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Christian Kopetzki Grundriss des Unterbringungsrechts Zweite, aktualisierte und erweiterte Auflage SpringerPraxis&Recht
SpringerWienNewYork
Univ.-Prof. DDr. Christian Kopetzki Institut für Staats- und Verwaltungsrecht (Abteilung Medizinrecht) Universität Wien, Österreich
Das Werk ist urheberrechtlich geschützt. Die dadurch begründeten Rechte, insbesondere die der Übersetzung, des Nachdruckes, der Entnahme von Abbildungen, der Funksendung, der Wiedergabe auf photomechanischem oder ähnlichem Wege und der Speicherung in Datenverarbeitungsanlagen, bleiben, auch bei nur auszugsweiser Verwertung, vorbehalten. © 1995 und 2005 Springer-Verlag/Wien Printed in Germany SpringerWienNewYork ist ein Unternehmen von Springer Science + Business Media springer.at Produkthaftung: Sämtliche Angaben in diesem Fachbuch/wissenschaftlichen Werk erfolgen trotz sorgfältiger Bearbeitung und Kontrolle ohne Gewähr. Eine Haftung des Autors oder des Verlages aus dem Inhalt dieses Werkes ist ausgeschlossen. Satz: Reproduktionsfertige Vorlage des Autors Druck und Bindung: Strauss GmbH, 69509 Mörlenbach, Deutschland Gedruckt auf säurefreiem, chlorfrei gebleichtem Papier – TCF SPIN: 10980330
Bibliografische Information Der Deutschen Bibliothek Die Deutsche Bibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über abrufbar.
ISSN 1434-9051
ISBN-10 3-211-20801-1 SpringerWienNewYork ISBN-13 978-3-211-20801-4 SpringerWienNewYork ISBN 3-211-82756-0 1. Aufl. SpringerWienNewYork
Vorwort In den acht Jahren seit der Erstauflage des Grundrisses hat sich das Unterbringungsgesetz nur geringfügig, die Rechtsprechung jedoch stetig weiter entwickelt. Manche der in der Frühphase der Implementierung heftig diskutierten Streitfragen sind inzwischen durch die Judikatur der Höchstgerichte geklärt oder, wo dies nicht der Fall ist, zumindest in der Praxis einer vertretbaren Lösung zugeführt worden. Weitreichende Änderungen erfolgten im gesetzlichen Umfeld des UbG, insb durch die Außerstreitreform, die Erlassung des Heimaufenthaltsgesetzes sowie durch zahlreiche Neuerungen im Gesundheitsrecht mit zum Teil erheblichen Ausstrahlungswirkungen auf das Unterbringungsrecht. Die Erstauflage hat in der Rechtsprechung der Unterbringungsgerichte und des OGH eine erfreulich hohe Akzeptanz gefunden. Die Neuauflage hält daher an der bisherigen Struktur der Darstellung und der Zählung der Randziffern fest. Sie berücksichtigt in besonderem Maße die UbG-Novelle 1997 betreffend die sicherheitsbehördlichen Datenübermittlungen sowie die umfangreiche Judikatur der Rechtsmittelgerichte, die bis zum 1. Jänner 2005 – punktuell auch darüber hinaus – verwertet ist. Soweit es für die Vollziehung des UbG von unmittelbarer Bedeutung ist, werden auch die Auswirkungen des am 1. 7. 2005 in Kraft getretenen Heimaufenthaltsgesetzes sowie des seit 1. 1. 2005 geltenden neuen Außerstreitgesetzes einbezogen – freilich mit dem Bewusstsein, dass sich manche der künftig zu lösenden Rechtsfragen beim Zusammentreffen der Sonderbestimmungen des UbG mit den neuen allgemeinen Verfahrensregeln des AußStrG erst aus den Erfahrungen des Praxis stellen werden. Die Zielsetzung des Buches ist gleich geblieben: Es ist als Orientierungshilfe für Ärzte, Richter, Sicherheitsbehörden, Patienten und Patientenanwälte gedacht, die in der Berufsaus- und Fortbildung oder im praktischen Alltag mit der Anwendung und Auslegung des Unterbringungsrechts befasst sind und die ein kurzgefasstes Hilfsmittel für die Bewältigung der dabei auftretenden Rechtsfragen suchen. Auf ausführliche Literaturnachweise und wissenschaftliche Kontroversen wird daher weiterhin verzichtet. Für anhaltendes Interesse an der Neuaflage, sanftes Drängen und großzügige finanzielle Unterstützung der Drucklegung bin ich dem Bundesministerium für Justiz sowie dem Verein für Sachwalterschaft und Patientenanwaltschaft zu Dank verpflichtet. Das Buch wäre ohne die umsichtigen und akribischen Vorarbeiten sowie den aufmerksamen kritischen Blick meiner Assistentin, Frau Mag. Claudia Zeinhofer, nicht zustande gekommen. Auch ihr sei herzlich gedankt. Wien, im Juli 2005
CHRISTIAN KOPETZKI
Inhaltsverzeichnis Seite
Abkürzungsverzeichnis...................................................................................................... XII I. Teil: Grundlagen und Grundbegriffe ...............................................................................1 1. Einleitung.....................................................................................................................1 a) Gegenstand des Unterbringungsrechts.......................................................................1 b) Entwicklung des Unterbringungsrechts .....................................................................1 c) Rechtsquellen ...........................................................................................................2 aa) Gesetzliche Grundlagen......................................................................................2 bb) Verfassungsrechtliche Grundlagen.......................................................................3 cc) Anstaltsordnungen .............................................................................................3 dd) Erlässe................................................................................................................3 ee) Internationale Empfehlungen .............................................................................4 d) Auslegung.................................................................................................................4 e) Schrifttum ................................................................................................................5 f) Rechtsprechung ........................................................................................................7 2. Zielsetzungen und Grundsätze des Unterbringungsrechts..............................................7 a) Allgemeines ..............................................................................................................7 b) Der „besondere“ Schutz der Persönlichkeitsrechte (§ 1 UbG)....................................9 aa) Schutz der Persönlichkeitsrechte und der Menschenwürde (§ 1 Abs 1 UbG) .......9 bb) Die Bedeutung des § 1 Abs 2 UbG...................................................................10 3. Anwendungsbereich des UbG und der Begriff der Unterbringung...............................11 a) Allgemeines ............................................................................................................11 b) Bedeutung und Funktion des Unterbringungsbegriffs .............................................11 c) Einteilung der Unterbringung.................................................................................12 aa) Unterbringung ohne Verlangen und Unterbringung auf Verlangen ..................12 bb) Unterbringung im offenen oder im geschlossenen Bereich.................................13 cc) Unterbringung nach anderen Rechtsgrundlagen ...............................................13 dd) Nicht-untergebrachte Patienten ........................................................................13 d) Orte der Unterbringung: Anstalten und Abteilungen für Psychiatrie........................14 aa) Krankenanstalten .............................................................................................14 bb) Psychiatrische Anstalten bzw Abteilungen.........................................................15 cc) Sonstige Krankenanstalten................................................................................17 dd) Sonstige Anstalten und Heime..........................................................................18 e) Die einzelnen Merkmale des Unterbringungsbegriffs...............................................18 aa) „Anhaltung in einem geschlossenen Bereich“ ....................................................18 bb) Sonstige Beschränkungen der Bewegungsfreiheit...............................................20 f) Sonderprobleme bei Minderjährigen........................................................................23 4. Organisatorische Voraussetzungen für die Vollziehung des UbG .................................24 a) Errichtung geschlossener Bereiche ...........................................................................24 b) Sonstige Vorkehrungen zur Beschränkung der Bewegungsfreiheit ............................25 c) Sonstige Vorkehrungen zur Vollziehung des UbG....................................................25 d) Fachärztliche Leitung ..............................................................................................26 e) Anstaltsorgane ........................................................................................................27 f ) Patientenanwaltschaft..............................................................................................27 II. Teil: Materielle Unterbringungsvoraussetzungen..........................................................28 1. Allgemeines ................................................................................................................28 2. Psychische Krankheit ..................................................................................................29 a) Allgemeines ............................................................................................................29 b) Geistige Behinderung..............................................................................................30 c) Körperlich begründbare Psychosen..........................................................................31 d) Endogene Psychosen...............................................................................................32 e) Neurosen, Persönlichkeitsstörungen........................................................................32 f) Alkoholismus und Suchtkrankheiten.......................................................................33
VIII
Inhaltsverzeichnis
g) Suizidversuch..........................................................................................................34 h) Paranoia querulans..................................................................................................35 3. Gefährdung ................................................................................................................35 a) Allgemeines ............................................................................................................35 b) Schutzgut und Beeinträchtigungsintensität..............................................................36 aa) Rechtsgüter und Intensität des Schadens...........................................................36 bb) Gesundheitsgefährdung und Behandlungsbedürftigkeit ....................................38 cc) Behandlungsabbruch als Selbstgefährdung ........................................................40 c) Wahrscheinlichkeit .................................................................................................42 d) Der Zusammenhang zwischen Krankheit und Gefährdung......................................44 4. Subsidiarität und Verhältnismäßigkeit.........................................................................49 III. Teil: Unterbringung ohne Verlangen...........................................................................52 1. Allgemeines ................................................................................................................52 a) Begriff ....................................................................................................................52 b) Gliederung..............................................................................................................52 c) Erscheinungsformen ...............................................................................................53 d) Persönlicher Anwendungsbereich ............................................................................53 2. Die Verbringung in die Anstalt ...................................................................................54 a) Vorführung durch Organe des Sicherheitsdienstes...................................................54 aa) Rechtsgrundlagen.............................................................................................54 bb) Zuständigkeiten ...............................................................................................54 cc) Allgemeine Grundsätze.....................................................................................55 dd) Vorführung zum Arzt.......................................................................................56 ee) Ärztliche Untersuchung und Bescheinigung .....................................................58 ff) Vorführung in die Anstalt ohne ärztliche Bescheinigung ...................................61 gg) Rechtsschutz gegen die Vorführung zum Arzt bzw in die Anstalt ......................62 b) Sonstige Personen und Einrichtungen .....................................................................63 aa) Allgemeines......................................................................................................63 bb) Private..............................................................................................................63 cc) Rettungsdienste................................................................................................64 dd) Krankenanstalten, Heime .................................................................................65 ee) Sonstiges ..........................................................................................................66 c) Wiedereinbringung Flüchtiger ................................................................................66 d) Verwendung personenbezogener Daten ...................................................................67 3. Die Unterbringung in der Anstalt ...............................................................................69 a) Rechtsgrundlagen und Fallkonstellationen ..............................................................69 b) Zuständigkeit..........................................................................................................70 c) Aufnahmepflicht.....................................................................................................71 d) Verfahren bei der Unterbringung.............................................................................72 aa) Aufnahmeuntersuchung ...................................................................................72 bb) Verständigungs-, Informations- und Meldepflichten.........................................75 e) Rechtsschutz bei der Unterbringung in der Anstalt..................................................77 IV. Teil: Unterbringung auf Verlangen..............................................................................78 1. Allgemeines ................................................................................................................78 a) Begriff und Konzeption ..........................................................................................78 b) Erscheinungsformen, Abgrenzungen, Rechtsnatur ...................................................79 c) Materielle Voraussetzungen.....................................................................................80 2. Das Aufnahmeverlangen .............................................................................................80 a) Allgemeines ............................................................................................................80 b) „Verlangen“ ............................................................................................................81 c) Form ......................................................................................................................81 d) Zeitpunkt ...............................................................................................................82 e) Einsichts- und Urteilsfähigkeit ................................................................................83 f) Personen mit Sachwalter .........................................................................................84 g) Minderjährige .........................................................................................................85 h) Widerruf des Verlangens .........................................................................................86 3. Die Aufnahmeuntersuchung .......................................................................................87 4. Dauer der Unterbringung auf Verlangen.....................................................................88
Inhaltsverzeichnis
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5. Vollzug der Unterbringung auf Verlangen....................................................................89 6. Die Beendigung der Unterbringung auf Verlangen......................................................89 a) Aufhebung der Unterbringung................................................................................89 b) Umwandlung in eine Unterbringung ohne Verlangen .............................................90 7. Rechtsschutz...............................................................................................................92 a) Gerichtliche Kontrolle ............................................................................................92 b) Unabhängige Verwaltungssenate..............................................................................92 c) Patientenanwalt ......................................................................................................93 V. Teil: Gerichtliches Unterbringungsverfahren ................................................................94 1. Allgemeines ................................................................................................................94 a) Zuständigkeit..........................................................................................................94 aa) Örtliche Zuständigkeit .....................................................................................94 bb) Personelle Zuständigkeit...................................................................................95 cc) Sachliche Zuständigkeit....................................................................................95 b) Gliederung des Verfahrens ......................................................................................96 c) Umfang der Prüfungsbefugnis.................................................................................96 d) Grundsätze des Verfahrens......................................................................................98 2. Einleitung des Verfahrens .........................................................................................102 3. Erstanhörung............................................................................................................104 a) Zeitpunkt .............................................................................................................105 b) Anhörung .............................................................................................................106 c) Vorläufige Entscheidung über die Zulässigkeit ......................................................108 d) Der Rekurs des Abteilungsleiters und seine Wirkung.............................................110 e) Rekursverfahren....................................................................................................113 4. Ermittlungsverfahren ................................................................................................114 a) Der Sachverständigenbeweis..................................................................................115 b) Weitere Ermittlungen ...........................................................................................118 5. Mündliche Verhandlung...........................................................................................119 6. Beschluss über die Zulässigkeit der Unterbringung....................................................123 a) Allgemeines ..........................................................................................................123 b) Unterbringungsfrist ..............................................................................................124 c) Verkündung und Rechtswirkungen.......................................................................125 d) Zustellung ............................................................................................................126 7. Das Verfahren über die weitere Unterbringung .........................................................127 a) Verlängerung bis zu einem Jahr.............................................................................127 b) Verlängerung über ein Jahr ...................................................................................129 8. Neuerliches Verfahren vor Fristablauf gem § 31 UbG ...............................................130 9. Rechtsmittel .............................................................................................................131 a) Rekurs ..................................................................................................................131 b) Revisionsrekurs .....................................................................................................137 10. Verfahrenskosten ......................................................................................................140 VI. Teil: Patientenanwalt.................................................................................................141 1. Bestellung.................................................................................................................141 a) Allgemeines ..........................................................................................................142 b) Auswahl und Namhaftmachung der Patientenanwälte...........................................143 c) Information über die Bestellung............................................................................145 d) Enthebung............................................................................................................146 2. Beginn und Ende des Vertretungsverhältnisses ..........................................................147 3. Umfang der Vertretungsbefugnis (Wirkungskreis).....................................................148 a) Vertretung im Unterbringungsverfahren ...............................................................149 b) Wahrnehmung der Rechte nach §§ 33 bis 39 UbG...............................................150 c) Wahrnehmung sonstiger Rechte............................................................................151 d) Aufgaben außerhalb der Wahrnehmung von Rechten............................................152 4. Die Rechte und Pflichten des Patientenanwalts im einzelnen.....................................153 a) Rechte ..................................................................................................................153 b) Pflichten ...............................................................................................................155 c) Insb: Verschwiegenheitspflicht...............................................................................157 5. Das Verhältnis zum Patienten und zu Dritten...........................................................158
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Inhaltsverzeichnis a) Das Verhältnis zum Patienten ...............................................................................158 b) Das Verhältnis zur Krankenanstalt ........................................................................159 c) Das Verhältnis zum Gericht..................................................................................160 d) Das Verhältnis zum Verein ...................................................................................160 6. Die zusätzliche Bestellung eines Sachwalters..............................................................161 7. Selbstgewählte Vertretung und Erlöschen der Vertretungsbefugnis ............................162 8. Übergangsrecht.........................................................................................................166
VII. Teil: Vollzug der Unterbringung ..............................................................................168 1. Allgemeines ..............................................................................................................168 a) Rechtliche Rahmenbedingungen ...........................................................................168 b) Die innere Ordnung des Vollzugs der Unterbringung ............................................169 2. Beschränkungen der Bewegungsfreiheit.....................................................................171 a) Allgemeines ..........................................................................................................171 b) Zum Begriff der „Beschränkung“ der Bewegungsfreiheit........................................171 c) Materielle Voraussetzungen ...................................................................................173 d) Allgemeine Beschränkungen..................................................................................175 e) Weitergehende Beschränkungen ............................................................................176 3. Verkehr mit der Außenwelt .......................................................................................177 a) Schrift- und Postverkehr........................................................................................177 b) Besuchsempfang, Telefonieren...............................................................................178 c) Empfang von Nachrichten und Informationen......................................................179 d) Ausgang und Beurlaubung ....................................................................................179 aa) Ausgang .........................................................................................................179 bb) Beurlaubung ..................................................................................................180 4. Ärztliche Behandlung................................................................................................181 a) Das Behandlungsrecht des UbG und sein Anwendungsbereich..............................181 aa) Sachlicher Anwendungsbereich: Heilbehandlungen ........................................181 bb) Persönlicher Anwendungsbereich: untergebrachte Patienten............................182 b) Allgemeine Grundsätze für Heilbehandlungen.......................................................182 aa) Grundsätze und anerkannte Methoden der medizinischen Wissenschaft .........182 bb) Verhältnismäßigkeit........................................................................................183 cc) Ethikkommissionen........................................................................................185 dd) Freie Arztwahl?...............................................................................................186 c) Aufklärung............................................................................................................186 aa) Allgemeines....................................................................................................186 bb) Sinn und Zweck der ärztlichen Aufklärung .....................................................187 cc) Adressaten der Aufklärung..............................................................................187 dd) Aufklärungspflichtige Personen.......................................................................188 ee) Gegenstand und Umfang der Aufklärung........................................................188 ff) Form und Zeitpunkt der Aufklärung ..............................................................189 gg) Therapeutische Grenzen der Aufklärung.........................................................190 d) Einwilligung .........................................................................................................191 aa) Übersicht .......................................................................................................191 bb) Einsichts- und Urteilsfähigkeit........................................................................192 cc) Die „besondere“ Heilbehandlung ...................................................................194 dd) Einfache Heilbehandlung einsichtsfähiger Patienten .......................................197 ee) Einfache Heilbehandlung nicht einsichtsfähiger Patienten ..............................198 ff ) Besondere Heilbehandlung einsichts- und urteilsfähiger Patienten ..................200 gg) Besondere Heilbehandlung nicht einsichts- und urteilsfähiger Patienten..........200 hh) Behandlung bei Gefahr im Verzug ..................................................................200 ii) Schriftliche Patientenverfügungen, gewillkürte Stellvertretung ........................202 5. Grenzfälle der (Heil-)behandlung..............................................................................202 a) Versuche ...............................................................................................................203 aa) Heilversuche...................................................................................................203 bb) Klinische Prüfungen .......................................................................................203 cc) Wissenschaftliche Versuche ............................................................................203 b) Sterilisationen .......................................................................................................204 aa) Medizinisch indizierte Sterilisation .................................................................204 bb) Nicht medizinisch indizierte Sterilisation ........................................................205
Inhaltsverzeichnis
XI
c) Kastration.............................................................................................................205 d) Künstliche Ernährung...........................................................................................205 6. Wahlrecht.................................................................................................................206 a) Probleme der tatsächlichen Ausübung des Wahlrechts ...........................................206 b) Untersagung der Wahlrechtsausübung ..................................................................207 7. Dokumentationspflichten .........................................................................................207 a) Krankengeschichten..............................................................................................207 b) Aufzeichnungen nach UbG...................................................................................208 8. Informationsrechte und Informationsschranken ........................................................208 a) Geheimnisschutz...................................................................................................208 aa) Mitteilungen gegenüber Behörden..................................................................209 bb) Auskünfte gegenüber Versicherungsträgern .....................................................210 cc) Auskünfte gegenüber Angehörigen und Vertretern ..........................................211 dd) Auskünfte gegenüber Ärzten und nachbetreuenden Institutionen....................211 ee) Lehre..............................................................................................................211 b) Informationsrechte, insb Einsicht in die Krankengeschichte ..................................211 aa) Allgemeines....................................................................................................211 bb) Sachlicher Umfang und Grenzen des Einsichtsrechts.......................................212 cc) Zeitliche Grenzen...........................................................................................213 dd) Gegenstand des Einsichtsrechts.......................................................................213 ee) Zuständigkeiten, Verfahren und Kontrolle ......................................................213 ff ) Parallele Einsichts - und Auskunftsansprüche..................................................214 gg) Einsicht durch das Unterbringungsgericht ......................................................214 hh) Einsicht durch Vertreter des Kranken..............................................................214 ii) Sonstige Ausfolgungs- und Einsichtsrechte......................................................215 9. Kosten der Unterbringung ........................................................................................215 10. Rechtsschutz im Vollzug...........................................................................................216 a) Unterbringungsgericht ..........................................................................................216 aa) Überprüfung von Beschränkungen und Behandlungen ...................................218 bb) Genehmigung von besonderen Heilbehandlungen..........................................223 cc) Grenzen der gerichtlichen Kontrolle ...............................................................226 b) Verwaltungssenate ................................................................................................228 c) Amtshaftung.........................................................................................................229 d) Volksanwaltschaft .................................................................................................230 e) Patientenanwälte bzw Patientenvertreter nach Landesrecht....................................230 f) Zivil- und strafrechtliche Haftung.........................................................................231 g) Beschwerderecht innerhalb der Anstalt ..................................................................231 VIII. Teil: Aufhebung der Unterbringung .......................................................................232 1. Allgemeines ..............................................................................................................232 2. Aufhebung infolge gerichtlicher Entscheidung...........................................................233 a) Unzulässigkeitsbeschluss........................................................................................233 b) Ablauf der Unterbringungsfrist nach einem Zulässigkeitsbeschluss.........................234 3. Aufhebung auf Initiative des Abteilungsleiters ...........................................................235 4. Verständigung von der Aufhebung ............................................................................236 5. Die Aufhebung der Unterbringung auf Verlangen .....................................................236 IX. Teil: Abgrenzung von anderen freiheitsentziehenden Maßnahmen ...........................237 1. Sanitätsrecht .............................................................................................................237 2. Strafrecht..................................................................................................................237 a) Vorbeugende Maßnahme gem § 21 Abs 1 StGB....................................................238 b) Vorläufige Anhaltung gem § 429 Abs 4 StPO........................................................240 c) Einweisung von Untersuchungshäftlingen nach § 50 KAKuG ...............................241 d) Überstellung von Strafgefangenen nach § 71 StVG ...............................................242 aa) Allgemeines....................................................................................................242 bb) Sonderbestimmungen für die Überstellung in psychiatrische Anstalten oder Abteilungen gem § 71 Abs 3 StVG .........................................................243 3. Zivilrecht..................................................................................................................244 4. Heimaufenthaltsrecht ...............................................................................................245 Sachverzeichnis ................................................................................................................247
Abkürzungsverzeichnis Paragraphenangaben ohne Beisatz verweisen auf das UbG. Für weitere abgekürzt zitierte Literatur vgl Rz 11. AB ABGB abl aF AHG aM AMG Anm AnwBl Arg ÄrzteG ASVG AußStrG AußStrG aF AVG B-VG Barth/Engel Bd, Bde betrifft BG BGBl BGHZ bgl KAG BKA BlgNR BM BMAGS BMGF BMGK BMSG BMJ BPolDion BVB BVerfGE BVG ders dies DSG DSK DSM-III-R EB EFSlg EGMR EGVG EGZPO EMRK EntmO EuGRZ EvBl f(ff) Feil Feil/Marent FS
Ausschussbericht (wenn ohne Zusatz: AB 1202 BlgNR 17. GP) Allgemeines bürgerliches Gesetzbuch ablehnend, -e, -er alte Fassung Amtshaftungsgesetz anderer Meinung Arzneimittelgesetz Anmerkung Anwaltsblatt argumento (folgt aus) Ärztegesetz 1998 Allgemeines Sozialversicherungsgesetz Außerstreitgesetz (wenn ohne Zusatz: BGBl I 2003/111) (altes) Außerstreitgesetz, RGBl 1854/208 Allgemeines Verwaltungsverfahrensgesetz 1991 Bundes-Verfassungsgesetz Barth/Engel, Heimrecht (2004) Band, Bände „betrifft:“, Zeitschrift des Arbeitskreises Psychiatrie Salzburg Bundesgesetz; Bezirksgericht Bundesgesetzblatt Entscheidungen des (deutschen) Bundesgerichtshofs in Zivilsachen Burgenländisches Krankenanstaltengesetz 2000 Bundeskanzleramt Beilagen zu den Stenographischen Protokollen des Nationalrates Bundesminister, Bundesministerium Bundesministerium für Arbeit, Gesundheit und Soziales Bundesministerium für Gesundheit und Frauen Bundesministerium für Gesundheit und Konsumentenschutz Bundesministerium für soziale Sicherheit und Generationen Bundesministerium für Justiz Bundespolizeidirektion Bezirksverwaltungsbehörde Entscheidungen des (deutschen) Bundesverfassungsgerichts Bundesverfassungsgesetz derselbe dieselben Datenschutzgesetz 2000 Datenschutzkommission Diagnostic and Statistical Manual of Mental Disorders Erläuternde Bemerkungen Ehe- und familienrechtliche Entscheidungen [Nummer] Europäischer Gerichtshof für Menschenrechte (Straßburg) Einführungsgesetz zu den Verwaltungsverfahrensgesetzen 1991 Einführungsgesetz zur Zivilprozessordnung Europäische Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten samt Zusatzprotokoll Entmündigungsordnung Europäische Grundrechte-Zeitschrift Evidenzblatt der Rechtsmittelentscheidungen, in ÖJZ und der (die) folgende(n) 2 Feil, Sachwalterrecht und Unterbringungsgesetz (1998) Feil/Marent, Außerstreitgesetz. Kommentar (2004) [§, Rz] Festschrift
Abkürzungsverzeichnis Fucik/Kloiber FuR G GebAG gem psych GemZ Geo GOG GP hA HeimAufG Hg, hg Hopf/Aigner HVerG ICD idR ieS iSd iVm JABl JAP JBl KAG KAKuG KH KindRÄG 2001 Kopetzki Krimsoz Bibl krit KrSlg ktn KAO LG (Z) LGBl LNK Mayr/Fucik MKER MÖSV MPG mwN nö KAG NotO NRsp NRWO NZ ÖAV ÖÄZ OGH ÖGZ ÖJZ ÖJZ-LSK ÖKZ oö GemZ oö KAG PersFrG R&P RAO RdM Rec Res RGBl RLV RPflG RPflSlgA
XIII
Fucik/Kloiber, Außerstreitgesetz. Kurzkommentar (2005) [§, Rz] Familie und Recht Gesetz, -e, -es, -en Gebührenanspruchsgesetz gemeindenahe psychiatrie Österreichische Gemeinde-Zeitung Geschäftsordnung für die Gerichte I. und II. Instanz Gerichtsorganisationsgesetz Gesetzgebungsperiode herrschende Ansicht Heimaufenthaltsgesetz Herausgeber; herausgegeben Hopf/Aigner, Unterbringungsgesetz (1993) [§, Anm] Heimvertragsgesetz International Classification of Diseases in der Regel im engeren (eigentlichen) Sinn im Sinne des in Verbindung mit Amtsblatt der österreichischen Justizverwaltung Juristische Ausbildung und Praxisvorbereitung Juristische Blätter (Bundes-)Krankenanstaltengsetz (aF) Krankenanstalten- und Kuranstaltengesetz Krankenhaus Kindschaftsrechts-Änderungsgesetz 2001, BGBl I 2000/135 Kopetzki, Unterbringungsrecht (1995) [Band, Seite] Kriminalsoziologische Bibliografie kritisch, -e, -er Sammlung von Entscheidungen in Krankenanstaltenfragen (in Radner / Haslinger /Reinberg, Krankenanstaltenrecht) Kärntner Krankenanstaltenordnung 1999 Landesgesetz; Landesgericht (für Zivilrechtssachen) Landesgesetzblatt Landesnervenklinik Mayr/Fucik, Das neue Verfahren außer Streitsachen2 (2005) Ministerkomitee des Europarates Mitteilungen der österreichischen Sanitätsverwaltung Medizinproduktegesetz mit weiteren Nachweisen Niederösterreichisches Krankenanstaltengesetz Notariatsordnung Neue Rechtsprechung des OGH (in ÖJZ) Nationalrats-Wahlordnung 1992 Österreichische Notariats-Zeitung Der Österreichische Amtsvormund Österreichische Ärztezeitung Oberster Gerichtshof Österreichische Gemeindezeitung Österreichische Juristen-Zeitung ÖJZ-Leitsatzkartei Österreichische Krankenhaus-Zeitung Oberösterreichische Gemeindezeitung Oberösterreichisches Krankenanstaltengesetz 1997 Bundesverfassungsgesetz über den Schutz der persönlichen Freiheit Recht und Psychiatrie Rechtsanwaltsordnung Recht der Medizin Recommendation Resolution Reichsgesetzblatt Richtlinien-Verordnung Rechtspflegergesetz Sammelmappe für die Rechtspfleger-Besprechungen
XIV Rsp RV RZ Rz s S-KAG SMG sog SPG StGB (stm) KALG StPO StProtBR StProtNR StVG SZ tir KAG ua, uam UbG UG UVS V vbg SpitalG VersVG VfGH VfSlg VSPAG VStG VwGH VwSlg Wbl WK WMW wr KAG ZfV ZfVB ZfVBDat ZÖR ZPO ZStW zust ZUV
Abkürzungsverzeichnis Rechtsprechung Regierungsvorlage (wenn ohne Zusatz: RV 464 BlgNR 17. GP) Österreichische Richterzeitung Randziffer siehe Salzburger Krankenanstaltengesetz 2000 Suchtmittelgesetz sogenannte, er Sicherheitspolizeigesetz Strafgesetzbuch Steiermärkisches Krankenanstaltengesetz 1999 Strafprozessordnung 1975 Stenographische Protokolle des Bundesrates Stenographische Protokolle des Nationalrates Strafvollzugsgesetz Entscheidungen des OGH in Zivil- (und Justizverwaltungs)sachen Tiroler Krankenanstaltengesetz und andere(s), und andere(s) mehr Unterbringungsgesetz Universitätsgesetz 2002 Unabhängiger Verwaltungssenat Verordnung Vorarlberger Spitalgesetz Versicherungsvertragsgesetz 1958 Verfassungsgerichtshof Sammlung der Erkenntnisse und wichtigsten Beschlüsse des VfGH Vereinssachwalter- und Patientenanwaltsgesetz Verwaltungsstrafgesetz 1991 Verwaltungsgerichtshof Erkenntnisse und Beschlüsse des Verwaltungsgerichtshofes Wirtschaftsrechtliche Blätter Foregger/Nowakowski (Hg), Wiener Kommentar zum Strafgesetzbuch (1979 ff); 2. Auflage hg von Höpfel/Ratz (1999 ff ) Wiener medizinische Wochenschrift Wiener Krankenanstaltengesetz Zeitschrift für Verwaltung Die administrativrechtlichen Entscheidungen des VwGH und die verwaltungsrechtlich relevanten Entscheidungen des VfGH in lückenloser Folge (Beilage zur Zeitschrift für Verwaltung) Ausgewählte Beschlüsse der Datenschutzkommission und des Datenschutzrates in chronologischer Folge (Beilage zur Zeitschrift für Verwaltung) Zeitschrift für öffentliches Recht Zivilprozessordnung Zeitschrift für die gesamte Strafrechtswissenschaft zustimmend, -e, -er Zeitschrift der unabhängigen Verwaltungssenate
Erster Teil
Grundlagen und Grundbegriffe 1. Einleitung a) Gegenstand des Unterbringungsrechts Gegenstand des Unterbringungsrechts ieS ist die mit Freiheitsentzug verbundene psychiatrische Anstaltspflege aufgrund des UbG. Es regelt die Aufnahme und den Aufenthalt psychisch Kranker in Krankenanstalten und Abteilungen für Psychiatrie, soweit die Patienten hiebei Beschränkungen in ihrer Bewegungsfreiheit unterworfen werden. Diese Rechtsverhältnisse fasst das UbG unter dem Legalbegriff der „Unterbringung“ zusammen. Diese ist nach § 2 UbG dadurch definiert, dass Personen in psychiatrischen Anstalten bzw Abteilungen in geschlossenen Bereichen angehalten oder sonst Beschränkungen ihrer Bewegungsfreiheit unterworfen werden.
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1. Der spezifische Unterbringungsbegriff des UbG (näher Rz 41 ff ) umfasst daher nicht alle stationären Aufnahmen in psychiatrischen Einrichtungen, sondern nur solche, die mit Freiheitsentzug verbunden sind. Diese Terminologie weicht vom Sprachgebrauch des Krankenanstalten- und Sozialversicherungsrechts ab, der mit einer „Unterbringung“ alle stationären Anstaltsaufenthalte bezeichnet. 2. Bei der Unterbringung nach dem UbG handelt es sich um ein öffentlichrechtliches Rechtsverhältnis der hoheitlichen Verwaltung (des Bundes), das allerdings – untypischerweise – der Kontrolle im Justizweg durch die ordentlichen Gerichte unterliegt. Systematisch gehört das Unterbringungsrecht zum Verwaltungsrecht bzw – soweit eine Vollziehung durch Gerichte vorgesehen ist – zum Justiz(verfahrens)recht. Näher Kopetzki I 161 ff, insb 203 ff. 3. Neben der verwaltungsrechtlichen Unterbringung aufgrund des UbG (Unterbringung im engeren Sinn) gibt es eine freiheitsentziehende Unterbringung in psychiatrischen Einrichtungen auch aufgrund strafrechtlicher Vorschriften: a) vorbeugende Maßnahme bei zurechnungsunfähigen geisteskranken Rechtsbrechern gem § 21 Abs 1 StGB iVm § 158 Abs 4, § 167a StVG; b) vorläufige Anhaltung gem § 429 Abs 4 StPO; c) Überstellung von Strafgefangenen gem § 71 StVG; d) Anhaltung von Untersuchungshäftlingen gem § 50 KAKuG. Sie bilden gemeinsam mit der Unterbringung iSd UbG das Unterbringungsrecht im weiteren Sinn. Ausnahmeweise kommt auch eine Unterbringung nach sanitätspolizeilichen Normen in Betracht. Eine zivilrechtliche Unterbringung in psychiatrischen Anstalten nach § 282 ABGB gibt es nicht mehr. Zur Abgrenzung dieser Unterbringungen vom UbG vgl den IX. Teil.
b) Entwicklung des Unterbringungsrechts Das UbG trifft eine umfassende Neuregelung jenes Rechtsgebietes, das in Österreich traditionellerweise als Anhaltungsrecht bezeichnet wurde und dessen Grundlagen bisher über mehrere, aus verschiedenen historischen Epochen stammende Vorschriften verstreut war. 1. Zur historischen Entwicklung vgl Kopetzki I 22 ff. Mehr oder weniger umfassende Regelungen bestehen seit Ende des 18. Jahrhunderts. Schwerpunkt waren zunächst die administrativrechtlichen Anstaltsstatuten einzelner Irrenanstalten sowie diverse Erlässe und Dekrete. Die erste überregionale und ansatzweise systematische Regelung der zwangsweisen Aufnahme von „Geisteskranken“ in psychiatrischen Anstalten erfolgte durch die Verordnung des k.k. Ministeriums des Inneren im Einvernehmen mit dem k.k. Justizministerium vom 14. 5.
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I. Teil: Grundlagen und Grundbegriffe
1874, RGBl 71 (idF RGBl 1878/87), „mit welcher Bestimmungen in Betreff des Irrenwesens erlassen werden“. Sie regelte allerdings im Wesentlichen nur den Aufnahmevorgang in Privatanstalten. Durch die Entmündigungsordnung 1916, RGBl 207 (§§ 16 ff), wurde unter Beibehaltung der bisherigen verwaltungsrechtlichen Grundlagen ein gerichtliches Kontrollverfahren bei Aufnahmen in „geschlossene Anstalten“ geschaffen; im selben Jahr erging eine Verordnung über die Anzeigepflicht (RGBl 1916/269). Diese Regelung des „Anhalteverfahrens“ blieb auch nach dem Ersatz des Entmündigungs- durch das Sachwalterrecht (1983) in Kraft. Nur die verwaltungsrechtlichen Bestimmungen über Aufnahme, Aufenthalt und Entlassung von Geisteskranken erfuhren durch die (an die Stelle der Verordnung 1874 tretenden) §§ 49 ff KAG 1957 eine Neuformulierung, die aber von Anfang an als Zwischenlösung bis zu einer „modernen gesetzlichen Neuregelung“ angesehen wurde (AB 164 BlgNR 8. GP). Mit dem Strafgesetzbuch BGBl 1974/60 erfuhr die Unterbringung geisteskranker Rechtsbrecher eine eigenständige Regelung im Rahmen des strafrechtlichen Maßnahmenrechts. 2. Zur Geschichte der Reform des Anhaltungsrechts vgl RV 11 ff, AB 1 ff; Forster, Psychiatrische Macht und rechtliche Kontrolle (1997); Kopetzki I 123 ff. Das Reformvorhaben stand unter besonderen verfassungs- und völkerrechtlichen Anforderungen (dazu RV 19; AB 2; Kopetzki I 129 ff, insb 226 ff), insb aufgrund des PersFrG (Bindung an materielle Voraussetzungen, insb Selbst- oder Fremdgefährdung: Art 2 Abs 1 Z 5 PersFrG; Einrichtung eines gerichtlichen Haftprüfungsverfahrens: Art 5 Abs 4 EMRK, Art 6 PersFrG). 3. Mit 1. 1. 1991 trat das UbG an die Stelle folgender Bestimmungen, welche gem § 44 Z 1 und 2 UbG bzw Art I Abschnitt 2 Z 5 BGBl 1990/157 aufgehoben wurden: a) Entmündigungsordnung (EntmO) 1916, RGBl 207, betreffend das gerichtliche Anhalteverfahren (soweit nicht bereits durch das Sachwalterrecht BGBl 1983/136 aufgehoben), b) § 49 und §§ 51 bis 54 Krankenanstaltengesetz des Bundes (KAG), BGBl 1957/1, betreffend die Aufnahme, die Anhaltung und Entlassung von Geisteskranken; nur § 50 KAG (neuer Gesetzestitel: KAKuG) betreffend die gerichtliche Einweisung von Untersuchungshäftlingen bleibt in Kraft. c) Verordnung RGBl 1916/269, über die Anzeige der Aufnahme von Personen in psychiatrische Universitätskliniken und Beobachtungsabteilungen von Krankenanstalten.
c) Rechtsquellen aa) Gesetzliche Grundlagen 3
a) Zentrale Rechtsgrundlage ist das Unterbringungsgesetz (UbG), BGBl 1990/155 idF BGBl I 1997/12; hinsichtlich der Einlieferung auch § 46 Sicherheitspolizeigesetz (SPG), BGBl 1991/566 idF BGBl I 2004/151 (§ 46 idF der Novelle BGBl I 1997/12). UbG und SPG enthalten keine erschöpfende Regelung für den Freiheitsentzug in psychiatrischen Anstalten (Rz 535 ff ); folgende Normen sind zusätzlich zu beachten: b) Das Krankenanstalten- und Kuranstaltengesetz (KAKuG), BGBl 1957/1 idF BGBl I 2004/179, enthält vor allem Vorschriften über den inneren Betrieb, die Organisation und die Verwaltung der Krankenanstalten. Diese gelten gem §§ 37 ff KAKuG mit einigen Modifikationen auch für psychiatrische Anstalten. Die Anpassung an das UbG erfolgte durch BGBl 1990/157 (§§ 37-38f, § 41 KAKuG). Die entsprechenden unmittelbar anwendbaren Bestimmungen finden sich in den Landes-Krankenanstaltengesetzen: – §§ 59-60f, § 64 wr KAG LGBl 1987/23 idF LGBl 2004/46; – §§ 79-86, § 91 oö KAG LGBl 1997/132 idF LGBl 2005/51; – § 13 Abs 1 Z 2, §§ 54-55, § 60 stm KALG LGBl 1999/66; – §§ 71, 72, 74 Abs 4, 86 Abs 2 lit i ktn KAO LGBl 1999/26 idF LGBl 2003/56; – §§ 54-55, § 61 tir KAG LGBl 1958/5 idF LGBl 2005/12; – §§ 71-78, § 80 Abs 4 S-KAG LGBl 2000/24 idF LGBl 2005/9; – § 14a, § 15 Abs 3, § 16 Abs 2-3, § 26 Abs 3, § 28 Abs 9, § 37 Abs 5, § 49 Abs 7, § 50 vbg SpitalG LGBl 1990/1 idF LGBl 2003/19; – §§ 76-77f, § 82 nö KAG (9440-0) idF LGBl 2004/73; – §§ 70-73, § 79 bgld KAG LGBl 2000/52 idF 2001/45.
1. Einleitung
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c) Für das ärztliche und pflegerische Personal gelten überdies die allgemeinen berufsrechtlichen Vorschriften des ÄrzteG 1998, BGBl I 1998/169 idF 2004/179 und 2005/24 (VfGH), des Gesundheits- und KrankenpflegeG (GuKG), BGBl I 1997/108 idF 2005/69, des MTDG, BGBl 1992/460 idF 2005/70 und der auf ihrer Grundlage erlassenen Verordnungen. Für Psychotherapeuten und Psychologen gilt das PsychotherapieG, BGBl 1990/361 idF 2001/98 und das PsychologenG, BGBl 1990/360 idF 2001/98. d) Kraft verweisender Bestimmungen im UbG sind im gerichtlichen Verfahren auch das (neue) Außerstreitgesetz (AußStrG), BGBl I 2003/111 idF 2004/128 (vgl § 12 Abs 2, § 25 Abs 1 UbG iVm § 201 AußStrG) sowie Teile der Zivilprozessordnung, RGBl 1895/113 idF BGBl I 2004/128 (vgl zB §§ 22 f AußStrG iVm § 12 Abs 2 UbG) anzuwenden. e) Zur Institution des Patientenanwaltes (§§ 13 ff UbG) sind die ergänzenden Bestimmungen des Vereinssachwalter- und Patientenanwaltsgesetzes (VSPAG), BGBl 1990/156 idF I 2001/98, zu beachten. Mit Verordnung des BMJ über die Feststellung der Eignung von Vereinen zur Namhaftmachung von Sachwaltern und Patientenanwälten erfolgte die Eignungsfeststellung der Patientenanwaltsvereine (ab 1. 7. 2005: V BGBl II 2005/155, die an die Stelle der aufgehobenen V BGBl 1990/704, 1993/952 und 1995/209 tritt). f ) Historische irrenrechtliche Vorschriften aus der Zeit vor dem KAG 1957 stehen nicht mehr in Geltung. Das gilt vor allem auch für die älteren Statuten der Irrenanstalten.
bb) Verfassungsrechtliche Grundlagen Im hoheitlichen Vollzugsbereich des UbG (vgl Rz 1; Kopetzki I 173 ff ) sind von den Anstalten und Behörden auch die für die Vollziehung im Allgemeinen geltenden Regelungen der Verfassung unmittelbar anzuwenden. Das betrifft nicht nur, aber insb auch die sich aus den Grundrechten ergebenden Schranken staatlichen Handelns. Zur Amtshaftung vgl Rz 767 ff. Von zentraler Bedeutung ist hiebei das BVG über den Schutz der persönlichen Freiheit (PersFrG), BGBl 1988/684; weiters die Rechte der Europäischen Menschenrechtskonvention (EMRK), BGBl 1958/219 samt Zusatzprotokollen. Ausführlich zu den verfassungsrechtlichen Rahmenbedingungen Kopetzki I 129 ff; ders, Kommentar zum PersFrG, in: Korinek/ Holoubek (Hg), Kommentar zum österreichischen Bundesverfassungsrecht (1999 ff). Bei psychiatrischen Krankenanstalten bzw Abteilungen, die nicht in der Trägerschaft des Staates stehen (was angesichts zunehmender Ausgliederungen aus der staatlichen Verwaltung häufig zutrifft), stellt die Unterbringung einen Fall der Beleihung nichtstaatlicher Rechtsträger mit Hoheitsgewalt dar (Kopetzki I 205 ff). Dies hat der VfGH zum insofern vergleichbaren Gebiet der Freiheitsbeschränkungen in Pflegeheimen jüngst bestätigt (VfSlg 16.929). Ob die nach der neueren Rsp des VfGH zur Sicherstellung der Gesetzmäßigkeit der Vollziehung erforderliche Leitungs- und Steuerungsmöglichkeit durch ein parlamentarisch verantwortliches oberstes Organ des Bundes (zB VfSlg 16.400) im Bereich der Vollziehung des UbG durch Krankenanstalten ausreichend sichergestellt ist, erscheint mangels umfassender Weisungsrechte fraglich; vgl aus deutscher Sicht auch die Bedenken in R&P 1999, 106.
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cc) Anstaltsordnungen Nähere Vorschriften für den „inneren Betrieb“ der Krankenanstalt enthalten die gem § 6 Abs 1 KAKuG erlassenen Anstalts- und Hausordnungen. Sie gelten jeweils nur für einzelne Anstalten und entziehen sich daher einer verallgemeinernden Analyse. Die Anstaltsordnungen sind als Verordnungen iSd Art 18 Abs 2 B-VG zu qualifizieren und daher einer verfassungsgerichtlichen Kontrolle gem Art 139 B-VG zugänglich (strittig; vgl Kopetzki II 433 f ).
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dd) Erlässe Aus den einschlägigen Erlässen vgl zB die Erlässe des BMJ vom 14. 12. 1990, betreffend das BG über die Unterbringung psychisch Kranker in Krankenanstalten und die Einführung des GeoForm 92a, JABl 1991/2; vom 31. 7. 1991 über Einweisungen und Überstellungen von psychisch Kranken Untersuchungshäftlingen, Strafgefangenen, entwöhnungsbedürftigen Rechtsbrechern, gefährlichen Rückfallstätern und geistig abnormen Rechtsbrechern in öffent-
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I. Teil: Grundlagen und Grundbegriffe
liche Krankenanstalten für Psychiatrie, JABl 1991/48; weiters die Erlässe des Gesundheitsministeriums vom 2. 12. 1998 zu Rechtsfragen bei der Unterbringung Minderjähriger, RdM 1999, 59, sowie vom 11. 9. 2001 über das Ausfüllen einer ärztlichen Bescheinigung gem § 8 UbG, MÖSV 2001/9, 14.
ee) Internationale Empfehlungen 7
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Die insb auf der Ebene des Europarates oder der Vereinten Nationen geschaffenen Empfehlungen internationaler Organe betreffend die Behandlung und Unterbringung psychisch Kranker können als Orientierungshilfe innerhalb bestehender Ermessensspielräume herangezogen werden, stellen aber keine verbindlichen Rechtsnormen dar. Vgl zB: Beratende Versammlung des Europarates 8. 10. 1977, Rec 818 (1977) on the situation of the mentally ill; MKER 22. 2. 1983, Rec R (83) 2 über den rechtlichen Schutz psychisch Kranker, die zwangsweise in eine Krankenanstalt aufgenommen wurden; UN General Assembly Res 2856/ 26, Declaration on the Rights of Mentally Retarded Persons (UN Doc A/8429 [1971]); UN General Assembly, Res 3447/30, Declaration on the Rights of Disabled Persons (UN Doc A/10034 [1975]); UN Economic and Social Council, Commission on Human Rights, Principles, Guidelines and Guarantees for the Protection of Persons Detained on Grounds of Mental Ill-Health or Suffering from Mental Disorders (UN Doc E/CN 4 Sub 2/1983/17; Daes-Report); UN General Assembly Res 46/119 vom 17. 12. 1991, Principles for the Protection of Persons with Mental Illness and for the Improvement of Mental Health Care (UN Doc A/46/49 [1991]); Parlamentarische Versammlung des Europarates 12. 4. 1994, Rec 1235 (1994) on psychiatry and human rights; MKER 22. 9. 2004, Rec (2004) 10 concerning the protection of the human rights and dignity of persons with mental disorder. Vgl Rosenthal/Rubenstein, International Human Rights Advocacy under the „Principles for the Protection of Persons with Mental Illness“, Int J Law Psych 1993, 257. Einschlägige völkerrechtliche Normen sind erst in Ansätzen vorhanden; vgl insb Art 7 der – von Österreich nicht ratifizierten – Biomedizinkonvention des Europarates; Kopetzki, Landesbericht Österreich, in Taupitz (Hg), Das Menschenrechtsübereinkommen zur Biomedizin des Europarates – taugliches Vorbild für eine weltweit geltende Regelung? (2002) 197 (208).
d) Auslegung a) Für die Auslegung des UbG gelten die allgemeinen Interpretationsregeln.
1. Zur allgemeinen Anwendbarkeit der in § 6 ABGB angesprochenen Auslegungsmethoden und zu diesen vgl Bydlinski, Juristische Methodenlehre und Rechtsbegriff (1982) 593 ff; Walter/Mayer, Grundriß des österreichischen Bundesverfassungsrechts9 (2000) Rz 128 ff. 2. Der öffentlichrechtliche Charakter des Unterbringungsrechts hat allerdings interpretationstheoretische Implikationen, die gelegentlich mit dem zivilrechtlich geprägten methodischen Vorverständnis der Zivilgerichte kollidieren. Das betrifft zum einen die Grenzen richterlicher bzw verwaltungsbehördlicher Rechtsfortbildung: Zwar ist auch im öffentlichen Recht analoge Lückenschließung zulässig; für hoheitliche Eingriffe in individuelle Rechtspositionen gilt jedoch ein Analogieverbot (Öhlinger, JBl 1971, 287). Zum anderen ist bei grundrechtseingreifenden Maßnahmen ein Gebot restriktiver Auslegung von Eingriffsermächtigungen und eine Zweifelsregel im Sinne des Grundsatzes „in dubio pro libertate“ anzunehmen. 3. Anders als medizinische oder naturwissenschaftliche Begriffe, deren Bildung sich an As9 pekten der Zweckmäßigkeit und Nützlichkeit im Hinblick auf bestimmte Erkenntnis- oder Behandlungsinteressen orientiert, sind Rechtsbegriffe der freien Disposition des Wissenschaftlers entzogen. Sie sind von der zuständigen Rechtssetzungsautorität vorgegeben und in ihrem spezifischen Sinngehalt durch Interpretation zu ermitteln. Medizinische und juristische Bedeutungen können, müssen aber nicht deckungsgleich sein. 4. Ziel der Interpretation ist die Ermittlung des Sinngehalts des positiven Rechts, nicht die Verfolgung bestimmter gesundheitspolitischer Zielvorstellungen. Für eine „berichtigende“ Auslegung, welche die Eigenwertungen des Interpreten an Stelle jener des Gesetzgebers setzt, ist kein Raum. Teleologische Interpretation zielt auf die Ermittlung der im Gesetz positivierten Wertvorstellungen, also der ihm immanenten und vom Gesetzgeber intendierten Wertun-
1. Einleitung
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gen. Dies ist deshalb zu betonen, da der vom UbG angestrebte Ausgleich zwischen den Interessen der öffentlichen Sicherheit, der ärztlichen Fürsorge und der Freiheit des Patienten immer nur einen Kompromiss darstellen kann, der bestimmte Interessen auf Kosten anderer verwirklicht und daher aus der isolierten Sicht eines einzigen Zwecks unbefriedigend erscheinen mag. Es ist nicht Aufgabe der Interpretation, diesen Ausgleich unter Berufung auf bestimmte, nicht aus dem Gesetz abgeleitete Zwecke und Werthaltungen zu korrigieren.
b) Für die (historische) Auslegung bieten die reichhaltigen Materialien zum UbG eine wertvolle Hilfe.
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1. Erläuterungen zur RV zum BG über die Rechtsfürsorge für psychisch Kranke in Krankenanstalten (464 BlgNR 17. GP), der Bericht des Justizausschusses (1202 BlgNR 17. GP), sowie die Diskussionen im Nationalrat (132. Sitzung 1. 3. 1990, StProtNR 17. GP 15.589 ff) und im Bundesrat (526. Sitzung 8. 3. 1990, StProtBR 23.806 ff). 2. Die RV wurde im Justizausschuss erheblich modifiziert. Die EB beziehen sich daher auf eine vom Gesetzestext abweichende Fassung und dürfen zur Interpretation des UbG nur unter Berücksichtigung der späteren Änderungen (vgl den AB) herangezogen werden. 3. Unter den Materialien zu den Nebengesetzen sind zu nennen: Bericht und Antrag des Justizausschusses zum Vereinssachwalter- und Patientenanwaltsgesetz (VSPAG) (1203 BlgNR 17. GP; StProtNR 17. GP 15.589 ff; StProtBR 23.806 ff); Bericht und Antrag des Justizausschusses betreffend ein BG, mit dem das Krankenanstaltengesetz dem Unterbringungsgesetz angepasst wird (1204 BlgNR 17. GP; StProtNR 17. GP 15.589 ff; StProtBR 23.806 ff). 4. Zur UbG-Novelle 1997 vgl RV 457 und AB 543 BlgNR 20. GP.
e) Schrifttum 1. Systematische Untersuchungen: Kopetzki, Unterbringungsrecht, 2 Bde (1995); Syrmas, Die freiheitsentziehende vorbeugende Maßnahme des § 21 Abs 1 StGB im Vergleich zum Gesetz über die Unterbringung psychisch Kranker in Krankenanstalten. Grazer rechtswissenschaftliche Dissertation (1992); Pommer, Unterbringung im Rechtsvergleich (2003). 2. Kommentierte Gesetzesausgaben: Hopf/Aigner, Unterbringungsgesetz (1993); E. Feil, 2 Sachwalterrecht und Unterbringungsgesetz (1998). 3. Aufsätze: Aigner, Unterbringungsgesetz – Vertreter von Gemeindeärzten und „öffentlicher Sanitätsdienst“, RdM 1997, 84; ders, Unterbringungsgesetz – Minderjährige, RdM 1999, 59; ders, The Austrian Legislation in the field of psychiatric care and the present situation of patients rights of mentally ill persons, MÖSV 1999/5, 15; ders, Klinische Prüfungen an untergebrachten Personen, RdM 2001, 86; Barta/Kalchschmid, Zum Recht auf Einsicht in die Krankengeschichte in der Psychiatrie, RdM 1998, 42; M. Binder, Die rechtliche Zulässigkeit von Zwangsbehandlung und behandlungsbedingter Freiheitseinschränkung SoSi 1997, 232; Demmelbauer, Anmerkungen zum sicherheitspolizeilichen Teil des Unterbringungsgesetzes, oö GemZ 1996/4, 100; Eder-Rieder, Die Selbst- und Fremdgefährdung als Unterbringungsvoraussetzung, WMW 1993, 576; dies, Zur Frage des Einsichts- und Urteilsvermögens hinsichtlich der Selbstbestimmung psychisch Kranker bei Behandlungsentscheidungen im Rahmen des Unterbringungsrechtes, FS Harrer (1998) 187; Emberger, Unterbringung psychisch Kranker in Krankenanstalten, ÖÄZ 1990/8, 39; Gaisbauer, Rechtsfragen zum neuen Unterbringungsrecht, RZ 1993, 112; Gamerith, Buchbesprechung, ÖAV 1994, 61; Haslinger, Freiheitsbeschränkung und Patientenrechte, Krankenhaus und Management 1996, 8; Hopf, Das neue Unterbringungsrecht, Der österreichische Rechtspfleger 1990/1, 41; Höpfel, Die Unterbringung minder Gefährlicher nach § 21 Abs 1 StGB, in: FS Moos (1997) 69; Kneihs, Die „tobende Pschose“ und die Rolle des Rettungsdienstes, RdM 2005, 35; Kopetz, Neues am Unterbringungsgesetz, ÖÄZ 1991/5, 39; Kopetzki, Das neue österreichische Unterbringungsrecht, R&P 1991, 61; ders, Patientenvertretung in der Psychiatrie, R&P 1996, 103; ders, Entscheidungsbesprechungen, RdM 1994, 29; 62; 94; 1995, 19; 1995, 71; 1996, 27; 1996, 120; 1999, 126; 2001/1, 27; 2001/20, 150; ders, Zum Begriff der („besonderen“) Heilbehandlung aus juristischer Sicht, RdM 1997, 6; ders, Datenflüsse nach der UbG-Novelle 1997, RdM 1997, 163; Marwieser/Steiner, Ist bei Verlegung psychiatrischer PatientInnen in eine andere Krankenanstalt eine Bescheinigung gem § 8 UbG erforderlich?,
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I. Teil: Grundlagen und Grundbegriffe
AnwBl 2001, 191; Medigovic, Strafrechtliche Unterbringung zurechnungsunfähiger geistig abnormer Rechtsbrecher: Eine Bestandsaufnahme nach 25 Jahren, JBl 2001, 482; Pfersmann, Bemerkenswertes aus der SZ 67/II, ÖJZ 1997, 364; Pommer, Das UbG im Rechtsvergleich, RdM 2003, 169; Ramharter, Zur Reformdiskussion im Sachwalterschafts- und Behindertenrecht, ÖJZ 1995, 858; ders, Dürfen geistig Behinderte zu Recht in ihrer Freiheit beschränkt werden?, ÖJZ 1997, 259; Vogel-Schubert, Buchbesprechung, RZ 1996, 123; Soyer, Buchbesprechung, ÖJZ 1998, 697; Stelzer, Buchbesprechung, ZfV 1997, 474; Wagner, Ethische Anforderungen an den psychiatrischen Sachverständigen im Unterbringungsverfahren, Der Sachverständige 1999, 156; Schwamberger, Praxisfälle im Zusammenhang mit dem UbG, RdM 2001, 3; Zierl, Zum Freiheitsentzug in Altenheimen, ÖJZ 2000, 753. 4. Amtliche Informationsschriften: BMJ (Hg), Die Unterbringung psychisch Kranker (1990); BMJ, Unterbringungsgesetz – Erfahrungsbericht und Ausblick (1992); BMJ, Bericht der Arbeitsgruppe Unterbringungsgesetz (1994); BKA (Hg), Die Unterbringung psychisch Kranker. Eine Information für Beschäftigte in psychiatrischen Krankenanstalten und Abteilungen (1990); BKA (Hg), Die Unterbringung psychisch Kranker. Eine Information für Amtsärzte und Ärzte im öffentlichen Sanitätsdienst (1990). 5. Aus der Literatur zum Außerstreitrecht: vgl zum AußStrG 1854 (daher teilweise schon überholt) Dolinar, Österreichisches Außerstreitverfahrensrecht. Allgemeiner Teil (1982); Edlbacher, Verfahren außer Streitsachen2 (1984); zum neuen AußStrG 2003 Feil/Marent, Außerstreitgesetz. Kommentar (2004); Fucik/Kloiber, AußStrG (2005); Langer, Außerstreitgesetz 2 2003 (2004); Mayr/Fucik, Das neue Verfahren außer Streitsachen (2005); Rechberger (Hg), AußStrG (2005); Zangl, Das neue Außerstreitverfahren, ÖJZ 2005, 121; zum Sachwalterrecht Kremzow, Österreichisches Sachwalterrecht (1984); Maurer/Tschuguel, Das österreichi2 sche Sachwalterrecht in der Praxis (1997); Ent/Hopf, Sachwalterrecht (1984); Stabentheiner in Rummel (Hg), ABGB I3 (2000); 1. ErgBd (2003) §§ 273 ff; zum Zivilprozessrecht Fa2 sching, Zivilprozessrecht2 (1990); Rechberger (Hg), Kommentar zur ZPO (2000); zum Sicherheitspolizeirecht Pürstl/Zirnsack, Sicherheitspolizeigesetz (2005); Hauer/Keplinger, SPG2 Kommentar (2001); Grabenwarter/Wiederin, Das neue Polizeirecht, JAP 1992/93, 50; 70; Wiederin, Einführung in das Sicherheitspolizeirecht (1998). Wegen vielfacher Parallelen zum UbG kann auch die Literatur zum Heimaufenthaltsrecht wertvolle Hinweise enthalten, insb Barth/Engel, Heimrecht (2004); Zierl, Heimvertragsgesetz/Heimaufenthaltsgesetz (2004). 6. Aus der medizinischen (insb psychiatrischen) Literatur: Baldi, Erfahrungen mit dem Unterbringungsgesetz (UbG) aus der Sicht des einweisenden Arztes, ÖKZ 1993/1-2, 36; Hansen/Dubai/König, Benachteiligt das Unterbringungsgesetz bestimmte Patientengruppen?, Neuropsychiatrie 1996/4, 183 = MÖSV 1997, 483; Knecht/Schanda/Morawitz/Werner, Kriminalisierung psychisch Kranker? Strafrechtliche Folgewirkungen des Unterbringungsgesetzes, in: Katschnig/König (Hg), Schizophrenie und Lebensqualität (1994) 355; Badl/Künz/Müller/ Niederhofer/ König, Zuwendung ersetzt das Schloß – Öffnung der letzten noch geschlossenen Bereiche einer akutpsychiatrischen Abteilung – Erfahrungen nach dem ersten Jahr, Krankenhauspsychiatrie 6 (1995) 53; König/Niederhofer, Auswirkungen des Unterbringungsgesetzes auf die Population stationär aufgenommener Patienten, ÖJZ 1995, 81; König/Wartberger, Zum Begriff der „Behandlung“ aus medizinisch-psychiatrischer Sicht, RdM 1997, 3; König, Die Unterbringungsgesetzgebung in Europa, Neuropsychiatrie 14 (2000) 183; Mathis/Hinterholzer/König, Wann und warum werden welche psychisch Kranken in ihrer persönlichen Freiheit beschränkt?, RdM 2004, 40; Schanda/Knecht, Möglichkeiten und Grenzen der Behandlung zurechnungsunfähiger geistig abnormer Rechtsbrecher (§ 21/1 StGB), in: 1. Forensische Tagung der Psychiatrischen Universitätsklinik Graz – Kongressband (1997) 21; Schanda/Knecht, Strafrechtliche Folgewirkungen des Unterbringungsgesetzes, Neuropsychiatrie 1997/4, 154; Stellamor, Derzeit geltendes Recht und ethische Überlegungen in bezug auf Geisteskranke und geistig Behinderte, ÖKZ 1993/1-2, 25; weiters Danzinger, Platz und Rainer zum Thema „1 Jahr Unterbringungsgesetz“, betrifft 1992/5. Speziell zur psychiatrischen Begutachtung vgl insb Haller, Das psychiatrische Gutachten (1996). 7. Aus der soziologischen Literatur: Forster, Was bringt das Unterbringungsgesetz? gem psych 1991/2, 5; ders, Psychiatrische Macht und rechtliche Kontrolle – zur Kontroverse um das „Unterbringungsgesetz“, in Barta/Ernst/Moser (Hg), Wissenschaft und Verantwortlichkeit (1994) 54; ders, Psychiatrische Versorgung und Psychiatriepolitik in Österreich 1970-1990, in: Froschauer/Krajic/Pelikan (Hg), Psychosoziale Versorgung und Gesundheitsberufe in
2. Zielsetzungen und Grundsätze des Unterbringungsrechts
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Österreich (1994) 18; ders, Fünf Jahre Unterbringungsrecht, ÖJZ 1997, 601; ders, Psychiatrische Macht und rechtliche Kontrolle (1997); ders, Psychiatriereformen zwischen Medikalisierung und Gemeindeorientierung (1997); Forster/Kinzl, Zehn Jahre Vollziehung des österreichischen Unterbringungsgesetzes, R&P 2004, 23. 8. Für statistische Daten: Forster, Von der Anhaltung zur Unterbringung psychisch Kranker – eine Rechtsreform aus statistischer Sicht, MÖSV 1994, 1; ders, Statistische Informationen zur Vollziehung des Unterbringungsgesetzes, Teil 2: 1993-1995 (hg vom Ludwig Boltzmann-Institut für Medizin- und Gesundheitssoziologie) (1996); Forster/Kinzl, Statistische Informationen zur Vollziehung des Unterbringungsgesetzes, Teil 3: 1996-1999 (2001); dies, Die Vollziehung des Unterbringungsgesetzes – eine statistische Analyse de Jahre 1996-1999, MÖSV 2001/12, 3; Forster/Kinzl, Statistische Informationen zur Vollziehung des Unterbringungsgesetzes, Teil 4: 2000 (2002); Danzer/Erfkamp, Statistische Informationen zur Vollziehung des Unterbringungsgesetzes, Teil 5: 2001-2002 (2005). Danach betrug die Gesamtzahl der bei den Gerichten gemeldeten Anhaltungen bzw Unterbringungen ohne Verlangen 1981/85: 11980; 1986: 10.513; 1987: 8863; 1988: 8321; 1989: 7808; 1990: 7533; 1991: 7115; 1992: 7335; 1993: 9197; 1994: 9704; 1995: 11.064; 1996: 11.268; 1997: 12.300; 1998: 13.084; 1999: 14.123; 2000: 14.694; 2001: 15.257; 2002: 16.253.
f) Rechtsprechung Die Entscheidungen der Rechtsmittelgerichte stellen keine generellen Rechtsquellen dar, haben für die Praxis aber eine hervorragende Bedeutung. Viele Rechtsprobleme, die im UbG nicht oder nicht eindeutig gelöst sind, wurden erst durch die Judikatur geklärt. Das gilt in besonderem Maße auch für die Konkretisierung der unbestimmten Unterbringungsvoraussetzungen.
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1. Der Ausbau der gerichtlichen Kontrollbefugnisse und die Einrichtung der Patientenanwaltschaft hat zu einer beträchtlichen Zunahme der Rechtsmittelentscheidungen in Unterbringungssachen geführt: So ergingen zB zwischen 1. 1. 1991 und Ende 2004 bereits 125 Entscheidungen des OGH. Dazu kommen zahlreiche Entscheidungen von UVS, VfGH und VwGH (insb zur polizeilichen Vorführung) sowie des OGH in Amtshaftungssachen. 2. Die Entscheidungen der erstinstanzlichen Unterbringungsgerichte werden idR gar nicht, jene der Rekursgerichte – wenn überhaupt – nur in Form kurzer Leitsätze in der EFSlg veröffentlicht. Für veröffentlichte Entscheidungen des OGH vgl insb SZ, EvBl, JBl, RdM, RZ, NZ, ÖAV, KrSlg. Zur Rsp von VfGH und VwGH vgl die Amtlichen Sammlungen (VfSlg; VwSlg A); zur Rsp des VwGH auch die Veröffentlichungen in der ZfV (ZfVB); zur Praxis der UVS vgl die ZUV. Der umfassendste und schnellste Zugang zur Rsp des OGH, des VfGH, des VwGH und der UVS ist über das elektronische Rechtsinformationssystem des Bundes (RIS) möglich (www.ris.bka.gv.at).
2. Zielsetzungen und Grundsätze des Unterbringungsrechts a) Allgemeines Leitende Zielsetzung bei der Neuordnung des Unterbringungsrechts war der Ausbau des Rechtsschutzes für jene Patienten, die im Rahmen stationärer psychiatrischer Einrichtungen Beschränkungen ihrer Rechte unterworfen werden. Es sei „ein Gebot der Menschenrechte, diese Beschränkungen in einer rechtsstaatlichen Grundsätzen entsprechenden Weise zu regeln. Allgemeines Ziel dieser Regelungen muß sein, Beschränkungen, also den Zwang in der psychiatrischen Krankenversorgung, nur im unbedingt erforderlichen Ausmaß zur Abwehr schwerwiegender Gefahren zuzulassen sowie hinsichtlich der Voraussetzungen und der Anwendung einer wirksamen Kontrolle zu unterwerfen. […] Es muß sichergestellt werden, daß der psychisch Kranke selbst ungerechtfertigten Beschränkungen entgegentreten kann oder, falls er dazu nicht imstande ist, seine Interessen von einem fachkundigen und engagierten Vertreter wahrgenommen werden“ (RV 14 f).
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I. Teil: Grundlagen und Grundbegriffe
Diese pointiert rechtsstaatliche und freiheitssichernde Orientierung des Gesetzes ist für eine Reihe grundlegender Weichenstellungen verantwortlich: a) Das UbG zielt nicht auf die inhaltliche Regelung der ärztlichen psychiatrischen Berufsausübung, sondern auf eine rechtliche Strukturierung, Offenlegung und Kontrolle jener Zwangsbefugnisse, die den Trägern der stationären psychiatrischen Versorgung gesetzlich eingeräumt werden. Das UbG regelt ausschließlich die Modalitäten des Freiheitsentzuges in und außerhalb von „geschlossenen Bereichen“, nicht jedoch andere psychiatrische Versorgungsformen (wie etwa den ohne Beschränkungen einhergehenden Aufenthalt im offenen Bereich von Krankenanstalten, die freiberufliche psychiatrische Praxis oder andere extramurale Dienste). Es handelt sich um kein Psychiatriegesetz, in dem die Tätigkeit der Psychiatrie oder die soziale und medizinische Betreuung psychisch Kranker umfassend geregelt wird (RV 14; AB 3), sondern um eine rechtliche Ausgestaltung und Kontrolle des Zwanges in der Anstaltspsychiatrie. Die inhaltlichen und formellen Vorschriften des UbG sowie die darin enthaltenen Kontrolleinrichtungen sind weder Schikane noch Ausdruck einer antipsychiatrischen Tendenz des Gesetzgebers; sie dienen der rechtlichen Bindung, Hemmung und Kontrolle jenes Zwanges, der den psychiatrischen Anstalten eingeräumt ist. Insofern steht das UbG in der Tradition liberaler Rechtsstaatsprinzipien und der Gewaltenteilung. Das jeder Form rechtsstaatlicher Kontrolle anhaftende „institutionalisierte Misstrauen“ gilt dabei nicht dem Psychiater als Arzt, sondern dem Arzt als Träger staatlicher Machtbefugnisse.
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b) Mit ihrer Beschränkung auf die Gefahrenabwehr (§ 3 Z 1 UbG) stehen die materiellen Voraussetzungen dieser freiheitsentziehenden Befugnisse in einer Tradition liberalen Rechtsstaatsdenkens. Nicht zur Erzwingung therapeutischfürsorglicher Ziele, sondern nur zur Abwehr erheblicher Lebens- und Gesundheitsgefahren soll ein präventiver Freiheitsentzug zulässig sein. Das Unterbringungsrecht soll verhindernd, nicht vorsorgend gestalten. Insofern folgt das UbG weiterhin einem „polizeirechtlichen“ Konzept der Unterbringung, indem es den Einsatz von Zwang auf die Gefahrenabwehr beschränkt. Das bedeutet nicht, dass das UbG die Rolle der Anstaltspsychiatrie auf die „polizeiliche“ Gefahrenabwehr reduziert: Das UbG hat im Wesentlichen nur die Zwangs- und Ordnungsfunktion der Psychiatrie zum Gegenstand, nicht ihre therapeutischen Funktionen. Diese ergeben sich nach wie vor aus den Richtlinien ärztlichen Handelns bzw aus den Anstaltszwecken.
c) Im Einklang mit diesen restriktiven Unterbringungsvoraussetzungen und dem Verhältnismäßigkeitsgebot der Verfassung steht das Subsidiaritätsprinzip des § 3 Z 2. Der Freiheitsentzug soll nur als ultima ratio zulässig sein, wenn alle anderen Alternativen der Betreuung und Gefahrenabwehr versagen. Dies kommt auch in den organisationsrechtlichen Bestimmungen des KAKuG zum Ausdruck, wonach Abteilungen und Sonderkrankenanstalten für Psychiatrie grundsätzlich offen zu führen sind (§ 38). Die Einrichtung geschlossener Bereiche darf nur die Ausnahme sein.
d) Leitender Grundsatz für die Vollziehung des UbG ist der Schutz der Persönlichkeitsrechte und der Menschenwürde psychisch Kranker (§ 1 Abs 1). In Ausführung dieser programmatischen Zielbestimmung garantiert § 36 Abs 1 UbG auch dem untergebrachten psychisch Kranken ein Recht auf körperliche Selbstbestimmung, sofern er in Bezug auf ärztliche Behandlungsmaßnahmen über die nötige Einsichts- und Urteilsfähigkeit verfügt.
2. Zielsetzungen und Grundsätze des Unterbringungsrechts
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e) In verfahrensrechtlicher Hinsicht folgt das UbG der historischen Rechtslage und ihrer Zweiteilung in vorläufige administrativrechtliche und nachprüfende gerichtliche Entscheidungsbefugnisse, indem es die Entscheidung über die Unterbringung sowie über einzelne Zwangsmaßnahmen während der Unterbringung zunächst in die alleinige Kompetenz ärztlicher Organe überträgt, die bei ihrer Tätigkeit nicht an bestimmte Handlungsformen und nur an rudimentäre Verfahrensregeln gebunden sind. Dies bedeutet eine weitgehende Formfreiheit und eine Verlagerung und Dezentralisierung der Entscheidungen an die fachärztlichen Organe der einzelnen Anstalten. Erst im Nachhinein greift eine amtswegige nachprüfende gerichtliche Kontrolle ein. f ) Besondere institutionelle Vorkehrungen zielen auf die Sicherstellung einer lückenlosen gesetzlichen Vertretung der zwangsweise untergebrachten Patienten in Form der Patientenanwaltschaft. Sie beeinträchtigt die selbständige Handlungsfähigkeit der Patienten nicht, garantiert ihnen aber die effektive Wahrnehmung ihrer Rechte durch einen professionellen Vertreter. b) Der „besondere“ Schutz der Persönlichkeitsrechte (§ 1 UbG) § 1 UbG enthält zwei Grundsätze von allgemeiner Bedeutung: „Die Persönlichkeitsrechte psychisch Kranker, die in eine Krankenanstalt aufgenommen werden, sind besonders zu schützen. Die Menschenwürde psychisch Kranker ist unter allen Umständen zu achten und zu wahren“ (§ 1 Abs 1). „Beschränkungen von Persönlichkeitsrechten sind nur zulässig, soweit sie im Verfassungsrecht, in diesem Bundesgesetz oder in anderen gesetzlichen Vorschriften ausdrücklich vorgesehen sind“ (§ 1 Abs 2). aa) Schutz der Persönlichkeitsrechte und der Menschenwürde (§ 1 Abs 1 UbG) a) Die Bestimmung hat zunächst programmatischen Charakter: In Anlehnung an den „besonderen Schutz der Gesetze“ in § 21 ABGB positiviert § 1 Abs 1 UbG den hohen Rang des Schutzinteresses psychisch Kranker in Krankenanstalten. Insofern ist sie auch Interpretationsleitlinie, die dem Schutz der Persönlichkeitsrechte und der Menschenwürde Vorrang gegenüber gegenläufigen Interessen (zB dem ungestörten Ablauf der Anstaltsroutine) einräumt.
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1. Mit dem Begriff der „Persönlichkeitsrechte“ verweist § 1 UbG auf die „angebornen, schon durch die Vernunft einleuchtenden Rechte“ des § 16 ABGB (dazu Aicher in Rummel, ABGB § 16 Rz 3). § 16 ABGB schützt in seinem Kernbereich die Menschenwürde sowie das Recht auf freie Entfaltung, Achtung und Wahrung der Person. Dazu gehören auch die Rechte auf Leben, Freiheit, körperliche Unversehrtheit und Ehre. Im Übrigen sind die durch § 16 ABGB und § 1 Abs 1 UbG geschützten Rechtspositionen nicht abschließend fixiert, sondern einer Konkretisierung aus der gesamten Rechtsordnung zugänglich (Aicher in Rummel, ABGB § 16 Rz 10). Insofern fungiert auch § 1 Abs 1 UbG als Generalklausel, mit welcher andernorts positivierte Wertungen einfließen und in subjektive Rechte transformiert werden. Zur ähnlichen Bestimmung des § 1 Abs 2 HeimAufG vgl nun Barth/Engel, § 1 Rz 1 ff. 2. § 1 Abs 1 UbG richtet sich an jedermann, neben den Ärzten und dem sonstigen Anstaltspersonal also auch an das Gericht, Sicherheitsorgane und Patientenanwälte (RV 20).
b) Die normative Funktion des § 1 Abs 1 UbG ist zum einen eine negatorische: Sie liegt darin, dass den mit der Vollziehung des UbG betrauten Organen die Verpflichtung auferlegt wird, die durch § 16 ABGB geschützten Inter-
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I. Teil: Grundlagen und Grundbegriffe
essensphären nicht zu verletzen. In gewisser Weise konstituiert § 1 Abs 1 eine Schutzzone des privatrechtlichen Persönlichkeitsrechts, dessen abwehrender Charakter auch im „inneren“ Anstaltsverhältnis erhalten bleibt. In diesem negatorischen Gehalt hat § 1 Abs 1 UbG nur klarstellende Funktion. Denn die Persönlichkeitsrechte sind schon aufgrund § 16 ABGB als absolute Rechte zu respektieren, ohne dass dies einer neuerlichen Erinnerung bedurft hätte. Hinzu kommt, dass sich die Schutzgüter des § 16 ABGB über weite Strecken mit jenen der Grundrechte überschneiden, welche hier – anders als in privaten Rechtsbeziehungen – unmittelbar gelten. Auf der anderen Seite vermag § 1 Abs 1 für sich genommen noch kein klares Richtmaß für die Zulässigkeit von Eingriffen in diese Rechte abzugeben: Soweit die der Anstalt eingeräumten Eingriffsermächtigungen reichen, rechtfertigen sie auch einen Eingriff in die durch § 16 ABGB geschützten Interessensphären, und wo eine Eingriffsermächtigung fehlt, darf die Verwaltung wegen Art 18 B-VG auch ohne ausdrückliches Verbot nicht handeln.Der Maßstab für Rechtseingriffe ist also weniger aus § 1 Abs 1 UbG iVm § 16 ABGB zu gewinnen, als durch die Interpretation jener Vorschriften, welche die Grundlage für Beschränkungen darstellen.
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c) Darüber hinaus begründet § 1 Abs 1 UbG auch Schutz- und Fürsorgepflichten der mit der Unterbringung befassten Personen zum Schutz persönlichkeitsrechtlicher Rechtspositionen (RV 20), die den Ausfall vertraglicher Nebenpflichten aus dem Behandlungsvertrag weitgehend kompensieren. In der (hoheitlichen) Unterbringung lassen sich (anders als im Heimaufenthaltsrecht, dazu zB Barth/Engel, § 1 HeimAufG Rz 7) zwar keine Schutzpflichten aus dem (hier fehlenden) Behandlungsvertrag begründen, doch können aus § 1 Abs 1 UbG iVm dem allgemeinen Krankenanstaltenrecht weitgehend vergleichbare Schutzpflichten abgeleitet werden. Allerdings bleibt § 1 Abs 1 insofern konkretisierungsbedürftig, als in vielen Konfliktfällen gegenläufige Persönlichkeitsrechte des Patienten aufeinandertreffen (zB körperliche und psychische Unversehrtheit versus Selbstbestimmung). Dies erfordert immer eine umfassende Interessenbeurteilung und Interessenabwägung im Einzelfall. Erst als Ergebnis einer solchen Abwägung steht fest, welche Interessenposition persönlichkeitsrechtlich geschützt ist.
bb) Die Bedeutung des § 1 Abs 2 UbG 19 Die Bestimmung des § 1 Abs 2, wonach Beschränkungen von Persönlichkeitsrechten nur zulässig sind „soweit sie im Verfassungsrecht, in diesem Bundesgesetz oder in anderen gesetzlichen Vorschriften ausdrücklich vorgesehen sind“, hat eine doppelte Funktion: Erstens bekräftigt sie die Geltung des Legalitätsprinzips für die Vollziehung der Unterbringung und enthält damit eine Absage an die Vorstellung einer gesetzesfreien Anstaltsgewalt im Sinne der Lehre vom „besonderen Gewaltverhältnis“. Zweitens liegt in der Aussage, dass solche Beschränkungen ausdrücklich im Gesetz vorgesehen sein müssen, eine Verschärfung des Legalitätsprinzips für persönlichkeitsrechtlich relevante Maßnahmen gegenüber untergebrachten psychisch Kranken, die den Rückgriff auf implizite Handlungsbefugnisse verbietet. 1. Foregger StProtNR 15.603: „Wir haben ferner die Bestimmung, daß in diesen Anstalten die Kranken nur jenen Beschränkungen unterworfen werden können, die gesetzlich fixiert sind. Wir können nicht unter dem Titel ,Jetzt haben wir neue organisatorische oder medizinische Methoden‘ weitere Beschränkungen ersinnen. Sie müssen gesetzlich fixiert sein“. 2. Missverständlich ist der Hinweis auf Rechtsbeschränkungen durch „Verfassungsrecht“, da es unmittelbar anwendbare Beschränkungen im Verfassungsrang für den hier interessierenden Rechtsbereich nicht gibt.
3. Anwendungsbereich des UbG und der Begriff der Unterbringung
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3. Anwendungsbereich des UbG und der Begriff der Unterbringung a) Allgemeines Gem § 2 UbG gelten „die Bestimmungen dieses Bundesgesetzes [...] für Krankenanstalten und Abteilungen für Psychiatrie (im folgenden Anstalt), in denen Personen in einem geschlossenen Bereich angehalten oder sonst Beschränkungen ihrer Bewegungsfreiheit unterworfen werden (im folgenden Unterbringung)“. Der Anwendungsbereich des UbG knüpft also am Unterbringungsbegriff an. Die in § 2 normierte Legaldefinition der „Unterbringung“ stellt zum einen auf bestimmte Einrichtungen, nämlich „Krankenanstalten und Abteilungen für Psychiatrie“ (anstaltsbezogenes Merkmal), zum anderen auf bestimmte Freiheitsbeschränkungen in diesen Einrichtungen, nämlich die „Anhaltung in einem geschlossenen Bereich“ oder „sonstige Beschränkungen der Bewegungsfreiheit“ (personenbezogenes Merkmal) ab.
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Entgegen der missverständlichen Formulierung des § 2 gilt das UbG nicht schlechthin für alle Patienten jener psychiatrischen Einrichtungen, in denen Patienten untergebracht werden, sondern nur für jene Patienten, die auch tatsächlich „untergebracht“ (dh: in ihrer Bewegungsfreiheit beschränkt) sind (vgl AB 3 f ). Der Geltungsbereich knüpft daher nicht nur (organisatorisch) an der Art der Einrichtung an, sondern auch (personell) an der Unterbringung individuell bestimmter Patienten in diesen Einrichtungen. Der Anwendungsbereich wird also durch die Kombination eines materiell-personenbezogenen (Beschränkung) und eines organisatorischen (psychiatrische Anstalt bzw Abteilung) Kriteriums bestimmt.
b) Bedeutung und Funktion des Unterbringungsbegriffs a) Der Begriff der Unterbringung bildet den Angelpunkt im System des UbG, an dem jene besondere, vom KAKuG abweichende rechtliche Ordnung anknüpft, die das UbG für freiheitsentziehende Maßnahmen in psychiatrischen Anstalten vorsieht. Insofern handelt es sich um einen Zweckbegriff im Dienste des Rechtsschutzes, der den bisherigen Begriff der „Anhaltung“ (§ 49 KAG aF) bzw der „Aufnahme in geschlossene Anstalten“ (§ 16 EntmO) ablöst. b) Der Begriff der Unterbringung erfüllt im UbG eine doppelte Funktion: aa) Zum einen umschreibt er tatsächliche Beschränkungen der Bewegungsfreiheit, bei deren Realisierung eine „Unterbringung“ iSd UbG vorliegt. Er bildet also jenes Tatbestandsmerkmal, dessen – im Wege der Subsumtion festzustellende – Erfüllung die spezifischen Rechtsfolgen des UbG auslöst. (Nur) für den iSd § 2 UbG „untergebrachten“ Patienten gelten die besonderen Regelungen des UbG über die Ausgestaltung der Unterbringung. Aus diesem Blickwinkel erfüllt der Unterbringungsbegriff im Wesentlichen eine Kontroll- und Rechtsschutzfunktion. Indem das UbG aus dem vielfältigen Spektrum möglicher Beeinflussungen, denen Patienten unterworfen sein können, bestimmte Beschränkungen der Bewegungsfreiheit heraushebt und im Tatbestand der Unterbringung zusammenfasst, erkennt es für die betroffenen Patienten ein besonderes Rechtsschutzbedürfnis an, dem durch die Regelungen des UbG Rechnung getragen werden soll. Die dadurch eröffneten rechtsstaatlichen Sicherungen sind vor allem im Hinblick auf den verfassungsrechtlichen Freiheitsschutz von Bedeutung: Bei verfassungskonformer Interpretation darf der Unterbringungsbegriff im Zweifel nicht enger gezogen werden als der grundrechtliche Begriff des Freiheitsentzuges.
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I. Teil: Grundlagen und Grundbegriffe
bb) Zum anderen bezeichnet der Begriff der Unterbringung aber auch jene freiheitsbeschränkende Rechtsfolge, zu deren Verhängung die Anstalt bei Erfüllung der Unterbringungsvoraussetzungen (§§ 3 ff UbG) befugt ist. Erst durch die Definition der Unterbringung in § 2 UbG werden jene freiheitsentziehenden Maßnahmen näher umschrieben, zu deren Vornahme die Anstalten vom Gesetz ermächtigt werden. Immer dann, wenn das UbG von der „Unterbringung“, oft auch nur verkürzend von der „Aufnahme“ des Patienten spricht, ist dies im Kontext mit den Unterbringungsmerkmalen des § 2 zu verstehen. Was auf den ersten Blick nur als Beschreibung eines tatsächlichen Aufnahmevorganges erscheint, stellt iVm § 2 die Ermächtigung zur Vornahme eines freiheitsentziehenden Zwangsaktes dar. 1. Vgl VwGH JBl 1994, 773 = VwSlg 13.994 A: „Eine Unterbringung [...] ist zum einen ein Faktum, nämlich die tatsächliche Einschränkung der Bewegungsfreiheit einer Person (§ 2). Sie ist zum anderen auch ein rechtlich gebotener Zustand, und zwar [...] im Interesse der nötigen Abwehr der im Zusammenhang mit einer psychischen Krankheit stehenden Gefahren [...]“. Zur Mehrdeutigkeit des Unterbringungsbegriffs zB auch OGH SZ 71/196; weiters OGH 4 Ob 17/98y, RdM 1999/3 = EvBl 1988/115; 2 Ob 25/97h, RdM 1998/3. 2. Wegen der – historisch bedingten – pflegschaftsrechtlich geprägten Terminologie des UbG kommt diese Zwangsermächtigung allerdings nicht immer klar zum Ausdruck, sondern tritt hinter der Rechtsschutzfunktion des Unterbringungsbegriffs zurück. Aus der Sicht des BVG und des Vorbehalts des Gesetzes ist es aber erst das Gesetz, welches die Rechtsgrundlage für zwangsbehaftete Maßnahmen abgibt. Denkt man das UbG weg, dann hätten die psychiatrischen Anstalten keine unbeschränkte, sondern – von anderweitigen Eingriffsbefugnissen einmal abgesehen – überhaupt keine rechtliche Legitimation zum Freiheitsentzug. Zutreffend daher AB 2, wonach außerhalb des Anwendungsbereiches des UbG – soweit nicht eine andere Rechtsgrundlage besteht – eine zwangsweise Unterbringung unzulässig ist.
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c) Einteilung der Unterbringung Innerhalb des Unterbringungsbegriffs nimmt das UbG weitere Einteilungen vor. Es stellt dabei einmal auf die Mitwirkung des Patienten (aa), das andere Mal auf die Mittel der Bewegungsbeschränkung ab (bb). Die sich daraus ergebenden vier Erscheinungsformen der Unterbringung sind ihrerseits von stationären Aufnahmen außerhalb einer Unterbringung (cc) sowie von sonstigen freiheitsentziehenden Maßnahmen außerhalb des Anwendungsbereiches des UbG (dd) zu unterscheiden. Dementsprechend können die Patienten einer psychiatrischen Anstalt (Abteilung) in voneinander erheblich abweichend geregelten Rechtsverhältnissen stehen: aa) Unterbringung ohne Verlangen und Unterbringung auf Verlangen Nach der Mitwirkung des Patienten ist zwischen einer „Unterbringung ohne Verlangen“ (Rz 136 ff ) und einer „Unterbringung auf Verlangen“ (Rz 223 ff ) zu unterscheiden (§§ 4 ff, §§ 8 ff): Eine „Unterbringung auf Verlangen“ ist insofern „antragsbedürftig“, als ihr ein rechtswirksames Unterbringungsverlangen zugrunde liegen muss. Fehlt ein solches, dann handelt es sich (definitionsgemäß) um eine Unterbringung „ohne Verlangen“. Dementsprechend umfasst die Unterbringung ohne Verlangen nicht nur die Aufnahme gegen den Willen, sondern auch die Aufnahme ohne den Willen des Patienten.
3. Anwendungsbereich des UbG und der Begriff der Unterbringung
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Abgesehen von der Bindung an eine Willenserklärung des Patienten unterscheiden sich beide Formen der Unterbringung nur in der Art des Rechtsschutzes, nicht jedoch in der Ausgestaltung des Anstaltsverhältnisses oder ihrer materiellen Voraussetzungen (OGH 22. 10. 1992, 1 Ob 599/92, JBl 1993, 455). Insb handelt es sich auch bei der Unterbringung auf Verlangen um eine Unterbringung iSd § 2, sie ist also durch Beschränkungen der Bewegungsfreiheit definiert und unterliegt dem gleichen Vollzugsrecht (Rz 224 ff ). Die Begriffe „Unterbringung ohne Verlangen“ und „Unterbringung auf Verlangen“ bezeichnen nur unterschiedliche Wege, um eine einheitlich konzipierte Unterbringung zu begründen.
bb) Unterbringung im offenen oder im geschlossenen Bereich Nach den Mitteln der Bewegungsbeschränkung kann gem § 2 zwischen einer Unterbringung im geschlossenen Bereich und „sonstigen Beschränkungen der Bewegungsfreiheit“ im offenen Bereich unterschieden werden (Rz 42 ff ). Abweichende Rechtsfolgen knüpft das UbG an diese Unterscheidung nicht. Der einzige Unterschied liegt darin, dass geschlossene Bereiche gem § 38a Abs 3 KAKuG ausschließlich zur Unterbringung iSd UbG dienen dürfen und daher bei Patienten eines „geschlossenen Bereichs“ die Vermutung immer für das Vorliegen einer Unterbringung spricht, während im „offenen Bereich“ im Einzelfall zu prüfen ist, ob die betreffenden Personen „sonstigen“ Beschränkungen der Bewegungsfreiheit unterworfen (und somit untergebracht) sind oder nicht.
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Die Aufnahme in einem offenen Bereich sagt daher nichts darüber aus, ob der Patient untergebracht ist, sie hat auch nichts mit der Frage zu tun, ob eine Unterbringung auf oder ohne Verlangen vorliegt. Die Unterbringung ohne Verlangen kann ebenso in einem offenen Bereich erfolgen wie die Unterbringung auf Verlangen in einem geschlossenen Bereich.
cc) Unterbringung nach anderen Rechtsgrundlagen Ausnahmsweise können auch freiheitsentziehende Maßnahmen nach anderen Rechtsvorschriften in psychiatrischen Anstalten vollzogen werden. Auf diese ist das UbG nicht unmittelbar anwendbar, sondern insoweit, als die anderen Gesetze entsprechende Verweisungen auf das UbG enthalten (vgl den IX. Teil). dd) Nicht-untergebrachte Patienten Unterliegt ein psychiatrischer Patient keinen Beschränkungen der Bewegungsfreiheit iSd § 2, dann ist er auch nicht „untergebracht“. Das UbG spricht in diesem Zusammenhang von einem „sonst in die Anstalt aufgenommenen, in seiner Bewegungsfreiheit nicht beschränkten“ Patienten (§ 11 Z 1). Seine Rechtsstellung ist nicht nach UbG, sondern nach den für alle anderen Anstaltspatienten geltenden Rechtsgrundlagen (KAKuG, Zivil- und Strafrecht) zu beurteilen. Das Rechtsverhältnis gründet sich in diesem Fall nach hA auf einen zivilrechtlichen Behandlungsvertrag mit dem Anstaltsträger. Der Eintritt muss daher freiwillig sein; Zwangsbefugnisse bestehen (voraussetzungsgemäß) nicht. Soll auch ein solcher Patient Beschränkungen der Bewegungsfreiheit oder sonstiger Rechte unterworfen werden, so ist gem § 11 Z 1 UbG eine Unterbringung ohne Verlangen einzuleiten (Rz 191, 284).
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I. Teil: Grundlagen und Grundbegriffe
d) Orte der Unterbringung: Anstalten und Abteilungen für Psychiatrie Das UbG gilt gem § 2 für „Krankenanstalten und Abteilungen für Psychiatrie“. Nur sie sind in Vollziehung des UbG zur Unterbringung ermächtigt; nur in diesen Einrichtungen dürfen geschlossene Bereiche errichtet oder andere organisatorische Maßnahmen zur Beschränkung der Bewegungsfreiheit psychisch Kranker getroffen werden (§ 38a Abs 1, § 38b KAG); nur auf die Patienten dieser Einrichtungen beziehen sich die Kontrollbefugnisse des Unterbringungsgerichts (§ 12 iVm § 2 UbG) und die Vertretungsbefugnisse der Patientenanwälte (§§ 13 ff iVm § 2 UbG). 1. Für andere stationäre Einrichtungen, in denen psychisch Kranke versorgt werden, gilt das UbG nicht. Der Frage, was unter „Krankenanstalten und Abteilungen für Psychiatrie“ iSd § 2 UbG zu verstehen ist, kommt daher zentrale Bedeutung zu. Keine Rolle spielt, in wessen Trägerschaft die Krankenanstalt steht und ob ihr das Öffentlichkeitsrecht verliehen wurde. 2. Außerhalb der vom UbG erfassten Krankenanstalten und Abteilungen für Psychiatrie können Beschränkungen künftig nach Maßgabe des HeimAufG zulässig sein.
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aa) Krankenanstalten a) Die Anwendbarkeit des UbG setzt voraus, dass es sich um eine Krankenanstalt handelt. Dabei ist – mit einer Einschränkung bei selbständigen Ambulatorien (Rz 30) – davon auszugehen, dass der vom UbG verwendete Begriff der „Krankenanstalt“ mit jenem des Krankenanstaltenrechts inhaltsgleich ist.
1. Kopetzki II 448. Beachte den im UbG abweichend gebrauchten Begriff der ,,Anstalt“, der – anders als jener der „Krankenanstalt“ – auch einzelne Abteilungen einschließt (Rz 184). 2. Zu den Krankenanstalten gehören neben Allgemeinen Krankenanstalten und Sonderkrankenanstalten auch Heime für Genesende, Pflegeanstalten für chronisch Kranke oder Sanatorien (§ 2 Abs 1 KAKuG). Universitätskliniken sowie deren Untergliederungen (klinische Abteilungen) sind gem § 31 Abs 2 und 4 UG ebenfalls (Teile von) Krankenanstalten. 3. Abweichend vom KAKuG fallen selbständige Ambulatorien, also „organisatorisch selb30 ständige Einrichtungen, die der Untersuchung oder Behandlung von Personen dienen, die einer Aufnahme in Anstaltspflege nicht bedürfen“ (§ 2 Abs 1 Z 7 KAKuG), nicht unter die Anstalten iSd § 2 UbG: Das UbG stellt auf die Aufnahme in stationäre Anstaltspflege ab (vgl §§ 6, 10: arg „aufgenommen“), mithin also auf jenes Merkmal, das den selbständigen Ambulatorien definitionsgemäß fehlt. Sofern ambulante psychiatrische Versorgungseinrichtungen in der Rechtsform eines selbständigen Ambulatoriums organisiert sind, scheidet eine auf das UbG gestützte Unterbringung daher ebenso aus wie die Anwendung von Zwangsmaßnahmen des UbG gegenüber den ambulant betreuten Patienten. Mangels „Aufnahme“ (vgl § 26 Abs 1 KAKuG) ist das UbG auch auf ambulante Behandlungen in allgemeinen oder Sonderkrankenanstalten nicht anwendbar. 4. Wegen der ausdrücklichen Verankerung der teilstationären Aufnahme („bis zur Dauer eines Tages“, vgl zB § 22 Abs 1 KAKuG) ist das UbG grundsätzlich auch auf solche Betreuungsformen in allgemeinen oder Sonderkrankenanstalten anwendbar (zB Tages- und Nachtkliniken). Vgl auch LG Innsbruck 3. 6. 1994, 53 R 113/94 (teilstationäre Aufnahme eines Minderjährigen in Abteilung für Kinder- und Jugendpsychiatrie während der Vormittagsstunden zum Zwecke des Besuchs einer „Heilstättenschule“ ist Unterbringung iSd UbG).
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b) Entscheidend für die Beurteilung als Krankenanstalt ist ein bestimmtes Ausmaß an sachlicher und organisatorischer Ausstattung sowie eine dem § 1 KAKuG entsprechende Zweckwidmung (Feststellung und Überwachung des Gesundheitszustandes; Vornahme operativer Eingriffe; Vorbeugung, Besserung und Heilung von Krankheiten durch Behandlung; aber auch: ärztliche Betreuung und besondere Pflege von chronisch Kranken).
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1. Zum Anstaltsbegriff des KAKuG VwSlg 13.090 A, 12.212 A, 12.255 A, 12.757 A; VwGH ZfVB 1987/2/572; VwGH KrSlg 351; vgl auch VfSlg 3296, 13.023. Dazu und zum Folgenden auch Kopetzki, Krankenanstaltenrecht, in: Holoubek/Potacs (Hg), Handbuch des Öffentlichen Wirtschaftsrechts I (2002) 463. 2. Die Abgrenzung zwischen „Pflegeanstalten für chronisch Kranke, die ärztlicher Betreuung und besonderer Pflege bedürfen“ (vgl § 2 Abs 1 Z 4 KAKuG) und anderen – nicht dem KAKuG unterliegenden – Pflegeheimen richtet sich nach der Art der von den Patienten primär benötigten Betreuung: Steht die Notwendigkeit regelmäßiger ärztlicher Betreuung des chronisch Kranken im Vordergrund, dann liegt eine Krankenanstalt (Pflegeanstalt) iSd KAKuG vor; steht hingegen die Pflege im Vordergrund (bei bloß fallweise erforderlicher ärztlicher Betreuung), dann wird keine Krankenanstalt iSd KAKuG anzunehmen sein (vgl auch VfSlg 13.237; in diesem Sinn nun etwa § 1 Abs 2 nö KAG). Die Abgrenzung kann im Einzelfall schwierig sein; Pflegeanstalt außerhalb des Anwendungsbereiches des KAKuG ist etwa die Versorgungsanstalt in Schernberg (LG Salzburg 9. 2. 1994, 22a R 432/93). Anders hingegen die nach dem KAG genehmigte Landes-Pflegeanstalt in Neudörfl oder die Pflegeanstalt Graz-Kainbach. 3. Die Zweckbestimmung einer Krankenanstalt ist nicht nach der subjektiven Einschätzung des Rechtsträgers, sondern objektiv aus der gesamten Ausstattung und Führung der Einrichtung zu beurteilen (VwGH ZfVB 1987/2/572). Die Erteilung einer sanitätsbehördlichen Errichtungs- und Betriebsbewilligung mag ein wichtiges Indiz für die Qualifikation als Krankenanstalt darstellen, ist aber letztlich nicht ausschlaggebend, weil eine „Krankenanstalt“ auch dann gegeben sein kann, wenn die entsprechenden Bewilligungen nach dem KAKuG – rechtswidrigerweise – nicht eingeholt wurden (materieller Anstaltsbegriff).
bb) Psychiatrische Anstalten bzw Abteilungen a) Zusätzlich zum Status als „Krankenanstalt“ ist für die Anwendbarkeit des UbG erforderlich, dass es sich um eine Krankenanstalt für Psychiatrie oder um eine psychiatrische Abteilung einer anderen Krankenanstalt handelt. Darunter fallen jedenfalls Sonderkrankenanstalten für Psychiatrie sowie psychiatrische Fachabteilungen allgemeiner Krankenanstalten. Da das UbG aber nicht auf die Betriebsform einer „Sonderkrankenanstalt“ abstellt, sondern – abweichend von der Terminologie des § 37 KAKuG – ganz allgemein von „Krankenanstalten für Psychiatrie“ spricht, sind hiezu auch andere Krankenanstalten zu zählen, wenn sie nach ihrem Anstaltszweck und der Art der ärztlichen Tätigkeit als „psychiatrische“ einzustufen sind. 1. Das kann etwa auf Pflegeanstalten für chronisch Kranke (§ 2 Abs 1 Z 4 KAKuG), auf Genesungsheime (§ 2 Abs 1 Z 3 KAKuG) oder auf Sanatorien (§ 2 Abs 1 Z 6 KAKuG) zutreffen, sofern diese der Betreuung von Patienten mit bestimmten Krankheiten aus dem Fachgebiet der Psychiatrie dienen. Im Zweifelsfall ist der „psychiatrische“ Charakter einer Anstalt bzw Abteilung anhand einer Durchschnittsbetrachtung der versorgten Patientengruppen (Art der Krankheitsbilder), der erbrachten Leistungen (Art und Fachzugehörigkeit der medizinischen Tätigkeiten) und der internen Organisationsstrukturen (insb: fachliche Qualifikation des Personals) zu beurteilen. Auch hiebei kommt es also auf eine materielle Beurteilung an, also darauf, ob der Schwerpunkt der ärztlichen Tätigkeit bzw der behandelten Krankheiten in der fraglichen Anstalt bzw Abteilung bei objektiver Betrachtung ins Fachgebiet der Psychiatrie fällt und daher die medizinisch-psychiatrische Versorgung im Vordergrund steht. Ein isoliertes Abstellen auf die Benennung oder die krankenanstaltenrechtliche Widmung ist schon wegen der uneinheitlichen und wechselnden Terminologie ungeeignet (vgl LGZ Wien 28. 7. 1993, 44 R 577/93). Vgl auch Hopf/Aigner § 2 Anm 5. Liegt der Schwerpunkt der Tätigkeit hingegen nicht in der medizinisch-psychiatrischen Versorgung, sondern in der Pflege und Betreuung, dann handelt es sich um gar keine Krankenanstalt (Rz 32), sondern um ein (dem HeimAufG unterliegendes) Pflegeheim – auch wenn sich die Pflege auf psychisch Kranke bezieht und daher möglicherweise auch psychiatrisch qualifiziertes Personal beschäftigt ist.
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I. Teil: Grundlagen und Grundbegriffe
2. Derzeit bestehen (ohne Anspruch auf Vollständigkeit) folgende psychiatrische Anstalten und Abteilungen, auf welche das UbG daher Anwendung findet (vgl zum jeweils aktuellen Stand der Einrichtungen und deren – häufig wechselnden – Bezeichnungen Kux [Hg], Handbuch für die Sanitätsberufe Österreichs, erscheint jährlich): Psychiatrische Abteilungen am Otto Wagner-Spital Wien (Baumgartner Höhe); Universitätsklinik für Psychiatrie Wien; Universitätsklinik für Neuropsychiatrie des Kindes- und Jugendalters Wien; psychiatrische Abteilung des Kaiser-Franz-Josef-Spitals Wien; psychiatrische Abteilung im Sozialmedizinischen Zentrum Ost Wien; neuropsychiatrische Abteilung für Kinder und Jugendliche des neurologischen KH Rosenhügel Wien; psychiatrische Abteilungen am Landesklinikum Donauregion (Gugging) und Mostviertel (Amstetten Mauer); Therapiezentrum Ybbs; psychiatrische Abteilungen der KH Hollabrunn, Neunkirchen, Waidhofen/Thaya; psychiatrische Abteilungen an der LNK Wagner-Jauregg Linz; psychiatrische Klinik Wels; psychiatrische Abteilungen der KH Vöcklabruck, Steyr, Braunau (geplant); psychiatrische Abteilungen an der Christian Doppler-Klinik (LNK) Salzburg; psychiatrische Sonderpflegestaion Grafenhof, LKH St. Veit; psychiatrische Abteilung des KH Schwarzach/Pongau (geplant); Psychiatrisches KH Hall; Universitätsklinik für Psychiatrie Innsbruck; psychiatrische Abteilung der KH Kufstein und Lienz (geplant); LKH Rankweil (Valduna); Zentrum für Seelische Gesundheit Klagenfurt; Abteilung für Neurologie und Psychiatrie des Kindes- und Jugendalters LKH Klagenfurt; psychiatrische Abteilung am LKH Villach; Universitätsklinik für Psychiatrie Graz; psychiatrische Abteilungen an der LNK Sigmund Freud Graz; Landespflegeheim Schwanberg. 3. Der Charakter als psychiatrische Anstalt bzw Abteilung iSd UbG ist auch zu bejahen bei der Abteilung für neurologische und psychiatrische Gerontologie des Wagner-Jauregg-KH Linz (LG Linz 22. 4. 1993, 18 R 241/93; OGH 22. 2. 1994, 5 Ob 571/93, NZ 1994, 253); bei der Sonderabteilung für Innere Medizin-Geriatrie der nö Landesnervenklinik Gugging (jetzt Donauklinikum) (LGZ Wien 28. 7. 1993, 44 R 577/93; 24. 8. 1993, 44 R 629/ 93). Bei rein neurologischen Krankenanstalten bzw Abteilungen trifft dies aber nicht zu. Schwierige Abgrenzungsprobleme ergeben sich vor allem bei „Pflegeanstalten“ nach dem KAKuG. 4. Das UbG ist auch in kinder- und jugendpsychiatrischen Abteilungen anwendbar (LG Innsbruck 12. 8. 1998, 54 R 157/98d; 16. 7. 1998, 54 R 141/98a; LG Klagenfurt 3. 12. 1999, 1 R 254/99v; LG Salzburg 26. 2. 1997, 21 R 13/97a; ebenso die Entscheidung des Präsidenten des LG Klagenfurt 11. 11. 1997, Jv 3889-32/97 zur Abteilung für Neuropsychiatrie des Kindes- und Jugendalters und Heilpädagogik des LKH Klagenfurt). Für die Anwendbarkeit des UbG kommt es auch hier nicht auf die krankenanstaltenrechtliche Bewilligung, sondern auf die objektive Zweckwidmung der Einrichtung an (Erlass RdM 1999, 59). Zur restriktiven Auslegung des Unterbringungsbegriffs bei Minderjährigen vgl aber Rz 60 ff. 5. Fällt eine Anstalt bzw Abteilung – mangels „psychiatrischer“ Qualifikation oder weil es sich um gar keine Krankenanstalt handelt – nicht in den Anwendungsbereich des UbG, so sind Bewegungsbeschränkungen an psychisch kranken oder geistig behinderten Pfleglingen künftig nach dem HeimAufG zu beurteilen (vgl Rz 813).
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6. Räumliche Auslagerungen von psychiatrischen Anstaltsbereichen („Außenstellen“, „Exposituren“) sind rechtlich Teil der Stammanstalt; vgl jedoch zur abweichenden Gerichtszuständigkeit Rz 299. Problematisch sind hingegen Umbenennungen psychiatrischer Einrichtungen oder deren gänzliche Ausgliederung in nicht-psychiatrische Organisationseinheiten (zB Geriatrie), um die gerichtliche Kontrolle über – weiterhin durchgeführte – Freiheitsbeschränkungen zu verhindern. Aus rechtlicher Sicht gibt es nur die Alternative: Entweder handelt es sich um eine (nach der Art der ärztlichen Tätigkeit bzw der Krankheiten) schwerpunktmäßig „psychiatrische“ Abteilung, dann findet das UbG unbeschadet allfälliger Umetikettierungen Anwendung. Oder es handelt sich in diesem Sinn um keine psychiatrische Abteilung, dann dürfen – sieht man von den Befugnisen nach dem neuen HeimAufG ab – mangels Grundlage im UbG auch keine Unterbringungen (dh: keine Beschränkungen der Bewegungsfreiheit) stattfinden (LG Linz 22. 4. 1993, 18 R 241/93). Eine Bindung des Gerichts an sanitätsbehördliche Bewilligungsbescheide ist zu verneinen, weil sich deren Rechtskraft nicht auf die Parteien des Unterbringungsverfahrens und somit auch nicht auf das Unterbringungsgericht erstreckt (LGZ Wien 28. 7. 1993, 44 R 577/93; vgl allgemein Walter / Mayer, Grundriss des österreichischen Verwaltungsverfahrensrechts8 [2003] Rz 309).
3. Anwendungsbereich des UbG und der Begriff der Unterbringung
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b) Wegen der weiten Formulierung des § 2 („Anstalten für Psychiatrie“) ist fraglich, ob das UbG auf Sonderkrankenanstalten für Psychiatrie in ihrer Gesamtheit anwendbar ist, also auch in nicht-psychiatrischen Abteilungen von psychiatrischen Sonderkrankenanstalten. Nach Inkrafttreten des HeimAufG sprechen nun bessere Gründe dafür, den Anwendungsbereich des UbG teleologisch auf jene Abteilungen von Sonderkrankenanstalten für Psychiatrie zu reduzieren, die für sich genommen als „psychiatrische“ zu qualifizieren sind.
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1. Für unterschiedslose Anwendung auf psychiatrische Sonderkrankenanstalten in ihrer Gesamtheit noch die Vorauflage Rz 37 sowie LGZ Wien 28. 7. 1993, 44 R 577/93; 24. 8. 1993, 44 R 629/93 (zur Sonderabteilung für Innere Medizin-Geriatrie der nö Landesnervenklinik Gugging); bestätigend LGZ Wien 3. 2. 1997, 44 R 49/97z. 2. Spätestens mit Inkrafttreten des HeimAufG am 1. 7. 2005 wäre jedoch wegen geänderter rechtlichen Rahmenbedingungen – insb unter Aspekten des Rechtsschutzes – kein sachlicher Grund mehr ersichtlich, weshalb die Anwendbarkeit des UbG auf ein und denselben Abteilungstyp vom mehr oder weniger zufälligen Befund abhängen soll, ob eine (nichtpsychiatrische) Abteilung Teil einer psychiatrischen Sonderkrankenanstalt oder einer sonstigen (insb allgemeinen) Krankenanstalt ist. Verneint man nach einer (materiellen: Rz 35) Beurteilung den psychiatrischen Charakter einer (zB neurochirurgischen) Abteilung einer psychiatrischen Sonderkrankenanstalt, dann wären allfällige Bewegungsbeschränkungen dort künftig nicht nach UbG, sondern nach Maßgabe des HeimAufG (vgl insb den Anwendungsbereich für Krankenanstalten nach § 2 Abs 1 letzter Satz HeimAufG; s Rz 816) zu beurteilen.
cc) Sonstige Krankenanstalten a) Freiheitsentziehungen in nicht-psychiatrischen Anstalten bzw Abteilungen sind nicht nach UbG zu beurteilen. Soweit besondere gesetzliche Grundlagen fehlen, sind freiheitsbeschränkende Maßnahmen grundsätzlich – vorbehaltlich zivil- oder strafrechtlicher Rechtfertigungsgründe sowie der Befugnisse nach dem HeimAufG – rechtswidrig.
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1. Für sonstige Rechtsgrundlagen der Anhaltung vgl den IX. Teil. 2. Vgl AB 2. Die Aussage von Foregger („Außerhalb der Krankenanstalten, für die dieses Gesetz [UbG] gilt, gibt es keine legale Beschränkung der Bewegungsfreiheit eines Menschen“: StProtBR 23.823; in diesem Sinn auch noch LG Salzburg 9. 2. 1994, 22a R 432/93; Hopf/Aigner § 1 Anm 11, § 2 Anm 4 f ) trifft mit Inkrafttreten des HeimAufG nicht mehr zu; zu dessen Anwendbarkeit auf Krankenanstalten vgl § 2 Abs 1 HeimAufG.
b) Ob das UbG auch dann anzuwenden ist, wenn ein nach dem UbG untergebrachter Patient aus therapeutischen Gründen vorübergehend in eine nichtpsychiatrische Anstalt bzw Abteilung verlegt wird, ist strittig (vgl Rz 584). Bejahend AB 5; Hopf/Aigner § 2 Anm 4; verneinend Vorauflage Rz 39. Die Anwendung des UbG in dieser Konstellation würde voraussetzen, dass der Patient funktionell weiterhin „untergebracht“ und die Behandlung in der anderen Anstalt jener psychiatrischen Einrichtung zuzurechnen ist, in deren Verantwortung die Unterbringung fällt. Dagegen spricht zwar, dass der Geltungsbereich des UbG auf „Krankenanstalten und Abteilungen für Psychiatrie“ beschränkt ist und das UbG keine dem § 71 StVG vergleichbare Sonderregelung über die vorübergehende Verlegung zu Behandlungszwecken unter Aufrechterhaltung des ursprünglichen Rechtsverhältnisses enthält. Im Lichte der neueren Rsp zur (insofern vergleichbaren) Problematik der Überstellung (Rz 184/1) und Wiedereinbringung (Rz 187) erscheint diese Auffassung aber vertretbar. Auch im Rahmen eines Angliederungsvertrages gem § 19 KAKuG wäre denkbar, dass der in der angegliederten Anstalt versorgte Patient kraft gesetzlicher Fiktion weiterhin als Patient der (psychiatrischen) Hauptanstalt gilt und daher auch den für diese maßgeblichen Rechtsgrundlagen unterliegt (§ 19 Abs 3 KAKuG).
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I. Teil: Grundlagen und Grundbegriffe
dd) Sonstige Anstalten und Heime Vom Anwendungsbereich des UbG nicht umfasst ist die Versorgung psychisch Kranker und geistig Behinderter in privaten oder staatlichen Heimen und Anstalten, die nicht einmal dem Krankenanstaltenrecht unterliegen (zB Wohn-, Alters-, Pflegeheime etc). 1. Für diese Einrichtungen existieren keine einheitlichen Rechtsgrundlagen; vgl insb die Pflegeheimgesetze der Länder. 2. Die Zulässigkeit von bewegungsbeschränkenden Maßnahmen richtet sich künftig – insoweit bundeseinheitlich – nach dem HeimAufG; vgl Rz 813 ff
e) Die einzelnen Merkmale des Unterbringungsbegriffs 41 § 2 UbG unterscheidet zwei alternative Unterbringungstatbestände, nämlich die „Anhaltung in einem geschlossenen Bereich“ und die „sonstige Beschränkung der Bewegungsfreiheit“. Beide Fälle fasst § 2 unter dem einheitlichen Begriff der „Unterbringung“ zusammen. Im Gegensatz zur „Anhaltung“ nach der EntmO ist das wesentliche Merkmal der Unterbringung daher nicht mehr die Anhaltung an einem bestimmten „geschlossenen“ Ort, sondern das Vorliegen materieller Beschränkungen der Bewegungsfreiheit (AB 4). 1. Unterliegt ein Patient solchen (in § 33 näher geregelten) Bewegungsbeschränkungen, dann ist er iSd UbG „untergebracht“, unabhängig davon, ob er sich in einem geschlossenen Bereich befindet oder nicht (OGH 26. 11. 1992, 7 Ob 635/92; 15. 12. 1992, 4 Ob 527/92; 22. 2. 1994, 5 Ob 571/93, RdM 1994/22 = JBl 1995, 63 = NZ 1994, 254; 29. 1. 1997, 7 Ob 2423/96s = SZ 70/16 = RdM 1997/20; 12. 9. 2002, 6 Ob 198/02i). Mit der Erwähnung des „geschlossenen Bereichs“ wird vom Gesetz nur eine von mehreren Formen der Unterbringung hervorgehoben, bei welcher die Beschränkung der Bewegungsfreiheit auch in äußerlich erkennbaren räumlichen Organisationsstrukturen ihren Ausdruck findet, während die „sonstige Beschränkung“ auf individuelle und personenbezogene Beschränkungen abstellt. 2. Eine Unterbringung iSd § 2 UbG liegt – Bewegungsbeschränkungen vorausgesetzt – auch zwischen Einlieferung bzw Aufnahme und dem Abschluss der Aufnahmeuntersuchung vor (selbst wenn die Untersuchung unterbleibt oder die Unterbringungsvoraussetzungen in der Folge verneint werden) (vgl VwSlg 13.994 A; OGH SZ 71/196; 4 Ob 17/98y, RdM 1999/3 = EvBl 1988/115; 2 Ob 25/97h, RdM 1998/3).
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aa) „Anhaltung in einem geschlossenen Bereich“ a) Der Begriff des „geschlossenen Bereiches“ wird weder im KAKuG noch im UbG definiert, sondern in seiner Bedeutung vorausgesetzt. Nach dem Vorverständnis des Gesetzgebers liegt das charakteristische Merkmal eines geschlossenen Bereichs darin, dass ein räumlich abgrenzbarer Bereich der Anstalt ständig – also nicht bloß vorübergehend – versperrt ist. 1. Zu diesem Begriff des geschlossenen Bereichs RV 20; OGH 16. 1. 1992, 7 Ob 639/91, SZ 65/9 = EvBl 1992/101 = NZ 1993, 37; 15. 12. 1992, 4 Ob 527/92. 2. Durch die Einführung des beweglicheren Begriffs des „geschlossenen Bereichs“ sollte der organisatorischen Vielgestaltigkeit der stationären Einrichtungen Rechnung getragen werden (RV 20). Für das Vorliegen eines „geschlossenen Bereiches“ ist es demnach nicht erforderlich, dass eine ganze Anstalt oder Abteilung „geschlossen“ ist; es kann sich auch um kleinere organisatorische Einheiten handeln, zB ein einzelnes Zimmer (dann liegt zugleich eine weitergehende Beschränkung iSd § 33 Abs 3 UbG vor: LG Linz 19. 5. 1994, 18 R 331/94 [versperrtes Aufnahmezimmer]) oder einen Trakt einer Abteilung.
3. Anwendungsbereich des UbG und der Begriff der Unterbringung
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3. Wann ein Bereich „geschlossen“ ist, muss anhand einer Durchschnittsbetrachtung aus der Sicht der darin befindlichen Patienten und der ihnen zur Verfügung stehenden Möglichkeiten beurteilt werden; auf eine bestimmte Technik des Verschließens kommt es nicht an. Bedarf es zum Verlassen des Raumes technischer Hilfsmittel, überdurchschnittlicher Geschicklichkeit bzw Kraftanstrengung oder besonderer Gedächtnisleistungen (Zahlencode), dann liegt ein geschlossener Bereich auch dann vor, wenn die Türe „im schlosserischen Sinn“ nicht oder nicht von allen Seiten versperrt ist: Vgl LG Innsbruck 29. 11. 1991, 3b R 181/91 (Türe von einer Seite nur mit Spezialschlüssel zu öffnen; darin versorgte Kranke sind iSd § 2 untergebracht, selbst wenn sie auf eigenes Verlangen die Räumlichkeiten mit Hilfe des Personals verlassen können); bestätigend OGH 16. 1. 1992, 7 Ob 639/91, SZ 65/9 = EvBl 1992/101 = NZ 1993, 37. Ebenso LG St. Pölten 20. 11. 1991, R 714/91 (Trakt nur von befugten Personen mit Schlüssel zu öffnen); LGZ Wien 24. 7. 1992, 44 R 537 und 545/92; 28. 8. 1992, 44 R 658/92; 29. 9. 1992, 44 R 779/92 (Betätigung eines Drehknopfes für durchschnittlich kräftigen Menschen nur mit besonderer Kraftanstrengung möglich). 4. Das bloß vorübergehende Versperren bestimmter Anstaltsbereiche (zB während der Nachtstunden) erfüllt nicht die Kriterien des geschlossenen Bereichs (RV 20; LG Linz 16. 11. 1993, 18 R 624-625/93; 18. 5. 1994, 18 R 278/94; OGH 5 Ob 571/93, NZ 1994, 253 = JBl 1995, 63 = RdM 1994/22), uU jedoch jene der sonstigen Beschränkung (Rz 51). Erst bei regelmäßigen Sperren liegt ein geschlossener Bereich vor. Die Motive der Absperrung spielen keine Rolle: Auch die wegen unzureichender Personalausstattung geschlossene Abteilung ist ein geschlossener Bereich iSd UbG (LGZ Wien 6. 10. 1992, 44 R 722/92). 5. Zur Errichtung geschlossener Bereiche Rz 63 ff.
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b) § 38a Abs 3 KAKuG sieht eine besondere Zweckwidmung geschlossener Bereiche vor: Diese dürfen ausschließlich der Anhaltung von psychisch Kranken dienen, auf die das UbG Anwendung findet. Es ist daher unzulässig, in einem ständig versperrten (= geschlossenen) Bereich neben untergebrachten Patienten auch andere Kranke stationär zu versorgen, und zwar auch dann, wenn diesen auf ihr Verlangen das Verlassen des Bereichs ermöglicht wird.
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1. Vgl LG Innsbruck 29. 11. 1991, 3b R 181/91 (ob die Betreuung solcher Patienten in einer geschlossenen Station aus organisatorischen Gründen günstiger ist oder ob es derzeit unrationell ist, an dieser Station nur Patienten, auf die das UbG Anwendung findet, zu betreuen, hat rechtlich im Hinblick auf § 38a Abs 3 KAKuG keine Bedeutung); bestätigend OGH 16. 1. 1992, 7 Ob 639/91, SZ 65/9 = EvBl 1992/101 = NZ 1993, 37. 2. Daraus folgt umgekehrt, dass ein Bereich, in dem sich nicht-untergebrachte Patienten befinden, nicht ständig versperrt (= „geschlossen“) sein darf. Im Ergebnis indiziert daher jede Aufnahme in einen geschlossenen Bereich eine Unterbringung iSd UbG (LG Feldkirch 12. 8. 1992, 1b R 171/92; OGH 16. 9. 1993, 2 Ob 571/93, EvBl 1994/68 = ÖAV 1994, 107 (108); LGZ Wien 7. 6. 1994, 44 R 452/94). Auch der einsichts- und urteilsfähige Patient hat daher nicht die rechtliche Möglichkeit, sich auf einer geschlossenen Abteilung behandeln zu lassen, ohne „untergebracht“ zu sein (OGH 22. 10. 1992, 1 Ob 599/92, JBl 1993, 455 = NRsp 1993/44). Ziel dieser Regelung ist die Vermeidung von Unklarheiten und Manipulationen bei der Abgrenzung untergebrachter von nicht-untergebrachten Patienten. Zutreffend formulierte der OGH, dass immer dann, wenn der Patient ein versperrtes Zimmer, eine versperrte Station, nicht ständig bedingungslos allein schon aufgrund seines freien Willens verlassen kann, sondern erst nach Ersuchen und unter Mitwirkung eines Pflegers, ein geschlossener Bereich vorliegt (OGH 16. 1. 1992, 7 Ob 639/91, SZ 65/9 = EvBl 1992/101 = NZ 1993, 37 f; LGZ Wien 24. 7. 1992, 44 R 537 und 545/92). 3. Schwierigkeiten bereitet die Zweckwidmung geschlossener Bereiche bei strafrechtlich eingewiesenen Patienten. Bei wörtlicher Auslegung des § 38a Abs 3 KAKuG dürften diese nur dann in geschlossenen Bereichen angehalten werden, wenn auf sie das UbG „Anwendung findet“. Dies trifft zwar teilweise auf Einweisungen nach § 71 StVG, § 158 Abs 4 StVG und § 429 Abs 4 StPO zu (Rz 800 ff ), nicht jedoch auf die Einweisung nach § 50 KAKuG. Da § 50 KAKuG aber ausdrücklich in Geltung gelassen wurde (BGBl 1990/157 Z 5) und die Durchführung dieser freiheitsentziehenden Maßnahmen eine Anhaltung in ständig versperr-
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I. Teil: Grundlagen und Grundbegriffe
ten Arealen voraussetzt, wird man die Zweckwidmung des § 38a Abs 3 KAKuG bei systematischer und teleologischer Interpretation um die Vollziehung des § 50 erweitern müssen.
bb) Sonstige Beschränkungen der Bewegungsfreiheit 48 a) Der Anhaltung in einem geschlossenen Bereich gleichzuhalten sind jene Fälle, in denen Personen außerhalb eines geschlossenen Bereiches „sonst Beschränkungen ihrer Bewegungsfreiheit unterworfen werden“ (§ 2). Im Gegensatz zum „geschlossenen Bereich“, bei dem sich die freiheitsbeschränkenden Maßnahmen in generellen und äußerlich erkennbaren Organisationsstrukturen niederschlagen, geht es hier um individuell personenbezogene Beschränkungen der Bewegungsfreiheit, die auf andere Weise als durch die Anhaltung in einem ständig geschlossenen räumlichen Bereich realisiert werden. 1. Für die Rechtsfolgen der Unterbringung kommt es nicht darauf an, ob der Patient „in einem geschlossenen Bereich angehalten“ wird oder ob er einen „offenen“ Bereich wegen sonstiger Bewegungsbeschränkungen nicht verlassen kann. Der Unterschied liegt lediglich darin, dass die „Geschlossenheit“ im einen Fall generell für den räumlichen Bereich als ganzes (und damit grundsätzlich für alle darin befindlichen Patienten), im anderen Fall nur für einzelne Patienten zutrifft. Anders als beim „geschlossenen Bereich“, in dem wegen der undifferenzierten Auswirkung der „Geschlossenheit“ sämtliche Patienten untergebracht sind, besteht im offenen Bereich ein Nebeneinander von Patienten, von denen einige in ihrer Bewegungsfreiheit beschränkt („untergebracht“) sind, andere hingegen nicht. 2. Zu den organisatorischen Vorkehrungen zur Bewegungsbeschränkung Rz 66.
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b) Nach § 2 UbG liegt eine Unterbringung immer dann – aber auch nur dann – vor, wenn der Kranke Beschränkungen der Bewegungsfreiheit unterworfen wird. Damit ist die körperliche Bewegungsfreiheit gemeint. 1. Nach der Rsp des OGH liegt eine Beschränkung der Bewegungsfreiheit vor, „wenn es einer Person unmöglich gemacht wird, ihren Aufenthalt nach ihrem freien Willen zu verändern“. (OGH 16. 1. 1992, 7 Ob 639/91, SZ 65/9 = EvBl 1992/101 = NZ 1993, 38; 26. 11. 1992, 7 Ob 635/92; 15. 12. 1992, 1 Ob 639/92; 25. 8. 1993, 1 Ob 584/93; 29. 1. 1997, 7Ob 2423/96s, RdM 1997/20 = SZ 70/16; 12. 9. 2002, 6 Ob 198/02i uam). 2. Die Verhängung anderer Beschränkungen erfüllt als solche nicht den Tatbestand der Unterbringung. Da aber sämtliche freiheitsbeschränkende Maßnahmen des UbG ausschließlich gegenüber untergebrachten (= in ihrer Bewegungsfreiheit beschränkten) Patienten zulässig sind, dürfen auch andere Beschränkungen nur dann vorgenommen werden, wenn der Patient zugleich in seiner Bewegungsfreiheit beschränkt (und somit „untergebracht“) wird.
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c) Der räumliche Umfang der Beschränkung spielt für den Begriff der Unterbringung keine Rolle. Die Bewegungsbeschränkung auf die Anstalt bzw Abteilung in ihrer Gesamtheit unter Wahrung freier Bewegungsmöglichkeiten innerhalb des Anstaltsareals stellt daher ebenso eine Unterbringung dar wie die Beschränkung auf einzelne Bereiche der Anstalt, die Beschränkung auf ein einzelnes Zimmer oder die Beschränkung innerhalb eines Raumes. 1. Auch die in § 33 UbG geregelten „körpernahen“ Beschränkungen innerhalb eines Raumes führen daher zum Vorliegen einer „Unterbringung“ iSd § 2 (OGH 26. 11. 1992, 7 Ob 635/92; 15. 12. 1992, 1 Ob 639/92; 15. 12. 1992, 4 Ob 527/92; 25. 8. 1993, 1 Ob 584/93; 22. 2. 1994, 5 Ob 571/93, RdM 1994/22 = JBl 1995, 63 = NZ 1994, 254; VwGH JBl 1994, 772 = VwSlg 13.994 A; Gaisbauer, RZ 1993, 112). Eine Unterbringung liegt daher vor, sobald ein (ursprünglich überhaupt nicht beschränkter) Patient auch nur einer einzigen Beschränkung seiner Bewegungsfreiheit unterworfen wird (OGH 26. 11. 1992, 7 Ob 635/92 [vorübergehendes Versperren von Stationen]; 15. 12. 1992, 4 Ob 527/92 [Festbinden]; 9. 3. 1993, 4 Ob 513, 514/93 [wiederholtes Zurückbringen nach Entweichung]; SZ 70/16 = RdM 1997/20 [medikamentöse Ruhigstellung]; 20. 11. 1997, 2 Ob 347/97m [zwangsweises Ba-
3. Anwendungsbereich des UbG und der Begriff der Unterbringung
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den]; 27. 1. 1998, 4 Ob 17/98y, RdM 1999/3 [zwangsweise Aufnahmeuntersuchung]; 12. 9. 2002, 6 Ob 198/02i [Seitengitter etc]; LG St. Pölten 20. 11. 1991, R 714/91; 20. 11. 1991, R 709/91 [Bauchgurt]; LG Innsbruck 10. 6. 1992, 1b R 108, 109 und 110/92 [Angurten und Schutzjacke]; LGZ Wien 16. 2. 1993, 44 R 33/93 [Netzbett]; 1. 3. 1994, 44 R 193/94 [Fixierung an Sessel und Netzbett]; LG Salzburg 28. 11. 1991, 22 R 613/91). Eine besondere Erheblichkeitsschwelle sieht das UbG als Merkmal des Unterbringungsbegriffes nicht vor (OGH 26. 11. 1992, 7 Ob 635/92; 15. 12. 1992, 1 Ob 639/92; 22. 2. 1994, 5 Ob 571/93, RdM 1994/22 = JBl 1995, 63 = NZ 1994, 254; 10. 5. 1994, 4 Ob 534/94, ÖAV 1995, 31 = SZ 67/87). Unverzichtbar bleibt freilich, dass der Betroffene am Verlassen seines Aufenthaltsortes gehindert wird: Die Unmöglichkeit, bestimmte Räume oder Areale zu betreten, begründet keine Unterbringung. 2. Auch die nur zeitweise Anwendung bewegungsbeschränkender Mittel begründet eine Unterbringung, wenn sie Ausdruck eines Zwanges zum Verbleib in der Anstalt sind (vgl etwa LGZ Wien 29. 9. 1992, 44 R 723/92: Unterbringung, wenn Station offenbar immer dann versperrt wird, wenn das Personal die Patienten nicht am Verlassen der Station hindern oder sie dabei begleiten kann; bestätigend OGH 26. 11. 1992, 7 Ob 635/92; ebenso LGZ Wien 6. 10. 1992, 44 R 722/92; 28. 7. 1993, 44 R 577/93; LG Innsbruck 10. 6. 1992, 1b R 109/92; LG Linz 11. 4. 1995, 13 R 114/95 [Beschränkung nur für mehrere Stunden am Tag]). Ebenso wenig spricht gegen eine Unterbringung, dass ein Patient vorübergehend Ausgang erhält und die Anstalt mit Hilfe des Personals gelegentlich verlassen kann (LG Innsbruck 29. 11. 1991, 3b R 181/91), weil und sofern die Festlegung der Rahmenbedingungen des Ausgangs (insb die Rückkehr) nicht zu seiner Disposition steht und er mit der zwangsweisen Wiedereinlieferung rechnen muss, wenn er sich diesen Bedingungen entzieht (zum Ausgang Rz 576 f ). Folgerichtig daher der OGH, wonach „die ständige Abhängigkeit der freien Aufenthaltsveränderung vom Willen eines anderen“ eine Unterbringung darstelle (OGH 16. 1. 1992, 7 Ob 639/91, SZ 65/9 = EvBl 1992/101 = NZ 1993, 37 f ). 3. Abweichend zu beurteilen sind nächtliche Haustorsperren, weil derartige Maßnahmen auch in anderen Krankenanstalten üblicherweise akzeptiert werden und nicht als Ausdruck eines Zwanges zum Verbleib in der Anstalt zu deuten sind (LG Linz 11. 11. 1993, 18 R 622623/93; 16. 11. 1993, 18 R 624-625/93; 11. 4. 1995, 13 R 114/95; OGH 22. 2. 1994, 5 Ob 571/93, RdM 1994/22 = JBl 1995, 63 = NZ 1994, 254 [Absperren einer Stationstüre zur Nachtzeit]). Sind die Türen aber auch tagsüber die überwiegende Zeit versperrt (hier: 7 Stunden zwischen 7.00 und 20.00 Uhr), so liegt eine Unterbringung vor (LG Linz 18. 5. 1994, 18 R 278/94; 1. 6. 1994, 18 R 345/94; 16. 6. 1994, 18 R 422/94; präzisierend LG Linz 11. 4. 1995, 13 R 114/95 [zeitweises Versperren in Morgen- und Abendstunden außerhalb der Schlafenszeiten]; LG Innsbruck 16. 7. 1998, 54 R 141/98a [auch vorübergehend verschlossene Stationstüre begründet Unterbringung]).
d) Ziele und Motive der freiheitsbeschränkenden Maßnahme sind für den Begriff der Unterbringung nicht ausschlaggebend. Die therapeutische oder pflegerische Intention kann die Einstufung einer Maßnahme als Bewegungsbeschränkung und damit als „Unterbringung“ für sich genommen ebenso wenig verhindern wie das Fehlen des für die Beaufsichtigung erforderlichen Personals. 1. Vgl OGH 26. 11. 1992, 7 Ob 635/92; 15. 12. 1992, 1 Ob 639/92; 15. 12. 1992, 4 Ob 527/92; 22. 2. 1994, 5 Ob 571/93, RdM 1994/22 = JBl 1995, 63 = NZ 1994, 254. „Sicherung“ und „Bewegungsbeschränkung“ schließen einander nicht aus (OGH 9. 3. 1993, 4 Ob 513, 514/93). Das folgt aus § 33 Abs 1, der therapeutische und pflegerische Zielsetzungen als Rechtfertigung einer Beschränkung formuliert. Die therapeutische Funktion einer versperrten Tür oder einer sonstigen Beschränkung als „Pflegebehelf “ sagt daher über die Qualifikation als Bewegungsbeschränkung nichts aus. Auch therapeutische und pflegerische Maßnahmen ieS können Bewegungsbeschränkungen sein: OGH SZ 70/16 = RdM 1997/20 (medikamentöse Ruhigstellung); 20. 11. 1997, 2 Ob 347/97m (zwangsweises Baden). 2. Umso weniger können außermedizinische Gründe die Qualifikation einer Beschränkung als Unterbringung verhindern; vgl zB LG Innsbruck 16. 7. 1998, 54 R 141/98a (Versperren einer Stationstür auf Abteilung für Kinder- und Jugendpsychiatrie aus „jugendwohlfahrtsrechtlichen Erwägungen“ steht Qualifikation als Unterbringung nicht entgegen).
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I. Teil: Grundlagen und Grundbegriffe
e) Die Wahl der Mittel, die zur Beschränkung der Bewegungsfreiheit eingesetzt werden, ist für die Qualifikation als Unterbringung für sich genommen unerheblich. Entscheidend bleibt aber, dass es dem Patienten „unmöglich gemacht wird“, unabhängig vom Willen anderer seinen Aufenthaltsort zu verlassen. Das erfordert eine situationsbezogene Beurteilung im Einzelfall.
1. OGH 16. 1. 1991, 7 Ob 639/91, SZ 65/9 = EvBl 1992/101 = NZ 1993, 37; 26. 11. 1992, 7 Ob 635/92. Dies ist jedenfalls der Fall, wenn Aufenthaltsveränderung durch physische Mittel unterbunden wird. Eine „Beschränkung“ der Bewegungsfreiheit setzt aber nicht die Anwendung physischen Zwangs oder körperlichen Widerstand des Patienten voraus (OGH 9. 3. 1993, 4 Ob 513, 514/93; 25. 8. 1993, 1 Ob 584/93; 16. 9. 1993, 2 Ob 571/93, EvBl 1994/68 = ÖAV 1994, 108 = RdM 1994/3); gleichzuhalten ist die ausdrückliche oder aus Umständen erschließbare Androhung. Eine Unterbringung liegt daher vor, wenn der Patient aus dem Gesamtbild des Geschehens den Eindruck gewinnen muss, dass er den Aufenthaltsort nicht verlassen kann (OGH 9. 3. 1993, 4 Ob 513, 514/93; 26. 8. 1993, 2 Ob 539/93). Untergebracht ist auch, wer einen unversperrten Ort nicht verlässt, weil er ohnehin damit rechnen muss, am Verlassen gehindert (LGZ Wien 4. 5. 1993, 44 R 319/93: Beistellung eines „Aufpassers“) oder mit Zwang zurückgeholt zu werden (OGH 9. 3. 1993, 4 Ob 513, 514/93: mehrmaliges Zurückholen nach Entweichung). 2. Eine Unterbringung wird vom OGH auch dann bejaht, wenn der Abteilungsleiter die Anordnung erteilt, den Patienten am Verlassen zu hindern, unabhängig davon, ob dieser einen Versuch tatsächlich unternimmt (bzw krankheitsbedingt gar nicht unternehmen kann) oder sich seiner drohenden Beschränkung bewusst wurde (OGH 25. 8. 1993, 1 Ob 584/93; 16. 9. 1993, 2 Ob 571/93, EvBl 1994/68 = ÖAV 194, 108 = RdM 1994/3; 12. 9. 2002, 6 Ob 198/02i). Die bloße Absicht des Abteilungsleiters, den Betroffenen gegebenenfalls am Verlassen der Anstalt zu hindern, ist hingegen noch keine Bewegungsbeschränkung (OGH 16. 9. 1993, 2 Ob 571/93, EvBl 1994/68 = ÖAV 1994, 108 = RdM 1994/3). 3. Überreden, Motivationsdruck durch Zureden, eindringliche Schilderung der negativen 54 gesundheitlichen Auswirkungen und ähnliche Einflussnahmen auf die Willensbildung begründen auch dann keine Beschränkung der Bewegungsfreiheit, wenn sich der Patient ihnen fügt. Misslänge die Überredung, dann könnte sich der Patient dem Anstaltsaufenthalt ebenso gut entziehen. Daher verwirklicht auch der Entzug der Privatkleidung nicht den Tatbestand der Bewegungsbeschränkung. Ähnlich zu beurteilen sind Abmachungen oder elektronische Überwachungsvorrichtungen: Maßgeblich ist immer, welche Folgen sich daran knüpfen. Vgl LG Linz 29. 11. 1995, 13 R 443/95 (unsanktionierte Vereinbarung mit Patientin, die Station nicht unbegleitet zu verlassen, ist keine Unterbringung); LG Salzburg 26. 2. 1997, 21 R 13/97a (Überreden zum weiteren Verbleib ist keine Unterbringung); LG Linz 10. 9. 1998, 14 R 460/98k (Pflicht, sich vor Verlassen der Station abzumelden, begründet keine Unterbringung, wenn sich Patient frei bewegen und das Krankenanstaltengelände verlassen kann); LGZ Wien 3. 2. 1997, 44 R 49/97z (Einsatz eines elektronischen Alarmsystems ist Unterbringung, wenn Patient bei Auslösung des Alarms vom Pflegepersonal zurückgeholt wird). 4. Bei pharmakologischen Beeinflussungen, die den Bewegungsdrang als solchen beseiti55 gen, kann von einer „Beschränkung“ der Bewegungsfreiheit erst gesprochen werden, wenn sich der Zweck der Medikamentation unmittelbar auf die Dämpfung des Bewegungsdranges bezieht, nicht jedoch bei unvermeidlichen bewegungsdämpfenden Nebenwirkungen im Rahmen anderer therapeutischer Ziele. Im Ergebnis wie hier zB OGH 29. 1. 1997, 7 Ob 2423/96s, SZ 70/16 = RdM 1997/20 (medikamentöse Ruhigstellung durch Dominal als Beschränkung iSd §§ 2, 33); vgl – zu bloßen Nebenwirkungen – auch OGH RdM 2001/20. Das unfreiwillige Versetzen in den Tiefschlaf ist wohl immer eine Beschränkung der Bewegungsfreiheit (LGZ Wien 16. 2. 1993, 44 R 33/93). 5. Bewegungsbeschränkungen aus der Sphäre des Patienten begründen für sich genom56 men keine Unterbringung (LGZ Wien 31. 1. 1995, 44 R 1040/94: verletzungsbedingte Bewegungsunfähigkeit). Werden jedoch äußere Beschränkungen vorgenommen (zB Absperrung, Steckgitter), dann liegt eine Unterbringung auch dann vor, wenn der Patient seinen Aufenthaltsort gar nicht verlassen will oder kann (aM LG Salzburg 29. 5. 2002, 21 R 97/02v: Seitengitter keine Beschränkung, wenn Patient schwächebedingt nicht aufstehen kann).
3. Anwendungsbereich des UbG und der Begriff der Unterbringung
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e) Die Qualifikation einer Bewegungsbeschränkung als Unterbringung erfordert auf der Seite des Patienten weder Geschäftsfähigkeit noch eine qualifizierte Einsichts- und Urteilsfähigkeit. Nur wenn überhaupt die Möglichkeit zu willkürlicher Bewegung fehlt (Bewusstlose), liegt keine „Beschränkung“ vor. 1. Beim komatösen Patienten, dessen Armgelenk zum Zweck der Sicherung von Infusionen oder Beatmungsschläuchen vor reflexartigem Herausreißen fixiert wird, liegt daher keine Unterbringung vor (OGH 10. 5. 1994, 4 Ob 534/94, ÖAV 1995, 31 = SZ 67/87; abweichend in einem ähnlichen Fall OGH 19. 5. 1994, 6 Ob 559/94, EvBl 1995/24 = SZ 67/91). Abgesehen von diesem Extremfall tiefer Bewusstlosigkeit ist es hingegen nicht maßgeblich, ob sich der Patient der Beschränkung bewusst wird (OGH 29. 1. 1997, 7 Ob 2423/96s, RdM 1997/20 – medikamentöse Ruhigstellung; 12. 9. 2002, 6 Ob 198/02i – Patientin wäre am Versuch des Verlassens der Station gehindert worden). Die Ansicht, Freiheitsbeschränkungen bedürften dann keiner gerichtlichen Kontrolle (und seien daher vom Unterbringungsbegriff nicht erfasst), wenn die psychische Krankheit das bewusste Erleben und die freie Willensbildung entsprechend reduziert habe, wurde vom OGH zu Recht abgelehnt (6 Ob 198/02i). 2. Die Einsichts- und Urteilsfähigkeit des Patienten kann aber für die Frage Bedeutung haben, ob dieser seinem Anstaltsaufenthalt und damit verbundenen Beschränkungen wirksam zustimmt. Hält sich ein einsichts- und urteilsfähiger Patient freiwillig in der Anstalt auf und sind auch sämtliche – nach ihrem äußeren Anschein als Bewegungsbeschränkungen deutbaren – Maßnahmen von seinem aktuellen Willen getragen (zB kurzfristiges Festbinden zum Zweck einer konsentierten medizinischen Behandlung oder zur erleichterten Nahrungsaufnahme) dann liegt keine „Beschränkung“ der Bewegungsfreiheit vor (ebenso LG Salzburg 19. 1. 2000, 21 R 20/00p, EFSlg 97.467). An die Einsichts- und Urteilsfähigkeit und an den Nachweis der Zustimmung sind strenge Anforderungen zu stellen, weil ansonsten die Gefahr bestünde, dass dem Patienten seine Zustimmung unterstellt wird, mit dem Ergebnis, dass eine Summe „kleiner“, vorgeblich „freiwilliger“ Beschränkungen in ihrer Gesamtheit auf eine freiheitsbeschränkende Unterbringung hinauslaufen. 3. Werden Beschränkungen ohne Zustimmung vorgenommen oder aufrechterhalten, dann liegt eine Unterbringung selbst dann vor, wenn diese vom (einsichtsfähigen) Patienten zunächst selbst verlangt wurde. Da das UbG die Unterbringung als „Beschränkung der Bewegungsfreiheit“ definiert, zugleich aber eine Unterbringung „auf Verlangen“ vorsieht, kann die initiale Zustimmung die Qualifikation als Unterbringung nicht ausschließen. 4. Auch Freiheitsbeschränkungen, denen der Sachwalter zustimmt, stellen eine Unterbringung dar: OGH 12. 11. 1992, 6 Ob 601/92. Zu Minderjährigen vgl Rz 60 ff. 5. Die im UbG geregelten Beschränkungen können nicht alternativ auf zivil- oder strafrechtliche Rechtfertigungsgründe gestützt werden, sobald die im UbG festgelegten Voraussetzungen nicht erfüllt sind (vgl gegen eine Berufung auf „ärztlichen Notstand“ auch OGH 26. 11. 1992, 7 Ob 635/92).
f) Sonderprobleme bei Minderjährigen Bewegungsbeschränkungen, denen Minderjährige eines bestimmten Alters im Rahmen stationärer Krankenhausaufenthalte üblicherweise ausgesetzt sind und die sich auf das von der Anstalt vertretungsweise ausgeübte elterliche Sorgerecht stützen, stellen keine Unterbringung dar und sind von der Anwendung des UbG auszunehmen. Erst bei Überschreitung dieser – nicht präzise formulierbaren – altersabhängigen Schwelle liegt eine Unterbringung vor. 1. Vgl LG Innsbruck 5. 11. 1993, 3b R 150/93; 12. 8. 1998, 54 R 157/98d; Kopetzki II 467 f; BMAGS Erlass RdM 1999, 59; Schwamberger, RdM 2001, 6 f. Bei einem wörtlichen Verständnis des § 2 wäre jeder stationäre Aufenthalt eines Minderjährigen in einer psychiatrischen Anstalt (zB in einer Abteilung für Kinder- und Jugendpsychiatrie; zur Anwendbarkeit des UbG Rz 35) als „Unterbringung“ zu qualifizieren, sobald der Minderjährige „in seiner Bewegungsfreiheit“ beschränkt wird. Zumindest bei unmündigen Minderjährigen wird eine
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I. Teil: Grundlagen und Grundbegriffe
solche Beschränkung aber durchwegs vorliegen, weil die Anstalt aufgrund des mit dem gesetzlichen Vertreter abgeschlossenen Behandlungsvertrages verpflichtet ist, für die Sicherheit des Minderjährigen zu sorgen und ihn am beliebigen Verlassen der Anstalt zu hindern. Bei der Anstaltspflege dieser Personen wäre demnach immer der Tatbestand der „Unterbringung“ erfüllt, was angesichts des Gefährdungskriteriums (§ 3) rein therapeutisch motivierte Aufnahmen schlechthin unzulässig machen würde. Dies war nicht Absicht des Gesetzgebers. Da auch Beschränkungen der Bewegungsfreiheit Minderjähriger insoweit keinen Freiheitsentzug darstellen, als die Beschränkungen Ausfluss elterlichen Sorgerechts iSd Art 8 EMRK sind (EGMR Nielsen A/144 § 72 f ), ist die überschießende Formulierung des Unterbringungsbegriffs teleologisch auf jene Beschränkungen zu reduzieren, die die Schwelle zum Freiheitsentzug tatsächlich erreichen. 2. Im Kontext des Unterbringungsbegriffs kommt es nicht darauf an, ob die Zustimmung zur Bewegungsbeschränkung von den sorgeberechtigten Eltern oder von anderen obsorgeberechtigten Personen stammt (LG Innsbruck 12. 8. 1998, 54 R 157/98d – Jugendamt). 3. Keine Unterbringung liegt daher zB vor bei einer mit Zustimmung des Sorgeberechtigten durchgeführten Fixierung eines geistig behinderten Minderjährigen im Zuge der Nachbehandlung eines operativen Eingriffs (LG Salzburg 19. 1. 2000, 21 R 20/00p, EFSlg 97.467). 4. Zu bejahen ist eine Unterbringung hingegen bei einer Anhaltung in geschlossenen Be61 reichen mit zusätzlichen Kommunikationsbeschränkungen (LG Innsbruck 5. 11. 1993, 3b R 150/93), bei – über die übliche Beschränkung Minderjähriger hinausgehend – permanten verschlossenen Stationstüren (LG Innsbruck 12. 8. 1998, 54 R 157/98d), bei Bewegungsbeschränkungen an mündigen Minderjährigen fortgeschrittenen Alters (im Ergebnis LG Innsbruck 22. 4. 1994, 53 R 88/94: Versperren der Stationstüre bei einer beinahe 18jährigen; LG Klagenfurt 3. 12. 1999, 1 R 254/99v), sowie dann, wenn die Zustimmung der Sorgeberechtigten fehlt (LG St. Pölten18. 6. 2004, 10 R 46/04y) oder sich die Beschränkungen auch gegen die Eltern richten (zB Ausgangsbeschränkungen selbst in Begleitung der Eltern, Verbot, nach Hause zu telefonieren: LG Innsbruck 5. 11. 1993, 3b R 150/93). 5. Die stationäre Aufnahme Minderjähriger in psychiatrische Abteilungen ist immer auf 62 anstaltsbedürftige psychisch Kranke beschränkt (§ 22 Abs 2 iVm § 37 KAKuG). Eine Aufnahme zur bloßen Unterstützung elterlicher Erziehungsziele oder zu Zwecken des Jugendschutzes ohne medizinische Notwendigkeit ist unzulässig (so auch LG Innsbruck 22. 4. 1994, 53 R 85/94 bis 87/94; 12. 8. 1998, 54 R 157/98d; ebenso – ablehnend – zu „jugendwohlfahrtsrechtlichen Erwägungen“ LG Innsbruck 16. 7. 1998, 54 R 141/98a).
4. Organisatorische Voraussetzungen für die Vollziehung des UbG Die Regelungen über die innere Organisation psychiatrischer Anstalten finden sich nicht im UbG, sondern im Krankenanstaltenrecht. Sie knüpfen an die spezifischen Vollzugsaufgaben des UbG an und schaffen die notwendigen organisationsrechtlichen Rahmenbedingungen für die Anstalt.
Die primär maßgeblichen Bestimmungen der §§ 37 ff KAKuG bzw der Landes-KAG gelten sowohl für öffentliche als auch für private psychiatrische Anstalten (§ 41 KAKuG).
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a) Errichtung geschlossener Bereiche a) Die Errichtung geschlossener Bereiche zur Unterbringung psychisch Kranker darf nur in Abteilungen und Sonderkrankenanstalten für Psychiatrie erfolgen (§ 38a Abs 1 KAKuG e contrario). Ob und in welchem Umfang in psychiatrischen Anstalten und Abteilungen ein geschlossener Bereich eingerichtet wird, ist als Frage des inneren Betriebes vom Anstaltsträger zu entscheiden. Die Errichtung gilt gem § 38a Abs 2 KAKuG als wesentliche Veränderung iSd § 4 Abs 1 KAKuG und bedarf der Bewilligung durch die Landesregierung.
4. Organisatorische Voraussetzungen für die Vollziehung des UbG
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Zum Begriff des geschlossenen Bereichs Rz 42 ff. Die nähere Ausgestaltung des geschlossenen Bereiches ist in der Anstaltsordnung zu regeln (vgl § 38c Abs 1 KAKuG).
b) Die Errichtung geschlossener Bereiche ist vom Gesetzgeber als Ausnahme konzipiert worden. Als Grundsatz gilt gem § 38 KAKuG, dass Abteilungen und Sonderkrankenanstalten für Psychiatrie offen zu führen sind.
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Das bedeutet zum einen, dass eine Anstalt bzw Abteilung, in der Unterbringungen nach dem UbG vorgenommen werden, nicht notwendigerweise über einen geschlossenen Bereich verfügen muss. Das bedeutet zum anderen aber auch, dass sich ein geschlossener Bereich nicht auf die gesamte Anstalt erstrecken darf. Insgesamt „geschlossene Anstalten“ nach dem Modell der früheren Irrenanstalten darf es daher nicht mehr geben.
c) Gem § 38a Abs 1 KAKuG müssen geschlossene Bereiche von den übrigen Bereichen der Anstalt bzw Abteilung äußerlich unterscheidbar sein. Diese „aus Gründen der Kontrolle“ (1204 BlgNR 1) vorgeschriebene Erkennbarkeit impliziert eine entsprechende Kennzeichnungspflicht des Anstaltsträgers.
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Ob ein Bereich „geschlossen“ ist, muss unabhängig von seiner Bezeichnung bzw Bewilligung beurteilt werden. Die Bezeichnungs- und Genehmigungspflicht ist eine an der „Geschlossenheit“ anknüpfende Rechtsfolge, nicht aber Begriffsmerkmal des geschlossenen Bereichs (OGH 16. 1. 1992, 7 Ob 639/91, SZ 65/9 = EvBl 1992/101 = NZ 1993, 37).
b) Sonstige Vorkehrungen zur Beschränkung der Bewegungsfreiheit Für die Durchführung von Bewegungsbeschränkungen außerhalb geschlossener Bereiche kann „durch geeignete organisatorische Maßnahmen vorgesorgt werden“ (§ 38b KAKuG).
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1. ZB durch selektive Türsperren, mechanische Zwangsmittel, bewachte Einzelräume oder spezielle Aufsichtsmaßnahmen. Auch diese organisatorischen Besonderheiten sind – ebenso wie die Errichtung geschlossener Bereiche – in der Anstaltsordnung zu regeln: § 38c Abs 1 KAKuG; § 22 Abs 1 lit g ktn KAO; 83 Abs 1 oö KAG; § 15 Abs 3 vbg SpitalG; § 54b Abs 1 stm KALG; § 74 Abs 1 sbg S-KAG; § 77c Abs 1 nö KAG; § 60c Abs 1 wr KAG; § 54d Abs 1 tir KAG: § 72 Abs 1 bgl KAG. Nach § 15 Abs 3 vbg SpitalG betrifft dies insb die genaue Abgrenzung der Räume oder räumlicher Bereiche, auf die die Bewegungsfreiheit beschränkt wird. 2. Wegen des gemeinsamen Aufenthalts von Patienten mit unterschiedlichem rechtlichen Status („untergebrachte“ und „sonstige“ Patienten) in einem an sich „offenen“ Bereich ordnet § 38b KAKuG an, dass durch derartige Beschränkungen bestimmter Patienten „andere psychisch Kranke in ihrer Bewegungsfreiheit nicht beschränkt werden“ dürfen. Es muss daher organisatorisch dafür Sorge getragen werden, dass die für die untergebrachten Patienten vorgesehenen Beschränkungen nicht auf die übrigen Kranken „ausstrahlen“.
c) Sonstige Vorkehrungen zur Vollziehung des UbG Gem § 38c Abs 2 KAKG und den Landes-KAG hat die Anstaltsordnung sicherzustellen, dass Patientenanwälte und Gerichte die ihnen gesetzlich übertragenen Aufgaben in der Krankenanstalt wahrnehmen können. Insb sind für die Durchführung der mündlichen Verhandlungen und für die Tätigkeit der Patientenanwälte geeignete Räumlichkeiten zur Verfügung zu stellen. 1. Vgl § 74 Abs 2 sbg S-KAG; § 54d Abs 2 tir KAG; § 15 Abs 3 vbg SpitalG; § 54b Abs 2 stm KALG; § 77c Abs 2 nö KAG; § 60c Abs 2 wr KAG; § 83 Abs 2 oö KAG; § 22 Abs 4 ktn KAO; § 72 Abs 1 bgl KAG. 2. Die Verpflichtung des Anstaltsträgers zur Bereitstellung geeigneter Räumlichkeiten bezieht sich in erster Linie auf die Bereitstellung entsprechender räumlichen Strukturen, nicht auf die personelle oder technische Büroausstattung. Die „Eignung“ von Räumlichkeiten setzt
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I. Teil: Grundlagen und Grundbegriffe
aber bestimmte Merkmale (zB für die Öffentlichkeit der mündlichen Verhandlung: Rz 373) sowie eine gewisse Infrastruktur voraus (zB Strom, Heizung, Licht etc). 3. Zur Sicherung des Zutritts der Richter, Sachverständigen und der Öffentlichkeit in die Anstalt vgl Rz 373; zum Zutritt der Patientenanwälte auch Rz 502 ff, 507.
d) Fachärztliche Leitung 69 a) Psychiatrische Abteilungen müssen gem § 7 Abs 4 KAKuG immer unter fachärztlicher Leitung eines Facharztes für Psychiatrie, Psychiatrie und Neurologie oder Neurologie und Psychiatrie stehen. 1. Vgl AB 1204 BlgNR 2; näher § 71 Abs 4 bgl KAG; § 54f tir KAG; § 16 Abs 3 vbg SpitalG; § 77e Abs 1 nö KAG; § 55 Abs 1 stm KALG; § 85 Abs 1 oö KAG; § 76 Abs 1 sbg SKAG; § 60e wr KAG. Die Notwendigkeit fachärztlicher Leitung gilt auch für psychiatrische Universitätskliniken bzw klinische Abteilungen für Psychiatrie (vgl § 32 Abs 1 UG). 2. Die Facharztbezeichnungen des Unterbringungs- und Krankenanstaltenrechts spiegeln 69/1 eine bestimmte Fächerstruktur nach dem historisch jeweils vorgefundenen Stand der ÄrzteAusbO (derzeit: BGBl 1994/152 idF 1998/169) wider, die jedoch einem steten Wandel unterworfen ist (vgl zB die derzeit geplante Ärzte-AusbO 2005). Dies kann zu Auslegungsproblemen bei geänderten Facharztbezeichnungen führen. Hinsichtlich der Leitungsbefugnisse nach KAKuG kommen sowohl Fachärzte für Psychiatrie (nach der AusbO 1994, Anlage 36) als auch die (nach älteren Rechtsgrundlagen erworbenen) Befugnisse für „Psychiatrie und Neurologie“ und „Neurologie und Psychiatrie“ in Betracht, nicht hingegen Fachärzte für „Neurologie“ (Ärzte-AusbO 1994 Anlage 26), und zwar auch nicht jene Fachärzte für „Neurologie und Psychiatrie“, die nach der Übergangsbestimmung des § 34 Abs 1 Ärzte-AusbO die Bezeichnung „Facharzt für Neurologie“ führen, weil sie keine Berufsbefugnis für Psychiatrie mehr besitzen). Ungereimtheiten entstehen bei Zusatzfächern („ergänzende spezielle Ausbildung“ in einem Sonderfach gem § 11 ÄrzteG), die im Rahmen mehrerer Fächer erworben werden können: So ist etwa ein auf dem Teilgebiet der Kinder- und Jugendneuropsychiatrie spezialisierter Psychiater weiterhin leitungsbefugt (iS § 7 Abs 4 KAKuG); erwirbt er die Spezialisierung für dasselbe Teilgebiet hingegen im Rahmen der Kinderheilkunde (Anlage 16), scheidet eine Zuordnung zum „Facharzt für Psychiatrie“ und damit auch eine entsprechende Leitungsbefugnis aus.
69/2
b) Zur Sicherstellung einer unbedingten fachärztlichen Leitung bei der Vollziehung des UbG verlangt § 38e Abs 1 KAKuG darüber hinaus, dass auch öffentliche und private (§ 38e iVm § 41 KAKuG) Sonderkrankenanstalten für Psychiatrie, in denen ein geschlossener Bereich errichtet ist oder psychisch Kranke sonst Beschränkungen ihrer Bewegungsfreiheit unterworfen werden, unter der ärztlichen Leitung eines Facharztes für Psychiatrie, für Psychiatrie und Neurologie oder für Neurologie und Psychiatrie stehen müssen. 1. Davon kann nach Maßgabe der Landes-KAG nur dann abgesehen werden, wenn die Sonderkrankenanstalt in Abteilungen gegliedert ist und jene Abteilung, in der ein geschlossener Bereich errichtet ist oder psychisch Kranke sonst Beschränkungen ihrer Bewegungsfreiheit unterworfen werden, ihrerseits unter der Leitung eines Facharztes für Psychiatrie, Psychiatrie und Neurologie oder Neurologie und Psychiatrie steht (§ 38e Abs 2 KAKuG). Vgl auch hier wieder sinngemäß Rz 69/1. 2. Eine dem § 38e Abs 2 KAKuG korrespondierende Ausnahme besteht im Burgenland (§ 71 Abs 5 bgl KAG), in Niederösterreich (§ 77e Abs 2 nö KAG), Oberösterreich (§ 85 Abs 2 oö KAG), Steiermark (§ 55 Abs 2 stm KALG), Kärnten (§ 26 Abs 6 ktn KAO) und Salzburg (§ 76 Abs 2 S-KAG). In Tirol (§ 54f tir KAG), Vorarlberg (§ 16 Abs 2 vbg SpitalG) und Wien (§ 60e wr KAG) müssen auch Sonderkrankenanstalten für Psychiatrie immer unter der Leitung eines Facharztes für Psychiatrie, Psychiatrie und Neurologie oder Neurologie und Psychiatrie stehen.
4. Organisatorische Voraussetzungen für die Vollziehung des UbG
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e) Anstaltsorgane In Bezug auf die anstaltsinternen Zuständigkeiten knüpft das UbG an den im Krankenanstaltenrecht vorgezeichneten Organisationsstrukturen an. Wer etwa „behandelnder Arzt“ iSd § 33 UbG ist, richtet sich nach den internen Organisationsvorschriften (Anstaltsordnung). Das gilt insb auch für den Begriff des Abteilungsleiters, mit dem das UbG ganz allgemein den „mit der Führung der Abteilung betrauten Arzt bzw seinen Vertreter“ meint (§ 4 Abs 2).
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1. In Universitätskliniken, die in Klinische Abteilungen gegliedert sind, kommt die Funktion des Abteilungsleiters dem Leiter der klinischen Abteilung (§ 7a Abs 1 KAKuG, § 31 Abs 4 UG), bei Gemeinsamen Einrichtungen dem Leiter der gemeinsamen Einrichtung (§ 7a Abs 2 KAKuG) zu (AB 5; OGH 26. 9. 1991, 8 Ob 587/91). Bei nicht in klinische Abteilungen gegliederten Universitätskliniken übt der Leiter der Organisationseinheit (vgl § 32 Abs 1 UG) die Funktion des Abteilungsleiters iSd UbG aus. 2. Ist eine Sonderkrankenanstalt für Psychiatrie nicht in Abteilungen gegliedert, dann kann – obgleich das UbG auf diesen Fall nicht Bezug nimmt – die Funktion des „Abteilungsleiters“ nur dem ärztlichen Leiter zukommen. 3. Vgl RV 22: „Vertreter ist derjenige Arzt, der auch innerhalb der Krankenanstalt die Aufgaben des Abteilungsleiters gerade besorgt, gegebenenfalls sogar der mit dem Nachtdienst betraute Arzt“. Da das UbG eine Vertretung zulässt, kann der Abteilungsleiter iSd § 7 Abs 4 KAKuG die Ausübung der ihm nach UbG zustehenden Befugnisse in seinem Namen und unter seiner Verantwortung an andere Ärzte übertragen (LG Linz 19. 3. 1992, 18 R 178/92). 4. Die Bereitstellung der für die Vollziehung des UbG erforderlichen Sach- und Personalausstattung (vgl nur Rz 133, 207) fällt in die Organisationsverantwortung des Anstaltsträgers. Die ständige Anwesenheit eines Facharztes für Psychiatrie (Psychiatrie und Neurologie, Neurologie und Psychiatrie, vgl wieder Rz 69/1 sowie Rz 203) stellt nur eine Mindestanforderung dar (bloße Rufbereitschaft genügt nicht; vgl § 8 Abs 1 Z 3 KAKuG).
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f ) Patientenanwaltschaft Gem § 13 Abs 1 UbG hat der Vorsteher des zuständigen Bezirksgerichts für die Kranken einer Anstalt einen Patientenanwalt zu bestellen (vgl Rz 447 ff ).
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1. Zur Verständigungspflicht des ärztlichen Leiters der Krankenanstalt gem § 41 UbG vgl Rz 300, 448. 2. Zur Bereitstellung von Räumlichkeiten Rz 68.
Zweiter Teil
Materielle Unterbringungsvoraussetzungen 1. Allgemeines 73 Gem § 3 UbG darf in einer psychiatrischen Anstalt bzw Abteilung nur untergebracht werden, wer – an einer psychischen Krankheit leidet und – im Zusammenhang damit sein Leben oder seine Gesundheit oder das Leben oder die Gesundheit anderer ernstlich und erheblich gefährdet (Z 1) – und nicht in anderer Weise, insbesondere außerhalb einer Anstalt, ausreichend ärztlich behandelt oder betreut werden kann (Z 2). 1. Die Rechtsentwicklung auf dem Gebiet des Unterbringungsrechts ist von einer schrittweisen Zurückdrängung der staatlichen Zwangsbefugnisse auf die Gefahrenabwehr gekennzeichnet (Kopetzki I 61 ff, II 474 f ). Genügte zunächst die „Anstaltsbedürftigkeit“, so hatte sich spätestens mit dem KAG 1957 der Grundsatz durchgesetzt, dass die Anhaltung nicht nur den Nachweis der Krankheit voraussetze, sondern dass die betroffene Person darüber hinaus auch „ihre oder die Sicherheit anderer Personen“ gefährden muss. Das UbG setzt diesen Weg fort, indem es zwar weiterhin eine Gefährdung verlangt, den Kreis der geschützten Rechtsgüter aber ausdrücklich um die Gesundheit des Kranken erweitert. 2. Die Voraussetzungen des § 3 gelten für jede Unterbringung iSd § 2. Sie gelten darüber hinaus auch für die Verbringung in die Anstalt (§§ 8, 9). Die Unterbringungsvoraussetzungen müssen sowohl bei Beginn als auch während des Freiheitsentzuges erfüllt sein. Fällt nur eine Voraussetzung des § 3 weg, so ist die Unterbringung gem § 32 UbG aufzuheben. 3. Als Auslegungsrichtlinie ist festzuhalten, dass im Verhältnis zum KAG keine Erweiterung der Aufnahmevoraussetzungen beabsichtigt war (RV 20). 4. Die kumulative Erfüllung dieser Voraussetzungen ist eine notwendige Bedingung für 74 die Rechtmäßigkeit der Unterbringung. Eine fehlende psychische Krankheit kann daher auch durch eine noch so große Gefährdung nicht kompensiert werden (vgl LG Innsbruck 12. 8. 1998, 54 R 146/98m). Das schließt auch einen automatischen Rückschluss von der psychischen Krankheit auf die Gefährdung (und umgekehrt) aus. 5. Die Unterbringung darf nicht der Abklärung einer bloß möglichen psychischen Krankheit dienen (LG Feldkirch 18. 8. 1992, 1c R 171/92). Verdacht auf eine Erkrankung genügt nicht (LG St. Pölten 16. 11. 1999, 10 R 394/99i zum Suizidversuch; anders LG St. Pölten 16. 12. 1996, 11 R 346/96h: Verdacht auf Bordelinesyndrom nach Suizidversuch für Erstanhörung ausreichend). Die Krankheit muss von Anfang an nachgewiesen sein (LGZ Graz 21. 10. 1991, 1 R 225/91); bloße Wahrscheinlichkeit reicht nicht (LG Linz 6. 3. 1991, 18 R 150/91; LG Salzburg 10. 3. 1993, 22a R 107/93; 12. 10. 1994, 22a R 354/94). Zur Glaubhaftmachung der Unterbringungsvoraussetzungen bei der Erstanhörung Rz 341. 6. Bleiben Unterbringungsvoraussetzungen zweifelhaft, ist die Unterbringung unzulässig (LG Salzburg 8. 11. 1993, 22a R 370/93; LGZ Wien 8. 8. 1994, 44 R 642/94; LG Korneuburg 7. 10. 1997, 22 R 82/97g). Dies auch dann, wenn die Krankengeschichte nicht vorgelegt wird und dem Gericht daher wesentliche Entscheidungsgrundlagen fehlen (LGZ Wien 18. 9. 1995, 44 R 673/95; 12. 8. 1999, 44 R 591/99h), wenn Unterbringungsvoraussetzungen in der Erstanhörung von den Ärzten nicht glaubhaft gemacht werden (LG St. Pölten 16. 11. 1999, 10 R 393/99t: Anführung medizinischer Fachbegriffe ohne nähere Konkretisierung) oder wenn angebliche Anhaltspunkte für eine Gefährdung so mangelhaft dokumentiert sind, dass sich der Richter kein eigenständiges Bild machen kann (LG St. Pölten 24. 5. 2000, 10 R 158/00p: Suizidäußerungen vom Hörensagen ohne Angabe der Quelle); Rz 369, 688.
2. Psychische Krankheit
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2. Psychische Krankheit a) Allgemeines a) Welche Zustandsbilder vom Begriff der psychischen Krankheit iSd § 3 UbG umfasst sind, ist zunächst keine medizinische, sondern eine Auslegungsfrage. Es handelt sich um einen selbständigen Rechtsbegriff, der nicht durch eine unreflektierte Übernahme medizinischer Krankheitsbegriffe ermittelt werden kann: Unterschiedliche Funktionen, Zielsetzungen und systematische Bezüge rechtlicher und medizinischer Krankheitsbegriffe sowie abweichende Erkenntnisinteressen der Medizin verbieten es, den rechtlichen Krankheitsbegriff als Blankettverweisung zu deuten.
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Zum Krankheitsbegriff als (unbestimmten) Rechtsbegriff vgl OGH 24. 9. 1991, 4 Ob 542/91, JBl 1992, 106 = ÖAV 1992, 93 = NZ 1992, 270; 27. 8. 1992, 3 Ob 552/92, RZ 1994/8; 22. 6. 1995, 6 Ob 546/95, RdM 1996/2 = SZ 68/117; LG Linz 23. 2. 1995, 13 R 32/95. Die Frage, ob eine psychische Krankheit im Rechtssinn vorliegt, fällt daher nicht in den Wirkungsbereich des Sachverständigen (OGH 27. 8. 1992, 3 Ob 552/92, RZ 1994/8).
b) Über das Ausmaß der Kongruenz des rechtlichen mit einem psychiatrischen Begriffsverständnis ist damit noch nichts ausgesagt. Nur rechtliche Überlegungen können aber darüber Auskunft geben, ob und inwieweit die Rechtsordnung die medizinischen Begriffe übernimmt. Als Ausgangspunkt für die Auslegung des rechtlichen Krankheitsbegriffes ist ein Rückgriff auf das medizinische Krankheitsverständnis jedoch unverzichtbar, zumal der Gesetzgeber die Unterbringungsvoraussetzung der „psychischen Krankheit“ in Anlehnung an eine „zeitgemäße medizinische Terminologie“ formuliert hat (RV 20).
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1. Der Hinweis auf die Zuordenbarkeit einer Störung zu einem der in den gängigen internationalen Klassifikationssystemen (DSM-III-R, ICD-10) enthaltenen Diagnoseschlüsseln (vgl Dilling/Mombour/Schmidt, ICD-10 Kap V) genügt für die Feststellung einer psychischen Krankheit iSd UbG noch nicht; so aber zB LGZ Wien 2. 3. 1993, 44 R 31, 32, 136/93; LG Linz 25. 8. 1994, 18 R 579/94. Zurecht kritisch LG Linz 24. 11. 1992, 18 R 755/92: Der Verweis auf die ICD-Klassifikation geht fehl, weil die Frage, „in welchen Krankheitskatalog die Störung des Patienten einzuordnen ist, nicht die rechtliche Beurteilung ersetzt“. 2. Unbestreitbar ist, dass die Bedeutung fachspezifischer Rechtsbegriffe nur unter Bezugnahme auf den Sprachgebrauch der jeweiligen Wissenschaft ermittelt werden kann. Vgl auch OGH 27. 8. 1992, 3 Ob 552/92, RZ 1994/8: Für die Auslegung eines unbestimmten Gesetzesbegriffes sind in erster Linie die Regeln der medizinischen Wissenschaft maßgebend; ebenso OGH 22. 6. 1995, 6 Ob 546/95, SZ 68/117 = RdM 1996/2 Anm Kopetzki. 3. Für Details hinsichtlich der Symptomatik der einzelnen Krankheiten und Störungen ist auf die einschlägigen Lehr- und Handbücher der Psychiatrie zu verweisen. Einen instruktiven Überblick bietet Haller, Das psychiatrische Gutachten (1996).
c) Der Wandel von der „Geisteskrankheit“ des § 49 KAG zur „psychischen Krankheit“ des § 3 UbG ist in erster Linie ein terminologischer; nach der Absicht des Gesetzgebers sind beide Begriffe inhaltlich weitgehend gleichbedeutend (RV 20). Vorbehaltlich noch näher zu präzisierender Einschränkungen können daher unter der „psychischen Krankheit“ zunächst jene Erscheinungsformen psychischer Störungen verstanden werden, die schon bisher unter den Begriff der „Geisteskrankheit“ subsumiert wurden, nämlich die körperlich begründbaren Psychosen, die endogenen Psychosen sowie die Gruppe der Reaktionen, Neurosen und Persönlichkeitsstörungen (vgl Kopetzki II 481 f). 1. Zu den rechtlichen Grenzen dieses weiten Begriffsverständnisses im Hinblick auf einzelne Störungen vgl allerdings gleich unten Rz 80 ff.
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II. Teil: Materielle Unterbringungsvoraussetzungen
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2. Bei der Anwendung des rechtlichen Krankheitsbegriffes geht es nicht um die medizinische Einordnung oder um die Krankheitsursache: Für die Zwecke des Rechts kann eine Feststellung von Krankheit nur aus dem abgeleitet werden, was sich im Verhalten erkennen und beschreiben lässt. Nicht auf die genaue diagnostische Etikettierung, sondern auf die konkrete psychopathologische Symptomatik und ihre Zuordenbarkeit zu einer vom Krankheitsbegriff des UbG erfassten psychiatrischen Störung kommt es an (LG Linz 25. 8. 1994, 18 R 579/94: Unklarheiten der diagnostischen Zuordnung hindern die Qualifikation als psychische Krankheit iSd UbG nicht). Entscheidend ist, dass Symptome einer psychischen Krankheit vorliegen (OGH 22. 6. 1995, 6 Ob 546/95, RdM 1996/2 = SZ 68/117; 1204 BlgNR 17. GP 1). Deshalb sind auch Patienten, die an einer schubweisen Erkrankung leiden, im freien Intervall im Rechtssinn nicht „psychisch krank“, weil sich ihre Erkrankung aktuell nicht manifestiert.
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d) Der genuin rechtliche Sinn des unterbringungsrechtlichen Krankheitsbegriffes liegt in der Beeinträchtigung der Fähigkeit des Betroffenen zu autonomer Selbstbestimmung. Er zielt auf eine Beeinträchtigung des Sich-Verhaltenkönnens und der Fähigkeit zur Selbstbestimmung, also auf die Annahme eines krankheitsbedingten Verlustes von Handlungsfreiheit als Grund für die Anknüpfung besonderer rechtlicher Folgen. Nicht die besondere Gefährlichkeit eines Verhaltens, die Abweichung von sozialen Verhaltensnormen, das subjektive Leiden des Patienten oder die Zuordnung zu einer bestimmten medizinischen Diagnose, sondern die Beeinträchtigung der selbstbestimmten Verhaltenssteuerung ist es, die der Gesetzgeber im Begriff der „psychischen Krankheit“ in diesem Kontext anspricht. Zu Sinn und Funktion des Krankheitsbegriffes Kopetzki I 290 ff.
b) Geistige Behinderung a) Die geistige Behinderung ist keine psychische Krankheit iSd § 3 UbG (OGH SZ 64/131; 24. 9. 1991, 4 Ob 542/91, JBl 1992, 106 = ÖAV 1992, 92 = NZ 1992, 270; 27. 8. 1992, 3 Ob 552/92, RZ 1994/8). Eine Unterbringung geistig Behinderter, die nicht zusätzlich auch an einer psychischen Krankheit leiden, ist daher selbst bei Erfüllung der Gefährdungsvoraussetzungen unzulässig (SZ 64/131). Näher Kopetzki II 489. 81 b) Für die inhaltlichen Unterscheidungsmerkmale zwischen der psychischen Krankheit und der geistigen Behinderung ist auf einen anerkannten medizinischen Sprachgebrauch zu verweisen, an dem sich der Gesetzgeber schon bei der Neuordnung des Sachwalterrechts orientiert hat. Als wesentliche Merkmale der geistigen Behinderung gelten demnach (1) eine – unabhängig von ihrer Ursache – deutlich unterdurchschnittliche allgemeine intellektuelle Leistungsfähigkeit bei (2) gleichzeitig gestörter oder eingeschränkter sozialer Anpassungsfähigkeit und (3) Beginn vor dem 18. Lebensjahr. 80
1. Vgl 742 BlgNR 17. GP 17. Der Begriff der geistigen Behinderung umfasst jene Zustände, die früher als Schwachsinn oder Oligophrenie bezeichnet wurden. Er umfasst damit die älteren Abstufungen der Oligophrenien nach dem Intelligenzquotienten (Debilität/Imbezillität/Idiotie). Die Rsp stellt auf Beeinträchtigung der intellektuellen Leistungsfähigkeit vor dem Hintergrund des Lebensalters ab: zB LGZ Wien 8. 1. 1992, 44 R 1177/91; 44 R 1173/91; 15. 1. 1992, 44 R 12/92; 44 R 14/92; 11. 10. 1994, 44 R 811/94. 2. Die „geistige Behinderung“ ist von dem – als Demenz bezeichneten – später erworbenen Intelligenzabbau zu unterscheiden. Eine senile oder präsenile Demenz ist daher eine „psychische Krankheit“ iSd UbG (LG St. Pölten 4. 3. 1992, R 183/92; LG Innsbruck 4. 9. 1992, 2b R 131/92; 18. 9. 1992, 2b R 137/92; LG Linz 12. 11. 1992, 18 R 743 und 744/92; zu Unrecht abweichend zB LGZ Wien 11. 10. 1994, 44 R 811/94; LG Korneuburg 30. 9. 2004, 25 R 208/04x). Auch Zwangsneurosen sind keine „geistige Behinderung“.
2. Psychische Krankheit
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c) Da die psychische Krankheit iSd UbG durch die geistige Behinderung negativ begrenzt wird, dürfen die für die geistige Behinderung charakteristischen Zustände und Verhaltensabweichungen nicht gleichzeitig unter den Krankheitsbegriff des UbG subsumiert werden. 1. Typische Symptome geistiger Behinderung wie etwa Reizbarkeit, motorische Unruhe oder Störungen des Sexualverhaltens dürfen für sich genommen nicht als „psychische Krankheit“ qualifiziert werden; so auch LGZ Wien 8. 1. 1992, 44 R 1175/91; 15. 1. 1992, 44 R 12/91 (Verhaltensauffälligkeiten, die sich aus dem eingeschränkten „Verhaltensrepertoire des Behinderungsgrades“ ergeben, können psychischen Krankheit nicht gleichgesetzt werden); im Ergebnis auch LG Innsbruck 10. 6. 1992, 1b R 109/92; LGZ Graz 21. 10. 1991, 1 R 225/91; 22. 3. 1993, 1 R 112/93; 30. 7. 1999, 6 R 44/99f und 123/99y; LG St. Pölten 20. 11. 1991, R 709/91 und 711/91. 2. Wenn zusätzlich Symptome einer psychischen Krankheit iSd UbG vorliegen, ist eine Unterbringung auch bei geistig Behinderten zulässig, sofern die Selbst- oder Fremdgefährdung gerade aus dieser psychischen Störung resultiert (Hopf/Aigner § 3 Anm 4; 1204 BlgNR 1; OGH 27. 8. 1992, 3 Ob 552/92, RZ 1994/8; 22. 6. 1995, 6 Ob 546/95, RdM 1996/2 = SZ 68/117; 17. 9. 1996, 4 Ob 2160/96t; das gilt insb für sog „Pfropfschizophrenien“). In diesem Sinn bejahend auch LGZ Wien 18. 12. 1991, 44 R 1141/91 (Oligophrenie und paraphrene Psychose); 5. 11. 1992, 44 R 809/92 (Propfpsychose); LG Salzburg 1. 9. 1993, 22a R 291/93 (aufgepfropftes manisch-depressives Zustandsbild); 16. 5. 1994, 22a R 143/94 (Oligophrenie mit Symptomen eines organischen Psychosyndroms als Folge einer fieberhaften Pneumonie); weitgehend LG Salzburg 29. 5. 1996, 44 R 400/96 (mit Erregungszuständen und Aggressionsdurchbrüchen verbundene psychische Veränderung eines geistig Behinderten ist als psychische Krankheit zu werten); ähnlich OGH 4 Ob 2160/96t (psychische Labilität mit Erregungszuständen und unmotivierten Aggressionsdurchbrüchen). Die Unterbringung ist hingegen unzulässig, wenn ein geistig Behinderter zwar Symptome einer psychischen Krankheit hat, die Gefährdung aber wegen körperlicher Gebrechlichkeit oder Schwächezustandes besteht: LGZ Wien 11. 10. 1994, 44 R 811/94. 3. Die Entscheidung des Gesetzgebers, der sozialen und therapeutischen Problematik geistig Behinderter nicht mit dem Instrument der zwangsweisen Unterbringung in psychiatrischen Anstalten zu begegnen, sondern auf andere Maßnahmen der Pflege und Heilpädagogik zu verweisen, trägt den besonderen Gegebenheiten der geistigen Behinderung Rechnung und erscheint im Hinblick auf die Notwendigkeit unterschiedlicher Förderungs- und Betreuungsmaßnahmen (vgl 742 BlgNR 15. GP 17) auch sachlich gerechtfertigt. Ein erst zu bewältigendes Problem bleibt dabei allerdings, dass die Versorgungs- und Förderungsmöglichkeiten für geistig Behinderte im erforderlichen Umfang nicht existieren; vgl auch Rz 133.
c) Körperlich begründbare Psychosen Körperlich begründbare (organische, exogene) Psychosen – also jene seelischen Störungen, die durch organische Veränderungen des Gehirns verursacht sind – gehören zu den psychischen Krankheiten iSd UbG. 1. Als körperliche Ursachen exogener (organischer) Psychosen kommen so unterschiedliche Faktoren wie Hirngefäßerkrankungen, degenerative Hirnprozesse, Hirntumore, traumatische Hirnschädigungen (LG Linz 6. 3. 1991, 18 R 157/91: höhergradiges organisches Psychosyndrom nach Schädel-Hirn-Trauma; LG Salzburg 5. 3. 1997, 21 R 66/97w: organisches Psychosyndrom postoperativ nach Subduralhämatom), infektiöse oder andere entzündliche Hirnprozesse (LG Salzburg 12. 6. 1996, 21 R 256/96: organisches Psychosyndom bei HIVInfektion), Vergiftungen, Stoffwechselkrankheiten in Betracht. 2. Eine organische Psychose (und somit psychische Krankheit iSd UbG: Rz 81) ist auch die Demenz: OGH 19. 8. 1998, 9 Ob 152/98p (hirnorganisches Psychosyndrom bei vaskulärer Demenz); LG Linz 18. 2. 1991, 18 R 137/91 (Alzheimer-Demenz); 1. 7. 1993, 18 R 408/93 (fortgeschrittener cerebraler Abbau); LGZ Wien 20. 3. 1991, 44 R 251/91 (cerebraler Abbauprozess im Sinne einer senilen Demenz mit Verwirrtheitszustand); LG Innsbruck 24. 1. 1991, 1b R 10/91 (organisches Psychosyndrom im Sinne einer Demenz); LG St. Pölten 4. 3.
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II. Teil: Materielle Unterbringungsvoraussetzungen
1992, R 183/92 (präsenile Demenz); LG Linz 9. 6. 1992, 18 R 354/92 (senile und vaskuläre Demenz); LG Linz 18. 11. 1992, 18 R 754/92 (arteriosklerotische Demenz). Anders LGZ Wien 11. 10. 1994, 44 R 811/94. 3. Keine psychische, sondern eine neurologische Erkrankung ist die Epilepsie. Wegen ihrer vielschichtigen Symptomatik ist aber zwischen Grundkrankheit und psychischen Veränderungen zu unterscheiden. Während die Anfälle bzw die krankheitstypische Anfallsneigung für sich genommen nicht als psychische Krankheiten zu qualifizieren sind (OGH 24. 4. 1991, 4 Ob 542/91, JBl 1992, 106 = ÖAV 1992, 92 = NZ 1992, 270; 26. 9. 1991, 7 Ob 590/91), handelt es sich bei den typischen epileptischen Wesensveränderungen, bei der epileptischen Demenz und bei den epileptischen Dämmerzuständen um körperlich begründbare Psychosen, die eine Zuordnung zu den psychischen Krankheiten rechtfertigen (vgl LG Feldkirch 25. 9. 1992, 1b R 174/91: Epilepsie mit epileptischer Wesensveränderung). Aus demselben Grund sind erworbene Demenzen bei Chorea Huntington (trotz neurologischer Ursache) psychische Krankheiten iSd UbG (anders LG Korneuburg 19. 11. 1998, 25 R 10/98t)
d) Endogene Psychosen 85 Unter dem Begriff der endogenen Psychosen werden im medizinisch-psychiatrischen Sprachgebrauch herkömmlicherweise die Schizophrenien und die manisch-depressiven (affektiven) Psychosen zusammengefasst und den körperlich begründbaren (exogenen, organischen) Psychosen gegenübergestellt. Sie gehören zum Kernbereich des Krankheitsbegriffes. e) Neurosen, Persönlichkeitsstörungen 86 a) Obwohl die rechtliche Beurteilung dieser Störungen schon zum Anhaltungsrecht umstritten war, wurden sie von Rsp und Praxis bisher durchwegs zu den Krankheiten im Rechtssinn gezählt (Kopetzki, ÖJZ 1988, 232). Davon geht – trotz beträchtlicher Schwankungen und Unsicherheiten – auch die Rsp zum UbG aus (mwN Kopetzki II 492 ff; aM Gaisbauer, RZ 1993, 113). 1. Vgl aus der Rsp zu den Persönlichkeitsstörungen bejahend zB LG St. Pölten 18. 6. 2004, 10 R 46/04y (soziale Deprivation mit Verhaltensauffälligkeiten bei Unmündigem); LGZ Wien 2. 3. 1993, 44 R 31, 32, 136/93 (Psychopathie bei Alkoholmissbrauch und Zustand nach Selbstmordversuch); LGZ Graz 7. 10. 1991, 1 R 165/91 (zyklothyme Persönlichkeitsstörung mit paranoiden Zügen); LG Wels 16. 2. 2000, 21 R 10/00w (Persönlichkeitsstörung mit Einschränkung der Steuerungsfähigkeit); anders aber LG Innsbruck 15. 4. 1992, 1b R 70/92 (Persönlichkeitsstörung mit Neigung zu Intoxikation durch Überdosierung von Alkohol und Schlaftabletten keine psychische Krankheit); LG Korneuburg 24. 7. 1998, 22 R 94/98y (Persönlichkeitsstörung keine psychische Krankheit); ähnlich LG Linz 6. 3. 1991, 18 R 150/91; für eine Beschränkung auf psychotische Störungen ieS nun im Ergebnis wieder LG Linz 29. 9. 1994, 18 R 650/94. Für eine Einbeziehung der reaktiven Entwicklungen zB LGZ Wien 21. 8. 1992, 44 R 308/92 (psychogene Psychose iS einer akuten Belastungsreaktion); LG Salzburg 26. 1. 1993, 22a R 34/93 (reaktiver Depressionszustand mit Selbstmordversuch); 8. 5. 2003, 21 R 178/03b (Bulimie); LGZ Wien 2. 3. 1993, 44 R 31, 32, 136/93 (Neurose); LG Linz 24. 3. 1994, 18 R 165/94 (schwere Entwicklungsstörung bei Unmündigem); LG Linz 23. 2. 1995, 13 R 32/95 und OGH 22. 6. 1995, 6 Ob 546/95, RdM 1996/2 = SZ 68/117, bestätigend OGH 11. 1. 2000, 10 Ob 377/99b (Anorexia nervosa); anders LG Innsbruck 6. 10. 1995, 54 R 176/95 (psychogene Anfälle und depressive Verstimmung keine Krankheit). 2. Der OGH hat in einer Entscheidung zur Anorexia nervosa zwar an der Unterscheidung zwischen „bloßen [dh iSd UbG nicht krankheitswertigen] neurotischen Persönlichkeitsstörungen“ einerseits und psychischen Krankheiten ieS festgehalten, was einen engen, neurotische Störungen grundsätzlich ausschließenden Krankheitsbegriff indiziert. Indem er eine Zuordnung der Anorexia nervosa zum Krankheitsbegriff aber mit dem erkennbaren Argument bejahte, es lägen „irrationale, in der Psyche ... verborgene Gründe“ vor, dürfte nun – da
2. Psychische Krankheit
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dies ja für alle psychischen Störungen zutrifft – auch der OGH im Ergebnis zu einem weiten, sämtliche psychogene Erkrankungen iSd psychiatrischen Systematik einschließenden Krankheitsbegriff tendieren (OGH 22. 6. 1995, 6 Ob 546/95, SZ 68/117 = RdM 1996/2 Anm Kopetzki). Keine Krankheit im Rechtssinn läge hingegen nach der Rsp des OGH bei einem Hungerstreik aus politischen Gründen oder bei einer Abmagerung aus Liebeskummer vor.
b) Der von der Rsp vertretenen Einbeziehung der neurotischen Störungen in den Krankheitsbegriff ist im Ergebnis zuzustimmen, weil die Frage nach der Krankheitsursache für die rechtliche Beurteilung nicht entscheidend sein kann, wenn und solange die Krankheitssymptomatik und ihre sozialen Folgen sowie die Beeinträchtigung des persönlichen Handlungsspielraums im Wesentlichen vergleichbar sind. Festzuhalten ist aber am Kriterium der „Gleichwertigkeit“ als Grenze für die Einbeziehung neurotischer Störungen in den Krankheitsbegriff des § 3 UbG: Störungen, die in ihrer Qualität und Schwere nicht dem durch die psychischen Krankheiten ieS konstituierten Vergleichsmaßstab entsprechen, sind keine psychischen Krankheiten iSd UbG.
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Als Maßstab für diese Gleichwertigkeitsbeurteilung kommen nicht das subjektive Leiden oder die Behandlungsbedürftigkeit, sondern nur die aus dem UbG zu gewinnenden Kriterien (Ausmaß der Gefährdung, Einschränkung der individuellen Steuerungsfähigkeit) in Betracht. Die „Krankheitswertigkeit“ von Neurosen bedarf demnach immer einer besonderen Begründung und kann nicht allein aus der Diagnosestellung abgeleitet werden. Probleme in zwischenmenschlichen Beziehungen oder situationsbedingte Kurzschlusshandlungen sind für sich genommen keine psychische Krankheit (vgl LGZ Wien 5. 4. 1967, 43 R 234/67: Einnahme einer Mehrzahl von Tabletten nach Unfall und Tod des Mannes „mag vielmehr eine Kurzschlusshandlung in einem unfalls- und altersbedingten hilflosen Zustand sein“, rechtfertigt aber nicht ohne weiteres die Annahme einer Geisteskrankheit).
c) Bei den Persönlichkeitsstörungen (abnorme Persönlichkeiten, Psychopathien) sprechen hingegen überwiegende Gründe eher gegen ihre Einbeziehung in den Krankheitsbegriff des UbG: 1. Erstens fehlt ihnen – ebenso wie der vom § 3 UbG ebenfalls nicht erfassten geistigen Behinderung – der Prozesscharakter, der mit dem Begriff Krankheit üblicherweise verbunden
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wird. Zweitens führt die Psychopathie zumeist gerade nicht zu jener Einschränkung der Steuerungsfähigkeit, auf die es auch im Lichte des unterbringungsrechtlichen Krankheitsbegriffes ankommt (Rz 79). Und drittens sind die Psychopathien im Wesentlichen nur durch die Abweichung von gesellschaftlichen und kulturellen Verhaltensnormen definiert, was aus verfassungsrechtlicher Sicht kein zulässiger Inhalt des unterbringungsrechtlichen Krankheitsbegriffes sein kann (vgl Kopetzki II 496). 2. Für die Einbeziehung schwerer – den psychischen Krankheiten hinsichtlich des Ausmaßes der Gefährdung und der Einschränkung der Steuerungsfähigkeit „gleichwertiger“ – Verhaltensstörungen bei Unmündigen LG St. Pölten 18. 6. 2004, 10 R 46/04y; ebenso generell LG Wels 16. 2. 2000, 21 R 10/00w; dagegen zB LG Korneuburg 24. 7. 1998, 22 R 94/98y; LG Linz 20. 10. 1997, 13 R 494797a („juvenile emotionale Störung“ keine psychische Krankheit). Sozial nicht angepasstes Verhalten indiziert jedenfalls noch keine psychische Krankheit (LG St. Pölten 21. 8. 2002, 10 R 53/02z).
f) Alkoholismus und Suchtkrankheiten Unabhängig von der jeweils herrschenden medizinischen Begriffsbildung sind weder Alkohol- oder Drogen- bzw Suchtgiftmissbrauch noch Alkoholoder Suchtgiftabhängigkeit (Sucht) psychische Krankheiten iSd UbG. Schon bisher wurde zwischen Geisteskrankheit und Sucht begrifflich unterschieden, wobei eine Anhaltung aber nur bei Geisteskranken zulässig war (§ 49 KAG; Kopetzki ÖJZ 1988, 233). Durch den Verzicht auf die selbständige Erwähnung
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II. Teil: Materielle Unterbringungsvoraussetzungen
der Sucht knüpft § 3 UbG an diesen engen, den Alkoholismus und die Sucht nicht einschließenden Krankheitsbegriff an. 1. Die (zu § 37 KAKuG) abweichende Auffassung des AB 1204 BlgNR 17. GP 1, wonach Suchtkranke im Oberbegriff der „psychisch Kranken“ enthalten seien, darf bei verfassungskonformer Auslegung im Lichte des Art 2 Abs 1 Z 5 PersFrG nicht auf § 3 UbG übertragen werden. Zur Begündung näher Kopetzki II 496 ff; Eder-Rieder, FS Harrer 188. 2. Wie hier – eine psychische Krankheit verneinend – zB LGZ Wien 29. 1. 1992, 44 R 1075/91 (Alkoholismus); LG Linz 5. 3. 1991, 18 R 150/91 (Drogenkonsum); LG Innsbruck 15. 4. 1992, 1b R 70/92 (Alkoholismus oder Drogenkonsum); LG Salzburg 12. 10. 1994, 22a R 354/94 (Alkoholabhängigkeit); LG St. Pölten 18. 12. 2002, 10 R 103/02b (Polytoxikomanie); 7. 8. 2002, 10 R 54/02x (Alkoholintoxikation und Alkoholkrankheit); LG Innsbruck 30. 11. 1999, 51 R 160/99z (polyvalente Drogensucht); LGZ Graz 12. 7. 2000, 6 R 206/00h (Alkoholismus bei Oligophrenie und Epilepsie); ebenso im Ergebnis LG St. Pölten 12. 2. 1992, R 29/92; LG Innsbruck 12. 5. 1992, 1b R 91/92; LG Feldkirch 3. 8. 1992, 1c R 165/92; LG Salzburg 23. 9. 1992, 22 R 507/92. Anders LGZ Wien 2. 3. 1993, 44 R 31, 32, 136/93; LGZ Graz 10. 6. 1994, 6 R 115/94; 17. 8. 1994, 6 R 42/94; 13. 10. 1994, 6 R 214/94 (Alkoholismus und Polytoxikomanie als psychische Krankheit); LG Wels 23. 9. 2003, 21 R 269/03p (Alkoholintoxikation bei Alkoholabhängigkeit); LG St. Pölten 3. 6. 2003, 10 R 54/03y (Alkoholisierung bei chronischem Alkoholabusus); differenzierend LG Innsbruck 22. 2. 2002, 54 R 18/02x (Drogenabhängigkeit für sich genommen keine psychische Krankheit, sehr wohl jedoch bei zusätzlichen Symptomen [hier: hochgradige Affektlabilität]). 3. Das gilt auch dann, wenn die Sucht zu einer Gefährdung iSd § 3 Z 1 UbG führt, weil die Tatbestandsmerkmale der Krankheit und der Gefährdung kumulativ erfüllt sein müssen. 4. Umso weniger ist der akute Rauschzustand psychische Krankheit iSd UbG: LG Feldkirch 29. 9. 1992, 1b R 198/92 (Alkoholintoxikation); UVS Stm 6. 8. 1996, 20.3-18/96; 21. 10. 1996, 20.3-7/96. 5. Chronische psychische Schädigungen, die Folge des ständigen Gebrauchs toxischer 90 Substanzen sind (organische Hirnschädigungen, diffuses organisches Psychosyndrom) sowie alkohol- bzw drogeninduzierte organische Psychosen gehören hingegen zu den psychischen Krankheiten iSd UbG: vgl LG Innsbruck 11. 5. 1993, 2b R 67/93; LG Linz 4. 5. 1994, 18 R 301/94 (organisches Psychosyndrom nach Alkoholmissbrauch); LG Innsbruck 10. 12. 1991, 1b R 220/91 (Alkoholismus chronicus und alkoholinduzierte Psychose); LG Linz 24. 6. 1993, 18 R 382/93; LG Salzburg 8. 11. 1993, 22a R 370/93; LG St. Pölten 18. 3. 1993, R 154/93; 30. 3. 1994, R 206/94; LGZ Wien 7. 12. 1993, 44 R 923/93 (Korsakowpsychose); LGZ Graz 13. 1. 1997, 6 R 4/97w (delirantes Zustandsbild und Halluzinationen); LGZ Wien 29. 1. 1992, 44 R 1075/91. Ebenso zu drogeninduzierten Psychosen zB LGZ Wien 26. 5. 1992, 44 R 330/92; LG Feldkirch 5. 9. 1992, 1c R 162/91; zu Depressionen im Zusammenhang mit Entzugserscheinungen LG Innsbruck 30. 11. 1999, 51 R 160/99z.
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g) Suizidversuch Ein Suizidversuch ist für sich genommen kein Symptom einer psychischen Krankheit. Es muss daher im Einzelfall geprüft werden, ob der Todeswunsch Ausdruck einer psychischen Krankheit ist oder auf freier Entscheidung beruht. Im ersten Fall ist die Erwartungswahrscheinlichkeit eines weiteren Versuchs zu beurteilen; im letzten Fall ist die Unterbringung schon im Hinblick auf die Krankheitsvoraussetzung unzulässig. 1. Gegen die Deutung der Suizidabsicht als Krankheitssymptom LG Linz 5. 3. 1991, 18 R 150/91; LG Salzburg 12. 10. 1994, 22a R 354/94; 10. 4. 1996, 21 R 163/96; LG St. Pölten 16. 11. 1999, 10 R 394/99i; wohl auch OGH 22. 6. 1995, 6 Ob 546/95, SZ 68/117 = RdM 1996/2. Die Unterbringung ist daher nur zulässig, wenn die Suizidalität mit einer psychischen Erkrankung einhergeht (LG Salzburg 11. 6. 2003, 21 R 241/03t, EFSlg 105.072 – depressives Zustandsbild).
3. Gefährdung
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2. In der Praxis gehört der Suizidversuch zu den relativ häufigen „Diagnosen“ (vgl LG St. Pölten 23. 9. 1992, R 8/92; ähnlich LG Salzburg 26. 1. 1993, 22 R 34/93; LGZ Wien 2. 3. 1993, 44 R 31, 32, 136/93). Da dabei gleichzeitig Lebensgefährdung (Wiederhohlungsgefahr) bejaht werden kann, kommt ihm im Ergebnis die Funktion eines eigenständigen Unterbringungsgrundes zu. Die Zulässigkeit dieser Praxis hängt von der Richtigkeit der Auffassung ab, dass Selbsttötungshandlungen regelmäßig als Abschluss krankhafter psychischer Entwicklung anzusehen sind und außerhalb krankhafter Zusammenhänge nur ganz ausnahmsweise vorkommen. Denn nur unter dieser Prämisse rechtfertigt die Suizidhandlung als solche bereits die Annahme einer psychischen Krankheit. Dass sich diese These begründen lässt, bleibt zweifelhaft (mwN Kopetzki II 498 f ). Fragwürdig daher LG Linz 10. 9. 1998, 14 R 440/98v, wonach bereits „die vom Betroffenen vorgenommene Selbstschädigung im Zustand seiner schweren Alkoholisierung für das Vorliegen einer psychischen Krankheit“ spreche.
h) Paranoia querulans Die (vermeintliche oder übertriebene) Geltendmachung rechtlicher Ansprüche ist für sich genommen nicht Ausdruck einer psychischen Krankheit, wenngleich die wahnhafte Verfolgung von Rechtsansprüchen im Einzelfall durchaus auch Krankheitssymptom sein kann. Vorkehrungen gegen erfolglose, fehlerhafte, beleidigende oder auch behelligende behördliche Eingaben sind typischerweise Gegenstand besonderer Regelungen in den einzelnen Verfahrensordnungen. Rechtlich gesehen ist die sog „Querulanz“ ein Problem des Verfahrensrechts, welches systemkonform auch als solches – und nicht durch seine Pathologisierung – zu bewältigen ist. Im Sachwalterrecht wird eine Bekämpfung der Querulanz mit dem Instrument der Sachwalterbestellung sogar ausdrücklich ausgeschlossen (§ 273 Abs 2 letzter Satz ABGB). Es kann im Hinblick auf die eingreifenderen Rechtsfolgen sowie die Untauglichkeit der Unterbringung als Mittel zur Beschränkung des Rechtsverkehrs (§ 34 Abs 1 UbG) nicht angenommen werden, dass für das UbG etwas anderes gelten soll. Näher Kopetzki II 499 f.
3. Gefährdung a) Allgemeines Gem § 3 Z 1 ist die Unterbringung nur dann zulässig, wenn der Betroffene im Zusammenhang mit seiner Krankheit „sein Leben oder seine Gesundheit oder das Leben oder die Gesundheit anderer ernstlich und erheblich gefährdet“. Mit dem Begriff der Gefährdung wird im juristischen Sprachgebrauch die Herbeiführung einer Gefahr – also eines Zustandes, der mit einer gewissen Wahrscheinlichkeit den Eintritt eines Nachteils (Schadens) zur Folge haben wird – verstanden. Dieses Verständnis liegt auch dem § 3 zugrunde (RV 20). Die Anwendung des Begriffs der „Gefahr“ impliziert ein Urteil über die Wahrscheinlichkeit des Eintretens künftiger Ereignisse, somit eine Prognose. Dabei muss es sich um eine konkrete, im Einzelfall zu prüfende und aus den konkreten Umständen zum Beurteilungszeitpunkt zu erschließende Gefahr handeln. Der Schadenseintritt muss aufgrund objektiver und konkreter Anhaltspunkte wahrscheinlich sein (OGH 27. 5. 1992, 2 Ob 542/92). Der Schaden selbst muss selbstverständlich noch nicht eingetreten sein; er muss lediglich drohen (OGH 9. 3. 1993, 4 Ob 513, 514/93). 1. Mit der Formulierung der Gefährdungsvoraussetzung in § 3 Z 1 UbG sollte die „Sicherheitsgefährdung“ des § 49 KAG präzisiert werden (RV 20). Beabsichtigt war eine deutliche Verengung der Gefährdungsvoraussetzungen (RV 20; AB 5); diese Entscheidung ist vor dem Hintergrund der früheren Praxis zu sehen, die den Gefährdungsbegriff des § 49 KAG – contra legem – in eine bloße „Anstaltsbedürftigkeit“ umgedeutet hat. Künftig sollte eine Unterbringung wegen bloßer Behandlungsbedürftigkeit oder „als Maßnahme der Fürsorge“
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II. Teil: Materielle Unterbringungsvoraussetzungen
ausgeschlossen werden (AB 5). Intendiert war „ein Pendelschlag in die andere Richtung“ (vgl StProtNR 15.629). Durch Art 2 Abs 1 Z 5 PersFrG ist diese grundlegende rechtspolitische Weichenstellung auch verfassungsrechtlich geboten. 2. Der Gefährdungsbegriff räumt den entscheidenden Organen kein Ermessen ieS ein. Es 96 handelt sich um einen (sehr) unbestimmten Gesetzesbegriff, dessen Auslegung und Anwendung der nachprüfenden Kontrolle zugänglich ist. Die Letztentscheidung liegt beim Gericht bzw – hinsichtlich der Vorführung – bei den UVS und dem VwGH nach Art 129 ff B-VG. 3. Die Bildung des Maßstabes der Gefahrenbeurteilung wie auch diese Beurteilung selbst ist eine Rechtsfrage (LG Innsbruck 15. 7. 1994, 52 R 160/94). 4. Die zutreffende Einsicht, dass sich die Gefahr noch nicht in einem Schaden realisiert haben muss (vgl auch Rz 113), sollte aber nicht dazu führen, dass auf konkrete und objektivierbare Anhaltspunkte für die Gefahrenprognose überhaupt verzichtet wird; so aber tendenziell OGH 19. 8. 1998, 9 Ob 152/98p („potentielle Stationsflüchtigkeit“ begründet Selbstgefährdung durch Sturzgefahr). 5. Prognosen sind Aussagen über die künftige Wahrscheinlichkeit eines Ereignisses (vgl Rz 113 ff ) und daher zukunftsorientiert. Die Umstände im Entscheidungszeitpunkt sind nicht für sich genommen, sondern allenfalls als Prognosebasis relevant; anders jedoch LG St. Pölten 19. 12. 2003, 10 R 130/03z (maßgeblich sei lediglich Gesundheitsgefährdung im Zeitpunkt der Entscheidung). 6. Zur Gefährlichkeitsprognose aus psychiatrischer Sicht mwN zB Haller, Das psychiatrische Gutachten (1996) 167 ff; ders, RZ 2002, 102.
b) Schutzgut und Beeinträchtigungsintensität 97
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aa) Rechtsgüter und Intensität des Schadens a) Schutzgüter iSd § 3 Z 1 UbG sind das (eigene oder fremde) Leben und die (eigene oder fremde) Gesundheit. Eine Gefährdung anderer Rechtsgüter, insb von Sach- und Vermögenswerten oder der öffentlichen Ordnung reicht als Unterbringungsvoraussetzung daher nicht aus, ebensowenig die bloße Behandlungsbedürftigkeit, Verwahrlosungsgefahr, Belästigungen sowie unruhiges, unsinniges, asoziales oder störendes Verhalten. 1. Die Unterbringungsvoraussetzung der „Gefährdung von Sachwerten in größerem Ausmaß“ wurde bewusst verworfen: RV 20; Foregger StProtNR 15.603. Ebenso LG Innsbruck 26. 2. 1991, 1b R 32/91; 26. 11. 1991, 3b R 171/91 (sinnlose Taxifahrten); LG Salzburg 31. 7. 1991, 22 R 410/91 (Fahrraddiebstähle); LG St. Pölten 1. 4. 1992, R 303/92 (Beschädigung einer Vase im Altarraum einer Kirche); LG Linz 11. 6. 1992, 18 R 329/92 (Einschlagen einer Fensterscheibe); 19. 3. 2002, 14 R 108/02d (Nichtbezahlen von Rechnungen); LGZ Wien 5. 5. 1992, 44 R 234/92 (drohender Wohnungsverlust); 28. 2. 1995, 44 R 82/95 (Zertrümmern eines Bücherregals). Das schließt freilich nicht aus, dass massive Aggressionshandlungen gegen Sachen im Einzelfall durchaus auch die Prognose von Personenschäden begründen können; vgl LG St. Pölten 2. 10. 2002, 10 R 78/02a (Einschlagen einer Tür mit Axt); 9. 10. 2002, 10 R 84/02h (grausame Tierquälerei); LGZ Wien 26. 1. 1999, 44 R 41/99a (Zertrümmerung des Mobiliars und Tätlichkeiten gegen Pflegepersonal). 2. Aus (amts)haftungsrechtlicher Sicht können auch Vermögensschäden Dritter durch rechtswidrige Vollzugsakte vom Rechtswidrigkeitszusammenhang erfasst sein (OGH SZ 71/196 – Haftung für Brandstiftung nach unterlassener Unterbringung); näher Rz 767/1. 3. Keine Gefährdung iSd UbG ist die sogenannte „wirtschaftliche“ oder „soziale Existenzgefährdung“ (LG Innsbruck 26. 11. 1991, 3b R 171/91; 6. 5. 1992, 1b R 83/92; LG St. Pölten 7. 4. 1995, 11 R 54/95). 4. Bloße Behandlungsbedürftigkeit ist keine Unterbringungsvoraussetzung: RV 20; AB 5; OGH 14. 11. 1991, 7 Ob 610/91; 27. 5. 1992, 2 Ob 542/92; 25. 11. 1993, 2 Ob 573/93; 7. 9. 1994, 3 Ob 538/94; 5. 8. 2003, 7 Ob 173/03x. Näher Rz 106 ff.
3. Gefährdung
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5. Verwahrlosungsgefahr ist keine Unterbringungsvoraussetzung: RV 20; OGH 16. 12. 99 1992, 2 Ob 600/92; 25. 11. 1993, 2 Ob 573/93; 5. 8. 2003, 7 Ob 173/03x; LGZ Wien 24. 3. 1992, 44 R 216/92; 2. 1. 1996, 44 R 1008/95; LG Linz 11. 6. 1992, 18 R 329/92; LG Feldkirch 28. 8. 1992, 1c R 171/92; LG St. Pölten 30. 12. 1993, R 916/93; 23. 2. 1994, R 114/94; 3. 6. 2003, 10 R 57/03i. Weitere Hinweise in Rz 124 f. 6. Störendes Verhalten ist keine Unterbringungsvoraussetzung: LG Linz 6. 2. 1992, 18 R 100 66/92 (unangepasstes und grob störendes Verhalten); OGH 25. 11. 1993, 2 Ob 573/93 (verbale Attacken gegen Heimbewohner); LG Salzburg 18. 3. 1994, 22a R 79/94 (unangemessenes und situationsinadäquates Verhalten). Ebensowenig zulässig ist eine Unterbringung wegen Belästigungen (LG Innsbruck 14. 2. 1991, 1b R 23/91 [voyeuristisches Verhalten]; LG Salzburg 31. 7. 1991, 22 R 410/91 [exhibitionistisches Verhalten]; 12. 12. 2001, 21 R 403/01p [Verrichten der Notdurft vom Balkon]; LG Linz 6. 2. 1992, 18 R 66/92 [Belastungen der Familie und gesteigerter Geschlechtstrieb]; 19. 3. 2002, 14 R 108/02d [unverschämter und aggressiver Umgang mit Mitbewohnern]; LG Salzburg 18. 9. 1992, 22 R 501/92 [Anzeigen gegen Familienmitglieder]), planlosem Herumirren (LGZ Wien 28. 4. 1992, 44 R 63/92), Unsinnshandlungen (LG Salzburg 31. 7. 1991, 22 R 410/91 [sinnlose Bestellungen bei Versandhäusern]; LG Wels 29. 5. 2002, 21 R 158/02 [unsinniger Fußmarsch und Freilassen von Schafen]) oder asozialem Verhalten (LG Feldkirch 18. 8. 1992, 1c R 171/92; 3. 8. 1992, 1c R 165/92).
b) „Leben und Gesundheit“ bezeichnet ein einheitliches Schutzgut, nämlich 101 die menschliche Gesundheit. Erst unterhalb des Extremfalles der Lebensgefährdung erlangt der zugrunde liegende Begriff der Gesundheitsgefährdung Bedeutung. Hiefür kommt es – wie schon die Ablehnung der Verwahrlosungsgefahr als Unterbringungsvoraussetzung zeigt – nicht auf den subjektiven und uferlosen Gesundheitsbegriff der WHO an. Vielmehr erfasst die Gesundheitsgefährdung nur jene (drohenden) Beeinträchtigungen, mit denen Krankheiten, Organschäden oder sonstige Funktionsstörungen hervorgerufen oder bestehende Störungen verschlechtert werden. 1. Dazu gehören in erster Linie traumatische Schädigungen, die mit einer Verletzung der körperlichen Unversehrtheit einhergehen (Körperverletzung Dritter oder Selbstverletzung; vgl AB 5; OGH 14. 11. 1991, 7 Ob 610/91). Nicht-traumatische Gesundheitsgefährdungen sind in erster Linie bei der Selbstgefährdung von praktischer Bedeutung (vgl LGZ Wien 25. 10. 1994, 44 R 837/94: Selbstgefährdung durch Ablehnung einer dringend notwendigen Behandlung einer körperlichen Erkrankung). Vgl Rz 112. 2. Ob die Lebens- oder Gesundheitsgefährdung durch aktives Verhalten oder Unterlassen begründet wird ist unerheblich. Auch auf Verschulden kommt es nicht an (Rz 119). 3. Ob § 3 auch Schädigungen der psychischen Gesundheit erfasst, ist fraglich. Bejahend 102 im Ergebnis OGH 17. 1. 1995, 4 Ob 575/94 (ständige Störung der Nachtruhe); 7. 9. 1994, 3 Ob 538/94; LGZ Graz 3. 5. 1994, 1 R 406/93; LG Salzburg 31. 7. 1991, 22 R 410/91; LG St. Pölten 28. 8. 2002, 10 R 64/02t. Sofern man dies unter Hinweis auf eine fehlende Differenzierung im Gesetz bejaht, wäre es aber unzulässig, über den Umweg der „psychischen Gefährdung“ jene Unterbringungsvoraussetzungen wie Behandlungsbedürftigkeit oder Sachbeschädigungen wieder einzubeziehen, die der Gesetzgeber erkennbar ausschließen wollte. 4. Gefährdungen der Leibesfrucht durch das Verhalten einer psychisch kranken Schwangeren begründen keine Gefährdung „anderer“ iSd § 3 UbG.
c) In Bezug auf die Schadensintensität bestimmt § 3 Z 1 UbG, dass die vom 103 Kranken ausgehende Gefährdung „ernstlich und erheblich“ sein muss. Damit ist nicht nur ein hohes Maß an Wahrscheinlichkeit des Schadenseintritts angesprochen, sondern auch eine besondere Schwere der drohenden Schädigung. 1. Vgl RV 20; OGH 14. 11. 1991, 7 Ob 610/91; 27. 5. 1992, 2 Ob 542/92. Der Aspekt 104 der Schadensintensität ist nicht isoliert, sondern in Relation zur Wahrscheinlichkeit der Schädigung zu beurteilen: Die Gefahr ist umso „ernstlicher und erheblicher“, je größer die Wahrscheinlichkeit oder die Höhe des Schadens ist. In Anlehnung an die „ernstliche Gesund-
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II. Teil: Materielle Unterbringungsvoraussetzungen
heitsgefährdung“ in § 110 Abs 2 StGB kann eine solche Schwere der drohenden Schädigungen dann angenommen werden, wenn dauernde gesundheitliche Nachteile oder gesundheitliche Nachteile im Ausmaß einer schweren Körperverletzung zu befürchten sind (LG Salzburg 10. 3. 1993, 22a R 107/93; 10. 11. 1993, 22a R 382/93; 9. 2. 1994, 22a R 30/94; 18. 3. 1994, 22a R 79/94; 6. 10. 2004, 21 R 451/04a; LGZ Wien 5. 5. 1992, 44 R 234/92; LG St. Pölten 21. 1. 1994, R 27/94; 9. 3. 1994, R 146/94; Hopf/Aigner § 3 Anm 8). 2. Geringfügige körperliche Beeinträchtigungen im Zuge von Handgreiflichkeiten weisen 105 nicht die erforderliche Schadensintensität auf : LG Linz 6. 2. 1992, 18 R 66/92 (Nachwerfen einer Haarbürste); LGZ Wien 5. 5. 1992, 44 R 234/92 (Handgreiflichkeiten gegenüber Nachbarn, mögen sie auch zu einer Schwellung im Gesicht geführt haben); 18. 4. 1995, 44 R 310/95 (Stoßen und Beißen); LG Linz 27. 8. 1998, 14 R 447/98y (Androhen einer Ohrfeige); LGZ Graz 16. 9. 2002, 6 R 207/02h (Treten gegen die Tür des Exgatten); LG St. Pölten 9. 10. 2002, 10 R 83/02m („Anrempeln“). Auch „ernsthaft drohende Aggressionsausbrüche“ indizieren ohne nähere Konkretisierung noch nicht die geforderte Erheblichkeit des Gesundheitsschadens: LG Innsbruck 7. 4. 1992, 1b R 62/92 (Zorn- und Aggressionsausbrüche, Vertreiben von Mitpatienten mit gezielten Armbewegungen); LGZ Wien 5. 5. 1992, 44 R 234/92 (Aggressionstendenzen alleine können ernstliche und erhebliche Fremdgefährdung nicht begründen); ebenso im Ergebnis LG Linz 11. 6. 1992, 18 R 329/92; LG Salzburg 10. 3. 1993, 22a R 107/93; 9. 2. 1994, 22a R 30/94; LGZ Wien 28. 2. 1995, 44 R 82/95 (Streit mit Vater); LG Klagenfurt 2. 10. 1998, 1 R 251/98a („Aggressionszeichen“, Zuschlagen von Türen etc); anders LGZ Wien 19. 5. 1992, 44 R 77/92 (psychosebedingte Erregungszustände und Aggressionspotentiale als Fremdgefährdung); 12. 8. 1998, 45 R 589/98w (Verkleben von Körperstellen mit Hautirritation als Indiz für Selbstgefährdung).
bb) Gesundheitsgefährdung und Behandlungsbedürftigkeit 106 a) Das Ausbleiben einer künftigen Verbesserung des Gesundheitszustandes stellt noch keine Gesundheitsgefährdung iSd § 3 UbG dar. Schon die Aufnahme eines zusätzlichen – über das Tatbestandsmerkmal „Krankheit“ hinausgehenden – Gefahrenkriteriums belegt, dass die psychische Krankheit allein eine Unterbringung nicht rechtfertigen kann. Da es für eine Krankheit charakteristisch ist, dass sie einer Behandlung bedarf, liefe die Anerkennung der „Behandlungsbedürftigkeit“ auf die ausschließliche Maßgeblichkeit des Krankheitskriteriums und die interpretative Beseitigung jeder weitergehenden Gefährdungsvoraussetzung hinaus. Eine solche Auslegung stünde auch mit der erklärten Absicht des Gesetzgebers in Widerspruch: Die Unterbringung sollte nur der Schadensabwehr, nicht der Fürsorge dienen (AB 5; OGH 16. 12. 1992, 2 Ob 600/92), eine Unterbringung wegen „bloßer Behandlungsbedürftigkeit“ wurde ausdrücklich verworfen (RV 20; AB 5). Die Vernachlässigung therapeutischer Interessen hat der Gesetzgeber dabei zugunsten des Freiheitsanspruches in Kauf genommen: Man sei sich bewusst, dass „viele Kranke, die weder sich noch andere gefährden, dringend eine angemessene Behandlung benötigen“; diesen Bedürfnissen sei aber ohne Eingriff in die Rechte der Betroffenen Rechnung zu tragen (AB 5). Auch im Plenum wurde nicht übersehen, dass „der eine oder andere nicht so schnell eingewiesen wird und vielleicht auch nicht so schnell dann einer Heilung zugeführt wird“. Dennoch wurde eine „fürsorgliche“ Ausdehnung der Zwangsmöglichkeiten abgelehnt: „Wenn wir trotzdem bei dieser Regelung geblieben sind, dann nicht deshalb, weil die Teilnehmer etwa weltfremd gewesen wären, sondern weil eigentlich alle davon überzeugt waren, dass ein Pendelschlag in die andere Richtung notwendig war“ (StProtNR 15.629).
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b) Schwierig bleibt die notwendige Abgrenzung zwischen einer – unzureichenden – bloßen Behandlungsbedürftigkeit und der ernstlichen und erheblichen Gefährdung der eigenen Gesundheit des § 3 Z 1 UbG. Diese Grenzzie-
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hung ist nicht durch eine schematische Polarisierung von „Fürsorge“ und „Gefahrenabwehr“ zu erreichen, da § 3 Z 1 ausdrücklich auch Gefährdungen für die eigene Gesundheit als Unterbringungsvoraussetzung anerkennt und damit eine gewisse fürsorgliche – nämlich ausschließlich dem individuellen Wohl des Kranken dienende – Unterbringung zulässt. Nur die bloße Behandlungsbedürftigkeit sollte als Unterbringungsvoraussetzung ausscheiden (RV 20, AB 5). Auch eine Unterscheidung danach, ob der drohende Schaden durch aktives Verhalten (zB aktive Selbstschädigung) oder durch ein Unterlassen des Patienten (zB Verweigerung ärztlicher Behandlung) herbeigeführt wird, hilft nicht weiter (OGH 14. 11. 1991, 7 Ob 610/91; 27. 5. 1992, 2 Ob 542/92; LG Salzburg 6. 5. 1994, 22a R 145/94). In der Rsp hat sich die Formulierung durchgesetzt, dass bloße Behandlungsbedürftigkeit eine Unterbringung nicht rechtfertige, „außer das Unterbleiben führte zu einer besonders schweren und ernstlichen Gefährdung der Gesundheit des Betroffenen“ (zB OGH 5. 8. 2003, 7 Ob 173/03x).
Bei der Unterscheidung zwischen Behandlungsbedürftigkeit und gesundheit- 108 licher Selbstgefährdung iSd UbG ist bei der Art des Schadens anzusetzen: Der Verzicht auf die selbständige Unterbringungsvoraussetzung der Behandlungsbedürftigkeit zeigt, dass der Gesetzgeber jenen Gesundheitsschaden, der in der (voraussetzungsgemäß) bereits vorliegenden psychischen Krankheit liegt, noch nicht als Voraussetzung einer freiheitsentziehenden Unterbringung gelten lassen wollte. Der unbehandelte status quo ist also kein Schaden, zu dessen Abwehr das UbG ermächtigt. Jener Zustand, der durch das unbehandelte Fortbestehen der psychischen Grundkrankheit eintritt, stellt für sich genommen noch keine hinreichende Selbstgefährdung iSd § 3 dar. 1. Wie hier OGH 27. 5. 1992, 2 Ob 542/92, Jus extra 1992/1142; 25. 11. 1993, 2 Ob 573/93; LG Linz 12. 11. 1992, 18 R 731/92; 20. 7. 1994, 18 R 504/94; 25. 1. 1996, 13 R 438/95; LG St. Pölten 30. 6. 1993, R 451/93; 26. 1. 1994, R 42/94; 28. 6. 1996, 11 R 235/96; LGZ Wien 6. 7. 1993, 44 R 520/93; 7. 12. 1993, 44 R 923/93; LG Salzburg 6. 5. 1994, 22a R 145/94; 1. 6. 1994, 22a R 147/94; 20. 3. 1996, 21 R 120/96; 1. 10. 1999, 21 R 442/99t. Daher ist auch eine zu erwartende Verschlechterung keine ausreichende Gefährdung (LG St. Pölten 1. 4. 1992, R 303/92; LG Salzburg 20. 3. 1996, 21 R 120/96; LG Innsbruck 29. 3. 1996, 54 R 48/96; LG Linz 11. 6. 1992, 18 R 329/92; 20. 7. 1994, 18 R 504/94: Verschlechterung des Gesundheitszustandes durch Absetzen der Medikamente begründet keine ernstliche und erhebliche Selbstgefährdung iSd UbG); ebensowenig ein drohender Rückfall (LG Innsbruck 10. 12. 1991, 1b R 220/91; 12. 2. 1993, 2b R 26/93; LGZ Wien 7. 12. 1993, 44 R 923/93; aM LG Innsbruck 16. 11. 1993, 2 b R 192/93). 2. Die Unterbringung zielt auf die Abwehr einer zusätzlichen, über die psychische Grund- 109 krankheit und ihre typischen Symptome hinausgehenden Schadensfolge, nicht jedoch auf die Sicherstellung einer Verbesserung oder Heilung dieser Anlasskrankheit (vgl OGH 25. 11. 1993, 2 Ob 573/93: das Bestreben, durch eine entsprechende Therapie das Erleben eines Wahnsystems zu erleichtern, rechtfertigt keine Unterbringung). Die Befürchtung, die an einer Krankheit leidende Person werde auch in Zukunft eine notwendige ärztliche Behandlung nicht in Anspruch nehmen oder verweigern, stellt daher noch keine Gefährdung dar (LG Salzburg 10. 11. 1993, 22a R 382/93; 18. 3. 1994, 22a R 79/94; 16. 11. 2004, 21 R 525/04h; LG Innsbruck 12. 2. 1993, 2b R 26/93; LG Linz 20. 7. 1994, 18 R 504/94). Die Unterbringung soll positive Schäden verhindern, nicht aber künftige (therapeutische) Vorteile sicherstellen. Aus diesem Grund ist auch die Behandelbarkeit der (psychischen) Krankheit keine notwendige Voraussetzung der Unterbringung (LG Linz 6. 3. 1991, 18 R 157/91; OGH 14. 11. 1991, 7 Ob 610/91; aM LG Innsbruck 7. 4. 1992, 1b R 61/92; 12. 5. 1992, 1b R 89/92). 3. In der Rsp wird dies häufig verkannt und eine Unterbringung aus rein therapeutischen Gründen zugelassen: zB LG St. Pölten 27. 3. 1991, R 165/91 (Verweigerung der Medikamenteneinnahme als Selbstgefährdung); 28. 8. 1991, R 523/91 (Selbstgefährdung aufgrund der nicht gewährleisteten freiwilligen Medikamenteneinnahme); LGZ Wien 12. 6. 1991, 44
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II. Teil: Materielle Unterbringungsvoraussetzungen
R 482/91 (Selbstgefährdung bei notwendiger medizinischer Behandlung mangels vernunftgesteuerter Handlungen). Andere Entscheidungen vertreten einen strengeren Standpunkt: zB LG St. Pölten 23. 10. 1991, R 651/91 (Notwendigkeit einer stationären Behandlung und Therapie zur Stabilisierung des Gesundheitszustandes ist keine ausreichende Gefährdung); LG Linz 19. 3. 1992, 18 R 178/92 (Behandlungsbedürftigkeit und Gefahr einer Gesundheitsverschlechterung durch Möglichkeit des Verlassens einer offenen Station keine ausreichende Gefährdung); 11. 6. 1992, 18 R 329/92 (Gefahr, dass der Patient – auf sich gestellt – die Medikation sofort einstellt bzw die Abteilung verlässt, begründet keine ausreichende Gefährdung); ähnlich 12. 11. 1992, 18 R 731/92; 31. 7. 1997, 13 R 330/97h; LG St. Pölten 1. 4. 1992, R 303/92 (zu erwartende Verschlechterung des Krankheitsbildes bei Nichteinnahme der Medikamente ist keine Selbstgefährdung); LGZ Wien 21. 11. 1995, 44 R 865/95; 28. 4. 1992, 44 R 63/92 (Notwendigkeit weiterer stationärer Behandlung und Sozialtherapie ist kein Unterbringungsgrund); LG Salzburg 12. 12. 2001, 21 R 403/01p (die – nicht ausreichend ernste – Drohung ein Haus anzuzünden sowie das Verrichten der Notdurft vom Balkon aus begründen keine hinreichend konkrete Gefährdung).
cc) Behandlungsabbruch als Selbstgefährdung 110 a) Da die verfahrensförmige Feststellung der Unterbringungsvoraussetzungen der Anstaltsunterbringung zeitlich nachfolgt, stellt sich für das Gericht regelmäßig die Frage, inwieweit auch der Abbruch der vor der richterlichen Sachverhaltsermittlung bereits begonnenen ärztlichen Behandlung für sich genommen als Selbstgefährdung iSd § 3 qualifiziert werden kann. Dies würde voraussetzen, dass man im nachträglichen Wegfall des inzwischen erzielten therapeutischen Nutzens einen Schaden erblickt, zu dessen Hintanhaltung der (weitere) Freiheitsentzug zulässig ist. Eine solche Begründung ist abzulehnen, weil anderenfalls auch eine – mangels Gefährdung – unzulässige Unterbringung das fehlende Gefährdungskriterium schon allein dadurch erzeugen würde, dass mit dem Unterbrechen der rechtswidrig begonnenen Behandlung gesundheitliche Vorteile wieder verloren gehen. Bei dieser Auslegung hätte das Unterbringungsgericht kaum eine rechtliche Möglichkeit, eine aus dem einzigen Grund der Behandlungsbedürftigkeit (unzulässigerweise) begonnene Unterbringung für unzulässig zu erklären. Der bloße Umstand, dass die therapeutischen Ziele durch den vorzeitigen Behandlungsabbruch nicht erreicht werden, kann daher die Unterbringung nicht rechtfertigen (LG St. Pölten 13. 5. 1993, 18 R 307/93; LG Salzburg 30. 7. 1996, 21 R 262/96; LG Linz 12. 11. 1992, 18 R 731/92: Wegfall der im Zuge der Unterbringung bereits eingetretenen Besserung durch die Entlassung begründet keine hinreichende Selbstgefährdung; anders: LG Innsbruck 16. 11. 1993, 2b R 192/ 93: Rückfall in den zu Beginn der Unterbringung bestehenden Krankheitszustand als Selbstgefährdung; LG Korneuburg 6. 2. 2003, 25 R 13/03v: Absetzen der neuroleptischen Medikation bei Aufhebung der Unterbringung würde zu Gefährdung führen). Dass es in der Folge zu neuerlichen Einweisungen und damit auch zu einer Verlängerung des Krankheitsgeschehens kommen kann, ändert daran nichts (LG Linz 19. 3. 1992, 18 R 178/92; 31. 7. 1997, 13 R 330/97h).
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b) Wenn hingegen das Unterbleiben der weiteren Behandlung die Gefahr in sich birgt, dass im Zuge der Fortentwicklung des Krankheitsverlaufes weitergehende und selbständige Schadensfolgen eintreten, die hinsichtlich ihrer Schwere und der Wahrscheinlichkeit des Eintretens als „ernstliche und erhebliche“ Schädigung der eigenen Gesundheit einzustufen sind, dann ist eine Gefährdung iSd § 3 zu bejahen. 1. Zu dieser Differenzierung auch OGH 14. 11. 1991, 7 Ob 610/91: Er ließ es nicht bei der Feststellung bewenden, dass es durch den Behandlungsabbruch zur Verschlechterung der Krankheit kommen werde, sondern betonte, dass daraus eine erhebliche und konkrete Gesundheitsschädigung („irreparable Vergiftungen“ und „Unfälle“) drohe. Noch deutlicher
3. Gefährdung
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OGH 27. 5. 1992, 2 Ob 542/92; 16. 12. 1992, 2 Ob 600/92; LG Salzburg 4. 10. 2001, 42 R 466/01t, EFSlg 97.494. Auch die – durch Behandlungsabbruch drohende – neuerliche Aktualisierung jener Gefährdung, welche ursprünglich zur Unterbringung geführt hat, stellt eine Gefährdung iSd § 3 dar (LG Salzburg 7. 9. 1998, 21 R 407/98v; 6. 5. 1999, 21 R 137/99i; 1. 12. 1999, 21 R 521/99k). 2. Zu den angesprochenen – eine Unterbringung rechtfertigenden – drohenden selbstän- 112 digen Schadensfolgen zählen zB – die Gefahr eines Suizides (zB LG St. Pölten 11. 9. 1991, R 490/91: ernstliche und erhebliche Selbstgefährdung durch Selbstmordgefahr, weil außerhalb der Anstalt die Einnahme der erforderlichen Medikamente nicht gewährleistet ist; LG Innsbruck 23. 9. 1992, 2b R 140/92: Drohung mit Aufschneiden der Pulsadern; LG Salzburg 30. 7. 1996, 21 R 262/96; 1. 12. 1999, 21 R 521/99k); – die Gefahr einer erheblichen körperlichen Schädigung Dritter (zB LG Linz 17. 6. 1992, 18 R 373/92: Gefahr des Wiederauftretens bestimmter aggressiver Verhaltensweisen [hier: Hinauswerfen von Möbeln aus der Wohnung] bei Behandlungsabbruch; LGZ Graz 5. 9. 1994, 6 R 183/94: drohende Gewalttaten gegen die Mutter bei Rückfall in Psychose; ähnlich LGZ Graz 16. 8. 1994, 6 R 47/94; 12. 5. 2004, 6 R 108/04b: Gefahr neuer Affektdurchbrüche eines eben aus der Strafhaft [wegen Mordes] Entlassenen nach Absetzen der Medikamente; LG St. Pölten 13. 10. 1999, 10 R 328/99h: Drohung, Rottweiler auf Kinder zu hetzen); – die Gefahr einer erheblichen Schädigung des Patienten selbst (zB LGZ Wien 25. 6. 1996, 44 R 508/96: Hantieren an Stromleitungen mit bloßen Händen; LG Linz 15. 1. 2004, 35 R 82/03m: Elektrolytentgleisung durch übermäßigen Flüssigkeitskonsum; LG Klagenfurt 31. 10. 2001, 1 R 297/01y: Einnahme kontraindizierter Medikamente). 3. Zu den selbständigen Schadensfolgen können auch solche Schädigungen gehören, die das Ergebnis des ungehinderten weiteren Verlaufs einer Erkrankung sind: Beispiele für diese letzte Gruppe sind zB die Gefahr des Verhungerns durch Verweigerung der Nahrungsaufnahme (zB LG Feldkirch 15. 2. 1992, 1b R 27/91: mangelnde Nahrungsaufnahme bei manisch-depressiver Krankheit mit Hungerödem; ähnlich LG Linz 4. 3. 1993, 18 R 69/93; OGH 11. 1. 2000, 10 Ob 337/99b: Nahrungsverweigerung bei Anorexia nervosa; anders LG Feldkirch 10. 2. 1995, 2 R 36/95), dauernder Invalidität (LGZ Graz 21. 2. 1992, 1 R 378/91: Nichtbehandlung einer tiefen Schnittwunde), der Erblindung (LG Linz 28. 12. 1995, 13 R 449/95), eines diabetischen Komas (LG Innsbruck 6. 10. 1995, 54 R 200/95) oder anderer hyperglykämischer Stoffwechselentgleisungen (LG St. Pölten 12. 12. 1997, 7 R 123/97m), einer akuten Medikamentenvergiftung (LG Linz 18. 2. 1991, 18 R 137/91: Selbstgefährdung durch lebensgefährliche Vergiftung infolge Medikamentenmissbrauchs; ähnlich LG Innsbruck 6. 5. 1992, 1b R 83/92: Gefahr der Wiederholung eines Medikamentenmissbrauchs mit intoxikationsbedingtem Präkoma), schwerwiegender Störungen des Elektrolythaushaltes durch mangelnde Nahrungsaufnahme (LG Linz 16. 12. 1997, 13 R 972/97t), oder akute Infektionsgefahr durch unbehandelte Geschwüre (LG St. Pölten 29. 9. 2004, 10 R 87/04p; 18. 2. 2005, 10 R 9/05h). 4. Keine ausreichende Gefährdung besteht jedoch, wenn lediglich die Versorgung einer anderen Krankheit sichergestellt werden soll, ohne dass aktuell bereits eine konkrete Schädigung droht (LG Korneuburg 28. 7. 1998, 22 R 93/98a: Unterbringung zur Erzwingung der Versorgung eines künstlichen Darmausgangs wegen M. Crohn bei psychisch krankem Obdachlosem unzulässig), oder wenn die drohende Schädigung nicht den nötigen Schweregrad (vgl Rz 104) aufweist (vgl aber LGZ Graz 11. 11. 1997, 6 R 426/97d: drohende körperliche Erschöpfung wegen Rastlosigkeit rechtfertigt Unterbringung). 5. Die Gefahr der Chronifizierung oder von künftigen Defektzuständen bei Psychosen genügt nicht, weil es an der erforderlichen zeitlichen Schadensnähe (Rz 125) mangelt (LG Linz 20. 7. 1994, 18 R 504/94: Gefahr, rascher in Defektzustand zu geraten, ist noch keine hinreichend konkrete Selbstgefährdung; anders LG Linz 27. 2. 1992, 18 R 105/92; 16. 7. 1992, 18 R 435/92).
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II. Teil: Materielle Unterbringungsvoraussetzungen
c) Wahrscheinlichkeit a) Die Gefahrenbeurteilung verlangt ein Urteil über die Wahrscheinlichkeit künftiger schädigender Ereignisse. Sie setzt also eine Prognose voraus. Dabei geht es nicht um die (unmögliche) treffsichere Vorhersage von künftigen Tatsachen, sondern um eine Aussage über den gegenwärtigen Grad der Möglichkeit (Wahrscheinlichkeit) ihres Eintretens. Vgl LG St. Pölten, 28. 8. 1991, R 523/91; 4. 3. 1992, R 183/92; LG Salzburg 16. 10. 1998, 21 R 462/98g. Für das Vorliegen der Gefahr kommt es nicht darauf an, ob der Schaden tatsächlich eintritt (LGZ Wien 8. 6. 1996, 44 R 326/96; 26. 8. 2003, 42 R 628/03v, EFSlg 105.071), sondern ob der Schadenseintritt auf Grund objektiver und konkreter Anhaltspunkte wahrscheinlich ist (LG Salzburg 30. 10. 2003, 21 R 249/03v, EFSlg 105.067). Ein Gefahrenurteil kann folglich auch dann richtig sein, wenn das „drohende“ Ereignis letztlich nicht geschieht, wenn sich die Gefahr also nicht „realisiert“. Umgekehrt wird ein Wahrscheinlichkeitsurteil nicht dadurch widerlegt, dass das (unwahrscheinliche) Ereignis schließlich doch eintritt.
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b) Im Begriff der „ernstlichen“ Gefährdung kommt ein hohes Maß an Wahrscheinlichkeit des Schadenseintritts zum Ausdruck. Eine bloß vage Möglichkeit einer Selbst- oder Fremdschädigung genügt nicht (RV 20; OGH 27. 5. 1992, 2 Ob 542/92; VwGH 27. 11. 2001, 2000/11/0320, RdM 2003/49). Innerhalb der damit abgesteckten Bandbreite kann dem Gesetz keine weitere Präzisierung, etwa in Gestalt einer mathematisch zu errechnenden Eintrittswahrscheinlichkeit, entnommen werden. Die Erfüllung solcher Erfordernisse wäre, selbst wenn sich diese beziffern ließen, auch regelmäßig nicht feststellbar. Ebenso wie bei anderen rechtlichen Gefahrenbeurteilungen muss es auch in diesem Zusammenhang darauf ankommen, dass das entscheidungsbefugte Organ von der großen Wahrscheinlichkeit des Schadens mit guten Gründen überzeugt ist. Der erforderliche Wahrscheinlichkeitsgrad nimmt dabei mit der Größe des befürchteten Schadens ab.
1. Der Begriff der Wahrscheinlichkeit zielt also auf keine feste Größe, sondern impliziert eine wertungsabhängige Risikoeinschätzung. Eine „an Sicherheit grenzende Wahrscheinlichkeit“ des Schadenseintritts ist in keinem Fall verlangt. 2. Die bloße Schadensmöglichkeit ist keine „Gefahr“. Problematisch daher LG St. Pölten, 115 7. 8. 1991, R 463/91, das sich mit der Feststellung eines „erhöhten Gefährdungspotentials“ und der sich daraus ergebenden „Möglichkeit“ von Aggressionsausbrüchen begnügt; in diese Richtung nun auch OGH 19. 8. 1998, 9 Ob 152/98p (potentielle Stationsflüchtigkeit bei Demenz und daraus resultierende Sturzgefahr). Strenger zB LG Innsbruck 23. 9. 1999, 54 R 130/99k (mögliche Sturzgefahr durch fortgesetzten Alkoholklonsum genügt nicht); LG Salzburg 6. 10. 2004, 21 R 451/04a; 16. 11. 2004, 21 R 525/04h (mögliche Gefährdung genügt nicht); 23. 1. 2002, 21 R 27/02w (vage Brandgefahr durch herunterfallende Zigaretten bei Verwahrlosung genügt nicht); LG Linz 6. 2. 1992, 18 R 66/92 (Möglichkeit von Konflikten, aus denen Situationen selbst- und fremdgefährlicher Art entstehen können, reicht in dieser Allgemeinheit nicht aus). 3. Dass ein schädigendes Ereignis „nicht auszuschließen“ ist, begründet daher noch keine hinreichende Gefährdung iSd UbG (zutreffend – zur Bescheinigung gem § 8 – VwGH 27. 11. 2001, 2000/11/0320, RdM 2003/49; im gerichtlichen Verfahren zB LGZ Wien 5. 5. 1992, 44 R 234/92: die vom Sachverständigen verwendete Floskel, wonach eine Gefährdung „nicht ausgeschlossen“ werden könne, vermag Unterbringung jedenfalls nicht zu rechtfertigen; ebenso LGZ Wien 11. 4. 1995, 44 R 279/95; LG Korneuburg 21. 11. 2002, 25 R 227/02p; LG Salzburg 25. 3. 1994, 22a R 85/94; 20. 3. 1996, 21 R 120/96; LGZ Graz 27. 10. 1993, 1 R 297/93; 10. 5. 1995, 6 R 140/95; 18. 12. 1996, 6 R 335/96w; 17. 8. 1994, 6 R 42/94: die Feststellung, der Patient sei von „Suicidideen nicht sicher distanziert“, begründet keine hinreichende Wahrscheinlichkeit des Schadenseintritts). Auch die nicht näher konkreti-
3. Gefährdung
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sierte „Neigung zu Kurzschlusshandlungen“ oder die „Möglichkeit aggressiver Impulsdurchbrüche“ vermag eine Gefährdung nicht zu begründen (vgl LG St. Pölten 12. 2. 1992, R 29/92: Neigung zu Kurzschlusshandlungen ist keine hinreichende Schadensprognose; ebenso LG St. Pölten 1. 4. 1992, R 303/92: abstrakte Befürchtung unkontrollierbarer Handlungen nicht ausreichend; LGZ Wien 30. 9. 1992, 44 R 666/92: hohe Wahrscheinlichkeit sinnloser, wahngesteuerter Handlungen genügt nicht; LG Linz 25. 1. 1996, 13 R 438/95: Möglichkeit emotioneller Ausbrüche und aggressiver Handlungen genügt nicht; LG Innsbruck 30. 1. 2004, 54 R 7/04g: dass Patient „vielleicht“ schlägt und Sachen herumwirft, ist keine ausreichende Gefährdung; LG Innsbruck 7. 7. 2000, 54 R 75/00a: Hinweis auf „Raptusgefahr“ nicht ausreichend konkretisiert; LGZ Graz 18. 11. 1998, 6 R 402/98a: Hinweis auf Ängste und Orientierungslosigkeit genügt nicht; LG Salzburg 2. 4. 1997, 21 R 121/97h: Hinweis, Patient sei „nicht stabil“, sagt über Gefährdung nichts aus). 4. Ebenfalls unzureichend sind verbale Drohungen, denen ernstzunehmende Realisierungschance fehlt (LGZ Wien 30. 9. 1992, 44 R 666/92: jahrzehntelange Morddrohungen ohne Anhaltspunkt für Realisierung begründen keine Gefährdung; LGZ Wien 28. 10. 1992, 44 R 819/92: verbale Aggressionsbereitschaft reicht nicht; LG Salzburg 12. 12. 2001, 21 R 403/01p: Drohung Haus anzuzünden mangels nachweisbarer Ernstlichkeit nicht ausreichend); anders jedoch, wenn reale Umsetzung der verbalen Aggression wahrscheinlich: LGZ Wien 5. 9 .1997, 44 R 534/97y.
c) Für die Beurteilung der Wahrscheinlichkeit des Schadenseintritts bedarf es 116 empirischen Wissens, das es erlaubt, auf mögliche zukünftige Schadensereignisse induktiv zu schließen. Oft wird sich die Gewinnung solch generalisierter empirischer Aussagen über Ursachen-Wirkungsbeziehungen auf allgemein zugängliche Alltagserfahrungen stützen lassen. Zumeist ist jedoch medizinisches Fachwissen erforderlich, sei es dass klinische Erfahrungen mit vergleichbaren Krankheitszuständen auf den konkreten Fall übertragen werden, sei es dass bisherige Erfahrungen mit derselben Person und seiner individuellen Biografie zur Grundlage einer Prognose gemacht werden. 1. Zur ersten Gruppe OGH 9. 3. 1993, 4 Ob 513, 514/93 (bei desorientiert Herumirrenden ist nach der Lebenserfahrung konkret mit Unfällen im Straßenverkehr zu rechnen); 19. 8. 1998, 9 Ob 152/98p (bei kompletter Desorientierung wegen Demenz darf nach der Lebenserfahrung eine Stationsflüchtigkeit und Gefährdung durch Sturzgefahr angenommen werden); LG St. Pölten 25. 8. 1993, R 577/93 (Autofahrten mit überhöhter Geschwindigkeit im verbauten Gebiet bei manischem Schub); LG St. Pölten 21. 1. 1994, R 27/94 (Lenken eines KFZ auf öffentlichen Straßen in akut psychotischem Zustand); LGZ Wien 4. 6. 1992, 44 R 395/92 (bei 78jähriger Frau mit seniler Demenz könne infolge der „altersbedingt geringen Körperkräfte“ mit einer erheblichen und ernstlichen Fremdgefährdung nicht gerechnet werden); LG Linz 28. 7. 1994, 18 R 517/94 (verwirrtes Herumirren auf der Straße). 2. Zur zweiten Gruppe LGZ Wien 14. 4. 1992, 44 R 41/92 (Gefährdungsprognose aufgrund engmaschigen Wahnsystems und aggressiver Gespanntheit bei akuter Schizophrenie); LGZ Graz 8. 8. 1994, 6 R 12/94; 5. 4. 1995, 6 R 101/95; 4. 3. 1997, 6 R 90/97t (für die Gefährdungsprognose ist nicht nur das nach außen manifeste Vorverhalten des Kranken maßgeblich, sondern auch das Krankheitsbild und seine Symptomatik); ähnlich LG Linz 26. 11. 1998, 14 R 609/98x. 3. Das Vorverhalten des Patienten kann einen Anhaltspunkt für die Gefahrenprognose 117 darstellen. Immer geht es aber um die Beurteilung des künftig zu erwartenden Verhaltens; das bisherige Verhalten ist nur bedeutsam, soweit es dieser Prognose als Grundlage dient. Eine Selbstmordgefahr kann daher – bei entsprechenden klinischen Befunden – auch vorliegen, wenn noch kein Selbstmordversuch unternommen wurde (LG St. Pölten 23. 3. 1994, R 180/94); die Gefahr einer schweren Körperverletzung auch dann, wenn im auslösenden Anlassfall nur eine leichte Körperverletzung (LG Linz 26. 11. 1998, 14 R 609/98x) oder Belästigung der Nachbarn erfolgte (LGZ Graz 18. 12. 1996, 6 R 336/96t). Umgekehrt begründet ein früherer Selbstmordversuch nicht automatisch eine aktuelle Lebensgefährdung (etwa weil er zu lange zurückliegt und aus einer konkreten Belastungssituation entstand: LG Linz 6. 2.
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II. Teil: Materielle Unterbringungsvoraussetzungen
1992, 18 R 66/92); er kann aber ein „Indiz“ dafür abgeben: LG St. Pölten 7. 8. 1991, R 463/91; ähnlich LG Innsbruck 6. 5. 1992, 1b R 83/92 (Gefahr der Wiederholung einer tatsächlich erfolgten Selbstbeschädigung); LG Linz 17. 6. 1992, 18 R 363/92 (Gefahr des Wiederauftretens fremdschädigender Verhaltensweisen bei Wahnsystem und aktuellem Todeswunsch gegenüber Gatten). Problematisch hingegen der Schluss von einer – aus konkreter Streitsituation hervorgegangenen – Misshandlung der Freundin auf künftige Fremdgefährdung (LGZ Graz 7. 10. 1991, 1 R 165/91) oder der bloße Hinweis auf das „anhand der Vorakten dokumentierte Verhalten“ des Patienten (LGZ Graz 13. 10. 1994, 6 R 214/94); zutreffend hingegen LGZ Wien 5. 5. 1992, 44 R 234/92 (aus einmaligem und einige Zeit zurückliegendem Vorfall [Handgreiflichkeit mit Nachbarin] kann keine erhebliche Gefährdung abgeleitet werden); LGZ Wien 28. 2. 1995, 44 R 82/95 (Streit mit dem Vater begründet noch keine Fremdgefährdung); LG Salzburg 22. 8. 1997, 21 R 321/97w (einmaliger Vorfall [körperliche Attacke gegen Tochter] begründet für sich genommen noch keine ernstliche und erhebliche Fremdgefährdung). Für die Prognose künftiger Schädigungen ist nicht erforderlich, „dass bereits entsprechende Verhaltensweisen vorliegen, die auf eine Fremdgefährdung hindeuten, wenn der Sachverständige aufgrund des Gesundheitszustandes beurteilen kann, dass dieser zu konkreten Fremdgefährdungen sehr wahrscheinlich führen wird“ (LG Feldkirch 27. 9. 1991, 1b R 169/91). Ähnlich LGZ Graz 16. 11. 1994, 6 R 277/94 (Prognose auch aufgrund Krankheitssymptomatik); LGZ Wien 8. 6. 1996, 44 R 326/96 (Fortbestand des Krankheitsbildes, das bisher fremdgefährdenden Effekt hatte [hier: Entzünden eines Feuers in Wohnhaus] kann Fremdgefährdung begründen).
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d) Rein statistische Aussagen über die Korrelation bestimmter Krankheitszustände mit bestimmten Schadensereignissen können eine – immer auf den individuellen Einzelfall zu beziehende – Schadensprognose nicht tragen, solange keine methodisch gesicherten zuverlässigen Zusammenhänge zwischen bestimmten Krankheiten und Gefährdungspotentialen nachweisbar sind. Es muss immer begründet werden, welche Handlungen des Patienten aufgrund welcher Anhaltspunkte zu befürchten sind und welche Rechtsgüter sie gefährden. Je weniger generalisierbares Wissen zur Verfügung steht, desto konkreter müssen die zusätzlichen Anhaltspunkte sein, auf die sich die Schadensprognose stützt. 1. Das gilt insb für die Prognose bei längerdauernden Unterbringungen, da sich das (möglicherweise bereits abgeklungene) Gefährdungspotential des Kranken unter den Bedingungen des Freiheitsentzuges gar nicht mehr zeigen kann. 2. Zur Frage der Korrelation zwischen Störungen und Gefährlichkeit vgl zB Haller, RZ 2002, 102 ff. Als gesichert gilt, dass der weitaus überwiegende Teil psychisch Kranker kein gegenüber der Durchschnittsbevölkerung erhöhtes Gefährdungspotential aufweist.
d) Der Zusammenhang zwischen Krankheit und Gefährdung 119 a) Gem § 3 Z 1 UbG muss die vom psychisch Kranken ausgehende Gefahr „im Zusammenhang“ mit seiner psychischen Krankheit stehen. Damit ist ein Kausalzusammenhang zwischen psychischer Krankheit und Gefahr gemeint: Die Gefahr muss durch die Krankheit „verursacht“ sein (AB 5), sie hat „direkt aus der Krankheit zu drohen“ (RV 20; OGH 25. 2. 1993, 2 Ob 605/92; 25. 11. 1993, 2 Ob 573/93). 1. Auf eine bestimmte Schuldform kommt es dabei nicht an: So kann etwa der Gebrauch einer Waffe durch eine von einem Wahnsystem beherrschte Person auch dann die Annahme einer Gefährdung rechtfertigen, wenn eine Schädigung Dritter zwar nicht beabsichtigt, aber aufgrund bloßer Unachtsamkeit zu befürchten ist: LGZ Wien 2. 6. 1992, 44 R 236/92. 2. Nicht jede von einem psychisch Kranken ausgehende Lebens- oder Gesundheitsgefähr120 dung für sich selbst oder Dritte rechtfertigt daher die Unterbringung. Die Gefahrenquelle muss gerade die psychische Krankheit bzw das durch sie geprägte Verhalten sein. Das trifft nicht zu bei Gefährdungen durch körperliche Gebrechen (zB bei alters- oder schwächebe-
3. Gefährdung
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dingter Sturzgefahr: LGZ Wien 11. 10. 1994, 44 R 811/94; bei Sturzgefahr durch fortgesetzten Alkoholkunsum: LG Innsbruck 23. 9. 1999, 54 R 130/99k; anders freilich, wenn die Sturzgefahr Folge der krankheitsbedingten Desorientierung ist: OGH 19. 8. 1998, 9 Ob 152/98p; LG Linz 14. 2. 2002, 14 R 56/02g; vgl zur Sturzgefahr auch Rz 553); bei mangelnder Versorgungsmöglichkeit aufgrund Lähmung bei multipler Sklerose (LG St. Pölten 8. 5. 1996, 11 R 207/96); bei medikationsbedingter Sturzgefahr (LGZ Wien 23. 3. 1998, 43 R 218/98x); oder bei Gefährdung durch Infektionskrankheiten (außer die Infektionsgefahr ist zumindest auch durch die psychiatrische Symptomatik bedingt; zB Herumwerfen mit infektiösen Exkrementen bei HIV-Infektion und Verwirrtheitszustand aufgrund organischen Psychosyndroms rechtfertigt Unterbringung: LG Salzburg 12. 6. 1996, 21 R 256/96).
b) Unklar ist, ob jede Kausalbeziehung zwischen der psychischen Krankheit 121 und der Gefährdung genügt, oder ob es sich um typische Schadensverläufe handeln muss. Oft ist eine bestimmte Gefährdung nicht unmittelbar Ausdruck der psychischen Krankheit, sondern hat ihre Ursache in sozialen oder sonstigen Begleitfaktoren, deren Entstehung ihrerseits durch die Krankheit bedingt ist. Die Formulierung der Erläuterungen, wonach die Gefährdung „direkt aus der Krankheit“ drohen muss (RV 20), zeigt, dass solch mittelbare und komplexe Ursachen-Wirkungsbeziehungen nicht berücksichtigt werden sollten. 1. OGH 25. 11. 1993, 2 Ob 573/93 (der befürchtete Verlust des Heimplatzes und des „sozialen Umfeldes“ infolge störenden Verhaltens fällt „als bloß indirekte Folge der Krankheit nicht unter den Gefährdungsbegriff des § 3 Z 1“); LG Salzburg 8. 6. 1994, 22a R 174/94 (drohender Verlust des Arbeitsplatzes und der Wohnung kein Unterbringungsgrund; ebenso LG Salzburg 20. 3. 1997, 21 R 89/97b). Das gleiche gilt für sorgerechtliche Entscheidungen in Folge krankheitsbedingten Verhaltens (LG Salzburg 12. 5. 1997: drohender Verlust der Obsorge gegenüber Kind ist keine direkt aus der Krankheit drohende Gefährdung). 2. Umso weniger liegt eine dem Kranken zuzurechnende Gefährdung vor, wenn die be- 122 fürchteten Schäden nicht vom Verhalten des Kranken selbst, sondern von Reaktionen Dritter ausgehen (OGH 16. 12. 1992, 2 Ob 600/92: Unfähigkeit des sozialen Umfeldes und das Verhalten der Familienangehörigen kann Unterbringung nicht rechtfertigen; LG Salzburg 4. 2. 1998, 21 R 39/98a: dass die Kranke andere Personen des „labilen Bahnhofsmilieus“ herausfordere und dadurch lebensbedrohliche Attacken gegen sich selbst provoziere, ist keine der Kranken zuzurechnende Gefährdung iSd UbG). Auch drohende Schäden Dritter, die sich erst aufgrund selbstbestimmter Verhaltensweisen des Geschädigten realisieren, rechtfertigen keine Unterbringung. Deshalb begründet die Möglichkeit, dass ein süchtiger Patient „in Freiheit andere zum Suchtgiftmissbrauch verführen könnte“, keine Gefährdung der Gesundheit anderer iSd § 3 UbG (LG St. Pölten 12. 2. 1992, R 29/92). 3. Dass sich eine Schädigung möglicherweise erst im Kontext mit bestimmten Umweltbedingungen (zB Witterung, Verkehrssituation, vgl Rz 126) oder aus dem Einsatz von Waffen oder Tieren droht, steht der Annahme einer Gefährdung iSd UbG freilich nicht entgegen (vgl LG St. Pölten 13. 10. 1999, 10 R 328/99h: Drohung, Hunde auf Kinder zu hetzen). 4. Eine Gefährdung, die sich erst durch eine bestimmte berufliche Tätigkeit realisieren würde, genügt nicht unter dem Aspekt des Subsidiaritätsprinzips, weil diese berufsbedingten Gefahren nicht durch Freiheitsentzug, sondern mit Instrumenten des Arbeitsrechts zu bekämpfen wären; bedenklich daher LG Innsbruck 19. 7. 2001, 54 R 59/01z (Selbstgefährdung durch fortgesetzte Tätigkeit als Dachdecker).
c) In die Gefahrenbeurteilung nicht einzubeziehen sind Gefahren, die erst 123 durch die Umstände der zwangsweisen Einlieferung oder durch die Unterbringung selbst hervorgerufen werden. 1. Das aus der Unterbringung resultierende Verhalten darf nicht retrospektiv zur Rechtfertigung der Unterbringung herangezogen werden. Eine solche Vorgangsweise wäre auch unter dem Aspekt des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes unstatthaft, weil die Unterbringung kein taugliches Mittel zur Abwehr institutionsbedingter Gefahren darstellt. Diese Gefährdung endet immer mit der Entlassung.
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II. Teil: Materielle Unterbringungsvoraussetzungen
2. Abzulehnen daher LGZ Wien 16. 12. 1992, 44 R 860/92, wonach sich die Selbstgefährdung eines Patienten daraus ergebe, dass er sich „aus dem Zimmerfenster der Anstalt abzuseilen versuchte“ und dabei verletzte. Bedenklich auch LG Salzburg 17. 12. 1992, 22 R 687/92 (Aggressionshandlungen gegen Ärztin nach der Einweisung als hinreichende Fremdgefährdung); LGZ Graz 31. 1. 1996, 6 R 19/96 (Anzünden des Pyjamas von Mitpatienten). Wie hier hingegen nun LGZ Wien 23. 3. 1998, 43 R 218/98x; 19. 5. 1998, 44 R 395/98h (Gefahren, die durch Unterbringung bzw Heilbehandlung entstehen, dürfen nicht zur Rechtfertigung der Unterbringung bzw besonderer Beschränkungen herangezogen werden).
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d) Von großer Bedeutung ist die Frage nach der Art und Weise des Schadensverlaufs. Der befürchtete „erhebliche“ Schaden muss nicht durch ein akutes Einzelereignis verursacht sein, sondern kann auch das Endergebnis einer schrittweisen Aufeinanderfolge von Teilursachen sein, die jeweils für sich genommen noch keinen – oder zumindest keinen erheblichen – Schaden herbeiführen (zB chronische Vergiftung bei Medikamentenmissbrauch). Der Begriff der „ernstlichen und erheblichen Gefährdung“ iSd § 3 ist nicht auf „unmittelbar bevorstehende“ Schädigungen beschränkt, was in Rsp und Praxis mitunter übersehen wird. Da § 9 Abs 2 eine qualifizierte Sonderregelung bei Gefahr im Verzug vorsieht, kann ein vergleichbar intensiver zeitlicher Zusammenhang kein allgemeines Merkmal des Gefahrenbegriffs sein. 1. Auch aus teleologischer Sicht wäre es verfehlt, die Gefahr einer unmittelbar bevorstehenden Schädigung zu fordern, da der Nachweis dieser Voraussetzung unmöglich wäre. Gerade für Aggressionsakte, wie sie etwa bei schizophrenem Wahn (Gefährdung Dritter) oder endogenen Depressionen (Suizid) beschrieben werden, gilt als charakteristisch, dass sie unter bestimmten Krankheitsumständen und innerhalb eines begrenzten Zeitraums jederzeit mit hinreichender Wahrscheinlichkeit zu befürchten sind, ohne dass sich eine nähere Aussage über diesen Zeitpunkt treffen ließe. 2. Rsp und Literatur verfolgen keine einheitliche Linie: vgl zB im Sinne eines „unmittelbar bevorstehenden“ Schadens Hopf/Aigner § 3 Anm 7; LGZ Wien 7. 12. 1993, 44 R 923/93; 9. 5. 1995, 44 R 187/95; LG Feldkirch 10. 2. 1995, 2 R 36/95; LG St. Pölten 5. 3. 2004, 10 R 21/04x; LG Innsbruck 12. 8. 1998, 54 R 146/98m); ähnlich LG Innsbruck 26. 2. 1991, 1b R 161/91 („in kurzer Zeit“); auf langfristige Zukunftsprognosen abstellend dagegen LG Linz 6. 3. 1991, 18 R 157/91 (Selbstgefährdung durch Alkoholkonsum, der epileptische Anfälle provoziert und in der Folge sturzbedingte Schädelhirntraumen provozieren würde); LGZ Wien 23. 4. 1991, 44 R 429/91 (Selbstgefährdung durch mangelnde Realisierbarkeit eines bestimmten Berufswunsches); LG Innsbruck 26. 2. 1991, 1b R 32/91 (Selbstgefährdung durch eine beabsichtigte Italienreise, die zum Mangel an materieller Unterstützung und an ärztlicher Behandlung führen und daher die „physische Existenz“ gefährden würde); LG St. Pölten 19. 12. 2003, 10 R 130/03z (Gesundheitsgefährdung durch Rückkehr in verwahrloste Wohnverhältnisse). Ausgewogen LGZ Wien 25. 10. 1994, 44 R 836/94 (Realisierung der Gefahr binnen „einiger Tage“ [hier: Selbstgefährdung durch Verwahrlosung] genügt); LGZ Graz 1. 8. 1997, 6 R 295/97i (Selbstgefährdung durch „unkontrollierten Alkoholgenuss“ genügt nicht); LG Salzburg 16. 10. 1998, 21 R 462/98g (Schadenseintritt im Rahmen eines Monats genügt); LG St. Pölten 3. 6. 2003, 10 R 57/03i (Gefahr einer schleichenden Gesundheitsbeeinträchtigung durch Hygienemängel genügt nicht); 29. 9. 2004, 10 R 87/04p (akute Infektionsgefahr durch unbehandelte Geschwüre rechtfertigt Unterbringung); LGZ Wien 2. 1. 1996, 44 R 1008/95 (Schädigung muss „demnächst“ drohen); LGZ Wien 18. 8. 1998, 44 R 646/98w (Verwahrlosung wegen Verweigerung der Heimhilfe bei schweren Hautdefekten rechtfertigt Unterbringung zur Herbeiführung der Einsicht in Behandlungsnotwendigkeit). Auch nach OGH 25. 2. 1993, 2 Ob 605/92 reicht eine bloß „mittelbare“ Gefährdung nicht aus.
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In die Gefahrenprognose nicht einzubeziehen sind allerdings drohende schädigende Ereignisse, deren wahrscheinlicher Eintritt jenseits eines relativ eng begrenzten Zeitraums liegt; die Schädigung muss nahe bevorstehen.
3. Gefährdung
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1. Je weiter sich die Gefahrenabwehr ins Vorfeld des eigentlichen Rechtsgüterschutzes verlagert, desto mehr verwandelt sich die Unterbringung in ein Instrument gestaltender Vorsorge, mit der nicht mehr Gefahren abgewehrt, sondern der Entstehung künftiger Gefahren vorgebeugt wird. Eine derartige Herabsetzung der Eingriffsschwelle in Richtung einer langfristigen Prävention hat der Gesetzgeber aber deutlich abgelehnt (vgl AB 5: keine „Maßnahme der Fürsorge“; LG Feldkirch 10. 2. 1995, 2 R 36/95: Gefährdung durch Nahrungsverweigerung tritt erst nach längerem Zeitraum ein und begründet keine Gefährdung). Auch die Ablehnung der Verwahrlosungsgefahr und der Betreuungsbedürftigkeit als Unterbringungsvoraussetzungen (RV 20, AB 5) ergibt nur vor dem Hintergrund eines engen, mittelbare und langfristig kumulierende Selbstschädigungen ausschließenden Gefährdungsbegriffs einen Sinn. Anderenfalls wäre es bei ausreichend weitem Zeithorizont immer begründbar, dass der Betreuungs- oder Behandlungsmangel wahrscheinlich letzten Endes zu einer erheblichen Gesundheitsschädigung führen wird. Unter diesem Aspekt ist es daher auch zutreffend, dass der (so gut wie sicher zu erwartende) weitere Drogenkonsum eines süchtigen Patienten keine ausreichende Gefährdung begründet, obgleich sich dadurch die Krankheit verschlimmern kann: LG St. Pölten 12. 2. 1992, R 29/92; ähnlich LG Innsbruck 12. 8. 1998, 54 R 146/98m (nicht näher konkretisierte Selbstgefährdung durch fortgesetzten Alkoholkonsum genügt nicht). Richtig auch LGZ Wien 2. 1. 1996, 44 R 1008/95 (Verwahrlosung und Gefahr allmählicher Gesundheitsschädigung über längeren Zeitraum genügt nicht); LG Salzburg 11. 11. 1997, 21 R 429/97b (Gesundheitsgefährdung durch krankheitsbedingt schlechte Wohnverhältnisse genügt nicht; ähnlich LG Salzburg 15. 9. 1997, 21 R 346/97x); LGZ Graz 26. 4. 2004, 6 R 95/04s (einseitige Ernährung und Vitaminmangel sind keine ausreichende Gefährdung); eine bereits lebensbedrohliche Unterernährung hingegen schon (LG Klagenfurt 7. 5. 2004, 1 R 99/04t). 2. Zutreffend hat der OGH die mögliche Gesundheitsgefährdung einer Patientin, „die sich aus dem infolge ihres krankheitsbedingten Verhaltens befürchteten Verlustes ihres sozialen Umfeldes ergeben könnte“ (hier: drohender Verlust eines Heimplatzes wegen lautem und schwer zu ertragendem Verhalten im Heim), als bloß indirekte Krankheitsfolge qualifiziert und eine Gefährdung iSd UbG verneint (OGH 25. 11. 1993, 2 Ob 573/91).
Die Judikatur ist uneinheitlich und bejaht eine hinreichende Selbstgefähr- 126 dung etwa in folgenden Fällen: –
–
–
Unfähigkeit, alleine in der Wohnung zu leben: LG Innsbruck 24. 1. 1991, 1b R 10/19; ablehnend aber LGZ Wien 24. 3. 1992, 44 R 216/92 (keine ausreichende Selbstgefährdung bei Unfähigkeit des Patienten, allein in der Wohnung zu leben ohne zu verwahrlosen und sich mittelbar Schaden zuzufügen); LG Linz 9. 6. 1992, 18 R 354/92 (der Umstand, dass ein älterer Patient wegen zeitweiliger Verwirrtheit vom Einkaufen nicht eigenständig nach Hause findet, „erreicht noch nicht die vom Gesetzgeber bewusst geforderte Erheblichkeitsgrenze“); LG St. Pölten 30. 12. 1993, R 916/93 (fehlende Wohnmöglichkeit nach Brand; das UbG diene nicht dazu „der Wohnungsnot oder der Obdachlosigkeit entgegenzuwirken“); ähnlich LG St. Pölten 23. 2. 1994, R 114/94; LG Linz 31. 7. 1997, 13 R 330/97h (Nichtzurechtfinden im Alltagsleben und drohende Konflikte im Berufsleben kein Unterbringungsgrund); Unfähigkeit, sich den Gegebenheiten des Straßenverkehrs anzupassen: LG Linz 18. 2. 1991, 18 R 137/91; LGZ Wien 16. 11. 1993, 44 R 604/93; ähnlich LG Linz 31. 8. 2004, 35 R 44/047 (Autofahrten in verwirrtem Zustand); LGZ Wien 12. 1. 1999, 44 R 1007/98h (verwirrtes Herumlaufen in U-Bahnschacht); ablehnend aber LG St. Pölten 7. 4. 1995, 11 R 54/95 (die bloß vage Möglichkeit eines Verkehrsunfalles durch Autofahrten ohne Hinweis auf gefährliches Fahrverhalten genügt nicht); LG St. Pölten 28. 6. 1996, 11 R 235/96 (Lenken eines KFZ in erregtem Zustand indiziert nicht von vornherein eine Fremdgefährdung); LG Korneuburg 23. 2. 2004, 25 R 35/04f (Behinderung des Verkehrs und Anhalten von Autofahrern); Unfähigkeit, sich außerhalb der Anstalt zurechtzufinden: LG St. Pölten 18. 3. 1993, R 154/92; Unfähigkeit, nach Entfernen von Station allein zurückzukehren: LG Innsbruck 6. 7. 1995, 54 R 130/95; ablehnend hingegen LG Salzburg 8. 11. 1993, 22a R 370/93 (dass der Patient die offene Abteilung verlassen und „sich verlaufen“ könnte, begründet keine Gefährdung);
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II. Teil: Materielle Unterbringungsvoraussetzungen
–
Gefahr körperlicher Erschöpfung (wegen „Rastlosigkeit“) und der Unfähigkeit der Patientin, „jeglicher ihr entgegentretender Gefahr entsprechend begegnen zu können“: LGZ Graz 11. 11. 1997, 6 R 426/97d);
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wenn sich Patient krankheitsbedingt nicht so versorgt, dass seine körperliche Integrität sowohl von der Nahrungsaufnahme als auch der Bekleidung her gesichert ist, kann dies – „gerade noch“ – als Selbstgefährdung qualifiziert werden: LGZ Wien 20. 5. 2003, 42 R 365/03t, EFSlg 105.076; mangelnde Einhaltung von Diätvorschriften eines Diabetikers: LG Salzburg 7. 2. 1991, 22 R 48/91; drohender Alkoholkonsum mit Sturzgefahr: LG Linz 6. 3. 1991, 18 R 157/91; 4. 5. 1994, 18 R 301/94; ablehend aber LG Innsbruck 23. 9. 1999, 54 R 130/99k;
– – –
potentielle Stationsflüchtigkeit und Gefährdung durch Sturzgefahr bei unkontrolliertem Verlassen der Station (OGH 19. 8. 1998, 9 Ob 152/98p);
– fehlende Einstellung auf die [winterlichen] Witterungseinflüsse: LGZ Wien 17. 3. 1992, 44 R 15/92; 25. 3. 1996, 44 R 213/96; LG Linz 5. 3. 1992, 18 R 137/92; LG Innsbruck 1. 10. 1992, 2b R 148/92; ähnlich UVS Stm 22. 2. 1994, 20.3-3/93; Übernachten am Bahnhof im Winter außerhalb des geheizten Wartesaales bei Ablehnung anderer Aufenthaltsorte: LG Salzburg 2. 12. 1999, 21 R 554/99p; „Stationsflucht“ bei winterlichen Temperaturen: LGZ Graz 2. 3. 1998, 6 R 69/98f; Selbstgefährdung durch „Herumirren“ bejahend LG Salzburg 1. 9. 1993, 22a R 291/93; LG St. Pölten 30. 3. 1994, R 206/94; OGH 9. 3. 1993, 4 Ob 513, 514/93; abl hingegen LGZ Wien 28. 4. 1992, 44 R 63/92 („planloses Herumirren“ im Winter begründet keine Selbstgefährdung); –
bei „Außerachtlassung jeder hygienischen Minimalerfordernisse“: LG St. Pölten 22. 4. 1992, R 321/92; UVS Vbg 25. 7. 1994, 2-003/92 („hygienisch unvertretbare Situation“); LGZ Wien 25. 10. 1994, 44 R 836/94 (mangelhafte Ernährung und Betreuung, Vernachlässigung der Körperpflege, Übernachtung im Freien); LG St. Pölten 19. 12. 2003, 10 R 130/03z (völlig verwahrlostes Haus);
–
bei „wahllosem Geschlechtsverkehr mit verschiedenen Männern“: LG Salzburg 20. 5. 1992, 22 R 268/92. Ähnlich LGZ Wien 16. 11. 1993, 44 R 604/ 93 (Gefahr einer unbeherrschten und unkritischen Aufnahme von sexuellen Beziehungen, „was in der heutigen Aids-Zeit enorm gefährlich sei“); anders: LG Salzburg 8. 6. 1995, 21 R 404/95 (Verkehren im Bahnhofsmilieu und sexuelle Kontakte mit unbekannten Männern keine Gefährdung); bei Verbringen einer Nacht im Freien „ohne zureichenden Grund“: LG Salzburg 3. 12. 1992, 22 R 661/92; bei der – als unrealistisch eingeschätzten – Absicht des Betroffenen, sich auf einer Italienreise durch Musizieren zu erhalten (LG Innsbruck 26. 2. 1991, 1b R 32/91) oder nach der Entlassung einen bestimmten Beruf zu ergreifen (LGZ Wien 23. 4. 1991, 44 R 429/91; abl im Rekursweg OGH 26. 9. 1991, 7 Ob 585/91: „Ohne Erhebung der in der Vergangenheit liegenden Umstände, die die Annahme der Selbstgefährdung begründen sollen [...], kann auch nicht beurteilt werden, ob und aus welchen Gründen auch das Erkennen der wirklichen sozialen Situation die Selbstmordgefahr indiziert“).
– –
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3. Eine notwendige Begrenzung des in die Gefahrenbeurteilung einzubeziehenden Zeitraums ergibt sich dann, wenn der Patient – was auf die gerichtliche Zulässigkeitsprüfung idR zutrifft – zum Zeitpunkt der Beurteilung bereits untergebracht ist: In diesem Fall ist nicht zu fordern, dass der zu erwartende Gesundheitsschaden für die Zeit der Unterbringungsdauer prognostiziert wird. Es genügt, dass bei Aufhebung der Unterbringung (bzw durch damit einhergehenden Behandlungsabbruch) eine entsprechende Gefährdung des Lebens oder der Gesundheit zu erwarten wäre (LG St. Pölten 28. 8. 1991, R 523/91; 4. 3. 1992, R 183/92; im Ergebnis auch LG Linz 17. 6. 1992, 18 R 373/92; LGZ Wien 23. 3. 1993, 44 R 167/93; LG Salzburg 16. 10. 1998, 21 R 462/98g; 8. 5. 2003, 21 R 178/03b).
4. Subsidiarität und Verhältnismäßigkeit
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4. Subsidiarität und Verhältnismäßigkeit a) Gem § 3 Z 2 UbG ist eine Unterbringung nur zulässig, wenn der Be- 128 troffene „nicht in anderer Weise, insbesondere außerhalb einer Anstalt, ausreichend ärztlich behandelt oder betreut werden“ kann. 1. Mit diesem Grundsatz der Subsidiarität wird zum Ausdruck gebracht, dass die Unterbringung nur als „letztes Mittel“ in Frage kommt, also nur dann, „wenn dem Kranken nicht auf andere Weise geholfen werden, somit der mit seinem Leiden verbundenen Gefahr nicht auf andere Weise“ als durch die Unterbringung entgegengewirkt werden kann (RV 20; OGH 7. 9. 1994, 3 Ob 538/94). 2. Die Unterbringung ist daher kein zulässiges Instrument zur Bekämpfung von Gefahren, die erst im Rahmen einer bestimmten Berufstätigkeit entstehen würden (anders LG Innsbruck 19. 7. 2001, 54 R 59/01z: Selbstgefährdung durch Tätigkeit als Dachdecker).
Als Präzisierung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes schließt dieses Subsidiaritätsprinzip nicht nur eine Prüfung der Erforderlichkeit des Freiheitsentzuges ein; die Unterbringung muss zur Erreichung des angestrebten Ziels der Gefahrenabwehr auch geeignet und angemessen sein, dh der verfolgte Zweck darf nicht außer Verhältnis stehen zu dem zu seiner Verwirklichung vorgenommenen Freiheitsentzug. 1. Eine freiheitsentziehende Unterbringung psychisch Kranker ist zB ungeeignet, wenn sie die Gefährdungslage, zu deren Beseitigung sie dienen soll, weiter verschärft oder wenn der mit der Unterbringung ohne Verlangen verbundene Zwang im Hinblick auf die Erreichung bestimmter therapeutischer Ziele kontraproduktiv ist. 2. Unter den vom UbG angesprochenen Alternativen kommen in erster Linie weniger 129 eingreifende – weil nicht mit Freiheitsentzug verbundene – Behandlungs- und Versorgungsformen außerhalb einer Anstalt, also im halbstationären oder ambulanten Bereich in Betracht: zB ambulante psychosoziale Einrichtungen, Übergangseinrichtungen (Tages- und Nachtkliniken der Übergangswohnheime) und Pflegeeinrichtungen (zB der Psychosoziale Dienst in Wien, das Psychosoziale Zentrum in Niederösterreich sowie die Gemeindepsychiatrie in Salzburg; vgl RV 15). Näher Wissgott, MÖSV 1992, 275 ff; Hopf/Aigner Anh 18. 3. Auch die Betreuung in einer psychiatrischen bzw sonstigen Anstalt (Abteilung) oder 130 durch niedergelassene Fachärzte oder Ambulatorien kann eine gelindere Alternative zur Unterbringung darstellen (LG Linz 9. 6. 1992, 18 R 354/92: Verlegung eines zeitweilig verwirrten dementen Patienten in geriatrischen Bereich oder in Seniorenheim), insb wenn sie im offenen Bereich bzw ohne sonstige Beschränkungen der Bewegungsfreiheit stattfindet (AB 5; RV 20; LG Salzburg 23. 9. 1992, 22 R 508/92; LG Feldkirch 16. 8. 1994, 2 R 218/94; 10. 2. 1995, 2 R 36/95; LG Salzburg 19. 1. 2000, 21 R 25/00y, EFSlg 97.505). Erweist sich die Therapie als wirksam, wird freilich meist schon die Gefährdung zu verneinen sein (LG St. Pölten 4. 9. 2003, 10 R 80/03x: Wegfall der Selbstgefährdung wegen sedierender Wirkung einer Depotinjektion). 4. Ob die verfügbaren alternativen Behandlungs- und Betreuungsformen ausreichend sind 131 und daher Vorrang vor der Unterbringung haben, ist im Hinblick auf ihre Eignung zur Abwehr der in § 3 Z 1 genannten Gefahren zu beurteilen (RV 20, AB 5).
b) Da die Inanspruchnahme alternativer und ambulanter Behandlungsfor- 132 men rechtlich nicht erzwungen werden kann, kommt der Bereitschaft des Patienten, sich einer solchen Behandlung freiwillig zu unterziehen, eine mittelbare Bedeutung für die Zulässigkeit der Unterbringung zu. Durch die Verknüpfung der Unterbringungsvoraussetzungen mit dem Bestand „ausreichender“ alternativer Betreuungsmöglichkeiten enthält das Subsidiaritätsprinzip auch ein dynamisches Element: Die Zulässigkeit der Unterbringung hängt damit im Ergebnis auch von den real existierenden Versorgungsangeboten sowie von den Mög-
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II. Teil: Materielle Unterbringungsvoraussetzungen
lichkeiten und Mitteln unterschiedlicher Institutionen ab, den Betroffenen aufzunehmen bzw zu betreuen. 1. Zur erforderlichen Kooperationsbereitschaft des Patienten vgl LG Innsbruck 24. 2. 1992, 1b R 27/92 (Unterbringung ist unzulässig, sobald der Patient kooperationsbereit ist und daher die Behandlung außerhalb der geschlossenen Abteilung möglich ist; ähnlich LG Korneuburg 28. 8. 2003, 25 R 146/03b; LG St. Pölten 15. 1. 2003, 10 R 3/03y); zur mangelnden „Paktfähigkeit“ als Begründung für das Fehlen ausreichender Alternativen vgl zB LG Linz 27. 2. 1992, 18 R 105/92; LG Wels 23. 9. 2003, 21 R 269/03p. Bei der bekundeten Bereitschaft des Patienten, sich vor dem Hintergrund der drohenden Unterbringung doch freiwillig behandeln zu lassen, darf es sich also – soll die Unterbringung unter dem Titel der Subsidiarität unterbleiben – nicht bloß um eine nur zum Schein abgegebene, nicht ernst gemeinte Absichtserklärung handeln (LG St. Pölten 6. 3. 1995, 11 R 26/95). Besteht jedoch Bereitschaft zur Medikamenteneinnahme und wird nur bestimmte Darreichungsform verweigert (Tabletteneinnahme), ist Unterbringung unzulässig, wenn das Medikament auf andere Weise („gemörsert“) verabreicht werden kann (LG Salzburg 11. 4. 2001, 21 R 67/01a). Nach LG Feldkirch 16. 8. 1994, 2 R 218/94 ist eine freiwillige Aufnahme im offenen Bereich keine ausreichende Alternative zur Unterbringung, wenn wegen kurzzeitig möglicher Schwankungen der Stimmungslage nicht gewährleistet ist, dass der Patient bei Auftreten einer Krise tatsächlich in der Anstalt bleibt. Auch fehlende Krankheitseinsicht kann alternative Behandlung ausschließen (LG Korneuburg 6. 2. 2003, 25 R 13/03v), ebenso die mangelnde Einsicht in Notwendigkeit der Behandlung (VwSlg 14.706 A = RdM 1998/10). OGH 28. 8. 2003, 8 Ob 94/03m, hat Zulässigkeit der Unterbringung bejaht, wenn Betroffener mit Betreuung in geeigneter Institution nicht einverstanden ist und Rückkehr in bisherige Pflegeverhältnisse eine konkrete und ernste Gefährdung seiner Gesundheit bewirken würde. Ähnlich LG St. Pölten 19. 12. 2003, 10 R 130/03z (Rückkehr in verwahrloste Wohnverhältnisse bis zum Abschluss der Sanierungsmaßnahmen selbstgefährdend). 2. Beim Subsidiaritätsprinzip handelt es sich um eine zusätzliche (zu Krankheit und Gefährdung hinzutretende) Beurteilungsebene. Die „Paktfähigkeit“ eines Patienten kann daher zwar die Zulässigkeit der Unterbringung (trotz Gefährdung) ausschließen; umgekehrt vermag aber mangelnde Paktfähigkeit für sich genommen noch keine Gefährdung iSd § 3 Z 1 UbG zu begründen (LG Korneuburg 17. 2. 2000, 25 R 6/00k). 3. Eine Alternative ist nur „ausreichend“, wenn sie tatsächlich zur Verfügung steht (LG 133 Linz 15. 10. 1992, 18 R 668/92; LG Innsbruck 23. 10. 1992, 2b R 158/92; LG Salzburg 30. 10. 2003, 21 R 385/03v; 30. 10. 2003, 21 R 249/03v, EFSlg 105.077); ob sie theoretisch ausreichend wäre, ist irrelevant (aM LG Innsbruck 18. 9. 1992, 2b R 137/92; LG Linz 9. 6. 1992, 18 R 354/92; vgl auch LG Salzburg 21. 10. 1997, 21 R 396/97z: auch eine – in concreto an finanziellen Hindernissen gescheiterte – alternative Versorgungsmöglichkeit schließt Unterbringung aus). Anders, wenn die Bereitstellung der Alternative im Zuständigkeitsbereich der Anstalt liegt: Zur Verhütung des Trinkens gefährlicher Flüssigkeiten im Zustand der Verwirrtheit ist die Unterbringung in einer geschlossenen Abteilung nicht unbedingt erforderlich, weil der Zugang zu gefährlichen Flüssigkeiten auch in offenen Abteilungen verhindert werden müsste (LG Salzburg 5. 10. 1992, 22 R 540/92). Auch organisatorische Defizite wie der Mangel des für eine Betreuung im offenen Bereich erforderlichen Personals rechtfertigen keine Unterbringung (LG Salzburg 8. 11. 1993, 22a R 370/93). In Zeiten knapper Gesundheitsbudgets kann freilich nicht jeder Personalengpass als Organisationsmangel gedeutet werden, es sei denn, dass die vorhandenen Ressourcen unzweckmäßig eingesetzt wurden (LG Salzburg 30. 10. 2003, 21 R 249/03v, EFSlg 105.079). Vgl (zu Fixierung mit Bauchgurt) auch LGZ Graz 10. 11. 1997, 6 R 427/97a (Abstellen eines Pflegers zur andauernden Beobachtung und Beaufsichtigung zur Verhinderung von Aggressionsakten gegenüber Mitpatienten „nicht realitätsnahe“). 4. Solange die vom Gesetz vorausgesetzten alternativen Versorgungsformen nicht in ausreichendem Maß existieren bzw der Zugang zu ihnen rechtlich nicht strukturiert ist, spielen für die Zulässigkeit der Unterbringung letztlich auch budgetäre Faktoren sowie die Bereitschaft Dritter eine erhebliche Rolle. Dazu kritisch und mwN Kopetzki II 521 ff. Vgl auch die Entschließung des NR 1202 BlgNR 17. GP Anlage 2 zur Schaffung eines leistungsfähigen ambulanten psychiatrischen Versorgungsangebots.
4. Subsidiarität und Verhältnismäßigkeit
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c) Über die Prüfung der gelinderen Alternativen hinaus bedarf es zusätzlich 134 noch einer Angemessenheitsprüfung (Verhältnismäßigkeit ieS; RV 20). Die Tatbestandsmerkmale der „ernstlichen und erheblichen“ Gefahr iSd § 3 Z 1 und der „ausreichenden“ Alternativen iSd § 3 Z 2 UbG bezeichnen keine feststehenden Größen, sondern verlangen eine wertende Abwägung zwischen den konfligierenden Interessen der individuellen Freiheitsausübung (Dauer, Umfang, Intensität und Folgen des Eingriffs etc) und jenen Interessen, die durch ihre Beschränkung geschützt werden sollen (Gewicht der bedrohten Rechtsgüter, Schwere des drohenden Schadens, Wahrscheinlichkeit seines Eintritts etc). 1. Von besonderer Bedeutung ist die Angemessenheitsprüfung hinsichtlich der Dauer der 135 Unterbringung: Da die zu schützenden Interessen umso gewichtiger sein müssen, je intensiver in die Rechte des Betroffenen eingegriffen wird, kann ein erforderlicher, geeigneter und zunächst angemessener Freiheitsentzug unverhältnismäßig werden, wenn er ein bestimmtes Ausmaß überschreitet. Je länger die Unterbringung dauert, desto strengere Anforderungen sind an Schwere und Wahrscheinlichkeit der Schädigung zu stellen, maW: desto eher ist dem Betroffenen die Chance eines Lebens in Freiheit einzuräumen und das damit verbundene Restrisiko in Kauf zu nehmen (OGH 16. 12. 1992, 2 Ob 600/92). Dabei ist zu berücksichtigen, dass sich die mangelnde Gefährlichkeit unter den Bedingungen des Freiheitsentzuges idR nicht manifestieren kann und es daher zur unkritischen Fortschreibung der aufgrund lange zurückliegender Anhaltspunkte getroffenen Prognosen kommen kann. Das UbG trägt diesen Aspekten durch die Staffelung der Unterbringungsfristen und die verschärften Voraussetzungen für längerdauernde Unterbringungen Rechnung. 2. Im Licht des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes kann es daher bei längerdauernden Unterbringungen auch geboten sein, den Patienten schrittweise an die Bedingungen eines offenen Bereichs zu gewöhnen und seine Verhaltensweisen im offenen Bereich auszuloten (LG Linz 1. 12. 1998, 14 R 606/98f ). Dazu gehört auch die Gewährung von Ausgang, Rz 576. 3. Ein ähnliches, sich mit zunehmender Dauer verschärfendes Abwägungsproblem stellt sich, wenn die Zulässigkeit der Unterbringung von ungewissen sozialen Faktoren abhängt, die sich möglicherweise nie bessern. Vgl zB LG St. Pölten 19. 12. 2003, 10 R 130/03z (Unterbringung zulässig bis zur hygienischen Sanierung des Hauses, wobei unklar blieb, ob eine Sanierung mit den vorhandenen finanziellen Mitteln überhaupt in Frage kommt); LGZ Graz 4. 8. 2003, 6 R 152/03x (weitere Unterbringung zulässig bis zur wesentlichen Veränderung der „persönlichen und Wohnverhältnisse“ [nach Bedrohung der Familienmitglieder]); LG St. Pölten 28. 12. 2000, 10 R 318/00t (im Rahmen der „finanziellen Möglichkeiten“ der Patientin ist ausreichende alternative Behandlung nicht gesichert).
Dritter Teil
Unterbringung ohne Verlangen 1. Allgemeines a) Begriff 136 Unter dem Titel der „Unterbringung ohne Verlangen“ regeln die §§ 8-11 UbG jenes Verfahren, welches zur unfreiwilligen (arg „ohne Verlangen“) Unterbringung iSd UbG führt. Diese Regeln sind immer dann zu beachten, wenn eine Person „gegen oder ohne den Willen“ (§ 8 Abs 1) in die Anstalt „gebracht“ bzw aufgenommen werden soll. Die Anwendbarkeit der §§ 8 ff UbG setzt also nicht unbedingt die Ausübung physischen Zwanges voraus. Maßgeblich ist vielmehr, dass die Anstaltsaufnahme nicht auf einem wirksamen Unterbringungsverlangen (Rz 235 ff ) beruht. 137
1. Indem das UbG auf den Mangel einer ausdrücklichen und formalisierten Willenserklärung zur freiwilligen Aufnahme („Unterbringung auf Verlangen“) abstellt, unterstellt es alle unklaren, zweifelhaften oder stillschweigenden Aufnahmen ebenfalls den für die unfreiwillige Unterbringung geltenden Regeln. Schweigt der Patient oder ist er zu keiner Willensäußerung fähig, so ist immer nach §§ 8 f vorzugehen. Wer der Einlieferung nur zustimmt, um die ansonsten ohnehin zu gewärtigende Zwangsausübung zu vermeiden, wird daher „ohne Verlangen“ in die Anstalt gebracht (UVS Oö 5. 7. 1993, VwSen-420028/29/Gf/La). 2. Jede Unterbringung ohne Verlangen muss nach den Regeln der §§ 8 ff UbG vorgenommen werden. Das gilt nun auch für Minderjährige und Personen unter Sachwalterschaft (Rz 140, 811, vgl aber Rz 60 ff). Für Aufnahmen von Personen nach dem Straf- und Strafprozessrecht gilt das UbG hingegen grundsätzlich nicht (vgl näher Rz 796 ff). 3. Einer Unterbringung ohne Verlangen gleichzuhalten sind Fälle, in denen ein ursprünglich freiwilliger Anstaltsaufenthalt in eine zwangsweise Unterbringung umgewandelt wird (vgl Rz 139, 284).
b) Gliederung 138 Bei der „Unterbringung ohne Verlangen“ sind zwei Verfahrensabschnitte auseinanderzuhalten, die sich sowohl hinsichtlich der Zuständigkeiten als auch hinsichtlich der verfahrensrechtlichen Bindungen unterscheiden: – die Verbringung in die Krankenanstalt (§§ 8 f UbG), sowie – als Sonderfall einer derartigen Verbringung – die Vorführung durch die Organe des öffentlichen Sicherheitsdienstes (§ 46 SPG; § 9 UbG) (unten 2. Rz 144 ff ); – die Unterbringung in der Anstalt (§§ 10, 11 UbG) (unten 3. Rz 190 ff ). 1. Aus rechtlicher Sicht sind die Phasen der Verbringung in die Anstalt und der Unterbringung in der Anstalt voneinander völlig unabhängig: Weder muss der Unterbringung notwendigerweise eine behördliche Vorführung vorangehen, noch wird mit der Vorführung eines Patienten zur Anstalt zugleich über seine Unterbringung in der Anstalt entschieden. 2. Das Unterbringungsgericht ist in diesem Stadium nicht befasst. Das gerichtliche Verfahren folgt der Unterbringung nach und dient lediglich der Überprüfung ihrer Zulässigkeit.
1. Allgemeines
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c) Erscheinungsformen Nach dem UbG können überblicksweise folgende Erscheinungsformen der 139 Unterbringung „ohne Verlangen“ unterschieden werden: 1. Unterbringung auf unmittelbare Initiative durch die psychiatrische Abteilung (Abteilungsleiter). Dies ist der Fall: a) wenn eine Unterbringung auf eigenes Verlangen in eine zwangsweise Unterbringung umgewandelt wird (§ 11 Z 2); b) wenn ein Patient bereits freiwillig und ohne Beschränkungen als „normaler Patient“ in die Anstalt aufgenommen wurde und nachträglich Beschränkungen der Bewegungsfreiheit unterworfen wird (§ 11 Z 1), und c) wenn sich ein Patient freiwillig in die Anstalt begibt und dort (ohne „Umweg“ über eine freiwillige Aufnahme) unmittelbar zwangsweise untergebracht wird (§ 10 Abs 1). Eine vorherige oder nachträgliche Einschaltung des Polizeiarztes (Arzt des öffentlichen Sanitätsdienstes) erfolgt in all diesen Fällen – im Gegensatz zum KAG aF – nicht mehr, weil der Patient diesfalls nicht „gegen oder ohne seinen Willen in die Anstalt gebracht“ (§ 8) wird. 2. Vorführung durch Organe des öffentlichen Sicherheitsdienstes unter vorheriger Beiziehung des Polizeiarztes (Arzt des öffentlichen Sanitätsdienstes) (§ 9 Abs 1). 3. Vorführung bei Gefahr im Verzug durch Organe des öffentlichen Sicherheitsdienstes ohne Einschaltung des Polizeiarztes (Arzt des öffentlichen Sanitätsdienstes) (§ 9 Abs 3). 4. Ob außer den Sicherheitsorganen noch andere Personen oder Einrichtungen berechtigt sind, eine Person zwangsweise in die Anstalt zu bringen (zB Angehörige; Überstellung aus anderen Krankenanstalten), ist im UbG nicht geregelt. Sofern dafür eine anderweitige rechtliche Grundlage besteht, bedarf es aber nun jedenfalls zusätzlich der Einschaltung des Polizeiarztes (Arzt des öffentlichen Sanitätsdienstes) (§ 8). Vgl Rz 180 ff.
d) Persönlicher Anwendungsbereich a) Für die Unterbringung „ohne Verlangen“ von Minderjährigen oder von 140 Personen, für die ein Sachwalter gem § 273 ABGB bestellt ist, gelten keine besonderen Regelungen. Insb hängt die Zulässigkeit der Unterbringung gem §§ 8 ff UbG – anders als bei der Unterbringung „auf Verlangen“ – nicht von der Zustimmung der gesetzlichen Vertreter oder Erziehungsberechtigten ab. Zur Verständigung des gesetzlichen Vertreters bzw Erziehungsberechtigten über die Un- 141 terbringung Rz 215. In der Regel werden diese Personen aber schon im Zuge des Einlieferungsvorganges zu kontaktieren sein, weil die Beurteilung „ausreichender“ Betreuungsalternativen ohne Einbeziehung des familiären Umfeldes und ohne Berücksichtigung bestehender Sorgepflichten kaum möglich erscheint. Vgl aber auch Rz 60 ff.
b) Die Zulässigkeit der Unterbringung von Ausländern in Österreich ist im 142 Sinne des Territorialprinzips (Art 49 B-VG) und mangels abweichender Regelungen nach UbG und SPG zu beurteilen. 1. Zutreffend LG Innsbruck 8. 11. 1991, 3b R 161/91. Es besteht weder eine Zuständigkeit ausländischer Behörden noch kommt ausländisches Recht zur Anwendung. 2. Hingewiesen sei auf die rechtliche Sonderstellung der Träger völkerrechtlicher Privilegien und Immunitäten. Näher Kopetzki II 572 f.
c) Abgeordnete des Nationalrates, der Landtage und des Bundesrates sind 143 hinsichtlich der Unterbringung nicht durch die außerberufliche Immunität (Art 57 Abs 2; Art 58, 96 B-VG) geschützt. Da sich dieser Schutz nur gegen Verhaftungen „wegen einer strafbaren Handlung“ richtet, erfasst er die Unterbringung nach dem UbG und die vorangehende Vorführung gem § 9 UbG und § 46 SPG nicht. Vgl Kopetzki II 573; ders, ZÖR 1986, 115.
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III. Teil: Unterbringung ohne Verlangen
2. Die Verbringung in die Anstalt a) Vorführung durch Organe des Sicherheitsdienstes aa) Rechtsgrundlagen 144 Das Gesetz unterscheidet zwei Formen, den Normalfall mit ärztlicher „Bescheinigung“ und den Notfall bei Gefahr im Verzug ohne Bescheinigung: Gem § 9 Abs 1 UbG sind die Organe des öffentlichen Sicherheitsdienstes „berechtigt und verpflichtet, eine Person, bei der sie aus besonderen Gründen die Voraussetzungen der Unterbringung für gegeben erachten“, zur Untersuchung zu einem Polizeiarzt oder einem im öffentlichen Sanitätsdienst stehenden Arzt zu bringen oder diesen beizuziehen. „Bescheinigt der Arzt das Vorliegen der Voraussetzungen der Unterbringung, so haben die Organe des öffentlichen Sicherheitsdienstes die betroffene Person in eine Anstalt zu bringen oder dies zu veranlassen. Wird eine solche Bescheinigung nicht ausgestellt, so darf die betroffene Person nicht länger angehalten werden“. Gem § 9 Abs 2 UbG können die Organe des öffentlichen Sicherheitsdienstes bei Gefahr im Verzug die betroffene Person auch ohne Untersuchung und Bescheinigung in eine Anstalt bringen. Gem § 9 Abs 3 haben der Arzt und die Organe des öffentlichen Sicherheitsdienstes unter möglichster Schonung der betroffenen Person vorzugehen und die notwendigen Vorkehrungen zur Abwehr von Gefahren zu treffen. Sie haben, soweit das möglich ist, mit psychiatrischen Einrichtungen außerhalb einer Anstalt zusammenzuarbeiten und erforderlichenfalls den örtlichen Rettungsdienst beizuziehen. Zusätzlich zu § 9 UbG enthält auch § 46 SPG eine – abweichend formulierte und in ih145 rem Sinn unklare – Ermächtigung zur Vorführung psychisch Kranker. Nach § 46 Abs 1 SPG sind die Organe des öffentlichen Sicherheitsdienstes ermächtigt, „Menschen, von denen sie aus besonderen Gründen annehmen, dass sie an einer psychischen Krankheit leiden und im Zusammenhang damit ihr Leben oder ihre Gesundheit oder das Leben oder die Gesundheit anderer ernstlich und erheblich gefährden, einem im öffentlichen Sanitätsdienst stehenden Arzt oder einem Polizeiarzt vorzuführen, sofern dies notwendig ist, um eine Untersuchung des Betroffenen durch diesen Arzt zu ermöglichen. Weiter sind Organe des öffentlichen Sicherheitsdienstes ermächtigt, solche Menschen einer Krankenanstalt (Abteilung) für Psychiatrie vorzuführen, sofern der Arzt die Voraussetzungen für eine Unterbringung bescheinigt“. Gem § 46 Abs 2 SPG sind die Organe des öffentlichen Sicherheitsdienstes ermächtigt, den Betroffenen auch ohne Untersuchung und Bescheinigung einer Krankenanstalt (Abteilung) für Psychiatrie vorzuführen. Gem § 46 Abs 3 SPG ist in diesen Fällen „im übrigen“ nach § 9 SPG vorzugehen. Vgl auch Rz 147, 152, 156. Näher Hauer/Keplinger, Anm zu § 46 SPG.
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bb) Zuständigkeiten Die Vorführungsermächtigung des § 9 UbG richtet sich an die Organe des öffentlichen Sicherheitsdienstes. Gem § 5 Abs 2 SPG idF der Novelle 2005 sind dies die Angehörigen des (durch die Zusammenführung von Bundessicherheitswache, Bundesgendarmerie und Kriminalbeamtenkorps) neu geschaffenen Wachkörpers Bundespolizei, der Gemeindewachkörper sowie des rechtskundigen Dienstes bei Sicherheitsbehörden, wenn diese Organe zur Ausübung unmittelbarer Befehls- und Zwangsgewalt ermächtigt sind. 1. Näher Grabenwarter/Wiederin, JAP 1992/93, 52; Adamovich/Funk, Allgemeines Verwaltungsrecht3 (1987) 172. Den Gemeinden und somit auch den Gemeindewachkörpern
2. Die Verbringung in die Anstalt
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sind allerdings keine behördlichen Befugnisse bei der Vollziehung des UbG bzw des § 46 SPG eingeräumt (Hopf/Aigner § 9 Anm 1; vgl auch Hauer/Keplinger, Anm zu § 5 Abs 2 SPG). 2. Während in § 9 UbG eine Aussage über die behördlichen Zuständigkeiten fehlt, ordnet 147 § 46 SPG die Vorführung zum Amtsarzt bzw in die Anstalt der Sicherheitspolizei zu und begründet hiefür iVm § 2 SPG eine Zuständigkeit der Sicherheitsbehörden (§ 2 SPG; dies sind gem § 4 SPG: BMI, Sicherheitsdirektion, BVB, BPolDion). Die Vorführung vor den Arzt bzw die Anstalt fällt daher in die sachliche Zuständigkeit der BVB bzw, in deren örtlichem Wirkungsbereich, der BPolDion und ist diesen Behörden zuzurechnen.
cc) Allgemeine Grundsätze a) § 9 Abs 1 UbG und § 46 Abs 1 SPG halten am Grundsatz fest, dass die 148 Einlieferung in die Anstalt „nur auf Grund einer Bescheinigung erfolgen darf, die von einem in einem öffentlich-rechtlichen Pflichtenverhältnis stehenden Arzt ausgestellt wird“ (AB 6). Damit soll eine erste fachliche Beurteilung der Unterbringungsvoraussetzungen vor der Aufnahme sichergestellt werden. Nur bei Gefahr im Verzug ist eine unmittelbare Vorführung zur Anstalt ohne Einholung einer Bescheinigung zulässig (§ 9 Abs 2 UbG; § 46 Abs 2 SPG). b) Sowohl die Organe des öffentlichen Sicherheitsdienstes als auch der Arzt haben unter möglichster Schonung der Person vorzugehen und die notwendigen Vorkehrungen zur Abwehr von Gefahren zu treffen. Außerdem haben die Sicherheitsorgane und Ärzte, soweit möglich, mit psychiatrischen Einrichtungen außerhalb der Anstalt zusammenzuarbeiten und erforderlichenfalls den örtlichen Rettungsdienst beizuziehen (§ 9 Abs 3). 1. Die Konsultationspflicht dient der fachgerechten ärztlichen Behandlung sowie der Beschaffung jener Informationen, die zur Beurteilung allfälliger Betreuungs- und Behandlungsalternativen iSd § 3 Z 2 erforderlich sind. Als „Ansprechstellen“ kommen etwa psychosoziale Dienste und ähnliche „extramurale Einrichtungen“ in Frage (vgl AB 6). 2. Unter den abzuwehrenden Gefahren sind jene Lebens- und Gesundheitsgefahren gemeint, die zum Einschreiten geführt haben (vgl RV 23). 3. Körperliche Zwangsmaßnahmen sind nur zulässig, wenn und solange sie zur Gefahrenabwehr „notwendig“ sind. Die konkrete Maßnahme muss also – im Lichte des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes – geeignet und unbedingt notwendig sein, um den Betroffenen angriffs-, widerstands- oder fluchtunfähig zu machen; es darf jeweils nur das gelindeste noch zum Ziel führende Mittel angewendet werden. Das Vorliegen und der Fortbestand dieser Voraussetzung sind laufend zu prüfen. Überschießende Zwangsausübung ist immer rechtswidrig und verletzt Art 3 EMRK. In diesem Sinn auch die Rsp: Das Anlegen von Handschellen zur Abwehr konkreter Gefährdungen widerspricht nach UVS Vbg 4. 6. 1994, 2-009/93/E2, nicht dem Schonungsgrundsatz; ähnlich UVS Bgld 18. 4. 1996, E 75/02/95.001/5; UVS OÖ 6. 12. 2001, VwSen-420309/23/17. Fehlt hingegen eine konkrete Gefährdung der körperlichen Sicherheit, so verletzt die Durchführung bzw Aufrechterhaltung einer Fesselung das Schonungsgebot des § 9 Abs 3 UbG (VwGH ZfVB 2004/155 = RdM 2003/50: Anlegen von Handschellen als Reaktion auf die Weigerung, in das Rettungsfahrzeug einzusteigen; ebenso UVS Stm 14. 4. 2005, 20.1-4,5,6,7,8,9/2004-30: Gewaltanwendung und Handfesseln widersprechen Verhältnismäßigkeitsgrundsatz, da Betroffene keinen Widerstand leistete und sich immer wieder beruhigte; Überraktionen der „ohnehin verwirrten und verängstigten“ Frau auf die Vorgangsweise der Beamten hätten auf andere Weise unterbunden werden können). 4. Eine Befugnis zur Zwangsbehandlung besteht im Stadium der Vorführung bzw Untersuchung nicht (Kneihs, RdM 2005, 37). Für ärztliche Behandlungen gelten die allgemeinen Regeln. Das schließt eine Behandlung gegen den erklärten Willen aus (§ 110 Abs 2 StGB). 5. Gem § 47 Abs 1 SPG hat jeder Vorgeführte das Recht, dass auf sein Verlangen ohne unnötigen Aufschub und nach seiner Wahl ein Angehöriger und ein Rechtsbeistand von der Vorführung verständigt wird. Der Betroffene muss also die Initiative ergreifen; die Verständigung selbst ist aber von der Behörde vorzunehmen. Gem § 8 RLV BGBl 1993/266 ist der Be-
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III. Teil: Unterbringung ohne Verlangen
troffene von seinem Recht auf Verständigung bzw auf Beiziehung eines Rechtsbeistandes von den Organen des öffentlichen Sicherheitsdienstes in Kenntnis zu setzen, sobald abzusehen ist, dass die Amtshandlung länger als eine Stunde dauern wird. Unklar ist das Verhältnis zwischen § 47 Abs 1 SPG und § 10 Abs 3 UbG, der eine abweichend formulierte Verständigungspflicht des Abteilungsleiters vorsieht. Rein sprachlich bezieht sich § 47 SPG auf jeden (vor den Arzt oder die Anstalt) „Vorgeführten“, während § 10 Abs 3 UbG erst eingreift, sobald der Kranke untergebracht wurde. Da sich beide Verständigungen auf unterschiedliche Informationen beziehen, wird eine Verständigung seitens der Anstalt nach UbG auch vorzunehmen sein, wenn bereits eine Verständigung durch die Sicherheitsbehörden erfolgt ist. 6. Über § 47 Abs 1 SPG hinaus ermächtigt § 46 Abs 3 SPG die Sicherheitsbehörden, von der Vorführung in die Krankenanstalt (Abteilung) für Psychiatrie einen Angehörigen, der mit dem Betroffenen wohnt oder für ihn sorgt, bzw sofern keiner bekannt ist, einen Angehörigen aus dem Kreis der Kinder, Ehegatten oder Eltern von der Amtshandlung zu verständigen. Diese Verständigung ist ohne Verlangen bzw Zustimmung des Betroffenen zulässig, sie setzt aber voraus, dass tatsächlich eine Vorführung in die Anstalt erfolgt. Ein Rechtsanspruch auf die Verständigung besteht (anders als nach § 47 Abs 1 SPG) nicht. 7. § 30 Abs 1 Z 3 SPG berechtigt jeden, der nach § 46 vorgeführt wird, eine Person seines Vertrauens beizuziehen, solange dadurch die Erfüllung der Aufgabe nicht gefährdet wird. 8. Zur Rolle des Rettungsdienstes vgl insb Kneihs, RdM 2005, 35 ff. 9. Zur Verständigungspflicht der Sicherheitsbehörde gem § 54 Abs 4 StGB gegenüber dem Vollzugsgericht vgl Rz 157/2.
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c) Trotz gewisser verfahrensähnlicher Bindungen ist die Vorführung zum Arzt bzw in die Anstalt als Akt unmittelbarer verwaltungsbehördlicher Befehls- und Zwangsgewalt zu qualifizieren (RV 22). Es handelt sich um kein Verwaltungsverfahren nach dem AVG, es ergeht kein förmlicher Bescheid.
1. Im Gegensatz zu früheren Entwürfen sollte „kein verwaltungsbehördliches Einweisungsverfahren“ durchgeführt werden (RV 22). 2. Zum Rechtsschutz vor den UVS Rz 176 ff. Ein Akt unmittelbarer behördlicher Befehlsund Zwangsgewalt liegt auch bei „freiwilligem“ Mitkommen vor, sofern der Betroffenen in der Situation den Eindruck gewinnen musste, er werde im Fall seiner Weigerung ohnehin mit Zwang zum Arzt verbracht (zB VwGH 28. 10. 2003, 2001/11/0162). Auch die Aufforderung, in den Rettungswagen einzusteigen, kann daher unter entsprechenden Begleitumständen einen Zwangsakt darstellen (UVS Stm 11. 5. 1998, 20.3-51/97 – Anwesenheit von Gendarmeriebeamten). 3. Soweit Dritte bei der Einlieferung im Auftrag oder auf sonstige „Veranlassung“ (§ 9 154 Abs 1) der Sicherheitsorgane beigezogen werden (zB Rettungsdienst, Ärzte), ist deren Tätigkeit als Verwaltungshelfer ebenfalls der Sicherheitsbehörde zuzurechnen (zB bei einer Beruhigungsinjektion durch den Gemeindearzt [VfSlg 10.051] oder den Distriktsarzt [UVS Stm 22. 2. 1994, 20.3-3/93]). Das gilt auch dann, wenn die von den Sicherheitsorganen veranlasste Einlieferung de facto zur Gänze durch Krankenbeförderungsdienste durchgeführt wird (VfSlg 10.440; UVS Vbg 4. 6. 1994, 2-009/93/E2; UVS Tirol 17. 11. 1994, 16/142-6/1994; Kneihs, RdM 2005, 37; wohl auch Riemelmoser/Jessernig, RdM 1998, 39) oder wenn der Einlieferung eine in Eigenverantwortung eines Gemeindearztes ausgestellte Bescheinigung vorausging (eine Zurechnung an die BH bejahend UVS NÖ 18. 11. 1997, Senat-B-96-007). 4. Die mangelnde Anwendbarkeit des AVG führt nach der Rsp des VwGH dazu, dass der Betroffene keinen Anspruch auf Akteneinsicht betreffend die Polizeiakten hat (so zum alten Recht VwSlg 11.841 A). Vgl nun aber das Einsichtsrecht § 39a Abs 3; dazu Rz 189/4.
dd) Vorführung zum Arzt 155 a) Die Vorführung einer Person vor den Arzt oder dessen Beiziehung an Ort und Stelle ist gem § 9 Abs 1 UbG und § 46 Abs 1 SPG zulässig, wenn die Organe des öffentlichen Sicherheitsdienstes die Voraussetzungen der Unterbrin-
2. Die Verbringung in die Anstalt
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gung aus besonderen Gründen für gegeben erachten. Es müssen konkrete Anhaltspunkte im Verhalten des Betroffenen vorliegen, aus denen sich der Schluss auf das Vorliegen der Unterbringungsvoraussetzungen iSd § 3 ergibt. 1. Die Sicherheitsorgane haben gem § 9 UbG sämtliche Unterbringungsvoraussetzungen zu beurteilen (psychische Krankheit, Gefährdung, Fehlen ausreichender Behandlungs- und Betreuungsalternativen). Während § 9 Abs 1 UbG von den „Voraussetzungen der Unterbringung“ spricht und damit allgemein auf § 3 UbG verweist, nennt § 46 Abs 1 SPG nur die Voraussetzungen der psychischen Krankheit und der Gefährdung, nicht hingegen den Mangel an Alternativen iSd § 3 Z 2 UbG. Im Ergebnis macht das aber keinen Unterschied, weil die Sicherheitsorgane auch nach SPG nicht zur Vorführung einer Person ermächtigt sind, sobald die von ihr ausgehende Gefahr auf andere Weise abgewehrt werden kann (vgl das Verhältnismäßigkeitsgebot der §§ 28 f SPG). Ähnlich Hopf/Aigner § 9 Anm 3; aM wohl Hauer/ Keplinger § 46 SPG Anm B.16, wonach Exekutivorgane Alternativen nicht prüfen müssen. 2. Die unbestimmte Wendung „aus besonderen Gründen ... für gegeben erachten“ ist vor dem Hintergrund der verfassungsgerichtlichen Rsp zu § 49 KAG aF („besondere Umstände“) historisch zu interpretieren. Danach musste es „zu irgendwelchen Vorfällen gekommen“ sein, die als „besondere Umstände“ gedeutet werden könnten (VfSlg 4562, 11.784). Dieses Verständnis kann auch dem § 9 Abs 1 UbG iVm § 46 Abs 1 SPG zugrunde gelegt werden. Daraus folgt das Erfordernis konkreter Anhaltspunkte für das Vorliegen der Unterbringungsvoraussetzungen (Hopf/Aigner § 9 Anm 3; Hauer/Keplinger § 46 SPG Anm B.8 mwN; UVS Stm RdM 1997/7; UVS Wien 7. 2. 1997, 02/26/85/96: abnormes Verhalten oder sonstige Auffälligkeiten reichen für sich genommen nicht). Dass eine Gefährdung „nicht auszuschließen ist“, genügt nicht (VwGH RdM 2003/49); ebenso wenig die Gefährdung sonstiger Interessen (VwGH 28. 10. 2003, 2001/11/0162 – „Sitzstreik“ gegen Durchführung einer Sprengung rechtfertigt kein Einschreiten nach § 9 Abs 1 UbG). 3. Eine qualifizierte fachmedizinische Beurteilung der Unterbringungsvoraussetzungen ist in dieser Phase nicht erforderlich, zumal von Sicherheitsorganen keine medizinischen Kenntnisse verlangt werden können. Diesem Zweck dient erst die an die Vorführung anschließende fachärztliche Untersuchung in der Anstalt (Rz 201 ff ). Für die Rechtmäßigkeit des Verhaltens der Sicherheitsorgane kommt es daher nicht darauf an, ob die rechtlichen Voraussetzungen – ex post betrachtet – richtigerweise angenommen wurden, sondern ob das Organ ihr Vorliegen aus seiner Sicht (ex ante) vertretbar annehmen durfte: Hauer/Keplinger § 46 SPG Anm B.9; VwSlg 14. 706 A; UVS Vbg 25. 7. 1994, 2-003/92; UVS Wien 7. 2. 1997, 02/26/85/96; dann scheidet auch Amtshaftung aus (OGH RdM 2001/20 = JBl 2001, 725); vgl Rz 767/2. 4. Ist im Falle der bedingter Nachsicht der (strafrechtlichen) Unterbringung (Rz 797 ff ) in oder der bedingten Entlassung aus einer Anstalt gem § 21 Abs 1 StGB dem Rechtsbrecher die Weisung erteilt worden, sich einer medizinischen Behandlung zu unterziehen und besteht Grund zu Annahme, dass der Rechtsbrecher die Weisung nicht befolgt und es deshalb einer stationären Behandlung bedarf, um die (durch das Absetzen der Therapie möglicherweise wieder ansteigende) Gefährlichkeit, gegen die sich die vorbeugende Maßnahme gerichtet hat, hintanzuhalten, so hat gem § 54 Abs 4 StGB idF des StRÄG 2001, BGBl I 2001/130, das Vollzugsgericht die – wohl: örtlich zuständige – Sicherheitsbehörde zu verständigen. Diese hat „nach § 9 des Unterbringungsgesetzes vorzugehen“ hat. Gem § 54 Abs 4 letzter Satz StGB ist das „Gericht … von den in Folge getroffenen Maßnahmen zu unterrichten“. Die Bedeutung des § 54 Abs 4 StGB für das Unterbringungsrecht erschöpft sich allerdings in der Verständigungspflicht (487 BlgNR 21. GP 11) und löst allenfalls eine Beurteilung nach § 9 UbG, nicht jedoch eine automatische Verbringung des Betroffenen iSd § 9 UbG aus. § 54 Abs 4 StGB schafft weder eine neue Handlungsbefugnis der Sicherheitsbehörden noch modifiziert er die Eingriffsvoraussetzungen des § 9 Abs 1 und 2 UbG. Dabei ist insb auch zu beachten, dass sich die Gefährdungskriterien des § 21 Abs 1 (und damit auch des § 54 Abs 4 StGB) nicht mit jenen des § 3 UbG decken. 5. Im Sinne des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes hat eine zwangsweise Vorführung zum Arzt zu unterbleiben, wenn sich der Arzt zum Patienten begeben kann. Diese Möglichkeit spricht § 9 Abs 1 UbG ausdrücklich an (arg „beizuziehen“). Auch nach § 46 Abs 1 SPG ist die Vorführung nur zulässig, wenn sie „notwendig ist, um eine Untersuchung des Betroffenen durch diesen Arzt zu ermöglichen“. Kann der Arzt iSd § 9 UbG beigezogen werden, dann ist
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die Vorführung iSd § 46 SPG nicht „notwendig“. Zur gebotenen Abwägung zwischen den Interessen des Betroffenen und der Gefahrenabwehr Hauer/Keplinger § 46 SPG Anm B.13. 6. Eine Anhaltung in den Hafträumen der Sicherheitsbehörde kann nur ausnahmsweise 159 und für kurze Zeit bis zum Eintreffen des Arztes in Frage kommen; insoweit sind § 53c Abs 1 und 2 VStG anzuwenden (§ 47 Abs 2 SPG). Nach der ärztlichen Untersuchung ist der Betroffene entweder freizulassen oder in die Anstalt zu überstellen. Ist ein Arzt nicht erreichbar, so ist der Betroffene nicht von der Sicherheitsbehörde anzuhalten, sondern nach § 9 Abs 2 UbG direkt in die Anstalt einzuliefern (vgl UVS Tirol 17. 11. 1994, 16/142-6/1994).
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b) Fehlen für die Annahme der Unterbringungsvoraussetzungen besondere Gründe iSd § 9 UbG bzw § 46 SPG, die eine sofortige Vorführung zum Arzt rechtfertigen, dann besteht für die Sicherheitsbehörden keine weiterreichende Handlungsermächtigung zur Erzwingung einer Untersuchung des Geisteszustandes oder einer Einweisung. Vor Erreichen dieser „kritischen Schwelle“ bietet weder das UbG noch das SPG eine Rechtsgrundlage dafür, eine Person dem Arzt oder der Anstalt zwangsweise vorzuführen.
1. Daran ändert auch die weitergehende Ermächtigung zur Personenfahndung in § 24 Abs 1 Z 3 SPG nichts, wonach nach jedem Menschen gesucht werden kann, der „auf Grund einer psychischen Behinderung hilflos ist oder Leben oder Gesundheit anderer ernstlich und erheblich gefährdet“. Dieser Aufgabennormierung in § 24 stehen keine über § 46 SPG hinausgehende Befugnisse gegenüber, aufgrund der alle ausgeforschten Personen ohne „besondere Gründe“ iSd § 46 auch einer Anstalt oder einem Arzt zugeführt werden dürften. Näher Hauer/Keplinger § 24 SPG Anm B.12-13; Schwamberger, RdM 2001, 4. 2. Sind bei einem psychisch Kranken gleichzeitig die Voraussetzungen für eine Vorführung 161 nach § 9 UbG (§ 46 SPG) und für eine Verhaftung wegen einer strafbaren Handlung erfüllt (§ 177 StPO; § 45 Abs 1 Z 1 SPG) – also dann, wenn die Fremdgefährdung bis zur Verwirklichung eines Straftatbestandes gediehen ist –, so gehen die Bestimmungen des Strafverfahrensrechts als leges speciales vor. Eine Einlieferung in die Krankenanstalt gem § 9 UbG kommt diesfalls nur in Betracht, wenn der Betroffene nicht gem § 177 Abs 2 StPO dem Gericht einzuliefern ist. Eine strafgerichtliche Anordnung der Anhaltung in der psychiatrischen Anstalt ist aber aufgrund der §§ 429, 438 StPO bzw § 50 KAKuG möglich. Zu den vielfältigen –rechtspolitisch umstrittenen – Querbeziehungen zwischen Unterbringungsrecht und Maßnahmenrecht (s Rz 796 ff ) vgl Höpfel, FS Moos (1997); Medigovic, JBl 1981, 482.
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ee) Ärztliche Untersuchung und Bescheinigung a) Die Untersuchung und Bescheinigung der Unterbringungsvoraussetzungen muss durch einen im öffentlichen Sanitätsdienst stehenden Arzt oder einen Polizeiarzt erfolgen (§ 8 iVm § 9 UbG). 1. „Polizeiärzte“ sind Amtsärzte, die für eine Bundespolizeidirektion, eine Sicherheitsdirektion oder das BMI auf Grund einer vertraglichen Vereinbarung oder eines öffentlichrechtlichen Dienstverhältnisses tätig werden (§ 41 Abs 2 ÄrzteG). Die „im öffentlichen Sanitätsdienst stehenden Ärzte“ sind die den Sanitätsbehörden organisatorisch zuzuordnenden Ärzte. Dazu zählen in erster Linie die Amtsärzte der BVB, der Ämter der Landesregierungen und des BMGK sowie die Ärzte des Gemeindesanitätsdienstes, also die nach den GemeindesanitätsdienstG bestellten Gemeinde-, Kreis-, Sprengel- und Distriktsärzte. Nicht zum Kreis der in § 8 UbG genannten Ärzte gehören zB Rettungsärzte, niedergelassene Fachärzte und die in einer Krankenanstalt tätigen Ärzte (RV 23), weiters Militärärzte, Schulärzte oder Arbeitsinspektionsärzte. Näher Kopetzki II 534 f. 2. Die in § 8 genannten Ärzte können ihre Befugnis nach UbG nicht ohne weiteres delegieren. Ob auch Vertreter dieser Ärzte (insb der – auch freiberuflich tätigen – Gemeindeärzte) zur Ausstellung einer Bescheinigung befugt sind, hängt davon ab, ob die Vertreter ebenfalls im öffentlichen Sanitätsdienst stehen und daher die Funktion eines Gemeindearztes ausüben; dies ist nach den einschlägigen landesrechtlichen Vorschriften über den Gemeindesani-
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tätsdienst zu beurteilen (s Erlass des BMAGS bei Aigner, RdM 1997, 84). Eine kassenarztrechtliche Vertretungsbefugnis genügt jedenfalls nicht. 3. Da Polizeiärzte ihre Funktion nach der Neufassung des § 41 Abs 2 ÄrzteG durch BGBl I 2001/110 auch aufgrund einer vertraglichen Vereinbarung ausüben können, sind nun auch andere als hauptberuflich tätige Polizeiärzte von § 8 UbG erfasst (zB sog „Honorarärzte“ auf Werkvertragsbasis, vgl Aigner/Kopetzki/Kierein, ÄrzteG § 41 Rz 9a). Sonstige „Amtsärzte“ sind hingegen weiterhin definitionsgemäß nur die „hauptberuflich“ bei den Sanitätsbehörden tätigen Ärzte, die behördliche Aufgaben zu vollziehen haben (§ 41 Abs 1 ÄrzteG). 4. Nähere Kriterien für die Auswahl des Arztes enthält das UbG nicht. Grundsätzlich ist 163 davon auszugehen, dass die Sicherheitsbehörden in sinngemäßer Anwendung des § 52 Abs 1 AVG die ihnen organisationsrechtlich beigegebenen oder sonst – etwa auch im Wege eines Amtshilfeersuchens – zur Verfügung stehenden Amtssachverständigen beizuziehen haben. Das ist im Regelfall der Amtsarzt der BVB bzw der Polizeiarzt der BPolDion. Erst wenn ein Amts- oder Polizeiarzt nicht zur Verfügung steht – etwa weil der Behörde keiner beigegeben ist und die Beiziehung des Amtsarztes einer anderen Behörde (zB wegen großer Entfernung) nicht zweckmäßig oder (zB außerhalb der Dienstzeit) nicht möglich ist – kommt eine Vorführung vor einen anderen im öffentlichen Sanitätsdienst stehenden Arzt (Gemeinde-, Sprengel-, Kreis-, Distriktsarzt) oder dessen Beiziehung in Betracht (vgl auch § 197 Abs 1 ÄrzteG). 5. Über die Mitwirkung der zuletzt genannten Ärzte, die organisatorisch meist einer Ge- 164 meinde oder einem Gemeindeverband zuzuordnen sind, trifft das UbG keine präzisen Anordnungen. Die §§ 8 UbG und 46 SPG lassen sich als einfachgesetzliche Ausgestaltung eines Aktes der Amtshilfe gem Art 22 B-VG deuten. Die zitierten Bestimmungen des UbG und des SPG räumen den Gemeinden und Gemeindeverbänden keine neue Zuständigkeit ein, sondern legen lediglich die Art und Weise fest, in welcher deren ärztliche Organe den Sicherheitsbehörden bei der Durchführung der medizinischen Untersuchung Amtshilfe zu leisten haben. Zu beachten ist allerdings § 197 Abs 1 ÄrzteG 1998: Durch diese fugitive Vorschrift werden die Distrikts-, Gemeinde-, Kreis- und Sprengelärzte ausdrücklich verpflichtet, „als nichtamtliche Sachverständige Untersuchungen zwecks Ausstellung einer Bescheinigung gemäß § 8 Unterbringungsgesetz [...] vorzunehmen, wenn hiefür ein anderer im öffentlichen Sanitätsdienst stehender Arzt oder ein Polizeiarzt nicht zur Verfügung steht“. Mit der Bezeichnung „als nichtamtliche Sachverständige“ sollte zum Ausdruck gebracht werden, dass diese Ärzte nicht in ihrer Funktion als Organe der Gemeinden bzw Gemeindeverbände, sondern in ihrer Funktion als freiberufliche Ärzte tätig werden (614 BlgNR 18. GP 2: „außerhalb des Vollzugsbereiches der Gemeinden als nichtamtliche Sachverständige“). Die Mitwirkung der Distrikts-, Gemeinde-, Kreis- und Sprengelärzte ist daher als Inpflichtnahme privater Ärzte bei Erfüllung öffentlicher Aufgaben zu qualifizieren. Die aus § 197 ÄrzteG erfließende Untersuchungspflicht wird durch die sicherheitsbehördliche „Heranziehung“ aktualisiert. 6. Ärzten, die für die Begutachtung gem § 8 UbG „herangezogen“ werden, gebührt eine 165 finanzielle Entschädigung nach den näheren Bestimmungen des Art 197 ÄrzteG (§ 197 Abs 2-4 ÄrzteG). Die Entschädigung ist binnen sechs Monaten bei jener BVB geltend zu machen, in deren örtlichem Zuständigkeitsbereich die Untersuchung zur Ausstellung einer Bescheinigung erfolgte. Gegenüber dem Patienten hat der im öffentlichen Sanitätsdienst stehende Arzt keinen Honoraranspruch. Bei der Geltendmachung dieser Entschädigung gegenüber der BVB dürfen wegen der strengen Offenbarungs- und Verwertungsverbote des § 39a Abs 1 UbG aber keine personenbezogenen Informationen über den Betroffenen (insb nicht die Ablichtung der Bescheinigung) übermittelt werden. Vgl den Erlass des BMAGS 18. 3. 1999, GZ 22.332/1021-VIII/D/5/98, MÖSV 1999/4, 23.
b) Gem § 8 hat der Arzt den Betroffenen – persönlich – zu untersuchen und 166 das Vorliegen der Unterbringungsvoraussetzungen zu beurteilen. Zutreffendenfalls hat er darüber eine schriftliche Bescheinigung auszustellen. In der Bescheinigung sind „im einzelnen die Gründe anzuführen, aus denen der Arzt die Voraussetzungen der Unterbringung für gegeben erachtet“. Dazu gehört neben der Feststellung der Krankheit und der Gefährdung auch die Begründung, weshalb ausreichende Alternativen iSd § 3 Z 2 nicht bestehen.
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III. Teil: Unterbringung ohne Verlangen
1. Zur rechtlichen Bedeutung der Bescheinigung vgl Rz 177. Die Bescheinigung nach § 8 UbG darf mit einer „Einweisung zur Anstaltspflege“ nach sozialversicherungsrechtlichen Bestimmungen (zB § 145 ASVG) nicht verwechselt werden (vgl UVS Oö 5. 7. 1993, VwSen420028/29; UVS Stm 11. 5. 1998, 20.3-51/97). 2. Zur obligaten persönlichen Untersuchung vgl schon VwSlg 12.302 A (zu § 49 KAG); 167 zu § 8 UbG UVS Wien 19. 1. 1999, 2/P/13/22/98 (Wortwechsel in der Dauer von 15 Minuten stellt keine Untersuchung dar, selbst wenn vorliegende Informationen aus medizinischer Sicht ausreichen). Eine persönliche Untersuchung darf nur entfallen, soweit sie objektiv unmöglich ist. Das Unterlassen einer Untersuchung ist auch dann rechtswidrig, wenn die (auf Grund anderer Erkenntnisquellen gestellte) ärztliche Diagnose richtig ist (UVS Stm 11. 5. 1998, 20.3-51/97); ähnlich UVS OÖ 14. 4. 2001, VwSen-420302/5 (telefonische Rücksprache mit Klinikarzt genügt nicht); UVS NÖ 18. 11. 1997, Senat-B-96-007 (Bescheinigung eines Gemeindearztes ohne Untersuchung aufgrund Informationen Dritter). Auch Ferndiagnosen sind weder mit § 8 UbG noch mit § 55 ÄrzteG vereinbar (UVS Oö 5. 7. 1993, VwSen-420028/29). Rechtswidrig ist auch die Ausstellung von „Blanko“-Bescheinigungen. 3. Der dataillierten Begründungspflicht wird durch das „Ankreuzen“ vorformulierter Be168 gründungsfloskeln nicht entsprochen. In der Bescheinigung ist insb festzuhalten, aus welchem Verhalten und welchen medizinischen Zustandsbildern sich die psychische Krankheit erschließen lässt, worin die ernstliche und erhebliche Gefährdung besteht und welche Alternativen geprüft bzw kontaktiert wurden (VwGH 27. 11. 2001, 2000/11/0320, RdM 2003/49). Lapidare Hinweise auf die Diagnose bzw „Selbstgefährdung“ genügen daher nicht (VwGH ZfVB 2004/155 = RdM 2003/50; VwGH RdM 2003/49; UVS Vbg 3. 5. 2004, UVS-2001/E2-2004), auch nicht der Hinweis auf psychische Labilität (UVS Tirol 17. 2. 2003, 2002/23/229) oder auf „Erregungszustand bei depressiver Grundhaltung“ (UVS Stm 14. 4. 2005, 20.1-4,5,6,7,8,9/2004-30). Die unzureichende Begründung der Bescheinigung kann – selbst bei inhaltlicher Richtigkeit – Amtshaftungsansprüche auslösen (OGH 27. 2. 2001, 1 Ob 251/00v, RdM 2001/20 = JBl 2001, 725 – mangelnde Erörterung von Alternativen); vgl auch den Erlass des BMSG vom 11. 9. 2001, MÖSV 2001/9, 14, sowie Rz 767/2. 4. Eine rechtlich fehlerhafte Bescheinigung behaftet nicht nur die Phase der ärztlichen Untersuchung, sondern auch die auf die Bescheinigung gestützte Verbringung in die Anstalt mit Rechtswidrigkeit (UVS Stm 14. 4. 2005, 20.1-4,5,6,7,8,9/2004-30). 5. Für die ärztliche Dokumentation über die Untersuchung bzw die Bescheinigung gem § 8 gelten strengere Verschwiegenheitspflichten gem § 39a Abs 1 UbG (vgl Rz 189/2). 6. Die Bescheinigung entfaltet gegenüber der Anstalt keine Bindungswirkung: Rz 193 f. 7. Wird eine Bescheinigung nicht ausgestellt, so darf die betroffene Person nicht länger 169 angehalten werden (§ 9 Abs 1). Eine weitere Anhaltung nach anderen Rechtsgrundlagen (zB § 35 VStG iVm Art VIII, IX EGVG; § 177 StPO iVm § 89 StGB) wird dadurch nicht ausgeschlossen (vgl 1202 BlgNR 17. GP 6: „aus diesem Grund nicht länger entzogen werden“).
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c) Bescheinigt der Arzt die Unterbringungsvoraussetzungen, so haben die Organe des öffentlichen Sanitätsdienstes die betroffene Person in eine Anstalt „zu bringen oder dies zu veranlassen“ (§ 9 Abs 1 UbG; § 46 Abs 1 SPG).
1. Unter einer Anstalt iSd § 9 sind nur psychiatrische Anstalten und Abteilungen iSd § 2 zu verstehen, nicht hingegen andere Krankenanstalten: UVS Stm 22. 2. 1994, 20.3-3/93. Ausdrücklich nun auch § 46 SPG. In welche Anstalt der Betroffene einzuliefern ist, wird im Gesetz nicht näher geregelt. Im Licht des Schonungsgrundsatzes des § 9 Abs 3 ist grundsätzlich die nächstgelegene öffentliche Anstalt zu wählen. 2. Bei einer die Grenzen des Behördensprengels überschreitenden Vorführung in die Krankenanstalt gelten die Sicherheitsorgane bei diesem Transport nach (zumindest analog anwendbarem) § 27 Abs 4 VStG (Hauer/Keplinger § 46 SPG Anm B.17) als Organe der sachlich und örtlich zuständigen Behörde. 3. Die Überstellung durch Organe des öffentlichen Sicherheitsdienstes ist nicht erforder171 lich und häufig auch nicht zweckmäßig; es genügt die „Veranlassung“ der Einlieferung, etwa durch für diese Aufgabe besser geschulte Rettungs- oder Krankenbeförderungsdienste (UVS Vbg 4. 6. 1994, 2-009/93/E2). Vgl zu § 9 Abs 2 aber Rz 175.
2. Die Verbringung in die Anstalt
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4. Mit der Einlieferung in die Anstalt wird die Bescheinigung gegenstandslos (so auch 172 Hauer/Keplinger § 46 SPG Anm B.15). Das gilt auch für den Fall, dass sich an die Ausstellung der Bescheinigung – aus welchen Gründen auch immer – keine Anstaltseinlieferung anschließt. Sie kann nicht als Grundlage einer späteren Einlieferung dienen, da sich die bescheinigten Voraussetzungen auf eine konkrete Gefährdungssituation beziehen müssen und die Ausstellung der Bescheinigung der Überstellung grundsätzlich unmittelbar voranzugehen hat. Die Ausstellung von Bescheinigungen auf Vorrat ist ebenso unzulässig wie eine neuerliche Überstellung aufgrund einer im Zuge einer früheren Amtshandlung ausgestellten Bescheinigung (UVS Tirol 12. 9. 1994, 15/82-5/1994). 5. Zu den Verständigungspflichten über die Vorführung vgl Rz 152.
ff) Vorführung in die Anstalt ohne ärztliche Bescheinigung a) Bei Gefahr im Verzug können die Organe des öffentlichen Sicherheits- 173 dienstes die betroffene Person ohne Beiziehung eines Arztes unmittelbar in eine Krankenanstalt (Abteilung) für Psychiatrie „bringen“ (§ 9 Abs 2 UbG; § 46 Abs 2 SPG). Gefahr im Verzug ist anzunehmen, wenn durch die mit der Vorführung vor den Arzt bzw der Untersuchung einhergehende Zeitverzögerung der Zweck des Einschreitens – das ist die Abwehr der „ernstlichen und erheblichen Gefährdung“ eigenen oder fremden Lebens bzw Gesundheit iSd § 3 UbG – nicht erreicht werden könnte, also immer dann, „wenn die Gefährdung nicht anders als durch die sofortige Einlieferung beseitigt werden kann“. 1. Zum Begriff der „Gefahr im Verzug“ vgl mwN Kopetzki II 539; wie hier OGH 27. 2. 2001, 1 Ob 251/99v, RdM 2001/20 = JBl 2001, 725; für restriktive Auslegung UVS Wien 2. 12. 1997, 02/12/118/96. Die Beurteilung der Unaufschiebbarkeit der direkten Einlieferung ist in Bezug zur notwendigen Dauer der ärztlichen Untersuchung bzw der Beiziehung des Arztes zu treffen und kann daher je nach Erreichbarkeit des Arztes unterschiedlich ausfallen (zur Anwendbarkeit des § 9 Abs 2 UbG bei Nichterreichen des zuständigen Arztes vgl UVS Tirol 17. 11. 1994, 16/142-6/1994). Dass „Gefahr im Verzug“ nur bei drohender Selbstgefährdung vorliegen kann (RV 23), findet im UbG keine Stütze. Der Gefahrenbegriff des § 9 Abs 2 UbG ist jener des § 3 Z 1 (wie hier OGH RdM 2001/20 = JBl 2001, 725). 2. Liegt weder Gefahr im Verzug noch eine Bescheinigung nach § 8 UbG vor, so ist eine Einlieferung in die Anstalt rechtswidrig (UVS Sbg 11. 7. 1994, UVS-6/6/12-1994; UVS Wien 2. 12. 1997, 02/12/118/96). 3. Wurde eine Person gem § 9 Abs 2 UbG direkt in die Anstalt eingeliefert, so entfällt die 174 Untersuchung durch den Arzt des öffentlichen Sanitätsdienstes. Einer nachträglichen ärztlichen Untersuchung und Bescheinigung bedarf es nicht (anders noch § 49 Abs 4 KAG aF).
b) Obwohl § 9 Abs 2 UbG und § 46 Abs 2 SPG neben der Gefahr im Ver- 175 zug keine weiteren Voraussetzungen nennt, bedarf es auch für die direkte Anstaltseinlieferung konkreter Anhaltspunkte für das Vorliegen der materiellen Unterbringungsvoraussetzungen. Die Regelung über die direkte Einlieferung stellt nur eine – unvollständig formulierte – Modifikation des § 9 Abs 1 UbG (§ 46 Abs 1 SPG) dar, die zwar von der Beiziehung des Arztes, nicht jedoch von der Einhaltung der allgemeinen Voraussetzungen der Einlieferung dispensiert. Nach UVS Vbg 29. 6. 1998, 2-03/98, ZUV 1999/1/UVS 68 V, unterscheiden sich die Regelungen des § 9 Abs 1 und 2 UbG auch darin, dass bei der Verbringung bei Gefahr im Verzug gem Abs 2 eine bloße „Veranlassung“ durch die Sicherheitsorgane nicht genüge (und das Rettungsfahrzeug daher zumindest polizeilich zu begleiten sei). Richtigerweise wird jedoch auch bei der Direktverbringung sowohl eine Beiziehung des Rettungsdienstes als auch die bloße Veranlassung der Verbringung zulässig sein; so wohl auch Kneihs, RdM 2005, 37.
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III. Teil: Unterbringung ohne Verlangen
gg) Rechtsschutz gegen die Vorführung zum Arzt bzw in die Anstalt a) Als Akte unmittelbarer verwaltungsbehördlicher Zwangsgewalt können sowohl die Vorführung vor den Arzt und die anschließende Vorführung in die Anstalt (§ 46 Abs 1 SPG; § 9 Abs 1 UbG) als auch die direkte Vorführung vor die Anstalt bei Gefahr im Verzug (§ 46 Abs 2 SPG; § 9 Abs 2 UbG) durch Organe des öffentlichen Sicherheitsdienstes mit Beschwerde an die Unabhängigen Verwaltungssenate gem Art 129a Abs 1 Z 2 B-VG bekämpft werden. 1. VwGH 28. 1. 1994, 93/11/0035, 0036, JBl 1994, 772 f = VwSlg 13.994 A; Hopf/Aigner § 9 Anm 7; Kopetzki II 540 ff. Die Kontrolle bezieht sich auch auf die Modalitäten der Vorführung (zB UVS Bgld 18. 4. 1996, E 75/02/95.001/5; VwGH ZfVB 2004/155 = RdM 2003/50). Die Beschwerde kann – unabhängig davon, ob sich der Vorwurf der Rechtswidrigkeit auf § 9 UbG oder auf § 46 SPG stützt – sowohl beim UVS als auch gem § 88 Abs 3 SPG bei der Sicherheitsbehörde eingebracht werden. 2. Vgl aber zur Wiedereinbringung Flüchtiger Rz 187 f; zur Überstellung Rz 184/1. 3. Zur Kontrolldichte (Vertretbarkeit ex ante) vgl VwSlg 14.706 A; mwN Rz 157/1, 179.
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b) Die ärztliche Bescheinigung ist weder Bescheid noch bloßes Sachverständigengutachten. Entgegen der älteren Rsp zu § 49 KAG handelt es sich auch um kein bloßes (unüberprüfbares) Tatbestandsmerkmal. Im Hinblick auf ihre Rechtswirkungen ist vielmehr neben der eigentlichen sicherheitsbehördlichen Vorführung auch die Ausstellung der Bescheinigung als Ausübung unmittelbarer verwaltungsbehördlicher Befehls- und Zwangsgewalt zu deuten. Von der rechtlichen Wirkung her erweist sich die Ausstellung der Bescheinigung als ein – die Einlieferung anordnender – Befehlsakt, der an die Vorführung vor den Arzt unmittelbar anschließt und mit der nachfolgenden Verbringung in die Anstalt zu einem einheitlichen und insgesamt der Sicherheitsbehörde zuzurechnenden Akt unmittelbarer behördlicher Befehls- und Zwangsgewalt verschmilzt. In diesem Rahmen ist daher auch die Bescheinigung im Maßnahmebeschwerdeverfahren vor den UVS inhaltlich zu überprüfen.
1. Näher Kopetzki II 541 ff; wie hier UVS Wien 19. 1. 1999, 2/P/13/22/98; OGH 30. 5. 2000, 1 Ob 130/00z, RdM 2001/9. Zuständigkeit des UVS besteht auch gegenüber Gemeindeärzten, weil und soweit deren Verhalten iSd § 8 UbG der Sicherheitsbehörde zuzurechnen ist (UVS NÖ 18. 11. 1997, Senat-B-96-007). Unhaltbar ist die frühere Rsp des VfGH zu § 49 KAG (zB VfSlg 4878, 4924), wonach die Bescheinigung als „Formalvoraussetzung“ nur auf ihr „Vorliegen“ hin zu prüfen sei. Dagegen spricht neben rechtsstaatlichen Einwänden auch, dass die Kontrollbefugnis der UVS in Angelegenheiten der Sicherheitsverwaltung nicht mehr von der Rechtsnatur des bekämpften Verwaltungshandelns abhängt: Gem § 88 Abs 2 SPG erkennen die UVS auch über (nicht bescheidförmige) Rechtsverletzungen, die „auf andere Weise“ als durch die Ausübung unmittelbarer behördlicher Befehls- und Zwangsgewalt erfolgt sind. Da sich diese Rechtsschutzerweiterung des § 88 Abs 2 SPG auf die „Besorgung der Sicherheitsverwaltung“ bezieht und hiezu die Ausübung aller im SPG geregelten Befugnisse auf dem Gebiet der Sicherheitspolizei zählen, gilt § 88 Abs 2 SPG auch für Beschwerden gegen Handlungen, die in Vollziehung des § 46 SPG gesetzt werden. 2. Dass der Bescheinigung eine sachverständige Beurteilung zugrunde liegt, entzieht sie 178 nicht der Nachprüfung. Mit dem Übergang der Entscheidungszuständigkeit an die UVS wurde die Kontrollbefugnis in tatsächlicher Hinsicht sogar verstärkt, weil die UVS das AVG anzuwenden haben (Art II Abs 2 Z 1a EGVG) und nicht an die Sachverhaltsfeststellungen der Verwaltung gebunden sind. Sie haben daher – allenfalls unter Beiziehung von Sachverständigen (vgl § 67d AVG; in diesem Sinn zB UVS Stm 14. 4. 2005, 20.1-4, 5, 6, 7, 8, 9/2004-30, dazu näher Rz 179) – den wahren Sachverhalt selbständig zu ermitteln und folglich die Bescheinigung zu überprüfen. Dabei kommt es auf die Sachlage zur Zeit des bekämpften Verwaltungshandelns, nicht auf den Entscheidungszeitpunkt des UVS an.
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3. Die im Verfahren vor den UVS erzielbare Kontrolldichte wird freilich wegen der Situa- 179 tionsgebundenheit und Unwiederholbarkeit der ärztlichen Beurteilung notwendigerweise beschränkt sein; insofern besteht ein gewisser Beurteilungsspielraum des bescheinigenden Arztes, dessen Grenzen dann gewahrt sind, wenn die ex ante-Beurteilung unter Zugrundelegung medizinischen Sachverstandes eine vertretbare Einschätzung darstellt. Auch die Richtigkeit der rechtlichen Beurteilung, die Einhaltung der gesetzlichen Verfahrensvorschriften (Untersuchung, Begründung: vgl UVS OÖ 14. 4. 2001, VwSen 420302/5 – Bescheinigung ohne persönliche Untersuchung rechtswidrig) sowie die Schlüssigkeit und methodische Korrektheit der fachlichen Begutachtung sind einer Überprüfung zugänglich. In diesem Sinn auch UVS Vbg 25. 7. 1994, 2-003/92, wonach die Bescheinigung ausreichende inhaltliche Feststellungen treffen muss, „um deren Überprüfung zu ermöglichen“; ähnlich UVS Stm 14. 4. 2005, 20.1-4,5,6,7,8,9/2004-30: zu prüfen ist, ob der Arzt auf Grund der Untersuchung mit Recht annehmen durfte, dass die Unterbringungsvoraussetzungen vorliegen (was im konkreten Fall mangels hinreichender Begründung und Nachvollziehbarkeit der Bescheinigung verneint wurde, nachdem der vom UVS beigezogene Sachverständige die „nur spärlich erfolgten und teilweise auch inhaltsleeren, ja direkt dilletantisch anmutenden Aufzeichnungen“ des Distriktsarztes als retrospektiv nicht nachvollziehbar qualifiziert hatte). 4. Wegen der gebotenen ex-ante-Perspektive ist die ärztliche Beurteilung bzw die nachfolgende Vorführung nicht schon deshalb rechtswidrig, weil sich in der späteren fachärztlichen Untersuchung herausstellt, dass die Unterbringungsvoraussetzungen nicht vorliegen (vgl VwSlg 14. 706 A). Umgekehrt schließt ein nachfolgender Nachweis der Unterbringungsvoraussetzungen die Rechtswidrigkeit vorangehender Verfahrensstufen (zB wegen mangelhafter Untersuchung) keineswegs aus; missverständlich VwSlg 14.706 A, wonach bei nachträglicher Bejahung der Unterbringungsvoraussetzungen die Vorführung zum Arzt bzw die Verbringung in die Anstalt „grundsätzlich nicht“ für rechtswidrig zu erklären sind. 5. Ob der Betroffene über die prozessuale Handlungsfähigkeit zur Einbringung einer UVS-Beschwerde verfügt, ist nach § 9 AVG und die dort verwiesenen Bestimmungen des bürgerlichen Rechts zu beantworten (näher Kopetzki II 550 ff ). Unabhängig davon ist auch der Patientenanwalt gem § 14 UbG zur Beschwerde legitimiert: Rz 482, 484.
b) Sonstige Personen und Einrichtungen aa) Allgemeines Während § 9 UbG (§ 46 SPG) nur die sicherheitspolizeiliche Vorführung 180 in die Anstalt regelt und in diesem Zusammenhang auf die Bestimmungen über die ärztliche Untersuchung (§ 8) verweist, richtet sich § 8 UbG für sich betrachtet an keinen bestimmten Adressatenkreis. Dennoch kommt aufgrund einer gem § 8 ausgestellten ärztlichen Bescheinigung anderen Personen und Einrichtungen keine Befugnis zur zwangsweisen Einlieferung zu: „Soweit bei einem solchen Vorgang Zwang angewendet wird, muss sich dessen Rechtfertigung aus anderen Bereichen der Rechtsordnung“ ergeben (RV 24). Die außerhalb einer sicherheitsbehördlichen Vorführung ausgestellte ärztliche Bescheinigung stellt daher weder eine autoritative Einweisungsverfügung noch eine Ermächtigung zur Ausübung von Zwangsgewalt dar. Die Wirkung der außerhalb einer Vorführung nach § 9 UbG ausgestellten Bescheinigung erschöpft sich daher in einer gutachterlichen Äußerung, die lediglich eine Bedingung für die Inanspruchnahme der allgemeinen zivil- und strafrechtlichen Rechtfertigungsgründe darstellt.
bb) Private Für Privatpersonen ist die zwangsweise Verbringung einer Person in psychi- 181 atrische Anstalten im Hinblick auf die grundsätzliche Rechtswidrigkeit freiheitsentziehender Eingriffe (§ 99 StGB) nur zulässig, wenn neben der nach § 8
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III. Teil: Unterbringung ohne Verlangen
UbG einzuholenden ärztlichen Bescheinigung immer auch ein entsprechender Rechtfertigungsgrund vorliegt. Hiefür kommen neben rechtfertigendem Notstand zB familienrechtliche Zwangsbefugnisse sowie Geschäftsführung ohne Auftrag in Betracht. Wegen der jeweils ganz spezifischen Kriterien dieser Rechtfertigungsgründe decken diese nicht alle Fälle ab, in denen die Unterbringungsvoraussetzungen des § 3 UbG gegeben sind. 1. Rechtfertigender Notstand setzt die angemessene Abwehr eines unmittelbar drohenden und nicht anders abwendbaren bedeutenden Nachteils für ein Rechtsgut voraus, wobei der drohende Nachteil die mit der Rettungshandlung verbundene Beeinträchtigung überwiegen muss; näher Triffterer, Strafrecht, Allgemeiner Teil2 (1994) 227 ff. Zum Ganzen grundlegend nun Kneihs, Privater Befehl und Zwang (2004). 2. Unter den familienrechtlichen Befugnissen kommen insb das elterliche Sorgerecht, (insb Aufenthaltsbestimmung gem § 146b ABGB) in Betracht. Davon abgesehen haben Angehörige keine über die allgemeinen Rechtfertigungsgründe hinausgehenden Zwangsbefugnisse. Auch aus § 282 Abs 1 und 2 ABGB ergibt sich kein zwangsbewehrtes Aufenthaltsbestimmungsrecht des Sachwalters (Rz 812). 3. Zur Geschäftsführung ohne Auftrag Stanzl in Klang2 IV/1, 890, 898; Koziol, Haftpflichtrecht I3 (1997) 185 f. Eine Einlieferung zum Schutz Dritter oder gegen den Willen kann darauf grundsätzlich nicht gestützt werden. Da § 1040 ABGB nur ein Einschreiten gegen den „gültig erklärten Willen“ verbietet, schließt der entgegenstehende Wille Handlungsunfähiger eine Geschäftsführung nach jedoch nicht aus: Stanzl in Klang2 IV/1, 907. 4. Aus dem Straftatbestand der widerrechtlichen Freiheitsentziehung gem § 99 StGB ergibt sich entgegen RV 24 kein Rechtfertigungsgrund, weil die Wendung „widerrechtlich“ bloß auf die Rechtfertigungsgründe der Rechtsordnung verweist, selbst aber keinen eigenständigen Rechtfertigungsgrund schafft (vgl Kienapfel, Strafrecht5 [2003] BT I 255 Rz 22). 5. Rechtswidrige Freiheitseingriffe Privater unterliegen den allgemeinen zivil- und strafrechtlichen Sanktionen (§ 99 StGB, § 1329 ABGB). Zu beachten ist freilich, dass nach Zivilund Strafrecht unter Umständen auch eine sich aus der Nichteinhaltung des § 8 UbG ergebende Rechtswidrigkeit im Einzelfall wieder durch Erfüllung eines Rechtfertigungsgrundes beseitigt werden kann (zB rechtfertigender Notstand bei besonderer Dringlichkeit).
cc) Rettungsdienste 182 Die Befugnisse der Rettungs- oder Krankenbeförderungsdienste sind nach den näheren Bestimmungen der einzelnen Landes-Rettungsgesetze zu beurteilen. Obwohl ihren Angehörigen zur Durchführung von Rettungseinsätzen in den meisten Ländern – jeweils unterschiedlich ausgeprägte – Anordnungs- und Zwangsbefugnisse gegenüber Dritten eingeräumt sind, sehen die Rettungsgesetze keine besonderen Zwangsbefugnisse gegenüber der hilfsbedürftigen Person vor. Insofern gehen die rechtlichen Handlungsmöglichkeiten der Rettungsdienste – sofern sie nicht als Hilfsorgane von den Sicherheitsorganen beigezogen werden und damit an deren Vorführungsermächtigung nach § 9 UbG teilhaben (Rz 154) – nicht weiter als bei Privatpersonen. 1. Vgl nö Gemeinde-RettungsdienstG, LGBl 1974/147 idF 2002/104 (9430-3); sbg RettungsG LGBl 1981/78 idF 2005/10; wr Rettungs- und TransportG, LGBl 2004/39; oö RettungsG, LGBl 1988/27 idF 2001/90; tir RettungsG, LGBl 1987/40 idF 2001/114; stm RettungsdienstG, LGBl 1990/20 idF 2004/10; vbg RettungsG, LGBl 1979/46 idF 2004/6; bgl RettungsG, LGBl 1996/30 idF 2001/32; ktn Rettungsdienst-FörderungsG, LGBl 1992/96 idF 2001/130. Zum Ganzen nun eingehend Kneihs, RdM 2005, 35 ff (insb 38). 2. Gesetzliche Zwangsermächtigungen beziehen sich idR nur auf Dritte: vgl §§ 9 iVm 16 vbg RettungsG, § 10 oö RettungsG, § 9 sbg RettungsG, § 10 tir RettungsG, § 14 stm RettungsdienstG; § 12 bgl RettungsG.
2. Die Verbringung in die Anstalt
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3. Zwangsakte müssen daher nach allgemeinen Rechtfertigungsgründen beurteilt werden (Rz 181). Unbeschadet fehlender gesetzlicher Zwangsbefugnisse gegenüber dem Patienten erfolgen aber auch derartige Notstandshandlungen in Vollziehung der Gesetze. Gegen ein rechtswidriges Einschreiten – etwa in Form einer Anstaltseinlieferung ohne Bescheinigung iSd § 8 UbG – ist daher die Beschwerde nach Art 129a Abs 1 Z 2 B-VG zulässig. 4. Werden Rettungsdienste auf Veranlassung der Sicherheitsbehörden bei der Verbringung beigezogen, so übt der Rettungsdienst – verwaltungsrechtlich gesehen – eine assistierende Funktion („Verwaltungshilfe“, Rz 154) aus, und nicht umgekehrt.
dd) Krankenanstalten, Heime Für die Überstellung eines Patienten ohne oder gegen seinen Willen aus an- 183 deren Krankenanstalten oder Pflegeheimen gelten – anders als nach § 49 Abs 2 KAG aF – keine abweichenden Regelungen mehr. Auch Krankenanstalten dürfen daher einen Patienten nur dann ohne dessen Zustimmung in eine psychiatrische Anstalt überstellen, wenn dies entweder auf Veranlassung der Sicherheitsbehörden und unter Beiziehung eines Polizeiarztes bzw Arztes des öffentlichen Sanitätsdienstes (§ 9) geschieht oder wenn neben der obligaten ärztlichen Bescheinigung nach § 8 auch ein tragfähiger Rechtfertigungsgrund erfüllt ist. Eine zwangsweise Überstellung auf bloße Anordnung der Anstaltsärzte gibt es nach der Abschaffung des „Spitalsparere“ grundsätzlich nicht mehr (Ausnahme: Überstellung bereits Untergebrachter). 1. Vor der Transferierung muss daher der zuständige Polizeiarzt bzw Arzt des öffentlichen Sanitätsdienstes gem § 8 beigezogen werden; vgl aber Rz 184/1. 2. Hauptanwendungsfall für einen die unfreiwillige Transferierung legitimierenden Rechtfertigungsgrund ist die therapeutisch notwendige Überstellung eines „willensunfähigen“ Patienten (Geschäftsführung ohne Auftrag) oder die Überstellung zur Abwehr einer unmittelbar drohenden und nicht anders abwendbaren Selbst- oder Fremdgefährdung (rechtfertigender Notstand). Abgesehen davon ist eine Zwangsausübung in einwandfreier Weise grundsätzlich nur unter Einschaltung der Sicherheitsorgane gem § 9 UbG zulässig. 3. Dasselbe gilt, wenn ein Patient aus einer anderen Krankenanstalt in eine psychiatrische Anstalt bzw Abteilung überstellt wird (UVS Vbg 17. 5. 2000, 2-01/00 = ZUV 2000/3/UVS 55 V – Überstellung aus pulmologischer Abteilung eines LKH in psychiatrische Abteilung eines anderen LKH bedarf Bescheinigung nach § 8 UbG). Eine Transferierung aus einer nicht-psychiatrischen Abteilung in die psychiatrische Abteilung derselben Anstalt unterliegt grundsätzlich ebenfalls dem § 8, weil nach § 2 auch die einzelne psychiatrische Abteilung eine „Anstalt“ iSd UbG darstellt und daher auch der innerhalb der Krankenanstalt transferierte Patient iSd § 8 UbG in eine Anstalt „gebracht“ wird. Sofern durch Beiziehung psychiatrischer Konsiliarärzte der psychiatrischen Abteilung eine Untersuchung gem § 10 bereits vor Ort (vor Transferierung) durchgeführt wird, ist eine Bescheinigung nach § 8 aber entbehrlich. 4. Ein Sonderfall ist die Überstellung einer untergebrachten Person von einer psychiatrischen Anstalt bzw Abteilung in eine andere: Hier ist die Überstellung (auch bei sicherheitsbehördlicher Begleitung) Teil der – durch die Überstellung nicht beendeten – Unterbringung; die Verbringung unterliegt daher der Kontrolle des Gerichts und nicht des UVS (VfGH RdM 2001/14 = VfSlg 16.119; OGH 23. 1. 2002, 9 Ob 3/02k, RdM 2002/62). Einer Bescheinigung gem § 8 UbG bedarf es nicht (wie hier Marwieser/Steiner, AnwBl 2001, 192 f). 5. Befindet sich der Patient bereits – ohne untergebracht zu sein – in jener psychiatrischen Abteilung, in der die Unterbringung erfolgen soll, so ist nach § 11 Z 1 UbG vorzugehen (Rz 27, 191, 284); eine Beiziehung des Arztes nach § 8 UbG ist dann nicht erforderlich. 6. Stimmt der (einsichtsfähige) Patient seiner Überstellung zu, dann bedarf es keiner Beiziehung des Arztes iSd § 8 UbG.
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III. Teil: Unterbringung ohne Verlangen
ee) Sonstiges 1. Zur Überstellung aus Strafvollzugsanstalten Rz 807 ff. 2. Zur gerichtlichen Einweisung nach dem strafrechtlichen Maßnahmenrecht Rz 797 ff. 3. Eine Einweisungsbefugnis des Pflegschaftsgerichts oder des Sachwalters nach § 282 ABGB besteht nicht: Rz 812; zur Verbringung in die Anstalt durch Sachwalter aber Rz 181. 4. Zur Unterbringung Minderjähriger durch Sorgeberechtigte Rz 60 ff, 140.
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c) Wiedereinbringung Flüchtiger Die österreichische Rechtsordnung enthält keine speziellen Vorschriften für den Fall, dass ein ohne Verlangen untergebrachter Patient aus der psychiatrischen Krankenanstalt entweicht. Nach der Rsp des VwGH umfasst aber die der Krankenanstalt nach dem UbG zukommende Kompetenz zur Aufrechterhaltung der Unterbringung auch deren Wiederherstellung durch die Rückholung des flüchtigen Patienten. Die Anstalt kann sich demnach im Wege eines Amtshilfeersuchens der Organe des öffentlichen Sicherheitsdienstes bedienen, um den rechtlich gebotenen Zustand wiederherzustellen. In diesem Fall ist auch die Wiedereinbringung durch Sicherheitsorgane als Ausübung unmittelbarer verwaltungsbehördlicher Zwangsgewalt der ersuchenden Anstalt zuzurechnen und – als Teilakt der Unterbringung – nicht von den UVS, sondern vom Unterbringungsgericht nach Maßgabe des UbG zu überprüfen (VwSlg 13.994 A = JBl 1994, 773 f = RdM 1994/16 Anm Kopetzki).
1. Bei der Wiedereinbringung bedarf es daher – jedenfalls bei engem zeitlichen Zusammenhang zwischen Flucht und Wiedereinlieferung – nach Rsp und Praxis weder einer Bescheinigung gem § 8 noch einer neuerlichen Aufnahmeuntersuchung gem § 10; auch Fristen im gerichtlichen Verfahren laufen weiter (LG St. Pölten 31. 7. 2002, 10 R 50/02h). 2. Die Begründung der Wiedereinbringung im Wege der Amtshilfe (Art 22 B-VG) ist strittig; VwSlg 13.994 A legt sich nicht fest; Hauer/Keplinger § 46 Anm B.19 bejahen Größenschluss aus § 46 SPG (was freilich den Entfall der ärztlichen Bescheinigung nicht erklärt). 3. Im klinischen Alltag wird von einer „Entweichung“ oft schon gesprochen, wenn sich ein Patient aus dem Krankenhaus entfernt, ohne sich „abgemeldet“ zu haben. Eine Flucht im rechtlichen Sinn liegt jedoch nur vor, wenn der Patient in der Krankenanstalt iSd UbG unter Freiheitsentzug „untergebracht“ war und die Anhaltung eigenmächtig beendet hat. Die zwangsweise Rückführung „freiwilliger“ Patienten ist immer nur nach Maßgabe der §§ 8 f UbG möglich, sie unterscheidet sich nicht von der erstmaligen Vorführung (UVS Stm 12. 5. 1998, 20.3-9/98: die irrige Annahme eines „Rückholauftrages“ geht zu Lasten der Sicherheitsbehörde). Auch dann, wenn die Unterbringung gem § 32 UbG bereits aufgehoben, der Patient jedoch innerhalb der Frist neuerlich untergebracht wurde, sind alle im UbG vorgesehenen Verfahrensschritte neuerlich vorzunehmen: OGH 10. 5. 1995, 3 Ob 510/95. 4. § 24 Abs 1 Z 3 SPG, wonach den Sicherheitsbehörden die Ermittlung des Aufenthaltsortes hilfloser oder fremdgefährdender psychisch Behinderter obliegt, nach denen „gesucht wird“, enthält keine Befugnis, nach erfolgreicher Fahndung eine zwangsweise Anstaltseinlieferung vorzunehmen; allenfalls kann erste allgemeine Hilfeleistungspflicht zum Tragen kommen; vgl Hauer/ Keplinger § 24 SPG Anm B.13; UVS Stm 12. 5. 1998, 20.3-9/98. 5. Die Inanspruchnahme der Sicherheitsorgane im Wege der Amtshilfe steht nicht im Er188 messen der Anstalt; sie ist dazu im Rahmen ihrer Sicherungsaufgabe der Gefahrenabwehr auch verpflichtet. Unhaltbar ist die Praxis, nach dem Entweichen eines untergebrachten Patienten im Nachhinein die Unterbringung förmlich aufzuheben. Auch das Ausstellen einer „Entlassungsanzeige“ aus verwaltungstechnischen Gründen ist irreführend, da die Unterbringung durch die Flucht nicht beendet wird (LG St. Pölten 31. 7. 2002, 10 R 50/02h); Rz 776.
2. Die Verbringung in die Anstalt
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d) Verwendung personenbezogener Daten Durch die UbG-Novelle BGBl 1997/12 wurden die sicherheitsbehördlichen 189 Aufzeichnungen über Personen, die gem § 9 UbG und § 46 SPG dem Arzt bzw der Anstalt vorgeführt werden, erstmals einer – sehr restriktiven – gesetzlichen Regelung zugeführt. Sie dient dem Schutz vor diskriminierenden und stigmatisierenden Eingriffen in die Persönlichkeitsrechte der Betroffenen. 1. Zur Vorgeschichte der sog „Ges-Kartei“ Kopetzki II 576 ff; zu den Motiven der Novelle RV 457 BlgNR 20. GP 64 ff; AB 543 BlgNR 20. GP; näher Kopetzki, RdM 1997, 163 ff. Das Weiterführen der früher angelegten Karteien („Chefärztliche Evidenz“) stellte schon vor der UbG-Nov 1997 einen unzulässigen Eingriff in das Grundrecht auf Datenschutz dar; vgl DSK 22. 11. 1995 ZfVBDat 1996/2. 2. Gem § 44 Abs 1 UbG waren sämtliche vor dem 1. 7. 1997 erstellten Bescheinigungen 189/1 sowie Aufzeichnungen über damit zusammenhängende Amtshandlungen bis Ende Juni 2000 zu vernichten (zur Zulässigkeit der Aufbewahrung von alten Aufzeichnungen bis zu diesem Zeitpunkt vgl DSK 5. 10. 1999, 120.667/8-DSK/99). Evidenzen, die eine Auffindbarkeit der Aufzeichnungen nach einem auf die psychische Erkrankung oder die Unterbringung hindeutenden Merkmal ermöglichen, waren bereits bis Ende 1997 zu vernichten (§ 44 Abs 2 UbG). Darunter fallen nicht nur die automationsunterstützte Datensammlungen, sondern zB auch Steckkarten, die Eintragung in ein Protokollbuch mit gleichzeitiger Vergabe eines Kürzels („Ges“-Zahl) etc – und sei es auch nur zum Auffinden der Akten: vgl DSK 7. 7. 1999 ZfVBDat 2000/1741. Auch Verweisungen in Akten anderer Behörden (zB Verkehrsamt) auf „Ges“Eintragungen in einer (inzwischen vernichteten) Evidenz kann das Recht auf Datenschutz verletzen (DSK 11. 7. 2003, 120.626/004-DSK/2003). Zur Frage eines Löschungsanspruches s auch VwGH 11. 12. 2002, 2000/12/0086, sowie DSK ZfVBDat 1996/2.
a) Gem § 39a Abs 1 UbG dürfen die Sicherheitsbehörden, denen Amts- 189/2 handlungen nach §§ 8, 9 UbG bzw § 46 SPG zuzurechnen sind, bzw die in § 8 UbG genannten Ärzte, die genannten Amtshandlungen (Vorführung vor Arzt bzw Krankenanstalt; ärztliche Untersuchung) sowie die darüber erstellten Aufzeichnungen und Bescheinigungen weder offenbaren noch verwerten. 1. Dieses Vertraulichkeitsgebot ist (von den in § 39 Abs 2 genannten Ausnahmen abgesehen) absolut. „Offenbaren“ meint in diesem Kontext jede Mitteilung bzw Weitergabe der gegenständlichen Informationen an einen Dritten, dem die mitgeteilte Tatsache noch neu oder zumindest nicht sicher bekannt ist. Mit „Verwerten“ ist hingegen jede – nicht mit Offenbarung verbundene – Ausnützung bzw Verwendung der Information gemeint. 2. Adressat des Vertraulichkeitsgebotes ist sowohl die Sicherheitsbehörde, der die Amtshandlung zuzurechnen ist, als auch die Ärzte gem § 8 UbG. Die entsprechenden ärztlichen Dokumentationen unterliegen daher insofern einer strengeren (über § 54 ÄrzteG hinausgehenden) Verschwiegenheitspflicht (vgl Kopetzki, RdM 1997, 164). Zum Spannungsverhältnis zwischen dem strikten Offenbarungsverbot des § 39a Abs 1 UbG und der Geltendmachung des Entschädigungsanspruches gem § 197 ÄrzteG s Rz 165 und Erlass MÖSV 1999/4, 23. 3. Ausnahmen bestehen (nur) für die Überprüfung der Rechtmäßigkeit und Ordnungsmäßigkeit der Amtshandlung, für gerichtliche Straf-, Unterbringungs- und Sachwalterschaftsverfahren, sowie für die Erfüllung der Meldepflichten nach § 39 b (dazu gleich unten). 4. Eine „Amtshandlung“, auf die sich der strikte Datenschutz des § 39a Abs 1 UbG bezieht, liegt erst ab dem Zeitpunkt vor, in dem der Verdacht entsteht, dass die Unterbringungsvoraussetzungen iSd UbG gegeben sein könnten. Daten über Ereignisse im Vorfeld dieses Verdachts sind daher – auch wenn sie sich auf ein gefährliches Verhalten derselben Person beziehen – nicht erfasst. Dies wird auch durch § 39a Abs 5 UbG bestätigt, wonach für Aufzeichnungen, die ausschließlich ein das Leben oder die Gesundheit eines Dritten gefährdendes Verhalten des Betroffenen enthalten, die Bestimmungen des 4. Teiles des SPG maßgeblich sind (vgl § 57 Abs 1 Z 11 SPG – sog „Gefährderdatei“). Näher zum Ganzen Kopetzki, RdM 1997, 169 f; Feil, § 39a Rz 10; Hauer/Keplinger § 46 SPG Anm B.21.2, sowie BMI, Erlass vom 16. 9. 1999 (ibid A.2)
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III. Teil: Unterbringung ohne Verlangen
b) Die Aufzeichnungen und Bescheinigungen dürfen nicht in einer Weise bearbeitet oder in Evidenzen verzeichnet werden, die eine Auffindbarkeit nach einem auf die psychische Erkrankung oder die Unterbringung hindeutenden Merkmal ermöglicht. Gem § 39a Abs 4 UbG sind die Aufzeichnungen und Bescheinigungen, soweit sie nicht Bestandteil der Krankengeschichte oder der Gerichtsakten geworden sind, nach 3 Jahren (sollte zu diesem Zeitpunkt ein Verfahren zur Überprüfung der Amtshandlung anhängig sein, nach dessen Abschluss) zu vernichten. Das Verbot von Evidenzen ist unabhängig von der Art der technischen Durchführung (zB Handkartei); es richtet sich gegen jede Datensammlung, die einen Zugriff nach „psychiatriespezifischen“ Kriterien der Krankheit oder der Anstaltsunterbringung ermöglicht.
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c) Abweichend von der bisherigen Rsp (vgl dazu Rz 154) steht dem Betroffenen im Umfang des § 17 Abs 1-3 AVG nun das Recht auf Einsicht in die Aufzeichnungen und Bescheinigungen zu. Über die Verweigerung ist bescheidmäßig zu entscheiden (§ 39a Abs 3 UbG). Näher Kopetzki, RdM 1997, 167 ff. Darüber hinaus kann der Zugang zu diesen Aufzeichnungen auch im Wege der Einsicht in die Krankengeschichte (Rz 702 ff ) und der Akteneinsicht im Gerichtsverfahren (Rz 317 ff ) vermittelt werden.
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d) Gem § 39b Abs 1 UbG haben die Sicherheitsorgane dem Abteilungsleiter die Bescheinigungen nach § 8 sowie den Bericht über die Amtshandlung nach § 9 zur Aufnahme in die Krankengeschichte zu übermitteln. Der Bericht hat jene Sicherheitsbehörde anzuführen, der die Amtshandlung zuzurechnen ist. 1. Sinn dieser Informationsübermittlung an den Abteilungsleiter ist ein zweifacher: Zum einen soll damit der Abteilungsleiter von Umständen Kenntnis erhalten, die möglicherweise die Diagnose und Gefährdungsprognose gem § 3 UbG (und daher für die Entscheidung über die Unterbringung) relevant sind. Zum anderen durchlaufen die im Zuge der polizeilichen Amtshandlung und ärztlichen Begutachtung (§ 8) entstandenen Daten einen ersten „Filter“, da sie aus der Anstalt nur dann ans Gericht weiterzuleiten sind, wenn sich die Krankheitsund Gefährdungsbeurteilung bei der Aufnahmeuntersuchung bestätigt und der Betroffene auch tatsächlich untergebracht wird. 2. Vgl auch die Verständigungspflicht (der Sicherheitsbehörde) gegenüber dem Vollzugsgericht gem § 54 Abs 4 StGB; näher Rz 257/1.
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e) Der Abteilungsleiter hat den Bericht der Sicherheitsorgane sowie allfällige Bescheinigungen nach § 8 zunächst in die Krankengeschichte aufzunehmen (vgl 39b Abs 1: „zur Aufnahme in die Krankengeschichte“). Die Dokumente werden damit Bestandteil der Krankengeschichte und teilen forthin deren rechtliches Schicksal. Wird der Patient in der Folge gem § 10 ohne Verlangen untergebracht, so hat der Abteilungsleiter Ablichtungen dieser Urkunden seiner Meldung an das Gericht (§ 17) anzuschließen (Rz 217/1). Unterbleibt eine Unterbringung (mangels positiver Aufnahmeuntersuchung) oder wird der Patient auf eigenes Verlangen untergebracht, so entfällt eine Weiterleitung der Daten an das Gericht, da es in diesen Fällen weder zu einer Meldung noch zu einem Verfahren kommt.
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f ) Nur wenn das Gericht die Unterbringung in der Folge gem § 20 Abs 1 für zulässig erklärt, hat es gem § 39b Abs 2 die im Bericht angeführte Sicherheitsbehörde zu verständigen. Diese hat die Mitteilung des Gerichts an jene Behörden weiterzuleiten, die bezüglich des Betroffenen zur Prüfung der Verläßlichkeit für den Bereich des Waffen-, Schieß-, Munitions- und Sprengmittelwesens zuständig sind. Die Mitteilungen dürfen ausschließlich für diese Zwecke
3. Die Unterbringung in der Anstalt
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verwendet werden. Fehlt eine vorführende Sicherheitsbehörde (oder eine gerichtliche Zulässigerklärung), so entfällt die Mitteilung überhaupt (vgl dazu näher Kopetzki, RdM 1997, 166). 1. Eine Datenweiterleitung an die „Zielbehörde“ findet daher nur statt, wenn das Gericht in der Erstanhörung (oder das Rekursgericht in zweiter Instanz) die Unterbringung für zulässig erklärt. Wird die Unterbringung für unzulässig erklärt, entfällt eine Verständigung („zweite Filterstufe“). Vgl auch Rz 344/1. 2. Der Inhalt der gerichtlichen Verständigung hat sich auf die Tatsache zu beschränken, dass die Unterbringung einer bestimmten Person gen § 20 Abs 1 UbG für zulässig erklärt wurde. Weitergehende Informationsweitergaben wären unzulässig.
3. Die Unterbringung in der Anstalt a) Rechtsgrundlagen und Fallkonstellationen a) Anders als für die Vorführung zur Anstalt enthält das UbG keine aus- 190 drückliche Ermächtigung der Krankenanstalt zur Anhaltung. Die Befugnis, Personen „ohne ihr Verlangen“ unterzubringen, sie also iSd § 2 in einem geschlossenen Bereich anzuhalten oder sonst Beschränkungen ihrer Bewegungsfreiheit zu unterwerfen, lässt sich aber aus § 10 Abs 1 ableiten, da der dort verwendete Begriff der „Aufnahme“ im Kontext des UbG iS von „Unterbringung“ zu verstehen ist. Die für sich genommen mehrdeutige Wendung „darf nur aufgenommen werden“ (§ 10 Abs 1) enthält daher eine Ermächtigung der Krankenanstalt, einen Patienten ohne sein Verlangen unterzubringen. Nicht §§ 8, 9, sondern § 10 Abs 1 UbG ist daher die Rechtsgrundlage für die Anstaltsunterbringung ohne Verlangen. Das gilt nicht nur für die Unterbringung eines erst in die Anstalt gebrachten Patienten (bei dem die Unterbringung mit der Aufnahme zusammenfällt), sondern wegen des auf § 10 verweisenden § 11 auch für jene Fälle der Unterbringung, in denen der Patient zu einem früheren Zeitpunkt schon aufgenommen (aber noch nicht in seiner Bewegungsfreiheit beschränkt) worden ist.
b) Bei der Unterbringung ohne Verlangen sind folgende Fallkonstellationen 191 auseinanderzuhalten. Sie unterscheiden sich voneinander nur hinsichtlich der der Unterbringung vorangehenden Verfahrensschritte: 1. Der Patient wurde durch Organe des öffentlichen Sicherheitsdienstes (§ 9) oder durch andere Personen (§ 8) ohne oder gegen seinen Willen in die Anstalt (Abteilung) gebracht; die Unterbringung fällt in diesem Fall mit der Aufnahme in die Anstalt zusammen (§ 10 Abs 1 UbG). 2. Der Patient gelangte – auf welche Weise immer – freiwillig in die Anstalt (Abteilung) und wird – sofern er kein wirksames Unterbringungsverlangen stellt (Rz 235 ff) – wegen Erfüllung der Unterbringungsvoraussetzungen ohne oder gegen seinen Willen untergebracht. Auch hier ist der Akt der Unterbringung zugleich der Akt der stationären Anstaltsaufnahme (§ 10 Abs 1 UbG). 3. Der Patient befindet sich – ohne in seiner Bewegungsfreiheit beschränkt und daher ohne iSd UbG „untergebracht“ zu sein – bereits in stationärer psychiatrischer Anstaltspflege und wird in der Folge wegen Erfüllung der Unterbringungsvoraussetzungen ohne oder gegen seinen Willen untergebracht; dieser Fall ist nicht nach § 10 Abs 1 UbG zu beurteilen (der Patient kann nicht mehr „aufgenommen“ werden), sondern nach § 11 Z 1 UbG: Danach ist § 10 sinngemäß anzuwenden, wenn „bei einem sonst in die Anstalt aufgenommenen, in seiner Bewegungsfreiheit nicht beschränkten Kranken Grund für die Annahme besteht, dass die Voraussetzungen der Unterbringung vorliegen“. 4. Der Patient ist bereits auf eigenes Verlangen untergebracht (dh: in seiner Bewegungsfreiheit beschränkt) und wird wegen des Widerrufs des Unterbringungsverlangens oder
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III. Teil: Unterbringung ohne Verlangen wegen Ablaufs der zulässigen Höchstdauer der „freiwilligen“ Unterbringung nun in weiterer Folge ohne Verlangen untergebracht (sog „Umwandlung“). Auch für diese Konstellation verweist § 11 Z 2 UbG „sinngemäß“ auf § 10 UbG.
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c) Der Akt der Unterbringung in der Anstalt ist – ebenso wie die Verbringung in die Anstalt (Rz 153) – rechtlich als Akt unmittelbarer verwaltungsbehördlicher Befehls- und Zwangsgewalt zu deuten. Obwohl das UbG bestimmte Verfahrensschritte bei der Verhängung der Unterbringung vorsieht (zB Aufnahmeuntersuchung, Rz 201), finden die Verwaltungsverfahrensgesetze keine Anwendung. Die Anordnung der Unterbringung erfolgt nicht in Bescheidform. 1. Zur Rechtsnatur der Unterbringung vgl Kopetzki I 161 ff: zur Formfreiheit und zur mangelnden Anwendbarkeit des AVG vgl ibid II 560 ff. 2. Der Rechtsschutz gegen diesen verfahrensfreien Verwaltungsakt wird jedoch – abweichend von der subsidiären Maßnahmenbeschwerde gem Art 129a B-VG – nicht durch die UVS, sondern in einem durch das UbG eröffneten speziellen Rechtsweg durch die ordentlichen Gerichte gewährleistet (Rz 221): Die Rechtmäßigkeitskontrolle erfolgt im gerichtlichen Unterbringungsverfahren gem §§ 18 ff UbG (vgl V. Teil), und zwar auch hinsichtlich des Zeitraums zwischen der zwangsweisen Einlieferung und dem Abschluss der fachärztlichen Aufnahmeuntersuchungen (OGH 13. 2. 1997, 2 Ob 25/97h, RdM 1998/3; 27. 1. 1998, 4 Ob 17/98y, RdM 1998/3 = EvBl 1988/115; VwSlg 13.994 A; VwGH 18. 1. 2000, 99/11/0345, ZfVB 2001/563) Eine Maßnahmenbeschwerde an die UVS kommt nur dann und insoweit in Betracht, als dem Unterbringungsgericht eine Kontrollbefugnis nach dem UbG fehlt, etwa bei bestimmten vollzugsinternen Maßnahmen (Rz 766) oder bei gerichtlich bereits für unzulässig erklärten Unterbringungen (Rz 784).
b) Zuständigkeit 193 a) Die Entscheidung über die Unterbringung ohne Verlangen liegt beim Abteilungsleiter bzw seinem Vertreter. 1. Diese Entscheidungskompetenz wird vom UbG zwar nicht ausdrücklich ausgesprochen, im Hinblick auf die sich aus § 7 Abs 4 KAKuG ergebende Leitungsbefugnis des Abteilungsleiters aber als selbstverständlich vorausgesetzt (RV 16, 23; StProtNR 15598). Damit steht auch im Einklang, dass das UbG alle sonstigen Entscheidungsbefugnisse in Bezug auf die Fortsetzung und Beendigung der Unterbringung ebenfalls dem Abteilungsleiter überträgt: Er entscheidet darüber, ob und wann die Unterbringung wieder aufgehoben wird (§ 32). Ihm kommen Parteistellung (§ 4 Abs 1 Z 4 AußStrG) sowie die Rekursrechte in jenem gerichtlichen Verfahren zu, das die Zulässigkeit der Unterbringung zum Gegenstand hat (zB §§ 19, 20, 22, 25, 26, 27, 28, 38 UbG). Gerade diese Stellung im Unterbringungsverfahren zeigt, dass der Gesetzgeber zunächst ausschließlich dem Abteilungsleiter die Verantwortung für die Unterbringung zuweist. Auch eine Bindung an die Bescheinigung nach § 8 besteht nicht (Hopf/Aigner § 10 Anm 8). 2. Die Unterbringungsentscheidung obliegt zwingend einem Facharzt für Psychiatrie, Psychiatrie und Neurologie oder Neurologie und Psychiatrie (vgl Rz 69/1, 203) (arg §§ 4 Abs 2, 6, 10 Abs 1: „weiteren“ Facharztes). Zur Begutachtung Rz 201.
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b) Den Sicherheitsbehörden kommen in Bezug auf die Unterbringung in der Anstalt keine Entscheidungsbefugnisse zu. Ihre Kompetenzen erschöpfen sich in der Vorführung des Betroffenen gem § 9 UbG und § 46 SPG. Auch die Bescheinigung des Polizeiarztes (Arztes des öffentlichen Sanitätsdienstes) hat für die Entscheidung über die Unterbringung höchstens Informationswert, entfaltet aber keine normative Bindungswirkung. Der Abteilungsleiter soll vielmehr „die Aufnahmevoraussetzungen in seinem ärztlichen Verantwortungsbereich selbst [...] beurteilen“ (RV 16, 23).
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1. Da die Anstalt zu einer „unverzüglichen“ Aufnahmeuntersuchung verpflichtet ist (§ 10 Abs 1), muss für eine möglichst umgehende Übernahme der von den Sicherheitsorganen ein-
3. Die Unterbringung in der Anstalt
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gelieferten Person Vorsorge getroffen werden (vgl Rz 205 ff ). Fraglich ist, wer für den Rücktransport verantwortlich ist, wenn sich die Aufnahme als nicht notwendig erweist. 2. Auch das Unterbringungsgericht hat hinsichtlich der Unterbringung keine Entscheidungsbefugnis, die über die nachträgliche Kontrolle gem § 18 ff UbG hinausgeht.
c) Aufnahmepflicht Das UbG enthält keine Verpflichtung der Krankenanstalt, Personen, bei de- 196 nen die Unterbringungsvoraussetzungen erfüllt sind, tatsächlich aufzunehmen bzw (ohne oder mit Verlangen) unterzubringen. Dies auch dann nicht, wenn sie gem § 9 UbG (§ 46 SPG) von Sicherheitsorganen vorgeführt werden. Dennoch kann sich eine derartige Aufnahmepflicht der Anstalt aus anderen Rechtsvorschriften ergeben. Hiebei muss zwischen öffentlichen und privaten Anstalten unterschieden werden. a) Für öffentliche psychiatrische Krankenanstalten bzw Abteilungen folgt ei- 197 ne Aufnahmepflicht mittelbar aus dem Grund der Unabweisbarkeit gem § 22 Abs 2, 4 iVm § 38f KAKuG: Sobald ein Patient die Unterbringungsvoraussetzungen erfüllt, ist zugleich Unabweisbarkeit iSd § 22 Abs 4 KAKuG gegeben, weil dann sein Zustand „wegen Lebensgefahr oder wegen Gefahr einer sonst nicht vermeidbaren schweren Gesundheitsschädigung sofortige Anstaltsbehandlung erfordert“ (§ 22 Abs 4 KAKuG). Die Anstalt hat daher auch im Wege einer Aufnahmeuntersuchung gem § 10 Abs 1 UbG zu prüfen, ob die – ihre Aufnahmepflicht auslösenden – Voraussetzungen vorliegen. Wer die Unterbringungsvoraussetzungen erfüllt, muss in Anstaltspflege genommen werden, und zwar auch dann, wenn ausschließlich Fremdgefährdung vorliegt und die Aufnahme möglicherweise therapeutisch sinnlos ist. Der Aufnahmezweck erschöpft sich dann in der Gefahrenabwehr (vgl § 37 Abs 2 Z 4 KAKuG). 1. Vgl zur Unabweisbarkeit § 54 Abs 2, 4 S-KAG; § 46 Abs 2, 4 oö KAG; § 52 Abs 4 ktn KAO; § 33 Abs 2, 4 tir KAG; § 49 iVm § 7 Abs 5 vbg SpitalG; § 29 Abs 2, 4 stm KALG; § 50 Abs 2, 4 bgl KAG; § 39 Abs 2, 4 nö KAG; § 36 Abs 2, 4 wr KAG. 2. Auszuscheiden ist eine Aufnahmepflicht kraft Einweisung, weil es eine autoritative behördliche Einweisung nach dem UbG nicht gibt. Letztlich führt jedoch die skizzierte Aufnahmepflicht kraft Unabweisbarkeit wegen Lebens- oder Gesundheitsgefahr zum gleichen Ergebnis; der Unterschied liegt lediglich darin, dass die Kompetenz zur Beurteilung dieser Voraussetzungen und damit die Entscheidung über die Aufnahme nicht bei den „einweisenden“ Organen, sondern bei den Fachärzten der Anstalt liegt. 3. Liegen die Unterbringungsvoraussetzungen vor, so darf die Anstalt die Aufnahme nicht 198 verweigern oder die Unterbringung vorzeitig aufheben. Die therapeutische Zweckmäßigkeit der Anstaltspflege ist keine Unterbringungsvoraussetzung (Rz 787; OGH 14. 11. 1991, 7 Ob 610/91; Kopetzki II 508, 934). Auch eine rechtswidrig unterlassene Unterbringung kann Haftungsfolgen auslösen (vgl Rz 767/1).
b) Für private Krankenanstalten besteht eine dem § 22 Abs 4 KAKuG ent- 199 sprechende Aufnahmepflicht im Allgemeinen nicht. Gem § 40 Abs 1 lit a iVm § 41 KAKuG sind nur die von den Gebietskörperschaften betriebenen (privaten) Anstalten zur Aufnahme der in § 22 Abs 2, 4 genannten Personen verpflichtet, wenn in einem Bundesland öffentliche Krankenanstalten in einem der Größe und der Zahl der Bevölkerung entsprechenden Ausmaß nicht bestehen. Obwohl die Landes-KAG auch diese eingeschränkte Aufnahmepflicht durchwegs nicht übernommen haben (vgl zB § 87 ff oö KAG; § 62 wr KAG), besteht
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III. Teil: Unterbringung ohne Verlangen
für den Sonderfall der privaten psychiatrischen Anstalten aber insofern eine abweichende Rechtslage, als alle Landes-KAG mit Ausnahme jener von Vorarlberg hinsichtlich der Aufnahmepflicht der privaten Anstalten uneingeschränkt wieder auf die Regelungen für öffentliche psychiatrische Anstalten verweisen. 1. Vgl § 91 iVm § 86 und § 46 Abs 2, 4 oö KAG; § 64 iVm §§ 60 f und § 36 Abs 4 wr KAG; § 76 Abs 4 iVm § 71 Abs 4 und § 52 Abs 2 ktn KAO; § 80 Abs 4 iVm § 78 und § 54 Abs 2 S-KAG; § 61 iVm § 55 und § 33 Abs 4 tir KAG; § 60 Abs 1 iVm § 54 Abs 4 und § 29 Abs 4 stm KALG; § 82 iVm § 77f und § 39 Abs 4 nö KAG; § 79 iVm § 73 und § 50 Abs 2, 4 bgl KAG. 2. In den genannten Ländern (außer Vorarlberg) besteht daher – über die Grundsätze des Bundes-KAKuG hinausgehend – für die privaten psychiatrischen Anstalten dieselbe Aufnahmepflicht wie für öffentliche Anstalten. In Vorarlberg fehlt hingegen eine den § 40 Abs 1 lit a iVm § 41 KAKuG ausführende gesetzliche Aufnahmeverpflichtung der von den Gebietskörperschaften betriebenen privaten psychiatrischen Anstalten.
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d) Verfahren bei der Unterbringung Als verfahrensrechtliche Bindungen bei der Unterbringung ohne Verlangen schreibt das UbG nur die fachärztliche Aufnahmeuntersuchung (unten aa) sowie diverse Informations- und Verständigungspflichten (unten bb) vor. Weitergehende Verfahrensschritte oder Parteirechte sind nicht vorgesehen; sie ergeben sich auch nicht aus den Verwaltungsverfahrensgesetzen, da die Unterbringung nicht in Form eines Bescheides anzuordnen ist (Rz 192). aa) Aufnahmeuntersuchung a) Nicht anders als bei der Vorführung vor die Anstalt besteht auch das Verfahren bei der Unterbringung in der Anstalt im wesentlichen in einer ärztlichen Untersuchung, die der Feststellung der Unterbringungsvoraussetzungen dient: Nach § 10 Abs 1 ist der Patient unverzüglich durch den Abteilungsleiter und durch einen weiteren – zweiten – Facharzt zu untersuchen (Aufnahmeuntersuchung). Die Unterbringung darf nur erfolgen, wenn nach übereinstimmenden, unabhängig voneinander erstellten ärztlichen Zeugnissen die Voraussetzungen der Unterbringung vorliegen. Das Gesetz knüpft die Zulässigkeit der Unterbringung also an die Einhaltung einer zusätzlichen Beweisregel. Das Ergebnis der Untersuchung ist in der Krankengeschichte zu beurkunden; die ärztlichen Zeugnisse sind dieser als Bestandteil anzuschließen (§ 10 Abs 2). 1. Mit der Aufnahmeuntersuchung sollte eine gewisse Verfahrensförmigkeit bei der beweismäßigen Feststellung der Aufnahmevoraussetzungen erzielt werden. Sie stellt – nach der weder obligaten noch zwingend fachärztlichen Untersuchung durch den Polizeiarzt (Arzt des öffentlichen Sanitätsdienstes) nach § 8 UbG – die erste fachärztliche Beurteilung der Unterbringungsvoraussetzungen dar. Der Begriff der „Aufnahmeuntersuchung“ (RV 16, 22) ist allerdings kein Legalbegriff; das UbG spricht nur von einer „Untersuchung“ (§§ 6, 10). Er ist auch insofern ungenau, als diese Untersuchung nicht nur bei der „Aufnahme“ stattzufinden hat, sondern bei jeder Unterbringung (vgl Rz 139, 271, 283).
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2. Eine Aufnahmeuntersuchung nach § 10 muss immer dann stattfinden, a) wenn eine Person ohne Verlangen aufgenommen und untergebracht werden soll (§ 10 Abs 1); b) wenn bei einem bereits aufgenommenen Patienten die Unterbringung verhängt werden soll, sei es dass eine Unterbringung auf Verlangen in eine Unterbringung ohne Verlangen umgewandelt werden soll (Widerruf, Fristablauf) (§ 11 Z 2 iVm § 10 Abs 1) oder
3. Die Unterbringung in der Anstalt
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c) dass ein „sonst“ (als „gewöhnlicher“ Patient) aufgenommener, aber noch nicht in seiner Bewegungsfreiheit beschränkter (dh: noch nicht untergebrachter) Kranker untergebracht werden soll (§ 11 Z 1 iVm § 10 Abs 1). 3. Die Aufnahmeuntersuchung ist immer von Fachärzten für Psychiatrie und Neurologie 203 (Neurologie und Psychiatrie) durchzuführen, nämlich vom Abteilungsleiter (Rz 70) und einem „weiteren“ Facharzt (§ 10 Abs 1). Eine Delegation der Untersuchung an Ärzte in Ausbildung (Turnusärzte) ist im Hinblick auf die ausdrückliche Anordnung in § 10 Abs 1 UbG unzulässig, und zwar auch dann, wenn der Turnusarzt unter fachärztlicher Anleitung und Aufsicht handelt (unklar LG St. Pölten 28. 6. 1996, 11 R 185/96) oder das erforderliche fachärztliche Personal fehlt (LG Korneuburg 29. 10. 2001, 25 R 185/01k und 186/01g). 4. Das UbG spricht – auf dem Boden der damals geltenden Ärzte-AusbO – durchwegs noch von Fachärzten für „Psychiatrie und Neurologie“ bzw „Neurologie und Psychiatrie“. Davon sind selbstverständlich auch (und gerade) die Fachärzte für „Psychiatrie“ nach der derzeit (noch) geltenden Ärzte-AusbO (Anlage 36) erfasst, nicht hingegen Fachärzte für Neurologie oder Fachärzte für Kinderheilkunde mit dem Zusatzfach Kinder- und Jugendneuropsychiatrie (vgl sinngemäß Rz 69/1). Auf mögliche künftige Änderungen der Fächerstruktur in der Ärzte-AusbO sei jedoch hingewiesen. 5. Nach § 10 Abs 1 stellt die Aufnahmeuntersuchung eine notwendige Voraussetzung für 204 die Unterbringung ohne Verlangen dar (arg: „darf nur aufgenommen werden, wenn“). Mit Einfügung des Wortes „nur“ sollte „sichergestellt werden, dass eine Unterbringung [...] ohne vorangegangene Untersuchung unzulässig ist“ (AB 5; LG Linz 2. 3. 1992, 18 R 119/92). Die Unterbringung ist nur zulässig, wenn sämtliche Unterbringungsvoraussetzungen des § 3 von beiden Ärzten bejaht werden (arg § 10 Abs 1 UbG: „übereinstimmend“). Diese Übereinstimmung muss sich allerdings nur auf das Vorliegen der Unterbringungsvoraussetzungen beziehen, nicht auch auf die Begründung (zB die konkrete Diagnose).
b) Die Bestimmungen des § 10 Abs 1 über die Aufnahmeuntersuchung imp- 205 lizieren die Ermächtigung der Anstaltsorgane, den Patienten bei Vorliegen entsprechend konkreter Anhaltspunkte für das Vorliegen der Unterbringungsvoraussetzungen zu diesem Zweck auch zwangsweise festzuhalten und der Untersuchung zu unterziehen. Diese Befugnis der Anstalt zur Anwendung jenes Maßes an physischem Zwang, das zur Durchführung der Untersuchung notwendig ist, stellt zugleich eine Verpflichtung dar, deren Wahrnehmung nicht im Ermessen der Anstaltsärzte liegt (vgl auch Rz 197). 1. Das UbG sieht eine zwangsweise Durchführung der Aufnahmeuntersuchung nicht ausdrücklich vor. Da die Unterbringung einerseits erst nach einer positiven Aufnahmeuntersuchung erfolgen darf (Rz 201), eine Unterbringung andererseits aber wegen der Legaldefinition des § 2 UbG bereits ab Eintritt der Bewegungsbeschränkung vorliegt, könnte vielmehr der Eindruck entstehen, als wäre eine Zwangsausübung vor der Untersuchung unzulässig. Das würde bedeuten, dass die Aufnahmeuntersuchung nicht erzwungen werden darf. Bei dieser Auslegung wäre die Regelung allerdings unvollziehbar, weil der voraussetzungsgemäß „anstaltsunwillige“ Patient die bevorstehende Untersuchung gar nicht abwarten würde. Man wird daher annehmen müssen, dass das Gesetz den Anstalten auch den entsprechenden Rechtszwang zur Verfügung stellt, um das Vorliegen der Unterbringungsvoraussetzungen auch gegen den Willen des Patienten beurteilen zu können. So auch VwSlg 13.994 A; OGH 14. 7. 1998, 4 Ob 192/98h, RdM 1999/14 Anm Kopetzki; im Amtshaftungsverfahren bestätigend OGH 24. 11. 1998, 1 Ob 247/98z, SZ 71/196 = RdM 1999/9 = JBl 1999, 325. 2. Die Bereitstellung der personellen und organisatorischen Rahmenbedingungen zur Erzwingung der Aufnahmeuntersuchung liegt in der (Organisations-)Verantwortung des Anstaltsträgers. Schwerwiegende Mängel bei der Durchsetzung der Aufnahmeuntersuchung können Amtshaftungansprüche auslösen, wenn der Patient die Krankennstalt vor der Prüfung der Unterbringungsvoraussetzungen unbehelligt verlässt und dritte Personen schädigt (SZ 71/196; Schwamberger, RdM 2001, 4; vgl Rz 767/1 f ). 3. Das spezifische Vollzugsrecht des UbG einschließlich der gerichtlichen Entscheidungsbefugnisse gem §§ 33 ff UbG ist bereits ab Beginn der Beschränkungen (und nicht erst ab
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III. Teil: Unterbringung ohne Verlangen
positivem Abschluss der zweiten Aufnahmeuntersuchung) anzuwenden (OGH 13. 2. 1997, 2 Ob 25/97h, RdM 1998/3); abweichend noch Kopetzki II 563.
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c) Da der Patient der Aufnahmeuntersuchung zwangsweise unterzogen werden darf (Rz 205), bevor die Unterbringungsvoraussetzungen festgestellt sind, kommt dem Gebot der unverzüglichen Durchführung der Aufnahmeuntersuchung besonderes Gewicht zu. Die Aufnahmeuntersuchung ist unmittelbar nach der Einlieferung, also ohne jeden Aufschub (AB 8) vorzunehmen. Die Anstaltsorgane sind verpflichtet, die Aufnahmeuntersuchung in unmittelbarem zeitlichem Zusammenhang mit der Einlieferung durchzuführen, weil sie es anderenfalls in der Hand hätten, mit der „Aufnahme“ einer eingelieferten Person – trotz ihrer faktischen Anhaltung in der Anstalt – zuzuwarten „und damit das Einsetzen des mit der Aufnahme bzw Unterbringung verbundenen besonderen Rechtsschutzes [...] hinauszuschieben“ (VwSlg 13.994 A; OGH 13. 2. 1997, 2 Ob 25/97h, RdM 1998/3). Nach jüngerer Rsp genügt es allerdings, wenn die erste Untersuchung sofort, die zweite hingegen nach angemessener Frist vorgenommen wird (OGH RdM 1999/14).
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1. Von „unverzüglicher“ Durchführung kann nur gesprochen werden, wenn die jederzeitige Vornahme der Aufnahmeuntersuchung in der Anstalt organisatorisch gewährleistet ist. Die bloße Erreichbarkeit eines außerhalb der Anstalt befindlichen Arztes per Telefon oder Postfunk (Rufbereitschaft, vgl Rz 71) genügt nicht. Auch an Wochenenden oder in der Nacht sollten daher zwei diensthabende Fachärzte für Psychiatrie (vgl Rz 69/1, 203) verfügbar sein, von denen einer der mit der Leitung der Abteilung betraute Arzt sein muss. Die Auffassung, wonach die erste Untersuchung durch den Abteilungsleiter „unmittelbar nach dem Eintreffen“ des Betroffenen zu erfolgen habe, die zweite Untersuchung hingegen erst „innerhalb angemessener Frist“ (BKA, Unterbringung 7) findet im Gesetz wenig Stütze. 2. Der OGH ist dieser strengen Auslegung (unter Berufung auf Hopf/Aigner § 10 Anm 3) allerdings nicht gefolgt: Es genüge, wenn die erste Untersuchung unmittelbar nach Einlieferung durch den diensthabenden Facharzt, die zweite hingegen innerhalb einer der Bedeutung und Dringlichkeit angemessenene Frist (in concreto: am nächsten Morgen nach etwa 10 Std) durch einen von außen herbei gerufenen zweiten Facharzt vorgenommen werde (OGH 14. 7. 1998, 4 Ob 192/98h, RdM 1999/14 Anm Kopetzki; zust Schwamberger, RdM 2001, 5); zumindest ein in der Anstalt diensthabender (und nicht nur rufbereiter) Facharzt ist daher auch nach der Rsp des OGH unverzichtbar. Strenger – insb wegen zwischenzeitiger Zwangsbehandlung – LG Wels 16. 6. 2004, 21 R 164/04y (11 Stunden bis zur zweiten Untersuchung gesetzwidrig); LG Korneuburg 25. 9. 2003, 25 R 160/03m (15 Stunden zu lang); LGZ Wien 7. 6. 1994, 44 R 452/94 (Untersuchung am nächsten Tag verletzt § 10). 3. Bei einer Unterbringung gem § 11 ist die „Unverzüglichkeit“ sinngemäß auf den Widerruf eines Unterbringungsverlangens bzw auf den Zeitablauf der Höchstfrist für die Unterbringung auf Verlangen (§ 11 Z 2) bzw auf den Beginn der Bewegungsbeschränkungen eines noch nicht untergebrachten Patienten (§ 11 Z 1) zu beziehen.
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d) Die untersuchenden Fachärzte haben ein ärztliches Zeugnis über das Vorliegen der Unterbringungsvoraussetzungen auszustellen. Mit dem Begriff des ärztlichen Zeugnisses verweist § 10 Abs 1 UbG auf die Anforderungen des § 55 ÄrzteG: Die Ausstellung eines ärztlichen Zeugnisses setzt demnach stets eine „gewissenhafte ärztliche Untersuchung“ und „genaue Erhebung der im Zeugnis bestätigten Tatsachen“ voraus. Ein ärztliches Zeugnis bedarf immer der Schriftform. Darüber hinaus ist das Ergebnis der Untersuchung in der Krankengeschichte zu beurkunden und die ärztlichen Zeugnisse der Krankengeschichte als Bestandteil anzuschließen (§ 10 Abs 2). 1. Bei der Abfassung des Zeugnisses werden die Ärzte als Sachverständige tätig (RV 22). Der normative Akt der Unterbringung durch den Abteilungsleiter ist davon zu unterscheiden.
3. Die Unterbringung in der Anstalt
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2. Werden die Zeugnisse entgegen § 10 Abs 2 nicht der Krankengeschichte angeschlossen, so liegt ein Verfahrensfehler vor, der im Unterbringungsverfahren aufzugreifen ist (aM LG Salzburg 2. 2. 2000, 21 R 21/00k, EFSlg 97.523) und der überdies – auch bei Vorliegen der materiellen Unterbringungsvoraussetzungen – Amtshaftungsansprüche des Patienten auslösen kann (OGH 27. 2. 2001, 1 Ob 251/00v, RdM 2001/20 = JBl 2001, 725). Vgl Rz 767/2. 3. In die Krankengeschichte sind auch allfällige Bescheinigungen nach § 8 sowie der Bericht über die sicherheitspolizeiliche Amtshandlung aufzunehmen (§ 39b Abs 1). Diese Dokumente können auch Bedeutung für die Beurteilung der Gefährdung (sowie deren Glaubhaftmachung gegenüber dem Gericht: Rz 74, 341) haben.
e) Gem § 10 Abs 1 müssen die ärztlichen Zeugnisse der beiden Fachärzte 209 unabhängig voneinander erstellt werden. Es muss sich daher um zwei getrennt durchgeführte Untersuchungen handeln, da der Sinn dieser Anordnung nur in der unabhängigen Meinungsbildung, nicht in der unabhängigen technischen Aus- bzw Unterfertigung der Zeugnisse liegen kann. Eine darüber hinausgehende organisatorische Unabhängigkeit in dem Sinn, dass die Ärzte in keinem hierarchischen Verhältnis zueinander stehen dürfen, ist daraus nicht abzuleiten. 1. Das Erfordernis der „Anstaltsfremdheit“ wird vom UbG nur im Zusammenhang mit dem Sachverständigen im gerichtlichen Verfahren ausdrücklich normiert (§ 19 Abs 3). Da eine entsprechende Anordnung für den „weiteren Facharzt“ iSd § 10 fehlt, ist eine derartige Unabhängigkeit hier e contrario nicht geboten. 2. Nach den EB sollte mit der „unabhängigen Erstellung“ der ärztlichen Zeugnisse auch 210 die Unzulässigkeit von Weisungen in Bezug auf die Aufnahmeuntersuchung klargestellt werden (RV 22; AB 5; Stellamor, ÖKZ 1993, 27). Zur Problematik auch Kopetzki II 566.
bb) Verständigungs-, Informations- und Meldepflichten Bei einer Unterbringung ohne Verlangen (§§ 10, 11) bestehen zahlreiche In- 211 formationspflichten. Sie treffen den Abteilungsleiter und beziehen sich auf die bereits stattgefundene Unterbringung, setzten also die Durchführung der Untersuchung und eine positive Entscheidung über die Unterbringung voraus: 1. Die Verständigungspflichten gelten für alle Fälle der Unterbringung ohne Verlangen, also a) für die Unterbringung einer neu aufzunehmenden Person gem § 10 Abs 1; b) für die Umwandlung einer Unterbringung auf Verlangen in eine Unterbringung ohne Verlangen gem § 11 Z 2 iVm § 10 Abs 1, und c) für die Unterbringung eines „sonst“ aufgenommenen, aber zuvor noch nicht untergebrachten Patienten gem § 11 Z 1 iVm § 10 Abs 1 UbG. 2. Vgl auch die Verständigungspflichten der Sicherheitsbehörden, Rz 152, 157/2.
a) Der Patient ist ehestens über die Gründe der Unterbringung zu unter- 212 richten (§ 10 Abs 3 UbG). 1. Dass der Patient „ehestens“ (§ 10 Abs 3), alle anderen Personen und Einrichtungen hingegen „unverzüglich“ (§ 10 Abs 3; § 17) zu informieren sind, macht keinen Unterschied. 2. Diese Information unterliegt nicht den für die Aufklärungspflicht geltenden Einschränkungen des § 35 Abs 2 und darf daher nicht aus therapeutischen Rücksichten unterlassen werden. Entgegen Art 4 Abs 6 PersFrG trägt das UbG den Verständigungsproblemen sprachunkundiger Patienten zwar nicht ausdrücklich Rechnung, doch folgt eine Verpflichtung zu einer verstehbaren Information aus Art 4 Abs 6 PersFrG iVm § 1 Abs 1 UbG.
b) Der Patientenanwalt ist unverzüglich („ohne jeglichen Aufschub“: AB 8) 213 von der Unterbringung zu verständigen (§ 10 Abs 3). Eine bestimmte Form ist nicht vorgesehen, es muss aber vorgesorgt werden, dass die Verständigung dem Patientenanwalt tatsächlich zukommt (zweckmäßig daher schriftlich).
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III. Teil: Unterbringung ohne Verlangen
Die Verständigung muss sich auf die Tatsache der Unterbringung einer bestimmten Person beziehen, also zumindest den Namen des Patienten und – aus Gründen der effektiven Vertretung – wohl auch den Unterbringungsort enthalten. Der Beginn der Vertretungsbefugnis tritt ex lege ein (§ 14 Abs 1) und ist nicht an den Erhalt der Verständigung geknüpft.
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c) Ein Angehöriger des Kranken ist von der Unterbringung unverzüglich zu verständigen, wenn der Kranke nicht widerspricht; der Rechtsbeistand ist hingegen nur auf Verlangen des Kranken zu verständigen (§ 10 Abs 3).
1. Diese Verständigungen sollen verhindern, dass der zwangsweise aufgenommene Patient ohne Kontakt zu seinen Bezugspersonen angehalten und von der Außenwelt völlig abgeschnitten wird; sie dienen vor auch der Sicherung des Besuchsrechts. Deshalb ist anzunehmen, dass sich die Information nicht nur auf die Tatsache (arg „von der Unterbringung“), sondern auch auf den Ort der Unterbringung zu beziehen hat. Aus Gründen des Geheimnisschutzes bleibt die letzte Entscheidung über diese Verständigung beim Patienten (AB 6). 2. Die Initiative zur Verständigung muss vom Abteilungsleiter ausgehen. Zur Wahrung 215 seines Widerspruchsrechts ist der Patient aber im Vorhinein zu informieren (AB 6). Der Begriff der „Angehörigen“ wird im UbG nicht präzisiert; er geht jedenfalls über den Kreis der rekurslegitimierten Personen iSd § 28 Abs 1 hinaus. Teleologische Aspekte sprechen für einen weiten Angehörigenbegriff, wie er etwa dem § 72 StGB zugrunde liegt (Verwandte und Verschwägerte in gerader Linie, Ehegatten und dessen Geschwister, Geschwister und deren Ehegatten, Kinder und Enkel, Geschwister der Eltern und Großeltern, Vettern und Basen, Vater bzw Mutter des unehelichen Kindes, Wahl- und Pflegeeltern, Vormund, Lebensgefährten). Die Verständigung eines gesetzlichen Vertreters bzw Erziehungsberechtigten, der nicht zugleich Angehöriger ist, ist nicht ausdrücklich vorgesehen, aber im Hinblick auf die ihm vom UbG eingeräumten Kompetenzen (zB §§ 35 ff) aus § 1 UbG zu begründen. 3. Die Verständigung des Rechtsbeistandes ist nur vorgesehen, wenn es der Kranke ver216 langt; auch hiefür bedarf es einer entsprechenden Information. Der Begriff „Rechtsbeistand“ geht über den Kreis der zur berufsmäßigen Vertretung befugten Personen (Rechtsanwälte, Notare) hinaus und schließt bevollmächtigte Vertreter ein (vgl auch RV 25). 4. Besondere Anforderungen an die Erklärungsfähigkeit bei Ausübung des Widerspruchs bzw des Verlangens bestehen nicht. Im Hinblick auf den Schutzzweck und den psychisch kranken Personenkreis ist jede erkennbare Willensäußerung rechtserheblich.
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d) Das zuständige Gericht ist unverzüglich von der Unterbringung zu verständigen (§ 17 UbG). Der Verständigung sind Ausfertigungen der ärztlichen Zeugnisse gem § 10 Abs 1 sowie Ablichtungen des Berichts der Sicherheitsorgane sowie der ärztlichen Bescheinigung gem § 8 anzuschließen (§ 39b Abs 1).
1. Diese Verständigung bildet das Bindeglied zum anschließenden Unterbringungsverfahren, indem sie dem Gericht die Informationsgrundlage für die amtswegige Verfahrenseinleitung vermittelt. Da es für die Zielsetzungen der Verständigung auf ihr schnelles Einlangen bei Gericht ankommt, setzt eine „unverzügliche“ Verständigung die Wahl eines Kommunikationsmittels voraus, das diese rasche Übermittlung gewährleistet. 2. Der Verständigung sind Ausfertigungen der ärztlichen Zeugnisse anzuschließen (§ 17), 217/1 ebenso – sofern vorhanden – Ablichtungen der Bescheinigung gem § 8 sowie des Berichts über die sicherheitspolizeiliche Amtshandlung gem § 9 (§ 39b Abs 1) (vgl Rz 189/6). Daraus muss zugleich auf eine obligate Schriftform der Verständigung geschlossen werden. 3. Der Abteilungsleiter ist zur Weiterleitung der in § 39b Abs 2 erwähnten Dokumente nicht nur ermächtigt, sondern auch verpflichtet. Das in der Praxis häufig zu beobachtende „Versickern“ der sicherheitsbehördlichen Berichte bzw amtsärztlichen Bescheinigungen auf ihrem Weg von den Sicherheitsorganen über die Krankenanstalt ans Gericht widerspricht nicht nur dem § 39b Abs 1 UbG. Es schmälert auch die gerichtliche Entscheidungsgrundlage, die Chance einer Glaubhaftmachung der Unterbringungsvoraussetzungen in der Erstanhörung (Rz 341) sowie – bei Hinweisen auf Fremdgefährdungen – auch die Vollzugstätigkeit der Waffenbehörden im Kontext der Verlässlichkeitsprüfung (vgl Rz 189/7). Auf mögliche amtshaftungsrechtliche Folgen unterbliebener Informationen sei hingewiesen.
3. Die Unterbringung in der Anstalt
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4. Das die Verständigungspflicht auslösende Ereignis ist die Unterbringung ohne Verlan- 218 gen (§ 17 iVm §§ 10), also der Beginn der Bewegungsbeschränkungen (LG Innsbruck 29. 11. 1991, 3b R 181/91). Das Gericht ist auch zu verständigen, wenn der Patient nach einer vorangegangenen Aufhebung der Unterbringung innerhalb der Frist neuerlich untergebracht wird (OGH 10. 5. 1995, 3 Ob 510/95). Bei der Unterbringung eines bereits aufgenommenen Kranken (§ 11) hat die Verständigung sofort nach Untersuchung und Entscheidung über den Weiterverbleib zu erfolgen. Bei Widerruf des Verlangens oder bei Fristablauf der Unterbringung auf Verlangen (§ 11) wird die Verständigungspflicht also nicht schon durch den Widerruf oder den Fristablauf ausgelöst, sondern erst durch die anschließende Entscheidung über die Fortsetzung der Unterbringung gem § 11 Z 2 iVm § 10 Abs 1. 5. Für das Unterlassen oder die Verzögerung der Verständigung sieht das UbG keine 219 Sanktion mehr vor (OGH 11. 1. 2000, 10 Ob 337/99b); der Mangel könnte aber im Unterbringungsverfahren festgestellt werden (Rz 308). Verletzungen der Anzeigepflicht können überdies disziplinarrechtliche (§136 Abs 1 Z 2 ÄrzteG) oder verwaltungsstrafrechtliche (§ 199 Abs 3 iVm § 49 Abs 1 ÄrzteG) Strafbarkeit auslösen (AB 8). Auch amtshaftungsrechtliche Folgen sind möglich (vgl sinngemäß Rz 208). 6. Unterlässt der Abteilungsleiter die Verständigung, so fällt deren Vornahme in den Aufgabenbereich des für die Wahrnehmung der Rechte des Patienten zuständigen Patientenanwalts (LG Innsbruck 29. 11. 1991, 3b R 181/91). Die Einleitung des gerichtlichen Verfahrens ist nicht von einer Verständigung abhängig (Rz 325).
e) Eine Verständigung sonstiger Personen oder Behörden ist nicht vorgese- 220 hen und daher – sofern nicht im Einzelfall ein Ausnahmetatbestand zutrifft – wegen der bestehenden Verschwiegenheitspflichten grundsätzlich unzulässig. 1. Vgl näher Art 20 Abs 3 B-VG; § 9 KAKuG; § 54 ÄrzteG; RV 17 f; AB 6. Insb ist – abweichend von § 49 Abs 4 und § 51 Abs 2 KAG aF – keine Verständigung der BVB oder BPolDion vorzunehmen, wenn die Unterbringung ohne Mitwirkung eines Amts- oder Polizeiarztes erfolgte. 2. Die Verständigungspflicht gegenüber dem strafrechtlichen Vollzugsgericht gem § 54 Abs 4 StGB (betreffend eine allfällige Einlieferung gem § 9 UbG nach bedingter Entlassung aus der Maßnahme; Rz 157/2) gilt nur für die Sicherheitsbehörden, nicht auch für die Krankenanstalt bzw den Abteilungsleiter.
e) Rechtsschutz bei der Unterbringung in der Anstalt Die Überprüfung der „Zulässigkeit“ der Unterbringung ohne Verlangen er- 221 folgt im gerichtlichen Verfahren gem §§ 18 ff UbG. 1. Im Hinblick auf die Subsidiarität der Maßnahmebeschwerde gem Art 129a Abs 1 Z 2 B-VG wird die Zuständigkeit der UVS durch das gerichtliche Rechtsschutzsystem des UbG verdrängt, weil und insoweit dieses einen alternativen Rechtsweg zur Überprüfung unmittelbarer verwaltungsbehördlicher Zwangsakte eröffnet. Da die Zulässigkeit der Unterbringung ohne Verlangen in ihrem gesamten Umfang der gerichtlichen Überprüfung zugänglich ist, bleibt für eine Restkompetenz der UVS grundsätzlich kein Raum (Rz 310, 192). Dasselbe gilt im Hinblick auf den gerichtlichenRechtsschutz bei der Wiedereinbringung (Rz 187) und bei der Überstellung Untergebrachter zwischen psychiatrischen Anstalten (Rz 184/1). 2. Eine Ausnahme besteht dann, wenn zur Zulässigkeitsprüfung der Unterbringung aus 222 besonderen Gründen eine gerichtliche Zuständigkeit nicht einmal in abstracto besteht: Dies ist dann der Fall, wenn die Unterbringung nach dem Wirksamwerden einer gerichtlichen Unzulässigerklärung – rechtswidrigerweise – nicht aufgehoben wird (Rz 784) oder wenn die Unterbringung entgegen § 2 in einer nicht-psychiatrischen Anstalt vorgenommen wird, für die gem § 12 Abs 1 iVm § 2 kein Gericht örtlich und sachlich zuständig ist (UVS Stm 22. 2. 1994, 20.3-3/93). Zur Kontrolle von vollzugsinternen Zwangsakten während der Unterbringung vgl aber Rz 766.
Vierter Teil
Unterbringung auf Verlangen 1. Allgemeines 223 Die schon bisher vorgesehene Möglichkeit einer „freiwilligen Anhaltung“ wird vom UbG, wenngleich mit beträchtlichen Modifikationen, beibehalten: Der Patient kann seine Unterbringung grundsätzlich selbst verlangen: Gem § 4 Abs 1 darf eine Person, bei der die Voraussetzungen der Unterbringung vorliegen, auf eigenes Verlangen untergebracht werden, wenn sie den Grund und die Bedeutung der Unterbringung einzusehen und ihren Willen nach dieser Einsicht zu bestimmen vermag. Die Wirksamkeit des Aufnahmeverlangens hängt von formellen Voraussetzungen ab, die – ebenso wie das Erfordernis der Einsichts- und Urteilsfähigkeit – auf die Sicherstellung der Freiwilligkeit abzielen. Das Verlangen muss gem § 4 Abs 2 vor der Aufnahme gestellt werden und kann gem § 4 Abs 3 jederzeit, auch schlüssig, widerrufen werden. Auf dieses Recht hat der Abteilungsleiter den Aufnahmewerber vor der Aufnahme hinzuweisen. Ein Verzicht auf das Widerrufsrecht ist unwirksam. 1. Zur historischen Entwicklung Kopetzki II 584 ff. 2. Die Unterbringung auf Verlangen war im Zuge der Entstehung des UbG umstritten (StProtNR 15.997; StProtNR 15.608). Die Mehrheit entschied sich für die Beibehaltung, „da viele psychisch Kranke offenbar davor zurückscheuen, sich freiwillig in eine stationäre Behandlung zu begeben, deren Notwendigkeit gerichtlich überprüft werden müsste. Es liegt im wohlverstandenen Interesse psychisch Kranker, diese nicht davon abzuhalten, rechtzeitig ärztliche Behandlung in einer Anstalt in Anspruch zu nehmen“ (AB 3). Trotz dieser grundsätzlich positiven Haltung sollten zusätzliche Kontrollmöglichkeiten eingebaut werden (RV 15; AB 3, 7), die insb auf eine Sicherstellung der Freiwilligkeit des Aufnahmeverlangens abzielen. Bedenken, die Unterbringung auf Verlangen werde mit „bürokratischen Erschwernissen“ belastet, wurden vom Justizausschuss zurückgewiesen: „Die Voraussetzungen der Unterbringung auf Verlangen müssen gewährleisten, dass tatsächlich nur solche Kranke untergebracht werden, die damit – wirksam – einverstanden sind“ (AB 5).
a) Begriff und Konzeption a) Das entscheidende Begriffsmerkmal der Unterbringung auf Verlangen ist zunächst, dass ihr ein wirksames Aufnahmeverlangen des Patienten zugrunde liegt. Fehlt eine solches oder ist es, aus welchen Gründen immer, rechtlich unwirksam, dann liegt definitionsgemäß keine Unterbringung „auf Verlangen“, sondern eine Unterbringung „ohne Verlangen“ vor. Aus § 4 Abs 1 ergibt sich aber andererseits, dass auch die „Unterbringung auf Verlangen“ eine besondere Form der „Unterbringung“ darstellt. Nach der Legaldefinition des § 2 handelt es sich auch hier entweder um eine „Anhaltung in einem geschlossenen Bereich“ oder um eine „sonstige Beschränkung der Bewegungsfreiheit“. 225 b) Die Rechtsstellung des „auf Verlangen“ Untergebrachten unterscheidet sich von jener des „ohne Verlangen“ Untergebrachten nur darin, dass kein gerichtliches Verfahren durchzuführen ist (§ 17) und dass der Patientenanwalt 224
1. Allgemeines
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nicht ex lege zum Vertreter des Untergebrachten wird (§ 14). Auf den Vollzug der Unterbringung auf Verlangen finden hingegen dieselben Regelungen Anwendung – einschließlich der Zwangsbefugnisse der Anstalt und der gerichtlichen Kontrollzuständigkeiten bei Beschränkungen und Behandlungen (§§ 33 ff ). Nur die Gesamtdauer der Unterbringung auf Verlangen ist zeitlich auf höchstens zehn Wochen beschränkt (§ 7). 1. Da keine Unterschiede hinsichtlich der materiellen Voraussetzungen oder der rechtli- 226 chen Ausgestaltung des Vollzugs bestehen (OGH 22. 10. 1992, 1 Ob 599/92, JBl 1993, 456; Rz 234, 277), liegt dem UbG eine einheitliche Konzeption der Unterbringung zugrunde. Der Unterschied erschöpft sich im verfahrensrechtlichen Aspekt, dass die Unterbringung ohne Verlangen durch Initiative der Anstalt oder der Sicherheitsbehörden eingeleitet wird, die Unterbringung auf Verlangen hingegen auf Verlangen des Kranken selbst. Zum Bedeutungswandel gegenüber dem KAG aF Kopetzki II 589 ff. 2. Dass sich die „Freiwilligkeit“ bei der Unterbringung auf Verlangen im freiwilligen Ein- 227 tritt in die Unterbringung erschöpft, zeigt sich insb in den Rechtsfolgen eines Widerrufs (§ 4 Abs 3) des Verlangens. Aus § 11 Z 2 iVm § 10 geht hervor, dass die Unterbringung „auf Verlangen“ nach einem Widerruf als Unterbringung „ohne Verlangen“ fortgesetzt wird, sofern nur die materiellen Voraussetzungen weiter vorliegen (AB 6). Der Patient hat durch den Widerruf daher lediglich die Möglichkeit, diese „Umwandlung“ der freiwilligen in die zwangsweise Unterbringung und den damit verbundenen Rechtsschutz auszulösen. Die Widerrufsmöglichkeit verschafft ihm keine zusätzliche Entlassungschance, sondern ein Instrument zur Herbeiführung der gerichtlichen Kontrolle. Sobald bei einem in der Anstalt befindlichen Patienten die Unterbringungsvoraussetzungen erfüllt sind, hat er nur die Wahl zwischen einer freiwilligen und einer unfreiwilligen Unterbringung, nicht aber zwischen einer Unterbringung und der Freilassung (OGH JBl 1993, 456).
b) Erscheinungsformen, Abgrenzungen, Rechtsnatur a) Die Unterbringung auf Verlangen kann – entsprechend den Varianten des 228 Unterbringungsbegriffs in zwei Erscheinungsformen auftreten: Als Anhaltung in einem geschlossenen Bereich oder als sonstige Beschränkung der Bewegungsfreiheit außerhalb geschlossener Bereiche. Die sonstige Beschränkung der Bewegungsfreiheit kann sich – wie auch sonst – auf die 229 Anstalt in ihrer Gesamtheit, auf einzelne Bereiche oder auf ein einziges Zimmer beziehen (vgl Rz 50). Weitergehende „engere“ Beschränkungen der Bewegungsfreiheit eines Anstaltspatienten innerhalb eines Raumes (zB Netzbett, Anbinden, Zwangsjacke etc) können hingegen (anders also bei der Unterbringung ohne Verlangen: Rz 50) nicht als selbständige „Unterbringung auf Verlangen“ qualifiziert werden. Zwar fallen auch derartige Beschränkungen isoliert betrachtet unter den Begriff der „Unterbringung“ iSd § 2. Als eigenständige Erscheinungsform einer „Unterbringung auf Verlangen“ scheiden sie aber aus, weil der bereits in der Anstalt aufgenommene Patient ein entsprechendes Verlangen auf eine einzelne Beschränkung seiner Bewegungsfreiheit gar nicht mehr wirksam stellen könnte: Gem § 4 Abs 2 muss das Verlangen vor der Aufnahme gestellt werden. Die Unterbringung auf Verlangen kann daher immer nur auf die Aufnahme als solche bezogen sein. Das bedeutet zugleich, dass kurzfristige und vom Willen umfasste Beschränkungen eines nicht-untergebrachten (in seiner Bewegungsfreiheit sonst nicht beschränkten) Patienten innerhalb eines Raumes für sich genommen keine Unterbringung darstellen (Rz 58).
b) Die Unterbringung auf Verlangen ist ihrerseits von anderen freiwilligen 230 Aufnahmen in psychiatrische Anstalten bzw Abteilungen abzugrenzen, die nicht mit Freiheitsentzug verbunden sind. Nach dem UbG gibt es nun zwei Erscheinungsformen eines freiwilligen Aufenthaltes: die Unterbringung auf Verlangen und die „sonstige“ – nicht mit Bewegungsbeschränkungen verbundene – Aufnahme (§ 11 Z 1). Letztere fällt nicht unter den Begriff der Unter-
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IV. Teil: Unterbringung auf Verlangen
bringung iSd § 2, unterliegt den allgemeinen Regeln des KAKuG über die Aufnahme und Behandlung in Krankenanstalten und muss voraussetzungsgemäß freiwillig und frei von Bewegungsbeschränkungen sein (vgl RV 15). 231
1. Solche „gewöhnlichen“ Aufnahmen sind nur im offenen Bereich zulässig; im geschlossenen Bereich dürfen ausschließlich Unterbringungen iSd UbG stattfinden (§ 38a Abs 3 KAKuG). Außerhalb der Unterbringung gibt es keine „freiwillige“ Betreuung in geschlossenen Bereichen (OGH 22. 10. 1992, 1 Ob 599/92, JBl 1993, 455). 2. Die rechtliche Qualifikation der sonstigen Aufnahme unterscheidet sich nicht von Aufnahmen in anderen Krankenanstalten. Nach hA liegt ein zivilrechtlicher Vertrag vor.
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c) Die Unterbringung auf Verlangen beruht – anders als die sonstigen Aufnahmen des § 11 Z 1 – nicht auf einem zivilrechtlichen Behandlungsvertrag. Wegen der weitgehenden Parallelen zur Unterbringung ohne Verlangen ist ein öffentlichrechtliches Anstaltsverhältnis anzunehmen, welches den für die Hoheitsverwaltung geltenden Regeln der Bundesverfassung unterliegt. 3
1. Kopetzki II 591 f; aM Hopf/Aigner § 5 Anm 5; Schragel, AHG 152. Strittig, doch von geringer Bedeutung ist, ob auch die Unterbringung auf Verlangen der „unmittelbaren verwaltungsbehördlichen Zwangsgewalt“ iSd Art 129a B-VG unterfällt. Für das freiheitsentziehende Grundverhältnis wird dies im Hinblick auf das Aufnahmeverlangen grundsätzlich zu verneinen sein (UVS Wien 24. 7. 1991, 02/32/22/91). Da zur Kontrolle der freiwilligen Anhaltungen aber ein gerichtlicher Rechtsschutzweg besteht (Rz 287 f ), kommt es auf die Zuordnung zu den Beschwerdegegenständen des Verwaltungsrechtsschutzes nicht an. 2. Zwangsakte im Vollzug der Unterbringung auf Verlangen sind – da insofern dieselbe 233 Rechtslage besteht wie bei der Unterbringung ohne Verlangen und diese Maßnahmen nicht auf Freiwilligkeit beruhen – als Akte unmittelbarer behördlicher Befehls- und Zwangsgewalt zu deuten. Insofern kommt eine Beschwerde nach Art 129a Abs 1 Z 2 B-VG – soweit kein gerichtlicher Rechtsweg offensteht – in Betracht (zB bei einer Briefzensur oder bei Beschränkungen des Wahlrechts). Zum Rechtsschutz im Vollzug Rz 720 ff.
c) Materielle Voraussetzungen 234 Da § 4 Abs 1 auf die „Voraussetzungen der Unterbringung“ verweist, entsprechen die materiellen Voraussetzungen jenen der Unterbringung ohne Verlangen. Eine psychische Krankheit, eine damit im Zusammenhang stehende ernstliche und erhebliche Gefährdung des (eigenen oder fremden) Lebens oder der Gesundheit sowie der Mangel von Behandlungs- und Betreuungsalternativen müssen auch bei der Unterbringung auf Verlangen vorliegen. Allerdings ist die bei der Unterbringung auf Verlangen vorliegende Einsichts- und Urteilsfähigkeit (§ 4 Abs 1) in die Beurteilung der Gefährdungs- und Subsidiaritätskriterien des § 3 einzubeziehen: So muss im Rahmen des Subsidiaritätsgrundsatzes (§ 3 Z 2) geprüft werden, ob ein Kranker, der die Aufnahme ohnehin selbst will, aufgrund seiner bestehenden Einsichtsfähigkeit nicht ohne Bewegungsbeschränkungen aufgenommen werden kann, was als gelindere Alternative zur Unterbringung iSd § 3 Z 2 vorzuziehen wäre (Rz 130).
2. Das Aufnahmeverlangen a) Allgemeines 235 Das Aufnahmeverlangen muss, um rechtlich wirksam zu sein, gem § 4 sowohl materielle (Einsichts- und Urteilsfähigkeit) als auch formelle (Zeitpunkt, Form) Voraussetzungen erfüllen. 1. Diese Voraussetzungen gelten sowohl für das erstmalige Verlangen als auch für das „erneute“ Verlangen auf Verlängerung gem § 7. Vgl aber Rz 276.
2. Das Aufnahmeverlangen
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2. Sobald ein rechtswirksames Unterbringungsverlangen vorliegt, ist ein Vorgehen nach 236 den Regeln der „Unterbringung ohne Verlangen“ nicht zulässig (wie hier LG St. Pölten 2. 10. 2002, 10 R 77/02d). Die „Unterbringung ohne Verlangen“ setzt begrifflich das Fehlen eines derartigen „Verlangens“ voraus. Insofern kommt der Unterbringung auf Verlangen eine Vorrangstellung zu. Ist hingegen auch nur eine der Voraussetzungen des § 4 nicht erfüllt, so liegt kein rechtserhebliches Verlangen und demnach auch keine „Unterbringung auf Verlangen“ vor. Ein fehlerhaftes, dh: den Bedingungen des § 4 nicht entsprechendes Unterbringungsverlangen, führt nicht zu einer fehlerhaften Unterbringung auf Verlangen, sondern zu einer – wegen Verfahrensmängeln dann regelmäßig ebenfalls fehlerhaften – Unterbringung ohne Verlangen (wie hier LG Salzburg 24. 5. 2005, 21 R 182/05v; vgl auch Rz 288). Das hat insb für nicht einsichts- und urteilsfähige Patienten Bedeutung: Da ihnen die erforderliche Erklärungsfähigkeit fehlt, kommt bei ihnen immer nur eine Unterbringung ohne Verlangen in Betracht (vgl OGH 16. 9. 1993, 2 Ob 571/93, ÖAV 1994, 108 = EvBl 1994/68). 3. Eine Aufnahmepflicht der Anstalt besteht aus § 22 Abs 4 KAKuG auch gegenüber frei- 237 willigen Aufnahmewerbern, sobald die materiellen Unterbringungsvoraussetzungen erfüllt sind. Zur Begründung Rz 196 ff.
b) „Verlangen“ Der Patient muss die Unterbringung selbst verlangen. Der Begriff des „Ver- 238 langens“ iSd § 4 Abs 1 bringt zum Ausdruck, dass es auf eine positive und – außer bei unmündigen Minderjährigen – höchstpersönliche Willenserklärung des Aufnahmewerbers ankommt. Eine Unterbringung, die zwar nicht gegen, aber doch ohne den Willen des Betroffenen stattfindet, ist daher keine Unterbringung „auf“ Verlangen, sondern eine Unterbringung „ohne“ Verlangen. Aus den strengen Formerfordernissen der Eigenhändigkeit und der Schriftlichkeit ist weiters abzuleiten, dass es sich um eine ausdrückliche Willenserklärung handeln muss. 1. Kann oder will der Patient der Unterbringung weder zustimmen noch widersprechen, so scheidet eine Unterbringung auf eigenes Verlangen aus (RV 21). 2. Eine Substitution des Aufnahmeverlangens durch den Erziehungsberechtigten sieht § 5 Abs 2 nur bei unmündigen Minderjährigen vor (Rz 265). Ein ersatzweises Verlangen in anderen Fällen kommt daher nicht in Betracht, weil die Mitwirkungsmöglichkeiten der gesetzlichen Vertreter und Sorgeberechtigten abschließend geregelt sind. Vgl auch AB 3. 3. Ein konkludentes Verlangen, das erst aus den Begleitumständen des Verhaltens zu er- 239 schließen ist, genügt ebensowenig wie die stillschweigende Duldung der Unterbringung.
c) Form Das Aufnahmeverlangen muss gem § 4 Abs 2 eigenhändig, schriftlich und 240 in Gegenwart des Abteilungsleiters (bzw seines Vertreters) sowie eines weiteren Facharztes für Psychiatrie und Neurologie gestellt werden. Dabei ist die gleichzeitige Anwesenheit beider Fachärzte erforderlich. 1. Diese Formvoraussetzungen dienen insb der Beweissicherung: Sie sollen die „Nachvollziehbarkeit der Freiwilligkeit der Aufnahmeerklärung“ gewährleisten (RV 15). Dass durch das Erfordernis der Eigenhändigkeit schreibunfähige Patienten von der Unterbringung „auf Verlangen“ schlechthin ausgeschlossen werden, ist unter dem Aspekt des Gleichheitssatzes allerdings nicht zu rechtfertigen. 2. Das Erfordernis der Eigenhändigkeit bedeutet, dass das Verlangen vom Patienten 241 selbst geschrieben und unterschrieben sein muss. Es kann daher durch die bloße Unterfertigung eines Vordrucks nicht mehr wirksam gestellt werden. Nach LG Salzburg 24. 5. 2005, 21 R 182/05v, erfüllen auch die vom Patienten auf einem von der Klinik aufgelegten Form-
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IV. Teil: Unterbringung auf Verlangen
blatt mit der Aufschrift „Eigenhändige Einverständniserklärung“ geschriebenen Worte „Ich bleibe freiwillig im geschlossenen Bereich“ nicht die Bedingungen der Eigenhändigkeit. 3. Da das Verlangen „in Gegenwart“ des Abteilungsleiters (bzw seines Vertreters) sowie 242 eines weiteren Facharztes für Psychiatrie (vgl Rz 69/1 und 203) „gestellt werden muss“ (§ 4 Abs 2), müssen beide Ärzte bei der schriftlichen Abfassung des Verlangens gleichzeitig anwesend sein. Die Abgabe des Verlangens vor der aufnehmenden Assistenzärztin und einer Krankenschwester genügt jedenfalls nicht (LG Salzburg 24. 5. 2005, 21 R 182/05v). Wenngleich man die Sinnhaftigkeit dieser „doppelten“ Anwesenheit zweier regelmäßig in einem gegenseitigen Abhängigkeitsverhältnis stehender Ärzte bezweifeln kann, lässt sich die eindeutige Aussage des Gesetzes nicht weginterpretieren. Der Auffassung, es genüge allenfalls auch eine zweimalige Aufnahmeerklärung vor jeweils einem Facharzt (Hopf/Aigner § 4 Anm 7), ist entgegenzuhalten, dass § 4 Abs 2 UbG eben eine Erklärung („das Verlangen“) in Gegenwart zweier Ärzte („sowie“) fordert. Das zu einem späteren Zeitpunkt abgegebene zweite Verlangen wäre außerdem in der Regel ohnehin unwirksam, weil es entgegen § 4 Abs 2 nicht mehr „vor der Aufnahme“ erfolgen würde. 4. Zum Begriff des Abteilungsleiters Rz 70.
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d) Zeitpunkt Das Unterbringungsverlangen muss gem § 4 Abs 2 vor der Aufnahme gestellt werden. Während einer bereits bestehenden Unterbringung ohne Verlangen kann ein Verlangen nicht mehr rechtswirksam erklärt werden. 1. Die Regelung über den Zeitpunkt des Verlangens richtet sich gegen die Praxis, eine bereits eingeleitete Zwangsanhaltung durch Unterfertigung einer sog „Freiwilligkeitserklärung“ in eine „freiwillige“ Anhaltung umzuwandeln und so den Verfahrensgegenstand des gerichtlichen Verfahrens zum Wegfall zu bringen. Damit scheiden künftig auch alle auf eine solche Umwandlung abzielenden „Aushandlungsprozesse“ aus (LG St. Pölten 23. 9. 1992, R 8/92; 23. 9. 1992, R 692/92). 2. Ein Verlangen kann daher nicht mehr wirksam gestellt werden, wenn sich der Patient bereits auf einer geschlossenen Station befindet (LG Salzburg 24. 5. 2005, 21 R 182/05v). 3. Eine Umgehung dieser Vorschrift durch formale („administrative“) Entlassung (bzw Aufhebung der Unterbringung) und eine sofort anschließende freiwillige „Neuaufnahme“ (auf Grundlage eines demnach „vor“ der Aufnahme abgegebenen Verlangens) ist unzulässig. 4. Die Wendung „vor der Aufnahme“ schließt auch ein Verlangen bereits aufgenommener, jedoch noch nicht untergebrachter Patienten aus, da die §§ 4 ff zwischen „Unterbringung“ und „Aufnahme“ differenzieren. Die Unterbringung auf Verlangen muss daher mit der Aufnahme in die Anstalt zusammenfallen und kann nach bereits erfolgter Aufnahme nicht mehr erfolgen. Spätestmöglicher Zeitpunkt ist demnach die „Aufnahmeuntersuchung“ iSd § 6 UbG (LG St. Pölten 23. 9. 1992, R 692/92). 5. Bei Anstalten, die neben psychiatrischen auch andere Abteilungen führen, ist mit dem Begriff der „Aufnahme“ iSd § 4 Abs 2 nicht die Aufnahme in die Anstalt als ganzes, sondern lediglich die Aufnahme in die psychiatrische Abteilung gemeint. Ambulant betreute Patienten oder Patienten anderer (nicht-psychiatrischer) medizinischer Abteilungen einer allgemeinen Krankenanstalt können ihre Unterbringung nach wie vor selbst verlangen. 6. Zweifelhaft ist, ob ein Aufnahmeverlangen auch von jenen Personen wirksam gestellt werden kann, die zuvor zwangsweise – insb durch Sicherheitsorgane gem § 9 UbG und § 46 SPG – der Anstalt vorgeführt worden sind. Der Wortlaut des § 4 Abs 2 UbG schließt dies nicht aus, solange das Verlangen nur „vor der Aufnahme“ erklärt wird. Dem steht jedoch entgegen, dass die zwangsweise Vorführung im systematischen Kontext der „Unterbringung ohne Verlangen“ normiert ist (§§ 8 ff), während § 4 Abs 2 mit dem Begriff des „Aufnahmewerbers“ eher jene Person ansprechen dürfte, die von sich aus die Anstalt aufsucht. Auch aus teleologischer Sicht lässt sich der Ausschluss einer Unterbringung auf Verlangen nach bereits erfolgter „Aufnahme“ als Ausdruck eines allgemeineren Prinzips deuten, welches sich gegen jedes Unterbringungsverlangen im Status des Freiheitsentzuges wenden lässt.
2. Das Aufnahmeverlangen
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e) Einsichts- und Urteilsfähigkeit a) Eine Unterbringung auf eigenes Verlangen ist nur zulässig, wenn die 248 betreffende Person den Grund und die Bedeutung der Unterbringung einzusehen und ihren Willen nach dieser Einsicht zu bestimmen vermag (Einsichtsund Urteilsfähigkeit) (§ 4 Abs 1). Das Unterbringungsverlangen darf sich nicht in einem rein formalen äußeren Erklärungstatbestand erschöpfen. Die ergänzenden Regelungen des § 6 Abs 1 über die Feststellung und Dokumentation dieser Einsichts- und Urteilsfähigkeit unterstreichen die Bedeutung, die das UbG der Sicherstellung einer ausreichenden Entscheidungsfähigkeit beimisst. Das Vorliegen einer eigenhändigen schriftlichen Erklärung ist also nur eine notwendige, aber noch keine hinreichende Voraussetzung für ein wirksames Unterbringungsverlangen. 1. Es kommt nicht auf die zivilrechtliche Geschäftsfähigkeit an, sondern auf die Fähigkeit 249 zur Bildung eines „natürlichen Willens“ (RV 21; Hopf/Aigner § 4 Anm 4). Einschränkungen der Geschäftsfähigkeit – etwa kraft Sachwalterbestellung oder bei Minderjährigkeit – hindern die Wirksamkeit des Unterbringungsverlangens nicht; für nicht eigenberechtigte Personen gelten aber zusätzliche Zustimmungserfordernisse (Rz 256 ff ). 2. Bei der Beurteilung der Einsichts- und Urteilsfähigkeit ist darauf abzustellen, ob der Patient „Grund und Bedeutung der Unterbringung“ einsehen („Diskretionsfähigkeit“) und seinen Willen nach dieser Einsicht bestimmen kann („Dispositionsfähigkeit“). Diese Einsicht muss über die Einsicht in die therapeutische Notwendigkeit des Anstaltsaufenthaltes hinausgehen: Grund und Bedeutung der Unterbringung sieht nur ein, wer die wesentlichen Merkmale der freiwilligen Unterbringung zumindest im Grundsätzlichen begreift: Der Patient muss sowohl über die typischen Merkmale der Unterbringung auf Verlangen – also die Beschränkungen der Bewegungsfreiheit – sowie über ihre wichtigsten Rechtsfolgen – insb den Entfall des gerichtlichen Kontrollverfahrens – informiert sein. Krankheitsbedingte Motive für die Abgabe eines Verlangens machen dieses jedoch nicht ungültig. 3. Da die Einsichts- und Urteilsfähigkeit innerhalb einer gewissen Bandbreite nur mit Kategorien des „mehr oder weniger“, nicht des „entweder oder“ erfasst werden kann, besteht für die Ärzte in der Praxis ein erheblicher Beurteilungsspielraum. Zu den medizinischen Beurteilungskriterien der Einsichts- und Urteilsfähigkeit vgl Helmchen, Einwilligung, in Müller (Hg), Lexikon der Psychiatrie2 (1986) 221 ff. Vgl auch Rz 620 ff. 4. Fehlt die Einsichts- und Urteilsfähigkeit, dann kommt eine Unterbringung auf Verlan- 250 gen nicht in Frage; der Patient ist entweder gar nicht oder – wenn die sonstigen Unterbringungsvoraussetzungen vorliegen – „ohne Verlangen“ unterzubringen.
b) Die Beurteilung der Einsichts- und Urteilsfähigkeit obliegt zunächst je- 251 nen beiden Ärzten (Abteilungsleiter, Facharzt), welche die Aufnahmeuntersuchung (Rz 271 ff) durchführen und schließlich dem Abteilungsleiter, der aufgrund dieser beiden ärztlichen Zeugnisse über die Unterbringung entscheidet. 1. Diese ärztliche Beurteilung ist aber nicht endgültig: Die letzte Entscheidung, ob die tat- 252 bestandsmäßigen Voraussetzungen für die amtswegige Durchführung des gerichtlichen Unterbringungsverfahrens vorliegen – und dazu gehört auch das Fehlen eines wirksamen Unterbringungsverlangens – liegt immer beim Gericht. Hat das Gericht Zweifel an der Einsichtsfähigkeit eines auf Verlangen aufgenommenen Patienten, dann kann und muss es sich selbst ein Bild von dem Kranken machen und – wenn es die Einsichtsfähigkeit verneint – das Unterbringungsverfahren einleiten. In der Realität ist diese gerichtliche Kontrollmöglichkeit allerdings dadurch beschränkt, dass das Gericht von den „freiwilligen“ Patienten – mangels Anzeigepflicht (vgl § 17) – in der Regel keine Kenntnis hat. Ergänzend sieht daher § 14 Abs 3 vor, dass der Patientenanwalt zu einer Mitteilung an den Abteilungsleiter verpflichtet ist, sobald er Zweifel an der Wirksamkeit des Verlangens hat; im Konfliktfall steht ihm eine Mitteilung an das Gericht offen (LG Innsbruck 29. 11. 1991, 3b R 181/91).
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IV. Teil: Unterbringung auf Verlangen
2. Die Beurteilung der Einsichts- und Urteilsfähigkeit im Rahmen der Aufnahmeuntersuchung muss auch Gegenstand der ärztlichen Zeugnisse sein (§ 6 Abs 1) und ist nach den Regeln des § 6 Abs 2 in der Krankengeschichte zu dokumentieren. Vgl Rz 271,
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c) Die Einsichts- und Urteilsfähigkeit ist keine begleitende Voraussetzung der „Unterbringung auf Verlangen“; sie muss lediglich zum Zeitpunkt des Unterbringungsverlangens gegeben sein. Der freiwillige Aufenthalt muss nicht ununterbrochen vom Willen des einsichtsfähigen Patienten getragen sein. Ebenso Hopf/Aigner § 4 Anm 3; LG St. Pölten 2. 10. 2002, 10 R 77/02d. Die Unterbringung auf Verlangen muss zwar ursprünglich, aber nicht fortlaufend von einem rechtserheblichen Willen getragen sein. Sie dient gerade dem Zweck, dass der Patient zu einem Zeitpunkt, zu dem er zu einer eigenen Disposition noch fähig ist, eine Vorkehrung für jenen Zeitraum treffen kann, in dem er diese Fähigkeit vorübergehend verloren hat (RV 15; vgl auch RV 22).
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d) Die Vorschriften des § 4 über die Form und den Zeitpunkt des Unterbringungsverlangens sowie die dafür erforderliche Erklärungsfähigkeit sollen eine selbstbestimmte Entscheidung über die Unterbringung auf Verlangen garantieren. Sie bezwecken einen umfassenden Schutz der freien Willensbildung und bringen insofern einen allgemeinen Grundsatz zum Ausdruck, der auch alle sonstigen Beeinträchtigungen der Willensbildung wie List, Zwang, Drohung und Irrtum als Gründe für eine Unwirksamkeit des Verlangens umfasst. Jeder Willensmangel beeinträchtigt daher grundsätzlich die Wirksamkeit des Unterbringungsverlangens.
1. Vgl UVS Stm 21. 10. 1996, 20.3-7/96 (kein wirksames Aufnahmeverlangen, wenn Betroffener nur deshalb in die Krankenanstalt mitgekommen ist, weil ihm vom Distriktsarzt die zwangsweise Verbringung angedroht worden ist); UVS Stm 11. 5. 1998, 20.3-51/97 (in Anwesenheit von vier Gendarmeriebeamten und bei der unmissverständlichen Aufforderung, in den Rettungswagen einzusteigen, kann keine Freiwilligkeit angenommen werden). 2. Im Umstand, dass der Aufnahmewerber möglicherweise auch dann mit seiner Unter255 bringung rechnen muss, wenn er kein „Verlangen“ iSd § 4 stellt, liegt noch kein Hindernis für die Rechtswirksamkeit des Verlangens: Da sich der Betroffene zum Zeitpunkt eines Verlangens bereits in der Anstalt befinden muss und den Anstaltsorganen – die Erfüllung der materiellen Unterbringungsvoraussetzungen unterstellt – dann immer auch die Verhängung einer Unterbringung „ohne“ Verlangen zur Verfügung steht, wäre die Abgabe eines wirksamen Verlangens anderenfalls überhaupt unmöglich.
f) Personen mit Sachwalter 256 Für die Unterbringung auf Verlangen bei nicht voll eigenberechtigten Personen, also Minderjährigen und Personen unter Sachwalterschaft, bestehen weitergehende Zustimmungserfordernisse (§ 5 Abs 1 bis 3). Außer bei Unmündigen (Rz 265) kommen dem gesetzlichen Vertreter bzw dem Erziehungsberechtigten aber nur zusätzliche, zum persönlichen Verlangen des Betroffenen hinzutretende Erklärungsbefugnisse zu; sie können dieses Verlangen nicht substituieren.
a) Eine Person, der ein Sachwalter bestellt ist, dessen Wirkungskreis Willenserklärungen zur Unterbringung in einer Anstalt umfasst, darf gem § 5 Abs 1 nur auf eigenes Verlangen untergebracht werden, wenn – zusätzlich zum Unterbringungsverlangen des Betroffenen – der Sachwalter zustimmt. Diese Zustimmung ist nicht mit einem parallelen Unterbringungsverlangen des Sachwalters gleichzusetzen. Fehlt dem Patienten die erforderliche Einsichtsfähigkeit, dann scheidet eine „Unterbringung auf Verlangen“ aus.
2. Das Aufnahmeverlangen
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b) Wann der Wirkungskreis des Sachwalters „Willenserklärungen zur Unter- 257 bringung in einer Anstalt“ (§ 5 Abs 1 UbG) umfasst, ist im Einzelfall durch Auslegung des im gerichtlichen Bestellungsbeschluss umschriebenen Wirkungskreises (§ 273 Abs 3 ABGB) zu beurteilen. 1. Immer zu bejahen ist dies bei einem Sachwalter für alle Angelegenheiten nach § 273 Abs 3 Z 3 ABGB. Bei eingeschränkten Wirkungskreisen gem § 273 Abs 3 Z 1 oder 2 ABGB kommt es auf die konkrete Festlegung und die Auslegung des Beschlusses an. 2. Die Zustimmungsbefugnis des Sachwalters ergibt sich nicht schon aus den allgemeinen 258 Betreuungspflichten des § 282 Abs 2 ABGB. Maßgeblich ist die gerichtliche Umschreibung des Wirkungskreises gem § 273 Abs 3 ABGB. Anderenfalls wäre der Hinweis auf den „Wirkungskreis“ in § 5 Abs 1 UbG überflüssig.
c) Für die Zustimmung des Sachwalters gelten geringere formale Anforde- 259 rungen als für das Unterbringungsverlangen des Betroffenen: Es genügt eine eigenhändige schriftliche Erklärung (§ 5 Abs 3), die jedoch nicht in Gegenwart der Ärzte abgegeben werden muss. 1. Vgl RV 21; AB 5. Der Sachwalter muss daher auch nicht persönlich anwesend sein. 2. Auch die (schriftliche) Zustimmung des Sachwalters muss – da es sich um eine von Anfang an zu erfüllende Zulässigkeitsbedingung der Unterbringung auf Verlangen handelt – vor Beginn der Unterbringung vorliegen (LG Salzburg 13. 11. 2003, 21 R 406/03g, EFSlg 105.080: telefonische Zustimmung genügt nicht). Kann die Zustimmung des Sachwalters nicht erlangt werden, so ist eine Unterbringung auf Verlangen nicht möglich (LG Linz 2. 3. 1992, 18 R 119/92: Maßgeblich ist, ob die Zustimmung tatsächlich eingeholt wurde, nicht hingegen, ob dies „geplant“ war). Erfolgt die Bestellung des Sachwalters erst nach Beginn der Unterbringung auf Verlangen, dann ist wohl die nachträgliche Zustimmung des Sachwalters einzuholen, weil sich dessen Zustimmung nicht auf das (bereits gestellte) Unterbringungsverlangen des Betroffenen, sondern auf die (andauernde) Unterbringung bezieht (arg § 5 Abs 4: „ihr zuzustimmen hat“). Das gilt sinngemäß für den Fall, dass der Wirkungskreis eines bereits bestellten Sachwalters im Nachhinein auf Willenserklärungen iSd § 5 Abs 1 erweitert wird. Eine nachträgliche Zustimmung wird auch einzuholen sein, wenn der Anstalt zum Zeitpunkt des Unterbringungsverlangens eine bereits erfolgte Sachwalterbestellung nicht bekannt war. 3. Die Zustimmung des Sachwalters zur Unterbringung auf Verlangen bedarf grundsätz- 260 lich nicht auch noch der Genehmigung des zuständigen Pflegschaftsgerichts als „wichtige Angelegenheit“ iSd § 216 iVm § 282 ABGB, weil der Sinn der Unterbringung auf Verlangen gerade in der Ausschaltung der Gerichtskontrolle liegt (Hopf/Aigner § 5 Anm 4). Diese Zielsetzung wäre vereitelt, wollte man das vom UbG bewusst nicht vorgesehene Gerichtsverfahren über den Umweg des § 216 ABGB wieder einführen. Allerdings können die zu erwartenden Kosten des Anstaltsaufenthaltes im Einzelfall durchaus die Einholung einer Genehmigung erforderlich machen, wenn sie über den „ordentlichen Wirtschaftsbetrieb“ iSd § 154 Abs 3 iVm § 282 ABGB hinausgehen (insb dann, wenn die Kosten nicht durch den Krankenversicherungs- oder Sozialhilfeträger gedeckt sind, vgl Hopf/Aigner § 5 Anm 5).
g) Minderjährige Ein Minderjähriger darf gem § 5 Abs 2 nur dann „auf Verlangen“ unter- 261 gebracht werden, wenn die Erziehungsberechtigten und, wenn er mündig ist, auch er selbst die Unterbringung verlangen. Zusätzlich ist die Zustimmung des gesetzlichen Vertreters erforderlich (§ 5 Abs 2 letzter Satz). Zwischen mündigen und unmündigen Minderjährigen ist daher zu differenzieren. 1. Minderjährige sind gem § 21 Abs 2 ABGB Personen, die das 18. Lebensjahr noch nicht vollendet haben. Mündig ist ein Minderjähriger, der das 14. Lebensjahr vollendet hat. Unmündig ist ein Minderjähriger, der das 14. Lebensjahr noch nicht vollendet hat. 2. Zu den Sonderregelungen für den Widerruf des Verlangens vgl Rz 269 f.
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IV. Teil: Unterbringung auf Verlangen
a) Für mündige Minderjährige ist das Verlangen kumulativ sowohl durch die Erziehungsberechtigten als auch durch den Minderjährigen selbst zu stellen (§ 5 Abs 2). Dem bereits mündigen Minderjährigen wird dadurch ein seinem Alter entsprechendes Mitentscheidungsrecht bei der Unterbringung auf Verlangen eingeräumt. Für das parallele Verlangen des(r) Erziehungsberechtigten gelten dieselben Erfordernisse wie für das Verlangen des Patienten (eigenhändig, schriftlich, in Gegenwart beider Ärzte). Zusätzlich ist auch in diesem Fall die Zustimmung des gesetzlichen Vertreters nötig. Fehlt es bei einem mündigen Minderjährigen an der für eine freie Willensentscheidung erforderlichen Einsichts- und Urteilsfähigkeit, so kommt eine Unterbringung auf eigenes Verlangen nicht in Betracht, da das Verlangen der Erziehungsberechtigten allein hiefür – im Gegensatz zum Unmündigen – nicht ausreicht; diesfalls ist eine Unterbringung ohne Verlangen durchzuführen.
1. Mit den Erziehungsberechtigten sind die Träger der Pflege und Erziehung (§§ 144 ff ABGB) gemeint. Das sind idR (nicht immer) die Eltern (näher §§ 145, 176 ABGB), bei unehelichen Minderjährigen die Mutter (§ 166 ABGB). Ausführlich Hopf/Aigner § 5 Anm 7 ff. Steht die Erziehung zwei Personen zu, ist – abweichend vom Einzelvertretungsrecht des § 154 ABGB – die Zustimmung beider (arg „die Erziehungsberechtigten“) erforderlich. 2. Vom Unterbringungsverlangen des(r) Erziehungsberechtigten ist die Zustimmung des 264 gesetzlichen Vertreters zu unterscheiden. Hiefür genügt – ebenso wie beim Sachwalter – die eigenhändige Schriftform. Praktische Bedeutung kommt dieser neben dem „Verlangen“ zu erteilenden Zustimmung nur zu, wenn die Befugnisse zur gesetzlichen Vertretung einerseits und zur Pflege und Erziehung andererseits auseinanderfallen. Steht beiden Elternteilen die gesetzliche Vertretung, nicht aber die Erziehungsberechtigung zu, so genügt die Zustimmung eines von ihnen (§ 154 Abs 1 ABGB). Stehen dem (den) Erziehungsberechtigten – was in der Regel zutreffen wird – zugleich die gesetzliche Vertretung zu, dann schließt das aus dem Titel der Erziehungsberechtigung gestellte Unterbringungsverlangen auch die „Zustimmung des gesetzlichen Vertreters“ ein (Hopf/Aigner § 5 Anm 11).
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b) Bei unmündigen Minderjährigen – und nur in diesem Fall – ist das Unterbringungsverlangen ausschließlich durch die Erziehungsberechtigten zu stellen. Zusätzlich zum Verlangen der Erziehungsberechtigten ist auch hier die Zustimmung des gesetzlichen Vertreters notwendig (§ 5 Abs 2 2. Satz). 1. Ein höchstpersönliches Verlangen des unmündigen Minderjährigen ist nach § 5 Abs 2 nicht erforderlich. Der Unterbringung „auf Verlangen“ bei unmündigen Minderjährigen liegt somit gar keine Willenserklärung des Patienten zugrunde. Folglich spielt auch die Frage nach der Einsichts- und Urteilsfähigkeit des Minderjährigen hier keine Rolle. Sie wird ihm vom Gesetzgeber – „freilich in einer schematischen Weise“ – wegen des geringen Alters schlechthin abgesprochen (RV 21); verfassungsrechtliche Bedenken bei Kopetzki II 607 f. 2. Für das „Verlangen“ des Erziehungsberechtigten und die „Zustimmung“ des gesetzlichen Vertreters vgl sinngemäß Rz 262 ff. Vgl dazu auch BMAGS, Erlass RdM 1999, 59.
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h) Widerruf des Verlangens a) Das Unterbringungsverlangen kann „jederzeit, auch schlüssig, widerrufen werden“ (§ 4 Abs 3). Durch die Formfreiheit des jederzeit möglichen Widerrufs ist sichergestellt, dass der Patient seinen Entschluss ohne weitere Bedingungen rückgängig machen und auf diese Weise die Einleitung des gerichtlichen Verfahrens herbeiführen kann, in dem dann die Rechtmäßigkeit seiner Unterbringung geprüft wird. Ergänzend sieht § 4 Abs 3 vor, dass ein Verzicht auf das Widerrufsrecht unwirksam ist, und dass der Abteilungsleiter den Aufnahmewerber vor der Aufnahme auf sein Widerrufsrecht hinzuweisen hat.
3. Die Aufnahmeuntersuchung
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1. Der Hinweis auf das Widerrufsrecht muss nicht in einer bestimmten Form, aber jedenfalls individuell und vor der Aufnahme erfolgen. 2. Ein rechtserheblicher Widerruf muss nicht ausdrücklich erfolgen (zB Erklärung, sofort 267 nach Hause gehen zu wollen: LGZ Wien 5. 5. 1992, 44 R 234/92). Für einen schlüssigen Widerruf genügt, dass sich aus dem gesamten Verhalten des Kranken ergibt, dass sich dieser gegen seine weitere Unterbringung wehrt (RV 21; LG Salzburg 18. 10. 2000, 21 R 250/00m). Unmut über Vollzugsbedingungen kann jedoch auch dann nicht als Widerruf gedeutet werden, wenn er sich gegen den Aufenthalt auf einer bestimmten Station (nicht aber gegen die Unterbringung insgesamt) richtet (LG St. Pölten 2. 10. 2002, 10 R 77/02d). Welchen Anstaltsorganen gegenüber der Widerruf erklärt wird, ist nicht ausschlaggebend. Bei der Weiterleitung eines Widerrufs kann auch dem Patientenanwalt eine Rolle zufallen: Nach § 14 Abs 3 hat er Zweifel über die Wirksamkeit des Verlangens (etwa nach Widerruf ) dem Abteilungsleiter mitzuteilen; ein Vertretungsverhältnis zum Patienten ist dafür nicht erforderlich.
b) Besondere Anforderungen an die für einen wirksamen Widerruf notwen- 268 dige Handlungsfähigkeit bestehen nicht. Für die rechtliche Wirksamkeit des Widerrufs genügt bereits der äußere Tatbestand. Kopetzki II 610 f; wie hier LG Salzburg 18. 10. 2000, 21 R 250/00m, EFSlg 97.508 (Widerruf auch beachtlich, wenn Patient in Willensbildung beschränkt; im Zweifel ist von Wirksamkeit des Widerrufs auszugehen); anders Hopf /Aigner § 4 Anm 13, die auch für den Widerruf – als actus contrarius – eine dem Aufnahmeverlangen entsprechende Einsichtsund Urteilsfähigkeit iSd § 4 Abs 1 verlangen (ebenso LG St. Pölten 30. 11. 1994, R 851/94).
c) Widerrufsberechtigt sind jene Personen, die ein Unterbringungsverlangen 269 stellen können. Das ist in erster Linie der (mündige) Patient selbst. Bei Minderjährigen oder Personen mit Sachwalter genügt für die Wirksamkeit des Widerrufs überdies die Erklärung auch nur einer Person, die nach § 5 die Unterbringung verlangen kann oder ihr zuzustimmen hat (§ 5 Abs 4). Im Gegensatz zum Unterbringungsverlangen bedarf es für den Widerruf des Verlangens keiner übereinstimmenden Erklärungen: Sobald entweder der Betroffene bzw ein Erziehungsberechtigter sein Verlangen oder ein gesetzlicher Vertreter seine Zustimmung widerruft, ist die Unterbringung aufzuheben oder – bei Fortbestand der Unterbringungsvoraussetzungen – gem § 11 Z 2 die Unterbringung ohne Verlangen einzuleiten. Vgl RV 21. Für den Widerruf dieser Personen gelten dieselben Bestimmungen wie für den Widerruf durch den Patienten selbst (formfrei, schlüssig, jederzeit).
d) Rechtsfolge des Widerrufs ist gem § 10 Abs 1 iVm § 11 Z 2 die Ver- 270 pflichtung der Anstalt zur Durchführung einer neuerlichen „Aufnahmeuntersuchung“ (unten Rz 271 ff ). Aufgrund deren Ergebnis ist zu entscheiden, ob (bei Wegfall der Unterbringungsvoraussetzungen) die Unterbringung überhaupt aufgehoben oder aber (bei Fortbestand der Unterbringungsvoraussetzungen) als Unterbringung ohne Verlangen fortgesetzt wird. Vgl RV 21; LGZ Wien 5. 5. 1992, 44 R 234/92. Näher unten Rz 280, 284.
3. Die Aufnahmeuntersuchung a) Auch bei der Unterbringung auf Verlangen ist eine Aufnahmeuntersu- 271 chung durch den Abteilungsleiter und einen weiteren Facharzt für Psychiatrie und Neurologie durchzuführen. Der Aufnahmewerber „darf nur aufgenommen werden, wenn nach übereinstimmenden, unabhängig voneinander erstellten
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IV. Teil: Unterbringung auf Verlangen
ärztlichen Zeugnissen die Voraussetzungen der Unterbringung sowie die Einsichts- und Urteilsfähigkeit vorliegen“ (§ 6 Abs 1). Das Untersuchungsergebnis ist in der Krankengeschichte zu beurkunden; die ärztlichen Zeugnisse sind der Krankengeschichte anzuschließen (§ 6 Abs 2). 1. Die Regelung entspricht jener bei der Unterbringung ohne Verlangen (für Details vgl Rz 201 ff; zur Facharztqualifikation Rz 69/1, 203), mit dem Unterschied, dass in den fachärztlichen Zeugnissen neben dem Vorliegen der Unterbringungsvoraussetzungen auch die Einsichts- und Urteilsfähigkeit zu beurteilen und zu dokumentieren ist. Dies gilt als entscheidende „Kontrollebene“ zur Sicherstellung der Freiwilligkeit (AB 3). 2. Der Abteilungsleiter hat den Betroffenen noch vor der Aufnahme auf die Einrichtung 272 des Patientenanwalts und auf die Möglichkeit der Vertretung durch diesen hinzuweisen (§ 6 Abs 3). Ein Hinweis auf die (individuelle) Person des Patientenanwaltes ist hingegen nur bei der Unterbringung ohne Verlangen vorgesehen (§ 14 Abs 2). Auch dem auf eigenes Verlangen untergebrachten Kranken ist aber auf sein Ersuchen die Möglichkeit zu geben, sich mit dem Patientenanwalt zu besprechen (§ 14 Abs 3). 3. Da das positive Ergebnis der Aufnahmeuntersuchung eine zwingende Voraussetzung für 273 die Unterbringung darstellt, muss der Zeitpunkt der Aufnahmeuntersuchung jedenfalls vor der Aufnahme (Unterbringung) liegen. Es muss daher vorgesorgt sein, dass eine Aufnahmeuntersuchung jederzeit stattfinden kann. Eine gewisse zeitliche Differenz zwischen dem Eintreffen des Patienten in der Anstalt und der Untersuchung ist aus organisatorischen Gründen kaum zu vermeiden. Größere Zeiträume, in denen der Patient zwar festgehalten, aber noch nicht untersucht ist, sind aber unzulässig (vgl LG Linz 2. 3. 1992, 18 R 119/92). Daraus ergeben sich Mindestanforderungen insb während der Nachtstunden (zwei Fachärzte). 4. Eine zeitliche Beziehung zwischen Untersuchung und Verlangen ist nicht vorgeschrieben. In der Praxis ist es zweckmäßig, wenn die Aufnahmeuntersuchung vor der Niederschrift des Verlangens stattfindet (vgl RV 22), da sich diese Niederschrift – sollten die Unterbringungsvoraussetzungen gar nicht erfüllt sein – erübrigen könnte. Sinnvollerweise sind Untersuchung und Niederschrift bei Anwesenheit beider Ärzte in einem durchzuführen.
4. Dauer der Unterbringung auf Verlangen 274 a) Die Unterbringung auf Verlangen darf nur sechs Wochen, auf erneutes Verlangen aber insgesamt längstens zehn Wochen dauern. Eine Verlängerung der Unterbringung (auf Verlangen) über diese Höchstfristen hinaus ist nicht zulässig (§ 7). 1. Die Formulierung des § 7 letzter Satz, wonach „eine Verlängerung der Unterbringung“ über die Fristen von sechs bzw zehn Wochen hinaus „nicht zulässig“ ist, bezieht sich im systematischen Kontext der §§ 6 ff nur auf die Verlängerung der Unterbringung auf Verlangen. Dass die Unterbringung auf Verlangen in Form der Unterbringung ohne Verlangen über zehn Wochen hinaus fortgesetzt werden kann, ist nach § 11 Z 2 nicht zweifelhaft. 2. Diese absolute zeitliche Befristung schränkt die zulässige Dauer einer gerichtlich unüberprüften Unterbringung erheblich ein. Dadurch sollte sichergestellt werden, dass ein Patient, der einmal freiwillig eingetreten ist, nicht für unbeschränkte Zeit zurückgehalten wird, obwohl der Aufenthalt vielleicht nicht mehr seinem Willen entspricht (RV 22).
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b) Die Wirksamkeit des freiwilligen Unterbringungsverlangens endet daher nicht nur durch den Widerruf des Verlangens, sondern auch durch Zeitablauf, und zwar nach sechs Wochen. Will der Kranke nach Ablauf dieser Frist weiter in der Unterbringung verbleiben, so kann er, falls die Voraussetzungen noch immer vorliegen, sein Verlangen einmal für weitere vier Wochen erneuern.
1. Das Verlangen kann nur einmal erneuert werden (RV 22). 2. Auf das erneute Verlangen sind die Bestimmungen für das erste Verlangen sinngemäß 276 anzuwenden (§ 7 2. Halbsatz). Die Voraussetzungen des „ersten“ Verlangens einschließlich
5. Vollzug der Unterbringung auf Verlangen
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der Widerrufsmöglichkeit gelten daher auch für das erneute Verlangen (eigenhändig, schriftlich, in Gegenwart beider Fachärzte etc). Die „Verlängerung“ der Unterbringung setzt Einsichtsfähigkeit (§ 4 Abs 1), allfällige Erklärungen von Erziehungsberechtigten oder gesetzlichen Vertretern (§ 5) sowie eine neuerliche Untersuchung (§ 6) voraus. Lediglich die Bestimmung, dass das Verlangen nur vor der Aufnahme gestellt werden kann (§ 4 Abs 2), lässt sich auf die Erneuerung der Verlangens voraussetzungsgemäß nicht anwenden.
c) Wird das Verlangen nach sechs Wochen nicht erneut erklärt oder ist die zulässige Gesamtdauer von zehn Wochen erreicht, dann ist entweder die Unterbringung überhaupt aufzuheben oder – soweit Grund für die Annahme besteht, dass die Voraussetzungen der Unterbringung weiterhin vorliegen – nach den Regeln über die Unterbringung ohne Verlangen vorzugehen (§ 11 Z 2). 5. Vollzug der Unterbringung auf Verlangen Die Vorschriften über die Durchführung der Unterbringung einschließlich 277 der dort vorgesehenen Beschränkungen (§§ 33 bis 39 UbG) gelten uneingeschränkt auch für auf Verlangen untergebrachte Patienten. Ebenso LG St. Pölten 2. 10. 2002, 10 R 77/02d. Für Details vgl daher den VII. Teil. Zu beachten ist aber, dass eine Behandlung „gegen den Willen“ des Patienten gem § 36 Abs 2 nur bei nicht einsichts- und urteilsfähigen Kranken zulässig ist. „Auf Verlangen“ Untergebrachte müssen aber – zumindest im Erklärungszeitpunkt – voraussetzungsgemäß über die Einsichts- und Urteilsfähigkeit verfügen (§ 4 Abs 1). Eine konsenslose Behandlung ist bei diesen Personen daher nur dann möglich, wenn die zunächst vorliegende Einsichts- und Urteilsfähigkeit später weggefallen ist oder wenn sich ausnahmsweise begründen lässt, weshalb die (in Bezug auf jede Erklärung konkret zu beurteilende) Einsichtsfähigkeit zwar für das Unterbringungsverlangen, nicht aber für die Behandlungszustimmung bestand.
6. Die Beendigung der Unterbringung auf Verlangen Die Unterbringung auf Verlangen endet entweder (bei Wegfall der Unter- 278 bringungsvoraussetzungen) durch die Aufhebung der Unterbringung oder (bei Fortbestand der Unterbringungsvoraussetzungen) durch die Umwandlung in eine (zwangsweise) „Unterbringung ohne Verlangen“. a) Aufhebung der Unterbringung a) Die Unterbringung auf Verlangen ist vom Abteilungsleiter aufzuheben, 279 wenn die Unterbringungsvoraussetzungen nicht mehr vorliegen (§ 32 2. Fall). Eine Aufhebung in Folge einer gerichtlichen „Unzulässigkeitsentscheidung“ (§ 32 1. Fall) kann es bei freiwillig Untergebrachten naturgemäß nicht geben, da ein Gerichtsverfahren gar nicht stattfindet. Unter der „Aufhebung der Unterbringung“ ist nach der Terminologie des UbG (näher Rz 774 ff) die Beseitigung der (für die Anwendung des UbG maßgeblichen) Beschränkungen der Bewegungsfreiheit gemeint; sie kann sowohl durch die eigentliche Entlassung aus der Anstalt als auch durch die bloße Aufhebung der Beschränkungen erfolgen.
b) Die – für alle Formen der Unterbringung – geltende Bestimmung des 280 § 32 über die Aufhebung der Unterbringung ist bei der Unterbringung auf Verlangen im Zusammenhang mit anderen Regelungen des UbG zu lesen, die eine solche Überprüfung der Unterbringungsvoraussetzungen durch den Abteilungsleiter unter bestimmten Voraussetzungen zwingend vorsehen. Folgende Konstellationen sind zu unterscheiden:
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IV. Teil: Unterbringung auf Verlangen
1. Widerruft der Patient sein Unterbringungsverlangen und besteht kein Grund für die Annahme, dass die Voraussetzungen der Unterbringung weiterhin vorliegen, dann ist die Unterbringung durch den Abteilungsleiter sofort aufzuheben (§ 11 Z 2 iVm § 32). Die Unterbringung ist weiters aufzuheben, wenn zwar zunächst Grund für die Annahme besteht, dass die Unterbringungsvoraussetzungen weiter vorliegen, sich diese Annahme aber durch die anschließende Untersuchung gem § 10 (Rz 201 ff) als unrichtig herausstellt. 2. Die gleiche Regelung wie für den Widerruf gilt für den Fall, dass der Patient sein (erstes) Unterbringungsverlangen nicht erneuert oder die zulässige Höchstdauer der Unterbringung auf Verlangen von zehn Wochen abgelaufen ist (§ 11 Z 2 iVm § 21; RV 22). 3. Auch sobald sich – abgesehen von den Fällen des Widerrufs oder des Zeitablaufs – sonst herausstellt, dass die Unterbringungsvoraussetzungen nicht mehr vorliegen, ist die Unterbringung „jederzeit“ aufzuheben (§ 32).
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c) Wird die Unterbringung aufgehoben, so hat der Abteilungsleiter gem § 32 den Vertreter (gesetzlicher Vertreter, gewillkürter Vertreter) des Kranken zu verständigen. Eine Verständigung des Patientenanwalts ist daher nur erforderlich, wenn dieser zur Vertretung des Kranken (mit dessen Zustimmung gem § 14 Abs 3) auch tatsächlich zuständig war. Die in § 32 zusätzlich vorgesehene Verständigung des Gerichts geht bei der Aufhebung der freiwilligen Unterbringung ins Leere, es sei denn, dass in Bezug auf den Kranken ein gerichtliches Verfahren nach § 38 anhängig war oder ist.
b) Umwandlung in eine Unterbringung ohne Verlangen a) Die Unterbringung „auf Verlangen“ endet auch dann, wenn sie „ohne Verlangen“ fortgesetzt wird. In diesem Fall wird der Patient trotz Beendigung des freiwilligen Aufenthaltes weiterhin – nun unfreiwillig – Beschränkungen der Bewegungsfreiheit unterworfen; die Regelungen des § 10 über die erstmalige Unterbringung sind gem § 11 Z 2 sinngemäß anzuwenden. Bei dieser Konstellation wird die Unterbringung nicht beendet; es greifen lediglich die für die Unterbringung ohne Verlangen geltenden Rechtsschutzinstrumente ein: 283 b) Die tatbestandsmäßigen Voraussetzungen dieser „Umwandlung“ decken sich mit jenen für die Aufhebung der Unterbringung, mit dem wesentlichen Unterschied, dass die materiellen Unterbringungsvoraussetzungen nach wie vor vorliegen müssen; das ist im Rahmen einer (neuerlichen) Aufnahmeuntersuchung zu prüfen (§ 11 Z 2 iVm § 10 Abs 1; RV 17. GP 24). Anderenfalls ist nach § 32 die Unterbringung aufzuheben. 282
Für die Untersuchung gelten die Regeln über die erste „Aufnahmeuntersuchung“ (vgl Rz 201 ff ), einschließlich der Duldungspflicht des Patienten. Darin zeigt sich, dass der Übergang in die zwangsweise Unterbringung bereits mit dem Widerruf (Zeitablauf ) stattfindet. Die Untersuchung und neuerliche „Aufnahmeentscheidung“ des § 10 Abs 1 bezieht sich daher auf die Fortsetzung einer – wenn auch nur vorläufig – bereits begonnenen zwangsweisen Unterbringung (vgl RV 24). Der Zeitraum zwischen Widerruf (Zeitablauf ) und neuerlicher Unterbringungsentscheidung muss möglichst kurz ausfallen, da die Untersuchung gem § 10 iVm § 11 Z 2 „unverzüglich“ nach dem Widerruf bzw Zeitablauf durchzuführen ist.
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Folgende Konstellationen sind zu unterscheiden: 1. Widerruft der Patient sein Unterbringungsverlangen und besteht Grund für die Annahme, dass die Unterbringungsvoraussetzungen weiterhin vorliegen, dann ist „sinngemäß“ nach den Regeln über die zwangsweise Unterbringung vorzugehen (§ 11 Z 2 iVm § 10): Zunächst ist „unverzüglich“ eine Untersuchung durch den Abteilungsleiter und einen
6. Die Beendigung der Unterbringung auf Verlangen
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weiteren Facharzt durchzuführen (§ 10 Abs 1 iVm § 11 Z 2); sollte sich dabei herausstellen, dass die Unterbringungsvoraussetzungen entgegen der ursprünglichen Annahme nicht mehr vorliegen, dann ist die Unterbringung aufzuheben (Rz 280). Anderenfalls ist die Unterbringung (ohne Verlangen) fortzusetzen, der Patientenanwalt sowie das Gericht zu verständigen und das gerichtliche Unterbringungsverfahren einzuleiten (§ 11 Z 2 iVm § 10 Abs 3 und §§ 17, 18 UbG; RV 21). 2. Das gleiche gilt, wenn der Patient sein (erstes) Unterbringungsverlangen nach sechs Wochen nicht erneuert oder die zulässige Höchstdauer der Unterbringung auf Verlangen von zehn Wochen abgelaufen ist (§ 11 Z 2 iVm § 10 Abs 1, 3 und §§ 17, 18; RV 22). 3. Eine gleichartige Regelung über die „Umwandlung“ in die zwangsweise Unterbringung sieht § 11 Z 1 für den Fall vor, dass „bei einem sonst in die Anstalt aufgenommenen, in seiner Bewegungsfreiheit nicht beschränkten Kranken Grund für die Annahme besteht, dass die Voraussetzungen der Unterbringung vorliegen“. Dies betrifft jene Kranken, die sich freiwillig – ohne allerdings ein Verlangen nach Unterbringung gestellt zu haben – in einer psychiatrischen Anstalt aufhalten und daher bisher keinen Beschränkungen unterliegen (AB 6), in der Folge jedoch Beschränkungen unterworfen werden sollen. Im Gegensatz zur früheren Rechtslage und zur RV findet eine derartige „Umwandlung“ nicht schon dann statt, wenn der Patient – ohne sein Verlangen zu widerrufen – weitergehenden Beschränkungen seiner Bewegungsfreiheit oder des Verkehrs mit der Außenwelt unterworfen wird (so noch § 16 Abs 2 EntmO, § 51 Abs 2 KAG aF und §§ 21 Abs 3 RV).
c) Ergibt sich aus der neuerlichen Untersuchung, dass die Unterbringungs- 285 voraussetzungen (weiterhin) vorliegen und wird die Unterbringung daher – zwangsweise – fortgesetzt, so treffen den Abteilungsleiter gleichartige Informations- und Anzeigepflichten wie bei der erstmaligen Unterbringung: 1. Der Abteilungsleiter hat den Kranken „ehestens über die Gründe der Unterbringung zu unterrichten“ (§ 10 Abs 3 1. Satz iVm § 11 Z 2). Dies bedeutet hier die Information, dass die Unterbringung zwangsweise fortgesetzt wird. 2. Darüber hinaus sind der Patientenanwalt (§ 10 Abs 3 iVm § 11 Z 2) und das Gericht (§ 17 iVm § 11 Z 2) unverzüglich zu verständigen. Das Gericht hat das Verfahren einzuleiten (§ 18 iVm § 11 Z 2). Weiters ist – wenn der Kranke nicht widerspricht – ein Angehöriger sowie – auf Verlangen des Kranken – dessen Rechtsbeistand zu verständigen (§ 10 Abs 3 iVm § 11 Z 2). 3. Der Abteilungsleiter hat schließlich dafür zu sorgen, dass der Kranke Auskunft darüber erhält, wer sein Patientenanwalt ist, und dass er sich mit diesem besprechen kann (§ 14 Abs 3). 1. Die Verständigung des Gerichts ist nicht schon beim Widerruf (Zeitablauf ), sondern erst nach der Untersuchung und Entscheidung über die „Umwandlung“ vorzunehmen, da vor diesem Zeitpunkt die „anzuschließenden“ ärztlichen Zeugnisse (§ 17) der neuerlichen Untersuchung noch nicht zur Verfügung stehen. Näher zur Verständigungspflicht Rz 211 ff. 2. Die Auskunft an den Kranken betreffend die Person des Patientenanwalts kann nur sinnvoll sein, wenn der Kranke nicht bereits während seiner freiwilligen Unterbringung durch den Patientenanwalt vertreten wurde und er diesen daher bereits kennt. Insofern kann auch die Regel des § 14 Abs 3 bei „Umwandlungen“ nur sinngemäß angewendet werden. 3. Fraglich ist, wann die Vertretungsbefugnis des Patientenanwalts beginnt. Gem § 14 286 Abs 1 geschieht dies „mit der Aufnahme“ eines ohne Verlangen untergebrachten Kranken. Im Fall der „Umwandlung“ einer freiwilligen Unterbringung wird dieser Zeitpunkt nicht erst mit der Unterbringungsentscheidung gem § 10 Abs 1, sondern bereits mit dem Widerruf bzw Zeitablauf anzunehmen sein. Dafür spricht, dass in diesem Zeitpunkt der eigentliche Übergang in die Unterbringung „ohne Verlangen“ stattfindet und dass dem Patientenanwalt insb
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IV. Teil: Unterbringung auf Verlangen
auch die Aufgabe zukommen muss, das rechtswidrige Unterbleiben einer neuerlichen Untersuchung wahrzunehmen. Die Verständigung des Patientenanwalts ist freilich erst nach der neuerlichen Untersuchung vorgesehen (§ 10 Abs 3 iVm § 11 Z 2). 4. Eine Verständigung der Bezirksverwaltungsbehörde (Bundespolizeibehörde) zwecks amtsärztlicher Untersuchung (vgl noch § 51 Abs 2 KAG aF) ist nicht mehr vorgesehen.
7. Rechtsschutz a) Gerichtliche Kontrolle 287 a) Bei der Unterbringung auf Verlangen ist kein gerichtliches Verfahren über die Zulässigkeit der Unterbringung einzuleiten: § 18 sieht dies nur in den Fällen der Unterbringung ohne Verlangen (§§ 10, 11) vor. 1. Zentrales Rechtsschutzinstrument ist hier die Widerrufbarkeit des Verlangens: Das verschafft dem Patienten jederzeit die Möglichkeit, entweder die Auf hebung der Unterbringung oder ihre Umwandlung in eine Unterbringung ohne Verlangen mit der daran anknüpfenden Gerichtskontrolle zu erzwingen (Rz 270). 2. Darüber hinaus kommt dem Gericht mittelbar auch eine amtswegige Prüfungsbefugnis 288 zu: Für die Frage, ob ein Verfahren einzuleiten ist, ist ausschlaggebend, dass objektiv gesehen „ein Fall der §§ 10 und 11“ (§ 18) – dh: eine Unterbringung ohne Verlangen – vorliegt. Nicht entscheidend ist, wie die Unterbringung seitens des Abteilungsleiters qualifiziert wird und ob dieser das Gericht gem § 17 verständigt hat. Das Gericht muss (aufgrund welcher Informationen immer) das Verfahren immer einleiten, wenn eine Unterbringung ohne Verlangen erfolgte. In diesem Zusammenhang fällt auch die Vorfrage in die Kognition des Gerichts, ob es sich um eine Unterbringung „ohne“ oder „auf“ Verlangen handelt. Dabei kann geprüft werden, ob ein Verlangen abgegeben wurde bzw ob dieses den im UbG vorgesehenen materiellen (zB Einsichtsfähigkeit) und formellen (vor der Aufnahme, eigenhändig, in Gegenwart zweier Fachärzte) Bedingungen des § 4 entspricht oder widerrufen worden ist (wie hier LG Salzburg 18. 5. 1998, 21 R 223/98k; 19. 10. 2000, 21 R 250/00m, EFSlg 97.536; 24. 5. 2005, 21 R 182/05v). Sind die gesetzlichen Voraussetzungen nicht erfüllt, so ist das Verlangen unwirksam und es liegt in Wahrheit eine Unterbringung „ohne Verlangen“ vor (die dann freilich regelmäßig unzulässig sein wird, weil die Verfahrensvorschriften der §§ 10 f nicht eingehalten wurden: LG Salzburg 24. 5. 2005, 21 R 182/05v – keine wirksame Aufnahmeerklärung, weil erst nach der Aufnahme und nicht eigenhändig schriftlich gestellt). Auf dem Umweg dieser mittelbaren „Kontrolle der Freiwilligkeit“ (OGH 22. 10. 1992, 1 Ob 599/92, JBl 1993, 456) wurde der gerichtliche Rechtsschutz auch auf die auf Verlangen untergebrachten Patienten ausgedehnt. Vgl LG St. Pölten 30. 11. 1994, R 851/94 (Einleitung des Verfahrens auf Initiative des Patientenanwalts nach schlüssigem Widerruf). 3. Dem Patientenanwalt überträgt das Gesetz hiebei eine wichtige Funktion, da er „Zweifel an der Wirksamkeit des Verlangens nach Unterbringung“ artikulieren und dem Abteilungsleiter mitteilen muss (§ 14 Abs 3 2. Satz); kommt es auf diesem Wege nicht zur Bereinigung der Meinungsunterschiede bezüglich der Wirksamkeit des Verlangens, so kann der Patientenanwalt auch das Gericht davon in Kenntnis setzen.
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b) Die im UbG vorgesehenen Kompetenzen des Gerichts zur Kontrolle von Maßnahmen im Vollzug bestehen auch für die Unterbringung auf Verlangen (§ 33 Abs 3, § 34 Abs 2, § 38 UbG). Vgl Rz 722 ff.
b) Unabhängige Verwaltungssenate 290 Gegen vollzugsinterne Zwangsmaßnahmen sollte der Rechtsweg zu den UVS unter den gleichen Voraussetzungen gegeben sein wie bei der Unterbringung ohne Verlangen. Vgl näher – auch zur ablehnenden Rsp – Rz 225, 766.
7. Rechtsschutz
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c) Patientenanwalt a) Anders als bei der Unterbringung ohne Verlangen wird der Patientenan- 291 walt bei der Aufnahme eines auf Verlangen untergebrachten Kranken nicht ex lege dessen Vertreter. Dennoch hat der Patientenanwalt gewisse Aufgaben gegenüber jenen Patienten wahrzunehmen, die auf eigenes Verlangen untergebracht sind. Dadurch sollten „im Rahmen der Unterbringung auf Verlangen gewisse Kontrollmöglichkeiten“ eingebaut werden (AB 7). Nach Foregger sollen die Patientenanwälte „auch ein bisschen ein Auge auf die zu werfen haben, die dort freiwillig untergebracht sind“ (StProtNR 15.603). Vgl auch ders in StProtBR 23.821: „[w]ir haben ein System in diesem Gesetz untergebracht, das es den Patientenanwälten ermöglicht, einem allfälligen Mißbrauch einer freiwilligen und einer sogenannten freiwilligen Unterbringung auf die Spur zu kommen“.
b) Die Ausübung dieser Aufgaben ist aber weitgehend vom Einverständnis 292 des Kranken abhängig: Gem § 14 Abs 3 1. Satz ist auch einem auf Verlangen untergebrachten Kranken auf sein Ersuchen die Möglichkeit zu geben, sich mit dem Patientenanwalt zu besprechen. Damit wird auch dem auf eigenes Verlangen untergebrachten Kranken ein Kontakt mit einer anstaltsunabhängigen Person ermöglicht (AB 7). Hegt der Patientenanwalt Zweifel an der Wirksamkeit des Verlangens nach Unterbringung, so hat er dies dem Abteilungsleiter mitzuteilen (§ 14 Abs 3 2. Satz). Auf diese Weise obliegt dem Patientenanwalt insb eine gewisse Kontrolle in Bezug auf die Einsichtsfähigkeit des Kranken. c) Zentrale Aufgabe des Patientenanwalts ist die fakultative Vertretung des 293 Kranken gem § 14 Abs 3 3. Satz: Danach vertritt der Patientenanwalt den Kranken mit dessen Zustimmung bei der Wahrnehmung jener Rechte, die in den §§ 33 bis 39 UbG im Zusammenhang mit der gerichtlichen Kontrolle von Beschränkungen und Behandlungen verankert sind. 1. Diese Zustimmung (vgl Rz 468) kann schon bei der Aufnahme abgegeben werden, bei 294 der der Kranke auf die Einrichtung des Patientenanwalts und dessen allfällige Vertretungsbefugnis hinzuweisen ist (§ 6 Abs 3; AB 7). Die Vertretungsbefugnis ist allerdings inhaltlich enger als gegenüber zwangsweise untergebrachten Patienten (Rz 472). Sobald die Unterbringung auf Verlangen endet, ohne dass die Unterbringung als solche aufgehoben wird (Widerruf des Verlangens, Nichterneuerung, Zeitablauf ), ist der Patientenanwalt zu verständigen und wird von Gesetzes wegen Vertreter des Kranken (Rz 286, 467). 2. Die gesetzliche – wenngleich hier zusätzlich an die Zustimmung des Patienten gebun- 294/1 dene – Vertretungsbefugnis des Patientenanwalts gem § 14 Abs 3 UbG wird iSd § 1 Abs 3 AußStrG durch die Fälle der (absoluten und relativen) Vertretungspflicht des § 6 AußStrG nicht berührt (auch nicht in einem alfälligen Rekursverfahren gem § 38 Abs 2; vgl sinngemäß Rz 426/1). Lediglich im Revisionsrekursverfahren unterliegt auch der Patientenanwalt der absoluten Vertretungspflicht (Rz 437, 522/1).
Fünfter Teil
Gerichtliches Unterbringungsverfahren 1. Allgemeines 295 Das UbG hält an der grundlegenden Struktur des früheren Anhaltungsverfahrens fest: Nach § 18 UbG hat das Gericht im außerstreitigen Verfahren über die Zulässigkeit der Unterbringung zu entscheiden und damit jene Rechtmäßigkeitskontrolle des Freiheitsentzuges vorzunehmen, die dem Untergebrachten durch Art 5 Abs 4 EMRK und Art 6 PersFrG verfassungsrechtlich garantiert ist. Vor diesem verfassungsrechtlichen Hintergrund hat das UbG die allgemeinen Bestimmungen des – inzwischen allerdings erheblich veränderten – AußStrG im Licht seiner spezifischen Verfahrensziele modifiziert und damit auch das für das Außerstreitverfahren charakteristische weitgehende Ermessen eingeschränkt. Trotz der Zuordnung zu den Rechtsfürsorgeverfahren, die der Wahrung der Interessen besonders schutzwürdiger Personen dienen, enthält das Unterbringungsverfahren Züge eines kontradiktorischen Verfahrens, in dem sich zwei Beteiligte – der Patient und der Abteilungsleiter – mit widerstreitenden rechtlichen Positionen gegenüberstehen. Das entspricht der Funktion des Verfahrens als Instrument des Verwaltungsrechtsschutzes und der Haftprüfung iSd Art 6 PersFrG (vgl AB 2, 8). Allerdings ist die kontradiktorische Struktur des Verfahrens nach wie vor durch typische Elemente eines amtswegigen Rechtsfürsorgeverfahrens überlagert, in denen nicht nur das Rechtsschutzbedürfnis des in seiner Handlungsfähigkeit eingeschränkten Patienten, sondern auch das öffentliche Interesse an einem Ausgleich zwischen den konfligierenden Interessen der Gefahrenabwehr einerseits und dem Freiheitsanspruch des Betroffenen andererseits zum Ausdruck kommen.
a) Zuständigkeit aa) Örtliche Zuständigkeit 296 Zur Durchführung des Unterbringungsverfahrens ist – ebenso wie zur Besorgung der übrigen nach dem UbG dem Gericht übertragenen Aufgaben – jenes Bezirksgericht sachlich und örtlich zuständig, in dessen Sprengel die Anstalt liegt (Unterbringungsgericht). 1. Die Erledigung der Unterbringungssachen ist dem Richter vorbehalten (§ 19 RPflG; JABl 1991/2, 7). 2. Nach dem derzeitigen Stand (öffentlicher) psychiatrischer Anstalten bzw Abteilungen 298 (Rz 35) ergeben sich folgende örtliche Zuständigkeiten: BG Fünfhaus (Otto Wagner-Spital); BG Josefstadt (Universitätsklinik für Psychiatrie Wien); BG Favoriten (Kaiser-Franz-Josef KH); BG Donaustadt (Sozialmedizinisches Zentrum Ost); BG Klosterneuburg (Landesklinikum Donauregion Gugging); BG Amstetten (Landesklinikum Mostviertel Amstetten Mauer); BG Ybbs (Therapiezentrum Ybbs); BG Hollabrunn (AKH Hollabrunn); BG Neunkirchen (AKH Neunkirchen); BG Waidhofen/Thaya (AKH Waidhofen); BG Linz (WagnerJauregg Krankenhaus); BG Salzburg (Christian Doppler-Klinik); BG St. Johann/Pongau (Psychiatrische Sonderpflegestation Grafenhof, LKH St. Veit); BG Wels (KH Wels); BG Vöcklabruck (LKH Vöcklabruck); BG Steyr (KH Steyr); BG Hall (Psychiatrisches KH Hall); BG Innsbruck (Universitätsklinik für Psychiatrie Innsbruck); BG Kufstein (KH Kufstein); BG Feldkirch (LKH Rankweil [Valduna]); BG Klagenfurt (Zentrum für Seelische Gesundheit am LKH Klagenfurt sowie Abteilung für Neurologie und Psychiatrie des Kindes- und Jugendalters LKH Klagenfurt); BG ZRS Graz (LNK Sigmund Freud sowie Universitätsklinik für Psychiatrie Graz); BG Deutschlandsberg (Landespflegeheim Schwanberg).
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1. Allgemeines
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3. Bei sprengelüberschreitenden räumlichen Auslagerungen von Teilen einer Krankenan- 299 stalt, also dann, wenn sich einzelne organisatorische Einheiten (Abteilungen) im Sprengel eines anderen Gerichts befinden als die Hauptanstalt („Außenstellen“, Rz 36), richtet sich die örtliche Zuständigkeit des Gerichts nach dem Sitz der Außenstelle. Das ergibt sich aus dem spezifischen, vom KAKuG abweichenden Anstaltsbegriff des § 2 UbG: Nach diesem sind auch einzelne psychiatrische Abteilungen eine „Anstalt“ iSd § 2, an die § 12 anknüpft. 4. Bei der Überstellung zwischen psychiatrischen Anstalten (Rz 184/1) liegt die Zuständigkeit zur Überprüfung des Überstellungsvorganges (vgl Rz 305) bei jenem Gericht, das gem § 12 Abs 1 UbG für die erste Krankenanstalt örtlich zuständig ist, da die Transportphase der (ersten) Anstalt zuzurechnen ist (VfSlg 16.119; aM Marwieser/Steiner, AnwBl 2001, 194). 5. Zur Sicherstellung des gerichtlichen Rechtsschutzes verpflichtet § 41 UbG den ärztli- 300 chen Leiter einer Krankenanstalt, in der Unterbringungen iSd UbG stattfinden, dies dem Vorsteher des zuständigen Bezirksgerichts unverzüglich bekanntzugeben. Ein Unterbleiben dieser Verständigung ist für die Zuständigkeitsbegründung des Gerichts allerdings unbeachtlich; es handelt sich nur um eine Form der Informationsübermittlung. Das Gericht hat seine Aufgaben nach eigener Beurteilung von Amts wegen wahrzunehmen. Vgl auch Rz 448.
bb) Personelle Zuständigkeit a) Gem § 12 Abs 1 UbG bezieht sich die Zuständigkeit des Unterbringungs- 301 gerichts zur Besorgung der ihm nach dem UbG übertragenen Aufgaben auch auf jene Kranke, „hinsichtlich derer ein Pflegschaftsverfahren bei einem anderen Gericht anhängig ist“. Damit wurde die Zuständigkeit in Unterbringungssachen auch gegenüber jenen Personen bekräftigt, für die gem § 109 JN gleichzeitig auch ein „Pflegschaftsgericht“ aus dem Titel der Sachwalterschaft oder Vormundschaft zuständig ist (AB 6). Die Zuständigkeiten des Pflegschaftsgerichts in Sachwalterschaftssachen bleiben dadurch unberührt (OGH 22. 4. 1999, 6 Ob 55/99b).
b) Das nach den §§ 12 und 18 örtlich und sachlich zuständige Gericht ist 302 zur Wahrnehmung der gerichtlichen Aufgaben gegenüber allen in inländischen Anstalten untergebrachten Personen zuständig. Auf die Staatsbürgerschaft des Patienten kommt es hiebei nicht an. Die inländische Gerichtsbarkeit ist auch gegenüber Ausländern gegeben. Auch in diesem Fall ist das österreichische Unterbringungsrecht anzuwenden. Vgl LG Innsbruck 8. 11. 1991, 3b R 161/91; LG Salzburg 22. 12. 1999, 21 R 554/99p. Obwohl eine ausdrückliche Bestimmung über die inländische Gerichtsbarkeit in Unterbringungssachen fehlt, bildet die – nicht nach Staatsangehörigkeit differenzierende – Regelung des § 12 über die örtliche Zuständigkeit einen ausreichenden Anknüpfungspunkt für die Bejahung der inländischen Gerichtsbarkeit gegenüber allen in Österreich Untergebrachten (aM zur EntmO OGH SZ 27/128; LG Innsbruck 28. 8. 1990, 1b R 162/90). Die internationale Zuständigkeit richtet sich also gem § 27a JN nach der örtlichen Zuständigkeit (vgl auch Mayr/Fucik Rz 482. Die Abgrenzung der inländischen Gerichtsbarkeit durch § 110 JN gilt nicht für Unterbringungssachen.
cc) Sachliche Zuständigkeit Der Verfahrensgegenstand des Unterbringungsverfahrens wird durch § 18 303 präzisiert. Er legt zugleich die sachliche Zuständigkeit des Gerichts fest: „Über die Zulässigkeit der Unterbringung in den Fällen der §§ 10 und 11 hat das Gericht nach Prüfung der Voraussetzungen der Unterbringung zu entscheiden“. Wie der Verweis auf §§ 10 und 11 zeigt, bezieht sich die gerichtliche Prüfung
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V. Teil: Gerichtliches Unterbringungsverfahren
auf alle Unterbringungen ohne Verlangen. Ausgenommen ist die Unterbringung „auf Verlangen“. Wann eine Unterbringung vorliegt, ist nach den allgemeinen Merkmalen des Unterbringungsbegriffs (§ 2) zu beurteilen (Rz 41 ff ). 1. Zwangsakte im Vorfeld der Anstaltsunterbringung – insb die sicherheitsbehördliche 304 Vorführung – unterliegen ebenso wenig der Überprüfung im Unterbringungsverfahren wie Beschränkungen während der Unterbringung. Für erstere besteht die Beschwerdemöglichkeit an die UVS gem Art 129a Abs 1 Z 2 B-VG (Rz 176 ff ), für letztere sieht das UbG ein abweichend ausgestaltetes – fakultatives – gerichtliches Prüfungsverfahren vor (§ 38; näher Rz 725 ff ). Das Gericht entscheidet also gem §§ 18 ff UbG nur über das Ob, nicht über das Wie des Freiheitsentzuges in der Anstalt. Keine weitere gerichtliche Prüfungskompetenz besteht bei Nichtaufhebung der Unterbringung trotz rechtskräftiger Unzulässigerklärung (Rz 784). 2. Der Überprüfung durch das Unterbringungsgericht unterliegt hingegen eine auf Ersu305 chen der Anstalt vorgenommenen polizeiliche Wiedereinbringung flüchtiger untergebrachter Patienten: VwGH 28. 1. 1994, 93/11/0035, 0036, JBl 1994, 773 f = VwSlg 13.994 A (vgl Rz 187 f) sowie eine Überstellung untergebrachter Personen zwischen psychiatrischen Anstalten bzw Abteilungen: VfSlg 16.119; OGH RdM 2002/62 (vgl Rz 184/1).
b) Gliederung des Verfahrens 306 Das in jeder der materiellen Wahrheitsfindung verpflichteten Verfahrensordnung zu lösende Spannungsverhältnis zwischen den Zielen der Richtigkeit und der Raschheit ist im Unterbringungsverfahren besonders ausgeprägt: Die gerichtliche Kontrolle der Freiheitsentziehung soll einerseits – insb im Hinblick auf die knapp bemessene Frist des Art 6 Abs 1 PersFrG – möglichst schnell stattfinden. Andererseits soll das Verfahren – insb im Hinblick auf die Intensität des in Frage stehenden Grundrechtseingriffs – eine eingehende Prüfung der Unterbringungsvoraussetzungen ermöglichen. Das UbG versucht diesen divergierenden Zielsetzungen durch eine Zweiteilung des Verfahrens (rasche Erstanhörung – mündliche Verhandlung) Rechnung zu tragen. 1. Vgl RV 26; OGH 20. 1. 1993, 3 Ob 510/93, EvBl 1993/120 = RZ 1994/44; 23. 9. 1994, 1 Ob 591/94, EvBl 1995/50; 6. 4. 1995, 2 Ob 523/95. Die rasche Anhörung durch den Richter binnen vier Tagen (§ 19) soll dem Gericht einen unmittelbaren Eindruck vom Kranken verschaffen und in eine vorläufige Entscheidung über die Unterbringung (§ 20) münden. Nur wenn die Unterbringung nach dieser Entscheidung aufrecht bleibt, ist ein eingehendes Ermittlungsverfahren durchzuführen und binnen zwei Wochen eine mündliche Verhandlung abzuhalten (§ 20 Abs 1), in der abschließend entschieden wird (§ 26). 2. Die eng bemessenen Fristvorgaben des UbG und der zwingende (ebenfalls fristabhängige: Art 6 Abs 1 PersFrG) verfassungsrechtliche Rechtsschutzzweck des Unterbringungsverfahrens schließen einen Stillstand des Verfahrens (Unterbrechung, Ruhen, Innehalten iSd §§ 25-29 AußStrG) aus.
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c) Umfang der Prüfungsbefugnis a) Gegenstand des Verfahrens ist die Prüfung der Voraussetzungen der Unterbringung und die Entscheidung über die Zulässigkeit der Unterbringung. Rechtlicher Beurteilungsmaßstab für die Beurteilung der Zulässigkeit sind sämtliche materiellen und formellen Voraussetzungen der Unterbringung. 1. Die Unterbringung ist daher vom Gericht gegebenenfalls auch aus formalen Gründen – trotz Erfüllung der materiellen Voraussetzungen – für unzulässig zu erklären, wenn Verfahrensvorschriften missachtet wurden: LGZ Wien 7. 6. 1994, 44 R 452/94 (verspätete Aufnahmeuntersuchung); OGH 10. 5. 1995, 3 Ob 510/95 (rechtswidriger Entfall der Erstanhörung); LG Linz 1. 2. 1996, 13 R 12/96 (zu prüfen sind „sämtliche Bestimmungen des for-
1. Allgemeines
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mellen und materiellen Rechts“); LG Innsbruck 23. 8. 1996, 52 R 110/96 (fehlende Meldung gem § 17); LG Korneuburg 29. 10. 2001, 25 R 185/01k und 186/01g (Aufnahmeuntersuchung durch Turnusarzt); ausdrücklich bestätigend nun OGH 14. 7. 1998, 4 Ob 192/98h, RdM 1999/14 Anm Kopetzki (Rechtzeitigkeit der Aufnahmeuntersuchung). Ein auf behauptete Verfahrensmängel gestützter Antrag des Patienten darf daher vom Gericht nicht zurückgewiesen werden: OGH 21. 2. 1996, 7 Ob 638/95, RdM 1996/17. 2. Obwohl die Überprüfbarkeit der formellen Unterbringungsvoraussetzungen spätestens seit OGH RdM 1999/14 (zum verfassungsrechtlichen Hintergrund vgl Anm Kopetzki) geklärt scheint, bleibt die Rsp in diesem Punkt schwankend: Deutlich anders zB (zur insofern gleichgelagerten Kontrolle von Beschränkungen) OGH 20. 11. 1997, 2 Ob 347/97m, wonach die formellen Vorschriften des § 33 Abs 3 nur „Ordnungsvorschriften“ seien, deren Einhaltung nicht der gerichtlichen Kontrolle unterliege. 3. Da es für die Pflicht der Anstalt zur Aufhebung der Unterbringung nur auf das Vorliegen der materiellen Unterbringungsvoraussetzungen im Entscheidungszeitpunkt ankommen kann, hat die isolierte Feststellung formeller Mängel nur deklarative Bedeutung. Die Feststellung eines Verfahrensmangels (zB bei Einleitung der Unterbringung) steht daher einer Zulässigerklärung der nachfolgenden Unterbringungszeiträume nicht entgegen (LG Korneuburg 29. 10. 2001, 25 R 185/01k und 186/01g: formale Mängel bei Einleitung des Verfahrens [hier: mangelnde Facharztqualifikation bei Aufnahmeuntersuchung] schließt Zulässigerklärung der Unterbringung nach gerichtlicher Anhörung nicht aus).
b) Die Entscheidungsbefugnis des Gerichts beschränkt sich auf den feststel- 309 lenden Ausspruch über die Zulässigkeit der Unterbringung. Es kann die Unterbringung hingegen weder anordnen noch aufheben; diese beiden Entscheidungen liegen in der Kompetenz des Abteilungsleiters. Im Fall einer Unzulässigerklärung ist dieser freilich zur Aufhebung verpflichtet (§ 32). Eine isolierte Entscheidung über das Vorliegen einer Unterbringung (ohne Abspruch über deren Zulässigkeit) ist vom UbG nicht gedeckt (OGH 9. 2. 1999, 7 Ob 22/99g).
c) Nach anfänglichen Unklarheiten über den maßgeblichen Prüfungszeit- 310 punkt hat sich die Auffassung durchgesetzt, dass das Gericht nicht bloß über die zukünftige Zulässigkeit der Unterbringung entscheidet, sondern dass auch eine rückschauende ex-post-Beurteilung des vor dem Entscheidungszeitpunkt liegenden Unterbringungszeitraumes vorzunehmen ist. Der Patient hat demnach „auch nach der Einleitung eines Unterbringungsverfahrens ein rechtliches Interesse an der Feststellung [...], ob die Unterbringung bereits zu einem früheren Zeitpunkt begonnen hatte und zulässig gewesen war“ (OGH 9. 3. 1993, 4 Ob 513, 514/93; SZ 70/16 = RdM 1997/20). Ein auf dieses Feststellungsinteresse gegründeter Entscheidungsanspruch besteht auch und insb dann, wenn der Patient im Antrags- bzw Entscheidungszeitpunkt bereits entlassen oder die Unterbringung sonst aufgehoben ist (OGH 26. 8. 1993, 2 Ob 539/93, RdM 1994/4; 15. 4. 1993, 2 Ob 511/93, EvBl 1994/4; 22. 2. 1994, 5 Ob 571/93, RdM 1994/22 = NZ 1994, 254; 21. 2. 1996, 7 Ob 638/95, RdM 1996/17; 27. 1. 1998, 4 Ob 17/98y, RdM 1998/3 = EvBl 1988/115). Bei beendeten Unterbringungen wird eine derartige ex-post-Prüfung von der Rsp allerdings nur auf Antrag (oder formlose Anregung) des Patienten oder seines Vertreters vorgenommen (OGH 22. 2. 1994, 5 Ob 571/93, RdM 1994/22 = NZ 1994, 254; LG Linz 11. 11. 1993, 18 R 585/93; 1. 2. 1996, 13 R 12/96; 16. 2. 2000, 21 R 406/99y, EFSlg 97.590). 1. Aufgrund dieser Rsp ist nun jede Beschränkung der Bewegungsfreiheit in der Anstalt auch im Nachhinein einer gerichtlichen Prüfung nach Maßgabe der §§ 18 ff UbG zugänglich (einschließlich des Zeitraums zwischen zwangsweiser Einlieferung bzw dem Beginn der Beschränkungen und dem Abschluss der fachärztlichen Aufnahmeuntersuchung: OGH 13. 2.
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V. Teil: Gerichtliches Unterbringungsverfahren
1997, 2 Ob 25/97h, RdM 1998/3; VwSlg 13.994 A; VwGH 18. 1. 2000, 99/11/0345, ZfVB 2001/563; anders noch LG Salzburg 14. 1. 1998, 21 R 8/98t: Überprüfung erst ab Abschluss des Aufnahmevorganges). Diese Kontrollbefugnis besteht unabhängig davon, ob die ärztlichen Zeugnisse auch tatsächlich erstellt wurden bzw die Unterbringung noch vor der Erstanhörung aufgehoben wurde (OGH 27. 1. 1998, 4 Ob 17/98y, EvBl 1988/115 = RdM 1999/3). Zu prüfen ist insb auch die (materielle und formelle) Rechtmäßigkeit der Aufnahmeuntersuchung (OGH 14. 7. 1998, 4 Ob 192/98h, RdM 1999/14 Anm Kopetzki). Nach alter Rechtslage hatte das Gericht hingegen über die Zulässigkeit der Unterbringung auf der Basis der Sachlage zum Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung zu entscheiden (§ 22 EntmO). Diesem Konzept einer pro-futuro-Prüfung folgte auch noch die RV 25. Zum Wandel der Rsp und zur Entwicklung des Meinungsstandes Kopetzki II 639 ff. 2. Das von der Rsp bejahte Festellungsinteresse zur Kontrolle vergangener Unterbringungszeiträume ergibt sich neben Art 13 EMRK auch aus dem verfassungsgesetzlichen Haftprüfungsanspruch des Art 6 PersFrG, der eine Überprüfung der Gesamtdauer des Freiheitsentzuges seit seinem Beginn fordert (mwN Kopetzki I 325 ff). 3. Da das Unterbringungsgericht eine in zeitlicher und sachlicher Hinsicht umfassende Kompetenz zur Zulässigkeitsprüfung hat, bleibt für eine Zuständigkeit der UVS kein Raum (VwSlg 13.994 A). Die gegenüber diesem gerichtlichen Rechtsweg subsidiäre UVS-Zuständigkeit ist demnach – soweit sie den Freiheitsentzug betrifft – grundsätzlich auf die Entscheidung über Beschwerden gegen die Einlieferung in die Anstalt beschränkt (vgl aber Rz 221 f). Zur möglichen UVS-Beschwerde bei Zwangsakten im Vollzug vgl aber Rz 766. 4. Fällt die Beurteilung unterschiedlicher Unterbringungszeiträume divergierend aus, so 311 sind entsprechend differenzierte Feststellungen zu treffen (zB LGZ Wien 7. 6. 1994, 44 R 452/94; LGZ Graz 17. 8. 1994, 6 R 42/94).
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d) Grundsätze des Verfahrens a) Über die Zulässigkeit der Unterbringung ist im Verfahren außer Streitsachen zu entscheiden (§ 12 Abs 2). Dies bedeutet – sofern das UbG nicht ausdrücklich oder stillschweigend Abweichendes anordnet – eine globale Verweisung auf die allgemeinen Bestimmungen und Grundsätze des außerstreitigen Verfahrensrechts (AußStrG) einschließlich der darin verwiesenen Bestimmungen der ZPO. 1. Der Verweis des § 12 Abs 2 UbG bezieht sich nunmehr auf die Bestimmungen des Allgemeinen Teils des AußStrG 2003 (vgl § 201 AußStrG); dazu – auch zum Folgenden – 2 Mayr/Fucik, Das neue Verfahren außer Streitsachen (2005). Im Hinblick § 1 Abs 3 AußStrG gehen die besonderen Verfahrensregelungen des UbG aber weiterhin als leges speciales vor (vgl allgemein Fucik/Kloiber § 1 Rz 5; Feil/Marent, AußStrG § 1 Anm 1). Das neue AußStrG ist daher nur insoweit anzuwenden, als keine (expliziten oder impliziten) Sonderbestimmungen des UbG bestehen (vgl – zu Abweichungen vom AußStrG – etwa Rz 294/1, 319/1 f, 306, 372/1, 395, 426/1, 431, 433 f, 445, 522/1). Mangels ausdrücklicher Anpassungen kann das Verhältnis zwischen den älteren Spezialbestimmungen des UbG und den (subsidiären) jüngeren Vorschriften des AußStrG allerdings mitunter zweifelhaft sein. Zu den auch im Unterbringungsverfahren anwendbaren Bestimmungen des neuen AußStrG vgl sinngemäß Barth/ Engel § 11 Amn 11 (zum HeimAufG). 2. Soweit das UbG auf die Bestimmungen des Sachwalterbestellungsverfahrens verweist (§ 25 Abs 1) oder diesem nachgebildete Vorschriften enthält, können die dazu entwickelten Grundsätze auch dem UbG zugrunde gelegt werden. Bei Lücken muss im Einzelnen geprüft werden, welche Vorschriften unter Berücksichtigung der Teleologie und der Struktur des Unterbringungsverfahrens als Basis eines Analogieschlusses heranzuziehen sind. Nach Aufhebung der §§ 239, 242 AußStrG aF sind die Verweisungen in § 25 UbG wegen § 201 AußStrG aber nun auf die Allgemeinen Bestimmungen des 1. Hauptstückes (und nicht auf die für Sachwalterschaftsverfahren geltenden spezifischen Regeln des 2. Hauptstücks) zu beziehen. 3. Zur geschäftsordnungsmäßigen Behandlung vgl JABl 1991/2, 10 ff.
1. Allgemeines
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b) Im Unterbringungsverfahren herrscht gem § 18 UbG – abweichend von 313 der allgemeinen Regel des § 8 Abs 1 AußStrG – grundsätzlich Offizialmaxime: Von der Ausnahme der Antragsverfahren nach §§ 31, 38 abgesehen entscheidet das Gericht von Amts wegen über die Einleitung, Fortsetzung und Beendigung des Verfahrens. Die Beteiligten haben idR keine Ingerenz darauf, ob ein Verfahren durchgeführt wird, sobald der Patient ohne Verlangen untergebracht ist. 1. Nur unter der Voraussetzung eines vor Beginn der Unterbringung abgegebenen freiwilligen Unterbringungsverlangens unterbleibt ein Verfahren. Wurde der Patient bereits zwangsweise untergebracht (und daher ein Verfahren eingeleitet), dann ist das Verfahren somit auch dann fortzusetzen, wenn er dem Aufenthalt in der Anstalt später zustimmt. 2. Die einzige Ausnahme von der Amtswegigkeit betrifft den Fall der bereits beendeten Unterbringung, die nur auf entsprechenden Antrag zu überprüfen ist (Rz 310, 324).
c) Die Amtswegigkeit bezieht sich auch auf die Sachverhaltsfeststellung: Im 314 Unterbringungsverfahren gilt der Untersuchungsgrundsatz. Das Gericht hat daher unabhängig vom Vorbringen der Parteien alle entscheidungsrelevanten Umstände vom Amts wegen zu untersuchen („materielle Wahrheit“ ). Das betrifft nicht nur die Krankheit und die Gefährdung, sondern auch die Ermittlung alternativer Behandlungs- und Betreuungsformen (§ 3 Z 2 UbG). 1. Zum Untersuchungsgrundsatz vgl OGH 7. 12. 1993, 6 Ob 631/93; 26. 8. 1993, 2 Ob 539/93; 23. 9. 1994, 1 Ob 591/94, EvBl 1995/50; ausdrücklich nun § 16 AußStrG. Den Patienten trifft daher weder eine Beweispflicht noch eine subjektive Beweislast. Allerdings kann sich eine gewisse objektive Beweislast daraus ergeben, dass dem Gericht für seine Entscheidung nur begrenzte Zeit zur Verfügung steht: Es hat seine Entscheidung binnen einer kurzen Frist zu treffen (§ 20 Abs 1), selbst wenn bis dahin nicht alle Voraussetzungen vollends geklärt sind. Dadurch werden die Auswirkungen des Untersuchungsgrundsatzes im Interesse einer raschen Entscheidung limitiert. Es kann daher auch kein „non liquet“ geben: Lassen sich die Voraussetzungen der Unterbringung innerhalb der zur Verfügung stehenden Frist nicht nachweisen, dann ist sie im Zweifel für unzulässig zu erklären (vgl auch Rz 74). 2. Zur Pflicht des Abteilungsleiteres, die Unterbringungsvoraussetzungen in der Erstanhörung glaubhaft zu machen, vgl aber einschränkend Rz 341.
d) Der Betroffene ist zur Setzung von Verfahrenshandlungen im gerichtli- 315 chen Verfahren nach dem UbG unabhängig von seiner Geschäftsfähigkeit uneingeschränkt verfahrensfähig. Verfahrenshandlungen eines gesetzlichen Vertreters treten zu jenen des Patienten hinzu und ersetzen diese nicht. 1. Vgl näher Kopetzki II 640 f. Eine gerichtliche Vertreterbestellung bei mangelnder Verfahrensfähigkeit (§ 5 AußStrG) scheidet aus, weil das UbG ohnehin besondere Vorsorge für die gesetzliche Vertretung des Patienten trifft (§ 13). 2. In extremen Fällen kann dem Patienten die Postulationsfähigkeit (Verhandlungsfähigkeit) fehlen. Im Hinblick auf die gesetzliche Vertretungsbefugnis des Patientenanwalts wird ein Vorgehen nach § 4 Abs 2 AußStrG (Auftrag zur Bestellung eines Bevollmächtigten) nicht in Frage kommen. Das Recht auf einen Dolmetscher für Gebärdensprache bei Gehörlosen oder Stummen (§ 4 Abs 3 AußStrG) gilt jedoch auch im Unterbringungsverfahren. 3. Für die Parteifähigkeit gelten die allgemeinen Grundsätze (OGH 9. 2. 1999, 7 Ob 22/99g: nicht namentlich identifiziertes Patientenkollektiv nicht parteifähig), vgl nun § 2 AußStrG. Der Abteilungsleiter ist Legalpartei iSd § 2 Abs 1 Z 4 AußStrG.
e) Das Recht des Patienten und seiner Vertreter auf rechtliches Gehör findet 316 im UbG eine besondere Ausprägung. Der Patient darf von den Tagsatzungen nicht ausgeschlossen werden, er hat das Recht, zu allen entscheidungswesentlichen Umständen Stellung zu nehmen und Fragen an die Auskunftspersonen und den Sachverständigen zu stellen (§ 25); der Gerichtsbeschluss ist ihm aus-
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V. Teil: Gerichtliches Unterbringungsverfahren
nahmslos zuzustellen (§ 27). In der Ausgestaltung der mündlichen Verhandlungen liegt auch ein kontradiktorisches Element, das dem Haftprüfungszweck des Verfahrens entspricht. 1. Vgl nun auch § 15 AußStrG. Durch die Zweiseitigkeit des Rechtsmittels in zweiter und dritter Instanz (§§ 48, 68 AußStrG) findet dieses kontradiktorische Element auch ins AußStrG Eingang. 2. Die Verletzung des rechtlichen Gehörs bildet einen vom Amts wegen wahrzunehmenden Nichtigkeitsgrund (§ 55 Abs 3 iVm § 58 Abs 1 Z 1 und 2 AußStrG; so schon die bisherige Rsp zum UbG, vgl Rz 335, 383).
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f) In Zusammenhang mit dem Recht auf Gehör steht das Recht auf Akteneinsicht. Es ermöglicht den Parteien die Kenntnis der behördlichen Entscheidungsgrundlagen. In diesem Sinn räumt der – gem § 22 AußStrG auch hier anzuwendende – § 219 ZPO auch den Parteien des Unterbringungsverfahrens das Recht auf Einsicht in den Prozessakt und auf Erteilung von Abschriften und Auszügen ein (vgl auch § 170 Geo).
1. Davon sind alle bei Gericht aufbewahrten schriftlichen Aufzeichnungen des Verfahrens erfasst (Fasching Rz 620 f ). Zum Anspruch auf Kopien vgl § 89i GOG. Ein dem Akteneinsichtsrecht funktionell gleichzuhaltendes Recht bezieht sich auf die Einsicht in die Krankengeschichte (§ 39) sowie die Übermittlung des Gutachtens (§ 22 Abs 3). 2. Einschränkungen aus therapeutischen Gründen bestehen nur hinsichtlich der Kenntnis 318 des Gutachtens (§ 22 Abs 3) sowie für die Einsicht in die Krankengeschichte (§ 39) und die ärztliche Aufklärung über die Behandlung (§ 35 Abs 2); sie gelten allerdings nur gegenüber dem Patienten, nicht gegenüber seinem Vertreter. Beschränkungen der Akteneinsicht sind hingegen nicht vorgesehen. Soweit die Krankengeschichte und das Gutachten zum Aktenbestandteil geworden sind, würde das umfassende Akteneinsichtsrecht auch den Zugang zu diesen Dokumenten eröffnen und damit die Einsichtsschranken der §§ 39, 22 Abs 3 unterlaufen. Bei systematischer und teleologischer Interpretation ist daher die ursprüngliche Verweisung des § 25 UbG (und nun jene des § 22 AußStrG) auf die ZPO im Einklang mit den Grundwertungen des UbG zu lesen und zur Vermeidung von Wertungswidersprüchen eine Herausnahme dieser Aktenteile vom Einsichtsrecht zuzulassen.
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g) Im Vergleich zu den allgemeinen Verfahrensregeln des AußStrG, die keine obligate mündliche Verhandlung vorsehen (§ 18 AußStrG), ist das Unterbringungsverfahren verstärkt vom Prinzip der Mündlichkeit beherrscht: Das UbG schreibt zwingend die Durchführung einer mündlichen Verhandlung vor (§ 20 Abs 1, §§ 22 ff), die der eingehenden Erörterung der Ermittlungsergebnisse, der Ausübung von Fragerechten an den Sachverständigen und die Zeugen sowie der Wahrung des rechtlichen Gehörs dient. 1. Auch die Vernehmung von Zeugen, Sachverständigen oder Auskunftspersonen hat – von taxativen Ausnahmen abgesehen – mündlich zu erfolgen. Aus der Konzentration der
gerichtlichen Feststellungen in der mündlichen Verhandlung und der Einräumung von Fragerechten ist überdies abzuleiten, dass die Beweisaufnahmen, soweit nicht ausnahmsweise schriftliche Äußerungen genügen, grundsätzlich auch in der mündlichen Verhandlung unter Zuziehung der Parteien erfolgen sollen. 2. Dass die Ergebnisse der Beweisaufnahme in der mündlichen Verhandlung zu erörtern 319/1 sind, ergibt sich nun nicht mehr aus § 242 AußStrG aF iVm § 25 Abs 1 UbG. Auch die gleichlautende Bestimmung des § 121 Abs 6 AußStrG zum Sachwalterbestellungsverfahren ist nicht anwendbar, weil die Verweisung des § 25 Abs 1 UbG wegen § 201 AußStrG auf die allgemeinen Bestimmungen des AußStrG (und nicht auf die Sonderregeln des § 121) zu beziehen ist (vgl Rz 372/1). Im Ergebnis ändert dies aber nichts, weil eine Erörterungspflicht ohne weiteres schon aus § 25 Abs 2 UbG (Stellungnahme- und Fragerecht der Parteien) und § 15 AußStrG (Recht auf Stellungnahme zu Erhebungen; Mayr/Fucik Rz 115) folgt.
1. Allgemeines
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h) Die mündliche Verhandlung einschließlich der Verkündung der richterli- 320 chen Entscheidung ist gem § 19 Abs 1 AußStrG grundsätzlich öffentlich. 1. Bisher galten die Bestimmungen über die mündliche Verhandlung bei der Sachwalterbestellung auch für das Unterbringungsverfahren (§ 25 Abs 1 UbG iVm § 239 AußStrG aF); daraus ergab sich die sinngemäße Anwendung der ZPO betreffend die Öffentlichkeit der mündlichen Verhandlung. Dieser Gleichklang zwischen Sachwalterbestellungs- und Unterbringungsverfahren besteht im neuen AußStrG nicht (aM wohl Mayr/Fucik Rz 492): Denn während § 140 AußStrG für Sachwalterschaftssachen nur Parteiöffentlichkeit als Regelfall vorsieht, muss die (nach der Aufhebung des § 239 AußStrG aF ins Leere gehende) Verweisung des § 25 Abs 1 UbG nun gem § 201 AußStrG sinngemäß auf die allgemeine Regel des 1. Hauptstücks (also auf § 19 AußStrG – Öffentlichkeit) bezogen werden. Dies entspricht auch der ursprünglichen Intention des § 25 Abs 1 UbG. 2. Mit dem Grundsatz der (Volks-)Öffentlichkeit wird grundsätzlich jeder (unbewaffneten: § 171 Abs 2 ZPO) Person ohne Nachweis eines Interesses der Zugang zu den mündlichen Verhandlungen ermöglicht. Dem Erfordernis der Öffentlichkeit ist entsprochen, wenn interessierte Personen auf Nachfrage nicht allzu schwer den Ort der Verhandlung finden können (LGZ Wien 20. 3. 1991, 44 R 251/91). 3. Nicht öffentlich sind hingegen die Erstanhörung (§ 19) oder Tagsatzungen nach § 38.
Der Öffentlichkeitsgrundsatz gilt allerdings nicht unbeschränkt. Zunächst unterliegt der Zutritt zur Verhandlung gewissen immanenten Schranken, die durch die Raumverhältnisse bedingt sind und die solange unbedenklich sind, als sie nicht auf eine gezielte Selektion des Teilnehmerkreises oder auf die gänzliche Verhinderung des Zugangs hinauslaufen. Bewaffnete Personen haben keinen Zutritt (§ 171 Abs 2 ZPO). Unmündigen kann der Zutritt verweigert werden, sofern durch ihre Anwesenheit eine Gefährdung ihrer persönlichen Entwicklung zu besorgen wäre (§ 171 Abs 3 ZPO, jeweils iVm § 19 Abs 5 AußStrG).
Die Gründe für einen Ausschluss der Öffentlichkeit enthält § 19 Abs 2 321 AußStrG: Danach ist die Öffentlichkeit von Amts wegen auszuschließen, wenn durch sie die Sittlichkeit oder die öffentliche Ordnung gefährdet erscheint (Z 1), wenn begründete Besorgnis besteht, dass die Öffentlichkeit der Verhandlung zur Störung der Verhandlung oder zur Erschwerung der Erhebung des Sachverhalts führen könnte (Z 2), oder wenn dies im Interesse einer pflegebefohlenen Person erforderlich ist (Z 3). Überdies kann das Gericht gem § 19 Abs 3 AußStrG auf Antrag einer Partei die Öffentlichkeit aus berücksichtigungswürdigen Gründen ausschließen, insb weil Tatsachen des Familienlebens zu erörtern sind. Der explizite und wichtigste Ausschlussgrund des früheren § 239 AußStrG (Ausschluss der Öffentlichkeit, wenn es das Interesse des Betroffenen erfordert) ist weggefallen, ergibt sich aber nun aus § 19 Abs 2 Z 3 AußStrG. 1. Die von Amts wegen wahrzunehmenden Ausschlussgründe des § 19 Abs 2 AußStrG sind zwingend; es besteht kein richterliches Ermessen. 2. Unter dem „Interesse einer pflegebefohlenen Person“ (§ 19 Abs 2 Z 3 AußStrG) ist bei sinngemäßer Anwendung (§ 25 Abs 1 UbG iVm § 201 AußStrG) wie bisher (§ 239 AußStrG aF) das Interesse des von der Unterbringung betroffenen Patienten zu verstehen. So (zum HeimAufG) im Ergebnis wohl auch Barth/Engel § 14 Rz 1. 3. Nach der bisherigen – auch auf den neuen § 19 AußStrG zutreffenden – Rsp darf ein „Interesse des Betroffenen“ (jetzt: der „pflegebefohlenen Person“) auf Ausschluss der Öffentlichkeit nicht schon damit begründet werden, dass die öffentliche Erörterung seiner psychischen Krankheit und die Publikmachung seiner Unterbringung das Ansehen seiner Person beeinträchtigen könnten. Da dies auf jedes Unterbringungsverfahren zutrifft, würde die Ausnahmeregelung über den Ausschluss der Öffentlichkeit bei dieser Auslegung zur Regel werden, was der Zielsetzung des Gesetzes (§ 239 AußStrG aF iVm § 25 Abs 1 UbG) zuwiderlie-
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V. Teil: Gerichtliches Unterbringungsverfahren
fe. Der Gesetzgeber hat derartige Beeinträchtigungen bewusst in Kauf genommen und nur in besonderen Konstellationen einen Ausschluss zugelassen, die über diese „übliche“ Beeinträchtigung hinausgehen (OGH 25. 7. 1991, 7 Ob 571/91, RZ 1992/68). Dabei ist darauf abzustellen, ob Art und Grad der Krankheit und die besonderen Umstände des Falles geeignet sind, das Ansehen des Betroffenen in den Augen der Mitmenschen in besonderem Ausmaß herabzusetzen oder sein Recht auf Schutz der Intimsphäre zu verletzen. Der OGH bejahte diese Voraussetzung für einen Ausschluss der Öffentlichkeit bei einer „hochgradigen Erkrankung, wobei die Betroffene bei Explorationen zum Teil aggressiv und hysterisch reagiert“. 4. Wurde die Öffentlichkeit ausgeschlossen, kann gem § 19 Abs 5 AußStG eine Partei verlangen, dass außer ihr und ihrem Vertreter auch noch einer Person ihres Vertrauens die Anwesenheit in der mündlichen Verhandlung gestattet werde. Vgl auch die weiteren Verweisungen des § 19 Abs 5 AußStrG auf die ZPO; näher Feil/Marent § 19 Rz 8 f. 5. Wird die Volksöffentlichkeit unzulässigerweise ausgeschlossen, so ist dies zwar Rekursgrund (schwerer Verfahrensmangel gem § 57 Z 2 AußStrG), der Mangel ist jedoch nicht (mehr) von Amts wegen wahrzunehmen (Zangl, ÖJZ 2005, 129); bisher wurde ein Nichtigkeitsgrund angenommen (LGZ Wien 20. 3. 1991, 44 R 251/91).
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i) Mit Einschränkungen verwirklicht das UbG auch den Grundsatz der zeitlichen, sachlichen und persönlichen Unmittelbarkeit (OGH 26. 9. 1991, 7 Ob 590/91): Die Fristregelungen des § 20 und die obligate Entscheidung am Schluss der mündlichen Verhandlung (§ 26) zielen darauf ab, den Zeitraum zwischen Abschluss des Ermittlungsverfahrens und der Entscheidung möglichst gering zu halten (zeitliche Unmittelbarkeit). Die Konzentration von Anhörung, Beweiserörterung und Entscheidung in der mündlichen Verhandlung zeigt, dass die Sachentscheidung nur von jenem Richter gefällt werden darf, der die mündliche Verhandlung durchgeführt hat (persönliche Unmittelbarkeit). Die Zielsetzung einer eingehenden Ermittlung der Unterbringungsvoraussetzungen aufgrund persönlicher Anhörung des Kranken und mündlicher Verhandlung bestätigt den allgemeinen Grundsatz der sachlichen Unmittelbarkeit, wonach sich der Richter nicht mit Beweismaterial minderen Beweiswerts begnügen darf, wenn beweiskräftigeres zur Verfügung steht. 1. Vgl Dolinar 79 f; zum neuen AußStrG Mayr/Fucik Rz 109. Nach OGH 26. 9. 1991, 7 Ob 590/91 muss die Beweisaufnahme und die Entscheidung in der mündlichen Verhandlung (§§ 22 ff) vom selben Richter durchgeführt werden, nicht jedoch die Erstanhörung (§§ 19 f ) und die mündliche Verhandlung. 2. Zur Problematik der durch Sachverständige und anamnestische Angaben einfließenden „Beweise vom Hörensagen“ vgl Rz 369, 688.
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2. Einleitung des Verfahrens Eine ausdrückliche Bestimmung über die Einleitung des Verfahrens enthält das UbG nicht. Aus § 18, wonach das Gericht über die Zulässigkeit der Unterbringung „in den Fällen der §§ 10 und 11“ – das sind die Fälle der Unterbringung ohne Verlangen – zu entscheiden hat, ist aber abzuleiten, dass das Verfahren immer dann einzuleiten ist, wenn ein Kranker (erstmals) ohne Verlangen untergebracht wurde (näher Rz 325). Das Verfahren ist von Amts wegen einzuleiten (RV 25, AB 8), sobald das Gericht von der Unterbringung – auf welche Weise auch immer – Kenntnis erhält (vgl § 19 Abs 1). Ein (neuerliches) Verfahren ist auch dann von Amts wegen einzuleiten, wenn die für zulässig erklärte Unterbringung über die festgesetzte Frist hinaus
2. Einleitung des Verfahrens
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verlängert wird (§ 30) oder wenn das Gericht vor Ablauf der festgesetzten Frist begründete Bedenken gegen das weitere Vorliegen der Unterbringungsvoraussetzungen hegt (§ 31 Abs 1). Ebenfalls vor Ablauf der festgesetzten Frist ist ein neuerliches Verfahren einzuleiten, wenn dies vom Kranken, seinem Vertreter, einem Verwandten in auf- und absteigender Linie, dem Ehegatten oder dem Lebensgefährten beantragt wird (§ 31 Abs 1). Ein Unterbringungsverfahren ist demnach einzuleiten:
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a) bei Aufnahme eines Kranken ohne Verlangen (§ 10 Abs 1 iVm § 18); b) bei „Umwandlungen“ einer Unterbringung auf Verlangen in eine Unterbringung ohne Verlangen, nach Widerruf des Verlangens, bei Nichterneuerung des Verlangens nach 6 Wochen oder nach Ablauf der zulässigen Höchstdauer der „freiwilligen“ Unterbringung von 10 Wochen (oben Rz 284 ff) (§ 11 Z 2 iVm § 10 Abs 1 und § 18); c) bei der (erstmaligen) Unterbringung (=Bewegungsbeschränkung) eines bereits aufgenommenen, aber nicht in seiner Bewegungsfreiheit beschränkten „gewöhnlichen“ Anstaltspatienten (oben Rz 27, 284) (§ 11 Z 1 iVm § 10 Abs 1 und § 18). d) bei Verlängerung der Unterbringung über die festgesetzte Frist hinaus; der Abteilungsleiter hat spätestens vier Tage vor Fristablauf dem Gericht mitzuteilen, aus welchen Gründen er die weitere Unterbringung für erforderlich hält (§ 30 Abs 1, 3) (unten Rz 397 ff); e) vor Ablauf der gerichtlich festgesetzten Frist, wenn dies eine der im § 28 Abs 1 genannten Personen beantragt oder wenn das Gericht begründete Bedenken gegen das weitere Vorliegen der Voraussetzungen der Unterbringung hegt (§ 31 Abs 1) (Rz 408 ff). f) auf Antrag des Patienten oder seines Vertreters ist ein Verfahren schließlich auch dann einzuleiten, wenn das Gericht – etwa mangels Kenntnis von der Unterbringung – das Verfahren nicht von Amts wegen einleitet. Dies ist zwar im UbG nicht ausdrücklich vorgesehen, ergibt sich aber aus dem verfassungsrechtlichen Überprüfungsanspruch gem Art 6 PersFrG. Das gilt insb für eine behauptete (bestehende oder beendete) Unterbringung, die dem Gericht mangels Verständigung unbekannt blieb (vgl Rz 310). 1. Für die amtswegige Einleitung des Verfahrens spielt es keine Rolle, ob und wann die in 325 § 17 und § 30 Abs 3 vorgesehene Verständigung des Gerichts durch den Abteilungsleiter (§ 17) erfolgt ist. Bei jeder Unterbringung „ohne Verlangen“ (einschließlich der Fälle gem § 11 und der Verlängerung gem § 30) ist ein Verfahren auch einzuleiten, wenn die Verständigung des Gerichts rechtswidrigerweise unterbleibt und das Gericht auf andere Weise – etwa durch den Patientenanwalt – von der Aufnahme, Umwandlung oder Verlängerung Kenntnis erhält: Das Verfahren zur Überprüfung der Zulässigkeit der Unterbringung ist also von Amts wegen einzuleiten, sobald das Gericht, von wem auch immer, von der Unterbringung des Kranken erfährt (AB 8; OGH 16. 1. 1992, 7 Ob 639/91, SZ 65/9; 26. 11. 1992, 7 Ob 635/92). Das gilt auch dann, wenn ein Unterbringungsverlangen zwar abgegeben wurde (und die Verständigung daher unterblieb), das Verlangen aber aus welchem Grund immer nicht rechtswirksam ist (zB mangelnde Einsichtsfähigkeit) (vgl oben Rz 224, 250); ebenso dann, wenn Umwandlung in Unterbringung ohne Verlangen gemeldet wurde, obwohl über Widerruf des Verlangens Unklarheit besteht (LG Salzburg 18. 5. 1998, 21 R 223/98k). Ein ähnlicher Fall liegt vor, wenn das Gericht erfährt, dass ein seitens der Anstalt als „nichtuntergebracht“ eingestufter Patient dennoch Bewegungsbeschränkungen unterworfen (und daher „untergebracht“) ist (OGH 16. 1. 1992, 7 Ob 639/91, SZ 65/9). Vgl auch Rz 219. 2. Eine – die Einleitung eines Verfahrens auslösende – „Unterbringung“ iSd UbG liegt nicht nur bei Anhaltungen in einem geschlossenen Bereich, sondern auch bei jeder anderen Beschränkung der Bewegungsfreiheit eines Kranken vor (vgl oben Rz 48 ff). 3. Das Verfahren ist auch einzuleiten, wenn eine Person nach Aufhebung der Unterbrin- 326 gung innerhalb der noch aufrechten gerichtlichen Unterbringungsfrist neuerlich untergebracht wird (OGH 18. 9. 1991, 2 Ob 550/91; 17. 3. 1993, 3 Ob 501/93; 10. 5. 1995, 3 Ob 510/95). Der Unterbringungsbeschluss bezieht sich auf die Zulässigkeit einer konkreten Unterbringung und wird mit deren Aufhebung gegenstandslos. Erfolgt die Entlassung nach
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V. Teil: Gerichtliches Unterbringungsverfahren
einer vorläufigen Zulässigerklärung in der Erstanhörung, so muss im Fall einer neuerlichen Unterbringung ebenfalls wieder eine neue Erstanhörung durchgeführt werden (OGH 10. 5. 1995, 3 Ob 510/95). 4. Bei der Wiedereinbringung entwichener Patienten ist hingegen – sofern die ursprüngliche Frist noch nicht abgelaufen ist – kein neuerliches Verfahren durchzuführen, weil der normative Akt der Unterbringung und eine darauf bezogene Zulässigerklärung nicht dadurch gegenstandslos werden, dass sich der Betroffene der Vollziehung faktisch entzieht (vgl VwGH JBl 1994, 773). Bei Entweichung und Wiedereinbringung vor der mündlichen Verhandlung muss daher eine bereits erfolgte Erstanhörung nicht wiederholt werden. 5. Ob die Überstellung in eine andere Anstalt während aufrechter Frist ein neues Verfahren nach sich ziehen muss, war zum alten Recht fraglich, wird aber nun nach dem UbG zu bejahen sein. Insb ist die Unterbringungsvoraussetzung der „ausreichenden Behandlungsalternative“ (§ 3 Z 2) nur in Bezug auf eine bestimmte Anstalt (Abteilung) zu beurteilen. 6. Bei Einweisungen durch Strafgerichte ist kein Unterbringungsverfahren durchzuführen (Rz 799); zur Überstellungen von Strafgefangenen gem § 71 StVG vgl Rz 809. 7. Bei der Verlängerung der Unterbringung iSd § 30 ist anzunehmen, dass die Verständigung spätestens vier Tage vor Fristablauf beim Gericht eingelangt sein muss und das Verfahren daher spätestens zu diesem Zeitpunkt einzuleiten ist (unten Rz 400). 8. Bei einem Antrag auf Überprüfung ist zunächst zu prüfen, ob im fraglichen Zeitraum eine Unterbringung vorlag; bejahendenfalls ist ihre Zulässigkeit antragsgemäß zu prüfen und auszusprechen, ob die – möglicherweise schon aufgehobene – Unterbringung zulässig oder unzulässig war (OGH 22. 2. 1994, 5 Ob 571/93, RdM 1994/22 = NZ 1994, 254). Der Antrag muss sich aber auf eine bzw mehrere bestimmte Personen beziehen; ein zahlenmäßig und personenmäßig völlig unbestimmtes Patientenkollektiv ist nicht parteifähig (OGH 9. 2. 1999, 7 Ob 22/99g – „derzeit untergebrachte Jugendliche“ einer psychiatrischen Abteilung). Eine Frist für die Antragstellung besteht nicht (LG Salzburg 16. 2. 2000, 21 R 406/99y). 9. Ist das Gericht der Ansicht, dass keine Unterbringung vorliegt oder dass die Unterbringung auf einem wirksamen Unterbringungsverlangen (Unterbringung auf Verlangen) beruht, so ist ein Verfahren nicht einzuleiten. Gegen diese „Entscheidung“ (die keine förmliche Entscheidung ist) besteht kein Rechtsmittel. Stellt der Patient bzw sein Vertreter aber einen entsprechenden Antrag, so muss das Gericht die Verfahrenseinleitung mit förmlichem und begründetem Beschluss ablehnen, wenn es das Vorliegen einer – seine Überprüfungspflicht auslösenden – Unterbringung verneint (LG Linz 11. 11. 1993, 18 R 622-623/93). Ob diese Untätigkeit (zB bei Beurteilungsdivergenzen zwischen Patientenanwalt und Gericht über das Vorliegen einer Unterbringung) durch einen Fristsetzungsantrag gem § 91 GOG bekämpfbar ist, erscheint problematisch (näher Kopetzki II 650 FN 4055).
3. Erstanhörung 331 Nach § 19 Abs 1 hat sich das Gericht binnen vier Tagen ab Kenntnis von der Unterbringung einen persönlichen Eindruck vom Kranken in der Anstalt zu verschaffen, ihn über Grund und Zweck des Verfahrens zu unterrichten und hiezu zu hören („Erstanhörung“). Im Anschluss an diese Anhörung ist gem § 20 eine vorläufige – bei bereits beendeten Unterbringungen eine abschließende (OGH 22. 2. 1994, 5 Ob 571/93, RdM 1994/22 = NZ 1994, 254) – Entscheidung über die Zulässigkeit der Unterbringung zu treffen. 1. Die Durchführung dieses Verfahrensabschnitts ist, jedenfalls wenn die Unterbringung noch andauert, zwingend und steht nicht im Ermessen des Richters (LG Salzburg 24. 1. 1991, 22 R 29/91; vgl jedoch gleich unten 2. 2. Die Rsp lässt einen Verzicht auf die Zweiteilung zu, wenn innerhalb der viertägigen Frist bereits eine abschließende Entscheidung getroffen werden kann (OGH 23. 9. 1994, 1 Ob 591/94, EvBl 1995/50: Wenn bereits innerhalb der Viertagesfrist des § 19 Abs 1 UbG eine ausreichend breite Sachverhaltsgrundlage geschaffen werden kann, bestehe für die im
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Regelfall notwendige Zweiteilung des Verfahrens und damit für die Erstanhörung kein Anlass, weil in diesem Fall bereits eine rasche und richtige Entscheidung in der mündlichen Verhandlung gefällt werden könne. Eine innerhalb der Frist des § 19 durchgeführte mündliche Verhandlung stelle daher einen vollwertigen Ersatz für die Erstanhörung dar). Dies wird insb bei Langzeitpatienten häufig bejaht, deren Zustand sich voraussichtlich nicht ändert (zB LGZ Graz 11. 2. 1999, 6 R 37/99a). Anders freilich, wenn Entscheidungsgrundlage noch nicht ausreicht (LGZ Graz 3. 3. 1999, 6 R 54/99a: Beschluss des Erstgerichts ist dann lediglich als Entscheidung über vorläufige Unterbringung zu deuten und Tagsatzung anzuberaumen). Der Entfall der Zweiteilung des Verfahrens kann allerdings zur Folge haben, dass bestimmte Rechte erst im Rekursverfahren effektiv wahrgenommen werden können: OGH 20. 5. 1999, 6 Ob 96/99g (einem erst im Rekurs gestellten Antrag auf Bestellung eines zweiten Sachverständigen ist vom Rekursgericht zu entsprechen). 3. Wurde die Unterbringung bereits aufgehoben, so ist eine Anhörung und Entscheidung nach § 19 f jedenfalls durchzuführen, wenn es der Patient (Vertreter) verlangt: Rz 310, 329.
a) Zeitpunkt Der viertägige Fristenlauf wird gem § 19 Abs 1 durch die Kenntnis des Ge- 332 richts von der Unterbringung ausgelöst und endet mit dem Ablauf des vierten Tages. Dadurch wird sichergestellt, dass die gerichtliche Entscheidung innerhalb der einwöchigen – mit der Unterbringung beginnenden – Frist des Art 6 Abs 1 PersFrG ergeht. Das setzt freilich voraus, dass die vom Abteilungsleiter „unverzüglich“ zu erstattende Verständigung (§ 17) zumindest am zweiten Tag nach der Unterbringung bei Gericht einlangt; anderenfalls dürfte das Gericht wegen Art 6 PersFrG die viertägige Frist nicht ausschöpfen: Die Entscheidung des Gerichts muss spätestens an jenem Wochentag der nächsten Woche erfolgen, der dem Tag entspricht, an dem die Unterbringung begonnen hat. 1. Außerstreitsachen sind Ferialsachen und sind daher auch während der verhandlungsfreien Zeit („Gerichtsferien“) (§ 222 ZPO: 15. Juli bis 25. August; 24. Dezember bis 6. Jänner) weiterzuführen (vgl Art XXXVI EGZPO; § 23 Abs 1 AußStrG). 2. Für die Fristberechnung gelten sinngemäß die Bestimmungen der (insb §§ 123 ff) ZPO (§ 23 Abs 1 AußStrG); näher Fasching Rz 554 ff. Im Einzelnen gilt folgendes: 3. Die Frist beginnt mit dem auf das fristenauslösende Ereignis – das ist die Kenntnis von 333 der Unterbringung (§ 19 Abs 1) – folgenden Tag (§ 125 Abs 1 ZPO). Bei der „Kenntnis“ des Gerichts von der Unterbringung kommt es auf das Einlangen der Verständigung bei Gericht an. Der Beginn und der Lauf der Frist werden durch Samstage bzw Sonn- und Feiertage nicht gehindert (§ 126 Abs 1 ZPO). 4. Die Frist endet mit Ablauf des vierten Tages; die Anhörung hat daher spätestens am 334 vierten Tag stattzufinden (arg: „binnen“). Abweichend von der im Zivilprozessrecht sonst vorgesehenen Ablaufhemmung an Samstagen, Sonn- und Feiertagen (§ 1 FeiertagsruheG) muss die Fristregelung des § 19 UbG verfassungskonform als eine nach Kalendertagen zu berechnende lex specialis angesehen werden, weil sonst die Wochenfrist des Art 6 Abs 1 PersFrG nicht immer gewährleistet wäre. Wollte man auf § 126 Abs 2 ZPO (iVm BG über die Hemmung des Fristablaufes durch Samstage und den Karfreitag) abstellen, so würde eine Frist, deren Ende auf einen Samstag, Sonn- oder Feiertag fällt, erst mit Ablauf des nächstfolgenden Werktages enden. Damit könnte sich der Zeitraum bis zur Erstanhörung auf eine Woche, im Fall einer postalischen Verständigung auch auf über zehn Tage ausdehnen. Richtigerweise kann daher die Viertagesfrist des § 19 auch an Sonn- und Feiertagen enden; eine Anhörung ist daher gegebenenfalls – sofern nicht zu einem früheren Zeitpunkt möglich – auch an diesen Tagen durchzuführen.
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V. Teil: Gerichtliches Unterbringungsverfahren
b) Anhörung a) Das Gericht hat bei der gem § 19 abzuhaltenden Tagsatzung sich einen persönlichen Eindruck vom Kranken in der Anstalt zu verschaffen (§ 19 Abs 1), den Kranken über Grund und Zweck des Verfahrens zu unterrichten und hiezu zu hören (§ 19 Abs 1), in die Krankengeschichte Einsicht zu nehmen (§ 19 Abs 2), sowie den Patientenanwalt und den Abteilungsleiter zu hören. Gesetzliche oder gewillkürte (bevollmächtigte) Vertreter sind ebenfalls zu hören, sofern sie in der Anstalt anwesend sind (§ 19 Abs 2).
1. Die Anhörung hat eine Doppelfunktion, sie ist „rechtliches Gehör und Untersuchungsakt“ (vgl Ehrenzweig, NZ 1913, 78; OGH 23. 9. 1994, 1 Ob 591/94, EvBl 1995/50). Beide Zwecke, nämlich die unmittelbare richterliche Sachverhaltswahrnehmung und die Wahrung des rechtlichen Gehörs, bedingen, dass sich der Richter den kommunikativen Möglichkeiten des Patienten anpasst und um ein Vertrauensverhältnis bemüht. Dass sich der Patient zum Tagsatzungstermin auf Ausgang befindet und daher seine Anhörung unterbleibt, ist mit § 19 UbG unvereinbar. Vgl auch Rz 384. 2. Die Verpflichtung der Anstalt, dem Gericht Abschriften oder Kopien der Krankengeschichte zur Verfügung zu stellen, ergibt sich nicht aus dem UbG, sondern aus § 10 Abs 1 Z 4 KAKuG bzw den entsprechenden Landes-KAG. 3. Die Bestimmung, dass nur die „in der Anstalt anwesenden“ Vertreter des Kranken zu hören sind, führt zu mehr oder weniger zufälligen Ergebnissen, da diese Personen von der Unterbringung nicht zwingend zu informieren sind (eine Verständigungspflicht besteht nur gegenüber dem Patientenanwalt und – auf Verlangen des Kranken – dem „Rechtsbeistand“: § 10 Abs 3) und sie daher von der Tagsatzung regelmäßig keine Kenntnis haben. 4. Patientenanwalt, Abteilungsleiter und (erforderlichenfalls) Sachverständige müssen zur Erstanhörung (rechtzeitig und mit Angabe von Ort und Zeit) geladen werden. 5. Die Verletzung des rechtlichen Gehörs begründet auch in der Erstanhörung einen Nichtigkeitsgrund (Rz 316); vgl daher sinngemäß Rz 383. Dies ist etwa der Fall, wenn der Patientenanwalt von einer Terminverlegung nicht rechtzeitig verständigt wird und das Gericht ad hoc einen Pfleger als Vertreter bestellt (LGZ Wien 13. 1. 1998, 44 R 975/97a). Entgegen LGZ Graz 18. 1. 1995, 6 R 19/95, wird der Mangel der Anhörung des Patientenanwalts während der Erstanhörung durch die Einvernahme in der mündlichen Verhandlung nicht saniert, weil beide Verfahrensabschnitte unterschiedliche Verfahrensgegenstände aufweisen. 6. Gem § 21 kann gleichzeitig mit der Anhörung im Unterbringungsverfahren auch eine „Erstanhörung“ im Sachwalterverfahren durchgeführt werden, wenn sich die Bestellung eines einstweiligen Sachwalters als erforderlich erweist; dazu Rz 511 ff.
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b) Die Beiziehung eines psychiatrischen Sachverständigen bei der Anhörung ist gem § 19 Abs 3 UbG bloß fakultativ (arg „kann“). Bei der Ausübung des dadurch eingeräumten Ermessens ist einerseits auf die Komplexität des konkreten Falles, andererseits auf den besonderen Zeitdruck Bedacht zu nehmen, unter dem die Tagsatzung steht. Wird ein Sachverständiger beigezogen, so darf er nicht der Anstalt angehören, in der sich der Kranke befindet (§ 19 Abs 3). Die schriftliche Erstattung eines Gutachtens ist in diesem Verfahrensstadium nicht zwingend vorgesehen. 1. Der Richter kann also ohne Sachverständigen die Unterbringung bei der Anhörung für unzulässig erklären, wenn er aufgrund seines persönlichen Eindrucks vom Kranken zum Ergebnis kommt, dass die Voraussetzungen für die Unterbringung nicht vorliegen. In OGH 26. 9. 1991, 7 Ob 585/91, wird dies bejaht, wenn „sich aus der Krankengeschichte und der Anhörung des Abteilungsleiters nicht deutlich ergibt, dass eine Behandlung in der Anstalt we-
3. Erstanhörung
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gen einer psychischen Erkrankung [ergänze: und einer Selbst- oder Fremdgefährdung] unbedingt erforderlich ist“ (ebenso LG Salzburg 29. 5. 2002, 21 R 192/02k, EFSlg 101.280). Gelingt dem Abteilungsleiter die Glaubhaftmachung der Unterbringungsvoraussetzungen nicht, „dann muss auch der geordnete, realitätsbezogene Eindruck des Patienten zu einer Entscheidung im Sinne des § 20 Abs 2 führen, auch wenn das Gericht bei der Anhörung keinen Sachverständigen beigezogen hat“. 2. Nach hA ist die Beiziehung eines Sachverständigen bei der Erstanhörung jedenfalls dann geboten, wenn sich der Fall bereits nach den vorliegenden ärztlichen Zeugnissen als schwierig darstellt (Hopf/Aigner § 19 Rz 8; LG Linz 30. 10. 1997, 13 R 507/97p). 3. Zur Person des Sachverständigen vgl näher Rz 359 f. 4. Die (zusätzliche) Beiziehung von „sachverständigen“ Ärzten der Abteilung wird durch § 19 Abs 3 nicht ausgeschlossen, weil der Richter im Außerstreitverfahren alle zur Sachverhaltsermittlung geeigneten Beweismittel heranziehen kann (§ 31 Abs 1 AußStrG).
c) Sofern dies im Rahmen der Behandlung vertretbar ist, hat der Abtei- 337 lungsleiter dafür zu sorgen, dass der Kranke nicht unter einer die Anhörung beeinträchtigenden ärztlichen Behandlung steht (§ 19 Abs 1 letzter Satz). Mit der Einrichtung eines der Unterbringung nachfolgenden Unterbringungsverfahrens hat der Gesetzgeber in Kauf genommen, dass der Patient dem Gericht in einem durch therapeutische Maßnahmen möglicherweise bereits beeinflussten Zustand gegenübertritt. Das kann – je nach Krankheitsbild – der Kommunikation mit dem Kranken durchaus förderlich sein, birgt aber auch die Gefahr in sich, dass die Ausübung der Parteirechte des Patienten wie auch die richterliche Sachaufklärung gerade durch jene Maßnahmen beeinträchtigt wird, deren Kontrolle das Verfahren dient. Dieser Problematik versucht § 19 Abs 1 letzter Satz UbG Rechnung zu tragen. Das Gesetz schließt eine Behandlung des Patienten vor der Erstanhörung keineswegs aus, es knüpft sie aber an zwei restriktive Bedingungen: Eine Behandlung hat zu unterbleiben, wenn sie (1) die Anhörung beeinträchtigt und wenn (2) der Entfall der Therapie „im Rahmen der Behandlung vertretbar ist“. Beide Kriterien werfen angesichts ihrer inhaltlichen Unbestimmtheit schwierige Probleme auf :
aa) Wann die Anhörung „beeinträchtigt“ wird, muss in Bezug auf die Ziel- 338 setzungen der Anhörung beurteilt werden: Eine Beeinträchtigung der in § 19 Abs 1 vorgesehenen Anhörung des Patienten liegt zum einen dann vor, wenn dieser durch – zB psychopharmakologische – Einflüsse in einen Zustand der Bewusstseinstrübung und Teilnahmslosigkeit versetzt wird, der ihn daran hindert, dem Gang der Tagsatzung zu folgen und sich hiezu zu äußern. Zum zweiten kann es den „persönlichen Eindruck“ des Richters (§ 19 Abs 1) und damit die Unmittelbarkeit der Beweisaufnahme behindern, wenn der Richter nicht mehr mit den Krankheitssymptomen des Patienten, sondern mit einem Spektrum pharmakologischer Haupt- und Nebenwirkungen konfrontiert wird. bb) Auch eine die Anhörung beeinträchtigende Behandlung ist nach § 19 339 Abs 1 nur dann zu unterlassen, wenn dies im Rahmen der Behandlung vertretbar ist. Der Maßstab dieser Vertretbarkeit muss aus dem systematischen Zusammenhang anderer Bestimmungen des UbG gewonnen werden. Eine die Anhörung beeinträchtigende Behandlung ist nicht schon deshalb „vertretbar“, weil die Behandlung medizinisch indiziert ist. Denn medizinisch nicht indizierte Behandlungen sind schon nach § 35 Abs 1 unzulässig, weil dies den „Grundsätzen und anerkannten Methoden der medizinischen Wissenschaft“ widerspräche. Die Grenze zwischen „vertretbaren“ und „unvertretbaren“ Beeinträchtigungen lässt sich demnach nicht allein anhand der medizinischen Notwendigkeit ziehen. Auch hinter § 19 steht der Konflikt zwischen therapeutischen Gesichtspunkten und dem Freiheitsschutz des Patienten; er erfordert eine Abwägung der Interessen. Unproblematisch ist der Fall, dass eine medizinisch gleich zielführende Art bzw Intensität der Behandlung zur Verfügung steht, welche die Anhörung nicht oder geringer
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V. Teil: Gerichtliches Unterbringungsverfahren
beeinträchtigt. Diesfalls ist jene Behandlung zu wählen, die mit den Zielen der Anhörung eher vereinbar ist. Ein weiterer Anhaltspunkt dafür, wann der Gesetzgeber den Aufschub einer medizinisch notwendigen Behandlung zur Wahrung der Zwecke des Verfahrens für „vertretbar“ hält, kann § 37 entnommen werden. Dieser lässt eine zustimmungslose (besondere) Heilbehandlung ohne Vorliegen der gerichtlichen Genehmigung zu, wenn die Behandlung so dringend notwendig ist, dass ihr Aufschub das Leben des Kranken gefährden oder mit der Gefahr einer schweren Schädigung der Gesundheit verbunden wäre. Die darin zum Ausdruck kommende Wertung kann wegen der Ähnlichkeit der Problematik zur Auslegung der Vertretbarkeit iSd § 19 Abs 1 herangezogen werden: Eine die Anhörung beeinträchtigende, medizinisch notwendige und durch keine weniger beeinträchtigende Alternative ersetzbare Behandlung wäre demnach zulässig, wenn sie so dringend notwendig ist, dass ihre Verzögerung mit Lebensgefahr oder der Gefahr einer schweren Gesundheitsschädigung einhergehen würde.
c) Vorläufige Entscheidung über die Zulässigkeit 340 a) Das Gericht kann im Zuge der Tagsatzung zwei Arten von Sachentscheidungen treffen: Gelangt es bei der Anhörung zum Ergebnis, dass die Voraussetzungen der Unterbringung vorliegen (vorlagen), so hat es die Unterbringung bis zur endgültigen Entscheidung vorläufig für zulässig zu erklären (§ 20 Abs 1). Gelangt das Gericht hingegen zum Ergebnis, dass die Voraussetzungen der Unterbringung nicht vorliegen, so hat es diese – gegebenfalls für bestimmte Zeiträume – für unzulässig zu erklären (§ 20 Abs 2 1. Satz). 1. Das Gericht muss eine der beiden in § 20 vorgesehenen Entscheidungen treffen und kann davon auch in zweifelhaften Fällen nicht absehen. 2. Ein bloß feststellender Beschluss über das Vorliegen einer Unterbringung, ohne gleichzeitig über die Zukässigkeit einer Unterbringung konkret abzusprechen, ist im UbG nicht vorgesehen (OGH 9. 2. 1999, 7 Ob 22/99g). 3. Aus der Zweiteilung des Unterbringungsverfahrens mit jeweils ganz unterschiedlich 341 ausgeprägten Beweiserfordernissen und Entscheidungsfristen ist freilich der Schluss zu ziehen, dass der Gesetzgeber für die Erstentscheidung nach § 20 nicht jene erschöpfende Sachverhaltsaufklärung und jenes Maß an Gewissheit bei der Feststellung der Unterbringungsvoraussetzungen verlangt wie für die endgültige Entscheidung im fortgesetzten Verfahren. Es genügt die – im wesentlichen vom Abteilungsleiter zu leistende – Glaubhaftmachung der Unterbringungsvoraussetzungen (OGH 26. 9. 1991, 7 Ob 585/91; LG Salzburg 18. 3. 1994, 22a R 79/94; 11. 5. 1994, 22a R 146/94; LG 29. 5. 2002, 21 R 192/02k, EFSlg 101.281; LG Linz 17. 7. 2003, 35 R 46/03t); zum Begriff der Glaubhaftmachung („geringerer Grad der Überzeugung“) vgl Feil/Marent § 32 Rz 6. Auch die Rsp stellt geringere Anforderungen an den Nachweis der Unterbringungsvoraussetzungen bei der Anhörung gem §§ 19 f: LGZ Wien 2. 3. 1993, 44 R 31, 32, 136/91; LG Innsbruck 8. 11. 1991, 3b R 161/91; LG Salzburg 10. 4. 1991, 22 R 158/91 (in Erstanhörung geht es nicht darum, Grenzfälle abschließend zu beurteilen); 10. 4. 1996, 21 R 163/96 (verlässliche Einschätzung erst nach Verlaufsbeobachtung möglich). Fehlt es jedoch sogar an einer ausreichenden Glaubhaftmachung, wird die Unterbringung für unzulässig zu erklären sein (zB LG St. Pölten 16. 11. 1999, 10 R 393/99t; vgl auch Rz 74). 4. Der Beschluss ist mündlich zu verkünden; eine schriftliche Beschlussausfertigung ist 342 nicht vorgesehen (e contrario § 27 UbG; LGZ Wien 7. 7. 1992, 44 R 494/92; 28. 8. 1992, 44 R 658/92; LG Salzburg 17. 2. 1993, 22a R 67/93; 29. 5. 2002, 21 R 126/02d, EFSlg 101.282). Diese Grundsätze des UbG bleiben auch durch § 36 AußStrG unberührt. Auch der mündlich verkündete Beschluss ist zu begründen und zu protokollieren (LG Salzburg 24. 1. 1991, 22 R 29/91; 7. 2. 1991, 22 R 49/91; 7. 2. 1991, 22 R 48/91; 17. 2. 1993, 22a R 67/93; LGZ Wien 28. 8. 1992, 44 R 658/92; LG St. Pölten 18. 11. 1992, R 816/92; LG Salzburg 11. 4. 2001, 21 R 67/01a, EFSlg 97.547; 29. 5. 2002, 21 R 125/02d, EFSlg 101.283; 8. 7. 2003, 21 R 250/03s). Aus dem sofortigen Eintritt der Rechtsfolgen eines Unzulässigkeitsbeschlusses (§ 20 Abs 2) ist ferner (und entgegen §§ 43 f AußStrG) abzuleiten, dass der Beschluss bereits durch die mündliche Verkündung erlassen ist und – sofern
3. Erstanhörung
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einem Rekurs des Abteilungsleiters nicht aufschiebende Wirkung zuerkannt wird – Wirksamkeit erlangt (ausdrücklich noch § 12 Abs 3 RV; wie hier LGZ Wien 7. 7. 1992, 44 R 494/92; 28. 8. 1992, 44 R 658/92).
b) Hinsichtlich der Rechtsfolgen des Beschlusses ist zu unterscheiden: 343 – Erklärt das Gericht die Unterbringung vorläufig für zulässig, so ist eine mündliche Verhandlung anzuberaumen, die spätestens innerhalb von vierzehn Tagen nach der Anhörung stattzufinden hat (§ 20 Abs 1). In diesem Fall wird das Verfahren zum Zweck einer eingehenden Prüfung der Unterbringungsvoraussetzungen fortgesetzt. – Erklärt das Gericht die Unterbringung für unzulässig, so ist die Unterbringung sogleich aufzuheben, es sei denn, der Abteilungsleiter erklärt, dass er gegen diesen Beschluss Rekurs erhebt und das Gericht diesem Rekurs sogleich – dh noch in der Tagsatzung – aufschiebende Wirkung zuerkennt (§ 20 Abs 2). 1. Die Pflicht zur Aufhebung der Unterbringung tritt ex lege aufgrund des die Unzulässigkeit der Unterbringung feststellenden Beschlusses ein. Diese Rechtsfolge muss im Spruch daher nicht gesondert ausgesprochen werden (aM LGZ Wien 22. 2. 1994, 44 R 139/94). Die in der Rsp gelegentlich anzutreffenden spruchförmigen Entlassungsanordnungen (zB LGZ Wien 17. 12. 1997, 44 R 960/97w) sind auch sachlich ungenau, weil die gebotene Aufhebung der Unterbringung nicht mit der Entlassung gleichzusetzen ist (Rz 776). 2. Mit der Endentscheidung im fortgesetzten Verfahren ist die vorläufige Entscheidung nach § 20 UbG wegen ihres bloß provisorialen Charakters „überholt“ (OGH 20. 1. 1993, 3 Ob 510/93, EvBl 1993/120 = RZ 1994/44; 11. 1. 2000, 10 Ob 377/99b). Vgl Rz 354 f. 3. Abgesehen vom Rekurs des Abteilungsleiters gegen eine Unzulässigerklärung (Rz 345 344 ff ) ist gegen die Entscheidung in der Erstanhörung (einschließlich der Entscheidung über die aufschiebende Wirkung eines Rekurses des Abteilungsleiters) ein abgesondertes Rechtsmittel nicht zulässig (§ 20 Abs 3 UbG). Der Patient (sein Vertreter) kann daher den Beschluss über die vorläufige Zulässigkeit der Unterbringung nicht selbständig bekämpfen. Aus der Formulierung des § 20 Abs 3, der nur ein abgesondertes Rechtsmittel ausschließt, ergibt sich aber, dass die Entscheidung gemeinsam mit der nächsten selbständig anfechtbaren Entscheidung – das ist die Entscheidung in der mündlichen Verhandlung gem § 26 UbG – angefochten werden kann (OGH 26. 9. 1991, 7 Ob 585/91; nach LGZ Wien 16. 2. 1993, 44 R 33/93 kann der Zulässigkeitsbeschluss gem § 20 auch gemeinsam mit einer gleichzeitig erlassenen Entscheidung über die Zulässigkeit einer Heilbehandlung bekämpft werden). 4. Nach LGZ Graz 18. 12. 1996, 6 R 334/96y, gilt der Ausschluss eines abgesonderten Rechtsmittels auch für einen Beschluss, mit dem das Erstgericht die Tagsatzung zur Einholung eines zweiten Gutachtens auf unbestimmte Zeit erstreckt. 5. Entfällt die Endentscheidung gem § 26, weil die Unterbringung vorher aufgehoben wurde (Rz 387), so kann die Erstentscheidung selbständig angefochten werden (LGZ Wien 2. 3. 1993, 44 R 31, 32, 136/91; LG Linz 11. 11. 1993, 18 R 585/93; LG Innsbruck 23. 8. 1996, 52 R 109/96b; LG Salzburg 29. 5. 2002, 21 R 126/02d, EFSlg 101.284; 8. 7. 2003, 21 R 250/03s; abl LG Klagenfurt 8. 9. 1998, 1 R 229/98s). Die Rechtsmittelfrist beginnt dann mit dem Zeitpunkt der Erkennbarkeit, dass die Entscheidung nach § 26 entfällt, das ist frühestens mit Aufhebung der Unterbringung (LG Salzburg 2. 2. 2000, 21 R 21/00k, EFSlg 97.555). Kein Rekursrecht hat allerdings der nicht mehr untergebrachte Patient gegen Zuerkennung der aufschiebenden Wirkung an den Rekurs des Abteilungsleiters: Da der Rekurs des Abteilungsleiters in dieser Konstellation ohnehin als gegenstandslos angesehen wird (Rz 352), erwächst die erstgerichtliche Unzulässigerklärung in Rechtskraft; dem Patienten fehlt daher das Rechtsschutzinteresse an einem isolierten Ausspruch über die aufschiebende Wirkung (LG Linz 11. 11. 1999, 14 R 586/99s).
c) Erklärt das Gericht die Unterbringung gem § 20 Abs 1 für zulässig, so hat 344/1 es gem § 39b Abs 2 die im Bericht der Sicherheitsorgane angeführte Sicherheitsbehörde von der Zulässigkeitsentscheidung zu verständigen.
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V. Teil: Gerichtliches Unterbringungsverfahren
1. Zum Inhalt der Verständigung Rz 189/7. Betrifft die Entscheidung einen Patienten, der nicht gem § 9 eingeliefert wurde (diesfalls gibt es keinen Bericht) oder wird die Unterbringung für unzulässig erklärt, so entfällt eine Verständigung. Nach RV 457 BlgNR 17. GP 68 soll die Verständigung auch dann unterbleiben können, wenn sich die Sicherheitsbehörde aus dem Bericht nicht ergibt und sie auch nicht ohne weiteres festgestellt werden kann. Dieser Verzicht des Gesetzgebers auf eine weitergehende gerichtliche Nachforschungspflicht dispensiert aber nicht von einem Blick in den Amtskalender. Näher Kopetzki, RdM 1997, 166. 2. Obwohl das UbG über den Zeitpunkt der Verständigung schweigt, wird diese ohne Verzug unmittelbar nach der Erlassung der Entscheidung vorzunehmen sein; bei verspätetem Einlangen der Meldung gem § 17 kommt auch nachträgliche Verständigung in Betracht. 3. Das Gericht ist zur Verständigung gem § 39b Abs 2 nicht nur ermächtigt, sondern auch verpflichtet. Auf amtshaftungsrechtliche Folgen unterbliebener Verständigungen sei im Hinblick auf den Schutzzweck (Verlässlichkeitsprüfung durch Waffenbehörde etc) hingewiesen.
d) Der Rekurs des Abteilungsleiters und seine Wirkung 345 a) Wie schon nach § 24 Abs 3 EntmO hat der Abteilungsleiter gem § 20 Abs 2 UbG die Möglichkeit, gegen den Beschluss, mit dem das Gericht die Unterbringung für unzulässig erklärt, Rekurs zu erheben und damit – sofern das Gericht dem Rekurs aufschiebende Wirkung zuerkennt – den Eintritt der Verpflichtung zur Aufhebung der Unterbringung aufzuschieben. Zur Vermeidung von Verzögerungen und „zur Wahrung der Interessen des Kranken“ (AB 9) ist in § 20 Abs 2 vorgesehen, dass der Abteilungsleiter seinen Rekurs sofort nach mündlicher Beschlussverkündung anzumelden und innerhalb von drei Tagen auszuführen hat. Im Gegensatz zur bisherigen Rechtslage und auch zu den allgemeinen Regeln der §§ 42-44 AußStrG tritt die aufschiebende Wirkung des Rekurses aber nicht mehr ex lege ein, sondern muss vom Gericht nach der Rekursanmeldung ausdrücklich zuerkannt werden; anderenfalls ist die Unterbringung unbeschadet der Rekursanmeldung „sogleich“ aufzuheben. Damit ist sichergestellt, dass in jedem Fall das Gericht darüber entscheidet, ob die Unterbringung sofort aufzuheben ist oder nicht. 1. Der Abteilungsleiter ist gem § 20 Abs 2 nur zur Anfechtung von Sachentscheidungen legitimiert, mit denen die Unzulässigkeit der Unterbringung ausgesprochen wird: OGH 8. 4. 1992, 3 Ob 504/92, EvBl 1992/145 = RZ 1993/89; 4. 6. 1993, 8 Ob 563/93. 2. Andere Ärzte als der mit der Leitung der Abteilung betraute (Fach)Arzt (bzw sein Ver346 treter: § 4 Abs 2) können einen Rekurs weder wirksam anmelden noch erheben. Das gilt insb für Turnusärzte, denen die vom UbG im Zusammenhang mit der Rechtsmittellegitimation geforderte Facharzteigenschaft (§ 28 Abs 2 iVm § 4 Abs 2) fehlt (wie hier LG Klagenfurt 10. 1. 1992, 1 R 9/92; LG Salzburg 19. 8. 1998, 21 R 385/98h); ebenso für praktische Ärzte, die lediglich die Berufsberechtigung für Allgemeinmedizin besitzen (LG Linz 23. 5. 1997, 13 R 230/97b). Die mangelnde Rechtsmittellegitimation kann auch durch die interne Rücksprache mit dem Abteilungsleiter nicht kompensiert werden (LG Linz 14. 11. 1996, 13 R 485/96a). 3. Wird der Rekurs nicht rechtzeitig in der Tagsatzung angemeldet, so erlischt das Rekursrecht des Abteilungsleiters; vgl Rz 416. 4. Die dreitägige Ausführungsfrist beginnt mit der mündlichen Verkündung, wobei der Tag der Beschlussverkündung gem § 125 Abs 1 ZPO (iVm § 23 AußStrG) nicht mitzuzählen ist (LG St. Pölten 28. 4. 1993, R 278/93). Zur Berechnung dieser prozessualen (LG Salzburg 11. 2. 2004, 21 R 447/03m) Frist vgl sinngemäß Rz 418, 421. 5. Eine dem § 28 Abs 2 entsprechende Regelung, wonach das Gericht nach Einlangen des Rekurses zu prüfen hat, ob dem Rekurs weiterhin aufschiebende Wirkung zukommt, fehlt in § 20 Abs 2. Da das Gericht aber nach § 1 Abs 1 UbG zum Schutz der Rechte des Betroffenen verpflichtet ist, muss auch ohne ausdrückliche Regelung eine Pflicht angenommen werden, die aufschiebende Wirkung wieder abzuerkennen, wenn sich aus der schriftlichen Re-
3. Erstanhörung
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kursausführung ergibt, dass die Voraussetzungen für die Zuerkennung weggefallen sind oder nie bestanden. 6. Auch gegen die Entscheidung über die Zuerkennung der aufschiebenden Wirkung ist ein abgesondertes Rechtsmittel nicht zulässig (§ 20 Abs 3). Vgl auch Rz 344. 7. Zu weiteren inhaltlichen und formellen Rekursvoraussetzungen vgl Rz 426. 8. Da gegen die Entscheidung zweiter Instanz kein weiterer Rechtszug eröffnet ist (vgl Rz 355), ist das Rekursverfahren in diesem Stadium (anders als nach § 48 Abs 1 AußStrG und anders als im fortgesetzten Verfahren: Rz 432/1) nicht mehrseitig ausgestaltet.
b) Die Rechtsfolge der Zuerkennung der aufschiebenden Wirkung liegt dar- 347 in, dass der Abteilungsleiter trotz der gerichtlichen Unzulässigerklärung vorläufig nicht zur Aufhebung der Unterbringung verpflichtet ist. Da die Verpflichtung zur Aufhebung der Unterbringung dadurch ausgelöst wird, dass das Gericht die Unterbringung für „nicht zulässig“ erklärt, bedeutet die Zuerkennung der aufschiebenden Wirkung im vorliegenden Zusammenhang nichts anderes, als dass der gerichtliche Unzulässigkeitsbeschluss – also die autoritative Feststellung der Unzulässigkeit der Unterbringung – vorläufig keine rechtliche Wirksamkeit erlangt. Erkennt das Gericht dem in der Tagsatzung angemeldeten Rekurs aufschiebende Wirkung zu, dann tritt die Wirksamkeit des Beschlusses – also die autoritative Feststellung der Unzulässigkeit und die daran anknüpfende Verpflichtung des Abteilungsleiters zur Aufhebung der Unterbringung – erst ein, sobald a) die dreitägige Rekursfrist ungenützt verstrichen ist, b) der Abteilungsleiter den Rekurs zurückzieht, oder c) das Rekursgericht die Unterbringung für unzulässig erklärt.
c) Der Zweck des Anstaltsrekurses liegt darin, dass dem Abteilungsleiter da- 348 mit ein Mittel zur Verfügung gestellt wird, um eine nach seiner Ansicht den Grundsätzen des § 3 UbG widersprechende Entscheidung anzufechten. Die ratio legis des Anstaltsrekurses liegt also darin, dass der Abteilungsleiter den Vollzug einer gerichtlichen Entlassungsentscheidung verhindern kann, wenn er aufgrund seines Sachverstandes und der Erfahrung mit dem konkreten Patienten die Unterbringungsvoraussetzungen entgegen der erstgerichtlichen Beurteilung für erfüllt erachtet (AB 9; RV 26). Das Rekursrecht dient damit als Instrument zur Geltendmachung der durch die Unterbringung zu verfolgenden öffentlichen Interessen der Gefahrenabwehr im gerichtlichen Verfahren. 1. Eine spezifische Besonderheit liegt darin, dass hier der rekurslegitimierte Abteilungsleiter zugleich jenes behördliche Organ ist, welches die Verhängung der Unterbringung zu verantworten hat. Daraus ergibt sich zwangsläufig, dass der Abteilungsleiter mit der Rekurserhebung immer auch die Rechtmäßigkeit seiner eigenen Kompetenzausübung vertritt und damit jene organschaftlichen Interessen und Verwaltungsaufgaben schützt, die das UbG der Anstalt im Zusammenhang mit der Unterbringung übertragen hat. Eigentliches Ziel des Anstaltsrekurses bleibt aber die Erlangung einer – wenngleich höherinstanzlichen – objektiv richtigen Entscheidung über die Unterbringung, nicht etwa die Wahrung eigener subjektiver Rechte des Abteilungsleiters, der Ärzte oder des Anstaltsträgers. 2. Nach der älteren Rsp über den Zweck des Anstaltsrekurses (OGH 22. 10. 1992, 1 Ob 599/92, JBl 1993, 455; vgl auch 8. 4. 1992, 3 Ob 504/92, EvBl 1992/145 = RZ 1993/89) diene das Rekursrecht „der Abwehr des durch eine gerichtliche Sachentscheidung gegen die Anstalt gerichteten Vorwurfs gesetzwidriger Vorgangsweise“. Inzwischen herrscht die Ansicht vor, der Abteilungsleiter habe im gerichtlichen Verfahren ausschließlich die Interessen des Kranken auf „wirksame Behandlung“ wahrzunehmen, nicht hingegen etwa die Interessen des Krankenhauses oder der behandelnden Ärzte (OGH 17. 6. 1993, 8 Ob 537/92; 9. 9. 1992, 2 Ob 566/92; 27. 8. 1992, 6 Ob 568/92; 23. 2. 1993, 1 Ob 518/93, NRsp 1993/167; 20. 4. 1993, 1 Ob 600/92; 10. 3. 1994, 6 Ob 543/94; 19. 12. 1994, 4 Ob 576/94, SZ 67/230 = RdM 1995/12; 9. 2. 1995, 2 Ob 507/95. „Nach richtigem Verständnis der Stellung und Aufgaben des Abteilungsleiters im Verfahren [...] hat dieser ebenso wie der Patientenanwalt ausschließlich die Interessen des Kranken wahrzunehmen, die gleichzeitig auf wirksame ärztliche Behandlung und auf tunlichste Wahrung der persönlichen Freiheit gerichtet sind und
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V. Teil: Gerichtliches Unterbringungsverfahren
einander insofern widersprechen können. In dieser für psychisch kranke Patienten typischen Lage weist der Gesetzgeber die Wahrung der aufgespaltenen Interessen des Patienten im gerichtlichen Verfahren einerseits dem Abteilungsleiter und andererseits dem Patientenanwalt zu“ (6 Ob 568/92). Diese Auslegung dürfte inzwischen herrschende Rsp sein (bestätigend zB OGH 12. 9. 2002, 6 Ob 198/02i).
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d) Unter welchen Voraussetzungen der Abteilungsleiter von seinem Rekursrecht gegen eine gerichtliche Unzulässigkeitsentscheidung Gebrauch machen kann, ist im UbG nicht explizit geregelt. Die Antwort muss daher in jenen gesetzlichen Zielsetzungen gesucht werden, denen die Rechtsmittellegitimation des Abteilungsleiters dient. Daraus folgt, dass ein Anstaltsrekurs dann und nur dann erhoben werden darf (und wegen § 49 ÄrzteG auch erhoben werden muss), wenn der Abteilungsleiter auch nach Vorliegen der bisherigen Verfahrensergebnisse an seiner ursprünglichen Beurteilung festhält, dass der Patient wegen seiner psychischen Krankheit sein oder das Leben bzw die Gesundheit Dritter ernstlich und erheblich gefährdet.
1. Nicht zu überzeugen vermag die Auffassung, wonach der Abteilungsleiter mit der Ausübung des Rekursrechtes die Interessen des Patienten auf „Behandlung“ wahrzunehmen habe. Im systematischen Zusammenhang des Unterbringungsverfahrens kann diese therapeutische Orientierung nicht ausschlaggebend sein, weil sie mit den Zielsetzungen und Wertungen des UbG nicht vereinbar wäre: Denn da der Aspekt der Behandlungsbedürftigkeit für die materiellrechtliche Zulässigkeit der Unterbringung keine Rolle spielt, ist auch nicht einzusehen, weshalb aus Gründen, auf die es im Verfahren nach dem Willen des Gesetzgebers gerade nicht ankommt, ein Rechtsmittelverfahren durchgeführt und möglicherweise die Freilassung des Patienten verzögert werden sollte. Ein Rekurs, der ausschließlich Behandlungsinteressen geltend macht, wäre im Lichte der abweichenden Unterbringungsvoraussetzungen a priori ein erfolgloser Rekurs, weil er auf eine rechtswidrige Verlängerung der Unterbringung abzielt. 2. Obwohl das Rekursrecht nach dem UbG als Parteirecht, nicht als Pflicht des Abtei349/1 lungsleiters ausgestaltet ist, kann die Rekurserhebung nicht im Belieben des Abteilungsleiters stehen: Ist er – entgegen dem Erstgericht – von der Erfüllung der Unterbringungsvoraussetzungen überzeugt, dann stellt die Rekurserhebung sowohl eine berufsrechtliche (§ 49 Abs 1 ÄrzteG) als auch eine dienstrechtliche Verpflichtung dar.
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e) Auch zu den Voraussetzungen einer gerichtlichen Zuerkennung der aufschiebenden Wirkung an einen Rekurs des Abteilungsleiters trifft das UbG keine Aussage. 1. Auch das neue AußStrG bietet keine zwingende Lösung, weil nach § 43 AußStrG Beschlusswirkungen erst mit Rechtskraft eintreten (und § 44 AußStrG daher den umgekehrten Fall – Zuerkennung vorläufiger Verbindlichkeit – normiert). Zur analogen Lückenschließung bietet sich eher § 524 Abs 2 ZPO an, der – wie § 20 Abs 2 UbG – die ausnahmsweise Zuerkennung der aufschiebenden Wirkung regelt. Danach hat das Gericht einem Rekurs aufschiebende Wirkung zuzubilligen, wenn aus der Ausführung des angefochtenen Beschlusses einerseits der Gegenpartei kein unverhältnismäßiger Nachteil erwächst und andererseits ohne eine Hemmung der Zweck des Rekurses vereitelt würde. Der Entscheidung über die Aufschiebung hat eine Interessenabwägung voranzugehen, bei der die Zumutbarkeit der Hemmung und die dadurch erwachsenden Nachteile für den Gegner den Erfolgsaussichten des Rekurses und den durch die Ausführung hervorgerufenen Nachteilen für den Rekurswerber gegenüberzustellen sind (Fasching Rz 1965). Eine Übertragung dieser Kriterien auf die vorliegende Entscheidungssituation ist freilich schwierig, weil jede der in Betracht kommenden Entscheidungsalternativen mit unwiederbringlichen „Nachteilen“ für eine der Parteien verbunden ist. Viel mehr als das Gebot einer umfassenden Abwägung zwischen den öffentlichen Interessen an einer sofortigen Gefahrenabwehr und den Interessen des Patienten an einer sofortigen Freilassung lässt sich daraus nicht gewinnen: Je weniger beweiskräftig die Ermittlungsergebnisse in der Erstanhörung waren und je eher die Gefahr besteht, dass sich bei einer sofortigen Aufhebung der Unterbringung die vom Anstaltsleiter behauptete Gefährdung realisieren
3. Erstanhörung
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könnte, desto eher wird dem Rekurs des Abteilungsleiters aufschiebende Wirkung zuzuerkennen sein. 2. In der Praxis wird die Entscheidung über die aufschiebende Wirkung – wenn überhaupt – meist mit der Erfolgsaussicht des Anstaltsrekurses (vgl zB LG Salzburg 10. 3. 1993, 22a R 107/93) oder dem bestehenden Gefährdungspotential begründet (vgl zB BG Klagenfurt 22. 9. 1998, 30 Ub 311/98y: Unfähigkeit zur Impulskontrolle).
f) Bleibt der Patient trotz einer Unzulässigkeitsentscheidung des Gerichts 351 aufgrund der dem Rekurs des Abteilungsleiters zuerkannten aufschiebenden Wirkung weiterhin untergebracht, so hat das Gericht in Analogie zu § 20 Abs 1 UbG das Verfahren fortzusetzen und zu diesem Zweck eine mündliche Verhandlung anzuberaumen. Vgl OGH 20. 1. 1993, 3 Ob 510/93, EvBl 1993/120 = RZ 1994/44; LGZ Wien 7. 7. 1992, 44 R 494/92.
g) Wird dem in der Tagsatzung angemeldeten Rekurs des Abteilungsleiters 352 vom Gericht keine aufschiebende Wirkung zuerkannt und die Unterbringung gem § 20 Abs 2 „sogleich“ – oder bei Zuerkennung der aufschiebenden Wirkung auch zu einem späteren Zeitpunkt – aufgehoben, so führt dies nach der – wenig überzeugenden – Rsp dazu, dass der in der Folge schriftlich ausgeführte Rekurs des Abteilungsleiters mangels „Rechtsschutzinteresses“ als unzulässig zurückgewiesen wird . Vgl OGH 23. 2. 1993, 1 Ob 518/93, NRsp 1993/167; 17. 3. 1993, 3 Ob 501/93; 17. 6. 1993, 8 Ob 537/93; 30. 11. 1993, 8 Ob 1688/93; 20. 4. 1993, 1 Ob 600/92. Ebenso zum Revisionsrekurs des Abteilungsleiters OGH 24. 3. 1992, 5 Ob 505/92; 9. 9. 1992, 2 Ob 566/92; 27. 8. 1992, 6 Ob 568/92; 10. 3. 1994, 6 Ob 543/94; 23. 3. 1994, 7 Ob 537/94; 9. 2. 1995, 2 Ob 507/95; 12. 2. 2004, 2 Ob 17/04w. Im Verfahren über Beschränkungen und Behandlungen OGH 19. 12. 1994, 4 Ob 576/94, SZ 67/230= RdM 1995/12 (Anm Kopetzki); 29. 1. 1997, 7 Ob 17/97v, RdM 1997/35; 12. 9. 2002, 6 Ob 198/02i. Abweichend hingegen OGH 26. 9. 1991, 7 Ob 585/91; LG Linz 18. 5. 1994, 18 R 278/94; 1. 6. 1994, 18 R 345/94; 16. 6. 1994, 18 R 422/94; LGZ Wien 4. 4. 1995, 44 R 153/95. Zur Kritik Kopetzki II 664 ff; ders, RdM 1995, 71; Pfersmann, ÖJZ 1997, 365. Der Auffassung der stRsp, wonach das Rechtsschutzinteresse des Abteilungsleiters mit der Freilassung wegfalle, ist nicht zu folgen: Denn erstens sieht § 20 Abs 2 UbG ausdrücklich vor, dass der Abteilungsleiter seinen Rekurs binnen drei Tagen schriftlich auszuführen hat, also zu einem Zeitpunkt, zu dem die Entscheidung über die Zuerkennung der aufschiebenden Wirkung und eine daran anknüpfende Entlassung des Patienten bereits erfolgt sind; wenn der Rekurs aber in jedem Fall schriftlich auszuführen ist, so wird auch anzunehmen sein, dass er unbeschadet der vorangegangenen Entscheidung über die aufschiebende Wirkung zulässig ist. Und zweitens wäre das dem Abteilungsleiter ausdrücklich eingeräumte Rekursrecht gegen erstgerichtliche Unzulässigerklärungen wertlos, wenn die – als gesetzlicher Regelfall vorgesehene – tatsächliche Ausführung des bekämpften Beschlusses, also die Entlassung, automatisch zur Unzulässigkeit des Rechtsmittels führen würde.
e) Rekursverfahren Im Verfahren über einen Rekurs des Abteilungsleiters gegen die Unzulässig- 353 keitsentscheidung in der Erstanhörung sind die Bestimmungen des § 29 UbG über das Rekursverfahren sinngemäß anzuwenden. 1. Vgl OGH 26. 9. 1991, 7 Ob 585/91: Sind die Entscheidungsgrundlagen nicht ausreichend, so ist das Verfahren zu ergänzen oder neu durchzuführen. War für die Entscheidung des Erstrichters der persönliche Eindruck maßgebend, dann kann das Rekursgericht von seiner Entscheidung nur abgehen, wenn es sich auch selbst einen persönlichen Eindruck vom Patienten gemacht hat und dabei zu einem anderen Ergebnis gekommen ist.
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V. Teil: Gerichtliches Unterbringungsverfahren
2. Das Rekursverfahren und das fortgesetzte erstinstanzliche Verfahren haben unterschiedliche Verfahrensgegenstände (OGH 10. 10. 1991, 6 Ob 614/91). Beide Verfahren sind unabhängig voneinander durchzuführen. Die Entscheidung im Verfahren über einen Rekurs des Abteilungsleiters gegen die Entscheidung in der Erstanhörung ist auf jener Grundlage zu fällen, die das Gesetz für die vorläufige Entscheidung nach § 20 vorsieht (OGH 26. 9. 1991, 7 Ob 585/91; LG Salzburg 6. 5. 1994, 22a R 145/94; 11. 5. 1994, 22a R 146/94). Abweichend von der allgemeinen Regelung des § 29 (und auch von § 49 AußStrG) besteht daher in diesem Rekursverfahren grundsätzlich Neuerungsverbot (LGZ Wien 19. 1. 1993, 44 R 959/92; einschränkend LG Salzburg 15. 12. 1999, 21 R 533/99z); nur im Fall der Entlassung nach der Erstanhörung werden Neuerungen zuzulassen sein, weil dann ein fortgesetztes Verfahren nicht mehr stattfindet (vgl Rz 387) und der Patient sonst keine Möglichkeit hätte, die Unterbringung seit der Erstanhörung gerichtlich überprüfen zu lassen. Hat das Gericht dem Rekurs des Abteilungsleiters gegen die Entscheidung in der Erstanhörung keine aufschiebende Wirkung zuerkannt und wurde der Patient daher entlassen, oder wurde die Unterbringung in der mündlichen Verhandlung des fortgesetzten Verfahrens für unzulässig erklärt und der Patient daraufhin entlassen, so ist das Rekursverfahren gegen die vorläufige Entscheidung in der Erstanhörung dennoch fortzusetzen. Der Rekurs des Abteilungsleiters kann auch im Fall der Berechtigung nur zur Feststellung führen, dass die Voraussetzungen der Unterbringung gegeben waren (OGH 26. 9. 1991, 7 Ob 585/91). 3. Ein Revisionsrekurs (von welcher Seite immer) gegen die zweitinstanzliche Entschei355 dung ist gem § 20 Abs 3 UbG immer unzulässig (OGH 20. 1. 1993, 3 Ob 510/93, EvBl 1993/120 = RZ 1994/44; 10. 9. 1997, 9 Ob 295/97s; LG Salzburg 7. 2. 1991, 22 R 49/91; 28. 8. 2003, 32 R 314/03b, EFSlg 105.089; anders LG St. Pölten 11. 11. 1992, R 817/91; LG Innsbruck 29. 11. 1991, 3b R 181/91). Zur Einseitigkeit des Rekursverfahrens in diesem Stadium vgl Rz 346.
354
4. Ermittlungsverfahren 356 a) Bleibt der Patient nach der Erstanhörung weiterhin untergebracht und wird somit das Verfahren fortgesetzt, so schreibt das UbG ein Ermittlungsverfahren vor, in dem das Gericht vom Amts wegen (Untersuchungsgrundsatz) und nach freier Überzeugung die entscheidungserheblichen Tatsachen festzustellen hat. Am Ende des Ermittlungsverfahrens steht eine mündliche Verhandlung, die der ausführlichen Erörterung der Ermittlungsergebnisse und der Wahrung des rechtlichen Gehörs dient. 1. Wird die Unterbringung nach der Entscheidung in der Erstanhörung aufgehoben, so ist das Verfahren einzustellen. Vgl Rz 387. 2. Die Absicht des Gesetzgebers war es, eine besonders sorgfältige Beweisaufnahme und eine – im Vergleich zur Praxis der „Gerichtskommissionen“ im Anhalteverfahren – „eingehendere“ Prüfung der Unterbringungsvoraussetzungen sicherzustellen (RV 27).
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b) In dem zur Vorbereitung der mündlichen Verhandlung durchzuführenden Beweisverfahren sind jene Tatsachen zu ermitteln, die für die Entscheidung über die Zulässigkeit der Unterbringung erheblich sind. Gegenstand des Beweises sind daher jedenfalls sämtliche Voraussetzungen des § 3 (psychische Krankheit, Gefährdung, Mangel ausreichender Betreuungsalternativen). Das Gericht kann alle Informationsmittel heranziehen, die zur Wahrheitsfindung dienlich sind („Freibeweis“); die Beweise sind vom Gericht nach freier Überzeugung zu würdigen (freie Beweiswürdigung; § 32 AußStrG). Die wichtigsten Beweismittel sind das psychiatrische Sachverständigengutachten sowie die Anhörung des Kranken und seines Vertreters im Zuge der Erstanhörung und der mündlichen Verhandlung (Beteiligtenvernehmung). Manche Umstände, die für die Feststellung der Unterbringungsvoraussetzung von Bedeutung sind,
4. Ermittlungsverfahren
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die Feststellung der Unterbringungsvoraussetzung von Bedeutung sind, bedürfen darüber hinaus weiterer Beweisaufnahmen (zB Vernehmung von Zeugen zur Abklärung der Gefährdung oder der Betreuungsalternativen). Zu sämtlichen Unterbringungsvoraussetzungen sind daher die erforderlichen Tatsachenfeststellungen zu treffen. Dabei müssen, wie das LG Innsbruck 23. 10. 1992, 2b R 158/92 zutreffend betont, insb jene konkreten Tatsachen und Umstände erkennbar gemacht werden, die die entsprechenden Schlussfolgerungen auf das Vorliegen einer Krankheit, Gefährdung sowie auf den Mangel an Betreuungsalternativen zulassen. Zum außerstreitigen Beweisverfahren vgl §§ 31 ff AußStrG; allgemein (wenngleich teilweise überholt) Dolinar 111 ff, zum neuen AußStrG Mayr/Fucik Rz 213 ff. Zu den Fragen des Beweises vgl Fasching Rz 799 ff.
a) Der Sachverständigenbeweis a) Zur Vorbereitung der mündlichen Verhandlung hat das Gericht gem § 22 358 Abs 1 UbG einen oder mehrere Sachverständige zu bestellen. Die Bestellung des Sachverständigen erfolgt durch Gerichtsbeschluss, der dem Sachverständigen, dem Abteilungsleiter, dem Kranken sowie dessen Vertreter (einschließlich dem Patientenanwalt) zuzustellen ist (§ 22 Abs 2). Im gerichtlichen Bestellungsbeschluss ist dem Sachverständigen unter Fristsetzung aufzutragen, den Kranken unverzüglich zu untersuchen und schriftlich Befund und Gutachten über die vom Gericht möglichst präzise zu formulierenden Fragen zu erstatten. Dazu gehört jedenfalls die Frage nach dem Vorliegen der Unterbringungsvoraussetzungen (psychische Krankheit, ernstliche und erhebliche Gefährdung des Lebens und der Gesundheit, Behandlungs- und Betreuungsalternativen). 1. Auch im außerstreitigen Verfahren sind gem § 35 AußStrG weiterhin subsidiär die Regeln der ZPO über die einzelnen Beweismittel anzuwenden; zum Sachverständigenbeweis vgl daher §§ 351 ff ZPO. Bei dieser Globalverweisung sind aber die Abweichungen des § 31 AußStrG zu beachten (zB zum Wegfall des Anhörungsrechts betreffend die Person des Sachverständigen, unten 3.); allfällige Sonderregeln des UbG gehen als leges speciales in jedem Fall (auch gegenüber § 31 AußStrG) vor: Daher findet – wegen der obligaten Sachverständigenbestellung gem § 22 Abs 1 UbG – § 31 Abs 3 letzter Satz AußStrG keine Anwendung, wonach der fachkundige Richter „vom Sachverständigenbeweis absehen“ kann. 2. Auswahl und Bestellung des Sachverständigen sind nicht abgesondert anfechtbar (vgl § 45 AußStrG; OGH SZ 38/89; 13. 3. 1990, 5 Ob 545/90). 3. Abweichend von § 351 Abs 1 ZPO kann das Gericht nach § 31 Abs 3 AußStrG künftig den Sachverständigen bestellen, ohne vorher die Parteien über dessen Person zu hören. Das Ablehnungsrecht (unten 4.) wird dadurch aber nicht berührt. 4. Die Parteien haben die Möglichkeit, den Sachverständigen (zB wegen Befangenheit) abzulehnen (RV 26; LG Innsbruck 15. 10. 1993, 2b R 168-169/93). Die §§ 355, 356 ZPO sowie die Ausschließungs- und Ablehnungsgründe der §§ 19, 20 JN sind sinngemäß heranzuziehen. Zur Ablehnung allgemein Fasching Rz 1010: Der Vorwurf mangelnder Sachkunde ist für sich allein aber kein Ablehnungsgrund. Über die Verwerfung des Ablehnungsantrages ist kein abgesondertes Rechtsmittel zulässig. Gegen die (mit der Hauptsache erfolgende) Rekursentscheidung über einen Ablehnungsantrag ist ein Revisionsrekurs unzulässig (OGH 11. 1. 2000, 10 Ob 337/99b).
b) Für die Auswahl des Sachverständigen ergibt sich aus § 22 Abs 1 iVm 359 § 19 Abs 3 und § 4 Abs 2, dass es sich um einen Facharzt für Psychiatrie und Neurologie (Neurologie und Psychiatrie) handeln muss. Der zum Sachverständigen bestellte Facharzt darf gem § 19 Abs 3 nicht der Anstalt angehören, in der sich der Patient befindet.
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V. Teil: Gerichtliches Unterbringungsverfahren
1. Die vom UbG verwendeten Facharztbezeichnungen sind teilweise überholt. Selbstverständlich sind auch „Fachärzte für Psychiatrie“ iSd der Ärzte-AusbO BGBl 1994/152 idF I 1998/169 erfasst, nicht jedoch Fachärzte für Neurologie oder Kinderärzte mit dem Zusatzfach Kinder- und Jugendneuropsychiatrie (letztere können – und müssen erforderlichenfalls – aber als zusätzliche Sachverständige bestellt werden. Vgl auch Rz 69/1, 203. 2. Das Gericht ist bei der Auswahl nicht auf Fachärzte beschränkt, die in die Sachverständigenliste eingetragen sind (§ 351 Abs 1 ZPO). Die Bestellung von Ärzten für Allgemeinmedizin oder von Ärzten anderer Sonderfächer entspricht dem § 22 Abs 1 UbG ebenso wenig wie die Bestellung von Psychologen oder Psychotherapeuten. Da das Gericht aber nicht auf bestimmte Beweismittel beschränkt ist (§ 31 Abs 1 AußStrG), steht der zusätzlichen Beiziehung dieser Personen nichts im Wege, wenn dies der Ermittlung der Unterbringungsvoraussetzungen dienlich ist. 3. Der Sachverständige muss „anstaltsfremd“ sein (vgl RV 26). Ob der Sachverständige 360 der Anstalt „angehört“ (§ 19 Abs 3), hängt davon ab, ob er dort beschäftigt ist (vgl § 6 Abs 1 lit c KAKuG). Der Begriff „angehören“ ist im Hinblick auf den Schutzzweck weit auszulegen und schließt auch Konsiliarärzte ein.
c) Ob ein oder mehrere (§ 22 Abs 1) Sachverständige zu bestellen sind, liegt im Ermessen des Gerichts und ist im Hinblick auf den Beweiswert des Erstgutachtens zu beurteilen. Ein zweiter oder ein weiterer Sachverständiger ist jedenfalls zu bestellen, wenn sich der Fall als „zweifelhaft“ erweist, also etwa bei unschlüssigen, widersprüchlichen, extrem kurzen oder oberflächlichen Erstgutachten, wenn das Gericht Bedenken gegen die Schlussfolgerungen des Gutachtens hegt, wenn zu einer Frage widersprüchliche Expertenansichten vorliegen, oder wenn zwischen den Ergebnissen der Aufnahmeuntersuchung und dem Erstgutachten keine Übereinstimmung besteht. 362 Ein zweiter – ebenfalls anstaltsexterner (§ 22 Abs 1 1. Satz iVm § 19 Abs 3) – Sachverständiger ist gem § 22 Abs 1 jedoch zwingend zu bestellen, wenn dies der Kranke oder sein Vertreter verlangt. 361
Für den zweiten (und weiteren) Sachverständigen gelten die gleichen Regelungen wie für den ersten Sachverständigen. Ein Antrag auf Bestellung eines zweiten Sachverständigen darf nicht mit der Begründung abgewiesen werden, es sei bei der Erstanhörung gem § 19 ohnehin bereits ein anderer (= „zweiter“) Sachverständiger beigezogen worden, weil sich die Beiziehung nach § 19 Abs 3 ganz wesentlich von der förmlichen Bestellung gem § 22 unterscheidet. Die formlose Beiziehung eines Sachverständigen nach § 19 Abs 3 kann daher den Anspruch auf einen zweiten Sachverständigen nach § 22 Abs 1 nicht konsumieren (LGZ Wien 5. 5. 1992, 44 R 316/92). Wird der Antrag auf einen zweiten Sachverständigen erst in der Tagsatzung gestellt, so ist diese erforderlichenfalls zu erstrecken (und nicht der Antrag wegen Verspätung zurückzuweisen: LG Innsbruck 6. 10. 1995, 54 R 176/95; LG Linz 5. 4. 2005, 35 R 21/05v). Hat das Erstgericht auf eine Zweiteilung des Verfahrens verzichtet (vgl Rz 331) und Anhörung sowie mündliche Verhandlung gemeinsam durchgeführt, so ist dem Antrag auf Bestellung eines zweiten Sachverständigen durch das Rekursgericht zu entsprechen (OGH 20. 5. 1999, 6 Ob 96/99g).
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d) Der Sachverständige hat den Kranken gem § 22 Abs 1 unverzüglich und persönlich zu untersuchen und ein schriftliches Gutachten über das Vorliegen der Voraussetzungen der Unterbringung zu erstatten. Der Untersuchungszeitpunkt ist dabei so zu wählen, dass das schriftliche Gutachten dem Gericht und den Parteien rechtzeitig vor der mündlichen Verhandlung übermittelt werden kann (§ 22 Abs 3).
1. Zu Erstellung und Aufbau des Gutachtens vgl Kremzow 287 ff. Zu den inhaltlichen und methodischen Anforderungen an psychiatrische Gutachten zB Haller, Psychiatrisches Gutachten; Rasch, Psychiatrie 240 ff; Gohde/Wulff, R&P 1991, 169 ff, sowie die Beiträge in Venzlaff/Foerster, Psychiatrische Begutachtung4 (2004).
4. Ermittlungsverfahren
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2. Die Aufgabe des psychiatrischen Sachverständigen besteht darin, das entscheidungser- 364 hebliche medizinische Tatsachenmaterial aufzubereiten und daraus die entsprechenden wissenschaftlichen Schlussfolgerungen zu ziehen. Er hat sich auf die Beantwortung von Tatsachenfragen zu beschränken. Die Subsumtion der festgestellten Tatsachen unter die tatbestandlichen gesetzlichen Unterbringungsvoraussetzungen ist Sache des Gerichts (Fasching Rz 1004; Dolinar 126). Das Gutachten ist immer zu begründen: Der Sachverständige muss – soweit dies in seinen fachlichen Kompetenzbereich fällt – all jene Sachverhaltselemente, die für die Feststellung der Unterbringungsvoraussetzungen (Krankheit, Gefährdung, alternative Behandlungs- und Betreuungsmöglichkeiten) wesentlich sind, in überprüfbarer Weise darlegen und ausführlich begründen, wie er zu seinen Schlussfolgerungen gelangt (Fasching, Rz 1005 ff; vgl schon LGZ Wien 16. 10. 1974, 43 R 577/74; 21. 11. 1973, 43 R 806/73; zum UbG LG Innsbruck 15. 7. 1994, 52 R 160/94). 3. Der Sachverständige hat nicht nur eine Momentaufnahme im Untersuchungszeitpunkt vorzunehmen, sondern auch eine Krankheits- und Gefährdungsprognose zu erstellen. Dabei kommt es – sofern eine der Voraussetzungen nicht überhaupt verneint wird – auf eine Verlaufsprognose an. Mit der Feststellung von Krankheit und Gefährdung zu einem bestimmten Zeitpunkt kann die Zulässigkeit der Unterbringung für einen längeren Zeitraum nicht begründet werden, da die Rechtmäßigkeit der vom Gericht festzusetzenden Unterbringungsfrist den zu erwartenden Fortbestand der Unterbringungsgründe voraussetzt. 4. Tatsachen, die außerhalb des fachärztlichen Erfahrungswissens des Sachverständigen lie- 365 gen (zB Erhebungen über bisherige Gefährlichkeit), sind vom Gericht durch weitergehende Beweise festzustellen (dazu Rz 369 ff ). Insb die Ermittlung der Betreuungsalternativen wird selten in den alleinigen Kompetenzbereich des Sachverständigen fallen, weil es dabei nicht nur um medizinische Fragen geht. Unzulässig wäre es, derartige Beweise durch den Sachverständigen erheben und würdigen zu lassen. Fakten, die dem Sachverständigen erst durch Auskünfte Dritter vermittelt werden (zB Auskünfte von Angehörigen) dürfen erst verwertet werden, wenn sich das Gericht beweismäßig von ihnen überzeugt hat. 5. Die der Befundaufnahme dienende Untersuchung muss nicht „unter Leitung“ des 366 Richters stattfinden. Der Richter hat daher keine eigene Wahrnehmung über die Art der Exploration und die an den Kranken gestellten Fragen. Darin liegt eine Einschränkung des Grundsatzes der Unmittelbarkeit, die allerdings dadurch gerechtfertigt erscheint, dass der Sachverständige auf diese Weise ausreichend Zeit für die Untersuchung erhält und er so in die Lage versetzt wird, das Gutachten zur mündlichen Verhandlung vorzulegen (vgl § 22 Abs 3).
e) Das schriftliche Gutachten ist vom Sachverständigen dem Gericht, dem 367 Vertreter des Kranken sowie dem Abteilungsleiter rechtzeitig vor der mündlichen Verhandlung zu übermitteln (§ 22 Abs 3). Durch diese Vorbereitungszeit ist einerseits sichergestellt, dass das Gutachten überhaupt Thema der mündlichen Verhandlung und Gegenstand des Parteiengehörs werden kann. Dem Kranken selbst ist das Gutachten gem § 22 Abs 3 letzter Satz aber nur zu übermitteln, „sofern dies seinem Wohl nicht abträglich ist“. 1. Wie lange vor der mündlichen Verhandlung das Gutachten zu übermitteln ist, damit dies noch „rechtzeitig“ iSd § 22 Abs 3 erfolgt, kann nur im Einzelfall beurteilt werden. Je komplexer und strittiger die Beurteilung eines Falles und je umfangreicher ein Gutachten ist, desto früher muss die Übermittlung stattfinden, um eine ausreichende Vorbereitungszeit zu gewährleisten. Aus der Entstehungsgeschichte des § 22 Abs 3 ist abzuleiten, dass eine Übermittlung unmittelbar vor oder gar „im kurzen Weg“ in der mündlichen Verhandlung keinesfalls als rechtzeitig anzusehen ist (LGZ Wien 20. 3. 1991, 44 R 251/91). Eine nicht rechtzeitige Übermittlung des Gutachtens kann einen Verfahrensmangel begründen, wenn dadurch eine erschöpfende Erörterung und gründliche Beurteilung der Sache verhindert wird (OGH 25. 7. 1991, 7 Ob 571/91). 2. Die Einschränkung der Übermittlung an den Kranken aus therapeutischen Gründen 368 korrespondiert mit dem an die gleichen Voraussetzungen gebundenen „therapeutischen Vorbehalt“ bei der ärztlichen Aufklärung (§ 35 Abs 2) sowie bei der Einsicht in die Krankengeschichte (§ 39) und soll verhindern, dass „die vollständige Information des Kranken [...] eine wesentliche Störung des Heilungsverlaufs“ nach sich zieht (AB 9). Zu beachten
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V. Teil: Gerichtliches Unterbringungsverfahren
eine wesentliche Störung des Heilungsverlaufs“ nach sich zieht (AB 9). Zu beachten ist aber, dass das Unterbleiben der Gutachtensübermittlung an den Kranken als Ausnahme von einem grundsätzlich umfassenden Informationsanspruch formuliert ist. Die – bei jedem Patienten voraussetzungsgemäß bestehende – psychische Krankheit bzw Gefährdung rechtfertigt daher die Verweigerung des Gutachtens noch nicht. 3. Fraglich ist, wer zur Beurteilung der Voraussetzungen dieses „therapeutischen Vorbehalts“ zuständig ist (unklar AB 9). Der Wortlaut des § 22 Abs 3 lässt offen, wer die Gutachtensübermittlung an den Kranken vorzunehmen hat (lediglich die Übermittlung an das Gericht, den Abteilungsleiter und die Vertreter des Kranken ist nach § 22 Abs 3 1. Satz eindeutig Aufgabe des Sachverständigen). Da es sich um eine Gestaltung verfahrensrechtlicher Rechtspositionen handelt, die eine Abwägung zwischen dem Wohl und dem rechtlichen Gehör impliziert, kann diese Entscheidung nicht endgültig beim Sachverständigen liegen. Der Sachverständige wird daher dem Gericht mitzuteilen haben, wenn und aus welchen Gründen er von der Übermittlung des Gutachtens an den Kranken absieht, um die letzte Entscheidung in dieser Frage dem Richter zu überlassen. Im Ergebnis wird die durch § 22 Abs 3 eröffnete Möglichkeit, dem Kranken das Gutachten vorzuenthalten, dadurch relativiert, dass dessen Anwesenheit in der späteren mündlichen Verhandlung in keinem Fall ausgeschlossen werden darf und das Gutachten in diesem Rahmen ohnehin zu erörtern ist (§ 25 Abs 1).
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b) Weitere Ermittlungen a) Gem § 23 Abs 1 UbG ist das Gericht verpflichtet, erforderlichenfalls „weitere Ermittlungen“ über das Vorliegen der Unterbringungsvoraussetzungen vorzunehmen. Es kann dabei „auch dem Kranken nahestehende Personen sowie sonstige Personen und Stellen, die dessen ärztliche Behandlung oder Betreuung außerhalb der Anstalt übernehmen könnten, hören oder deren schriftliche Äußerungen einholen“ (§ 23 Abs 1 2. Satz). Damit bekräftigt das UbG, was sich bereits aus dem Grundsatz der Unbeschränktheit der Beweismittel (§ 31 Abs 1 AußStrG) ergibt: Jedes Beweismittel, das zur Abklärung der Unterbringungsvoraussetzungen geeignet ist, kommt in Betracht. Die ausdrückliche Nennung nahestehender Personen und alternativer Betreuungsstellen dient lediglich der Hervorhebung der in der Praxis wichtigsten Beweismittel, schränkt die gerichtlichen Erhebungen aber nicht auf diese ein. 1. Auch die „weiteren Ermittlungen“ des § 23 UbG sind im Rahmen des Untersuchungsgrundsatzes von Amts wegen vorzunehmen, wenn es zur Feststellung des entscheidungserheblichen Sachverhalts erforderlich ist (AB 9; LG Salzburg 19. 9. 1991, 22 R 482/91). Diese Notwendigkeit kann sich nicht nur bei der Abklärung der Behandlungs- und Betreuungsalternativen ergeben. Auch die Beurteilung der Gefährdungsvoraussetzungen kann weitere Erhebungen nötig machen, die außerhalb des Kompetenzbereiches des medizinischen Sachverständigen liegen (Rz 365): Da sich die Gefährdungsbeurteilung häufig auf Tatsachen – etwa aggressives oder selbstschädigendes Verhalten – stützen muss, die sich im Vorfeld der Unterbringung ereignet haben, sind auch diese Umstände durch entsprechende gerichtliche Beweisaufnahmen zu erheben: vgl OGH 26. 9. 1991, 7 Ob 585/91; LG Innsbruck 26. 11. 1991, 3b R 171/91; 1. 10. 1993, 2b R 151/93; LGZ Wien 5. 5. 1992, 44 R 316/92. Das Verfahren wäre mangelhaft, wenn der Richter beweiskräftiges Tatsachenmaterial übergeht oder sich mit Beweismitteln minderen Beweiswerts begnügt (Dolinar 80). Persönliche Beweismittel (insb Auskunftspersonen) sind daher vom Gericht grundsätzlich mündlich als Zeugen zu vernehmen. Das Gericht darf sich nicht mit Beweissurrogaten wie mit Berichten „vom Hörensagen“ zufrieden geben (Dolinar 78 f, 111); vgl – wenngleich zur Erstanhörung – auch LG St. Pölten 24. 5. 2000, 10 R 158/00p, wonach der nicht näher dokumentierte Hinweis auf „Selbstmordäußerungen“ im Familienkreis und einen angeblichen „Abschiedsbrief“ für die Annahme einer Gefährdung iSd UbG nicht ausreiche, weil „sonst die richterliche Kontrolle der Unterbringung zu einem Formalakt verkommen würde“; vgl auch Rz 688.
5. Mündliche Verhandlung
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2. Die kurze Frist bis zur mündlichen Verhandlung (zwei Wochen) erlaubt es nicht immer, 370 Personen so rechtzeitig zu vernehmen, dass die Aussage zur Verhandlung vorliegt. § 23 Abs 1 ermöglicht daher unter bestimmten Voraussetzungen die Einholung schriftlicher Äußerungen; dies dient der Aufnahme von Beweisen, die anderenfalls aus Zeitmangel unterbleiben müssten. Das darf jedoch nicht zur völligen Aushöhlung des Unmittelbarkeitsgrundsatzes führen: Zum einen bezieht sich die – die Mündlichkeit und Unmittelbarkeit einschränkende – Bestimmung nur auf Personen und „Stellen“, die die „Behandlung und Betreuung außerhalb der Anstalt übernehmen könnten“, also auf den wenig kontroversiellen Aspekt der Subsidiarität. Zum anderen räumt die Alternative zwischen Anhörung und der Einholung schriftlicher Äußerungen kein unbegrenztes Ermessens ein: Kann sich der Richter einen persönlichen Eindruck verschaffen, so darf er es nicht mit einer schriftlichen Äußerung bewenden lassen. Vor allem bei strittigen Tatsachenbehauptungen ist der mündlichen Einvernahme als Zeuge in der Verhandlung der Vorzug zu geben, nicht zuletzt, um das Fragerecht der Parteien (§ 25 Abs 2) nicht leerlaufen zu lassen (LGZ Wien 5. 5. 1992, 44 R 316/92).
b) Gem § 23 Abs 2 haben auf Ersuchen des Gerichts auch die Sicherheitsbe- 371 hörden „einzelne Ermittlungen“ über das Vorliegen der Unterbringungsvoraussetzungen durchzuführen. Dies stellt eine gesetzlich besonders geregelte Form der Amtshilfe (Art 22 B-VG) dar, wobei sich die für diese Ermittlungstätigkeit erforderliche Kompetenz der Sicherheitsbehörden unmittelbar aus § 23 UbG ergibt. Die Tätigkeit der Sicherheitsbehörden darf sich allerdings nur auf „einzelne“ Ermittlungen beziehen, was Erkundungsbeweise wie etwa die Befragung der Nachbarschaft über die Bereitschaft zur Aufnahme des Kranken ausschließt. 1. Vgl RV 26. Daraus folgt, dass das gerichtliche Ersuchen eine eng umgrenzte, konkrete Frage zu präzisieren hat. Zu denken wäre insb an die Befragung eines bestimmten Verwandten, ob er zur Betreuung bereit wäre, oder auch an die Ermittlung über einen bestimmten Vorfall, der zur Unterbringung Anlass gab. 2. Im Rahmen der Amtshilfe kommt auch ein Ersuchen an andere Behörden auf Aktenübersendung in Betracht, namentlich in Bezug auf den polizeilichen Einlieferungsakt.
5. Mündliche Verhandlung Die mündliche Verhandlung bildet das Kernstück des Unterbringungs- 372 verfahrens. Sie wurde im Verhältnis zur früheren „Anhaltetagsatzung“ detaillierter geregelt und dem Sachwalterverfahren angeglichen. Diese Parallelität zwischen Sachwalter- und Unterbringungsrecht wurde zwar durch das neue AußStrG wieder gelockert; an der grundlegenden Struktur der mündlichen Verhandlung ist dadurch aber keine wesentliche Änderung eingetreten. Gegenstand der mündlichen Verhandlung ist die Prüfung der Unterbringungsvoraussetzungen. 1. Die maßgeblichen Rechtsgrundlagen der mündlichen Verhandlung ergeben sich zu- 372/1 nächst aus den unmittelbar im UbG enthaltenen Vorschriften (§§ 22 bis 25). Die Verweisung des § 25 Abs 1 UbG auf die §§ 239 und 242 AußStrG aF über die mündliche Verhandlung im Sachwalterbestellungsverfahren (zu dieser vgl zum alten Recht nur Kremzow 258 ff; Maurer, Sachwalterrecht 124 ff; Hopf/Aigner § 25 Anm 2) geht jedoch seit Inkrafttreten des neuen AußStrG ins Leere (einschließlich der in § 239 AußStrG aF vorgesehenen Pauschalverweisung auf die Regelung der mündlichen Verhandlung in den §§ 171 bis 225 ZPO). Einer unmittelbaren Anwendung der neuen Bestimmungen über die mündliche Verhandlung im Sachwalterverfahren (§ 121 AußStrG) steht entgegen, dass der Verweis des § 25 Abs 1 UbG im Lichte des § 201 AußStrG nun sinngemäß auf die Bestimmungen des ersten Hauptstücks (§ 18 f ), nicht jedoch auf die für besondere Verfahrensarten geltenden Sonderregelungen des zweiten Hauptstücks (hier: § 121 AußStrG) zu beziehen ist (dazu auch Rz 319/1 f ).
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V. Teil: Gerichtliches Unterbringungsverfahren
2. Eine „sinngemäße“ Anwendung der allgemeinen Bestimmungen des AußStrG setzt voraus, dass die ursprünglichen Intentionen des UbG auch bei Anwendung des neuen AußStrG gewahrt bleiben. Dies gebietet auch eine verfassungskonforme Interpretation, da die mündliche Verhandlung im Unterbringungsverfahren Bestandteil der grundrechtlich vorgesehenen Kontrolle des Freiheitsentzuges (Art 6 PersFrG; vgl Rz 295) ist, für die besondere rechtsstaatliche Anforderungen an die Verfahrensgestaltung bestehen (zB kontradiktorische Ausgestaltung, „Waffengleichheit“; näher Kopetzki I 344 f ). Man muss daher davon ausgehen, dass wesentliche Elemente einer solchen kontradiktorischen mündlichen Verhandlung wie etwa die umfassende Wahrung der Parteirechte (Ladung etc), der Vortrag der entscheidungserheblichen Umstände sowie die Erörterung der Ergebnisse der Beweisaufnahme (vgl Rz 319/1 sowie § 242 AußStrG aF und § 121 Abs 4, 6 AußStrG) künftig auch ohne explizite Erwähnung im Gesetz (bzw ohne explizite Verweisung auf korrespondierende Bestimmungen des AußStrG oder der ZPO) zu beachten sind. Dafür spricht nicht zuletzt das Frage- und Stellungnahmerecht des § 25 Abs 2 letzter Satz UbG, das eine derartige Ausgestaltung impliziert. 3. Der Rechtsträger der Anstalt hat dem Gericht zur Durchführung der mündlichen Ver373 handlung geeignete Räumlichkeiten zur Verfügung zu stellen (§ 38c Abs 2 KAKuG; Rz 68). Die Eignung der Räumlichkeiten ist in Bezug auf die Anforderungen des gerichtlichen Verfahrens zu beurteilen (ausreichend Raum für die „Öffentlichkeit“ der Verhandlung; räumliche Trennung von den Krankenzimmern im Hinblick auf den Geheimnisschutz gem § 24). 4. Zum Zweck der Vollziehung des UbG ist dem Richter jederzeit der Zutritt zur Anstalt zu gewähren. Dies ist zwar nicht ausdrücklich vorgesehen, folgt aber aus § 38c Abs 2 KAKuG und den Landes-KAG, wonach der Rechtsträger im Wege der Anstaltsordnung sicherzustellen hat, dass das Gericht seine ihm gesetzlich übertragenen Aufgaben in der Anstalt wahrnehmen kann. Nichts anderes gilt gegenüber dem gerichtlich bestellten Sachverständigen, für geladene oder sich zur Verhandlung sonst einfindende Auskunftspersonen, für den Patientenanwalt sowie – nach Maßgabe des verfügbaren Raumes – auch für die Öffentlichkeit.
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a) Die Ladung zur mündlichen Verhandlung ist gem § 22 Abs 2 UbG dem Sachverständigen, dem Kranken, dessen Vertreter sowie dem Abteilungsleiter zuzustellen. Von der Ladung des Kranken darf – anders als nach § 121 Abs 2 AußStrG – auch aus therapeutischen Interessen nicht abgesehen werden. Auch die gesetzlichen (Patientenanwalt, Sachwalter) und gewillkürten Vertreter sind zu laden (OGH 20. 5. 1999, 6 Ob 96/99g).
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b) Die mündliche Verhandlung hat spätestens 14 Tage nach der Erstanhörung stattzufinden (§ 20 Abs 1). Sie findet in der Krankenanstalt statt (vgl dazu § 24 UbG, § 38c KAKuG). Die Überschreitung der 14-Tagesfrist ist im UbG nicht sanktioniert und stellt keinen Nichtigkeitsgrund dar (LGZ Graz 31. 1. 1996, 6 R 19/96).
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c) Der Abteilungsleiter hat vor Beginn der mündlichen Verhandlung dem Gericht die Krankengeschichte vorzulegen und dafür zu sorgen, dass der Kranke an der mündlichen Verhandlung teilnehmen kann. Dabei ist auch darauf zu achten, dass ein Kranker andere (dh ihn nicht betreffende) Verhandlungen „tunlichst“ nicht wahrnehmen kann (§ 24). Der Geheimnisschutz gegenüber anderen, auf „ihre“ Verhandlung wartenden Patienten ist durch § 1 DSG und Art 8 EMRK geboten; die gesetzliche Einschränkung („tunlichst“) ist auf jene Fälle zu beschränken, in denen eine Durchführung der mündlichen Verhandlung am Krankenbett (zB mangels Mobilität des Patienten) unvermeidlich ist.
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d) Ein Hauptzweck der mündlichen Verhandlung ist gem § 25 Abs 1 UbG, dass der Richter die für seine Entscheidung erforderlichen Feststellungen auf der Grundlage einer mündlichen, möglichst in einer Tagsatzung durchzuführenden Verhandlung trifft. Diese Feststellungen müssen sich auf die Zulässig-
5. Mündliche Verhandlung
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keit der Unterbringung beziehen (§ 3), also darauf, ob der Betroffene a) an einer psychischen Krankheit leidet, b) ob er im Zusammenhang damit sein Leben oder seine Gesundheit oder das Leben oder die Gesundheit anderer ernstlich und erheblich gefährdet, und c) ob er nicht in anderer Weise, insb außerhalb einer Anstalt, ausreichend ärztlich behandelt oder betreut werden kann. Im Mittelpunkt der Verhandlung steht die Erörterung und Würdigung des psychiatrischen Gutachtens. Erschienene Auskunftspersonen sind gem § 25 Abs 1 jedenfalls zu vernehmen; erforderlichenfalls sind sie als Zeugen zu laden. Die Unmittelbarkeit des Verfahrens ist insofern eingeschränkt, als nicht alle Beweise in der mündlichen Verhandlung aufgenommen werden müssen (vgl die schriftlichen Äußerungen iSd § 23 Abs 1); insb findet die Befundaufnahme durch den Sachverständigen bereits vor der Verhandlung statt (§ 22). Sämtliche – auch die schriftlich vorliegenden – Beweisergebnisse müssen aber in der Verhandlung mündlich erörtert werden (vgl Rz 319/1 und 372/1). 1. In der Entscheidung des Gerichts darf nur berücksichtigt werden, was im Rahmen der 378 mündlichen Verhandlung vorgebracht wurde (LGZ Wien 5. 5. 1992, 44 R 316/92). Die endgültige Entscheidung muss von jenem Richter gefällt werden, der die Beweisaufnahmen in der mündlichen Verhandlung durchgeführt hat (OGH 26. 9. 1991, 7 Ob 590/91). 2. Die Durchführung der mündlichen Verhandlung in einer Tagsatzung ist nicht zwingend (vgl schon § 239 AußStrG aF iVm § 25 Abs 1 UbG); nach der Konzeption des UbG (und wegen der Entscheidungsfristen des Art 6 PersFrG) muss die Konzentration an einem Verhandlungstermin aber die Regel darstellen. Bei komplexen Fällen kann – in Analogie zu §§ 134 ff ZPO (vgl Dolinar 96) – ausnahmsweise die Erstreckung der Tagsatzung erforderlich sein, wenn die nötigen Feststellungen anders nicht getroffen werden können (zB zur Erörterung eines weiteren Gutachtens: LGZ Wien 5. 5. 1992, 44 R 316/92; LGZ Graz 15. 2. 1995, 6 R 47/95; 16. 2. 1995, 6 R 49/95; LG Innsbruck 6. 10. 1995, 54 R 176/95; Hopf/Aigner § 25 Anm 2). Die Erstreckung kann nur unter den Voraussetzungen des § 141 ZPO bekämpft werden; amtswegige Erstreckungen sind daher – auch nach Ende der Unterbringung: OGH 6. 4. 1995, 2 Ob 523/95 – ohne die Einschränkungen des § 141 ZPO anfechtbar, weil sich die Anfechtungsbeschränkung des § 141 ZPO nur auf Erstreckungsbeschlüsse aufgrund eines Parteienantrags bezieht (OGH 6. 4. 1995, 2 Ob 523/95; unrichtig LGZ Graz 15. 2. 1995, 6 R 47/95 und 16. 2. 1995, 6 R 49/95). Zum Konflikt zwischen Gründlichkeit und Verfahrensdauer vgl allgemein OGH 23. 9. 1994, 1 Ob 591/94, EvBl 1995/50.
e) Die zweite Funktion der mündlichen Verhandlung liegt in der Wahrung 379 des Parteiengehörs. In diesem Sinn bestimmt § 25 Abs 2, dass dem Kranken, seinem Vertreter (einschließlich dem Patientenanwalt) sowie dem Abteilungsleiter Gelegenheit zu geben ist, zu den für die Entscheidung wesentlichen Umständen Stellung zu nehmen sowie Fragen an die Auskunftspersonen und den Sachverständigen zu stellen. 1. Die Nichtteilnahme des Abteilungsleiters bzw seines Vertreters an der Verhandlung stellt keinen Verfahrensmangel dar: LG Linz 11. 11. 1992, 18 R 711, 712/92. 2. Die Teilnahme des Sachverständigen ist unverzichtbar, weil sonst das Fragerecht der 380 Parteien gem § 25 Abs 2 leerläuft. Die Verweigerung der Fragemöglichkeit an den Sachverständigen stellt nach (bisher) hA einen Nichtigkeitsgrund dar (vgl Kremzow 277 f; OGH 26. 9. 1991, 7 Ob 590/91). Der an der Verhandlung teilnehmende Sachverständige muss mit jenem Sachverständigen identisch sein, der das Gutachten erstellt hat (LGZ Graz 9. 11. 1994, 6 R 182/94); er kann sich auch nicht durch einen anderen Facharzt „vertreten“ lassen: LG Innsbruck 23. 10. 1992, 2b R 158/92.
Die Teilnahme des Kranken und seines Vertreters an der mündlichen Ver- 381 handlung darf nicht ausgeschlossen werden.
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V. Teil: Gerichtliches Unterbringungsverfahren
1. Die obligate Teilnahme des Kranken ergibt sich aus § 22 Abs 2 (unbedingte Ladung), § 24 (Sicherstellung der Teilnahme) und § 26 Abs 1 (Beschlussverkündung in Gegenwart des Kranken). So im Ergebnis auch LGZ Wien 17. 5. 1994, 44 R 414/94. Wegen dieser Sonderregelungen ist eine sitzungspolizeiliche Entfernung des Kranken wegen „Störung der Verhandlung“ in Anwendung des § 198 Abs 2 ZPO (vgl Kremzow 263) nicht zulässig. 2. Ein Ausschluss aus therapeutischen Gründen ist nicht vorgesehen (im Gegensatz zu § 121 Abs 2 AußStrG). Auch der Verweis des § 25 Abs 2 UbG auf §§ 239 und 242 AußStrG bezog sich (entgegen LGZ Wien 17. 5. 1994, 44 R 414/94) nicht auf § 240 AußStrG 1854. 3. Für die mündliche Verhandlung besteht, anders als für die Erstanhörung gem § 19 382 Abs 1, keine ausdrückliche Bestimmung, wonach der Kranke – sofern im Rahmen der Behandlung vertretbar – nicht unter einer die Anhörung beeinträchtigenden Behandlung stehen darf. Wegen der größeren Bedeutung der mündlichen Verhandlung muss ein inhaltsgleiches Gebot aber im Wege eines Größenschlusses auch hier gelten. Ein vergleichbarer Grundsatz ist überdies aus § 24 abzuleiten, wonach seitens der Anstalt für die „Teilnahme“ des Kranken an der Verhandlung zu sorgen ist. Das bedeutet auch, dass dieser in einem Zustand sein muss, in dem er der Verhandlung folgen kann (AB 9). 4. Wird dem Kranken, dem Patientenanwalt oder einem (nach Wirkungskreis zuständi383 gen) Sachwalter die Teilnahme an der mündlichen Verhandlung verwehrt, so liegt darin eine Verletzung des rechtlichen Gehörs, die vom Rekursgericht von Amts wegen wahrzunehmen ist (§ 55 Abs 3 iVm § 58 Abs 1 Z 1 und 2 AußStrG – „Nichtigkeitsgrund“): OGH 10. 10. 1991, 6 Ob 614/91 (Verletzung des rechtlichen Gehörs des Kranken bzw seines Vertreters [hier: rechtswidriger Entfall der mündlichen Verhandlung] begründet Nichtigkeitsgrund); LGZ Wien 17. 5. 1994, 44 R 414/94 (mangelnde Beiziehung des Kranken zur mündlichen Verhandlung); LGZ Wien 5. 7. 1994, 44 R 574/94 (Durchführung der mündlichen Verhandlung, obwohl der Kranke nicht auffindbar war); LG Salzburg 24. 6. 1998, 21 R 212/98t; 25. 2. 2004, 21 R 8/04c (mündliche Verhandlung, obwohl Patient auf Ausgang). Fraglich ist im Hinblick auf § 477 Abs 1 Z 5 ZPO (nunmehr auch § 58 Abs 1 Z 2 AußStrG) freilich, ob das auch für die Nichtladung eines Sachwalters gilt, wenn der Patient ohnehin durch den Patientenanwalt vertreten war: Bejahend LG Salzburg 19. 9. 1991, 22 R 482/91; verneinend LG Linz 23. 12. 1992, 18 R 853/92 (Unterlassen der Ladung des Sachwalters zur mündlichen Verhandlung kein Nichtigkeitsgrund, weil Patient durch Patientenanwalt ausreichend vertreten ist); LG Salzburg 1. 9. 1993, 22a R 291/93 (Nichtteilnahme des Sachwalters, da Verhandlung nicht an dem in der Ladung angegebenen Ort stattfand, kein Nichtigkeitsgrund). Die Nichtteilnahme des Patientenanwalts [hier: wegen Terminverlegung der Erstanhörung] kann nicht dadurch kompensiert werden, dass das Gericht ad hoc einen anderen Vertreter [hier: Pfleger] bestellt (LGZ Wien 13. 1. 1998, 44 R 975/97a). 5. Die Rsp lässt eine Sanierung des Mangels gesetzlicher Vertretung im Unterbringungsverfahren durch nachträgliche Genehmigung des Sachwalters (zB LGZ Wien 18. 12. 1991, 44 R 1141/91; in diesem Sinn nun auch § 58 Abs 1 Z 2 AußStrG) bzw die Sanierung des Mangels des Gehörs durch die Möglichkeit der Anhörung im Rekursverfahren (zB LGZ Graz 20. 1. 1995, 6 R 25/95) zu. 6. Da den Abteilungsleiter gem § 24 UbG die Pflicht zur Sicherstellung der Teilnahme des 384 Kranken trifft, darf diesem für den Zeitraum der Verhandlung kein Ausgang gewährt werden (LG Salzburg 25. 2. 2004, 21 R 8/04c). Vgl auch LGZ Wien 5. 7. 1994, 44 R 574/94: Aus dem Fernbleiben des Kranken könne jedenfalls nicht auf einen Verzicht auf die Teilnahme geschlossen werden. Auch könne vom Untergebrachten nicht verlangt werden, dass er über seine Termine Buch führt. Der Abteilungsleiter habe vielmehr den „Kranken zur Verhandlung stellig zu machen“. 7. Eine Ausfolgung des Sachverständigengutachtens an die Parteien zu Beginn der mündlichen Verhandlung (so noch § 14 Abs 2 RV) ist nicht vorgesehen, da diese Übermittlung zu diesem Zeitpunkt bereits durch den Sachverständigen erfolgt sein muss (§ 22 Abs 3). Sollte sich aber herausstellen, dass eine Übermittlung des Gutachtens an den Kranken aus „therapeutischen Gründen“ unterblieben ist, und schließt sich das Gericht der Beurteilung des Sachverständigen nicht an, dann muss das Gericht spätestens zu Beginn der mündlichen Verhandlung auch dem Kranken das Gutachten ausfolgen (vgl oben Rz 368).
6. Beschluss über die Zulässigkeit der Unterbringung
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f) Für die Protokollführung gelten gem § 22 AußStrG die Bestimmungen 385 der §§ 207 ff ZPO. Zur Akteneinsicht (§ 22 AußStrG iVm § 219 ZPO) und zum Öffentlichkeitsgrundsatz (§ 19 AußStrG) vgl Rz 317 ff, 320 ff. 1. Zum Protokoll Fasching Rz 620 ff; zur Anwendung im Sachwalterverfahren vgl auch OGH NRSp 1990/77; Gitschthaler, NZ 1990, 266. Das Protokoll dient der Sicherung der Vollständigkeit und der Überprüfbarkeit der gerichtlichen Vorgänge; Nichteinhaltung ist ein Verfahrensmangel. Der Richter hat über jede mündliche Verhandlung (ebenso über die Erstanhörung) ein Protokoll aufzunehmen (zumindest ein Resumeeprotokoll: § 211 ZPO, am Schluss der Verhandlung) und alle für die Entscheidung möglicherweise bedeutungsvollen Vorgänge, Erklärungen und Aussagen aufzunehmen (§ 208 ZPO). Das Protokoll ist den Parteien (auch dem Kranken!?) zur Durchsicht vorzulegen oder vorzulesen; diese können Berichtigungen oder Ergänzungen verlangen. Bei Nichtberücksichtigung der Berichtigungsoder Ergänzungsanträge kann Widerspruch gegen die betreffenden Angaben im Protokoll erhoben werden. Diesfalls hat das Gericht in einem Anhang zum Protokoll zu vermerken, dass und welche Einwendungen erhoben wurden (§ 212 ZPO). Das Protokoll ist von den Parteien zu unterfertigen (auch durch Handzeichen); bei Unfähigkeit zur Unterfertigung ist der Name durch den Schriftführer beizusetzen (§ 213 ZPO). Im Falle eines Tonbandprotokolls können die Parteien die Zustellung des Vollschriftprotokolls verlangen und gegen die Übertragung Widerspruch erheben (§ 212a, § 212 Abs 5 ZPO). 2. Den Parteien steht gem § 219 ZPO ein Recht auf Akteneinsicht (Rz 317) und auf Erteilung von Abschriften und Auszügen (auf ihre Kosten) zu. Gem § 89i GOG besteht nun auch ein Anspruch auf Erhalt von Ablichtungen.
6. Beschluss über die Zulässigkeit der Unterbringung a) Allgemeines Am Schluss der mündlichen Verhandlung hat das Gericht eine feststellende Entscheidung über die Zulässigkeit der Unterbringung zu fällen (§ 26 Abs 1 1. Satz). Wie bei der Erstentscheidung nach § 20 stehen dem Gericht zwei Entscheidungsalternativen offen: a) Liegen die Unterbringungsvoraussetzungen vor, so hat das Gericht die 386 Unterbringung für zulässig zu erklären und „hiefür“ – zwingend – gleichzeitig eine Frist festzusetzen (§ 26 Abs 2). Die normative Wirkung der gerichtlichen Zulässigkeitsentscheidung ist, anders als in der BRD, nicht die Anordnung der Unterbringung; sie stellt nur ein – in seiner zeitlichen Wirksamkeit befristetes – Tatbestandsmerkmal für die Rechtmäßigkeit der Unterbringung dar. Durch die Zulässigkeitsentscheidung wird der Abteilungsleiter nicht zur Fortsetzung der Unterbringung verpflichtet (LGZ Wien 2. 3. 1993, 44 R 92/93), sondern ermächtigt, den Kranken – unter der von ihm zu beurteilenden Voraussetzung des Fortbestandes der Unterbringungsvoraussetzungen – weiter festzuhalten. Die Aufhebung der Unterbringung liegt auch nach einer Zulässigkeitsentscheidung in der Kompetenz des Abteilungsleiters (§ 32).
b) Liegen die Unterbringungsvoraussetzungen nicht vor, so hat das Gericht 387 die Unterbringung für unzulässig zu erklären. Diesfalls ist die Unterbringung sogleich aufzuheben, es sei denn, der Abteilungsleiter erklärt in der mündlichen Verhandlung, dass er gegen den Beschluss Rekurs erhebt und das Gericht diesem Rekurs sogleich aufschiebende Wirkung zuerkennt (§ 26 Abs 3). Im Gegensatz zur Zulässigkeitsentscheidung löst die auf Unzulässigkeit lautende Entscheidung daher eine Pflicht des Abteilungsleiters aus, die Unterbringung aufzuheben; diese Pflicht kann nur nach Maßgabe der Zuerkennung der aufschiebenden Wirkung aufgeschoben werden.
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V. Teil: Gerichtliches Unterbringungsverfahren
1. Ist die Unterbringung zum Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung bereits aufgehoben, dann ist das Verfahren einzustellen. Anders als bei der Entscheidung in der Erstanhörung gem § 20, die wegen Art 6 PersFrG auch die ex-post-Kontrolle des Zeitraums seit dem Beginn der Unterbringung einschließen muss (Rz 331), bedarf es in diesem Fall keiner nachträglichen Kontrollmöglichkeit ex post, weil die Unterbringung seit der Erstentscheidung gem § 20 bereits durch diese gedeckt ist und gegen diese Entscheidung ein eigener (wenngleich nicht abgesonderter: Rz 344) Rekursweg besteht, der eine umfassende Überprüfung ermöglicht. Vgl auch Rz 354; zum Rekursverfahren jedoch Rz 431. 2. Zur feststellenden Wirkung des Unzulässigkeitsbeschlusses vgl Rz 343.
b) Unterbringungsfrist 388 Die im Fall einer Zulässigerklärung gem § 26 Abs 2 festzusetzende Frist determiniert nicht die absolute Höchstdauer der Unterbringung, sondern den zeitlichen Abstand bis zur nächsten gerichtlichen Überprüfung. Bei der Fristbemessung ist zwischen den rahmenhaften gesetzlichen Obergrenzen und den materiellen Kriterien der Fristbemessung zu unterscheiden. a) Die Unterbringungsfrist darf gem § 26 Abs 2 drei Monate ab Beginn der Unterbringung nicht übersteigen. Wie sich aus dem systematischen Zusammenhang mit § 30 („weitere Unterbringung“) ergibt, gilt diese Höchstfrist nur für die erstmalige Zulässigerklärung einer Unterbringung. Durch die im Vergleich zur einjährigen Höchstfrist der EntmO erheblich verkürzte Unterbringungsfrist und die Staffelung der Fristen bei einer Verlängerung der Unterbringung soll künftig eine deutliche Verminderung der Unterbringungsdauer und eine – durch Art 6 Abs 2 PersFrG gebotene – regelmäßige Überprüfung in kürzeren Abständen erzielt werden (RV 27). Bei Fortbestand der Unterbringungsvoraussetzungen nach dem Ablauf der im ersten Beschluss festgesetzten Frist ist – auch mehrmals – eine Verlängerung der Unterbringung möglich („weitere Unterbringung“, näher Rz 397 ff). Die in derartigen Entscheidungen über eine weitere Unterbringung festgesetzte Frist darf jeweils sechs Monate nicht übersteigen (§ 30 Abs 1). Eine weitere Verlängerung über ein Jahr hinaus ist nur unter erschwerten Bedingungen zulässig (§ 30 Abs 2). Auf die Einführung einer absoluten Obergrenze wurde – anders als bei der Unterbringung auf Verlangen – bewusst verzichtet (RV 27). 389
1. Die Unterbringungsfrist ist gem § 26 Abs 2 ab Beginn der Unterbringung zu berechnen. Dabei kommt es auf den tatsächlichen Beginn der Unterbringung an, nicht auf den Zeitpunkt der Verständigung: OGH 15. 4. 1993, 2 Ob 511/93, EvBl 1994/4. Bei der Verlängerung der Unterbringung ist auf den Endpunkt der vorangehenden Frist abzustellen. Der Tag der Unterbringung (bzw des Fristablaufs) ist daher immer der erste Tag der Frist. 2. Für die Berechnung des Fristablaufs greift die Rsp auf die Regeln der ZPO (§ 23 AußStrG iVm § 124 ff ZPO) zurück (vgl LGZ Wien 12. 5. 1992, 44 R 214/92). Danach endet eine nach Wochen oder Monaten bestimmte Frist mit Ablauf desjenigen Tages der letzten Woche oder des letzten Monats, welcher durch seine Benennung oder Zahl dem Tage entspricht, an welchem die Frist begonnen hat (§ 125 Abs 2 ZPO) (Zivilkomputation). Dagegen spricht, dass es sich bei der Unterbringungsfrist um eine materiellrechtliche Frist handelt, die nicht nach Verfahrensrecht zu beurteilen ist. Näher Kopetzki II 684 ff. 3. Aus teleologischen Gründen keinesfalls anwendbar sind – selbst bei Bejahung einer prozessualen Frist – die Regeln über die Hemmung des Fristablaufes an Samstagen, Sonn- und Feiertagen (§ 23 AußStrG iVm § 126 Abs 2 ZPO; § 903 ABGB; § 1 BG über die Hemmung des Fristenablaufs durch Samstage und den Karfreitag BGBl 1961/37). Ihr auf die Sonn- und
6. Beschluss über die Zulässigkeit der Unterbringung
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Feiertagsruhe zielender Schutzzweck würde ins Gegenteil umschlagen, sobald man sie auf die Dauer einer freiheitsentziehenden Maßnahme bezieht.
b) Die Unterbringungsfristen sind Höchstfristen. Ihre Bemessung ist – in- 390 nerhalb der gesetzlichen Grenzen – eine Ermessensentscheidung. Kriterien für die Ausübung dieses Ermessens ergeben sich aus dem Zweck der periodischen Gerichtskontrolle. Dabei kommt es auf eine Prognose an, wie lange die Unterbringungsvoraussetzungen voraussichtlich erfüllt sein werden. Zu berücksichtigen sind die Wahrscheinlichkeit von Veränderungen des Krankheitszustandes, der Gefährdung, aber auch die Verfügbarkeit von Betreuungsalternativen. Die Dauer der Unterbringung ist unter Berücksichtigung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes so zu bemessen, wie es zur Abwehr der drohenden Selbst- oder Fremdgefährdung unbedingt erforderlich ist. 1. Zur Fristbemessung wie hier LG Salzburg 19. 5. 1999, 21 R 185/99y. Das Gericht kann und muss gegebenenfalls – je nach Prognose über den Fortbestand der Unterbringungsvoraussetzungen – eine entsprechend kürzere Frist festsetzen. Unzulässig wäre eine Fristsetzung über den nach dieser Prognose unbedingt notwendigen Rahmen hinaus, in der Erwartung, dass der Abteilungsleiter gegebenenfalls von seiner selbständigen Entlassungskompetenz gem § 32 Gebrauch machen werde. 2. Bei Fristablauf ist die Unterbringung vom Abteilungsleiter aufzuheben, sofern bis dahin nicht eine neuerliche gerichtliche Zulässigkeitsentscheidung ergangen ist. 3. Die vom Gericht festgesetzte Frist wird mit Aufhebung der Unterbringung gegenstandslos; eine neuerliche Unterbringung innerhalb der Frist muss zu einem neuen Unterbringungsverfahren führen (Rz 326).
c) Verkündung und Rechtswirkungen a) Der Beschluss über die Zulässigkeit der Unterbringung ist in der mündli- 391 chen Verhandlung in Gegenwart des Kranken (mündlich) zu verkünden, zu begründen und dem Kranken zu erläutern (§ 26 Abs 1 2. Satz). 1. Die Begründungs- und Erläuterungspflicht ist den §§ 245 f AußStrG 1854 (nun §§ 123 Abs 2, 124 Abs 3 AußStrG) nachgebildet, die weiterhin als Auslegungsleitlinie dienen können: Die Begründung muss den erwiesenen Sachverhalt, die Beweiswürdigung sowie die rechtliche Beurteilung enthalten (Dolinar 141 f; Kremzow 303 ff; Maurer/Tschuguel § 245 Rz 1). Von der Begründung in der mündlichen Verkündung ist aber nicht jene Genauigkeit zu verlangen wie in der schriftlichen Beschlussausfertigung. Von der Entscheidungsbegründung zu unterscheiden ist die „Erläuterung“ des Beschlusses, in der der Richter dem Kranken in allgemein verständlichen Worten die Bedeutung und Tragweite der Entscheidung zu erklären hat (Kremzow 314); dazu gehört auch eine Rechtsmittelbelehrung (Kremzow 314, 295). 2. Eine Delegation der Erläuterung an den gesetzlichen Vertreter ist – anders als im Sachwalterverfahren gem § 124 Abs 3 AußStrG – nicht vorgesehen.
b) Erklärt das Gericht die Unterbringung für unzulässig, so ist diese sogleich 392 aufzuheben, es sei denn, der Abteilungsleiter erklärt in der mündlichen Verhandlung, dass er gegen den Beschluss Rekurs erhebt und das Gericht diesem Rekurs sogleich aufschiebende Wirkung zuerkennt. 1. Unterlässt der Abteilungsleiter eine Rekursanmeldung noch in der mündlichen Verhandlung, dann erlischt sein Rekursrecht: § 28 Abs 2 (arg „unter der Voraussetzung des § 26 Abs 3“). Verlässt der Abteilungsleiter die mündliche Verhandlung noch vor der Verkündung des Beschlusses, dann ist ein später dennoch erhobener Rekurs (mangels Anmeldung) als unzulässig zurückzuweisen (LG Linz 6. 3. 1992, 18 R 147/92). 2. Aus den grundsätzlich sofort mit der Verkündung eintretenden Rechtsfolgen eines Un- 393 zulässigkeitsbeschlusses wird ersichtlich, dass der Unterbringungsbeschluss (abweichend von
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V. Teil: Gerichtliches Unterbringungsverfahren
§§ 42-44 AußStrG) bereits mit seiner mündlichen Verkündung außenwirksam erlassen und wirksam ist (Rz 342). Nur bei sofortiger Rekursanmeldung des Abteilungsleiters in der mündlichen Verhandlung kann das Gericht diesem Rekurs – vorläufige – aufschiebende Wirkung zuerkennen, die den Eintritt der Verbindlichkeit für den Abteilungsleiter und damit die Pflicht zur Aufhebung der Unterbringung hinausschiebt, und zwar entweder bis zum ungenützten Ablauf der Rekursfrist von 8 Tagen oder bis zur neuerlichen Entscheidung des Erstgerichtes über die aufschiebende Wirkung nach Einlangen des Rekurses gem § 28 Abs 2. 3. Wegen der außenwirksamen Verkündigung kann ein Rekurs bereits nach der mündli394 chen Beschlussverkündung in der Tagsatzung erhoben werden (LG Linz 17. 7. 2003, 35 R 46/03t); der Lauf der Rekursfristen beginnt aber erst mit der Zustellung des Beschlusses (§ 46 Abs 1 AußStrG; vgl Rz 418, 421). 4. Eine entgegen der gerichtlichen Unzulässigerklärung fortgesetzte Unterbringung ist – sofern keine aufschiebende Wirkung zuerkannt wurde – rechtswidrig und im Verwaltungsweg nach Art 129a B-VG bei den UVS zu bekämpfen. Als feststellende Entscheidung ist der Beschluss nach § 26 Abs 3 UbG nicht durch gerichtliche Exekution vollstreckbar (Rz 784).
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d) Zustellung a) Das Gericht hat innerhalb von acht Tagen den Beschluss auszufertigen und dem Kranken, dessen Vertreter (einschließlich Patientenanwalt) sowie dem Abteilungsleiter mit Zustellnachweis zuzustellen (§ 27). Für die Zustellung gelten die allgemeinen zustellrechtlichen Bestimmungen (vgl AB 10). 1. Zur Ausfertigung vgl § 39 AußStrG; zur Zustellung vgl das ZustellG sowie §§ 87 ff ZPO (§ 24 AußStrG). § 124 Abs 2 AußStrG, wonach die Zustellung des Beschlusses über die Sachwalterbestellung an Personen, die den Zustellvorgang oder den Inhalt der Entscheidung „auch nicht annähernd begreifen“ können, schon dann wirksam ist, wenn die Ausfertigung „in den körperlichen Nahebereich“ des Betroffenen gelangt, gilt hier zwar nicht. Im Ergebnis wird man dem § 27 aber zumindest für Extremfälle einen ähnlich modifizierbaren Zustellvorgang unterstellen (bzw § 124 Abs 2 AußStrG analog anwenden) müssen: Da der – typischerweise psychisch kranke – Betroffene im Unterbringungsverfahren grundsätzlich als verfahrensfähig anzusehen ist (Rz 315), kann auch die wirksame Zustellung – abweichend von den allgemeinen Grundsätzen – nicht an der psychischen Störung und beeinträchtigten Handlungsfähigkeit des Kranken scheitern. Zur verwandten Problematik im Sachwalterrecht vgl mwN Maurer/Tschuguell § 246 AußStrG aF Rz 9 ff; Fucik/Kloiber Anm 1 zu § 124. 2. Die achttägige Frist bezieht sich auf die Beschlussausfertigung, nicht auf die Zustellung. Die Frist beginnt am Tag nach der mündlichen Verhandlung (§ 23 Abs 1 AußStrG iVm § 125 Abs 1 ZPO); auszufertigen ist spätestens am achten Tag. 3. Eine Zustellung bzw Übersendung an andere Stellen ist nicht mehr vorgesehen (anders noch § 65 Abs 1 EntmO) und würde der Amtsverschwiegenheit zuwiderlaufen. Eine Ausnahme enthält § 39b Abs 2 UbG, wonach das Gericht die (vorführende) Sicherheitsbehörde von einer Zulässigkeitsentscheidung nach § 20 Abs 1 UbG zu verständigen hat (Rz 189/7). 4. Ausfertigung sowie Zustellung an den Kranken sind gem § 27 UbG zwingend. § 38 AußStrG (Verzicht auf Ausfertigung und Zustellung) ist daher nicht anwendbar, ebenso wenig der Grundsatz, dass bei ausgewiesenen Vollmachtsverhältnissen eine Zustellung an die Partei selbst unwirksam ist (vgl § 93 ZPO). Auch einen „Zustellkurator“ (so noch § 65 Abs 3 EntmO) gibt es nicht mehr. Der Beschluss ist dem Kranken auch zuzustellen, wenn er aus der Anstalt bereits entlassen wurde (vgl AB 10). 5. Die schriftliche Beschlussausfertigung ist zu begründen (§ 39 Abs 1 Z 5 AußStrG) und mit einer Rechtsmittelbelehrung zu versehen (Kopetzki II 687 f). Zur Begründungspflicht LG Innsbruck 23. 10. 1992, 2b R 158/92: Die bloße Wiedergabe einzelner Verfahrensergebnisse genügt nicht; die Begründung muss erkennen lassen, welche Tatsachen als erwiesen angenommen werden und welche rechtlichen Schlüsse daraus gezogen werden. Insb sind jene konkreten Umstände anzugeben, aus denen die Gefährdung und der Mangel an Betreuungsalternativen iSd § 3 bejaht wird. Eine entsprechende Begründung fehlt, wenn sich das Gericht auf eine Darstellung der Sachverständigenmeinung beschränkt und den Hinweis
7. Das Verfahren über die weitere Unterbringung
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anfügt, es seien „somit“ die Unterbringungsvoraussetzungen erfüllt. Vielmehr sind die rechtlichen Erwägungen, aus welchen das Vorliegen der einzelnen Unterbringungsvoraussetzungen bejaht wird, in nachprüfbarer Weise darzustellen (LG Innsbruck 1. 10. 1993, 2b R 151/93; 25. 3. 1994, 52 R 61/94; 15. 7. 1994, 52 R 160/94). 6. Die Regel des § 39 Abs 4 AußStrG über den Entfall der Begründung ist im Unterbringungsverfahren wegen der Sonderbestimmungen des § 27 (obligate Begründung) iVm § 26 UbG (Ausfertigung des – begründeten – Beschlusses) nicht anzuwenden.
b) Die Zustellung an den Kranken in der Anstalt hat eigenhändig zu erfol- 396 gen, da eine Zustellung durch das Anstaltspersonal rechtlich nicht vorgesehen ist (§ 14 ZustellG) und auch eine Ersatzzustellung mangels tauglicher Ersatzempfänger nicht in Frage kommt. Die Unterfertigung des Zustellnachweises durch den Kranken ist kein Erfordernis für eine rechtswirksame Zustellung. 1. Zur Frage der – unter Umständen fehlenden – Handlungsfähigkeit und einer analogen Anwendung des § 124 Abs 2 AußStrG vgl Rz 395. 2. Befindet sich der Betroffene nicht mehr in der Krankenanstalt, so ist auch eine Ersatzzustellung (sofern möglich) zulässig.
7. Das Verfahren über die weitere Unterbringung Mit der „weiteren Unterbringung“ iSd § 30 ist jede Verlängerung einer gem 397 § 26 für zulässig erklärten Unterbringung gemeint. Bereits der zweite Beschluss betrifft daher eine „weitere“ Unterbringung in der Terminologie des UbG, unabhängig davon, ob im ersten Beschluss tatsächlich die Höchstfrist von drei Monaten ausgeschöpft wurde. Keine „weitere Unterbringung“ liegt hingegen vor, wenn die Unterbringung zwischenzeitig aufgehoben wurde; die Regeln des § 30 gelten nur für Verlängerungen einer ununterbrochenen Unterbringung. Eine bloß „formale“ Entlassung mit anschließender Neuaufnahme bedeutet keine Unterbrechung der Unterbringung (vgl Rz 775) und steht einer Anwendung der strengeren Kriterien des § 30 nicht entgegen (LGZ Graz 21. 3. 1997, 6 R 115/97v).
Für die Verlängerung einer Unterbringung sieht § 30 materielle und verfahrensrechtliche Sonderbestimmungen vor: a) Verlängerung bis zu einem Jahr a) Wird die Unterbringung nicht spätestens mit Ablauf der im ersten Be- 398 schluss festgesetzten Frist aufgehoben, so hat das Gericht erneut über die Zulässigkeit der (weiteren) Unterbringung zu entscheiden. Dies kann mehrmals erfolgen; die jeweils festzusetzende Frist ist aber mit höchstens sechs Monaten begrenzt (§ 30 Abs 1). Eine Verlängerung „über ein Jahr hinaus“ unterliegt abweichenden Vorschriften (unten b). In Anwendung des § 30 Abs 1 darf die Verlängerung daher insgesamt nur maximal ein Jahr betragen. 1. Diese Höchstfrist von einem Jahr für die Verlängerung nach § 30 Abs 1 bezieht sich auf den Zeitraum der Verlängerung, nicht auf die Gesamtdauer der Unterbringung. Die nach § 30 Abs 1 insgesamt um höchstens ein Jahr verlängerbare Unterbringung kann daher (maximal) 15 Monate dauern (drei Monate im ersten Beschluss + ein Jahr „weitere Unterbringung“). Wie oft über die weitere Unterbringung entschieden wird, ist unerheblich, solange die Höchstfrist von einem Jahr nicht erreicht ist. Zwei Verlängerungen um jeweils sechs Monate sind ebenso denkbar wie zwölf Verlängerungen um jeweils einen Monat. Die für jede einzelne Verlängerung geltende Höchstfrist von sechs Monaten darf aber nicht ausgeschöpft werden, wenn dadurch die Dauer der Verlängerung insgesamt ein Jahr übersteigen würde; diesfalls muss eine entsprechend kürzere Frist festgesetzt werden. Die Möglichkeit einer
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V. Teil: Gerichtliches Unterbringungsverfahren
Verlängerung um ein Jahr unter den Bedingungen des § 30 Abs 2 (unten b) steht erst zur Verfügung, wenn die (enger gestaffelten) Verlängerungsmöglichkeiten des § 30 Abs 1 ausgeschöpft sind (dh frühestens nach einer bereits einjährigen Verlängerung nach Abs 1 bzw einer Gesamtdauer von 15 Monaten); sonst wären die „zunächst“ zu ergreifenden Höchstfristen des Abs 1 sinnlos (vgl AB 10): LGZ Wien 27. 11. 1991, 44 R 1016/91. 2. Materielle Voraussetzungen sind jene des § 3: LGZ Wien 21. 11. 1995, 44 R 865/95.
399
b) Zur Sicherstellung der neuerlichen Entscheidung über die weitere Unterbringung hat der Abteilungsleiter spätestens vier Tage vor Ablauf der ursprünglich festgesetzten Frist dem Gericht mitzuteilen, aus welchen Gründen er die weitere Unterbringung für erforderlich hält (§ 30 Abs 3).
1. Die Mitteilung des Abteilungsleiters über die „Erforderlichkeit“ einer weiteren Unterbringung (§ 30 Abs 3) muss sich darauf beziehen, dass nach Ansicht des Abteilungsleiters die Unterbringungsvoraussetzungen weiterhin vorliegen werden (Prognose). 2. Die Frist des § 30 Abs 3 UbG ist erst mit Einlangen der Mitteilung bei Gericht ge400 wahrt (Hopf/Aigner § 30 Anm 7; OGH 7. 9. 1994, 2 Ob 538/94). Der Tag des Fristablaufs wird gem § 125 Abs 1 ZPO nicht eingerechnet (Beispiel: letzter Tag der Unterbringungsfrist Freitag, Einlangen der Mitteilung spätestens Montag davor). Die Postaufgabe am vierten Tag reicht – anders als nach § 89 GOG – nicht (Kopetzki II 690 f). Sinn dieser (mit der viertägigen Entscheidungsfrist des § 19 Abs 1 korrespondierenden) Frist ist, dass der Beschluss über die Verlängerung noch innerhalb der urspünglichen Unterbringungsfrist ergehen kann. 3. Unklar ist die Rechtsfolge einer verspäteten Meldung, die darauf zurückzuführen ist, dass die für eine Verlängerung der Unterbringung sprechenden Umstände erst innerhalb der letzten vier Tage vor Ablauf der Unterbringungsfrist eintreten. Das LG St. Pölten 11. 9. 1991, R 490/91, erachtete es in einem solchen Fall als zulässig, wenn die gerichtliche Anhörung erst nach dem Ablauf der Unterbringungsfrist stattfand, sofern diese Anhörung innerhalb von vier Tagen (§ 19 Abs 1) ab dem tatsächlichen Einlangen der Verständigung erfolgte. 4. Wird die Unterbringung spätestens mit Ablauf der Unterbringungsfrist nicht aufgeho401 ben und unterlässt der Abteilungsleiter die in § 30 Abs 3 vorgesehene „Mitteilung“, dann ist ein neuerliches Verfahren dennoch durchzuführen. Nicht anders als bei der Einleitung des Erstverfahrens folgt auch hier aus der Amtswegigkeit des Verfahrens, dass die Einleitung nicht von der Erfüllung der Mitteilungspflicht des Abteilungsleiters abhängen kann (vgl Rz 325). Das Gericht hat also immer dann, wenn spätestens bei Fristablauf keine Verständigung über die Aufhebung der Unterbringung erfolgt ist (§ 32), ein neues Verfahren auch dann einzuleiten, wenn keine „Mitteilung“ über die Verlängerung vorliegt.
402
c) Für das Verfahren zur Entscheidung über die weitere Unterbringung gelten sinngemäß die Bestimmungen der §§ 19 bis 29 über das (erstmalige) Verfahren (§ 30 Abs 4). Der Entscheidung über die weitere Unterbringung muss daher ein vollständiges neuerliches Unterbringungsverfahren (einschließlich der Anhörung nach § 19) vorangehen, das sich nur in den längeren Höchstfristen (jeweils maximal sechs Monate) unterscheidet. 1. Zur obligaten Anhörung nach § 19 vgl OGH 10. 10. 1991, 6 Ob 614/91; LG Salzburg 25. 3. 1994, 22a R 85/94; LGZ Graz 14. 12. 1994, 6 R 291/94. Auch im Verfahren über eine weitere Unterbringung ist der nach § 20 iVm § 30 Abs 4 ergangene Beschluss über die vorläufige Zulässigkeit nicht gesondert anfechtbar (OGH 15. 12. 1999, 9 Ob 310/99z). Nach LGZ Graz 2. 6. 1999, 6 R 144/99m, schließt die bloß „sinngemäße“ Anwendung des § 20 Abs 1 eine Erstreckung der Tagsatzung über 14 Tage hinaus nicht aus, wenn sonst die intendierte besonders rigorose Prüfung der Unterbringungsvoraussetzungen nicht möglich ist. 2. Manche Regelungen der §§ 19 ff können im Verfahren über die weitere Unterbringung nur sinngemäß Anwendung finden: So kann etwa die Unterbringungsfrist des Verlängerungsbeschlusses nicht „ab Beginn der Unterbringung“ (§ 26 Abs 2) berechnet werden; der Fristbeginn muss mit jenem Zeitpunkt angenommen werden, zu welchem die im ersten Beschluss festgesetzte Frist abgelaufen ist (OGH 25. 7. 1991, 7 Ob 571/91). Daraus wird auch ersichtlich, dass die Unterbringungsfristen nahtlos aneinander anschließen müssen.
7. Das Verfahren über die weitere Unterbringung
129
b) Verlängerung über ein Jahr a) Für die Verlängerung der Unterbringung über ein Jahr hinaus gelten er- 403 höhte materielle und formelle Voraussetzungen (§ 30 Abs 2). Sie darf vom Gericht nur dann für zulässig erklärt werden, wenn dies „aus besonderen medizinischen Gründen erforderlich“ ist (materielles Kriterium) und wenn übereinstimmende Gutachten zweier „anstaltsfremder“ Sachverständiger vorliegen, die im bisherigen Verfahren „tunlichst“ noch nicht herangezogen worden sind (verfahrensrechtliches Kriterium). Diesfalls kann die weitere Unterbringung längstens für ein Jahr für zulässig erklärt werden (§ 30 Abs 2 letzter Satz). 1. Die Verlängerung des § 30 Abs 2 für jeweils maximal ein Jahr kann beliebig wiederholt werden. Der Verlängerung nach § 30 Abs 2 müssen jedoch mindestens drei Entscheidungen in derselben Sache bzw eine mindestens 15monatige Unterbringung vorangehen (Rz 398). 2. Die Mitteilungspflicht des Abteilungsleiters gem § 30 Abs 3 UbG gilt auch für die Verlängerung gem § 30 Abs 2 (vgl oben Rz 399 f).
b) Unklar ist die materielle Voraussetzung, dass die weitere Unterbringung 404 über ein Jahr hinaus „aus besonderen medizinischen Gründen erforderlich“ sein muss. Da zu den schon im „Normalfall“ obligaten Unterbringungsvoraussetzungen ohnehin ein strenges Subsidiaritäts- und Verhältnismäßigkeitskriterium gehört (ultima ratio; keine Alternativen), ist fraglich, welche besonderen Gründe darüber hinaus für eine weitere Verlängerung überhaupt noch denkbar sind. Im Ergebnis kann diese Wendung nur auf eine besonders rigorose Prüfung der Verhältnismäßigkeit abzielen, da von den anderen Unterbringungsvoraussetzungen (Krankheit, Gefährdung) nur verlangt werden kann, dass sie nach wie vor vorliegen, nicht aber, dass sie in „besonderer Weise“ vorliegen. 1. Der bloße Fortbestand der schon bei der Aufnahme gegebenen Voraussetzungen reicht 405 jedenfalls nicht aus. Abgesehen davon wird man davon ausgehen können, dass eine Verlängerung ein besonderes Maß an Wahrscheinlichkeit und Schwere der drohenden Gefahr erfordert. Im Grunde besagt § 30 Abs 2 nicht viel mehr, als der Verhältnismäßigkeitsgrundsatz ohnehin beinhaltet, dass nämlich die Prüfung der Voraussetzungen umso strenger ausfallen muss, je länger die Unterbringung schon dauert (oben Rz 135; wie hier LG Salzburg 30. 9. 1997, 21 R 372/97; LGZ Graz 15. 1. 1997, 6 R 2/97a). 2. Nach der Rsp liegen insb dann keine „besonderen medizinischen Gründe“ vor, wenn trotz Behandlung innerhalb der Unterbringung während des Zeitraumes eines Jahres eine Besserung des Gesundheitszustandes nicht erreicht werden kann (LGZ Graz 1. 10. 1992, 1 R 351/92; LG Innsbruck 7. 4. 1992, 1b R 61/92; 12. 5. 1992, 1b R 89/92). Damit wird ein therapeutisches Kriterium eingeführt, das im System des UbG ein Fremdkörper ist.
c) Grundsätzlich gilt auch für die Verlängerung nach § 30 Abs 2 das Ver- 406 fahrensrecht der §§ 19-29 (vgl § 30 Abs 4). Als zusätzliche formelle Voraussetzung für die Zulässigerklärung einer weiteren Unterbringung iSd § 30 Abs 2 bedarf es aber übereinstimmender Gutachten zweier im bisherigen Verfahren „tunlichst“ noch nicht herangezogener (anstaltsfremder) Sachverständiger. Dabei handelt es sich um eine besondere Beweisregel. 1. In der Rsp (LG Innsbruck 4. 11. 1992, 2b R 160/92) wird § 30 Abs 2 als „eine das Gericht bindende Beweisregel“ gedeutet, die sowohl eine inhaltliche Überprüfung der fachlichen Schlussfolgerungen der Sachverständigen als auch (bei divergierenden Meinungen) die Beiziehung eines weiteren Sachverständigen verbiete. Dem ist nicht zu folgen, weil das Gericht seine Sachentscheidung damit vollständig an die Sachverständigen delegieren würde. 2. Die Forderung nach „übereinstimmenden“ Gutachten bedeutet auch hier, dass beide Sachverständige in der Beurteilung der materiellen Voraussetzungen im Ergebnis übereinstimmen müssen, nicht aber auch, dass sie dies in ihren Begründungen tun (Rz 204).
130
V. Teil: Gerichtliches Unterbringungsverfahren
3. Beide Sachverständige müssen so rechtzeitig bestellt werden, dass ihr Gutachten zur Verhandlung vorliegt. Eine Beschlussfassung vor Einlangen des zweiten Gutachtens bildet einen (schlichten) Verfahrensmangel (LG Salzburg 30. 9. 1997, 21 R 372/97). 4. Unter dem „bisherigen Verfahren“ ist die Summe jener Gerichtsverfahren zu verste407 hen, die sich auf die konkrete Unterbringung beziehen (Kopetzki II 693 f ). Im Verfahren nach § 30 Abs 2 dürfen daher solche Sachverständige nicht herangezogen werden, die im ersten Verfahren nach § 19 ff oder in Verfahren über die weitere Unterbringung nach § 30 Abs 1 beigezogen waren. Kommt es zu weiteren Verlängerungen, dann bezieht sich die Unvereinbarkeit auch auf frühere Verfahren nach § 30 Abs 2. Fraglich ist, ob auch jene Gutachter ausgeschlossen sind, die im selben Verlängerungsverfahren nach § 30 Abs 2 schon anlässlich der Erstanhörung gem § 19 beigezogen wurden (eine Bestellung mit guten Gründen zulassend LGZ Graz 15. 1. 1997, 6 R 2/97a). 5. Da es bei wiederholten Verlängerungen schwierig sein könnte, noch geeignete Sachverständige zu finden, wurde die in § 20 Abs 2 RV noch unbedingte Forderung nach „neuen“ Gutachtern durch das Wort „tunlichst“ abgeschwächt (vgl AB 10).
8. Neuerliches Verfahren vor Fristablauf gem § 31 UbG 408 a) Unter zwei Voraussetzungen ist die neuerliche Durchführung eines Unterbringungsverfahrens noch vor Ablauf der gerichtlich festgesetzten Unterbringungsfrist vorgeschrieben (§ 31 Abs 1), und zwar – auf Antrag des Kranken, seines Vertreters (einschließlich Patientenanwalt), der Verwandten in auf- und absteigender Linie, des Ehegatten oder des Lebensgefährten, oder – von Amts wegen, wenn das Gericht begründete Bedenken gegen das weitere Vorliegen der Voraussetzungen der Unterbringung hegt. 409
1. Während eine amtswegige Einleitung nur in Frage kommt, wenn „stichhaltige Anhaltspunkte dafür vorliegen, dass die weitere Unterbringung nicht mehr den Voraussetzungen des § 3 entspricht“ (AB 10), ist der Antrag des Kranken (bzw der Angehörigen) an keine weiteren Voraussetzungen gebunden; er muss insb nicht näher begründet werden. Ebensowenig ist vorgesehen, dass das Gericht nach einer allfälligen Bestätigung der Unterbringung wiederholte Anträge des Kranken für unstatthaft erklären kann (so noch § 23 Abs 5 EntmO). 2. Aus dem spezifischen Zweck des Verfahrens nach § 31 (Rz 410) ist jedoch abzuleiten, dass ein Antrag nach § 31 erst dann zulässig ist, wenn die Erstentscheidung im regulären Rekursweg nicht mehr abänderbar ist (weil die Rekursfrist abgelaufen oder die 2. Instanz bereits entschieden hat). Für die parallele Durchführung des Rekursverfahrens und des Verfahrens nach § 31 besteht kein Rechtsschutzbedürfnis, da spätere Sachverhaltsänderungen auch noch vom Rekursgericht aufgegriffen werden müssen und dieses ebenso binnen 14 Tagen entscheiden muss. Vgl LG Linz 8. 7. 1993, 18 R 465, 466/93, wonach ein Antrag nach § 31 Abs 1 solange nicht in Betracht kommt, als die vorangegangene Fristsetzung noch nicht rechtskräftig ist. Das Abstellen auf die Rechtskraft geht mE aber zu weit, weil dann auch für die Dauer eines Verfahrens vor dem OGH jede neuerliche Überprüfung abgeschnitten wäre, ohne dass das Revisionsrekursverfahren diesen Zweck mitversehen könnte.
410
b) Das neuerliche Verfahren gem § 31 dient nicht der Bekämpfung der gerichtlichen Erstentscheidung, sondern der Berücksichtigung nachträglich eingetretener Änderungen der Sach- (oder Rechts-)lage. Es müssen daher Anhaltspunkte für Sachverhaltsänderungen vorliegen bzw eine solche im Antrag behauptet werden. Gegenstand der Prüfung ist das „weitere Vorliegen“ der Unterbringungsvoraussetzungen, dh: ihr Fortbestand nach der vorangehenden gerichtlichen Zulässigkeitsentscheidung. § 31 zielt daher nicht auf eine Durchbrechung der materiellen Rechtskraft, weil sich diese ohnehin nicht auf zwischenzeitige Änderungen des maßgeblichen Sachverhalts erstreckt.
9. Rechtsmittel
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c) Für das Verfahren gelten gem § 31 Abs 2 die Bestimmungen der §§ 22 411 bis 29 sinngemäß; es entspricht somit in allen Punkten dem „normalen“ Unterbringungsverfahren, mit der Ausnahme, dass eine Anhörung gem § 19 sowie die (vorläufige) Entscheidung gem § 20 entfällt. Ist die (neuerlich zu prüfende) Unterbringung zum Zeitpunkt eines Verfahrens nach § 31 bereits auf mehr als ein Jahr verlängert gewesen, so sind die besonderen Voraussetzungen des § 30 Abs 2 (besondere medizinische Gründe, zwei Sachverständige) auch im Verfahren nach § 31 anzuwenden. In diesem Fall ist das im Verfahren nach § 31 zu beurteilende „weitere Vorliegen der Voraussetzungen der Unterbringung“ auf die besonderen Voraussetzungen des § 30 Abs 2 zu beziehen. Da sich der Verweis des § 31 Abs 2 nicht auf die Entscheidungsfrist des § 20 bezieht, ist fraglich, ob auch im Verfahren nach § 31 die Verhandlung binnen vierzehn Tagen durchzuführen ist (für Analogie Hopf/Aigner § 31 Anm 5; aM Stabentheiner, ÖJZ 1994, 711 f ).
d) Erklärt das Gericht die Unterbringung für unzulässig, so ist nach § 26 412 Abs 3 vorzugehen (Aufhebung der Unterbringung, außer einem Rekurs des Abteilungsleiters wird aufschiebende Wirkung zuerkannt). Erklärt das Gericht die Unterbringung hingegen neuerlich für zulässig, so kann es in sinngemäßer Anwendung des § 26 Abs 2 eine neue Unterbringungsfrist festsetzen. Diese Möglichkeit ist allerdings auf eine Verkürzung der ursprünglich festgesetzten Frist zu beschränken: Da der Sinn des Verfahrens nach § 31 eine vorzeitige Überprüfung der Unterbringung ist (AB 10), darf das Gericht die ursprüngliche Unterbringungsfrist nicht verlängern. Für ein Verbot der reformatio in peius spricht auch, dass gegenüber § 23 Abs 4 EntmO keine Rechtsschutzverschlechterung eintreten sollte (allgemein AB 10).
9. Rechtsmittel Die Bestimmungen über das Rechtsmittelverfahren gelten nicht nur für Re- 413 kurse gegen Beschlüsse über die Zulässigkeit der Unterbringung gem § 26, § 30 und § 31 Abs 1 sowie für den Rekurs des Abteilungsleiters gegen einen Unzulässigkeitsbeschluss in der „Erstanhörung“ gem § 20, sondern in gleicher Weise auch für Rechtsmittel gegen Entscheidungen über Beschränkungen und Behandlungen (§ 38 Abs 2). 1. Zur sinngemäßen Anwendung der Rechtsmittelvorschriften auf den Anstaltsrekurs gem § 20 vgl OGH 26. 9. 1991, 7 Ob 585/91. 2. Das Rechtsmittel der Vorstellung wird vom UbG ausgeschlossen (§ 28 Abs 3, § 38 Abs 2, § 19 Abs 3); im neuen AußStrG ist es ohnehin nicht mehr vorgesehen.
a) Rekurs a) Zur Rekurserhebung legitimiert sind: aa) Gegen den Beschluss, mit dem die Unterbringung für zulässig erklärt 414 wird: der Kranke, sein Vertreter (einschließlich Patientenanwalt) sowie näher bestimmte Angehörige (Verwandte in auf- und absteigender Linie, der Ehegatte und der Lebensgefährte) (§ 28 Abs 1); 1. Die Rekurslegitimation des Kranken (seines Vertreters) gegen einen die Zulässigkeit der 415 Unterbringung bejahenden Beschluss besteht auch nach Aufhebung der Unterbringung:
132
V. Teil: Gerichtliches Unterbringungsverfahren
OGH 24. 4. 1991, 1 Ob 549/91, ÖAV 1992, 129 = RZ 1991/85; 26. 9. 1991, 7 Ob 590/91; 6. 4. 1995, 2 Ob 523/95. Anders jedoch zur Beschwer des Abteilungsleiters Rz 352. 2. Geschwister sind nicht rekurslegitimiert (LG Klagenfurt 16. 4. 1999, 1 R 78/99m). 3. Eine Beschwer allein durch die Begründung ist zu verneinen. Der Patient kann daher nicht Rekurs gegen einen Unzulässigkeitsbeschluss erheben, weil ihm darin ein „paranoider Umweltbezug“ attestiert wurde: OGH 28. 8. 2003, 8 Ob 95/03h.
416
bb) Gegen den Beschluss, mit dem die Unterbringung für unzulässig erklärt wird: nur der Abteilungsleiter, sofern er seinen Rekurs in der mündlichen Verhandlung angemeldet hat (§ 28 Abs 2 iVm § 26 Abs 3). 1. Da die Rechtsmittelbefugnisse im § 28 abschließend geregelt sind, können andere Personen (Patient, Vertreter, Angehörige) gegen einen Unzulässigkeitsbeschluss nicht Rekurs erheben: OGH 14. 4. 1994, 6 Ob 565/94, Jus extra 1994/1634 (es sei denn, dass über die zum Verfahrensgegenstand erhobene Frage einer konkreten Unterbringung oder Maßnahme nicht vollständig abgesprochen worden ist). 2. Der Abteilungsleiter ist zur Anfechtung anderer Entscheidungen als der Unzulässigerklärung nicht legitimiert: OGH 8. 4. 1992, 3 Ob 504/92, EvBl 1992/145 = RZ 1993/89. 3. Die Ausübung des Rekursrechts durch andere (Fach)ärzte im Namen und unter Verantwortung des Abteilungsleiters ist zulässig (LG Linz 19. 3. 1992, 18 R 178/92). 4. Zum Erlöschen des Rekursrechts mangels Anmeldung: RV 27; Hopf/Aigner § 28 Anm 8; LGZ Wien 25. 10. 1994, 44 R 852/94. 5. Zu den Voraussetzungen für eine Rekurserhebung durch den Abteilungsleiter sinngemäß Rz 349; zum Wegfall der Beschwer nach Aufhebung der Unterbringung Rz 352.
b) Der Rekurs ist durch Überreichung eines Schriftsatzes beim Gericht erster Instanz zu erheben. Sofern der Betroffene nicht durch einen Rechtsanwalt oder Notar vertreten ist, kann der Rekurs auch mündlich zu Protokoll erklärt werden (§ 47 Abs 1 AußStrG). 418 c) Die Rekursfrist beträgt für den Kranken und seinen Vertreter 14 Tage ab Zustellung. Die Rekursfrist des Kranken bzw seines Vertreters (Patientenanwalts) beginnt mit dem auf die Zustellung folgenden Tag. Den Angehörigen steht die Rekursfrist nur so lange offen, als sie noch für den Kranken oder seinen Vertreter läuft (§ 28 Abs 1 UbG). 417
1. Die Wendung „ab der Zustellung“ (§ 28 Abs 1 UbG) benennt lediglich das fristauslösende Ereignis; der Tag, auf den dieses Ereignis [hier: Zustellung] fällt, ist aber gem § 125 Abs 1 ZPO iVm § 23 Abs 1 AußStrG in die Frist nicht einzurechnen: Dolinar 97; LGZ Graz 13. 4. 1995, 6 R 111/95). Fällt das Ende der Frist auf einen Samstag, Sonn- oder Feiertag, so gilt der nächste Werktag als letzter Tag der Frist (§ 23 Abs 1 AußStrG iVm §§ 125 f ZPO; BG BGBl 1961/37). Die Anfechtbarkeit des Beschlusses beginnt allerdings nicht erst mit Zustellung, sondern schon mit Bindung des Gerichts an seine Entscheidung (Fucik/Kloiber § 46 Rz 1; das ist hier die Verkündung in der mündlichen Verhandlung, vgl § 40 AußStrG). 2. Die Frist ist (wenn der Schriftsatz an das zuständige Gericht adressiert ist) mit der 419 Postaufgabe gewahrt (§ 89 GOG; Rz 422). Verspätete Rekurse des Kranken oder seines Vertreters können nach § 46 Abs 3 AußStrG zugelassen werden (so – zu § 11 Abs 2 AußStrG aF – OGH 10. 10. 1991, 6 Ob 614/91). Der Abteilungsleiter kann durch deren Zulassung keinen „Nachteil“ iSd § 46 Abs 3 AußStrG erleiden, weil er – als Organpartei – keine eigenen Rechte geltend macht: Hopf/Aigner § 28 Anm 3; OGH 10. 10. 1991, 6 Ob 614/91. 3. Die Angehörigen können einen Rekurs nicht mehr erheben, sobald die Frist sowohl für den Kranken als auch für dessen Vertreter abgelaufen ist. Die Rekursfrist der Angehörigen kann aber unter Umständen auch erheblich über 14 Tagen liegen (zB wenn der Beschluss einem erst auszuforschenden gesetzlichen oder bevollmächtigten Vertreter verspätet zugestellt wird; die Frist der Angehörigen endet dann erst mit dem Ablauf der für den Vertreter gelten-
9. Rechtsmittel
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den – und durch die Zustellung an diesen in Gang gesetzten – Frist). Vgl nun die ähnliche (wenngleich auf nicht aktenkundige Parteien beschränkte) Regel des § 46 Abs 2 AußStrG.
d) Die Rekursfrist für den Abteilungsleiter gegen einen Unzulässigkeitsbe- 420 schluss beträgt – abweichend von § 46 Abs 1 AußStrG und von § 28 Abs 1 UbG – nur acht Tage (§ 28 Abs 2). Damit sollte der Zeitraum der Unsicherheit über die Entlassung des Patienten verkürzt werden (RV 27). 1. Nicht ausdrücklich geregelt ist im § 28 Abs 2 UbG, wann die Rekursfrist des Abtei- 421 lungsleiters zu laufen beginnt. Nach § 46 Abs 1 AußStrG wäre der Beginn des Fristenlaufes wie beim Patienten mit Zustellung anzunehmen. Der für den Kranken ausdrücklich vorgesehene Fristbeginn „ab Zustellung“ und die Beschleunigungsabsicht (RV 27) legen eher den Umkehrschluss nahe, dass die – nicht an die Zustellung anknüpfende – Rekursfrist des § 28 Abs 2 UbG bereits mit der mündlichen Verkündung beginnt (LG Linz 1. 7. 1993, 18 R 408/93); die inzwischen stRsp bejaht Fristbeginn hingegen ab Zustellung: OGH 26. 5. 1999, 3 Ob 338/98x; LGZ Graz 13. 4. 1995, 6 R 111/95; ebenso Hopf/Aigner § 28 Anm 9. Zur Fristberechnung vgl auch Rz 418. 2. Auch die Rekursfrist des Abteilungsleiters ist gem § 89 GOG mit Postaufgabe (sofern 422 an das zuständige [erstinstanzliche] Gericht adressiert: OGH 10. 11. 1993, 6 Ob 604/93; 17. 11. 1993, 1 Ob 592/93) oder mit der fristgerechten Übermittlung im Wege der Telekopie (Telefax) (OGH SZ 65/162 = JBl 1993, 732 Anm Gitschthaler; LG Salzburg 12. 10. 1994, 22a R 354/94; LG Innsbruck 10. 1. 1995, 53 R 251/94) oder e-mail (LG Salzburg 25. 2. 2004, 21 R 40/04k) gewahrt. Der Mangel der Original-Unterschrift bei Fax-Eingabe oder email stellt ein – verbesserungsfähiges – Formgebrechen dar (LG Salzburg 12. 10. 1994, 22a R 354/94; LG Innsbruck 10. 1. 1995, 53 R 251/94). Der Bestätigungsschriftsatz kann nach Fristablauf nachgereicht werden, er muss aber ohne unnötigen Aufschub erfolgen (LG Innsbruck 29. 3. 1996, 54 R 48/96: 5 Tage zu spät; vgl aber LG Salzburg 12. 6. 1996, 21 R 256/96; 19. 1. 2001, 21 R 25/00y, EFSlg 97.548: auf schriftliche Bestätigung der in Telekopie übermittelten Rekursschrift kann verzichtet werden, wenn Fax zweifelsfrei vom angegebenen Absender stammt). Das beim unzuständigen Gericht überreichte Rechtsmittel ist nur dann rechtzeitig, wenn es innerhalb der Rechtsmittelfrist beim zuständigen Gericht tatsächlich eingelangt ist (OGH 21. 12. 1992, 7 Ob 643/92; 16. 6. 1993, 7 Ob 1558/93; 21. 12. 1993, 5 Ob 538/93). 3. Ein verspäteter Rekurs des Abteilungsleiters kann gem § 46 Abs 3 AußStrG nicht mehr 423 zugelassen werden, weil dies die Rechtsstellung des Patienten beeinträchtigen würde (zu § 11 Abs 2 AußStrG aF OGH 10. 11. 1993, 7 Ob 590/93; 17. 11. 1993, 1 Ob 592/93; 18. 9. 1991, 2 Ob 552/91; 21. 12. 1992, 7 Ob 643/92; 12. 1. 2005, 7 Ob 313/04m).
e) Meldet der Abteilungsleiter in der mündlichen Verhandlung einen Rekurs 424 gegen den Unzulässigkeitsbeschluss an, so hat das Gericht zunächst gem § 26 Abs 3 „sogleich“ zu entscheiden, ob es diesem Rekurs aufschiebende Wirkung zuerkennt. Die Zuerkennung der aufschiebenden Wirkung hat zur Folge, dass die materiellen Rechtswirkungen des Beschlusses – das ist die Unzulässigkeit der Unterbringung – vorläufig nicht eintreten; die Unterbringung bleibt zunächst weiterhin zulässig. Sobald der innerhalb acht Tagen zu erhebende Rekurs beim Gericht eingelangt ist, hat das Gericht erster Instanz gem § 28 Abs 2 „unmittelbar nach Einlangen“ des Rekurses neuerlich zu entscheiden, ob dem Rekurs weiter aufschiebende Wirkung zukommt. Ein Rekurs des Abteilungsleiters löst daher zwei Entscheidungen über die aufschiebende Wirkung aus. 1. Die erste Entscheidung über die aufschiebende Wirkung in der mündlichen Verhandlung gem § 26 Abs 3 ist insofern fakultativ, als die aufschiebende Wirkung nicht eintritt, wenn sie das Gericht nicht zuerkennt. Wurde die aufschiebende Wirkung hingegen zunächst zuerkannt, dann muss das Gericht nach Einlangen des Rekurses über den Fortbestand der aufschiebenden Wirkung entscheiden (arg § 28 Abs 2: „hat“). Diese Entscheidungen bedürfen gesonderter Beschlüsse. Sie dürfen nicht in den Beschluss über die Zulässigkeit der Un-
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V. Teil: Gerichtliches Unterbringungsverfahren
terbringung aufgenommen werden, da dieser bereits verkündet sein muss, bevor eine Rekursmöglichkeit und damit eine Möglichkeit besteht, „diesem Rekurs“ aufschiebende Wirkung zuzuerkennen (§ 26 Abs 3). 2. Erhebt der Abteilungsleiter Rekurs bereits bei Beschlussverkündung in der mündlichen Verhandlung unter Verzicht auf schriftliche Rekursausfertigung (Rz 394), dann entfällt die zweite Entscheidung über die aufschiebende Wirkung (LG Linz 17. 7. 2003, 35 R 46/03t). 3. Zu den inhaltlichen Kriterien, nach denen die Entscheidung über die Zuerkennung bzw Nichtzuerkennung der aufschiebenden Wirkung zu treffen ist vgl oben Rz 350. 4. Gegen die Entscheidungen über die aufschiebende Wirkung ist ein abgesondertes Rechtsmittel nicht zulässig (§ 28 Abs 2 UbG). 5. Dem Rekurs des Kranken (seiner Vertreter oder Angehörigen) gegen einen Zulässigkeitsbeschluss im Unterbringungsverfahren kommt aufgrund der Sonderbestimmungen des UbG keine aufschiebende Wirkung zu (mwN Kopetzki II 699 f). Vgl jedoch Rz 759 ff. 6. Ist die in der (durch Rekurs des Patienten bekämpften) erstgerichtlichen Entscheidung 425 festgesetzte Frist abgelaufen, bevor das Rekursgericht entschieden und gegebenenfalls eine neue Frist festgesetzt hat, dann bedarf es – sofern die Unterbringung nicht gem § 32 aufgehoben wird – einer neuerlichen erstinstanzlichen Entscheidung über die weitere Unterbringung gem § 30 UbG. Anderenfalls würde die bloße Rekurserhebung zu einer Verlängerung der zulässigen Unterbringungsdauer führen, was hier ebenso wenig zutreffend sein kann wie für die Entscheidungsbefugnis des Rekursgerichts (vgl Rz 434).
426
f) Hinsichtlich der formellen und inhaltlichen Anforderungen an den Rekurs gelten die allgemeinen Grundsätze des außerstreitigen Verfahrens (§ 47 AußStrG): Der Rekurs kann sowohl durch Schriftsatz erhoben als auch – sofern die Partei nicht durch einen Rechtsanwalt oder Notar vertreten ist – mündlich zu Protokoll gegeben werden. Er muss neben den allgemeinen Erfordernissen eines Anbringens (§ 10 AußStrG) den angefochtenen Beschluss bezeichnen (§ 47 Abs 2 AußStrG) und hinreichend erkennen lassen, aus welchen Gründen sich die Partei beschwert erachtet (Rekursgründe) und welche andere Entscheidung sie anstrebt (Rekursbegehren) (§ 47 Abs 3 AußStrG). 1. Die tauglichen Rekursgründe sind im neuen AußStrG (nach wie vor) nicht zusammenfassend aufgezählt. Das Gesetz legt nur fest, welche Mängel welche prozessualen Folgen nach sich ziehen (vgl §§ 55-58 AußStrG). Zum Ganzen näher Mayr/Fucik Rz 259 ff; Fucik/Kloiber § 46 Rz 8. Als Mangelhaftigkeiten kommen insb in Betracht: a) schwere Verletzungen grundsätzlicher Verfahrensvorschriften, die ohne Rücksicht auf ihre Auswirkungen im Einzelfall vom Amts wegen wahrzunehmen sind; sie entsprechen (mit Einschränkungen) den bisherigen Nichtigkeitsgründen des § 477 ZPO; die bisher analog angewendet (OGH 10. 10. 1991, 6 Ob 614/91) und auch aus der Verletzung verfassungsrechtlicher Grundsätze (Art 6 PersFrG) abgeleitet wurden (OGH EvBl 1982/120). Wichtigstes Beispiel ist nach wie vor die Verletzung des rechtlichen Gehörs (§ 55 iVm § 58 Abs 1 Z 1 AußStrG); b) sonstige Mängel des Verfahrens, die geeignet sind, eine unrichtige Entscheidung herbeizuführen; c) Aktenwidrigkeit; d) unrichtige Beweiswürdigung und Sachverhaltsfeststellung; e) unrichtige rechtliche Beurteilung. 2. Hinsichtlich des Anfechtungsantrages begnügte sich die Rsp schon bisher mit der Erkennbarkeit des Begehrens (explizit nun § 47 Abs 3 AußStrG). Mindestvoraussetzung ist, dass aus dem Rekurs erkennbar ist, inwieweit sich der Rekurswerber beschwert erachtet und welches Ergebnis er anstrebt. Ein „leerer Rekurs“ ist nach LGZ Wien 28. 8. 1992, 44 R 658/92, zurückzuweisen, künftig aber wohl einer Verbesserung zugänglich (§ 10 Abs 4 und 5 AußStrG; Fucik/Kloiber § 47 Rz 3; s auch LG Salzburg 5. 4. 2000, 21 R 102/00x, EFSlg 97.594: leerer Protokollarrekurs des Patienten ist keinem Verbesserungsverfahren zu unterziehen, wenn Patientenanwalt bereits erklärt hat, keinen schriftlichen Rekurs auszuführen). Hinzuzufügen ist, dass sich ein Rekurs nur gegen den normativen Teil der Entscheidung, also den Spruch, nicht aber gegen unerwünschte Formulierungen in der Begründung richten kann: LG Feldkirch 5. 9. 1992, 1c R 162/91; LGZ Wien 22. 2. 1994, 44 R 139/94.
9. Rechtsmittel
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3. Gem § 6 Abs 2 AußStrG besteht im Rekursverfahren keine absolute, jedoch relative 426/1 Vertretungspflicht: Die Partei muss sich nicht vertreten lassen; wenn sie sich aber vertreten lässt, kann dies nur durch einen Rechtsanwalt oder Notar geschehen. Für „streitige“ Außerstreitverfahren, „in denen einander Anträge zweier oder mehrerer Parteien gegenüber stehen können“ (was auf das Unterbringungsverfahren zutreffen dürfte: Rz 295), schreibt § 6 Abs 1 AußStrG sogar (relative) Anwaltspflicht (unter Ausschluss der Notare) vor. § 16 UbG enthält allerdings abweichende – zwischen Rechtsanwälten, Notaren und sonstigen Vertretern differenzierende – Regelungen, die nicht nur, aber jedenfalls auch für die Vertretung im Rekursverfahren gelten (vgl § 28 Abs 1: „Vertreter“, Rz 520). Wegen des Vorrangs speziellerer Verfahrensregeln (§ 1 Abs 3 AußStrG; Rz 312) ist daher die Vertretung im Rekursverfahren wohl auch künftig nach § 16 UbG zu beurteilen und die Vertretungspflicht des § 6 Abs 1 bzw 2 AußStrG nicht anzuwenden (anders jedoch beim Revisionsrekurs: Rz 437). 4. Ein gesetzlicher Vertreter (zB Patientenanwalt) kann jedenfalls – selbst wenn man eine Anwendung des § 6 Abs 1 bzw 2 AußStrG hier bejahen wollte – auch im Bereich der relativen Vertretungspflicht einschreiten (mwN Fucik/Kloiber § 6 AußStrG Rz 2). 5. Unter den näheren Voraussetzungen des § 50 AußStrG kann bereits das Gericht erster 426/2 Instanz dem Rekurs stattgeben (Selbststattgebung); näher Fucik/Kloiber § 50 AußStrG.
g) Auch das Rekursverfahren richtet sich grundsätzlich nach den allgemei- 427 nen Regeln des Außerstreitrechts, auf die in diesem Zusammenhang zu verweisen ist (§§ 52 ff AußStrG). Das UbG normiert aber einige Abweichungen, die als speziellere Normen auch dem neuen AußStrG vorgehen: aa) Nach § 29 Abs 1 hat das Gericht zweiter Instanz, sofern der Kranke noch untergebracht ist, innerhalb von vierzehn Tagen ab Einlangen der Akten zu entscheiden. Die gesetzliche Wendung „sofern der Kranke noch untergebracht ist“ bezieht sich hier nur auf die Entscheidungsfrist, nicht auf die Zulässigkeit des Rekursverfahrens. Wird die Unterbringung während des Rekursverfahrens aufgehoben bzw der Kranke ent- 428 lassen, so entfällt daher lediglich die zweiwöchige Entscheidungsfrist, nicht hingegen die Entscheidungspflicht über einen Rekurs des Kranken. Nach seit jeher völlig herrschender Auffassung ist daher auch nach Freilassung eine Sachentscheidung zu fällen (OGH SZ 39/83; ÖAV 1988, 109; 24. 4. 1991, 1 Ob 549/91, RZ 1991/85 = ÖAV 1992, 129; 10. 10. 1991, 6 Ob 614/91; 30. 8. 1994, 5 Ob 550/94). In diesem Fall kann freilich immer nur eine Entscheidung darüber getroffen werden, ob die Unterbringung zulässig war oder nicht (OGH 10. 10. 1991, 6 Ob 614/91). Nur dem Abteilungsleiter spricht die Judikatur das „Rechtsschutzinteresse“ ab, sobald die Unterbringung aufgehoben wurde (Rz 352).
bb) Gem § 29 Abs 2 hat das Rekursgericht das Verfahren selbst zu ergänzen 429 oder neu durchführen, soweit es dies für erforderlich hält. Daraus folgt, dass das Gericht zweiter Instanz immer eine reformatorische Entscheidung in der Sache zu treffen hat. Dadurch wird der Grundsatz der Unmittelbarkeit auch im Rekursverfahren stärker zur Geltung gebracht. 1. Zurecht sprechen Mayr/Fucik Rz 499 von einem „Aufhebungs- und Zurückverweisungsverbot“. In diesem Sinn auch OGH 26. 11. 1992, 1 Ob 637/92 (kassatorischer Beschluss zweiter Instanz ist unzulässig); LGZ Wien 23. 3. 1993, 44 R 167/93; LG Innsbruck 3. 6. 1994, 53 R 113/94 bis 115/ 94. Die – uneinheitliche – Rechtsprechung lässt mitunter Zurückverweisung zu (zB LGZ Wien 20. 3. 1991, 44 R 251/91; 5. 5. 1992, 44 R 316/92). Dagegen spricht, dass die unbedingte Entscheidungspflicht des § 29 Abs 1 („hat zu entscheiden“) offensichtlich auf eine Entscheidung des Rekursgerichts in der Sache abzielt (AB 10). Anderenfalls ginge die kurze Entscheidungsfrist von 14 Tagen weitgehend ins Leere, da sich an die aufhebende zweitinstanzliche Entscheidung erst ein – längeres – Verfahren vor dem Erstgericht anschließen würde. Die Wendung „soweit es dies für erforderlich hält“ (§ 29 Abs 2) bezieht sich nicht auf die Frage, ob überhaupt eine reformatorische Sachentscheidung zu treffen ist, sondern nur darauf, ob es zu dieser Entscheidung einer Verfahrensergänzung bzw
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V. Teil: Gerichtliches Unterbringungsverfahren
eines neuerlichen Verfahrens bedarf. Ist die Sache nicht spruchreif, dann hat das Rekursgericht das Verfahren „selbst zu ergänzen oder neu durchzuführen“ (RV 27; OGH 26. 9. 1991, 7 Ob 585/91), nötigenfalls unter Abhaltung einer mündlichen Verhandlung. Richtig daher LG Salzburg 2. 5. 1991, 22 R 54/91, wonach das Rekursgericht „nicht lediglich die angefochtene Entscheidung zu überprüfen, sondern die [...] Entscheidung über die Zulässigkeit der Unterbringung zu fällen“ hat. Im Ergebnis auch OGH 26. 5. 1999, 3 Ob 338/98x (Durchführung einer mündlichen Verhandlung und Bestellung eines zweiten Sachverständigen durch Rekursgericht, da Patientenanwalt zur mündlichen Verhandlung erster Instanz nicht geladen war). Vgl andererseits LG Salzburg 19. 9. 1991, 22 R 482/91 (dem Rekursgericht ist keine erstmalige Durchführung der mündlichen Verhandlung aufgetragen; hat eine mündliche Verhandlung erster Instanz nicht stattgefunden oder leidet das Verfahren an Nichtigkeit, so ist an die erste Instanz zurückzuverweisen); bestätigend LG Salzburg 29. 10. 2002, 21 R 258/02s, EFSlg 101.288; noch weitergehend LGZ Wien 5. 5. 1992, 44 R 316/92 (das UbG sehe überhaupt keine mündliche Verhandlung im Rekursverfahren vor). 2. Das Gesagte verbietet auch eine Umwürdigung der vom Erstgericht aufgenommenen 430 Beweise ohne neuerliche Beweisaufnahme durch das Rekursgericht (vgl OGH 26. 9. 1991, 7 Ob 585/91). Zur Gewinnung eines persönlichen Eindrucks vom Kranken genügt der persönliche Eindruck eines einzigen Senatsmitgliedes (§ 29 Abs 2 2. Satz UbG). 3. Im Rekursverfahren besteht kein Neuerungsverbot, auch nicht für „nova producta“, die 431 erst nach der angefochtenen Entscheidung erster Instanz entstanden sind (OGH 26. 5. 1993, 7 Ob 553/93; LGZ Wien 23. 3. 1993, 44 R 167/93; LG Salzburg 10. 11. 1993, 22a R 382/93; 18. 3. 1994, 22a R 79/94; LG Linz 8. 11. 1993, 22a R 370/93). Das ergibt sich daraus, dass das Rekursgericht das Verfahren unter Einschluss der Beweisaufnahme „neu“ durchführen kann (§ 29 Abs 2). Gegen eine Beschränkung auf nova reperta bisher zB auch Dolinar 171 (zustimmend zum UbG OGH 25. 7. 1991, 7 Ob 571/91). Wie hier – zum gleichgelagerten HemAufG – Barth/Engel, Anm 3 zu § 17. Vgl aber Rz 354. § 49 AußStrG sieht demgegenüber nur eine beschränkte Neuerungserlaubnis vor: Nova reperta werden nur dann berücksichtigt, wenn es sich bezüglich der Verspätung um eine entschuldbare Fehlleistung handelt, nova producta nur dann, wenn sie nicht ohne wesentlichen Nachteil zum Gegenstand eines neuen Verfahrens gemacht werden können. Verortet man die bisherige Neuerungserlaubnis in § 29 UbG, dann wäre die Anwendbarkeit des § 49 AußStrG wegen § 1 Abs 3 AußStrG wohl insgesamt zu verneinen; wichtige nova producta wären aber selbst im Lichte des § 49 Abs 3 AußStrG zulässig, weil ihre Nichtberücksichtigung regelmäßig einen „wesentlichen Nachteil“ (entweder für die persönliche Freiheit des Betroffenen oder für die durch ihn gefährdeten Rechtsgüter) nach sich ziehen wird. 4. § 29 Abs 2 ordnet nur die Sachverhaltsergänzung durch das Rekursgericht an, erweitert aber nicht den Gegenstand des Rekursverfahrens selbst dahin, dass es im Belieben der Parteien stünde, weitere Sachanträge direkt an das Rekursgericht zu stellen und so die Zuständigkeit des Unterbringungsgerichts zu eliminieren (OGH 20. 1. 2000, 6 Ob 238/99i, RdM 2001/3 = SZ 73/13, zu einem erstmaligen Antrag auf Überprüfung der Unterbringung in einem nur die Heilbehandlung betreffenden Verfahren gem § 38). Das ist aber weniger eine Frage des Neuerungsverbots als der Abgrenzung der funktionellen Zuständigkeiten. 5. Da ein Neuerungsverbot fehlt, hat das Rekursgericht bei nachträglichen Sachverhaltsänderungen – bei aufrechter Unterbringung – jedenfalls auch auf den Zeitpunkt der Rekursentscheidung abzustellen (LGZ Wien 23. 3. 1993, 44 R 167/93; LG St. Pölten 2. 11. 1999, 10 R 346/99f ). Nur wenn die Unterbringung bereits beendet ist, kommt zwangsläufig nur mehr eine rein „retrospektive Beurteilung“ in Betracht (OGH 26. 5. 1993, 7 Ob 553/93). Doch auch bei andauernder Unterbringung erstreckt sich die Kognitionsbefugnis des Rekursgerichts – abweichend vom erstinstanzlichen Verfahren (Rz 387) – auch auf die Überprüfung des vor der Erstanhörung liegenden Unterbringungszeitraumes (ab Aufnahme, Rz 310): Da die Zulässigkeitsentscheidung in der Erstanhörung vom Kranken nicht abgesondert angefochten werden kann (§ 20 Abs 3), muss sich die zweitgerichtliche Kontrollfunktion auch auf den Verfahrensgegenstand der „ersten“ Entscheidung gem § 20 beziehen.
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6. Bei einer Ergänzung oder neuen Durchführung des Verfahrens gem § 29 Abs 2 ist – abgesehen von der persönlichen Anhörung durch ein einzelnes Senatsmitglied – sinngemäß nach den für das erstinstanzliche Verfahren geltenden Bestimmungen vorzugehen, weil der
9. Rechtsmittel
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Hinweis auf die Neudurchführung des „Verfahrens“ durch das Rekursgericht in § 29 Abs 2 als impliziter Verweis auf die Verfahrensregelungen der §§ 22 ff zu deuten ist. Daher ist etwa § 22 Abs 1 (Recht auf zweiten Sachverständigen) auch vom Rekursgericht zu beachten (OGH 20. 5. 1999, 6 Ob 96/99g). 7. Während die bisherige Rsp die Einseitigkeit des Rekurses im Außerstreitverfahren (zB 432/1 OGH JBl 1991, 254) auch für das Unterbringungsverfahren betonte (OGH 10. 3. 1994, 6 Ob 524/94; zu verfassungsrechtlichen Bedenken Kopetzki II 703), führt § 48 AußStrG nun generell die Zweiseitigkeit des Rekursverfahrens (über die Hauptsache und die Kosten) ein. Rekurse sind daher künftig dem jeweiligen Verfahrensgegner in Gleichschrift zuzustellen; dieser kann binnen 14 Tagen ab Zustellung eine Gegenäußerung (Rekursbeantwortung) beim Gericht erster Instanz anbringen. Vgl aber Rz 346.
h) Erklärt das Rekursgericht die Unterbringung für unzulässig, so ist diese 433 sogleich aufzuheben (§ 29 Abs 3). Ein gegen diesen Beschluss erhobener Revisionsrekurs des Abteilungsleiters hat keine aufschiebende Wirkung. Eine solche kann wegen der abweichenden Spezialvorschrift des § 29 Abs 3 UbG auch nicht in Anwendung der §§ 43 f AußStrG zuerkannt werden. Der Beschluss zweiter Instanz wird – anders als der erstinstanzliche Beschluss gem § 26 UbG – grundsätzlich mit seiner Zustellung wirksam, es sei denn, das Rekursgericht verkündet seine Entscheidung nach Verfahrensergänzung ebenfalls in einer mündlichen Verhandlung gem § 26 iVm § 29 Abs 2 UbG. Abweichend von § 43 Abs 1 AußStrG treten die Wirkungen des Beschlusses – insb die Pflicht zur Aufhebung der Unterbringung – aber wegen § 29 Abs 3 UbG unabhängig von der Rechtskraft ein. Das Rekursgericht hat in seinem Beschluss ua auch auszusprechen, ob der ordentliche Revisionsrekurs nach § 62 Abs 1 AußStrG zulässig ist oder nicht (§ 59 Abs 1 Z 2 AußStrG); der Ausspruch ist kurz zu begründen (§ 59 Abs 3 AußStrG). Näher § 59 AußStrG.
Erklärt das Rekursgericht die Unterbringung für zulässig, so ist – sofern die 434 erstinstanzliche Entscheidung nicht lediglich bestätigt wird – auch eine neue Frist festzusetzen (§ 26 Abs 2 iVm § 29 Abs 2). Diese Frist ist immer vom Beginn der Unterbringung bzw vom Ablauf der vorangegangenen Frist zu bemessen (vgl § 26 Abs 2, § 30 Abs 4, jeweils iVm § 29 Abs 2). Das Gericht zweiter Instanz darf aufgrund eines Rekurses des Patienten (oder seines Vertreters bzw Verwandten) aber keine im Vergleich zur angefochtenen Zulässigkeitsentscheidung des Erstgerichts längere Unterbringungsfrist festsetzen. Gegen die – im außerstreitigen Verfahren nun generell zulässige (§ 55 Abs 2 AußStrG) –
Möglichkeit einer derartigen reformatio in peius spricht nach wie vor eine historische und teleologische Auslegung des § 29 UbG, da eine Verlängerung der Anhaltungsfrist durch das Rekursgericht schon zur EntmO abgelehnt wurde (mwN Kopetzki II 704) und der Gesetzgeber die Rechtsposition des Patienten im geltenden Unterbringungsrecht bewusst nicht verschlechtern wollte (AB 9 f ). Auch in der differenzierten Verteilung der Rekursrechte in § 28 Abs 1 und 2 UbG kommt die Wertung zum Ausdruck, dass einem von der Seite des Kranken bzw der ihm nahestehenden Personen in Gang gebrachten Rekursverfahren keine unterbringungsverlängernde Wirkung zukommen soll. Schließlich steht auch der spezifische – funktionell der Verwaltungsgerichtsbarkeit zuzuordnende – Haftprüfungszweck des Verfahrens (Art 6 PersFrG) einer reformatio in peius entgegen.
b) Revisionsrekurs Der Beschluss des Gerichtes zweiter Instanz ist nach den allgemeinen Be- 435 stimmungen der §§ 62 bis 72 AußStrG beim OGH anfechtbar. Vgl – auf dem Boden des AußStrG aF – AB 10; RV 27; OGH 26. 9. 1991, 7 Ob 585/91. Zum neuen AußStrG vgl Mayr/Fucik Rz 293 ff.
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V. Teil: Gerichtliches Unterbringungsverfahren
a) Nach § 62 Abs 1 AußStrG ist gegen den Beschluss des Rekursgerichtes der Revisionsrekurs nur zulässig, wenn die Entscheidung von der Lösung einer Rechtsfrage des materiellen Rechts oder des Verfahrensrechts abhängt, der zur Wahrung der Rechtseinheit, Rechtssicherheit oder Rechtsentwicklung erhebliche Bedeutung zukommt, etwa weil das Rekursgericht von der Rsp des OGH abweicht oder eine solche Rechtsprechung fehlt oder uneinheitlich ist .
1. Die Bestimmung entspricht dem § 14 AußStrG aF. Es muss sich um (erhebliche) Rechtsfragen handeln. Der OGH ist (wie bisher) keine Tatsacheninstanz. Neues Tatsachenund Beweisvorbringen ist nur zur Unterstützung oder Bekämpfung der Revisionsrekursgründe möglich (§ 66 Abs 2 AußStrG; zur aF OGH 29. 6. 1993, 5 Ob 65/93). Der von den Unterinstanzen festgestellte Sachverhalt sowie die Beweiswürdigung bleiben unverrückbar, sofern kein Verfahrensmangel bzw Aktenwidrigkeit vorliegt. Es herrscht Neuerungsverbot. 2. Erheblich iSd § 62 Abs 1 AußStrG ist eine Rechtsfrage, wenn sie über den konkreten Rechtsstreit hinaus Bedeutung erlangen kann (zB als Orientierungshilfe in anderen Fällen) oder wenn sie zur Lösung einer in Wissenschaft oder Praxis strittigen oder ungeklärten Frage beiträgt (Fasching Rz 1889 ff). Der Revisionsrekurs ist nach Fasching (Rz 1895 ff) auch immer dann zulässig, wenn zu einer Frage keine veröffentlichte Entscheidung des OGH vorliegt. 3. Zu Form und Inhalt des Revisionsrekurses vgl § 65 AußStrG. § 6 Abs 1 AußStrG 437 normiert – abweichend vom bisherigen Rechtszustand – eine absolute Vertretungspflicht durch einen Rechtsanwalt; anders als im Rekursverfahren (Rz 426/1) gibt es für den Revisionsrekurs auch keine abweichenden, die allgemeinen Regeln des § 6 AußStrG verdrängenden Bestimmungen des UbG. Die (von § 6 Abs 1 AußStrG ausgeschlossene) Vertretungsbefugnis der Notare bleibt aber mE wegen ihrer vom – insoweit spezielleren (§ 1 Abs 3 AußStrG) – UbG beabsichtigten Gleichstellung mit den Anwälten (vgl 16 Abs 2 UbG) auch beim Revisionsrekurs im Unterbringungsverfahren bestehen; zum gleichen Ergebnis gelangt man, wenn man das Unterbringungsverfahren dem § 6 Abs 2 AußStrG unterstellt (vgl dazu Rz 426/1). Die Parteien müssen sich daher jedenfalls durch einen Rechtsanwalt oder Notar vertreten (und den Revisionsrekurs gem § 65 Abs 1 Z 5 AußStrG unterschreiben) lassen. 4. Ob die zweitinstanzliche Entscheidung bestätigend, aufhebend oder abändernd ist, ist unerheblich. Auch gegen zurückweisende Entscheidungen des Rekursgerichtes ist Rekurs an den OGH zulässig (OGH 13. 3. 1990, 5 Ob 545/90; Fucik/Kloiber § 62 Rz 2); als Revisionsrekurse unterliegen auch sie den Einschränkungen des § 62 AußStrG (vgl zu § 14 AußStrG aF OGH 28. 6. 1990, 8 Ob 603/90, NZ 1992, 12; 8. 10. 1991, 5 Ob 541/91, RZ 1992/30). Gegen die Reskursentscheidung, mit der über die Ablehnung eines Sachverständigen entschieden wurde, ist ein Revisionsrekurs nicht zulässig (OGH 11. 1. 2000. 10 Ob 337/99b). 5. Gem § 64 Abs 1 AußStrG ist ein Beschluss, mit dem das Rekursgericht einen Beschluss des Gerichts erster Instanz aufgehoben und diesem eine neuerliche, nach Ergänzung des Verfahrens zu fällende Entscheidung aufgetragen hat, nur dann anfechtbar, wenn das Rekursgericht den Rekurs an den OGH für zulässig erklärt hat (OGH 26. 11. 1992, 1 Ob 637/92). Die – wegen § 29 Abs 2 UbG unzulässige – Zurückverweisung kann daher nicht mehr bekämpft werden, wenn das Rekursgericht den Revisionsrekurs nicht zugelassen hat (OGH 26. 11. 1992, 1 Ob 637/92).
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b) Die Legitimation zur Erhebung eines Revisionsrekurses richtet sich nach § 28 UbG. 1. Der Patient und sein Vertreter sind zur Erhebung des Revisionsrekurses gegen eine Zulässigerklärung auch nach Aufhebung der Unterbringung legitimiert (OGH 16. 12. 1992, 2 Ob 600/92). 2. Der Abteilungsleiter ist zur Erhebung des Revisionsrekurses gegen die Unzulässigerklärung der Unterbringung berechtigt (OGH 24. 9. 1991, 4 Ob 542/91, JBl 1992, 106 [107]; 27. 5. 1992, 2 Ob 542/92). Nach Aufhebung der Unterbringung und Ablauf der Frist, für die die strittige Maßnahme als zulässig erklärt worden war, verneint die stRsp jedoch die aufrechte Beschwer des Abteilungsleiters durch die die Unterbringungsmaßnahme für nicht zulässig erklärende Rekursentscheidung (zuletzt OGH 12. 2. 2004, 2 Ob 17/04w; mwN in Rz 352).
9. Rechtsmittel
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c) Im Revisionsrekurs können gem § 66 Abs 1 AußStrG nur beschränkte 439 Anfechtungsgründe (Revisionsgründe) geltend gemacht werden, nämlich dass 1. ein Fall der §§ 56, 57 Z 1 oder 58 AußStrG gegeben ist (Z 1) (entspricht mit Einschränkungen den bisherigen Nichtigkeitkeitsgründen); 2. das Rekursverfahren an einem Mangel leidet, der eine erschöpfende Erörterung und gründliche Beurteilung der Sache zu hindern geeignet war (Z 2) (wesentlicher Verfahrensmangel); 3. der Beschluss des Rekursgerichts in einem wesentlichen Punkt eine tatsächliche Voraussetzung zugrunde legt, welche mit den Akten erster oder zweiter Instanz im Widerspruch steht (Z 3) (Aktenwidrigkeit); 4. der Beschluss des Rekursgerichts auf einer unrichtigen rechtlichen Beurteilung der Sache beruht (Z 4). 1. Die Aufzählung der Revisionsrekursgründe in § 66 Abs 1 AußStrG ist taxativ. Dazu und zum Folgenden näher Fucik/Kloiber, § 66 AußStrG. 2. Das neue AußStrG übernimmt in § 66 Abs 1 Z 1 nicht alle bisher als Nichtigkeitsgründe angesehenen Gründe als Revisionsgründe. Beibehalten werden insb: Unzulässigkeit des Rechtswegs; Fehlen der inländischen Gerichtsbarkeit; rechtskräftig entschiedene Sache (§ 56 Abs 1); sachliche Unzuständigkeit (§ 56 Abs 2); schwerste Begründungsmängel (§ 57 Z 1); Verletzung des rechtlichen Gehörs; schwere Vertretungsmängel, sowie (neu) Unterbleiben der in besonderen Verfahrensvorschriften angeordneten mündlichen Verhandlung (§ 58). 3. Da § 66 Abs 1 Z 2 nur Mängel des Rekursverfahrens betrifft, kann – wie bisher – ein vom Rekursgericht verneinter Mangel des erstinstanzlichen Verfahrens grundsätzlich nicht mehr mit Revisionsrekurs an den OGH herangetragen werden (vgl zB OGH 17. 12. 1996, 4 Ob 2367/96h; 1. 7. 1999, 2 Ob 274/97a). Inwieweit dies künftig auch für behauptete Nichtigkeitsgründe erster Instanz zutrifft, ist allerdings fraglich (mwN Fucik/Kloiber, § 66 Rz 2).
d) Nach der allgemeinen Bestimmung des § 65 Abs 1 AußStrG beträgt die 440 Frist für den Revisionsrekurs vierzehn Tage ab Zustellung der Rekursentscheidung. Der Revisionsrekurs ist durch Schriftsatz beim Gericht erster Instanz einzubringen (§ 65 Abs 2 AußStrG). 1. Zum Einbringungsgericht OGH 16. 6. 1993, 7 Ob 1558/93. 2. Da eine dem § 28 Abs 2 UbG entsprechende besondere Fristregelung fehlt, gilt die vierzehntägige Frist auch für den Revisionsrekurs des Abteilungsleiters: OGH 21. 12. 1992, 7 Ob 643/92. Zur Fristenwahrung näher oben Rz 422. 3. Verspätete Revisionsrekurse des Patienten sind vorzulegen und (iVm § 71 Abs 4) im 441 Rahmen des § 46 Abs 3 AußStrG zu berücksichtigen (Fucik/Kloiber § 67 Rz 1; zum alten AußStrG vgl OGH 10. 10. 1991, 6 Ob 614/91), nicht jedoch verspätete Revisionsrekurse des Abteilungsleiters (OGH 21. 12. 1992, 7 Ob 643/92; 16. 6. 1993, 7 Ob 1558/93). 4. Der Revisionsrekurs ist vom Gericht erster Instanz nur dann zurückzuweisen, wenn die 442 Unzulässigkeit auf einem anderen Grund als dem Fehlen einer „erheblichen Rechtsfrage“ iSd § 62 Abs 1 AußStrG beruht (§ 67 AußStrG). Anderenfalls ist der Rekurs samt allen Akten über das Verfahren dem OGH vorzulegen. Hat das Rekursgericht gem § 59 Abs 1 Z 2 AußStrG ausgesprochen, dass der Revisionsrekurs (wegen einer „erheblichen Rechtsfrage“) zulässig ist, dann ist der Revisionsrekurs im Wege des Gerichts zweiter Instanz vorzulegen („ordentlicher Revisionsrekurs“, § 69 Abs 2 AußStrG). Hat das Rekursgericht ausgesprochen, dass der Revisionsrekurs (mangels einer „erheblichen Rechtsfrage“) unzulässig ist, dann ist der Revisionsrekurs unmittelbar dem OGH vorzulegen („außerordentlicher Revisionsrekurs“, § 69 Abs 4 AußStrG). Der außerordentliche Revisionsrekurs unterscheidet sich nur darin, dass der Rekurswerber begründen muss, warum die Entscheidung entgegen der Auffassung des Rekursgerichts seiner Meinung nach sehr wohl von einer „erheblichen Rechtsfrage“ iSd § 62 Abs 1 abhängt (§ 65 Abs 3 Z 6 AußStrG); der OGH ist diesbezüglich an den Ausspruch des
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V. Teil: Gerichtliches Unterbringungsverfahren
Rekursgerichts nicht gebunden (§ 71 Abs 1 AußStrG). Die Unzulässigkeit des Revisionsrekurses mangels einer erheblichen Rechtsfrage kann nur der OGH wahrnehmen. 5. Das neue AußStrG führt die generelle Zweiseitigkeit des Rechtsmittels gegen Entschei442/1 dungen über die Sache auch in dritter Instanz ein: Unter den Voraussetzungen des § 68 Abs 1 AußStrG ist der Revisionsrekurs auch der anderen Partei zuzustellen, die binnen 14 Tagen eine Revisionsrekursbeantwortung (idR beim Erstgericht) einbringen kann (vgl näher § 68 AußStrG; anders zu § 16 Abs 3 AußStrG aF noch OGH 26. 9. 1991, 7 Ob 585/91).
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e) Der Revisionsrekurs hat, wie sich aus der unbedingten Entlassungspflicht des § 29 Abs 3 UbG ableiten lässt, keine aufschiebende Wirkung im Hinblick auf den Beschluss zweiter Instanz. Endet während des Revisionsverfahrens die vom Gericht zweiter Instanz festgesetzte Unterbringungsfrist, dann ist nach § 30 vorzugehen und ein neuerliches Verfahren erster Instanz über die Zulässigkeit der weiteren Unterbringung durchzuführen. Dass dem Revisionsrekurs im Unterbringungsverfahren – entgegen den allgemeinen Regeln der §§ 43 f AußStrG – generell die aufschiebende Wirkung fehlt, gilt nicht nur für den Revisionsrekurs des Abteilungsleiters (dazu OGH 24. 9. 1991, 4 Ob 542/91, JBl 1992, 107), sondern ebenso für jenen des Kranken bzw seines Vertreters; vgl sinngemäß Rz 424. Anders lediglich bei der Genehmigung besonderer Heilbehandlungen: Rz 760.
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f) Der OGH muss nicht in der Sache selbst entscheiden, sondern kann sich auf die Lösung der „erheblichen Rechtsfrage“ beschränken und die Lösung der daraus folgenden weiteren Fragen dem Rekursgericht überlassen (Zurückverweisung; vgl näher § 70 Abs 2 und 3 AußStrG).
10. Verfahrenskosten 445 Die Kosten des gerichtlichen Verfahrens trägt gem § 40 zur Gänze der Bund. Das gilt sowohl für das Verfahren über die Zulässigkeit der Unterbringung (§§ 18 ff) als auch für alle anderen im UbG vorgesehenen gerichtlichen Verfahrensarten (§§ 21, 38). Im Gegensatz zum Sachwalterbestellungsverfahren (vgl § 129 AußStrG) und zum bisherigen Anhalteverfahren (§§ 58 ff EntmO) kann dem Patienten keine Verpflichtung zum Kostenersatz auferlegt werden. 1. Zu den Verfahrenskosten gehören die gerichtlichen Eingabe-, Ausfertigungs- und Entscheidungsgebühren, die Kosten von gerichtlichen Amtshandlungen außerhalb des Gerichtsgebäudes sowie die Gebühren der gerichtlich bestellten Sachverständigen (RV 29); nicht hingegen die Kosten eines ärztlichen Privatgutachters, die Kosten eines bevollmächtigten Vertreters gem § 16 UbG, ebensowenig die Kosten des Anstaltsaufenthaltes (Rz 719) oder des Patientenanwalts (dazu § 8 VSPAG, Rz 510, 531). Nur wenn der Patientenanwalt ausnahmsweise zugleich auch einstweiliger Sachwalter nach § 120 AußStrG ist (Rz 516), kommt eine Entschädigung bzw ein Aufwandsersatz nach den allgemeinen Bestimmungen des Sachwalter- und Vormundschaftsrechts in Frage (§ 282 iVm §§ 266, 267 ABGB; RV 29). 2. Die Bestimmungen des § 78 AußStrG über den Kostenersatz sind wegen der abweichenden Sonderbestimmung des § 40 UbG (vgl § 1 Abs 3 AußStrG) nicht anwendbar.
Sechster Teil
Patientenanwalt Die Einrichtung der Patientenanwaltschaft bildet ein Kernstück des Unter- 446 bringungsrechts. Sie soll sicherstellen, dass dem zwangsweise Untergebrachten (mit Einschränkungen auch dem auf Verlangen Untergebrachten) ab seiner Aufnahme – ohne dass es noch eines besonderen gerichtlichen Bestellungsaktes bedarf – ein qualifizierter Rechtsbeistand zur Seite steht. Im Gegensatz zum Beistand nach der EntmO entsteht dieses Vertretungsverhältnis unabhängig davon, ob der Betroffene einen gesetzlichen Vertreter hat oder nicht. Der Patientenanwalt ist einerseits Vertreter im gerichtlichen Verfahren, hat aber darüber hinaus ganz allgemein die Rechte des Kranken wahrzunehmen. Darin zeigt sich – worauf schon die Bezeichnung als „Anwalt“ des Patienten hinweist – die Rechtsschutzfunktion dieser Vertretungstätigkeit. 1. Eine wesentliche Neuerung gegenüber dem Beistand nach der EntmO besteht darin, dass der Kranke auch innerhalb des Wirkungskreises nicht in seiner Geschäftsfähigkeit beschränkt ist und dass der Patientenanwalt durch einen selbstgewählten Vertreter ersetzt werden kann. Schließlich soll durch die Institutionalisierung der Patientenanwaltschaft im Rahmen der Vereinssachwalterschaft eine besondere Qualifikation der Patientenanwälte sowie deren Unabhängigkeit von den Krankenanstalten garantiert werden. 2. Bestellung und Vertretungstätigkeit der Patientenanwälte sind im UbG (insb §§ 13 ff), die Tätigkeit der Vereine einschließlich ihrer Eignungsfeststellung sowie der Namhaftmachung einzelner Patientenanwälte hingegen im VSPAG geregelt. 3. Zu historischen Vorläufern, zur verfassungsrechtlichen Bedeutung sowie zur allgemeinen rechtlichen Einordnung des Patientenanwalts vgl Kopetzki II 707 ff. 4. Beim Patientenanwalt handelt es sich um eine neuartige Rechtsschutzeinrichtung, die von der Initiative des Patienten unabhängig ist und auf diese Weise seiner oft mangelnden Handlungsfähigkeit und der Abhängigkeit im Anstaltsbetrieb Rechnung trägt. Obgleich ihr Schwerpunkt in der Wahrnehmung subjektiver Rechte liegt, trägt sie auch Züge einer objektiven Rechtsschutzeinrichtung (eigenständige Verfahrensstellung). Allerdings besitzt der Patientenanwalt keine verbindliche Entscheidungsgewalt. Die rechtliche Leistungsfähigkeit reicht nicht weiter, als die Entscheidungs- und Kontrollbefugnisse jener Instanzen, an welche sich der Patientenanwalt wenden kann. Auch kann der Patientenanwalt für den Kranken keine Rechte „beschaffen“ oder durchsetzen, die dieser nach materiellem Recht gar nicht hat. 5. Der Patientenanwalt des UbG bzw VSPAG ist – trotz Ähnlichkeit der Bezeichnungen – von den mannigfaltigen „Patientenanwälten“ und „Patientenvertretungen“ nach landesrechtlichen Grundlagen zu unterscheiden. Diese orientieren sich eher am Leitbild eines Ombudsmans und sind als Alternative zu rechts- und gerichtsförmigen Auseinandersetzungen konzipiert. Vgl Rz 769.
1. Bestellung Im Gegensatz zu anderen gesetzlichen Vertretern sind die (allgemeine) Be- 447 stellung des Patientenanwaltes durch das Gericht einerseits (1) und der Beginn des (individuellen) Vertretungsverhältnisses zum einzelnen Patienten andererseits (2) zu unterscheiden.
142
VI. Teil: Patientenanwalt
a) Allgemeines 448 a) Die Bestellung des Patientenanwaltes (der Patientenanwälte) obliegt dem Vorsteher des Bezirksgerichtes (Unterbringungsgericht), in dessen Sprengel die Anstalt liegt (§ 13 Abs 1 iVm § 12 Abs 1 UbG). Die Bestellung ist zwingend vorzunehmen („hat ... zu bestellen“), sobald in einer psychiatrischen Anstalt oder Abteilung Personen iSd UbG untergebracht werden. Zu diesem Zweck hat der ärztliche Leiter einer Krankenanstalt, für die die Bestimmungen des UbG gelten (dh: in der Personen in einem geschlossenen Bereich angehalten oder sonst Beschränkungen ihrer Bewegungsfreiheit unterworfen werden), dies dem Vorsteher des zuständigen Bezirksgerichtes unverzüglich bekanntzugeben (§ 41). Vgl auch Rz 300.
449
b) Der Gerichtsvorsteher „hat für die Kranken einer Anstalt aus dem Kreis der von einem geeigneten Verein namhaft gemachten Personen im Voraus einen, erforderlichenfalls auch mehrere Patientenanwälte zu bestellen. Werden mehrere Patientenanwälte bestellt, so ist auch deren Zuordnung zu den Kranken allgemein zu regeln“ (§ 13 Abs 1). Die Bestellung des Patientenanwaltes erfolgt also nicht individuell für einen bestimmten Patienten, sondern „allgemein“ und im Vorhinein. Durch die Bestellung wird der Patientenanwalt zunächst nur einer psychiatrischen Anstalt (Abteilung) zugeteilt; es handelt sich um eine abstrakte Zuordnung zu einem potentiellen „Patientenkollektiv“, die – bei mehreren Patientenanwälten – erforderlichenfalls näher spezifiziert wird. 1. Die Bestellung ist unabhängig davon, ob in der Anstalt aktuell tatsächlich Kranke untergebracht werden, solange dies nur überhaupt vorgesehen ist. Anderenfalls wäre die Zielsetzung des UbG, den Patientenanwalt möglichst sofort nach der Aufnahme zur Verfügung zu stellen (RV 24), nicht erfüllbar. 2. Über die Rechtsform der Bestellung trifft das UbG keine ausdrückliche Anordnung; die Praxis ist uneinheitlich (Gerichtsbeschluss, Verordnung). Aus der Zuständigkeitsübertragung an den Gerichtsvorsteher ist abzuleiten, dass das UbG hiefür einen Verwaltungsakt vorsieht. Nach AB 1203 BlgNR 3 soll dies mit Verordnung geschehen (ebenso JABl 1991/2, 7). Da es sich dabei um einen individuellen hoheitlichen Bestellungsakt außerhalb eines Dienstverhältnisses handelt, müsste die Bestellung aber mit Bescheid vorgenommen werden (Hopf/ Aigner § 13 Anm 8; Kopetzki II 718), der dem Patientenanwalt zuzustellen ist. Wegen der gleichzeitig eintretenden generellen Wirkungen (Einräumung gesetzlicher Vertretungsmacht gegenüber einem unbestimmten Kreis von Patienten) wird aber zusätzlich eine inhaltsgleiche Verordnung zu erlassen sein. Die hiefür gebotene Kundmachung darf sich nicht auf den Anschlag auf der Gerichtstafel beschränken: Eine „gehörige Kundmachung“ setzt effektive Kenntnismöglichkeit für den Adressatenkreis voraus; untergebrachte Patienten können von Kundmachungen im Gerichtsgebäude aber nicht Kenntnis nehmen. Es bedarf daher zumindest auch einer Kundmachung im Anstaltsgebäude. 3. Berufungsbehörde ist der Präsident des Landesgerichts (vgl den Bescheid des Präsidenten des LG Klagenfurt 11. 11. 1997, Jv 3889-32/97) und letztlich der BM für Justiz; näher Hopf/Aigner § 13 Anm 8).
450
c) Die Anzahl der zu bestellenden Patientenanwälte wird in § 13 Abs 1 nicht ziffernmäßig bestimmt: Der Gerichtsvorsteher hat „einen, erforderlichenfalls auch mehrere“ Patientenanwälte zu bestellen. Ob die Bestellung „mehrerer“ (bzw wievieler) Patientenanwälte „erforderlich“ ist, hat der Gerichtsvorsteher nach eigenem Ermessen zu beurteilen, ohne dabei an einen bestimmten Schlüssel für das Verhältnis Patienten/Patientenanwalt gebunden zu sein. Die materiellen Determinanten für diese Ermessensentscheidung können aus dem Aufgabenbereich des Patientenanwalts und den mit seiner Bestellung verfolgten Zielsetzungen gewonnen werden.
1. Bestellung
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1. Sicherzustellen ist die „regelmäßige Anwesenheit in der Anstalt“ und ein „dauernder Kontakt mit dem Anstaltspersonal“ (1203 BlgNR 17. GP 2). Die Anzahl der Patientenanwälte muss sich daher an der Größe der Anstalt (Abteilung) und der Zahl der untergebrachten Patienten orientieren (RV 24): Es sind soviele Patientenanwälte zu bestellen, dass diese ihre Aufgaben unter den realen Bedingungen der konkreten Anstalt effektiv wahrnehmen können. Durch die begrenzte Verfügbarkeit von namhaft gemachten „Vereinspatientenanwälten“ wird die Anzahl der zu bestellenden Patientenanwälte nicht limitiert: Erforderlichenfalls sind nach § 43 Abs 1 UbG andere geeignete Personen zu bestellen. 2. Zur Gewährleistung der vom Gesetz intendierten lückenlosen Vertretung der Kranken 451 hat der Gerichtsvorsteher auch eine ausreichende Zahl von Vertretern für den Fall der Verhinderung des Patientenanwalts allgemein zu bestellen (vgl JABl 1991/2, 8). Die durch die hoheitliche Bestellung ad personam übertragene Vertretungsmacht kann vom Patientenanwalt selbst nicht delegiert werden. Soweit ein Patientenanwalt aufgrund der vom Gerichtsvorsteher getroffenen Vertretungsregelung „in Vertretung“ eines anderen einschreitet, kommt ihm selbst die Funktion eines Patientenanwalts kraft eigener Rechtsstellung zu; er ist also streng genommen gar kein „Vertreter“. Umso weniger begründet das Einschreiten eines solchen „Vertreters“ eine Mangelhaftigkeit des Verfahrens (LG Linz 28. 7. 2003, 35 R 48/03m).
d) Werden mehrere Patientenanwälte bestellt, dann ist in der Verordnung des 452 Gerichtsvorstehers auch deren Zuordnung zu den Kranken „allgemein“ zu regeln (§ 13 Abs 1 letzter Satz UbG). Für diese allgemeine Regelung kommen – da die zu vertretenden Patienten individuell noch nicht feststehen – nur abstrakte Merkmale (zB organisatorische bzw räumliche Kriterien oder alphabetisch) in Betracht (vgl JABl 1991/2, 8). b) Auswahl und Namhaftmachung der Patientenanwälte a) Bei der Auswahl der Patientenanwälte ist der Gerichtsvorsteher an einen 453 bestimmten – besonders qualifizierten – Personenkreis gebunden, der durch die Namhaftmachung seitens des Vereins konkretisiert wird: Die Patientenanwälte sind aus dem Kreis der von einem geeigneten Verein namhaft gemachten Personen zu bestellen (§ 13 Abs 1). Dem für den jeweiligen Gerichtssprengel anerkannten Verein für Patientenanwaltschaft kommt damit ein personelles Vorschlagsrecht (Namhaftmachung) zu. 1. Der Verein kann nie selbst zum Vertreter bestellt werden: Ebenso wie im Sachwalterrecht kommt auch als Patientenanwalt nur eine physische Person in Betracht (vgl zu § 281 ABGB OGH 19. 7. 1994, 10 Ob 520/94). Insofern unterscheidet sich der Patientenanwalt vom Bewohnervertreter gem § 8 HeimAufG: nach dem Konzept des HeimAufG wird der Verein als juristische Person Vertreter. 2. Die Eignung eines Vereins, Patientenanwälte namhaft zu machen, richtet sich nach 454 §§ 1 und 2 VSPAG, welche die bisherigen Bestimmungen über die Vereinssachwalterschaft (Art IX BGBl 1983/136) ablösen. Nach § 1 Abs 1 VSPAG ist die Eignung eines Vereins, Sachwalter gem § 281 Abs 1 ABGB oder Patientenanwälte gem § 13 UbG namhaft zu machen, vom BMJ durch Verordnung festzustellen. Eine solche Verordnung kann nur auf Antrag des betreffenden Vereins erlassen werden (§ 1 Abs 2) und hat den „sachlichen und räumlichen Tätigkeitsbereich des Vereins“ anzuführen (§ 1 Abs 3). Die Eignung eines Vereins kann nur festgestellt werden, wenn nach seinen Statuten, seiner Organisation und Ausstattung sowie nach seinen Plänen für die Betreuung der Betroffenen zu erwarten ist, dass er seine Aufgaben erfüllen wird (§ 2 VSPAG). In vereinsrechtlicher Hinsicht unterliegt der Sachwalter- bzw Patientenanwaltsverein dem Vereinsgesetz: Kremzow 396 ff. 3. Da zugleich mit der Eignungsfeststellung der „sachliche und räumliche Tätigkeitsbe- 455 reich des Vereins“ anzuführen ist (§ 1 Abs 3 VSPAG), kann diese Feststellung (ebenso wie deren Widerruf: § 5 Abs 3, Rz 456) differenziert erfolgen: Der sachliche Tätigkeitsbereich
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VI. Teil: Patientenanwalt
kann sich entweder nur auf die Namhaftmachung von Sachwaltern nach ABGB oder von Patientenanwälten nach UbG oder auf beides beziehen (AB 1203 BlgNR 2). Der räumliche Tätigkeitsbereich kann sich auf die Namhaftmachung gegenüber bestimmten Bezirksgerichten – also auf bestimmte Gerichtssprengel (auch auf die Sprengel eines ganzen Bundeslandes oder des Bundesgebietes) – beziehen. 4. Ab 1. 7. 2005 gilt die V des BMJ über die Feststellung der Eignung von Vereinen zur Namhaftmachung von Sachwaltern und Patientenanwälten, BGBl II 2005/155. Die Namhaftmachung von Patientenanwälten obliegt gem § 3 Z 1 der V dem „Verein für Sachwalterschaft und Patientenanwaltschaft“ für die Bundesländer Wien, Niederösterreich, Burgenland, Kärnten, Oberösterreich, Salzburg, Steiermark und Tirol, gem § 3 Z 2 dem „Institut für Sozialdienste – Sachwalterschaft, Bewohnervertretung und Patientenanwaltschaft“ für Vorarlberg. Einen auf die Namhaftmachung von Sachwaltern gem § 281 ABGB eingeschränkten sowie lokal beschränkten Tätigkeitsbereich haben der „NÖ Landesverein für Sachwalterschaft und Bewohnervertretung“ und der Verein „Salzburger Hilfswerk – Verein für Sachwalterschaft“. Die für die Namhaftmachung von Sachwaltern zuständigen Vereine werden durch § 8 Abs 2 HeimAufG künftig auch zu Bewohnervertretern in Heimen berufen. 5. Die für die Eignungsfeststellung in § 1 VSPAG vorgeschriebene Verordnungsform ist verfassungsrechtlich problematisch (mwN Kopetzki II 722 f ). Sie entzieht dem Verein jeden Rechtsschutz bei Säumnis des BMJ und verwehrt ihm auch die Teilnahme am Entscheidungsprozess. Da § 1 VSPAG die Verordnungsform nur für die Eignungsfeststellung und nicht für ihre Verweigerung zwingend vorschreibt, wäre der verfassungskonformen Auslegung der Vorzug zu geben, dass der BMJ dann, wenn er dem Antrag nicht Folge leistet, einen abschlägigen Bescheid zu erlassen hat. 6. Gem § 5 Abs 3 VSPAG kann durch Verordnung festgestellt werden, dass die Eignung 456 (für alle oder bestimmte Tätigkeitsbereiche) nicht mehr gegeben ist, wenn der Verein seine Aufgaben trotz vorheriger Mahnung nicht oder nur unzureichend erfüllt. Durch einen solchen Widerruf der Eignungsfeststellung wird die rechtliche Existenz des Vereins nicht berührt. Gegen einen Widerruf ist der Rechtsweg zum VfGH nach Art 139 B-VG zulässig, weil der Verein dadurch in seiner Rechtssphäre insofern unmittelbar berührt wird, als ihm durch die Aberkennung der Eignung die rechtlichen Voraussetzungen für die Entfaltung seiner statutenmäßigen Tätigkeit – insb die Namhaftmachung – entzogen werden. 7. Die Aufgaben des Vereins bestehen in der Ausbildung, Namhaftmachung, Fortbil457 dung, Anleitung und Überwachung hauptamtlicher Sachwalter und Patientenanwälte. Der Verein kann auch ehrenamtliche Personen namhaft machen, wenn er sicherstellt, dass sie entsprechend angeleitet und überwacht werden (§ 3 Abs 1 VSPAG). Die Vereine unterliegen der fachlichen Aufsicht des BM für Justiz (§ 5 VSPAG).
458
b) Die Namhaftmachung der Patientenanwälte seitens des Vereins muss sich speziell auf deren Funktion als Patientenanwalt beziehen. Der Verein hat gem § 13 Abs 1 UbG einen Kreis von Personen namhaft zu machen, aus dem der Gerichtsvorsteher eine Auswahl treffen kann. Die gesetzlich festgelegte Zuordnung einer bestimmten Anstalt zu einem bestimmten Gericht (§ 12 Abs 1) bringt mit sich, dass mit der Namhaftmachung durch den Verein gegenüber einem bestimmten Gericht idR zugleich die Zuteilung zu einer bestimmten Anstalt vorweggenommen ist. Nur dann, wenn sich im Gerichtssprengel mehrere Anstalten befinden, hat der Gerichtsvorsteher auch über die Verteilung der Patientenanwälte zwischen mehreren Anstalten zu entscheiden.
459
c) Als Auswahlkriterien sieht § 3 Abs 2 VSPAG vor, dass der Verein nur Personen namhaft machen darf, die das Wohl und die Interessen des Betroffenen in unabhängiger Weise wahren können. Diese Beurteilung überträgt das Gesetz in die Kompetenz der Vereine bzw mittelbar des genehmigenden und beaufsichtigenden BMJ. Spezielle Ausschlusskriterien sind weder dem Verein noch dem Gerichtsvorsteher vorgegeben. Die Bestimmungen der §§ 280 und 281 ABGB (Auswahl des Sachwalters) finden keine Anwendung.
1. Bestellung
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1. Aus Gründen einer effektiven und am Patientenwohl orientierten Rechtsfürsorge und wegen Art 4 EMRK kommt eine Bestellung gegen den Willen des Patientenanwaltes nicht in Frage. Vgl schon zum Sachwalterrecht LGZ Wien 11. 3. 1987, 44 R 18/87. 2. Bei den namhaft gemachten Personen kommt es nach § 3 Abs 1 VSPAG nicht zwingend darauf an, dass sie hauptberufliche Mitarbeiter des Vereins sind: Das Gesetz lässt auch die Namhaftmachung ehrenamtlich tätiger Personen zu, wenn ihre „entsprechende“ Anleitung und Überwachung sichergestellt ist. Im Hinblick auf den Aufgabenbereich des Patientenanwaltes („regelmäßige Anwesenheit in der Anstalt“: 1203 BlgNR 2) ist es aber nur ausnahmsweise vorstellbar, dass ehrenamtliche Mitarbeiter des Vereins den notwendigen zeitlichen Einsatz aufwenden können (1203 BlgNR 2).
d) Der Gerichtsvorsteher ist an die vom Verein namhaft gemachten Personen 460 insofern gebunden, als er zwar aus den namhaft gemachten Personen auswählen, nicht jedoch eine andere Person bestellen darf . Es können daher – anders als im Sachwalterrecht (§ 281 ABGB) oder im bisherigen Anhalterecht (vorläufiger Beistand nach § 8 EntmO) – ausschließlich Vereins-Patientenanwälte bestellt werden, nicht auch andere Personen; Ausnahmen bestehen lediglich nach Maßgabe der Übergangsbestimmungen des § 43 UbG. 1. Das Gesetz sieht unmissverständlich vor, dass nur eine „namhaft gemachte“ Person zu bestellen ist. Insofern – zum gleichartig formulierten § 281 ABGB – anders Kremzow 391; wie hier im Ergebnis LG Klagenfurt 8. 9. 1988, 2 R 351/88; 8. 9. 1988, 2 R 327/88; 27. 6. 1995, 4 R 299/95 (Bestellung des Sachwalters ohne Namhaftmachung rechtswidrig). Im Gegensatz zu § 281 ABGB, der es grundsätzlich ins Ermessen des Gerichts stellt, ob es einen von einem Verein namhaft gemachten Sachwalter oder eine andere Person bestellt, räumt § 13 Abs 1 UbG keinen derartigen Spielraum ein. Auch aus § 43 Abs 1 UbG ergibt sich, dass das Gericht andere Personen erst dann bestellen darf, wenn „nicht in ausreichender Anzahl von einem geeigneten Verein namhaft gemachte Patientenanwälte zur Verfügung stehen“. 2. AB 7: Der Gerichtsvorsteher habe die Möglichkeit, „unter mehreren namhaft gemachten Personen den nach seiner Auffassung geeignetsten Patientenanwalt auszuwählen“. Mit der Namhaftmachung hat das Gericht davon auszugehen, dass die namhaft gemachten Personen die gesetzlich geforderten Eigenschaften besitzen (OGH 26. 8. 1993, 6 Ob 579/93 zum Sachwalter). Die Beurteilung der Qualifikation obliegt nicht dem Gerichtsvorsteher, sondern dem Verein und letzten Endes dem beaufsichtigenden BMJ. Dass das Gericht einen namhaft gemachten Patientenanwalt ablehnen kann (Hopf/Aigner § 13 Anm 6), trifft nur insofern zu, als es aus den namhaft gemachten Personen auswählen kann; die Ablehnung aller namhaft gemachten Personen ist nicht möglich. 3. Zur Widerruf der Namhaftmachung vgl Rz 465.
c) Information über die Bestellung Über die Bestellung des Patientenanwaltes bestehen folgende gesetzliche Informationspflichten: a) Der Vorsteher des Gerichtes hat die Bestellung des Patientenanwaltes fol- 461 genden Stellen zur Kenntnis zu bringen (§ 13 Abs 2): x dem Patientenanwalt, x dem Verein, der diesen namhaft gemacht hat, x dem ärztlichen Leiter der Anstalt, x dem Amt der Landesregierung; x darüber hinaus ist die Bestellung durch Anschlag an der Gerichtstafel kundzumachen.
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VI. Teil: Patientenanwalt
1. Diese Information bezieht sich nur darauf, dass ein bestimmter Patientenanwalt X für die Kranken der Anstalt Y bestellt wurde, bei mehreren Patientenanwälten gegebenenfalls auch auf deren Zuordnung zu den Kranken (ohne Patientennamen: AB 7). 2. Welchen Sinn die Information des Patientenanwaltes haben soll (der durch Zustellung eines förmlichen Aktes zu bestellen wäre) bleibt dunkel, vgl oben Rz 449.
b) Informationspflichten über die Bestellung bestehen auch „nach innen“, gegenüber den Patienten, zu deren Vertretung der Patientenanwalt bestellt ist. Diese Information obliegt den Organen der Anstalt. Ohne eine derartige Information wäre die Rechtsschutzfunktion des Patientenanwaltes illusorisch. Die rechtliche Ausgestaltung dieses „Informationsflusses“ hängt davon ab, ob der Kranke mit oder ohne Verlangen untergebracht ist: 463 aa) Bei einem ohne Verlangen untergebrachten Kranken hat der Abteilungsleiter gem § 14 Abs 2 dafür zu sorgen, dass der Kranke Auskunft darüber erhält, wer sein Patientenanwalt ist, und dass er sich mit diesem besprechen kann. Diese Auskunft ist auf Verlangen des Kranken auch dessen Angehörigen zu erteilen (§ 14 Abs 2). 462
1. Die Initiative zu dieser Auskunft muss von der Anstalt ausgehen; es darf nicht darauf gewartet werden, dass der Patient die Information verlangt (Ausnahme: gegenüber Angehörigen; in diesem Fall entsteht die Informationspflicht erst auf Verlangen des Kranken). Von einer „Auskunftserteilung“ kann nur dann gesprochen werden, wenn die Information tatsächlich „ankommt“; sie muss daher individuell erfolgen („dem Kranken“). Durch welche Personen die Auskunft erteilt wird, ist unmaßgeblich; der Abteilungsleiter muss für die Auskunftserteilung lediglich „sorgen“. Wurde die Information von anderer Seite (zB vom Patientenanwalt selbst) bereits erteilt, so erübrigen sich weitere Schritte. 2. Der Begriff „Angehörige“ in § 14 Abs 2 geht jedenfalls über den in § 28 Abs 1 genannten Personenkreis (Rekurslegitimation, Rz 414) hinaus. Aus teleologischen Gründen ist der Angehörigenbegriff mit jenem des § 72 StGB gleichzusetzen (vgl Rz 215). 3. Die Information über die Person des Patientenanwaltes hat nicht nur bei der Aufnahme eines ohne Verlangen untergebrachten Kranken zu erfolgen (§ 14 Abs 2 iVm Abs 1), sondern analog auch in jenen Fällen des § 11, in denen eine bereits aufgenommene Person nachträglich „untergebracht“ wird (Umwandlung freiwilliger Unterbringung, Unterbringung „sonst“ aufgenommener, jedoch noch nicht untergebrachter Patienten). Vgl Rz 467.
464
bb) Ein Patient, der selbst ein Verlangen nach Unterbringung stellt, ist bereits vor seiner Unterbringung (im Zuge der Aufnahmeuntersuchung) durch den Abteilungsleiter auf die Einrichtung des Patientenanwaltes und auf die Möglichkeit der Vertretung durch diesen hinzuweisen (§ 6 Abs 3). Auf Ersuchen des (auf Verlangen untergebrachten) Kranken ist ihm die Möglichkeit zu geben, sich mit dem Patientenanwalt zu besprechen (§ 14 Abs 3). Die Information eines auf Verlangen Untergebrachten ist insofern weniger weitgehend, als der Patient nur abstrakt auf die Einrichtung der Patientenanwaltschaft hinzuweisen ist; der Kontakt ist dem Patienten überdies nur auf sein Ersuchen zu ermöglichen.
465
d) Enthebung Ausdrückliche Bestimmungen über die Enthebung des Patientenanwaltes enthält das UbG nicht. Eine diesbezügliche Kompetenz des Gerichtsvorstehers ergibt sich aber schlüssig aus § 13 Abs 1 UbG: Die Zuständigkeit zur Bestellung bezieht sich auch auf einen neuen Patientenanwalt und schließt damit die Zuständigkeit zur Abberufung eines bereits bestellten Patientenanwalts als contrarius actus ein. Auch hiefür bedarf es allerdings einer entsprechenden Ini-
2. Beginn und Ende des Vertretungsverhältnisses
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tiative des Vereins, die in § 3 Abs 3 VSPAG geregelt ist: Danach kann der Verein die Namhaftmachung aus wichtigen Gründen widerrufen, was die Enthebung des Patientenanwaltes nach sich ziehen muss (1203 BlgNR 17. GP 3). 1. Widerrufsgründe sind zB die Beendigung des Dienstverhältnisses zum Verein, Mutterschaft oder auch der Verlust der Eignung des Patientenanwalts. 2. Die Möglichkeit einer selbständigen Enthebung durch den Gerichtsvorstand ist – schon mangels jeglicher Determinierung im Gesetz – nicht anzunehmen. Zum vergleichbaren Fall des Widerrufs der Namhaftmachung eines Vereinssachwalters gem § 3 Abs 3 VSPAG hat der OGH (26. 8. 1993, 6 Ob 579/93) ausgesprochen, dass dem Gericht keine Zuständigkeit zukommt, die Zulässigkeit eines solchen Widerrufs zu beurteilen. Ein gesetzwidriges Verhalten des Vereins (zB Unterlassen des Widerrufs trotz mangelnder Eignung des Patientenanwalts) ist im Wege der Aufsicht vom BMJ wahrzunehmen und kann in letzter Konsequenz zum Widerruf der Eignungsfeststellung führen.
2. Beginn und Ende des Vertretungsverhältnisses a) Das individuelle Vertretungsverhältnis zwischen dem Patienten und dem 466 Patientenanwalt beginnt 1. mit der Aufnahme eines ohne Verlangen untergebrachten Kranken iSd § 10 (§ 14 Abs 1); 2. mit der Umwandlung einer Unterbringung auf Verlangen (Widerruf, Zeitablauf) bzw eines „gewöhnlichen“ Anstaltsaufenthaltes in eine Unterbringung ohne Verlangen gem § 11 (§ 14 Abs 1 analog);. 3. mit der Zustimmung eines auf Verlangen untergebrachten Kranken (§ 14 Abs 3). 4. nach (vorübergehendem) Erlöschen der Vertretungsbefugnis infolge Bevollmächtigung eines Anwalts oder Notars mit der Verständigung des Gerichts über die Beendigung des Vollmachtsverhältnisses (§ 16 Abs 2). 1. Die Vertretungsbefugnis tritt durch die „Aufnahme eines ohne Verlangen untergebrachten Kranken“ (dh: durch die Unterbringung und somit mit Beginn der Bewegungsbeschränkung: LG Salzburg 16. 2. 2000, 21 R 406/99y, EFSlg 97.530: 13. 11. 2003, 21 R 406/03g, EFSlg 105.081) unmittelbar kraft Gesetzes ein (§ 14 Abs 1). Der Beginn der Vertretungsbefugnis ist unabhängig davon, ob die in § 10 Abs 3 vorgesehene Verständigung des Patientenanwaltes durch den Abteilungsleiter erfolgt ist (LG Innsbruck 29. 11. 1991, 3b R 181/91; LG St. Pölten 20. 11. 1991, R 714/91). 2. Der Beginn des Vertretungsverhältnisses in den Fällen der Umwandlung freiwilliger 467 Unterbringungen bzw der (erstmaligen) Unterbringung bereits „sonst“ aufgenommener, jedoch nicht in ihrer Bewegungsfreiheit beschränkter Patienten (§ 11 Z 1 und 2; oben Rz 286) ist nicht ausdrücklich geregelt: § 14 Abs 1 nimmt nur auf die „Aufnahme“ Bezug, nicht aber auf die Fälle des § 11, in denen der Patient zum Zeitpunkt der Verhängung der Unterbringung (Beginn der Beschränkungen) bereits „aufgenommen“ ist. Dennoch ist nicht zweifelhaft, dass die Aufgaben des Patientenanwaltes gegenüber allen untergebrachten Personen wahrzunehmen sind; dafür spricht auch, dass der Patientenanwalt in all diesen Fällen „von der Unterbringung“ zu verständigen ist (§ 11 iVm § 10 Abs 3). Die Wendung „mit der Aufnahme“ in § 14 Abs 1 ist daher iS von „mit der Unterbringung“ zu verstehen. Der Beginn der Vertretungsbefugnis ist diesfalls mit jenem Zeitpunkt anzunehmen, in dem der Übergang in die zwangsweise Unterbringung stattfindet, also mit dem Beginn der Einschränkungen der Bewegungsfreiheit (LG Innsbruck 29. 11. 1991, 3b R 181/91). 3. Durch die Verhängung von Beschränkungen gegenüber auf Verlangen untergebrachten Kranken entsteht kein Vertretungsverhältnis, solange das Unterbringungsverlangen nicht
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VI. Teil: Patientenanwalt
widerrufen oder die Höchstdauer der Unterbringung auf Verlangen abgelaufen ist bzw der Patient der Vertretung – auch schlüssig – zustimmt. 4. Das Vertretungsverhältnis entsteht unabhängig davon, ob der Kranke einen gesetzlichen Vertreter (Eltern, Sachwalter) hat (RV 25; LG Salzburg 13. 11. 2003, 21 R 406/03g, EFSlg 105.082). Die Vertretungsmacht des (anderen) gesetzlichen Vertreters wird dadurch auch nicht beeinträchtigt (Rz 473). 5. Die – die Vertretungsbefugnis auslösende – Zustimmung eines auf Verlangen Unterge468 brachten ist gegenüber dem Patientenanwalt zu erklären. Die dazu erforderliche Kontaktaufnahme ist dem Kranken auf sein Ersuchen zu ermöglichen (§ 14 Abs 3 erster Satz). Ähnlich wie beim Widerruf des Verlangens (oben Rz 268) kommt es auch zur rechtlichen Wirksamkeit dieser Zustimmung nicht auf eine besondere Einsichtsfähigkeit an; anderenfalls wären gerade jene Patienten von der Vertretung ausgeschlossen, die dieser wegen ihres psychischen Zustandes am ehesten bedürfen. Zum unterschiedlichen Umfang der Vertretungsbefugnis bei der Unterbringung auf Verlangen vgl aber unten Rz 472, 487.
469
b) Obwohl das UbG unter den Endigungsgründen nur das Erlöschen infolge Bevollmächtigung bzw Entziehung der Vertretungsmacht ausdrücklich regelt, ergeben sich andere Endigungsgründe schlüssig aus § 14 UbG. Demnach endet die Vertretungsbefugnis durch den Patientenanwalt: 1. durch die Aufhebung der Unterbringung (§ 14 Abs 1 e contrario); 2. durch die Verständigung des Gerichts von der Bevollmächtigung eines Rechtsanwalts oder Notars (§ 16 Abs 2); die Vertretungsbefugnis erlischt nur gegenüber dem Gericht; gegenüber der Krankenanstalt bzw gegenüber Dritten erlischt die Vertretungsbefugnis nur dann, wenn der Kranke dies „bestimmt“ (unten Rz 523, 526); 3. durch den Widerruf der für die Vertretung notwendigen Zustimmung eines auf Verlangen untergebrachten Kranken; 4. durch die gerichtliche Enthebung oder den Tod des Patientenanwalts; diesfalls tritt aber ein neuer Patientenanwalt an dessen Stelle; 5. mit dem Tod des Patienten (OGH 31. 1. 1995, 5 Ob 503/95).
470
Nach Aufhebung der Unterbringung bleibt die Vertretungsbefugnis für Vertretungshandlungen bestehen, die sich auf Sachverhalte während der Unterbringung beziehen (LG Linz 7. 5. 1992, 18 R 256/92; 6. 2. 1992, 18 R 66/91; 11. 6. 1992, 18 R 329/92; 11. 11. 1993, 18 R 585/93; LG Salzburg 4. 2. 1998, 21 R 29/98f; 16. 2. 2000, 21 R 406/99y, EFSlg 97.531; 13. 11. 2003, 21 R 406/03g, EFSlg 105.085). In diesem Sinn im Ergebnis auch schon OGH 26. 9. 1991, 7 Ob 585/91; 18. 9. 1991, 2 Ob 550/91; ausdrücklich nun OGH 20. 1. 2000, 6 Ob 238/99i, SZ 73/13.
3. Umfang der Vertretungsbefugnis (Wirkungskreis) 471 Gem § 14 Abs 1 UbG ist der Patientenanwalt eines ohne Verlangen untergebrachten Kranken „dessen Vertreter für das in diesem Bundesgesetz vorgesehene gerichtliche Verfahren und zur Wahrnehmung der insbesondere in den §§ 33 bis 39 verankerten Rechte“. Im Fall einer Unterbringung auf Verlangen vertritt der Patientenanwalt den Kranken – mit dessen Zustimmung – lediglich „bei der Wahrnehmung der in den §§ 33 bis 39 verankerten Rechte“. Die Bestimmung über die Beibehaltung der Geschäftsfähigkeit und die Vertretungsbefugnis eines sonstigen Vertreters gilt sinngemäß (§ 14 Abs 3).
3. Umfang der Vertretungsbefugnis (Wirkungskreis)
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a) Im einzelnen erstreckt sich daher die Vertretungsbefugnis des Patientenanwalts gegenüber einem ohne Verlangen untergebrachten Patienten auf aa) die Vertretung des Kranken im gerichtlichen Unterbringungsverfahren nach dem UbG (unten a), auf bb) die Wahrnehmung der in den §§ 33 bis 39 verankerten Rechte (unten b), sowie auf cc) die Wahrnehmung „sonstiger“ Rechte (unten c). b) Gegenüber einem auf Verlangen untergebrachten Patienten bezieht sich 472 die Vertretungsbefugnis lediglich auf die Wahrnehmung der in den §§ 33 bis 39 verankerten Rechte (§ 14 Abs 3) (unten b). Diese Vertretung kann sich naturgemäß nicht auf die Vertretung im gerichtlichen Unterbringungsverfahren gem § 18 ff beziehen, da ein solches Verfahren gar nicht stattfindet. Als Ausgleich dafür, dass nach dem UbG die Verhängung von Beschränkungen gegenüber freiwillig untergebrachten Patienten künftig zulässig ist, sollte der Patientenanwalt mit Einverständnis des Kranken auch zur Kontrolle dieser Beschränkungen eingeschaltet und ihm die Wahrnehmung der in den §§ 33 bis 39 verankerten Rechte betreffend Beschränkungen und Behandlungen übertragen werden (AB 7). Anders als bei der Unterbringung ohne Verlangen ist die Vertretungsbefugnis aber auf die Wahrnehmung der Rechte nach den §§ 33 bis 39 beschränkt (§ 14 Abs 3), während eine solche Beschränkung in der bloß demonstrativen Formulierung des § 14 Abs 1 (arg: „insbesondere“) nicht enthalten ist.
c) Bei beiden Formen der Unterbringung wird der Patient durch den Ein- 473 tritt des Vertretungsverhältnisses nicht in seiner Geschäftsfähigkeit beschränkt (§ 14 Abs 1 und 3, jeweils letzter Satz). Er kann daher auch innerhalb des Wirkungskreises des Patientenanwaltes rechtswirksame Handlungen setzen. Auch die Vertretungsbefugnis eines sonstigen Vertreters bleibt unberührt: § 14 Abs 1 und 3 UbG, jeweils letzter Satz; OGH 25. 7. 1991, Ob 571/91, RZ 1992/68 (Vertretungsbefugnis des Sachwalters wird durch den Patientenanwalt nicht berührt); OGH 20. 5. 1999, 6 Ob 96/99g (Patientenanwalt verdrängt Vertretungsbefugnis der gewillkürten und gesetzlichen Vertreter nicht).
a) Vertretung im Unterbringungsverfahren a) Die Vertretungsbefugnis im gerichtlichen Verfahren bezieht sich auf das 474 Verfahren nach §§ 18 ff UbG über die Zulässigkeit der Unterbringung. Da ein solches Verfahren nur bei den Fällen der Unterbringung ohne Verlangen (§§ 10 und 11) durchzuführen ist, kann sich diese Vertretungsfunktion auch nur auf solche Kranke beziehen, die ohne Verlangen untergebracht sind. Obwohl § 14 Abs 1 1. Fall schlechthin von der Vertretung „für das in diesem Bundesgesetz vorgesehene gerichtliche Verfahren“ spricht, ist damit nur das eigentliche amtswegige Unterbringungsverfahren gem §§ 18 ff gemeint, nicht hingegen das antragsgebundene Verfahren bei Beschränkungen und Behandlungen gem § 38. Nach der Systematik des § 14 fällt die Vertretung in diesem Verfahren nach § 38 unter die „Wahrnehmung der in den §§ 33 bis 39 verankerten Rechte“, mithin also unter die Vertretungsbefugnis nach § 14 Abs 1 2. Fall; diese besteht auch bei der Unterbringung auf Verlangen (§ 14 Abs 3).
b) Die Vertretungsbefugnis im Unterbringungsverfahren bedeutet, dass der 475 Patientenanwalt alle Parteirechte, die dem Kranken zustehen, wahrnehmen kann (zB Anträge, Rechtsmittel, Gehör, Zustellung etc); mitunter gehen seine Rechte auch über jene des Kranken hinaus (zB unbedingte Übermittlung des Gutachtens). Der Kranke kann aber grundsätzlich weiterhin selbst prozessual
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VI. Teil: Patientenanwalt
handeln, da seine Prozessfähigkeit durch die Vertretungsbefugnis des Patientenanwalts nicht berührt wird. 1. Unbeschadet seiner Stellung als gesetzlicher Vertreter kommt dem Patientenanwalt nach der Konzeption des UbG im Verfahren eine durchaus selbständige Verfahrensstellung neben jener des Patienten zu (LG Linz 7. 5. 1992, 18 R 256/92; Hopf/Aigner § 14 Anm 7; anders OGH 31. 1. 1995, 5 Ob 503/95). Dafür spricht, dass das UbG den „Vertreter“ bzw „Patientenanwalt“ als Träger zentraler Parteirechte wiederholt neben dem Patienten gesondert anführt (§ 19 Abs 2, § 22 Abs 3, § 25 Abs 2, § 27, § 28, § 31), während der Patient ebenfalls prozessual handeln kann. In diesem Sinn auch die AB 7, wonach „allfällige Verfahrenshandlungen des Kranken und seines Vertreters (etwa ein Rechtsmittelverzicht) die Stellung des Patientenanwalts, dem die Wahrung der Rechte des Kranken obliegt, als Beteiligten [...] grundsätzlich nicht beeinflussen“. Auf eine eigene Parteistellung weist auch hin, dass dem Patientenanwalt mitunter Rechtspositionen zustehen, über welche der Patient in diesem Umfang gar nicht verfügt (zB § 22 Abs 3, § 39). Die gesetzliche Bezeichnung als „Vertreter“ des Kranken bedeutet daher nicht zwingend, dass die prozessualen Handlungen des Patientenanwalts dem Patienten zuzurechnen sind. Mit der Konzeption des UbG eher im Einklang steht die Deutung, dass der Patientenanwalt die Rechte des Patienten – wenngleich „für“ diesen – kraft eigener Parteistellung im eigenen Namen wahrnimmt. 2. Bedenklich daher LG Innsbruck 10. 7. 1998, 52 R 88/98t, wonach bei Wegfall der Beschwer des Patienten [hier: durch nachträgliche Zustimmung zu Heilbehandlung] auch der Rekurs des Patientenanwaltes im Verfahren gem § 38 unzulässig sei. 3. Das Verhältnis zwischen dem (weiterhin verfahrensfähigen: Rz 315, 473) Kranken bzw seinem sonstigen Vertreter und dem Patientenanwalt wirft mangels Kollisionsregeln heikle Konkurrenzprobleme auf, die im UbG nicht gelöst sind. Der Gesetzgeber vertraute auf die „reibungslose Zusammenarbeit beider Vertreter“ (AB 7). 4. Die gesetzliche Vertretungsbefugnis des Patientenanwalts wird durch die Fälle der rela476/1 tiven und absoluten Vertretungspflicht gem § 6 AußStrG nicht berührt. Er kann daher auch im Bereich der relativen Vertretungspflicht selbst einschreiten (Fucik/Kloiber § 6 AußStrG Rz 2; insb im Rekursverfahren: Rz 426/1). Im Bereich der absoluten Vertretungspflicht (Revisionsrekursverfahren, Rz 437) bleibt er zwar (gesetzlich) vertretungsbefugt, unterliegt aber seinerseits der absoluten Vertretungspflicht. Vgl auch Rz 294/1, 522/1.
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b) Wahrnehmung der Rechte nach §§ 33 bis 39 UbG a) Die Bestimmungen der §§ 33 bis 39 sehen eine Reihe überwiegend prozessualer Antrags-, Mitwirkungs- und Informationsrechte vor, die dem „Kranken und seinem Vertreter“ (mitunter auch dem „Vertreter“ allein: § 39, § 35 Abs 2 ua) ausdrücklich eingeräumt werden. Diese Rechte beziehen sich auf die gerichtliche Kontrolle von Beschränkungen der Bewegungsfreiheit und des Besuchs- und Telefonverkehrs (§§ 33, 34), auf die ärztliche Behandlung (§§ 35 bis 37) und die Einsicht in die Krankengeschichte (§ 39) sowie auf das gerichtliche Verfahren bei Beschränkungen und Behandlungen (§ 38). Mit der „Wahrnehmung“ dieser Rechte ist ihre Geltendmachung gegenüber dem Unterbringungsgericht (§ 33 Abs 2, § 34 Abs 2, § 38) bzw gegenüber der Anstalt (§ 35 Abs 2, § 37, § 39) gemeint. Im einzelnen kann der Patientenanwalt nach den §§ 33 bis 39 UbG jedenfalls folgende Rechte wahrnehmen (vgl näher unten Rz 486): 1. Antrag an das Gericht auf Entscheidung über die Zulässigkeit von Beschränkungen der Bewegungsfreiheit auf einen Raum oder innerhalb eines Raumes (§ 33 Abs 3); 2. Antrag an das Gericht auf Entscheidung über die Zulässigkeit von Einschränkungen des Besuchsempfanges oder des Telefonverkehrs (§ 34 Abs 2);
3. Umfang der Vertretungsbefugnis (Wirkungskreis)
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3. Antrag an das Gericht auf Entscheidung über die Zulässigkeit einer Behandlung (§ 36 Abs 2); 4. Vertretung und Wahrnehmung der Parteirechte in den Verfahren unter 1. bis 3. sowie im Verfahren über die Genehmigung einer besonderen Heilbehandlung (§ 38); 5. Einsicht in die Krankengeschichte (§ 39); 6. Erläuterung über Grund und Bedeutung einer ärztlichen Behandlung (auf Verlangen) (§ 35 Abs 2 letzter Satz); 7. Verständigung über eine Behandlung bei Gefahr im Verzug (§ 37) (vgl auch Rz 656).
b) Über die ausdrücklich „verankerten“ (Verfahrens)Rechte der §§ 33 ff hin- 478 aus kann der Patientenanwalt aber auch jene materiellen Rechte des Patienten wahrnehmen, die in den zitierten Bestimmungen der §§ 33 ff nicht „verankert“ (§ 14 Abs 1), sondern vielmehr beschränkt werden. Dabei geht es vor allem um die Grundrechte auf persönliche Freiheit (Art 5 EMRK, PersFrG), auf Privatund Familienleben einschließlich des Rechts auf körperliche Integrität (Art 8 EMRK) sowie um das Recht auf Kommunikations- und Informationsfreiheit (Art 10 EMRK). Denn auch die Regelungen über die Beschränkung und Behandlung schaffen subjektive Rechte des Patienten, nur unter den dort normierten Bedingungen beschränkt bzw behandelt zu werden. 1. In diesem Sinn auch RV 25, wonach der Patientenanwalt ganz allgemein „die Interessen des Kranken im Zusammenhang mit einer allfälligen Beschränkung seiner Rechte“ nach den §§ 33 ff wahrzunehmen hat. Dabei geht es zB um die Rechte, nicht entgegen den Bestimmungen des § 33 in der Bewegungsfreiheit beschränkt zu werden; nicht im Schriftverkehr oder im Verkehr mit seinem Vertreter beschränkt zu werden (§ 34 Abs 1); nicht entgegen den Bestimmungen des § 34 Abs 2 im fernmündlichen Verkehr oder im Recht auf Besuchsempfang beschränkt zu werden; nicht entgegen den Bestimmungen der §§ 35 ff ärztlich behandelt zu werden. 2. Bei der Wahrnehmung dieser „Rechte“ ist der Patientenanwalt nicht auf die im UbG 479 ausdrücklich geregelten Rechtsschutzwege beschränkt, wie der beispielhafte Hinweis der EB auf die Beschwerde an den Anstaltsleiter oder eine Strafanzeige (RV 25) zeigt. Der Patientenanwalt kann zur Wahrung der Rechte nach §§ 33 ff daher gegebenenfalls auch die Volksanwaltschaft, die UVS oder ein Zivilgericht anrufen (vgl näher Rz 484).
c) Wahrnehmung sonstiger Rechte a) Da der Patientenanwalt bei der Unterbringung ohne Verlangen nicht auf 480 die Wahrnehmung der Rechte nach den §§ 33 bis 39 beschränkt ist, sondern diese nur „insbesondere“ wahrzunehmen hat (§ 14 Abs 1), bezieht sich die die Vertretungsbefugnis auch auf andere subjektive Rechte, die dem Kranken nach sonstigen Bestimmungen (zB Grundrechte) zukommen. Unter der „Wahrnehmung“ dieser Rechte können alle Handlungen verstanden werden, die der Rechtsdurchsetzung dienen. Darunter fällt nicht nur die verfahrensförmige Geltendmachung vor den bestehenden Rechtsschutzinstanzen, sondern etwa auch informelles Handeln in Form vermittelnder Gespräche mit den Anstaltsärzten.
b) Wegen der notwendigen Abgrenzung zur Vertretungsbefugnis eines einst- 481 weiligen Sachwalters ist dieser Teilbereich des Wirkungskreises allerdings einschränkend auszulegen und auf die Wahrnehmung solcher Rechte zu beschränken, die (bzw deren behauptete Beeinträchtigung) mit der Unterbringung in einem unmittelbaren und typischen Zusammenhang stehen.
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VI. Teil: Patientenanwalt
1. Anderenfalls hätte der Patientenanwalt eine dem Sachwalter vergleichbare inhaltlich umfassende Vertretungsmacht, die weit über die Belange des Anstaltsaufenthaltes hinausreichen würde. Bei dieser Auslegung wäre § 21 UbG, der im Zuge des Unterbringungsverfahrens gerichtliche Verfahrensschritte zur Bestellung eines einstweiligen Sachwalters nach § 120 AußStrG „zur Besorgung sonstiger dringender Angelegenheiten“ vorsieht, überflüssig, weil allfällige „sonstige dringende“ Vertretungshandlungen ohnehin innerhalb der Vertretungsbefugnis des Patientenanwalts lägen. Der systematische Zusammenhang mit § 21 UbG zwingt dazu, den Vertretungsbereich des Patientenanwaltes gegenüber jenem eines (einstweiligen) Sachwalters zumindest im Grundsätzlichen abzugrenzen. Auch AB 9 nennt als Beispiel für derartige „dringende“ Angelegenheiten solche „außerhalb der Anstalt“ und bestätigt damit, dass der Patientenanwalt nur für Vertretungshandlungen zuständig sein soll, die sich unmittelbar auf die Unterbringung und die damit typischerweise verbundenen Maßnahmen beziehen. Die Vertretungsmacht des Patientenanwalts unter dem Titel der „Wahrnehmung“ sonstiger Rechte bezieht sich daher nicht auf Angelegenheiten, die mit der Unterbringung in keinem unmittelbaren Zusammenhang stehen, sei es dass sie mit der Unterbringung überhaupt nichts zu tun haben (zB Pensionsstreitigkeiten, Ehescheidung, Fremdenpolizei), sei es, dass das Vertretungsbedürfnis nur zufällig durch die Unterbringung ausgelöst wurde (zB Miet-, Arbeits- und Wohnungsangelegenheiten). Wie hier OGH 1. 12. 1999, 9 ObA 284/99a, ÖJZ-LSK 2000/100 = wbl 2000, 285 (keine Vertretungsbefugnis in arbeitsrechtlichen Angelegenheiten – keine wirksame Zustellung des Entlassungsschreibens an geschäftsunfähigen Patienten trotz Vertretung durch Patientenanwalt). 2. Die Vertretungsbefugnis unter dem Titel der Wahrnehmung „sonstiger Rechte“ besteht 482 jedenfalls im Hinblick auf Rechtseingriffe, die im Rahmen der Anstaltsunterbringung erfolgen. Sie erstreckt sich aber auch auf Rechtshandlungen in bezug auf Maßnahmen, die zwar vor dem Beginn der Anstaltsunterbringung, jedoch sehr wohl im typischen – und im UbG selbst geregelten – Vorfeld der Unterbringung stattfanden wie etwa die Vorführung durch die Sicherheitsorgane (Hopf/Aigner § 14 Anm 2). Ebenfalls zu bejahen ist die Vertretungsbefugnis in einem pflegschaftsgerichtlichen Genehmigungsverfahren gem § 216 ABGB, das eine während der Unterbringung durchgeführte Heilbehandlung betrifft (abl LG St. Pölten 11. 3. 1992, R 207/92). 3. Da dem Patientenanwalt – im Gegensatz zum Sachwalter nach ABGB – nicht die Per483 sonensorge obliegt, kann er keine Zustimmung zur ärztlichen Behandlung erteilen (RV 25).
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c) Der Kreis jener Rechtsschutzeinrichtungen, denen gegenüber der Patientenanwalt seine Vertretungstätigkeit ausüben kann, ist nicht beschränkt. Vgl JABl 1991/2, 7 („im Verhältnis zur Anstalt sowie zu anderen Einrichtungen und Personen“); Hopf/Aigner § 14 Anm 4. Die in § 11 Abs 4 RV vorgesehene Einschränkung der Vertretungsbefugnis „gegenüber der Krankenanstalt und dem Gericht“ wurde vom Justizausschuss beseitigt. Die Vertretungsbefugnis umfasst daher zB auch die Anrufung der Volksanwaltschaft, der UVS (im Ergebnis zB UVS Sbg 11. 7. 1994, UVS-6/6/12-1994; UVS Stm 14. 4. 2005, 20.1-4,5,6,7,8,9/2004; UVS Vbg 3. 5. 2004, UVS-2-001/E2-2004; UVS Wien 2. 12. 1997, 02/12/118/96), der Gerichtshöfe öffentlichen Rechts (vgl VfSlg 16.119), die Geltendmachung eines Amtshaftungsanspruches oder einer Privatanklage gem § 110 Abs 3 StGB wegen eigenmächtiger Heilbehandlung.
d) Aufgaben außerhalb der Wahrnehmung von Rechten 485 Neben den Funktionen zur Wahrung von Rechten des Patienten verfügt der Patientenanwalt noch über einen nicht näher präzisierten Restbereich an Aufgaben: Diese nennt § 15 Abs 1 – neben den „Vertretungshandlungen“ – als „sonstige wichtige Angelegenheiten oder Maßnahmen“. Dazu gehört etwa die Information und Beratung des Patienten sowie die schlichtende Vermittlung bei Konflikten zwischen dem Patienten und der Anstalt, mithin also Aufgaben außerhalb verfahrensförmiger Auseinandersetzungen. Auch hier hat sich der
4. Die Rechte und Pflichten des Patientenanwalts im einzelnen
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Patientenanwalt aber an der Wahrung der rechtlich geschützten Interessen des Patienten zu orientieren, was nicht immer mit der Wahrung therapeutischer Interessen zusammenfallen muss. Der gesetzliche Auftrag des Patientenanwalts liegt hingegen nicht in der objektiven Kontrolle der Anstalt oder in der Verfolgung eigener psychiatrie- oder sozialpolitischer Zielvorstellungen. 1. Neben die „advokatorische“ tritt daher auch eine „psychosoziale“ Komponente des Patientenanwalts. Im Gesetz keinen Niederschlag finden allerdings Formulierungen, die den Patientenanwalt pauschal als „Helfer“ (RV 16) einstufen, der sich um den Kranken „kümmern“, „ihn in allen Lebenslagen beraten“ (StProtNR 15.606) und seine „Bedürfnisse und Probleme“ abklären soll (RV 16). Der Patientenanwalt hat nicht alle Interessen des Kranken wahrzunehmen, sondern nur jene rechtlichen Interessen, die sich auf die Unterbringung beziehen; gerade in diesem Punkt unterscheidet er sich maßgeblich vom Sachwalter. 2. Nach OGH 31. 1. 1995, 5 Ob 503/95, ist der Patientenanwalt keine „zur Wahrnehmung öffentlicher Interessen“, insb keine zur Überwachung der Einhaltung des UbG schlechthin bestellte Person. Seine Vertretungshandlungen können sich überdies nur auf Einzelperonen, nicht jedoch auf ein zahlenmäßig und personenmäßig völlig unbestimmtes Patientenkollektiv beziehen (OGH 9. 2. 1999, 7 Ob 22/99g).
4. Die Rechte und Pflichten des Patientenanwalts im einzelnen a) Rechte a) Das UbG räumt dem Patientenanwalt des ohne Verlangen untergebrach- 486 ten Patienten eine Reihe von Rechtspositionen ein: 1. Verständigung von der Bestellung zum Patientenanwalt, durch den Vorsteher des Gerichts (§ 13 Abs 2); 2. Verständigung von der Unterbringung eines Kranken ohne Verlangen, durch den Abteilungsleiter („unverzüglich“) (§ 10 Abs 3); 3. Verständigung über die nachträgliche zwangsweise Unterbringung eines bereits freiwillig untergebrachten Patienten, durch den Abteilungsleiter („Umwandlung“ nach Widerruf oder Fristablauf) („unverzüglich“) (§ 11 Z 2 iVm § 10 Abs 3); 4. Verständigung über die Unterbringung (= jede Beschränkung der Bewegungsfreiheit) von „sonst“ (freiwillig) aufgenommenen Patienten, durch den Abteilungsleiter („unverzüglich“) (§ 11 Z 1 iVm § 10 Abs 3); 5. Möglichkeit der Besprechung mit dem ohne Verlangen untergebrachten Kranken (§ 14 Abs 2); bei auf Verlangen untergebrachten Kranken nur auf Ersuchen des Kranken (§ 14 Abs 3); der Verkehr mit dem Kranken darf nicht eingeschränkt werden (§ 34 Abs 1); 6. Verständigung von der Begründung oder Beendigung des Vollmachtsverhältnisses eines ohne Verlangen untergebrachten Kranken, durch das Gericht (§ 16 Abs 3); 7. Mitteilung über Beschränkungen der Bewegungsfreiheit auf einen Raum oder innerhalb eines Raumes sowie über Einschränkungen des Telefon- oder Besuchsverkehrs eines Kranken, durch den behandelnden Arzt („unverzüglich“) (§ 33 Abs 3, § 34 Abs 2); 8. Erläuterung über den Grund und die Bedeutung der ärztlichen Behandlung eines Kranken, auf Verlangen des Patientenanwalts (§ 35 Abs 2); 9. Verständigung von einer dringlichen Behandlung, die ohne Zustimmung bzw gerichtliche Genehmigung erfolgt ist, durch den Abteilungsleiter (nachträglich) (§ 37); 10. Verständigung von der Aufhebung der Unterbringung, durch den Abteilungsleiter („unverzüglich“) (§ 32); 11. Einsicht in die Krankengeschichte (§ 39)
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VI. Teil: Patientenanwalt
12. Anhörung bei der gerichtlichen „Erstanhörung“ (§ 19 Abs 2); 13. Zustellung der Ladung zur mündlichen Verhandlung und des Beschlusses auf Bestellung des Sachverständigen (§ 22 Abs 2); 14. Verlangen nach Bestellung eines zweiten Sachverständigen (§ 22 Abs 1); 15. Übermittlung des Sachverständigengutachtens rechtzeitig vor der mündlichen Verhandlung, durch den Sachverständigen (§ 13 Abs 3; § 14 Abs 2); 16. Stellungnahme zu den entscheidungswesentlichen Umständen und Fragerecht an Auskunftspersonen und Sachverständige in der mündlichen Verhandlung (§ 25 Abs 2); 17. Zustellung des gerichtlichen Beschlusses über die Zulässigkeit der Unterbringung (§ 27) und Rekurs gegen „Zulässigkeitsbeschlüsse“ (§ 28 Abs 1); 18. Antrag auf gerichtliche Entscheidung im Unterbringungsverfahren vor Ablauf der Unterbringungsfrist (§ 31 Abs 1); 19. Antrag auf erstmalige gerichtliche Überprüfung einer Unterbringung bei Unterbleiben der amtswegigen Verfahrenseinleitung (vgl Rz 310, 324); 20. Anrufung des Gerichts zur Prüfung der Zulässigkeit von Beschränkungen der Bewegungsfreiheit auf einen Raum oder innerhalb eines Raumes (§ 33 Abs 3); 21. Anrufung des Gerichts zur Prüfung der Zulässigkeit von Einschränkungen des Telefonverkehrs oder des Besuchsempfangs (§ 34 Abs 2); 22. Anrufung des Gerichts zur Prüfung der Zulässigkeit einer Behandlung bei Patienten, die keinen gesetzlichen Vertreter oder Erziehungsberechtigten haben (§ 36 Abs 2); 23. Ladung zur Tagsatzung für die unter 19. bis 21. angeführten Verfahren (§ 38 Abs 1); 24. Verlangen auf Ausfertigung und Zustellung der gerichtlichen Entscheidung in den unter 20. bis 22. angeführten Verfahren (§ 38 Abs 2); 25. Rekurs gegen „Zulässigkeitsbeschlüsse“ in den unter 20. bis 22. angeführten Verfahren (§ 38 Abs 2 iVm § 28); 26. Überdies kann der Patientenanwalt auch alle Rechte des Patienten wahrnehmen, soweit dies in seinem Wirkungskreis liegt (§ 14 Abs 1); 27. Patientenanwälte, die nicht von einem anerkannten Verein namhaft gemacht werden (vgl die Übergangsbestimmungen, Rz 531 ff) haben überdies Anspruch auf Ersatz der Reiseund Aufenthaltskosten sowie der notwendigen Barauslagen (näher § 43 Abs 3 und 4); 28. Dem Patientenanwalt sind vom Anstaltsträger geeignete Räumlichkeiten zur Verfügung zu stellen; die Anstaltsordnung hat sicherzustellen, dass der Patientenanwalt die ihm übertragenen Aufgaben in der Krankenanstalt wahrnehmen kann (§ 38c Abs 2 KAKuG).
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b) Gegenüber Kranken, die auf eigenes Verlangen untergebracht sind, ist der Aufgabenbereich hingegen eingeschränkt (vgl auch Rz 472): 1. Die Zuständigkeit des Patientenanwalts entsteht erst mit Zustimmung des Patienten; sie beschränkt sich auf die Wahrnehmung der Rechte nach §§ 33 bis 39 (im Wesentlichen oben Z 5, 7, 8, 9, 11, 20-25); Rz 477. 2. Besprechung mit dem Kranken auf dessen Ersuchen (§ 14 Abs 3); das Verbot der Verkehrsbeschränkung zum Kranken gilt auch hier (§ 34 Abs 1); vgl Rz 504. 3. Kontrollfunktion betreffend die Wirksamkeit des Unterbringungsverlangens (Freiwilligkeit, Einsichtsfähigkeit etc) (§ 14 Abs 3); vgl Rz 292. 4. Gegenüber Kranken, die überhaupt nicht untergebracht sind, sondern die als „gewöhnliche“ Patienten in der Anstalt behandelt werden, besitzt der Patientenanwalt zunächst keine Funktion. Sobald diese Patienten allerdings in ihrer Bewegungsfreiheit beschränkt werden – was jedenfalls der kritischen Beobachtung durch den Patientenanwalt unterliegt –, sind sie „untergebracht“ iSd § 3 UbG (vgl § 11 Z 1); vgl Rz 191, 284.
4. Die Rechte und Pflichten des Patientenanwalts im einzelnen
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b) Pflichten a) Im Gegensatz zu den Rechten des Patientenanwalts sind seine Pflichten 488 im Gesetz nur fragmentarisch geregelt. Allgemeine Richtlinien für die Tätigkeit des Patientenanwalts können aus § 3 Abs 2 VSPAG gewonnen werden, weil die dort festgelegten Auswahlkriterien für die Namhaftmachung als Patientenanwalt auch die inhaltliche Ausrichtung seines Handelns determinieren: Er hat demnach das Wohl und die Interessen des Patienten „in unabhängiger Weise“ zu wahren. Oberster Grundsatz ist, wie auch sonst im Pflegschaftsrecht, die Orientierung am „Wohl“ des Betroffenen. Die Wendung „Wohl und Interessen“ in § 3 Abs 2 VSPAG ist eine überflüssige Verdoppelung, weil das „Wohl“ letztlich auch nur den Inbegriff der „Interessen“ des Betroffenen darstellt. Das vom Patientenanwalt zu wahrende „Wohl“ des Patienten liegt im Schutz dessen rechtlich geschützter Sphäre, die durch die jeweils anwendbaren Rechtsvorschriften konstituiert wird. Die „Rechte“ und das „Wohl“ des Patienten stellen daher keine Gegensätze dar, wenngleich es angesichts der vielfach sehr differenzierten Interessenlagen nach einer Gesamtabwägung durchaus auch im Interesse des Patienten sein kann, ein bestimmtes Recht ausnahmsweise nicht zu verfolgen. Im Allgemeinen wird aber anzunehmen sein, dass der Schutz vor rechtswidrigen Eingriffen immer auch dem Wohl des Patienten dient.
b) Die Beurteilung, was dem Wohl des Patienten entspricht, obliegt zwar 489 grundsätzlich dem Patientenanwalt, der dabei einen objektiven Maßstab anzulegen hat. Im Innenverhältnis wird der Patientenanwalt aber durch § 15 Abs 1 UbG zu einer weitgehenden Bedachtnahme auf die Wünsche des Patienten verhalten. Es ist daher zunächst der Patient, der sein „Wohl“ nach subjektiven Kriterien selbst definieren kann: aa) Gem § 15 Abs 1 hat der Patientenanwalt den Kranken über beabsichtigte Vertretungshandlungen und sonstige wichtige Angelegenheiten und Maßnahmen zu unterrichten und den Wünschen des Kranken zu entsprechen, soweit dies dessen Wohl nicht offenbar abträglich ist und dem Patientenanwalt zumutbar ist. Diese Informationspflicht des § 15 Abs 1 impliziert nicht nur eine vorherige Information des Patienten, sondern auch eine Anhörungspflicht über die beabsichtigte Maßnahme. Andernfalls käme der Patient nicht in die Lage, seine Wünsche in effektiver Weise zu artikulieren. § 15 Abs 1 UbG enthält somit auch ein Besprechungsgebot, dessen Ausmaß einerseits durch die Bedeutung der beabsichtigten („wichtigen“) Maßnahme, andererseits durch die Verständigungsmöglichkeit mit dem Patienten konkretisiert ist. 1. Mit der Beschränkung der Besprechungspflicht auf „wichtige“ Maßnahmen soll – wie bei der vergleichbaren Regel des § 273a ABGB – verhindert werden, dass der Patientenanwalt bei jeder noch so geringfügigen Angelegenheit zuerst mit dem Patienten Rücksprache pflegen muss (vgl Ent/Hopf, Sachwalterrecht 47). Was – abgesehen von Vertretungshandlungen, die immer informationspflichtig sind – unter sonstigen „wichtigen“ Maßnahmen zu verstehen ist, muss im Einzelfall anhand der konkreten Interessenlage des Patienten beurteilt werden. 2. Das Ausmaß der möglichen Anhörung hängt von der Fähigkeit des Kranken ab, sich zum Vorhaben des Patientenanwalts sinnvoll zu äußern (zur Frage der Einsichtsfähigkeit vgl auch Steininger, FS Kralik 538).
bb) Die rechtliche Stellung des Patienten beschränkt sich im Innenverhältnis 490 nicht auf seine Mitwirkung bei der Entscheidungsfindung in Gestalt von Anhörungs- und Besprechungsrechten. § 15 Abs 1 UbG sieht darüber hinaus auch eine gewisse Bindung an die subjektiven Wünsche des Patienten vor, die dem
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VI. Teil: Patientenanwalt
vom Patientenanwalt zu beurteilenden objektivierten „Patientenwohl“ grundsätzlich vorgeht. Die Schranken dieses Vorrangs liegen zum einen in der „Zumutbarkeit“ für den Patientenanwalt, zum anderen dort, wo die Berücksichtigung des Patientenwunsches dessen Wohl „offenbar abträglich“ ist. Die Voraussetzungen, unter denen der Patientenanwalt seine Vorstellung vom „Wohl“ des Patienten an die Stelle des subjektiven Wunsches (zum Begriff des „Wunsches“ vgl Kollmer, FuR 1993, 328) des Kranken setzen darf, sind damit zweifach begrenzt: 1. Die Beurteilung durch den Patientenanwalt soll nur in evidenten Fällen Vorrang haben, nämlich wenn das Wohl des Kranken „offenbar“ gefährdet ist; das weicht von § 273a Abs 3 ABGB ab, weshalb die Rsp zum Sachwalterrecht (zB LG Innsbruck 19. 3. 2002, 51 R 35/02z, RdM 2002/63: für Entscheidung des Sachwalters müssen von der Willensbildung des Betroffenen unabhängige objektive Gründe ausschlaggebend sein) nicht ohne weiteres übertragbar ist. Im Zweifel geht der Wunsch des Patienten vor. Die Abwägungsinstanz zwischen Patientenwohl und Patientenwille ist freilich wieder der Patientenanwalt. Da der Patient durch den Patientenanwalt in seiner Handlungsfähigkeit aber nicht beschränkt wird, bleibt es ihm unbenommen, allfällige Verfahrenshandlungen selbst vorzunehmen. 2. Der Patientenanwalt darf einen Wunsch des Patienten auch dann missachten, wenn ihm dessen Erfüllung unzumutbar ist. Damit sollte sichergestellt werden, dass der Patientenanwalt nicht „in unzumutbarer Weise belastet wird“ (AB 8). Darüber hinaus bekräftigt dies aber auch, dass sich die zu beachtenden „Wünsche“ des Kranken im Rahmen des Aufgabenkreises des Patientenanwalts bewegen müssen: Da sich der Wirkungskreis des Patientenanwalts im Wesentlichen auf die Wahrnehmung der auf die Unterbringung bezogenen Rechte des Patienten bezieht, muss der Patientenanwalt weder Wünsche erfüllen noch sich um die Wahrung von Interessen kümmern, die mit diesem Aufgabenbereich nichts zu tun haben. Die Bestimmung des § 15 Abs 1 ist im Zusammenhang mit § 14 Abs 1 zu lesen und stempelt den Patientenanwalt nicht zum „Vollzugsorgan“ für sämtliche Ansinnen des Patienten. Er ist kein Weisungsempfänger. Bei den „Aufträgen“, welcher der Kranke dem Patientenanwalt nach RV 25 erteilen kann, kann es sich nur um „Wünsche“ iSd § 15 Abs 1 handeln. 3. Im Außenverhältnis sind die Befugnisse des Patientenanwalt vom Willen des Kranken unabhängig (zur Rekurserhebung LG Salzburg 13. 11. 2003, 21 R 406/03g, EFSlg 105.085).
c) Abgesehen von der erwähnten Orientierung am Wohl des Kranken (§ 3 Abs 2 VSPAG; § 15 Abs 1 UbG), den Informations-, Anhörungs- und Berücksichtigungspflichten gegenüber dem Patienten (§ 15 Abs 1 UbG) und dem Abteilungsleiter (§ 14 Abs 3) sowie der Verschwiegenheitspflicht (unten c) sieht das UbG keine weiteren ausdrücklichen Pflichten des Patientenanwalts vor. Solche Pflichten können auch nicht direkt aus den Regelungen über die Vormundschaft oder Sachwalterschaft abgeleitet werden, sondern sind nach dem arbeitsrechtlichen Verhältnis zum Sachwalterverein zu beurteilen. Daraus wird regelmäßig folgen, dass der Patientenanwalt zur Ausübung der ihm eingeräumten Kompetenzen zum Wohl und im Interesse der Kranken dienstrechtlich verpflichtet ist und hiezu wegen § 3 VSPAG auch verpflichtet werden muss. Welche Kompetenzen dies sind, ergibt sich aus dem Wirkungskreis und damit mittelbar aus jenen Bestimmungen, welche die (vom Patientenanwalt gem § 14 UbG wahrzunehmenden) Rechte des Patienten determinieren. 492 d) Gesetzliche Sonderregelungen über die Haftung des Patientenanwaltes bestehen, sieht man von der Strafbestimmung des § 15 Abs 2 UbG iVm § 6 VSPAG ab, nicht. Die zivilrechtliche Haftung gegenüber den Patienten oder der Anstalt richtet sich nach allgemeinem Schadenersatzrecht. 491
Da der Patientenanwalt keine staatliche Organfunktion ausübt (näher Kopetzki II 712 ff ), kommt Amtshaftung hier nicht in Betracht.
4. Die Rechte und Pflichten des Patientenanwalts im einzelnen
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c) Insb: Verschwiegenheitspflicht Gem § 15 Abs 2 UbG ist der Patientenanwalt – außer dem Gericht – jeder- 493 mann gegenüber zur Verschwiegenheit über die in Ausübung seiner Tätigkeit gemachten Wahrnehmungen verpflichtet, soweit die Geheimhaltung im Interesse des Kranken erforderlich ist und nicht diesen selbst eine Auskunftspflicht trifft. Die Verletzung der Verschwiegenheitspflicht ist ebenso zu bestrafen wie eine verbotene Veröffentlichung (§ 301 StGB).
1. Der Straftatbestand des § 121 StGB (Verletzung von Berufsgeheimnissen) findet auf den Patientenanwalt keine Anwendung. 2. Die Normierung der Verschwiegenheitspflicht des Patientenanwalts in § 15 Abs 2 UbG stellt eine (weitgehend überflüssige) Wiederholung des § 6 VSPAG dar, die nur für Patientenanwälte außerhalb der Vereinssachwalterschaft eine selbständige normative Bedeutung hat.
a) Die Schweigepflicht dient dem Vertrauensschutz zwischen Patient und 494 Patientenanwalt. Sie erstreckt sich auf alle Wahrnehmungen des Patientenanwalts, seien es durch den Patienten anvertraute Informationen oder ihm sonstwie bekanntgewordene Tatsachen. Die Geheimhaltungspflicht besteht allerdings nur, sofern der Kranke ein Geheimhaltungsinteresse hat. Angesichts der „Sensibilität“ psychiatrischer Daten ist dieses Schutzinteresse jedoch in weitem Umfang zu bejahen; es umfasst neben der Tatsache des Anstaltsaufenthalts und der Krankheitsumstände auch sonstige Tatsachen aus dem persönlichen Bereich. Darüber hinaus muss die Wahrnehmung des Patientenanwalts – um durch § 15 Abs 2 UbG geschützt zu sein – in Ausübung seiner Tätigkeit erfolgt sein. 1. Ausnahmsweise kann aber eine Informationsweitergabe im Interesse des Patienten liegen und daher ein Geheimhaltungsinteresse fehlen (zB Benachrichtigung des gesetzlichen Vertreters oder von Angehörigen, Vorgespräche mit alternativen Betreuungseinrichtungen; Formulierung von Rechtsmitteln etc). Es bedarf einer Interessenabwägung im Einzelfall. 2. Zu den Wahrnehmungen „in Ausübung seiner Tätigkeit“ gehören auch jene Informa- 495 tionen, die der Patientenanwalt über andere – nichtuntergebrachte – Anstaltspatienten erlangt, mag er diesen gegenüber auch gar nicht vertretungsbefugt sein. 3. Nicht geschützt sind Tatsachen, die allgemein bekannt sind oder dem Patientenanwalt von anderer Seite als aus seiner Tätigkeit als Patientenanwalt bekannt geworden sind.
b) Die Schweigepflicht des Patientenanwalts gilt grundsätzlich gegenüber je- 496 dermann, also gegenüber der Anstalt, den Gerichten und Behörden und gegen Privatpersonen. Eine Ausnahme besteht lediglich gegenüber „dem Gericht“ – womit im systematischen Kontext des UbG nur das nach § 12 zuständige Unterbringungsgericht gemeint sein kann – sowie insofern, als den Patienten selbst eine Auskunftspflicht trifft. 1. Zu den Möglichkeiten der Aussageverweigerung in zivil- und strafgerichtlichen sowie 497 verwaltungsbehördlichen Verfahren vgl Kremzow 409. Zu beachten ist aber nun die Zeugnisbefreiung im Strafprozess (§ 152 Abs 1 Z 5 StPO). Die Anzeigepflicht betreffend strafbare Handlungen gem § 84 Abs 1 StPO gilt für den Patientenanwalt nicht. 2. Eine Auskunftspflicht des Patienten kann sich zB aus sozialversicherungsrechtlichen Meldepflichten ergeben. Ob der Patientenanwalt auch bei vertraglichen Auskunftspflichten des Kranken von seiner Schweigepflicht befreit sein soll, erscheint fraglich. 3. Gegenüber dem Patienten besteht grundsätzlich keine Verschwiegenheitspflicht, weil es 498 diesbezüglich an einem entsprechenden Geheimhaltungsinteresse fehlt. Fraglich ist allerdings, ob die Schweigepflicht gegenüber dem Patienten auch dann nicht besteht, wenn es sich um Informationen über die ärztliche Behandlung oder um Wahrnehmungen aus der Krankengeschichte handelt. Dies ist von erheblicher Bedeutung, weil dem Patientenanwalt ein unbedingtes Recht auf Übermittlung des psychiatrischen Gutachtens (§ 22 Abs 3), auf Aufklärung
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VI. Teil: Patientenanwalt
über die Behandlung (§ 35 Abs 2) und auf Einsicht in die Krankengeschichte zukommt (§ 39), während die Ausübung dieser Rechte durch den Patienten unter dem Vorbehalt steht, dass dies „seinem Wohl nicht abträglich ist“ (§ 22 Abs 3, § 35 Abs 2, § 39). Aus den gegenüber dem Patienten bestehenden Informationsschranken der Anstalt wird bei systematischer und teleologischer Interpretation daher auch ein Geheimhaltungsinteresse des Patienten abzuleiten sein, welches die Zulässigkeit der Informationsübermittlung seitens des Patientenanwalts beschränkt. Dies steht auch im Einklang damit, dass auch die Auskunftsmöglichkeiten des Patientenanwalts im „Wohl“ des Patienten ihre Grenze finden. Eine Geheimhaltung gegenüber dem Kranken in dessen Interesse (§ 15 Abs 2) kann daher erforderlich sein, wenn die Auskunft eine gesundheitliche Gefährdung des Patienten mit sich bringen würde. Mitteilungen, die der Patientenanwalt im Dienste der Sachverhaltsfeststellung gegenüber dem Gericht macht, steht die Verschwiegenheitspflicht freilich auch dann nicht entgegen, wenn dies in der Tagsatzung erfolgt und die Information damit zwangsläufig auch dem Patienten zur Kenntnis gelangt: Da § 15 Abs 2 eine Schweigepflicht gegenüber dem Unterbringungsgericht ausdrücklich ausschließt, der Patient aber andererseits ein Recht auf Teilnahme an der Verhandlung hat, gehen die Interessen der gerichtlichen Wahrheitsfindung einer Geheimhaltungspflicht gegenüber dem Patienten vor. 4. Gegenüber dem Verein ist die Schweigepflicht des Patientenanwalts insofern einge499 schränkt, als eine Informationsweitergabe zur Wahrnehmung der dem Verein übertragenen Leitungs- und Überwachungsbefugnisse (vgl § 3 VSPAG) unbedingt notwendig ist. Diese Sonderbestimmungen des § 3 VSPAG über die Aufsicht des Vereins schließen diesbezüglich die Annahme eines Geheimhaltungsinteresses aus, zumal diese Überwachung gerade dem Schutz der Patienten dient. Die im Rahmen des Vereins tätigen Personen sind aber gem § 6 VSPAG ihrerseits zur Verschwiegenheit verpflichtet. 5. Gegenüber dem BM für Justiz ist die Schweigepflicht insofern begrenzt, als diesem die zur Ausübung des Aufsichtsrechts erforderlichen Aufklärungen einschließlich der „Einsicht in die über die Pflegebefohlenen geführten Aufzeichnungen“ zu geben sind (§ 5 Abs 2 VSPAG).
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c) Verletzungen der Verschwiegenheitspflicht sind nach § 15 Abs 2 ebenso zu bestrafen wie eine verbotene Veröffentlichung (§ 301 StGB). Die Tat ist mit Freiheitsstrafe bis zu sechs Monaten oder mit Geldstrafe bis zu 360 Tagessätzen zu bestrafen. Die Verweisung des § 15 Abs 2 UbG bezieht sich nur auf die Strafdrohung des § 301 StGB, nicht jedoch auf die dort enthaltenen tatbestandlichen Voraussetzungen. Es kommt daher nicht darauf an, dass die Mitteilung einer „breiten Öffentlichkeit“ iSd § 301 StGB zugänglich wird.
5. Das Verhältnis zum Patienten und zu Dritten a) Das Verhältnis zum Patienten 501 a) Bei ohne Verlangen Untergebrachten ist das Verhältnis zwischen Patientenanwalt und Patient im Außenverhältnis durch seine gesetzliche Vertretungsbefugnis innerhalb des Wirkungskreises (Rz 471 ff ) charakterisiert. Die Geschäftsfähigkeit des Kranken und die Vertretungsbefugnis sonstiger Vertreter werden dadurch nicht beschränkt (Rz 473). Im Innenverhältnis besteht eine weitergehende Pflichtenbindung (Rz 488 ff ). Da der Patientenanwalt vom Patient enthoben werden kann, steht zwar nicht der Eintritt, unter bestimmten Bedingungen aber die Beendigung der Vertretungsbefugnis zur Disposition des Betroffenen (Rz 517 ff ). Gem § 34 Abs 1 darf der Verkehr des Kranken mit seinem Vertreter – also auch mit dem 502 Patientenanwalt – nicht eingeschränkt werden. Die Besuchs- und Telefonbeschränkungen des § 34 Abs 2 sind gegen ihn nicht anwendbar. Dies gilt umso mehr für Beschränkungen des Schriftverkehrs, die gem § 34 Abs 1 UbG überhaupt unzulässig sind.
5. Das Verhältnis zum Patienten und zu Dritten
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b) Bei auf Verlangen Untergebrachten gilt nichts anderes, mit dem einzigen 503 Unterschied, dass der Wirkungskreis in diesem Fall enger ist (Rz 472) und der Beginn der Vertretungsbefugnis von der Zustimmung des Patienten abhängt (§ 14 Abs 3; Rz 468). Insb unterliegt auch der Verkehr des Patientenanwalts mit den auf eigenes Verlangen un- 504 tergebrachten Patienten keinen Beschränkungen: Sobald der Patient der Vertretung gem § 14 Abs 3 zugestimmt hat, ergibt sich dies unmittelbar aus § 34 Abs 1, weil der Patientenanwalt dann den gesetzlichen Schutz als „Vertreter“ genießt. Bei (noch) nicht erteilter Zustimmung ist der Patientenanwalt zwar nicht Vertreter des Kranken. Der ungehinderte Zugang zum Kranken folgt jedoch diesfalls aus § 14 Abs 2, wonach der Abteilungsleiter dafür Sorge zu tragen hat, dass sich der auf Verlangen untergebrachte Kranke mit dem Patientenanwalt „besprechen“ kann. Das impliziert nicht nur ein Verbot, diesen Kontakt zu verhindern oder an einschränkende Voraussetzungen (zB nur über Vermittlung des Abteilungspersonals) zu knüpfen, sondern auch eine eigenständige Garantie, diesen Kontakt zwischen dem auf Verlangen Untergebrachten und dem Patientenanwalt realiter zu ermöglichen (vgl AB 7).
c) Gegenüber nicht untergebrachten Patienten hat der Patientenanwalt kei- 505 ne rechtliche Funktion. Die Möglichkeit des Kontaktes zu diesen Patienten muss jedoch im Rahmen der allgemeinen Besuchsbedingungen der Anstaltsordnung unabhängig von deren rechtlichem Status schon deshalb gewährleistet werden, weil die Zugangsbeschränkung aus der Sicht der Rechtssphäre des Patienten einer Besuchsbeschränkung gleichkäme, die – mangels einer dem § 34 Abs 2 entsprechenden Rechtsgrundlage – gegenüber nicht untergebrachten Personen gar nicht zulässig wäre. b) Das Verhältnis zur Krankenanstalt a) Der Krankenanstalt und ihren Organen steht der Patientenanwalt als Ver- 506 treter des Kranken gegenüber, wenngleich er darüber hinaus auch eine Reihe eigener Rechte besitzt (zB Einsicht in Krankengeschichte). Er ist nicht einer bestimmten Person, sondern einer bestimmten Krankenanstalt zugeordnet: Er ist „für die Kranken einer Anstalt“ bestellt (§ 13 Abs 1). Nach der Konzeption des Gesetzes soll er sich daher auch regelmäßig in der Anstalt aufhalten (1203 BlgNR 2). Dennoch ist er kein Organ der Anstalt und unterliegt insb keinerlei Weisungsbindung oder Aufsicht seitens der Krankenanstalt. Diese Unabhängigkeit ist ein zentrales Element der Patientenanwaltschaft (RV 16). Eine gewisse rechtliche Einflussnahme des Krankenanstaltsträgers ist nur durch die Parteistellung im Bestellungsverfahren gegeben; bei der in der Praxis verbreiteten Bestellung allein durch Verordnung fehlt auch diese. Neben den Rechten, die der Patientenanwalt als Vertreter des Patienten ausübt, besitzt er zahlreiche eigene „Rechte“ gegenüber der Anstalt: zB Verständigung über die Unterbringung ohne Verlangen (§ 10 Abs 3) und über die Aufhebung der Unterbringung (§ 32); Besprechung und Verkehr mit dem Patienten (§ 14 Abs 2; § 32 Abs 1); Verständigung über Einschränkungen des Telefon- oder Besuchsverkehrs (§ 34 Abs 2); Erläuterung über die ärztliche Behandlung (§ 35 Abs 2); nachträgliche Verständigung über eine dringliche Behandlung (§ 37); Einsicht in die Krankengeschichte (§ 39).
b) Der Anstaltsträger muss die Tätigkeit der Patientenanwälte in der Anstalt 507 nicht nur dulden, er hat im Wege der Anstaltsordnung auch aktiv sicherzustellen, dass die Patientenanwälte die ihnen gesetzlich übertragenen Aufgaben in der Krankenanstalt wahrnehmen können; zu diesem Zweck sind ihnen insb ge-
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VI. Teil: Patientenanwalt
eignete Räumlichkeiten zur Verfügung zu stellen (§ 38c Abs 2 KAKuG). Dies schließt auch einen ungehinderten Zugang zur Anstalt und zu den Kranken ein (vgl auch § 34 Abs 1). Näher Rz 502 ff. c) Konflikte zwischen Anstalt und Patientenanwalt sind – sofern sie sich nicht im Einverständnis bereinigen lassen – unter Einschaltung des aufsichtsführenden Vereins bzw des BMJ zu lösen. Förmliche Verfahren zur Konfliktbeilegung bestehen nicht. c) Das Verhältnis zum Gericht 508 Das Verhältnis zwischen dem Patientenanwalt und dem Unterbringungsgericht ist zum einen durch die Bestellung und Enthebung des Patientenanwalts seitens des Gerichtsvorstehers gekennzeichnet (§ 13). Zum anderen ist er als gesetzlicher Vertreter des Patienten Beteiligter im gerichtlichen Verfahren über die Unterbringung sowie im Verfahren über Beschränkungen und Behandlungen (§ 14, §§ 18 ff, §§ 33 ff). 509
Weitergehende Vorschriften über die Beziehung des Patientenanwalts zum Gericht finden sich weder im UbG noch im VSPAG. Da die Institution des Patientenanwalts aus dem Vormundschafts- und Sachwalterrecht herausgelöst ist und das UbG keine Verweisungen enthält, kommt eine Anwendung des ABGB nicht in Betracht. Das bedeutet zugleich, dass das Gericht neben den im UbG vorgesehenen keine weitergehenden Überwachungs- oder Weisungsbefugnisse gegenüber dem Patientenanwalt hat. Auch insofern hat der Patientenanwalt seine Aufgaben „in unabhängiger Weise“ wahrzunehmen (§ 3 Abs 2 VSPAG). Da eine Weisungsbindung gegenüber dem Verein besteht (vgl § 3 Abs 1 VSPAG) wären überdies Kollisionsregeln zu erwarten gewesen, wenn das Gesetz eine parallele Bindung an Weisungen des Gerichtsvorstehers intendiert hätte. Die fachliche Aufsicht über den Patientenanwalt liegt ausschließlich beim Verein und damit mittelbar beim BMJ.
d) Das Verhältnis zum Verein 510 Der vom BMJ anerkannte Patientenanwaltsverein bildet den institutionellen Hintergrund der Patientenanwälte: Er macht sie dem Gericht namhaft und bildet sie aus, ihm obliegt die Fortbildung, Anleitung und Überwachung (§ 3 Abs 1 VSPAG), schließlich auch der Widerruf der Namhaftmachung (§ 3 Abs 3 VSPAG). Die Einrichtung der Patientenanwaltschaft wird daher inhaltlich weitgehend durch die Vereine und das aufsichtsführende BMJ geprägt. Das Verhältnis zwischen dem Verein und dem hauptamtlichen Patientenanwalt ist ein dienstrechtliches und im Einzelnen nach den Grundsätzen des Arbeitsrechts zu beurteilen; in diesem Rahmen wird der Patientenanwalt regelmäßig auch vom Verein bezahlt und ist an dessen dienstliche Weisungen gebunden. Auf diese Weise kann die Tätigkeit der Patientenanwälte über die Verpflichtungen des UbG hinaus inhaltlich näher determiniert werden. Die fachliche Aufsicht liegt beim BM für Justiz, dem damit mittelbar auch die letzte Aufsicht über die Patientenanwälte zukommt. Der Verein selbst steht weder zum Patienten noch zur Krankenanstalt in einer rechtlichen Beziehung. 1. Zur Haftung der Vereine vgl Kremzow 394 f. 2. Die grundsätzliche Weisungsbindung des Patientenanwalts gegenüber dem Verein steht in einem Spannungsverhältnis zu der in § 3 Abs 2 VSPAG vorgesehenen „unabhängigen“ Interessenwahrung durch den Patientenanwalt. Ein unmittelbarer Durchgriff des Vereins auf die Tätigkeit des Patientenanwalts (zB Substitution von Verfahrenshandlungen etc) scheidet
6. Die zusätzliche Bestellung eines Sachwalters
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jedenfalls aus, weil der Verein im Anwendungsbereich des UbG – anders als bei der Bewohnervertretung im HeimAufG, Rz 452 – nie an Stelle des Patientenanwalts einschreiten kann. 3. Eine entsprechende Anleitung und Überwachung ist auch bei ehrenamtlichen (dh: nicht im Dienstverhältnis zum Verein stehenden) Patientenanwälten sicherzustellen (§ 3 Abs 1 VSPAG). Als letztes Mittel bleibt der Widerruf der Namhaftmachung.
6. Die zusätzliche Bestellung eines Sachwalters a) Erfordert es das Wohl des Kranken, ihm zur Besorgung sonstiger drin- 511 gender Angelegenheiten einen einstweiligen Sachwalter (§ 120 AußStrG) zu bestellen, so hat das Unterbringungsgericht gem § 21 UbG im Zuge der „Erstanhörung“ oder gem § 25 Abs 3 in der mündlichen Verhandlung den Kranken auch über Grund und Zweck des Sachwalterbestellungsverfahrens zu unterrichten und hiezu zu hören. Die darüber aufgenommene Niederschrift ist dem zur Bestellung eines Sachwalters zuständigen Gericht zu übersenden. Das Pflegschaftsgericht kann in seinem Verfahren von der Anhörung nach § 118 Abs 1 AußStrG Abstand nehmen (§ 21; § 25 Abs 3 UbG). Damit wird dem Unterbringungsgericht zur Verfahrensvereinfachung die Zuständigkeit eingeräumt, im Zuge des Unterbringungsverfahrens gleichzeitig ein Verfahren zur Bestellung eines Sachwalters einzuleiten und die im Sachwalterverfahren gebotene Anhörung unter einem durchzuführen, wenn dies im Hinblick auf sonstige dringende Angelegenheiten erforderlich ist. 1. Die Regelung gilt nur bei ohne Verlangen untergebrachten Patienten: Bei der Unterbringung auf Verlangen oder bei nicht Untergebrachten ist § 21 UbG – mangels Unterbringungsverfahren – nicht anwendbar, auch nicht im Verfahren zur Überprüfung von Beschränkungen oder Behandlungen, weil § 38 UbG nicht auf §§ 21, 25 Abs 3 verweist. 2. Eine Vertretungsbefugnis des Patientenanwalts im Sachwalterbestellungsverfahren 512 kommt nur dann in Frage, wenn das Sachwalterverfahren bzw der in Aussicht genommene Wirkungskreis des Sachwalters in einem Zusammenhang mit der Unterbringung steht (zB Bestellung eines einstweiligen Sachwalters zur Behandlungszustimmung). Nur dann fällt diese Vertretungsaufgabe in den Wirkungskreis des Patientenanwalts. 3. Zum Begriff der „dringenden Angelegenheiten“ vgl § 120 AußStrG (dazu – zu § 238 513 AußStrG aF – zB Kremzow 249 f ). Gemeint sind „Angelegenheiten, die keinen Aufschub dulden“ (RV 25). Unter „sonstigen“ Angelegenheiten können im Kontext des § 21 UbG nur solche gemeint sein, die über den Wirkungskreis des Patientenanwalts hinausgehen (vgl RV 25), weil es anderenfalls an der geforderten Dringlichkeit fehlt. Der Begriff ist daher enger als jener in § 120 AußStrG. Dabei kann es sich um dringende Angelegenheiten außerhalb der Anstalt, aber auch für im Rahmen der Unterbringung anfallende Angelegenheiten handeln, für die der Patientenanwalt nicht zuständig ist (AB 9; zB Zustimmung zur Behandlung).
b) Zur Bestellung des einstweiligen Sachwalters ist das gem § 109 JN in 514 Sachwalterschaftssachen zuständige Gericht berufen. Dieses wird durch das vorläufige Einschreiten des Unterbringungsgerichts weder gehindert, ebenfalls eine Anhörung nach § 118 Abs 1 AußStrG durchzuführen, noch wird es in seiner unabhängigen Beurteilung der Bestellungsvoraussetzungen präjudiziert (AB 9). Durch die Bestellung eines einstweiligen Sachwalters kann der Kranke – im Gegensatz zur Bestellung des Patientenanwaltes – in seiner Geschäftsfähigkeit beschränkt werden (§ 120 AußStrG iVm §§ 273, 273a ABGB). 1. Bestellt das Sachwalterschaftsgericht einen (einstweiligen) Sachwalter, so kann es diesem 515 gem § 273 iVm § 282 ABGB auch den Wirkungskreis der Zustimmung zur Behandlung übertragen, wenn dies zum Wohl eines nicht einsichtsfähigen Patienten erforderlich ist (vgl
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VI. Teil: Patientenanwalt
OGH EvBl 1988/85; zur dabei gebotenen Beurteilung der Einsichtsfähigkeit und zur Anhörung des Betroffenen OGH 22. 4. 1999, 6 Ob 55/99b). Dies wird bei längerwährenden Unterbringungen grundsätzlich der Fall sein (Rz 652). Dem Sachwalter kommen dann die in den §§ 35 ff UbG vorgesehenen Befugnisse bei der ärztlichen Behandlung zu (Rz 645 ff ). 2. Die Zuständigkeit des Pflegschaftsgerichts in Sachwalterschaftssachen nach § 109 JN besteht nicht nur in der Unterbringung nach UbG fort, sondern auch im Fall der in psychiatrischen Anstalten zu vollziehenden Anhaltung eines geistig abnormen Rechtsbrechers gem § 429 Abs 4 und 5 StPO (OGH 22. 4. 1999, 6 Ob 55/99b); vgl Rz 801. 3. Ob das Pflegschaftsgericht auch den Patientenanwalt zum einstweiligen Sachwalter 516 nach § 120 AußStrG bestellen kann (RV 25) ist anhand der Auswahlkriterien gem §§ 280, 281 ABGB zu beurteilen. Dabei wird vor allem darauf zu achten sein, dass es zu keiner Überlastung des Patientenanwalts und zu keinen Konflikten zwischen den (unterschiedlichen: AB 7) Aufgabenbereichen kommt. Daher darf zB der Patientenanwalt nicht zum einstweiligen Sachwalter für die Behandlungszustimmung gegen den Willen des Patienten bestellt werden, da dies zu einer Beeinträchtigung seiner Rechtsschutzfunktion führen würde. Im Übrigen käme eine Bestellung des Patientenanwalts als Sachwalter ohnehin nur dann in Frage, wenn dieser vom Verein gleichzeitig auch für diese Funktion namhaft gemacht wurde (§ 281 Abs 2 ABGB); eine Umgehung dieses Vorschlagsrechts unter Anwendung des § 200 ABGB aF [inzwischen durch das KindRÄG 2001 aufgehoben; vgl nunmehr § 189 Abs 2 ABGB] ist problematisch (so aber OGH 20. 4. 1988, 3 Ob 552/87).
7. Selbstgewählte Vertretung und Erlöschen der Vertretungsbefugnis Der Patientenanwalt soll kein „aufgezwungener“ Vertreter sein. Durch die Möglichkeit, zusätzlich zum Patientenanwalt einen selbst gewählten Vertreter zu bestellen und diesen – unter bestimmten Voraussetzungen – auch anstatt des Patientenanwalts mit der Vertretung zu betrauen, soll dem Patienten die Möglichkeit der Selbstbestimmung hinsichtlich seiner Vertretung belassen bleiben (RV 16). Will sich der Kranke der zunächst „automatisch“ eintretenden Vertretung durch den Patientenanwalt entledigen, so muss er allerdings die Initiative ergreifen und die im Gesetz vorgesehene Vorgangsweise einhalten; dabei kommt dem Gericht eine gewisse Kontrollfunktion zu. Die Selbstbestimmung des Kranken bezieht sich also nur auf die Möglichkeit, den Patientenanwalt durch einen anderen (und auch nicht jeden beliebigen) Vertreter zu ersetzen, nicht jedoch darauf, überhaupt keinen Vertreter zu haben. Das Gesetz fordert, dass der Kranke „stets einen Rechtsbeistand hat“ (RV 25). 518 a) Der Kranke kann selbst einen Vertreter wählen (gewillkürter Vertreter) (§ 16 Abs 1); dies erfolgt durch Bevollmächtigung. Damit die Bevollmächtigung dem Gericht gegenüber wirksam wird, muss der Vertreter das Gericht von der Bevollmächtigung verständigen (§ 16 Abs 1 letzter Halbsatz). 517
1. In der Auswahl des Vertreters ist der Kranke nicht auf bestimmte Personen beschränkt; der Vertreter muss insb nicht rechtskundig sein. Der Betroffene kann auch einen bereits bestellten Sachwalter in jenem Teilbereich zusätzlich bevollmächtigen, der von der gesetzlichen Vertretungsmacht nicht umfasst ist. Innerhalb des gerichtlich übertragenen Wirkungskreises ist eine rechtsgeschäftliche Disposition aber ausgeschlossen, weil der Betroffene insofern nicht geschäftsfähig ist. 2. Fraglich ist, ob die wirksame Vollmachtserteilung Geschäftsfähigkeit des Kranken vor519 aussetzt. Dies wird für das zivilrechtliche Rechtsgeschäft der Bevollmächtigung bejaht (vgl Strasser in Rummel, § 1002 Rz 56, § 1018 Rz 6 f; Maurer/Tschuguel, § 238 AußStrG aF Rz 5; Gamerith, NZ 1988, 68; Gitschthaler, ÖJZ 1990, 763; Barth/Engel, § 8 HeimAufG Anm 1; demnach wäre bei bestehender Sachwalterschaft – je nach Wirkungskreis – auch die Zustimmung des Sachwalters nötig. Der nachträgliche Wegfall der Geschäftsfähigkeit berührt den
7. Selbstgewählte Vertretung und Erlöschen der Vertretungsbefugnis
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Fortbestand einer vorher wirksam erteilten Vollmacht nicht: so zur Prozessvollmacht mwN OGH EvBl 1992/76). Soweit es um die Vertretung gegenüber dem Gericht geht, kann der im Unterbringungsverfahren uneingeschränkt prozessual handlungsfähige Patient (Rz 315) unabhängig von einer Sachwalterschaft aber zumindest Prozessvollmacht zur Wahrnehmung der im UbG vorgesehenen Verfahrenshandlungen erteilen, sofern er in der Lage ist, deren Zweck zu erkennen (vgl OGH JBl 1955, 527; EvBl 1975/21; NRSp 1990/5). 3. Bei Rechtsanwälten und Notaren ersetzt die Berufung auf die erteilte Vollmacht deren urkundlichen Nachweis (§ 30 Abs 2 ZPO iVm § 6 Abs 4 AußStrG; § 8 Abs 1 RAO). 4. Von der Begründung und Beendigung des Vollmachtsverhältnisses hat das Gericht seinerseits den Patientenanwalt und den Abteilungsleiter zu verständigen (§ 16 Abs 3 UbG). 5. Die Vertretungsbefugnis des Patientenanwalts wird durch die Bevollmächtigung eines anderen Vertreters nicht berührt, solange dieser nicht Rechtsanwalt oder Notar (Rz 523) ist (AB 8). 6. Es liegt nicht im Ermessen des Gerichts, anstelle des Patientenanwalts einen anderen Vertreter des Kranken zu bestellen (LGZ Wien 13. 1. 1998, 44 R 975/97a). 7. Dem selbstgewählten Vertreter räumt das UbG in vielen Punkten ähnliche Rechtspo- 520 sitionen ein wie dem Patientenanwalt, da das Gesetz bis auf wenige Ausnahmen allgemein vom „Vertreter“ spricht, ohne nach dem Rechtsgrund der Vertretung zu unterscheiden: Vgl § 19 Abs 2 (Anhörung), § 22 Abs 1 bis 3, § 25 Abs 2 (Rechte in mündlicher Verhandlung), § 27 (Zustellung), § 28 Abs 1 (Rekurs), § 31 Abs 1 iVm § 28 Abs 1 (Antrag auf neuerliches Verfahren), § 32 (Verständigung über Aufhebung der Unterbringung), § 33 Abs 3, § 34 Abs 2 (Verständigung und Beschwerde bei Beschränkungen), § 36 Abs 2 (Beschwerde bei Behandlungen), § 38 Abs 1, § 38 Abs 2 (Ladung, Zustellung und Rekurs im Verfahren nach § 38), § 39 UbG (Einsicht in die Krankengeschichte). Sein Verkehr mit dem Kranken unterliegt keiner Einschränkung (§ 34 Abs 1). Seine Verpflichtungen richten sich nicht nach UbG, sondern nach Zivilrecht sowie allfälligen berufsrechtlichen Vorschriften. 8. Die dem „Vertreter“ eingeräumten Rechte kommen auch dem gesetzlichen Vertreter 521 (einschließlich dem Sachwalter nach ABGB, soweit nach seinem Wirkungskreis zuständig) zu, diesem – und nur diesem – stehen darüber hinaus noch zusätzliche Rechte im Zusammenhang mit einem freiwilligen Unterbringungsverlangen (Zustimmung gem § 5 Abs 3, Rz 256 ff), der ärztlichen Aufklärung und Zustimmung zur Behandlung (Aufklärung gem § 35 Abs 2, Zustimmung zur Behandlung gem § 36 Abs 2; Rz 645 ff) und einer dringlichen Behandlung bei Gefahr im Verzug (Verständigung gem § 37; Rz 656 ff) zu.
b) Die Bevollmächtigung eines Vertreters hat unter den in § 16 Abs 2 gere- 522 gelten Voraussetzungen zur Folge, dass die Vertretungsbefugnis des Patientenanwaltes erlischt: Ist der vom Kranken selbst gewählte Vertreter ein Rechtsanwalt oder Notar, dann – und nur dann – erlischt die Vertretungsbefugnis des Patientenanwalts dem Gericht gegenüber mit dessen Verständigung von der Bevollmächtigung. „Im übrigen“ – also insb gegenüber der Anstalt – bleibt die Vertretungsbefugnis des Patientenanwalts aufrecht, „soweit der Kranke nichts anderes bestimmt“. Auch in diesem Fall hat das Gericht sowohl den Patientenanwalt als auch den Abteilungsleiter über die Begründung und Beendigung des Vollmachtsverhältnisses zu verständigen (§ 16 Abs 3). Fraglich könnte sein, ob das undifferenzierte Erlöschen der Vertretungsbefugnis des Pati- 522/1 entenanwalts „dem Gericht gegenüber“ als Folge der Bevollmächtigung eines Rechtsanwalts oder Notars gem § 16 Abs 2 UbG auch dann eintritt, wenn diese Bevollmächtigung in Befolgung der absoluten Vertretungspflicht gem § 6 Abs 1 AußStrG (betreffend das Revisionsrekursverfahren, vgl Rz 437; s auch Rz 426/1) erfolgt. Dies wird zu verneinen sein, weil das neue AußStrG sonst eine – offenkundig unbeabsichtigte – Schwächung der Stellung des Patientenanwalts nach sich ziehen würde; dies widerspräche sowohl den Zielsetzungen des § 16 UbG als auch dem Vorrang speziellerer gesetzlicher Vorschriften gem § 1 Abs 3 AußStrG. Die Vertretungsbefugnis des Patientenanwalts bleibt daher in diesem Fall mE nicht nur gegenüber dem Unterbringungsgericht, sondern auch im Revisionsrekursverfahren beste-
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VI. Teil: Patientenanwalt
hen (zur Möglichkeit einer eingeschränkten Bevollmächtigung vgl auch Rz 526). Der Patientenanwalt unterliegt in dritter Instanz aber seinerseits der absoluten Vertretungspflicht gem § 6 Abs 1 AußStrG (zur weiter bestehenden Vertretungsbefugnis der Notare vgl Rz 437).
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Will sich der Patient der Vertretung durch den Patientenanwalt entledigen, so ist demnach folgende mehrstufige Vorgangsweise erforderlich: 1. Der Kranke bevollmächtigt einen Rechtsanwalt oder Notar; 2. der Rechtsanwalt bzw Notar verständigt das Gericht über seine Bevollmächtigung; mit dieser Verständigung erlischt die Vertretungsbefugnis des Patientenanwalts gegenüber dem (Unterbringungs-)Gericht kraft Gesetzes, ohne dass es eines besonderen „Entziehungsaktes“ bedarf. Der Patientenanwalt ist ab diesem Zeitpunkt weder für die Vertretung im gerichtlichen Unterbringungsverfahren noch für sonstige Vertretungshandlungen gegenüber dem Gericht zuständig. Die Verständigung des Patientenanwalts über die Bevollmächtigung erfolgt durch das Gericht (§ 16 Abs 3); 3. die Vertretungsbefugnis des Patientenanwalts gegenüber der Anstalt oder gegenüber dritten Personen, Ämtern oder anderen Gerichten bleibt zunächst aufrecht; der Patient kann dem Patientenanwalt aber auch diesen Bereich der Vertretungsbefugnis – ganz oder teilweise – entziehen (arg „soweit der Kranke nichts anderes bestimmt“).
1. Das Gesetz sieht keine Information des Kranken über diese Vertretungs- und Enthebungsmöglichkeit vor. Diese Information ist Aufgabe des Patientenanwalts, da dies im weiteren Sinn zur „Wahrnehmung der Rechte“ des Kranken iSd § 14 Abs 1 (dazu gehören auch die Rechte nach § 16) notwendig ist. 2. Das Erlöschen der Vertretungsbefugnis des Patientenanwalts gegenüber dem Gericht 524 tritt ex lege mit der Verständigung des Gerichts von der Bevollmächtigung eines Rechtsanwalts oder Notars ein. Der Patient kann das Erlöschen dieses Teilbereichs der Vertretungsbefugnis gegenüber dem Gericht nicht verhindern, er kann gegenüber dem Gericht (sehr wohl aber gegenüber der Anstalt) nicht gleichzeitig durch einen Rechtsanwalt bzw Notar und durch den Patientenanwalt vertreten sein. Die Möglichkeit des Kranken, „etwas anderes zu bestimmen“ (§ 16 Abs 2), bezieht sich nur auf die Vertretung gegenüber anderen „Instanzen“ als dem Gericht (arg: „im übrigen“). Aus teleologischen Gründen wird aber anzunehmen sein, dass die Vertretungsbefugnis des Patientenanwalts nur dann erlischt, wenn die Bevollmächtigung des Anwalts bzw Notars in concreto auch die Vertretung gegenüber dem Unterbringungsgericht mitumfasst; anderenfalls wäre der Patient im Verfahren vor dem Unterbringungsgericht gar nicht vertreten, was den Zielsetzungen des UbG (RV 25) zuwiderliefe. Zum Sonderfall der Vertretungspflicht im Revisionsrekursverfahren vgl aber Rz 522/1. 3. Die Vertretungsbefugnis erlischt mit der Verständigung des Gerichts, nicht hingegen 525 erst mit der gerichtlichen Verständigung des Patientenanwalts, wie der AB 8 anzunehmen scheint. Die vom Gericht vorzunehmende Verständigung des Patientenanwalts (§ 16 Abs 3) hat auf die Vertretungsbefugnis des Patientenanwalts keinen Einfluss; diese erlischt auch dann, wenn seine Verständigung (rechtswidrigerweise) unterbleibt. 4. Das „automatische“ Erlöschen der Vertretungsbefugnis in Folge der Bevollmächtigung 526 eines Anwalts oder Notars bezieht sich nur auf die Vertretung gegenüber dem Unterbringungsgericht. Die Vertretungsbefugnis gegenüber anderen Gerichten und Behörden, insb aber gegenüber der Anstalt bleibt aufrecht, und zwar auch dann, wenn sich zugleich auch die Bevollmächtigung des Anwalts oder Notars auf diesen Bereich bezieht (mehrfache Vertretung ist daher möglich). Zu beachten ist aber, dass die Vertretungsbefugnis der Notare gem § 5 Abs 1 NotO beschränkt ist (insb: außerbehördliche Vertretung, Vertretung vor Verwaltungsbehörden und in Angelegenheiten außer Streitsachen, soweit nicht ausschließlich die Vertretung durch Rechtsanwälte vorgesehen ist; nicht zB gegenüber VfGH und VwGH).
7. Selbstgewählte Vertretung und Erlöschen der Vertretungsbefugnis
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Der Sinn dieser Differenzierung liegt darin, dass die Vertretung durch eine außenstehende Person die Funktion des Patientenanwaltes im Verhältnis zur Anstalt nicht ohne weiteres ersetzen kann. Vor dem Hintergrund dieser Zielsetzung erscheint es freilich als Wertungswiderspruch, dass mit der Bevollmächtigung eines Anwalts oder Notars die Vertretungsbefugnis des Patientenanwalts nicht bloß für das Unterbringungsverfahren, sondern schlechthin „dem Gericht gegenüber“ (§ 16 Abs 2) erlöschen soll. Das bedeutet, dass der Patientenanwalt nicht nur seine Vertretungsbefugnis im Unterbringungsverfahren verliert, sondern dass er auch jene gerichtliche Überprüfung von Beschränkungen und Behandlungen nicht mehr aktivieren kann, die zum Schutz des Patienten „im Verhältnis zur Anstalt“ geschaffen wurden (§§ 33 ff). Der Wegfall dieser Vertretungsbefugnis wird durch die Bevollmächtigung eines Anwalts oder Notars nicht aufgewogen, weil diesem gerade jene „räumliche Nähe“ zum Anstaltsbetrieb und jene „Sachkunde“ fehlen, die den Patientenanwalt charakterisieren soll (AB 8). Diese Ungereimtheit lässt sich teilweise dadurch vermindern, dass man die durch die Bevollmächtigung eintretende Rechtsfolge – das Erlöschen der Vertretungsbefugnis des Patientenanwalts – nur auf jene gerichtlichen Vertretungsbefugnisse bezieht, die von der Vollmacht erfasst sind. Erteilt also der Kranke dem Anwalt oder Notar nur eine inhaltlich begrenzte Vollmacht (zB nur zur Vertretung im Unterbringungsverfahren), dann erlischt auch die Vertretungsbefugnis des Patientenanwalts nur im Umfang der erfolgten Bevollmächtigung (vgl oben Rz 519), während die sonstige Vertretungsmacht aufrecht bleibt. Freilich muss aber der Patient dem Anwalt oder Notar eine entsprechend eingeschränkte Vollmacht erteilen, wenn er das undifferenzierte Erlöschen der Vertretungsbefugnis des Patientenanwalts „gegenüber dem Gericht“ verhindern will. Zum Revisionsrekursverfahren vgl Rz 522/1. 5. Will der Patient auch den durch eine Bevollmächtigung nicht berührten Bereich der 527 Vertretungsbefugnis, insb gegenüber der Anstalt oder gegenüber Dritten, beseitigen, dann muss er dem Patientenanwalt diese „Restkompetenz“ aktiv entziehen (§ 16 Abs 2: „soweit der Kranke nichts anderes bestimmt“). Dabei handelt es sich um eine höchstpersönliche Willenserklärung, die nicht von einem gesetzlichen Vertreter des Patienten wirksam abgegeben werden kann. Über die näheren Voraussetzungen dieses Entziehungsaktes trifft das UbG keine Aussage. Besondere Anforderungen der Handlungsfähigkeit bestehen nicht und sind dem UbG im Hinblick auf den psychisch kranken Personenkreis aus teleologischen Gründen auch nicht zu unterstellen: Ebenso wie bei der Zustimmung zur Vertretung freiwillig Untergebrachter gem § 14 Abs 3 (Rz 468) genügt auch hier, dass sich der Kranke gegenüber dem Patientenanwalt erkennbar gegen eine weitere Vertretung ausspricht.
c) Die Vertretungsbefugnis des Patientenanwalts lebt im vollen Umfang (ge- 528 genüber Gericht, Anstalt etc) wieder auf, wenn der Rechtsanwalt oder Notar dem Gericht die Beendigung des Vollmachtsverhältnisses mitteilt. Über diese Beendigung des Vollmachtsverhältnisses hat das Gericht den Patientenanwalt und den Abteilungsleiter zu verständigen (§ 16 Abs 3). 1. Das Wiederaufleben der Vertretungsbefugnis tritt mit Verständigung des Gerichts ein. 2. Die Verständigungspflicht des Gerichts gegenüber dem Patientenanwalt und dem Abteilungsleiter gilt auch für einen Wechsel des selbstgewählten Anwalts bzw Notars. Durch die gleichzeitige neuerliche Bevollmächtigung und deren Mitteilung an das Gericht kommt es allerdings zu keinem Wiederaufleben der Vertretungsbefugnis des Patientenanwalts.
d) Die Bestimmungen des § 16 Abs 2 über die gewillkürte Vertretung und 529 das Erlöschen der Vertretungsbefugnis des Patientenanwalts gelten nur für jene Patienten, die ohne Verlangen untergebracht sind. Das folgt daraus, dass die Vertretungsbefugnis des Patientenanwalts gegenüber auf Verlangen untergebrachten Kranken infolge der Spezialvorschrift des § 14 Abs 3 ohnehin von der Zustimmung des Patienten abhängig ist. Die Formulierung des UbG („mit Zustimmung des Kranken vertritt er diesen“) weist darauf hin, dass die Zustimmung nicht nur für den Eintritt der Vertretungsbefugnis, sondern auch für ihren Fortbestand maßgeblich ist. Will der Patient diese Vertretungsbefugnis
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VI. Teil: Patientenanwalt
entziehen, so bedarf es daher nicht der Einhaltung der in § 16 Abs 2 vorgeschriebenen Vorgangsweise; es genügt der Widerruf der – für die Begründung der Vertretungsmacht erforderlichen – Zustimmung gem § 14 Abs 3, ohne dass der Patient gleichzeitig einen Anwalt oder Notar bevollmächtigen muss. 530
Die Möglichkeit, selbst einen Vertreter zu wählen (§ 16 Abs 1 UbG), steht aber ohne Einschränkungen auch dem auf Verlangen Untergebrachten zu (sofern er geschäftsfähig ist).
8. Übergangsrecht 531 a) Die praktische Umsetzung der Patientenanwaltschaft setzt voraus, dass Patientenanwälte in ausreichender Zahl zur Verfügung stehen, dh von den Vereinen eingestellt, ausgebildet und namhaft gemacht werden. Mangels einer verbindlichen Finanzierungsverpflichtung hängt die Verwirklichung dieses Ziels weitgehend von den Budgetverhandlungen ab. Die Erläuterungen gehen daher von der Einschätzung aus, dass „ein Teil der Kranken noch eine Zeitlang“ ohne Patientenanwalt „auskommen muss“ (RV 29). Zur Überbrückung dieses Zeitraums sieht § 43 Übergangsbestimmungen vor. Sie enthalten Sonderregelungen für die Auswahl und Bestellung des Patientenanwalts; der Aufgabenbereich und die sonstige Rechtsstellung dieser „Übergangs“-Patientenanwälte entsprechen jener der „normalen“ Patientenanwälte nach § 13 UbG und VSPAG; Abweichungen bestehen hinsichtlich der Vergütung. Diese Übergangsbestimmungen sind wegen des (durch neue psychiatrische Einrichtungen) stetig wachsenden Bedarfes an Patientenanwälten auch 15 Jahre nach Inkrafttreten des UbG nicht obsolet. 1. RV 18 ging zunächst von einem Bedarf von 30 Patientenanwälten aus. Ob und wann diese Versorgungsdichte erreichbar ist, hängt von der finanziellen Ausstattung der Vereine ab. Zwar ist ihnen der Aufwand durch Subventionen zu ersetzen, wobei „eine möglichst ausreichende Versorgung der Betroffenen mit Vereinssachwaltern und Patientenanwälten sicherzustellen“ ist (§ 8 Abs 1 VSPAG); doch erfolgt diese Förderung nur „im Rahmen der jeweils im Bundesfinanzgesetz für diese Zwecke verfügbaren Mittel“. Auch die Zielvorgabe des § 12 VSPAG, wonach die Versorgung mit 35 hauptberuflichen Patientenanwälten bis Ende 1993“ zu gewährleisten ist, ändert daran nichts, weil diese Förderungsverpflichtung nur „tunlichst“ einzuhalten ist (zu der erst im Nationalrat eingeführten Abschwächung StProtNR 15.589 ff). Dazu kommt, dass der Bedarf durch den stetigen Ausbau der regionalen psychiatrischen Versorgung auch nach diesem Zeitpunkt weiter steigt. 2. Mangels zeitlicher Befristung des Übergangsrechts kann das Gericht selbst nach vollem Ausbau der Patientenanwaltschaft im Einzelfall auf andere Personen iSd § 43 zurückgreifen, sobald sich in einem bestimmten Gerichtssprengel ein Engpass oder eine Verzögerung bei der Namhaftmachung entsprechender Vereinspatientenanwälte ergibt.
532
b) Solange einem Gericht nicht in ausreichender Anzahl von einem geeigneten Verein namhaft gemachte Patientenanwälte zur Verfügung stehen, hat der Vorsteher dieses Gerichts gem § 43 Abs 1 UbG eine oder mehrere andere geeignete und bereite Personen zu Patientenanwälten allgemein zu bestellen. 1. Diese Regelung unterscheidet sich von § 13 UbG iVm VSPAG nur durch herabgesetzte Kriterien für die Auswahl des Patientenanwalts: Es muss sich um keinen Vereins-Patientenanwalt handeln, es erfolgt daher auch keine Namhaftmachung. Voraussetzung ist eine Bereitschaftserklärung sowie eine entsprechende Eignung. Diese Eignung ist in Bezug auf den Aufgabenkreis des Patientenanwalts zu beurteilen. Jedenfalls als ungeeignet sind Anstaltsangehörige anzusehen (Interessenskollision, mangelnde Unabhängigkeit). In JABl 1991/2, 8,
8. Übergangsrecht
167
werden insb Anwärter und Angehörige der freien Rechtsberufe, Sozialarbeiter sowie andere im sozialen Bereich tätige Personen erwähnt. 2. Der Patientenanwalt nach § 43 Abs 1 hat Anspruch auf Ersatz der Reise- und Aufenthaltskosten sowie der notwendigen Barauslagen und auf Abgeltung des Zeitaufwandes nach § 18 Abs 1 GebAG. Darüber entscheidet der Vorsteher des Bezirksgerichtes. Die Beträge sind vierteljährlich auszuzahlen (§ 43 Abs 3).
c) Ist eine allgemeine Bestellung iSd § 43 Abs 1 nicht möglich – weil sich 533 keine geeigneten oder bereiten Personen finden –, so hat das Gericht für einen ohne Verlangen untergebrachten Kranken ad hoc durch Gerichtsbeschluss im Einzelfall einen Patientenanwalt zu bestellen, wenn der Kranke keinen gewillkürten Vertreter hat. Dies kann ein Angehöriger des Kranken, ein Gerichtsbediensteter oder eine sonstige geeignete Person sein (43 Abs 2). 1. Der Patientenanwalt nach § 43 Abs 2 unterscheidet sich grundlegend vom Patientenanwalt gem § 13 und § 43 Abs 1 UbG: Er wird nicht allgemein im Voraus bestellt, sondern im Einzelfall durch richterlichen Beschluss (beachte die Unterschiede in der Bestellungskompetenz gem § 43 Abs 1 und 2 [Gerichtsvorsteher/Gericht]). Er steht daher nicht bereits bei der Aufnahme zur Verfügung, sondern erst mit Wirksamkeit des Bestellungsbeschlusses. Eine Bestellung unterbleibt, wenn der Kranke einen gewillkürten Vertreter hat; auf die Qualifikation dieses vom Patienten bestellten Vertreters kommt es nicht an. Eine Bekanntgabe erfolgt (anders als nach § 13 Abs 2) nur an die Verfahrensbeteiligten. 2. Die Bereitschaft des Vertreters ist auch in diesem Fall erforderlich, da es eine allgemeine Verpflichtung zur Übernahme derartiger Patientenanwaltschaften (anders als nach Vormundschaftsrecht) nicht gibt. Für die Auswahl genügt auch hier die Eignung; durch die ausdrückliche Erwähnung von Angehörigen und Gerichtsbediensteten legt das UbG den Maßstab dieser Eignung freilich recht niedrig an. 3. Auch die Patientenanwälte nach § 43 Abs 2 haben einen Ersatzanspruch betreffend Reise- und Aufenthaltskosten sowie der Barauslagen. Darüber entscheidet das Gericht. Für die Bestimmung und Auszahlung gelten die §§ 39 bis 42 GebAG sinngemäß (§ 43 Abs 4).
Siebenter Teil
Vollzug der Unterbringung 1. Allgemeines a) Rechtliche Rahmenbedingungen 534 a) Das bisher geltende Vollzugsrecht für die Anhaltung in psychiatrischen Anstalten erschöpfte sich in einem Halbsatz des § 51 Abs 1 KAG, wonach zwangsweise angehaltene Pfleglinge „Beschränkungen in der Freiheit der Bewegung oder des Verkehrs mit der Außenwelt unterworfen werden“ konnten. Präzisierende Vorschriften über Art und Umfang der zulässigen Beschränkungen, über die Zuständigkeiten, das Verfahren bei deren Verhängung oder deren Kontrolle bestanden nicht. Mit dieser unbestimmten Generalklausel stand § 51 KAG noch ganz in der Tradition der heute obsoleten Lehre vom „besonderen Gewaltverhältnis“, indem er die Patienten einer rechtlich kaum strukturierten und nach Ermessen auszugestaltenden Anstaltsgewalt unterwarf. Wegen Art 18 Abs 1 B-VG iVm Art 1 Abs 2 PersFrG bedarf aber auch die Durchführung der Unterbringung einer inhaltlich ausreichend bestimmten gesetzlichen Grundlage, die sich einerseits in dem von den grundrechtlichen Gesetzesvorbehalten gezogenen Zulässigkeitsrahmen halten und andererseits auch einen umfassenden Rechtsschutz gegenüber rechtswidrigem Anstaltshandeln sicherstellen muss (Art 13 EMRK; rechtsstaatliches Prinzip). Die rechtsstaatlichen Grundsätze (Legalitätsprinzip, Grundrechte, effektive Kontrolle) gelten ohne Einschränkung auch im Vollzug freiheitsentziehender Maßnahmen (Kopetzki I 367 ff).
535
b) Vor diesem Hintergrund ist die explizite Zielsetzung des Gesetzgebers zu sehen, die „Mängel des geltenden Rechtes zu beseitigen und die Grenzen der Einschränkung der Persönlichkeitsrechte während des Aufenthalts [...] in rechtsstaatlich einwandfreier Weise abzustecken“ (RV 17). Das UbG sollte „die zulässigen Maßnahmen und deren Voraussetzungen näher umschreiben und ihre Anwendung von Förmlichkeiten abhängig machen, die zumindest eine nachgehende Prüfung der Richtigkeit gestatten“ (RV 27 f). In Abkehr von der Doktrin des besonderen Gewaltverhältnisses sollte damit gleichzeitig klargestellt werden, „dass die Zulässigkeit der Unterbringung weitere Beschränkungen noch lange nicht umfasst und dass diese einem eigenen Verfahren unterliegen“ (StProtNR 15.597).
In diesem Sinne enthält das UbG in den §§ 33-39 nähere Bestimmungen über Beschränkungen der Bewegungsfreiheit (§ 33) sowie des Verkehrs mit der Außenwelt (§ 34), über die ärztliche Behandlung (§§ 35 bis 37), über die Einsicht in die Krankengeschichte (§ 39) sowie über die gerichtliche Kontrolle von Beschränkungen und Behandlungen (§ 38). Inhaltlich ist ihr Regelungsumfang sehr beschränkt: Er betrifft im Wesentlichen nur die Ausgestaltung des Freiheitsentzuges und einige der dafür charakteristischen Beschränkungen. Die vollzugsrechtlichen Vorschriften des UbG sind (ab Beginn der Unterbringung: vgl Rz 41ff, 205) auf die Unterbringung mit und ohne Verlangen anwendbar, sie gelten hingegen nicht für Patienten, die in ihrer Bewegungsfreiheit nicht beschränkt und daher nicht „untergebracht“ sind. Die Ausgestaltung des Anstaltsaufenthalts nicht-untergebrachter Patienten und die Zulässigkeit einzelner Maßnahmen und Behandlungen ist nicht nach §§ 33 ff UbG, sondern nach den Bestimmungen des Krankenanstalten-, Straf- und Zivilrechts zu beurteilen.
1. Allgemeines
169
c) Subsidiär zum UbG finden auch auf die untergebrachten Patienten die 536 allgemeinen Bestimmungen des Krankenanstaltenrechts Anwendung. Diese stellen das Fundament jener allgemeinen Ordnung des inneren Anstaltsbetriebs her, auf dem die Sonderregeln des UbG oder auch des StVG aufbauen. 1. Daher gelten etwa Regelungen über den ärztlichen Dienst, über die Führung von Krankengeschichten, über Verschwiegenheitspflichten, Qualitätskontrollen oder die Befassung von Ethikkommissionen für sämtliche Anstaltspfleglinge unabhängig davon, ob ihr Aufenthalt auf einem Behandlungsvertrag, auf einer strafgerichtlichen Einweisung oder auf einer verwaltungsbehördlichen Unterbringung beruht. Überblick bei Kopetzki, Krankenanstaltenrecht, in Holoubek/Potacs (Hg), Handbuch des öffentlichen Wirtschaftsrechts I (2002) 463. 2. Alle Anstaltspatienten unterliegen darüber hinaus ebenso wie die Besucher oder das Anstaltspersonal der nach § 6 KAKuG zu erlassenden Anstaltsordnung (Rz 5).
d) Die unmittelbare Anwendbarkeit zivilrechtlicher Grundsätze scheidet – 537 mangels einer bürgerlichrechtlichen Beziehung iSd § 1 ABGB – in öffentlichrechtlichen Rechtsverhältnissen aus. Ein Rückgriff auf das allgemeine Zivilrecht erfordert daher immer eine besondere Begründung. 1. Grundsätzlich stehen der öffentlichen Hand die Instrumente des Privatrechts auch zur Erfüllung öffentlicher Aufgaben im Hoheitsbereich zur Verfügung. So hat zB der Anstaltsträger – vorbehaltlich abweichender gesetzlicher Bestimmungen – all jene Rechtspositionen, die sich aus seiner Stellung als Anstaltseigentümer ergeben. Dasselbe gilt für sonstige private Handlungsmöglichkeiten, zB im Rahmen von Selbsthilfe, Notwehr oder Notstand. Zu privaten Zwangsbefugnissen umfassend nun Kneihs, Privater Befehl und Zwang (2004). 2. Die Anwendung des Zivilrechts ist auch dann zu bejahen, wenn das UbG auf zivilrechtliche Grundsätze und Rechtsinstitute verweist (zB Vertretungs- und Sorgebefugnisse). Darüber hinaus ist die Auffassung vertretbar, dass in die öffentlichrechtlichen Rechtsverhältnisse bei der zwangsweisen Unterbringung die Rechte und Pflichten des privaten Behandlungsverhältnisses transponiert werden (vgl Kopetzki II 755 ff ). 3. Ausgeschlossen ist ein Rückgriff auf das Zivilrecht hingegen insb dann, wenn das UbG abschließende Sonderregelungen für die Unterbringung enthält, zB bei den Beschränkungen der Bewegungsfreiheit und des Verkehrs mit der Außenwelt. Diese Maßnahmen sind – unter Wahrung rechtsstaatlicher Mindestanforderungen – im UbG erschöpfend geregelt und dürfen nicht alternativ unter Berufung auf privatrechtliche Gestaltungsbefugnisse vorgenommen werden. Auch sog „Pflegeverträge“, in denen sich untergebrachte Patienten zu einem bestimmten Verhalten (zB bestimmte Aufenthaltsdauer, Duldung von Behandlungsmaßnahmen) verpflichten, können den rechtlichen Handlungsspielraum der Anstalt selbst dann nicht erweitern, wenn sich der Patient später nicht an die Vereinbarung halten sollte.
e) Zur Bedeutung der in § 1 UbG formulierten Grundsätze des Persönlichkeitsschutzes vgl oben Rz 15 ff sowie Kopetzki II 758 ff. b) Die innere Ordnung des Vollzugs der Unterbringung a) Da das UbG – anders als zB das Strafvollzugsrecht – von seiner Konzepti- 538 on her kein lückenloses Vollzugsrecht bereitstellt, lassen sich viele Rechtsfragen des inneren Anstaltsbetriebes aus dem UbG allein nicht beantworten. Da jedoch die im Krankenanstaltenrecht bzw in den Anstaltsordnungen enthaltenen Regelungen über den „inneren Betrieb“ der Krankenanstalt auch für die nach UbG untergebrachten Patienten gelten, ergeben sich hieraus weitere Rahmenbedingungen für den Vollzug der Unterbringung. Ihr Schwerpunkt liegt gem § 6 Abs 1 KAKuG in den Anstaltsordnungen der einzelnen Krankenanstalten. Dazu gehört neben der Festlegung der Anstaltsaufgaben, der organisatorischen Einrichtungen, der Verwaltung und der Dienstobliegenheiten des Personals vor
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VII. Teil: Vollzug der Unterbringung
allem auch die – meist in einer selbständigen Hausordnung zusammengefasste – Regelung des von den „Pfleglingen und Besuchern in der Anstalt zu beobachtenden Verhaltens“ (§ 6 Abs 1 lit d KAKuG). 1. Eine historische Interpretation dieser Ermächtigung zur Regelung des „Verhaltens“ zeigt, dass darunter auch die Erlassung genereller Verhaltensanordnungen sowie die Schaffung individueller Anordnungsbefugnisse der Anstaltsorgane im Sinne einer recht umfassenden „Anstaltsleitungsbefugnis“ zu verstehen ist (Kopetzki II 761 ff ). 2. Zweifelhaft ist, ob die Anstaltsordnungen auch Maßnahmen und Sanktionen zur 539 Durchsetzung der in ihnen normierten Verhaltenspflichten iS eines physischen Anstaltszwanges vorsehen dürfen (dazu Kopetzki II 762 ff ). Fehlt es für bestimmte Rechtseingriffe und Zwangsmittel an einer gesetzlichen Grundlage, so kann dieser Mangel durch die Anstaltsordnung nicht – jedenfalls nicht in verfassungskonformer Weise – substituiert werden. Auf gesetzlicher Ebene fehlende Eingriffsbefugnisse sind auch nicht aus den – sowohl therapeutischen als auch gefahrenabwehrenden – Anstaltszwecken herzuleiten. Vgl aber Rz 540. 3. Die in der Judikatur vertretene Auffassung, der gerichtliche Unterbringungsbeschluss selbst legitimiere „regelungsfreie Bereiche“ einer „faktisch eingeräumten Verfügungsmacht über die Kranke[n]“ (so zum Entzug der Privatkleidung – LGZ Wien 22. 3. 1994, 44 R 270/94), ist weder mit Art 18 B-VG noch mit § 1 Abs 2 UbG vereinbar und scheitert im übrigen daran, dass es ja auch den Fall einer nicht bzw noch nicht für zulässig erklärten Unterbringung gibt, ohne dass dieser Unterscheidung irgendeine Bedeutung für die internen Rechtsbeziehungen der Anstalt zukommt.
540
b) Bemerkenswert ist, dass weder das UbG noch die meisten Krankenanstaltengesetze eine hinreichend bestimmte Grundlage für ein anstaltsinternes Ordnungs- und Sicherheitsrecht bieten, und zwar auch nicht in Gestalt einer Generalklausel zur Abwehr von Ordnungsstörungen. 1. Die Legitimation, zu diesem Zweck in Rechte der Patienten einzugreifen, kann sich auch in diesem Zusammenhang nur aus dem Gesetz ergeben. Für eine Reihe üblicher Maßnahmen, die realiter anzutreffen sind und auf die im Hinblick auf die Gewährleistung der Ordnung und Sicherheit in der Anstalt und die Schutzpflichten gegenüber den Mitpatienten in der Praxis kaum verzichtet werden kann, fehlt es idR an einer verfassungsrechtlich einwandfreien Grundlage. Aus der Inanspruchnahme privater Verfügungsbefugnisse (Rz 537) lassen sich allenfalls akute Gefahrensituationen im Rahmen von Notwehr, Nothilfe und rechtfertigendem Notstand bewältigen. Für routinemäßige präventive Ordnungs- und Sicherungsmaßnahmen wie etwa die vorsorgliche Abnahme gefährlicher (oder störender) Gegenstände oder alkoholischer Getränke gibt es daher ebensowenig eine zweifelsfreie Grundlage wie für Maßnahmen gegen Störungen der Anstaltsordnung, welche die strengen Voraussetzungen des § 33 UbG nicht erfüllen (vgl das Beispiel in Rz 551). Die Anstalten müssen daher Krisensituationen durch verstärkten Personaleinsatz zu bewältigen versuchen, bis die Grenze erreicht ist, von der an sie von den Möglichkeiten der Notwehr, der Nothilfe und des Notstandes Gebrauch machen dürfen. Zum Ganzen Kopetzki II 765 ff. 2. Selbst wenn man für weitergehende Befugnisse der Anstalt einen Rechtstitel aus dem „inneren Anstaltsbetrieb“ herleitet, ergeben sich Schranken aus dem Verbot nicht ausdrücklich vorgesehener Beschränkungen von Persönlichkeitsrechten gem § 1 Abs 2 UbG (Rz 19). Unter diesem Aspekt sind Maßnahmen erst dann zulässig, wenn aufgrund einer umfassenden Interessenabwägung der Nachweis gelingt, dass bestimmte Interessenssphären – etwa bei überwiegenden gegenläufigen Interessen der Mitpatienten oder des Personals – gar nicht am Schutz der Persönlichkeitsrechte teilhaben und Eingriffsmaßnahmen daher keine „Beschränkung von Persönlichkeitsrechten“ sind. Für die Personen- und Gepäcksdurchsuchung sowie für die Abnahme gefährlicher Gegenstände wird auf diese Weise – sofern in der Anstaltsordnung vorgesehen – eine Rechtfertigung zu erzielen sein, weil es nach § 1 UbG kein Persönlichkeitsrecht zu sicherheitsgefährdenden Handlungen gibt (im Ergebnis OGH 30. 5. 1996, 2 Ob 2100/96, RdM 1996/30 [Entzug von Rauchutensilien]). Für eindeutig persönlichkeitsrelevante Maßnahmen wie zB den Entzug der Privatkleidung oder von Gegenständen des persönlichen Bedarfes trifft dies wegen § 1 Abs 2 UbG hingegen nicht zu.
2. Beschränkungen der Bewegungsfreiheit
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c) Was die Rechte der untergebrachten Patienten betrifft, so ergeben sich 541 eine Vielzahl – überwiegend abwehrend konzipierter – Rechte aus den Grundrechten, direkt aus dem UbG sowie auch aus anderen Rechtsgrundlagen, insb des Zivilrechts oder des Krankenanstaltenrechts. 1. Vgl näher, insb auch zu den Patientenrechten des § 5a KAKuG, Kopetzki II 769 ff. 2. Das UbG sieht keine Leistungsansprüche des Patienten vor, auch kein Recht auf ärztli- 542 che Behandlung. Eine Verpflichtung der Anstalt bzw der Ärzte zur Erbringung der erforderlichen (ärztlichen und pflegerischen) Leistungen ergeben sich aber aus anderen Rechtsgrundlagen (zB ÄrzteG, KAKuG, Sozialversicherungsrecht, grundrechtliche Schutzpflichten, Anstaltsordnungen). Eine gleichgelagerte Verpflichtung kann überdies mittelbar aus dem Amtshaftungsrecht sowie aus den Schutzpflichten des § 1 Abs 1 UbG abgeleitet werden. Da der Untergebrachte wegen Art 1 Abs 2 PersFrG ein Recht auf eine gesetzeskonforme Durchführung des Freiheitsentzuges hat, werden diese objektivrechtlichen Schutzpflichten in subjektive Rechte transformiert. Insofern kann auch hier von einem „Recht auf Therapie“ gesprochen werden. Daraus folgt allerdings nichts für die strikt nach UbG zu beurteilende Frage, wann dem Patienten eine therapeutische Maßnahme aufgezwungen werden darf.
2. Beschränkungen der Bewegungsfreiheit a) Allgemeines Neben jener Beschränkung der Bewegungsfreiheit, welcher der Patient be- 543 reits durch seine Unterbringung unterworfen ist, finden in psychiatrischen Krankenanstalten auch weitergehende Beschränkungen statt, die den verbleibenden Bewegungsspielraum zusätzlich einengen (zB Isolierung in Einzelraum, Netzbett, Fixierung). Das UbG unterscheidet daher zwischen allgemeinen Beschränkungen gem § 33 Abs 2, die der Unterbringung begriffsimmanent sind, und Beschränkungen auf einen Raum oder innerhalb eines Raumes gem § 33 Abs 3, die besonderen verfahrensrechtlichen Bedingungen unterliegen. Die materiellen Voraussetzungen sind in beiden Fällen dieselben. Unterscheidungskriterium ist der räumliche Umfang der Beschränkung. Die im § 33 geregelten Beschränkungen der Bewegungsfreiheit stellen nicht nur Modalitäten einer bereits bestehenden Unterbringung dar, sondern erfüllen – sofern sie gegenüber einem zunächst nicht untergebrachten Patienten angewendet werden – auch für sich genommen den Tatbestand der Unterbringung iSd § 2 UbG (Rz 50).
b) Zum Begriff der „Beschränkung“ der Bewegungsfreiheit a) Nicht jede Beschränkung der freien Bewegung innerhalb der Anstalt ist 544 eine „Beschränkung der Bewegungsfreiheit“ iSd § 33. Ebenso wie beim Begriff der Unterbringung ist nur eine allseitige Beschränkung erfasst: Die Bewegung muss auf bestimmte räumliche Bereiche beschränkt sein. Das Verbot, einzelne Räumlichkeiten zu betreten, ist keine Bewegungsbeschränkung iSd § 33. b) Wann eine Beschränkung der Bewegungsfreiheit vorliegt, ist anhand der 545 konkreten Verhältnisse des betroffenen Patienten zu beurteilen. Auf die Wahl der Mittel kommt es dabei grundsätzlich nicht an, doch ergibt sich aus dem systematischen Zusammenhang der §§ 33 und 35, dass § 33 nur auf Beschränkungen durch äußere, insb mechanisch-physische Mittel anwendbar ist. 1. Auch ein „halboffenes“ Netzbett kann eine Beschränkung darstellen, wenn dem konkreten (zB schwachen oder ungeschickten) Patienten das Verlassen nicht selbständig möglich ist: LGZ Wien 7. 6. 1994, 44 R 452/94.
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VII. Teil: Vollzug der Unterbringung
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2. Die am räumlichen Umfang der Bewegungsbeschränkung anknüpfenden Unterscheidungskriterien des § 33 setzen ein äußeres Hindernis voraus und lassen sich auf eine pharmakologische Ruhigstellung nur begrenzt anwenden. Beschränkungen der „inneren“ Bewegungsfreiheit wie etwa die medikamentöse Dämpfung des Bewegungsdranges unterliegen daher grundsätzlich (nur) den Regeln der §§ 35 ff über die ärztliche Behandlung. Ihre Überprüfung erfolgt nicht nach § 33 Abs 3, sondern nach § 36 Abs 2 UbG: LGZ Wien 26. 4. 1994, 44 R 346/94; OGH 19. 9. 1994, 4 Ob 549/94, RdM 1995/2. Zur möglichen Einstufung intentionaler pharmakologischer Beschränkungen als „Unterbringung“ iSd § 2 UbG vgl aber OGH 29. 1. 1997, 7 Ob 2423/96s, SZ 70/16 = RdM 1997/20, sowie Rz 55.
547
c) Ziele und Motive einer Maßnahme spielen für ihre Qualifikation als Beschränkung iSd § 33 keine Rolle. Auch fürsorglich-sichernde Maßnahmen im Interesse von Therapie oder Pflege können eine „Beschränkung“ darstellen, zumal § 33 Abs 1 die Behandlung und Betreuung ausdrücklich unter den Zulässigkeitsvoraussetzungen für Beschränkungen anführt. „Fürsorge“ und „Beschränkung“ sind keine einander ausschließenden Alternativen.
1. Zum möglichen Charakter von therapeutischen und pflegerischen Maßnahmen als Beschränkung OGH 22. 2. 1994, 5 Ob 571/93, RdM 1994/22 = NZ 1994, 254. Die medizinische Indikation schließt das Vorliegen einer Bewegungsbeschränkung iSd § 33 UbG nicht aus. Therapeutisch motivierte, wenngleich physische Beschränkungen der körperlichen Bewegungsfreiheit unterliegen daher auch nicht den Vorschriften über die Heilbehandlung (§ 35) (vgl LGZ Wien 7. 6. 1994, 44 R 452/94: Fixierung des Armes zu Zwecken der Infusion ist als Beschränkung nach § 33 Abs 3 zu beurteilen; ebenso LG Innsbruck 23. 4. 2004, 54 R 44/04y: Fixierung zur Verhinderung der Nahrungsaufnahme wegen geplanter ECT; OGH 20. 11. 1997, 2 Ob 347/97m: zwangsweises Ausziehen und Baden). 2. Keine Beschränkung iSd § 33 liegt vor, wenn durch die Anwendung fixierender Mittel 548 in der konkreten Situation eine Erweiterung des Bewegungsspielraums erzielt wird (zB Erleichterung des aufrechten Sitzens). Die Abgrenzung zur „Beschränkung“ iSd § 33 UbG muss nach finalen Kriterien erfolgen. Die Fixierung an einem Sessel zur Verhinderung des Aufstehens ist hingegen eine Beschränkung (LGZ Wien 1. 3. 1994, 44 R 193/94).
549
d) Maßnahmen, die mit Zustimmung des (einsichtsfähigen) Patienten vorgenommen werden, sind keine Beschränkungen im Sinne des § 33; ihnen fehlt der heteronome Aspekt, der dem Begriff der Beschränkung innewohnt. 1. Das trifft etwa für Patienten zu, die zu ihrer eigenen Sicherheit die Anbringung eines nächtlichen Bettgitters wünschen oder die sich im Zuge einer (konsentierten) ärztlichen Behandlung gewissen Bewegungseinschränkungen unterwerfen. Trotz der mit dieser Auslegung verbundenen Gefahr eines unkritisch unterstellten Einverständnisses kann die Beurteilung hier nicht anders ausfallen als bei vergleichbaren ärztlichen oder pflegerischen Maßnahmen in anderen medizinischen Fächern. Anderenfalls wären solche Maßnahmen – würde man sie an den strengen Zulässigkeitsvoraussetzungen des § 33 messen – in der Psychiatrie schlechthin unzulässig, was dem Gesetzgeber nicht zuzusinnen ist (im Ergebnis OGH 19. 5. 1994, 6 Ob 559/94, EvBl 1995/24 = SZ 67/91). An Einsichtsfähigkeit und Nachvollziehbarkeit der Zustimmung sind strenge Maßstäbe anzulegen; die mangelnde Gegenwehr eines zur selbständigen Willensbildung unfähigen Patienten ist nicht als Zustimmung deutbar; zutreffend LGZ Graz 13. 2. 2004, 6 R 20/04m (Fehlen einer „Kampfsituation“ ist noch kein Einverständnis). 2. Ist der Patient bewusstlos, so stellen sichernde Maßnahmen wie etwa eine Fixierung von Versorgungsschläuchen ebenfalls keine Beschränkungen iSd § 33 UbG dar (OGH 10. 5. 1994, 4 Ob 534/94, ÖAV 1995, 31 = SZ 67/87). Die bloße Unfähigkeit, selbst aufzustehen, kann jedoch die Qualifikation einer bewegungsbeschränkenden Maßnahme als „Bewegungsbeschränkung“ nicht verhindern (anders aber LG Salzburg 29. 5. 2002, 21 R 97/02v). 3. Die Zustimmung Dritter (Sachwalter) kann weder die Qualifikation als Beschränkung verhindern noch die Beschränkung rechtfertigen. Sachwalter bzw Sachwaltergericht haben keine Zuständigkeit zur Anordnung von Beschränkungen (LG Salzburg 4. 2. 1998, 21 R 29/98f; zur Problematik auch Rz 811). Nur bei Kindern kann elterliche Zustimmung zu altersüblichen Beschränkungen die Qualifikation als „Unterbringung“ verhindern; Rz 60 ff.
2. Beschränkungen der Bewegungsfreiheit
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c) Materielle Voraussetzungen Gem § 33 Abs 1 sind Beschränkungen der Bewegungsfreiheit „nach Art, 550 Umfang und Dauer nur insoweit zulässig, als sie im Einzelfall zur Abwehr einer Gefahr im Sinne des § 3 Z 1 sowie zur ärztlichen Behandlung oder Betreuung unerlässlich sind und zu ihrem Zweck nicht außer Verhältnis stehen“. a) Die Zulässigkeit von Bewegungsbeschränkungen setzt einen bestimmten Schutzzweck voraus. Als legitime Zielsetzungen nennt § 33 Abs 1 einerseits die Abwehr einer Gefahr iSd § 3 Z 1, also die Abwehr einer ernstlichen und erheblichen Gefährdung des (eigenen oder fremden) Lebens oder der (eigenen oder fremden) Gesundheit, andererseits die ärztliche Behandlung oder Betreuung. Diese Zielsetzungen sind teils alternativ (Behandlung oder Betreuung), teils kumulativ (Gefahrenabwehr sowie Behandlung oder Betreuung) verknüpft (vgl OGH 25. 2. 1993, 2 Ob 605/92). Bewegungsbeschränkungen müssen also gleichzeitig eine gefahrenabwehrende und therapeutisch bzw betreuende Zielsetzung aufweisen. Lediglich innerhalb der beiden kumulativ erforderlichen Ziele genügt die Verfolgung eines der durch „oder“ verbundenen Teilzwecke (Behandlung oder Betreuung, Abwehr von Selbst- oder Fremdgefährdung). 1. Die Beschränkung muss daher immer auch der Abwehr von ernstlichen und erhebli- 551 chen Selbst- oder Fremdgefährdungen iSd § 3 Z 1 dienen. Das setzt voraus, dass objektive Anhaltspunkte für die Annahme einer solchen Gefährdung bestehen, die sowohl hinsichtlich der Intensität der Schädigung als auch hinsichtlich der Wahrscheinlichkeit ihres Eintritts den Kriterien des § 3 Z 1 (Rz 93 ff ) entspricht. Zutreffend LGZ Wien 9. 11. 1993, 44 R 840/93, wonach die Intensität des Angriffs [körperliche Bedrohung des Pflegepersonals] und die Ernstlichkeit der Drohung zu konkretisieren sind. Der Hinweis auf „Aggressivität“ des Kranken genüge nicht; ähnlich LGZ Graz 13. 2. 2004, 6 R 20/04m. Auch das Anschreien und subjektive Bedrohungsgefühle von Mitpatienten (LG St. Pölten 10. 7. 2002, 10 R 46/02w) oder das Herumwerfen mit Tassen (LGZ Wien 5. 9. 1997 44 R 535/97w) begründen keine ausreichende Gefährdung und rechtfertigen Fixierung nicht. Umso weniger ist Fixierung zulässig, wenn der Patient ruhig und kooperationsbereit ist (LGZ Wien 23. 3. 1998, 43 R 218/98x). Unzulässig sind Bewegungsbeschränkungen auch als Mittel der Disziplinierung oder Bestrafung eines Patienten (RV 28), zur Sicherstellung der Ruhe oder eines störungsfreien Anstaltsbetriebes oder aus Bequemlichkeit bzw Überlastung des Anstaltspersonals. Vgl OGH 25. 2. 1993, 2 Ob 605/92: Störungen des Anstaltsbetriebes durch wiederholten Missbrauch einer Alarmglocke rechtfertigen Beschränkung nach § 33 Abs 3 nicht, weil diese weder für die ärztliche Behandlung und Betreuung unerlässlich noch verhältnismäßig ist; daraus theoretisch resultierende mittelbare Gefährdungen von Leben und Gesundheit weisen keine hinreichende Wahrscheinlichkeit auf. 2. Das kumulative Erfordernis einer gefahrenabwehrenden und therapeutisch-betreu- 552 enden Zielsetzung bedeutet aber nicht, dass auch die Abwehr erheblicher und durch die psychische Krankheit bedingter Gefährdungen des Lebens oder der Gesundheit des Anstaltspersonals oder der Mitpatienten erst unter der zusätzlichen Voraussetzung zulässig wäre, dass eine hiefür erforderliche Bewegungsbeschränkung gleichzeitig auch noch einen positiven therapeutischen Nutzen für den betroffenen Patienten aufweist. Denn die Abwehr der von einem Patienten ausgehenden ernstlichen und erheblichen Gefährdung ist unter den Bedingungen der psychiatrischen Unterbringung immer auch eine Betreuung iSd § 33 Abs 1 UbG, und zwar auch dann, wenn diese Gefahrenabwehr „nur“ dem Schutz Dritter dient. Dies ergibt sich schon aus § 37 Abs 2 KAKuG, wonach die „erforderliche Betreuung“ in Abteilungen und Sonderkrankenanstalten für Psychiatrie auch „die allenfalls nötige Abwehr von ernstlichen und erheblichen Gefahren für das Leben oder die Gesundheit des Kranken oder anderer Personen“ einschließt, „wenn diese Gefahren im Zusammenhang mit der psychischen Krankheit stehen“. Daraus folgt, dass die therapeutisch-betreuende Zielsetzung nicht mehr gesondert geprüft werden muss, sobald die Voraussetzung der Gefahrenabwehr erfüllt ist.
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VII. Teil: Vollzug der Unterbringung
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3. Umgekehrt gilt dies nicht: Nicht jede Beschränkung der Bewegungsfreiheit, die der ärztlichen Behandlung oder Betreuung dient, hat gleichzeitig eine gefahrenabwehrende Zielsetzung. Das gilt zB für eine Fixierung „unruhiger“ Patienten, wenn bei deren Unterbleiben zwar Unruhe, aber keine Gefahr iSd § 3 droht; derartige Maßnahmen sind gem § 33 unzulässig. Unzulässig sind daher auch rein therapeutisch motivierte Beschränkungen (vgl LGZ Wien 5. 9. 1997 44 R 535/97w: Netzbett gegen Unruhezustände unzulässig; LG Innsbruck 23. 4. 2004, 54 R 44/04y: Fixierung zwecks Durchsetzung einer Elektroheilkrampftherapie nur zulässig, wenn auch zur Gefahrenabwehr iSd § 3 unerlässlich). 4. § 33 deckt nicht Maßnahmen der Gefahrenabwehr, die sich gegen andere Gefahren als jene richten, „die im Zusammenhang“ mit der psychischen Krankheit stehen (zB Sturzgefahr wegen körperlicher Gebrechlichkeit). Das Beispiel der Sturzgefahr zeigt freilich, dass die Beurteilung dieses Zusammenhangs im konkreten Einzelfall auch anders ausfallen kann (vgl OGH 11. 1. 2000, 10 Ob 337/99b: Wenn bei der Patientin eine krankheitsbedingte zwanghafte Umtriebigkeit vorliegt, auf Grund der Medikation bei Verlassen des Bettes akute Sturzgefahr besteht und diese Gefährdung der Patientin nicht bewusst wird, ist Fixierung durch Bauchgurt zulässig; ähnlich LG Salzburg 26. 11. 1997, 21 R451/97p: Fixierung wegen Sturzgefahr infolge zu niedrigen Blutdrucks zulässig, weil von psychischer Befindlichkeit nicht zu trennen; weiters OGH 19. 8. 1998, 9 Ob 152/98p: Sturzgefahr bei „Stationsflüchtigkeit“ wegen krankheitsbedingter Desorientierung). 5. Der Gesetzgeber ging tendenziell davon aus, dass im Rahmen der Behandlung und Betreuung auf mechanische Zwangsmittel grundsätzlich zu verzichten ist und die angestrebten Zielsetzungen auf andere Weise (persönliche Zuwendung, Überwachung etc) zu verwirklichen sind. Dem Mangel personeller und technischer Ressourcen kommt hiebei keine selbständige – die gesetzlichen Eingriffsvoraussetzungen erweiternde – rechtfertigende Bedeutung zu (OGH 25. 2. 1993, 2 Ob 605/92: „Störungen durch unangepasstes Verhalten [müsse] durch andere Maßnahmen als durch Beschränkungen begegnet werden“; ähnlich OGH 30. 5. 1996, 2 Ob 2100/96, RdM 1996/30; UVS Vbg 11. 11. 2002, 3-15-01/01, ZUV 2004/1, 20 zum vbg PflegeheimG vor Aufhebung durch VfGH 28. 6. 2003, G 208/02, RdM 2003/81 = VfSlg 16.929). Vgl aber (zum Pflegegeldanspruch) SZ 70/130 (kurzfristige Fixierung im Rollstuhl bei Abwesenheit einer Pflegeperson verhältnismäßig). Näher Rz 133.
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b) Neben der Zielkonformität (a) muss die Beschränkung auch dem Verhältnismäßigkeitsgebot des § 33 Abs 1 UbG entsprechen: Sie muss zur Erreichung des angestrebten Zieles sowohl in qualitativer (Art der Maßnahme) als auch in quantitativer (räumlicher Umfang und Dauer der Maßnahme) Hinsicht „unerlässlich“ sein und darf „zu ihrem Zweck nicht außer Verhältnis stehen“. Beschränkungen der Bewegungsfreiheit sollen also, wie die Unterbringung insgesamt, nur als letztes Mittel in Betracht kommen (AB 11). Es gilt der Grundsatz des geringstmöglichen Eingriffs (RV 28; OGH 25. 2. 1993, 2 Ob 605/92). Das setzt eine umfassende Abwägung aller in Betracht kommenden Maßnahmen im Hinblick auf ihre Auswirkungen auf den Patienten voraus. 1. Grundsätzlich ist jenes Mittel zu wählen, das die Bewegungsfreiheit am wenigsten einengt, aber den Zweck noch erfüllt (mwN OGH 30. 10. 1998, 1 Ob 287/98g). Die Zulässigkeit einer bewegungsbeschränkenden Maßnahme ist dabei immer im Einzelfall (§ 33 Abs 1 UbG) zu beurteilen. Sowohl die Prüfung der Eingriffsziele als auch die Abwägung der zur Verfügung stehenden Mittel sind in jeder konkreten Situation von neuem vorzunehmen. 2. Unverhältnismäßig ist nach der Rsp eine Fesselung wegen Störung des Anstaltsbetriebes durch Betätigen einer Alarmglocke (OGH 25. 2. 1993, 2 Ob 605/92), zur Verhinderung gefährlichen Rauchens im Bett (OGH 30. 5. 1996, 2 Ob 2100/96, RdM 1996/30), die überschießende Fixierung eines Patienten auch während solcher Zeiträume, in denen er wegen des Besuchs von Angehörigen ruhig und kooperationsbereit war (LGZ Wien 23. 3. 1998, 43 R 218/98x) oder die Fixierung zum Zweck der Nahrungsverabreichung, wenn die Maßnahme auch zwischen zwei Mahlzeiten nicht aufgehoben wurde (LGZ Graz 12. 12. 1997, 6 R 425/97g). Auch die Verfügbarkeit gelinderer Alternativen kann Fixierungen unverhältnismäßig machen (zB LG Wels 22. 5. 2002, 21 R 135/02f: der Gefahr des Entweichens hätte
2. Beschränkungen der Bewegungsfreiheit
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durch elektronische Überwachung begegnet werden können; 20. 12. 2000, 21 R 395/00p: die nicht näher konkretisierte Belastung von Mitpatienten oder die Beruhigung eines Erregungszustandes rechtfertigen Fixierung nicht). 3. Als verhältnismäßig beurteilt wurde hingegen eine Fixierung durch Bauchgurt bei akuter Sturzgefahr bei zwangshafter Umtriebigkeit, wenn als Alternativen nur die Erhöhung der Medikamentendosis oder das dauernde Festhalten durch eine Betreuungsperson in Betracht kommen (OGH 11. 1. 2000, 10 Ob 337/99b; ähnlich – wenngleich zum Pflegegeldanspruch – SZ 70/130 zu kurzfristiger Fixierung um Rollstuhl); eine Fixierung bei akuter Suizidgefahr, die auch durch ständige Anwesenheit einer Betreuungsperson nicht verlässlich verhindert werden konnte (OGH 30. 10. 1998, 1 Ob 287/98g); eine zweieinhalbstündige Fixierung zwecks Verabreichung einer sedierenden Medikation nach wiederholten und nicht anders zu verhindernden Suizidversuchen (LG Linz 27. 8. 1998, 14 R 439/98x); eine sechsstündige Fixierung wegen Randalierens und Verletzungsgefahr (LG Klagenfurt 31. 7. 1998, 1 R 201/98y); eine Fixierung zur Verabreichung lebensnotwendiger Infusionen (LG Innsbruck 6. 2. 1998, 54 R 153/97i); eine Fixierung durch Bauchgurt zur Nahrungsverabreichung, wenn gutes Zureden nicht wirkte und weitere Unterlassung der Nahrungsaufnahme mit schweren Gefahren verbunden wäre (LGZ Graz 12. 12. 1997, 6 R 425/97g); eine nächtliche Fixierung zur Vermeidung von Stürzen durch unkontrolliertes Aufstehen (LGZ Wien 16. 1. 1997, 45 R 618/97h); eine nächtliche Fixierung zum Schutz vor Aggressionsakten gegenüber Mitpatienten, da dies weniger belastend sei als die alternative Isolierung in einem Einzelzimmer (LGZ Graz 10. 11. 1997, 6 R 427/97a); eine mehrtägige Fixierung nach Verletzung von Mitpatienten, wenn das hohe Aggressionspotential medikamentös nicht mehr zu beherrschen war (LG Salzburg 28. 8. 2003, 21 R 257/03w); ebenso eine Fixierung zur Verhinderung einer (neuerlichen) Brandlegung, weil auch der ständigen Anwesenheit einer Betreuungsperson wegen der Unruhe der Patientin keine therapeutische Wirkung zugekommen wäre und die Gefahr einer Brandlegung wegen des Hantierens mit mehreren (teils versteckten) Feuerzeugen in einem hochpsychotischen Ausnahmezustand nicht mit ausreichender Verlässlichkeit verhindert werden hätte können (LG Linz 12. 4. 2001,14 R 133/01d).
d) Allgemeine Beschränkungen Gem § 33 Abs 2 darf die Bewegungsfreiheit im allgemeinen nur auf mehrere 555 Räume oder auf bestimmte räumliche Bereiche beschränkt werden. Diese allgemeinen Bewegungsbeschränkungen konstituieren den freiheitsentziehenden Charakter der Unterbringung. Sie bedürfen daher – weil der Unterbringung begrifflich immanent – weder einer besonderen Anordnung noch unterliegen sie besonderen, über die unter c) skizzierten materiellen Kriterien hinausgehenden Zulässigkeitsbedingungen. 1. Typische Erscheinungsformen dieser allgemeinen Bewegungsbeschränkung sind die Beschränkung auf das Anstaltsareal oder auf einzelne Abteilungen bzw Stationen, zB auf einen geschlossenen Bereich. Sie bedürfen keiner besonderen Anordnung iSd § 33 Abs 3 UbG. Ihr Rechtstitel ist die Unterbringung selbst und nicht, wie in der Rsp mitunter behauptet, die gerichtliche Zulässigerklärung (so aber AB 11; LG St. Pölten 20. 11. 1991, R 714/91; LGZ Wien 26. 4. 1994, 44 R 346/94; zutreffend wie hier nun OGH 17. 10. 1996, 2 Ob 2320/96g). Da diese Beschränkungen ihre Grundlage in § 33 Abs 2 haben, sind sie schon vor der gerichtlichen Unterbringungsentscheidung zulässig. 2. Die rechtliche Bedeutung des § 33 Abs 2 liegt in der Umschreibung der mit jeder Un- 556 terbringung verbundenen Standardbeschränkung. Sie soll gewährleisten, dass dem Patienten „auch innerhalb des geschlossenen Bereichs ein möglichst großes Maß an Freizügigkeit und Freiheit der Bewegung gesichert“ ist (RV 17): 1. Diese „allgemeine“ Beschränkung muss daher ein gewisses Mindestmaß an verbleibender Bewegungsfreiheit offen lassen; es muss jedenfalls ein über einen Raum hinausgehender Bewegungsspielraum erhalten bleiben, damit noch von einer Beschränkung „auf mehrere Räume oder bestimmte räumliche Bereiche“ gesprochen werden kann. Überdies ist auch dieser allgemeine Bewegungsspielraum in Anwendung der materiellen Kriterien des § 33 Abs 1 individuell festzulegen: Soweit eine engere
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VII. Teil: Vollzug der Unterbringung
Beschränkung zur Abwehr der die Unterbringung rechtfertigenden Gefahr sowie zur Behandlung und Betreuung nicht unbedingt notwendig ist, müssen dem Patienten weiterreichende Bewegungsmöglichkeiten eröffnet werden. Dabei sind vielfältige Abstufungen hinsichtlich der räumlichen und zeitlichen Dimensionen sowie der dabei eingeräumten Freiheit möglich. Zum Ganzen wie hier nun auch OGH 17. 10. 1996, 2 Ob 2320/96g.
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e) Weitergehende Beschränkungen a) Zusätzliche Voraussetzungen formeller Art sieht § 33 Abs 3 für Bewegungsbeschränkungen auf einen Raum oder innerhalb eines Raumes vor. Hierunter fallen Maßnahmen, die über die Beschränkung auf größere topografisch abgegrenzte räumliche Bereiche hinausgehen, in concreto also alle Formen der Einschließung in Einzelräumen („auf einen Raum“) und der mechanischen Fixierung durch Netzbetten, Angurten, Fesselung udgl („innerhalb eines Raumes“) (RV 28; AB 11). Auf die Größe des Raumes oder die Zahl der darin sonst untergebrachten Patienten kommt es nicht an. Auch pflegerisch motivierte, wenngleich physische Beschränkungen der Bewegungsfreiheit unterliegen dem § 33 Abs 3: OGH 20. 11. 1997, 2 Ob 347/97m (zwangsweises Baden).
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b) Weitergehende Beschränkungen sind gem § 33 Abs 3 vom behandelnden Arzt jeweils besonders anzuordnen, in der Krankengeschichte unter Angabe des Grundes zu beurkunden und unverzüglich dem Vertreter des Kranken mitzuteilen. Die Trias aus individueller ärztlicher Anordnung, Begründung und Dokumentation ist Ausdruck eines erhöhten rechtsstaatlichen Legitimationsbedarfes.
1. Die Entscheidungskompetenz für derartige Beschränkungen liegt beim behandelnden Arzt (dies kann im Rahmen des § 3 Abs 3 ÄrzteG auch ein Turnusarzt sein: LG St. Pölten 18. 7. 1995, 11 R 131/95); die selbständige Anordnung durch das Pflegepersonal ist unzulässig und wird durch nachträgliche ärztliche Genehmigung nicht saniert (LG Linz 5. 10. 1995, 13 R 64/95). Diese Entscheidungsbefugnis kann dem nichtärztlichen Personal auch durch eine „ärztliche Ermächtigung“ nicht delegiert werden. 2. Die ärztliche Anordnung muss sich auf die einzelne konkrete Maßnahme beziehen (arg „jeweils besonders“) und darf sich nicht generell auf eine bestimmte Art von Beschränkungen oder auf Beschränkungen innerhalb eines bestimmten Zeitraums erstrecken. Die Verhängung setzt daher eine individuelle ärztliche Beurteilung voraus. 3. Die Begründungs- und Dokumentationspflicht dient der Nachvollziehbarkeit und Überprüfbarkeit der Maßnahme. Diese Aufzeichnungen sind Teil der Krankengeschichte und unterliegen den allgemeinen Regeln des § 10 KAKuG über die Führung von Krankengeschichten (§ 38d KAKuG). Durch die Mitteilung an den Vertreter des Kranken wird dieser in die Lage versetzt, sein Antragsrecht auf gerichtliche Überprüfung (Rz 561) auszuüben. Stellt eine weitergehende Beschränkung zugleich eine Unterbringung iSd § 2 dar (Rz 50, 543), so ist zusätzlich das Gericht gem § 17 UbG zu verständigen: LG Innsbruck 23. 8. 1996, 52 R 110/96. 4. Die besonderen Voraussetzungen des § 33 Abs 3 sind rein formeller Natur. In materiel560 ler Hinsicht gelten die allgemeinen Maßstäbe des § 33 Abs 1 (Rz 550 ff ): Auch die Beschränkungen iSd § 33 Abs 3 müssen zur Abwehr einer ernstlichen und erheblichen Selbst- oder Fremdgefährdung unerlässlich und verhältnismäßig sein, was wegen der größeren Eingriffsintensität freilich eine strengere Beurteilung erfordert (OGH 25. 2. 1993, 2 Ob 605/92). In jedem Fall darf nur das gelindeste noch zum Ziel führende Mittel angewendet werden (OGH 30. 5. 1996, 2 Ob 2100/96, RdM 1996/30). Kann eine Gefährdung auch durch allgemeine Beschränkungen iSd § 33 Abs 2 abgewehrt werden, so sind weitergehende Beschränkungen nicht zulässig (OGH 30. 10. 1998, 1 Ob 287/98g). Fluchtgefahr kann daher zB eine Fesselung oder das Angurten nicht rechtfertigen, weil sich das Entweichen in weniger eingreifender Weise durch Geschlossenhalten von Türen oder vergleichbare Überwachungsmaßnahmen bewerkstelligen lässt (ähnlich LG Wels 22. 5. 2002, 21 R 135/02f ). Folglich kann auch die
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3. Verkehr mit der Außenwelt
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Unterbringung im geschlossenen Bereich gegenüber der Fixierung die gelindere Alternative sein (LG Wels 20. 12. 2000, 21 R 395/00p). 5. Weitergehende Beschränkungen iSd § 33 Abs 3 unterliegen überdies einer gerichtlichen 561 Überprüfung (Rz 725 ff). Das gilt auch dann, wenn die Unterbringung von Anfang an in einem geschlossenen Einzelraum vorgenommen wird: Diesfalls liegt gleichzeitig eine Unterbringung iSd § 2 und eine Beschränkung „auf einen Raum“ iSd § 33 Abs 3 vor. Sie unterliegt daher zusätzlich zum Unterbringungsverfahren auch der Überprüfung nach § 33 Abs 3 iVm § 38: LG Linz 19. 5. 1994, 18 R 331/94 (versperrtes „Aufnahmezimmer“). Beschränkungen auf mehrere Räume oder bestimmte räumliche Bereiche gehören hingegen zu den allgemeinen Beschränkungen iSd § 33 Abs 2 und sind keiner gesonderten Überprüfung zugänglich (OGH 17. 10. 1996, 2 Ob 2320/96g). 6. Zur medizinischen Indikation sowie zu statistischen Daten über Fixierungen untergebrachter Patienten vgl Mathis/Hinterholzer/König, RdM 2004, 40.
3. Verkehr mit der Außenwelt Anders als § 51 Abs 1 KAG, der die Krankenanstalt ganz allgemein zur Beschränkung des Verkehrs mit der Außenwelt ermächtigte, sieht das UbG nun differenziertere Regelungen vor, die an der Art der Kommunikation anknüpfen: a) Schrift- und Postverkehr a) Der Schriftverkehr des Kranken darf gem § 34 Abs 1 nicht eingeschränkt 562 werden. Damit ist nicht nur die Verhinderung (Nichtbeförderung oder Verzögerung), sondern auch jede Form der Zensur oder der unbefugten Zurkenntnisnahme von Schriftstücken ausgeschlossen, unabhängig davon, ob das Schriftstück an den Patienten gerichtet ist oder von diesem ausgeht. 1. Das Verbot von Einschränkungen des Schriftverkehrs gilt absolut, daher selbstverständlich auch für die therapeutisch motivierte Nichtausfolgung von Briefen durch den behandelnden Arzt (LG St. Pölten 24. 6. 2003, 10 R 62/03z). 2. § 34 Abs 1 UbG hat nur klarstellende Bedeutung, weil sich die Unzulässigkeit von Beschränkungen des Schriftverkehrs bereits aus dem Mangel einer dem Art 18 Abs 1 B-VG iVm Art 8, 10 Abs 2 EMRK entsprechenden gesetzlichen Ermächtigung ergibt.
b) Mangels Rechtsgrundlage sind auch Beschränkungen beim Empfang oder 563 Absenden sonstiger Postsendungen (insb von Paketen) nicht zulässig. 1. Die in § 22 RV enthaltene Ermächtigung, Empfang und Absenden „anderer Postsendungen“ zu beschränken, wurde ins UbG nicht übernommen. Die von Hopf/Aigner (§ 34 Anm 2), vertretenen Auffassung, wonach die Anstalt dem Patienten die im Postweg erhaltenen Gegenstände aufgrund der Anstaltsordnung oder „auch aus therapeutischen Erwägungen“ wieder abnehmen dürfe, ist – sieht man von Ausnahmen in Gefahrensituationen ab (Rz 540) – in dieser Allgemeinheit bedenklich, weil die Anstaltsordnung den Mangel einer gesetzlichen Grundlage nicht ersetzen kann. Auch aus „therapeutischen Erwägungen“ ergeben sich keine Eingriffsbefugnisse: Das Behandlungsrecht der §§ 35 ff UbG berechtigt die Anstalt nicht zu sämtlichen Maßnahmen, die der Therapie nützen. 2. Zum – im UbG nicht geregelten – Rechtsschutz bei Postbeschränkungen Rz 766.
c) Aus § 1 Abs 1 UbG und Art 8 EMRK ergibt sich auch eine positive Ver- 564 pflichtung der Anstalt zur Achtung des Briefverkehrs und anderer Kommunikationsmittel. Es müssen daher entsprechende administrative Vorkehrungen zur Empfangnahme und Weiterleitung der Schriftstücke sowie zum Schutz ihrer Vertraulichkeit getroffen werden.
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VII. Teil: Vollzug der Unterbringung
d) Behördliche Schriftstücke einschließlich der gerichtlichen Entscheidungen in Unterbringungssachen sind nach den allgemeinen Bestimmungen des Zustellrechtes an den Patienten zuzustellen. Für eine Anstaltszustellung iSd § 14 ZustellG an Organe der Anstalt gibt es keine gesetzliche Grundlage.
1. Auch eine Ersatzzustellung an Anstaltsorgane kommt nicht in Betracht, da die Bediensteten der Krankenanstalt nicht zum Kreis tauglicher Ersatzempfänger gem § 16 Abs 2 ZustellG gehören (Kopetzki, ÖJZ 1988, 241). Zur erleichterten Zustellung des (gerichtlichen) Sachwalterbestellungsbeschlusses vgl nun § 124 Abs 2 AußStrG. 2. Eine Regel, wonach Fristen in behördlichen Verfahren, in welche die Tage des Postenlaufes nicht eingerechnet werden (zB § 33 Abs 3 AVG; § 89 GOG), für den Angehaltenen bereits mit der Übergabe des Schriftstücks an die Anstaltsorgane gewahrt sind, kennt das UbG nicht. Auch für hinausgehende Schriftstücke können die Anstaltsorgane mangels einer dem § 14 ZustellG entsprechenden Rechtsgrundlage nicht als verlängerter Arm der Post angesehen werden. Anstaltsinterne Verzögerungen gehen daher zu Lasten des Patienten. Im Hinblick auf die Vertretungsbefugnis des Patientenanwaltes bzw die von ihm zu leistende Hilfestellung bei der Wahrnehmung von Rechten des Untergebrachten erscheinen die rechtlichen Interessen des Patienten aber ausreichend gewahrt. 3. Hinsichtlich des Zuganges zivilrechtlicher Willenserklärungen (zB Kündigungen) ist 566 zu beachten, dass bei Anstaltspfleglingen, die einer Anstaltsordnung unterworfen sind, nach postrechtlichen Bestimmungen besondere Regeln für die Abgabe von Postsendungen bestehen (vgl die Allgemeinen Geschäftsbedingungen der Post für den Briefdienst Inland vom Mai 2005, Punkt 3.3.3); schon bisher sah § 148 Postordnung aF die Abgabe der (Brief)sendung an eine von der Anstalt benannte Person (Poststelle) vor, wobei die Postordnung gem § 34 Abs 2 Postgesetz 1997 – sofern Allgemeine Geschäftsbedingungen fehlen – sogar weiterhin anwendbar sein kann). Für all diese Konstellationen gilt jedoch, dass mit der Einhaltung dieser Abgaberegeln die Postsendung dem Empfänger noch nicht rechtswirksam zugegangen ist. Dies ist erst dann der Fall, wenn sie nach Weiterleitung durch die Anstaltsverwaltung so in den Machtbereich des Patienten gelangt, dass unter gewöhnlichen Umständen mit ihrer Kenntnis gerechnet werden kann (zB Aushändigung, Deponierung am Nachtkasten): OGH 26. 4. 1995, JBl 1996, 128. Zur fehlenden Vertretungsbefugnis des Patientenanwalts zur Entgegennahme von Schriftstücken ohne Zusammenhang zur Unterbringung vgl Rz 481.
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b) Besuchsempfang, Telefonieren Das Recht des Kranken, mit anderen Personen zu telefonieren („fernmündlich zu verkehren“) oder Besuche zu empfangen, darf gem § 34 Abs 2 nur eingeschränkt werden, soweit dies zum Wohl des Kranken unerlässlich ist. Noch kein Eingriff in den Besuchsverkehr liegt vor, wenn Besuche durch die Hausordnung auf gewisse Tageszeiten beschränkt werden, solange durch die restriktive Festlegung der Besuchszeiten der Zugang für bestimmte Personen nicht überhaupt vereitelt wird.
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a) Die unbestimmte Eingriffsermächtigung des § 34 Abs 2 zum Schutz des „Wohls“ des Kranken bedarf im Hinblick auf die limitierten Eingriffsziele des Art 8 Abs 2 EMRK einer einschränkenden Auslegung: Demnach darf unter dem „Wohl des Kranken“ nur das gesundheitliche Wohl verstanden werden, da ein anderes der in Art 8 Abs 2 EMRK genannten Rechtsgüter kaum in Frage kommen wird. Doch auch dieses gesundheitliche Wohl ist im Licht des Art 1 Abs 4 PersFrG zusätzlich auf die Abwehr von krankheitsbedingten ernstlichen und erheblichen Gefährdungen der eigenen Gesundheit einzuengen, weil eine darüber hinausgehende Beschränkung des Besuchs- oder Telefonverkehrs dem Zweck der Anhaltung – das ist gem § 3 die Gefahrenabwehr – nicht entspräche.
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1. Nicht zulässig sind daher zB Einschränkungen aus disziplinären Gründen oder zum Schutz wirtschaftlicher Interessen des Kranken. Auch der Schutz von Interessen dritter Per-
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sonen oder der Ordnung in der Anstalt scheidet als Rechtfertigung aus, da dies zwar verfassungsrechtlich zulässig wäre, im UbG aber nicht vorgesehen ist: Unter dem „Wohl des Kranken“ können nur Interessen des Kranken verstanden werden. Der Wunsch des Vaters, die Patientin nur jeden zweiten Tag telefonieren zu lassen, stellt demnach keine Rechtfertigung für Einschränkung des Telefonverkehrs dar (LG Linz 14. 7. 1994, 18 R 456/94). 2. Da Beschränkungen nach Umfang und Dauer „unerlässlich“ sein müssen, rechtfertigt 570 es nicht jede geringfügige „Beunruhigung“ oder Beeinträchtigung des Gesundheitszustandes, den Kranken von jeglichen Außenkontakten abzuschließen; in jedem Fall sind sämtliche Vorund Nachteile abzuwägen. Das bedeutet auch, dass die Notwendigkeit von Besuchs- und Telefonbeschränkungen im Hinblick auf bestimmte Besucher differenziert zu beurteilen ist. Insb für Besuchsbeschränkungen von Angehörigen müssen im Hinblick auf den Schutz des Familienlebens gem Art 8 EMRK strenge Maßstäbe angelegt werden. 3. Nach LGZ Wien 25. 3. 1996, 44 R 214/96, sind Besuchsbeschränkungen zulässig, wenn Patient nach Besuch vermehrt Selbstmordgedanken äußert (was im konkreten Fall verneint wurde). OGH 28. 8. 2003, 8 Ob 94/03m, hat die Zulässigkeit der Beschränkung des Telefonverkehrs mit einer bestimmten Person bejaht, weil diese einen nachteiligen Einfluss auf den Patienten ausübe und die Einschränkung zu einer nachhaltigen Besserung (Aufgabe des Hungerstreiks) geführt habe. 4. Beschränkungen des Besuchs- und Telefonverkehrs zwischen dem Kranken und seinem 571 Vertreter sind gem § 34 Abs 1 unzulässig. Das schließt die Garantie einer ungehinderten Zutritts- und Kontaktmöglichkeit ein. Auch dem Unterbringungsrichter darf der Zutritt zur Anstalt und zum Kranken nicht verwehrt werden (vgl § 38c Abs 2 KAKuG).
b) In formeller Hinsicht entspricht die Rechtslage jener bei weitergehenden 572 Bewegungsbeschränkungen (Rz 558 ff ): 1. Der behandelnde Arzt hat die Einschränkung besonders anzuordnen, in der Krankengeschichte unter Angabe des Grundes zu beurkunden sowie unverzüglich dem Kranken und dessen Vertreter (insb Patientenanwalt) mitzuteilen (§ 34 Abs 2 UbG). 2. Zur Kontrolle von Einschränkungen des Telefon- und Besuchsverkehrs ist das Unter- 573 bringungsgericht zuständig: Auf Verlangen des Kranken oder seines Vertreters hat es über die Zulässigkeit – auch in formeller Hinsicht (LG Linz 14. 7. 1994, 18 R 456/94: Telefonbeschränkung ohne ärztliche Anordnung und Mitteilung an Vertreter) – unverzüglich zu entscheiden (§ 34 Abs 2). Dabei ist die Notwendigkeit objektiv zu prüfen und nicht die Auffassung des Arztes zugrunde zulegen (LGZ Wien 25. 3. 1996, 44 R 214/96). Vgl Rz 725 ff.
c) Da § 34 Abs 2 dem Kranken ausdrücklich ein Recht zum Telefonieren 574 und zum Besuchsempfang einräumt, ist iVm der Schutzpflicht des § 1 Abs 1 UbG anzunehmen, dass der Anstaltsträger für eine effektive Ausübung dieser Rechte Vorsorge treffen muss (zB Besuchsräume, Telefonbenützung). c) Empfang von Nachrichten und Informationen Eine Rechtsgrundlage für Beschränkungen des Informationszuganges (zB 575 Empfang von Büchern, Zeitschriften oder Radiosendungen) enthält das UbG nicht. Derartige Maßnahmen sind mangels gesetzlicher Deckung unzulässig. d) Ausgang und Beurlaubung Im Gegensatz zur älteren Rechtslage enthält das UbG keine ausdrückliche Regelung für Ausgänge oder Beurlaubungen eines untergebrachten Patienten. aa) Ausgang Hinsichtlich des freien Ausgangs, also dem unbegleiteten Verlassen der An- 576 stalt, darf das Schweigen des Gesetzes nicht als Verbot der Ausgangsgewährung
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VII. Teil: Vollzug der Unterbringung
gedeutet werden. Aus dem Umstand, dass die Unterbringung gem § 2 UbG durch Beschränkungen der Bewegungsfreiheit definiert wird, folgt nicht, dass diese Bewegungsbeschränkungen während der Unterbringung ununterbrochen und in gleicher Intensität aufrechterhalten werden müssen. Die permanente Beschränkung der Bewegungsfreiheit auf den Anstaltsbereich ist kein notwendiges Begriffsmerkmal der Unterbringung. Vielmehr sind gem § 33 Abs 1 sämtliche Bewegungsbeschränkungen – also auch die für die Unterbringung typische Beschränkung auf bestimmte räumliche Bereiche – nur insoweit zulässig, als sie zur Gefahrenabwehr sowie zur Behandlung und Betreuung „unerlässlich“ und verhältnismäßig sind. Sobald eine lückenlose Bewegungsbeschränkung im Lichte des § 33 Abs 1, sei es in zeitlicher oder räumlicher Hinsicht, nicht mehr unbedingt erforderlich ist, ist es nicht nur zulässig, sondern auch geboten, die Beschränkung auf das gerade noch notwendige Ausmaß zu reduzieren. Das schließt gegebenenfalls auch das zeitweise Verlassen der Anstalt ein. 1. Wenn die Bewegungsfreiheit nach § 33 Abs 1 nur insoweit eingeschränkt werden darf, als dies im Hinblick auf die dort festgelegten Kriterien (Gefahrenabwehr, Behandlung, Betreuung) unerlässlich ist (Rz 550, 135), dann folgt daraus, dass die Bewegungsfreiheit insoweit wieder hergestellt werden muss, als die Notwendigkeit ihrer Beschränkung wegfällt. Diese schrittweise Wiederherstellung der Freiheit kann nicht nur durch Gewährung eines erhöhten Bewegungsspielraums innerhalb der Anstalts erfolgen, sondern auch dadurch, dass der Patient die Anstalt unter bestimmten Rahmenbedingungen verlassen darf, ohne dass dadurch die Unterbringung insgesamt aufgehoben oder unterbrochen wird. Die Grundlage und die Kriterien für die Erteilung einer Ausgangserlaubnis ergeben sich also unmittelbar aus § 33 Abs 1 UbG. Zur Zulässigkeit der Ausgangsgewährung LGZ Wien 24. 1. 1995, 44 R 7/95; 12. 1. 1999, 44 R 1007/98h. Vgl aber Rz 384; zur Abgrenzung vom (unzulässigen) Urlaub Rz 577. 2. Die Gewährung eines (auch mehrmaligen) kurfristigen Ausgangs schließt das Vorliegen bzw den Fortbestand der Unterbringungsvoraussetzungen nicht grundsätzlich aus (LGZ Wien 12. 1. 1999, 44 R 1007/98h).
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bb) Beurlaubung Im Gegensatz zum freien Ausgang lässt sich die Zulässigkeit der Beurlaubung nicht aus § 33 begründen. Das ist vor dem Hintergrund der restriktiven Unterbringungsvoraussetzungen auch durchaus konsequent: Sobald ein Patient eine so günstige Krankheits- und Gefährdungsprognose aufweist, dass er für größere Zeiträume entweder gefahrlos in Freiheit leben oder sich freiwillig in gewöhnliche Anstaltspflege begeben kann, ist die Unterbringung mangels „ernstlicher und erheblicher“ Gefährdung zur Gänze aufzuheben. Für eine Grauzone angehaltener, jedoch auf jederzeitigen Widerruf in Freiheit befindlicher Personen bietet das UbG keine Grundlage. Da das UbG keine bedingte Entlassung kennt (Rz 777), würde eine Beurlaubung voraussetzen, dass auch der „beurlaubte“ Patient nach wie vor „untergebracht“ ist, weil es sich anderenfalls nicht um eine Beurlaubung des Untergebrachten, sondern um eine Aufhebung der Unterbringung handeln würde. Die Beurlaubung ist mit dem Unterbringungsbegriff aber nicht vereinbar: Aus dem UbG und seinen systematischen Bezügen zum KAKuG ergibt sich, dass der Begriff der Unterbringung die (teil-)stationäre Aufnahme in Anstaltspflege notwendigerweise voraussetzt (vgl Rz 30). Eine stationäre Aufnahme liegt aber nicht mehr vor, wenn sich der Patient für den einen Tag überschreitenden Zeitraum nicht in Anstaltspflege befindet. Wird ein Patient für Tage, Wochen oder Monate „beurlaubt“, so ist er für die Zeit der Beurlaubung weder „in Anstaltspflege aufgenommen“ iSd KAKuG noch „untergebracht“ iSd UbG. Aus rechtlicher Sicht lässt sich dieser Vorgang nur als Entlassung mit anschließender Wiederaufnahme deuten (näher Kopetzki II 787 f; LGZ Wien 10. 9. 1996, 44 R 677/96a).
4. Ärztliche Behandlung
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4. Ärztliche Behandlung Als Reaktion auf die ältere Praxis, aus der gesetzlichen Ermächtigung zur 578 Zwangsanhaltung zugleich eine Ermächtigung zur Zwangsbehandlung abzuleiten, enthalten die §§ 35 ff UbG nun erstmals ausdrückliche Regelungen für die medizinische Behandlung untergebrachter psychiatrischer Patienten. Sie stellen einerseits auf die Einwilligungsfähigkeit des Patienten, andererseits auf die Art der Behandlung ab und bestätigen damit die strikte Unterscheidung zwischen den Voraussetzungen der Unterbringung und den Voraussetzungen der Behandlung. Inhaltlich handelt es sich dabei über weite Strecken um eine Positivierung von Grundsätzen, die im Zivil- und Strafrecht schon bisher anerkannt waren; in manchen Punkten schafft das UbG allerdings eine völlig neue Rechtslage. a) Das Behandlungsrecht des UbG und sein Anwendungsbereich aa) Sachlicher Anwendungsbereich: Heilbehandlungen Die §§ 35 bis 38 regeln die Zulässigkeit der „ärztlichen Behandlung“. Dar- 579 unter sind im vorliegenden Kontext nur die – in § 36 Abs 2 („besondere Heilbehandlung“) ausdrücklich angesprochenen – Heilbehandlungen zu verstehen. 1. Das sind alle ärztlichen Maßnahmen, die auf Grund einer medizinischen Indikation 580 vorgenommen werden, um Krankheiten, Leiden, Körperschäden, körperliche Beschwerden oder seelische Störungen zu erkennen, zu heilen oder zu lindern. Wesentliches Begriffsmerkmal ist demnach die Bindung an die medizinische Indikation, also die Orientierung am medizinisch-therapeutischen Nutzen für den konkreten Patienten; nicht indizierte Eingriffe (zB kosmetische Operationen, nicht medizinisch indizierte Sterilisationen) und fremdnützige Eingriffe, die ihre Zweckbestimmung außerhalb der Person des Patienten haben (zB wissenschaftliche Untersuchungen, Blutabnahmen zu Beweiszwecken), sind keine Heilbehandlung. 2. Nicht jede Maßnahme, die therapeutischen Zielen dient, stellt eine ärztliche (Heil)be- 581 handlung iSd UbG dar. Zusätzlich zu ihrer Zweckorientierung ist erforderlich, dass die Maßnahme hinsichtlich ihrer Begründung und Durchführung fachspezifischen medizinisch-wissenschaftlichen Regeln und Methoden unterliegt (vgl § 35 Abs 1). Disziplinarmaßnahmen oder Anordnungen für die individuelle Lebensführung wie etwa ein Rauch- und Alkoholverbot oder die Verschreibung einer Diät fallen ebensowenig unter den Behandlungsbegriff des UbG wie etwa Beschränkungen der Bewegungsfreiheit oder der Kommunikation, mögen diese auch einem therapeutischen Ziel dienen und die Behandlung unterstützen. Anderenfalls wären die differenzierenden Regelungen der §§ 33 ff überflüssig, weil letztlich alle darin vorgesehenen Maßnahmen in einem therapeutischen Zusammenhang stehen müssen. 3. Der Begriff der Heilbehandlung umfasst neben unmittelbar therapeutischen auch diagnostische und prophylaktische Maßnahmen (OGH 14. 8. 1996, 6 Ob 2117/96h). 4. Das UbG unterscheidet nicht nach der Fachzugehörigkeit einer ärztlichen Behandlung. 582 Es ist daher unrichtig, wenn in der Rsp mitunter die Auffassung vertreten wird, die §§ 35 ff seien nur auf psychiatrische Behandlungen oder nur auf die Behandlung der psychischen Anlasskrankheit anwendbar (so aber LG Innsbruck 20. 3. 1991, 1b R 49/91; wie hier nun LG Innsbruck 12. 9. 1997, 52 R 117/97f). 5. Ärztliches Handeln kann neben individuell-therapeutischen auch andere Ziele verfolgen. Zu denken ist etwa an fremdnützige Maßnahmen (wissenschaftliche Forschung, Arzneimittelprüfung) oder an ärztliche Eingriffe, die neben einer medizinischen auch eine rein soziale „Indikation“ aufweisen können (zB Sterilisation). Die rechtliche Beurteilung solcher Maßnahmen ergibt sich aus anderen Rechtsgrundlagen. Vgl Rz 666 ff. 6. Die Regelungen des UbG über die ärztliche Behandlung, insb die Einwilligung (§ 36) gehen – soweit ihr sachlicher Gehalt reicht – als abschließende Sonderbestimmungen jenen des § 8 Abs 3 KAKuG (LGZ Graz 3. 8. 2000, 6 R 207/00f ) sowie des KindRÄG 2001 (§ 146c ABGB) vor (Kopetzki in Einwilligung und Einwilligungsfähigkeit 18).
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bb) Persönlicher Anwendungsbereich: untergebrachte Patienten 583 a) Die Bestimmungen des UbG über die ärztliche Behandlung gelten nicht für alle Patienten einer psychiatrischen Anstalt (Abteilung). Ebenso wie das UbG als Ganzes gelten auch die §§ 35 ff nur für jene Patienten, die im Sinne des § 2 untergebracht – dh: in ihrer Bewegungsfreiheit beschränkt – sind (AB 11; OGH 18. 9. 1991, 2 Ob 550/91). Das Behandlungsrecht des UbG ist daher bereits ab Beginn der Beschränkungen (und nicht erst ab Abschluss der Aufnahmeuntersuchung) anzuwenden (OGH 13. 2. 1997, 2 Ob 25/97h, RdM 1998/3; anders noch LGZ Graz 15. 11. 1996, 6 R 156/96b). Vgl Rz 205.
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b) Fraglich ist, ob das Behandlungsrecht der §§ 35 ff auch dann anwendbar bleibt, wenn ein untergebrachter Patient aus medizinischen Gründen vorübergehend auf eine andere (nicht psychiatrische) Anstalt oder Abteilung verlegt wird. Der Wortlaut legt dieses Verständnis nicht nahe, da nach § 2 eine Unterbringung iSd UbG nur dann und auch nur solange vorliegt, als der Patient in einer psychiatrischen Anstalt oder einer Abteilung für Psychiatrie untergebracht ist und das UbG keine Sonderregelung für den (vorübergehenden) Vollzug der Unterbringung in anderen Krankenanstalten enthält. Folgt man jedoch der durch AB 5 gestützten Auffassung, dass die Unterbringung funktionell auch dann aufrecht bleibt, wenn der Patient – ohne Aufhebung des Freiheitsentzuges – aus medizinischen Gründen vorübergehend in eine andere Anstalt verlegt wird (vgl Rz 39), dann müsste dies konsequenterweise auch eine fortdauernde Anwendung der vollzugsrechtlichen Bestimmungen des UbG einschließlich jener über die Behandlung (§§ 35 ff ) nach sich ziehen
1. In diesem Sinn Hopf /Aigner § 35 Anm 1; dagegen Vorauflage Rz 584. Das hätte zur Folge, dass zB auch größere chirurgische oder gynäkologische Eingriffe, die sich nicht ambulant durchführen lassen, sondern eine Transferierung auf eine (andere) Fachabteilung voraussetzen, nach UbG zu beurteilen wären. Anders noch LG Klagenfurt 18. 3. 1998, 1 R 58/98v (Operation auf chirurgischer Abteilung nicht nach § 36 Abs 2 UbG genehmigungsfähig). 2. Die Auffassung, das UbG bleibe bei medizinisch indizierter Verlegung eines Untergebrachten auch außerhalb der psychiatrischen Einrichtung anwendbar, wird nun auch durch VfSlg 16.119 gestützt; allerdings ging es dort nur um die Phase der Überstellung zwischen zwei psychiatrischen Anstalten (Rz 184/1). Die Frage harrt also einer höchstgerichtlichen (besser: gesetzlichen) Klärung, zumal die temporäre Anwendung des UbG in nichtpsychiatrischen Krankenanstalten ungelöste Probleme aufwirft: Unklar sind nicht nur die zeitliche Begrenzung („vorübergehend“?) und die Abgrenzung der Verantwortung zwischen der für die (Aufrechterhaltung der) Unterbringung und der für die Behandlung zuständigen Anstalt. Es drohen auch Rechtsschutzlücken, weil der nichtpsychiatrischen Anstalt die für die Vollziehung des UbG nötigen Strukturen (zB psychiatrische Fachärzte, Patientenanwälte) fehlen. 3. Das UbG bleibt nach einer Verlegung jedenfalls auch dann anwendbar, wenn mit der nicht-psychiatrischen Anstalt ein Angliederungsvertrag iSd § 19 KAKuG besteht, weil die Patienten der angegliederten Anstalt in diesem Fall als Patienten der Hauptanstalt gelten. 4. Seit jeher unbestritten ist die Anwendbarkeit der §§ 35 ff auf Behandlungen von (un585 tergebrachten) Patienten, die ambulant in einer anderen (insb psychiatrischen) Anstalt vorgenommen werden: LG Innsbruck 22. 10. 1993, 2b R 170/93; 12. 9. 1997, 52 R 117/97f.
b) Allgemeine Grundsätze für Heilbehandlungen aa) Grundsätze und anerkannte Methoden der medizinischen Wissenschaft 586 Nach § 35 Abs 1 UbG darf der Kranke nur nach den Grundsätzen und anerkannten Methoden der medizinischen Wissenschaft ärztlich behandelt wer-
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den. Dieser – aus § 8 Abs 2 KAKuG übernommene – Grundsatz bezieht sich sowohl auf die Indikationsstellung, das ist die Auswahlentscheidung über die Anwendung einer bestimmten Methode, als auch auf die Art und Weise ihrer faktischen Durchführung. Er umfasst zwei Elemente, die beide auf außerrechtliche Maßstäbe verweisen und die im Einzelfall anhand des aktuellen Erkenntnisstandes der Medizin zu beurteilen sind: zum einen die Bindung an wissenschaftlich begründete medizinische Methoden, womit im wesentlichen die rational nachvollziehbare und überprüfbare Ableitung aus empirisch nachweisbaren oder offengelegten hypothetischen Prämissen durch adäquate Methoden angesprochen ist; und zum anderen die Anerkennung dieser Methoden. 1. Unter den „anerkannten Methoden“ sind jene Behandlungsverfahren zu verstehen, die 587 „sowohl in der Fachwissenschaft des Inlandes oder Auslandes als klinisch erprobte und erfolgversprechende Behandlungsmethoden anerkannt sind“ (164 BlgNR 8. GP 7 zum inhaltsgleichen [AB 11] § 8 Abs 2 KAKuG). Auch in der Rsp wird eine Behandlungsmethode grundsätzlich solange als fachgerecht angesehen, als sie von einer anerkannten Schule medizinischer Wissenschaft vertreten wird, es sei denn, dass eine bislang praktizierte Methode von einem gewichtigen Teil der Wissenschaft und Praxis für bedenklich gehalten wird: Vgl OGH SZ 62/53 = RZ 1989/101 mwN; zu § 35 UbG LGZ Wien 17. 3. 1992, 44 R 1112/91; 26. 4. 1994, 44 R 346/94; Hopf/Aigner § 35 Anm 3. 2. In der praktischen Anwendung führt der Verweis auf die „anerkannten Methoden“ typischerweise zu mehreren zulässigen Vorgangsweisen. In diesem Rahmen ist den Ärzten hinsichtlich der Auswahl und Anwendung der Behandlungsmethoden ein Ermessensspielraum eingeräumt, der als ärztliche Therapiefreiheit bezeichnet werden kann. Diese unter ärztlicher Verantwortung zu treffende Auswahlentscheidung klingt auch in 164 BlgNR 8. GP 7 an. Determinanten dieser Ermessensausübung sind nicht nur die allgemeinen Ziele ärztlichen Handelns – also die Orientierung am gesundheitlichen Wohl des Patienten –, sondern auch die subjektive Befähigung des behandelnden Arztes. 3. Die Bindung an die „anerkannten“ Behandlungsmethoden bedeutet kein striktes Ver- 588 bot neuartiger, noch nicht allgemein anerkannter diagnostischer und therapeutischer Verfahren. Heilversuche sind zulässig, wenn es keine allgemein anerkannte konventionelle Methode gibt oder diese eine geringere Erfolgsaussicht und/oder höhere Risken aufweist. § 35 Abs 1 UbG und § 8 Abs 2 KAKuG verbieten nur das Abweichen von anerkannten Methoden zugunsten weniger erprobter und uU mit größerem Risiko behafteter Methoden, nicht aber den Einsatz neuer medizinischer Verfahren in Fällen, in denen eine anerkannte Methode fehlt oder weniger erfolgversprechend ist. In derartigen Konstellationen kann auch der therapeutische Versuch eine anerkannte Vorgangsweise darstellen. Unverzichtbar ist allerdings, dass die Anwendung der noch nicht anerkannten Methode aus therapeutischen (und nicht forschenden) Interessen erfolgt und jenem Standard rationaler Begründbarkeit entspricht, der für eine kunstgerechte ärztliche Behandlung auch sonst geboten ist (vgl auch Rz 665 ff ).
bb) Verhältnismäßigkeit a) Gem § 35 Abs 1 UbG ist die Behandlung nur insoweit zulässig, „als sie zu 589 ihrem Zweck nicht außer Verhältnis steht“. Damit wird der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit sowohl hinsichtlich der Art und Schwere des Eingriffs und dessen Folgen als auch hinsichtlich der Dauer der Behandlung zum Ausdruck gebracht (AB 11; OGH 19. 9. 1994, 4 Ob 549/94, RdM 1995/2). Der Sinn dieses behandlungsspezifischen Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes liegt nicht in einem Verbot nichttherapeutischer medizinischer Maßnahmen. Er erschöpft sich auch nicht in der Aussage, dass die mit der Behandlung verbundenen gesundheitlichen Risken und Nebenwirkungen in Bezug auf die von der Behandlung erhofften gesundheitlichen Vorteile und die Gefahren der Nichtbehandlung einer Verhältnismäßigkeitsprüfung (iS der Eignung, Notwendigkeit und Angemessenheit) standhalten müssen. Beides ist ohnehin selbstverständ-
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lich und ergibt sich bereits aus anderen Bestimmungen des UbG (Kopetzki II 796). Die Verhältnismäßigkeit von Behandlungsmaßnahmen muss vielmehr auch und gerade zwischen dem mit der Behandlung gegebenenfalls einhergehenden Grundrechtseingriff und den damit verfolgten Behandlungszwecken gewahrt sein. Für die Beurteilung, ob eine Behandlung im Hinblick auf ihren Zweck „außer Verhältnis“ steht, kommt es daher nicht nur auf das Verhältnis der gesundheitlichen Vor- und Nachteile an. Zu prüfen ist insb auch, ob ein bestimmtes Behandlungsziel einschließlich der mit seiner Verfolgung verknüpften Risken, Neben- und Folgewirkungen in Relation zu dem durch Art 8 EMRK geschützten Selbstbestimmungsrecht des Patienten verhältnismäßig ist (LGZ Wien 16. 2. 1993, 44 R 33/93). In diesem Sinn hat LG Innsbruck 5. 2. 1992, 3b R 19, 21/92 (Elektroschockbehandlung) sowohl eine Risikoabwägung zwischen therapeutischem Ziel und Nebenwirkungen als auch zwischen dem gesundheitlichen Nutzen insgesamt und dem Eingriff in das Selbstbestimmungsrecht vorgenommen. Dass eine Behandlung aus medizinischer Sicht „normal“ und „üblich“ ist, rechtfertigt ihre zwangsweise Durchführung für sich genommen noch nicht (so aber LGZ Wien 16. 2. 1993, 44 R 33/93). Im Ergebnis wie hier OGH 19. 9. 1994, 4 Ob 549/94, RdM 1995/2 Anm Kopetzki: Abzuwägen sind der mit der Behandlung verbundene Eingriff in die Persönlichkeitsrechte einerseits und das therapeutische Ziel der Behandlung andererseits. Zur Verhältnismäßigkeitsprüfung auch OGH 22. 6. 1995, 6 Ob 546/95, RdM 1996/2 = SZ 68/117 (Sondenernährung bei Anorexia nervosa verhältnismäßig, weil die Patientin ein kritisches Untergewicht erreicht habe und eine Gewichtserhöhung auf andere Weise nicht zu erzielen gewesen sei); OGH 14. 8. 1996, 6 Ob 2117/96h (Cava-Katheter).
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b) Aus dem Blickwinkel der Verhältnismäßigkeitsprüfung macht es einen Unterschied, ob der Patient einsichts- und urteilsfähig ist (und die Behandlung daher nach § 36 durch seine Zustimmung gedeckt sein muss, Rz 640 f ), oder ob dem Patienten diese Einsichtsfähigkeit fehlt (und die Behandlung daher ohne oder gegen seinen Willen erfolgen darf, Rz 642 ff ):
1. Beruht die Behandlung auf einer (nach Aufklärung erteilten) Zustimmung des einsichtsfähigen Patienten, dann stellt sich die Frage nach der Verhältnismäßigkeit eines Grundrechtseingriffs nicht; die fachgerechte Durchführung einer konsentierten ärztlichen Heilbehandlung greift nicht in die Grundrechte des Patienten ein. In diesem Fall ist die Entscheidung über die Behandlungsziele und die Risikoabwägung durch den Willen des Patienten hinreichend legitimiert. 2. Anders hingegen bei Behandlungen ohne Zustimmung: Dies stellt einen Eingriff in das 591 Recht auf Privatleben dar, bei dem – über gesundheitliche Nutzen/Schaden-Abwägungen hinaus – zu prüfen ist, ob er im Hinblick auf den Heilzweck geeignet, unbedingt erforderlich und angemessen ist. Bei dieser Prüfung ist sowohl auf die Dringlichkeit der Behandlung (bzw die Schwere der Folgen ihres Unterbleibens) als auch auf Intensität, Art und Dauer des Eingriffs in das Selbstbestimmungsrecht des Betroffenen abzustellen. Dabei kann sich zB ergeben, dass die Durchführung bestimmter Behandlungsmaßnahmen gegen den Willen des Patienten nicht zielführend (zB Psychotherapie) oder mit unnötigen Gefahren verbunden ist (ungeeignetes Mittel), dass mit der Vornahme einer nicht dringenden Behandlung gegenüber einem in seiner Einsichtsfähigkeit nur temporär beeinträchtigten Patienten zugewartet werden könnte, um ihn zur Mitwirkung zu bewegen und seine Zustimmung in einem „lichten Augenblick“ einzuholen, oder dass das gleiche Ziel mit schonenderen Mitteln erreicht werden könnte (nicht erforderlicher Eingriff). Vgl LG Innsbruck 25. 2. 1994, 2b R 123/93: (kurzzeitige) Fixierung eines aggressiven Patienten wäre gegenüber Zwangsbehandlung mit Haldol das „verhältnismäßigere“ Mittel gewesen; OGH 22. 6. 1995, 6 Ob 546/95, RdM 1996/2 = SZ 68/117: Sondenernährung bei Anorexia nervosa zulässig, weil die Alternative der – ebenfalls zwangsweisen – enteralen Ernährung keine weniger eingreifende Methode ist; LG Salzburg 22. 12. 1999, 21 R 553/99s: Sondenernährung bei Anorexia nervosa verhältnismäßig, wenn Zustand der Unterernährung kritisch und Gewichtszunahme anders nicht erzielbar. 3. Eine aus medizinischer Sicht verhältnismäßige Behandlung kann auch im Hinblick auf ihre Begleitumstände unverhältnismäßig sein. Die Ausübung physischen Zwanges setzt – als extremste Variante zustimmungsloser Behandlung – immer einen dringenden therapeutischen Handlungsbedarf voraus.
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4. Gem Art 1 Abs 4 PersFrG müssen auch Beschränkungen der körperlichen Selbstbestim- 592 mung „dem Zweck der Anhaltung angemessen“ sein. Der verfassungsrechtlich vorgezeichnete Zweck der Anhaltung ist die Gefahrenabwehr, nicht die Gesundheitsfürsorge. Das schließt zwar die unfreiwillige Behandlung des (einwilligungsunfähigen) Patienten nicht aus, sofern die psychiatrische Therapie das (geeignete) Mittel der Wahl zur Beseitigung der von ihm ausgehenden krankheitsbedingten Selbst- oder Fremdgefährdung darstellt oder soweit drohende Schädigungen während der Unterbringung durch sonstige Krankheiten hintangehalten werden müssen. Unter dem Aspekt der sachlich und zeitlich limitierten Zielsetzungen der Unterbringung dürfen die Eingriffsermächtigungen des UbG aber nicht dazu herangezogen werden, um dem Untergebrachten eine weitergehende und über die Unterbringungszwecke – insb auch über den voraussichtlichen Unterbringungszeitraum – hinausreichende gesundheitliche Fremdbestimmung angedeihen zu lassen (vgl OGH 19. 9. 1994, 4 Ob 549/94, RdM 1995/2). Auch für die Zwangsbehandlung ist also eine nicht anders abwendbare Gefahr für die durch die Unterbringung geschützten Rechtsgüter unumgänglich. Vgl OGH RdM 1995/2: Zustimmungslose Behandlungen sind unter dem Aspekt der Verhältnismäßigkeit „nur bei besonderer Dringlichkeit zulässig“ (ebenso LG St. Pölten 21. 8. 1996, 11 R 274/96; ähnlich LGZ Graz 11. 3. 2002, 6 R 64/02d: Zwangsinjektion mangels drohender Eigen- oder Fremdgefährdung unzulässig). In RdM 1995/2 bejahte der OGH die Verhältnismäßigkeit einer Zwangsbehandlung mittels Depotinjektion, da sie ein therapeutisches Ziel hatte und im Hinblick auf einen vorangegangenen Selbstmordversuch und die noch andauernden Halluzinationen auch die gebotene Dringlichkeit aufgewiesen habe. LG Korneuburg 13. 7. 2004, 25 R 135/04m, verneinte die Zulässigkeit zwangsweiser oraler Zuführung von Psychopharmaka mangels besonderer Dringlichkeit der Zwangsbehandlung, zumal auch die Unterbringungsvoraussetzungen nicht erfüllt waren. LGZ Graz 11. 8. 2000, 6 R 220/00t, verneinte Zulässigkeit intravenöser Sedierung zwecks Verhinderung der Flucht aus geschlossener Abteilung, da dieses Ziel durch organisatorische Maßnahmen sicherzustellen wäre. 5. Während die Wahl der Therapieziele bei einwilligungsbedürftigen Behandlungen im 593 Einvernehmen mit dem Patienten erfolgt und durch dessen Einwilligung hinreichend legitimiert ist, trifft dies auf fremdbestimmte Behandlungen nicht zu. Sie bedürfen eines externen Maßstabs. Die aus dem Gesetz ableitbaren Kriterien sind freilich unbestimmt und beschränken sich auf das „Wohl“ des Kranken und die Grundsätze der ärztlichen Wissenschaft gem § 49 Abs 1 ÄrzteG. Bei einer körperlichen Behandlung ergibt sich eine nähere Präzisierung des Behandlungsziels meist aus der Natur der Sache. Bei psychiatrischen Behandlungen sind die zur Diskussion stehenden Ziele nicht von gleicher Evidenz. Orientiert man sich an den Wertmaßstäben einer auf der Idee individueller Selbstbestimmung aufbauenden Rechtsordnung, so wird als Ziel der Behandlung in erster Linie die „Zunahme der Selbstverfügbarkeit“ in Betracht kommen, also die Wiederherstellung eines Zustandes der Entscheidungs- und Dispositionsfähigkeit, der die Notwendigkeit der Fremdbestimmung tendenziell beseitigt und den Patienten wieder in die Lage versetzt, autonome Behandlungsentscheidungen zu treffen. Vgl Kopetzki II 799 f.
cc) Ethikkommissionen Gem § 8c KAKuG und den KAG der Länder ist die Beurteilung durch eine 594 Ethikkommission nicht nur bei Durchführung klinischer Arzneimittelprüfungen, sondern allgemein bei der „Anwendung neuer medizinischer Methoden“ vorgeschrieben. Unter neuen medizinischen Methoden sind gem § 8c Abs 3 KAKuG Methoden zu verstehen, „die auf Grund der Ergebnisse der Grundlagenforschung und angewandten Forschung sowie unter Berücksichtigung der ärztlichen Erfahrung die Annahme rechtfertigen, dass eine Verbesserung der medizinischen Versorgung zu erwarten ist, die jedoch in Österreich noch nicht angewendet werden und einer methodischen Überprüfung bedürfen“. 1. Eine „neue“ Methode liegt auch dann vor, wenn eine bislang als überholt geltende Methode wiedereingeführt werden soll oder wenn eine bereits angewandte Methode auf neue Indikationsgebiete ausgedehnt wird.
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2. § 8c KAKuG ergänzt § 8 Abs 2 KAKuG, indem er neuartige Behandlungsmethoden einem besonderen Prüfungsverfahren unterwirft. Die Grundsätze des § 8 Abs 2 KAKuG bzw § 35 Abs 1 UbG werden damit nicht durchbrochen: § 8c KAKuG darf nicht als Ausnahme von den „anerkannten Methoden der medizinischen Wissenschaft“ oder als Einbruchsstelle für nicht indizierte Versuche ausgelegt werden. Die Formulierung, wonach „eine Verbesserung der medizinischen Versorgung zu erwarten“ sein muss, ändert nichts daran, dass die Anwendung neuer Methoden immer auch für den konkreten Patienten von Nutzen sein muss, weil die Routineverfahren versagen oder einen geringeren Behandlungserfolg erwarten lassen. 3. Die Beurteilung durch die Ethikkommission kann und soll weder eine fachlich-medizinische noch eine juristische Prüfung der Behandlungsmaßnahme ersetzen. Den „Entscheidungen“ der Ethikkommissionen kommt – von hier nicht in Betracht kommenden Ausnahmen bei der klinischen Arzneimittelprüfung abgesehen – keine unmittelbare rechtliche Verbindlichkeit zu. Es besteht lediglich eine Befassungspflicht. Die Beurteilung durch die Ethikkommission hat nur beratenden Charakter, sie schmälert nicht die Verantwortung der behandelnden Ärzte und bindet auch nicht das Unterbringungsgericht bei der Entscheidung über die Genehmigung bestimmter (besonderer) Heilbehandlungen (§ 36 UbG).
dd) Freie Arztwahl? Ein „Recht auf freie Arztwahl“ besteht für untergebrachte Patienten ebensowenig wie für Pfleglinge von Krankenanstalten im allgemeinen. Eine rechtliche Einflussnahme auf die Person des behandelnden Arztes ist nur insofern gegeben, als der Patient die Erteilung der Behandlungszustimmung (sofern nach § 36 erforderlich) von der Behandlung durch einen bestimmten Arzt abhängig machen und daher einzelne Ärzte ausschließen kann. c) Aufklärung Gem § 35 Abs 2 sind dem Kranken der Grund und die Bedeutung der Behandlung zu erläutern, sofern dies seinem Wohl nicht abträglich ist. Ist der Patient minderjährig oder ist ihm ein Sachwalter bestellt, dessen Wirkungskreis Willenserklärungen zur Behandlung des Kranken umfasst, so ist diese Erläuterung auch dem gesetzlichen Vertreter und Erziehungsberechtigten zu erteilen. Dem Patientenanwalt ist die Erläuterung auf dessen Verlangen zu geben. aa) Allgemeines Die Regelung des § 35 Abs 2 lehnt sich bewusst an die von der Rsp entwickelten Richtlinien zur ärztlichen Aufklärungspflicht an (RV 11). Insofern positiviert das UbG nur die schon bisher überwiegend aus dem Zivil- und Strafrecht abgeleiteten Grundsätze der ärztlichen Aufklärung.
1. Soweit sich aus Systematik und Zielsetzung des UbG nichts anderes ergibt, kann für die Klärung von Zweifelsfragen auf die einschlägige Rsp zurückgegriffen werden. Vgl nur OGH SZ 59/18; 55/114 = JBl 1983, 372 Anm Holzer; SZ 57/207 = JBl 1985, 548 = EvBl 1985/85; SZ 62/154 = JBl 1990, 459; JBl 1991, 316 = JAP 1990/91, 232 Anm Bernat; JBl 1991, 455; EvBl 1993/3 = JBl 1992, 520 Anm Apathy; RdM 1994/1; SZ 69/199; RdM 1994/20; 1995/11; 1995/15; 1996/11-12; 1996/24-25; 1997/28-29; 1998/7; 1998/21; 1999/11; 2000/2; 2000/13; 2000/1; 2001/2; 2001/16; 2001/21; 2001/22; 2001/27; 2001/28; 2001/29; 2002/2-3; 2004/51-53; 2004/37; 2004/95; mwN Kopetzki II 802 ff; Kletecka, Aufklärung, in Aigner ua (Hg), Handbuch Medizinrecht für die Praxis (2003) I/71. 2. Durch ihren Geltungsgrund im UbG ist die Aufklärungspflicht von der Frage nach der 599 Behandlungszustimmung losgelöst: Der Patient ist nach Maßgabe des § 35 Abs 2 selbst dann aufzuklären, wenn seine Zustimmung zur Behandlung nicht erforderlich ist.
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bb) Sinn und Zweck der ärztlichen Aufklärung Der Patient soll aufgrund der Aufklärung einen Einblick in seinen Gesundheitszustand und in den künftigen Behandlungsverlauf gewinnen. Dabei lassen sich unterschiedliche Zielsetzungen der Aufklärung unterscheiden: a) Die zentrale Funktion der Aufklärung liegt in der Wahrung der körperlichen Selbstbe- 600 stimmung: Durch die Aufklärung soll der Patient jene Informationen erhalten, die ihn überhaupt erst in die Lage versetzen, seine Entscheidungsrechte (§ 36 Abs 1) in Bezug auf die Heilbehandlung auszuüben: Eine wirksame Einwilligung in medizinische Maßnahmen setzt voraus, dass der Patient die Tragweite seines Entschlusses erfassen kann. Unter diesem Aspekt ergänzt die Aufklärungspflicht die Einwilligungsregelung des § 36. Aus dem Blickwinkel der körperlichen Selbstbestimmung würde die Aufklärungspflicht allerdings enden, wenn dem Patienten mangels Einwilligungsfähigkeit gar keine Entscheidungsbefugnisse mehr zustehen (§ 36 Abs 2). b) Hinzu kommt eine therapeutische Funktion der Aufklärung. Gerade in der Psychiatrie hängt der Erfolg ärztlicher Behandlungen wesentlich von der Mitwirkung des Patienten ab. Dies setzt voraus, dass der Patient die Behandlungsziele versteht, akzeptiert und dafür gegebenenfalls auch Nebenwirkungen und Risken in Kauf nimmt. Unter diesem Aspekt ist die Aufklärungspflicht Element der Heilbehandlung und wird durch ihre therapeutische Zielsetzung begrenzt. Sie endet, wenn die Aufklärung dem Patienten zusätzlichen gesundheitlichen Schaden zufügen würde. Bei Konflikten zwischen den Aufklärungszielen der Selbstbestimmung und der Therapie räumt das UbG dem Therapiezweck Vorrang ein: Die Aufklärung darf dem Wohl des Patienten „nicht abträglich sein“ (§ 35 Abs 2); Rz 614 ff. c) Da die gesetzliche Verpflichtung zur Aufklärung weder deren therapeutische Notwendigkeit voraussetzt noch mit der Einwilligungskompetenz des Patienten verknüpft ist, muss § 35 Abs 2 schließlich auch als Quelle eines selbständigen Informationsanspruches des Patienten gedeutet werden, dessen Bedeutung über die Wahrung der körperlichen Selbstbestimmung und der Therapiezwecke hinausreicht. Insofern garantiert das UbG dem Patienten einen eigenständigen Anspruch auf Zugang zu den ihn betreffenden Informationen und folgt damit dem Gedanken der informationellen Selbstbestimmung. Der Patient soll auch dann, wenn die Einwilligungskompetenz Dritten zukommt oder wenn überhaupt keine Einwilligung erforderlich ist, nicht bloßes Objekt der Behandlung sein, sondern über seine Krankheit und die Behandlungsmaßnahmen informiert werden. Auch dieses Informationsrecht unterliegt allerdings dem „therapeutischen Vorbehalt“ und ist durch diesen limitiert.
cc) Adressaten der Aufklärung a) Aufzuklären ist zunächst immer der Patient selbst, unabhängig von seiner 601 Einwilligungsfähigkeit. Auch Patienten, die im Rahmen des § 36 Abs 1 ohne ihre Einwilligung behandelt werden, dürfen nicht im Unklaren über ihren Zustand und über die durchgeführte Therapie gelassen werden. Grenzen der Aufklärungspflicht können sich aus therapeutischen Rücksichten sowie aus den objektiven Verständigungsmöglichkeiten ergeben. b) Ist der Patient minderjährig, so ist gem § 35 Abs 2 auch der Erziehungs- 602 berechtigte aufzuklären. Hat der Patient einen Sachwalter, dessen Wirkungskreis Willenserklärungen zur Behandlung umfasst, dann ist auch der Sachwalter aufzuklären. 1. Der Sinn dieser Ausdehnung des aufzuklärenden Personenkreises liegt in erster Linie darin, dass den genannten Personen gem § 36 die Befugnis zur Einwilligung in die Behandlung zukommt, wenn der Patient selbst nicht einsichts- und urteilsfähig ist. 2. Die Aufklärungspflicht gegenüber den Erziehungsberechtigten und dem Sachwalter geht weiter als deren Einwilligungsbefugnisse reichen: Dass dem Patient zB ein Sachwalter bestellt ist, der nach seinem Wirkungskreis zur Behandlungszustimmung zuständig ist, sagt
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noch nichts darüber aus, ob dieser Sachwalter im Einzelfall wirksam für den Patienten einwilligen kann; dies setzt nach § 36 Abs 2 nämlich noch voraus, dass dem Patienten die hiezu nötige Einsichts- und Urteilsfähigkeit fehlt (Rz 645). Nach § 35 Abs 2 ist der Sachwalter aufgrund seines abstrakt formulierten Wirkungskreises aber auch dann aufzuklären, wenn der Patient in concreto einsichts- und urteilsfähig ist und daher gem § 36 Abs 1 allein er – und nicht der Sachwalter – über die Durchführung der Behandlung entscheiden kann.
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c) Der Patientenanwalt ist nur aufzuklären, wenn er es verlangt. Da der Patientenanwalt ohnehin regelmäßig in der Anstalt anwesend ist und er sich die nötigen medizinischen Informationen über die von ihm vertretenen Patienten gem § 39 (Einsicht in die Krankengeschichte) von sich aus beschaffen kann, wird ihm in diesem Zusammenhang die Initiative überlassen (AB 11). 604 d) Andere Personen (zB Angehörige) müssen und dürfen im Hinblick auf die ärztliche Schweigepflicht grundsätzlich nicht aufgeklärt werden, es sei denn, der Patient erteilt hiezu – ausdrücklich oder konkludent – seine Zustimmung.
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dd) Aufklärungspflichtige Personen Die Aufklärung des Patienten ist grundsätzlich Aufgabe des behandelnden Arztes (OGH SZ 55/114; RdM 1994/20) und darf nicht an nichtärztliches Personal delegiert werden. Das gilt auch in der Unterbringung, da die Aufklärung ein Element der ärztlichen Tätigkeit darstellt und daher schon deshalb den Ärzten vorbehalten ist. Auch die Entscheidung über den Umfang der Aufklärung obliegt zunächst dem behandelnden Arzt.
1. Sind mehrere Ärzte kontinuierlich an der Behandlung beteiligt, wie dies in einem arbeitsteiligen Anstaltsbetrieb typischerweise der Fall ist, so muss der Patient nicht von jedem Arzt neuerlich umfassend aufgeklärt werden: Es genügt eine sukzessive, stufenweise Aufklärung. Dabei hat sich der jeweils behandelnde Arzt aber über den Stand der Aufklärung des Patienten zu vergewissern. Wirken an der Behandlung Ärzte unterschiedlicher Spezialfächer mit, so ist jeder von ihnen für die fachspezifische Aufklärung zuständig. 2. Eine Delegation der Aufklärung an andere Ärzte (auch an Turnusärzte: vgl OGH RdM 1998/21) ist grundsätzlich zulässig (und im arbeitsteiligen Prozess oft unvermeidbar), solange der tatsächlich aufklärende Arzt die Aufklärung korrekt durchführt. 3. Art und Umfang der Aufklärung sind grundsätzlich im Rahmen jener Rechtsschutzwe606 ge nachprüfbar, die zur Kontrolle der ärztlichen Behandlung offenstehen (Rz 730, 764).
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ee) Gegenstand und Umfang der Aufklärung Aufzuklären ist gem § 35 Abs 2 über „Grund und Bedeutung der Behandlung“. Der Patient soll das Wesen und die Bedeutung der geplanten Behandlung erfassen und die mit der Behandlung verbundenen Risiken in den Grundzügen verstehen können. Gegenstand der gebotenen Aufklärung sind neben der Diagnose (arg „Grund“) die Art und Wirkung der geplanten Behandlung, die damit verbundenen Risiken und Nebenwirkungen (Risikoaufklärung) sowie der Bestand weniger gefährlicher oder besseren Erfolg versprechender alternativer Behandlungsmethoden. 1. Der Umfang der Aufklärung hat sich an einer Vielzahl von Kriterien wie dem individuellen Auffassungs- und Verständnisvermögen des Patienten, der Art der Erkrankung und der Behandlung, bestehenden Vorinformationen (OGH RdM 1994/20), besonderen Informationswünschen, der psychischen Belastbarkeit, möglichen Risken und Komplikationen sowie bestehenden Behandlungsalternativen (vgl OGH JBl 1991, 455; RdM 1994/1; 2000/4;
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2004/52) zu orientieren. Als grobe Richtlinie kann gelten, dass die Aufklärung umso eingehender sein muss, je weniger dringlich die Behandlung und je größer die Wahrscheinlichkeit einer Schädigung ist (OGH SZ 55/114; RdM 1994/20; RdM 2002/3). Strenge Anforderungen gelten für diagnostische Eingriffe, die nicht unmittelbar der Heilung oder Rettung des Patienten dienen (OGH SZ 59/18 = EvBl 1987/13 [Lumbalpunktion], OGH JBl 1992, 520 = EvBl 1993/3). Über typische Risiken bzw Nebenwirkungen von einiger Erheblichkeit ist unabhängig von ihrer Wahrscheinlichkeit immer aufzuklären (OGH SZ 62/154 = JBl 1990, 459; RdM 1994/1; RdM 1994/25 = JBl 1995, 245; RdM 1995/15; RdM 2002/3); das trifft zB auf die typischen Nebenwirkungen einer Behandlung mit Neuroleptika zu. Aufzuklären ist auch über – wenn auch objektiv unbedeutende – Risken, wenn diese in einer für den Arzt erkennbaren Weise für den Patienten aus besonderen Gründen wichtig sind (OGH JBl 1991, 317). Einem ausdrücklich bekundeten Informationsbedürfnis ist zu entsprechen. Andererseits braucht der Patient nicht darüber aufgeklärt werden, was er ohnehin schon weiß. 2. Besondere Bedeutung kommt der Aufklärung über Nebenwirkungen zu, die den uninformierten Patienten überraschen und erschrecken oder zusätzlich gefährden können. Eine heimliche Verabreichung von Arzneimitteln, etwa durch Beimischung zur Nahrung, ist nach dem Gesagten grundsätzlich nicht zulässig. Ausnahmen sind nur im Rahmen des therapeutischen Vorbehalts nach § 35 Abs 2 denkbar. Ob dieser freilich die Unterlassung jeglicher Aufklärung erlaubt, wie das LGZ Wien 7. 6. 1994, 44 R 452/94 (heimliche Verabreichung von Beruhigungsmittel durch § 35 Abs 2 gerechtfertigt) meint, ist fraglich. 3. Die unbedingte Formulierung der Aufklärungspflicht bedeutet nicht, dass dem Patien- 609 ten die Aufklärung aufzuzwingen ist. Der Patient kann auf seine Aufklärung ganz oder teilweise verzichten (OGH SZ 55/114). Anders liegt der Fall nur, wenn die Aufklärung aus therapeutischen Gründen unbedingt erforderlich ist; sie ist immer zu erteilen, weil sonst ein Verstoß gegen die leges artis und somit ein Behandlungsfehler vorläge. Zurückhaltung ist bei der Annahme eines konkludenten Aufklärungsverzichts geboten: Das Schweigen des Patienten rechtfertigt nicht den Schluss, er wolle nicht weiter aufgeklärt werden. Es bedarf immer eines vorbereitenden Gespräches, im Zuge dessen der Arzt erst beurteilen kann, ob Anhaltspunkte für einen allenfalls auch konkludenten Verzicht auf weitere Aufklärung gegeben sind (OGH 1. 4. 1987, 3 Ob 645/86; SZ 57/207 = JBl 1985, 551 = EvBl 1985/85).
ff) Form und Zeitpunkt der Aufklärung a) Auf welche Art und Weise die Aufklärung durchzuführen ist, richtet sich 610 nach den Umständen des Einzelfalls. Leitender Gesichtspunkt ist, dass der Patient eine zutreffende und für ihn verständliche Information über den „Grund und die Bedeutung der Behandlung“ erhält. Eine Aufklärung bloß in Form standardisierter Aufklärungsformulare vermag die gebote- 611 nen Differenzierungen grundsätzlich nicht zu gewährleisten (RdM 1995/15 = EvBl 1995/149; RdM 2002/2). Informationsblätter können nur eine das Gespräch vorbereitende und unterstützende Funktion haben. Gerade die Aufklärung eines psychisch kranken Patienten verlangt ein hohes Maß an Einfühlungsvermögen und bedarf auch unter diesem Aspekt eines Aufklärungsgespräches (OGH SZ 57/207; RdM 1995/15 = EvBl 1995/149; RdM 1996/24; RdM 2002/95), im Zuge dessen sich der Arzt überzeugen muss, dass die Aufklärung tatsächlich verstanden wurde. Fehlt die Verständigungsmöglichkeit, dann können freilich auch weitere Aufklärungsversuche entfallen.
b) Über den Zeitpunkt der Aufklärung lassen sich keine allgemeinen Aussa- 612 gen treffen. Die ärztliche Aufklärung ist in der Regel kein einmaliger Akt, sondern muss inhaltlich und zeitlich abgestuft vermittelt werden. Sinn und Zweck der Aufklärung können eine stufenweise Vorgangsweise unter Bedachtnahme auf Veränderungen der Verständnisfähigkeit (Aufklärungsziel „Information“) und der psychischen Belastbarkeit (Aufklärungsgrenze des „therapeutischen Vorbehalts“) geboten erscheinen lassen. Grundsätzlich gilt jedoch, dass die Aufklärung – zumindest gegenüber einsichts- und urteilsfähigen Patienten oder
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aufzuklärenden Dritten – vor der Behandlung stattfinden muss, weil sie eine notwendige Voraussetzung für die Willensbildung zum Zweck der Behandlungszustimmung oder -ablehnung darstellt. Das setzt voraus, dass die Aufklärung so rechtzeitig erfolgt, dass dem Patienten eine angemessene Überlegungsfrist bis zum Entscheidungszeitpunkt verbleibt (OGH RdM 1995/1, 2001/27, 2004/95). Nur in Ausnahmefällen – etwa weil von einer vorangehenden Aufklärung aus therapeutischen Gründen abgesehen wurde oder weil der Patient nicht ansprechbar war – wird es zulässig sein, den Patienten erst nach Beginn der Behandlung aufzuklären. Vor allem bei schubweise verlaufenden Krankheiten ist überdies zu prüfen, ob die Aufklärung nicht während einer Periode erfolgen kann, in welcher sich der Patient (noch) im Zustand der Einsichtsfähigkeit befindet.
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c) Als Teil der ärztlichen Behandlung ist auch die Aufklärung (bzw die Nichtaufklärung und ihre Gründe) nach allgemeinen Dokumentationsgrundsätzen zu dokumentieren (§ 51 Abs 1 ÄrzteG; § 10 Abs 1 Z 2 lit a KAKuG). gg) Therapeutische Grenzen der Aufklärung a) Der Patient ist gem § 35 Abs 2 nur aufzuklären, „soweit dies seinem Wohl nicht abträglich ist“. Mit diesem „therapeutischen Vorbehalt“ (AB 11) knüpft das UbG an der in Rsp und Lehre entwickelten Auffassung an, dass der Umfang der Aufklärung zugunsten des Patienten beschränkt werden kann. Vgl mwN OGH SZ 55/114 = JBl 1983, 373. Die – nicht unbestrittene (Holzer, JBl 1983, 376 f ) – These, dass „der Umfang der ärztlichen Aufklärungspflicht in erster Linie unter dem Gesichtspunkt des Wohles des Patienten [...] und erst in zweiter Linie auch unter Bedachtnahme auf sein Selbstbestimmungsrecht“ abzugrenzen sei (OGH SZ 55/114; RdM 1994/20), wurde damit erstmals gesetzlich anerkannt.
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b) Ob der Patient überhaupt aufgeklärt wird, liegt nicht im Ermessen der Ärzte. Der als Ausnahmeregel formulierte therapeutische Vorbehalt des § 35 Abs 2 bestätigt gerade den allgemeinen Grundsatz, dass auch psychisch Kranke aufzuklären sind. Das UbG schränkt die Aufklärung von (untergebrachten) psychisch Kranken nicht schon wegen ihrer psychischen Krankheit oder ihrer freiheitsentziehenden Unterbringung ein. Vielmehr bedarf es jeweils einer Begründung im Einzelfall, ob und inwieweit die Aufklärung eingeschränkt oder modifiziert werden darf. Dies ist in Abhängigkeit von der zu behandelnden Krankheit und der in Aussicht genommenen Behandlung zu beurteilen. Im Einklang mit der bisherigen Rsp ist davon auszugehen, dass auch der therapeutische Vorbehalt in erster Linie auf das Wie der Aufklärung abzielt, nicht auf das Ob. Nur in seltenen Grenzfällen wird die Aufklärung überhaupt zu unterlassen sein (SZ 55/114). Doch auch dann ist ein gänzlicher Verzicht auf jedes Aufklärungsgespräch nicht gerechtfertigt, weil erst im persönlichen Gespräch ermittelt werden kann, inwieweit die Aufklärung vom Patienten zu verkraften ist (OGH 1. 4. 1987, 3 Ob 645/86; SZ 57/207).
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c) Die Aufklärung ist dem Wohl des Patienten abträglich, wenn er dadurch in seiner (körperlichen oder psychischen) Gesundheit geschädigt wird. Die Gefahr einer derartigen Schädigung kann sich vor allem aus einer übermäßigen und vom Patienten nicht bewältigbaren psychischen Belastung oder Erregung ergeben. Sie kann aber auch darin liegen, dass die Aufklärung über ein bestimmtes Behandlungsrisiko zu einer Erhöhung dieses Risikos führen würde. Die Gefahr einer besonders schweren oder irreversiblen Schädigung fordert das UbG im Allgemeinen nicht. Es genügt, dass die Aufklärung den Erfolg der Behandlung insgesamt in Frage stellen oder wesentlich beeinträchtigen könnte.
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1. Nicht jede Beunruhigung oder depressive Beeinflussung rechtfertigt eine Einschränkung der Aufklärung, weil solche Beeinträchtigungen des Allgemeinbefindens oder der Stimmung mit der Offenbarung von Krankheitsumständen regelmäßig einhergehen. 2. Eine Aufklärung, die im therapeutischen Interesse notwendig ist (therapeutische Aufklärung, dazu zB OGH RdM 2000/1), darf unter Berufung auf § 35 Abs 2 nie unterlassen werden. Der Nutzen vollständiger Information muss daher mit den zu erwartenden Nachteilen abgewogen werden. 3. Bei der Entscheidung über den Umfang der Aufklärung sind nicht nur gesundheitliche Vor- und Nachteile zu berücksichtigen. Da die Aufklärung auch der Ausübung des Selbstbestimmungsrechts dient, ist überdies zu veranschlagen, inwieweit der Patient im Hinblick auf die Einwilligung in die medizinische Behandlung entscheidungsfähig ist. Bei einem nicht einsichts- und urteilsfähigen Patienten wird die Aufklärung schon dann eingeschränkt werden dürfen, wenn die zu erwartenden gesundheitlichen Beeinträchtigungen den therapeutischen Nutzen der Aufklärung überwiegen. Bei einem einsichtsfähigen Patienten ist hingegen in Rechnung zu stellen, dass dieser gem § 36 Abs 1 die Möglichkeit hat, die Behandlung abzulehnen. Diese Anerkennung des Selbstbestimmungsrechts darf nicht dadurch ausgehöhlt werden, dass man dem Patienten die für die Willensbildung nötigen Informationen mit dem bloßen Hinweis auf sein gesundheitliches Interesse vorenthält.
d) Der Aufklärung dritter Personen (sofern sie überhaupt aufklärungsbe- 617 rechtigt sind: Sachwalter, Erziehungsberechtigte, Patientenanwalt; vgl Rz 602 ff, 699) können therapeutische Bedenken nie entgegenstehen, weil deren Belastung das Wohl der Patienten selbst nicht zu gefährden vermag. d) Einwilligung aa) Übersicht Die §§ 36-37 UbG enthalten ein differenziertes System von Regelungen, 618 inwieweit die Zulässigkeit der ärztlichen Behandlung von Willenserklärungen (des Patienten oder Dritter) abhängt. Diese knüpfen einerseits an der Einwilligungsfähigkeit des Patienten (Einsichts- und Urteilsfähigkeit), andererseits an die Art der Behandlung („einfache“ oder „besondere“ Heilbehandlung) an. Daraus ergeben sich unterschiedliche Konstellationen mit je und je abweichenden Rechtsfolgen. Für den Fall, dass der Patient nicht einwilligungsfähig ist, muss weiter unterschieden werden, ob er minderjährig ist, unter Sachwalterschaft steht, oder ob keines von beidem zutrifft. Schließlich trifft § 37 noch eine Ausnahmeregelung für Gefahr im Verzug: a) „Kann der Kranke den Grund und die Bedeutung einer Behandlung einsehen und seinen Willen nach dieser Einsicht bestimmen, so darf er nicht gegen seinen Willen behandelt werden“ (§ 36 Abs 1). Das UbG hält also an dem schon bisher anerkannten Grundsatz fest, dass einsichts- und urteilsfähigen psychisch Kranken selbst die Entscheidungsbefugnis über die Zulassung der Behandlung zukommt: Eine Behandlung gegen den Willen einwilligungsfähiger Patienten ist auch in der Unterbringung unzulässig. Dieses Verbot einer Behandlung „gegen den Willen“ bedeutet nichts anderes als die Einwilligungsbedürftigkeit der Behandlung (Rz 640 f ). Besondere Heilbehandlungen einschließlich operativer Eingriffe bedürfen überdies einer schriftlichen Zustimmung. b) Bei nicht einsichts- und urteilsfähigen Patienten ist gem § 36 Abs 2 zu unterscheiden: aa) Ist der Patient minderjährig oder ist ihm ein Sachwalter bestellt, dessen Wirkungskreis Willenserklärungen zur Behandlung umfasst, so darf er nicht gegen den Willen seines gesetzlichen Vertreters oder Erziehungsberechtigten behandelt werden. Besondere Heilbehandlungen dürfen nur mit schriftlicher Zustimmung des gesetzlichen Vertreters oder Erziehungsberechtigten durchgeführt werden (§ 36 Abs 2 1. Satz). Bei wichtigen Angelegenheiten bedarf der Sachwalter der Zustimmung des Pflegschaftsgerichts (§ 216 ABGB; näher Rz 648, 655).
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bb) Hat der Kranke weder einen gesetzlichen Vertreter noch einen Erziehungsberechtigten, so hat auf Verlangen des Kranken oder seines Vertreters das Gericht über die Zulässigkeit der Behandlung unverzüglich zu entscheiden. Besondere Heilbehandlungen einschließlich operativer Eingriffe bedürfen der Genehmigung des Gerichts (§ 36 Abs 2 2. Satz). c) Die Zustimmung und die gerichtliche Genehmigung sind nicht erforderlich, wenn die Behandlung so dringend notwendig ist, dass der mit der Einholung der Zustimmung oder der Genehmigung verbundene Aufschub das Leben des Kranken gefährden würde oder mit der Gefahr einer schweren Schädigung des Gesundheit des Kranken verbunden wäre. Über Notwendigkeit und Dringlichkeit einer Behandlung entscheidet der Abteilungsleiter. Dieser hat den gesetzlichen Vertreter oder Erziehungsberechtigten oder, wenn der Kranke keinen solchen hat, den Patientenanwalt nachträglich von der Behandlung zu verständigen (§ 37).
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d) Zusammenfassend ergibt sich folgende tabellarische Übersicht: Einwilligungsfähigkeit
einfache Heilbehandlung
Einsichtsfähige (inkl Mj und nicht gegen den Willen des Personen mit SW) Patienten
besondere Heilbehandlung schriftliche Zustimmung des Patienten
nicht einsichtsfähige Mj
nicht gegen den Willen des schriftliche Zustimmung des gV gV oder EB oder EB
nicht Einsichtsfähige mit SW
nicht gegen den Willen des SW
schriftliche Zustimmung des SW; vorherige pflegschaftsgerichtliche Genehmigung
nicht Einsichtsfähige ohne gV oder EB
unabhängig von Willenserklärung; fakultative Gerichtskontrolle ex post
vorherige gerichtliche Genehmigung durch Unterbringungsgericht
Legende: Mj = Minderjährige; SW = Sachwalter; gV = gesetzlicher Vertreter; EB = Erziehungsberechtigte.
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bb) Einsichts- und Urteilsfähigkeit a) Mit der Fähigkeit, „Grund und Bedeutung einer Behandlung einzusehen und seinen Willen nach dieser Einsicht zu bestimmen“, regelt § 36 Abs 1 die Kriterien für die Einwilligungsfähigkeit des Patienten. Er knüpft dabei nicht an die zivilrechtliche Geschäftsfähigkeit, sondern an die von der Straf- und Zivilrechtslehre entwickelte „Einsichts- und Urteilsfähigkeit“ an (AB 11).
1. Daraus wird deutlich, dass weder die psychische Krankheit noch die freiheitsentziehende Unterbringung für sich genommen die Einwilligungsfähigkeit des Patienten bzw die Einwilligungsbedürftigkeit der Behandlung beeinträchtigen. Verfügt der Patient über die nötige Einsichts- und Urteilsfähigkeit, dann soll ausschließlich er selbst über die Durchführung einer Behandlung entscheiden können. Das gilt, da § 36 Abs 1 insofern nicht differenziert, auch für Minderjährige und Personen unter Sachwalterschaft. 2. Die durch § 36 eröffnete Möglichkeit, einen Patienten unter Umgehung seines Willens 621 zu behandeln, ist vor dem Hintergrund der grundsätzlichen Garantie des Selbstbestimmungsrechts als restriktiv zu interpretierende Ausnahmeregelung zu verstehen. Auch psychisch Kranken fehlt die Einwilligungsfähigkeit nur ausnahmsweise. Lediglich bei unmündigen Minderjährigen (unter 14 Jahren) wird die Einsichtsfähigkeit typischerweise verneint werden dürfen (Aicher in Rummel, § 16 Rz 17; ebenso nun § 146c Abs 1 ABGB).
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b) Bei der Frage nach der Einwilligungsfähigkeit geht es darum, ob der Patient hinsichtlich der Diagnose, der therapeutischen Möglichkeiten und der in
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Betracht kommenden Alternativen sowie hinsichtlich der jeweiligen Chancen und Risken den Wert der von der Entscheidung betroffenen Güter und Interessen erfassen und sein Verhalten nach dieser Einsicht ausrichten kann (vgl dazu Amelung, ZStW 1992, 526 ff; ders, R&P 1995, 23 ff). In diesem Sinn unterscheidet auch § 36 zwischen einem kognitiven (Fähigkeit, den Grund und die Bedeutung einer Behandlung einzusehen = Einsichtsfähigkeit) und einem voluntativen Element (Fähigkeit, den Willen nach dieser Einsicht zu bestimmen = Urteilsfähigkeit). Beide Elemente müssen kumulativ verwirklicht sein. Die Textierung des UbG erfordert allerdings einige Präzisierungen: 1. Nicht jede wodurch auch immer bewirkte Unfähigkeit, „Grund und Bedeutung einer Behandlung“ einzusehen, hat zur Folge, dass die Behandlung ohne Rücksichtnahme auf den Willen des Patienten zulässig ist. Als wesentliches Kriterium ist mitzudenken, dass die Beeinträchtigung der Einsichtsfähigkeit ihre Ursache gerade im psychischen Zustand des Kranken haben muss (mwN näher Kopetzki II 819 f ). Die maßgebliche Frage muss daher lauten, ob der Patient aufgrund seines Alters oder seiner psychischen Krankheit in der Lage ist, Grund und Bedeutung der Behandlung einzusehen. 2. Anhand welcher Feststellungen diese Beurteilung vorzunehmen ist, ist weithin unklar. Im Anschluss an die Untersuchungen von Amelung (ZStW 1992, 525 ff; R&P 1995, 20 ff), lassen sich aber einige verallgemeinerbare Aussagen treffen. Danach setzt die Einsichtsfähigkeit jedenfalls die Fähigkeit zur Erkenntnis der relevanten Tatsachen und Wirkungszusammenhänge voraus. Die Entscheidung muss auf einer zutreffenden Einschätzung der realen Situation beruhen. Fehlt dem Patienten die Krankheitseinsicht, ist er sich also gar nicht bewusst, an einer psychischen Krankheit zu leiden, dann mangelt es ihm auch an der Fähigkeit, „Grund und Bedeutung“ der (auf diese Krankheit bezogenen) psychiatrischen Behandlung einzusehen (OGH 5. 9. 1996, 2 Ob 2215/96s, SZ 69/202 = RdM 1997/1). Dasselbe gilt, wenn der Patient krankheitsbedingt die Folgen der Behandlung oder ihrer Unterlassung nicht versteht. Vgl die Checkliste für die Beurteilung der Einsichts- und Urteilsfähigkeit bei Barth/Engel, Heimrecht 103 f; weiterführend Barth, ÖJZ 2000, 61 ff; Brosch, Überlegungen zur Einwilligungsfähigkeit aus psychiatrischer Sicht, MÖSV 2002/6, 3. 3. Die Beurteilung der Einsichtsfähigkeit kann nicht generell, sondern nur im konkreten Einzelfall erfolgen. Auch ist davon auszugehen, dass die skizzierten Fähigkeiten zumeist nicht schlechthin vorliegen oder fehlen, sondern innerhalb einer weiten Bandbreite mehr oder weniger beeinträchtigt sein können. Allgemein kann gesagt werden, dass die Einsichtsfähigkeit umso eher vorliegen wird, je geringfügiger der Eingriff ist. So kann ein Patient etwa für relativ einfache Behandlungen einsichtsfähig sein, für komplexere Eingriffe hingegen nicht. Überdies wird man zwischen der Behandlung der psychischen Grundkrankheit und anderen Behandlungsmaßnahmen unterscheiden müssen: Das fehlende Bewusstsein der psychischen Krankheit schließt die Einsichtsfähigkeit hinsichtlich der psychiatrischen Behandlung, nicht jedoch notwendigerweise in Bezug auf andere Behandlungen aus. 4. Ist der Patient einsichtsfähig, dann ist in einem zweiten Schritt zu prüfen, ob er „seinen Willen nach dieser Einsicht bestimmen“ kann. Hier geht es zunächst um die Fähigkeit, sich der Einsicht entsprechend zu verhalten, also um die Fähigkeit zur einsichtsgemäßen Selbstbestimmung. Sie ist eingeschränkt, wenn in der Person des Entscheidenden ein Defekt gegeben ist, der die Vermittlung zwischen der Einsicht in das Sinnvolle und der letztendlichen Entscheidung behindert. 5. Zwischen der kognitiven Einsicht und voluntativen Willensbestimmung ist noch eine weitere Ebene zu berücksichtigen, die als vorausgesetzt mitgedacht werden muss: nämlich der eigentliche wertende Entscheidungsakt selbst. Nimmt man das UbG beim Wort, dann wäre der Wille eines depressiven Patienten, der in Selbstmordabsicht eine lebensnotwendige Behandlung ablehnt, obwohl ihm Bedeutung und Folgen dieser Entscheidung voll bewusst sind, rechtserheblich, denn er vermag „Grund und Bedeutung“ der verweigerten Behandlung einzusehen und bestimmt seinen Willen nach dieser Einsicht. Dennoch kann nicht zweifelhaft sein, dass § 36 gerade diesen Patienten vor seiner krankheitsbedingten Selbstzerstörung bewahren will. Man wird daher bei der Beurteilung der Fähigkeit zur „Bestimmung“ des Wil-
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lens auch krankheits- oder altersbedingte Verzerrungen des Entscheidungs- und Motivationsprozesses einbeziehen müssen, welche die Fähigkeit zu vernünftigen Wertungen und zur Ausnutzung von Wahlmöglichkeiten beseitigt. Allerdings kann es dabei wieder nur auf einen krankheits- oder altersbedingten Ausschluss der freien Willensbestimmung ankommen, nicht hingegen darauf, ob der Patient vielleicht durch andere (religiöse oder weltanschauliche) Determinanten beeinflusst ist. Es kommt nicht auf die Übereinstimmung mit einem „objektiv vernünftigen“ Wertsystem, sondern mit dem subjektiven Wertsystem des Betroffenen an. Nicht das Ergebnis der Entscheidung, sondern auf die Art und Weise, in welcher sie erzielt wird, ist entscheidend. Daher rechtfertigt die Weigerung, sich einer medizinisch erforderlichen Behandlung zu unterziehen, für sich genommen nicht den Schluss auf die fehlende Einwilligungsfähigkeit (LGZ Wien 17. 3. 1992, 44 R 1112/91), wenngleich bei psychisch Kranken die Wahrscheinlichkeit einer krankheitsbedingten Weigerung größer sein mag als sonst. Bedenklich wäre daher, den Patienten im Zweifel immer dann für „einsichtsfähig“ zu halten, wenn er den ärztlichen Therapievorschlägen folgt.
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c) Die Kompetenz zur Feststellung der Einsichts- und Urteilsfähigkeit liegt beim behandelnden Arzt, der sich über die Zulässigkeitsbedingungen der Behandlung Rechenschaft ablegen und in diesem Zusammenhang auch die Einwilligungsbedürftigkeit der Behandlung prüfen muss.
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1. Die Beurteilung der Einsichts- und Urteilsfähigkeit unterliegt ebenso wie die Behandlung als solche der nachprüfenden gerichtlichen Kontrolle gem § 36 Abs 2 UbG (LGZ Wien 21. 8. 1996, 44 R 600/96b; 22. 8. 1997, 44 R 431/97a; Rz 730). 2. Dass die Feststellung der Einsichtsfähigkeit eine diagnostische Beurteilung voraussetzt, für die sich ihrerseits die Frage der Einwilligung (und damit der Einwilligungsfähigkeit) stellt, ist ein Scheinproblem; insofern muss § 36 als Rechtsgrundlage für jene Diagnoseschritte angesehen werden, welche zur Beurteilung der Einsichtsfähigkeit unbedingt erforderlich sind.
cc) Die „besondere“ Heilbehandlung 630 a) Während mit der Einsichts- und Urteilsfähigkeit die Grenzlinie zwischen selbst- und fremdbestimmten Heilbehandlungen bestimmt wird, hat der Begriff der „besonderen Heilbehandlung“ im wesentlichen eine verfahrensrechtliche Bedeutung: Er gibt an, in welcher Weise die (selbst- oder fremdbestimmte) Behandlungsentscheidung zu erfolgen hat: Soweit die Behandlung eines Patienten nach den Regeln des § 36 der Zustimmung bedarf, wird diese für besondere Heilbehandlungen an die Schriftform gebunden. Soweit eine Behandlung keiner Zustimmung bedarf, wird die besondere Heilbehandlung an eine vorhergehende gerichtliche Genehmigung gebunden (§ 36 Abs 2). In diesem Fall wird durch das Kriterium der „besonderen“ Heilbehandlung die Grenze zwischen der gänzlich konsenslosen (einfachen) Heilbehandlung und der ex ante gerichtlich genehmigungspflichtigen besonderen Heilbehandlung gezogen. 631
Daraus wird die Funktion der besonderen Heilbehandlung im Behandlungsrecht des UbG deutlich: Bei der zustimmungsbedürftigen Behandlung schafft sie mit dem Schriftlichkeitsgebot eine äußere Formenbindung und dient damit der Beweissicherung und dem Schutz vor übereilten Erklärungen, letztlich also der Wahrung der Selbstbestimmung. Bei der konsenslosen Behandlung legt sie fest, wem die Entscheidung über deren Durchführung zukommt und wie dabei vorzugehen ist: Die „einfache“ Heilbehandlung kann ohne weitere Verfahrensbindung durch Entscheidung der Ärzte erfolgen und unterliegt nur einer fakultativen gerichtlichen Zulässigkeitsprüfung im nachhinein. Die „besondere“ Heilbehandlung bedarf hingegen der vorangehenden gerichtlichen Genehmigung in einem mit Parteirechten und aufschiebenden Rechtsmitteln ausgestatteten Verfahren. Die Qualifikation als besondere Heilbehandlung führt in diesem Fall nicht nur zu einer Verlagerung von Entscheidungsbefugnissen zum Gericht; sie eröffnet auch ein rechtsstaatliches Verfahren, das den Entfall jener Zustimmungskompetenz kompensiert, die dem unvertretenen und einwilligungsunfähigen Patienten fehlt.
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Die rechtliche Einstufung als „besondere Heilbehandlung“ zielt hingegen nicht auf eine bestimmte medizinisch-wissenschaftliche Qualifikation oder auf die Verhinderung der in Frage stehenden Behandlungsmaßnahme ab (so aber König/Niederhofer, ÖJZ 1995, 86).
b) Der Begriff der „besonderen Heilbehandlung“ wirft wegen seiner Unbe- 632 stimmtheit schwierige Interpretationsfragen auf, die nur selten zu eindeutigen Lösungen führen. Für die praktische Anwendung kommt daher der konkretisierenden Rechtsprechung der Unterbringungsgerichte eine bedeutende Rolle zu. 1. Bei der Verwendung des Begriffs der „besonderen Heilbehandlung“ orientierte sich das UbG an § 8 Abs 3 KAG aF (AB 11) – wo dieser Rechtsbegriff seit der Novellierung in Folge des KindRÄG gar nicht mehr vorkommt (vgl § 8 Abs 3 KAKuG). Für die Auslegung ergibt sich daraus nichts, weil dieser Begriff schon im Krankenanstaltenrecht keine greifbaren Konturen hatte (Kopetzki II 828 ff ). Bedenklicherweise wurde im UbG auf eine nähere Präzisierung der „besonderen Heilbehandlung“ verzichtet, weil auch der Gesetzgeber diese Unterscheidung für schwierig hielt (AB 11), anstatt von seiner eigenen Definitionskompetenz Gebrauch zu machen. Die Interpretation muss sich daher auf mehr oder weniger plausible historische und teleologische Überlegungen stützen. 2. Für die Beurteilung als „besondere“ oder „einfache“ Heilbehandlung kommt es nicht 633 darauf an, ob die Maßnahme medizinisch „üblich“ oder wissenschaftlich anerkannt ist (so aber LG St. Pölten 16. 12. 1992, R 891/92, wonach eine „moderne, erfolgreiche und erprobt ausgereifte Alltagsmassentherapie“ keine besondere Heilbehandlung darstellt). Denn eine den „Grundsätzen und anerkannten Methoden der medizinischen Wissenschaft“ nicht entsprechende Heilmethode ist gem § 35 Abs 1 UbG in jedem Fall unzulässig; danach kann eine Unterscheidung innerhalb des Kreises der (zulässigen) Heilbehandlungen daher nicht gezogen werden (OGH 19. 9. 1994, 4 Ob 549/94, RdM 1995/2 Anm Kopetzki). Zur Kontroverse um die rechtliche Bedeutung der „besonderen Heilbehandlung“ vgl auch König/Wartberger, RdM 1997, 3, sowie Kopetzki, RdM 1997, 6.
c) Wegen der ausdrücklichen Hervorhebung in § 36 Abs 1 sind „operative 634 Eingriffe“ jedenfalls immer besondere Heilbehandlungen (arg „einschließlich“). Darunter sind im vorliegenden Zusammenhang allerdings nicht alle, sondern nur typisch chirurgische Eingriffe in die körperliche Substanz zu verstehen, die über eine – durch bloße Injektionen oder Blutabnahmen markierte – Erheblichkeitsschwelle hinausgehen. 1. Würde man den Begriff des „operativen Eingriffs“ hingegen so verstehen, wie ihn das Ärztegesetz verwendet (vgl § 2 Abs 2 Z 4 ÄrzteG: „operative[r] Eingriffe einschließlich der Entnahme oder Infusion von Blut“), dann fiele jeglicher Eingriff in die körperliche Substanz – etwa auch Blutabnahmen oder Injektionen – darunter. Diese Auslegung hätte allerdings weder teleologische Gründe für sich – eine gerichtliche Genehmigungspflicht für die tägliche Insulinzufuhr beim Diabetiker ist dem Gesetzgeber nicht zuzusinnen – noch wird sie durch die Absicht des historischen Gesetzgebers gestützt, die erkennbar auf eine differenzierte Beurteilung von (Depot)injektionen gerichtet war (AB 12). 2. Besondere Heilbehandlungen unter dem Titel des operativen Eingriffs sind zB die Liquorentnahme aus Gehirn oder Rückenmark (zu Unrecht verneinend LG Linz 13. 2. 1992, 18 R 84/92 [Lumbalpunktion]), eine Shuntoperation bei Hydrocephalus (LGZ Graz 16. 3. 1992, 1 R 6/92, 1 R 83/92) oder die chirurgische Entfernung einer verschluckten Messerklinge (LGZ Graz 3. 8. 2000, 6 R 207/00f ).
d) Was die Zuordnung sonstiger Behandlungsmaßnahmen betrifft, so kön- 635 nen aus der ausdrücklichen Einbeziehung der Operationen einige abstraktere Kriterien gewonnen werden, die das UbG in der besonderen Heilbehandlung insgesamt anspricht und die einer Verallgemeinerung zugänglich sind: Intensität des Eingriffs in die körperliche und psychische Integrität, Risikoneigung, Dauerhaftigkeit und Irreversibilität der körperlichen Veränderung sind Merk-
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male, die chirurgischen Eingriffen typischerweise anhaften und die auch unter dem teleologischen Aspekt der am Begriff der besonderen Heilbehandlung anknüpfenden Schutzmechanismen plausibel sind. 1. Welche Behandlungsmaßnahmen im Einzelnen zu den besonderen Heilbehandlungen zu zählen sind, lässt sich nicht in eine allgemeine Formel kleiden, weil das Spektrum zulässiger Behandlungen alle medizinischen Fächer und daher eine nicht abgrenzbare Vielzahl von Eingriffen umfasst. Außerdem kann eine bestimmte therapeutische Methode häufig nicht isoliert, sondern nur unter Einbeziehung der konkreten Begleitumstände (zB Gesundheitszustand des Patienten) als „besondere“ qualifiziert werden. Das „Besondere“ ist keine Eigenschaft, die einer Behandlungsmethode ein für alle mal anhaftet, sondern das Ergebnis einer Beurteilung im Einzelfall. 2. Demnach werden etwa Behandlungen, die die körperliche Integrität des Patienten in636 tensiv oder nachhaltig beeinflussen (AB11; OGH 19. 9. 1994, 4 Ob 549/94, RdM 1995/2 Anm Kopetzki; Stellamor, ÖKZ 1993, 31), oder die mit Schmerzen, besonderen Gefahren oder erheblichen Nebenwirkungen verbunden sind, als besondere Heilbehandlungen einzustufen sein. Vgl OGH 19. 9. 1994, 4 Ob 549/94, RdM 1995/2 Anm Kopetzki: Ob eine „besondere Heilbehandlung“ vorliegt, hänge davon ab, „in welchem Maß die Behandlung geeignet ist, die physische oder psychische Verfassung des Kranken zu beeinträchtigen. Ist mit schwerwiegenden Beeinträchtigungen (zB) wegen erheblicher Nebenwirkungen zu rechnen, so erfordert es der Zweck des Gesetzes – der Schutz der Persönlichkeitsrechte des Kranken –, die Heilbehandlung von den vom Gesetz für besondere Heilbehandlung vorgesehenen Zustimmungs- und Genehmigungserfordernissen abhängig zu machen“. 3. Die persönlichkeitsverändernde Wirkung einer Maßnahme reicht für eine Qualifikati637 on als besondere Heilbehandlung für sich genommen nicht aus, weil diese bei jeder psychiatrischen Behandlung mehr oder weniger ausgeprägt ist. Recht unklar in diesem Zusammenhang AB 11 f: Danach sei eine Behandlung, die auf die Heilung (und damit die Veränderung) der kranken Persönlichkeit selbst abzielt, nicht schlechthin eine „besondere“ Heilbehandlung. „Wenn eine Behandlung aber über das Ziel einer solchen Heilung hinaus – vorübergehende oder dauernde – Veränderungen der Persönlichkeit des Kranken, andere erhebliche Nebenwirkungen oder sonst schwerwiegende Beeinträchtigungen der körperlichen oder psychischen Integrität nach sich zieht, wird eine ,besondere Heilbehandlung‘ vorliegen“. Nach diesen Grundsätzen sei auch der Einsatz der Psychopharmaka, insbesondere der Neuroleptika, vor allem durch „Depotinjektionen“, zu beurteilen. Die darin anklingende Unterscheidung zwischen (beabsichtigten) Hauptwirkungen und (unbeabsichtigten) Nebenwirkungen überzeugt nicht. Schon die Erwähnung des „operativen Eingriffs“ als Beispiel einer „besonderen“ Heilbehandlung (§ 36 Abs 1) zeigt, dass die Differenzierung zwischen Heilzweck und Nebenwirkung nicht den Ausschlag geben kann: Die Operation ist eine „besondere“ Heilbehandlung auch wegen der Schwere der beabsichtigten Hauptwirkung, nicht wegen allfälliger negativer Nebenwirkungen (die ja auch bei Operationen weitgehend fehlen können). Abgesehen davon ist die Unterscheidung zwischen Haupt- und Nebenwirkung relativ, weil sie von der jeweils intendierten Wirkung abhängt. 4. Neben chirurgischen Eingriffen (Rz 634) sind auch sonstige Behandlungen als „beson638 dere“ zu qualifizieren, die in ihrer Schwere oder Dauer, ihrer Risikoneigung oder ihrer Beeinträchtigung der Gesamtbefindlichkeit des Patienten den operativen Eingriffen vergleichbar sind. Dies ist zB zu bejahen bei Narkosen, bei der Elektrokrampftherapie (Elektroschock) (AB 11; OGH 7. 12. 1993, 6 Ob 631/93; 19. 9. 1994, 4 Ob 549/94, RdM 1995/2 Anm Kopetzki; LG Linz 28. 11. 1991, 18 R 732/91; LG Innsbruck 5. 2. 1992, 3b R 19, 21/92; 22. 10. 1993, 2b R 170/93; LG Salzburg 28. 11. 1991, 22 R 613/91; LG Linz 30. 8. 1993, 18 R 568/93; 11. 5. 1995, 13 R 107/95) oder anderen Schockbehandlungen, bei Zwangsernährungen (anders jedoch OGH 22. 6. 1995, 6 Ob 546/95, SZ 68/117 = RdM 1996/2 Anm Kopetzki [Sondenernährung bei Anorexia nervosa]; wie hier LG Salzburg 22. 12. 1999, 21 R 553/99s; EFSlg 97.635) oder bei medikamentösen – auch psychopharmakologischen – Behandlungen mit schweren Nebenwirkungen oder Langzeitfolgen. Auch medikamentöses Versetzen in Tiefschlaf ist besondere Heilbehandlung (aM wohl LGZ Wien 16. 2. 1993, 44 R 33/93). Keine besondere Heilbehandlung ist nach LGZ Wien 7. 6. 1994, 44 R 452/94 die orale und intravenöse Verabreichung von Psychopax, ebensowenig das Setzen eines Cava-
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Katheters (OGH 14. 8. 1996, 6 Ob 2117/96h). Im Einzelfall können auch nicht-somatische Behandlungsmethoden „besondere“ iSd UbG sein (aM König/Niederhofer, ÖJZ 1995, 86). 5. Nicht einheitlich zu beurteilen sind Depot-Neuroleptika, weil ihre ausgeprägte Lang- 639 zeitwirkung für sich genommen kein Beurteilungskriterium sein kann. Maßgeblich ist auch hier eine Gesamtbetrachtung aller Wirkungen, wobei die Schwelle zur „besonderen“ Heilbehandlung wegen der längeren Dauer aber schon früher erreicht sein wird. Depotbehandlungen, die mit schweren Nebenwirkungen verbunden sind (OGH 19. 9. 1994, 4 Ob 549/94, RdM 1995/2 Anm Kopetzki) oder deren Wirkungsdauer die vorgesehene Unterbringungsdauer übersteigt (OGH 5. 9. 1996, 2 Ob 2215/96s, SZ 69/202 = RdM 1997/1; LGZ Wien 26. 4. 1994, 44 R 346/94; dagegen jedoch OGH 29. 1. 1997, 7 Ob 17/97v, RdM 1997/35: Wirkungsdauer für sich genommen nicht entscheidend), sind jedenfalls besondere Heilbehandlungen, nicht jedoch jede parenterale neuroleptische Therapie mit Haldol und Valium (OGH 11. 1. 2000, 10 Ob 337/99b). Generell für eine Qualifikation der Depotbehandlung als besondere Heilbehandlung zB Stellamor, ÖKZ 1993, 31; ebenso undifferenziert abl die ältere Rsp: LGZ Wien 15. 7. 1991, 44 R 563/91; LGZ Wien 17. 3. 1992, 44 R 1112/91; LG St. Pölten 11. 3. 1992, R 207/92 (Cisordinol ); LG St Pölten 16. 12. 1992, R 891/92 (Haldol ). Differenzierter LGZ Wien 26. 4. 1994, 44 R 346/94 (nur bei erheblichen Nebenwirkungen oder den Unterbringungszeitraum übersteigender Wirkungsdauer; in concreto verneint bei Cisordinol-Depot mit einwöchiger Wirkungsdauer); aufhebend OGH 19. 9. 1994, 4 Ob 549/94, RdM 1995/2 Anm Kopetzki: Das Gericht hätte durch Vernehmung eines Sachverständigen klären müssen, in welchem Maß die Depotinjektion von 400 mg Cisordinol geeignet war, die physische oder psychische Verfassung des Kranken zu beeinträchtigen; war die Beeinträchtigung (zB) wegen der Nebenwirkungen schwerwiegend, so liege besondere Heilbehandlung iSd § 36 Abs 2 vor. Ähnlich OGH 5. 9. 1996, 2 Ob 2215/96s, SZ 69/202 = RdM 1997/1; LG St. Pölten 21. 8. 1996, 11 R 274/96; zur erforderlichen „Schwere“ der Nebenwirkung LGZ Wien 22. 8. 1997, 44 R 431/97a (Milchfluss als – wenngleich unangenehme – Nebenwirkung begründet keine besondere Heilbehandlung).
dd) Einfache Heilbehandlung einsichtsfähiger Patienten Gem § 36 Abs 1 darf der einsichts- und urteilsfähige Patient „nicht gegen 640 seinen Willen“ behandelt werden. Trotz des nicht ganz eindeutigen Wortlauts bedeutet das, dass die (einfache) Heilbehandlung einsichtsfähiger untergebrachter Patienten einer zumindest konkludenten Zustimmung bedarf . Diese wird bei Patienten, die sich der Behandlung widerspruchslos unterziehen, im Regelfall zu vermuten sein, sofern eine ausreichende Aufklärung voranging, der Patient nicht zur Duldung gezwungen wird und er über die Möglichkeit der Behandlungsablehnung auch tatsächlich Kenntnis hat. 1. Nach dem Wortlaut des § 36 bedarf es einer (schriftlichen) „Zustimmung“ explizit nur 641 bei „besonderen Heilbehandlungen“. Dass der Kranke in allen anderen Fällen bloß „nicht gegen seinen Willen“ behandelt werden darf, könnte als Ausdruck einer – dem bisherigen Recht fremden – Widerspruchslösung für die Heilbehandlung untergebrachter Patienten gedeutet werden (in diese Richtung AB 12). Dies liefe auf ein bloßes Vetorecht hinaus. Dagegen spricht, dass im Text des UbG von einem „Widerspruch“ zur Heilbehandlung gar nicht die Rede ist. Nach § 36 Abs 1 kommt es allein darauf an, dass die Behandlung „nicht gegen den Willen“ erfolgt. Ob dies zutrifft, kann aber – da der „wahre“ Wille als innerer Vorgang nicht unmittelbar wahrnehmbar ist – nur festgestellt werden, wenn der Wille aus einem äußeren Tatbestand erschließbar ist. Eine Aussage über die Zulässigkeit der Behandlung beim schweigenden Patienten ist daher nur möglich, wenn dieser ein Verhalten setzt, das einen Schluss auf einen (ablehnenden oder zustimmenden) Willen zulässt. Damit ist aber ein Unterschied zur konkludenten Erklärung nicht mehr gegeben. So gesehen liegt in § 36 Abs 1 nicht eine revolutionäre Neuerung des Behandlungsrechts, sondern nur eine typisierende, von bisherigen Erfahrungswerten ausgehende Vermutung konkludenter Zustimmung beim nicht widersprechenden Patienten. Näher Kopetzki II 835 ff.
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2. Die speziellen Regelungen des § 36 Abs 1 gelten auch für (einsichtsfähige) Minderjährige. Da das UbG vom KindRÄG 2001 nicht berührt wurde (Rz 582), scheidet auch eine Anwendung des § 146c Abs 2 ABGB (kumulative Zustimmung des einsichtsfähigen Kindes und des Sorgeberechtigten) in der Unterbringung aus.
ee) Einfache Heilbehandlung nicht einsichtsfähiger Patienten Kann der Kranke den Grund und die Bedeutung einer Behandlung nicht einsehen oder seinen Willen nach dieser Einsicht bestimmen, so ist gem § 36 Abs 2 UbG danach zu unterscheiden, ob der Betroffene minderjährig ist oder unter Sachwalterschaft steht: 642 a) Nicht einsichtsfähige Minderjährige dürfen gem § 36 Abs 2 „nicht gegen den Willen“ ihres gesetzlichen Vertreters oder Erziehungsberechtigten behandelt werden. In diesem Fall werden die Entscheidungsbefugnisse des Patienten von den vertretungs- und sorgeberechtigten Personen wahrgenommen. Die in zivilrechtlicher Sicht strittige Frage, ob die Entscheidung über die Zustimmung zur Heilbehandlung dem gesetzlichen Vertreter oder dem Erziehungsberechtigten zukommt, wurde iS einer gleichberechtigten Position beider entschieden. 1. Die Wendung, wonach die Behandlung „nicht gegen den Willen“ erfolgen darf, ist – 643 wie schon in § 36 Abs 1 (Rz 641) – auch in diesem Zusammenhang als Erfordernis einer zumindest konkludenten Zustimmung zu verstehen (Hopf/Aigner § 36 Anm 11). Aus der alternativen Formulierung („oder“) folgt daher, dass bei einer Mehrzahl von vertretungs- oder sorgeberechtigten Personen die Zustimmung einer von ihnen ausreicht – und nicht etwa, dass jede von ihnen die Behandlung verbieten kann. 2. Mit den Begriffen des „gesetzlichen Vertreters“ und des „Erziehungsberechtigten“ ver644 weist das UbG auf die entsprechenden Institute des Zivilrechts, und zwar auf die gesetzliche Vertretung und die Pflege und Erziehung als Teilelemente der „Obsorge“. Dieser Verweis ist allerdings nur dann eindeutig, wenn der gesamte Bereich der Obsorge – also die Pflege, die Erziehung, die Vermögensverwaltung und die gesetzliche Vertretung (§ 144 ABGB) – in denselben Personen vereint sind. Zu Einzelfragen (wenngleich vor dem KindRÄG 2001) vgl näher Kopetzki II 838 ff.
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b) Nicht einsichtsfähige Personen unter Sachwalterschaft dürfen gem § 36 Abs 2 nicht gegen den Willen des gesetzlichen Vertreters (Sachwalters) behandelt werden, wenn die Behandlungszustimmung zum Wirkungskreis des Sachwalters gem § 273 Abs 3 ABGB gehört. Ob dies in den Wirkungskreis fällt, ist durch Auslegung des gerichtlichen Bestellungsbeschlusses zu klären.
1. Sachwalter iSd § 36 Abs 2 UbG kann auch der einstweilige Sachwalter für dringende Angelegenheiten gem § 120 AußStrG sein. 2. Die nach § 282 ABGB jedem Sachwalter zukommenden Betreuungspflichten verleihen 646 weder für sich genommen noch iVm UbG eine Befugnis zur Abgabe außenwirksamer Erklärungen betreffend eine Heilbehandlung (wie hier LG Salzburg 5. 3. 1997, 21 R 70/97h). Liegt die Behandlungszustimmung außerhalb des Wirkungskreises des Sachwalters, dann gelten die Bestimmungen für unvertretene Personen, sofern der Patient nicht ausnahmsweise einen anderen gesetzlichen Vertreter oder Erziehungsberechtigten hat. Auf Willenserklärungen von Angehörigen kommt es nicht an, sofern diese nicht vertretungs- oder erziehungsberechtigt sind. Zum Ganzen auch Barth, ÖJZ 2000, 57, insb 60 ff; zur Rechtslage nach dem KindRÄG 2001 Schauer, NZ 2001, 275, insb 279 f. 3. Die Behandlung bedarf der Zustimmung des Sachwalters: vgl sinngemäß Rz 643. Vor 647 der Zustimmung muss sich der Sachwalter im Innenverhältnis mit dem (verständigungsfähigen) Kranken besprechen und dessen Mitspracherecht (§ 273a Abs 3 ABGB) wahren. Zu den Entscheidungskriterien und der Relevanz des Patientenwillens (am Beispiel einer Elektrokrampfbehandlung) LG Innsbruck 19. 3. 2002, 51 R 35/02z, RdM 2002/63.
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4. Für eine Zustimmung zu „wichtigen“ Behandlungen eines untergebrachten Kranken – 648 insb zu Operationen und anderen „besonderen“ Heilbehandlungen – bedarf der Sachwalter auch noch einer (vorherigen) Genehmigung des Pflegschaftsgerichts gem § 282 Abs 1 iVm § 216 ABGB (AB 7); mwN Barth ÖJZ 2000, 67. Der Kreis der „wichtigen“ und daher nach ABGB genehmigungspflichtigen Behandlungsentscheidungen umfasst alle schweren medizinischen Eingriffe (zB Amputation [OGH EvBl 1988/85], Sterilisation [OGH SZ 50/161], Schwangerschaftsabbruch [OGH SZ 70/235 = RdM 1998/6], Chemotherapie [LG Linz 16. 5. 1995, 13 R 161/95], Elektrokrampftherapie [LG Linz 24. 3. 2005, 15 R 80/05y], nicht jedoch Zahnextraktion in Narkose [LG Feldkirch RdM 1996/16]). „Wichtig“ iSd § 216 ABGB sind jedenfalls auch die besonderen Heilbehandlungen iSd UbG (LG Salzburg 22. 11. 1995, 21 R 572/95 zu Depotbehandlung mit Haldol). Der Unterschied zwischen den Genehmigungsvorbehalten von ABGB und UbG liegt vor allem in der abweichenden Genehmigungskompetenz: Die Zuständigkeit für die Entscheidung nach § 282 iVm § 216 ABGB liegt immer beim Pflegschaftsgericht (Sachwalterschaftsgericht) gem § 109 JN, nicht beim Unterbringungsgericht. Vielfach – insb bei großer Entfernung des Pflegschaftsgerichts – wird es aber zweckmäßig sein, die Zuständigkeit zur Durchführung des Genehmigungsverfahrens gem § 111 JN an das Unterbringungsgericht zu übertragen. Die Verfahrensbestimmungen des § 38 UbG sind auf solche pflegschaftsgerichtlichen Genehmigungsverfahren nicht unmittelbar anzuwenden. Es gelten die allgemeinen Regeln des AußStrG. Im pflegschaftsgerichtlichen Genehmigungsverfahren kann der Betroffene selbständig Rekurs erheben (LG Klagenfurt 21. 3. 1988, 1 R 116/88). Entgegen LG St. Pölten 11. 3. 1992, R 207/92 ist die Vertretungsbefugnis des Patientenanwalts im pflegschaftsgerichtlichen Genehmigungsverfahren zu bejahen, weil dieses im Zusammenhang mit der Unterbringung steht. 5. Das Pflegschaftsgericht hat sich auf die Genehmigung bzw Nichtgenehmigung der Zustimmung des Sachwalters zu beschränken. Ihm kommt nicht die Kompetenz zu, die Zustimmung zu ersetzen oder gar die Behandlung anzuordnen (OGH SZ 70/235 = RdM 1998/6; LG Innsbruck 19. 3. 2002, 51R 35/92z, RdM 2002/63).
c) Für den Fall, dass der Patient weder einsichtsfähig ist noch einen gesetz- 649 lichen Vertreter oder einen Erziehungsberechtigten hat, sieht § 36 Abs 2 2. Satz lediglich vor, dass auf Verlangen des Kranken oder seines Vertreters das Gericht im Nachhinein unverzüglich über die Zulässigkeit der Heilbehandlung zu entscheiden hat. Aus dem Fehlen jeglicher Aussage über Zustimmungs- oder Widerspruchserklärungen bei „einfachen“ Heilbehandlungen ist im systematischen Zusammenhang des § 36 e contrario der Schluss zu ziehen, dass die Behandlung diesfalls ohne Rücksicht auf irgendwelche – zustimmende oder ablehnende – Willenserklärungen des Patienten oder dritter Personen zulässig ist (vgl AB 12). § 36 Abs 2 enthält daher eine Ermächtigung zur „zwangsweisen Behandlung nichteinsichtsfähiger Kranker“ (StProtNR 15.598). 1. Der von dieser Bestimmung erfasste Personenkreis ist in mehrfacher Hinsicht präzisierungsbedürftig: a) Erstens fallen darunter nur Volljährige, weil es eine Situation gänzlich fehlender Vertretungsbefugnisse oder Erziehungsrechte bei Minderjährigen aus zivilrechtlichen Gründen nicht gibt (§§ 145b, 187, 211 ABGB). b) Zweitens darf die Formulierung, wonach der Patient „keinen gesetzlichen Vertreter“ 650 hat, nicht auf den Patientenanwalt bezogen werden, obgleich dieser gem § 14 mit einer gesetzlichen Vertretungsbefugnis ausgestattet ist. Sonst könnte nämlich der in § 36 Abs 2 geregelte Fall, dass der untergebrachte Patient „keinen gesetzlichen Vertreter“ hat, gar nicht eintreten, weil der ohne Verlangen untergebrachte Patient aufgrund § 14 Abs 1 UbG immer einen vertretungsbefugten Patientenanwalt hat. Der Patientenanwalt ist also kein gesetzlicher Vertreter iSd § 36 Abs 2. Er kann keine Zustimmung zur Behandlung erteilen (Rz 483). c) Drittens hat ein Patient auch dann keinen gesetzlichen Vertreter iSd § 36 Abs 2, wenn 651 ihm zwar ein Sachwalter bestellt ist, dieser aber nach seinem Wirkungskreis zur Behandlungszustimmung nicht zuständig ist: Wegen des systematischen Zusammenhanges mit den – ausdrücklich auf den Wirkungskreis abstellenden – Regelungen der Behandlungszustimmung
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kann es nur auf den Bestand einer konkreten Vertretungsbefugnis ankommen. Andernfalls bedürfte die Behandlung dieser Patienten nämlich weder der Zustimmung des Sachwalters noch wäre die gerichtliche Überprüfung nach § 36 Abs 2 möglich. Eine solche Rechtsschutzlücke kann dem UbG nicht unterstellt werden. 2. Die vom UbG eröffnete Möglichkeit der konsenslosen Behandlung unvertretener ein652 sichtsunfähiger Patienten wird dadurch zeitlich begrenzt, dass diesen Personen auf längere Sicht ein Sachwalter mit dem Wirkungskreis der Zustimmung zur Heilbehandlung zu bestellen ist, auf den dann die entsprechenden Entscheidungsbefugnisse übergehen: Dem einwilligungsunfähigen psychisch Kranken fehlt die rechtliche Fähigkeit, eine bestimmte Angelegenheit (Behandlungszustimmung) ohne Gefahr eines Nachteils für sich selbst zu besorgen (§ 273 Abs 1 ABGB). Nach der Rsp ist auch Zustimmung zur Heilbehandlung eine „Angelegenheit“ iSd § 273 (OGH EvBl 1988/85; vgl auch OGH EvBl 1986/25: Wahrnehmung der eigenen Belange gegenüber Institution als Grund für Sachwalterbestellung; LG Salzburg 5. 3. 1997, 21 R 70/97h: Bestellung eines Sachwalters zur Wahrnehmung der in § 36 UbG normierten Zustimmungsrechte). Dass der behandelnde Arzt nicht zum Sachwalter bestellt werden darf, ist im Hinblick auf Interessenkollisionen selbstverständlich. Zur Bedeutung des rechtlichen Gehörs im Verfahren zur Bestellung eines Sachwalters mit dem Wirkungskreis der Behandlungszustimmung vgl OGH 22. 4. 1999, 6 Ob 55/99b. Auf die Möglichkeit von Änderungen im Zuge der geplanten Sachwalterrechtsreform 2005 sei hingewiesen. 3. Eine Verständigung des Patientenanwalts (oder des gewillkürter Vertreters) von der 653 Behandlung ist nicht vorgesehen, wird aber implizit zu bejahen sein, um ihm die Ausübung seines Antragsrechts nach § 36 Abs 2 UbG zu gewährleisten (vgl § 38c Abs 2 KAKuG).
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ff ) Besondere Heilbehandlung einsichts- und urteilsfähiger Patienten Besondere Heilbehandlungen einschließlich operativer Eingriffe bedürfen beim einsichts- und urteilsfähigen Patienten immer einer höchstpersönlichen schriftlichen Zustimmung (§ 36 Abs 1). Sie muss daher wohl immer ausdrücklich erfolgen. Da § 36 Abs 1 – anders als § 4 Abs 2 – keine eigenhändige schriftliche Erklärung fordert, kann die Zustimmung auch durch Unterfertigung eines Vordrucks erfolgen. Eine Genehmigung durch das Unterbringungsgericht ist beim einsichtsfähigen Patienten weder erforderlich noch zulässig (LGZ Graz 3. 8. 2000, 6 R 207/00f ).
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gg) Besondere Heilbehandlung nicht einsichts- und urteilsfähiger Patienten a) Besondere Heilbehandlungen beim nicht einsichts- und urteilsfähigen Patienten dürfen nur mit schriftlicher Zustimmung des gesetzlichen Vertreters oder Erziehungsberechtigten durchgeführt werden (§ 36 Abs 2 1. Satz). Die Zustimmung des Sachwalters bedarf – als wichtige Angelegenheit iSd § 216 iVm § 282 ABGB – der Genehmigung des Pflegschaftsgerichts (Rz 648). b) Hat der Patient keinen gesetzlichen Vertreter oder Erziehungsberechtigten, so bedürfen besondere Heilbehandlungen der Genehmigung des Unterbringungsgerichts (§ 36 Abs 2 letzter Halbsatz) (dazu Rz 748 ff ). Hat der (unvertretene) Patient einer besonderen Heilbehandlung zugestimmt, fehlte es ihm aber an der Einsichts- und Urteilsfähigkeit, so ist eine ohne gerichtliche Genehmigung erfolgte Behandlung rechtswidrig (LGZ Graz 22. 4. 1997, 6 R 145/97f ).
hh) Behandlung bei Gefahr im Verzug 656 a) Nach § 37 sind die Zustimmung der zuständigen Person – des Kranken, seines gesetzlichen Vertreters oder Erziehungsberechtigten – bzw die gerichtli-
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che Genehmigung einer besonderen Heilbehandlung nicht erforderlich, wenn die Behandlung so dringend notwendig ist, dass der mit der Einholung der Zustimmung oder der Genehmigung verbundene Aufschub das Leben des Kranken gefährden würde oder mit der Gefahr einer schweren Schädigung dessen Gesundheit verbunden wäre. Über die Notwendigkeit und Dringlichkeit einer Behandlung entscheidet der Abteilungsleiter. Dieser hat den gesetzlichen Vertreter oder Erziehungsberechtigten oder, wenn der Kranke keinen solchen hat, den Patientenanwalt nachträglich von der Behandlung zu verständigen. 1. Für die Frage, wann ein Behandlungsaufschub mit einer Gefährdung des Lebens oder 657 der Gefahr einer schweren Gesundheitsschädigung des Patienten verbunden wäre, kann auf § 110 Abs 2 StGB zurückgegriffen werden: Erforderlich ist demnach, dass zumindest eine Beeinträchtigung von der Qualität einer schweren Körperverletzung iSd § 84 StGB zu erwarten ist (wie hier LG Salzburg 30. 10. 2003, 21 R 249/03v, EFSlg 105.069). Die Wahrscheinlichkeit, mit der diese Schädigung drohen muss, ist in Relation zu jenem Zeitraum zu sehen, der für die Einholung der Zustimmung bzw Genehmigung nötig wäre. Behandlungen zur Abwehr eines lebensbedrohenden Zustandes sind nach § 37 jedenfalls zulässig (OGH 7. 12. 1993, 6 Ob 631/93 zu Elektrokrampftherapie bei Katatonie). Eine mehrtägige Behandlungsserie kann hingegen nicht auf § 37 gestützt werden, weil und sofern die Behandlungen absehbar waren und eine frühere Antragstellung möglich gewesen wäre (LG Innsbruck 28. 6. 1996, 54 R 95/96; ebenso LGZ Wien 22. 8. 1997, 44 R 431/97a). 2. Eine Behandlung zur Abwehr von Gefahren für Dritte (hier: des behandelnden Arztes) 658 kann nicht auf § 37 UbG gestützt werden: LG Innsbruck 22. 5. 1993, 2b R 74/93. 3. Die Verständigungspflichten dienen insb der Ausübung des gerichtlichen Beschwerde- 659 rechts: Auch die gem § 37 ohne Zustimmung vorgenommene Behandlung unterliegt der nachträglichen gerichtlichen Überprüfung gem § 36 Abs 2 (Rz 728, 750) auf Initiative des Patienten oder seines Vertreters. Allerdings können weder der gesetzliche Vertreter noch der Erziehungsberechtigte eine solche Kontrolle herbeiführen, weil die Gerichtszuständigkeit des § 36 Abs 2 2. Satz bei vertretenen Patienten gerade nicht besteht (Rz 763).
b) § 37 UbG erlaubt unter den angegebenen Voraussetzungen eine Behand- 660 lung ohne Zustimmung bzw ohne – wirksame (Rz 759) – gerichtliche Genehmigung, nicht aber eine Behandlung gegen den bereits wirksam erklärten Willen eines einsichtsfähigen Patienten oder entgegen eine vom Gericht wirksam verweigerte Genehmigung. § 37 regelt also nur den Fall, dass eine rechtswirksame Willenserklärung einer zustimmungsbefugten Person bzw die Genehmigung des Gerichts nicht rechtzeitig erlangt werden kann. 1. Eine wirksame gerichtliche Genehmigung fehlt auch dann, wenn einem Rekurs gegen die erstinstanzliche Genehmigung die aufschiebende Wirkung nicht aberkannt wurde. 2. Dieser Vorrang der Behandlungsablehnung gilt nicht, wenn der – genauer: alle – ge- 661 setzliche Vertreter bzw Erziehungsberechtigte eines nicht einsichtsfähigen Patienten ihre Zustimmung zu einer notwendigen und indizierten Behandlung verweigert. Nach der im Zivilrecht hA kann sich die Weigerung des Vertreters dann, wenn sie die Schwelle zum Missbrauch des Sorgerechts überschreitet, nicht endgültig durchsetzen (OGH EvBl 1989/80; SZ 57/207). Vielmehr muss der Arzt in einer derartigen Situation gem § 176 Abs 1 ABGB das Pflegschaftsgericht anrufen, das zur Substitution der verweigerten Einwilligung einen Sachwalter bestellen kann. Käme die Entscheidung des Gerichts zu spät und entsteht dadurch Lebensgefahr oder die Gefahr schwerer Gesundheitsschädigung, dann ist die Behandlung ungeachtet der Weigerung des Vertreters zulässig. Dasselbe gilt iVm § 282 ABGB für die unberechtigte Zustimmungsverweigerung durch einen Sachwalter. All diese Überlegungen treffen auch im Anwendungsbereich des UbG zu: Die Bestimmung des § 36 Abs 2, wonach die Behandlung nicht einsichtsfähiger Patienten „nicht gegen den Willen“ des gesetzlichen Vertreters bzw Erziehungsberechtigten vorgenommen werden darf, bedeutet keine vorbehaltlose Beachtlichkeit des Vertreterwillens. Denn da die pflegschaftsgerichtlichen Aufsichtsbefugnisse vom UbG nicht angetastet werden sollten (AB 7), kann einer missbräuchlichen Ausübung des Personen-
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sorgerechts auch gegenüber untergebrachten Pfleglingen keine endgültige Wirksamkeit zukommen. Vielmehr wird die Behandlung aufgrund der Notfallsregelung des § 37 auch in diesen Konstellationen zulässig sein, da die nicht rechtzeitige „Einholung der Zustimmung“ diesfalls auf das nicht rechtzeitig erzielbare Einschreiten des Pflegschaftsgerichts zu beziehen ist (mwN Kopetzki II 846 f ).
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ii) Schriftliche Patientenverfügungen, gewillkürte Stellvertretung Ein Patient kann auch durch antizipierte Willenserklärungen (Patientenverfügungen) eine rechtswirksame Verfügung über ärztliche Behandlungsmaßnahmen für den Fall treffen, dass er später seine Entscheidungsfähigkeit verliert. Das gilt – da das UbG keinen Behandlungszwang vorsieht – auch im Anwendungsbereich des UbG, sofern der Patient zum Erklärungszeitpunkt nach Maßgabe des § 36 UbG einwilligungsfähig ist. Die in einer solchen Erklärung verfügte Ablehnung einer medizinischen Behandlung ist grundsätzlich verbindlich, sofern die Verfügung hinreichend bestimmt (und nicht widerrufen) ist.
1. Die Verbindlichkeit von Patientenverfügungen ist in Lehre und Rsp nach wie vor nicht eindeutig geklärt. Zur Begründung und den praktischen Problemen mwN Kopetzki II 848 ff, dort auch zur Dokumentationspflicht des § 10 Abs 1 Z 7 KAKuG; Memmer, RdM 1996, 99; Kopetzki (Hg), Antizipierte Patientenverfügungen (2000); unentschieden LG Innsbruck 23. 8. 1996, 52 R 111/96; eine Verbindlichkeit tendenziell ablehnend LG Innsbruck 10. 7. 1998, 52 R 88/98t. Da sich zumindest bei länger bestehenden psychischen Krankheiten keine Vermutungsregel zugunsten der Handlungsfähigkeit in einem früheren Zeitpunkt aufstellen lässt, kann das Vorliegen der Einwilligungsfähigkeit bei Abfassung der Verfügung möglicherweise unaufklärbar bleiben. In einem solchen Zweifelsfall ist jedenfalls keine Verbindlichkeit der Behandlungsablehnung anzunehmen: die Entscheidung des behandelnden Arztes wird dann zugunsten der Behandlung ausfallen müssen. Wie hier nun – jedoch ohne Aussage zur grundsätzlichen Beachtlichkeit von Patientenverfügungen – OGH 16. 7. 1998, 6 Ob 144/98i, RdM 1999/21 = EvBl 1999/21. 2. Antizipierte Patientenverfügungen, die die Ablehnung von Bewegungsbeschränkungen zum Inhalt haben, sind schon deshalb unerheblich, weil die Zulässigkeit von Zwangsmaßnahmen gem §§ 33 ff UbG nicht vom Willen des Betroffenen abhängt (vgl LG Innsbruck 6. 2. 1998, 54 R 153/97i und 173/97i). 3. Eine Vorsorge für später eintretende Situationen der Entscheidungsunfähigkeit ist auch 663 dadurch denkbar, dass der Betroffene rechtzeitig einen Stellvertreter mit der Entscheidung über die Einwilligung in die Behandlung bevollmächtigt. Bei iSd UbG untergebrachten Patienten ist dafür jedoch kein Raum: Anders als bei der Vertretung im Unterbringungsverfahren, wo das Gesetz gesetzliche und gewillkürte Vertreter im Wesentlichen gleichstellt, kommt nach § 36 Abs 2 nur dem gesetzlichen Vertreter oder dem Erziehungsberechtigten eine Entscheidungsbefugnis in Behandlungsfragen zu. 4. Eine bundesgesetzliche Regelung sowohl der Patientenverfügungen als auch der Vorsorgevollmacht ist derzeit in Diskussion; ihr Ausgang ist aus heutiger Sicht ungewiss.
5. Grenzfälle der (Heil-)behandlung 664 Auf ärztliche Maßnahmen, die keine Heilbehandlungen im engeren Sinn (Rz 579 ff ) sind, ist das Behandlungsrecht der §§ 35 ff nicht anzuwenden (vgl Kopetzki II 851 f ). Ihre Zulässigkeit ist nach anderen Rechtsgrundlagen – insb des Zivil- und Strafrechts – zu beurteilen. Als grundlegende Leitlinie ist allerdings zu beachten, dass alle Maßnahmen gegenüber untergebrachten Patienten der Bindung an das Wohl des Kranken (§ 49 ÄrzteG) und an den Schutz der Menschenwürde (§ 1 Abs 1 UbG; Art 1 Abs 4 PersFrG) unterliegen.
5. Grenzfälle der (Heil-)behandlung
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a) Versuche Idealtypisch ist zwischen Heilversuchen (also die indizierte Erprobung neuer Mittel oder Methoden im therapeutischen Interesse des konkreten Patienten), wissenschaftlichen Versuchen (die nicht konkret indizierte Forschungsmaßnahme, die allenfalls der Heilung künftiger Patienten dient) und den besonders geregelten klinischen Arzneimittelprüfungen zu unterscheiden. aa) Heilversuche Heilversuche sind – obgleich sie Elemente der Heilbehandlung und des Experiments ver- 665 binden und daher einen Doppelcharakter aufweisen – Heilbehandlungen iSd UbG und daher nach §§ 35 ff zu beurteilen. Sie sind zulässig, wenn es keine anerkannte konventionelle Methode gibt oder diese eine geringere Erfolgsaussicht und/oder höhere Risken aufweist (Rz 588). Heilversuche sind besondere Heilbehandlungen iSd § 36 und bedürfen daher der schriftlichen Zustimmung des Patienten bzw – bei fehlender Einsichts- und Urteilsfähigkeit – der Zustimmung des Vertreters, Erziehungsberechtigten bzw der Genehmigung des Unterbringungsgerichts. Bei Anwendung neuer medizinischer Methoden ist eine Befassung der nach § 8c Abs 1 KAKuG einzurichtenden Ethikkommissionen vorgeschrieben (Rz 594 f ).
bb) Klinische Prüfungen Im Gegensatz zur bisherigen Rechtslage sind klinische Prüfungen von Arz- 666 neimitteln an Personen, die auf gerichtliche oder behördliche Anordnung angehalten oder gem dem UbG untergebracht sind, nun generell unzulässig (§ 45 Abs 2 AMG idF BGBl I 2004/35). 1. Zum Begriff der klinischen Prüfung vgl § 2a Abs 1 AMG. Zur Abgrenzung von der Anwendungsbeobachtung bereits zugelassener Arzneimittel § 2a Abs 3 AMG. 2. Das Verbot des § 45 Abs 2 AMG bezieht sich auf Personen, die „gemäß dem Unterbringungsgesetz untergebracht sind“; es gilt also auch in der Unterbringung auf Verlangen sowie für untergebrachte Patienten unter Sachwalterschaft. 3. Das absolute Verbot klinischer Arzneimittelprüfungen wurde erst durch die AMG-Nov 667 BGBl I 2004/35 eingeführt. Zur früheren Rechtslage vgl Vorauflage Rz 666 ff sowie OGH 20. 1. 2000, 6 Ob 238/99i, SZ 73/13 = RdM 2001/3 Anm Kopetzki; ebenso OGH 20. 1. 2000, 6 Ob 242/99b; weiters BMSG 13. 3. 2001, MÖSV 2001/4, 25. Vgl auch Rz 762. 4. Ein gleich gelagertes Verbot besteht für die klinische Prüfung von Medizinprodukten 668 an iSd UbG untergebrachten Personen (§ 52 MPG). (entfällt) 669
cc) Wissenschaftliche Versuche Behandlungen mit experimentellem Charakter, die allenfalls der Heilung 670 künftiger Patienten dienen, für den Betroffenen aber keinen therapeutischen, diagnostischen oder prophylaktischen Wert haben (wissenschaftliche Versuche), sind bei angehaltenen Personen selbst mit ihrer Zustimmung unzulässig. Zur Begründung Kopetzki II 858. Dafür spricht nun auch ein Größenschluss aus dem (sogar für medizinisch indizierte klinische Arzneimittelprüfungen geltenden) Verbot des § 45 Abs 2 AMG. Auch der Sachwalter kann keinen belastenden (invasiven) Forschungsmaßnahmen zustimmen, die ausschließlich wissenschaftlichen Zwecken dienen. Dies war wegen der Bindung an das Wohl des Pfleglings schon vor der (überflüssigen) Klarstellung durch § 282 Abs 3 ABGB idF der Novelle BGBl I 2005/43 nicht zweifelhaft.
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VII. Teil: Vollzug der Unterbringung
b) Sterilisationen aa) Medizinisch indizierte Sterilisation 671 Wie auch sonst hängt die Zulässigkeit einer Sterilisation zunächst von der Zielsetzung des Eingriffs ab: Ist die Sterilisation medizinisch indiziert, dann liegt eine Heilbehandlung vor, die nach den allgemeinen Regeln der §§ 35 ff zu beurteilen ist. Beim einsichts- und urteilsfähigen Patienten ist daher dessen Zustimmung erforderlich, bei fehlender Einsichtsfähigkeit bedarf es gem § 36 Abs 2 UbG der Zustimmung des Erziehungsberechtigten oder des gesetzlichen Vertreters. Nach dem KindRÄG 2001 kann diese Zustimmung allerdings nur mehr in den engen Grenzen der §§ 146d und 282 Abs 3 ABGB erteilt werden. Hat der nicht einsichtsfähige Patient weder einen Erziehungsberechtigten noch einen gesetzlichen Vertreter, so ist – als besondere Heilbehandlung iSd § 36 Abs 2 – die Genehmigung des Unterbringungsgerichts erforderlich. 672
1. Materielle Schranken ergeben sich überdies aus dem Verhältnismäßigkeitsgebot des § 35 Abs 1: Zu prüfen ist dabei, ob die Sterilisation zur Abwehr oder Beseitigung der Gesundheitsgefahr unbedingt erforderlich ist und das gelindeste Mittel darstellt. Da konsenslose Behandlungsmaßnahmen während der Unterbringung nur im Rahmen der Unterbringungszwecke zulässig sind und nicht einer darüber hinausgehenden umfassenden Gesundheitsfürsorge oder Familienplanung dienen dürfen (Rz 592), wird eine (vom Unterbringungsgericht) gerichtlich genehmigte zustimmungslose Sterilisation nicht in Betracht kommen. Im Indikationsfall ist ein Sachwalter zu bestellen und nach § 282 Abs 3 ABGB vorzugehen (vgl unten 3). Auch für die Anwendung der Regelung bei Gefahr im Verzug gem § 37 UbG ist – mangels einer vitalen Dringlichkeit – aus sachlichen Gründen kein Raum. 2. Zu den Schwierigkeiten der Abgrenzung zwischen „medizinischen“ und anderen Indikationen vgl Kopetzki II 859 FN 5219. Problematisch sind rein psychiatrische oder „medizinisch-soziale“ Indikationen, bei denen die Grenze zur Sozialgestaltung nicht klar gezogen werden kann. Wegen § 282 Abs 3 ABGB scheiden solche Indikationen bei einwilligungsunfähigen Patienten künftig ohnehin aus. Vgl Rz 676. 3. Obwohl § 36 UbG durch das KindRÄG 2001 unberührt blieb (Kopetzki in Kopetzki, 673 [Hg] Einwilligung und Einwilligungsfähigkeit [2001] 18), sind die neuen Bestimmungen über die Sterilisation in § 146d und § 282 Abs 3 ABGB auch in der Unterbringung anzuwenden, da sie die (von § 36 UbG verwiesenen) Einwilligungsbefugnisse der familienrechtlichen Vertreter limitieren. Daraus ergibt sich folgende Rechtslage: Bei minderjährigen Kindern können gem § 146d ABGB weder das Kind noch die Eltern in eine Maßnahme einwilligen, die eine dauernde Fortpflanzungsunfähigkeit zum Ziel hat. Bei (einwilligungsunfähigen) Personen mit Sachwalter kann der (sofern nach seinem Wirkungskreis zuständige) Sachwalter gem § 282 Abs 3 ABGB nur unter der Voraussetzung zustimmen, dass sonst wegen eines dauerhaften körperlichen Leidens eine ernste Gefahr für das Leben oder eine schwere Schädigung der Gesundheit der behinderten Person besteht (enge somatisch-medizinische Indikation). Diese Zustimmung bedarf in jedem Fall einer gerichtlichen Genehmigung (durch das Pflegschaftsgericht); zum Verfahren § 131 AußStrG. Näher mwN Stabentheiner in Rummel, ABGB § 146b Rz 11 und § 282 Rz 5. Notwendige Behandlungen, bei denen die Fortpflanzungsunfähigkeit nicht intendiert, sondern nur unvermeidliche Begleitfolge eines Eingriffs ist, werden von den Beschränkungen des KindRÄG nicht erfasst. 4. Nach wie vor gilt, dass eine Zustimmung zur Sterilisation durch Dritte unter dem As674 pekt des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes erst dann erteilt werden darf, wenn andere, gleich wirksame und geeignete Mittel zur Verhinderung der drohenden Gefahr nicht in Betracht kommen (zur früheren Rechtslage OGH ÖAV 1992, 89 = RPflSlgA 8071).
5. Grenzfälle der (Heil-)behandlung
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bb) Nicht medizinisch indizierte Sterilisation Ist die Sterilisation nicht medizinisch indiziert, dann unterliegt sie nicht 675 dem für Heil behandlungen geltenden Regime des UbG. § 36 Abs 2 stellt daher auch keine taugliche Rechtsgrundlage für solche Eingriffe an einwilligungsunfähigen Patienten dar. Die Beurteilungsmaßstäbe sind in diesem Fall aus dem allgemeinen strafrechtlichen Rechtfertigungsgrund des § 90 Abs 2 StGB zu gewinnen. Daraus ergibt sich folgende – nicht auf iSd UbG untergebrachte Patienten beschränkte – rechtliche Situation: a) Die von einem Arzt an einer Person mit deren Einwilligung vorgenommene Sterilisa- 676 tion ist nicht rechtswidrig, wenn entweder die Person bereits das 25. Lebensjahr vollendet hat oder der Eingriff aus anderen Gründen nicht gegen die guten Sitten verstößt. Das bedeutet, dass die Sterilisation nach Vollendung des 25. Lebensjahres unabhängig von ihrem Zweck zulässig ist, vor Vollendung des 25. Lebensjahres hingegen nur dann, wenn sie einer zusätzlichen Prüfung am Maßstab der „guten Sitten“ standhält. Die dadurch verwiesenen Wertvorstellungen werden überwiegend dahingehend konkretisiert, dass sowohl eine „eugenische“ (besser: embryopathische) Indikation (Gefahr erheblicher Schädigung der Nachkommenschaft) als auch eine „medizinisch soziale“ Indikation (Gefahr erheblicher Gesundheitsschäden durch die mit der Geburt und der Kindererziehung verbundenen Belastungen) die Sterilisation rechtfertigen kann (mwN Kopetzki II 860; mit guten Gründen gegen eine rein soziale Indikation vor Vollendung des 25. Lebensjahres Burgstaller/Schütz WK § 90 Rz 192). An Minderjährigen sind Sterilisationen gem § 146d ABGB nun generell ausgeschlossen. b) Eine Sterilisation ohne Zustimmung ist wegen § 90 Abs 2 StGB – unabhängig vom 677 Alter – ausnahmslos unzulässig. An die Einwilligungsfähigkeit und die Aufklärung sind wegen der Schwere des Eingriffs besonders strenge Anforderungen zu stellen. Zwar hängt die Rechtserheblichkeit einer Einwilligung auch bei Sterilisationen nicht von der Geschäftsfähigkeit, sondern von der natürlichen Einsichts- und Urteilsfähigkeit des Betroffenen ab (OGH ÖAV 1992, 89 = RPflSlgA 8071). Zutreffend wird aber betont, dass die konkrete Einsichtsund Urteilsfähigkeit bei Personen mit eingeschränkter Geschäftsfähigkeit nur mit großer Zurückhaltung anzunehmen ist (Burgstaller/Schütz WK § 90 Rz 37, 92 f, 177, 188). c) Unter welchen Voraussetzungen die fehlende Einwilligung des (einwilligungsunfähigen) 678 Betroffenen durch eine vertretungsweise Einwilligung eines Sachwalters ersetzt werden kann, ist nach § 282 Abs 3 ABGB idF KindRÄG 2001 zu beurteilen. Da die Erteilung der Zustimmung eine enge somatisch-medizinische Indikation voraussetzt (vgl Rz 673), kommt bei fehlender somatisch-medizinischer Indikation eine Zustimmung des Sachwalters nicht mehr in Betracht aus. Die bisher diskutierte Zustimmungssubstitution bei weiter gehenden Indikationen (zB Schäden der Nachkommenschaft, Unfähigkeit zur Kindererziehung; mwN Kopetzki II 861) und die dazu ergangene Rsp (OGH SZ 50/161 = EvBl 1978/100; OGH ÖAV 1992, 89 = RPflSlgA 8071) ist durch das KindRÄG 2001 überholt. Vgl dazu wieder Burgstaller/Schütz WK § 90 Rz 194.
c) Kastration Vgl Kopetzki II 865 ff.
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d) Künstliche Ernährung Für die künstliche Ernährung eines Patienten ohne oder gegen seinen Willen 680 bestehen – von hier nicht einschlägigen strafvollzugsrechtlichen Bestimmungen abgesehen – keine speziellen Regelungen. Sie ist nach den Regeln über die Heilbehandlung zu beurteilen. Daraus ergeben sich folgende Voraussetzungen: a) Damit überhaupt von einer Heilbehandlung iSd UbG die Rede sein kann, muss ein behandlungsbedürftiger Zustand der Unterernährung bereits eingetreten sein oder unmittelbar drohen. Anderenfalls fehlt es an einer medizinischen Indikation im eigentlichen Sinn.
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VII. Teil: Vollzug der Unterbringung
b) Die Nahrungsverweigerung muss dadurch bedingt sein, dass dem Patienten krankheitsbedingt die Fähigkeit fehlt, „Grund und Bedeutung“ der Nahrungsaufnahme einzusehen oder nach dieser Einsicht zu handeln (zB Magersucht: OGH SZ 68/117 = RdM 1996/2). Ist der Patient einsichts- und urteilsfähig und verfolgt er mit der Nahrungsverweigerung krankheitsunabhängige Ziele (zB Hungerstreik: OGH SZ 68/117 = RdM 1996/2), dann scheidet eine Ernährung gegen seinen Willen wegen § 36 Abs 1 UbG aus, und zwar unabhängig von den drohenden gesundheitlichen Folgen der Nahrungskarenz. c) Im Licht des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes (§ 35 Abs 1) ist zu prüfen, ob der Nahrungsmangel bzw der zur Nahrungsverweigerung führende Krankheitszustand nicht auf schonendere Weise behoben werden kann. d) Es handelt sich um eine besondere Heilbehandlung (vgl Rz 638; abweichend jedoch OGH SZ 68/117 = RdM 1996/2 Anm Kopetzki). Beim nicht einsichtsfähigen Patienten bedarf die künstliche Ernährung daher entweder der Zustimmung des Sachwalters (mit Genehmigung des Pflegschaftsgerichts, Rz 655) bzw (bei Minderjährigen) der Erziehungsberechtigten oder – bei Patienten ohne gesetzlichen Vertreter – einer Genehmigung des Unterbringungsgerichts gem § 36 Abs 2 UbG. Eine Durchführung in Anwendung der Regelung für Gefahr im Verzug gem § 37 kommt nicht in Betracht, weil die Folgen fehlender Nahrungszufuhr längerfristig vorherzusehen sind.
6. Wahlrecht 681 a) Gem Art 26 Abs 1 B-VG steht allen Staatsbürgern ab Vollendung des 18. Lebensjahres das aktive Wahlrecht zum Nationalrat zu. Ein Ausschluss vom Wahlrecht kann gem Art 26 Abs 5 B-VG nur für den Fall einer strafgerichtlichen Verurteilung vorgesehen werden. Weder die psychische Erkrankung noch die Tatsache der Unterbringung stellen daher einen Wahlausschlussgrund dar (näher Kopetzki II 869). Für das Wahlrecht zu den Landtagen gilt wegen Art 95 Abs 2 B-VG nichts anderes. Die Wahlberechtigung zur Bundespräsidentenwahl knüpft ebenfalls am Wahlrecht zum Nationalrat an (§ 4 BundespräsidentenwahlG BGBl 1971/57 idF BGBl I 2003/90).
b) Faktische Grenzen bestehen allerdings für die Ausübung des Wahlrechts:
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a) Probleme der tatsächlichen Ausübung des Wahlrechts Untergebrachte Patienten sind wegen der ihnen auferlegten Bewegungsbeschränkungen nicht in der Lage, ihr Wahlrecht in einem außerhalb der Anstalt gelegenen Wahllokal auszuüben. Da weder die NRWO noch das UbG eine Wahlrechtseinschränkung während der Unterbringung vorsehen, trifft den Staat die Pflicht, die Ausübung des Wahlrechts aktiv zu gewährleisten. 1. Zu diesem Zweck ermächtigt § 72 Abs 1 NRWO 1992 die Gemeindewahlbehörden, zur Erleichterung der Stimmabgabe für Pfleglinge, die in öffentlichen oder privaten Heil- und Pflegeanstalten untergebracht sind, für den „örtlichen Bereich des Anstaltsgebäudes“ einen oder mehrere besondere Wahlsprengel einzurichten (vgl Frank/Harrer/Stolzlechner, JBl 1985, 338 ff); zugleich ist für diese besonderen Wahlsprengel eine eigene Sprengelwahlbehörde einzusetzen (§ 9 NRWO 1992). In diesem Fall haben die gehfähigen Patienten ihr Stimmrecht gem § 72 Abs 2 NRWO 1992 in den Wahllokalen der nun für sie zuständigen Sprengelwahlbehörde auszuüben, sofern sie ihren Wohnsitz bereits in der Anstalt haben; anderenfalls bedürfen sie dazu freilich einer Wahlkarte. Näher Kopetzki II 870 ff. 2. Für bettlägrige Patienten sind zusätzlich mobile Wahlkommissionen vorgesehen: Gem § 72 Abs 3 NRWO kann sich die für die Anstalt zuständige Sprengelwahlbehörde mit ihren Hilfsorganen und den Wahlzeugen zum Zweck der Entgegennahme der Stimmen bettlägriger Patienten „auch in deren Liegeräume“ begeben. Dabei ist durch entsprechende Einrichtungen
7. Dokumentationspflichten
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(zB Aufstellen eines Wandschirmes) dafür Sorge zu tragen, dass der Pflegling unbeobachtet sein Wahlrecht ausüben kann.
b) Untersagung der Wahlrechtsausübung Die Möglichkeit, Pfleglingen einer Krankenanstalt die Ausübung des Wahl- 683 rechts „aus gewichtigen medizinischen Gründen“ zu untersagen (vgl noch § 72 Abs 4 NRWO aF), wurde durch BGBl I 1998/161 ersatzlos aufgehoben. Vgl zur bisherigen Rechtslage – auch zu deren Verfassungswidrigkeit – Frank/Harrer/Stolzlechner, JBl 1985, 340 f; Kopetzki II 872 f.
7. Dokumentationspflichten Dokumentationspflichten während der Unterbringung ergeben sich sowohl 684 aus dem UbG als auch aus den allgemeinen Bestimmungen des Arztrechts und des Krankenanstaltenrechts. Zur Bedeutung der Dokumentation Kopetzki II 876 f.
a) Krankengeschichten a) Die Krankenanstaltengesetze der Länder enthalten inhaltlich weitgehend 685 übereinstimmende Vorschriften über die Führung und Aufbewahrung von „Krankengeschichten und sonstige Vormerkungen“. Im einzelnen sind zu unterscheiden (näher Kopetzki II 877 ff ): a) Vormerke über die Aufnahme und Entlassung der Pfleglinge (§ 10 Abs 1 Z 1 KAKuG). In diesen – auch als Aufnahmebuch oder Aufnahmekartei bezeichneten – Aufzeichnungen sind die Aufnahme und Entlassung eines Patienten, die wichtigsten Personaldaten, die zur Aufnahme führende Krankheit sowie der Aufnahme- und Entlassungstag oder gegebenenfalls der Todestag bzw die Todesursache einzutragen. Im Fall der Ablehnung der Aufnahme sind auch die dafür maßgebenden Gründe zu dokumentieren. b) In der Krankengeschichte ist die Vorgeschichte der Erkrankung (Anamnese), der Zustand des Pfleglings zur Zeit der Aufnahme, der Krankheitsverlauf, die angeordneten Maßnahmen sowie die erbrachten ärztlichen Leistungen einschließlich Medikation (insb hinsichtlich Name, Dosis und Darreichungsform) und die Aufklärung zu dokumentieren (§ 10 Abs 1 Z 2 KAG und die Landes-KAG). Dabei anfallende Befunde sind Bestandteil der Krankengeschichte. Ebenfalls zu dokumentieren sind Verfügungen, mit denen der Patient für den Fall des Verlustes der Handlungsfähigkeit das Unterbleiben bestimmter Behandlungsmethoden wünscht (§ 10 Abs 1 Z 7 KAKuG). Schließlich sind auch sonstige angeordnete und erbrachte wesentliche Leistungen, insb der pflegerischen, psychologischen bzw psychotherapeutischen Betreuung sowie Leistungen der medizinisch technischen Dienste darzustellen (§ 10 Abs 1 Z 2 lit b KAKuG). Im Ergebnis hat die Krankengeschichte alle wesentlichen ärztlichen und pflegerischen Maßnahmen wiederzugeben. c) Operationsprotokolle, Obduktionsprotokolle und Niederschriften über Organentnahmen.
b) Ungeachtet der terminologischen Vielfalt sind sämtliche erwähnten Do- 686 kumente Teil der Krankengeschichte und rechtlich wie diese zu beurteilen. Wie sie in der Praxis bezeichnet werden und ob sie in einem einheitlichen Dokument zusammengefasst sind, spielt keine Rolle. Auch eine getrennt geführte „Pflegedokumentation“ ist daher Element der Krankengeschichte (§ 10 Abs 1 Z 2 lit b KAKuG) und teilt deren rechtliches Schicksal.
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VII. Teil: Vollzug der Unterbringung
Detaillierte und länderweise verschiedene Regelungen bestehen über die Unterfertigung, Aufbewahrung und Vernichtung von Krankengeschichten. Soweit die Krankengeschichte oder Teile davon EDV-unterstützt geführt werden, gelten die Bestimmungen des DSG.
b) Aufzeichnungen nach UbG 687 In Bezug auf untergebrachte Patienten psychiatrischer Anstalten bzw Abteilungen gelten weitergehende Dokumentationspflichten aufgrund des UbG. Danach sind das Ergebnis der Aufnahmeuntersuchung (§ 6 Abs 2, § 10 Abs 2), Beschränkungen der Bewegungsfreiheit auf einen Raum oder innerhalb eines Raumes (§ 33 Abs 3), Einschränkungen des Besuchs- und Telefonverkehrs (§ 34 Abs 2) sowie die Verweigerung der Einsicht in die Krankengeschichte (§ 39) vom behandelnden Arzt in der Krankengeschichte – bei Beschränkungen: unter Angabe des Grundes – zu beurkunden. Die im Zuge der Aufnahmeuntersuchung erstellten ärztlichen Zeugnisse sind der Krankengeschichte als Bestandteil anzuschließen (§ 6 Abs 1, § 10 Abs 1), ebenso eine allfällige Bescheinigung gem § 8 sowie der sicherheitspolizeiliche Bericht über die Einlieferung in die Anstalt (§ 39b Abs 1). 1. Da sämtliche Aufzeichnungen nach dem UbG entweder unmittelbar in der Krankengeschichte vorzunehmen oder dieser als „Bestandteil“ anzuschließen sind, gelten auch für sie wieder die allgemeinen Regelungen des KAKuG über Krankengeschichten (§ 38d KAKuG) sowie die hierauf bezogenen Einsichtsrechte nach dem UbG. 2. Die Bedeutung der im UbG vorgesehenen Aufzeichnungen liegt vor allem in der Beurkundung einzelner Verfahrensschritte bei der Verhängung der Unterbringung (Aufnahmeuntersuchung) und bei der Durchführung von Beschränkungen. Sie dienen der Nachvollziehbarkeit von Akten der Anstalt, insb im Hinblick auf die nachgehende Prüfung der Richtigkeit (RV 28) im Zuge einer gerichtlichen Überprüfung nach dem UbG. 3. Dokumentationsmängel können insb im Zuge der Erstanhörung dazu führen, dass die erforderliche Glaubhaftmachtung der Unterbringungsvoraussetzungen (Rz 74, 341) nicht gelingt; vgl statt vieler LG Innsbruck 7. 7. 2000, 54 R 75/00a (bloßes Ankreuzen der „Gefährdung“ in fachärztlichen Zeugnissen ohne Konkretisierung). Das gilt insb für Informationen aus dem Vorfeld einer sicherheitspolizeilichen Einlieferung (vgl Rz 189 ff, 217/1, 341) sowie die von den Ärzten vom Hörensagen berichteten Äußerungen Dritter (vgl Rz 369), dazu LG St. Pölten 24. 5. 2000, 10 R 158/00p (von nicht namentlich genannten Dritten berichtete Selbstmordäußerungen und Hinweise auf angeblichen Abschiedsbrief zu mangelhaft dokumentiert). 4. Es handelt sich um öffentliche Urkunden (iSd § 292 ZPO und § 47 AVG). Als solche 689 unterliegen sie sowohl den Regeln über die Beweiskraft öffentlicher Urkunden (§ 292 ZPO; Fasching Rz 950 ff) als auch dem erhöhten strafrechtlichen Schutz (vorsätzlich unrichtige Eintragungen als falsche Beurkundung iSd § 311 StGB; Verfälschung der Krankengeschichte als Urkundenfälschung iSd § 224 StGB).
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8. Informationsrechte und Informationsschranken a) Geheimnisschutz 690 In der Psychiatrie ist die Bedeutung des Geheimnisschutzes durch die Intimität der dem Arzt anvertrauten Informationen und durch die potentielle Sozialschädlichkeit ihrer Weitergabe an Dritte besonders ausgeprägt. Da das UbG spezielle Vorschriften über die Schweigepflicht nur für den Patientenanwalt (Rz 493 ff ) und im Zusammenhang der sicherheitspolizeilichen Amtshandlungen
8. Informationsrechte und Informationsschranken
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(Rz 189/2) enthält, sind im Übrigen die allgemeinen Bestimmungen über die Verschwiegenheitspflicht und den Datenschutz maßgeblich (AB 2). 1. Die Grundlagen dieser Schweigepflichten ergeben sich aus einer Gemengelage verfassungsrechtlicher (§ 1 DSG 2000; Art 8 EMRK; Art 20 Abs 3 B-VG), berufsrechtlicher (§ 54 ÄrzteG; § 6 GuKG; § 15 Abs 2 UbG), dienstrechtlicher, strafrechtlicher (§ 121 StGB) und krankenanstaltenrechtlicher (§ 9 KAKuG und Landes-KAG) Vorschriften, die hinsichtlich ihres sachlichen und personellen Anwendungsbereiches sowie hinsichtlich der Durchbrechungen des Geheimnisschutzes voneinander abweichen. Vgl zu Einhelheiten näher Klaus, Schweigepflicht; Kopetzki II 880 ff; Kletecka-Pulker, Schweige-, Anzeige- und Meldepflichten, in Aigner ua (Hg), Handbuch Medizinrecht für die Praxis I 191 ff; Schwamberger, Einige gesundheitsrechtlich relevante Aspekte des Datenschutzgesetzes 2000, RdM 1999, 131. 2. Alle den Gesundheitszustand eines Patienten betreffenden Tatsachen einschließlich des 691 Anstaltsaufenthalts stellen grundsätzlich ein geschütztes Geheimnis dar, dessen Offenbarung nur bei einem gesetzlichen Ausnahmetatbestand oder einem anderen Rechtfertigungsgrund zulässig ist. Mit dem Begriff des Geheimnisses sind Tatsachen angesprochen, die nur dem Geheimnisträger selbst oder einem kleinen Personenkreis bekannt sind und bei denen ein Interesse besteht, sie Außenstehenden nicht bekannt zu machen (vgl Rz 494). 3. Zur Schweigepflicht des Patientenanwalts vgl Rz 493 ff. 4. Besonders ausgeprägte Schweigepflichten bestehen für die Betreuungseinrichtungen für Personen im Hinblick auf Suchtgiftmissbrauch gem § 15 Abs 5 SMG. 5. Verschwiegenheitspflichten enden jedenfalls dann, wenn die von der Offenbarung bedrohte Person zugestimmt hat („Entbindung“, vgl zB § 54 Abs 2 Z 3 ÄrzteG); eine wirksame Entbindung setzt Einsichts- und Urteilfähigkeit des Betroffenen voraus. Vgl auch Rz 697.
aa) Mitteilungen gegenüber Behörden a) Die im UbG vorgesehenen Mitteilungs- und Informationspflichten der 692 Krankenanstalt gegenüber dem Unterbringungsgericht und dem Patientenanwalt durchbrechen die Verschwiegenheitspflichten der Anstaltsorgane. 1. Zu den Meldepflichten an das Gericht vgl § 17 (Aufnahme); § 30 Abs 3 (Notwendigkeit der weiteren Unterbringung); § 32 (Aufhebung der Unterbringung); § 36 Abs 2 UbG (Einholung der Genehmigung einer besonderen Heilbehandlung). Zu den durch die UbGNov 1997 neu geschaffenen Informationspflichten über die sicherheitspolizeiliche Einlieferung vgl § 39b Abs 1 UbG; näher Rz 189/6, 217/1. 2. Zu den Informationspflichten gegenüber dem Patientenanwalt vgl § 10 Abs 3 (Unterbringung); § 32 (Aufhebung der Unterbringung); § 33 ff (Beschränkungen und Behandlungen) etc. 3. Auch sonst besteht gegenüber dem Unterbringungsgericht oder dem Patientenanwalt 693 keine Schweigepflicht, wenn Ärzte oder Pflegepersonen als Auskunftspersonen, Zeugen oder Sachverständige im Unterbringungsverfahren einvernommen werden (Interessen der Rechtspflege gem Art 54 Abs 2 Z 4 ÄrzteG) oder wenn der Patientenanwalt seine Informationsrechte geltend macht (zB § 35 Abs 2 [Aufklärung], § 39 [Einsicht]). Schließlich ist eine Schweigepflicht auch gegenüber dem Sachwaltergericht zu verneinen, wenn Anhaltspunkte für die Notwendigkeit einer Sachwalterbestellung bestehen oder ein Verfahren bereits anhängig ist.
b) Die bisher im KAG vorgesehene routinemäßige Verständigung von Be- 694 hörden über die Aufnahme oder Entlassung eines Patienten wurde mit Inkrafttreten des UbG beseitigt. Derartige Mitteilungen sind künftig zwar nicht schlechthin unzulässig, sie bedürfen nun aber – soweit nicht ohnehin eine ausdrückliche gesetzliche Melde- oder Auskunftspflicht eingreift (zB § 54 Abs 4-6 ÄrzteG; § 53 Abs 3 SPG; § 39b Abs 1 UbG; § 15 Abs 5 SMG) – einer Rechtfertigung im Einzelfall.
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VII. Teil: Vollzug der Unterbringung
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1. Für eine Rechtfertigung kommen neben den in § 9 KAKuG und § 54 ÄrzteG vorgesehenen Ausnahmen (dazu Kletecka-Pulker, RdM 2001, 175) etwa die Ausübung von Aussagepflichten in einem straf-, zivil- oder verwaltungsbehördlichen Verfahren (mwN Kopetzki II 882 f ) in Betracht (vgl insb die absolute Zeugnisbefreiung im Strafprozess für Psychiater, Psychotherapeuten und Psychologen über das, was ihnen in dieser Eigenschaft bekannt geworden ist: § 152 Abs 1 Z 5 StPO). Darüber hinaus kann eine Geheimnisoffenbarung aufgrund rechtfertigenden Notstandes zulässig sein, wenn dies zum Schutz eines unmittelbar bedrohten höherwertigen Rechtsgutes unbedingt notwendig ist: zB Meldung bei fehlender Fahruntauglichkeit (Klaus, Ärztliche Schweigepflicht [1991] 138 ff; Neudorfer/Wallner, ÖÄZ 1989/18, 54; es besteht ein Offenbarungsrecht, aber keine Offenbarungspflicht. Zur datenschutzrechtlichen Zulässigkeit der Weitergabe von Gesundheitsdaten an die für die Vollziehung des KFG zuständige Behörde DSK ZfVB 1986/2/3). Nach der jüngeren Rsp können Informationsweitergaben zum Schutz höherwertiger Interessen nach umfassender Interessenabwägung unmittelbar auf § 54 Abs 1 Z 4 ÄrzteG gestützt werden (OGH RdM 2003/63: Meldung an Führerscheinbehörde bei alkoholisiertem Rettungsfahrer wegen krankheitsbedingter Bewusstseinsstögung, Uneinsichtkeit und wiederholten Alkoholdelikten). 2. Weitreichende Durchbrechungen des Datenschutzes sieht § 10 Abs 1 Z 4 KAKuG vor. Danach sind den Gerichten und Verwaltungsbehörden in Angelegenheiten, in denen die Feststellung des Gesundheitszustandes für eine Entscheidung oder Verfügung im öffentlichen Interesse von Bedeutung ist, kostenlos Kopien von Krankengeschichten und ärztlichen Äußerungen über den Gesundheitszustand von Pfleglingen zu übermitteln. Die Ermittlung des „öffentlichen Interesses“ bedarf einer umfassenden Interessenabwägung.
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c) Auch die Organe psychiatrischer Anstalten sind nach § 84 Abs 1 StPO zur Anzeige an eine Staatsanwaltschaft oder Sicherheitsbehörde verpflichtet, wenn ihr der Verdacht einer von Amts wegen zu verfolgenden strafbaren Handlung bekannt wird, die ihren gesetzmäßigen Wirkungsbereich betrifft. Die Anzeigepflicht besteht gem § 84 Abs 2 StPO jedoch nicht, 1. wenn die Anzeige eine amtliche Tätigkeit beeinträchtigen würde, deren Wirksamkeit eines persönlichen Vertrauensverhältnisses bedarf, oder 2. wenn und solange hinreichende Gründe für die Annahme vorliegen, die Strafbarkeit der Tat werde binnen kurzem durch schadensbereinigende Maßnahmen entfallen. 1. Die Verpflichtung zur Anzeigeerstattung entfällt gem § 84 Abs 2 StPO ua dann, wenn die Anzeige eine amtliche Tätigkeit beeinträchtigen würde, deren Wirksamkeit eines persönlichen Vertrauensverhältnisses bedarf (Z 1). Das trifft auf die psychiatrischen Krankenanstalten zu und rechtfertigt grundsätzlich die Inanspruchnahme der Ausnahmeregelung. Eine unbedingte Anzeigepflicht der Anstaltsleitung bei Patientendelikten wäre mit dem einer psychiatrischen Einrichtung angemessenen therapeutischen Klima nicht vereinbar. 2. Allerdings entfällt die Anzeigeverpflichtung keineswegs schlechthin. Diese Entscheidung ist vielmehr im Einzelfall nach Vornahme einer berufsspezifischen Interessenabwägung zu treffen. Von einer Anzeige darf nur dann abgesehen werden, wenn ein überwiegendes Interesse an der unbeeinträchtigten Ausübung jener Tätigkeit besteht, die eines persönlichen Vertrauensverhältnisses bedarf (1157 BlgNR 18. GP 8). 3. Unberührt bleibt die Anzeigepflicht der Ärzte nach der spezielleren Regelung des § 54 ÄrzteG, die auf bestimmte, schwerwiegende Delikte gegen Leib und Leben einschränkt ist.
d) Zur Meldepflicht nach dem MeldeG vgl Kopetzki II 886 f. bb) Auskünfte gegenüber Versicherungsträgern Die Übermittlung krankheitsbezogener Befunde und Mitteilungen durch Ärzte an die 697 Träger der Sozialversicherung und sonstige (öffentliche) Kostenträger sind, soweit erforderlich, aufgrund § 54 Abs 2 Z 2 und Abs 3 ÄrzteG und § 10 Abs 1 Z 4 KAG zulässig; einer Zustimmung des Patienten bedarf es nicht. Auskunftserteilungen an andere Versicherungsträger sind jedoch nur im Rahmen des § 54 Abs 2 Z 3 ÄrzteG – also bei Entbindung von der
8. Informationsrechte und Informationsschranken
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Geheimhaltungspflicht – statthaft (näher § 11a Abs 2 Z 3, 4 VersVG). Fehlt dem Patienten die nötige Einsichtsfähigkeit und schreitet auch kein Vertreter für ihn ein, so wäre – wenn die Informationsübermittlung im objektiven Interesse des Patienten liegt – allerdings zu prüfen, ob es nicht am Geheimhaltungsinteresse und somit an einem „Geheimnis“ mangelt.
cc) Auskünfte gegenüber Angehörigen und Vertretern a) Die Schweigepflicht besteht auch gegenüber Angehörigen. Eine Geheim- 698 nisoffenbarung setzt daher regelmäßig die Zustimmung des Patienten voraus. 1. In gewissen Ausnahmefällen könnte eine Information der Angehörigen auch ohne Einwilligung im Interesse des Betroffenen (kein Geheimhaltungsinteresse) zulässig sein (vgl den beim Portier anfragenden Besucher). In Niederösterreich darf, sofern es der Patient nicht ausdrücklich untersagt, auf Anfrage Auskunft erteilt werden, ob der Patient in die Anstalt aufgenommen worden ist und wo er angetroffen werden kann (§ 20 Abs 3 nö KAG). 2. Bei drohenden Selbst- oder Fremdgefährdungen kommt überdies eine Rechtfertigung durch Notstand in Betracht, wenn sich die Gefährdung nicht anders abwenden lässt.
b) Gegenüber dem gesetzlichen Vertreter (Sachwalter) oder Sorgeberechtig- 699 ten besteht eine Geheimhaltungspflicht nicht, soweit die Informationsweitergabe zur Ausübung der ihnen gesetzlich übertragenen Aufgaben notwendig ist. dd) Auskünfte gegenüber Ärzten und nachbetreuenden Institutionen Die ärztliche Verschwiegenheitspflicht gilt grundsätzlich auch gegenüber an- 700 deren Ärzten oder Krankenanstalten. Es bestehen aber weitreichende Ausnahmen für die Übermittlung von Krankengeschichten und ärztliche Äußerungen an „einweisende und weiterbehandelnde Ärzte oder Krankenanstalten“ (§ 10 Abs 1 Z 4 KAKuG), mitunter auch für die Übermittlung an „sonstige Gesundheits- und Sozialeinrichtungen“ (zB § 21 Abs 3 nö KAG). Sofern – was für jedes Landes-KAG eigens zu prüfen ist – derartige Ausnahmeregelungen fehlen, dürfen Informationen an Ärzte und Institutionen, welche die Betreuung des Patienten nach seiner Entlassung übernehmen könnten, nur mit zumindest konkludenter Zustimmung des Patienten übermittelt werden. § 54 Abs 2 Z 4 ÄrzteG ist hier nicht anwendbar, da die (ausschließlich im Interesse des Betroffenen liegende) Nachbetreuung weder der Rechtspflege noch der „öffentlichen Gesundheitspflege“ dient. Soweit es sich um Krankenanstalten (einschließlich Ambulatorien) handelt, ergibt sich die Zulässigkeit der Übermittlung aber aus § 10 Abs 1 Z 4 KAKuG.
ee) Lehre Zur Problematik der Einbeziehung untergebrachter psychisch Kranker für Demonstra- 701 tionszwecke in Vorlesungen oder Praktika vgl Kopetzki II 889 f sowie § 44 KAKuG.
b) Informationsrechte, insb Einsicht in die Krankengeschichte aa) Allgemeines a) Dem untergebrachten Patienten stehen aufgrund gesetzlicher Zuerken- 702 nung vielfältige Informationsrechte zu. Sie richten sich nach Maßgabe der einzelnen Bestimmungen sowohl an die Anstalt als auch an das Gericht und den Patientenanwalt. Darüber hinaus gelten für den Untergebrachten noch die Auskunfts- und Informationsansprüche im Rahmen des Datenschutzrechts (insb
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VII. Teil: Vollzug der Unterbringung
§ 26 DSG 2000), des Auskunftspflichtrechts sowie des Rechts auf persönliche Freiheit (Art 4 Abs 6 PersFrG). 1. Zu Informationspflichten der Anstalt und des Patientenanwalts vgl nur § 4 Abs 3 (Hinweis auf Widerrufsrecht); §§ 6 Abs 3, 14 Abs 3 (Hinweis auf Patientenanwalt), § 10 Abs 3 (Hinweis über Gründe der Unterbringung); § 15 (Unterrichtung durch Patientenanwalt), § 35 (Aufklärung), § 39 UbG (Einsicht in Krankengeschichte). Vgl seit der UbGNov 1997 auch das Recht auf Einsicht in die (sicherheitsbehördlichen) Aufzeichnungen und Bescheinigungen (§ 39a Abs 3 UbG). 2. Zu – aus der Parteistellung erfließenden – Informationspflichten des Gerichts vgl § 219 ZPO iVm § 22 AußStrG (Akteneinsicht); § 14 AußStrG (Anleitungs- und Belehrungspflicht); §§ 19, 21 UbG (Unterrichtung über Grund und Zweck des Verfahrens); § 22 Abs 3 (Übermittlung des Gutachtens); § 25 Abs 2 (Gehör); § 26 Abs 1 (Verkündung und Erläuterung des Beschlusses); § 27 UbG (Zustellung).
b) Von besonderer Bedeutung ist in diesem Zusammenhang § 39 UbG, der dem untergebrachten Patienten und seinem Vertreter grundsätzlich ein Recht auf Einsicht in die Krankengeschichte einräumt. Damit hat das Einsichtsrecht nun einen ausdrücklichen Geltungsgrund im UbG. Damit wird der Ausfall der zivilrechtlichen Ableitung aus dem – hier fehlenden – Behandlungsvertrag kompensiert. Zum Ganzen Kopetzki II 891 ff; Barta/Kalchschmid, RdM 1998, 42.
bb) Sachlicher Umfang und Grenzen des Einsichtsrechts 703 a) Nach § 39 UbG steht dem Patienten ein Einsichtsrecht insoweit zu, „als die Einsicht seinem Wohl nicht abträglich ist“. Damit hat der Gesetzgeber das von Lehre und Rsp geprägte „therapeutische Privileg“ bei der Verweigerung der Einsichtnahme durch psychisch Kranke für den Bereich der Unterbringung ausdrücklich positiviert und die Einsicht in gleicher Weise begrenzt wie die ärztliche Aufklärung (§ 35). Die Verweigerung der Einsichtnahme ist in § 39 als Ausnahmeregel konzipiert, welche den grundsätzlichen Bestand eines Einsichtsrechts für psychisch Kranke außer Streit stellt: „Grundsätzlich [soll] auch diesem selbst Einsicht in die Krankengeschichte gewährt werden“. Dieses Recht solle ihm allerdings „nicht vorbehaltslos zustehen“ (AB 12). Darin liegt keine Bestätigung, sondern eine Abkehr von der früheren Rsp (BGHZ 85, 339, OGH SZ 57/98), wonach psychisch Kranken nur ein sehr beschränktes Einsichtsrecht zustehen soll.
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b) Einzig zulässiger Grund der Einsichtsverweigerung ist, dass die Einsichtnahme dem Wohl des Kranken abträglich wäre. Mit dem „Wohl“ des Kranken kann im systematischen Zusammenhang des UbG nur das gesundheitliche Wohl gemeint sein.
1. Auch die Materialien führen ausschließlich „therapeutische Gründe“ gegen die Einsichtnahme an (AB 12). Andere als gesundheitliche Interessen des Kranken rechtfertigen eine Einsichtsverweigerung daher – auch im Hinblick auf Art 8 Abs 2 EMRK – nicht. 2. Bei der Beurteilung dieser unbestimmten „therapeutischen Kontraindikation“ kommt 705 den behandelnden Ärzten ein gewisser Beurteilungsspielraum zu. Für die Verweigerung der Einsicht ist nicht erforderlich, dass ein konkreter Schaden von der Erheblichkeit einer schweren Lebens- oder Gesundheitsschädigung droht. Die Schwelle für die Einsichtsverweigerung nach § 39 ist niedriger als etwa jene für die Verhängung von Bewegungsbeschränkungen (Rz 551). Die substantiierte Befürchtung einer psychischen Gesundheitsschädigung oder einer Gefährdung des Heilungsverlaufes genügt. Andererseits darf die Einsichtsverweigerung aber nicht schon bei jeder „Beunruhigung“ des Patienten oder allein deswegen erfolgen, weil dieser an einer psychischen Krankheit leidet. Die Auffassung, wonach das „therapeutische Privileg“ der Einsichtsverweigerung immer in Anspruch zu nehmen sei, ist weder mit dem UbG noch mit den Grundsätzen der zivilrechtlichen Rsp vereinbar. Im Ergebnis bedarf es immer einer
8. Informationsrechte und Informationsschranken
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am Verhältnismäßigkeitsgrundsatz orientierten Abwägung im Einzelfall zwischen den Interessen des Patienten an der Einsichtnahme und den befürchteten Beeinträchtigungen. 3. Der Nachweis eines besonderen rechtlichen Interesses für die Einsicht ist nicht erforderlich, der Patient muss sein Einsichtsbegehren daher nicht näher begründen. 4. Eine Einsichtsverweigerung zum Schutz anderer Interessen als jener des Patienten sieht 706 § 39 nicht vor. Ein Interesse an der Geheimhaltung von Aufzeichnungen über Befragungen von Angehörigen oder anderen Personen vermag die Verweigerung der Einsicht für sich genommen ebenso wenig zu rechtfertigen wie der Umstand, dass die Krankengeschichte subjektive Wertungen des Arztes oder für den Laien unverständliche Fachausdrücke enthält.
cc) Zeitliche Grenzen Obwohl sich der Anwendungsbereich des § 39, wie jener des UbG insge- 707 samt, nur auf untergebrachte Patienten bezieht, kann der Anspruch auf Einsicht in die während der Unterbringung angelegte Krankengeschichte auch nach Beendigung der Unterbringung auf § 39 gegründet werden. Eine Verweigerung der Einsichtnahme nach Beendigung der Unterbringung ist daher nur zulässig, wenn die therapeutischen Bedenken immer noch bestehen. dd) Gegenstand des Einsichtsrechts Gegenstand der Einsichtnahme – das gilt für alle einsichtsberechtigten Per- 708 sonen – ist die Krankengeschichte. Diese ist im weiten Sinn des Krankenanstaltenrechts zu verstehen (Rz 685 ff ) und umfasst alle individuell-patientenbezogenen Aufzeichnungen einschließlich der Pflegedokumentation und der nach UbG zu führenden (bzw gem § 39b Abs 1 in die Krankengeschichte aufzunehmenden: Rz 189/6) Aufzeichnungen. 1. Eine Unterscheidung zwischen objektiven Befunden und wertenden Beurteilungen des behandelnden Arztes trifft das UbG nicht. Es wäre auch nicht zulässig, Teile von Aufzeichnungen, die nach dem KAKuG oder dem UbG einen obligaten Inhalt der Krankengeschichte oder ihrer „Bestandteile“ bilden müssen (Rz 687 f ), in einer getrennten Dokumentation aufzubewahren und durch eine „doppelte Buchführung“ der Einsichtnahme zu entziehen. 2. Wohl aber kann die Verweigerung der Einsicht hinsichtlich des Umfanges der erfassten 709 Dokumente differenziert ausfallen: Beziehen sich die therapeutischen Bedenken nur auf bestimmte Inhalte oder Teile der Krankengeschichte, dann ist das Einsichtsrecht (nur) insoweit einzuschränken (arg § 39: „insoweit [...] als“; dazu ausdrücklich AB 13). 3. Soweit ein Einsichtsrecht besteht, umfasst dieses auch das Recht zur Anfertigung von 710 Fotokopien oder Abschriften.
ee) Zuständigkeiten, Verfahren und Kontrolle a) Die Entscheidung über die Einsichtnahme liegt beim behandelnden Arzt. 711 Gem § 39 hat er die Verweigerung der Einsicht „in der Krankengeschichte unter Angabe des Grundes zu beurkunden“. Dies zwingt zu einer auf den Einzelfall bezogenen Dokumentation jener Gründe, aus welchen die Einsicht verweigert wurde; ein pauschaler Hinweis auf therapeutische Kontraindikationen genügt nicht. Die Begründungspflicht des § 39 steht ihrerseits unter keinem therapeutischen Vorbehalt (aM Haslinger, ÖKZ 1984, 746); die Begründung ist ja nicht dem Patienten zu erteilen, sondern in der Krankengeschichte festzuhalten.
b) Zur Durchsetzung des Einsichtsrechts sieht das UbG keinen gerichtli- 712 chen Rechtsschutzweg vor. Eine – im Lichte des rechtsstaatlichen Prinzips gebotene – Kontrollmöglichkeit lässt sich nur erzielen, wenn man die Einsichts-
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VII. Teil: Vollzug der Unterbringung
verweigerung als qualifizierte Untätigkeit und somit als Akt unmittelbarer Befehls- und Zwangsgewalt deutet, gegen den die Maßnahmebeschwerde an die UVS offen stünde (Kopetzki II 899 f). Die Rsp verneint dies allerdings und nimmt damit eine im Lichte des Art 8 iVm 13 EMRK verfassungswidrige Rechtsschutzlücke in Kauf. 1. Zur Unzuständigkeit der Unterbringungsgerichte vgl LG Linz 11. 11. 1993, 18 R 622-623/93; 16. 11. 1993, 18 R 624-625/93. Zu den Grenzen der gerichtlichen Kontrollbefugnisse vgl auch Rz 762; zur taxaktiven Aufzählung der gerichtlichen Zuständigkeiten im UbG OGH SZ 73/13 = RdM 2001/3 Anm Kopetzki. Eine Gerichtszuständigkeit ergibt sich – da es sich um keine bürgerliche Rechtssache handelt – auch nicht aus § 1 JN. 2. Die Zuständigkeit der UVS wird von der Spruchpraxis der UVS (zB UVS Wien RdM 1997/8) und der höchstgerichtlichen Rsp ebenfalls verneint: Nach VfSlg 13.046 ist die Verweigerung der Akteneinsicht kein Akt behördlicher Befehls- und Zwangsgewalt. Ebenso nun – ausdrücklich zu § 39 UbG – VwGH 5. 8. 1997, 97/11/105 = RdM 1998/9 Anm Kopetzki; die obiter geäußerte Vermutung des VwGH, die ordentlichen Gerichte seien nach dem Konzept des UbG zur Kontrolle sämtlicher Rechtsverletzungen bei Untergebrachten zuständig („eine Bestimmung, die eine Verletzung des Rechtes … nach § 39 UbG davon ausnimmt, ist für den VwGH nicht ersichtlich“), wurde von der Justiz jedenfalls nicht bestätigt. 3. Zur Vorbereitung eines Amtshaftungsverfahrens kommt wohl auch hier eine zivilgerichtliche Klage auf Vorlage der Krankengeschichte gem Art XLIII EGZPO iVm § 304 ZPO in Betracht (vgl Krückl, ÖJZ 1983, 285).
ff ) Parallele Einsichts- und Auskunftsansprüche a) Einsichts- und Auskunftsansprüche des untergebrachten Patienten ergeben sich auch 713 aus dem datenschutzrechtlichen Auskunftsrecht gem § 26 DSG sowie aus den Auskunftspflichtgesetzen des Bundes und der Länder. Da diesen ein „therapeutischer Vorbehalt“ fehlt, stehen sie in einem Spannungsverhältnis zu § 39 UbG. Näher Kopetzki II 900 ff. b) Zum Verhältnis des Akteneinsichtsrechts zum Recht auf Einsicht in die Krankengeschichte vgl oben Rz 318.
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gg) Einsicht durch das Unterbringungsgericht Dem Gericht ist im Zuge des Unterbringungsverfahrens sowohl bei der Erstanhörung (§ 19 Abs 1 UbG) als auch bei der mündlichen Verhandlung (§ 24 UbG) uneingeschränkte Einsicht in die Krankengeschichte zu gewähren.
1. Auch zu jedem anderen Zeitpunkt im Verfahren kann das Gericht die Vorlage der Krankengeschichte verlangen, um seine Kontrollaufgaben gegenüber der Anstalt wahrzunehmen (Anforderung bzw Einsicht gem § 10 Abs 1 Z 4 KAKuG „im öffentlichen Interesse“). Das gilt auch für Verfahren zur Überprüfung von Beschränkungen und Behandlungen gem § 38 UbG sowie für ein allenfalls zuständiges Sachwalterschaftsgericht. 2. Dass der psychiatrische Sachverständige im Unterbringungs- oder Sachwalterbestel715 lungsverfahren in die Krankengeschichte eines untergebrachten Patienten einsehen darf, ist gesetzlich nicht ausdrücklich vorgesehen, folgt aber wegen § 38c Abs 2 KAKuG aus den ihm gesetzlich übertragenen (bzw ihm vom Gericht zu übertragenden) Aufgaben der Begutachtung (§ 22 UbG) sowie aus seiner Stellung als Hilfsorgan des (jedenfalls anforderungsberechtigten: § 10 Abs 1 Z 4 KAKuG) Gerichts.
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hh) Einsicht durch Vertreter des Kranken Gem § 39 hat auch der Vertreter des Kranken ein Recht auf Einsicht in die Krankengeschichte. Das gilt – lege non distinguente – sowohl für den gewillkürten als auch für den gesetzlichen Vertreter (zB Eltern, Sachwalter), insb für
9. Kosten der Unterbringung
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den Patientenanwalt im Rahmen seiner jeweiligen Vertretungsbefugnis. Das Einsichtsrecht der Vertreter unterliegt keinen inhaltlichen Schranken. Eine Zustimmung des Patienten ist nicht erforderlich (AB 12). 1. Ein Einsichtsrecht des Patientenanwalts in die Krankengeschichte von Patienten, die auf eigenes Verlangen untergebracht sind, besteht nur unter der Voraussetzung des § 14 Abs 3 UbG (Vertretung mit Zustimmung des Patienten). 2. Inwieweit die Vertreter zur Verschwiegenheit über die wahrgenommenen Inhalte der 717 Krankengeschichte verpflichtet sind, richtet sich nach den jeweils anwendbaren berufsrechtlichen Vorschriften (zB § 6 VSPAG), in Ermangelung solcher nach dem Bevollmächtigungsvertrag. Eine Verschwiegenheitspflicht gegenüber dem Patienten selbst kommt nur für Sachwalter und Patientenanwälte nach Maßgabe des § 6 VSPAG in Betracht (Rz 498).
ii) Sonstige Ausfolgungs- und Einsichtsrechte Nach den näheren Bestimmungen der Krankenanstaltengesetze sind Gerich- 718 ten und Verwaltungsbehörden in Angelegenheiten, in denen die Feststellung des Gesundheitszustandes für eine Entscheidung im öffentlichen Interesse von Bedeutung ist, ferner den Sozialversicherungsträgern sowie den einweisenden und behandelnden Ärzten (kostenlos) Abschriften von Krankengeschichten und ärztlichen Äußerungen über den Gesundheitszustand von Anstaltspfleglingen zu übermitteln (§ 10 Abs 1 Z 4 KAKuG). In NÖ gilt dies auch gegenüber anderen Krankenanstalten und sonstigen Gesundheitsund Sozialeinrichtungen (zB soziale Dienste, Sozialstationen) (§ 21 Abs 3 nö KAG). Auch Sozialhilfeträgern steht ein Einsichtsrecht in die Unterlagen jener Pflegefälle zu, für deren Kosten sie aufzukommen haben (zB § 55 wr KAG; § 73 Abs 4 iVm § 67 Abs 1 oö KAG).
9. Kosten der Unterbringung Anders als für die gerichtlichen Verfahrenskosten (§ 40 UbG; Rz 445) ent- 719 hält das UbG keine Regelung über Kosten der Anstaltsunterbringung. Mangels abweichender Bestimmungen über die Kostentragung gelten hiefür die allgemeinen Gebührenvorschriften des Krankenanstaltenrechts. 1. Die Kosten der Unterbringung in öffentlichen Krankenanstalten sind nach Maßgabe der mit Verordnung festgesetzten Pflege- bzw LKF-gebühren vom Patienten zu tragen, sofern nicht eine Kostenübernahme durch Krankenversicherungsträger (zB § 144 ff ASVG) oder Sozialhilfeträger (vgl allgemein Pfeil, SoSi 1992, 502) erfolgt (VwGH 23. 4. 1996, 95/11/0298, ZfVB 1997/3/988; 14. 3. 2000, 99/11/0331, RdM 2001/8). Eine Ersatzpflicht des Bundes ist – anders als bei Einweisung nach strafrechtlichen Bestimmungen (vgl § 167a Abs 3 StVG) – nicht vorgesehen. Patienten, die nicht krankenversichert sind oder bei denen die Leistung der Krankenversicherung entfällt (sog Asylierungsfälle gem § 144 Abs 3 ASVG), können daher die Aufenthaltskosten mitunter in voller Höhe in Rechnung gestellt werden (vgl LG Linz 23. 9. 1997, 1 Cgs 17/97y: keine Kostenübernahme der Krankenversicherung, wenn keine Notwendigkeit ärztlicher Behandlung des Untergebrachten). Dies führt insb bei Unterbringungen in ausschließlichem Fremdinteresse (Gefährdung Dritter) oder bei gerichtlich für unzulässig erklärten Unterbringungen zu verfassungsrechtlich problematischen Ergebnissen (vgl näher Kopetzki II 905). 2. Die Kosten der Unterbringung in privaten psychiatrischen Anstalten sind nach den Bestimmungen des bürgerlichen Rechts zu beurteilen (§ 41 iVm § 39 Abs 2 KAKuG). Mangels vertraglicher Rechtsbeziehungen kommt hiefür nur die sinngemäße Anwendung der Regelungen über die Geschäftsführung ohne Auftrag in Betracht (§§ 1035 ff ABGB).
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VII. Teil: Vollzug der Unterbringung
10. Rechtsschutz im Vollzug 720 Die Rechtsschutzeinrichtungen des Anhalterechts beschränkten sich bis zum Geltungsbeginn des UbG auf den äußeren Rahmen der Freiheitsentziehung, also auf das bloße „Ob“ der Anhaltung (gerichtliches Anhalteverfahren). Gegen einzelne konkrete Maßnahmen im Anstaltsverhältnis (das „Wie“ der Anhaltung) existierte nach altem Recht kein spezifisches Rechtsschutzsystem. Es standen lediglich zivil- und strafrechtliche Sanktionen sowie die allgemeinen Rechtsschutzinstrumente gegen hoheitliches Verwaltungshandeln zur Verfügung (VfGH, VwGH, Volksanwaltschaft, Amtshaftung), deren Effizienz jedoch aus einer Reihe von Gründen gering war. Der Bestand effektiver und ausreichend zugänglicher Rechtsschutzeinrichtungen zur Sicherung der Einhaltung des Rechts ist ein wesentliches Element des rechtsstaatlichen Prinzips; soweit mit Anstaltsmaßnahmen Eingriffe in Grundrechte der EMRK verbunden sind, ergibt sich auch aus der Bestimmung des Art 13 EMRK das verfassungsrechtlich geschützte Recht jedes Betroffenen auf eine „wirksame Beschwerde bei einer nationalen Instanz“ (zum Ganzen Kopetzki I 385 ff). Vor diesem Hintergrund erwies sich die bisherige Rechtslage als verfassungswidrig (vgl EGMR Fall Herczegfalvy EuGRZ 1992, 539).
721
Im Einklang mit dem Ziel, auch während der Anhaltung „die Grenzen der Einschränkung der Persönlichkeitsrechte [...] in rechtsstaatlich einwandfreier Weise abzustecken“ (RV 17), sieht das UbG einen besonderen gerichtlichen Rechtsweg zur Überprüfung von Beschränkungen in der Anstalt vor. In Konkretisierung des Rechtsschutzanspruches nach Art 13 EMRK (OGH 17. 6. 1992, 2 Ob 512/92, SZ 65/92 = EvBl 1993/33) werden die kontrollierenden Funktionen des Unterbringungsgerichts damit auch auf den Vollzug der Unterbringung ausgedehnt. Insofern wird das Unterbringungsgericht auch in dieser Beziehung als besonderes Verwaltungsgericht tätig. Im Umfang der auf diese Weise eröffneten Beschwerde- und Kontrollmöglichkeiten scheidet daher die (subsidiäre) Maßnahmebeschwerde nach Art 129a Abs 1 Z 2 B-VG aus (VwSlg 13.994 A; VwGH ZfVB 2001/563). Da jedoch die Zuständigkeiten des Unterbringungsgerichts taxativ umschrieben sind und sich nicht auf die Überprüfung sämtlicher Anstaltsmaßnahmen erstrecken (OGH SZ 73/13), bleibt die Frage nach dem Rechtsschutz gegenüber den „übrigbleibenden“ Anstaltsakten nach wie vor klärungsbedürftig. Als Indiz für die sich abzeichnenden negativen Kompetenzkonflikte vgl nur Rz 712 zur Einsicht in die Krankengeschichte. Bezeichnend etwa die dort zitierte – wenngleich obiter geäußerte – Vermutung des VwGH zugunsten eines lückenlosen – sämtliche Rechtseingriffe in der Unterbringung umfassenden – Rechtsschutzes durch die ordentlichen Gerichte (VwGH RdM 1998/9). Dem steht die Rsp des OGH gegenüber, wonach den Unterbringungsgerichten eben gerade „nicht die Überprüfung aller Vollzugsmodalitäten“, sondern lediglich die Wahrnehmung taxativer Kontrollkompetenzen zustehe (OGH 20. 1. 2000, 6 Ob 238/99i SZ 73/13 = RdM 2001/3).
722
a) Unterbringungsgericht a) Das Unterbringungsgericht ist sachlich zuständig zur Entscheidung: 1. über die Zulässigkeit von Beschränkungen der Bewegungsfreiheit auf einen Raum oder innerhalb eines Raumes, auf Verlangen des Kranken oder seines Vertreters (§ 33 Abs 3);
10. Rechtsschutz im Vollzug
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2. über die Zulässigkeit einer Einschränkung des Telefonverkehrs oder des Besuchsempfangs, auf Verlangen des Kranken oder seines Vertreters (§ 34 Abs 2); 3. über die Zulässigkeit einer Behandlung bei nicht einsichtsfähigen Patienten ohne gesetzlichen Vertreter oder Erziehungsberechtigten, auf Verlangen des Kranken oder seines Vertreters (§ 36 Abs 2); 4. über die Genehmigung einer besonderen Heilbehandlung einschließlich operativer Eingriffe bei nicht einsichtsfähigen Patienten ohne gesetzlichen Vertreter oder Erziehungsberechtigten (§ 36 Abs 2). 1. Bei der Überprüfung von Beschränkungen oder Behandlungen handelt es sich insofern 723 um eine nachträgliche (a posteriori) und fakultative Kontrolle, als die Beschränkung zunächst ohne Mitwirkung des Gerichts verhängt und nur auf Verlangen des Kranken bzw Vertreters (Patientenanwalts) durch das Gericht überprüft wird; dieser Rechtsweg ersetzt von der Funktion her die Maßnahmenbeschwerde an die UVS. Die Genehmigung einer besonderen Heilbehandlung muss hingegen – ausgenommen bei Gefahr im Verzug – immer vor ihrer Durchführung erfolgen (a priori; „begleitende“ Kontrolle) (vgl AB 12). 2. Die gerichtliche Überprüfung vollzugsinterner Akte gem §§ 33 ff, 38 UbG (weitergehende Beschränkungen der Bewegungsfreiheit und des Verkehrs mit der Außenwelt, Behandlung) ist von der Überprüfung der Zulässigkeit der Unterbringung gem §§ 18 ff zu unterscheiden. Fraglich ist allerdings, ob Beschränkungen bzw Behandlungen im Verfahren gem § 38 schon dann für unzulässig zu erklären sind, wenn zwar die in den §§ 33 ff enthaltenen Zulässigkeitsvoraussetzungen vorliegen, die zugrunde liegende Unterbringung als solche jedoch unzulässig war (in diesem Sinn zB BG Salzburg 18. 8. 2000, 36 Ub 520/98v). Würde man dies bejahen, dann wäre im Verfahren nach § 38 als Vorfrage immer auch die Zulässigkeit der Unterbringung zu prüfen bzw würde eine bereits rechtskräftig festgestellte Unzulässigkeit der Unterbringung Bindungswirkung im Verfahren gem § 38 entfalten (und eine inhaltliche Prüfung der Beschränkung letztlich erübrigen). Gegen eine solche Auslegung spricht aber, dass das UbG für die beiden Verfahrensarten zugleich unterschiedliche Verfahrensgegenstände und Prüfungsmaßstäbe festlegt, wobei die Zulässigkeit der Unterbringung eben nur im Verfahren nach § 18 ff, nicht jedoch im Verfahren nach § 38 zu prüfen ist (wie hier LG Klagenfurt 31. 7. 1998, 1 R 201/98y). Das schließt freilich nicht aus, dass Mängel der Unterbringung auch auf das Verfahren nach § 38 durchschlagen können, weil sich die materiellen Voraussetzungen zum Teil überschneiden oder voneinander abhängen: Ist die Unterbringung etwa wegen Nichterfüllung der materiellen Voraussetzungen der psychischen Krankheit oder der Gefährdung iSd § 3 unzulässig, so wird dies typischerweise dazu führen, dass auch die Voraussetzungen der §§ 33 ff nicht zur Gänze erfüllt sind.
b) Örtlich zuständig ist jenes Bezirksgericht, in dessen Sprengel die Anstalt 724 liegt (§ 12 Abs 1). Das Gericht entscheidet im außerstreitigen Verfahren (§ 12 Abs 2). § 38 enthält ergänzende Verfahrensbestimmungen. 1. Das nach § 12 Abs 1 zuständige Gericht ist zur Entscheidung über die Zulässigkeit oder Genehmigung von Behandlungen auch dann zuständig, wenn diese ambulant in einer anderen Krankenanstalt durchgeführt werden (LG Innsbruck 22. 10. 1993, 2b R 170/93). 2. Wird ein Patient zB zur Durchführung einer Operation stationär auf eine chirurgische Abteilung verlegt, dann ist grundsätzlich weder das UbG anwendbar noch das Unterbringungsgericht zur Erteilung einer Genehmigung zuständig (vgl LG Innsbruck 20. 3. 1991, 1b R 49/91). Erfolgt eine medizinisch bedingte Verlegung in eine nichtpsychiatrische Einrichtung jedoch vorübergehend und unter Aufrechterhaltung der Bewegungsbeschränkung, dann bleibt – bejaht man in diesem Fall den Fortbestand der Unterbringung: Rz 39, 584 – die Zuständigkeit des Unterbringungsgerichts auch in Bezug auf die neue Einrichtung aufrecht. 3. Wird ein (weiterhin untergebrachter) Patient zur Durchführung besonderer Heilbehandlungen in eine andere psychiatrische Anstalt (stationär) verlegt, richtet sich die örtliche Zuständigkeit des Gerichts nach dem Sitz jener Anstalt, in der die Behandlung stattfindet.
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VII. Teil: Vollzug der Unterbringung
aa) Überprüfung von Beschränkungen und Behandlungen 725
a) Verfahrensgegenstand: Von den nach §§ 33 bis 36 zulässigen Zwangsmaßnahmen unterliegen der gerichtlichen Kontrolle: x jene „weitergehenden“ Beschränkungen der Bewegungsfreiheit, die sich auf die Bewegungsbeschränkung auf einen Raum oder innerhalb eines Raumes beziehen (§ 33 Abs 3; zB Zwangsjacke, Einzelraum, Netzbett); die Bewegungsbeschränkung auf mehrere Räume oder auf bestimmte räumliche Bereiche (§ 33 Abs 2; zB im geschlossenen Bereich) gehört hingegen zu den notwendigen Merkmalen der Unterbringung an sich, deren Überprüfung nicht nach § 33 Abs 3, sondern im amtswegigen Unterbringungsverfahren erfolgt (OGH 17. 10. 1996, 2 Ob 2320/96g); x Einschränkungen des Telefonverkehrs und Besuchsempfangs (§ 34 Abs 2); x die ohne oder gegen den Willen erfolgte ärztliche Behandlung von Patienten, die weder einen gesetzlichen Vertreter noch einen Erziehungsberechtigten haben (§ 36 Abs 2 2. Satz); hierunter fallen auch jene Patienten, für die zwar ein Sachwalter bestellt ist, dessen Wirkungskreis Willenserklärungen zur Behandlung aber nicht umfasst (vgl oben Rz 651).
1. Gegenstand der gerichtlichen Zulässigkeitsprüfung ist jedenfalls die (vergangene oder noch andauernde) Beschränkung bzw Behandlung. Die mitunter strittige Frage, ob die behauptete Beschränkung bzw Behandlung tatsächlich stattgefunden hat, ist vom Gericht durch entsprechende Beweisaufnahmen zu klären. Ob § 36 Abs 2 auch einen „vorbeugenden“ Rechtsschutz gegen künftige – vor allem unmittelbar „drohende“ – Beschränkungen (Behandlungen) ermöglicht, erscheint fraglich, wenngleich durch den Wortlaut nicht ausgeschlossen. Die Anstalt muss die Gerichtsentscheidung aber nicht „abwarten“. 2. Da eine gerichtliche Kontrolle von Bewegungsbeschränkungen nur für weitergehende Beschränkungen iSd § 33 Abs 3 UbG vorgesehen ist, unterliegen sonstige Modalitäten der Ausgestaltung des Freiheitsentzuges nicht der gerichtlichen Überprüfung; vgl LG Linz 11. 12. 1996, 13 R 535/96d; OGH 17. 10. 1996, 2 Ob 2320/96g (Wahl des Vollzugsorts in geschlossenem oder offenem Bereich). 3. Die Streitfrage, ob die Beschränkung (Behandlung) zum Zeitpunkt der Antragstellung 727 oder zum Zeitpunkt der Gerichtsentscheidung noch fortbestehen muss oder ob auch beendete Maßnahmen bekämpft werden können, wurde vom OGH zutreffend im zweiten Sinn entschieden: Durch eine verfassungskonforme Auslegung des UbG im Licht des Art 13 EMRK kam der OGH zum Ergebnis, dass Zwangsmaßnahmen gegenüber untergebrachten psychiatrischen Patienten, insb Behandlungen ohne oder gegen den Willen, „auch noch nach Beendigung der erfolgten Beschränkung oder Behandlung“ der gerichtlichen Kontrolle unterliegen. (OGH 17. 6. 1992, 2 Ob 512/92, SZ 65/92 = EvBl 1993/33; 26. 8. 1993, 2 Ob 539/93, RdM 1994/4; 7. 12. 1993, 6 Ob 631/93; 19. 9. 1994, 4 Ob 549/94, RdM 1995/2 Anm Kopetzki; 29. 1. 1997, 7 Ob 17/97v, RdM 1997/35; 29. 1. 1997, 7 Ob 2423/96s, SZ 70/16 = RdM 1997/20). Damit ist anerkannt, dass bereits der behauptete Grundrechtseingriff für das Feststellungsinteresse ausreicht. Konsequenterweise bejahte der OGH ein derartiges Feststellungsinteresse des Patienten auch noch nach Aufhebung der Unterbringung (RdM 1994/4; 19. 9. 1994, 4 Ob 549/94, RdM 1995/2; SZ 70/16 = RdM 1997/20, SZ 73/13 = RdM 2001/3). Anders freilich zum Abteilungsleiter, dem die Beschwer für eine Überprüfung der Unzulässigerklärung von Beschränkungen im Rekursweg nach Aufhebung der Beschränkung abgesprochen wird (OGH 19. 12. 1994, 4 Ob 576/94, SZ 67/230 = RdM 1995/12 Anm Kopetzki; ebenso zu bereits durchgeführten Behandlungen OGH 29. 1. 1997, 7 Ob 17/97v, RdM 1997/35; 12. 9. 2002, 6 Ob 198/02i). 4. Der gerichtlichen Kontrolle unterliegen auch Beschränkungen oder Behandlungen in der Zeit zwischen der zwangsweisen Einlieferung und dem Abschluss der fachärztlichen Auf-
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nahmeuntersuchung: OGH 13. 2. 1997, 2 Ob 25/97h, RdM 1998/3; 27. 1. 1998, 4 Ob 17/98y, RdM 1998/3 = EvBl 1988/115; VwGH 18. 1. 2000, 99/11/0345, ZfVB 2001/563. 5. Eine nachträgliche Prüfungsmöglichkeit gem § 36 Abs 2 besteht auch gegenüber be- 728 sonderen Heilbehandlungen. Nur dann, wenn eine besondere Heilbehandlung gem § 36 Abs 2 letzter Satz im Vorhinein gerichtlich genehmigt worden ist, kann nicht auch noch zusätzlich eine nachträgliche Zulässigkeitsprüfung verlangt werden. Die Bekämpfung der gerichtlichen Genehmigung hat – selbst wenn die genehmigte Behandlung bereits durchgeführt worden ist – durch die Anfechtung der Genehmigungsentscheidung im Rekursweg (LG Innsbruck 22. 10. 1993, 2b R 170/93), nicht hingegen durch ein zweites Verfahren über die Zulässigkeit der Behandlung zu erfolgen (ne bis in idem). Eine selbständige Zulässigkeitsprüfung besonderer Heilbehandlungen kann aber Platz greifen, wenn die vorherige Genehmigung der besonderen Heilbehandlung – sei es rechtswidrigerweise oder wegen Gefahr im Verzug gem § 37 – nicht eingeholt wurde (OGH 7. 12. 1993, 6 Ob 631/93; 5. 9. 1996, 2 Ob 2215/96s, SZ 69/202 = RdM 1997/1; in diesem Rahmen ist als Vorfrage zu prüfen, ob überhaupt eine genehmigungspflichtige „besondere Heilbehandlung“ vorlag und ob der Kranke nicht einsichtsfähig war [anderenfalls wäre seine Zustimmung erforderlich gewesen], bzw ob die Voraussetzungen der Notfallbehandlung gem § 37 vorlagen: OGH 19. 9. 1994, 4 Ob 549/94, RdM 1995/2 Anm Kopetzki; LG Innsbruck 28. 6. 1996, 54 R 95/96), ebenso, wenn die Behandlung den Rahmen der gerichtlichen Genehmigung überschritt. Stellt sich in einem Kontrollverfahren heraus, dass es sich um eine ohne Genehmigung durchgeführte „besondere“ Heilbehandlung handelte, so hat das Gericht die Unzulässigkeit der Behandlung auszusprechen (und zwar wegen Verletzung von Verfahrensvorschriften, unabhängig davon, ob die Behandlung medizinisch gerechtfertigt war: OGH 5. 9. 1996, 2 Ob 2215/96s, SZ 69/202 = RdM 1997/1; LG Salzburg 28. 11. 1991, 22 R 613/91; LGZ Wien 17. 3. 1992, 44 R 1112/91). Unrichtig wäre es, in diesem Fall die besondere Heilbehandlung ex post „zu genehmigen“ (OGH 5. 9. 1996, 2 Ob 2215/96s, SZ 69/202 = RdM 1997/1). Eine gem § 37 UbG wegen Gefahr im Verzug noch vor Rechtskraft der Genehmigung durchgeführte besondere Heilbehandlung ist nach OGH 7. 12. 1993, 6 Ob 631/93 im Rekursverfahren über die Genehmigungsentscheidung nachträglich zu überprüfen. 6. Dass bei nachträglicher Zustimmung des Patienten zur Behandlung die Beschwer wegfalle und der Rekurs (auch des Patientenanwalts) unzulässig sei, ist schon im Hinblick auf die vielfältigeren und über die Zustimmungsfrage hinausgehenden Beurteilungskriterien zu bezweifeln (so jedoch LG Innsbruck 10. 7. 1998, 52 R 88/98t).
b) Rechtlicher Beurteilungsmaßstab für die Zulässigkeitsprüfung sind – lege 729 non distinguente – die im UbG vorgesehenen materiellen und formellen Voraussetzungen der Beschränkung oder Behandlung. Auch die Auslegung und Anwendung unbestimmter Gesetzesbegriffe (zB „Wohl“ des Kranken) unterliegt der gerichtlichen Nachprüfung. Soweit es um die Überprüfung von Ermessensentscheidungen im Zusammenhang mit der Auswahl medizinischer Behandlungsmethoden geht, ist aber lediglich zu prüfen, ob sich die ärztliche Behandlung im Rahmen der wissenschaftlich anerkannten medizinischen Methoden bewegt hat. Das gerichtliche Kontrollverfahren ist kein Instrument zur Austragung medizinischer Schulenstreitigkeiten. Zu den Kriterien vgl im Detail daher Rz 543 ff, 578 ff. 1. Dass auch im Verfahren über Beschränkungen und Behandlungen sowohl materielle als 730 auch formelle Zulässigkeitsvoraussetzungen überprüft werden können, sollte wegen der Parallellität zum Unterbringungsverfahren und der gleichartigen Wortwahl des Gesetzes (arg §§ 18, 26 Abs 1, 33 Abs 3, 34 Abs 2, 36 Abs 2, 38 UbG: Entscheidung über die „Zulässigkeit“) nicht zweifelhaft sein; zur Problematik sinngemäß daher Rz 308. In diesem Sinn wohl auch OGH 7. 12. 1993, 6 Ob 631/93, wonach das Gericht die Einhaltung „der im UbG normierten Voraussetzungen“ zu prüfen hat; aA jedoch OGH 20. 11. 1997, 2 Ob 347/97m. 2. Prüfungsmaßstab bei Beschränkungen: Unerlässlichkeit und Verhältnismäßigkeit (§ 33 Abs 1, § 34 Abs 2: OGH 25. 2. 1993, 2 Ob 605/92; 30. 5. 1996, 2 Ob 2100/96, RdM
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VII. Teil: Vollzug der Unterbringung
1996/30; 30. 10. 1998, 1 Ob 287/98g; bei Besuchsbeschränkungen auch ihre objektive Notwendigkeit: LGZ Wien 25. 3. 1996, 44 R 214/96); ärztliche Anordnung und Dokumentation (§ 33 Abs 3, § 34 Abs 2; LG Linz 5. 10. 1995, 13 R 64/95; anders LG St. Pölten 18. 7. 1995, 11 R 131/95: keine Prüfung der Formvoraussetzungen; OGH 20. 11. 1997, 2 Ob 347/97m: formelle Vorschriften des § 33 Abs 3 sind bloße Ordnungsvorschriften, deren Einhaltung nicht der gerichtlichen Kontrolle unterliegt). 3. Prüfungsmaßstab bei Behandlungen: Verhältnismäßigkeit und Übereinstimmung mit den Grundsätzen und Methoden der Wissenschaft (§ 35 Abs 1; OGH 19. 9. 1994, 4 Ob 549/94, RdM 1995/2; 22. 6. 1995, 6 Ob 546/95, RdM 1996/2 = SZ 68/117; 14. 8. 1996, 6 Ob 2117/96h; LG Innsbruck 28. 6. 1996, 54 R 95/96; LG Korneuburg 13. 7. 2004, 25 R 135/04m; das schließt auch die Kontrolle medizinischen Fehlverhaltens ein, vgl LGZ Wien 31. 3. 1998, 44 R 161/98x: Depotmedikation irrtümlich einen Tag zu früh und daher mangels medizinischer Indikation unzulässig); Aufklärung (§ 35 Abs 2; BG Innsbruck 27. 7. 1998, 27 Ub 337/98m). Im Verfahren über die Zulässigkeit einer Behandlung ist – als Vorfrage – auch zu prüfen, ob der ohne Zustimmung behandelte Kranke einsichts- und urteilsfähig war; diesfalls wäre seine Zustimmung erforderlich gewesen (vgl LG St. Pölten 8. 7. 2004, 10 R 51/04h; LGZ Wien 31. 3. 1998, 44 R 161/98x); oder ob eine erteilte Zustimmung von Einsichts- und Urteilsfähigkeit getragen war (LGZ Graz 22. 4. 1997, 6 R 145/97f ). Ebenso ist zu prüfen, ob besondere Heilbehandlung vorlag; diesfalls wäre (bei fehlender Einsichtsfähigkeit) eine vorherige gerichtliche Genehmigung einzuholen gewesen (OGH 5. 9. 1996, 2 Ob 2215/96s, SZ 69/202 = RdM 1997/1; LGZ Wien 17. 3. 1992, 44 R 1112/91; 7. 6. 1994, 44 R 452/94; 21. 8. 1996, 44 R 600/96b; LG Innsbruck 22. 10. 1993, 2b R 170/93; LGZ Graz 22. 4. 1997, 6 R 145/97f ). Bei Notfallbehandlungen sind überdies die Voraussetzungen des § 37 zu prüfen (LG Innsbruck 28. 6. 1996, 54 R 95/96). Vgl auch Rz 728.
731
c) Antragslegitimation: Ein „Verlangen“ auf Überprüfung kann vom Kranken selbst oder von seinem Vertreter (gewillkürter Vertreter, Patientenanwalt) gestellt werden.
1. Verwandten (in auf- und absteigender Linie), Ehegatten und Lebensgefährten ist eine Antragslegitimation nicht ausdrücklich eingeräumt; da diese Personen gegenüber Entscheidungen, mit denen Beschränkungen und Behandlungen für zulässig erklärt werden, aber ein Rekursrecht haben (§ 38 iVm § 28 Abs 1; Rz 743), wird man ihnen auch die Legitimation zur Verfahrenseinleitung erster Instanz zubilligen müssen (LGZ Wien 16. 2. 1993, 44 R 33/93: Antragslegitimation der Mutter zur Überprüfung einer Tiefschlafbehandlung). 2. Abgesehen vom Patientenanwalt kann der gesetzliche Vertreter grundsätzlich nur die 732 Überprüfung von Beschränkungen verlangen, nicht jedoch von Behandlungen, weil das Gericht zur Kontrolle von Heilbehandlungen an Patienten mit gesetzlichem Vertreter gar nicht zuständig ist (arg § 36 Abs 2 2. Satz: „Hat der Kranke keinen gesetzlichen Vertreter“). Eine Ausnahme gilt nur für Sachwalter, die nicht zur Behandlungszustimmung zuständig sind; diesen steht das Antragsrecht unter der Voraussetzung zu, dass sie zur Vertretung gegenüber dem Gericht zuständig sind. 3. Das Antragsrecht kann – sobald die Beschränkung vorgenommen wurde – jederzeit 733 und unabhängig von Fristen ausgeübt werden. Ob die Beschränkung (Behandlung) zum Antragszeitpunkt (oder zum Entscheidungszeitpunkt) noch andauert, spielt keine Rolle; vgl oben Rz 727. Ein Antrag kann auch nach Aufhebung der Unterbringung gestellt werden (OGH 17. 6. 1992, 2 Ob 512/92, SZ 65/92 = EvBl 1993/33; 26. 8. 1993, 2 Ob 539/93, RdM 1994/4; 30. 5. 1996, 2 Ob 2100/96, RdM 1996/30; SZ 70/16 = RdM 1997/20; SZ 73/13 = RdM 2001/3, s auch Rz 727). Eine Frist für die Antragstellung besteht nicht. 4. Besondere Anforderungen an die Verfahrensfähigkeit bestehen nicht (vgl Rz 315). 5. Das Verfahren setzt einen Antrag („Verlangen“) voraus. Unzulässig wäre es, die Zulässigkeit von Beschränkungen (Behandlungen) von Amts wegen im Voraus – gewissermaßen „vorsorglich“ – für zulässig zu erklären.
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d) Verfahren: Das Gericht hat unverzüglich über die Zulässigkeit der Beschränkung bzw Behandlung zu entscheiden (§ 33 Abs 3, § 34 Abs 2; § 36 Abs 2). Es handelt sich um ein außerstreitiges Verfahren (§ 12 Abs 2), auf das
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neben den Sonderbestimmungen des § 38 die allgemeinen Bestimmungen des AußStrG Anwendung finden, soweit das UbG keine Abweichungen vorsieht. Zum Verhältnis zwischen den besonderen Verfahrensbestimmungen des UbG und den allgemeinen Regeln des neuen AußStrG vgl sinngemäß Rz 312.
Nach § 38 Abs 1 muss sich das Gericht vor seiner Entscheidung in einer 735 Tagsatzung an Ort und Stelle einen persönlichen Eindruck vom Kranken und dessen Lage verschaffen. Zu dieser Tagsatzung sind der Vertreter des Kranken (Patientenanwalt) und der Abteilungsleiter zu laden. Die Beiziehung eines (anstaltsexternen) Sachverständigen ist möglich, aber nicht zwingend. Die Tagsatzung ist – im Gegensatz zur mündlichen Verhandlung – nicht öffentlich. 1. Da auch in diesen Verfahren der Untersuchungsgrundsatz gilt (vgl 16 Abs 1 736 AußStrG), hat das Gericht von sich aus (allenfalls unter Beiziehung von Sachverständigen) die nötigen Feststellungen zu treffen (etwa zur Frage der Einsichtsfähigkeit oder zur Beurteilung der für die Qualifikation als besondere Heilbehandlung maßgeblichen Nebenwirkungen einer Depotbehandlung: OGH 19. 9. 1994, 4 Ob 549/94, RdM 1995/2 Anm Kopetzki). 2. Der unmittelbare „Augenschein“ des Gerichts ist – jedenfalls bei aufrechter Unterbrin- 737 gung – zwingend; eine Entscheidung aufgrund der Aktenlage ist unzulässig (Grundsatz der Unmittelbarkeit, AB 12). Bei der durchzuführenden Tagsatzung ist auch der Kranke persönlich anzuhören (Recht auf Gehör). Entscheidet das Gericht ohne Abhaltung einer Tagsatzung, so wird das rechtlichen Gehör verletzt (LG Korneuburg 13. 5. 2003, 25 R 72/03w). „An Ort und Stelle“ meint je nach Lage des Falles die Anstalt überhaupt, oder auch zB den Ort der weitergehenden Beschränkung (zB Netzbett): Das Gericht soll sich eben einen Eindruck von der konkreten Lage des Kranken und – sofern diese noch bestehen – von seinen Beschränkungen machen. Nach Entlassung kommt freilich nur eine Tagsatzung außerhalb der Anstalt in Frage; ein Augenschein vor Ort ist nicht zwingend und würde zumeist auch keinen Erkenntnisgewinn bringen (LG Korneuburg 11. 11. 1997, 22 R 87/97t). 3. Zur Person des (anstaltsexternen:§ 38 Abs 1 iVm 19 Abs 3) Sachverständigen vgl Rz 359 ff. Die Beiziehung steht im richterlichen Ermessen; sie wird davon abhängen, ob die Entscheidung Tatsachenfeststellungen voraussetzt, die medizinischen Sachverstand erfordern. 4. Unverzüglich heißt: „ohne jeglichen Aufschub“ (vgl AB 8); dieser unbestimmte Zeit- 738 begriff lässt in diesem Zusammenhang aber wegen der obligat durchzuführenden Ladungen einen gewissen Spielraum offen. In jedem Fall hat das Gericht alle erforderlichen Schritte so rasch wie möglich vorzunehmen. Unzulässig wäre es mE, die Tagsatzung nach § 38 regelmäßig mit der – an vergleichsweise lange Fristen gebundenen – Anhörung bzw mündlichen Verhandlung im Unterbringungsverfahren „zu verbinden“ (so AB 12).
e) Entscheidung: Am Ende der Tagsatzung hat das Gericht über die Zuläs- 739 sigkeit der Beschränkung (Behandlung) mit Beschluss zu entscheiden. Der Beschluss ist in Gegenwart des Kranken zu verkünden, zu begründen und diesem zu erläutern (§ 38 Abs 2 iVm § 26 Abs 1). Die Entscheidung ist in der Niederschrift über die Tagsatzung zu beurkunden; sie ist nur auf Verlangen des Kranken, seines Vertreters oder des Abteilungsleiters innerhalb von acht Tagen auszufertigen und diesen Personen zuzustellen (§ 38 Abs 2). 1. Die Entscheidung wird gegenüber den Parteien mit der mündlichen Verkündung wirksam (§ 26 Abs 1 ist sinngemäß anzuwenden, Rz 393). Die Beurkundung ist keine Wirksamkeitsvoraussetzung, sondern nur Beweismittel. Verlangt eine der genannten Personen die (schriftliche) Ausfertigung und Zustellung, so ist diese an alle Parteien vorzunehmen. 2. Das Gericht entscheidet „über die Zulässigkeit“ der Beschränkung, der Einschränkung 740 oder der Behandlung, und zwar bezogen auf den entscheidungserheblichen Zeitpunkt (Tagsatzung). Das Gericht kann die Zulässigkeit solcher Maßnahmen nicht pro futuro „genehmigen“ (vgl Rz 728, 741). Ist die zu prüfende Maßnahme bereits aufgehoben, so ist retrospektiv auszusprechen, ob diese zulässig war.
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f) Rechtsfolgen: Erklärt das Gericht die Beschränkung oder Behandlung für unzulässig, dann ist diese – sofern sie noch aufrecht ist – sogleich aufzuheben, es sei denn, der Abteilungsleiter erklärt noch während der Tagsatzung, dass er gegen den Beschluss Rekurs erhebt und das Gericht diesem Rekurs sogleich aufschiebende Wirkung zuerkennt (§ 38 Abs 2 iVm § 26 Abs 3). Erklärt das Gericht die Beschränkung oder Behandlung für zulässig, so kann sich dies nur auf die Zulässigkeit einzelner konkreter (vergangener oder bestehender) Maßnahmen beziehen. Eine für die Zukunft fortwirkende pauschale „Genehmigung“ künftiger Beschränkungen ist nicht vorgesehen.
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Da die Beschränkung nur für konkrete Einzelfälle angeordnet werden kann (§ 33 Abs 3: „jeweils besonders“), muss sich auch die Zulässigkeitsprüfung auf diese – konkret angeordneten – Einzelfälle beziehen (§ 33 Abs 3: einer „solchen Beschränkung“). Der rechtskräftige Zulässigkeitsbeschluss (ne bis in idem: Dolinar 147) steht einem neuerlichen Prüfungsantrag daher solange entgegen, als die jeweilige Maßnahme noch andauert und keine Veränderung der sachlichen Zulässigkeitsvoraussetzungen (neue Tatsachen) eingetreten ist (zB Wegfall der Gefahr iSd § 33 Abs 1). Eine Fristsetzung ist nicht vorgesehen, da die Regelung des § 26 Abs 2 (Wirkungsdauer der Zulässigkeit pro futuro) nicht anwendbar ist (§ 38 Abs 2). Nach hL dürfte die (im Rechtsfürsorgebereich bisher umstrittene) materielle Rechtskraft eines Zulässigkeitsbeschlusses einer amtswegigen Abänderung der Entscheidung freilich auch dann nicht entgegenstehen, wenn neue Fakten auftauchen, die schon zuvor bestanden (Dolinar 150). Im System des neuen AußStrG kommt bei Hervorkommen neuer Tatsachen bzw Beweismittel (im Sinne einer Wiederaufnahme) nun auch eine Abänderungsantrag gem § 73 Abs 1 Z 6 AußStrG in Betracht (dazu näher zB Fucik/Kloiber zu §§ 72 ff AußStrG.
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g) Rekurs: Gegen die Zulässigerklärung können der Kranke, sein Vertreter sowie die in § 28 Abs 1 genannten Angehörigen, gegen die Unzulässigerklärung hingegen nur der Abteilungsleiter Rekurs erheben. Der Abteilungsleiter muss seinen Rekurs noch in der Tagsatzung „anmelden“ und innerhalb von acht Tagen ausführen (§ 38 Abs 2 iVm § 28 Abs 1 und 2).
1. Für den Rekurs gilt § 28 sinngemäß (§ 38 Abs 2). Die Rekursfristen betragen für den Abteilungsleiter acht Tage (OGH 21. 10. 1999, 6 Ob 228/99v), für den Kranken und seinen Vertreter 14 Tage; den Angehörigen steht die Frist solange offen, als sie noch für den Kranken oder seinen Vertreter läuft. Die Frist beginnt mit dem auf die Tagsatzung (mündliche Verkündung) folgenden Tag; wird der Beschluss ausnahmsweise schriftlich ausgefertigt und zugestellt, dann beginnt die Frist erst mit Zustellung. Für Einzelheiten sinngemäß Rz 418 ff. 2. Der Rekurs des Kranken bzw seines Vertreters hat nach dem UbG keine aufschiebende 745 Wirkung; vgl Rz 424). Der Rekurs des Abteilungsleiters hat nur dann aufschiebende Wirkung, wenn das Gericht diese noch bei der Rekursanmeldung in der Tagsatzung zuerkennt; bei Einlangen des Rekurses des Abteilungsleiters hat das Gericht neuerlich darüber zu entscheiden, ob dem Rekurs weiter aufschiebende Wirkung zukommt. Trifft dies zu, dann ist die Beschränkung (Behandlung) weiterhin zulässig (sofern die materiellen Voraussetzungen fortbestehen!). Gegen diese Entscheidung über die aufschiebende Wirkung ist ein abgesondertes Rechtsmittel nicht zulässig (§ 38 Abs 2 iVm § 28 Abs 2). 3. Nach stRsp entfällt das Rechtsschutzinteresse des Abteilungsleiters, sobald die (für un746 zulässig erklärte) Beschränkung oder Behandlung oder die Unterbringung insgesamt aufgehoben worden ist (OGH 20. 4. 1993, 1 Ob 600/92; 19. 12. 1994, 4 Ob 576/94, SZ 67/230 = RdM 1995/12 Anm Kopetzki; 9. 2. 1995, 2 Ob 507/95; 29. 1. 1997, 7 Ob 17/97v, RdM 1997/35; 12. 9. 2002, 6 Ob 198/02i; LG Linz 29. 12. 1992, 18 R 852/92; 14. 1. 1993, 10 R 13/93; 8. 7. 1993, 18 R 435/93). AM LG Linz 14. 7. 1994, 18 R 456/94. Vgl auch Rz 352. 4. Das Rechtsmittel der – im neuen AußStrG ohnehin nicht mehr vorgesehenen – Vorstellung ist nicht zulässig (§ 38 Abs 2 iVm § 28 Abs 3).
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h) Für das Rekursverfahren und den Revisionsrekurs ist die für das Unterbringungsverfahren geltende Bestimmung des § 29 sinngemäß anzuwenden
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(§ 38 Abs 2). Der Revisionsrekurs hat keine aufschiebende Wirkung (§ 29 Abs 3). Zu alldem sinngemäß oben Rz 427 ff. bb) Genehmigung von besonderen Heilbehandlungen a) Verfahrensgegenstand: Besondere Heilbehandlungen einschließlich ope- 748 rativer Eingriffe sind im Vorhinein gerichtlich zu genehmigen, sofern der Patient in Bezug auf die zu genehmigende Behandlung weder einsichts- und urteilsfähig ist noch einen hiefür zuständigen gesetzlichen Vertreter oder Erziehungsberechtigten hat. Die gerichtliche Genehmigung tritt in diesen Fällen an die Stelle einer Einwilligungserklärung des Patienten bzw eines Vertreters. 1. Zum Begriff der besonderen Heilbehandlung Rz 630 ff. Genehmigungspflichtig sind nach der Rsp zB eine Elektroschocktherapie (LG Linz 28. 11. 1991, 18 R 732/91; OGH 7. 12. 1993, 6 Ob 631/93; ebenso zu § 216 ABGB LG Innsbruck 19. 3. 2002, 51 R 35/02z, RdM 2002/63), eine Shuntoperation bei Hydrocephalus (LGZ Graz 16. 3. 1992, 1 R 6/92, 1 R 83/92); nicht hingegen Depotbehandlungen mit Cisordinol (LGZ Wien 15. 7. 1991, 44 R 563/91; 17. 3. 1992, 44 R 1112/91) oder Haldol (LG St. Pölten 16. 12. 1992, R 891/92), es sei denn, die Depotbehandlung hat schwere Nebenwirkungen (OGH RdM 1995/2). Zu Unrecht verneint wurde die Genehmigungspflicht einer Lumbalpunktion (LG Linz 13. 2. 1992, 18 R 84/92) oder einer Sondenernährung bei Anorexia nervosa (OGH 22. 6. 1995, 6 Ob 546/95, SZ 68/117 = RdM 1996/2 Anm Kopetzki). 2. Ob eine (genehmigungsfähige) besondere Heilbehandlung vorliegt, ist als Vorfrage im Verfahren zu klären (LG Linz 25. 6. 1998, 14 R 293/98a: das Gericht hat Feststellungen zu treffen, ob und in welchem Maß eine Depotinjektion die physische und psychische Verfassung der Kranken beeinträchtigt [und daher eine „besondere Heilbehandlung“ ist: Rz 636]).
Die Genehmigung besonderer Heilbehandlungen bezieht sich – anders als 749 die Zulässigkeitsprüfung nach aa) – auf künftige Behandlungen. Die Entscheidung kann sich nur auf ausreichend konkretisierte Maßnahmen beziehen, da die Zulässigkeitsvoraussetzungen von Heilbehandlungen im Einzelfall je und je gesondert zu prüfen sind. 1. Das Gericht kann zB nicht schlechthin „operative Eingriffe“ genehmigen. Bei Behandlungen, die aus mehreren, eine sachliche und zeitliche Einheit bildenden Einzelmaßnahmen bestehen, genügt aber eine einzige Genehmigung, sofern die einzelnen Teilschritte ausreichend konkretisiert sind und mit einer Änderung der sachlichen Voraussetzungen nicht zu rechnen ist. Vgl LG Linz 30. 8. 1993, 18 R 568/93 (Genehmigung einer Elektroheilkrampfbehandlung im Ausmaß von maximal 10 Anwendungen); 11. 5. 1995, 13 R 107/95 (8 Anwendungen); LG Feldkirch 15. 12. 1995, 2 R 363/95 (15 Anwendungen). Strenger LG Innsbruck 22. 10. 1994, 2b R 170/93, wonach nicht nur die Anzahl, sondern auch der Abstand der Behandlungen im Beschluss zu präzisieren ist; ähnlich LG St. Pölten 26. 2. 2003, 10 R 17/03g (Konkretisierung von Medikation, Dosierung und Abstand jedenfalls ausreichend). 2. Vor der wirksamen Erlassung des Genehmigungsbeschlusses darf eine besondere Heil- 750 behandlung nur im Rahmen des § 37 (Gefahr im Verzug) vorgenommen werden. Eine rückwirkende „Genehmigung“ besonderer Heilbehandlungen gibt es (entgegen Eder-Rieder, FS Harrer 194) nicht (OGH 7. 12. 1993, 6 Ob 631/93; 5. 9. 1996, 2 Ob 2215/96s, SZ 69/202 = RdM 1997/1). Wurde eine besondere Heilbehandlung rechtswidrig ohne Genehmigung durchgeführt, so kann dies nicht durch das Gericht nachträglich „saniert“ werden. Diesfalls bleibt nur die nachträgliche Zulässigkeitsprüfung auf Antrag des Patienten bzw seines Vertreters: OGH 19. 9. 1994, 4 Ob 549/94, RdM 1995/2; 5. 9. 1996, 2 Ob 2215/96s, SZ 69/202 = RdM 1997/1; 29. 1. 1997, 7 Ob 17/97v, R dM 1997/35 (nachträgliche Prüfung, ob Depotbehandlung als besondere Heilbehandlung zu qualifizieren war und daher vorangehender Genehmigung bedurft hätte). Entgegen LG Innsbruck 5. 2. 1992, 3b R 19, 21/92, wonach Notwendigkeit und Dringlichkeit einer Behandlung iSd § 37 nicht nachträglich überprüft werden könne, lässt sich nicht plausibel begründen, weshalb die Inanspruchnahme der „Notfallsregelung“ der Gerichtskontrolle entzogen sein soll. Richtigerweise unterliegen auch die
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auf § 37 gestützten Behandlungen bei Gefahr im Verzug der nachträglichen Kontrolle: OGH 7. 12. 1993, 6 Ob 631/93. 3. § 36 UbG bietet keine Grundlage für die gerichtliche Genehmigung von Behandlungen nach Beendigung der Unterbringung (LG St. Pölten 26. 2. 2003, 10 R 17/03g); ebenso wenig bei einsichtsfähigen Patienten (LGZ Graz 3. 8. 2000, 6 R 207/00f ).
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b) Die materiellen Kriterien für die Genehmigung ergeben sich aus den allgemeinen Behandlungsvoraussetzungen des § 35 Abs 1 (Rz 586 ff). Zu prüfen ist insb, ob die Behandlung den Grundsätzen und anerkannten Methoden der medizinischen Wissenschaft entspricht und ob sie im Hinblick auf ihren Zweck verhältnismäßig ist. Das schließt eine umfassende Interessenabwägung zwischen den gesundheitlichen Vor- und Nachteilen (Risken der Behandlung, möglicher Erfolg, ohne Behandlung drohende Schäden) und der Schwere des Eingriffs in das Recht auf körperliche Selbstbestimmung ein. Zu prüfen ist dabei auch, ob dem Patienten die Einsichts- und Urteilsfähigkeit fehlt; anderenfalls wäre seine Zustimmung erforderlich (und die Behandlung gar nicht genehmigungsfähig). Die zentrale Funktion dieser Genehmigungspflicht liegt also nicht in der Einführung zusätzlicher materieller Beurteilungsmaßstäbe, sondern in der Kompetenzverschiebung und Verfahrensbindung: Die mit den unbestimmten Kriterien des § 35 eröffneten Bewertungs- und Abwägungsentscheidungen sollen dann, wenn der Patient hiezu nicht selbst in der Lage ist und auch keinen Vertreter hat, in einem rechtsstaatlichen Verfahren vom unabhängigen Richter und nicht allein vom behandelnden Arzt getroffen werden.
1. Genehmigt wurde von der Rsp zB eine Elektrokonvulsivtherapie, weil der Patient in einem absolut behandlungsbedürftigen akut psychotischen Zustand mit deutlich katatonen Elementen gewesen sei und eine Gesundheitsgefährdung bei Fortführung der (medikamentösen) Neuroleptikatherapie bestanden hätte. In diesem Fall stelle die Elektrokonvulsivtherapie die schonendere, zweckentsprechendere, weit weniger bedenkliche und potentiell weniger schädliche Alternative dar (LG Linz 28. 11. 1991, 18 R 732/91; ähnlich LG Linz 30. 8. 1993, 18 R 568/93; 11. 5. 1995, 13 R 107/95; LG Feldkirch 15. 12. 1995, 2 R 363/95; restriktiver LG Innsbruck 22. 10. 1993, 2b R 170/93). Dass die Behandlung „jedenfalls zweckmäßig“ sei, ist keine hinreichende Begründung (so aber LGZ Graz 16. 3. 1992, 1 R 6/92, 1 R 83/92). Oberste Leitlinie ist das Wohl des Patienten (LG Linz 30. 8. 1993, 18 R 568/93). Vgl weiters LG Salzburg 22. 12. 1999, 21 R 553/99s (Genehmigung einer Sondernernährung bei Anorexia nervosa und kritischem Zustand der Unterernährung). 2. Zur Prüfung der (fehlenden) Einsichtsfähigkeit als Vorfrage im Genehmigungsverfah753 ren vgl LG Linz 28. 11. 1991, 18 R 732/91; 30. 8. 1993, 18 R 568/93; 11. 5. 1995, 13 R 107/95; LG Salzburg 22. 12. 1999, 21 R 553/99s; im Ergebnis auch OGH 10. 3. 1994, 6 Ob 524/94. Die nachträgliche Wiedererlangung der Einsichts- und Urteilsfähigkeit ist aber von den Ärzten jederzeit wahrzunehmen; insofern wird dann die Genehmigung gegenstandslos und die Zustimmung des Patienten erforderlich: LG Linz 11. 5. 1995, 13 R 107/95.
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c) Antragslegitimation: Das UbG enthält keine ausdrückliche Aussage darüber, wem eine Antragslegitimation in Bezug auf das Genehmigungsverfahren zukommt. Da die Genehmigung eine Zulässigkeitsvoraussetzung der Behandlung darstellt, kann ein entsprechendes Antragsrecht nur jenem Abteilungsleiter zukommen, unter dessen ärztlicher Letztverantwortung (vgl § 7 Abs 4 KAKuG) die beabsichtigte Behandlung durchgeführt werden soll. Für die Antragslegitimation des Abteilungsleiters sprechen insb auch die diesem sonst eingeräumten Parteirechte im Genehmigungsverfahren gem § 38 Abs 1 und 2 iVm § 26, 28 und 29 UbG. Anders – im Sinne einer Antragslegitimation der behandelnden Stationsärzte – LG Linz 10. 5. 2001, 14 R 401/00i.
10. Rechtsschutz im Vollzug
225
d) Verfahren: Für das Verfahren über die Genehmigung gelten dieselben 755 Regelungen wie für das Verfahren über die Zulässigkeit von Behandlungen (vgl oben Rz 734 ff ). Der ordnungsgemäßen Durchführung eines Verfahrens (§ 38) kommt hier besondere Bedeutung zu, weil der Sinn der Genehmigungspflicht nicht in der „formalen“ Beschlussfassung liegt, sondern in der eingehenden Prüfung der Behandlungsvoraussetzungen und der Wahrung des rechtlichen Gehörs des Patienten. Vgl LGZ Graz 16. 3. 1992, 1 R 6/92, 1 R 83/92 (Genehmigung ohne Verfahrensdurchführung und Beschlusszustellung verletzt rechtliches Gehör).
e) Entscheidung: Die Genehmigung ist beschlussförmig zu erteilen (LGZ 756 Wien 21. 8. 1996, 44 R 600/96b); eine „schlüssige“ Genehmigung gibt es ebensowenig wie im Pflegschaftsverfahren. Vgl näher sinngemäß Rz 739 ff. f) Rechtsfolgen: Hinsichtlich der Rechtsfolgen der Entscheidung über die 757 Genehmigung gilt folgendes: Genehmigt das Gericht die Behandlung, dann darf sie ab der Entscheidungsverkündung durchgeführt werden, sofern der Kranke (oder sein Vertreter) keinen Rekurs anmeldet. Verweigert das Gericht die Genehmigung, dann darf die Behandlung wohl selbst bei Gefahr im Verzug (§ 37 UbG) nicht durchgeführt werden, es sei denn, die sachlichen Voraussetzungen hätten sich nach der gerichtlichen Entscheidung geändert. Dafür spricht, dass § 37 UbG nur jene Fälle erfasst, in denen die rechtzeitige „Einholung der Genehmigung“ überhaupt nicht möglich ist; sobald das Gericht die ihm zukommende Entscheidungsbefugnis aber bereits wahrgenommen hat, muss die gerichtliche „Letztentscheidungskompetenz“ gegenüber der ärztlichen Beurteilung den Vorrang haben. Neu auftretenden Behandlungsnotwendigkeiten, die zu einer Änderung der Sachlage führen, steht die Rechtskraft des Beschlusses nicht entgegen. Neu hervorgekommene Tatsachen und Beweismittel können ebenfalls berücksichtigt werden und (im Rahmen eines Abänderungsantrages, vgl § 73 Abs 1 Z 6 AußStrG) zur Wiederaufnahme des Verfahrens führen.
g) Rekurs: Die Entscheidung über die Genehmigung einer besonderen Heil- 758 behandlung ist gem § 38 Abs 2 iVm §§ 28 f unter den gleichen Voraussetzungen mit Rekurs anfechtbar wie die Entscheidung über die Zulässigkeit einer Beschränkung oder Behandlung (Rz 743 ff ). Dass die Behandlung – zufolge Aberkennung der aufschiebenden Wirkung – bereits durchgeführt oder die Unterbringung aufgehoben wurde, steht dem Rekursverfahren nicht im Wege. Eine abweichende Regelung besteht lediglich für den Rekurs des Kranken 759 (Vertreter, Angehörige) gegen jenen Beschluss, mit dem eine besondere Heilbehandlung einschließlich operativer Eingriffe genehmigt wird: Nach § 38 Abs 2 letzter Satz UbG kommt einem in der Tagsatzung angemeldeten Rekurs gegen den Beschluss, mit dem eine besondere Heilbehandlung genehmigt wird, aufschiebende Wirkung zu, sofern das Gericht nicht anderes bestimmt. Anders als bei der aufschiebenden Wirkung eines Rekurses des Abteilungsleiters im Unterbringungsverfahren oder im Verfahren über die Zulässigkeit einer Behandlung – diese tritt nur ein, wenn sie vom Gericht ausdrücklich zuerkannt wird – kommt dem Rekurs des Kranken in diesem Fall ex lege aufschiebende Wirkung zu. Die Genehmigung ist schwebend unwirksam mit der Konsequenz, dass die Behandlung nur im Rahmen des § 37 UbG bei Gefahr im Verzug zulässig ist. Soll die Genehmigung hingegen sofort wirksam werden, so muss das Gericht die aufschiebende Wirkung des Rekurses gesondert ausschließen.
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VII. Teil: Vollzug der Unterbringung
1. Durch diese ex lege aufschiebende Wirkung des Rekurses trägt das UbG dem Umstand Rechnung, dass mit den zu genehmigenden „besonderen Heilbehandlungen“ idR schwerwiegende Beeinträchtigungen des körperlichen und geistigen Zustandes des Kranken verbunden sind; ihre sofortige Durchführbarkeit würde – insb bei irreversiblen Eingriffen – die Effektivität des Rechtsmittelverfahrens unterlaufen (vgl AB 12). 2. Aus diesem Grund kommt ein Ausschluss der aufschiebenden Wirkung nur aus760 nahmsweise in Betracht, wenn die sofortige Behandlung zur Beseitigung einer unmittelbar drohenden beträchtlichen Gesundheitsgefährdung nötig ist: LG Linz 28. 11. 1991, 18 R 732/91; LG Feldkirch 15. 12. 1995, 2 R 363/95; LG Innsbruck 5. 2. 1992, 3b R 19, 21/92 (Aberkennung, wenn Zustand lebensbedrohend und die Behandlung dringend erforderlich ist); großzügiger LG Linz 11. 5. 1995, 13 R 107/95 (Gefahr eines Behandlungsfehlschlages). Nach LG Linz 11. 5. 1995, 13 R 107/95, kann die Aberkennung der aufschiebenden Wirkung – entgegen § 28 Abs 2 iVm § 38 UbG – gesondert angefochten werden, solange die Unterbringung noch andauert. 3. Der in der aufschiebenden Wirkung eines Rekurses des Kranken zum Ausdruck kommende Grundsatz, dass die Behandlung grundsätzlich erst nach Abschluss des Rechtsmittelverfahrens durchgeführt werden darf, muss auch auf der Ebene des Revisionsrekurses gelten; das wird nun durch die allgemeinen Bestimmungen der §§ 43 f AußStrG bestätigt. 4. Dem Abteilungsleiter kommt gegenüber Beschlüssen, mit denen eine besondere Heil761 behandlung genehmigt wird, kein Rekursrecht zu (§ 38 Abs 2 iVm § 28 Abs 1 UbG). Unklar ist, welchen Sinn die durch § 38 Abs 2 iVm § 26 Abs 3 und § 28 Abs 2 UbG ermöglichte (fakultative) Zuerkennung der aufschiebenden Wirkung eines Rekurses des Abteilungsleiters gegen die Versagung der Genehmigung haben soll. Ein derartiger Ausspruch des Gerichts könnte nur zur Folge haben, dass die Rechtswirkung des Beschlusses – also die Verweigerung der Genehmigung – vorläufig nicht eintritt; keinesfalls würde daraus folgen, dass die beantragte Genehmigung nunmehr als erteilt gilt. Da die Behandlung aber immer eine positive Genehmigung voraussetzt, kann auch die Zuerkennung der aufschiebenden Wirkung für den Rekurs gegen den die Genehmigung versagenden Beschluss nie bedeuten, dass die besondere Heilbehandlung zulässig wird.
762
cc) Grenzen der gerichtlichen Kontrolle a) Da das UbG die Entscheidungsbefugnisse des Unterbringungsgerichts gegen Anstaltsmaßnahmen taxativ aufzählt (OGH SZ 73/13), kommt eine über diese Prüfungsgegenstände hinausgehende Gerichtskontrolle grundsätzlich nicht in Betracht. Daraus ergibt sich zugleich die Konsequenz, dass solche Beschränkungen und Eingriffe, die im UbG nicht einmal abstrakt vorgesehen (und daher von Vornherein rechtswidrig) sind, beim Unterbringungsgericht nicht bekämpft werden können. 1. Zur Begründung Kopetzki II 920 ff. Der Rsp ist daher zuzustimmen, wenn sie einen gerichtlichen Rechtsweg zur Kontrolle von Vollzugsmaßnahmen außerhalb der im UbG aufgezählten Fälle verneint: OGH 13. 7. 1994, 6 Ob 578/94; LGZ Wien 2. 3. 1993, 44 R 31, 32, 136/93; 22. 3. 1994, 44 R 270/94 (Entzug der Privatkleidung); LG Linz 16. 11. 1993, 18 R 624-625/93 (Verweigerung der Einsicht in die Krankengeschichte); OGH 17. 10. 1996, 2 Ob 2320/96g; LG Linz 11. 12. 1996, 13 R 535/96d (Vollziehung der Unterbringung in offenem oder geschlossenen Bereich); OGH 20. 1. 2000, 6 Ob 238/99i, SZ 73/13 = RdM 2001/3 Anm Kopetzki (klinische Arzneimittelprüfung). Vgl auch LGZ Wien 9. 3. 1993, 44 R 110/93 (keine gerichtliche Kontrolle der Heilbehandlung einsichtsfähiger Patienten gem § 36 Abs 1 UbG, vgl dazu aber Rz 764). Das Gesagte bedeutet auch, dass gerade jene Rechtseingriffe und Zwangsmaßnahmen, die im UbG überhaupt keine Rechtsgrundlage haben oder sogar ausdrücklich verboten (und daher immer rechtswidrig) sind, beim Unterbringungsgericht nicht bekämpft werden können (zB Einschränkungen des Empfangs von Paketen oder – entgegen § 34 Abs 1 – des Schriftverkehrs). Mitunter entscheiden Gerichte allerdings auch außerhalb der im UbG genannten Fälle (LG St. Pölten 24. 6. 2003, 10 R 62/03z: unzulässiger Eingriff in Briefverkehr).
10. Rechtsschutz im Vollzug
227
2. Zur UVS-Zuständigkeit für diese „übrigbleibenden“ Beschränkungen vgl unten Rz 766. Anders VwGH 5. 8. 1997, 97/11/105 = RdM 1998/9 Anm Kopetzki (Verweigerung der Einsicht in die Krankengeschichte), wonach zur Kontrolle von Maßnahmen, die in Rechte untergebrachter Personen eingreifen, die ordentlichen Gerichte zuständig seien.
b) Besondere Ungereimtheiten ergeben sich bei der Zulässigkeitsprüfung 763 von ärztlichen Behandlungen: aa) Wurde zB ein nicht einsichtsfähiger Patient unter Sachwalterschaft entgegen § 36 Abs 1 gegen den Willen des Sachwalters (einfache Heilbehandlungen) oder ohne dessen schriftliche Zustimmung (besondere Heilbehandlungen) behandelt, so besteht dagegen – nimmt man § 36 Abs 2 letzter Satz UbG wörtlich – kein Rechtsweg zum Unterbringungsgericht. Das gleiche gilt für die Behandlung nicht einsichtsfähiger Minderjähriger gegen den Willen des Erziehungsberechtigten. Denn nach dem klaren Wortlaut des § 36 Abs 2 gibt es eine gerichtliche Zulässigkeitsprüfung nur, wenn „der Kranke keinen gesetzlichen Vertreter oder Erziehungsberechtigten“ hat. Eine sachliche Rechtfertigung für diese Differenzierung lässt sich nicht finden. Auch das Pflegschaftsgericht kann seine Kontrolle nicht auf das Anstaltshandeln ausdehnen: Die pflegschaftsgerichtlichen Aufsichtsbefugnisse beziehen sich nur auf Maßnahmen des Vertreters, nicht hingegen auf Akte Dritter. In diesem Sinn auch LG Salzburg 4. 2. 1998, 21 R 29/98f (keine Zuständigkeit des Unterbringungsgerichts gem § 36 Abs 2 zur Überprüfung von Behandlungen bei Patienten mit Sachwalter).
bb) Auslegungsprobleme bestehen bei der – gem § 36 Abs 1 unzulässigen – Behandlung einsichtsfähiger Patienten gegen ihren Willen: Aus der Regelung der gerichtlichen Zulässigkeitsprüfung im Kontext des § 36 Abs 2, der ausschließlich die Behandlung nicht einsichtsfähiger Patienten betrifft, könnte nämlich abgeleitet werden, dass das UbG zur Überprüfung der Behandlung einsichtsfähiger Patienten keinen gerichtlichen Rechtsschutz vorsieht. cc) Der OGH hat die Prüfungsbefugnis der Unterbringungsgerichte aller- 764 dings nun aus beachtlichen teleologischen Gründen auch auf die unfreiwillige Behandlung einsichtsfähiger Patienten erstreckt und damit eine unverständliche Rechtsschutzlücke vermieden. Im Ergebnis sind daher nun wohl alle (einfachen und besonderen) Heilbehandlungen – und unabhängig von der Einsichtsfähigkeit bzw einer gesetzlichen Vertretung des Patienten (vgl aa) – der gerichtlichen Überprüfung am Maßstab des § 36 UbG zugänglich (vgl OGH SZ 73/13). Die gerichtliche Zuständigkeit zur Prüfung von Behandlungen einsichtsfähiger Patienten wurde von der Rsp zunächst verneint: LGZ Wien 17. 3. 1992, 44 R 1112/91; 9. 3. 1993, 44 R 110/93; LG Linz 6. 10. 1994, 18 R 693/94. In der Folge bejahte aber der OGH auch eine nachträgliche Zulässigkeitsprüfung hinsichtlich der (einfachen oder besonderen) Heilbehandlung einsichtsfähiger Patienten: „Erfolgte entgegen § 36 Abs 1 UbG ohne Zustimmung des Patienten eine Behandlung, dann handelte es sich um eine unzulässige Maßnahme im Rahmen der Unterbringung, somit um eine Grundrechtsverletzung, die vom Gericht im Rahmen des Unterbringungsverfahrens festzustellen ist“ (OGH 26. 8. 1993, 2 Ob 539/93, RdM 1994/4). Ebenso wieder OGH 13. 7. 1994, 6 Ob 578/94 (die Zuständigkeit des Gerichts beziehe sich ganz allgemein auch auf die Prüfung, „inwieweit eine medizinische Behandlung zulässig ist“); OGH 14. 12. 1994, 7 Ob 627/94. Bestätigend jüngst OGH 20. 1. 2000, 6 Ob 238/99i, SZ 73/13 = RdM 2001/3 Anm Kopetzki: Das Unterbringungsgericht habe zwar „nicht jede ärztliche Maßnahme [hier: klinische Prüfungen nach AMG]“, aber jedenfalls „Heilbehandlungen auf die Voraussetzungen des § 36 UbG hin zu überprüfen“.
dd) Bei besonderen Heilbehandlungen, die bereits im Vorhinein gerichtlich 765 genehmigt wurden, kann nicht auch noch zusätzlich im Nachhinein eine ge-
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VII. Teil: Vollzug der Unterbringung
richtliche Überprüfung verlangt werden; es kann aber der Genehmigungsbeschluss bekämpft werden. Anders jedoch, wenn die Genehmigung rechtswidrigerweise nicht eingeholt wurde (diesfalls ist als Vorfrage zu prüfen, ob überhaupt eine „besondere Heilbehandlung“ vorlag und ob der Kranke nicht einsichtsfähig war), oder wenn die Behandlung die Genehmigung überschritt. 1. Wurde eine besondere Heilbehandlung wegen Gefahr im Verzug (§ 37) – ob zurecht oder nicht – ohne gerichtliche Genehmigung durchgeführt, so steht einer nachträglichen Zulässigkeitsprüfung nach § 36 Abs 2 nichts entgegen (Rz 728); hat der Kranke aber einen gesetzlichen Vertreter, so ist das Gericht nicht zuständig (Rz 763). 2. Verlangt ein Kranker (bzw sein Vertreter) gem § 36 Abs 2 eine gerichtliche Entscheidung über die Zulässigkeit einer Behandlung, und stellt sich in diesem Verfahren heraus, dass es sich – abgesehen vom Fall des § 37 – um eine ohne gerichtliche Genehmigung durchgeführte „besondere“ Heilbehandlung handelte, so hat das Gericht die Unzulässigkeit der Behandlung auszusprechen (und zwar wegen Verletzung von Verfahrensvorschriften, unabhängig davon, ob die Behandlung medizinisch gerechtfertigt war). Das Gericht kann die besondere Heilbehandlung in diesem Fall nicht ex post „genehmigen“. Vgl Rz 728.
b) Verwaltungssenate 766 Zwangsmaßnahmen gegenüber Untergebrachten während des Anstaltsaufenthaltes gehören zur hoheitlichen staatlichen Verwaltung und sind grundsätzlich als Akte unmittelbarer verwaltungsbehördlicher Zwangsgewalt anzusehen. Erachtet sich der Betroffene dadurch in seinen Rechten verletzt, so ist dagegen eine Beschwerde gem Art 129a Abs 1 Z 2 B-VG an die Unabhängigen Verwaltungssenate in den Ländern zulässig. Diese bloß subsidiäre Zuständigkeit der UVS ist allerdings ausgeschlossen, wenn und soweit gegen Zwangsmaßnahmen der Anstalt ein gleichwertiger gerichtlicher Rechtsweg nach dem UbG eröffnet ist (vgl VwSlg 13.994 A; VwGH ZfVB 2001/563). Die Spruchpraxis verneinte bisher eine UVS-Zuständigkeit allerdings auch für jene Bereiche, die von der gerichtlichen Kontrollbefugnis nicht umfasst sind (vgl auch Rz 712, 721). 1. Steht zur Überprüfung von Zwangsmaßnahmen ein gerichtlicher Rechtsweg (§§ 33 ff) zur Verfügung (bei Beschränkungen der Bewegungsfreiheit, des Besuchs- und Telefonverkehrs, und bei Behandlungen), so scheidet eine parallele Beschwerde nach Art 129a B-VG aus (VwSlg 13.994 A). Die Beschwerde an die UVS kann aber nur in dem Ausmaß verdrängt werden, als eine gleichwertige Rechtsschutzmöglichkeit nach UbG auch tatsächlich besteht. 2. Da die Prüfungskompetenz des Gerichts gegenüber Zwangsmaßnahmen der Anstalt vielfach eingeschränkt ist, verbleiben für eine Beschwerde gem Art 129a B-VG erhebliche Anwendungsfälle: Das gilt insb für jene – der Anstalt zuzurechnenden – Zwangsakte im Vollzug der Unterbringung, die schon mangels Rechtsgrundlage rechtswidrig sind, von der taxativen Gerichtszuständigkeit aber dennoch nicht erfasst werden: zB Wahlrechtsbeschränkungen (gerade nach Aufhebung der Ermächtigung des § 72 Abs 4 NRWO aF; vgl Rz 683) oder Beschränkungen des Postverkehrs (Rz 562 f). Das gilt aber auch für Maßnahmen, die aus prozessualen Gründen von der gerichtlichen Überprüfung nicht mehr erfasst werden, zB bei fortgesetzter Unterbringung nach gerichtlicher Unzulässigerklärung (vgl Rz 784). Der VwGH tendiert zur Annahme einer umfassenden Gerichtszuständigkeit zur Kontrolle vollzugsinterner Akte (VwGH 5. 8. 1997, 97/11/105 = RdM 1998/9 – Verweigerung der Einsicht in die Krankengeschichte, Rz 712), die von den ordentlichen Gerichten aber nicht wahrgenommen wird (Rz 721, 762). Die sich daraus ergebende Rechtsschutzlücke ist wegen Art 13 EMRK verfassungswidrig (Kopetzki, Anm zu RdM 1998/9). 3. Die Prozessfähigkeit für eine Beschwerdeerhebung an die Verwaltungssenate ist nach § 9 AVG zu beurteilen, der auf die Bestimmungen des bürgerlichen Rechts verweist. Näher Kopetzki II 925 f. Zur Vertretungsbefugnis des Patientenanwalts vgl Rz 484.
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4. Die Bescheide der Verwaltungssenate unterliegen der Überprüfung durch den VfGH und den VwGH (Art 130 Abs 1, Art 144 Abs 1 B-VG).
c) Amtshaftung Entgegen der früheren Rsp (SZ 42/188) ist heute anerkannt, dass die Unter- 767 bringung nicht der Privatwirtschaftsverwaltung, sondern der Hoheitsverwaltung (des Bundes) zuzurechnen ist (Rz 1, 4) und demnach der Amtshaftung (Art 23 B-VG, AHG) unterliegt. Das gilt auch für die Unterbringung auf Verlangen (Rz 232). Der Amtshaftung unterliegen weiters auch sicherheitspolizeiliche Zwangsakte im Vorfeld der Unterbringung einschließlich der ärztlichen Bescheinigung gem § 8 UbG (OGH RdM 2001/9), die Durchführung der Aufnahmeuntersuchung in der Anstalt (OGH RdM 2001/20), Entscheidungen der Anstaltsorgane über die Aufhebung bzw Unterlassung der Unterbringung (OGH SZ 71/196) sowie der Vollzug der Unterbringung, insb Beschränkungen und Behandlungen (vgl OGH SZ 61/8; 61/156; 7. 10. 1992, 1 Ob 46/91; 17. 11. 1993, 1 Ob 24/93; 22. 6. 1994, 1 Ob 4/94; Schragel, AHG3 [2003] Rz 110; Kopetzki II 927; nicht jedoch der Patientenanwalt: Rz 492). Seit der AHG-Nov 1989 haftet gem § 1 Abs 3 AHG solidarisch jener (sofern staatliche) Rechtsträger, dem die Anstalt organisatorisch zuzuordnen ist. 1. Der Schadenersatzanspruch des Untergebrachten wegen rechtswidriger Freiheitsentziehungen (nicht jedoch der Anspruch geschädigter Dritter bei unterlassener Unterbringung) gründet sich zusätzlich auf Art 5 Abs 5 EMRK bzw Art 7 PersFrG. Die Geltendmachung erfolgt in sinngemäßer Anwendung des AHG (OGH JBl 1990, 456). Näher Kopetzki, Art 7 PersFrG Rz 9 f, in: Korinek/Holoubek (Hg), Kommentar zum österreichischen Bundesverfassungsrecht (1999 ff). Die Beweislast liegt beim Kläger; einen Erfahrungssatz, dass die Freiheitsentziehung schon deren Rechtswidrigkeit indiziert, gibt es nicht (OGH RdM 2001/9). 2. Der Haftungsanspruch des Patienten bei rechtswidrigen Anhaltungen besteht wegen Art 7 PersFrG unabhängig vom Verschulden eines Organs und erfasst auch immaterielle Schäden (OGH JBl 1988, 46; 22. 6. 1994, 1 Ob 4/94). Für Ansprüche Dritter gelten hingegen nur die allgemeinen Haftungsvoraussetzungen des AHG (einschließlich Verschulden); zum (ebenfalls verschuldensabhängigen) Regress gegenüber dem Organ Rz 767/3. 3. Ein Amtshaftungsanspruch kann nicht nur dem betroffenen Patienten (wegen rechts- 767/1 widriger Unterbringung oder rechtswidriger Behandlung während der Unterbringung) zustehen, sondern auch Personen, die durch die rechtswidrige Unterlassung oder Aufhebung einer Unterbringung geschädigt werden. Das gilt insb auch für gravierende Sicherheitsmängel im Stadium des Aufnahmevorganges: Unterlässt etwa das Personal einer psychiatrischen Anstalt die erforderlichen Maßnahmen zur Erzwingung der Aufnahmeuntersuchung, und kann der Patient das Krankenhaus noch vor der Prüfung der Unterbringungsvoraussetzungen unbehelligt verlassen, so tritt Amtshaftung für die vom Patienten in der Folge verursachten und prognostizierbaren Schäden ein (OGH 24. 11. 1998, 1 Ob 247/98z, SZ 71/196 = RdM 1999/9 = JBl 1999, 325 Anm Pfersmann; Schwamberger, RdM 2001, 4 f). 4. Die Beschränkung des § 3 Z 1 UbG auf den Schutz von Leben und Gesundheit bezieht sich nur auf die Unterbringungvoraussetzungen. Dies schließt aber nicht aus, dass das UbG auch den Schutz von Vermögenswerten mit bezweckt. Drohen etwa wegen des Aggressionspotentials eines Kranken auch erhebliche Sachschäden Dritter, so ist die Vermeidung ernstlich prognostizierbarer Vermögenseinbußen vom Schutzzweck des UbG umfasst. Solche Vermögenseinbußen stehen daher im Rechtswidrigkeitszusammenhang mit fehlerhaften Vollzugsakten (OGH SZ 71/196 = RdM 1999/9 = JBl 1999, 325 Anm Pfersmann) (Amtshaftung für Brandstiftung nach unterlassener Unterbringung). 5. Im Amtshaftungsweg geltend gemacht werden können auch bloße Verfahrensfehler 767/2 trotz Erfüllung der materiellen Voraussetzungen der Unterbringung bzw einer Vollzugsmaßnahme während der Unterbringung. Der Einwand rechtmäßigen Alternativverhaltens ist bei
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VII. Teil: Vollzug der Unterbringung
verfassungswidrigem Freiheitsentzug nicht zulässig (OGH RZ 1996/51). Haftungsbegründend ist daher etwa die unzureichende Begründung der ärztlichen Bescheinigung gem § 8 UbG oder der unterbliebene Anschluss der Zeugnisse der Aufnahmeuntersuchung an die Krankengeschichte gem § 10 Abs 2 UbG (OGH 27. 2. 2001, 1 Ob 251/00v, RdM 2001/20 Anm Kopetzki = JBl 2001, 725). Vgl auch Rz 168, 208. Liegt jedoch eine sowohl formal als auch inhaltlich korrekte Bescheinigung gem § 8 vor, kann nach Ansicht des OGH aus einem bestimmten Untersuchungsverlauf keine Rechtswidrigkeit abgeleitet werden (OGH 30. 5. 2000, 1 Ob 130/00z, RdM 2001/9: Vowurf einer nicht korrekten Untersuchung). 6. Da die Beurteilung der Unterbringungsvoraussetzungen in den einzelnen Phasen der Unterbringung in unterschiedlicher Intensität zu erfolgen hat, muss die Rechtswidrigkeitsprüfung auch in Amtshaftungssachen differenziert erfolgen (vgl dazu OGH RdM 2001/20): Die Beurteilung, was jeweils eine „ex ante vertretbare Annahme“ ist (vgl Rz 157/1), wird für die (medizinisch unkundigen) Sicherheitsorgane anders ausfallen als für den Amtsarzt (§ 8), den Facharzt der Aufnahmeuntersuchung (§ 10) oder den psychiatrischen Sachverständigen (§ 22 UbG). Eine abweichende Beurteilung in einem späteren Stadium setzt daher die vorangehenden Beurteilungen für sich genommen nicht dem Verdacht der Rechtswidrigkeit aus. 7. Bei „ausgegliederten“ Anstalten, die von einer privatrechtlich organisierten juristischen Person betrieben werden (zB GesmbH, AG), kommt lediglich – aber jedenfalls – eine funktionelle Haftung des Bundes in Betracht. 8. Der Amtshaftungsweg führt zu einer haftungsrechtlichen Entlastung des Anstaltsperso767/3 nals, da die Organe dem Geschädigten gegenüber (zivilrechtlich) nicht haften (§ 1 Abs 1 AHG) und auch eine Klage gegen das Organ im ordentlichen Rechtsweg ausgeschlossen ist (§ 9 Abs 5 AHG). Dem Rechtsträger steht aber ein Rückersatzanspruch gegen das Organ zu, der auf Vorsatz und grobe Fahrlässigkeit beschränkt ist (§ 3 Abs 1 AHG) und der richterlichen Mäßigung aus Gründen der Billigkeit unterliegt (§ 3 Abs 2 AHG iVm § 2 Abs 2 DienstnehmerhaftpflichtG).
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d) Volksanwaltschaft Gegen „Missstände“ in der Verwaltung des Bundes – wozu auch die Vollziehung des UbG gehört – kann der Betroffene gem Art 148a B-VG Beschwerde an die Volksanwaltschaft erheben, sofern ein Rechtsmittel nicht oder nicht mehr zur Verfügung steht. Vom Begriff des Missstandes sind nicht nur Rechtsverletzungen, sondern auch sonstige „Unkorrektheiten“ umfasst. Ausgeschlossen sind Beschwerden gegen Akte der Gerichtsbarkeit. Die Entscheidung der Volksanwaltschaft hat jediglich empfehlenden Charakter. Wegen der Subsidiarität der Volksanwaltschaftsbeschwerde sind immer zuerst die Rechtsschutzinstrumente des UbG auszuschöpfen.
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e) Patientenanwälte bzw Patientenvertreter nach Landesrecht Nach Maßgabe landesgesetzlicher Bestimmungen bestehen in den Ländern unterschiedlich bezeichnete „Patientenanwaltschaften“ bzw „Patientenvertretungen“ mit jeweils divergierenden Aufgabenbereichen. Es handelt sich dabei um Beschwerdeinstanzen ohne verbindliche Entscheidungsgewalt oder Vertretungsmacht, die mit den zur gesetzlichen Vertretung des Patienten befugten Patientenanwälten des UbG nur die Bezeichnung gemeinsam haben. Soweit sich ihre Befugnisse ganz allgemein auf die Wahrung der Rechte von Anstaltspfleglingen beziehen (zB § 13e Abs 1 tir KAG), erstreckt sich ihre informelle Rechtsschutz- und Schlichtungsfunktion auch auf untergebrachte Personen. 1. Die – recht unterschiedlich ausgestalteten – Einrichtungen finden sich teilweise im Krankenanstaltenrecht (zB § 11e KAKuG; § 12 oö KAG; §§ 91 ff nö KAG; § 22 S-KAG 2000), teilweise in eigenen Landesgesetzen über Patientenanwaltschaften bzw Patientenvertre-
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tungen (ktn LG LGBl 1990/53 idF 2002/57; wr LG LGBl 1992/19; stm LG LGBl 2003/66; bgld LG LGBl 2000/51; vbg LG LGBl 1999/26 idF 2003/21; tir LG LGBl 2005/40). Mitunter können die Zuständigkeiten der Landespatientenanwaltschaften aber nach Maßgabe der einzelnen Landesgesetze gegenüber anderen gesetzlich vorgesehenen Vertretungen der Rechte und Interessen der Patienten subsidiär sein (vgl § 1 Abs 3 des G über die Tiroler Patientenvertretung, LGBl 2005/40); insoweit ist dann innerhalb des gesetzlichen Aufgabenbereiches der Patientenanwälte nach UbG kein Raum für konkurrierende Befugnisse der Landespatientenanwaltschaften. 2. Aus verfassungsrechtlicher Sicht sind die weitreichenden Zuständigkeiten der LandesPatientenanwaltschaften nicht unbedenklich, da der Landesgesetzgeber gem Art 12, 15 B-VG keine Kompetenz zur Regelung von Kontrollbefugnissen für die Bundesverwaltung besitzt.
f) Zivil- und strafrechtliche Haftung Zivilrechtliche Haftungsansprüche gegen den Anstaltsträger (§ 1313a 770 ABGB) bzw das Anstaltspersonal sind durch die Amtshaftung weitgehend verdrängt. Allfällige Schadenersatzansprüche gegen Ärzte, Pfleger oder den Anstaltsträger sind im Wege der Amtshaftung gegen den Bund (subsidiär gegen den – sofern staatlichen – Anstaltsträger) geltend zu machten (Rz 767 ff). Die Möglichkeit einer „verschuldensunabhängigen“ Patientenentschädigung nach den in Ausführung des § 27a Abs 6 KAKuG erlassenen – völlig unterschiedlichen – landesrechtlichen Bestimmungen besteht auch für Behandlungsschäden bei Durchführung der Unterbringung, da das Krankenanstaltenrecht subsidiär auch für die Unterbringung gilt (vgl Rz 536). Die Eisnchränkung auf Schäden, „bei denen eine Haftung des Rechtsträgers nicht eindeutig gegeben ist“ (§ 27b Abs 6) wird hiebei nicht auf den Anstaltsträger, sondern auf die nach Amtshaftungsrecht zuständigen Rechtsträger (Rz 767) zu beziehen sein.
Für eine strafrechtliche Verantwortlichkeit des Anstaltspersonals (auf deren 771 Realisierung der Patient allerdings keinen Anspruch hat) kommen unter anderem die Delikte der eigenmächtigen Heilbehandlung (§ 110 StGB) und der Freiheitsentziehung (§ 99 StGB) in Betracht. Zuwiderhandlungen gegen das UbG sind für sich genommen zwar nicht strafrechtlich sanktioniert; sie führen aber zum Verlust eines auf das UbG gestützen Rechtfertigungsgrundes im Hinblick auf §§ 99, 110 StGB. Für Ärzte sind Verstöße gegen die „bestehenden Vorschriften“ – und somit auch gegen das UbG – überdies gem § 49 Abs 1 iVm § 199 Abs 3 ÄrzteG verwaltungsbehördlich strafbar. Auch eine disziplinarrechtliche Haftung (§ 49 Abs 1 iVm § 136 Abs 1 Z 2 ÄrzteG) kommt in Betracht. g) Beschwerderecht innerhalb der Anstalt Ein rechtsförmig ausgestaltetes Beschwerderecht innerhalb der Krankenan- 772 stalt besteht, abgesehen von den erwähnten Patientenvertretungen (Rz 769), nicht. Die in der RV (25 Sp 1) angesprochene Beschwerde an den Abteilungsleiter ist rechtlich ohne besondere Bedeutung; es besteht nicht einmal ein Erledigungsanspruch. Ähnliches gilt für informelle Beschwerdemöglichkeiten an verwaltungsinterne Einrichtungen wie etwa einen Spitals-Ombudsmann. Vgl demgegenüber das förmliche Beschwerderecht im Strafvollzug gem §§ 120 ff StVG.
Achter Teil
Aufhebung der Unterbringung 1. Allgemeines 773 a) Gem § 32 UbG hat der Abteilungsleiter „unbeschadet der Fälle, in denen das Gericht die Unterbringung des Kranken für nicht oder für nicht mehr zulässig erklärt, [...] die Unterbringung jederzeit aufzuheben, wenn deren Voraussetzungen nicht mehr vorliegen“. Diese Bestimmung gilt grundsätzlich sowohl für die Unterbringung ohne Verlangen als auch für jene auf Verlangen. Für die Aufhebung der „Unterbringung auf Verlangen“ gelten wegen des systematischen Zusammenhangs mit § 11 UbG jedoch einige Besonderheiten (dazu unten Rz 794). Die folgenden Ausführungen beschränken sich zunächst auf die Aufhebung der Unterbringung ohne Verlangen.
b) Ebenso wie es für die Anwendbarkeit des UbG und die sich daraus ergebende besondere Rechtsstellung des Patienten nicht auf die „Aufnahme“ in die Anstalt, sondern auf seine „Unterbringung“ ankommt, knüpft das Gesetz auch für das Ende dieses Rechtsverhältnisses nicht an der tatsächlichen Entlassung, sondern an der „Aufhebung der Unterbringung“ an; insofern handelt es sich um den contrarius actus zur Verhängung der Unterbringung gem § 10 UbG. 775 Das maßgebliche Kriterium einer Aufhebung der Unterbringung liegt darin, dass die in § 2 angeführten Merkmale einer Unterbringung nicht mehr gegeben sind. Unter der Aufhebung der Unterbringung ist daher die Aufhebung jener Beschränkungen der Bewegungsfreiheit seitens der Anstalt zu verstehen, durch welche die Unterbringung definiert ist (AB 10). 774
1. Dies ist nicht nur bei der Entlassung aus der Anstalt der Fall, sondern zB auch dann, wenn ein Patient aus dem geschlossenen in einen offenen Bereich der Krankenanstalt überstellt wird (sofern er nicht auch im offenen Bereich weiterhin Beschränkungen der Bewegungsfreiheit unterworfen bleibt), oder wenn sonstige Bewegungsbeschränkungen außerhalb eines geschlossenen Bereichs aufgehoben werden (zB Aufhebung einer Türsperre). Umgekehrt kann die Unterbringung (bei Überstellung in eine andere psychiatrische Anstalt) auch nach der Entlassung (Rz 792), nach einer bloß „pro-forma Entlassung mit unmittelbar anschließender Neuaufnahme“ (LGZ Graz 21. 3. 1997, 6 R 115/97v) oder nach der Überstellung aus dem geschlossenen in den offenen Bereich fortdauern (OGH 12. 9. 2002, 6 Ob 198/02i: fortdauernde Beschränkung auch auf der offenen Station trotz Mitteilung der Anstalt über Aufhebung der Unterbringung). 2. Da die Aufhebung der Unterbringung weder mit der Entlassung identisch ist noch an 776 einen förmlichen Akt gebunden ist, entstehen ähnliche Abgrenzungsprobleme wie beim Beginn der Unterbringung (Rz 48 ff). Auch hier ist es die tatsächliche Aufhebung von Bewegungsbeschränkungen, die gem § 32 iVm § 2 UbG als Aufhebung der Unterbringung zu deuten ist. Ob die Unterbringung aufgehoben wurde, hängt demnach davon ab, ob es dem Patienten freisteht, die Anstalt endgültig zu verlassen. Der vorübergehende Wegfall von Beschränkungen wie das zeitweise Öffnen von Türen, die Gewährung von Ausgang etc ist keine Aufhebung der Unterbringung, sofern es sich hiebei bloß um die bedingte Lockerung von Bewegungsbeschränkungen im Rahmen fortbestehender und weiterhin zwangsweise durchsetzbarer Rahmenbedingungen handelt. Ebenso wenig kann von einer Aufhebung der Unterbringung gesprochen werden, wenn eine Beschränkung faktisch wegfällt (zB Aufhebung
2. Aufhebung infolge gerichtlicher Entscheidung
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einer Türsperre), der Patient aber davon gar keine Kenntnis erlangt: Wer in dem durch die bisherige Erfahrung gestärkten Glauben gelassen wird, die Anstalt nicht verlassen zu können, ist weiterhin untergebracht, selbst wenn dies objektiv vielleicht gar nicht mehr zutrifft. 3. Maßgeblich ist der Wegfall der von der Anstalt ausgeübten Bewegungsbeschränkungen. Kann der Patient die Anstalt nicht verlassen, weil ihm aus gesundheitlichen Gründen die Bewegungsmöglichkeit fehlt und niemand den Rücktransport aus der Anstalt organisiert, so liegt darin keine fortdauernde „Unterbringung“. Vgl auch Rz 56. 4. Bei flüchtigen Patienten kann die Unterbringung als Rechtsakt trotz Wegfalls der faktischen Beschränkungen weiter andauern (zur Wiedereinbringung vgl Rz 187). Eine der Entweichung nachfolgende Entlassungsanzeige iSd Krankenanstalten- oder Sozialversicherungsrechts bedeutet daher nicht zwingend das Ende der Unterbringung (UVS NÖ 18. 3. 1997, B95-023; VfSlg 16.119; LG St. Pölten 31. 7. 2002, 10 R 50/02h). Wird ein flüchtiger Patient nach seiner polizeilichen Wiedereinbringung (ohne Beschränkungen) in den offenen Bereich aufgenommen, so ist dies einer Aufhebung der Unterbringung iSd § 32 gleichzuhalten (LG Linz 7. 12. 1999, 14 R 626/99y). 5. Die Fortsetzung des Anstaltsaufenthaltes nach der Aufhebung der Unterbringung ist 777 nur möglich, wenn der Patient freiwillig in der Anstalt bleibt und hiebei keinen als Unterbringung zu deutenden Beschränkungen der Bewegungsfreiheit unterworfen ist; anderenfalls handelt es sich definitionsgemäß um keine „Aufhebung“ der Unterbringung. Eine „Aufhebung“ der Unterbringung unter der Bedingung, dass der Patient freiwillig in der Anstalt verbleibt, ist nicht als Aufhebung der Unterbringung einzustufen, wenn der Betroffene damit rechnen muss, neuerlich untergebracht zu werden, sobald er die Anstalt verlassen möchte. 6. Eine bedingte Entlassung im Sinne einer stufenweisen Entlassung in die Freiheit (unter erleichterten Bedingungen einer Rückholung) kennt das UbG nicht; vgl auch Rz 577; kritisch Höpfel, Die Unterbringung minder Gefährlicher nach § 21 Abs 1 StGB. Gedanken zu einer Reform des Maßnahmenrechts, FS Moos (1997) 69 (81).
2. Aufhebung infolge gerichtlicher Entscheidung § 32 unterscheidet zwischen der Aufhebung der Unterbringung infolge ge- 778 richtlicher Unzulässigerklärung und der selbständigen Aufhebung aufgrund eigener Initiative und Beurteilung des Abteilungsleiters. Nichtsdestoweniger liegt die Zuständigkeit zur Aufhebung der Unterbringung in beiden Fällen ausschließlich beim Abteilungsleiter; nach einem gerichtlichen Unzulässigkeitsbeschluss ist er zu dieser Aufhebung allerdings von Gesetzes wegen verpflichtet. a) Unzulässigkeitsbeschluss a) Die „Fälle, in denen das Gericht die Unterbringung des Kranken nicht 779 oder nicht mehr für zulässig erklärt“ (§ 32), ergeben sich nicht unmittelbar aus § 32, sondern aus den Bestimmungen über das gerichtliche Verfahren. Nach diesen ist die Unterbringung vom Abteilungsleiter grundsätzlich sogleich aufzuheben, wenn sie das Gericht in der „Erstanhörung“ (§ 20 Abs 2) oder in der mündlichen Verhandlung (§ 26 Abs 3) für unzulässig erklärt. 1. Die Verpflichtung zur Aufhebung der Unterbringung infolge eines Unzulässigkeitsbeschlusses besteht unabhängig davon, ob die gerichtliche Entscheidung im Zuge eines erstmaligen Unterbringungsverfahrens (§ 20 Abs 2, § 26 Abs 3), eines Verfahrens über die weitere Unterbringung (§ 30) oder im neuerlichen Prüfungsverfahren vor Fristablauf (§ 31) erging. 2. „Sogleich“ bezieht sich auf den Zeitpunkt des Wirksamwerdens des Beschlusses, das ist 780 – vom gleich zu erörternden Fall der aufschiebenden Wirkung abgesehen – die mündliche Verkündung am Schluss der mündlichen Verhandlung (Tagsatzung) und nicht erst die Zustellung der schriftlichen Ausfertigung. Für die Rechtzeitigkeit der Aufhebung der Unterbrin-
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VIII. Teil: Aufhebung der Unterbringung
gung genügt es allerdings, wenn der Abteilungsleiter die für eine Entlassung erforderlichen Maßnahmen unverzüglich in Angriff nimmt und möglichst rasch durchführt und beendet.
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b) Die Verpflichtung zur sofortigen Aufhebung der Unterbringung infolge einer gerichtlichen Unzulässigkeitsentscheidung wird jedoch aufgeschoben, wenn der Abteilungsleiter noch in der Tagsatzung einen Rekurs anmeldet und das Gericht diesem Rekurs sogleich aufschiebende Wirkung zuerkennt (§ 20 Abs 2, § 26 Abs 3 UbG). Meldet der Abteilungsleiter zwar rechtzeitig einen Rekurs an, erkennt das Gericht diesem Rekurs aber keine aufschiebende Wirkung zu, dann ist die Unterbringung ebenfalls sofort aufzuheben. 782 c) Erkennt das Gericht dem Rekurs des Abteilungsleiters noch in der Tagsatzung aufschiebende Wirkung zu, dann ist die Unterbringung erst aufzuheben, aa) wenn die dreitägige („Erstanhörung“) bzw achttägige (mündliche Verhandlung) Rekursfrist des Abteilungsleiters ungenutzt verstrichen ist (§ 20 Abs 2, § 28 Abs 2 UbG), bb) wenn das Gericht nach Einlangen des Rekurses entscheidet, dass dem Rekurs aufschiebende Wirkung nicht weiter zukommt (§ 28 Abs 2 UbG; gegen diese Entscheidung ist kein abgesondertes Rechtsmittel zulässig), cc) wenn das Rekursgericht die Unterbringung ebenfalls für unzulässig erklärt (§ 29 Abs 3 UbG). Ein dagegen eingebrachter Revisionsrekurs hat keine aufschiebende Wirkung mehr.
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d) Die rechtswidrige Fortsetzung der Unterbringung nach dem Wirksamwerden der Unzulässigkeitsentscheidung des Gerichts ist in diesem Fall ausnahmsweise bei den UVS bekämpfbar.
1. Dadurch wird der Patient in seinem Recht auf persönliche Freiheit verletzt. Zur Aufrechterhaltung eines Freiheitsentzuges als tauglicher Anfechtungsgegenstand iS der Ausübung unmittelbarer behördlicher Befehls- und Zwangsgewalt vgl schon VfSlg 3247. 2. Gegen die Missachtung eines bereits wirksam erlassenen gerichtlichen Unzulässigkeits784 beschlusses besteht nach dem UbG kein weiterer gerichtlicher Rechtsweg mehr, der die Zuständigkeit der UVS ausschließen könnte. Insb scheiden auch Zwangsmittel (§ 79 AußStrG) bzw eine gerichtliche Exekution (§ 80 AußStrG) aus, weil das Gericht nach § 26 Abs 3 UbG keine Entlassungsverfügung erlassen, sondern lediglich über die Zulässigkeit der Unterbringung absprechen kann (OGH 21. 4. 1998, 5 Ob 84/98h, RdM 1999/13). Feststellende Entscheidungen sind einer Vollstreckung aber nicht zugänglich (Dolinar 152 FN 382). Der UVS Oö 10. 8. 1992, VwSen-420018/2/Kl/Rd, verneinte allerdings seine sachliche Zuständigkeit in einem derartigen Fall mit der unzutreffenden Begründung, die weitere Anhaltung beruhe auf einem zivilrechtlichen Behandlungsvertrag.
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b) Ablauf der Unterbringungsfrist nach einem Zulässigkeitsbeschluss Die Unterbringung (ohne Verlangen) ist auch aufzuheben, wenn die im Beschluss über die Zulässigkeit der Unterbringung gerichtlich festgesetzte Frist (§ 26 Abs 2 UbG) abgelaufen ist. Der Fristablauf ist vom Abteilungsleiter selbständig zu überwachen. Mit Fristablauf wird die Unterbringung rechtswidrig. 1. Fristablauf ist nach der Rsp der Ablauf des letzten Tages der Frist (24 Uhr) (Rz 389). Da dieser Zeitpunkt vorhersehbar ist, sind Entlassungsvorbereitungen rechtzeitig zu treffen; Verzögerungen aus organisatorischen Gründen sind in diesem Fall nicht gerechtfertigt. 2. Soll die Unterbringung über das Ende dieser Frist hinaus verlängert werden, so muss der Abteilungsleiter spätestens vier Tage vor Fristablauf dem Gericht mitteilen, aus welchen Gründen er die weitere Unterbringung für erforderlich hält (§ 30 Abs 3); das Gericht hat noch innerhalb der verbleibenden vier Tage der ursprünglichen Frist eine neuerliche Anhörung gem § 19 durchzuführen und vorläufig über die Zulässigkeit der weiteren Unterbringung zu entscheiden (§ 30 Abs 1, 4 iVm §§ 19 ff). Die Entscheidung muss so rechtzeitig erfolgen, dass sie noch vor Ablauf der vorangehenden Frist wirksam wird. Vgl Rz 400.
3. Aufhebung auf Initiative des Abteilungsleiters
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3. Aufhebung auf Initiative des Abteilungsleiters a) Abgesehen von den Fällen der gerichtlichen Unzulässigkeitsentscheidung 786 hat der Abteilungsleiter die Unterbringung von sich aus aufzuheben, wenn deren Voraussetzungen nicht mehr vorliegen (§ 32). 1. Die Unterbringung ist aufzuheben, sobald auch nur eine der Unterbringungsvorausset- 787 zungen des § 3 UbG weggefallen ist. Dies ist zB dann der Fall, wenn sich nachträglich eine alternative Betreuungsmöglichkeit eröffnet, oder wenn die – zwar immer noch bestehende – Gefährdung nicht mehr das von § 3 Z 1 geforderte Ausmaß an Schwere und Wahrscheinlichkeit („ernstlich und erheblich“) erreicht. Die Unterbringung darf also nicht solange aufrechterhalten werden, bis ein bestimmter (erwünschter) therapeutischer Zweck erreicht ist. Sie verliert ihren Rechtsgrund schon dann, wenn die qualifizierte Gefährdung wegfällt, die zu ihrer Verhängung erforderlich ist. 2. Liegen die Unterbringungsvoraussetzungen hingegen noch vor, dann darf die Unterbringung auch dann nicht aufgehoben (und der Patient daher auch nicht entlassen) werden, wenn der weitere stationäre Anstaltsaufenthalt therapeutisch nutzlos ist. Die therapeutische Notwendigkeit der Anstaltspflege spielt für die Aufhebung der Unterbringung ebensowenig eine selbständige Rolle wie für die Verhängung der Unterbringung (Rz 198). 3. Einer Aufhebung der Unterbringung auf eigene Initiative des Abteilungsleiters steht die 788 gerichtliche Zulässigerklärung der Unterbringung nicht entgegen; die Aufhebung einer Unterbringung ohne Verlangen auf eigene Initiative des Abteilungsleiters betrifft vielmehr voraussetzungsgemäß nur jene Fälle, in denen die gerichtliche Unterbringungsfrist noch läuft.
b) Die Beurteilung, ob die Voraussetzungen noch vorliegen, obliegt dem Ab- 789 teilungsleiter (RV 16, 29). Aus § 32, wonach die Unterbringung bei Wegfall ihrer Voraussetzungen „jederzeit“ aufzuheben ist, ist aber eine Verpflichtung abzuleiten, den Fortbestand aller Unterbringungsvoraussetzungen (einschließlich möglicher Alternativen) regelmäßig zu überprüfen und für den Fall ihres Wegfalls die jederzeitige Aufhebung der Unterbringung sicherzustellen. 1. Hebt der Abteilungsleiter die Unterbringung trotz Wegfalls der Voraussetzungen nicht 790 auf, so stellt die Fortsetzung der Unterbringung auch in diesem Fall einen rechtswidrigen Freiheitsentzug dar. Anders als bei der gerichtlich bereits für unzulässig erklärten Unterbringung (Rz 783 f, 766) kann dagegen aber keine Beschwerde vor den UVS erhoben werden, weil das UbG hiefür einen eigenen gerichtlichen Rechtsschutzweg eröffnet: Hält der Patient (oder eine der in § 28 Abs 1 UbG genannten Personen) die Voraussetzungen der Unterbringung entgegen der Auffassung des Abteilungsleiters für nicht mehr gegeben, dann kann er noch vor Fristablauf ein gerichtliches Verfahren nach § 31 UbG beantragen, in dem über die Zulässigkeit der Unterbringung neuerlich zu entscheiden ist (Rz 408 ff). 2. Die Entlassung eines angehaltenen Patienten „auf Revers“, wie sie noch § 52 Abs 1 Z 4 791 KAG aF vorgesehen hat, gibt es nicht mehr. Sobald der bisher zur Reversentlassung führende Fall eintritt, dass die „erforderliche Obsorge“ für den Kranken außerhalb der Anstalt gesichert ist (§ 52 KAG aF), muss die Unterbringung jedoch auch künftig aufgehoben werden, weil dann nämlich eine ausreichende Betreuungsalternative besteht und die fortgesetzte Unterbringung schon im Lichte des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes (vgl – wenngleich verbaliter nur auf die ärztliche Betreuung abstellend – § 3 Z 2 UbG) unzulässig wäre (RV 29). 3. Eine gerichtliche Zustimmung zur Entlassung bzw Aufhebung der Unterbringung ist in keinem Fall erforderlich. Sofern eine Person jedoch auf Anordnung eines Strafgerichtes angehalten ist (§ 50 KAKuG; § 167a StVG; § 429 Abs 4 StPO), obliegt auch die Aufhebung ausschließlich der Verfügung dieses Gerichts und nicht dem (die Anhaltung und ihre Aufhebung lediglich vollziehenden) Abteilungsleiter. 4. Wird die Unterbringung gem § 32 aufgehoben, der Betroffene jedoch innerhalb der „al- 792 ten“ Unterbringungsfrist (§ 26) oder nach einer vorläufigen Zulässigerklärung gem § 20 erneut untergebracht, dann müssen neuerlich eine Aufnahmeuntersuchung und die Verständigung des Gerichts vorgenommen sowie das gerichtliche Verfahren (einschließlich Anhörung) durchgeführt werden (OGH 10. 5. 1995, 3 Ob 510/95).
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VIII. Teil: Aufhebung der Unterbringung
5. Die zwangsweise Überstellung einer untergebrachten Person in eine andere psychiatrische Anstalt führt nicht zur Beendigung der Unterbringung, auch wenn es dabei zu einer Entlassung bzw Neuaufnahme in krankenanstaltenrechtlichen Sinn kommt (VfSlg 16.119).
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4. Verständigung von der Aufhebung Der Abteilungsleiter hat von der Aufhebung der Unterbringung unverzüglich das zuständige Unterbringungsgericht und den Vertreter (gesetzlicher oder gewillkürter Vertreter, Patientenanwalt) des Kranken zu verständigen (§ 32). 1. Ob die Unterbringung tatsächlich aufgehoben wurde, hängt nicht von der Verständigung, sondern vom tatsächlichen Wegfall der Beschränkungen ab (Rz 775). Die Unterbringung kann daher trotz Verständigung über die – angebliche – Aufhebung fortbestehen (OGH 12. 9. 2002, 6 Ob 198/02i) 2. Eine Verständigung des Kranken von der Aufhebung der Unterbringung ist nicht ausdrücklich vorgesehen; hat der Patient von der Beendigung der Beschränkungen keine Kenntnis, so liegt nach Rz 776 aber überhaupt keine „Aufhebung der Unterbringung“ vor. Insofern kann die Information über die Aufhebung zwar keine Rechtsfolge, nichtsdestoweniger aber ein notwendiges Merkmal der Aufhebung sein. 3. Als „contrarius actus“ zur Unterbringung ist auch deren Aufhebung in der Krankengeschichte zu dokumentieren (§ 10 Abs 2 UbG sinngemäß; vgl auch § 10 KAKuG). 4. Kann ein zu entlassender Patient nicht sich selbst überlassen werden und erfolgt auch keine Übernahme durch Angehörige oder sonst nahestehende Personen, dann ist gem § 24 Abs 3 KAKuG rechtzeitig vor der Entlassung der Sozialhilfeträger zu verständigen. 5. Sonstige Verständigungen sieht das UbG nicht vor. Eine dennoch erfolgende Verständigung würde daher grundsätzlich gegen Verschwiegenheitspflichten (ärztliche Schweigepflicht gem § 54 ÄrzteG; Amtsverschwiegenheit) verstoßen. In bestimmten Fällen kann eine entsprechende Mitteilung aber durchaus zulässig sein (zB an Sozialversicherungsträger nach § 54 Abs 2 Z 2 ÄrzteG, an das bei einer allfälligen Sachwalterschaft zuständige Pflegschaftsgericht „im Interesse der Rechtspflege“ nach § 54 Abs 2 Z 4 ÄrzteG, im Rahmen der Amtshilfepflicht nach Art 22 B-VG [sofern es sich um Anstalten der Gebietskörperschaften handelt] sowie an die Sicherheitsbehörden gem § 53 Abs 3 SPG). Vgl näher Rz 692 ff. 6. Die Bestimmungen über Entlassungsschein und Arztbrief (Patientenbrief ) (vgl § 24 Abs 2 KAKuG) gelten auch für Untergebrachte. Sie sind allerdings nur bei der tatsächlichen Entlassung aus der Anstaltspflege anwendbar, nicht jedoch schon dann, wenn zwar die Unterbringung aufgehoben, der Anstaltsaufenthalt aber freiwillig fortgesetzt wird. Die Entscheidung darüber, ob der Arztbrief direkt an einen weiterbehandelnden oder „einweisenden“ Arzt zu übermitteln ist, liegt gem § 24 Abs 2 KAKuG beim Patienten.
5. Die Aufhebung der Unterbringung auf Verlangen 794 Die Unterbringung auf Verlangen ist ebenfalls auf Initiative des Abteilungsleiters aufzuheben, sobald die Unterbringungsvoraussetzungen weggefallen sind (§ 32 UbG); eine gerichtliche Unzulässigerklärung kommt hier mangels Gerichtsverfahren nicht in Betracht. Wird das Unterbringungsverlangen widerrufen, das Verlangen nach Ablauf von sechs Wochen nicht erneut erklärt oder die zulässige Höchstdauer von zehn Wochen ausgeschöpft (§ 4 Abs 3, § 7 UbG), so endet nach der Konzeption des UbG zwar die Unterbringung „auf Verlangen“; die Unterbringung als solche ist aber nur dann aufzuheben, wenn zugleich die Unterbringungsvoraussetzungen nicht mehr vorliegen. Anderenfalls wird die Unterbringung als Unterbringung „ohne Verlangen“ nach den dafür bestehenden Regelungen fortgesetzt (§ 11 Z 2 UbG) (oben Rz 279 ff).
Neunter Teil
Abgrenzung von anderen freiheitsentziehenden Maßnahmen Die Unterbringung nach UbG stellt nur eine von mehreren freiheitsentziehenden Maßnahmen dar, die in psychiatrischen Krankenanstalten vollzogen werden können. Da deren rechtliche Rahmenbedingungen sowohl hinsichtlich der Aufnahme- und Entlassungsvoraussetzungen als auch hinsichtlich des Vollzuges voneinander abweichen, ist die Abgrenzung dieser Maßnahmen von der Unterbringung iSd UbG von Bedeutung (vgl Kopetzki II 938 ff ). 1. Sanitätsrecht Auf freiheitsentziehende Maßnahmen gegenüber Personen mit übertragbaren 795 Krankheiten nach dem Tuberkulosegesetz, dem Epidemiegesetz und dem Geschlechtskrankheitengesetz ist das UbG nicht anwendbar. Dies auch dann nicht, wenn die Anhaltung ausnahmsweise in einer psychiatrischen Krankenanstalt oder Abteilung vollzogen wird. 1. Vgl §§ 14 ff TuberkuloseG BGBl 1968/127 idF zuletzt I 2002/65; § 7 Abs 2 EpidemieG BGBl 1950/186 (wv) idF zuletzt I 2002/65; § 5 Abs 2 GeschlechtskrankheitenG StGBl 1945/152 idF zuletzt I 2001/98. Keine Zwangsermächtigungen enthält das AIDS-G BGBl 1993/728 (wv) idF zuletzt I 2001/98. 2. Zwar liegt bei solchen Einweisungen eine „Beschränkung der Bewegungsfreiheit“ in einer Krankenanstalt oder Abteilung für Psychiatrie vor, die bei wörtlicher Auslegung den Tatbestand der „Unterbringung“ iSd § 2 UbG erfüllen würde. Dennoch sprechen überwiegende Gründe gegen die Anwendung des UbG auf diese seuchenpolizeilichen Maßnahmen: Die Annahme, das UbG gelte auch für freiheitsentziehende Maßnahmen nach den genannten Rechtsgrundlagen, würde nicht nur völlig unsachliche derogatorische Wirkungen in Bezug auf die bisher maßgeblichen sanitätsrechtlichen Vorschriften nach sich ziehen, sie widerspräche auch der Intention des Gesetzgebers, anderweitig geregelte Freiheitsentziehungen unberührt zu lassen. So ausdrücklich noch § 30 der RV, wonach unter anderem das TbG, das EpG und das GeschlechtskrankheitenG „unberührt“ bleiben sollen. Ins UbG wurde diese Aufzählung nicht übernommen; die Begründung in AB 13, wonach diese sanitätsrechtlichen Gesetze „keine Bestimmungen über die Unterbringung psychisch Kranker enthalten“, zeigt aber, dass eine Anwendung des UbG auf andere Unterbringungen trotz der überschießenden Formulierung des § 2 UbG nicht in Erwägung gezogen wurde.
2. Strafrecht Auch Personen, die nach strafrechtlichen Rechtsgrundlagen in psychiatrische 796 Anstalten eingewiesen werden, unterliegen nicht unmittelbar dem UbG. Ihre Anhaltung ist nach den einschlägigen Strafrechtsnormen zu beurteilen. Das UbG findet nur dann und insoweit Anwendung, als die unmittelbar anwendbaren strafrechtlichen Normen auf das UbG verweisen.
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IX. Teil: Abgrenzung von anderen freiheitsentziehenden Maßnahmen
1. Nach dem Wortlaut des § 2 UbG hängt die Anwendbarkeit des UbG nur von der Vornahme einer Bewegungsbeschränkung in psychiatrischen Anstalten und Abteilungen ab, unabhängig davon, ob diesem Freiheitsentzug eine strafrechtliche Einweisung zugrunde liegt. Dennoch wird man auch bei einer Unterbringung in Vollziehung strafrechtlicher Vorschriften zum gegenteiligen Ergebnis kommen müssen: § 46 UbG ordnet an, dass (1) die Vorschriften über die Zulässigkeit von Zwangsmaßnahmen aus Gründen der öffentlichen Sicherheit oder der Strafverfolgung, (2) die strafrechtlichen Vorschriften über die mit Freiheitsentziehung verbundenen vorbeugenden Maßnahmen bei geistig abnormen und entwöhnungsbedürftigen Rechtsbrechern, und (3) die Vorschriften über den Vollzug der Freiheitsstrafe und der mit Freiheitsentziehung verbundenen vorbeugenden Maßnahmen „unberührt“ bleiben. Daraus folgt, dass eine Derogation scheinbar widersprechender strafrechtlicher Bestimmungen nicht eintreten soll und dass der Gesetzgeber das differenzierte strafrechtliche Regelungswerk durch die isolierte Anwendung einzelner Bestimmungen des UbG nicht modifizieren wollte. 2. Zum Ganzen vgl auch den Erlass des BMJ 31. 7. 1991 JABl 1991/48. Aus der Lit zum Strafvollzugsrecht: Drexler, Strafvollzugsgesetz (2003); Foregger/Schausberger, Strafvollzugsgesetz4 (2001); Holzbauer/Brugger, Strafvollzugsgesetz (1996). Zum Maßnahmenvollzug (wenngleich teilweise überholt) Eder-Rieder, Die freiheitsentziehenden vorbeugenden Maßnahmen (1985); Medigovic, Freiheitsentziehedne vorbeugende Maßnahmen in Österreich (1986); vgl nun insb auch mwN Höpfel, FS Moos (1997) 69; Medigovic, JBl 2001, 482.
797
a) Vorbeugende Maßnahme gem § 21 Abs 1 StGB a) Nach § 158 Abs 4 StVG darf die vorbeugende Maßnahme der Unterbringung zurechnungsunfähiger geistig abnormer Rechtsbrecher (§ 21 Abs 1 StGB) durch Aufnahme in eine öffentliche Krankenanstalt für Psychiatrie – nicht hingegen in psychiatrischen Abteilungen anderer Krankenanstalten – vollzogen werden, wenn 1. unter Berücksichtigung des Zustandes des Rechtsbrechers mit den Einrichtungen das Auslangen gefunden werden kann, wie sie in der öffentlichen Krankenanstalt für die Unterbringung nach dem UbG bestehen, 2. der Rechtsbrecher und sein gesetzlicher Vertreter ihre Zustimmung erteilen und 3. dem Leiter der Krankenanstalt Gelegenheit zu einer Äußerung gegeben worden ist. 1. Näher § 158 Abs 4 Z 1 bis 3 StVG. Vgl dazu – wenngleich zu einer teilweise überholten Rechtslage – insb Eder-Rieder, Maßnahmen 302 ff, 315 ff; Medigovic, Maßnahmen 80 ff; Kapferer/Steiner, RdM 1995, 104 ff. Zum Maßnahmenvollzug im „Pavillon 23“ des Psychiatrischen Krankenhauses der Stadt Wien Haberler, RZ 1983, 155. Zur Entwicklung der Rechtslage und mwN Medigovic, JBl 2001, 482. 2. § 158 Abs 4 bzw § 167a StVG gelten nur für den Maßnahmenvollzug nach § 21 Abs 1 StGB und sind auf Fälle des § 21 Abs 2 StGB nicht analog anzuwenden (OGH 7. 5. 1998, 6 Ob 220/97i, EvBl 1998/181). (Vorübergehende) Überstellungen der nach § 21 Abs 2 StGB verurteilten Personen in Psychiatrische Anstalten bzw Abteilungen sind hingegen nach § 71 StVG zu beurteilen. 3. Durch besondere Vereinbarungen zwischen dem Bund und dem Anstaltsträger gem § 167a Abs 3 StVG können zusätzliche (vom Bund zu tragende) Aufwendungen und Einrichtungen in der Krankenanstalt geschaffen werden. 4. Aus der gleichzeitigen Nennung des Rechtsbrechers und seines gesetzlichen Vertreters ist der Schluss zu ziehen, dass es sich dabei um ein höchstpersönliches und unabhängig von der Geschäftsfähigkeit ausübbares Zustimmungsrecht handelt. Zur Widerruflichkeit der Zustimmung vgl bejahend Kapferer/Steiner, RdM 1995, 106.
2. Strafrecht
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5. Da es einen „Leiter der Krankenanstalt“ im KAKuG nicht mehr gibt, wird dieses Anhörungsrecht sämtlichen Organen der „kollegialen Führung“ (vgl § 6a KAKuG) einzuräumen sein. Ein Zustimmungsrecht der kollegialen Führung ergibt sich daraus allerdings nicht (so aber wohl Kapferer/Steiner, RdM 1995, 106).
b) Die Bestimmung der Anstalt, in welcher der Vollzug durchgeführt werden 798 soll, obliegt gem § 161 StVG dem BM für Justiz. Die Anstalten sind gem § 167a Abs 1 StVG verpflichtet, die nach §§ 158 Abs 4 und 161 StVG eingewiesenen Personen aufzunehmen und anzuhalten. Während die Anordnung des Strafvollzuges in die Kompetenz der Gerichte fällt (vgl dazu Foregger / Schausberger, StVG § 3 Anm III), obliegt die Entscheidung über den Vollzug der Maßnahme in einer Krankenanstalt gem § 161 StVG also einer Verwaltungsbehörde, nämlich dem BMJ (vgl auch OGH EvBl 1993/169). Diese Entscheidung ist als Bescheid zu qualifizieren, weil der Vollzug in einer Krankenanstalt von der Zustimmung des Betroffenen abhängig ist (§ 158 Abs 4 Z 2 StVG) und diesem daher ein subjektives Recht eingeräumt ist, nicht gegen seinen Willen in einer Krankenanstalt angehalten zu werden.
c) Da die besonderen Vorschriften des StVG über die Verhängung und den 799 Vollzug vorbeugender Maßnahmen in psychiatrischen Krankenanstalten vom UbG nicht „berührt“ werden (§ 46 Z 2 und 3 UbG), kommt eine unmittelbare Anwendung des UbG auf die Anordnung oder den Vollzug der Maßnahme nicht in Frage (JABl 1991/48, 31). Daher hat auch die Überstellung in die Krankenanstalt nicht nach den Regeln der §§ 8 f UbG zu erfolgen. Ein gerichtliches Unterbringungsverfahren ist nicht durchzuführen. Ebensowenig besteht eine Vertretungsbefugnis des Patientenanwalts (aM zur vorläufigen Anhaltung Aichhorn, AnwBl 1989/9, 536).
d) Für die Vollziehung der Anhaltung in der Krankenanstalt gelten aufgrund 800 der ausdrücklichen Verweisung des § 167a Abs 2 StVG die §§ 33 bis 38 UbG sinngemäß. Lediglich Entscheidungen über Unterbrechungen, Ausgänge und Entlassungen – also über die Aufrechterhaltung des Freiheitsentzuges als solchen – sind sowohl hinsichtlich der materiellen und formellen Voraussetzungen als auch hinsichtlich der Entscheidungskompetenzen weiterhin ausschließlich nach den straf- und strafvollzugsrechtlichen Vorschriften zu beurteilen (§ 167a Abs 2 StVG iVm § 162, § 166 Z 2 StVG). Die Durchführung der Anhaltung richtet sich hingegen nach dem UbG. Nicht anders als beim Vollzug der Unterbringung nach UbG gehen daher auch sämtliche Zuständigkeiten hinsichtlich der Durchführung der strafrechtlichen Anhaltung – insb die Entscheidungsbefugnisse über Beschränkungen der Bewegungsfreiheit (§ 33), des Verkehrs mit der Außenwelt (§ 34) und über die ärztliche Behandlung (§§ 33-37) – auf die Organe der Krankenanstalt über und sind von diesen nach Maßgabe des UbG wahrzunehmen. In Abweichung vom UbG bestimmt § 167a Abs 2 StVG allerdings, dass 1. anstelle des Unterbringungsgerichts das Vollzugsgericht entscheidet; 2. Beschränkungen der Bewegungsfreiheit und des Verkehrs mit der Außenwelt über die Voraussetzungen der §§ 33 f UbG hinaus auch zulässig sind, soweit sie zur Abwehr einer Gefahr im Sinne des § 21 Abs 1 StGB (Begehung einer mit Strafe bedrohten Handlung mit schweren Folgen unter dem Einfluss der geistigen Störung) notwendig sind; und dass 3. auf die strafrechtlichen Vollzugszwecke des § 164 StVG „nach Möglichkeit Bedacht zu nehmen“ ist.
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IX. Teil: Abgrenzung von anderen freiheitsentziehenden Maßnahmen
1. Für die ärztliche Behandlung sind daher nicht die §§ 66 ff StVG, sondern §§ 35 ff UbG maßgeblich (946 BlgNR 18. GP 40); demnach darf der einsichtsfähige Untergebrachte – ganz anders als nach dem im Maßnahmenvollzug sonst geltenden § 69 StVG – nicht gegen seinen Willen behandelt werden. Die Zulässigkeit von vollzugsinternen Beschränkungen richtet sich nach §§ 33 ff UbG, allerdings ergänzt um die Abwehr von Gefahren iSd § 21 Abs 1 StGB (vgl 1253 BlgNR 18. GP 11). Unter diesen Voraussetzungen ist daher (entgegen dem absoluten Verbot des § 34 Abs 1 UbG) auch eine Beschränkung des Schriftverkehrs zulässig. 2. Die Zuständigkeit des Vollzugsgerichts (§ 16 StVG) betrifft demnach Entscheidungen über Unterbrechungen und Entlassungen nach Maßgabe des StVG (näher § 167a Abs 2 iVm § 162, 16 Abs 2 StVG). Das Vollzugsgericht entscheidet aber gem § 167a Abs 2 iVm 162 Abs 2 Z 3 StVG darüber hinaus auch über die Zulässigkeit von Beschränkungen der Bewegungsfreiheit (vgl § 33 UbG) und des Verkehrs mit der Außenwelt (vgl § 34 UbG) sowie von Behandlungsmaßnahmen (vgl §§ 35 ff UbG); in diesem Fall richtet sich das Verfahren nach § 38 UbG (§ 167a Abs 2 StVG). Für Einzelfragen nun Medigovic, JBl 2001, 497 ff. 3. Die Zuständigkeit des Vollzugsgerichts gilt nur für Fälle des § 21 Abs 1 StGB. Wird ein nach § 21 Abs 2 StGB verurteilter Rechtsbrecher (gem § 71 StVG) in eine Anstalt oder Abteilung für Psychiatrie überstellt, bleibt das Unterbringungsgericht mit den in § 71 StVG genannten Einschränkungen zuständig (OGH 7. 5. 1998, 6 Ob 220/97i, EvBl 1998/181). 4. Zur Entscheidung über die Erweiterung des Wirkungskreises eines Sachwalters in Bezug auf die Zustimmung zur Heilbehandlung ist weder das Vollzugsgericht noch das Unterbringungsgericht, sondern das nach § 109 JN zuständige Pflegschaftsgericht zuständig (OGH 22. 4. 1999, 6 Ob 55/99b zur vorläufigen Anhaltung nach § 429 Abs 4 StPO). 5. Ob mit der Verweisung des § 167a Abs 2 StVG auf das Vollzugsrecht der §§ 33 bis 38 802 UbG die vom EGMR im Fall Herczegfalvy aufgezeigten verfassungsrechtlichen Defizite im psychiatrischen Maßnahmenvollzug behoben wurden, bleibt zweifelhaft (vgl Kopetzki I 374 f, 394, II 943 f ). Bedenken bestehen angesichts der völlig unterschiedlichen Regelungsdichte von UbG und StVG zum einen unter dem Aspekt des Legalitätsprinzips. Zum anderen bestehen auch beträchtliche Rechtsschutzlücken, zumal das administrative Rechtsschutzsystem der §§ 120 f StVG auf den Maßnahmenvollzug in Krankenanstalten nicht anwendbar ist. Das dadurch drohende Rechtsschutzdefizit (Art 13 EMRK) wird durch den mit § 167a Abs 2 StVG iVm §§ 33 ff UbG eröffneten gerichtlichen Rechtsschutz vor dem Vollzugsgericht nicht zur Gänze kompensiert, weil diese Kontrolle – entgegen jener der §§ 120 f StVG – nur gegenüber einzelnen, taxativ aufgezählten Maßnahmen eingreift. Die sich daraus ergebende Konsequenz, dass zur Überprüfung jener Zwangsmaßnahmen im Vollzug, die weder gerichtlich überprüfbar sind noch einem inneranstaltlichen Rechtszug unterliegen (zB Eingriffe in den Briefverkehr), dann direkt die Beschwerde an die UVS gem Art 129a Abs 1 Z 2 B-VG offen stehen muss, wird von der Praxis aber zu Unrecht nicht gezogen: Vgl – wenngleich zur vorläufigen Maßnahme gem § 429 Abs 4 StPO – VwGH 16. 12. 1993, 93/11/0111, KrSlg 376 = ZfVB 1995/2/722, wonach Vollzugsmaßnahmen keine Akte unmittelbarer verwaltungsbehördlicher Befehls- und Zwangsgewalt seien (kritisch Kopetzki II 944).
801
803
b) Vorläufige Anhaltung gem § 429 Abs 4 StPO a) Während des Verfahrens zur Unterbringung Zurechnungsunfähiger in eine Anstalt für geistig abnorme Rechtsbrecher nach § 21 Abs 1 StGB ist gem § 429 Abs 4 StPO die vorläufige Anhaltung in einer Anstalt für geistig abnorme Rechtsbrecher oder eine Einweisung in eine öffentliche (Sonder-) Krankenanstalt für Geisteskrankheiten anzuordnen, wenn ein Haftgrund (§ 180 Abs 2, 7 StPO) vorliegt, der Betroffene nicht ohne Gefahr für sich oder andere auf freiem Fuß bleiben kann oder seine ärztliche Beobachtung erforderlich ist. Es handelt sich um ein der Untersuchungshaft korrespondierendes Institut im Verfahren bei vorbeugenden Maßnahmen. Ebenso wie beim Vollzug der Maßnahme sind die Krankenanstalten verpflichtet, den Betroffenen aufzunehmen „und für
2. Strafrecht
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die erforderliche Sicherung seiner Person zu sorgen“ (§ 429 Abs 4 StPO). Die Entscheidung über die Anhaltung obliegt dem Untersuchungsrichter. b) Für die vorläufige Anhaltung gem § 429 Abs 4 StPO gilt das unter a) Ge- 804 sagte sinngemäß: Ihre Anordnung und ihr Vollzug in der Krankenanstalt sind weiterhin nach StPO und StVG zu beurteilen. Das UbG ist wegen § 46 Z 3 UbG nicht unmittelbar anwendbar. Daraus folgt zB: keine Bescheinigung nach § 8 UbG; keine gesetzliche Vertretungsmacht des Patientenanwalts; kein Unterbringungsverfahren. Über die Zulässigkeit der vorläufigen Anhaltung ist in sinngemäßer Anwendung der §§ 179 bis 182, 193 und 194 StPO zu entscheiden (§ 429 Abs 5 StPO); wie hier JABl 1991/48, 83; Foregger/Serini, StPO § 429 Anm III. Ebenso zur alten Rechtslage LGZ Wien 14. 10. 1987, 44 R 103/87 (bei Anhaltung nach § 429 StPO ist kein Anhaltungsverfahren nach der EntmO durchzuführen).
c) Im Gegensatz zum Vollzug der Maßnahme nach § 21 StGB finden sich al- 805 lerdings für diesen Fall auch in der StPO und im StVG keine ausdrücklichen vollzugsrechtlichen Vorschriften: § 429 Abs 5 StPO normiert lediglich, dass auf die vorläufige Anhaltung in einer Anstalt für geistig abnorme Rechtsbrecher dem Sinn nach die Bestimmungen über den Vollzug der Anhaltung in einer solchen (Justiz-)Anstalt anzuwenden sind. In Bezug auf den Vollzug der vorläufigen Anhaltung in einer Krankenanstalt ist § 429 StPO hingegen lückenhaft. Die Praxis behilft sich mit einer Analogie und unterstellt auch die vorläufige Anhaltung in der Krankenanstalt sinngemäß dem für die endgültige Maßnahme geltenden Vollzugsrecht des § 167a StVG (JABl 1991/48, 83), einschließlich der dort sinngemäß verwiesenen §§ 33 bis 38 UbG. 1. Zu den sich daraus ergebenden Problemen und Unklarheiten vgl Kopetzki II 945 f mwN; Ratz WK Vorbem §§ 21-25 StGB Rz 18 ff; umfassend nun Medigovic WK zur StPO, § 429 Rz 25ff; dies, JBl 1981, 486 ff. Für sinngemäße Anwendung des § 167a Abs 2 StVG im Ergebnis wohl auch OGH 22. 4. 1999, 6 Ob 55/99b (dazu auch Rz 801 am Ende). 2. Die sinngemäße Anwendung der §§ 33 ff UbG lässt für Zwangsbehandlungen gem § 69 StVG keinen Raum, weil die gänzlich andersartigen Behandlungsregelungen von UbG und StVG nicht nebeneinander bestehen können (anders OLG Linz 21. 3. 2000, 9 Bs 77/00); im Ergebnis wie hier Medigovic WK zur StPO, § 429 Rz 39 mwN.
c) Einweisung von Untersuchungshäftlingen nach § 50 KAKuG a) Nach § 50 KAKuG können Personen, die sich in Untersuchungshaft be- 806 finden, zum Zwecke der Untersuchung und Beobachtung ihres Geisteszustandes in eine öffentliche Krankenanstalt für Psychiatrie (nicht in psychiatrische Abteilungen anderer Krankenanstalten) höchstens für die Dauer der Untersuchungshaft, aber in keinem Fall für mehr als drei Monate eingewiesen werden. Die Rechtsträger der Krankenanstalt sind verpflichtet, die eingewiesenen Personen in die Krankenanstalt aufzunehmen, die erforderlichen Untersuchungen und Beobachtungen durchzuführen und dem Gericht das Ergebnis unverzüglich zur Kenntnis zu bringen. Die von Strafgerichten eingewiesenen Personen müssen in jedem Fall wieder zum Strafgericht überstellt werden. b) Da § 50 KAKuG von einer Derogation durch das UbG und seine Nebengesetze ausdrücklich ausgenommen wurde, scheidet eine unmittelbare Anwendung des UbG wegen § 46 Z 1 UbG auch bei diesen Anhaltungen aus. Schon aus dem uneingeschränkt weitergeltenden Inhalt des § 50 KAKuG ergibt sich,
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IX. Teil: Abgrenzung von anderen freiheitsentziehenden Maßnahmen
dass für sämtliche Fragen der Einweisung und der Entlassung nur das Strafgericht (nicht das Unterbringungsgericht) zuständig ist; diesem ist die Anhaltung – aber wohl nicht ihr Vollzug – als Teil der Untersuchungshaft weiterhin zuzurechnen. Aus dem Status des Eingewiesenen als Untersuchungshäftling ist weiters abzuleiten, dass auch für die vollzugsrechtliche Stellung nicht das UbG, sondern die Bestimmungen über den Vollzug der Untersuchungshaft (§§ 183 ff StPO iVm StVG) maßgeblich sind. Anders JABl 1991/48, 83, wonach der Vollzug der Anhaltung gem § 50 KAKuG nach § 429 Abs 4 StPO (analog der vorläufigen Anhaltung in der Maßnahme) zu beurteilen ist.
d) Überstellung von Strafgefangenen nach § 71 StVG aa) Allgemeines 807 Nach § 71 Abs 1 StVG ist ein kranker oder verletzter Strafgefangener, der in der Justizanstalt, in der er angehalten wird, nicht sachgemäß behandelt werden kann oder von dem eine anders nicht abwendbare Gefährdung für die Gesundheit ausgeht, in die nächste Justizanstalt zu überstellen, die über Einrichtungen verfügt, die die erforderliche Behandlung oder Absonderung gewährleisten. Kann der Strafgefangene auch in einer anderen Justizanstalt nicht sachgemäß behandelt werden oder wäre sein Leben durch die Überstellung dorthin gefährdet, so ist er gem § 71 Abs 2 StVG in eine geeignete öffentliche – erforderlichenfalls auch eine psychiatrische – Krankenanstalt zu bringen und dort erforderlichenfalls auch bewachen zu lassen. Die Entscheidung über die Überstellung liegt beim Leiter der Justizanstalt (§ 11 StVG; § 188 Abs 3 StPO). Die öffentlichen Krankenanstalten sind verpflichtet, den Strafgefangenen aufzunehmen und seine Bewachung zuzulassen. 1. Die Regelung des § 71 StVG ist sinngemäß anzuwenden auf Untersuchungshäftlinge (§ 183 Abs 1 StPO), beim Vollzug der vorbeugenden Maßnahme (§ 167 Abs 1, § 170, § 178 StVG) sowie der vorläufigen Anhaltung gem § 429 Abs 4 StPO (§ 429 Abs 5 StPO). 2. Die Überstellung nach § 71 StVG ist daher nicht auf psychiatrische Krankenanstalten beschränkt. Es muss sich nur um eine öffentliche Krankenanstalt handeln.
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Die Überstellung nach § 71 StVG dient – anders als jene nach § 50 KAKuG – der ärztlichen Behandlung eines kranken Gefangenen, wenn diese in Justizanstalten nicht ausreichend gewährleistet ist. Abweichend von den bisher erwähnten Fällen, in welchen den Krankenanstalten eine eigene Kompetenz zur Vollziehung des Freiheitsentzuges zukommt, handelt es sich bei § 71 StVG nur um eine besondere Form der Amtshilfe bzw – bei Anstalten privater Rechtsträger – der Verwaltungshilfe iS einer unterstützenden und vorübergehenden Mitwirkung bei den Vollzugsaufgaben der Justizanstalten: Die Krankenanstalt führt die Freiheitsbeschränkungen nicht kraft eigener Zuständigkeit durch, sie hat die Bewachung lediglich „zuzulassen“. Die Anhaltung ist daher weiterhin der überstellenden Justizanstalt zuzurechnen; der Betroffene bleibt funktionell Strafgefangener und unterliegt als solcher grundsätzlich den Bestimmungen des Strafvollzugsrechts. Vgl aber gleich bb).
2. Strafrecht
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bb) Sonderbestimmungen für die Überstellung in psychiatrische Anstalten oder Abteilungen gem § 71 Abs 3 StVG Für den Sonderfall der Überstellung in eine öffentliche Krankenanstalt oder 809 Abteilung für Psychiatrie enthält § 71 Abs 3 StVG eine abweichende Regelung. Danach gelten für diese Personen „im übrigen“ die Bestimmungen des UbG mit folgenden Maßgaben: 1. Die Überstellung ist ohne das in den §§ 8 und 9 UbG vorgesehene Verfahren unmittelbar auf Anordnung des Anstaltsleiters vorzunehmen. 2. Im Sinne des UbG „untergebracht“ werden darf der Strafgefangene nur bei Vorliegen der Voraussetzungen des § 3 UbG. 3. Bei Prüfung der Voraussetzungen des § 3 Z 2 UbG (Subsidiarität) ist darauf Bedacht zu nehmen, dass die ausreichende ärztliche Behandlung oder Betreuung im Sinne dieser Bestimmung im Rahmen und mit den Mitteln des allgemeinen Strafvollzuges gewährleistet sein muss. 4. Der Wirkungskreis des Patientenanwalts umfasst ausschließlich die sich aus der Unterbringung ergebenden Beziehungen des Strafgefangenen zur Krankenanstalt. 1. Auf die zur Behandlung überstellten Strafgefangenen in der psychiatrischen Anstalt ist daher grundsätzlich das UbG anzuwenden (946 BlgNR 18. GP 26). Anders als beim Maßnahmenvollzug gem § 21 Abs 1 StGB (§ 167a Abs 2 StVG) betrifft die Verweisung des § 71 Abs 3 StVG nicht nur die vollzugsrechtlichen Bestimmungen der §§ 33-38 UbG, sondern – modifiziert durch die Sonderregelungen des § 71 Abs 3 Z 1 bis 4 StVG – das UbG insgesamt (einschließlich der Zuständigkeit des Unterbringungsgerichts). Überstellungen aus dem Maßnahmenvollzug nach § 21 Abs 2 StGB sind ebenfalls nach § 71 StVG (und nicht nach § 158 Abs 4 StVG) durchzuführen (OGH 7. 5. 1998, 6 Ob 220/97i, EvBl 1998/181); Ratz WK Vorbem §§ 21-25 StGB Rz 20. 2. Der Wirkungskreis des Patientenanwalts erstreckt sich nicht auf „strafvollzugliche Belange“, wohl aber auch auf die Vertretung im Unterbringungsverfahren (946 BlgNR 18. GP 27). Der Patientenanwalt ist allerdings nur dann vertretungsbefugt, wenn der nach § 71 StVG überstellte Strafgefangene zusätzlich iSd UbG „untergebracht“ wird (arg § 71 Abs 3 Z 4 „aus der Unterbringung“, dazu unten Rz 810). 3. Unklar ist die implizite Aussage des § 71 Abs 3 Z 1-3 StVG, wonach auch bei diesen 810 Personen eine Aufnahmeuntersuchung gem § 10 UbG zur Prüfung der Unterbringungsvoraussetzungen des § 3 UbG durchzuführen und – wie sich aus der Pauschalverweisung auf das UbG ergibt – im Falle seiner „Unterbringung“ iSd UbG auch ein gerichtliches Unterbringungsverfahren gem §§ 18 ff UbG einzuleiten ist (946 BlgNR 18. GP 26 f ). Es gibt demnach in der Krankenanstalt überstellte Strafgefangene, die iSd UbG „untergebracht“ sind, und solche, auf die dies nicht zutrifft. Das setzt aber einen vom UbG abweichenden Unterbringungsbegriff voraus, denn „untergebracht“ iSd § 2 UbG sind beide Personengruppen, weil alle nach § 71 StVG überstellten Personen in der psychiatrischen Anstalt „Beschränkungen ihrer Bewegungsfreiheit“ unterworfen sind. Offenbar sind mit dem Begriff der Unterbringung im speziellen Kontext des § 71 Abs 3 StVG nur solche Bewegungsbeschränkungen erfasst, die über den schon in der Freiheitsstrafe liegende Freiheitseingriff hinausgehen (946 BlgNR 18. GP 26). Folglich kann das am Unterbringungsbegriff anknüpfende gerichtliche Unterbringungsverfahren hier auch nicht die Zulässigkeit des Freiheitsentzuges insgesamt zum Gegenstand haben, sondern lediglich die Überprüfung weitergehender anstaltsinterner Bewegungsbeschränkungen. Nichtsdestoweniger ist das Vollzugsrecht des UbG auf beide Personengruppen anwendbar, weil die Verweisung des § 71 Abs 3 StVG auf das UbG für alle nach § 71 StVG überstellten Gefangenen gilt und daher das vollzugsrechtliche Regime in beiden Fällen insofern dasselbe ist. Der Unterschied erschöpft sich darin, dass den „nichtuntergebrachten“ Personen gegen allfällige Beschränkungen nur das fakultative Kontrollverfahren nach §§ 33 ff iVm § 38 UbG offen steht, während bei den „untergebrachten“ Gefan-
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IX. Teil: Abgrenzung von anderen freiheitsentziehenden Maßnahmen
genen immer auch ein amtswegiges Unterbringungsverfahren nach §§ 18 ff UbG durchzuführen ist und überdies noch die Vertretungsbefugnis des Patientenanwalts besteht. Näher Kopetzki II 949 f. 4. Denkbar wäre aber auch die Auslegung, dass bei Verneinen der Unterbringungsvoraussetzungen auch die Überstellung in die psychiatrische Anstalt insgesamt unzulässig wird: In diesem Sinn wohl die Rsp des OGH, wonach der gem § 71 StVG Untergebrachte wieder in die von der Justizverwaltung angeordnete Justizanstalt zurückzuüberstellen ist, wenn das Unterbringungsgericht die Voraussetzungen des § 3 UbG verneint (OGH 7. 5. 1998, 6 Ob 220/97i, EvBl 1998/181). Dagegen spricht freilich, dass dann eine rein therapeutisch motivierte Aufnahme von Häftlingen in psychiatrischen Einrichtungen (mangels Gefährdung) überhaupt unzulässig wäre, was den Zielsetzungen des § 71 StVG zuwiderläuft (vgl etwa LGZ Wien 12. 3. 1998, 44 R 172/98i: Unterbringung eines Häftlings unzulässig, weil keinerlei lebens- oder gesundheitsgefährdende „Aktionen“ dokumentiert sind). 5. Die Grenzziehung zwischen den (auch in den Fällen des § 71 Abs 3 StVG) weitergeltenden Regelungen des Strafvollzugsrechts (Rz 808) und jenen des UbG bleibt zweifelhaft. Nach hA können Maßnahmen, die im Hinblick auf die zur Erreichung der Vollzugszwecke notwendige Abschließung von der Außenwelt erforderlich sind, weiterhin vom Leiter der Justizanstalt getroffen werden; solche Maßnahmen sind von der Krankenanstalt in sinngemäßer Anwendung des § 71 Abs 2 StVG zuzulassen und als strafvollzugsrechtliche Anordung zu übernehmen; sie unterliegen nicht den Kriterien der §§ 33 ff UbG (zu einem Besuchs- und Telefonverbot LG Linz 17. 6. 1999, 14 R 213/97p; vgl bereits BMJ JABl 1991/48 Punkt 2.1.5). Konsequenterweise wären dann solche strafvollzugsbehördlichen Beschränkungen auch von der Kontrolle der Unterbringungsgerichte auszunehmen (anders erkennbar jedoch LG Linz 14 R 213/97p).
3. Zivilrecht 811 Seit dem Inkrafttreten des UbG gibt es für eine auf das ABGB (§ 282 aF) gegründete freiheitsentziehende Unterbringung von Personen unter Sachwalterschaft in psychiatrischen Anstalten und Abteilungen keine Rechtsgrundlage mehr, und zwar weder für psychisch Kranke noch für geistig Behinderte. Wegen § 12 Abs 2 UbG ist ein Unterbringungsverfahren unter Anwendung der materiellen und prozessualen Regeln des UbG auch bei jenen Personen durchzuführen, die unter Sachwalterschaft stehen (AB 6). Insofern wurde dem § 282 ABGB durch das UbG materiell derogiert, soweit er das Gericht oder den Sachwalter zu Einweisungen in psychiatrische Anstalten ermächtigte. Spätestens seit der Neuformulierung des § 282 ABGB durch das KindRÄG 2001 ist für eine „zivilrechtliche Unterbringung“ auch im ABGB kein Raum mehr. 1. Zur Rechtslage vor dem UbG vgl OGH SZ 60/12; ÖAV 1989, 169; ausführlich mwN Kopetzki II 951; ders, Freiheitsentzug im Sachwalterrecht, in: Griller/Korinek/Potacs (Hg), Grundfragen und aktuelle Probleme des öffentlichen Rechts. FS Rill (1995) 153 ff. Als Rechtsgrundlage dieser „zivilrechtlichen Unterbringung“ wurde § 282 ABGB (vor KindRÄG 2001) herangezogen. Im Ergebnis führte dies zu einer Zweigleisigkeit von zivil- und öffentlichrechtlicher Unterbringung, die zB heute noch in Deutschland und der Schweiz besteht. 2. Die Unzulässigkeit eines parallelen zivilrechtlichen Einweisungsweges außerhalb des UbG ist mittlerweile auch in Lehre und Rsp anerkannt: vgl Hopf/Aigner § 12 Rz 6; OGH 12. 11. 1992, 6 Ob 601/92 (freiheitsbeschränkende Maßnahmen im Sinne des UbG dürfen „nur in einem Verfahren nach dem Unterbringungsgesetz und nur unter den dort vorgesehenen materiellen Voraussetzungen getroffen werden“); OGH 30. 5. 1994, 1 Ob 561/94 (seit Ergehen des UbG ist die Unterbringung in einer geschlossenen Anstalt nach § 282 2. Satz ABGB [aF] unzulässig). Weitere Nachweise bei Kopetzki II 952 ff. Das Sachwalterrecht bietet auch keinen Rechtstitel für Beschränkungen während der Unterbringung (LG Salzburg 4. 2. 1998, 21 R 29/98f: Sachwaltergericht kann keine Beschränkungen iSd § 33 UbG anordnen).
4. Heimaufenthaltsrecht
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3. Ob und inwieweit in nicht-psychiatrischen Einrichtungen eine zivilrechtliche Unter- 812 bringung weiterhin zulässig ist, hängt – da das UbG außerhalb psychiatrischer Anstalten und Abteilungen nicht anwendbar ist und daher auch keine derogatorischen Wirkungen in Bezug auf ältere gesetzliche Einweisungsbefugnisse nach sich ziehen kann – von der Existenz bzw Reichweite eines zwangsbewehrten Aufenthaltsbestimmungsrechts des Sachwalters insgesamt ab: vgl dazu ausführlich Kopetzki II 956 ff; ders, FS Rill 153 ff. Die im Zuge der Gesetzwerdung des UbG in Aussicht genommene Reform des zivilrechtlichen Aufenthaltsbestimmungsrechts (vgl AB 3) wurde bislang nicht verwirklicht. Spätestens seit der Neuformulierung des § 282 ABGB durch das KindRÄG 2001 wird ein zwangsweises Aufenthaltsbestimmungsrecht des Sachwalters aber jedenfalls von der ganz hA verneint (dazu zB Schauer, NZ 2001, 279; Kopetzki in Kopetzki [Hg], Einwilligung und Einwilligungsfähigkeit [2002] 17; Stabentheiner 3 in Rummel 1. ErgBd [2003] § 282 Rz 4); vgl in diesem Sinn auch LG Salzburg 4. 2. 1998, 21 R 29/98f (Genehmigung freiheitsentziehender Maßnahmen im Sachwalterrecht entbehrt jeglicher Rechtsgrundlage); ebenso schon LG Salzburg 9. 2. 1994, 22a R 432/93 (Sachwalterbestellung mit dem Wirkungskreis „Zustimmung zu Freiheitsbeschränkungen“ unzulässig); LGZ Graz 27. 12. 1996, 1 R 506/96f (keine Genehmigung von Fixierungsmaßnahmen durch den Sachwalter bzw das Sachwaltergericht). 4. Durch das HeimAufG (Rz 813 ff ) hat die Problematik der zivilrechtlichen Aufenthaltsbestimmung im Sachwalterrecht insofern etwas an Aktualität verloren, als zumindest im Anwendungsbereich des HeimAufG (Alten- und Pflegeheime etc, vgl Rz 813 ff ) nun spezielle Regelungen über die Voraussetzungen freiheitsentziehender Maßnahmen im Rahmen des Verwaltungsrechts bestehen, die eine konkurrierende zivilrechtliche Begründung unter Hinweis auf etwaige sachwalterlicher (Zwangs-)Befugnisse ausschließen. 5. Auf mögliche künftige Änderungen der Rechtslage im Zuge einer derzeit auf ministerieller Ebene diskutierten neuerlichen Sachwalterrechtsreform 2005 ist hinzuweisen.
4. Heimaufenthaltsrecht Mit Inkrafttreten des neuen Heimaufenthaltsgesetzes (HeimAufG BGBl I 813 2004/11) am 1. 7. 2005 werden erstmals die Voraussetzungen und die Kontrolle von Bewegungsbeschränkungen in Alten- und Pflegeheimen, Behindertenheimen sowie in anderen Einrichtungen, in denen wenigstens drei psychisch kranke oder geistig behinderte Menschen ständig betreut oder gepflegt werden können (näher § 2 Abs 1 HeimAufG) bundesgesetzlich geregelt. Das HeimAufG ist auch in Krankenanstalten auf jene Personen anzuwenden, die dort wegen ihrer psychischen Krankheit oder geistigen Behinderung der ständigen Pflege oder Betreuung bedürfen. 1. Aus der Literatur zum HeimAufG vgl: Barth/Engel, Heimrecht (2004); Zierl, Heimvertragsgesetz – Heimaufenthaltsgesetz (2004); Laimer/Russegger/Thiele, Heimvertrags- und Heimaufenthaltsgesetz. Praxiskommentar (2004); Klaushofer, Heimaufenthaltsgesetz (HeimAufG): ein erster Überblick, ZfV 2004, 590; Barth/Engel, Das Heimaufenthaltsgesetz, ÖJZ 2005, 401. Begleitende zivilrechtliche Regelungen über die vertraglichen Rechtsbeziehungen enthält das Heimvertragsgesetz, BGBl I 2004/12. 2. Zur langen Vor- und Entwicklungsgeschichte des – stark am Vorbild des UbG orien- 814 tierten – HeimAufG mwN nur Barth/Engel 1 ff. Zum vorangegangenen Kompetenzstreit vgl zunächst VfSlg 13.237/1992 (Pflegeheime Landessache) sowie – eine Bundeskompetenz für freiheitsentziehende Maßnahmen gegenüber psychisch kranken Heimbewohnern aufgrund Art 10 Abs 1 Z 12 B-VG (Gesundheitswesen) bejahend – VfGH 28. 6. 2003, G 208/02, VfSlg 16.929 = RdM 2003/81 mit krit Anm Kopetzki; Klaushofer, ZfV 2004, 591 f. Zu den (mit VfSlg 16.929 aufgehobenen) landesrechtlichen Regelungen über Beschränkungen der Bewegungsfreiheit in Vorarlberg vgl §§ 12, 13 vbg PflegeheimG, LGBl 2002/16, die eine Überprüfungskompetenz der UVS anstelle der (nunmehr nach dem HeimAufG zuständigen) Gerichte vorsahen, vgl UVS Vorarlberg 11. 11. 2002, 3-15-01/02, ZUV 2004/1, UVS 19 V; 10. 1. 2003, 3-15-01/03/E2; 15. 7. 2003, 3-14-03/03/E1.
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IX. Teil: Abgrenzung von anderen freiheitsentziehenden Maßnahmen
3. Bei den freiheitsbeschränkenden Zwangsmaßnahmen des HeimAufG liegt zwar – ebenso wie bei der Unterbringung iSd UbG (Rz 1, 4) – eine Ausübung staatlicher Hoheitsgewalt vor, die bei nichtstaatlichen Heimträgern als Beleihung zu qualifizieren ist (VfSlg 16.929. Die Freiheitsbeschränkungen iSd § 3 HeimAufG unterscheiden sich aber dennoch ganz grundlegend von den freiheitsentziehenden Maßnahmen des Unterbringungs-, Maßnahmenund Sanitätsrechts, da das Heimaufenthaltsrecht freiheitsbeschränkende Befugnisse lediglich für die „innere“ Ausgestaltung eines ansonsten freiwilligen und vertraglichen Grundverhältnisses (vgl das HVerG betreffend Heimverträge) vorsieht. Insb kennt das HeimAufG keine zwangsweise Aufnahme und daher auch keine zwangsweise Anhaltung, Einweisung oder Rückholung in Heime. Die Verbringung bzw Rückholung ins Heim ist weiterhin nach allgemeinen Rechtfertigungsgründen und vertraglichen Schutzpflichten zu beurteilen; gegebenenfalls kommt auch die erste allgemeine Hilfeleistungspflicht gem § 19 SPG in Betracht.
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Krankenanstalten und Abteilungen für Psychiatrie sind allerdings gem § 2 Abs 2 HeimAufG vom Geltungsbereich des HeimAufG ausdrücklich ausgenommen. Die Unterbringung – dh also: Beschränkungen der Bewegungsfreiheit der Patienten iSd § 2 UbG – in solchen psychiatrischen Einrichtungen sollte nach dem Willen des Gesetzgebers weiterhin ausschließlich nach dem UbG beurteilt werden (RV 353 BlgNR 22. GP 8). Insofern kann es angesichts der recht unbestimmten Formulierungen des § 2 HeimAufG zwar Abgrenzungsfragen, aber jedenfalls keine Überschneidungen der Anwendungsbereiche von HeimAufG und UbG geben: Sobald die – nach § 2 UbG zu beurteilende – Anwendbarkeit des UbG gegeben ist, kommt die Anwendung des HeimAufG wegen der Subsidiaritätsklausel des § 2 Abs 2 HeimAufG nicht in Betracht.
1. Das schließt nicht nur die kumulative Anwendung von UbG und HeimAufG auf konkrete Personen, sondern auch die konkurrierende Anwendung beider Gesetze in ein und derselben Einrichtung aus. Denn entweder es handelt sich um eine „psychiatrische Krankenanstalt oder Abteilung“, dann findet das UbG gem § 2 auf sämtliche Pfleglinge der Einrichtung Anwendung, sobald darin tatsächlich Beschränkungen stattfinden; eine zusätzliche Anwendung des HeimAufG scheidet dann wegen § 2 Abs 2 HeimAufG aus. Ist hingegen der Anwendungsbereich des UbG schon unter dem Aspekt der erfassten Institution (zu diesem anstaltsbezogenen Element des § 2 UbG vgl Rz 20, 28 ff und 816) nicht gegeben, dann kommt nur die Anwendung des HeimAufG (nach Maßgabe dessen § 2) in Betracht. 2. Zur Sicherstellung der vom Gesetzgeber intendierten trennscharfen Abgrenzung zwi816 schen UbG und HeimAufG werden die Begriffe „Krankenanstalten und Abteilungen für Psychiatrie“ in § 2 Abs 2 HeimAufG daher wegen ihres systematischen Zusammenhangs im gleichen (materiellen) Sinn auszulegen sein wie in § 2 UbG (vgl daher zum materiellen Begriff der Krankenanstalt Rz 33, zur ebenso materiellen Beurteilung der psychiatrischen Qualifikation Rz 35). Eine Verneinung der Anwendbarkeit des UbG muss somit zur Vermeidung von Rechtsschutzlücken – sofern die eigenständig zu beurteilenden Anwendungsvoraussetzungen des § 2 Abs 1 HeimAufG erfüllt sind – die Anwendbarkeit des HeimAufG nach sich ziehen: Das trifft zB für nichtpsychiatrische Abteilungen von psychiatrischen Sonderkrankenanstalten zu, sofern man diese (bei materieller Beurteilung und entgegen dem Wortlaut des § 2 UbG) von der Anwendung des UbG ausnimmt, vgl dazu Rz 37. Umgekehrt schließt die Anwendung des UbG jene des HeimAufG auch dann aus, wenn es sich „nur“ um Krankenanstalten bzw Abteilungen für Psychiatrie im materiellen Sinn des UbG (Rz 33, 35) handelt, obgleich diese möglicherweise keine nach KAKuG genehmigten Krankenanstalten bzw keine ausdrücklich als „psychiatrische“ gewidmete Einrichtungen sind. 3. Zur Überstellung eines Bewohners von Pflege- oder Altenheimen in psychiatrische Anstalten bzw Abteilungen vgl Rz 183 f.
Sachregister Die Verweise beziehen sich auf Randzahlen; Hauptfundstellen sind kursiv.
Abgeordnete 143 Abteilung, klinische 29, 69, 70 Abteilung, nichtpsychiatrische 37 f –, als Alternative zur Unterbringung 521 f –, Behandlungsrecht 39, 584 –, Beschränkungen 222 –, geriatrische 35, 37 –, HeimAufG, Anwendbarkeit? 35, 37, 813 ff, 816 –, in Sonderkrankenanstalten für Psychiatrie 37 –, Überstellung in psychiatrische Abteilung 184 –, UbG, Anwendbarkeit? 36 ff, 584 –, Unterbringungsverlangen in 246 Abteilung, psychiatrische 34 ff –, Ausgliederung 36 –, Begriff 34 f –, dislozierte 36, 299 –, fachärztliche Leitung 69 f –, Gerichtszuständigkeit 298 f –, HeimAufG, keine Anwendbarkeit 815 f –, materielle Beurteilung des „psychiatrischen“ Charakters 35 –, offene Führung 64 Abteilungsleiter 70 f –, Aufnahmeuntersuchung 201, 203, 207 f –, Begriff 70 –, Beschwerdeinstanz? 772 –, Erstanhörung, Funktion bei 336 –, fachärztliche Qualifikation 69 f –, Glaubhaftmachung der Unterbringungsvoraussetzungen 74, 208, 217/1, 336, 341, 688 –, Gutachtensübermittlung 367 f –, Krankenanstalten ohne Abteilungen 70 –, mündliche Verhandlung, Ladung 335, 374, 735 –, –, Parteiengehör 335, 379, 735 –, –, Sicherstellung der Teilnahme des Patienten 382, 384 –, –, Teilnahme an 379 –, Parteistellung 193 –, Rekurs 345 ff, 392, 416 ff –, –, Anmeldung 345, 392, 416, 424, 741, 781 –, –, aufschiebende Wirkung 345 f, 350 ff, 387, 424 ff, 745, 781 f –, –, Erlöschen 346, 392, 416 –, –, Entscheidung über Beschränkungen und Behandlungen 727, 741 ff –, –, Erstanhörung 345 ff –, –, Legitimation 345 f, 416, 741, 761 –, –, mündliche Verhandlung 416 ff –, –, Postaufgabe 422
–, –, Rechtsschutzinteresse 352, 428, 438, 727, 746 –, –, Rekursfrist 345 f, 392 ff, 420 ff, 440 f –, –, Revisionsrekurs 355, 438 ff –, –, Telefax 422 –, –, verspäteter Rekurs 423, 441 –, –, Verpflichtung zur Rekurserhebung 349/1 –, –, Voraussetzungen der Rekurserhebung 349 –, –, Zweck 348 –, sicherheitspolizeiliche Aufzeichnungen und Datenübermittlung 189/5 ff, 217/1 –, Universitätskliniken 70 –, Unterbringung, Entscheidungsbefugnis 193 f, 208, 386 –, Verständigung über Vollmachtsverhältnis 519, 522, 528 –, Verständigungspflichten über –, –, Aufhebung der Unterbringung 486, 793 –, –, Patientenanwalt 286, 463 f, 486 –, –, Heilbehandlung, bei Gefahr im Verzug 486, 656 –, –, sicherheitsbehördliche Aufzeichnungen 189/5 ff, 217/1 –, –, Umwandlung in Unterbringung ohne Verlangen 211, 284 f –, –, Unterbringung 152, 211 ff, 284 f, 463, 486 –, –, Unterbringung auf Verlangen 464 –, –, weitere Unterbringung 399, 401, 403, 785 –, –, Widerrufbarkeit des Aufnahmeverlangens 266 –, Vertretung des 70 f –, Zustellung, Beschluss über Bestellung des Sachverständigen 358 –, –, Beschluss über Zulässigkeit der Unterbringung 395 –, – ,Beschluss über Zulässigkeit von Behandlungen und Beschränkungen 739 Akteneinsicht 317 f –, Abschriften 386 –, Einsicht in die Krankengeschichte und 318 –, Einsichtsbeschränkungen 318 –, s auch Krankengeschichte, Einsichtsrecht –, sicherheitsbehördliche Aufzeichnungen und Bescheinigung 154, 189/3 –, Unterbringungsverfahren 317 f, 385, 702 Aktenübersendung 371 Alkoholismus 89 f Alkoholverbot 540, 581 Ambulatorium 29 f –, Alternative zur Unterbringung 129 f –, Anstalt iSd UbG? 30 –, UbG, Anwendbarkeit? 29 f, 246, 584 f, 724
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Sachregister
Amtsarzt 162 f, 174 –, Begriff 162 –, Polizeiarzt 162 –, s auch Arzt des öffentlichen Sanitätsdienstes Amtshaftung 157/1, 168, 205, 208, 217/1, 219, 344/1, 484, 542, 712, 767, 770, 808 –, Aufnahmeuntersuchung 205, 208, 219, 767/2 –, Bescheinigung 168, 767/2 –, Patientenanwalt, Geltendmachung 484 –, Patientenanwalt, keine Amtshaftung 492 –, sicherheitsbehördliche Aufzeichnungen 217/1, 219, 344/1 –, Sicherheitsorgane 157/1, 767/2 –, unterlassene Unterbringung 205, 767/1 –, Verfahrensfehler 767/2 Amtshilfe 163 f, 187 f, 371, 793 –, Aktenübersendung 371 –, Krankenanstalten 187 f –, Sicherheitsbehörden im gerichtlichen Verfahren 371 –, Wiedereinbringung 187 f Angehörige 215 –, Antrag auf neuerliches Unterbringungsverfahren 408 f –, – auf Überprüfung von Beschränkungen und Behandlungen 731 –, Aufklärung? 494, 604 –, Auskünfte im Verfahren 365, 706 –, Begriff 215, 463 –, Behandlung, Zustimmung? 646 –, besondere Heilbehandlung, Genehmigung –, Besuchsrecht 570, 698 –, Patientenanwalt, Bestellung zum 533 –, Rekursrecht 394, 414, 416, 418 f, 743 f, 759 –, Schweigepflicht gegenüber 494, 698 –, s auch Erziehungsberechtigte –, s auch gesetzlicher Vertreter –, Unterbringung auf Initiative der 139, 181 –, Verständigung 152, 214 f, 285, 463 Angliederungsvertrag 39, 299, 584 Anhaltung s Unterbringung Anstalt 28 ff –, Begriff s Anstaltsbegriff –, private/öffentliche 28 –, psychiatrische s Krankenanstalt, psychiatrische –, Rechtsträger s Anstaltsträger –, s auch die weiteren Untergliederungen Anstaltsbegriff 29 ff, 170, 299 Anstaltsgewalt 19, 534, 538 ff Anstaltskleidung, Entzug der Privatkleidung und 54, 539 f –, Indiz für Unterbringung? 54 –, Persönlichkeitsschutz und 539 f –, Rechtsschutz 762 Anstaltsleiter s ärztlicher Leiter Anstaltsleitungsbefugnis 538
Anstaltsrekurs s Abteilungsleiter, Rekurs Anstaltsordnung 5, 63, 66 f, 70, 373, 507, 536, 538 ff, 563 Anstaltsträger 28 –, Haftung 767 ff, 770 –, Maßnahmenvollzug 797 –, Pflichten 65, 67 f, 486, 507, 574 –, private/staatliche 28, 767 –, Unterbringung und 28, 63, 506 f, 537, 574 Anwendungsbereich des UbG 20 ff –, Ambulatorien 30 –, teilstationäre Aufnahme 30 –, nicht-psychiatrische Krankenanstalten 39, 584 –, Pflegeanstalten/Pflegeheime 32, 35, 815 f –, psychiatrische Krankenanstalten 29 ff –, Sonderkrankenanstalten für Psychiatrie 37 –, Überstellung 184/1 –, Verlegung 39, 584 –, Wiedereinbringung 187 Anzeigepflicht, gem ÄrzteG § 54 694 –, gem StPO § 84 497, 696 –, gem UbG s Abteilungsleiter, Verständigungspflichten Arzneimittelrecht s klinische Prüfung Arzt des öffentlichen Sanitätsdienstes 162 ff –, Auswahl 163 –, Begriff 162 –, Behandlung durch 151 –, Behandlungsalternativen, Prüfung 156 –, Beiziehung 139, 154, 158, 181 ff, 183 ff, 799, 804, 809 –, Bescheinigung s dort –, Haftung 168, 767/2 –, Honoraranspruch 165 –, Rechtsschutz gegen 177 ff –, Schonungsgrundsatz 148, 150 –, Unerreichbarkeit 159 –, Untersuchung 162 ff, 166 f –, Verschwiegenheitspflicht 168 –, Vertretung 162 –, Vorführung zum 144 f, 155 ff Ärztlicher Leiter, als Abteilungsleiter iSd UbG 70 –, Maßnahmenvollzug, Äußerungsrecht 797 –, Verständigung, über Vollziehung des UbG 300, 448 –, –, über Bestellung des Patientenanwalts 461 –, Wahlrechtsausübung, keine Untersagung 683 Ärztliches Zeugnis 201, 208 ff, 217, 251, 271, 687 –, als Unterbringungsvoraussetzung 201, 271 –, bei Aufnahmeuntersuchung s dort –, s auch Bescheinigung (§ 8 UbG) Aufhebung der Unterbringung 279 ff, 386 f, 390, 392, 433, 773 ff –, Begriff 774 f –, Entlassungsanzeige und 188, 776
Sachregister –, kontinuierliche Prüfung 789 –, neuerliche Unterbringung nach 326, 792 –, ohne Entlassung 777 –, s auch Entlassung –, Unterbringung auf Verlangen 279 ff, 794 –, Verständigung 281, 793 –, Voraussetzungen 787 Aufklärung 597 ff –, Angehörige 604, 617 –, Aufklärungsgespräch 611 –, aufklärungspflichtige Personen 605 –, Dokumentation 613, 685 –, Einwilligung und 600 –, Form 610 –, Gegenstand und Umfang 607 ff –, gesetzliche Vertreter/Erziehungsberechtigte 602, 617 –, klinische Prüfung 667 –, Patient 601, 614 ff –, –, therapeutische Schranken 318, 368, 498, 614 ff –, Patientenanwalt 603, 617 –, Sachwalter 521, 602, 617 –, s auch Einwilligung – s auch therapeutischer Vorbehalt –, Sterilisation 675 –, Verzicht 609 –, Zeitpunkt 612 Aufnahmepflicht 196 ff –, öffentliche Krankenanstalten 197 ff –, private Krankenanstalten 199 –, strafrechtliche Unterbringung 798, 803, 806 f –, Unterbringung auf Verlangen 237 Aufnahmeuntersuchung 201 ff, 271 ff –, ärztliche Zeugnisse 201, 208 ff, 217, 251, 271, 687 –, –, Bestandteil der Krankengeschichte 201, 208, 271, 687 –, –, Einsichts- und Urteilsfähigkeit, Beurteilung 251, 271 –, –, Inhalt und Form 208, 217 –, –, Übermittlung an Gericht 217, 285 –, –, unabhängige Erstellung 209 f –, –, Unterbringung auf Verlangen 271 –, –, Weisungsbindung? 210 –, Aufnahmepflicht s dort –, Begriff 201 –, Dokumentation 201, 271, 687 f –, Haftung 205, 208, 219, 767/1 f –, neue bei neuerlicher Unterbringung 792 –, strafrechtliche Unterbringung 810 –, Unterbringung auf Verlangen 245, 251, 271 ff –, –, Umwandlung in Unterbringung ohne Verlangen 202, 207, 270, 283 –, Unterbringung ohne Verlangen 202, 792 –, Untersuchungszwang 205 –, Zeitpunkt 195, 206 f, 273
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Aufschiebende Wirkung, Begriff 347 –, Rekurs, Entscheidung über Behandlung 660, 745, 747, 759 ff –, –, Anfechtung der Entscheidung über 344, 346 –, –, im Unterbringungsverfahren 345 ff, 387, 393, 424, 433 –, Revisionsrekurs, keine 433, 443 –, Zuerkennung, Kriterien 350, 760 Ausgang 576 –, Beurlaubung und 576 f –, Erstanhörung 335 –, Maßnahmenvollzug 801 –, mündliche Verhandlung 383 f –, Unterbringungsbegriff und 51, 61, 776 –, Zulässigkeit 135, 335, 384, 576 Auskunfts- und Mitteilungspflichten 692 ff Auskunftspersonen, im Unterbringungsverfahren 316, 319, 369, 373, 377, 379, 693 –, s auch Zeugen Auskunftspflichtrecht 713 Ausländer 142, 302, 719 –, Unterbringungsverfahren 302 AußStrG (neues) 312 Behandlung s Heilbehandlung Behandlungsbedürftigkeit s Gefährdung Behandlungsvertrag 27, 60, 232, 784, Beleihung 4, 814 –, s auch Amtshaftung Bescheinigung (§ 8 UbG) 162 ff –, ausstellende Ärzte 162 ff, 184 –, Begründung 166, 168 –, Bindungswirkung für die Krankenanstalt, keine 168, 185, 193 f –, Blanko-Bescheinigung 167 –, Entschädigung 165 –, Haftung 168, 767/2 –, Inhalt 166 –, Kontrolle 177 ff –, Kosten 165 –, Krankengeschichte, Aufnahme in 208, 687 f –, Rechtsnatur 177 – s auch Arzt des öffentlichen Sanitätsdienstes –, Übermittlung an Abteilungsleiter durch Sicherheitsorgane 189/5 –, Untersuchung nach Unterbringung, keine 139, 174 –, Untersuchungspflicht 166 f –, UVS, Überprüfung durch 177 ff –, Verständigung des Gerichts 217 –, Wirkungsdauer 172 Beschränkungen 543 ff –, Abnahme von Gegenständen 540, 563 – als Unterbringung iSd UbG 49 ff – bei Unterbringung auf Verlangen 224 ff, 277 –, Besuchsverkehr s Besuchsverkehr
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Sachregister
–, Bewegungsfreiheit s Beschränkung der Bewegungsfreiheit –, Briefverkehr s dort –, gerichtliche Kontrolle 289, 721 ff –, –, Antrag 731 ff –, –, beendete Maßnahmen 727 –, –, beendete Unterbringung? 727, 733 –, –, Entscheidungspflicht 735, 738 –, –, Gegenstand 722 –, –, Prüfungsmaßstab 729 f –, –, Rechtsmittel 743 ff –, –, unzulässige Unterbringung 723 –, –, UVS/Unterbringungsgericht 766 –, –, Verfahren 734 ff –, –, Verhältnis zum Unterbringungsverfahren 723 –, Kommunikationsfreiheit s dort –, Telefon s Telefonverkehr Beschränkung der Bewegungsfreiheit 543 ff –, als Heilbehandlung iSd UbG? 546 –, als Merkmal des Unterbringungsbegriffs 48 ff –, Anordnung 558 –, Begriff 544 ff –, Disziplinierungsmaßnahme 551 –, Dokumentation 559 –, Einwilligung 549 –, Entscheidungsbefugnis 558 f –, Fixierung 543 ff, 557 –, nicht-untergebrachte Patienten 27, 191, 284 –, Personalmangel und 551, 553 –, pharmakologische 55, 546 –, Rechtsschutz s Beschränkungen, gerichtliche Kontrolle –, Umfang 556 –, Verhältnismäßigkeit 554 –, Verständigung des Vertreters 558 –, weitergehende 557 ff –, Ziele 547, 550 ff –, Zulässigkeit 550 ff Beschwerderecht 772 Besondere Heilbehandlung 630 ff –, Bedeutung im System des UbG 630 f –, Begriffsmerkmale 632 ff –, Depotneuroleptika 637, 639 –, Elektrokrampftherapie 638 –, Gefahr im Verzug 656 ff, 750 –, gerichtliche Genehmigung 724, 728, 748 ff, 765 –, –, Antrag 754 –, –, Beschluss 756 –, –, Entfall bei Gefahr im Verzug 660, 750 –, –, gerichtliche Letztentscheidung und Gefahr im Verzug 759 –, –, keine nachträgliche 721, 750 –, –, Kriterien der Genehmigung 751 f –, –, Pflegschaftsgericht 648, 655, 677 –, –, Rekurs 758 –, –, Rekurs, aufschiebende Wirkung 759 f –, –, Verfahren 755 –, Heilversuche 665
–, –, –, –, –, –,
Minderjährige 655 Nebenwirkungen und 636 Operationen 634 Persönlichkeitsveränderung und 637 Rechtsfolgen 630, 654 ff Rechtsschutz s Heilbehandlung, gerichtliche Kontrolle –, Sterilisation 671 –, Verhältnismäßigkeit 589 ff, 751 –, Zwangsernährung 680 Besonderes Gewaltverhältnis 19, 534 f Besuchsverkehr 567 ff –, Beschränkung 568 ff –, –, Dokumentation 687 –, Besuchszeiten 567 –, Entscheidungsbefugnis 572 –, nicht-untergebrachte Patienten 505 –, Patientenanwalt 477, 486, 502 ff –, Rechtsschutz 573, 722 ff, 730 –, s auch Beschränkungen, gerichtliche Kontrolle –, Schutzpflicht 574 –, Verständigungspflichten und 214, 572 –, Vertreter 502 ff, 571 Beurlaubung, des Untergebrachten 577 –, s auch Ausgang Bewusstlose 57, 549, Briefverkehr 562 ff –, Beschränkung? 562 f –, Maßnahmenvollzug 801 f –, Rechtsschutz 233, 766 –, Schutzpflicht der Anstalt 564 –, Zustellung 565 f Datenschutz 165, 189 ff, 217/1, 321, 690 ff, 695, 702, 713 –, s auch Schweigepflicht Demenz 81, 84, 116 Depotinjektionen 592, 634, 637, 639, 648, 736, 748, 750 Diplomaten 142 Disziplinarmaßnahmen 551, 569, 581 Dokumentation 684 ff –, Aufhebung der Unterbringung 793 –, Aufklärung 613 –, Aufnahmeuntersuchung 687 –, Behandlung 685 –, Beschränkungen 558 f, 687 –, Einsicht in Krankengeschichte, Verweigerung 687 –, Einsichts- und Urteilsfähigkeit 271 –, s auch Krankengeschichte Einlieferung 144 ff –, Krankenanstalten 183 ff –, Maßnahmenvollzug 797 ff –, Privatpersonen 181 –, Rettungsdienste 154, 182 –, Sicherheitsorgane 144 ff
Sachregister –, s auch Organe des öffentlichen Sicherheitsdienstes –, s auch Überstellung –, s auch Vorführung –, Strafvollzugsanstalten 807 ff –, Untersuchungsrichter 803 ff Einsichts- und Urteilsfähigkeit 248 ff, 620 ff –, bei Beschränkungen 46, 57 f, 186 –, bei Heilbehandlung 14, 277, 515, 549, 590 f, 602, 612, 616, 618 ff, 620 ff, 640 ff, 654 ff, 660 ff, 665, 668, 671, 675, 680, 722, 728, 730, 736, 748, 751, 753, 762 ff –, beim Unterbringungsverlangen 223, 234 f, 236, 248 ff, 268, 271, 276 f, 292, 325 Einweisung, keine nach UbG 138, 197, 386 –, Sachwaltergericht, keine 811 –, s auch Einlieferung –, s auch Vorführung –, strafrechtliche s strafrechtliche Unterbringung
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Erstanhörung 331 ff, 402, 411 –, Anhörung 335, 337 ff –, Aufhebung der Unterbringung und 331 –, Ausgang und 335, 384 –, Beschluss 340 ff –, Erstreckung der Tagsatzung 378 –, Glaubhaftmachung 74, 208, 217/1, 336, 341, 688 –, (keine) Beeinträchtigung in der 337 ff –, Ladung 335 –, Öffentlichkeit, keine 320 –, Rekurs 343 f, 345 ff –, Revisionsrekurs 355 –, Sachverständiger 336 –, s auch Unterbringungsverfahren –, Unmittelbarkeit, persönliche 322 –, weitere Unterbringung 402 –, Wiedereinbringung Entwichener 327 –, zeitlicher Prüfungshorizont 310 –, Zeitpunkt 332 ff Einwilligung 618 ff Erziehungsberechtigte, Aufklärung 597, 602, –, Aufklärung Dritter 604 617 –, Bewegungsbeschränkungen 58, 229, 549 –, Einwilligung in Behandlung 618, 642 ff, 655 –, Datenübermittlung 697 f, 700 f, 665, 667, 671 –, Heilbehandlung 618 f, 640, 654, 763 ff –, –, Verweigerung 661 –, –, des gesetzlichen Vertreters bzw Erzie–, Unterbringungsverlangen 140, 238, 256, 261 hungsberechtigten 643, 655, 661 ff –, –, des Sachwalters 647 f, 652, 655, 661 –, –, Widerruf 269 –, Heilversuche 665 –, Verständigung 141, 215, 656 –, klinische Prüfungen 667 ff Ethikkommission 536, 594 f, 665 –, Sterilisation 671 ff Experimente 670 Elektrokrampftherapie 589, 638, 657, 748 f, Fachärzte für Psychiatrie 69/1, 203, 359 752 Fristen, Beschlussausfertigung 395 Entlassung 773 ff –, Antrag auf Einleitung des gerichtlichen –, „administrative“ 244 Verfahrens 329, 733 –, auf eigenes Verlangen 794 –, Entscheidungsfrist 375, 411, 427 f –, Aufhebung der Unterbringung ohne 279, 777 –, Erstanhörung 332 ff –, auf Revers 791 –, Mitteilung über Verlängerung der Unterbrin–, bedingte ? 577, 777 gung 399 ff –, bei Nichtausstellung der Bescheinigung 169 –, mündliche Verhandlung 375 –, Dokumentation 685, 793 –, Rekursfrist s dort –, gerichtliche Kontrolle der Unterbringung –, Rekursverfahren 427 nach 310, 354 –, Sachverständige, Gutachtensübermittlung –, – von Anstaltsmaßnahmen nach 727 367 –, mündliche Verhandlung nach? 344, 354 –, Unterbringungsfrist s dort –, neues Unterbringungsverfahren bei neuerli–, Verständigung, des Gerichts von der Untercher Unterbringung 326, 792 bringung 218, 325 –, Nichtentlassung trotz gerichtlicher Unzuläs- –, – des Patienten/Patientenanwalts 212 f sigerklärung 783 f Gefahr im Verzug, gerichtliche Überprüfbarkeit –, organisatorische Vorbereitung 780 der Behandlung bei 659, 728, 750 –, Rekursrecht nach 344, 428 –, Heilbehandlung bei 521, 618, 656 ff, 672 –, Rekursverfahren und 352, 428 –, Verweigerung der gerichtlichen Genehmi–, Revisionsrekurs und 438 gung und 757 –, s auch Aufhebung der Unterbringung –, Vorführung bei 144, 148, 173 ff –, Unterbringung auf Verlangen 794 –, Verständigung 694, 700, 793 Gefährdung 93 ff –, Vorbereitung 780 –, anstaltsbedingte 123 –, Zustellung nach 395 –, Behandlungsabbruch als? 110 ff Entweichung 50, 53, 187 f, 327, 560 –, Behandlungsbedürftigkeit und 98, 106 ff
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Sachregister
–, durch Aufklärung 616 –, Gesundheitsgefahr 101 ff –, konkrete 94 –, krankheitsbedingte 119 ff –, Prognose 113 ff, 124 f, 127, 364, 390, 577 –, psychische 102 –, Sachwerte 98, 767/1 –, Schadensnähe 124 f –, Schutzgut 97 ff –, Selbstmordgefahr 12 –, Verwahrlosung als? 99 –, Wahrscheinlichkeit 113 ff „Geisteskrankenevidenzen“ 189, 189/3 –, s auch Sicherheitsbehörden, Aufzeichnungen und Datenübermittlung Geistig Behinderte 40, 80 ff, 676, 811 Gerichtsvorsteher 72, 300, 447 ff, 451 ff, 458 ff, 461, 465, 486, 508 f, 532
–, –, –, –, –, –, –,
Aufklärung s Aufklärung Begriff 547, 563, 579 ff, 665, 671, 673 bei Gefahr im Verzug 656 ff Beschränkung als 547, 581 besondere s besondere Heilbehandlung „einfache“ Heilbehandlung 640 ff einsichts- und urteilsfähige Patienten 590 ff, 640 ff, 654 –, Einwilligung s Einwilligung, Heilbehandlung –, Gefahr im Verzug 656 –, gerichtliche Genehmigung s besondere Heilbehandlung –, gerichtliche Kontrolle 722 ff –, –, Antrag 477, 731 ff –, –, beendete Behandlungen 726, 746 –, –, Behandlung bei Gefahr im Verzug 728, 750 –, –, besondere Heilbehandlungen 728, 765 –, –, einsichts- und urteilsfähige Patienten 764 –, –, Patienten mit Sachwalter oder ErziehungsGeschlossener Bereich 26, 41 ff berechtigtem? 732, 763 –, Begriff 42 ff –, –, Prüfungsmaßstäbe 729 –, Errichtung 63 ff –, –, Rechtsmittel 743 ff –, Kennzeichnungspflicht 65 –, –, unzulässige Unterbringung 723 –, nicht-untergebrachte Patienten im? 45 f –, –, Verfahren 734 ff –, Personalmangel und 44 –, –, Verhältnis zum Unterbringungsverfahren –, strafrechtliche Unterbringung im 47 723 –, Zweckwidmung 45 ff –, Grundsätze 586 ff Gesetzlicher Vertreter, Anhörung 316, 318, 335, –, in nicht-psychiatrischen Krankenanstalten 39, 357 f, 367, 379, 381, 383, 735 584 –, Aufklärung 597 –, Minderjährige 60, 620 f, 642, 763 –, Einsicht in Krankengeschichte 318, 716 f –, neue Methoden 595 –, Gutachtensübermittlung an 318, 367 f –, nicht-einsichts- und urteilsfähige Patienten –, Heilbehandlung, Einwilligung 642 ff, 647, 277, 590 ff, 642 ff, 655 655, 661, 665, 667, 669, 671, 677, 763 –, nicht-untergebrachte Patienten 27, 230, 584 –, –, Verweigerung 661 –, Operationen 634 –, Patientenanwalt s dort –, Rechtsschutz s Heilbehandlung, gerichtliche –, Rechte nach UbG 215, 261 ff, 269, 310, 323 Kontrolle f, 330, 332, 335, 358, 362, 367, 374, 379, –, Therapieziele 593 381, 395, 408, 414 ff, 473, 476, 521, 573, –, Unterbringung auf Verlangen s dort 597, 659, 716 f, 722 ff, 731 f, 735, 739, 797 –, Verlegung zum Zweck der 39, 583 f –, Rekursrecht 344, 394, 414 ff, 438, 743 ff, –, Verhältnismäßigkeit 589 ff 759 –, zwangsweise s Zwangsbehandlung –, Schweigepflicht gegenüber? 699 Heimaufenthaltsrecht 28, 35 ff, 453, 812, 813 ff –, s auch Erziehungsberechtigte –, s auch Sachwalter Immunität 142 f –, Unterbringung auf Verlangen, Zustimmung Informationsrechte 702 ff des 140, 238, 256, 261 ff, 276 –, s auch Akteneinsicht –, –, Widerruf der Zustimmung 269 –, s auch Krankengeschichte, Einsichtsrecht –, Verkehr mit Patienten 502, 571 –, Verständigung 141, 215, 281, 494, 558 f, Klinische Prüfung 666 ff 572, 656, 659, 699, 793 –, Anwendungsbeobachtung? 666 –, Vertretungspflicht und 426/1, 437, 522/1 –, Arzneimittel 666 –, Medizinprodukte 668 Haftung 770 ff Kommunikationsfreiheit 562 ff –, s auch Amtshaftung –, s auch Briefverkehr Heilbehandlung 578 ff –, s auch Telefonverkehr –, ambulante 585 Kosten, Bescheinigung 165 –, Anwendungsbereich des UbG 39, 583 ff –, gerichtliches Verfahren 445 –, Arztwahl, freie? 596 –, Unterbringung nach UbG 260, 719
Sachregister Krankenanstalt, psychiatrische 34 ff, 170, 816 –, Anstaltsorgane 70 ff –, Auswahl 170 –, Außenstellen 36, 299 –, Begriff 29 ff –, Leitung 69/2 –, materieller Anstaltsbegriff 33, 35 –, organisatorische Voraussetzungen für Vollziehung des UbG 63 ff –, Pflegeanstalt/Pflegeheim 32, 35 –, private/öffentliche, Unterbringung in 28 –, Rechtsträger s Anstaltsträger –, Sonderkrankenanstalt, nicht-psychiatrische Abteilungen in 37, 816 –, teilstationäre Aufnahme 30 –, Zweckwidmung 31 ff Krankengeschichte 685 ff –, Ausfolgungsrechte 695, 700, 718 –, Begriff 685 f, 689 –, Dokumentationspflichten 189/6, 201, 208, 271, 558 f, 572, 687 ff, 711, 793 –, Einsichtsrecht 318, 335, 368, 477, 498, 506, 520, 688, 702 ff, 762 –, Vorlage an Gericht 74, 335, 376, 712 Krankheitsbegriff s psychische Krankheit Künstliche Ernährung s Zwangsernährung Liebe s psychische Krankheit, Liebeskummer –, s auch Sucht Maßnahmenrecht 157/2, 161, 220, 796 ff –, s auch strafrechtliche Unterbringung Menschenwürde 14 ff, 664 Minderjährige, Aufklärung 597, 602 –, Heilbehandlung, Einwilligung 582, 618 ff, 641 f, 649, 763 –, Unterbringung auf Verlangen 238, 249, 261 ff, 265 –, Unterbringung ohne Verlangen 137, 140 –, Unterbringungsbegriff und 60 ff Mündliche Verhandlung s Unterbringungsverfahren Notar 216, 426/1, 437, 466, 469, 519, 522 ff –, s auch Vertreter Operationen 580, 634 f, 648, 724, 748 Organe des öffentlichen Sicherheitsdienstes, Begriff 146 –, Bericht über die Amtshandlung an Abteilungsleiter 189/5 –, Freiwilligkeit gegenüber 137 –, Schutzpflichten 148 ff –, Verwendung personenbezogener Daten 189 ff –, Vorführung s dort –, Wiedereinbringung s dort Patientenanwalt 72, 446 ff –, Bestellung 447 ff
–, –, –, –, –, –,
253
–, Information über die 461 ff –, Namhaftmachung 458 ff –, Widerruf 465 Einsicht in Krankengeschichte 477, 716 f Enthebung 465 Ersetzung durch selbstgewählten Vertreter 517 ff –, Haftung 492 –, Rechte und Pflichten 486 ff –, s auch gesetzlicher Vertreter –, s auch Verein für Sachwalterschaft und Patientenanwaltschaft –, strafrechtliche Unterbringung 799, 804, 809 f –, Übergangsbestimmungen 531 ff –, Unterbringung auf Verlangen 291 ff –, Verhältnis zur Krankenanstalt 506 ff –, –, zum Gericht 508 f –, –, zum Patienten 489 f, 501 ff –, –, zum Sachwalter 473, 512 f –, –, zum Verein 510 –, Schweigepflicht 493 ff –, Verkehr mit Patienten, Schutz 502 ff –, Vertretung des 451 –, Vertretungsbefugnis 466 ff –, –, Beginn und Ende 466 ff, 517 ff –, –, Umfang (Wirkungskreis) 471 ff –, –, Verhältnis zu § 6 AußStrG 294/1, 426/1, 437, 476/1, 522/1 –, Wirkungskreis s Patientenanwalt, Vertretungsbefugnis –, Zugang zu den Patienten 502 ff Patientenanwaltschaften (Landesrecht) 769 Patientenentschädigung 767 ff –, Amtshaftung 767 ff –, Haftung 770 ff –, „verschuldensunabhängige“ 770 Patientenverfügung, schriftliche 662 Personendurchsuchung 540 Persönlichkeitsschutz 15 ff Pflegedokumentation 686, 708 Pflegeheim 32, 40, 183, 813 ff –, als Betreuungsalternative 129 f –, Anhaltung, keine 814 –, Beschränkungen im 813 ff –, Krankenanstalt/Pflegeheim 32, 816 –, s auch Heimaufenthaltsrecht –, UbG, Anwendbarkeit? 32, 40 –, Überstellung aus 183 Pflegschaftsgericht 260, 301, 482, 511, 515 f, 648, 655, 661, 667, 669, 677, 763, 793, 811 Protokoll 342, 385, 426, Prozessfähigkeit s Verfahrensfähigkeit Psychiatrische Anstalten und Abteilungen s Krankenanstalt, psychiatrische Psychische Krankheit 75 ff –, Alkoholismus 89 –, Anorexia nervosa 86 –, endogene Psychosen
254 –, –, –, –, –, –, –, –, –, –, –,
Sachregister
Demenz 81 geistige Behinderung, keine 80 f Liebeskummer? 86 Neurosen 86 organische Psychosen 84 paranoia querulans 92 Persönlichkeitsstörungen 86 Rausch 89 Rechtsbegriff 75 f Sucht 89 Suizidversuch 91
Rechtsanwalt, Bevollmächtigung 426/1, 469, 519, 522 ff, 528 –, Rechte nach UbG 520 –, s auch Rechtsbeistand –, s auch Vertreter –, Verständigung 152, 214, 216, 285 –, Vertretungspflicht im Rekursverfahren? 426/1, 437 Rechtsbeistand, Begriff 216 –, s auch Patientenanwalt –, Verständigung 152, 214, 216, 285, 335 Rechtsschutz, Behandlung 725 ff –, Beschränkungen 725 ff –, s auch Beschränkungen, gerichtliche Kontrolle –, s auch Heilbehandlung, gerichtliche Kontrolle –, s auch UVS –, Unterbringung auf Verlangen 287 ff –, Unterbringung ohne Verlangen 176 ff, 221 f –, Vollzug der Unterbringung 720 ff –, Vorführung 176 ff Rechtsschutzbedürfnis, Kontrolle der Unterbringung nach Entlassung 310, 415, 428 –, Kontrolle von Beschränkungen und Behandlungen, nach Beendigung 727 –, Rekurs des Abteilungsleiters 352, 428, 438, 727 Rekurs 345 ff, 414 ff, 743 ff, 758 ff –, Anforderungen 426 ff – ,aufschiebende Wirkung s dort –, Beschwer nach Aufhebung der Unterbringung/Maßnahme s Rechtsschutzbedürfnis –, Beschwer durch Begründung 415 –, Genehmigung von besonderen Heilbehandlungen 758 ff –, –, aufschiebende Wirkung 759 –, Erstanhörung 344 ff –, Kontrolle von Beschränkungen oder Behandlungen 743 ff –, mündliche Verhandlung 394, 414 ff –, Postenlauf 419, 422 –, s auch Abteilungsleiter, Rekurs –, Stattgebung durch Erstgericht 426/2 –, Telefax 422 –, verspäteter 419, 423 –, Vertretungspflicht? 426/1, 437
–, Zweiseitigkeit 316, 346, 432/1 Rekursfrist, Berechnung 394, 418 ff –, Beschränkungen und Behandlungen 744 –, Erstanhörung 344, 345 f –, Genehmigung von besonderen Heilbehandlungen 758 –, mündliche Verhandlung 418 ff –, Wahrung mit Postaufgabe 419, 422 –, –, mit Telefax 422 Rekursverfahren 353 ff, 427 ff –, Beschränkungen und Behandlungen 747 –, Erstanhörung 353 ff –, mündliche Verhandlung 427 ff –, nach Entlassung 428 –, Neuerungsverbot? 354, 387, 431 –, reformatio in peius, keine 434 –, Selbststattgebung durch Erstgericht 426/2 –, Vertretungspflicht? 426/1 Rettungsdienst 144, 148, 152, 154, 171, 175, 182 Revisionsrekurs 355, 435 ff, 522/1, 747, 760 Sachverständige 358 ff –, Ablehnung 358 –, Ärzte des öffentlichen Sanitätsdienstes s dort –, Anstaltsärzte als 208, 336 –, anstaltsfremde 336, 359 f –, Bestellung 358 ff, 406 –, Einsicht in die Krankengeschichte 715 –, Erstanhörung, Beiziehung zur 336 –, Fragen an 316, 319, 379 –, Gutachten 336, 363 ff, 367 f, 384 –, Ladung 335, 374 –, private 445 –, Schweigepflicht 693 –, Teilnahme an mündlicher Verhandlung 380 –, Untersuchung und Befundaufnahme 363 ff, 377 –, Verfahren über Beschränkungen 735, 737 –, weitere Unterbringung 406 f –, Zutritt zur Anstalt 373 –, zweiter 361 f Sachwalter, Anhörung im Verfahren 383 –, Aufenthaltsbestimmung ? 181, 811 f –, Aufklärung 597, 602, 617 –, behandelnder Arzt als? 652 –, Bestellung 511 ff, 661 –, –, bei längerer Unterbringung 652 –, –, für klinische Prüfungen 669 –, –, gemeinsame Tagsatzung 511 ff –, Bevollmächtigung 518 –, Einsicht in die Krankengeschichte 716 –, einstweiliger 335, 481, 511 ff, 645 –, Einwilligung in die Heilbehandlung 515, 619, 645 ff, 668 f, 676 f, 725, 732, 763 –, Erstanhörung 511 –, mündliche Verhandlung 383, 511 –, Patientenanwalt als? 445, 516 –, –, Verhältnis zum 467, 473, 481, 512
Sachregister –, –, –, –, –, –,
Schweigepflicht gegenüber 669 s auch gesetzlicher Vertreter Sterilisation, Einwilligung 678 Unterbringung auf Verlangen 256 ff, 269 – ohne Verlangen 58, 140, 811 f wissenschaftliche Versuche, Einwilligung? 670 Schweigepflicht 321, 690 ff –, Arzt des öffentlichen Sanitätsdienstes 168 –, Patientenanwalt 493 ff –, Vorführung durch Sicherheitsorgane 189 ff Sicherheitsbehörden 144 ff –, Aufzeichnungen und Datenübermittlung 189 ff, 217/1, 344/1 –, Überstellung 184/1 –, Verbringung in die Anstalt 144 ff –, Verständigung der 157/2, 189/7, 344/1 –, Vorführung zum (Amts)arzt 155 ff –, Wiedereinbringung Flüchtiger 187 f, 305, 327, 776 Sterilisation 671 ff Strafrechtliche Unterbringung 47, 157/2, 161, 796 ff –, Maßnahme gem § 21 StGB 161, 797 ff –,–, Widerruf der bedingten Entlassung 157/2, 220 –, Strafhäftlinge gem § 71 StVG 807 ff –, Untersuchungshäftlinge gem § 50 KAKuG 47, 161, 806 –, vorläufige Maßnahme gem § 429 Abs 4 StPO 161, 803 ff Subsidiaritätsgrundsatz 128 ff, 234, 365, 369, 370, 809 Sucht 89 f, 122 –, s auch Liebe –, s auch psychische Krankheit Telefonverkehr 567 ff –, Beschränkung 567 ff –, Entscheidungsbefugnis 572 –, Rechtsschutz 573, 725 ff –, s auch Beschränkungen, gerichtliche Kontrolle –, Schutzpflicht 574 –, Vertreter 571 Therapeutischer Vorbehalt 318, 614 ff –, Akteneinsicht 318 –, Anhörung 337 ff –, Aufklärung 614 ff –, Einsicht in Krankengeschichte 318, 703 ff –, Gutachtensübermittlung 367 f Therapiefreiheit 587 Therapieverträge 537 Therapieziele 593 Überstellung 183 ff – aus anderen Krankenanstalten oder Heimen 183 ff, 221, 299, 816
255
– aus psychiatrischen Anstalten bzw Abteilungen 184/1, 221, 299, 305, 328, 775, 792 –, aus Strafvollzug 807 ff –, in nichtpsychiatrische Anstalt oder Abteilung 39, 584 f, 724 Universitätsklinik 29, 35, 69, 70, 298 Unterbringung, Arten 24 ff, 191 –, auf/ohne Verlangen 25, 136 ff, 224, 234, 247, 255 –, auf Verlangen s dort –, Ausländer s dort –, Begriff 20 ff, 41 ff –, –, Bewusstlose 57 –, –, Funktion 21 ff –, –, geschlossener Bereich 26, 42 ff –, –, Haustorsperre 44, 51 –, –, Mehrdeutigkeit 23 –, –, Merkmale 41 ff –, –, Minderjährige 60 ff, 140, 238 –, –, Personen mit Sachwalter 256 ff –, –, nicht-untergebrachte Patienten 27 –, –, offener Bereich 26, 48 ff –, –, pharmakologische Beschränkungen 55 –, –, s auch geschlossener Bereich –, –, teilstationäre Aufnahme 30 –, –, weitere Beschränkungen und 50, 543 –, freiwillige s Unterbringung auf Verlangen –, hoheitliche Qualifikation 4, 18, 232, 537, 767 ff –, pflegschaftsgerichtliche s zivilrechtliche Unterbringung –, ohne Verlangen s dort –, Orte 28 ff –, Rechtsnatur 153, 192, 232 –, strafrechtliche s dort –, UbG/andere Rechtsgrundlagen 1, 795 ff –, Verlängerung s weitere Unterbringung –, Vollzug s dort –, zivilrechtliche s dort Unterbringung auf Verlangen 223 ff –, Aufhebung 279 ff, 794 –, Aufnahmeuntersuchung 251, 271 ff –, Begriff 224 ff, 228 f –, Beschränkungen in der 224 ff, 277 –, Dauer 274 ff –, Ende 278 ff –, Minderjährige 261 ff –, Rechtsschutz 287 ff –, Umwandlung in Unterbringung ohne Verlangen 282 ff – Patientenanwalt und 291 ff, 464, 466, 472, 487 –, Verlangen s Unterbringungsverlangen –, Vollzug 277 –, Voraussetzungen, materielle 234, 277 Unterbringung ohne Verlangen 136 ff –, Aufnahmeentscheidung 193 –, Aufnahmeuntersuchung s dort –, Begriff 136 ff, 255
256 –, –, –, –, –, –, –,
Sachregister
Bescheinigung s dort Dauer s Unterbringungsfrist Minderjährige 60, 140 Rechtsnatur 153, 192 Rechtsschutz 176 ff, 192, 221 f –, gerichtlicher s Unterbringungsverfahren Unterbringung auf Verlangen, Verhältnis zur 236 UVS, Kontrolle durch 176 ff Varianten 139 Verfahren 200 ff Verständigungen 211 ff Vollzug s Vollzug der Unterbringung Vorführung s dort Wiedereinbringung Flüchtiger s dort
–, –, –, –, –, –, –,
–, Wirksamkeit 342, 393 f, 433 –, Beweisaufnahme 319/1, 356 ff Dolmetscher für Gebärdensprache 315 Einleitung 323 ff –, amtswegige 323 –, Antrag auf 324 –, bei neuerlicher Aufnahme nach Entlassung 326 –, –, –, bei nicht-untergebrachten Patienten 325 –, –, –, bei Umwandlung in Unterbringung ohne –, Verlangen 285, 324 –, –, –, bei Unterbringung auf Verlangen 287 f –, –, –, bei Verlegung in andere Anstalt 328 –, –, –, bei Wiedereinbringung 327 –, –, Ermittlungsverfahren 356 ff –, Erstanhörung s dort Unterbringungsfrist 388 ff –, Fristen s dort –, Gegenstand 307 ff Unterbringungsgericht 296 ff, 722 ff –, Grundsätze 312 ff –, Datenübermittlung an Sicherheitsbehörde –, Kosten 445 189/7, 344/1 –, mündliche Verhandlung 319/1, 372 ff –, Einsicht in Krankengeschichte 714 f –,–, Erstreckung der 344, 362, 378, 402 –, s auch Gerichtsvorsteher –, Mündlichkeit 319 –, Unterbringungsverfahren s dort –, neuerliches, vor Fristablauf 408 ff –, Verhältnis zu Pflegschaftsgericht 301, 514, –, „Nichtigkeit“ 316, 321, 335, 375, 380, 383, 648 426, 429, 439 –, – zu UVS 304, 766, 784 f –, Öffentlichkeit 320 ff –, Zuständigkeit 296 ff, 722 ff –, Offizialmaxime 313 –, –, Überstellung 305 –, Patientenanwalt, Stellung im 474 ff –, –, Wiedereinbringung 305 –, Protokollführung 385 –, Zutritt zur Anstalt 373 –, Prüfungsmaßstab 307 f Unterbringungsrecht 1 ff –, Prüfungszeitpunkt 310 –, Anwendungsbereich s dort –, rechtliches Gehör im 316, 367, 379 ff –, Auslegung 8 ff –, Rechtsmittel s Rekurs –, Begriff 1 –, Ruhen 306 –, Gegenstand 1 –, Sachverständige s dort –, Grundsätze 13 ff –, schriftliche Äußerungen 369 f –, Heimaufenthaltsrecht, Abgrenzung zum 35, –, strafrechtliche Unterbringung 799, 804, 810 37, 40, 815 –, Unmittelbarkeitsgrundsatz 322, 370 –, historische Entwicklung 2 –, Unterbrechung 306 –, Literatur zum 11 –, Unterbringungsfrist s dort –, Rechtsprechung 11 –, Untersuchungsgrundsatz 314 –, Rechtsquellen 3 ff –, Verfahrensfähigkeit 315 –, Verwaltungsrecht, Zuordnung zum 1, 4 –,Verhältnis zum Verfahren über Beschränkungen und Behandlungen 723 Unterbringungsverfahren 295 ff –, Verlängerung der Unterbringung 397 ff –, Akteneinsicht 317 f –, Vertretung s Patientenanwalt; Vertreter –, Auskunftspersonen s dort –, weitere Ermittlungen 369 ff –, Ausländer 302 –, weitere Unterbringung 397 ff –, Außerstreitverfahren 312 –, beendete Unterbringung 310, 324, 329, 331, –, zeitlicher Prüfungshorizont 310 f –, Zeugen 319, 357, 369 f, 377, 693 387 –, Zuständigkeit 296 ff, 722 ff –, Beschluss über die Zulässigkeit der –, Zustellung s dort Unterbringung 340 ff, 386 ff –, Zweiteilung 306 –, –, Ausfertigung 342, 395 –, –, Begründung 342, 391, 395, 416 Unterbringungsverlangen 223 f, 235 ff –, –, Erläuterung 391 –, Einsichts- und Urteilsfähigkeit 248 ff –, –, Rechtsmittelbelehrung 391 –, erneutes Verlangen –, –, Rekursentscheidung 433 f –, Erziehungsberechtigte 261 ff –, –, Spruch 343 –, Form 240 ff –, –, Verkündung 342, 391, 433 –, gesetzlicher Vertreter, Zustimmung 261 ff
Sachregister –, Minderjährige 238, 261 ff –, Prüfung durch Gericht 288 –, Sachwalter und 256 ff –, –, Zustimmung 256, 259 f –, s auch Unterbringung auf Verlangen –, s auch Einsichts- und Urteilsfähigkeit –, Widerruf 266 ff –, Willensmängel 254 –, Wirkungsdauer 274 ff –, Zeitpunkt 243 ff Unterbringungsvoraussetzungen, materielle
257
Verwaltungssenate, Unabhängige s UVS Volksanwaltschaft 479, 484, 768 Vollzug der Unterbringung 534 ff –, allgemeine Grundlagen 534 ff –, Behandlung 578 ff –, Beschränkungen 539 f, 543 ff –, Kosten 719 –, Rechtsschutz 720 ff –, Unterbringung auf Verlangen 277 Vorführung 144 ff –, Arzt des öffentlichen Sanitätsdienstes s dor 73 ff –, Bescheinigung 162 ff –, s Gefährdung –, Datenschutz 189 ff –, s psychische Krankheit –, Gefahr im Verzug 173 ff –, s Subsidiaritätsgrundsatz –, Gefahrenabwehr 148, 150 UVS 96, 176 ff, 187, 192, 221 f, 290, 304, 310, –, Organe des öffentlichen Sicherheitsdienstes s 394, 479, 484, 712, 723, 766, 783 ff, 790, dort 802, 814 –, Rechtsnatur 153 –, Rechtsschutz 176 ff Verein(e) für Sachwalterschaft und Patienten–, Rettungsdienst s dort anwaltschaft 446, 449, 453 ff, 465, 491, 494, –, s auch Bescheinigung 499, 507, 509 f, 516, 531 f –, s auch Sicherheitsbehörden Verfahrensfähigkeit 179, 315, 475 f, 733, 766 –, Subsidiaritätsgrundsatz s dort Verhältnismäßigkeitsgrundsatz 123, 128 ff, 156, –, Verständigung 152 158, 390, 404 f, 551, 554, 560, 576, 589 ff , –, Zwangsbehandlung ? 151 672, 678, 680, 683, 705, 730, 751, 791 Wahlrecht 681 ff –, s auch Subsidiaritätsgrundsatz –, Ausschluss, keiner 682 Verkehr mit der Außenwelt s Kommunikations- –, mobile Wahlkommissionen 682 freiheit –, Untersagung, keine 683 Verlegung, in andere Anstalt 39, 584, 724 Weitere Unterbringung 397 ff Versuche 588, 595, 664 ff, 670 Widerruf s Unterbringungsverlangen Vertreter, gesetzlicher s dort Wiedereinbringung Flüchtiger 187 f, 305, 327, –, in Behandlungsangelegenheiten 663 776 –, Notar s dort Zeugen 319, 357, 369 f, 377, 693 –, Patientenanwalt s dort –, s auch Auskunftspersonen –, Rechte 520 f –, vom Hörensagen 74, 369, 688 –, Rechtsanwalt s dort Zivilrechtliche Unterbringung? 811 f –, Sachwalter s dort –, selbstgewählter 517 ff Zustellung 395 ff, 565 –, Vollmacht 518 f Zwangsbehandlung 151, 590 f, 763 f Vertretungspflicht 426/1, 437, 522/1 Zwangsernährung 589, 591, 638, 680, 748