen Geräuschen und Lauten in der Wagenburg, die so durchlässig ist wegen der großen Abstände der Wagen zueinander. Er blickt zum Himmel hoch. Doch dort ist nur Schwärze, tiefe Dunkelheit. Nun beginnt es zu regnen. Dieser Regen ist gewiss eine Wohltat für das Land, denn er kommt zu selten, manchmal viele Wochen und Monate nicht. In Wellington steigt ein böser Zorn hoch. Verdammt, denkt er, wir können keine Feuer brennen lassen, dürfen keine Laternen anzünden und unser Camp beleuchten. Und das nur, weil dort draußen ein paar Apachen umherschleichen. Verdammt, wenn ich sie bei Tage zu sehen bekomme, dann werde ich sie jagen. Die Stunden vergehen zwischen Mitternacht und Morgengrauen. Wellington kann nicht mehr einschlafen, wartet auf etwas und hofft, dass es nicht geschehen wird. Und er kann nichts tun, als auf die Wachtposten vertrauen, von denen je zwei in Deckung der Wagen verharren. Wellington wird sich wieder bewusst, wie sehr hier alles anders ist. Es ist dann fast schon Morgen. Der schwarze Himmel wurde etwas heller. Und auch der leichte Regen hat aufgehört.
Da kracht ein Schuss in die Stille der sterbenden Nacht. Eine Stimme stößt einen verzweifelt klingenden Schrei aus. Da und dort schrecken die Schläfer auf. Zwei weitere Schüsse krachen. Die Stimme von Master Sergeant Pesulsky brüllt: »Bleibt unten am Boden! Nicht hochkommen ohne Deckung!« Doch es ist offenbar zu spät. Denn einige der Schläfer sprangen auf, vielleicht noch schlaftrunken. Von draußen kommen Pfeile geflogen. Man hört ihr Zischen und dann das dumpfe Einschlagen in Körper. Eine heisere Stimme kreischt: »Ich bin getroffen! Ich habe einen Pfeil im Bauch! Oh, ihr verdammten roten Hurensöhne, warum stellt ihr euch nicht am Tag, ihr…« Die Stimme bricht ab. Nun krachen weitere Schüsse. Wellingtons Männer schießen nach allen Seiten aus dem Camp. Und ihre Mündungsfeuer erhellen für Sekundenbruchteile die Nacht, aber auch ihre Standorte. Die Apachen bleiben lautlos. Sie stoßen keine Kriegsschreie aus. Dann aber krachen unten am Gila zwei Revolver. Die Schüsse fallen in schneller Reihenfolge. Nun wird es still. Nach einer Weile hört man Al Rourkes Stimme vom Fluss heraufrufen: »Wir kommen! Ballert nur nicht auf uns! Die Apachen sind jetzt weg bis auf drei! Aber die sind tot. Wir kommen!« Es dauert noch eine Weile, und das erste Grau steigt im Osten auf und eröffnet die graue Stunde, in der es auf dieser Erde keine Farben gibt, auch keine Schatten. Rourke und Pat Alvarez tauchen auf. Wellington erwartet sie und empfängt sie mit den bitteren Worten: »Sie haben es richtig vorausgesagt, Rourke. Wir haben die ersten Toten. Die Roten sind in unser Camp geschlichen.
Sie haben…« Die Stimme versagt ihm vor Zorn und Hilflosigkeit. Doch Sersch Pesulsky spricht für ihn: »Zwei Posten mit den Messern und drei mit Pfeilen erwischt. Wie viele habt ihr erledigt?« Seine Frage klingt hart. »Drei«, erwidert Al Rourke, »nur drei. Die Nacht war noch zu dunkel dort unten am Gila. Nur drei.« Er sieht Wellington im Morgengrauen an und sagt fast tröstend: »Captain, solche schwarzen Nächte sind selten. Diese Nacht wird sich sobald nicht wiederholen.« * Am nächsten Tag erreicht die Truppe gegen Abend eine zerstörte Farm. Sie finden sieben Tote, drei Männer, drei Frauen und ein größeres Kind, ein Junge, der schon zu groß oder zu alt war, um aus ihm einen Apachenkrieger machen zu können. Also wurde er ebenfalls getötet, denn er würde ja eines Tages ein weißer Krieger werden in der Denkweise, der Apachen. Die Farmer hatten offensichtlich einige alte Gebäude der Vorbesitzer wieder aufgebaut oder ausgebessert. Es sind Gebäude und Hütten aus Adobe. Deshalb brannten nur die Maisstrohdächer mitsamt der Einrichtung. Die Adobemauern stehen noch, wenn auch geschwärzt vom Rauch. Die drei Frauen wurden vergewaltigt. Captain Wellington braucht dann nur eine einzige Stunde, um sich zu entscheiden. Er spricht zu seinen beiden Offizieren, den Scouts und den Sergeants: »Wir bleiben hier. Dies wird mein Stützpunkt. Zuerst machen wir den versauten Brunnen wieder brauchbar. Rourke, Sie begleiten Lieutenant Clayton. Er rückt morgen bei Tagesanbruch mit einer Doppelpatrouille aus und folgt der
Fährte dieser Horde. Noch Fragen, Rourke?« »Keine«, erwidert dieser nur. Sie beerdigen die Toten noch vor Nachtanbruch. Der Captain spricht einige Worte an den Gräbern. Mehr kann nicht getan werden, doch die Truppe wird sich bewusst, dass es keine Gnade geben kann für Carlos und dessen Horde. Natürlich sehen sie das aus der Sicht der Weißen. Carlos und seine Horde sehen es anders. Und so ist es wie immer wieder auf der Erde. Es wird Krieg geführt. Captain Wellington lässt dann sein Zelt aufschlagen. Als er bei Laternenschein an seinem Klapptisch sitzt und den Tagesbericht ins Buch schreibt, so wie es seine Pflicht ist, da hält er manchmal inne. Denn er sieht das Bild der verstümmelten Leichen vor sich. Diese Sippe hier wollte sich am Gila für immer festsetzen, und das ist ihr auch auf bittere Art gelungen. Denn ihre Körper werden hier für immer zu Erde. Er versucht sich Carlos vorzustellen. Denn Carlos ist sein Gegner. Er muss ihn vernichten. Doch Carlos hat ihm schon die ersten Verluste zugefügt. Wann wird er ihn zu sehen bekommen? Sind sie füreinander bestimmt von einem Schicksal, welches nur einen von ihnen überleben lässt? Viele Fragen sind in Captain Wellington. Am nächsten Morgen muss er also Lieutenant Clayton hinausschicken. Wenigstens kann er ihm den Scout Al Rourke mitgeben, dem er eine Menge zutraut. Mit wie vielen Männern werden sie zurück zum Camp Gila kommen? Ja, er wird diesen Militärposten Camp Gila benennen. Der Bursche bringt ihm das Abendessen ins Zelt. Sie nennen ihn einfach nur Blinky, denn er wirkt stets sauber und adrett. Er ist noch jung, kaum älter als zwanzig Jahre. Oder täuscht sein Aussehen nur und ist er doch einige Jahre älter?
Blinky fragt: »Sir, haben Sie sonst noch Befehle?« Wellington schüttelt den Kopf. Und da verschwindet Blinky. Wellington aber starrt ins Leere, so als suchte er etwas, dann beginnt er wieder in das Kriegstagebuch zu schreiben und den angefangenen Satz zu vollenden, bevor er zu essen beginnt. Er schreibt: … werde ich mich hier am Gila festsetzen und Camp Gila befestigen. Morgen sende ich die erste Patrouille hinaus. Sie soll der Fährte der Apachenhorde folgen und herausfinden, ob es sich um Carlos’ Horde handelt. Ich werde Lieutenant Clayton den Befehl geben, sofort den Kampf zu suchen und keine Gnade zu kennen. Capt. C. Wellington 17. August 1871 * Am nächsten Morgen – die Sonne ist noch nicht hoch genug, um den Tau zu tilgen und die Nebel zu fressen – nimmt die Patrouille die Fährte auf. Al Rourke reitet eine Viertelmeile voraus. Dies ist so üblich, sein Job als Scout. Er soll jeden Hinterhalt und jede andere Gefahr rechtzeitig vor der Truppe erkennen können und diese warnen. Lieutenant Clayton folgt mit Sergeant McNally und vierundzwanzig Mann. Dies nennt man eine Doppelpatrouille. McNally ist ein erfahrener Sergeant, und es wird darauf ankommen, ob der junge Lieutenant auf ihn und den Scout hören wird. So reiten sie also nach Westen. Die Fährte folgt dem Gila bis zur San-Pedro-Mündung und biegt dann nach Norden ab in Richtung Bradshaws Mountains, die in weiter Ferne im Sonnenlicht sichtbar werden.
Lieutenant Ben Clayton reitet zum ersten Mal in einem Feindgebiet auf Patrouille, und er gleicht irgendwie einem Nichtschwimmer, den man ins kalte Wasser wirft und der ertrinken wird, wenn er nicht sofort das Schwimmen erlernt. Dennoch ist Clayton mächtig stolz. Denn er glaubt an sich und hält sich für klug genug, diese erste Bewährungsprobe zu bestehen. Der Tag wird heiß. Noch vor der Mittagsrast flimmert die Hitze über dem Boden. Männer und Pferde schwitzen. Der Staub vermischt sich mit ihrem Schweiß und verursacht ein juckendes Brennen. Sergeant McNally stillt dennoch seinen Durst mit Brandy aus seiner Feldflasche. Einmal bringt der leichte Wind den Brandyduft bis zum Lieutenant hin, der ja nur ein oder zwei Schritte weit vor dem Sergeant reitet. Clayton wendet sich halb im Sattel und blickt auf seinen bärtigen Sergeant zurück. McNallys Miene wirkt ausdruckslos. Doch in seinen etwas schrägen Augen, die schon seine schottischen Vorfahren hatten, ist ein Glitzern. Es ist ein warnendes Funkeln, welches der junge Lieutenant sofort zu deuten weiß. Und nun beweist dieser Junge aus West Point, dass er tatsächlich nicht so dumm ist, um sich auf Patrouille mit einem erfahrenen Sergeant anzulegen. Er wendet sich wieder nach vorn, sieht Al Rourke vor sich und am Boden die deutliche Fährte der Horde. Das Land wird unübersichtlicher, bietet tausend verborgene Winkel für alle Lebewesen. Al Rourke stellt sich weit vor der Patrouille in den Steigbügeln auf und schwingt seinen alten Hut. Und so ruft Clayton über die Schulter zurück: »Anreiten zum Trab!« Er reitet dann selbst an. Hinter ihm tönt das »Johooo« seiner
Männer. Und weil sie nun schneller in Bewegung sind, flattert sogar der Wimpel. Als die Patrouille dann bessere Sicht in das Tal bekommt, da sehen sie die Reste einer Farm. Da es in diesem Tal genügend Wald gibt, wurden die Hütten und das Haupthaus aus Holz errichtet. Und so hat es mächtig gebrannt und wurde zu Asche. Al Rourke empfängt den Lieutenant mit den Worten: »Ich denke, die Leute hier haben sich selbst getötet und sind als Tote in ihrem Haus verbrannt. Sie wollten der Horde nicht lebend in die Hände fallen. Und das wären sie, hätten sie das brennende Haus verlassen.« Lieutenant Clayton schluckt mühsam und nickt. Dann blickt er in Al Rourkes rauchblaue Augen und fragt: »Haben Sie irgendwelche Vorschläge, Mr Rourke?« Dieser blickt kurz auf Sergeant McNally und sieht denn wieder Clayton an. »Die Horde ist etwa vier Stunden vor uns«, spricht er. »Sie hat hier eine Menge Zeit gebraucht! Sehen Sie, die Asche raucht noch, ist heiß. Aber vor Nachtanbruch können wir die Horde nicht einholen. Dann wird ihr Vorsprung wieder größer – es sei denn, sie wird wieder aufgehalten, so wie hier. Letzteres könnte morgen sein. Denn da vor uns gibt es weitere Farmen, einige Minen und auch kleine Ranchos. Lieutenant, morgen werden wir kämpfen müssen. Und dann sind wir verdammt weit von Camp Gila entfernt. Wollen Sie das wagen?« Clayton denkt nach. Er sieht auch den Sergeant an, dann wieder seinen Scout. Dann spricht er heiser: »Ich muss, Mr Rourke, ich muss. Das ist mein Befehl. Und ich kann nicht ins Patrouillenbuch schreiben, dass ich meinem Befehl nicht gefolgt bin, sondern gekniffen habe. Wir müssen die Horde einholen und angreifen.«
Er wendet sich im Sattel um: »Anreiten!« Seine Stimme überschlägt sich etwas. Und so reiten sie an in der Spätnachmittagshitze. Das Johooo klingt trotzig, so als wären sie bereit, dem Teufel ins Maul zu spucken. Sie reiten bis in die späte Nacht hinein, halten erst an, als die Pferde nicht mehr können. Doch dann lässt der Lieutenant marschieren, Meile um Meile bis nach Mitternacht. Es ist eine helle Arizonanacht mit all den Sternen und einem vollen Mond. Al Rourke kann die Fährte gut erkennen und sie sicher führen. Dann aber müssen sie anhalten bei einer Wasserstelle. Sie können nicht mehr. Al Rourke sagt trocken: »Ich reite noch ein Stück weiter. Vielleicht sind sie gar nicht mehr weit vor uns. Denn da weiter im Norden gibt es eine kleine Mine.« Er reitet auf seinem mageren und hageren Criollo wieder an. Sie sehen ihm nach. Clayton fragt seinen Sergeant: »Was reitet der für ein Pferd? Warum bricht das nicht zusammen?« »Das ist ein Criollo, Sir«, erwidert der Sergeant. »Dieses Tier stammt von den Vollblütern der Spanier ab, die diese aus arabischer Zucht bezogen und dann selbst gezüchtet haben. Und hier mischten sich die Nachkommen dieser Tiere später mit anderen. Criollos sind Mustangs mit arabischem Blut. Die können hundert und noch mehr Meilen ohne Pause laufen.« Als der Sergeant verstummt, blickt ihn der Lieutenant ungläubig an. Er argwöhnt fast, dass der Sergeant mit ihm etwas macht, was Soldaten als Verarschung bezeichnen würden. Er möchte auch fragen, ob McNally wirklich den Unsinn glaubt, den er soeben von sich gab. Doch er lässt es bleiben. *
Im Morgengrauen bricht die Patrouille wieder auf. Der junge Lieutenant will es nun wissen. Vielleicht gleicht er jetzt einem jungen Bluthund, der nicht mehr von der Fährte zu bringen ist und nicht weiß, dass die Fährte eine Wolfsfährte ist. Sie können im ersten Tageslicht auch die Fährte ihres Scouts sehen. Nach einigen Meilen wird der graue Tag sonnenhell. Dann treffen sie auf Al Rourke, der neben seinem Pferd an einem Felsen sitzt und zähes Rauchfleisch und Armeezwieback kaut. Al Rourke deutet mit dem Messer, welches er zum Schneiden des Rauchfleisches braucht, auf das dunkle Maul einer Schlucht und spricht: »Die Schlucht ist eine knappe Meile lang. Sie führt in ein kleines Tal. Dort liegt die Mine. Die Horde wird vielleicht noch dort sein.« Er verstummt irgendwie zögernd und nachdenklich. Clayton aber wird nun beherrscht von einer starken Ungeduld und gleicht abermals einem jungen und noch unerfahrenen Bluthund, der blindlings vor Gier auf das Wild losstürmen will. »Na los, dann sehen wir nach!« So knirscht der Lieutenant. Aber Al Rourke schneidet sich noch ein Stück Rauchfleisch ab und schiebt es in den Mund. Er sitzt immer noch am Felsen, lehnt mit dem Rücken dagegen und macht ganz und gar nicht den Eindruck, aufstehen zu wollen. Er schüttelt sogar kauend den Kopf und spricht dann warnend: »Lieutenant, dies alles sieht nach einem Apachenspiel aus. Wenn wir Carlos vor uns haben, dann haben wir es gewiss nicht mit einem Dummkopf zu tun. Der weiß längst, dass wir seiner Fährte folgen und wir ihn fast eingeholt haben, weil er durch seine Überfälle immer wieder aufgehalten wurde. Es könnte sein, dass die Schlucht eine Falle ist. Er kann sich leicht denken, dass wir zur Mine wollen. Wollen Sie
wirklich in die Schlucht reiten, Lieutenant?« Die Frage klingt irgendwie nachsichtig. Clayton denkt nach. Er sitzt noch im Sattel. Hinter ihm verharrt die Doppelreihe seiner Reiter. Er sieht auch den Sergeant neben sich an. Doch McNally wartet ab wie immer. Er hat es längst aufgegeben, jungen Offizieren Ratschläge geben zu wollen. Clayton aber wird nun wütend. Er fühlt sich so verdammt allein und muss eine Entscheidung treffen. »Mr Rourke«, knirscht er, »Ihre Vermutungen sind mir zu unsicher. Wir reiten in die Schlucht.« Da erhebt sich der Scout und sitzt wenig später im Sattel. Er reitet zuerst in die Schlucht hinein, so wie es seine Pflicht als Scout ist. * In diesen Tagen fällt Sally Malton immer wieder in eine tiefe und aussichtslose Hoffnungslosigkeit. Doch dann sieht sie wieder ihre Kinder. Sie kann auf Jim und Bill hinunterblicken, denn sie sitzt auf einem Maulesel, welcher rechts und links zwei Beutel hängen hat wie Satteltaschen. Und in jedem dieser Beutel befindet sich einer der Zwillinge. Zwei Apachenkrieger sind bei ihr. Sie laufen zu Fuß, traben Meile um Meile im Wolfstrott. Und weil das Gelände rau und unwegsam ist, müssen sie den Maulesel oft ziehen und schieben. Dann muss auch Sally laufen oder klettern. Manchmal beginnen die beide Kleinen zu weinen, zornig zu schreien. Es passt ihnen alles nicht, was ja nur zu verständlich ist. Dann halten sie kurz an. Einer der Krieger flößt den Kleinen einige Schlucke Tiswin ein, macht sie also betrunken, sodass
sie in einen tiefen Rauschschlaf fallen. Sally kann nichts dagegen tun, und eigentlich ist es ihr auch recht so. Denn so spüren die Kleinen nicht ihre Leiden. Manchmal erreichen sie eine verborgene Wasserstelle, welche gewiss nur den Apachen bekannt ist. Dann kann sie die Kleinen waschen, sich auch selbst erfrischen. Immer wieder fragt sie sich, was werden wird und ob es denn gar keine Hoffnung gibt für sie und ihre Kinder. Nur ein einziger Mann fällt Sally Malton ein, der dieser Hoffnung Nahrung gibt. Besonders in den Nächten denkt sie immer intensiver an diesen Mann. Sein Name ist Allan Rourke, und er ist Scout bei der Armee. Sein Auftrag ist es, überall das Land zu durchforschen, all die Neusiedler zu finden und deren Anwesen auf der Karte einzuzeichnen. Denn die Regierung will natürlich wissen, wie das noch leere Land besiedelt wird. Und so kam dieser Armee-Scout eines Tages auch bei ihnen vorbei. Sallys Mann Jack und dieser Al Rourke wurden schnell Freunde. Und so besuchte Rourke sie immer wieder mit wochenlangen Abständen, wenn er das Land nach neuen Siedlern durchforschte. Al Rourke hatte sie immer gewarnt und war davon überzeugt, dass die Apachen eines Tages wieder einen Vernichtungskrieg beginnen würden. Doch Sallys Mann hatte stets gesagt: »Wir Weißen werden immer zahlreicher und stärker in diesem Land. Und die Armee hat die verdammte Pflicht, alle Apachen zu befrieden, denn wozu ist sie sonst da in Fort Apache?« Immer dann hatte Al Rourke bedauernd den Kopf geschüttelt und sie – Sally – angesehen. Sie erkannte dann stets einen Ausdruck von Bedauern in seinen Augen. Und eines Tages erzählte er ihnen auch, dass er vor zwei Jahren selbst seine Frau und seinen kleinen Sohn verloren hätte, als Apachen während seiner Abwesenheit seine kleine
Ranch überfielen. Doch man hätte die Leichen seiner Familie nicht gefunden. Sie mussten also entführt worden sein. Und deshalb war er als Scout zur Armee gegangen, weil er nur so die Chance sah, Patrouillen zu begleiten und selbst zu suchen. Er war auf den Armeesold angewiesen. Völlig mittellos hätte er nicht suchen und nachforschen können. An all dies denkt Sally Malton immer wieder, besonders in den Nächten, wenn sie mit ihren beiden Söhnen erschöpft unter einer Decke liegt und sie in ihren Armen hält. Und so wird dieser Al Rourke ihre einzige und letzte Hoffnung. Denn sie weiß, eines Tages wird er wieder nach ihnen sehen wollen und sie nicht mehr vorfinden. Nur die sterblichen Überreste von Jack Malton wird er auf dem Maisfeld finden. Sally Malton klammert sich immer mehr an diese letzte Hoffnung. Es ist dann am vierten Tag und nach der vierten Nacht, als die beiden Apachenkrieger den Maulesel zurücklassen, weil das Gelände für das Tier nun zu schwierig wird. Sie müssen zu Fuß weiter, fast ständig klettern. Die beiden Krieger tragen die Kleinen, denn Sally kann es nicht. Sie ist erschöpft und befindet sich dicht vor einem totalen Zusammenbruch. Doch dann erreichen sie ein schmales Hochtal. Drüben auf der anderen Seite sieht sie ein Pueblo, ein nach oben gebautes Dorf der Pueblo-Indianer, die man Pueblos nennt, was so viel wie »Dörfler« bedeutet. Diese Pueblos waren Maisbauern, eigentlich friedliche Menschen. Und ihr Wort für Feinde hieß Apachus. Es ist ein kleines Pueblo, bestehend aus nur vier Stockwerken, angelehnt an die Felswand. Und die Stockwerke sind nur von außen mit Hilfe von Leitern zu erreichen. Aber offenbar gehört dieses Pueblo jetzt der Horde von
Apachen, ist ihr letzter Zufluchtsort, wo sie ihre Frauen, Kinder, Alten und gewiss auch Verwundeten in Sicherheit wissen. Sally befindet sich äußerlich in einem schlimmen Zustand. Ihre Kleidung ist zerfetzt, ebenso ihre Schuhe. Die Apachen schnürten ihr Lederflecken unter die Schuhe. Überall in ihrem Fleisch stecken Dornen. Ihr Haar ist wirr, verfilzt. Sie besitzt weder einen Kamm noch eine Bürste. Schon lange konnte sie sich nicht waschen. Und auch die beiden Kleinen stinken, haben Hautausschlag und sind halb tot. Aber vielleicht wird es da drüben beim Pueblo besser. Denn sie wird ja als Carlos’ Frau gelten. Ihre Söhne werden Carlos’ Söhne sein. Am Fuße des Pueblos sieht sie eine kleine Ziegenherde, denkt sofort an Ziegenmilch für die Zwillinge. Das alles gibt ihr noch einmal Kraft für das letzte Stück des Weges. Die beiden Apachen, welche zu ihr die ganzen langen Tage unterwegs kein einziges Wort sprachen, ihr nur mit Handzeichen klar machten, was sie zu tun hatte, die grinsen nun fast freundlich. Sie machen sich auf den Weg zum kleinen Tal hinunter. Es ist nur knapp eine halbe Meile breit. Dieses Stück trägt Sally ihre beiden kleinen Söhne selbst, rechts und links in ihren Armen. Sie rafft ihre letzte Kraft zusammen, um möglichst stolz zu schreiten, nicht zu wanken. Sie geht mit erhobenem Kopf, selbstbewusst, eine Gefangene zwar, jedoch nicht jämmerlich und zerbrochen wirkend. Als sie am Fuß des Pueblos anlangen, werden sie von einem guten Dutzend Frauen und einem halben Dutzend Kindern empfangen. Auch einige Apachen zeigen sich auf dem ersten Stockwerk. Es sind verwundete Krieger, die es gewiss unter unsäglichen Mühen und Schmerzen bis hierher schafften oder transportiert
wurden. Sally mit ihren Kindern und die Krieger werden schweigend empfangen. Einer der Krieger spricht schnelle und wie befehlend klingende Worte. Dann wendet er sich an Sally. Es stellt sich heraus, dass er sogar einige Worte der englischen Sprache beherrscht. Denn er spricht: »Ich habe gesprochen zu ihnen, dass du die Frau von Carlos bist und die Kinder seine Söhne sind. Sie müssen dich hier als die Familie von Carlos achten und respektieren. Wir kehren zurück zu Carlos.« Sie machen beide nach seinen Worten auf der Stelle kehrt und trotten im Wolfstrott den Weg zurück, den sie mit Sally kamen. Und so steht Sally Malton nun mit ihren Kindern in ihren Armen vor der schweigenden Versammlung und versucht etwas zu spüren, mag es Mitleid, Freundlichkeit, Abneigung oder gar Feindschaft sein. Aber sie spürt nur ein ernstes Prüfen. Dann tritt eine Frau aus der Versammlung hervor. Sally sieht sofort, dass es eine Weiße ist. Und sie hört diese Frau in englischer Sprache und im Slang einer Texanerin ruhig sagen: »Komm mit mir, Schwester. Ich sehe dir an, dass du nicht mehr lange aufrecht stehen kannst. Gib mir deine Kinder und folge mir.« Sally Malton staunt nicht besonders. Das hat sie sich längst abgewöhnt. Aber sie fragt ahnungsvoll: »Du bist eine weiße Texanerin wie ich?« »Das war ich mal«, erwidert die Frau. Ihre Stimme klingt hart und emotionslos, fast sachlich. Sie tritt an Sally heran und nimmt ihr die Kinder ab. Die sind nicht bei Bewusstsein und befinden sich in halber Ohnmacht. Vielleicht werden sie sterben.
Oder kann die Frau, die sie Sally abnimmt, Wunder vollbringen? Sally folgt ihr in die unteren Räume des Pueblos. Und dort in einer der kleinen Kammern, da bricht sie zusammen. * Es ist zwei Tage später, als sie vom Kinderweinen geweckt wird und aus einem Tiefschlaf erwacht, der wie eine Bewusstlosigkeit war. Nun aber hört sie das weinende Schreien und weiß, dass sie Little Jim und Little Bill hört, ihre Söhne. Und die sanfte Stimme einer Frau spricht beruhigende Worte und beginnt ein Lied zu summen. Sally richtet sich auf dem Maisstrohlager auf und spürt dabei ihre schmerzenden Glieder. Aber sie achtet nicht darauf, sondern sucht mit ihren Blicken im Halbdunkel des kleinen Raumes nach ihren Söhnen. Da tritt die Frau an ihr Lager. »Es geht ihnen gut, aber sie wollen zu ihrer Mutter«, sagt sie. Dann setzt sie die Zwillinge zu Sally auf deren Lager. Die Kleinen beginnen sofort zu krabbeln und stoßen Freudenlaute aus. Sie können ja noch nicht richtig sprechen, nur wenige Worte verständlich sagen. Und so hört man nur immer wieder jauchzend: »Mammi, Mammi…« »Ich habe deine beiden Buben gefüttert«, spricht die Frau, »auch gewaschen und ihre Haut mit einer Salbe unserer Medizinfrau eingerieben. Sie hatten Durchfall, doch jetzt nicht mehr. Und auch dir werde ich helfen.« »Wer bist du, Schwester?« Sally fragt es ahnungsvoll. Und dann hört sie den Namen: »Ich bin Mary Rourke. Ich wurde vor mehr als zwei Jahren von den Apachen entführt, als
mein Mann mich allein gelassen hatte, weil unser Zuchtbulle ausgebrochen war. Sie nahmen auch meinen Sohn mit. Aber der wurde vor einem Jahr von einer Klapperschlange gebissen und starb an dem Gift. Dies ist ein verdammtes Land.« »Ich weiß«, erwidert Sally heiser. »Und ich kenne deinen Mann. Er sucht dich schon länger als zwei Jahre und nahm den Job eines Armee-Scouts an. Manchmal besuchte er uns und erzählte nach und nach alles. Denn mein Mann und er wurden Freunde. Mary, es tut mir so Leid…« »Du solltest dir selbst Leid tun, Schwester«, erwidert Mary Rourke hart. »Ich bin über eine Menge hinweggekommen. Du musst verdammt stark sein und hart werden. Wegen deiner beiden Söhne musst du das. Wie ist dein Name, Schwester?« »Ich bin Sally, Sally Malton«, erwidert diese und drückt ihre beiden Söhne fest an sich. »Ja, ich werde verdammt stark und hart sein«, flüstert sie. * Lieutenant Clayton blickt dem Scout einige Sekunden lang nach und muss dabei hart schlucken. Dann sieht er Al Rourke im Schluchtmaul noch einmal kurz anhalten und kann sich vorstellen, wie angespannt der Scout in die Schlucht hineinwittert, ganz und gar wie ein Wolf. Der junge Lieutenant verspürt ein Gefühl von Schuld. Er wendet sich im Sattel um und blickt auf seine Reiter zurück, die in Doppelreihe halten. Er spürt dabei die Strömung, die von ihnen ausgeht und gegen ihn prallt. Es ist Ablehnung, Wut, ja vielleicht sogar Hass, vermischt mit Hilflosigkeit. Denn sie stehen unter Befehl. Sie müssen ihm gehorchen, was er auch befehlen sollte. In diesen Sekunden seines letzten Zögerns wird dem jungen Offizier bewusst, dass seine Doppelpatrouille noch längst kein verschworener Haufen ist, keine Einheit, mit der er durch die
Hölle reiten könnte. Sie misstrauen ihm und seinen Fähigkeiten und fühlen sich ihm ausgeliefert. Aber auch er steht ja unter Befehl. Und der lautet ganz klar, dass er die Apachenhorde angreifen soll, wann und wo er sie zu Gesicht bekommt. Er hat diesen Befehl schriftlich in seinem Patrouillenbuch. Und in dieses Buch wird er eintragen müssen, dass er an diesem Tag auf Apachen stieß und was er dann unternommen hat. Sein Blick sucht nun den von Sergeant McNally, denn dieser hält mit dem Hornisten dicht hinter ihm. McNally erwidert den Blick und erkennt in den Augen des jungen Lieutenants die stumme Frage. Und so sagt er ganz ruhig: »Sir, wenn wir langsam durch die Schlucht reiten, bieten wir gute Ziele. Wir müssen wie die Teufel reiten, uns sehr schnell bewegen.« Als McNally verstummt, hat er alles gesagt. Clayton nickt, schluckt noch einmal mühsam und wendet sich im Sattel wieder nach vorn. Er stößt die Faust hoch in die Luft und ruft: »Anreiten!« Sie reiten wieder mit dem üblichen »Johooo« an, aber diesmal klingt es heiser, böse, mehr wie ein Geheul. Sie folgen dem Scout in die Schlucht hinein und haben bald die steilen Wände rechts und links neben sich. Es gibt überall an den Wänden Terrassen, tiefe Risse, ja sogar Höhlen. Noch reitet die Patrouille im Schritt. Der Hufschlag ihrer Pferde hallt bald zwischen den roten Wänden. Im Halbdunkel der Schlucht sehen sie den Scout ein Stück vor sich. Und immer noch nicht zeigen sich Apachen. Al Rourke reitet ebenfalls noch langsam im Schritt. Doch er blickt ständig rechts und links nach oben, sucht mit scharfen Blicken die Wände ab.
Und dann sehen sie, wie er vor ihnen seinen grauen Criollo anspringen lässt. Die Stimme des Lieutenants gellt nun: »Hornist! Angriffssignal!« Und da ertönt auch schon das Horn zum Angriff. Sie lassen ihre Pferde anspringen zum Galopp und steigern diesen noch zur Karriere, und Karriere, so nennt man den schnellsten Galopp der Pferde. Die Reiter stoßen gellende Schreie aus und stoßen ihren Tieren erbarmungslos die Sporen in die Weichen. Es gibt keine Schonung, keine Gnade. Sie alle wollen überleben, davonkommen, sich durch Schnelligkeit retten. Wenig später – sie sind kaum zwanzig Yards weiter –, da bekommen sie es von oben. Ja, es sollte eine Falle werden, und eigentlich ist sie das auch. Denn dem jungen Lieutenant blieb nichts anderes übrig. Die Apachen hockten in guter Deckung oben in den Wänden und zeigen sich nun. Sie schießen mit Gewehren und Pfeilen auf die durch die Schlucht jagende Doppelreihe, deren einzige Chance ihre Schnelligkeit ist. Und so ist es für die Patrouille nicht ganz aussichtslos, ziemlich ungeschoren durch die Schlucht zu kommen. Dennoch trifft es einige Pferde und auch Reiter. Die Schlucht ist angefüllt von Gebrüll, Pferdegewieher, Krachen der Schüsse und dem Triumphgeschrei aus den Wänden. Der Ritt durch die Schlucht kommt den Soldaten lang vor, doch irgendwann sind sie durch und dort, wo der Scout sie erwartet. Al Rourke lädt seinen Revolver auf, und so begreifen sie, dass ihr Scout nicht nur in Karriere gejagt ist, sondern dabei auch noch nach oben geschossen hat. Clayton ruft heiser: »Sergeant, melden Sie mir unsere Verluste!« »Yes, Sir!« Die Stimme des Sergeants klingt böse, trotzig,
ja sogar irgendwie verächtlich. Clayton reitet zum Scout hin und lenkt sein Pferd neben dessen Tier. Sie sehen sich eine Weile schweigend an. Dann sagt Al Rourke hart: »Nun können Sie ins Patrouillenbuch eintragen, dass Sie Feindberührung hatten und dies mit Verlusten bezahlen mussten.« In seiner Stimme ist zuletzt ein fast hohnvoller Beiklang. Doch dann zeigt er hinauf zum oberen Ende der linken Schlucht wand. »Da ist Carlos«, sagt er kehlig. »Da, er zeigt sich uns. Jetzt können Sie ihn sehen, Lieutenant.« Clayton holt sein Fernrohr aus der Satteltasche, zieht es aus und blickt hinauf. Die Entfernung beträgt kaum mehr als eine Viertelmeile. Doch da das Fernrohr eine zehnfache Vergrößerung hat, bringt es den Apachen nah an den Lieutenant heran. Er kann ihn also betrachten, als wäre Carlos nur etwa vierzig Yards entfernt. Zum ersten Mal sieht er den Mann, den er jagen und töten soll. Carlos winkt ihm sogar zu. Neben Carlos tauchen einige Krieger auf, die ihre nackten Hintern zeigen, voller Triumph und Hohn. Aber der Lieutenant starrt durch das Fernglas nur auf Carlos, prägt sich dessen Aussehen sorgfältig ein und weiß jetzt schon, dass ihm dieser Anblick auch in seinen Träumen erscheinen wird. Er sieht einen groß gewachsenen Apachen, der ein weißes Stirnband trägt, mit einer braunen Lederweste über dem hellen Baumwollhemd. Die Haare von Carlos hängen bis zu den Schultern nieder. Sein dunkles Gesicht wirkt ausdruckslos. Wenig später – noch einmal winkend dabei – verschwindet Carlos mit seinen Kriegern. Clayton schiebt das Fernrohr wieder zusammen und verstaut
es in der Satteltasche. »Was können wir jetzt tun, Mr Rourke?« So fragt er. »Sie kennen das Land, ich nicht, deshalb frage ich Sie.« »Wir können nichts tun«, erwidert Al Rourke. »Schon wegen unserer Verluste können wir nichts tun. Wir müssen mit den Verwundeten zurück nach Camp Gila. Die Apachen sind zu Fuß und können sich hier in einem Gelände bewegen, in welchem Ihre Männer nur herumstolpern würden. Sie müssten die Pferde zurücklassen, Lieutenant. Carlos würde Sie auslachen und könnte Ihnen in diesem Gelände immer wieder neue Fallen stellen. Sie haben verloren, Lieutenant. Doch immerhin haben Sie eine Menge gelernt, wenn Sie die neue Erfahrung auch teuer bezahlen mussten.« Er hat kaum ausgesprochen, als der Sergeant herangeritten kommt und vorschriftsmäßig meldet: »Sir, es fehlen die Reiter Smily, Taggert und Wilson. Sie blieben in der Schlucht und sind mit Sicherheit tot. Überdies haben wir fünf Verwundete, zwei ziemlich schwer. Auch einige Pferde wurden verwundet.« Er hat nun alles gemeldet, was zu melden war, und seine Stimme ist voller Bitterkeit und einem Klang von Verachtung. »Sergeant, wir schlagen hier das Camp auf und versorgen die Verwundeten«, entschließt sich der Lieutenant. »Yes, Sir! Wir campieren hier und versorgen die Verwundeten. Yes, Sir!« McNallys Stimme klirrt. Dann aber nimmt er die Wasserflasche vom Sattelhorn und nimmt einen langen Schluck aus ihr. Bevor er sie wieder verschließt, hält er sie dem Lieutenant hin und treibt mit Schenkeldruck sein Pferd ein Stück vor. »Wollen Sie, Sir?« So fragt er und setzt hinzu: »So ein Schluck wird Ihnen helfen. Der ist jetzt Medizin für Sie.« In seiner Stimme ist ein Klang von Teilnahme. Clayton zögert einen Moment und starrt in die Augen von McNally. Doch er erkennt darin kein verächtliches Mitleid, nur
den Ausdruck von Teilnahme und Verständnis. Und genau das braucht er in seiner Einsamkeit, die er bisher als Patrouillenführer spürte. Er greift nach der Flasche und nimmt einen langen Zug. »Danke, Sergeant«, murmelt er. Der nimmt die Flasche, hält sie Al Rourke hin, doch der schüttelt den Kopf und sagt ruhig: »Ich habe selbst, McNally.« Der grinst, schließt die Flasche und zieht sein Pferd herum. Seine Befehle sind dann laut und klar. Und so sitzen sie ab, schlagen das Camp auf und kümmern sich um ihre Verwundeten. Und als sie noch dabei sind, taumelt ein Soldat aus der Schlucht. »Das ist Wilson. Holt ihn her!« Die Stimme des Sergeants gellt. Und so laufen drei Mann hin zu Wilson, der zusammenbricht, kaum dass er aus dem Maul der Schlucht herausgelangt ist. Sie bringen ihn herbei. Aber als sie ihn zu Boden legen, sagt einer von ihnen: »Sir, er ist tot. Der wollte nur bei uns sterben – nicht allein dort in der verdammten Schlucht.« Es ist schon Nacht, und ihre Feuer brennen, als Al Rourke sich neben den Lieutenant setzt, welcher etwas abseits sitzt, allein und einsam wirkend mit all seinen Gedanken und Gefühlen. Eine Weile herrscht Schweigen zwischen ihnen. Dann murmelt Al Rourke: »Vor über zwei Jahren überfielen Apachen meine Ranch und nahmen meine Frau und meinen Sohn mit. Seitdem suche ich sie. Und deshalb wurde ich Scout bei der Armee. Ich spüre stets das bittere Gefühl von Schuld, weil ich meine Familie allein ließ, um meinen entlaufenen Zuchtbullen zu suchen. Clayton, auch Sie verspüren gewiss ein ähnliches Gefühl wegen unserer Verluste. Dieses Land ist hart und gnadenlos zu den Menschen – zu den Apachen und erst
recht zu uns Weißen. Sie werden irgendwann hart genug sein, um alles leichter zu ertragen.« Ben Clayton schweigt einige schwere Atemzüge lang. Dann murmelt er: »Al Rourke, erzählen Sie mir was über die Apachen. Ich möchte mehr von ihnen wissen, sie vielleicht zu verstehen versuchen. In West Point haben sie uns nie etwas von den Apachen erzählt, über ihre Art, ihre Kriegsführung, warum sie so anders sind als alle anderen Indianer. Ich weiß nur, dass Carlos ein Coyotero ist.« Als er verstummt, da schweigen sie beide noch eine Weile. Doch dann spricht Al Rourke langsam: »Die Apachen – man wird sie wohl nie richtig einschätzen und begreifen. Sie bestehen aus sich ständig regellos bildenden und auch immer wieder auflösenden Kleinstgruppen innerhalb der neun Volksgruppen, die sich Coyoteros, Tontos, Pinaleños, Gileños, Chiricahuas, Jicarillas, Mimbreños, Mogollons und Mescaleros nennen. Diese Kleinstgruppen sind kaum zu stellen - nicht von der Armee, denn diese ist zu schwerfällig. Apachen können hundert Meilen durch wasserloses Gebiet laufen, wo die Armeepferde zusammenbrechen würden. Und sie verstehen es, immer wieder Fallen zu stellen. Lieutenant, die Schuld unserer Niederlage heute liegt nicht bei Ihnen, sondern an den sturen Befehlen, mit denen Sie losgeschickt wurden. Und so bleibt zu hoffen, dass die Armee das alles irgendwann begreifen wird und ihre ganze Kriegsführung gegen die Apachen total ändert. Doch das wird sie erst tun, wenn ihre Niederlagen sich häufen. Mehr kann ich Ihnen nicht sagen, Lieutenant.« »Danke«, murmelt dieser. »Es hat mir schon geholfen, dass Sie mit mir geredet haben. Ich war bis vorhin der einsamste Mensch auf dieser Erde.« * Es sind einige Tage und Nächte vergangen. Sally trägt jetzt die
Tracht der Apachensquaws, an den Füßen Apachenstiefel. Die Zwillinge werden wieder gesund, sind kräftig und wissen noch nichts von ihrem Schicksal. Sie alle sind gut zu ihnen, und so sind sie eigentlich glücklich. Zwei Kinder werden im Pueblo geboren, und so ist das Pueblo von Carlos um zwei Seelen mehr bevölkert. Es fehlt ihnen allen eigentlich an nichts, denn wenn Carlos und dessen Krieger zu Besuch kamen, um auszuruhen und Frauen zu haben, da brachten sie stets reiche Beute mit, auch Stoffe und Nähzeug. Bei Sonnenuntergang kommt Carlos mit seiner Horde. Es sind nun vier Dutzend Krieger, und alle sind sie hoch bepackt mit Beute jeder Art. Gewiss haben sie überall im Umkreis von fünfhundert Meilen Überfälle verübt, Farmen, Ranchos, Minen und kleine Siedlungen niedergebrannt, auch Wagenzüge überfallen und Postkutschen aufgelauert. Einige Krieger sind verwundet und schleppen sich nur mühsam vorwärts. Gewiss hat die Horde ihre Siege auch mit eigenen Toten bezahlt. Die Frauen des Pueblos warten vor dem alten Bauwerk, in welchem einst das Volk der Pueblos wohnte. Sie warten ergeben. Und einige der Krieger, die hier ihre Verwundungen auskurierten und schon fast wieder gesund sind, stoßen scharfe Schreie aus. Denn sie wissen, dass sie bald mit Carlos wieder auf Kriegspfad gehen können. Dafür werden jene Verwundeten hier bleiben dürfen, die sich jetzt mit letzter Kraft herschleppen. Sally steht mit ihren Kindern am linken Rand der wartenden Gruppe. Sie sieht Carlos entgegen und spürt dessen Blick, indes er sich ihr nähert. Ja, er will sie haben. Sie liest es in seinen Augen, als er dicht vor ihr verhält und zu ihr spricht: »Ich sehe, dass du wieder so kräftig und gesund bist, wie ein Mann es sich bei seiner Frau wünscht, wenn er heimkehrt nach einem Kriegszug mit reicher
Beute. Hat man dich gut aufgenommen? Musst du dich über etwas beklagen? Nein? Nun gut, dann führe mich in unseren Wickiup, wo unser Strohlager ist.« Er fordert es zuletzt hart und gierig. Sie wirft einen Blick auf ihre Kinder. Doch die spielen mit den anderen Kindern bei den Ziegen. Carlos wirft seine Beutelast einfach ab, nimmt Sally an der Hand und verlangt: »Führe mich dorthin, wo du einen heimkehrenden Krieger belohnen wirst.« Was kann sie anderes tun? Sie will überleben für ihre Zwillinge, die inzwischen schon recht gut laufen und auch klettern können. * Es ist einige Stunden später in der Nacht, als ein gellender Schrei den ganzen Pueblobau erfüllt und in allen vier Stockwerken zu hören ist. Es ist ein schrecklicher Schrei, welcher wilde Wut und zugleich Hilflosigkeit ausdrückt. Dann wird es still. Carlos löst sich von Sally und verlässt die kleine Kammer, die er bei seiner Ankunft Wickiup nannte, so als wäre sie eine Grashütte der Apachen. Sally bleibt liegen, lauscht aber auf Geräusche, Stimmen und das Füßescharren. Dann wird es einen Moment still. Sie hört nun die Atemzüge ihrer beiden Kleinen in der Ecke. Diese schlafen fest. Sie waren ja müde vom Spielen und haben den so schrecklichen Schrei nicht gehört. Sally weiß plötzlich, dass es der Todesschrei eines Kriegers war. Es dauert eine Weile, dann kommt Carlos zurück zu ihr und streckt sich wieder auf dem Lager neben ihr aus. Nach einer Weile murmelt er in englischer Sprache, die er besser spricht als so mancher der weißen Einwanderer und
Landsucher: »Tzoe ist von seiner Frau getötet worden. Sie hat ihm ein Messer in den Leib gestoßen. Doch er hat das Messer herausgezogen und ihr den Hals durchgeschnitten. Dann starb er mit seinem letzten Schrei. Er war ein großer Krieger. He, hast auch du ein Messer irgendwo, das du mir in den Leib stoßen möchtest?« In seiner Stimme ist zuletzt ein belustigter Klang. Doch Sally erwidert: »Du weißt genau, dass ich in deiner Hand bin wegen meiner beiden Kinder. Dich wird eines Tages ein anderer Mann töten. Dessen bin ich sicher.« Sie erhebt sich und verlässt ihn, tritt hinaus aus dem Pueblo. Die Luft draußen ist rein und kühl. Mond und Sterne leuchten am Himmel und werfen ihr unirdisches Licht ins Pueblo Valley nieder. Sie holt mehrmals tief Luft und denkt an Mary Rourke, die ihr eine schwesterliche Freundin wurde und ihr die erste Zeit leichter machte, von der sie viel lernte, auch die ersten Worte der Apachensprache. Sie weiß, dass Mary die Frau ist, die in dieser Nacht starb, denn der Apache Tzoe war ihr Mann. Nun wird Al Rourke nutzlos nach Mary suchen. * In Camp Gila geht alles seinen Gang in diesen Tagen und Wochen, wird mehr und mehr zur Routine. Denn die Patrouillen streifen durch das Land, suchen nach Fährten von Carlos. Sie finden immer wieder zerstörte Farmen, Ranchos, Minen, Siedlungen, Wagenzüge. Carlos mit seiner Horde schlägt überall zu – und immer dort, wo man ihn nicht vermutet. Es ist manchmal kaum zu glauben, welche Entfernungen er mit seiner Horde zurücklegt, zumal sie ja nicht reiten, sondern zu Fuß sind. Aber weil sie zu Fuß sind, können sie sich stets in
unwegsames Gebiet zurückziehen, in das ihm Kavalleriepatrouillen nicht zu folgen vermögen, wo es nur geheime Wasserstellen gibt, die ein einziges durstiges Pferd leeren könnte, aber für viele Apachen ausreichend Wasser hergeben. Captain Caesar Wellington beginnt beim Lesen der Patrouillen-Tagebücher allmählich zu begreifen, dass er erfolglos bleiben wird, wenn ihm keine andere Taktik einfällt. Und so sind seine Berichte an Fort Apache ausschließlich die Eingeständnisse von Niederlagen. Al Rourke, der stets mit Lieutenant Ben Clayton und Sergeant McNally auf Patrouille reitet, führt die Patrouille eines Tages zu der zerstörten Farm der Familie Malton. Was er immer wieder befürchtet hat, sieht er nun. Auch die Maltons wurden von Carlos überfallen. Doch das ist schon Wochen her. Al Rourke konnte wegen seiner Pflichten als Armee-Scout längere Zeit nicht nachsehen kommen. Denn seit dem Tag, da er Captain Wellington zugeteilt wurde, haben sich ja seine Aufgaben verändert. Er besaß keine Freiheit mehr wie bei dem Auftrag, das Land nach neuen Siedlern zu durchsuchen. Er findet dann nach einiger Suche die sterblichen Überreste von Jack Malton im Maisfeld, also das, was die Aasfresser von seinem Körper übrig ließen. Aber er findet nichts von Sally und den beiden Zwillingen. Und so weiß er, dass Carlos wieder einmal eine Frau und zwei sehr kleine Kinder zu Apachen gemacht hat. Vielleicht ist Sally jetzt mit Mary zusammen, denkt er, und er verspürt ein Gefühl von Mitleid und Wut zugleich. Als er nach einer Weile zur wartenden Patrouille zurückgekehrt ist, sieht ihn Lieutenant Clayton prüfend an und fragt dann: »Mr Rourke, was ist? Ich sehe Ihnen an, dass Ihnen etwas besonders unter die Haut gegangen ist.« Al Rourke tritt zu seinem Pferd, nimmt die Flasche vom
Sattelhorn und trinkt einen langen Schluck. Dann sieht er zum Lieutenant hoch, der wie die anderen Reiter auch im Sattel sitzen blieb. Er macht eine Armbewegung, die in weiter Runde alles einschließt, und spricht dann: »Auch hier lebte eine glückliche Familie, die ich in längeren Abständen besuchte. Der Mann und ich wurden Freunde. Und die Frau mit ihren beiden Kindern, die erinnerten mich stets daran, was auch ich einst besaß. Ich fand nur die Gebeine des Mannes. Sein Name war Jack, Jack Malton. Die Frau mit den Kindern hat Carlos mitgenommen. Verdammt, wie können wir ihn finden? Irgendwo muss er einen Schlupfwinkel haben, zu dem man nur zu Fuß und ohne Fährten zu hinterlassen gelangen kann. Ich kann diesen Ort nicht finden. Keiner von uns kann es. Und wenn die Armee tausend Mann aufbieten würde…« Er verstummt und wirkt fast hilflos. Lieutenant Clayton, der in den vergangenen Wochen um Jahre gealtert ist und sehr viel reifer wurde, als er es seinen Jahren nach sein kann, betrachtet ihn mit einem Ausdruck von Teilnahme. Denn inzwischen wurden sie fast schon Freunde. Clayton sagt: »Al, wir werden Jack Malton jetzt beerdigen wie einen Christenmenschen. Dann reiten wir weiter und suchen nach frischen Fährten von Carlos. Oh, wenn er sich uns doch einmal auf freiem Feld stellen würde.« Er sieht nach diesen Worten an der wartenden Doppelreihe entlang und verspürt ein Gefühl des Stolzes. Denn jetzt ist es wohl so, dass seine Doppelpatrouille eine verschworene Gemeinschaft wurde. Sie alle haben sich in den vergangenen Wochen verändert und zusammengefunden. Ihr Wille zum Überleben in diesem Land auf der Jagd nach Carlos zwang sie dazu. Sie sind wieder vierundzwanzig Reiter, der Lieutenant, der Sergeant und der Scout, also insgesamt siebenundzwanzig. Und sie wissen nicht, wie stark Carlos’ Horde ist. Wüssten
sie es, so müssten sie sich gewaltige Sorgen machen. Denn Carlos mit seiner Horde ist fast doppelt so stark. Carlos könnte es mit drei solcher Patrouillen aufnehmen. * Es ist zwei Tage später, und die Patrouille von Lieutenant Ben Clayton ist immer noch unterwegs und sucht nach Fährten von Carlos, als Al Rourke feststellt, dass jemand ihnen folgt und sie ständig beobachtet. Es war zuerst nur ein kurzes Blinken in der Ferne auf einem Hügelkamm, so als würde Sonnenschein für einen Moment auf Metall fallen. Dann waren es die Vögel am Himmel, welche Al Rourke Zeichen gaben. Denn sie flogen da und dort immer wieder nacheinander in einer Richtung hoch, begannen oben zu kreisen und flogen dann wieder abwärts, wahrscheinlich zu ihren Nestern. Als die Patrouille in eine schmale Schlucht reitet, bleibt Rourke nach einem kurzen Wortwechsel mit Clayton zurück und wartet hinter einem Felsvorsprung. Er muss ziemlich lange warten, fast eine ganze Stunde. Dann taucht der Verfolger auf. Es ist ein Apache. Und so stehen sie sich gegenüber. Al Rourke hat den Revolver schussbereit in der Hand. Der Apache hält sein Gewehr – es ist ein modernes Rollblockgewehr und gilt zur Zeit als bestes Gewehr der Welt und wurde in Paris prämiert – im Anschlag. Einige Atemzüge lang verharren sie so und betrachten sich schweigend. Aber keiner schießt. Dann fragt Al Rourke: »Gehörst du zu Carlos?« Da schüttelt der Apache fast wild den Kopf, sodass seine schulterlangen Haare nur so fliegen.
»Nein, Señor«, spricht er in spanischer Sprache. »Aber ich kann euch zu Carlos führen. Ich bin hinter euch hergeschlichen, um einen von euch allein zu treffen. Ihr hättet mich sonst sehr schnell getötet. Doch jetzt halten wir inne, weil wir uns beide gegenseitig töten würden. Ist es nicht so?« »Es ist so.« Al Rourke nickt. »Und warum willst du uns zu Carlos führen und nicht in einen Hinterhalt?« Das Gesicht des Apachen verzerrt sich und wirkt nun sehr böse und hassvoll. »Ich bin Menzin und ein Mescalero, kein Coyotero«, spricht er. »Carlos hat mir meine Frau geraubt. Er hat überall Frauen mitgenommen, alle Sorten von Frauen, um wieder ein Dorf zu haben. Ich habe sein verborgenes Dorf gefunden und will meine Frau zurückhaben. Verstehst du das, Hombre?« Er fragt es zuletzt hart und setzt dann hinzu, so als wollte er Al Rourke noch stärker überzeugen: »Meine Frau bedeutet mir alles. Ich will Rache. Doch allein bin ich zu schwach.« Al Rourke schweigt noch, denkt nach, und seine Gedanken eilen jetzt tausend Meilen in der Sekunde. Kann er diesem Menzin trauen? Kann er überhaupt einem Apachen trauen? Ist das vielleicht von Carlos geplant? Soll Menzin die Patrouille in eine Falle führen? Das wäre leicht, wenn Al Rourke ihm vertraut. Als der Scout noch nachdenkt, senkt Menzin das Gewehr, hält die Mündung nicht mehr im Hüftanschlag auf Rourke gerichtet. Es ist eine Geste der Unterwerfung, des sich-Ergebens. Und so fragt Al Rourke nach einer Weile: »Und wie stellst du dir das vor? Carlos ist selten in seinem verborgenen Camp. Carlos ist ja ständig unterwegs auf zweihundert Meilen und noch mehr in der Runde.« Menzin nickt. »Gewiss, er streift mit seiner Horde ruhelos umher wie ein Lobo. Er verschwindet spurlos in unzugänglichen Gebieten – oder in der Wüste, wo nur er die
geheimen Wasserstellen kennt. Man muss ihn dort erwarten, wohin er dann und wann zurückkehrt, in seinem Dorf, wo die Frauen und Kinder sind. Verstehen Sie, Señor?« Als er endet, wird Al Rourke die große Chance klar. Denn was Menzin da vorschlägt, wäre eine wirklich schlaue Falle. Aber kann er ihm trauen? Und noch etwas ist Al Rourke sofort klar: Niemals wäre dies alles mit einer schwerfälligen Patrouille zu machen, die mit klirrenden Trab durch das Land reitet und zu Fuß unbeholfen ist, auch zu deutliche Fährten hinterlassen würde. Aber dennoch… Er senkt den Revolver und schiebt ihn ins Holster. »Wir werden mit dem Teniente darüber reden«, spricht er, und er meint mit Teniente natürlich Lieutenant Clayton. Menzin nickt sofort. »Gehen wir«, sagt er ruhig. Sie gehen dann nebeneinander. Menzin ist fast zwei Köpfe kleiner als Al Rourke. Er blickt manchmal witternd zum Scout empor. Und der Scout schaut ebenso auf ihn nieder. Dennoch begreifen sie mehr und mehr, dass sie aufeinander angewiesen sein werden. Irgendwann werden sie sich vertrauen müssen. Als sie nach einer Viertelmeile das Ende der Schlucht erreichen, wartet die nun abgesessene Patrouille. Sie alle starren auf Menzin wie auf ein böses Tier. Sie würden ihn am liebsten auf der Stelle töten, denn für sie ist er ein Apache. Doch sie sehen, dass dieser Apache ein sehr modernes Gewehr trägt, sich stolz aufrichtet und ihre Blicke irgendwie herausfordernd erwidert. Der Lieutenant aber sieht Al Rourke an und fragt heiser: »Al, was ist das für ein Spiel mit dem da?« Dabei deutet er auf
Menzin. Rourke aber grinst und erklärt es dem Lieutenant mit wenigen Worten. »Es wäre eine großartige Chance«, schließt er. »Ich bin sicher, dass Menzin – so heißt er – mich zu Carlos’ Schlupfwinkel führen kann. Wir müssen diese einmalige Chance unbedingt nutzen.« Clayton betrachtet den Apachen lange, hebt die Schultern und lässt sie dann wieder wie ratlos wirkend sinken. Dann murmelt er: »Weil Carlos ihm die Frau geraubt hat…?« »Menzin ist ein Mescalero, Carlos ein Coyotero. Und für Menzin ist seine Frau offenbar der kostbarste Besitz. Ja, Menzin hätte einen Grund. Ben, ich werde mit ihm gehen.« Ben Clayton schüttelt leicht den Kopf. »Es gefällt mir nicht. Ich traue dem Apachen nicht. Keinem Apachen würde ich trauen. Verdammt, ich müsste mit der Patrouille nach Camp Gila zurück. Denn wir sind morgen schon überfällig. Wir haben auch keinen Proviant mehr. Ich muss binnen fünf Tagen im Fort zurück sein.« Al Rourke grinst ihn an. »Ich werde mit Menzin allein gehen - ja, gehen, nicht reiten. Und wenn ich das Versteck von Carlos gesehen habe, komme ich nach Camp Gila. So einfach ist das.« Er tritt nach diesen Worten zu seinem Pferd, welches einer der Soldaten mitgenommen hat, und schnallt die Sattelrolle los, breitet sie am Boden aus. Sie alle sehen nun, dass sich unter den wenigen Habseligkeiten auch ein Paar Apachenstiefel befinden und er diese gegen seine Cowboystiefel austauscht. Er rollt die Sattelrolle wieder zusammen, schnallt sie hinter den Sattelzwiesel, nimmt nur noch die Wasserflasche vom Sattelhorn und zieht das Gewehr aus dem Sattelschuh. Dann ist er fertig. Er nickt Menzin zu und spricht ruhig:
»Gehen wir.« Menzin beginnt zu traben, schlägt sofort den Wolfstrott der Apachen ein, den sie hundert Meilen durchhalten können. Die immer noch nicht aufgesessene Patrouille sieht ihnen nach. Dann sagt Sergeant McNally: »Oha, ob wir den wiedersehen werden? Und wie lange kann er mit einem Apachen so laufen?« * Der Scout Al Rourke ist ein zäher Bursche und seinem Lebensalter nach auf dem Höhepunkt seiner körperlichen Leistungsfähigkeit. Und so trottet er fast zehn Meilen hinter Menzin her in jenem leicht schwingenden Trab der Apachen, der diese dazu befähigt, gewaltige Entfernungen schneller zurückzulegen als Reiter. Doch dann kann er nicht mehr, hält an, sucht sich den Schatten eines Felsen aus, lehnt sich dagegen und versucht, seinen keuchenden Atem wieder zu normalisieren. Menzin, der ein Dutzend Schritte voraus lief, hält an und kehrt um. Er verharrt grinsend vor Al Rourke und atmet kaum schneller als ein Spaziergänger. »Grins mich nicht so an«, grollt Al Rourke keuchend. »Ich wiege etwa hundertsiebzig Pfund, du aber gewiss noch keine hundertzwanzig. Ich muss mehr schleppen als du.« Menzin nickt und erwidert dann: »Hombre, du läufst für einen weißen Gringo gar nicht schlecht. Und bevor wir am Ziel sind, wirst du noch sehr viel besser laufen. Ruh dich aus, Hombre. Bald müssen wir keine lange Strecken mehr laufen, dafür aber klettern. Morgen, wenn es Nacht ist, sind wir am Ziel.« Al Rourke nickt, rutscht mit dem Rücken am Felsen nieder,
bis er sitzt. Er streckt seine langen Beine aus und nimmt einen Schluck Wasser aus der Flasche. Menzin hockt sich neben ihn, doch er verzichtet auf einen Schluck. Eine Weile verharren sie so. Al Rourke ist in Schweiß gebadet, doch sein Atem beruhigt sich langsam. Und eine halbe Stunde später erhebt sich Al Rourke und sagt: »He, Menzin, willst du hier ewig hocken bleiben? Es geht weiter.« »Oh, Hombre…«, spricht Menzin nur und springt auf. Dann geht es weiter im Wolfstrott. * Es ist am Abend des nächsten Tages, und sie haben einen Weg hinter sich, den Al Rourke nie vergessen wird, selbst wenn er hundert Jahre alt werden sollte. Einige Male war er kurz vor dem Zusammenbruch, aber dann ging es wieder. Sie mussten über Berge klettern, durch Schluchten laufen und ständig darauf achten, keine Spuren zu hinterlassen und auch nicht gesehen zu werden. Einmal fragt Al Rourke den Apachen: »Wie konntest du diesen Ort finden?« »Ich bin ein Apache«, erwidert Menzin stolz. »Apachen finden alles in ihrem Land. Und jede Fährte hat irgendwo ein Ende. Ich habe viele Fährten verfolgt und suche schon viele Wochen. Und ein Apache kann sich unsichtbar machen. Und wenn er von Apachen gesehen wird, dann ist das nicht verdächtig. Ja, ich fand den Ort endlich nach wochenlanger Suche. Und überdies spürte ich ständig, dass meine Juana nach mir rief. Vielleicht spürt auch sie längst, dass ich nach ihr suche und in ihrer Nähe bin.« Er spricht die Worte ernst.
Al Rourke aber glaubt, dass es wirklich so ist und es zwischen Menzin und seiner Juana eine geistige Verbindung gibt über viele, viele Meilen hinweg. Und so beginnt er zu glauben, dass es auch unter den Apachen die große und unerschütterliche Liebe gibt, die für alle Paare der Erde ein Gottesgeschenk ist. Er beginnt diesen Menzin immer mehr zu mögen. Menzin fügt nach einer Weile seinen Worten noch hinzu: »Juana und ich, wir lernten uns in der Missionsschule der Pad-res bei Tucson kennen. Später nach Jahren fand ich sie wieder. Ich habe einen kleinen Rancho im Aravaipa Canyon, so wie mein Onkel Ezkimenzin. Sie wurde meine Frau. Aber dann kam Carlos, dessen Horde alle Frauen und Kinder verloren hatte…« Er verstummt hart. Sie schweigen dann, kauen ihren kalten Proviant und legen sich auf einer Terrasse in der Felswand zur Ruhe, welche zu der Bergkette gehört, die das Tal von Carlos’ Schlupfwinkel umschließt. Al Rourke fällt in einen tiefen Schlaf der Erschöpfung. Doch sein letzter Gedanke ist die Frage, was er bei Tag zu sehen bekommen wird. Wird er seine Mary und seinen kleinen Sohn zu sehen bekommen? Und wird auch Sally Malton mit ihren Zwillingen dort sein? * Es kommt dann endlich der Tag. Im ersten Sonnenlicht können sie von der Terrasse aus über das schmale Tal – es ist kaum mehr als ein Canyon – hin zum Pueblo sehen. Dort vor dem Pueblo wird es lebendig. Frauen, Kinder und einige Krieger, die ihre Verwundungen auskurieren, kommen zum Vorschein. Die Sicht ist in der trockenen Luft sehr gut. In Luftlinie ist
alles nur wenig mehr als eine halbe Meile entfernt und schräg nach unten gut zu erkennen. Die Sonne steht hoch genug, um von Osten her in das Tal zu scheinen, so wie sie es am Nachmittag von Westen her tun wird. Frauen und Kinder gehen zu den Feldern, hüten die Ziegen, melken sie. Die beiden so verschiedenen Männer auf der Terrasse aber suchen und forschen mit ihren Blicken. Menzin spricht plötzlich zischend: »Ja, da ist sie! Da ist meine Juana! Siehst du sie, Hombre? Die mit dem roten Stirnband. Das ist sie.« »Ich sehe sie, Amigo«, erwidert Al Rourke. »Aber ich sehe nicht meine Mary und meinen Sohn und bin nun unsicher, ob sie überhaupt in die Hände von Carlos fielen und sich in dem Pueblo dort befinden. Aber ich bin immer noch davon überzeugt, dass es seine Horde war, die meine Ranch überfiel. Verdammt, warum kann ich sie nicht unter den Frauen und Kindern entdecken? Sind sie vielleicht noch im Pueblo? Kamen nicht alle heraus? Oh, verdammt…« Sie schweigen eine Weile. Dann aber sehen sie eine Frau mit zwei kleinen Kindern aus dem Pueblo treten. »Das ist Sally Malton«, knirscht Al Rourke, »ja, das da ist Sally. Er hat sie und die Zwillinge tatsächlich mitgenommen und dorthin gebracht. Aber wo ist meine Mary? Habe ich nutzlos länger als zwei Jahre nach ihr und Carlos gesucht?« In seiner Stimme ist nun ein bitterer, hoffnungsloser Klang. Er ist für kurze Zeit ein gebrochener Mann. Menzin wendet sich an ihn: »Findest du allein nach Camp Gila, Amigo? Dann kann ich hier bleiben, beobachten und auf euch warten. Wir haben ja immer wieder besprochen, wie ihr kommen müsst - nicht im klirrenden Trab und mit einer Menge Lärm, sondern leise wie ein Rudel Wölfe. Wirst du das schaffen, Amigo?«
Al Rourke gibt ihm noch keine Antwort. Er starrt weiter zum Pueblo hinunter, in das schmale Tal hinein, wo nun überall Bewegung ist. Er will immer noch hoffen und weiß doch, dass es keine Hoffnung mehr gibt. Mary und Little Jack sind nicht dort. Er kann unter den Frauen und Kindern nur Sally und deren Zwillinge sehen. Es sind nun viele Gefühle in ihm. Er möchte alles aufgeben, seiner Wege gehen, sich um nichts mehr kümmern. Warum sollte er anderen Menschen helfen? Ja, diese Frage stellt er sich jetzt in seiner Not der bitteren Erkenntnis. Doch dann kommt der Zorn in ihm hoch. Denn wahrscheinlich sind dort alle wie Sally und die Zwillinge Gefangene von Carlos. Und so wird der Wunsch in ihm groß und mächtig, Carlos endlich zu vernichten. Überdies muss er Sally und deren Zwillinge dort herausholen, koste es, was es wolle. Die Maltons und er waren Freunde geworden. Er hat Sally stets verehrt und sehr gemocht. Er ist es Jack Malton und sich selbst schuldig, etwas für die Familie zu tun. Zu was sind Freunde sonst da, wenn nicht, um sich in der Not zu helfen? Und so spricht er zu Menzin, der ja neben ihm in guter Deckung hockt: »Ich mache mich auf den Weg, und ich werde dafür sorgen, dass alles so gemacht wird, wie wir es geplant haben.« »Und immer schön locker laufen und ruhig atmen, Hombre«, ruft Menzin hinter ihm her und wendet sich wieder der gegenüber liegenden Seite des schmalen Tales zu. Denn dort auf einem der Felder links vom Pueblo sieht er seine Juana mit einer Hacke arbeiten. Sie trägt immer noch das rote Stirnband, welches er ihr einst schenkte. Es ist ein rot gefärbtes Lederband mit einem
schwarzen Halbedelstein in der Mitte. Menzin konzentriert all seine Gedanken auf Juana und hält seinen Blick fest auf sie gerichtet, versucht seine ganze Geisteskraft zu ihr hinüberströmen zu lassen. Er tut es so intensiv, dass er dabei zu schwitzen beginnt und seine Hände so sehr ballt, dass sie verkrampfen. Eine Weile verharrt er in diesem Zustand. Und dann sieht er es dort unten. Die gebückt arbeitende Juana richtet sich plötzlich auf und wendet sich in seine Richtung, blickt schräg herauf, genau dorthin, wo er in guter Deckung hockt. Menzin ist nun überzeugt, dass Juana sein stummes Signal empfangen hat. Ja, sie muss etwas gespürt haben – etwas wie einen Atem, eine leise Berührung. Sie hat seine Nähe gespürt und spürt sie immer noch. Er möchte ihr gerne ein Zeichen geben, sich kurz erheben, ihr zuwinken. Doch er wagt es nicht. Dort unten vor dem Pueblo hocken einige Krieger, deren Wunden, die sie beim letzten Überfall erlitten, noch nicht verheilt sind. Aber es sind erfahrene Krieger, deren Augen jede kleine Bewegung in der Felswand und auf der Terrasse wahrnehmen würden. Nein, Menzin kann es nicht wagen. Doch er ist ziemlich sicher, dass Juana seine Nähe spürt. Sie verharrt noch eine Weile und macht dann eine Handbewegung, als würde sie ein Insekt verjagen, welches sich auf ihrer Stirn niederlassen möchte. Aber Menzin glaubt, dass sie ihm zugewinkt hat. Und so ist er vorerst zufrieden. Er sinkt zurück, bis er auf dem Rücken liegt, und entspannt sich allmählich. Denn was er soeben vollbrachte, war für ihn eine gewaltig schwere geistige Anstrengung. *
Indes Menzin sich auf ein tagelanges Ausharren und Warten einstellt und es eigentlich bequem hat und nur noch beobachten muss, trabt Al Rourke wie ein Apache durch das schreckliche Land. Er überklettert Felsbarrieren, muss hinunter in enge Schluchten und folgt trockenen Arroyos, die nur bei Unwettern zu Flüssen werden. Er sucht sich einen Weg durch Kakteenwäldchen und bleibt vorerst fast immer auf der Fährte, die Menzin und er auf dem Hinweg zogen. Er hat sich auch alle Landmarken eingeprägt, nach denen er sich richten muss. Auch die geheimen Wasserstellen kennt er nun. Es sind winzige Sickerquellen, welche nur wenig Wasser hergeben, wenn man sie freigemacht hat und lange genug warten kann, bis sich einige Hand voll Wasser gesammelt haben, was man dann mit der Hand herausschöpfen kann. Al Rourke hat von Menzin gelernt, wie man laufen und atmen muss. Meile um Meile legt er zurück, legt nur wenige Pausen ein oder geht einmal eine Meile im ruhigen Schritt. Da er ja Apachenstiefel trägt, wird man seine Fährte für eine Apachenfährte halten und nicht für die eines Weißen. Es gibt nur eine Gefahr, wenn erfahrene Apachenkrieger die Fährte betrachten. Sie würden sich über die Länge seiner Schritte wundern. Denn so große Apachen gibt es nicht. Doch es gibt auch noch andere Gefahren für ihn. Er muss damit rechnen, dass das scheinbar so leere und stille Land nie ganz unbeobachtet bleibt. Er könnte aus großer Entfernung von guten Beobachtungspunkten gesichtet werden. Und dann würde er bald in eine Falle laufen. Sein Gewehr ließ er bei Menzin zurück. Es hätte ihn zu sehr behindert. Den Revolvergürtel mit dem schweren Colt trägt er schräg über der Schulter, nicht um die Hüften.
Er würde seine Waffe nicht so schnell ziehen können wie von der Hüfte aus, aber gewiss immer noch schnell genug, fast so wie aus einem Schulterholster. So trabt und trottet er also durch das gnadenlose Land, auch noch in der Nacht, legt Meile um Meile zurück. Es wird eine helle Nacht wie fast alle Arizonanächte. Und so bleibt er in Bewegung. Kurz vor Ende der Nacht muss er die Richtung ändern. Er muss ja zum Gila River, genau dorthin, wo sich der Gila mit dem San Pedro vereinigt. Er kommt jetzt aus dem wilden, unübersichtlichen und trockenen Gelände allmählich in ein anderes Gebiet. Hier gibt es reichlich Wasser, grüne Weiden, Wald. Dies hier ist gutes Land für Siedler, die zu Farmern werden wollen, und auch für Rinderzüchter. In den flachen Tälern wächst Blaugras, dessen Mineralienanteil gut ist für Rinder und Pferde. Als es am Himmel grau wird und die Stunde anbricht, in der es auf der Welt keine Farben und auch keine Schatten mehr gibt, die Tiere der Nacht zu ruhen beginnen und die Tiere des Tages noch nicht wach sind, da erreicht er eine Tinaja, ein großes Wasserloch. Er erfrischt sich hier und beschließt dann, sich eine Stunde lang auszuruhen. Denn er wird noch einen langen Tag laufen müssen, gewiss mehr als vierzig Meilen noch. Erst dann wird er Camp Gila erreichen. Und so zieht er sich von der Tinaja zurück, weil er weiß, dass solch ein Wasserloch von vielen Lebewesen aufgesucht wird, bevor die Sonne hochgekommen ist. Er findet einen guten Platz bei einem Felsen, der noch ein wenig die Wärme des vorhergehenden Tages von sich gibt. Er setzt sich hin, lehnt den Rücken gegen den Felsen und streckt die Beine aus. Seinen Revolver nimmt er in die Hand. Er kann nicht wach bleiben. Dazu ist er zu erschöpft.
Also versucht er es erst gar nicht, sondern schließt die Augen. Doch er nimmt sich fest vor, nach einer Stunde etwa aufzuwachen. Er versinkt dann von einem Atemzug zum anderen in bodenlose Tiefe, bis ihn ein böser Traum erwachen lässt. Als er die Augen öffnet, ist es heller Tag. Er muss mehr als eine Stunde fest geschlafen haben. Aber es ist nicht nur heller Tag geworden, sondern er hat auch noch Besuch bekommen. Zu seinen Füßen – keine drei Schritte von seinen Apachenstiefeln entfernt – stehen zwei Apachen und zielen mit ihren Gewehren auf ihn. Sie hätten ihn längst töten können. Er wäre schlafend in den Tod hinübergeglitten, hätte nicht einmal die Schüsse gehört. Doch sie taten es nicht. Es hätte ihnen keinen Spaß bereitet. Jetzt versprechen sie sich diesen Spaß. Sie werden ihn langsam töten, zumindest wollen sie das. Es gehört nun einmal zu ihrer Art. Das ist Apachenspiel, mit dem sie ihren Hass befriedigen, weil sie längst wissen, dass sie zum Untergang bestimmt sind. Denn die Weißen wollen ihr Land, in dem es Bodenschätze gibt in den Wüstengebieten und Wasser und Weide in den fruchtbaren Landstrichen. Sie sind den Weißen im Weg, und es zählt nicht, dass es ihr Land ist, welches sie in grauer Vorzeit eroberten. Er sieht schräg zu den beiden Apachen empor. Dabei fühlt er seinen Revolver in der Rechten. Die Waffe ist fast ganz unter seinem rechten Bein verborgen und von der losen Hose verdeckt. Er fragt nach einer Weile: »Wollt ihr mich töten?« Sie nicken. Dann spricht einer: »Langsam, ganz langsam!« Da wartet er nicht länger, denn er will ja nach Camp Gila. Er bringt dicht neben seinem rechten Oberschenkel den
Revolver zum Vorschein und schießt im selben Sekundenbruchteil. Ja, er überrumpelt die beiden Apachen, die sich zu sicher fühlten. Einer drückt noch ab. Doch die Kugel streift nur Al Rourkes Schulter, reißt ihm das Lederhemd auf. Dann ist es vorbei. Allein das Krachen der Schüsse rollt noch lange über das Land und wird von den Hügeln zurückgeworfen. Al Rourke erhebt sich fluchend. Er weiß zu gut, dass er beinahe tot gewesen wäre. Nun fragt er sich, ob noch mehr Apachen in der Nähe sind und ob die beiden da, welche tot zu seinen Füßen liegen, zur Horde von Carlos gehören. Oder sind es Krieger, die zu ihm stoßen wollten und selbst nach ihm suchten? Al Rourke macht sich wieder auf den Weg. Es liegt noch ein langer und harter Tag vor ihm. * Die Tage und Nächte nach Mary Rourkes Tod sind für Sally Malton nur schwer zu ertragen, obwohl Carlos mit seiner Horde nur drei Tage und Nächte bleibt, dann wieder aufbricht zu einem neuen Kriegszug gegen die Weißen im Land. Doch diese drei Nächte gehört sie Carlos. Und er gibt ihr sogar ein Messer und sagt dabei: »Du kannst es ja versuchen wie jene Mary, welche Tzoe tötete. Doch das würde auch dein Tod sein. Und dann hätten unsere Kinder keine Mutter mehr.« Er verstummt mit einem Klang von Belustigung in der Kehle. Sally erwidert nichts, sondern erträgt ihn wie etwas Unabwendbares. Nur einmal sagt sie zu ihm, als sie voreinander beim Essen
sitzen: »Carlos, auf was kannst du stolz sein? Auf das Morden? Und darauf, dass ich wehrlos bin in deinen Händen, weil ich zwei hilflose Kinder habe? Was für ein stolzer Krieger bist du? Habt ihr Apachen in eurer Geschichte keine Vorbilder?« »Nein«, erwidert er. »Wir Apachen mussten immer nur kämpfen, um nicht unterzugehen. Das war von Anfang an so, weil wir als Eroberer aus dem fernen Norden kamen.« Sally muss immer wieder an diese Worte denken. Dann endlich ist Carlos wieder fort. Und schon am nächsten Tag kommt Juana zu ihr in die Kammer und nimmt Mary Rourkes Platz ein. Dabei spricht sie ruhig: »Ich bin Juana und weiß, dass du Hilfe brauchst. Also werde ich Marys Platz einnehmen und die Tante deiner beiden Kinder sein. Die anderen Frauen haben mich ausgewählt, weil ich deine Sprache spreche, die ich von den Padres lernte. Bist du einverstanden, dass ich bei dir bleibe?« »O ja«, erwidert Sally, »ich brauche hier eine Freundin. Ich muss noch sehr viel lernen und zu verstehen versuchen. Mary und ich, wir wurden fast so etwas wie Schwestern. Wann endlich wird die Armee Carlos vernichten?« Als sie nach dieser Frage verstummt, da schüttelt Juana den Kopf. »Die Soldaten sind zu unbeholfen und zu dumm«, spricht sie dann. »Carlos wird nur dann untergehen, wenn ein Schicksal es so will. Ich gehöre hier einem Krieger, den sie Santos nennen. Aber ich habe nicht den Mut wie Mary, ihn zu töten. Und er hat mich inzwischen geschwängert. Vielleicht hat Carlos das auch mit dir getan. Sally, wir müssen uns in unser Schicksal ergeben. Und deshalb ist es gut, wenn ich dir das Fühlen und Denken der Apachen erkläre, sodass du eines Tages so bist wie sie. Das wird dir helfen. Weißt du, wir sind Gefangene. Man hat uns geraubt. Aber freie Apachenfrauen haben in einer Horde gleiches Stimmrecht wie die Krieger. Und wenn es sein muss, dann kämpfen sie auch wie Krieger.
Oh, Sally, ich muss dir noch viel erklären.« Sally erwidert nichts, aber sie denkt in den nächsten Tagen und Nächten immer wieder an Juanas Worte und beginnt zu begreifen, dass sie sich ändern muss. Sie kann hier keine Weiße bleiben. Um zu überleben und sich mit dem neuen Leben abzufinden, muss sie eine Apachin werden. Wenn sie doch nur ein wenig Hoffnung spüren würde! Die beiden so verschiedenen Frauen erzählen sich viel in diesen Tagen und Nächten. Juana wird für Little Jim und Little Bill immer mehr zu einer guten Tante. Doch eines Tages, als sie wieder einmal auf dem Maisfeld arbeiten, da stellt Sally an Juana eine Veränderung fest. Juana wirkt plötzlich anders, hat ein Funkeln in den Augen und hält immer wieder inne bei der Arbeit des Maiserntens, um zur gegenüberliegenden Felswand zu blicken. Da hält auch Sally neben ihr inne und fragt: »Was siehst du, Juana? Was ist dort drüben? « Doch Juana lächelt nur seltsam und erwidert: »Ich sehe nichts, gar nichts. Aber ich spüre etwas wie einen Ruf, eine Berührung. Es kommt von dort drüben her.« Sie arbeiten weiter, denn sie werden ja von einem Krieger beaufsichtigt, der sie bald antreiben würde. Nach einer Weile hält Juana wieder inne und spricht diesmal leise zu Sally: »Jetzt weiß ich es. Jetzt bin ich sicher. Er ist da. Menzin ist da und lässt es mich spüren.« Sie atmet nach diesen Worten tief ein und langsam wieder aus, so als fühlte sie sich befreit von etwas, wahrscheinlich von dem Gefühl der Hoffnungslosigkeit. Als Sally in ihre Augen blickt, da erkennt sie darin abermals das Feuer und kann nur staunen über die Veränderung, die mit der Apachin vorgegangen ist. Nun blickt auch sie hinüber, versucht etwas zu erkennen, indes sie sich den Schweiß aus der Stirn wischt. Aber es ist nichts zu sehen. Und auch zu spüren ist nichts.
Aber von wem könnte sie auch unsichtbare und unhörbare Signale bekommen? Wen gibt es denn für sie noch auf dieser Erde, der ihr Hoffnung machen könnte? Sie arbeitet weiter und denkt: Juana bildet sich etwas ein. Vielleicht sind es einfach nur Wünsche, und sie will sich Mut machen. * Der Tag vergeht ohne weitere Zwischenfälle. Wie immer werden auch an diesem Tag die Kinder von einem der älteren Krieger unterrichtet. Ja, es sind gewissermaßen Schulstunden, doch sie lernen nicht Lesen, Schreiben oder Rechnen. Nein, sie bekommen nur etwas über ihre Herkunft und ihre Vorfahren erzählt, nach all den alten Überlieferungen. Und es sind die Erzählungen vom Krieg gegen alles, was sich ihnen in den Weg stellte auf dem Zug aus dem fernen Norden in das Wüstenland des Südens, dem sie sich anpassen mussten. Diese Erzählungen sollen die Kinder stolz und mutig machen. Sally begreift, dass in einigen Jahren auch ihre beiden Söhne auf diese Weise zu Apachenkriegern herangezogen sein werden. Und wenn sie sich dann als Apachen fühlen, werden sie Weiße töten. Es ist ein schreckliches Gefühl in ihr. Doch sie ist eine Gefangene und all diesen Dingen hilflos ausgeliefert. Sie kann nur hoffen. Doch auf wen kann sie hoffen? Ihr Mann ist tot. Gewiss auch wurden all ihre Nachbarn im Umkreis von zehn und noch mehr Meilen überfallen und getötet, ihre Anwesen niedergebrannt. Wer also sollte ihr helfen? Immer wenn sie sich diese Frage stellt, fällt ihr jener Armee-Scout Al Rourke ein, der sie dann und wann auf seinen Kontrollritten von Fort Apache aus besuchte.
Jedes Mal hat sie gespürt, dass er sie verehrte und sie mit seiner von den Apachen geraubten Frau verglich und sich durch ihren Anblick schmerzlich bewusst wurde, was ihm genommen worden war von Carlos, nach dem er schon länger als zwei Jahre suchte. Sally weiß – zumindest hofft sie es –, dass Al Rourke gewiss bald wieder einmal nach ihnen – den Maltons – sehen kommen wird. Und dann? Ja, was wird er dann tun? Vielleicht gar nichts, denn er konnte ja bisher auch nichts tun, nachdem Carlos seine Familie zerstörte, ihm Frau und Sohn raubte. Jetzt ist Mary tot. Und sein Sohn wurde schon vor einem Jahr in Gefangenschaft von einer Klapperschlange gebissen. Sally Maltons Gedanken beginnen sich im Kreis zu bewegen, einem Kreis, aus dem es keinen Ausweg zu geben scheint. Oder sollte sie Hoffnung haben, weil Juana glaubt, Signale empfangen zu haben, die nur von Menzin, ihrem Mann, kommen konnten? Es vergehen wieder einige Tage. Inzwischen kennt Sally auch die anderen Frauen besser. Sie alle wurden da und dort geraubt, einfach mitgenommen. Es sind Frauen verschiedener Stämme oder Völker. Es gibt eine Kiowa, zwei Mexikanerinnen, Zunis, Navahos, Caddos, sogar eine Yaqui aus Sonora und eine Yuma. Sie alle wurden wahllos zusammengeraubt und sollten Carlos und dessen Horde die Frauen und Kinder ersetzen, die von den Skalpjägern aus Tucson massakriert wurden. Carlos wollte mit aller Macht wieder ein Dorf mit Frauen und Kindern. Und weil die Apachen sich nun schon länger als dreihundert Jahre gegen die weißen Eindringlinge behaupten konnten, glaubt er daran, dies auch weiterhin zu können. Aber dazu braucht er etwas, für das es sich zu kämpfen lohnt. Das aber ist eine wieder erstandene Gruppe von Coyoteros
mit einer sich ständig vergrößernden Kinderschar. Sally Malton beginnt dies alles mehr und mehr zu begreifen. Und so ahnt sie auch etwas von Carlos’ Verzweiflung. Denn was anderes könnte es sein als Verzweiflung und Furcht vor dem Untergang? Es wäre einfach für Carlos, wenn er keinen so starken Freiheitswillen besitzen würde. Er brauchte sich dann nur zu ergeben und sich in ein Reservat bringen zu lassen. Dort bekäme er dann die Proviantrationen der Regierung und müsste nicht mehr auf die Jagd gehen. Er würde mit seinen Kriegern nur noch herumsitzen. Und sie alle würden zu Säufern werden. Dann würden sie zu tanzen beginnen und sich an die alten Zeiten erinnern, als sie noch die Herren im Land waren. Eigentlich gab und gibt es für einen Apachen wie Carlos gar keinen anderen Ausweg. So beginnt Sally Malton es nach und nach zu sehen. Und auch Juana sieht es so, wenn sie sich vor dem Einschlafen nach einem langen Tag in ihrer Pueblokammer noch ein wenig unterhalten. Und über eines sind sich alle Frauen hier im Pueblo klar: Sie können nicht fliehen. Sie hätten keine Chance. Und so fühlen sie sich wie Schiffbrüchige auf einer Insel. Sally wundert sich immer mehr über Juana, wenn diese wieder einmal sagt: »Ich spüre immer noch, dass Menzin in der Nähe ist. Ja, er ist da. Er wartet auf etwas.« Sally wird sich dann stets bewusst, dass auch sie auf etwas wartet, aber nicht auf ein Wunder, sondern mit dem Gefühl von Hoffnungslosigkeit auf die Stunde, da Carlos nach einem Raub- und Kriegszug wieder mit seiner Horde auftaucht, um auszuruhen, die Verwundeten herzubringen – und eine Frau zu haben. Denn das muss er seinen Kriegern dann und wann bieten, nicht zuletzt schon deshalb, um ihnen bewusst zu machen, für was sie kämpfen und das ganze Land in Angst und Schrecken
versetzen. * Als Al Rourke Camp Gila in Sicht bekommt, da hält er inne, schwankend, keuchend und total erschöpft. Er stößt einen heiseren Laut aus und fällt auf Hände und Knie nieder. Denn er hat es geschafft. Da ist Camp Gila. Gewiss wäre ein Apache schon einige Stunden früher hier gewesen, doch für einen so großen und schweren Mann wie ihn ist es eine gewaltige Leistung, jetzt hier angekommen zu sein. Es ist nur noch eine Viertelmeile bis zum Camp von Captain Caesar Wellingtons Truppe. Die Patrouille von Lieutenant Ben Clayton muss schon vor einigen Tagen hier eingetroffen sein, wenn sie unterwegs nicht in eine Falle von Carlos und dessen Horde geriet. Es ist alles möglich in diesem Land der Apachen. Al Rourke hockt eine Weile wie eine riesengroße Kröte auf allen vieren am Boden. Er würde jetzt am liebsten hinkriechen, nicht laufen müssen. Doch dann erhebt er sich und verharrt schwankend. Vor seinen Augen sind Nebel, die sich nur langsam lichten, sodass er das Camp wieder deutlich sehen kann. Aber erst jetzt erkennt er richtig, wie sehr sich das Camp verändert hat. Um die Hütten und Zelte der Truppe stehen Wagen jeder Sorte. Er sieht Corrals und Weidekoppeln, in denen sich Pferde, Maultiere und Rinder bewegen. Und so wird ihm klar, dass Camp Gila zum Zufluchtsort von Flüchtlingen wurde, die ihre Farmen, Siedlerstätten und Ranchos verließen, weil sie sich ausrechnen konnten, dass auch sie bald von Carlos und dessen Horde überfallen werden würden. Die böse Kunde von der Apachengefahr muss durch das Land geeilt sein wie ein vom Wind getriebenes Präriefeuer.
Und so kamen sie alle her und vertrauen nun auf die Armee, auf Captain Wellington und dessen hundert Mann. Al Rourke stößt einen seltsamen Laut aus, den niemand deuten könnte. Dann aber macht er sich Schritt für Schritt wieder auf den Weg. Es sind ja nur noch etwa vierhundert Yards. Aber sie kommen ihm wie vier Meilen vor, die er schwankend und mühsam zurücklegt. Man sieht ihn wenig später kommen, denn es gibt inmitten des Camps einen Aussichtsturm, einem Hochsitz ähnlich. Ein Reiter kommt ihm entgegen. Es ist Master Sergeant McNally. Als er bei ihm ist, sitzt er ab und grinst: »Möchtest du reiten, Lederstrumpf? Du läufst ja schon auf dem Zahnfleisch.« Doch Al Rourke schüttelt den Kopf. »Nein, den letzten Rest laufe ich auch noch zu Fuß. Aber hast du einen Schluck Feuerwasser, Pferdesoldat?« »Hab ich.« McNally grinst. »In diesem verdammten Land und in dieser verdammten Armee muss man stets einen Trost bei sich haben.« Er greift in die innere Rocktasche und bringt eine flache Metallflasche zum Vorschein, welche wie Silber glänzt. »Die habe ich dem Captain unter dem Kopfkissen weggeholt.« Er grinst. »Wenn er das wüsste, würde er mich degradieren. Doch meine Dienstzeit ist in zwei Monaten ohnehin beendet. Das würde mich nicht besonders jucken.« Sie halten inne, und in Deckung des Pferdes nehmen sie beide nacheinander einen Schluck aus dem noblen Flachmann des Captains. Dann fragt McNally: »Und?« »Wir haben ihn«, erwidert Rourke. »Wenn der Captain auf mich hört, dann lassen wir Carlos in eine Falle laufen.« »Und was wird uns das kosten, uns arme Hunde?« McNally fragt es ernst. Es ist kein sarkastischer Spott mehr in ihm. Und ebenso ernst erwidert Rourke: »Umsonst gibt es nichts
auf unserer Erde.« Sie gehen nun weiter. Der Sergeant zieht das Pferd an den langen Zügeln hinter sich her. * Captain Caesar Wellington steht hinter dem Klapptisch in seinem Kommandeurszelt, als sein Scout eintritt und sich dabei durch den offenen Eingang bücken muss. Al Rourke steuert auf den Offiziersklappstuhl zu und setzt sich, streckt die Füße mit den Apachenstiefeln weit von sich. »Wie wäre es mit einem Drink aus Ihrer guten Flasche, Captain?« So fragt er heiser. Wellington betrachtet ihn aus schmalen Augen. Er verharrt jetzt so, wie Napoleon auf den Bildern seiner Zeit zu sehen ist, nämlich kerzengrade und mit einer Hand zwischen zwei Knöpfen in den Uniformrock geschoben. »Gibt es was zu feiern, Rourke?« So fragt er barsch und setzt hinzu: »Sie haben eigenmächtig gehandelt und Lieutenant Clayton mit der Patrouille verlassen. Was haben Sie zu melden?« Al Rourke grinst zwischen seinen Bartstoppeln. »Sie könnten schnell Major werden, wenn Sie auf mich hören würden«, spricht er heiser. Dann wartet er. Auch der Captain wartet. Aber weil Rourke nichts mehr sagt, geht der Captain zu einer der Bagagekisten, öffnet sie und bringt eine Flasche zum Vorschein. »Vielleicht ist dieser Bourbon zu gut für Ihre raue Kehle, Rourke«, knurrt er. »Vielleicht sind Sie blind auf der Zunge.« Aber er bringt auch ein Glas zum Vorschein und schenkt ein. Der Scout trinkt mit geschlossenen Augen. Dann grinst er den Captain an und sagt: »Sie hatten doch
sonst immer den guten Bourbon in einem so nobel wirkenden silbernen Flachmann, Captain. Aus dem hätte ich gern mal getrunken.« Wellington strömt nun einen bösen Zorn aus. Doch er beherrscht sich und knurrt nur: »Vorsicht, Rourke! Sie müssen einen gewaltig starken Trumpf im Ärmel haben, um meine Geduld so zu strapazieren. Vorsicht! Berichten Sie!« Er steckt seine Hand wieder wie Napoleon in den Uniformrock und wartet kerzengerade. Und Al Rourke weiß, dass er nun zur Sache kommen muss. Er hat sich inzwischen etwas ausgeruht. Und der zweite Drink hat seinen Kopf auch etwas klarer gemacht. Und so beginnt er trocken und sachlich Bericht zu erstatten. Er schließt mit den Worten: »Captain, ich bin sicher, Sie schätzen Ihre Chance genau und richtig ein. Carlos bleibt stets länger als drei Wochen auf seinen Raub- und Kriegszügen unterwegs, bevor seine Fährte irgendwo verschwindet. Er wartet stets auf einen dieser Stürme über dem trockenen Land, die alle Fährten verwischen. Wir hatten schon lange keinen solchen Sandsturm im Wüstengebiet mehr. Also wird er sich seinem Schlupfwinkel noch fernhalten. Doch wenn wir vor ihm dort wären, dann könnten wir die ganze Horde gegen unser heißes Blei anrennen lassen. Wir müssen nur vor ihm dort sein und etwas Glück haben, dass er nicht auf unsere Fährten stößt.« Er macht eine Pause, leert das Glas und sieht, dass der Captain fast gierig aus der Flasche trinkt. Als er die Flasche absetzt, wird er sich bewusst, dass er auf das Glas verzichtete. Und so legt er die Flasche in die Bagagekiste zurück und wendet sich Al Rourke zu. »Sie sind ein verdammter Spieler, Rourke, aber ich will es dennoch wagen. Wann können wir losreiten mit der ganzen Truppe?« »Überhaupt nicht«, erwidert Rourke. »Wir müssen uns
hinschleichen. Und wir können nur Männer mitnehmen, die zuvor in den Bergen lebten und klettern können, also keine Excowboys zum Beispiel. Wir müssen uns anders ausrüsten. Mit Kavalleriestiefeln an den Füßen kommen wir gar nicht hin. Captain, ich bin zu müde, um Sie jetzt noch länger beraten zu können. Ich brauche zwölf Stunden Schlaf. Sie haben noch andere Scouts in Ihrer Truppe. Die sagen Ihnen, was zu tun ist, wenn Sie ihnen erklären, dass wir in den Schlupfwinkel von Carlos schleichen müssen, um ihn dort zu erwarten.« Er hat nun alles gesagt, erhebt sich und schwankt hinaus. Captain Wellington aber verharrt noch eine Weile und denkt nach. In ihm ist nun ein Gefühl des Triumphs. Ja, er wird alles wagen mit seinem Scout Al Rourke. Dann wird General Crook ihn vom Präsidenten der USA außer der Reihe befördern lassen müssen. Denn nur dieser kann das auf Vorschlag tun. * Indes dies alles geschieht, geht das Leben im Schlupfwinkel von Carlos’ Horde weiter. Irgendwann wird Carlos mit den Kriegern wieder herkommen, gewiss beladen mit Beute, aber auch mit Verwundeten. Und einige Krieger werden fehlen. Dafür sind sicher einige neue dabei, welche zu Carlos stießen. Inzwischen werden auch zwei Kinder auf die Welt gekommen sein, denn zwei der Frauen bereiten sich stündlich darauf vor. Juana aber ist immer noch davon überzeugt, dass Menzin in der Nähe ist und sie von einer der gegenüber liegenden Bergterrassen beobachtet. Es ist dann in einer Nacht, als sich Juana aus dem Pueblo schleicht und sehr lange draußen bleibt. Sally liegt wach bei ihren Kindern, spürt sie rechts und links
von sich auf dem Lager aus Maisstroh, hört ihr Atmen. Sie ist dankbar, dass die Kleinen gesund sind, jeden Tag mit den anderen Kindern spielen und am Abend so müde sind, dass sie durchschlafen. Auch in dieser Nacht, als sie auf Juanas Rückkehr wartet, denkt sie wieder an jenen Scout, der sie und ihren Mann manchmal besuchte. Sie schreckt aus ihren Gedanken auf, denn sie hört Juana hereinkommen und heftig atmen. Juanas Stimme fragt flüsternd: »Bist du noch wach, Sally?« »Wie könnte ich schlafen, wenn ich dich draußen weiß«, flüstert Sally zurück. Juana kommt nun zu ihr in der Dunkelheit und flüstert: »Er ist da. Menzin ist wirklich da. Er kam herunter von der Terrasse, und wir fanden zueinander in der Nacht. Er sagte mir, dass ein Scout mit Namen Al Rourke Hilfe holt. Sie müssen nur vor Carlos hier im Pueblo sein. Dann können sie ihn vernichten. Wir werden bald frei sein, Sally, meine Schwester. Und deine beiden Kinder werden nicht als Apachen aufwachsen. Freue dich, Sally.« Diese hört Juanas Worte zwar, aber sie vermag noch nicht daran zu glauben. Der Funke Hoffnung, der aus ihrem Kern aufsteigen und zu einem hellen Leuchten werden will, wird sofort wieder von ihren Zweifeln ausgelöscht. Dennoch liegt sie noch lange still da und betet in ihren Gedanken zum Allmächtigen, dass es wahr werden möge. Ja, sie wird von Zweifel und Hoffnung hin und her gerissen. Sie hört dann Juana flüstern: »Menzin sagte, dass sie bald kommen würden. Denn es wären inzwischen viele Tage und Nächte verstrichen. Es käme auf diesen Scout Al Rourke an. Und dieser wäre fast so zäh und erfahren wie ein Apache.« Sally hört es noch. Dann schläft sie mit einem schwachen Gefühl der Hoffnung ein.
* Als Al Rourke am nächsten Morgen erwacht, hat er an die zwölf Stunden geschlafen. Er liegt auf einem Feldbett in einem Zelt, das er mit McNally und zwei anderen Sergeants teilt. Eine Weile bleibt er bewegungslos liegen und streckt sich. Das Feldbett ist für ihn zu kurz. Seine Füße bis hinauf zur Hälfte der Waden ragen über das Bettende heraus. Er lauscht auf die Geräusche. Es sind die Geräusche eines großen Camps. Er hört auch Befehle, welche scharf gerufen werden, und wird sich bewusst, dass dies ein Militärcamp ist. Und wo Soldaten sind, da tönen Befehle. Das ist nun mal so. Er erhebt sich endlich und spürt schmerzvoll seine Steifheit. Zugleich aber ist auch ein Gefühl des Stolzes in ihm. Denn was er hinter sich brachte, hätte so manchen Mann zerbrochen. Indes er sich noch bewegt und durch Dehnübungen die schmerzende Steifheit zu lindern versucht, da denkt er darüber nach, wie hart und zäh die Männer sein werden, die er in das verborgene Tal von Carlos und dessen Horde führen will. McNally kommt herein und verharrt nach einem Schritt. »Mann«, spricht er, »der Captain kann es kaum erwarten, dass du ihn zu Carlos führst. Den juckt es im Hintern, so ungeduldig ist er. Ja, er will selbst mitkommen, um Carlos zu fangen und dann zu hängen. Und auch die vierzig Mann warten begierig darauf, Helden zu werden.« Zuletzt klirrt McNallys Stimme vor bitterem Sarkasmus. Al Rourke aber erwidert: »Oha, Pferdesoldat, wenn der Captain und ihr alle wüsstet, was euch bevorsteht! Ich werde mich jetzt unten am Gila waschen – ja, ein richtiges Bad nehmen. Dann werde ich im Kantinenzelt frühstücken und mir den Haufen ansehen, den ich zu Carlos führen soll. Und dann erst werde ich mit dem Captain reden. Sag ihm das. Er kann gewiss noch eine Stunde warten.« McNally grinst ihn an, denn was er soeben hörte, gefällt
ihm. Er und der Captain sind keine Freunde. Es ist dann wirklich eine Stunde später, als Al Rourke das Kommandeurszelt betritt. Er hat gebadet und sich rasiert. Seinen Hunger stillte er inzwischen auch. Dann ließ Sergeant McNally die Männer antreten, die er in das wilde und gnadenlose Land führen soll, in dem sich Carlos mit seiner Horde wie in einer uneinnehmbaren Festung fühlt. Nun warten der Captain, die beiden Lieutenants und die drei Sergeants auf ihn. Der zweite Scout Windy Pat Alvarez hält sich hinter ihm im Zelteingang auf, wahrscheinlich, um seine ständigen Blähungen gleich ins Freie knallen zu lassen. Sie warten schweigend. Al Rourke macht es kurz: »Die Sache ist ganz einfach«, beginnt er. »Wir können etwa fünfzig Meilen reiten und müssen nach Süden, durch den Salt River und auf die Bradshaw Mountains zu. Es kommt uns zu Hilfe, dass Carlos in diesem Gebiet schon alle Weißen massakriert und überall alles zerstört und vernichtet hat. Also gibt es für ihn in diesem Teil des Landes keine Beute mehr zu machen. Er wird weiter im Südwesten tätig sein. Und weil das so ist, wird er unsere Fährte nicht entdecken. Nach etwa fünfzig Meilen müssen wir die Pferde zurücklassen und zu Fuß weiter, denn es gibt dort kein Wasser mehr für unsere Pferde. Auch wird das Gelände zu schwer. Wir müssen klettern und durch dichte Kakteenwälder hindurch. Und wir haben Waffen, Munition und Proviant zu schleppen. Einige von uns werden schlappmachen, vielleicht sogar vor Erschöpfung tot umfallen. Aber wenn wir vor Carlos und dessen Horde im Pueblo sind, können wir in aller Ruhe auf ihn warten. Sie laufen uns vor die Gewehre. Wir müssen nur gut genug schießen.« Er hat nun alles gesagt. Captain Caesar Wellington nickt zufrieden. Er trägt jetzt Lederzeug und Apachenstiefel. Auch die anderen Männer im
Zelt sind ähnlich gekleidet. »Dann brechen wir in einer Stunde auf«, sagt er. »Was dagegen, Mr Rourke?« »Nein«, erwidert dieser nur und geht wieder hinaus. Windy Pat muss ihm den Weg freigeben und lässt dabei wieder knatternd einen seiner ständigen Blähungswinde ab. Dabei sagt er: »Ich bin froh, dass du wieder lebend bei uns bist, Allan.« »Und ich habe dein Furzen vermisst.« Al Rourke grinst. Pat Alvarez hält nun neben ihm Schritt und sagt hoffnungsvoll: »Es wird langsam besser. Unter unseren Flüchtlingen hier im Camp ist eine alte Mexikanerin, die alle für eine Wunderheilerin halten. Sie hat mir einen Teesud gemacht. Eigentlich ist es eine dicke Pampe, aber ich schlucke sie, obwohl sie wie Pumaspucke schmeckt, die zusätzlich noch von einem Stinktier gewürzt wurde. Aber die Alte sagte mir, dass ich nach drei bis vier Tagen nicht mehr furzen würde. Wenn ich es doch täte, dann bekäme ich die zehn Dollar wieder zurück.« Windy Pat verstummt mit dem Klang gläubiger Hoffnung in der Stimme. Rourke aber sagt mit einem Klang von Sorge: »Aber wenn du nicht mehr deinen Dampf ablassen kannst, dann wirst du vielleicht platzen.« »Verdammt, verarsche mich nicht«, grollt Pat Alvarez. »Du kannst wohl nicht begreifen, wie sehr ich darunter leide, weil ich mich stets abseits halten muss. Und in Tucson haben sie mich sogar aus dem Hurenhaus geworfen. Ihr wisst ja alle nicht, wie das ist.« Er biegt plötzlich nach rechts ab, geht zu einem der Siedlerwagen hinüber, vor dem eine alte Mexikanerin sitzt, die damit beschäftigt ist, trockene Blätter von irgendwelchen Pflanzen in einem Gefäß zu Pulver zu mahlen. Er hält vor der Alten inne und wippt auf den Sohlen seiner Apachenstiefel. »Señora«, sagt er höflich, »wenn Ihre Medizin wirken sollte,
könnte es dann sein, dass ich platze wie eine Kröte, die man mit einem Strohhalm aufbläst?« Aber die Alte schüttelt heftig den Kopf, sodass ihre grauen Haare nur so fliegen. »No, Señor«, erwidert sie überzeugt. Pat Alvarez verharrt noch einige Atemzüge lang zweifelnd, dann wendet er sich ab und geht davon. Die Alte aber sieht ihm mit einem Ausdruck von Trauer und Mitleid nach und murmelt leise zu sich selbst: »Auch du, Hombre, bist schon vom Hauch des Todes umgeben. Ich kann das spüren. Auch du wirst zu denen gehören.« Sie hätte statt Hauch auch Aura sagen können. Doch sie ist ja keine gebildete Frau. Sie kann einfach nur spüren, ob jemand schon dem Tod geweiht ist. * Diesmal sind sie nicht im klirrenden Trab unterwegs, diesmal ist alles anders. Es gibt keine klirrenden oder klimpernden Metallteile an ihnen und ihren Pferden. Auch die Säbel ließen sie zurück. Wie immer reiten sie in Doppelreihe. Sie sind vierzig Reiter, drei Sergeants, vier Scouts, zwei Lieutenants und der Captain. Dieser reitet mit Al Rourke an der Spitze und sitzt stolz und energisch wirkend im Sattel, strömt unbeirrbare Entschlossenheit aus, so als würde er ständig laut rufen: »Keine Gnade für Carlos! Ich komme!« Das Land dehnt sich vor ihnen in einem unendlichen Meer erstarrter Wogen. Kamm hinter Kamm reiht sich. Und man weiß nie, was hinter dem nächsten Kamm sein wird. Doch noch ist das hier fruchtbares Gebiet. Deshalb ließen sich hier auch die Siedler und Landsucher nieder. Sie reiten an zerstörten Siedlerhütten und Farmhäusern vorbei. Überall hat Carlos hier zugeschlagen, bevor Captain
Wellington mit seiner Truppe kam. Dann ändert sich die Szenerie. Die Abteilung kommt im Verlauf des Tages in ein immer wilder und karger werdendes Gebiet hinein. Sie überqueren immer wieder Flächen, die von Felsen übersät sind. Dann versperren ihnen Dickichte den Weg, zumeist von Katzenkrallenbüschen und Mesquite. Das Land verändert sich immer mehr. Am Spätnachmittag erreichen sie endlich einen großen Paloverde-Hain und eine Wasserstelle, machen endlich die erste Rast. Denn hier gibt es gnädigen Schatten. Die Reiter sitzen ab, kümmern sich zuerst um ihre Pferde und machen dann gruppenweise ihre Kochfeuer an. Allmählich finden die ersten Gespräche statt. Am Feuer der Offiziere jedoch herrscht Schweigen. Und am Feuer der Sergeants beobachtet man die drei Offiziere. Schließlich murmelt McNally: »Die wollen Helden werden. Und wir wollen davonkommen. Was für ein Unterschied. Aber was ist mit unseren Scouts? Warum tun sie sich das an?« Er erhält keine Antwort. Eine halbe Stunde später bricht die Abteilung wieder auf. Sie erreichen kurz vor Nachtanbruch den Salt River, durchfurten ihn und bleiben weiter in Bewegung. Al Rourke führt sie unbeirrbar in eine bestimmte Richtung, obwohl sie manchmal gezwungen sind, Umwege zu machen wegen der Landbeschaffenheit. Doch er führt sie stets wieder in die alte Richtung zurück. Es wird Nacht, aber sie halten noch nicht an. Jetzt leuchten Mond und Sterne ihnen den Weg. Wenn es Tag wäre, könnten sie weit voraus im Norden die mächtige Mogollon Mesa aufsteigen sehen, den Mogollon Rim, das Große Plateau über dem Tonto Basin. In der trockenen und klaren Luft kann man in diesem Land
zweihundert und noch mehr Meilen weit sehen. Das Gelände wird immer rauer, unwirtlicher, trockener. Die Pferde können bald nicht mehr. Denn es ist ein erbarmungsloser Gewaltritt, den sie hinter sich haben. Irgendwann zwischen Mitternacht und Morgen hält Al Rourke in einer tiefen Schlucht endlich an. »Dies hier ist die letzte Wasserstelle«, sagt er. »Die Pferde bleiben hier. Es geht zu Fuß weiter. Und jetzt könnt ihr alle zeigen, wie zäh und hart ihr seid. Bisher seid ihr bequem geritten. Jetzt wird jeder seinen wahren Charakter zeigen müssen.« Captain Wellingtons Stimme klirrt durch das Stampfen und Schnauben der Pferde. »McNally, wählen Sie zwei Mann aus, die bei den Pferden bleiben. Bestimmen Sie ältere Familienväter, wenn es Letztere bei uns gibt. Alle anderen machen sich fertig für den Fußmarsch. Keiner darf seine Waffen, die Munition, den Proviant und die Wasserflaschen vergessen. In einer halben Stunde geht es weiter.« Sie sitzen ab. Einige Stimmen fluchen leise. Pat Alvarez sitzt neben Al Rourke ab und nimmt seinem Pferd den Sattel ab. Dann wendet er sich an Al Rourke und fragt: »Hast du was gehört?« »Was denn, Pat? Was sollte ich hören?« »Nichts, gar nichts«, kichert Pat Alvarez. »Das Mittel der alten Mexikanerin hat gewirkt. Bald werdet ihr mich nicht mehr Windy Pat nennen. Verdammt, ich habe seit Stunden nicht mehr losgedonnert. Und niemand hat sich gewundert.« Er verstummt empört. Doch der Scout lacht nun leise. »Dann wird es vielleicht einen ganz großen Knall geben, wenn du platzt!« Pat Alvarez knurrt nun biestig und grollt dann: »Ich dachte immer, wir wären Freunde und du würdest dich jetzt mit mir freuen. Aber du machst nur deine Witze. Dabei ist das für mich
eine ernste Sache. Du kannst mich mal! Mit dir rede ich nicht mehr!« Er ist nun richtig böse. * Sie brechen eine halbe Stunde später auf und marschieren in Doppelreihe, so wie sie zuvor ritten. Al Rourke führt sie nach einer halben Meile aus der Schlucht hinaus. Es ist eine helle Nacht mit meilenweiter Sicht. Doch die Ebene, die sie aus der Schlucht heraus erreichen, ist übersät mit Felsen, zwischen denen die Riesenkakteen wie gewaltige Kandelaber stehen. Die lange Doppelreihe taucht dann in einen Arroyo ein, der sie weiter nach Norden führt. Und erst jetzt beginnen die Soldaten zu ahnen, was vor ihnen liegt und wie hart der Weg für sie alle werden wird. Obwohl es Nacht ist, also keine Sonne brennt und es sehr viel kühler ist als am Tag, beginnen sie bald zu schwitzen. Manchmal marschieren sie eine halbe Meile im ruhigen Schritt, dann wieder fallen sie in einen Wolfstrott, so als wären sie keine Kavalleristen, sondern Apachen. Als sie aus dem Arroyo herauskommen, wird es heller. Nun sehen sie das wilde, zerklüftete Land vor sich, die roten Felsen, die zerhackten Hügelketten, die Mäuler der Schluchten. Staub wirbeln sie auf, rotgelben Staub, der sich mit ihrem Schweiß vermischt und ein juckendes Brennen erzeugt, als hätten sie tausend Flöhe am Leib. Al Rourke führt sie unbeirrbar, so als würde er jeden Fußbreit dieses Landes kennen. Doch das kann nicht so sein. Er muss sich nach den Landmarken richten – und das sind Berge, Hügelketten, Canyons, all die Formationen, die vor Urzeiten in bestimmte Richtungen geschoben und gepresst wurden. Er muss sich auf seine Erfahrungen als Armee-Scout
während der jahrelangen Suche nach Carlos verlassen. Und er kennt natürlich die Richtung. Als es endgültig Tag geworden ist, da hält die Abteilung an, und der Geruch des klebrigen Schweißes umgibt sie wie eine dichte Wolke. Sie keuchen noch, und einige von ihnen würden nach einer weiteren Meile schlappmachen. Al Rourkes heisere Stimme tönt nun: »Legt euch nieder, ruht aus! Aber spart mit dem Wasser! Wir haben noch fünfzig Meilen vor uns!« Sie hören es und wollen es nicht glauben. Denn fast alle fühlen sich schon zerbrochen, ausgelaugt und mit Blei in den Gliedern. Jetzt erst beginnen sie zu begreifen, dass sie auf diesem Marsch die ganze Härte ihres Lebens als Soldaten erleben werden und in den schwersten Kampf ihres Daseins gehen. Denn wer zurückbleibt, der ist verloren in diesem Land. Und so lassen sie sich nieder, um auszuruhen. Gewiss beginnt nun so mancher von ihnen über den Sinn seines Lebens nachzudenken. Und so sehr sie danach suchen und forschen, sie können nicht viel erkennen. Nicht wenige von ihnen verspüren Furcht und fühlen sich ihr ausgeliefert. Denn sie stehen unter Befehl. Sie müssen gehorchen und stehen unter Kriegsrecht. Und so versuchen nicht wenige herauszufinden, was sie im Moment des Sterbens, im Anblick des Todes empfinden werden. Werden sie verrückt sein oder ergeben und gelassen wie Spieler, deren Karten zu schlecht sind, um damit gewinnen zu können? Blinky, der Bursche des Captains, liegt neben einem älteren Soldaten, der stets wortkarg blieb. Der Mann hört auf den Namen Bronson, und keiner von ihnen weiß mehr von ihm als seinen Namen. Doch jetzt wendet sich dieser ewige Schweiger
an Blinky und fragt: »Hast du Angst, Junge?« »Wer von uns spürt die nicht, alter Mann?« So fragt Blinky biestig zurück. Und weil Bronson nichts erwidert, fragt er noch biestiger: »Hast du denn keine Angst?« Bronson schweigt eine Weile. Dann aber spricht er irgendwie nachdenklich, so als müsste er in sich hineinlauschen: »Furcht ist für euch Junge da. Früher habe auch ich mich gefürchtet. Doch in meinem Alter werden die Sinne stumpfer. Niederlagen und Enttäuschungen lassen einen die Freude am Leben verlieren. Man wird müde und kämpft nicht mehr. Junge, ich weiß, dass es mich diesmal erwischen wird.« »Wie kann man so reden«, knirscht Blinky. »Ich wüsste noch eine ganze Menge, für das es sich zu leben lohnt.« »Weil du jung bist und hoffen kannst. Aber ich sage dir: Das Leben besteht aus einer Menge von dummen Konventionen und schäbigen Heucheleien. Das kannst du mitmachen oder nicht. Aber ich sage dir, dass nur wenige Dinge wichtig sind, wirklich wichtig für einen Mann. Denn du musst begreifen, dass diese Welt von der Herde beherrscht wird. Die dumme Herde bestimmt die Regeln und bestraft den Mann, der diese Regeln nicht anerkennt, sondern nach seinen eigenen Regeln lebt – ebenso wie ein Wolfsrudel, welches den Einzelgänger vertreibt. Ich habe mich nie nach den Regeln der Herde gerichtet und bin allein meinem Gewissen gefolgt.« »Und was hat es dir gebracht?« Blinky fragt es triumphierend. »Das ist eine andere Sache«, murmelt Bronson. »Ich machte damals den Fehler, in die Politik zu gehen, um als Politiker das Los der Menschen zu verbessern. Das war meine große Dummheit. Denn die Politik ist wie eine Hure. Und ein großer Teil der Politiker sind nichts anderes als die Zuhälter dieser Hure. Und so dreht sich alles im Kreis und wird nicht besser. Aber was rede ich mit dir darüber, Junge? Du hast keine
Ahnung – wie die große Herde.« Bronson verstummt hart. Und Blinky versucht zu begreifen, was er von diesem sonst so schweigsamen Mann hörte. Er hätte Bronson zu gerne gefragt, was ihn zur Armee gebracht hat. Es muss ein gewaltiger Abstieg gewesen sein. Aber er fragt es nicht, sondern versucht nur, sich zu entspannen und auszuruhen, die Sorge und Furcht tief in seinen Kern zu verbannen. Doch er weiß, sie wird bald wieder hochsteigen. * Sie quälen sich weiter, immer weiter. Es wird ein gnadenloser Marsch. Sergeant McNally marschiert als letzter Mann und treibt jene, die umzufallen drohen und glauben, nicht weiter zu können, immer wieder mit den Worten an: »Wenn du dich hier zur Ruhe legen möchtest, du verdammter Hurensohn, dann nur zu! Die Geier und all die anderen Aasfresser warten schon! Du hast keine Chance, wenn du hier aussteigst aus diesem Spiel!« Und da quälen sie sich weiter. Die Furcht stimuliert sie wieder neu. Denn so jämmerlich und schrecklich will keiner verrecken. Und so klettern, stolpern und kriechen sie weiter. Auch Captain Caesar Wellington hat mächtig Mühe, dem Scout Al Rourke zu folgen. Noch niemals in seinem Leben musste er solch einen Marsch durch solch ein wildes Land hinter sich bringen. Dazu kommt, dass er als Kommandeur seiner Abteilung keine Schwäche zeigen darf. Nein, er darf nicht aufgeben, schlappmachen. Täte er es, würde die Abteilung zusammenbrechen. Und so quält er sich vorwärts. Manchmal in diesem schwierigen Gelände fällt er, einmal sogar in einen
Kakteenbusch, dessen Blüten so wunderschön leuchten. Er jagt sich eine Menge Stacheln ins Fleisch und möchte vor Wut losbrüllen. Und er hasst seinen Scout Al Rourke und dann immer mehr diesen Carlos. Um sich selbst anzutreiben, stellt er sich immer wieder vor, wie er Carlos hängen wird. Gegen Mittag rasten sie in einer tiefen Schlucht im Schatten der überhängenden Felswände. Die meisten Männer haben kein Wasser mehr in ihren Flaschen. Und es gibt keine Wasserstellen. Blinky liegt wieder neben Bronson, denn trotz seiner Erschöpfung verspürt er eine fast unbezwingbare Neugierde, so als hinge sein Leben davon ab, mehr zu erfahren über die wichtigen Dinge des Lebens. Und so fragt er nach einer Weile des Ausruhens: »He, was sind die zwei oder drei Dinge, die für einen Mann so wichtig sind, Bronson? Du hast heute früh im Morgengrauen davon gesprochen. Aber du hast sie mir nicht erklärt. Was also sind sie?« »Das muss jeder Mann für sich allein herausfinden, Junge. Und bis du das geschafft hast, wirst du ein alter Mann sein. Dann denkst du zurück und wirst begreifen, ob du dein Spiel richtig gespielt hast oder nicht. Als Verlierer lebst du dann auf Erden schon im Fegefeuer – so wie ich. Nur einen Rat kann ich dir geben: Verlass dich niemals auf andere!« Er schweigt nun. Blinky aber versucht wieder, das Gesagte zu verstehen, stellt keine Fragen mehr und murmelt nach einer Weile mehr zu sich selbst: »Vielleicht finde ich das alles nicht heraus, weil ich nicht so alt werde wie du, Bronson. He, wie alt bist du eigentlich? Eigentlich kannst du gar nicht so alt sein, denn du hältst mit uns jungen Kerlen mit, ohne zusammenzubrechen.« Aber er bekommt keine Antwort. Bronson ist eingeschlafen.
* Menzin hat nun Tage und Nächte gewartet und immerzu beobachtet, besonders seine Juana, wenn sie auf den Feldern des schmalen Tales arbeitete oder die Ziegen melkte. Er verspürte stets eine dankbare Freude, dass sie noch lebt. Und er denkt wieder an die Zukunft, wenn er mit ihr in den Aravaipa Canyon zurückkehren kann und dort alles so sein wird wie früher und sie alles vergessen können wie einen bösen Traum. Als es an diesem Tage Abend wird, der dann schnell in die Nacht übergeht, da macht Menzin sich auf den Weg. Denn seiner Berechnung nach muss Al Rourke bald mit den Soldaten kommen. Ja, er ist davon überzeugt, so als könnte er es wittern. Sein Instinkt sagt es ihm immer deutlicher. Inzwischen hat er bis auf einen Rest auch seinen Proviant aufgegessen. Ab dem nächsten Tag würde er hungern müssen. Doch nicht deshalb macht er sich auf den Weg nach unten und dann durch das Tal auf die andere Seite. Ein Apache wie Menzin könnte einige Tage hungern, zumal er in einer Spalte der Terrassenwand stets einige Hand voll Wasser findet, das von irgendwoher aus dem Berg herausgedrückt wird. Nein, Menzin ist unterwegs, um die wenigen Krieger im Pueblo zu töten. Er konnte sie tagelang beobachten und auch zählen. Es sind vier. Sie alle sind mehr oder weniger schlimm verwundet gewesen, doch inzwischen fast schon wieder völlig hergestellt. Deshalb muss er sie unschädlich machen, bevor die Soldaten kommen – und zwar nicht, um einigen Soldaten das Leben zu retten, sondern das Leben seiner Juana. Denn wenn sich die Krieger beim Anrücken der Soldaten mit den Frauen und Kindern im Pueblo verschanzen, dann würde es einen
bösen Kampf geben mit Toten auf beiden Seiten. Darunter könnten auch die Frauen und Kinder – und auch seine Juana – leiden und getötet werden. Er macht sich also nach Anbruch der Nacht auf den Weg. Er nimmt sich Zeit, denn es wird wieder eine helle Nacht. Mond und Sterne werfen ihr unirdisches Licht in das schmale Tal. Der Mondschatten wird erst nach Mitternacht breiter werden. Er kriecht wie eine Schlange von Busch zu Busch, von Stein zu Stein und verharrt immer wieder lauschend. Doch er weiß längst, dass die Krieger im Pueblo keine Wachen aufstellen. Sie fühlen sich in diesem Tal und ihrem Pueblo völlig sicher. Wer sollte sie in diesem Gelände schon finden – und das auch noch zu Fuß und ohne Wasser? * Es ist gegen Mitternacht in der Kammer des unteren Stockwerks des Pueblos, als Juana von ihrem Lager leise zu Sally hinüberfragt: »Bist du wach, Sally?« »Ja, jetzt bin ich es, Juana«, erwidert Sallys Stimme ebenso leise. »Schon beim ersten Klang deiner Stimme wurde ich wach. Was ist, Schwester?« »Ja, wir wurden Schwestern«, flüstert Juana sanft. Dann kommt sie an Sallys Lager und kniet bei ihr und den schlafenden Zwillingen nieder. Sie spricht dann ganz leise an Sallys Ohr: »Ich gehe jetzt hinaus, denn ich spüre wieder Menzins stummen Ruf. Ja, er hat mich mit seinem Geist gerufen. Er wartet draußen. Denn jetzt liegt der Schatten im Tal. Er wird wissen wollen, wo die Krieger im Pueblo schlafen. Ich werde ihn zu ihnen führen und ihm sagen, dass sie wieder viel Tiswin getrunken haben. Wenn du etwas hörst, Sally, dann kümmere dich nicht darum. Es wird Menzin sein, der die Krieger tötet. Denn gewiss kommen bald die Soldaten, angeführt von Al Rourke.«
Nach diesen Worten entfernt sich Juana. Sally aber fragt sich wieder einmal mehr, was für geradezu übernatürliche Sinne oder Ahnungen zwischen Juana und Menzin sind. Sie liegt ruhig da, hat ihre beiden Kleinen rechts und links neben sich und lauscht. Dann wird ihr bewusst, wie unbarmherzig die Welt hier ist. Dieser Aravaipa-Apache Menzin, den sie noch nicht persönlich kennt, wird kommen, um zu töten. Und Juana, die ihr eine liebe Schwester wurde, wird ihm dabei helfen. * Juana und Menzin treffen sich im Mondschatten dicht bei einem großen Felsen, so als würden sie sich magnetisch anziehen. Es ist allein ihr Instinkt, der sie zueinander finden lässt, fast so, als könnten sie sich im hellen Sonnenschein erblicken. Doch es gibt wohl eine ganz besondere Verbindung zwischen ihnen, und so können sie ihre Gedanken auf viele Meilen hinweg ahnen. Sie umarmen sich, verharren eine Weile so und verspüren jenes Glücksgefühl zwischen sich, welches nur Paare empfinden können, deren Liebe grenzenlos ist. Als sie sich nach einer Weile voneinander lösen, da murmelt Menzin: »Ich konnte dich die ganzen Tage sehen und erfreute mich an deinem Anblick, sodass jeder Tag ein wunderschönes Geschenk für mich war. Und in den Nächten sehnte ich mich nach dir.« »So wie ich mich nach dir, Menzin«, flüstert sie zurück. Dann lassen sie sich beide am Boden nieder. Sie flüstert fast tonlos: »Menzin, die Krieger von Carlos haben mich beschmutzt und entehrt. Du weißt es, denn es konnte gar nicht anders sein. Aber wenn du mich jetzt liebst, dann werde ich
mich wieder rein und sauber fühlen. Deine Liebe wird alles Böse töten.« Er erwidert nichts, aber er lässt sie spüren, wie sehr er sie liebt und sich nach ihr gesehnt hat. Ja, sie vergessen die Welt um sich herum und lieben sich. Später liegen sie noch eine Weile nebeneinander und blicken zu den Sternen hinauf. Sie flüstert: »O Menzin, ich liebe dich so sehr. Du hast mir jetzt meinen Stolz zurückgegeben, mich gerettet. Ich bin immer noch etwas wert. Der Schmutz ist weg.« Er nimmt sie nochmals in die Arme. Aber dann lösen sie sich voneinander. Er flüstert: »Gehen wir! Töten wir sie! Führ mich zu ihnen!« Und sie erwidert: »Es wird leicht sein, sie zu töten. Denn sie tranken Tiswin. Man kann sie schnarchen hören. Wir können sie umbringen wie Käfer, welche auf den Rücken fielen und sich aus eigener Kraft nicht mehr umdrehen können. Ja, gehen wir, um sie zu töten.« Sie machen sich auf den Weg und klettern wenig später zum zweiten Stockwerk des Pueblos hinauf. Als sie dort auf der Terrasse verharren, da hören sie die Schnarchtöne der vom Tiswin berauschten Krieger. Ja, es wird leicht sein, die vier Krieger im Schlaf zu töten. * Es ist lange nach Mitternacht, kaum eine Stunde noch bis zum Morgengrauen, als Sally Juana zurückkommen hört. Juana kniet wenig später wieder an ihrem Lager und flüstert: »Sie sind tot. Es war leicht, sie zu töten. Eigentlich sind wir nun alle frei. Doch keine von uns – und schon gar nicht die Kinder – kämen ohne Hilfe aus diesem Land heraus. Wir müssen warten. Denn ohne unsere Hilfe können die Soldaten Carlos keine Falle stellen. Es muss für ihn alles so aussehen
wie sonst bei seinem Eintreffen. Wenn es Tag wird, muss ich mit allen Frauen reden. Aber es weilt nicht eine einzige Frau freiwillig hier. Wir alle wurden geraubt und wurden zu Sklavinnen. Sie alle werden mitmachen.« Juana verstummt hart. Und Sally murmelt heiser: »Ja, wir alle werden Carlos aus der Ferne etwas vorspielen. Das Leben und Treiben hier rings um das Pueblo wird für ihn aus der Ferne wie immer aussehen. Carlos und dessen Horde werden in die Falle laufen. Ich will ihn und seine Krieger alle tot sehen und auf ihre Leichen spucken.« In Sallys Stimme ist zuletzt der Klang eines heißen Hasses. Aber wer kann ihr dies verdenken? Sie verlor ihren Mann, wurde mit ihren Kindern verschleppt und war dann die persönliche Beute von Carlos. Ja, sie muss ihn hassen mit ganzer Kraft, denn sie ist ja keine Heilige, die verzeihen könnte. Sie ist nur eine ganz normale Frau. * Indes die Nacht stirbt und von Osten her der neue Tag aufsteigt, hockt Menzin wieder in guter Deckung auf der Felsterrasse und bekommt allmählich freie Sicht hinüber zum Pueblo. Als er dann nach Sonnenaufgang sieht, dass bei den Frauen und Kindern alles wie sonst auch in Gang kommt und das Leben und Treiben so ist wie an jedem Morgen, da weiß er, dass Juana alle ihre Mitgefangenen überzeugen konnte. Nun muss nur noch Al Rourke mit den Soldaten kommen. Und er muss vor Carlos und dessen Horde hier eintreffen. Sonst war alles vergebens. Menzin ist sich bewusst, dass alles – wie so oft im Leben – ein Glücksspiel ist und es darauf ankommt, was das Schicksal
beschlossen hat. Oder wird das Schicksal immer noch auf der Seite von Carlos sein, ihn weiterhin gewähren lassen? Menzin ist ebenfalls ein Apache, wenn auch ein Aravaipa-Apache, einem Zweig der Mescaleros. Er kann gut verstehen, dass die Coyoteros um ihr Land kämpfen, sich nicht vertreiben lassen wollen. Er ist gewiss kein Freund der Weißen, die ja eigentlich an den Ureinwohnern Völkermord betreiben. Aber Carlos hat ihm Juana geraubt. Und die Krieger von Carlos’ Horde haben Juana missbraucht, sie entehrt und beschmutzt. Das kann ein Apache wie Menzin nicht vergessen. Dafür muss er sich rächen. Und so wurde auch ein bisher friedlicher Aravaipa-Apache zu einem unversöhnlichen Rächer, der keine Gnade für Carlos kennen kann. Der ganze Tag und die ganze Nacht vergehen, und Menzin beginnt an seinem instinktiven Ahnungsvermögen zu zweifeln. Oder hat er nur falsch gerechnet, weil die Soldaten nicht so zäh und ausdauernd sind wie Apachen? Vielleicht hat es auch Al Rourke gar nicht bis Camp Gila geschafft. Es kann ihm ja unterwegs eine Menge passiert sein – vom Biss einer Klapperschlange bis zum Hinterhalt einiger Apachenkrieger. Die Ungeduld von Menzin steigt stündlich und ist von ihm nur noch schwer unter Kontrolle zu halten. Einige Male ist er schon fast entschlossen, Juana zu holen und mit ihr zu verschwinden. Denn er weiß zu gut, wenn Carlos mit seiner Horde vor den Soldaten heimkehrt, dann ist alles verloren. Immer wieder blickt er von seiner Terrasse in die enge Schlucht hinunter, durch welche Al Rourke mit den Soldaten kommen müsste. Und dann endlich – am späten Vormittag des zweiten Tages nach der zweiten Nacht, da hört er sie kommen. Er weiß sofort,
dass es die Soldaten sind, denn Carlos und dessen Horde würden sich sehr viel leiser bewegen. Und so beginnt er in die Schlucht hinunterzuklettern. Als er unten ist, sieht er Al Rourke kommen. Der Scout ist der Abteilung ein großes Stück voraus. Nun halten sie voreinander und sehen sich an. »Du kommst spät, Hombre.« Menzin grinst. »Aber doch nicht zu spät. Diese Weichlinge von Soldaten konnten wohl nicht schneller?« »Nein, Amigo.« Auch Al Rourke grinst. »Einige sind fast tot. Aber die Hauptsache ist, dass wir nicht zu spät kamen. Was schlägst du vor?« Menzin deutet nach oben. »Ein Dutzend der Soldaten, die besten Schützen, sollten mit mir nach oben auf die Terrasse. Denn wenn einige von Carlos’ Kriegern flüchten wollen, können wir sie von dort aus aufhalten. Ihr anderen müsst zum Pueblo hinüber. Dort gibt es keine Apachenkrieger mehr. Die habe ich vorletzte Nacht getötet. Ihr müsst die Frauen und Kinder alles tun lassen, was sie auch sonst stets getan haben. Und die Soldaten müssen sich im Pueblo gut verbergen. Denn wenn Carlos auch nur den geringsten Anlass hat, Verdacht zu schöpfen, dann…« Menzin verstummt. Dann sehen er und Al Rourke Captain Wellington entgegen, der an der Spitze seiner Abteilung angewankt kommt. Man sieht ihm an, dass er sozusagen auf den Brustwarzen läuft, wie die Soldaten sagen, wenn jemand kurz vor dem Zusammenbruch steht. Wellington hält an und starrt auf Menzin. »Ist er das, Rourke?« So fragt er. »Das ist er.« Al Rourke grinst. »Und Sie sollten ihn wie einen Gentleman behandeln, wie einen guten Freund. Denn er ist es, der Ihnen zu Ruhm und Karriere verhilft.« Der Captain verzieht sein sonnenverbranntes Gesicht.
»Mir ist nicht nach freundlicher Konversation zu Mute«, knirscht er. »Aber wir haben gewiss gemeinsame Interessen. Ich werde dafür sorgen, dass dieser rote Gentleman einen Orden verliehen bekommt.« Er nickt Menzin zu. »Hallo, Señor«, murmelt er und grinst verzerrt. Menzin grinst zurück. »Ich fühle mich geehrt, Sir«, spricht er in einwandfreiem Englisch, das er nur in einer Schule gelernt haben kann, nicht von den weißen Händlern. »Bringen Sie Ihre Männer hinüber ins Pueblo. Ein Dutzend lassen Sie bei mir. Denn vielleicht müssen wir flüchtenden Apachen den Weg verlegen.« Der Captain staunt ihn an. Denn Menzin redet wie ein ihm ebenbürtiger Weißer zu ihm. Doch dann nickt er, wendet sich um und sieht die wartende Doppelreihe seiner Männer an. »Lieutenant Clayton!« »Sir!« Claytons Stimme krächzt nur noch. »Sie bleiben mit einem Dutzend Mann hier. Und Sie richten sich ganz und gar nach den freundlichen Empfehlungen dieses roten Gentleman. Verstanden?« »Yes, Sir!« Die Stimme von Clayton krächzt nun so richtig voll Bitterkeit. Wellington wendet sich wieder an Al Rourke. »Also los, Rourke! Es kann ja wohl nicht mehr weit sein – oder? Das schaffen wir auch noch, verdammt!« * Sally Malton sieht sie kommen mit Al Rourke an der Spitze. O ja, sie erkennt den großen Scout sofort wieder, der ihr und ihrer Familie ein guter Freund geworden war. Sie sagt zu Juana, die neben ihr verharrt: »Juana, das ist er. Das ist der Mann, auf den ich all meine schwachen Hoffnungen
setzte und von dem Menzin uns erzählte. Sieh ihn dir an, Juana. Er und mein Mann sahen sich ähnlich wie Brüder. Ja, das ist er.« In ihrer Stimme ist nun ein Klang von Hoffnung und Zuversicht, so als hätte sie jetzt schon alles überstanden und könnte voller Hoffnung in die Zukunft blicken. Wenig später verhält Al Rourke vor ihnen. »Sally«, sagt er, »ich konnte nicht früher kommen. Es tut mir Leid. Ich war schon vor vielen Tagen hier und sah dich mit deinen Zwillingen. Doch ich sah nicht meine Frau Mary. War sie nicht hier?« »Doch«, erwidert Sally leise und verspürt ein Würgen im Hals. »Sie hat Tzoe gehört. Als sie ihn nicht mehr ertragen konnte – auch euer Sohn war gestorben, weil eine Klapperschlange ihn biss –, da stach sie Tzoe ein Messer in den Bauch. Doch er lebte noch lange genug, um auch sie…« Sally versagt nun die Stimme. Dann sehen sie und Juana den großen, sehnigen Mann leicht wanken und für einen Moment die Augen schließen. Ein Zittern durchläuft seinen Körper. Dann aber hat er sich wieder unter Kontrolle. Er nickt Sally und Juana zu, wirft einen Blick auf die anderen Frauen und Kinder, die sich im Halbkreis versammelt haben. Als er sich umwendet, da sieht er die Doppelreihe der Soldaten mit letzter Kraft herangewankt kommen, völlig ausgebrannt und am Ende. Aber er hat sie hergebracht – alle. Er sieht den Captain an, der nun schnaufend neben ihm verhält. »Also los, Captain«, spricht er heiser, weil ihm etwas die Kehle zuschnürt. »Bringen Sie Ihre Männer ins Pueblo. Und dann sollte keiner von ihnen auch nur die Nasenspitze zeigen.« Er wendet sich an Juana und spricht nun ganz ruhig:
»Señora, wäre es möglich, dass die Frauen und Kinder unsere Fährte quer durch das Tal verwischen und mit ihrer eigenen Fährte zudecken? Ihr solltet auch eure Ziegen und Schafe über unsere Spuren treiben.« »Sicher, Señor.« Juana nickt. »Das werden wir tun bis tief die Schlucht hinein und dorthin, wo deren felsiger Boden keine Spuren mehr erkennen lässt. Wir werden es zuverlässig tun.« Der Captain nickt leicht. Dann geht er weiter. Und die humpelnde, stolpernde, taumelnde Reihe folgt ihm. Die Soldaten sehen das Pueblo vor sich und wissen, dass sie das Ende der Qual erreicht haben. Und auch Wasser wird es dort geben – Wasser, gutes Felsquellwasser. Denn sonst hätten die Pueblos damals nicht ihr Dorf an der Felswand hochgebaut. Al Rourke lässt sie an sich vorbei. Der letzte Mann ist Pat Alvarez. Als dieser an ihm vorbeigeht, grinst er ihn an und sagt: »Ich bin immer noch nicht geplatzt, Al Rourke. Ich weiß, du hast darauf gewartet. Aber ich bin immer noch nicht geplatzt, obwohl ich nicht mehr furze.« Al Rourke nickt und sagt: »Es freut mich, Pat. Ich habe dich nur ein wenig aufgezogen.« Dann sieht er Sally an. »Es wird alles wieder besser«, murmelt er. »Du kannst dich auf mich verlassen.« * Es ist einen ganzen Tag und eine ganze Nacht später, als Carlos mit seiner Horde durch die enge Schlucht kommt, deren Eingang von einem großen Felsen verdeckt wird, den man umgehen muss. Hier wachsen Dornenbüsche, Kakteen, Mescal und Yucca.
Niemand käme auf die Idee, dass sich hinter dem Felsen ein Felsenriss öffnet, der sich ein Stück weiter zu einer schmalen Schlucht verbreitert. Carlos ist zufrieden mit dem letzten Raubzug. Er hat keine Krieger verloren bei seinen Angriffen auf Farmen, Siedlungen, Minen, kleinen Wagenzügen und Postkutschen. Nur einige Krieger wurden verwundet. Sie sind mit reicher Beute beladen. Und sie haben viele Weiße getötet, Männer, Frauen und größere Kinder. Carlos kommt also voller Triumph heim zu seinem Dorf, das einst Pueblos errichteten, jetzt aber ihm und seiner Horde als Schlupfwinkel dient. Carlos denkt jetzt immer intensiver an Sally Malton. Ja, er hat sich nach ihr gesehnt, und er wundert sich über dieses Gefühl. Er hätte niemals gedacht, dass er nach einer Frau solch ein Verlangen spüren könnte. Also muss dieses Gefühl doch wohl so etwas wie Liebe sein. Aber kann ein Mann mit seinem Herzen überhaupt Liebe empfinden? Die Frage verwirrt ihn immer wieder neu. Doch wie könnte er Sally Maltons Zuneigung erringen? Er glaubt nicht, dass dieses möglich ist, selbst nicht, wenn er Geschenke für sie mitbringen würde, Schmuck zum Beispiel. Denn dieser Schmuck oder andere schöne Dinge wären ja geraubt. Er nahm sie Toten weg. Und sogar ein gnadenlos mordender Apache wie Carlos begreift, dass Sally Malton diese Geschenke ablehnen würde. Nein, so kann er die schöne Weiße – und für ihn ist Sally schön und strömt einen starken Zauber aus – nicht erringen, sodass ihr Herz ihm gehört. Und so wird er sie stets nur nehmen können, weil sie überleben will und sich in ihr Schicksal ergeben hat. Diese Gedanken und Gefühle beschäftigen ihn jetzt ganz und gar, indes sie das Ende der Schlucht erreichen.
Vielleicht ist deshalb sein Instinkt – der wie der Instinkt eines Wolfes ist – nicht so wachsam. Und vielleicht nimmt er deshalb die feinen Warnsignale dieses Instinktes nicht wahr. Seine Sinne für lauernde Gefahr sind stumpf. Er denkt zu sehr an Sally Malton. Und immerzu ist auch der Gedanke in ihm, ihr möglichst schnell ein Kind zu machen, einen Sohn. Denn vielleicht – wenn er der Vater eines ihrer Kinder ist – wird sich von ihrer Seite her etwas bessern. Er beginnt nun zu trotten. Denn er will möglichst schnell daheim ankommen. Ja, dieses Pueblo ist sein Heim, sein fester Platz, seine Burg. Er hat es sich damals mit seinen Kriegern erobert. Sie haben die Pueblos alle getötet. Er trottet dann aus der Schlucht in das schmale Tal hinein, sieht vor sich das hoch gebaute Dorf und hat nur noch knapp vierhundert Yards zurückzulegen. Er sieht links von sich die Frauen und größeren Kinder auf den Feldern arbeiten oder die Ziegen hüten. Auch Wäsche wird getrocknet an Leinen. Man schleppt aus dem Pueblo, in dem sich die Quelle befindet, Wasser zu den Feldern hinüber. Es sieht alles ganz normal und harmlos aus. Er sieht ein friedlich wirkendes Dorf und dessen Umgebung. Nur jene vier Krieger, die hier zurückblieben, um ihre Wunden auszuheilen, die sieht er nicht. Und so denkt er grimmig: Die haben wieder Tiswin gebraut und sind betrunken. Aber wir bringen Tequila und Whisky mit, auch Pulque. Wir werden uns mit besserem Feuerwasser betrinken. Und so trottet er weiter und sucht mit seinen scharfen Blicken nach Sally Malton unter den Frauen auf den Maisfeldern. Hinter ihm trotten seine Krieger, welche alle schwere Lasten tragen, reiche Beute, Schmuck, Kleider, Waffen, Proviant, Schnaps, Geld und viele andere Dinge wie Zucker,
Trockenobst, Rauchfleisch, Decken. Sie nahmen alles mit, was sie tragen konnten. Denn für sie sind das große Schätze, die ihnen das Leben hier sichern. Sie alle blicken zu den Frauen, auf das Pueblo. Und keiner von ihnen verspürt das Vorhandensein einer lauernden Gefahr. Inzwischen wurde die heimkehrende Kriegshorde auch von den Frauen und Kindern gesichtet. Sie versammeln sich zu einer dicht gedrängten Gruppe. Es sind ein halbes Hundert Menschen. Und sie alle wissen zu genau, dass dort Carlos mit seiner Horde in den Tod trottet, in eine gnadenlos aufgestellte Falle. Noch ist nichts auf den vier Stockwerken des Pueblos zu sehen. Auch in den Eingängen und in den kleinen, schießschartenähnlichen Löchern in den Wänden nicht. Doch das wird sich jäh ändern, sobald der Trupp auf Schussnähe herangekommen sein wird. * Al Rourke sieht sie zuerst aus dem schmalen Schluchtmaul herauskommen. Seine Stimme klingt spröde und hart, als er ruft: »Es ist so weit, sie kommen! Ihr müsst jetzt nur noch gut genug schießen! Dann ist Frieden und Sicherheit im Land! Denkt daran, dass ihr viele Leben rettet!« Nun erklingen auch die Stimmen der drei Offiziere und der vier Sergeants. Sie sind auf den vier Stockwerken verteilt, und jeder weiß genau, was zu tun ist. Ja, sie müssen nur noch ein wenig warten. Dann ist die Horde nahe genug, und sie haben freies Schussfeld. Es gibt keine Gnade, denn sie alle sahen auf ihren Patrouillenritten und auf der Suche nach Carlos die zerstörten Farmen, Siedlungen, Minen und Ranchos, die Toten, das viele
Blut. Es herrscht erbarmungsloser Krieg. Und der soll jetzt ein Ende haben. Auch Al Rourke verspürt in sich kein Gefühl von Gnade. Er verlor seine Frau und seinen Sohn. Sein Anwesen, welches er mühsam genug mit Hilfe seiner Frau Mary aufgebaut hatte, wurde zerstört. Er hat alles verloren, sodass er den Job eines Armee-Scouts annehmen musste, um ein paar Dollars zu verdienen. Ohne diesen Job wäre er nichts anderes als ein Satteltramp gewesen. Und so wartet er wie ein eiskalter Rächer. Sein Blick richtet sich auf den Apachen an der Spitze. Es muss Carlos sein. Bisher sah er Carlos noch nie aus der Nähe, nur einmal durch das Fernrohr, als Carlos sich auf dem Rand eines Steilhanges zeigte. Er wird sich einmal mehr bewusst, wie sehr sich die Apachen alle gleichen. Sie tragen die gleiche Kleidung, also leichtes Baumwollzeug und Lederwesten, Apachenstiefel und Kopfbänder, mit denen sie ihre schulterlangen Haare bändigen und die auch den Schweiß aufsaugen, wenn sie in sengender Sonne endlose Meilen durch raues Land trotten. Er kann also nicht völlig sicher sein, dass es Carlos ist, der die lange Schlange der Horde anführt. Doch wer sollte sie sonst anführen, wenn nicht er, ihr gewählter Häuptling! Denn die Apachen wählen ihre Anführer auf sehr demokratische Art, wobei auch die Frauen Stimmrecht haben. Er lässt durchgeben, dass nicht geschossen werden darf, bis nicht auch die letzten Krieger der langen Schlange in Schussnähe sind. Und man soll auf den ersten Schuss von ihm warten. Er wird damit das Kommando zum Angriff geben. Captain Wellington kommt zu ihm und verlangt spröde: »Rourke, ich will diesen Carlos lebend. Er soll am Galgen baumeln zur Abschreckung für alle anderen Apachen, die sich
für eine Art Messias halten und irgendwann einen Krieg beginnen wollen. Es gibt noch zu viele von ihnen in New Mexico und Arizona. Ich will ihn lebend, verdammt!« »Das will ich auch«, erwidert Al Rourke. »Ich will ihm in die Augen sehen und ihm sagen, dass er jetzt bei mir seine Schulden bezahlen muss mit seinem Leben. Und weil wir ihn hängen, wird er nicht wie ein Krieger im Kampf sterben und seine Seele deshalb nicht in das Geisterreich der Krieger kommen.« Er verstummt hart. Und der Captain starrt ihn von der Seite her ungläubig an. »Mr Rourke«, murmelt Wellington dann, »ich hätte niemals geglaubt, dass Sie so gnadenlos hassen können wie ein Apache. Wollen Sie mir endlich sagen, was die Apachen Ihnen angetan haben?« »Sie raubten mir die Frau und den Sohn«, erwidert Al Rourke seltsam ruhig. Dann lädt er seinen Spencer-Karabiner durch und spricht: »Captain, Sie bekommen ihn lebendig. Ich schieße ihn in die Schulter und dann ins Bein. Er ist mir nun nahe genug. Ich muss nur schnell genug repetieren.« Er hat kaum ausgesprochen, da schießt er auch schon durch das schießschartenartige Loch in der Wand des Bauwerkes aus Adobe und Bruchsteinen. Carlos bekommt die Kugel in die Schulter, lässt seine Traglast fallen und taumelt einen Schritt zurück, will sich zu Boden fallen lassen, um kein stehendes Ziel mehr zu bieten. Doch Rourke repetiert blitzschnell und trifft ihn noch einmal, diesmal in den linken Oberschenkel. Es sind zwei Schnappschüsse, Meisterschüsse. Und so fällt Carlos – wenn er es wirklich ist – zu Boden und rollt sich in einen Mesquitebusch. Dort bleibt er liegen und stellt sich tot. Denn nun schießen drei Dutzend Gewehre auf vier Dutzend
Apachen. Das Krachen der Waffen erfüllt das ganze Tal. Die Krieger fallen überall. Doch einige suchten Deckung und schießen nun zurück. Sie sehen ja die Mündungsfeuer der Soldaten auf den Stockwerkterrassen des Pueblos. Manche der Krieger sind mehr oder weniger böse getroffen, aber sie schießen zurück. Ihre wilden Schreie sind im Krachen der Schüsse zu hören. Ja, sie wollen wie Krieger sterben, sich nicht ergeben. Einige, die am Ende der langen Schlange trotteten, wenden sich zur Flucht. Sie wollen in die Schlucht zurück, aus der sie ins Tal kamen. Doch als sie schon außer Schussweite des Pueblos sind, da rennen sie in die Kugeln der Abteilung von Lieutenant Clayton und Menzin. Es gibt keine Gnade, so wie es in der Geschichte der Indianerkriege noch niemals Gnade gab. * Carlos stellt sich tot, liegt bewegungslos im Busch, spürt die Stacheln in seinem Fleisch und fühlt auch, wie das Blut aus seinen Wunden rinnt. Eine Weile lang wünscht er sich das Sterben. Doch dann glimmt in seinem Kern schon wieder ein Funken Hoffnung. Denn wenn sie ihn hier im Busch liegen lassen, weil sie ihn für tot halten… Er denkt nicht weiter, doch die Hoffnung in ihm wird etwas stärker. Die Soldaten werden die toten Apachen gewiss nicht in Gräbern bestatten. Nein, das war noch niemals so. Und so werden sie ihn hier liegen lassen. Doch dann fassen ihn zwei starke Hände um die Fußknöchel und ziehen ihn aus dem Busch heraus. Er bekommt noch sein
Messer in die Hand und bäumt sich auf, um es dem Mann in den Unterleib zu stoßen, doch der Mann weicht blitzschnell zurück und tritt ihm gegen das Kinn. Da verliert Carlos das Bewusstsein. Es werden wenig später von den Soldaten noch sieben verwundete Apachen gefunden. Die Stimme des Captains gellt durch das schmale Tal: »Alle Verwundeten nehmen wir mit! Ich will sie als Gefangene nach Camp Gila bringen!« Sie hören es und halten sich zurück. Ja, sie hätten die verwundeten Apachen mit ihren Gewehrkolben erschlagen wie böse Ungeheuer oder wilde Tiere. Denn der Hass ist auf beiden Seiten zu groß. Und Hass ist ja wie eine böse Krankheit. Der Captain tritt neben Al Rourke, der zu Füßen des bewusstlosen Carlos steht und auf ihn nieder sieht. »Das ist er, nicht wahr?« So fragt Wellington gierig. Der Scout sieht ihn an. »Ja, ich glaube, es ist Carlos.« »Wir werden ihm in Camp Gila einen prächtigen Galgen errichten«, verspricht der Captain. »Und wenn er dort baumelt, wird sich niemand mehr in diesem Land vor ihm fürchten müssen.« Er macht eine kleine Pause und spricht dann weiter: »Das wird wohl noch ein hartes Stück Arbeit, alle Frauen und Kinder, dazu noch die Gefangenen nach Camp Gila zu bringen.« Da grinst ihn Al Rourke grimmig und bitter an und spricht heiser: »Die Frauen und Kinder sind zu Fuß gewiss besser als Ihre Soldaten, Captain.« Nach diesen Worten geht er davon. Denn bei der dicht gedrängten Gruppe der Frauen und Kinder, da sieht er Sally Malton ein wenig abseits mit den beiden kleinen Zwillingen. Nur eine Apachin ist bei ihr. Er geht mit langen, federnden Schritten auf Sally und Juana zu.
»Es ist vorbei«, spricht er. »Sally, ich bringe euch hin, wohin ihr wollt. Aber zuerst sollten wir mit nach Camp Gila.« Sally und Juana sehen ihn an. Dann spricht Sally: »Und von Camp Gila will ich heim auf meine Farm. Sie ist unser einziger Besitz.« Bevor noch jemand etwas sagen kann, stößt Juana einen Freudenschrei aus und beginnt zu laufen. Denn sie sieht Menzin aus der Schlucht kommen. Sally und Al Rourke sehen dann, wie sich Juana und Menzin in die Arme fallen. »Das ist eine wirklich große Liebe zwischen ihnen«, murmelt Sally. »Nur wir, Allan, haben unsere Liebe verloren – du deine Frau und deinen Sohn, ich meinen Mann. Aber ich will zu unserer Farm zurück.« »Die ist niedergebrannt und fast völlig zerstört«, erwidert Al Rourke. »Was willst du da noch mit den beiden Kleinen?« Sally schüttelt den Kopf. »Unter den Trümmern ist unser Kühlkeller. Sie haben ihn nicht entdeckt. In diesem Kühlkeller sind viele Vorräte. Ich kann mit meinen Söhnen davon viele Monate leben. Es ist auch Geld versteckt, zweihundert Golddollar. Ich werde alles wieder aufbauen für Jacks Söhne. Wir haben dort noch Vieh in der Umgebung. Und auch Felder können bald geerntet werden. Wirst du mich hinbringen, Allan?« Er blickt in ihre blaugrünen Augen und erkennt darin, dass sie um ihre Zukunft kämpfen will – die ja auch die Zukunft ihrer Söhne sein wird. Und in diesem Augenblick erkennt er Sally erst richtig. Was für eine Frau, denkt er. * Es ist eine ganze Woche später, als sie zurück in Camp Gila sind.
Es ist ein langer Zug, angeführt von Captain Wellington, der stolz wie ein heimkehrender Heerführer an der Spitze reitet und sich vielleicht sogar wie sein Namensvetter Caesar an der Spitze siegreicher Legionen fühlt. Ja, so etwa ist der Eindruck, den er macht. Denn hat er nicht den Auftrag von General Crook hundertprozentig erledigt? Hat er nicht das ganze Gila-Gebiet von der Geißel Carlos befreit und für die Siedler, Landsucher, Farmer und Rancher wieder sicher gemacht? Ja, er kann mit einer Beförderung außer der Reihe rechnen. Und so führt er den langen Zug der Soldaten, Frauen und Kinder an. Sie mussten die mehr oder weniger verwundeten Gefangenen bis zu den wartenden Pferden transportieren. Das waren fünfzig Meilen, die sie in drei Tagen schafften. Die Soldaten mussten Carlos abwechselnd schleppen, als wäre Carlos einer von ihnen. Und so verfluchten sie ständig die Idee des Captains, ihn erst in Camp Gila unter der siegreichen Flagge der Union und an einem richtigen Galgen aufzuhängen. Sie hätten ihn zu gern an einem alten Cottonwood hochgezogen, die Schlinge um den Hals. Aber der Captain wollte einen besonderen Triumph ganz nach dem Ritual der Armee. Als der lange Zug dann die zurückgelassenen Pferde erreichte, wurde alles leichter, auch für die Frauen und Kinder. Auf Al Rourkes Pferd sitzt Sally Malton mit ihren kleinen Zwillingen. Er geht zu Fuß und zieht seinen zähen Mustang hinter sich her. Das tun viele Soldaten ähnlich, denn auf ihren Pferden hocken die verwundeten Apachen oder erschöpfte Frauen mit kleinen Kindern, die sie sonst tragen müssten. Denn es war ein langer und kräftezehrender Marsch durch raues Land unter heißer Sonne, deren Hitze über dem Boden flimmert.
Manchmal sieht Al Rourke sich um und zu Sally hinauf. Dann schenkt sie ihm stets ein ernstes Lächeln, und es ist ein stillschweigendes Einverständnis zwischen ihnen. Auch Windy Pat Alvarez geht zu Fuß und zieht sein Pferd hinter sich her. In seinem Sattel hockt ein Apachenkrieger, der eine böse Beinwunde hat. Sein zerschossenes Knie hat sich entzündet. Wahrscheinlich hat er keine Chance mehr, weil die Entzündung bereits sein Blut vergiftet hat, sodass er auch nicht mehr zu retten wäre, wenn man ihm das Bein oberhalb des Knies abhacken würde. Er ist verloren und weiß es zumindest seit einem Tag. Windy Pat Alvarez wendet sich ebenfalls manchmal um wie Al Rourke. Doch er blickt dann nicht wie dieser zu Sally und den Kindern hoch, sondern sieht immer nur in das harte Gesicht des Apachen, dessen Name Nanchez ist. Die Augen von Nanchez funkeln voller Hass. Pat Alvarez wünscht sich in einem solchen Augenblick, er könnte noch furzen, um dem Apachen seine ganze Verachtung zu zeigen. Doch das kann er nicht mehr. Seit er den pampigen Sud jener Mexikanerin schluckte, hat sich seine Darmflora total verändert. Und so spricht er wieder einmal zu Nanchez hinauf: »Du wirst verrecken. Aber du verreckst zu spät. Denn jetzt sind wir in Camp Gila. Da vor uns liegt es. Und ich musste den ganzen Weg laufen, damit du es bequem hast, Apache. Warum bist du nicht schon vor zwei Tagen verreckt, als wir unsere Pferde erreichten?« Nanchez gibt ihm keine Antwort. Er verzieht nur sein hartes Gesicht zu einer Fratze und lässt den Hass in den funkelnden Augen noch stärker erkennen. Alvarez lässt sich zwei Schritte zurückfallen, sodass er neben dem Steigbügel des Pferdes geht.
Und dann hebt er die Faust und schlägt mit aller Kraft gegen das zerschossene und bereits vom Wundbrand befallene Knie des Apachen. »Das ist mein Abschiedsgeschenk für dich, du Hurensohn«, faucht er dabei. Der Apache krümmt sich vor Schmerz im Sattel und kann ein Stöhnen nicht unterdrücken. Doch dann geschieht das Unerwartete, Unfassbare. Von irgendwoher bringt Nanchez ein Messer zum Vorschein, beugt sich weit aus dem Sattel und schlitzt Windy Pat Alvarez mit einer blitzschnellen Bewegung den Hals genau dort auf, wo sich die Halsschlagader befindet. Und mit der nächsten schnellen Bewegung stößt er sich das Messer in die eigene Brust. Pat Alvarez aber bleibt stehen und blickt zur Seite, wo aus seinem Hals das Leben rinnt. »Oooh«, stöhnt er noch. Dann fällt er auf die Knie. Und Nanchez fällt vom Pferd. Und so liegen sie beide nebeneinander am Boden und sterben in derselben Minute. Die lange Kolonne gerät ins Stocken. Sie ist nur noch drei oder vier Steinwurfweiten von Camp Gila entfernt. Dort hat man sie längst gesichtet und alles sehen können. Auch Al Rourke hat angehalten und blickt zu Sally hoch. Die schüttelt fassungslos den Kopf und blickt dann auf ihre Zwillinge nieder, die sie rechts und links auf ihren Schenkeln sitzen hat und in den Armen hält. »Und du willst immer noch auf deine abgebrannte und zerstörte Farm?« So fragt Al Rourke zu ihr hoch. »Dieses Land kommt noch lange nicht zur Ruhe«, fügt er hinzu. »Es wird immer wieder einen neuen Carlos geben, denn die Apachen in den Reservaten haben keine andere Wahl. Ihr Freiheitswillen ist immer stärker sein als die Einsicht, dass sie für immer
verloren haben, keine Jäger und Eroberer mehr sein können und zum Untergang verurteilt sind. Sie bekommen in den Reservaten oft nicht das, was ihnen versprochen wurde, damit sie sich ergeben sollten. Sally, ich…« Sie unterbricht ihn spröde. »Nein, Allan, versprich mir nichts! Die Farm ist alles, was ich habe. Ich will dorthin zurück.« Und so sagt er nichts mehr. * Es ist wieder eine Woche später, als in Camp Gila der Galgen für Carlos aus behauenen Stämmen eines alten Cottonwoods fertig ist. Und um zwölf Uhr Mittag versammeln sich alle Menschen von Camp Gila rings um den Galgen. Die Soldaten sind angetreten. Und die Zivilisten, die hier Zuflucht fanden, und ein Frachtwagenzug, der nicht weiterzufahren wagte, drängen sich am Rand des Exerzierplatzes. Carlos ist wieder halbwegs gesund, um auf eigenen Füßen stehen zu können. Man hat ihm sogar saubere Kleidung gegeben. Er trägt ein weißes Kopfband um die schwarzen Haare und wirkt gar nicht mehr so gefährlich. Eigentlich sieht er jetzt aus wie ein ganz durchschnittlicher Apache. Dennoch hat er lange Zeit einen ganzen Landstrich in Angst und Schrecken versetzt. Als er im Schatten der Flagge unter dem Galgen steht, schmettert der Hornist ein Signal, das meilenweit in die Runde schallt. Dann liest Master Sergeant Hogjaw Pesulsky das Urteil vor, welches nach Kriegsrecht ausgesprochen wurde. Man legt Carlos dann die Schlinge um den Hals, und alle Augen sind auf ihn gerichtet – auch die der sieben Krieger, die
wie er verwundet gefangen wurden. Sie sollen zusehen, wie ihr Anführer am Hals hochgezogen wird. Man wird sie zur Strafe in einem Steinbruch arbeiten lassen, bis man sie irgendwann in ein Reservat entlässt. So ist es geplant. Captain Caesar Wellington steht vor der angetretenen Truppe. Wenn er den Arm hebt, wird dies das Zeichen für den Henker sein. Und so warten sie alle. Nur Carlos wirkt seltsam teilnahmslos. Wellington zögert noch. Vielleicht genießt er den Augenblick als Sieger. Oder er wartet noch auf ein Zeichen von Carlos, auf eine Reaktion von ihm. Doch Carlos bleibt äußerlich teilnahmslos. Da will der Captain den Arm gen Himmel strecken. Und weil es so still ist, hören sie plötzlich alle den Hufschlag von Reitern. Die nähern sich im Galopp von Osten, also auf dem Weg von Fort Apache her. Alle Köpfe fahren herum, alle Augen blicken ihnen entgegen. Sie sehen eine kleine Reitergruppe kommen, etwa eine halbe Patrouille stark, also sechs Mann hinter einem Offizier. Dann kommen die Reiter auch schon in das Geviert um den Galgen, reißen ihre Pferde zurück und wirbeln eine Menge Staub auf. Der Offizier springt aus dem Sattel, tritt vor den Captain und salutiert. Dann schnarrt er heiser und laut: »Sir, Lieutenant Warwick aus Fort Apache mit einem Befehl von General Crook an Captain Wellington oder den jeweiligen Kommandeur von Camp Gila! Sir, ich habe es schriftlich.« Er holt einen braunen Umschlag aus seiner Uniformjacke und reicht ihn Wellington.
Dieser öffnet ihn, entnimmt ihm ein Papier, faltet es auf und liest lange. Er liest den Befehl offenbar drei Mal. Dann starrt er zu Carlos hin und ruft halblaut: »Sergeant Pesulsky, legen Sie Carlos und die sieben Krieger wieder in Ketten. Sie alle werden auf Befehl von General Crook morgen nach Fort Apache gebracht.« Er sieht den Lieutenant an, der ihm Crooks Befehl überbrachte. »Sie können die Gefangenen morgen übernehmen, Lieutenant. Ich gebe Ihnen einen ganzen Reiterzug mit.« »Das wird nicht nötig sein, Sir«, erwidert der junge Lieutenant und salutiert. Wellington erwidert die Ehrenbezeugung dankend und wendet sich ab. Mit langen Schritten und ohne auch nur noch einen einzigen Blick auf Carlos zu werfen, geht er davon und verschwindet in seinem Kommandeurszelt, zu dem er es keine hundert Schritte weit hat. Kommandos ertönen. Alles löst sich auf. Carlos und die anderen Gefangenen werden wieder zu den Pfählen gebracht, wo sie angekettet werden wie wilde Raubtiere. Und Captain Caesar Wellington nimmt in seinem Zelt einige Schlucke Brandy aus der Flasche und versucht seine Niederlage zu verdauen, die er soeben schlucken musste wie Kröten. Ja, er empfindet es als Niederlage. Zu gerne hätte er Carlos hängen lassen. Aber das wird General Crook tun können. Er wird letztlich der Sieger über Carlos sein. Und so erlebt Captain Wellington wieder einmal mehr, dass bei der Armee stets die höchsten Vorgesetzten den Ruhm ernten. Alle Zeitungen des Ostens werden General Crook rühmen. Und er, der rangniedrigere Captain… Er denkt nicht weiter, sondern hebt erneut den Boden der Flasche gen Himmel, den er jedoch im Zelt nicht sehen kann
und von dem er sich verlassen fühlt. * Es ist einige Tage später, als Sally Malton mit ihren Zwillingen Jim und Bill zurück auf die zerstörte Farm kommt. Al Rourke ist bei ihr. Überdies kamen noch drei Männer aus Camp Gila mit in einem Wagen. Es sind Männer, die sich ein paar Dollars verdienen wollen für ihre Familien, welche sie später nachholen wollen, um sich auf anderen zerstörten Farmen oder Siedlerstätten festzusetzen, die ja herrenlos wurden. Sie räumen dann alle gemeinsam die Trümmer und die Asche weg, finden die Luke des Kühlkellers und öffnen sie. Sally klettert allein hinunter und kommt wenig später mit dem Lederbeutel hoch, in dem sich zweihundert Golddollar befinden. Sie zeigt ihnen ihre Barschaft und lächelt glücklich, zumindest aber erleichtert. Dann spricht sie zu den drei Männern: »Sie sehen, dass ich Ihnen den ausgemachten Lohn zahlen kann, nämlich pro Mann zwei Dollar am Tag und die Verpflegung. Mein Kühlkeller ist voller Vorräte. Fangen wir an, Leute.« Sie wendet sich Al Rourke zu: »Du siehst, ich habe nicht zu viel erwartet. Wenn du mir noch helfen möchtest, dann such unser Vieh. Es ist vielleicht meilenweit in der Runde verstreut. Wir hatten auch zwei Milchkühe…« Sie bricht ab, weil ihre beiden Kinder nun zu plärren beginnen, wie es Kleinkinder nun mal tun, wenn ihnen etwas nicht passt und sie sich mit Worten noch nicht ausdrücken können. Aber es ist sicher, dass Jim und Bill Hunger haben und deshalb quengeln. Und so beginnt nun das Leben und Treiben auf der Farm
von Sally Malton. Vier Männer hat sie bei sich, die sie mit ihren Vorräten gut versorgen und bei Kräften halten kann, sodass sie gewiss nicht vom Fleisch fallen bei der Arbeit. * Es ist dann spät am Abend, kurz vor Nachtanbruch, als Sally vor dem Grab ihres Mannes steht. Al Rourke hat ihr den großen Stein gezeigt, wo das Grab mit Jack Maltons Überresten, die sie im Maisfeld fanden, zu finden ist. Sie bleibt bis zum Anbruch der Nacht am Grab und hält Zwiesprache mit dem Toten. Ja, es ist ihr, als würde Jack antworten. Aber dann hört sie Al Rourke kommen, der ja nun kein Armee-Scout mehr ist, weil er diesen Job aufgab. Sie wendet sich ihm zu. Groß und für sie so stark und zuverlässig wirkend verharrt er vor ihr in der Nacht. Bei den Trümmern und Resten der Farm steht der Wagen und sitzen die drei Männer an einem Feuer. Sie haben schon einige Stunden hart gearbeitet. Sally tritt langsam an Al Rourke heran, bis sie ihn berühren oder er mühelos nach ihr greifen könnte. Dann fragt sie etwas spröde: »Allan, wir müssen das von Anfang an klären – oder siehst du das nicht so? Ich muss dich fragen, was du dir versprichst. Oh, ich bin dir sehr dankbar. Du hast mir geholfen wie ein echter Freund in der Not. Ich hatte und habe nur dich. Aber…« »Sei still«, unterbricht er sie. »Jack und ich, wir waren Freunde. Wir hätten Brüder sein können, so sehr waren wir uns in vielen Dingen ähnlich. Und umgekehrt hätte Jack auch meiner Frau beigestanden. Ich verspreche mir nichts, denn ich weiß zu gut, wie sehr du Jack geliebt hast. Du wirst ihn gewiss nie in deinem Leben vergessen können. Und ich kann meine
Mary nicht vergessen. Wir beide haben alles verloren, was uns wichtig war, wichtiger als unser Leben. Doch irgendwann muss man neu anfangen. Ich will dir auch helfen, Carlos zu vergessen. Also lass mich in deiner Nähe. Es würde mich sehr glücklich machen, wenn wir etwas schaffen können, was uns heute nicht möglich scheint. Warten wir ab. Ich bin dein treuer Freund, so lange du das willst.« Er wendet sich nach diesen Worten ab und geht zum Feuer hinüber, setzt sich dort zu den Männern. Sally aber verharrt noch. Dann wendet sie sich dem Grab wieder zu und flüstert: »Jack, ich will deine Söhne groß bekommen. Und sie sollen glücklich werden auf dieser Erde. Ich will Carlos vergessen und mich eines Tages wieder rein und nicht beschmutzt fühlen. Ich will kämpfen. Ich brauche Allan, und ich weiß, es wäre dir recht.« Sie verharrt noch eine Weile. Fast ist es so, als wartete sie auf eine Antwort aus dem Grab. Nach einer Weile glaubt sie etwas zu spüren. Doch vielleicht bildet sie sich das nur ein. Dennoch ist es ein gutes Gefühl, so als wäre sie auf dem besten Weg, mit sich ins Reine zu kommen. Denn das Leben geht weiter. * Die Tage vergehen. Sie arbeiten von früh bis spät. Die drei Männer, deren Familien noch in Camp Gila warten, verdienen sich ihre zwei Dollar pro Mann und Tag mehr als redlich. Aber sie wollen ja auch gute Nachbarn werden, wenn sie sich in der Nähe auf den zerstörten anderen Farmen niederlassen, sobald sie ihre Familien aus Camp Gila geholt haben. Al Rourke durchstreift die Umgebung in meilenweiter Runde und treibt das abgewanderte Vieh wieder in die Nähe der Farm zurück. Die Ziegen und Schafe haben inzwischen einigen
Nachwuchs bekommen. Und eine der beiden Milchkühe hat gekalbt. Manchmal, wenn sie am Abend nach einem langen Tagewerk alle beim Essen sitzen, da reden sie auch über Carlos, von dem sie glauben, dass er inzwischen von einem Armeehenker gehenkt wurde. Und so reden sie auch darüber, dass dieses Land hier im Gila-Gebiet nun endlich aufblühen wird. Denn für all die getöteten Siedler, Farmer und Rancher, ebenso auch für die Minenleute, da würden neue kommen. Der Zustrom, der das Land in den nächsten zehn oder zwanzig Jahren füllen wird, ist nicht mehr aufzuhalten. Vielleicht war Carlos der letzte Apache, der das versuchte. Auch Al Rourke denkt oft an Carlos und verspürt dann stets ein ungutes Gefühl. Besorgt fragt er sich, warum dieses Gefühl in ihm hochsteigt wie eine böse Ahnung eines lauernden Unheils. Doch von Carlos kann kein Unheil mehr ausgehen. Wenn die Armee ihn nach Kriegsrecht noch nicht gehenkt hat, dann liegt er zumindest in Ketten und muss auf General Crook warten, weil dieser der Hinrichtung durch den Strang persönlich beiwohnen will. Es vergehen zwei Wochen. Dann sind die drei Helfer fertig mit ihrer Arbeit. Die dreiräumige Hütte ist wieder aufgebaut. Ihre Adobewände waren ja nicht eingestürzt, nur da und dort beschädigt. Die Hütte – ebenso auch der Schuppen und die Scheune, bekamen neue Dächer aus Maisstroh. Es fehlt natürlich an all der üblichen Einrichtung, denn die ist ja verbrannt. Nur die Werkzeuge aus Eisen und Stahl, die man in der Asche fand, sind noch zu gebrauchen. Hämmer und Äxte bekamen neue Stiele. Und auch der Schleifstein, der neben dem Brunnen stand, ist
noch zu gebrauchen. Es kommt also der Tag, an dem die drei Helfer Abschied nehmen. Wenn sie von Camp Gila mit ihren Familien und Planwagen wieder zurückkommen, um sich in der Nähe niederzulassen, werden sie für Sally einige notwendige Dinge mitbringen. Sally, Al Rourke und die Kinder blicken dem abfahrenden Wagen nach. Dann sehen Sally und Al Rourke sich an. »Nun sind wir allein«, spricht Sally ruhig und fragt dann: »Wo wirst du jetzt schlafen, Allan, im Schuppen so wie bisher mit den drei Helfern – oder…?« Sie bricht ab und sieht ihn fest an. Und er weiß, dass er zu ihr ziehen könnte. Sie würde sich nicht dagegen wehren, denn sie braucht ihn zu sehr. Ohne ihn wäre das Leben hier mit den beiden Kindern für sie sehr viel schwerer. Der Mais muss geerntet werden. Er ist schon überreif. Und es müssen noch viele, viele andere Dinge erledigt werden. Sally könnte ihn nicht abweisen. Er lächelt sie ernst an und erwidert: »Sally, ich werde im Schuppen schlafen, bis du mich eines Tages – oder in einer Nacht – zu dir rufst. Ich kann dir Zeit lassen, warten. Es wird an dir liegen.« Als er verstummt, werden ihre grünblauen Augen für einen Moment groß, und sie muss ein wenig mühsam schlucken. Dann spricht sie ruhig: »Gut, Allan, gut. Ja, ich brauche Zeit. Wir können nicht so einfach unsere große Liebe vergessen, du nicht deine Mary und ich nicht meinen Jack. Das braucht Zeit, obwohl wir wissen, dass Mary und Jack damit einverstanden wären, wenn wir eines Tages ein Paar würden. Aber es braucht Zeit.« Sie wendet sich ab und sieht ihre beiden Kleinen an. Ihr wird wieder bewusst, wie sehr sie Allan braucht. Und obwohl er diese Abhängigkeit ausnutzen konnte, hat er es nicht
versucht. Und so spürt sie in diesem Moment, dass sie Allan Rourke eines Tages mit dem Herzen wird lieben können. * Abermals vergehen einige Tage, und es gibt ständig eine Menge Arbeit. Sie bringen die Maisernte ein. Sally bringt ihren verwilderten Gemüsegarten wieder in Ordnung, erntet Kartoffeln, Gemüsewurzeln und legt neue Beete an. Dann bekommen sie den ersten Besuch. Es sind ihre drei einstigen Helfer mit ihren Familien. Sie bringen ihnen wichtige Dinge mit, die sie in Camp Gila von einem fahrenden Händler kauften. Sally bezahlt zur Hälfte mit einem Teil ihrer Ernte, zur anderen Hälfte mit ihrem letzten Geld. Doch sie haben nun Gerätschaften für die Küche, weitere Werkzeuge, Decken, Wäsche und Kleidung zum Wechseln. Es geht aufwärts, und sie wissen, dass sie nun in einigen Meilen Entfernung Nachbarn haben. Aber was sind in diesem weiten Land schon einige Meilen? Sie sitzen an einem dieser erfreulichen Tage beim Mittagessen unter dem vorgezogenen Schutzdach der Hütte, als sie einen Reiter kommen sehen, den sie schon aus einiger Entfernung erkennen. Es ist einer der Armee-Scouts von Camp Gila. Als er bei ihnen absitzt, sagt Sally ruhig: »Willkommen, Mr Slade. Das ist doch Ihr Name, wenn ich mich richtig erinnere – oder? Sitzen Sie ab und essen Sie mit uns! Der Tränketrog am Brunnen ist gefüllt, wenn Sie sich zuvor den Staub abwaschen und Ihr Pferd tränken wollen. Sie haben es gewiss nicht eilig.« Der Scout sitzt einige Atemzüge lang bewegungslos im Sattel. Er nimmt seine Füße aus den Steigbügeln und lässt die Beine einfach hängen.
»Ich sehe, Mrs Malton, es geht Ihnen und Ihren Kindern gut. Ja, ich kann es richtig sehen, und das freut mich sehr. Ich nehme Ihre Einladung dankbar an.« Er zieht sein Pferd herum und lenkt es bis zum Wassertrog beim Brunnen. Sally aber geht in die Küche, um für ihn einen Blechteller zu holen. Al Rourke aber bleibt still sitzen und beobachtet den Scout. Er verspürt eine ungute Ahnung und fragt sich, warum Slade hergekommen ist. Die beiden Zwillinge haben schon ihren Brei zu essen bekommen und spielen zu seinen Füßen mit kleinen Holzpferdchen, die er ihnen schnitzte. Aber er hat seinen Blick nur auf Slade gerichtet. Sally kommt nun aus der Hütte mit dem Teller, den sie mit einem Stew füllte, also einem Brei aus Fleisch und Kartoffeln, gut gewürzt. Slade kommt langsam herüber, so als zögerte er aus irgendeinem Grund. Doch dann setzt er sich, trinkt einen Schluck Wasser und beginnt schweigend zu essen, hält dabei den Blick nur auf den Teller gerichtet. Nach einer Weile sagt Al Rourke hart: »Sag es uns, Slade, sag es uns endlich! Was führte dich her? Heraus damit, verdammt!« Da sieht ihn der Scout ernst an und spricht: »Carlos ist den verdammten Ärschen in Fort Apache entkommen. Vergeben Sie mir, Mrs Malton. Es sind dort wirklich die allerletzten Ärsche. Carlos ist wieder frei. Als die Nachricht nach Camp Gila kam, schickte mich der Captain sofort los. Er meint, dass Carlos sich zuerst an dir rächen wollen wird. Und dann ist ja auch noch Mrs Malton hier…« Er verstummt zögernd. Doch er hätte gewiss den Satz mit den Worten beenden
können: »… die ja seine Frau war und die er sich zurückholen möchte mit den beiden Kindern, die er als seine betrachtet und zu Apachen machen will. Carlos ist ein Verrückter.« Der Scout Slade hat nun alles gesagt. Er leert den Teller, erhebt sich und greift vor Sally an den alten Hut. »Ich bedanke mich, Mrs Malton. Doch ich muss weiter, die anderen Siedler warnen. Carlos kann schon in der Nähe sein.« Er erhebt sich und geht hinüber zu seinem Pferd. Dann reitet er davon, folgt den Wagenfährten, die ihn von hier aus zu den anderen Siedlern führen werden. Sally sitzt ganz still und starrt ins Leere. Al Rourke aber spricht ruhig zu ihr: »Er soll nur kommen. Ich warte auf ihn. Er wird allein sein. So schnell konnte er keine neuen Krieger um sich sammeln. Er wird allein kommen, um dich und die Kinder zu holen. Er konnte sich leicht ausrechnen, wo er euch finden würde. Fürchte dich nicht, Sally.« Sie sieht ihn fest an. Dann murmelt sie fast tonlos: »Diesmal würde ich mich mit meinen Kindern lieber umbringen, als nochmals…« Sie springt auf, nimmt die beiden Kleinen vom Boden hoch und läuft in die Hütte, wirft von innen die Tür zu. Al Rourke aber bleibt noch bewegungslos sitzen. Er lauscht nun auf seinen Instinkt. Und da spürt er es. Es ist das untrügliche Gefühl von Gefahr, eine böse Vorahnung. Der Scout Slade ist gewiss noch keine halbe Meile weit weg. Deshalb ist der Knall eines Schusses laut genug zu hören. Und so weiß Al Rourke, dass Carlos den Scout fast schon eingeholt hatte. Wahrscheinlich hat Slade geschossen. Aber hat er Carlos getroffen – oder war es nur der Warnschuss eines Sterbenden? *
Der Tag vergeht mit dem Warten auf Carlos. Und dann wird es Nacht. Sally bleibt mit den Kindern in der Hütte. Doch Al Rourke hält sich weiterhin draußen auf. Als es Nacht wird, setzt er sich an den Brunnen. Er kann nichts anderes tun als warten, lauschen, wittern, sich auf seinen Instinkt verlassen. Ja, er ist davon überzeugt, dass er die Nähe von Carlos spüren wird. Die Warnsignale werden sich noch mehr in ihm verstärken. Doch die Nacht vergeht. Er hört nur die Stimmen der Nacht wie sonst auch. Einmal plärren die Zwillinge in der Hütte. Er hört Sallys beruhigende Stimme. Manchmal schnaubt sein Pferd im Corral. Aber er kann die Nähe von Carlos nicht spüren. Sollte ihn der Scout Slade mit seinem einzigen Schuss getötet haben? Aber dann wäre Slade bestimmt noch einmal hergekommen. Es wird dann Tag, und nichts ist geschehen. Al Rourke erhebt sich und hat nun die gemauerte Brunnenumrandung nicht mehr als Deckung im Rücken. Nun endlich spürt er die Gefahr. Als er über die Schulter blickt, da sieht er Carlos. Dieser ist in der Nacht bis zur anderen Seite der Brunnenmauer gekrochen und hat gewartet. Carlos zielt mit einem Gewehr auf ihn. Er aber müsste sich erst umwenden, um schießen zu können mit seinem Revolver, den er auch beim Herumwirbeln erst noch ziehen müsste. Und so weiß er, dass er verloren hat. Carlos wird ihn in den nächsten Sekunden töten. Und dann wird er sich Sally und die Kinder holen, um eine neue Horde zu gründen mit anderen Kriegern, anderen
geraubten Frauen und Kindern. Carlos wird noch einmal von vorn anfangen, und das wird er immer wieder tun, so lange er am Leben ist. Aber dann kracht ein Schuss. Die Kugel – es ist eine schwere Sharps, die da feuert – reißt Carlos den halben Kopf weg, denn solch eine Kugel fällt selbst einen Büffelbullen. Carlos fällt fast in den Brunnen. Al Rourke aber sieht an Carlos vorbei und erkennt in einiger Entfernung Menzin. Ja, es ist Menzin. Dieser winkt ihm zu und wendet sich ab, trottet davon. Denn er ist Al Rourke nicht zur Hilfe gekommen. Er war nur deshalb hinter Carlos her, um eine persönliche Rechnung zu begleichen. Allan wendet sich der Hütte zu, geht dann hinüber und ruft hinein: »Es ist alles vorbei, Sally! Carlos ist tot! Es ist für immer vorbei!« ENDE