Birgit Pfau-Effinger · Sladana Sakacˇ Magdalenic´ Christof Wolf (Hrsg.) International vergleichende Sozialforschung
Birgit Pfau-Effinger Sladana Sakacˇ Magdalenic´ Christof Wolf (Hrsg.)
International vergleichende Sozialforschung Ansätze und Messkonzepte unter den Bedingungen der Globalisierung
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. 1. Auflage 2009 Alle Rechte vorbehalten © VS Verlag für Sozialwissenschaften | GWV Fachverlage GmbH, Wiesbaden 2009 Lektorat: Katrin Emmerich / Marianne Schultheis VS Verlag für Sozialwissenschaften ist Teil der Fachverlagsgruppe Springer Science+Business Media. www.vs-verlag.de Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlags unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Die Wiedergabe von Gebrauchsnamen, Handelsnamen, Warenbezeichnungen usw. in diesem Werk berechtigt auch ohne besondere Kennzeichnung nicht zu der Annahme, dass solche Namen im Sinne der Warenzeichen- und Markenschutz-Gesetzgebung als frei zu betrachten wären und daher von jedermann benutzt werden dürften. Umschlaggestaltung: KünkelLopka Medienentwicklung, Heidelberg Gedruckt auf säurefreiem und chlorfrei gebleichtem Papier Printed in Germany ISBN 978-3-531-16524-0
Inhalt
Birgit Pfau-Effinger, Slaðana Saka
Magdaleni, Christof Wolf Zentrale Fragen der international vergleichenden Sozialforschung unter dem Aspekt der Globalisierung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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Hans-Peter Blossfeld, Dirk Hofäcker, Marcel Raab, Michael Ruland, Sandra Buchholz Globalisierungsprozesse in modernen Gesellschaften Theoretische Grundlagen, empirische Erfassung und Auswirkungen auf individuelle Lebensverlaufmuster . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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Jürgen Beyer Spielarten des Kapitalismus – Empirische Einwände gegen die Verfestigungsannahme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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Raj Kollmorgen Postsozialistische Wohlfahrtsregime in Europa – Teil der „Drei Welten“ oder eigener Typus? Ein empirisch gestützter Rekonzeptualisierungsversuch . . . . . . . . . . . .
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Henning Lohmann Konzept und Messung von Defamilisierung in international vergleichender Perspektive . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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Cornelia Weins Messinstrumente im internationalen Vergleich Möglichkeiten und Grenzen der Analyse von Vorurteilen. . . . . . . . . . . . 129 Volker Müller-Benedict Internationale Indikatoren der Schulwirksamkeit, angewandt auf Entwicklungsländer Das Beispiel Honduras zeigt die Probleme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 153
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Inhalt
Reinhard Pollak, Heike Wirth, Felix Weiss, Gerrit Bauer, Walter Müller On the Comparative Measurement of Supervisory Status using the Examples of the ESS and the EU-LFS . . . . . . . . . . . . . . . . . 173 Uwe Warner, Jürgen H.P. Hoffmeyer-Zlotnik Das Konzept des „privaten Haushalts“ in international vergleichenden sozialwissenschaftlichen Umfragen und dessen Operationalisierung . . . . . 207 Verzeichnis der Autorinnen und Autoren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 229
Zentrale Fragen der international vergleichenden Sozialforschung unter dem Aspekt der Globalisierung1 Birgit Pfau-Effinger, Slaðana Saka
Magdaleni, Christof Wolf
Vor dem Hintergrund einer zunehmenden und beschleunigten Vernetzung der Welt im Zuge von Prozessen der ‚Globalisierung’ und eines Zusammenrückens der europäischen Gesellschaften im Rahmen der Europäischen Union steigt das Interesse an einem Vergleich gesellschaftlicher Entwicklungen und die Nachfrage nach international vergleichenden Daten. Der vorliegende Band enthält Beiträge einer Tagung über „Die Konsequenzen der Globalisierung für die international vergleichende Sozialforschung“, die gemeinsam von der Arbeitsgemeinschaft Sozialwissenschaftlicher Institute (ASI) und der Sektion „Methoden der Empirischen Sozialforschung“ der Deutschen Gesellschaft für Soziologie am 02./03. November 2007 in Hamburg veranstaltet wurde. Er befasst sich mit Ansätzen zur Konzeptionalisierung und der Messung von Gemeinsamkeiten und Differenzen in den sozialen Strukturen und ihrer Veränderung, die sie auf der Grundlage neuerer Prozesse der Globalisierung erfahren. Es wird danach gefragt, wie sich die „Globalisierung“ definieren und operationalisieren lässt und wie ihr Einfluss auf die gesellschaftliche Entwicklung gemessen werden kann. Weiter wird gefragt, wie soziale Strukturen und Institutionen in verschiedenen Gesellschaften sinnvoll miteinander verglichen werden können. Welche Probleme entstehen daraus, dass soziale Phänomene in verschiedenen Gesellschaften nicht immer in der gleichen Art und Weise definiert und interpretiert werden und dass dieselben Phänomene im Kontext verschiedener Gesellschaften eine unterschiedliche Bedeutung haben können? Und wie lassen sich solche Probleme bei der Analyse international vergleichend angelegter Datensätze lösen? Es geht weiter auch um die Frage der Entwicklungstendenzen: Inwieweit ist die Entwicklung von Gesellschaften im Kontext der Globalisierung durch Konvergenz gekennzeichnet, inwieweit kann man eher von Persistenz oder sogar von Divergenz sprechen? Inwieweit verläuft die Entwicklung der zentralen gesellschaft1 Zum Gelingen dieses Bandes haben viele beigetragen, angefangen von den Menschen, die dazu beigetragen haben, dass die hier dokumentierte Tagung in Hamburg so erfolgreich war, bis zu denen, die das Manuskript Korrektur gelesen und für den Druck vorbereitet haben – hierbei insbesondere Bettina Zacharias. Ihnen allen gilt unser herzlicher Dank.
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lichen Institutionen pfadabhängig? Inwieweit spielen Prozesse der Pfadabkehr eine Rolle, und inwieweit bilden sich in einigen Regionen Europas oder der Welt möglicherweise sogar grundsätzlich neue Typen von Institutionen oder institutionellen Konstellationen heraus? Wie lassen sich solche Entwicklungen empirisch erfassen und messen?
Der Einfluss der Globalisierung auf die Nationalgesellschaften In den letzten Jahren wurde eine Fülle von Analysen dazu vorgelegt, wie die „Globalisierung“ verläuft und welche Folgen sie hat. Es besteht inzwischen in den Sozialwissenschaften ein Konsens dahingehend, dass die Globalisierung nicht länger als ein einheitlicher und vorwiegend ökonomischer Prozess angesehen werden kann, der alle Gesellschaften in gleicher Weise beeinflusst. Vielmehr, so die Auffassung, die sich durchgesetzt hat und die auch diesem Band zugrunde gelegt wird, handelt es sich um einen multidimensionalen Prozess, der die kulturelle, politische, soziale und ökonomische Dimension gleichermaßen betrifft. Dabei können sich die Wirkungen der Globalisierung in den verschiedenen Dimensionen, je nach dem raum-zeitlichen Kontext, tendenziell gegenseitig verstärken oder begrenzen (Guillén 2003). Eine wichtige Frage, die in dem Zusammenhang diskutiert wird, ist die der Veränderung in der Rolle von Nationalstaaten. Es wird einerseits argumentiert, die Stellung der Nationalstaaten werde durch die Globalisierung, insbesondere durch die Internationalisierung von Märkten, unterminiert. Dem steht eine Position gegenüber, wonach die Nationalstaaten zwar ihre Aufgaben durch ihren Einbezug in Mehr-Ebenen-Governance verändern, aber nicht grundsätzlich geschwächt werden, da dem Verlust an Steuerungsmöglichkeiten durch über- oder untergeordnete Ebenen die Zunahme der Steuerungsanforderungen gegenübersteht, die die Vermittlung zwischen diesen Ebenen betrifft (vgl. Guillén 2003). Auch die Frage nach dem Einfluss der Globalisierung auf die Richtung der Entwicklung von Nationalgesellschaften ist umstritten. Oft wird argumentiert, die Globalisierung führe zur Konvergenz in der Entwicklung von Nationalgesellschaften im Hinblick auf eine Reihe institutioneller und struktureller Merkmale. Als Begründung wird entweder der Einfluss supranationaler Institutionen angeführt (z.B. Holzinger/Knill 2005) oder die Dominanz neoliberaler Ideen in den internationalen Diskursen über die Globalisierung (z.B. Hay/Rosamond 2002). Die Annahme der Konvergenz legen auch die Theoretiker der „Weltgesellschaft“ zugrunde (Meyer et al. 1987). Diese konstituiert sich im Wesentlichen auf der Grundlage einer Konvergenz in den kulturellen Werten und der Herausbildung eines konformen Sets an Menschenrechten.
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Demgegenüber wird in einem anderen Strang der Argumentation die Annahme vertreten, dass Gesellschaften bzw. Gruppen von Gesellschaften in jeweils spezifischer Weise auf die Herausforderungen der Globalisierung reagieren, weshalb die Entwicklung von Politiken, Institutionen und sozialen Strukturen eher durch Divergenz gekennzeichnet sei. Dem Konzept der „Pfadabhängigkeit“ institutionellen Wandels wird in dem Zusammenhang eine wichtige Bedeutung als Erklärungsansatz beigemessen (Pierson 2000; Beyer 2005). Die Autorengruppe Hans-Peter Blossfeld, Dirk Hofäcker, Sandra Buchholz, Marcel Raab und Michael Ruland untersucht in einem breit angelegten Forschungsprojekt die Auswirkungen von Globalisierungsprozessen auf individuelle Lebensverlaufmuster in modernen Gesellschaften. Die Autoren fassen die Globalisierung, so wie es auch dem Ansatz dieses Buches entspricht, als einen multidimensionalen Ansatz zur theoretischen Bestimmung des Phänomens der Globalisierung zugrunde. Auf der Grundlage stellen sie einen Index zur Messung des multidimensionalen Phänomens der Globalisierung vor und zeigen, wie sich das Globalisierungsphänomen darstellen und seine Entwicklung empirisch im Zeitverlauf nachzeichnen lässt. Sie überprüfen schließlich, ob und in welcher Weise sich der Globalisierungsprozess auf ausgewählte Aspekte der Lebens- und Erwerbsverläufe von Männern und Frauen in modernen Industriegesellschaften ausgewirkt hat. Die Basis der Analysen bilden die Ergebnisse zweier international vergleichender sozialwissenschaftlicher Großprojekte, des Forschungsprojektes ‚GLOBALIFE – Lebensverläufe im Globalisierungsprozess’ (http://web.unibamberg.de/sowi/soziologie-i/globalife) sowie des Forschungsnetzwerks ‚TransEurope’ (www.transeurope-project.org). Die Ergebnisse verdeutlichen, dass die Globalisierung keinesfalls – wie vielfach angenommen (vgl. z.B. Beck 1996) – zu einer allgemeinen Generalisierung von Risiken und der zunehmenden Herausbildung flexibler Patchwork-Karrieren beigetragen hat. Vielmehr konzentrieren sich globalisierungsbedingte Risiken systematisch auf spezifische Arbeitsmarktgruppen (Breen 1997). Darüber hinaus ‚filtern’ länderspezifische Institutionen – wie etwa nationale Wohlfahrtsstaaten oder unterschiedliche Modi der Regulierung von Arbeitsmärkten – den Globalisierungsprozess in unterschiedlicher Weise und tragen damit dazu bei, dass sich in verschiedenen modernen Industriestaaten sehr unterschiedliche ‚Globalisierungseffekte’ zeigen.
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Theoretische Ansätze zur Klassifikation von Gesellschaften und ihre Operationalisierung und Messung Das Zusammenspiel von Institutionen im Rahmen institutioneller Konstellationen bildet eine wichtige Grundlage für das Funktionieren moderner Gesellschaften. Seit dem Beginn der 1990er Jahre hat sich die international vergleichende Sozialforschung verstärkt mit den konkreten Profilen der zentralen institutionellen Konstellationen in Einzelgesellschaften und ihren Differenzen befasst. Es ging dabei, wie im Ansatz der „Varieties of Capitalism“ von Hall und Soskice (2001) um die Konstellation der marktrahmenden Institutionen oder, wie im Ansatz der „Wohlfahrtsregime“ von Esping-Andersen (1990, 1999; vgl. auch Arts und Gelissen 2002) um die Konstellation der Institutionen, die zusammen den Wohlfahrtsstaat bilden oder auch, wie im Ansatz der „Gender Arrangements“ von Pfau-Effinger (2004; 2005a) um die Institutionen, die die Familie und die Geschlechterbeziehungen rahmen. Es wurde gezeigt, dass im internationalen Vergleich teilweise erhebliche Differenzen im Hinblick auf das jeweilige Profil dieser institutionellen Konstellationen bestehen und dass solche Differenzen zu einem erheblichen Anteil dazu beitragen zu erklären, warum sich soziale Phänomene wie etwa die Strukturen sozialer Ungleichheit, die ökonomischen Strukturen oder die Erwerbsbeteiligung von Frauen unterscheiden. In den Diskursen der international vergleichenden Sozialforschung wird oft angenommen, dass die Entwicklung solcher institutionellen Konstellationen trotz des Angleichungsdrucks durch Globalisierungsprozesse tendenziell pfadabhängig verläuft (Pierson 2000). Einige Autoren/Autorinnen argumentieren demgegenüber, dass Prozesse der Globalisierung oder auch endogene Prozesse in den Nationalgesellschaften – wie etwa der Wandel der Familienstrukturen, der demographische Wandel oder der Übergang zur Dienstleistungsgesellschaft – dazu führen können, dass der einmal eingeschlagene Pfad zugunsten einer veränderten Entwicklung verlassen wird (Beyer 2005; Ebbinghaus 2005; Mahoney 2000). In den Ansätzen, die von der Annahme der Pfadabhängigkeit des Wandels ausgehen, werden die zentralen institutionellen Konstellationen in Nationalgesellschaften oft als ein tendenziell widerspruchsfreies, kohärentes Ganzes angesehen. Oft wird nur unzureichend berücksichtigt, dass diese auch inkohärent und von Widersprüchen gekennzeichnet sein können. Tatsächlich können die Beziehungen zwischen den beteiligten Institutionen aber auch durch weitreichende Spannungen und Widersprüche im Hinblick auf die Grundprinzipien, auf deren Grundlage sie funktionieren, gekennzeichnet sein (Crouch und Farrell 2004, Mayntz 2005). Diese können die Grundlage dafür sein, dass die Entwicklung einer institutionel-
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len Konstellation durch Innovation und Pfadabkehr gekennzeichnet ist (Pfau-Effinger 2005b). Zahlreiche empirische Studien wurden mit dem Ziel durchgeführt, den Erklärungswert der Typologien zu überprüfen, die sich auf die jeweils konkreten Grundprinzipien beziehen, auf deren Grundlage die institutionellen Konstellationen jeweils funktionieren. Die Ergebnisse führten teilweise zu einer kritischen Auseinandersetzung mit solchen Ansätzen und zu deren Weiterentwicklung bzw. zur Einführung alternativer Klassifikationsansätze. Die Beiträge zu diesem Themenbereich beschäftigen sich mit der Frage nach der Relevanz von theoretischen Ansätzen zur Klassifikation von Gesellschaften für die Erklärung internationaler Differenzen. Der Beitrag von Jürgen Beyer unterzieht die von verschiedenen Anhängern des „Varieties of Capitalism“-Ansatzes vertretene These der institutionellen Verfestigung der bestehenden marktwirtschaftlichen Differenzen einer kritischen Analyse. Er legt dabei eine Untersuchung der organisatorischen Veränderungen in deutschen Großunternehmen sowie eine Analyse von Aggregatdaten zur ökonomischen Entwicklung in 25 Ländern vor. Ein besonderes Augenmerk wird auf den Vergleich zwischen liberalen und koordinierten Ökonomien gelegt. Der Autor kommt zu dem Ergebnis, dass bezweifelt werden muss, dass der jüngste Wandel marktwirtschaftlicher Systeme auf der Verfestigung bestehender Differenzen beruht. Auch wird gezeigt, dass sich die Differenzen zwischen liberalen und koordinierten Wirtschaftssystemen nach den 1980er Jahren tendenziell verringert haben. Jürgen Beyer folgert: „Die Konstellationen marktrahmender Institutionen sind ganz offensichtlich dynamischeren Veränderungen unterworfen, ohne dass in längerfristiger Perspektive wirklich eine eindeutige Richtung zur Konvergenz erkennbar wäre“ (Beyer in diesem Band). Jürgen Beyer stellt dieses Ergebnis in einen Zusammenhang damit, dass der Wandel von Marktökonomien nicht notwendigerweise zu eindeutigen Institutionensystemen führt, sondern von Inkomplementaritäten gekennzeichnet sein kann. Es ist umstritten, welchen Einfluss die Globalisierung und die europäische Integration auf die Wohlfahrtsstaaten in postsozialistischen Ländern haben und welche Typen von „Wohlfahrtsregimen“ (im Sinne von Esping-Andersen 1990, 1999) diese repräsentieren. Der Beitrag von Raj Kollmorgen (in diesem Band) nimmt die Diskussion darüber auf und fragt, inwieweit die Wohlfahrtsstaaten in den postsozialistischen Gesellschaften Mittel- und Osteuropas sich auf der Grundlage der Regime-Typologie klassifizieren lassen. Kollmorgen kommt zu dem Ergebnis, dass sie tendenziell mehrere davon abweichende Typen repräsentieren. Dabei entsteht der Eindruck, dass die neu entstandenen Wohlfahrtsstaaten in den Mittelund Osteuropäischen Ländern oft keine kohärente Einheit bilden, sondern dass sie
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die einzelnen Institutionen, die ihnen zugrunde liegen, oft in durchaus widersprüchlicher Weise interagieren. Der Beitrag von Hennig Lohmann befasst sich mit dem internationalen Vergleich von Familienpolitiken und von deren Typisierung. Diese werden neuerdings häufig auf der Grundlage des Konzepts der „Defamilisierung“ verglichen. Defamilisierung wird dabei vor allem als Möglichkeit der Entlastung (von Frauen) von familiären Betreuungspflichten, die der Aufnahme einer Erwerbstätigkeit im Wege stehen, verstanden. Der Beitrag setzt sich kritisch mit den aktuellen Ansätzen zur Konzeption und Messung von Defamilisierung in international vergleichender Perspektive auseinander. Einer engeren Sichtweise des Konzepts stellt er das umfassendere Konzept in seiner ursprünglichen Fassung gegenüber und präsentiert einen Vorschlag zu seiner Messung.
Möglichkeiten und Grenzen ausgewählter Messinstrumente für den internationalen Vergleich Mit dem Interesse am Gesellschaftsvergleich nimmt die Zahl der Umfrageprojekte zu, in denen für eine mehr oder weniger große Zahl von Ländern vergleichende Informationen erhoben werden. ISSP, EVS, WVS, CSES, ESS, PISA, SHARE, ECHP, EU-LFS und EU-SILC stellen nur eine Auswahl aus diesen Projekten dar. Während die Daten in der Fachöffentlichkeit vielfältig genutzt und die Ergebnisse entsprechender Analysen in der Öffentlichkeit teilweise heftig diskutiert werden, wird den methodischen Voraussetzungen für einen aussagekräftigen internationalen Vergleich bisher eher wenig Aufmerksamkeit geschenkt. Wann können Umfrageergebnisse aus verschiedenen Ländern miteinander verglichen werden? Müssen die Daten auf exakt dieselbe Weise erhoben worden sein, müssen also die Stichprobenziehung, die Form der Datenerhebung, der Fragebogen, der Interviewereinsatz usw. in allen Ländern übereinstimmen? Oder genügt es, wenn die schließlich ausgewerteten Merkmale dieselben theoretischen Konzepte abbilden? Oder allgemeiner: Wie kann sichergestellt werden, dass die Daten aus einem international vergleichenden Umfrageprojekt auch tatsächlich (funktional) äquivalent sind (Przeworski und Teune 1970)? Wie Hoffmeyer-Zlotnik und Wolf (2003) aufzeigen, hängt die Beantwortung dieser Frage davon ab, was gemessen werden soll. Sind es Einstellungen, Werte, Verhaltensweisen oder sozioökonomische Merkmale? Während bei den zuerst genannten Übersetzungstechniken im Vordergrund stehen, kommt es bei den sozioökonomischen Angaben darauf an, dass die nationalen Konzepte, Regeln und Strukturen genau untersucht und in entsprechenden Instrumenten abgebildet werden. Dies kann eventuell durch ein einheitliches Erhebungsinstrument gelingen, oftmals wird jedoch auf eine national-
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spezifische Frage zurückgegriffen werden müssen, die für Vergleichszwecke dann in eine zuvor vereinbarte Zielvariable transformiert werden muss. Typische Beispiele für Merkmale, bei denen meist auf diese Weise vorgegangen wird, sind die Bildung oder die ethnische Zugehörigkeit. Bei diesen Merkmalen kommt in der Regel nur eine so genannte ex-ante output Harmonisierung – im Gegensatz zu einer input Harmonisierung – in Frage (Ehling 2003). Die Beiträge dieses Themenbereichs behandeln die speziellen konzeptionellen, methodischen und statistischen Probleme des interkulturell vergleichenden Einsatzes entsprechender Instrumente. Cornelia Weins diskutiert in ihrem Beitrag die Möglichkeiten und Grenzen der Messinstrumente für eine international vergleichende Analyse von Vorurteilen gegenüber Zuwanderern. Die Autorin problematisiert, dass, während die Auswertungsverfahren in der international vergleichenden Analyse von Vorurteilen gegenüber Zuwanderern häufig elaboriert sind, die für komparative Analysen aber essentielle Frage der Äquivalenz der verwendeten Instrumente zur Messung von Vorurteilen in der Regel nicht angemessen thematisiert und geprüft werden. Dies ist insbesondere bei den Analysen erstaunlich, die explizit Unterschiede im Ausmaß von Vorurteilen zwischen verschiedenen Staaten modellieren, da dies eine direkte Vergleichbarkeit der Skalenwerte von Befragten unterschiedlicher Staaten voraussetzt. Ob und inwieweit die gemessenen Unterschiede in den Vorurteilen von Befragten verschiedener Staaten tatsächlich Unterschiede in den Vorurteilen widerspiegeln oder aber (auch) das Resultat nicht-äquivalenter Messinstrumente sind, bleibt damit offen. Im Beitrag werden Möglichkeiten und Grenzen einer statistischen Prüfung der Äquivalenz von Instrumenten zur Messung latenter Konstrukte mit Daten des ISSP 2003 aufgezeigt. Volker Müller-Benedict problematisiert am Fallbeispiel Honduras internationale Indikatoren der Schulwirksamkeit im Zusammenhang mit ihrer Anwendung auf Entwicklungsländer. Honduras ist eines der sieben weltweit ärmsten Länder, deren Entwurf für die Teilnahme an der „Education for All - Fast Track Initiative“ (EFA-FTI) von der internationalen Gebergemeinschaft im November 2002 angenommen wurde. Die von der Weltbank initiierte EFA-FTI bietet ausgewählten Entwicklungsländern finanzielle und technische Unterstützung bei der Verwirklichung einer freien und obligatorischen Primarschulbildung für alle Kinder bis 2015 und der Beseitigung der Ungleichheiten zwischen den Geschlechtern im Primar- und Sekundarbereich bis 2005. Die Kriterien für die Auswahl eines Landes sind ein umfassendes Armutsbekämpfungsstrategie-Papier (Poverty Reduction Strategy Paper) und ein darauf abgestimmter detaillierter Sektorentwicklungsplan für den Bildungsbereich. Des Weiteren wird von den teilnehmenden Ländern erwartet, dass sie ihre Sektorplanung an ein so genanntes lokal angepasstes Indicati-
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ve Framework orientieren, das den methodischen Rahmen von EFA-FTI darstellt. Diese Planung liefert zudem einen international vergleichbaren objektiven Referenzrahmen, um die Plausibilität und Ernsthaftigkeit des Sektorplans beurteilen zu können. In der internationalen theoretischen Diskussion werden Indikatoren dieser Art auch als Messinstrumente für „Schulwirksamkeit“ oder „Schulqualität“ diskutiert (Teddlie und Reynolds 2000). Ziel des Beitrags ist, diese indikatorengesteuerte entwicklungspolitische Maßnahme der EFA-Fast Track Initiative mit der Alltagswirklichkeit in Honduras zu kontrastieren und anhand einer qualitativen Studie zu zeigen, dass die Schwerpunkte dieser EFA-FTI-Maßnahmen und Indikatoren wichtige Merkmale der honduranischen Schulqualität nicht erfassen. Die Autorengruppe mit Reinhard Pollak, Heike Wirth, Felix Weiss, Gerit Bauer und Walter Müller weist in ihrem Beitrag auf die gesteigerte Bedeutung der Entwicklung international vergleichender sozialwissenschaftlicher Klassifikationen der sozialen Stellung hin. Für die Generierung international harmonisierter Klassifikationen bedarf es in der Vorstufe bereits der Harmonisierung der zugrundeliegenden Variablen. Der Beitrag konzentriert sich auf dieses Problem am Beispiel der Validierung der neuen sozioökonomischen Klassifikation für Europa (ESeC – European Socio-economic Classification). Ein dieser Klassifikation zugrundeliegender Aspekt ist der „Supervisor“-Status. Supervisoren sollen eine von anderen Arbeitnehmern abgrenzbare und herausgehobene Stellung haben, dabei aber nicht die Arbeitsinhalte von Managern aufweisen. Da die Supervisor-Verantwortlichkeit unterschiedliche Grade einnehmen kann, besteht eine Schwierigkeit darin zu entscheiden, welche Arbeitnehmer als „Supervisor“ abgegrenzt werden können. Ohne die Einhaltung eines diesbezüglichen Standards, ist eine auf Basis der Supervisorfunktion generierte sozioökonomische Klassifikation international nur eingeschränkt vergleichbar. Die Autoren zeigen, wie die Supervisorfunktion in zwei wichtigen europäischen Datensätzen, dem European Social Survey (ESS) und dem Labour Force Survey (LFS), in verschiedenen Ländern operationalisiert wird. In einem nächsten Schritt werden Ergebnisse einer Pilotstudie präsentiert, die zeigen, wie Abweichungen in der Formulierung der Frage zu unterschiedlichen Ergebnissen im Anteil der als „Supervisor“ identifizierten Arbeitnehmer führen. Der abschließende Beitrag von Uwe Warner und Jürgen H.P. Hoffmeyer-Zlotnik beschäftigt sich mit dem Konzept des „privaten Haushalts“ in international vergleichenden sozialwissenschaftlichen Umfragen und dessen Operationalisierung. Unterschiedliche Kulturen und Nationen verwenden unterschiedliche Konzepte für den Begriff des „Privathaushalt“. Fast jedes europäische Land weist eine eigene Definition, die auf unterschiedliche Aspekte abstellt, auf. Warner und Hoffmeyer-Zlotnik identifizieren drei definierende Dimensionen: 1. das gemein-
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same Wirtschaften, 2. das gemeinsame Wohnen sowie 3. der familiale Bezug. Hinter einer spezifischen Definition steht eine spezifische Struktur mit einer dementsprechenden Gruppenzusammensetzung und Gruppengröße, welche die Zugehörigkeiten von Personen zu „Privathaushalten“ determinieren. Im internationalen Vergleich führen die nationalen Definitionen für Privathaushalt mit unterschiedlichen Gruppenzusammensetzungen und Gruppengrößen - z.B. beim Vergleich von Haushaltseinkommen - zu großen Problemen: Es variiert die Anzahl der Personen, die zum Haushaltseinkommen beitragen, und in Abhängigkeit von den Personen variiert auch die Höhe des Haushaltseinkommens und seine Zusammensetzung nach Einkommensarten. Ebenso variiert der Personenkreis, der das gemeinsame Nettohaushaltseinkommen konsumiert. Dieses lässt sich auch über das Äquivalenzeinkommen nicht korrigieren. Die Autoren zeigen, welche Unterschiede sich durch die unterschiedlichen Definitionen bei Haushaltszusammensetzung und -größe ergeben und wie sich diese auswirken. Dargestellt wird dieses anhand der Daten von European Social Survey und European Community Household Panel. Abschließend unterbreiten die Autoren einen Vorschlag für ein Messinstrument zu einer vergleichbaren Erfassung von Privathaushalt-Items in europäischen sozialwissenschaftlichen Surveys.
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Globalisierungsprozesse in modernen Gesellschaften Theoretische Grundlagen, empirische Erfassung und Auswirkungen auf individuelle Lebensverlaufmuster Hans-Peter Blossfeld, Dirk Hofäcker, Marcel Raab, Michael Ruland, Sandra Buchholz
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Einleitung
Kaum ein Thema hat in den letzten zwei Jahrzehnten den öffentlichen und wissenschaftlichen Diskurs so bestimmt wie das Phänomen der Globalisierung. Es wird insbesondere behauptet, dass der Prozess der Globalisierung die Entwicklung ganzer nationaler Gesellschaften nachhaltig beeinflusst und die Lebens- und Erwerbsverläufe ihrer Menschen grundlegend verändert. Trotz dieser zunehmenden öffentlichen Aufmerksamkeit ist die gegenwärtige Globalisierungsforschung jedoch in mehrfacher Weise durch Defizite und einen zum Teil verengten Blickwinkel auf das Phänomen der Globalisierung gekennzeichnet: § So wird der Begriff der Globalisierung zwar in einer Vielzahl von Forschungspublikationen verwendet, es zeichnet sich bislang jedoch keine einheitliche sozialwissenschaftliche Begriffsbildung ab. Die Folge ist häufig eine terminologische Unschärfe in der Verwendung des Globalisierungsbegriffs und eine entsprechende Uneinheitlichkeit von Beschreibungen des Globalisierungsprozesses und seiner Auswirkungen. § Bei der Beschreibung des Prozesses der Globalisierung hat man sich bislang mehrheitlich auf Aspekte der ökonomischen Globalisierung konzentriert, etwa den Abbau von Handelsschranken oder die Entwicklung von Export- und Importströmen. Angesichts der Tatsache, dass es sich bei der Globalisierung um ein mehrdimensionales Phänomen handelt, das neben ökonomischen auch kulturelle und soziale Aspekte umfasst, erscheint eine derartige eindimensionale Erfassung als zu eng und sollte durch eine breitere, sozialwissenschaftliche Perspektive und empirische Operationalisierung ergänzt werden. § Bemerkenswert ist zudem, dass sich ein Großteil der bisherigen Forschungsaktivitäten nur auf die Messung des Globalisierungsprozesses auf der Makroebene nationaler Volkswirtschaften beschränkt und die Auswirkungen der Globalisierung auf der individuellen Ebene unberücksichtigt bleiben. Obwohl diese Makroanalysen unbestritten wesentlich zum Verständnis der Globalisierung
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beigetragen haben, erstaunt es, dass aus soziologischer Perspektive bislang wenig systematische, vor allem international vergleichende Forschungsbefunde über die Auswirkungen des Globalisierungsprozesses auf die individuellen Lebens- und Erwerbsverläufe in modernen Industrieländern vorliegen. Der vorliegende Beitrag beabsichtigt, einen aktuellen Beitrag zur Schließung dieser drei skizzierten Forschungslücken zu leisten, indem er zunächst aus genuin soziologischer Perspektive einen multidimensionalen Ansatz zur theoretischen Bestimmung des Phänomens der Globalisierung skizziert. Anschließend schlagen wir einen Index zur Messung des multidimensionalen Phänomens der Globalisierung vor und zeigen, wie sich das Globalisierungsphänomen darstellen und seine Entwicklung empirisch im Zeitverlauf nachzeichnen lässt. Wir überprüfen schließlich, ob und in welcher Weise sich der Globalisierungsprozess auf ausgewählte Aspekte der Lebens- und Erwerbsverläufe von Männern und Frauen in modernen Industriegesellschaften ausgewirkt hat. Die Ergebnisse verdeutlichen, dass die Globalisierung in modernen Industriestaaten keinesfalls – wie vielfach angenommen (vgl. z.B. Beck 1986) – zu einer allgemeinen Generalisierung von Risiken und der zunehmenden Herausbildung von flexiblen Patchwork-Karrieren beigetragen hat. Vielmehr konzentrieren sich globalisierungsbedingte Risiken systematisch auf spezifische Arbeitsmarktgruppen (Breen 1997). Darüber hinaus „filtern“ länderspezifische Institutionen – wie etwa nationale Wohlfahrtsstaaten oder unterschiedliche Modi der Regulierung von Arbeitsmärkten – den Globalisierungsprozess in unterschiedlicher Weise und tragen damit dazu bei, dass sich in verschiedenen modernen Industriestaaten sehr unterschiedliche „Globalisierungseffekte“ zeigen. Die Basis der im Folgenden dargestellten Analysen bilden die Ergebnisse zweier international vergleichender sozialwissenschaftlicher Großprojekt, zum einen des Forschungsprojektes „GLOBALIFE – Lebensverläufe im Globalisierungsprozess“ (http://web.uni-bamberg.de/sowi/soziologie-i/globalife) sowie des Forschungsnetzwerks „TransEurope“ (www.transeurope-project.org).1 Das von der 1 Im Rahmen des im Zeitraum von 1999 bis 2006 an den Universitäten Bielefeld und Bamberg angesiedelten und von der VolkswagenStiftung mit 1,7 Millionen Euro geförderten Forschungsprojektes GLOBALIFE wurden die Auswirkungen des Globalisierungsprozesses auf individuelle Lebensverläufe in vier aufeinander folgenden Projektphasen empirisch und international vergleichend analysiert. Die Analysen des Projektes konzentrierten sich auf zentrale Übergänge in den Lebensverläufen von Männern und Frauen - von der Phase der Familiengründung und des Berufseinstiegs bis hin zum Austritt aus dem Erwerbsleben und dem Übergang in den Ruhestand. Während der Projektlaufzeit arbeiteten insgesamt 22 Wissenschaftler unterschiedlicher Nationalitäten an den Universitäten Bielefeld und Bamberg als fest angestellte Mitarbeiter des GLOBALIFE-Projektes. Gleichzeitig bestanden Koopera-
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European Science Foundation (ESF) geförderte Forschungsnetzwerk „TransEurope“ führt die Fragestellung des GLOBALIFE-Projektes weiter und vertieft sie aus einer explizit europäischen Perspektive. Ziel des Forschungsnetwerks ist zum einen die Entwicklung und Anwendung von Messinstrumenten zur quantitativen Erfassung des Globalisierungsprozesses. Neben der vergleichenden Analyse von Lebensverlaufsmustern in sieben verschiedenen europäischen Ländern (Belgien, Deutschland, Estland, Tschechische Republik, Österreich, Schweden und die Niederlande) wird darüber hinaus ein besonderes Augenmerk der Fragestellung gewidmet, ob und inwiefern Prozesse der Globalisierung, Transnationalisierung und Europäisierung zu einer Veränderung von Ungleichheitsstrukturen in Europa beigetragen haben.
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Was ist Globalisierung?
Die meisten Sozialforscher gehen heute davon aus, dass die Prozesse der Globalisierung durch das Zusammenwirken von vier makrostrukturellen Entwicklungen gekennzeichnet sind, die sich vor allem seit Mitte der 1980er Jahre zunehmend verstärkt haben. Diese beinhalten: § Die zunehmende Internationalisierung von Märkten und den damit verbundenen wachsenden Wettbewerb zwischen Ländern mit sehr unterschiedlichen Lohn- und Produktivitätsniveaus sowie verschiedenen Sozial- und Umweltstandards (insbesondere nach dem Fall des Eisernen Vorhangs und der zunehmenden Integration asiatischer Länder in den Weltmarkt). § Die Verschärfung des Standortwettbewerbs zwischen Sozialstaaten und die sich daraus ergebende Senkung von Unternehmenssteuern in einigen Ländern sowie eine zunehmende Politik der Deregulierung, Privatisierung und Liberalisierung, die zu einer Stärkung des Marktes als Koordinationsmechanismus führt. § Die rasche weltweite Vernetzung von Personen, Unternehmen und Staaten auf der Grundlage neuer Informations- und Kommunikationstechnologien und – daraus resultierend – die zunehmende Interdependenz des sozialen Austauschs Fortsetzung Fußnote 1 tionsbeziehungen mit insgesamt 49 externen Wissenschaftlern aus 17 verschiedenen Ländern. Diese ausgewiesenen Sachverständigen und nationalen Experten erstellten in jeder Forschungsphase auf Basis repräsentativer Längsschnittdaten umfassende vergleichbare Länderanalysen über die Auswirkungen des Globalisierungsprozesses in ihrem jeweiligen nationalen Kontext. Die Ergebnisse der vier Projektphasen wurden unter anderem in vier Sammelbänden bei international renommiertensozialwissenschaftlichen Fachverlagen veröffentlicht (Blossfeld et al. 2005; Blossfeld et al. 2006a, 2006b; Blossfeld und Hofmeister 2006).
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sowie die wachsende Beschleunigung von sozialen und wirtschaftlichen Interaktionsprozessen. § Den Bedeutungszuwachs von weltweit vernetzten Märkten und die damit verbundene zunehmende Instabilität und Volatilität lokaler Märkte, die von schwer prognostizierbaren sozialen, politischen und ökonomischen „Schocks“ und Ereignissen irgendwo auf der Welt (z. B. Kriege, ökonomische Krisen, Verbrauchermoden, technologische Innovationen) beeinflusst werden. In den vergangenen zwei Jahrzehnten hat die Globalisierung damit zwar einerseits zu beeindruckenden Produktivitätszuwächsen und zu einer allgemeinen Erhöhung des durchschnittlichen Lebensstandards in modernen Gesellschaften geführt. Andererseits ist Globalisierung in diesen Ländern aber ebenso verbunden mit der Zunahme unerwarteter Marktentwicklungen in einer sich immer schneller verändernden Weltwirtschaft, mit rapideren sozialen und ökonomischen Wandlungsprozessen, mit einer immer stärker abnehmenden Vorhersagbarkeit von ökonomischen und sozialen Entwicklungen und, daraus resultierend, mit einer zunehmenden allgemeinen Unsicherheit. Betriebe streben unter diesen Bedingungen wachsender Unsicherheit zunehmend Flexibilität sowohl im Hinblick auf den Umfang ihrer Belegschaften als auch in Bezug auf deren Einsatzfähigkeit an. So lassen sich von betrieblicher Seite im Globalisierungsprozess sowohl wachsende Bestrebungen zur Flexibilisierung von Arbeitsverhältnissen wie auch ein kontinuierlich steigender Anspruch an die Fähigkeiten und Kenntnisse der eigenen Arbeitnehmerschaft beobachten. Auch auf der Ebene aller individuellen Akteure haben diese Entwicklungen zu einer Zunahme verschiedener Formen von Unsicherheit geführt: Unter den Bedingungen einer abnehmenden Vorhersagbarkeit von Entwicklungen fällt es beispielsweise Akteuren in zunehmendem Maße schwer, rationale Entscheidungen zu treffen, da sowohl die Verfügbarkeit von Handlungsalternativen als auch die Vorhersehbarkeit ihrer Folgen und Nebenwirkungen zunehmend unklarer wird. Insbesondere langfristig bindende Entscheidungen werden zunehmend schwieriger, so dass sich sozial und ökonomisch eine Verschiebung zugunsten einer an kurzfristigen Zeithorizonten orientierten Planung ergibt. Beispielsweise müssen am Aktienmarkt notierte Unternehmen in immer kürzeren Abständen Betriebsergebnisse vorlegen (Quartalsberichte). Der zu beobachtende Abbau des Wohlfahrtsstaates verstärkt diese „Verunsicherungs“-Tendenzen noch, da auch hier durch die Reduzierung wohlfahrtsstaatlicher Leistungen ehemalige Sicherheiten nach und nach brüchig werden. Aufgrund dieser zunehmenden Unsicherheit gewinnen im Globalisierungsprozess paradoxerweise lokale Routinen bzw. regiona-
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le Traditionen und Normen als Orientierungshilfen für Individuen und ihre Handlungen an Bedeutung (Blossfeld et al. 2005). Darüber hinaus führt Globalisierung zu einer bedeutsamen Verschiebung der Machtkonstellationen am Arbeitsmarkt. „Verhandlungsstarke“ Gruppen, zumeist Arbeitgeber, verlagern in zunehmendem Maße Marktrisiken auf bestimmte „verhandlungsschwächere“ Arbeitnehmergruppen (vgl. Breen 1997). Diejenigen Personen, die nicht fest im Erwerbsleben verankert sind (wie etwa die Berufseinsteiger oder Frauen nach einer familiären Erwerbsunterbrechung) bzw. sich an den Rändern des Arbeitsmarktes oder in unsicheren Beschäftigungsverhältnissen befinden, sind besonders von der Verlagerungen dieser Marktrisiken zu ihren Ungunsten betroffen.
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Wie lässt sich Globalisierung empirisch erfassen?
Der Prozess der Globalisierung stellt also ein multidimensionales Phänomen dar, das Arbeitsmärkte und Sozialstrukturen sowie die sich in ihnen vollziehenden Lebens- und Erwerbsverläufe von Männern und Frauen in bedeutsamer Weise beeinflusst. Vor einer detaillierten Analyse der spezifischen Auswirkungen des Globalisierungsprozesses auf individuelle Lebensverläufe stellt sich jedoch zunächst die Frage nach dem historischen Verlauf des Globalisierungsprozesses und dessen differentiellen Auswirkungen in verschiedenen modernen Industrienationen. Ein im Rahmen des TransEurope-Forschungsnetzwerks entwickelter mehrdimensionaler Globalisierungsindex bietet hier erstmalig die Möglichkeit, den Verlauf des Globalisierungsprozesses über einen Zeitraum von mehr als drei Jahrzehnten in fast 100 Länder differenziert nachzuzeichnen. Dieser ‚GlobalIndex’ umfasst insgesamt 31 Einzelindikatoren und unterscheidet sich von früheren Globalisierungsindizes (etwa dem an der Universität Zürich entwickelten KOF Index oder dem AT Kearney/Foreign Policy Index) durch eine differenziertere Erfassung des Phänomens der Globalisierung. Diese äußert sich u.a. dadurch, dass neben den gängigen Aspekten der Globalisierung, namentlich der ökonomischen, der politischen und der technologischen Dimension explizit eine differenzierte kulturelle Dimension eingeführt wird, mit deren Hilfe erstmals auch die soziologische Perspektive in die Konstruktion eines solchen Indexes eingebracht wird. Er eignet sich damit einerseits zu einer differenzierten deskriptiven Analyse des Globalisierungsprozesses, zum anderen aber auch zur Verwendung als erklärende Variable
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in komplexeren statistischen Modellen bei Individualdaten, etwa in regressionsanalytischen Mehrebenenmodellen oder ereignisanalytischen Modellen.2 Der GlobalIndex unterscheidet analytisch zwischen vier verschiedenen Dimensionen des Globalisierungsprozesses: § Die ökonomische Dimension erfasst zum einen das Ausmaß globaler ökonomischer Verflechtung anhand transnationaler Handels- und Kapitalströme. Gleichzeitig berücksichtigt sie jedoch auch weiterhin bestehende Beschränkungen eines freien Weltmarktes in Form von Handels- und Kapitalsverkehrskontrollen. § Die sozio-technische Globalisierungskomponente umfasst zum einen das Ausmaß direkter sozialer Kontakte in einer globalisierten Welt, etwa durch die Berücksichtigung von Tourismus- und Migrations-Strömen. Darüber hinaus dienen Daten zur Verbreitung verschiedener medialer Technologien (Internet, Telefon, Fernsehen, Radio und Printmedien) als Indikatoren des zunehmenden globalen Informationsaustauschs durch neue Massen- und Kommunikationsmedien. § Die kulturelle Dimension beinhaltet einerseits Indikatoren, die die modernen Gesellschaften inhärente „Idee der Steigerung“ (Schulze 2003), d.h. die kontinuierliche Erweiterung von Möglichkeitsräumen, erfassen sollen. Hierzu zählen etwa die relative Bedeutung von Hochtechnologie-Exporten oder die volkswirtschaftlichen Investitionen in Forschung und Entwicklung. Darüber hinaus bezieht die kulturelle Dimension ebenso Indikatoren zur Messung global geteilter Werte und Normvorstellungen mit ein, die in Anlehnung an die theoretischen und empirischen Arbeiten der Forschungsgruppe ‚Weltgesellschaft’ (Meyer et al. 1997; Meyer et al. 1992) anhand von Indikatoren operationalisiert werden, die die faktische Umsetzung allgemeiner Menschenrechte ebenso berücksichtigen wie die Bedeutung spezifischer normativer Standards (Recht auf Bildung, Geschlechtergleichheit). Schließlich verwendet der GlobalIndex die 2 Angesichts der Vielzahl an berücksichtigten Ländern und Indikatoren sowie des breiten Beobachtungszeitraum von mehr als drei Jahrzehnten (1970-2002) musste bei der Indexkonstruktion in einzelnen Fällen das Problem fehlender Werte gelöst werden. Hierfür wurden sowohl lineare Interpolation und Imputationsregressionen als auch lineare Fortschreibung an den Rändern des Beobachtungsfensters genutzt. Im Anschluss an die Standardisierung der Indikatoren und die Imputation fehlender Werte wurden auf Basis der Hauptkomponentenmethode Gewichte für die einzelnen Indikatoren und Dimensionen ermittelt. Im Gegensatz zu vielfach verwendeten arbiträren Gewichtungsverfahren durch den Forscher verhindert dieser datenbasierte Ansatz der Gewichtung eine mögliche Unter/Überschätzung einzelner Variablen. Die Daten des GlobalIndex sind unter www.transeurope-project.org/globalindex verfügbar. Hier findet sich auch eine detaillierte Aufschlüsselung der 31 verwendeten Indikatoren sowie die Dokumentation des verwendeten Gewichtungsverfahrens.
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relative Anzahl von McDonalds-Restaurants als Proxy-Indikator der zunehmenden Verbreitung einer globalen Alltagskultur. § Die politische Dimension berücksichtigt schließlich die transnationale Verflechtung auf politischer Ebene auf Basis bewährter internationaler Standardindikatoren, etwa anhand der Mitgliedschaft in internationalen Organisationen. Entwicklung des GlobalIndex Boxplots für die OECD und die am wenigsten entwickelten Länder (LDC)
GlobalIndex
OECD
LDC
7
7
6
6
5
5
4
4
3
3
2
2
1
1 1970 1975 1980 1985 1990 1995 2000 2002
1970 1975 1980 1985 1990 1995 2000 2002
Quelle: eigene Darstellung Abbildung 1: Entwicklung des Globalisierungsprozesses in OECD-Staaten und weniger entwickelten Ländern (LDC)
Die Entwicklung des GlobalIndex in Abbildung 1 belegt, dass der Prozess der Globalisierung ein Phänomen darstellt, das sich insbesondere seit Mitte der 1980er Jahre in wachsendem Ausmaß vollzieht. Gleichzeitig zeigen sich jedoch deutliche internationale Unterschiede im Verlauf des Globalisierungsprozesses. In Abbildung 1 werden dabei zunächst die OECD-Staaten den am wenigsten entwickelten Ländern (LDC) anhand von Boxplots gegenübergestellt. Zwar zeigt sich in beiden Staatengruppen ein deutlich erkennbarer Zuwachs des Globalisierungsgrades im Zeitverlauf. Gleichwohl wird deutlich, dass der Globalisierungsprozess in den LDC-Staaten nicht im Geringsten die Schubkraft erreicht, die in den OECD-Ländern zu beobachten ist. Der Prozess der Globalisierung vollzieht sich somit in den europäischen Ländern und den USA seit Mitte der 1980er Jahre besonders intensiv und die Dynamik der Entwicklung liegt dort deutlich über dem globalen Durchschnittsniveau. Das Resultat dieser Entwicklung ist die häufig
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konstatierte Polarisierung zwischen den reichen Ländern des Nordens und den armen Staaten der südlichen Hemisphäre. Darüber hinaus deuten die gruppeninternen Variationen innerhalb der BoxPlots für die OECD-Staaten in Abbildung 1 auch auf eine unterschiedliche Entwicklung des Globalisierungsprozesses innerhalb der Gruppe der entwickelten Industrieländer hin. Abbildung 2 differenziert daher die nationalen Verlaufsmuster in den wichtigsten vom GLOBALIFE-Projekt untersuchten Ländern anhand des GlobalIndex. Dabei zeigt sich, dass insbesondere die angelsächsischen Länder (USA, Großbritannien und Irland) sowie die skandinavischen Staaten (Schweden, Dänemark und Norwegen) zu den am stärksten globalisierten Ländern gehören, knapp gefolgt von den kontinentaleuropäischen Staaten (Deutschland, Niederlande und Frankreich).
6 angelsächsisch
6 skan dinavisch
5.5
6 kontinentaleuropäisch
5.5
5.5
5
5
5
4.5
4.5
4.5
4
4
4
3.5
3.5
3.5
3
3
3
2.5
2.5
2.5
1972 CAN
1982 GBR
1992 USA
2002
1972
IRL
6 post-sozialistisch
1982 DE N
1992 NO R
2002
1972
SW E
1982 G ER
1992 F RA
2002 NED
6 südeuropäisch
5.5
5.5
5
5
4.5
4.5
4
4
3.5
3.5
3
3
2.5
2.5 1972
1982 EST
PO L
1992 C ZE
2002 HUN
1972
1982 ESP
1992
2002
IT A
Quelle: eigene Darstellung auf Basis des GlobalIndex Abbildung 2: Entwicklung des Globalisierungsgrades (GlobalIndex)
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Erst mit größerem Abstand folgen die südeuropäischen Staaten (Italien, Spanien) und schließlich die ehemaligen sozialistischen Länder wie Ungarn, Estland und die Tschechische Republik. Insbesondere in der Gruppe der post-sozialistischen Staaten ist dabei ein deutlicher Anstieg des Globalisierungsgrades seit dem politischen und wirtschaftlichen Systemwechsel der frühen 1990er Jahre zu beobachten. Ausgeprägte Länderunterschiede im Globalisierungsgrad der osteuropäischen Staaten verweisen allerdings darauf, dass es sich bei den osteuropäischen Ländern noch um einen sehr heterogenen Regimetyp handelt (vergleiche den Beitrag von Beyer, in diesem Band).
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Lebensverläufe im Globalisierungsprozess
Die Ergebnisse der vorangegangenen Analysen belegen die zunehmende Bedeutung des Globalisierungsprozesses für moderne Industriegesellschaften. Wie aber wirken sich diese zunehmenden Globalisierungseinflüsse auf die Lebens- und Erwerbsverläufe von Männern und Frauen in diesen Gesellschaften aus? Das GLOBALIFE-Projekt untersuchte diese Fragestellung anhand von vier ausgewählten Lebenslaufübergängen: 1) dem Übergang von der Jugend in das Erwachsenenalter (vgl. Blossfeld et al. 2005), 2) der mittleren Erwerbskarriere von Männern (vgl. Blossfeld, Mills und Bernardi 2006a), 3) der mittleren Erwerbskarriere von Frauen, unter besonderer Berücksichtigung familienbedingter Unterbrechungen (vgl. Blossfeld und Hofmeister 2006), sowie 4) dem Verlauf später Erwerbskarrieren und dem Übergang in den Ruhestand (vgl. Blossfeld, Buchholz und Hofäcker 2006). Dabei zeigte sich, dass die Auswirkungen des Globalisierungsprozesses in verschiedenen Länderkontexten nicht zu dem gleichen Ergebnis führen. Vielmehr trifft der Globalisierungsprozess in unterschiedlichen Ländern auf verschiedene, fest verankerte institutionelle Strukturen, etwa wohlfahrtsstaatliche Einrichtungen oder bestimmte Formen der Regulierung von Arbeitsmärkten oder lokale Normen und Werte, die den Globalisierungsprozess in spezifischer Weise filtern. Diese Institutionen wandeln sich zwar im Zuge des Globalisierungsprozesses, bleiben aber weiterhin von zentraler Bedeutung. Analytisch wurde dabei, in Anlehnung an etablierte Klassifikationen in der vergleichenden Wohlfahrtsstaats- und Arbeitsmarktforschung (Esping-Andersen 1999, Ferrara 1996) zwischen fünf verschiedenen Ländergruppen unterschieden:
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1) den liberalen Wohlfahrtsstaaten (Kanada, Großbritannien und den Vereinigten Staaten), 2) den konservativen Wohlfahrtsstaaten (Deutschland, die Niederlande und Frankreich), 3) den sozialdemokratischen Wohlfahrtsstaaten (Norwegen, Dänemark und Schweden), 4) den familienorientierten Staaten (Italien, Spanien, Irland und Mexiko), sowie 5) den post-sozialistischen Staaten (Estland, Ungarn, Tschechische Republik, und Polen). Die folgenden Abschnitte fassen die wesentlichen Ergebnisse der einzelnen Projektphasen in kompakter Form zusammen. 4.1
Junge Erwachsene: die Verlierer der Globalisierung
Die Ergebnisse des GLOBALIFE-Projektes zeigen, dass insbesondere junge Menschen in besonderem Maße von der Globalisierung betroffen sind (Blossfeld et al. 2005). In nahezu allen modernen Industriestaaten werden junge Menschen mit zunehmenden Unsicherheiten beim Einstieg in das Erwerbsleben konfrontiert. So kommt es in den durch Insider-Outsider-Märkte gekennzeichneten Staaten Südeuropas (aber auch z. T. in Deutschland) vermehrt zu Arbeitslosigkeit und/ oder zeitlich befristeten Beschäftigungsverhältnissen; insbesondere in Südeuropa zeigt sich zudem ein Anwachsen prekärer Selbständigkeit. In den Niederlanden werden junge Männer und Frauen vermehrt nur in Teilzeitarbeit in das Erwerbsleben integriert. In den offenen Beschäftigungsverhältnissen der liberalen Länder (USA, Großbritannien) gehören flexible Arbeitsformen zwar seit längerer Zeit bereits zum arbeitsmarktpolitischen Standard; hier spiegeln sich die Auswirkungen des Globalisierungsprozesses vor allem in wachsenden Einkommensverlusten über die Generationen hinweg wider. Grundlage der überproportionalen Verlagerung von Arbeitsmarktrisiken auf Jugendliche und junge Erwachsene ist deren mangelnde Verankerung am Arbeitsmarkt und in betrieblichen Netzwerken (Blossfeld et al. 2005). So ist es ihnen nicht möglich, stabile und kontinuierliche Arbeitsverhältnisse einzufordern. Ihre Arbeitsverträge können dementsprechend im Globalisierungsprozess vergleichsweise einfach flexibilisiert und zu ihren Lasten verschlechtert werden. Aufgrund der im Globalisierungsprozess zunehmenden Beschäftigungsunsicherheiten und geringerer Einkommen unter jungen Menschen können diese generell als Verlierer des Globalisierungsprozesses angesehen werden (Blossfeld et al. 2005).
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Als Konsequenz der gestiegenen Erwerbsunsicherheiten schieben junge Menschen in zunehmendem Maße langfristig bindende Entscheidungen, wie etwa das Eingehen einer Partnerschaft und die Gründung einer Familie, auf oder verzichten sogar völlig darauf (Blossfeld et al. 2005). Die Jugendphase wird dadurch immer mehr zu einem „Moratorium“ und Übergänge in das Erwerbsleben verlaufen oft „chaotisch“. An die Stelle langfristiger Bindungen treten immer häufiger flexible Formen von Partnerschaften (z.B. nicht-eheliche Lebensgemeinschaften), die eine Anpassung an die veränderten Bedingungen von Unsicherheit ohne das Eingehen langfristig bindender Versprechen ermöglichen. Auch im Erwerbsleben weichen junge Menschen zunehmend in Alternativrollen zur Erwerbstätigkeit aus. Sie bleiben z.B. länger im Bildungssystem anstatt sich als „arbeitslos“ definieren zu lassen. Bemerkenswerterweise kommt es bei den Auswirkungen zunehmender Beschäftigungsunsicherheiten auf Partnerschaft und Familiengründung nicht auf das absolute Unsicherheitsniveau an, sondern auf das in einem Land von den Arbeitskräften jeweils subjektiv erlebte relative Unsicherheitsniveau, das durch den alltäglichen Vergleich der eigenen Arbeitsmarktlage mit „signifikanten Anderen“ (wie Freunde, Verwandte, Bekannte, berufliche Vorbilder) entsteht. So ist beispielsweise in den hochgradig flexiblen und wenig regulierten „hire and fire“-Arbeitsmärkten der Vereinigten Staaten das absolute Unsicherheitsniveau weit höher als in vielen europäischen Ländern. Gleichzeitig können (junge) Menschen in den USA jedoch darauf vertrauen, dass sie im flexiblen amerikanischen Arbeitsmarkt rasch wieder einen anderen Job finden können (Blossfeld et al. 2005). In den Insider-Outsider-Märkten Europas, in denen das „Outsider-Sein“ oft einen identitätsgefährdenden, dauerhaften Ausschluss vom Arbeitsmarkt bedeutet und flexible Beschäftigungsverhältnisse in der Regel nur als eine Behelfs- und Übergangslösung zu einer dauerhaften Beschäftigung betrachtet werden, bekommt Arbeitsmarktunsicherheit hingegen eine andere, wesentlich kritischere soziale Bedeutung. Beschäftigungsunsicherheiten werden dort subjektiv als gravierend negativer erfahren als an flexiblen Arbeitsmärkte wie in den USA. Einen bemerkenswerten Sonderfall stellt in diesem Zusammenhang Irland dar (Blossfeld et al. 2005). Irland, das Ende der 1990er Jahre auf seinem Arbeitsmarkt nahezu Vollbeschäftigung erreichen konnte, ist das einzige Land im Rahmen der Untersuchungen des GLOBALIFE-Projektes, in dem die Globalisierung tatsächlich zu einer Abnahme von Unsicherheiten geführt hat. Seit Mitte der 1990er Jahre ist in Irland auch ein deutlicher Wiederanstieg der Heirats- und Geburtenraten zu beobachten. Der irische Fall ist damit nahezu ein ‚Bilderbuchbeispiel’ dafür, wie ein Land von Globalisierung profitieren kann, indem es sich der Konkurrenz auf
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dem Weltmarkt stellt, offene Handelsbeziehungen fördert und steuerliche Anreize für ausländische Investoren anbietet. 4.2
Qualifizierte Männer in der Mitte ihrer Erwerbskarriere: Die Gewinner der Globalisierung?
Während sich die Arbeitsmarktsituation Jugendlicher und junger Erwachsener somit im Globalisierungsprozess deutlich verschlechtert hat, belegen die Ergebnisse der zweiten Forschungsphase des GLOBALIFE-Projektes, dass die mittleren Erwerbskarrieren von Männern im gleichen Zeitraum weitgehend stabil geblieben sind. Globalisierung führt damit keinesfalls, wie vielfach angenommen, in allen modernen Gesellschaften zu einer zunehmenden Aushöhlung traditioneller männlicher Beschäftigungsverhältnisse bzw. zur Verbreitung von „Patchwork-Karrieren“. Insbesondere gut qualifizierte männliche Arbeitnehmer erweisen sich auf dem Arbeitsmarkt als „geschützte“ Gruppe: Bei diesen Arbeitnehmern bemühen sich Unternehmen, ein Vertrauensverhältnis aufrechtzuerhalten, um diese langfristig an sich zu binden und Personalfluktuationen zu vermeiden (Blossfeld, Mills und Bernardi 2006). Notwendige Flexibilisierungsmaßnahmen werden vor allem auf Kosten weniger qualifizierter Mitarbeiter realisiert. Es kommt damit zur Herausbildung einer Gruppe von niedrig qualifizierten Risikoarbeitnehmern, etwa männlichen Langzeitarbeitslosen, denen es nicht gelingt, erfolgreich in den Arbeitsmarkt zurückzukehren. Diese ambivalenten Ziele (Flexibilität versus Stabilität/Kontinuität) führen zu einer Segmentierung der Arbeitskräfte in Kern- und Randgruppen, in „Insider“ und „Outsider“ des Arbeitsmarktes - wobei sich im Globalisierungsprozess die Grenze zwischen denjenigen, die zu den Insidern und denjenigen, die zu den Outsidern gehören, zunehmend verschiebt, im Wesentlichen zuungunsten der jeweils weniger Qualifizierten (Blossfeld, Mills und Bernardi 2006). Darüber hinaus zeigen die Ergebnisse vergleichender Forschung, dass auch für die Entwicklung der Erwerbskarrieren von Männern im Globalisierungsprozess die Gestaltung länderspezifischer Institutionen von zentraler Bedeutung ist (Blossfeld, Mills und Bernardi 2006): In sozialdemokratischen, familienorientierten und konservativen Wohlfahrtsregimen, in denen wohlfahrtsstaatliche Arrangements und ein ausgeprägter Kündigungsschutz am Arbeitsmarkt etablierte Arbeitskräfte vor den Unsicherheiten des Globalisierungsprozesses schützen, ist für die Mehrheit der Männer eine hohe Stabilität ihrer Erwerbskarrieren zu beobachten. Sie sind hier auch heute noch die gut geschützten „Insider“ des Arbeitsmarktes. Dagegen werden Männer in den hochgradig flexiblen und deregulierten Arbeitsmärkten der liberalen Länder bereits seit mehreren Jahrzehnten mit flexiblen
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Erwerbskarrieren konfrontiert, die sich im Globalisierungsprozess weiter verbreitet haben. Auch in Mexiko führte eine zunehmend „marktliberale“ Politik durch Weltmarktöffnung und Privatisierung zu einer Beschränkung der beruflichen und finanziellen Aufstiege von Männern im „offiziellen Arbeitsmarkt“ und trug dadurch zu einem Anwachsen der informellen Schattenökonomie bei. Sowohl in den USA als auch in Mexiko fällt zudem die Gruppe von „Globalisierungsverlierern“ besonders groß aus. In jüngerer Vergangenheit lässt sich auch in den osteuropäischen Staaten im Zuge des Zusammenbruchs des Sozialismus und der zunehmenden Öffnung gegenüber dem Weltmarkt ein starker Anstieg von Erwerbsunsicherheiten für Männer in der Lebensmitte beobachten (Blossfeld, Mills und Bernardi 2006). 4.3
Erwerbskarrieren von Frauen im Globalisierungsprozess: Zwischen Integration und Marginalisierung
Die Ergebnisse der dritten Projektphase des GLOBALIFE-Projektes zeigen für Frauen in der Mitte ihres Lebens eine Entwicklung, die sich deutlich von den Ergebnissen für Männer im selben Lebensabschnitt unterscheidet. Während bei Männern eine weitgehende Stabilität von Erwerbskarrieren im Globalisierungsprozess zu beobachtet ist, weisen die Ergebnisse der GLOBALIFE-Analysen auf deutlich ambivalentere Auswirkungen des Globalisierungsprozesses für Frauen und ihre Erwerbstätigkeit hin (Blossfeld und Hofmeister 2006). Auf der einen Seite trug der Prozess der Globalisierung in einer Reihe von Ländern (Spanien, Italien, Deutschland, die Niederlande, Schweden, Großbritannien und den Vereinigten Staaten) zur Schaffung neuer Beschäftigungsmöglichkeiten für Frauen bei. Die wachsende Notwendigkeit eines zweiten Haushaltseinkommens sowie die zunehmende gesellschaftliche Akzeptanz der Erwerbstätigkeit verheirateter Frauen begünstigten eine bessere Integration der Frauen in nationale Arbeitsmärkte und trugen im Kohortenvergleich zu einer Verkürzung von Erwerbsunterbrechungen bei. Gleichzeitig belegen die Ergebnisse in Blossfeld und Hofmeister (2006) länderübergreifend eine Tendenz zur Verlagerung von Beschäftigungsunsicherheiten auf Frauen als „Außenseiter“ des Arbeitsmarktes. Frauen sind überproportional in den unsicheren, flexiblen Beschäftigungsverhältnissen zu finden, die sich im Zuge des Globalisierungsprozesses ausweiten. Globalisierung trägt damit sowohl zur Integration als auch zur „Marginalisierung“ von Frauen auf dem Arbeitsmarkt bei. Je nach der Ausgestaltung nationaler Institutionen zeigt sich dabei ein unterschiedliches Verhältnis von Integrations- und Marginalisierungseffekten im Arbeitsmarkt: Am umfassendsten sind Frauen in den sozialdemokratischen Ländern
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in das Erwerbsleben integriert. Der Ausbau des öffentlichen und privaten Dienstleistungssektors und die staatliche Förderung familienfreundlicher Maßnahmen eröffnen Frauen hier, trotz wachsender Fluktuationen im Globalisierungsprozess, vergleichsweise gute, stabile Beschäftigungsmöglichkeiten und unterstützen ihre schnelle Rückkehr in den Arbeitsmarkt nach einer familienbedingten Unterbrechung. Demgegenüber werden Frauen in Staaten, die wenig Unterstützung für Familien bieten und arbeitsmarktpolitisch einer „laissez-faire“-Politik folgen (z. B. Estland, USA), vielfach aufgrund finanzieller Notwendigkeiten in den Arbeitsmarkt gedrängt. Insbesondere Frauen mit geringem Einkommen stehen dadurch oftmals vor dem Dilemma, informelle Lösungen für die Betreuung ihrer Kinder zu suchen und jede Form von Erwerbstätigkeit zur finanziellen Unterstützung ihrer Familien anzunehmen. In konservativen (z. B. Deutschland) und südeuropäischen Staaten (Italien, Spanien), erschweren hingegen rigide Insider-Outsider-Arbeitsmärkte sowie die defizitäre Infrastruktur zur Kleinkinderbetreuung Frauen mit Familienverpflichtungen die Aufnahme einer (Vollzeit-) Erwerbstätigkeit. Entsprechend spielt in den konservativen Staaten, insbesondere in Deutschland und den Niederlanden, die Teilzeitarbeit eine besonders große Rolle für Frauen zur Vereinbarkeit von Familie und Beruf. Frauen mit Kindern nehmen hier oft den Status einer Zuverdienerin zum Haushaltseinkommen ein, während sich berufsorientierte Frauen häufig dafür entscheiden, einer Vollzeittätigkeit nachzugehen und ggf. kinderlos zu bleiben bzw. weniger Kinder zu bekommen als eigentlich gewünscht (Blossfeld und Hofmeister 2006). Einen besonderen Verlauf nahm die Frauenerwerbstätigkeit in den post-sozialistischen Staaten Osteuropas seit dem Fall des „Eisernen Vorhangs“ und der damit verbundenen plötzlichen Integration dieser Länder in die Weltwirtschaft: Während hier einerseits wie in liberalen Staaten die wirtschaftliche Notwendigkeit die Erwerbstätigkeit beider Ehepartner erfordert, fehlen andererseits die entsprechenden flexiblen Arbeitsformen. Dies führt in den osteuropäischen Staaten zu einer Polarisierung zwischen Vollzeit arbeitenden Frauen auf der einen und erwerbslosen Frauen auf der anderen Seite (Blossfeld und Hofmeister 2006). 4.4
Ältere Arbeitnehmer: Verdrängt aus den globalisierten Arbeitsmärkten?
Ältere Arbeitnehmer nehmen im Globalisierungsprozess eine „Sonderstellung“ auf dem Arbeitsmarkt ein: Zum einen befinden sie sich in vielen Ländern nach längerer Betriebszugehörigkeit oft in Arbeitsverhältnissen mit umfassenderem Kündigungsschutz und hohen „Senioritätslöhnen“. Andererseits verfügen sie aber aufgrund des rapiden technologischen Wandels tendenziell eher über veraltete be-
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rufliche Qualifikationen, deren „Auffrischung“ für Betriebe aufgrund der kürzeren verbleibenden Lebensarbeitszeit meist wenig rentabel ist. Ältere Arbeitnehmer haben somit auf dem Arbeitsmarkt Kosten- und Produktivitätsnachteile im Vergleich zu den jüngeren Arbeitnehmern, die zumeist über modernere Qualifikationen verfügen und eher bereit sind, flexiblere Arbeitsverhältnisse mit geringerer Bezahlung einzugehen (Blossfeld, Buchholz und Hofäcker 2006). Diese komparativen Wettbewerbsnachteile älterer Arbeitnehmer trugen dazu bei, dass sich in allen in Blossfeld, Buchholz und Hofäcker (2006) untersuchten Ländern seit Beginn der 1970er Jahre ein Trend zu einem immer früheren Ausstieg älterer Arbeitnehmer aus dem Arbeitsmarkt zeigte. Das Ausmaß dieses Frühverrentungstrends variiert jedoch im internationalen Vergleich: In den konservativen sowie den südeuropäischen Staaten ist der Trend zum vorzeitigen Ausstieg aus dem Erwerbsleben am deutlichsten ausgeprägt. So waren beispielsweise in Deutschland und den Niederlanden zum Ende der 1990er Jahre nur noch etwa ein Drittel aller männlichen Arbeitnehmer im Vorruhestandsalter (60-64 Jahre) aktiv erwerbstätig. Zur Bewältigung des globalen Wettbewerbsdrucks und des wirtschaftlichen und beruflichen Strukturwandels wurde hier umfassend auf staatliche Frühverrentungsprogramme zurückgegriffen, die älteren Arbeitnehmern mit größerem Kündigungsschutz einen Ausstieg aus dem Arbeitsmarkt ermöglichten und damit den Rationalisierungsbestrebungen der Betriebe nachkamen. Gleichzeitig trugen diese Regelungen dazu bei, dass nationale Arbeitsmärkte in Zeiten steigender und zunehmend persistenter Arbeitslosigkeit merklich entlastet wurden. Die umfangreiche Kompensation eines verfrühten Erwerbsausstiegs durch umfangreiche staatliche (und z.T. auch betriebliche) Leistungen garantierte zudem die Akzeptanz derartiger Regelungen durch die Arbeitnehmer selbst. Viele post-sozialistischen Staaten übernahmen ebenfalls diese Frühverrentungsstrategie, um der nach dem Systemwechsel sprunghaft angestiegenen Arbeitslosenrate Herr zu werden und den Übergang von der Plan- zur Marktwirtschaft ‚sozialverträglich’ zu gestalten (Blossfeld, Buchholz und Hofäcker 2006). Andere Länder entschieden sich hingegen dafür, auf kostenintensive Frühverrentungsmaßnahmen weitgehend zu verzichten und älteren Arbeitnehmern durch die Förderung lebenslangen Lernens sowie durch Investitionen in deren Beschäftigungsfähigkeit die Möglichkeit zu geben, sich flexibel an die Herausforderungen des rasanteren Berufsstrukturwandels anzupassen (Blossfeld, Buchholz und Hofäcker 2006). Hierbei lassen sich allerdings zwei verschiedene Strategien unterscheiden: In den liberalen Staaten ermöglichen ein flexibler Arbeitsmarkt und ein wenig standardisiertes, auf praktischem „Lernen am Arbeitsplatz“ beruhendes (Fort-)
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Bildungssystem älteren Arbeitnehmern, sich flexibel durch Mobilität an wandelnde Arbeitsmarktbedingungen und -anforderungen anzupassen. Niedrige staatliche Renten sowie die hohe Bedeutung privater Absicherung führen außerdem dazu, dass ältere Arbeitnehmer aus finanziellen Gründen lange Erwerbskarrieren anstreben und erst spät(er) aus dem Erwerbsleben aussteigen. Arbeitnehmer mit geringen finanziellen Ressourcen sind in diesen Ländern mitunter sogar über das Rentenalter hinaus zwangsweise erwerbstätig oder kehren aus dem Ruhestand in die Erwerbstätigkeit zurück (Blossfeld, Buchholz und Hofäcker 2006). Während in den liberalen Staaten somit ein residualer Staat die Erwerbstätigkeit älterer Arbeitnehmer weitgehend dem freien Spiel der Marktkräfte überlässt, werden in den skandinavischen Staaten ältere Arbeitnehmer explizit durch öffentliche Programme und Maßnahmen unterstützt. Hier begünstigen eine beschäftigungsfördernde Arbeitsmarktpolitik, die große Bedeutung lebenslangen Lernens und beruflicher Weiterqualifikation sowie der weitgehende Verzicht auf umfangreiche Vorruhestandsprogramme eine lange Erwerbskarriere und einen späteren Erwerbsausstieg. Infolge der umfangreichen staatlichen Unterstützung befinden sich ältere Arbeitnehmer in den sozialdemokratischen Staaten in weitgehend stabilen Arbeitsverhältnissen (Blossfeld, Buchholz und Hofäcker 2006). Eine bemerkenswerte Ausnahme stellt in den Untersuchungen des GLOBALIFE-Projektes jedoch Estland dar (Blossfeld, Buchholz und Hofäcker 2006). Hier führte die Arbeitsmarkt- und Sozialpolitik der frühen 1990er Jahre zu einer dramatischen Verschlechterung der finanziellen Lage älterer Arbeitnehmer: Einerseits garantieren staatliche Renten keinen ausreichenden Lebensstandard, andererseits hindert ein rigider „Insider-Outsider-Arbeitsmarkt“ ältere Arbeitnehmer daran, ihren Lebensstandard durch Erwerbstätigkeit zusätzlich abzusichern. Das Beispiel Estlands verweist damit auf die notwendige wechselseitige Abstimmung verschiedener arbeitsmarkt- und rentenpolitischer Maßnahmen bei den gegenwärtigen Versuchen zur Umkehr des kostenintensiven Frühverrentungstrends. Die vielfach vorgeschlagene Option einer reinen Kürzung von Frühverrentungsanreizen greift demzufolge zu kurz und muss durch Maßnahmen zur Verbesserung der Arbeitsmarktposition älterer Arbeitnehmer ergänzt werden. 4.5
Die zunehmende Bedeutung von Humankapital im Globalisierungsprozess
Die vorangegangenen Ergebnisse zeigen, dass nationale Institutionen den Globalisierungsprozess in spezifischer Weise „filtern“ und zu unterschiedlichen Lebens- und Erwerbsverlaufmustern auf der Ebene von Nationalstaaten führen (Blossfeld et al. 2005). Neben diesen signifikanten Unterschieden auf der Makroebene haben auch individuelle Charakteristika, wie etwa Bildung und beruflicher
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Status im Globalisierungsprozess an Bedeutung gewonnen. Dieses Ergebnis zeigt sich für alle untersuchten Lebenslaufphasen: § Für junge Menschen wird Bildung im Globalisierungsprozess immer wichtiger. Besonders hart von den globalen Veränderungen werden Berufseinsteiger ohne Qualifikation getroffen. Sie tragen in fast alle untersuchten Ländern ein besonders hohes Risiko in prekäre Beschäftigungsformen verdrängt oder (dauerhaft) arbeitslos zu werden. Gut gebildeten Jugendlichen gelingt es hingegen besser, sich am Arbeitsmarkt zu etablieren und ihre Beschäftigungsposition zu stabilisieren (Blossfeld et al. 2005). § Auch bei Männern erhöhen ein niedriger Bildungsabschluss und geringes berufliches Humankapital die Wahrscheinlichkeit zur marginalisierten Gruppe von „Risikoarbeitnehmern“ zu gehören, denen es nicht gelingt, sich im globalisierten Arbeitsmarkt dauerhaft zu etablieren. Männer mit höherer Bildung und höherem beruflichen Status gehören hingegen weiterhin zu den geschützten „Insidern“ des Arbeitsmarktes (Blossfeld, Mills und Bernardi 2006). § Ebenso sind auch für Frauen in der Lebensmitte individuelle Ressourcen von zentraler Bedeutung für den Verlauf ihrer Erwerbskarrieren. Dieser Bildungseffekt wirkt zudem kumulativ: Gut gebildete, junge Frauen in modernen, wissensbasierten Wirtschaftsbereichen verfügen über die größten Chancen, Arbeitslosigkeit zu vermeiden und beruflich aufzusteigen. Benachteiligt sind demgegenüber im Globalisierungsprozess Frauen mit geringer Bildung, mit wenig Berufserfahrung und mit häufigeren und längeren Phasen der Arbeitslosigkeit und familiären Erwerbsunterbrechungen. Sie tragen ein hohes Risiko, in unsicheren, marginalisierten Beschäftigungsverhältnissen arbeiten zu müssen oder (wieder) arbeitslos zu werden (Blossfeld und Hofmeister 2006). § Individuelle Humankapitalressourcen helfen schließlich auch älteren Arbeitnehmern, länger erwerbstätig zu bleiben und senken ihr Risiko arbeitslos zu werden oder beruflich abzusteigen. Kontinuierliche berufliche Fort- und Weiterbildungsmaßnahmen im gesamten Erwerbsverlauf unterstützen zudem ältere Arbeitnehmer bei der Anpassung an sich rasch wandelnde Arbeitsmärkte (Blossfeld, Buchholz und Hofäcker 2006). Zusammengenommen hat Globalisierung somit zu einer Verstärkung sozialer Ungleichheiten in westlichen Industriegesellschaften geführt. Aufgrund der zunehmenden Bedeutung von Märkten werden individuelle Arbeitsmarktressourcen und individuelle Merkmale (wie etwa Bildung, berufliche Qualifikationen, Berufserfahrung, Geschlecht oder Lebensalter) für den Erwerbsverlauf immer wichtiger. Sie verstärken damit noch zusätzlich die bereits durch das Bildungssystem angelegten Ungleichheiten innerhalb moderner Gesellschaften.
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Zusammenfassung: Globalisierung, Lebensverlaufsmuster und die Entwicklung sozialer Ungleichheiten
Die hier vorgestellten Ergebnisse der aktuellen soziologischen Forschung zur Globalisierung und ihren Auswirkungen auf Lebensverläufe in modernen Gesellschaften sprechen somit in mehrfacher Hinsicht für eine differenzierte Betrachtungsperspektive: Globalisierung stellt zum einen ein multidimensionales Phänomen dar, dass Nationalstaaten in zunehmendem Maße, aber auch in unterschiedlicher Intensität betroffen hat. Theoretische Ansätze müssen dieser Mehrdimensionalität des Globalisierungsprozesses ebenso Rechnung tragen wie empirische Ansätze zur quantitativen Erfassung des Globalisierungstrends und seiner Folgen. Sowohl das hier vorgeschlagene Globalisierungskonzept als auch der vorgestellte GlobalIndex können wertvolle Anhaltspunkte für weitere Forschungen bieten. Differenziert werden muss jedoch auch hinsichtlich der Folgen des Globalisierungsprozesses für Lebensverläufe in den modernen Gesellschaften Europas und Nordamerikas, die in besonderer Weise vom Globalisierungsprozess betroffen sind: § Zum einen erweisen sich nationale Institutionen auch im Globalisierungsprozess als wesentliche und einflussreiche Rahmenbedingungen von individuellen Lebens- und Erwerbsverläufen in modernen Gesellschaften. Die Ergebnisse des GLOBALIFE-Projektes und der Forschungsaktivitäten im Rahmen des TransEurope-Netzwerks widersprechen damit explizit der These vom nahenden „Ende des Nationalstaats“ (Ohmae 1990, Beck 2000): Zwar wandeln sich länderspezifische Institutionen im Zuge des Globalisierungsprozesses, sie bleiben aber weiterhin von zentraler Bedeutung. Sie filtern die Auswirkungen des Globalisierungsprozesses und strukturieren damit in international unterschiedlicher Weise die Erwerbschancen und -risiken verschiedener Arbeitsmarktgenerationen in modernen Industriegesellschaften. § Zum anderen zeigen sich auch innerhalb moderner Gesellschaften deutliche Unterschiede in den Auswirkungen des Globalisierungsprozesses auf individuelle Lebensverläufe. Insbesondere der Bedeutungszuwachs von Humankapitalressourcen für den Verlauf von Erwerbskarrieren trägt zur Persistenz oder gar Verstärkung von gesellschaftlichen Ungleichheiten im Globalisierungsprozess bei. Entgegen der vielfach prognostizierten „Generalisierung von Beschäftigungsunsicherheiten“ und der Entwicklung einer „Gesellschaft jenseits von Klasse und Schicht“ (Beck 1983, 1986) bleiben individuelle Bildungs- und Statusunterschiede somit auch im Globalisierungsprozess von zentraler Bedeutung.
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Bei den skizzierten Prozessen gilt es jedoch zu beachten, dass es sich hierbei um dynamische Prozesse in sich schnell wandelnden globalisierenden Gesellschaften handelt. Weitere Forschungsanstrengungen, wie etwa die des TransEurope-Projektes, sind somit notwendig, um den Verlauf und die Folgen des Globalisierungsprozesses auch zu Beginn des 21. Jahrhunderts differenziert nachzuzeichnen und zu erklären.
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Tabelle 1: Globalisierungsindex: Berücksichtigte Dimensionen und relative Gewichtung Indices and Variables A. Economic Globalization i) Economic Flows Trade (% of GDP) Foreign Direct Investment (% of GDP) Portfolio Investment (% of GDP) Income Payments to Foreign Nationals (% of GDP) ii) Economic Restrictions Hidden Import Barriers Mean Tariff Rate Taxes on International Trade (% of current revenue) Capital Account Restrictions B. Socio-technical interconnectedness i) Personal Contact Outgoing Telephone Traffic Transfers (% of GDP) International Tourism Foreign Population (% of total population)
overall: 31% 50% 24% 29% 16% 31%
4% 4% 2% 5%
23% 28% 26% 23%
4% 4% 4% 4%
22% 29% 33% 16%
4% 5% 5% 3%
50%
32% 50%
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Indices and Variables
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overall:
ii) Information Flows 50% Internet Hosts (per capita) 12% Internet Users (per capita) 12% Cable Television (per 1000 people) 7% Daily Newspapers (per 1000 people) 9% Radios (per 1000 people) 13% International Trade in Books and Pamphlets (in $ per capita) 18% International Trade in Newspapers and Periodicals 18% (in $ per capita) Fixed Line and Mobile Phone Subscribers (per 1000 people) 11% C. Cultural interconnectedness 31% i) Logic of expansion 50% Urban Population (% of total population) 37% High-technology exports (% of manufactured exports) 27% Total gross domestic expenditure on R&D (GERD) 36% (as percentage of gross domestic product (GDP)) ii) Values and Standards 50% Freedom House Index (Civil Liberties / Political Rights) 11% School enrollment, primary (% net) 28% School enrollment, primary, female (% net) 28% Public spending on education, total (% of GDP) 16% Number of McDonald’s Restaurants (per 100,000 people) 17% D. Political Globalization 6% Embassies in Country 36% Membership in International Organizations 36% Participation in U.N. Security Council Missions 29%
2% 2% 1% 1% 2% 3% 3% 2%
6% 4% 6%
2% 4% 4% 2% 3% 2% 2% 2%
Spielarten des Kapitalismus – Empirische Einwände gegen die Verfestigungsannahme1 Jürgen Beyer
Einleitung Marktwirtschaften können sich in erheblicher Weise unterscheiden. Nationale Differenzen zeigen sich beispielsweise in der Ausgestaltung der industriellen Beziehungen, an Aus- und Weiterbildungssystemen, den Institutionen der Unternehmenskontrolle und den Regelungen zur Beeinflussung der Beziehungen zwischen Unternehmen. Die Differenzen werden in einer inzwischen umfangreichen wissenschaftlichen Debatte unter dem Stichwort „Varieties of Capitalism“ bzw. „Spielarten des Kapitalismus“ empirisch untersucht und theoretisch reflektiert (einen Überblick über die Debatte geben: Jackson/Deeg 2006). Gemäß dieser Debatte treten marktrahmende Institutionen zumeist in charakteristischen Konstellationen auf. Die Institutionen stehen in „Wahlverwandtschaft“ zueinander bzw. sind komplementär aufeinender bezogen. Im liberalen, angloamerikanischen Kapitalismus wird die Handlungskoordination der Marktakteure aufgrund der spezifischen institutionellen Ausprägungen primär auf die Wirkungen des Wettbewerbsmechanismus zurückgeführt, der kontinentaleuropäischen Variante des Kapitalismus wird hingegen in der Regel eine deutlich höhere Bedeutung strategisch koordinierten Handelns zugeschrieben (vgl. Hall/Gingerich 2004). Vor dem Hintergrund einer verstärkten globalen Integration von Güter- und Kapitalmärkten kreist die Debatte insbesondere um die Frage, wie nationale Ökonomien auf den verschärften Wettbewerb der marktwirtschaftlichen Systeme reagieren. Zentrale Protagonisten der Diskussion gehen hierbei von der relativen Stabilität nationaler Institutionensysteme und damit vom weitgehenden Fortbestand der Differenzen zwischen verschiedenen Spielarten des Kapitalismus aus (vgl. Soskice 1999a, Hall/Soskice 2001, Hall/Thelen 2006).2 Die Komplementarität der marktrahmen1 Die empirischen Ergebnisse beruhen auf Forschungen, die im Rahmen des vom Verfasser geleiteten DFG-Projekts „Verfestigte institutionelle Vielfalt“ durchgeführt wurden. Im Projekt wurden einerseits die Internationalisierungsstrategien deutscher Unternehmen mit Fallstudien und quantitativen Methoden untersucht, andererseits wurde auf Grundlage wirtschaftssektoraler Aggregatdaten überprüft, ob sich zunehmende Spezialisierungen in Richtung bestehender Wettbewerbspositionen in ländervergleichender Perspektive nachweisen lassen. 2 Bei Hall und Thelen heißt es etwa: “On the whole, our analysis suggests that coordinated and liberal market economies are changing but in terms that are likely to leave them quite different
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den Institutionen wird von ihnen als Schutz vor einer fundamentalen Veränderung der Gegebenheiten angesehen (Crouch 2005, Höpner 2005), da einzelne Elemente ohne erhebliche ökonomische Einbußen nicht einseitig aus dem institutionellen Rahmen herausgelöst werden könnten (Soskice 1999b:208). Aus den historisch gewachsenen institutionellen Konstellationen ergäben sich daher Entwicklungspfade, die den Weg der marktwirtschaftlichen Systeme nachhaltig prägten (Antonelli 1997, North 1990, Zysman 1994). Zudem wird angenommen, dass jeder Spielart des Kapitalismus komparative Vorteile eigen sind, die auf der jeweils zugrunde liegenden unterschiedlichen institutionellen Struktur basieren. Diese komparativen Vorteile werden als Garanten des Fortbestands der institutionellen Differenzen angesehen (Franzese/Mosher 2002, Hall/Gingerich 2004). Bei gestiegenem Konkurrenzdruck und der fortschreitenden Globalisierung von Güter- und Kapitalmärkten sei daher nicht mit institutioneller Konvergenz, sondern mit einer Verfestigung der bestehenden Differenzen zu rechnen (vgl. Deeg/Jackson 2006). Im Folgenden wird die These der institutionellen Verfestigung einer kritischen Analyse unterzogen. Anhand empirischer Beobachtungen wird in Frage gestellt, dass die Spielarten des Kapitalismus als in sich stabile institutionelle Konstellationen aufgefasst werden können. Es wird argumentiert, dass die Stabilitätserwartung auf Prämissen der strategischen Orientierung von Unternehmen beruht, die nicht zwangsläufig gegeben sind (Teil 1). Anhand der Analyse deutscher Unternehmen wird im Gegenteil gezeigt, dass institutionelle Konstellationen die Entscheidung für Geschäftsführungsstrategien nicht ausschließen, die den Bestand der Konstellation in Frage stellen (Teil 2 und 3). Anschließend wird mittels eines internationalen Vergleichs nationaler Wettbewerbspositionen und wirtschaftssektoraler Spezialisierungen verdeutlicht, dass die langfristigen Entwicklungen auch auf Aggregatebene kaum für eine institutionelle Verfestigung der Spielarten des Kapitalismus sprechen (Teil 4).
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Prämissen der Verfestigungsthese
Die globale Ausrichtung von Unternehmensstrategien gilt als eine treibende Kraft der häufig mit dem Begriff „Globalisierung“ belegten wirtschaftlichen Internationalisierung.3 Der Prozess der Internationalisierung von Unternehmen steht hierbei bei vielen Kritikern der Globalisierung in Verdacht, die institutionelle Vielfalt der Fortsetzung Fußnote 2 from each other, despite the ‘liberalizing’ reforms of recent decades and despite significant changes in coordinated market economies.” (Hall/Thelen 2006: 30) 3 Bei Hartmut Hirsch-Kreinsen (1999: 115) findet sich beispielsweise folgende definitionsnahe Formulierung: „Zwar sind Reichweite und Intensität der Globalisierung umstritten ...,
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bestehenden Wirtschaftsordnungen zu reduzieren und somit konvergierend zu wirken (Grahl 2001, Katz/Darbishire 2000, Lane 2003, Ohmae 1996, 1999). Aus Sicht der Vertreter der Konvergenzthese gehen Internationalisierungsprozesse mit einer Machtverlagerung zu Gunsten der Unternehmen einher. Durch Standortverlagerungen könnten diese verstärkt in marktgeprägte institutionelle Kontexte abwandern (Exit) oder aber die gewonnene Unabhängigkeit vom Ursprungskontext zur Durchsetzung von Deregulierungswünschen an bestehenden Standorten nutzen (Voice) und so eine Vereinheitlichung der Wirtschaftsordnungen herbeiführen. Dieser Argumentation liegt die Annahme zugrunde, dass Unternehmen prinzipiell an einem wenig restriktiven, liberalen institutionellen Kontext interessiert seien. Die Vertreter der Verfestigungsthese unterstellen hingegen eine gänzlich andere, aber nicht minder eindeutige Orientierung bezüglich der strategischen Ausrichtung von Unternehmen. Ausgehend von der Annahme, dass unterschiedliche Institutionensysteme jeweils auch unterschiedliche Unternehmen begünstigen, nehmen sie an, dass Unternehmen sich jeweils spezifisch an ihren Standort angepasst haben. Daraus wird geschlossen, dass nicht davon ausgegangen werden kann, dass ein einziges Institutionensystem oder eine bestimmte Wirtschaftsordnung von allen Unternehmen als optimal eingestuft wird (Haake 2002, Hall/Soskice 2001, Soskice 1999a). Aufgrund unterschiedlicher komparativer Vorteile der verschiedenen Institutionensysteme sei daher selbst bei gestiegenem Konkurrenzdruck mit einer Verfestigung bestehender institutioneller Differenzen zu rechnen.4 In koordinierten Ökonomien werde beispielsweise die Ausbildung eines Produktionsregimes begünstigt, in dem ein Großteil der Beziehungen von Unternehmen auf strategischer Koordination beruht, der Staat ordnungspolitische Vorgaben setzt und die Arbeitnehmer in ein System des wirtschaftlichen Interessenausgleichs „inkorporiert“ seien (Soskice 1999b:204). Dieses Produktionsregime wird als vorteilhaft für die Durchführung einer diversifizierten Qualitätsproduktion und Fortsetzung Fußnote 3 jedoch ist unstrittig, dass Globalisierung ein sich intensivierender Prozess ist, dessen treibende Kraft global orientierte Unternehmensstrategien sind.“ 4 Die Theorie komparativer Kostenvorteile geht auf David Ricardo zurück. Das Konzept der komparativen Kostenvorteile geht davon aus, dass ein Land – trotz absoluter Kostennachteile bei sämtlichen Produktionsmöglichkeiten – relative Vorteile bei der Herstellung einzelner Produkte hat und damit erfolgreich am internationalen Handel partizipieren sowie Tauschvorteile erzielen kann. Entsprechend dieser Theorie wird unbeschränkter Außenhandel letztlich zu Produktionsspezialisierungen führen. Peter Hall und David Soskice sehen institutionelle Differenzen als wesentlichen Einflussfaktor für Produktionskosten an und sprechen daher in Analogie zur Außenhandelstheorie Ricardos von „comparative institutional advantages“ (Hall/Soskice 2001:36).
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als hinderlich für kurzfristig orientierte Produktmarktstrategien angesehen (Soskice 1999b:212, Casper 1998). Zur Sicherung der komparativen Vorteile würden die Unternehmen und ihre Verbandsorganisationen die institutionellen Gegebenheiten nicht ernsthaft in Frage stellen, sondern vielmehr stützen: „...we argue that the most powerful actors in the coordinated economies have been formal or informal business representatives. Among these representatives or influencing them, have been leading multinationals, those often most concerned with global pressures. Paradoxical though it may initially seem, the thesis ... is that organized business has sought not de-regulation but re-regulation in order to face up most effectively to global markets. The reason for this has been the need of businesses to preserve for their companies long-term financial frameworks, cooperative skilled work forces, and research networks in order to remain competitive in world markets where such resources give them a comparative advantage“ (Soskice 1999a:133-134). Die Internationalisierung von Unternehmen wird dementsprechend nicht als Standortflucht aufgefasst. Das in Konvergenzsicht antagonistisch gedachte Verhältnis zwischen der Internationalisierung von Unternehmen und der institutionellen Vielfalt marktwirtschaftlicher Systeme wird vielmehr anders gedeutet. Die institutionelle Vielfalt erscheint nun als Chance, die von den Unternehmen genutzt werden kann (Porter 1990). Von den sich internationalisierenden Unternehmen wird angenommen, dass sie Organisationsmuster entwickeln, mit denen sie sich an verschiedene institutionelle Kontexte anpassen (Lehrer 2001), institutionelle Arbitrage betreiben, indem sie nur jene Aktivitäten in andere institutionelle Kontexte verlagern, die sich dort effizienter realisieren lassen (Hall/Soskice 2001: 56-57) und nicht etwa einseitig in deregulierte oder liberalisierte Kontexte abwandern, sondern wechselseitig in die für sie jeweils optimalen institutionellen Kontexte. Die Inter- bzw. Multinationalisierung von Unternehmen führt in dieser Perspektive daher zur Verfestigung der bestehenden nationalen Differenzen: „Over time, corporate movements … should reinforce differences in national institutional frameworks, as firms that have shifted their operations to benefit from particular institutions seek to retain them.“ (Hall/Soskice 2001: 57) Die Vertreter der Verfestigungsthese gehen somit von einer allgemeingültigen unternehmensstrategischen Orientierung aus. Das Handlungsrepertoire der Unternehmensführung wird somit ähnlich eng spezifiziert, wie bei den mit Machtverschiebungen argumentierenden Vertretern der Konvergenzthese. Es wird nicht hinterfragt, ob andere Alternativen denkbar sind, obwohl die Internationalisierung
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von Unternehmen an sich auch durch Faktoren bedingt sein kann, bei denen die Ausnutzung institutioneller Differenzen nicht im Vordergrund steht (z.B. Motiv der Markterschließung, Risikodiversifizierung).5 Es wird zudem nicht problematisiert, ob wirklich alle internationalen Unternehmen lediglich rein adaptiv auf die Verschiedenartigkeit der nationalen Institutionensysteme reagieren, ob dies organisatorisch überhaupt realisierbar ist oder ob nicht vielmehr gilt, dass sich Unternehmen mit jeder Fusion, jedem Internationalisierungsschritt zunehmend von ihrem institutionellen Ursprung, und auch von jedem anderen nationalen Institutionensystem entfernen. Aufgrund der restriktiven Annahmen bezüglich der strategischen Orientierung von Unternehmen erscheint es daher durchaus hinterfragenswert, ob es sich bei der Verfestigungsthese um eine angemessene Deutung handelt. Für die Geltung der Verfestigungsthese würden folgende Befunde sprechen, deren Plausibilität im Folgenden anhand empirischer Beispiele bewertet wird: § eine organisatorische Anpassung internationalisierter Unternehmen an die institutionelle Vielfalt marktwirtschaftlicher Systeme, wobei im nationalen Kontext an etablierten Strategien festgehalten wird; § die strategische Nutzung von institutionellen Differenzen (institutionelle Arbitrage); § eine zunehmende (oder zumindest unveränderte) wirtschaftssektorale Spezialisierung zwischen liberalen und koordinierten Ökonomien.
2
Strategiewechsel
Die Vertreter der Verfestigungsthese gehen davon aus, dass Unternehmen im Zuge ihrer Internationalisierung nur jene Aktivitäten in andere institutionelle Kontexte verlagern, die sich dort effizienter realisieren lassen (Hall/Soskice 2001: 56-57, vgl. Morgan/Kristensen 2006). Daraus wird gefolgert, dass sich die institutionellen Besonderheiten eines Standortes erhalten bzw. gar verfestigen, weil diejenigen Aktivitäten weiterhin am Ort verbleiben, die besonders gut an das institutionelle Umfeld angepasst sind. Eine Abkehr von Strategien, die dem institutionellen Kontext entsprechen, ist hingegen nicht vorgesehen. Deutschland gilt gemeinhin als paradigmatischer Fall einer „koordinierten Ökonomie“. Nichts desto trotz ist in den vergangenen Jahren bei vielen Unternehmen eine Abkehr von den traditionell verfolgten koordinierten Strategien festzustellen (Beyer 2007, Höpner 2004, Windolf 2005). Am deutlichsten lässt sich der Widerspruch mit den Erwartungen der Verfestigungsannahme anhand der Entwicklungen im deutschen Finanzsektor darlegen. Bei den deutschen Finanzunterneh5 Zur Vielfältigkeit der Unternehmensinternationalisierung vgl Beyer 2001.
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men hat sich in den letzten Jahren gezeigt, dass zwar vielfach erwartungskonform Aktivitäten ins Ausland verlagert wurden, die sich dort kostengünstiger realisieren lassen („Global-Offshoring“ von Backoffice-Dienstleistungen im Zahlungsverkehr, in der Wertpapierabwicklung und im Kredit- und IT-Bereich),6 dass sich aber gleichzeitig dennoch auch die am Ausgangsstandort verbliebenen Aktivitäten und mit ihnen auch die allgemeine strategische Ausrichtung der Unternehmen grundlegend verändert haben. Als exemplarischer Fall lässt sich die Entwicklung der Deutsche Bank benennen. Die Deutsche Bank hat ab Mitte der 1990er Jahre ihre Geschäftsstrategie verstärkt auf das Investmentbanking ausgerichtet und sich damit von ihrer ursprünglichen Kreditbankorientierung gelöst. Dieser Orientierungswechsel war nicht nur von einzelwirtschaftlicher Relevanz, sondern beeinflusste in nicht unerheblicher Weise auch die deutsche Wirtschaftsordnung als Ganzes, da die Bank mit dem Strategiewechsel auch ihre koordinierende Rolle im Gesamtsystem aufgegeben hat. Die Deutsche Bank gehörte seit Jahrzehnten zu dem Netzwerk der „Deutschland AG“ der bedeutendsten deutschen Großunternehmen (Beyer 2003, Streeck/ Höpner 2003). Aufgrund vielfältiger Personen- und Kapitalverflechtungen wurde die Deutsche Bank nicht selten als das Kernunternehmen der Deutschland AG wahrgenommen. Ursprünglich waren die Unternehmensverflechtungen der Deutschen Bank vor allem Mittel zur Reduzierung von Risiken der Kreditvergabe. Der, das Risiko mindernde, Vorteil von Verflechtungsbeziehungen wurde zum Teil über niedrigere Zinsen und langfristigere Verträge an die Kredite aufnehmenden Unternehmen weiter gereicht, so dass auf diese Weise langfristige KreditgeberKreditnehmerbeziehungen zu Großunternehmen aufgebaut wurden. Aufgrund der Beziehungen zu sehr vielen Unternehmen entwickelte sich aus dem Kreditsicherungsinteresse eine strategische Orientierung zu Gunsten der Koordinierung bzw. Regulierung von Konkurrenzverhältnissen. Die Koordinierung zeigte sich unter anderem an den „industriepolitischen“ Interventionen der Bank. Zum Ziel dieser Interventionen wurden in der Regel Unternehmen aus Wirtschaftszweigen, von denen angenommen wurde, dass sie sich in einer strukturellen Krise befanden. Indem Strukturwandel gesteuert und nicht dem freien Spiel der Marktkräfte überlassen wurde, konnte das Kreditrisiko weiter reduziert werden. Mit der Umorientierung auf das Investmentgeschäft hat die Deutsche Bank andere Prioritäten gesetzt, die dazu geführt haben, dass die Aufrechterhaltung von Verflechtungsbeziehungen obsolet wurde. Die Investmentstrategie entlastet Banken davon, mitunternehmerisch tätig zu werden (Windolf 2003). Im Unterschied 6 Vgl. zum Global-Outsourcing bzw. zu Offshore-Aktivitäten: Kalb (2003), Deloitte & Touche (2003).
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zu einer Bank, die primär auf das Kreditvergabegeschäft ausgerichtet ist, hat die Integration in ein Verflechtungsnetzwerk für eine am Investmentgeschäft interessierte Bank daher keine strategische Bedeutung. Im Gegenteil: Verflechtungen sind kontraproduktiv. Mit dem Strategiewechsel startete die Deutsche Bank daher konsequenterweise ihren Rückzug aus dem Netzwerk der Unternehmensverflechtung. Die strategische Umorientierung der Deutschen Bank ist im Hinblick auf die Verfestigungsthese unter mehreren Aspekten beachtenswert. Zum einen hat sich mit der Deutschen Bank ein Unternehmen aus dem Netzwerk der Personen- und Kapitalverflechtung zurückgezogen, das sich zuvor in einer, viele Verbindungen herstellenden, zentralen Position des Netzwerkes befand. Das sich aus Verflechtungen ergebende Koordinationspotential des Systems der Deutschland AG wurde dadurch erheblich geschwächt. Mit der geringeren Verflechtung ist auch die Bereitschaft der Deutschen Bank zur Rettung von Unternehmen und zur Neuordnung von Wirtschaftszweigen geschwunden. Im Fall Holzmann war die Deutsche Bank nur noch auf Drängen des Bundeskanzlers zur Unterstützung des angeschlagenen Unternehmens bereit. Zwei Jahre später war sie bei der Kirch Unternehmensgruppe aber nicht länger willens unternehmerische Interessen gegenüber einem, in der öffentlichen Diskussion durchaus noch thematisiertem, „gesellschaftlichen“ Interesse hintanzustellen. Das Kreditgeschäft betreibt die Deutsche Bank inzwischen so restriktiv wie nie zuvor, was weniger die Großunternehmen als die stärker von Krediten abhängenden klein- und mittelständischen Unternehmen zu spüren bekommen.7 Die Deutsche Bank hat diesen Strategiewechsel ungeachtet der historischen Kontinuität des koordinierten Modells, einer langen Unternehmenstradition und auch trotz möglicher Auswirkungen auf die institutionelle Komplementarität der deutschen Wirtschaftsordnung vollzogen. Durch ihre deutliche Abkehr von ihrer Tradition hat sie die Unternehmenskontrolle, den Übernahmeschutz und die Finanzierungsgrundlagen vieler Unternehmen und somit auch den Wandel des deutschen Wirtschaftsmodells erheblich beeinflusst. Die Deutsche Bank war gleichzeitig einer der Vorreiter beim „Global Offshoring“ von Backoffice-Dienstleistungen.8 Das Unternehmen betreibt demzufolge einerseits institutionelle Arbitrage 7 Dies wurde in der Wirtschaftspresse folgendermaßen kommentiert: „(...) den letzten Träumern der Deutschland AG dürfte Breuer jede Illusion geraubt haben. Denn die Zeiten, in denen sich deutsche Unternehmen in erster Linie über langfristige Kredite zinsgünstig finanziert haben, weil es eine lange persönliche Beziehung zum Firmenkundenberater der Hausbank gab, gehen zu Ende. Für die Banken ist das traditionelle Kreditgeschäft unrentabel und damit unattraktiv geworden (...) Wer künftig noch Kredite will, muss – abhängig von der Bonität – deutlich mehr Zinsen zahlen“ (Handelsblatt, 19.02.2002: 9). 8 Vgl. Computerwoche online »Deutsche Bank lagert massiv IT-Aufgaben aus«, 2.10.2003, http://www.computerwoche.de/index.cfm?pid=254&pk=541555 (letzte Abfrage: 2.06.08).
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indem es Standortdifferenzen bewusst in strategischen Entscheidungen mitberücksichtigt. Andererseits folgt daraus keineswegs, dass das Unternehmen am deutschen Standort zur Verfestigung des institutionellen Status Quo beigetragen oder ein besonderes Interesse an der fortgesetzten Ausnutzung der ehemaligen komparativen Vorteile (Kreditgeschäft) gezeigt hätte. Vergleichbare Entwicklungen haben sich nicht nur bei der Deutschen Bank, sondern auch bei anderen Finanzunternehmen gezeigt. Der Rückzug der Finanzunternehmen aus dem Netzwerk der Kapitalverflechtungen wird in Tabelle 1 veranschaulicht. Es zeigt sich, dass sich im Zeitraum zwischen 1996 und 2002 vor allem Banken von ihren Kapitalanteilen an den 100 größten deutschen Unternehmen getrennt haben. Von der in diesem Zeitraum eingetretenen Reduzierung der wechselseitigen Kapitalanteile von 15,9 auf 9,3 sind allein 65,2 Prozent auf die Verringerung der Kapitalanteile bei Banken zurückzuführen. Im Vergleich zu den übrigen Unternehmen ist auch der Rückgang bei Versicherungen stärker ausgefallen. Bei diesen setzte der Rückzug aus der Unternehmensverflechtung später und weniger rasant als bei den Banken ein. Tabelle 1: Kapitalanteile der 100 größten Unternehmen untereinander, aufgeschlüsselt nach Art der Anteilseigner, 1996 und 2002 1996
2002
Differenz (Anteil)
Kapitalanteile in Besitz der 100 größten Unternehmen
15,9
9,3
6,6 (100%)
Davon: Banken Versicherungen Übrige Unternehmen
5,8 4,7 5,4
1,5 3,3 4,5
4,3 (65,2%) 1,4 (21,2%) 0,9 (13,6%)
Quelle: Beyer 2006, Tabelle 1
Das Beispiel der Deutschen Bank und des gesamten Finanzsektors in Deutschland verdeutlicht: Unternehmen halten an ihrem nationalen Standort nicht zwingend an etablierten Strategien fest. Sie nehmen hierbei auch in Kauf, dass dies erhebliche Auswirkungen auf den nationalen institutionellen Kontext haben kann.
3
Institutionelle Arbitrage
Die Vertreter der Verfestigungsthese gehen von der Grundannahme aus, dass das Motiv der institutionellen Arbitrage die Internationalisierungsstrategie vieler Großunternehmen maßgeblich prägt. Diese Vermutung stützt sich auf einen Strang
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der Literatur zum strategischen Management von Unternehmen. So hebt beispielsweise Michael E. Porter die Möglichkeit zur selektiven Kombination verschiedener Standorteigenschaften als bedeutsamen Vorteil der Internationalisierung hervor: „Einer der wesentlichen Vorteile der global operierenden Firma besteht darin, dass sie ihre einzelnen Aktivitäten an den jeweils bevorzugten Standorten ansiedeln kann – ein Inlandsunternehmen oder ein länderorientierter Marktteilnehmer hat diese Möglichkeit nicht. So kann eine Firma die Teilefertigung in Taiwan konzentrieren, die Software-Entwicklung in Indien, die Grundlagenforschung und -entwicklung im kalifornischen Silicon Valley usw.“ (Porter 1989: 41). Doch wie plausibel sind diese Annahmen? In einem mit dem Titel „Globalisation: The Forgotten Strategy“ benannten Aufsatz kommt Pankaj Ghemawat (2003) zu dem Ergebnis, dass sich amerikanische Unternehmen vorzugsweise an zwei Strategien der Internationalisierung orientieren. Dies ist zum einen die so genannte „multinationale Strategie“, bei der die Mutterunternehmen ihren Auslandsgesellschaften in großem Ausmaß Freiräume für die Anpassung an die lokale Nachfrage einräumen, so dass diese meist unabhängig voneinander agieren und eigenen Marktziele, Wettbewerbsstrategien und Produktvarianten verfolgen und zum anderen die „einfache Globalstrategie“, bei der Unternehmen standardisierte Produkte weltweit anbieten (z.B. Coca Cola). Die komplexe Globalstrategie der „institutionellen Arbitrage“ sei hingegen eine „vergessene Strategievariante“, die kaum genutzt werde (Ghemawat 2003). Vor dem Hintergrund dieses Befundes ist zu fragen, ob dies in deutschen Großunternehmen anders ist. Zur Ermittlung des Internationalisierungsprofils und der Standortstrategien großer deutscher Unternehmen hat der Verfasser Geschäftsberichte aus mehreren Jahren inhaltsanalytisch ausgewertet und eine schriftliche Befragung der Unternehmen durchgeführt. Letztlich konnten hinreichende Informationen zu den Produktions- und F&E-Standorten von 60 deutschen Großunternehmen ermittelt werden. Es handelt sich jeweils um produzierende Unternehmen, die dem Kreis der fünfhundert umsatzstärksten deutschen Unternehmen angehören. Die größten Unternehmen im Sample waren DaimlerChrysler, Volkswagen, BMW, Bosch und BASF, die kleinsten Claas, Deutz, Melitta, Vorwerk und Gildemeister. Die regionale Verteilung der Produktions- und Forschungsstandorte in der Gruppe der untersuchten Unternehmen zeigt Schaubild 1. In Übereinstimmung mit dem Befund von Ghemawat (2003) finden sich auch in Deutschland nur sehr wenige Großunternehmen, deren Internationalisierungsstrategie maßgeblich durch institutionelle Arbitrage geprägt ist. Zu diesen gehört
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beispielsweise das Unternehmen Carl Zeiss. Zeiss ist ein weltweit operierendes Optikunternehmen mit sieben inländischen und sechs ausländischen Produktionsstandorten. Das Produktspektrum umfasst u.a. Brillen- und Ferngläser, Mikroskope und Elektronenmikroskope, Planetarien, Halbleiteroptik, spektralsensorische Geräte, medizintechnische Geräte, industrielle Messtechnik und Inspektionstechnik für die Halbleiterindustrie. In den 80er Jahren wurden die US-amerikanischen Unternehmen „Numerex Corp.“ (industrielle Messtechnik) und „Humphrey Ophthalmic Systems Inc.“ (Medizintechnik) übernommen und damit die ersten Produktionsstätten im Ausland aufgebaut. Diese beiden Produktionsbereiche sind in starkem Maße von Grundlageninnovationen abhängig. Insofern passt der Erwerb der beiden Unternehmen zur These der institutionellen Verfestigung, gilt doch das angloamerikanische institutionelle Umfeld diesbezüglich als vorteilhafte Umgebung. In den 90ern wurden weitere ausländische Produktionsstätten in Mexiko, Ungarn und Weißrussland aufgebaut bzw. erworben, in denen technologisch vergleichsweise wenig anspruchsvolle Produkte (einfache Mikroskope, Brillenund Ferngläser, Komponenten) hergestellt werden. Auch dies lässt sich als institutionelle Arbitrage interpretieren, da die Herstellung dieser Produkte auch in Ländern mit niedrigen Lohnkosten betrieben werden kann ohne dass Zeiss Qualitätseinbußen befürchten müsste. Chemie, Pharma Elektro Automobilbau Maschinenbau Sonstiges 0% Deutschland Nordamerika Sonstiges
20%
40%
Westeuropa Süd&Mittelamerika
60%
80%
100%
Transitionsländer Asien
Schaubild 1: Standortverteilung von 60 deutschen Großunternehmen im Jahr 2004, nach Industriezweigen aufgeschlüsselt.
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Infineon ist ein weiteres Unternehmen, dessen Internationalisierungsstrategie durch das Motiv der institutionellen Arbitrage erheblich beeinflusst wurde. In den 2003 veröffentlichten Ausführungen zur Unternehmensstrategie des Unternehmens heißt es: „Unser Ziel ist es, die Vorteile eines jeden Landes und die Begabungen all unserer Mitarbeiter optimal zu nutzen: die Stärken deutscher Ingenieurkunst in der Chiparchitektur, die Software-Expertise indischer Fachkräfte oder den Vorsprung der US-Amerikaner in der Dienstleistungskultur. Am Ende dieses Prozesses wird Infineon kein rein deutsches Unternehmen mehr sein, sondern ein in allen Teilen der Welt agierender Konzern.“9 Die direkte Bezugnahme auf das obige Zitat von Michael Porter ist hierbei offensichtlich. Ein bemerkenswerter Schritt in Richtung Bündelung der Aktivitäten an einem Standort war die von Infineon vollzogene Auslagerung aller Buchhaltungstätigkeiten nach Portugal. In der Öffentlichkeit wurde die Arbitrage-Strategie des Unternehmens allerdings vor allem unter dem Aspekt der Standortverlagerung wahrgenommen, da der damalige Vorstandsvorsitzende Ulrich Schumacher die Verlegung der Unternehmenszentrale von Deutschland nach Österreich oder der Schweiz publizitätswirksam in Betracht zog. Der öffentliche und unternehmensinterne Widerstand gegenüber der Arbitrage-Strategie führte im März 2004 zum Rücktritt Schumachers, so dass Infineon inzwischen seine strategische Orientierung wieder abgeändert hat. Bei einigen weiteren Unternehmen (wie z.B. die Automobilproduzenten Volkswagen und BMW) weisen einzelne Teilaspekte des Internationalisierungsprofils auf institutionelle Arbitrage hin. Die Aspekte unterscheiden sich jeweils, so dass es sich um keinen in sich geschlossenen Mischtypus handelt. Bei BMW spricht beispielsweise der gezielte Aufbau von Forschungszentren in den USA für institutionelle Arbitrage, der Produktionsverbund in den verschiedene Standorte als Kompetenzzentren integriert sind, lässt sich jedoch nicht mit speziellen institutionellen komparativen Vorteilen erklären, sondern mit der Möglichkeit zur Ausnutzung von Skalenerträgen. Der Volkswagen-Konzern nutzt die Marken- und Standortprofile zur Produktdifferenzierung, bricht jedoch im Produktionsverhalten mit der Markentrennung (wenn z.B. hochwertige Produkte wie der Audi TT und Premium-Geländewagen von Volkswagen in Mittelosteuropa oder der New Beatle in Mexiko produziert werden). Das Gros aller untersuchten produzierenden Unternehmen entspricht aber nicht dem von Porter beschriebenen Internationalisierungsmuster, weil die Unternehmen:
9 Vgl. http://www.infineon.com/boerse/jahresbericht2003/deutsch/1_1_strategy.htm (letzte Abfrage: 2.06.08).
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§ überwiegend in verschiedenen internationalen Standorten tendenziell dieselben Produkte herstellen (d.h. unternehmensspezifische Vorteile global ausnutzen und hierdurch „economies of scale“ realisieren), oder aber § sofern Kompetenzzentren für bestimmte Produkte und Dienstleistungen aufgebaut wurden, dies mit der Anpassung an die nationale Nachfrage zusammenhängt (multinationale Strategie) und nicht auf institutioneller Arbitrage beruht. Bei der Begründung der internationalen Standortstrategien nennen Unternehmen selbst meist Motive wie Markterschließung, Erweiterung der Marktposition oder die Stärkung bzw. Abrundung des vorhandenen Produktspektrums, was ebenfalls gegen ein dominantes Arbitragemotiv spricht. Die Ausnutzung von institutionellen Differenzen scheint demnach für die Internationalisierung von Unternehmen weitaus weniger relevant zu sein, als es in einem Teil der Literatur des strategischen Managements und in der Debatte um die vielfältigen Spielarten des Kapitalismus unterstellt wurde. Am ehesten kann institutionelle Arbitrage bei Unternehmen festgestellt werden, die (1) komplexe Produkte herstellen, die aus vielen Bauteilen bestehen, weshalb die Herstellung einzelner Komponenten in anderen institutionellen Kontexten lokalisiert werden kann. (2) in ihrem Produktmarketing den Herstellungsstandort als Differenzierungskriterium nutzen können. (3) F&E in Bereichen betreiben, in denen sich andernorts lokale „cluster of excellence“ (Edler 2003) herausgebildet haben. Diesen strategischen Möglichkeiten sind jedoch enge Grenzen gesetzt: zu (1): Die Standort-Differenzierung innerhalb eines Unternehmens ist organisatorisch limitiert. Im Hinblick auf Kontroll- und Koordinationspraktiken (Harzing/ Sorge 2003, Tüselmann et al. 2002) und im Human-Ressource-Management (Bluhm 2003, Dickmann 2003, Gamble 2003) zeigen sich in multinationalen Unternehmen deutliche „country-of-origin“-Effekte. Die Fähigkeit in anderen institutionellen Kontexten andersartige organisatorische Strukturen aufzubauen ist merklich beschränkt. Bereiche, die sich gewinnbringend in andere institutionelle Kontexte verlagern lassen, können prinzipiell auch vollständig ausgelagert werden. „Make-or-Buy“-Entscheidungen bezüglich der Komponentenherstellung werden aufgrund möglicher organisatorischer Schwierigkeiten vergleichsweise häufig zugunsten der „Buy“- bzw. der „Outsourcing“-Option getroffen.10 Außer10 Ein prägnantes Beispiel ist hierfür die adidas-Salomon AG, die sich in den 90ern von einer produktions- und absatzorientierten Firma in ein reines Marketingunternehmen gewandelt hat.
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dem hat im Zuge der Internationalisierung von Finanzmärkten die finanzwissenschaftliche Sicht auf Unternehmen an Bedeutung gewonnen (Fligstein 2001, Zorn et al. 2005). Das Leitbild eines auf Kernkompetenzen fokussierten Unternehmens ist in starke Konkurrenz zu anderen organisatorischen Konzeptionen getreten und hat diese tendenziell in den Hintergrund gedrängt.11 Die Standortoptimierung im Sinne einer differenzierten Lokalisierung einzelner Unternehmensbereiche ist hierdurch meist auf die Stufe eines nachrangigen Zieles herabgesunken. Im Vordergrund steht stattdessen die Aufrechterhaltung eines internen Wettbewerbs der verschiedenen Betriebsstandorte um zukünftige Investitionen. zu (2): Nur bei einigen Produkten ist der Ort der Herstellung für den Endabnehmer tatsächlich von Bedeutung (Balabanis/Diamantopoulos 2004). Die Konsumenten sind sich meist nicht im Klaren darüber, an welchem Ort die Produkte tatsächlich hergestellt werden (Verlegh/Steenkamp 1999: 538). „Made in Germany“ oder „Made in USA“ sind als Kriterien zwar weiterhin relevant, die „Ländermarken“ verblassen aber zunehmend und die Eigenschaftszuschreibungen sind stattdessen überwiegend auf Produktmarken übergegangen. Das gezielte Ausnutzen verschiedener Ländermarken innerhalb eines Unternehmens ist daher stark eingeschränkt. zu (3): Nicht bei jeder Forschungstätigkeit treten positive Agglomerationseffekte (Arthur 1990) auf, die eine Bildung von lokalen Forschungsclustern begünstigen. Ein Großteil der anwendungsnahen Forschung profitiert z.B. von einer Anbindung an den Produktionsprozess. Viele deutsche Unternehmen betreiben F&E daher dezentral, an verschiedenen Produktionsstandorten. In einer Studie des Deutschen Industrie- und Handelskammertags (2005: 14) gaben beispielsweise 42 Prozent der befragten Unternehmen an, dass sie im F&E-Bereich im Ausland investieren, weil dies eine „Ergänzung zum Produktionsstandort im Ausland“ darstellt. Die genaue Analyse der Aktivitäten an Produktions- und F&E-Standorten deutscher Großunternehmen zeigt demnach, dass institutionelle Arbitrage lediglich in Ausnahmen und meist nur partiell deren Internationalisierungsstrategie prägt. Die überwiegende Mehrheit der deutschen Großunternehmen verfolgt einfache „Globalstrategien“ oder „multinationale“ Strategievarianten. Hierin unterscheiden sie sich nicht von amerikanischen Unternehmen, in denen die komplexe Globalstrategie der institutionellen Arbitrage gleichfalls von untergeordneter Bedeutung ist.
11 Diesbezüglich wird auch von einem Trend zur »Financialisation« (Froud et al. 2000; Kädtler/ Sperling 2002) gesprochen.
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Wettbewerbspositionen auf wirtschaftssektoraler Ebene
Der Effekt der institutionellen Verfestigung sollte sich systematisch auch auf wirtschaftssektoraler Ebene bemerkbar machen (Hall/Soskice 2001: 38), da jeweils bestimmte Wirtschaftszweige von institutionellen Besonderheiten begünstigt bzw. benachteiligt werden und Verfestigungen somit wirtschaftssektorale Spezialisierungen fördern und verstärken. Die Zu- oder Abnahme bei Spezialisierungen wird in der Literatur gängigerweise anhand der Handelstätigkeit, aber auch an differierenden Technologieprofilen (Patentanmeldungen) veranschaulicht. Zur Bestimmung der sektoralen Spezialisierung wird hierfür der Indikator „Revealed Comparative Advantage“ (Balassa 1965) bzw. der analog gebildete Indikator „Revealed Technological Advantage“ verwendet, der die sektorale Spezialisierung eines Landes im Vergleich zur Handelstätigkeit bzw. zum Technologieprofil anderer Länder (bzw. des OECD- oder Weltdurchschnitts) ermittelt. In Längsschnittbetrachtungen bezüglich der OECD-Länder wurden in bisherigen Untersuchungen bislang uneinheitliche Ergebnisse zu Tage befördert. Eine zunehmende Spezialisierung in der Mehrzahl aller OECD-Länder stellen beispielsweise Archibugi/Pianta (1994) und Cantwell (1989) fest, Dalum et al. (1998), Amendola et. al. (1992) und Laursen (2000) ermitteln hingegen eine überwiegende Tendenz zur De-Spezialisierung. In einigen jüngeren Arbeiten ein leichter Trend zur zunehmenden Spezialisierung festgestellt, der jedoch nicht auf der Verstärkung traditioneller sektoralen Strukturen, sondern auf sich neu ausbildenden Spezialisierungen beruht (Mancusi 2001, Midelfart-Knarvik et al. 2002, Storper et al. 2003). Ähnlich uneinheitlich wird der deutsche Fall beurteilt. Während Laursen (2000: 428) Deutschland als besonders markantes Beispiel für eine graduelle De-Spezialisierung hervorhebt, wird in einem Gutachten im Auftrag des Bundesministeriums für Bildung und Forschung hingegen eine zunehmende Konzentration auf das Innovationssystem „Automobil“ festgestellt und kritisiert (BMBF 2001).12 Die Unterschiedlichkeit der Ergebnisse deutet darauf hin, dass diese durch die Wahl des Untersuchungszeitraums beeinflusst wurden. Um diesem Problem Herr zu werden, hat der Verfasser eine eigene Untersuchung durchgeführt, in der ein möglichst langer Zeitraum betrachtet wurde. Mit Blick auf die in der „Varieties-of-Capitalism“-Debatte diskutierten institutionellen Differenzen waren frühere Analysen zudem zu gering spezifiziert. Eine zunehmende Speziali12 „Mit der zunehmenden Konzentration auf das Innovationssystem Automobil hat Deutschland angesichts der zyklischen Entwicklung in dieser Branche einen riskanten Weg eingeschlagen. Eine Verbreiterung der Innovationsanstrengungen ist unerlässlich, damit die nächste Wirtschaftskrise die noch nicht überwundenen Schwächen schonungslos offen legt“ (BMBF 2001: a).
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sierung ist gemäß der Verfestigungsthese nur im Verhältnis zu Ländern mit deutlich unterschiedlichen institutionellen Strukturen erwartbar, nicht jedoch gegenüber Ländern mit vergleichsweise ähnlichen Institutionen. Aus diesem Grunde wurde bei der Analyse des Verfassers ein besonderes Augenmerk auf die Entwicklung der liberalen Ökonomien USA und Großbritanniens sowie der koordinierten Ökonomien Deutschlands und Japans gelegt. Für die Untersuchungen wurde der Datenbestand „CHELEM-IT International Trade Database“ des „Centre D’Etudes Prospectives Et D’Informations Internationales (CEPII)“ verwendet, der ländervergleichende Betrachtungen für einen Zeitraum von 1967 bis 2002 möglich macht. Die Handelsströme zwischen den Ländern sind in diesem Datansatz nach 71 Wirtschaftssektoren aufgeschlüsselt. Die Berechnungen der „Revealed Comparative Advantage“ wurden mit dem Analysemodul des CEPII durchgeführt. Schaubild 2 zeigt die Entwicklung der Spezialisierung des Außenhandels. Im untersuchten Kreis von 25 Industrieländern zeigt sich ein phasengeprägter Verlauf der Entwicklung. In den Zeiträumen zwischen 1967 und 1980 sowie zwischen 1993 und 2000 erhöhte sich die Spezialisierung des Außenhandels im Durchschnitt der Länder, während in den 1980ern und ab dem Jahr 2000 die Verhältnisse relativ stabil geblieben sind oder gar leichte De-Spezialisierungen zu verzeichnen sind. 8 7 6 5 4 3 2 1
2001
1 99 9
1997
199 5
1993
19 9 1
1989
1 9 87
1985
1983
1981
1 97 9
1977
1 97 5
1973
197 1
1969
19 6 7
0
Schaubild 2: Spezialisierung des Außenhandels 1967-2002 (Standardabweichung der sektoralen RCA-Indices, 71 Sektoren, Durchschnitt von 25 Industrieländern)
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In Paarvergleich der betrachteten liberalen und koordinierten Länder (Schaubild 3) zeigt sich, dass die größte Distanz in den Spezialisierungsprofilen gerade in der vergleichsweise stabilen Phase der frühen 1980er Jahre gegeben war. Zu jener Zeit waren die Wettbewerbspositionen Deutschlands und Japans relativ ähnlich und unterschieden sich deutlich von denjenigen Großbritanniens und der USA, die ihrerseits ein vergleichsweise hoch übereinstimmendes Profil der Handelsspezialisierung aufwiesen. Am Anfang des betrachteten Untersuchungszeitraumes (19671972) hatten hingegen Deutschland und Großbritannien noch relativ ähnliche Wettbewerbspositionen inne, während die Distanz zwischen dem Spezialisierungsprofil Japans und der USA seit Mitte der 1990er Jahre nicht größer ist als das zwischen den beiden liberalen Ökonomien untereinander. Beides widerspricht der Erwartung der Verfestigungsthese, wonach liberale und koordinierte Ökonomien dauerhaft deutlich unterschiedliche komparative Vorteilsprofile haben sollten. Eine eindeutige Verfestigungstendenz lässt sich aus diesen Entwicklungen nicht herauslesen. Die Daten sprechen im Gegenteil dafür, dass sich die Wettbewerbspositionen der Ökonomien im Zeitverlauf zum Teil gegenläufig verändern können und es auch die Möglichkeit des fundamentalen Strukturwandels gibt. 60 50 GER/USA
40
GER/JAP GER/UK
30
USA/JAP USA/UK
20
JAP/UK
10
200 1
1999
19 9 7
1995
1993
1991
1989
1987
1985
19 8 3
1981
1979
19 77
1975
19 7 3
19 71
1969
19 6 7
0
Schaubild 3: Relative Wettbewerbsposition (Euklidische Distanzen der RCA-Indizes, 71 Wirtschaftssektoren)
Letzteres belegt Schaubild 4, das die Stabilität der Wettbewerbspositionen Deutschlands, Japans, Großbritanniens und der USA veranschaulicht. Das Schau-
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bild zeigt inwiefern die Handelsspezialisierungen dieser Ökonomien im Untersuchungszeitraum „selbstähnlich“ geblieben sind. Die 71 sektoralen RCA-Indices eines Landes wurden für jedes Jahr mit denen des letzten Untersuchungszeitpunkts 2002 korreliert. Niedrige oder gar negative Korrelationen belegen deutliche Veränderungen in der Wettbewerbsposition eines Landes, Korrelationen nahe 1 eine hohe Stabilität. Die Analyse zeigt, dass die Veränderungen der Wettbewerbspositionen der koordinierten Ökonomien Deutschlands und Japans, wie auch die der liberalen Ökonomie der USA, im internationalen Vergleich relativ gering waren. Das liberale Großbritannien veränderte seine Wettbewerbsposition im Untersuchungszeitraum (1967-2002) hingegen deutlich. Dessen Entwicklung ähnelte insofern mehr derjenigen Südkoreas, einem Land das einen „Catching up“-Prozess durchlaufen hat, als dem der Vereinigten Staaten. Die beiden typischen liberalen Ökonomien haben demzufolge, was die Stabilität ihrer Wettbewerbsposition betrifft, sich im Untersuchungszeitraum höchst unterschiedlich entwickelt. 1,2 1 0,8 DS (N=25)
0,6
Deutschland GB
0,4 0,2
x
USA
*
Japan Südkorea
0 -0,2
2 0 01
19 99
19 97
1995
199 3
1 991
198 9
1 987
1985
19 83
1981
19 79
19 77
1 97 5
1 97 3
197 1
196 9
1 967
-0,4
Schaubild 4: Stabilität der Wettbewerbspositionen (Korrelationen der Revealed Comparative Advantage-Indices eines Landes im entsprechenden Jahr mit denen des Jahres 2002, 71 Wirtschaftssektoren)
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Schluss Der Beitrag hat die von verschiedenen Anhängern des „Varieties of Capitalism“-Ansatzes vertretene These der institutionellen Verfestigung der bestehenden marktwirtschaftlichen Differenzen einer kritischen Analyse unterzogen. Zum einen wurde auf Unternehmensebene untersucht, welche organisatorischen Veränderungen sich im Kreis der deutschen Großunternehmen ergeben haben. Im Fokus der Betrachtung stand hierbei, ob die Unternehmen im nationalen Kontext an ihren bisherigen Strategien festhalten und inwieweit sich ihre Internationalisierungsschritte mit institutioneller Arbitrage erklären lassen. Zum anderen wurde auf Grundlage von Aggregatdaten in einem Vergleich von 25 Ländern analysiert, ob sich zunehmende Spezialisierungen in Richtung bestehender Wettbewerbspositionen nachweisen lassen. Ein besonderes Augenmerk wurde auf den Vergleich zwischen liberalen und koordinierten Ökonomien gelegt. Aufgrund der Ergebnisse auf beiden Untersuchungsebenen muss bezweifelt werden, dass der jüngste Wandel marktwirtschaftlicher Systeme auf der Verfestigung bestehender Differenzen beruht. So halten Unternehmen trotz möglicher komparativer Vorteilspositionen nicht zwingend an Strategien fest, die dem etablierten institutionellen Kontext angepasst sind. Sie nehmen hierdurch auch in Kauf, dass ihre Strategiewechsel erhebliche Auswirkungen auf die Veränderung des Kontextes haben können. Die Strategien der untersuchten Unternehmen orientieren sich bezüglich der Anstrengungen zur Internationalisierung zudem nur selten am Ziel der institutionellen Arbitrage. Die in der Mehrzahl aller Fälle verfolgten Internationalisierungsstrategien der Unternehmen lassen daher keinen Rückschluss auf die Begünstigung institutioneller Verfestigungen zu. Die Analyse der wirtschaftssektoralen Spezialisierungen hat darüber hinaus gezeigt, dass die Unterschiede zwischen liberalen und koordinierten Wirtschaftssystemen in den 1980er Jahren deutlich größer waren als in den Jahren danach. Hieraus ist zu folgern, dass Erklärungsansätze jenseits von Pfadabhängigkeit und verfestigter Komplementarität zu entwickeln sind, welche die Dynamik des institutionellen Wandels der marktwirtschaftlichen Systeme angemessener beschreiben können. Die von den Anhängern der Verfestigungsthese verwendete Argumentation, wonach Unternehmen und ihre Verbandsorganisationen aus ureigenstem Interesse am Erhalt von komparativen Vorteilslagen zur Aufrechterhaltung von institutionellen Strukturen beitragen würden, scheint als generelle Annahme ebenso überzogen, wie die gegenteilige Annahme der globalisierungsbedingten Konvergenz, wonach Unternehmen prinzipiell eher an einem liberalisierten, überwiegend marktgeprägten institutionellen Kontext interessiert seien.
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Die Konstellationen marktrahmender Institutionen sind ganz offensichtlich dynamischeren Veränderungen unterworfen, ohne dass in längerfristiger Perspektive wirklich eine eindeutige Richtung zur Konvergenz erkennbar wäre. Aus Sicht des Verfassers spricht daher vieles dafür, dass den verschiedenen Spielarten des Kapitalismus neben komplementären Wechselbezüglichkeiten stets auch Inkomplementaritäten, Inkohärenzen und unterschiedlichen Logiken eigen sind. Bei einer Anerkennung dieses Aspektes ist der Verlauf des institutionellen Wandels nicht von vornherein eng umrissen. Institutionelle Überlagerungen (Thelen 2002, Thelen/Streeck 2005) führen wahrscheinlich stets zu mehrdeutigen Institutionensystemen. Der inkrementelle Wandel des „layering“ hinterlässt immer auch latente institutionelle Alternativen, die für grundlegendere institutionelle Umschwünge bedeutsam werden können (Crouch/Farrell 2002, Klages 2007). Durch ein Abrücken von allzu kohärenten Vorstellungen bezüglich der Komplementarität von Institutionensystemen werden somit nicht nur Konzeptionen des inkrementellen Wandels theoretisch anschlussfähig, sondern auch Konzepte des fundamentalen Wandels, wie etwa das „puctuated equilibrium“-Modell (Krasner 1988, Howlett/ Rayner 2006, Gersick 1991) oder Leitbildwechsel, wie sie etwa im organisationssoziologischen Institutionalismus diskutiert werden (DiMaggio/Powell 1983, Fligstein 2001). Für Akteure, die nicht nur mit eindeutigen institutionellen Komplementaritäten konfroniert sind, sondern auch mit institutioneller Mehrdeutigkeit, institutionellem Mismatch und Spannungen zwischen widersprüchlichen ökonomischen und institutionellen Anforderungen, sind Strategiewechsel auch dann eine plausible Möglichkeit, wenn institutionelle Gegebenheiten und auch Komplementaritäten hierdurch potentiell in Frage gestellt werden. In diesem Sinne lässt sich die ökonomische Globalisierung als Prozess auffassen, der nicht etwa primär die institutionelle Konvergenz oder die Verfestigung von Divergenzen befördert, sondern vielmehr das Spannungsfeld von unterschiedlichen Erwartungen, widersprüchlichen institutionellen Vorgaben, Mehrebenenkonflikten und uneindeutigen ökonomischen und rechtlichen Anforderungen für die Akteure zusätzlich erhöht.
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64
Jürgen Beyer
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Postsozialistische Wohlfahrtsregime in Europa – Teil der „Drei Welten“ oder eigener Typus? Ein empirisch gestützter Rekonzeptualisierungsversuch Raj Kollmorgen
Wie postsozialistische Wohlfahrtsregime angemessen begriffen und typologisch eingeordnet werden können, bleibt umstritten. Entsprechende Versuche seit Beginn der 1990er Jahre reichen von „marktsozialistisch“ (Kornai 2001), „sozialdemokratisch“ über „(postkommunistisch) konservativ korporatistisch“ bzw. „bismarckisch“ (Deacon 1992; Kovacs 2003; J. Szalai 2005) bis hin zur Diagnose („gemäßigt“) „liberaler Regime“ in Mittelost- und Osteuropa (Götting 1998; Ferge 2001; E. Szalai 2005). Der vorliegende Beitrag nimmt diese Diskussion auf und problematisiert aus dezidiert konzeptueller Perspektive, ob sich die postsozialistischen Gesellschaften Mittel- und Osteuropas in Esping-Andersens Regime-Typologie (1990, 1999) einfügen lassen oder einen, möglicherweise sogar mehrere eigene Typen repräsentieren. Dazu wird zunächst ein empirischer Überblick zur Ausgaben- und Leistungsseite der mittelost- und osteuropäischen Wohlfahrtsstaaten angeboten (1.). Im Anschluss an eine Skizze des Ansatzes von Esping-Andersen (2.) werden dann Wohlfahrtssystemelemente in Mittel- und Osteuropa analysiert und ein eigener typologischer Vorschlag unterbreitet (3.). Ein abschließender Abschnitt fasst die Überlegungen unter dem Aspekt der Transformation der Regime, ihrer angemessenen Erklärung sowie globalen Einbettung zusammen (4.).
1
Postsozialistische Wohlfahrtsstaaten: Ausgaben und Leistungen
Der Überblick zu ausgewählten Basisdaten postsozialistischer Wohlfahrtsstaatlichkeit im Zeitverlauf kann nicht die synthetischen Indizes aufnehmen und analytisch nutzen, die Esping-Andersen entwickelt hat (etwa zum Dekommodifizierungsgrad: 1990: 47ff). Dafür sind drei Gründe maßgebend. Erstens liegen bis heute für Mittel- und insbesondere Osteuropa im Regelfall keine Datensätze in entsprechender Qualität vor (vgl. Fenger 2007). Dies hängt, zweitens, nicht zuletzt mit der hohen materiellen und institutionellen Veränderungsdynamik in den 1990er Jahren zusammen, die veränderte Datengrundlagen und Erhebungsmetho-
66
Raj Kollmorgen
den einschloss. Die Daten wären daher selbst für einzelne Staaten wie Polen oder Russland im Zeitverlauf kaum vergleichbar. Drittens schließlich will sich die folgende Analyse ausdrücklich nicht auf Esping-Andersens Ansatz beschränken, auch wenn er den Leitfaden darstellt. Nachstehend werden daher einige Ausgaben- und Leistungsdaten präsentiert, wie sie vor allem im Rahmen der Europäischen Union standardisiert erhoben und veröffentlicht werden. Die Auswahl beschränkt sich auf wenige Fälle, Items und Messpunkte, wobei im Hinblick auf die typologischen Problemstellungen parallel Vergleichsdaten zu Vertretern der Dreier-Typologie Esping-Andersens präsentiert werden.1 Die Tabellen 1 und 2 informieren über die öffentlichen bzw. Sozialschutzausgaben. Erkennbar wird zunächst, dass sich die anteiligen öffentlichen Ausgaben in Mittel- und Osteuropa Anfang der 1990er Jahre (bis auf den estnischen Fall und mit Verzögerung in Polen) zum Teil deutlich vermindert haben, aber seit Mitte/Ende der 1990er Jahre relativ stabil sind. Freilich gilt dies für Osteuropa – hier Russland – nicht, wo die Ausgaben um etwa 10 Prozentpunkte fielen. Westeuropa zeigt eine ähnliche Bewegung. Im Vergleich Mittelost- und Westeuropas wird eine Annäherung der öffentlichen Gesamtausgaben im Bereich von 40-45% des BIP sichtbar. Schweden (58%) und Russland (ca. 35%) stellen die beiden Pole in Europa dar, deren Anteile um über 20% des jeweiligen BIP divergieren. Tabelle 1: Öffentliche Ausgaben im Verhältnis zum Bruttoinlandsprodukt (1990-2000) 1990
1992
1994
1996
1998
2000
2003
S FRA GER UK
63 (1991) 46 44 (1991)
50 -
70 51 45
65 51 -
60,5 47,5 40
57 53.5 47 40
58 51 46 42
CZ POL HUN EST RUS
60 40 58 32,5 -
50 50 59.5 35 44 (1993)
42 50,5 59 40,5 45
40 49 48 40,5 42
41 45 49.5 39 40
42 45 45 41 36
41,5 45 39 -
Quelle: Manning 2004: 221, Abb. 4; Datenreport 2006: 227: Tab. 2; Eurostat Yearbook 2005: 160. 1 Für das liberale Regime: USA und als nähester europäischer Vertreter Großbritannien, für das konservative: Deutschland, Frankreich; für das sozialdemokratische: Schweden (vgl. Übersicht 1).
Postsozialistische Wohlfahrtsregime in Europa
67
Tabelle 2 untersetzt den sich andeutenden Befund der ersten Tabelle für die eigentlichen wohlfahrtsstaatlichen Aufwendungen (Sozialschutzausgaben). Für Westeuropa wird in den letzten 10 Jahren eine kleine Delle in den anteiligen Ausgaben erkennbar (siehe zusammenfassend: EU-15). Mittelosteuropa erlebte in den letzten Jahren eine Konsolidierung mit einem leichten Anstieg, der allerdings nicht für Estland und Russland gilt. Das Niveau der Sozialschutzausgaben pro Kopf divergiert zwischen West- und Mittelosteuropa um etwa 10% (ca. 30% vs. 20%), wobei sich Großbritannien in der Mitte bewegt und Estland (13%) dieses Niveau deutlich unterschreitet. Der „reale“ Abstand im Sozialschutz zwischen Ost- und Westeuropa wird anhand der absoluten Pro-Kopf-Sozialschutzausgaben deutlich (in Euro/in KKS = Kaufkraftstandards). Gemessen in Euro beträgt der maximale Abstand (Schweden vs. Estland) mehr als das Zehnfache. Unter Berücksichtigung der jeweiligen Kaufkraft bewegen sich die Sozialschutzausgaben in Westeuropa heute (2003) auf dem drei- bis sechsfachen Niveau des mittel- bzw. osteuropäischen.2 Tabelle 2: Sozialschutzausgaben* in v.H. des BIP und pro Kopf (in Euro** und in KKS***) 1995-2003 1995
1999
2003**
2003***
S FRA GER UK EU 15
34,6/7.437 30,3/6.133 28,2/6.660 28,2/4.175 28,2/4.990
31,9/8.503 29,9/6.782 29,2/7.155 26,4/6.097 27,4/5.851
33,5/9.933 30,9/7.932 30,2/7.911 26,7/7.532 28,3/6.925
8.258 7.434 7.087 6.812 6.926
CZ POL HUN EST
17,2/704 -
19,3/1.041 20,1/943(2000) 20,7/933 14,4/623(2000)
20,1/1.594 21,6/1.102 21,4/1.590 13,4/801
2.964 2.121 2.783 1.411
* Diese beinhalten insbesondere alle Ausgaben „privater und öffentlicher Körperschaften ... zur Unterstützung von Haushalten und Individuen“ hinsichtlich Gesundheit, Arbeitslosigkeit, Alter, Familie und Kinder, Behinderungen und Wohnen. KKS = Kaufkraftstandards (siehe Petrasova 2006: 2). Quelle: Petrasova 2006: 2, Abb. 2.
2 Integriert man die die Extremfälle in der EU – einerseits Luxemburg (10.905 KKS), andererseits Lettland (1.174 KKS) – beträgt die maximale Differenz fast das Zehnfache (Petrasova 2006: 2).
68
Raj Kollmorgen
Die folgenden zwei Tabellen (3 und 4), die sich auf die Gesundheitsausgaben beziehen, konkretisieren den Befund für ein zentrales Feld öffentlicher Wohlfahrt. Zwei Beobachtungen sind für den vorliegenden Kontext von besonderer Bedeutung: Zum einen (Tab. 3) zeigt sich für Mittelosteuropa (Tschechien, Polen) die bereits angesprochene leichte Wellenbewegung in der Ausgabenentwicklung der 1990er Jahre. Tabelle 3: Öffentliche Ausgaben für Gesundheit in Prozent des BIP (1990-2000)
CZ POL HUN EST RUS
1990
1992
1994
1996
1998
2000
4,4 5,6 -
6,1 (1993) 5,3 7,5 2,0 (1993) 5,0 (1993)
6,2 (1995) 4,5 7,9 3,5 4,6
5,8 4,9 7,8 3,9 4,2
5,8 5,2 (1997) 7,7 4,1 3,9
6,2 3,3
Quelle: Manning 2004: 222, Abb. 5.
Im postsowjetischen Osteuropa ist demgegenüber einerseits ein Muster des kontinuierlichen Abstiegs erkennbar (Russland), andererseits eines mit einem kontinuierlichen Anstieg der Ausgaben (Estland). In beiden osteuropäischen Fällen bewegten sich die Anteile aber bis zur Jahrhundertwende klar unter dem mittelosteuropäischen Niveau (3-4% vs. 5-8%). Letzteres ist mit dem westeuropäischen BIP-Anteil (Deutschland, Frankreich, Schweden) vergleichbar, der ca. 6% bis 8% beträgt (vgl. Tab. 4 sowie Tab. 5). Zum anderen wird in einer ersten Systemperspektive sichtbar, dass sich die mittelosteuropäischen Ausgabenstrukturen (Gesamtanteil und öffentliche vs. private Ausgaben) am ehesten mit dem britischen vergleichen lassen, während der Abstand zum „sozialdemokratischen“ (Schweden) wie zum „konservativen“ Modell (Frankreich, Deutschland) in etwa gleich groß bzw. gleich gering ist. Das USamerikanische System erweist sich demgegenüber als klare Systemalternative.
Postsozialistische Wohlfahrtsregime in Europa
69
Tabelle 4: Gesamtausgaben (in v.H. des BIP) und öffentliche Ausgaben (als Anteil an den Gesamtausgaben in v.H.) für Gesundheit (1990-2003) 1990
1995
2000
2003
USA
11,9/39,7
13,3/45,3
13,3/44,0
15,2/44,6
S FRA GER UK
8,3/89,9 8,4/76,6 8,5/76,2 6,0/83,6
8,1/86,6 9,4/76,3 10,3/80,5 7,0/83,9
8,4/84,9 9,2/75,8 10,4/78,6 7,3/80,9
9,3/85,4 10,4/78,3 10,9/78,2 7,7/83,4 (2002)
CZ POL HUN
4,7/97,4 4,9/91,7 7,1/89,1 (1991)
7,0/90,9 5,6/72,9 7,4/84,0
6,7/90,5 5,7/70,0 7,1/70,7
7,5/89,7 (2002) 6,5/69,9 8,3/72,4 (estim.)
Quelle: OECD Health Data 2006.
Tabelle 5 fasst die Ausgabenseite (Sozialschutzausgaben) mit ihrer Differenzierung nach Ausgaben- bzw. Aufgabenbereichen (Funktionen) zusammen. Versucht man deren Befunde grob zu clustern, ergeben sich interessante, in den meisten Fällen aber durchaus erwartbare Gruppenbildungen. Innerhalb der Funktionsbereiche fällt zunächst der in Nordwesteuropa gegenüber Mittelost- und Osteuropa deutlich höhere, im Extrem doppelt so hohe BIP-Anteil für die Alterssicherung auf: 12-13% zu 6-9%. Spanien bewegt sich in der Mitte, Polen gesellt sich eher zu Westeuropa und in Nordost- wie in Südosteuropa (Estland, Rumänien) ist der Anteil besonders gering (5,6% bzw. 5,8%). Dabei bewegt sich der Anteil der Ausgaben für die Alters- und Hinterbliebenensicherung bezogen auf die gesamten Sozialschutzausgaben – bis auf Rumänien (37%) und Polen (über 60%) – auf einem 40-46%-Niveau. Die Ausgaben für Familie und Kinder lassen demgegenüber keine klare Gruppenbildung zu. Die Aufwendungen in Westeuropa (ohne Spanien) sind etwas höher (1,7-3,0% des BIP) als in Mittelost- und Osteuropa (0,9-2,5%), obwohl in der Tendenz der Funktionsbereich selbst einen höheren Stellenwert in Ost- gegenüber Westeuropa besitzt (8-13% [ohne Polen] vs. 7-10% [ohne Großbritannien]). Der Leistungsbereich „Arbeitslosigkeit“ (Absicherung und Arbeitsmarktpolitik) zeigt hingegen wiederum ein klares Gefälle: In Westeuropa (mit der Ausnahme Großbritanniens) ist nicht nur der Funktionsbereich deutlich gewichtiger (6,2% bis fast 13% aller Ausgaben) als in Mittelost- und Osteuropa (1,63,9%). Auch bezogen auf die BIP-Anteile der Ausgaben bewegt sich Westeuropa mit 2,0-2,5% relativ einheitlich auf dem drei- bis vierfachen Niveau der mittelostund osteuropäischen Ausgaben (0,5-0,7%, Estland fällt mit 0,2% aus diesem Muster). Schließlich divergieren auch die Ausgaben für „Wohnen/soziale Ausgren-
70
Raj Kollmorgen
zung“ klar zwischen den europäischen Großregionen. Während in Westeuropa (bis auf Spanien) in diesem Bereich 0,7-1,7% des BIP verwendet werden, sind es in Mittelost- und Osteuropa 0,2-0,6%. Dabei zeigen Polen und Estland mit 0,2% und Spanien mit 0,3% vergleichbar niedrige Werte. Tabelle 5: Sozialschutzausgaben nach Funktionen 2004 (in v.H. der gesamten Sozialleistungen / in v.H. des BIP) Alter/ Krankheit/ Hinterbliebene Gesundheit
Familie/ Kinder
Arbeitslosigkeit
Wohnen/soziale Ausgrenzung
S FRA GER UK ESP
40,1/12,7 46,3/12,8 43,5/12,4 44,6/11,5 43,7/8,5
25,4/8,0 30,0/8,8 27,2/7,7 30,4/7,8 30,8/6,0
9,6/3,0 8,5/2,5 10,5/3,0 6,7/1,7 3,5/0,7
6,2/2,0 7,8/2,3 8,6/2,4 2,6/0,7 12,9/2,5
3,9/1,2 4,4/1,3 2,5/0,7 6,4/1,7 1,7/0,3
CZ POL HUN EST RO
41,1/7,8 60,1/11,8 42,5/8,6 43,7/5,8 37,9/5,6
35,3/6,7 19,5/3,8 29,5/6,0 31,5/4,2 35,9/5,3
8,4/1,6 4,6/0,9 12,1/2,5 12,7/1,7 11,1/1,6
3,9/0,7 3,5/0,7 2,9/0,6 1,6/0,2 3,6/0,5
3,4/0,6 0,8/0,2 2,6/0,5 1,5/0,2 4,3/0,6
Quelle: Petrasova 2006: 6, Tab. 4.
Die Betrachtung der Leistungsseite der Wohlfahrtsstaaten soll auf drei Bereiche beschränkt werden: (1) Bezogen auf das Feld aktiver Arbeitsmarktpolitik zeigt Tabelle 6, dass die Arbeitslosenraten in Mittelost- und Osteuropa in den 1990er Jahren zunächst dramatische Steigerungen erlebten, dann relativ konstant blieben und Anfang des neuen Jahrhunderts wieder abschmolzen (Trendausnahme: Tschechien, auf weiter hohem Niveau: Polen). Die westliche Dynamik beinhaltete zunächst eine Steigerung in den 1990er Jahren (Ausnahmen: Großbritannien, USA). In den letzten beiden Jahren (2005/2006) sind aber zum Teil deutlich Verminderungen beobachtbar. Insgesamt erfolgte eine Annäherung der westlichen und östlichen Niveaus, wobei im Westen die „liberalen Regime“ und das sozialdemokratische (Schweden) unterdurchschnittliche Quoten aufweisen (ca. 5% vs. 8-9% in den konservativen Regimen) und sich Mittelost- und Osteuropa bis auf den polnischen Fall auf vergleichbarem Niveau bewegen (7-9%).
Postsozialistische Wohlfahrtsregime in Europa
71
Tabelle 6: Entwicklung der Arbeitslosigkeit (Arbeitslosenquoten)1992-2004 1992
1994
1996
1998
1999
2001
2004
2006
USA
7,5
-
5,4
-
-
4,7
5,5
4,6
S FRA GER UK ESP EU 15
5,6 9,9 6,4 9,7 14,9 8,4
-
9,6 11,6 8,5 7,9 18,2 10,2
9,4
-
4,9 8,4 7,4 5,0 10,8 7,3
6,4 9,6 9,5 4,7 10,9 8,1
5,3 8,8 8,1 5,5 8,5 -
CZ POL HUN EST RUS
4,1 13,8 9,8 3,8 5,2
4,2 13,9 10,8 7,8 8,0
3,9 11,6 9,9 10 9,8
6,5 10,5 8,9 9,9 13,4
8,8 15,4 6,9 12,2 14,1
8,0 18,6 5,7 12,3 -
8,3 18,8 6,0 9,5 8,7
7,2 13,8 7,5 -
Erläuterung: Die Konzepte von OECD und IMO (Manning) unterscheiden sich, differieren aber in den Raten nur wenig. Quellen: Manning 2004: 226, Fig. 10; Für die westlichen Gesellschaften und das Jahr 2004 nach: OECD Factbook 2006: 119; OECD 2007: 76.
(2) Wie Tabelle 7 verdeutlicht, hat sich in einem einfach messbaren Gesundheitsbereich, der Kindersterblichkeit, die Lage in Mittelosteuropa seit 1990 deutlich verbessert und nähert sich den westeuropäischen Werten (herausragend: Tschechien). Dieser Befund schließt die Baltischen Länder weitgehend ein, auch wenn sie insgesamt (noch) etwas hinter Mitteleuropa zurückbleiben. Demgegenüber zeigt der Russische Fall keine Besserung, zwischenzeitlich sogar eine Zunahme der Kindersterblichkeit um etwa 1 Prozentpunkt.
72
Raj Kollmorgen
Tabelle 7: Kindersterblichkeit (1990-2000)* 1990
1992
1994
1996
1998
1999/2000
USA
9,2
-
7,6 (1995)
-
-
6,9 (2000)
S FRA GER UK EU 15
6,0 7,3 7,0 7,9 -
-
4,1 (1995) 4,9 (1995) 5,3 (1995) 6,2 (1995) -
-
-
3,4 (2000) 4,4 (2000) 4,4 (2000) 5,6 (2000) ca. 7
CZ POL HUN EST RUS
11 19,4 15 12,5 17,5
9,9 17,2 14,1 15,8 18
7,9 15 11,5 14,6 18,8
6 12,1 11 10,5 17,5
5,1 9,4 9,6 9,3 16,7
4,6/4,1 (2000) 9/8,1 (2000) 8,4/9,2 (2000) 9,5 17
* Kindersterblichkeit im ersten Lebensjahr pro 1.000 Lebendgeborene. Quelle: Manning 2004: 228, Fig. 12; für 1995 and 2000: OECD Health Data 2006.
(3) Schließlich soll mit dem Gini-Koeffizienten das Ausmaß sozialer Ungleichheit in der Bevölkerung nachgewiesen werden (Tab. 8). Zwei Befunde erscheinen besonders relevant: Zum einen findet sich in Mittelosteuropa erneut eine Wellenbewegung, wobei sich die Ungleichheit vor und nach Sozialtransfers Ende der 1990er Jahre wieder reduziert hat, aber nicht ganz das Ausgangsniveau erreicht. Demgegenüber hat sich in den meisten westeuropäischen Gesellschaften im Zeitraum zwischen den 1980er und 1990er Jahren die Ungleichheit verschärft. Absolut bewegen sich die mittelosteuropäischen Gesellschaften auf einem Niveau vergleichbar mit klassischen kontinentalen Wohlfahrtsstaaten wie Deutschland oder Frankreich. Zum anderen ist auf die osteuropäischen Entwicklungen aufmerksam zu machen. Hier ist eine praktisch durchgehende (statistisch vermutlich dennoch unterschätzte) Zunahme der Ungleichheit zu diagnostizieren, wobei das Ungleichheitsmaß – insbesondere in Russland – mittlerweile jenes der Vereinigten Staaten überflügelt hat und sich im Bereich brasilianischer Verhältnisse bewegt.
Postsozialistische Wohlfahrtsregime in Europa
73
Tabelle 8: Soziale Ungleichheit: Gini-Koeffizient vor und nach Sozialtransfers* 1991/92 S FRA UK GER E-GER CZ POL HUN EST RUS
0,399/0,207 0,414/0,274 0,484/0,283 -
1994/95
-
/0,227 /0,221
1999 -
0,424/0,295 0,525/0,318 (1996) 0,553/0,323 /0,381
/0,23 (2002) /0,27 (2002) /0,35 (2002) /0,289 (2002) /0,235 (2002) 0,493/0,293 0,497/0,295 0,506/0,361 /0,456 (2001)
* Der Gini-Koeffizient bezieht sich auf das verfügbare Nettohaushaltseinkommen. Erläuterung: Die Daten für Russland und Deutschland stammen aus anderer Quelle als die übrigen. Quellen: Cerami 2005: 191, Tab. A 3; Heynes 2005: 174, Tab. 1; Datenreport 2004: 626, Tab. 2.
Unzweifelhaft bieten bereits diese wenigen Daten und Vergleiche nicht nur Ansatzpunkte für die Feststellung, dass sich die postsozialistischen Wohlfahrtsregime substantiell, wenn auch in höchst differenter Weise transformiert, aber nicht einfach von ihren Vorgängern losgesagt haben. Sie erlauben auch erste deskriptive Klassifizierungsversuche, die sich an Aufwendungen, Ausgabenstruktur und Leistungen orientieren. Relativ unproblematisch werden dabei heute vier europäische „Phänotypen“ erkennbar: Ein nordwesteuropäischer Typ (beispielhaft: Schweden, Frankreich, Deutschland und – mit einigen Besonderheiten – Großbritannien), ein südeuropäischer Typ (exemplarisch: Spanien), ein mittelosteuropäischer Typ (z.B. Tschechien, Ungarn und Polen [mit deutlichen Eigenheiten]), wobei sich dieser dem nordwesteuropäischen annähert, sowie ein osteuropäischer Typ (exemplarisch: Estland, Rumänien und Russland).
2
Der Wohlfahrtsregimeansatz Esping-Andersens
Grsta Esping-Andersen hat bekanntlich rein oder auch nur dominant an Ausgaben und quantitativen Leistungsmerkmalen ansetzenden Typologisierungen sein Konzept der „Drei Welten“ ausdrücklich entgegengestellt. Grundidee Esping-Andersens war und ist, in einer politökonomischen Perspektive nach systematischen or-
74
Raj Kollmorgen
ganisatorischen bzw. institutionellen Beziehungen zwischen Staat und Ökonomie (ihren Leitideen) sowie deren Leistungseffekten im Hinblick auf „Ent-Kapitalisierung“ von Arbeit und sozialer Sicherheit sowie nach Formen gesellschaftlicher Solidarität und Integration zu fragen. Mit dieser Blickrichtung und aufgrund empirischer Analysen, die sich um Dekommodifizierungsmodus, -grad und die Sozialstruktur- oder Ungleichheitseffekte zentrieren, clustert Esping-Andersen dann drei „welfare state regimes“: das liberale, das konservative und das sozialdemokratische (Esping-Andersen 1990: 26-29; 1999: 85). Als entscheidende kausale Ursachen für die Entstehung und Ausprägung dieser drei Regime-Typen betrachtet Esping-Andersen in einer „interaktionistischen“ und „relationalen“ Perspektive (1) das Muster der politischen Formierung der Arbeiterklasse und deren Stärke (Mobilisierungsfähigkeit) gegenüber anderen sozialen Klassen, (2) den Modus und die Ergebnisse politischer Koalitionsbildungen – vor allem in der sensiblen Phase des Übergangs von einer agrarisch geprägten zu einer Mittelklassen-Gesellschaft – und (3) die historischen Erbschaften in der Regime-Institutionalisierung oder einfacher: vergangene Reformprozesse, die entscheidenden Einfluss auf die Gestaltung von Präferenzen und Verhalten der Klassenakteure ausüben (1990: 29, 33).3 An dieser Typenbildung und ihrer Begründung, d.h. insbesondere den identifizierten Kausalmechanismen, ist trotz der Anerkennung des analytisch höchst fruchtbaren und paradigmatischen Zugangs seit 1990 vielfältige Kritik geübt worden (siehe als Überblick Schmid 2002: 82-98; Fenger 2007; Siegel 2007). Ich will diese aber nicht im Detail nachzeichnen, sondern Esping-Andersens revidierte Fassung der Drei-Welten-Theorie tabellarisch zusammenfassen (Übersicht 1). Seine Revision – die auf Teile der kritischen Debatte reagiert hat – besteht insbesondere in der Stärkung des Elements der Familie bzw. des Haushalts (einschließlich geschlechtsspezifischer Wohlfahrtseffekte) sowie der Berücksichtigung von Globalisierungsprozessen in der Gestaltung der Regime.
3 Für den Dekommodifizierungsgrad ist darüber hinaus die Seniorenquote von herausragender Bedeutung: Je höher der Altenanteil, desto höher der Grad an Dekommodifizierung. Hinsichtlich des „historischen Regimeeffekts“ verweist Esping-Andersen nicht zuletzt auf (jüngere) staatsabsolutistische Traditionen, die ein höheres Maß an Sozialschutz hervorbrächten (ibid.; cf. Siegel 2007: 268/269).
Postsozialistische Wohlfahrtsregime in Europa
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Übersicht 1: Merkmale von Wohlfahrtsstaatsregimen nach Esping-Andersen (1990, 1999) Liberal
Sozialdemokratisch
Konservativ (-korporatistisch)
Kerninstitution des Wohlfahrtsstaates
„residuale“ Armuts- universelle (Arbeitsmarkt-) Inklusion, vermeidung/ soziale Sicherheit auf -begrenzung möglichst hohem (Grundsicherungs-) Niveau Fürsorge(-Rechte) Staatsbürger (-Rechte)
Finanzierungskern
Steuer
Redistributionsmaß Rolle von: Familie Markt Staat Wohlfahrtsstaat: Dominanter Modus der Solidarität
(relativ) schwach
Steuer/ Sozialversicherung stark
marginal zentral marginal
marginal marginal zentral
zentral marginal subsidiär
individuell
universell
Markt
Staat
Verwandtschaft, (kirchlich untersetzter) Korporatismus, Etatismus Familie
Ziel
Dominanter Lokus von Solidarität
Dekommodifizierungs- Minimal grad Beispiele USA
Maximal Schweden
Klassen- und Statussicherung
Statusgruppen- und Fürsorge(-Rechte) (Äquivalenz- und Subsidiaritätsprinzip) Sozialversicherung schwach
Hoch (für Verdiener/ Kernklientel) Deutschland, Italien
Quelle: Esping-Andersen 1990: 26-29; 1999: 85.
76
3
Raj Kollmorgen
Postsozialistische Wohlfahrtsregime: Einpassung oder eigener Typus?
Nimmt man Esping-Andersens Typologie als Leitfaden für eine Problematisierung postsozialistischer Wohlfahrtsregime, sind in einem ersten Schritt die bisherigen empirischen Befunde zu den postsozialistischen Wohlfahrtsregimen um jene Systemmerkmale zu ergänzen, die für Esping-Andersens Ansatz zentral sind (Übersicht 1). Da dies im vorliegenden Beitrag nicht umfassend geschehen kann, sollen zwei wichtige Teilsysteme dafür exemplarisch herangezogen werden: das System der Alterssicherung und das Gesundheitssystem. Eine Analyse, die sich neben den Ausgaben und Leistungsmerkmalen (vgl. Tab. 2-5, 7) auf die Systemarchitektur, insbesondere hinsichtlich der Finanzierung und Steuerung, konzentriert (Übersichten 2, 3), erbringt aus vergleichender Perspektive zunächst zwei typenrelevante Befunde: (1) Hinsichtlich der Rollen von Markt, Staat und Familie und den zentralen Finanzierungsinstitutionen wird insbesondere anhand der Altersicherungssysteme erkennbar, dass die mittel- und nordosteuropäischen Transformationsgesellschaften in der vom IMF und anderen neoliberal orientierten transnationalen Organisationen favorisierten Teilprivatisierung und Kapitalisierung sozialer Sicherungssysteme weiter fortgeschritten sind als die meisten westeuropäischen Gesellschaften. Das so genannte „Drei-Säulen-Modell“ der Alterssicherung mit einem hohen Anteil privater und kapitalbasierter Altersvorsorge (ca. 30-70%) wurde in einer Reihe von Staaten (klassisch: Estland) ab Mitte der 1990er Jahre durchgesetzt, auch wenn Anfang des neuen Jahrhunderts zahlreiche Amendierungen erfolgten, die oft eine Rückführung dieses Anteils bzw. seines verpflichtenden Charakters zum Inhalt hatten. Nichtsdestotrotz bleibt der Befund einer deutlich (neo-)liberalen Ausrichtung insbesondere dieses Teilsystems4, die freilich einerseits durch professions- und einkommensabhängige Rentenbestandteile mit statussichernden Elementen (konservatives Modell) sowie andererseits mit einer in der Regel starken Regulierungs- und Kontrollfunktion des Staates kombiniert wurde.
4 Zu dieser Ausrichtung – verbunden mit sozialdemokratisch-egalisierenden Ansprüchen – kann auch die in einigen Ländern erfolgte Etablierung einer so genannten „vierten Säule“ der Alterssicherung (Wagner 2002) zählen. Diese besteht in der staatlichen Übernahme von Mindestversicherungsbeiträgen für solche Gruppen, die aufgrund von Arbeitslosigkeit, Arbeitsunfähigkeit oder Armut nicht an den ersten drei Säulen partizipieren können (cf. Cerami 2006).
Grad an (1) Privatisierung, (2) Kapitalisierung, (3) Stellung des Staates als Regulierungsakteur
* AN = Arbeitnehmer, AG = Arbeitgeber; Quelle: Eigene Zusammenstellung auf Basis von Cerami 2005.
GER Zwei-Säulen-Modell (1) gering bis mittel 1. Diversifizierte professions- und einkommensabhängige, umlagefinanzierte Pflichtver- (2) gering bis mittel sicherung bei paritätischer Finanzierung durch AG/AN* und Steuerzuschuss (ca. 30%) (3) mittel (neokorpora2. Freiwillige, durch Steuermittel bezuschusste private Zusatzrente („Riester-Rente“) tistische Steuerung) (Zusätzlich als quasi 3. Säule gibt es für mittlerweile etwa 40% aller Beschäftigten freiwillige private Betriebsrenten) CZ Zwei-Säulen-Modell (1) gering 1. Kombination von basaler Einheitsrente und berufs- bzw. einkommensabhängigem (2) gering bis mittel Bestandteil (3) stark 2. Ergänzende Privatrente mit einem hohen Grad an Sicherheit und Ausgleich, die von privaten Aktiengesellschaften getragen wird POL Komplexes, sektordifferenziertes Drei-Säulen-Modell: (1) mittel staatskontrollierte Versicherungsfonds (ZUS/KRUS), paritätische Finanzierung der (2) gering bis mittel Beiträge durch Arbeitgeber/Arbeitnehmer (KRUS: vor allem steuerfinanziert) mit: (3) mittel-stark 1. Säule als Pflichtversicherung (umlagefinanziert), 2. Säule als einkommensabhängige Privatversicherung und 3. Säule als zusätzliche freiwillige Privatrente HUN Drei-Säulen-Modell (1) mittel 1. Rentenversicherungsfonds: umlagefinanzierte, staatlich kontrollierte Pflichtversiche- (2) mittel rung (3) mittel 2. Verpflichtende Private Versicherungsfonds (Renten folgen in ihrer Höhe den Einzahlungen auf individuelle Konten) 3. Freiwillige Privatversicherung (angeboten durch unabhängige private Rentenversicherungen) EST Drei-Säulen-Modell (1) mittel 1. Staatlicher Pensionsfonds: Kombination von Basisbeitrag und Einzahlungsdauer (2) mittel bis hoch (Finanzierung über einen Sozialsteuerfonds) (3) mittel 2. Verpflichtende Versicherungskomponente 3. Private Zusatzrente
Staat Systemarchitektur
Übersicht 2: Rentensysteme in Mittelost- und Osteuropa im Vergleich (Stand: 2003)
seit 1998, Reform 2002
seit 1997, Reform 2003f. (Minderung der Verpflichtung und Staatsgarantie für die 2. Säule)
seit 1991/1997
seit 1997 mit einer Vielzahl von Amendierungen
1957, „Riester-Rente“: 2001, zahlreiche Reformen
Reformschritte, Änderungen
Postsozialistische Wohlfahrtsregime in Europa 77
100%
100%
(fast) 100%
100%
91%
100%
(der staatlichen Systeme:) 25%
Deckungsgrad (2001)
* AN = Arbeitnehmer, AG = Arbeitgeber ; Quellen: Eigene Zusammenstellung auf Basis von Cerami 2005: 89-102; Kovacs 2003; Docteur/Oxley 2003.
EST
HUN
CZ
S
GER
UK
USA
Anteil der Eigenfinanzierung in v.H. der Ausgaben für Gesundheit (2000) Freiwillige Privatversicherung von AN* (vielfach über die Unternehmen bei steuerli(in staatlichen cher Begünstigung) und Selbständigen (ca. 70% der Bevölkerung). Mehrere staatliche Systemen:) 15,2 Programme für Bedürftige (Behinderte, Arme, Kriegsveteranen) mit teils basalen, teils umfassenden Leistungen. Staatliches Gesundheitssystem (NHS): universell, volle Kostenübernahme, steuerfi10,9 (1995) nanziert, zusätzlich finanziert durch AN/AG* Gesetzliche Krankenversicherung (GKV): Pflichtversicherung für alle AN* (paritä10,5 tisch durch AN/AG* finanziert, getragen durch Körperschaften öffentlichen Rechts, neokorporatistische Steuerung); Privatversicherung für 10% der Bevölkerung (Selbständige usw.) Nationales Gesundheitssystem: universell, volle Kostenübernahme, finanziert durch k.A. Steuern und zusätzlich durch AG*/Sozialversicherung) Gesetzliche Pflichtversicherung (universell, finanziert durch AN/AG*, Selbständige, 8,6 Staat; organisiert als privatwirtschaftliche Aktiengesellschaften bei starker Staatskontrolle; zusätzlich für sehr kleinen Personenkreis: verpflichtende Privatversicherung) Nationaler Gesundheitsversicherungsfonds (NHIF)/staatliche NHIF Verwaltung 21,3 (arbeits-/professionsbasiert, finanziert durch Beiträge der Versicherten (AN/AG*) und Steuern (für Nichterwerbstätige), dezentral organisiert Zentraler Krankenfonds (universell, re-zentralisierter Gesundheitsversicherungsk.A. fonds, steuerfinanziert, zusätzlich: freiwillige Privatversicherungen)
Systemarchitektur
Übersicht 3: Gesundheitssysteme in Mittelost- und Osteuropa im Vergleich (Stand: 2001/2002)
78 Raj Kollmorgen
Postsozialistische Wohlfahrtsregime in Europa
79
(2) Die partiell konservativ-korporatistische Orientierung wird durch die Architektur der meisten Gesundheitssysteme in Mittel- und Nordosteuropa unterstrichen. Zwar sind alle Gesundheitssysteme verpflichtend und zeigen einen (fast) 100%igen Deckungsgrad. Die meisten Systeme sind aber als Sozialversicherungen konstruiert, die im Kern durch Arbeitnehmer und Arbeitgeber finanziert werden. Die zusätzlichen, teils nicht unerheblichen steuerlichen Finanzierungsanteile wie die starke Stellung des Staates in einer tendenziell egalisierenden Regulierung und durch Bereitstellung medizinischer Leistungen (z.B. in Ungarn) stellen zugleich klar, dass sich auch sozialdemokratische Systemelemente in Mittelosteuropa finden. Die beachtlichen Eigenanteile (etwa in Ungarn) oder die kapitalwirtschaftlich agierenden Gesundheitsfonds in Tschechien unterstreichen schließlich auch für dieses Teilsystem die Einführung (neo-)liberaler Orientierungen. Estland ging hier mit am weitesten, kombinierte diese Ausrichtung aber mit „sozialdemokratischen“ Systemelementen (vgl. auch die Alterssicherung). Wenn man diese und weitere Eigenarten – z.B. die aus staatssozialistischen Zeiten „gerettete“ relativ hohe Bedeutung familienpolitischer Leistungen (Kindergeld, Kinderbetreuungseinrichtungen usw., vgl. Tab. 5) oder die Mischung arbeitsgesellschaftlicher Wohlfahrtsstaatlichkeit (relativ hohe Sozialversicherungsbeiträge für Arbeitgeber und Arbeitnehmer) mit kapitalorientierter Arbeitsmarktund Steuerpolitik (geringe Aufwendungen für die passive und aktive Arbeitsmarktpolitik, niedrige direkte und höhere indirekte Steuern im Vergleich mit Westeuropa) – berücksichtigt (vgl. Cerami 2006, Barysch 2005), wird erkennbar, dass sich postsozialistische Wohlfahrtsstaatlichkeiten hinsichtlich „Modus“ und „Lokus von Solidarität“ dem typologischen Schema Esping-Andersens verweigern. Individuelle, universelle und verwandtschaftliche/korporatistische bzw. etatistische Modi werden ebenso gemixt wie die Loci von Markt, Staat und Familie. Dieser flimmernde Charakter gilt auch für die von Esping-Andersen bereitgestellten drei wohlfahrtsstaatlichen „Ziele“ oder Leitideen, die in Mittelost- und Osteuropa weniger die Regime scheiden, als sie zu verschmelzen scheinen. Auch der resultative Dekommodifizierungsgrad schafft hier keine Abhilfe. Berücksichtigt man neben den skizzierten Architekturen und Leistungskennziffern (Sozialschutzausgaben) der Wohlfahrtsregime in Mittel- und Osteuropa zum einen die Entwicklung von Massenarbeitslosigkeit und Unterbeschäftigung, zum anderen Schattenwirtschaften sowie Korruption, die allerdings bei Esping-Andersen in der Index-Bildung keine Rolle spielen (siehe unten), ist für Mittelosteuropa eher von einem insgesamt geringen bis mittleren Dekommodifizierungsgrad auszugehen. Für Russland und anderen GUS-Staaten (bis auf Weißrussland) muss sogar von einem minimalen Grad ausgegangen werden, obwohl sie sich kaum als „liberale Regime“ begreifen lassen wie es Esping-Andersens Schema entspräche.
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Selbst unter Akzeptanz des Mischcharakters aller „realen“ Wohlfahrtsregime muss daher entgegen Esping-Andersens Ansicht (1996) konstatiert werden, dass der Drei-Welten-Ansatz die postsozialistischen „Systemwelten“ eben nicht zu integrieren in der Lage ist, sondern sie verfehlt. Zugleich wird jetzt plausibler, warum in der Debatte so unterschiedliche, zum Teil gegenläufige, oft auch Bindestrich-Denotierungen anzutreffen sind. Dabei können zwei Lager unterschieden werden. Während eine Position im Anschluss an die Diskussion um „residuale“, „rudimentäre“ oder „postautoritäre“ Regime in Südeuropa (vgl. Leibfried 1993; Götting/Lessenich 1998) in Mittelosteuropa analoge Regimeentwicklungen diagnostiziert bzw. postsozialistisch oder sozialdemokratisch „gemäßigte“ liberale Regime identifiziert hat (etwa Götting 1998; Ferge 2001; E. Szalai 2005), votieren Kovacs (2003) und Cerami (2005, 2006) für einen besonderen Bismarck-Typus in Mittelosteuropa. Die Wohlfahrtsregime in den Visegrad-Staaten (Tschechien, Slowakei, Polen, Ungarn) stellen demnach einzigartige Hybride im Anschluss an die bismarckischen vor- und realsozialistischen Traditionen dar. Diesen Vorschlag aufnehmend, ist für Mittelosteuropa von einer Regime-(Re-)Kombination zu reden, die „liberale“, „sozialdemokratische“, aber auch arbeitsgesellschaftlich „konservative“ Zielvorstellungen mit institutionellen Versatzstücken und neuen Elementen des bismarckischen Typus hinsichtlich der Akteurkonfigurationen und Regulierungsmodi bei starker Stellung des Staates und nicht zuletzt exogen verursachte (neo-)liberale Finanzierungsformen mischt. Dabei erscheinen die unterschiedlichen Bereiche und Aufgabenfelder institutionell keineswegs aus einem Guss gefertigt und haben sich die Schwergewichte der Rekombinationen über die Zeit der Transformationen deutlich verschoben (siehe 4.). Die institutionellen Rekombinationen und ihre wohlfahrtsstaatlichen Konsequenzen erfolgten in Mittelost- und Osteuropa aber nicht gleichförmig, was bereits die Skizze zu den Ausgaben und Leistungen klarstellte. Vielmehr ist, ausgehend von teils gravierenden prä- und staatssozialistischen Unterschieden (vgl. Brie 1996; Götting 1998; Kaelble 2006; Cerami 2006), eine substantielle postsozialistische Diversifizierung zu diagnostizieren. Zwischen Russland und Tschechien liegen tatsächlich „Wohlfahrtswelten“. Während sich aber in materieller Hinsicht eine Zweiertypologie empirisch rechtfertigen lässt, die einen mittelosteuropäischen (vor allem: Slowenien, Tschechien, Slowakei, Ungarn) von einem osteuropäischen Typus (Baltikum, GUS-Staaten, Südosteuropa) scheidet, erscheint aus einer an Esping-Andersen orientierten system-zentrierten Perspektive eine Dreiertypologie angemessen. Diese unterscheidet einen neoliberal-sozialdemokratischen Subtyp von einem rudimentär-staatspaternalistischen und einem
Postsozialistische Wohlfahrtsregime in Europa
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staatsgeleitet konservativ-korporatistischen Subtyp (Übersicht 4).5 Diese Typenkonstruktion ist aber durch die von Esping-Andersen zentrierten Merkmale noch nicht hinreichend begründbar. Vielmehr bedarf sie fünf weiterer, dabei aufeinander bezogener Dimensionen bzw. Elemente, die auch auf alternative Ansätze und empirische Analysen referieren (vgl. z.B. Jessop 2002; Manning 2004; Cerami 2005, 2006; Fenger 2007; Oorschot 2007). 1. Sozio- und politisch-ökonomische Basis: Offensichtlich teilen die postsozialistischen Gesellschaften Mittelost- und Osteuropas nicht eine gemeinsame politisch- und sozioökonomische Basis. Vielmehr differieren sie sowohl hinsichtlich Wirtschaftskraft, Wirtschaftswachstum, Produktivität und sektoraler Verteilung (v.a. Bedeutung der Landwirtschaft und des Dienstleistungssektors) als auch bezogen auf Liberalisierung, (De-)Regulierung und Privatisierung, mithin transformationsökonomischer Leitideen und Resultate. Ohne die Differenzen an dieser Stelle näher ausführen zu können, bleibt festzuhalten, das sich die Dreiertypologie hier weitgehend spiegelt: Während die Visegrad-Staaten (Polen erneut mit einigen Spezifika) und Slowenien sich heute bezüglich der Wirtschaftskraft (BIP pro Einwohner) und Postindustrialisierung im Bereich von 50% bis fast 80% des EUDurchschnitts bewegen, eine mittlere Wirtschaftsdynamik aufweisen und eine konsequente Transformationspolitik als Verbindung neoliberaler Programmatiken und sozialpolitischer Abfederung unter Nutzung staatsgeleiteter neokorporatistischer Arrangements verfolgten, erscheinen die Baltischen Staaten dem absoluten Niveau nach als Nachzügler (ca. 50% des BIP pro Kopf). Sie weisen aber mit einer neoliberalen Big-bang-Strategie und produktivistisch orientierten Regulationsweisen die höchste Dynamik auf (Wachstumsraten über 10%). Südost- und Osteuropa rangieren demgegenüber hinsichtlich Stand und Dynamik klar dahinter. Die Wirtschaftskraft bewegt sich trotz relativ hoher Wachstumsraten in den letzten fünf Jahren (5-8%) auf einem 30%-Niveau gegenüber dem EU-Durchschnitt. Dabei besitzen alle Länder dieser Region einen zwar geschrumpften, aber noch immer vergleichsweise großen Agrarsektor. Diese Position verdankt sich nicht nur dem niedrigen realsozialistischen Ausgangsniveau, sondern auch den spät begonnenen und oszillierenden „Reform“-Politiken. Dabei wird die Regulationsweise 5 Dabei ist – noch einmal – der Begriff „Subtypus“ nur begrenzt historisch-genetisch, im Sinne der Ausdifferenzierung eines homogenen Ausgangstypus zu verstehen. Einerseits enstanden alle drei Subtypen aus realsozialistische Wohlfahrtsregimen, die sich einer gemeinsamen sozio- und politökonomischen Gesellschaftsform – eben der staatsozialistischen – verdanken. Andererseits wies diese Gesellschaftsform in sich deutliche, selbst wieder historisch bedingte Regimevarianten auf (etwa zwischen der CSSR und der Sowjetunion), die die Transformationskorridore mitbedingten. Der mittlere Subtypus sprengt Esping-Andersens Ansatz auch deshalb, weil er nur bedingt wohlfahrtskapitalistische Züge trägt. Allerdings scheint er zugleich ein besonders transitorischer und fragiler Subtypus zu sein (siehe 4.).
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noch immer durch eine Kombination von (schwachem) Staatspaternalismus bzw. „(staats-)politischem Kapitalismus“ (J. Staniszkis), (lokalen) Clanwirtschaften und starken subistenzwirtschaftlichen Elementen (vor allem auf dem Lande) dominiert (zur Empirie: EU Soziale Lage 2006). 2. Familie und Frauen: Generell gilt für den postsozialistischen Raum, dass „Familie“ auch familiale Versorgungs- oder Wohlfahrtsnetzwerke umfasst, die sich deutlich von westeuropäischen Solidaritätsmustern (Kleinfamilie und familiale Generationensolidarität) unterscheiden, aber eine Nähe zum südeuropäischen „postautoritären“ oder „rudimentären“ Typus aufweisen. Innerhalb des Postsozialismus wird aber eine deutliche Differenz in der Bedeutung derartiger Versorgungs- und Wohlfahrtsnetze erkennbar: Während sie in Mittelosteuropa mittlerweile nur noch residual genutzt werden, bleiben sie im Baltikum, mehr noch in Südost- und Osteuropa für Mittel- und Unterschichten essentiell. Dabei sind sie stärker noch als in Mittelosteuropa verwandtschaftlich bzw. „clan“-fundiert. Obwohl mittlerweile die Frauenerwerbsquote in Mittelost- und vor allem Osteuropa nicht mehr über jener westeuropäischer Gesellschaft rangiert, besitzen Frauen in den postsozialistischen Wohlfahrtsregimen nicht nur wegen der in Mittelosteuropa höheren, dabei soziokulturell stabilisierten Erwerbsneigung, sondern auch infolge der staatsozialistischen Emanzipationspolitik (trotz ihrer patriarchalischen Momente) eine andere Stellung als in West-, aber auch Südeuropa (wie Portugal, Griechenland) (vgl. ibid.; Pfau-Effinger 2000). 3. Informelle Ökonomie und Wohlfahrt: Auch diesbezüglich ist nicht nur eine Scheidung von westeuropäischen Wohlfahrtsregimen zu konstatieren, sondern lassen sich distinkte Muster innerhalb Mittel- und Osteuropas feststellen. Obwohl in diesem Bereich nur Schätzungen vorliegen, ist davon auszugehen, dass sich angesichts der Leistungsindikatoren und noch immer gegebenen institutionellen Fragmentierungen und Dysfunktionalitäten in den GUS-Staaten und Teilen Südosteuropas die informelle Wohlfahrtsproduktion, d.h. Selbsthilfe, Unterstützungsund Versorgungsnetzwerke einschließlich illegaler Praktiken und Korruption, im Bereich von 50-75% der Gesamtleistungen bewegt. Kornai und Kovacs gehen selbst für Polen und Ungarn von einem Umfang im Bereich von 15-40% aus (Kovacs 2003: XXIX). 4. Staat und Dritter Sektor: Zunächst ist generell festzuhalten, dass in allen postsozialistischen Gesellschaften ihr staatssozialistisches Erbe erkennbar ist, das sich in der doppelt paradoxen Bestimmtheit von institutioneller Staatszentrierung vs. Staatsschwäche einerseits, kultureller Staatsadressierung vs. Staatsmisstrauen andererseits ausdrückt. Deshalb und wegen der zentralen Rolle des Staates als Transformationsagentur findet sich selbst in (eher) liberal orientierten Wohlfahrtsregimen eine gegenüber westlichen Modellen „starke“ Position des Staates. Für
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den rudimentär-staatspaternalistischen Subtypus ist die Staatszentrierung evident. Aber selbst der konservativ-korporatistische Bismarck-Typus weist gegenüber westlichen Vertretern (wie Deutschland, Italien, Österreich) eine starke Stellung zentraler Staatsakteure und Institutionen auf. Nicht zuletzt hierin wird die Besonderheit des Postsozialismus gegenüber anderen Wohlfahrtswelten erkennbar (vgl. Cerami 2006). Im neueren wohlfahrtsgesellschaftlichen Diskurs ist vielfach herausgearbeitet worden (vgl. etwa Evers/Olk 1996; Zimmer 2003), dass (vor allem das deutsche) Bismarck-Modell ganz wesentlich eine breite Zivilgesellschaft und entwickelten Dritten Sektor voraussetzt. Das gilt für die Seite der Leistungserbringung wie für die Dimension der politisch-institutionellen Steuerung (Subsidiaritätsprinzip). Der Bismarck Typus verkörpert insofern – mehr noch als andere Systeme – nicht nur einen Wohlfahrtsstaatstypus. Er schließt vielmehr „Wohlfahrtsmix“ oder „Wohlfahrtspluralismus“ ein. Zwar haben die Gesellschaften Mittelosteuropas – im Unterschied zum Baltikum, noch mehr aber in Differenz zu Osteuropa – nach 1988/89 einen Boom an Gründungen zivilgesellschaftlicher Akteure und von Neon-Profit-Organisationen erlebt. Deren Anzahl bewegt sich aber weiterhin deutlich unter dem Durchschnitt westlicher Bismarck-Regime.6 Dabei weisen zwar bezeichnenderweise gerade die Bereiche soziale Dienste, Gesundheit und Familie hohe Zuwachsraten auf; die Organisationen sind aber nur wenig in die öffentlich Leistungssysteme und Steuerungsarenen eingebunden, die von den tripartistischen Neokorporatismen (Staat, Gewerkschaften, Arbeitgeber- bzw. Wirtschaftsverbände) dominiert werden. 5. Wohlfahrtskulturen: Neben den bereits angeschnittenen kulturellen Eigenheiten des Postsozialismus gegenüber Nordwesteuropa (wie bismarckischer Etatismus und Staatspaternalismus bei gleichzeitigem Staatsskeptizismus und Misstrauen gegenüber formellen Ordnungen) ist hier in der Perspektive einer longe durée (F. Braudel) vor allem auf folgende Differenzen gegenüber anderen Weltregionen bzw. innerhalb der postsozialistischen Fallgruppe aufmerksam zu machen, welche die Dreiertypologie erneut stützen: (a) die mitteleuropäischen Kulturen (v.a. Visegrad-Staaten), die vom römisch-katholischen bzw. protestantischen Glauben, durch das deutsche Reich oder die österreichisch-ungarische Monarchie sowie einen relativ hohen Urbanisierungs- und Kapitalisierungsrad geprägt wurde; (b) die protestantisch und nordeuropäisch geprägten semiperipheren Baltischen Kulturen und (c) die eher peripheren, durch die christlich-orthodoxe Kirche
6 Eine eigene Erhebung kommt zu folgenden (partiell geschätzten) Relationen (Westdeutschland – Tschechien/Polen – Russland): (a) Anzahl der NGOs pro 1.000 Einwohner (2000): 5 : 2,5/1,5 : 0,5-1; (b) Anteil in v.H. der erwachsenen Wohnbevölkerung, der Mitglied in einer NGO ist: 60 : 40/20 : ca. 5-10.
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und das Russische Imperium bzw. Osmanische Reich formierten südost- und osteuropäischen Kulturen (wie Albanien, Rumänien, Bulgarien, GUS-Staaten). Übersicht 4 fasst die drei postsozialistischen Wohlfahrtsregime auf Grundlage der Typologie Esping-Andersens und seiner Erweiterungen tabellarisch zusammen. Übersicht 4: Die drei Subtypen des Postsozialismus in einem erweiterten Drei-WeltenModell (1) Neoliberal (-sozialdemokratisch)
(2) Rudimentär staatspaternalistisch
(3) Staatsgeleitet konservativ(-korporatistisch) (oder bismarckisch) Ziel „residuale“ Armutsbe(egalisierende) soziale Schicht- und Statussichegrenzung und (sozialde- Sicherheit und Stärkung rung mit Egalisierungs- und mokratische) Egalisiedes staatszentrierten sozioökonomischem Moderrungseffekte, „schumpe- Herrschaftsregimes nisierungsanspruch terianische Workfare“ (Jessop) Politisch- und sozio- neoliberal regulierte und peripherer, staatspoliti- neoliberal überformte, dynaökonomische Basis hochdynamische Wettbe- scher Kapitalismus und mische („soziale“) Wirtwerbwirtschaft („Schwel- „gelenkte“, „delegative schaft mit neokorporatistiDemokratie“ („Entwick- schen Elementen lenland“) lungsland“) Kerninstitution des Fürsorge(-Rechte)/ Staatsbürger(-Rechte) Statusgruppen- und FürsorWohlfahrtsstaates Staatsbürgerrechte ge(-Rechte) (Äquivalenzund Subsidiaritätsprinzip) mit Staatsbürgerelementen Finanzierungskern Steuer (Versicherung) Steuer Sozialversicherung (Steuer) Redistributionsmaß gering/mittel (effektiv:) gering gering/mittel Rolle von: Familie/informellen zentral zentral zentral Netzwerken Markt zentral zentral (eher) marginal Staat (eher) marginal zentral (eher) zentral 3. Sektor marginal marginal (eher) marginal Kulturprägung nordeuropäischv.a. christlich-orthodox, mitteleuropäisch, römischprotestantisch absolutistisch katholisch/protestantisch Wohlfahrtsregime: Dominanter Modus individuell und familiär universell und familiär/ etatistisch-korporatistisch der Solidarität clanbezogen und familiär Dominanter Lokus Markt (und Staat) Staat(sbetriebe), (famivon Solidarität liäre/Clan-) BeschafStaat und Familie fungsnetze Dekommodifiziegering (nach Lokus geteilt:) gering-mittel (mittel für rungsgrad gering-hoch Kernklientel) Beispiele Estland, Litauen Russland, Ukraine Tschechien, Ungarn, Slowakei
Postsozialistische Wohlfahrtsregime in Europa
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Der Wandel postsozialistischer Wohlfahrtswelten ... in einer Welt
Abschließend ist zunächst zu problematisieren, ob es sich bei den drei beschriebenen postsozialistischen Wohlfahrtsregimetypen um persistente Typen handelt oder nur – wie etwa von Esping-Andersen selbst vermutet – um transitorische Phänomene, die im Laufe der Umwälzungen und Anpassungen in eine seiner „Drei Welten des Wohlfahrtskapitalismus“ münden werden (Esping-Andersen 1996; vgl. ähnlich Rys 2001). Zwar kann eine entsprechende Drift für die Zukunft nicht ausgeschlossen werden. Sie ist aber, insbesondere für die Subtypen (1) und (3) unwahrscheinlich. Für deren konsolidierte Strukturierung spricht zunächst die Rekonstruktion ihrer Genese und Entwicklung seit 1989/90. Im Rückgriff auf Götting (1998), Manning (2004) und Cerami (2005, 2006) lassen sich mit dem Fokus auf Mittelosteuropa drei Formierungsperioden unterscheiden, die aber weder für die einzelnen Teilsysteme noch in den einzelnen Ländern zeitgleich einsetzten, sondern in hohem Maße überlappen (vgl. Kollmorgen 2005): (1) Die Periode der „Ad-hoc-Reformen“ (1989-1993/97): Dieser Periode verbindet rasche Übergangsreformen, die auf neue Problemlagen des Systemwechsels unter Orientierung auf westliche Institutionenkomplexe („Institutionenleihe“) reagierten (vor allem Arbeitslosigkeit) und insoweit in bestimmten Feldern „ein temporäres Wachstum der Wohlfahrtsleistungen“ einschlossen (Cerami 2006: 23, vgl. Tab. 1-5), mit einer funktionalen Strategie des Abwartens. Das öffentliche Wohlfahrtsregime erschien jenseits der Arbeitslosigkeit nicht als dringendstes Problemfeld und wurde zugleich strategisch als Instrument sozialpolitischer Abfederung der beginnenden (radikalen) Wirtschaftsreformen und ihrer Auswirkungen genutzt. (2) Die Periode des „neoliberal dominierten Umbaus“ (1993/97-1998/2003): Im Kern handelte es sich um die Reform des Gesundheitswesens (ab 1992/93), der Arbeitsmarktpolitik (ab 1993/94) und der Alterssicherung (ab 1997). Dieser Umbau folgte den Leitideen von Deregulierung, Privatisierung bzw. Kapitalisierung und Individualisierung (in den Visegrad-Staaten unter Kombination mit bismarckischen Elementen) und war im Regelfall mit einer Absenkung der Ausgaben (Tab. 1, 2) verbunden. Diese gegenüber den westlichen Regimen durchaus „avantgardistische“ Reformstrategie verdankte sich einer dreifachen Problemkonstellation: Erstens fanden sich die Transformationsgesellschaften angesichts des Wirtschaftseinbruchs (mit bis zu -30%) bei zeitgleicher hoher Ausgabenbelastung (vor allem durch Arbeitslosigkeit) und den aufgehäuften Staatsschulden mit einem dramatischen öffentlichen Finanzierungsproblem und dem „Lösungsansatz“ einer Kostenreduktion im Sozialbereich konfrontiert. Dabei standen, zweitens, die
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Transformationsgesellschaften unter dem Druck der transnationalen Wirtschaftsorganisationen (IMF, Weltbank, EBRD), die wichtige Träger des hegemonialen neoliberalen Diskurses und westlicher Unterstützungsprogramme waren. Die neoliberal ausgerichteten Reformen resultierten aber drittens auch aus den überwiegend liberalen Orientierungen der neuen autochthonen Eliten („Bürgerbewegungen“), die einen „schlanken Wohlfahrtsstaat“ als entwicklungpolitisches Instrument zur schnellstmöglichen Erreichung ökonomischer Wettbewerbsfähigkeit und darüber vermittelt „nachholender“ Anhebung des Lebensstandards auf „westliches“ Niveau („Rückkehr nach Europa“) einsetzen wollten. In dieser Periode formierten sich durch die konkreten sozioökonomischen Lagen, soziopolitischen Kräfteverhältnisse und Modell- sowie Strategiewahlen der entscheidenden Korporativakteure schrittweise die in den vorausgegangenen Abschnitten skizzierten drei Subtypen postsozialistischer Wohlfahrtsregime. (3) Die Periode pragmatisch-konsolidierender (Re-)Strukturierung (ab ca. 1998/2003): Diese beinhaltet einerseits eine „rekalibrierende“ (Pierson 2004) und systematisierende Konsolidierung der jeweiligen Wohlfahrtsstaatsreformen, andererseits und darin – vor allem in den Visegrad-Ländern – die partielle Rücknahme neoliberaler Regelungen unter Stärkung der konservativ-korporatistischen bzw. bismarckischen Elemente (klassisch im Feld der Alterssicherung, siehe Übersicht 2).7 Diese Restrukturierung war aber bisher kaum oder wenn, nur mit leichten Ausgabensteigerungen verbunden (Tab. 1-3). Gründe für diese Prozesse sind (a) die Schwächung der globalen Hegemonie des Neoliberalismus und die im Zuge der EU-Beitritte erfolgende Re-Orientierung am so genannten „europäischen Sozialmodell“ (auch wenn dies bisher vor allem eine diskursive Konstruktion darstellt), (b) die vielfache Ablösung liberaler bzw. liberal-konservativer Regierungen durch eher sozialdemokratisch orientierte in Mittelosteuropa ab Mitte der 1990er Jahre, (c) die zeitgleiche Stärkung der neokorporatistischen Akteure (Gewerkschaften, Wirtschaftsverbände, Vereine usw.) und ihrer Steuerungsfunktionen, was (d) in eine allgemeine systemische Verfestigung der jeweiligen soziopolitischen Akteurstrukturen, Interessenlagen und Institutionenkomplexe mit entsprechenden Mechanismen von „lock-ins“ und „increasing returns“ eingebettet
7 In Südosteuropa (etwa Bulgarien, Rumänien) begannen in diesem Zeitraum – gleichsam zeitversetzt – erst die substantiellen Reformen, die freilich keine neoliberale Dominanz wie im Baltikum zeigen. Russland und andere GUS-Staaten, die in den 90er Jahren einen Verfall öffentlicher Wohlfahrt erlebten (Tab. 1-5) haben seit Ende der 1990er Jahre ebenfalls einschneidende Reformen begonnen, die das rudimentär-staatspaternalistische Modell zunehmend untergraben. Es erscheint aber gegenwärtig noch zu früh, um deren längerfristige Durchsetzungs- und Konsolidierungschancen beurteilen zu können.
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sowie (e) mit einer allgemeinen Rückbesinnung auf eigene politisch-kulturelle und institutionelle Traditionsbestände verbunden ist. Vor dem Hintergrund dieser Prozessmerkmale und ihrer Bedingtheiten, die mit übergreifenden Modellen postsozialistischer Gesellschaftstransformationen konvergieren (ausführlich: Kollmorgen 2006), ist nicht nur zu konstatieren, dass die Diversifizierung postsozialistischer Wohlfahrtsregime voranschreitet. Vielmehr wird durch sie nachdrücklich eine Konsolidierung der seit Ende der 1990er Jahre erkennbaren Subtypenbildung plausibilisiert, was zukünftige Reformen nicht ausschließt. Interessanterweise ist Esping-Andersen selbst ein Vertreter des „historischen Institutionalismus“, d.h. der Theorie historischer Pfadabhängigkeit in der Ausbildung und Umgestaltung von Wohlfahrtsstaatsregimen (siehe 2.), so dass zunächst nicht ersichtlich erscheint, warum die Strukturierung postsozialistischer „Wohlfahrtswelten“ ausgeschlossen wird. Eine genauere Analyse stellt indes klar, dass es Esping-Andersen (1990) um die sich aufschichtende Formierung grundlegender Modelle in einer longue durée zu tun ist, die (potentielle) „Ausreißer“ und „Außenseiter“ immer wieder in die generierten Basismodelle zurück- oder einzwängt. Allerdings ist seine Argumentation hier nicht wirklich konsistent, da er andererseits durchaus Schlüssel- oder Sattelperioden mit jeweils konkreten Akteur- und Interaktionskonstellationen identifiziert. Esping-Andersens Annahmen stehen hier aber nicht zur intensiven Diskussion. Sie werfen aber ein bezeichnendes Licht auf zwei theoretisch-methodologische Desiderata eines klassischen Pfadabhängigkeitsansatzes. Erstens sind mit ihm Brüche oder neue Pfadformierungen, das „Machen von Geschichte“, für die Gesellschaftstransformationen gleichsam paradigmatische Fälle darstellen, nicht gehaltvoll erklärbar (vgl. Kollmorgen 1996, 2003; Thalacker 2004). Dazu bedarf es der Erweiterung um Ansätze, die aus handlungs- bzw. akteurtheoretischer Perspektive erklären, warum, wie und wie lange entscheidende Akteure in radikalen Umwälzungsprozessen strukturell entbettet und in ihren Handlungsentwürfen, -strategien und -praxen gleichsam sachlich, zeitlich und räumlich dekontextualisiert werden (können), wobei sie eben darin und fortschreitend neue Handlungskontexte mitgenerieren. Da freilich weder die innovativen Handlungen der Akteure noch die mit geschaffenen Kontexte in materieller wie symbolischer Hinsicht vollkommen neue repräsentieren, sondern immer auf Rekombinationen gegebener Elemente aufsitzen, und revolutionäre Handlungen mittelfristig gesellschaftlicher Rück-Bettungen und komplexer Re-Strukturierungen bedürfen, verschafft sich die „Macht der Geschichte“ sukzessive wieder Geltung. Pfadgenerierungen erweisen sich mithin in langfristiger Perspektive immer auch als umkämpfte Pfadtransformierungen, in denen „das Alte im Neuen“ (D. Stark) sichtbar wird. Gleichwohl wird damit das Neue, die
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Möglichkeit der Formierung neuer Pfade und – wie im vorliegenden Fall – eigener „Welten des Wohlfahrtskapitalismus“ eben nicht aus-, sondern eingeschlossen. Zur gehaltvollen Rekonstruktion und Erklärung von Gesellschaftstransformationen und ihrer Teilprozesse bedarf es demnach selbst eines differente analytische Perspektiven (wie System-, Akteur- und interpretative Theorien) systematisch und sequentiell kombinierenden Zugangs (ausführlich: Kollmorgen 1996, 2003). Ein zweites Desiderat betrifft die – allerdings von Esping-Andersen in seinen letzten Arbeiten (etwa 1999) intensiver diskutierte – Dimension europäischer und globaler Kontexte von Pfadabhängigkeiten bzw. konkret: gegenwärtiger Globalisierungsprozesse. Anhand der Transformation (post-)sozialistischer Wohlfahrtsregime wird unmittelbar zweierlei erkennbar: Entstehung und Umwandlung der postsozialistischen Regime ist ohne Bezug auf die globalen Kontexte und konkreten Gestaltungen von Globalisierung nicht gehaltvoll erklärbar. Nur beispielhaft ist noch einmal auf produktivistische und globale Wettbewerbsorientierung des neoliberal-sozialdemokratischen Modells, wie es im Baltikum dominiert, hinzuweisen. Darüber hinaus unterstreichen die postsozialistischen Subtypen eindrucksvoll, dass Globalisierung eben nicht Homogenisierung oder Uniformisierung bedeutet, sondern vielmehr die Koexistenz und Koevolution differenter Regime, die sowohl eigene Traditionsbestände, Pfade und aktuelle Möglichkeitsräume wie hegemonial erfolgreich(st)e institutionelle Elemente komplex re-kombinieren und im wohlfahrtsökonomischen Wettbewerb zu nutzen suchen. Das stellen nicht nur die Baltischen Staaten und ihre neoliberal-sozialdemokratischen Regime mit deutlichen Nähe zum britischen Modell, sondern auch die VisegradStaaten mit ihren staatsgeleiteten Bismarck-Typ-Rekombinationen unter Einschluss wettbewerbsorientierter Steuergesetzgebungen unter Beweis. Selbst die rudimentär-staatspaternalistischen Regime in Osteuropa, namentlich das Russlands, zeigen in ihrer ökonomischen Fundierung durch massiven Rohstoff-Export wie mit den jüngsten Reformbemühungen, wie weltgesellschaftliche Selbst- und Fremdreferenz prozessiert wird und keineswegs in „Blaupausen“ bereits existierender „Welten des Wohlfahrtskapitalismus“ einmündet.
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Konzept und Messung von Defamilisierung in international vergleichender Perspektive1 Henning Lohmann
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Einleitung
In der gegenwärtigen Diskussion über den Umbau von Wohlfahrtsstaaten wird vor allem die Bedeutung sozialer Inklusion über Erwerbstätigkeit betont. Ein entscheidender Aspekt ist hierbei die Ausweitung der Erwerbsbeteiligung von Frauen. Die Europäische Union hat sich dabei das Ziel gesetzt, die Erwerbsquote von Frauen auf mindestens 60 Prozent bis 2010 zu erhöhen (Beschäftigungspolitische Leitlinien 2003). Im Jahr 2003 wurde diese Grenze in nur acht der 25 EU-Mitgliedsländer erreicht.2 In diesem Zusammenhang werden Maßnahmen zur Förderung von Familie und Beruf als Voraussetzung zur Erreichung dieses Ziels diskutiert, wobei diese häufig allein als Maßnahmen zur Verringerung von Betreuungsund Pflegeverpflichtungen (von Frauen) verstanden werden. In einer weiteren Perspektive lässt sich diese Zielsetzung unter dem Begriff der „Defamilisierung“ fassen. Der Begriff ist in der kritischen Diskussion des Konzeptes der Dekommodifizierung (vgl. Esping-Andersen 1990) und seiner zentralen Rolle in der Analyse von Wohlfahrtsstaaten entstanden. Obwohl der Begriff Defamilisierung durchaus Aspekte der Ermöglichung von Erwerbstätigkeit von Frauen durch die Reduzierung von Pflegeverpflichtungen mit einschließt, umfasst Defamilisierung auch andere wichtige Aspekte (vgl. Lister 1994, McLaughlin/Glendinning 1994). Defamilisierung zielt nicht allein auf die Reduzierung geschlechtsspezifischer Abhängigkeit, in Form der Abhängigkeit von Frauen von einem männlichen Ernährer, sondern auch auf intergenerationale Abhängigkeiten, wie sie zwischen Eltern und Kindern bestehen. Wenn Wohlfahrtsstaaten also einen hohen oder niedrigen Defamilisierungsgrad aufweisen, bedeutet dies, dass sie sich im Ausmaß des Gra-
1 Das Papier basiert auf einem Vortrag bei der Gemeinsamen Tagung der Arbeitsgemeinschaft Sozialwissenschaftlicher Institute (ASI) und der Sektion Methoden der empirischen Sozialforschung der Deutschen Gesellschaft für Sozilogie (DGS) im November 2007 in Hamburg. Für Anregungen und Unterstützung danke ich den Teilnehmern der Tagung sowie Hans-Jürgen Andreß, Dina Hummelsheim, Ingo Rohlfing und Caroline Wehner. 2 Der Anteil ist in Dänemark, Finnland, Schweden, Österreich, die Niederlande und Großbritannien höher. Zypern und Portugal erreichten genau den Grenzwert mit 60,4 bzw. 60,6 Prozent (vgl. European Commission 2004: 27).
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des der Autonomie von Frauen und der Reduktion intergenerationaler Abhängigkeit unterscheiden. Das Ziel dieses Papiers ist es, die Entstehung und Bedeutung des Begriffs Defamilisierung kurz darzustellen und darauf aufbauend zu untersuchen, wie in früheren Studien Defamilisierung gemessen wird. Im Gegensatz zum Konzept der Dekommodifzierung gibt es bislang nur wenige Ansätze dazu, wie Defamilisierung gemessen werden kann. Es findet sich allerdings eine Reihe von Ansätzen, die auf einem ähnlichen Konzept basieren, ohne jedoch ausdrücklich auf den Begriff Defamilisierung zu verweisen. Eine Systematisierung dieser Ansätze lässt sich dafür nutzen, Möglichkeiten zur Messung von Defamilisierung herauszuarbeiten. Dieses Papier ist dabei als ein erster Schritt anzusehen. Zunächst werden die Konzeption und die verwendeten Indikatoren bisheriger Studien diskutiert. Eine wichtige Frage ist hierbei, welche Indikatoren überhaupt vorliegen. Desweiteren ist interessant zu sehen, ob unterschiedliche Vorgehensweisen auch zu unterschiedlichen Ergebnissen führen. Das Papier ist wie folgt aufgebaut: Im folgenden Abschnitt 2 wird die Entstehung und Bedeutung des Begriffs der Defamilisierung diskutiert. Danach werden grundsätzlich wünschenswerte Eigenschaften von komparativen Maßen erläutert (Abschnitt 3). Diese Kriterien werden dann für die Beurteilung bisheriger Ansätze verwendet (Abschnitt 4). In Abschnitt 5 werden die Ergebnisse der einzelnen Vorgehensweisen miteinander verglichen. Dabei wird auch danach gefragt, inwieweit sich die Reihenfolge der Länder im Grad der Defamilisierung je nachdem, welcher Indikator wir verwendet wird, verändert. Eine abschließende Diskussion erfolgt in Abschnitt 6.
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Konzept der Defamilisierung
Die Entwicklung des Begriffs der Defamilisierung kann in drei Phasen eingeteilt werden. Die erste Phase umfasst die Entstehung des Begriffs in den frühen 1990er Jahren, wo er unabhängig voneinander in zwei Artikeln von McLaughlin und Glendinning (1994) und Lister (1994) verwendet wurde. Beide Artikel stehen in der Tradition der feministischen Diskussion zur Position von Frauen innerhalb von Wohlfahrtsstaaten (z.B. Hernes 1987, Nelson 1990, Orloff 1993, O’Connor 1993). In der zweiten Phase wurde der Begriff im Rahmen der herkömmlichen Wohlfahrtsstaatstheorie aufgegriffen, so beispielsweise durch Esping-Andersen (1999) und Korpi (2000) in der Reformulierung bzw. Erweiterung ihrer früheren Ansätze (letzterer jedoch ohne explizit auf Defamilisierung zu verweisen). Die dritte und jüngste Phase zeichnet sich dagegen durch eine kritische Betrachtung von Defamilisierung aus und betont insbesondere die Pflegefunktion der Familie und die (negativen) Konsequenzen einer vollständigen Kommodifizierung aller
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Erwachsenen in einem Haushalt (Lewis 2001, Ostner 2003, Leitner/Lessenich 2007). Im Folgenden werde ich kurz die zentralen Aspekte jeder dieser drei Phasen diskutieren. Ein zentraler Bezugspunkt in der ersten Phase der Diskussion von Defamilisierung ist die kritische Auseinandersetzung mit der Setzung von Dekommodifizierung als zentralem Konzept zur Betrachtung von Wohlfahrtsstaaten (vgl. insbesondere Esping-Andersen 1990). Autorinnen wie Lewis (1992), Orloff (1993) und O’Connor (1993) verweisen darauf, dass diese Sichtweise den Standard der vollständigen Integration in den Arbeitsmarkt voraussetzt. Nur Personen, die am Arbeitsmarktgeschehen teilnehmen, also (vollständig) kommodifiziert sind, können direkt dekommodifizierende Leistungen beanspruchen. Aufgrund der geschlechtsspezifischen Arbeitsteilung trifft dies vor allem auf Männer zu, während Frauen häufig nur indirekt über den männlichen Ernährer von einem hohen Grad der Dekommodifizierung profitieren. Dieser Aspekt ist vor allem wichtig, da diese Arbeitsteilung implizit oder explizit von Wohlfahrtsstaaten unterstützt wird. Aufgrund von Pflege- und Betreuungsverpflichtungen ist insbesondere Frauen ein vollständiger Zugang zum Arbeitsmarkt nicht möglich. Es sind also familiäre Verpflichtungen, die die Erlangung eines eigenen (ausreichenden) Einkommens behindern und somit zu einer ökonomischen Abhängigkeit vom männlichen Ernährer führen. Während Esping-Andersen (1990) vor allem die Abhängigkeit vom Markt betont, die durch einen hohen Grad der Dekommodifzierung verringert werden kann, lenkt der Begriff der Defamilisierung der Blick auf die Abhängigkeit von der Familie. Diese Analogie wird insbesondere in der Definition von Lister (1994: 37) deutlich: „Arguably, the dimension of decommodification needs also to be complemented by that what we might call ‘defamilisation’, if it is to provide a rounded measure of economic independence. Welfare regimes might then also be characterised according to the degree to which individual adults can uphold a socially acceptable standard of living, independently of family relationships, either through paid work or through the social security system”. Während hier der Aspekt der ökonomischen Unhängigkeit (von Frauen) stark im Vordergrund steht, definieren McLaughlin und Glendinning allgemeiner: „[D]e-familisation is constituted by those provisions and practices which vary the extent to which well-being is dependent on ‘our’ relation to the (partriarchal) family” (McLaughlin/Glendinning 1994: 65). Außerdem wird betont, dass Defamilisierung nicht allein geschlechtsspezifische, sondern auch intergenerationale Abhängigkeiten anspricht. „The issue is not whether people are completely ‘de-familised’ but rather the extent to which packages of legal and social provisions have altered the balance of power between men and women, between dependents and non-dependents, and hence the terms and conditions under which people engage in familial or caring ar-
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rangements” (ebd.: 66). Hier findet sich also ein deutlicher Hinweis auf den Aspekt intergenerationaler (Un)-Abhängigkeit, der in späteren Arbeiten zu Defamilisierung nur teilweise weiterverfolgt wurde. In der zweiten Phase der Diskussion wurde das Konzept der Defamilisierung von Autoren wie Esping-Andersen (1999) in ihre bisherigen Ansätze integriert.3 Anhand der folgenden Definition wird allerdings deutlich, dass der Schwerpunkt auf der Arbeitsmarktintegration von Frauen liegt. „The concept of de-familization parallels the concept of de-commodification; in fact for women de-familization is generally a precondition for their capacity to ‘commodify themselves’ (Orloff, 1993). Hence, de-familization would indicate the degree to which social policy (or perhaps markets) render women autonomous to become ‘commodified’, or to set up independent households, in the first place" (Esping-Andersen 1999: 51). Hier erscheint Kommodifizierung als zentrales, wenn nicht einziges Ziel der Defamilisierung.4 Die kritische Kommentierung dieser Verengung des Begriffs der Defamilisierung wird hier als dritte Phase der Begriffsentwicklung bezeichnet (vgl. Lewis 2001, Ostner 2003, Leitner et al. 2004, Lewis/Guillari 2005, Leitner/Lessenich 2007). Der Hintergrund für diese Kritik ist die Diskussion über den Umbau oder Abbau von wohlfahrtsstaatlichen Maßnahmen wie sie seit spätestens den 1990er Jahren geführt wird. Ein zentraler Aspekt derzeitiger wohlfahrtsstaatlicher Reformen ist die Betonung der Integration in den Arbeitsmarkt (im Gegensatz zu einer früheren Betonung sozialer Sicherheit). Dabei wird die Integration von Frauen in den Arbeitsmarkt auch mit dem Ziel der Verringerung geschlechtsspezifischer Ungleichheit begründet (so beispielsweise im Rahmen der Europäischen Beschäftigungsstrategie).5 Betont wird daher auch die Notwendigkeit der Unterstützung der Vereinbarkeit von Familie und Beruf, womit also Aspekte der Defamilisierung angesprochen werden. Inwieweit dies allerdings ausreichend ist, dass Ziel der Verringerung geschlechtsspezifischen Ungleichheit zu erreichen, wird teilweise sehr kritisch betrachtet. „[P]olicies to promote the valuing and sharing of unpaid work, facilitate transitions between it and paid work over the life-course, and make adequate provision for those who remain in low-paid jobs (often women in paid care work) have not yet reached as high a place in the policy agenda as the desire to promote paid employment“ (Lewis 2001: 166, vgl. auch Lewis/Giullari 2005). In 3 Esping-Andersen zitiert Saraceno (1997, bzw. ein dem Artikel zugrundeliegendes Papier), die wiederum auf McLaughlin und Glendinning (1994) verweist. 4 Es ist aber nicht so, dass Esping-Andersen (1999) den Aspekt intergenerationaler Abhängigkeit vollständig ignoriert. Der Aspekt der Unabhängigkeit über Kommodifizierung wird aber deutlich betont und wurde in darauf folgenden Diskussionen stärker aufgegriffen. 5 Vgl. für einen aktuellen Überblick Annesley (2007).
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ähnliche Richtung argumentieren auch Leitner et al. (2004), die im Zusammenhang mit einer forcierten Arbeitsmarktintegration (von Frauen) Defamilisierung als „Schattenseite der (Re-)Kommodifizierung“ (2004: 15) betrachtet. Der Überblick über die bisherigen 15 Jahre der Diskussion zum Begriff der Defamilisierung hat gezeigt, dass in einzelnen Phasen unterschiedliche Aspekte des Begriffs betont wurden. Um alle diese Aspekte zu erfassen, soll im Folgenden eine möglichst allgemeine Definition von Defamilisierung verwendet werden (vgl. auch McLaughlin/Glendinning 1994, Leitner 2003). Defamilisierung beschreibt den Grad der Unabhängigkeit von Familie, die durch wohlfahrtsstaatliche Maßnahmen ermöglicht wird.6 Defamilisierung umfasst sowohl geschlechtsspezifische als auch intergenerationale Aspekte von (Un)Abhängigkeit. Gleichzeitig ist jedoch der Gegenpol zu Defamilisierung zu berücksichtigen. Familisierung beschreibt das Ausmaß, in dem Wohlfahrtsstaaten die negativen ökonomi- schen Konsequenzen von familärer Abhängigkeit verringern.7 Ein entscheidender Punkt ist, dass Defamilisierung und Familierung nicht als Gegenpole ein- und derselben Skala zu verstehen sind. Viele Wohlfahrtsstaaten bieten gleichzeitig einen gewissen Grad der Defamilisierung und Familisierung (z.B. relativ umfassende Kinderbetreuung und generöses Kindergeld).8 Eine Kombination von Defamilisierung und Familisierung ermöglicht die Wahl eines Familienmodells. Dies ist ein Aspekt, der von einer Reihe von Autorinnen betont wird (Lewis 2001, Ostner 2003, Leitner 2003). In diesem Zusammenhang spricht Leitner (2003: 361) von „optionalem Familialismus“. Es wäre also auch eine Option statt eines Defamilisierungsindizes einen Index der ‚Wahlfreiheit der Familienmodelle’ zu betrachten. Dies ist hier nicht das Ziel. Jedoch kann ein solcher ‚Wahlfreiheitsindex’ leicht abgeleitet werden, wenn valide und reliable Maße für Familisierung und Defamilisierung vorliegen.
6 Vorstellbar ist auch Defamilisierung über den Markt. Die im Folgenden betrachteten Indizes berücksichtigen jedoch überwiegend den Einfluss wohlfahrtsstaatlicher Maßnahmen. 7 Auch Familisierung setzt aktive Unterstützung durch Wohlfahrtsstaaten voraus. Dies wird vor allem in der Unterscheidung „implicit/explicit familialism“ (Leitner 2003) deutlich. Expliziter Familialismus zeichnet sich durch eine aktive Unterstützung der Pflegefunktion der Familie aus. 8 Es gibt jedoch auch familisierende Maßnahmen, die den Grad der Defamilisierung reduzieren. So werden durch gemeinsame Besteuerung von Paaren traditionelle Familien unterstützt, jedoch gleichzeitig die ökonomische Abhängigkeit der nicht oder nur in geringem Umfang erwerbstätigen Partnerin verstärkt.
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Wünschenswerte Eigenschaften komparativer Maße
Es gibt eine Reihe wünschenswerter Eigenschaften, die ein ländervergleichender Indikator aufweisen sollte. Diese Eigenschaften werden in diesem Abschnitt kurz diskutiert, um dann im Folgenden als Maßstab für den Vergleich vorliegender Defamilisierungsmaße verwendet zu werden. 1. Validität: Ein Maß ist valide, wenn es misst, was es messen soll. Diese Standarddefinition ist recht trivial, aber nichtsdestotrotz von Bedeutung. Die Auswahl von Indikatoren, die für die Beschreibung von Makroeinheiten (zumeist Länder) zur Verfügung stehen, ist i.d.R. deutlich stärker eingeschränkt als bei Indikatoren auf der Mikroebene. Daher ist man häufiger als bei Analysen auf Individualebene gezwungen, den Anspruch an Validität abzusenken. Zudem besteht das Problem, dass Indikatoren in unterschiedlichen Kontexten (Ländern) und zu verschiedenen Zeitpunkten erstellt werden. Daher ist die Konsistenz von Definitionen und verwendeten Maßen zwischen Ländern und über die Zeit eine Mindestanforderung an die Validität von vergleichenden Maßen. 2. Reliabilität: Lehrbuchdefinitionen sagen, dass eine Messung reliabel ist, wenn wiederholte Messungen zu demselben Ergebnis führen. In den meisten Fällen der Messung von Eigenschaften von Makroeinheiten ist jedoch die Vorstellung der Wiederholung der Messung nicht angemessen, da der entsprechende Aufwand extrem hoch wäre (z.B. bei der Messung des Bruttoinlandsprodukts). Daher werde ich im Folgenden ein eingeschränktes Reliabilitätskonzept verwenden. Ein Maß ist reliabel, wenn ein zweiter Forscher auf Basis derselben Quellen und der verfügbaren Dokumentation des ursprünglichen Datenproduzenten zu demselben Ergebnis gelangt (ein umfassendes Beispiel findet sich in Ab9 schnitt 4). 9 Dieses Verständnis spielt auf zwei unterschiedliche Formen der Reliabiltät an. Die eine ist dabei die der Intercoder -oder Interrater-Reliabilität (vgl. Tinsley/Weiss 2000). Intercoder-Reliabilität beschreibt das Ausmaß der Übereinstimmung, wenn unterschiedliche Kodierer unterschiedliche Quellen in ein- und derselben Weise kodieren. Wenn man unterschiedliche Datenproduzenten bzw. Forscher als Kodierer interpretiert, die einer Reihe von Ländern Werte zuweisen, liegt es nahe, das Kriterium der Intercoder-Reliabilität anzuwenden. Die Reliabiltät ist hoch, wenn unterschiedliche Forscher auf Basis derselben Quellen zu denselben Ergebnissen kommen. Das zweite Kriterium ist das der Reliabilität zwischen Quellen (‚inter-source reliability’, vgl. Doran et al. 1973). Wenn es unterschiedliche Quellen für eine Information über die betrachteten Länder gibt, ist es nicht unwahrscheinlich, dass diesen unterschiedlichen Quellen ein unterschiedlicher Ausschnitt der verfügbaren Information zugrunde liegt, was zu unterschiedlichen Ergebnissen führen wird. Wie auch in anderen Zusammenhängen ist die Vorstellung der Reliabilität bei der Beurteilung von Makroindikatoren sicherlich ein eher theoretisches als ein praktisch anwendbares Kriterium, da der zeitliche Aufwand, Quellenangaben nachzuverfolgen und ein Maß zu rekonstruieren i.d.R. unangemessen hoch ist.
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3. Für eine größere Zahl von Ländern verfügbar: Ein Ziel der Konstruktion und Zusammenstellung von Länderindikatoren ist, diese für Makro- oder Mehrebenenanalysen verwenden zu können. Grundsätzlich sieht sich diese Art von Analysen mit dem Problem geringer Fallzahlen konfrontiert. Um diesem Problem zu begegnen, sollte die betrachtete Zahl an Ländern so groß wie möglich sein. Dies bedeutet normalerweise, dass ein Indikator zumindest für eine große Zahl von EU-Ländern und die übrigen OECD-Länder vorliegen sollte. 4. Zeitlich variabel und jährlich gemessen: Wohlfahrtsstaaten unterliegen zeitlichem Wandel. Und selbst wenn man annimmt, dass Veränderungen nur über lange Zeiträume hinweg sichtbar werden (oder gar nicht), müssen Messungen kontinuierlich erfolgen, um die Stabilität institutioneller Arrangements abbilden zu können. Eine jährliche Messung ist sinnvoll, da eine Reihe komparativer Mikrodatenquellen - z.B. die EU Statistik zu Einkommen und Lebensbedingungen (EU-SILC) – auf jährlicher Basis verfügbar sind und somit am gewinnbringendsten mit ebenfalls jährlich erhobenen Makrodaten kombiniert werden 10 können. 5. Abbildung institutioneller Faktoren: Obwohl es i.d.R. schwieriger ist, verlässliche Informationen über institutionelle Faktoren (z.B. Maßnahmen, die die Erwerbstätigkeit von Müttern unterstützen) als über angenommene Folgen dieser Faktoren (z.B. die Erwerbsquote von Müttern) zu finden, sind erstere Indikatoren letzteren eindeutig vorzuziehen, da man nicht die Annahme treffen muss, dass tatsächlich ein Zusammenhang zwischen institutionellen Faktoren und den beobachteten Ergebnissen besteht. Das Treffen solcher Annahmen ist nicht nur kritisch, da sie falsch sein könnten, sondern vor allem weil diese Annahmen häufig den in internationalen Vergleichen zu testenden Hypothesen entsprechen. Wenn man also wissen möchte, ob ein hoher Grad der Defamilisierung einen Einfluss auf die Arbeitsmarktposition von Frauen hat, kann man nicht die Frauenerwerbsquote als Proxy für die institutionelle Ausgestaltung verwenden, da die Quote ein Teil des zu erklärenden Konzepts ist. Außerdem schränkt dieFortsetzung Fußnote 9 Es ist trotzdem hilfreich ein entsprechendes Konzept von Reliabilität zu berücksichtigen, um den Einfluss individueller Entscheidungen bei der Konstruktion von Indikatoren zu minimieren oder zumindest Transparenz zu schaffen. 10 Die Verwendung zeitlich variabler Maße führt zu einer Erhöhung der Zahl der Beobachtungen und der Varianz (letzteres nur, wenn Varianz über die Zeit besteht). Außerdem kann Varianz zwischen Ländern und innerhalb von Ländern unterschieden werden. Zu berücksichtigen ist jedoch, dass auch in Mehrebenenanalysen dieselben Probleme der Abhängigkeit von Beobachtungen auftreten, wie sie in der Literatur zu Paneldatenanalyse diskutiert werden (vgl. für einen Überblick der Probleme bei der Analyse von Länderpaneldaten Ebbinghaus 2005).
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Henning Lohmann
ses Vorgehen die Möglichkeiten für den Test von Alternativhypothesen ein, z.B. des Einflusses von Einstellungen gegenüber Frauenerwerbstätigkeit. Daher sollten Maße der Defamilisierung auf institutionellen Faktoren und nicht auf deren angenommenen Ergebnissen basieren. Natürlich sind dies Maximalanforderungen, die vermutlich kein Maß vollständig erfüllen kann. Trotzdem soll der Vergleich bisher vorliegender Defamilisierungsmaße sich an diesen Kriterien orientieren. So wird es möglich, die Vor- und Nachteile einzelner Vorgehensweisen herauszuarbeiten. Außerdem lassen sich die Kriterien auch verwenden, um eine Orientierung für die Verbesserung bestehender Maße zu bieten.
4
Maße der Defamilisierung und Familisierung
Trotz der umfassenden Diskussion des Konzepts seit den frühen 1990er Jahre (vgl. Abschnitt 2) gibt es bislang nur einen einzigen Vorschlag für einen Defamilisierungsindex (Bambra 2004, 2007). Esping-Andersen (1999), der den Begriff relativ früh aufgegriffen hat, führt eine Reihe von Indikatoren an, mit denen er jeweils den Defamilisierungs- und Familisierungsgrad einzelner Länder beschreibt, jedoch führt er diese nicht zu einem Index zusammen. Es gibt aber mehr als die beiden Ansätze von Bambra und Esping-Andersen, die zwar nicht Defamilisierung oder Familisierung, teilweise aber eng damit verbundene Konzepte messen. Zudem verweisen diese anderen Studien auf eine Reihe von Indikatoren, die auch für die Konstruktion weiterer Indizes verwendet werden können. Die Zweidimensionalität Defamilisierung/Familisierung findet sich auch bei Korpi (2000). Korpi unterscheidet einen Index der Doppelverdienerunterstützung (‚dual-earner support’) und einen Index der allgemeinen Familienunterstützung (‚general family support’). Unterschieden werden Aspekte von Mutterschutz-/Elternzeitregelungen, Kinderbetreuung, häuslicher Pflege, Kindergeld und Steuerfreibeträgen u.ä.11 Auch Siaroff (1994) unterscheidet zwei Dimensionen: ‚female work desirability’ und ‚family welfare orientiation’. Ohne eine nähere Betrachtung erscheint eine Zuordnung zu den Konzepten der Familisierung und Defamilisierung allerdings nicht möglich. Einfacher ist es im Fall der weiteren, eindimensionalen Ansätze. Diese bilden eher das Konzept der Defamilisierung als das der Familisierung ab. Die Studie von 11 Korpi (2000) verwendet die beiden Indizes zur Konstruktion einer Typologie von „gender policy models“. Neben Ländern mit einer Orientierung in Richtung Doppelverdiener- oder allgemeiner Familienunterstützung unterscheidet er Länder, die einen marktmäßigen Ansatz verfolgen. Dies sind die Länder, die in beiden Dimensionen einen niedrigen Rangplatz einnehmen.
Konzept und Messung von Defamilisierung in international vergleichender Perspektive
101
Gornick et al. (1997)12 enthält mehrere Indizes, die die Ausgestaltung von Maßnahmen zur Unterstützung von Frauenerwerbstätigkeit messen (vor allem zur Ausgestaltung der Kinderbetreuung und von Mutterschafts-/ Elternzeiten). Der Ansatz ist in einer nachfolgenden Studie noch erweitert worden (Gornick/Meyers 2003). Die OECD (2001) betrachtet in ihrer Studie unterschiedliche Aspekte der Vereinbarkeit von Familie und Beruf und die Ausgestaltung flexibler Arbeitszeitregelungen. Es werden Indizes für sieben Einzeldimensionen und ein zusammenfassender Index ausgewiesen. Für die folgenden Analysen wird der Gesamtindex verwendet. Mandel und Semyonov (2005) analysieren wie das geschlechtsspezifische Lohndifferential durch einen von ihnen gebildeten ‚welfare family policy index’ erklärt wird, der Informationen zu Kinderbetreuung, Elternzeitregelungen und zur Größe des öffentlichen Wohlfahrtssektors enthält. Es wäre sicherlich falsch anzunehmen, dass das implizite Konzept hinter allen diesen Ansätze die Idee der Defamilisierung bzw. der Familisierung ist. Nichtsdestotrotz wird davon ausgegangen, dass ein Vergleich dieser Indizes auch Hinweise für die Möglichkeiten und Probleme der Messung von De-/Familisierung liefern können. Eine interessante Frage ist dabei, inwieweit die Verwendung verschiedener Indikatoren auch zu unterschiedlichen Ergebnissen in der Platzierung einzelner Länder in Länderrankings mit sich führt. Auswahl der Indikatoren Tabelle 1 bietet einen Überblick über die in den jeweiligen Studien verwendeten Indikatoren. Insgesamt werden sieben inhaltliche Kategorien von Indikatoren unterschieden. Es gibt fünf Kategorien mit Indikatoren, die institutionelle Rahmenbedingungen beschreiben. Zwei Kategorien enthalten Indikatoren mit Ergebnissen (wie beispielsweise die Frauenerwerbsquote). Die institutionellen Indikatoren sind in folgenden Kategorien zusammengefasst: 1. Indiktoren zu Mutterschutzund Elternzeitregelungen, 2. Indikatoren zur Ausgestaltung von Kinderbetreuung und Pflege von Älteren, 3. Indikatoren zur Generosität von Familienleistungen, 4. Indikatoren zur allgemeinen Ausgestaltung von Wohlfahrtsstaaten, 5. Indikatoren zu Arbeitszeitregelungen. Die Ergebnisindikatoren sind in zwei weitere Kategorien unterteilt: 6. Indikatoren zu Formen des familialen Zusammenlebens und 7. Indikatoren zur Erwerbsbeteiligung von Frauen (vgl. auch Anhang 1 für genauere Angaben).
12 Eine frühere Version des Papiers enthält detailliertere Angaben zu den Datenquellen (Gornick et al. 1996).
Qualität/Umfang Kinderbetreuung (niedrige) Kosten der Kinderbetreuung Ausgestaltung Vor-/Grundschule Inanspruchnahme häuslicher Pflege 3. finanzielle Familienleistungen (einschl. Freibeträge) Generosität Familien-/Kindergeld HH-Bedürftigkeitsprüfung (bei Alo.Leistungen) Kinderbetreuungsfreibeträge Familien-/Kinder-/Parnterfreibeträge Zahlung des Kindergelds an Mutter/Vater 4. Generosität von Wohlfahrtsstaaten Sozialausgaben Familienausgaben Größe des öffentl. Wohlfahrtssektors 5. Arbeitszeitregelungen übliche Wochenarbeitszeit üblicher Urlaubsanspruch familienfreundliche Regelungen in Unternehmen
1. Mutterschutz- und Elternzeitregelungen (bezahlte/r) Mutterschutz/Elternzeit (bezahlte) Vatermonate 2. Betreuungssystem gesetzlicher Anspruch auf Kinderbetreuung Kinderbetreuungsquote
INSTITUTIONELLE RAHMENBEDINUGUNGEN
Tabelle 1: Verwendete Indikatoren
D
F
F F
D
D
D
FA FA
X
FA
FA
Esping- Siaroff Andersen
X
X
X X
X X
X X
X
X X X
X X
GF
GF
DE/G F
DE DE
X
X
X
X
X
X
X
1 1 1
1 2 1
2 1 2 2 1
1 2 2 1
2 7
7 3
Gornick Korpi Mandel OECD Bambra Häufigkeit Meyers Semyonov Verwendung
X X
Gornick et al.
102 Henning Lohmann
F F F
EspingAndersen
FE FE FE FE
Siaroff
Gornick et al.
X X
2 2 1 1
1 1 1
Gornick Korpi Mandel OECD Bambra Häufigkeit Meyers Semyonov Verwendung
Anmerkungen: Esping-Andersen: D=defamilisation, F=familisation, Siaroff: FE=female work desirability, FA=family welfare orientation, Korpi: DE= dual earner support, GF=general family support.
ERGEBNISSE 6. Formen familiären Zusammenlebens, Arbeitsteilung im HH Anteil Älterer, die bei ihren Kindern leben Anteil junger Arbeitsloser, die bei ihren Eltern leben Umfang unbezahlter Arbeit von Frauen 7. Arbeitsmarktbeteiligung von Frauen relative Erwerbsquote von Frauen geschlechtsspezifische Lohnunterschiede Anteil Frauen in Elitepositionen relative Arbeitslosenquote von Frauen
INSTITUTIONELLE RAHMENBEDINUGUNGEN
Konzept und Messung von Defamilisierung in international vergleichender Perspektive 103
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Henning Lohmann
Wie weiter oben dargestellt wurde, enthalten drei der betrachteten Studien zwei unterschiedliche Indizes (Siaroff 1994, Esping-Andersen 1999, Korpi 2000).13 Es wurden jeweils beide Indizes in Tabelle 1 mit aufgenommen, obwohl teilweise unklar ist, ob diese eher Defamilisierung oder Familisierung messen. Die Frage, was genau gemessen wird, wird in einer näheren Betrachtung der Indikatoren zu klären sein. Alle Studien, die jeweils nur eine Dimension abbilden (Gornick et al. 1997, OECD 2001, Gornick/Meyers 2003, Mandel/Semyonov 2005, Bambra 2004), werden hier als Defamilisierungsindizes interpretiert. Von drei Ausnahmen abgesehen werden die Indikatoren jeweils nur in ein oder zwei Studien verwendet.14 Angaben zu Vatermonaten werden in drei Studien verwendet. Allein Angaben zur Ausgestaltung von Mutterschutz bzw. Elternzeitregelungen und Angaben zur Kinderbetreuung finden sich in nahezu allen Studien (jeweils in sieben von acht Studien). Die häufige Verwendung legt nahe, dass beides geeignete Indikatoren zur Messung von Defamilisierung sind. Die Verfügbarkeit von Kinderbetreuung ist sicherlich eng mit der Vorstellung der Unabhängigkeit (von Frauen) von der Familie, bzw. um genau zu sein, von Kinderbetreuungsverpflichtungen verbunden. Kritisch ist jedoch anzumerken, dass die verwendeten Indikatoren i.d.R. nicht direkt die institutionelle Ausgestaltung messen, sondern den Anteil von Kindern in einer bestimmten Altersgruppe, die in Betreuung sind. Dieser Anteil hängt einerseits von den verfügbaren Betreuungsplätzen ab (insbesondere wenn man davon ausgeht, dass die Nachfrage größer als das Angebot ist), andererseits aber auch von den Einstellungen der Eltern gegenüber Kinderbetreuung. Lehnen viele Eltern die öffentliche Betreuung ihrer Kinder ab, wird sich dies auch in den Betreuungsquoten widerspiegeln. Teilweise werden daher die Betreuungsquoten durch Angaben über rechtliche Ansprüche auf Kinderbetreuung ergänzt (Gornick et al. 1997, Gornick/Meyers 2003). Aber auch in diesen Studien werden Kinderbetreuungsquoten als ‚policy’-Indikatoren verwendet. Während bei der Verfügbarkeit von Kinderbetreuungsplätzen zumindest die defamilisierende Wirkung eindeutig angenommen werden kann, ist dies bei Betrachtung von Elternzeitregelungen weitaus weniger eindeutig. Während beispielsweise Gornick et al. (1997: 48) umfangreiche Elternzeitregelungen als unterstützend für die Erwerbsbeteiligung von Frauen interpretieren, argumentiert Leitner (2003: 395f) in Richtung einer familisierenden Wirkung, da die Pflege13 Streng genommen enthält die Studie von Siaroff (1994) noch Angaben zu einer dritten Dimension und zwar zu der Frage, ob die Mutter oder der Vater das Kindergeld enthält. Da aber diese ‚Dimension’ nur auf einem einzigen Indikator beruht, wird dieser Aspekt im Folgenden nicht weiter betrachtet. 14 Die Variation in der Indikatorenauswahl wäre noch stärker, wenn man Einzelindikatoren und nicht Gruppen von Indikatoren betrachten würde.
Konzept und Messung von Defamilisierung in international vergleichender Perspektive
105
funktion der Familie gestärkt werde. Es gibt aber auch Befunde, dass die Wirkung von Elternzeitregelungen von ihrer Dauer und finanziellen Ausgestaltung abhängt (vgl. OECD 1995: 188, Gornick/Meyers 2003: 242ff). Es wird angenommen, dass kürzere, finanziell generöse Regelungen einen positiven Einfluss auf die Erwerbsbeteiligung von Frauen haben, während längere Unterbrechungen häufig einen gegenteiligen Effekt aufweisen. Eine eindeutige empirische Klärung dieser Frage steht allerdings noch aus. Ein Feld, dass nur in wenigen Studien abgedeckt ist, ist die Ausgestaltung von Arbeitszeitregelungen (Gornick/Meyers 2003, OECD 2001). Bei der Betrachtung der Indikatoren fällt weiter auf, dass der Aspekt intergenerationaler Abhängigkeiten nur in einer Studie berücksichtigt wird (Esping-Andersen 1999) und zwar über den Anteil von Personen in häuslicher Pflege, Älteren, die bei ihren Kindern leben und jungen Arbeitslosen, die bei ihren Eltern leben. Letzteres sind jedoch eindeutig Indikatoren, die Ergebnisse und nicht die Ausgestaltung institutioneller Rahmenbedingungen messen. Indizes mit einer umfassenden Indikatorenbasis, die nicht auf Ergebnisse zurückgreifen, finden sich in vier Studien (Gornick et al. 1997, Korpi 2000, OECD 2001, Gornick/Meyers 2003). Insbesondere die Indizes von Siaroff (1994) und Bambra (2004) erfüllen das Kriterium der Abbildung institutioneller Rahmenbedingungen nicht. Betrachtete Länder Im Folgenden werden vor allem Studien betrachtet, in denen Indizes gebildet werden. Dies trifft auf die Arbeit von Esping-Andersen (1999) nicht zu, die jedoch eine Reihe von interessanten Indikatoren enthält und daher bislang mitbetrachtet wurde. Die übrig bleibenden sieben Studien enthalten Angaben zu mindestens zwölf Ländern (Gornick/Meyers 2003). Davon sind zehn Länder in allen anderen und somit in jeder Studie enthalten (vgl. Tabelle 2). Drei Länder fehlen jeweils nur in einer Studie. Diese 13 Länder bilden die zentrale Untersuchungsgruppe für die weiteren Betrachtungen. Die Gruppe umfasst die EU-Länder, die bis 1973 beigetreten sind (außer Irland und Luxemburg), die skandinavischen Länder und die größeren, industrialisierten, englischsprachigen nicht-europäischen Länder (Australien, Kanada und USA). Süd- und osteuropäische Länder und vor allem die übrigen nicht-europäischen Länder sind nur in wenigen Studien erfasst.
106
Henning Lohmann
Tabelle 2: Länderauswahl Land
Anmerkungen
in allen Studien Belgien, Kanada, Dänemark, Finnland, Frankreich, Deutschland, Niederlande, Schweden, UK, USA in fast allen Studien: Norwegen nicht in: OECD Australien, Italien nicht in: Gornick/Meyers in einigen Studien: Schweiz nicht in: Gornick et al., Gornick/Meyers, OECD Japan, Irland nicht in: Gornick et al., Gornick/Meyers, Mandel/Semyonov Luxemburg nicht in: Korpi, Bambra, OECD Österreich nicht in: Gornick et al., Gornick/Meyers, Mandel/Semyonov Neuseeland nicht in: Gornick et al., Gornick/Meyers, Mandel/Semyonov, OECD Spanien nicht in: Gornick et al., Gornick/Meyers, Bambra, Korpi in wenigen Studien: Griechenland, Portugal in: Siaroff, OECD Slowakei, Tschechien, Israel, Ungarn in: Mandel/Semyonov Island in: Siaroff
Reliabilität und Validität In keiner der Studien werden die in Abschnitt 3 formulierten (strengen) Kriterien für die Bildung von Indizes erfüllt. Keiner der Indizes ist zeitlich variabel, die Länderauswahl ist eingeschränkt und – wie bereits weiter oben diskutiert – einige Indizes bilden vor allem Ergebnisse und nicht die institutionellen Rahmenbedingungen ab. Zudem bestehen Probleme der Vergleichbarkeit der verwendeten Indikatoren zwischen Ländern. Eine umfassende Betrachtung entsprechender Probleme würde weit über die Zielsetzung dieses Papiers hinausgehen. Um jedoch einen gewissen Einblick in mögliche Probleme zu geben, werden Indikatoren zur Messung der Ausgestaltung der Kinderbetreuung näher betrachtet. Der Ausgangspunkt für das erste Beispiel sind Zahlen zur Kinderbetreuung aus der Studie von Esping-Andersen (1999: 71). Es wird versucht, die folgende Frage zu beantworten: Kann
Konzept und Messung von Defamilisierung in international vergleichender Perspektive
107
man auf Basis der von Esping-Andersen angegebenen Quellen zu denselben Ergebnissen gelangen?15 Esping-Andersen nennt drei unterschiedliche Quellen (OECD 199016, Anttonen/Sipilä 1996, Gornick et al. 1997). Leider gibt es keine Angaben dazu, welche Quelle für welches Land verwendet wird. Daher sind in Tabelle 3 die Ergebnisse von Esping-Andersen und seinen Quellen für alle Länder dargestellt. Eine der Quellen ist die Studie von Gornick et al. (1997). Jedoch findet sich hier eine noch größere Zahl weiterer Quellen. Gornick et al. geben zwar an, welche Quelle für welches Land verwendet wird. Dafür fehlen die Angaben welche Quelle für welchen Indikator verwendet wird. Dadurch ergibt sich eine Vielzahl möglicher Quellen für einzelne Indikatoren. Hier sind die Ergebnisse von drei Quellen dargestellt (Kamerman 1991, Kahn/Kamerman 1994, Moss 1990), die von Gornick et al. (1997) häufig verwendet werden. Die Gegenüberstellung der Zahlen von Esping-Andersen (1999) mit den zugrundeliegenden Studien zeigt, dass eine eindeutige Zuordnung nur in wenigen Fällen möglich ist. Dies ist bei den Ländern der Fall, bei denen es nur eine Angabe in den Quellen gibt (Australien, Irland, Portugal) und in zwei Fällen, in denen die beiden verfügbaren Angaben genau übereinstimmen (Großbritannien, Italien). Dies heißt aber nicht, dass die Unterschiede zwischen den Quellen für die übrigen Länder groß sind.17 Der deutlichste Unterschied ergibt sich für Finnland, wo die Differenz zwischen den Angaben immerhin 10 Prozentpunkte beträgt.18 Außerdem sind in keiner der Quellen Angaben für Österreich enthalten und auch die Herkunft des Wertes für Spanien ist unklar. Dies mag daran liegen, dass die eine Quelle nicht eindeutig bestimmt werden konnte und evtl. eine andere Studie gemeint war (vgl. Fussnote 15). Berücksichtigt man zudem die ausgewählten Quellen aus der Studie von Gornick et al. (1997), auf die Esping-Andersen in mehr als der Hälfte der Fälle zurückgegriffen zu haben scheint, lässt sich dieses Problem auch nicht lösen. Für einige Länder steigt jedoch die Bandbreite möglicher Werte deutlich an (insbesondere Dänemark, USA, Finnland). Zudem verweisen die hier aufgeführten Studien in den meisten Fällen auf weitere Quellen. Die Angaben 15 Eine Beantwortung der Frage mit „ja“ würde entsprechend der Diskussion weiter oben bedeuten, dass ein hohes Ausmaß an Intercoder-Reliabilität vorliegt. 16 Die Angabe bei Esping-Andersen (1999: 63) lautet OECD (1993), womit laut Literaturverzeichnis der Employment Outlook des Jahres gemeint ist. Da darin jedoch keine Zahlen zu Kinderbetreuung enthalten sind, wird davon ausgegangen, dass der Employment Outlook 1990 gemeint ist. Hier finden sich im Bereich der angegebenen Seitenzahl Angaben zur Kinderbetreuung. 17 Hier könnte man von einem hohen Grad an Reliabilität zwischen Quellen sprechen. 18 An anderer Stelle weist Esping-Andersen (1999: 61) Mittelwerte für Wohlfahrtsregimes aus. Erstaunlicherweise scheint sowohl für Finnland als auch für Schweden der jeweils höhere, alternative Wert (32 Prozent) in die Berechnung eingeflossen zu sein.
108
Henning Lohmann
stellen also zumeist keine Originalquellen dar, sondern sind Zusammenstellungen früherer Studien. Um an die Originalquellen zu gelangen, müsste man also die Quellen dieser Studien weiterverfolgen und evtl. weitere Quellen, auf die verwiesen wird. Faktisch bedeutet dies, dass in den meisten Fällen der Nachweis der Originalquelle mit einem sehr hohen Aufwand verbunden ist, da eine Vielzahl von möglichen Studien beschafft und ausgewertet werden müsste. Tabelle 3: Betreuungsquoten von Kindern unter 3 Jahren in % aus Esping-Andersen (1999: 71) Quellen von Esping-Andersen (1999) 1 E.-A. Australien Kanada Irland UK USA Dänemark Finnland Norwegen Schweden Österreich Belgien Frankreich Deutschland Italien Niederlande Portugal Spanien
2 4 1 2 1 48 22 12 29 2 20 20 3 5 2 4 3
2
1985-86 1987/89 0-1 2 44 22 12 29 20-25 20-25 3 5 1-2 4 niedrig
4 8 -
3 späte 1980er 2 5 2 1 48 32 12 32 20 20 2 5 2 -
Ausgewählte Quellen von Gornick et al. (1997) 4
5 6 mittlere 1990/92 1980er 1986-89 2 26 58 48 29 20 29 5 6 -
12 2 20 44 24 2 5 -
2 2 48 20 20 3 5 2 6
Anmerkungen: 1) Anttonen/Sipilä 1996: 92 (children in public day-care), 2) OECD 1990: 131 (number of places in regulated childcare), 3) Gornick et al. 1997: 56 (children in publicly funded daycare, 4) Kahn/Kamerman 1994: Table A-15 (children in child care), 5) Kamerman 1991: 181 (children in child care), 6) Moss 1990: 12 (Kinder in den von der öffentlichen Hand finazierten Kinderbetreuungseinrichtungen). Kursive Angaben beziehen sich jeweils nur auf den Zeitraum nach Ende von Elternzeitregelungen.
Konzept und Messung von Defamilisierung in international vergleichender Perspektive
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Bereits das anhand von Tabelle 3 diskutierte kleine Beispiel hat zu einer Vielzahl möglicher Quellen geführt. Was kann man aus diesem Beispiel lernen? Erstens ist es bei vielen Studien – berücksichtigt man einen angemessenen (Zeit-) Aufwand – unmöglich, Angaben selbst nur für einen Indikator für alle Länder bis zu ihren Originalquellen hin zu verfolgen. Zweitens fehlen in vielen Studien ausreichend präzise Quellenangaben. Wird nicht gesagt, welche Quelle für welches Land verwendet wird und/oder die Angaben ungenau sind (z.B. fehlende Seitenangaben), sind die Angaben häufig kaum hilfreicher, als wenn die Angaben vollständig fehlen würden. Wenn man Reliabilität als die Wahrscheinlichkeit definiert, dass ein zweiter Forscher auf Basis derselben Quellen zu denselben Ergebnissen gelangt wie ein erster, ist die präzise und vollständige Dokumentation der Quellen eine unabdingbare Voraussetzung. Man mag einwenden, dass sich die Verfügbarkeit entsprechender Indikatoren in den letzten Jahren deutlich verbessert hat und somit das „Zusammensuchen“ aus unterschiedlichsten Quellen und die damit verbundenen Probleme weniger relevant geworden sind. Dies ist sicherlich richtig, allerdings nur, wenn es um Angaben für aktuelle Jahre geht. Zeitreihen, die nicht nur innerhalb von Ländern, sondern auch zwischen Ländern vergleichbar sind, liegen meines Wissens noch nicht vor. Für eine rückblickende Betrachtung ist man also wieder auf Einzelquellen angewiesen bzw. muss aufgrund von Problemen der Vergleichbarkeit auf entsprechende Indikatoren verzichten. Aber auch Zusammenstellungen von Indikatoren zur Kinderbetreuung in aktuellen Jahren weisen durchaus Probleme auf, auf die in einem zweiten Beispiel eingegangen wird. Tabelle 4 zeigt die Angaben zur Kinderbetreuung in 15 Ländern aus vier aktuellen Studien aus dem Kontext der OECD und von Eurostat. Die ausdrückliche Zielsetzung der Studie von Plantenga und Siegel (2004) ist es, standardisierte Kinderbetreuungsangaben zur Verfügung zu stellen. Wenn man ihre Zahlen mit den Zahlen der übrigen Studien vergleicht, sind in einigen Ländern deutliche Unterschiede festzustellen (Irland, Niederlande, Schweden, USA). Beispielsweise würde ein Vergleich zwischen Irland und Schweden je nach Studie zu sehr unterschiedlichen Schlussfolgerungen führen. Laut Immervoll und Barber (2005) beträgt der Unterschied in der Kinderbetreuungsquote 53 Prozentpunkte, die Studie der OECD (2007) weist eine Differenz von 25 Prozentpunkten aus und nach der Studie von Plantenga und Siegel (2004) scheint kaum ein Unterschied zwischen Schweden und Irland zu bestehen. Wie können diese Unterschiede erklärt werden? Erstens unterscheiden sich die Definitionen von Kinderbetreuung, d.h. es werden unterschiedliche Konstrukte gemessen. Immervoll und Barber (2005) berichten Zahlen zu „registered child care“, die OECD (2001) zu „formal child care“, die OECD (2007) betrachtet die „enrolment rate in daycare“ und Plantenga
110
Henning Lohmann
und Siegel (2004) haben das Ziel, alle Arten von Kinderbetreuung zu erfassen. Die letzte Studie bietet auch eine hilfreiche Systematisierung. Plantenga und Siegel (2004: 12) nennen vier Dimensionen, in denen sich Kinderbetreuungsarrangements unterscheiden können: 1. formal/informell, 2. öffentlich/privat, 3. Vollzeit/Teilzeit und 4. Betreuung innerhalb/außerhalb des Bildungssystems. Aufgrund der unterschiedlichen Möglichkeiten, Kinderbetreuung zu definieren und zu erfassen ist es sehr wahrscheinlich, dass Unterschiede zwischen Studien und auch innerhalb von Studien bestehen, die durch relativ allgemeine Definitionen wie „Anteil von Kindern in Betreuung“ verdeckt werden.19 Zweitens bestehen Unterschiede im Erhebungsjahr. Es liegen bis zu sechs Jahren zwischen den Angaben für die einzelnen Länder innerhalb einer Studie. Noch größer sind die Differenzen zwischen den hier betrachteten Studien. Auch dies kann ein Grund für die weiter oben diskutierten Abweichungen sein. Betrachtet man aber Entwicklungen in einzelnen Ländern (z.B. Irland und USA), erscheint es jedoch naheliegender, dass die Unterschiede vor allem aufgrund unterschiedlicher Definitionen bestehen. Es ist sehr unwahrscheinlich, dass Unterschiede von annährend 40 Prozentpunkten auf kurzfristige Veränderungen innerhalb der Länder zurückzuführen sind. Welche Schlussfolgerungen kann man aus der Betrachtung der beiden Beispiele ziehen? Eine umfassende Beurteilung der Reliabilität und Validität vorliegender Indikatoren ist kaum zu bewerkstelligen. Die Beispiele haben verdeutlicht, dass sowohl die Verlässlichkeit als auch die Vergleichbarkeit der Indikatoren Probleme aufweisen. Ein Zugriff auf die Originalquellen ist in den meisten Fällen nur unter sehr großem Aufwand oder auch gar nicht zu erreichen. Eine exakte Reproduktion bestehender Maße ist also kaum möglich. Daher kann häufig auch nicht genau bestimmt werden, auf welcher Definition ein Indikator beruht. Als Allgemeinplatz kann hier noch mal festgehalten werden, dass zumindest eine umfassende und präzise Dokumentation vorliegen sollte, obwohl man kaum in der Lage sein wird, sämtliche Quellen zu überprüfen oder als Basis für die Konstruktion neuer Indikatoren zu verwenden.
19 Bei genauerer Betrachtung lassen sich entsprechende Probleme auch bei dem oben diskutierten Beispiel feststellen (die Kinderbetreuungsquoten aus Esping-Andersen [1999]). Obwohl Esping-Andersen von „public child care“ spricht, verweist er teilweise auf Studien, die „registered child care“ o.ä. betrachten.
Konzept und Messung von Defamilisierung in international vergleichender Perspektive
111
Tabelle 4: Betreuungsquoten von Kindern unter 3 Jahren in Europa und den USA Immervoll/Barber 2005
OECD 2001
Plantenga/Siegel 2004
children in children in child care registered childcare formal childcare coverage % Jahr % Jahr % Jahr Österreich 13 2001 4 1998 9 ~2002 1 30 2000 30 2000 81/33 ~2002 Belgien Dänemark 64 1999 64 1998 56 ~2002 Finnland 25 2003 22 1998 21 ~2002 Frankreich 30 2001 29 1998 43 ~2002 Deutschland 9 2001 10 2000 7 ~2002 Griechenland 3 2000 3 2000 7 ~2002 Irland 12 1997 38 1998 40 ~2002 Italien 6 1998 6 1998 6 ~2002 Niederlande 17 1997 6 1998 35 ~2002 Portugal 22 2002 12 1999 19 ~2002 Spanien 5 2000 5 2000 10 ~2002 Schweden 65 2003 48 1998 41 ~2002 2 26 2003 34 2000 UK USA 16 1997 54 1995 -
OECD 2007 enrolment in daycare % Jahr 4 2004 39 2004 62 2005 35 2003 26 2002 9 2001 7 2003 15 2000 6 2000 30 2004 24 2004 21 2004 40 2004 26 2004 30 2005
Anmerkungen: 1) Flandern/Wallonie (Plantenga/Siegel 2004), 2) nur England (OECD 2001). Quellen: Immervoll/Barber 2005:13, OECD 2001: 144, Plantenga/Siegel 2004: Statistical Annex, Table 7 (siehe auch Plantenga/Remery 2005), OECD 2007: 2.
5
Vergleich bestehender Indizes
Bislang wurden die Konstruktion und die Quellen vorliegender Indizes dargestellt und verglichen. Nun sollen die Ergebnisse der einzelnen Studien betrachtet werden, d.h. die Frage untersucht werden, inwieweit sich die Länderrangfolgen nach den einzelnen Indizes unterscheiden. Gibt es Länder, die häufig ähnliche Rangplätze aufweisen und andere, deren Position sich je nach Index stärker unterscheidet? Lassen sich hieraus Schlüsse für die Konstruktion neuer Indizes ziehen? Der Vergleich ist auf Defamilisierungsindizes bzw. Indizes, die etwas Ähnliches wie Defamilisierung messen (vgl. Abschnitt 4), beschränkt. Allein in der Studie von Korpi (2000) findet sich ein Familisierungsindex. Aus der Studie von Siaroff
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Henning Lohmann
(1994) werden beide Indizes mit in den Vergleich aufgenommen (female work desirability, family welfare orientiation), da beide Elemente des Konzepts der Defamilisierung aufweisen. Die Studien Gornick et al. (1997) und Gornick und Meyers (2003) enthalten jeweils mehrere Indizes nach Alter der Kinder, die allesamt in den Vergleich einbezogen werden. Tabelle 5: Korrelationsmatrix aller Indizes
KO G3 G6 G35 MS BA SIFD SIWO OECD GM6 GM6+ GM
KO
G3
1 0,84 0,91 0,70 0,91 0,96 0,13 0,92 0,11 0,96 0,93 0,97
1 0,93 0,95 0,77 0,72 0,01 0,78 -0,14 0,76 0,64 0,76
G6 G35
1 0,77 0,83 0,82 0,16 0,89 0,03 0,85 0,72 0,85
1 0,63 0,56 -0,12 0,61 -0,27 0,62 0,51 0,62
MS
1 0,87 0,35 0,85 0,27 0,93 0,87 0,92
BA SIFD SIWO OECD
1 0,17 0,88 0,16 0,93 0,93 0,94
1 0,16 0,33 0,11 0,14 0,09
1 0,19 0,93 0,83 0,93
1 0,93 0,83 0,93
GM6 GM6+ GM
1 0,94 1,00
1 0,95
1
Anmerkungen: KO) Korpi 2000: 147 (Dual-earner support), G3) Gornick et al. 1997: 61 (Kinder < 3 Jahren), G6) Gornick et al. 1997: 61 (Kinder < 6 Jahren), G35) Gornick et al. 1997: 61 (Kinder 3-5 Jahre), MS) Mandel/Semoynov 2005 (supplement), BA) Bambra 2004: 207, SIFD) Siaroff 1994: 89 (female work desirability), SIWO) Siaroff 1994: 92 (family welfare orientation), OECD) OECD 2001: 152, GM6) Gornick/Meyers 2003: 320 (Kinder < 6 Jahre), GM6+) Gornick/Meyers 2003: 320 (Kinder >= 6 Jahre), GM) Gornick/Meyers 2003: 320 (alle Kinder), n=13 (außer bei OECD 2001 [n=11] und Gornick/Meyers 2003 [n=10]).
Tabelle 5 enthält eine Korrelationmatrix für alle betrachteten Indizes.20 Mit zwei Ausnahmen sind die Indizes stark oder sehr stark miteinander korreliert. Beispielsweise ist der Korrelationskoeffizient zwischen dem Index von Korpi und den übrigen Indizes in sieben von elf Fällen höher als 0,9. Allein der Index der OECD (2001) und der female work desirability index von Siaroff (1994) sind mit den übrigen Indizes nur schwach oder sogar negativ korreliert. Dies gilt auch in Fällen, 20 Im Gegensatz zu allen anderen Studien enthält die Studie von Korpi (2000) keine Indexwerte, sondern allein Länderrangplätze. In den folgenden Analysen werden die Länderrangfolgen in umgekehrter Sortierung (hoher Rang=hoher Wert) als Indexwerte verwendet.
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in denen starke Überschneidungen in der Auswahl der verwendeten Indikatoren bestehen (z.B. Siaroff und Bambra bzw. OECD und Mandel/Semyonov). Eine offene Frage ist, ob die geringe Korrelation auf einzelne Ausreißer zurückzuführen ist oder ob grundsätzlich ein anderes Konstrukt gemessen wird. Dies lässt sich durch die Betrachtung der Länderrangfolgen beantworten, die sich auf Basis der einzelnen Indizes ergeben. Die Länderrangfolgen sind in Tabelle 6 für diejenigen Länder dargestellt, die in mindestens sechs der betrachteten sieben Studien enthalten sind. Um eine Vergleichbarkeit zwischen Studien, die alle Länder enthalten und solchen mit fehlenden Ländern herzustellen, wurden die Rangplätze bei geringerer Fallzahl an die Gesamtländerzahl angepasst. Es gibt also auch hier einen Maximalwert von 13; allerdings sind nicht alle Rangplätze besetzt. Betrachtet man, welche Länder jeweils am oberen und am unteren Ende der Rangfolge stehen, sind starke Übereinstimmungen zwischen den Indizes zu erkennen. Nur in zwei Fällen (Gornick et al. 1997; Index für Kinder im Alter unter 3 Jahren und im Alter von 3 bis 5 Jahren) wird der erste Rang nicht von einem der drei Länder Schweden, Dänemark oder Finnland besetzt. Stattdessen nimmt jeweils Frankreich den ersten Rang ein. Mit Ausnahme der bereits bei Betrachtung der Korrelationen abweichenden Studien (Siaroff 1994 [female work desirability] und OECD 2001) belegen entweder die USA oder Australien den letzten Rang. Häufig lassen sich – wie auch in anderen vergleichenden Arbeiten zu Wohlfahrtsstaaten – relativ eindeutig drei Ländercluster unterscheiden. Die skandinavischen Wohlfahrtsstaaten sind durch einen hohen Grad an Defamilisierung gekennzeichnet, während die angelsächsischen Länder am Ende der Rangfolgen platziert sind. Die kontinentaleuropäischen Wohlfahrtsstaaten nehmen (teilweise mit Ausnahme Frankreichs) mittlere Rangplätze ein. Betrachtet man die beiden Indizes, die abweichende Rangfolgen produzieren, fällt auf, dass hier insbesondere die angelsächsischen Länder höhere Rangplätze einnehmen. Im Fall des ‚female work desirability’-Index (Siaroff 1994) nehmen diese die mittleren Rangplätze ein und ‚verdrängen’ die kontinentaleuropäischen Wohlfahrtsstaaten ans Ende. Teilweise ist dies auch bei Betrachtung des OECDIndexes zu beobachten. Im Gegensatz zu allen anderen Indizes produziert der OECD-Index aber keine Rangfolge, die sich entlang herkömmlicher Abgrenzungen interpretieren lässt. So werden die ersten vier Ränge von Ländern dreier unterschiedlicher Ländercluster eingenommen (Schweden/Dänemark, Niederlande, Australien). Finnland, dass ansonsten mit den übrigen skandinavischen Ländern im oberen Teil der Rangfolgen zu finden ist, nimmt dagegen den vorletzten Platz ein.
1 2 4 3 6 5 10 9 7 8 11 13 12
1 3 4 2 5 8 7 6 9 11 10 12 13
2 1 5 4 7 6 9 8 11 12 13
0,26 0,96 0,11 0,96
1 2 12 11 10 7 3 13 5 9 4 8
2 1 5 4 7 6 9 8 11 12 13
0,92 0,96 0,90 0,96
2 1 5 4 8 9 6 7 11 12 13
GM6+ GM 1,9 2,5 4,3 5,0 5,6 6,7 7,9 8,2 8,3 9,5 9,9 11,0 11,6
Ø 2,1 2,4 3,8 5,2 4,7 5,9 7,8 8,2 7,1 10,2 10,4 12,4 12,7
Ø* 1,1 1,4 2,7 2,9 3,1 2,3 1,5 2,3 3,3 1,8 1,8 2,9 2,6
1,1 1,4 1,2 3,0 2,6 1,7 1,4 1,2 2,6 1,0 1,4 0,5 0,5
SD SD*
Anmerkungen: KO) Korpi 2000: 147 (Dual-earner support), G3) Gornick et al. 1997: 61 (Kinder < 3 Jahren), G6) Gornick et al. 1997: 61 (Kinder < 6 Jahren), G35) Gornick et al. 1997: 61 (Kinder 3-5 Jahre), MS) Mandel/Semoynov 2005 (supplement), BA) Bambra 2004: 207, SIFD) Siaroff 1994: 89 (female work desirability), SIWO) Siaroff 1994: 92 (family welfare orientation), OECD) OECD 2001: 152, GM6) Gornick/Meyers 2003: 320 (Kinder < 6 Jahre), GM6+) Gornick/Meyers 2003: 320 (Kinder >= 6 Jahre), GM) Gornick/Meyers 2003: 320 (alle Kinder), *) ohne SIFD und OECD.
4 3 5 11 1 6 7 8 2 10 9 13 12
BA SIFD SIWO OECD GM6
0,92 0,92
3 2 1 6 5 4 7 10 8 11 9 12 13
MS
Korrelation der Indizes mit durchschnittlichen Rangplätzen: Ø 0,97 0,83 0,90 0,67 0,96 0,93 0,32 Ø* 0,99 0,89 0,93 0,76 0,94 0,94 0,18
3 2 4 10 1 5 7 9 6 11 8 12 13
G6 G35 1 6 3 5 2 4 8 7 10 9 11 13 12
1 2 3 4 5 6 7 9 8 10 11 12 13
G3 1 4 2 3 9 11 10 13 12 7 6 8 5
Schweden Dänemark Finnland Norwegen Frankreich Belgien Deutschland Niederlande Italien Großbritannien Kanada Australien USA
KO
Tabelle 6: Länderrangfolgen auf Basis aller Indizes
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Mit Ausnahme der Platzierung von Schweden und Dänemark weicht der OECDIndex fast vollständig von den übrigen Indizes ab. Wenn man die in den Index einfließenden Indikatoren genauer betrachtet (OECD 2001: 152) wird deutlich, dass dies auf mindestens zwei Faktoren zurückzuführen ist. Zum einen werden durch die Berücksichtigung von Aspekte in der Arbeitszeitflexibilität u.a. Länder mit einem hohen Anteil von Teilzeitbeschäftigten positiver als in anderen Indizes beurteilt (dies gilt am stärksten für die Niederlande). Zum anderen werden auch nicht-öffentlich finanzierte Formen der Kinderbetreuung berücksichtigt, sodass Länder mit stärker marktseitig organisierter Kinderbetreuung höhere Indexwerte erreichen als in einigen anderen Studien (dies gilt vor allem für die USA, vgl. auch die Kinderbetreuungsquoten in Tabelle 4). Es bestehen also deutliche Unterschiede in dem Konstrukt, das gemessen wird. Ob in anderen Fäll wird dies sehr deutlich. Ob in anderen Fällen durch Definitionsunterschiede der verwendeten Indikatoren, die zumindest oberflächlich betrachtet diesselbe Dimension messen, auch grundsätzliche Unterschiede zwischen den gemessenen Konstrukten bestehen, ist häufig nicht eindeutig zu beurteilen. Die Tatsache, dass ein Großteil der Indizes stark miteinander korreliert ist, kann allerdings so interpretiert werden, dass die daraus resultierenden Ergebnisse relativ robust gegenüber möglichen Abweichungen in der Definition einzelner Indikatoren sind.21 Zusätzlich zu den Rangplätzen aus den einzelnen Studien ist der Durchschnitt aller Rangplätze für ein Land dargestellt. Insbesondere wenn man die zwei abweichenden Indizes bei der Berechnung nicht berücksichtigt, ergibt sich eine sehr hohe Korrelation zwischen den durchschnittlichen Rangplätzen und den einzelnen Indizes. Aufgrund der hohen Korrelation der Indizes untereinander ist dies kein überraschendes Ergebnis. Ausgehend von den Durchschnittswerten wurde auch die Standardabweichung der Rangplätze berechnet. Betrachtet man alle Studien, weisen Dänemark und Schweden die höchste Konsistenz der Rangplätze auf. Berücksichtigt man die beiden grundsätzlich abweichenden Studien nicht, ist die Standardabweichung der Rangplätze in den USA und Australien am geringsten. Stärkere Unterschiede sind in Norwegen, Frankreich und Italien zu beobachten. Welche Schlussfolgerungen lassen sich aus diesen Ergebnissen ziehen? Zum einen zeigt sich, dass einige Länder einfacher zuzuordnen sind als andere. Typischerweise sind es Länder, die relativ eindeutig am oberen oder unteren Ende der Rangfolgen platziert sind. Es handelt sich also um Länder, die in vielen der unterschiedlichen Dimensionen einheitlich hohe oder niedrige Indexwerte erreichen, also durch ein hohes Maß an Homogenität im Ausmaß von Defamilisierung ge21 Eine weniger positive Interpretation wäre, dass die hohe Übereinstimmung vor allem dadurch zustande kommt, dass alle Indizes auf ähnliche bzw. dieselben Quellen zurückgreifen.
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kennzeichnet sind. Zum anderen kann man bei Betrachtung derjenigen Länder, die eine hohe Variation der Rangplätze aufweisen, Erkenntnisse über die unterschiedlichen Dimensionen gewinnen, die über die einzelnen Indizes erfasst werden. Wie bereits weiter oben diskutiert, werden Länder, die ein höheres Maß an Arbeitsmarktflexibilität aufweisen, in Indizes, die diesen Aspekt berücksichtigen, besser platziert. Unterschiede ergeben sich auch dann, wenn nicht-öffentlich finanzierte Formen der Kinderbetreuung betrachtet werden (insbesondere im Fall der USA). Jedoch auch die Abgrenzung, welche Altersgruppen von Kindern bei der Beurteilung der Vereinbarkeit von Familie und Beruf betrachtet werden, kann zu sehr deutlichen Unterschieden in der Platzierung einzelner Länder führen. So hat nach der Studie von Gornick et al. (1997) Italien ein gutes Betreuungsangebot für Kinder von 3-5 Jahren, während die Regelungen für jüngere und ältere Kinder eher unzureichend sind. Die teilweise unterschiedliche Berücksichtigung des Kinderbetreuungsangebots in den einzelnen Indizes ist vor allem deswegen eine bedeutende Quelle für Unterschiede, da Indikatoren zum Kinderbetreuungssystem in fast alle Studien verwendet werden. Dasselbe gilt für die Berücksichtigung von Mutterschafts- und Elternzeitregelungen. Auch hier bestehen deutliche Unterschiede in der konkreten Operationalisierung. In manchen Studien wird allein der Mutterschutz berücksichtigt, in anderen die (zusätzlich) bezahlte Elternzeit, während in weiteren Studien die Gesamtelternzeit betrachtet wird. Auch unterscheidet sich die Art und Weise, wie die Höhe von entsprechenden Lohnersatzleistungen in die Indizes mit einfließt. Diese Unterschiede wurden hier nicht ausführlich diskutiert. Wie aber das Beispiel der Kinderbetreuungsindikatoren gezeigt hat, ergeben sich teilweise bei nur leichten Abweichungen in den Definitionen oder bei Berücksichtigung unterschiedlicher Altersgruppen teilweise deutliche Unterschiede, die bei genauerer Betrachtung der Verwendung von Angaben zu Mutterschutzund Elternzeitregelungen auch bestehen. Neben der Berücksichtigung bzw. Nicht-Berücksichtigung der Möglichkeiten Arbeitszeiten flexibel zu gestalten, der unterschiedlichen Verwendung von Angaben zur Kinderbetreuung und zu Mutterschutz-/Elternzeitregelungen gibt es noch eine dritte bedeutende Quelle, warum die Indizes teilweise zu unterschiedlichen Rangfolgen führen. Einige Indizes berücksichtigen Aspekte der Arbeitsmarktbeteiligung von Frauen (vor allem die Erwerbsquote), während andere allein die Ausgestaltung der institutionellen Rahmenbedingungen berücksichtigen. Die daraus resultierenden Abweichungen sind insbesondere im ‚female work desirability’-Index (Siaroff 1994) zu beobachten. Länder, die trotz relativ umfassender Angebote zur Vereinbarkeit von Familie und Erwerbstätigkeit, eine niedrige Erwerbsquote von Frauen aufweisen, werden bei Berücksichtigung des letzteren Faktors deutlich niedriger bewertet als auf Basis der übrigen Indizes. Dies gilt bei-
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117
spielsweise für Frankreich und Belgien und - ausgehend von insgesamt niedrigeren Platzierungen – auch für Italien. Hier ist davon auszugehen, dass andere Einflüsse als der Grad der Defamilisierung dafür sorgen, dass die Erwerbsquote von Frauen relativ gering ausfällt.
6
Diskussion und Ausblick
Das Ziel dieses Papiers war es zu untersuchen, auf welche Weise bestehende Indizes das Konzept der Defamilisierung messen und wie sich die vorliegenden Ansätze unterscheiden. Da es bislang nur einen (auch so bezeichneten) Defamilisierungsindex gibt, wurden auch Indizes mit berücksichtigt, die ähnliche Konzepte messen. Zur Beurteilung der einzelnen Indizes wurden fünf Kriterien definiert: 1. Reliabilität, 2. Validität, 3. Anzahl berücksichtigter Länder, 4. zeitliche Variabilität, 5. Berücksichtigung von institutionellen Rahmenbedingungen anstelle von Ergebnissen. Anhand dieser Kriterien lassen sich folgende Schlussfolgerungen ziehen: Eine umfassende Überprüfung der Reliabilität und der Validität der Indizes ist aufgrund der Vielzahl der verwendeten Indikatoren und der noch größeren Zahl an verwendeten Quellen kaum möglich. Beispielhaft wurde aber gezeigt, dass zumindest teilweise größere Einschränkungen bezüglich der Reliabilität und der Validität bestehen. Die Anzahl der betrachteten Länder ist vor allem durch die Verfügbarkeit von verlässlichen Indikatoren eingeschränkt, die fast ausschließlich für OECD-Länder vorliegen. Berücksichtigt man die Schnittmenge über alle Studien, ergibt sich eine Fallzahl von nur 10 Ländern. Für einen auf quantitativen Analysen beruhenden Ländervergleich (Länderpanelregression, Mehrebenenanalyse) ist das Ländersample sehr klein. Veränderungen über die Zeit werden in keinem der Indizes abgebildet. Mehrere Indizes basieren (teilweise) auf Ergebnissen wie der Frauenerwerbsquote, womit eine Verwendung der Indizes als erklärende Variable für eine Reihe interessanter Fragestellungen ausgeschlossen ist (dazu gehört auch der Index von Bambra [2004], der als einziger ausdrücklich versucht, dass Konzept der Defamilisierung zu messen). Betrachtet man Kinderbetreuungsquoten auch als Ergebnisindikator, da diese nicht allein die Verfügbarkeit, sondern auch die Inanspruchnahme von Kinderbetreuungsangeboten abbilden (vgl. Abschnitt 4), gibt es keinen Index der allein Aspekte der institutionellen Rahmenbedingungen berücksichtigt. Abschließend lässt sich daher feststellen, dass es trotz der immerhin seit 15 Jahren geführten Diskussion zu Defamilisierung bislang keinen umfassenden Ansatz zur Messung des Konzepts gibt. Neben den hier dargestellten methodischen Problemen gibt es auch inhaltliche Leerstellen. So wurde beispielsweise der Aspekt
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intergenerationaler Abhängigkeit bislang nur wenig berücksichtigt. Es besteht also durchaus Bedarf, entsprechende international vergleichend angelegte Indizes zu entwickeln. Dies schließt nicht aus, dass die bisher verfügbaren Indizes durchaus für entsprechende Analysen verwendet werden können. Die starke Übereinstimmung der Länderrangfolgen weist darauf hin, dass die Zuordnung der meisten Länder auch bei unterschiedlicher Operationalisierung (oder grundsätzlicher: unterschiedlichen Konzepten) relativ robust ist. Zudem bietet die Darstellung der hier diskutierten Ansätze einen guten Überblick über die verfügbare Indikatorenbasis und vor allem auch über Dimensionen, die bislang kaum durch geeignete Indikatoren abgedeckt sind. Beides kann als Ausgangspunkt für die Entwicklung eines umfassenderen Defamilisierungsindex dienen.
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Anhang Detaillierte Angaben zu den verwendeten Indikatoren und Quellen
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Korpi (2000): General Family Support: § Public day care services for children 0-2 years § Paid maternity leave § Paid paternity leave § Public home help to the elderly Dual-earner support: § Cash child allowances § Family tax benefits § Public day care services for children 3-6 years References: The article contains information about the main sources for public day care and leave policies (about 15 sources). Detailed sources can be obtained from the author.
OECD (2001): Composite index of work/family reconciliation policies and relevant flexible work arrangments: § Child-care coverage for under 3-s (data provided by national authorities and taken from Jenson/Thompson 1999, Kamerman 2000a, Drees (2000), Rostgaard/Fridberg 1998) § Child-care coverage for over 3-s (see under 3-s)
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§ Maternity pay entitlement: product of the duration of maternity leave and the earnings replacement rate (Gauthier/Bortnik 2001, Kamerman 2000b and national sources). § Total maternity/child-care leave, duration (see maternity pay entitlement) § Voluntary family leave in firms: extra-statuary arrangements for sick-child leave, maternity leave, parental leave (Secretariat calculation on the basis of the “Second European Survey on Working Conditions” and other data sources, see OECD 2001: 160) § flexi-time working, as a percentage of all employees (Lipset/Reesor 1997, Bond et al. 1998, Tachibanaki 2001, WFU/DEWRSB 1999) § voluntary part-time working, as a percentage of all women in employment (various sources, see Evans 2001) References: Bond, J.T./ Galinsky, E./ Swanberg, J.E. (1998): The 1997 National Study of the Changing Workforce, Families and Work Institute, New York. DREES – Direction de al recherché, des etudes, del’évaluation et des statistiques) (2000): Les modes de garde et d’accueil des jeunes enfants, Collection Statistiques, Document de Travail, No. 1 (June), ministPre de l’Emploi et de la Solidarité, Paris. Evans, J. M. (2001): Firms’ contribution to the reconciliation between work and family life, Labour Market Occasional Papers No. 48, OECD, Paris. Gauthier, A.H./ Bortnik, A. (2001): Cross-National Family Policy Database, University of Calgary. Jenson, J./ Thompson, S. (1999): Comparative family policy: Six provincial stories, Canadian Policy Research Networks Study No. F108, Ottawa. Kamerman, S. B. (2000a): Early childhood education and care (ECEC): An overview of developments in the OECD countries, Institute for Child and Family Policy, Columbia University, www.childpolicy.org. Kamerman, S. B. (2000b): Parental leave policies: An essential ingredient in early childhood education and care policies, Institute for Child and Family Policy, Columbia University, www.childpolicy.org. Lipsett, B./ Reesor, M. (1997): Flexible work arrangements: Evidence from the 1991 and 1995 Survey of Work Arrangements, Paper R-97-10E, Applied Research Branch, Strategic Policy, Human Resources Development Canada. Rostgaard, T./ Fridberg, T. (1998): Caring for children and older people: A comparison of European policies and practices, Social Security in Europe 6, Danish National Institute of Social Research, Copenhagen.
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Henning Lohmann
Tachibanaki, T. (2001): The economic effects of fewer children and ageing and desirable policy reforms, Interim report for the Economic and Social Research Institute (March), Cabinet Office, Japan. WFU/DEWRSB – Work and Family Unit/Department of Employment, Workplace Relations and Small Business (1999): Economic and Labour Relations Review, 10 (2): 221-239.
Gornick/Meyers (2003): Policies that affect families with children under the age of six: early child education and care (ECEC): § guaranteed slot for some children 0-2 years (yes/no) § enrolment in public care, different age groups: -1, 1-2, 3-5 (percent of age group) § cost to parents if children in public care, different age groups: 1-2, 3-5 years (percent of total cost) § quality of child care (low, medium, high) § tax relief for ECEC (yes/no) family leave: § weeks of full-pay available to mothers (weeks) § paid paternity leave (yes/no) § gender equality scale / incentives for fathers § some paid leave after third birthday (yes/no/some) § paid sick-child leave (yes/no) § expenditures on leave (2000$ U.S. per employed woman) working time: § normal weekly hours § normal vacation time (days) § Policies that affect families with children aged six and older: § early child education and care (ECEC): § enrolment in public care, age: 6 years (percent of age group) family leave: § paid sick-child leave (yes/no) § school scheduling: § starting age
Konzept und Messung von Defamilisierung in international vergleichender Perspektive
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§ hours per day § days per year § continuity of school day (yes/no/sometimes) working time: § normal weekly hours § normal vacation time (days) Sources/References: The information given in the tables in the monograph is not helpful (“Source: Authors’ compilation”). More information is provided on the LIS website (see below). It contains a reference list with about 100 entries. It is, however, not sorted by indicator or country. On the basis of the vast list of sources it is impossible to reconstruct which indicator is based on which source. More information: http://www.lisproject.org/publications/fampol/fampolaccess.htm (last access: 10 January 2008).
Mandel/Semyonov (2005): Welfare Family Policy Index: § Duration of fully paid maternity leave (Kamerman 2000, National Insurance Institute of Israel 1995/96, OECD 2001, Gauthier 2000, ILO 1998) § Children in publicly funded child care, 0-6 years (Gauthier 1999, Children and Youth Service Review 21, Statistical Abstract of Israel 1996, NA’AMAT and VIZO 2001, Ministry of Education, Youth, and Sports of the Czech Republic 2000, Mayers/Gornick 2000, Buhmann 2001) § Size of public welfare sector (Kolberg/Esping-Andersen 1991, Finland Central Bureau of Statistics/Labour Force Survey 1999, Yearbook of Labour Statistics 1995, Israel Central Bureau of Statistics/Labour Force Survey 1991-93, OECD Economic Surveys France 1998/99, OECD Economic Surveys Finland 1993, OECD Economic Surveys Korea 2000) References: Mandel and Semyonov use about 20 different sources (see above). Some of these sources are difficult to trace down.
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Henning Lohmann
Bambra (2004): Defamilisation: § Relative female labour participation rate for persons aged 15-64 years § Maternity leave compensation for first 12 weeks as a percentage of normal pay § Compensated maternity leave duration, number of weeks § Gender pay gap (information about sources not provided according to indicator: Gauthier 1996: Table 10.3, 10.5, 10.6, OECD 1998: 82-83, UN 1999: Table 33, UN 2000: Chart 5.23 and Table 5c) References: Gauthier, Anne HélPne (1996): The state and the family. Oxford: Clarendon. OECD (1998): Employment Outlook, Paris: OECD. United Nations (1999): Statistical Yearbook, New York: United Nations. United Nations (2000): The world’s women, New York: United Nations.
Messinstrumente im internationalen Vergleich Möglichkeiten und Grenzen der Analyse von Vorurteilen
1
Cornelia Weins
Zusammenfassung In wissenschaftlichen Analysen werden regelmäßig vergleichende Aussagen über das Ausmaß von Vorurteilen in Staaten getroffen, ohne angemessen zu prüfen, ob die verwendeten Instrumente in den untersuchten Staaten auch dasselbe messen. Dies ist erstaunlich, ist doch das Ausmaß von Vorurteilen in einer Gesellschaft von unmittelbar politischer und wissenschaftlicher Brisanz. Mit Daten des Eurobarometers 53 wird in diesem Beitrag daher die Prüfung der Messinvarianz dichotomer Vorurteilsindikatoren demonstriert. Eine bisher in der Literatur nicht ausreichend beachtete Ursache für die fehlende internationale Vergleichbarkeit von Vorurteilsskalen ist item-nonresponse. Die Verzerrungen durch item-nonresponse können durch den Einsatz theoretisch fundierter Methoden behoben oder zumindest eingrenzt werden, wie in diesem Beitrag gezeigt wird.
Problemaufriss: Fragestellungen vergleichender Untersuchungen Seit den achtziger Jahren haben vergleichenden Analysen fremdenfeindlicher Vorurteile sprunghaft zugenommen. Dies hängt wesentlich mit der Verfügbarkeit von Sekundärdaten zusammen. Im Auftrag der Europäischen Kommission wurde erstmals im Eurobarometer 30 (1988) der Themenschwerpunkt „Einstellungen gegenüber Minderheiten“ implementiert. Seitdem werden Indikatoren zur Messung von Vorurteilen gegenüber Minderheiten in den Eurobarometern regelmäßig erhoben. Vergleichend können Vorurteile auch mit den Daten des ISSP 1995 und 2003 sowie seit einigen Jahren mit den Daten des European Social Survey analysiert werden. Von ihrer Fragestellung lassen sich vergleichende Analysen fremdenfeindlicher Vorurteile grob in zwei Kategorien einteilen: Erstens gibt es Studien, die primär Unterschiede oder Gemeinsamkeiten in der Entstehung fremdenfeindlicher Vorurteile in verschiedenen Staaten untersuchen. Staaten werden hier getrennt analysiert und die Analyseergebnisse anschließend miteinander verglichen. Ex1 Für Hinweise danke ich Jost Reinecke und Christof Wolf.
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Cornelia Weins
emplarisch für diese Art von Studien ist die umfangreiche Arbeit von Zick (1997), der eine Substichprobe des Eurobarometers 30 analysiert hat. Eine geringe formale Bildung hat sich beispielsweise als ein interkulturell stabiler Prädiktor von Vorurteilen erwiesen, während Nationalstolz in einigen aber nicht allen europäischen Staaten die Entstehung von Vorurteilen begünstigt (vgl. auch Westle 1999, Weins 2004). Das primäre Ziel dieser Studien besteht darin herauszufinden, ob Zusammenhänge, die in einem Staat bestehen, auch in anderen Staaten beobachtet werden können oder nicht. Unterschiede in der Entstehung von Vorurteilen in verschiedenen Staaten werden im Anschluss an die Analyse – also ex-post – interpretiert. Man kann diese Studien aus vergleichender Perspektive als strukturorientiert bezeichnen, weil ein Vergleich auf dieser Ebene voraussetzt, dass ein „instrument measures the same construct across cultures“ (van de Vijver 2003, 143 f.). Darüber hinausgehend wurde – zweitens – versucht, Unterschiede im Ausmaß der Vorurteile zwischen verschiedenen Staaten (oder besser: zwischen Befragten verschiedener Staaten) zu erklären. Dies geschieht, indem Merkmale auf Ebene der Staaten berücksichtigt werden, von denen ausgegangen wird, dass sie die Entstehung fremdenfeindlicher Vorurteile in einem Staat begünstigen. Aus vergleichender Perspektive sind Studien, die Merkmale von Staaten in die Erklärung einbeziehen, interessanter als getrennte Analysen für einzelne Staaten, weil die Merkmale, die als relevant für die Entstehung von Gruppenunterschieden angesehen werden, direkt modelliert und empirisch geprüft werden können. Einige Autoren sind der Ansicht, dass „circumstances, variables or processes“ zu identifizieren „which describe what is about these groups, cultures or nations that affect the racist phenomena one is interested in“ die eigentliche Aufgabe vergleichender Analysen fremdenfeindlicher Vorurteile sei (Ter Wal und Verkuyten 2000, 4). Als relevante Prädiktoren fremdenfeindlicher Vorurteile auf Ebene der Staaten werden insbesondere die Höhe der Zuwanderung und die makro-ökonomischen Bedingungen angesehen (Quillian 1995, Kunovich 2001, Coenders 2001, Scheepers et al. 2002, Semyonov et al. 2006). Diese Studien orientieren sich theoretisch an dem in der American Sociological Review erschienenen Beitrag von Quillian (1995), der der These zum Einfluss der Größe der zugewanderten Minderheit für die Entstehung von Vorurteilen in wissenschaftlichen Analysen zu neuer Prominenz verholfen hat. Quillians These ist, dass die Mehrheitsangehörigen mit zunehmender Größe der Minderheit2 und bei schlechten makro-ökonomischen Bedin2 In den genannten Studien wird der Anteil der Ausländer (bzw. der Anteil der Nicht-EG/EUAusländer) als Indikator für die Größe der Minderheit verwandt. Der Ausländeranteil ist in international vergleichenden Analysen kein geeignetes Maß für die Größe der Minderheit: Ausländeranteile hängen wesentlich vom Staatsangehörigkeitsrecht ab, das bekanntermaßen selbst zwischen den europäischen Staaten deutlich variiert. Ein international besser ver-
Messinstrumente im internationalen Vergleich
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gungen ihre eigene Position in Gefahr sehen (Gruppenbedrohung) und mit Vorurteilen gegenüber Minderheitenangehörigen reagieren. Anders ausgedrückt: je höher die Zuwanderung und je schlechter die wirtschaftliche Lage in einem Staat, umso höher ist das Ausmaß der Vorurteile. Zur Begründung zieht Quillian zwei Hypothesen Hubert M. Blalocks (1967) zum Einfluss der Größe der Minderheit (competition und power-threat) auf Diskriminierung heran. Die theoretische Begründung des Zusammenhangs zwischen dem Ausländeranteil und dem Ausmaß fremdenfeindlicher Vorurteile in den europäischen Staaten ist nicht Gegenstand dieses Beitrages. Hingewiesen sei lediglich darauf, dass von allen genannten Autoren vernachlässigt wird, dass mit zunehmender Größe der Minderheit auch die Kontakte zwischen Minderheits- und Mehrheitsangehörigen zunehmen und die empirischen Evidenzen mehrheitlich dafür sprechen, dass Kontakte Vorurteile abbauen (Weins 2004, 46-50). Quillian gelangt zu dem beeindruckenden Ergebnis, dass 70% der Unterschiede zwischen Staaten durch den (Nicht-EG-)Ausländeranteil und die makro-ökonomische Lage der Staaten erklärt werden können (Quillian 1995, 603). Die These zunehmender Vorurteile mit der Größe der Minderheit und schlechten makro-ökonomischen Bedingungen wird von allen genannten Autoren (in modifizierter Form) mit Hilfe von Mehrebenenanalysen untersucht, d. h. es werden gleichzeitig Prädiktoren auf Ebene der Staaten und der individuellen Ebene berücksichtigt. Mit Ausnahme von Semyonov et al. (2006) wird nur ein Zeitpunkt betrachtet. Semyonov et al. (2006) vergleichen das Ausmaß der Vorurteile in den 12 EG-Staaten für vier verschiedene Zeitpunkte (1988, 1994, 1997 und 2000) mit Daten des Eurobarometers, d. h. die Vergleichsperspektive beinhaltet auch die Entwicklung des Ausmaßes der Vorurteile in den EG-Staaten über die Zeit (vgl. auch Wilkes, Guppy und Farris 2007). Weil die Skalenwerte von Befragten verschiedener Staaten direkt miteinander verglichen werden, bezeichnet van de Vijver (2003) diese Studien als niveauorientiert.3 In Abbildung 1 ist das durchschnittliche Ausmaß der Vorurteile in den 12 EGStaaten abgebildet, wie sie Semyonov et al. (2006) für das Jahr 2000 mit dem Eurobarometer auf Basis von vier Indikatoren ermittelt haben. Man sieht deutliche Unterschiede zwischen Staaten: In Griechenland und Belgien sind die Skalenwerte am höchsten, in Spanien und Luxemburg am geringsten. Diese Unterschiede zwischen Staaten werden von den Autoren als Unterschiede in der Ausprägung der Vorurteile interpretiert. Fortsetzung Fußnote 2 gleichbarer Indikator für die Größe der (zugewanderten) Minderheit wäre der nicht im (Befragungs-)Staat geborene Bevölkerungsanteil. 3 Niveauorientiert sind natürlich auch Studien, in denen Mittelwerte für Staaten zwar verglichen, nicht aber erklärt werden.
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Cornelia Weins
Quelle: Semyonov et al. (2006), 433/436,
(eigene Berechnung, ungewichtet)
Abbildung 1: Vorurteile gegenüber Immigranten
Erstaunlicherweise wird nicht untersucht, ob die beobachteten Unterschiede zwischen Staaten tatsächlich als Unterschiede in den Vorurteilen interpretiert werden können. Semyonov et al. (2006) demonstrieren lediglich die Eindimensionalität der für die Skalenbildung verwendeten Indikatoren über eine explorative Faktorenanalyse, in die alle Befragten eingehen. Es bleibt damit offen, ob die beobachteten Mittelwertunterschiede als Unterschiede in den Vorurteilen interpretiert werden können. Einerseits sind die statistischen Verfahren zur Prüfung der Bedeutung der Größe der Minderheit und der makro-ökonomischen Bedingungen für die Genese fremdenfeindlicher Vorurteile elaboriert (Mehrebenenanalysen). Andererseits wird nicht einmal ansatzweise geprüft, ob die Indikatoren in verschiedenen Staaten dasselbe messen und ob eine Invarianz der Messinstrumente etabliert werden kann. In den nächsten Abschnitten wird daher mit den Indikatoren von Semyonov et al. (2006) die Messinvarianz der Indikatoren in den untersuchten Staaten überprüft. Die Anforderungen an die Messinvarianz sind bei niveauorientierten Studien höher als bei strukturorientierten Studien, wo die Skalenwerte von Befragten unterschiedlicher Staaten nicht direkt miteinander verglichen werden. Beachtet werden muss, dass die im Eurobarometer verwendeten Indikatoren zur Messung von Vorurteilen dichotom sind und sehr hohe Anteile fehlender Werte aufweisen.
Messinstrumente im internationalen Vergleich
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Indikatoren zur Messung von Vorurteilen Semyonov et al. (2006) verwenden vier Indikatoren zur Messung von Vorurteilen. Die ersten drei Indikatoren entstammen einer Itembatterie. Hier wird erfasst, ob die Befragten der Ansicht sind, dass Angehörige rassischer, religiöser oder kultureller Minderheiten das Sozialsystem ausnutzen, die Unsicherheit oder Arbeitslosigkeit im eigenen Staat erhöhen. Auf diese Aussagen konnten die Befragten zustimmend, ablehnend oder mit „weiß nicht“ antworten. Als vierter Indikator wurde die Frage aufgenommen, ob es nach Ansicht der Befragten „nicht viele“, „viele, aber nicht zu viele“ oder „zu viele“ Angehörige religiöser, rassischer oder kultureller Minderheiten im eigenen Staat gibt.4 Auch hier stand den Befragten als Option die Kategorie „weiß nicht“ zur Verfügung. Aufgrund der schiefen Verteilung des letztgenannten Indikators wurde dieser dichotomisiert, wobei die Kategorien viele, aber nicht zu viele und nicht zu viele zusammengefasst wurden. Bei rassischen, religiösen und kulturellen Minderheiten kann es sich sowohl um primäre (angestammte) als auch um sekundäre (zugewanderte) Minderheiten handeln (Francis 1965). Dies impliziert, dass die Referenzgruppe von der Größe der angestammten bzw. zugewanderten Minderheit abhängt. Die Indikatoren beziehen sich daher nicht automatisch auf Zuwanderer, auch wenn dies in den Staaten, die nach dem zweiten Weltkrieg eine hohe Zuwanderung verzeichnet haben, vermutet werden kann (vgl. zu primären Minderheiten in Europa Pan und Pfeil 2000). An dieser Stelle kann nicht geprüft werden, inwieweit die in andere Sprachen übersetzten Items von der englischen Version abweichen. Übersetzungsprobleme oder -fehler können eine Ursache der Nicht-Vergleichbarkeit eines Instruments zwischen Staaten sein (vgl. für die Messung von Geschlechterrollen mit dem ISSP Braun 2006, 146 f.).
4 Die Frageformulierung ist nicht für alle vier Zeitpunkte, die Semyonov et al. (2006) betrachten, identisch (!). Die Autoren geben aber lediglich die Formulierungen für 1988 an (Semyonov et al. 2006, 446). Die wichtigsten Unterschiede sind die, dass 1988 die Zielgruppe „foreigners“ und nicht religiöse, rassische oder kulturelle Minderheiten als Zielgruppe genannt wurden, dass 1988 „exploit our social welfare system“ (nicht: abuse the system of social benefits) und „is a cause of crime and violence“ (nicht: is a cause of insecurity) vorgegeben wurden. Weil im vorliegenden Beitrag der Ländervergleich für das Jahr 2000 untersucht wird und nicht die Entwicklung der Vorurteile zwischen 1988 und 2000, wird auf Veränderungen in den Frageformulierungen und deren Konsequenzen für die Vergleichbarkeit des Messinstrumentes über die Zeit nicht eingegangen. Hingewiesen sei aber darauf, dass die Invarianz der Messinstrumente über die Zeit ebenfalls mit den in diesem Beitrag dargestellten Methoden überprüft werden kann.
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Cornelia Weins
Tabelle 1: Vorurteilsindikatoren (in Klammern: Kurzbezeichnung) For each of the following opinions, please tell me whether you tend to agree or tend to disagree? 1. People from these minority groups* abuse the system of social benefits (Sozialsystem) 2. The presence of people from these minority groups* is a cause of insecurity (Unsicherheit) 3. The presence of people from these minority groups* increases unemployment in (COUNTRY) (Arbeitslosigkeit) *race, religion and culture 4. Again, speaking generally about people from minority groups in terms of race, religion and culture, do you think there are not many, a lot but not too many, or too many of them living in (OUR COUNTRY) (Zahl) Eurobarometer 53.0, 2000
Bei diesen Itembatterien treten im Eurobarometer (nicht nur im Jahr 2000) sehr hohe Anteile fehlender Werte auf. In Tabelle 2 ist abgetragen, wie viel Prozent der Befragten in einem Staat5 keinen fehlenden Wert haben (Spalte 0), einen fehlenden Wert (Spalte 1) usw. Wie man sieht, variiert der Anteil fehlender Werte deutlich zwischen den einzelnen Staaten. In Belgien haben 20% der Befragten einen oder mehrere fehlende Werte, in Großbritannien sind es schon 40%. Die geringsten Anteile fehlender Werte treten bei der Frage zur Zahl der Immigranten auf. In Griechenland resultieren die fehlenden Werte vor allem aus der Nicht-Beantwortung der Aussage, Minderheiten nützten das Sozialsystem aus.
5 Nordirland wird wegen zu geringer Fallzahlen nicht untersucht. Weniger als 3% der über 15jährigen Bevölkerung des Vereinigten Königreichs (Grundgesamtheit des ISSP) haben im Jahr 2000 in Nordirland gelebt (INRA 2000).
Messinstrumente im internationalen Vergleich
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Tabelle 2: Anteile fehlender Werte
Belgien Dänemark Westdeutschland Griechenland Italien Spanien Frankreich Irland Luxemburg Niederlande Portugal Großbritannien
0 81 75 62 77 66 71 78 65 71 72 63 60
Zahl fehlender Werte* 1 2 3 11 5 2 18 4 2 21 10 5 17 4 2 21 9 4 17 7 4 13 6 1 19 9 5 18 7 4 18 7 2 21 9 6 23 10 5
4 1 0 1 0 1 1 1 2 1 1 2 3
Total 100 100 100 100 100 100 100 100 100 100 100 100
(N) (1063) (1000) (1015) (1004) (1000) (1000) (1002) (1000) (600) (975) (1000) (1070)
*Zeilenprozente
Das Standardverfahren zum Umgang mit fehlenden Werten besteht nach wie vor darin, alle Fälle mit mindestens einem fehlenden Wert aus der Analyse auszuschließen (listenweiser Fallausschluss).6 Der listenweise Fallausschluss ist allerdings nur dann gerechtfertigt, wenn die kompletten Fälle - hier also zwischen 60% (Großbritannien) und 80% (Belgien) der Befragten - eine einfache Zufallsstichprobe aus allen Fällen darstellen. Der Ausfallmechanismus ist dann komplett zufällig, d. h. missing completely at random (MCAR). Dies ist in der Regel eine unrealistische Annahme: Unterscheiden sich Befragte mit fehlenden Werten in ihrem Antwortverhalten von Befragten mit vollständigen Angaben, dann führt eine Analyse der kompletten Fälle zu verzerrten inhaltlichen Ergebnissen. Beispielsweise stimmen in Frankreich Personen mit unvollständigen Angaben in signifi6 Semyonov et al. (2006) versuchen der drastischen Reduktion der Fallzahlen entgegenzuwirken, indem sie den Index als Anteil der Zustimmungen an den gültigen Antworten berechnen. Diese in den Sozialwissenschaften häufig eingesetzte Methode der Behandlung fehlender Werte bei der Skalenbildung hat einige Nachteile: Es kann nicht angegeben werden, unter welchen Bedingungen diese Methode unverzerrte Ergebnisse liefert, die Varianz der Skala wird tendenziell überschätzt und die Skalenwerte verschiedener Personen beruhen auf unterschiedlichen Items (vgl. Schafer & Graham 2002, 157 f.). Bei vergleichenden Analysen entsteht eine zusätzliche Verzerrung dadurch, dass dieselben Items in Abhängigkeit von der Höhe des item-nonresponse in verschiedenen Staaten eine unterschiedliche Bedeutung für die Skalen haben.
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Cornelia Weins
kant geringerem Ausmaß den Vorurteilsindikatoren zu, für die Angaben vorhanden sind. Durch listenweisen Fallausschluss würde das Niveau der Vorurteile in Frankreich daher überschätzt. Ursächlich dafür ist, dass in Frankreich höher Gebildete eher Angaben verweigern und Vorurteile bei höher Gebildeten geringer ausgeprägt sind. Das Niveau der Vorurteile in Frankreich würde falsch eingeschätzt und dadurch Unterschiede im Niveau der Vorurteile zwischen Staaten, weil nicht in allen Staaten Befragte mit vollständigen Angaben (signifikant) stärker den Vorurteilsindikatoren zustimmen. Auch Aussagen über individuelle Determinanten fremdenfeindlicher Vorurteile werden durch item-nonreponse verzerrt, wenn die Struktur der Beziehungen zwischen Prädiktoren und Vorurteilsindikatoren bei Befragten mit und ohne fehlende Werte unterschiedlich ist. Mit steigendem Bildungsniveau sinkt die Zustimmung zu den Vorurteilsindikatoren beispielsweise bei französischen Befragten mit fehlenden Werten nicht so stark wie bei französischen Befragten mit kompletten Angaben. Listenweiser Fallausschluss führt demnach zu einer Überschätzung der Bedeutung des Bildungsniveaus für Vorurteile in Frankreich. Die Auswirkungen von item-nonresponse für die internationale Vergleichbarkeit von Messinstrumenten wurden m. W. bisher nicht ausreichend thematisiert (vgl. aber zu unit-nonresponse Couper und de Leeuw 2003). Ein listenweiser Ausschluss fehlender Werte ist zudem nicht sehr effizient, weil die beobachteten Informationen von Personen, für die (mindestens) eine Angabe fehlt, unberücksichtigt bleiben. Bei den Befragten, die lediglich eine Aussage nicht beantwortet haben (Spalte „1“ in Tabelle 2), liegen drei Informationen zu den Vorurteilsindikatoren vor, eine Angabe fehlt. Der listenweise Fallausschluss führt dazu, dass die drei vorhandenen Informationen unberücksichtigt bleiben („weggeworfen“ werden). Das heißt, selbst wenn der Ausfallmechanismus komplett zufällig sein sollte, werden die beobachteten Informationen nicht angemessen ausgeschöpft. In Großbritannien führt der listenweise Fallausschluss allein durch die Indikatoren zur Messung von Vorurteilen zu einer drastischen Reduktion der Stichprobengröße auf 637 Befragte. Differenzierte Analysen für Subgruppen werden erschwert und die Unsicherheit über die Parameter der Grundgesamtheit (Standardfehler) größer.
Mehrfache Ergänzung der fehlenden Werte Aus diesen Gründen ist es sinnvoll, alle beobachteten Werte für die Analyse zu nutzen. Dies geschieht hier, indem für jeden fehlenden Wert mehrere (multiple) „plausible“ Werte ergänzt (imputiert) werden (Little & Rubin 2002, einführend Allison 2002). Wichtig ist, dass es sich bei diesen „plausiblen“ Werten nicht um
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beliebig oder willkürlich (ad hoc) eingesetzte Werte handelt.7 Die Ergänzung der fehlenden Werte erfolgt vielmehr unter Ausnutzung aller beobachteten Informationen. Berücksichtigt werden bei der Imputation (Ergänzung) alle Variablen, die für die substanzwissenschaftliche Analyse von Interesse sind. Zudem kann die Qualität der ergänzten Werte verbessert werden, indem zusätzlich Variablen berücksichtigt werden, die einen engen Zusammenhang mit Variablen mit hohen Anteilen fehlender Werte aufweisen (vgl. zu Interviewermerkmalen z. B. Schräpler 2004). Zwei Punkte müssen beachtet werden, damit es sich um korrekte Imputationen nach Rubin handelt: erstens muss stochastisch imputiert werden und zweitens muss berücksichtigt werden, dass die der Imputation zugrundeliegenden Parameter stichprobenabhängig variieren. Diese beiden Punkte lassen sich am einfachsten an zwei normalverteilten Variablen X und Y veranschaulichen. X sei vollständig beobachtet und in Y treten fehlende Werte auf. Die Ergänzung der fehlenden Werte könnte so erfolgen, dass für die vollständigen Fälle (in Abbildung 2 (a) durch $ = a + b X geschätzt würdunkle Punkte dargestellt) eine Regressionsgleichung Υ de. Für die Fälle mit fehlenden Werten in Y könnte dann der Schätzwert der Re$ als Wert ergänzt werden, wie es in Abbildung 2 (a) durch die gressionsgeraden, Υ, hellen Punkte dargestellt ist. Bei einem solchen Vorgehen würde jedoch die Korrelation zwischen der vervollständigten Y-Variablen und der X-Variable überschätzt, weil alle ergänzten Werte exakt auf der Regressionsgeraden lägen. Um die Streuung um die Regressionsgerade zu reproduzieren, wird deshalb der konditio$ plus eine Zufallskomponente (ein zufällig gezogener Wert aus nale Mittelwert Υ der residualen Normalverteilung) ergänzt, vgl. Abbildung 2 (b). Unvollständige Fälle mit derselben Ausprägung in X erhalten dadurch unterschiedliche Werte für Y. Werden die Regressionsparameter a und b aus der Stichprobe geschätzt, wie gerade skizziert, so wird vernachlässigt, dass diese stichprobenabhängig von den Parametern der Grundgesamtheit - beispielhaft dargestellt durch die gestrichelte Linie in Abbildung 2 (c) - abweichen. Um die Unsicherheit über die Parameter der Grundgesamtheit (hier α und β) zu berücksichtigen, werden daher für jeden fehlenden Wert mehrere Werte ergänzt, und zwar jeweils auf Basis unterschiedlicher Werte für die Regressionsparameter a und b. Bei diesen handelt es sich um Zufallsziehungen aus ihren a-posteriori-Verteilungen. Die für einen fehlenden Wert ergänzten Werte unterscheiden sich daher aufgrund der Zufallskomponente und der 7 Eine ad hoc-Methode wäre beispielsweise die Ersetzung eines fehlenden Wertes durch den arithmetischen Mittelwert des betreffenden Indikators. Die Ersetzung durch den Mittelwert führt zu verzerrten Varianzen, Kovarianzen und Korrelationen und ist daher als Ersetzungsmethode ungeeignet. Vgl. einführend in verschiedene Methoden der Behandlung fehlender Werte sowie deren Vor- und Nachteile Schafer und Graham (2002).
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Variation in den zugrundeliegenden Regressionsparametern. In der Regel werden zwischen 5 und 10 Werte für jeden fehlenden Wert imputiert (Little und Rubin 2002, 87).
Abbildung 2: Imputation fehlender Werte
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Weil mehrere Werte ergänzt werden, liegen auch mehrere vervollständigte Datensätze vor, bei 5 ergänzten Werten 5 vervollständigte Datensätze. Diese Datensätze müssen zunächst getrennt analysiert werden. Anschließend können die Ergebnisse nach einfachen Regeln (Little und Rubin 2002, 86 f.) zu einer gemeinsamen Schätzung integriert werden. Die Unterschiede in den Analyseergebnissen der vervollständigten Datensätze werden dabei zur Korrektur der Standardfehler in den Einzelanalysen genutzt.8 Im Gegensatz zum listenweisen Fallausschluss wird mit einer multiplen Imputation die durch die beobachteten Daten erklärbare Verzerrung durch fehlende Werte beseitigt. Der Datenausfall muss daher nicht komplett zufällig sein. Eine multiple Imputation führt zu korrekten Schätzungen auch dann, wenn die Ausfälle von beobachteten (d. h. im Imputationsmodell enthaltenen) Werten abhängen, also beispielsweise Befragte mit höherer Schulbildung eher die Angabe zu den Vorurteilsindikatoren verweigern, wie für Frankreich beobachtet wurde (missing at random, MAR).9 Und zwar deshalb, weil die Information zur Schulbildung zur Schätzung der plausiblen Werte genutzt wird. Eine multiple Imputation setzt aber voraus, dass der Datenausfall nicht von den fehlenden Werten selbst abhängt (not missing at random, NMAR)10, was in der Regel schwierig zu begründen ist. In jedem Fall ist eine multiple Imputation wegen der geringeren Anforderungen an den Datenausfall und der besseren Nutzung der vorhandenen Informationen dem listenweisen Fallausschluss vorzuziehen. Bei einer komparativen Analyse muss die Imputation getrennt für jede Gruppe (Staat) erfolgen, um die Struktur der Beziehungen zwischen den Variablen innerhalb der einzelnen Staaten zu berücksichtigen. Ins Imputationsmodell wurden die Vorurteilsindikatoren aufgenommen und zusätzlich alle Prädiktoren die Semyo-
8 Die in den Einzelanalysen geschätzten Standardfehler unterschätzen den tatsächlichen Standardfehler, weil imputierte Werte wie beobachtete Werte behandelt werden und dadurch die Stichprobengröße überschätzt wird. 9 Eine multiple Imputation setzt genau genommen einen ignorierbaren Ausfallmechanismus voraus. Der Ausfallmechanismus ist ignorierbar, wenn der Datenausfall MAR ist und sich die Parameter des den Datenausfall erzeugenden Prozesses und der kompletten Daten nicht gegenseitig beeinflussen. MAR ist die wichtigere der beiden Bedingungen (Little und Rubin 2002, 119), weshalb die Anforderung häufig auf MAR reduziert wird. 10 Das klassische Beispiel für einen nicht-zufälligen Ausfallmechanismus sind Einkommen von Frauen. Das Arbeitsangebot von Frauen hängt von der Höhe des (erwarteten) Einkommens selbst ab. Fehlende Einkommensangaben für nicht-erwerbstätige Frauen sind daher not missing at random. Hier muss der Ausfallmechanismus direkt modelliert werden, wie es klassischerweise durch Heckmans Selektionsmodell geschieht (Engelhardt 1999).
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nov et al. (2006) auf der individuellen Ebene berücksichtigt haben.11 Die Imputation wurde mit Stata 10 durchgeführt (Royston 2005, 2004). Für jeden fehlenden Wert werden fünf Werte ergänzt, d. h. es liegen (12x)5 vervollständigte Datensätze vor. Dargestellt werden im Folgenden die Ergebnisse über alle imputierten Datensätze. Tabelle 3 enthält die Zustimmung zu den Vorurteilsindikatoren auf Basis der imputierten Datensätze. Tabelle 3: Zustimmung zu den Vorurteilsindikatoren (imputiert)
Belgien Dänemark Westdeutschland Griechenland Italien Spanien Frankreich Irland Luxemburg Niederlande Portugal Großbritannien Χagg
Sozialsystem 71 59 64 59 49 43 70 69 51 58 65 68 60
Unsicherheit 61 65 54 80 47 36 54 47 43 51 54 58 60
Arbeitslosigkeit 71 53 66 88 51 45 58 53 53 56 68 39 52
Zahl (zu viele) 56 35 47 58 45 23 43 36 26 42 38 47 41
N 1063 1000 1015 1004 1000 1000 1002 1000 600 975 1000 1070
Gemeinsame Schätzung über die 5 vervollständigten Datensätze. N=Fallzahl pro Datensatz, Χagg = arithmetisches Mittel über die Anteile der Staaten
Man sieht, dass die Zustimmung zu den Indikatoren deutlich zwischen Staaten und zwischen Indikatoren für einzelne Staaten variiert. Die für vergleichende Analysen zentrale Frage ist nun, ob und auf welchem Niveau die vier dichotomen Indikatoren in den verschiedenen Staaten dasselbe messen. Die Prüfung der Messinvarianz erfolgt mit multiplen Gruppenvergleichen konfirmatorischer Faktorenanalysen (vgl. Bollen 1989, Reinecke 2005).12
11 Das sind Schulbildung (Alter bei Beendigung der Ausbildung), Geschlecht, Alter (in Jahren), Ehestatus (verheiratet=1), Links-Rechts-Selbsteinstufung, Einkommen (im niedrigsten Quartil=1), arbeitslos (vgl. zur Kodierung Semyonov et al. 2006, 446). 12 In den vergangenen Jahren wurden auch latente Klassenanalysen (z. B. Eid et al. 2003) und multiple Korrespondenzanalysen eingesetzt (Blasius und Nießen 2006).
Messinstrumente im internationalen Vergleich
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Multiple Gruppenvergleiche konfirmatorischer Faktorenmodelle Faktorenanalysen werden bei metrischen Indikatoren auf Basis von Kovarianzoder Korrelationsmatrizen (Pearsons r) berechnet. Bei dichotomen Indikatoren ist dies nicht möglich, weil kein Intervallskalenniveau unterstellt werden kann. Ausgangspunkt der faktorenanalytischen Prüfung sind hier tetrachorische Korrelationen (Olsson 1979). Die Berechnung tetrachorischer Korrelationen beruht auf der Annahme, dass es sich bei den beobachteten, dichotomen Merkmalen X um grobe Messung eigentlich kontinuierlicher Eigenschaften X* handelt, also um künstliche Dichotomien. Tetrachorische Korrelationen geben die Korrelationen zwischen den zugrundeliegenden, kontinuierlichen Variablen X* an, nicht die zwischen den beobachteten Indikatoren. Eine dichotome Variable X nimmt den Wert eins an (hier: ein Befragter stimmt der Aussage zu bzw. gibt beim Indikator Zahl „zu viele“ an), wenn auf der zugrundeliegenden Variablen X* ein bestimmter Schwellenwert ν überschritten wird. In einem konfirmatorischen Faktorenmodell wird das Messmodell, das die Beziehungen zwischen Indikatoren und Faktoren beinhaltet, vorgegeben. Anhand verschiedener Statistiken (wie χ2, RMSEA, vgl. Reinecke 2005) lässt sich dann beurteilen, ob das theoretisch postulierte Modell angemessen ist oder nicht. Im vorliegenden Beispiel muss ein einfaktorielles Modell vorgegeben werden, weil alle vier Indikatoren ein einziges latentes Konstrukt - nämlich Vorurteile - messen sollen. Bei multiplen Gruppenvergleichen werden die konfirmatorischen Faktorenanalysen gleichzeitig für mehrere Gruppen – hier 12 Staaten – berechnet. Multiple Gruppenvergleiche erlauben die Prüfung der Messinvarianz der Indikatoren, weil Parameter (z. B. Faktorenladungen) über die verschiedenen Gruppen gleichgesetzt werden können. Multiple Gruppenvergleiche erlauben die Schätzung von Unterschieden zwischen Gruppen auf der latenten Ebene, d. h. hier im Ausmaß der Vorurteile zwischen Staaten13. Inhaltlich sinnvoll interpretierbar sind solche Unterschiede aber nur unter bestimmten Voraussetzungen.
Messinvarianz der Indikatoren Hängt die Wahrscheinlichkeit der Zustimmung bzw. Ablehnung der vier Indikatoren ausschließlich von den Vorurteilen der befragten Personen ab, nicht jedoch von ihrer Gruppenzugehörigkeit, dann können Unterschiede in der Beantwortung der Indikatoren zwischen Befragten verschiedener Staaten als Unterschiede in den 13 Aus Gründen der Modellidentifikation wird der latente Mittelwert einer Referenzgruppe dabei auf Null fixiert, d. h. die geschätzten Parameter geben die Abweichungen von der Referenzgruppe an.
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Vorurteilen interpretiert werden. Formal lässt sich dies als konditionale Wahrscheinlichkeit einer bestimmten Ausprägung x eines Indikators X, gegeben den Faktorwert ξ14, darstellen (j bezeichnet den Laufindex über die Variablen, i den Laufindex über die Personen und k den Laufindex über die Gruppen). Die konditionale Wahrscheinlichkeit ist dann unabhängig von der Gruppenzugehörigkeit k einer Person i, sie hängt ausschließlich vom Faktorwert ab (vgl. im Folgenden Millsap & Yun-Tein 2004, 483 ff.). Pk ( X ijk = x ξ ik ) = P( X ijk = x ξ ik ) Wann liegt Messinvarianz auf diesem Niveau vor? Weil sich das Faktorenmodell bei kategorialen Indikatoren auf die zugrundeliegenden Variablen Xijk* bezieht15, Messinvarianz aber für die beobachteten Indikatoren Xijk definiert ist, müssen die Schwellenwerte für die Indikatoren über alle Gruppen gleich sein: v jk = v j . Damit die Indikatoren in allen Staaten dasselbe messen, müssen die Faktorladungen (die sich hier auf die zugrundeliegenden Variablen beziehen) über alle Gruppen identisch sein: λ jk = λ j . Dies beinhaltet die Forderung einer gleichen Faktorenstruktur. Im Beispiel müssten demnach die vier Indikatoren in allen Staaten eindimensional messen. Sind die Faktorladungen nicht identisch, dann erfassen die (zugrundeliegenden) Variablen nicht in allen Staaten in gleicher Weise die Zieldimension (Vorurteile). Die Validität unterscheidet sich dann nach Staaten. Zudem müssen die Konstanten des Messmodells (Fußnote 15) identisch sein: τ jk = τ j . Bei nicht- identischen Konstanten des Messmodells wäre die von den Vorurteilen unabhängige Ausprägung auf Xijk* für die Staaten verschieden, weshalb Differenzen in den Xijk*-Werten nicht als Unterschiede in den Vorurteilen interpretiert werden dürften. Schließlich wird gefordert, dass die Residualvarianzen (Messfehler) der Indikatoren über alle Gruppen gleich sind: δ jk = δ j . Gleiche Reliabilitäten werden aber in der Literatur nicht einheitlich als notwendige Voraussetzung für den Vergleich von Mittelwerten auf der latenten Ebene angesehen. Um eine inhaltliche Interpretation von Unterschieden auf der Gruppenebene vornehmen zu können, ist es nicht notwendig, dass die Varianzen des Faktors in den Gruppen (bei mehreren Faktoren auch die Kovarianzen zwischen den Faktoren) identisch sind. Zur Schätzung wird Mplus verwandt (Muthén und Muthén 2006). Mplus bietet sich an, weil direkt die gemeinsamen Schätzwerte über die imputierten Datensätze
14 Bzw. bei einem mehrfaktoriellen Modell: der gemeinsamen Faktorwerte. 15 Im kongenerischen Fall: Xijk* = τ jk + λ jk ξ jk + uijk .
Messinstrumente im internationalen Vergleich
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berechnet werden. Zur Modellidentifikation werden in Mplus die Konstanten der Messgleichung auf null fixiert, d. h. diese können nicht frei geschätzt werden. In welcher Reihenfolge die Restriktionen getestet werden, hängt von der Fragestellung ab (vgl. Reinecke 2005). Als Ausgangsmodell wird ein Basismodell gewählt, in dem Faktorladungen und Schwellenwerte über alle Gruppen frei variieren können.16 Mit diesem Basismodell wird damit geprüft, ob die unterstellte Faktorenstruktur (hier: Eindimensionalität) gerechtfertigt werden kann. Dieses Modell ist nur dann identifiziert, wenn die Residualvarianzen der Indikatoren auf eins und die Mittelwerte des Faktors auf null fixiert werden.17 In einem zweiten Schritt wird ein Modell geschätzt, in dem Schwellenwerte und Faktorladungen über alle Gruppen restringiert sind. Schwellenwerte und Faktorladungen werden in einem Schritt über die Gruppen gleichgesetzt, weil die Itemcharakteristik der dichotomen Indikatoren von Schwellenwerten und Faktorladungen gleichzeitig beeinflusst wird (Muthén und Muthén 2006, 345). Sofern dieses Modell angemessen ist, können in einem weiteren Schritt zusätzlich die Residualvarianzen fixiert werden. Damit unterscheidet sich die Reihenfolge der eingeführten Restriktionen von einem metrischen Messmodell. Die Modellqualität wird anhand des Comparative Fit Index und des RMSEA beurteilt. (Robuste) χ2-Differenzentests zwischen hierarchisch geschachtelten Modellen sind nicht über alle imputierten Datensätze möglich, weshalb diese nicht zum Modellvergleich herangezogen werden können. Führt man Gruppenvergleiche über mehr als zwei Gruppen durch, dann ist es nicht sinnvoll, eine Restriktion (hier gleiche Faktorladungen und Schwellenwerte) direkt über alle Gruppen aufzugeben. Sofern das Modell mit restringierten Faktorladungen und Schwellenwerten keine gute Modellanpassung aufweist, werden daher Faktorladungen und Schwellenwerte für einzelne Länder freigesetzt. Als Hinweis für eine schlechte Modellanpassung in einzelnen Ländern dienen deren χ2-Beiträge.18
16 Als Schätzverfahren wurde WLSMV verwandt (Muthén und Muthén 2006, 426). 17 In einem Modell mit dichotomen Indikatoren lassen sich Schwellenwerte, Faktorladungen und Residualvarianzen nicht gleichzeitig frei schätzen, weil das Modell dann nicht identifiziert ist (vgl. dazu detailliert Millsap und Yun-Tein 2004, 507 f.). Zur Modellidentifikation bei dichotomen Indikatoren wurde alternativ zum hier gewählten Vorgehen vorgeschlagen, die Schwellenwerte über die Gruppen gleich zu setzen und die Residualvarianzen der Variablen, die zur Skalierung der latenten Variablen dienen, auf eins zu fixieren (vgl. Millsap und Yun-Tein 2004, 508). 18 Diese - und die Modifikationsindizes - erhält man nur in getrennten Analysen der einzelnen imputierten Datensätze.
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Ergebnisse Die Ergebnisse des Modellvergleichs finden sich in Tabelle 4. Das Basismodell, das lediglich die Struktur der Faktoren (Eindimensionalität) vorgibt, weist eine gute Modellanpassung auf. Das Modell mit gleichen Schwellenwerten und Faktorenladungen erzielt nach den Kriterien von Browne und Cudeck (1993) jedoch keine akzeptable Modellanpassung. Ursächlich dafür ist vor allem eine schlechte Modellanpassung in Großbritannien, Dänemark, Griechenland, Irland und Frankreich. Die Freisetzung von Faktorladungen und Schwellenwerten für einzelne Indikatoren dieser vier Staaten führt zu einer deutlichen Verbesserung der Modellanpassung, die mit einem RMSEA von .05 als gut eingestuft werden kann. Trotz der freigesetzten Parameter ist die Modellanpassung für Großbritannien jedoch deutlich schlechter als in den anderen Staaten.19 Tabelle 4: Messinvarianz der Vorurteilsindikatoren Arbeitslos. Sozialsys. Unsicher. Basismodell ν, λ frei Modell 1: vollständige Invarianz ν, λ invariant Modell 2: partielle Invarianz ν und λ partiell frei für: Großbritannien Dänemark Griechenland Irland Frankreich
frei frei
Zahl
CFI
RMSEA
.997
.043
.962
.108
.992
.050
frei
frei frei frei
Gemeinsame Schätzung über die 5 vervollständigten Datensätze.
In der Analyse von Semyonov et al. (2006) werden damit Unterschiede im Ausmaß von Vorurteilen zwischen Staaten modelliert, die in Großbritannien, Griechenland, Irland und Frankreich (auch) das Resultat einer fehlenden Invarianz der Indikatoren sein können. Anders ausgedrückt: Unterschiede in der Zustimmung 19 Ohne Großbritannien nimmt der RMSEA für Modell 2 den Wert .040 und der CFI den Wert .995 an.
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bzw. Ablehnung der Indikatoren zwischen den untersuchten Staaten spiegelt für diese Staaten nicht ausschließlich Unterschiede in den Vorurteilen wider. Problematisch ist vor allem der Indikator „Sozialsystem“. Ohne diesen Indikator kann für zehn der zwölf Staaten (alle außer Großbritannien und Dänemark) von einer Messinvarianz ausgegangen werden, die eine inhaltliche Interpretation von Unterschieden auf der latenten Ebene ermöglicht. Für diese zehn Staaten wurde Modell 2 mit den Indikatoren Arbeitslosigkeit, Unsicherheit und Zahl geschätzt. Dieses Modell erzielt einen RMSEA von .042 und einen CFI von .995.20 Die Mittelwerte in den Vorurteilen für die einzelnen Staaten lassen sich aus Gründen der Modellidentifikation nur als Abweichung von einer Referenzgruppe bestimmen. Für die Referenzgruppe - hier Belgien - wird der latente Mittelwert auf null fixiert. Wie man sieht, sind die Vorurteile in Griechenland, Belgien und Westdeutschland am höchsten und in Italien, Luxemburg und Spanien am niedrigsten ausgeprägt. Angegeben sind auch die 95%igen Konfidenzintervalle: die Vorurteile unterscheiden sich in einer ganzen Reihe von Staaten nicht signifikant. Signifikant höher als in fast allen anderen Staaten fallen die Vorurteile in Griechenland aus. 0,4 0,2 0 S
Lux
Ita
Irl
NL
F
Por
D (W )
B
G
-0,2 -0,4 -0,6 -0,8 -1 -1,2
Gemeinsame Schätzung über die 5 vervollständigten Datensätze. RMSEA .042, CFI .995 Abbildung 3: Mittelwertdifferenzen (und 95%ige Konfidenzintervalle) in den Vorurteilen
20 Schwellenwerte: Arbeitslosigkeit -.90, Unsicherheit -.57 und Zahl -.22; Faktorladungen: Arbeitslosigkeit 1 (zur Skalierung des Faktors fixiert), Unsicherheit .944 und Zahl .983. Schwellenwerte und Faktorladungen sind signifikant.
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Vergleicht man die Ergebnisse mit denen von Semyonov et al. (2006), siehe Abbildung 1, dann fällt vor allem die unterschiedliche Position der französischen und irischen Befragten auf. Deren Vorurteile werden durch Verwendung des Indikators Sozialsystem bei Semyonov et al. (2006) überschätzt. Französische und irische Befragte stimmen dem Indikator Sozialsystem bei gleichen Einstellungen eher zu als Befragte anderer Staaten, weshalb die Zustimmung zu diesem Indikator nicht in gleichem Maße wie in anderen Staaten Vorurteile widerspiegelt. In den meisten Studien erfolgt die Skalenbildung auf Basis der manifesten Indikatoren. Im Hinblick auf die drei Vorurteilsindikatoren würde eine Summenskala die Zahl der Zustimmungen zu diesen Indikatoren angeben, die von null – Zustimmung zu keinem der drei Items – bis drei – Zustimmung zu allen drei Items – reicht (Abbildung 4). Zu erkennen sind deutliche Unterschiede in der Verteilung der Vorurteile. Die französischen Befragten sind hinsichtlich ihrer Vorurteile in zwei polarisierende „Lager“ gespalten, nämlich in Befragte, die entweder alle Aussagen ablehnen oder allen Aussagen zustimmen. Bemerkenswert ist zudem, dass nahezu die Hälfte aller griechischen und mehr als 40% der belgischen Befragten allen drei Aussagen zustimmen, wobei die Anteile der griechischen Befragten ohne/mit geringen Vorurteilen vernachlässigt werden können. In Spanien ist das Bild genau umgekehrt: ca. 40% der Befragten stimmen hier keiner der Aussagen zu. W est-Dtl.
Griechenland
Italien
Spanien
F rankreich
Irland
Luxe mbur g
N iederlande
Portugal
10 20 30 40 50
10 20 30 40 50
Belgien
1
2
3
0
1
2
3
10 20 30 40 50
0
0
1
2
3
0
1
2
3
Gemeinsame Schätzung über die 5 vervollständigten Datensätze Abbildung 4: Skala fremdenfeindlicher Vorurteile (Zahl zustimmender Angaben in Prozent)
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Ca. 9% der Unterschiede in den Vorurteilen (ρ=0,09, s.e.=0,04) entfallen auf Unterschiede zwischen Befragten verschiedener Staaten, 91% auf Unterschiede zwischen Befragten innerhalb von Staaten. Die Unterschiede zwischen Staaten sind auf dem 5%-Niveau statistisch signifikant. Der Anteil der Varianz, der auf die Staaten entfällt, resultiert dabei wesentlich aus den Unterschieden im Niveau der Vorurteile zwischen Griechenland und den restlichen Staaten (ohne Griechenland: ρ=0,05, s.e.=0,02).
Konsequenzen für die vergleichende Forschung In der komparativen Vorurteilsforschung werden Unterschiede im Ausmaß von Vorurteilen zwischen Staaten analysiert und durch eine Reihe von Prädiktoren auf Ebene der Staaten (wie die Höhe der Zuwanderung) zu erklären versucht. Eine inhaltliche Interpretation von Unterschieden in den Skalenwerten von Befragten verschiedener Staaten ist jedoch nur möglich, wenn die zur Bildung der Vorurteilsskalen verwandten Indikatoren in allen Staaten „dasselbe“ messen. Um so erstaunlicher ist es, dass die Überprüfung der Messinvarianz in komparativen Analysen von Vorurteilen kaum eine Rolle spielt. Dabei stehen etablierte Methoden wie multiple Gruppenvergleiche konfirmatorischer Faktorenanalysen zur Überprüfung der Messinvarianz in verschiedenen Gruppen zur Verfügung, die in einer Reihe von Programmen (LISREL, Amos, EQS, Mplus) implementiert sind. Eine inhaltliche Interpretation von Unterschieden zwischen Gruppen auf der latenten Ebene als Unterschiede im Ausmaß der Vorurteile ist bei dichotomen oder ordinalen Indikatoren möglich, wenn die Parameter des Faktorenmodells und die Schwellenwerte für die verglichenen Staaten identisch sind. Für die von Semyonov et al. (2006) verwandten vier Indikatoren zur Messung von Vorurteilen kann auf diesem Niveau in sieben der zwölf Staaten Messinvarianz festgestellt werden. Die Zahl der Staaten, für die Vergleiche im Ausmaß der Vorurteile mit diesen vier Indikatoren möglich sind, ist daher begrenzt. Eine alternative Strategie besteht darin, Indikatoren auszuschließen, die nicht in allen Staaten dasselbe messen, um den Vergleich von Vorurteilen in einer größeren Zahl von Staaten zu ermöglichen. Mehrebenenanalysen, die zur Überprüfung der skizzierten Thesen zur Erklärung von Unterschieden im Ausmaß von Vorurteilen zwischen Staaten verwandt werden, setzen (deutlich) mehr als zehn Staaten voraus (Snijders und Bosker 1999, 140, 154). Die Überprüfung der Messinvarianz der Indikatoren hat in der vorliegenden Analyse dazu geführt, dass die (onehin knappe) Zahl der Einheiten auf Ebene 2 (Staaten) nicht mehr zur Anwendung mehrebenenanalytischer Verfahren ausreicht.
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Berücksichtigt werden muss allerdings, dass nur ein geringerer Teil der Unterschiede in den Vorurteilen von Befragten auf Gruppenunterschiede zurückzuführen sind. In der vorliegenden Analyse waren es knapp 9%, in anderen Studien variiert der Anteil der Varianz auf der Ebene der Staaten zwischen 5 und 15% (Weins 2004, 34). Die Unterschiede zwischen Befragten innerhalb von Staaten sind damit deutlich größer (zwischen 85 und 95 Prozent) als die Unterschiede zwischen Befragten verschiedener Staaten. Das heißt natürlich nicht, dass auf eine mehrebenenanalytische Modellierung nur aufgrund geringerer Varianzanteile auf Ebene der Staaten verzichtet werden sollte. Ausschlaggebend sollten hier theoretische Argumente sein. Die Bedeutung der Merkmale auf Ebene der Staaten für die Entstehung von Vorurteilen relativiert sich jedoch erheblich. Eingangs wurden die Ergebnisse von Quillian (1995) berichtet, wonach ein erheblicher Teil der Unterschiede im Ausmaß von Vorurteilen zwischen Staaten (ca. 70%) durch die Größe der Minderheit und die makro-ökonomische Lage erklärt werden. Weil Gruppenunterschiede in seiner Analyse ca. 10% der Unterschiede in den Vorurteilen ausmachen,21 erklären die Kontextmerkmale damit ca. 7% (nämlich 70% von 10%) der Gesamtvarianz in den Vorurteilen. In komparativen Analysen sollte die theoretische Fundierung und Überprüfung des Einflusses individueller Merkmale daher nicht vernachlässigt werden. Full-score comparability, definiert als Abwesenheit jeglicher Verzerrung, die den Vergleich von Skalenwerten Befragter verschiedener Gruppen beeinträchtigen könnte (Van de Vijver 2003), ist nicht direkt nachweisbar und kann nur durch den Ausschluss möglicher Fehlerquellen angestrebt werden. In diesem Beitrag wurden Beeinträchtigungen in der internationalen Vergleichbarkeit von Messinstrumenten aufgrund von Ausfällen (item-nonresponse) thematisiert und durch die mehrfache Ergänzung fehlender Werte eingegrenzt. Das hier eingesetzte Instrumentarium ist flexibel genug, um weitere Fehlerquellen, die den internationalen Vergleich von Vorurteilen beeinträchtigen könnten (z. B. Aquieszenz, soziale Erwünschtheit) direkt zu kontrollieren, indem Instrumente zur Messung solcher Fehlerquellen als unabhängige (latente oder manifeste) Variablen modelliert werden (vgl. z. B. Billiet 2003). Die Grenzen einer solchen Kontrolle werden bei sekundäranalytischen Auswertungen durch die Datenlage (z. B. Skalen zur Messung sozialer Erwünschtheit) vorgegeben.
21 Quillian hat in seinem Beitrag die Varianzanteile auf Ebene der Staaten und der Individuen nicht veröffentlicht, sendet diese aber auf Nachfrage zu.
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Internationale Indikatoren der Schulwirksamkeit, angewandt auf Entwicklungsländer Das Beispiel Honduras zeigt die Probleme Volker Müller-Benedict
1
Anlass und Fragestellungen
In diesem Beitrag geht es darum, eine indikatorengesteuerte entwicklungspolitische Maßnahme, die sog. EFA-Fast Track Initiative, mit der Alltagswirklichkeit in einem Entwicklungsland, und zwar Honduras, zu kontrastieren. EFA – Education For All – ist eine Initiative der UNESCO, die 1990 begonnen und 2000 als Milleniumsziel fortgesetzt wurde (UNESCO 2005). Ziel der EFA ist die Verwirklichung von Primarschulbildung für alle Kinder der Erde bis zum Jahr 2015. Im Jahr 2002 wurde mit Unterstützung der Weltbank wegen nur schleppendem Vorankommens zusätzlich eine sog. FTI – Fast Track Initiative eingerichtet, in der ärmeren Ländern mit Schwierigkeiten bei der Verwirklichung von EFA unter Auflagen größere finanzielle Unterstützung gewährt wird. Honduras bewarb sich und wird seit 2003 in der EFA-FTI gefördert. Seitdem hat die EFA-Fast Track Initiative einen großen Einfluss auf die honduranische Bildungspolitik. Als Initiative der UN und der Weltbank hat die EFA-FTI rein normative politische Zielsetzungen. Deshalb sind die wichtigsten Indikatoren für die Zielereichung solche, die die Durchsetzung der Primarschulbildung messen, u. a. die Einschulungsquote und Abrecher- bzw. Wiederholerquoten. Im Jahr 2005 stellten Experten fest, dass sich die Einschulungsquote in den Schulen Honduras verbessert hatte, aber auf Kosten der Qualität der Schulbildung (FEREMA y PREAL 2005). Das bildete den Ausgangspunkt für eine Untersuchung (Richter 2007), deren Ergebnisse weiter unten dargestellt werden. Die Ausgangshypothese war, dass die Maßnahmen und Indikatoren der EFA-FTI dann unwirksam bzw. nicht ausreichend sind, wenn sie an der Alltagswirklichkeit des Landes vorbeigehen. Dahinter steht also die Frage nach der Validität der Indikatoren. Daraus ergaben sich folgende Fragestellungen: § Was ist Schulqualität und wie wird sie gemessen, theoretisch und nach EFAMaßstäben? § Was ist Schulqualität im honduranischen Alltag und welche Indikatoren erfassen sie?
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Volker Müller-Benedict
Im ersten Teil dieses Beitrags wird es um die erste Frage gehen: auf der Basis welcher Theorien und mit welchen empirischen Indikatoren wird international Schulqualität gemessen? Auf diesen Grundlagen beruhen die Indikatoren und die Maßnahmen, die EFA-FTI für die Entwicklungsländer empfiehlt. Im zweiten Teil wird mit den Ergebnissen der Untersuchung die zweite Frage beantwortet und zusammenfassend die Ausgangshypothese beurteilt werden können.
2
Definitionen von Schulqualität
Es gibt verschiedene Definitionen von Qualität im Bildungssystem (Kuper 2002). In der Theorie sozialer Systeme regelt Qualität als systemübergreifendes Merkmal den Leistungsaustausch zwischen sozialen Subsystemen, z.B. zwischen verschiedenen Schulen, Familien und Schulen, Schulen und Hochschulen etc. Aus dieser Theorie folgt, dass man für die Qualitätsdefinition generell drei verschiedene Ebenen für soziale Systeme (Luhmann 1997:812ff.) unterscheiden sollte: Gesellschaft, Organisation und Interaktion. Die erste Ebene wird oft unter bildungssoziologischen, die zweite und dritte unter schulpädagogischen Fragestellungen erforscht. Zusätzlich gibt es politische Definitionen, die durch die Vorgabe von normativen Kriterien geprägt sind. 2.1
Qualität auf der gesellschaftlichen Ebene
Auf der gesellschaftlichen Ebene geht es um die Qualität des Schulsystems insgesamt. Sie wird gemessen durch den Vergleich von Schulsystemgesamtleistungen (large-scale assessment), also den Output eines Schulsystems, z.B. mit internationalen Indikatoren der intellektuellen Grundfertigkeiten wie in den PISA-, TIMMS- u.a. Studien oder durch Vergleich der Abiturienten- oder Hochschulabgängerquoten. Um die Qualität in ihrer Funktion als Regulator des Leistungsaustauschs zwischen Systemen zu bewerten, muss beachtet werden, dass das Bildungssystem mit seinem Output, insbesondere den Abgängern, mindestens drei andere Systeme zu bedienen hat, für die ganz unterschiedliche Qualitätsmerkmale interessant sind: das soziale System, in der soziale Verhaltensweisen, das Wirtschaftssystem, in dem handwerkliche und intellektuelle skills, und das familiäre System, in dem die Fähigkeit zur individuellen Selbstverantwortung und –verwirklichung wichtig sind. Die Qualität wird hier vor allem durch die Systemstruktur und die nationale Schulpolitik bestimmt. Weil keine geschlossene Theorie existiert, wie innerhalb eines Bildungssystems Input in Output transformiert wird, werfen Vergleich von Output-Indikatoren Fragen auf, die nicht beantwortet werden können. Wenn z.B.,
Internationale Indikatoren der Schulwirksamkeit, angewandt auf Entwicklungsländer
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wie in den PISA-Untersuchungen 2000 und 2006, festgestellt wird, dass in Deutschland die sozialen Unterschiede der Schüler bzgl. der Leistung vom Eintritt ins System (Input) bis zu ihrem Abgang (Output) weitgehend erhalten bleiben, das Bildungssystem also wenig kompensatorisch wirkt, bleibt die Frage schwer beantwortbar, auf welche Ursachen das zurückführbar ist (Müller-Benedict 2007). 2.2
Qualität auf der Ebene von Organisation und Interaktion
Auf der Ebene von Organisationen geht es um den Vergleich der Qualität von einzelnen Schulen bzw. Bildungsinstitutionen. Bewertet werden ihre Leistungen, d.h. ihre Abgänger für andere Organisationen, z.B. in andere Schulen, in die weiterführenden Bildungseinrichtungen, in Firmen. Die Qualität wird deshalb auch hier durch Indikatoren des Outputs gemessen: die Notendurchschnitte, die Quoten der Wiederholer, der Erfolg beim Verbleib im Arbeitsmarkt. Die Qualität auf dieser Ebene wird vor allem durch die Merkmale einer Schule beeinflusst, z.B. ob es eine öffentliche oder private, eine in der Stadt oder auf dem Land oder in einem sozial problematischen Einzugsbereich gelegene Schule ist und wie sie ausgestattet ist und geführt wird. Untersuchungen zur Schulqualität, die seit den 80er Jahren unter dem Begriff „school effectiveness research“ (Teddlie/Reynolds 2000) firmieren und große Resonanz erfahren, haben jedoch herausgefunden, dass Schulen, die viele Merkmale gemeinsam haben, trotzdem recht unterschiedliche Output-Qualität aufweisen können und dass gute Leistungen unter recht unterschiedlichen Bedingungen erreicht werden können. Die Merkmale einer „guten Schule“ sind kein Garant für gute Resultate. Auch hier existiert bisher keine schlüssige Theorie zur Erklärung „guter“ Schulen. Auf der Ebene der Interaktion geht es um die Qualität der Beziehung zwischen Schülern und Lehrern, mithin die Effektivität des Unterrichts. Die Leistung, die hier erbracht wird, ist die Entfaltung der Fähigkeiten der Schüler, also ein Prozessmerkmal, das mit eher qualitativen Indikatoren wie Lernatmosphäre und Disziplin erfasst wird. Zu einem Teil spielen hier auch persönliche Merkmale, sowohl der Lehrerinnen und Lehrer als auch der Schülerinnen und Schüler, z.B. der Migrationshintergrund, eine Rolle. Dadurch erfordert „guter Unterricht“ verschiedene pädagogische Methoden, so dass eine generalisierte Qualitätsbewertung weiter erschwert wird. 2.3
Politische Qualitätsnormen
Auf der internationalen politischen Bühne hat sich eine pragmatische Definition von Qualität im Bildungssystem durchgesetzt, die vor allem normative Vorgaben und finanzielle Notwendigkeiten berücksichtigt. Qualität wird in vier Dimensio-
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nen unterteilt: Relevanz, Effektivität, Gleichheit, Effizienz. Relevanz wird gemessen an den Beteiligungsquoten: Einen wie großen Anteil der Bevölkerung deckt das Bildungssystem oder die Bildungseinrichtung ab? Effektivität meint das Niveau, das dort erreicht wird (gute oder schlechte Schüler), Gleichheit meint die Egalisierung der Bedingungen für Schule, z.B. der Gegensätze zwischen Stadtund Landschulen oder Unterschiede zwischen Mädchen und Jungen. Effizienz zielt auf den generellen Vergleich der eingesetzten Mittel zum Ertrag, u.a. ablesbar an den Wiederholer-, Erfolgs- bzw. Abbrecherquoten. Die Indikatoren dieser vier Dimensionen lassen sich zum Teil auch in obigen soziologischen und pädagogischen Qualitätsdefinitionen wiederfinden, wenn sie hier auch zu einer etwas anderen Bewertung führen. Dieser kursorische Vergleich der Definitionen von Qualität im Bildungssystem für verschiedene wissenschaftliche Perspektiven und systemische Ebenen zeigt zunächst auf, dass es recht unterschiedliche Indikatoren für Schulqualität und Schulwirksamkeit gibt. Sie sind untereinander schlecht vergleichbar sind und ihr Zusammenhang ist theoretisch nicht geklärt. Darüber hinaus ist auch unklar, ob ihre Aussagekraft in verschiedenen staatlichen und kulturellen Kontexten, also Alltagswirklichkeiten, stabil und von vergleichbarer Reichweite ist.
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Modelle der Schulwirksamkeit
Die Forschung zur Qualität von Bildung und speziell zur Regelschule besteht wegen der theoretischen Schwierigkeiten zum großen Teil aus Versuchen, mit empirischen Untersuchungen besonders relevante Faktoren zu isolieren, die einen starken Einfluss auf die Qualität haben. Dabei spielen im historischen Verlauf zunehmend komplexere Modelle eine Rolle, innerhalb derer die Einflussfaktoren mit Qualitätsindikatoren verbunden werden. Im Folgenden sollen kurz drei Modelle dargestellt werden, die gebräuchlich sind und aus denen deutlich wird, dass die Qualitätsindikatoren jeweils unterschiedliche Bedeutung und Reichweite haben. 3.1
Produktionsfunktionsmodelle
Die ersten Modelle waren die sog. Produktionsfunktionsmodelle oder Input-Outputmodelle. Qualität ist hier definiert allein durch den Output, die Lernergebnisse. Die Lernergebnisse werden als Teilnahmequoten oder Testergebnisse gemessen. Sie werden daraufhin geprüft, wie stark sie mit verschiedenen Inputindikatoren korrelieren. Diese Inputindikatoren sind oft leicht messbare materielle Größen, wie z.B. Lehrergehälter, der sozioökonomische Status der Schüler, und vor allem die Ausstattung einer Schule, z.B. Bücher, Computer. Die Modelle können auf al-
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len drei Ebenen eingesetzt werden, z.B. kann der Zusammenhang zwischen dem sozioökonomischen Status der Schüler und ihren Testergebnissen für Bildungssysteme insgesamt, Schulen oder Klassen gemessen werden. Die Feststellung eines solchen Zusammenhangs kann aber jeweils zu ganz verschiedenen Forderungen führen, wenn man ihn verändern will: etwa nach Änderungen der Bildungssystemstruktur resp. des Einzugsbereichs einer Schule resp. der Unterrichtsgestaltung. Der Nachteil dieses Modells ist, dass man nichts darüber herausbekommt, wie und warum Input und Output zusammenhängen, der Mechanismus der Wirkung bleibt eine „Black Box“. Insbesondere können Ergebnisse auf den höheren Ebenen durch Verweise auf die unteren Ebenen in Frage gestellt werden: Die Verantwortung für schlechte nationale Ergebnisse können z.B. mit dem Hinweis auf den „schlechten“ Unterricht in vielen Klassen den einzelnen Lehrern zugeschoben werden. 3.2
Unterrichtsmodelle
Diese „Black Box“ aufzumachen, ist das Ziel der zweiten, historisch nachfolgenden Generation von Modellen. Alle Maßnahmen, die die Schulqualität verändern sollen, müssen letztlich im Unterricht ankommen, wenn sie eine Wirkung erzielen wollen. Die Modelle richten ihren Fokus deshalb direkt auf den Unterrichtsprozess, darauf, was „guten Unterricht“ ausmacht. Weil Qualität hier an der Effektivität des Unterrichts gemessen wird, sind Indikatoren z.B. eine möglichst wenig durch Disziplinmaßnahmen vergeudete Lernzeit, die Beachtung der für den jeden einzelnen Schüler geeigneten Stoffreihenfolge, häufige Lernstandsermittelungen etc. Außer dass die Indikatoren für Qualität hier nicht so leicht messbar sind, sind sie zudem nur langfristig durch Ausbildung und Weiterbildung der Lehrerinnen veränderbar. Der Erfolg der Unterrichtsmethoden hängt allerdings auch, aber nicht nur, von Gegebenheiten ab, die außerhalb der Klassen gesetzt werden, wie z.B. die vorgeschriebenen Curricula, die Unterrichtsorganisation und vor allem die soziale Zusammensetzung einer Klasse. Wenn guter Unterricht dann unter schlechten äußeren Bedingungen stattfindet, können sowohl schlechte als auch gute Resultate möglich sein. 3.3
Mehrebenenmodelle
Diese außerhalb des Unterrichts gesetzten Bedingungen in die Analyse einzubeziehen, ist das Ziel der sog. Kontextmodelle. In diesen Modellen soll die gesamte Wirkungskette abgebildet werden. Der Fokus von Kontextmodellen liegt auf der
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Frage, welcher Kontext förderlich für gute Lernergebnisse ist. Wegen der komplexen und z.T. rekursiven Beziehungen der Ebenen ist eine statistische Analyse solcher Modelle erst in den letzten Jahrzehnten durch die Mehrebenenanalyse (Ditton 1998, Kennedy/Mandeville 2000) möglich geworden. Das Wort „Kontext“ bezeichnet dabei verschiedene Dinge. Zum einen können es die nationalen politischen und soziokulturellen Bedingungen sein. Zum anderen ist damit auch das Umfeld einer speziellen Schule gemeint. Als Indikatoren für Qualität werden deshalb in Kontextmodellen im ersten Fall z.B. Merkmale der nationalen Schulgesetzgebung, etwa ob und wie ein Evaluationssystem oder ein nationales Curriculum existiert, untersucht. Im zweiten Fall werden häufig sowohl Merkmale des Stadtteils, in dem die Schule steht, als auch Merkmale des Kollegiums bzw. des Schulmanagements analysiert. Offenbar werden für solche Untersuchungen Daten benötigt, die meist nur auf lokaler Ebene vorhanden sind. Insbesondere in der Schulwirksamkeitsforschung wird in Kontextmodellen den Zusammenhängen zwischen Elternschaft, Schuldirektion, Kollegium, Stadtverwaltungen etc. auf der einen Seite und ihren Folgen für den Unterricht an einer Schule nachgegangen (Teddlie/Reynolds 2000:134ff.). Aus den vorgestellten unterschiedlichen Modellen zur Erfassung der Einflussfaktoren auf die Schulqualität ergeben sich verschiedene Möglichkeiten, Indikatoren auszuwählen. Indikatoren können neben den Outputindikatoren auch Inputindikatoren sein, wenn die Merkmale guten Unterrichts oder förderliche bzw. Chancengleichheit herstellende Kontext-Bedingungen Untersuchungsziel sind. Die Ausprägungen der Inputindikatoren können jedoch im Widerspruch zum Output stehen: eine schlechte Schule kann in einem förderlichen Kontext gute Lernergebnisse erzielen, und umgekehrt kann guter Unterricht auch unter schlechten Kontextbedingungen stattfinden. Das macht die Festlegung von Indikatoren der Schuleffektivität schwierig.
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Ergebnisse der Schulwirksamkeitsforschung
Die Maßnahmen und Indikatoren, mit welchen die EFA-FTI, auch in Honduras, arbeitet, beruhen nun darauf, was die Schuleffektivitätsforschung bisher empirisch über verschiedene Input- und Outputindikatoren herausgearbeitet hat. Diese Ergebnisse werden im Folgenden kurz dargestellt. 1. Als Grund legende Arbeit der Forschungsrichtung kann die berühmte Untersuchung von Coleman zum Vergleich schwarzer und weißer Schulen in den USA 1965 gelten (Coleman 1966). Dort stellte er fest, was seitdem immer wieder bestätigt wurde, dass die Lernergebnisse nur wenig von der materiellen Ausstat-
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tung der Schulen abhängen. Wie viel Geld bzw. materielle Inputs in eine Schule gesteckt werden, erklärt die Varianz der Lernergebnisse nur zu ca. 10-15%. Den bei weitem größten Einfluss auf die Lernergebnisse hat die familiäre Situation der Schüler, d.h. wie weit ihre Eltern ihre Fähigkeiten fördern und sie unterstützen. Sie macht bis zu 50 % der Lernergebnisse aus. Man kann Schulen mit hoher Lernleistung feststellen. Untersuchungen haben ergeben, dass sich solche Schulen vor allem durch folgende Indikatoren auszeichnen: Professionelle Schulleitung (Verantwortung, Delegation, Engagement, Kenntnis der Vorgänge und des Unterrichts), Konsens im Kollegium (gemeinsame Ziele, Kollegialität), gute Lernumgebung (angenehme Schulatmosphäre, Attraktivität des Umfelds), Mitbeteiligung der Eltern (Teddlie/Reynolds/Sammons 2000). Im Vergleich aller schulischen Faktoren kann ein guter Unterricht die Lernleistung am stärksten beeinflussen. Er besteht u.a. in Klassenführung durch den Lehrer (hohe Erwartungshaltung an die Schüler), lernbezogene Lehrer-Schüler-Interaktion (Positives Feedback, Überprüfen der Lernfortschritte), Quantität des Unterrichts (faktische Lernzeit). Dagegen wirkt weniger stark die Qualität der Vermittlung und die Persönlichkeit des Lehrers (Ditton 2000:86). Die Bedeutung des Lehrerverhaltens und der Lehrerpersönlichkeit nimmt ab, je mehr der Kontext des Unterrichts, d.h. die Curricula, Lehrbücher, Organisation, Unterrichtszeit etc. geregelt sind (Fend 1998:352).
Diese fünf Ergebnisse beruhen aber auf Studien in den industrialisierten Ländern. Für Entwicklungsländer und speziell für Lateinamerika gibt es Untersuchungen, die zeigen, dass in diesen Ländern einiges anders ist (Fuller 1986). Das betrifft zum einen die materiellen Inputs, also Punkt 1. Sie haben nur deshalb in den industrialisierten Ländern wenig Einfluss, weil dort eine flächendeckende Versorgung durchgesetzt ist. Im Gegensatz dazu steigt die Lernleistung in Lateinamerika mit der Ausstattung mit Lehrbüchern, einer größeren Wohnortnähe der Schule, mit der Anzahl der Jahrgangsklassen, mit einer längeren Unterrichtszeit und mit einer besseren Ausbildung der Lehrer (Schiefelbein/Zeballos 1993). Zum anderen gibt es auch in Bezug auf die Unterrichtssituation Unterschiede. Maßgeblichen Einfluss haben hier das Engagement und die Verantwortlichkeit der Lehrer für ihre Schüler. Das lässt sich mit Punkt 5 erklären: Je weniger die Unterrichtssituation institutionell vorgegeben und geregelt ist, desto größeren Einfluss hat die Lehrerpersönlichkeit. Als Kontextbedingung sind hier zusätzlich der Ernährungs- und Gesundheitszustand der Schüler und die tatsächliche Anwesenheitszeit der Lehrer wichtig (LLECE 2002).
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Generell hat die familiäre Situation in den Entwicklungsländern weniger Einfluss und die Schule mehr Einfluss auf die Lernergebnisse als in den industrialisierten Ländern, also anders als in Punkt 2. In Studien aus Thailand und Indien wurden die Lernleistungen zu 25% durch die Schuleinflüsse und nur 3% durch den familiären Hintergrund erklärt (Teddlie/Reynolds 2000: 240). Die Schule hat deshalb hier eine wichtigere kompensatorische Funktion. Der geringere familiäre Einfluss kommt zustande, weil erstens die Familien sich wegen ihrer schlechteren Einkommenssituation generell weniger um die Bildung ihrer Kinder kümmern, und weil zweitens eine sozial homogenere Schülerschaft insgesamt vorhanden ist - der große Teil kommt aus denselben armen Verhältnissen.
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Die Indikatoren der EFA-FTI
Die eben dargestellten Modelle und empirischen Ergebnisse bilden die Grundlage des Qualitätsmodells, das die UNESCO entwickelt hat, um die von ihr unterstützten Länder in ihren Fortschritten zu beurteilen. In der Grafik sieht man die wichtigsten Gruppen von Indikatoren des Modells in Stichworten. Es handelt sich offenbar um ein umfangreiches Modell, das den Forschungsstand widerspiegelt. Kontext: Nation. Bildungspolitik, Nation. Standards, Öffentl. Mittel für Bildung, Soziokulturelle/religiöse Faktoren (der Schulumgebung), Elterliche Unterstützung
Schule und Unterricht: Lernzeit, Beurteilungen, Anregungen, Klassengröße, Lehrmaterialien, Personal, Schulleitung, Infrastruktur, Gebäude
Output: Quoten Abgänger, Wiederholer, Lese-, Schreib- und Rechenfähigkeiten, Kreativität, Werte, Soziale Vorteile (UNESCO 2005)
Grafik: Schul - Qualitätsmodell der UNESCO
Auf der Basis dieses Qualitätsmodells wurde für die Aktivitäten der EFA-FTI in Honduras ein Plan mit Maßnahmen und Indikatoren entwickelt. Auf der Inputseite wurden ausschließlich Maßnahmen formuliert.
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Maßnahmen der EFA-FTI in Honduras nach Gruppen (Anzahl der Maßnahmen in Klammern): § Lehreraus- und -fortbildung (68) § Verbesserung der Unterrichtsqualität, Schulentwicklung (28) § Schulnetzwerke (36) § Größeres Vorschulschulangebot (29), § Gerechtere Zugangsmöglichkeiten (34), Die Maßnahmen haben zwei Teile: Die letzten zwei Maßnahmengruppen zusammengefasst sollen den Zugang zu den Schule verbessern. Der andere, überwiegende Teil der Maßnahmen bezieht sich auf die Schulwirksamkeit. Hier finden sich Maßnahmen zur Lehreraus- und -fortbildung, zur Unterrichtsverbesserung, zu mehr Eigenverantwortung und Selbsthilfe der Schulen untereinander. Folgende Indikatoren werden von der EFA-FTI in Honduras erhoben, um den Output zu messen: § Beschulungsquoten § Leistung Spanisch/Mathematik § Abschlussquoten § Wiederholungsquoten § Abbruchquoten Sie erfassen hauptsächlich die verschiedenen Beteiligungsquoten auf den Stufen des Bildungssystems, dazu mit einigen Leistungstests die Kenntnisse der Schüler. Aus dem Vergleich der Theorie mit den Maßnahmen und Indikatoren kann man an dieser Stelle schon Vermutungen darüber anstellen, in welchem Ausmaß die EFA-FTI die honduranische Schulwirklichkeit erfassen kann. Zunächst muss festgehalten werden, dass das dem EFA-FTI-Plan unterlegte Qualitätsmodell theoretisch auf dem neuesten Stand der Forschung ist; das ist auch nicht verwunderlich, da die Weltbank einen nicht unbeträchtlichen Teil der Studien in Entwicklungsländern mit finanziert. Die konkreten Maßnahmen und Indikatoren, die dann in einem Land verwendet werden, nehmen jedoch in politisch bewusster Weise eine Auswahl aus diesem Modell vor. Dabei konzentriert sich der EFA-FTI-Plan in Honduras darauf, hauptsächlich in die Merkmale der Schulwirksamkeit zu investieren. Damit wird die aktuelle Diskussion in den industrialisierten Ländern aufgenommen: die Defizite in der Bildungsqualität seien am wirksamsten über die Stärkung der Eigenverantwortlichkeit der Schulen und der Lehrer zu beheben, vor allem durch Einführung der
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Maßstäbe „guten Unterrichts“ und der Konkurrenz unter den Schulen. Nur wenige Maßnahmen betreffen die Ausstattung und andere Kontextbedingungen. Als einzige Indikatoren, die berichtet werden müssen, sind Output-Quoten wie Einschulungs-, Erfolgs- und Abbrecherquoten vorgesehen. Damit können mit dem EFA-FTI-Plan mögliche Veränderungen nur schwer auf einzelne Maßnahmen zurückgeführt und nicht bestimmt werden, welche Faktoren wesentlichen Einfluss auf die Outputindikatoren haben. Diese Indikatorenwahl ist natürlich auch an der Datenlage in Honduras ausgerichtet.
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Die Analyse der honduranischen Schulwirklichkeit
Damit sind die theoretischen und politischen Modelle und Indikatoren der Schulqualität in Kürze dargestellt. Im Folgenden wird es darum gehen, sie mit der Schulqualität im honduranischen Alltag zu konfrontieren, wie sie von Claudia Richter in einem Forschungsprojekt in Honduras untersucht worden ist (zu den folgenden Abschnitten s. Richter 2007). Auf zwei verschiedenen methodische Wegen wurde dabei vorgegangen: 1. Auf der Basis des UNESCO-Qualitätsmodells wurde eine Dokumentenanalyse durchgeführt, aus der allgemeine Informationen über das Bildungssystem und die aktuelle Bildungssituation in Honduras hervorgehen und mit der die Maßnahmen und Indikatoren der EFA-FTI kontrastiert werden können, insbesondere im Hinblick darauf, wie vollständig und reliabel sie sind. 2. Es wurden qualitative Experteninterviews mit Personen, die entweder direkt im Bildungssektor tätig waren oder deren Verständnis von schulischer Qualität als bedeutsam eingeschätzt werden kann, durchgeführt. Dabei handelte es sich um Lehrer, Schulleiter, Politiker, internationale Kooperationspartner, Vertreter der Zivilgesellschaft (z.B. Kirche, Medien, Wirtschaft) und Bildungsexperten/Wissenschaftler. Sie sollten auf Grundlage ihrer Erfahrungen mit dem honduranischen Schulalltag ihr Verständnis von Schulqualität darstellen, das dann ebenfalls mit den Maßnahmen und Indikatoren der EFA-FTI verglichen werden kann. Die Dokumentenanalyse ist insbesondere in Entwicklungsländern notwendig. Auch in Honduras ist es schwierig, eine verlässliche Datenbasis über die aktuelle Bildungssituation zu erhalten. Wesentliche Gründe dafür sind: § Es existiert in Honduras keine Evaluationskultur, wie sie in den westlichen Industrieländern zur Bildungspolitik gehört. Etablierte Verfahren der Datensicherung, -aufbewahrung und -veröffentlichung gibt es nicht, so dass in der Regel nicht bekannt ist, wer wo über welche Daten verfügt und ob sie öffentlich zu-
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gänglich sind. Darüber hinaus ist der Status von Dokumenten nicht immer klar: die Autoren werden oft nicht benannt, oder die Dokumente sind nur über Umwege und persönliche Beziehungen zu erhalten, z.B. Evaluationsergebnisse bestimmter Bildungsprojekte. § Das Bildungsministerium und das Nationale Institut für Statistik verfügen über kein ausreichendes und qualifiziertes Personal für eine regelmäßige Bildungsberichterstattung. Nach einem Regierungswechsel alle vier Jahre gehen im Bildungsministerium mit dem Weggang bestimmter Personen eine Vielzahl an Informationen verloren. § Evaluationsberichte werden häufig zur weiteren Legitimierung von Ressourcen bzw. internationalen Geldern genutzt. Fast alle Daten sind deshalb auf Grund von partikularen politischen institutionellen Interessen erhoben worden. Eine unabhängige wissenschaftliche Auseinandersetzung mit den Bildungsproblemen in Honduras findet nicht ausreichend statt. So gibt es derzeit in Honduras keine Zeitschriften, Datenbanken oder Bibliotheken zu diesem Thema. Wird durch diese Umstände der Entstehung der Daten eher die Validität in Frage gestellt, ist auch die Reliabilität der veröffentlichten Daten in den zumeist politischen Dokumenten eher gering einzustufen. Es finden sich in verschiedenen mehr oder weniger öffentlichen Dokumenten deutlich unterschiedliche Zahlen. Diese Lage ist auch der Hauptgrund dafür, dass die EFA-FTI für die Erfassung ihrer Maßnahmen nur wenige Outputindikatoren zur Verfügung hat. Bei den zentralen Abbrecher- und Wiederholungsraten sind die bedeutsamen Abweichungen zwischen verschiedenen Datenquellen bedingt durch die Fehlerhaftigkeit bei der Erhebung. Diese Quoten werden deshalb von einigen Wissenschaftlern wesentlich anders eingeschätzt als in den offiziellen Statistiken des Landes dargestellt. Sie nennen u.a. folgende Ursachen dafür (Wolff/Schiefelbein/Valenza 1994, Marshall 2003): § Schüler, die die Schule während eines Schuljahres zeitweilig verlassen und im folgenden Jahr wieder in dieselbe Klassenstufe zurückkehren, werden als Schulabbrecher (deserters/dropouts) klassifiziert und steigern so während ihrer zeitweiligen Abwesenheit die Abbrecherquote. § Fehleinschätzung der Schüler seitens der Lehrer: Schüler wiederholen nicht immer ein Schuljahr, weil sie tatsächlich gescheitert sind, sondern aufgrund der mangelhaften Fähigkeiten der Lehrer, die Lernleistungen ihrer Schüler angemessen zu bewerten. Dadurch wird die Wiederholerquote insgesamt höher, als sie sein müsste. § Die Lehrer können Schülerinformationen nicht auf Richtigkeit überprüfen. Wenn z.B. ein Schüler eine Klasse nicht bestanden hat und dies bei seinem
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Wechsel in eine andere Schule nicht mitteilt, wird er im kommenden Schuljahr in eine Klassenstufe eingeschrieben, in der er eigentlich nicht sein dürfte. Wird er von der abgebenden Schule als Wiederholer gemeldet, fällt die Wiederholerquote ebenfalls höher aus. § Generell fehlerhaftes Ausfüllen der Jahrsabschlussprotokolle durch die Lehrer, weil Überprüfungsmöglichkeiten fehlen, insbesondere bei ländlichen Schulen, die oft nur aus einem Lehrer, der gleichzeitig Direktor ist, bestehen.
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Dokumentenanalyse
Die Dokumentenanalyse ergab trotz ihrer problematischen Güte wichtige Indikatoren, die die Kontext-Seite des Modells beschreiben und von EFA-FTI nicht umfassend erfasst werden, jedoch die Ergebnisse der Schulwirksamkeitsforschung in Entwicklungsländern bestätigen : 1. Ausstattung und Infrastruktur: Die Ausstattung und Infrastruktur vieler Schulen in Honduras ist rudimentär. Es fehlt z.B. an ausreichenden Unterrichts- und Lehrmaterialien, so dass die Schüler in der Regel ihre Aufgaben vom Lehrer diktiert bekommen oder sie von der Tafel abschreiben müssen. Stühle und Tische, sanitäre Anlagen sind entweder nicht vorhanden oder befinden sich in einem schlechten Zustand. Insgesamt verfügen nur zwei Prozent der Schulen über eine Schulbibliothek oder ein Unterrichtslaboratorium. Es wird geschätzt, dass die Hälfte der Schulbauten größere Renovierungen benötigen. Die finanziellen Aufwendungen dafür würden ungefähr 36,7 Mio. US-Dollar betragen. 2. Unterrichtsausfall durch die Lehrer: Ein gravierendes Problem, das einen Teil der niedrigen Schülerleistungen und die hohen Abbrecher- und Wiederholungsraten erklärt, ist die besonders geringe Anzahl an Unterrichtstagen pro Schuljahr. 2005 konnten z.B. die Schüler von 200 gesetzlich festgelegten Tagen nur an 80 Tagen die Schule besuchen. Die restlichen Tage fielen aus, vor allem auf Grund von Lehrerfehltagen. Die Lehrer fehlen u.a. wg. alltäglicher Schwierigkeiten wie defektem Auto, anderen Terminen und wegen häufiger Lehrerstreiks. Die z.T. unbefriedigenden finanziellen Bedingungen veranlassen auch viele Lehrer und Lehrerinnen, mehreren Arbeitsverhältnissen nachzugehen, was ebenfalls Unterrichtsausfälle und schlechtere Unterrichtsvor- und Nachbereitung zur Folge hat. 3. Armut der Familien: Mit einem Pro-Kopf-Einkommen von 970 US-Dollar ist Honduras das viertärmste Land in Lateinamerika. Für Honduras gilt deshalb nach wie vor, dass die sozioökonomischen Rahmenbedingungen der Kinder und ihrer Familien die Schulwirklichkeit maßgeblich bestimmen. Ungefähr
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eine halbe Million Kinder im Alter von 5 bis 16 Jahren befinden sich außerhalb der Primarschule bzw. unterbrechen kurzzeitig immer wieder die Schule, weil sie mit Kinderarbeit die Familie mit ernähren oder bei der häuslichen Arbeit und Betreuung der kleineren Geschwister mithelfen müssen. Zu Unterbrechungen führt auch, dass viele Eltern aufgrund ihrer ökonomischen Situation nicht in der Lage sind, die indirekten Kosten für die Schulausbildung ihrer Kinder aufzubringen, d.h. für Lehrbücher, Unterrichtshefte, Stifte oder Schuluniform. In Honduras ist zwar die Grundschulbildung kostenlos und obligatorisch, doch gilt sie wegen dieser Nebenkosten für viele honduranische Familien nach wie vor als ein Luxusgut. Deshalb benötigen die Kinder in Honduras im Durchschnitt ungefähr 9,4 Jahre, um die sechsjährige Primarschule abzuschließen. Die Dokumentenanalyse zeigte weiter, dass auch die Lernmöglichkeiten vieler Kinder, insbesondere in ländlich ärmeren Regionen, unzureichend sind. Zum einen wirkt sich ihr schlechter Gesundheits- und Ernährungszustand negativ auf ihre Lernfähigkeit aus, zum anderen bietet die familiäre Situation grundsätzlich wenig Lerngelegenheiten, sowohl zeitlich als auch räumlich, z.B. für das Erledigen von Hausaufgaben. Als Zwischenfazit auf der Grundlage der Dokumentenanalyse kann festgehalten werden, dass sich zum einen die Kontextseite der aktuellen honduranischen Bildungssituation in den EFA-FTI-Maßnahmen nicht vollständig widerspiegelt. Die wichtigen Faktoren der Armut und des sozialen und familiären Hintergrunds der Kinder, der Ausstattung und der eklatanten Fehlzeiten im Unterricht - im Folgenden zusammenfassend die Grundversorgung genannt - gehören nicht zu den Schwerpunktmaßnahmen im EFA-FTI-Plan. Zum anderen erfassen die Indikatoren auch den Output des Systems nur teilweise. Bei den meisten statistischen Zahlen handelt es sich allenfalls um Schätzungen, die nur begrenzt die Schulwirklichkeit in Honduras widerspiegeln.
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Experteninterviews
Bei der zweiten Methode, den Experteninterviews, muss grundsätzlich davon ausgegangen werden, dass die Befragten, weil sie als Experten oft Mitglieder politischer Organisationen sind, in den Interviews ihre politischen Einstellungen einbringen. Die vorher in der Dokumentenanalyse erfassten Daten bilden eine Informationsbasis, auf deren Grundlage diese politischen Verzerrungen in den Interviewergebnissen indiziert und bei der Interpretation berücksichtigt werden können. Die Vorgehensweise war wie folgt:
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§ Insgesamt wurden 23 halbstrukturierte Experteninterviews mit verschiedenen Akteuren und Praktikern des honduranischen Bildungssystems durchgeführt; von diesen konnten 20 Interviews qualitativ ausgewertet werden. § In dem Interview standen vier Themenkomplexe im Mittelpunkt: (1.) Definition von Schulqualität bzw. einer „guten Schule“ (2.) Verbesserung der Schulsituation (3.) Hauptprobleme im Primarschulbereich und (4.) Verbesserungsvorschläge. § Die Interviewten setzten sich zu Beginn aus drei Personengruppen zusammen: § Schulpraktiker (Lehrer und Schulleiter): 9 Befragte § Politiker und internationale Kooperanten: 7 Befragte § Zivilgesellschaftliche Experten und nationale Bildungsfachleute: 7 Befragte. Die Auswertung der Interviews erfolgte durch Kategorisierung des gesamten Materials an Hand von Kategorien, die vorab durch eine theoretische Aufarbeitung der Schuleffektivitätsforschung (s.o.) gewonnen wurden. Dieses Kategorienschema wurde dann im Lauf der Analyse verändert. Die sich am Ende ergebenden Kategorien wurden schließlich qualitativ-inhaltlich zusammengefasst und quantitativ ausgezählt. Im Hinblick auf die hier gestellte Frage sind besonders zwei Aspekte der Ergebnisse zentral: die Aussagen zur Schulqualität und zu den Hauptproblemen. 8.1
Schulqualität
Aus der Auswertung der Fragen zu den Merkmalen einer guten Schule geht hervor, dass die Befragten von einer Defizitvorstellung ausgehen. Sie beschrieben vor allem die schlechte Schulsituation in Honduras und benannten die Bereiche, die nach ihrer Ansicht unbedingt verbessert werden müssten. Dabei beschränkten sie sich weitestgehend auf staatliche und personelle Eingangsvoraussetzungen. Insgesamt konnten folgende fünf Indikatorengruppen festgehalten werden, die von den Befragten am häufigsten als Qualitätsmerkmale genannt wurden: § Ausstattung und Infrastruktur in den Schulen § Lehreraus- und Fortbildung § Lehrerhintergrund: gut qualifizierte und engagierte Lehrer § Soziale und familiäre Verhältnisse der Schüler § Elterliche Partizipation In Bezug auf „Ausstattung, Infrastruktur“ und „soziale Verhältnisse der Schüler“ bestätigen die Lehrer die Ergebnisse der Dokumentenanalyse. Die anderen drei Dimensionen stellen einen Zusammenhang dar, der durch das Folgende deutlich wird.
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Hauptprobleme der honduranischen Schule
Bei den Fragen nach den Hauptproblemen im Schulalltag wurden Themen wie curriculare Vorgaben, fehlende Finanzierung und Evaluierung oder die hohe Abbrecher- und Wiederholungsrate und die Schülerleistungen nur vereinzelt von den Befragten thematisiert. Stattdessen standen das Lehrerverhalten, die sozialen und familiären Verhältnisse der Schüler und die elterliche Unterstützung im Mittelpunkt. Beispiel (Lehrer\Text 23, Position 15 – 15: „para que haya una buena calidad de educación tienen que estar integrados los tres elementos: maestros (el docente, lo que es el docente), el padre de familia y el alumno también verdad“ (Damit eine gute Schulqualität zusammenkommt, müsssen drei Elemente integriert werden: die Lehrer, die Eltern und natürlich der Schüler auch). Vor allem Lehrer und Schulleiter sprachen hier immer wieder von der so genannten „Qualitäts-Tringulation“. Qualität von Schule besteht für die Befragten insbesondere aus § beruflicher Qualifikation der Lehrer und deren persönlichem Verhalten, § Schülerverhalten (Lerninteresse, Disziplin, regelmäßige Anwesenheit) und § der elterlichen Unterstützung. In erster Linie wurden Lehrer und Eltern als verantwortliche Gestalter von Lernprozessen gesehen. Die zentralen Strukturen, also die Grundversorgung, spielte eher eine untergeordnete Rolle. Von den Interviewten wurde der Staat nicht „in die Pflicht genommen“. Vielmehr setzen sie auf das individuelle Verhalten, das soweit geht, dass z.B. von Eltern erwartet wird, sich finanziell zu engagieren (z.B. Kauf von Tischen, Bau von sanitären Anlagen, Bezahlen von Unterrichtskopien, weil keine Lehrbücher vorhanden sind). Diese Forderung ist erstaunlich, denn die Befragten thematisieren an anderer Stelle, dass die ökonomische Situation der Familien und Eltern in der Regel ein solches Engagement gar nicht erlaubt. Zusammenfassend lässt sich sagen, dass die Befragten (insbesondere Lehrer und Schuleiter) ein begrenztes Verständnis von Schulqualität haben, das sich in erster Linie auf das Unterrichtsgeschehen bezieht, also nur auf die sog. Unterrichtsqualität. Das Lehrerverhalten wurde durchweg als eine sehr wichtige Einflussgröße erörtert. Unterrichtsqualität wurde vornehmlich als persönliche Verantwortung des Lehrers und der Eltern angesehen, ohne dabei zu bedenken, dass sie auch stark abhängig von institutionellen Rahmenbedingungen, kultureller Wertschätzung, gesetzlichen Regelungen, Qualität und Tradition der Ausbildung etc. ist.
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Der Blick auf die einzelne Schule, d.h. die Frage der Schulwirksamkeit, ließ sich in den Interviews kaum erkennen. Vereinzelt wurden zwar der Einsatz und Entwicklung neuer Lehr- und Lernmethoden sowie didaktischer Materialien genannt, doch überwiegend beschränkten sich die Schulentwicklungsmaßnahmen ausschließlich auf die elterliche Bereitschaft in Bezug auf finanzielle und materielle Unterstützung sowie eine Mitarbeit in der Schule und bei Verbesserungen in Schule und Unterricht. Vermutlich hängt dieses auf das Engagement der Lehrer und Eltern begrenzte Verständnis von Schulqualität mit den schwachen administrativen, organisatorischen und inhaltlichen Rahmenbedingungen des staatlichen Schulsystems zusammen; deshalb wird eher auf die direkte Unterstützung der Eltern und die Verantwortung der Lehrer gesetzt. Die schlechte Ausstattung der Schule und die schlechte soziale Lage der Schüler werden so zu einem Problem, das zwischen Eltern und Lehrern zu beheben ist, obwohl es in den staatlichen und regionalen politischen Kontext gehört. Interessant ist nun, dass sich dieses eingeschränkte Qualitätsverständnis zu einem gewissen Maße mit den EFA-FTI-Maßnahmen deckt, die sich ebenfalls im Wesentlichen auf die Lehreraus- und Fortbildung sowie den Unterrichtsprozess beziehen.
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Bedeutung der Ergebnisse aus der Untersuchung für die EFA-FTI-Maßnahmen
Die EFA-FTI-Maßnahmen in Honduras orientieren sich an der internationalen Diskussion und an aktuellen Ergebnissen der Schulwirksamkeitsforschung und berücksichtigen die Empfehlungen der internationalen Gebergemeinschaft. Der Plan versucht alle Bereiche, die zur Verbesserung der Schulsituation führen können, abzudecken. Anhand der Anzahl an Maßnahmen lässt sich allerdings erkennen, dass die Lehrerausbildung, die Verbesserung der Unterrichtsqualität und Maßnahmen zur Schulentwicklung im Mittelpunkt stehen. Dabei werden Konzepte wie z.B. Dezentralisierung des Schulsystems oder Steuerung der Schülerleistungen durch Bildungsstandards einfach übernommen, ohne zu prüfen, ob sie auch unter den Rahmenbedingungen in Honduras realistisch sind. Das ist insofern verständlich, weil einerseits internationale Organisationen wie die UNESCO, die OECD oder die Weltbank diese Reformstrategien propagieren, andererseits auch nur spärlich und wenig reliable Daten über die wesentlichen Input-Indikatoren des honduranischen Bildungssystems vorhanden sind. Deshalb wird aber vernachlässigt, dass die Probleme der Grundversorgung in Honduras wie z.B. die schlechten sozialen Verhältnisse der Schüler, fehlende Lern- und Lehrmaterialien oder sani-
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täre Einrichtungen sowie die häufige Abwesenheit von Lehrern und Schülern nach wie vor nicht gelöst sind. Mit ihrem Schwerpunkt auf der Lehreraus- und Fortbildung setzt EFA-FTI nun aber genau an dem Qualitätsverständnis an, das auch die Hauptbeteiligten vertreten. Sie selber sehen Eltern, Lehrer und Schüler als Adressaten zur Verbesserung der Schulsituation an. Sie legen dabei wie EFA-FTI den Schwerpunkt auf den Unterrichtsprozess und befinden sich damit auf der Linie der aktuellen Diskussion der Schulwirksamkeitsforschung in den industrialisierten Ländern. Dabei übersehen aber beide, dass in Honduras im Gegensatz zur Situation in den industrialisierten Ländern noch lange keine ausreichende Grundversorgung existiert, z.B. Sättigung in Bezug auf Lehrbücher und auf Unterrichtszeiten, und ebenso wenig eine soziale Grundsicherung der Kinder, z.B. in Bezug auf den Ernährungszustand und die für Schule verfügbare Zeit. Diese Koinzidenz der eingeschränkten EFA-FTIIndikatoren und des Schulqualitätsverständnisses der honduranischen Beteiligten hat verschiedene Motive: bei EFA-FTI ist es die Ausrichtung an der aktuellen internationalen Forschungsdiskussion und der Mangel an verlässlichen Indikatoren. Bei den Beteiligten ist es ihre Resignation in Bezug auf die Rolle des Staates. Damit ist die Ausgangshypothese sogar noch etwas verschärft bestätigt: Die Schwerpunkte der EFA-FTI-Maßnahmen und Indikatoren erfassen wichtige Merkmale der honduranischen Schulqualität nicht oder sind wenig reliabel nicht nur deshalb, weil das Qualitätsmodell an typischen strukturellen Problemen eines Entwicklungslands vorbeigeht, sondern zusätzlich deshalb, weil auch die Beteiligten selbst die strukturellen Probleme aus ihrem Qualitätsverständnis ausblenden und schulische Qualität nur an den beteiligten Personen messen. Dies führt dann letztendlich dazu, dass die internationale Entwicklungszusammenarbeit einen Teil der wesentlichen Probleme nicht wahrnimmt.
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Wolff, L.; Schiefelbein, E.; Valenza, J. 1994: Mejoramiento de la Calidad de la Educación an América Latiny y el Caribe. Documentos para discusión del Banco Mundial. Washington D.C.
On the Comparative Measurement of Supervisory Status using the Examples of the ESS and the EU-LFS Reinhard Pollak, Heike Wirth, Felix Weiss, Gerrit Bauer, Walter Müller
With the increasing availability of cross-national data and research there is also an increasing need for internationally comparable social classifications. One important precondition for achieving a harmonized measurement is the comparability of the core variables used for operationalisation. The focus of our paper is exactly on this problem. One important core variable in the operational definition of the new European-Socioeconomic-Classification (Rose and Harrison 2007) is the socalled supervisory status. The position of supervisors is seen somewhere between managers and ordinary employees. Since there are different degrees of supervisory responsibility throughout the workforce, it is a notorious problem on which basis and where exactly the boundaries should be set. In this paper, we basically examine two issues: First, we present findings from a pilot study that show the effects of different operationalizations of supervisory status. We find that different question wordings lead to substiantially different proportions of supervisors and ultimately to a quite substantial variation in class distributions along the ESeC schema. Second, we therefore explore the procedures used to measure supervisory status in two major European Surveys that both aim to provide data at a high degree of cross-national comparability. The two examined surveys are the European Social Survey (ESS) and the Labour Force Survey (LFS). Our conclusion is that in both surveys there is considerable space to improve cross-national comparability.
1
Different measures of supervisor status and their effect on the number of supervisors identified
The measurement of supervisor status should evidently depend on the theoretical basis of the concept. Unfortunately, there is not much explicit discussion on supervisory function or supervisory status in the literature. In the sociological literature, the concept has its most explicit formulation in the various versions of Eric O. Wright’s theory of the class structure. In his early work (Wright 1976, 1978), Wright echoes the often emphasized ambivalent position of supervisors between employers or their executives, on the one side, and the ordinary workers, on the other side. Supervisors are in a position of conflict, as they have to secure that orders from above are properly executed by their fellow workers in the work groups
174
Reinhard Pollak, Heike Wirth, Felix Weiss, Gerrit Bauer, Walter Müller
the supervisors themselves are part of. Supervisors, according to Wright’s early writings are in a contradictory class location between the bourgeoisie and the proletariat, but as Wright explicitly states, they are rather close to the proletariat: They have minimal control over labour, but no control over the physical capital nor over money capital: They have control over the direct producers as their subordinates, but are not part of the hierarchy as such, have no autonomy over the immediate labour process and do not even participate in decisions concerning narrow aspects of subunits of production. In later versions (Wright 1985) the class structure is assumed to be based on the unequal distribution of productive assets (ownership of capital, of skills and of organization assets) which then give rise to exploitation by the asset owners over non-owners of the respective assets. In this conception supervisors have limited control over organization assets (still in an intermediate position between managers and their subordinate workers), and they are further differentiated according to the level of skill assets they possess. When, from the first to the second version, supervisors are rightly moved to a less marginal position in the class structure, it is now hard to see how and in which sense they come to be exploiters of their fellow workers. For Goldthorpe and his associates, on whose class conception the European Socio-economic Classification (ESeC) is essentially based, the aim of the class schema is to differentiate positions within labour markets and production units “in terms of the employment relations that they entail” (Erikson and Goldthorpe 1992:37). For employees this concerns the nature of the relationship with their employers, and in this context the position of supervisors is characterized as taking a mixed form between the two prototypical contractual arrangements regulating the employment relationship: the labour contract and the service relationship. Different modes of regulating employment emerge on account of the two basic problems of ‘work monitoring’ and ‘human asset specificity’ that may occur to a greater or lesser extent depending on the kind of work and work positions to which employees are contracted. Monitoring problems particularly appear when the amount and quality of work cannot be monitored directly or as easily as in the case of e.g. assembly line work with standardized work tasks and fixed production pace. In contrast, asset specificity involve high amounts of job specific human capital or otherwise high investments of the employer in employee’s work competences that make both employers and employees interested in long-term employment relationships. Different forms of employment relationship are conceived by Goldthorpe as viable responses to the weaker or stronger presence of the described problems in different work situations. Work situations with low monitoring problems and low asset specificity can adequately and efficiently be handled by a ‘labour contract’, in
Issues in the Comparative Measurement of the Supervisory Function using
175
which a quantity of labour is purchased on a piece- or time-rate basis, the most typical example being the case of unskilled work. In contrast, for work situations with high monitoring problems and high asset specificity the service relationship is a more adequate and better fitting response, “i.e. a contractual exchange of a relatively long-term and diffuse kind in which compensation for service to the employing organisation comprises a salary, … important prospective elements – salary increments, expectations of continuity of employment (or at least of employability) and promotion and career opportunities” (Goldthorpe/Knight 2003:4). Modified versions of these basic forms of the labour contract and the service relationship are likely to occur with the skilled manual and routine non-manual workers on the one side, and the lower-level professionals, managers and technical grades on the other side. Of the two elements that constitute the raison d’être of a service contract it is, when applied to supervisors, the requirement of asset specificity rather than the presence of monitoring problems that in Goldthorpe’s view makes a difference to jobs that are regulated under a labour contract. While this assertion may be correct, it does not lead much further in indicating the specific characteristics that turn a job into a supervisor’s job. However, as supervisors are conceived to be in a socio-economic category clearly different from that of other employees, one implicitly can derive, that “what is crucial is that those persons coded as supervisors should be only those in occupations that are formally recognised, usually in the actual job title, as having primarily supervisory functions and responsibilities - and thus status. Otherwise, their employment relations are unlikely to be different from those of rank-and-file workers.” (John Goldthorpe, personal communication). According to this it would not be sufficient that a worker is responsible for supervising anyone else’s work, because this would mean that every craftsman with a mate or clerical worker with an office junior becomes a supervisor. Their number would be grossly inflated and the connection with employment relations would be lost. Even if we accept these considerations as a starting point for the definition of supervisory status for the construction of ESeC it is still an open question how its measurement can best be operationalized in population surveys. It is well known that survey results sensitively depend on the way survey questions are asked (Groves et al., 2004). The degree of question wording sensitivity depends on the concept to be measured. For some concepts variations in question wording may have huge effects, for other concepts the effect of variations may be small. As such variations cannot be known a priori and can hardly be derived theoretically, we often need empirical tests to establish the characteristics of measurement procedures. The measurement of the supervisory status is no exception to this rule.
176
Reinhard Pollak, Heike Wirth, Felix Weiss, Gerrit Bauer, Walter Müller
In order to gather initial empirical evidence we report in the following initial results of a small pilot study carried out in Germany. The study probes different ways to operationalise supervisory status and then examines (a) its effects on the number of supervisors identified, (b) the specific supervisory responsibilities found among those identified with the different measurement procedures, and (c) the consequences of the different measurement procedures on the implied ESeC class distributions. The pilot study was carried out as a field experiment. Several questions have been included as part of the University of Mannheim Study on “Employment and the Family”. The data were collected in spring 2006 in a telephone survey among German residents between the age of 18 and 65 and includes 931 respondents in 1 total. 1.1
The impact of question wording on the proportion of employees identified as supervisors
In total, five different questions were used to assess whether or not the respondent holds a supervisor position. We split the sample into two randomly assigned groups whose members received supervisor-related questions as shown in table 1. These questions have been chosen in order to be as close as possible to existing operationalisations of the supervisor concept in several core large scale surveys in Europe for which the ESeC classification might be applied, mainly the European Social Survey (ESS) and the EU-Labour Force Survey (LFS). We expected to find out how different present-day operationalisations of the supervisor concept influence the distribution of ESeC classes. As the study was done in Germany, we primarily relied on the wording used in the implementation of these surveys in Germany, but we also have included other aspects, either used in the operationalisation in other countries or discussed in the ESeC project. Split A received as a first question of the supervision module the supervisor question as implemented in the German ESS. Split B received as a first question the supervisor question as implemented in the LFS in Germany by the German National Statistical Institute (NSI). As respondents have been allocated randomly to either one of these treatments, differences in the proportion of supervisors found will be produced by the differences in question wording, except for random sampling error.
1 The survey is mainly conducted for teaching purpose and each student of an undergraduate class in methods of social science research had to interview 6 respondents in computer-assisted telephone interviews.
Issues in the Comparative Measurement of the Supervisory Function using
Table 1:
177
Supervisor questions asked in the Mannheim Study of Employment and the Family 2006
English Translation* Random-Split A A.1. In your job, does it belong to your tasks to supervise the work of other employees? if question A.1. is “yes” A.2. In your job, are you formally responsible to supervise the work of other employees?
Original Question in German*
Gehört es bei Ihrer beruflichen Tä- ESS Question tigkeit zu Ihren Aufgaben, die Arbeit anderer Mitarbeiter zu beaufsichtigen? Sind Sie in Ihrer beruflichen Tätig- Formal keit formal dafür verantwortlich, Responsibility die Arbeit anderer Mitarbeiter zu beaufsichtigen?
if question A.1. “yes” A.3. Is supervising other employees Zählt das Beaufsichtigen von Mitpart of the main tasks in your arbeitern zu Ihren Hauptaufgaben job? bei Ihrer beruflichen Tätigkeit? Random-Split B B.1. In your main job, are you in a leading position?
Short Name
Supervising as main task
Sind Sie in Ihrer (Haupt-) Erwerbs- LFS Question tätigkeit in einer leitenden Position (Germany) tätig?
* Questions are shown in present tense only. For former employment, we asked the same questions in past tense. Data Source and Questions: Mannheim Study of Employment and the Family, 2006
We consider the ESS question to represent a very broad understanding of supervision. Beside employees with an explicit supervisory status it can for instance include the monitoring of work of apprentices or of newly recruited personnel when it is introduced to the new job.2 Under this operationalisation a large proportion of workers should be identified as supervisors, likely more than those with explicit supervisory status. In contrast, the operationalisation in the German version of the LFS is much narrower as it is closer to measure management status rather than supervisory status. In order to cover additional aspects of the supervisory status, one of the two treatment groups received further questions. In split A, those answering the ESS question with “yes” were asked in a second question if they were formally respon2 The English wording of the ESS question in fact is even more extensive as it refers to any responsibility of supervision.
178
Reinhard Pollak, Heike Wirth, Felix Weiss, Gerrit Bauer, Walter Müller
sible to supervise the work of other employees, and in a third question if supervising the work of other employees constituted one of the main tasks in a person’s 3 job. The question about formal responsibility is derived from the British LFS. As it emphasizes formal responsibility, we expect it to code less employees as supervisors than the ESS Question alone. The third question relates to a definition of supervisors in the ESeC Draft User Guide: “Supervisors are employees who are neither managers nor professionals but who are responsible as their main job task for 4 supervising the work of other employees” (Harrison/Rose 2006: 11). However, instead of asking whether supervision is the main task (as suggested by Harrison/Rose), we relaxed the high requirement of this formulation by asking whether supervising is part of the main tasks. We assume that many workers who have supervisory status nevertheless can have various other tasks, and thus, the exclusive reference to the main task might be too narrow. Conceptually, there is a clear order among these questions: From question 1 to question 3 the requirements to be coded as a supervisor become more and more demanding. Positive answers to questions 2 and 3 imply a positive answer to ques5 tion 1. Now, how many workers are identified as supervisors by each of these questions? First, we compare the difference in the proportion of workers identified as supervisors by the ESS and the German version of the LFS question. As these questions are the first asked to each randomly generated split, the splits can be treated like experimental groups.
3 We are aware that some respondents might answer “no” in the first and “yes” in one of the following questions. In our survey pretest, we asked every question to every respondent and the proportion of yes-answers after denying the first question was close to zero. Further, the logic inherent in the ordering of the questions is quite clear and implicates that this response pattern makes no sense. 4 “Some datasets have a supervision question which includes the number of people supervised. In such case we recommend that someone should be supervising at least three people in order to be regarded as a supervisor”. (Harrison/Rose 2006: 11) 5 Because of the conceptually clear order of the questions and the results of our pretest, we planned to ask no further questions to those respondents who answered the ESS question with “no”. But about half of the respondents were asked all questions due to a technical problem during the data collection process. In this group, we can see that only a very minor part (4 out of 100) reply “yes” in questions A.2 and A.3 after replying “no” in question A.1. Therefore, we will base the construction of our ESeC classes on all cases.
Issues in the Comparative Measurement of the Supervisory Function using
Table 2:
179
Proportions of employees identified as supervisors by ESS and LFS question respectively.
Supervisor-Question ESS question LFS question (Germany) Difference
Percentage of Supervisors
N
95% Conf.Interval
42.2% 26.6% 15.7%
360 365
[0.35 ; 0.49] [0.21 ; 0.33] [0.07 ; 0.25]
Data Source: Mannheim Study of Employment and the Family, 2006
As table 2 shows, the two groups differ by about 16 percentage points in the proportion of workers identified as supervisors. The German LFS question identifies a clearly smaller proportion of workers as supervisors than the ESS question. According to a two-sample-comparison t-test (assuming equal variances) the group difference is statistically significant at least at the 0.01-level. Table 3:
Proportions of dependent workers identified as supervisors by ESS question and additional requirements
Supervisor-Question ESS question Formal Responsibility Supervising as main task LFS question (Germany)
Percentage of Supervisors 42.2% 30.8% 13.4% 26.6%
N 360 172 * 172 * 365
* Based on cases who where asked all questions of split A. The percentage refers to all employees. Data Source: Mannheim Study of Employment and the Family, 2006
Table 3 shows the proportion of supervisors depending on the different supervisor concepts which underlie our questions. When using the broad ESS definition, we identify about 42% of all employees as supervisors. With the concept of formal responsibility (British LFS), the proportion shrinks to 31%. The modified ESeC approach (“one of the main tasks”) is the most exclusive concept and categorizes only 13% of all employees as supervisors. As expected, the three measures are increasingly exclusive. In fact, they can be understood as an ordinal measurement.
180
1.2
Reinhard Pollak, Heike Wirth, Felix Weiss, Gerrit Bauer, Walter Müller
Effects of question wording on responsibilities held by employees identified as supervisors
What are the characteristics of a supervisory position and how do the three supervisory concepts differ with respect to these characteristics? In our Mannheim study, we tried to identify several areas in which we think supervisors have special responsibilities. The first two items (see table 4) address the organization and conduct of other employees. Supervisors could be seen as being responsible for the assignment of work duties to their fellow employees and of being in command on how these employees should conduct their work. The second set of items refers to the evaluation of subordinates, including performance appraisals, the authority to take disciplinary actions, and on wage/salary raise for the subordinates. The last item about strategic planning could be seen as an item that gears more towards managerial duties. Finally, the last column of table 4 reports the median number of subordinates. For each of the items, the respondents were asked whether – in a given field – they can take a decision on their own, whether they have to consult other co-workers or seniors for decisions, or whether they have no influence at all. In table 4, the first number in each cell refers to the share of supervisors who have full discretion in a given field, the number in brackets accumulates supervisors who have at least some discretion in a given field. Two main results can be read from these numbers. If we look at the columns and if we move from the left to the right of the table, we find a substantial decrease in the proportion of positive answers. Starting at the left side, the majority of supervisors have complete or at least partial discretion in the field of work assignment and 6 in the command of how the subordinates should do their work. More legally relevant items like performance appraisals, disciplinary actions, and wage raises are markedly less often to the supervisors’ own decisions. Pay increases in particular are apparently not an issue for supervisors to rule, but this could be a German specific phenomenon. Last, although quite a few supervisors are involved in strategic planning, this task is still likely to be more of a managerial task. In sumwith our items, we obviously address different elements of a supervisor’s work tasks, and we find substantial variation in the difficulty of these items to be answered positively by our supervisors. Our items might function as an empirical background for future work on the clarification of the supervisor concept. For the present purpose, however, it is more interesting to focus on the second main result of the analysis, which relates to the different definitions of a supervisor. 6 For now, we ignore the last two rows of the table.
Issues in the Comparative Measurement of the Supervisory Function using
55 b) (91)
a)
49 (89)
28 (76)
10 (61)
2 (31)
6 (61)
5
British LFS: formally responsible
69 (97)
55 (94)
39 (88)
15 (80)
3 (40)
7 (65)
7
modified ESeC proposal: among main tasks
86 (97)
72 (93)
59 (93)
28 (93)
7 (52)
10 (69)
13.5
German LFS: „leading“ position
77 (96)
67 (91)
40 (87)
19 (79)
6 (42)
13 (67)
7
British LFS net: formally responsibe, but not as a main task
60 (96)
48 (94)
29 (85)
9 (75)
1 (35)
6 (62)
5
ESS net: Superv. task, but not formally resp. and not as a main task
30 (82)
35 (79)
10 (54)
0 (21)
0 (12)
4 (56)
3
plannin
g work assignin
g
ESS: supervising task
duties
strategic
number of (median subordinates )
Summary statistics of supervisory responsibilities by various definitions of supervisory status comma nd employ of how ees to c onduct giving p erforma nce apprais al taking d isciplin ary action raising wage/sa lary
Table 4:
181
Respondents had three answer categories for any given area: 1) R is able to decide on his or her own; 2) R has to consult co-worker and/or senior for decision; 3) R has no decision power at all. a) Proportion of supervisors who have full discretion in a given field (answer category 1) b) Proportion of supervisors who have at least some or full discretion (answers categories 1 and 2 accumulated) Numbers of observations differ by definition of supervisory status: ESS: N=148; British LFS: N=94; ESeC proposal: N=29; German LFS: N=95, British LFS net: N=68; ESS net: N=48 Data Source: Mannheim Study of Employment and the Family, 2006
If we look at the the first three rows we find strong variation in the answers of supervisors depending on the supervisory concept. The ESS definition is the most
182
Reinhard Pollak, Heike Wirth, Felix Weiss, Gerrit Bauer, Walter Müller
comprehensive one. For all items, these supervisors have the lowest numbers of positive answers. In addition, their median number of subordinates is the lowest as well. The British LFS definition ranges in the middle. About 69% can assign work duties at their own discretion, about 39% give performance appraisals, but only 15% are eligible to decide autonomously on disciplinary actions. Together with co-workers and seniors, their influence ranges between 97% and 80% for the first four items. The modified ESeC definition (“one of the main tasks”) is the most exclusive definition. Together with other co-workers and seniors, almost all supervisors have some say with respect to the first four items (between 93-97%). About 86% of these supervisors can assign work duties independently, 59% give performance appraisals, and for disciplinary actions, there are still 28% who can decide these matters without consultations (this share is about twice as high compared to the British LFS definition). The median number of subordinates is also highest with 13.5 employees. The decline in positive answers as we move to the items at the right hand side of the table can be also found for supervisors defined by the modified ESeC proposal. Yet, this decline is much less pronounced, in particular if we look at the combination of the two positive answer categories. The German LFS question returns similar results to the British LFS question. It is only in the first two items where the German LFS definition shows more supervisors who can decide independently. Overall, our data suggest that the most exclusive supervisor definition (modified ESeC proposal) returns hardly any false positive supervisors, i.e. employees coded as supervisors even though they do not have supervisory responsibilities. The “ESeC” supervisors seem to be well equipped with supervisory rights in the area of work organisation and evaluation of their subordinates. One could argue, though, that some of them could even be seen as managers, or, in other words, that the high level of supervisory responsibilities found might be due to the fact, that a large proportion of the “ESeC” supervisors are indeed managers. A replication of the present analysis, in which managers (identified by ISCO88) are excluded, however, returns practically the same results, and thus does not affect our conclusions. The modified ESeC definition, therefore, appears to be an adequate definition to identify “true” supervisors (whatever concept one has in mind about supervisors). Yet, the question is whether the modified ESeC definition produces false negatives, i.e. respondents who are coded no supervisor although in fact they are supervisors at their workplace. If we compare the number of respondents who are coded supervisor according to the British LFS definition and according to the modified ESeC definition, we find that the number of LFS supervisors is three times higher than the number of modified ESeC supervisors. If we recall the rather moderate differences between these two definitions in the su-
Issues in the Comparative Measurement of the Supervisory Function using
183
pervisor characteristics of table 4, one might suspect that the modified ESeC definition in fact misses some “true” supervisors. To get some idea about these very supervisors, the forth row in table 4 represents those supervisors who are formally responsible to supervise the work of other employees, but it is not one of their main tasks, i.e. we consider the “net supervisor definition” of the British LFS question. The figures in brackets show that at least three quarters of these supervisors have at least some decision-making power with respect to the first four items. About 60% of them are even independent when it comes to work assignments, about 48% when it comes to the conduct of work of the subordinates and still about 29% give performance appraisals independently. One could well argue that these respondents should be regarded as supervisors, too. In the last row of table 4, we did the same analysis with the ESS question. We only considered those respondents who were coded supervisor under the ESS definition, but not under the definition of the British LFS or the modified ESeC proposal. As can be easily seen, these respondents are very much restricted in supervising their subordinates independently –only about one third of the respondents are eligible to assign work duties and control the conduct of work of their subordinates. In all other fields, they have much less say. The analyses in table 3 and 4 show that our three main definitions of supervisors (ESS, British LFS, and modified ESeC proposal) differ substantially when it comes to the number of supervisors identified and when we look at the characteristics and the autonomy the supervisors have. The modified ESeC definition is a very strict definition, and we suspect that it might produce false negatives. One could argue that the best definition is somewhere in between the modified ESeC definition and the British LFS definition. The ESS question, however, is apparently too comprehensive. It produces too many false positives, at least for Germany. The definition of supervisors, however, might affect the distribution of ESeC classes because supervisory status is seen as a special kind of employment relationship that results in a “higher” class position. It is this effect of the supervisory definitions on ESeC to which we will turn now. 1.3
The impact of question wording on the distribution of ESeC Classes
Given that the different questions identify clearly different proportions of supervisors, what is the impact on the construction of the ESeC classes? To examine this, four ESeC versions are constructed, using each supervisor procedure in turn. Table 5 and figure 1 illustrate how the four different supervisor procedures lead to different sizes of the ESeC classes.
184
Reinhard Pollak, Heike Wirth, Felix Weiss, Gerrit Bauer, Walter Müller
Class I, the higher salariat occupations, is by definition not affected by supervisory status, because coding into class I does not depend on having or not having supervisor status. We should note, however, that for all procedures to identify supervisors a part of those identified as supervisors will be coded class I, because class I members may indeed supervise other personnel, managers in particular, but also other class I occupations. As class I codes do not depend on supervisor status, the (remarkable) differences in Class I proportions between the different versions in split A (10.7 percent) and split B (6.8%) can only be caused by random sample 7 differences. But how does the assignment of respondents to the other six ESeC Classes – considering only workers in dependent employment – change as the supervisor question varies. The proportions of respondents assigned to both ESeC class 2 and ESeC class 6 decrease as the supervisor question is formulated in a more and more narrow way and therefore produces fewer supervisors. In split A, the proportion of ESeC 2 declines from 29% to 24% and the proportion of ESeC 6 declines from 19% to 5%. The German LFS version produces 24% ESeC 2 and 12% ESeC 6, and thus comes closest to the “formal responsibility” variant in Split A. The varying supervisor questions affect much more the size of ESeC class 6 than that of ESeC class 2. This is likely due to the fact that being coded into class 2 is mainly a result of being employed in a specific occupation, whereas class 6 codes mainly derive from supervisory responsibilities. All other ESeC classes become larger when supervisors are defined more narrowly. Interestingly, the proportions of each class 3, 7, 8 and 9 increase at a similar rate (proportional to the size of each of these classes). In other words: When we move from a strict to a less strict operational definition of supervisors, a similar proportion of respondents coded in each of the classes 3,7,8 and 9 become super8 visors . In conclusion: The wording of questions to identify supervisors thus influences to a non-negligible extent the proportion of workers identified as supervisors, and in consequence also the ESeC class distribution. In order to improve the distinctiveness of the ESeC classes, a question is needed, that identifies only those employees as supervisors who hold a clearly distinct position from other employees with the same job. Considering this, the ESS question might be too broad and might code too many employees as supervisors. In thinking about a theoretically 7 Because of that, ESeC Class 1 is not illustrated in Figure 1. 8 According to a two-sample-comparison t-test (assuming equal variances) the group difference in ESeC Class 1 between the ESS and the German LFS Question is not statistically significant at the 0.05-level whereas in Class 6, this difference is statistically significant on that same level.
Issues in the Comparative Measurement of the Supervisory Function using
185
appropriate operationalisation, it should be of particular interest which aspect of the supervisor position justifies shifting an employee to another class position. Table 5:
ESeC classes based on different supervisor-questions Random Split A ESS
ESeC class 1. Higher Salariat Occ. 2. Lower Salariat Occ. 3. Intermediate Occ. 6. Lower Superv. & Techn. 7. Lower Service Occ. 8. Lower technical Occ. 9. Routine Occ. N
(A1) 10.7 29.4 16.5 18.7 8.0 7.0 9.8 327
Formal Supervision Responsibility as main task (A2) (A3) 10.7 10.7 27.5 23.9 18.4 22.0 11.3 4.9 9.5 11.9 9.5 11.4 13.2 14.7 327 327
Random Split B German LFS (B1) 6.9 24.4 19.6 11.8 15.4 10.8 11.1 332
Data Source: Mannheim Study of Employment and the Family, 2006
Although our analysis is limited to the German case, we think that similar variation will exist in other countries as well. For comparative research at least two further difficulties can be expected: One may derive from different institutional arrangements of supervisory functions that are due to different national legislative norms, work organization and agreements among social partners; the second may be due to the multi-language nature of surveying in different countries and the difficulties to find functionally equivalent measurement procedures using different languages in different institutional settings. Next, we will turn to these issues and examine the ESS and LFS operationalisation of the supervisor status as presently implemented in the various countries who participate in these surveys. We are particularly interested in the comparability (both between the two surveys and between different countries) of the measurement procedures used.
186
Reinhard Pollak, Heike Wirth, Felix Weiss, Gerrit Bauer, Walter Müller 40
40
35
35
30
30
25
25
20
20
15
15
10
10 Lower salariat Intermediate occ. Lower supervisor ESeC 7-9
5
5
0
0 any responsibility
formal responsibility
supervising as one
leading position
ESS
LFS GB
of the main task
LFS Germany
Split A
Split A
Split A
Split B
Data Source : Mannheim Study of Employment and the Family, 2006 Figure 1:
2
Impact of different supervisor questions on the proportions of ESEC classes 2 (lower salariat), 3 (intermediate occupations), 6 (lower supervisory and technicians), and 7-9 (lower service occupations, lower technical occupations, routine occupations)
Operationalisation of supervisory status in the European Social Survey (ESS) and the EU-Labour Force Survey (LFS)
While in the previous section we were concerned with implications of different operationalisations of the supervisory status on the ESeC classification, we now briefly review the practice of comparative measurement of supervisory status in two widely used large scale population surveys in Europe, the ESS and the LFS. Both surveys differ in many respects (such as subjects covered, methodology, sampling procedures and sample size), both explicitly aim to collect data with a high degree of comparability. But, to achieve comparative measurement, different strategies are pursued. The ESS strives to achieve comparability mainly through
Issues in the Comparative Measurement of the Supervisory Function using
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input harmonization using equivalent measurement procedures (HoffmeyerZlotnik/Wolf 2003). The most important means to achieve this is to use identical survey instruments that in the different countries ideally differ only in the language used. To realize this, a master questionnaire, written in a source language (English in the case of the ESS) is translated into other languages with the aim to attain for each question a semantically equivalent meaning.9 The LFS philosophy is different. It follows the strategy of output-harmonization. Output harmonisation starts with an internationally agreed definition for variables (including the statistical units, categories and classifications) not questions and leaves it to each country how to implement the variables. In case of an ex-ante output harmonisation, the international standard is already included in the measurement procedure. In case of an ex-post output harmonisation, conversion procedures are used to adapt existing national statistics to the agreed international standard (Ehling 2003). The evaluation of the comparability of the respective questions in the ESS and LFS questionnaires in different countries is difficult and the present exploration can only be a very first step. A major difficulty is, to understand exactly what has been measured by the questionnaires written in so many different languages. We had experts translating the supervisor question from the different languages back to English. For both, ESS and LFS the question asked in the national questionnaires together with back-translation into English are shown in the Appendix. These translations might not be fully adequate in all cases. So we kindly ask for support and advice when our suggested translations or our understanding of it are not adequate. We think, however, that even at this initial examination, as rudimentary as it may be, the results are clear enough to indicate that for both surveys, fur9 The translation procedure implemented in the ESS follows the so called „Translation, Review, Adjudication, Pre-Testing and Documentation (TRAPD) -approach (ESS Tech. Report, 2004; p. 3) instead of other commonly used practices such as back-translation. In the first step, two professional translators translate independently the English version into their strongest language (normally their native language). In a review panel, then the two translators meet with a reviewer to discuss the translation. They are supposed to compare the two translations question by question and document the discussion. In the adjudication step an adjudicator who either sits in the review panel or compares both translations and the reviewer´s comments decides on that basis. Someone can be at the same time adjudicator and reviewer. Both the reviewer and the adjudicator have to be familiar with the aims of the survey, research methodology and need to be fluent in both languages. If no one can fulfil all this, review and adjudication can be done by a team. When countries “share” languages, they are encouraged to cooperate and to “avoid unnecessary differences in translation” (ESS Tech. Report 2004; p. 8). On the other hand, there is no explicit insistence to “use the same wordings throughout” (ESS Tech. Report, 2004; p. 8)”. In countries with multiple languages, after the review process in each language, there has to be one adjudicator to harmonize the questions asked in the country.
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ther efforts should be made to improve the comparability of the measurement of supervisory status. For examining the questions it will be useful to distinguish between-country and within-country-variation. Between-country-variation can occur even between countries sharing a common language when the question is asked differently in the different countries. Within-country-variation can occur when a country implements the questionnaire in more than one language. 2.1
Supervisory status as measured in the ESS
To collect information about supervisory status, the English “Source Language Questionnaire” formulates: “In your main job, do/did you have any responsibility for supervising the work of other employees?” (our italics). In the ESS protocol the crucial aim is a semantically equivalent translation. We therefore mainly focus on this aspect. In the first section of the paper we have already observed that the ESS question represents a rather extensive understanding of supervisory status. In comparing different translations of the source question, particular attention should be paid to the italicized terms because they refer to essential elements in the ESS understanding. A different articulation of these elements in the translation may affect the respondents’ understanding of the question and their response to it. Now, how do the translations represent the different elements? Almost all translations refer directly to the respondents’ main job. “Responsibility” and “supervising”, on the other hand, appear to be conceptualized with different connotations in different translations. In many instances, for example, the reference to the extensive qualifier “any responsibility” is lacking. Supervision sometimes receives the connotation of “leadership” or “management”. Another important distinction is whether supervisory responsibility refers to other “employees” or – much broader – to other “people” or “persons”. A teacher, for example, might not necessarily be supervising other employees (as intended in the concept of supervisory status), when he or she affirms responsibility for the supervision of other persons (e.g. students); and a jailor might supervise prisoners but not necessarily other employees. To take a somewhat more systematic approach, we classify the diverse translations in three groups, “Close to English wording”, “At most one element clearly different from English wording” and “More than one element clearly different from English wording”. Results are summarized in table 6. Evidently, there is some uncertainty about the placement of given translations into the three groups. Even though we are liberal in the understanding of what is
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“close to the English wording”, in quite a number of cases the translations are not “close” to the meaning of the question in the master questionnaire.10 We cannot discuss each single case. Rather we select a few exemplary cases, in which we mainly focus on different national translations into an “identical” target language. Table 6:
Wording of the ESS supervisor question compared to the English master question11
Close to English Wording
At most one element clearly More than one element clearly *) different from English wording different from English wording
Austria (German) Belgium (French) Denmark (Danish) Greek (Greece) Israel (Arabian) Israel (Hebrew) Luxembourg (French) Norway (Norwegian) Portugal (Portuguese) Spain (Castilian) Spain (Catalan) Switzerland (French) Switzerland (German) Switzerland (Italian)
Belgium (Flemish) Finland (Finnish) Finland (Swedish) Germany (German) Hungary (Hungarian) Iceland (Icelandic) Italy (Italian) Netherlands (Dutch) Slovakia (Hungarian) Ukraine (Russian) Ukraine (Ukrainian)
Czech Republic (Czech) Estonia (Estonian) Estonia (Russian) France (French) Israel (Russian) Poland (Polish) Sweden (Swedish)
*)
Cases are coded into this category as well if only one element is clearly different and if this leads to deviation from the English master question, for example asking for people or persons instead of employees
10 Translations that we consider as far from the English source include e.g. the Swedish version, – which does not refer to the main job and asks for leadership function in work rather than supervisor responsibility – or the Polish version – which uses the wording “oversee the work of other people” , and thus can mean quite different things than “supervising other employees”. Examples of smaller deviations in the middle category are the Hungarian version – which only asks whether the respondent has any subordinates, but it does not refer to the responsibility of supervision – or the Icelandic version, which asks for overseeing rather than supervising the work of other employees. If the Icelandic wording really means “to oversee” this is likely to have broader connotations than “to supervise”. 11 Unfortunately, there is even some variation in question wordings within a given country between different waves of the ESS. In Appendix A we show which wave we are using for a given country.
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For the ESS, the supervisor question has been translated into three different German versions for Switzerland, Austria and Germany. French versions exist for Switzerland, France, Belgium and Luxemburg. Both of these country groups are good examples to illustrate how differently the same source question can be translated into a largely identical language (table 7) – even within a culturally quite homogeneous area. Among the German translations, the one used in Germany appears to be problematic. It contains one clearly different element: Instead of referring to supervisory responsibility, it refers to supervisory tasks. Asking for supervisory tasks emphasizes less the formal aspect of supervision than asking for responsibility. The German question can therefore provoke more false positives than the English source. The Swiss and the Austrian translations both come close to the English wording, though in a different way. The Austrian translation is almost literal, but does hardly correspond to common language use. The Swiss version is better in this latter respect, but the “any”-element of the source question is missing. In the French versions, Belgium and Switzerland used exactly the same wording of the supervisor question. All key-terms – main job, supervise / supervision, employees and responsibility – are included. But “any” before “responsibility” is replaced by a definite article. We consider this version and the translation used in Luxemburg therefore as close to the English master question. The translation used in France can have more general connotations: “Encadrer” may be understood as supervising, but it can also have the meaning of ”taking care of someone”. Especially, as the question refers to other persons and not to other employees, it may not be understood as supervision in the intended sense. Substantial differences in question meaning may also result when within a 12 country different languages are used . Take Israel as an example: Whereas the Hebrew and Arabic translations refer to “responsibility of supervision” respectively “supervisory responsibility”, the Russian language version – “Are you responsible for the work of other colleagues (or co-workers) at your main working place?”– means clearly something rather different. Another example is Belgium: While the French version is close to the English source, the Flemish version does not refer to the main job, and besides “supervision” it also mentions “give leadership”. Even though the ESS project has made big efforts to achieve equivalent translations with its TRAPD procedure, the resulting instruments to measure supervisory status still appear to vary quite a bit in the questionnaire versions of different coun-
12 It should be taken into consideration that Israel needs three language versions, and can share none of these with another ESS-country. To reduce somewhat the burden of questionnaire translation with all the TRAPD-rules (see note 11) , Israel was allowed a somewhat less strict translation procedure (ESS Tech. Report., 2004: 9).
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191
tries. The different instruments then are likely to lead to measures of supervisory status that are not fully comparable between different countries. Table 7:
The wording of German and French ESS supervisor questions in different countries
Country
German
English
Austria
Haben/Hatten Sie in Ihrer Hauptbeschäftigung irgendwelche Verantwortung in der Aufsicht über die Arbeit anderer Beschäftigter? Sind/waren Sie in Ihrem Hauptberuf für die Beaufsichtigung von anderen Mitarbeitenden verantwortlich? Gehört/gehörte es in Ihrem Hauptberuf zu Ihren Aufgaben, die Arbeit anderer Mitarbeiter zu beaufsichtigen? French
Do/Did you have in your main job any responsibility of supervision over the work of other employees?
Switzerland
Germany
Belgium and Switzerland Dans votre emploi principal, av(i)ez-vous la responsabilité de superviser le travail d’autres employés ? France Dans votre emploi actuel, av(i)ez-vous la responsabilité d’encadrer d’autres personnes? Luxembourg Dans votre travail principal, avez/aviez-vous des responsabilités de supervision du travail d’autres employés?
2.2
Are you in your main job responsible for the supervision of other employees? In your main job, does/did it belong to your tasks to supervise the work of other employees? English In your main job, do you have the responsibility to supervise the work of other employees? In your current job, do you have the responsibility to supervise other persons? In your main job/work, do you have responsibilities to supervise the work of other employees?
The supervisory question in the European Labour Force Survey
As shown above, in academic surveys like the ESS the preferred strategy to attain international comparability is mostly based on input harmonisation. Starting from internationally agreed standards, all participating countries use harmonised methods (e.g. the same wording of questions and answering categories as well as sequence of questions) in implementing the standards. As a rule, country specific
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differences should be restricted to the language used for the questionnaire. Thus, while in the ESS there is a master question regarding the ‘supervisory status’ of employees, which can be used to look for variations between countries, such a master question does not exist with respect to the Labour Force Survey (LFS). As a starting point, we therefore use the explanatory notes given in the Draft Commission Regulation (Doc. Eurostat/D0/04/DSS/8/2/EN-rev) regarding the implementation of the variable ‘supervisor responsibilities’ in the LFS. While the codification (name, column, periodicity, code, description, filter)13 of the variable is binding to the National Statistical Institutes when transmitting the data to Eurostat, the explanatory notes are only recommendations and do not have legal status. Nevertheless, these recommendations and their application are essential for obtaining comparable data at the European level and therefore can be used as a baseline to compare the supervisor questions between specific countries. According to the explanatory notes “a person with supervisory responsibilities takes charge of the work, directs the work and sees that it is satisfactorily carried out” (Draft Commission 2004: 33). In this sense supervisory responsibility includes § “formal responsibility for supervising other employees14 (other than apprentices), whom they supervise directly, § sometimes doing some of the work they supervise”. Supervisory responsibilities does not include § “quality control (…) and consultancy” Furthermore the supervisory responsibilities refer to the main job. Persons, who are having supervisory responsibilities only on a temporary basis, because they are replacing another person absent, should not be considered as supervisors. In case the supervisory responsibility is only part of a person’s job or is shared with others, the person should nevertheless be considered as having supervisory responsibility. Persons are considered to have supervisor responsibilities if they supervise the work of at least one other employee. In the next step, we were interested whether specific key terms mentioned in the explanatory notes are included in the wording of the LFS supervisor questions. By comparing different questions, the focus is on the terms ‘formal responsibility’, ‘other than apprentices’, ‘main job’ and ‘regular basis’. The country specific questions and their English translation are documented in Appendix B. To begin with, 13 For details see: Commission Regulation (EC) No 430/2005. 14 In this sense, the function (not the job title) defines supervisory responsibilities. A ‚playground supervisor’, for example, supervises children, but not employees, and therefore is not be considered to have supervisor responsibilities. Also a ‘store manager’ could be only a storekeeper and not a supervisor of employees (Draft Commission 2004: 33).
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none of the LFS questions explicitly include all four key terms, and only a few refer to at least one key term. Most likely the questions refer to the criteria ‘formal responsibility’; the other criteria are each mentioned only once. The summarized results are listed in table 8. The missing reference to the ‘main job’ might simply be explained by a preliminary filter set in the questionnaires, that is, the supervisor question in fact only refers to the respondent’s main job. In case of the other criteria ‘formal responsibility’, ‘other than apprentices’ and ‘regular basis’ we do not know, whether the missing reference in the question actually means that these criteria are not considered or whether further explanations concerning the supervisor question are to be found in the LFS interviewer manuals.15 However, even if there are further explanatory notes in the manuals, the international comparability of the data would gain a lot, if the important key terms are explicitly included in the questions. Table 8:
*
The extent to which the wording of the ‚supervisor question’ in the European Labour Force Surveys** meet the criteria mentioned in the explanatory notes
LFS supervisor question mentions… …at least one of the key terms …none of the key terms Cyprus Czechia France Germany Ireland Switzerland UK
Austria Belgium Denmark Greek Hungary Italy Luxembourg Norway Slovenia Spain Sweden
* Including additional notes in the questionnaire, as far as we know them ** Our list of countries needs to remain incomplete. Neither did we contact all NSIs, nor did all NSIs, that we contacted, responded to our requests.
Like in the ESS, it seems that the conceptualization of ‘supervisory responsibilities’ in the LFS comes along with different connotations in different languages or 15 In Austria, for example, the LFS interviewer manual points out that supervising of apprentices should not be considered as supervisor responsibilities.
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countries. Provided that our English translations of the questions are adequate,16 in some countries the supervisory concept is operationalized by just asking the respondents whether they supervise the work of other employees. In other countries, the respondents are asked whether they supervise other employees, which might not necessarily bear the same meaning, but very likely will not be mistaken by the respondents. A more striking contrast, which could influence the comparability of the data, is that in some countries the respondents are asked whether they are (supervising or) coordinating the work of other employees. Coordination could include supervising, but doesn’t have to. A secretary, for example, typically coordinates the work of other employees (meetings, correspondence, business trips etc.), but as a rule, she is not supervising employees in the sense of the supervisory concept. Therefore, asking not only for ‘supervising’ but also for ‘coordinating’ seems to widen the scope of the supervisory concept too much. A similar problem arises, when – as it is true for many LFS supervisor questions – the respondents are asked whether they are (supervising and/or) managing the work of other employees. We might be wrong, but according to our understanding, ‘managing’ refers to the executive personnel and therefore is a much narrower concept than ‘supervising’, which rather refers to foremen functions. Among all the LFS questions we looked at, the most deviating concept of supervisory responsibilities is found in the German and the Austrian LFS. The respondents are either asked whether they have a leading function (Austria) or a leading position (Germany) (see table 9). This concentration on a leading or managerial function (or even worse: ‘position’) seems to us a quite exclusive concept, because it refers mainly to executive personnel. It can therefore be assumed, that the share of respondents who will answer ‘yes’ very likely will be quite small, at least a lot smaller than in case of a ‘supervisory/coordinating’ or ‘supervisory/managing’ question. One might wonder why Germany and Austria deviate to such an extent from other countries. A quite simple explanation can be found in the Official Journal of the European Union (L71/41; 17.3.2005), in which the codification of the LFS supervisor question (not the wording of the question) is specified. Accordingly, the official EU translation of ‘supervisor responsibilities’ is 17 ‘Leitungsfunktionen’ . This seems a rather bewildering translation, given the explanatory notes to the supervisory concept described above. Moreover, like the reference to ‘coordinating’ or ‘managing’ in some LFS questions, this translation indicates that there is some uncertainty, what precisely should be measured by the supervisory concept. 16 The questions and translations are listed in Appendix A. In case our understanding of a question is not adequate, any comments are welcome. 17 Which would be translated back into English as leading or managerial functions.
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To what extent the conceptualisation of the supervisor status varies even when the same language is used, is illustrated in table 9 for Austria, Germany, Switzerland and Belgium, all of which have a German version of the LFS questionnaire. While the Austrian and German questions as just described exclusively refer to a leading function (or position), the Belgian question refer to supervising and coordinating responsibilities. In contrast, in the Swiss questionnaire the respondents are simply asked how many persons were responsible to them. In terms of the explanatory notes, all questions are imperfect. Nevertheless, while the Austrian and German supervisor questions are much too exclusive and the Belgian question seems much too broad, the Swiss version in our understanding is the most adequate implementation of the supervisory concept. It not only asks for the number of subordinates, but by using the term ‘unterstellt’ it also implies a formal responsibility, thus making sure, that the respondent does not mistake ‘coordination’ for ‘supervising’. Table 9:
German LFS Questions
Country
German
Austria
Haben Sie in Ihrer Tätigkeit Leitungsfunktion? (Das kann auch in weniger qualifizierten Berufen der Fall sein)
English
Do you have leading [managerial] function in your job? (This could also be the case in less qualified jobs) Germany Sind Sie in Ihrer (Haupt-) Erwerbstätig- In your (main) job, are you in a leakeit in einer leitenden Position tätig? ding [managerial] position? Switzerland Wieviele Personen sind Ihnen direkt How many persons are altogether oder indirekt ingesamt unterstellt? directly or indirectly responsible to you? Belgium Trägt F/H Verantwortung, d.h. hat F/H Does she/he have responsibility die Aufsicht bzw. die Koordination über that is supervising and coordinates die Arbeit anderer Arbeitnehmer respectively the work of other employees.
If we had a closer look to the English or French language versions (see Appendix) we also would find some important variations. Even if they are not as crucial as in the German versions, slight differences in the meaning of questions, might influence the share of ‘supervisors’, as has been shown by the Mannheim Study. Insofar as the purpose of the implementation ‘supervisory status’ in the LFS is not only to separate ‘supervisors’ from ‘other workers’, but also to monitor ‘gender equal-
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Reinhard Pollak, Heike Wirth, Felix Weiss, Gerrit Bauer, Walter Müller
ity’, ‘equal opportunities’ as well as it might be used as an indicator of ‘career progression’ (Bundesrat 2003; Eurostat 2005), it seems adequate to rethink the supervisory concept.
3
Discussion
The supervisory status is an important element to construct the new ESeC classification. This paper explores several open issues in the measurement of supervisory status in comparative research. Even though the analyses that we can provide in this paper are exploratory and rudimentary, they lead to several observations to be taken into consideration for further improvement in the measurement of supervisory status. (a) Different existing ways to conceptualize and operationalise supervisory status lead to clearly different proportions of the employees identified as supervisors. The groups identified as supervisors by the different, more or less strict delimitations, clearly differ in their supervisory responsibilities. In turn, this also leads to clearly different distributions for the ESeC classes. It is thus important that both, an explicit definition of supervisory status and well defined measurement procedures are elaborated and used in data collection. (b) So far, measures of supervisory status in different large scale surveys in Europe such as the ESS and the LFS are based on different conceptions of supervisory status. In the ESS supervisory status is operationalized rather broad. By referring to “any responsibility of supervision”, it is likely to identify workers as supervisors even if their supervisory functions constitute only marginal elements of their job profile, that hardly make a difference to common employees. The LFS requires formal responsibility for supervising other employees. If we can trust the findings of our pilot study for Germany to be generally indicative of work and job organisation in modern organisational contexts, then formally having supervisory functions does represent a more narrow definition of supervisory status than the ESS concept. According to the LFS definition, employees are considered supervisors if they supervise at least one other employee. The LFS may thus also identify supervisors with very limited supervisory functions. In contrast, the ESeC notion that supervisors “are responsible as their main task for supervising the work of other employees” (Harrison/Rose 2006:11) may be too exclusive a requirement. Supervisors often have a rather complex task profile. It might thus be more adequate to only require, that supervising the work of other employees is part of (or among) the main tasks of an employee. Even with this latter requirement the proportion of supervisors turned out to be the lowest in the German pilot study.
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Whatever solution will be found to this issue, it would be highly useful if a standard could be developed and this standard applied in uniform ways in future surveys, be they carried out by social sciences researchers or by National Statistical Institutes. (c) Another source of heterogeneity in particular in cross-national comparative research derives from incompatible implementations of agreed concepts in different countries. As our explorations on this issue show, the problem occurs with both, input- and output-harmonization strategies. In the implementation stage not enough attention is given to scrutinize all different national and language versions of a questionnaire in order to bring to light such inconsistencies. If they can be found post festum – when the data are already collected – it must be possible as well to find them before the survey is fielded. One way to reduce the problem would involve meetings of expert groups who critically check instrument by instrument and pursue this task with a view on all countries or at least large groups of countries taken together. This is certainly rather tedious, but inconsistencies are most likely to come to light if different implementations are compared. (d) Even though we do not have yet a perfect solution for all the issues that we raised, it does not invalidate the efforts made on the way to develop ESeC. Progress is a process in steps. It is already an important step to see more clearly where additional work is needed. The comparative measurement of supervisory status could certainly be improved with experiments similar to those described in the first section of the paper, but with larger samples and in a larger set of countries. Even without such experiments, the formulation of the questions to measure supervisory status should be revised to become more consistent with the intended concepts, at any rate in some of the countries.
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Reinhard Pollak, Heike Wirth, Felix Weiss, Gerrit Bauer, Walter Müller
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Appendix A ESS Supervisor Questions and their translation into English18 Germanic Languages English source questionnaire In your main job, do/did you have any responsibility for supervising the work of other employees? Danish
English
Har/havde du ansvar for at føre tilsyn med andre medarbejderes arbejde i dit primære job? Dutch
In your main job, do you have any responsibility for leading/supervising other employees? English
Belgium and b Netherlands
Heeft u enige verantwoordelijkheid (gehad) om leiding te geven of toezicht te houden op het werk van andere werknemers?
German
German
Are you responsible for the supervision or (leiding) of other employees OR: Do you have any responsibility "to give leadership" or to hold supervision on the work of other employees? English
Danish b
Denmark
Dutch/Flemish
Austria
a
b
Germany
Switzerlandb
Icelandic Iceland
b
Haben/Hatten Sie in Ihrer Hauptbeschäftigung irgendwelche Verantwortung in der Aufsicht über die Arbeit anderer Beschäftigter Gehört/gehörte es in Ihrem Hauptberuf zu Ihren Aufgaben, die Arbeit anderer Mitarbeiter zu beaufsichtigen? Sind/waren Sie in Ihrem Hauptberuf für die Beaufsichtigung von anderen Mitarbeitenden verantwortlich? Icelandic
Do/Did you have in your main job any responsibility of supervision over the work of other employees? In your main job, does/did it belong to your tasks to supervise the work of other employees? Are you in your main job responsible for the supervision of other employees? English
Þarft/þurftir þú, í aðalstarfi þínu, Do you/Did you, in your main að hafa umsjón49 með vinnu an- job, oversee the work of other emnars starfsfólks? ployees?
18 The questions for a given country are taken from: a: ESS Wave 1; b: ESS Wave 2
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Reinhard Pollak, Heike Wirth, Felix Weiss, Gerrit Bauer, Walter Müller
Norwegian b
Norway
English
Har/hadde du noe ansvar for å lede andre ansattes arbeid i hovedjobben din?
In your main job, do you have any responsibility for the (supervision/leadership) of other employees? English
Swedish
Swedish Finland
Norwegian
a
Har/Hade Ni underordnade eller hörde det till Era uppgifter att leda andras arbete i Er huvudssyssla? Har/Hade du någon arbetsledande funktion?
Swedenb
In your main job, does it belong to your tasks to supervise other employees or do you have subordinates? Do you have in your job any leading / supervising responsibilities?
Romanic Languages French
French
English
Belgium and b Switzerland
Dans votre emploi principal, av(i)ez-vous la responsabilité de superviser le travail d'autres employés ? Dans votre emploi actuel (dernier emploi occupé), av(i)ez-vous la responsabilité d'encadrer d'autres personnes ? Dans votre travail principal, avez/ aviez-vous des responsabilités de supervision du travail d'autres employés ? Italian
In your main job, do you have the responsibility to supervise the work of other employees?
Nella Sua attività principale, Lei ha/aveva la supervisione o la responsabilità diretta sul lavoro di altre persone? Nel suo lavoro principale ha/ha avuto un incarico di supervisione del lavoro di altri impiegati ?
In your main job, do you have a supervisory function or the direct responsibility for the work of other persons? In your main job, do you have a responsibility to supervise the work of other employees?
France
b
a
Luxembourg
Italian Italy
b
Switzerland
b
In your main job, do you have the responsibility to supervise the work of other persons ? In your main job/work, do you have responsibilities to supervise the work of other employees? English
Issues in the Comparative Measurement of the Supervisory Function using
Portuguese Portugal
b
Spanish: Castilian Spainb
Spanish: Catalan Spain
b
201
Portuguese
English
No seu trabalho principal tem/ teve alguma responsabilidade de supervisão do trabalho de outras pessoas?
In you main job, do you have any responsibility of supervising the work of other persons?
Castilian
English
En su trabajo principal ¿Es/Era Ud. responsable de supervisar el trabajo de otros empleados?
In your main job, are you responsible to supervise the work of other employees?
Catalan
English
En la seva feina principal, és/era In your main job, are you responvostè responsable de supervisar el sible to supervise the work of ottreball d'altres empleats? her employees?
Slavonic Languages Czech Czech Republic
Polish Poland
b
Russian Israela
Ukraineb
Estoniab
b
Czech
English
Máte /ml(a) jste ve své hlavní pracovní
innosti zodpovdnost za vedení jiných zamstnancç? Polish
In your main job, do you have any responsibility for leading other people? English
Czy w swoim glównym miejscu pracy kieruje/kierowal/a P. prac innych osób? Russian
Do /Did you oversee the work of other people at your main working place? English Are you responsible for the work of other colleagues (or coworkers) at your main working place? At your main job did you use to supervise your co-workers or to be responsible for their work? In your main job, are you responsible for managing or supervising the work of other people?
202
Reinhard Pollak, Heike Wirth, Felix Weiss, Gerrit Bauer, Walter Müller
Slovakian Slovakian
b
Slovenian Slovenia
b
Ukrainian Ukraine
Slovakia
English
Vo vašej hlavnej práci máte/mali ste nejakú zodpovednos’ za riadenie a dozor nad prácou iných zamestnancov? Slovenian English Ali pri svojem delu tudi nadzorujete delo drugih zaposlenih, oziroma ste zanj odgovorni? Ukranian English
b
At your main job do you use to supervise your co-workers or to be responsible for their work?
Finno-Ugristic Languages Estonian Estonia
b
Finnish Finland
a
Hungarian b
Hungary Slovakia
b
Estonian
English
Kas Te olete / olite oma põhitöökohal vastutav teiste töötajate töö juhendamise või järelevalve eest? Finnish
In your main job, are you responsible for advising or supervising the work of other employees?
Onko / oliko teillä päätyössänne alaisia tai kuuluiko tehtäviinne ohjata muiden tekemää työtä? Hungarian
Do you have employees (subordinates) in your position at work or does your work include supervising others? English
Vannak-e / voltak-e Önnek beosztottjai a föállásában? Állásában vezetnie és felügyelnie kell (kellett) más alkalmazottak munkáját?
In your main job, do you have / did you have any subordinates? In your job, do you have to lead/supervise and/or control the work of other employees?
English
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Other Languages Arabian Israel
Greek Greece
English
Greek
In your job, do you have supervisory responsibility? English
b
Hebrew Israel
Arabian
a
In your main job, do you have the responsibility to supervise the work of other employees? Hebrew
a
English At your main job are you responsible for the supervision of other workers?
Appendix B LFS Supervisor Questions and their translation into English Germanic Languages Danish
Danish
English
Denmark
Har De personaleledelse som en af Deres arbejdsopgaver? English
Is personnel management one of your tasks?
Englisch Belgium Ireland
UK Sweden
Do you have a responsible job, in other words, do you supervise other personnel ? Do you supervise the work of other people on a regular basis? Note: This does not include people who monitor quality control only or persons who only supervise on a temporary basis. In your job, do you have formal responsibility for supervising the work of other employees? Do your tasks include managing and supervising the work of other employees?
204
Reinhard Pollak, Heike Wirth, Felix Weiss, Gerrit Bauer, Walter Müller
Flemish
Flemish
English
Belgium
Draagt M_ verantwoordelijkheid in die zin dat M_ belast is met supervisie of de leiding van ander personeel German
Does M. bear responsibility in the sense that M. is entrusted with the supervision or management of other employees. English
Haben Sie in Ihrer Tätigkeit Leitungsfunktion? (Das kann auch in weniger qualifizierten Berufen der Fall sein) Sind Sie in Ihrer (Haupt-)Erwerbstätigkeit in einer leitenden Position tätig? Wieviele Personen sind Ihnen direkt oder indirekt ingesamt unterstellt? Trägt F/H Verantwortung, d.h. hat F/H die Aufsicht bzw. die Koordination über die Arbeit anderer Arbeitnehmer Swedish
Do you have leading [managerial] function in your job? (This could also be the case in less qualified jobs) In your (main) job, are you in a leading [managerial] position?
German Austria
Germany
Switzerland
Belgium
Swedish Sweden
How many persons are altogether directly or indirectly responsible to you? Does she/he has responsibility, that is supervise or coordinate the work of other employees. English
Ingår det i dina arbetsuppgifter att Do your tasks include monitoring leda och ha tillsyn över andra ans- and supervising the work of other tälldas arbete? employees?
Romanic Languages French
French
English
Belgium
M _ a-il / elle des responsabilités en matière de supervision ou d'encadrement de personnel ? Avez-vous un ou plusieurs salaries sous vos ordres ou votre autorité ? Si OUI, l'augmentation des salaires, les primes ou la promotion des ces salaries dependent-elles étroitement de vous ?
Does she/he have responsibilities in matters of supervision or management of employees? Do you have one or more employees responsible to you or under your responsibility? If YES, do salary increases, bonus payment or promotion of these employees closely depend on you?
France
Issues in the Comparative Measurement of the Supervisory Function using
Luxembourg
Switzerland
Italian Italy
Spanish (Castilian) Spain
La personne exerce-t-elle une responsabilité d'encadrement ou de supervision? (concerne uniquement les salariés) Combien de personnes en TOUT avez-vous sous vos ordres, directement et indirectement ? Faites-vous partie de la direction de l'entreprise ou occupez-vous un poste à responsabilité similaire ? Italian
205
Does the person have management or supervisory responsibilities ? How many persons are altogether directly or indirectly responsible to you? Are you a member of the management body or do you have a position with similar responsibility? English
„NOME“ ha l'incarico di coordi- „Name of Intervieved“ are you in nare il lavoro svolto da altre charge of coordinating the work persone? of other employees? Spanish
English
Qué tipo de puesto de trabajo tiene? Opciones: § Empleado (con jefes y sin subordinados) § Encargado, jefe de taller o de oficina, capataz o similar § Mando intermedio § Director de pequeña empresa, departamento o sucursal § Director de empresa grande o media § Ocupado independiente (sin jefes y sin subordinados
What kind of job do you have? Options: § Employee (with boss and without subordinates) § Person in charge, workshop or office manager, foreman or similar § Middle management § Manager of a small enterprise, department or branch § Manager of medium or big enterprise § Self-employed (without bosses or subordinates)
Slavonic Languages Czech
Czech
Czech Republik
Má osoba v zamstnání podÍízené?
English (Translation by Czech NSI) Does s/he have subordinate(s) in the job?
206
Reinhard Pollak, Heike Wirth, Felix Weiss, Gerrit Bauer, Walter Müller
Slovenian
Slovenian
Slovenia
Ali pri svojem delu vodite zaposlene?
English (Translation by Slovenian NSI) Do you lead other employees?
Finno-Ugristic Languages Hungarian
Hungarian
English
Hungary
Végez-e irányító tevékenységet (irányítja-e mások munkáját)?
Do you have supervisory responsibilities (do you supervise other persons job)?
Other Languages Greek
Greek
Cyprus
Greek
here we did not get the original question, but only the English translation
English Do you have responsibility for supervising other employees as one of your tasks? (responsibility for apprentices or newly hired employees should not be counted) Do you have supervisory responsibilities?
Das Konzept des „privaten Haushalts“ in international vergleichenden sozialwissenschaftlichen Umfragen und dessen Operationalisierung Uwe Warner, Jürgen H.P. Hoffmeyer-Zlotnik
Zusammenfassung Unterschiedliche Kulturen und Nationen verwenden unterschiedliche Konzepte für den Begriff des „Privathaushalts“. Fast jedes europäische Land weist seine eigene Definition auf. Hierbei gibt es bei kultureller Ähnlichkeit der Konzepte auch eine Ähnlichkeit der Definitionen. Es sind vier definierende Dimensionen auszumachen: 1. das gemeinsame Wirtschaften unter dem monetären Aspekt mit fünf Kategorien, 2. das gemeinsame Wirtschaften unter dem Aspekt der Haushaltsführung, ebenfalls mit fünf Kategorien, 3. das gemeinsame Wohnen mit wiederum fünf Kategorien und 4. die Familie mit zwei unterschiedlichen Operationalisierungen. Hinter einer spezifischen Definition steht eine spezifische Struktur mit einer dementsprechenden Gruppenzusammensetzung und Gruppengröße, welche die Zugehörigkeiten von Personen zu „Privathaushalt“ determinieren. Im nationalen Survey geht man allgemein davon aus, dass alle am Survey Beteiligten (Forscher, Interviewer und Zielperson) den Begriff „Privathaushalt“ identisch betrachten und bei einer Haushaltsstichprobe (z.B. bei einem dreistufigen Random Route) mit dem Designgewicht (1 geteilt durch Anzahl Personen der Grundgesamtheit im Privathaushalt) der Umstieg von Haushalt auf eine Zielperson (bei der Anwendung der Kish-Tabelle) sicher gestellt ist. Im internationalen Vergleich führen die nationalen Definitionen für Privathaushalt mit unterschiedlichen Gruppenzusammensetzungen und Gruppengröße, z. B. beim Vergleich von Haushaltseinkommen, zu großen Problemen: Es variiert die Anzahl der Personen, die zum Haushaltseinkommen beitragen, und es variiert, in Abhängigkeit von den Personen, die Zusammensetzung der Einkommensarten des Haushaltseinkommens. Ebenso variiert der Personenkreis, dem das gemeinsame Nettohaushaltseinkommen zum Konsum zur Verfügung steht. Dieses lässt sich auch über das Äquivalenzeinkommen nicht korrigieren. Nach dem Vorstellen der Dimensionen und Kategorien der Definitionen zeigen wir, welche Unterschiede sich durch die unterschiedlichen Definitionen bei Haushaltszusammensetzung und -größe ergeben und wie sich dieses auswirkt z. B. auf die Zusammensetzung des Haushaltseinkommens und des sozio-ökonomischen
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Uwe Warner, Jürgen H.P. Hoffmeyer-Zlotnik
Status eines Haushaltes. Dargestellt wird dieses anhand der Daten von European Social Survey; das European Community Household Panel dient uns als Korrektiv, da in diesem die realen Strukturen noch am besten abgebildet werden. Zum Abschluss unterbreiten wir einen Vorschlag für ein Messinstrument zu einer vergleichbaren Erfassung von Privathaushalt-Items in europäischen sozialwissenschaftlichen Surveys.
1
Problemstellung
Seit Mitte der 1990er Jahre beschäftigen wir uns mit soziodemographischen Hintergrundsvariablen in international vergleichenden sozialwissenschaftlichen Umfragen.1 In den Arbeiten zum Merkmal „Nettohaushaltseinkommen“ haben wir gesehen, dass die „Haushaltsgröße“ einen besonderen Stellenwert einnimmt. Haushaltsgröße und Haushaltszusammensetzung werden benutzt, um Armutsindikatoren und Kennzahlen der Einkommensverteilung zu konstruieren. Für den Ländervergleich verlangt dieses von allen an einem Survey beteiligten Forschern, dass sowohl in jedem an der Umfrage beteiligten Land vergleichbar das gemessen wird, was gemessen werden soll, als auch dass in jedem nationalen und kulturellen Kontext während des Interviews das identische Maß erhoben wird. Unser Ziel ist es, hier bezüglich der benutzten Haushaltsdefinitionen und Konzepte, die Transparenz für alle beteiligten Akteure eines Surveys zu erhöhen. Datenproduzenten sollen einen Überblick erhalten, welche definitorischen Merkmale dem Haushaltskonzept zugrunde liegen. Die Interviewer sollen in die Lage versetzt werden, Länder vergleichende Informationen zu Haushaltsgröße und Haushaltszusammensetzung zu erfassen. Dem Befragten sollen im Feldinstrument Handreichungen zu den Ein- und Ausschlusskriterien der Haushaltsmitgliedschaft gegeben werden, um die Interviewfragen angemessen zu beantworten. Der Datennutzer, der die Daten in Bezug auf Sozialstrukturanalysen studiert und Haushaltsgröße als erklärende Variable benutzt, soll Gewissheit über den Produktionsprozess der Messung erhalten. Bereits 1996 stellten Eleanor R. Gerber, Tracy R. Wellens, and Catherine Keeley (1996: p 1) bei der Überprüfung des Antwortverhaltens amerikanischer Befragter zum Zensus fest, dass „Researchers cannot assume that the household definitions they require analytically will be used naturally by respondents”. “Respondents may adopt household definitions encountered in other contexts like tax regulations or School district rules“. 1 Siehe zu „Einkommen“ Hoffmeyer-Zlotnik & Warner 2006, zu „Bildung“ Hoffmeyer-Zlotnik & Warner 2007 und als allgemeiner Überblick Hoffmeyer-Zlotnik & Wolf 2003.
Das Konzept des „privaten Haushalts“ in international vergleichenden
209
Einen zentralen Stellenwert im Haushaltskonzept nehmen die Inklusions- und Exklusionsregeln der Mitgliedschaften zu einem bestimmten Haushalt ein. Unterschiedliche Definitionen konstituieren verschiedene Mitgliedschaften zu einem Haushalt und generieren ungleiche Antworten zu den Fragen nach der Haushaltsgröße als auch zu den Mitgliederbeziehungen innerhalb des Haushalts. Wenn wir Haushalt in Länder vergleichenden Sozialstrukturanalysen einführen wollen, ist es notwendig, dass die Zugehörigkeiten zu einem Haushalt identisch über die Länder definiert sind. Ist dies nicht möglich, weil sich das zugrunde liegende Konzept kulturbedingt von Nation zu Nation unterscheidet, dann ist es zumindest notwendig, die kulturellen Unterschiede, die das Antwortverhalten während der Befragung generieren, zu dokumentieren. Mit unserem Vorschlag gelingt es, die Diskrepanzen zwischen den im Feld angetroffenen Haushaltskonfigurationen und den berichteten Haushaltszugehörigkeiten im Interview zu verringern. Gleichzeitig erhalten wir mit unserem Vorschlag eine größere Verlässlichkeit der erhobenen soziodemographischen Hintergrundsvariablen für den internationalen Vergleich. Unsere Referenzdatei ist der European Social Survey mit den Abfragen einiger ausgewählter teilnehmender Länder, die jeweils für typische Haushaltskonfigurationen stehen. Anschließend betrachten wir Haushaltskonzepte der nationalen statistischen Agenturen, da wir uns von dem Gedanken leiten lassen, diese Definitionen seien den an Umfragen beteiligten Personen vertraut. Ein fiktives Gedankenspiel eines konstruierten Haushalts, in dem die länderspezifischen Konzepte angewandt werden, demonstriert die Notwendigkeit einer über die Nationen und Kulturen hinweg standardisierten Haushaltsabfrage. Als Beispiele dienen das „Nettohaushaltseinkommen insgesamt“ und der „soziale Status eines Haushaltes“. Abschließend schlagen wir eine Sequenz von zwei Fragen mit zwei Nachfragen vor, die das Konzept Privathaushalt Länder vergleichend erfassen, ohne die Interviewbelastung für den Interviewer und den Befragten merklich zu steigern.
2
Die Abfrage zu Haushaltsgröße im European Social Survey
Für die Sozialwissenschaften mit international vergleichender Perspektive stellen die Erhebungswellen des European Social Surveys (ESS) eine wertvolle für den Forscher frei zugängliche Datenquelle dar. Zurzeit liegen Umfragedaten von drei Interviewwellen (2002, 2004 und 2006) aus beinahe allen europäischen Ländern vor. Ein immenser Vorteil ist, dass auch die nationalen Feldinstrumente, die Surveydokumentationen auf internationaler und nationaler Ebene als auch die Quali-
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Uwe Warner, Jürgen H.P. Hoffmeyer-Zlotnik
tätsberichte dem Sekundärforscher zur Verfügung stehen (http://ess.nsd.uib.no/ siehe Unterpunkt „fieldwork documents“). Bei der Abfrage der Haushaltsgröße im ESS liegt in allen Ländern ein (britisch) englischer Masterfragebogen zugrunde. Die entsprechende Surveyfrage wurde gemäß den sehr detaillierten Anweisungen einer Expertengruppe in die nationalen Umfrageinstrumente übertragen. Dieser Prozess, bestehend aus „translation, review, adjudication, pre-testing and documentation“, wurde durch das den ESS begleitende internationale Expertenkomitee beobachtet und evaluiert. Dieser Transferprozess ist ausführlich dokumentiert (Harkness 2007) und gibt uns Gewissheit, dass Messunterschiede nicht auf mangelhafte oder fehlerhafte Übersetzungen zurückzuführen sind. Allen nationalen Fragen zur Haushaltsgröße ist gemeinsam, dass der Interviewte selbst im Fragetext genannt ist, dass an die im Haushalt lebenden Kinder erinnert wird und dass eine zeitliche Referenz der Haushaltszugehörigkeit angesprochen ist. Aber keines der am ESS beteiligten Länder gibt dem Befragten während des Interviews eine Erklärung oder gar Definition zum verwendeten Haushaltskonzept. Lediglich dem Interviewer ist durch die Interviewanweisungen in den Schulungsunterlagen folgende Information zugänglich: „A ‘household’ is defined for the purposes of this study as: One person living alone or a group of people living at the same address (and have that address as their only or main residence), who either share at least one main meal a day or share the living accommodation (or both). Included are: people on holiday, away working or in hospital for less than 6 months; school-age children at boarding school; students sharing private accommodation. Excluded are: people who have been away for 6 months or more, students away at university or college; temporary visitors and people living in institutions“ (European Social Survey 2006. Project Instructions (PAPI) S. 11). Im Masterfragebogen wird zur Messung der Haushaltsgröße die nachfolgend zitierte Formulierung benutzt. Als Quelle verweisen wir für den Masterfragebogen und die jeweiligen Länderinstrumente auf http://ess.nsd.uib.no/. „And finally, I would like to ask you a few details about yourself and others in your household. Including yourself, how many people – including children – live here regularly as members of this household? WRITE IN NUMBER: (Don’t know).“
Das Konzept des „privaten Haushalts“ in international vergleichenden
211
Im Übertrag in die deutsche Abfrage, die sowohl in Deutschland als auch in Luxemburg für den ESS benutzt wird, finden sich geringe Abweichungen von der Blaupause des Masterfragebogens: „Wie viele Personen leben ständig in diesem Haushalt, Sie selbst eingeschlossen? Denken Sie dabei bitte auch an alle im Haushalt lebenden Kinder“. „Regularly“ wurde als „ständig“ übersetzt. Die Version der Frage, wie sie in der deutsch sprechenden Schweiz gestellt wurde, lautet: „Wenn Sie sich selbst dazuzählen, wie viele Personen – Kinder eingeschlossen – leben regelmäßig als Mitglieder in Ihrem Haushalt“. Es wird zwar „regelmäßig“ übertragen, aber „this household“ wird zu „Ihrem Haushalt“. Dies bleibt konsistent in der französischen Transkription der Frage „Combien de personnes, vous même et les enfants y compris, vivent régulièrement comme membres de votre ménage?”. Die Frageformulierung für die italienisch sprechende Bevölkerung der Schweiz ergibt: „Quante persone, i bambini e Lei inclusi - vivono qui regolarmente, quali membri della Sua economia domestica?” Es springt deutlich der Übertrag von „household“ in „economia domestica“ ins Auge. In Italien fragt der ESS die Haushaltsgröße mit folgender Formulierung ab: „Compresi Lei ed eventuali bambini, quante persone vivono regolarmente in questa casa come membri della famiglia?” Die Vorgabe „household“ erscheint als „famiglia”. Es ist evident, dass Mitgliedschaften über Familienzusammengehörigkeiten andere Konstellationen und Personengruppen erfassen als Haushaltskonzepte ohne Familienbezug. Ein Auseinanderfallen der erhobenen Konzepte zeigt sich auch in der portugiesischen Abfrage. „Contando consigo, quantas pessoas – incluindo crianças – vivem habitualmente nesta casa?“ Auch hier werden unterschiedliche Ein- und Ausschlusskriterien für die Zugehörigkeiten zu Personengruppen während des Interviews aktiviert. „Casa“ lässt von „household“ verschiedene Mitgliedschaften zu. Generell lässt sich feststellen, dass die Abfrage der Haushaltsgröße über die Teilnehmerländer des ESS variiert. Dies gilt im Besonderen für den zeitlichen Bezugsrahmen der mit „regelmäßig”, „normal”, „permanent”, „ständig” und „gewöhnlich” beschrieben wird. Auch tauchen über die Länder unterschiedliche (räumliche) Einheiten als Bezug für die Haushaltsgröße auf: „Haushalt”, „Wohnung”, „Haus”, „wirtschaftliche Heimat” und „Familie”. Dies führte uns zu der Annahme, dass die Feldinstitute und Verantwortlichen für die nationalen Erhebungen des ESS ihre eigenen nationalen Haushaltskonzepte präferieren und dass im Falle von Italien und Portugal ein Haushaltskonzept, das der ESS in seinem Masterfragebogen vorgibt, entweder als Vokabel in der Zielsprache nicht existiert oder als Konzept in der Zielkultur wenig verbreitet oder gar unbekannt ist. Daher betrachten wir im anschließenden Absatz die in ausge-
212
Uwe Warner, Jürgen H.P. Hoffmeyer-Zlotnik
wählten Ländern gebräuchlichen Definitionen, die die amtliche Statistik für Routineaufgaben benutzt.
3
Dimensionen der Haushaltskonzepte und Definitionen in der amtlichen Statistik
Eine Bestandsaufnahme (Hoffmeyer-Zlotnik, Warner 2008) der nationalen Haushaltsdefinitionen, die die statistischen Ämter ausgewählter europäischer Länder zur Erstellung nationaler Statistiken, insbesondere bei den nationalen Zensen (oder in großen nationalen Umfragen wie der Labour Force Survey oder der Mikrozensus), benutzen, ergibt ein verwirrendes Bild. Jedes Land hat seine eigene Definition und, davon abgeleitet, auch seine eigene Operationalisierung für „Haushalt”. Betrachtet man die Konzepte, lassen sich vier Hauptdimensionen herausarbeiten. 1. Eine finanzielle Dimension: gemeinsames Budget, Einkommen und/oder Ausgaben 2. Eine Dimension der Organisation: gemeinsame Haushaltsführung und/oder das gemeinsame Leben organisieren 3. Die Dimension des Wohnens: gemeinsame Wohnung, gemeinsame Adresse 4. Die Familienbeziehungen durch Verwandtschaft und/oder gesetzliche Verbindung und/oder emotionale Bindung Tabelle 1 stellt die in europäischen Ländern anzutreffenden Dimensionen und ihre Untergliederungen durch definitorische Kategorien zusammenfassend dar. Die in Deutschland angewandte Definition von Haushalt ist durch die Elemente 1.1 (gemeinsam wirtschaften) plus dem Merkmal 3.1 (zusammen wohnen) begründet. In Luxemburg sind die definitorischen Elemente des Haushalts, so wie ihn das nationale statistische Amt versteht, die Elemente 2.5 (gemeinsam leben) und 3.2 (die Wohnung teilen). Portugal bietet alternative amtliche Definitionen des Haushalts: Die Elemente 1.1 (gemeinsames Budget teilen) oder alternativ 1.3 (Ausgaben teilen) plus das Merkmal 3.2 (die Wohnung teilen) konstituieren den im Amt gebräuchlichen Haushalt. Auch England bietet in der offiziellen Datenerfassung alternative Haushaltskonzepte, die der oben zitierten Definition des Haushalts, wie der ESS sie in seiner britisch englischen Vorlage benutzt, nahe kommt. Die Elemente sind entweder 2.4a (die tägliche gemeinsame Mahlzeit) und 3.3 (dieselbe Adresse) oder 2.2 (das gemeinsames Wohnzimmer) ergänzt durch 3.3 (dieselbe Adresse). Am weitesten entfernt von der ESS Vorgabe ist die Haushaltsdefinition der italienischen Amtsstatistik. Hier wird, unabhängig von der gemeinsamen Wohnung, die „Familie“ als haushaltskonstituierendes Merkmal aufgeführt
Das Konzept des „privaten Haushalts“ in international vergleichenden
213
(Element 4 aus Tabelle 1 in beiden Bedeutungen). In Dänemark, einem Land, dass den Zensus als Registerauswertung durchführt, bleibt, registerbedingt, nur ein Definitionselement: 3.4 „dieselbe Adresse im Einwohnermelderegister“. Tabelle 1: Operationalisierungen von Privathaushalt: Dimensionen und Kategorien Dimension Kategorie 1. Wirtschaften: monetär 1.1 gemeinsames Budget teilen, gemeinsam wirtschaften 1.2 Einkommen teilen 1.3 Ausgaben teilen 1.4 Kosten für den Lebensunterhalt (voll oder teilweise) teilen 1.5 gemeinsamer Beitrag zu den lebensnotwendigen Gütern 2. Wirtschaften: Haushaltsführung 2.1 gemeinsame Haushaltsführung 2.2 gemeinsames Wohnzimmer 2.3 gemeinsame Lebensmittel 2.4 gemeinsame Mahlzeiten a) täglich / b) mindestens einmal pro Woche 2.5 gemeinsam leben 3. Wohnen 3.1 zusammen wohnen 3.2 die Wohnung miteinander teilen 3.3 dieselbe Adresse haben 3.4 dieselbe Adresse im Einwohnermelderegister 3.5 die Adresse unter der man die meisten Nächte verbringt 4. Familie 4.1 familienrechtlicher Verwandtschaftsgrad, Verschwägerung, Vormundschaft 4.2 emotionale Bindung
4
Haushaltsgröße und Zusammensetzung im European Social Survey und im European Community Household Panel
Die Tabellen 2 und 3 zeigen anhand der Daten der achten Welle des European Community Household Panel (ECHP), dass in unterschiedlichen Ländern eine unterschiedliche Zusammensetzung von Privathaushalten anzutreffen ist. In Dänemark geschieht die Zuordnung von Personen zum Haushalt über den Registereintrag der gemeinsamen Adresse. Wenn diese Definition in den Köpfen
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Uwe Warner, Jürgen H.P. Hoffmeyer-Zlotnik
der Befragten besteht, dann ist sie mit der Beschränkung auf eine Wohneinheit angewandt worden: Der Anteil der Ein-Personen Haushalte ist hoch. Allerdings ist auch der Anteil des Familienhaushaltes mit zwei Erwachsenen und mindestens einem Kind relativ hoch. Von Luxemburg bis Deutschland nimmt der Anteil der Ein-Personen Haushalte zu und wird durch die Einengung der Definition für Privathaushalt auf kleine Einheiten stärker. Das Vereinigte Königreich weist eine ähnlich offene Definition von Privathaushalt wie Luxemburg auf. In beiden Ländern sind die beiden Haushaltstypen „1 Erwachsener, kein Kind“ und „2 Erwachsene und Kinder“ etwa in gleicher Anzahl anzutreffen. Tabelle 2: Kumulative Häufigkeiten der Anzahl von Personen im Haushalt
Dänemark 1 Person 2 Personen 3 Personen 4 Personen 5 und mehr Mean
Deutschland 1 Person 2 Personen 3 Personen 4 Personen 5 und mehr
ECHP8 25,2 64,0 79,6 93,1 100,0 2.40
Mean
ECHP8 38,1 63,2 78,5 93,2 100,0 2,30
Vereinigtes Königreich 1 Person 2 Personen 3 Personen 4 Personen 5 und mehr Mean
ECHP8 30,9 64,6 79,8 93,6 100,0 2,33
Luxemburg 1 Person 2 Personen 3 Personen 4 Personen 5 und mehr
ECHP8 27,1 58,5 76,0 91,9 100,0 2,50
Italien 1 Person 2 Personen 3 Personen 4 Personen 5 und mehr
ECHP8 21,4 43,9 65,8 88,2 100,0 2,86
Mean
Mean
Das Konzept des „privaten Haushalts“ in international vergleichenden
215
Tabelle 3: Haushaltszusammensetzung ECHP8 Dänemark
Luxemburg
Deutschland
Italien
Vereinigtes Königreich
1 Erw., kein Kind 1 Erw. plus Kinder 2 Erw., kein Kind 2 Erw. plus Kinder mind. 3 Erw., kein Kind mind. 3 Erw. plus Kinder total 1 Erw., kein Kind 1 Erw. plus Kinder 2 Erw., kein Kind 2 Erw. plus Kinder mind. 3 Erw., kein Kind mind. 3 Erw. plus Kinder total 1 Erw., kein Kind 1 Erw. plus Kinder 2 Erw., kein Kind 2 Erw. plus Kinder mind. 3 Erw., kein Kind mind. 3 Erw. plus Kinder total 1 Erw., kein Kind 1 Erw. plus Kinder 2 Erw., kein Kind 2 Erw. plus Kinder mind. 3 Erw., kein Kind mind. 3 Erw. plus Kinder total 1 Erw., kein Kind 1 Erw. plus Kinder 2 Erw., kein Kind 2 Erw. plus Kinder mind. 3 Erw., kein Kind mind. 3 Erw. plus Kinder total
25,2 1,7 37,8 24,0 6,3 5,1 100,0 27,1 1,5 30,4 22,8 13,0 5,2 100,0 38,5 2,2 23,3 15,9 13,8 6,3 100,0 21,4 1,1 21,8 20,5 26,3 9,0 100,0 31,1 4,7 31,6 19,5 9,0 4,2 100,0
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Uwe Warner, Jürgen H.P. Hoffmeyer-Zlotnik
In Italien, das den Haushalt über die Familie definiert, trifft man in den Umfragen auf den geringsten Anteil von kleinen Haushalten und auf den größten Anteil von großen Haushalten mit mindestens 3 Erwachsenen. Hier zeigt sich am stärksten der Trend zur „Großfamilie”, die über die Definition der „Familie”, mit allen, die emotional dazu gerechnet werden, gegeben ist.
5
Der Einfluss von Größe und Zusammensetzung auf das Nettohaushaltseinkommen
Am Beispiel einer fiktiven Gruppe von zehn Personen lässt sich die Bedeutung der „Haushaltsgröße“ als soziodemographisches Hintergrundmerkmal verdeutlichen. Die Abhängigkeit der betrachteten Sozialstrukturen von diesem Merkmal ist besonders prägnant, wenn die Einkommensmasse des Haushalts in den Fokus der Analysen tritt. Unser Beispiel ist eine Großfamilie bestehend aus zehn Personen. § einem Ehepaar (Großvater und Großmutter) § mit zwei Söhnen, einem unverheiratet (Onkel) und einem verheiratet (Vater) § Vater lebt mit Mutter zusammen und diese haben drei Kinder, § von denen das älteste Kind (Tochter) seinerseits verheiratet ist (mit Schwiegersohn) und selbst ein Kind (Enkelkind) hat. Diese Großfamilie verteilt sich über bis zu sechs Wohnungen: § Die Großeltern wohnen in einer eigenen Wohnung, allerdings im selben Haus und mit derselben Adresse wie Vater und Mutter. § Vater und Mutter wohnen mit dem jüngsten Kind (Kind Nr. 3, jünger als 14 Jahre) in einer Wohnung. Vater ist allerdings nur am Wochenende daheim, da sein Arbeitsplatz viele Stunden Fahrtzeit von der Familienwohnung entfernt liegt. Vater hat am Arbeitsort eine Zweitwohnung. § Das Kind Nr. 1, die Tochter hat eine eigene Familie und wohnt mit ihrem Mann (Schwiegersohn) und ihrem gemeinsamen Kind (Enkelkind) in einer eigenen Wohnung, benachbart zur Wohnung ihrer Eltern. § Das Kind Nr. 2 (älter als 14 Jahre) studiert und wohnt am Studienort im Studentenwohnheim. § Der Onkel hat in der gleichen Stadt, in der die Großeltern leben, aber in einem anderen Stadtviertel, eine eigene Wohnung. Betrachtet man die Definitionen für Haushalt in den fünf Beispielländern, so ergibt sich folgendes Bild:
Das Konzept des „privaten Haushalts“ in international vergleichenden
217
§ Die italienische Definition geht davon aus, dass diejenigen, die emotional zur Familie gezählt werden, zum selben „Haushalt” gehören, unabhängig von der Wohnung und der gemeinsamen Adresse. Damit ergibt sich im Falle der italienischen Definition: Die oben aufgelisteten zehn Personen bilden einen Haushalt, der sich über vier Wohnungen verteilt, wobei die Zweitwohnungen von Vater und Kind 2 nicht mitgezählt werden. § Die dänische Definition zählt alle Personen zum Haushalt, die unter derselben Adresse registriert sind. Die Großfamilie verteilt sich über drei Adressen und damit über drei Haushalte. Der Kernhaushalt unseres Beispiels besteht aus sechs Personen: die Großeltern in der Einliegerwohnung, Mutter und Vater, da Vater mit erstem Wohnsitz in der Familienwohnung gemeldet ist, und Kind Nr. 3 (bei den Eltern lebend) sowie Kind Nr. 2, für das der erste Wohnsitz nicht das Studentenwohnheim, sondern die Familienwohnung ist. § Die französische Definition, ausgehend von der gemeinsamen Wohnung, verteilt die Großfamilie über vier Haushalte. Der Kernhaushalt umfasst Vater und Mutter sowie Kind Nr. 2 und Kind Nr. 3. § Die luxemburgische Definition, die den Haushalt einschränkt über das Zusammenleben in einer gemeinsamen Wohnung, verteilt die Großfamilie auf fünf Haushalte. Im Kernhaushalt leben nur noch Vater, Mutter und Kind Nr. 3. § Die englische Definition von Haushalt schränkt einerseits über das Definitionselement der täglichen gemeinsamen Mahlzeit sehr eng ein, erweitert aber andererseits wieder die Definition durch die gemeinsame Adresse statt der gemeinsamen Wohnung. Damit sind hier für unser Beispiel mehrere Möglichkeiten denkbar: Eigentlich haben wir es hier mit sechs Haushalten und im Kernhaushalt mit zwei Personen, Mutter und Kind Nr. 3, zu tun. Wenn allerdings die Großeltern von der Mutter essensmäßig mit versorgt werden, dann könnte es sich beim Kernhaushalt auch um einen Haushalt mit vier Personen, verteilt über zwei Wohnungen unter derselben Adresse, handeln. Zusätzlich bieten die Engländer aber eine zur „gemeinsamen Mahlzeit” alternative Definition über das „gemeinsame Wohnzimmer” an. Unter dieser Bedingung könnte auch der Vater wieder zum Kernhaushalt zählen, die Großeltern jedoch einen eigenen Haushalt darstellen. Die Tabellen 4a bis 4e zeigen, dass bei gleich bleibendem Personeneinkommen, sich die Haushaltseinkommen über die definitionsbedingt unterschiedlichen Haushaltszusammensetzungen in den einzelnen Ländern verändern. Denn mit den unterschiedlichen Konfigurationen der Haushalte ändern sich die Mitgliedschaften von Individuen zum Haushalt und folglich auch die Berechnung des Haus-
218
Uwe Warner, Jürgen H.P. Hoffmeyer-Zlotnik
haltsgesamteinkommens. Die Auswirkungen auf Studien zu Einkommensverteilungen und Einkommensstrukturen sind leicht vorstellbar. Tabelle 4a: Haushaltskomposition und durchschnittliches Haushaltseinkommen in Italien HH
Personen
Einkommen
HH1
modif. OECD Äquivalenz Skala
Onkel 1500 Großvater 1800 Großmutter 0 Vater 2500 Mutter 500 Kind 1 400 Schwiegersohn 2500 Enkel 0 Kind 2 1000 Kind 3 600 insgesamt 10800 durchschnittliches HH-Einkommen in Italien
Äquivalenz HH Einkommen
0,5 0,5 0,5 1,0 0,5 0,5 0,5 0,3 0,5 0,3 5,1
2118 2118
Tabelle 4b: Haushaltskomposition und durchschnittliches Haushaltseinkommen in Dänemark HH HH1 HH2
Personen
Einkommen
modif. OECD Äquivalenz Skala
Onkel 1500 1,0 Großvater 1800 0,5 Großmutter 0 0,5 Vater 2500 1,0 Mutter 500 0,5 Kind 2 1000 0,5 Kind 3 600 0,3 insgesamt 6400 3,3 HH3 Kind 1 400 0,5 Schwiegersohn 2500 0,5 Enkel 0 0,3 insgesamt 2900 1,8 durchschnittliches HH-Einkommen in Dänemark
Äquivalenz HH Einkommen 1500
1939
1611 1683
Das Konzept des „privaten Haushalts“ in international vergleichenden
219
Tabelle 4c: Haushaltskomposition und durchschnittliches Haushaltseinkommen in Frankreich HH
Personen
Einkommen
modif. OECD Äquivalenz Skala
Äquivalenz HH Einkommen
HH1 HH2
Onkel 1500 1,0 Großvater 1800 1,0 Großmutter 0 0,5 insgesamt 1800 1,5 HH3 Vater 2500 1,0 Mutter 500 0,5 Kind 2 1000 0,5 Kind 3 600 0,3 insgesamt 4600 2,3 HH4 Kind 1 400 0,5 Schwiegersohn 2500 1,0 Enkel 0 0,3 insgesamt 2900 1,8 durchschnittliches HH-Einkommen in Frankreich
1500
1200
2000
1611 1578
Tabelle 4d: Haushaltskomposition und durchschnittliches Haushaltseinkommen in Luxemburg HH HH1 HH2
Personen
Einkommen
modif. OECD Äquivalenz Skala
Onkel 1500 1,0 Großvater 1800 1,0 Großmutter 0 0,5 insgesamt 1800 1,5 HH3 Vater 2500 1,0 Mutter 500 0,5 Kind 3 600 0,3 insgesamt 3600 1,8 HH4 Kind 1 400 0,5 Schwiegersohn 2500 1,0 Enkel 0 0,3 insgesamt 2900 1,8 HH5 Kind 2 1000 1,0 durchschnittliches HH-Einkommen in Luxemburg
Äquivalenz HH Einkommen 1500
1200
2000
1611 1000 1462
220
Uwe Warner, Jürgen H.P. Hoffmeyer-Zlotnik
Tabelle 4e: Haushaltskomposition und durchschnittliches Haushaltseinkommen in England HH HH1 HH2
Personen
Einkommen
modif. OECD Äquivalenz Skala
Onkel 1500 1,0 Großvater 1800 1,0 Großmutter 0 0,5 insgesamt 1800 1,5 HH3 Vater 2500 1,0 HH4 Mutter 500 1,0 Kind 3 600 0,3 insgesamt 1100 1,3 HH5 Kind 1 400 0,5 Schwiegersohn 2500 1,0 Enkel 0 0,3 insgesamt 2900 1,8 HH6 Kind 2 1000 1,0 durchschnittliches HH-Einkommen in England
6
Äquivalenz HH Einkommen 1500
1200 2500
846
1611 1000 1443
Der Einfluss von Größe und Zusammensetzung des Haushaltes auf den sozio-ökonomischen Status des Haushaltes
Sozioökonomischer Status ist in den Sozialwissenschaften ein Merkmal, das – wie Einkommen – Ungleichheiten in Gesellschaften abbildet. In den sozialwissenschaftlichen Analysen hat sich eingebürgert den sozioökonomischen Status aller Haushaltsmitglieder dem Statusniveau anzupassen, welches der Person mit dem höchsten Status im Haushalt zugesprochen wird. Der Einfachheit, und nur aus Gründen der geringeren Komplexität der Illustration, betrachten wir nur die Haushaltsmitglieder, die berufstätig sind, ihre berufliche Tätigkeit (als ISCO-882) und ihren sozialen Status, welcher als ISEI3 verkodet ist. Die betrachtete Personengruppe besteht wieder aus den zehn Personen des obigen Beispiels zum Haushaltseinkommen: 2 ISCO-88: International Standard Classification of Occupations in der Version von 1988 klassifiziert international vergleichend die berufliche Tätigkeit, siehe ILO 1990 3 siehe Ganzeboom and Treiman 2003. Zum Umsteigeschlüssel von ISCO-88 auf ISEI siehe: http://www.fss.uu.nl/soc/hg/ismf
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§ einem Großvater und der Großmutter, wobei Großvater Montierer von Holzwaren ist: ISCO-88 = 8285, daraus erfolgt ein ISEI-Wert = 30; § mit zwei Kindern: Onkel, der Möbeltischler wurde (ISCO-88 = 7422, ISEI = 33) und Vater, der Bautechniker als Beruf ausübt (ISCO-88 = 3112, ISEI = 45); § Mutter (Vaters Ehefrau) übt den Beruf der Kunsthandwerkerin für Holz (ISCO-88 = 7331, ISEI = 29) aus; § Vater und Mutter haben eine Tochter (Hausfrau), die mit einem Bauingenieur (Schwiegersohn) verheiratet ist (ISCO-88 = 2142, ISEI = 69) § die weitere Kinder von Vater und Mutter sind nicht erwerbstätig: Kind 2 ist im Studium, Kind 3 ist Schüler, daher haben beide weder einen ISCO-88 noch ISEI Wert. Entsprechend dem Beispiel oben verteilt sich diese Personengruppe wieder über bis zu sechs Wohnungen an verschiedenen Adressen, je nach Definition des Haushaltes. Auch hier, in den Tabellen 5a bis 5e, ist, obwohl es sich um ein fiktives Gedankenspiel handelt, die Abhängigkeit des sozialstrukturellen Merkmals von den länderspezifischen Haushaltskonstellationen ersichtlich und die den übrigen Haushaltsmitgliedern zugewiesenen Statuswerte variieren mit den Haushaltskompositionen. Tabelle 5a: Sozio-ökonomischer Status (ISEI) der Haushaltsmitglieder in Italien HH
Personen
HH1
Onkel Großvater Vater Mutter Schwiegersohn
ISCO88
ISEI
HH-Status
7422 8285 3112 7331 2142
33 30 45 29 69
69
Tabelle 5b: Sozio-ökonomische Status (ISEI) der Haushaltsmitglieder in Dänemark HH
Personen
HH1 HH2
Onkel Großvater Vater Mutter Schwiegersohn
HH3
ISCO88
ISEI
HH-Status
7422 8285 3112 7331 2142
33 30 45 29 69
33 45 69
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Uwe Warner, Jürgen H.P. Hoffmeyer-Zlotnik
Tabelle 5c: Sozio-ökonomische Status (ISEI) der Haushaltsmitglieder in Frankreich HH
Personen
HH1 HH2 HH3
Onkel Großvater Vater Mutter Schwiegersohn
HH4
ISCO88
ISEI
HH-Status
7422 8285 3112 7331 2142
33 30 45 29 69
33 30 45 69
Tabelle 5d: Sozio-ökonomische Status (ISEI) der Haushaltsmitglieder in Luxemburg HH
Personen
HH1 HH2 HH3
Onkel Großvater Vater Mutter Schwiegersohn Kind 2
HH4 HH5
ISCO88
ISEI
HH-Status
7422 8285 3112 7331 2142 im Studium
33 30 45 29 69 tnz
33 30 45 69 siehe Vater
Tabelle 5e: Sozio-ökonomische Status (ISEI) der Haushaltsmitglieder in England
7
HH
Personen
HH1 HH2 HH3 HH4 HH5 HH6
Onkel Großvater Vater Mutter Schwiegersohn Kind 2
ISCO88
ISEI
HH-Status
7422 8285 3112 7331 2142 im Studium
33 30 45 29 69 tnz
33 30 45 29 69 siehe Vater
Zur Harmonisierung der Haushaltsvariablen in Länder vergleichenden Sozialumfragen
Um in sozialwissenschaftlichen Umfragen Messungen zur Haushaltsgröße zu erhalten, die über die europäischen Länder vergleichbar sind, schlagen wir eine standardisierte Abfrage vor. Wie die obigen Ausführungen deutlich zeigen, benötigt die Umfrageforschung, ob national oder international durchgeführt, eine explizite Definition für „Haushalt“, die sowohl dem Interviewer als auch dem Be-
Das Konzept des „privaten Haushalts“ in international vergleichenden
223
fragten mitgeteilt werden muss. Denn jede an Umfragen beteiligte Person hat eine implizite Vorstellung von „Haushalt“ im Kopf. Diese ist jedoch in der Regel abweichend von der, die der Forscher voraussetzt. Allerdings sollte man auch dem Forscher einen Standard anbieten, den dieser mit Blick auf Vergleichbarkeit über unterschiedliche Länder nutzen sollte – es sei denn, die Forschungsfrage verlangt ein Abweichen vom Standard. Im internationalen Vergleich ist es auch wichtig, einzuschließende und auszuschließende Personengruppen aufzulisten, da Forscher, Interviewer und Befragte zusätzlich zum eigenen Verständnis von „Haushalt“, auch noch über ihre nationale Kultur beeinflusst werden. F1. A household consists of all persons living together and have a common housekeeping („housekeeping“ wird in diesem Fall entsprechend der nationalen Definition präzisiert). These are ... (Please fill in the number of persons of each category) yourself all other adults living in this household permanently all children, including infants, living here permanently all persons in education or training, such as boarding-school pupils and students, who are temporarily absent at the moment persons absent at the moment because of their job, such as weekly commuters, seasonal workers and persons away on construction jobs persons absent because of community and civilian service or military service persons absent for a maximum of six months because of sickness or holidays persons absent for a maximum of six months because of other reasons, such as imprisonment on remand also included are resident domestic staff, au-pairs and caregivers/nurses
Number of persons 1
Total ____ please fill in the total number of persons
Not counted as household members are ... (Please fill in the number of persons of each category) regular professional soldiers and policemen living in barracks family members living in nursing homes and homes for the elderly persons absent for more than six months visitors, including long-term visitors Total ____ please fill in the total number of persons
Number of persons
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Uwe Warner, Jürgen H.P. Hoffmeyer-Zlotnik
Abschließend wird versucht, die benannte Anzahl von Personen auf Wohneinheiten zuzuordnen. Denn nicht immer wird in der Definition des Haushalts nur eine Wohnung berücksichtigt. Einliegerwohnungen, die, mit Blick auf die Hauptwohnung, von Kindern oder Eltern genutzt werden, kommen häufig vor und sind bei einer Definition über die Wohnungstür als eigenständige Wohneinheiten zu betrachten. Aber auch Wochenendpendler und Studenten, die am Arbeits- oder Ausbildungsort eine zur Hauptwohnung zusätzliche Wohnung unterhalten, werden dem zentralen Haushalt zugezählt. Hierüber kann sich ein Problem bei der Definition der Grundgesamtheit über die Wohnbevölkerung ergeben, da in solch einem Fall der Wochenendpendler und der Student an zwei Orten angetroffen und jeweils an zwei Orten einem Haushalt zugezählt werden können. F2. Is this household spread over more than one dwelling? yes no If yes: F2a. F2b.
How many different dwellings? Please, fill in the number of dwellings: ____ In this dwelling, how many people share the common housekeeping? (gemäß nationaler Definition) Please count again all persons also the children and the persons being absent for maximal half a year because of work, education, sickness or holidays. Please, fill in the number of persons: ____
Wir haben hier gezeigt, dass mit relativ geringer Belastung für den Interviewer und den Befragten standardisierte, Länder vergleichende Information zur Haushaltsgröße erhoben werden kann. Dies ist, um Verlässlichkeit der erhobenen soziodemografischen Hintergrundsvariablen im internationalen und kulturellen Vergleich zu erreichen, sogar zwingend notwendig. Gemeinsame In- und Exklusionsregeln zur Haushaltsmitgliedschaft in den am Survey beteiligten Ländern sind durch unseren Vorschlag allen Surveyakteuren präsent. Primärforscher, Interviewer, Auskunftsperson und Sekundärnutzer verfügen bei entsprechender Frageformulierung über das nötige Hintergrundswissen, die Frage zur Haushaltsgröße unabhängig von ihrer kulturellen und nationalen Einbindung zu beantworten.
Das Konzept des „privaten Haushalts“ in international vergleichenden
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Literatur Centre Maurice Halbwachs, 2006: UMR 8097 (CNRS-EHESS-ENS-Université de Caen) http://www.cmh.ens.fr/acsdm2/glossair.php (15-06-06) European Social Survey, 2004: Round 1. End of Grant Report. July 2004 European Social Survey, 2006a: Round 2. End of Grant Report. March 2006 European Social Survey, 2006b. Project Instructions (PAPI). ESS Document date: 1/06/06 Ganzeboom, Harry B.G. and Donald J. Treiman, 2003: Three Internationally Standardised Measures for Comparative Research on Occupational Status. In: Hoffmeyer-Zlotnik, Jürgen H.P. & Christof Wolf (eds.), Advances in Cross-National Comparison. A European Working Book for Demographic and Socio-Economic Variables (pp.159-193). New York: Kluwer Academic/ Plenum Publishers. Gerber, Eleanor R., Tracy R. Wellens, and Catherine Keeley, 1996: Who Lives Here? The Use of Vignettes in Household Roster Research. U.S. Bureau of the Census Department of Justice, Bureau of Justice Statistics, June, 1985 www.census.gov/srd/papers/pdf/erg9601.pdf (07-07-08) Harkness, Janet A. with the assistance of Annelies Blom, 2007: Round 3 ESS Translation Strategies and Procedures. ESS document date: 27 May, 2007 Hoffmeyer-Zlotnik, Jürgen H.P. and Uwe Warner, 2006: Methodological Discussion of the Income Measure in the European Social Survey Round 1. In: Metodološki zvezki, Vol. 3, No. 2: pp. 289-334 Hoffmeyer-Zlotnik, Jürgen H.P. and Uwe Warner, 2007: How to Survey Education for Cross-National Comparisons: The Hoffmeyer-Zlotnik/Warner-Matrix of Education. In: Metodološki zvezki, Vol. 4 No. 1: pp. 117-148 Hoffmeyer-Zlotnik, Jürgen H.P. und Uwe Warner, 2008: Privater Haushalt. Konzepte und ihre Operationalisierung in nationalen und internationalen sozialwissenschaftlichen Umfragen. Mannheim: Forschung Raum und Gesellschaft e.V. Hoffmeyer-Zlotnik, Jürgen H.P. and Christof Wolf, 2003: Advances in Cross-Cultural Comparison. A European Working Book for Demographic and Socio-Economic Variables. Kluwer Academic Press/Plenum Publisher, New York et al. International Labour Office, 1990: International Standard Classification of Occupations (ISCO 88). Geneva: ILO Istituto Nazionale di Statistica (ISTAT): Censimento 2001 http://dawinci.istat.it (11-06-06)
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Uwe Warner, Jürgen H.P. Hoffmeyer-Zlotnik
STATEC, 2003: Recensement de la population 2001. Résultats détaillés. Novembre 2003. Luxembourg http://www.statec.lu (11-07-06) Statistics Denmark, 2004: Household Budget Survey. http://www.dst.dk/HomeUK/Statistics/focus_on/focus_on_show.aspx? sci=404 (07-11-07) Statistisches Bundesamt, 1998: Bevölkerung und Erwerbstätigkeit. Fachserie 1, Reihe 3 Haushalte und Familien 1996 (Ergebnisse des Mikrozensus). Stuttgart: Metzler-Poeschel. Thomas, Roger, 1999: Question Bank Commentary: Household Definition http://qb.soc.surrey.ac.uk/topics/housedefinition/household%20definition% 20thomas.pdf (26-03-07)
Anhang Eine Liste aller nationalen Definitionen zu Haushalt aller europäischen Länder, einschließlich der verbreitetsten internationalen Konzeptionalisierungen durch Eurostat, dem statistischen Amt der Europäischen Gemeinschaft findet sich in: Hoffmeyer-Zlotnik, Warner, 2008: Privater Haushalt. Konzepte und ihre Operationalisierung in nationalen und internationalen sozialwissenschaftlichen Umfragen. Mannheim: FRG Dänemark A household is defined as one or more persons registered at the same address in the Central Population Register. Quelle: Statistics Denmark (26-03-07) Deutschland Als Haushalt (Privathaushalt) zählt jede zusammenwohnende und eine wirtschaftliche Einheit bildende Personengemeinschaft sowie Personen, die allein wohnen und wirtschaften (z. B. Einzeluntermieter). Zum Haushalt können verwandte und familienfremde Personen gehören (z. B. Hauspersonal). Gemeinschafts- und Anstaltsunterkünfte gelten nicht als Haushalte, können aber Privathaushalte beherbergen (z. B. Haushalt des Anstaltsleiters). Haushalte mit mehreren Wohnungen werden unter Umständen mehrfach gezählt (s. Bevölkerung in Privathaushalten).
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Die Zahl der Haushalte stimmt mit derjenigen der Familien nicht überein, weil es bei Haushalten zu Doppelzählungen kommen kann. Ferner ist zu beachten, dass in einem Haushalt mehrere Familien wohnen können. Quelle: Statistisches Bundesamt, 1998 England: A household comprises either one person living alone or a group of people, who may or may not be related, living (or staying temporarily) at the same address, with common housekeeping, who either share at least one meal a day or share common living accommodation (i.e. a living room or sitting room). Resident domestic servants are included. Members of a household are not necessarily related by blood or marriage. Quelle: Thomas, 1999 Frankreich Ménage ordinaire: L’ensemble des personnes résidant dans un logement est appelé conventionnellement „ménage”. Un ménage peut donc être constitué aussi bien par une personne vivant seule que par un ensemble plus complexe, non nécessairement lié par des liens de parenté (exemple: le père, la mère, le fils, la belle-fille et leurs enfants, un pensionnaire et une domestique). Les ménages comprenant au moins une famille sont dits ménages familiaux. Quelle: Centre Maurice Halbwachs, 2006 Italien Famiglia: E’ costituita da un insieme di persone legate da vincoli di matrimonio, parentela, affinità, adozione, tutela o da vincoli affettivi, coabitanti ed aventi dimora abituale nello stesso comune (anche se non sono ancora iscritte nell’anagrafe della popolazione residente del comune medesimo). Una famiglia può essere costituita anche da una sola persona. L’assente temporaneo non cessa di appartenere alla propria famiglia sia che si trovi presso altro alloggio (o convivenza) dello stesso comune, sia che si trovi in un altro comune italiano o all’estero. La definizione di famiglia adottata per il censimento è quella contenuta nel regolamento anagrafico. Quelle: Istat, 2001 Luxemburg Le ménage est constitué, soit par une personne vivant habituellement seule, soit par deux ou plusieurs personnes qui, unies ou non par des liens de famille, rési-
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Uwe Warner, Jürgen H.P. Hoffmeyer-Zlotnik
dent habituellement dans une même demeure et y ont une vie commune. Seront considérées comme faisant partie du ménage les personnes temporairement absentes au moment du recensement. Les domestiques, les employés et les ouvriers qui habitent chez leur employeur font partie du ménage de celui-ci; toutefois si ces personnes retournent au moins une fois par semaine dans leur ménage, elles font partie de ce dernier. Les ménages sont classés en deux catégories: a) les ménages collectifs, b) les ménages privés Quelle: STATEC, 2003
Verzeichnis der Autorinnen und Autoren
Bauer, Gerrit, Dipl.-Soz., Studium der Sozialwissenschaften an der Universität Mannheim (2000-2005). Seit 2006 wissenschaftlicher Mitarbeiter am Mannheimer Zentrum für Europäische Sozialforschung und am Lehrstuhl für Methoden der empirischen Sozialforschung und angewandte Soziologie der Universität Mannheim. Postanschrift: Universität Mannheim, Mannheimer Zentrum für Europäische Sozialforschung, 68131 Mannheim E-Mail:
[email protected] Beyer, Jürgen, Prof. Dr. phil., geb. 1964. Professor für Soziologie, insbesondere Wirtschafts- und Organisationssoziologie am Institut für Soziologie der Universität Hamburg und Mitglied des Direktoriums des Centrums für Globalisierung und Governance. Forschungsschwerpunkte: Spielarten des Kapitalismus, Pfadabhängigkeit, Governance grundlegenden gesellschaftlichen Wandels. Postanschrift: Allende-Platz 1, 20146 Hamburg E-Mail:
[email protected]. Blossfeld, Hans-Peter, Prof. Dr. rer pol., geb. 1954, ist Geschäftsführender Direktor des Instituts für bildungswissenschaftliche Längsschnittforschung (INBIL) an der Universität Bamberg und Leiter des Nationalen Bildungspanels (National Educational Panel Study, NEPS). Seit 2002 ist er darüber hinaus Inhaber des Lehrstuhls für Soziologie I an der Universität Bamberg und seit 2003 Leiter des Staatsinstituts für Familienforschung an der Universität Bamberg. Zuvor war er von 1989-1992 Professor of Sociology (Chair) am Europäischen Hochschulinstitut in Florenz, 1992-1998 Professor für Statistik und Methoden der empirischen Sozialforschung an der Universität Bremen und von 1998-2002 Professor für Allgemeine Soziologie, insbesondere Theorie und Empirie von Sozialstrukturen und Wirtschaftssystemen an der Universität Bielefeld. Postanschrift: Lehrstuhl für Soziologie I, Fakultät Sozial- und Wirtschaftswissenschaften, Otto-Friedrich-Universität Bamberg, Postfach 1549, Lichtenhaidestr. 11, D-96045 Bamberg
230
Verzeichnis der Autorinnen und Autoren
Tel.: +49/ (0) 951 / 863-2595, Fax: +49/ (0) 951 / 863-2597 E-Mail:
[email protected]. http://www.uni-bamberg.de/sowi/soziologie-i/ Buchholz, Sandra, Dr. rer. pol., ist wissenschaftliche Mitarbeiterin am Lehrstuhl für Soziologie 1 an der Otto-Friedrich-Universität Bamberg. Zuvor war sie wissenschaftliche Mitarbeiterin in den international vergleichenden Forschungsprojekten „GLOBALIFE – Lebensverläufe im Globalisierungsprozess“ (2003 bis 2005, Universität Bamberg) sowie „flexCAREER – Flexibilitätsformen und soziale Ungleichheiten beim Erwerbseinstieg und in der frühen Erwerbskarriere“ (2005 bis 2007, Staatsinstitut für Familienforschung an der Universität Bamberg). Ihre Forschungsinteressen liegen unter anderem in der Lebensverlaufsforschung, der Arbeitsmarktforschung, dem internationalen Vergleich sowie in quantitativen Methoden (v.a. Ereignisanalyse). Postanschrift: Lehrstuhl für Soziologie I, Otto-Friedrich-Universität Bamberg, Postfach 1549, D-96045 Bamberg E-Mail:
[email protected] Hofäcker, Dirk, Dipl. Soz., geb. 1974, ist seit 2006 Mitarbeiter am Staatsinstitut für Familienforschung an der Universität Bamberg (ifb) und Koordinator des europäischen Forschungsnetzwerks „TransEurope“. Zuvor war er wissenschaftlicher Mitarbeiter im internationalen Forschungsprojekt „GLOBALIFE-Lebensverläufe im Globalisierungsprozess“ an der Universität Bamberg, anschließend Mitarbeiter am Lehrstuhl für Soziologie I. Seine Forschungsinteressen liegen im Bereich der international vergleichenden Lebenslaufforschung, der Familien- und Arbeitsmarktsoziologie, sowie der Einstellungsforschung. Postanschrift: Dirk Hofäcker, Staatsinstitut für Familienforschung an der Universität Bamberg, Heinrichsdamm 4, 96047 Bamberg E-Mail:
[email protected] Hoffmeyer-Zlotnik, Jürgen H.P., Prof. Dr., GESIS in Mannheim, Senior Projektberater am „Center for Survey Design and Methodology“; Lehre: Justus-Liebig-Universität, Gießen, Institut für Politikwissenschaft. Forschungsschwerpunkte: Standardisierung/Harmonisierung demographischer und sozioökonomischer Variablen für den nationalen und internationalen Vergleich von Umfragen; Regionalisierung von Umfragedaten.
Verzeichnis der Autorinnen und Autoren
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Postanschrift: GESIS, Postfach 12 21 55, 68072 Mannheim E-Mail:
[email protected] Kollmorgen, Raj, Prof. Dr. phil., Juniorprofessor für Soziologie und Europastudien an der Otto-von-Guericke Universität Magdeburg. Forschungsschwerpunkte: postsozialistische Transformationen, sozialer Wandel, Sozialstrukturen und soziale Ungleichheiten, Gesellschaftstheorie, moderne Gesellschaften, Ostdeutschland. Letzte Buchpublikationen: Ostdeutschland. Beobachtungen einer Übergangs- und Teilgesellschaft. Wiesbaden: VS-Verlag (2005), Revolutions. Reframed – Revisited – Revised. Frankfurt/N.Y. Peter Lang (2007, Hg. zus. mit Anke Bartels und Agata Stopinska). Postanschrift: Otto-von-Guericke Universität, Institut für Soziologie, PSF 4120, 39016 Magdeburg E-Mail:
[email protected] Lohmann, Henning, Dr. rer. pol., ist wissenschaftlicher Mitarbeiter bei der Längsschnittstudie „Sozio-oekonomisches Panel“ (SOEP) am Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung (DIW) in Berlin. Seine Forschungsinteressen liegen in den Bereichen soziale Ungleichheitsforschung, Methoden der empirischen Sozialforschung und Vergleich von Wohlfahrtsstaaten. Kontakt: SOEP/DIW Berlin, Mohrenstr. 58, 10117 Berlin. Tel. 030/89789-503, Fax: 030/89789-109 Postanschrift: SOEP/DIW Berlin, 10108 Berlin E-Mail:
[email protected] Müller, Walter, Prof. Dr., geboren 1942, ist emeritierter Professor für Soziologie an der Universität Mannheim und Forscher am Mannheimer Zentrum für Europäische Sozialforschung (MZES), das er mitbegründet und zeitweise geleitet hat. Forschungsschwerpunkte: Vergleichende Analyse der Sozialstruktur fortgeschrittener Gesellschaften, insb. Bildung, Beschäftigung und soziale Ungleichheit. Jüngere Veröffentlichungen sind „The Reemergence of Self-Employment: A Comparative Study of Self-Employment Dynamics and Social Inequality“, (hg. zus. mit Richard Arum), Princeton: Princeton University Press, 2004; „Schein oder Sein: Bildungsdisparitäten in der europäischen Statistik“ Schmollers Jahrbuch 2008 (4): 1-33, sowie zus. mit Richard Breen et al. 2009. `Non-Persistent Ine-
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Verzeichnis der Autorinnen und Autoren
quality in Educational Attainment: Evidence from Eight European Countries’ American Journal of Sociology 114 (5) 2009, in press. Postanschrift: MZES, Universität 68131 Mannheim E-Mail:
[email protected] Müller-Benedict, Volker, Dr. disc. pol., Dipl.-Math., 1952, Professor für Methoden und Statistik am Zentrum für Methodenlehre (i.Gr.) der Universität Flensburg. Forschungsgebiete: Modellierung sozialer Systeme, Bildungssoziologie, Sozialstrukturanalyse, historische Bildungsforschung. Veröffentlichungen: Wachstum und Austausch akademischer Karrieren 1850-1940. Zeitschrift für Erziehungswissenschaft, Beiheft 7 (2006), S. 73-104; How do non-linear relations of social macro-variables arise from aggregation of individual decisions? Journal of Mathematical Sociology 30(2006) (2), p. 137-158; Ist Akademikermangel unvermeidbar? Eine Analyse einer Tiefenstruktur des Bildungssystems. Zeitschrift für Erziehungswissenschaft 4(2002):672-691. Postanschrift: Auf dem Campus 1, 24943 Flensburg E-Mail:
[email protected] Pfau-Effinger, Birgit, Prof. Dr., habilitiert in Soziologie, ist Professorin für Soziologie und Inhaberin des Lehrstuhls für Sozialstrukturanalyse sowie Co-Direktorin des Forschungsinstitutes Centrum für Globalisierung und Governance an der Universität Hamburg. Sie hat an den Universitäten Göttingen, Bremen und Jena geforscht und gelehrt und war Gastprofessorin an Universitäten in Tampere, Barcelona und Aalborg. Die Schwerpunkte ihrer Forschung liegen in der international und regional vergleichenden Sozialpolitikanalyse, Familien- und Geschlechterforschung und Arbeitsmarktforschung. Sie hat zu diesen Gebieten DFG- und EU-finanzierte Forschungsprojekte durchgeführt und breit in deutsch- und englischsprachigen wissenschaftlichen Journals, Sammelbänden und Monographien publiziert. Postanschrift: Allende-Platz 1, 20146 Hamburg E-Mail:
[email protected] Pollak, Reinhard, Dipl.-Soz., ist wissenschaftlicher Mitarbeiter am Wissenschaftszentrum Berlin für Sozialforschung (WZB). Seine Hauptinteressen liegen im Bereich der Bildungsungleichheit, der sozialen Mobilität und der Messung sozialer Ungleichheit. Sei-
Verzeichnis der Autorinnen und Autoren
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ne neuesten Veröffentlichungen umfassen „Non-Persistent Inequality in Educational Attainment: Evidence from Six European Countries” (mit Richard Breen, Ruud Luijkx und Walter Müller), American Journal of Sociology 114 (2009); „Micro-Class Mobility - Social Reproduction in Four Countries“ (mit Jan O. Jonsson, David B. Grusky, Matthew Di Carlo, und Mary C. Brinton), American Journal of Sociology 114 (2009); sowie „From Origin to Destination: Trends and Mechanisms in Social Mobility and Social Stratification Research” (hrsg. mit Stefani Scherer, Gunnar Otte und Markus Gangl), Frankfurt/ Main: Campus, 2007. Postanschrift: Wissenschaftszentrum Berlin für Sozialforschung, Reichpietschufer 50, 10785 Berlin E-Mail:
[email protected]. Raab, Marcel, Dipl.-Soz., ist seit 2008 wissenschaftlicher Mitarbeiter im Nationalen Bildungspanel (NEPS) und an der Professur für Bevölkerungswissenschaft an der Universität Bamberg. Seine Forschungsinteressen beinhalten neben der Bildungssoziologie, sowie der sozialen Ungleichheitsforschung vor allem familiensoziologische und methodische Fragestellungen. Postanschrift: Nationales Bildungspanel, Otto-Friedrich-Universität Bamberg, Luitpoldstraße 5, 96052 Bamberg E-Mail:
[email protected] Ruland, Michael, Dipl.-Soz., ist wissenschaftlicher Mitarbeiter im Projekt „Nationales Bildungspanel“ im Institut für bildungswissenschaftliche Längsschnittforschung, Bamberg. Seine Forschungsinteressen liegen im Bereich Globalisierung, Lebensverlaufsforschung, Bildungs- und Arbeitsmarktforschung sowie in quantitativen Methoden der Sozialforschung (insbesondere Ereignisanalyse). Postanschrift: Institut für bildungswissenschaftliche Längsschnittforschung (INBIL), Nationales Bildungspanel (NEPS), Luitpoldstr. 5, 96052 Bamberg E-Mail:
[email protected] Saka
Magdaleni, Slaðana, Dipl-Soz, ist seit 2006 wissenschaftliche Mitarbeiterin am Institut für Soziologie der Universität Hamburg. Zuvor war sie wissenschaftliche Mitarbeiterin im international vergleichenden Forschungsprojekt „Formal and Informal Work in Europe“
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Verzeichnis der Autorinnen und Autoren
des 5. EU-Rahmenprogramms an der Friedrich-Schiller-Universität Jena und der Universität Hamburg. Im Rahmen ihrer Promotion beschäftigt sie sich mit wirtschaftlichem Handeln im soziokulturellen Kontext regionaler Ökonomien in Osteuropa. Ihre Forschungsinteressen liegen in den Bereichen der Wirtschaftssoziologie, Arbeitssoziologie, dem Verhältnis von Institutionen und Kultur und der Transformationsforschung. Postanschrift: Allende-Platz 1, 20146 Hamburg E-Mail:
[email protected] Warner, Uwe, Conseiller scientifique am „Centre d’Etudes de Populations, de Pauvreté et de Politiques Socio-Economiques / International Network for Studies in Technology, Environment, Alternatives, Development“. Forschungsschwerpunkte: Standardisierung/Harmonisierung demographischer und sozioökonomischer Variablen für den nationalen und internationalen Vergleich von Umfragen; Survey Research; international vergleichende Studien zu Einkommen. Postanschrift: CEPS/INSTEAD, B.P. 48, L-4501 Differdange, Luxemburg E-Mail:
[email protected] Weins, Cornelia, Dr., wissenschaftliche Assistentin, Abteilung Soziologie, Methodenlehre/Empirische Sozialforschung, Universität Trier. Studium der Politikwissenschaft, Soziologie und VWL. Promotion in Soziologie. Lehr- und Forschungsschwerpunkte: Politische Soziologie, Sozialstrukturanalyse und Methodenlehre. Postanschrift: Abteilung Soziologie, Universität Trier, 54286 Trier E-Mail:
[email protected] Weiss, Felix, Dipl. Soz., arbeitet als wissenschaftlicher Mitarbeiter im Projekt „Diskontinuierliche Bildungskarrieren im Ländervergleich“ am Mannheimer Zentrum für Europäische Sozialforschung und als Lehrassistent im Bereich „Methoden der empirischen Sozialforschung“ an der Fakultät für Sozialwissenschaften der Universität Mannheim. Seine Forschungsinteressen liegen im Bereich der Bildungsund Arbeitsmarktsoziolgie. Postanschrift: Universität Mannheim, Mannheimer Zentrum für Europäische Sozialforschung, 68131 Mannheim E-Mail:
[email protected] Verzeichnis der Autorinnen und Autoren
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Wirth, Heike, Dr. phil., ist wissenschaftliche Mitarbeiterin im German Microdata Lab bei GESIS, Mannheim. Sie war Mitarbeiterin im Projekt zur faktischen Anonymisierung von Mikrozensus und EVS und hat seitdem in verschiedenen Gremien zur faktischen Anonymisierung von amtlichen Mikrodaten, mit dem Ziel den Zugang der Forschung zu amtlichen Mikrodaten zu verbessern, mitgewirkt. Seit 2007 ist sie Mitglied der wissenschaftlichen Kommission zur Begleitung und Mitgestaltung der Volkszählung. Zu ihren Forschungsgebieten gehört die Sozialstruktur-, Familien- und Bildungsforschung. Postanschrift: GESIS, German Microdata Lab, Postfach 12 21 55, 68072 Mannheim. Tel.: +49 621 1246 269, Fax : +49 621 1246 100 E-Mail:
[email protected] Wolf, Christof, Dr. rer. pol., seit 2004 ist Christof Wolf Wissenschaftlicher Leiter der Gesellschaft für Sozialwissenschaftliche Infrastruktureinrichtungen (GESIS), wo er für den Arbeitsbereich Dauerbeobachtung der Gesellschaft verantwortlich ist. Er ist außerdem geschäftsführender Herausgeber der Zeitschrift „Methoden, Daten, Analysen – Zeitschrift für Empirische Sozialforschung“. Seine Forschungsinteressen richten sich auf die interkulturell vergleichende Sozialforschung, insbesondere in den Bereichen soziale Ungleichheit, Gesundheit und Religion. Veröffentlichungen u.a.: How Secularized is Germany? Social Compass 55 (2008): 111-126; Determinanten der beruflichen Weiterbildung Erwerbstätiger. Zeitschrift für Soziologie 36 (2007): 473-493 (gemeinsam mit T. Hubert); Soziologie der Gesundheit. Wiesbaden: VS Verlag (2006, herausgegeben mit C. Wendt); Advances in Cross-National Comparison. New York: Kluwer Academic (2003, herausgegeben mit J.H.P. Hoffmeyer-Zlotnik). Postanschrift: GESIS, B2 1, 68159 Mannheim E-Mail:
[email protected]