Ina Findeisen Hürdenlauf zur Exzellenz
Ina Findeisen
Hürdenlauf zur Exzellenz Karrierestufen junger Wissenschaftleri...
138 downloads
1039 Views
2MB Size
Report
This content was uploaded by our users and we assume good faith they have the permission to share this book. If you own the copyright to this book and it is wrongfully on our website, we offer a simple DMCA procedure to remove your content from our site. Start by pressing the button below!
Report copyright / DMCA form
Ina Findeisen Hürdenlauf zur Exzellenz
Ina Findeisen
Hürdenlauf zur Exzellenz Karrierestufen junger Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler
Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über abrufbar.
Dissertation Universität Konstanz, 2010
. 1. Auflage 2011 Alle Rechte vorbehalten © VS Verlag für Sozialwissenschaften | Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH 2011 Lektorat: Dorothee Koch | Anita Wilke VS Verlag für Sozialwissenschaften ist eine Marke von Springer Fachmedien. Springer Fachmedien ist Teil der Fachverlagsgruppe Springer Science+Business Media. www.vs-verlag.de Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlags unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Die Wiedergabe von Gebrauchsnamen, Handelsnamen, Warenbezeichnungen usw. in diesem Werk berechtigt auch ohne besondere Kennzeichnung nicht zu der Annahme, dass solche Namen im Sinne der Warenzeichen- und Markenschutz-Gesetzgebung als frei zu betrachten wären und daher von jedermann benutzt werden dürften. Umschlaggestaltung: KünkelLopka Medienentwicklung, Heidelberg Gedruckt auf säurefreiem und chlorfrei gebleichtem Papier Printed in Germany ISBN 978-3-531-17919-3
Vorwort
Die vorliegende Arbeit ist die gekürzte und leicht überarbeitete Fassung meiner an der Universität Konstanz angenommenen Dissertation. Tag der mündlichen Prüfung: 20. Juli 2010 Referent: Prof. Dr. Thomas Hinz Referent: Prof. Dr. Werner Georg Viele Personen haben zur Entstehung dieser Dissertation beigetragen. Zunächst danke ich meinem Doktorvater Prof. Dr. Thomas Hinz für die umfassende inhaltliche Unterstützung und die Möglichkeit, meine forschungspraktischen Kenntnisse in Methoden der empirischen Sozialforschung um den quantitativen Bereich zu erweitern. Bedanken möchte ich mich auch für die finanzielle Unterstützung, die meinen Glauben an das Potenzial dieser Arbeit gestärkt haben. Prof. Dr. Werner Georg danke ich für die Übernahme des Prüfungsvorsitzes und des Koreferats, PD Cornelia Niessen für die Mitwirkung am Promotionsverfahren und die angenehme Gestaltung der Prüfungsatmosphäre. Zu danken ist außerdem verschiedenen Personen, die einzelne Teile dieser Arbeit finanziell, inhaltlich oder durch die Bereitstellung von Daten unterstützt haben. Zunächst danke ich der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG), namentlich Dr. Jürgen Güdler, für die Möglichkeit, die Daten der DFG nach Abschluss des am Arbeitsbereich für empirische Sozialforschung (Prof. Dr. Thomas Hinz) durchgeführten Projekts „Wissenschaftlerinnen in der DFG“ für meine Dissertation zu nutzen. Für die Unterstützung in den beiden Teilprojekten über die Universität Konstanz danke ich Marion Woelki und dem gesamten Gleichstellungsreferat sowie dem Zukunftskolleg der Universität Konstanz. Mein weiterer Dank gilt den vielen Teilnehmern an der Promovierenden- und der Postdoc-Befragung. Nur durch ihr Mitwirken konnte diese Arbeit realisiert werden. Die Erstellung einer empirischen Dissertation ist ein sehr umfangreiches Vorhaben und durch ganz unterschiedliche Projektphasen gekennzeichnet. Es gibt viele Personen, die in dieser Zeit Höhen und Tiefen mit mir geteilt und mich in vielfältiger Weise unterstützt haben. An dieser Stelle gilt mein Dank Katrin Auspurg für die Unterstützung mit der Handhabung der Auswertungssoftware und die nützlichen Tipps rund um Datenexport und -aufbereitung, Elisa Szulganik für die zeitliche Entlastung durch die zuverlässige Programmierung der Promovierendenbefragung
6
Vorwort
und die gute Zusammenarbeit in parallelen Projekten. Thomas Wöhler und ganz besonders Eva Amorelli, Nina Storfinger und Nadine Meidert danke ich für die „offenen Ohren“ in schwierigen Zeiten, das ehrliche Feedback und die motivierenden Gespräche, besonders in der Schlussphase. In allen Phasen hilfreich waren die realistischen Einschätzungen und vielfältigen Anregungen von Olaf G. Jahreiss, der in unermüdlichem Einsatz und auch kurzfristig Fragen beantwortet und durch wertvolle Denkanstöße dazu beigetragen hat, das Thema in seiner Gesamtheit zu reflektieren. Besonders wichtig war auch der Erfahrungsaustausch mit Freunden aus nicht universitären Berufsfeldern, der gerade meinen Blick für die Spezifika des Wissenschaftssystems geschärft hat. Noch stärker hervorzuheben ist jedoch, dass sie vor allem bei unseren sportlichen Abenteuern für neue Energie, inneren Ausgleich und die notwendige Distanz zur Arbeit gesorgt haben. Fay und Uli Stadler, Sabine Drechsler, Sabine Bunz, Dirk Geiger und Olli Fritzsch ganz herzlichen Dank dafür. Auch ohne die Hilfe meiner Eltern wäre diese Arbeit kaum möglich gewesen. Sie haben mir diesen Ausbildungsweg in finanzieller Hinsicht überhaupt erst ermöglicht und auch die gesamte Promotionsphase durchweg befürwortet. Schließlich danke ich ganz besonders meinem Lebenspartner, Thomas Renz, der mir die ganze Zeit über den Rücken freigehalten, mich mit Rat und Tat unterstützt und mir geholfen hat, das Ziel nie aus den Augen zu verlieren und diese Arbeit erfolgreich zu beenden. Alle haben zum Gelingen dieser Arbeit beigetragen – dafür herzlichen Dank!
Konstanz, Januar 2011 Ina Findeisen
Inhaltsverzeichnis
Abbildungsverzeichnis ..................................................................................... 11 Tabellenverzeichnis .........................................................................................15 Abkürzungsverzeichnis ....................................................................................19 1
Einleitung ...........................................................................................21
2
Geschlechtsspezifische Segregation im Wissenschaftssystem: Theoretische Erklärungsansätze....................................................... 27
2.1 2.1.1 2.1.2 2.1.3 2.1.4
Akteurzentrierte Ansätze ..................................................................................27 Biologische Ansätze ...........................................................................................28 Sozialisationstheoretische Ansätze ..................................................................31 Interaktionssoziologische Ansätze ..................................................................36 Implikationen für Frauen in der Wissenschaft...............................................39
2.2 Strukturzentrierte Ansätze ................................................................................42 2.2.1 Kontingenzansätze ............................................................................................42 2.2.2 Embedded Approaches.....................................................................................44 2.3 Integration der Perspektiven durch Bourdieus Theorie der Praxis .............53 2.3.1 Theoretische Konzepte .....................................................................................54 2.3.2 Das soziale Feld der Wissenschaft...................................................................58 2.4
Untersuchungsziele und Forschungsdesign ...................................................67
8
Inhaltsverzeichnis
3
Promotionsphase: Qualifikationsbedingungen und Abbruchrisiken ...................................................................................................... 77
3.1
Datengrundlage und methodisches Vorgehen ...............................................80
3.2
Profil der Befragten ...........................................................................................83
3.3 3.3.1 3.3.2 3.3.3 3.3.4
Objektive Faktoren und Zusammenhänge .....................................................87 Situation im universitären Umfeld ...................................................................87 Situation im privaten Umfeld ........................................................................ 105 Wissenschaftliche Erträge .............................................................................. 106 Zwischenzusammenfassung .......................................................................... 111
3.4 3.4.1 3.4.2 3.4.3
Subjektive Wahrnehmungen.......................................................................... 117 Berufliche Motivation..................................................................................... 117 Situation im universitären Umfeld ................................................................ 119 Situation im privaten Umfeld: Antizipierte Probleme der Vereinbarkeit von Wissenschaft und Familie ............................................................... 122 3.4.4 Zwischenzusammenfassung .......................................................................... 124
3.5 3.5.1 3.5.2 3.5.3
Anzeichen für einen Promotionsabbruch.................................................... 126 Unterbrechungen ............................................................................................ 126 Abbruchgedanken ........................................................................................... 132 Zwischenzusammenfassung .......................................................................... 135
4
Postdocphase: Vereinbarkeit von Wissenschaft und Familie ......... 139
4.1
Datengrundlagen und methodisches Vorgehen.......................................... 142
4.2
Profil der Befragten ........................................................................................ 144
4.3 4.3.1 4.3.2 4.3.3 4.3.4 4.3.5
Objektive Faktoren und Zusammenhänge .................................................. 147 Elternschaft und Kinderlosigkeit .................................................................. 147 Berufliche Situation ........................................................................................ 149 Familiäre Situation .......................................................................................... 158 Alltagsorganisation von beruflichen und familiären Aufgaben ................ 161 Zwischenzusammenfassung .......................................................................... 171
4.4 Subjektive Wahrnehmungen.......................................................................... 177 4.4.1 Kinderwunsch und Familienplanung ........................................................... 177
Inhaltsverzeichnis
4.4.2 4.4.3 4.4.4 4.4.5
9
Berufliche Situation ........................................................................................ 179 Familiäre Situation .......................................................................................... 193 Lebenssituation und Verbesserungswünsche .............................................. 196 Zwischenzusammenfassung .......................................................................... 203
5
Postdocphase: Bewährung in der Wissenschaftsgemeinschaft durch DFG-Forschungsstipendien ................................................. 209
5.1
Datengrundlage und methodisches Vorgehen ............................................ 215
5.2
Profil der Antragstellenden ............................................................................ 217
5.3 Objektive Faktoren und Zusammenhänge .................................................. 222 5.3.1 Antragsbeteiligung bei DFG-Forschungsstipendien.................................. 223 5.3.2 Förderquoten und Bewilligungschancen bei DFG-Forschungsstipendien ......................................................................................................... 225 5.3.3 Zwischenzusammenfasssung ........................................................................ 236 5.4 5.4.1 5.4.2 5.4.3 5.4.4
Subjektive Wahrnehmungen.......................................................................... 240 Profil der Befragten ........................................................................................ 240 Erträge und Nützlichkeit des Stipendiums .................................................. 247 Einschätzungen des Peer-Review-Systems der DFG ................................ 258 Zwischenzusammenfassung .......................................................................... 270
6
Schlussbetrachtung ......................................................................... 277
6.1
Geschlechtsspezifische Barrieren und Möglichkeiten im wissenschaftlichen Qualifikationsverlauf ................................................................ 278 Objektive Situation: Nachteile und Vorteile für Frauen ............................ 279 Subjektive Situation: Nachteile und Vorteile für Frauen ........................... 282 Verstärkung von Nachteilen für Frauen ...................................................... 285 Verringerung von Vorteilen für Frauen ....................................................... 289 Verringerung von Nachteilen für Frauen .................................................... 289 Verstärkung von Vorteilen für Frauen......................................................... 291
6.1.1 6.1.2 6.1.3 6.1.4 6.1.5 6.1.6 6.2
Diskussion: Zentrale Barrieren, vertikale Segregation und die Förderung von Exzellenz............................................................................... 291
Literaturverzeichnis ....................................................................................... 301
Abbildungsverzeichnis
Abbildung 1: Abbildung 2: Abbildung 3: Abbildung 4: Abbildung 5:
Abbildung 6: Abbildung 7: Abbildung 8: Abbildung 9: Abbildung 10: Abbildung 11: Abbildung 12: Abbildung 13:
Frauenanteile nach Hierarchiestufen (hypothetische Kohortenanalyse; (Studienabschlusskohorte 1998) ............................................22 Merkmale des wissenschaftlichen Feldes; eigene Darstellung .........60 Hauptfinanzierungsquelle nach Geschlecht (in Prozent mit Angabe der Prozentpunktdiff.) ............................................................88 Geschlechtsunterschiede bei Aspekten der bedarfsgerechten Betreuung unter Einbezug von Kontrollvariablen (Prozentpunktdiff. von Doktorandinnen und Doktoranden) ........................99 Geschlechtsunterschiede bei Aspekten der bedarfsgerechten Betreuung unter Einbezug von Kontrollvariablen (Prozentpunktdiff. von Doktorandinnen und Doktoranden in den Sektionen) ............................................................................................ 101 Promotionsarbeitspensum nach Geschlecht ................................... 103 Geschlechtsunterschiede bei Unterbrechungen der Promotion unter Einbezug von Kontrollvariablen (Prozentpunktdiff. von Doktorandinnen und Doktoranden) ................................................ 128 Geschlechtsunterschiede bei Abbruchgedanken unter Einbezug von Kontrollvariablen (Prozentpunktdiff. von Doktorandinnen und Doktoranden) ................................................................. 133 Befristete Anstellungsverhältnisse nach Elternschaft und Geschlecht (in Prozent mit Angabe der Prozentpunktdiff.) ......... 151 Vertragliches Arbeitspensum einer Vollzeitbeschäftigung nach Elternschaft und Geschlecht (in Prozent mit Angabe der Prozentpunktdiff.)........................................................................ 153 Tatsächliches Erwerbsarbeitspensum nach Elternschaft und Geschlecht ................................................................................... 154 Beeinträchtigung der wissenschaftlichen Tätigkeit durch Kinderbetreuungszeiten nach Geschlecht (in Prozent mit Angabe der Prozentpunktdiff.) ......................................................... 156 Wahrnehmungen der beruflichen Situation nach Elternschaft und Geschlecht unter Einbezug von Kontrollvariablen (Prozentpunktdiff. von Forschenden mit und ohne Kinder; Antwortkategorien 4 und 5) .............................................................. 182
12
Abbildungsverzeichnis
Abbildung 14: Wahrnehmungen der beruflichen Zufriedenheit nach Elternschaft und Geschlecht unter Einbezug von Kontrollvariablen (Prozentpunktdiff. von Forschenden mit und ohne Kinder; Antwortkategorien 4 und 5) .............................................................. 185 Abbildung 15: Frauenanteile bei Antragstellungen insgesamt und nach Wissenschaftsbereichen ..................................................................... 224 Abbildung 16: Förderquoten nach Geschlecht (1991-2004; in Prozent mit Angabe der Prozentpunktdiff.) ......................................................... 225 Abbildung 17: Förderquoten in den Geistes-/Sozialwissenschaften und den Lebenswissenschaften nach Geschlecht (1991-2004; in Prozent mit Angabe der Prozentpunktdiff.) ................................... 226 Abbildung 18: Förderquoten in den Naturwissenschaften und den Ingenieurwissenschaften nach Geschlecht (1991-2004; in Prozent mit Angabe der Prozentpunktdiff.) ................................... 227 Abbildung 19: Geschlechtsunterschiede bei Bewilligungschancen unter Einbezug von Kontrollvariablen (Prozentpunktdiff. von Antragstellerinnen und Antragstellern; 1991-2004 gesamt) ...................... 231 Abbildung 20: Geschlechtsunterschiede bei Bewilligungschancen in den Geistes-/Sozialwissenschaften und den Lebenswissenschaften unter Einbezug von Kontrollvariablen (Prozentpunktdiff. von Antragstellerinnen und Antragstellern; 1991-2004 gesamt) .......... 232 Abbildung 21: Geschlechtsunterschiede bei Bewilligungschancen in den Naturwissenschaften und den Ingenieurwissenschaften unter Einbezug von Kontrollvariablen (Prozentpunktdiff. von Antragstellerinnen und Antragstellern; 1991-2004 gesamt) .......... 234 Abbildung 22: Geschlechtsspezifische Alterseffekte bei Bewilligungschancen nach Wissenschaftsbereichen (Prozentpunktdiff. der Altersgruppen zur Referenzkategorie "unter 30 Jahren") ........................ 235 Abbildung 23: Nützlichkeit des Forschungsstipendiums nach Geschlecht (in Prozent mit Angabe der Prozentpunktdiff.; Antwortkategorien 1 und 2) ............................................................................. 253 Abbildung 24: Informationsstand über Möglichkeiten zur Vereinbarung von Familie und Wissenschaft nach Geschlecht (in Prozent mit Angabe der Prozentpunktdiff.) .................................................. 256 Abbildung 25: Inanspruchnahme von Möglichkeiten zur Vereinbarung von Familie und Wissenschaft nach Geschlecht (in Prozent mit Angabe der Prozentpunktdiff.) .................................................. 257 Abbildung 26: Gründe gegen Antragstellung bei der DFG nach Geschlecht (in Prozent mit Angabe der Prozentpunktdiff.) ............................. 259
Abbildungsverzeichnis
13
Abbildung 27: Gründe für unangemessene Ablehnung qualitativ guter Anträge nach Geschlecht (in Prozent mit Angabe der Prozentpunktdiff.) .............................................................................. 263 Abbildung 28: Geschlechtsunterschiede bei Gründen für unangemessene Ablehnung qualitativ guter Anträge unter Einbezug von Kontrollvariablen (Prozentpunktdiff. von Stipendiatinnen und Stipendiaten) ................................................................................ 265 Abbildung 29: Einschätzung des Peer-Review-Verfahrens nach Geschlecht (in Prozent mit Angabe der Prozentpunktdiff.; Antwortkategorien 1 und 2) .................................................................................... 268 Abbildung 30: Geschlechtsunterschiede bei Einschätzungen zum Peer-Review-Verfahren unter Einbezug von Kontrollvariablen (Prozentpunktdiff. von Stipendiatinnen und Stipendiaten) .......... 269
Tabellenverzeichnis
Tabelle 1: Tabelle 2: Tabelle 3: Tabelle 4: Tabelle 5: Tabelle 6: Tabelle 7: Tabelle 8: Tabelle 9: Tabelle 10: Tabelle 11: Tabelle 12: Tabelle 13: Tabelle 14: Tabelle 15: Tabelle 16:
Profil der Befragten .....................................................................................83 Wissenschaftliche Verankerung und wissenschaftliches Karriereziel nach Geschlecht....................................................................................86 Hauptfinanzierungsquelle nach Geschlecht: Mitarbeiterstelle (logistische Regressionen)...........................................................................89 Hauptfinanzierungsquelle nach Geschlecht: Promotionsstipendium (logistische Regressionen) ................................................................90 Ungewissheit einer Weiterfinanzierung nach Geschlecht (logistische Regressionen)...........................................................................92 Wissenschaftliche Verankerung nach Geschlecht (logistische Regressionen)...........................................................................94 Überdurchschnittliche Anzahl an Vorträgen in Forschungskolloquien nach Geschlecht (logistische Regressionen; Median: 2-3 Vorträge) .......................................................................................................95 Überdurchschnittliche Anzahl an Kongressteilnahmen mit Vortragstätigkeit nach Geschlecht (logistische Regressionen; Median: 0 Vorträge) ....................................................................................97 Wöchentliches Erwerbsarbeitspensum nach Geschlecht (lineare Regressionen) .............................................................................. 102 Wöchentliches Promotionsarbeitspensum nach Geschlecht (lineare Regressionen) .............................................................................. 104 Beeinträchtigung durch familiale Ereignisse nach Geschlecht (logistische Regressionen)........................................................................ 106 Vorhandensein von Veröffentlichungen nach Geschlecht (logistische Regressionen)........................................................................ 107 Überdurchschnittliche Publikation von Aufsätzen mit Peer-Review nach Geschlecht (logistische Regressionen) ................................ 109 Planung von Aufsätzen in Zeitschriften mit Peer-Review nach Geschlecht (logistische Regressionen) ................................................... 110 Wissenschaftliches Berufsziel nach Geschlecht (logistische Regressionen) ............................................................................................ 118 Beeinträchtigung durch Demoralisierung nach Geschlecht (logistische Regressionen)........................................................................ 121
16
Tabellenverzeichnis
Tabelle 17: Beeinträchtigung durch Ignorierung von Schwierigkeiten nach Geschlecht (logistische Regressionen) ......................................... 122 Tabelle 18: Antizipierte Unvereinbarkeit von Wissenschaft und Familie nach Geschlecht (logistische Regressionen) ......................................... 123 Tabelle 19: Unterbrechungen der Promotion nach Geschlecht (logistische Regressionen; alle Befragte) ................................................ 129 Tabelle 20: Unterbrechungen der Promotion nach Geschlecht (logistische Regressionen; Promovierende in Partnerschaften) ......... 131 Tabelle 21: Abbruchgedanken nach Geschlecht (logistische Regressionen; Promovierende in Partnerschaften) ....................................................... 134 Tabelle 22: Profil der Befragten (Onlinebefragung)................................................. 144 Tabelle 23: Profil der qualitativ befragten Eltern ..................................................... 146 Tabelle 24: Karrierephase bei Geburt des ersten Kindes ........................................ 149 Tabelle 25: Anzahl an Aufsätzen in Zeitschriften mit Peer-Review (lineare Regressionen) .............................................................................. 157 Tabelle 26: Formen der Familien- und Berufsorganisation in Partnerschaften ...................................................................................................... 162 Tabelle 27: Berufsziel Professur nach Geschlecht (logistische Regressionen) ..... 180 Tabelle 28: Zufriedenheit mit universitären Kinderbetreuungseinrichtungen ..... 195 Tabelle 29: DFG-Fachsystematik der Fachkollegien, Fachgebiete und Wissenschaftsbereiche ............................................................................. 213 Tabelle 30: Profil der Antragstellenden (1991-2004) ............................................... 218 Tabelle 31: Alter der Antragstellenden zum Zeitpunkt der Antragstellung nach Geschlecht und Wissenschaftsbereichen ..................................... 220 Tabelle 32: Beantragte Fördersummen nach Wissenschaftsbereichen (1991-2004)................................................................................................ 222 Tabelle 33: Förderquoten nach Wissenschaftsbereichen, Fachgebieten und Geschlecht ......................................................................................... 228 Tabelle 34: Profil der Befragten .................................................................................. 241 Tabelle 35: Fachzugehörigkeit der ehemaligen Stipendiatinnen und Stipendiaten ............................................................................................... 243 Tabelle 36: Altersverteilung der ehemaligen Stipendiatinnen und Stipendiaten .......................................................................................................... 244 Tabelle 37: Qualifikationsstatus der ehemaligen Stipendiatinnen und Stipendiaten zum Zeitpunkt der Befragung nach Wissenschaftsbereichen.................................................................................................... 245 Tabelle 38: Abgeschlossene Habilitation nach Geschlecht (logistische Regressionen)........................................................................ 247 Tabelle 39: Keine (weitere) Habilitationsabsicht nach Geschlecht (logistische Regressionen)........................................................................ 249
Tabellenverzeichnis
17
Tabelle 40: Absolvierung eines DFG-finanzierten Auslandsaufenthalts nach Geschlecht (logistische Regressionen) ......................................... 251 Tabelle 41: Gründe gegen Antragstellung nach Geschlecht: Ablehnungsrisiko im Verhältnis zum Aufwand zu hoch (logistische Regressionen)........................................................................ 260 Tabelle 42: Gründe gegen Antragstellung nach Geschlecht: Verfahren zu langwierig (logistische Regressionen)................................................ 261
Abkürzungsverzeichnis
In Tabellen und Abbildungen werden zur Darstellung von Fachdisziplinen folgende Abkürzungen verwendet: Sektionen der Universität Konstanz NW Sektion: Mathematisch-Naturwissenschaftliche Sektion GW Sektion: Geisteswissenschaftliche Sektion RWV Sektion: Rechts-, Wirtschafts- und Verwaltungswissenschaftliche Sektion Wissenschaftsbereiche der Deutschen Forschungsgemeinschaft G-/SW: LW: NW: IW:
Geistes-/Sozialwissenschaften Lebenswissenschaften Naturwissenschaften Ingenieurwissenschaften
1
Einleitung
Seit Beginn des 20. Jahrhunderts beteiligen sich Frauen wie Männer an höherer Bildung und auch Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler unterscheiden sich in ihren beruflichen Aspirationen und Qualifikationspotenzialen kaum mehr (Achatz/ Hinz 2001, Allmendinger et al. 2000, Engler 2001, Macha 2006).1 Dennoch nimmt der Anteil der Wissenschaftlerinnen in Deutschland mit zunehmender Qualifikationsstufe nach wie vor sprunghaft und im Vergleich zu Wissenschaftlern überproportional ab. Diese vertikale Segregation erweist sich trotz anhaltender Appelle, das vorhandene Talentpotenzial besser zu nutzen, neben Wirtschaft, Politik und Kultur gerade in der Wissenschaft als auffallend dauerhaft.2 Im internationalen Vergleich erscheint zudem das deutsche Wissenschaftssystem besonders reformbedürftig.3 Bereits Mitte der 1980er Jahre wurde die wissenschaftspolitische Aufmerksamkeit für das Versagen des Wissenschaftssystems geweckt, Ende der 1990er Jahre die Verbesserung der Qualifikationswege für den wissenschaftlichen Nachwuchs gefordert (WR 2001). Doch besonders in den letzten Jahren und im Zuge der 2006 angelaufenen Exzellenzinitiative haben Aufrufe, den Bedarf an Nachwuchs zu decken, dessen objektive Förderung im Blick zu haben und die Attraktivität des deutschen Wissenschaftsstandorts auch für internationale Forschende zu erhöhen, eine neue Spitze erreicht. Die Exzellenzinitiative fordert und fördert in bislang seltener Klarheit gleichstellungspolitische Maßnahmen an Universitäten, um das Potenzial von Frauen besser auszuschöpfen. Doch trotz dieser Bemühungen sind in Deutschland nur langsam Erfolge zu verzeichnen. Zwar steigt die Beteiligung von Frauen seit Ende der 1990er Jahre auf
1 2 3
Seit 2000 pendelt der Frauenanteil unter den Studierenden um die 50-Prozent-Marke. Ähnlich verhält sich dies bei Studienabschlüssen. Für weitere Informationen zur Entwicklung der Frauenanteile und fachspezifischen Unterschieden vgl. zusammenfassend Hinz et al. 2008: 16 ff. Die Situation weiblicher Führungskräfte in der Privatwirtschaft wird beispielsweise im Führungskräfte-Monitor 2001-2006 dokumentiert (vgl. Holst 2009). In Deutschland liegen bereits die Anteile an Promotionen unter dem EU-Durchschnitt. Gleichermaßen verhält sich dies beim wissenschaftlichen Personal und bei Professuren. Während sich der Frauenanteil bei C4/W3-Professuren in Deutschland 2004 auf 9,2 Prozent beläuft, beträgt der Wert für die EU-25 15,3 Prozent (Die Angaben zu Professuren beziehen sich auf die jeweils höchste Hierarchiestufe, verstanden als „the single highest grade/post at which research is normally conducted“). Mit bis zu 23 Prozent sind besonders hohe Anteile in Rumänien, Italien, Island, Israel und Frankreich zu verzeichnen (EC 2006: 21, 25, 56 ff.).
I. Findeisen, Hürdenlauf zur Exzellenz, DOI 10.1007/978-3-531-93180-7_1, © VS Verlag für Sozialwissenschaften | Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH 2011
22
Einleitung
allen Qualifikationsstufen an4, aber dennoch bleiben erhebliche Defizite bei der Ausschöpfung des vorhandenen Potenzials bestehen. Abbildung 1 zeigt anhand eines idealtypischen Verlaufs einer wissenschaftlichen Laufbahn5, wie selten die ursprünglich geschlechtsparitätischen Bildungsinvestitionen von Frauen in weiterführende wissenschaftliche Qualifikationen umgesetzt werden: Ausgehend von einem annähernd ausgeglichenen Frauenanteil bei Studienabschlüssen in 1998, liegt der Frauenanteil bei Promotionen nach drei Jahren bei 35,3 Prozent. Nach weiteren fünf Jahren beträgt der Frauenanteil an Habilitationen noch 22,2 Prozent. Dahingegen ist zwischen Habilitation und Erstberufung kein weiterer Verlust von Wissenschaftlerinnen auszumachen. Folglich verliert die leaking pipeline (MIT 2002) nach wie vor insbesondere auf den Stufen der Promotion und der Habilitation überproportional viele Wissenschaftlerinnen. Auf beiden Qualifikationsstufen bleibt diese Kluft trotz allmählich steigender Frauenanteile auch im Zeitverlauf stabil und verweist auf andauernde Defizite in der Qualifikationsphase des wissenschaftlichen Nachwuchses (WR 2007c, EC 2004). Abbildung 1: Frauenanteile nach Hierarchiestufen (hypothetische Kohortenanalyse; Studienabschlusskohorte 1998)
Erstberufungen 2007
Habilitationen 2006
Promotionen 2001
Studienabschlüsse 1998
50 45 40 35 30 25 20 15 10 5 0
Quelle: Statistisches Bundesamt; eigene Darstellung. 4 5
Zwischen 1999 und 2007 stiegen die Frauenanteile an Promotionen von 33,2 auf 42,3 Prozent, an Habilitationen von 17,7 auf 24,3 Prozent und an Professuren von neun Prozent auf 16,2 Prozent (vgl. https://www-genesis.destatis.de/genesis/online; Stand: 21.04.2010). Die Darstellung geht für die Studienabschlusskohorte von 1998 entsprechend idealtypischen Vorstellungen von einer Promotionsdauer von drei Jahren (2001), dem Abschluss einer Habilitation nach weiteren fünf Jahren (2006) und einer Berufung im Folgejahr der Habilitation aus (2007).
Einleitung
23
Neben dieser vertikalen besteht auch eine horizontale Segregation des Wissenschaftssystems, wonach sich die Frauenanteile je nach Fachzugehörigkeit stark unterscheiden. Auf der Ebene der Professuren 2007 finden sich nach Angaben des Statistischen Bundesamtes besonders hohe Frauenanteile von jeweils etwa 28 Prozent in den Sprach-/Kulturwissenschaften und den Kunstwissenschaften. Die Rechts-/Wirtschafts-/Verwaltungswissenschaften, Veterinär- und Humanmedizin nehmen mit Anteilen zwischen zwölf und 20 Prozent einen mittleren Platz ein. Die Schlussgruppe bilden die Naturwissenschaften und die Ingenieurwissenschaften mit Frauenanteilen von etwa elf bzw. acht Prozent. Zugleich besteht auch in den einzelnen Fächern eine vertikale Dimension, wobei gerade in vermeintlichen Frauenfächern im Karriereverlauf große Verluste zu verzeichnen sind.6 Insgesamt zeigen die Entwicklungen der vergangenen Jahre, dass das Erreichen einer kritischen Masse bei der Beteiligung von Frauen an Studienabschlüssen nicht zwangsläufig zu einer Erhöhung der Frauenanteile auf den nachfolgenden Karrierestufen führt. In der gängigen Forschungsliteratur wird die fortbestehende vertikale und horizontale Segregation mit einer Mischung aus Fremd- und Selbstselektion erklärt, die auf allenfalls scheinbar geschlechtsneutrale Strukturen des Wissenschaftssystems und auf fortbestehende gesamtgesellschaftliche Rollenerwartungen an Männer und Frauen zurückzuführen seien (Wimbauer 1999, Leemann 2002, von Stebut 2003, Beiträge in WR 2007b)7. Die hieraus resultierende Benachteiligung von Frauen wurde gerade in der Exzellenzinitiative hervorgehoben und der Bedarf einer Umgestaltung des Wissenschaftssystems erneut beschworen (Strohschneider 2007: 6).8 Scheinbar günstige Aussichten für eine bessere Beteiligung von Frauen an höheren Positionen des Wissenschaftssystems ergeben sich zudem aus Empfehlungen des Wissenschaftsrats. Diese zielen darauf ab, bestehenden Hemmnissen bei der Personal- und Nachwuchsrekrutierung, der Leistungsbewertung und der Work-LifeBalance entgegenzuwirken (WR 2007c). Dennoch könnte gerade der Anspruch an die Förderung wissenschaftlicher Exzellenz die beabsichtigte Förderung von Frauen unterlaufen. Denn der Konkurrenzdruck auf den wissenschaftlichen Nachwuchs wird weiter erhöht und zeitliche 6
7 8
So belegen die Daten des Statistischen Bundesamtes für die Sprach-/Kulturwissenschaften, wo der Frauenanteil bei Studienabschlüssen 1999 mehr als zwei Drittel beträgt, besonders hohe Verlustquoten. Dort beträgt der Frauenanteil an Promotionen in 2002 etwa 44 Prozent, bei Habilitationen 2007 noch etwa 38 Prozent. Für Managementkarrieren wird der geringere Berufserfolg von Frauen auf Basis von Paneldaten der WU Wien unabhängig von beruflichen Aspirationen besonders eindrücklich belegt (vgl. zusammenfassend Strunk 2009). In der Eröffnungsrede der Staatssekretärin im Bundesministerium für Bildung und Forschung zur Konferenz „Frauen für die Stärkung in Wissenschaft und Forschung“ des CEWS 2009 wurden besonders die Forschungseinrichtungen und Wissenschaftsorganisationen dazu aufgerufen, qualifizierten Frauen „bessere Chancen im Wissenschaftssystem zu ermöglichen“ (CEWS 2009: 16).
24
Einleitung
und fachliche Ansprüche werden einseitig zulasten der Wissenschaftlerinnen überhöht.9 Ferner beruhen Entscheidungen über Exzellenz, wie sie bei der Rekrutierung von Personal oder der Vergabe von Fördermitteln getroffen werden, auf komplexen Prozessen der Leistungszuschreibung und gleichzeitig vagen Bewertungskriterien. Folglich gewinnt die Funktion von gate keepers weiter an Bedeutung, da sie über Auswahl und Gewichtung solcher Kriterien entscheiden. Da solche Entscheidungspositionen zumeist von männlichen Wissenschaftlern besetzt werden, droht eine Betonung der vorwiegend an männlichen Lebensläufen orientierten Strukturen des Wissenschaftssystems und an traditionellen Geschlechtsrollenbildern (Brouns 2007: 24 ff.). Zudem wird die Anwendung unterschiedlicher Leistungsmaßstäbe durch die Intransparenz von Entscheidungsprozessen begünstigt (EC 2004: 12). Dies gilt selbst für Urteile durch das Peer-Review-Verfahren, das bei der Einwerbung von Drittmitteln oder Entscheidungen über Veröffentlichungen standardmäßig zum Einsatz kommt (EC 2004: 12).10 Zugleich setzt die Beurteilung von Leistungen voraus, dass diese Leistungen überhaupt erbracht wurden und in der Wissenschaftsgemeinschaft auch sichtbar sind. Hierdurch kommt vergangenen Leistungen und Erfolgen ein hohes Gewicht zu, wobei Personen, die bereits in jungen Jahren solche Leistungen erbringen, Vorteile akkumulieren können (Brouns 2007: 27). Dabei gilt es, sich durch zügige wissenschaftliche Erfolge besonders früh von anderen Nachwuchswissenschaftlerinnen und Nachwuchswissenschaftlern abzusetzen. Denn Erfolg führt zu einer Erhöhung der Sichtbarkeit in der Wissenschaftsgemeinschaft, Steigerung von Reputation und Zitationsquoten und letztendlich weiteren wissenschaftlichen Erfolgen (Brouns 2007: 37, Valian 1998). Neben diesen Dynamiken laufen fortbestehende Barrieren für Frauen möglicherweise Gefahr, vor dem Deckmantel der „Gleichheitsrhetorik“ aus dem Blick zu geraten. Somit gewinnt die Akkumulation von Vorteilen, die bereits unabhängig von der Förderung von Exzellenz eine zentrale Erklärung für geschlechtsspezifische Karriereverläufe darstellt, weiter an Bedeutung (Allmendinger et al. 2000, Xie/Shauman 2003). Folglich könnte gerade der Anspruch, wissenschaftliche Exzellenz zu fördern, Vorstellungen und Erwartungen an wissenschaftliche Laufbahnen verstärken, die für die Chancengleichheit der Geschlechter sogar schädlich sind. Um zu eruieren, welche Chancen und Risiken für die Integration von Frauen in die Wissenschaft an Forschungseinrichtungen mit einem hohen Anspruch zur Förderung von wissenschaftlicher Exzellenz bestehen, setzt die dreiteilige Dissertation Hürdenlauf zur Exzellenz – Karrierestufen junger Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler an 9
10
Erste Ergebnisse der Hamburger Projektgruppe um Anita Engels zur Untersuchung des Einflusses der Exzellenzinitiative auf die Chancengleichheit belegen eine Verschärfung der Vereinbarkeitsproblematik in der Spitzenforschung, die auf die „umfassenden Zeitanforderungen, die hohen Erwartungen an frühe und durchgängige Produktivität und einen lückenlosen Lebenslauf“ zurückgeht (Engels et al. 2008: 8). Für Kritik und Struktur des Verfahrens vgl. Abschnitt 2.2.2 und Kapitel 5.
Einleitung
25
zwei Exzellenzinstitutionen des deutschen Wissenschaftssystems an, die ein explizit gleichstellungspolitisches Programm verfolgen: (1) einer Exzellenzuniversität und ihren Arbeitsbedingungen für den wissenschaftlichen Nachwuchs (Teilprojekte 1 und 2) und (2) der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG), deren Förderentscheidungen auf Urteilen über wissenschaftliche Exzellenz beruhen (Teilprojekt 3). Somit bindet das Projekt die allgemeine Diskussion um Prozesse der Selbst- und Fremdselektion im wissenschaftlichen Qualifikationsverlauf in die Auseinandersetzung um die Förderung von Exzellenz ein. Die Dissertation konzentriert sich bewusst auf den akademischen Nachwuchs und setzt damit an jenen Stellen an, wo die höchsten Verlustquoten von Wissenschaftlerinnen zu verzeichnen sind (vgl. Abbildung 1). Dabei wird die Perspektive von Nachwuchswissenschaftlerinnen und Nachwuchswissenschaftlern eingenommen, die die vorhergehende Qualifikationsstufe bereits erfolgreich bewältigt und sich für eine Fortsetzung der wissenschaftlichen Laufbahn entschieden haben. Diese vorhergehenden Selektionen dürften geschlechtsspezifische Unterschiede eher schmälern, weshalb auch kleinere Barrieren für Frauen eine große Aussagekraft besitzen. In der Studie wird ein Forschungsstrang aufgegriffen, wonach die gendered substructure des Wissenschaftssystems (Acker 1991) in den Interaktionen des wissenschaftlichen Alltags, das heißt an den Forschungsinstitutionen selbst, zum Tragen kommt (Beaufaÿs/Krais 2005). Um mögliche Interdependenzen zwischen Fremd- und Selbstselektion bei der Entstehung vertikaler Segregation fassen zu können, steht ausgehend von Bourdieus Theorie der Praxis (vgl. Abschnitt 2.3) die Analyse der objektiven und subjektiven Situation des wissenschaftlichen Nachwuchses im Mittelpunkt des Interesses. Die Studie untersucht geschlechtsspezifische Bedingungen bei drei wesentlichen Hürden auf dem Weg zu exzellenter, wissenschaftlicher Tätigkeit. Ausgehend von der Annahme einer Akkumulation von Nachteilen bei Wissenschaftlerinnen bzw. von Vorteilen bei Wissenschaftlern (Etzkowitz et al. 2002, Xie/Shauman 2003), zielt die Studie zum einen auf die Identifikation von Mehrfachbelastungen für Frauen bei der Erfüllung zentraler Anforderungen an wissenschaftliche Laufbahnen. Zum anderen sollen geschlechtsspezifische Akkumulationsprozesse, durch die bestehende Geschlechtsunterschiede weiter vergrößert oder verringert werden, identifiziert werden (vgl. Abschnitt 2.4). Somit leistet die Studie einen wichtigen Beitrag für die Einschätzung der Chancengerechtigkeit für Männer und Frauen an zwei Exzellenzinstitutionen des deutschen Wissenschaftssystems, eruiert zentrale Stellschrauben zu deren nachhaltiger Verbesserung und zeigt Ansatzpunkte auf, der anhaltenden vertikalen Segregation des Wissenschaftssystems entgegenzuwirken. Als erste Hürde (Teilprojekt 1) stehen die Promotionsbedingungen im Mittelpunkt der Aufmerksamkeit. In der Promotionsphase werden viele Weichen für die weitere wissenschaftliche Karriere gestellt. Zum einen stellt die Promotion eine for-
26
Einleitung
male Voraussetzung für eine weitere wissenschaftliche Laufbahn dar. Zum anderen erfolgt die Sozialisation des Nachwuchses in die gängigen wissenschaftlichen Praktiken und Anforderungen an wissenschaftliche Laufbahnen sowie in die sozialen Netzwerke der jeweiligen Fachwelten und bietet Gelegenheit für erste wissenschaftliche Erfolge durch die Publikation eigener Forschungsergebnisse. Teilprojekt 2 thematisiert die an derselben Exzellenzuniversität bestehenden Möglichkeiten, in der Postdocphase „Wissenschaft und Familie“ zu vereinbaren, und greift damit eine der bislang als zentral geltenden Barrieren für die Partizipation von Frauen am Wissenschaftssystem auf. Die spezielle Hürde besteht in der Erfüllung familialer Bedürfnisse in einer Qualifikationsphase, in der es gilt, anhand herausragender Leistungen die eigene Sichtbarkeit in der Wissenschaftsgemeinschaft zu erhöhen und die Grundlage für eine spätere Berufung zu schaffen. In der mehr oder minder gelingenden Kombination beider Lebensbereiche wird außerdem die mögliche Kluft zwischen der Rhetorik der Förderung von Exzellenz und Chancengerechtigkeit und der tatsächlichen Situation sichtbar. Teilprojekt 3 widmet sich Exzellenzzuschreibungen durch den Peer-Review-Prozess und stellt die Bewährung des Nachwuchses in der Konkurrenz um ein reputationsreiches Förderinstrument zur Vorbereitung der Habilitation auch gerade im Ausland heraus. Schwerpunkte liegen hier auf den Bewilligungschancen und den Erfahrungen ehemals geförderter Stipendiatinnen und Stipendiaten. Die Arbeit gliedert sich wie folgt: Kapitel 2 bietet eine Übersicht der bestehenden Erklärungsansätze zur Partizipation von Frauen in der Wissenschaft und stellt die jeweiligen Forschungsbefunde vor. Diese Ansätze entspringen teilweise den Erkenntnissen zur Segregation des Arbeitsmarkts und werden jeweils auf ihre Bedeutung für die Wissenschaft als ein Segment des Arbeitsmarkts diskutiert (Abschnitte 2.1 und 2.2). In Abschnitt 2.3 erfolgt die Erarbeitung der in dieser Arbeit zugrunde liegenden Analyseheuristik nach Bourdieus Theorie der Praxis, die eine Verschränkung von Prozessen der Selbst- und Fremdselektion ermöglicht. Ein Schwerpunkt liegt auf der Ausarbeitung der Strukturen des Wissenschaftssystems, die auf Bourdieus Feldtheorie basiert. Das Kapitel schließt mit der Beschreibung der einzelnen Untersuchungsziele und des methodischen Designs der Studie. Kapitel 3 bis 5 stellen nach den jeweiligen Beschreibungen der Datengrundlagen und Auswertungsstrategien die Ergebnisse der empirischen Teilprojekte dar. In Kapitel 6 werden die zentralen Ergebnisse der Untersuchung zu Mehrfachbelastungen, Verstärkungs- und Ausgleichsdynamiken und wesentlichen Barrieren zusammengefasst und im Hinblick auf die im Zuge der Exzellenzdebatte bestehenden Bemühungen zur Integration von Frauen in die Wissenschaft reflektiert.
2
Geschlechtsspezifische Segregation im Wissenschaftssystem: Theoretische Erklärungsansätze
In der Arbeitsmarkt- und Wissenschaftsforschung gibt es vielfältige Ansätze zur Erklärung der andauernden vertikalen und horizontalen Segregation von Frauen in Wirtschaft, Wissenschaft und Politik. Generell jedoch lassen sich zwei Ausgangspunkte unterscheiden: die akteurzentrierte und die strukturzentrierte Perspektive (Allmendinger et al. 1999, Wetterer 1992).11 Während frühere Untersuchungen bis Mitte der 1980er Jahre überwiegend Mechanismen der Selbstselektion in den Blick nehmen, wonach die bestehende geschlechtsspezifische Segregation des Arbeitsmarkts als Ergebnis geschlechtsdifferenter Karriereorientierungen und Verhaltensweisen gesehen wurde, konzentrieren sich jüngere Forschungsarbeiten auf in der Arbeitswelt bestehende strukturelle Barrieren, die zu einem überproportional hohen Ausschluss von Frauen führen würden. Die vorliegende Studie strebt eine Verbindung akteur- und strukturzentrierter Ansätze an, indem subjektive Wahrnehmungen und Erfahrungen der Akteure im Zusammenhang mit Strukturen des Wissenschaftssystems und Mechanismen der Positionierung der Akteure in diesem System betrachtet werden. Als weitere strukturelle Komponenten werden auch gesamtgesellschaftliche Geschlechtsrollenerwartungen einbezogen, da diese im Zusammenhang mit den Wahrnehmungen der Forschenden stehen könnten. Ausgehend von Ansätzen zur Segregation des Arbeitsmarkts werden nachfolgend einzelne Ansätze und Konzepte der beiden Bereiche mit den jeweiligen Forschungsbefunden dargestellt und die jeweiligen Implikationen für das Wissenschaftssystem als ein Bereich des Arbeitsmarkts erarbeitet. 2.1
Akteurzentrierte Ansätze
Akteurzentrierte Ansätze suchen die Ursachen für eine geringere Partizipation von Frauen am Arbeitsmarkt in einer gegebenen Differenz der Geschlechter. Biologischen Ansätzen zufolge sind solche Unterschiede in Einstellungen, Orientierungen, kognitiven und beruflichen Fähigkeiten, Stressresistenz und Leistung(-sfähigkeit) angeboren und damit natürlich bedingt. Diese „Macht der Biologie“ (Beck-Gernsheim 2006: 17) wird insbesondere durch aktuelle neuropsychologische Studien be11
Beide Perspektiven werden in den Abschnitten 2.1 und 2.2 näher ausgeführt.
I. Findeisen, Hürdenlauf zur Exzellenz, DOI 10.1007/978-3-531-93180-7_2, © VS Verlag für Sozialwissenschaften | Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH 2011
28
Geschlechtsspezifische Segregation im Wissenschaftssystem: Theoretische Erklärungsansätze
stärkt. Dahingegen führen sozialisationstheoretische Ansätze solche Geschlechterdifferenzen auf die unterschiedliche Sozialisation von Männern und Frauen zurück. Nachdem biologische Erklärungen überwiegend in den 1980er Jahren verbreitet waren12, wurden diese zwischenzeitlich durch die Annahme von Umwelteinflüssen als Ursache solcher Geschlechtsunterschiede abgelöst. Jedoch leben auch in jüngerer Zeit genetisch-biologische Erklärungen wieder auf und werden seither kontrovers diskutiert (vgl. Fußnote 26). Beide Perspektiven sind fester Bestandteil der fortdauernden nature-nurture Debatte (vgl. Beiträge in Ceci/Williams 2007) und werden nachfolgend dargestellt.13 Als weitere Perspektive, die eine grundsätzliche Verbindung zwischen Akteur- und Strukturzentrierung anstrebt, werden anschließend interaktionssoziologische Ansätze aufgegriffen. Diese suchen im Gegensatz zu biologischen und sozialisationstheoretischen Ansätzen nicht nach den Ursachen der Wesensunterschiede zwischen den Geschlechtern, sondern richten den Blick auf Rahmenbedingungen, in welchen bestehende Unterschiede erst zum Tragen kommen, das heißt durch Mechanismen des doing gender in bestimmten Kontexten interaktiv hergestellt werden (Gildemeister 2004). 2.1.1 Biologische Ansätze Insbesondere die experimentelle Psychologie verfolgt seit den 1980er Jahren den Ansatz der Wesensunterschiede zwischen den Geschlechtern. Dabei liefern kognitions- und neuropsychologische Studien Evidenz für Geschlechtsunterschiede in Fähigkeiten wie räumlichem Vorstellungsvermögen, mathematischen und verbalen Fähigkeiten (Hedges/Nowell 1995, Kimura 1999). Diese Unterschiede werden nicht immer systematisch nach ihren Ursachen analysiert, aber überwiegend als naturgegeben dargestellt. Hedges und Nowell führten 1995 eine Sekundäranalyse verschiedener kognitiver Tests mit Jugendlichen und jungen Erwachsenen durch und kamen zu dem Ergebnis, dass sich die Durchschnittswerte für mehrere Fähigkeiten zwischen Männern und Frauen kaum unterscheiden. So erzielten Frauen bei Tests zu Leseverständnis, Wahrnehmungsgeschwindigkeit und assoziativem Gedächtnis etwas höhere Werte als Männer.14 Umgekehrt verhielt sich dies bei mathematischen und insbesondere bei technischen beruflichen Fähigkeiten (mechanical reasoning, electronics information, auto and shop information). Deutlichere Geschlechtsunterschiede finden sich allerdings, wenn besonders talentierte und besonders untalentierte Per12 13 14
Vgl. beispielsweise Baker 1987. Es sei darauf hingewiesen, dass eine solch eindimensionale Zuordnung zu biologischen Erklärungen und zu durch Sozialisation determinierten Geschlechtsunterschieden nicht immer gegeben ist. Für eine genauere Beschreibung der Fähigkeiten und Tests vgl. Hedges/Nowell 1995: 42 ff.
Akteurzentrierte Ansätze
29
sonen betrachtet werden.15 Dabei gehören Frauen bei Leseverständnis, Wahrnehmungsgeschwindigkeit und assoziativem Gedächtnis deutlich häufiger zu den besonders talentierten Personen als Männer. Umgekehrt erwiesen sich Männer in Mathematik, Wissenschaft und insbesondere den technischen beruflichen Fähigkeiten deutlich talentierter als Frauen. Des Weiteren bestehe eine hohe prädiktive Validität einzelner Fertigkeiten auf die späteren Berufsfelder der Testpersonen: „People who have careers in science and engineering are overwhelmingly more likely to have scored in the 90th percentile on mathematics tests in high school. Sex differences in variance and mean lead to substantially fewer females than males who score in the upper tails of the mathematics and science ability distributions and hence are poised to succeed in the sciences. The achievement of fair representation of women in science will be much more difficult if there are only one half to one-seventh as many women as men who excel in the relevant abilities” (Hedges/Nowell 1995: 45).
Während Hedges/Nowell (1995) die Ursachen für diese Geschlechtsunterschiede nicht weiter thematisieren, werden diese in Studien der 1990er Jahre als biologisch determiniert angesehen. Zum einen seien Geschlechtsunterschiede in kognitiven Fähigkeiten, die typischerweise Männern (spatial performance) bzw. Frauen zugesprochen werden (verbal fluency, perceptual speed, manual dextrity) hormonell bedingt (Kimura 1999). So wirke sich ein hoher Testosteronspiegel positiv auf das räumliche Vorstellungsvermögen aus: „Fluctuations in sex hormones across seasons or at different phases of the menstrual cycle are also associated with predictable changes in cognitive patterns, including changes in spatial performance“ (Kimura 1999: 179).
Zum anderen stünden Schwankungen des Östrogenspiegels im Zusammenhang mit typisch weiblichen Eigenschaften. Kimura (1999) verweist außerdem auf die spezifische Ausformung von weiblichen und männlichen Gehirnen, die möglicherweise ebenfalls mit „substantial stable sex differences in cognitive functions like spatial rotation ability, mathematical reasoning, and verbal memory; and in motor skills requiring accurate targeting and finger dextrity“ verbunden sein könnten (Kimura 1999: 181). Dieser Ansatz wurde in aktuellen neuropsychologischen Studien aufgegriffen und in den Arbeiten von Baron-Cohen (2003, 2005, 2007) als empathizing-systemizing (E-S) theory theoretisch verankert. Die Theorie besagt, dass Unterschiede zwischen männlichen und weiblichen Gehirnen bestünden, die, hormonell bedingt, bereits pränatal programmiert würden, und sich daraus spezifische Interessen und Fähigkeiten von Frauen und Männern ableiten ließen. Dabei begünstige der weibli15
Als besonders talentiert wurden die oberen fünf Prozent bzw. zehn Prozent jeder Verteilung angesehen, als untalentiert die unteren fünf bzw. zehn Prozent jeder Verteilung.
30
Geschlechtsspezifische Segregation im Wissenschaftssystem: Theoretische Erklärungsansätze
che Gehirntyp (Typ E) empathische Analysen, während das typisch männliche Gehirn (Typ S) für systematische Analysen besser geeignet sei: „The female brain is predominantly hard-wired for empathy. The male brain is predominantly hard-wired for understanding and buildings systems” (Baron-Cohen 2003: 1).
Baron-Cohen versteht empathy als ein Set an Fertigkeiten, das basierend auf einem natürlichen Bedürfnis, sich um andere zu kümmern, dazu befähigt, sich in die Lage anderer hineinzuversetzen und mit angemessenem Feingefühl auf das Gegenüber zu reagieren. Es handele sich um eine Emotion, die intuitiv durch die Emotion einer anderen Person ausgelöst würde. Systemizing hingegen beschreibe den Drang und die Fähigkeit, Systeme16 zu analysieren, zu untersuchen, zu konstruieren und vorherzusagen, indem der jeweilige Input auf seine Regelhaftigkeit hin verarbeitet und untersucht wird und infolgedessen einen entsprechenden Output liefert (BaronCohen 2003: 2 ff.). „The empathizer intuitively figures out how people are feeling, and how to treat people with care and sensitivity. (…) The systemizer intuitively figures how things work, or what the underlying rules are controlling a system” (Baron-Cohen 2005: 1).
Demnach sei systemizing der natürliche Weg, um das Wesen von Ereignissen und Objekten vorherzusagen, während empathizing den natürlichen Weg beschreibe, um Personen zu verstehen (Baron-Cohen 2003: 5). Diese Unterschiede organisierten das Gehirn beider Geschlechter dauerhaft, wenngleich auch die Sozialisation einen partiellen Einfluss auf die Entwicklung der Gehirne ausübe. Somit scheine die stärkere Ausprägung mathematischer Fähigkeiten bei Männern und kommunikatorischer Fähigkeiten bei Frauen primär auf naturgegebene, genetisch-hormonell bedingte Faktoren zurückführbar. Empirische Evidenz für seine Theorie sieht Baron-Cohen in einer Vielzahl an Studien, die auf Geschlechtsunterschiede in verschiedenen kognitiven Fähigkeiten und Verhaltensweisen hindeuten.17 Für die weibliche, empathische Gehirnstruktur sprächen demnach Befunde, wonach Mädchen stärker an fairem Verhalten interessiert seien, mit Empathie auf Notlagen anderer Menschen reagierten, sich besser in andere hineinversetzen könnten, ein größeres Feingefühl gegenüber Mimik und Gestik aufwiesen, auf Fragen eher empathisch antworteten, eher altruistische als wettbewerbsorientierte18, Beziehungen schätzten und kommunikatorische Fähigkeiten aufwiesen (Baron-Cohen 2007: 163 ff.). Evidenz für eine systematisierende Verhaltensweise sieht Baron-Cohen in allen regelgeleiteten Bereichen: 16 17 18
Dabei unterscheidet Baron-Cohen zwischen technischen, natürlichen, abstrakten, sozialen, Organisations- und motorischen Systemen (vgl. Baron-Cohen 2003: 64 ff.). Vgl. beispielsweise Baron-Cohen 2003. Umgekehrt rauften Jungen im Spiel häufiger als Mädchen (Baron-Cohen 2007: 163 ff.).
Akteurzentrierte Ansätze
31
„Thus, chess and football are good examples of systems, but faces and conversations are not. As noted previously, systemizing involves monitoring three elements: input, operation, and output” (Baron-Cohen 2007: 165).
Den stärkeren Hang zur Systematisierung bei Männern sieht Baron-Cohen demnach in deren größerem Interesse an Spielzeugen, Bevorzugung von Beschäftigungen zur Herstellung von Systemen (metalworking, weapon making, construction industries), höheren Leistungen in Mathematik, Physik, Technik und Baukonstruktion sowie ihrem besseren räumlichen Vorstellungsvermögen. Gleichermaßen seien bei Männern motorische Fähigkeiten und die Fähigkeit zur Herstellung von Klassifizierungs- und Ordnungssystemen stärker ausgeprägt (Baron-Cohen 2007: 166168). Geschlechtsunterschiede in diese Richtung wurden bereits bei einjährigen Mädchen und Jungen festgestellt. Genau in diesem frühen Auftreten solcher Unterschiede sieht Baron-Cohen überwiegend biologische Ursachen. Diese Annahme wird bestärkt durch Befunde der Cambridger Neugeborenenstudie, bei welcher Neugeborenen zwei Objekte gezeigt wurden: ein menschliches Gesicht und ein Mobile. Dabei stellten die Forscher fest, dass Mädchen häufiger auf das Gesicht reagierten, während Jungen häufiger das Mobile anschauten. Da den Forschern das Geschlecht der Babys nicht bekannt war, können Verzerrungen durch geschlechtsstereotypische Verhaltenserwartungen ausgeschlossen werden. Geschlechtsspezifischen Erziehungsstilen von Jungen und Mädchen schreibt Baron-Cohen hingegen wenig Bedeutung zu (Baron-Cohen 2003: 86 ff.). Damit schließt Baron-Cohen den Einfluss kultureller Größen auf die Ausformung beider Gehirntypen weitgehend aus. 2.1.2 Sozialisationstheoretische Ansätze Dagegen leiten sozialisationstheoretische Ansätze individuelle und scheinbar naturgegebene Geschlechtsunterschiede aus der unterschiedlichen Sozialisation von Mädchen und Jungen ab. Diese führe dazu, dass Frauen und Männer unterschiedliche Interessen, Fähigkeiten und Orientierungen ausbilden. Die durch das soziale Umfeld der Personen, die sogenannten Peers (Familie, Schule, Freundeskreis und andere Bezugsgruppen) anerzogenen bzw. vorgelebten Verhaltensweisen und Denkmuster seien handlungsleitend für die Akteure. Hintergrund einer geschlechtsspezifischen Sozialisation bilde dabei ein Gesellschaftsbild geschlechtlicher Arbeitsteilung, wonach Frauen hauptsächlich dem familiären Bereich verpflichtet seien, während die Zuständigkeit der Männer auf die Erwerbsarbeit begrenzt würde (Heintz et al. 1997, Wimbauer 1999, Leuze/Rusconi 2009). Diese normativen Verhaltenserwartungen werden demnach insbesondere in Prozessen der frühkindlichen Sozialisation an die jeweils nächste Generation weitergegeben und reproduzierten stereotypische
32
Geschlechtsspezifische Segregation im Wissenschaftssystem: Theoretische Erklärungsansätze
Geschlechtsrollenerwartungen, die für Frauen ein überwiegend reproduktionsbezogenes, für Männer ein berufsbezogenes „Arbeitsvermögen“ festlegten (Beck-Gernsheim 1976: 77 ff.). Somit würden Handlungsoptionen und Verhaltensweisen von Männern und Frauen durch die in Geschlechtsrollen objektivierten und reduktionistischen Eigenschaften determiniert (Wetterer 1992: 16). Diese bipolar angelegten Geschlechtsrollenzuschreibungen und Verhaltenserwartungen sind demzufolge historisch verankert und erscheinen in Deutschland besonders dauerhaft. Beck-Gernsheim identifiziert mehrere Entwicklungslinien, die mit der Industrialisierung und der damit einhergehenden Trennung von Arbeit und Leben ihren Beginn nehmen (Beck-Gernsheim 2006: 35 ff.). So seien Selbstbestimmung und Autonomie zum Leitwert der bürgerlichen Gesellschaft geworden. Während Männer zunehmend für Öffentlichkeit und Beruf zuständig seien, würden Frauen auf Heim, Haushalt und Familie beschränkt. Durch diese Arbeitsteilung und die Verlagerung der Tätigkeiten von Frauen auf „gefühlsmäßige Aufgaben“ entstünden natürlich erscheinende Eigenschaften für beide Geschlechter (Beck-Gernsheim 2006: 35). Auf der einen Seite stehen somit sichtbare Eigenschaften wie Aktivität, Kraft, Durchsetzung und Verstand, auf der anderen Seite mit Fügsamkeit, Bescheidenheit, Herz und Gemüt eher latente Merkmale.19 Die Frau werde zunehmend durch spezifisch korrespondierende Interessen des Mannes und durch die erziehungslastige Entdeckung der biografischen Kindheitsphase über Mutterschaft definiert. Infolgedessen bildeten sich Leitbilder heraus, die diese neuen bürgerlichen Verhältnisse weiter etablierten und stabilisierten. So sei beginnend mit dem 18. Jahrhundert die Mutterideologie als neuer Kult entstanden, ein Bild „mütterlicher Selbstentsagung als höchstes Glück der Frau“ (Beck-Gernsheim 2006: 48). Erst gegen Ende des 19. Jahrhunderts wurden auch Frauen zunehmend in die Erwerbsarbeit einbezogen, neue Lebensräume entstanden, die allerdings mit viel Arbeit und wenig Geld verbunden waren. Gleichzeitig wurde Mütterlichkeit stark aufgewertet und zum „weiblichen Lebensprogramm“ (Beck-Gernsheim 2006: 64). Dadurch würden Unterschiede zwischen Männern und Frauen aktiv betont. Ausgehend vom Bürgertum entstanden neue Erziehungsnormen, die das Kindeswohl in den Mittelpunkt rückten. Diese „Professionalisierung von Mutterschaft“ (Beck-Gernsheim 2006: 80) bewirkte einen Rückgang der Kinderzahlen, da eine höhere Qualität in der Erziehung mit höheren und zeitlich anspruchsvolleren Anforderungen einhergehe. Im Laufe des 19. Jahrhunderts wurden diese Leitprinzipien durch Erkenntnisse der Medizin, Anthropologie, Psychologie und Psychoanalyse „wissenschaftlich fundiert“ (Hausen 2007: 47). Diese Entwicklung setzte sich bis zum Zweiten Weltkrieg fort und führte durch die Verankerung der Familie im Gleichberechtigungsgesetz vom 18.6.1957 zu einer weiteren Zementierung der Funktionen der Frau als „Herz der Familie“ und des Mannes als Ernährer (Beck-Gernsheim 2006: 86). Erst mit der Bildungsexpansion und der 19
Zu geschlechtsspezifischen Charakteristika vgl. auch Autenrieth et al. 1993: 26 ff., Hausen 2007.
Akteurzentrierte Ansätze
33
neuen Frauenbewegung wurden die bestehenden Leitbilder aufgeweicht – hin zu Vorstellungen stärker partnerschaftlicher Arbeitsteilung. Es entstehe, so BeckGernsheim, eine Aufspaltung in zwei Lager, die bis heute existieren. Auf der einen Seite wird der Anspruch der Frau auf ein eigenes Leben befürwortet, auf der anderen Seite werden traditionelle Vorstellungen umso stärker verteidigt. Gleichzeitig entstanden im Verlauf des 20. Jahrhunderts Normen, wonach nicht nur das körperliche Gedeihen des Kindes im Vordergrund steht, sondern alle Fähigkeiten des Kindes bestmöglich gefördert werden sollen. Hierdurch wird der kulturell vorgegebene Druck auf die Erziehungspersonen weiter verstärkt. Diese Entwicklungslinie wird durch psychologische Studien untermauert, die die Mutternähe „als besonders zuträglich für das Kind ansehen und andere Betreuungsformen dagegen als abweichend, ja schädlich etikettieren“ (Beck-Gernsheim 2006: 95). Bis heute implizieren derartige Leitbilder die Unvereinbarkeit von Familie mit einer anspruchsvollen Erwerbstätigkeit. Die tiefe Verwurzelung traditioneller Vorstellungen in Deutschland wird durch andauernde medienwirksame Beiträge aufrechterhalten, die spätestens seit Eva Hermans „Plädoyer für eine Rückkehr zur traditionellen Wahrnehmung der Geschlechter“ heftige Debatten auslösten und neuen Nährboden für das Aufleben der Mutterideologie lieferten (FAZ.NET 2006).20 Diese geschlechtsspezifischen Rollenerwartungen spiegeln sich in den Einstellungen und Verhaltensweisen von Männern und Frauen. So bestätigt die Sozialberichterstattung für Deutschland auch aktuell eine im internationalen Vergleich starke Orientierung an traditionellen Vorstellungen, die ein polarisiertes Bild von Elternschaft versus Berufstätigkeit begünstigen. So sprechen sich in 2006 über die Hälfte aller Westdeutschen für eine klassische Rollenverteilung aus (Scheurer/Dittmann 2007).21 Das Festhalten am männlichen Ernährerbild zeichnet sich zumindest in den alten Bundesländern auch in der sozialen Infrastruktur ab, wo erst in den letzten Jahren verstärkt der Ausbau von Kinderbetreuungseinrichtungen angegangen wird.22 Der Ansatz der social learning effects als Ursache für eine – ähnlich den Vertretern biologischer Ansätze festgestellte – geschlechtsspezifische Risikobereitschaft 20
21
22
Zu Eva Herman vgl. auch Martin 2007. Weitere Beharrungstendenzen und sogar ein neuerliches Aufleben der Mutterideologie dokumentieren überwiegend populärwissenschaftliche Studien (vgl. hierzu Beyer/Wellershoff 2001, Radisch 2006, Scheurer/Dittmann 2007). Erst seit Einführung des neuen Elterngeldes am 1. Januar 2007 gerät der Blick verstärkt auf die potenzielle und tatsächliche Übernahme der Erziehung durch Väter (z.B. Döge 2007, Roßbach 2008). In Ostdeutschland hingegen findet sich im europäischen Vergleich eine geringe Zustimmung zum klassischen Rollenmodell, die insbesondere auf die nur schwach ausgeprägte Vorstellung, dass bei einer Berufstätigkeit der Mutter die Beziehung zum Kind leide, zurückgeht (Scheuerer/Dittmann 2007: 2). Umgekehrt verhindern unzureichende Angebote an Betreuungsrichtungen eine höhere Beteiligung von Frauen an der Erwerbsarbeit. Diese infrastrukturellen Mängel wurden in den letzten Jahren als dringendes Erfordernis für eine größere Beteiligung von Frauen am Arbeitsmarkt erkannt (vgl. Abschnitt 2.2.2).
34
Geschlechtsspezifische Segregation im Wissenschaftssystem: Theoretische Erklärungsansätze
und Wettbewerbsverhalten geht davon aus, dass diese Verhaltensweisen erst im Laufe der Zeit erlernt werden und damit wesentlich vom jeweiligen Umfeld der betreffenden Personen abhängt, das die Sozialisationsbedingungen determiniert. Dabei verweist eine experimentell angelegte Studie23 auf den Einfluss der Geschlechterzusammensetzung auf die Ausbildung von Risikobereitschaft und Wettbewerbsfähigkeit (Booth/Nolen 2009a). So wählten Mädchen von Mädchenschulen genauso häufig risikoreiche Wetteinsätze wie Jungen aus gemischtgeschlechtlichen oder Jungenschulen. Lediglich Mädchen aus gemischtgeschlechtlichen Schulen zeigten weniger Risikobereitschaft als die übrigen Gruppen. Gleichermaßen sei die Entscheidung von Mädchen für oder gegen eine Teilnahme an Wettbewerbssituationen ebenfalls von der Umgebung der Mädchen abhängig (Both/Nolen 2009b). Auch Wirtschafts- und psychologische Studien zu Präferenzen, Führungsstilen, dem Treffen wirtschaftlicher Entscheidungen und der beruflichen Leistung von Erwerbstätigen können überwiegend diesem Ansatz zugeordnet werden, auch wenn eine systematische Untersuchung der „nature versus nurture“-Argumentation teilweise ausbleibt. Croson und Gneezy fassen die Befunde verschiedener Studien zusammen und bestätigen die zuvor festgestellten Geschlechtsunterschiede bei Risikobereitschaft und Konkurrenzverhalten. Zusätzlich führe eine Wettbewerbssituation bei Männern zu einer Leistungssteigerung, während die Leistung der Frauen konstant bleibe. Die Ursachen sehen die Autoren in den unterschiedlichen Persönlichkeitsmerkmalen von Frauen und Männern wie Selbstvertrauen oder intuitiver Risikowahrnehmung. Aufgrund der geringeren geschlechtsspezifischen Unterschiede bei Managern und Berufstätigen schließen sie Lerneffekte jedoch nicht aus.24 Des Weiteren seien bei Berufsanwärterinnen und -anwärtern größere Geschlechtsunterschiede festzustellen als bei Kindern, was eine unterschiedliche Sozialisation von Frauen und Männern als Ursache für diese Geschlechtsunterschiede bestärkt. Dennoch seien zusätzlich auch biologische Einflussfaktoren relevant (Croson/Gneezy 2009). Aufgrund der offensichtlichen Verwobenheit von kulturellen und biologischen Faktoren25 plädieren Halpern und Ikier für das Konzept eines „psychobiosocial mo23
24 25
Die Risikobereitschaft von Jungen und Mädchen wurde anhand von Experimenten zu realen Wetteinsätzen gemessen. In einer sogenannten „Fiver Lottery“ konnte jeder Schüler/jede Schülerin zwischen zwei Optionen wählen. Bei Wahl der ersten Option bekommt die jeweilige Person fünf Pfund sicher. Bei Wahl der zweiten Option wird eine Münze geworfen. Bei Kopf erhält die Person 11 Pfund, bei Zahl zwei Pfund. Nach dem Experiment beantworteten alle Personen zusätzlich Fragen zur Einschätzung der eigenen Risikobereitschaft und Verhaltensweise bei einem hypothetischen Lotteriespiel, vgl. Booth/Nolen 2009a: 9 ff. Zur Messung des Wettbewerbsverhaltens wurden den Testpersonen in mehreren Runden verschiedene ‚Labyrinthspiele‘ vorgelegt. Im Anschluss an die Experimente wurden sozialdemografische Angaben erfasst, vgl. Booth/Nolen 2009b: 8 ff.). Gleichzeitig weisen die Autoren auf Verzerrungen durch Positivselektionen hin. Möglicherweise wählen risikofreudige Männer und Frauen generell häufiger Führungspositionen. Für weitere biologisch und kulturell begründete Befunde mit einer anschließenden kritischen Dis-
Akteurzentrierte Ansätze
35
del of cognitive sex differences“, um die nature-nurture-Dichotomie abzulösen, da diese der Untersuchung von kognitiven Geschlechtsunterschieden grundsätzlich nicht dienlich sei (Halpern/Ikier 2002: 16). Des Weiteren nähmen Unterschiede hinsichtlich kognitiver Fähigkeiten zwischen den Geschlechtern in den letzten Jahren ab, seien insgesamt gering und im Lebensverlauf wenig stabil, wodurch die Ähnlichkeiten zwischen den Geschlechtern die Unterschiede oftmals überwiegen (McGillicuddy-De Lisi/De Lisi 2002: 243 ff., Ceci/Williams 2007: 6, Allmendinger et al. 1999: 209).26 Zudem stoßen Ansätze, die von einer Differenz zwischen den Fähigkeiten von Männern und Frauen ausgehen, auch vor dem Hintergrund geschlechtsparitätischer Studierendenquoten, Studienabschlussquoten und Leistungen bei zugleich fortbestehender Unterrepräsentanz von Frauen in Führungspositionen an ihre Grenzen.27 Als weiterer Ansatz, der von einer prinzipiellen Ähnlichkeit der Geschlechter ausgeht, die sich aufgrund der vorherrschenden Geschlechtsrollenerwartungen im Ausbildungs- bzw. Berufsverlauf jedoch verliert, besagt die Humankapitaltheorie nach Becker (1985), dass sich als Ergebnis individueller Nutzenkalküle unterschiedliche Karriereorientierungen von Frauen und Männern herausbilden. Diese Nutzenkalküle werden wesentlich beeinflusst durch die vorherrschenden Geschlechtsrollenerwartungen und -identitäten von Frauen und Männern, die dazu führten, dass Frauen weniger in Bildung und Ausbildung investieren. So wählten Frauen „jene Berufe, die mit ihrer prospektiven ‚Familienkarriere‘ am verträglichsten sind“ (Heintz et al. 1997: 28). Vor diesem Hintergrund erscheint das anfangs beschriebene Phänomen der vertikalen Segregation insbesondere auf den Stufen der Promotion und Habilitation als bewusste Entscheidung der Frauen gegen eine weitere wissenschaftliche Karriere. Auch konkrete Befunde, wonach Frauen seltener eine Promotion aufnehmen als Männer (Leemann 2002) verweisen auf häufigere Entscheidungen von Frauen gegen eine wissenschaftliche Laufbahn. Frauen, die entgegen tradi-
26
27
kussion der nature-nurture-Debatte und eine mögliche Einflussnahme auf die bestehenden Geschlechtsunterschiede vgl. Beiträge in McGillicuddy-De Lisi/De Lisi 2002 und Beiträge in Ceci/Williams 2007. Dennoch werden unterschiedliche Fähigkeiten von Männern und Frauen in der wissenschaftspolitischen Öffentlichkeit immer wieder kontrovers diskutiert. Einen Höhepunkt erreichte diese Debatte in 2005 mit einer Äußerung des Präsidenten der Harvard Universität. Dieser ließ Ceci/Williams zufolge verlauten, dass „factors external to the women – such as institutional discrimination, negative stereotypes about women’s ability, biase promotion practices, or early socialization experiences – were probably not as important as causes of women’s STEM underrepresentation as were sex differences in ability. (…) Probably the single utterance that caused the biggest stir was Summer’s statement that behavioral genetic studies over the past 15 years have shown that many of the differences that were once thought to be environmental are now known to have substantial biological bases” (Ceci/Williams 2007: 6/7). Daten des Statistischen Bundesamtes ergaben für 2007 folgende Frauenanteile: Studienabschlüsse: 50,8 Prozent, Promotionen: 42,2 Prozent, Habilitationen: 24,3 Prozent und Professuren: 16,2 Prozent.
36
Geschlechtsspezifische Segregation im Wissenschaftssystem: Theoretische Erklärungsansätze
tioneller Rollenerwartungen eine hohe Statusposition beispielsweise in der Wissenschaft erreichen wollen, müssten gegen „gesellschaftliche, elterliche und eigene innere Barrieren ankämpfen“ (Macha 2000: 124). In dieselbe Richtung weisen Befunde, wonach Wissenschaftlerinnen seltener Anträge auf Forschungsförderung stellen als Männer und daher scheinbar weniger in das weitere Fortschreiten ihrer Karriere investieren (Hinz et al. 2008, Beiträge in EC 2009). Weitere Untersuchungen zu geschlechtsspezifischen Berufs- und Karriereverläufen sehen die geringere Karrieremotivation der Wissenschaftlerinnen in Verbindung mit der Familiengründung. So nähmen viele Frauen gerne Elternzeit, um für ihre kleinen Kinder zu Hause zu sein (Abele 2003: 170, Leuze/Rusconi 2009, Krüger 1995). Zusätzlich verstärkt sich dieser Effekt durch eine allgemeine Partnerschaftsdynamik. Demnach wählten Akademikerinnen häufiger Akademiker zum Partner, die ihrerseits beruflich hoch engagiert seien und tendenziell traditionell orientiert seien. Hinzu kommt der häufige Karrierevorsprung des männlichen Partners. Alles zusammen bewirke die zunehmende Entwicklung traditioneller Verhältnisse (Abele 2003). In die Debatte um Karriereorientierung und Leistung(-sbereitschaft) von Frauen und Männern ordnet sich, bezogen auf das Wissenschaftssystem, auch die in der Wissenschaftsforschung häufig geführte Diskussion um die geringere Publikationsproduktivität von Wissenschaftlerinnen ein. So legen die geringeren Publikationsquoten von Wissenschaftlerinnen (z.B. Cole 1979, Fox 1995) eine geringere Leistungsfähigkeit nahe, wodurch Wissenschaftlerinnen aufgrund der im Wissenschaftssystem großen Bedeutsamkeit von Veröffentlichungen in möglichst angesehenen Zeitschriften als weniger geeignet für höhere Positionen in der Wissenschaft erscheinen. In jüngeren Untersuchungen erfolgt diese Debatte jedoch verstärkt im Zusammenhang mit strukturellen Ungleichheits-Ursachen (vgl. Abschnitt 2.2). 2.1.3 Interaktionssoziologische Ansätze Als übereinstimmende Konsequenz biologischer und sozialisationstheoretischer Ansätze werden berufsbezogene Anforderungen und Kompetenzen vor allem in Führungspositionen als typisch männliche Eigenschaften und familienbezogene Kompetenzen als weibliche Eigenschaften angesehen. Während diese Ansätze Unterschiede zwischen den Geschlechtern als Ergebnis überwiegend vorberuflicher Mechanismen betrachten, betont der interaktionssoziologische Ansatz des doing gender den Prozesscharakter bei der Herstellung und Stabilisierung von Geschlechterverhältnissen. Er geht davon aus, dass der Faktor Geschlecht erst in bestimmten Situationen über die Interaktionen zwischen Individuen sichtbar und relevant gemacht wird. Damit rücken die in sozialen Kontexten stattfindenden Interaktionen in den Mittelpunkt des Forschungsinteresses. Demnach wird die Differenz zwischen Frauen und Männern durch Darstellungs- und Zuschreibungsprozesse aktiv
Akteurzentrierte Ansätze
37
hergestellt. Diese Prozesse vollziehen sich in einem „komplementären Wechselspiel im Rahmen von sozialen Interaktionen“ (Heintz et al. 1997: 59). Dabei basieren Interaktionen auf unumgänglichen Mechanismen der Typisierung und Klassifikation. Diese werden als komplexitätsreduzierende Schemata verstanden, die der Einordnung des jeweiligen Interaktionspartners dienten. Das Geschlecht gilt dabei als zentrales Klassifikationsschema (Gildemeister 2004). Durch die bestehenden stereotypischen Geschlechtsrollenerwartungen und die Sichtbarkeit des Geschlechts der Interaktionspartner erfolgt in der Interaktion die wechselseitige Zuschreibung der für den jeweiligen Interaktionspartner stereotypischen Verhaltensweisen. Solche Schemata würden außerdem durch die Einhaltung der erwarteten rollenkonformen Verhaltensweisen aktiviert und reproduziert, wie Zimmerman und West formulieren: „It is not simply that household labor is designated as ‘women’s work’, but that for a woman to engage in it and a man not to engage in it is to draw on and exhibit the ‘essential nature’ of each. What is produced and reproduced is not merely the activity and artifact of domestic life, but the material embodiment of wifely and husbandly roles and, derivately, of womanly and manly conduct” (West/Zimmermann 1991: 30).
Die Annahme, dass Interaktionen immer in bestimmten Kontexten stattfinden und nach Gildemeister in verschiedene institutionelle Arrangements eingebettet sind (Gildemeister 2004: 133), eröffnet einen Blick auf die strukturellen Bedingungen, unter welchen Interaktionen stattfinden. In diesem Zusammenhang sieht auch Hirschauer die Konstruktion von Geschlecht nicht als durchgängiges Phänomen, sondern betont die Abhängigkeit der Art und Weise, wie und ob Geschlecht in Interaktionen aktiviert wird, von den Situationen, in denen diese Interaktionen stattfinden (Hirschauer 1994). Dies bedeutet, dass nicht in jeder Situation das gesamte Repertoire an Geschlechtsrollenerwartungen aktiviert wird, sondern je nach Interaktionskontext verschiedene Aspekte relevant sind. Heintz et al. (1997) stellen in ihrer Studie zur Konstruktion von Geschlecht in verschiedenen Berufsfeldern (Krankenpflege, Informatik, Sachbearbeitung) fest, dass sich die Geschlechterdifferenz je nach Kontext, das heißt in den einzelnen Berufsfeldern, unterschiedlich manifestieren. Während das Geschlecht für die Sachbearbeitung keine relevante Kategorie ist, hat die Geschlechterdifferenz in der Informatik und der Krankenpflege eine „hohe symbolische Bedeutung“ (Heintz et al. 1997: 233). Diese Unterschiede werden zum einen auf Kontextvariablen wie den unterschiedlichen Formalisierungs- und Professionalisierungsgrad zurückgeführt, der unterschiedliche Spielräume für Prozesse des doing gender eröffnet. Zum anderen werden in den durch geschlechtsspezifische Förderbeziehungen begründeten besseren Aufstiegschancen von Männern und der starken Orientierung an männlichen Arbeitsstrukturen weitere kontextunabhängige Auslöser für die Herstellung von Geschlecht als relevante Kategorie in der Arbeitswelt identifiziert (Heintz et al. 1997).
38
Geschlechtsspezifische Segregation im Wissenschaftssystem: Theoretische Erklärungsansätze
Die informellen, im wissenschaftlichen Alltag wirksamen Zuschreibungsprozesse der Leistungsanerkennung untersuchen Krais und Beaufaÿs in ihrer Fallstudie in den Fächern Biochemie und Geschichte an deutschen Universitäten (Krais/ Beaufaÿs 2005). Dabei wird von den befragten Hochschullehrerinnen und -lehrern ein bestimmtes Persönlichkeitsprofil, nämlich Merkmale des Seins anstatt Merkmale des Könnens beschrieben, die für eine erfolgreiche Etablierung im Wissenschaftssystem als wichtig erachtet werden. Diese Eigenschaften beinhalten Ausdauer, Disziplin, Einsatzbereitschaft und Frustrationstoleranz. Dabei verweisen die Aussagen einiger Professoren darauf, dass diese vermeintlich geschlechtsneutralen Eigenschaften geschlechtsspezifisch unterschiedlich zugeschrieben werden: „So können Frauen mit Kindern angeblich keine wirklich kreative Wissenschaft betreiben, weil ihnen dazu die nötige Zeit fehle; Durchhaltevermögen wird als männliche Potenz beschrieben, die bereits bei der Stellensuche sichtbar wird; und was die Leidenschaft und Leidensbereitschaft für den Beruf angeht, wird Frauen diese eher abgesprochen, weil man immer andere Prioritäten in ihrem Leben vermutet“ (Krais/Beaufaÿs 2005: 38).
So sehen sich Wissenschaftlerinnen mit einem größeren Misstrauen gegenüber ihrer Eignung für die Herausforderungen einer wissenschaftlichen Karriere konfrontiert. Dabei würden Frauen außerdem immer wieder auf ihre potenzielle Mutterrolle verwiesen, obwohl sie bereits ihr wissenschaftliches Engagement unter Beweis gestellt hatten. Weiblichkeit und Wissenschaft würden immer wieder als „ausweglose Alternative“ formuliert (Krais/Beaufaÿs 2005: 39). Dabei bestünden in Äußerungen wie „Nein, nein, Sie haben dann ja andere Dinge im Kopf – nämlich das Kind“, in diesem Falle der Antwort eines Professors auf die Anfrage nach einer gemeinsamen Publikation von einer Wissenschaftlerin und Mutter, nicht nur Akte der Missachtung unter dem Rekurs auf das Geschlecht der Wissenschaftlerin anstatt deren Leistung, sondern es verhalte sich zudem so, dass solche Äußerungen darüber hinaus gleichzeitig auf andere Wissenschaftlerinnen wirkten, die hierdurch die Regeln des wissenschaftlichen Alltags lernen. Solche Erfahrungen führten dann dazu, dass Wissenschaftlerinnen trotz ihrer Begeisterung für wissenschaftliche Projekte wieder aus der Wissenschaft ausscheiden (Beaufaÿs/Krais 2005). Nentwich (2000) untersucht die Prozesslogik der Vergeschlechtlichung von Elternschaft bei Fachkräften verschiedener Berufssparten und sieht Retraditionalisierungsprozesse bei Familiengründungen als Resultat des doing gender. Als Begründungen für die Konstruktion von „Müttern“ und „Vätern“ dienen die Natürlichkeit des Unterschieds zwischen Mann und Frau, ökonomische Zwänge und die Rollen der Geschlechter. Aufgrund biologischer Unterschiede müssen traditionelle Modelle nicht hinterfragt oder begründet werden, während eine nicht traditionelle Rollenverteilung durch die Aufhebung des selbstverständlichen Unterschieds zwischen Mann und Frau erst legitimiert werden muss. Da die als Argumente herangezogenen Inhalte jedoch je nach Modell unterschiedlich interpretiert werden, werden zumin-
Akteurzentrierte Ansätze
39
dest im ersten Lebensjahr des Kindes traditionelle Modelle begünstigt.28 Der Ansatz des doing gender stellt somit eine Erweiterung sozialisationstheoretischer Zugänge dar, der die Rekursivität von Strukturen und Individuen betont. Damit wird der prozessuale Charakter, das heißt das Herstellen und Verändern von Geschlechterdifferenzen in alltäglichen Interaktionen, in den Blick genommen. Eigenschaften von Männern und Frauen werden demzufolge nicht durch Sozialisation oder biologisch erworben, sondern werden in einzelnen Handlungskontexten (re-)produziert. 2.1.4 Implikationen für Frauen in der Wissenschaft Was bedeuten die aus oben dargestellten Ansätzen hervorgehenden Unterschiede zwischen Männern und Frauen für die vertikale Segregation des Wissenschaftssystems? Zunächst einmal folgt Wissenschaft dem Leistungsprinzip. Demzufolge ist Leistung der zentrale Maßstab, wenn es darum geht, sich in der Wissenschaft zu etablieren. Generell bedeutet Leistung die Anhäufung wissenschaftlicher, nämlich intersubjektiv nachvollziehbarer und überprüfbarer, mit bestimmten methodischen Mitteln und Regeln gewonnener, objektiver Erkenntnisse. Diese Leistungen sind in ständigem Wettbewerb um wissenschaftliche Anerkennung und in permanenter Konkurrenz mit anderen Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern zu erbringen.29 Dies erfordert Fähigkeiten, Kompetenzen, Einstellungen und Verhaltensweisen, die Frauen in biologischen und sozialisationstheoretischen Ansätzen weitgehend abgesprochen werden. Folglich verweisen die dargestellten Geschlechtsunterschiede auf eine besonders gute Passung von Männern auf diese Anforderungen, während Frauen als ungeeignet erscheinen. Insbesondere biologische Ansätze betonen die unzureichenden Fähigkeiten von Frauen. Dabei erscheinen diese aufgrund ihrer natürlich bedingten fehlenden Rationalität und ihren emotional geleiteten Verhaltensweisen als wenig geeignet für eine Berufssparte, in der eine systematische Vorgehens- und Denkweise besonders wichtig und ein auf Intuition begründetes Vorgehen fehl am Platz ist. Dies gilt besonders für natur- und ingenieurwissenschaftliche Fächer, wo die erforderlichen Fachkompetenzen ein zusätzliches Maß an Logik und Analytik voraussetzen. Die bei biologischen und sozialisationstheoretischen Ansätzen festgestellten schwach ausgeprägten agonalen Verhaltensweisen der Frauen deuten auf ein weiteres Defizit für eine erfolgreiche Etablierung im Wissenschaftssystem hin. Folglich erscheinen Frauen als nicht durchsetzungsfähig und wenig bereit, sich auf eine 28 29
Beispielsweise werden ökonomische Gründe dahingehend uminterpretiert, dass die Übernahme der Ernährerrolle durch die Frau auch dann nicht möglich erscheint, wenn die Frau in etwa dasselbe verdient wie der Mann (Nentwich 2000: 113). Für die spezifischen Anforderungen und Bedingungen des Wissenschaftssystems vgl. Abschnitt 2.3.2.
40
Geschlechtsspezifische Segregation im Wissenschaftssystem: Theoretische Erklärungsansätze
kontinuierliche Wettbewerbssituation einzulassen. Hinzu kommt eine ohnehin geringere Karriereorientierung der Frauen, die sich aus deren Aufgaben als (künftige) Mutter ergibt und Frauen bereits das Ziel einer höheren beruflichen Karriereposition abspricht. Somit erscheint die Abwendung der Frauen vom Wissenschaftssystem bei beiden Ansätzen als selbst gewählte Konsequenz ihrer geringeren Karriereorientierung, Wettbewerbsbereitschaft und Befähigung zu systematischen Denkprozessen. Diese Selbstelektion erscheint wegen ihrer schlechteren Eignung zudem als gerechtfertigt. Im Unterschied zu biologischen Ansätzen, bei denen Geschlechtsunterschiede als natürlich und dauerhaft angesehen werden, erscheinen diese bei sozialisationstheoretischen Ansätzen grundsätzlich als veränderbar. So könnten Wissenschaftlerinnen durch Mentoringprogramme eine gezielte Förderung erhalten, in wesentlichen Schlüsselkompetenzen stärker geschult und dadurch auch zu wissenschaftlichen Karrieren ermutigt werden. Zumindest biologische Ansätze lassen allerdings außer Acht, dass sich Fähigkeiten und Aspirationen von Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern inzwischen kaum mehr unterscheiden (Abele 2003, Achatz/Hinz 2001, Allmendinger et al. 2000, Engler 2001, Fuchs et al. 2001, Macha 2006, Wimbauer 1999) und selbst Vertreter sozialisationstheoretischer Ansätze betonen, dass sich Leistungen von Männern und Frauen immer mehr aneinander angleichen (Ceci/Williams 2007, McGillicuddy-De Lisi/De Lisi 2002). Weiterhin können diese Ansätze nicht erklären, warum Frauen gerade auf höheren Qualifikationsstufen, wo sie ihre Leistung und Karriereorientierung bereits bewiesen haben, überproportional häufig aus dem Wissenschaftssystem ausscheiden. Somit erscheint das Phänomen der vertikalen Segregation eher als Resultat ungleicher Bedingungen für Männer und Frauen, die zu einer allmählichen Abwendung von Frauen führen. Doch auch aus dieser Perspektive zeigt sich die Tragweite biologischer Ansätze und geschlechtsspezifischer Sozialisationsprozesse. Denn der Glaube an naturgegebene oder anerzogene Geschlechtsunterschiede bestärkt die Herausbildung geschlechtsspezifischer Rollenerwartungen. Dies bedeutet, dass Frauen der Zugang und die Etablierung im Wissenschaftssystem besonders in technischen und naturwissenschaftlichen Fächern erschwert werden, da ihnen die benötigten Fähigkeiten von vorneherein abgesprochen werden. Wegen dieser bipolaren Geschlechtsrollenerwartungen müssen Wissenschaftlerinnen ihre Karriereorientierung ständig unter Beweis stellen, um gleichermaßen als Anwärterinnen auf eine wissenschaftliche Laufbahn anerkannt und entsprechend gefördert zu werden. Dies bedeutet, dass für Frauen besonders hohe Anforderungen an ihre Karrierebereitschaft bestehen. Dabei kommt einer (potenziellen) Mutterschaft eine zentrale Bedeutung zu. Einerseits antizipieren Wissenschaftlerinnen Probleme der Vereinbarkeit aufgrund der hohen wissenschaftlichen Anforderungen und der in Deutschland andauernden Mutterideologie möglicherweise häufiger als Wissenschaftler und wenden sich daher vom Wissenschaftssystem ab. Andererseits begünstigt allein die gesellschaftlich erwartete Erziehungsarbeit der Mütter Prozesse, bei denen Wissenschaftlerinnen eine ausrei-
Akteurzentrierte Ansätze
41
chende Karriereorientierung bzw. Leistungsfähigkeit spätestens mit der Familiengründung abgesprochen werden. In der Folge werden dann weniger Kraft und Mittel in die langfristige Förderung des weiblichen Nachwuchses investiert. Bei einer realen Mutterschaft ist von zeitlichen Konflikten für Wissenschaftlerinnen auszugehen, zumindest wenn sie die Verantwortung für die Kinderbetreuung tragen. Schon allein deswegen dürften für sie erschwerte Bedingungen bestehen, ihre Karrieremotivation unter Beweis zu stellen. Für Väter, die sich aktiv um ihre Kinder kümmern (wollen), ist von einer wenig positiven Resonanz aus ihrem Arbeitsumfeld auszugehen. Auch deswegen sind überwiegend rollenkonforme Verhaltensweisen bei der Familienorganisation zu erwarten. Demzufolge ist eine stärkere Involviertheit von Müttern in Erziehungsarbeiten nicht zwangsläufig auf deren geringere Karriereorientierung, sondern auf Prozesse des doing gender zurückzuführen, in der die Differenz zwischen Männern und Frauen erst hergestellt wird und traditionelle Modelle somit als natürliche oder zumindest sinnvolle Lösung erscheinen. Da das Wissenschaftssystem von permanenten Prozessen der Leistungsbeurteilung und der Notwendigkeit individueller Förderung geprägt ist, erscheinen diese Prozesse als besonders aussagekräftig für die vertikale Segregation des Wissenschaftssystems. Doch diese Prozesse bestehen nicht allein bei Übergängen in die jeweils nächste Statuspassage wie Auswahlgesprächen oder Berufungsverhandlungen, sondern dürften auch im wissenschaftlichen Alltag zum Tragen kommen. Dabei könnten Zuschreibungen von Motivation und Engagement, beispielsweise in Form von fachlichem Interesse an aktuellen wissenschaftlichen Geschehnissen, des zeitlichen Einsatzes und der überzeugenden Teilnahme an fachlichen Diskussionen, nach stereotypischen Mustern eher den Männern zugeschrieben werden. Als Resultat erhielten Frauen dann eine geringere Bestätigung und Anerkennung ihrer wissenschaftlichen Arbeit, eine weniger umfassende Betreuung oder würden weniger zu Publikationen ermuntert. Die vertikale Segregation des Wissenschaftssystems ist anhand interaktionssoziologischer Ansätze daher durch zwei Faktoren erklärbar: Frauen werden auch bei geschlechtsparitätischen Leistungen weniger gefördert und haben geringere Chancen, auf angesehene wissenschaftliche Positionen zu gelangen. Oder ihre geringere Anerkennung als Wissenschaftlerinnen und die für sie erschwerten Bedingungen wirken hemmend auf die weitere berufliche Orientierung und begünstigen somit Prozesse des cooling out von Wissenschaftlerinnen. Im Unterschied zu biologischen und sozialisationstheoretischen Ansätzen ist eine geringere Karriereorientierung somit nicht als vorberuflich entstandenes Defizit von Frauen zu verstehen, sondern ergibt sich erst aus deren Erfahrungen bei der wissenschaftlichen Qualifizierung. Folglich ist die vertikale Segregation anhand interaktionssoziologischer Ansätze als Folge von Prozessen direkter oder indirekter Fremdselektion zu sehen.
42
Geschlechtsspezifische Segregation im Wissenschaftssystem: Theoretische Erklärungsansätze
2.2 Strukturzentrierte Ansätze Seit den 1990er Jahren richten Untersuchungen den Blick verstärkt auf die Strukturen von Organisationen und ihre Wirkungszusammenhänge mit geschlechtsspezifischer Segregation auf dem Arbeitsmarkt. Dabei lassen sich zwei Arten von Ansätzen unterscheiden: Sogenannte Kontingenzansätze berücksichtigen organisationsdemografische Merkmale wie Formalisierungs- und Spezialisierungsgrad, Größe oder Gruppenzusammensetzungen. Diese Merkmale werden grundsätzlich als geschlechtsneutral angesehen, wirken sich jedoch indirekt geschlechtsspezifisch auf die Arbeitsmarktchancen von Frauen und Männern aus (Wimbauer 1999: 40 ff.). Embedded approaches gehen hingegen von einer in Organisationen eingebetteten vergeschlechtlichten Substruktur (gendered substructure) aus, die ungleiche Chancen für Frauen und Männer bedinge (Wimbauer 1999: 40 ff., Acker 1991). Da sich beide Ansätze mit Strukturen von Organisationen befassen und sich embedded approaches per se mit den Strukturen des Wissenschaftssystems beschäftigen, werden Implikationen für Frauen in der Wissenschaft integriert mit der Darstellung der Ansätze aufgegriffen. 2.2.1 Kontingenzansätze Als einer der prominentesten Ansätze im Bereich der Kontingenzansätze gilt die formalstrukturelle Kontaktthese nach Kanter (1977), die die unterschiedliche Integration von Frauen und Männern in Organisationen anhand ihrer numerischen Zusammensetzung erklärt. Danach werden die Angehörigen einer Minderheit nicht als Individuen, sondern als Repräsentanten ihrer Gruppe wahrgenommen und beurteilt. Bezogen auf das Wissenschaftssystem werden Wissenschaftlerinnen aufgrund ihrer deutlich geringeren Vertretung weniger in ihrer Berufsrolle, sondern als Repräsentantinnen ihrer Geschlechtskategorie gesehen. Die wenigen Wissenschaftlerinnen unterliegen einer hohen Sichtbarkeit und müssten daher außergewöhnliche Leistungen erbringen (Kanter 1977). Als mit der Kontaktthese konkurrierender Ansatz wurde von Blalock bereits 1967 die Konkurrenzthese formuliert. Blalock postulierte dabei einen kurvilinearen Zusammenhang zwischen der Gruppengröße einer Minorität und negativen Ergebnissen für die Minoritätengruppe. Der Ansatz basiert auf der Annahme, dass eine relativ kleine Gruppe von der Majorität nicht als Bedrohung für die Kontrolle der gewünschten Ressourcen angesehen werde. Erst wenn die Größe der Minoritätengruppe zunimmt, führe die gefühlte Bedrohung zu einer wachsenden Feindseligkeit gegenüber der Minorität. Es komme zu diskriminierenden Handlungen, um die Kontrolle über diese Ressourcen zu bewahren. Mithilfe von Untersuchungen zur geschlechtsspezifischen Fluktuation an Instituten der Soziologie greifen Tolbert et al. (1995) die Kontakt- und Konkurrenzthese auf.
Strukturzentrierte Ansätze
43
Nach der Kontaktthese sollte die Fluktuation mit einem Anstieg der Frauenanteile in einzelnen Fachbereichen zurückgehen, angesichts der Konkurrenzthese sollte diese zunächst ebenfalls zurückgehen, dann aber steigen, sobald die Frauenanteile ein bestimmtes Level erreicht haben. Die Ergebnisse der Studie stimmen generell mit der Konkurrenztheorie überein. Derzufolge führt ein Zuwachs der Repräsentanz von Frauen in Arbeitsgruppen lediglich bis zu einem Frauenanteil von 35-40 Prozent zu einem Rückgang der Fluktuation. Überschreitet der Frauenanteil diesen Schwellenwert, führt dies zu einem zunehmend negativen Arbeitsumfeld für Wissenschaftlerinnen, wodurch die Wahrscheinlichkeit für ein Verlassen der Arbeitsgruppe zunimmt (Tolbert et al. 1995). Damit besitzen die Mechanismen der Kontakt- und Konkurrenzthese, zumindest was die Arbeitsmarktfluktuation betrifft, keine allgemeine Gültigkeit in der Form „Je mehr Frauen, desto weniger bzw. mehr Barrieren“, sondern sind an bestimmte Schwellenwerte geknüpft. Der Ansatz der Größe von Fachdisziplinen geht davon aus, dass nicht nur die Hochschule oder der Wissenschaftsbereich den Referenzpunkt für Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler ausmacht, sondern der jeweilige Fachbereich, in dem sie arbeiten. Die Fachbereiche zeichnen sich durch unterschiedliche Größen- bzw. Geschlechterverhältnisse aus und bestimmen dadurch unterschiedliche Arbeits- und Qualifikationsbedingungen (Leemann 2002: 59). Dabei erforderten große Fachbereiche stärkere Formalisierungsprozesse, wodurch die Auswahl des wissenschaftlichen Nachwuchses demokratischer geregelt sei und Prozesse der Diskriminierung eher verhindert würden (Tomaskovic-Devey/Skaggs 2001).30 Das zentrale Argument dieses Ansatzes besteht folglich in der Annahme, dass die Größe von Disziplinen deren innere Organisation in Form von Formalisierungs- und Bürokratisierungsprozessen beeinflusst. Dabei begünstigt ein höherer Formalisierungs- bzw. Bürokratisierungsgrad die Integration von Wissenschaftlerinnen und die subjektiven Wahrnehmungen des Arbeitsklimas. So fühlten sich Studentinnen und Wissenschaftlerinnen in personell großen Disziplinen (Rechtswissenschaften, Medizin) kaum wegen ihres Geschlechts benachteiligt (Geenen 1994: 64). Umgekehrt seien in kleinen Fächern informelle Vorgänge weiter verbreitet, wodurch persönlichen Merkmalen ein weitaus größeres Gewicht zukomme (Leemann 2002: 59 ff.). Damit definiere der „Standardisierungsgrad des interaktiven Settings“ den Spielraum, der für „Personalisierungen“ zur Verfügung steht (Heintz 2003: 218). Auch Cook/Waters kommen in der Gegenüberstellung von Rechtswesen und Ingenieurwesen zu dem Ergebnis, dass wenig formalisierte, kollegiale Organisationsformen wie das Rechtswesen wegen ihrer Struktur der Autoritätsbeziehungen, der Partizipation von Frauen weniger zuträglich seien als bürokratische Organisationsformen (Cook/Waters 1998). 30
Dieser Ansatz ist nicht nur auf die statistische Diskriminierung von Wissenschaftlerinnen zu beziehen, sondern besitzt gleichermaßen für andere unterrepräsentierte Bevölkerungsgruppen Gültigkeit. Daher erfolgt die Zuordnung zum Bereich der Kontingenzansätze.
44
Geschlechtsspezifische Segregation im Wissenschaftssystem: Theoretische Erklärungsansätze
2.2.2 Embedded Approaches Strukturen des Wissenschaftssystems Im Bereich der embedded approaches verdeutlicht erstmals Joan Acker in ihrer „theory of gendered organizations“ die Bedeutung des Geschlechts, die bereits in die Strukturen von Organisationen eingelagert sei und in den alltäglichen Interaktionen wirksam werde (Acker 1991). Dabei macht sie vier Mechanismen ausfindig, die, sich gegenseitig beeinflussend, den Prozess des Gendering ausmachen. Erstens würden Trennlinien zwischen den Geschlechtern durch Faktoren wie Arbeitsteilung, hierarchische Positionierung, Macht und erlaubte Verhaltensweisen erzeugt. Zweitens dienten symbolische Konstruktionen wie idealtypische, normative Rollenbilder zur Verstärkung und Festigung dieser Trennlinien. Drittens würden Dominanz und Unterordnung in Interaktionen und kommunikativen Praktiken zum Ausdruck gebracht. Der vierte Prozess bezieht sich auf die Ausbildung einer geschlechtlichen Identität, die die Wahl angemessener Arbeitsweisen, den Sprachgebrauch und die Selbstdarstellungen determinierten. Damit sieht Acker Geschlecht als „constitutive element in organizational logic, or the underlying assumptions and practices that construct most contemporary work organizations” (Acker 1991: 168). Im Zuge ihrer Arbeit zur Evaluation von Arbeitsstellen (jobs) unterscheidet Acker ausdrücklich zwischen der Arbeitsstelle als basaler Einheit einer hierarchischen Arbeitsorganisation und den Personen, die dieser Arbeit nachgehen. Erst die losgelöste Betrachtung der Arbeitsstellen liefere Aufschluss über die Logik von Organisationen. Diese folge der Annahme einer Kongruenz von Verantwortung, Komplexität und hierarchischer Position. Demnach müssten hierarchisch niedrigere Arbeitsstellen, die meist von Frauen besetzt seien, gleichermaßen niedrigere Grade an Komplexität und Verantwortung aufweisen. Ferner könnten Arbeitsstellen auf unterschiedlichen Hierarchieebenen nicht dasselbe Arbeitsergebnis liefern. Arbeitsstellen und Hierarchien seien somit unabhängig von der Existenz eines real arbeitenden Menschen als abstrakte Kategorien konzeptualisiert. Als passend für die Arbeitsstelle erscheine folglich ein abstrakter, körperloser Arbeiter, der nur zum Zwecke der Arbeit existiere. Aufgrund der vorherrschenden gängigen Rollenbilder erscheint in der Realität ein männlicher Arbeiter, der sein Leben auf eine ganztägige und lebenslange Arbeitsstelle ausrichte, während seine Partnerin sich um dessen persönliches Wohlergehen und die Kinder kümmere, als jener reale Arbeiter, der am besten dieser idealtypischen Vorstellung entspricht. Umgekehrt weise der „woman worker“ aufgrund außerhalb des Berufs legitimierter Verpflichtungen eine geringere Passfähigkeit auf. Damit sei bereits das Konzept der Arbeitsstelle angesichts der darin enthaltenden geschlechtlichen Arbeitsteilung in private und öffentliche Sphäre nicht geschlechtsneutral angelegt, obwohl es in der Logik der Organisationen so erscheint. Dementsprechend verhalte es sich mit dem Konzept der Hierarchie:
Strukturzentrierte Ansätze
45
„Those who are committed to paid employment are ‚naturally’ more suited to responsibility and authority; those who must divide their commitments are in lower ranks” (Acker 1991: 171).
Das Konzept der gendered organizations konzentriert sich damit auf strukturelle Bedingungen in Organisationen, die Handlungsspielräume der Akteure determinierten, ohne jedoch die jeweils relevanten Bedingungen näher auszuführen.31 Dahingegen wurden in organisationssoziologischen Studien insbesondere Aspekte der Positionierung, Rekrutierung und Arbeitsorganisation von Akteuren in Wissenschaftsinstitutionen untersucht. Wimbauer stellt in ihrer Untersuchung zu organisationalen Strukturen in der Fraunhofer-Gesellschaft eine starke Gemeinschaftsorientierung bei gleichzeitigem Individualismus, das heißt eine Art individualisierter Kollektivismus fest.32 Dies bewirke zusammen mit einer hohen Wettbewerbsorientierung und hohem Zeitdruck einen absoluten Verfügbarkeitsanspruch und maximale Einsatzbereitschaft. Die überwiegend befristeten Stellen rücken außerdem eine kurzfristige Berufsperspektive in den Mittelpunkt, das „Durchlauferhitzerprinzip“ gewinne damit an Bedeutung (Wimbauer 1999: 97). Trotz einer expliziten Politik der Gleichheit der Geschlechter und guter Integration von Wissenschaftlerinnen in den Arbeitsalltag stellt Wimbauer vor allem in den männlich dominierten Informationskanälen, der Selbstständigkeitsideologie und dem absoluten Verfügbarkeitsanspruch Elemente einer male substructure fest, die den Mechanismus der „revolving doors“ gerade gegen Wissenschaftlerinnen bewirke (Wimbauer 1999: 148 ff.). Einen ähnlichen „Drehtüreffekt“ bestätigen auch Allmendinger et al. (1999) in ihrer Untersuchung der Max-Planck-Institute. So schieden Wissenschaftlerinnen schneller aus den Instituten aus als Wissenschaftler, was auf einen Zusammenhang zwischen Austrittswahrscheinlichkeit und beruflicher Stellung zurückgeführt wird. Demnach seien Frauen aufgrund ihrer im Vergleich zu Männern niedrigeren Eintrittsposition einem insgesamt höheren Austrittsrisiko ausgesetzt. Gleichzeitig finden sich Hinweise auf Muster eines cooling out, wobei sich Wissenschaftlerinnen in Max-Planck-Instituten während ihrer Promotion und als Resultat fehlender Anerkennung und Förderung von der Wissenschaft als Beruf entfremdeten (Allmendinger et al. 1999: 210). Damit kommt auch der „vertraglichen Segregation“ (statusniedrigere Positionen, kürzere Vertragslaufzeiten, geringerer Beschäftigungsumfang) eine große Bedeutung für die Abwanderung von Frauen aus dem Wissenschaftssystem zu (Harde/Streblow 2008: 157). In dieselbe Richtung weisen Befunde zweier amerikanischer Lebenslaufanalysen, wonach sich Doktorandinnen an USUniversitäten aus sozialen Netzwerken ausgeschlossen fühlen und zudem im weite31 32
Die für die Studie zentralen Bedingungen und Anforderungen des Wissenschaftssystems werden in Abschnitt 2.3.2 dargestellt. Die tägliche Arbeit sei durch einen strukturell verursachten Zwang zur Zusammenarbeit in wechselnden Arbeitsgruppen gekennzeichnet. Gleichzeitig würden auch individuelle Komponenten wie Selbstständigkeit und Eigeninitiative betont (Wimbauer 1999: 96).
46
Geschlechtsspezifische Segregation im Wissenschaftssystem: Theoretische Erklärungsansätze
ren Karriereverlauf „exclusionary practices“ ausgesetzt seien, die in die universitären Strukturen eingelagert sind (Etzkowitz et al. 2000: 244). Diese Mechanismen blieben auch dann bestehen, wenn eine kritische Masse erreicht würde, weswegen die Strukturen in Wissenschaftsorganisationen verändert werden müssten (Etzkowitz et al. 2000: 244). Damit wird die These bestätigt, wonach Frauen geschlechtsspezifischen Barrieren ausgesetzt sind, die den Erfolg in wissenschaftlichen Laufbahnen erschweren. Xie/Shauman kommen ebenfalls zu dem Schluss, dass erst die beruflichen Erfahrungen Entmutigungen von Frauen und damit eine Abwendung von der Wissenschaft begünstigen. Sie schreiben der Familiengründung eine hohe Bedeutung für den weiteren Berufsverlauf zu. So würden verheiratete Frauen mit Kindern seltener eine Karriere in Wissenschaft oder Ingenieurwesen weiterverfolgen, würden weniger unterstützt und zeigten eine geringere räumliche Mobilität als Väter (Xie/Shauman 2003: 210).33 Diskriminierungsansätze Die strukturzentrierte Perspektive auf die vertikale Segregation läuft in Ansätzen über die Diskriminierung von Frauen im Wissenschaftssystem zusammen. Dabei werden Prozesse der statistischen Diskriminierung hauptsächlich bei der Personalrekrutierung in zeitlich und räumlich anspruchsvolle Professionen relevant (Bielby/Baron 1986, Kulis 1998). Der Ansatz geht von einem ökonomisch orientierten und rationalen Prozess der Entscheidungsfindung durch potenzielle Arbeitgeber aus. Demzufolge treffen Arbeitgeber Personalentscheidungen profitorientiert, versuchen demnach, Kosten für Einstellung und Weiterbildung möglichst gering zu halten. Daraus resultiert, dass Arbeitsplätze mit hohen Arbeitskosten für Personen mit der größeren erwarteten Produktivität reserviert werden. Da die Arbeitgeber die relevanten Informationen von den Bewerberinnen und Bewerbern nicht erhalten, greifen sie auf bisherige Erfahrungen und ferner auf Geschlechtsrollenerwartungen zurück. Dabei gehen sie davon aus, dass Frauen aufgrund anderweitiger Verpflichtungen und Neigungen durchschnittlich weniger produktiv sind, eine höhere Fluktuation aufweisen und damit einen geringeren Beitrag zur Gewinnmaximierung beitragen als Männer. In der Konsequenz werden Frauen als Gruppe diskriminiert, indem sie eher auf niedrigere Positionen mit niedrigeren Gehältern und geringeren Aufstiegschancen beschäftigt werden und weniger Schulungs- und Weiterbildungsangebote erhalten. Prozesse statistischer Diskriminierung zeigen sich in der bereits unmittelbar nach dem Studium ungleichen Verteilung von Arbeitsstellen auf den öffentlichen und privaten Sektor, wobei Frauen eher im privaten Sektor unterkom33
Diese Geschlechtsunterschiede verstärken sich erst ab der Familiengründung. Die Heirat von Wissenschaftlerinnen wirkt sich hingegen nicht weiter negativ auf die Laufbahnentwicklung von Frauen aus.
Strukturzentrierte Ansätze
47
men (Leuze/Rusconi 2009). Diese Geschlechtsunterschiede vergrößern sich in der familienintensiven Phase, während der Frauen etwa viermal häufiger nicht erwerbstätig sind als Männer. Anscheinend unterstellen Arbeitgeber selbst hoch qualifizierten Frauen, „weniger karriereorientiert, weniger produktiv und eher bereit zu sein, zugunsten der Familie ihr berufliches Engagement zu reduzieren oder sogar ganz aufzugeben“ (Leuze/Rusconi 2009: 23). Im Wissenschaftssystem dürften Mechanismen der statistischen Diskriminierung besonders bei Stellenbesetzungsverfahren in höhere Positionen oder Entscheidungen über die Förderung des exzellenten wissenschaftlichen Nachwuchses greifen, da hierfür eine dauerhaft hohe Einsatzbereitschaft, Karriereorientierung und Leistung erwartet werden. Gerade diese Eigenschaften werden Frauen unter dem Rückgriff auf stereotypische Rollenerwartungen aber gerne abgesprochen.34 Von direkter Diskriminierung ist hingegen auszugehen, wenn Bedingungen vorliegen, die nur von einem Mann oder einer Frau erfüllt werden können (Binder 2007: 25). Für die Wissenschaft bestünden Hinweise auf diese Form der Diskriminierung, wenn Männer und Frauen trotz gleicher Leistungen ungleich behandelt würden (Achatz 2008: 268). Doch gerade in der Wissenschaft sind solche Mechanismen schwer nachzuweisen, da Urteile über Exzellenz und gerade Entscheidungen bei Stellenbesetzungsverfahren auf komplexen Kriterien beruhen. Dabei hängt die Auswahl und Gewichtung von Kriterien maßgeblich von Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern ab, die als gate keepers über Zugangs- und Aufstiegschancen entscheiden. Insofern sind Benachteiligungen von Frauen bei Urteilen über Exzellenz auch immer in Verbindung mit Mechanismen institutionalisierter Diskriminierung zu sehen. Diese liegt vor, wenn die Strukturen von Organisation und im vorliegenden Fall des Wissenschaftssystems Nachteile für Frauen bewirken (Kulis 1998). Ein solches strukturelles Merkmal ist gerade der auf dem Prinzip der Selbstverwaltung des Wissenschaftssystems basierende große Einfluss von gate keepers (vgl. auch Abschnitt 2.3.2). Da überwiegend männliche Wissenschaftler als gate keepers fungieren, werden an männlichen Normen orientierte Kriterien ständig reproduziert (Brouns 2007: 32 ff.). Solche Normen und die bestehenden Machtverhältnisse, die sich in den eingangs des Abschnitts beschriebenen Phänomenen der gendered organizations, der vertraglichen Segregation, doch auch in den alltäglichen exclusionary practices äußern, stellen derartige Formen institutionalisierter Diskriminierung dar. Binder spricht selbst dann von institutioneller Diskriminierung, wenn sich „Diskriminierungssituationen aufgrund von Feedback-Effekten verfestigen“ (Binder 2007: 26). Somit seien auch die Reaktionen der Benachteiligten auf ihre beispielsweise beim Zugang zum Arbeitsmarkt geringeren Chancen als Formen einer solchen Diskriminierung zu verstehen (Binder 2007: 26). 34
Vgl. zusammenfassend Abschnitt 2.1.4.
48
Geschlechtsspezifische Segregation im Wissenschaftssystem: Theoretische Erklärungsansätze
Als eine weitere Form institutionalisierter Diskriminierung, die sich auf Prozesse der Leistungszuschreibung bezieht, ist der auf Merton (1968, 1988) zurückgehende Matthäus-Effekt besonders zu erwähnen.35 Demzufolge kommt bereits etablierten Wissenschaftlern und Wissenschaftlerinnen eine übermäßige Anerkennung zu, während Forschenden der untersten Positionen ihre Leistung verstärkt aberkannt werde. Auf diese Weise wirke sich der Matthäus-Effekt zudem stark auf die Sichtbarkeit von Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern in der Wissenschaftsgemeinschaft aus: „The Matthew effect may serve to heighten the visibility of contributions to science by scientists of acknowledged standing and to reduce the visibility of contributions by authors who are less well known” (Merton 1968: 62).
Bewertet wird demzufolge nicht ausschließlich die aktuelle, sondern vergangene Leistungen – ein Mechanismus, der die Akkumulation von Chancen und Nachteilen begünstigt. In der Organisationssoziologie und der Wissenschaftsforschung werden basierend auf Ansätzen zur Diskriminierung häufig Geschlechtsunterschiede im akademischen Belohnungssystem36 untersucht. An der Schnittstelle von direkter und institutionalisierter Diskriminierung gerät dabei das Peer-Review-Verfahren häufig in Kritik. Das Verfahren gilt als gängigstes Instrument zur möglichst meritokratischen Beurteilung von Forschungsanträgen und Aufsatzmanuskripten für Fachzeitschriften. Dabei werden Forschungsleistungen, zumeist in Kenntnis der Autorenschaft, durch fachkompetente Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler beurteilt.37 Besonders eindrückliche Hinweise auf Prozesse der direkten Diskriminierung liefert die Studie von Wennerås/Wold zur Förderung von Stipendienanträgen am Swedish Medical Research Council. Die Autorinnen stellten fest, dass Antragstellerinnen zweieinhalbmal produktiver sein mussten als Antragsteller, um denselben Kompetenzwert zu erreichen. Neben dem Geschlecht wurde ein Effekt auf die Kompetenzzuschreibung durch eine persönliche Verbindung zu einem Ausschussmitglied festgestellt, wodurch männliche Antragsteller zusätzlich profitierten (Wennerås/Wold 1997). Seither wurde die Fairness des Begutachtungssystems auch in jüngeren und teilweise internationalen Studien untersucht. Die Forschungsbefunde weisen jedoch in unterschiedliche Richtungen. Zumeist werden keine klaren Nachweise für eine direkte Diskriminierung beim Zugang zu Fördermöglichkeiten festgestellt, obwohl das Geschlecht der Antragstellenden über die Förderwürdigkeit 35 36 37
Vgl. auch Rossiter 2003. Zur Bedeutung von Prozessen der Leistungsbeurteilung in der Wissenschaft vgl. Abschnitt 2.3.2. Analog zu ihrer geringeren Vertretung im Wissenschaftssystem sind Frauen im Begutachtungsprozess faktisch ebenfalls unterrepräsentiert. Bei der Begutachtung von Drittmittelanträgen (Normalverfahren) der Deutschen Forschungsgemeinschaft zwischen 1999 und 2004 liegt der Frauenanteil beim Gutachtereinsatz bei nur etwa sechs Prozent (vgl. Hinz et al. 2008: 85 ff.).
Strukturzentrierte Ansätze
49
von Anträgen neben anderen Faktoren wie Fachzugehörigkeit, institutionelle Einbindung, Kontakt zu Gutachtenden zumindest mit entscheidet (vgl. Beiträge in EC 2009). Diese Befunde werden in Kapitel 5 ausführlicher dargestellt. Statistische Belege für eine direkte Benachteiligung von Frauen weisen eine Meta-Analyse zu verschiedenen Förderverfahren und Fachdisziplinen sowie die Förderung durch den Schweizerischen Nationalfonds vor (Bornmann et al. 2007, Bornmann/Daniel 2008). Eine erste umfassende Untersuchung der Forschungsförderung durch die Deutsche Forschungsgemeinschaft zeigt für Anträge in der Einzelförderung38 etwas geringere Förderquoten für Wissenschaftlerinnen. Diese Unterschiede variieren nicht systematisch mit dem Frauenanteil in den einzelnen Fachdisziplinen und können daher weder auf Mechanismen des tokenism (nach Kanter 1977) oder besonders hohe Konkurrenz der Wissenschaftlerinnen untereinander (crowding) zurückgeführt werden. Zugleich bestehen erhebliche Unterschiede in den einzelnen Fachdisziplinen. So fallen die Förderquoten in den Naturwissenschaften am stärksten, in den Geistes- und Sozialwissenschaften am schwächsten zuungunsten von Wissenschaftlerinnen aus (Hinz et al. 2008). Da in dieser Studie die (Vor-)Leistungen der Antragstellenden nicht berücksichtigt werden konnten, kann eine direkte Diskriminierung nicht nachgewiesen werden. Aufgrund von Überzeugungen, dass sich Leistungen von Männern und Frauen immer mehr angleichen (vgl. Abschnitt 2.1.4), sind zumindest Prozesse institutionalisierter Diskriminierung zu vermuten. Mit der kritischen Diskussion des Peer-Review-Systems stellt sich ferner die Frage nach der unterschiedlichen Publikationsproduktivität von Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern neu, da Aufsatzveröffentlichungen in angesehenen Fachzeitschriften ebenfalls diesem Verfahren unterliegen. Die vorhandenen Studien sind äußerst heterogen. Auf der einen Seite stehen Befunde, wonach Wissenschaftlerinnen generell weniger produktiv seien als Wissenschaftler (Cole 1979, Fox 1995).39 Auf der anderen Seite belegen mehrere Studien, dass die geringere Produktivität von Wissenschaftlerinnen erst durch bestimmte Kontextmerkmale wie Elternschaft, Netzwerke, Lebensalter bzw. Erfahrung, akademische Position oder unterstützende Ressourcen (Assistenten, Forschungsförderung) hervorgerufen und diesbezügliche Geschlechtsunterschiede daher strukturell determiniert werden (Bochow/Joas 1987, Brouns 2007, Cole/Zuckerman 1991, Etzkowitz et al. 2000, Kuckartz 1992, Long 1990, Xie/Shauman 2003: 183). Insbesondere seit Beginn der Exzellenzinitiative werden auch verstärkt die Auswirkungen der Reputation von Institutionen oder Personen auf Prozesse der Leistungsbeurteilung kontrovers diskutiert. Jüngst griff Münch diese Diskussion mit 38
39
Die Einzelförderung (auch Normalverfahren) richtet sich an alle promovierten Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler. Die Auswahl des Forschungsthemas ist frei. In diesem Förderprogramm können unter anderem Mittel für Personal, wissenschaftliche Geräte, Reisen und Publikationen beantragt werden, vgl. hierzu Hinz et al. 2008: 31 ff. Dies entspricht der Argumentationslogik der akteurzentrierten Perspektive, vgl. Abschnitt 2.1.
50
Geschlechtsspezifische Segregation im Wissenschaftssystem: Theoretische Erklärungsansätze
seinen Thesen zur Herausbildung einer akademischen Elite auf und bestätigt seine Annahme, dass Forschende an großen und bekannten Einrichtungen höhere Bewilligungschancen aufweisen als an kleinen und unbekannten Einrichtungen (Münch 2007). Diese Befunde konnten anhand multivariater Analysen auf Basis prozessproduzierter Daten der Deutschen Forschungsgemeinschaft zwar nicht bestätigt werden (Auspurg et al. 2008), andere Untersuchungen weisen jedoch ebenfalls in diese Richtung (Bornmann/Daniel 2008, Broder 1993: 965 ff.). Neben der Fairness des Peer-Review-Verfahrens wird häufig die Reliabilität von Gutachterurteilen, das Heranziehen von Bewertungskriterien und Inkonsistenzen zwischen Kriterienvalenz und endgültigem Bewertungsurteil angezweifelt, was die Objektivität des Verfahrens ebenfalls infrage stellt (Cicchetti 1991, Hartmann/Neidhardt 1990, Hartmann 1990, Hirschauer 2004, Neidhardt 1988). In den letzten Jahren werden zunehmend neue Praktiken zum Umgang mit Anonymität und Öffentlichkeit in Erwägung gezogen, um so die Transparenz des Peer-ReviewSystems zu erhöhen (vgl. Beiträge in Hornbostel/Simon 2006). Gesamtgesellschaftliche Strukturen in Deutschland: Geschlechtsrollen und Infrastruktur Ausgehend von den insbesondere in Deutschland geringen Fertilitätsquoten von Frauen in Führungspositionen geriet in den letzten Jahren auch zunehmend die gesamtgesellschaftliche infrastrukturelle Situation in den Vordergrund der Debatte um die Unterrepräsentanz von Frauen in führenden Positionen. So seien Frauen in Deutschland im internationalen Vergleich „seltener erwerbstätig, seltener Mütter und noch seltener beides zusammen“ (Scheurer/Dittmann 2007: 1). Dabei geben zuvor berufstätige Frauen ihre Erwerbstätigkeit zugunsten ihrer Kinder auf oder reduzieren von einer Vollzeit- auf eine Teilzeitstelle. Auf der Basis des European Labor Force Survey dokumentieren Scheurer/Dittmann für Frauen mit Kindern unter zwölf Jahren eine Beschäftigungsquote von knapp 56 Prozent. Eine Quote, die um 23 Prozentpunkte unter derjenigen kinderloser Frauen liege. Eine ähnlich große Diskrepanz bestehe nur noch in wenigen osteuropäischen Ländern (Scheurer/Dittmann 2007: 1). Damit rangiert Deutschland im europäischen Vergleich auf den hinteren Rängen, eine Entwicklung, die auch vor dem Hintergrund des bestehenden Fachkräftemangels und der Abwanderungsprozesse von Hochqualifizierten ins Ausland eine politische Brisanz erreicht hat.40 Diese vergleichsweise schwache 40
Die Gleichstellung von Frauen und Männern sei „kein Selbstzweck, sondern die Voraussetzung für die Verwirklichung der allgemeinen Ziele der EU – Wachstum, Beschäftigung und sozialer Zusammenhalt.“ Dabei sei „eine bessere Vereinbarkeit von Beruf und Privatleben sowohl für Frauen als auch für Männer“ nicht nur für die „Verwirklichung der Geschlechtergleichstellung, sondern auch für das Erreichen der Lissabon-Ziele eine Grundvoraussetzung“ (KOM 2009: 4 ff.).
Strukturzentrierte Ansätze
51
Integration von deutschen Müttern in den Arbeitsmarkt wird auf verschiedene institutionelle Rahmenbedingungen zurückgeführt, die eine ausreichende Work-Life-Balance verhindern und somit einer gelingenden Vereinbarkeit entgegenwirken. Dazu zählen neben den Bedingungen am Arbeitsplatz41 und fortbestehenden Geschlechtsrollenerwartungen42 Faktoren wie die Betreuungsinfrastruktur in Deutschland, die „Subventionierung der nicht erwerbstätigen Hausfrau“ durch einseitige Mutterschutz- und Erziehungsurlaubsregelungen und das deutsche Steuersystem, das mit dem Ehegattensplitting die Alleinverdienerehe fördere (Eichhorst et al. 2007: 10, Scheurer/Dittmann 2007: 1). Von diesen Rahmenbedingungen geriet zunächst nur die Betreuungsinfrastruktur in das Aktionsfeld politischer Bemühungen. So wurde in erster Linie die Schaffung ausreichender Möglichkeiten zur Kinderbetreuung als Voraussetzung für eine gelingende Vereinbarkeit erkannt43 und in jüngster Zeit auf politischer Ebene forciert. Ausgangspunkt hierfür ist die Annahme, dass vor allem bestehende Mängel in der Kinderbetreuung nach der Familiengründung eintretende Retraditionalisierungsprozesse, eine (scheinbar) geringere Karriereorientierung von Frauen und eine Stabilisierung des männlichen Ernährermodells begünstigen. So steht Deutschland mit einer Kinderbetreuungsrate von unter zehn Prozent bei Kindern unter drei Jahren im europäischen Vergleich bislang am unteren Ende (Leuze/Rusconi 2009: 23). Der bedarfsgerechte Ausbau der Kinderbetreuung wurde im Herbst 2008 mit dem Beschluss des Kinderförderungsgesetzes (KiföG) und dem Investitionsprogramm „Kinderbetreuungsfinanzierung“ auf eine politische Basis gestellt, die bis zum Jahr 2013 für jedes dritte Kind unter drei Jahren einen Betreuungsplatz gewährleisten soll (BMFSJ 2009: 7). Erst in den letzten Jahren wurde neben dem neuen Kinderzuschlag und dem gestaffelten Kindergeld mit der Reform des Elterngeldes ein weiterer zentraler familienpolitischer Aspekt umgesetzt. Damit wurde für Geburten ab dem 1. Januar 2007 das bisherige Erziehungsgeld durch das Elterngeld abgelöst. Das Elterngeld soll Müttern und Vätern ohne finanzielle Einbußen ermöglichen, in der ersten Zeit nach der Geburt des Kindes die Betreuung zu übernehmen, und somit einen „Schonraum“ für die Familie schaffen (BMFSJ 2008: 9). Nach § 1 Abs. 1 BEEG kann Elterngeld von allen Bevölkerungsgruppen unabhängig von ihrem Erwerbs- und Beschäftigungsstatus beantragt werden. Anspruch auf finanzielle Unterstützung haben Eltern mit einem Wohnsitz in Deutschland, die ihre Kinder selbst betreuen, mit ihren Kindern in einem Haushalt leben und nicht mehr als 30 Wochenstunden erwerbstätig sind (BMFSJ 2008: 11). Die Beitragshöhe richtet sich nach dem durchschnittlichen Nettoerwerbseinkommen, das in den zwölf Monaten vor der Geburt 41 42 43
Für die Bedingungen im Wissenschaftssystem vgl. Abschnitt 2.3.2. Vgl. Abschnitt 2.1.2. Vgl. beispielsweise Macha 2006.
52
Geschlechtsspezifische Segregation im Wissenschaftssystem: Theoretische Erklärungsansätze
des Kindes erzielt wurde. Der Einkommensersatz beträgt 67 Prozent dieses Einkommens (höchstens 1.800 Euro). Im Falle einer Teilzeittätigkeit im Bezugsraum des Elterngeldes erhält die Betreuungsperson 67 Prozent des wegfallenden Teileinkommens.44 Bei Eltern mit einem Einkommen von weniger als 1.000 Euro wird die Ersatzrate auf 100 Prozent angehoben. Das Elterngeld kann maximal für die ersten 14 Lebensmonate des Kindes in Anspruch genommen werden, wobei ein Elternteil höchstens zwölf Monate beantragen kann.45 Mütter und Väter können die Zeiträume frei aufteilen (BMFSJ 2008: 11 ff.). Diese Maßnahmen können als wichtige Bemühungen verstanden werden, um die bisher bestehende „institutionelle Verfestigung von traditionellen Normen“ aufzubrechen (Gottschall 2000: 274). Jüngste Zahlen zur Nutzung des neuen Elterngeldes belegen, dass immerhin 13 Prozent der Väter bis Juni 2008 Elterngeld beansprucht haben. Allerdings ist die Bezugsdauer bei Vätern überwiegend auf ein bis zwei Monate ausgerichtet (BMFSJ 2008: 19). Dies zeigt, dass nach wie vor Frauen den überwiegenden Anteil der Elternzeit übernehmen. Dies dürfte auch im Wissenschaftsbereich zutreffen, wo gerade der Zeitpunkt von Familiengründungen häufig in eine Phase fällt, in der es darum geht, sich in der Wissenschaft zu behaupten (vgl. Abschnitt 2.4). Die Festlegung des Anspruchs auf Elterngeld für Personen, die ihre Kinder selbst betreuen und maximal 30 Wochenstunden erwerbstätig sind, ist ebenfalls kritisch zu sehen. Denn in der wissenschaftlichen Qualifikationsphase, in der sich junge Eltern aufgrund der langen Ausbildungsdauer überwiegend befinden dürften, besteht keine berufliche Sicherheit. Zum einen könnten überwiegend ohnehin befristete Verträge nicht verlängert oder die betreffenden Personen für Anschlussverträge nicht mehr empfohlen werden. Zum anderen sind viele Verträge an Forschungsprojekte gebunden, die während der Elternzeit fortgesetzt werden (müssen). Auch wenn es inzwischen Möglichkeiten von Laufzeitverlängerungen und der Beantragung von Zusatzmitteln für eine Aushilfskraft während der Ausfallzeit gibt46, ist dies besonders in Projekten, die an feste zeitliche Abläufe gebunden sind47 oder in welchen mehrere Kooperationspartner beteiligt sind, schwierig. Die damit verbundenen beruflichen Einbußen sind so groß, dass es für Männer und Frauen ungünstig erscheinen dürfte, überhaupt Elternzeit in Anspruch zu nehmen. Aufgrund des Leitbilds eines männlichen Wissenschaftlers (vgl. Abschnitt 2.3.2) dürfte es gerade für Männer schwierig sein, bei der Übernahme von Elternzeit ihre Anerkennung als Wissenschaftler aufrechtzuerhalten. Der Verzicht auf Elternzeit setzt allerdings voraus, dass ein ausreichen44 45 46 47
Als Einkommen vor der Geburt werden höchstens 2.700 Euro berücksichtigt. Alleinerziehende, die das Elterngeld zum Ausgleich des wegfallenden Erwerbsbeinkommens beziehen, können ebenfalls 14 Monate in Anspruch nehmen. Vgl. hierzu beispielsweise die Maßnahmen der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG) unter http://www.dfg.de/foerderung/grundlagen_dfg_foerderung/chancengleichheit/index.html; Stand: 21.04.2010. Dies ist insbesondere in den naturwissenschaftlichen Fachdisziplinen zu erwarten.
Integration der Perspektiven durch Bourdieus Theorie der Praxis
53
des Angebot an finanzierbaren Kinderbetreuungsmöglichkeiten besteht.48 Ist dies nicht der Fall, sind wegen der vorherrschenden Rollenbilder und des bestehenden Qualifikations- und Leistungsdrucks weiterhin überwiegend traditionelle Aufgabenverteilungen erwartbar.49 2.3 Integration der Perspektiven durch Bourdieus Theorie der Praxis Die dargestellten Ansätze zeigen eine starke Konzentration auf entweder die Akteure in Wissenschaftsinstitutionen oder deren strukturellen Bedingungen. Dabei wird in den theoretischen Ansätzen und empirischen Studien der wechselseitige Einfluss von Strukturen und individuellen Handlungsdispositionen zu wenig berücksichtigt, auch wenn weitgehende Einigkeit über die Vielschichtigkeit und Komplexität des überproportionalen Ausscheidens von Frauen aus dem Wissenschaftssystem besteht.50 So bleibt weitgehend ungeklärt, wie sich strukturelle Anforderungen auf berufliche Aspirationen auswirken und welche möglicherweise kumulativ wirkenden Mechanismen (vgl. Etzkowitz et al. 2000, Long 1990) zu der anhaltenden vertikalen Segregation von Wissenschaftlerinnen beitragen. Umgekehrt bleibt außer Acht, dass auch bestehende Strukturen durch ihre Akteure reproduziert werden und somit grundsätzlich veränderbar sind. Bourdieu liefert mit seiner Theorie der Praxis einen analytischen Rahmen, der durch die Integration akteur- und strukturzentrierter Perspektiven die bisherigen dualistischen Denkformen aufhebt und damit geeignete Analysekonzepte für die vorliegende Untersuchung bereitstellt. So sieht Bourdieu seine theoretische Intention darin, „sich zugleich der Theorie des Subjekts zu entziehen, aber ohne den Akteur zu opfern, und der Philosophie der Struktur, aber ohne darauf zu verzichten, die Effekte zu berücksichtigen, die die Struktur auf und durch diesen Akteur ausübt“ (Bourdieu/Wacquant 1996: 154).
Zu den zentralen Begriffen, die Bourdieus konstruktivistischen Zugang zur Realität umfassen, gehören die Konzepte des Habitus, des Kapitals, des sozialen Feldes und der symbolischen Gewalt, die nachstehend erläutert werden. 48 49
50
Die Betreuungsinfrastruktur an der Universität Konstanz und in der Stadt Konstanz ist durchaus erfreulich, vgl. hierzu Kapitel 4. Zudem zeigen Sonderauswertungen des Statistischen Bundesamtes, dass Mütter unabhängig vom beantragten Elternzeitmodell den Großteil der tatsächlichen Kinderbetreuung übernehmen. Bezieht ausschließlich die Mutter das Elterngeld, liegt die tatsächliche Verteilung zwischen Müttern und Vätern bei 86 und 14 Prozent. Wenn beide Eltern einen Leistungsbezug wahrnehmen, bei 76 und 24 Prozent. Wenn ausschließlich der Vater Elterngeld beansprucht, wird die Betreuungszeit geteilt (BMFSF 2008: 33). Vgl. beispielsweise Beiträge in WR 2007c.
54
Geschlechtsspezifische Segregation im Wissenschaftssystem: Theoretische Erklärungsansätze
2.3.1 Theoretische Konzepte Der Habitus stellt das „generierende Prinzip der Praxis der Subjekte“ dar, indem er für das Handeln, Denken, Fühlen und Wahrnehmen von Individuen gültige Dispositionen bereitstellt (Krais 1989: 50). Somit strukturiert der Habitus die Sichtweisen und das Handeln von Individuen in seiner gleichzeitigen Eigenschaft als strukturierte Struktur. Er ist Produkt der Geschichte von Individuen, die unter objektiven Bedingungen entsteht und die von den Individuen inkorporiert wird. Der Habitus stellt damit die Verinnerlichung und Objektivation der äußeren Geschichte im menschlichen Organismus dar, der in den Wahrnehmungs-, Bewertungs- und Denkschemata der Menschen sichtbar wird. In anderen Worten stellt der Habitus Ordnungsvorstellungen bereit, die vorgeben, was genau an der Welt wahrgenommen wird, wie die Welt gesehen wird, worauf sich die Aufmerksamkeit richtet (Krais 1993: 215). Dabei werden solche Praxisformen schematisiert, die sich „in der Praxis als zweckmäßig erweisen, weil sie die ‚Logik der Praxis‘ berücksichtigen“, das heißt einem praktischen Sinn folgen (Barlösius 2004: 121). Neben der Objektivation von Geschichte im menschlichen Organismus besteht zusätzlich die Objektivierung in den Institutionen, die dem handelnden Subjekt als objektive Bedingungen gegenüberstehen und die Ausformungsoptionen des Habitus bedingen. Die im Habitus enthaltenen Schemata sind demnach Schemata, die „in uns und ‚in der Welt enthalten‘ sind“ (Engler 2004: 225). Damit bringt der Habitus eine Praxis hervor, die, nach dem Verständnis Bourdieus, strategisch darauf ausgerichtet ist, die Stellung in der gesellschaftlichen Hierarchie zu verbessern oder zumindest zu erhalten. Diese Strategien unterliegen unbewussten Nutzenkalkülen, die im Habitus eingelagert und hervorgebracht werden. Damit erscheinen gängige Praktiken ebenso wie objektive Chancenstrukturen als natürlich und werden infolgedessen nicht infrage gestellt. So werden Individuen entgegen akteurzentrierter Sozialtheorien (wie z.B. Schütz/Berger/Luckmann) nicht durch Rationalität oder Intentionalität angeleitet, sondern durch die verinnerlichten Anforderungen der Praxis (Ebrecht/Hillebrandt 2002: 8). Obwohl der Habitus sich durch die laufenden Erfahrungen der Individuen ständig umstrukturiert und modifiziert, wird seine eigentliche Gestalt in den Phasen früher Sozialisation herausgebildet und bleibt damit über die Zeit, aber auch über verschiedene Lebensbereiche hinweg stabil. Im Unterschied zum Konzept der sozialen Rollen (bzw. zum Strukturfunktionalismus, vgl. Ebrecht/Hillebrandt 2002: 10) stellt der Habitus damit eine innere, im Subjekt angesiedelte Instanz dar, der die Unbewusstheit von Handlungsorientierungen einschließt (Krais 1989). Die objektiven Bedingungen, die den Habitus hervorbringen, sind nach verschiedenen gesellschaftlichen Bereichen, den im gesellschaftlichen Raum hierarchisch angeordneten, sozialen Feldern, strukturiert. Für diese Felder, die in Abgrenzung zu systemfunktionalistischen Vorstellungen als Felder gesellschaftlicher Praxis gedacht sind, ist der Besitz von Kapital für den Erhalt der feld-
Integration der Perspektiven durch Bourdieus Theorie der Praxis
55
spezifischen hierarchischen Position zentral (Krais 1989: 56 ff.). Infolgedessen kann und muss der Habitus auf ein spezifisches Feld bezogen werden, da dieses Feld durch die Objektivation von Geschichte in Institutionen spezifische Bedingungen bereitstellt. Damit wird das Habituskonzept in Abgrenzung zum Konzept der sozialen Rollen als Instanz verstanden, das eben nicht in allen sozialen Kontexten gleichermaßen präsent ist, sondern situationsspezifisch, nämlich in sozialen Feldern seine Wirkung entfaltet (Dölling/Krais 2007: 17). Das Feld ist durch ein Netz an objektiven Relationen zwischen Positionen determiniert. Diese Positionen sind in der Struktur der Distribution der verschiedenen Arten von Macht bzw. Kapital definiert, deren Besitz über den Zugang zu den auf dem Spiel stehenden Profiten entscheidet (Bourdieu/Wacquant 1996: 127). Damit stellt das Feld einen Raum von Konflikten und Konkurrenzen dar, auf dem die Beteiligten um die Erlangung des im Feld jeweils relevanten Monopols, im wissenschaftlichen Feld die Erlangung wissenschaftlicher Autorität, konkurrieren (Krais 1989). Demzufolge unterliegt jedes Feld seiner eigenen Logik, die wie bei einem Spiel bestimmten Regeln folgt, bei dem es bestimmte Interessenobjekte, Einsätze und Trümpfe gibt. Diese Regeln prägen die Struktur des feldspezifischen Habitus. Im Spiel um die jeweiligen Interessenobjekte haben die Kapitalgrundsorten (ökonomisch, kulturell, sozial, symbolisch) in allen Feldern einen Effekt. Der relative Wert einer Kapitalsorte variiert jedoch mit den einzelnen Feldern (Bourdieu/Wacquant 1996: 128). Unter diesen Grundsorten versteht Bourdieu alles, was „in einem bestimmten Feld zugleich als Waffe und als umkämpftes Objekt wirksam ist, was es seinem Besitzer erlaubt, Macht oder Einfluss auszuüben“ (Bourdieu/Wacquant 1996: 128). Damit wird die Struktur des Feldes durch die Distributionsstruktur der besonderen Kapitalsorten bestimmt, die in ihm aktiv sind (Bourdieu/Wacquant 1996: 139). Die Strategien eines Spielers hängen jedoch nicht nur vom Umfang und der Struktur seines Kapitals und den objektiven Chancen, die sich im Spiel eröffnen, sondern auch von den im Habitus festgelegten Dispositionen ab, die sich relational zu einer objektiven Chancenstruktur herausgebildet haben (Bourdieu/Wacquant 1996: 129). Die Spieler können spielen, indem sie sich an die unausgesprochenen Spielregeln und Notwendigkeiten halten, oder sie können Strategien einsetzen, die darauf abzielen, die Kapitalsorte, auf der die Macht des Gegners beruht, abzuwerten und diejenige Kapitalsorte, mit der sie gut ausgestattet sind, aufzuwerten (das heißt, den relativen Wert zu verändern). Dies geschieht nach Auffassung Bourdieus insbesondere bei solchen Kämpfen, „bei denen es darum geht, Macht über diejenigen ökonomischen und politischen Ressourcen zu gewinnen, die es dem Staat erlauben, Macht über alle Spiele und Regeln auszuüben, nach denen sie gespielt werden“ (Bourdieu/Wacquant 1996: 130).
Die Strategien der Akteure sind von zwei Faktoren abhängig: zum einen von ihrer Position im Feld und der Distribution ihres Kapitals, zum anderen von ihrer Wahr-
56
Geschlechtsspezifische Segregation im Wissenschaftssystem: Theoretische Erklärungsansätze
nehmung, ihrer Sicht auf das Feld (Bourdieu/Wacquant 1996: 132). Die Verbesserung der Position im Feld setzt Anstrengungen voraus und nimmt daher Zeit in Anspruch (Ebrecht/Hillebrandt 2002: 9, Bourdieu 1988: 153). Die Habitustheorie schließt aber auch strategisches Handeln nicht aus, da das „unmittelbare Aufeinander-Abgestimmtsein nur eine der möglichen Formen des Handelns ist (…). Die vom Habitus suggerierten Orientierungen können mit strategischen Kosten-NutzenRechnungen einhergehen, die die Operationen, die der Habitus nach seiner eigenen Logik vollzieht, tendenziell bewusst werden lassen“ (Bourdieu/Wacquant 1996: 165).
Rationale Handlungsweisen treten nach Meinung Bourdieus vorwiegend in neuen Situationen oder Krisenzeiten auf bzw. wenn die Abstimmungsprozesse zwischen Struktur und Praxis nicht funktionieren (Barlösius 2004: 122). Im Habitus findet sich damit sowohl eine akteurzentrierte Komponente, da letztlich der Akteur „die habituelle Disposition in konkrete Handlungen und Praktiken“ übersetzt, die jedoch durch das Prinzip der objektiven Strukturen nicht mehr an den Einzelnen und dessen Subjektivität gebunden ist (Barlösius 2004: 124). Damit funktioniert der Habitus als „eine regelrechte lex insita, (…) ein dem Sozialkörper innerwohnendes Gesetz, das, einmal von den biologischen Körpern verinnerlicht, bewirkt, dass die einzelnen ohne entsprechende Absicht und Bewusstsein das Gesetz des Sozialkörpers vollziehen“ (Bourdieu 1988: 233).
Die soziale Realität existiere daher zweimal, „in den Sachen und in den Köpfen, in den Feldern und in den Habitus, innerhalb und außerhalb der Akteure“ (Bourdieu/Wacquant 1996: 161). Demnach werden die Spielregeln bzw. die Funktionsweise eines sozialen Feldes verinnerlicht und erscheinen dann als unbewusste und nicht zu hinterfragende Gesetze eben dieses Feldes.51 Der Habitus ist jedoch nicht als statisches Konzept zu verstehen, da die Abstimmung zwischen seinen Entstehungsbedingungen und seinem Funktionieren einen permanenten Prozess darstellt. Infolgedessen erfolgt die Inkorporierung objektiver Bedingungen nicht einmalig und bleibt daraufhin dauerhaft so, sondern unterliegt wiederholten Korrekturen und Neuausrichtungen. Barlösius benennt unter Rückgriff auf Bourdieu mehrere Ursachen, die, ausgelöst durch eine Diskordanz zwischen den inneren Überzeugungen und Sichtweisen des Habitus und den sozialen Bedingungen, einen solchen Wandel bewirken können. Erstens können Veränderungen des individuellen Lebensverlaufs in Form eines „Hysteresiseffekts“ eine verzögerte Anpassung des Habitus an neue, verengte soziale Bedingungen bewirken (Barlösius 2004: 138). Zweitens entstehen Diskrepanzen auch aus dem Wandel der objektiven Strukturen, die zumeist gesell51
Dieser Prozess der Verinnerlichung bzw. Somatisierung bewirkt, dass die jeweiligen Spielregeln und Funktionsweisen als natürlich und gegeben angesehen werden, obwohl es sich viel mehr um biologisierte gesellschaftliche Konstruktionen handelt (Bourdieu/Wacquant 1996: 209).
Integration der Perspektiven durch Bourdieus Theorie der Praxis
57
schaftliche Teilgruppen betreffen. Da der Habitus durch Dispositionen der Vergangenheit geprägt ist, wird trotz veränderter Bedingungen auf alte, nicht mehr passende Erfahrungen und Erwartungen zurückgegriffen. Hierdurch können innere Konflikte ausgelöst werden, wenn die „Veränderung der objektiven Strukturen so schnell vor sich geht, daß die Akteure, deren mentale Strukturen von eben diesen Strukturen geformt wurden, sozusagen überholt werden und unzeitgemäß und unsinnig handeln und in einem Vakuum denken wie alte Leute, von denen es ganz richtig heißt sie seien ‚desorientiert‘, oder wie Don Quichote“ (Bourdieu/Wacquant 1996: 164).
Neben solchen Strukturveränderungen auf individueller oder gesellschaftlicher Ebene besteht die dritte Ursache in der „Bewusstwerdung“ und „Sozioanalyse“ (Bourdieu 1989: 407). Dabei werden die „stillschweigenden Voraussetzungen der im Habitus verankerten Sichtweisen in Frage gestellt, wodurch ein Bruch in der scheinbar selbstverständlichen Übereinstimmung zwischen den inkorporierten und den objektivierten Strukturen entsteht“ (Barlösius 2004: 140).
Obwohl bezogen auf einen vergeschlechtlichten Habitus aus Prozessen der Bewusstseinsbildung Diskordanzen durch die Frauenbewegung und aktuell durch die Antidiskriminierungs- und Exzellenzdebatte verstärkt auftreten dürften, weist Gottschall darauf hin, dass basierend auf Vorstellungen der weiblichen Normalbiografie es vermutlich schon immer Diskrepanzen zwischen Verhaltensmustern und Orientierungen von Frauen einerseits und deren Verankerung in lebenslaufrelevanten Institutionen gegeben habe. Empirische Evidenz hierfür liefern Studien zu Erwerbsbiografien einer älteren Frauengeneration, die zeigen, dass bereits heutige Rentnerinnen stark berufsorientiert gewesen seien. Allerdings wurde die Erwerbstätigkeit so strukturiert, dass die traditionelle Arbeitsteilung dennoch fraglos funktionierte (Gottschall 2000: 273). Eng verbunden mit dem Konzept des Habitus und der Grundannahme, dass soziale Felder gekennzeichnet sind durch Konkurrenz und Kämpfe um Machtpositionen, steht das Konzept der symbolischen Gewalt neben weiteren Formen der Gewalt52 als ein Modus der Herrschaftsausübung. Symbolische Gewalt wirkt in subtiler, euphemisierter Form in der face-to-face-Interaktion. Voraussetzung für ihre Wirksamkeit ist, dass sie nicht als Gewalt erkannt wird, „nicht als Nötigung oder Einschüchterung wahrgenommen wird“ (Krais 1993: 232). Des Weiteren müssen die Akteure wissen, was sich gehört, müssen „einen Sinn für diese Gewalt entwickelt haben, der es ihnen ermöglicht, die entsprechenden Signale – oft nur Blicke, kleine Gesten, beiläufige Bemerkungen, die Körperhaltung, die Intonation – 52
Beispielsweise Formen der physischen Gewalt, vgl. hierzu Bourdieu 1976: 357 ff.
58
Geschlechtsspezifische Segregation im Wissenschaftssystem: Theoretische Erklärungsansätze zu decodieren und deren versteckten sozialen Gehalt zu verstehen, ohne daß ihnen bewußt wird, worum es sich bei diesen Gesten, Blicken, Worten handelt, nämlich um Akte der Gewalt“ (Krais 1993: 233).
Infolgedessen wirkt symbolische Gewalt nur, solange die Betroffenen empfänglich für sie sind, wenn sie in ihren Habitus die jeweiligen objektiven Bedingungen verinnerlicht haben und insofern die kognitiven Strukturen des Habitus im Einklang mit der objektiven und gültigen Ordnung des jeweiligen Feldes stehen. Dies bedeutet zugleich, dass sich die Betroffenen gegenüber dieser Ordnung als minderwertig identifizieren, „die Sicht der Welt übernehmen, die die Herrschenden geprägt haben, und damit ein von den Herrschenden geprägtes Selbstbild“ (Krais 1993: 234). In der akademischen Welt findet sich diese Form der Herrschaftsausübung in „Akten der Mißachtung, der Verweigerung der Anerkennung als Wissenschaftlerin“ (Krais 2000: 47). Diese äußern sich in der Missachtung der Redebeiträge von Frauen, der Ausrichtung unterstützender Kommunikation ausschließlich auf Männer und der Zuschreibung interessanter Beiträge als Leistung der Männer, was dazu führt, dass sich Frauen in solchen Situation unwohl, ausgeschlossen, nicht ernst genommen fühlen, ohne dass dieses Gefühl näher konkretisiert werden könne (Krais 1993: 233/234). Bourdieus Konzeption der sozialen Realität als Zusammenspiel objektiver und subjektiver Strukturen scheint durch die Aufhebung des Gegensatzes zwischen Akteurzentrierung und Strukturzentrierung als theoretischer Rahmen für die Untersuchung besonders geeignet. Die Studie setzt an beiden Perspektiven an und beleuchtet die soziale Realität von Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern aus einer objektiven und einer subjektiven Perspektive. 2.3.2 Das soziale Feld der Wissenschaft Für eine solche Analyse der sozialen Realität von Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern müssen zunächst die spezifischen, objektiven Bedingungen, Regeln und Anforderungen des Wissenschaftssystems näher bestimmt werden, die – folgt man Bourdieus Konzept des wissenschaftlichen Feldes – den Akteuren gewisse strukturale Zwänge auferlegen (Bourdieu 1998: 21). Diese gelten als von Wissenschaftlern festgelegte und institutionell objektivierte grundlegenden Gegenstände, Fragen, aber auch Methoden und Techniken, die für alle, die Wissenschaft betreiben, „Bedeutung haben, denen sie ihre Anstrengungen widmen und deren Verfolgung sich schließlich ‚bezahlt‘ macht“ (Bourdieu 1998: 21 ff.). Die Einigkeit und der Glaube an diese Grundsätze, die illusio des wissenschaftlichen Feldes, mache dabei dessen Besonderheit aus (Bourdieu 1998: 29). Doch es geht nicht nur um Techniken wissenschaftlichen Arbeitens, sondern auch um Aspekte der Nachwuchsrekrutierung und Prozesse der Leistungszuschrei-
Integration der Perspektiven durch Bourdieus Theorie der Praxis
59
bung, die ein hohes Maß an symbolischem (Reputation) und sozialem Kapital (akademische Titel, Positionen) erfordern und damit zentral für eine langfristige Positionierung im Wissenschaftssystem sind (Beaufaÿs 2003: 53). Hinweise auf spezifische Bedingungen des wissenschaftlichen Feldes liefern neben organisationssoziologischen Studien wissenschaftspolitische Quellen und neuere Arbeiten der Frauenund Geschlechterforschung und lassen sich in formale und informelle Merkmale gliedern. Abbildung 2 veranschaulicht diese Merkmale und die hieraus resultierenden strukturalen Zwänge bzw. Voraussetzungen für erfolgreiche wissenschaftliche Laufbahnen. Grundlegender Bestandteil des Wissenschaftssystems ist das Prinzip der Selbstverwaltung und Kooptation, wonach gemäß der Universalismusnorm nach Merton ausschließlich Kriterien wissenschaftlicher Leistung über Erfolg und Misserfolg von wissenschaftlichen Laufbahnen entscheiden würden (Merton 1973: 267 ff.). Die Beurteilung der jeweils erbrachten Leistungen erfolgt durch fachkompetente Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler, den sogenannten Peers. Diese Entscheidungen basieren allerdings auf hochgradig informellen Prozessen der Leistungszuschreibung und -beurteilung, und selbst die in Peer-Review-Verfahren institutionalisierten Formen solcher Bewertungsprozesse haben ihre Grundlage in weitgehend intransparenten Bewertungskriterien. Solche Prozesse der Leistungsbeurteilung sind für insbesondere drei Bereiche wissenschaftlicher Laufbahnen von zentraler Bedeutung: bei der Vergabe von Drittmitteln, der Begutachtung von Aufsatzmanuskripten sowie bei Rekrutierungsprozessen bzw. Statuspassagen. Alle drei Bereiche bestimmen den Erfolg von Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern maßgeblich. Die Vergabe von Drittmitteln entscheidet über die Realisierung von Forschungsvorhaben und damit über den „Motor für wissenschaftliche Entwicklung“, der die Grundlage für Publikationen von Forschungsergebnissen bildet (von Stebut 2003: 56). Die Begutachtung von Aufsätzen entscheidet über die Publikationswürdigkeit von Forschungsergebnissen in renommierten Fachzeitschriften. Bei der Rekrutierung von wissenschaftlichem Personal kommt dem Selbstverwaltungsgesetz insbesondere im Hinblick auf die Selbstergänzung der Professorenschaft eine hohe Bedeutung zu. (Geenen 1994: 93). Grundsätzlich unterliegt das Erreichen einer Professur, dem einzig legitimen Berufsziel universitärer Laufbahnen, einer hohen Selektion, sollen doch nur exzellente Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler eine solche Position erreichen. Dies schlägt sich formal in der Stellenstruktur an Universitäten nieder, wobei es auf den hierarchisch niedrigeren Positionen kaum dauerhafte und gesicherte Anstellungen gibt. So wird der wissenschaftliche Mittelbau nahezu ausschließlich auf befristeten Stellen beschäftigt, die der Weiterqualifikation dienen sollen.
60
Geschlechtsspezifische Segregation im Wissenschaftssystem: Theoretische Erklärungsansätze
Abbildung 2: Merkmale des wissenschaftlichen Feldes; eigene Darstellung • Selbstverwaltung und (homosoziale) Kooptation • Informelle Prozesse der Leistungszuschreibung, -beurteilung Grundprinzipien
Strukturale Zwänge (=Voraussetzungen) - Zügige, kontinuierliche Qualifikation; junges Lebensalter - Frühe Profilierung u. Sichtbarkeit - Prestigereiche wissenschaftliche Herkunft - Gute Einbindung in informelle Netzwerke - Hohe zeitliche Ressourcen u. Zeitinvestitionen - Demonstration von Leistung(-sbereitschaft) u. Karriereorientierung - Hohe Produktivität - Hohe Mobilität u. Mobilitätsbereitschaft - Hohe Flexibilität
Formale Merkmale • Hohe Selektion • Stellenstruktur: hierarchische Distanz / Abhängigkeit, Befristungen im Mittelbau, Professur als Berufsziel • Doppelung Ausbildung – Beruf • „Normalbiografie“: Kontinuitätsansprüche, zeitl. Standards, lange Ausbildungsdauer • Mobilitätsansprüche: Hausberufungsverbot, Auslandserfahrung, Institutswechsel • Planungsunsicherheit
Informelle Merkmale Praktiken und Rahmenbedingungen • Intransparente Entscheidungs- / Kommunikationsstrukturen • Intransparente, relationale Leistungskriterien • Hohe Personengebundenheit / personelle Abhängigkeit • Verknüpfung von Anerkennung der Leistung und der Person • Matthäus-Effekt • Leistungsdruck / Konkurrenz
Denkstile und Leitbilder • Wissenschaft als Lebensform: uneingeschränkte Verfügbarkeit, uneingeschränktes Engagement, Leidenschaft u. Leidensbereitschaft • Unvereinbarkeit von Wissenschaft und Familie • Publish or perish
Die hierarchische Stellenstruktur kennzeichnet außerdem eine lange Abhängigkeit vom Lehrstuhlinhaber, der oftmals gleichzeitig als Vorgesetzter und Betreuungsperson des wissenschaftlichen Nachwuchses fungiert. Demnach haben abgesehen von Professoren und Hochschuldozenten, die, angekommen auf dem wissenschaftlichen Olymp, „volle Selbständigkeit in Forschung und Lehre“ genössen, alle anderen wissenschaftlich Beschäftigten53 „weisungsgebundene Dienstleistungen zu erbringen“ (Janson et al. 2007: 45, Brouns 2007: 39 ff.). Demzufolge ist eine langfristige Etablierung im wissenschaftlichen Feld durch einen hohen Konkurrenzdruck geprägt und erfordert eine starke Karriereorientierung der Akteure. Im deutschen Wissenschaftssystem besteht außerdem eine strikte formale Abfolge hierarchischer Positionen vom Studienabschluss, über die Promotion auf einer befristeten Mitarbeiterstelle und die Habilitation bzw. habilitationsäquivalente Leistungen als letzte Zertifizierungshürde auf dem Weg zur Professur. Diese ist insbesondere in Deutschland an stark ausgeprägte zeitliche Vorstellungen gebunden. Diese „Normalbiographie“ 53
Für eine Übersicht zur Personalstruktur und den einzelnen Personalkategorien in Deutschland vgl. Janson et al. 2007: 44 ff., zu Personalstrukturen im internationalen Vergleich vgl. Kreckel 2008.
Integration der Perspektiven durch Bourdieus Theorie der Praxis
61
(Geenen 1994) sieht grundsätzlich eine maximal zwölfjährige Qualifikationsphase vor, wobei die Übergänge in die jeweils nächste Statusgruppe nahtlos erfolgen sollten (von Stebut 2003). Des Weiteren wird erwartet, dass der wissenschaftliche Nachwuchs während der jeweiligen Vertragslaufzeit54 zumeist in Form von Halbtagsbeschäftigungen seine Qualifikationsarbeit fertigstellt, was eine hohe intrinsische Motivation des Nachwuchses, Durchhaltevermögen und Selbstdisziplin erfordert. Neben den genannten formalisierten Statuspassagen gelten eine mindestens dreijährige Tätigkeit außerhalb der Hochschule, am besten im Ausland, sowie ein allgemeines Hausberufungsverbot als wesentliche Voraussetzung für die Berufung auf eine Professur (WR 2001: 19, 71). In jüngster Zeit sind insbesondere die „ZwölfJahres-Regelung“ und die für eine dauerhafte Beschäftigung im Wissenschaftssystem lang andauernde Qualifizierungsphase in die Kritik geraten. Dies führte 2002 einerseits zur Einführung der Personalkategorie „Juniorprofessur“ und andererseits zur Neuregelung des Befristungsrechts. Die Ausübung einer Juniorprofessur stellt seither eine Alternative zur Habilitation dar und zielt auf eine frühere wissenschaftliche Selbstständigkeit. Dennoch wird durch die Befristung der Stelle auf fünf Jahre die bestehende Befristungskultur aufrechterhalten und zugleich eine weitere Zeitgrenze etabliert. So soll die Juniorprofessur „in aller Regel in einem Alter von unter 35 Jahren angetreten werden“ (WR 2001: 69). Des Weiteren erscheinen die Anforderungen an eine solche Stelle mit dem Nachweis einer herausragenden Promotion, Lehrerfahrung und zusätzlichen wissenschaftlichen Leistungen besonders hoch (WR 2001: 70, Janson et al. 2007: 37).55 Die Neuregelung des Befristungsrechts sieht eine Verlängerung der insgesamt zulässigen Befristungsdauer von wissenschaftlichem und künstlerischem Personal in der Qualifikationsphase vor, wenn während der Qualifikationsphase Kinder unter 18 Jahren betreut werden. Hier verlängert sich die maximale Beschäftigungsdauer von zwölf56 Jahren um zwei 54
55
56
Die Anstellung von Doktoranden erfolgt in der Regel in Form von Projektverträgen oder spezifischen Qualifikationsstellen. Die Laufzeit der Projektverträge ist von den jeweiligen Projektlaufzeiten (in der Regel drei bis fünf Jahre) abhängig. Qualifikationsstellen sind auf vier bis fünf Jahre beschränkt. In der Habilitationsphase stellen zumeist auf sechs Jahre befristete Verträge den idealen Weg zur Professur dar (Janson et al. 2007). In der 5. Novelle des Hochschulrahmengesetzes (HRG) vom Februar 2002 entfielen außerdem vorübergehend die bisherigen Personalkategorien der hauptberuflich tätigen Hochschuldozenten, die jedoch in der 8. Novelle des HRG im Dezember 2004 erneut aufgenommen wurden. Seit der Föderalismusreform, die seit dem 1. September 2006 gültig ist, können die Länder die Personalstruktur an ihren Hochschulen weitgehend frei gestalten. Damit ist die bundesweit einheitliche Typisierung des hauptberuflichen Personals aufgehoben. In Bundeskompetenz verbleiben die dem Arbeitsrecht zugehörigen Befristungsregelungen. Des Weiteren wird seit 2007 die Einführung einer Juniorprofessur und Professur mit Schwerpunkt Lehre diskutiert. Der Lehranteil dieses Karrierewegs soll bei etwa 60 Prozent des Gesamttätigkeitsprofils liegen und maximal zwölf Semesterwochenstunden umfassen. (Für weitere Informationen zum Vorschlag der Lehrprofessuren und Reformen des HRG vgl. WR 2007a). Im Bereich der Medizin liegt die maximale Beschäftigungsdauer bei 15 Jahren.
62
Geschlechtsspezifische Segregation im Wissenschaftssystem: Theoretische Erklärungsansätze
Jahre je Kind. Darüber hinaus ist auch nach der Qualifizierungsphase eine befristete Beschäftigung ohne Obergrenze hinsichtlich der Gesamtdauer möglich, sofern die Beschäftigung überwiegend aus Drittmitteln erfolgt (vgl. Bundesgesetzblatt 2007). Trotz der skizzierten Reformen werden hohe Zeit- und Kontinuitätsanforderungen im Wissenschaftssystem weitgehend aufrechterhalten bzw. ausgebaut. Zugleich werden diese Anforderungen durch den vorherrschenden Mobilitätsdruck, wie er durch die Erfordernis von Auslandserfahrungen und das Hausberufungsverbot erzeugt wird, weiter erhöht. Des Weiteren ist die Qualifikationsphase in der Wissenschaft durch eine lang andauernde Doppelung von Beruf und Ausbildung gekennzeichnet und geht im Zusammenhang mit der gängigen Befristungskultur mit einer hohen Planungsunsicherheit einher.57 So ist selbst nach einem erfolgreichen Abschluss der Habilitation keineswegs gesichert, dass zeitnah eine Berufung zum Professor erlangt wird.58 Damit gibt es eine über den gesamten Qualifizierungsprozess andauernde Ungewissheit darüber, ob der abverlangte Einsatz letztendlich in einer Professur mündet und damit vorgeblich erst lohnt (von Stebut 2003: 69). Der auf den Grundprinzipien der Selbstverwaltung und intransparenter Strukturen basierende Prozess der Leistungszuschreibung ist neben den beschriebenen Bereichen wissenschaftlicher Laufbahnen auch im wissenschaftlichen Alltag von zentraler Bedeutung, da Leistung über die alltägliche Förderung und Betreuung des Nachwuchses entscheidet. Dies verdeutlicht eine hohe Abhängigkeit vom wissenschaftlichen Umfeld und die Machtstellung der Vorgesetzten und Mentoren. Auch hierfür sind die Doppelung von Ausbildung und Beruf und die häufige Personalunion von Betreuungsperson und Vorgesetztem bedeutsam, da diese unscharfe Grenzen zwischen Qualifikationsarbeit und Erwerbstätigkeit begünstigen. Ferner laufen die Bewertungsmaßstäbe der beiden Bereiche aufgrund fehlender Kriterien Gefahr zu verschwimmen. Dann werden eine hohe Arbeitsleistung und ein hohes Engagement im Bereich der Erwerbsarbeit (z.B. gute Zuarbeit am Lehrstuhl) mit verstärkter Förderung, guter Betreuung oder gar Bewertung belohnt (von Stebut 2003: 67). Gleichermaßen verlaufen Kommunikationsprozesse und damit der Austausch karriererelevanter Informationen zumeist informell und weisen ebenfalls auf persönliche Abhängigkeitsverhältnisse. Umfassende und vielseitige Informationen zeitnah zu erhalten, setzt demnach eine gute Einbindung in informelle wissenschaftliche Netzwerke voraus. Damit erweisen sich weitgehend intransparente Kom57 58
Es werden zumeist Stellen mit einem Beschäftigungsumfang von 50 Prozent der regelmäßigen Arbeitszeit vergeben, die die parallele Weiterqualifikation ermöglichen sollen. Durch die Habilitation erwirbt der Kandidat die Prüfungsberechtigung und kann zumeist unvergütet als Privatdozent an der Universität tätig werden. Auch durch die Dauer von Berufungsverfahren von durchschnittlich 18 Monaten bei einer Neu- oder Erstbesetzung bleibt eine hohe Planungsunsicherheit bis zuletzt bestehen, vgl. Janson et al. 2007: 79; 83.
Integration der Perspektiven durch Bourdieus Theorie der Praxis
63
munikations- und Entscheidungsstrukturen als zentral für die Bereitstellung karriererelevanter Ressourcen und die Eröffnung von Handlungsspielräumen (von Stebut 2003: 48 ff., Schultz 1991, Beaufaÿs/Krais 2005, Bielby 2000). In Untersuchungen zur Logik von Prozessen der Leistungszuschreibung stellen Krais und Beaufaÿs fest, dass die Anerkennung einer wissenschaftlichen Leistung immer auch an die soziale Anerkennung der Person gebunden sei, die diese Leistung hervorgebracht hat (Krais 2000: 31, Beaufaÿs 2003, Engler 2001). Sie identifizieren Prozesse der Konkurrenz und Anerkennung als zentrales Prinzip des wissenschaftlichen Alltags. Dabei geht es zum einen darum, neue wissenschaftliche Erkenntnisse zu gewinnen, innovative Methoden, Herangehensweisen und Projekte zu entwickeln, und andererseits darum, die Argumente der anderen auseinanderzunehmen, „sie auszustechen, schneller zu sein als die anderen, der Erste am Ziel zu sein“ (Krais 2000: 43). Dieses Leitprinzip verdeutlicht die Voraussetzung eines unermüdlichen Engagements, hohe zeitliche Investitionen und Leistungsdemonstration als Notwendigkeit dafür, im Spiel um die Macht und Anerkennung der Erste zu sein. Des Weiteren ergibt sich aus dem hohen Stellenwert der Anerkennung der Person und Leistung im Zusammenhang mit den genannten informellen Leistungszuschreibungsprozessen die Notwendigkeit einer hohen fachöffentlichen Sichtbarkeit in der Wissenschaftsgemeinschaft, die es durch physische Präsenz (möglichst auch am Wochenende im Institut, an der Universität etc.), Sichtbarkeit der erbrachten Leistungen in Form von Publikationen, Vorträgen, Kongressteilnahmen zu erreichen gilt. Demzufolge stellen das Einwerben von Drittmitteln, Publikationsproduktivität, wissenschaftliche Erfahrungen im Ausland und die damit verbundene Mobilitätsbereitschaft zentrale Bewertungsmaßstäbe für die wissenschaftliche Leistung dar, die bei Rekrutierungsprozessen in höhere Statusgruppen relevant werden und ihrerseits von der Beurteilung und Einschätzung der Hochschullehrer/innen abhängig sind (vgl. z.B. Bielby 2000, Etzkowitz et al. 2000: 173, Brouns 2007). Bei einem Institutswechsel dient die wissenschaftliche Herkunft als weiteres Kriterium. So können Aufenthalte und Kooperationen mit angesehenen Forschern an möglichst renommierten Forschungseinrichtungen die Chance auf den Erhalt einer neuen Stelle wesentlich beeinflussen. Demzufolge dient in starkem Ausmaß der eigene bisherige Karriereverlauf als Gradmesser für Qualität und Leistung und eröffnet oder beschränkt gemäß des Matthäus-Prinzips entsprechende Handlungsspielräume für die Weiterentwicklung wissenschaftlicher Laufbahnen. Daraus ergibt sich ein hoher Stellenwert einer möglichst frühen, umfassenden Profilierung und Sichtbarkeit in der Wissenschaftsgemeinschaft (Drews 1996). Wer gleich zu Beginn der Karriere vorankommt, kann seine Chancen akkumulieren und sich schneller von anderen absetzen (Beaufaÿs 2003). Gleiches gilt für Entscheidungen über die Förderungswürdigkeit von Forschungsanträgen oder die alltägliche Unterstützung und Betreuung des Nachwuchses: Wer sich bereits in jungen Jahren in der Wissenschaftsgemeinschaft profilieren kann, sein Engagement in langen Anwesenheits-
64
Geschlechtsspezifische Segregation im Wissenschaftssystem: Theoretische Erklärungsansätze
zeiten und vielen Veröffentlichungen zeigt, erscheint als vielversprechender Nachwuchs und daher förderwürdig (Beaufaÿs/Krais 2005: 85). Im Umkehrschluss erscheinen Personen mit einer weniger ausgeprägten Sichtbarkeit weniger ambitioniert. Ebenso gilt der Abschluss einzelner Qualifikationsphasen zu einem möglichst frühen biografischen Zeitpunkt als Indikator für Zielstrebigkeit und wissenschaftliches Engagement (von Stebut 2003: 66). Somit bestehen umfassende Anforderungen an erfolgreiche wissenschaftliche Laufbahnen. Diese sind jedoch nicht in konkreten Maßstäben oder Standards formalisiert, sondern werden relational durch die Leistungen der anderen bestimmt, was den bestehenden Konkurrenzdruck weiter erhöht (vgl. dazu z.B. Limbach 2007: 16 ff.). Dabei eignen sich die Vorstellungen und Anforderungen geradezu idealtypisch für das skizzierte Leitbild eines männlichen Wissenschaftlers, der sich uneingeschränkt der beruflichen Etablierung widmen kann und soll – und findet seine Entsprechung in teilweise mystifizierten, stereoptypisierten Denkmustern und Bewertungsschemata. Diese rekurrieren insbesondere auf die absolute Verfügbarkeit und Flexibilität (räumlich und zeitlich) der Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler, deren erforderliches unermüdliches Engagement, die unerlässliche und ständige Selbstpräsentation und Sichtbarkeit in der Wissenschaftsgemeinschaft und hierfür erforderlichen Leidenschaft und Leidensbereitschaft. Um sich Anerkennung und Konkurrenzvorteile zu verschaffen, kommt im Sinne des Prinzips publish or perish die Vorstellung hinzu, als Erster und in kürzester Zeit viele angesehene Publikationen vorweisen zu müssen (Krais 2000, von Stebut 2003). Hier verschwimmen die Grenzen zwischen notwendigen Sachzwängen und symbolischen Praktiken, bei denen es darum geht, „den Eindruck überzeugend aufrecht zu erhalten, dass Wissenschaft der wichtigste Lebensinhalt ist“ (Beaufaÿs/Krais 2005: 87). Spiegelbildlich zu den formalen Merkmalen ist die wissenschaftliche Tätigkeit damit als „Lebensform“ gedacht, wonach die gesamte Energie und Kraft in die Wissenschaft investiert wird, wie bereits Mittelstraß in seinen philosophischen Orientierungen in Wissenschaft und Universität dokumentiert (Mittelstraß 1982: 25 ff.). Parallel existierende Lebensbereiche werden durch diese „total lebensverschlingende Tätigkeit“ ausgeschlossen und Wissenschaft damit als Gegensatz zum familiären Lebensbereich konzipiert (Krais 2008: 188, Krais 2000). Dieses Leitbild wird zudem anhand des Olympus-Modells besonders eindrücklich beschrieben: „The dominant representation of the brilliant researcher is a young man, in solitude high on top of the Olympus, distanced from all everyday practices, glittering at the top of an esoteric scientific community“ (Brouns 2007: 39).59 59
Mittelstraß widmet sich in seinem Buch „Wissenschaft als Lebensform“ dem Thema, was die „Idee der Wissenschaft“ ausmacht (Mittelstraß 1982: 27). Dabei rechnet er Modalitäten der „gewissenhaften und zeitraubenden Nachdenklichkeit und forschenden Geschäftigkeit“, eben die Arbeits- und Verhaltensweisen der Wissenschaftsgemeinschaft, die ohne Murren Arbeitsbelastungen von 70 Wochenstunden aufweise, aus innerer Überzeugung lukrative Angebote von „außerhalb“ abweise, un-
Integration der Perspektiven durch Bourdieus Theorie der Praxis
65
Eine Konsequenz der Orientierung an dieser männlichen Normalwelt besteht in geschlechtsspezifisch unterschiedlichen Zuschreibungen potenzieller Investitionen in eine wissenschaftliche Laufbahn, damit verbundener Leistungserwartung und Leistungsfähigkeit (Lind 2006, Beaufaÿs/Krais 2005). Diese Zuschreibungsprozesse gehen auf die hohen Anforderungen, die eine Unvereinbarkeit von Wissenschaft und zumindest aktiver Elternschaft impliziere, zurück. Diese informellen Merkmale des wissenschaftlichen Feldes sind kaum weiter konkretisiert oder formalisiert, sondern werden den Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern vielmehr im wissenschaftlichen Alltag als spezifischer Berufsethos vermittelt und existieren als ungeschriebene Regeln – in den Worten Bourdieus – in deren Köpfen, in deren Habitus. Bereits Hochschild (1975) beschreibt diesen „Wissenschaftsmythos“ (Lind 2004: 11), der im Verhältnis zwischen Arbeit, Wettbewerb und Gratifikation zum Ausdruck komme, besonders eindrücklich: „Be confident, ambitious, and well-aimed. Don’t waste time. Get a good research topic early and find an important but kindly and nonprejudicial benefactor from whom you actually learn something. Most important, put your all into those crucial years after you get your doctorate – in your twenties and thirties – putting nothing else first then. Take your best job offer and do there no matter what your family or social situation. Publish your first book with a well-known publisher, and cross the land to a slightly better position, if it comes up. Extend your nowambitious self broadly and deeply into research, committee work, and editorships, to make your name in your late twenties and at the latest early thirties” (Hochschild 1975: 49).
Die geschilderten formalen und informellen Merkmale des wissenschaftlichen Feldes bedingen sich gegenseitig, greifen ineinander und stellen somit ein komplexes Gefüge an Anforderungen und Vorstellungen für eine wissenschaftliche Laufbahn her, die sich an „höchsten Qualifikationsanforderungen“, außerordentlichen Leistungen, Motivation und Leistungsbereitschaft orientieren, die weit über das Normale hinausgehen (Macha 2000: 152). So entsteht ein permanent hoher Leistungsdruck bei gleichzeitig wenig konkreten Bewertungskriterien. In Deutschland steht diesem Leitbild eines männlichen Wissenschaftlers aufgrund der bestehenden gesamtgesellschaftlichen Vorstellungen eine stark ausgeprägte Ideologie weiblicher Reproduktionsarbeit besonders kontrastreich gegenüber (vgl. Abschnitt 2.1.2). Damit erscheint „Familie als Konfigurationsinstitution für den männlichen Lebenslauf wie für den weiblichen Lebenslauf“, wobei eine gegenläufige Ungleichheit erzeugt werde. Während die Institution Familie in der männlichen Normalbiografie eine unproblematische Addition von Verfügbarkeitsansprüchen und Anforderungen erlaube, bedeute Familie im weiblichen Lebenslauf, dass Frauen „nicht monetarisierte, aber zeitbeanspruchende Arbeit leisten und ihre organisiert anmutende Arbeits-, Tages- und Nachtzeiten eben dieser Idee der Wissenschaft zu und nicht etwa der Unordentlichkeit oder übermäßigen Eitelkeit der Wissenschaftler und Wissenschaftlerinnen (Mittelstraß 1982: 27).
66
Geschlechtsspezifische Segregation im Wissenschaftssystem: Theoretische Erklärungsansätze
Möglichkeiten zur Teilhabe am Erwerbssystem eingeschränkt sind“ (Gottschall 2000: 270, von Stebut 2003). So werden Geschlechtsunterschiede in einem komplexen Wechselspiel aus Strukturen und Rollenerwartungen auf einer gesamtgesellschaftlichen Ebene und im Feld der Wissenschaft in der Weise produziert, dass Erwartungen und Ansprüche an Frauen in einem doppelten Sinn als komplementär zu denjenigen an Männer erscheinen. Demnach erscheinen Frauen besonders stark prädestiniert für Erziehungsarbeit und zugleich als wenig prädestiniert für wissenschaftliche Arbeit, während sich dies bei Männern umgekehrt verhält. Der Frage nach geschlechtsspezifischen Hürden im wissenschaftlichen Feld kommt vor dem Hintergrund der Exzellenzinitiative und damit verbundenen gleichstellungspolitischen Maßnahmen eine besondere Bedeutung zu. So rücken leistungsbezogene Faktoren noch stärker in den Mittelpunkt der Förderung von Wissenschaft, obwohl bereits die bisherigen Leistungsansprüche hohe Anforderungen an die Forschenden stellen. Der bestehende Konkurrenzdruck wird weiter erhöht, zeitliche und fachliche Anforderungen möglicherweise überhöht und damit das polarisierte Bild zwischen beruflicher und privater Lebenssphäre noch mehr zu einer lebensfaktischen Kluft verschärft. Gleichzeitig wird diese Kluft möglicherweise durch die gesamtgesellschaftlichen Beharrungstendenzen hinsichtlich Geschlechtsrollenerwartungen und die bisherigen Mängel in der Betreuungsinfrastruktur vergrößert. Zusätzlich gewinnt das häufig kritisierte Peer-Review (vgl. Abschnitte 2.2.2 und 5.1) und dennoch bestmögliche Verfahren zur Beurteilung wissenschaftlicher Leistung an Bedeutung. Schließlich entscheidet dieses nunmehr nicht nur über die Förderung von Einzelprojekten, sondern auch über das Schicksal von ganzen Forschungsinstitutionen. Somit werden Geld und Macht gemäß dem Olympus-Modell60 auf wenige exzellente Forschungsinstitutionen konzentriert. Für die geförderten Einrichtungen bietet sich damit die Gelegenheit zu herausragender Forschungsarbeit, gleichzeitig droht die Schere zwischen renommierten und weniger renommierten Institutionen größer zu werden, was wiederum eine Verschärfung des Matthäus-Effekts bewirken könnte. In diesem Zusammenhang rückt die Frage nach der adäquaten Messung wissenschaftlicher Leistungen erneut in den Mittelpunkt. So werden bestehende Barrieren für den wissenschaftlichen Nachwuchs weiter erhöht, was möglicherweise die Integration von Wissenschaftlerinnen erschwert. Andererseits ist die Gleichstellung der Geschlechter ein zentrales Kriterium der Exzellenzinitiative und sollte damit mit entscheidend für die Erlangung des Förderzuschlags sein. Wer sich um die Integration von Wissenschaftlerinnen glaubhaft bemüht, hat gute Karten für eine intensive Förderung der gesamten Institution. Somit könnten Wissenschaftlerinnen gerade von der Exzellenzinitiative durch die Schaffung neuer Stellen, Maßnahmen zur verbesserten Vereinbarkeit von Wissenschaft und Familie und dem Imagegewinn der geförderten Hochschule profitieren. 60
Vgl. z.B. Brouns 2007: 38 ff.
Untersuchungsziele und Forschungsdesign
67
2.4 Untersuchungsziele und Forschungsdesign Die Frage der mangelnden Partizipation von Frauen an der Wissenschaft wurde in den vergangenen Jahrzehnten aus unterschiedlichen Perspektiven analysiert, wobei zumeist einzelne Teilaspekte oder verkürzte theoretische Positionen aufgegriffen wurden. Wie die vorhergehenden Abschnitte gezeigt haben, ist das überproportional hohe Ausscheiden von Wissenschaftlerinnen kaum durch einzelne Faktoren erklärbar, sondern geht auf komplexe Mechanismen zurück, bei welchen objektive Faktoren und subjektive Wahrnehmungen ineinandergreifen. Im vorliegenden Dissertationsprojekt werden daher beide Perspektiven miteinander verbunden, indem objektive Faktoren und subjektive Wahrnehmungen und Orientierungen der Akteure im Zusammenhang mit den Strukturen des deutschen Wissenschaftssystems betrachtet werden. Die Untersuchung zielt auf die soziale Realität des wissenschaftlichen Alltags, die durch die Strukturen des Wissenschaftssystems und gesamtgesellschaftliche Bedingungen geprägt werden und sich – so die grundlegende Annahme – nachteilig auf den Verbleib von Frauen im Wissenschaftssystem auswirken, während dieser für Männer eher begünstigt wird. Die jeweiligen Strukturen stehen den Forschenden nach Bourdieu als objektive Bedingungen und Anforderungen gegenüber, welche Geschlechtsunterschiede bei der wissenschaftlichen Etablierung erst erzeugen, die Akkumulation von Nachteilen für Wissenschaftlerinnen begünstigen und fortschreiben. Die Merkmale des Wissenschaftssystems, die auf den Grundprinzipien der Selbstverwaltung und informellen Leistungszuschreibung basieren, dienen demzufolge als heuristische Grundlage der Studie (vgl. Abschnitt 2.3.2, Abbildung 2). Urteile über wissenschaftliche Leistung und Exzellenz sind hochkomplex und erfolgen weitgehend auf der Basis unspezifischer Merkmale, die sich an einem idealtypischen (männlichen) Leitbild eines herausragenden Wissenschaftlers orientieren. Als exzellent erscheinen demnach Personen, die sich bereits in jungen Jahren im Wissenschaftssystem etabliert haben, eine prestigereiche wissenschaftliche Herkunft, hohe Publikationsquoten, Karriereorientierung und Leistungsbereitschaft aufweisen, die ihrerseits hohe Zeitinvestitionen und Mobilitätsbereitschaft bei gleichzeitig verhältnismäßig bescheidenen finanziellen Mitteln implizieren. Zugleich kommt einer möglichst frühen Sichtbarkeit in der Wissenschaftsgemeinschaft und damit den sozialen Netzwerken ein hoher Stellenwert für eine erfolgreiche Etablierung zu. Diese intransparenten und informellen Entscheidungsprozesse sind anfällig für Mechanismen der Stereotypisierung und damit für Formen statistischer und echter Diskriminierung oder subtileren Formen, die sich im wissenschaftlichen Alltag als Akte symbolischer Gewalt manifestieren. Selbst bei der Anwendung des PeerReview-Verfahrens, das eine institutionalisierte Form zur Feststellung von Leistung darstellt und somit weniger anfällig für stereotypische Zuschreibungen sein dürfte,
68
Geschlechtsspezifische Segregation im Wissenschaftssystem: Theoretische Erklärungsansätze
sind Mechanismen der Diskriminierung nicht ausgeschlossen. Denn auch hier unterliegen Anwendung und Gewichtung einzelner Kriterien dem Ermessen der Gutachtenden (vgl. Abschnitt 2.2.2). Zusätzlich determinieren vorausgehende Leistungen und Reputation die Bedingungen für künftigen Erfolg.61 Hierdurch gewinnen frühe wissenschaftliche Erfolge an Bedeutung. Dies hat zur Folge, dass bereits ungleiche Startbedingungen bei der wissenschaftlichen Qualifizierung die Akkumulation objektiver und subjektiver Nach- bzw. Vorteile im weiteren Karriereverlauf begünstigen. Dies gilt gerade auf dem Weg zum exzellenten Forschenden, wo es besonders wichtig ist, sich bereits früh von anderen Forschenden abzusetzen. Solche Mehrfachbelastungen können die Kluft zwischen gleichermaßen begabten Männern und Frauen bei beruflichen Errungenschaften und Orientierungen im Zeitverlauf weiter verstärken. Doch durch die Strukturen des Wissenschaftssystems werden auch kurzfristig Unterschiede zwischen Männern und Frauen erzeugt. Beispielsweise könnten die Unterstützungsnetzwerke von Männern und Frauen unterschiedliche Ressourcen bereitstellen, die ihrerseits Geschlechtsunterschiede bei der wissenschaftlichen Etablierung begünstigen. Bei beiden Dimensionen ist die überproportionale Abwanderung von Frauen aus dem Wissenschaftssystem weniger als selbst gewählte Entscheidung, sondern vielmehr als Ergebnis (vorausgehender) objektiver und/ oder subjektiver Barrieren zu sehen. Diese stellen Mechanismen institutionalisierter Diskriminierung dar, denen vor dem Hintergrund der zunehmenden Forderung nach wissenschaftlicher Exzellenz und der drohenden Überhöhung von Leistungskriterien eine noch größere Bedeutung zukommt (vgl. Abschnitte 2.2.2, 2.3.2). Die Studie bindet ausgehend vom Ansatz kumulativer Benachteiligungen die allgemeine Diskussion um Prozesse der Selbst- und Fremdselektion beim Ausscheiden von Frauen aus dem Wissenschaftssystem in die Auseinandersetzung um die Förderung von „Exzellenz“ ein und untersucht geschlechtsspezifische Hürden im Qualifikationsverlauf des wissenschaftlichen Nachwuchses. Hierfür sind die folgenden Fragen grundlegend: Inwiefern bestehen im wissenschaftlichen Qualifikationsverlauf: 1) 2) 3)
61
Objektive Geschlechtsunterschiede bei Anforderungen an wissenschaftliche Laufbahnen (objektive Situation)? Subjektive Unterschiede in den Wahrnehmungen, Erfahrungen und Orientierungen an Anforderungen wissenschaftlicher Laufbahnen (subjektive Situation)? Hinweise auf Mechanismen, die bestehende Geschlechtsunterschiede weiter vergrößern (Verstärkungsdynamik) oder verkleinern (Ausgleichsdynamik)?
Zu diesem Prozess vgl. die Ausführungen zum Matthäus-Effekt in Abschnitt 2.2.2.
Untersuchungsziele und Forschungsdesign
69
Um diesen Fragen nachzugehen, werden systematische Vergleiche zwischen Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern vorgenommen.62 Die Untersuchung der Akkumulation von Chancen bzw. Nachteilen erfolgt anhand eines Querschnittdesigns, das drei Hürden auf dem Weg zum exzellenten Forschenden erfasst: (1) erste wissenschaftliche Etablierung während der Promotionsphase, (2) Vereinbarkeit von Wissenschaft und Familie in der Postdocphase, (3) Bewährung und weitere Etablierung in der Wissenschaftsgemeinschaft durch DFG-Forschungsstipendien. Um die Vergleichbarkeit zwischen Promotions- und Postdocphase zu erhöhen, wird für zwei Hürden bewusst dieselbe Institution berücksichtigt.63 Für die Untersuchung kumulativer Benachteiligungen bzw. Vorzüge liegt ein besonderes Augenmerk auf der Analyse von Mehrfachbelastungen und Mechanismen, die bestehende Geschlechtsunterschiede kurzfristig verstärken oder ausgleichen. Grundlegend stellt sich daher die Frage, bei welchen objektiven Faktoren und subjektiven Wahrnehmungen Geschlechtsunterschiede auftreten und welche Dynamiken diese für die Etablierung im Wissenschaftssystem erzeugen. Mehrfachbelastungen bestehen bei parallel verlaufenden Barrieren, die unabhängig von weiteren Merkmalen wie Karriereorientierung, Fachzugehörigkeit und Lebensalter bestehen. Diese werden auf ihre kurz- und langfristige Wirkung für die Etablierung im Wissenschaftssystem interpretiert. Verstärkungsdynamiken liegen vor, wenn die Schere zwischen Männern und Frauen durch geschlechtsspezifische Effekte einzelner Merkmale weiter auseinandergeht. Demzufolge werden bestehende Nachteile oder Vorteile für Frauen vergrößert. Ausgleichsdynamiken liegen vor, wenn sich die Schere zwischen Männern und Frauen durch geschlechtsspezifische Effekte einzelner Merkmale verringert. Hierdurch werden bestehende Vor- oder Nachteile ausgeglichen.64 Beide Dynamiken werden anhand der relativen Bedeutsamkeit bestimmter Merkmale für Männer und Frauen innerhalb der Teilprojekte betrachtet. Dies bedeutet, dass solche Dynamiken nicht auf die unterschiedliche Verteilung von Männern und Frauen auf diese Merkmale zu tun hat. Vielmehr werden diese durch die unterschiedliche Wirksamkeit dieser Merkmale für Männer und Frauen erzeugt.65 In den Teilprojekten werden schwerpunktmäßig diejenigen Faktoren be62 63 64 65
Zur Bezeichnung der Gesamtheit der jeweiligen Zielgruppen unabhängig vom Geschlecht werden geschlechtsneutrale Begriffe verwendet (z.B. Promovierende, Forschende). Mit „Wissenschaftler“ oder „Doktorand“ ist daher immer eine männliche Person gemeint. Die spezifischen Strukturen der Universität Konstanz werden in den jeweiligen Ergebniskapiteln angeführt. Zu erwähnen bleibt, dass solche Verstärkungs- und Ausgleichsmechanismen auch ohne bereits bestehende Geschlechtsunterschiede wirksam sind. Die Modellierung dieser Dynamiken erfolgt auf der Basis multivariater Regressionsmodelle. Anhand eines Modells, das sich auf die Gesamtheit der Befragten bezieht, werden Geschlechtsunterschiede bzw. Mehrfachbelastungen ersichtlich. Zwei weitere nach dem Geschlecht differenzierte Modelle offenbaren die relative Bedeutsamkeit einzelner Merkmale für Männer und Frauen, die für Verstärkungs- und Ausgleichsdynamiken grundlegend sind. Zusätzlich werden die Geschlechtsun-
70
Geschlechtsspezifische Segregation im Wissenschaftssystem: Theoretische Erklärungsansätze
rücksichtigt, die ausgehend von den Merkmalen und strukturalen Zwängen des Wissenschaftssystems und bisherigen Forschungsergebnissen in der jeweiligen Phase als besonders relevant erscheinen. Die Promotionsphase (Kapitel 3) ist zentral für eine erste Positionierung im Wissenschaftssystem. Gleichzeitig gilt diese als wesentlich für eine beginnende Abwendung der Frauen vom Wissenschaftssystem, wie gängige Forschungsbefunde und die hohen Verlustquoten während und nach dieser Qualifikationsstufe bestätigen.66 Das Hauptaugenmerk liegt auf den Promotionsbedingungen an der Universität Konstanz und ihren Auswirkungen auf Anzeichen für einen Promotionsabbruch (Unterbrechungen, Abbruchgedanken). Die Bandbreite möglicher Ursachen für einen Abbruch der Promotion ist groß. Daher ist das Teilprojekt vergleichsweise breit angelegt. Betrachtet werden Aspekte, die sich aus dem im Wissenschaftssystem vorherrschenden Verfügbarkeitsdenken, der Doppelung von Ausbildung und Beruf, der geringen Strukturiertheit dieser Qualifikationsphase und den hierarchischen Abhängigkeitsverhältnissen ergeben (vgl. Abschnitt 2.3.2). Als solche gelten im Wesentlichen zeitliche Beeinträchtigungen, die Betreuungssituation und sonstige, auch im Zusammenhang mit der privaten Lebenssphäre bestehende Belastungen, die durch die doppelte Sozialisation67 von Frauen geschlechtsspezifisch relevant sein können. Insbesondere gelten jedoch die tatsächlich erfahrene, erwünschte und subjektiv empfundene Betreuung durch die offizielle Betreuungsperson und die Arbeitsbelastung der Promovierenden als wesentliche Merkmale für einen objektiven Erfolg und das subjektive Erleben der Promotionssituation (vgl. auch Koch 1995). Beides scheint wesentlich bedingt durch die je nach Promotionsmodell68 unterschiedliche Einbindung der Promovierenden, die unterschiedliche Ressourcen für die Qualifizierung bereitstellt (vgl. Allmendinger et al. 2000, Berning/Falk 2006). Die Promotionsphase stellt über den erfolgreichen Abschluss dieser Qualifikationsstufe hinaus wichtige Weichen für eine wissenschaftliche Berufslaufbahn. Daher werden mit den wissenschaftlichen Erträgen und der sozialen Einbindung bzw.
66 67
68
terschiede in einzelnen Fachdisziplinen berechnet. Dies zeigt, ob in den Fachdisziplinen unterschiedliche Bedingungen für Männer und Frauen vorliegen, die unabhängig von der horizontalen Segregation bestehen und ihrerseits auf Verstärkungsdynamiken hinweisen. Weitere Hinweise zur Interpretation der Modelle finden sich unter „Auswertungsstrategie“ am Ende des Abschnitts. Vgl. Abbildung 1 und Abschnitt 2.2.2. Aufgrund des vorherrschenden Gesellschaftsbilds geschlechtlicher Arbeitsteilung erfolgt die Sozialisation von Frauen mit Blick auf ihre (künftige) Zuständigkeit im Familienbereich (vgl. Abschnitt 2.1.2). Durch die zunehmende Erwerbsorientierung erfolgt zusätzlich die Aneignung beruflicher Normen (im vorliegenden Fall der im Wissenschaftssystem vorherrschenden normativen Anforderungen und Leitbilder). Wegen der Bipolarität familiärer und beruflicher Normen sind Konflikte und innere Spannungen wahrscheinlich. Zum Konzept der „doppelten Sozialisation“ vgl. auch die Beiträge in Hoff 1990. Gemeint ist hier die institutionelle bzw. wissenschaftliche Verankerung der Promovierenden und nicht das Promotionsverfahren (z.B. Individualpromotion; Promotion in Graduiertenkollegs). Weitere Informationen finden sich in den Abschnitten 3.1 und 3.3.1.
Untersuchungsziele und Forschungsdesign
71
Sichtbarkeit der Promovierenden ferner zwei wesentliche Anforderungen des Systems an seinen Nachwuchs betrachtet. Das zweite Teilprojekt (Kapitel 4) beschäftigt sich mit dem Mythos der Unvereinbarkeit von Wissenschaft und Familie, der sich aus dem zentralen, nahezu hyperidealisierten Leitbild der Wissenschaft als Lebensform, die eine unermüdliche Hingabe, stets unter Beweis zu stellende Einsatzbereitschaft und absolute Verfügbarkeit voraussetzt, ableitet. Die hieraus resultierende Unvereinbarkeit mit privaten Lebenssphären und besonders dem familialen Lebensbereich wurde in der Debatte um die Unterrepräsentanz von Frauen in Führungspositionen als zentrale Barriere längst erkannt,69 und gerade im Zuge der Exzellenzinitiative wird die Verbesserung der Vereinbarkeit von Wissenschaft und Familie gefördert. Ein Bewusstsein für Schwierigkeiten erziehender Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler ist somit vorhanden, steht den mystisch überformten und faktischen Anforderungsstrukturen des Wissenschaftssystems möglicherweise jedoch nach wie vor konfligierend gegenüber. Die Phase nach der Promotion fällt häufig mit der Familiengründung zusammen. Gleichzeitig besteht in dieser Karrierephase ein besonders großer Leistungsdruck, geht es doch darum, die für eine Berufung auf eine Professur vorausgesetzten Leistungen zu erbringen, wodurch der Auslandserfahrung bzw. Mobilität, der Veröffentlichung von angesehenen Aufsätzen und der weiteren Erhöhung der Sichtbarkeit in der Wissenschaftsgemeinschaft ein besonderes Gewicht zukommt. Im zweiten Teilprojekt wird daher untersucht, inwiefern sich Eltern und kinderlose Forschende hinsichtlich objektiver und subjektiver Bedingungen unterscheiden und ob eine Familiengründung zu einer Verstärkung von Geschlechtsunterschieden beiträgt. Dabei steht die Organisation von Familie und Beruf im Mittelpunkt und wird im Hinblick auf die Chancen einer erfolgreichen Etablierung in der Wissenschaft diskutiert. Hierbei werden einerseits Frauen mit Männern und andererseits Eltern mit kinderlosen Wissenschaftlern verglichen und die spezifische Situation von Eltern anhand von zusätzlichen qualitativen Interviews detailliert dargestellt. Das dritte Teilprojekt (Kapitel 5) untersucht die Aussichten auf eine Förderung durch ein DFG-Forschungsstipendium und den Nutzen dieses Förderinstruments aus Sicht der Geförderten und nimmt somit die Bewährung des promovierten Nachwuchses im Wissenschaftssystem in den Blick. Ausgehend von den vorwiegend informellen Entscheidungsstrukturen, vagen Bewertungskriterien über wissenschaftliche Exzellenz und der hohen Bedeutsamkeit der wissenschaftlichen Herkunft werden ausgehend von der Antragsbeteiligung die Förderchancen von Frauen und Männern und damit Exzellenzzuschreibungen bei der und durch die Vergabe von Forschungsstipendien untersucht. Ein besonderes Augenmerk liegt dabei auf den Zusammenhängen zwischen dem Alter der Antragstellenden und den Förderentscheidungen. Werden junge Antragstellende als besonders talentiert und gar 69
Vgl. beispielsweise Wimbauer 1999, Metz-Göckel et al. 2009, KOM 2009.
72
Geschlechtsspezifische Segregation im Wissenschaftssystem: Theoretische Erklärungsansätze
exzellent erachtet, wie dies idealtypische Leistungskriterien vermuten ließen? Sind Geschlechtsunterschiede in den Bewilligungschancen hierdurch oder durch weitere Merkmale erklärbar? Neben dem Zugang zu DFG-Forschungsstipendien ist auch deren Nutzen für die weitere Etablierung im Wissenschaftssystem wichtig. Das Stipendium zielt auf die Förderung des exzellenten Nachwuchses und könnte gerade aufgrund der Möglichkeit zur Durchführung von Forschungsarbeiten im Ausland für die strategische Planung der weiteren wissenschaftlichen Laufbahn genutzt werden.70 Für Männer und Frauen unterschiedliche Erträge des DFG-Stipendiums würden geschlechtsspezifische Voraussetzungen für die weitere wissenschaftliche Berufslaufbahn darstellen. Zusätzlich könnten unterschiedliche Einstellungen von Männern und Frauen gegenüber dem Peer-Review-Verfahren der DFG auf Prozesse des cooling out von Frauen hinweisen. Auswertungsstrategie Die systematische Ermittlung von Geschlechtsunterschieden bei den jeweiligen Hürden respektive Teilprojekten erfolgt auf der Basis quantitativen und qualitativen Datenmaterials.71 Die quantitativen Daten werden nach einer ersten deskriptiven Darstellung der Geschlechtsunterschiede in der Regel multivariat analysiert.72 Die multivariate Analysestrategie folgt im Wesentlichen Ansätzen der Diskriminierungsforschung des Arbeitsmarktes, wonach Geschlechtsunterschiede auf den Einfluss weiterer Personen- und/oder Kontextmerkmale hin untersucht werden. Erst der verbleibende Effekt nach Kontrolle solcher Merkmale wird als reiner Geschlechtseffekt interpretiert und kann somit als Hinweis auf eine mögliche Diskriminierung verstanden werden.73 Dieses Vorgehen basiert demzufolge auf dem Prinzip der Drittvariablenkontrolle, bei dem überprüft wird, ob eine empirisch beobachtete Korrelation zwischen zwei Variablen (x, y) auch bei Konstanthaltung von dritten Variablen (z) stabil bleibt.74 Die Kontrolle solcher Merkmale erfolgt durch multiva70 71 72
73 74
Eine genaue Beschreibung des Förderinstruments erfolgt in Kapitel 5. Die jeweiligen Datengrundlagen werden bei den jeweiligen Teilprojekten näher beschrieben, Abschnitte 3.1, 4.1, 5.1. Multivariate Analysen erfolgen, wenn die deskriptiven Ergebnisse auffallende Geschlechtsunterschiede offenbaren. Andernfalls werden zumindest bei zentralen Faktoren, wie beispielsweise der Publikationsproduktivität, ebenfalls multivariate Auswertungen angestellt. Dies erscheint sinnvoll, da eigentlich vorhandene Geschlechtsunterschiede in bivariaten Analysen wegen unbeobachteter Zusammenhänge mit Drittvariablen auch verdeckt werden können. Dieses Vorgehen wird zumeist bei der Analyse geschlechtsspezifischer Lohnungleichheiten angewendet, vgl. beispielsweise (Holst/Busch 2009, Blau/Kahn 1996). Erläuterung zur Logik der Drittvariablenkontrolle: Im vorliegenden Fall stellt x das Geschlecht der Forschenden (unabhängige Variable), y eine Teilzeitbeschäftigung (abhängige Variable) und z eine Elternschaft (Drittvariable) mit den Ausprägungen z1 („nein“) und z2 („ja“) dar. Die Korrelation
Untersuchungsziele und Forschungsdesign
73
riate Regressionsmodelle (logistische bzw. lineare Regressionen). Demzufolge zeigen die Koeffizienten den jeweiligen partiellen Zusammenhang zwischen der jeweiligen Variablen (xi) und der abhängigen Variablen (y) unter Konstanthaltung der Drittvariablen (z1-i). Dabei zeigt der bei linearen Regressionen berichtete Koeffizient (Ƣ) an, um wie viele Einheiten sich y ändert, wenn sich x um eine Einheit erhöht und die Drittvariablen zi jeweils den Wert 0 annehmen. Bei logistischen Regressionen werden jeweils die Marginaleffekte bzw. discrete changes (für dichotome Variablen) berichtet, die als prozentuale Wahrscheinlichkeit für das Auftreten der abhängigen Variablen unter Kontrolle der übrigen Merkmale75 interpretiert werden können. Bei dichotomen Merkmalen wird jeweils angezeigt, um wie viele Prozentpunkte sich die Chancen einer Gruppe für das Auftreten von y im Vergleich zur Referenzgruppe verändern. Geschlechtsunterschiede bzw. -effekte werden demzufolge erfasst, indem die Änderung der prozentualen Wahrscheinlichkeit für das Auftreten von y angezeigt wird, wenn eine Frau anstatt eines Mannes betrachtet wird und die anderen Variablen jeweils konstant gehalten werden.76 Um Geschlechtsunterschiede und geschlechtsspezifische Dynamiken modellieren zu können, werden jeweils drei Modelle berechnet: Modell 1 bezieht sich auf Männer und Frauen insgesamt. Dieses Modell gibt wie beschrieben Aufschluss über bestehende Geschlechtsunterschiede bei Berücksichtigung weiterer Merkmale und liefert Hinweise auf mögliche Benachteiligungen von Frauen. Modell 2 bezieht sich ausschließlich auf Männer, Modell 3 ausschließlich auf Frauen. So können tendenzielle Interaktionseffekte zwischen dem Geschlecht und weiteren Merkmalen modelliert werden, da diese die partiellen Zusammenhänge zweier Variablen (bzw. Effekte von x auf y) jeweils nur für Frauen bzw. nur für Männer ausweisen.77 Dies erlaubt die Modellierung von kurzfristigen Verstärkungs- und Ausgleichsdynamiken. Eine Verstärkung bestehender Geschlechtsunterschiede (Modell 1) liegt vor, wenn sich die partiellen Effekte eines Merkmals für Männer (Modell 2) und Frauen (Modell 3) in der Weise unterscheiden, dass ein Vorteil bzw. Nachteil für Frauen im Gegensatz zu Männern begünstigt wird. Eine Verringerung bestehender Geschlechtsunter-
75 76 77
zwischen x und y wird durch den Koeffizienten c beschrieben. Bei der Drittvariablenkontrolle wird nun die Korrelation (c0) zwischen x (Geschlecht) und y (Teilzeitbeschäftigung) ohne die Beachtung von z (Elternschaft) mit den Korrelationen c1 und c2 zwischen x und y bei Betrachtung von jeweils einer Ausprägung von z (Elternschaft „ja“ bzw. „nein“) verglichen. Aus den Größenverhältnissen von c0, c1 und c2 zueinander wird ersichtlich, ob der Zusammenhang zwischen x und y durch z vollständig (c00 und c1, c2=0) oder partiell erklärt wird (c1>c0, c2>c0), eine Multikausalität (c1=c0, c2=c0) oder eine Interaktion zwischen x und z vorliegt (c1> oder < c0 oder c2 > oder > a0) (vgl. Diekmann 2007: 723 ff.). Für weitere Informationen zu multiplen Regressionsanalysen vgl. auch Schnell/Hill/Esser 2005, Hamilton 1992. Die kontrollierten Merkmale nehmen hier jeweils den Mittelwert (metrische Variablen), den Wert 0 (binäre Variablen) oder eine festgelegte Referenzkategorie an (kategoriale Variablen mit mehr als zwei Ausprägungen). Ein negatives Vorzeichen sagt demnach aus, dass y bei Frauen seltener auftritt als bei Männern. Beispielsweise könnte sich eine Elternschaft für Männer anders auswirken als für Frauen.
74
Geschlechtsspezifische Segregation im Wissenschaftssystem: Theoretische Erklärungsansätze
schiede (Modell 1) liegt vor, wenn sich die partiellen Effekte in der Weise unterscheiden, dass ein Vorteil bzw. Nachteil bei Frauen im Gegensatz zu Männern gehemmt wird. Um einer Überschätzung dieser Akkumulationsprozesse entgegenzuwirken, werden solche Dynamiken nur bei sehr deutlichen Unterschieden der partiellen Effekte aus den Modellen 2 und 3 angenommen.78 Die jeweils berücksichtigten Merkmale und deren Randverteilungen werden in den Abschnitten zu den drei Teilprojekten näher beschrieben (vgl. Abschnitte 3.1, 4.1, 5.1). Grundsätzlich werden – soweit dies die Daten zulassen – das Lebensalter der Befragten, die berufliche Aspiration und die Fachzugehörigkeit in den Modellen berücksichtigt. Mit dem Lebensalter kann ein aus den zeitlichen Ansprüchen des Wissenschaftssystems resultierendes Leistungskriterium berücksichtigt werden und bildet zudem die Erfahrung der Befragten im wissenschaftlichen Alltag ab. Die Bedeutung von Fachkulturen für die Qualifikationsphase ergibt sich bereits aus der bestehenden horizontalen Segregation und weiteren Befunden, die teilweise Geschlechtsunterschiede für bestimmte Fachdisziplinen belegen (vgl. beispielsweise Enders/Bornmann 2001). Daher werden zusätzlich die in den Fachdisziplinen bestehenden Geschlechtsunterschiede ausgewiesen.79 Durch die Kontrolle der beruflichen Aspiration wird ein Argument, das bei akteurzentrierten Ansätzen häufig der Legitimierung von Geschlechtsunterschieden dient, berücksichtigt.80 78
79 80
Von deutlichen Unterschieden wird ab einer Differenz der partiellen Effekte von zehn Prozentpunkten ausgegangen. Dass der Vergleich von Regressionsmodellen nicht unproblematisch sein kann, wurde jüngst für die Soziologie thematisiert. Problematisiert wurden hier Verzerrungen, die aus der unbeobachteten Heterogenität der Gruppen resultieren (Mood 2010). Für die vorliegende Studie sind die jeweiligen Dynamiken als Tendenzen zu verstehen. Unschärfen bei deren Interpretationen werden durch das genannte Vorgehen weitgehend ausgeräumt. Weiterhin lieferte eine stichprobenhafte Überprüfung der Ergebnisse durch die Berechnung der robusteren average partial effects kaum Abweichungen zu den bestehenden Ergebnissen, weswegen allenfalls von marginalen Verzerrungen auszugehen ist. Sollten sich die Bedingungen für Männer und Frauen unterscheiden und diese Unterschiede zugleich mit den einzelnen Fachdisziplinen auffallend variieren, ist von geschlechtsspezifischen Fachkulturen auszugehen. Bei allen Effekten werden Signifikanzen ausgewiesen; das Hauptaugenmerk richtet sich jedoch auf tendenzielle Geschlechtsunterschiede bei den Qualifikationsbedingungen der beiden Exzellenzeinrichtungen und nicht notwendigerweise auf die Verallgemeinerbarkeit der bestehenden Barrieren für die deutsche Wissenschaftslandschaft. Die Erforschung solcher allgemein bestehender Barrieren und Zusammenhänge wäre selbstverständlich wünschenswert, setzt jedoch eine für das deutsche Wissenschaftssystem repräsentative Stichprobe voraus. Da die Befragungsstichproben auf die Universität Konstanz bzw. ehemalige DFG-Stipendiatinnen und Stipendiaten begrenzt sind, liegen keine für das deutsche Wissenschaftssystem repräsentativen Stichproben vor. Daher ist die Übertragbarkeit der Ergebnisse auf die Grundgesamtheit kaum möglich und Signifikanztests daher höchstens für die Verallgemeinerung auf die beiden Exzellenzeinrichtungen aussagekräftig. Da Signifikanztests weder die Existenz von Effekten beweisen noch deren Stärke preisgeben, sondern ausschließlich Feststellungen über die Irrtumswahrscheinlichkeiten ermöglichen, sind die festgestellten Geschlechtsunterschiede dennoch aussagekräftig und interpretierbar (zur Interpretation von Signifikanztests vgl. beispielsweise Schnell/Hill/Esser 2005). Für die Analyse der Bewilligungschancen
Untersuchungsziele und Forschungsdesign
75
Das Problem der Kausalität Die Analyse von Kausalzusammenhängen, wie sie durch die geschilderten Regressionsverfahren zu geschlechtsspezifischen Hürden für Wissenschaftskarrieren erfolgen soll, ist – wie bei allen Querschnittsdaten – nicht unproblematisch. So kann nicht eindeutig festgestellt werden, ob sich die jeweiligen Arbeitsbedingungen beispielsweise aufgrund einer Elternschaft (unabhängige Variable) verändert haben oder ob bereits vor der Familiengründung unterschiedliche Arbeitsbedingungen bestanden haben. Aufgrund des vorliegenden Forschungsdesigns kann damit statistisch nicht geklärt werden, ob eine bestimmte Situation Ursache oder Wirkung der Familiengründung ist.81 Theoretisch sind die statistischen Befunde daher in zwei Richtungen interpretierbar: Situation Y1 (z.B. Teilzeitbeschäftigung) tritt bei Eltern (X1) häufiger auf als bei Kinderlosen (X2), weil (a) Eltern nach der Geburt des Kindes ihren Beschäftigungsumfang reduzieren oder (b) eine Teilzeitbeschäftigung eine Voraussetzung dafür darstellt, dass Forschende sich überhaupt für eine Familiengründung entscheiden. Im ersten Fall wird die Familiengründung als unabhängige Variable interpretiert, die eine teilzeitliche Erwerbstätigkeit (abhängige Variable) bewirkt; im zweiten Fall wird umgekehrt der Beschäftigungsumfang als unabhängige und der Familienstatus als abhängige Variable interpretiert.82 Daher muss die Kausalitätsrichtung wie auch der Einfluss potenzieller Drittvariablen theoretisch oder anhand bisheriger Forschungsbefunde bestimmt werden. Diese Festlegung der unabhängigen Variablen bzw. Kontrollvariablen erfolgt in den Abschnitten der Teilprojekte. In der Regel werden die berücksichtigten Variablen jedoch als unabhängige Variablen interpretiert, die eine Veränderung der jeweiligen Arbeitsbedingungen oder der Voraussetzungen des Wissenschaftssystems (abhängige Variable) bewirken. Im Blickpunkt stehen dabei der Geschlechtseffekt und die geschlechtsspezifischen partiellen Zusammenhänge zwischen der abhängigen und den unabhängigen Variablen.
81 82
und des Antragsverhaltens bei DFG-Forschungsstipendien sind Signifikanzen ohnehin nicht von Bedeutung, da es sich um prozessproduzierte Daten und damit um eine Vollerhebung für den Untersuchungszeitraum handelt. Hierfür wären Längsschnittdaten erforderlich, da nur so die eigentlich dynamischen Prozesse einer Kausalbeziehung adäquat abgebildet werden können. Für weitere Informationen zu der skizzierten Problematik vgl. beispielsweise Backhaus et al. 2006, Hodapp 1984, Hammann/Erichson 2000. Die Analyse wechselseitiger Kausalbeziehungen ist nur anhand komplexer ökonometrischer Modelle möglich. Für weitere Informationen zu solchen „interdependenten Systemen“ vgl. beispielsweise Schneeweiß 1990: 242 ff.
3
Promotionsphase: Qualifikationsbedingungen und Abbruchrisiken
Der erfolgreiche Abschluss einer Promotion gilt als grundlegender Schritt für eine Berufslaufbahn in der Wissenschaft. Während dieser Karrierestufe wird jedoch nicht nur der formale Grundstein für eine solche Laufbahn gelegt, sondern Gestaltung und Erleben der Promotionsphase gelten – durch die inhaltliche Profilierung und den Erwerb außerfachlicher Kenntnisse – als entscheidend für den weiteren Berufsweg. In den vergangenen Jahren ist die Doktorandenausbildung in Deutschland verstärkter Kritik ausgesetzt. Insbesondere durch die anhaltende Diskussion um Exzellenz führten das hierzulande zunehmende Alter des wissenschaftlichen Nachwuchses und die konstatierte Gefährdung der internationalen Wettbewerbsfähigkeit hinsichtlich Qualität und Attraktivität des (Aus-)Bildungsstandorts zu verstärkten Forderungen nach Reformen (vgl. z.B. Enders 2005, WR 2002). Stärker strukturierte Möglichkeiten bzw. Vorgaben sollen eine Beschleunigung der Doktorandenausbildung bewirken und die Konkurrenzfähigkeit der deutschen Universitäten stärken (WR 2002, 2007c). Neben dieser allgemeinen Debatte ist die Promotionsphase auch für das überproportionale Ausscheiden von Wissenschaftlerinnen aus dem Wissenschaftssystem von zentraler Bedeutung (vgl. Abbildung 1). Die Universität Konstanz, seit 2007 als eine von Deutschlands Eliteuniversitäten und bereits seit 2006 als familienfreundliche Hochschule ausgezeichnet, hat die chancengleiche Förderung des wissenschaftlichen Nachwuchses zu ihren Kernzielen erklärt. Deswegen sind ihr die bestehenden Promotionsbedingungen und die Identifikation möglicher geschlechtsspezifischer Hürden ein besonderes Anliegen. Im Bundesvergleich ist der Frauenanteil bei Promotionen an der Universität Konstanz für das Prüfungsjahr 2006/2007 jedoch als besonders niedrig ausgewiesen83 und auch die 2007 erfolgte zweite Fortschreibung des Hochschulrankings nach Gleichstellungsaspekten des Kompetenzzentrums Frauen in Wissenschaft und Forschung verortet die Universität Konstanz im Rahmen einer bundesweiten Untersuchung in der Schlussgruppe.84 83
84
In 2006/2007 beträgt der Frauenanteil an Promotionen an der Universität Konstanz 32,1 Prozent, bundesweit 40,8 Prozent. Erst für das folgende Prüfungsjahr nähern sich die Werte für Konstanz (39,7%) den bundesweiten Quoten (42,2%) an (Quellen: Prüfungsstatistik der Universität Konstanz; Statistisches Bundesamt). Zum methodischen Vorgehen und den einzelnen Ergebnissen der Studie vgl. CEWS 2007: 29/30, 4 ff.
I. Findeisen, Hürdenlauf zur Exzellenz, DOI 10.1007/978-3-531-93180-7_3, © VS Verlag für Sozialwissenschaften | Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH 2011
78
Promotionsphase: Qualifikationsbedingungen und Abbruchrisiken
Unklar ist jedoch, inwiefern dieser Befund mit den konkreten Promotionsbedingungen der hiesigen Universität und mit geschlechtsspezifischen Karriereorientierungen zu tun hat, die bewirken könnten, dass Doktorandinnen möglicherweise bereits seltener als Doktoranden eine Promotion aufnehmen (vgl. Abschnitt 2.1.2). Dieses Kapitel beschäftigt sich mit geschlechtsspezifischen Promotions- und Arbeitsbedingungen des Konstanzer Nachwuchses und den damit verbundenen Risiken einer Abwanderung aus der Wissenschaft. Ausgangspunkt bildet die Annahme, dass basierend auf den Strukturen des Wissenschaftssystems bereits während der Promotionsphase geschlechtsspezifische Barrieren bestehen, die Mechanismen der kumulativen Benachteiligung von Wissenschaftlerinnen in Gang setzen und Prozesse des cooling out begünstigen. Somit entstehen objektive und subjektive Unterschiede zwischen Männern und Frauen im Laufe von Erfahrungen im Wissenschaftsbetrieb und könnten mit Entmutigungen von Wissenschaftlerinnen und gar beruflichen Umorientierungen einhergehen (vgl. Abschnitte 2.1.2, 2.1.3). Die Hinweise auf Barrieren für Frauen in der Wissenschaft sind vielfältig: Einschlägige Studien weisen auf eine fortbestehende (antizipierte) Unvereinbarkeit von Wissenschaft und Familie, auf eine geringere und/oder weniger langfristig ausgerichtete Einbindung von Wissenschaftlerinnen in die scientific community, auf subtile Mechanismen der Ausgrenzung von Wissenschaftlerinnen aus sozialen Netzwerken bis hin zur Abwertung ihrer Leistung(-sfähigkeit) hin.85 Studien, die sich auf die Zielgruppe der Promovierenden konzentrieren, befassen sich oftmals mit Aspekten der Promotionsförderung und deren notwendige Reform hin zu strukturierten Programmen und Internationalisierung (Kirschbaum et al. 2005, Mummendey 1996, Senger 2003). Andere Untersuchungen konzentrieren sich auf die Promotionschancen in einzelnen Fachdisziplinen (Hauss 2006) oder Karrierechancen nach der Promotion (Enders/Bornmann 2001). Weitere Studien untersuchen die Situation von Promovierenden umfassend (Berning/Falk 2006, Enders 1996, Gerhardt et al. 2005), hinsichtlich ausgewählter Teilaspekte wie einzelne Fachdisziplinen oder Förderarten (DFG 2002, Enders/Bornmann 2001, Enders/Mugabushaka 2004, Matthes et al. 2006, Prommer et al. 2006, Harde/Streblow 2008). Einige dieser Arbeiten liefern zwar Hinweise auf Geschlechtsunterschiede während der Promotionsphase hinsichtlich Betreuung, Einbindung, Status und Befristung der Beschäftigungsverhältnisse (Berning/Falk 2006, DFG 2002, Gerhardt et al. 2005, Prommer et al. 2006, Wimbauer 1999). Unklar bleibt jedoch, ob sich diese systematisch auf das Gelingen der Promotion oder das (mögliche) Ausscheiden von Doktorandinnen aus dem Wissenschaftssystem auswirken.86 Doch gerade 85 86
Vgl. insbesondere die Abschnitte 2.2.2, 2.3.2. Die für diesen Beitrag wertvolle Studie von Enders und Bornmann (2001) berücksichtigt zwar das geschlechtsspezifische Auftreten von Unterbrechungen während der Promotion für verschiedene Fachdisziplinen, weitere Drittvariablen bleiben jedoch unberücksichtigt. Die Untersuchung des Abbruchrisikos bei Promotionen in der Psychologie und beachtet zwar die relative Bedeutsamkeit der
Promotionsphase: Qualifikationsbedingungen und Abbruchrisiken
79
die Erfahrungen während der Promotionsphase beeinflussen Entscheidungen für oder gegen die Fortsetzung einer wissenschaftlichen Laufbahn und den damit verbundenen Ansprüchen. Dabei gelten Schwierigkeiten, die Promotion zügig abzuschließen, die sich in Unterbrechungen oder auch Erwägungen eines Promotionsabbruchs äußern dürften, als starker Indikator für ein bevorstehendes Ausscheiden aus der Wissenschaft. Die Erfahrungen während der Promotion und der zügige Promotionserfolg werden maßgeblich durch die Arbeitsbelastung der Promovierenden und Prozesse der Anerkennung, Bestätigung und Wertschätzung geprägt. Diese wiederum können sich nach Fachzugehörigkeit und institutioneller Einbindung stark unterscheiden. Daher liegt ein besonderes Augenmerk auf Aspekten der fachlichen und sozialen Betreuung, der institutionellen Einbindung und den Arbeitsbelastungen der Promovierenden, die maßgeblich mit Anzeichen eines Promotionsabbruchs zu tun haben und Hinweise auf geschlechtsspezifische Barrieren liefern können. Die doppelte Sozialisation von Frauen (vgl. Abschnitt 2.4) und der in Partnerschaften häufige Karrierevorsprung von Männern legen jedoch auch geschlechtsspezifische Partnerschaftsdynamiken bei den Anzeichen für einen Abbruch der Promotion nahe. Daher fließen hier Informationen zu Erwerbstätigkeit und Karriereorientierung in Partnerschaften ein. Entscheidungen für oder gegen eine weitere wissenschaftliche Laufbahn und die Voraussetzungen für eine langfristige Etablierung in der Wissenschaft werden aber auch entscheidend von den bisherigen wissenschaftlichen Leistungen und der Sichtbarkeit dieser Leistungen und Leistungsträger in der Wissenschaftsgemeinschaft geprägt (vgl. Abschnitt 2.3.2). Um die Aussichten eines erfolgreichen Verbleibs in der Wissenschaft einschätzen zu können, sind demzufolge die bisherigen wissenschaftlichen Erträge und die soziale Einbindung in die Wissenschaft als wesentliches Kennzeichen für die fachöffentliche Sichtbarkeit der Promovierenden von Bedeutung. Die untersuchten Themen rekurrieren damit auf wesentliche Merkmale des Wissenschaftssystems, die den Rahmen zur Untersuchung geschlechtsspezifisch wirksamer Strukturen vorgeben (vgl. Abschnitte 2.3.2, 2.4.). Im Zentrum des Kapitels stehen drei Forschungsfragen, die hinsichtlich objektiver und subjektiver Aspekte am Beispiel der Universität Konstanz untersucht werden: 1) 2) 3)
Unterscheiden sich Promotionsbedingungen nach dem Geschlecht? Finden sich für Frauen häufiger Anzeichen für einen Promotionsabbruch als für Männer? Welche Zusammenhänge bestehen zwischen Promotionsbedingungen und Anzeichen für einen Promotionsabbruch? einzelnen Faktoren, weitere Drittvariablen werden hier jedoch ebenfalls nicht einbezogen (Harde/Streblow 2008).
80
Promotionsphase: Qualifikationsbedingungen und Abbruchrisiken
Abschnitt 3.1 stellt zunächst die Datengrundlage und das methodische Vorgehen des Teilprojekts dar. Anschließend erfolgen die Beschreibung der Befragten anhand sozialdemografischer und der in den multivariaten Analysen berücksichtigten Merkmale (Abschnitt 3.2). In Abschnitt 3.3 werden die objektiven Promotionsbedingungen der Befragten im universitären (Abschnitt 3.3.1) und dem privaten Umfeld (Abschnitt 3.3.2) betrachtet. Die bisherigen wissenschaftlichen Erträge bestimmen die Chancen für eine erfolgreiche Fortsetzung einer wissenschaftlichen Laufbahn über die Promotionsphase hinaus und werden in Abschnitt 3.3.3 erfasst. Die wesentlichen Befunde zu objektiven Promotionsbedingungen, Geschlechtsspezifika und Verstärkungs- bzw. Ausgleichsmechanismen werden in Abschnitt 3.3.4 zusammengefasst. Abschnitt 3.4 beschäftigt sich mit den subjektiven Wahrnehmungen und Erfahrungen der Promovierenden. Dabei werden zunächst ihre beruflichen Aspirationen zu Beginn der Promotionsphase näher untersucht (Abschnitt 3.4.1). Anschließend werden Barrieren im universitären (Abschnitt 3.4.2) und im privaten Umfeld (Abschnitt 3.4.3) betrachtet. Eine Zusammenfassung der wesentlichen Befunde zu den subjektiven Erfahrungen und Einstellungen werden in Abschnitt 3.4.4 noch einmal zusammengefasst. Anschließend erfolgt die Analyse von Anzeichen für einen Promotionsabbruch (bisherige Unterbrechungen, Abbruchgedanken), die wichtige Informationen zu den geschlechtsspezifischen Risiken, bereits während der Promotionsphase aus dem Wissenschaftssystem auszuscheiden, liefert. Hierbei werden Zusammenhänge mit der Promotionssituation erfasst und für Promovierende in Partnerschaften zusätzlich die Effekte von Erwerbsmerkmalen des Partners bzw. der Partnerin auf die Abbruchrisiken geprüft (Abschnitte 3.5.1 und 3.5.2). Die Ergebnisse werden abschließend in Abschnitt 3.5.3 resümiert. 3.1
Datengrundlage und methodisches Vorgehen
Die Daten zur Promotionssituation an der Universität Konstanz wurden im Sommer 2007 über eine Onlinebefragung erhoben.87 Zur Grundgesamtheit gehören alle Doktorandinnen und Doktoranden, die zu diesem Zeitpunkt an der Universität Konstanz promovierten oder ihre Promotion kurz zuvor abgeschlossen hatten (in der Regel während des Befragungszeitraums). Aufgrund der fehlenden Immatrikulationspflicht oder Anmeldung als Doktorand zu Beginn der Promotionsphase wurde das Vorhandensein mindestens eines Betreuers an der Universität Konstanz als Kriterium für den Doktorandenstatus festgelegt.88 Das Erhebungsinstrument wurde 87 88
Während der vierwöchigen Feldphase vom Juni 2007 bis Juli 2007 wurden drei Nachfassaktionen durchgeführt, die den Rücklauf wesentlich erhöhten. An dieser Stelle geht mein Dank an Dr. Nikolaus Zahnen für die Recherche und Bereitstellung der Kontaktdaten der Promovierenden, an Dr. Matthias Knapp, Marion Woelki (M.A.) und die Arbeitsgruppe um Prof. Dr. Thomas Hinz für die Unterstützung bei der Konstruktion des Erhe-
Datengrundlage und methodisches Vorgehen
81
in Anlehnung an erprobte Instrumente des Bayerischen Staatsinstituts für Hochschulforschung und Hochschulplanung und der Promovierenden Initiative Thesis e.V. entwickelt (Berning/Falk 2006, Gerhardt et al. 2005). Von den 798 online angeschriebenen Promovierenden waren 748 erreichbar. Davon verblieben 421 auswertbare Fragebögen, was einem Rücklauf von 56,3 Prozent entspricht. Bei den bi- und multivariaten Analysen werden jeweils Vergleiche zwischen Männern und Frauen angestellt. In multivariaten Modellen (vgl. Abschnitt 2.4) werden die Sektionszugehörigkeit89, die institutionelle Verankerung in der Wissenschaft, das Lebensalter und das angestrebte Berufsziel der Promovierenden kontrolliert. Ausgehend von bisherigen Forschungsbefunden erscheinen diese Merkmale neben dem Geschlecht als wichtige Einflussgrößen für die Promotionsbedingungen und Abbruchrisiken. Eine wissenschaftliche Verankerung wird aufgrund der engeren Betreuung, häufigeren und intensiveren Teilnahme an wissenschaftlichen Aktivitäten und des Kennenlernens der wissenschaftlichen Praxis als besonders günstig für einen Abschluss der Promotion angesehen. Des Weiteren wird angenommen, dass ein solches Promotionsmodell die soziale Einbindung in die Wissenschaft, die Publikationsproduktivität und damit die Sichtbarkeit in der Wissenschaftsgemeinschaft begünstigt, da die Ressourcen der Hochschule dann besonders gut genützt werden können (vgl. Allmendinger et al. 2000: 39 ff.). Das angestrebte Berufsziel gilt als Indikator für die Karriereorientierung der Promovierenden und prägt deren Motivation, Ansprüche und Einsatzbereitschaft für die Wissenschaft. Die Merkmale des Wissenschaftssystems legen außerdem nahe, dass sich Personen mit einem wissenschaftlichen Berufsziel bereits während der Promotionsphase um eine hohe fachöffentliche Sichtbarkeit bemühen. Da das Lebensalter häufig als Exzellenzkriterium angesehen wird, gilt dasselbe für besonders junge Promovierende (vgl. Abschnitt 2.3.2).90 Das Lebensalter der Promovierenden wird in den multivariaten Modellen als metrische Variable berücksichtigt. Zusätzlich wird der quadrierte Term in die Modelle aufgenommen.91 Die Bedeutsamkeit von wissenschaftlichen Disziplinen ergibt sich bereits aus der bestehenden horizontalen Segregation und wird durch die Ansätze zu Unterschieden in
89
90 91
bungsinstruments. Die Programmierung des Fragebogens erfolgte dankenswerterweise durch Elisa Szulganik. Die Universität Konstanz besteht aus drei Sektionen und 13 Fachbereichen. Unterschieden werden die Mathematisch-Naturwissenschaftliche Sektion mit den Fachbereichen Mathematik/Statistik, Informatik/Informationswissenschaft, Physik, Chemie, Biologie, Psychologie, die Geisteswissenschaftliche Sektion (Philosophie, Geschichte/Soziologie/Sport-/Erziehungswissenschaften, Literatur-/Kunst-/Medienwissenschaft, Sprachwissenschaft) und die Rechts-, Wirtschafts-, Verwaltungswissenschaftliche Sektion (Rechtswissenschaft, Wirtschaftswissenschaften, Politik-/Verwaltungswissenschaft). Die Bedeutung des Lebensalters und dessen genderrelevante Funktion wurde zudem bei Berufungsverfahren belegt und verdeutlicht die normative Vorstellung, dass junge Forschende die besseren sind (vgl. Färber 2008: 202 ff.). Der quadrierte Term erlaubt insbesondere Aussagen über Effekte der Erfahrung der Akteure.
82
Promotionsphase: Qualifikationsbedingungen und Abbruchrisiken
Fachdisziplinen bekräftigt (vgl. Abschnitt 2.2.1). Für Aspekte, die maßgeblich von der Promotionsdauer abhängig sein könnten – wie dies bei wissenschaftlichen Erträgen der Fall sein dürfte –, wird dieses Merkmal zusätzlich berücksichtigt. In einem zweiten Schritt werden Risiken eines Ausscheidens aus dem Wissenschaftssystem bereits während der Promotionsphase untersucht und analysiert, inwiefern vorhandene Geschlechtsunterschiede in den Promotionsbedingungen und Wahrnehmungen ein potenzielles Ausscheiden beeinflussen. Hierfür wird in sukzessiven multivariaten Logit-Modellen der Einfluss dieser Bedingungen auf bisherige Unterbrechungen und Abbruchgedanken ermittelt. Berücksichtigt werden neben Aspiration, wissenschaftlicher Verankerung, Lebensalter und Fachdisziplin Promotionsbedingungen, bei welchen auffallende Geschlechtsunterschiede zu verzeichnen sind. Der sukzessive Einbezug von Drittvariablen ermöglicht eine genaue Aussage über die Erklärungskraft der einzelnen Variablen für die Geschlechtsunterschiede bei Unterbrechungen bzw. Abbruchgedanken. Dieses Vorgehen erlaubt die Identifikation möglicher Stellschrauben zur Erhöhung der Promotionsquoten von Frauen. Ergänzend werden Informationen zu Partnerschaft und Erwerbsmerkmalen der Partner/-innen berücksichtigt, um auch normative geschlechtsrollenstereotypische Beeinträchtigungen erfassen zu können. Für alle Regressionsmodelle interessieren neben dem nach Kontrolle der jeweiligen Merkmale verbleibenden Geschlechtseffekt die partiellen Einflüsse der berücksichtigten Variablen für Doktorandinnen und Doktoranden. Gemäß der dargestellten Interpretationslogik werden die wissenschaftliche Verankerung und bei der Betreuungssituation auch das Lebensalter als unabhängige Variablen interpretiert.92 Ein besonderes Augenmerk liegt dabei auf der Erfassung möglicher Verstärkungsund Ausgleichsdynamiken, die durch diese Merkmale erzeugt werden.93 Aufgrund der hohen Relevanz von Fachkulturen für die Qualifikationsbedingungen von Männern und Frauen werden für alle multivariaten Analysen die Geschlechtsunterschiede in den drei Sektionen der Universität Konstanz berichtet. Dies erlaubt Aussagen über geschlechtsspezifische Fachkulturen und trägt somit zur Identifikation kumulierter Barrieren bei (vgl. Abschnitt 2.4).
92 93
Die Karriereorientierung zu Beginn der Promotion fungiert in erster Linie als Kontrollvariable. Interpretationen der wissenschaftlichen Aspirationen erscheinen lediglich im Hinblick auf Publikationsaktivitäten von Interesse. Von einem verstärkenden Mechanismus wird ausgegangen, wenn ein bestimmtes Merkmal (z.B. Verankerung) Barrieren bei Frauen besonders stark oder im Gegensatz zu Männern begünstigt und auch bereits unabhängig von den weiteren Merkmalen diese Barriere besteht. Zur Logik von Verstärkungs- und Ausgleichsdynamiken vgl. auch Abschnitt 2.4.
83
Profil der Befragten
3.2 Profil der Befragten Unter den befragten Promovierenden finden sich 205 Männer und 160 Frauen.94 Damit sind Doktoranden mit 56,2 Prozent deutlich häufiger vertreten als Doktorandinnen. Tabelle 1 gibt einen Überblick über soziodemografische Merkmale der Befragten. Diese gehören überwiegend der Naturwissenschaftlichen Sektion an. Dies gilt insbesondere für Doktoranden mit einem Anteil von 53,4 Prozent gegenüber 41,7 Prozent bei Doktorandinnen. Weiterhin gehören Doktoranden gegenüber Doktorandinnen besonders selten der Geisteswissenschaftlichen Sektion an. In die Rechts-/Wirtschafts-/Verwaltungswissenschaftliche Sektion entfallen jeweils etwa 28 Prozent der Doktorandinnen und Doktoranden. Die nicht tabellierte bisherige mittlere Promotionsdauer der Befragten unterscheidet sich nicht nach dem Geschlecht. Die Promovierenden begannen im Mittel vor 2,4 Jahren mit ersten Vorarbeiten für ihre Promotion, ein erstes Gespräch mit einem Hochschullehrer fand durchschnittlich bereits vor beinahe drei Jahren statt. Tabelle 1: Profil der Befragten Männer n % Sektionszugehörigkeit1 NW Sektion GW Sektion RWV Sektion Total Angestrebter akademischer Titel Dr. rer. nat. Dr. rer. soc. Dr. rer. pol. Dr. jur. Dr. phil. Total Geburtsland Deutschland Ausland Total2 Partnerschaft Ja Nein Total1
94
Frauen n %
Gesamt n %
109 39 56 204
53,4 19,1 27,5 100,0
65 47 44 156
41,7 30,1 28,2 100,0
174 86 100 360
48,3 23,9 27,8 100,0
107 23 24 16 34 204
52,5 11,3 11,8 7,8 16,7 100,0
62 16 15 18 45 156
39,7 10,3 9,6 11,5 28,8 100,0
169 39 39 34 79 360
46,9 10,8 10,8 9,4 21,9 100,0
177 28 205
86,3 13,7 100,0
120 40 160
75,0 25,0 100,0
297 68 365
81,4 18,6 100,0
130 75 205
63,4 36,6 100,0
110 48 158
69,6 30,4 100,0
240 123 363
66,1 33,9 100,0
Aufgrund fehlender Angaben zum Geschlecht reduziert sich die Fallzahl bei geschlechtervergleichenden Analysen auf 365.
84
Promotionsphase: Qualifikationsbedingungen und Abbruchrisiken
Tabelle 1: Profil der Befragten (Fortsetzung) Männer n % Gemeinsamer Haushalt Immer Zeitweise3 Nie Total Elternschaft Ja Nein Total (Weiterer) Kinderwunsch Ja Nein Weiß Nicht Total
n
Frauen %
Gesamt n %
67 53 8 128
52,3 41,4 6,3 100,0
52 42 15 109
47,7 38,5 13,8 100,0
119 95 23 237
50,2 40,1 9,7 100,0
21 179 200
10,5 89,5 100,0
20 139 159
12,6 87,4 100,0
41 318 359
11,4 88,6 100,0
141 21 40 202
69,8 10,4 19,8 100,0
117 17 24 158
74,1 10,8 15,2 100,0
258 38 64 360
71,7 10,6 17,8 100,0
Fragen: 1) Welchem Fach gehören Sie an? 2) Welchen akademischen Titel streben Sie an? 3) Ihr Geburtsland: 4) Leben Sie derzeit in einer festen Partnerschaft? 5) Leben Sie mit Ihrem Partner/Ihrer Partnerin in einem gemeinsamen Haushalt? (Antwortkategorien: „Immer“, „Zeitweise“, „Nur am Wochenende“, „Nur in den Ferien/im Urlaub“, „Nie“). 6) Haben Sie Kinder? 7) Wünschen Sie sich zukünftig (weitere) Kinder? 1 Die Zuordnung der Fächer auf Sektionsebene erfolgt nach der Systematik der Universität Konstanz. 2 Hier und nachfolgend können die Angaben bei Total aufgrund fehlender Angaben abweichen. 3 Unter „Zeitweise" werden die Kategorien „Zeitweise", „Nur am Wochenende", „Nur in den Ferien" zusammengefasst.
56,6 Prozent der Doktorandinnen und 48,8 Prozent der Doktoranden haben bereits mit der Anfertigung der Dissertation begonnen. Frauen arbeiten im Mittel bereits 1,9 Jahre an ihrer Dissertationsschrift, Männer seit 1,6 Jahren. Gleichzeitig sind Doktorandinnen mit einem Durchschnittsalter von 29,5 Jahren um ein Jahr jünger als Doktoranden (ebenfalls nicht tabelliert). Etwa ein Viertel der Doktorandinnen sind im Ausland geboren. Bei den befragten Doktoranden sind es lediglich etwa 14 Prozent. Die Angaben zur familiären Situation zeigen, dass Doktorandinnen mit etwa 70 Prozent häufiger in einer Partnerschaft leben als Doktoranden, jedoch etwas seltener ständig mit ihrem Partner zusammen in einem Haushalt leben. Des Weiteren haben etwa 13 Prozent der Doktorandinnen und elf Prozent der Doktoranden Kinder. Damit sind Männer unter den Promovierenden, die ständig mit ihrem Partner/ihrer Partner in einem gemeinsamen Haushalt leben, gegenüber Frauen deutlich überrepräsentiert (56,3%), während sie unter den Promovierenden mit Kindern mit 51,2 Prozent nur etwas stärker vertreten sind als Frauen. Des Weiteren wünschen sich etwa drei Viertel der Doktorandinnen und 69,8 Prozent der Doktoranden (weitere) Kinder.
Profil der Befragten
85
Die Information über eine wissenschaftliche Verankerung der Befragten wird aus der Beschäftigungssituation der Befragten gewonnen. Diese gibt Auskunft über den wissenschaftlichen Arbeitskontext der Promovierenden. In Anlehnung an die bundesweite THESIS-Doktorandenbefragung von 2004 promovieren Mitarbeiter an einem Lehrstuhl / einem Forschungsinstitut, Projektmitarbeiter und Mitglieder von Graduiertenkollegs innerhalb eines wissenschaftlichen Kontextes. Dahingegen werden Arbeitslose, nicht Erwerbstätige, extern Erwerbstätige und Stipendiaten/innen ohne Einbindung in ein Kolleg zu den Promovierenden ohne wissenschaftliche Verankerung gezählt (Gerhardt et al. 2005).95 Tabelle 2 zeigt, dass der Großteil der Promovierenden eine wissenschaftliche Verankerung aufweist. Dabei fällt der Anteil unter den Doktoranden mit 75,5 Prozent höher aus als bei Doktorandinnen (67,3%). Es ist davon auszugehen, dass Stipendiatinnen und Stipendiaten noch einen größeren Bezug zur Universität und zu universitären Praktiken aufweisen als externe Promovierende. Des Weiteren erlauben Stipendien zumeist eine hohe Konzentration auf die Promotion und bieten größere Handlungsspielräume als Modelle mit Verankerung oder bei externen Erwerbstätigkeiten. Differenziert man die Promovierenden ohne Verankerung daher zusätzlich nach externen Promovierenden (keine Mitarbeiter oder Stipendiaten) und freien Stipendiaten, lassen sich ebenfalls Unterschiede nach dem Geschlecht feststellen. Dabei liegen die Anteile unter den Doktorandinnen sowohl für Stipendiatinnen (12,7%) als auch für externe Promovierende (20,0%) über den Anteilen unter den Doktoranden (10,9 bzw. 13,5%). Promotionen mit wissenschaftlicher Verankerung unterscheiden sich außerdem in den drei Sektionen. Dabei weisen Promovierende der Naturwissenschaften am häufigsten eine wissenschaftliche Verankerung auf (86,2%). Dahinter folgen mit einem Anteil von mehr als zwei Dritteln die Promovierenden der Rechts-/Wirtschafts-/Verwaltungswissenschaften und mit einem vergleichsweise geringen Anteil von 45,0 Prozent die Promovierenden der Geisteswissenschaften. Die wissenschaftliche Verankerung wird in der oben beschriebenen Form als binäre Variable bei den multivariaten Analysen berücksichtigt. Die partiellen Effekte besagen dabei, ob sich die Promotionssituation bei vorhandener Verankerung gegenüber nicht vorhandener Verankerung (=Referenzkategorie) verändert. In einigen Fällen wird werden Promovierende ohne Verankerung zusätzlich in externe Promovierende und Promovierende auf Stipendien unterschieden. Betrachtet werden dann jeweils die Effekte von Stipendienmodellen und Modellen mit Verankerung gegenüber externen Promovierenden (=Referenzkategorie).
95
Von einer Verankerung wird ausgegangen, wenn mindestens eine der entsprechenden Kategorien genannt wird.
86
Promotionsphase: Qualifikationsbedingungen und Abbruchrisiken
Tabelle 2: Wissenschaftliche Verankerung und wissenschaftliches Karriereziel nach Geschlecht Männer n
Frauen %
n
Gesamt %
n
%
Wissenschaftliche Verankerung1 Ja Nein Total2
145 47 192
75,5 24,5 100,0
101 49 150
67,3 32,7 100,0
246 96 342
71,9 28,1 100,0
Wissenschaftskarriere angestrebt3 Ja Nein Total
84 120 204
41,2 58,8 100,0
69 88 157
43,9 56,1 100,0
153 208 361
42,4 57,6 100,0
Fragen: 1) Nun interessiert uns Ihre anfängliche und jetzige Beschäftigungssituation bzw. wie Sie die Phase Ihrer Promotion finanzieren! Welche der folgenden Aussagen beschreibt Ihre jetzige Situation am besten? (Antwortkategorien: Mitarbeiter/in an einem Lehrstuhl oder einem universitären Forschungsinstitut, Mitarbeiter/in an einem außeruniversitären Forschungsinstitut, Projektmitarbeiter/in (Beschäftigung im Rahmen eines Drittmittelprojekts), Mitglied eines Graduiertenkollegs, Stipendiat/in, aber ohne Einbindung in ein Kolleg (individuelle Förderung), Externe/r Doktorand/in (weder Mitarbeiter noch Stipendiat) und mit Bezug zum Dissertationsthema erwerbstätig, Externe/r Doktorand/in (weder Mitarbeiter noch Stipendiat) und ohne Bezug zum Dissertationsthema erwerbstätig, Externe/r Doktorand/in und arbeitslos gemeldet, Externe/r Doktorand/in und nicht erwerbstätig). 2) Welches berufliche Ziel strebten Sie zum Zeitpunkt der Entscheidung für die Promotion vorrangig an? (Antwortkategorien: Laufbahn als Hochschullehrer/in, Eine andere wissenschaftliche Tätigkeit, Eine nicht wissenschaftliche Tätigkeit, Ich hatte mich noch nicht entschieden, Sonstiges). 1 Die Zuordnung der Kategorien erfolgt in Anlehnung an THESIS. Demzufolge promovieren Mitarbeiter/innen an einem Lehrstuhl/Forschungsinstitut, Projektmitarbeiter/innen, Mitglieder von Graduiertenkollegs mit Verankerung; ohne wissenschaftliche Verankerung promovieren externe Doktoranden und Stipendiaten/innen ohne Einbindung in ein Kolleg. 2 Abweichungen ergeben sich durch fehlende Angaben. 3 Die Zuordnung der Kategorien setzt sich wie folgt zusammen: Wissenschaftskarriere angestrebt: „Laufbahn als Hochschullehrer“, „andere wissenschaftliche Tätigkeit“; keine Wissenschaftskarriere angestrebt: „nicht wissenschaftliche Tätigkeit“, „noch nicht entschieden“. Die Angaben unter „Sonstiges“ wurden vor der Kategorisierung den übrigen Antwortkategorien zugeordnet.
Das angestrebte Berufsziel gibt an, ob die Promovierenden eine wissenschaftliche oder aber eine andere Berufstätigkeit anstreben bzw. hinsichtlich ihres Berufsziels noch unentschlossen sind. Unter das Ziel einer wissenschaftlichen Tätigkeit fallen dabei eine Hochschullehrerlaufbahn und eine andere wissenschaftliche Tätigkeit; unter anderen Berufszielen werden Promovierende, die eine nicht wissenschaftliche oder sonstige Tätigkeit anstreben oder noch unentschlossen sind, subsumiert. Dieses Merkmal wird in den multivariaten Auswertungen als Kontrollvariable berücksichtigt (Referenzkategorie: nicht wissenschaftliches Berufsziel). Somit können Geschlechtsunterschiede, die auf eine unterschiedliche Karriereorientierung von Männern und Frauen zu Beginn der Promotion zurückgehen, eliminiert werden. Auf Basis der vier ursprünglichen Antwortkategorien zum angestrebten Berufsziel zeigen sich allenfalls geringe Unterschiede zwischen Männern und Frauen.
Objektive Faktoren und Zusammenhänge
87
Mit ungefähr 35 Prozent gibt der Großteil der Promovierenden an, sich hinsichtlich ihres Berufsziels noch nicht entschieden zu haben. Danach folgen mit Anteilen zwischen 22,4 bzw. 20,8 Prozent die Ziele einer nicht wissenschaftlichen, einer wissenschaftlichen Tätigkeit und einer Laufbahn als Hochschullehrer. Fasst man die Antworten für eine Hochschullehrerlaufbahn oder eine andere wissenschaftliche Tätigkeit zusammen, streben 43,9 Prozent der Doktorandinnen und 41,2 Prozent der Doktoranden eine wissenschaftliche Berufstätigkeit an. In den Sektionen bestehen ebenfalls erhebliche Unterschiede. So liegt bei mehr als der Hälfte der Promovierenden der Geisteswissenschaften (55,3%) eine wissenschaftliche Karriereorientierung vor, aber bei nur 47,0 Prozent der Promovierenden aus den Naturwissenschaften und 22,8 Prozent aus den Rechts-/Wirtschafts-/Verwaltungswissenschaften. Wissenschaftliche Verankerung und berufliche Aspirationen werden unter der Berücksichtigung der übrigen Kontrollvariablen in den Abschnitten 3.3.1 und 3.4.1 näher betrachtet. 3.3 Objektive Faktoren und Zusammenhänge Bevor die subjektiven Wahrnehmungen der Befragten näher betrachtet werden, folgt zunächst die Untersuchung der objektiven Promotionsbedingungen von Doktorandinnen und Doktoranden an der Universität Konstanz. 3.3.1 Situation im universitären Umfeld Finanzierung der Promotion Die Finanzierung der Promotionsphase ist für den Fortschritt der Promotion und im Hinblick auf die Erfahrungen im Wissenschaftssystem von Bedeutung. Zum einen bedeutet eine Promotionsstelle an einem Lehrstuhl oder in einem Drittmittelprojekt zumeist eine recht hohe finanzielle Planungssicherheit, da diese Stellen in der Regel auf drei Jahre befristet sind. Dahingegen ist die Laufzeit von Stipendien häufig auf ein bis zwei Jahre begrenzt und auch Hilfskraftstellen und Werkverträge sind meist mit kleineren Projekten und damit kürzeren Laufzeiten verbunden. Zum anderen bieten Lehrstuhl- und Projektstellen einen tieferen Einblick in die wissenschaftlichen Praktiken, geben oftmals bessere Möglichkeiten zum Aufbau wissenschaftlicher Kontakte auch über die eigene Universität hinaus, als dies über Stipendien oder Werkverträge geschehen könnte. Gleichzeitig sind diese Beschäftigungsformen jedoch mit hohen Arbeitsbelastungen verbunden, die sich eventuell negativ auf den Promotionsfortschritt auswirken könnten.
88
Promotionsphase: Qualifikationsbedingungen und Abbruchrisiken
Auf der Grundlage der Hauptfinanzierungsquellen der befragten Promovierenden wird daher betrachtet, ob Doktorandinnen und Doktoranden ihre Promotion mit unterschiedlichen Mitteln finanzieren (Abbildung 3). Dabei dominiert die Finanzierung durch eine Mitarbeiterstelle bei Doktorandinnen und Doktoranden mit deutlichem Abstand vor den übrigen Finanzierungsmöglichkeiten (38,8%). An zweiter Stelle steht das Promotionsstipendium (22,4%) knapp vor der Beschäftigung auf einer Drittmittelstelle (21,1%). Abbildung 3: Hauptfinanzierungsquelle nach Geschlecht (in Prozent mit Angabe der Prozentpunktdiff.) 50
-11,1
6,5
-1,2
3,2
40 30
Männer
20
Frauen
10 Erwerbstätigk. außerhalb Universität/Forschungseinrichtung
Drittmittelstelle
(Promotions-) Stipendium
Mitarbeiterstelle an Universität/ Forschungseinrichtung
0
Nur Gesamtanteile größer fünf Prozent. N Gesamt: 361; N Männer: 204; N Frauen: 157. Frage: Nennen Sie uns bitte Ihre drei wichtigsten Finanzierungsquellen während Ihrer Promotion. Sortieren Sie diese dabei nach ihrer Wichtigkeit, indem Sie ihnen Nummern zuordnen (1=„Hauptfinanzierungsquelle“, 2=„zweitwichtigste Finanzierungsquelle“, 3=„drittwichtigste Finanzierungsquelle“). Erfasste Finanzierungsquellen: Mitarbeiterstelle an einer Universität bzw. Forschungseinrichtung, Drittmittelstelle, Hilfskraftstelle bzw. Werkvertrag an einer Universität oder Forschungseinrichtung, (Promotions-)Stipendium, Selbstständigkeit/freiberufliche Tätigkeit, Arbeitslosengeld/Arbeitslosenhilfe, Sozialhilfe, Eigene Ersparnisse, Finanzielle Unterstützung durch Eltern, Finanzielle Unterstützung durch Partner/in, Sonstiges.
Während bei einer Beschäftigung auf einer Drittmittelstelle keine nennenswerten Geschlechtsunterschiede bestehen, finanzieren Doktorandinnen ihre Promotion deutlich häufiger durch ein Stipendium und seltener durch Mitarbeiterstellen als Doktoranden. Eine Erwerbstätigkeit außerhalb der Universität dient für etwa acht Prozent der Befragten als Hauptfinanzierungsquelle. Die übrigen Finanzierungsarten sind als Hauptfinanzierungsquelle nicht bedeutsam und werden von weniger als fünf Prozent der Befragten genannt.
89
Objektive Faktoren und Zusammenhänge
Die multivariate Betrachtung der Finanzierung durch eine Mitarbeiterstelle und ein Promotionsstipendium gibt Aufschluss, ob die festgestellten Geschlechtsunterschiede mit weiteren Merkmalen der Befragten zusammenhängen oder tatsächlich mit dem Geschlecht der Befragten zu tun haben (jeweils Modell 1). Zusätzlich werden in den Modellen 2 und 3 jeweils geschlechtsspezifische Effekte der berücksichtigten Merkmale erfasst.96 Tabelle 3 zeigt die anhand logistischer Regressionen berechneten Marginaleffekte (bzw. discrete changes für dichotome Variablen) für die Wahrscheinlichkeit, dass die überwiegende Finanzierung der Promotion (unter Kontrolle der übrigen Merkmale) durch eine Mitarbeiterstelle erfolgt. Modell 1 zeigt für das Geschlecht einen Wert von -0,0676. Dies bedeutet, dass Doktorandinnen ihre Promotion um 6,8 Prozentpunkte seltener als Doktoranden durch eine Mitarbeiterstelle finanzieren. Tabelle 3: Hauptfinanzierungsquelle nach Geschlecht: Mitarbeiterstelle (logistische Regressionen) (1) Gesamt Geschlecht (d) (1=Frau) Alter Alter2 Wissenschaftskarriere angestrebt (d) (1=ja) NW Sektion (d) RWV Sektion (d) Observations Pseudo R2
-0,068 0,078 -0,001 -0,040 0,379 *** 0,279 ** 353 0,079
(2) Männer 0,086 -0,001 -0,050 0,417 *** 0,295 * 200 0,080
(3) Frauen 0,051 -0,001 -0,021 0,329 ** 0,259 * 153 0,061
Marginal effects (d) for discrete change of dummy variable from 0 to 1; * p < 0,05, ** p < 0,01, *** p < 0,001. Referenzkategorie Sektionen: GW Sektion. Geschlechtseffekte je Sektion (Prozentpunktdifferenzen): GW Sektion: -1,5 (N=83); NW Sektion: -8,0 (N=172); RWV Sektion: -6,0 (N=98).
Der Rückgang des Geschlechtsunterschieds von ursprünglich etwa elf Prozentpunkten zuungunsten der Doktorandinnen erklärt sich größtenteils durch die Verteilung der Doktorandinnen und Doktoranden auf die Sektionen. Die Modelle 2 und 3 zeigen, dass für Männer und Frauen jeweils ähnliche Effekte bestehen: In der Rechts-/Wirtschafts-/Verwaltungswissenschaftlichen Sektion und insbesondere in der Naturwissenschaftlichen Sektion stellt eine Mitarbeiterstelle häufiger die Hauptfinanzierungsquelle dar als in der Geisteswissenschaftlichen Sektion. In der Legende von Tabelle 3 werden die Geschlechtsunterschiede für die Sektionen getrennt be96
Für weitere Informationen zu Vorgehen und Interpretationslogik bei multivariaten Analysen vgl. Abschnitte 2.4 und 3.1.
90
Promotionsphase: Qualifikationsbedingungen und Abbruchrisiken
richtet. Es zeigt sich, dass Frauen in allen drei Sektionen seltener eine Mitarbeiterstelle nützen als Männer, wobei die Unterschiede in den Sektionen gering sind. Es lässt sich folglich festhalten, dass Frauen die Möglichkeit zu dieser vergleichsweise sicheren Finanzierungsmöglichkeit generell und in allen Sektionen seltener nützen oder nützen können als Männer. Komplementär zur Mitarbeiterstelle sehen Doktorandinnen ein Promotionsstipendium auch unter Berücksichtigung des Alters, des Berufsziels und der Sektionszugehörigkeit um 3,9 Prozentpunkte häufiger als Hauptfinanzierungsquelle als Doktoranden (Tabelle 4). Wiederum tragen die berücksichtigten Merkmale zur Erklärung des ursprünglichen Geschlechtsunterschieds bei. Dabei hat das Promotionsstipendium in der Geisteswissenschaftlichen Sektion (ebenfalls komplementär zur Mitarbeiterstelle) ein größeres Gewicht als in den beiden anderen Sektionen. Die nach Sektionen getrennten Analysen offenbaren unterschiedliche Bedingungen für Männer und Frauen.97 So erfolgt die Finanzierung in den Rechts-/Wirtschafts/Verwaltungswissenschaften bei Frauen deutlich häufiger durch ein Stipendium als bei Männern, während in den beiden anderen Sektionen keine nennenswerten Geschlechtsunterschiede zu verzeichnen sind. Hinweise auf Verstärkungs- oder Ausgleichsmechanismen bestehen nicht. Tabelle 4: Hauptfinanzierungsquelle nach Geschlecht: Promotionsstipendium (logistische Regressionen) (1) Gesamt Geschlecht (d) (1=Frau) Alter Alter2 Wissenschaftskarriere angestrebt (d) (1=ja) NW Sektion (d) RWV Sektion (d) Observations Pseudo R2
0,039 0,002 0,000 0,076 -0,201 *** -0,149 ** 353 0,067
(2) Männer 0,006 0,000 0,074 -0,183 ** -0,159 ** 200 0,069
(3) Frauen 0,042 -0,001 0,065 -0,231 ** -0,145 153 0,065
Marginal effects (d) for discrete change of dummy variable from 0 to 1; * p < 0,05, ** p < 0,01, *** p < 0,001. Referenzkategorie Sektionen: GW Sektion. Geschlechtseffekte je Sektion (Prozentpunktdifferenzen): GW Sektion: 2,1 (N=83); NW Sektion: -1,7 (N=172); RWV Sektion: 10,0 (N=98).
97
Die Geschlechtsunterschiede, die sich bei den nach Sektionen getrennten Analysen ergeben, werden jeweils in den Legenden der multivariaten Modelle berichtet.
Objektive Faktoren und Zusammenhänge
91
Damit finanzieren Frauen ihre Promotion häufiger durch eine Möglichkeit, die eine von anderen Verpflichtungen unabhängige Arbeit an ihrem Dissertationsthema erlaubt, generell jedoch stärker zeitlich begrenzt ist, als dies bei Mitarbeiterstellen der Fall ist. Gleichzeitig ist die Finanzierungssituation mit unterschiedlichen Möglichkeiten der Einbindung in den wissenschaftlichen Alltag verknüpft, wobei bei Stipendien aufgrund der räumlichen Unabhängigkeit von einer geringeren Einbindung ausgegangen werden kann. Dieser Gedanke nachfolgend bei der institutionellen und sozialen Einbindung wieder aufgenommen. Auch die Anzahl der Finanzierungsquellen liefert einen Hinweis dafür, ob während der Promotionsphase finanzielle Unsicherheiten bestehen, die wiederum zu Belastungen führen könnten. Die meisten Promovierenden nützen drei verschiedene Quellen (42,9%).98 Dabei liegt der Anteil der Doktorandinnen mit 46,5 Prozent über dem der Doktoranden (40,2%). Umgekehrt nennen Doktoranden etwas häufiger zwei oder nur eine Finanzierungsquelle. Bundesweite Ergebnisse belegen die Finanzierung der Promotion durch mehrere, zumeist befristete Quellen zwar als Regelfall99, gleichwohl scheinen die Konstanzer Doktorandinnen häufiger von Finanzierungsengpässen betroffen zu sein, als dies bei den Doktoranden der Fall ist. Dennoch müssen häufigere Wechsel der Finanzierungsquellen nicht zwangsläufig mit Unsicherheiten oder finanziellen Engpässen einhergehen. Daher wurden die Promovierenden um die Angabe bereits aufgetretener Finanzierungsprobleme oder Unsicherheiten gebeten.100 Reale Finanzierungsprobleme sind bei etwa einem Fünftel der Promovierenden schon einmal aufgetreten (21,0%). Doktorandinnen hatten mit einem Anteil von 25,2 Prozent bereits häufiger solche Probleme als Doktoranden (17,8%). Mit der Ungewissheit über die Weiterfinanzierung der Promotion waren bisher mehr als ein Viertel aller Promovierenden konfrontiert (26,3%). Damit treten finanzielle Unsicherheiten häufiger auf als reale Finanzierungsengpässe. Gleichzeitig sind die Unterschiede zwischen Männern und Frauen größer: Doktorandinnen berichten um etwa elf Prozentpunkte häufiger finanzielle Unsicherheiten als Doktoranden.101 Die wissenschaftliche Verankerung, das Lebensalter, Berufsziel und die Sektionszugehörigkeit tragen nur teilweise zur Aufklärung des Geschlechtsunterschieds bei finanziellen Unsicherheiten bei. Dabei haben die horizontale Segregation der 98
Aufgrund der Nennung von maximal drei Finanzierungsquellen ist nicht auszuschließen, dass die tatsächliche Anzahl tendenziell unterschätzt wird. 99 Vgl. hierzu Röbbecke/Simon 2001: 43 ff. 100 Beide Aspekte wurden mit einer fünfstufigen Skala erfasst (von 1=“trifft überhaupt nicht zu“ bis 5=“trifft voll und ganz zu“). Frageformulierung und Items lauteten: Nachfolgend sind mögliche Schwierigkeiten aufgeführt, die sich auf das Voranschreiten der Arbeiten am Dissertationsprojekt auswirken können. Wie ist das bei Ihnen? Items: „Es gab Probleme mit der Finanzierung meiner Promotion“, „Es herrschte Ungewissheit über die Weiterfinanzierung meiner Promotion“. 101 Finanzielle Unsicherheiten werden von 32,5 Prozent der Doktorandinnen und 21,6 Prozent der Doktoranden angeführt. Dieser Geschlechtsunterschied ist zudem signifikant bei p