Springer-Lehrbuch
Walter Frenz Hans-Jürgen Müggenborg
Recht für Ingenieure Zivilrecht, Öffentliches Recht, Europarecht
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Univ.-Prof. Dr. jur. Walter Frenz Lehr- und Forschungsgebiet Berg- und Umweltrecht RWTH Aachen Wüllnerstraße 2 52062 Aachen
[email protected] Dr. jur. Hans-Jürgen Müggenborg Fachanwalt für Verwaltungsrecht RAe Josten • Müggenborg • Weyers Oppenhoffallee 2 52066 Aachen
[email protected] ISBN 978-3-540-76353-6
e-ISBN 978-3-540-76354-3
DOI 10.1007/978-3-540-76354-3 Springer-Lehrbuch ISSN 0937-74033 Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar. © 2008 Springer-Verlag Berlin Heidelberg Dieses Werk ist urheberrechtlich geschützt. Die dadurch begründeten Rechte, insbesondere die der Übersetzung, des Nachdrucks, des Vortrags, der Entnahme von Abbildungen und Tabellen, der Funksendung, der Mikroverfilmung oder der Vervielfältigung auf anderen Wegen und der Speicherung in Datenverarbeitungsanlagen, bleiben, auch bei nur auszugsweiser Verwertung, vorbehalten. Eine Vervielfältigung dieses Werkes oder von Teilen dieses Werkes ist auch im Einzelfall nur in den Grenzen der gesetzlichen Bestimmungen des Urheberrechtsgesetzes der Bundesrepublik Deutschland vom 9. September 1965 in der jeweils geltenden Fassung zulässig. Sie ist grundsätzlich vergütungspflichtig. Zuwiderhandlungen unterliegen den Strafbestimmungen des Urheberrechtsgesetzes. Die Wiedergabe von Gebrauchsnamen, Handelsnamen, Warenbezeichnungen usw. in diesem Werk berechtigt auch ohne besondere Kennzeichnung nicht zu der Annahme, dass solche Namen im Sinne der Warenzeichen- und Markenschutz-Gesetzgebung als frei zu betrachten wären und daher von jedermann benutzt werden dürften. Herstellung: le-tex publishing services oHG, Leipzig Einbandgestaltung: WMXDesign GmbH, Heidelberg Gedruckt auf säurefreiem Papier 987654321 springer.de
Vorwort
Ständig steigende Anforderungen prägen das Berufsbild des Ingenieurs. Deshalb werden nicht nur den Praktikern, sondern auch schon den Studierenden profunde juristische Grundkenntnisse in den wirtschaftlich bedeutsamen Rechtsgebieten abverlangt. Der vorliegende Band vermittelt Praktikern und Studierenden das notwendige juristische Grundwissen im Zivil-, Staats- und Verwaltungsrecht sowie im mittlerweile elementaren Europarecht. Er ist spezifisch abgestimmt auf die Bedürfnisse von Ingenieuren, kann aber auch sehr gut von Wirtschafts- und Naturwissenschaftlern benutzt werden. Zahlreiche weiterführende Hinweise machen das Buch auch für angehende Rechtswissenschaftler interessant, die sich einen praxisrelevanten Ein- und Überblick verschaffen wollen. Der Leser soll durch den Aufbau des Bandes in die Lage versetzt werden, die notwendigen Kenntnisse zu erwerben und bei der Bearbeitung von einfachen Fällen auch eigenständig anzuwenden. Die Grundlagen der Subsumtionstechnik und der Falllösung werden intensiv dargestellt und anhand von Beispielsfällen ausführlich erläutert. Der Aufbau der einzelnen Kapitel gibt dem Einsteiger die Möglichkeit, das notwendige Wissen möglichst praxisorientiert zu erwerben und sich in den Stoff einzuarbeiten. Daher wird zu Beginn eine Einführung gegeben. Diese ist vielfach mit Beispielen versehen. Regelmäßig folgt ein Grundfall, durch den die wesentlichen Probleme der Materie deutlich werden. An seinem Anfang steht eine Gliederung, die dem Leser die Möglichkeit gibt, anhand des Falles die zielführende juristische Arbeitstechnik nachzuvollziehen. Es folgt die Lösung des Falles. Die dabei vermittelten Grundstrukturen können weder ein wissenschaftliches Gesamtwerk noch ausführliche Lehrbücher zu den behandelten Rechtsgebieten ersetzen, sondern durch sie soll der Leser in die Lage versetzt werden, juristische Probleme praxisgerecht zu lösen. Deshalb wird hier nur im Überblick auf den Meinungsstand eingegangen. Am Beginn der meisten Kapitel stehen Hinweise auf weiterführende Literatur – vornehmlich Ausbildungsliteratur jüngeren Datums. Zugrunde gelegt wird in erster Linie die höchstrichterliche Rechtsprechung. Über Anregungen oder Kritik würden sich die Autoren sehr freuen. Aachen, im Januar 2008
Walter Frenz Hans-Jürgen Müggenborg
Inhaltsverzeichnis
Vorwort..................................................................................................................V Kapitel 1 Recht im Allgemeinen ....................................................................... 1 A. Einleitung .................................................................................................... 1 B. Das Recht .................................................................................................... 2 Kapitel 2 Falltechnik am Beispiel des Zivilrechts ........................................... 5 Prolog: Grundstruktur einer Falllösung............................................................. 6 Kapitel 3 BGB Allgemeiner Teil ..................................................................... 15 A. Die Vertragsentstehung.............................................................................. 18 I. Die Willenserklärung ......................................................................... 18 II. Wirksamwerden der Willenserklärung............................................... 18 1. Abgabe ........................................................................................ 19 2. Zugang ........................................................................................ 19 3. Widerruf...................................................................................... 20 III. Willenseinigung ................................................................................. 20 1. Angebot....................................................................................... 21 2. Annahme..................................................................................... 22 3. Dissens und Auslegung der Willenserklärungen......................... 23 B. Nichtigkeit und Anfechtung ...................................................................... 26 I. Die mangelnde Geschäftsfähigkeit (vgl. Übersicht 3.3) .................... 26 II. Die Anfechtung (vgl. Übersicht 3.4 und 3.5)..................................... 29 1. Inhalts- und Erklärungsirrtum..................................................... 29 2. Eigenschaftsirrtum ...................................................................... 32 3. Voraussetzungen und Rechtsfolgen der Irrtumsanfechtung ........ 34 4. Arglistige Täuschung und widerrechtliche Drohung .................. 35 a) Arglistige Täuschung ........................................................... 35 b) Widerrechtliche Drohung ..................................................... 36 c) Anfechtung wegen arglistiger Täuschung oder widerrechtlicher Drohung .................................................... 36 d) Verhältnis zu anderen Regelungen ....................................... 37 III. Verstoß gegen Formvorschriften (vgl. Übersicht 3.6)........................ 40 IV. Nichtigkeit aufgrund gesetzlicher Anordnung (vgl. Übersicht 3.7) .. 42 C. Die Vertretung ........................................................................................... 44 I. Eigene Willenserklärung.................................................................... 44 II. Willenserklärung im Namen des Vertretenen..................................... 45
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Inhaltsverzeichnis
III. Vertretungsmacht ............................................................................... 46 1. Rechtsgeschäftliche Vollmacht ................................................... 47 a) Erteilung der Vollmacht........................................................ 47 b) Erlöschen der Vollmacht ...................................................... 47 2. Duldungs- und Anscheinsvollmacht ........................................... 48 a) Duldungsvollmacht .............................................................. 48 b) Anscheinsvollmacht ............................................................. 49 c) Anfechtung........................................................................... 49 IV. Vertreter ohne Vertretungsmacht........................................................ 49 1. Auswirkungen auf den Vertrag.................................................... 49 2. Haftung des Vertreters................................................................. 50 V. Grenzen der Vertretungsmacht........................................................... 50 1. Verbot des In-sich-Geschäftes..................................................... 50 2. Kollusion und Missbrauch der Vertretungsmacht ....................... 51 Kapitel 4 Schuldrecht ...................................................................................... 59 A. Der Allgemeine Teil.................................................................................. 60 I. Die Erfüllung (vgl. Übersicht 4.1) ..................................................... 60 1. Bewirken der Erfüllung (Leistungshandlung, Leistungserfolg).. 60 2. Person des Schuldners................................................................. 61 3. Person des Gläubigers................................................................. 62 4. Art der Leistung .......................................................................... 62 5. Leistungsort ................................................................................ 64 6. Leistungszeit ............................................................................... 65 II. Schadenersatz bei Pflichtverletzung (Unmöglichkeit und Verzug)... 68 1. Das Schicksal des Primäranspruchs ............................................ 68 2. Entstehung des Sekundäranspruchs auf Schadenersatz............... 70 3. Unmöglichkeit im gegenseitigen Vertrag.................................... 72 III. Der Verzug ......................................................................................... 73 1. Der Schuldnerverzug .................................................................. 73 a) Voraussetzungen................................................................... 73 b) Allgemeine Rechtsfolgen ..................................................... 74 c) Besonderheiten im zweiseitigen Vertrag .............................. 74 2. Der Gläubigerverzug................................................................... 75 IV. Sonstige Pflichtverletzungen ............................................................. 78 V. Vorvertragliches Schuldverhältnis (culpa in contrahendo = c. i. c.).. 78 B. Vertragsrecht ............................................................................................. 84 I. Der Kaufvertrag (vgl. Übersicht 4.3)................................................. 85 1. Grundregeln ................................................................................ 85 2. Mängelhaftung ............................................................................ 86 a) Sachmängel .......................................................................... 86 b) Rechtsmangel ....................................................................... 88 c) Rechte des Käufers............................................................... 88 d) Beschränkung der Verkäuferhaftung .................................... 92 e) Garantiehaftung des Verkäufers ........................................... 93 f) Verbrauchsgüterkauf ............................................................ 93
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g) Besondere Widerrufsrechte bei Haustürgeschäften und Fernabsatzverträgen ............................................................. 95 h) Verletzung von Nebenpflichten ............................................ 97 II. Der Werkvertrag (vgl. Übersicht 4.4) .............................................. 100 1. Grundregeln .............................................................................. 100 a) Pflichten des Bestellers ...................................................... 100 b) Pflichten des Unternehmers ............................................... 101 2. Mängelhaftung .......................................................................... 102 a) Schadenersatz, Aufwendungsersatz.................................... 103 b) Rücktritt und Minderung.................................................... 104 c) Verjährungsfrist .................................................................. 105 d) Sonderregeln beim Vertrag über die Lieferung herzustellender oder zu erzeugender beweglicher Sachen 107 C. Nichtvertragliche Ansprüche ................................................................... 113 I. Geschäftsführung ohne Auftrag (vgl. Übersicht 4.5) ....................... 113 1. Echte Geschäftsführung ohne Auftrag ...................................... 113 2. Eigengeschäftsführung.............................................................. 113 II. Ungerechtfertigte Bereicherungen (vgl. Übersicht 4.6)................... 116 1. Leistungskondiktionen .............................................................. 116 2. Nichtleistungskondiktionen ...................................................... 117 3. Rechtsfolge ............................................................................... 117 III. Unerlaubte Handlungen ................................................................... 120 1. Unerlaubte Handlungen gemäß §§ 823 ff. (vgl. Übersicht 4.7) 120 2. Gefährdungshaftung.................................................................. 123 Kapitel 5
Sachenrecht.................................................................................... 127
Kapitel 6 Handelsrecht .................................................................................. 131 A. Die Kaufmannseigenschaft...................................................................... 131 I. Der Ist-Kaufmann ............................................................................ 131 II. Der Kann-Kaufmann ....................................................................... 132 B. Die Führung des Handelsunternehmens .................................................. 137 I. Das Recht der Firmenführung (vgl. Übersicht 6.3) ......................... 137 II. Hilfspersonen des Kaufmanns (vgl. Übersicht 6.4) insbes.: Der Prokurist.................................................................................... 138 III. Rechtsschein des Handelsregisters gemäß § 15 HGB (vgl. Übersicht 6.5) .......................................................................... 141 IV. Weitere Regelungen zur Führung des Handelsunternehmens.......... 143 1. Schuldenhaftung bei Firmenübernahme gemäß § 25 HGB....... 143 2. Die Handlungsvollmacht gemäß § 54 HGB (vgl. Übersicht 6.4) ................................................................... 143 3. Der Ladenangestellte gemäß § 56 HGB (vgl. Übersicht 6.4).... 143 C. Der Handelskauf...................................................................................... 148 I. Das kaufmännische Bestätigungsschreiben (vgl. Übersicht 6.6) .... 148 II. Die Rügeobliegenheit gemäß § 377 HGB (vgl. Übersicht 6.7) ...... 151
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Kapitel 7 Gesellschaftsrecht.......................................................................... 159 A. Die Gesellschaftsformen ......................................................................... 159 I. Überblick ......................................................................................... 161 II. Gesellschaft bürgerlichen Rechts (GbR) (vgl. Übersicht 7.3) ........ 163 III. Offene Handelsgesellschaft (vgl. Übersicht 7.4) ............................. 165 IV. Kommanditgesellschaft (KG) (vgl. Übersicht 7.5) .......................... 168 V. Stille Gesellschaft ............................................................................ 170 VI. Die Partnerschaftsgesellschaft ......................................................... 170 VII.Die Gesellschaft mit beschränkter Haftung (GmbH)....................... 171 B. Die Organisation der Gesellschaft ........................................................... 176 I. Organisation der GbR ...................................................................... 177 1. Geschäftsführung ...................................................................... 177 2. Vertretung.................................................................................. 177 II. Organisation der OHG ..................................................................... 178 1. Geschäftsführung ...................................................................... 178 2. Vertretung.................................................................................. 178 III. Organisation der KG........................................................................ 179 IV. Organisation der GmbH................................................................... 179 1. Geschäftsführung ...................................................................... 179 2. Vertretung.................................................................................. 180 C. Die Haftung im Außenverhältnis............................................................. 185 I. Haftungsstruktur der Gesellschaft bürgerlichen Rechts................... 186 1. Vertragliche Schulden ............................................................... 186 a) Haftung der Gesellschaft.................................................... 186 b) Haftung der Gesellschafter................................................. 187 c) Umfang der Haftung .......................................................... 188 2. Gesetzliche Schulden ................................................................ 189 II. Haftungsstruktur der OHG............................................................... 190 1. Vertragliche Haftung................................................................. 190 a) Haftung der Gesellschaft.................................................... 190 b) Haftung der Gesellschafter................................................. 191 2. Gesetzliche Schulden ................................................................ 191 III. Haftungsstruktur der KG ................................................................. 192 IV. Haftungsstruktur der GmbH ............................................................ 192 Kapitel 8 Europarecht ................................................................................... 201 A. Europäische Union, Europäische Gemeinschaften und Mitgliedstaaten . 201 B. Gemeinschaftsorgane............................................................................... 206 C. Rechtsetzung............................................................................................ 207 D. Grundfreiheiten ....................................................................................... 210 I. Grundschema der Grundfreiheiten................................................... 211 II. Die Warenverkehrsfreiheit ............................................................... 211 III. Arbeitnehmerfreizügigkeit............................................................... 215 IV. Niederlassungsfreiheit ..................................................................... 219 V. Freier Dienstleistungsverkehr .......................................................... 219 VI. Kapitalfreiheit.................................................................................. 220 VII.Wettbewerbsfreiheit ......................................................................... 220
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1. Verbot wettbewerbsbehindernder Vereinbarungen und Beschlüsse.......................................................................... 220 2. Missbrauch den Markt beherrschender Stellungen ................... 222 3. Beihilfenverbot ......................................................................... 226 a) Staatliche oder aus staatlichen Mitteln gewährte Beihilfen 226 b) Wettbewerbsverfälschung .................................................. 227 c) Beeinträchtigung des Handels zwischen Mitgliedstaaten... 227 d) Ausnahmen......................................................................... 227 e) Verfahren............................................................................ 227 E. Diskriminierungsverbot ........................................................................... 228 F. Grundrechte.............................................................................................. 228 Kapitel 9 Staatsrecht ..................................................................................... 231 A. Rangordnung der Rechtsquellen.............................................................. 231 B. Die unabänderlichen Verfassungsprinzipien (Art. 79 Abs. 3 GG) ......... 232 C. Die Grundrechte ...................................................................................... 232 I. Allgemeine Lehren .......................................................................... 232 II. Die Eigentumsgarantie gemäß Art. 14 GG ...................................... 244 III. Grundrechtliche Schutzpflichten: Art. 2 Abs. 2 S. 1 GG ................. 250 Kapitel 10 Verwaltungsrecht ........................................................................ 255 A. Das Verwaltungsrecht ............................................................................. 255 B. Abgrenzung zum privatrechtlichen Handeln ........................................... 256 C. Der Verwaltungsakt................................................................................. 258 I. Definition......................................................................................... 258 II. Die Nebenbestimmung .................................................................... 259 1. Begriff....................................................................................... 259 2. Rechtmäßigkeit einer Nebenbestimmung ................................. 260 3. Anfechtbarkeit von Nebenbestimmungen................................. 260 D. Weitere Grundbegriffe des Verwaltungsrechts ....................................... 264 I. Ermessen.......................................................................................... 264 II. Unbestimmter Rechtsbegriff............................................................ 264 III. Subjektiv-öffentliches Recht............................................................ 264 E. Der öffentlich-rechtliche Vertrag............................................................. 265 I. Definition......................................................................................... 265 II. Rechtmäßigkeit des Verwaltungsvertrages ...................................... 266 III. Folgen der Rechtswidrigkeit............................................................ 266 Literaturverzeichnis ......................................................................................... 271 Sachregister ....................................................................................................... 277
Kapitel 1
Recht im Allgemeinen
A. Einleitung Der Ingenieur ist, auch wenn es ihm in der Schärfe nicht immer bewusst sein mag, 1 umgeben von rechtlichen Regelungen. Dies gilt nicht nur für seinen Arbeitsvertrag, mit dem er etwa in einem Ingenieurbüro angestellt ist, und für die Verträge, die er zur Ausübung seiner Berufstätigkeit schließt, angefangen vom Kauf von Zeichenbrett und Büromaterial über den Erwerb eines Computers, dem Leasing eines PKW bis hin zum Bezug von Strom und Wasser. Auch alle Pläne, Konstruktionen, Maschinen, Schaltungen, Verfahren und Prozesse sind geleitet von rechtlichen Normen. Und wenn er im Zuge seiner Berufsausübung Schäden bei Dritten verursacht, so verpflichtet ihn das Recht gegebenenfalls dazu, Schadenersatz zu leisten. Unser Recht unterscheidet grundsätzlich drei Rechtsbereiche: 2 • das öffentliche Recht, • das Privatrecht (auch Zivilrecht genannt) und • das Strafrecht. Normen des öffentlichen Rechts enthalten Vorgaben, die – etwa in der Abluft- 3 oder Abwassertechnik – zwingend zu beachten sind und damit Einfluss auf das Arbeitsergebnis des Ingenieurs haben (müssen). Verstößt der Ingenieur dagegen, drohen ihm Haftungsansprüche aus dem Bereich des Zivilrechts. Und schon jeder Beschaffungsvorgang oder der Zukauf von Know-how geschieht im Wege zivilrechtlicher Verträge, sodass der Ingenieur trotz der im Vordergrund stehenden Technikbezogenheit seines Berufs zumindest Grundkenntnisse zivilrechtlichen Inhalts haben sollte. Dieses Buch will ihm einen Einstieg in die Materie des Zivilrechts und dort vor allem des Vertragsrechts mit seinen vielen Fallstricken bieten, damit er auf diesem für ihn wichtigen Feld größere Rechtssicherheit erlangt. Anschauliche Fallbeispiele mit Musterlösungen erleichtern das Verständnis der oft sehr abstrakten Rechtsnormen des Zivilrechts. Dabei wird dem Ingenieur anhand von Musterfällen die juristische Falllösungstechnik beigebracht, ohne die er Fälle aus seiner Praxis nie zuverlässig wird beurteilen können. Der Kern zivilrechtlicher Regelungen findet sich im Bürgerlichen Gesetzbuch 4 (BGB) und wird ergänzt durch zahlreiche weitere Gesetze wie etwa das Handels-
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Kapitel 1 Recht im Allgemeinen
gesetzbuch (HGB), das GmbH-Gesetz, das Aktiengesetz, das Wohnungseigentumsgesetz, das Produkthaftungsgesetz und vieles mehr. Das Verbraucherschutzrecht ist Teil des allgemeinen Zivilrechts.1 Dieses Buch bietet dem Ingenieur einen ersten Einblick vor allem in das Zivil5 recht, aber auch in das Europarecht und Öffentliche Recht. Dabei geht es besonders um das Vertragsrecht, also die Frage, unter welchen Voraussetzungen Verträge geschlossen, erfüllt, aufgehoben und geändert werden können. Falllösungsbeispiele sollen dabei den Einstieg in die Rechtswelt erleichtern. Es ist wichtig, sich mit der juristischen Falllösungstechnik vertraut zu machen, denn ohne sie lassen sich Rechtsfälle nicht zuverlässig lösen. Die rechtliche Denkweise folgt bestimmten Strukturvorgaben, die der Gesetzgeber in seinen Normen vorgibt. Beispielsweise macht es keinen Sinn, sich Gedanken darüber zu machen, ob ein Vertrag erfolgreich angefochten oder erfüllt wurde, ohne zuvor die Frage zu klären, ob überhaupt ein wirksamer Vertrag zustande gekommen ist. Deshalb sei dem Ingenieur dieser kleine Ausflug in die Welt der Juristen ans Herz gelegt.
B. Das Recht 6 Das Recht ist eine Ordnung menschlichen Zusammenlebens. Die diese Ordnung konstituierenden Regeln sind objektives Recht. Subjektive Rechte sind die aus diesem objektiven Recht resultierenden Ansprüche. Zur Durchsetzung solcher Ansprüche steht der Gang zu den Gerichten offen. Niemand darf Gewalt zur Erreichung seines Rechts anwenden, denn das Gewaltmonopol liegt beim Staat. Erfüllt der Schuldner einen zivilrechtlichen Vertrag nicht, hat der Gläubiger die Möglichkeit, seinen Anspruch einzuklagen und dann mit dem Urteil als einem vollstreckungsfähigen Titel die Zwangsvollstreckung gegen den Schuldner zu betreiben. Erst der Staat in Gestalt der Gerichtsvollzieher und Zwangsvollstreckungsgerichte darf Zwangsmaßnahmen gegenüber dem Schuldner ergreifen. Das Recht besteht nicht nur aus den Regeln der innerstaatlichen Ordnung, son7 dern umfasst auch das über- und das zwischenstaatliche Recht. Dieses kann auf die innerstaatliche Rechtsordnung einwirken. Das gilt insbesondere für das Europarecht. Die innerstaatliche Rechtsordnung gliedert sich in (nationales) öffentliches Recht und Zivilrecht, das – synonym – auch als Privatrecht bezeichnet wird. Das öffentliche Recht ist die Gesamtheit der Normen, die ausschließlich den 8 Staat zu einem Tun oder Unterlassen berechtigen oder verpflichten. Dazu gehören: • • • • • • • 1
Staatsrecht Verwaltungsrecht Strafrecht Steuerrecht Sozialrecht Gerichtsverfassungs- und Prozessrecht Kirchenrecht. Palandt/Heinrichs, Bürgerliches Gesetzbuch, 67. Aufl. 2008, Einleitung, Rn. 1.
B. Das Recht
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Das Zivilrecht besteht aus den Normen, die nicht ausschließlich eine staatliche 9 Einheit als ein Zuordnungssubjekt haben. Sie ordnen also regelmäßig die Rechtsverhältnisse der Privatrechtssubjekte untereinander. Im Unterschied zum öffentlichen Recht besteht hier kein Über-/Unterordnungsverhältnis (Staat-BürgerVerhältnis), sondern prinzipiell ein Gleichordnungsverhältnis. Dass es angesichts der Wirtschaftsmacht mancher Großunternehmen vom einzelnen Bürger nicht als ein solches empfunden wird, steht auf einem anderen Blatt; dem versucht das Verbraucherschutzrecht nach Kräften entgegenzuwirken. Rechtssystematisch betrachtet aber stehen der Bürger und das Großunternehmen, das dem Bürger Leistungen erbringt, auf derselben Stufe. Hauptgebiete des Zivilrechts sind das Bürgerliche Recht, dessen Kern im Bürgerlichen Gesetzbuch (BGB) geregelt ist, aber teilweise auch weit darüber hinausgeht, wie etwa das Handels-, Gesellschafts- und das Arbeitsrecht zeigen. Die grundlegenden Fragen aber wie etwa die, unter welchen Voraussetzungen ein wirksamer Vertrag zustande kommt und was im Fall der Schlechterfüllung von Verträgen zu gelten hat, sind im BGB geregelt. Sondernormen bereichsspezifischer Art gibt es etwa für Architekten und Inge- 10 nieure in der HOAI,2 wo insbesondere Fragen der Vergütung von Ingenieur- und Architektenleistungen geregelt werden.
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Verordnung über die Honorare für Leistungen der Architekten und der Ingenieure (Honorarordnung für Architekten und Ingenieure – HOAI) in der Fassung der Bekanntmachung vom 4.3.1991, BGBl. I S. 533, zuletzt geändert durch Gesetz vom 10.11.2001, BGBl. I S. 2992.
Kapitel 2
Falltechnik am Beispiel des Zivilrechts
Das BGB (Bürgerliche Gesetzbuch)1 ist Teil des Zivil- bzw. Privatrechts. Im Ge- 11 gensatz zum Öffentlichen Recht wird hier der Staat nicht als Träger hoheitlicher Gewalt tätig, wie zum Beispiel im Strafrecht oder Polizeirecht, wo der Staat gegenüber der Privatperson berechtigt ist, Anordnungen zu treffen, sondern die einzelnen Rechtssubjekte sind hier grundsätzlich gleichberechtigt. Die gesetzlichen Regeln sind vor allem im BGB festgelegt. Das Handels- und Gesellschaftsrecht ist darüber hinaus in Spezialgesetzen niedergelegt. Daneben gibt es vor allem in neuerer Zeit zahlreiche Spezialregelungen (z. B. Produkthaftungsgesetz, Lebenspartnerschaftsgesetz usw.). Für Architekten und Ingenieure spielen das Gesetz zur Regelung von Ingenieur- und Architektenleistungen und die auf seiner Grundlage erlassene HOAI eine wichtige Rolle. Das BGB ist in fünf Bücher unterteilt. Allgemeine Regelungen werden – und 12 das zeichnet das BGB aus – in weit abstrahierter Form vor die Klammer gezogen. So regelt das 1. Buch des BGB den sogenannten Allgemeinen Teil, der Vorschriften enthält, die in vielen verschiedenen rechtlichen Konstellationen eine Rolle spielen, auch soweit es Rechtsverhältnisse aus den weiteren Büchern des BGB betrifft. Es geht hier beispielsweise um Willenserklärungen, die Fragen der Stellvertretung und der Verjährung und vieles mehr. Soweit der Gesetzgeber nicht will, dass diese allgemeinen Regelungen in speziellen Fällen wie etwa dem Familienrecht zur Anwendung kommen, enthalten die nachfolgenden Bücher speziellere Vorschriften, die dem Allgemeinen Teil vorgehen. So ist im Familienrecht die Stellvertretung bei der Eheschließung untersagt (vgl. § 1311 BGB). Das 2. Buch enthält das Recht der Schuldverhältnisse; hier sind die grundlegenden Vertragsregelungen enthalten und bestimmte Verträge wie z. B. etwa Kaufvertrag, Werkvertrag, Dienstvertrag typisiert und teilweise besonders ausgestaltet. Das 3. Buch enthält das Sachenrecht und regelt Erwerb, Verteidigung und Belastung von Besitz und Eigentum sowie das Recht der Dienstbarkeiten, Hypotheken, Grundschulden, Reallasten und des Pfandrechts. Die Bücher 4 und 5 regeln das Familien- und das Erbrecht (s. Rn. 50).
1
Lehrbücher zum gesamten BGB Braun, Der Zivilrechtsfall, 4. Aufl. 2007; Grunewald, Bürgerliches Recht, 7. Aufl. 2006; Klunzinger, Einführung in das Bürgerliche Recht, 13. Aufl. 2007; Medicus, Bürgerliches Recht, 21. Aufl. 2007; ders., Grundwissen zum Bürgerlichen Recht, 7. Aufl. 2006; Musielak, Grundkurs BGB, 10. Aufl. 2007; Schapp/Schur, Einführung in das Bürgerliche Recht, 4. Aufl. 2006; Schwab, Einführung in das Zivilrecht, 17. Aufl. 2007.
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Kapitel 2 Falltechnik am Beispiel des Zivilrechts
Prolog: Grundstruktur einer Falllösung 13 Inhalt der zivilrechtlichen Falllösung ist die Beantwortung der Frage, ob eine Person gegen eine andere einen Anspruch aufgrund einer gesetzlichen Norm hat. Es geht also um die Frage: Wer (Gläubiger: z. B. Käufer oder Verkäufer) hat gegen wen (Schuldner) einen Anspruch auf was (Anspruch auf Leistung: z. B. Übereignung einer Sache; Zahlung des Kaufpreises, Unterlassung) woraus (gesetzliche Norm: z. B. § 433 Abs. 1 oder § 433 Abs. 2).2 Die Beantwortung dieser Fragen ergibt den Obersatz. In der weiteren Falllösung ist zu prüfen, ob dieser Obersatz mit dem Lebenssachverhalt übereinstimmt. Bei einem positiven Ergebnis besteht der überprüfte Anspruch zu Recht. Die gesetzliche Norm, aus der sich für jemanden ein Anspruch ergibt, ist die 14 Anspruchsgrundlage. Dabei ist zwischen einer gesetzlichen (Anspruch leitet sich direkt aus dem Gesetz ab) und einer vertraglichen (Anspruch entsteht erst durch einen Vertrag, der durch die gesetzliche Norm näher bezeichnet wird) Anspruchsgrundlage zu unterscheiden. Eine solche Anspruchsgrundlage beinhaltet mehrere Bedingungen. Nur wenn alle genannten Voraussetzungen erfüllt sind, steht demjenigen, der den Anspruch geltend gemacht hat, dieses Recht zu. Daher muss bei der Lösung des Falles geprüft werden, ob der Gläubiger diese 15 Voraussetzungen erfüllt hat. Dies geschieht anhand der gutachterlichen Subsumtionstechnik. Dabei wird im ersten Schritt eine Prämisse der Anspruchsgrundlage genannt. Im Folgenden wird diese Voraussetzung näher definiert. Dann wird das Verhalten des Gläubigers oder Schuldners dargestellt, und schließlich wird überprüft, ob dieses Verhalten der Voraussetzung unterfällt, es unter die Voraussetzung subsumiert werden kann. Beispiel: Falltext:
X hat mit Y einen Vertrag abgeschlossen, wonach er ihm seinen PKW übereignen sollte. Als Preis wurden 2.000 € vereinbart. Nun fordert X von Y die Zahlung der 2.000 €.
Wer:
Anspruchsinhaber, also Gläubiger ist X, da er etwas fordert.
Gegen wen:
X fordert etwas von Y. Anspruchsgegner, also Schuldner ist daher Y.
Was:
X fordert Zahlung eines Preises von 2.000 € (Anspruchsinhalt).
Woraus:
Die Pflicht, den Preis zu zahlen, könnte sich aus § 433 Abs. 2 ergeben.
Lösung:
Gem. § 433 Abs. 2 ist der Käufer verpflichtet, den Kaufpreis zu zahlen.
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Paragrafen ohne Bezeichnung sind solche des Bürgerlichen Gesetzbuches (BGB).
Prolog: Grundstruktur einer Falllösung
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Voraussetzung für diesen Anspruch ist also ein Kaufvertrag. Gemäß § 433 Abs. 1 wird durch einen Kaufvertrag der Verkäufer verpflichtet, dem Käufer eine Sache zu übergeben und Eigentum daran zu verschaffen (Definition des Kaufvertrages; hier Legaldefinition, da der Kaufvertrag im Gesetz definiert ist). X hat mit Y vereinbart, dass der PKW des X an Y übereignet werden soll (Darstellung des Lebenssachverhaltes). Vertragsgegenstand war also die Übereignung einer Sache. Damit liegt ein Kaufvertrag gemäß § 433 vor (Subsumtion). Somit hat X Anspruch auf Zahlung des vereinbarten Kaufpreises von 2.000 €.
Unter Umständen kann ein Anspruch aufgrund mehrerer Anspruchsgrundlagen 16 entstehen, bzw. eine Anspruchsgrundlage wurde erfüllt, eine andere jedoch nicht. Grundsätzlich sind alle Möglichkeiten zu überprüfen. Dabei werden zunächst vertragliche oder vertragsähnliche Ansprüche geprüft, danach gesetzliche (aufgrund des Eigentümer-Besitzer-Verhältnisses; bereicherungsrechtliche und deliktische). Der Anspruch besteht aber zu Recht, d. h. er kann auch gerichtlich durchgesetzt werden, wenn auch nur eine Anspruchsgrundlage erfüllt ist. Beispiel: D hat an E eine Bohrmaschine verkauft. Dieser benutzt sie erst nach Ablauf der kaufvertraglichen Verjährungsfrist von zwei Jahren gemäß § 438 Abs. 1 Nr. 3. Aufgrund eines Materialfehlers wird bei der späteren Benutzung ein Eichenschrank im Wert von 10.000 € beschädigt. E fordert Schadenersatz. Einem grundsätzlich aufgrund des Kaufvertrages in Betracht kommenden Anspruch aus Mängelgewährleistung steht hier die Verjährung entgegen (die D geltend machen muss). Macht D die Einrede der Verjährung geltend, so besteht dennoch ein Anspruch wegen Eigentumsverletzung gemäß § 823 Abs. 1, falls E ein Verschulden des D nachweisen kann. Übersicht 2.1: Lösungstechnik Bildung des Obersatzes:
Anwendung der gutachterlichen Subsumtionstechnik:
Prüfungsreihenfolge:
Wer: Gegen wen: Was:
Gläubiger des Anspruchs bezeichnen. Der Anspruchsgegner = Schuldner ist zu nennen Benennung des sich aus der Fallfrage ergebenden Anspruchsziels. Woraus: Die Anspruchsgrundlage, gesetzliche Norm, aus der sich Anspruch ergibt, muss benannt werden. x Voraussetzung der Anspruchsgrundlage wird genannt. x Genannte Voraussetzung wird definiert (näher erläutert). x Sachverhalt (bzw. Sachverhaltsausschnitt) wird dargelegt. x Es wird geprüft, ob der Sachverhalt die genannte und definierte Voraussetzung erfüllt. x Vertragliche Ansprüche (Vertragsbestimmungen, gesetzliche Bestimmungen) x culpa in contrahendo (Ansprüche wegen vorvertraglicher Sorgfaltspflichten, vgl. § 311 Abs. 2 und 3) x (Berechtigte) Geschäftsführung ohne Auftrag (§§ 677 ff., bei Leistungen ohne Vertrag, Auftrag) x dingliche Ansprüche (insbes. §§ 985 ff.: Sonderbeziehung des Besitzers zum Eigentümer) x ungerechtfertigte Bereicherung (§§ 812 ff.) x deliktische Ansprüche (insbes. §§ 823 ff.)
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Kapitel 2 Falltechnik am Beispiel des Zivilrechts
Übersicht 2.2: Prüfungsaufbau bei vertraglichen Ansprüchen
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I.
Der Anspruch muss entstanden sein 1. Vorliegen einer Willenseinigung a) Durch persönliche Erklärungen der Parteien b) Durch Vertreter 2. Keine Nichtigkeitsgründe a) Mangelnde Geschäftsfähigkeit (§§ 104 ff.) b) Verstoß gegen Formvorschriften (§ 125) c) Verstoß gegen gesetzliches Verbot (§§ 134, 138) d) Anfechtung (§ 142) e) Widerruf bei Haustürgeschäften (§§ 312, 355), bei Fernabsatzverträgen (§§ 312b, 355) oder Rückgabe nach § 356 II. Der Anspruch darf nicht (in seiner ursprünglichen Gestalt) untergegangen sein 1. Erfüllung (§ 362) oder Erfüllungssurrogate 2. Vereinbarung zwischen Parteien 3. Unmöglichkeit (§§ 275, 326) 4. Einseitige rechtsverändernde Erklärung (z. B. Rücktritt gemäß § 346 oder gemäß § 323 wegen nicht oder nicht vertragsgemäß erbrachter Leistung) 5. Eingreifen des vertraglichen Gewährleistungsrechts (Schadenersatz nach §§ 280 ff., Minderung im Kaufrecht nach § 441, Kündigung) 6. Auflösende Bedingung (§ 158); Zeitablauf (§ 163) und ähnliches 7. Wegfall der Geschäftsgrundlage (§ 313) III. Der Anspruch muss durchsetzbar sein3 1. Dem Anspruch dürfen keine Einreden entgegenstehen a) Peremptorische (auf Dauer ausschließende) Einreden (z. B. Verjährung gemäß § 214) b) Dilatorische (aufschiebende) Einreden (z. B. § 326: Nichterfüllung des Gegenanspruchs) 2. Die Durchsetzung des Anspruchs darf nicht gegen Treu und Glauben (§ 242) verstoßen. IV. Rechtsfolgen: Leistung muss erbracht werden (Hauptleistungspflicht)
Fall 1: Umzug bringt Verzug4 19 A ist ein äußerst begabter Student des Maschinenbaus und fühlt sich bereits in der Lage, kleine Anlagen zu konstruieren. C, der Vater eines Studienfreundes, ist Inhaber eines Ingenieurbüros. Er hat durch seinen Sohn S von der Begabung des A gehört. Da sich seine Firma an der Ausschreibung für die Planung eines umfangreichen Projektes beteiligt, gibt er dem S den Auftrag, A zu fragen, ob er für die Ausschreibung ein paar Skizzen anfertigen möchte. A überlegt sich die Antwort einige Zeit. C hat die Angelegenheit schon fast vergessen, als er drei Wochen später einen Anruf des A erhält. A will nun von C die zur Erstellung der Pläne notwendigen Daten haben. C ist darüber sehr erfreut 3
4
Die hierunter fallenden Punkte werden nicht ausführlich, sondern nur im Rahmen der einzelnen Falllösungen behandelt. Dieser Fall behandelt Probleme, die im folgenden Kapitel 3 vor allem ab Rn. 55 näher behandelt werden. Für ein besseres Verständnis des Falles empfiehlt sich daher eine Lektüre dieses Abschnitts.
Prolog: Grundstruktur einer Falllösung
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und sagt zu, ihm die Daten durch seinen Sohn S zu übermitteln. Die beiden einigen sich darauf, dass A innerhalb der nächsten Woche eine erste Zeichnung abgeben solle, wenn er an der Aufgabe interessiert sei. A erhält von S die Daten und hat bereits fünf Tage später eine Zeichnung fertig, die er sofort zur Post gibt. In dieser Woche kommt es allerdings wegen der anstehenden Tarifverhandlungen bei der Post AG zu Warnstreiks, wodurch sich die Briefbeförderung verzögert. Daher kommt die Zeichnung erst nach insgesamt zehn Tagen bei C an. Im Laufe der nächsten Zeit treffen in dem Ingenieurbüro mehrere Zeichnungen des A ein, die sich als brauchbar erweisen und in das Angebot des Büros einfließen. Dennoch erhält ein anderes Unternehmen den Auftrag. A hat über mehrere Wochen intensiv an den Plänen gearbeitet. Nachdem er sich bei seinem älteren Bruder, der selbst als Maschinenbauingenieur arbeitet, erkundigt hat, fordert er von C 1.800 €, was der üblichen Summe für derartige Arbeiten entspricht. C zeigt sich von der Forderung überrascht und meint, wegen der verspäteten Abgabe der ersten Zeichnung sei gar keine gültige Vereinbarung entstanden. Jedenfalls wolle er nichts zahlen, da er nicht geglaubt hätte, A würde für die Zeichnungen Geld verlangen. A fragt nun seinen Onkel, einen Rechtsanwalt, ob er von C sein Geld bekommen kann. Lösungsaufbau: Anspruch des A gegen C auf Zahlung von 1.800 € aus § 631 Abs. 1 i. V. m. § 640 20 Abs. 1 I. Bestehen eines Werkvertrages gemäß § 631 Abs. 1 1. Einigung zwischen C und A a) Angebot des C durch Frage an A aa) Abgabe der Willenserklärung bb) Zugang (1) Abgabe an S (2) Übermittlung an A b) Annahme des A durch Anruf bei C aa) Willenserklärung des A bb) Einhaltung der Annahmefrist gemäß § 147 Abs. 2 c) Angebot des C innerhalb des Telefongesprächs d) Annahme des A mit Abgabe der Zeichnung aa) Annahmeerklärung des A bb) Einhaltung der gemäß § 148 vereinbarten Annahmefrist cc) Wirkung des § 149 bei unverschuldeter Verspätung 2. Möglicher Dissens 3. Ausfüllen der Regelungslücke 4. Ergebnis II. Fälligkeit der Vergütung gemäß § 641 Abs. 1 III. Ergebnis
Lösungsvorschlag: Ein Anspruch des A gegen C auf Zahlung einer Vergütung in Höhe von 1.800 € 21 setzt zunächst einen gemäß § 631 Abs. 1 BGB gültigen Werkvertrag mit C voraus. Bei Bestehen eines Werkvertrages kann A die Vergütung von C nach Abnahme der geschuldeten Werke gemäß § 641 i. V. m. § 640 verlangen.
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Kapitel 2
Falltechnik am Beispiel des Zivilrechts
I.
Bestehen eines Werkvertrages gemäß § 631 Abs. 1
22 Gegenstand eines Werkvertrages kann gemäß § 631 Abs. 2 ein durch Arbeit oder Dienstleistung herbeizuführender Erfolg sein. Aufgrund der Absprache mit C hat A für dessen Firma mehrere Konstruktionszeichnungen angefertigt. Folglich könnten A und C einen Werkvertrag gemäß § 631 Abs. 1 geschlossen haben. 1.
Einigung zwischen C und A
23 Voraussetzung dafür ist gemäß §§ 145 ff. eine Willenseinigung des A mit C bezüglich eines Werkvertrages. Dann müssten beide inhaltsgleiche Willenserklärungen ausgetauscht haben. a)
Angebot des C durch Frage an A
24 Bei der zeitlich ersten Willenserklärung handelt es sich um das Vertragsangebot. Zu prüfen ist daher, ob die Frage des C ein Angebot darstellt, indem es die Voraussetzungen eines Werkvertrages hinreichend festlegt. Durch einen Werkvertrag verpflichtet sich ein Unternehmer, für den Besteller ein Werk zu erbringen. Vertragsgegenstand ist damit ein Leistungserfolg des Unternehmers. C hat an den A die Frage gerichtet, ob er für ihn einige Zeichnungen für ein Projekt anfertigen wolle. Parteien und Leistung sind damit durch die Erklärung des C festgestellt.5 aa)
Abgabe der Willenserklärung
25 C müsste dieses Angebot willentlich in Richtung auf den A in den Verkehr gebracht haben. C hat seinen Sohn gebeten, das Angebot dem A zu unterbreiten. Damit hat er es abgegeben. bb)
Zugang
26 Die Willenserklärung des C müsste dem A gemäß § 130 zugegangen sein. (1)
Abgabe an S
27 S sollte für C dessen Willenserklärung dem A überbringen. Damit handelte S als Erklärungsbote des C.6 Ein Erklärungsbote steht im Machtbereich des Erklärenden. Mit der Abgabe der Willenserklärung an S ist das Angebot des C dem A also noch nicht zugegangen.
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6
Die Frage nach der Gegenleistung kann u. U. ungeklärt bleiben und im Wege der Lückenfüllung gelöst werden; s.u. Rn. 74 ff. Darin liegt die Abgrenzung zur Stellvertretung. Der Stellvertreter gibt eine eigene Willenserklärung ab. Die Unterscheidung liegt inhaltlich im Spielraum, den die Person bei Abschluss des Geschäftes hat. Näheres dazu u. Rn. 124 ff.
Prolog: Grundstruktur einer Falllösung
(2)
11
Übermittlung an A
S hat das Angebot des C dem A mündlich übermittelt. Unter Anwesenden gilt eine 28 Willenserklärung nach h. M.7 als zugegangen, wenn der Erklärungsempfänger diese verstanden hat, oder der Erklärende davon ausgehen konnte, dass der andere sie verstehen konnte. Indem A das Angebot durch S zu Gehör bekam, ging die Erklärung zu. b)
Annahme des A durch Anruf bei C
Für eine erfolgreiche Einigung ist es notwendig, dass der Empfänger eines Ange- 29 botes dieses durch eine eigene empfangsbedürftige Willenserklärung annimmt. aa)
Willenserklärung des A
A hat dem C im Telefongespräch zu verstehen gegeben, dass er die erwünschten 30 Zeichnungen erstellen wolle. Darin könnte eine Annahmeerklärung zu sehen sein. bb)
Einhaltung der Annahmefrist gemäß § 147 Abs. 2
Voraussetzung für eine gültige Annahmeerklärung ist allerdings die Einhaltung 31 der dafür festgelegten Frist. Einschlägig ist hier § 147 Abs. 2, denn C hat dem A sein Angebot durch S überbringen lassen, sodass ein Angebot unter Abwesenden gemacht wurde. Wenn der Antragende keine Frist festgelegt hat, muss die Annahme gemäß § 147 Abs. 2 innerhalb des Zeitraumes erfolgen, in dem der Antragende eine Annahme unter regelmäßigen Umständen noch erwarten darf. Zwar ist dem A eine Bedenkzeit einzuräumen, denn er muss sich darüber im Klaren werden, ob er die sicher zeitaufwändigen Arbeiten zur Erstellung der Zeichnungen auf sich nehmen will. Auf der anderen Seite ist aber auch C in seiner Dispositionsfreiheit zu schützen. Bei einer Frist von drei Wochen würde C in unzulässiger Weise an sein Angebot gebunden. Somit erfolgt die Annahme des A verspätet. c)
Angebot des C innerhalb des Telefongesprächs
Allerdings hat C, indem er A zusicherte, die für die Erfüllung eines möglichen 32 Werkvertrages notwendigen Daten zu übermitteln, deutlich gemacht, dass er weiterhin an einer Einigung mit ihm interessiert sei. Darin liegt folglich ein erneutes Angebot des C. d)
Annahme des A mit Abgabe der Zeichnung
A müsste dieses Angebot schließlich wirksam angenommen haben. C hat als gül- 33 tige Annahme den Zugang einer ersten Zeichnung innerhalb einer Woche festgelegt. Er hat also gemäß § 151 Abs. 1 S. 1 auf eine ausdrückliche Annahmeerklärung verzichtet; stattdessen sollte ihm die erste Zeichnung zugehen. Gemäß § 148 kann die Annahme aber nur innerhalb der von C bestimmten Frist erfolgen.
7
BGHZ 67, 271 (275); Palandt/Heinrichs, Bürgerliches Gesetzbuch, 67. Aufl. 2008, § 130, Rn. 5.
12
Kapitel 2
Falltechnik am Beispiel des Zivilrechts
aa)
Annahmeerklärung des A
34 A hat eine Zeichnung fertiggestellt und zur Post gebracht. In der Abgabe der Zeichnung ist aufgrund des Gespräches mit C somit die Abgabe einer konkludenten Annahmeerklärung zu sehen. bb)
Einhaltung der gemäß § 148 festgelegten Annahmefrist
35 Die Zeichnungen gingen dem C jedoch nicht innerhalb der einwöchigen Frist, die er gemäß § 148 festgesetzt hatte, zu, sondern erst nach zehn Tagen. Damit ist die Annahme grundsätzlich verspätet und somit unwirksam. cc)
Wirkung des § 149 bei unverschuldeter Verspätung
36 § 149 enthält jedoch eine Sonderregelung für den Fall, dass die Annahme rechtzeitig abgesendet wurde und der Zugang nur durch eine Transportverzögerung verspätet war. Danach muss der Erklärungsempfänger dem Annehmenden die Verspätung unverzüglich anzeigen, wenn er den Verspätungsgrund erkennen musste. Verzögert er diese Anzeige, dann gilt gemäß Satz 2 der Vorschrift die Annahme als nicht verspätet. A hat die Zeichnungen bereits nach fünf Tagen zur Post gebracht. Bei einer 37 normalen Beförderungsdauer wären die Zeichnungen innerhalb einer Woche angekommen. Die Verspätung war folglich in den Warnstreiks begründet. C konnte zum einen an dem Poststempel den Abgabetermin erkennen und musste zum anderen aufgrund der Berichterstattung in den Medien von der unplanmäßigen Verzögerung Kenntnis haben. Damit musste er dem A die Verspätung unverzüglich anzeigen. Dies hat er jedoch unterlassen. Gemäß § 149 S. 2 gilt die Annahmeerklärung bei einer verspäteten und damit 38 erst Recht bei einer unterlassenen Anzeige des Empfängers als rechtzeitig zugegangen. Somit hat A das Angebot des C wirksam angenommen. 2.
Möglicher Dissens
39 A und C haben sich jedoch nicht über eine Gegenleistung des C als Besteller geeinigt, was beiden auch bewusst war. Gemäß § 154 Abs. 2 S. 1 gilt bei einem offenen Einigungsmangel der Vertrag im Zweifel als nicht geschlossen. Ein Werkvertrag zwischen A und C kommt damit nur in Betracht, wenn deutlich wird, dass beide Parteien dennoch an dem Vertrag festhalten wollen. A hat für C trotz der fehlenden Vergütungsabrede dennoch die vereinbarten 40 Zeichnungen erstellt, die auch von C angenommen und für die Ausschreibung verwendet wurden. Damit haben beide Parteien deutlich gemacht, dass sie den Vertrag als verbindlich ansehen, womit ein Dissens auszuschließen ist. Die spätere Ansicht des C, es sei überhaupt nicht zu einer verbindlichen Einigung gekommen, unterfällt dem aus § 242 herzuleitenden Verbot des widersprüchlichen Verhaltens. 3.
Ausfüllen der Regelungslücke
41 Demnach ist zu prüfen, inwiefern die Vergütung aufgrund der Auslegung des Vertrages und dispositiver gesetzlicher Regeln zu ermitteln ist. C macht geltend, dass überhaupt keine Vergütung erfolgen sollte. Dem steht jedoch § 632 Abs. 1
Prolog: Grundstruktur einer Falllösung
13
entgegen, wonach eine Vergütung als stillschweigend vereinbart gilt, wenn die Herstellung des Werkes den Umständen nach nur gegen Vergütung zu erwarten ist. A hat für C Planungsarbeiten erbracht, die in einem akademischen Studium erworbene Kenntnisse erfordern. Zudem hat er in diese Arbeit einen nicht unerheblichen Zeitraum investiert. Damit gilt gemäß § 632 Abs. 1 eine Vergütung als vereinbart. Die Vergütungshöhe bestimmt sich dann gemäß § 632 Abs. 2 nach der üblichen Vergütung. Diese betrug 1.800 €. 4.
Ergebnis
Zwischen A und C ist ein Werkvertrag gemäß § 631 Abs. 1 zustande gekommen. 42 Dieser ist anhand des § 632 so auszulegen, dass für die Zeichnungen eine Vergütung in Höhe von 1.800 € zu zahlen ist. II.
Fälligkeit der Vergütung gemäß § 641 Abs. 1
Gemäß § 641 Abs. 1 wird die Vergütung fällig, wenn der Besteller das Werk ge- 43 mäß § 640 Abs. 1 abgenommen hat. C hat die Zeichnungen des A in seine Ausschreibung aufgenommen und damit als vertragsgemäß angenommen. Somit ist die Vergütung auch fällig geworden. III.
Ergebnis
Die aufgrund des Werkvertrages mit C vereinbarte Vergütung des A ist durch die 44 erfolgte Abnahme der Zeichnungen fällig geworden. Somit hat A gegen C einen Anspruch auf Zahlung von 1.800 €.
Kapitel 3
BGB Allgemeiner Teil
Das bürgerliche Recht gilt für jedermann, während z. B. das Handelsrecht im HGB ein Sonderrecht für Kaufleute darstellt.1 Das BGB wurde bereits im Deutschen Reich 1896 verabschiedet und ist seit dem 1. Januar 1900 in Kraft. Es wurde seitdem vielfach modifiziert, ohne dass jedoch seine Grundstruktur verändert wurde. Es bildet damit weiterhin die Grundlage einer liberalen Wirtschaftsordnung. Eine wesentliche Änderung erfolgte zum 1. Januar 2002 durch das Schuldrechtsmodernisierungsgesetz (vom 26. November 2001, BGBl. I S. 3138), mit dem das Schuldrecht z. T. jahrelang gewachsene Grundstrukturen geändert hat;2 deshalb sei Vorsicht geboten bei der Lektüre älterer Lehrbücher zum Schuldrecht, denn sie könnten in Teilen veraltet sein.3 Das BGB beginnt mit dem Allgemeinen Teil, der die Grundregeln für das nachfolgende spezielle Gesetzesrecht schafft. Es folgt das Schuldrecht als Sonderrecht für vertragliche und gesetzliche Beziehungen zwischen im Regelfall zwei Parteien (Schuldner und Gläubiger). Der Allgemeine Teil des BGB enthält all diejenigen Vorschriften, die auch für die anderen Teile (Bücher) des BGB gelten. Daher kann man auch davon sprechen, diese Vorschriften seien „vor die Klammer“ gezogen. Dabei ist aber die für unsere gesamte Rechtsordnung maßgebliche Regel zu beachten, dass das spezielle Recht dem allgemeinen vorgeht, sodass eventuell vorhandene Spezialregeln in den weiteren Büchern Vorrang vor den allgemeinen Vorschriften des Allgemeinen Teils haben.4 Zivilrechtliche Ansprüche richten sich immer gegen Personen. Als solche unterscheidet das BGB in seinen ersten Paragrafen zwischen natürlichen und juristischen Personen.5 Natürliche Personen sind immer einzelne Menschen. Im Bereich des Wirtschaftslebens haben wir es häufig mit juristischen Personen des Privat1 2
3
4 5
Dazu näher in Kapitel 6. S. dazu Palandt/Heinrichs, Bürgerliches Gesetzbuch, 67. Aufl. 2008, Einleitung, Rn. 10. Aktuelle Lehrbücher zum Allgemeinen Teil des BGB: Brox, Allgemeiner Teil des BGB, 31. Aufl. 2007; Diederichsen/Wagner, Die BGB-Klausur, 10. Aufl. 2007; Fritzsche, Fälle zum BGB – Allgemeiner Teil, 2. Aufl. 2006; Hirsch, Der allgemeine Teil des BGB, 5. Aufl. 2004; Köhler, BGB Allgemeiner Teil, 31. Aufl. 2007; Larenz/Wolf, Allgemeiner Teil des Bürgerlichen Rechts, 9. Aufl. 2004; Lindacher/Hau, Fälle zum Allgemeinen Teil des BGB, 4. Aufl. 2005; Löwisch/Neumann, Allgemeiner Teil des BGB, 7. Aufl. 2004; Rüthers/Stadler, Allgemeiner Teil des BGB, 15. Aufl. 2007. Palandt/Heinrichs, Bürgerliches Gesetzbuch, 67. Aufl. 2008, Einleitung, Rn. 6 bis 8. Näheres zum Gesellschaftsrecht in Kapitel 7.
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Kapitel 3
BGB Allgemeiner Teil
rechts zu tun wie der GmbH, der AG, der KG oder Mischformen wie der GmbH & Co. KG. All diese juristischen Personen können unter ihrem Namen am Rechtsverkehr teilnehmen, also Verträge schließen und sich Dritten gegenüber haftbar machen. Ihre Rechtsfähigkeit entspricht weitgehend der Rechtsfähigkeit von natürlichen Personen, d. h. sie können Besitzer, Bevollmächtigte, Testamentsvollstrecker und Mitglied einer juristischen Person sein.6 Die Gesellschaften handeln durch sogenannte Organe (Vorstände, Geschäftsführer) und durch berufene Vertreter und Hilfspersonen. Wer beispielsweise als Einkaufsleiter einer GmbH bestimmte Produkte einkauft, tut dies nicht für sich privat, sondern für sein Unternehmen. Demgemäß schuldet auch nur die GmbH, nicht der Einkaufsleiter persönlich, den Kaufpreis, vorausgesetzt, er hat die Grenzen seiner Vertretungsmacht nicht überschritten. Die Anerkennung der Rechtsfigur der juristischen Person bedeutet, dass ihre 49 Rechte und Pflichten nicht zugleich solche ihrer Mitglieder sind. Für Schulden haftet alleine das Vermögen der juristischen Person, nicht das der Gesellschafter, das gilt auch für die Ein-Mann-GmbH.7 Um der missbräuchlichen Verwendung juristischer Personen entgegenzutreten, lässt die Rechtsprechung in bestimmten Ausnahmefällen die Durchgriffshaftung auf das Vermögen der Gesellschafter zu, so bei qualifizierter Unterkapitalisierung,8 Vermögensvermischung und bei existenzvernichtenden Eingriffen,9 wenn der Gesellschafter keine angemessene Rücksicht auf die Eigeninteressen der Gesellschaft nimmt. Dazu gehören insbesondere die Kapitalerhaltungsregelungen. Neuerdings wendet der BGH10 anstelle der Rechtsfigur des existenzvernichtenden Eingriffs die Deliktsvorschrift des § 826 an, wonach der Gesellschafter seiner Gesellschaft gegenüber zum Schadenersatz verpflichtet ist, wenn er deren Vermögen vorsätzlich sittenwidrig schädigt. Das nimmt der BGH dann an, wenn der Gesellschafter seiner Gesellschaft Vermögen entzieht, sodass die Gesellschaft über kurz oder lang in die Insolvenz gerät.11
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10 11
Palandt/Heinrichs, Bürgerliches Gesetzbuch, 67. Aufl. 2008, Einf. v. § 21, Rn. 9. Palandt/Heinrichs, Bürgerliches Gesetzbuch, 67. Aufl. 2008, Einf. v. § 21, Rn. 12. OLG Dresden, NZG 2000, 598. BGHZ 149, 10 = NJW 2001, 3622 = ZIP 2001, 1874 („Bremer Vulkan“); BGH NJW 2002, 3024 („KBV-Urteil“); dazu Karsten Schmidt, NJW 2001, 3577 ff.; Altmeppen, NJW 2002, 321 ff.; Wilhelm, NJW 2003, 175 ff.; Janert, MDR 2003, 724 ff. BGH, NJW 2007, 2689; dazu Altmeppen, NJW 2007, 2657 ff. Dazu Leuering/Rubner, NJW-Spezial 2007, 363 f.
Kapitel 3 BGB Allgemeiner Teil
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Übersicht 3.1: Struktur des BGB 1. Buch: 2. Buch:
3. Buch: 4. Buch: 5. Buch:
Allgemeiner Teil: §§ 1–240 Insbesondere: Rechtsgeschäfte (§§ 104–185) Recht der Schuldverhältnisse: §§ 241–853 Schuldrecht Allgemeiner Teil (§§ 241–432) Schuldrecht Besonderer Teil (§§ 433–853) Insbesondere: Kaufvertrag (§§ 433–479) Miet- und Pachtvertrag (§§ 535–597) Werkvertrag (§§ 631–651) Ungerechtfertigte Bereicherung (§§ 812–822) Unerlaubte Handlungen (§§ 823–853) Sachenrecht: §§ 854–1296 Familienrecht: §§ 1297–1921 Erbrecht: §§ 1922–2385
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Bei Rechtsgeschäften ist zwischen einseitigen und mehrseitigen zu unterscheiden. 51 Bei einseitigen Rechtsgeschäften (z. B. Auslobung, Kündigung) wird die Rechtsfolge nur von einer Person herbeigeführt, während mehrseitige – zumeist sind es zweiseitige – Rechtsgeschäfte (z. B. Kauf, Dienst-, Werk-, Reisevertrag) das Zusammenwirken von mindestens zwei Personen voraussetzen. Notwendige Bedingung für ein Rechtsgeschäft ist immer, dass eine Person den 52 Willen zum Ausdruck bringt, eine rechtliche Wirkung zu erzielen. Diese Handlung nennt man eine Willenserklärung. Während es für ein einseitiges Rechtsgeschäft ausreichend ist, wenn eine Willenserklärung abgegeben wird, sind bei einem zweiseitigen Rechtsgeschäft grundsätzlich zwei empfangsbedürftige Willenserklärungen notwendig. Ein Vertrag, durch den ein Erfüllungsanspruch entsteht, wird Verpflichtungsge- 53 schäft genannt, weil der Schuldner sich hier dem Gläubiger verpflichtet. Im deutschen Recht ist aufgrund des Abstraktionsprinzips die Erfüllung selbst streng davon zu trennen. Besteht die Erfüllung darin, eine sachenrechtliche Rechtsänderung (Verfügung) zu erreichen, ist dazu ein weiterer Vertrag nötig. Dieses Rechtsgeschäft ist das sogenannte Erfüllungsgeschäft. Für diesen Vertrag bildet das Verpflichtungsgeschäft den notwendigen Rechtsgrund (die causa). Stellt sich später heraus, dass ein Verpflichtungsgeschäft nicht vorgelegen hat oder der Vertrag ungültig war, so bleibt das Verfügungsgeschäft aufgrund des Trennungsprinzips weiterhin wirksam. Allerdings regeln die §§ 812 ff., dass der ohne Rechtsgrund Verfügende einen Anspruch auf Rückübertragung geltend machen kann.12 Beispiel: A ist Alkoholiker. Volltrunken schließt er mit B einen Kaufvertrag gemäß § 433 über ein Buch. Wieder nüchtern, übereignet er am nächsten Tag dem B dieses Buch gemäß § 929. Der Kaufvertrag war nichtig, da A wegen seiner vorübergehenden Störung der Geistestätigkeit gemäß § 105 Abs. 2 keine wirksame Willenserklärung abgeben konnte. Bei der Übereignung des Buches war er jedoch wieder voll geschäftsfähig. Damit ist das Verfügungsgeschäft (Übereignung des Buches) wirksam. Allerdings fehlt es wegen der Nichtigkeit des Kaufvertrages an einem Rechtsgrund für die Verfügung. Somit kann 12
Palandt/Sprau, Bürgerliches Gesetzbuch, 67. Aufl. 2008, § 812, Rn. 3.
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Kapitel 3
BGB Allgemeiner Teil
A von B gemäß § 812 Abs. 1 S. 1 1. Fall die (Rück-)Übereignung des Buches verlangen.
54 Bei einer Falllösung sind zunächst immer vertragliche bzw. rechtsgeschäftliche Ansprüche zu prüfen.
A. Die Vertragsentstehung 55 Ein Vertrag kommt in der Regel durch Angebot gemäß § 145 und Annahme gemäß § 146 zustande. Das Angebot auf Abschluss eines Vertrages muss von der anderen Partei angenommen werden. Daneben können beide Parteien auch eine gemeinsame Erklärung formulieren, z. B. gemeinsam einen Vertragstext aufsetzen und unterzeichnen. I.
Die Willenserklärung
56 Ein solches Angebot muss, wie auch die Annahme, sämtliche Tatbestandsmerkmale einer empfangsbedürftigen Willenserklärung enthalten. Der äußere Tatbestand einer Willenserklärung setzt voraus: • den Handlungswillen; dieser liegt vor, wenn der Erklärende nach dem äußeren Erscheinungsbild bewusst tätig wird; • den Rechtsbindungswillen; für einen objektiven Erklärungsempfänger ist erkennbar, dass der Erklärende eine rechtliche Bindung erstrebt; • den bestimmten Geschäftswillen; d. h. die wesentlichen Voraussetzungen eines Rechtsgeschäftes sind durch die Erklärung festgelegt. 57 Der innere Tatbestand der Willenserklärung ist gegeben, wenn der äußere Tatbestand dem Erklärenden zuzurechnen ist. Dazu müssen folgende Elemente vorliegen: • das Handlungsbewusstsein, d. h. der Erklärende muss bewusst handeln; • das Erklärungsbewusstsein, d. h. der Erklärende muss sich bewusst sein, dass seine Handlung rechtliche Folgen bewirkt. II.
Wirksamwerden der Willenserklärung
58 Das Aussprechen oder Niederschreiben einer Willenserklärung reicht für deren Wirksamkeit noch nicht aus. Aus § 130 ergibt sich, dass eine empfangsbedürftige Willenserklärung von dem Erklärenden abgegeben werden und dem Erklärungsempfänger zugehen muss, ohne dass sie vorher oder zeitgleich widerrufen wurde.
A. Die Vertragsentstehung
1.
19
Abgabe
Die Abgabe einer Willenserklärung liegt vor, wenn sie vom Erklärenden willent- 59 lich so in den Verkehr, also in Richtung auf den Empfänger, gebracht wird, dass ohne sein weiteres Zutun der Zugang beim Empfänger eintreten kann.13 Dies ist bei (fern-)mündlichen Erklärungen mit dem Aussprechen geschehen, während bei einer schriftlichen Erklärung gegenüber einem Abwesenden das Schriftstück abgeschickt werden muss. 2.
Zugang
Mit dem Zugang wird die Willenserklärung gemäß § 130 Abs. 1 S. 1 wirksam. Bei 60 einer (fern-)mündlichen Erklärung reicht dafür aus, dass der Erklärende davon ausgehen kann, dass der Erklärungsempfänger diese verstehen konnte.14 Die schriftliche Willenserklärung ist zugegangen, wenn sie so in den Machtbereich des Empfängers gelangt ist, dass dieser unter normalen Umständen davon Kenntnis nehmen kann.15 Dabei kommt es nicht auf die tatsächliche Kenntnisnahme an, sondern auf die theoretische Möglichkeit dazu. Das ist nicht der Fall, wenn der Erklärende weiß, dass der Empfänger im konkreten Fall diese Möglichkeit nicht besitzt. Beim Zugang einer Willenserklärung können Hilfspersonen eingesetzt werden. 61 Hat der Erklärungsempfänger seinen Machtbereich so organisiert, dass ein Dritter zur Entgegennahme der Erklärung gemäß § 164 bevollmächtigt wurde, so ist diese Person sein Empfangsvertreter. Die Erklärung gilt dann zu dem Zeitpunkt und mit dem Inhalt als zugegangen, wie der Vertreter sie erhalten hat. Auf die Weitergabe an den Vertretenen kommt es nicht an.16 Ist der Dritte lediglich zur Übermittlung der Willenserklärung befugt, so handelt es sich um einen Empfangsboten. Die Erklärung ist hier erst dann zugegangen, wenn mit der Möglichkeit der Weiterleitung an den Empfänger selbst zu rechnen ist.17 Kann der Dritte dagegen nach der Verkehrsanschauung nicht als eine vom Empfänger eingesetzte Empfangsperson betrachtet werden, so ist dieser nur Erklärungsbote. Die Erklärung ist durch die Übergabe an eine solche Person noch nicht in den Machtbereich des Empfängers gelangt. Das Übermittlungsrisiko liegt daher noch beim Erklärenden.18 Probleme entstehen dann, wenn der Empfänger den Zugang einer Willenserklä- 62 rung verhindert. Dabei ist zwischen einer berechtigten und einer unberechtigten Zugangsverhinderung zu unterscheiden. Ist die Verweigerung berechtigt, etwa wenn ein Brief nicht ausreichend frankiert wurde und der Empfänger Nachporto 13
14 15
16 17
18
BGH NJW 1979, 2032; Palandt/Heinrichs, Bürgerliches Gesetzbuch, 67. Aufl. 2008, § 130, Rn. 4. H.M., etwa Palandt/Heinrichs, Bürgerliches Gesetzbuch, 67. Aufl. 2008, § 130, Rn. 14. BGHZ 67, 271 (275); BGH, NJW 1993, 1093; Palandt/Heinrichs, Bürgerliches Gesetzbuch, 67. Aufl. 2008, § 130, Rn. 5. Palandt/Heinrichs, Bürgerliches Gesetzbuch, 67. Aufl. 2008, § 130, Rn. 8. BGH, NJW-RR 1989, 757; Palandt/Heinrichs, Bürgerliches Gesetzbuch, 67. Aufl. 2008, § 130, Rn. 9. Palandt/Heinrichs, Bürgerliches Gesetzbuch, 67. Aufl. 2008, § 130, Rn. 9.
20
Kapitel 3
BGB Allgemeiner Teil
zu zahlen hat, geht sie zulasten des Erklärenden: Die Willenserklärung ist dann nicht wirksam zugegangen.19 Bei einer unberechtigten Verweigerung hat der Erklärende ein Wahlrecht. Entweder kann er das Wirksamwerden seiner Erklärung verhindern, indem er nichts unternimmt, oder er tätigt einen erneuten Zugangsversuch. Eine daraus resultierende Verspätung wird ihm nicht angerechnet. Verweigert der Erklärungsempfänger den Zugang jedoch arglistig, ist dieser zumindest nach einem erneuten Zugangsversuch so zu behandeln, als wenn die Erklärung zugegangen wäre (Zugangsfiktion).20 Davon zu unterscheiden ist eine Zugangsverspätung. Hatte der Empfänger eine 63 Obliegenheit, den rechtzeitigen Zugang zu ermöglichen, muss sich der Erklärende eine Zugangsverspätung nicht anrechnen lassen.21 Dagegen geht die Verspätung zu seinen Lasten, wenn sie in seinen Verantwortungsbereich fällt. Wer auf einen Telefaxanschluss hinweist, muss sicherstellen, dass sein Gerät einsatzbereit ist, und wer per E-Mail am geschäftlichen Verkehr teilnimmt, der muss für die Zeit seiner Abwesenheit einen Empfangsbevollmächtigten bestellen, damit Nachrichten ihm rechtzeitig zugehen.22 Holt der Empfänger eines Einschreibebriefes diesen trotz ordnungsgemäßer Benachrichtigung nicht ab, obwohl ihm das möglich gewesen wäre, so wird er sich im Regelfall so behandeln lassen müssen, als sei ihm die Erklärung am übernächsten Werktag nach der Benachrichtigung zugegangen.23 3.
Widerruf
64 Der Erklärende kann ein Wirksamwerden seiner bereits abgegebenen Willenserklärung verhindern, wenn dem Erklärungsempfänger vor oder zeitgleich mit dem Zugang seiner Erklärung ein Widerruf gemäß § 130 Abs. 1 S. 2 zugeht. III. Willenseinigung 65 Notwendig für einen Vertragsschluss ist die Willenseinigung von mindestens zwei Personen. Eine Willenseinigung liegt dann vor, wenn diese inhaltlich übereinstimmende Willenserklärungen abgegeben haben, die dem anderen zugegangen sind, wobei die zeitlich erste Erklärung das Vertragsangebot und die darauf nachfolgende die Vertragsannahme beinhaltet.
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22 23
OVG Hamburg, NJW 1995, 3137; Palandt/Heinrichs, Bürgerliches Gesetzbuch, 67. Aufl. 2008, § 130, Rn. 16. BGH, NJW 1983, 929 (930); Palandt/Heinrichs, Bürgerliches Gesetzbuch, 67. Aufl. 2008, § 130, Rn. 18. BGHZ 67, 271 (278); BGH, NJW 1996, 1967; Palandt/Heinrichs, Bürgerliches Gesetzbuch, 67. Aufl. 2008, § 130, Rn. 18. Palandt/Heinrichs, Bürgerliches Gesetzbuch, 67. Aufl. 2008, § 130, Rn. 17. Palandt/Heinrichs, Bürgerliches Gesetzbuch, 67. Aufl. 2008, § 130, Rn. 18; LG Freiburg, NJW-RR 2004, 1377.
A. Die Vertragsentstehung
1.
21
Angebot
Unter einem Vertragsangebot versteht man eine Willenserklärung, die bereits alle notwendigen Bestandteile (essentialia negotii: Parteien, Leistung und Gegenleistung) des abzuschließenden Vertrages erfasst, sodass zur Annahme die bloße Zustimmung des anderen ausreicht.24 Dabei ist die Erklärung gemäß §§ 133, 157 so auszulegen, wie sie ein gedachter objektiver Empfänger verstehen würde. Für ein Angebot ist es damit auch ausreichend, wenn sich die Vertragsbestandteile aus dem Kontext eindeutig ergeben (s. Fall 1 Rn. 41 f.) Da der Antragende gemäß § 145 an sein Angebot gebunden ist, kommt es bei einer Annahme durch den anderen zum Vertragsschluss. Um eine ungewollte Vertragsbindung auszuschließen, ist daher das Angebot von einer unverbindlichen Einladung zum Angebot (invitatio ad offerendum) abzugrenzen. Unterscheidungskriterium ist der Rechtsbindungswille.25 Dieser ist bei Zeitungsinseraten, Postwurfsendungen oder Anpreisungen im Schaufenster grundsätzlich nicht gegeben. Vielmehr soll in diesen Fällen der eigentliche Vertrag noch ausgehandelt werden. Zur Internetauktion: Ob der Anbieter durch Einstellen eines Artikels in einer Internetauktion (z. B. eBay) ein Angebot im Sinne von § 145 abgibt, hängt von der konkreten Gestaltung ab. Zwar sehen die AGB (Allgemeine Geschäftsbedingungen) der Auktionsveranstalter regelmäßig vor, dass darin ein Angebot zu sehen sei. Jedoch können diese AGB, die nur das Verhältnis zwischen dem einzelnen Teilnehmer und dem Auktionshaus regeln, nicht das Verhältnis zwischen zwei Teilnehmern verbindlich ausgestalten. Zwischen zwei Teilnehmern können diese AGB allenfalls als Auslegungshilfe herangezogen werden.26 Sind aber Wortlaut und Erklärung eindeutig, gibt es für eine Auslegung und damit auch für einen Rückgriff auf die AGB keinen Raum. So hatte das LG Darmstadt einen Fall zu entscheiden, in dem jemand – unter Verstoß gegen die AGB von eBay – einen Artikel einstellt mit dem ausdrücklichen Hinweis, dass es sich nur um eine Umfrage handele, mit der die Verkaufsfähigkeit des Gegenstandes getestet werden solle. Der Höchstbietende verlangte, nachdem der vermeintliche Verkäufer nicht lieferungswillig war, Schadenersatz wegen Nichterfüllung und verlor den Prozess. Das LG Darmstadt27 stellte fest, dass nach dem Wortlaut nicht von einem Angebot ausgegangen werden könne, das der Meistbietende habe annehmen können. Mangels eines Kaufvertrages konnte der Meistbietende auch keinen vertraglichen Schadenersatz fordern. Im Normalfall28 aber, bei dem ein Gegenstand zum Verkauf in die Verkaufsplattform eingestellt wird, handelt es sich um ein Angebot auf Abschluss eines Kaufvertrages. Es liegt hier keine Versteigerung im Sinne von § 156 vor.29 Das Gebot eines Interessenten stellt ebenfalls eine auf den Abschluss eines Kaufvertra24 25
26 27 28 29
Palandt/Heinrichs, Bürgerliches Gesetzbuch, 67. Aufl. 2008, § 145, Rn. 1. BGH, NJW 1980, 1388; Palandt/Heinrichs, Bürgerliches Gesetzbuch, 67. Aufl. 2008, § 145 Rn. 2. BGH, CR 2002, 213 (214). LG Darmstadt, CR 2002, 295 mit Anm. von Winter. Dazu Noack/Kremer, Anwaltsblatt 2004, 602 ff. BGH, NJW 2005, 53 (54).
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Kapitel 3
BGB Allgemeiner Teil
ges gerichtete Willenserklärung dar. Allerdings steht diese unter der aufschiebenden Bedingung i. S. v. § 158 Abs. 1, dass es nicht bis zum Ablauf der vom Verkäufer bestimmten Laufzeit des Angebots von einem höheren Angebot überboten wird. Das nach Ablauf der Transaktion verbleibende höchste Angebot stellt die Annahmeerklärung des Kaufvertrages dar. Der Verkäufer kann sein Angebot unter die Bedingung stellen, dass er nicht an Käufer mit negativer Bewertung verkaufen will. Ist diese Bedingung nicht erfüllt, kommt es nicht zum Abschluss des Kaufvertrages. Soweit die Internetplattform ein Löschen des Angebotstextes erlaubt, ist das 70 rechtlich irrelevant. Ein einmal dort eingestelltes Verkaufsangebot ist verbindlich und kann – rechtlich gesehen – nicht gelöscht werden. Wird es gelöscht, kann der Höchstbietende Erfüllung des Kaufvertrages nach § 433 verlangen.30 2.
Annahme
71 Bei der Vertragsannahme handelt es sich um eine Willenserklärung, die nur die Zustimmung zu dem Angebot enthalten darf. Erweiterungen gegenüber dem Angebot entsprechen nicht dem Willen des Vertragspartners und können daher nicht Bestandteil der Einigung werden.31 Gemäß § 150 Abs. 2 gilt eine Erklärung, die den Antrag durch Erweiterungen, Einschränkungen oder sonstige Änderungen modifiziert als Ablehnung des ursprünglichen Antrags, der mit einem neuen Antrag verbunden ist. Als neuer Antrag gilt gemäß § 150 Abs. 1 auch eine verspätete Annahmeerklä72 rung, da der ursprüngliche Antrag gemäß § 146 erloschen ist. Die Annahmefrist ergibt sich aus den §§ 147 ff. Vorrangig ist demnach die Bestimmung der Annahmefrist durch den Antragenden. Fehlt eine derartige Bestimmung, dann kann ein (fern-)mündlicher Antrag gemäß § 147 Abs. 1 nur sofort angenommen werden; bei schriftlichen Anträgen ist gemäß § 147 Abs. 2 der üblicherweise zu erwartende Zeitraum maßgebend. Diese Frist richtet sich nach der Dauer des Weges für Antrag und Annahme sowie der von der Bedeutung des Vertragsgegenstandes abhängigen Überlegungszeit. Bei der Annahme handelt es sich grundsätzlich auch um eine empfangsbedürf73 tige Willenserklärung, die erst mit dem Zugang beim Erklärungsempfänger wirksam wird. Gemäß § 151 ist aber der Zugang keine Wirksamkeitsvoraussetzung, wenn er nach der Verkehrssitte nicht zu erwarten ist oder der Antragende darauf verzichtet hat. Notwendig bleibt aber eine Betätigung des Annahmewillens im Regelfall durch eine Erfüllungshandlung.32
30
31 32
KG Berlin, NJW 2005, 1053 (1054); zuvor schon LG Berlin, NJW 2004, 2831 = CR 2004, 940 ff. Palandt/Heinrichs, Bürgerliches Gesetzbuch, 67. Aufl. 2008, §§ 147, 148, Rn. 1. Palandt/Heinrichs, Bürgerliches Gesetzbuch, 67. Aufl. 2008, § 151, Rn. 3.
A. Die Vertragsentstehung
23
Beispiel: Bei der Anmietung eines Hotelzimmers ist es nicht üblich, dass bei einer Vorbestellung der Mietvertrag durch den Hotelier eigens bestätigt wird. Der Mietvertrag kommt hier bereits durch die Reservierung des Zimmers zustande, wodurch der Annahmewille betätigt wird.
3.
Dissens und Auslegung der Willenserklärungen
Haben die Parteien übereinstimmende Willenserklärungen abgegeben, liegt ein 74 Konsens vor; der Vertrag ist geschlossen. Sind die Willenserklärungen jedoch in einem oder mehreren Punkten unterschiedlich oder wurden einer oder mehrere Punkte nicht festgelegt, so regeln die §§ 154, 155, ob dennoch eine Einigung entstanden ist oder ein Dissens vorliegt. Ist der Einigungsmangel beiden Parteien bewusst (offener Dissens), so gilt der Vertrag gemäß § 154 als nicht entstanden, es sei denn, beide Parteien haben deutlich gemacht, dass sie den Vertrag trotzdem schließen wollen (etwa dadurch, dass sie beiderseits mit der Erfüllung des Vertrages beginnen). Ist Letzteres der Fall, muss zur Lösung des Problems der Vertrag ausgelegt werden,33 wobei auch auf die dispositiven gesetzlichen Regeln34 Bezug zu nehmen ist (s. Fall 1 Rn. 39 f.).35 Dagegen wirkt sich ein unbewusster Mangel (versteckter Dissens) gemäß § 155 75 grundsätzlich nicht auf die Gültigkeit des Vertrages aus, wenn anzunehmen ist, dass beide Parteien auch ohne eine Einigung in diesem Punkt an dem Vertrag festhalten wollen. Vor der Annahme eines Dissenses ist jedoch erst zu prüfen, ob einander schein- 76 bar widersprechende Willenserklärungen im Wege der Auslegung zu einem eindeutigen Ergebnis führen. Den Willenserklärungen wird dabei gemäß §§ 133, 15736 der Erklärungswert beigemessen, den ein neutraler objektiver Empfänger unter Berücksichtigung der Verkehrsauffassung erkennen würde (objektivierter Empfängerhorizont).37 Führt dies zum Erfolg, so liegt ein Vertrag mit dem durch Auslegung erkannten Inhalt vor. Beispiel: Ein Ingenieur aus dem Sauerland bestellt bei einem Wirt in Bayern ein kleines Bier. Er erhält 0,5 l, obwohl er an 0,25 l dachte. In bayerischen Biergärten versteht ein neutraler objektiver Empfänger entsprechend der dort üblichen Verkehrsanschauung unter einem „kleinen Bier“ 0,5 l. Somit haben sowohl der Antrag des Ingenieurs als auch die An-
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Hier ist eine ergänzende Auslegung notwendig. Es ist der hypothetische Wille der Parteien zu ermitteln, also zu prüfen, was die Parteien nach Treu und Glauben unter Berücksichtigung auf die Verkehrssitte gewollt hätten, wenn sie die Lücke erkannt hätten. Unter dispositivem Gesetzesrecht versteht man diejenigen Normen, die nur dann zur Anwendung kommen, wenn sich die Parteien in dem betreffenden Punkt nicht anders geeinigt haben. Die vertraglichen Regelungen haben hier Vorrang. Palandt/Heinrichs, Bürgerliches Gesetzbuch, 67. Aufl. 2008, §§ 154, 155, Rn. 2. § 157 BGB gilt entgegen seinem Wortlaut auch für die Auslegung der einzelnen Willenserklärung, RGZ 169, 125; BGHZ 47, 75 (78). Palandt/Heinrichs, Bürgerliches Gesetzbuch, 67. Aufl. 2008, § 133, Rn. 9.
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BGB Allgemeiner Teil
nahme des Wirtes einen übereinstimmenden Erklärungswert. Es liegt also kein Dissens vor.
77 Einen Sonderfall bildet die sogenannte falsa demonstratio:38 Hier haben die Erklärenden beide objektiv etwas anderes ausgedrückt, als sie tatsächlich erklären wollten. In diesem Fall ist keiner der beiden schutzbedürftig, sodass gemäß § 133 der wahre Wille entscheidend ist.39 Beispiel: Haben sich X und Y auf einen Kaufpreis von 1.000,– € geeinigt und schreibt X versehentlich 100,– € in den Vertrag, so ist tatsächlich ein Kaufvertrag über 1.000,– € zustande gekommen. Beispiel: Ingenieur A kauft für sein florierendes Ingenieurbüro von Bauträger B ein lukratives Grundstück von 700 m2 zur Errichtung eines Neubaus. Im notariellen Kaufvertrag wird statt der Parzelle 74/3 die gleich große Nachbarparzelle 73/3 erwähnt. Aus der Vorkorrespondenz ergibt sich jedoch eindeutig, dass die Parzelle 74/3 verkauft werden sollte. Trotz notarieller Beurkundung entscheidet auch hier der wahre Wille der Parteien, d. h. der Grundstückskaufvertrag wurde tatsächlich über die Parzelle 74/3 geschlossen (falsa demonstratio non nocet).
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39
„Falsa demonstratio non nocet“, sinngemäß übersetzt: Falsche Bezeichnung schadet nicht. Natürliche Auslegung Palandt/Heinrichs, Bürgerliches Gesetzbuch, 67. Aufl. 2008, § 133, Rn. 8.; RGZ 99, 148; BGH, NJW 1984, 721; BGH, NJW 1995, 1496.
A. Die Vertragsentstehung
25
Übersicht 3.2: Die Vertragsentstehung Definition: Übereinstimmende empfangsbedürftige Willenserklärungen von mindestens zwei Personen Tatbestand der Willenserklärung: äußerer Tatbestand:
innerer Tatbestand:
(+), wenn das Verhalten des Erklärenden schließen lässt auf:
(+), wenn der Erklärende folgende Elemente bei sich verwirklicht:
Handlungswille:
Handlungsbewusstsein:
Der Erklärende will bewusst handeln; (–) bei Reflexhandlungen.
Der Erklärende handelt tatsächlich bewusst.
Rechtsbindungswille:
Rechtsbindungsbewusstsein:
Der Erklärende will sich rechtlich binden; (–) bei erkanntem geheimem Vorbehalt (§ 116 Abs. 2), Scheingeschäft (§ 117), invitatio ad offerendum, im Regelfall
Der Erklärende will sich tatsächlich rechtlich binden, oder ihm kann Willenserklärung zugerechnet werden.
(–) bei Gefälligkeiten, Auskünften.
Bestimmter Geschäftswille: Der Erklärende will einen bestimmten Vertrag schließen, dessen Mindestinhalt er festlegen muss.
(+) bei Verhalten, über dessen rechtl. Folgen Erklärender Kenntnis hätte haben müssen (potentielles Erklärungsbewusstsein; Anfechtung mögl.); bei veranlasstem Rechtsschein (z. B. Blankoerklärung). Zurechnung des Geschäftswillens nicht notwendig, aber gemäß § 119 Anfechtung der entstandenen Willenserklärung möglich.
Wirksamwerden der empfangsbedürftigen Willenserklärung gemäß § 130: Abgabe:
Zugang:
willentliche Entäußerung
im Machtbereich des Empfängers (Wohnoder Geschäftsbereich)
in Richtung auf den Empfänger
Möglichkeit der Kenntnisnahme
Willenseinigung gemäß §§ 145 ff.: Angebot:
Annahme:
Empfangsbedürftige Willenserklärung enthält alle notwendigen Vertragsbestandteile (Parteien, Leistung, Gegenleistung), sodass Vertrag mit bedingungsloser Zustimmung des Erklärungsempfängers entsteht.
Grds. empfangsbedürftige Willenserklärung, die keine Veränderung des Angebots enthalten darf und innerhalb der gesetzlichen oder vertraglichen Frist dem Antragenden zugehen muss.
kein Dissens gemäß §§ 154 f.: Vor Annahme eines Dissenses Versuch, durch Auslegung der Willenserklärungen anhand des objektivierten Empfängerhorizontes zu einer Einigung zu kommen (aber Möglichkeit, Einigung anzufechten). Bleibt es dabei, dass kein Konsens festgestellt werden kann, dennoch kein Scheitern der Annahme, wenn Parteien deutlich machen, dass sie trotz Einigungsmangel am Vertrag festhalten wollen.
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26
Kapitel 3
BGB Allgemeiner Teil
B. Nichtigkeit und Anfechtung 79 Ein Vertrag entsteht aufgrund einer Einigung jedoch nur, wenn diese rechtlich wirksam gewesen ist. Im Allgemeinen Teil des BGB sind mehrere Gründe aufgezählt, die dazu führen, dass eine tatsächlich geschlossene Einigung nichtig ist. Eine nichtige Einigung ist für den Rechtsverkehr als nicht existent zu behandeln und kann daher nicht Grundlage eines Vertrages werden. Diese Nichtigkeit der Einigung kann darauf beruhen, dass eine der beiden dafür nötigen Willenserklärungen mit einem Mangel behaftet ist. In Betracht kommt dabei die fehlende Geschäftsfähigkeit eines der Beteiligten (§§ 104 ff.; Übersicht 3.3) oder ein zur Anfechtung berechtigender Willensmangel (§§ 142, 119 ff.; Übersicht 3.4 u. 3.5). Daneben gibt es Nichtigkeitsgründe, die sich auf die Einigung als solche beziehen. Das ist der Fall bei einem Verstoß gegen eine gesetzliche oder vertragliche Formvorschrift (§ 125; Übersicht 3.6) oder wenn das BGB den Vertrag als verboten ansieht (§§ 134 ff.; Übersicht 3.7). I.
Die mangelnde Geschäftsfähigkeit (vgl. Übersicht 3.3)
80 Zur Abgabe einer wirksamen Willenserklärung ist es erforderlich, dass der Erklärende geschäftsfähig ist. Dabei ist zwischen der vollen und beschränkten Geschäftsfähigkeit zu unterscheiden. Voll geschäftsfähig sind alle volljährigen Personen, welche keine die freie Willensbestimmung ausschließende krankhafte Störung der Geistesfähigkeit haben, wie sich aus § 104 ergibt. Nach §§ 106 ff. sind Minderjährige nach Vollendung des siebten Lebensjahres beschränkt geschäftsfähig. Die Willenserklärung von Kindern unter sieben Jahren und Geisteskranken sind gemäß §§ 104 ff. Abs. 1 nichtig. Aber auch die Willenserklärung eines grundsätzlich Geschäftsfähigen ist ausnahmsweise dann gemäß § 105 Abs. 2 nichtig, wenn er diese im Stadium der Bewusstlosigkeit oder während einer vorübergehenden Störung der Geistestätigkeit abgegeben hat. Die Bestellung eines Betreuers hat dagegen keinen Einfluss auf die Geschäftsfähigkeit des Betreuten.40 Anerkannt ist aber bei Personen, bei denen lediglich in einem bestimmten Bereich die Willensfreiheit ausgeschlossen ist, eine partielle Geschäftsunfähigkeit, wohingegen eine relative Geschäftsunfähigkeit etwa nur für besonders komplexe Rechtsgeschäfte wegen allzu großer Abgrenzungsprobleme abgelehnt wird.41 Um die Rechtsstellung geistig Behinderter zu verbessern, wurde zum 1. August 81 2002 § 105a BGB neu geschaffen. Danach sind Geschäfte des täglichen Lebens, die ein volljährig Geschäftsunfähiger tätigt und die mit geringwertigen Mitteln bewirkt werden können, wirksam, sobald Leistung und Gegenleistung bewirkt sind. Dies gilt ausnahmsweise nur dann nicht, wenn die Person oder das Vermögen 40 41
Palandt/Heinrichs, Bürgerliches Gesetzbuch, 67. Aufl. 2008, Einf. v. § 104, Rn. 2a. Palandt/Heinrichs, Bürgerliches Gesetzbuch, 67. Aufl. 2008, § 104, Rn. 6; BGH, NJW 1953, 1342. Gegen relative Rechtsfähigkeit auch BayObLG, NJW 1989, 1678. Eine gesetzliche Regelung, wonach die betreffende Person nur für einen gewissen Kreis von Rechtsgeschäften voll geschäftsfähig ist, besteht in den §§ 112 f.
B. Nichtigkeit und Anfechtung
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des Geschäftsunfähigen erheblich gefährdet sind. Der Einkauf von Lebensmittel in normalem Umfang ist damit rechtlich wirksam möglich, nicht aber der Weinkauf durch einen Alkoholkranken. Unwirksam wäre auch der Kauf von fünf Mänteln bei fünf Anbietern, wenn der Geschäftsunfähige nur einen Mantel braucht. Auf die Kenntnis des Vertragspartners kommt es nicht an; das ist unschädlich, weil ansonsten alle Verträge, die der Geschäftsunfähige abschließt, nach § 105 Abs. 1 BGB ohnehin unwirksam wären.
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BGB Allgemeiner Teil
Übersicht 3.3: Mangelnde Geschäftsfähigkeit
82
Geschäftsunfähige:
Beschränkt Geschäftsfähige:
Voll Geschäftsfähige:
42 43
•
Kinder, die das siebte Lebensjahr noch nicht vollendet haben (§ 104 Nr. 1) • Personen, deren freie Willensbildung durch Geisteskrankheit ausgeschlossen ist (§ 104 Nr. 2) • Personen, die bewusstlos sind, oder deren Geistestätigkeit vorübergehend gestört ist (§ 105 Abs. 2) • Willenserklärungen von Geschäftsunfähigen sind gemäß § 105 nichtig, es sei denn, es handelt sich um ein Geschäft des täglichen Lebens, das mit geringwertigen Mitteln bewirkt werden kann, § 105a. Jugendliche zwischen sieben und 18 Jahren (§ 105) rechtlich vorteilhafte oder neutrale Rechtsgeschäfte: Willenserklärungen (und geschäftsähnliche Handlungen) sind wirksam, wenn sie rechtlich vorteilhaft oder neutral für den Minderjährigen sind (§ 107).42 In Betracht kommen dabei nur unmittelbare Folgen des Rechtsgeschäftes, die den Minderjährigen persönlich verpflichten. Rechtlich vorteilhaft oder neutral sind z. B.: • Die Annahme eines Schenkungsversprechens, da der Jugendliche nur den Erfüllungsanspruch erhält. • Die Annahme eines Übereignungsangebotes, wenn durch den Erwerb des Eigentums keine persönlichen Pflichten entstehen (wie Eintritt in ein Mietverhältnis gemäß § 566). • Die Bevollmächtigung als Vertreter und die Abgabe von Willenserklärungen als Vertreter, da eine Haftung wegen § 179 Abs. 3 S. 2 ausgeschlossen ist. • Die Verfügung über fremde Rechte mit Ermächtigung des Rechtsinhabers gemäß § 185 Abs. 1. • Die Mahnung gemäß § 286 Abs. 1, da der Mahnende nur seine rechtliche Position verbessert (§§ 287, 288). rechtlich nachteilige Rechtsgeschäfte: Willenserklärungen (und geschäftsähnliche Handlungen) sind grundsätzlich schwebend unwirksam, wenn sie für den Minderjährigen rechtlich nachteilig sind (§ 108 Abs. 1). • Die Willenserklärung ist aber wirksam, wenn der gesetzliche Vertreter eingewilligt hat (§ 107). • Ein Vertrag wird später wirksam, wenn der gesetzliche Vertreter ihn nachher genehmigt (§ 108 Abs. 1). • Der Vertragspartner kann sich bis zur Genehmigung durch Widerruf vom Vertrag lösen (§ 109 Abs. 1). • Einseitige Willenserklärungen sind ohne vorherige Zustimmung des gesetzlichen Vertreters nichtig, bzw. ohne schriftliche Erklärung, wenn der Erklärungsempfänger sie zurückweist (§ 111). • Willenserklärungen sind in Fällen des beschränkten Generalkonsenses wirksam (§ 110: „Taschengeldparagraf“;43 § 112: Betrieb eines Erwerbsgeschäftes; § 113: Dienst- oder Arbeitsverhältnis, Geschäfte des täglichen Lebens, die mit geringwertigen Mitteln bewirkt werden können, § 105a). Einwilligung des gesetzlichen Vertreters nicht ausreichend, wenn zusätzlich Vormundschaftsgericht gemäß §§ 1821, 1822 zustimmen muss oder Vertretung gemäß § 1795 ausgeschlossen ist. Alle Volljährigen, die nicht unter einer Geisteskrankheit leiden, sind voll geschäftsfähig. Das gilt ebenfalls für Personen, bei denen ein Betreuer gemäß § 1896 Abs. 1 bestellt wurde. Allerdings gelten die §§ 108 ff. entsprechend, wenn gemäß § 1903 Abs. 1 ein Einwilligungsvorbehalt angeordnet wurde.
Dazu näher Wilhelm, NJW 2006, 2353 ff. Zum Minderjährigenschutz instruktiv Derleder/Thielbar, NJW 2006, 3233 ff.
B. Nichtigkeit und Anfechtung
II.
29
Die Anfechtung (vgl. Übersicht 3.4 und 3.5)44
Eine Willenserklärung ist grundsätzlich immer wirksam, wenn der innere und 83 äußere Erklärungstatbestand vorliegt und sie abgegeben wurde und zugegangen ist.45 Gemäß § 142 können aber Willenserklärungen wie auch geschäftsähnliche Handlungen46 nachträglich durch Anfechtung vernichtet werden, wenn sie mit einem Mangel behaftet sind, der einen gesetzlich geregelten Anfechtungsgrund darstellt. Dagegen ordnet der Gesetzgeber bei einigen Willensmängeln die Nichtigkeit 84 der Erklärung direkt an. Eine Erklärung ist gemäß § 116 S. 2 nichtig, wenn der Erklärende das Erklärte insgeheim nicht will (geheimer Vorbehalt)47, der Empfänger dies jedoch erkennt, oder gemäß § 117 Abs. 1, wenn mit Einverständnis des Erklärungsempfängers eine Erklärung nur zum Schein abgegeben wird (Scheinerklärung). Tatsächlich liegt in diesen Fällen gar keine Willenserklärung vor, da der Rechtsbindungswille fehlt. Gemäß § 118 ist ebenfalls eine Willenserklärung nichtig, bei welcher der Erklärende diese in der Erwartung abgibt, dass der Empfänger die mangelnde Ernstlichkeit erkennt (Scherzerklärung). Erkennt der Erklärende, dass sein Gegenüber die Erklärung ernst nimmt, dann muss er ihn über den Scherzcharakter seiner Willenserklärung aufklären. Unterlässt er das, kann er sich auf § 118 BGB nicht berufen. Das BGB hat die Anfechtungsgründe abschließend in den §§ 119, 120 und 123 85 geregelt. Andere als die dort aufgeführten Willensmängel sind damit nicht beachtlich. 1.
Inhalts- und Erklärungsirrtum
Grundsätzlich muss jeder seine Erklärungen so gegen sich gelten lassen, wie sie 86 der Empfänger nach Treu und Glauben unter Berücksichtigung der Verkehrssitte verstehen musste und dies selbst dann, wenn die Erklärung nicht seinem wahren Willen entspricht. In vier Fällen gestattet das BGB dem Erklärenden, seinen von der Erklärung abweichenden Willen geltend zu machen, so • • • •
beim Irrtum in der Erklärungshandlung (§ 119 Abs. 1 Fall 2), beim Irrtum über den Erklärungsinhalt (§ 119 Abs. 1 Fall 1), beim Irrtum über verkehrswesentliche Eigenschaften (§ 119 Abs. 2) und beim Übermittlungsirrtum (§ 120).
Alle anderen Irrtumsfälle, insbesondere der Motivirrtum (z. B. Kauf von Werk- 87 stoffen für die Produktion in der Annahme, die für den Anlagenbetrieb erforderli44 45 46
47
Dazu auch Fall 3, Rn. 229 ff. S.o. Rn. 56 ff. BGH, NJW 1989, 1792; Palandt/Heinrichs, Bürgerliches Gesetzbuch, 67. Aufl. 2008, Überbl. v. § 104, Rn. 7. Erkennt der Erklärungsempfänger den geheimen Vorbehalt jedoch nicht, so ist gemäß § 116 der Vorbehalt unbeachtlich, sodass die Erklärung ohne Anfechtungsmöglichkeit mit dem geäußerten Inhalt wirksam bleibt.
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Kapitel 3
BGB Allgemeiner Teil
che Genehmigung werde demnächst erteilt werden) sind rechtlich irrelevant. Stets muss aber zunächst der Inhalt der Willenserklärung durch Auslegung (§§ 133, 157) ermittelt werden. Eine Irrtumsanfechtung nach § 119 Abs. 1 BGB ist nur möglich bei einer Inkongruenz des durch Auslegung ermittelten Erklärungsinhalts und dem Willen des Erklärenden, dagegen aber nicht bei den in der Praxis viel häufigeren Fällen, wo der Wille zwar die Erklärung deckt, aber auf einer fehlerhaften Grundlage gebildet worden ist (= Motivirrtum). Die Möglichkeit zur Anfechtung der Willenserklärung betrifft nach § 119 also nur die Fehlerhaftigkeit der Willensäußerung und bei § 120 auch der Willensübermittlung, niemals aber die Fehlerhaftigkeit der Willensbildung. Ein Erklärungsirrtum liegt vor, wenn schon der äußere Erklärungstatbestand 89 nicht dem Willen des Erklärenden entspricht, z. B. Verschreiben, Versprechen oder Vergreifen. Ein Inhaltsirrtum liegt vor, wenn der Erklärende der Erklärung einen anderen Sinn beimisst, als sie in Wirklichkeit hat (Inhaltsirrtum, auch Bedeutungsirrtum genannt), so wenn sich der Erklärende über die Person des Vertragspartners, den Gegenstand der Leistung oder einen anderen Vertragsbestandteil geirrt hat.48
88
Beispiele: Der Ingenieur H will 1.000 Blatt Schreibmaschinenpapier kaufen. Er verspricht sich jedoch und sagt 10.000 Blatt. Er kann aufgrund eines Erklärungsirrtums anfechten. Der Bauunternehmer kalkuliert richtig und kommt auf 320.000 € Bausumme, bietet aber irrtümlich unter Übersendung seiner Kalkulation für 230.000 € an. A will den berühmten Maler M mit der Gestaltung der Außenfassade seines Hauses beauftragen. Er rutscht im Telefonbuch in die falsche Zeile und verabredet die Wandgestaltung mit dem namensgleichen, aber unbekannten Maler M.
90 Diesen Fällen wird es gleichgestellt, wenn dem Erklärenden ein tatsächlich nicht bestehender Erklärungswille zugerechnet wird (fehlendes Erklärungsbewusst– sein).49 Beispiel: A hatte bei der Versteigerung zur Begrüßung seines Freundes die Hand gehoben, was als Abgabe eines Gebotes verstanden wurde. A kann analog § 119 Abs. 1 seine Erklärung anfechten, weil er sich über die rechtliche Bindungswirkung seiner Handlung geirrt hatte.
91 Des Weiteren gilt auch eine durch einen Boten unbewusst unrichtig übermittelte Willenserklärung gemäß § 120 als irrtumsbedingt anfechtbar. Auch die Verfälschung eines ursprünglich richtig Erklärten auf dem Weg zum 92 Empfänger durch eine unerkannt fehlerhafte Software begründet einen anfechtbaren Erklärungsirrtum.50 Denn es macht keinen Unterschied, ob sich der Erklärende selbst verschreibt oder ob die Verfälschung der z. B. über das Internet verbreiteten Willenserklärung durch einen unerkannten Fehler der Software verursacht wurde. 48 49 50
Palandt/Heinrichs, Bürgerliches Gesetzbuch, 67. Aufl. 2008, § 119, Rn. 11-14. Palandt/Heinrichs, Bürgerliches Gesetzbuch, 67. Aufl. 2008, Einf. v. § 116, Rn. 17. BGH, NJW 2005, 976 (977).
B. Nichtigkeit und Anfechtung
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Ausgeschlossen ist die Anfechtung jedoch, wenn sich der Irrtum auf eine kraft Gesetzes eintretende Rechtsfolge bezieht.51 Hier irrt der Erklärende nicht über den Inhalt seiner Erklärung, sondern über die sich daraus ergebenden weiteren Wirkungen. Dagegen liegt ein Anfechtungsgrund vor, wenn sich der Irrtum auf eine vertraglich geregelte Rechtsfolge bezieht.52 Hat sich der Erklärende über den Inhalt der Erklärung keine Vorstellungen gemacht (z. B. Unterschreiben eines ungelesenen Briefes, es sei denn überraschender Inhalt, so ist ein Irrtum begrifflich ausgeschlossen, da der erklärte Wille nicht von seinem inneren abweichen kann.53 Das gilt auch für Analphabeten. Eine Anfechtung ist hingegen möglich, wenn er ohne Prüfung von einem bestimmten Inhalt der Erklärung ausging, über den er sich irrte.54 Entsteht die Wirkung einer Willenserklärung nur aufgrund eines Rechtsscheins, so ist grundsätzlich die Anfechtung nicht ausgeschlossen, denn der Rechtsschein einer Willenserklärung kann keine stärkere Wirkung haben als die echte Willenserklärung.55 Etwas anderes gilt nur dann, wenn die Rechtsfolgen des Rechtsscheins wegen einer schuldhaften Verletzung der Sorgfaltspflichten eintreten, wie es etwa bei der Anscheinsvollmacht56 der Fall ist.57 Das gilt auch, wenn ausnahmsweise eine Vertragsbegründung durch Schweigen (etwa kaufmännisches Bestätigungsschreiben)58 entstanden ist; der Irrtum über die Bedeutung des Schweigens auf ein kaufmännisches Bestätigungsschreiben berechtigt nicht zur Anfechtung.59 Ebenfalls nicht zur Anfechtung berechtigt ein Kalkulationsirrtum, bei dem der Erklärende sich bei der Addition verschiedener Posten verrechnet, oder Posten nicht miteinbezogen hat. Hier irrt der Erklärende nicht über die Summe, sondern er hat sich im Vorfeld über die Rechnungsgrundlage geirrt. Das stellt keinen Erklärungsirrtum dar.60 Anderes gilt nur dann, wenn der Erklärende dem Empfänger seine Kalkulation offengelegt hat (ich muss 100 qm Boden bewegen, der qm kostet 100 € und ich biete für 1.000 € an). Hier kommt eine Auslegung in Richtung auf das korrekte Rechenergebnis in Betracht.61 Hat der Verkäufer einen zu niedrigen Einkaufspreis zugrunde gelegt, so ist eine Anpassung nach den Regeln über den Wegfall der Geschäftsgrundlage möglich,
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60 61
Palandt/Heinrichs, Bürgerliches Gesetzbuch, 67. Aufl. 2008, § 119, Rn. 15 und 16. Palandt/Heinrichs, Bürgerliches Gesetzbuch, 67. Aufl. 2008, § 119, Rn. 15. Palandt/Heinrichs, Bürgerliches Gesetzbuch, 67. Aufl. 2008, § 119, Rn. 9. BGH, NJW 1995, 190; BAG, NJW 1971, 639. Palandt/Heinrichs, Bürgerliches Gesetzbuch, 67. Aufl. 2008, § 119, Rn. 5. Dazu Rn. 138 ff. Palandt/Heinrichs, Bürgerliches Gesetzbuch, 67. Aufl. 2008, § 173, Rn. 19. S. Rn. 471 ff. BGHZ 11, 1 (4); BGHZ 20, 149 (154); Palandt/Heinrichs, Bürgerliches Gesetzbuch, 67. Aufl. 2008, § 148, Rn. 8. Palandt/Heinrichs, Bürgerliches Gesetzbuch, 67. Aufl. 2008, § 119, Rn. 18. Palandt/Heinrichs, Bürgerliches Gesetzbuch, 67. Aufl. 2008, § 119, Rn. 20; LG Aachen, NJW 1982, 1106.
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Kapitel 3
BGB Allgemeiner Teil
wenn aus dem Vertrag mit dem Käufer deutlich wird, dass dieser in das Preisrisiko miteinbezogen werden sollte.62 2.
Eigenschaftsirrtum
98 Grundsätzlich berechtigt ein Motivirrtum nicht zur Anfechtung. Hierbei hat sich die Partei schon im Vorfeld der Willenserklärung über das dazu führende Motiv geirrt.63 Gemäß § 119 Abs. 2 ist eine Willenserklärung jedoch anfechtbar, wenn sich der Erklärende über eine verkehrswesentliche Eigenschaft einer Person oder Sache geirrt hat. Damit bildet § 119 Abs. 2 eine Ausnahme von dem Grundsatz, dass Motivirrtümer einer Partei unbeachtlich sind. Ein relevanter Irrtum liegt dann vor, wenn bezüglich der Eigenschaften Vorstellung und Wirklichkeit voneinander abweichen. Beispiel: V ist der Verlobte der F und kauft bei J einen Hochzeitsring in der Erwartung, F würde ihn heiraten. F löst jedoch die Verlobung. V hat sich bezüglich seines Kaufmotivs, der Heirat mit F, geirrt. Dieser Irrtum berechtigt jedoch nicht zur Anfechtung, da es sich dabei weder um eine Eigenschaft der Kaufsache noch des Vertragspartners handelte. Dagegen könnte V wegen eines Eigenschaftsirrtums anfechten, wenn er den Ring für echt golden hielt, er tatsächlich nur vergoldet war.
99 Als Eigenschaften des Vertragsgegenstandes gelten dabei alle gegenwärtigen wertbildenden Merkmale von gewisser Dauer. Nicht erfasst werden vom Anwendungsbereich des § 119 Abs. 2 nach h. M. der Preis, der Wert oder das Eigentum an der Sache und Eigenschaften, die nur mittelbar einen Einfluss auf die Bewertung ausüben.64 Beispiel: Im vorangegangenen Beispiel des nur vergoldeten Rings war das Material eine Sacheigenschaft. Der Wert des Ringes ist dagegen keine Eigenschaft. Hat sich V in den Marktpreisen verschätzt und einen massiv goldenen Ring für 500 € wert gehalten, ist er nicht zur Anfechtung berechtigt, wenn der massiv goldene Ring tatsächlich nur einen Wert von 300 € hat.
100 Beim Unternehmenskauf unterfallen Ertrag, Umsatz und Rentabilität grundsätzlich nicht dem Eigenschaftsbegriff,65 da sie keine Eigenschaft der Kaufsache darstellen, sondern in erster Linie auf dem persönlichen Einsatz des Unternehmers beruhen.
62 63 64 65
Palandt/Heinrichs, Bürgerliches Gesetzbuch, 67. Aufl. 2008, § 119, Rn. 20a. Palandt/Heinrichs, Bürgerliches Gesetzbuch, 67. Aufl. 2008, § 119, Rn. 29. Palandt/Heinrichs, Bürgerliches Gesetzbuch, 67. Aufl. 2008, § 119, Rn. 24. BGH NJW 1970, 653 (655).
B. Nichtigkeit und Anfechtung
33
Beispiel: Daimler kauft Chrysler in der Erwartung, die Gesellschaft würde weiterhin einen Gewinn in Höhe von 20 % des Kapitals machen. Tatsächlich sinkt der Gewinn auf 10 %. Ein Eigenschaftsirrtum gemäß § 119 Abs. 2 liegt nicht vor.
Eigenschaften sind verkehrswesentlich, wenn sie vertraglich vereinbart wurden, 101 bei dem Vertragsschluss in irgendeiner Weise erkennbar zugrunde gelegt wurden oder es sich um Eigenschaften handelt, die nach der allgemeinen Anschauung für das Rechtsgeschäft von entscheidender Bedeutung sind.66 Beispiel: Das Abgasverhalten eines Fahrzeugs und die Kfz-Steuer sind in der heutigen Zeit für die Kaufentscheidung von wesentlicher Bedeutung, sodass ein diesbezüglicher Irrtum zur Anfechtung berechtigt.
Eigenschaften der Person sind solche, die der Person anhaften und die tatsächli- 102 chen und rechtlichen Verhältnisse, die Einfluss auf die Wertschätzung haben. Sie sind verkehrswesentlich, wenn sie zur Abwicklung des Rechtsgeschäftes von Bedeutung sind (z. B. Sachkunde, Zuverlässigkeit, Vertrauenswürdigkeit beim Anstellungsvertrag).67 Eine Anfechtung wegen eines Eigenschaftsirrtums ist aber ausgeschlossen, 103 wenn dieser Irrtum einen Mangel der Kaufsache darstellt und deshalb das kaufvertragliche Gewährleistungsrecht der §§ 434 ff. eingreift. Hier haben die speziellen Vorschriften über Wandlung, Minderung und Schadenersatz wegen Nichterfüllung Vorrang. Damit ist § 119 Abs. 2 nicht anwendbar, wenn die Sache mangelhaft ist oder ihr eine zugesicherte Eigenschaft fehlt und sie an den Käufer ausgehändigt wurde, die Leistungsgefahr also auf ihn übergegangen ist.68 Ebenfalls ausgeschlossen ist die Anfechtung bei spekulativen Geschäften, also wenn das Vorliegen der Eigenschaft als fraglich erkannt worden ist (Kauf eines Bildes von zweifelhafter Echtheit). Weiterhin schließt die h. M § 119 Abs. 2 auch in den Fällen aus, in denen sich 104 beide Parteien über die gleiche Eigenschaft geirrt haben. Bei einem solchen Doppelirrtum sollen die Regeln über den Wegfall der Geschäftsgrundlage, die eine Vertragsanpassung oder Auflösung nach sich ziehen, zu einem besseren Ergebnis führen.69
66 67 68
69
BGHZ 16, 54 (57 f.); BGHZ 88, 240 (246). Palandt/Heinrichs, Bürgerliches Gesetzbuch, 67. Aufl. 2008, § 119, Rn. 26. BGHZ 34, 32 ff., BGH, WM 1977, 118; Palandt/Heinrichs, Bürgerliches Gesetzbuch, 67. Aufl. 2008, § 119, Rn. 28. Auch eine Anfechtung durch den Verkäufer ist ausgeschlossen, weil er sich sonst der Mängelhaftung entziehen könnte BGH, NJW 1988, 2597. BGHZ 35, 390 (392); BGH, NJW 1986, 1348, 1349; Palandt/Heinrichs, Bürgerliches Gesetzbuch, 67. Aufl. 2008, § 119, Rn. 30.
34
Kapitel 3
BGB Allgemeiner Teil
3.
Voraussetzungen und Rechtsfolgen der Irrtumsanfechtung
105 Liegt ein Irrtum vor, der den §§ 119, 120 unterfällt, so ist eine Anfechtung nur dann möglich, wenn der Irrtum gemäß § 119 Abs. 1 subjektiv und objektiv kausal für die Willenserklärung gewesen ist. D. h. die Erklärung ist irrtumsbedingt, wenn der Irrende bei Kenntnis der wahren Sachlage die Erklärung nicht abgegeben hätte und dies auch ein Außenstehender bei objektiver Würdigung der Sachlage nicht getan hätte.70 Weitere Voraussetzung ist eine Anfechtungserklärung des Berechtigten gegen106 über dem Anfechtungsgegner gemäß § 143 Abs. 1. Die Anfechtungserklärung ist ein einseitiges empfangsbedürftiges Rechtsgeschäft und damit bedingungsfeindlich, d. h. der Anfechtende darf die Anfechtung nicht von einer Bedingung abhängig machen. Die Erklärung muss nicht das Wort „Anfechtung“ enthalten, sie muss nur als Anfechtungserklärung auszulegen sein. Daher muss der Anfechtende den Anfechtungsgrund auch nur nennen, wenn er sich nicht aus den Umständen erschließt.71 Berechtigter ist der Irrende oder im Falle des § 120 der Geschäftsherr. Anfechtungsgegner ist bei einem Vertrag gemäß § 143 Abs. 2 der Vertragspartner, bei einem einseitigen empfangsbedürftigen Rechtsgeschäft gemäß § 143 Abs. 3 der Erklärungsempfänger und bei einem nicht empfangsbedürftigen Rechtsgeschäft gemäß § 143 Abs. 4 der rechtlich Begünstigte. Gemäß § 121 Abs. 1 muss die Anfechtung unverzüglich erfolgen, also ohne 107 schuldhaftes Zögern nach zuverlässiger Kenntnis vom Anfechtungsgrund.72 Die Anfechtung ist aber in jedem Fall gemäß § 121 Abs. 2 zehn Jahre nach Abgabe der anfechtbaren Willenserklärung ausgeschlossen. Ebenfalls ausgeschlossen ist die Anfechtung gemäß § 144 Abs. 1, wenn der Anfechtungsberechtigte das angefochtene Rechtsgeschäft bestätigt hat. Rechtsfolge der Anfechtung ist gemäß § 142 Abs. 1 die Nichtigkeit des ange108 fochtenen Rechtsgeschäftes. Diese Nichtigkeit gilt rückwirkend auf den Zeitpunkt der Erklärung (ex tunc). Somit ist ein Vertrag wegen des Wegfalls einer dafür notwendigen Willenserklärung von Anfang an unwirksam.73 Ausnahmsweise wird bei Dauerrechtsverhältnissen wegen der großen Probleme bei der Rückgängigmachung der bereits ausgetauschten Leistungen eine Nichtigkeit erst ab dem Zeitpunkt der Anfechtungserklärung angenommen (ex nunc).74 Die Anfechtung führt weiterhin dazu, dass der Anfechtende gegenüber einem 109 gutgläubigen Anfechtungsgegner gemäß § 122 Abs. 1 schadenersatzpflichtig wird. Er muss ihm den Schaden ersetzen, den dieser dadurch erlitten hat, dass er auf die Gültigkeit des Rechtsgeschäftes vertraute (Vertrauensschaden = negatives Interesse).75 Nicht ersetzt wird der Erfüllungsschaden, also der Schaden, der durch die Nichterfüllung des Vertrages entstanden ist. Hier müsste der Vertragspartner so 70 71 72 73 74
75
Palandt/Heinrichs, Bürgerliches Gesetzbuch, 67. Aufl. 2008, § 119, Rn. 31. Palandt/Heinrichs, Bürgerliches Gesetzbuch, 67. Aufl. 2008, § 143, Rn. 3. Palandt/Heinrichs, Bürgerliches Gesetzbuch, 67. Aufl. 2008, § 121, Rn. 3. Palandt/Heinrichs, Bürgerliches Gesetzbuch, 67. Aufl. 2008, § 142, Rn. 2. So im Gesellschaftsrecht BGHZ 63, 338 (345); und im Arbeitsrecht BAG, NJW 1985, 646 (647). RGZ 170, 281 (284).
B. Nichtigkeit und Anfechtung
35
gestellt werden, als ob der Anfechtende seine Vertragspflicht erfüllt hätte.76 Gemäß § 122 Abs. 1 ist der Schadenersatzanspruch in der Höhe auf den Erfüllungsschaden beschränkt.77 Beispiel: N ging davon aus, sein Onkel O habe ihm seinen Wagen schenken und nicht nur leihen wollen. Daher lehnte er später schweren Herzens das Angebot seines Großvaters G ab, der ihm einen wunderschönen Oldtimer schenken wollte. Der Vertrauensschaden liegt hier in dem Wert des Oldtimers, da N im Vertrauen auf die Wirksamkeit des Schenkungsvertrages mit O auf die Annahme des Schenkungsversprechens des G und den Erwerb von dessen Wagen verzichtet hat. Der Oldtimer hatte einen Wert von 20.000 €. Bei Erfüllung des Schenkungsvertrages mit O hätte N dessen Wagen im Wert von 5.000 € erhalten. Der Erfüllungsschaden liegt daher nur bei 5.000 €. Gemäß § 122 Abs. 1 ist daher der Vertrauensschaden des N auf 5.000 € zu begrenzen.
4.
Arglistige Täuschung und widerrechtliche Drohung
Gemäß § 123 Abs. 1 ist jemand, der bei der Abgabe einer Erklärung in seiner Wil- 110 lensfreiheit beschränkt wurde, zur Anfechtung berechtigt. Als Angriffe gegen die Willensfreiheit werden die arglistige Täuschung und die widerrechtliche Drohung erfasst. a)
Arglistige Täuschung
Voraussetzung der arglistigen Täuschung ist eine rechtswidrige Täuschungshand- 111 lung, die einen Irrtum des Betroffenen verursacht hat, wenn dieser Irrtum für dessen Willenserklärung (mit)ursächlich ist und bei welcher der Täuschende arglistig gehandelt hat. Täuschungshandlung kann sowohl die Behauptung unzutreffender Tatsachen78 sein als auch das Verschweigen von Umständen, zu deren Aufklärung der Vertragspartner nach Treu und Glauben verpflichtet war79 (z. B. Unfalltotalschaden beim Gebrauchtwagen durch Kfz-Händler; Bodenverseuchung eines Grundstücks).80 Diese nachprüfbaren Tatsachen sind von Werturteilen abzugrenzen. Die Täuschung ist nur dann nicht widerrechtlich, wenn der andere kein Recht auf die Information hatte, er also die betreffende Frage nicht stellen durfte.81 Der Täuschende handelt arglistig, wenn er es beabsichtigte oder zumindest in Kauf nimmt, dass der Getäuschte infolge des verursachten Irrtums die Willenserklärung abgibt.82 Ausreichend ist es dafür auch, wenn jemand in bewusster Unkenntnis der
76 77 78
79 80 81 82
Palandt/Heinrichs, Bürgerliches Gesetzbuch, 67. Aufl. 2008, § 122, Rn. 4. Palandt/Heinrichs, Bürgerliches Gesetzbuch, 67. Aufl. 2008, § 122, Rn. 4. Palandt/Heinrichs, Bürgerliches Gesetzbuch, 67. Aufl. 2008, § 123, Rn. 3. Die Behauptung kann dabei auch konkludent erfolgen, so erklärt z. B. der per Ratenkredit Kaufende, dass er bei Fälligkeit zahlen könne (OLG Köln, NJW 1967, 740). Palandt/Heinrichs, Bürgerliches Gesetzbuch, 67. Aufl. 2008, § 123, Rn. 5 BGH, NJW 1983, 2493 (2494) m. w. N.; Müggenborg, NJW 2005, 2810 ff. Palandt/Heinrichs, Bürgerliches Gesetzbuch, 67. Aufl. 2008, § 123, Rn. 10. Palandt/Heinrichs, Bürgerliches Gesetzbuch, 67. Aufl. 2008, § 123, Rn. 11.
36
Kapitel 3
BGB Allgemeiner Teil
Tatsachen Behauptungen „ins Blaue“ macht.83 Die Täuschungsanfechtung ist jedoch gemäß § 123 Abs. 2 ausgeschlossen, wenn ein Dritter die Täuschungshandlung begangen hat, es sei denn, der Anfechtungsgegner kannte die Täuschung oder hat sie fahrlässig nicht erkannt, bzw. die täuschende Person ist seinem Lager zuzurechnen. Das ist der Fall, wenn sein Vertreter, ein beauftragter Verhandlungsführer oder eine sonstige Vertrauensperson den Irrtum des Anfechtenden verursacht hat.84 b)
Widerrechtliche Drohung
112 Eine widerrechtliche Drohung gemäß § 123 liegt vor, wenn der Anfechtungsgegner den Erklärenden durch Ankündigung eines zukünftigen Übels widerrechtlich zur Abgabe einer Willenserklärung zwingt und dabei vorsätzlich handelt. Als zukünftiges Übel gilt dabei jeder materielle oder ideelle Nachteil, der den Adressaten, einen Verwandten oder eine nahe stehende Person treffen soll und den der Drohende aus Sicht des Adressaten herbeiführen kann.85 Die Drohung ist widerrechtlich, wenn entweder das Mittel, mit dem gedroht wird, oder der Zweck, der durch die Drohung erreicht wird, oder die Relation aus beiden rechtswidrig ist.86 Damit ist die Androhung eines Übels grundsätzlich rechtswidrig, es sei denn, der Drohende hat ein berechtigtes Interesse oder einen Anspruch auf die Abgabe der erwünschten Willenserklärung und es besteht ein innerer Zusammenhang zwischen der Drohung und der Willenserklärung. Nach der Rechtsprechung ist die Widerrechtlichkeit der Drohung auch dann auszuschließen, wenn der Drohende diese aufgrund eines unverschuldeten Sachverhaltsirrtums für zulässig hielt.87 Für den Vorsatz ist es ausreichend, wenn der Drohende sich der Wirkung seiner Drohung auf den Erklärenden bewusst war. Eine Kenntnis der Widerrechtlichkeit ist nicht notwendig.88 c)
Anfechtung wegen arglistiger Täuschung oder widerrechtlicher Drohung
113 Voraussetzung für eine Anfechtung, die gemäß § 142 zur Nichtigkeit der Willenserklärung führt, ist auch bei Vorliegen des Tatbestandes des § 123 eine Anfechtungserklärung gemäß § 143. Die Anfechtungsfrist beträgt gemäß § 124 Abs. 1 ein Jahr. Die Anfechtungsfrist beginnt bei der arglistigen Täuschung mit Entdeckung der Täuschung und bei der widerrechtlichen Drohung mit Beendigung der Zwangslage (§ 124 Abs. 2). Sie ist gemäß § 124 Abs. 3 zehn Jahre nach Abgabe der Willenserklärung ausgeschlossen. Ein Schadenersatzanspruch des Anfechtungsgegners besteht folgerichtig nicht, denn der ist gemäß § 122 Abs. 1 auf die Anfechtungsfälle nach §§ 119, 120 beschränkt. 83
84 85 86
87 88
BGHZ 63, 382 (386); BGH, NJW 1977, 1055; BGH, NJW 1980, 2460 (2461); BGH, NJW 1981, 864; BGH, NJW 1981, 1441; BGH, NJW 1998, 302. Palandt/Heinrichs, Bürgerliches Gesetzbuch, 67. Aufl. 2008, § 123, Rn. 12 ff. Palandt/Heinrichs, Bürgerliches Gesetzbuch, 67. Aufl. 2008, § 123, Rn. 15. Palandt/Heinrichs, Bürgerliches Gesetzbuch, 67. Aufl. 2008, § 123, Rn. 21; BGH, NJW 1983, 384. BGHZ 25, 217 (223). Palandt/Heinrichs, Bürgerliches Gesetzbuch, 67. Aufl. 2008, § 123, Rn. 23.
B. Nichtigkeit und Anfechtung
d)
37
Verhältnis zu anderen Regelungen
Kommt ein Kaufvertrag infolge einer arglistigen Täuschung durch den Verkäufer 114 zustande, so kann der getäuschte Käufer zum einen vom Vertrag zurücktreten (§§ 437 Nr. 2, 440, 323) und zum anderen Schadenersatz statt der Leistung verlangen (§§ 437 Nr. 3, 281, 283). Dem Verkäufer ist es im Fall arglistiger Täuschung verwehrt, sich auf einen vereinbarten Haftungsausschluss oder auf eine Haftungsbegrenzung zu berufen (§ 444). Bei arglistiger Täuschung sollte also keine Anfechtung erfolgen, da mit dem Kaufvertrag gleichzeitig auch alle vertraglichen Schadenersatzansprüche wegfallen, d. h. der Schadenersatzanspruch ist wegen des Wegfalls des Kaufvertrages nach erfolgter Anfechtung nicht mehr gegeben.89 Gegebenenfalls greifen aber weitere Schadenersatzansprüche aus den §§ 823 ff. (unerlaubte Handlungen).
89
Palandt/Putzo, Bürgerliches Gesetzbuch, 67. Aufl. 2008, § 437, Rn. 52.
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Kapitel 3
BGB Allgemeiner Teil
Übersicht 3.4: Die Irrtumsanfechtung
115
Bestehen eines Anfechtungsgrundes: § 119 Abs. 1: Erklärungs- oder Inhaltsirrtum § 119 Abs. 2: Eigenschaftsirrtum = Unbewusste Nichtübereinstimmung von = Unbewusste Abweichung der vorgestellten von rechtlich Gewolltem und tatsächlich Erklärden tatsächlichen verkehrswesentlichen Eigentem schaften Anwendung ausgeschlossen: Anwendung ausgeschlossen: • bei Rechtsscheinstatbeständen (Blanko• nach Gefahrübergang bei Eigenschaftsfehlern, erklärung, Anscheinsvollmacht) die dem vertraglichen Gewährleistungsrecht • fingierten Willenserklärungen (Schweiunterfallen • Doppelirrtum beider Parteien (h. M.) gen auf kaufm. Bestätigungsschreiben) • Gründungsbeschlüssen der Kapitalgesellschaften; Sonderregeln des Erb- und Familienrechts Anfechtungsgrund besteht: Anfechtungsgrund besteht: • bei Irrtum über die Person des Vertrags• bei allen gegenwärtigen wertbildenden Eigenpartners, den Gegenstand von Leistung schaften des Gegenstandes von gewisser Dauoder Gegenleistung, die Vertragsart oder er, die vertraglich vereinbart, dem Vertrag einen Vertragsbestandteil zugrunde gelegt wurden oder von erheblicher • analoge Anwendung bei Fehlen des Bedeutung sind (Material, HerstellungsverfahErklärungsbewusstseins ren, Echtheit eines Bildes, Lage eines Grund• gemäß § 120 bei Übermittlungsfehlern stücks). des Boten • bei Eigenschaften, die der Person anhaften, und anderen Merkmalen, die Einfluss auf die Wertschätzung haben, wenn sie zur Abwicklung des Rechtsgeschäftes von Bedeutung sind. kein Anfechtungsgrund: kein Anfechtungsgrund: • bei Kalkulationsirrtum • bei Irrtum über Wert, Preis oder Eigentum an einer Sache; Rentabilität eines Unternehmens, • Irrtum über gesetzliche Rechtsfolgen steuerliche Belastungen, die nicht an der Sache selbst anknüpfen • sonstige Motivirrtümer Anfechtungserklärung: Voraussetzungen der Anfechtungserklärung: • einseitige, empfangsbedürftige Willenserklärung • Erklärung darf keine Bedingung enthalten (aber Eventualanfechtung im Prozess möglich) • Anfechtungsgrund nur zu nennen, wenn nicht ersichtlich • Anfechtungsgegner ergibt sich aus § 143 (Vertragspartner, Erklärungsempfänger oder Begünstigter) Anfechtungsfrist: • unverzüglich nach Kenntnis vom Anfechtungsgrund Ausschlussgründe: • zehn Jahre nach Abgabe der Willenserklärung (§ 124 Abs. 3) • Bestätigung des anfechtbaren Rechtsgeschäftes im Bewusstsein der Anfechtbarkeit (§ 144) Rechtsfolgen: • Rechtsgeschäft wird rückwirkend (ex tunc) nichtig; Ausnahme bei Dauerschuldverhältnissen, insbes. Arbeitsvertrag: Wirkung ab Zeitpunkt der Anfechtungserklärung • Anfechtender wird gemäß § 122 Abs. 1 gegenüber gutgläubigen Anfechtungsgegner schadenersatzpflichtig (Vertrauensschaden, auf Höhe des Erfüllungsinteresses beschränkt)
B. Nichtigkeit und Anfechtung
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Übersicht 3.5: Arglistige Täuschung/Widerrechtliche Drohung Bestehen eines Anfechtungsgrundes: arglistige Täuschung (§ 123 Abs. 1 1. Alt.) Täuschungshandlung: Erregung eines Irrtums durch Erklärungsempfänger oder andere Person, die in seinem Lager steht, • durch positives Tun (Nennung falscher Tatsachen) • oder Unterlassung (Verschweigen von Tatsachen, zu deren Aufdeckung der Täuschende verpflichtet war) und Veranlassung zur Willenserklärung durch den Irrtum Arglist: • Täuschender handelt bewusst und hält Täuschung zumindest für möglich • Arglist auch gegeben bei Angaben trotz bewusster Unkenntnis über deren Wahrheitsgehalt (Angaben „ins Blaue hinein“)
widerrechtliche Drohung (§ 123 Abs. 1 2. Alt) Drohung: • Ankündigung eines zukünftigen Übels durch den Erklärungsempfänger, dessen Eintritt der Drohende aus der Sicht des Adressaten beeinflussen kann • wodurch der Adressat zu einer Willenserklärung veranlasst werden soll • Vorsatz bezüglich der Drohung und der dadurch verursachten Willenserklärung Widerrechtlichkeit: • angewandtes Mittel (Drohung) ist nicht rechtmäßig • erstrebter Zweck nicht rechtmäßig (kein Anspruch auf die erwünschte Willenserklärung) • Mittel und Zweck stehen in keinem angemessenen Verhältnis
Anfechtungserklärung:
• Voraussetzungen der Anfechtungserklärung gemäß § 143 (s. Übersicht 3.4) • Anfechtungsfrist gemäß § 124 ein Jahr ab Kenntnis von der Täuschung bzw. Beendigung der Zwangslage
• kein Ausschluss gemäß § 144 (s. Übersicht 3.4) Rechtsfolgen:
• Rechtsgeschäft ist rückwirkend nichtig • nach erklärter Anfechtung scheiden vertragliche Ansprüche (z. B. § 437) wegen Wegfall des Vertrages aus
• unabhängig von der Anfechtung und der Anfechtungsfrist können Ansprüche aus c. i. c. (Verschulden bei Vertragsverhandlungen, § 311 Abs. 2 und 3) und unerlaubter Handlung (§§ 823 ff.) geltend gemacht werden
116
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Kapitel 3
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III. Verstoß gegen Formvorschriften (vgl. Übersicht 3.6)90 117 Rechtsgeschäfte und damit auch Verträge sind grundsätzlich formlos gültig, d. h. auch eine mündliche Erklärung reicht aus, um z. B. ein gültiges Vertragsangebot abzugeben. Ausnahmsweise ist dann eine bestimmte Form erforderlich, wenn dies gesetzlich gefordert oder von den Parteien vorher so vereinbart wurde (gesetzliche oder gewillkürte Form). Grund für eine bestimmte Form ist die Sicherung des Beweises (z. B. Schriftform beim Vertrag) über die genauen Abreden, die Beratung der Parteien (bei der notariellen Beurkundung) und die Warnung vor einem übereilten Vertragsschluss (so bei der notariellen Beglaubigung).91 Bei einem Verstoß gegen eine gesetzliche Formvorschrift ordnet § 125 zwingend die Nichtigkeit des Rechtsgeschäftes an, während die Norm bei einem Verstoß gegen eine gewillkürte Formvorschrift von der Nichtigkeitsfolge absieht, wenn die Parteien erkennbar an dem Geschäft festhalten wollen.92 Ein Wohnraummietvertrag, der für längere Zeit als ein Jahr geschlossen werden 118 soll, bedarf nach § 550 ebenfalls der Schriftform, während alle anderen Mietverträge auch formfrei geschlossen werden können. Ist bei einem Wohnraummietvertrag die Schriftform nicht eingehalten worden, dann gilt er als auf unbestimmte Zeit abgeschlossen. Dies führt dann dazu, dass er von beiden Parteien unter Einhaltung der gesetzlichen Kündigungsfristen der §§ 573 ff. gekündigt werden kann, d. h. die eigentlich gewünschte Planungssicherheit für beide Parteien, die etwa eine wenigstens 10-jährige Vertragsbindung eingehen wollten, entfällt.93 Nach § 126 muss die Urkunde vom Aussteller eigenhändig durch Namensun119 terschrift unterschrieben werden. Eine Übertragung mit modernen Kommunikationsmitteln, bei denen das Original der Unterschrift dem Vertragspartner nicht zugeht, also insbesondere ein Telefax, reicht hierzu nicht aus.94 Die Unterschrift muss die Urkunde räumlich abschließen.95 Bei einer vertraglich vereinbarten Schriftform reicht grundsätzlich gemäß § 127 eine telegrafische (oder per Telefax erfolgte)96 Übermittlung aus. Die digitale Signatur nach dem Signaturgesetz steht, weil sie einen ähnlichen Sicherheitsstandard gewährleistet, der eigenhändigen Unterschrift gleich (§§ 126 Abs. 3, 126a).
90 91 92
93 94
95 96
Dazu auch Fall 3, Rn. 229 ff. Palandt/Heinrichs, Bürgerliches Gesetzbuch, 67. Aufl. 2008, § 125, Rn. 2. Unter bestimmten Bedingungen kann es treuwidrig sein, sich auf den Formmangel eines Rechtsgeschäftes zu berufen; dann entfällt die Nichtigkeitsanordnung Armbrüster, NJW 2007, 3317 ff. Timme/Hülk, NJW 2007, 3313 ff. BGHZ 121, 224 (229 f.) Palandt/Heinrichs, Bürgerliches Gesetzbuch, 67. Aufl. 2008, § 126, Rn. 11.Etwas anderes gilt für die Einreichung einer Klage bei Gericht, die auch per Fax möglich ist Ebnet, NJW 1992, 2985 ff. BGHZ 113, 48. Palandt/Heinrichs, Bürgerliches Gesetzbuch, 67. Aufl. 2008, § 127, Rn. 2.
B. Nichtigkeit und Anfechtung
41
Übersicht 3.6: Verstoß gegen Formvorschriften gesetzliches Formerfordernis (Beispiele im Schuldrecht):
Reichweite der gesetzlichen Formerfordernis:
Rechtsfolgen:
Heilung:
Unzulässigkeit, sich auf den Formmangel zu berufen:
Notarielle Beurkundung: § 311b Abs. 1: Grundstückskaufvertrag § 518: Schenkungsversprechen Schriftform: • §§ 550 S. 1, 578 Abs. 1, 2: Miet- und Pachtvertrag mit Vertragslaufzeit von mehr als einem Jahr • § 766: Bürgschaftsversprechen • § 780: Schuldversprechen • § 492: Verbraucherkreditvertrag • §§ 494 Abs. 1, 492: Vollmacht zum Abschluss eines Verbraucherkreditvertrages • Hauptabreden, also der Hauptbestandteil des Vertrages. • Nebenabreden, also solche Vereinbarungen, die im Zusammenhang mit dem Vertrag stehen. • Auftrag, Vorvertrag und unwiderrufliche Bevollmächtigung zum Abschluss eines formbedürftigen Rechtsgeschäfts (insbes. Grundstückskaufvertrag gemäß § 311b). • Abänderungen, es sei denn durch Formerfordernis geschützte Partei erreicht rechtlichen Vorteil. • Aufhebung des Vertrages nur dann, wenn aufgrund des Vertrages bereits Verpflichtungen begründet wurden. • Bei unvorsätzlichen Mängeln bewirkt Formerfordernis, dass wahrer Wille der Parteien in der Vertragsurkunde zumindest formgerecht angedeutet sein muss (Andeutungstheorie, h. M.). gesetzliche Formvorschrift • Gemäß § 125 wird der gesamte Vertrag nichtig. • Vertrag bleibt wirksam, wenn der Formmangel Nebenabreden betrifft, ohne die Vertrag abgeschlossen worden wäre. gewillkürte Formvorschrift • Vertrag nur dann nichtig, wenn die Einhaltung der Form von den Parteien zur Wirksamkeitsvoraussetzung gemacht wurde. • Abänderungen sind grundsätzlich formlos wirksam, da hierin eine Aufhebung des Formerfordernisses gesehen wird. Grundstückskaufvertrag: § 311b Abs. 1 S. 2: Mit der Übereignung des Grundstücks wird der Vertrag gültig. Bürgschaft: § 766 S. 3: Mit Erfüllung der Verbindlichkeit wird Vertrag gültig. Schenkung: § 518 Abs. 2: Durch Bewirken der versprochenen Leistung wird der Vertrag gültig. Verbraucherkredit: § 494 Abs. 2: Kreditvertrag wird gültig, wenn Verbraucher Darlehen empfängt oder Kredit in Anspruch nimmt; ggf. gilt ermäßigter Zinssatz gemäß S. 2 der Vorschrift und weitere Besonderheiten nach den Sätzen 3 bis 6. • Schwerer Treueverstoß: Derjenige, der sich auf den Formmangel berufen will, hat den Formverstoß vorsätzlich verursacht, während der Vertragspartner die Formnichtigkeit nicht kannte. • Wirtschaftliche Existenz des Vertragspartners wird vernichtet oder erheblich gefährdet.
• •
120
42
Kapitel 3
BGB Allgemeiner Teil
IV. Nichtigkeit aufgrund gesetzlicher Anordnung (vgl. Übersicht 3.7) 121 Gemäß § 134 ist ein Vertrag nichtig, wenn er gegen ein gesetzliches Verbot verstößt. Nach § 138 darf ein Vertrag nicht gegen die guten Sitten verstoßen. Gesetzliche und behördliche Veräußerungsverbote gemäß §§ 135, 136 haben dagegen gerade nicht die Nichtigkeit des Vertrages zur Folge, sondern der Vertrag ist nur in Bezug auf die durch das Verbot geschützten Personen als unwirksam anzusehen. Ein rechtsgeschäftliches Verfügungsverbot stellt gemäß § 137 kein wirksames Hindernis für eine dennoch getätigte Verfügung dar. Beispiel: Ein Mietwagenunternehmen handelt rechtsmissbräuchlich, wenn es einem Unfallgeschädigten einen Mietwagen zu einem Preis verleiht, der um 140% über dem marktüblichen Preis liegt. Der Mietvertrag ist nach § 138 nichtig.97 Beispiel: Ein Kaufvertrag über gestohlene Ware ist immer nach § 134 nichtig, da damit der Straftatbestand der Hehlerei (§ 259 StGB) erfüllt werden würde. Beispiel: Ob ein Vertrag gegen die guten Sitten im Sinne von § 138 Abs. 1 verstößt, unterliegt der jeweiligen Beurteilung im Einzelfall. Der sittliche Maßstab dafür unterliegt einem permanenten Wandel im Laufe der Zeit. Im Unterschied zu einer einige Jahrzehnte zurückliegenden Wertung werden heute Mitverträge mit unverheirateten Partnern (das sogenannte Konkubinat) heute nicht mehr als sittenwidrig, sondern als wirksam angesehen.
97
Beispiel nach BGH, NJW 2007, 3782.
B. Nichtigkeit und Anfechtung
43
Übersicht 3.7: Nichtigkeit aufgrund gesetzlicher Anordnung Verstoß gegen Verbotsgesetz gemäß § 134
Sittenwidrigkeit gemäß § 138 Abs. 1
Wucher gemäß § 138 Abs. 2
98
99
Vorliegen eines Verbotsgesetzes: • Gesetzliches Verbot muss sich gegen den Inhalt des Rechtsgeschäftes richten. Form- und Ordnungsvorschriften stellen daher kein Verbotsgesetz dar. • Nichtigkeitsfolge muss notwendig sein, um gesetzliches Ziel zu erreichen Rechtsfolgen: • Bei beiderseitigem Verstoß ist der Vertrag immer nichtig (z. B. Verstoß gegen SchwarzArbG;98 Verstoß gegen § 203 Abs. 1 StGB, wenn persönliche Daten an Dritte weitergegeben werden). • Bei einseitigem Verstoß ist Vertrag nichtig, wenn nur so der Gesetzeszweck erfüllt werden kann (z.B. Verbot gegen Rechtsberatungsgesetz). • Vertrag gem. § 134 gültig, wenn bei einseitigem Verstoß durch Verbot der andere Teil geschützt werden soll (z.B. § 263 StGB, Betrug: Geschädigter kann gem. § 123 anfechten). • Vertrag gültig in Bezug auf den Teil, der nicht gegen Verbot verstößt, wenn dies zu Schutz notwendig (z.B. einseitiger Verstoß gegen SchwarzArbG: gutgläubiger Partner behält vertragliche Gewährleistungsansprüche). • Verfügungsgeschäfte sind nur nichtig, wenn Verbot diese erfasst (z. B. Geldübereignung aufgrund Bestechungsvereinbarung gem. § 333 Abs. 1 StGB). • Umgehungsgeschäfte werden ebenfalls von der Nichtigkeit erfasst. Voraussetzungen: • Geschäft muss objektiv sittenwidrig sein, also gegen die herrschende Sozialmoral (Anstandsgefühl aller billig und gerecht Denkenden) verstoßen, wobei Interessenabwägung im Einzelfall notwendig. Folgende Fallgruppen sind möglich: Geschäftsinhalt verboten (z. B. Auftragsmord, Anstiftung zum Diebstahl) Inhalt des Geschäftes verstößt gegen Wesensprinzipien des Grundgesetzes (z.B. Verstoß gegen die Menschenwürde bei Leihmutterschaft) Knebelungsverträge, bei denen entweder wirtschaftliche Machtposition ausgenutzt oder/und begründet wird. Ausnutzen eins Mangels an Urteilsvermögen (z. B. wegen Verstandesschwäche, geringem Bildungsstand, hohem Alter, nicht aber wenn Vertragspartner seine vorhandenen Erkenntnismöglichkeiten nur nicht genutzt hat)99 Übersicherung eines Gläubigers zuungunsten der übrigen Gläubiger • Beteiligte müssen subjektiv in Kenntnis der Umstände gehandelt haben, aus denen sich die Sittenwidrigkeit ergibt. Ein Bewusstsein, sittenwidrig zu handeln, ist nach h. M. nicht erforderlich. Rechtsfolgen: • Das ursächliche Rechtsgeschäft (Verpflichtungsgeschäft) ist nichtig. • Etwaige Verfügungsgeschäfte sind nichtig, wenn auch diese sittenwidrig sind. Das ist grundsätzlich bei Verfügungen des Geschädigten der Fall. • Geschäft kann nach Vertragsanpassung wirksam werden (Mietvertrag; Darlehen, hier str., ob zumindest marktüblicher Zinssatz berechnet werden kann). • Auffallendes Missverhältnis von Leistung und Gegenleistung • Ausnutzung einer Zwangslage, der Unerfahrenheit, des Mangels des Urteilsvermögens oder einer erheblichen Willensschwäche des Vertragspartners • Ausbeuten der Zwangslage = bewusstes Ausnutzen der Situation (durch Missverhältnis indiziert) • Rechtsfolge: Vertrag ist nichtig. U. U. Vertragsanpassung wie bei allg. Sittenwidrigkeit möglich.
Gesetz zur Bekämpfung der Schwarzarbeit und illegalen Beschäftigung (Schwarzarbeitsbekämpfungsgesetz – SchwarzArbG) vom 23.07.2004, BGBl. I S. 1841, zuletzt geändert am 24.6.2005, BGBl. I, S. 1841. BGH, NJW 2006, 3054 (3056).
122
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BGB Allgemeiner Teil
C. Die Vertretung 123 Bei der zum Vertrag führenden Einigung, wie auch bei allen anderen Rechtsgeschäften, können sich die Parteien grundsätzlich durch eine andere Person vertreten lassen. Ein Vertragsschluss durch Vertreter kommt zustande, wenn dieser eine eigene Willenserklärung im fremden Namen mit Vertretungsmacht getätigt hat, § 164 Abs. 1 S. 1. Die Vertretungsmacht kann dabei aufgrund einer rechtsgeschäftlichen Vollmacht gemäß § 167 Abs. 1 bestehen oder auf Gesetz beruhen.100 Die Vertretung ist lediglich bei höchstpersönlichen Rechtsgeschäften ausgeschlossen, wie bei der Eheschließung gemäß § 1310 oder der Errichtung einer Verfügung von Todes wegen gemäß § 2064.101 Allerdings ist die Stellvertretung auf Willenserklärungen beschränkt. Somit sind Realakte, die nur rein tatsächliche Handlungen beinhalten, an welche rechtliche Folgen geknüpft sind (z. B. Übergabe einer Sache beim Eigentumserwerb nach § 929), von der Stellvertretung ausgenommen. Auch deliktische Handlungen können nicht nach Vertretungsregeln zugerechnet werden.102
I.
Eigene Willenserklärung
124 Gemäß § 164 Abs. 1 S. 1 muss der Vertreter eine eigene Willenserklärung abgeben, d. h. alle Voraussetzungen für eine wirksame Willenserklärung müssen in seiner Person vorliegen. Da die Rechtsfolgen der Stellvertretung gemäß § 164 Abs. 1 den Vertretenen 125 treffen, ist die Willenserklärung des Vertreters für diesen rechtlich neutral, weshalb auch ein nur beschränkt Geschäftsfähiger Vertreter sein kann, wie § 165 ausdrücklich regelt. Anhand dieses Merkmals, der eigenen Willenserklärung des Vertretenen, ist die Vertretung von der Botenschaft abzugrenzen, da der Bote die Willenserklärung des Geschäftsherrn überbringt, also keine eigene Willenserklärung abgibt.103 Somit muss der Bote nicht geschäftsfähig sein und hinsichtlich der Form ist auf 126 die Erklärung des Geschäftsherrn abzustellen. Die Unterscheidung zwischen beiden wird nach dem äußeren Erscheinungsbild vorgenommen, d. h. auch hier ist der objektivierte Empfängerhorizont maßgeblich. Für die Annahme einer Vertretung spricht ein gewisser Handlungsspielraum des Erklärenden, der ja eine eigene Willenserklärung abgibt, während bei einer engen Bindung an die Anweisungen des Geschäftsherrn von einer Botenschaft auszugehen ist. Allerdings ist bei Unklarheiten anzunehmen, dass der Geschäftsherr seine Übermittlungsperson so 100
101 102
103
Vertretungsmacht von gesetzlichem Vertreter eines Minderjährigen gem. § 1629 Abs. 1; Vertretungsmacht der Organe eines Vereins oder einer Gesellschaft, s. Rn. 545 ff. Palandt/Heinrichs, Bürgerliches Gesetzbuch, 67. Aufl. 2008, Einf. v. § 164, Rn. 4. Haftung des Geschäftsherrn für seinen Erfüllungsgehilfen nach § 278 bzw. für seinen Verrichtungsgehilfen nach § 831. Zur Zurechnung von deliktischen Verhalten bei der Gesellschaft s.u. Rn. 581 ff. Palandt/Heinrichs, Bürgerliches Gesetzbuch, 67. Aufl. 2008, Einf. v. § 164, Rn. 11.
C. Die Vertretung
45
handeln lassen wollte, dass das Geschäft wirksam getätigt werden kann. Tritt der Bote unbewusst als Vertreter auf, so ist der Erklärende zunächst an diese Erklärung gebunden, er kann jedoch gemäß § 120 anfechten. Bei einer bewussten Falschübermittlung ist der Absender nicht an die Erklärung gebunden, da der andere gemäß § 177 als Vertreter ohne Vertretungsmacht handelt. Eine rechtliche Bindung des Auftraggebers tritt jedoch immer ein, wenn trotz des weisungswidrigen Auftretens der Übermittlungsperson das entstandene Rechtsgeschäft dem Willen des Auftraggebers entspricht. Da es sich um die Willenserklärung des Vertreters handelt, müssen Umstände, 127 die eine Anfechtung der Willenserklärung begründen, gemäß § 166 Abs. 1 grundsätzlich in der Person des Vertreters vorliegen. In entsprechender Anwendung des § 166 Abs. 2 kommt aber nach der h. M. auch die Person des Vertretenen in Betracht, wenn der Vertreter auf bestimmte Weisung des Vertretenen gehandelt hat.104
II. Willenserklärung im Namen des Vertretenen Gemäß § 164 Abs. 1 und 2 muss der Vertreter deutlich machen, dass er seine Wil- 128 lenserklärung im Namen des Vertretenen getätigt hat, dass also ein anderer hinter der Erklärung steht. Grund für dieses Offenkundigkeitsprinzip ist der Schutz des Erklärungsempfängers, der in der Regel seinen Vertragspartner kennen will. Wird der Wille des Vertreters, im fremden Namen zu handeln, nach außen nicht deutlich, so wirkt die Erklärung für und gegen den Vertreter, d. h. er selbst wird Vertragspartner des Erklärungsempfängers. Gemäß § 164 Abs. 2 berechtigt dieser Willensmangel auch nicht zur Anfechtung der Willenserklärung. Der Gesetzgeber bewertet den Vertrauensschutz des Erklärungsempfängers höher. Die h. M. wendet § 164 Abs. 2 aus diesem Grund auch auf die Fälle an, in denen der Erklärende zwar nach außen als Vertreter aufgetreten ist, er aber tatsächlich die Willenserklärung im eigenen Namen tätigen wollte.105 Hier wird nicht der Erklärende Vertragspartner, sondern die Person, in dessen Namen er aus der Sicht des Erklärungsempfängers aufgetreten ist. Dieser kann dem Rechtsgeschäft aber gemäß § 177 Abs. 1 die Genehmigung verweigern. Von dem Offenkundigkeitsgrundsatz werden jedoch dann Ausnahmen gemacht, 129 wenn sich der Vertragspartner aus den Umständen ergibt oder der andere kein Interesse an der Kenntnis hinsichtlich des Vertragspartners hat. So muss der Vertreter bei einem unternehmensbezogenen Rechtsgeschäft nicht extra deutlich machen, dass er nicht für sich selbst handelt.106 Ein unternehmensbezogenes Rechtsgeschäft liegt vor, wenn sich aus dem Ort des Vertragsschlusses oder Zusätzen bei der Unterschrift oder aus der vertraglichen Bestimmung der Leistung für das Un104
105
106
BGHZ 51, 141 (147); Palandt/Heinrichs, Bürgerliches Gesetzbuch, 67. Aufl. 2008, § 166 Rn. 10. BGHZ 36, 30 (33); Palandt/Heinrichs, Bürgerliches Gesetzbuch, 67. Aufl. 2008, § 164, Rn. 4; dagegen wird in der Literatur je nach Konstellation dem Vertreter oder dem Vertretenen ein Anfechtungsrecht zugebilligt Brox, JA 1980, 449 (454). BGH NJW 1990, 2678; Palandt/Heinrichs, Bürgerliches Gesetzbuch, 67. Aufl. 2008, § 164, Rn. 2.
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Kapitel 3
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ternehmen ein konkreter Unternehmensbezug ergibt.107 Macht der Vertreter deutlich, dass er für einen anderen handeln will, ohne diesen näher zu benennen, und lässt sich der Erklärungsempfänger darauf ein, so kommt der Vertrag mit dem unbenannten Dritten zustande.108 Des Weiteren ist der Erklärungsempfänger bei Bargeschäften des täglichen Lebens nicht schutzbedürftig (Geschäft für den, den es angeht).109 Ein Verkäufer beweglicher Sachen, der nach Zahlung des Kaufpreises die Sache übergibt, bringt damit zum Ausdruck, dass er kein Interesse an der genauen Kenntnis über die Person seines Vertragspartners hat. Der Vertrag ist damit mit dem, den es angeht, also mit dem Vertretenen, wirksam geworden. Keine echte Ausnahme bilden die Fälle, in denen der Erklärende seine Willens130 erklärung unter einem fremden Namen abgibt. Verwendet der Erklärende lediglich einen beliebigen falschen Namen, so kommt der Vertrag mit ihm selbst zustande, da der Vertragspartner nicht an dem Namen, sondern an der Person interessiert ist.110 Benutzt der Erklärende jedoch einen bekannten anderen Namen und musste er davon ausgehen, dass der andere nur deshalb den Vertrag abschließen wollte, so handelt er als Vertreter ohne Vertretungsmacht für den Namensträger, sodass dieser den Vertrag gemäß §§ 177, 179 genehmigen kann.111 Beispiel: M mietet für sich und seine Geliebte ein Hotelzimmer unter dem Namen N. Der Mietvertrag gemäß § 535 ist hier mit M zustande gekommen. Nennt sich M aber Michael Schumacher, um das einzige noch freie Zimmer in einem Prominentenhotel zu ergattern, so ist der Vertrag mit Michael Schumacher geschlossen, wenn dieser genehmigt. Dasselbe gilt, wenn jemand einen fremden Computer nutzt und dort unter einer bestimmten Bezeichnung bei der eBay-Plattform angemeldet ist. Werden unter dieser eBay-Bezeichnung Geschäfte getätigt, so kommt der Vertrag nicht automatisch mit der hinter dem Benutzernamen stehenden Person zustande, wenn diese bestreitet, das Gebot abgegeben zu haben. In diesem Fall muss der Vertragspartner beweisen, wer konkret das Gebot abgegeben hat. Auf das Handeln im Internet unter fremdem Namen werden die §§ 164 ff. angewandt.112 Der Handelnde, der einen fremden eBay-Account nutzt, haftet gegebenenfalls nach § 179. Der wahre Berechtigte des Accounts haftet nur dann, wenn ihm die Erklärung des Fremden zugerechnet werden kann (z. B. im Wege einer Anscheins- oder Duldungsvollmacht).113
III. Vertretungsmacht 131 Aus § 164 Abs. 1 ergibt sich, dass eine Willenserklärung, die der Vertreter im Namen des Vertretenen abgegeben hat, für diesen nur Wirkung entfaltet, wenn der 107 108
109 110 111
112 113
BGH WM 1994, 43 (44) m. w. N. Palandt/Heinrichs, Bürgerliches Gesetzbuch, 67. Aufl. 2008, § 164, Rn. 9 (sog. offenes Geschäft für den, den es angeht). Palandt/Heinrichs, Bürgerliches Gesetzbuch, 67. Aufl. 2008, § 164, Rn. 8. Palandt/Heinrichs, Bürgerliches Gesetzbuch, 67. Aufl. 2008, § 164, Rn. 10. Palandt/Heinrichs, Bürgerliches Gesetzbuch, 67. Aufl. 2008, § 164, Rn. 11; BGHZ 45, 193 (195); BGHZ 111, 334 (338). OLG München, NJW 2004, 1328 (1329). OLG Köln, NJW 2006, 1676.
C. Die Vertretung
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Vertreter mit Vertretungsmacht gehandelt hat. Wie dargelegt kann diese Vertretungsmacht aufgrund einer gesetzlichen Regelung bestehen. Im Folgenden werden die Fälle erläutert, bei denen die Vertretungsmacht aufgrund einer rechtsgeschäftlichen Vollmacht gemäß § 167 Abs. 1 oder deren Anschein entstanden sind. 1.
Rechtsgeschäftliche Vollmacht
a)
Erteilung der Vollmacht
Die Vollmacht wird durch den Vollmachtgeber mittels einer empfangsbedürfti- 132 gen – im Regelfall formfreien – Willenserklärung gemäß § 167 erteilt. Möglich ist die Erteilung einer Innenvollmacht an den Vertreter gemäß § 167 Abs. 1 1. Fall oder einer Außenvollmacht gegenüber dem Vertragspartner gemäß § 167 Abs. 1 2. Fall.114 Die Vollmacht besteht in der Praxis nicht isoliert, sondern beruht auf einem Grundverhältnis zwischen Vollmachtgeber und Vertreter. Dieses Innenverhältnis kann ein Auftrag zur Wahrnehmung der bestimmten Aufgabe gemäß § 662 oder ein Arbeitsverhältnis gemäß § 611 sein. In jedem Fall spielt das Innenverhältnis für das Bestehen der Vertretungsmacht keine Rolle, diese richtet sich nur nach der Vollmacht selbst (Abstraktionsprinzip).115 Die Vollmacht kann mündlich und schriftlich erteilt werden. Soll Vollmacht 133 zum Erwerb eines Grundstücks erteilt werden, so bedarf wegen § 311b Abs. 1 schon die Vollmachtserteilung der notariellen Beurkundung; eine handschriftliche Vollmacht wäre hier formunwirksam. Auch bei der Art der Vollmacht ist der Vollmachtgeber ungebunden. Er kann 134 die Vollmacht für ein bestimmtes Geschäft erteilen (Spezialvollmacht) oder für eine bestimmte Art von Geschäften (Gattungsvollmacht) oder auch für alle Rechtsgeschäfte, für die eine Vollmacht zulässig ist (Generalvollmacht). Des Weiteren kann er eine Einzelperson (Einzelvollmacht) oder mehrere Personen gemeinsam (Gesamtvollmacht) bevollmächtigen.116 b)
Erlöschen der Vollmacht
Grundsätzlich kann der Vollmachtgeber die Vollmacht jederzeit durch Widerruf 135 gegenüber dem Vertreter oder dem Vertragspartner gemäß § 168 S. 2, 3 i. V. m. § 167 zum Erlöschen bringen. Regelmäßig endet die Vollmacht dann, wenn auch das Grundverhältnis, also z. B. der Arbeitsvertrag, beendet wird, § 168 S. 1. Allerdings kann der Vollmachtgeber auch eine unwiderrufliche Vollmacht ertei- 136 len, wobei dann allerdings die Formvorschriften des Rechtsgeschäftes, auf das sich die Vollmacht bezieht, eingehalten werden müssen. Aber auch die unwiderrufliche Vollmacht kann bei Missbrauch der Vertretungsmacht widerrufen werden.117 114
115 116 117
Zu den Besonderheiten beim Handelsunternehmen (Prokura, Handelsvollmacht) s. Rn. 414 ff. Palandt/Heinrichs, Bürgerliches Gesetzbuch, 67. Aufl. 2008, Einf. v. § 164, Rn. 2. Palandt/Heinrichs, Bürgerliches Gesetzbuch, 67. Aufl. 2008, § 167, Rn. 13. Palandt/Heinrichs, Bürgerliches Gesetzbuch, 67. Aufl. 2008, § 168, Rn. 5 und 6.
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137
Kapitel 3
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Besonderheiten bestehen für den Fall, dass der Vollmachtgeber dem Vertreter in einer schriftlichen Urkunde (Vollmachtsurkunde) gemäß § 172 die Vertretungsmacht bescheinigt hat. Zwar ist der Vertreter nach dem Erlöschen der Vollmacht gemäß § 175 verpflichtet, dem Vollmachtgeber die Urkunde zurückzugeben, aber bis zur Rückgabe wird im Interesse des Vertrauensschutzes gegenüber Dritten, denen der Vertreter die Urkunde gemäß § 172 Abs. 1 vorlegt, ein Fortbestand der Vertretungsmacht gemäß § 172 Abs. 2 angenommen,118 es sei denn, der Vertragspartner kannte den Wegfall der Vertretungsmacht oder er hätte ihn erkennen müssen (§ 173). 2.
Duldungs- und Anscheinsvollmacht
138 Auch wenn der Vertretene dem Vertreter keine ausdrückliche Vollmacht erteilt hat, kann er dennoch durch dessen Erklärung gebunden werden, wenn der Geschäftspartner in seinem Vertrauen auf das Bestehen einer rechtsgeschäftlichen Vollmacht geschützt ist. In diesem Fall entsteht die rechtliche Wirkung aufgrund einer analogen Anwendung der §§ 170 ff., die das Vertrauen in eine tatsächlich erloschene Vollmacht schützen. Voraussetzung dafür ist, dass der Dritte nach Treu und Glauben auf eine Bevollmächtigung schließen darf. Dieser Rechtsschein muss dem Vertretenen zuzurechnen sein, und der Dritte muss auf das tatsächliche Vorliegen einer Vollmacht vertraut haben.119 a)
Duldungsvollmacht
139 Bei der sogenannten Duldungsvollmacht wird dem Vertretenen der entstandene Rechtsschein zugerechnet, wenn er das Verhalten des Vertreters kannte und geduldet hat. Beispiel: G ist von C ausdrücklich nur für die Buchführung eingestellt worden. Dennoch verkauft er des Öfteren Computerzubehör an Kunden, wenn gerade kein Angestellter da ist. C bemerkt dies und schreitet nicht ein. K hat bereits mehrmals von G Waren gekauft und erwirbt nun von ihm ein Programm, das C bereits für einen anderen Kunden zurückgelegt hatte. K hatte darauf vertraut, dass G auch zum Verkauf bevollmächtigt sei. Daher lag eine Duldungsvollmacht vor, weshalb K Vertragspartner des C geworden ist. Beispiel: A hat sich bereits weitgehend aus ihrer Ingenieurgesellschaft für Wasserbau zurückgezogen, duldet es aber, dass ihr Ehemann, der bereits die eidesstattliche Versicherung abgegeben hat, noch Verträge für die Gesellschaft abschließt. Aufgrund Duldungsvollmacht wird hierdurch A berechtigt und verpflichtet.
118
119
Diese Vorschrift bildet eine gesetzliche Grundlage für die Annahme, dass jemand auch aufgrund eines Rechtsscheins verpflichtet werden kann. Denn tatsächlich ist die Vollmacht durch den Widerruf erloschen und der Gesetzgeber fingiert eine Vollmacht aufgrund des Rechtsscheins der Vollmachtsurkunde. Palandt/Heinrichs, Bürgerliches Gesetzbuch, 67. Aufl. 2008, § 173, Rn. 9 ff.
C. Die Vertretung
b)
49
Anscheinsvollmacht
Im Gegensatz zur Duldungsvollmacht kennt der Vertretene bei der Anscheins- 140 vollmacht das Verhalten des Vertreters nicht. Dennoch wird ihm von der h. M. der Rechtsschein einer Vollmacht zugerechnet, wenn er bei Einhaltung der pflichtgemäßen Sorgfalt dieses Verhalten hätte erkennen und verhindern können.120 Beispiel: A lässt eine Vollmachtsurkunde für B herumliegen, die er für sich nur als Entwurf angefertigt hatte. Schließt C mit B in Kenntnis dieser Urkunde einen Vertrag, wird aufgrund bestehender Anscheinsvollmacht A berechtigt und verpflichtet.
c)
Anfechtung
Sowohl bei der Duldungs- als auch bei der Anscheinsvollmacht ist eine Anfech- 141 tung ausgeschlossen, da bei beiden keine Willenserklärung, sondern nur ein Rechtsscheinstatbestand vorliegt. Gehaftet wird für den schuldhaft verursachten Rechtsschein einer tatsächlich nicht bestehenden Vollmacht.
IV. Vertreter ohne Vertretungsmacht Wenn die Person, die als Vertreter aufgetreten ist, keine Vertretungsmacht für die 142 Willenserklärung hatte, ist ein durch die Erklärung zustande gekommener Vertrag gemäß § 177 schwebend unwirksam. Ein einseitiges Rechtsgeschäft ist gemäß § 180 dagegen grundsätzlich nichtig, es sei denn, der andere Teil hat den Mangel der Vertretungsmacht nicht beanstandet. Dann gelten auch für einseitige Rechtsgeschäfte die Regeln in Bezug auf Verträge. Beispiele für einseitige Rechtsgeschäfte sind die Auslobung (§ 657), die Eigentumsaufgabe (§ 959), das Testament (§ 2247), die Bevollmächtigung (§ 167) oder die Gründung einer Ein-MannGmbH oder AG (§ 36 Abs. 2 GmbHG, § 2 AktienG). 1.
Auswirkungen auf den Vertrag
Nach § 177 kann der Vertretene das Geschäft nachträglich genehmigen, bis zur 143 Genehmigung kann der andere Teil gemäß § 178 den Vertrag widerrufen bzw. den Vertretenen gemäß § 177 Abs. 2 zu einer Erklärung über die Wirksamkeit des Vertrages innerhalb von zwei Wochen auffordern. Die Genehmigung durch den Vertretenen ersetzt die Vertretungsmacht des Vertreters. Somit wird der Vertrag dann mit dem Vertretenen wirksam; er kann den Vertrag also durch die Genehmigung an sich ziehen.
120
BGH NJW 1981, 1727 (1728); BGH, NJW 1998, 1854; Palandt/Heinrichs, Bürgerliches Gesetzbuch, 67. Aufl. 2008, § 172, Rn. 11. Die Gegenansicht sieht in dem Tatbestand keine Vollmacht und verneint daher eine rechtliche Bindung.
50
Kapitel 3
BGB Allgemeiner Teil
2.
Haftung des Vertreters
144 Wenn der Vertretene das Rechtsgeschäft nicht genehmigt, entstehen für ihn keinerlei Bindungen. An seiner Stelle haftet der Vertreter unter den Voraussetzungen des § 179. Gemäß § 179 Abs. 1 haftet der Vertreter dem Geschäftspartner nach seiner Wahl auf Erfüllung oder auf Schadenersatz. Wählt der Geschäftsgegner Erfüllung, wird der Vertreter damit zwar rechtlich nicht sein Vertragspartner, er erlangt jedoch in tatsächlicher Hinsicht die Stellung eines solchen; ist bei einem Kaufvertrag die Erfüllungsleistung mangelhaft, stehen dem Geschäftsgegner daher die Rechte aus § 437 zu.121 Der Vertreter ohne Vertretungsmacht muss also gegebenenfalls die vertragliche Leistung selbst erbringen. Ist er dazu nicht in der Lage, muss er dem anderen den Erfüllungsschaden ersetzen. Wählt der Geschäftsgegner Schadenersatz, ist die Haftung des Vertreters ohne 145 Vertretungsmacht gemäß § 179 Abs. 2 auf den Vertrauensschaden in der Höhe des Erfüllungsinteresses beschränkt, wenn der Vertreter den Mangel der Vertretungsmacht nicht kannte. Gemäß § 179 Abs. 3 ist seine Haftung gänzlich ausgeschlossen, wenn der andere den Mangel kannte oder hätte kennen müssen, bzw. wenn der Vertreter beschränkt geschäftsfähig war und ohne die Zustimmung seines gesetzlichen Vertreters gehandelt hat. Die Haftung des Vertreters ist außerdem ausgeschlossen, wenn der andere Teil vor einer etwaigen Genehmigung des Vertretenen von seinem Widerrufsrecht gemäß § 178 Gebrauch gemacht hat. Nach der h. M. entfällt die Haftung des Vertreters ebenfalls bei Bestehen einer Duldungsoder Anscheinsvollmacht, da hier der Geschäftspartner seine Ansprüche gegen den Vertretenen voll durchsetzen kann.122 Des Weiteren wird bei einer nachträglichen Anfechtung der Vollmacht der Geschäftspartner hinsichtlich seines Schadenersatzanspruches an den Vollmachtgeber verwiesen.123
V. Grenzen der Vertretungsmacht 146 Auch bei grundsätzlich bestehender Vertretungsmacht kann diese bei gewissen Konstellationen im Einzelfall entfallen. 1.
Verbot des In-sich-Geschäftes
147 Gemäß § 181 entfällt die Vertretungsmacht, wenn der Vertreter auf beiden Seiten des Rechtsgeschäftes steht. Das ist einmal gemäß § 181 1. Alt. bei der Selbstkontrahierung der Fall. Hier schließt jemand als Vertreter einen Vertrag mit sich selbst ab. Erfasst wird durch § 181 2. Alt. zudem die Mehrfachvertretung, bei welcher der Vertreter sowohl den einen wie auch den anderen Vertragspartner vertritt. Rechtsfolge des § 181 ist die schwebende Unwirksamkeit des Geschäftes, sodass die §§ 177, 178 anzuwenden sind. § 181 nimmt von diesem Verbot jedoch solche 121 122
123
Palandt/Heinrichs, Bürgerliches Gesetzbuch, 67. Aufl. 2008, § 179, Rn. 5. Palandt/Heinrichs, Bürgerliches Gesetzbuch, 67. Aufl. 2008, § 178, Rn. 1; BGHZ 86, 273. S.o. Rn. 132.
C. Die Vertretung
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Rechtsgeschäfte aus, bei denen der Vollmachtgeber das In-sich-Geschäft ausdrücklich genehmigt hat, und die Geschäfte, die ausschließlich in der Erfüllung einer Verbindlichkeit bestehen. Darüber hinaus schränkt die h. M. das Verbot für rechtlich nicht nachteilige Rechtsgeschäfte ein.124 Das Verbot des In-sich-Geschäfts gilt gemäß § 35 Abs. 4 GmbHG auch für den 148 Alleingesellschafter, der zugleich Geschäftsführer der GmbH ist. Dieser kann also ohne ausdrückliche Befreiung vom Verbot des § 181 im Gesellschaftsvertrag keine Verträge namens der GmbH mit sich selbst schließen. Ferner wird § 181 analog angewandt, wenn der Vertreter das Verbot des In-sich-Geschäftes dadurch zu umgehen versucht, dass er auf einer Seite einen Untervertreter bestellt.125 2.
Kollusion und Missbrauch der Vertretungsmacht
Kommt § 181 nicht zur Anwendung, ist ein Ausschluss der Vertretungsmacht nicht 149 anzunehmen. Allerdings ist in den Fällen des kollusiven Zusammenwirkens von Vertreter und Vertragspartner das Rechtsgeschäft wegen sittenwidrigen Verhaltens gemäß § 138 Abs. 1 nichtig. Voraussetzung dafür ist, dass der Vertreter und der Geschäftspartner gemeinschaftlich einen Vertrag bei objektiv bestehender Vertretungsmacht schließen, um den Vertretenen zu schädigen.126 Beispiel: Zur Schädigung seiner Gesellschaft verkauft der Geschäftsführer einer GmbH einen Firmenwagen weit unter Preis. Weiß der Käufer von den Umständen, ist der Kaufvertrag nach § 138 Abs. 1 nichtig.
Die h. M nimmt darüber hinaus eine Einrede des Vertretenen gegen den Erfül- 150 lungsanspruch des Geschäftspartners wegen Rechtsmissbrauchs gemäß § 242 an, wenn der Vertreter seine im Innenverhältnis bestehenden Befugnisse überschreitet (Missbrauch der Vertretungsmacht) und der Geschäftspartner die Überschreitung erkannte oder aufgrund eindeutiger Verdachtsmomente hätte erkennen müssen.127
124 125
126
127
BGHZ 112, 339 (341). BGH NJW 1991, 692; Palandt/Heinrichs, Bürgerliches Gesetzbuch, 67. Aufl. 2008, § 181, Rn. 12. Schramm, in: Münchener Kommentar zum BGB, 3. Aufl. 1996, § 164, Rn. 103; BGH, NJW 1988, 3012. BGHZ 50. 112 (114); Die Gegenansicht in der Literatur hält hier die Vertretungsmacht für entfallen und wendet die §§ 179 ff. analog an, Medicus, Schuldrecht I Allg. Teil, 17. Aufl. 2006, Rn. 968.
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Kapitel 3
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Übersicht 3.8: Die Vertretung
151
Zulässigkeit:
Voraussetzungen:
Rechtsfolgen:
• •
Grundsätzlich bei allen Willenserklärungen, nicht jedoch bei Realakten. Ausnahme: Willenserklärungen, die Bestandteil von höchstpersönlichen Rechtsgeschäften sind (z. B. Heirat, Vermächtnis). Eigene Willenserklärung Der Vertreter tätigt gemäß § 164 Abs. 1 eine eigene Willenserklärung, • Abgrenzung zum Boten, der fremde Willenserklärung überbringt. Dabei ist der äußere Eindruck maßgebend. Bei Unklarheiten ist zugunsten des Geschäftsherrn von der für ihn günstigen Erklärungsform auszugehen. • Erklärung Vertreter muss alle Wirksamkeitsvoraussetzungen erfüllen. • Bei Mängeln, die zur Anfechtung berechtigen, ist grds. auf Person des Vertreters abzustellen (§ 166 Abs. 1). Ausnahmsweise schlägt Mangel in Willensbildung des Vertretenen durch, wenn Vertreter in Erklärung eng an den Willen gebunden (analoge Anwendung § 166 Abs. 2, h.M.). In fremdem Namen (Offenkundigkeit) Der Vertreter muss gemäß § 164 Abs. 1 nach außen deutlich machen, dass er für den Vertretenen handelt. • Wird der Fremdvertretungswille nicht deutlich, ist Vertreter selbst Vertragspartner geworden (§ 164 Abs. 2). • Wird der Eigengeschäftsführungswille nicht deutlich, wird Erklärender als Vertreter behandelt (§ 164 Abs. 2 analog). • Offenkundigkeit kann entfallen bei unternehmensbezogenen Rechtsgeschäften und • bei Kaufverträgen, die an Ort und Stelle bar abgewickelt werden (Geschäft für den, den es angeht). Mit Vertretungsmacht Die Vertretungsmacht kann aufgrund Gesetzes (Erziehungsberechtigte oder Organe eines Vereins, einer Gesellschaft) oder aufgrund einer rechtsgeschäftlichen Vollmacht gemäß § 167 bestehen. • Erteilung der rechtsgeschäftlichen Vollmacht gemäß § 167: Durch formfreie einseitige empfangsbedürftige Willenserklärung gegenüber Vertreter (Innenvollmacht) oder Geschäftspartner (Außenvollmacht). Formerfordernis besteht nur bei unwiderruflicher Vollmacht für formbedürftiges Rechtsgeschäft. Mögl. ist Einzel-, Gattungs- oder Generalvollmacht. • Erlöschen der Vollmacht gemäß § 168: Durch Widerruf vor Benutzung der Vollmacht; bei Beendigung des zugrunde liegenden Rechtsverhältnisses. Außerdem wird von der h. M. jederzeit eine Anfechtung der Vollmacht für möglich gehalten. • Rechtsschein einer Vollmacht: Bei Vorlage einer Vollmachtsurkunde nach Wegfall der Vollmacht (§ 172); bei Widerruf einer Außenvollmacht nur gegenüber dem Vertreter (§ 170); bei Bestehen einer Anscheins- oder Duldungsvollmacht (Dritter kann auf den Rechtsschein einer Vollmacht vertrauen, und dieser Rechtsschein ist dem Vertretenen zuzurechnen). • Missbrauch der Vertretungsmacht: Bei verbotenem In-sich-Geschäft (§ 181 direkt oder analog) entfällt Vertretungsmacht; bei kollusivem Zusammenwirken von Vertreter und Geschäftspartner ist Vertrag gemäß § 138 sittenwidrig; bei allg. Missbrauch (Überschreitung der Befugnisse, die Geschäftspartner erkennt oder erkennen müsste) ist Vertrag wegen § 242 nicht durchsetzbar. • Bei Vorliegen der Voraussetzung wirkt das Rechtsgeschäft für und gegen den Vertretenen. • Bei fehlender Vertretungsmacht kann der Vertretene das Geschäft gemäß § 177 Abs. 1 genehmigen, ansonsten haftet der Vertreter gegenüber dem Geschäftspartner nach der Maßgabe des § 179.
C. Die Vertretung
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Fall 2: Der Fluch der guten Tat A ist chemischer Techniker. Vor einiger Zeit hat er sich mit einer kleinen Firma 152 selbstständig gemacht, die spezielle Laborgeräte herstellt. Sein Freund F ist von ihm mit der Geschäftsführung betraut worden. Weil F zur Kundenbetreuung geschäftlich öfter im Ausland weilt, hat er den B als seinen Vertreter bevollmächtigt, bei kleineren Geschäften der alltäglichen Firmenführung für ihn zu handeln. Aufgrund neuer öffentlich-rechtlicher Umweltvorschriften muss die Produktionsanlage des A nachgerüstet werden. B hat daher verschiedene Angebote eingeholt und schließlich die Chemie KG mit der Durchführung der notwendigen Arbeiten beauftragt. Diese rüstet die Anlage des A den neuen Vorschriften entsprechend aus. Nach Abschluss der Arbeiten verlangt die Chemie KG von A die Bezahlung der Rechnung in Höhe von 65.000 €. Dieser weigert sich mit der Begründung, keinen Vertrag mit der Chemie KG geschlossen zu haben. Kurz danach wird das Insolvenzverfahren über das Vermögen der Firma des A mangels Masse abgelehnt. Die Chemie KG will nun den Betrag von B, da dieser, wie sie von A erfahren hatte, keine Vollmacht zu dem Vertragsschluss mit der KG hatte. Muss B die Summe zahlen? Lösungsaufbau: Anspruch der Chemie KG gegen B auf Zahlung von 65.000 €
153
I. Anspruch gegen B als Vertreter ohne Vertretungsmacht aus § 179 Abs. 1 i. V. m. § 631 Abs. 1 1. Werkvertrag gemäß § 631 durch eine Willenserklärung des B 2. Handeln im Namen des A 3. Keine Wirkung für und gegen A a) Vollmacht durch A b) Untervollmacht durch F aa) Erteilung der Vollmacht bb) Handeln im Rahmen der Vollmacht c) Duldungsvollmacht d) Anscheinsvollmacht aa) Rechtsschein einer Vollmacht bb) Zurechnung des Rechtsscheins e) Rechtsfolge 4. Ergebnis II. Anspruch gegen B aus c.i.c 1. Wirtschaftliches Eigeninteresse 2. Inanspruchnahme persönlichen Vertrauens 3. Ergebnis III. Gesamtergebnis
Lösungsvorschlag: Die Chemie KG hat gegen B einen Anspruch auf Zahlung des Werklohns gemäß 154 § 631 Abs. 1, wenn B zumindest neben A auf das Erfüllungsinteresse haftet.
54
Kapitel 3
BGB Allgemeiner Teil
I.
Anspruch gegen B aus § 179 Abs. 1 i. V. m. § 631 Abs. 1
155 Die Chemie KG kann von B die Zahlung des Werklohns verlangen, wenn B als Vertreter ohne Vertretungsmacht gemäß § 179 Abs. 1 zur Erfüllung eines mit der KG abgeschlossenen Werkvertrages gemäß § 631 Abs. 1 verpflichtet ist. 1.
Werkvertrag gemäß § 631 durch eine Willenserklärung des B
156 Voraussetzung dafür ist zunächst eine Willenserklärung des B, die zu einem Werkvertrag gemäß § 631 mit der Chemie KG geführt hat. B hat die KG zur Durchführung der Nachrüstungsarbeiten an der Produktionsanlage des A beauftragt. Er verlangte also von der KG einen durch deren Tätigkeit herbeizuführenden Erfolg, wozu diese sich auch bereit erklärte. Damit haben sich A und B über einen Werkvertrag geeinigt. 2.
Handeln im Namen des A
157 Weiterhin müsste B als Vertreter des A gehandelt haben. Voraussetzung dafür ist, dass A aufgrund der Erklärung des B Vertragspartner der KG werden sollte. Eine ausdrückliche Erklärung ist entbehrlich, wenn sich der Vertragspartner bereits aus den näheren Umständen eindeutig ergibt. Die Vertragsleistung der KG bezog sich eindeutig auf die Firma des A, bei der B beschäftigt war. Daher liegt ein unternehmensbezogenes Geschäft vor, sodass die Erklärung des B im Namen des Firmeninhabers A erfolgte. 3.
Keine Wirkung für und gegen A
158 § 179 Abs. 1 gibt einen Ersatzanspruch gegen den Vertreter, wenn der Geschäftspartner keinen Anspruch gegen den Vertretenen hat. Daher darf die Erklärung des B keine Wirkung für und gegen den Vertretenen A entfaltet haben. Die Erklärung eines Vertreters entfaltet gemäß § 177 Abs. 1 für den Vertretenen keine Wirkung, wenn der Vertreter keine Vertretungsmacht besaß. a)
Vollmacht durch A
159 B könnte mit Vertretungsmacht gehandelt haben, wenn er von A gemäß § 167 bevollmächtigt worden wäre. A hat aber bezüglich des B keine Erklärung abgegeben, sodass eine Vollmacht durch A ausscheidet. b)
Untervollmacht durch F
160 B wurde jedoch von F dazu beauftragt, den alltäglichen Betriebsablauf durchzuführen. Darin könnte eine dem A gegenüber wirksame Untervollmacht zu sehen sein. aa)
Wirksamkeit der Vollmacht
161 Eine Unterbevollmächtigung kann durch den Vertreter im Namen des Vertretenen oder im eigenen Namen vorgenommen werden.128 Im Rahmen der Aufgabenvertei128
Palandt/Heinrichs, Bürgerliches Gesetzbuch, 67. Aufl. 2008, § 167, Rn. 12.
C. Die Vertretung
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lung innerhalb der Firma des A ist davon auszugehen, dass F im Namen des A handeln wollte. In jedem Fall hängt die Wirksamkeit der Untervollmacht davon ab, ob der Vertreter gegenüber dem Geschäftsherrn seinerseits berechtigt ist, einen Dritten zu bevollmächtigen. Dies ist durch Auslegung zu ermitteln. Besteht ein berechtigtes Interesse daran, dass der Vertreter von seiner Vollmacht persönlich Gebrauch macht, ist eine Befugnis zur Untervollmacht abzulehnen.129 F war von A als sein Vertrauter zur Geschäftsführung beauftragt worden. Eine 162 vollständige Übertragung dieser Aufgaben an einen Dritten war nicht im Interesse des A, jedoch eine teilweise, da F öfter im Ausland weilt. Außerdem hielt sich F auch im Rahmen seiner eigenen Vollmacht. Gegen eine partielle Aufgabenübertragung zur Sicherung des Geschäftsbetriebes ist daher nichts einzuwenden. Somit bestand für B eine wirksame Untervollmacht. bb)
Handeln im Rahmen der Vollmacht
Der Vertreter hat allerdings nur dann Vertretungsmacht, wenn sich seine Willens- 163 erklärung im Rahmen der erteilten Bevollmächtigung hält. B hatte Vollmacht zur Vornahme von Geschäften, welche die tägliche Betriebsführung betreffen. Der Vertrag mit der Chemie KG betraf eine für den Bestand der Firma sehr wichtige Angelegenheit. Das Vertragsvolumen übertraf daneben bei Weitem den zur Deckung der täglichen Geschäfte notwendigen finanziellen Aufwand. Somit handelte es sich bei dem Vertrag mit der KG weder nach der Art noch nach der Größe um eine alltägliche Betriebsangelegenheit. Folglich deckte die Vollmacht des B das Rechtsgeschäft mit der Chemie KG nicht. c)
Duldungsvollmacht
Eine Bindung des A an den Vertrag mit der Chemie KG könnte auch durch eine 164 Duldungsvollmacht entstanden sein. A wusste jedoch nichts von dem Verhalten des B, sodass auch keine Duldung vorliegen kann. d)
Anscheinsvollmacht
Eine rechtsgeschäftliche Vollmacht kann nach der h. M. auch durch eine An- 165 scheinsvollmacht ersetzt werden. aa)
Rechtsschein einer Vollmacht
Voraussetzung dafür ist zunächst, dass der Geschäftspartner auf eine Bevollmäch- 166 tigung vertraute und deshalb das Rechtsgeschäft abschloss. Die Chemie KG wollte für die Firma des A tätig werden. Sie musste aufgrund des Auftretens des dort angestellten B davon ausgehen, dass dieser auch die notwendige Vertretungsmacht hatte, weshalb sie mit ihm den Vertrag abschloss. Somit bestand der Rechtsschein einer Vollmacht des B.
129
Palandt/Heinrichs, Bürgerliches Gesetzbuch, 67. Aufl. 2008, § 167, Rn. 12; BGH, WM 1959, 377.
56
Kapitel 3
BGB Allgemeiner Teil
bb)
Zurechnung des Rechtsscheins
167 Notwendig für eine rechtliche Bindung des Vertretenen ist jedoch darüber hinaus, dass dieser für den entstandenen Rechtsschein verantwortlich ist. Dem Vertretenen ist der Rechtsschein zuzurechnen, wenn er bei Erfüllung der im Rechtsverkehr bestehenden Sorgfaltspflichten die Möglichkeit gehabt hätte, das Verhalten des Vertreters zu erkennen und zu unterbinden. A ist für die Organisation seiner Firma verantwortlich. Die Nachrüstung der 168 Betriebsanlage des A stellt eine bedeutende Firmenangelegenheit dar, die im Geschäftskreis des Firmeninhabers oder Geschäftsführers angesiedelt ist. B hat sich um eine derartig wichtige Betriebsangelegenheit kümmern können, ohne dass A oder F davon Kenntnis erlangten. Darin ist ein Organisationsmanko zu sehen. Bei einer sorgfältigen Firmenführung hätte A oder F das Verhalten des B auffallen müssen. Somit ist A das Auftreten des B als sein Vertreter zuzurechnen. e)
Rechtsfolge
169 Wegen der Anscheinsvollmacht des B entfaltet der Vertrag mit der Chemie KG Wirkung für und gegen A. Diese Vollmacht ist auch nicht durch eine Anfechtung zu beseitigen, denn sie beruht nicht auf einer Willenserklärung, die durch Anfechtung zu beseitigen wäre, sondern auf einem zurechenbar verursachten Rechtsschein.130 4.
Ergebnis
170 Aufgrund der Anscheinsvollmacht ist ein Anspruch der Chemie KG gegen B als Vertreter ohne Vertretungsmacht ausgeschlossen. II.
Anspruch gegen B aus c. i. c
171 Die Chemie KG kann B als Vertreter direkt in Anspruch nehmen, wenn er ein Verschulden bei Vertragsverhandlungen begangen hat. Ein Anspruch gegen den Vertreter aus c. i. c. gemäß §§ 311 Abs. 2, 280 Abs. 1 ist jedoch nur unter engen Voraussetzungen möglich.131 1.
Wirtschaftliches Eigeninteresse
172 Der Vertreter haftet in dem Fall, dass er aufgrund eines massiven eigenen wirtschaftlichen Interesses an dem Vertragsschluss in tatsächlicher Hinsicht als Vertragspartner gilt.132 Ein finanzieller Vorteil des B durch den Vertragsschluss ist nicht ersichtlich. Vielmehr handelte er im Interesse der Firma des A.
130 131
132
Palandt/Heinrichs, Bürgerliches Gesetzbuch, 67. Aufl. 2008, § 172, Rn. 6. Zur Eigenhaftung des Vertreters aus c. i. c. Palandt/Heinrichs, Bürgerliches Gesetzbuch, 67. Aufl. 2008, § 179, Rn. 9. BGH, NJW 1990, 506.
C. Die Vertretung
2.
57
Inanspruchnahme persönlichen Vertrauens
Bezugspunkt für eine direkte Haftung des Vertreters kann außerdem die Inan- 173 spruchnahme von persönlichem Vertrauen im besonderen Maße sein. Geht der andere den Vertrag vor allem deshalb ein, weil er aufgrund seines Vertrauens in den Vertreter von einer korrekten Vertragsabwicklung überzeugt ist, wird eine Haftung des Vertreters für dennoch entstehende Schäden als berechtigt angesehen.133 Eine besondere Vertrauensbeziehung des B zur Chemie KG ist nicht bekannt. Intensive Geschäftsverhandlungen allein sind dafür nicht ausreichend. 3.
Ergebnis
B erfüllt keinen der beiden Ausnahmetatbestände, die einen Anspruch des Ge- 174 schäftspartners gegen den Vertreter begründen. Somit hat die Chemie KG keinen Anspruch aus c. i. c. gegen B. III.
Gesamtergebnis
Der Zahlungsanspruch der Chemie KG aus dem Werkvertrag besteht nur gegen A. 175 Eine Haftung des B ist auch nach dem Konkurs des A nicht gegeben.
133
BGHZ 88, 67 (68 f.).
Kapitel 4
Schuldrecht
Im Schuldrecht1 werden Schuldverhältnisse zwischen mindestens zwei Personen 176 behandelt. Ein Schuldverhältnis entsteht dann, wenn eine Person (= Gläubiger) von einer anderen (= Schuldner) gemäß § 241 eine Leistung fordern kann. Daraus ergibt sich das Recht (Anspruch bzw. Forderung), die Leistung zu verlangen. Diese Leistungspflicht des Schuldners ist folglich seine Schuld (= Verbindlichkeit). Die schuldrechtlichen Regelungen des BGB gelten damit grundsätzlich auch für andere Gesetze, kraft deren Schuldverhältnisse entstehen können (HGB, ProdukthaftungsG). Im Gegensatz zum Sachenrecht, das dem Rechtsinhaber ein absolutes Recht gegen alle anderen gibt, beinhaltet das Schuldrecht nur relative Rechte des Gläubigers gegen den Schuldner. Diese Rechte können zum einen aufgrund eines Vertrages entstehen. Daneben bestehen gesetzliche Regelungen, die bei Erfüllung ihrer Voraussetzungen dem Gläubiger einen nichtvertraglichen Anspruch geben: • unerlaubte Handlungen, • ungerechtfertigte Bereicherung und • Geschäftsführung ohne Auftrag. Auch das Schuldrecht enthält generelle Regelungen, die für alle Spezialschuldver- 177 hältnisse gelten, den Allgemeinen Teil des Schuldrechts (§§ 241-432). Danach
1
Aktuelle Lehrbücher zum Schuldrecht Brox/Walker, Allgemeines Schuldrecht, 32. Aufl. 2007 und Besonderes Schuldrecht, 32. Aufl. 2007; Ehmann/Sutschet, Modernisiertes Schuldrecht, 2002; Emmerich, Das Recht der Leistungsstörungen, 6. Aufl. 2005; Emmerich, BGB – Schuldrecht – Besonderer Teil, 11. Aufl. 2006; Fritzsche, Fälle zum Schuldrecht I, 2. Aufl. 2005; Grigoleit/Herresthal, Schuldrecht Allgemeiner Teil, 2007; Hirsch, Allgemeines Schuldrecht, 5. Aufl. 2004; Kittner, Schuldrecht, 3. Aufl. 2003; Köhler/Lorenz, Schuldrecht I Allgemeiner Teil, 20. Aufl. 2006; Kornblum, Fälle zum Allgemeinen Schuldrecht, 6. Aufl. 2005; Looschelders, Schuldrecht, Allgemeiner Teil, Teil 2, 2. Aufl. 2004; Lorenz/Riehm, Lehrbuch zum neuen Schuldrecht, 2002; Medicus, Schuldrecht I. Allgemeiner Teil, 17. Aufl. 2006 und Schuldrecht II. Besonderer Teil, 14. Aufl. 2007; ders., Gesetzliche Schuldverhältnisse, 5. Aufl. 2007; Schellhammer, Schuldrecht nach Anspruchsgrundlagen mit BGB Allgemeiner Teil, 6. Aufl. 2005; Schmidt, Das Schuldverhältnis, 2004; Schmidt, Schuldrecht Besonderer Teil II, 5. Aufl. 2007; Schmidt-Räntsch, Das neue Schuldrecht, 2. Aufl. 2004; Schwab/Witt, Examenswissen zum neuen Schuldrecht, 2. Aufl. 2003; Schwabe/Kleinhenz, Schuldrecht I, 3. Aufl. 2006; Wieling/Finkenauer, Fälle zum Besonderen Schuldrecht, 6. Aufl. 2007; Wörlen, Schuldrecht AT, 8. Aufl. 2006 und Schuldrecht BT, 8. Aufl. 2006.
60
Kapitel 4
Schuldrecht
werden einige Vertragstypen gesetzlich näher normiert (§§ 433-676h). Anschließend sind weitere nichtvertragliche Schuldverhältnisse geregelt.2
A. Der Allgemeine Teil 178 Im Schuldrecht AT werden genauere Bestimmungen über die Abwicklungen von Schuldverhältnissen getroffen. Insbesondere ist geregelt, auf welche Weise der Anspruch des Gläubigers durch den Schuldner zu erfüllen ist. Damit ist der Normalfall eines Schuldverhältnisses dargestellt: Der Anspruch des Gläubigers wird durch die Leistung des Schuldners erfüllt und geht damit unter (Erfüllung, vgl. Übersicht 4.1). Das Schuldrecht AT regelt aber auch die Fälle, bei denen es zu einer Störung im Schuldverhältnis gekommen ist. So wird die Situation geregelt, bei welcher der Schuldner seine Verbindlichkeit gar nicht (Unmöglichkeit) oder zu spät (Verzug, vgl. Übersicht 4.2) erfüllt. Das zunächst durch Rechtsfortbildung entstandene Institut der c. i. c, das die Fälle einer Störung vor Vertragsschluss erfasst, ist seit der Schuldrechtsmodernisierung im Jahre 2001 in § 311 Abs. 2 Nr. 1, Abs. 3 gesetzlich geregelt.
I.
Die Erfüllung (vgl. Übersicht 4.1)
179 Die Erfüllungswirkung tritt ein, wenn der richtige Schuldner dem richtigen Gläubiger die richtige Leistung am richtigen Ort zur richtigen Zeit erbringt. 1.
Bewirken der Erfüllung (Leistungshandlung, Leistungserfolg)
180 Voraussetzung für die Erfüllung ist grundsätzlich nach der h. M. die Herbeiführung des Leistungserfolges durch die Leistungshandlung.3 Die Leistungshandlung allein ist also zur Erfüllung nicht ausreichend; es kommt auf den herbeizuführenden Erfolg an. Ist die Schuld durch die Vereinbarung der Parteien oder Gesetz näher spezifi181 ziert (Stückschuld), so muss der Schuldner diesen konkreten Gegenstand leisten. Ist der Forderungsgegenstand dagegen nur nach allgemeinen Merkmalen festgelegt, so handelt es sich um eine Gattungsschuld, bei der es gemäß § 243 Abs. 1 ausreicht, wenn der Schuldner Sachen mittlerer Art und Güte leistet. Beispiel: A schließt mit dem Gebrauchtwagenhändler einen Kaufvertrag über einen Golf GL, den A vorher besichtigt hatte. Damit haben beide eine Stückschuld vereinbart. G muss diesen Golf an A übereignen. Hat A dagegen einen Kaufvertrag mit der Auto AG über das neue Modell Routestar abgeschlossen, so ist die Auto AG verpflichtet einen Wagen dieser Serie zu liefern. Es liegt eine Gattungsschuld vor.
2 3
Zur Gesamtstruktur des BGB vgl. o. Rn. 50. Palandt/Grüneberg, Bürgerliches Gesetzbuch, 67. Aufl. 2008, § 362, Rn. 1.
A. Der Allgemeine Teil
61
Handelt es sich bei der Sache um Geld (Geldschuld), so muss der Schuldner 182 grundsätzlich bar zahlen. Allerdings reicht die Leistung von Buchgeld (Überweisung, Scheck) aus, wenn dies mit dem Gläubiger vereinbart wurde oder sich aus dem Schuldverhältnis diese Möglichkeit ergibt, was heute der Regelfall sein wird, sodass der Gläubiger einen entgegenstehenden Willen äußern muss. Hat der Gläubiger seine Bankverbindung angegeben, so ist der Schuldner zur Überweisung des Geldbetrages (§ 676a) berechtigt.4 Gleiches gilt für Zinsen, also für die Vergütung für die Überlassung von Kapital, das nach den Bruchteilen des Kapitals und der Dauer der Überlassung berechnet wird. Dabei beträgt der gesetzliche Zinssatz gemäß § 246 4 % (bei Kaufleuten 5 %). Zu beachten ist das Verbot des Zinseszins aus § 248 Abs. 1, wovon Sparkassen, Banken gemäß § 248 Abs. 2 und der kaufmännische Kontokorrentverkehr gemäß § 355 HGB ausgenommen sind. Der Schuldner einer Geldschuld wird nicht von seiner Leistungspflicht befreit, wenn er zahlungsunfähig geworden ist („Geld hat man zu haben“).5 2.
Person des Schuldners
Der richtige Schuldner ergibt sich aus dem zugrunde liegenden Schuldverhältnis. 183 Allerdings kann auch ein Dritter gemäß § 267 Abs. 1 S. 1 den Schuldner von der Verbindlichkeit befreien, wenn sich aus dem Schuldverhältnis nicht ausdrücklich oder stillschweigend anderes ergibt (Letzteres ist grundsätzlich bei Dienstverpflichtungen der Fall, die der Schuldner gemäß § 613 im Zweifel persönlich zu erbringen hat). Bei der Leistung durch einen Dritten tritt die Erfüllungswirkung ein, wenn der Dritte den erkennbaren Willen hatte, die Schuld zu erfüllen. Eine Einwilligung des Schuldners ist nicht erforderlich. Bei einer Ablehnung durch den Schuldner kann der Gläubiger die Annahme der Leistung gemäß § 267 Abs. 2 verweigern. Der Dritte muss dann aber die vertraglich vereinbarte Schuld erfüllen. Leistungssurrogate6 kommen nicht in Betracht. Beispiel: Ingenieur A beschäftigt den Studenten M, der täglich für eine Stunde die Büroräume des A säubert. M will kurzfristig für zwei Tage verreisen, ohne das mit A abzuklären. So schickt M seinen Bruder B, der die Reinigungsarbeiten verrichten will. A kann die Leistung des B ablehnen, weil M seine Leistung im Zweifel in eigener Person zu erfüllen hat (vgl. § 613 S. 1). A gerät durch die Ablehnung nicht in Annahmeverzug und braucht auch für die zwei Tage keinen Lohn zu zahlen (§ 615).
4
5 6
Palandt/Grüneberg, Bürgerliches Gesetzbuch, 67. Aufl. 2008, § 362, Rn. 8; BGH, NJW 1986, 2428; BGH, NJW-RR 2004, 1281. Palandt/Heinrichs, Bürgerliches Gesetzbuch, 67. Aufl. 2008, § 275, Rn. 3. Palandt/Heinrichs, Bürgerliches Gesetzbuch, 67. Aufl. 2008, § 267, Rn. 4.
62
Kapitel 4
Schuldrecht
Beispiel: Tante T will die Mietschuld ihrer Nichte N bezahlen. N will sich von T aber nichts schenken lassen und widerspricht gegenüber dem Vermieter V der Zahlung durch T. V kann nun die Leistung der T trotzdem annehmen. Er kann sie nach § 267 Abs. 2 aber auch verweigern, ohne in Annahmeverzug zu geraten Sind sich Gläubiger und Schuldner also einig, können sie die Leistung eines Dritten abwehren.
3.
Person des Gläubigers
184 Grundsätzlich muss der Schuldner immer an die Person leisten, die nach dem Schuldverhältnis Gläubiger ist. Nur wenn der Gläubiger mit der Leistung an einen Dritten gemäß § 362 Abs. 2 einverstanden ist oder er sie gemäß § 185 nachträglich genehmigt, kann der Schuldner auch an einen anderen als den Gläubiger leisten. Gemäß § 407 Abs. 1 muss der neue Gläubiger einer an ihn durch den ursprünglichen Gläubiger abgetretenen Forderung es gegen sich gelten lassen, wenn ein unwissender Schuldner an den alten Gläubiger leistet. 4.
Art der Leistung
185 Der Schuldner muss gemäß § 266 grundsätzlich die gesamte Leistung an den Gläubiger bewirken. Dieser kann eine Teilleistung ablehnen. Und es muss sich grundsätzlich um die vereinbarte Leistung handeln. Erbringt der Schuldner eine andere als die geschuldete Leistung, erlischt das Schuldverhältnis nur dann, wenn der Gläubiger sie als Erfüllung annimmt, § 364 Abs. 1: Leistung an Erfüllungs statt. Ist die anstatt der Erfüllung gegebene Sache oder Forderung mit einem Mangel behaftet, so hat der Gläubiger die Rechte, die ein Käufer hätte, § 365. Der Gläubiger kann also aufgrund des Mängelgewährleistungsrechts einen Anspruch auf Wiederbegründung der ursprünglichen Forderung erwirken, wenn die Leistung des Schuldners mangelhaft war. Davon abzugrenzen ist die Leistung erfüllungshalber. Hier soll der Gläubiger durch die Verwertung des erfüllungshalber ihm geleisteten Gegenstandes befriedigt werden, d. h. die ursprüngliche Forderung bleibt zunächst bestehen und erlischt erst dann, wenn der Gläubiger durch die Verwertung des erfüllungshalber gegebenen Gegenstandes befriedigt wurde (§ 364 Abs. 2). Die Unterscheidung ist durch Auslegung der Parteivereinbarung durchzuführen. Übergibt der Schuldner statt der vereinbarten Sache eine davon nur geringfügig unterschiedliche Sache mit etwa gleichem Wert, so spricht dies für eine Leistung an Erfüllungs statt (statt des geschuldeten Fahrrades ein anderes mit etwa gleicher Ausstattung und gleichem Wert). Gemäß § 364 Abs. 1 ist anzunehmen, dass es sich um eine Leistung erfüllungshalber handelt, wenn der Schuldner eine neue Verbindlichkeit begründet. Beispiel: Bei dem Kaufvertrag mit der Auto AG hat A vereinbart, dass er einen Teil des Kaufpreises für den Routestar dadurch begleichen kann, dass er seinen gebrauchten Golf an die Auto AG übereignet. Hier liegt ein einheitlicher Kaufvertrag mit Ersetzungsbefugnis
A. Der Allgemeine Teil
63
des Käufers vor.7 Dieser kann die Zahlung des vollen Kaufpreises durch Übereignung seines Gebrauchtwagens ersetzen. Die Leistung des Gebrauchtwagens ist damit an Erfüllungs statt gemäß § 364 Abs. 1 erfolgt. Steht der Auto AG jedoch gemäß §§ 434 Abs. 1, 437 Nr. 2, 440, 323 ein Rücktrittsrecht zu, weil der Gebrauchtwagen des A mangelhaft ist, dann kann die Auto AG gemäß § 365 auch den restlichen Kaufpreis von A verlangen.8 Hat A anstatt des Gebrauchtwagens der Auto AG einen Wechsel gegeben, so liegt nur eine Leistung erfüllungshalber vor. Die Auto AG kann von A den vollen Kaufpreis verlangen, wenn der Wechsel nach Ablauf der angegebenen Frist nicht eingelöst werden kann.9 Durch die Annahme des Wechsels hat sich der Gläubiger verpflichtet, zuerst Befriedigung aus dem Wechsel zu suchen; erst wenn das fehlschlägt, kann er auf die ursprüngliche Forderung zurückgreifen.
Die Erfüllungswirkung tritt auch ein, wenn der Schuldner die Sache gemäß 186 §§ 372 ff. hinterlegt oder im Selbsthilfeverkauf gemäß § 383 ff. veräußert. Weiterhin kann der Gläubiger dem Schuldner gemäß § 397 erlassen (Erlassvertrag) bzw. sich mit ihm durch andere Vertragsarten darüber einigen, dass die Forderung nicht mehr besteht (negatives Schuldanerkenntnis, Abänderungsvertrag, Schuldersetzung).10 Möglich ist auch die Aufrechnung der Schuld des Schuldners mit einer Forderung, die dieser gegen den Gläubiger hat (Gegenseitigkeit der Forderungen) gemäß §§ 387 ff. Aufrechnung ist die Tilgung zweier einander gegenüberstehender Forderungen durch einseitige empfangsbedürftige Willenserklärung. Prämisse dafür ist die sogenannte Aufrechnungslage, die vier Voraussetzungen hat: • Beide Forderungen müssen zwischen denselben Personen bestehen (Gegenseitigkeit der Forderungen). • Beide Forderungen müssen ihren Gegenständen nach gleichartig sein (vgl. § 387 1. HS, insbesondere Geld gegen Geld, aber auch Äpfel gegen Äpfel der gleichen Sorte). • Beide Forderungen müssen wirksam sein. Ist eine Forderung z. B. wegen Formmangels oder Sittenwidrigkeit nicht entstanden, scheidet die Aufrechnung aus. Die Hauptforderung muss nicht erzwingbar sein, d. h. auch mit einer schon verjährten Forderung kann aufgerechnet werden. Beispiel: A hat gegen B eine Kaufpreisforderung von 600 € und B gegen A eine Werklohnforderung von ebenfalls 600 €. Ist die Kaufpreisforderung des A verjährt, braucht B nicht zu leisten, wenn er die Einrede der Verjährung erhebt. B kann aber trotzdem erfüllen, weshalb er auch aufrechnen kann. A kann umgekehrt nur dann erfolgreich aufrechnen, wenn seine Forderung vor Eintritt der Verjährung der Gegenforderung in aufre-
7 8
9 10
BGHZ 46, 338 (342); BGH, JR 1984, 236 (237); Binder, NJW 2003, 393 ff. Die h. M. (BGH, NJW 1980, 2190) geht jedoch hier von einer Risikoverteilung zuungunsten des gewerblichen Autohändlers aus, wonach der Käufer hinsichtlich seines Gebrauchtwagens nur haftet, wenn er arglistig war oder eine Zusicherung gegeben hat. Zum Gewährleistungsrecht näher u. Rn. 258 ff. Praktisch liegt also eine Stundung der Verbindlichkeit für diesen Zeitraum vor. Zu den verschiedenen Möglichkeiten des Erlöschens von Schuldverhältnissen Palandt/Heinrichs, Bürgerliches Gesetzbuch, 67. Aufl. 2008, Überbl. v. § 362, Rn. 1 ff.
64
Kapitel 4
Schuldrecht
chenbarer Weise gegenübergestanden hat, denn dann hindert die eingetretene Verjährung die Aufrechnung nicht (vgl. § 215).
• Die Gegenforderung muss fällig sein. Denn könnte der Gläubiger mit einer noch nicht fälligen Forderung aufrechnen, so würde er durch die Aufrechnung Befriedigung seiner Forderung zu einer Zeit erlangen, zu der sie der Schuldner noch nicht zu erfüllen braucht. 187 Die schließlich notwendige Aufrechnungserklärung ist eine einseitige empfangsbedürftige Willenserklärung. Sie kann sowohl vom Gläubiger als auch vom Schuldner erklärt werden. Mit Erklärung der Aufrechnung erlöschen Schuld und Gegenschuld (sofern sie in der Höhe gleich sind). Beispiel: Im vorangegangenen Beispiel hat A gegen die Auto AG noch einen fälligen einredefreien Schadenersatzanspruch wegen einer früheren, fehlerhaften Reparatur, der die Hälfte des Kaufpreises für den Neuwagen beträgt. Wenn A die Aufrechnung erklärt, besteht der Zahlungsanspruch der Auto AG nur noch in Höhe der Hälfte des Kaufpreises.
188 Die Aufrechnung ist ausgeschlossen, wenn dies vertraglich so vereinbart wurde, oder wenn die Gegenforderung gemäß § 394 nicht pfändbar ist (welche Forderungen nicht pfändbar sind, ergibt sich aus §§ 850 ff. ZPO, z. B. Lohn- und Unterhaltsforderungen: so kann etwa der Arbeitgeber, der von seinem Mitarbeiter ein Fahrzeug gekauft hat, nicht mit den Lohnansprüchen des Arbeitnehmers aufrechnen). Ferner ist die Aufrechnung ausgeschlossen, wenn die Hauptforderung auf einer vorsätzlichen unerlaubten Handlung beruht, § 393. Wer vorsätzlich eine unerlaubte Handlung begangen hat, soll nicht in den Genuss der Aufrechnungsmöglichkeit gelangen; er soll tatsächlich Schadenersatz leisten. 5.
Leistungsort
189 Die Leistung muss am richtigen Ort bewirkt werden, denn nur dann wird der Schuldner von seiner Leistungspflicht befreit. Die Leistung am falschen Ort darf der Gläubiger ablehnen, ohne damit in Schuldnerverzug zu geraten. Der Leis– tungsort (= Erfüllungsort), ist der Ort, an dem der Schuldner seine Leistungshandlung erbringen muss. Davon zu unterscheiden ist der Erfolgsort, also der Ort, an dem der Leistungserfolg eintritt. Gemäß § 269 Abs. 1, 2 ist der Gläubiger grundsätzlich verpflichtet, die Sache beim Schuldner abzuholen (Hohlschuld). Hier fallen Erfüllungs- und Erfolgsort zusammen. Aus der Parteivereinbarung oder den äußeren Umständen kann sich ergeben, dass der Schuldner dem Gläubiger die Sache schicken soll (Schickschuld). Dann fallen Leistungsort (Wohnort des Schuldners) und Erfolgsort (Wohnort des Gläubigers) auseinander. Davon ist aber nicht schon dann auszugehen, wenn der Schuldner die Kosten der Versendung übernehmen soll (§ 269 Abs. 3). Hauptanwendungsfall der Schickschuld ist der Versendungskauf nach § 447, bei dem der Verkäufer die Kaufsache auf Verlangen des Käufers an den Käufer versendet. § 447 regelt, dass die Gefahr – etwa des zufälligen Untergangs der Sache – nicht erst beim Eintreffen der Sache beim Käufer, sondern schon mit Übergabe an den Spediteur oder Frachtführer auf den Käufer übergeht. Schließlich kann sich auch ergeben, dass der Schuldner am Wohnort
A. Der Allgemeine Teil
65
des Gläubigers seine Leistung erbringen soll (Bringschuld), wobei Leistungs- und Erfolgsort wieder zusammenfallen. Die Sonderregelung über den Versendungskauf in § 447 gilt nicht für den 190 Verbrauchsgüterkauf, § 474 Abs. 2. Ein Verbrauchsgüterkauf liegt vor, wenn ein Verbraucher (§ 13) eine bewegliche Sache von einem Unternehmer (§ 14) kauft. Verbraucher ist immer eine natürliche Person, die nicht als Unternehmer handelt, also nicht im Rahmen einer gewerblichen oder beruflichen Tätigkeit.11 Auch der Geschäftsführer einer GmbH handelt, wenn er einer Schuld der GmbH beitritt oder dafür bürgt, als Verbraucher und zwar selbst dann, wenn er gleichzeitig Gesellschafter der GmbH ist.12 Verträge zwischen zwei Verbrauchern sind kein Verbrauchsgüterkauf. Wer auf der Internet-Plattform eBay als sogenannter Powerseller13 auftritt, gegen den spricht der erste Anschein dafür, dass er als Unternehmer im Sinne von § 14 handelt.14 Geldschulden sind grundsätzlich gemäß §§ 269, 270 qualifizierte Schickschul- 191 den,15 wobei der Schuldner gemäß § 270 das Risiko dafür trägt, dass das Geld ankommt. Kommt es dort nicht an, muss der Schuldner noch einmal leisten, so etwa, wenn der Schuldner das Geld in den Briefkasten des Gläubigers einwirft, dieser aber bestreitet, das Geld erhalten zu haben.16 6.
Leistungszeit
Der Schuldner muss gemäß § 271 Abs. 1 im Regelfall seine Leistung sofort be- 192 wirken. Eine andere Zeitbestimmung kann sich aus einer Parteivereinbarung oder aufgrund der Umstände des Schuldverhältnisses ergeben. Gemäß § 271 Abs. 2 ist Folge einer Zeitbestimmung, dass der Schuldner die Forderung spätestens zu diesem Termin erfüllen muss. Eine vorherige Leistung ist aber möglich, es sei denn die Zeitbestimmung wurde im Interesse des Schuldners getroffen (so darf der Schuldner ein verzinsliches Darlehen nicht vorzeitig zurückzahlen, da der Gläubiger hierdurch einen Zinsnachteil erleiden würde).17 Leistet der Schuldner verfrüht, so braucht der Gläubiger die Leistung nicht annehmen. Bei rechtzeitiger Leistung kommt der Gläubiger in Verzug, wenn er die Leistung nicht annimmt. Verspätet sich der Schuldner mit der Leistung, so kommt er in Verzug. Allerdings kann der Schuldner trotz Fälligkeit der Leistung diese verweigern, 193 11 12 13
14
15 16 17
Dazu näher Kieselstein/Rückebeil, ZGS 2007, 54 ff. BGH, NJW 1996, 2156; BGH, NJW 1996, 2865; BGH, NJW 2004, 3039. Powerseller kann nach den AGB von eBay werden, wer mindestens 100 Bewertungen hat, davon 98 % positiv. LG Mainz, NJW 2006, 783; nur als Indiz für die Unternehmereigenschaft haben den Powerseller-Status angesehen AG Radolfzell, NJW 2004, 3342; AG Bad Kissingen, NJW 2005, 2463. Eine Beweislastumkehr nimmt an OLG Koblenz, NJW 2006, 1438. Die Erklärung des Verkäufers „Dieser Artikel wird von privat verkauft“ reicht nicht aus, die Unternehmereigenschaft zu widerlegen, so OLG Frankfurt, NJW 2005, 1438. Herresthal, ZGS, 2007, 48 ff. Dazu Wiese, NJW 2006, 1569 ff. Banken verlangen aus diesem Grund bei vorzeitiger Darlehensrückzahlung eine sogenannte Vorfälligkeitsentschädigung.
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Kapitel 4
Schuldrecht
wenn er gemäß § 273 Abs. 1 ein Zurückbehaltungsrecht hat. Dieses besteht, wenn er gegen den Gläubiger aufgrund desselben Rechtsverhältnisses, wozu ein natürlicher oder wirtschaftlicher Zusammenhang (einheitliches Lebensverhältnis) ausreicht,18 einen fälligen Gegenanspruch hat (Konnexität der Ansprüche). Anders als bei der Aufrechnung müssen Leistung und Gegenleistung beim Zurückbehaltungsrecht nicht gleichartig sein (so bei Rückabwicklung eines Kaufvertrages, wo die Sache und der Kaufpreis zurückzugewähren sind). Das Zurückbehaltungsrecht kann aus denselben Gründen wie die Aufrechnung ausgeschlossen sein, nämlich entweder vertraglich vereinbart oder aus dem Gesetz (kein Zurückbehaltungsrecht des Bevollmächtigten an der Vollmachtsurkunde nach Erlöschen der Vollmacht, § 175). Bei stattgebender Klage wird der Gläubiger zur Leistung „Zug um Zug“ verurteilt. Hat der Schuldner dagegen aus dem gleichen Vertrag einen im Gegenseitigkeitsverhältnis stehenden Anspruch gegen den Gläubiger, so kann er ebenfalls gemäß § 320 die Erfüllung verweigern (Einrede des nichterfüllten Vertrages), bis der Gläubiger seinerseits leistet, es sei denn der Schuldner ist vorleistungspflichtig. Bis zur Leistung des Gläubigers kommt er auch nicht in Verzug.19 Beispiel: A muss für den bei der Auto AG gekauften Routestar den Kaufpreis zahlen. Allerdings hat die Auto AG den Servicevertrag bezüglich des Zweitwagens des A nicht erfüllt. Sowohl der Kaufpreisanspruch der AG als auch der Anspruch des A basieren auf der gegenseitigen Geschäftsbeziehung. A kann daher den Kaufpreis gemäß § 273 so lange zurückhalten, bis die Auto AG seinen Zweitwagen untersucht. Bis zur Lieferung des Routestar XL kann A gemäß § 320 Abs. 1 die Zahlung des Kaufpreises verweigern.
18
19
H. M. BGHZ 92, 196; Palandt/Heinrichs, Bürgerliches Gesetzbuch, 67. Aufl. 2008, § 273, Rn. 1. H. M. Palandt/Heinrichs, Bürgerliches Gesetzbuch, 67. Aufl. 2008; § 320, Rn. 12 m. w. N.
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Übersicht 4.1: Die Erfüllung Bewirken der Leistung:
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Richtiger Schuldner:
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Richtiger Gläubiger:
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Richtige Leistung:
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Richtiger Leistungsort:
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• • Richtige Leistungszeit:
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• •
Der Schuldner muss den Leistungserfolg durch sein Tun oder Unterlassen bewirken; ein Erfüllungsvertrag ist dazu nicht notwendig, ebenso wenig eine Leistungsbestimmung (die aber möglich bleibt). Geldschulden können durch Buchgeld (z. B. Scheck oder Überweisung) getilgt werden, wenn der Vertragspartner dies nicht ausgeschlossen hat (was bei Bargeschäften des täglichen Lebens aber anzunehmen ist). Schuldner ist grundsätzlich derjenige, der durch das Schuldverhältnis (Vertrag, gesetzlicher Tatbestand) als Verpflichteter hervorgeht. Gemäß § 267 kann auch ein Dritter mit Erfüllungswirkung für den Schuldner leisten, wenn eine Leistungsbestimmung vorliegt. § 268 erweitert diese Möglichkeit, wenn der Dritte sonst Gefahr läuft, durch die Zwangsvollstreckung des Gläubigers einen Gegenstand zu verlieren, der sich im Besitz des Schuldners befindet. Gläubiger ist derjenige, der aufgrund des Schuldverhältnisses einen Anspruch gegen den Schuldner hat. Durch Leistung an eine andere Person wird der Schuldner nur dann von seiner Leistungspflicht befreit, wenn der Gläubiger damit einverstanden ist (§ 362 Abs. 2). Nach Abtretung des Anspruches kann ein gutgläubiger Schuldner gemäß § 407 weiterhin an den alten Gläubiger mit Erfüllungswirkung leisten. Grds. muss der Schuldner gemäß § 362 die im Schuldverhältnis festgelegte Leistung vollständig erbringen. Ausnahmsweise kommt ein Erfüllungssurrogat in Betracht (Leistung an Erfüllungs statt, Leistung erfüllungshalber, Hinterlegung, Selbsthilfeverkauf oder Aufrechnung). Ort der Leistung ergibt sich aus dem Schuldverhältnis. Gesetzlicher Regelfall gemäß § 269 Abs. 1 ist die Holschuld (= Gläubiger muss Leistung am Wohnort des Schuldners entgegennehmen). Möglich ist auch eine Bring- oder Schickschuld (Schuldner muss Leistung am Wohnort des Gläubigers abgeben bzw. zu ihm befördern lassen). Geldschulden sind gemäß §§ 269, 270 qualifizierte Schickschulden, wobei den Schuldner das Übermittlungsrisiko trifft. Bevor die Leistung den Leistungsort erreicht hat, trifft den Schuldner grundsätzlich das Untergangsrisiko. Grundsätzlich kann und muss die Leistung sofort erbracht werden (§ 271). Bei einer Zeitbestimmung muss der Schuldner zu dem Termin leisten. Er kann früher leisten, es sei denn, die Zeitbestimmung liegt im Interesse des Gläubigers (deshalb ist die vorzeitige Tilgung von Bankdarlehen nicht zulässig). Trotz Fälligkeit braucht der Schuldner nicht zu leisten, wenn er gemäß § 273 ein Zurückbehaltungsrecht hat oder der Gläubiger bei einem gegenseitigen Vertrag seine Pflicht noch nicht erfüllt hat (§ 320). Nimmt der Gläubiger eine fällige Leistung nicht an, so kommt er in Annahmeverzug gemäß § 293. Leistet der Schuldner trotz Fälligkeit nicht, so kommt er gem. § 286 in Schuldnerverzug, wenn er dies gem. § 286 Abs. 4 zu vertreten hat.
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II. Schadenersatz bei Pflichtverletzung (Unmöglichkeit und Verzug) 195 Mit der Erfüllung gemäß § 362 kommt das Schuldverhältnis in positiver Weise zum Erlöschen. Im Allgemeinen Teil des Schuldrechts ist aber auch geregelt, welche Rechtsfolgen eintreten, wenn die Verpflichtung des Schuldners aufgrund der Unmöglichkeit des Schuldners, die Leistung zu erbringen, nicht erfüllt werden kann oder wenn die Leistung verspätet erfüllt wird (Verzug). Dieser Bereich ist durch die Schuldrechtsmodernisierung zum 1. Januar 2002 völlig neu konzipiert worden. Zwar blieben die Rechtsinstitute der Unmöglichkeit und des Verzuges erhalten, allerdings nur noch als Spezialfälle des zentralen Begriffs der „Pflichtverletzung“, die zum Schadenersatz führt, wenn sie zu vertreten ist (§§ 280 ff). Die früher notwendige Unterscheidung zwischen objektiver (jedermann treffende) und subjektiver (nur den Schuldner treffende) Unmöglichkeit ist nicht mehr erforderlich. Auch ein Vertrag, dessen Erfüllung von Anfang an objektiv unmöglich ist (und der nach altem Recht deshalb unwirksam gewesen wäre, § 306 a. F.), ist, wenn er nach dem 31. Dezember 2001 abgeschlossen wurde, wirksam, § 311 a Abs. 1. Für vor dem 1. Januar 2002 abgeschlossene Verträge bleibt dagegen das Schuldrecht in der früheren Fassung anzuwenden, vgl. Art. 229 § 5 EGBGB. 1.
Das Schicksal des Primäranspruchs
196 Die §§ 275 ff. regeln zunächst die Folgen der Unmöglichkeit bezüglich des Leistungsanspruchs. Sie sind damit abschließend bei einseitigen Verträgen bzw. für solche Leistungen, die nicht im Gegenseitigkeitsverhältnis stehen. Bei gegenseitigen Leistungspflichten gelten ergänzend die §§ 320 ff. Beispiel: Die Leihe gemäß § 598 ist ein einseitiger Vertrag. Der Verleiher wird nur dazu verpflichtet, dem Entleiher den unentgeltlichen Gebrauch der Sache zu ermöglichen. Geht die Sache unter, wird sie also zerstört oder kommt abhanden, so gelten die §§ 275 ff. Dagegen handelt es sich bei dem Mietvertrag um einen gegenseitigen Vertrag. Gemäß § 535 wird der Vermieter dazu verpflichtet, dem Mieter die Sache in vertragsgemäßer Weise zu überlassen, und der Mieter muss den Mietzins zahlen. Bei der Rückgabepflicht nach Vertragsende gemäß § 546 Abs. 1 handelt es sich aber um keine Leistung, die im Austauschverhältnis steht. Daher finden auf sie auch die §§ 275 ff. uneingeschränkt Anwendung.
197 Grundnorm für die Unmöglichkeit ist § 275 BGB. In den klassischen Fällen der Unmöglichkeit, in denen niemand leisten kann, wird der Schuldner ohne Weiteres von seiner Hauptleistungspflicht frei, § 275 Abs. 1. Solche Fälle sind am ehesten beim Stückkauf denkbar. Beispiel: Das verkaufte Auto wird bei einem Unfall total zerstört.
198 In den meisten Fällen der praktisch relevanten Unmöglichkeit führt die Leistungserschwerung zu einem Leistungsverweigerungsrecht des Schuldners nach § 275
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Abs. 2. Hiernach kann der Schuldner die Leistung verweigern, soweit diese einen Aufwand erfordert, der in einem groben Missverhältnis zum Leistungsinteresse des Gläubigers steht. D. h. in diesen Fällen wird der Schuldner nicht automatisch von seiner Leistungspflicht befreit, sondern es wird ihm eine Einredemöglichkeit zugestanden. Erst die Erhebung dieser Einrede führt zum Wegfall der Leistungspflicht. Für den Gläubiger kann sich so die Notwendigkeit ergeben, zunächst Erfüllungsklage zu erheben, solange nicht feststeht, dass der Schuldner die Einrede der Unmöglichkeit erhebt. Beispiel: Die Übergabe des verkauften Rings ist unmöglich, weil dieser auf den Grund eines Sees gesunken ist; die Kosten seiner Bergung stehen außer Verhältnis zum Wert des Rings.
Problematisch kann hier die Abgrenzung zum Wegfall oder zur Störung der Ge- 199 schäftsgrundlage werden, wenn die Leistung für den Schuldner wirtschaftlich wesentlich über das vorhergesehene Maß hinaus erschwert wird. Diese Fälle regelt § 313.20 Der Wegfall der Geschäftsgrundlage kommt in Betracht, wenn ein Umstand mindestens von einer Vertragspartei bei Abschluss des Vertrages als wesentlich vorausgesetzt wird und sich die andere Partei redlicherweise auf dessen Berücksichtigung hätte einlassen müssen. Rechtsfolge einer schwerwiegenden Veränderung dieses Umstandes, der nicht Vertragsinhalt geworden sein darf, ist, dass der Vertrag anzupassen ist. Soweit das nicht geht, kommt nach § 313 Abs. 3 die Auflösung des Vertrages durch Rücktritt und bei Dauerschuldverhältnissen durch Kündigung in Betracht. Beispiel:21 Karnevalsverein und Musiker schließen im Dezember einen Vertrag über Musikdarbietungen für eine im Februar stattfindende Karnevalsveranstaltung. Diese fällt wegen des Golfkrieges aus. Beide Parteien sind bei Vertragsschluss davon ausgegangen, dass die Veranstaltung im Februar stattfinden wird. Da eine Anpassung des Vertrages an die veränderten Umstände ausscheidet, steht jeder der Vertragsparteien ein Rücktrittsrecht zu.
Ebenfalls ein Leistungsverweigerungsrecht steht dem Schuldner nach § 275 Abs. 3 200 zu, wenn er die Leistung persönlich zu erbringen hat und sie ihm unter Abwägung des Leistungshindernisses mit dem Gläubigerinteresse nicht zugemutet werden kann. Dies betrifft vor allem Arbeits-, Dienst- und Werkverträge. Beispiel: Die Schauspielerin kann bei der Abendvorstellung nicht auftreten, weil ihr Kind lebensgefährlich erkrankt ist.
Bei einer Gattungsschuld geht die Haftung des Schuldners weiter. Hier muss er 201 leisten, solange die Gattung noch besteht, unabhängig davon, ob ihn ein Verschulden trifft. Diese umfassende Haftung in Bezug auf die gesamte Gattung reduziert sich jedoch auf eine einzelne Sache, wenn gemäß § 243 Abs. 2 die Konkretisie20 21
Dazu Feldhahn, NJW 2005, 3381 ff. In Anlehnung an BGH, NJW 1992, 3177.
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rung eingetreten ist. Das ist der Fall, wenn der Schuldner alles seinerseits Erforderliche getan hat, was von ihm aus für die Erfüllung zu tun war, er also seine Leistungshandlung bereits erbracht hat. Beispiel: C ist Computerhändler. K hat bei ihm einen neuen Bildschirm gekauft, von dem C 100 auf Lager hat. K wollte den Monitor am nächsten Tag abholen (Holschuld). Daher nahm C den Bildschirm aus dem Lager und verpackte ihn für K. Die Aussonderung der Sache und das Bereitstellen für den Käufer reichen zur Konkretisierung gemäß § 243 Abs. 2 aus. Kurz bevor K kommt, wird der Monitor ohne Verschulden des C zerstört. C muss nun keinen weiteren Monitor aus dem Lager an K übereignen, sondern er ist gemäß § 275 von seiner Leistungspflicht befreit worden.
2.
Entstehung des Sekundäranspruchs auf Schadenersatz
202 Dem Gläubiger steht gemäß § 323 Abs. 1 das Recht zu, vom Vertrag zurückzutreten, wenn er zuvor dem Schuldner erfolglos eine angemessene Frist zur Leistung oder Nacherfüllung gesetzt hat.22 Außerdem kann der Gläubiger Schadenersatz nach § 280 Abs. 1 verlangen, weil der Schuldner, der seine Leistung aus welchen Gründen auch immer nicht erbringt, seine Vertragspflichten verletzt. Die Rechtsfolgen eines von Anfang an unmöglichen Vertrages regelt § 311a 203 Abs. 2. Hiernach kann der Gläubiger Schadenersatz statt der Leistung oder Aufwendungsersatz nach § 28423 verlangen, es sei denn, der Schuldner kannte das Leistungshindernis bei Vertragsschluss nicht und hatte seine Unkenntnis auch nicht zu vertreten. Was er zu vertreten hat, richtet sich nach den Umständen des Einzelfalls. Bei besonders wertvollen und diebstahlsgefährdeten Sachen muss er sich gegebenenfalls vor Vertragsschluss vergewissern, dass die Sache noch vorhanden ist.24 Setzt der Schuldner Gehilfen bei der Vertragsvorbereitung ein, hat er sich deren Kenntnisse zurechnen zu lassen, § 278. Hat der Schuldner eine Garantie gegeben, haftet er nach § 276 Abs. 1 S. 1 unabhängig von etwaigem Verschulden. Im Fall einer Teilleistung kann Schadenersatz gemäß § 281 Abs. 1 S. 2 statt der 204 (ganzen) Leistung nur verlangt werden, wenn der Gläubiger an der Teilleistung kein Interesse mehr hat.
22
23 24
Zum Problem der sich hierdurch für den Schuldner ergebenden Schwebelage, die er alleine nicht auflösen kann, weil er den Gläubiger nicht zur Erklärung über den Rücktritt zwingen kann Hanau, NJW 2007, 2806 ff. Dazu Reim, NJW 2003, 3662 ff. Palandt/Heinrichs, Bürgerliches Gesetzbuch, 67. Aufl. 2008, § 311a, Rn. 9.
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Beispiel: G ist Geschäftsführer eines Architektenbüros und bestellt für das Besprechungszimmer seines Büros 20 baugleiche Stühle. Wegen eines Umstandes, den der Verkäufer zu vertreten hat, werden nur 15 Stühle geliefert. Derselbe Stuhltyp ist nicht mehr lieferbar. Hier kann der Gläubiger die 15 Stühle zurückgeben und gemäß § 281 Abs. 1 S. 2 Schadenersatz statt der Leistung verlangen, wenn es ihm auf eine einheitliche Bestuhlung ankommt und er somit die gelieferten 15 Stühle nicht mehr verwenden kann.
Die Rechte des Gläubigers im Fall der Unmöglichkeit der Leistung oder im Fall 205 eines Leistungsverweigerungsrechtes des Schuldners (§ 275 Abs. 2, 3) bestimmen sich gemäß § 275 Abs. 4 nach den §§ 280, 283-285, 311a und 326. Einstiegsnorm ist hier § 283, der auf § 280 Abs. 1 weiter verweist und wonach der Gläubiger Schadenersatz statt der Leistung wegen Pflichtverletzung verlangen kann. Das Gesetz behandelt also die Unmöglichkeit wie eine Pflichtverletzung des Schuldners und verpflichtet den Schuldner zu Schadenersatz statt der Leistung, wenn er die Unmöglichkeit zu vertreten hat. Statt dieses Anspruchs kann der Gläubiger unter denselben Voraussetzungen den Ersatz seiner Aufwendungen verlangen, die er im Vertrauen auf den Erhalt der Leistung gemacht hat, § 275 Abs. 4, 284. Beispiel: Das gekaufte Bild wird vor der Übergabe an den Käufer gestohlen. Der Käufer kann Ersatz der Kosten für den Bilderrahmen fordern, welchen er nach Vertragsschluss im Hinblick auf das Bild erworben hat.
Begrenzt wird der Aufwendungsersatz durch das Gebot der Billigkeit, § 284. Da- 206 mit kann in vorstehendem Beispielsfall kein Aufwendungsersatz geltend gemacht werden, wenn der Käufer für ein Bild, das 1.000 € gekostet hat, einen Rahmen für 5.000 € hat anfertigen lassen. § 285 gewährt dem Gläubiger einen Anspruch auf Herausgabe des Ersatzes, 207 den der Schuldner seinerseits infolge der Unmöglichkeit erlangt hat (das sogenannte stellvertretende commodum). Beispiel: Das gestohlene Bild war versichert. Der Gläubiger kann Herausgabe der Versicherungsleistung bzw. Abtretung des Zahlungsanspruchs gegen die Versicherung verlangen. Wird der Dieb gefasst, kann der Gläubiger Abtretung des Schadenersatzanspruchs gegen den Dieb aus § 823 verlangen.
Auf den Schadenersatzanspruch nach § 280 Abs. 1 wird gemäß § 285 Abs. 2 das 208 stellvertretende commodum angerechnet, sofern der Gläubiger von seinem Recht aus § 285 Abs. 1 Gebrauch gemacht hat. Beispiel: A hatte mit B vereinbart, dass er ihm den Computer bringt (Bringschuld). Er überträgt die Aufgabe auf seinen Freund F. Dieser ist damit Erfüllungsgehilfe. Aus Unachtsamkeit des F wird der Computer auf dem Weg zu B zerstört. Das Verschulden des F wird dem A über § 278 zugerechnet. B kann Herausgabe der Versicherungsleistung verlangen, wenn A für derartige Fälle – etwa im Rahmen einer Betriebshaftpflichtversicherung – versichert war. Deckt die Versicherungsleistung aber nicht den vollen Wert des
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Kapitel 4
Schuldrecht
Computers, kann er insoweit Schadenersatz statt der Leistung verlangen, auf den die Versicherungsleistung angerechnet wird.
209 Die Beweislast für die Pflichtverletzung liegt beim Gläubiger.25 Bei erfolgsbezogenen Pflichten kann allerdings aus der Tatsache der Rechtsgutsbeeinträchtigung auf eine Pflichtverletzung des Schuldners geschlossen werden,26 da der Schuldner nach dem erfolgsbezogenen Vertragsinhalt die Pflicht hat, einen Schaden wie den eingetretenen zu verhindern (so wenn der Kunde eines Beförderungsvertrages während des Transports körperliche Schäden erleidet27 oder wenn der Spiegel des Autos in der Autowaschstraße beschädigt wird).28 Ist die Pflichtverletzung bewiesen, obliegt dem Schuldner gemäß § 280 Abs. 1 S. 2 der Beweis dafür, dass er bzw. sein Erfüllungsgehilfe29 diese nicht zu vertreten hat. 3.
Unmöglichkeit im gegenseitigen Vertrag
210 Das Schicksal der Gegenleistung, die der Gläubiger zu erbringen hat, regelt § 326. Nach der Grundsatznorm des § 326 Abs. 1 S. 1 verliert der Schuldner den Anspruch auf die Gegenleistung, wenn er wegen Unmöglichkeit von seiner Leistungspflicht nach § 275 frei geworden ist. Für den Fall der Teilleistung verweist § 326 Abs. 1 auf § 441 Abs. 3, der Min211 derungsvorschrift des Kaufrechts. Hiernach wird die Gegenleistung verhältnismäßig gemindert. Beispiel: Der GmbH-Geschäftsführer erhält eine monatliche Vergütung von 6.000 €. Bleibt er dem Dienst für zehn Tage unentschuldigt fern, mindert sich sein Vergütungsanspruch für den 30 Tage dauernden Monat auf 4.000 €.
212 Eine Ausnahme vom Wegfall des Gegenleistungsanspruchs bestimmt § 326 Abs. 2. Hiernach behält der Schuldner seinen Anspruch auf die Gegenleistung, wenn der Gläubiger das Leistungshindernis zu vertreten hat oder er sich im Verzug der Annahme befand, denn mit dem Annahmeverzug geht die Vergütungsgefahr vorzeitig auf den Gläubiger über. Beispiel: Der Verkäufer erscheint zum verabredeten Zeitpunkt an der Wohnung des Käufers, um diesem das Bild zu übergeben. Der Käufer verweigert aus unerfindlichen Gründen die Annahme des Bildes. In der Nacht darauf wird das Bild beim Verkäufer gestohlen. Hier wird der Verkäufer nach § 275 von seiner Leistungspflicht frei und behält ausnahmsweise den Zahlungsanspruch, weil sich der Käufer (Gläubiger) im Annahmeverzug befand.
25 26 27 28 29
BGHZ 28, 352; 48, 312; BGH, NJW 1984, 264. OLG Hamm, NJW-RR 1989, 468; BGH, NJW-RR 1991, 1706; BGH, ZIP 2000, 1110. BGHZ 8, 239 (242). OLG Hamburg, DAR 1984, 260; OLG Koblenz, NJW-RR 1995, 1135. BGH NJW 1987, 1938.
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§ 326 Abs. 5 gewährt dem Gläubiger überdies in allen Fällen der Unmöglichkeit 213 ein Rücktrittsrecht nach § 323. Hiernach kann der Gläubiger grundsätzlich dann vom Vertrag zurücktreten, wenn er dem Schuldner zuvor erfolglos eine angemessene Frist zur Vertragserfüllung gesetzt hat. In manchen Fällen ist die Nachfrist entbehrlich, § 323 Abs. 2, so wenn der Schuldner seine Leistung ernsthaft und endgültig verweigert oder im Fall besonderer Umstände, die unter Abwägung der beiderseitigen Interessen den sofortigen Rücktritt rechtfertigen (so bei nicht fristgerechter Lieferung bei einem Just-in-time-Vertrag oder wenn Saisonartikel wegen Zeitablaufs unverkäuflich sind).
III. Der Verzug Neben dem behandelten Fall, dass der Schuldner seine Leistung nicht erfüllt, re- 214 gelt das Schuldrecht auch den Fall, dass der Schuldner seine Leistung nicht rechtzeitig erbringt. Es kann rechtlich beachtlich sein, ob der Gläubiger eine Obliegenheit, seinerseits bei der Leistung des Schuldners mitzuwirken, verletzt hat. 1.
Der Schuldnerverzug
a)
Voraussetzungen
Der Verzug des Schuldners ist ein Unterfall der Leistungsstörung. Verzögert der 215 Schuldner aus einem von ihm zu vertretenden Grund rechtswidrig die Leistung, kann der Gläubiger Ersatz des Verspätungsschadens nach § 280 Abs. 1 verlangen, wenn zusätzlich die Voraussetzungen des § 286 gegeben ist, wo die Voraussetzungen des Schuldnerverzuges geregelt sind. Danach kommt der Schuldner in Verzug, wenn er trotz Fälligkeit der Leistung nach einer Mahnung durch den Gläubiger aufgrund eines Umstandes, den er zu vertreten hat, nicht leistet. Auf die Mahnung kann verzichtet werden, wenn für die Leistung gemäß § 286 Abs. 2 Nr. 1 eine Zeit nach dem Kalender bestimmt ist, wobei es nach Nr. 2 ausreicht, dass der Zeit ein künftiges ungewisses Ereignis vorausgeht. Beispiel: A chartert einen Bus zu einem Fußballspiel für den Fall, dass Deutschland das Endspiel erreicht.
Die Mahnung ist nach § 286 Abs. 2 Nr. 3 ebenfalls nicht nötig, wenn der Schuld- 216 ner die Leistung ernsthaft und endgültig verweigert oder wenn aus besonderen Gründen unter Abwägung der beiderseitigen Interessen der sofortige Eintritt des Verzuges gerechtfertigt ist, § 286 Abs. 2 Nr. 4 (so etwa in Fällen der Selbstmahnung, wenn der Schuldner die baldige Leistung zwar angekündigt hat, sie aber nicht erbringt). Bei Geldschulden gerät der Schuldner 30 Tage nach Fälligkeit und Zugang der Rechnung automatisch in Verzug, wenn der Gläubiger nicht eine kürzere Frist gesetzt hat, was möglich ist („spätestens“), sofern die kürzere Frist angemessen ist. Ist der Schuldner ein Verbraucher im Sinne von § 13, tritt der Verzug bei Geldforderungen nach 30 Tagen gemäß § 286 Abs. 3 S. 1 2. HS nur ein, wenn
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er in der Rechnung oder Zahlungsaufstellung darauf gesondert hingewiesen worden ist. Für diesen Hinweis ist der Gläubiger beweispflichtig. Die Unmöglichkeit der Leistung schließt den Schuldnerverzug aus. Verzug 217 kann also nur angenommen werden, wenn die Leistung des Schuldners noch nachholbar ist.30 b)
Allgemeine Rechtsfolgen
218 Der Schuldnerverzug löst mehrere Rechtsfolgen aus. Gemäß §§ 280 Abs. 1 und 2, 286 muss der Schuldner dem Gläubiger den Schaden ersetzen, den dieser aufgrund der Verzögerung der Leistung erleidet. Eine Geldschuld ist gemäß § 288 Abs. 1 mit mindestens 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz zu verzinsen. Ist an dem Rechtsgeschäft kein Verbraucher (§ 13) beteiligt, beträgt der Verzugszins 8 Prozentpunkte über dem Basiszinssatz. Der Basiszinssatz bestimmt sich nach § 247; er wird alle sechs Monate von der Europäischen Zentralbank angepasst. Außerdem kommt es gemäß § 287 zu einer Haftungsverschärfung für den Schuldner. So hat er nun jede Fahrlässigkeit und sogar den zufälligen Untergang der Sache zu vertreten, es sei denn, er kann nachweisen, die Sache wäre auch ohne die Leistungsverspätung untergegangen. Beim einseitigen Vertrag kann sich der Gläubiger unter Ablehnung der Leistung gemäß § 286 Abs. 2 vom gesamten Vertrag lösen und statt dessen den Erfüllungsschaden, der den Verzugsschaden umfasst, vom Schuldner verlangen, wenn er nach objektiven Kriterien kein Interesse mehr an der Leistung hat. Beispiel: C sollte gemäß § 433 Abs. 1 an den X eine Computeranlage übergeben und übereignen. Im Vertrag war festgelegt, dass die Lieferung fünf Tage nach Überweisung der ersten Kaufpreisrate des X erfolgen sollte. Zehn Tage nach der Überweisung will C die Anlage nun wie verabredet persönlich überbringen. Auf der Fahrt zu X wird die Computeranlage jedoch bei einem Unfall, an dem C schuldlos ist, zerstört. C wird hierdurch gemäß § 275 Abs. 1 von seiner Leistungspflicht frei. X verlangt nun Schadenersatz statt der Leistung wegen Unmöglichkeit. Das setzt gemäß §§ 283, 280 Abs. 1 voraus, dass C den Untergang zu vertreten hat. Zufall hat er jedoch nur im Falle des Schuldnerverzuges gemäß § 287 S. 2 zu vertreten. C hat die Lieferfrist von fünf Tagen nach der Überweisung durch X überschritten. Dabei handelt es sich um eine Fristbestimmung gemäß § 286 Abs. 2 Nr. 2, da der Liefertermin von einem vorhergehenden Ereignis, nämlich der Überweisung der ersten Rate, abhängig war und sich von diesem Ereignis an nach dem Kalender berechnen ließ. Somit ist C nach Ablauf der fünf Tage in Verzug geraten, weshalb er auch den zufälligen Untergang der Computeranlage zu vertreten hat. Damit hat X aus §§ 283, 280 Abs. 1 einen Anspruch gegen C auf Schadenersatz statt der Leistung.
c)
Besonderheiten im zweiseitigen Vertrag
219 Kommt der Schuldner mit einer Leistungspflicht nach § 286 in Verzug, die im Gegenseitigkeitsverhältnis zu einer Gegenleistung des Gläubigers steht, so kann der Gläubiger dem Schuldner gemäß § 323 Abs. 1 eine angemessene Frist zur 30
BGHZ 84, 244 (248); BGH, NJW 1986, 1832.
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Nacherfüllung setzen und im Fall der Erfolglosigkeit der Nachfristsetzung vom Vertrag zurücktreten. Hat der Schuldner eine Teilleistung bewirkt, so kann der Gläubiger nur zurücktreten, wenn er an der Teilleistung kein Interesse mehr hat, § 323 Abs. 5. Für den Rücktritt ist es nicht erforderlich, dass der Schuldner die Pflichtverletzung zu vertreten hat. Voraussetzung des Rücktritts ist alleine der fruchtlose Ablauf einer dem Schuldner zu setzenden angemessenen Nachfrist. Auf die Nachfrist kann in den Fällen des § 323 Abs. 2 verzichtet werden, so, wenn der Schuldner die Leistung ernsthaft und endgültig verweigert, bei Fristüberschreitung im Fixgeschäft, bei dem die Leistungszeit genau bestimmt ist und bei dem das Geschäft nach dem Parteiwillen mit der Einhaltung der Leistungspflicht stehen und fallen soll, sowie bei Vorliegen besonderer Umstände (z. B. bei nicht termingerechter Leistung bei einem Just-in-time-Vertrag).31 2.
Der Gläubigerverzug
Grundsätzlich ist der Gläubiger vertraglich nicht zu einer Mitwirkungshandlung 220 verpflichtet. Die Nichtannahme der Leistung durch den Gläubiger stellt also grundsätzlich keine Rechtsverletzung dar, sondern sie verstößt lediglich gegen das Gebot des eigenen Interesses (= Obliegenheitsverletzung). Dies kann aber in manchen Fällen anders sein. So besteht beim Kaufvertrag bei vorheriger Vereinbarung (§ 433 Abs. 2: Abnahme der Sache) und dem Werkvertrag (§ 640: Abnahme des Werkes) eine rechtliche Pflicht, an der Erfüllung der Leistungspflicht des Schuldners mitzuwirken. In diesen Fällen hat der Schuldner einen klagbaren Anspruch gegen den Gläubiger. Im Hinblick auf die Mitwirkungshandlung ist der Gläubiger damit selber Schuldner und gerät insoweit gegebenenfalls in Schuldnerverzug nach § 286. Ansonsten besteht lediglich die Obliegenheit des Gläubigers, bei der Erfüllung mitzuwirken. Kommt er dieser Obliegenheit nicht nach, so entstehen für ihn negative rechtliche Folgen. Der Annahmeverzug und seine Folgen sind in den §§ 293 ff. geregelt. Der Gläubiger kommt gemäß § 293 in Verzug, wenn er die ihm vom Schuldner 221 angebotene Leistung nicht annimmt. Dazu ist grundsätzlich gemäß § 294 ein tatsächliches Angebot notwendig. Ein wörtliches reicht nach § 295 aus, wenn der Gläubiger die Annahme der Leistung vorher verweigert hat oder eine Mitwirkungshandlung des Gläubigers notwendig ist. Gemäß § 296 ist ein Angebot entbehrlich, wenn der Gläubiger eine zeitlich festgelegte Mitwirkungshandlung unterlassen hat oder wenn der Handlung ein Ereignis vorauszugehen hat und eine angemessene Zeit für die Handlung so bestimmt ist, dass sie sich von dem Ereignis an nach dem Kalender bestimmen lässt. Die Unmöglichkeit der Leistung schließt gemäß § 297 den Gläubigerverzug aus, ebenso wenn der Schuldner vorübergehend zur Leistung außerstande ist (z. B. wegen Krankheit oder Haft). Die vorübergehende Verhinderung des Gläubigers bewirkt demgegenüber bei einer vorzeitigen Leistung des Schuldners gemäß § 299 keinen Annahmeverzug, es sei denn, der Schuldner hätte ihm die Leistung eine angemessene Zeit vorher angekündigt. Allerdings kommt der Gläubiger auch bei Annahmebereitschaft in Ver31
Palandt/Heinrichs, Bürgerliches Gesetzbuch, 67. Aufl. 2008, § 323, Rn. 22.
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zug, wenn er gemäß § 298 eine Gegenleistung, zu der er zeitgleich verpflichtet war, nicht anbietet. Die Rechtsfolgen des Annahmeverzuges sind in §§ 300 bis 304 geregelt. An222 ders als der Schuldnerverzug begründet der Gläubigerverzug keine Schadenersatzpflicht. Nur wenn zugleich die Voraussetzungen des Schuldnerverzuges vorliegen, steht dem Schuldner ein Schadenersatzanspruch nach § 286, 280 Abs. 1 zu. Als Rechtsfolge ist besonders die Haftungserleichterung des Schuldners von Bedeutung. So ist gemäß § 300 Abs. 1 eine Haftung für leichte und mittlere Fahrlässigkeit ausgeschlossen. Außerdem beschränkt sich gemäß § 300 Abs. 2 bei einer Gattungsschuld die Leistungspflicht des Schuldners auf den angebotenen Gegenstand. Der Gläubiger muss also seine Gegenleistung erbringen, wenn die Leistung des Schuldners zufällig unmöglich wird. Der Schuldner wird von seiner Leistungspflicht trotz Annahmeverzuges nicht 223 befreit. Er kann aber seine Leistungspflicht durch Hinterlegung des Schuldgegenstandes (§ 372) oder des Erlöses beim Selbsthilfeverkauf nach § 383 erfüllen. Der Gläubiger hat nach Eintritt des Gläubigerverzuges seinerseits die Möglichkeit, durch (erneute) Fristsetzung ab deren Zugang den Schuldner in Schuldnerverzug zu setzen und dadurch den Gläubigervollzug zu beenden;32 Schadenersatz nach § 281 Abs. 1 S. 1 verlangen oder gemäß § 323 von einem gegenseitigen Vertrag zurücktreten kann der Gläubiger allerdings erst, wenn die erneute Frist fruchtlos verstrichen ist. Beispiel: C sollte an den X eine Computeranlage liefern. Dieser war jedoch an dem verabredeten Termin nicht zu Hause. Auf dem Rückweg zu seinem Geschäft wird die Anlage bei einem Verkehrsunfall zerstört, zu dem C aufgrund einer leichten Unaufmerksamkeit beigetragen hatte. C kann von X gemäß § 304 Ersatz für die Mehraufwendungen infolge des erfolglosen Angebots (Fahrtkosten usw.) verlangen. Des Weiteren ist er von seiner Leistungspflicht gemäß § 275 Abs. 1 frei geworden, da er gemäß § 300 Abs. 1 die leichte Fahrlässigkeit, die zu dem Untergang der Sache führte, nicht zu vertreten hat.
32
Derleder/Hoolmans, NJW 2004, 2787 ff.
A. Der Allgemeine Teil
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Übersicht 4.2: Der Verzug
Der Schuldnerverzug:
Voraussetzungen gem. § 286:
Rechtsfolgen:
•
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Der Gläubigerverzug:
Die Leistung des Schuldners muss fällig sein. Der Gläubiger muss den Schuldner ernstlich zur Leistung auffordern (Mahnung). Die Mahnung ist entbehrlich, wenn die Leistungszeit nach dem Kalender bestimmt war oder der Schuldner bereits vorher seine Leistung ernstlich und endgültig verweigert hat oder wenn besondere Gründe unter Abwägung der beiderseitigen Interessen den sofortigen Eintritt des Verzuges rechtfertigen, § 286 Abs. 2. Der Schuldner darf noch nicht geleistet haben. Allerdings kommt er gemäß § 286 Abs. 4 dennoch nicht in Verzug, wenn er nachweisen kann, dass er die Verspätung nicht verschuldet hat.
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Ersatz des Verzugsschadens gegenüber dem Gläubiger gemäß § 280 Abs. 1 u. 2 (Zinsen gemäß § 288). Haftung des Schuldners wird gem. § 287 auf leichte Fahrlässigkeit und Zufall ausgeweitet. Der Gläubiger kann gemäß § 323 vom Vertrag zurücktreten, wenn er dem Schuldner erfolglos eine angemessene Frist zur Leistung oder Nacherfüllung bestimmt hat. Hat der Schuldner eine Teilleistung bewirkt, kann der Gläubiger vom ganzen Vertrag gemäß § 323 Abs. 5 S. 1 zurücktreten, wenn er an der Teilleistung kein Interesse hat. Ausgeschlossen ist der Rücktritt nur, wenn der Schuldner seine Leistung nicht vertragsgemäß bewirkt hat, seine Pflichtverletzung aber unerheblich ist. Gläubiger kann nach seiner Wahl gleichzeitig den Erfüllungsschaden verlangen vom Vertrag zurücktreten, § 325.
Voraussetzungen gem. §§ 293 ff:
Rechtsfolgen:
•
•
•
•
Der Schuldner muss leistungsfähig und leistungsbereit sein (§§ 294, 297). Der Schuldner muss dem Gläubiger ein Angebot machen. Grds. notwendig ist ein tatsächliches Angebot gemäß § 294. Ein wörtliches Angebot gemäß § 295 reicht aus, wenn der Gläubiger erklärt hat, die Leistung nicht anzunehmen, oder eine Mitwirkungshandlung des Gläubigers erforderlich ist. Das Angebot ist entbehrlich, wenn die Mitwirkungshandlung zeitlich gemäß § 296 festgelegt ist. Der Gläubiger darf die Leistung gem. § 293 nicht angenommen haben. Eine vorübergehende Annahmeverhinderung bei vorzeitiger Erfüllung durch den Schuldner ist dafür nicht ausreichend. Ein Verschulden des Gläubigers ist nicht erforderlich.
• • • •
Der Schuldner haftet nicht mehr bei leichter Fahrlässigkeit (§ 300 Abs. 1). Der Gläubiger trägt die Preisgefahr bei zufälligem Untergang der Sache (§ 326 Abs. 2). Eine Gattungsschuld wird spätestens jetzt zur Stückschuld (§ 300 Abs. 2). Der Gläubiger muss dem Schuldner Mehraufwendungen aufgrund des erfolglosen Angebots ersetzen (§ 304). Weiterhin kommt es gemäß §§ 301303 zu Erleichterungen für den Schuldner.
224
78
Kapitel 4
Schuldrecht
IV. Sonstige Pflichtverletzungen 225 Im Fall einer Pflichtverletzung, wozu auch Unmöglichkeit und Verzug gehören, kann der Gläubiger nach der Grundnorm des § 280 Abs. 1 Schadenersatz verlangen. Voraussetzung ist, dass der Schuldner eine Pflicht aus dem Schuldverhältnis verletzt. Mit dem Begriff der Pflichtverletzung werden alle Formen der Leistungsstörung erfasst, so die Verletzung von Haupt- und Nebenleistungspflichten sowohl aus gesetzlichen als auch aus vertraglichen Schuldverhältnissen. Beispiel: K bestellt bei V Einsatzstoffe für die Produktion. Er kann Schadenersatz von V verlangen, wenn V die Ware trotz Nachfristsetzung nicht liefert, wenn er verzögert liefert oder wenn er mangelhafte Ware liefert oder wenn die Ware mangelhaft verpackt war und dadurch Schaden genommen hat. Muss K den Einsatzstoff deshalb woanders kaufen und dafür mehr bezahlen, so kann er die Differenz als Schadenersatz von V verlangen.
V. Vorvertragliches Schuldverhältnis (culpa in contrahendo = c. i. c.) 226 Die Haftung aufgrund einer schuldhaften Pflichtverletzung bei Vertragsverhandlungen (c. i. c.) ist seit langem gewohnheitsrechtlich allgemein anerkannt gewesen. Zum 1. Januar 2002 wurde sie erstmals ausdrücklich im Gesetz verankert. § 311 Abs. 2 bestimmt, dass ein Schuldverhältnis mit Pflichten nach § 241 Abs. 2 auch schon durch die Aufnahme von Vertragsverhandlungen, die Vertragsanbahnung und durch ähnliche geschäftliche Kontakte entsteht. Außerdem kann ein Schuldverhältnis gemäß § 311 Abs. 3 mit Pflichten gemäß § 241 Abs. 2 auch zu Personen entstehen, die nicht selbst Vertragspartei werden sollen, insbesondere dann, wenn der Dritte für sich ein besonderes Vertrauen in Anspruch nimmt (z. B. der Kraftfahrzeughändler, der ein in Zahlung genommenes Fahrzeug des Kunden unter falschen Tatsachenangaben verkauft).33 Der hier jeweils in Bezug genommene § 241 Abs. 2 bestimmt, dass das Schuldverhältnis jeden Teil zur Rücksicht auf die Rechte, Rechtsgüter und Interessen des anderen Teils verpflichtet. Wird dagegen verstoßen, so kann der andere Teil gemäß § 282 unter den Voraussetzungen des § 280 Abs. 1, also wenn die Pflichtverletzung vom Verletzer zu vertreten ist, Schadenersatz fordern. Zu ersetzen ist der sogenannte Vertrauensschaden, also der Schaden, der entsteht, weil der eine Teil auf die Redlichkeit des anderen Teils vertraut hat. Dies können etwa die Kosten für die Rückgängigmachung eines geschlossenen Vertrages sein (einschließlich der Anwaltskosten). Ist der Vertrag infolge der Pflichtverletzung zu ungünstigeren Bedingungen zustande gekommen als ohne Pflichtverletzung, gewährt die Rechtsprechung dem Geschädigten, der gleichwohl an dem Vertrag festhalten will, einen Anspruch auf Vertragsanpassung, also etwa auf Herabsetzung seiner Zahlungspflicht, der einen Rückzahlungsanspruch bereits geleisteter Zahlungen enthält.34 Auf diese Weise wird der Vorteil, 33 34
BGHZ 63, 382 (385 f.), BGH, NJW 1980, 2185. BGH, NJW 2001, 2875.
A. Der Allgemeine Teil
79
welcher der einen Seite augrund der Pflichtverletzung zugefallen war, wieder entzogen. Mit dem Eintritt in die Vertragsverhandlungen entsteht ein vertragsähnliches 227 Vertrauensverhältnis zwischen den Beteiligten, das mit dem Ende der Verhandlungen bzw. dem Vertragsschluss endet. Grund für eine etwaige Haftung ist die Tatsache, dass jemand durch die Teilnahme an den Vertragsverhandlungen einen Vertrauenstatbestand setzt, auf den sich der andere verlassen kann. Ausreichend aber auch notwendig hierzu ist ein geschäftlicher Kontakt, d. h. ein bewusster Kontakt mit einer anderen Person, der aufgenommen wird, um möglicherweise einen Vertrag abzuschließen (z. B. Betreten des Warenhauses, um sich über mögliche Angebote zu informieren, nicht jedoch um sich lediglich aufzuwärmen).35 In welchen Fällen eine zur Haftung führende Pflichtverletzung einer Partei an- 228 zunehmen ist, die in Vertragsverhandlungen oder in einen sonstigen geschäftlichen Kontakt zu einer anderen Person eintritt, regelt das Gesetz nicht ausdrücklich. Bereits vor dem zum 1. Januar 2002 in Kraft getretenen Schuldrechtsmodernisierung hatte sich eine umfangreiche Rechtsprechung zur Haftung aus c. i. c. entwickelt, die auch heute noch ihre Bedeutung behält. Die Vielzahl einschlägiger Fallgestaltungen würde den Rahmen dieses Buches sprengen, sodass hierzu auf die einschlägige Literatur verwiesen werden muss.36
Fall 3: Schlagkräftige Argumente M ist Mitarbeiter des Sorglos, der ein Maklerbüro betreibt. Um seinen Chef Sorg- 229 los (S) zufriedenzustellen, arbeitet er mit harten Bandagen. Dabei hat er auch an dem Gewerbegrundstück seiner Frau (F), die dieses vor Kurzem geerbt hatte, ein berufliches Interesse. M ist der Ansicht, dieses Grundstück eigne sich in hervorragender Weise zur Sanierung der Firma, die aufgrund des sorglosen Geschäftsgebarens des S finanziell angeschlagen ist. Dem brutalen M gelingt es schließlich, unter Androhung von Schlägen seine Frau von seinen Plänen zu „überzeugen“. In einem notariell beurkundeten Vertrag verpflichtet sich F daraufhin, ihr Grundstück an S zu übertragen. M nimmt dieses Angebot stellvertretend für S als dessen vertretungsberechtigter Mitarbeiter an. Zwei Monate später trennt sich F von M. 13 Monate später erklärt sie die Anfechtung des Schenkungsvertrages. S will nun wissen, ob er von F die Übereignung des Grundstücks verlangen kann.
35 36
Palandt/Heinrichs, Bürgerliches Gesetzbuch, 67. Aufl. 2008, § 311, Rn. 17. S. etwa Palandt/Heinrichs, Bürgerliches Gesetzbuch, 67. Aufl. 2008, § 311, Rn. 33-55.
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Kapitel 4
Schuldrecht
Lösungsaufbau: 230 Anspruch des S gegen F auf Übereignung des Grundstücks gemäß § 516 Abs. 1 I. Bestehen eines Schenkungsvertrages 1. Angebot der F 2. Annahme durch S vertreten durch M 3. Ergebnis II. Wirksamkeit der Einigung 1. Beachtung der gesetzlichen Form a) Erklärung der F b) Erklärung des M 2. Anfechtungsgrund gemäß § 123: Widerrechtliche Drohung des M a) Widerrechtliche Drohung gemäß § 123 b) Anfechtungserklärung gemäß § 142 c) Einhaltung der Anfechtungsfrist gemäß § 124 3. Ergebnis III. Durchsetzbarkeit des Anspruchs gemäß § 242 1. Verschulden bei Vertragsverhandlungen (c. i. c.) a) Vorvertragliches Schuldverhältnis b) Pflichtverletzung c) Bestehen einer Regelungslücke d) Verschulden des S e) Rechtsfolge 2. Weitere Gegenansprüche IV. Ergebnis
Lösungsvorschlag: 231 S hat gegen F einen Anspruch auf Übereignung des Grundstücks, wenn zwischen beiden ein wirksamer Schenkungsvertrag besteht, der dem S einen durchsetzbaren Übereignungsanspruch gibt. I.
Bestehen eines Schenkungsvertrages
232 Voraussetzung ist dafür zunächst, dass zwischen F und S ein Schenkungsvertrag gemäß § 516 Abs. 1 in Bezug auf das Grundstück zustande gekommen ist. 1.
Angebot der F
233 Ein Schenkungsversprechen gemäß § 516 Abs. 1 liegt vor, wenn jemand einem anderen zusagt, ihn aus seinem Vermögen zu bereichern.37 F verspricht in der notariellen Urkunde, das aufgrund der Erbschaft zu ihrem Vermögen gehörende Gewerbegrundstück an den S zu übereignen. Damit liegt ein Antrag auf Abschluss eines Schenkungsvertrages vor.
37
Zur in diesem Buch nicht näher behandelten Schenkung s. die Kommentierung von Palandt/Weidenkaff, Bürgerliches Gesetzbuch, 67. Aufl. 2008, §§ 516-534.
A. Der Allgemeine Teil
2.
81
Annahme durch S vertreten durch M
Aus § 516 Abs. 1 ergibt sich, dass es sich bei der Schenkung um ein zweiseitiges 234 Rechtsgeschäft handelt. Notwendig ist damit eine Annahmeerklärung des Beschenkten. S müsste also das Angebot der F angenommen haben. Das Angebot an S wurde durch M gemäß § 164 in dessen Namen angenommen. 235 Dessen Erklärung entfaltet Wirkung für und gegen den S, wenn M zu der Vertretung des S in diesem Fall berechtigt war. M war von S gemäß § 167 zur Vertretung bevollmächtigt worden. 3.
Ergebnis
Mit der Annahme des Schenkungsversprechens der F durch S, der dabei durch M 236 vertreten wurde, ist ein Schenkungsvertrag gemäß § 516 zwischen beiden zustande gekommen. II.
Wirksamkeit der Einigung
Die Einigung zwischen F und S ist wirksam, wenn keine Nichtigkeitsgründe vor- 237 liegen. 1.
Beachtung der gesetzlichen Form
a)
Erklärung der F
Gemäß § 518 Abs. 1 bedarf ein Schenkungsversprechen der Beurkundung durch 238 den Notar. Da der gesamte Vertrag durch den Notar beurkundet wurde, ist die Form des § 518 gewahrt. Damit sind auch die Anforderungen des § 311b Abs. 1 hinsichtlich der Erklärung der F erfüllt, wonach ein Vertrag, durch den sich jemand zur Übertragung eines Grundstücks verpflichtet, der notariellen Beurkundung bedarf. b)
Erklärung des M
Die Annahmeerklärung des M, die dieser in Vertretung des S abgab, bedurfte als 239 Teil der Einigung über den Erwerb eines Grundstücks ebenfalls gemäß § 311b Abs. 1 der notariellen Beurkundung. Diese lag vor. Somit ist die Einigung zwischen F und S formwirksam. 2.
Anfechtung wegen widerrechtlicher Drohung des M
F hat jedoch den Schenkungsvertrag angefochten, weil sie sich zu ihrem Schen- 240 kungsversprechen durch die Schläge des M gezwungen sah. Damit ist der Vertrag nichtig, wenn die Voraussetzungen der §§ 142, 123 erfüllt sind. a)
Widerrechtliche Drohung gemäß § 123
Dann müsste das Verhalten des M eine widerrechtliche Drohung darstellen. Durch 241 die Ausübung der körperlichen Gewalt wurde gleichzeitig die Fortsetzung dieser Behandlung angedroht, wenn sich F nicht dem Willen des M beugt. Die Schläge
82
Kapitel 4
Schuldrecht
gegen F stellen eine vis compulsiva (willensbeugende Gewalt) dar und bilden damit eine für § 123 einschlägige Einschränkung der Willensfreiheit.38 Die Drohung des M war auch widerrechtlich, da Gewalt als solche bereits kein rechtmäßiges Mittel darstellt und zudem kein Anspruch auf die Abgabe der erstrebten Willenserklärung durch F bestand. Zwar wurde die Drohung nicht von dem Vertragspartner S ausgeübt, aber im Gegensatz zu der Regelung des § 123 Abs. 2 im Hinblick auf die arglistige Täuschung ist die Person des Drohenden bei der widerrechtlichen Drohung ohne Belang.39 Da M sogar absichtlich handelte, sind die Voraussetzungen des § 123 Abs. 1 gegeben. b)
Anfechtungserklärung gemäß § 142
242 F hat auch die gemäß § 142 Abs. 1 notwendige Anfechtungserklärung getätigt. c)
Einhaltung der Anfechtungsfrist gemäß § 124
243 Fraglich ist jedoch, ob die Anfechtungserklärung auch rechtzeitig erfolgte. Gemäß § 124 Abs. 1 muss die Anfechtungserklärung innerhalb eines Jahres nach Abgabe der mangelhaften Willenserklärung erfolgen. Diese Frist beginnt gemäß § 124 Abs. 2 bei der widerrechtlichen Drohung ab dem Zeitpunkt zu laufen, ab dem die Zwangslage beendet war. Solange F noch mit M zusammenlebte, musste sie weitere Tätlichkeiten befürchten, falls sie ihre Willenserklärung anfechten wollte. Mit der Trennung von F war diese Zwangslage jedoch beendet, sodass die Anfechtungsfrist zwei Monate nach Abgabe der Willenserklärung zu laufen begann. F hat die Anfechtung erst 13 Monate nach dieser Trennung erklärt. Damit ist die Anfechtungsfrist für F abgelaufen und eine Anfechtung des Schenkungsversprechens nicht mehr möglich. 3.
Ergebnis
244 Der Schenkungsvertrag zwischen S und F ist damit wirksam. III.
Durchsetzbarkeit des Anspruchs gemäß § 242
245 Grundsätzlich ist ein fälliger Anspruch, der nicht einredebehaftet ist, durchsetzbar. Aufgrund des Grundsatzes von Treu und Glauben kann die Durchsetzbarkeit jedoch entfallen, wenn der Anspruchsgegner nach Erfüllung des Anspruchs sogleich einen Gegenanspruch hätte, der zu einer Rückgängigmachung der Leistung führt (dolo facit, qui petit quod statim rediturus est).40 Folglich ist zu prüfen, ob F einen derartigen Gegenanspruch geltend machen kann.
38
39 40
Bei vis absoluta (unwiderstehlichem Zwang) liegt dagegen überhaupt keine Willenserklärung vor, da der Täter mit körperlichem Zwang selbst den Anschein einer Willenserklärung setzt (z. B. indem er die Hand des Opfers bei der Vertragsunterschrift führt). S. Palandt/Heinrichs, Bürgerliches Gesetzbuch, 67. Aufl. 2008, § 123, Rn. 15. Palandt/Heinrichs, Bürgerliches Gesetzbuch, 67. Aufl. 2008, § 123, Rn. 18. Palandt/Heinrichs, Bürgerliches Gesetzbuch, 67. Aufl. 2008, § 242, Rn. 52 m. w. N.
A. Der Allgemeine Teil
1.
83
Verschulden bei Vertragsverhandlungen (c. i. c.)
F könnte einen Anspruch aus §§ 282, 311 Abs. 2, 280 Abs. 1 wegen c. i. c. haben, 246 wonach S zur Aufhebung des Schenkungsvertrages verpflichtet wäre. a)
Vorvertragliches Schuldverhältnis
Voraussetzung für einen Anspruch der F gegen S ist zunächst ein vorvertragliches 247 Schuldverhältnis im Sinne von § 311 Abs. 2. Zwischen F und S, vertreten durch M, haben Vertragsverhandlungen über die Übereignung des Grundstückes stattgefunden, sodass ein Fall des § 311 Abs. 2 Nr. 1 gegeben ist. b)
Pflichtverletzung
S müsste weiterhin eine Pflichtverletzung nach § 241 Abs. 2 gegenüber der F 248 begangen haben. Die Achtung der Willens- bzw. Vertragsfreiheit des anderen gehört zu den elementaren Pflichten gegenüber dem Verhandlungspartner. F wurde von M durch Gewalt zum Vertragsabschluss gezwungen. Damit ist die Pflicht zur Rücksichtnahme nach § 241 Abs. 2 evident verletzt, d. h. es liegt eine objektive Pflichtverletzung vor. S hat sich des M als seines Vertreters bei den Vertragsverhandlungen bedient. Damit ist ihm diese Pflichtverletzung gemäß § 278 als eigenes Verschulden zuzurechnen. c)
Vertretenmüssen
Schadenersatz kann F gemäß § 282 nur unter den Voraussetzungen des § 280 249 Abs. 1 fordern. Dazu muss der Schuldner die Pflichtverletzung zu vertreten haben, vgl. § 280 Abs. 1 S. 2. Gemäß § 276 Abs. 1 hat der Schuldner Vorsatz und Fahrlässigkeit zu vertreten. Das Verschulden von Hilfspersonen hat er sich gemäß § 278 S. 1 wie eigenes Verschulden zurechnen zu lassen. M handelte vorsätzlich bei der Gewaltanwendung gegen F. Dieses Verschulden wird dem S gemäß § 278 S. 1 zugerechnet. d)
Rechtsfolge
F kann gemäß §§ 282, 311, 280 Abs. 1 Schadenersatz von S verlangen. Durch die 250 Drohung des M ist es zu einem Schenkungsvertrag gekommen, aufgrund dessen S von F die Übereignung ihres Grundstücks fordern kann. Bei einem pflichtgemäßen Verhalten des M wäre es zu einem derartigen Vertrag nicht gekommen. Die für F gemäß § 516 Abs. 1 bestehende Verpflichtung zur Übereignung des Grundstücks stellt damit einen Schaden dar. Gemäß § 249 S. 1 richtet sich der Schadenersatzanspruch grundsätzlich auf die Wiederherstellung des ursprünglichen Zustandes. F kann daher von S die Aufhebung des Schenkungsvertrages verlangen. Die Haftung für c. i. c. besteht neben dem Anfechtungsrecht nach § 123. Das Anfechtungsrecht kann gemäß § 124 jedoch nur binnen Jahresfrist nach Wegfall der Zwangslage ausgeübt werden, während der Schadenersatzanspruch in der Regelverjährungsfrist des § 195 nach drei Jahren verjährt; die Verjährungsfrist beginnt erst am Schluss des Jahres, in dem der Anspruch entstand (§ 199 Abs. 1 Nr. 1). Damit besteht zugunsten der F ein Gegenanspruch, der S an der Durchsetzung seines Übereignungsanspruches aus dem Schenkungsvertrag hindert.
84
Kapitel 4
Schuldrecht
2.
Weitere Gegenansprüche41
251 F könnte auch Schadenersatzansprüche aus den §§ 823 ff. haben. Ein Anspruch aus § 823 scheitert jedoch an dem fehlenden Verschulden des S. Ein Anspruch aus § 831 ist nicht gegeben, weil M nicht der weisungsabhängige Verrichtungsgehilfe des S gewesen ist. Damit bestehen keine weiteren Ansprüche zugunsten der F.42 IV.
Ergebnis
252 S hat gegen F einen Anspruch auf Übereignung des Grundstücks aus § 516 Abs. 1. Dieser Anspruch ist jedoch aufgrund des Gegenanspruches der F aus c. i. c. (§§ 282, 311, 280 Abs. 1), der auf die Aufhebung des Schenkungsvertrages zielt, nicht durchsetzbar.
B. Vertragsrecht 253 Das Schuldrecht enthält ab § 433 detaillierte Regelungen bezüglich einzelner typisierter schuldrechtlicher Verträge. Die Vertragspartner können ihrer Einigung einen der dort aufgeführten Vertragstypen zugrunde legen. Aus § 311 Abs. 1 ergibt sich aber auch die Möglichkeit, einen Vertrag abzuschließen, der den Vertragsarten des BGB nicht unterfällt, oder es können verschiedene Vertragsarten gemischt werden. Darüber hinaus können die Geschäftspartner durch Individualregeln oder in der Form von standardisierten Allgemeinen Geschäftsbedingungen (AGB) die gesetzlichen Regelungen modifizieren. Damit herrscht im Schuldrecht im Gegensatz zum Sachenrecht eine Typenfreiheit. Beispiel: Gesetzlich geregelte Vertragsarten sind der Kauf (§ 433 ff.), die Miete (§ 535 ff.), das Gelddarlehen (§ 488) und das Sachdarlehen (§ 607 ff.). Beim Leasingvertrag43 werden diese Vertragsarten gemischt, wobei die nähere Ausgestaltung durch AGB erfolgt. So verpflichtet sich der Leasinggeber gegenüber dem Leasingnehmer diesem die Sache zum Gebrauch zu überlassen. Hier sind mietvertragliche Regelungen anwendbar. Der Leasingnehmer muss beim Finanzierungsleasing dem Vertragspartner einzelne Raten zahlen, sodass Elemente des Darlehens vorliegen. Zwischen dem Leasingnehmer und dem Hersteller liegt ein Kaufvertrag vor. In den AGB zum Leasingvertrag wird der Leasinggeber meist von den Mängelfolgen freigestellt. Dafür tritt er regelmäßig dem Leasingnehmer seine Mängelfolgenrechte aus dem Kaufvertrag mit dem Hersteller an den Leasingnehmer ab, sodass dann das kaufrechtliche Gewährleistungsrecht einschlägig ist.
41 42
43
Wie oben dargelegt (Rn. 17) sind alle infrage kommenden Ansprüche zu prüfen. An diesem Fall wird auch die Bedeutung der c. i. c. deutlich. Ohne dieses Rechtsinstitut, das erst seit der Schuldrechtsmodernisierung (2002) im Gesetz ausdrücklich geregelt ist, hätte die F keinen Schadenersatzanspruch gegen S. S. dazu Palandt/Weidenkaff, Bürgerliches Gesetzbuch, 67. Aufl. 2008, Einf. v. § 535, Rn. 37 ff.
B. Vertragsrecht
85
Besondere Bedeutung bei den gesetzlichen Regeln zu den einzelnen Vertragsarten 254 hat das Gewährleistungsrecht. Dabei werden die Folgen einer Schlechterfüllung der Leistungspflicht geklärt. Geregelt sind dabei insbesondere die Fälle, in denen der vertragliche Leistungsgegenstand mit einem Mangel behaftet ist, sowie Fälle, in denen vertragliche Nebenpflichten verletzt wurden und bei denen durch die Schlechterfüllung der Hauptleistungspflicht ein über das Erfüllungsinteresse hinausgehender Schaden (Mangelfolgeschaden) entstanden ist. Dieser Abschnitt behandelt das Gewährleistungsrecht des Kauf- und Werkver- 255 trages (Übersicht 4.3 und 4.4) exemplarisch. Damit sind die beiden Vertragstypen erfasst, die im Wirtschaftsleben von größter Bedeutung sind. Der abschließende Fall zeigt die praktische Bedeutung der gesetzlichen Regelungen auf.
I.
Der Kaufvertrag (vgl. Übersicht 4.3)
1.
Grundregeln
Beim Kaufvertrag handelt es sich um einen gegenseitigen Vertrag, in dem sich der 256 Verkäufer zur Veräußerung einer Sache oder eines Rechtes und der Käufer zur Zahlung einer Geldsumme verpflichtet. Vertragsgegenstand können gemäß § 433 Abs. 1 Sachen (Sachkauf in Form des Gattungs- oder Stückkaufs) oder gemäß § 453 Rechte (z. B. Forderungen aller Art, Hypotheken, Patente) und darüber hinaus „sonstige Gegenstände“, also alle verkehrsfähigen Güter (z. B. Elektrizität, Wasser, Wärme) sein. Der Rechtskauf folgt gemäß § 453 den Regeln über den Sachkauf (§§ 433 ff.). Beim Sachkauf muss der Verkäufer dem Käufer die Sache übereignen und übergeben, beim Rechtskauf muss der Käufer Inhaber des Rechts werden. Gemäß § 434 gehört es zur Hauptleistungspflicht, dass der Gegenstand frei von Rechten anderer Personen ist. Die Abnahmepflicht des Käufers aus § 433 Abs. 2 ist grundsätzlich keine synallagmatische Hauptleistungs-, sondern eine Nebenpflicht. Sie kann ausnahmsweise zur Hauptpflicht erklärt werden, wenn es dem Verkäufer gerade auf die Wegschaffung der Sache ankommt. Ist sie Hauptpflicht, kann der Verkäufer selbstständig auf Abnahme klagen, während im Normalfall, in dem die Abnahme nur Nebenpflicht ist, der Käufer unter den Voraussetzungen des § 286 in Schuldnerverzug gerät, wenn er die Sache nicht abnimmt. Der Käufer haftet im Schuldnerverzug auch für den zufälligen Untergang der Sache (§ 287). Der Verkäufer kann seinerseits, wenn die Voraussetzungen des § 323 gegeben sind, vom Kaufvertrag zurücktreten. Außerdem kann der Verkäufer, wenn er dem Käufer eine angemessene Nachfrist zur Abnahme gesetzt hat, Schadenersatz nach § 281 verlangen (z. B. die Unterhaltskosten für das verkaufte Pferd). Hinsichtlich der Unmöglichkeit gelten die allgemeinen Regeln. Wird dem Ver- 257 käufer die Übergabe der Sache unmöglich, weil diese zerstört oder abhanden gekommen ist, wird er gemäß § 275 von seiner Leistung frei. Der Käufer kann gemäß §§ 283, 280 Abs. 1 Schadenersatz statt der Leistung verlangen und – nach erfolgloser Nachfristsetzung – gemäß § 323 Abs. 1 vom Kaufvertrag zurücktreten. Schadenersatz und Rücktritt können gemäß § 325 kombiniert werden.
86
Kapitel 4
Schuldrecht
2.
Mängelhaftung
258 Besondere Bedeutung hat die in den § 437 geregelte Sachmängelhaftung, die weitgehend dem allgemeinen Leistungsstörungsrecht folgt (vgl. Übersicht 4.3). Diese greift bei Vorliegen eines Kaufvertrages über eine Sache oder ein Recht ein, wenn ein Sachmangel im Sinne des § 434 oder ein Rechtsmangel im Sinne des § 435 vorliegt. Den Regelungen liegt in Umsetzung der Verbrauchsgüterkaufrichtlinie44 die Konzeption zugrunde, dass es zu den Hauptleistungspflichten des Verkäufers gehört, dem Käufer die Sache bzw. das Recht frei von Sach- oder Rechtsmängeln zu verschaffen (§ 433 Abs. 1 S. 2). Mit diesem neuen Konzept hat der deutsche Gesetzgeber die Verbrauchsgüterkaufrichtlinie umgesetzt. a)
Sachmängel
259 Ein Fehler (Sachmangel) im Sinne des § 434 Abs. 1 S. 1 liegt vor, wenn die Sache bei Gefahrübergang nicht die vereinbarte Beschaffenheit hat, sie also in ihrem IstZustand in ungünstiger Weise von dem Soll-Zustand abweicht. Es kommt an dieser Stelle entscheidend auf die vereinbarte Beschaffenheit an. Der Motordefekt eines Fahrzeuges ist danach kein Sachmangel, wenn ein Schrottfahrzeug verkauft wird. Das gleiche gilt für typische Verschleißerscheinungen bei älteren Fahrzeugen mit hoher Laufleistung; will der Käufer hier Mängelansprüche durchsetzen, trägt er die Beweislast für das Vorliegen eines Mangels, muss ausgetauschte Fahrzeugteile also gegebenenfalls aufbewahren.45 Umgekehrt ist ein Fahrzeug, bei dem es zu mehr als zu „Bagatellschäden“ gekommen ist, auch dann noch mangelhaft, wenn die Schäden fachgerecht repariert wurden; der Unfallschaden als solcher gilt hier als der nicht zu beseitigende Fehler der Sache.46 Ebenso ist ein im Boden kontaminiertes Grundstück mangelhaft, es sei denn, das Grundstück wäre als Altlastengrundstück verkauft worden. Soweit die Beschaffenheit der Sache nicht vereinbart wurde, ist sie gemäß § 434 Abs. 1 S. 2 mangelhaft, wenn sie sich nicht für die nach dem Vertrag vorausgesetzte Verwendung eignet oder sich nicht für die gewöhnliche Verwendung eignet und eine Beschaffenheit aufweist, die bei Sachen der gleichen Art üblich ist und die der Käufer nach der Art der Sache erwarten darf. Die gewöhnliche Verwendung ist objektiv aus der Art der Sache abzuleiten und unterscheidet sich gegebenenfalls auch nach dem Verkehrskreis, dem der Käufer angehört (so kann ein Drucker, der im Privatkundenbereich ausreichend leistungsfähig ist, für den gewerblichen Kunden mangelhaft sein, wenn er nicht auf den dort zu erwartenden größeren Umfang zu druckender Seiten ausgelegt ist). Zu den zu erwartenden Eigenschaften einer Sache gehören gemäß § 434 Abs. 1 S. 3 auch die vom Verkäufer oder Hersteller in der Werbung öffentlich geäußerten Eigenschaften. Da der Verkäufer danach gegebenenfalls für Verlautbarungen haftet, die er nicht einmal kennen muss, weil sie vom Hersteller oder dessen Gehilfen 44
45 46
Richtlinie 1999/44/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 25.05.1999 zu bestimmten Aspekten des Verbrauchsgüterkaufs und den Garantien für Verbrauchsgüter, ABl. EG Nr. L 171 vom 7.07.1999, S. 12. BGH, NJW 2006, 434 (435). BGH, NJW 2008, 53 ff.
B. Vertragsrecht
87
abgegeben wurden, gewähren die §§ 478, 479 dem Verkäufer einen Regressanspruch gegen den Lieferanten. Ein Sachmangel ist gemäß § 434 Abs. 3 S. 1 auch dann gegeben, wenn die vereinbarte Montage durch den Verkäufer oder dessen Erfüllungsgehilfen unsachgemäß durchgeführt wird, selbst wenn dadurch die Beschaffenheit der eigentlichen Kaufsache nicht beeinträchtigt wird (Beispiel: fehlerhafter Wasseranschluss der gekauften Waschmaschine, in die infolgedessen Wasser an falscher Stelle einläuft). Durch diese Regelung ist die vereinbarte Montage, die früher nur als Nebenpflicht angesehen wurde, zu einer Hauptleistungspflicht des Verkäufers geworden.47 Hinzuweisen ist schließlich auf die sogenannte IKEA-Klausel des § 434 Abs. 3 S. 2, wonach ein Sachmangel auch vorliegt, wenn die Montageanleitung fehlerhaft ist. Mangelansprüche bestehen nur dann nicht, wenn sich der Mangel in der Montageanleitung nicht ausgewirkt hat, weil die Sache doch „fehlerfrei montiert“ wurde, was allerdings der Verkäufer beweisen muss.48 Gemäß § 434 Abs. 4 ist die Falschlieferung (aliud) und die Lieferung einer zu geringen Menge dem Sachmangel gleichgestellt. Der Käufer hat auch hier die gewährleistungsrechtlichen Behelfe des § 437. Eine Falschlieferung liegt beim Stückkauf vor, wenn eine andere als die verkaufte Sache geliefert wird. Ob beim Gattungskauf eine Falschlieferung vorliegt, ist nach dem Vertragszweck zu beurteilen, der vereinbart wurde oder der dem Verkäufer bekannt ist.49 Entscheidend sind also die von den Parteien zu vereinbarenden Qualitätsmerkmale (Typ, Sorte, Farbe, Freiheit von Rissen, gegebenenfalls auch Preis usw.). Ergeben sich aus dem Parteiwillen keine besonderen Anforderungen, ist die Verkehrsanschauung Beurteilungsmaßstab.50 Ein aliud liegt vor, wenn die Sache offensichtlich nicht mehr der vereinbarten Gattung angehört. Kein aliud liegt vor, wenn die gelieferte Gattung von mittlerer Art und Güte ist (vgl. § 243 Abs. 1). Unerhebliche Mängel werden in § 434 nicht ausgeschlossen. Stattdessen bestimmt § 323 Abs. 5 S. 2, dass bei unerheblichen Pflichtverletzungen ein Rücktritt nicht möglich ist; ferner steht dem Käufer gemäß § 281 Abs. 1 S. 3 bei einer unerheblichen Pflichtverletzung kein Schadenersatz statt der Leistung (großer Schadenersatz) zu. Bei unerheblichen Mängeln bleibt dem Käufer also nur das Minderungsrecht gemäß § 441, denn dieses Recht wird durch die Unerheblichkeit der Pflichtverletzung nicht ausgeschlossen, vgl. § 441 Abs. 1 S. 2. Eine unerhebliche Pflichtverletzung im Sinne von § 323 Abs. 5 S. 2 ist in der Regel zu verneinen, wenn der Verkäufer über das Vorhandensein eines Mangels arglistig getäuscht hat.51 Der Bundesgerichtshof hat einen durchschnittlichen Kraftstoffmehrverbrauch von unter 10 % im Vergleich zu den Herstellerangaben im Fall eines Neuwagenkaufs als unerheblichen Mangel eingestuft.52 47 48 49 50
51 52
Palandt/Putzo, Bürgerliches Gesetzbuch, 67. Aufl. 2008, § 434, Rn. 40. Westermann, NJW 2002, 241 (244). Palandt/Putzo, Bürgerliches Gesetzbuch, 67. Aufl. 2008, § 434, Rn. 52. Palandt/Heinrichs, Bürgerliches Gesetzbuch, 67. Aufl. 2008, § 243, Rn. 2; BGH, NJW 1984, 1955. BGH, NJW 2006, 1960 (1961). BGH, NJW 2007, 2111 (2112) mit Anmerkung Reinking.
260
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Schuldrecht
b)
Rechtsmangel
264 Ein Rechtsmangel liegt gemäß § 435 vor, wenn ein Dritter Rechte an der Sache besitzt, die er gegen den Käufer geltend machen könnte und die der Käufer vereinbarungsgemäß nicht mit übernommen hat. In Betracht kommen hier Eigentums-, Besitz- oder Gebrauchsrechte (etwa als Mieter der Sache53 oder aufgrund einer Dienstbarkeit). Gerade bei Grundstücksverkäufen spielen öffentlichrechtliche Beschränkungen eine Rolle. Diese stellen einen Sachmangel dar, wenn an den Zustand der Sache angeknüpft wird, so wenn die Baugenehmigung wegen der Grundstückseigenschaft (etwa wegen der Altlastenbelastung) nicht erteilt wird.54 Nur wenn die rechtliche Beschränkung ihre Ursache in Umständen hat, die nicht innerhalb des konkreten Gegenstandes liegen, liegt ein Rechtsmangel vor.55 § 436 stellt klar, dass auch Ansprüche auf Erschließungs- und Anliegerbeiträge und andere öffentliche Lasten Rechtsmängel sein können. Das bloße Behaupten solcher Rechte durch Dritte begründet noch keinen Rechtsmangel; dieser liegt nur dann vor, wenn das Recht tatsächlich besteht.56 Die Beweislast für die Rechtsmangelfreiheit liegt, wie sich aus § 363 ergibt, beim Verkäufer.57 Ist der Rechtsmangel behebbar, greifen die Gewährleistungsrechte aus § 437. Ist er dagegen nicht behebbar, liegt also anfängliches Unvermögen vor, lässt § 311a Abs. 1 den Bestand des Kaufvertrages unberührt. Der Käufer kann dann Schadenersatz statt der Leistung verlangen. c)
Rechte des Käufers
265 Ist die Sache mit einem Sach- oder Rechtsmangel behaftet, stehen dem Käufer die in § 437 zusammengefassten Rechte zur Auswahl. Vorrangig, weil auch für die weiteren Rechte von Bedeutung, ist das Recht auf 266 Nachbesserung gemäß §§ 437 Nr. 1, 439.58 Das entspricht der Lebenswirklichkeit, weil durch die Mangelhaftigkeit der Sache nicht der Wunsch des Käufers auf ihren Erwerb entfallen sein wird.59 Gemäß § 439 kann der Käufer nach seiner Wahl Beseitigung des Mangels oder Lieferung einer mangelfreien Sache verlangen. Das Verlangen des Käufers auf Mangelbeseitigung oder Ersatzlieferung/Umtausch ist eine einseitige empfangsbedürftige Willenserklärung.60 Die Nacherfüllung ist grundsätzlich am ursprünglichen Leistungsort zu erbringen, also am Erfüllungsort der kaufvertraglichen Lieferverpflichtung (§ 269 Abs. 1). Damit ist die Nacherfüllung im Regelfall beim Verkäufer zu erbringen, denn der Nacherfüllungsanspruch
53 54 55 56 57 58 59
60
BGH, NJW 1992, 905. Palandt/Putzo, Bürgerliches Gesetzbuch, 67. Aufl. 2008, § 434, Rn. 60 ff. BGH, NJW 1991, 915 (916). Palandt/Putzo, Bürgerliches Gesetzbuch, 67. Aufl. 2008, § 435, Rn. 18. Palandt/Putzo, Bürgerliches Gesetzbuch, 67. Aufl. 2008, § 435, Rn. 19. Huber, NJW 2002, 1004 ff. Westermann, NJW 2002, 241 (248). Die zu starke Betonung der Verkäuferrechte bemängelt dagegen Lorenz, NJW 2006, 1175 ff. Palandt/Putzo, Bürgerliches Gesetzbuch, 67. Aufl. 2008, § 437, Rn. 10.
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ist ein modifizierter Erfüllungsanspruch.61 Der Umstand, dass nach § 439 Abs. 2 der Verkäufer alle Transport-, Wege-, Arbeits- und Materialkosten tragen muss, bedeutet nicht, dass er die Nacherfüllung am Wohnort des Käufers zu erbringen hätte. Der Käufer muss den fehlerhaften Kaufgegenstand also zum Verkäufer bringen, damit dieser nacherfüllen kann; die Transportkosten, die dem Käufer dabei entstehen, muss der Verkäufer ihm ersetzen. Der Verkäufer kann die vom Käufer gewählte Art der Nacherfüllung verwei- 267 gern, wenn sie nur mit unverhältnismäßigen Kosten möglich ist, § 439 Abs. 3 S. 1. Nach einer im Vordringen befindlichen Ansicht soll der Käufer selbst im Fall eines Stückkaufs Ersatzlieferung verlangen können, weil in manchen Fällen die Ersatzbeschaffung günstiger ist als die Reparatur der Kaufsache.62 Der BGH63 hat sich dieser Auffassung im Prinzip angeschlossen, weil das BGB die Ersatzlieferung als zulässige Art der Nacherfüllung im Fall eines Stückkaufs nicht ausschließe; im konkreten Fall hat er die Ersatzlieferung allerdings nicht zugelassen, weil der Käufer des mangelhaften Gebrauchtwagens mit der vor Vertragsabschluss erfolgten Besichtigung hinreichend deutlich zu erkennen gegeben hat, dass er nur dieses konkrete Fahrzeug haben wollte, dass also ein Stückkauf vorliege, bei dem eine Ersatzlieferung von vorneherein nicht in Betracht kommt. Die Wahl zwischen den beiden Rechten (Beseitigung des Mangels oder Ersatz- 268 lieferung) kann der Käufer gemäß § 439 Abs. 3 auch dem Verkäufer überlassen. Im Fall der Ersatzlieferung einer neuen mangelfreien Sache hat der Verkäufer 269 nach § 439 Abs. 4 i. V. m. §§ 346-348 einen Anspruch auf Rückgewähr der mangelhaften Sache. Umstritten ist, ob der Verkäufer auch Wertersatz für die Vorteile beanspruchen kann, die der Käufer aus dem Gebrauch der mangelhaften Sache bis zu deren Austausch gezogen hat. Ein solcher Anspruch könnte nach dem Wortlaut des Gesetzes gegeben sein. Liefert der Verkäufer zum Zwecke der Nacherfüllung eine mangelfreie Sache, so verweist § 439 Abs. 4 ins Rücktrittsrecht. Hiernach kann der Verkäufer Rückgewähr der mangelhaften Sache nach den §§ 346-348 verlangen. Und § 346 Abs. 1 erstreckt die Herausgabepflicht auf die gezogenen Nutzungen. Soweit deren Herausgabe ausgeschlossen ist, hat der Käufer nach § 346 Abs. 2 Wertersatz zu leisten. Wertersatz schuldet er nach § 347 Abs. 1 sogar für solche Nutzungen, die er entgegen den Regeln einer ordnungsgemäßen Wirtschaft und unter Verstoß gegen die Sorgfalt in eigenen Angelegenheiten nicht gezogen hat. Dieser Nutzungswertersatz entspricht dem Willen des deutschen Gesetzgebers.64 Allerdings ist umstritten, ob dieses Ergebnis mit europäischem Sekundärrecht vereinbar ist, denn Art. 3 Abs. 3 S. 3 der Verbrauchsgüterkaufrichtlinie verbietet im Verbrauchsgüterkauf jede „erhebliche Unannehmlichkeit“ des 61
62
63 64
BGH, NJW 2007, 3214 f.; a. A. zuvor OLG München, NJW 2006, 449; OLG Köln, NJW-RR 2006,677, die den Wohnsitz des Käufers als den Ort der Nacherfüllung angesehen haben. Dem hat der BGH ausdrücklich eine Absage erteilt. OLG Braunschweig, NJW 2003, 1053 (1054); LG Ellwangen, NJW 2003, 517; Pammler, NJW 2003, 1992 (1993); Derleder, NJW 2005, 2481 (2482); a. A. Lorenz, JZ 2001, 742 (744); Wieser, NJW 2001, 121 (123). BGH, NJW 2006, 2839 (2841); zustimmend Roth, NJW 2006, 2953 ff. Vgl. die Begründung zum Schuldrechtsmodernisierungsgesetz in BT-Drs. 14/6040, S. 232 f.
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Verbrauchers und sieht den Nutzungsersatz nicht vor. Bei der Pflicht, Wertersatz für die Nutzung der mangelhaften und später ausgetauschten Sache leisten zu müssen, könnte es sich um eine solche Unannehmlichkeit handeln. Deshalb hat der BGH in einem Revisionsverfahren, das gegen Entscheidungen geführt wird, die – entsprechend den deutschen Vorschriften – einen Anspruch des Verkäufers auf Wertersatz für die Nutzung der mangelhaften Sache bejaht hatten, dem EUGH nach Art. 234 S. 1 lit. b) EGV65 die Frage vorgelegt, ob diese Auslegung des nationalen Rechts der Verbrauchsgüterkaufrichtlinie widerspricht.66 Es spricht viel dafür, dass der EuGH diese Frage bejahen wird, sodass § 439 Abs. 4, soweit es um einen Verbrauchsgüterkauf geht (der Verbraucher kauft von einem Unternehmer) richtlinienkonform dahingehend auszulegen ist, dass der Verbraucher keinen Nutzungsersatz hinsichtlich der gekauften mangelhaften Sache leisten muss.67 Der Nacherfüllungsanspruch unterliegt nicht der Regelverjährung des § 195, 270 sondern der Sonderregelung des § 438 Abs. 1 Nr. 1. Die Verjährungsfrist beginnt mit der Ablieferung der Sache und beträgt regelmäßig zwei Jahre und in Sonderfällen fünf Jahre bei Bauwerken und dafür verwendete Sachen (§ 438 Abs. 1 Nr. 2) und 30 Jahre bei dinglichen Rechten Dritter und ins Grundbuch eingetragenen Rechten (§ 438 Abs. 1 Nr. 1). Eine Sonderverjährungsfrist gilt in den Fällen, in denen der Verkäufer den Mangel arglistig verschwiegen hat; hier gilt gemäß § 438 Abs. 3 die Regelverjährungsfrist von drei Jahren nach § 195, deren Lauf gemäß § 199 allerdings erst beginnt, wenn der Käufer Kenntnis von dem Mangel und den anspruchsbegründenden Umständen erlangt hat. Ohne diese Kenntnis endet sie 30 Jahre nach der Pflichtverletzung, also nach der Ablieferung der mangelhaften Sache (§ 199 Abs. 3 Nr. 2). Der Pflicht des Käufers, vom Verkäufer Nachbesserung zu verlangen, ent271 spricht ein Recht des Verkäufers, dass ihm der Käufer auch tatsächlich die Möglichkeit einräumt, die Nachbesserung durchzuführen. Unterlässt das der Käufer und repariert er die Kaufsache, etwa weil er im Fall eines mangelhaften PKWs aus Mobilitätsgründen dringend auf das Fahrzeug angewiesen ist, ohne dem Verkäufer die Nachbesserung zu ermöglichen, verliert er – wenn nicht einer der gesetzlich geregelten Ausnahmetatbestände eingreift – sowohl das Recht zu mindern als auch das Recht, Schadenersatz statt der Leistung gemäß §§ 437 Nr. 3, 440, 280 Abs. 1 und 3, 281 zu verlangen.68 Auch kann der Käufer, der den Mangel selber repariert, ohne dem Verkäufer zuvor eine Frist zur Nachbesserung eingeräumt zu haben, die Aufwendungen, die er zur Mängelbeseitigung getätigt hat, vom Verkäufer nicht ersetzt verlangen.69 Der Verkäufer hat umgekehrt kein „Recht“ zur Nacherfüllung. Der Käufer ist 272 nicht verpflichtet, eine solche anzunehmen. Den Käufer trifft – in den Grenzen der §§ 281 Abs. 2, 323 Abs. 2, 440 – nur eine Obliegenheit, dem Verkäufer die Nach-
65 66 67 68 69
Näher zu EU-Recht in Kapitel 8. BGH, NJW 2006, 3200. Ebenso Witt, NJW 2006, 3322 ff. BGH, NJW 2006, 1195 (1196). BGH, NJW 2005, 1348, streitig vgl. Lorenz, NJW 2005, 1321 ff.; Herresthal/Riehm, NJW 2005, 1457 ff. A. A. LG Bielefeld, ZGS 2005, 79.
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erfüllung zu ermöglichen. Verweigert er dies dem Verkäufer, stehen ihm die weiteren Rechte auf Rücktritt oder auf Schadenersatz nicht zu.70 Als weitere Möglichkeit sieht § 437 Nr. 2 für den Käufer das Recht vor, vom 273 Vertrag zurückzutreten oder Minderung zu verlangen. Dieses setzt gemäß § 440 voraus, dass das Nacherfüllungsverlangen des Käufers unmöglich geworden, fehlgeschlagen oder verweigert worden ist. Das Rücktrittsrecht folgt, wenn eine mangelfreie Leistung unmöglich ist und der Verkäufer daher gemäß § 275 von seiner Leistungspflicht frei wird, aus § 326 Abs. 5 und in den übrigen Fällen, in denen die Nacherfüllung fehlgeschlagen oder dem Verkäufer nicht zuzumuten ist, aus § 323 Abs. 1. Lediglich bei unerheblichen Mängeln ist der Rücktritt gemäß § 323 Abs. 5 ausgeschlossen. Fehlgeschlagen ist die Nachbesserung gemäß § 440 S. 2 regelmäßig nach dem vergeblichen zweiten Versuch. Dem Fehlschlagen gleichgestellt ist eine unzumutbare Verzögerung oder eine ernsthafte und endgültige Verweigerung der dem Käufer zustehenden Nachbesserung durch den Verkäufer (§ 323 Abs. 2. Nr. 1). Liegen die Voraussetzungen des § 440 vor, kann der Käufer sogleich, d. h. ohne gemäß § 281 Abs. 2 eine weitere Frist setzen zu müssen, vom Vertrag zurücktreten.71 Der Rücktritt erfolgt nach § 349 durch eine einseitige empfangsbedürftige Willenserklärung des Käufers. Durch die Erklärung wird der Kaufvertrag rückgängig gemacht und in ein Abwicklungsverhältnis umgestaltet, bei dem gemäß § 346 Abs. 1 die empfangenen Leistungen – Zug um Zug (§ 348) – zurückzugewähren sind.72 Statt zurückzutreten kann der Käufer Minderung des Kaufpreises gemäß § 441 274 Abs. 1 S. 1 verlangen und zwar ausdrücklich auch dann, wenn der Mangel nur unerheblich ist (§§ 441 Abs. 1 S. 2, 323 Abs. 5 S. 2). Der Kaufpreis ist dann gemäß § 441 Abs. 3 S. 1 in dem Verhältnis herabzusetzen, um den der Verkehrswert einer mangelfreien Sache im Vergleich zur mangelhaften Sache gemindert ist. Gegebenenfalls kann der Minderungsbetrag nach § 441 Abs. 3 S. 2 geschätzt werden. Hat der Käufer besonders günstig gekauft, so bleibt ihm dieser Vorteil erhalten. Dasselbe gilt für einen ungünstigen Kaufpreis. Beispiel: Der Kaufpreis betrug 1.000 €. Der Verkehrswert einer mangelfreien Sache beträgt 1.200 €, d. h. der Käufer hat günstig gekauft. Hat die mangelhafte Sache einen Wert von 600 €, beträgt das Verhältnis von Verkehrswert ohne Mangel und mangelhafter Sache 1:2. Demnach ist auch der vereinbarte Kaufpreis in demselben Verhältnis zu mindern, also auf 500 €. Der Vorteil des günstigen Kaufs bleibt dem Käufer also erhalten, denn er hat nun nicht den tatsächlichen Verkehrswert der mangelhaften Sache (600 €) zu zahlen, weil schon der ursprünglich vereinbarte Kaufpreis unter dem Verkehrswert der mangelfreien Sache lag. Betrug der ursprünglich vereinbarte Kaufpreis dagegen 1.200 €, so wäre er auf 600 € zu mindern.
Das Minderungsrecht ist ein Gestaltungsrecht, das durch einseitige empfangsbe- 275 70 71 72
Lorenz, NJW 2006, 1175 (1176). Palandt/Putzo, Bürgerliches Gesetzbuch, 67. Aufl. 2008, § 440, Rn. 10. Zur Frage des Erfüllungsortes und des daran anknüpfenden Gerichtsstandes Stöber, NJW 2006, 2661 ff.
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dürftige Erklärung auszuüben ist. Die Erklärung ist bedingungsfeindlich und ab ihrem Zugang (§ 130) unwiderruflich.73 Für die Verjährung des Rücktritts- und des Minderungsrechts verweisen § 438 276 Abs. 4 S. 1 und Abs. 5 auf § 218. Die Rücktrittsmöglichkeit wird von § 438 Abs. 1 nicht erfasst, weil nur Ansprüche, nicht aber Gestaltungsrechte verjähren können. Allerdings bewirkt die Verweisung auf § 218, dass der Rücktritt oder die erklärte Minderung unwirksam sind, wenn das zugrunde liegende Hauptrecht, also der Erfüllungsanspruch des Käufers auf Lieferung einer mangelfreien Sache nach § 433 Abs. 1, verjährt ist und sich der Verkäufer auf die Verjährungseinrede beruft. Damit sind die Gestaltungsrechte im Ergebnis faktisch der Verjährung unterworfen.74 Die Ansprüche, die sich infolge des erklärten Rücktritts oder der erklärten Minderung ergeben (Rückgewähranspruch nach § 346 Abs. 1 oder Rückzahlungsanspruch nach § 441 Abs. 4) unterliegen dagegen nicht § 438, sondern verjähren in der Regelfrist von drei Jahren nach §§ 195, 199. Schließlich steht dem Käufer gemäß § 437 Nr. 3 das Recht zu, Schadenersatz 277 oder Aufwendungsersatz zu verlangen. Insoweit wird auf die Ausführungen zum allgemeinen Leistungsstörungsrecht verwiesen. Dieses Recht kann neben dem Rücktrittsrecht ausgeübt werden (§ 325). Der Aufwendungsersatz ist auch im Fall des Vertragsrücktritts nicht auf den Ersatz der notwendigen Verwendungen auf die Sache beschränkt, worauf § 347 Abs. 2 hindeuten könnte, sondern der Käufer kann Ersatz aller Aufwendungen verlangen, die er auf die Kaufsache gemacht hat und die sich nach dem Rücktritt vom Kaufvertrag als vergeblich herausstellen.75 Unabhängig von den vertraglichen Ansprüchen kann der Käufer einen delikti278 schen Schadenersatzanspruch (§§ 823 ff., Produkthaftungsgesetz) gegen den Verkäufer oder den Hersteller geltend machen. d)
Beschränkung der Verkäuferhaftung
279 § 442 schließt die Mängelgewährleistungsrechte des Käufers aus, wenn dieser bei Vertragsschluss den Mangel kennt. Ist er ihm infolge grober Fahrlässigkeit unbekannt geblieben, haftet der Verkäufer nur, wenn er den Mangel arglistig verschwiegen oder eine Garantie für die Beschaffenheit der Sache übernommen hat. Eine ähnliche Haftungsbegrenzung regelt § 445 für Fälle, in denen eine Sache aufgrund eines Pfandrechts in einer öffentlichen Versteigerung unter der Bezeichnung als Pfand verkauft wird; auch hier haftet der Verkäufer nur, wenn er den Mangel arglistig verschwiegen oder eine Beschaffenheitsgarantie übernommen hat. In diesen beiden Fällen ist es dem Verkäufer gemäß § 444 auch verwehrt, sich auf einen vertraglichen Haftungsausschluss zu berufen.
73 74 75
Palandt/Putzo, Bürgerliches Gesetzbuch, 67. Aufl. 2008, § 441, Rn. 10. Palandt/Heinrichs, Bürgerliches Gesetzbuch, 67. Aufl. 2008, Einf. v. § 346 Rn. 5. BGH, NJW 2005, 2848; Lorenz, NJW 2007, 1 (3).
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e)
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Garantiehaftung des Verkäufers
Hat der Verkäufer eine Garantie für die Beschaffenheit der Sache übernommen,76 280 haftet er unabhängig von einem Verschulden (vgl. § 276 Abs. 1 S. 1) und dies selbst dann, wenn der Käufer den Mangel infolge grober Fahrlässigkeit nicht kennt (§ 442 Abs. 1 S. 1), der Käufer die Sache öffentlich ersteigert hat (§ 445) oder wenn die Haftung des Verkäufers vertraglich ausgeschlossen wurde (§ 444). Die Garantie kann auf volle Mängelfreiheit oder auf einzelne Beschaffenheitsmerkmale bezogen sein. Sie kann auch mit einem bestimmten Zeitraum verbunden sein (Haltbarkeitsgarantie). Das Wort „Garantie“ muss nicht verwendet werden, es genügen sinngemäße Formulierungen wie „voll einstehen“, „zusichern“ oder „uneingeschränkte Gewährleistung“.77 Man unterscheidet die unselbstständige Garantie von der selbstständigen Garantie. Bei Ersterer wird die gesetzliche Mängelhaftung nach § 437 erweitert, indem z. B. auch für Mängel gehaftet wird, die nach Gefahrübergang auftreten. Bei der selbstständigen Garantie steht der Verkäufer für einen Erfolg ein, für den er im Rahmen der Gewährleistung nach § 437 nicht einstehen müsste (z. B. für einen zufälligen unverschuldeten Schaden).78 Beim Unternehmensverkauf ist jetzt nicht mehr fraglich, ob für fehlerhafte An- 281 gaben über den Ertrag oder Umsatz gehaftet wird. Die Angaben können entweder als Garantieerklärung abgegeben werden mit der Folge, dass der Verkäufer im Fall ihrer Fehlerhaftigkeit ohne Verschulden haftet, oder Beschaffenheitsangaben sein, für die der Verkäufer nach §§ 311 Abs. 2, 280 haftet, wenn er ihre Fehlerhaftigkeit zu vertreten hat.79 f)
Verbrauchsgüterkauf
Infolge EU-rechtlicher Vorgaben sieht das BGB in den §§ 474 bis 479 Sonderre- 282 geln für den sogenannten Verbrauchsgüterkauf vor. Dieser betrifft gemäß § 474 Abs. 1 S. 1 den Verkauf beweglicher Sachen von einem Unternehmen (§ 14) an einen Verbraucher (§ 13). Unternehmer ist gemäß § 14 Abs. 1 eine Person, die bei Abschluss eines Rechtsgeschäfts in Ausübung ihrer gewerblichen selbstständigen oder beruflichen Tätigkeit handelt. Eine gewerbliche Tätigkeit setzt ein selbstständiges und planmäßiges, auf eine gewisse Dauer angelegtes Anbieten entgeltlicher Leistungen am Markt voraus; eine Gewinnerzielungsabsicht ist dafür im Verbrauchsgüterkaufrecht – im Unterschied zum Handelsrecht – im Interesse eines wirksamen Verbraucherschutzes nicht erforderlich.80 Beim Verbrauchsgüterkauf können die in § 475 Abs. 1 genannten Vorschriften, also im Wesentlichen die Regeln über die Verkäuferhaftung und die Behelfe des Käufers, vor Mitteilung eines Mangels nicht zum Nachteil des Verbrauchers abbedungen werden. Entsprechende 76
77 78 79 80
Die Übernahme einer Garantie für die Beschaffenheit der Sache durch den Verkäufer ist gleichbedeutend mit der Zusicherung der Eigenschaft einer Sache nach altem Recht (§ 459 Abs. 2 BGB a. F.); so OLG Rostock, NJW 2007, 3290. Palandt/Putzo, Bürgerliches Gesetzbuch, 67. Aufl. 2008, § 443, Rn. 11. Palandt/Putzo, Bürgerliches Gesetzbuch, 67. Aufl. 2008, § 443, Rn. 4. Weitnauer, NJW 2002, 2511 ff. BGH, NJW 2007, 2250 (2251); Palandt/Heinrichs, Bürgerliches Gesetzbuch, 67. Aufl. 2008, § 14, Rn. 2.
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AGB (Allgemeine Geschäftsbedingungen), die ein Unternehmen verwenden würde, wären ebenso unwirksam (§§ 307, 309 Nr. 8a) wie eine individuelle Vereinbarung, die vor der Mitteilung des Mangels an den Verkäufer getroffen wird (vgl. § 475 Abs. 1). Gemäß § 474 Abs. 2 kommt beim Verbrauchsgüterkauf auch die besondere Ge283 fahrtragungsregelung des § 447 für den Versendungskauf nicht zur Anwendung. Das bedeutet, dass hier die Vorverlegung des Gefahrübergangs auf den Zeitpunkt der Übergabe der Sache an den Transporteur selbst dann nicht greift, wenn die Sache auf Wunsch des Verbrauchers an einen anderen Ort als den Erfüllungsort versandt wird. Die Gefahr des zufälligen Untergangs der Sache geht beim Verbrauchsgüterkauf also erst gemäß der allgemeinen Regelung des § 446 im Zeitpunkt der Übergabe oder des Annahmeverzuges des Käufers auf den Käufer über. Besondere Bedeutung kommt der Beweislastregel des § 476 im Verbrauchsgü284 terkauf zu. Hiernach wird vermutet, dass die Sache bereits bei Gefahrübergang mangelhaft war, wenn sich der Mangel innerhalb von sechs Monaten nach Gefahrübergang zeigt. In den ersten sechs Monaten ist der Käufer also von dem entsprechenden Beweis entbunden und auch nicht auf eine entsprechende Garantieerklärung des Verkäufers angewiesen. Der Käufer muss nur beweisen, dass es sich um einen Verbrauchsgüterkauf im Sinne von § 474 handelt und dass innerhalb der ersten sechs Monate nach Gefahrübergang ein Sachmangel aufgetreten ist. § 476 begründet dann in zeitlicher Hinsicht die Vermutung, dass der Mangel schon bei Gefahrübergang vorhanden war.81 Bleibt offen, ob ein Mangel – etwa eine undichte Zylinderkopfdichtung eines PKWs – schon bei Gefahrübergang vorhanden war oder auf einem Fahr- oder Bedienungsfehler des Käufers beruht, so wirkt, wenn der Mangel innerhalb der ersten sechs Monate nach Gefahrübergang auftritt, zugunsten des Käufers die Vermutung des § 476,82 d. h. der Käufer kann seine Gewährleistungsrechte durchsetzen, es sei denn, der Verkäufer kann als Ursache den Fahr- oder Bedienungsfehler des Käufers beweisen. Der Verkäufer kann die Vermutung, dass der Mangel schon bei Gefahrübergang 285 vorhanden war, durch den Beweis entkräften, dass der Mangel zu dem Zeitpunkt noch nicht vorhanden war, etwa weil er auf einem unsachgemäßen Gebrauch des Käufers oder der Personen, denen der Käufer den Gebrauch der Sache überlassen hat, oder auf einwirkende Naturereignisse beruht. Außerdem gilt die Vermutung gemäß § 476 letzter HS dann nicht, wenn sie mit der Art der Sache oder des Mangels unvereinbar wäre. Dies muss der Verkäufer beweisen. Auf die Erkennbarkeit des Mangels für den Verkäufer kommt es dabei nicht an, d. h. der Verkäufer haftet im Fall eines Tierverkaufs auch für eine objektiv für ihn nicht erkennbare Pilzerkrankung.83 Mit der Art der Sache kann die Vermutung, dass der Mangel schon bei Gefahrübergang vorhanden war, vor allem bei gebrauchten Sachen unvereinbar sein (z. B. PKW), etwa weil aufgrund des normalen Verschleißes mit dem Auftre81 82 83
BGH, NJW 2007, 2619 (2620 f.). BGH, NJW 2007, 2621 (2622) mit Anm. Lorenz. BGH, NJW 2007, 2619 ff; Zuvor schon BGH, NJW 2005, 2852 zum Hundeverkauf; BGHZ 167, 40 = BGH, NJW 2006, 2250; BGH, NJW 2006, 674 mit Anm. Fischer; BGH, NJW 2007, 1351 zum Pferdeverkauf.
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ten bestimmter Mängel gerechnet werden muss.84 Ähnliches gilt für leicht verderbliche Waren (Lebensmittel), wo aus dem Verderben innerhalb von sechs Monaten nach Gefahrübergang nicht darauf geschlossen werden kann, dass sie schon bei Gefahrübergang mangelbehaftet waren.85 Die Art des Mangels spräche gegen die Vermutung etwa in Fällen des Tierverkaufs, bei dem das Tier Monate nach der Ablieferung beim Käufer erkrankt und wegen der kurzen Inkubationszeit klar ist, dass das Tier bei Gefahrübergang noch nicht an dieser Krankheit gelitten haben kann.86 Dasselbe gilt für Blechschäden an einem PKW, die grundsätzlich jederzeit auftreten können.87 Die Vermutungsregel des § 476 BGB gilt dagegen nicht für Mängel, die un- 286 streitig erst nach Gefahrübergang aufgetreten sind, die aber ihrerseits auf einem anderen „Grundmangel“ beruhen, der schon bei Gefahrübergang vorhanden war.88 Weil aufgrund der gesetzlichen Vermutungsregel des § 476 das Risiko des Ver- 287 käufers gestiegen ist, gewähren die §§ 478, 479 dem Letztverkäufer, wenn er Unternehmer ist, einen Rückgriffsanspruch gegen seine Vormänner, also gegen seinen Lieferanten und gegen den Hersteller.89 g)
Besondere Widerrufsrechte bei Haustürgeschäften und Fernabsatzverträgen
Bei bestimmten Verträgen, die nach dem 31. Dezember 2001 zwischen einem 288 Verbraucher (§ 13) und einem Unternehmer (§ 14) abgeschlossen worden sind, gesteht das BGB dem Verbraucher ein einseitiges Recht zur Vertragsauflösung in Form des Widerrufs zu. Hierdurch soll der Verbraucher und bei Geschäften zur Deckung des täglichen Lebensbedarfs auch der nach § 1357 mithaftende Ehegatte vor Bindungen geschützt werden, die er möglicherweise übereilt und ohne gründliche Abwägung des Für und Widers eingegangen ist. Dies betrifft • • • • •
Haustürgeschäfte (§ 312) Fernabsatzverträge (§ 312b) Teilzeit-Wohnrechtsverträge (§ 485) Verbraucherdarlehensverträge (§ 495) und Fernunterrichtsverträge (§ 27 Fernunterrichtsschutzgesetz).
Ein Haustürgeschäft liegt vor, wenn der Verbraucher in seiner Privatwohnung, an 289 seinem Arbeitsplatz, anlässlich einer vom Unternehmer zumindest mitdurchgeführten Freizeitveranstaltung (Kaffeefahrt) oder durch überraschendes Ansprechen 84
85 86 87 88
89
Westermann, NJW 2002, 241 (252). Krit. zur Rechtsprechung des BGH Klöhn, NJW 2007, 2811 ff. Lorenz, NJW 2004, 3020 (3021). Palandt/Putzo, Bürgerliches Gesetzbuch, 67. Aufl. 2008, § 476, Rn. 11. Lorenz, NJW 2004, 3020 (3022). BGH, NJW 2004, 2299; BGH, NJW 2005, 3490; BHJ, NJW 2006, 434; dazu Lorenz, NJW 2007, 1 (4). Zu weiteren Einzelheiten dieses Rückgriffsanspruchs Westermann, NJW 2002, 241 (252).
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im Bereich öffentlich zugänglicher Verkehrsflächen oder in Verkehrsmitteln zum Abschluss eines entgeltlichen Vertrages bestimmt worden ist. Ein Fernabsatzvertrag ist ein Vertrag über die Lieferung von Waren oder die Erbringung von Dienstleistungen, die unter ausschließlicher Verwendung von Fernkommunikationsmitteln abgeschlossen worden ist. Dies trifft insbesondere bei über das Internet abgewickelten Kaufverträgen zu. Voraussetzung für das Widerrufsrecht ist, dass der Verkäufer Unternehmer im Sinne von § 14 ist. Tritt der Verkäufer bei eBay als „Powerseller“ auf, so spricht der Beweis des ersten Anscheins für seine Unternehmereigenschaft;90 es tritt hierdurch eine Beweislastumkehr dergestalt ein, dass der Verkäufer, der das Widerrufsrecht des Käufers bestreitet, beweisen muss, dass er kein Unternehmer ist.91 Im Grundsatz aber muss der Käufer, der den Vertrag widerrufen will, beweisen, dass der Verkäufer Unternehmereigenschaft nach § 14 besitzt, d. h. in Ausübung gewerblicher oder selbstständig beruflicher Tätigkeit handelt.92 Dafür sprechen bei Unternehmen, die ständig über das Internet Waren anbieten und verkaufen, oft alleine die äußere Gestaltung der Geschäftseinrichtung und der betrieblichen Abläufe. Das Widerrufsrecht steht auch nur dem Verbraucher im Sinne von § 13 zu. Bei Vertragsgegenständen, die sowohl im privaten als auch im beruflichen Bereich eingesetzt werden sollen (z. B. ein Laptop) ist entscheidend, welche Benutzung überwiegt.93 Der Widerruf ist gemäß § 355 Abs. 1 innerhalb von zwei Wochen gegenüber dem Unternehmer zu erklären (einseitige empfangsbedürftige Willenserklärung), wobei es auf die Absendung der Erklärung ankommt. Der Widerruf muss keine Begründung enthalten, ja es genügt sogar die Rücksendung der Ware, wobei es auch hier für die Rechtzeitigkeit des Widerrufs auf die Absendung der Ware und damit nicht auf den Zugang beim Verkäufer ankommt. Das Wort „widerrufen“ muss nicht verwendet werden, es genügt jede Äußerung, die erkennen lässt, dass der Verbraucher den Vertrag nicht mehr gelten lassen will. Die Widerrufsfrist wird gemäß § 355 Abs. 2 nur in Gang gesetzt, wenn der Verbraucher deutlich und schriftlich eine Widerrufsbelehrung erhalten hat. Der Unternehmer sollte dazu eine Belehrung verwenden, die der Form des Musters nach Anlage 2 zur BGB-InfoV94 entspricht. Wird diese Belehrung erst nach Vertragsschluss erteilt, so verlängert sich die Widerrufsfrist auf einen Monat, § 355 Abs. 2 S. 2. Das Widerrufsrecht erlischt, wenn der Verbraucher ordnungsgemäß über sein Widerrufsrecht belehrt worden ist, spätestens sechs Monate nach Vertragsschluss, wobei die Frist im Fall der Warenlieferung erst beginnt, wenn der Verbraucher die Ware erhalten hat. Die Pflicht zur Widerrufsbelehrung ist eine
90 91 92 93 94
S.o. Fußn. 153. OLG Koblenz, NJW 2006, 1438. BGH, NJW 2006, 2250 (2251). Palandt/Grüneberg, Bürgerliches Gesetzbuch, 67. Aufl. 2008, § 312, Rn. 4. Verordnung über Informations- und Nachweispflichten nach bürgerlichem Recht (BGB-Informationspflichten-Verordnung – BGB-InfoV) in der Fassung der Bekanntmachung vom 5.08.2002, BGBl. I S. 3002.
B. Vertragsrecht
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echte Rechtspflicht und nicht eine bloße Obliegenheit.95 Wird sie verletzt, kann der Vertragspartner Schadenersatz nach §§ 280 Abs. 1, 311 Abs. 2 S. 2, Abs. 3, 241 Abs. 2 verlangen.96 Danach ist er so zu stellen wie er bei pflichtgemäßem Verhalten stünde, d. h. regelmäßig ist das negative Interesse zu ersetzen. Der widerrufliche Vertrag ist zunächst voll wirksam, d. h. der Verbraucher kann 295 Erfüllung verlangen. Der Unternehmer kann in seinen AGB bestimmen, dass er erst nach Ablauf der Widerrufsfrist zu leisten braucht, § 308 Nr. 1. Während des Laufs der Widerrufsfrist befindet sich der Vertrag in einem Schwebezustand. Nach Ablauf der Frist wird er endgültig wirksam. Im Fall des Widerrufs wandelt sich der Vertrag in ein Abwicklungsverhältnis um. Die Regeln über das Widerrufsrecht sind für Unternehmer halbzwingend. Ab- 296 weichungen dürfen nur in zweierlei Hinsicht vereinbart werden. Die Kosten der Rücksendung dürfen bis zu einem Betrag von 40 € gemäß § 357 Abs. 2 S. 3 dem Verbraucher auferlegt werden (Ausnahme: aliud-Lieferung) und das Widerrufsrecht darf unter den Voraussetzungen des § 356 durch ein Rückgaberecht ersetzt werden. h)
Verletzung von Nebenpflichten
Bereits vor der Schuldrechtsmodernisierung war anerkannt, dass auch bei der 297 Verletzung von vertraglichen Nebenpflichten Schadenersatzansprüche entstehen. Die Haftung der positiven Vertragsverletzung (pVV) wurde, ohne dass sich die Voraussetzungen der Haftung inhaltlich geändert hätten, ins BGB übernommen. Grundvoraussetzung eines Anspruchs aus positiver Forderungsverletzung war 298 schon immer die Pflichtverletzung des Schuldners, durch die ein Schaden verursacht wurde. Für derartige Pflichtverletzungen haftet der Schuldner gemäß § 280 wie bei der Verletzung der vertraglichen Hauptleistungspflichten auf Schadenersatz, sofern er die Pflichtverletzung zu vertreten, also vorsätzlich oder fahrlässig gehandelt hat. So ist der Schuldner dazu angehalten, alles Zumutbare zu tun, um den Vertragszweck zu erfüllen. Vertragliche Nebenpflichten sind z. B. Vorbereitungs-, Anzeige-, Auskunfts- und Geheimhaltungspflichten.97 Beispiel: Verkauft C an K einen Computer, hat er seine Hauptleistungspflicht erfüllt, wenn er einen fehlerfreien Computer an K liefert. Ein moderner Computer ist jedoch ohne eine Gebrauchsanweisung nicht zu nutzen. Für C besteht also eine vertragliche Nebenpflicht, dem Computer ein Benutzerhandbuch beizufügen.
Die Nebenleistungspflichten sind gesetzlich nicht geregelt. Bei einer Verletzung 299 einer solchen Pflicht, die zu einem Schaden führt, liegt eine zum Schadenersatz verpflichtende Pflichtverletzung im Sinne von § 280 Abs. 1 S. 1 vor. 95
96 97
EuGH, Slg. 2005, I-9215 – Schulte/Badenia; Slg. 2005, I-9273 – Crailsheimer Volksbank/Conrads; OLG Bremen, NJW 2006, 1210 (1212 f.); Bonke/Gellmann, NJW 2006, 3169 ff. Häublein, NJW 2006, 1553 ff. Palandt/Heinrichs, Bürgerliches Gesetzbuch, 67. Aufl. 2008, § 241 Rn. 5; Fallgruppen ebd., § 242, Rn. 27 ff.
98
Kapitel 4
Schuldrecht
Weitere Voraussetzung für einen Schadenersatzanspruch des Gläubigers ist die Rechtswidrigkeit der Verletzung. Diese entfällt, wenn der Schuldner berechtigt war, die jeweilige Handlung durchzuführen bzw. zu unterlassen. Schließlich muss der Schuldner die Pflicht schuldhaft verletzt haben, d. h. er muss vorsätzlich oder fahrlässig, also ohne Beachtung der im Verkehr erforderlichen Sorgfalt, gehandelt haben. Im Bereich des Internetkaufrechts gehört es zu den Nebenpflichten beider Ver301 tragsparteien, unsachliche, überzogene oder überspitzte Meinungsäußerungen über den jeweils anderen Teil zu unterlassen.98 So verpflichten etwa die AGB von eBay zu sachlichen Bewertungen. Wird dagegen in evidenter Weise verstoßen, kann Schadenersatz gemäß §§ 280, 241 Abs. 2 in der Form verlangt werden, dass die negative Bewertung zurückgenommen wird. 300
98
AG Erlangen, NJW 2004, 3720.
B. Vertragsrecht
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Übersicht 4.3: Mängelhaftung beim Kaufvertrag Voraussetzungen: Sachmangel gemäß § 434 Abs. 1:
• • • • •
Sachmangel gemäß § 434 Abs. 2
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Sachmangel gemäß § 434 Abs. 3
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Kein Ausschluss der Gewährleistung:
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Rechtsfolgen:
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• Verjährung:
Kaufvertrag über eine Sache (Stück oder Gattungskauf) Vorliegen eines Sachmangels im Zeitpunkt der Übergabe Sache hat nicht vereinbarte Beschaffenheit, d. h. sie weicht in ihrem IstZustand in ungünstiger Weise vom vereinbarten Soll-Zustand ab, oder die Sache ist mangels konkreter Beschaffenheitsvereinbarung nicht für die nach dem Vertrag vorausgesetzte Verwendung geeignet oder die Sache ist trotz fehlender Beschaffenheitsvereinbarung zwar für die gewöhnliche Verwendung geeignet, weist aber eine Beschaffenheit auf, die bei Sachen gleicher Art unüblich ist oder die von öffentlichen Äußerungen des Verkäufers, des Hersteller oder seiner Gehilfen insbesondere in der Werbung abweicht, und die der Käufer nicht erwarten konnte. Die Sache ist auch mangelhaft, wenn die vereinbarte Montage unsachgemäß durchgeführt worden ist oder wenn die Montageanleitung mangelhaft ist und die Sache nicht fehlerfrei montiert werden konnte (sog. IKEA-Klausel). Falschlieferung: Beim Stückkauf, wenn eine andere Sache geliefert wird. Beim Gattungskauf, wenn die Sache offensichtlich nicht mehr der vereinbarten Gattung angehört. Mengenabweichung (Kaffeeservice mit 5 statt der bestellten 6 Tassen). Gemäß § 444 können die Parteien grundsätzlich durch Individualvereinbarung die Gewährleistungsrechte ausschließen, es sei denn, der Verkäufer hat einen Mangel arglistig verschwiegen oder eine Garantie für die Beschaffenheit der Sache übernommen. Kenntnis des Käufers vom Mangel bei Vertragsschluss führt gemäß § 442 zum Ausschluss der Gewährleistungsrechte. Dasselbe gilt bei grob fahrlässiger Unkenntnis des Mangels, es sei denn, der Verkäufer hatte den Mangel arglistig verschwiegen. Gewährleistung kann auf eine Nachbesserung begrenzt werden. Beim Verkauf neuer Sachen durch ABG gem. § 309 Nr. 8 b) bb) ist diese Begrenzung nicht möglich. Beim Handelskauf ist Rügepflicht gem. § 377 HGB zu beachten. Zunächst muss der Käufer Nacherfüllung erlangen (§§ 437, 439). Mit dem Nacherfüllungsverlangen des Käufers erhält Verkäufer eine zweite Chance zur Vertragserfüllung. Käufer kann gem. § 439 Abs. 1 nach seiner Wahl Beseitigung des Mangels oder Lieferung einer mangelfreien Sache verlangen. Kosten der Nacherfüllung trägt gem. § 439 Abs. 2 der Verkäufer. Nur bei unverhältnismäßigen Kosten kann Verkäufer gem. § 439 Abs. 3 die vom Käufer gewählte Art der Nacherfüllung ablehnen. Vertragsrücktritt (§§ 437 Nr. 2, 440, 323, 326 Abs. 5) oder Kaufpreisminderung (§§ 437 Nr. 2, 441) Liegt ein Mangel der Kaufsache vor, so kann der Käufer regelmäßig vom Kaufvertrag zurücktreten (empfangene Leistungen sind dann gemäß § 346 Abs. 1 zurückzugewähren) oder den Kaufpreis soweit mindern (senken), wie der Mangel den Wert der Kaufsache beeinträchtigt. Schadenersatz statt Leistung (§§ 437 Nr. 3, 440, 280, 281, 283, 311 a) Voraussetzung ist grunds. ebenfalls Setzung einer Nachfrist, es sei denn, der Verkäufer hätte Nacherfüllung ernsthaft u. endgültig verweigert o. er hätte 2 erfolglose Nachbesserungsversuche durchgeführt. Fehlen einer gem. § 459 Abs. 2 zugesicherten Eigenschaft bei Vertragsschluss. Aufwendungsersatz (§§ 437 Nr. 3, 440, 280, 284) Gem. § 438 Abs. 1 Nr. 3 verjähren Mängelansprüche bei beweglichen Sachen in zwei Jahren, bei Bauwerken in fünf Jahren. Die Verjährung beginnt gem. § 438 Abs. 2 bei Übergabe des Grundstücks bzw. bei Ablieferung der Sache.
302
100
Kapitel 4
Schuldrecht
II. Der Werkvertrag (vgl. Übersicht 4.4) 1.
Grundregeln
303 Bei einem Werkvertrag gemäß § 631 Abs. 1 verpflichtet sich der Unternehmer zur Herstellung des versprochenen Werkes, das gemäß § 631 Abs. 2 sowohl sachlicher wie auch ideeller Natur sein kann, und der Besteller zur Entrichtung der vereinbarten Vergütung. Geschuldet ist damit nicht nur eine Arbeitsleistung, sondern ein gewisser Arbeitserfolg, für dessen Eintritt der Unternehmer das Risiko trägt. In diesem Merkmal liegt auch die Abgrenzung zum Dienstvertrag gemäß § 611, bei dem der Dienstverpflichtete lediglich seine Arbeitskraft zur Verfügung stellt. a)
Pflichten des Bestellers
304 Der Besteller muss die vereinbarte Vergütung zahlen. Die Vergütung gilt gemäß § 632 Abs. 1 als stillschweigend vereinbart, wenn das Werk den Umständen nach nur gegen Vergütung zu erwarten ist. § 632 Abs. 3 stellt klar, dass ein Kostenvoranschlag im Zweifel nicht zu vergüten ist (dies spielt im Verkehrsunfallrecht eine wichtige Rolle, da unterhalb einer Geringfügigkeitsgrenze, die bei etwa 1.000 € liegt, die Kosten für ein Sachverständigengutachten nicht ersetzt werden; hier wird Schadenersatz häufig auf der Grundlage von Reparaturkostenvoranschlägen geltend gemacht). Ist die Höhe der Vergütung nicht vereinbart, ist die taxmäßige Vergütung geschuldet und dort, wo diese fehlt, die übliche Vergütung. Unter einer taxmäßigen Vergütung ist ein hoheitlich nach Bundes- oder Landesrecht festgelegter Preis zu verstehen, wie es ihn für die Leistungen von Ärzten, Architekten, Rechtsanwälten, Steuerberatern und Vermessungsingenieuren gibt. Üblich ist eine Vergütung, die zur Zeit des Vertragsschlusses für nach Art, Umfang und Güte gleichartige Leistungen nach allgemeiner Auffassung der beteiligten Kreise am Ort der Werkleistung gezahlt wird.99 Bei Arbeiten von Architekten und Ingenieuren ist die Honorarordnung für Ar305 chitekten und Ingenieure (HOAI) zu beachten. In dieser Verordnung des Bundes werden sowohl die Mindest-, als auch die Höchstsätze der Vergütung von Architekten und Ingenieuren (soweit diese im Bauwesen tätig sind wie z. B. Bauingenieure) verbindlich festgelegt. Abweichungen sind nur in wenigen Ausnahmefällen zulässig. Die Verbindlichkeit der HOAI folgt aus dem Gesetz zur Regelung von Ingenieur- und Architektenleistungen. Damit hat die HOAI fast Gesetzescharakter mit der Folge, dass die festgelegten Honorare eingeklagt werden können. Die HOAI regelt nicht, welche Leistungen der Architekt bzw. der Ingenieur zu 306 erbringen hat. Dies bemisst sich alleine nach dem zugrunde liegenden Werkvertrag. Die HOAI standardisiert aber bestimmte Leistungsphasen, die im Vertrag in Bezug genommen werden können. Vereinbaren die Vertragsparteien keine konkrete Vergütung, so schuldet der Auftraggeber die Mindestvergütung nach der HOAI. Das gilt auch, wenn eine Vergütungsvereinbarung unter Verstoß gegen das Schriftformerfordernis des § 4 HOAI nur mündlich abgeschlossen wird.
99
Palandt/Sprau, Bürgerliches Gesetzbuch, 67. Aufl. 2008, § 632, Rn. 15.
B. Vertragsrecht
101
Beispiel: Architekt A vereinbart mit seinem Bauunternehmer S die Planung eines Mehrfamilienwohnhauses. Da A und S sich aus dem gemeinsamen Studium noch gut kennen, verzichten beide auf eine schriftliche Honorarvereinbarung und besprechen mündlich, dass A seine Tätigkeit zum Vorzugspreis von 12.000 € erbringt. Das Mindesthonorar nach HOAI hätte hier 50.000 € betragen. Später geraten beide wegen angeblicher Planungsfehler von A in Streit. A klagte daraufhin 50.000 € Honorar ein und erhält Recht. Die nur mündlich getroffene Honorarabrede ist nach § 4 HOAI formunwirksam, sodass A gemäß § 4 Abs. 4 HOAI das Mindesthonorar verlangen kann.
Eine weitere Hauptleistungspflicht des Bestellers ist die Abnahmepflicht aus § 640 307 Abs. 1. Unter der Abnahme wird nach der h. M. die körperliche Entgegennahme des Werkes und die ausdrückliche oder stillschweigende Erklärung des Bestellers verstanden, dass er das Werk als im Wesentlichen vertragsgemäße Erfüllung anerkenne.100 Erst nach Abnahme des Werkes wird die Vergütung gemäß § 641 fällig, d. h. der Unternehmer ist, wenn nichts anderes vereinbart wird, vorleistungspflichtig, kann aber nach § 632a für in sich abgeschlossene Teile des Werkes Abschlagszahlungen verlangen. Weiterhin muss der Besteller unter Umständen gemäß § 642 an der Herstellung des Werkes mitwirken. Hierbei handelt es sich aber um eine Gläubigerobliegenheit, auf die der Werkvertragsunternehmer keinen Anspruch hat. Gemäß § 640 Abs. 1 S. 3 wird die Abnahme fingiert, wenn der Unternehmer dem Besteller erfolglos eine Frist für die Abnahme gesetzt hat. Ausnahmsweise tritt bei Werken, deren Abnahme ausgeschlossen ist, die Vollendung des Werkes, also seine Fertigstellung, an die Stelle der Abnahme. Nimmt der Besteller ein Werk in Kenntnis seines Mangels ab, führt das zum 308 Ausschluss bestimmter Mängelrechte nach § 640 Abs. 2, wenn er sich diese Rechte bei der Abnahme nicht vorbehält. Dieser Ausschluss von Rechten findet jedoch weder bei der fingierten Abnahme nach § 640 Abs. 1 S. 3, noch in den Fällen des § 646 statt, denn § 640 Abs. 2 bezieht sich seinem Wortlaut nach nur auf die Fälle das Absatzes 1, also auf den Regelfall der Abnahme, bei dem der Besteller das Werk als im Wesentlichen mängelfrei anerkennt. Der Vergütungsanspruch des Unternehmers verjährt nach den allgemeinen Re- 309 geln der §§ 195, 199 in drei Jahren, wobei die Frist am Schluss des Jahres beginnt, in dem der Anspruch entstanden ist. Dies setzt Fälligkeit voraus, sodass der Vergütungsanspruch gemäß § 641 mit der Abnahme des Werkes durch den Besteller entsteht. b)
Pflichten des Unternehmers
Der Unternehmer muss seinerseits das versprochene Werk herstellen, wobei er 310 regelmäßig nicht persönlich tätig zu werden braucht, es sei denn, die Herstellung hängt entscheidend von seinen Fähigkeiten und Kenntnissen ab. Des Weiteren gehört es gemäß § 633 Abs. 1 zu seiner Hauptleistungspflicht, das Werk frei von Sach- und Rechtsmängeln herzustellen. Der Besteller ist nur dazu verpflichtet, ein mangelfreies Werk abzunehmen, es sei denn, der Mangel wäre nur unerheblich (§ 640 Abs. 1 S. 2). 100
Palandt/Sprau, Bürgerliches Gesetzbuch, 67. Aufl. 2008, § 640, Rn. 3.
102
2.
Kapitel 4
Schuldrecht
Mängelhaftung
311 Die Gewährleistungsvorschriften bei Kaufverträgen und Werkverträgen wurden im Zuge der Schuldrechtsmodernisierung zum 1. Januar 2002 einander angeglichen. Die Definition des Sachmangels ist in § 633 Abs. 2 geregelt. In erster Linie muss das Werk die vereinbarte Beschaffenheit aufweisen. Fehlt eine Beschaffenheitsvereinbarung, muss es für die nach dem Vertrag vorausgesetzte Verwendung geeignet sein bzw., soweit sich diese aus dem Vertrag nicht ergibt, für die gewöhnliche Verwendung, die bei Werken der gleichen Art üblich ist und die der Besteller erwarten kann. Die Falschlieferung und die Zuweniglieferung werden in § 633 Abs. 2 S. 3 dem Sachmangel gleichgestellt. Als Pendant zu § 435 im Kaufrecht bestimmt § 633 Abs. 3, dass das Werk frei von Rechtsmängeln sein muss. Im Fall mangelhafter Werkleistung regeln sich die Rechte des Bestellers nach 312 § 634. In erster Linie kann er Nacherfüllung gemäß § 635 verlangen,101 wobei es der Entscheidung des Unternehmers obliegt, ob er den Mangel beseitigt oder das Werk neu herstellt. Die dabei entstehenden Kosten trägt gemäß § 635 Abs. 2 der Unternehmer. Er kann die Nacherfüllung nach § 635 Abs. 3 verweigern, wenn sie nur mit unverhältnismäßigen Kosten möglich ist oder nach § 275 Abs. 2 und 3 einen unverhältnismäßigen Aufwand erfordert oder nicht zuzumuten ist. Leistet der Unternehmer Nacherfüllung durch Neuherstellung des Werkes, hat er gemäß § 635 Abs. 4 Anspruch auf Rückgewähr des mangelhaften Werkes. Nach fruchtlosem Ablauf einer vom Besteller gesetzten angemessenen Frist zur 313 Nacherfüllung102 kann er zur Selbstvornahme nach §§ 633 Nr. 2, 637 schreiten und Ersatz der dabei entstehenden Kosten fordern, es sei denn, der Unternehmer hätte die Nacherfüllung zu Recht verweigert. Die Nachfristsetzung ist gemäß §§ 637 Abs. 2, 323 Abs. 2 entbehrlich, wenn sie offensichtlich erfolglos bleiben würde, es sich um ein Fixgeschäft handelt oder dies aus besonderen Gründen nach beidseitiger Interessenabwägung gerechtfertigt ist. Dasselbe gilt bei einer fehlgeschlagenen oder unzumutbaren Nacherfüllung. Für die Selbstvornahme kann der Besteller vom Unternehmer gemäß § 637 Abs. 3 einen Kostenvorschuss fordern, über den nach der Selbstvornahme abzurechnen ist. Die weiteren Behelfe des Bestellers sind identisch zum Kaufrecht ausgestaltet. 314 Der Besteller kann gemäß §§ 634 Nr. 3, 636, 323, 326 Abs. 5 vom Vertrag zurücktreten bzw. gemäß § 638 die Vergütung mindern oder er kann gemäß §§ 634 Nr. 4, 636, 280, 281, 283 und 311a Schadenersatz oder nach § 284 Ersatz vergeblicher Aufwendungen fordern. Vor der Abnahme des mangelhaften Werkes hat der Besteller weiterhin gemäß 315 §§ 631, 633 Abs. 1 seinen vollen Erfüllungsanspruch, sodass er die Neuherstellung des Werkes vom Unternehmer verlangen kann. Auch bei Abnahme des Werkes bleiben dieser Erfüllungsanspruch und die weiteren Rechte bestehen, wenn der Besteller den Mangel nicht kannte oder er sich gemäß § 640 Abs. 2 die folgenden 101
102
Der Nacherfüllungsanspruch ist ein modifizierter Erfüllungsanspruch Palandt/Sprau, Bürgerliches Gesetzbuch, 67. Aufl. 2008, § 634, Rn. 3. Die Angemessenheit der Nachfrist bemisst sich im Normalfall nach der für die Mängelbeseitigung erforderlichen Zeit. Sie ist geräumiger zu messen, wenn sich der Besteller in Annahmeverzug befand, so BGH, NJW 2007, 2761 (2762).
B. Vertragsrecht
103
Rechte vorbehalten hat. Der Erfüllungsanspruch beschränkt sich jedoch nach § 633 Abs. 2 auf einen Nachbesserungsanspruch gegen den Unternehmer. Der Besteller erhält das Recht zur Ersatzvornahme gemäß § 637, wenn der Unternehmer mit der Nachbesserung in Verzug kommt. Ist das Werk vor der Abnahme infolge eines Mangels des vom Besteller gelie- 316 ferten Werkes oder infolge einer vom Besteller erteilten Anweisung untergegangen, verschlechtert oder unausführbar geworden, ohne dass ein Umstand mitgewirkt hat, den der Unternehmer zu vertreten hat, dann kann der Unternehmer gemäß § 645 Abs. 1 S. 1 einen der geleisteten Arbeit entsprechenden Teil der Vergütung und Ersatz der in der Vergütung nicht inbegriffenen Auslagen verlangen. Mit dem Begriff „Stoff“ sind alle Gegenstände gemeint, aus denen, an denen oder mit deren Hilfe das Werk herzustellen ist (z. B. mangelhafter Baugrund bei einem Bauvertrag, Ungeeignetheit der gelieferten Abfälle für die vertraglich vorgesehene Abfallentsorgungsmaßnahme). a)
Schadenersatz, Aufwendungsersatz
Im Fall einer verspäteten Herstellung des Werkes gelten die allgemeinen Vor- 317 schriften über den Verzug.103 Der Besteller kann hiernach Schadenersatz gemäß §§ 280, 286 verlangen und/oder gemäß § 323 vom Vertrag zurücktreten. Lediglich die Verzögerung der Nachlieferung ist gesondert geregelt; hier kann der Besteller dem Unternehmer eine Frist setzen und nach fruchtlosem Fristablauf die Mängelrechte aus § 634 geltend machen. Im Fall eines Mangels muss der Besteller dem Unternehmer zunächst eine 318 zweite Erfüllungschance einräumen und ihn unter Fristsetzung zur Beseitigung des Mangels auffordern. Beseitigt der Unternehmer den Mangel nicht oder nicht fristgemäß, so kann der Besteller nach §§ 634 Nr. 4, 636, 281, 382, 311a Schadenersatz statt der Leistung verlangen. Dieser Schadenersatzanspruch tritt an die Stelle des Erfüllungsanspruchs. Er erfasst die sogenannten Mangelschäden, also die Schäden, die in der Sache selbst liegen und die bei gelungener Nacherfüllung nicht entstanden wären. Darunter fallen auch der mangelbedingte Minderwert104 und alle Aufwendungen, die zur Herstellung des mangelfreien Werkes erforderlich sind bzw. die der Besteller bei verständiger Würdigung für erforderlich halten durfte.105 Mit der Geltendmachung des Schadenersatzes erlischt der Nacherfüllungsanspruch, § 281 Abs. 4. Das erforderliche Verschulden des Unternehmers liegt darin, dass er die geforderte Nacherfüllung nicht innerhalb der gesetzten (angemessenen) Frist erbracht hat. Den Ersatz sonstiger durch den Mangel verursachter Schäden kann der Bestel- 319 ler gemäß §§ 634 Nr. 4, 636, 280 Abs. 1 verlangen. Hierüber werden alle nahen und entfernten Schäden an den sonstigen Rechtsgütern des Bestellers erfasst wie etwa Gewinnentgang, Gutachterkosten, gegebenenfalls Rechtsanwalts- und Gerichtskosten106 oder Hotelkosten zur Ermöglichung der Mängelbeseitigung.107 103 104 105 106
Palandt/Sprau, Bürgerliches Gesetzbuch, 67. Aufl. 2008, Vorbem. v. § 633, Rn. 12. BGH, NJW-RR 2005, 1039. Palandt/Sprau, Bürgerliches Gesetzbuch, 67. Aufl. 2008, § 634, Rn. 7. BGH, NJW 2003, 3766; BGH NJW-RR 2003, 1285.
104
Kapitel 4
Schuldrecht
Dieser Schadenersatzanspruch neben der Leistung kann neben den sonstigen Rechten wie Nacherfüllung, Selbstvornahme, Rücktritt oder Minderung geltend gemacht werden.108 Statt Schadenersatz kann der Besteller Ersatz seiner vergeblichen Aufwendun320 gen verlangen. Aufwendungen sind im Hinblick auf den Erhalt des (mangelfreien) Werkes erbrachte Vermögensopfer (z. B. Reise- und Übernachtungskosten, Kosten einer nutzlosen Finanzierung, Vertragskosten wie Makler- und Notarkosten, Montage-, Untersuchungs- und Transportkosten und dergleichen); sie können in der Eingehung einer Verbindlichkeit bestehen. Aufwendungsersatz kann nur statt, nicht neben dem Schadenersatzanspruch geltend gemacht werden.109 b)
Rücktritt und Minderung
321 Der Besteller kann, sofern eine dem Unternehmer gesetzte angemessene Frist zur Nacherfüllung fruchtlos verstrichen ist, gemäß §§ 634 Nr. 3, 636, 323 vom Vertrag zurücktreten. Der Rücktritt ist ein Gestaltungsrecht des Bestellers. Bis zu seiner Ausübung hat er das volle Wahlrecht zwischen Geltendmachung des Nacherfüllungsanspruchs, gegebenenfalls im Weg der Selbstvornahme, dem Anspruch auf Schadenersatz, dem Rücktritts- und dem Minderungsrecht. Erklärt er aber den Rücktritt, wandelt sich das Schuldverhältnis in ein Abrechnungs- und Abwicklungsverhältnis um. Der Besteller ist an seine Rücktrittserklärung gebunden, d. h. er verliert den Nacherfüllungsanspruch, kann aber Schadenersatz fordern.110 Statt zurückzutreten kann der Besteller gemäß § 638 Abs. 1 die Vergütung 322 durch Erklärung gegenüber dem Unternehmer mindern. Es müssen also die Voraussetzungen des Rücktritts vorliegen mit dem Unterschied, dass für die Minderung auch ein bloß unerheblicher Mangel ausreicht, denn § 638 Abs. 1 S. 2 erklärt § 323 Abs. 5 S. 2 für unanwendbar. Die Minderung besteht gemäß § 638 Abs. 3 in der Herabsetzung der Vergütung des Unternehmers um einen der Wertminderung durch den Mangel entsprechenden Betrag. Sie ist ein Gestaltungsrecht und wird durch einseitige empfangsbedürftige und bedingungsfeindliche Erklärung geltend gemacht.111 Im Übrigen besteht der Werkvertrag nach der Minderungserklärung unverändert fort. Inhaltlich entspricht die Minderungsregelung im Werkvertragsrecht derjenigen im Kaufrecht, ohne aber auf die dortige Vorschrift des § 441 zu verweisen. Beispiel: A fertigt als Architekt Bauzeichnungen für ein Bauvorhaben an. Infolge falsch angenommener Höhenmaße wird das Haus 30 cm zu tief gegründet. Dies führt zu keinen Gebrauchsbeeinträchtigungen, wohl aber zu einer optischen Beeinträchtigung, weil das Haus nun die Fluchtlinie der Nachbarhäuser verlässt und von vorne betrachtet wie ein zu klein geratenes Haus wirkt. Hier kann der Auftraggeber eine Minderung der Vergütung verlangen. A bleibt dann aber weiterhin bezüglich aller anderen Aufgaben in der 107 108 109 110 111
BGH, NJW-RR 2003, 878. Palandt/Sprau, Bürgerliches Gesetzbuch, 67. Aufl. 2008, § 634, Rn. 8. Palandt/Sprau, Bürgerliches Gesetzbuch, 67. Aufl. 2008, § 634, Rn. 10. Palandt/Sprau, Bürgerliches Gesetzbuch, 67. Aufl. 2008, § 634, Rn. 5. Palandt/Sprau, Bürgerliches Gesetzbuch, 67. Aufl. 2008, § 638, Rn. 3.
B. Vertragsrecht
105
Pflicht, schuldet etwa auch noch die Überwachung des Objektes im Hinblick auf Baumängel für die Dauer der Gewährleistungspflichten der beteiligten Bauunternehmen. Begeht er dabei Fehler, stehen dem Auftraggeber insoweit alle Gewährleistungsrechte zu. Anders wäre dies, wenn der Auftraggeber den Rücktritt erklärt hätte, denn dann wandelt sich der Vertrag in ein Abwicklungsschuldverhältnis um. Der Bauherr müsste dann mit der weiteren Bauüberwachung gegebenenfalls jemand anderen beauftragen oder diese Aufgabe selber wahrnehmen.
c)
Verjährungsfrist
Alle Mangelrechte des Bestellers verjähren nach der Sondervorschrift des § 634a. 323 Die Verjährungsfrist beträgt danach zwei Jahre für ein Werk, dessen Erfolg in der Herstellung, Wartung oder Veränderung einer Sache oder in der Erbringung von Planungs- und Überwachungsleistungen hierfür besteht, fünf Jahre bei einem Bauwerk oder einem Werk, das in der Erbringung von Planungs- und Überwachungsleistungen hierfür besteht und drei Jahre nach der Regelverjährungsfrist der §§ 195, 199 für alle übrigen Werke (diese Frist beginnt am Ende des Jahres, in dem der Anspruch entsteht). Die Mängelrechte des Rücktritts und der Verjährung, bei denen es sich um Gestaltungsrechte und nicht um Ansprüche handelt, können gemäß § 634a Abs. 4 und 5 nicht mehr geltend gemacht werden, wenn nach § 218 der Anspruch auf die Leistung oder Nacherfüllung verjährt ist und der Schuldner sich darauf beruft. Eine weitere Sonderregel betrifft den Fall, dass der Unternehmer bei Abnahme des Werkes einen Mangel arglistig verschwiegen hat. Hier ist gemäß § 634a Abs. 3 die regelmäßige Verjährungsfrist von drei Jahren nach § 195 maßgebend, die gemäß § 199 Abs. 1 Nr. 2 aber erst ab Entdeckung des Mangels zu laufen beginnt.
106
Kapitel 4
Schuldrecht
Übersicht 4.4: Mängelhaftung beim Werkvertrag
324
Recht auf Nacherfüllung gemäß § 634 Nr. 1: Voraussetzungen:
Kein vertraglicher Ausschluss von Mängelgewährleistungsrechten:
• •
• •
Vorliegen eines wirksamen Werkvertrages Werk ist mangelhaft, also mit einem Fehler behaftet, wenn es nicht die vereinbarte Beschaffenheit hat oder, sofern keine Beschaffenheit vereinbart wurde, nicht für die nach dem Vertrag vorausgesetzte oder nicht für gewöhnliche Verwendung geeignet ist. Es ist auch mangelhaft, wenn ein anderes als das bestellte Werk oder eine zu geringe Menge hergestellt wurde. Der Mangel liegt nach Herstellung vor.
Bei AGB ist Inhaltskontrolle gem. §§ 305-310 vorzunehmen. Bei Bauleistung kann Anwendung der Verdingungsordnung für Bauleistungen (VOB) vereinbart sein. • Besteller muss erst Nacherfüllung verlangen. Unternehmer darf gem. § 635 Abs. 1 wählen, ob er Mangel beseitigt oder Werk neu herstellt. • Unternehmer kann gem. § 635 Abs. 3 Nacherfüllung verweigern, wenn nur mit unverhältnismäßigem Aufwand möglich. • Mit Abnahme des Werkes erlischt grunds. urspr. Erfüllungsanspruch und Nacherfüllungsanspruch, es sei denn, Besteller behält sich gem. § 640 Abs. 2 seine Rechte bei Abnahme vor. • Unternehmer kann gemäß § 635 Abs. 4 Rückgabe des mangelhaften Werkes verlangen, wenn er das Werk neu herstellt Verjährung gemäß § 634a bzw. Anwendung der VOB Anspruch auf Selbstvornahme gemäß §§ 634 Nr. 2, 637: Voraussetzungen: Wie beim Recht auf Mängelbeseitigung Neuherstellung Kein Ausschluss: Wie beim Recht auf Neuherstellung Rechtsfolgen: Besteller kann nach erfolglosem Ablauf der Nacherfüllungsfrist Mangel auf Kosten des Unternehmers selbst beseitigen oder beseitigen lassen. Für diese Kosten kann er vom Unternehmer gem. § 637 Abs. 3 Vorschuss verlangen. Verjährung gemäß § 634a bzw. Anwendung der VOB Rücktritt/Minderung gemäß § 634 Nr. 3 Voraussetzungen: Wie oben. Zusätzlich muss Besteller dem Unternehmer erfolglos Nachbesserungsfrist gesetzt haben. Nachbesserung ist gescheitert, wenn Unternehmer sie verweigert, sie fehlgeschlagen ist, wegen eines Fixtermins keinen Sinn mehr macht, wenn sie für Besteller unzumutbar oder wenn besondere Umstände vorliegen, die unter Abwägung der beiderseitigen Interessen sofortigen Rücktritt bzw. Minderung rechtfertigen. Kein vertraglicher Ausschluss, ggf. AGB-Kontrolle und Sondernormen in VOB beachten. Rechtsfolgen: Besteller kann im Wege eines Gestaltungsrechts, also durch einseitige empfangsbedürftige Willenserklärung, entweder vom Vertrag zurücktreten oder Minderung gem. § 638 verlangen. Verjährung: Gestaltungsrechte verjähren nicht. Rücktritt u. Minderung können gem. §§ 634a Abs. 4 u. 5, 218 nicht mehr geltend gemacht werden, wenn Anspruch auf Leistung oder Nacherfüllung verjährt. Schadenersatz und Aufwendungsersatz gemäß § 634 Nr. 4 Voraussetzungen: Neben Voraussetzungen für Rücktritt u. Minderung ist gem. §§ 634 Nr. 4, 280 Abs. 1 S. 2 Verschulden des Unternehmers nötig. Verschulden bei Nichteinhaltung der Nacherfüllungsfrist gegeben. Kein vertraglicher Ausschluss: Im Gegensatz zu allen anderen Mängelgewährleistungsrechten hindert rügelose Abnahme gem. § 640 Abs. 2 nach h. M. nicht. Rechtsfolgen: Mangelschaden (als Schadenersatz statt Leistung, § 281) und Folgeschäden (als Schadenersatz § 280 Abs. 1) sind zu ersetzen. Verjährung gemäß § 634a bzw. Statt Schadenersatz kann Ersatz der vergeblichen Aufwendungen Anwendung der VOB verlangt werden (§§ 634 Nr. 4, 284).
B. Vertragsrecht
d)
107
Sonderregeln beim Vertrag über die Lieferung herzustellender oder zu erzeugender beweglicher Sachen
Eine Sonderstellung nimmt der Vertrag über die Lieferung herzustellender oder zu 325 erzeugender beweglicher Sachen gemäß § 651 ein.112 Ist ein Vertrag darauf gerichtet, dass der Unternehmer eine bewegliche Sache herstellt oder erzeugt, so findet auf diesen Vertrag alleine das Kaufrecht Anwendung. Dies gilt unabhängig davon, ob der Vertrag nach der Art der eingegangenen Verpflichtung (Herstellung einer bestimmten Sache) eigentlich dem Werkvertragsrecht zuzuordnen wäre. Beispiel: Die Herstellung und Lieferung einer Einbauküche unterfällt hiernach dem Kaufvertragsrecht.
Das Gewährleistungsrecht richtet sich bei diesen Verträgen ebenfalls nach den 326 kaufrechtlichen Bestimmungen der §§ 437 ff. Die praktischen Auswirkungen dieser Regelung sind eher gering, da das Gewährleistungsrecht des Werkvertrages dem des Kaufvertragsrechts hinsichtlich der Voraussetzungen und Rechtsfolgen weitgehend angeglichen worden ist. Zwei Modifizierungen zum kaufvertraglichen Gewährleistungsrecht sind aber 327 in § 651 S. 2 und 3 vorgesehen: Nach Satz 2 sind die Gewährleistungsrechte des Käufers nicht nur ausgeschlossen, wenn er den Mangel bei Vertragsschluss kennt (so § 442 Abs. 1 S. 1), sondern auch dann, wenn der Mangel auf dem vom Besteller (Käufer) gelieferten Stoff beruht. Nach Satz 3 sind die werkvertraglichen Gewährleistungsvorschriften zusätzlich zu den kaufrechtlichen Gewährleistungsvorschriften anwendbar, soweit es sich bei den herzustellenden oder zu erzeugenden beweglichen Sachen um nicht vertretbare Sachen handelt.
Fall 4: Wer den Schaden hat ... Ausgangsfall: Das Unternehmen A hat bei einem Untertagebauprojekt der Eisenerz KG die Auf- 328 gabe übernommen, für die KG die Absicherung der Anlage mit standardisierten TTrägern herbeizuführen. A baut die T-Träger ein. Bei der Berechnung der Stabilitätsanforderungen ist ihm jedoch ein Fehler unterlaufen, weshalb er an einigen Stellen keine oder zu wenige Absicherungen eingebaut hat. Als Folge davon brechen die Träger fünf Wochen nach der Abnahme durch die KG, bei der dies nicht bemerkt wurde, zusammen. Der Materialschaden beträgt 300.000 €. Des Weiteren wird die Untertageanlage schwer beschädigt. Dabei entsteht ein Schaden von 1,5 Mio. €. Kann die Eisenerz KG einen Schadenersatzanspruch gemäß §§ 631, 634 Nr. 4, 636, 280 Abs. 1, 281 Abs. 1 S. 1 gegen A geltend machen?
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Zweck dieser seit 1.01.2002 gültigen Sonderregelung ist es, das deutsche Recht der Richtlinie 1999/44/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 25.05.1999 zu bestimmten Aspekten des Verbrauchsgüterkaufs und der Garantien für Verbrauchsgüter (ABl. EG Nr. L 171, S. 12) anzupassen.
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Kapitel 4
Schuldrecht
Abwandlung: 329 Die Eisenerz KG ist aus dem Schaden klug geworden und betraut für den Wiederaufbau der Anlage ein anderes Unternehmen. Außerdem bestellt sie die T-Träger selbst bei der Zulieferfirma Z. Allerdings kommt es durch einen Montagefehler der T-Träger zwei Jahre später wieder zu einem Schadensfall. Dabei beträgt der Materialschaden 100.000 € und ein Sachschaden an der Anlage 200.000 €. Die KG hatte mit der Z eine Haltbarkeitsgarantie von zehn Jahren vereinbart. Die Eisenerz KG will nun von Z den Schaden aufgrund ihres Vertrages mit Z ersetzt haben. Zu Recht? Lösungsaufbau Ausgangsfall: 330 Anspruch der Eisenerz KG auf Schadenersatz in Höhe von 1,8 Mio. € gemäß §§ 631, 634 Nr. 4, 636, 280, 281. I. Bestehen eines Werkvertrages gemäß § 631 II. Vorliegen der Voraussetzungen des § 635 1. Bestehen eines Wandlungsrechtes gemäß § 634 a) Mangel gemäß § 633 Abs. 1 b) Kein Ausschluss gemäß § 640 Abs. 2 wegen der Abnahme c) Fristsetzung zur Nacherfüllung gemäß §§ 636, 281 Abs. 1 S. 1 d) Absehen von der Fristsetzung gemäß § 281 Abs. 2 2. Verschulden des A III. Rechtsfolge 1. Schadenersatz in Bezug auf die Materialkosten 2. Ersatz des Schadens an der Bergwerksanlage IV. Verjährung gemäß § 634a V. Ergebnis
Lösungsaufbau Abwandlung: 331 Anspruch der Eisenerz KG auf Schadenersatz i. H. v. 300.000 € gegen den Z I. Schadenersatzanspruch gemäß §§ 437 Nr. 3, 440, 280, 281 1. Bestehen eines Kaufvertrages über eine Gattungssache gemäß §§ 433, 243 2. Sachmangel gemäß § 434 II. Anspruch aus Beschaffenheits- und Haltbarkeitsgarantie gemäß § 443 III. Ergebnis
Lösungsvorschlag Ausgangsfall: 332 Die Eisenerz KG hat gegen A einen Anspruch auf Ersatz ihres Schadens in Höhe von 1,8 Mio. €, wenn die Voraussetzungen der §§ 631, 634 Nr. 4, 636, 280, 281 erfüllt sind. I.
Bestehen eines Werkvertrages gemäß § 631
333 Ein Schadenersatzanspruch aus § 634 Nr. 4 setzt zunächst voraus, dass zwischen demjenigen, der den Anspruch geltend macht, und dem Anspruchsgegner ein Werkvertrag gemäß § 631 zustande gekommen ist. Dann müsste A verpflichtet gewesen sein, für die Eisenerz KG eine Werkleistung zu erbringen. A war von der KG beauftragt worden, das Bergwerk stabilitätstechnisch abzusichern. Er schulde-
B. Vertragsrecht
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te mithin einen Erfolg, sodass ein Werkvertrag gemäß § 631 anzunehmen sein könnte. Dagegen könnte aber einzuwenden sein, dass A die einzubauenden T-Träger 334 selbst beschafft hat. Gemäß § 651 Abs. 1 ist dann ein Werklieferungsvertrag anzunehmen, wenn der Unternehmer sich die zu verarbeitenden Materialien selbst beschafft. Gemäß § 651 S. 1 findet auf diesen Vertrag das Kaufrecht Anwendung. Die praktischen Auswirkungen sind aber gering, weil die Mängelhaftung des Werkvertragsrechts denjenigen des Kaufrechts weitgehend angeglichen ist. Da aber nicht die Herstellung der T-Träger, sondern die Absicherung der Untertageanlage den Schwerpunkt des Vertrages bildet, handelt es sich bei dem Vertrag zwischen A und der KG um einen Werkvertrag gemäß § 631. II.
Vorliegen der Voraussetzungen der §§ 634 Nr. 4, 636, 280, 218
Weiterhin müssten die Voraussetzungen eines werkvertraglichen Schadenersatzan- 335 spruches gemäß §§ 634 Nr. 4, 636, 280, 281 vorliegen. 1.
Bestehen eines Mangels gemäß §§ 634, 633 Abs. 2
a)
Mangel gemäß § 633 Abs. 1
Ein Schadenersatzanspruch kommt in Betracht, wenn das Werk mangelhaft ist. 336 Gemäß § 633 Abs. 1 hat der Unternehmer dem Besteller das Werk frei von Sachund Rechtsmängeln zu verschaffen. Vorliegend kommt ein Sachmangel in Betracht. Das Gesetz definiert in § 633 Abs. 2 nur, wann ein Werk frei von Sachmängeln ist. Dies ist gemäß § 633 Abs. 2 S. 1 zum einen dann der Fall, wenn es die vereinbarte Beschaffenheit hat. Da im vorliegenden Fall keine konkrete Beschaffenheitsvereinbarung bezüglich der T-Träger getroffen worden war, ist diese Vorschrift nicht anwendbar. Frei von Sachmängeln ist nach § 633 Abs. 2 S. 2 ein Werk im Übrigen dann, wenn es sich entweder für die nach dem Vertrag vorausgesetzte oder sonst für die gewöhnliche Verwendung eignet. A sollte T-Träger einbauen, welche die Untertageanlage wirksam schützen. Der Untertageeinbau war die nach dem Vertrag vorausgesetzte Verwendung. Dafür eigneten sich die TTräger aufgrund zu geringer Dimensionierung aber nicht. Wegen der fehlerhaften Stabilitätsberechnung waren die eingebauten T-Träger nicht in der Lage, die Sicherheit der Anlage zu gewährleisten. Dies war aber der Grund für ihren Einbau. Somit war das Werk des A mit einem Fehler behaftet und mangelhaft. b)
Kein Ausschluss gemäß § 640 Abs. 2 wegen der Abnahme
Gemäß § 640 Abs. 2 sind die Gewährleistungsansprüche des Bestellers ausge- 337 schlossen, wenn er ein mangelhaftes Werk trotz Kenntnis des Mangels abnimmt, ohne sich die Ansprüche ausdrücklich vorzubehalten. Bei der Abnahme des Werkes war der fehlerhafte Einbau der T-Träger durch A nicht offensichtlich und der Eisenerz KG nicht bekannt. Somit kann sie die Ansprüche aus den §§ 633 ff. weiterhin geltend machen. Außerdem wendet die h. M. § 640 nicht auf den Anspruch gemäß § 634 Nr. 4 an, da dieser im Gegensatz zum Rücktritt bzw. zur Minderung ein Verschulden des Unternehmers erfordert (vgl. § 280 Abs. 1 S. 2), sodass eine
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Kapitel 4
Schuldrecht
Kenntnis der KG nicht schadet und den Schadenersatzanspruch nicht ausschließt.113 c)
Fristsetzung zur Nacherfüllung gemäß §§ 636, 281 Abs. 1 S. 2
338 Gemäß §§ 636, 281 Abs. 1 S. 2 kann der Besteller erst dann Schadenersatz verlangen, wenn er den Unternehmer erfolglos zur Nachbesserung aufgefordert hat. Die KG hat den A jedoch nicht zu einer Nachbesserung aufgefordert. d)
Absehen von der Fristsetzung gemäß § 281 Abs. 2
339 Allerdings kann bei Vorliegen besonderer Umstände gemäß § 281 Abs. 2 von einer Fristsetzung abgesehen werden. Das ist insbesondere dann möglich, wenn die Beseitigung des Mangels aussichtslos ist. Nachdem der fehlerhafte Einbau der Träger bereits zu deren Zerstörung geführt hat, ist eine Nachbesserung durch A unmöglich geworden, sodass die Notwendigkeit einer Nachbesserungsaufforderung entfallen ist. Außerdem dürfte die KG auch das Vertrauen in die Leistungsfähigkeit von A verloren haben, sodass von einem Interessenwegfall ausgegangen werden kann. Auch der Interessenwegfall macht eine Fristsetzung zur Nachbesserung entbehrlich.114 2.
Verschulden des A
340 Gemäß § 281 Abs. 1 S. 2 schuldet A nur dann Schadenersatz, wenn er die Pflichtverletzung, also das fehlerhafte Werk, zu vertreten hat. Zu vertreten hat der Unternehmer gemäß § 276 Vorsatz und Fahrlässigkeit. Bei derartig sicherheitsrelevanten Objekten wie Untertagebauanlagen besteht eine hohe Anforderung an die Sorgfältigkeit der beteiligten Personen. A hat seine Berechnungen nicht genau genug überprüft. Er hat also die im Verkehr erforderliche Sorgfalt missachtet (§ 276 Abs. 2). Damit handelte er fahrlässig, sodass er den fehlerhaften Einbau der T-Träger zu vertreten hat. III.
Rechtsfolge
341 Somit sind die Voraussetzungen der §§ 634 Nr. 4, 636, 280 Abs. 1 und 3, 281 Abs. 1 S. 1 erfüllt und die Eisenerz KG kann von A den Schadenersatz statt der Leistung verlangen. 1.
Schadenersatz in Bezug auf die Materialkosten
342 Der Schadenersatz statt der Leistung umfasst die sogenannten Mangelschäden, also die in der Sache selbst liegenden Schäden.115 Die KG macht hier die Materialkosten der zerstörten T-Träger in Höhe von 300.000 € geltend. Die Zerstörung der Träger stellt einen Schaden an dem von A erbrachten Werk dar. Bei ordnungsgemäßer Erfüllung, also bei richtiger Installation der Stützen, wäre es nicht zu 113 114 115
Palandt/Sprau, Bürgerliches Gesetzbuch, 67. Aufl. 2008, § 640, Rn. 13. Palandt/Heinrichs, Bürgerliches Gesetzbuch, 67. Aufl. 2008, § 281, Rn. 15. Palandt/Sprau, Bürgerliches Gesetzbuch, 67. Aufl. 2008, § 634, Rn. 7.; Recker, NJW 2002, 1247 ff.
B. Vertragsrecht
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dem Schaden an den Trägern gekommen. Damit hat A im Rahmen des Schadenersatzes statt der Leistung zu ersetzen. 2.
Ersatz des Schadens an der Bergwerksanlage
Die Bergwerksanlage als solches ist kein Bestandteil des Werks von A. Die dort 343 entstandenen Schäden stellen jedoch eine Folge des fehlerhaften Einbaus der TTräger dar. Ein solcher Mangelfolgeschaden wird nicht von § 281, wohl aber von § 280 Abs. 1 S. 1 erfasst116 (sogenannter Schadenersatz neben der Leistung).117 Unter § 280 Abs. 1 fallen insbesondere statische Mängel, die sich auf das konstruierte Bauwerk auswirken. Der Einbau der Stützen diente gerade der Stabilität der bergwerklichen Anlage. Somit sind der Eisenerz KG die Schäden an der Anlage in Höhe von 1,5 Mio. € als Mangelfolgeschaden über §§ 634 Nr. 4, 636, 280 Abs. 1 S. 1 von A zu ersetzen. IV.
Verjährung gemäß § 634a
Die Gewährleistungsrechte des § 634 verjähren bei Arbeiten an Bauwerken gemäß 344 § 634a Abs. 1 Nr. 2 nach fünf Jahren. Hier ist der Mangel bereits wenige Wochen nach Fertigstellung aufgetreten, sodass der Schadenersatzanspruch der Eisenerz KG nicht durch Verjährung gehemmt wird. V.
Ergebnis
Die Eisenerz KG hat gegen A einen Anspruch auf Schadenersatz gemäß §§ 634 345 Nr. 4, 636, 280 Abs. 1 S. 1, Abs. 3, 281 Abs. 1 S. 1 in Höhe von 1,8 Mio. €. Lösungsvorschlag Abwandlung: Die Eisenerz KG kann von Z die Ersetzung ihres Schadens in Höhe von 300.000 € 346 verlangen, wenn sie darauf einen vertraglichen oder vertragsähnlichen Anspruch hat. I.
Schadenersatzanspruch gemäß §§ 437 Nr. 3, 440, 280, 281
Ein derartiger Schadenersatzanspruch besteht dann, wenn zugunsten der Eisenerz 347 KG aufgrund eines Kaufvertrages mit Z die Voraussetzungen der §§ 437 Nr. 3, 440, 280, 281 vorliegen. 1.
Bestehen eines Kaufvertrages über eine Gattungssache gemäß §§ 433, 243
§ 437 ist einschlägig, wenn zwischen der KG und Z ein Kaufvertrag über eine 348 Gattungssache geschlossen wurde. Die KG hat mit Z einen Kaufvertrag gemäß § 433 über die T-Träger abgeschlossen. Die zu liefernden Träger waren nicht vorab von den Parteien festgelegt, sondern nur der Gattung nach bestimmt worden. Damit liegt ein Gattungskaufvertrag vor. 116 117
Palandt/Sprau, Bürgerliches Gesetzbuch, 67. Aufl. 2008, § 634, Rn. 8. Lorenz, NJW 2004, 26 (28).
112
Kapitel 4
Schuldrecht
2.
Sachmangel gemäß § 434
349 Der Schadenersatzanspruch gemäß §§ 437 Nr. 3, 440, 280, 281 besteht nur dann, wenn die Kaufsache einen Sachmangel aufweist. Das ist gemäß § 434 Abs. 1 der Fall, wenn sie entweder nicht die vereinbarte Beschaffenheit hat (S. 1) oder sich für die nach dem Vertrag vorausgesetzte Verwendung nicht eignet (Abs. 1 Nr. 1). Aus dem Kaufvertrag zwischen Z und der Eisenerz KG geht nicht hervor, welche Beschaffenheit die Träger haben sollten und für welchen Verwendungszweck sie gekauft wurden. Ein Sachmangel liegt gemäß § 434 Abs. 1 Nr. 2 ferner dann vor, wenn sich die 350 Kaufsache nicht für die gewöhnliche Verwendung eignet und eine Beschaffenheit aufweist, die bei Sachen gleicher Art üblich ist und die der Käufer erwarten darf. Die T-Träger waren grundsätzlich für den Einsatz in einem Bauwerk geeignet. Bei richtiger Montage hätten sie auf Dauer gehalten. Damit waren sie für die gewöhnliche Verwendung geeignet, sodass kein Sachmangel vorliegt. II.
Anspruch aus einer Beschaffenheits- und Haltbarkeitsgarantie gemäß § 443
351 Z würde aber auch dann haften, wenn er eine Beschaffenheits- oder Haltbarkeitsgarantie übernommen hätte. Diese Haftung besteht neben und unabhängig von der gesetzlichen Gewährleistung („unbeschadet“).118 Z hat eine zehnjährige Haltbarkeitsgarantie übernommen und das Schadensereignis geschah auch vor Ablauf dieser zehn Jahre. Trotzdem kommt eine Haftung von Z aufgrund der Garantie nicht infrage, denn das Garantieversprechen ist bezüglich seiner Reichweite gemäß §§ 133, 157 auszulegen.119 Die Auslegung ergibt, dass die Haltbarkeitsgarantie selbstverständlich nur unter der Voraussetzung eines korrekten Einbaus der Träger Geltung beanspruchen sollte. Denn Z wollte keinesfalls das Werkvertragsrisiko des richtigen Einbaus übernehmen, sondern nur für die ordnungsgemäße Materialbeschaffenheit der Träger garantieren. Somit haftet Z auch nicht aufgrund der gegebenen Garantie. III.
Ergebnis
352 Die Voraussetzungen der §§ 437 Nr. 3, 440, 280, 281 sind nicht erfüllt. Somit hat die Eisenerz KG keinen Schadenersatzanspruch aufgrund des kaufrechtlichen Gewährleistungsrechts. Auch von der gewährten Haltbarkeitsgarantie ist der Schaden nicht umfasst, denn die Garantie betraf nur die Materialbeschaffenheit der Träger, d. h. sie bezog sich nicht auf deren fehlerfreien Einbau. Es kommt folglich nur eine Haftung des Unternehmens in Betracht, das die Träger fehlerhaft verbaut hat, nicht aber eine Haftung von Z.
118 119
Palandt/Putzo, Bürgerliches Gesetzbuch, 67. Aufl. 2008, § 443, Rn. 7. Palandt/Putzo, Bürgerliches Gesetzbuch, 67. Aufl. 2008, § 443, Rn. 17.
C. Nichtvertragliche Ansprüche
113
C. Nichtvertragliche Ansprüche Das Schuldrecht des BGB regelt zunächst Ansprüche, die sich aus einem Vertrag 353 ergeben, oder die als Nebenfolge zu einem Vertrag entstehen können. In diesen Fällen sind immer Willenserklärungen oder zumindest geschäftsähnliche Handlungen der Beteiligten zur Begründung eines Vertrages oder eines vertragsähnlichen Zustandes notwendig. Darüber hinaus können aber auch Ansprüche ohne eine rechtsgeschäftliche Bindung der Beteiligten entstehen. Im Folgenden werden Ansprüche dargestellt, die aufgrund von Handlungen entstehen, die ein Beteiligter zugunsten eines anderen getätigt hat (Geschäftsführung ohne Auftrag, GoA, Übersicht 4.5). Weiterhin entstehen Ausgleichs- bzw. Rückabwicklungsansprüche, wenn ein Vertrag gescheitert ist, das Bestehen eines Vertrages bei einer Leistungshandlung angenommen wurde oder jemand eine Handlung vorgenommen hat, zu der ein Vertrag notwendig wäre und dadurch ein anderer bereichert wurde (Ungerechtfertigte Bereicherung, Übersicht 4.6). Abschließend werden diejenigen Ansprüche erläutert, die als Folge einer deliktischen Handlung eines der Beteiligten entstehen. Dabei ist zwischen der schuldhaften Verletzung einer Rechtsnorm (Unerlaubte Handlungen gemäß §§ 823 ff., Übersicht 4.7) und einer Haftung aufgrund einer Gefährdungslage (Gefährdungshaftung, Übersichten 4.8, 4.9) zu unterscheiden.
I.
Geschäftsführung ohne Auftrag (vgl. Übersicht 4.5)
Bei der Geschäftsführung ohne Auftrag (GoA) gemäß § 677 besorgt der Ge- 354 schäftsführer das Geschäft eines Geschäftsherrn, ohne dazu von ihm beauftragt oder sonstwie ermächtigt worden zu sein. Damit werden Handlungen einer Person erfasst, die in die Rechtssphäre eines anderen gehören. 1.
Echte Geschäftsführung ohne Auftrag
Ist dieses Verhalten für den anderen wünschenswert, so hat er das Risiko der GoA 355 zu tragen und muss dem Geschäftsführer dessen Aufwendungen gemäß § 683 i. V. m. §§ 662 ff. ersetzen (= berechtigte Geschäftsführung ohne Auftrag). Steht die Geschäftsführung dagegen den Interessen des Geschäftsherrn entgegen, muss er für einen eventuell dabei entstehenden Schaden gemäß § 678 einstehen (= unberechtigte Geschäftsführung ohne Auftrag).120 2.
Eigengeschäftsführung
Daneben kommt der Fall in Betracht, dass der Geschäftsführer eine fremde Ange- 356 legenheit, also ein fremdes Geschäft als sein eigenes behandelt. In diesem Fall ist danach zu unterscheiden, ob der Handelnde dabei irrtümlich annahm, das fremde Geschäft sei sein eigenes (= irrtümliche Eigengeschäftsführung) oder ob er es 120
Palandt/Sprau, Bürgerliches Gesetzbuch, 67. Aufl. 2008, Einf. v. § 677, Rn. 4.
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Schuldrecht
bewusst tat. Bei der irrtümlichen Eigengeschäftsführung finden die Regeln der Geschäftsführung ohne Auftrag gemäß § 687 Abs. 1 keine Anwendung. Die rechtlichen Folgen sind damit nach den allgemeinen Regeln des Deliktsrechts (§§ 823 ff.) und des Kondiktionsrechts (§§ 812 ff.) zu behandeln. Hat sich dagegen der Geschäftsführer das fremde Geschäft angemaßt, obwohl er wusste, dass es sich um die Angelegenheit einer anderen Person handelte (= unerlaubte Eigengeschäftsführung), so kann der tatsächliche Geschäftsherr dieses Geschäft gemäß § 687 Abs. 2 an sich ziehen, d. h. er kann wie der Geschäftsherr einer unberechtigten Geschäftsführung ohne Auftrag gemäß § 681 die Herausgabe des durch die Geschäftsführung Erlangten fordern. In diesem Fall muss er dem unberechtigten Eigengeschäftsführer gemäß § 683 dessen Aufwendungen ersetzen. Außerdem macht sich der Geschäftsführer gemäß § 678 schadenersatzpflichtig, wenn das Geschäft dem wirklichen oder mutmaßlichen Willen des Geschäftsherrn widersprach. Einzelheiten dazu sind der nachstehenden Übersicht 4.5 zu entnehmen:
C. Nichtvertragliche Ansprüche
115
Übersicht 4.5: Geschäftsführung ohne Auftrag Voraussetzungen berechtigte GoA:
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•
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•
unberechtigte GoA:
gemäß § 677: Besorgung eines fremden Geschäfts: Ein Geschäft sind rechtsgeschäftliche und tatsächliche Handlungen. Sie sind fremd, wenn sie (auch) fremden Interessenkreis angehören. Liegt äußerlich erkennbar andere Interessensphäre vor = objektiv fremdes Geschäft. Ausreichend ist auch ein subjektiv fremdes Geschäft, bei dem der Geschäftsführer erkennbar für einen anderen handelt. Fremdgeschäftsführungswille: Notwendig sind Bewusstsein und Wille, dass Angelegenheit zum Rechtskreis eines anderen gehört u. ihm Vorteile der Geschäftsführung zugute kommen. Bei obj. fremdem Geschäft gibt es eine Vermutung für diesen Willen. Sonst ist Erkennbarkeit nach außen nötig. Kommt Geschäft auch eigenen Interessen zugute (= auch fremdes Geschäft), muss Geschäftsführer in Kenntnis der Verantwortlichkeit des Geschäftsherrn gehandelt haben. Fehlen eines bereits bestehenden Geschäftsbesorgungsverhältnisses: Zw. Geschäftsführer u. Geschäftsherrn darf kein Auftrag gem. § 662 bzw. keinerlei verpflichtender Vertrag u. keine gesetzliche Befugnis (z. B. als Organ einer Gesellschaft, Eltern für ihre Kinder) bestehen. Berechtigung des Geschäftsführers: Liegt vor, wenn er gem. § 683 S. 1 dem wirklichen o. mutmaßlichen Willen des Geschäftsherrn entspricht o. wenn sie gem. § 683 S. 2 i.V.m. § 679 in seinem objektiven Interesse liegt (Bestehen einer öffentlich-rechtlichen Rechtspflicht, die Handlung auszuführen, Bestehen einer gesetzl. Unterhaltspflicht u. nach h. M., wenn konträrer Wille gegen ein gesetzliches Verbot o. besonders stark gegen die guten Sitten verstößt) o. der Geschäftsherr sie gem. § 684 S. 2 genehmigt hat. S.o. mit Ausnahme der Berechtigung
Rechtsfolgen:
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Eigengeschäftsführung gem. § 687
Der Handelnde behandelt ein objektiv fremdes Geschäft wie ein eigenes.
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Ordnungsgemäße Führung der Geschäfte durch den Geschäftsführer (§ 677) Erfüllung der Nebenpflichten gem. § 681: Anzeige der Geschäftsübernahme; Nachricht, Auskunft und Rechenschaft gegenüber Geschäftsherrn abzugeben; Herausgabe des aufgrund der GoA Erlangten. Bei schuldhafter Verletzung der Pflichten: Schadenersatz durch den Geschäftsführer. Beschränkung des Verschuldens auf Vorsatz und grobe Fahrlässigkeit gemäß § 680, wenn eine drohende Gefahr durch GoA abgewendet wurde. Der Geschäftsherr muss dem Geschäftsführer gemäß § 683 Aufwendungen und erlittene Schäden ersetzen.
§§ 677 und § 681 sind nicht anwendbar, die allg. Regeln (§§ 812 ff., §§ 823 ff.) gelten. Geschäftsführer haftet gem. § 678 für entstandene Schäden, wenn er Fehlen der Berechtigung erkennen musste. Geschäftsherr muss Geschäftsführer die durch Geschäftsführung erlangten Vorteile gem. § 684 herausgeben, weil ihm kein Aufwendungsersatz gem. § 683 zusteht. Hielt Handelnder gem. § 687 Abs. 1 unwissentl. das fremde Geschäft für sein eigenes, sind Regeln der GoA nicht anwendbar. Es gelten Regeln der §§ 812 ff. u. §§ 823 ff. Führt Handelnder fremdes Geschäft gem. § 687 Abs. 2 wissentl. nur zu seinem Vorteil, gelten auch hier grds. nicht die GoA-, sondern allgemeine Regeln. Geschäftsherr kann aber Rechte aus GoA geltend machen. Dann hat er auch gem. § 681 Anspruch auf Herausgabe des aus der GoA Erlangten. Aufgr. § 684 S. 1 erhält Geschäftsführer die Aufwendungen bis zur Höhe der Bereicherung.
357
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II. Ungerechtfertigte Bereicherungen (vgl. Übersicht 4.6) 358 Die §§ 812 ff. dienen dem Ausgleich einer Vermögensverschiebung, die weder durch einen Vertrag noch aufgrund anderer Umstände gerechtfertigt war. Dabei geht es darum, dass eine Vermögensvermehrung des hierdurch Bereicherten zugunsten des Entreicherten wieder beseitigt wird. Hierbei wird zwischen zwei Grundtatbeständen unterschieden, nämlich zwischen Vermögensverschiebungen, die durch die Leistung eines anderen entstanden sind und solchen, die in sonstiger Weise eingetreten sind. 1.
Leistungskondiktionen
359 Unter den Oberbegriff der Leistungskondiktion gemäß § 812 Abs. 1 S. 1, bei der die Bereicherung durch die Leistung eines anderen eingetreten ist, werden verschiedene Fallgestaltungen zusammengefasst. Gemeinsame Voraussetzung ist dabei eine Leistung des Gläubigers, d. h. eine bewusste und zweckgerichtete Vermehrung fremden Vermögens.121 Weiterhin muss ein Mangel hinsichtlich des rechtlichen Grundes bestehen, aufgrund dessen der Entreicherte geleistet hat.122 Das ist gemäß § 812 Abs. 1 S. 1 1. Var. der Fall, wenn ein solcher Rechtsgrund 360 überhaupt nicht bestanden hat, also z. B. wenn hinsichtlich der Einigung ein Nichtigkeitsgrund vorliegt. Dem wird gemäß § 813 Abs. 1 S. 1 gleichgestellt, wenn der Anspruch mit einer dauerhaften Einrede behaftet ist.123 Gemäß § 814 besteht dennoch kein Bereicherungsanspruch, wenn der Leistende wusste, dass er zu der Leistung nicht verpflichtet war, oder wenn die Leistung einer sittlichen Pflicht entsprach. Weiterhin besteht gemäß § 817 S. 2 keine Rückgabeverpflichtung, wenn der Leistende durch die Leistung gegen ein gesetzliches Verbot oder die guten Sitten verstieß.124 Gemäß § 812 Abs. 1 S. 2 1. Var. wird diesem Fall auch die Situation gleichge361 stellt, wenn der ursprünglich bestehende Rechtsgrund durch Parteivereinbarung (z. B. auflösende Bedingung) oder die Willenserklärung einer Partei (z. B. Kündigung, Rücktritt, Anfechtung) später wegfällt. Einen Mangel des rechtlichen Grundes stellt es gemäß § 812 Abs. 1 S. 2 2. Var. auch dar, wenn ein neben dem eigentlichen Leistungszweck bestehendes Ziel, über das sich die Parteien zumindest stillschweigend geeinigt haben, nicht erreicht wurde. Darunter fällt allerdings nicht der allgemeine Wegfall der Geschäftsgrundlage. Ferner ist der Anspruch gemäß § 815 ausgeschlossen, wenn der Erfolgseintritt aus tatsächlichen oder aus rechtlichen Gründen von Anfang an unmöglich war und der Leistende dies wusste oder der Leistende selbst den Erfolgseintritt wider Treu und Glauben verhindert hat. Schließlich muss die Voraussetzung gegeben sein, dass der Schuldner des An362 spruchs, also der Bereicherte, etwas erlangt hat. Darunter fallen Vermögenswerte 121
122 123 124
BGHZ 40, 272 (277); BGH, NJW 2004, 1169; Palandt/Sprau, Bürgerliches Gesetzbuch, 67. Aufl. 2008, § 812, Rn. 2. Palandt/Sprau, Bürgerliches Gesetzbuch, 67. Aufl. 2008, § 812, Rn. 68 ff. Palandt/Sprau, Bürgerliches Gesetzbuch, 67. Aufl. 2008, § 812, Rn. 72. Dazu näher Armgardt, NJW 2006, 2070 ff.
C. Nichtvertragliche Ansprüche
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aller Art, die Befreiung von Schulden und Lasten und die Ersparnis von Aufwendungen. Die Vermögenslage des Bereicherten muss sich durch das Erlangte verbessert haben.125 2.
Nichtleistungskondiktionen
Neben den Leistungskondiktionen nennt § 812 Abs. 1 S. 1 2. Var. auch den Fall, 363 das der Bereicherte etwas in sonstiger Weise, also ohne die Leistung des Entreicherten, erlangt hat. Nach h. M. besteht allerdings ein Vorrang der Leistungskondiktionen, d. h. ein 364 Anspruch aufgrund einer Nichtleistungskondiktion kommt nur dann in Betracht, wenn in der Rechtsbeziehung keinerlei Leistungen bewirkt wurden. Die gilt vor allem in den Fällen, in denen mehr als zwei Personen beteiligt sind.126 Unter § 812 Abs. 1 S. 1 2. Var. fallen insbesondere die Eingriffskondiktionen, 365 bei denen jemand in die Rechte eines anderen ohne rechtlichen Grund eingreift. Als Sondertatbestände kommen hier jedoch erst die Fälle des § 816 in Betracht. Gemäß § 816 Abs. 1 S. 1 muss derjenige, der über einen Gegenstand des Berechtigten als Nichtberechtigter eine entgeltliche Verfügung getroffen hat, die diesem gegenüber wirksam ist, den erlangten Erlös herausgeben. Beispiel: Verkauft jemand eine fremde bewegliche Sache und erwirbt der Käufer daran gemäß § 932 gutgläubig Eigentum, hat der Verkäufer dem Eigentümer den Verkaufserlös herauszugeben. Geschah die Verfügung dagegen unentgeltlich, so muss nicht der unberechtigt Verfügende, sondern der Begünstigte gemäß § 816 Abs. 1 S. 2 das Erlangte an den Berechtigten herausgeben.
Daneben erfasst § 812 Abs. 1 S. 1 2. Var. noch weitere Fälle (Verwendungs- und 366 Rückgriffskondiktion). 3.
Rechtsfolge
Gemäß § 812 ist der Bereicherte, also der Schuldner des Bereicherungsanspruches 367 dem Entreicherten (Gläubiger) zur Herausgabe des Erlangten verpflichtet. Dabei regelt § 818 die näheren Modalitäten. So muss der Schuldner gemäß § 818 Abs. 1 auch alle Nutzungen (Sach- und Rechtsfrüchte sowie Gebrauchsvorteile) und Surrogate, also die durch Ausübung des Rechts erworbenen Gegenstände und das stellvertretende commodum, herausgeben. Bei der Unmöglichkeit der Herausgabe hat der Schuldner gemäß § 818 Abs. 2 den (nach h. M. objektiven)127 Wert zu ersetzen. Besondere Bedeutung kommt dem § 818 Abs. 3 zu. Er regelt den Wegfall der Bereicherung, also den Fall, dass der Bereicherte wieder entreichert wur125 126
127
Palandt/Sprau, Bürgerliches Gesetzbuch, 67. Aufl. 2008, § 812, Rn. 16. BGHZ 40, 272 (278); BGH, NJW 1999, 1393; Palandt/Sprau, Bürgerliches Gesetzbuch, 67. Aufl. 2008, § 812, Rn. 43. Palandt/Sprau, Bürgerliches Gesetzbuch, 67. Aufl. 2008, § 812, Rn. 16 ff. Hier liegt ein Unterschied zur Regelung des § 816 Abs. 1.
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de, weshalb er den Anspruch des Gläubigers nicht erfüllen muss. Darunter fällt zum einen eine Zerstörung des Gegenstandes, wenn der Schuldner keinen Ersatz erlangt hat. Nach h. M. ist aber im Rahmen des § 818 Abs. 3 auch zu berücksichtigen, inwieweit der Schuldner seine bereits erbrachte Gegenleistung vom Gläubiger herausverlangen kann.128 Gemäß §§ 818 Abs. 4, 819, 820 haftet der Schuldner verschärft, wenn er auf 368 Herausgabe verklagt wurde, den Mangel des rechtlichen Grundes beim Empfang der Leistung kannte, die Leistung gegen ein gesetzliches Verbot bzw. gegen die guten Sitten verstieß oder der Eintritt eines bezweckten Erfolges unwahrscheinlich war. Dies bedeutet, dass der Schuldner immer für den verschuldeten Untergang einer Sache haftet und bei Verzug mit der Rückgewährverpflichtung auch für den zufälligen Untergang gemäß § 287 S. 2.
128
Ebd. Rn. 431 ff. Saldotheorie; krit. Palandt/Sprau, Bürgerliches Gesetzbuch, 67. Aufl. 2008, § 812, Rn. 49.
C. Nichtvertragliche Ansprüche
119
Übersicht 4.6: Die ungerechtfertigte Bereicherung Voraussetzungen: Die Leistungskondiktion gemäß § 812 Abs. 1 S. 1 1. Var. und S. 2
• Der Schuldner muss
•
•
• Verfügung eines Nichtberechtigten gemäß § 816 Abs. 1
•
•
•
etwas erlangt haben. Darunter fällt jeder Vermögensvorteil. Die Bereicherung muss durch Leistung, also durch gewollte und zweckgerichtete Mehrung fremden Vermögens, erfolgt sein. Für die Leistung darf kein Rechtsgrund bestanden haben, bzw. dieser muss später weggefallen sein, oder ein über den Erfüllungszweck hinausgehendes Ziel wurde nicht erreicht. Kein Ausschlussgrund: §§ 814, 817 S. 2. Verfügung: Rechtsgeschäft, das auf eine Rechtsveränderung (Übertragung, Belastung, Aufhebung, Inhaltsänderung) gerichtet ist eines Nichtberechtigten: Der Verfügende darf zu der Verfügung durch den Rechtsinhaber nicht berechtigt worden sein. Bei einer Einwilligung gemäß § 185 Abs. 1 besteht eine solche Berechtigung. dem Berechtigten gegenüber wirksam: Es liegt ein gutgläubiger Erwerb des Dritten vor (z. B. gemäß § 932) oder der Berechtigte genehmigt gemäß § 185 Abs. 2 die Verfügung nachträglich, da er von dem Dritten, der das Recht erlangt hat, keine Rückgabe bzw. keinen Ersatz zu erwarten hat.
Rechtsfolgen:
• Gemäß § 812 muss das
• • • •
durch die Bereicherung Erlangte herausgegeben werden. § 818 Abs. 1: Herausgabe der Nutzungen und Surrogate § 818 Abs. 2: Bei Unmöglichkeit der Herausgabe: Ersatz des Wertes. Verschärfte Haftung in den Fällen der §§ 818 Abs. 4, 819, 820. § 818 Abs. 3: Keine Herausgabepflicht bei Wegfall der Bereicherung.
• Der Verfügende muss gemäß § 816 Abs. 1 S. 1 den erlangten Erlös herausgeben, wenn die Verfügung entgeltlich war. • Der Dritte, der durch die Verfügung des Unberechtigten etwas erlangt hat, muss dieses an den Berechtigten gemäß § 816 Abs. 1 S. 2 herausgeben, wenn die Verfügung unentgeltlich war (z. B. Schenkung).
369
120
Kapitel 4
Schuldrecht
III. Unerlaubte Handlungen 370 Die §§ 823 ff. und andere Spezialgesetze begründen einen Schadenersatzanspruch des Geschädigten gegen den Schädiger, wenn dieser einen unerlaubten Eingriff in den Rechtskreis des anderen getätigt hat. Anders als beim Bereicherungsrecht geht es dabei nicht um den Ausgleich einer Bereicherung, sondern um die Wiedergutmachung des entstandenen Schadens. Dabei ist zwischen der verschuldensabhängigen Haftung der §§ 823 ff. und der verschuldensunabhängigen Gefährdungshaftung einiger Sondergesetze, von denen hier das Produkthaftungsgesetz und das Umwelthaftungsgesetz ausführlicher behandelt werden, zu unterscheiden. 1.
Unerlaubte Handlungen gemäß §§ 823 ff. (vgl. Übersicht 4.7)
371 Grundtatbestand der §§ 823 ff. ist § 823 Abs. 1. Demnach besteht ein Schadenersatzanspruch dann, wenn der Schädiger ein durch die Norm geschütztes Rechtsgut verletzt hat. Schutzobjekte des § 823 Abs. 1 sind Leben, Körper, Gesundheit und Freiheit. Diesen absoluten Rechten werden andere absolute Rechte als sonstige Rechte gleichgestellt. Darunter fällt vor allem das allgemeine Persönlichkeitsrecht des Art. 1 GG. Auch das Recht am eingerichteten und ausgeübten Gewerbebetrieb ist durch § 823 Abs. 1 erfasst.129 Kein Schutzobjekt ist demgegenüber das Vermögen als solches. Die Verletzungshandlung kann in einem Tun oder Unterlassen liegen. Letzteres 372 ist ausreichend, wenn der Schädiger eine Rechtspflicht zum Handeln verletzt hat. Auf diese Unterscheidung kommt es nicht an, wenn in dem jeweiligen Bereich eine Verkehrssicherungspflicht bestanden hat, die verletzt wurde. Verkehrssicherungspflichten sind diejenigen Pflichten, die entstehen, wenn jemand eine Gefahrenquelle schafft oder unterhält. Dieser muss dann die notwendigen Vorkehrungen treffen, um Schäden anderer Personen im Bereich des Möglichen und Zumutbaren zu verhindern.130 Eine solche Pflicht entsteht insbesondere im Bereich der Produzentenhaftung. Im Bereich des Umweltrechts etwa können sich Verkehrssicherungspflichten aus vorhandenen Genehmigungen und deren Nebenbestimmungen (Auflagen, Bedingungen usw.), aber auch direkt aus Gesetzen und Rechtsverordnungen, ja mitunter auch aus Verwaltungsvorschriften (wie z. B. der TA Luft oder der TA Lärm) oder aus technischen Normen (DIN-Normen, VDE-Normen usw.) ergeben. Voraussetzung für einen Schadenersatzanspruch gemäß § 823 Abs. 1 ist weiter373 hin, dass der Schädiger rechtswidrig gehandelt hat. Die Rechtswidrigkeit entfällt, wenn ein Rechtfertigungsgrund (z. B. Notwehr, Einwilligung des Verletzten oder
129
130
BGHZ 45, 296 (307); BGH, NJW 2003, 1041; Palandt/Sprau, Bürgerliches Gesetzbuch, 67. Aufl. 2008, § 823, Rn. 126 ff. BGH, NJW 1990, 1236 = VersR 1990, 498 (499); BGHZ 121, 367 (375) = NJW 1993, 1799 (1801); BGH, NJW-RR 2003, 1459 = VersR 2003, 1319 = MDR 2003, 1353 = BGHReport 2003, 1200 = ZfSch 2003, 583 = NZV 2004, 79; BGH, NJW 2004, 1449 (1450); BGH, NJW-Spezial 2006, 167 = NZBau 2006, 235 = VersR 2006, 420; BGH, NVwZ-RR 2006, 469 (470); BGH, NJW 2007, 1683 (1684).
C. Nichtvertragliche Ansprüche
121
eine gesetzliche Ermächtigung) besteht. Die Verletzung einer Verkehrssicherungspflicht ist immer rechtswidrig. Schließlich muss der Schädiger schuldhaft gehandelt haben, d. h. ihm muss bei seiner Verletzungshandlung Fahrlässigkeit oder Vorsatz vorzuwerfen sein. Vorsätzlich handelt, wer den rechtswidrigen Erfolg kennt und ihn herbeiführen will; der Täter muss also den Erfolg vorausgesehen haben und ihn in seinen Willen aufgenommen haben. Er muss ihn aber nicht absichtlich herbeigeführt haben, es genügt vielmehr, dass er den Erfolg billigend in Kauf genommen hat (dolus eventualis).131 Fahrlässig handelt dagegen nach § 276 Abs. 2, wer die im Verkehr erforderliche Sorgfalt außer Acht lässt. Liegen diese Voraussetzungen vor, so ist er dem Geschädigten zum Ersatz des Schadens verpflichtet, der aufgrund seiner Verletzungshandlung entstanden ist. Um einen Anspruch geltend zu machen, muss der Gläubiger die Voraussetzungen des Anspruchs beweisen. Dies ist bei komplexen Wirtschaftsabläufen kaum möglich. Daher besteht insbesondere bei der Produzentenhaftung eine Beweiserleichterung für den Gläubiger. So muss sich der Schädiger bei bewiesener Verletzung aufgrund der Handhabung oder Benutzung eines von ihm hergestellten technischen Produkts dahin gehend entlasten, dass diese Verletzung nicht aufgrund eines Fabrikationsfehlers, wegen nicht ausreichender Betriebsorganisation oder aufgrund eines Konstruktionsfehlers entstanden ist. Kann der Geschädigte beweisen, dass der Produzent die Instruktions- und Produktbeobachtungspflicht verletzt hat, so muss der Schädiger sich hinsichtlich des Verschuldens entlasten.132 Durch diese Beweiserleichterungen wird es dem Verbraucher ermöglicht, seine Rechte gegenüber Produzenten gefahrträchtiger Produkte wirksam wahrzunehmen. Gesetzlich geregelt ist die Notwendigkeit der Entlastung des Geschäftsherrn für die rechtswidrige Verletzungshandlung seines Verrichtungsgehilfen bei der Ausführung einer Verrichtung. Demnach haftet der Geschäftsherr gemäß § 831 Abs. 1 für seinen Verrichtungsgehilfen, also für eine andere Person, die in einem Weisungsverhältnis zu ihm steht und der er eine Tätigkeit übertragen hat, es sei denn ihn trifft kein Verschulden. Dieser Entlastungsbeweis (Exculpation) tritt ein, wenn der Geschäftsherr nachweisen kann, dass er bei der Auswahl des Gehilfen, seiner Anweisung und bei seiner Überwachung die notwendige Sorgfalt beachtet hat. Dies wird im geschäftlichen Alltag nur dem Unternehmen gelingen, das über eine dokumentierte Betriebsorganisation (Aufbau- und Ablauforganisation) verfügt. So erfüllen Managementsysteme nicht nur eine Steuerungsfunktion, indem sie die betrieblichen Abläufe steuern und Zuständigkeiten und Verantwortlichkeiten festlegen, sondern auch eine Entlastungsfunktion, weil es zumeist nur mit ihrer Hilfe möglich ist, den Vorwurf des Organisationsverschuldens zu entkräften und dabei auch den Entlastungsbeweis nach § 831 Abs. 1 S. 2 zu führen. Der Umfang des Schadenersatzanspruchs ergibt sich aus den §§ 249 ff. Im Fall der Verletzung des Körpers, der Gesundheit, der Freiheit und der sexuellen Selbst-
131 132
Palandt/Heinrichs, Bürgerliches Gesetzbuch, 67. Aufl. 2008, § 276, Rn. 10 m. w. N. BGHZ 40, 379 (382); BGH, BB 1984, 1350; BGH, NJW 1987, 1009; BGHZ 99, 167.
374
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122
Kapitel 4
Schuldrecht
bestimmung kann der Geschädigte gemäß § 253 Abs. 1 ein angemessenes Schmerzensgeld verlangen. Dasselbe gilt auch in Fällen schwerwiegender Verletzung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts.133 In Fällen vorsätzlicher Schadenszufügung besteht ein Schadenersatzanspruch 378 nach § 826. Voraussetzung der Haftung ist, dass der Schädiger als Folge seines gegen die guten Sitten verstoßenden Verhaltens den Schaden vorsätzlich verursacht hat, ihn also zumindest billigend in Kauf genommen hat. Kein Vorsatz und damit für die Haftung nicht ausreichend ist es, wenn der Schädiger den Schaden zwar für möglich gehalten hat, aber darauf vertraut hat, dass er nicht eintreten werde (dieses Verhalten wäre bewusst fahrlässig und bedeutet noch keinen Vorsatz).134 Ferner verlangt die h. M., dass der Schädiger Kenntnis aller sittenwidrigkeitsbegründenden Tatumstände gehabt haben muss.135 Es genügt hier dolus eventualis, sodass auch wer unzutreffende Behauptungen „ins Blaue“ hinein abgibt, für die dadurch verursachen Schäden haftet. Übersicht 4.7: Unerlaubte Handlungen gemäß §§ 823 ff.
379
Schadenersatzanspruch gemäß § 823 Abs. 1 Voraussetzungen („haftungsbegründender Tatbestand“):
• Geschützte Rechtsgüter: In § 823 Abs. 1 aufgeführte Rech-
•
• • Rechtsfolgen („haftungsausfüllender Tatbestand“): Verjährung gemäß §§ 195 ff.:
133
134 135
• •
te: Leben, Körper, Gesundheit, Freiheit (Fortbewegungsfreiheit), Eigentum. Daneben werden als sonstige Rechte (absolute, gegen jedermann gerichtete) der berechtigte Besitz, beschränkte dingliche Rechte (z. B. Pfandrechte), Mitgliedschaftsrechte (an GmbH oder AG), das allgemeine Persönlichkeitsrecht und das Recht am eingerichteten und ausgeübten Gewerbebetrieb erfasst. Nicht erfasst ist das Vermögen. Zurechenbares Schädigerverhalten: Aktives Tun und Unterlassung bei Garantenstellung (Rechtspflicht zum Handeln), das für den Schaden kausal und adäquat (für obj. Beobachter erscheint Verhalten generell geeignet, den Erfolg herbeizuführen) ist und dem Schutzzweck der Norm unterfällt. Liegt bei der Verletzung einer Verkehrssicherungspflicht vor. Rechtswidrigkeit: Entfällt nur bei Rechtfertigungsgrund. Verschulden: Vorsatz und Fahrlässigkeit. Verschuldensfähigkeit gemäß §§ 827, 828. Ersatz des adäquat kausal verursachten Schadens. Mitverschulden des Geschädigten gem. § 254 berücksichtigen. ggf. auch Schmerzensgeld, § 253 Abs. 2 Drei Jahre ab Kenntnis vom Schaden und Schädiger, wobei die Frist am Ende des Jahres beginnt, in dem diese Kenntnis erlangt wurde.
Palandt/Heinrichs, Bürgerliches Gesetzbuch, 67. Aufl. 2008, § 253, Rn. 10; BGH, NJW 1995, 861; BGH, NJW 2000, 2195; BGH, NJW 2005, 215. Dazu Sack, NJW 2006, 945 ff. BGH, NJW 1962, 1099; BGH, NJW 2004, 3706 (3710); Palandt/Sprau, Bürgerliches Gesetzbuch, 67. Aufl. 2008, § 826, Rn. 11.
C. Nichtvertragliche Ansprüche
2.
123
Gefährdungshaftung
Die Gefährdungshaftung beruht auf dem Gedanken, dass derjenige, der eine ge- 380 fahrträchtige Anlage betreiben darf, für die daraus resultierenden Schäden zu haften hat. Die Haftungstatbestände sind nicht im BGB, sondern in Spezialgesetzen geregelt, so z. B. in • • • • • •
§ 22 WHG, § 32 Abs. 1 GenTG, § 114 BBergG, § 25a AtomG, Produkthaftungsgesetz, §§ 1 bis 3 HaftpflichtG für Energieanlagen, Bahnbetriebsunternehmer und sonstige Betriebsunternehmer wie Betreiber von Fabriken, Bergwerken, Gruben und Steinbrüchen, • §§ 33, 52 LuftVG und • § 7 StVG. Das Besondere der Gefährdungshaftung ist, dass für bestimmte Tätigkeiten und 381 Verhaltensweisen gehaftet werden muss, wenn sich die spezifische Gefahr verwirklicht, wobei es auf Verschulden nicht ankommt. Der Gesetzgeber erlaubt also bestimmte Verhaltensweisen wie das Fahren eines Autos oder das Betreiben bestimmter Anlagen trotz ihrer Gefährlichkeit und verpflichtet zum Schadenersatz, wenn daraus Dritte Schäden erleiden. Seit Inkrafttreten des Schadenersatzänderungsgesetzes136 am 1. August 2002 kann auch bei der reinen Gefährdungshaftung ein angemessenes Schmerzensgeld verlangt werden (§ 253 Abs. 2). Da die Haftung verschuldensunabhängig greift, bedarf sie einer engen Begren- 382 zung. Der Schaden muss gerade aufgrund einer vom Schädiger zu verantwortenden Gefahr beruhen. So bestimmt das Produkthaftungsgesetz vom 15. Dezember 1989 eine ver- 383 schuldensabhängige Haftung des Herstellers für Produktschäden, die gemäß § 14 ProdHaftG im Vorhinein weder ausgeschlossen noch beschränkt werden darf. Dazu Übersicht 4.8:
136
SchadÄndG vom 19.07.2002, BGBl. I. S. 2674 ff.
124
Kapitel 4
Schuldrecht
Übersicht 4.8: Produkthaftungsgesetz
384 Voraussetzungen:
Rechtsfolgen:
• Rechtsgutverletzung gemäß § 1: Leben, Körper, Gesundheit Sachbeschädigung, wenn es sich dabei um eine andere Sache als das fehlerhafte Produkt handelt, die der Geschädigte gewöhnlich privat nutzt und dazu von ihm hauptsächlich verwendet wird. • durch Produkt i. S. d. § 2: Das Produkt ist jede bewegliche Sache und Elektrizität. Ein solches Produkt muss die Rechtsgutverletzung kausal verursacht haben. • Fehler des Produkts im Zeitpunkt des Inverkehrbringens gemäß § 3: Das Produkt ist fehlerhaft, wenn es nicht die Sicherheit bietet, die unter Berücksichtigung aller Umstände berechtigterweise zu erwarten ist. (Es gilt nicht der kaufrechtliche Fehlerbegriff.) • Anspruchsgegner gemäß § 4: Hersteller des Endprodukts Quasihersteller: Jemand, der sich durch Kennzeichen auf dem Produkt als Hersteller ausgibt Importeur Können vorgenannte nicht festgestellt werden, kommt auch der Lieferant als Anspruchsgegner in Betracht. • Kein Haftungsausschluss gemäß § 1 Abs. 2, 3: Die Haftung des Produzenten entfällt, wenn er beweisen kann, dass er für den Fehler nicht verantwortlich ist. • Kein Erlöschen gemäß § 13: Der Anspruch erlischt gemäß § 13 Abs. 1 zehn Jahre nach Inverkehrbringen des Produkts
• Personenschäden: Der Schädiger haftet gemäß § 7 für die Tötung und gemäß § 8 für körperliche Schäden gegenüber den Erben bzw. dem Geschädigten. Dabei ist die Haftungssumme gemäß § 10 auf 85 Millionen Euro insgesamt begrenzt. • Sachschäden: Bei Schäden an anderen Sachen als dem Produkt haftet der Schuldner ab einem Schaden von 500 €. • Verjährung: Gemäß § 12 verjähren die Ansprüche nach drei Jahren ab Kenntnis des Geschädigten vom Schaden, dem Fehler und der Person des Ersatzpflichtigen.
C. Nichtvertragliche Ansprüche
125
Das Umwelthaftungsgesetz vom 1. Januar 1991 begründet eine anlagenbezogene 385 Haftung des Inhabers der Anlage. Damit soll eine Lücke in der bis dahin bestehenden Gesetzgebung geschlossen werden (s. dazu Übersicht 4.9): Übersicht 4.9: Umwelthaftungsgesetz (UHG)137 Voraussetzungen:
• Betrieb einer in Anhang 1 genannten Anlage, bzw. einer noch
•
•
•
Rechtsfolgen:
• • •
Verjährung:
137
nicht fertiggestellten Anlage gemäß § 2: Darunter fallen gemäß § 3 Abs. 2 ortsfeste Einrichtungen wie auch gemäß Abs. 3 ortsveränderliche technische Einrichtungen und Nebeneinrichtungen, die zu der ortsfesten Anlage in einem räumlichen oder betriebstechnischen Zusammenhang stehen. Von der Anlage ausgehende Umwelteinwirkung gemäß § 1: Eine Umwelteinwirkung kann gemäß § 3 Abs. 1 durch anlagebedingte Erscheinungen (z. B. Erschütterungen, Strahlen, Gase) entstehen, die sich in Boden, Luft oder Wasser ausgebreitet haben. Verletzung eines in § 1 geschützten Rechtsguts (Leben, Gesundheit, Sachen) aufgrund der Umwelteinwirkung: Hierbei werden gemäß § 6 Abs. 2 auch Schäden erfasst, die bei einem normalen Betrieb der Anlage auftreten. Bei einem Störfallschaden gilt gemäß § 6 Abs. 1 eine Ursachenvermutung zugunsten des Geschädigten dergestalt, dass der Schaden als verursacht gilt, wenn die Anlage generell geeignet ist, einen solchen Schaden zu verursachen. Ausschluss der Haftung: Die Haftung ist gemäß § 4 ausgeschlossen, wenn der Schaden durch höhere Gewalt verursacht wurde. Bei einem durch Normalbetrieb verursachten Schaden entfällt die Haftung für Sachschäden gemäß § 5, wenn die Sache nur unwesentlich oder in einem zumutbaren Maße beeinträchtigt wurde. Der Anlagenbetreiber haftet gemäß § 1 i.V.m. §§ 12, 13 für die Folgen der Tötung oder Körperverletzung. Dabei besteht gemäß § 15 eine Haftungshöchstgrenze von 85 Mio. €. Weiterhin haftet der Anlagenbetreiber gemäß § 1 für Sachschäden ebenfalls gem. § 15 mit einer Höchstgrenze von 85 Mio. €. Weitergehende Ansprüche aufgrund anderer Spezialgesetze oder der §§ 823 ff. BGB sind gemäß § 18 Abs. 1 nicht ausgeschlossen. Gemäß § 17 i.V.m. §§ 195 ff. BGB verjähren die Ansprüche aufgrund des UmwelthaftG nach drei Jahren ab Kenntnis von den Haftungsvoraussetzungen, wobei die Frist am Ende des Jahres beginnt, in dem diese Kenntnis erlangt wurde.
Die in dieser Übersicht genannten Paragrafen sind solche des UHG.
386
Kapitel 5
Sachenrecht
Im Gegensatz zum Schuldrecht behandelt das Sachenrecht1 absolute Rechte. Das 387 sind solche Rechte, die die Beziehung Person-Sache regeln. Das Sachenrecht unterscheidet zwischen beweglichen Sachen (Mobiliarsachenrecht) und unbeweglichen Sachen (Immobiliarsachenrecht). Weiterhin ist zwischen dem Besitz als der unmittelbaren Sachherrschaft über die Sache gemäß §§ 854 ff. und dem Eigentum als der rechtlichen Befugnis, mit der Sache gemäß § 903 nach eigenem Willen verfahren zu können, zu unterscheiden. Neben dem Eigentum werden im Sachenrecht noch weitere Rechte (Pfandrechte, Grundschulden, Hypotheken, Grunddienstbarkeiten und vieles mehr) geregelt. Innerhalb dieses Werkes wird auf eine Einzeldarstellung der sachenrechtlichen Regelungen verzichtet. Die Erfüllung eines schuldrechtlichen Verpflichtungsgeschäftes besteht jedoch 388 häufig in einem Verfügungsgeschäft, welches sachenrechtlicher Natur ist. Insbesondere beim Kaufvertrag gemäß § 433 verpflichtet sich der Verkäufer dem Käufer gegenüber, diesem das Eigentum an der Sache zu übertragen. Aus diesem Grund wird in den nachstehenden Übersichten die Eigentumsübertragung von beweglichen Sachen und von Grundstücken dargestellt.
1
Aktuelle Lehrbücher zum Sachenrecht Baur/Stürner, Sachenrecht, 18. Aufl. 2007; Brehm/Berger, Sachenrecht, 2. Aufl. 2006; Bünstorf, Einführung in das Sachenrecht, 2. Aufl. 2007; Eckert, Sachenrecht, 4. Aufl. 2005; Gerhardt, Mobiliarsachenrecht, 5. Aufl. 2000, ders., Immobiliarsachenrecht, 5. Aufl. 2001; Gottwald, Sachenrecht, 14. Aufl. 2005; Gursky, Klausurenkurs im Sachenrecht, 11. Aufl. 2003; Hütte/Helbron, Sachenrecht I, 3. Aufl. 2006; Koch/Löhnig, Fälle zum Sachenrecht, 2007; Lange/Scheyhing/Schiemann, Fälle zum Sachenrecht, 5. Aufl. 2002; Neuner, Sachenrecht, 2. Aufl. 2005; Schapp/Schur, Sachenrecht, 3. Aufl. 2002; Schellhammer, Sachenrecht nach Anspruchsgrundlagen, 2. Aufl. 2005; Schwab/Prütting, Sachenrecht, 32. Aufl. 2006; Schwabe, Sachenrecht, 4. Aufl. 2006; Vieweg/Werner, Sachenrecht, 2. Aufl. 2005; Wieling, Sachenrecht, 5. Aufl. 2007; Wörlen, Sachenrecht, 7. Aufl. 2007; Wolf, Sachenrecht, 23. Aufl. 2007.
128
Kapitel 5
Sachenrecht
Übersicht 5.1: Übereignung beweglicher Sachen
389
Einigung gemäß § 929 S. 1:
Übergabe gemäß § 929 S. 1 oder Übergabesurrogat:
Einigsein:
Berechtigung des Veräußerers:
Veräußerer und Erwerber müssen sich über den Eigentumswechsel geeinigt haben. Bei der Einigung handelt es sich um eine Willenseinigung, für welche die Regeln des BGB AT gelten. Insbesondere ist eine Vertretung gemäß § 164 möglich. Zusätzlich gilt der sachenrechtliche Bestimmtheitsgrundsatz, d. h. die Erklärungen der Parteien müssen auf einen bestimmten Gegenstand schließen lassen. Der Erwerber oder dessen Geheißperson, also eine Person, die zur Annahme der Sache beauftragt wurde, muss auf Veranlassung des Veräußerers zum Zwecke der Eigentumsübertragung den Besitz erlangen, während der Veräußerer keine besitzrechtliche Position mehr haben darf. Neben der Übergabe kann die Übereignung aber auch durch ein Übergabesurrogat erreicht werden. So entfällt die Übergabe gemäß § 929 S. 2, wenn der Erwerber bereits Besitzer der Sache war. Als Ersatz der Übergabe kommt gemäß § 930 auch die Vereinbarung eines Besitzmittlungsverhältnisses in Betracht. Dann muss sich der Veräußerer als Besitzer verpflichten, aufgrund eines Rechtsverhältnisses gemäß § 868 seinen Besitz zugunsten des Erwerbers auszuüben, der damit mittelbarer Besitzer wird. Schließlich reicht es als Ersatz für die Übergabe aus, wenn der Veräußerer als mittelbarer Besitzer gemäß § 931 seinen Herausgabeanspruch gegen den unmittelbaren Besitzer an den Erwerber abtritt. Da die Einigung jederzeit widerrufen werden kann, ist zu prüfen, ob sie im Zeitpunkt der Übergabe noch fortbesteht. Das ist aber nur dann nicht der Fall, wenn ein entgegenstehender Wille eines der Beteiligten festzustellen ist. Zur Übereignung berechtigt ist der verfügungsberechtigte Eigentümer. Hat ein anderer ohne Einwilligung des Berechtigten gemäß § 185 über das Eigentum verfügt, so hat der Erwerber grundsätzlich kein rechtskräftiges Eigentum erworben. Gemäß §§ 932 ff. ist allerdings ein gutgläubiger Erwerb möglich, wenn die Sache nicht abhanden gekommen war (Diebstahl, Verlust) und der Erwerber gutgläubig auf den Rechtsschein des Besitzes des Veräußerers vertraut hat.
Kapitel 5
Sachenrecht
129
Übersicht 5.2: Die Grundstücksübereignung Auflassung gemäß § 925
Eintragung ins Grundbuch gemäß § 873 Abs. 1 i.V.m. der GBO
Einigsein:
Berechtigung:
Die gemäß § 873 Abs. 1 notwendige Einigung bezüglich der Übertragung von Grundstücken nennt sich gemäß § 925 Auflassung. Sie darf keine Bedingung enthalten und kann nur vor einer zuständigen Stelle (Notar) vorgenommen werden. Dabei müssen Veräußerer und Erwerber gleichzeitig anwesend sein. Ansonsten gelten die Regeln des BGB AT und der sachenrechtliche Bestimmtheitsgrundsatz. Eine Vertretung gemäß § 164 des Veräußerers durch den Erwerber oder umgekehrt ist allerdings möglich, da § 181 hier nicht eingreift (kein In-sich-Geschäft bei der Erfüllung einer Verbindlichkeit), und auch in diesem Fall beide Teile gemäß § 925 Abs. 1 anwesend sind. Die durch die Einigung bezweckte Rechtsänderung muss in das Grundbuch eingetragen werden. Diese Eintragung ersetzt die Besitzübergabe bei beweglichen Sachen. Für die Eintragung gelten die Regeln der Grundbuchordnung (GBO). Deren Befolgung ist aber für die Eigentumsübertragung nicht relevant, solange nur die Eintragung vorgenommen wurde. Da die Einigung außer im Fall des § 873 Abs. 2 (notarielle Beurkundung der Einigungserklärungen) frei widerruflich ist, muss zum Zeitpunkt der Eintragung die Einigung der Parteien noch bestandskräftig sein. Zur Eigentumsübertragung berechtigt sind nur der verfügungsberechtigte Eigentümer und der von diesem gemäß § 185 Ermächtigte. (Daneben ist der Insolvenzverwalter nach der Insolvenzordnung gesetzlich berechtigt.) Allerdings kommt gemäß § 892 der gutgläubige Erwerb vom Nichtberechtigten in Betracht, wenn aufgrund des öffentlichen Glaubens des Grundbuchs der Verfügende als Berechtigter gilt.
390
Kapitel 6
Handelsrecht
Das Handelsrecht ist im Handelsgesetzbuch (HGB) festgelegt und bildet ein be- 391 sonderes Privatrecht für Kaufleute. Es geht dem BGB als spezielleres Recht vor. Das bedeutet, dass teilweise Materien abweichend vom BGB geregelt sind (z. B. muss ein Kaufmann gemäß § 377 HGB grundsätzlich die gekaufte Sache untersuchen und die Fehlerhaftigkeit rügen, bevor er Gewährleistungsrechte geltend machen kann). Enthält das HGB aber keine eigenen Regelungen, so findet das BGB auch hier Anwendung.1 Der Zentralbegriff des HGB, der über die Anwendung dieses Gesetzes ent- 392 scheidet, ist der Begriff des Kaufmanns. Er wurde zuletzt im Jahr 1998 grundlegend überarbeitet und damit auch eindeutiger gefasst.2 Dies diente der Rechtsklarheit und gewährleistet einen erhöhten Vertrauensschutz für alle Beteiligten und eine rasche Geschäftsabwicklung (daher die oben genannte Mängelrüge).
A. Die Kaufmannseigenschaft I.
Der Ist-Kaufmann
Gemäß § 1 HGB ist eine Person dann Kaufmann im Sinne des HGB, wenn sie ein 393 Gewerbe betreibt, das den Voraussetzungen des § 1 Abs. 2 HGB unterfällt. Der Gewerbegriff ist nicht definiert; das HGB versteht darunter eine erkennbar planmäßige, auf Dauer angelegte, selbstständige, auf Gewinnerzielung gerichtete oder jedenfalls wirtschaftliche Tätigkeit am Markt mit Ausnahme freiberuflicher, wissenschaftlicher und künstlerischer Tätigkeiten. Ein solcher Gewerbetreibender ist dann ein sogenannter Ist- oder Musskaufmann, d. h. für ihn gelten die Regeln des HGB ohne Einschränkung. 1
2
Aktuelle Lehrbücher zum Handelsrecht Brox/Henssler, Handelsrecht mit den Grundzügen des Wertpapierrechts, 19. Aufl. 2007; Bülow, Handelsrecht, 5. Aufl. 2005; Canaris, Handelsrecht, 24. Aufl. 2006; Hofmann, Handelsrecht, 11. Aufl. 2002; Hübner, Handelsrecht. 5. Aufl. 2004; Jung, Handelsrecht, 6. Aufl. 2007; Klunzinger, Grundzüge des Handelsrechts, 13. Aufl. 2006; Lettl, Handelsrecht, 2007; Martinek/Wimmer-Leonhardt, Handelsrecht, Gesellschaftsrecht und Wertpapierrecht, 4. Aufl. 2007; Roth, Handelsund Gesellschaftsrecht, 6. Aufl. 2001 (mit Grundzügen des Wertpapierrechts); Karsten Schmidt, Handelsrecht, 6. Aufl. 2008; Steinbeck, Handelsrecht, 2005; Timm/Schöne, Fälle zum Handels- und Gesellschaftsrecht Band I, 6. Aufl. 2007; Wiedemann/Fleischer, Handelsrecht, 8. Aufl. 2004. Zu den Neuregelungen Karsten Schmidt, ZIP 1997, 909 ff.
132
394
Kapitel 6
Handelsrecht
Das ist nach § 1 Abs. 1 HGB bei jedem Gewerbetreibenden der Fall, es sei denn, gemäß § 1 Abs. 2 HGB ist nach Art und Umfang der Tätigkeit ein in kaufmännischer Weise eingerichteter Betrieb nicht erforderlich. Somit werden nur Kleingewerbetreibende von der Kaufmannseigenschaft ausgeschlossen; sie gelten dann als normale BGB-Bürger. Die Einordnung eines Betriebes ist anhand folgender Kriterien vorzunehmen: Übersicht 6.1: Abgrenzungskriterien für den Ist-Kaufmann
395 Art der Tätigkeit:
• • • • • • •
Vielfalt des Geschäftsgegenstandes Führen einer Firma Schwierigkeit der Geschäftsvorgänge erhebliche Teilnahme am Scheckund Wechselverkehr Bilanzierung Umfang der Geschäftskorrespondenz Art und Weise der betrieblichen Organisation
Umfang der Tätigkeit:
• • • • • •
Umsatzvolumen Höhe des Anlage- und Kapitalvermögens Anzahl der Betriebsstätten und deren Größe Zahl der Geschäftsabschlüsse und deren Größe Anzahl der Beschäftigten Lohnsumme
396 Die Eintragung ins Handelsregister ist keine Voraussetzung für die Kaufmannseigenschaft. Jeder Kaufmann ist aber gemäß § 29 HGB verpflichtet, seine Firma und den Ort seiner Handelsniederlassung ins Handelsregister eintragen zu lassen. Für nichteingetragene Gewerbetreibende wird die Anwendung des HGB vermutet.3 Damit unterfällt jeder Gewerbetreibende dem HGB, es sei denn, es steht fest oder kann bewiesen werden, dass es sich im Einzelfall nur um einen Kleinunternehmer handelt.
II. Der Kann-Kaufmann 397 Ist bewiesen, dass ein Gewerbetreibender keiner kaufmännischen Betriebsführung bedarf, so ist er nach der Regelung des § 1 HGB grundsätzlich kein Kaufmann. Allerdings gilt sein gewerbliches Unternehmen gemäß § 2 HGB als Handelsgewerbe, wenn es ins Handelsregister eingetragen wurde. Zu einer solchen Eintragung ins Handelsregister ist jeder Gewerbetreibende berechtigt, aber nicht verpflichtet. D. h. jeder Gewerbetreibende kann Kaufmann werden, wenn er sich ins Handelsregister eintragen lässt. Gemäß § 2 S. 3 HGB hat ein solcher KannKaufmann aber jederzeit die Möglichkeit, durch Löschung der Eintragung seinen
3
Karsten Schmidt, ZIP 1997, 909 (912 f.).
A. Die Kaufmannseigenschaft
133
Status wieder aufzugeben, es sei denn, sein Betrieb bedarf inzwischen einer kaufmännischen Betriebsführung. Beispiel: B betreibt eine kleine Autoreparaturwerkstatt, bei der nur sein Sohn manchmal mitarbeitet. Da bei einigen Kunden erhebliche Rechnungsbeträge offenstehen, will er für sich das kaufmännische Zurückbehaltungsrecht aus § 369 HGB in Anspruch nehmen, um Fahrzeuge von Kunden bis zur Zahlung auch vorangegangener Rechnungen zurückbehalten zu können, was nach BGB-Vorschriften nicht möglich ist. Der Betrieb des B macht eine kaufmännische Betriebsführung nicht erforderlich. Dennoch kann B durch Eintragung ins Handelsregister Kaufmann werden und auch das Zurückbehaltungsrecht aus § 369 HGB ausüben. Kommt er aber danach zu dem Schluss, dass die Kaufmannseigenschaft für ihn insgesamt eher ungünstig ist, kann er sich durch Löschung dieser wieder entziehen.4
III. Relevanz der Kaufmannseigenschaft Die Anwendung des HGB führt für einen Gewerbetreibenden zu einer Vielzahl 398 verschiedener Sonderregeln. Neben dem oben genannten kaufmännischen Zurückbehaltungsrecht gemäß § 369 HGB enthält § 350 HGB z. B. Ausnahmen von Formvorschriften des BGB für Bürgschaften, Schuldversprechen und Schuldanerkenntnisse.5 Weiterhin kann ein Kaufmann ein Handelsunternehmen oder eine Offene Handelsgesellschaft (OHG, §§ 105 ff. HGB) gründen.6 Insbesondere gelten für ihn folgende, in den nächsten Abschnitten näher ausgeführte Bestimmungen: • Firmenrecht (§§ 17 ff. HGB) • Beauftragung von Hilfspersonen (§§ 48 ff. HGB) • Eintragungspflichten ins Handelsregister mitsamt den Rechtsfolgen des § 15 HGB • Bestimmungen zum Vertragsschluss (kaufmännisches Bestätigungsschreiben) • Handelskauf (kaufmännische Rügepflicht gemäß § 377 HGB). Diese Möglichkeiten hat ein Kleingewerbetreibender, der sich nicht durch Eintra- 399 gung dem HGB unterstellt hat, nicht. Allerdings gelten auch für ihn ohne Eintragung die Regelungen über das Kommissions-, Speditions-, Lager- und Frachtgeschäft, wie § 383 Abs. 2 HGB für die §§ 383 ff. HGB ausdrücklich anordnet. Er kann also in diesen Branchen tätig werden.
4
5 6
Eine Grenze findet diese Möglichkeit dann, wenn der Gewerbetreibende rechtsmissbräuchlich handelt, was der Fall ist, wenn er seinen Status von Fall zu Fall ändert. Näher dazu der folgende Fall, Rn. 401 ff. Zu diesen und anderen Gesellschaftsformen ausführliche Erläuterungen in Kapitel 7, Rn. 503 ff.
134
Kapitel 6
Handelsrecht
Übersicht 6.2: Der Kaufmannsbegriff Grundvoraussetzung
400
Ist-Kaufmann (§1 HGB)
Kann-Kaufmann (§ 2 HGB)
Land- und Forstwirtschaftler (§ 3 HGB)
Fiktiv-Kaufmann (§ 5 HGB):
Form-Kaufmann:
Schein-Kaufmann:
7
Der Kaufmann muss ein Gewerbe betreiben, d. h. eine erlaubte, selbstständige, zum Zwecke der Gewinnerzielung planmäßig ausgeübte Tätigkeit von gewisser Dauer. Ausgenommen sind freie Berufe (z. B. Rechtsanwalt, Arzt, Künstler). Darüber hinaus muss er einer der folgenden Gruppen unterfallen. Nach Art und Umfang kaufm. Einrichtung erforderlich (Übersicht 6.1): Kaufmann ist damit jeder, der ein Gewerbe betreibt, das einen in kaufmännischer Weise eingerichteten Geschäftsbetrieb erfordert. Jeder Gewerbetreibende, bei dem keine kaufm. Einrichtung nach Art u. Umfang erforderlich ist. Kaufmann nur bei Eintragung ins Handelsregister. Kleinunternehmer können sich dem HGB unterstellen bzw. durch Löschung wieder entziehen. Kleinunternehmer ohne Eintragung können Kommissions-, Speditions-, Lager- oder Frachtgeschäft führen; Regelungen über Handelskauf bleiben ausgeschlossen. Führung eines land- oder forstwirtschaftlichen Unternehmens. § 1 gilt nicht. Eintragung als Kaufmann nur möglich, wenn nach Art und Umfang eine kaufmännische Einrichtung erforderlich ist. Eintragung als Kaufmann ins Handelsregister und Gewerbe wird noch betrieben. Kaufmann, auch wenn objektive Voraussetzungen nicht (mehr) vorliegen. Gesellschaft, die unabhängig vom Unternehmensgegenstand (§ 6 Abs. 1 und 2 HGB) als kaufmännisch gilt: GmbH (§ 13 Abs. 2 GmbHG) AG (§ 3 AktienG) KGaA (§ 278 AktG) eG (§ 17 Abs. 3 GenossenschaftsG) Rechtsschein der Kaufmannseigenschaft durch Auftreten im Rechtsverkehr; reicht dann aus, wenn ein gutgläubiger Dritter im Vertrauen auf den Rechtsschein gehandelt hat.7
Dazu näher Lieb, NJW 1999, 35 (36).
A. Die Kaufmannseigenschaft
135
Fall 5: Gefährliche Bürgschaft A, der nicht im Handelsregister eingetragen ist, betreibt ein größeres Installations- 401 geschäft, das darauf spezialisiert ist, vorgefertigte Förderbänder in UntertageBergbauanlagen zu installieren. F, ein Freund des A, wollte angesichts eines Großauftrages in den Betrieb einsteigen und nahm dafür bei seiner Bank B ein Darlehen in Höhe von 300.000 € auf. Da A durch den Kapitalzufluss eine günstige Vorfinanzierung des Großauftrages erblickte, verbürgte er sich bei einem Telefonanruf der B für diese Summe. Über die weitere Geschäftspolitik kam es jedoch zum Streit mit F, sodass dieser sich nicht bei A beteiligte. Da F nun nicht die durch die Beteiligung erhofften Gewinne erzielte, konnte er auch nicht sein Darlehen an die B zurückzahlen. Diese nahm nun A als Bürgen in Anspruch. Zu Recht? Lösungsaufbau: Anspruch B gegen A auf Zahlung von 300.000 € aus § 765 BGB
402
I. Bürgschaftsvertrag A - B 1. Einigung A - B 2. Wirksamkeit der Einigung a) Schriftformerfordernis gemäß § 766 BGB b) Ausnahme gemäß § 350 HGB aa) A Kaufmann bb) Beiderseitiger Handelskauf II. Ergebnis
Lösungsvorschlag: B möchte aufgrund des Bürgschaftsversprechens des A von diesem die Darlehens- 403 summe ersetzt haben. Somit ist Fallfrage, ob B aus § 765 BGB einen Anspruch auf Zahlung von 300.000 € hat. I.
Bürgschaftsvertrag A – B
Voraussetzung ist zunächst ein Bürgschaftsvertrag zwischen A und B. 1.
404
Einigung A - B
A hatte sich gegenüber B verpflichtet, für die Verbindlichkeit des F einzustehen. 405 Damit liegt ein Vertrag gemäß § 765 Abs. 1 BGB vor. 2.
Wirksamkeit der Einigung
Fraglich ist jedoch, ob dieser Vertrag wirksam ist. a)
406
Schriftformerfordernis gemäß § 766 BGB
Gemäß § 766 BGB muss eine Bürgschaftserklärung schriftlich erfolgen. A hat 407 jedoch mit B nur telefonisch gesprochen. Somit ist das Formerfordernis nicht erfüllt.
136
Kapitel 6
Handelsrecht
b)
Ausnahme gemäß § 350 HGB
408 § 350 HGB sieht allerdings vor, dass § 766 BGB nicht anzuwenden ist, wenn die Bürgschaft für den Bürgen ein Handelsgeschäft ist. Demnach ist die Bürgschaft des A nicht formnichtig, wenn sie für ihn ein Handelsgeschäft darstellt. Das ist gemäß § 343 HGB der Fall, wenn A Kaufmann ist und die Bürgschaft zum Betrieb seines Handelsgeschäfts gehört. aa)
A Kaufmann
409 Folglich ist zu prüfen, ob A Kaufmann im Sinne des HGB ist (s. dazu Übersicht 6.2). Das ist gemäß § 1 Abs. 1 HGB der Fall, wenn er ein Handelsgewerbe betreibt, er also Gewerbetreibender ist und sein Betrieb gemäß § 1 Abs. 2 HGB nach Art und Umfang eine kaufmännische Betriebsführung erfordert (s. Übersicht 6.1). A wirkt bei der Errichtung von Untertage-Bergbauanlagen mit. Der Geschäfts410 bezug zu Vorhaben von einer derartigen wirtschaftlichen Größenordnung bewirkt sowohl nach Art als auch nach Umfang der Tätigkeit die Notwendigkeit einer kaufmännischen Betriebsführung, was auch durch die Höhe der geplanten Anlagesumme durch F unterstrichen wird. Aufgrund der Größe seines Betriebes und der Art seiner Geschäfte ist bei A so411 mit eine kaufmännische Einrichtung erforderlich. Damit unterfällt A dem Kaufmannsbegriff des HGB. bb)
Beiderseitiger Handelskauf
412 Weiterhin muss der Vertrag mit B für beide Vertragspartner gemäß § 343 HGB in Bezug zu ihrer kaufmännischen Tätigkeit stehen. A hat die Bürgschaft zur Absicherung einer Kapitalanlage in seine Firma getätigt. Die Vergabe von Krediten gehört zum originären Geschäftszweck einer Bank. Somit liegt gemäß § 343 HGB ein Handelsgeschäft vor II.
Ergebnis
413 Die Bürgschaftserklärung des A stellt ein Handelsgeschäft im Sinne des HGB dar. Somit ist gemäß § 350 HGB eine Schriftform für das Bürgschaftsversprechen nicht notwendig. Damit ist die Einigung des A mit B wirksam. Folglich hat B gemäß § 750 BGB einen Anspruch auf Zahlung von 300.000 €.8
8
Außer Betracht bleiben in diesem Zusammenhang andere Gesichtspunkte, wie z. B. ein möglicher Wegfall der Geschäftsgrundlage für das Bürgschaftsversprechen des A, nachdem F die geplante Einlage in die Firma des A unterlassen hat.
B. Die Führung des Handelsunternehmens
137
B. Die Führung des Handelsunternehmens Das HGB enthält vielfältige Vorschriften, wie ein Kaufmann sein Handelsunter- 414 nehmen9 führen muss. So wird festgelegt, welchen Firmennamen (Übersicht 6.3) er führen kann. Weiterhin werden Tatbestände aufgestellt, die eine Eintragung in das Handelsregister erfordern und die Folgen einer (unter Umständen fehlerhaften Eintragung) bestimmt (Übersicht 6.5). Ausführlich ist auch geregelt, welcher Hilfspersonen sich ein Kaufmann bei der Unternehmensführung bedienen kann und welche Befugnisse diese dann haben (Übersicht 6.4).
I.
Das Recht der Firmenführung (vgl. Übersicht 6.3)
Die Firma ist der Handelsname des Kaufmannes und dient dazu, ihn mitsamt sei- 415 nem Unternehmen von anderen zu unterscheiden. Ein Kaufmann, der als einzelner ein kaufmännisches Gewerbe betreibt, hat also einen natürlichen und einen Firmennamen. Beispiel: Fritz Becker betreibt eine Großbäckerei und ist Kaufmann. Seine Firma heißt damit „Firma Fritz Becker“.
Träger des Handelsnamens ist dabei immer der Kaufmann und nicht das Unter- 416 nehmen, das von dem Kaufmann geführt wird. Beispiel: Wird die Firma Fritz Becker verklagt, so ist nicht die Bäckerei, sondern Fritz Becker als natürliche Person der Beklagte.
Bei der Wahl seiner Firma, also seines Namens, unter dem er am Handelsverkehr 417 teilnimmt, ist der Kaufmann relativ frei. Gemäß § 13 HGB muss die Firma zur Kennzeichnung des Kaufmanns geeignet sein und Unterscheidungskraft besitzen. Und sie darf keine Angaben enthalten, die geeignet sind, über geschäftliche Verhältnisse irrezuführen. Sofern die Firma nicht im Rechtsverkehr zu Täuschungen führt und sie unterscheidbar von anderen Firmen am selben Ort bleibt, ist grundsätzlich jeder Name erlaubt. Zur Erhöhung der Rechtssicherheit muss allerdings gemäß § 19 HGB jeder 418 Kaufmann in seiner Firma einen Zusatz führen, aus dem deren Rechtsform hervorgeht.10 Die offene Handelsgesellschaft muss sich also als solche oder mit der Abkürzung OHG bezeichnen; Entsprechendes gilt für die Kommanditgesellschaft, die sich abgekürzt auch KG nennen darf. Einzelkaufleute müssen die Bezeichnung
9
10
Im Unterschied zu der im Folgendem erläuterten Firma versteht man unter einem Unternehmen eine organisatorisch-wirtschaftliche Einheit, die auf einer Verbindung sachlicher und wirtschaftlicher Mittel beruht. Karsten Schmidt, ZIP 1997, 909 (914).
138
Kapitel 6
Handelsrecht
„eingetragener Kaufmann“ oder „eingetragene Kauffrau“ oder Abkürzungen wie „e.K.“, „e. Kfm.“ oder „e. Kfr.“ führen. Beispiel: Fritz Becker kann seinen Betrieb auch bezeichnen als „Großbäckerei Becker e.K. (= eingetragener Kaufmann)“. Dagegen würde es dem Grundsatz der Firmenunterscheidbarkeit widersprechen, wenn der neue Name „Die Frühstücksbäckerei“ lauten würde, falls am selben Ort schon jemand mit der Bezeichnung „Der Frühstücksbäcker“ tätig wäre, da hier eine Verwechslung zu befürchten ist. Dem Grundsatz der Firmenwahrheit widerspricht es, wenn sich die Brotfabrik Back „Familienbäcker Back“ nennen würde, weil darunter eine kleinere Firma verstanden wird. Übersicht 6.3: Das Firmenrecht
419
Firma = Handelsname des Kaufmanns Firmengrundsätze: Firmenwahrheit: Die Firma darf die Öffentlichkeit nicht über den Geschäftszweck, den Inhaber oder die Rechtsform des Unternehmens irreführen (§ 18 Abs. 2 HGB). Ansonsten darf der Kaufmann für seine Firma jede beliebige, nicht täuschende Bezeichnung wählen. Er ist also nicht auf seine bloße Namensangabe beschränkt. Firmenbeständigkeit: In den folgenden Fällen bleibt trotz Änderung bei dem/den Inhaber(n) die alte Firma bestehen: • Namensänderung bei Inhaberidentität (§ 21 HGB; z. B. Heirat). • Erwerb unter Lebenden oder von Todes wegen (§ 22 HGB). • Änderungen im Gesellschafterbestand (§ 24 HGB). Firmenunterscheidbarkeit: Die Firma muss Unterscheidungskraft gegenüber anderen Firmen am selben Ort besitzen (§ 18 Abs. 1). Firmenöffentlichkeit: Publizitätserfordernis durch Eintragungspflicht (§ 29); bei Eintragung Konsequenzen (§§ 5, 15; Übersicht 6.5). Rechtsformzusatz: Jede Firma muss einen Zusatz tragen, aus dem sich ihre Rechtsform einwandfrei ergibt (§ 19 HGB) (z. B. muss auch der Einzelkaufmann sich im Firmennamen als solcher bezeichnen).
II. Hilfspersonen des Kaufmanns (vgl. Übersicht 6.4) insbes.: Der Prokurist 420 Unter Prokura ist eine durch das Gesetz weitestgehend typisierte handelsrechtliche Vollmacht zu verstehen. Im Interesse des Rechtsverkehrs kann der Kaufmann durch Erteilung der Prokura für einen großen Teil der Rechtsgeschäfte einen von anderen Geschäftsleuten anerkannten Vertreter bestimmen. Eine Einschränkung über die gesetzlich geregelten Fälle hinaus ist nicht möglich. Das Vertrauen in die umfassende Vertretungsmacht des Prokuristen auf Seiten des Erklärungsempfän-
B. Die Führung des Handelsunternehmens
139
gers ist damit geschützt. Wegen der weitreichenden Folgen der Prokuraerteilung ist dieses Institut auf Kaufleute beschränkt.11 Voraussetzung für eine wirksame Prokuraerteilung ist gemäß § 48 Abs. 1 HGB 421 eine persönliche und ausdrückliche, d. h. zweifelsfreie Erklärung eines Kaufmannes (gegenüber dem Prokuristen oder einem Dritten). Das Wort Prokura muss dabei nicht verwendet werden, wenn diese zweifelsfrei gemeint ist (z. B. Ermächtigung zur Zeichnung „ppa“ oder „Vollmacht im Sinne von § 48 HGB“).12 Der Kaufmann kann sich grundsätzlich durch einseitigen Widerruf von der 422 Prokura lösen. Regelmäßig erlischt die Prokura mit der Beendigung des Grundverhältnisses, d. h. desjenigen Verhältnisses, auf dessen Grundlage die Prokura erteilt wurde.13 Nur ausnahmsweise kann die Auslegung der Prokuraerteilung ergeben, dass die Prokura davon unabhängig sein soll. Beispiel: Wegen Krankheit des Prokuristen wird einem anderen Mitarbeiter für zunächst einen Monat Prokura erteilt. Nach Ablauf des Monats erlischt die Prokura.
Wie dargelegt kommt dem Prokuristen ein hohes rechtliches Vertrauen zugute. 423 Dieses Vertrauen in die Vertretungsmacht wird durch die §§ 53, 15 HGB geschützt. Die Erteilung und das Erlöschen der Prokura müssen folglich in das Handelsregister eingetragen werden.
11 12 13
Baumbach/Hopt/Merkt, Handelsgesetzbuch, 33. Aufl. 2007, § 48, Rn. 1. Baumbach/Hopt/Merkt, Handelsgesetzbuch, 33. Aufl. 2007, § 48, Rn. 3. Baumbach/Hopt/Merkt, Handelsgesetzbuch, 33. Aufl. 2007, § 50, Rn. 5.
140
Kapitel 6
Handelsrecht
Übersicht 6.4: Hilfspersonen des Kaufmanns
424
Der Prokurist Prokura: Begründung:
Arten:
Umfang:
Erlöschen:
Handelsübliche Vollmacht mit gesetzlich festgelegtem, weitgehendem Umfang (§§ 48 ff. HGB) Ausdrückliche und persönliche Erteilung durch Kaufmann oder Handelsgesellschaft. Eintragung ins Handelsregister gemäß § 53 Abs. 1 HGB keine Wirksamkeitsvoraussetzung. Einzelprokura (§ 48 Abs. 1 HGB) oder Gesamtprokura (§ 48 Abs. 2 HGB) mit anderem Prokuristen, dem Kaufmann oder Gesellschafter (§ 125 Abs. 3 HGB). Beschränkung auf Niederlassung möglich (§ 50 Abs. 3 HGB). Art der Prokura einzutragen (§ 53 Abs. 1 S. 2), aber keine Wirksamkeitsvoraussetzung. • Alle Geschäfte, die der Betrieb eines Handelsgewerbes mit sich bringt (§ 49 Abs. 1 HGB). – keine Begrenzung auf Branchenüblichkeit – auch Vertretung vor Gericht • Grundsätzlich ausgeschlossen sind dagegen: – Veräußerungen, Belastungen von Grundstücken (§ 49 Abs. 2); Grundstückskauf dagegen erlaubt. – reine Inhabergeschäfte wie Betriebseinstellungen, -veräußerungen, Prokuraerteilung etc. – Privatgeschäfte • Weitergehende Einschränkungen können nur im Innenverhältnis vereinbart werden. Sie entfalten keine Wirkung gegenüber Dritten (§ 50 Abs. 1, 2 HGB). Tod des Prokuristen; nicht jedoch des Kaufmanns (§ 52 Abs. 3 HGB); Widerruf der Prokura (§ 52 HGB); Beendigung des zugrunde liegenden Dienstverhältnisses (§ 168 S. 1 BGB). Geschäftsveräußerung, -um– wandlung, -aufgabe. Eintragung ins HGB nur deklaratorisch (§ 53 Abs. 2 HGB)
Der Handlungsbevollmächtigte Handlungsvollmacht: Begründung:
Umfang:
Erlöschen:
Gegenüber der Prokura beschränkte, auf die Bedürfnisse des jeweiligen Handelsunternehmens zugeschnittene Vollmacht (§ 54 HGB). Vollmachtserteilung durch Kaufmann oder Vertreter gemäß §§ 167, 171 BGB; nicht eintragungsfähig. Fehlerhafte Prokura kann in Handlungsvollmacht umgedeutet werden. • nur branchenübliche Geschäfte erfasst. • Ansonsten abhängig von der konkreten Ausgestaltung. • Ausgeschlossen sind Grundstücksveräußerungen und -belastungen, Aufnahme von Wechselverbindlichkeiten und Darlehen, die Prozessführung (§ 54 Abs. 2 HGB). • Weitergehende Einschränkungen wirken im Außenverhältnis nur bei Kenntnis des Dritten (§ 54 Abs. 3 HGB). Wie normale Vollmacht gem. §§ 168 ff. BGB (s.o. Kapitel 3, BGB AT).
Ladenangestellte Wirkung: Begründung:
Umfang: Erlöschen:
Ladenangestellter gem. § 56 HGB zur Vornahme eines beschränkten Kreises von Geschäften bevollmächtigt (ähnlich Anscheinsvollmacht). Tätigwerden eines kaufmännischen Angestellten mit Wissen und Wollen des Geschäftsherren (Kaufmann und Kleingewerbetreibender) im Laden oder offenen Warenlager bei örtlichem Zusammenhang zwischen Laden und Geschäftsabschluss. Verkäufe und damit zusammenhängende Rechtsgeschäfte; Inempfangnahme (von Zahlungen). Mit Aufgabe der Tätigkeit.
B. Die Führung des Handelsunternehmens
141
III. Rechtsschein des Handelsregisters gemäß § 15 HGB (vgl. Übersicht 6.5) Durch Eintragung in das Handelsregister sollen für den Handelsverkehr rechtserhebliche Tatsachen öffentlich gemacht werden. § 15 HGB schützt sowohl Dritte als auch den Kaufmann, wenn sie sich auf die Angaben im Handelsregister verlassen haben. Formell kann der Kaufmann Tatsachen nur zur Eintragung anmelden. Das Registergericht trägt diese dann ein und macht die Tatsache öffentlich (gemäß § 10 HGB durch Eintragung im Bundesanzeiger und mindestens einem anderen Blatt). Rechtswirkung entfaltet die Eintragung grundsätzlich erst nach dieser Bekanntmachung. Beruft sich ein Kaufmann gegenüber einem Dritten auf das Vorliegen einer Tatsache, die nicht im Handelsregister eingetragen wurde, die aber eintragungspflichtig ist, so kann der Dritte dem Kaufmann gemäß § 15 Abs. 1 HGB den Rechtsschein des Handelsregisters entgegenhalten, wenn er nicht anderweitig Kenntnis von der betreffenden Tatsache erhalten hat.14 Weiterhin kann ein Kaufmann durch Eintragung ins Handelsregister erreichen, dass eine für ihn günstige Tatsache im Geschäftsverkehr als bekannt gilt (§ 15 Abs. 2 HGB). So kann er sich gegenüber seinem Geschäftsgegner darauf berufen, auch wenn dieser selbst keine eigene Kenntnis davon hat.
425
426
427
428
Beispiel: Der Kaufmann Becker (B) hatte P als Prokuristen eingestellt. Später erlosch dessen Prokura, was Becker auch ins Handelsregister eintragen ließ. Dennoch verkaufte P 1.000 Laib Brot an den ahnungslosen Einzelhändler E. B kann gegen dessen Anspruch aus § 433 Abs. 2 BGB einwenden, dass P keine Vertretungsmacht hatte, wenn seit der Bekanntmachung 15 Tage vergangen waren.
§ 15 Abs. 3 HGB regelt den Fall, dass eine unrichtige Tatsache bekannt gemacht 429 wurde. Nach dem Wortlaut der Vorschrift muss sich jeder, in dessen Angelegenheiten die Tatsache bekannt gemacht wurde, so behandeln lassen, als sei sie wahr. Von der h. M.15 wird unter Bezug auf allgemeine Rechtsscheinsgrundsätze ein modifiziertes Veranlasserprinzip angewandt. Demnach muss der Kaufmann die unrichtige Bekanntmachung entweder veranlasst haben (ausreichend dafür ist das Stellen eines Antrages beim Registergericht) bzw. die Richtigstellung versäumt haben (d. h. nach Mitteilung durch das Registergericht nichts gegen den Fehler unternommen haben). Unerheblich ist es in jedem Fall, wenn es nach fehlerhaftem Eintrag dennoch zu einer korrekten Bekanntmachung gekommen ist.
14 15
Näher dazu der folgende Fall 6 Rn. 436 ff. Baumbach/Hopt/Merkt, Handelsgesetzbuch, 33. Aufl. 2007, § 15, Rn. 19; differenzierend Karsten Schmidt, Handelsrecht, 6. Aufl. 2008, § 14 III 2 d, S. 369 (Zurechnung nur bei Vollkaufleuten nach altem Recht).
142
Kapitel 6
Handelsrecht
Beispiel: B wollte den O als Prokuristen eintragen lassen. Durch einen Fehler des Gerichts wird O bei der Firma C als Prokurist eingetragen. Wenn bei der Bekanntmachung dennoch B als Firma erscheint, ist der Fehler bedeutungslos. Wird O jedoch als Prokurist der C bekanntgemacht, muss sie dies nur gegen sich geltend lassen, wenn sie vom Registergericht darüber eine Mitteilung bekommen und nichts unternommen hat.
430 Wenn im vorangegangenen Beispiel im Handelsregister statt des Erlöschens die Entstehung der Prokura des P eingetragen worden wäre, müsste B sich wegen § 15 Abs. 3 HGB diese (unwahre) Tatsache von dem E entgegenhalten lassen. Nach allgemeiner Rechtsscheinshaftung sind die Fälle zu lösen, die nicht un431 mittelbar von § 15 HGB erfasst werden. Beispiel: Der Inhaber des Ladens „Der Frühstücksbäcker“ (I) hat nur einen kleinen Betrieb und ist daher kein Kaufmann gemäß § 1 HGB. Trotzdem tritt O mit Willen des I als dessen Prokurist auf. Eine Prokuraerteilung ist jedoch nur durch einen Kaufmann zulässig. Das Auftreten des I ist daher nicht eintragungsfähig und wird nicht von § 15 HGB erfasst. Dennoch kann sich ein Geschäftsgegner darauf berufen, wenn er davon ausging, I sei Kaufmann und O habe daher als Prokurist Vertretungsmacht. Übersicht 6.5: Rechtscheinstatbestände des § 15
432 Situation:
Auf Regelung beruft sich: Voraussetzungen:
negative Publizität (§ 15 Abs. 1) Tatsache wurde nicht eingetragen
positive Publizität (§ 15 Abs. 2) Tatsache wurde eingetragen
Geschäftsgegner
Kaufmann
Einzutragende Tatsache wurde nicht eingetragen bzw. nicht eingetragen und bekannt gemacht und ist dem Geschäftsgegner nicht bekannt.
Einzutragende Tatsache wurde eingetragen und bekannt gemacht und es sind 15 Tage seit Bekanntmachung vergangen bzw. Geschäftsgegner kennt Tatsache.
positive Publizität (§ 15 Abs. 3) Nicht bestehende Tatsache wurde eingetragen Geschäftsgegner
allg. Rechtsscheinshaftung Rechtsschein einer nicht bestehenden Tatsache Geschäftsgegner
Einzutragende Tatsache wurde unrichtig bekannt gemacht und Kaufmann hat Eintragung veranlasst bzw. Korrektur unterlassen und Geschäftsgegner kennt Fehler nicht.
Kaufmann hat bezüglich nicht einzutragender Tatsache Rechtsschein erzeugt und der Geschäftsgegner handelt gutgläubig (keine Fahrlässigkeit) aufgrund des Rechtsscheins.
B. Die Führung des Handelsunternehmens
143
IV. Weitere Regelungen zur Führung des Handelsunternehmens 1.
Schuldenhaftung bei Firmenübernahme gemäß § 25 HGB
Die Firma eines Kaufmanns hat auch Bedeutung für die Schuldenhaftung bei 433 Übernahme eines Handelsunternehmens. So bestimmt § 25 HGB, dass der Erwerber einer Firma für diejenigen Schulden seines Vorgängers haftet, die im Betrieb ihren Ursprung haben, wenn er den alten Firmennamen fortführt. Beispiel: F hat die Firma des A übernommen. Dieser hatte vorher einen Kredit bei der B-Bank aufgenommen. F beabsichtigt, die Firma weiterhin A-Firma zu nennen. In diesem Fall hat die B Anspruch auf Rückzahlung des Darlehens gemäß §§ 607 BGB, 25 HGB gegen F als Inhaber der A-Firma. Benennt F die Firma nach dem Erwerb auf F-Firma um, so entfällt dieser Anspruch. Unberührt davon bleibt allerdings eine Haftung nach bürgerlich-rechtlichen Vorschriften (befreiende Schuldübernahme, §§ 414 f. BGB; vertraglicher Schuldbeitritt, § 311 Abs. 1 BGB; gesetzlicher Schuldbeitritt, §§ 546 Abs. 2, 604 Abs. 4, 2382 BGB).
2.
Die Handlungsvollmacht gemäß § 54 HGB (vgl. Übersicht 6.4)
Im Gegensatz zur Prokura ist die Handlungsvollmacht auf den konkreten Ge- 434 schäftsbetrieb des Kaufmanns beschränkt. Der Geschäftsgegner kann auf die Vertretungsmacht im konkreten Fall nur vertrauen, wenn er sich davon überzeugt hat, dass der Handlungsbevollmächtigte generell für derartige Fälle bevollmächtigt ist. Da die Handlungsbevollmächtigung nicht eintragungsfähig ist, kommt lediglich eine Haftung nach der allgemeinen Rechtsscheinshaftung in Betracht. Beispiel: M erteilt dem X nur Handlungsvollmacht für den Einkauf von Geschäftsgütern. Beim Kauf eines neuen Sattelschleppers weist M den X an, einen Mercedes Actros zu kaufen. X kauft jedoch einen Volvo. Zwar wurde die wirksame Handlungsbevollmächtigung des X eingeschränkt, aber gemäß § 54 Abs. 3 HGB braucht ein Dritter diese Einschränkung nicht gegen sich geltend zu lassen. Folglich ist der Kaufvertrag mit Wirkung für und gegen M zustande gekommen.
3.
Der Ladenangestellte gemäß § 56 HGB (vgl. Übersicht 6.4)
Sind Angestellte im Laden oder Warenlager eines Kaufmanns tätig, so gelten sie 435 für die gewöhnlich zu erwartenden Verkäufe und Inempfangnahmen als berechtigt (Übersicht 6.4). Nach der Begründung zu der HGB-Reform gilt § 56 HGB auch analog für Kleingewerbetreibende, die nicht ins Handelsregister eingetragen sind.16
16
Baumbach/Hopt/Merkt, Handelsgesetzbuch, 33. Aufl. 2007, § 56, Rn. 1; mit dogmatischen Bedenken dagegen Karsten Schmidt, ZIP 1997, 909 (913).
144
Kapitel 6
Handelsrecht
Beispiel: E arbeitet als Angestellte im Kiosk des K. Aus Mitleid mit einem Obdachlosen verkauft sie diesem eine Flasche Cognac mit einem Einkaufspreis von 30 € für 5 €. Obwohl K keinen Betrieb hat, in dem eine kaufmännische Führung nötig ist, gilt § 56 HGB analog. Somit ist E als seine Ladenangestellte tätig geworden. Dennoch hat sie K nicht wirksam vertreten, da ein Preisnachlass weit unterhalb des Einkaufpreises vom typischen Geschäftsgang abweicht.
Fall 6: Die Rache des entlassenen Prokuristen 436 M hat eine ins Handelsregister eingetragene Maschinenfabrik. Die Geschäfte florieren. Um eine Arbeitsüberlastung seiner Person zu vermeiden, erteilt er X Prokura und ermächtigt ihn ausschließlich zum Ankauf von Materialien und Ausrüstungsgütern. Eine Eintragung der Prokuraerteilung ins Handelsregister unterbleibt. X hält sich für ein Geschäftsgenie und schließt auch Verträge mit Kunden ab. Da M nun mehr statt weniger arbeiten muss und über die Eigenmächtigkeit des X erbost ist, kündigt er den Arbeitsvertrag. Das damit verbundene Erlöschen der Prokura des X lässt M ebenfalls nicht ins Handelsregister eintragen; er schickt aber an alle in seiner Kundendatei befindlichen Unternehmen Briefe, in denen er die Entlassung des X mitteilt. Bei der Auto AG (A) ist man noch verärgert über M, da dieser bei einem früheren Auftrag die Lieferfristen nicht eingehalten hatte, und legt deshalb seinen Brief ungelesen in die Ablage. X will sich an M rächen. Bei seiner neuen Firma erfährt er von einer Anfrage der A, die in ihrem Stammwerk einen Austausch der überalterten Produktionsanlage plant. Auf seinem PC entwirft er daher ein Angebot mit dem Firmenlogo des M zu einem Preis, der unter den Selbstkosten des M liegt. Er unterschreibt mit „per Prokura X“. Die A sieht in dem Schreiben ein Entgegenkommen des M wegen der vorherigen Differenzen und nimmt erfreut an. Kann die A von M den Austausch der Produktionsanlage verlangen? Lösungsaufbau: 437 Anspruch der A gegen M auf Einbau der Produktionsanlage aus § 631 Abs. 1. I.
Einigung A-M 1. Angebot des M durch X als Vertreter a) Willenserklärung des X b) Erklärung im Namen des M c) Vertretungsmacht aa) Wirksame Prokura bb) Rechtsschein der Prokura gemäß § 15 HGB (1) Erlöschen der Prokura als eintragungspflichtige Tatsache (2) Fehlende Eintragung und Bekanntmachung (3) Anwendbarkeit bei Nichteintragung der Prokura (4) Schutzwürdiges Vertrauen bei A cc) Reichweite der Prokura dd) Ergebnis 2. Annahme durch A II. Sittenwidrigkeit gemäß § 138 BGB III. Durchsetzbarkeit des Anspruchs: Verstoß gegen Treu und Glauben (§ 242 BGB) IV. Ergebnis
B. Die Führung des Handelsunternehmens
145
Lösungsvorschlag: A verlangt von M die Auswechslung der reparaturbedürftigen Anlage. M müsste 438 Produktionsanlagen herstellen und in den jeweiligen Autowerken einbauen. Die A hat einen Anspruch, darauf, wenn zwischen ihr und M ein wirksamer Werkvertrag gemäß § 631 BGB besteht. I.
Einigung A – M
Ein solcher Vertrag müsste zwischen A und M zustande gekommen sein. 1.
439
Angebot des M durch X als Vertreter
Dann müsste M ein Angebot auf Abschluss eines Vertrages mit A abgegeben ha- 440 ben. M persönlich hat gegenüber der A keine Willenserklärung abgegeben. Abzustellen ist somit auf das Angebot des X. Dieses ist dann dem M zuzurechnen, wenn X gemäß § 164 Abs. 1 BGB als Vertreter des M gehandelt hat. Voraussetzung dafür ist eine eigene Willenserklärung des Vertreters X im Namen des A mit der notwendigen Vertretungsmacht. a)
Willenserklärung des X
X hat den Brief selbst unterschrieben und damit deutlich gemacht, dass er eine 441 eigene Willenserklärung abgibt. b)
Erklärung im Namen des M
Indem X den Briefkopf der Firma des M verwendete und das Angebot auf dessen 442 Firma bezog, machte er auch hinreichend deutlich, dass er im Namen des M handeln wollte. c)
Vertretungsmacht
Fraglich ist allerdings, ob X für sein Angebot die gemäß § 164 Abs. 1 BGB not- 443 wendige Vertretungsmacht hatte. Indem er mit „per Prokura“ unterzeichnete, nahm er die Vollmacht des Prokuristen aus § 49 Abs. 1 HGB für sich in Anspruch. Damit ist zu prüfen, ob zum Zeitpunkt des Schreibens eine wirksame Prokura zugunsten des X vorlag. aa)
Wirksame Prokura (s. Übersicht 6.4)
Für die Prokuraerteilung ist eine eindeutige und persönliche Erklärung des Ge- 444 schäftsherrn erforderlich. M hat durch eine eigene Willenserklärung deutlich gemacht, dass er dem X Prokura erteilen will. Zwar muss dies auch gemäß § 53 HGB ins Handelsregister eingetragen werden, aber diese Eintragung ist keine Wirksamkeitsvoraussetzung. Somit hat M dem X wirksam Prokura erteilt. Fraglich ist jedoch, ob die Prokura nicht zwischenzeitlich erloschen ist. M hat die Prokura des X nicht ausdrücklich gemäß § 52 Abs. 1 HGB widerrufen. Aber aufgrund des § 168 BGB kann die Prokura als Unterfall einer Vollmacht 445 auch mit der Beendigung des Grundverhältnisses erlöschen. M hat das Arbeitsverhältnis mit X gekündigt. Dieses bildete das Grundverhältnis für die Prokura. Zwar
146
Kapitel 6
Handelsrecht
bestand der Arbeitsvertrag mit X schon vor der Prokuraerteilung, aber durch die Kündigung wollte M erst recht die Prokura beseitigen. Somit ist die Prokura des X durch seine Kündigung erloschen. Er hatte keine Vertretungsmacht gemäß § 49 Abs. 1 HGB. bb)
Rechtsschein der Prokura gemäß § 15 Abs. 1 HGB (s. Übersicht 6.5)
446 M hat das Erlöschen der Prokura jedoch nicht in das Handelsregister eingetragen. Damit könnte M gemäß § 15 Abs. 1 HGB so zu behandeln sein, als ob X noch Prokurist wäre. (1)
Erlöschen der Prokura als eintragungspflichtige Tatsache
447 Dann müsste das Erlöschen der Prokura nicht nur eine eintragungsfähige, sondern eine eintragungspflichtige Tatsache sein. § 53 Abs. 1 S. 1 HGB verlangt ausdrücklich eine solche Eintragung. (2)
Fehlende Eintragung und Bekanntmachung
448 Weiterhin darf diese Tatsache nicht ins Handelsregister eingetragen und bekannt gemacht worden sein. Da M keinen Antrag gestellt hat, ist es weder zu einer Eintragung noch zur Bekanntmachung gekommen. (3)
Anwendbarkeit bei Nichteintragung der Prokura
449 Allerdings ist zu bedenken, dass auch die Prokuraerteilung nicht eingetragen worden war. Damit geht aus dem Handelsregister selbst keine Tatsache hervor, die im Widerspruch zur Wirklichkeit steht. Der Geschäftsgegner beruft sich aber nicht auf das Handelsregister als solches, sondern darauf, dass es im Widerspruch zur tatsächlichen Sachlage steht. Daher ist nach h. M.17 § 15 Abs. 1 HGB auch auf ursprünglich nicht eingetragene Tatsachen, deren Änderung eintragungspflichtig ist, anwendbar. Die Bestellung des X zum Prokuristen des M war in Geschäftskreisen bekannt. Somit kann sich A hinsichtlich des Fortbestehens der Prokura auf die Nichteintragung des Erlöschens berufen. (4)
Schutzwürdiges Vertrauen bei A
450 Schließlich muss der Geschäftsgegner in seinem Vertrauen auf das Handelsregister auch schutzwürdig sein. Nach dem ausdrücklichen Wortlaut des § 15 HGB schadet hier nur Kenntnis von der nichteingetragenen Tatsache. Die A hat grob fahrlässig den Brief des M nicht beachtet. Sie hat aber daher 451 keine Kenntnis von der Entlassung des X erhalten. Somit kann sich die A auf den Rechtsschein des Handelsregisters berufen. Somit gilt X gemäß § 15 Abs. 1 HGB der A gegenüber weiterhin als Prokurist des M.
17
BGH, NJW 1983, 2258 (2259).
B. Die Führung des Handelsunternehmens
cc)
147
Reichweite der Prokura (s. Übersicht 6.4)
Fraglich ist jedoch, ob die Vertretungsmacht des X als Prokurist auch Geschäfts- 452 verhandlungen mit Kunden umfasste. Dagegen könnte die ausdrückliche Vereinbarung mit A sprechen, der die Prokura des X nur auf Einkäufe beschränkte. § 49 HGB regelt den Umfang der Prokura jedoch abschließend. Demnach sind alle Geschäfte, die der Betrieb eines Handelsgeschäftes mit sich bringt, von der Prokura erfasst. Der Abschluss von Verträgen mit Kunden unterfällt somit § 49 Abs. 1 HGB. Weitergehende Einschränkungen sind im Außenverhältnis bedeutungslos (§ 50 HGB). Folglich hatte X die nötige Vertretungsmacht. dd)
Ergebnis
Somit handelte X bei Abgabe des Vertragsangebots an die A als Vertreter des M. 2.
453
Annahme durch A
Die A hat das Angebot des M auch angenommen, wie sich spätestens aus der Auf- 454 forderung an M, den Vertrag zu erfüllen, ergibt. II.
Sittenwidrigkeit gemäß § 138 BGB
Unter Umständen sind Verträge bei Missbrauch der Vertretungsmacht gemäß 455 § 138 BGB sittenwidrig. Voraussetzung dafür ist ein gemeinsames, kollusives Handeln von Vertreter und Geschäftsgegner. Dies scheidet hier schon deshalb aus, weil die A davon ausging, X handele auf Betreiben des M. III.
Durchsetzbarkeit des Anspruchs: Verstoß gegen Treu und Glauben gemäß § 242 BGB
Dennoch könnte der Anspruch der A aufgrund des Prinzips von Treu und Glauben 456 gemäß § 242 BGB nicht durchsetzbar sein, wenn eine Vertragsabwicklung bei Berücksichtigung der gegenseitigen Interessen für M nicht zumutbar ist. Dafür kann der Vollmachtsmissbrauch durch X, der bereits oben berücksichtigt 457 wurde, nicht allein ausreichen. Allerdings kommt hier der schädigende niedrige Erlös für M hinzu. Dieser kann aber gegenüber der A nicht vorgebracht werden, da sie aufgrund der Vorgeschichte zulässigerweise davon ausgehen konnte, M wolle mit dem niedrigen Preis sein vorheriges Fehlverhalten wiedergutmachen. IV.
Ergebnis
M muss sich das Verhalten des X gemäß § 15 Abs. 1 HGB so zurechnen lassen, als 458 wenn er weiterhin Prokura hätte. Damit hat X unabhängig von der Absprache mit M Vertretungsmacht zum Geschäftsabschluss mit der A. Der Vertrag zwischen A und M ist damit wirksam und auch unter Berücksichtigung des § 242 BGB durchsetzbar. Die Auto AG hat damit gegen M einen Anspruch auf Einbau der Produktions- 459 anlage gemäß § 631 BGB. Dass M seinerseits einen Schadenersatzanspruch gegen den rechtswidrig handelnden X hat, war nach der Aufgabenstellung nicht näher zu prüfen.
148
Kapitel 6
Handelsrecht
C. Der Handelskauf 460 Einen Schwerpunkt im alltäglichen Geschäftsleben von Kaufleuten bilden die handelsrechtlichen Sonderregeln zum Handelskauf. Um die Sicherheit und Schnelligkeit des Geschäftsverkehrs zu verbessern, wird vor allem das Erfüllungsund Gewährleistungsrecht des BGB durch § 377 HGB modifiziert. Demnach sind die Rechte des Käufers eingeschränkt, wenn er einen Fehler nicht rechtzeitig rügt (Übersicht 6.7). Aber auch bei der Vertragsbegründung selbst gibt es gewohnheitsrechtliche Besonderheiten. Unter Kaufleuten kommt bereits ein (Kauf-)Vertrag zustande, wenn eine Partei nach Zugang eines kaufmännischen Bestätigungsschreibens (Übersicht 6.6) nicht unverzüglich widerspricht, also schweigt.
I.
Das kaufmännische Bestätigungsschreiben (vgl. Übersicht 6.6)
461 Für den Kaufmann bietet sich die Möglichkeit, mit Hilfe eines sogenannten kaufmännischen Bestätigungsschreibens eine ganz ähnliche Wirkung zu erzielen wie mit einem schriftlich abgeschlossenen Vertrag. Mit dem kaufmännischen Bestätigungsschreiben bestätigt der Kaufmann schriftlich das Ergebnis vorangegangener Vertragsverhandlungen. Der Empfänger, der auch ein Nicht-Kaufmann sein kann, der dieses Schreiben widerspruchslos hinnimmt, muss dessen Inhalt gegen sich gelten lassen. Dies ist eine Ausnahme von dem Grundsatz, dass Schweigen grundsätzlich keine Willenserklärung ist; hier kommt dem Schweigen eine der Willenserklärung ähnliche Wirkung zu. Das Schreiben dient in erster Linie Beweiszwecken und dokumentiert, dass und mit welchem Inhalt ein Vertrag zustande gekommen ist.18 Es soll verhindert werden, dass die Geschäftsbeteiligten über den Vertragsschluss und -inhalt Streit führen. Äußert sich der Empfänger nicht in angemessener Frist, so ist er auch dann nicht schutzbedürftig, wenn das Schreiben dem Ergebnis der Vertragsverhandlungen widerspricht. In diesem Fall hat das Bestätigungsschreiben für den Vertragsschluss konstitutive Wirkung, da der Vertrag mit dem Inhalt des Schreibens zustande kommt. Das gilt auch für den Fall, dass die Beteiligten bei den Verhandlungen gar keine Einigung erzielt hatten. Diese Grundsätze haben sich aus den hergebrachten Handelsbräuchen entwickelt und entsprechen der Rechtsscheinshaftung. Sie sind heute als Gewohnheitsrecht anerkannt.19 Wegen der weitreichenden Bindungswirkung des Bestätigungsschreibens galt 462 es ursprünglich als Handelsbrauch nur für Kaufleute. Inzwischen sind die Regelungen aber als Gewohnheitsrecht erstarkt und binden auch andere Berufsgruppen wie Architekten, Rechtsanwälte, Insolvenzverwalter usw., sofern diese ähnlich einem Kaufmann am Geschäftsleben teilnehmen.20 18 19 20
Baumbach/Hopt/Merkt, Handelsgesetzbuch, 33. Aufl. 2007, § 346, Rn. 17. Palandt/Heinrichs, Bürgerliches Gesetzbuch, 67. Aufl. 2008, § 148, Rn. 8. BGHZ 11, 1 (3); Baumbach/Hopt/Merkt, Handelsgesetzbuch, 33. Aufl. 2007, § 346, Rn. 18.
C. Der Handelskauf
149
Für den Absender sind die Anforderungen weniger hoch, da er durch das 463 Schreiben unmittelbar nicht verpflichtet wird. Es reicht aus, wenn er ähnlich einem Kaufmann am Wirtschaftsverkehr teilnimmt, sodass der Empfänger damit rechnen kann, dass der Absender den Handelsbrauch für sich in Anspruch nimmt. Als Absender kommt also auch ein reiner Privatmann in Betracht. Voraussetzung für einen Vertragsschluss durch kaufmännisches Bestätigungs- 464 schreiben ist das vorherige Führen hinreichend konkretisierter ernsthafter Vertragsverhandlungen. Nur dann kann der Absender mit der Billigung des Schreibens durch den Empfänger rechnen. Weiterhin muss das Schreiben den früheren Vertragsschluss unter Wiedergabe 465 seines Inhalts eindeutig bestätigen. Aus dem Wortlaut des Schreibens muss also hervorgehen, dass der Absender davon ausgeht, bei der Vertragsverhandlung sei es zu einem Vertragsschluss mit dem bestätigten Inhalt gekommen.21 Gegenbeispiel: Nach Vertragsverhandlungen nimmt die Kohle AG das Angebot einer Bergwerksausrüstungsfirma auf einem mit „Bestätigungsschreiben“ überschriebenem Briefbogen an. Hier liegt kein kaufmännisches Bestätigungsschreiben, sondern eine normale Annahmeerklärung vor. Widerspricht diese Erklärung dem Angebot der Firma, kommt kein Vertrag zustande. Das Schreiben gilt als Ablehnung des Angebotes verbunden mit einem neuen Antrag (vgl. § 150 Abs. 2 BGB).
Um einen Bezug zu den Vertragsverhandlungen zu gewährleisten, muss das Bestä- 466 tigungsschreiben unmittelbar nach den Vertragsverhandlungen abgeschickt und beim Empfänger zugegangen sein.22 Bei der Nutzung neuerer Telekommunikationstechniken ist auch eine Übertragung per Fax oder per E-Mail möglich. Der Absender ist aber nur dann schutzwürdig, wenn er nach Treu und Glauben 467 das Schweigen des Empfängers als Zustimmung auffassen darf, er also redlich handelt. Das ist nicht der Fall, wenn er den Inhalt der Vertragsverhandlungen einseitig abändert, es sei denn, er kann bei einer unwesentlichen Änderung noch mit der Zustimmung des Empfängers rechnen. Bei größeren Abweichungen gilt eine Zustimmung in jedem Fall als ausgeschlossen.23
21 22
23
BGHZ 18, 212 (215). BGH, NJW 1964, 1224; Baumbach/Hopt/Merkt, Handelsgesetzbuch, 33. Aufl. 2007, § 346, Rn. 21. BGH, JR 1985, 364; Baumbach/Hopt/Merkt, Handelsgesetzbuch, 33. Aufl. 2007, § 346, Rn. 27.
150
Kapitel 6
Handelsrecht
Beispiel: Nach Verhandlungen mit einer Wohnungsgenossenschaft über den Einbau von 100 Ölbrennern bestätigt der Installateur I den Einbau von 100 Gasbrennern. Auch wenn I die Änderung unbewusst machte, gilt eine Zustimmung der Genossenschaft wegen des unterschiedlichen Vertragsgegenstandes als ausgeschlossen.
468 Wenn der Empfänger verhindern will, dass der im Schreiben bestätigte Vertrag wirksam wird, so muss er unverzüglich, d. h. ohne schuldhaftes Zögern, widersprechen.24 Eine spätere Anfechtung des Bestätigungsschreibens gemäß § 142 BGB ist 469 nach h. M. nicht möglich. Eine Anfechtung wegen Täuschung oder Drohung ist nicht notwendig, da in diesen Fällen der Absender unredlich gehandelt hat und somit das Schreiben keine wirksame Vertragsgrundlage geworden ist.25 Eine Irrtumsanfechtung, insbesondere mit der Begründung, dass der Inhalt des Bestätigungsschreibens den Vertragsabsprachen widerspricht, ist ausgeschlossen, da der Absender in seinem Vertrauen darauf, dass der Empfänger das Schreiben sorgfältig prüft und bei Fehlern unverzüglich widerspricht, schutzwürdig ist.26 Übersicht 6.6: Schweigen auf kaufmännisches Bestätigungsschreiben
470
Personenkreis:
Voraussetzungen:
Rechtsfolgen:
24 25 26
Empfänger: Kaufmann bzw. Teilnahme am Geschäftsverkehr im größeren Umfang Absender: Teilnahme am Wirtschaftsleben ähnlich einem Kaufmann • Vertragsverhandlungen müssen vorangegangen sein • Früherer Vertragsschluss muss endgültig und eindeutig bestätigt werden • Wiedergabe des Vertragsinhalts • Abgabe und Zugang unmittelbar nach Vertragsverhandlungen • Redlichkeit des Absenders (Inhalt muss grds. Vereinbarung entsprechen) • Kein unverzüglicher Widerspruch des Empfängers • Vertragsschluss mit Inhalt des Bestätigungsschreibens • Keine Anfechtung möglich
BGHZ 18, 212 (216). Baumbach/Hopt/Merkt, Handelsgesetzbuch, 33. Aufl. 2007, § 346, Rn. 32. BGH, NJW 1972, 45; Baumbach/Hopt/Merkt, Handelsgesetzbuch, 33. Aufl. 2007, § 346, Rn. 32; Palandt/Heinrichs, Bürgerliches Gesetzbuch, 67. Aufl. 2008, § 148, Rn. 8; a. A.: Münchener Kommentar zum BGB, Bd. 1, 2. Aufl. 1993, § 119 Rn. 54 ff. m. w. N.
C. Der Handelskauf
151
II. Die Rügeobliegenheit gemäß § 377 HGB (vgl. Übersicht 6.7) Die handelsrechtliche Rügeobliegenheit beeinflusst sowohl das Gewährleistungs- 471 recht als auch das allgemeine Erfüllungsrecht des BGB. Grundsätzlich stehen dem Käufer einer fehlerhaften Sache die Gewährleistungsrechte des § 437 BGB zu. Nach fehlgeschlagener Nachbesserung kann er vom Vertrag zurücktreten, den Kaufpreis mindern oder Schadenersatz verlangen. Der Käufer eines Gegenstandes, der nur der Gattung nach bestimmt ist (Gattungskauf gemäß §§ 243, 433 BGB), hat Anspruch auf eine Sache mittlerer Art und Güte, d. h. auf eine fehlerfreie Sache. Er kann deshalb gemäß §§ 437 Nr. 1, 439 Abs. 1 BGB Nachlieferung einer mangelfreien Sache verlangen. Beispiel: K kauft einen Staubsauger per Katalog. Die Firma V liefert einen Staubsauger des betreffenden Modells. K bemerkt, dass der Motor defekt ist, und verlangt von V die Lieferung eines funktionierenden Staubsaugers. Nach h. M. hat K als Gattungskäufer ein Wahlrecht.27 Er kann entweder Beseitigung des Mangels verlangen oder Lieferung einer mangelfreien Sache. V muss weiterhin einen mangelfreien Staubsauger liefern.
Durch § 377 HGB wird diese Rechtslage für Kaufleute entscheidend modifiziert. 472 Bei einer mangelhaften Sache, d. h. wenn deren Ist-Beschaffenheit in negativer Weise von der Soll-Beschaffenheit abweicht, hat der Käufer erst dann die allgemeinen Gewährleistungsrechte, wenn er diesen Fehler unverzüglich, also ohne schuldhaftes Zögern nach Ablieferung der Ware, beim Verkäufer gerügt hat. Er muss also die Ware direkt nach Erhalt auf Fehler untersuchen. Ist die Ware mit einem Fehler behaftet, der bei einer derartigen Untersuchung nicht zu erkennen ist, muss der Käufer unverzüglich nach dessen Auftreten den Verkäufer informieren (§ 377 Abs. 3 HGB). Beispiel: War K im letzten Beispiel Kaufmann und handelte es sich um ein beiderseitiges Handelsgeschäft gemäß § 343 HGB, so könnte er seinen Anspruch gegen V nur geltend machen, wenn er V nach der Lieferung des Staubsaugers davon in Kenntnis gesetzt hätte, dass der Motor defekt ist.
Als Sachmangel gilt gemäß § 434 Abs. 3 BGB auch, wenn der Verkäufer eine 473 andere Sache oder eine zu geringe Menge geliefert hat. Der Käufer muss also auch insoweit unmittelbar nach Lieferung der Kaufsache diese auf Art und Menge hin untersuchen und dem Verkäufer festgestellte Differenzen unverzüglich anzeigen. Beispiel: Autohändler A will seine Ausstellungshalle für Neufahrzeuge neu fliesen lassen. Er bestellt nach ordnungsgemäßem Aufmaß beim Fliesenhändler F 350 m2 einer bestimmten strapazierfähigen Fliese. F liefert aber lediglich 300 m2. Damit liegt eine Mengenabweichung vor, die A als Mangel gemäß § 377 Abs. 1 HGB hätte rügen müssen, denn bei 27
Palandt/Heinrichs, Bürgerliches Gesetzbuch, 67. Aufl. 2008, § 243, Rn. 7.
152
Kapitel 6
Handelsrecht
dem Kauf handelt es sich um ein beiderseitiges Handelsgeschäft im Sinne von § 343 HGB. Unterlässt A die Untersuchung der gelieferten Ware und die Rüge des Mangels gegenüber F, kann er nicht vom Vertrag zurücktreten und muss die 300 m2 Fliesen bezahlen, auch wenn weitere 50 m2 wegen Totalausverkaufs dieser Fliesen nicht mehr lieferbar sind. Hätte A den Fehler (Mengenabweichung) dagegen gerügt, hätte er nach dem erfolglosen Verlangen zur Nachlieferung vom Vertrag zurücktreten können (§§ 434 Abs. 3, 437 Nr. 2, 440, 323 Abs. 1 BGB) und die 300 m2 Falschlieferung an F zurückgeben und andere Fliesen aussuchen können. Da er an der Teilleistung (300 m2 Fliesen) kein Interesse hat, könnte A eventuelle Mehrkosten im Wege eines Schadenersatzverlangens von F ersetzt verlangen (§§ 437 Nr. 3, 280 Abs. 1, 281 Abs. 1 S. 2 BGB). All diese Rechte sind ihm, da keine Rüge erfolgt ist, abgeschnitten. Übersicht 6.7: Die Rügeobliegenheit gemäß § 377 HGB
474
Voraussetzungen Verkäufer und Käufer müssen Kaufleute sein und Kauf muss Handelsgeschäft betreffen. Kleingewerbetreibende sind damit nicht erfasst. Ablieferung der Ware: Ware muss so im Bereich des Käufers sein, dass dieser sie überprüfen kann. Ware mangelhaft: Qualitätsmangel iSv § 434 Abs. 1 BGB Falschlieferung iSv § 434 Abs. 3 BGB Zuweniglieferung iSv § 434 Abs. 3 BGB. Verkäufer nicht arglistig: Verkäufer darf Mangel nicht arglistig verschwiegen haben (§ 377 Abs. 5 HGB). Inhaltliche Anforderungen Untersuchungs- bzw. bei größeren Mengen Stichprobenpflicht des Käufers, um Mängel festzustellen. offene Mängel: Rüge unverzüglich nach Ablieferung versteckte Mängel: Rüge unverzüglich nach Kenntnis vom Mangel (§ 377 Abs. 3) Rechtsfolgen Rüge wurde ordnungs Käufer hat allg. Gewährleistungsansprüche gemäß erhoben: Käufer kann bei Zuweniglieferung Nachlieferung verlangen. Rüge wurde nicht Ware gilt als genehmigt (§ 377 Abs. 2); Käufer verliert (ordnungsgemäß) vertragliche Gewährleistungsrechte. erhoben: Käufer muss Kaufpreis zahlen. beiderseitiger Handelskauf:
Fall 7: Fehler beim Computerkauf 475 M, der Eigentümer der Maschinenfabrik, hat den X entlassen und kümmert sich wieder alleine um den Einkauf. Da seine Computertechnik veraltet ist, tritt er mit der DATA-GmbH in Verhandlungen über den Ankauf von Hard- und Softwarekomponenten. Daraufhin schickt ihm die D ein Fax mit folgendem Inhalt: „Hiermit bestätigen wir Ihnen den Kaufvertrag vom vergangenen Tag. Wie mit Ihnen vereinbart liefern wir Ihnen innerhalb der nächsten zwei Wochen zwei Großrechner vom Typ DATA-GENIUS 2010. Dazu erhalten sie zehn 19-ZollBildschirme. Als Kaufpreise sind die in der Preisliste aufgeführten vereinbart. Mit freundlichen Grüßen …“
C. Der Handelskauf
153
M reagiert nicht auf das Schreiben, obwohl beim Verkaufsgespräch mit der D von 17-Zoll-Monitoren die Rede war. Eine Woche später bemerkt er den Irrtum und will sich hinsichtlich dieses Postens vom Vertrag lösen. Vier Tage danach liefert die D die Gegenstände an M. Der ist aber doch mit seinen Aufgaben überfordert und kann die Lieferung nicht persönlich entgegennehmen, da er zu Vertragsverhandlungen in Südafrika ist. Erst nach seiner Rückkehr zehn Tage später kann er die Geräte überprüfen. Dabei stellt er fest, dass er statt des GENIUS 2010 das nur unwesentlich veränderte Nachfolgemodell 2020 zu einem um 5 % höheren Preis bekommen hat. Leider fehlt jedoch ein Monitor, es wurden nur neun geliefert. M weigert sich nun, den Rechnungsbetrag an die D zu zahlen, solange die Lieferung nicht dem Vertrag entspricht. Hat die D Anspruch auf den vollen Kaufpreis? Lösungsaufbau: Anspruch der D gegen M auf Zahlung des vollen Kaufpreises gemäß § 433 Abs. 2 476 BGB I. Wirksamer Kaufvertrag durch kaufmännisches Bestätigungsschreiben 1. Vertragsparteien a) M geeigneter Adressat b) D geeigneter Absender 2. Vorherige Vertragsverhandlungen 3. Bestätigung eines Vertragsschlusses 4. Vertragsinhalt 5. Zeitlicher Zusammenhang mit Verhandlungen 6. Redlichkeit der D 7. Kein Widerspruch durch M II. Anfechtung durch M gemäß § 142 BGB III. Zurückbehaltungsrecht des M gemäß § 320 BGB 1. Anspruch auf Nachlieferung eines GENIUS 2010 gemäß § 439 Abs. 1 BGB a) Vorrang des Gewährleistungsrechts aa) Produktabweichung als Sachmangel bb) Produktabweichung als aliud b) Genehmigung hinsichtlich des GENIUS 2020 gemäß § 377 HGB c) Genehmigung hinsichtlich des höheren Kaufpreises d) Genehmigung hinsichtlich der 19-Zoll-Monitore 2. Anspruch auf Lieferung eines Monitors gemäß § 433 Abs. 1 BGB a) Zuweniglieferung als teilweise Nichterfüllung b) Genehmigung gemäß § 377 HGB c) Herabsenkung des Kaufpreisanspruches IV. Ergebnis
Lösungsvorschlag: Die DATA GmbH verlangt von M den vollen Kaufpreis für die Lieferung. Somit 477 ist zu prüfen, ob zwischen ihr und M ein wirksamer Kaufvertrag gemäß § 433 BGB entstanden ist, dieser nicht untergegangen ist und M bezüglich des Kaufpreises keine Gegenrechte geltend machen kann.
154
Kapitel 6
Handelsrecht
I.
Wirksamer Kaufvertrag durch kaufmännisches Bestätigungsschreiben
478 Ein solcher könnte durch eine Einigung zwischen M und der D entstanden sein. Zwar hat es Vertragsverhandlungen zwischen den beiden Parteien gegeben, eine Einigung ist dabei jedoch nicht zustande gekommen. Die D hat M aber nach den Verhandlungen ein detailliertes Schreiben gefaxt, in 479 dem die notwendigen Bestandteile eines Kaufvertrages (Parteien, Kaufgegenstand und Kaufpreis) aufgeführt sind. M hat sich zu diesem Fax nicht geäußert. Somit könnte aufgrund dieses Schreibens ein Kaufvertrag entstanden sein, wenn es sich dabei um ein kaufmännisches Bestätigungsschreiben gehandelt hat. 1.
Vertragsparteien
a)
M geeigneter Adressat
480 Wirksamer Adressat eines kaufm. Bestätigungsschreibens kann nur ein Kaufmann sein, bzw. jemand, der in ähnlichem Umfang am Geschäftsverkehr teilnimmt. M nimmt mit seinem Handelsunternehmen im erheblichen Umfang am Geschäftsleben teil und führt aufgrund seines Geschäftszwecks ein Unternehmen, das einer kaufmännischen Betriebsführung bedarf. Er ist somit Kaufmann gemäß § 1 Abs. 1 HGB, was durch die Eintragung ins Handelsregister bestätigt ist. Für ihn gelten daher die Grundsätze zum kaufmännischen Bestätigungsschreiben. b)
D geeigneter Absender
481 Der Absender eines Bestätigungsschreibens muss ähnlich einem Kaufmann am Wirtschaftsverkehr teilnehmen. Die DATA-GmbH ist gemäß § 6 Abs. 1 HGB i. V. m. § 13 Abs. 2 GmbHG Formkaufmann und damit ein tauglicher Absender. 2.
Vorherige Vertragsverhandlungen
482 Einem kaufmännischen Bestätigungsschreiben müssen Vertragsverhandlungen vorangegangen sein. M hatte mit der D ausführliche Vertragsverhandlungen geführt. 3.
Bestätigung eines Vertragsschlusses
483 Weiterhin muss in dem Schreiben ein früherer Vertragsschluss endgültig und eindeutig bestätigt werden. Die D bezog sich in ihrem Fax ausdrücklich auf einen Kaufvertrag mit M; sie ging daher von einem Vertragsschluss des beschriebenen Inhalts aus. 4.
Vertragsinhalt
484 Aus dem Bestätigungsschreiben muss sich der gesamte Vertragsinhalt ergeben. Wie dargelegt enthielt das Schreiben die notwendigen Inhalte eines Kaufvertrages.
C. Der Handelskauf
5.
155
Zeitlicher Zusammenhang mit Verhandlungen
Die D hat den Vertragsschluss einen Tag nach den Verhandlungen mit M bestätigt. 485 Damit ist der für das Bestätigungsschreiben notwendige unmittelbare Zusammenhang gewährleistet. 6.
Redlichkeit der D
Schließlich muss der Absender redlich gehandelt haben. Die D hat einen tatsäch- 486 lich nicht entstandenen Kaufvertrag bestätigt. Dies wäre jedoch nur dann unredlich, wenn die Vertragsverhandlungen vorher gescheitert wären. Außerdem ist es gerade Sinn und Zweck des kaufmännischen Bestätigungsschreibens, Unklarheiten über das Vorliegen eines Vertrages zu beseitigen. Allerdings hatte M eigentlich 17-Zoll-Monitore bestellen wollen, stattdessen bestätigte die D den Kauf von 19Zoll-Monitoren. Geschah dies absichtlich, etwa weil keine anderen Bildschirme lieferbar waren, so handelte die D unredlich. Falls jedoch nur ein Irrtum vorlag, wovon mangels entgegenstehender Angaben auszugehen ist, kann angenommen werden, dass M auch mit der Lieferung der etwas größeren Geräte einverstanden gewesen sein könnte. 7.
Kein Widerspruch bei M
Um zu verhindern, dass ein Kaufvertrag mit dem Inhalt des kaufmännischen Bes- 487 tätigungsschreibens wirksam wird, muss der Adressat unverzüglich widersprechen. M hat nach Zugang des Schreibens nicht widersprochen. Somit ist der Kaufvertrag mit der D wirksam entstanden. II.
Anfechtung durch M gemäß § 142 BGB
M hat sich bezüglich des Inhalts des Schreibens geirrt. Die Abweichung der Bild- 488 schirmgröße berechtigt jedoch nicht mehr zur Anfechtung, da M bei sorgfältiger Prüfung sofort widersprechen musste und D deshalb in ihrem Vertrauen auf den Vertragsabschluß zu schützen ist. Somit ist zwischen der D und M ein Kaufvertrag gemäß § 433 BGB mit dem Inhalt des Bestätigungsschreibens wirksam entstanden. III.
Zurückbehaltungsrecht des M gemäß § 320 BGB
Der Kaufpreisanspruch der D könnte jedoch gemäß § 320 Abs. 1, 2 BGB nicht in 489 vollem Umfang durchsetzbar sein, wenn M ein (teilweises oder vollständiges) Zurückbehaltungsrecht hätte. Das wäre der Fall, wenn die D nicht alle Pflichten aus dem Kaufvertrag mit M erfüllt hat. 1.
Anspruch auf Nachlieferung eines GENIUS 2010 gemäß § 439 Abs. 1 BGB
Zum einen war die D gemäß § 433 Abs. 1 BGB verpflichtet, M Besitz und Eigen- 490 tum an einem GENIUS 2010 zu verschaffen. Die D hat jedoch einen GENIUS 2020 geliefert. Daher könnte M weiterhin Anspruch auf Lieferung eines GENIUS 2010 haben.
156
Kapitel 6
Handelsrecht
a)
Vorrang des Gewährleistungsrechts
491 Dieser Leistungsanspruch des M könnte jedoch durch § 377 HGB untergegangen sein, sofern der gelieferte GENIUS 2020 als genehmigt gilt. aa)
Produktabweichung als Sachmangel
492 Bei dem an M gelieferten GENIUS 2020 handelt es sich um ein verbessertes Produkt. Dieses weicht nicht von der vereinbarten Soll-Beschaffenheit ab, sondern ist in der Lage, alle Funktionen zu erfüllen, die auch der GENIUS 2010 erfüllt. Eine negative Abweichung der Ist-Beschaffenheit von der Soll-Beschaffenheit ist nicht festzustellen, vgl. § 434 Abs. 1 BGB. bb)
Produktabweichung als aliud
493 Aber bei dem GENIUS 2020 handelt es sich um kein Gerät aus der GENIUS 2010-Reihe. Somit liegt eine Falschlieferung (ein aliud) vor. Diese ist zwar begrifflich kein Sachmangel, wird diesem aber gemäß § 434 Abs. 3 BGB gleichgestellt. Auf eine eventuelle Genehmigungsfähigkeit der Abweichung für den Käufer kommt es auch beim Handelskauf nicht an.28 b)
Genehmigung hinsichtlich des GENIUS 2020 gemäß § 377 HGB
494 Für M bestand gemäß § 377 Abs. 1 HGB die Obliegenheit, die Ware unverzüglich zu überprüfen. D. h. er hätte die Ware innerhalb der Zeitspanne, die nach dem normalen Geschäftsgang zu erwarten ist, nach der Lieferung untersuchen müssen. M befand sich jedoch auf Geschäftsreise und untersuchte die Ware erst zehn 495 Tage nach der Lieferung. Ein derartig langer Zeitraum ist dem Vertragspartner jedoch nicht zuzumuten. Der Käufer muss hier die Aufgabe delegieren. Folglich handelte M nicht unverzüglich. Somit gilt der GENIUS 2020 gemäß § 377 Abs. 2 HGB als genehmigt. Damit kann M von der D keine Nachlieferung gemäß § 439 Abs. 1 BGB ver496 langen. Somit hat er auch kein Zurückbehaltungsrecht aus § 320 BGB bezüglich des Kaufpreises. c)
Genehmigung hinsichtlich des höheren Kaufpreises
497 Allerdings ist fraglich, ob die D auch einen Anspruch auf Zahlung des um 5 % erhöhten Kaufpreises gegenüber dem bestellten GENIUS 2010 hat. § 377 HGB behandelt die Frage nach der Gegenleistung (Kaufpreis) nicht. Nach h. M. ergibt sich jedoch aus dem Zweck der Rügelast, dass der Verkäufer in seinem Vertrauen auf die Genehmigung der Leistung umfassend geschützt ist. Damit liegt das Preisrisiko beim Käufer. Ist die ungerügte Ware weniger wert als die vereinbarte, so muss er den ursprünglichen Kaufpreis zahlen, ist sie wertvoller, muss er den höheren Preis zahlen. M hat jedenfalls kein Recht, den GENIUS 2020 zum Preis eines GENIUS 2010 zu behalten. D könnte den GENIUS 2020 von M nach §§ 812 ff. BGB herausverlangen, da M keinen GENIUS 2020 gekauft hat. Behält M den 28
Palandt/Putzo, Bürgerliches Gesetzbuch, 67. Aufl. 2008, § 434, Rn. 52a.
C. Der Handelskauf
157
GENIUS 2020, wofür dessen verbesserte Leistungsmerkmale sprechen, dann sieht die h. M. darin eine – stillschweigende – Vertragsänderung nach § 311 Abs. 1 BGB mit der Folge, dass der Preis für den GENIUS 2020 zu bezahlen ist.29 A muss demnach den um 5 % höheren Kaufpreis des GENIUS 2020 zahlen. d)
Genehmigung hinsichtlich der 19-Zoll-Monitore
Hinsichtlich der größeren Monitore gilt dasselbe. Auch insoweit hätte M die aliud- 498 Lieferung nach unverzüglicher Untersuchung der Monitore gegenüber der D rügen müssen. Da er das nicht getan hat, gelten die 19-Zoll-Monitore gemäß § 377 Abs. 2 HGB als genehmigt. 2.
Anspruch auf Lieferung eines Monitors gemäß § 433 Abs. 1 BGB
a)
Zuweniglieferung als teilweise Nichterfüllung
Weiterhin begründet M seine Weigerung, den vollen Kaufpreis zu zahlen, damit, 499 dass er einen Anspruch auf Nachlieferung eines Bildschirms gegen die D hat, da statt der vereinbarten zehn nur neun geliefert wurden. b)
Genehmigung gemäß § 377 HGB
Mengenabweichungen sind ebenso wie die aliud-Lieferung gemäß § 434 Abs. 3 500 einem Sachmangel gleichgestellt. Deshalb werden sie auch von der Untersuchungs- und Rügepflicht des § 377 Abs. 1 HGB erfasst. Wegen der verspäteten Untersuchung durch M gilt die Lieferung der neun Monitore gemäß § 377 Abs. 2 HGB als genehmigt. c)
Herabsenkung des Kaufpreisanspruches
Dennoch könnte sich der Kaufpreis um den Wert des nicht gelieferten Monitors 501 verringert haben. Nach der h. M. behält der Verkäufer grundsätzlich seinen Kaufpreisanspruch in voller Höhe, wenn die Abweichung in den Lieferpapieren und/oder der Rechnung nicht ausgewiesen ist (verdeckte Abweichung). Hat der Verkäufer die Mengenabweichung in den betreffenden Papieren dargelegt (offene Abweichung), ist er nicht schutzwürdig; ebenso dann, wenn er arglistig gehandelt hat.30 Eine offene Abweichung ist nicht ersichtlich; ebenso wenig handelte die D arglistig. Damit bleibt es bei dem Kaufpreisanspruch für zehn Bildschirme.
29 30
Palandt/Putzo, Bürgerliches Gesetzbuch, 67. Aufl. 2008, § 434, Rn. 57. BGHZ 91, 293 (300 ff.) = NJW 1984, 1964 (1966).
158
Kapitel 6
IV.
Ergebnis
Handelsrecht
502 Durch das Fax der DATA GmbH an M, das ein kaufmännisches Bestätigungsschreiben darstellt, ist es zu einem Kaufvertrag zwischen M und der D gekommen. Dieser wurde durch die D mit der Lieferung an M erfüllt. Da M die Falschlieferung hinsichtlich des GENIUS 2020, der 19-Zoll-Monitore und die Zuweniglieferung eines Monitors nicht gerügt hat, kann er gegen den Kaufpreisanspruch der D kein Zurückbehaltungsrecht aus § 320 BGB geltend machen. Folglich hat die D gemäß § 433 Abs. 2 BGB einen Anspruch gegen M auf Zahlung des vollen Kaufpreises, der auch den Mehrpreis des GENIUS 2020 und den Preis für den zehnten, nicht gelieferten Monitor umfasst.
Kapitel 7
Gesellschaftsrecht
Mit Gesellschaftsrecht1 wird das Rechtsgebiet bezeichnet, das die in verschiede- 503 nen Gesetzen (BGB, HGB, GmbHG, AktG, GenG, UmwG usw.) bestehenden Regelungen für die unterschiedlichen Gesellschaftsformen (von der BGBGesellschaft bis zur Aktiengesellschaft) erfasst. Innerhalb dieses Kapitels soll ein Überblick über die verschiedenen Gesellschaftsformen und ihre Bedeutung2 gegeben werden, wobei nur einige für die Praxis relevantere Formen näher dargestellt werden.
A. Die Gesellschaftsformen Unter einer Gesellschaft versteht man eine privatrechtliche Organisation, die 504 durch ein Rechtsgeschäft (Gesellschaftsvertrag) zu einem bestimmten Zweck gegründet wurde.3 Dabei wird zwischen Personengesellschaften, bei denen nach der Idee des Gesetzes der persönliche Einsatz der Gesellschafter maßgebend ist, (Grundform ist die BGB-Gesellschaft) und den Kapitalgesellschaften bzw. Körperschaften (Grundform ist der Verein),4 bei denen Teilhaberschaft und Gesellschaftsführung auseinanderfallen können, unterschieden.5 Während die Personengesellschaft auf den Bestand ihrer Gesellschafter angewiesen ist (bei Tod oder Austritt eines BGB-Gesellschafters wird die BGB-Gesellschaft aufgelöst, soweit 1
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Aktuelle Lehrbücher zum Gesellschaftsrecht Eisenhardt, Gesellschaftsrecht, 13. Aufl. 2007; Grunewald, Gesellschaftsrecht, 6. Aufl. 2005; Hueck/Windbichler, Gesellschaftsrecht, 21. Aufl. 2008; Hüffer, Gesellschaftsrecht, 7. Aufl. 2007; Kindler, Grundkurs Handels- und Gesellschaftsrecht, 2. Aufl. 2007; Klunzinger, Grundzüge des Gesellschaftsrechts, 14. Aufl. 2006; Kraft/Kreutz, Gesellschaftsrecht, 12. Aufl. 2008; Martinek/Wimmer-Leonhardt, Handelsrecht, Gesellschaftsrecht und Wertpapierrecht, 4. Aufl. 2007; Neu, Gesellschaftsrecht – schnell erfasst, 2004; Karsten Schmidt, Gesellschaftsrecht, 4. Aufl. 2002; Wiedemann/Frey, Gesellschaftsrecht, 7. Aufl. 2007. Eine Untersuchung über die ins Handelsregister eingetragenen Gesellschaften hat ergeben, dass die GmbH die mit Abstand beliebteste Unternehmensform in Deutschland ist. So gab es im Jahr 2005 in Deutschland ca. 996.000 GmbHs, 208.000 KGs (einschließlich der GmbH & Co. KG), 27.000 OHGs und 202.000 Einzelunternehmen. Vgl. Kornblum, GmbHR 2006, 28. Eisenhardt, Gesellschaftsrecht, 13. Aufl. 2007, Rn. 28; Hüffer, Gesellschaftsrecht, 7. Aufl. 2007, § 1, Rn. 1. Hüffer, Gesellschaftsrecht, 7. Aufl. 2007, § 2, Rn. 9 bis 11. Eisenhardt, Gesellschaftsrecht, 13. Aufl. 2007, Rn. 22.
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Kapitel 7 Gesellschaftsrecht
nicht ausdrücklich etwas anderes vereinbart worden ist, vgl. §§ 723, 727, 736), sind Vereine und Kapitalgesellschaften als auf Dauer angelegte Organisationen vom Bestand der Gesellschafter unabhängig, d. h. hier können Gesellschafter einoder austreten, ohne dass die Gesellschaft aufgelöst wird. Deutlich wird die Unterscheidung auch bei der Haftungsfrage: Bei Personengesellschaften haften die jeweiligen Teilhaber (Gesellschafter) auch persönlich mit ihrem Privatvermögen, während dies bei den Körperschaften grundsätzlich nicht der Fall ist. Im folgenden Abschnitt werden die wichtigsten Gesellschaftsformen kurz vorgestellt und die Unterschiede zwischen ihnen herausgearbeitet.
A. Die Gesellschaftsformen
I.
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Überblick
Übersicht 7.1: Personengesellschaften BGB-Gesellschaft (Gesellschaft bürgerlichen Rechts; GbR) Offene Handelsgesellschaft (OHG)
Kommanditgesellschaft (KG)
GmbH u. Co. KG
Stille Gesellschaft (stG)
Partnerschaftsgesellschaft
Europäische wirtschaftliche Interessenvereinigung (EWIV)
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Allgemeinste Form der Gesellschaft. Ausreichend ist ein beliebiger gemeinsamer Zweck. Rechtsgrundlagen sind die §§ 705-740 BGB (s. Rn. 507). Voraussetzung ist der Betrieb eines Handelsgewerbes durch mehrere Personen, die unbeschränkt haften. Rechtsgrundlagen: §§ 105-160 HGB; §§ 705-740 BGB (s. Rn. 512). Im Unterschied zur OHG haftet nur der Komplementär unbeschränkt; die Kommanditisten haften dagegen nur mit ihrer Kommanditeinlage Rechtsgrundlagen: §§ 161-177 a; 105-160 HGB; §§ 705-740 BGB (s. Rn. 518). Kommanditgesellschaft, bei der die GmbH, die als Kapitalgesellschaft ihrerseits nur mit dem Stammkapital haftet, als Komplementärin haftet. Für sie gilt dann das GmbH-Gesetz. Beteiligung am Handelsgeschäft eines anderen durch Leistung einer Einlage, die in das Vermögen der Handelsgesellschaft übergeht, wobei der stille Gesellschafter an Gewinn und Verlust beteiligt wird. Rechtsgrundlagen: §§ 230-236 HGB und entsprechend §§ 705-740 BGB (s. Rn. 521). Gesellschaftsform besonders für NichtGewerbetreibende (also Freiberufler wie Rechtsanwälte, Ärzte, Architekten, Künstler). Rechtsgrundlage ist das Partnerschaftsgesetz (s. Rn. 523). auf der Grundlage der Verordnung (EWG) Nr. 2137/85 des Rates vom 25.7.1985 über die Schaffung einer Europäischen wirtschaftlichen Interessenvereinigung (EWIV),6 für die weitgehend die Regelungen der OHG anzuwenden sind (wird nachfolgend nicht näher behandelt).7
ABl. EG Nr. L 199, S. 1 ff. = BT-Drs. 11/352, S. 12 ff. Zur EWIV s. Hüffer, Gesellschaftsrecht, 7. Aufl. 2007, § 28; Eisenhardt, Gesellschaftsrecht, 13. Aufl. 2007, Rn. 208, 209.
505
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Kapitel 7 Gesellschaftsrecht
Übersicht 7.2: Kapitalgesellschaften (Körperschaften) Gesellschaft mit beschränkter Haftung (GmbH) Aktiengesellschaft (AG)
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Kommanditgesellschaft auf Aktien (KGaA)
Eingetragene Genossenschaft (eG)
Versicherungsverein auf Gegenseitigkeit (VVaG) Eingetragener Verein (e.V.)
Verein bürgerlichen Rechts
Societas Europaea (SE)
REIT (Real Estate Investment Trusts)
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Kapitalgesellschaft zur Verfolgung jedes zulässigen Zwecks bei beschränkter Haftung der Gesellschafter. Rechtsgrundlage ist das GmbH-Gesetz (s. Rn. 525). Rechtsform für Großunternehmen, die so Kapital über den Kapitalmarkt erlangen können, wobei die Anteile austauschbar sind. Rechtsgrundlage ist das Aktiengesetz. Kombination von KG und AG, bei der die nicht persönlich haftenden Kommanditisten über Aktien am Grundkapital beteiligt sind. Rechtsgrundlagen: §§ 278–290 AktG und Vorschriften über die KG. Gesellschaft mit nicht geschlossener Mitgliedszahl zur Förderung des Erwerbs oder der Wirtschaft ihrer Mitglieder ohne eigene Gewinnerzielung durch die Gesellschaft (z. B. Genossenschaftsbanken, Kreditvereine). Rechtsgrundlage ist das Genossenschaftsgesetz. Verein, der Versicherung seiner Mitglieder nach dem Grundsatz der Gegenseitigkeit betreibt; Gewinnerzielung nicht erstrebt. Rechtsgrundlage ist das VAG. Rechtsfähige Körperschaft vor allem im sportlichen, kulturellen und karitativen Bereich. Rechtsgrundlage sind die §§ 21–79 BGB. Nichteingetragener Verein ohne wirtschaftlichen Zweck, der nach dem Willen der Mitglieder einen höheren Organisationsgrad als die GbR haben soll. Rechtsgrundlage sind ebenfalls die §§ 21–79 BGB. Auf Grundlage der VO 2157/2001 des Rates der EG über das Statut der Europäischen Gesellschaft vom 8.10.20018 und des deutschen Ausführungsgesetzes vom 22.12.20049 (nachfolgend nicht behandelt).10 Auf der Grundlage des Gesetzes zur Schaffung deutscher Immobilien-Aktiengesellschaften mit börsennotierten Anteilen besteht seit 2007 in Deutschland die Möglichkeit, nach amerikanischem Vorbild eine Aktiengesellschaft zu gründen, deren Zweck es ist Eigentum oder dingliche Nutzungsrechte an Immobilien zu erwerben, zu halten und zu verwalten. Da es sich im Kern um eine Aktiengesellschaft handelt, wird der REIT nicht näher behandelt.11
ABl. EG Nr. L 294, S. 1 ff. Gesetz zur Einführung der Europäischen Gesellschaft (SEEG) vom 22.12.2004, BGBl. I S. 3675. Zur SE Hüffer, Gesellschaftsrecht, 7. Aufl. 2007, § 33; Manz/Mayer/Schröder (Hrsg.), Europäische Aktiengesellschaft – SE, Handkommentar, 2005; Brandt, Ein Überblick über die Europäische Aktiengesellschaft (SE) in Deutschland, BB Beilage 2005, Nr. 13, S. 1 ff. Dazu näher Wienbracke, NJW 2007, 2721 ff.
A. Die Gesellschaftsformen
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II. Gesellschaft bürgerlichen Rechts (GbR) (vgl. Übersicht 7.3) Voraussetzung für das Vorliegen einer GbR ist ein Vertrag zwischen zumindest 507 zwei Gesellschaftern, der auf einen gemeinsamen, von allen Gesellschaftern zu fördernden erlaubten Zweck gerichtet ist. Dieser Zweck muss über das Haben oder Halten einer gemeinsamen Sache hinausgehen; ansonsten ist jeder erlaubte, auch einmalige Zweck ausreichend.12 Beispiele: Mieten mehrere Architekten eine Etage eines Bürogebäudes, ohne weitere organisatorische Verbindungen zu entwickeln, handelt es sich nur um eine formlose Praxis- bzw. Bürogemeinschaft, nicht jedoch um eine GbR. Ebenso wenig entsteht eine GbR, wenn die Architekten gemeinsam die Einrichtung einer Alarmanlage in den Räumen vornehmen. Hierbei handelt es sich um eine Bruchteilsgemeinschaft gemäß § 741 BGB; d. h. alle Architekten haben gemäß ihres Anteils Eigentum an der Alarmanlage erworben. Verabreden die Architekten jedoch, gemeinsam einen Auftrag für die Planung eines Einkaufszentrums auszuführen, bilden sie eine GbR. Gesellschaftszweck ist die Durchführung der Planung des Einkaufszentrums.
Gesellschafter der GbR können natürliche oder juristische Personen sein. Schlie- 508 ßen sich mehrere Baugesellschaften zur Durchführung eines Bauvorhabens zu einer Arbeitsgemeinschaft (ARGE) zusammen, so bilden die Gesellschaften eine BGB-Gesellschaft. Lange Zeit umstritten war die Frage der Rechtsfähigkeit der GbR. Dabei geht 509 es darum, ob die GbR als solche rechtserheblich handeln kann (Vertragsschluss, Haftung, Prozessfähigkeit) oder nur durch ihre Gesellschafter. Zunächst hatte der BGH13 die GbR für fähig erklärt, am Scheck- und Wechselverkehr teilzunehmen. Etwas später hat der BGH14 entschieden, dass die BGB-Gesellschaft, wenn sie Außen-Gesellschaft ist, also am Rechtsverkehr teilnimmt, rechtsfähig ist, ohne allerdings juristische Person zu sein. Die GbR kann also selber Vertragspartner sein, Vermögen erwerben, Prozesse führen und sich an anderen Gesellschaften beteiligen.15 Da die GbR Eigentum erwerben kann, weil sie insoweit rechtsfähig ist, ist sie auch grundrechtsfähig, d. h. sie kann sich auf das Eigentumsgrundrecht berufen.16 Umstritten ist, ob die GbR auch grundbuchfähig ist, also als Eigentümerin ins 510 Grundbuch eingetragen werden kann. Nach Ansicht des BayObLG17 stehen der 12 13 14
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Eisenhardt, Gesellschaftsrecht, 13. Aufl. 2007, Rn. 42 ff. BGH NJW 1997, 2754. BGHZ 146, 341 ff. = NJW 2001, 1056 = MDR 2001, 459 = ZIP 2001, 330 = WM 2001, 408; dazu Karsten Schmidt, NJW 2001, 993 ff; Hadding, ZGR 2001, 712 ff.; Ulmer, ZIP 2003, 1113 ff. Habersack, NJW 1989, 3034, Jus 1990, 179; ders., JuS 1993, 1. BGH, NJW 2002, 3533. BayObLG, ZIP 2002, 2175 ff.; a. A. Hüffer, Gesellschaftsrecht, 7. Aufl. 2007, § 8 Rn. 12.
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Kapitel 7 Gesellschaftsrecht
Grundbuchfähigkeit der GbR die Besonderheiten des Grundbuchrechts entgegen. Diese Ansicht passt erkennbar nicht zur Auffassung des BGH, der die GbR für rechtsfähig ansieht. Nachdem der BGH18 klargestellt hat, dass das Eigentum eines zum Gesellschaftsvermögen gehörenden Grundstücks der BGB-Gesellschaft und nicht den Gesellschaftern zusteht, hat zuletzt das OLG Stuttgart19 die Grundbuchfähigkeit der Außen-BGB-Gesellschaft bejaht. Hierzu bleibt ein klärendes Urteil des BGH abzuwarten. Übersicht 7.3: Die Gesellschaft bürgerlichen Rechts
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Gründungsvoraussetzungen:
Einlagen und Vermögensverhältnisse:
Rechtsfolgen:
Änderung/Beendigung des Gesellschaftsvertrages:
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BGH, MDR 2007, 285. OLG Stuttgart, ZIP 2007, 419 ff.
Formfreier, konkludent möglicher Vertrag von mindestens zwei natürlichen oder juristischen Personen (§ 705 BGB). Gemeinsame Förderung des Gesellschaftszwecks durch die Gesellschafter. Weder Mindestkapital noch Mindesteinzahlung vorgeschrieben. Keine Eintragung ins Handelsregister. Als Einlage kommen Geld-, Sach- oder Dienstleistungen in Betracht (§ 706 BGB). Einlagen und bei Führung der Gesellschaft erworbene Gegenstände werden zu einem Sondervermögen der Gesellschaft (§ 718 BGB). Es steht den Gesellschaftern als Gesamthandsvermögen zu, was bedeutet, dass der einzelne Gesellschafter nicht frei darüber verfügen kann, sondern nur alle Gesellschafter gemeinsam (§ 719 BGB). Die GbR ist partei- und rechtsfähig, kann also selber Rechte erwerben, Verträge eingehen, Klägerin oder Beklagte in einem Prozess sein usw. Sie kann aber keine Firma (wohl aber Geschäftsbezeichnung) führen, da sie qua definitionem kein Handelsgewerbe ausübt (sonst OHG). Gewinn und Verlust werden gemäß § 722 BGB nach gleichen Anteilen aufgeteilt, wenn keine andere vertragliche Regelung besteht. Änderung des Vertrages vorbehaltlich anderer vertraglicher Regelung formfrei bei Zustimmung aller Gesellschafter; ebenso bei Übertragung eines Gesellschaftsanteils. Beendigung durch Kündigung eines Gesellschafters (§ 723 BGB) oder eines Pfändungspfandgläubigers (§ 725 BGB), Auflösung wg. Erreichens oder Unmöglichwerdens des Gesellschaftszweckes (§ 726 BGB), Tod eines Gesellschafters (§ 727 BGB) oder Insolvenz der Gesellschaft (§ 728 BGB).
A. Die Gesellschaftsformen
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III. Offene Handelsgesellschaft (vgl. Übersicht 7.4) Die OHG ist eine Unterart der oben dargestellten BGB-Gesellschaft.20 Im Unterschied zur GbR ist der Gesellschaftszweck bei der OHG eingeschränkt. Gemäß § 105 Abs. 1 HGB muss die OHG grundsätzlich auf den Betrieb eines Handelsgewerbes gerichtet sein; sie ist stets eine Handelsgesellschaft. Deshalb finden auf die OHG alle für Kaufleute geltenden Vorschriften Anwendung (§ 6 HGB). Gemäß § 105 Abs. 2 S. 1 HGB können auch Gesellschaften, deren Gewerbe kein Handelsgewerbe im Sinne des § 1 Abs. 2 HGB ist, oder die nur eigenes Vermögen verwalten, durch Eintragung der Firma ins Handelsregister eine OHG bilden.21 Unter „Gewerbe“ ist im Handelsrecht eine auf Dauer angelegte, selbstständige Tätigkeit zu verstehen (ausgenommen: freie Berufe), die entgeltlich, typischerweise auch in der Absicht ausgeübt wird, Gewinn zu erzielen.22 Für die OHG gelten die Sondervorschriften der §§ 105 ff. HGB. Soweit dort keine Sonderregelungen enthalten sind, gelten gemäß § 105 Abs. 3 HGB die Vorschriften der §§ 705 ff. BGB über die BGB-Gesellschaft. Wenn schon die GbR rechts- und parteifähig ist, so muss das erst recht für die OHG gelten. Hier ist es sogar gesetzlich geregelt (§ 124 HGB). Die OHG kann daher als Gesellschaft am Rechtsverkehr teilnehmen.23 Weiteres Merkmal der OHG ist die unmittelbare, unbeschränkte Haftung aller Gesellschafter, die somit neben dem Gesellschaftsvermögen auch mit ihrem Privatvermögen haften (§ 128 HGB).24 Hierbei unterscheidet sich die OHG von der Kommanditgesellschaft, bei der gerade nicht alle Gesellschafter persönlich haften. Des Weiteren müssen alle Gesellschafter gemäß § 105 Abs. 1 HGB unter der gleichen Firma tätig sein. Das bedeutet, dass die Gesellschaft unter einem einheitlichen Firmennamen nach außen auftreten muss.25 Die OHG muss schließlich gemäß § 106 HGB ins Handelsregister eingetragen werden. Handelt es sich aber bei dem von der Gesellschaft betriebenen Gewerbe um ein kaufmännisches gemäß § 1 Abs. 2 HGB, so hat die Eintragung nur deklaratorische Bedeutung.26 Handelt es sich jedoch bei den Gesellschaftern um nicht eingetragene Kleingewerbetreibende oder liegt nur eine Vermögensverwaltungsgesellschaft vor, so ist die Eintragung für die Umwandlung der zuvor bestehenden GbR zur OHG konstitutiv. Beispiel: A und B betreiben einen Kiosk, haben einen Gesellschaftsvertrag geschlossen und handeln im Namen der Gesellschaft. Da der Kiosk weder nach Art noch Größe einer kaufmännischen Betriebsführung bedarf, bildet er kein Handelsgewerbe gemäß § 1 Abs. 2 HGB. Somit liegt eine GbR vor. Tragen A und B aber ihre Gesellschaft ins Handelsregister ein, so entsteht eine OHG. 20 21 22 23 24 25 26
Hüffer, Gesellschaftsrecht, 7. Aufl. 2007, § 15, Rn. 1. Karsten Schmidt, ZIP 1997, 909 (916 f.). Hüffer, Gesellschaftsrecht, 7. Aufl. 2007, § 15, Rn. 5 m. w. N. Eisenhardt, Gesellschaftsrecht, 13. Aufl. 2007, Rn. 201 ff. Eisenhardt, Gesellschaftsrecht, 13. Aufl. 2007, Rn. 277 ff. Baumbach/Hopt/Merkt, Handelsgesetzbuch, 33. Aufl. 2007, § 105, Rn. 5. Eisenhardt, Gesellschaftsrecht, 13. Aufl. 2007, Rn. 220; instruktives Beispiel dazu bei Hüffer, Gesellschaftsrecht, 7. Aufl. 2007, § 15, Rn. 16, 17.
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Kapitel 7 Gesellschaftsrecht
516 Auf die gleiche Weise können die Inhaber einer Gesellschaft, die sich mit der Verwaltung des gemeinsamen Vermögens beschäftigt, eine OHG gründen. Betreiben A und B keinen Kiosk, sondern ein überregional tätiges Architekturbüro mit 15 Angestellten, so bleibt ihnen der Weg zur OHG verschlossen. Der Architekt übt nämlich einen freien Beruf aus und damit gerade kein Gewerbe. Die Führung eines Gewerbes bleibt aber mit Ausnahme der Vermögensverwaltung die Grundvoraussetzung für die Bildung einer OHG. Beispiel: C und D haben gemeinsam eine Elektrotechnik-Firma. Sie sind Kaufleute im Sinne des § 1 Abs. 2 HGB. Gemeinsam treten sie nach außen unter dem Namen CD-Tech auf. Damit entsteht auch ohne Eintragung ins Handelsregister eine OHG mit den Gesellschaftern C und D.
A. Die Gesellschaftsformen
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Übersicht 7.4: Die Offene Handelsgesellschaft Gründungsvoraussetzungen:
Einlagen und Vermögensverhältnisse:
Rechtsfolgen:
Änderung/Beendigung des Gesellschaftsvertrages:
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Formfreier, konkludent möglicher Vertrag von mindestens zwei Personen (§ 105 Abs. 3 HGB i. V. m. § 705 BGB), wobei auch der Zusammenschluss mehrerer Körperschaften möglich ist. Führung eines Handelsgewerbes oder einer Vermögensverwaltungsgesellschaft (§ 105 Abs. 1 HGB). Unbeschränkte Haftung aller Gesellschafter (§ 105 Abs. 1 HGB) Weder Mindestkapital noch Mindesteinzahlung vorgeschrieben. Handelsregistereintragung (§ 106 HGB). Als Einlage sind Geld-, Sach- oder Dienstleistungen möglich (§ 105 Abs. 3 HGB i. V. m. § 706 BGB). Einlagen und bei Führung der Gesellschaft erworbene Gegenstände werden gemeinschaftliches Vermögen aller Gesellschafter. Die OHG ist keine juristische Person, aber rechtsfähig (§ 124 HGB). Sie kann Rechte erwerben, Verträge schließen, Verbindlichkeiten eingehen und ist zwangsvollstreckungsfähig. Sie muss eine für alle Gesellschafter einheitliche Firma führen (§ 105 Abs. 1 HGB). Ohne andere vertragliche Regelung werden die Kapitalanteile mit 4 v.H. verzinst; der Restgewinn wird nach der Zahl der Gesellschafter aufgeteilt (§ 121 HGB). Der Verlust wird gemäß § 105 Abs. 3 HGB i. V. m. § 722 BGB nach gleichen Anteilen aufgeteilt, wenn keine andere vertragliche Regelung besteht. Vertragsänderung vorbehaltlich anderer vertraglicher Regelung formfrei bei Zustimmung aller Gesellschafter; ebenso bei Übertragung eines Gesellschaftsanteils. Auflösung bei Ablauf der Zeit, für die die OHG eingegangen ist (§ 131 Abs. 1 Nr. 1 HGB), durch Auflösungsbeschluss der Gesellschafter (§ 131 Abs. 1 Nr. 2 HGB), durch Eröffnung des Insolvenzverfahrens über das Vermögen der Gesellschaft (§ 131 Abs. 1 Nr. 3 HGB) oder durch gerichtliche Entscheidung (§§ 131 Abs. 1 Nr. 4, 133 HGB). Lediglich Ausscheiden eines Gesellschafters aus der OHG durch Tod (§ 131 Abs. 3 Nr. 1 HGB),27 Konkurseröffnung über Vermögen eines Gesellschafters (§ 131 Abs. 3 Nr. 2 HGB), Kündigung (auch durch Gläubiger, § 131 Abs. 3 Nr. 3, 4 HGB) und Gesellschafterbeschluss (§ 131 Abs. 3 Nr. 6 HGB).28
Erst nach Reform des HGB; vorher war bei dem Tod eines Gesellschafters die Beendigung der Gesellschaft die regelmäßige Rechtsfolge. Näheres Karsten Schmidt, ZIP 1997, 909 (917). Näher zu den Auflösungsgründen Eisenhardt, Gesellschaftsrecht, 13. Aufl. 2007, Rn. 297 ff.
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Kapitel 7 Gesellschaftsrecht
IV. Kommanditgesellschaft (KG) (vgl. Übersicht 7.5) 518 Bei der KG handelt es sich um eine Sonderform der OHG. Deshalb gelten für die KG, soweit in den §§ 160-177a HGB nichts Abweichendes geregelt ist, gemäß § 161 Abs. 2 HGB die Regeln der §§ 105 ff. HGB über die OHG und, soweit auch dort nichts Spezielles geregelt wird, die Regeln der §§ 705 ff. BGB über die BGBGesellschaft. Unter den Gesellschaftern wird zwischen Komplementären und Kommanditisten unterschieden. Der Komplementär haftet unbeschränkt mit seinem ganzen Vermögen, während die Haftung des Kommanditisten gemäß §§ 171 ff. HGB auf seine Kommanditeinlage beschränkt ist. In dieser Haftungsbeschränkung des Kommanditisten liegt der Unterschied der KG zur OHG. Voraussetzung für die Bildung der KG und mithin der Haftungsbeschränkung des Kommanditisten ist gemäß § 176 HGB die Eintragung ins Handelsregister. Wie die OHG muss auch die KG gemäß § 161 Abs. 1 HGB ein Handelsgewerbe unter gemeinschaftlicher Firma betreiben. Die Beliebtheit der KG im Wirtschaftsleben ist vor allem in der Sonderform der 519 GmbH und Co. KG begründet. Hier ist eine GmbH persönlich haftende Komplementärin. Daneben muss es mindestens einen Kommanditisten geben, der – wie oben ausgeführt – nur mit seiner Einlage haftet. Da die GmbH jedoch nur eine mit ihrem Gesellschaftsvermögen haftende Kapitalgesellschaft ist, ermöglicht es diese Konstruktion, eine persönliche Haftung aller Gesellschafter der KG zu vermeiden. Weiterhin bestehen gegenüber einer einfachen GmbH vielfach steuerliche Vorteile.29
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Eisenhardt, Gesellschaftsrecht, 13. Aufl. 2007, Rn. 376; Hüffer, Gesellschaftsrecht, 7. Aufl. 2007, § 36, Rn. 7.
A. Die Gesellschaftsformen
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Übersicht 7.5: Die Kommanditgesellschaft Gründungsvoraussetzungen:
Einlagen und Vermögensverhältnisse:
Rechtsfolgen:
Änderung/Beendigung des Gesellschaftsvertrages:
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Formfreier, konkludent möglicher Vertrag von mindestens zwei Personen (§ 161 Abs. 1 HGB i. V. m. § 105 HGB, § 705 BGB). Führung eines Handelsgewerbes (§ 161 Abs. 1 HGB). Neben der KG selber, die mit ihrem Gesellschaftsvermögen haftet, haftet der Komplementär unbeschränkt (§§ 161 i. V. m. §§ 128-130 HGB); der oder die Kommanditisten haften beschränkt auf ihre Kommanditeinlage (§§ 171, 176 HGB). Weder Mindestkapital noch Mindesteinzahlung vorgeschrieben. Handelsregistereintragung (§ 162 HGB). Als Einlage sind Geld-, Sach- oder Dienstleistungen möglich (§§ 161, 105 Abs. 3 HGB i. V. m. 706 BGB). Einlagen und bei Führung der Gesellschaft erworbene Gegenstände werden gemeinschaftliches Vermögen aller Gesellschafter. Die KG ist rechtsfähig (§§ 161 Abs. 2, 124 HGB). Sie kann Verträge schließen, Rechte erwerben, Verbindlichkeiten eingehen und ist prozessfähig. Sie muss eine für alle Gesellschafter einheitliche Firma führen. Ohne andere vertragliche Regelung werden Kapitalanteile mit 4 v.H. verzinst (§§ 161 Abs. 2, 121 HGB); der Restgewinn im angemessenen Verhältnis aufgeteilt (§ 168 Abs. 2 HGB). Der Verlust wird, wenn vertragliche Vereinbarung dazu fehlt, gem. §§ 161 Abs. 2, 121 Abs. 3 HGB nach gleichen Anteilen aufgeteilt. Vertragsänderung vorbehaltlich anderer vertraglicher Regelung formfrei bei Zustimmung aller Gesellschafter; ebenso bei Übertragung eines Gesellschaftsanteils. Die Beendigung der KG regelt sich gemäß § 161 HGB nach den Beendigungsvorschriften der OHG (§§ 131 ff. HGB). Also: Auflösung bei Ablauf der Zeit, für welche die OHG eingegangen ist (§ 131 Abs. 1 Nr. 1 HGB), durch Auflösungsbeschluss der Gesellschafter (§ 131 Abs. 1 Nr. 2 HGB), durch Eröffnung des Insolvenzverfahrens über das Vermögen der Gesellschaft (§ 131 Abs. 1 Nr. 3 HGB) oder durch gerichtliche Entscheidung (§§ 131 Abs. 1 Nr. 4, 133 HGB). Lediglich Ausscheiden eines Gesellschafters aus der KG durch Tod (§ 131 Abs. 3 Nr. 1 HGB),30 Konkurseröffnung über Vermögen eines Gesellschafters (§ 131 Abs. 3 Nr. 2 HGB), Kündigung (auch durch Gläubiger, § 131 Abs. 3 Nr. 3, 4 HGB) und Gesellschafterbeschluss (§ 131 Abs. 3 Nr. 6 HGB).
Erst nach Reform des HGB; vorher war bei dem Tod eines Gesellschafters die Beendigung der Gesellschaft die regelmäßige Rechtsfolge. Näheres Karsten Schmidt, ZIP 1997, 909 (917).
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Kapitel 7 Gesellschaftsrecht
V. Stille Gesellschaft 521 Gemäß § 230 HGB kann sich jemand auch als stiller Gesellschafter an dem Handelsgewerbe eines anderen beteiligen. In diesem Fall hat er eine Kapitaleinlage in das Unternehmen des anderen geleistet, ohne nach außen hin als Gesellschafter in Erscheinung zu treten. Lediglich im Innenverhältnis gilt analog §§ 705 ff. BGB Gesellschaftsrecht. Gemäß § 231 Abs. 2 HGB ist der stille Gesellschafter am Gewinn beteiligt. Deshalb ist die stille Gesellschaft eine reine Innengesellschaft, da sie Rechtsbeziehungen nur zwischen den Gesellschaftern schafft.31 Abzugrenzen ist diese Gesellschaftsform vom partiarischen Darlehen. In beiden 522 Fällen geht eine Einlage in das Vermögen eines anderen über, wofür eine Vergütung in Form einer Gewinnbeteiligung vereinbart wird. Das partiarische Darlehen ist ein Darlehen gemäß § 607 BGB mit der besonderen Abrede, dass die Rückzahlung nicht in regelmäßigen Raten, sondern je nach Gewinnlage erfolgt. Der Unterschied zur stillen Gesellschaft liegt darin, dass der Darlehensgeber nur eigene wirtschaftliche Interessen verfolgt, während die Gesellschafter der stillen Gesellschaft einen gemeinsamen Zweck in Form eines Handelsgewerbes verfolgen.32 Je stärker die Kontrollrechte des Vertragspartners ausgestaltet sind und je mehr Mitentscheidungskompetenz er besitzt, umso mehr spricht dann dafür, dass die Parteien eine stille Gesellschaft eingegangen sind.33 Beispiel: C und D wollen ihr Elektrofachgeschäft vergrößern und fragen daher E, ob er sich mit 100.000 € beteiligen wolle. E zahlt an die CD-Tech diese Summe. C und D führen das Geschäft nach wie vor allein weiter. In der Vereinbarung mit E ist keine Einflussnahme auf die Gesellschaft vorgesehen. Geregelt ist nur eine Gewinnbeteiligung. Folglich ist E kein stiller Gesellschafter und muss z. B. auch nicht persönlich für etwaige Verluste der CD-Tech haften.
VI. Die Partnerschaftsgesellschaft 523 Angehörige freier Berufe wie Ärzte, Rechtsanwälte, Wirtschaftsprüfer, Sachverständige, Dolmetscher, Wissenschaftler, Künstler, Heilpraktiker, Hebammen, Architekten, Ingenieure, Handelschemiker, Lotsen, Journalisten, Lehrer und Erzieher können bei ihrer Berufsausübung keine Personengesellschaft des HGB (OHG oder KG) gründen, da sie kein Handelsgewerbe betreiben. Sie können sich aber gemäß § 1 PartGG zu einer Partnerschaft zusammenschließen. Voraussetzung ist ein schriftlicher Gesellschaftsvertrag gemäß § 3 PartGG und die Eintragung ins Partnerschaftsregister (§ 4 PartGG i. V. m. §§ 106 Abs. 1 und 108 HGB). Die Partnerschaftsgesellschaft ist eine Personengesellschaft, auf die daher 524 grundsätzlich die Vorschriften über die BGB-Gesellschaft anzuwenden sind. Zum 31
32 33
Eisenhardt, Gesellschaftsrecht, 13. Aufl. 2007, Rn. 462; Hüffer, Gesellschaftsrecht, 7. Aufl. 2007, § 27, Rn. 4. Eisenhardt, Gesellschaftsrecht, 13. Aufl. 2007, Rn. 468. Eisenhardt, Gesellschaftsrecht, 13. Aufl. 2007, Rn. 469; Baumbach/Hopt/Merkt, Handelsgesetzbuch, 33. Aufl. 2007, § 230, Rn. 4.
A. Die Gesellschaftsformen
171
Teil verweist das PartGG auch auf die Regeln zur OHG.34 Gemäß § 7 Abs. 2 PartGG i. V. m. § 124 HGB ist die Partnerschaft – analog zur GbR und zur OHG – rechtsfähig. Sie kann insbesondere Rechte erwerben und an Prozessen teilnehmen. Ihr Hauptvorteil besteht darin, dass gemäß § 8 Abs. 2 PartGG die Haftung wegen fehlerhafter Berufsausübung auf die Partner beschränkt werden kann, die mit der Bearbeitung des Auftrages befasst waren.35 Beispiel: Die Architekten G und H können ihr gemeinsames Architekturbüro als Partnerschaft ins Partnerschaftsregister eintragen lassen, da sie Angehörige der in § 1 Abs. 2 PartGG abschließend aufgeführten freien Berufe sind. Verursacht H einen Planungsfehler, kann die Haftung des Architekturbüros auf H beschränkt werden, d. h. G haftet dann – anders als im Fall einer GbR – nicht mit.
VII. Die Gesellschaft mit beschränkter Haftung (GmbH) Bei der GmbH handelt es sich um eine Gesellschaft mit eigener Rechtspersönlichkeit (eine juristische Person),36 die den Gläubigern nur mit ihrem Gesellschaftsvermögen haftet (§ 13 Abs. 2 GmbHG). Eine persönliche Haftung der Gesellschafter neben der Gesellschaft gibt es – mit Ausnahme der seltenen Fälle der sogenannten Durchgriffshaftung37 – nicht. Voraussetzung ist der Abschluss eines gemäß § 2 Abs. 1 GmbHG notariell beurkundeten Gesellschaftsvertrages durch eine oder mehrere Personen. Dieser wird Satzung genannt. Die Gründer verpflichten sich darin zur Leistung der jeweiligen Stammeinlage (mindestens 100 € je Gesellschafter), die das Stammkapital (mindestens 25.000 €) ausmacht. Schließlich ist die Gesellschaft von dem oder den Geschäftsführer(n) gemäß § 7 Abs. 1 GmbHG beim Handelsregister anzumelden. Zulässig ist auch die Gründung einer GmbH durch nur einen Gesellschafter. Alle Gesellschaftsanteile befinden sich dann in einer Hand. An die Stelle des Gesellschaftsvertrages tritt die einseitige notariell beurkundete Erklärung, eine GmbH zu gründen (§§ 1, 2 Abs. 1 GmbHG). Die Gesellschaft haftet nur mit ihrem eigenen Vermögen, das das Stammkapital nicht zu übersteigen braucht. Eine Haftung der Gesellschafter mit ihrem Privatvermögen besteht grundsätzlich nicht. Unabhängig vom Unternehmensgegenstand gilt die GmbH gemäß § 13 Abs. 3 GmbHG als Formkaufmann. Die Gesellschaft führt eine Firma, die auch in einer Phantasiebezeichnung bestehen kann, muss aber gemäß § 4 GmbHG den Zusatz „Gesellschaft mit beschränkter Haftung“ oder die Abkürzung „GmbH“ führen. Umstritten ist, ob auch Angehörige freier Berufe eine GmbH gründen können. Neuerdings wird dies mit Blick auf die Berufsfreiheit aus Art. 12 Abs. 1 GG be34 35
36 37
Eisenhardt, Gesellschaftsrecht, 13. Aufl. 2007, Rn. 360. Eisenhardt, Gesellschaftsrecht, 13. Aufl. 2007, Rn. 359; Hüffer, Gesellschaftsrecht, 7. Aufl. 2007, § 29, Rn. 7. Hüffer, Gesellschaftsrecht, 7. Aufl. 2007, § 34, Rn. 3. S. dazu o. Fußn. 17.
525
526
527
528
529
172
Kapitel 7 Gesellschaftsrecht
jaht. Dem soll auch nicht die Haftungsbeschränkung entgegenstehen.38 Beispiel: Die Architekten G und H haben sich zu einer GmbH mit einem Stammkapital von 25.000 € zusammengeschlossen, die auch in das Handelsregister aufgenommen wurde. Als wegen eines Planungsfehlers des G ein Großbauvorhaben von 1 Mio. € scheitert, verlangt der Bauträger Schadenersatz von der GmbH. Diese haftet mit ihrem Stammkapital von 25.000 € und dem darüber hinaus evt. erworbenen Vermögen. Eine Haftung der Architekten G und H mit ihrem Privatvermögen besteht nicht. Übersicht 7.6: Die Gesellschaft mit beschränkter Haftung
530
Gründungsvoraussetzungen:
Einlagen und Vermögensverhältnisse:
Rechtsfolgen:
Änderung/Beendigung des Gesellschaftsvertrages:
38
x Notariell beurkundeter Vertrag von einer oder mehreren Personen (§§ 1, 2 GmbHG) x Jeder gesetzlich zulässige Zweck möglich (§ 1 GmbHG) x 25.000 € Mindestkapital und 100 € Mindesteinzahlung vorgeschrieben (§ 5 GmbHG) x Benennung eines Geschäftsführers (§ 6 GmbHG); Führen einer Firma (§ 5 GmbHG); Anmeldung beim Handelsregister (§ 7 GmbHG) Als Einlage kommen Geld- oder Sachleistungen in Betracht (§ 5 Abs. 1, 4 GmbHG). Einlagen und bei Führung der Gesellschaft erworbene Gegenstände werden Vermögen der Gesellschaft. x Die GmbH ist als juristische Person rechtsfähig (§ 13 Abs. 1 GmbHG) und ist Formkaufmann gemäß § 6 HGB (§ 13 Abs. 3 GmbHG). x Gewinn und Verlust werden ohne abweichende vertragliche Regelung nach den Geschäftsanteilen berechnet (§ 29 Abs. 3 GmbHG). x Änderung des Vertrages bedarf gemäß § 53 Abs. 2 GmbHG notarieller Beurkundung bei Zustimmung von 3/4 der Gesellschafter. Übertragung eines Gesellschaftsanteils ist grds. gemäß § 15 Abs. 1 GmbHG möglich; sie bedarf eines notariellen Vertrages (§ 15 Abs. 3 GmbHG). x Auflösung durch Zeitablauf, Gesellschaftsbeschluss (3/4-Mehrheit), Eröffnung des Konkursverfahrens, Gerichtsurteil bei Unmöglichkeit oder anderem wichtigen Grund, behördl. Verfügung bei Gemeinwohlgefährdung, aufgrund des Gesellschaftsvertrages (§§ 60 ff. GmbHG).
BayObLG, NJW 1995, 199 (200); anders noch die Vorinstanz LG München, NJW 1994, 1882 (1883) mit zustimmender Anmerkung Taupitz, NJW 1995, 369. Allerdings ist durch die Möglichkeit der Bildung einer Partnerschaft i. S. d. PartGG dieser Streit entschärft.
A. Die Gesellschaftsformen
173
Fall 8: Falscher Rat ist teuer X und Y haben Maschinenbautechnik studiert und machten die Erfahrung, dass 531 man auch ohne die Mühsal eines Studienabschlusses mit seinen Fähigkeiten Geld verdienen kann. So halfen sie vornehmlich kleineren Zulieferfirmen bei der Berechnung verschiedener Projekte. Dabei traten sie als „Maschinenbau Rat&Tat“ auf. Unter diesem Namen wurde auch ein Vertrag mit der Firma des F geschlossen. Leider waren die aufgrund der Berechnungen des X angefertigten Ausrüstungsgüter des F nicht brauchbar. F erlitt dadurch einen Schaden von 100.000 €. F ist sich nicht sicher, ob X oder Y für den Schaden aufkommen kann. Er beauftragt daher seinen Rechtsanwalt, direkt gegen die „Maschinenbau Rat&Tat“ vorzugehen. Hat eine Klage des F gegen die „Maschinenbau Rat&Tat“ Aussicht auf Erfolg? Lösungsaufbau: Erfolgsaussichten der Klage des F gegen die „Maschinenbau Rat&Tat“
532
I. Zulässigkeit der Klage 1. Parteifähigkeit des F 2. Parteifähigkeit der „Maschinenbau Rat&Tat“ a) Offene Handelsgesellschaft aa) Führen einer gemeinsamen Firma in der Öffentlichkeit bb) Führen eines Gewerbes b) Partnerschaftsgesellschaft c) Gesellschaft bürgerlichen Rechts aa) Rechtsfähigkeit der GbR bb) Entscheidung II. Ergebnis
Lösungsvorschlag: I.
Zulässigkeit der Klage
Fraglich ist, ob eine Klage des F gegen die „Maschinenbau Rat&Tat“ überhaupt 533 zulässig ist. Voraussetzung dafür ist zunächst die Parteifähigkeit des Klägers und der Beklagten gemäß § 50 ZPO. 1.
Parteifähigkeit des F
F ist als natürliche Person rechtsfähig und damit gemäß § 50 Abs. 1 ZPO ein zu- 534 lässiger Kläger. 2.
Parteifähigkeit der „Maschinenbau Rat&Tat“
Bei der „Maschinenbau Rat&Tat“ handelt es sich um keine natürliche Person, 535 sondern um einen Verbund mehrerer Personen. Es ist damit zu prüfen, ob der Verbund des X und Y als solcher Partei in einem Rechtsstreit sein kann. Dann müsste es sich bei der Verbindung von X und Y um eine zivilprozessrechtlich rechtsfähige Gesellschaft handeln.
174
Kapitel 7 Gesellschaftsrecht
a)
Offene Handelsgesellschaft
536 Bei der „Maschinenbau Rat&Tat“ könnte es sich um eine Offene Handelsgesellschaft handeln, die gemäß § 124 Abs. 1 HGB parteifähig ist. aa)
Führen einer gemeinsamen Firma in der Öffentlichkeit
537 Grundsätzlich ist die OHG in das Handelsregister einzutragen (§ 106 HGB). Eine solche Eintragung liegt bei X und Y nicht vor. Ausreichend ist aber auch, wenn ein kaufmännischer Gewerbebetrieb von mehreren Personen unter einem gemeinsamen Namen an die Öffentlichkeit tritt.39 X und Y haben Verträge mit Kunden unter dem Namen „Maschinenbau Rat&Tat“ abgeschlossen. Damit könnte auch ohne Eintragung in das Handelsregister eine OHG vorliegen. bb)
Führen eines Gewerbes
538 Dann müssten X und Y jedoch ein kaufmännisches Handelsgewerbe gemäß § 1 Abs. 2 HGB betreiben. Das ist ausgeschlossen, wenn es sich bei der Tätigkeit von X und Y um einen freien Beruf handelt. Dabei ist nicht der formale Berufsabschluss ausschlaggebend, sondern das Berufsbild. X und Y beraten Firmen bei der Produktentwicklung, sind aber an der Produktion nicht unmittelbar beteiligt. Insofern ist ihre Tätigkeit an die eines Gutachters oder im Vergleich zum Baubereich an die eines Architekten angelehnt. Bei diesen Tätigkeiten handelt es sich aber um freie Berufe. Somit führen X und Y kein Gewerbe aus. Daher kann durch die Vertragsabschlüsse unter einem gemeinsamen Namen keine OHG entstanden sein. b)
Partnerschaftsgesellschaft
539 Durch schriftlichen Vertrag und Eintragung in das Partnerschaftsregister können angehörige freier Berufe eine Partnerschaft bilden, wenn sie der Aufzählung des § 1 Abs. 2 PartGG unterfallen. Diese Partnerschaft ist dann gemäß § 7 Abs. 2 PartGG auch parteifähig. X und Y haben keinen schriftlichen Partnerschaftsvertrag geschlossen und sind 540 auch nicht im Register eingetragen. Außerdem sind sie als freie Berater ohne anerkannte Berufsbezeichnung nicht in § 1 Abs. 2 PartGG aufgeführt. Bei der „Maschinenbau Rat&Tat“ handelt es sich somit um keine Partnerschaftsgesellschaft. c)
Gesellschaft bürgerlichen Rechts
541 Es könnte sich bei ihr aber um eine GbR handeln. Voraussetzung dazu ist gemäß § 705 BGB die Vereinbarung von mindestens zwei Personen, einem gemeinsamen Zweck dienen zu wollen. X und Y wollen zusammen Maschinenbauplanungsarbeiten für andere Betriebe durchführen. Sie haben damit zumindest konkludent eine GbR gegründet. Bei Gesellschaften, die nicht in das Handelsregister einzutragen sind, ist auch bisher jede nicht irreführende Geschäftsbezeichnung zulässig.
39
Eisenhardt, Gesellschaftsrecht, 13. Aufl. 2007, Rn. 220; Hüffer, Gesellschaftsrecht, 7. Aufl. 2007, § 15, Rn. 17.
A. Die Gesellschaftsformen
175
Somit handelt es sich bei der „Maschinenbau Rat&Tat“ um eine GbR mit X und Y als Gesellschaftern. aa)
Rechtsfähigkeit der GbR
Nach höchstrichterlicher Rechtsprechung40 ist die GbR analog § 124 HGB eine 542 rechtsfähige Personengesellschaft nach § 14 Abs. 2 BGB. Sie kann als eigenständige Rechtsperson auftreten und ist daher gemäß § 50 ZPO auch prozessfähig, da die Prozessfähigkeit mit der Rechtsfähigkeit korrespondiert. bb)
Entscheidung
Die Zulässigkeit einer Klage richtet sich danach, ob ein für den Kläger positives 543 Urteil vollstreckbar ist. Bei der GbR haftet zunächst immer deren Gesellschaftsvermögen. Die Frage, ob daneben auch die Gesellschafter persönlich haften, hat der BGH in dem Sinn entschieden, dass alle Gesellschafter der GbR für die Gesellschaftsschulden gesamtschuldnerisch und persönlich haften.41 Da die Haftung der Gesellschafter für Verbindlichkeiten der GbR eine akzessorische ist, die dem Rechtsgedanken des § 128 HGB folgt, werden auch die Grundsätze des § 129 HGB angewendet, wonach der wegen einer Gesellschaftsverbindlichkeit in Anspruch genommene Gesellschafter alle Einwendungen (z. B. Erfüllung, Erlass, Stundung) und Einreden (z. B. Verjährung) geltend machen kann, die auch der Gesellschaft zustehen.42 Will der Gläubiger demgemäß auch in das Vermögen der Gesellschafter vollstrecken, bedarf er dazu gemäß § 736 ZPO jedoch eines Titels gegen alle Gesellschafter. F sollte die Klage daher nicht nur gegen die GbR „Maschinenbau Rat&Tat“, sondern sogleich auch gegen deren Gesellschafter X und Y erheben. II.
Ergebnis
Die „Maschinenbau Rat&Tat“ ist als Außen-GbR parteifähig und kann daher ge- 544 mäß § 50 Abs. 1 ZPO von F in Anspruch genommen und verklagt werden. Trotz der Rechts- und Parteifähigkeit besteht aber keine Verpflichtung, die GbR direkt zu verklagen.43 Es genügt und ist sogar sinnvoller, alle Gesellschafter der GbR, also X und Y persönlich zu verklagen, denn nur mit einem gegen alle Gesellschafter lautenden Urteil kann gemäß § 736 ZPO auch in das Vermögen der GbR vollstreckt werden.44
40
41 42
43 44
BGHZ 146, 341 ff. = NJW 2001, 1056 = MDR 2001, 459 = ZIP 2001, 330 = WM 2001, 408. BGHZ 142, 315 ff. = NJW 1999, 3483 ff. Eisenhardt, Gesellschaftsrecht, 13. Aufl. 2007, Rn. 83; Karsten Schmidt, NJW 2001, 993 (999). BGH, NJW 2007, 2257. Näheres bei Zöller/Vollkommer, ZPO Komm., 26. Aufl. 2007, § 50, Rn. 18.
176
Kapitel 7 Gesellschaftsrecht
B. Die Organisation der Gesellschaft 545 Zur Führung einer Gesellschaft ist es notwendig, dass geregelt ist, wie und durch wen sie handeln kann. Dabei ist zwischen der Geschäftsführung und der Vertretung zu unterscheiden. Unter der Geschäftsführung ist die Verteilung der internen Verantwortlichkeit zu verstehen, also die Antwort auf die Frage, ob ein Gesellschafter oder ein Dritter im Innenverhältnis für die Gesellschaft rechtlich oder tatsächlich tätig werden durfte. Von der Geschäftsführung nicht erfasst sind dabei die sogenannten Grundgeschäfte, also die Geschäfte, die den Gesellschaftsvertrag selbst betreffen (Änderung und Auflösung).45 Im Rahmen der Vertretung ist zu prüfen, ob derjenige, der für die Gesellschaft 546 tätig wurde, nach außen im Verhältnis zu Dritten die Gesellschaft auch rechtlich wirksam binden konnte.46 Hier ist grundsätzlich der Geschäftsführer das zur gerichtlichen und außergerichtlichen Vertretung der GmbH berufene Organ (§ 35 Abs. 1 GmbHG). So vertritt der Geschäftsführer die GmbH etwa auch bei einer Veräußerung des Unternehmens. Davon zu unterscheiden ist die Frage, ob er den Gesellschaftern gegenüber im Innenverhältnis zu einem solchen Rechtsgeschäft befugt ist. Das wird er regelmäßig nicht sein, da die Geschäftsführungsbefugnis üblicherweise auf die zur Erreichung des Gesellschaftszwecks erforderlichen gewöhnlichen Maßnahmen beschränkt ist. Für bestimmte ungewöhnliche Maßnahmen, die von besonderer Wichtigkeit für die Gesellschafter sind (dazu wird die Veräußerung des Unternehmens immer gehören; einige weitere Fälle sind in dem nicht abschließenden Katalog des § 46 GmbHG benannt), muss der Geschäftsführer zuvor einen Beschluss der Gesellschafterversammlung einholen.47 Im Anstellungsvertrag des Geschäftsführers können die zustimmungspflichtigen Rechtsgeschäfte exakt aufgelistet werden. Verstößt der Geschäftsführer gegen die dort vereinbarte Beschränkung seiner Geschäftsführungsbefugnis, so ist das abgeschlossene Rechtsgeschäft dem Dritten gegenüber grundsätzlich wirksam48 (es sei denn, der Dritte hätte die Beschränkung gekannt), im Innenverhältnis zu den Gesellschaftern macht sich der Geschäftsführer allerdings gemäß § 43 Abs. 2 GmbHG schadenersatzpflichtig.49 Die Geschäftsführung bezeichnet demnach das Innenverhältnis und die Vertretung das Außenverhältnis einer Gesellschaft. Beispiel: X, der Mitgesellschafter der Maschinenbau Rat&Tat, betreut nach Absprache mit dem anderen Gesellschafter Y den Stand der Gesellschaft auf der Fachmesse in Hannover. Y stellt währenddessen wie abgesprochen eine neue Sekretärin ein. Die Betreuung des Messestandes gehört ebenso zur Geschäftsführung wie die Einstellung der Sekretärin. Bei der Einstellung hat Y aber darüber hinaus als Vertreter der Gesellschafter gehandelt.
45
46 47 48 49
Hüffer, Gesellschaftsrecht, 7. Aufl. 2007, § 10, Rn. 14 und speziell für den GmbHGeschäftsführer in § 34, Rn. 33. Hüffer, Gesellschaftsrecht, 7. Aufl. 2007, § 10, Rn. 6. Hüffer, Gesellschaftsrecht, 7. Aufl. 2007, § 34, Rn. 33. Eisenhardt, Gesellschaftsrecht, 13. Aufl. 2007, Rn. 705. Eisenhardt, Gesellschaftsrecht, 13. Aufl. 2007, Rn. 711.
B. Die Organisation der Gesellschaft
177
Ohne die Zustimmung des X hätte er die Sekretärin nicht einstellen dürfen; bei bestehender Vertretungsmacht wäre der Arbeitsvertrag mit ihr dennoch wirksam.
Vorrang vor den dispositiven gesetzlichen Regelungen hat der jeweilige Gesell- 547 schaftsvertrag. Daher kann die Geschäftsführung und Vertretung auch auf Dritte übertragen werden.50 Nach h. M. wird diese Möglichkeit bei Personengesellschaften durch das Prinzip der Selbstorganschaft begrenzt. Demnach dürfen durch den Gesellschaftsvertrag nicht alle Gesellschafter gänzlich von der Geschäftsführung und Vertretung ausgeschlossen werden,51 während bei der GmbH eine Übertragung dieser Aufgaben auf einen Dritten als Geschäftsführer möglich und auch üblich ist. Beispiel: Im vorangegangenen Beispielsfall können X und Y den G nur dann als alleinigen Geschäftsführer und Vertretungsberechtigten einstellen, wenn dieser Vertrag jederzeit widerrufbar ist, sie also weiterhin Einfluss nehmen können. Handelt es sich bei der Maschinenbau Rat&Tat dagegen um eine GmbH, ist ein langfristiger Vertrag mit G möglich.
Im Folgenden werden die gesetzlichen Regelungen bei einigen Gesellschaftstypen 548 dargestellt.
I.
Organisation der GbR
1.
Geschäftsführung
Bei der GbR können die Gesellschafter grundsätzlich gemäß § 709 Abs. 1 BGB 549 nur gemeinschaftlich handeln. Allerdings ist gemäß §§ 710 ff. BGB eine Übertragung der Geschäftsführung auf einen oder mehrere Gesellschafter möglich. Dieser Geschäftsführer bindet dann, wenn er Verträge für die Gesellschaft abschließt, zugleich auch alle Mitgesellschafter, die dann ihrerseits für die Verbindlichkeiten der Gesellschaft auch persönlich einzustehen haben,. Für die geschäftsführenden Gesellschafter gilt dann gemäß § 713 BGB das Auftragsrecht nach §§ 664 ff. BGB. In Notfällen wird darüber hinaus eine analoge Anwendung des § 744 BGB angenommen. Demnach kann ein Gesellschafter dann ausnahmsweise allein handeln.52 2.
Vertretung
§ 714 BGB bindet die Vertretungsmacht an die Geschäftsführungsbefugnis. So- 550 lange im Gesellschaftsvertrag also keine andere Regelung vereinbart wird, decken 50 51
52
Hüffer, Gesellschaftsrecht, 7. Aufl. 2007, § 34, Rn. 431. BGH, NJW 1994, 237; Eisenhardt, Gesellschaftsrecht, 13. Aufl. 2007, Rn. 80; Hüffer, Gesellschaftsrecht, 7. Aufl. 2007, § 10, Rn. 4 und § 16, Rn. 28 ff. BGHZ 17, 181; Palandt/Sprau, Bürgerliches Gesetzbuch, 67. Aufl. 2008, Vorb. v. § 709, Rn. 6.
178
Kapitel 7 Gesellschaftsrecht
sich Geschäftsführungsbefugnis und Vertretungsmacht.53 Damit steht die Vertretungsmacht grundsätzlich nur allen Gesellschaftern gemeinsam zu. Nach dem Wortlaut des § 714 BGB besteht die Vertretungsmacht nicht zugunsten der Gesellschaft als solcher, sondern nur gegenüber den einzelnen Gesellschaftern. Beispiel: Die „Bergbau Rat&Tat GbR“ hat in ihrem Gesellschaftsvertrag keine Regelungen zur Geschäftsführung und Vertretung. Der Gesellschafter X mietet ein Bürogebäude an. Der andere Gesellschafter Y lässt derweil den Firmenwagen vom Pannenservice reparieren. Gemäß § 709 BGB steht nur X und Y gemeinsam die Geschäftsführung zu. Somit sind sie nach § 714 BGB auch nur gemeinsam vertretungsberechtigt. X war demnach nicht zum Abschluss des Mietvertrages berechtigt. Dieser ist gemäß § 179 BGB schwebend unwirksam, da X keine Vertretungsmacht besaß. Bei der Reparatur des Firmenwagens handelte es sich dagegen um eine Notmaßnahme, sodass analog § 744 Abs. 2 BGB Y den Pannenservice beauftragen durfte und rechtlich verbindlich handeln konnte. Somit kommen X und Y für die Reparaturrechnung gemeinsam auf.
II. Organisation der OHG 1.
Geschäftsführung
551 Im Gegensatz zur GbR gehen die §§ 115 Abs. 1, 116 Abs. 1 HGB von der Einzelgeschäftsführungsbefugnis jedes Gesellschafters bei den Handlungen aus, die der gewöhnliche Betrieb eines Handelsgewerbes der betroffenen Gesellschaft mit sich bringt. Allerdings besteht für die anderen Gesellschafter ein Widerspruchsrecht aus § 115 Abs. 1 2. HS HGB. Für außergewöhnliche Handlungen ist gemäß § 116 Abs. 2 HGB ein Beschluss aller Gesellschafter notwendig. Durch Gesellschaftsvertrag kann die Geschäftsführungsbefugnis jedoch auf einzelne oder mehrere Gesellschafter übertragen werden, die anderen Gesellschafter sind dann gemäß § 115 Abs. 2 HGB von der Geschäftsführung ausgeschlossen. 2.
Vertretung
552 Gemäß § 125 Abs. 1 HGB ist jeder Gesellschafter zur Vertretung der OHG berechtigt; Abweichendes kann im Gesellschaftsvertrag bestimmt werden. Dort kann gemäß § 125 Abs. 2 HGB auch die Gesamtvertretung durch alle Gesellschafter angeordnet werden. Auch eine unechte Gesamtvertretung dergestalt, dass ein Gesellschafter nur zusammen mit einem Prokuristen handeln kann, ist gemäß § 125 Abs. 3 HGB möglich. Darüber hinaus gelten die für die Führung jedes Handelsunternehmens möglichen Vertretungsregeln (Prokura, Handlungsbevollmächtigung).54 Andere Regelungen bezüglich der Geschäftsführung haben für die Wirksamkeit im Außenverhältnis keine Bedeutung.
53
54
Eisenhardt, Gesellschaftsrecht, 13. Aufl. 2007, Rn. 77; Hüffer, Gesellschaftsrecht, 7. Aufl. 2007, § 10, Rn. 26. S.o. Rn. 420 ff.
B. Die Organisation der Gesellschaft
179
Beispiel: Bei der CD-Tech handelt es sich um eine OHG. Die Gesellschafter C und D hatten über eine Teilnahme an der Hannover-Messe gesprochen. D hatte sich dagegen ausgesprochen. Dennoch schloss C einen Ausstellervertrag mit der Messegesellschaft ab. Zwar war C als Gesellschafter mangels entgegenstehender vertraglicher Regelungen grundsätzlich gemäß § 115 Abs. 1 HGB zur Geschäftsführung befugt. Nachdem D aber hinsichtlich einer Teilnahme gemäß § 115 Abs. 1 2. HS HGB widersprochen hatte, bestand diese Befugnis nicht mehr. Daher haben die anderen Gesellschafter unter Umständen Schadenersatzansprüche gegen C. Davon unabhängig ist jedoch die Vertretungsmacht des C aus § 125 Abs. 1 HGB. Somit ist ein wirksamer Vertrag zwischen der Messegesellschaft und der CD-Tech zustande gekommen.
III. Organisation der KG Hinsichtlich der unbeschränkt haftenden Komplementäre gilt durch den Verweis 553 des § 161 Abs. 2 HGB das Recht der OHG. D. h. sie sind als einzelne sowohl zur Geschäftsführung als auch zur Vertretung berechtigt. Dagegen wird der nur beschränkt haftende Kommanditist durch § 164 S. 1 HGB von der Geschäftsführung und der Vertretung der KG ausgeschlossen. Allerdings können durch den Gesellschaftsvertrag auch dem Kommanditisten diese Rechte eingeräumt werden.55 Bei der GmbH & Co. KG ist die GmbH die einzige Komplementärin. Folglich liegt die Geschäftsführung und Vertretung bei der GmbH. Hierfür ist dann das GmbHG maßgebend, d. h. der Geschäftsführer der GmbH vertritt zugleich auch die KG.56
IV. Organisation der GmbH Anders als bei den gerade dargestellten Personengesellschaften, die durch ihre 554 Gesellschafter handeln, kann die GmbH als juristische Person nicht selbst handeln. Für sie handeln ihre Organe. Organe der GmbH sind die Gesellschafterversammlung gemäß § 48 GmbHG und der Geschäftsführer, der entweder durch den Gesellschaftsvertrag (§ 6 Abs. 3 GmbHG) oder durch die Gesellschafterversammlung gemäß § 46 Nr. 5 GmbHG bestellt wird. 1.
Geschäftsführung
Die Geschäftsführung ist im GmbHG nicht ausdrücklich geregelt. Grundsätzlich 555 ist jedoch der Geschäftsführer auch zur Geschäftsführung befugt. Auch Gesellschafter können zu Geschäftsführern bestellt werden (§ 6 Abs. 3 S. 1 GmbHG). Der Geschäftsführer ist gemäß § 37 Abs. 1 GmbHG an die Weisungen der Gesellschaftsversammlung gebunden.57 55 56
57
Eisenhardt, Gesellschaftsrecht, 13. Aufl. 2007, Rn. 392. Eisenhardt, Gesellschaftsrecht, 13. Aufl. 2007, Rn. 412; Hüffer, Gesellschaftsrecht, 7. Aufl. 2007, § 36, Rn. 14. Eisenhardt, Gesellschaftsrecht, 13. Aufl. 2007, Rn. 716 ff.; Hüffer, Gesellschaftsrecht, 7. Aufl. 2007, § 34, Rn. 31 ff.
180
2.
Kapitel 7 Gesellschaftsrecht
Vertretung
556 Gemäß § 35 Abs. 1 GmbHG liegt die Vertretungsmacht bei dem Geschäftsführer. § 37 Abs. 1 GmbHG stellt jedoch klar, dass er sich dabei an die durch Vertrag oder Beschluss der Gesellschafter bestehenden Beschränkungen halten muss. Eine derartige Beschränkung hat jedoch gemäß § 37 Abs. 2 GmbHG keine Wirkung im Außenverhältnis. Tatsächlich ist somit nur seine Geschäftsführungsbefugnis eingeschränkt. Beispiel: Die Schifffahrtstechnik GmbH & Co. KG interessiert sich für ein Industriegelände in Thüringen. Die Gesellschafterversammlung untersagt dem Geschäftsführer G jedoch den Kauf des Grundstücks. G kauft dennoch das Grundstück im Namen der GmbH & Co. KG. Vertretungsberechtigt für die KG ist die GmbH als einzige Komplementärin gemäß §§ 161 Abs. 2, 115 Abs. 1 HGB. Für die GmbH handelt ihr Geschäftsführer G nach § 35 Abs. 1 GmbHG. Diesem war jedoch durch die Gesellschafter gemäß § 37 Abs. 1 GmbHG die Vertretungsmacht für dieses spezielle Geschäft entzogen worden. Gegenüber Dritten hat dies jedoch aufgrund des § 37 Abs. 2 GmbHG keine Bedeutung. Damit hat die GmbH als Vertreter der GmbH & Co. KG durch ihren Geschäftsführer G das Grundstück wirksam erworben.
B. Die Organisation der Gesellschaft
181
Übersicht 7.7: Geschäftsführung und Vertretung GbR:
OHG:
Geschäftsführung: alle Aufgaben gemeinschaftlich durch alle Gesellschafter (§ 709 Abs. 1 BGB)
•
•
• KG:
• •
GmbH & Co. KG:
•
GmbH:
•
bei gewöhnlichen Aufgaben durch einzelnen Gesellschafter (§§ 115 Abs. 1, 116 Abs. 1 HGB); Widerspruchsrecht der anderen (§ 115 Abs. 2 HGB) bei ungewöhnlichen Aufgaben gemeinschaftlich (§ 116 Abs. 2 HGB) für Komplementäre wie OHG für Kommanditisten ausgeschlossen (§ 164 Abs. 2 HGB) durch Geschäftsführer der GmbH; Weisung durch deren Gesellschafter (Anwendung des § 37 Abs. 2 GmbHG) durch Geschäftsführer; Weisungsmöglichkeit der Gesellschafterversammlung (§ 37 Abs. 1 GmbHG)
Vertretung:
557
• durch alle Gesellschafter gemeinschaftlich, nur mit Wirkung für und gegen alle Gesellschafter (§ 714 Abs. 1 BGB) • durch Dritte gemäß §§ 164 ff. BGB • Einzelvertretung der Gesellschafter mit Wirkung für und gegen die Gesellschaft (§ 125 Abs. 1 HGB) • durch Dritte gemäß §§ 164 ff. BGB; handelsrechtlich typisierte Vertretung (Prokura, Handlungsvollmacht, Ladenangestellter)
• ebenfalls nur durch Komplementäre (§§ 161 Abs. 2, 114 ff. HGB) • durch Dritte wie bei OHG
• durch Geschäftsführer der GmbH (§§ 161 Abs. 2, 114 ff. HGB i. V. m. § 35 GmbHG) • durch Dritte wie bei OHG
• durch Geschäftsführer (§ 35 GmbHG); Beschränkung ohne Wirkung im Außenverhältnis (§ 37 Abs. 2 GmbHG) • durch Dritte wie bei OHG
Fall 9: Gesellschaftsleben nach dem Tod Bei der CD-Tech OHG war zu den Gründungsgesellschaftern C und D noch E 558 hinzugekommen. Die Fähigkeiten des E lagen jedoch eindeutig im technischen Bereich. Daher wurde der Gesellschaftsvertrag neu gefasst. Demnach waren zur Geschäftsführung und zur Vertretung nur C und D gemeinschaftlich oder jeweils mit dem Prokuristen P befugt. Wenig später verstarb C überraschend. Kurz danach erhält die OHG ein Vertragsangebot der Auto AG. D und E schließen daher mit der AG einen Werkvertrag. Um Investitionskapital flüssig zu machen, verkauft D gegen den Willen des E ein zuvor von der Gesellschaft erworbenes Grundstück gemeinsam mit P durch notariell beurkundeten Vertrag an die örtliche Baufirma B.
182
Kapitel 7 Gesellschaftsrecht
Frage 1: 559 Hat die Auto AG Anspruch auf Erfüllung des Vertrages gemäß § 631 BGB mit der CD-Tech? Frage 2: 560 Kann die B Übereignung des Grundstücks und Eintragung als Eigentümer aufgrund des Kaufvertrages von der CD-Tech verlangen? Lösungsaufbau Frage 1: 561 Anspruch der Auto AG gegen die CD-Tech aus §§ 124 HGB, 631 BGB I. Bestehen der CD-Tech OHG zum Zeitpunkt des Vertragsschlusses II. Wirksame Vertretung der CD-Tech OHG durch D und E 1. Handeln im Namen der OHG 2. Vertretungsmacht a) Regelung des Gesellschaftsvertrages b) Vertretung nur durch D und P c) Alleinvertretung durch D d) Vertretung auch durch D und E III. Ergebnis
Lösungsaufbau Frage 2: 562 Anspruch der B gegen die CD-Tech OHG aus §§ 124 HGB, 433 Abs. 1 BGB I. Angebot der CD-Tech OHG durch Gesamtvertretung von D und P 1. Handeln im Namen der CD-Tech OHG 2. Vertretungsmacht für D und P a) Beschränkung der Prokura gemäß § 49 Abs. 2 HGB b) Widerspruch des B gemäß § 115 Abs. 1 2. HS HGB II. Ergebnis
Lösungsvorschlag Frage 1: 563 Die Auto AG hat gegen die CD-Tech einen Anspruch auf Erfüllung des Werkvertrages gemäß § 631 BGB, wenn D und E zum Zeitpunkt des Vertragsschlusses die OHG wirksam vertreten konnten. I.
Bestehen der CD-Tech zum Zeitpunkt des Vertragsschlusses
564 Dies setzt zunächst voraus, dass die CD-Tech zum Zeitpunkt des Vertragsschlusses noch als OHG bestand. Der Tod eines Gesellschafters führt nicht zur Auflösung der Gesellschaft, sondern gemäß § 131 Abs. 3 Nr. 1 HGB nur zum Ausscheiden des verstorbenen Gesellschafters, d. h. die Gesellschaft wird unter den verbleibenden Gesellschaftern oder, wenn dies der Gesellschaftsvertrag vorsieht, mit den
B. Die Organisation der Gesellschaft
183
Erben des verstorbenen Gesellschafters fortgeführt.58 Folglich besteht die CDTech nach dem Tod des C mit D und E als Gesellschaftern fort. II.
Wirksame Vertretung der CD-Tech OHG durch D und E
Somit ist der Anspruch der A entstanden, wenn D und E die CD-Tech OHG wirk- 565 sam vertreten haben. 1.
Handeln im Namen der OHG
Bei dem Vertrag mit der A handelt es sich um ein unternehmensbezogenes Rechts- 566 geschäft, sodass D und E im Namen der CD-Tech aufgetreten sind. 2.
Vertretungsmacht
D und E haben mit Wirkung für und gegen die CD-Tech OHG gehandelt, wenn sie 567 zu deren Vertretung befugt waren. Zwar sind gemäß § 125 HGB grundsätzlich alle Gesellschafter zur Vertretung der OHG berechtigt, vertragliche Regelungen sind jedoch vorrangig.59 a)
Regelung des Gesellschaftsvertrages
Im Gesellschaftsvertrag wurde eine Gesamtvertretung durch C und D bzw. durch 568 jeden der beiden mit P angeordnet, während E von der Vertretung ausgeschlossen wurde. Damit wären D und E nicht gemeinsam vertretungsberechtigt. Zu prüfen ist jedoch die Wirkung des Todes des C auf diese Regelung. b)
Vertretung nur durch D und P
Auch nach dem Tod des C besteht die Möglichkeit einer Vertretung der Gesell- 569 schaft durch D als Gesellschafter gemeinsam mit dem Prokuristen P. Dann wäre die OHG jedoch in ihrem Handeln von der Mitwirkung des P abhängig. Dies widerspricht jedoch dem Grundsatz der Selbstorganschaft, wonach gewährleistet sein muss, dass eine Personengesellschaft durch ihre Gesellschafter handeln kann.60 Demnach kann die Regelung des Gesellschaftsvertrages nicht so ausgelegt werden, dass nur eine Gesamtvertretung von D und P möglich ist. c)
Alleinvertretung durch D
Eine Auslegung des Gesellschaftsvertrages dahingehend, dass D auch alleine ver- 570 tretungsberechtigt sein soll, widerspricht dem Gesellschaftsvertrag, der ausdrücklich eine Alleinvertretung ausschließt.
58
59
60
Karsten Schmidt, ZIP 1997, 909 (917); Eisenhardt, Gesellschaftsrecht, 13. Aufl. 2007, Rn. 316. Eisenhardt, Gesellschaftsrecht, 13. Aufl. 2007, Rn. 268; Hüffer, Gesellschaftsrecht, 7. Aufl. 2007, § 16, Rn. 17. Eisenhardt, Gesellschaftsrecht, 13. Aufl. 2007, Rn. 272; Hüffer, Gesellschaftsrecht, 7. Aufl. 2007, § 16, Rn. 29.
184
Kapitel 7 Gesellschaftsrecht
d)
Vertretung auch durch D und E
571 In Betracht kommt eine solche Auslegung des Gesellschaftsvertrages, dass E an die Stelle des C tritt. Dagegen spricht, dass E ursprünglich gänzlich von der Vertretungsmacht ausgeschlossen wurde. Andererseits sollte mit dem Vertrag aber auch eine Alleinvertretung durch einen Gesellschafter verhindert werden. Außerdem kann E die Gesellschaft nicht alleine vertreten. Erforderlich ist immer die Zustimmung von D oder P, die beide in der Unternehmensführung Erfahrung besitzen. E kann folglich an Stelle des C als Vertreter für die OHG handeln. Somit haben auch D und E gemeinschaftliche Vertretungsmacht. III.
Ergebnis
572 D und E haben die CD-Tech OHG bei dem Vertragsschluss mit der Auto AG wirksam vertreten. Somit hat die A einen Erfüllungsanspruch aus § 631 BGB gegen die OHG. Lösungsvorschlag Frage 2: 573 Die B hat gegen die CD-Tech OHG einen Anspruch auf Übereignung des Grundstücks, wenn zwischen ihnen ein wirksamer Kaufvertrag besteht. I.
Angebot der CD-Tech OHG durch wirksame Gesamtvertretung von D und P
574 Voraussetzung dafür ist ein Angebot der CD-Tech OHG auf Abschluss eines Kaufvertrages gemäß §§ 124 HGB, 433 BGB. Dann müsste die OHG wirksam durch D und P vertreten worden sein. 1.
Handeln im Namen der CD-Tech OHG
575 D und P haben im Namen der CD-Tech OHG ein Angebot abgegeben. 2.
Vertretungsmacht von D und P
576 Weiterhin mussten D und P zur Vertretung der OHG berechtigt gewesen sein. Aus dem Gesellschaftsvertrag ergibt sich eine grundsätzliche Berechtigung zur Gesamtvertretung von D und P. a)
Beschränkung der Prokura gemäß § 49 Abs. 2 HGB
577 Allerdings ist P als Prokurist gemäß § 49 Abs. 2 HGB nicht zur Veräußerung von Grundstücken befugt. Fraglich ist, ob sich diese Beschränkung der Prokura auch auf die unechte Gesamtvertretung mit dem Gesellschafter gemäß § 125 Abs. 3 HGB auswirkt. Aus der systematischen Stellung der Norm ergibt sich, dass sich diese Gesamt578 vertretung nach der Macht des Gesellschafters richtet, da der dem § 125 HGB nachfolgende § 126 HGB festlegt, dass der Umfang der Vertretungsmacht des
C. Die Haftung im Außenverhältnis
185
Gesellschafters nicht beschränkbar ist.61 Somit kann P auch bei der Veräußerung von Grundstücken durch D mitwirken. b)
Widerspruch des E gemäß § 115 Abs. 1 2. HS HGB
Dennoch könnte die Vertretungsmacht von D und P für den Verkauf des Grund- 579 stücks entfallen sein, da E dem Verkauf als Gesellschafter gemäß § 115 Abs. 1 2. HS HGB widersprochen hatte. Der Widerspruch eines Gesellschafters hat jedoch keine Außenwirkung, wie § 126 Abs. 2 HGB deutlich macht. Somit konnte E die Vertretungsmacht von D und P nicht einschränken. II.
Ergebnis
Die B hat das Vertragsangebot der CD-Tech OHG in dem gemäß § 311b BGB 580 notariell beurkundeten Vertrag angenommen. Damit liegt ein wirksamer Kaufvertrag vor. Somit hat die B einen Anspruch auf Übereignung des im Eigentum der CD-Tech OHG befindlichen Grundstücks.
C. Die Haftung im Außenverhältnis Besondere Bedeutung kommt der Frage zu, inwiefern die Gesellschaft bzw. die 581 Gesellschafter gegenüber Dritten, also Vertragspartnern oder anderen juristischen oder natürlichen Personen, haften. Unter Haftung ist in diesem Zusammenhang das Unterworfensein unter den zwangsweisen Zugriff des Dritten zu verstehen. Das ist der Fall, wenn dieser Dritte als Gläubiger seinen Anspruch gegen die Gesellschaft oder den Gesellschafter gerichtlich durchsetzen kann.62 Im Gesellschaftsrecht können derartige Ansprüche zum einen aufgrund eines schuldrechtlichen Vertrages entstehen, zum anderen aufgrund Gesetzes (insbesondere unerlaubte Handlungen gemäß §§ 823 ff. BGB). Voraussetzung für die Haftung der Gesellschaft oder einzelner Gesellschafter ist die Zurechnung des Verhaltens einzelner Personen zulasten der Gesellschaft bzw. der Gesellschafter.63 Dabei ist zwischen den Handlungen der Gesellschafter, der Organe der Gesellschaft und der Mitarbeiter zu unterscheiden. Beispiel: Die CD Tech OHG hat durch den vertretungsberechtigten Gesellschafter D mit der Elektro AG einen Vertrag über die Reparatur einer Trafostation abgeschlossen. Ist die Station aufgrund eines Fehlers bei der Reparatur nicht einsatzbereit, so kommt es für die Schadenersatzansprüche aus §§ 634 Nr. 4, 636, 280 ff. BGB darauf an, ob die Pflichtverletzung im Rahmen des Werkvertrages durch den geschäftsführungsberechtigten Gesellschafter D oder etwa einen Lehrling verursacht wurde (Haftung über § 31 oder § 278 BGB). Verursacht ein Angestellter bei der Anfahrt zur Reparatur mit dem 61
62 63
RGZ 134, 303 (306); Baumbach/Hopt/Merkt, Handelsgesetzbuch, 33. Aufl. 2007, § 49, Rn. 3. Hüffer, Gesellschaftsrecht, 7. Aufl. 2007, § 18, Rn. 3 ff. BGHZ 45, 311 (312); Hüffer, Gesellschaftsrecht, 7. Aufl. 2007, § 19, Rn. 1 ff.
186
Kapitel 7 Gesellschaftsrecht Firmenwagen einen Verkehrsunfall, so haftet die Gesellschaft nur gemäß § 831 BGB mit der Möglichkeit der Exkulpation;64 bei einem Unfall durch D haftet die Gesellschaft über § 31 BGB.
582 Wenn die jeweilige Gesellschaft aufgrund einer Zurechnungsnorm für das Verhalten eines Gesellschaftsangehörigen haftbar ist, besteht nicht in jedem Fall eine Haftung der Gesellschafter über die Einlage in die Gesellschaft hinaus. Eine darüber hinausgehende unbeschränkte Haftung des Gesellschafters, die aus der Sicht des Gläubigers dann neben den Anspruch gegen die Gesellschaft tritt, bedarf ebenfalls einer gesetzlichen Grundlage. Dabei besteht teilweise die Möglichkeit, eine Haftung der Gesellschafter durch Vertrag auszuschließen.65 Beispiel: Das Architekturbüro Foster und Stein (eingetragene Partnerschaft) soll eine Wohnanlage planen. Entgegen der vertraglichen Regelung mit dem Bauträger kommt es zum Verzug. Fraglich ist hier, wer für den Verzugsschaden haftbar gemacht werden kann. In Betracht kommt eine vertragliche Haftung gemäß §§ 280, 286 BGB i. V. m. §§ 7 Abs. 1 PartGG, 124 Abs. 1 HGB gegen die Partnerschaftsgesellschaft und aufgrund des § 8 Abs. 1 PartGG gegen die Partner (Foster und Stein). Im Gegensatz zur OHG kann bei der Partnerschaft gemäß § 8 Abs. 2 PartGG die persönliche Haftung der Gesellschafter aber vertraglich (auch durch AGB) ausgeschlossen werden.
583 Bei Kapitalgesellschaften bzw. Körperschaften ist eine persönliche Haftung der Gesellschafter dagegen grundsätzlich ausgeschlossen.66 Beispiel: Handelt es sich bei der CD Tech um eine GmbH, so haftet diese immer nur mit ihrem Gesellschaftsvermögen. Ihre Gläubiger haben darüber hinaus keine Ansprüche gegen die Gesellschafter C und D.
584 Im Folgenden werden die Haftungsstrukturen bei den einzelnen Gesellschaftsformen näher erläutert und die Unterschiede herausgearbeitet.
I.
Haftungsstruktur der Gesellschaft bürgerlichen Rechts
1.
Vertragliche Schulden
a)
Haftung der Gesellschaft
585 Ein vertraglicher Anspruch gegen eine GbR setzt zunächst das Vorliegen eines Vertrages zwischen dem Gläubiger und der GbR voraus. Dann müsste die Gesellschaft durch die handelnde Person wirksam vertreten worden sein. Das kann aber nur der Fall sein, wenn die GbR selbst durch vertretungsberechtigte Personen handelt. Zur Vertretung der GbR sind gemäß § 709 BGB im Regelfall alle Gesell64 65 66
Hüffer, Gesellschaftsrecht, 7. Aufl. 2007, § 18, Rn. 6. Hüffer, Gesellschaftsrecht, 7. Aufl. 2007, § 19, Rn. 6. Eine Ausnahme gilt nur in den Fällen der Durchgriffshaftung; dazu o. Rn. 525.
C. Die Haftung im Außenverhältnis
187
schafter gemeinschaftlich befugt. Im Gesellschaftsvertrag kann aber gemäß § 714 BGB einem Gesellschafter Vertretungsmacht eingeräumt werden.67 Wird der Vertretungsberechtigte nach außen hin tätig und hält er sich im Rahmen seiner Vertretungsbefugnis, dann berechtigt und verpflichtet er die GbR, denn diese besitzt nach h. Rspr. insoweit Geschäftsfähigkeit. Ob neben der GbR auch deren Gesellschafter für die Schuld der GbR einstehen müssen, wird im nächsten Abschnitt untersucht. Der Gesetzgeber hat aber durch das PartGG die Möglichkeit geschaffen, aus ei- 586 ner GbR eine gemäß § 7 Abs. 2 i. V. m. § 124 HGB rechtlich selbstständige Partnerschaftsgesellschaft68 zu machen und dort gemäß § 8 Abs. 2 PartGG die Haftung auf den handelnden Gesellschafter zu beschränken. b)
Haftung der Gesellschafter
Ist ein Gesellschafter zur Vertretung der GbR befugt, so ist er gemäß § 714 BGB auch berechtigt, die anderen Gesellschafter dem Dritten gegenüber zu vertreten. Seine Vertretungsberechtigung kann sich aus dem Gesellschaftsvertrag oder auch aus den Grundsätzen der Anscheins- oder Duldungsvollmacht69 ergeben. Durch diese Vertretung kommt ein Vertrag zwischen dem Dritten und der GbR zustande. Inwieweit nun der Dritte auch von den Gesellschaftern persönlich Vertragserfüllung verlangen kann, war lange Zeit umstritten. Nach heute h. Rspr. haften neben der Gesellschaft alle Gesellschafter analog § 128 HGB für die Verbindlichkeiten der GbR akzessorisch mit ihrem gesamten Privatvermögen.70 Soweit es um Schadenersatz im Rahmen von Vertragsverhältnissen geht (z. B. nach § 280 BGB), setzt ein schuldrechtlicher Anspruch weiterhin ein Fehlverhalten voraus, das der GbR und über § 128 HGB analog auch den Mitgesellschaftern zuzurechnen ist. In Betracht käme hier § 278 BGB als Zurechnungsnorm. Diese Norm rechnet dem Geschäftsherrn das Fehlverhalten von Erfüllungsgehilfen zu. Übertragen auf die GbR ist hier die GbR der Geschäftsherr. § 278 BGB ist für die Zurechnung des Fehlverhaltens von nicht geschäftsführungsberechtigten Gesellschaftern und anderen Mitarbeitern der GbR anzuwenden. Eine Anwendung des § 278 BGB bei einem Fehlverhalten eines geschäftsführungsberechtigten Gesellschafters scheitert daran, dass dieser selbst Geschäftsherr und damit kein Erfüllungsgehilfe ist.71 Für die Zurechnung kommt daher nur § 31 BGB in Betracht. Diese Norm begründet die Haftung eines Vereins für die Handlungen seiner Organe. Die h. Rspr. wendet § 31 BGB analog an und stellt damit die Gesellschafter der GbR dem Vorstand eines Vereines gleich. Auf diese Weise wird jedes deliktische (schadener67 68 69 70
71
BGH, NJW 2007, 2490 (2491). Zur Partnerschaftsgesellschaft s.o. Rn. 523 ff. BGH, NJW 2007, 2490 (2492). Zur Anscheins- und Duldungsvollmacht s.o. Rn. 138 ff. BGHZ 142, 315 (318) = NJW 1999, 3483; BGHZ 146, 341 (358) = NJW 2001, 1056 = NZA 2001, 408L; Palandt/Sprau, Bürgerliches Gesetzbuch, 67. Aufl. 2008, § 714, Rn. 13; Hüffer, Gesellschaftsrecht, 7. Aufl. 2007, § 13, Rn. 7; zu den abweichenden Auffassungen in Rn. 6. BGHZ 56, 355 (362) = NJW 1971, 1801.
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188
Kapitel 7 Gesellschaftsrecht
satzrechtliche) Verhalten eines geschäftsführungsberechtigten Gesellschafters der GbR und über § 128 HGB analog damit auch den anderen Gesellschaftern zugerechnet.72 Hiernach haftet die GbR und akzessorisch mit ihr auch alle übrigen Gesellschafter selbst für vorsätzliche sittenwidrige Schädigungshandlungen eines Gesellschafters. Wollen die anderen Gesellschafter nicht mithaften, besteht die Möglichkeit, die 591 persönliche vertragliche Haftung eines oder mehrerer Gesellschafter durch eine mit dem Vertragspartner individuell zu vereinbarende Haftungsbegrenzung auszuschließen oder zu begrenzen.73 Ferner besteht im Rahmen einer Partnerschaftsgesellschaft die Möglichkeit, gemäß § 8 Abs. 2 PartGG eine Haftungsbeschränkung auf den handelnden Gesellschafter (Partner) zu erreichen.74 Ein Haftungsausschluss ist bei der GbR dagegen nicht durch bloße Regelung im Gesellschaftsvertrag möglich und auch nicht dadurch, dass die GbR mit der Bezeichnung „GbR mbH“ auftritt, denn jede Haftungsbegrenzung bedarf der Zustimmung des Vertragspartners.75 Sonderregeln gibt es für Rechtsanwalts- und Patentanwaltssozietäten, Steuerbe592 raterpraxen und Wirtschaftsprüfer, die am häufigsten in der Rechtsform der GbR organisiert sind. Hier kann die persönliche Haftung der Gesellschafter auf Schadenersatz auch durch vorformulierte Vertragsbedingungen auf einzelne Mitglieder der Sozietät, die das Mandant bearbeiten und die namentlich zu bezeichnen sind, beschränkt werden (§§ 51a Abs. 2 BRAO, 45a PatAO, 67a Abs. 3 StBerG, 54a Abs. 2 WPO). c)
Umfang der Haftung
593 Die Gesellschafter haften zunächst mit ihrem Gesellschaftsvermögen als dem gesellschaftlichen Gesamthandsvermögen (§ 718 BGB) als Gesamtschuldner gemäß § 421 BGB.76 Daneben haften akzessorisch die Gesellschafter analog § 128 HGB mit ihrem Privatvermögen.77 Tritt ein neuer Gesellschafter in eine schon bestehende GbR ein, so haftet er 594 analog § 130 HGB auch für die vor seinem Eintritt begründeten Altverbindlichkei-
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BGHZ 154, 88 (93 f.) = NJW 2003, 1445 = MDR 2003, 639 = BB 2003, 862; BGHZ 155, 205 (210) = NJW 2003, 2984; BGH, NJW 2007, 2490 (2491); Eisenhardt, Gesellschaftsrecht, 13. Aufl. 2007, Rn. 85a. BGHZ 142, 315 = NJW 1999, 3483 ff.; Eisenhardt, Gesellschaftsrecht, 13. Aufl. 2007, Rn. 89. Zur Diskussion, ob § 8 Abs. 2 PartGG auf die GbR analog angewendet werden kann Eisenhardt, Gesellschaftsrecht, 13. Aufl. 2007, Rn. 89d m. w. N. Eisenhardt, Gesellschaftsrecht, 13. Aufl. 2007, Rn. 89; Hüffer, Gesellschaftsrecht, 7. Aufl. 2007, § 13, Rn. 9. Eisenhardt, Gesellschaftsrecht, 13. Aufl. 2007, Rn. 81; Hüffer, Gesellschaftsrecht, 7. Aufl. 2007, § 13, Rn. 13. Eisenhardt, Gesellschaftsrecht, 13. Aufl. 2007, Rn. 82 und 83.
C. Die Haftung im Außenverhältnis
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ten.78 Eine Haftungsbegrenzung ist bei der GbR nur durch vertragliche Individualvereinbarung mit dem jeweiligen Vertragspartner möglich. Beispiel: X ist neben Y einer der beiden Gesellschafter der Maschinenbau X&Y GbR, die im Geschäftsnamen den Zusatz „Unter Ausschluss einer persönlichen Gesellschafterhaftung“ führt. X hat mit dem A, der ein Installationsgeschäft hat, einen Vertrag abgeschlossen, wonach die Maschinenbau X&Y die Konstruktionsplanung der später in ein Bergwerk einzubauenden Förderbänder übernimmt. Wegen einer fehlerhaften Berechnung des X ist ein Einbau der Bänder jedoch nicht möglich. A fordert, nachdem er erfolglos Nachbesserung verlangt hat, gemäß § 634 Nr. 4, 636, 280, 281 Abs. 1 BGB Schadenersatz statt der Leistung. X hat als Gesellschafter gemäß § 714 BGB die GbR verpflichtet, sodass ein Anspruch gegen die GbR besteht. Das Verhalten des X, der die Nichterfüllung des Werkvertrages zumindest fahrlässig verursacht hat, wird gemäß § 276 BGB der GbR zugerechnet. Die GbR haftet mit ihrem Gesellschaftsvermögen. Daneben besteht auch ein akzessorischer Anspruch gegen beide Gesellschafter analog § 128 HGB. Denn X hat auch den Y gemäß § 714 BGB wirksam bei dem Vertrag mit A vertreten. Beide Gesellschafter (X und Y) haften gegenüber A also auch mit ihrem gesamten Privatvermögen. Eine Haftungsbeschränkung wurde nicht vereinbart. Der Umstand, dass die Maschinenbau X&Y GbR den Zusatz „mit beschränkter Haftung“ führt, bewirkt keine Haftungsbegrenzung auf das Gesellschaftsvermögen, denn die Haftungsbegrenzung verlangt eine ausdrückliche Zustimmung des Vertragspartners, an der es hier fehlt. Damit haftet Y neben X als Gesamtschuldner gemäß § 421 BGB mit ihrem jeweiligen Privatvermögen und mit dem Gesamthandsvermögen der Maschinenbau X&Y GbR.79 Weiterhin könnte X im Vertrag mit A eine Haftungsbeschränkung auf den die Vertragsleistung erbringenden Gesellschafter vereinbaren, sodass Y gemäß § 425 BGB für das Verschulden des X nicht haftet. Aber auch dies erfordert eine ausdrückliche Zustimmung des Vertragspartners A. Hätte nicht X selber, sondern etwa der von der GbR beschäftigte technische Zeichner Z die fehlerhafte Berechnung durchgeführt, so würde dessen Fehlverhalten den Gesellschaftern X und Y über § 278 BGB zugerechnet.
2.
Gesetzliche Schulden
Bei unerlaubten Handlungen gemäß § 823 BGB haftet zunächst derjenige Gesell- 595 schafter oder Mitarbeiter persönlich, in dessen Person sich der Tatbestand erfüllt hat. Eine vertragliche Haftungsbeschränkung ist hier gegenstandslos. Den Gesellschaftern kann das Fehlverhalten eines Mitarbeiters gemäß § 831 BGB zugerechnet werden, da dieser Verrichtungsgehilfe der Gesellschaft ist. Das Gleiche gilt für nicht geschäftsführungsberechtigte Gesellschafter.80 Für die Gesellschaft besteht
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BGHZ 154, 370 = NJW 2003, 1803 = MDR 2003, 756 = ZIP 2003, 899 = WM 2003, 977; Eisenhardt, Gesellschaftsrecht, 13. Aufl. 2007, Rn. 89e; Hüffer, Gesellschaftsrecht, 7. Aufl. 2007, § 13, Rn. 9. Fraglich ist ohnehin, inwieweit sich Geschäftspartner in der Praxis auf eine derart beschränkte Haftung einlassen, zumal die GbR im Gegensatz zur GmbH über kein geschütztes Stammkapital verfügt. BGHZ 45, 311 (312) = NJW 1966, 1807.
190
Kapitel 7 Gesellschaftsrecht
die Exkulpationsmöglichkeit, wenn sie bei der Auswahl des unerlaubt Handelnden die notwendige Sorgfalt beachtet hat. Bei geschäftsführungsberechtigten Gesellschaftern scheitert eine Anwendung 596 des § 831 BGB daran, dass sie nicht weisungsgebunden und damit keine Verrichtungsgehilfen sind. Ihr Verhalten wird allerdings der GbR analog § 31 BGB zugerechnet.81 Deshalb haftet dem Geschädigten nicht nur der Gesellschafter mit seinem gesamten Vermögen, der die unerlaubte Handlung begangen hat, sondern auch das Gesellschaftsvermögen der GbR. Dies führt weiter dazu, dass wegen der analogen Anwendung von § 128 HGB auf die GbR für das deliktische Verhalten eines Gesellschafters auch alle anderen Gesellschafter mit ihrem jeweiligen Privatvermögen haften. Beispiel: Die drei Ingenieure D, E und F schließen sich zusammen, um sich gemeinsam an einem öffentlich ausgeschriebenen Forschungsvorhaben zu beteiligen. Sie bilden damit eine GbR. Die GbR erhält den Forschungsauftrag und die Gesellschafter übertragen D die Aufgabe der Geschäftsführung. Dieser nutzt die im Rahmen des Forschungsvorhabens zustande kommenden Kontakte zu verschiedenen Unternehmen zu Betrugshandlungen. Hier steht den betrogenen Unternehmen ein Schadenersatzanspruch aus § 823 Abs. 2 BGB i. V. m. § 263 StGB (Betrug) gegen D zu. Über § 31 BGB wird das deliktische Verhalten des D auch der GbR zugerechnet, sodass den Unternehmen auch die GbR mit ihrem Gesellschaftsvermögen haftet. Daneben haften auch E und F analog § 128 HGB mit ihrem Privatvermögen für die Schulden der GbR, sodass den betrogenen Unternehmen nicht nur das Gesellschaftsvermögen der GbR, sondern auch die Privatvermögen aller drei Gesellschafter als Haftungsmasse zur Verfügung stehen. Die Unternehmen werden also die drei Gesellschafter D, E und F persönlich verklagen, weil nur mit einem gegen alle Gesellschafter gerichteten Titel auch in das Gesellschaftsvermögen vollstreckt werden darf (§ 736 ZPO).
II. Haftungsstruktur der OHG 1.
Vertragliche Haftung
a)
Haftung der Gesellschaft
597 Wie die GbR so ist auch die OHG rechtsfähig: Die Rechtsfähigkeit der OHG basiert nicht auf der Rechtsprechung, sondern unmittelbar auf dem Gesetz (§ 124 HGB).82 Insbesondere kann die OHG Verbindlichkeiten eingehen, verklagt werden und Gegenstand der Zwangsvollstreckung sein. Somit ist die OHG selbst Haftungsobjekt, wenn sie durch wirksame Vertretung Vertragspartei geworden ist und ihr ein Verschulden zugerechnet werden kann. Das Fehlverhalten von Mitarbeitern und nicht geschäftsführungsberechtigten 598 Gesellschaftern wird der OHG gemäß § 278 BGB zugerechnet, da hier die OHG selbst Geschäftsherrin ist. Bei geschäftsführungsberechtigten Gesellschaftern 81 82
S.o. Rn. 589. Eisenhardt, Gesellschaftsrecht, 13. Aufl. 2007, Rn. 201; Hüffer, Gesellschaftsrecht, 7. Aufl. 2007, § 15, Rn. 2.
C. Die Haftung im Außenverhältnis
191
kommt eine analoge Anwendung des § 31 BGB in Betracht, da dieser für die OHG wie der Vorstand für den Verein handelt. Die OHG besitzt aufgrund ihrer haftungsrechtlichen Eigenständigkeit eine analogiefähige körperschaftliche Struktur.83 Sie ist zwar keine juristische Person,84 dieser aber so weit angenähert, dass eine analoge Anwendung von § 31 BGB gerechtfertigt ist.85 b)
Haftung der Gesellschafter
Neben der OHG haften gemäß § 128 HGB auch alle Gesellschafter akzessorisch 599 als Gesamtschuldner mit ihrem Privatvermögen für die Verbindlichkeiten der OHG. Einer speziellen Zurechnung bedarf es somit nicht. Diese persönliche Haftung der Gesellschafter tritt dabei neben den Anspruch des Gläubigers gegen die OHG. Aus diesem Grund kann der Gläubiger auch von den Gesellschaftern die Erfüllung seines Anspruches und nicht lediglich einen Ersatzanspruch in Geld verlangen.86 Allerdings kann durch persönliche Vereinbarung mit dem jeweiligen Vertragspartner eine Haftungsbeschränkung auf das Gesellschaftsvermögen erreicht werden. Beispiel: A und B betreiben ein Computergeschäft als OHG. A schließ mit K einen Kaufvertrag über einen neuen Hochleistungsrechner ab. Als Lieferfrist sind zwei Wochen vereinbart. A vergisst jedoch, den Rechner bei der DATA-GmbH zu bestellen. Daher kann der Rechner nicht rechtzeitig geliefert werden. K verlangt von B die Lieferung des Hochleistungsrechners, da er weiß, dass B für sich persönlich einen solchen bestellt hatte. A hat gemäß § 125 Abs. 1 HGB die OHG bei dem Kaufvertrag mit K wirksam vertreten. Somit hat K nach Ablauf der Lieferfrist gegen diese einen fälligen Anspruch auf Lieferung eines Hochleistungsrechners gemäß § 433 Abs. 1 BGB. Durch die Nachlässigkeit des A kann die OHG nicht rechtzeitig liefern. Grundsätzlich hat K gegen B als persönlich haftenden Gesellschafter gemäß § 128 HGB den gleichen Leistungsanspruch. Bei bestehender Leistungsfähigkeit der OHG verstößt es aber gegen den Grundsatz von Treu und Glauben, zunächst gegen einen Gesellschafter vorzugehen.87 Da die OHG aber wegen eines ihr gemäß § 31 BGB zuzurechnenden Fehlers des A nicht leistungsfähig ist, kann K auch den B in Anspruch nehmen.
2.
Gesetzliche Schulden
Im deliktischen Bereich kann der OHG das Fehlverhalten von Mitarbeitern und 600 nicht geschäftsführungsberechtigten Gesellschaftern gemäß § 831 BGB zugerechnet werden. Über § 128 HGB sind auch die Gesellschafter persönlich haftbar. Bei einem in der Person eines geschäftsführungsberechtigten Gesellschafters begrün83 84 85 86
87
Lindacher, JuS 1981, 578 (579). RGZ 3, 57; RGZ 165, 193; BGHZ 34, 293 (296) = NJW 1961, 1022. Eisenhardt, Gesellschaftsrecht, 13. Aufl. 2007, Rn. 204. BGHZ 23, 302 (304) = WM 1957, 543; Hüffer, Gesellschaftsrecht, 7. Aufl. 2007, § 19, Rn. 1. Der BGH verlangt eine Abwägung zwischen den Gläubigerinteressen und den schutzwürdigen Interessen des Gesellschafters BGHZ 73, 271 (222) = NJW 1939,1361 = JUS 1979, 819; BGHZ 104, 76 (78) = NJW 1988, 1976 = ZIP 1988, 841.
192
Kapitel 7 Gesellschaftsrecht
deten Schadenersatzanspruch gemäß § 823 BGB wird § 31 BGB für die Zurechnung zuungunsten der Gesellschaft bzw. der anderen Gesellschafter analog angewandt.88
III. Haftungsstruktur der KG 601 Die Haftung der KG folgt gemäß § 161 Abs. 2 HGB denselben Regelungen wie bei der OHG. Bei den persönlich haftenden Komplementären ergibt sich wegen der Verweisung des § 161 Abs. 2 HGB auf den § 128 HGB kein Unterschied zu den Gesellschaftern einer OHG. Dies gilt auch für die GmbH & Co. KG. Hier haftet die GmbH als Komplementärin unbeschränkt. Eine Haftungsbeschränkung besteht lediglich für die Gesellschafter der Komplementär-GmbH. Dagegen haftet der Kommanditist gemäß § 171 Abs. 1 HGB nur bis zur Höhe 602 der Einlage in die KG, die aufgrund des Gesellschaftsvertrages ins Handelsregister eingetragen wurde. Er haftet also persönlich, aber auf die Einlagenhöhe beschränkt. Auch diese persönliche Haftung des Kommanditisten ist aber gemäß § 171 Abs. 2 HGB ausgeschlossen, wenn er seine Einlage bereits an die KG geleistet hat. § 176 HGB ordnet jedoch aus Vertrauensschutzgründen eine unbeschränkte 603 Haftung des Kommanditisten für den Zeitraum zwischen Geschäftsbeginn der KG (Abs. 1) bzw. Eintritt in die KG (Abs. 2) und der Eintragung der Gesellschaft bzw. des Gesellschafters als Kommanditist in das Handelsregister an. Dieses Schutzes bedarf es nicht, wenn der Vertragspartner die Haftungsstruktur der Gesellschaft kannte oder bei deliktischen Ansprüchen.89 Beispiel: A und B haben den Bauingenieuren C als Kommanditisten in ihre nunmehr zur KG umgewandelten Baugesellschaft aufgenommen. Die Höhe der Einlage beträgt 10.000 €. Kurz danach hat die DATA GmbH wegen nicht gezahlter Rechnungen einen Anspruch gegen die KG von 10.000 €. Die DATA GmbH (D) möchte gegen den zahlungskräftigen C vorgehen. D kann von C gemäß § 171 Abs. 1 HGB Zahlung von 10.000 € verlangen. Hat C jedoch seine Einlage bereits an die KG geleistet, entfällt aufgrund des § 171 Abs. 2 HGB der Anspruch der D. Allerdings könnte D gegen C gemäß § 128 HGB als Gesellschafter der KG vorgehen, wenn C noch nicht als Kommanditist in das Handelsregister eingetragen worden war und die D gemäß § 176 Abs. 2 HGB nichts von der Rolle des C als Kommanditisten wusste.
IV. Haftungsstruktur der GmbH 604 Als Kapitalgesellschaft ist grundsätzlich nur die GmbH für Gläubigeransprüche haftbar. Die Haftung ist gemäß § 13 Abs. 2 GmbHG auf das Vermögen der GmbH beschränkt, wobei das Gesellschaftsvermögen das Stammkapital nicht unterschrei88 89
BGHZ 45, 312; Hüffer, Gesellschaftsrecht, 7. Aufl. 2007, § 18, Rn. 5. Baumbach/Hopt/Merkt, Handelsgesetzbuch, 33. Aufl. 2007, § 176, Rn. 4.
C. Die Haftung im Außenverhältnis
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ten darf, wie sich aus der Kapitalerhaltungsregelung des § 30 GmbHG ergibt. Als zuständiges Organ handelt die GmbH durch ihren Geschäftsführer gemäß §§ 35 ff. GmbHG. Daher wird dessen Verschulden der Gesellschaft zugerechnet.90 Daneben haftet der Geschäftsführer für unerlaubte Handlungen gemäß § 823 605 BGB bei eigenem Verschulden. Eine Eigenhaftung des Geschäftsführers wegen Pflichtverletzung nach § 280 oder wegen c. i. c. nach §§ 311 Abs. 3, 241 Abs. 2 BGB als Vertreter im Rahmen der Vertragsbegründung besteht ausnahmsweise dann, wenn der Geschäftsführer in besonderer Weise ein eigenes wirtschaftliches Interesse und eigenes Vertrauen in Anspruch genommen hat. Das kann u. U. bei Eigengeschäftsführung durch einen Gesellschafter der Fall sein.91 Die Gesellschafter der GmbH haften für Schulden der Gesellschaft grundsätz- 606 lich nicht mit ihrem Privatvermögen. Nur bei Vorliegen besonderer Umstände, die einen Verstoß gegen Treu und Glauben darstellen, wird eine Durchgriffshaftung gegen die Gesellschafter angenommen. Beispiele dafür sind eine für Außenstehende nicht überblickbare Durchmischung von Gesellschafts- und Privatvermögen insbesondere bei der Ein-Mann-GmbH, eine qualifizierte materielle Unterkapitalisierung der Gesellschaft, eine gemäß § 30 GmbHG verbotene Rückzahlung aus dem Stammkapital oder ein sonstiger existenzvernichtender Eingriff.92 Beispiel: Die Kohle AG (K) kauft bei der DATA GmbH (D) Großrechner im Wert von 0,5 Mio. €. Aufgrund der fehlerhaften Beratung des Geschäftsführers G sind die Rechner aber für den geplanten Einsatzzweck, die Steuerung von Kraftwerksanlagen, nicht einsetzbar. Der Kohle AG entsteht wegen der deshalb bewirkten zeitweiligen Stilllegung mehrerer Kraftwerke ein Schaden von 5 Mio. €. Deshalb steht der Kohle AG ein Schadenersatzanspruch gegen D aus §§ 437 Nr. 3, 440, 280 BGB zu. Das Stammkapital der DATA-GmbH beträgt 25.000 €, darüber hinaus hat die D keine Vermögenswerte. Als juristische Person haftet die GmbH gemäß § 278 BGB für den Fehler ihres Geschäftsführers. Eine Eigenhaftung des G kommt nicht in Betracht, da es zumindest an dem dafür notwendigen eigenen besonderen wirtschaftlichen Interesse des G an dem Vertragsschluss fehlt. Allerdings könnte eine qualifizierte Unterkapitalisierung, die zu einer Durchgriffshaftung führt, vorliegen. Die D tätigt Geschäfte mit Großunternehmen in einer Größenordnung, die ihr Stammkapital weit übersteigt. Damit ist ein Misserfolg für einen Gläubiger in einer das gewöhnliche Geschäftsrisiko übersteigenden Art und Weise für einen Insider vorhersehbar. Es liegen die Voraussetzungen einer qualifizierten Unterkapitalisierung vor. In diesem Fall kann die Kohle AG auch die Gesellschafter der GmbH in Anspruch nehmen.
90 91 92
Eisenhardt, Gesellschaftsrecht, 13. Aufl. 2007, Rn. 762 ff. Eisenhardt, Gesellschaftsrecht, 13. Aufl. 2007, Rn. 711. Eisenhardt, Gesellschaftsrecht, 13. Aufl. 2007, Rn. 767 ff. Weitere Nachweise oben in Kapitel 1.
194
Kapitel 7 Gesellschaftsrecht
Übersicht 7.8: Haftung im Außenverhältnis
607
Grundvoraussetzung: Wirksame Vertretung der Gesellschaft bzw. der Gesellschafter (Übersicht 7.7) Haftung Zurechnung des Fehlverhaltens Gesellschaftsform
Gesellschaft
Gesellschafter
Geschäftsführender Gesellschafter
Andere Gesellschafter, Mitarbeiter Vertrag: § 278 BGB Delikt: § 831 BGB
GbR
nach der Rspr. rechtsfähig und daher haftungsfähiges Rechtssubjekt
mit Gesamthandsvermögen (§ 718 BGB) und Privatvermögen über § 427 BGB
Vertrag: aufgr. des Wesens der GbR Delikt: § 31 BGB analog
OHG
aufgrund § 124 HGB mit Gesellschaftsvermögen
Vertrag und Delikt: § 31 BGB analog
wie GbR
KG
wie OHG (Verweisung durch § 161 Abs. 2 HGB)
wie OHG
wie OHG
GmbH
als juristische Person mit dem Gesellschaftsvermögen (§ 13 Abs. 1 und 2 GmbHG)
§ 128 HGB: Erfüllungshaftung gleich OHG mit Privatvermögen Komplementäre wie bei OHG; Kommanditisten nach Eintragung auf Höhe der Einlage beschränkt (§ 171 Abs. 1 HGB); nach Leistung der Einlage keine Haftung (§ 171 Abs. 2 HGB) keine Haftung Ausnahme: Verstoß gegen Treu und Glaube (Vermögensvermischung, Unterkapitalisierung, verbotene Kapitalentnahme)
Handlung durch Geschäftsführer gemäß §§ 35, 36 GmbHG
Vertrag: § 278 BGB Delikt: § 831 BGB
Fall 10: Falsche Gesellschaft 608 K, ein ehemaliger Kommilitone von X und Y, beabsichtigt, Teilhaber bei deren Maschinenbau Rat&Tat Gesellschaft zu werden. Er scheut jedoch das unbeschränkte Haftungsrisiko einer GbR. Folglich beschließen X und Y, ihre Gesellschaft als KG in das Handelsregister eintragen zu lassen und nehmen den K als Kommanditisten mit einer Einlage von 10.000 € auf. Der neue Gesellschaftsname lautet „Maschinenbau Rat&Tat KG“. X soll die Gesellschaft vertreten dürfen. Ein Jahr später schließt X einen Vertrag mit dem Automobilzulieferer Z ab. Die KG soll neue Stahlblechanlagen konstruieren. Aufgrund eines zunächst unerkannten Konstruktionsfehlers des X verspannen sich die Bleche zu stark. Jahre später
C. Die Haftung im Außenverhältnis
195
kommt es deswegen zu einem Unfall, bei dem A, ein Angestellter des Z, verletzt wird. Dieser verlangt von K Schmerzensgeld in Höhe von 10.000 €. K wendet ein, dass er durch Zahlung seiner Einlage gemäß § 171 Abs. 2 HGB nicht mehr persönlich haftbar sei. Kann A diesen Anspruch gegen K dennoch geltend machen? Abwandlung: Nicht X, sondern der angestellte technische Zeichner T hat durch einen Fehler den Schaden herbeigeführt. Hat A hier einen Anspruch gegen K? Lösungsaufbau Ausgangsfall: Anspruch des A gegen K auf Zahlung eines Schmerzensgeldes i. H. v. 10.000 €
609
I. Anspruch aus §§ 823 Abs. 1, 31, 253 Abs. 2 BGB i. V. m. §§ 124, 171 Abs. 1 HGB 1. Bestehen eines Anspruches auf Schmerzensgeld gemäß §§ 823 Abs. 1, 253 Abs. 2 BGB a) Körperverletzung bei A gemäß § 823 Abs. 1 BGB b) Verschulden des X c) Rechtsfolge 2. Haftung der Maschinenbau Rat&Tat KG a) Zurechnung zuungunsten der Maschinenbau Rat&Tat gemäß § 31 BGB b) Vorliegen einer KG 3. Ergebnis II. Anspruch aus §§ 831 Abs. 1, 427, 253 Abs. 2 BGB i. V. m. dem Gesellschaftsvertrag 1. Schmerzensgeldanspruch gemäß §§ 823 Abs. 1, 253 Abs. 2 BGB durch Verschulden des X 2. Haftung des K als Gesellschafter der Maschinenbau Rat&Tat GbR a) Anspruch gegen K aus § 831 Abs. 1 BGB b) Zurechnung zuungunsten des K gemäß § 31 BGB analog 3. Ergebnis
Lösungsaufbau Abwandlung: Anspruch des A gegen K auf Zahlung eines Schmerzensgeldes in Höhe von 610 10.000 € I. Haftung des K als Gesellschafter gemäß §§ 823 Abs. 1, 253 Abs. 2 i. V. m. § 831 BGB 1. Verschulden des T 2. Zurechnung zuungunsten des K 3. Haftungsobjekt a) Haftung mit dem Gesamthandsvermögen als Gesamtschuldner b) Haftung mit dem Privatvermögen c) Freistellungsanspruch von K gegen X und Y II. Ergebnis
Lösungsvorschlag Ausgangsfall: I.
Anspruch aus §§ 823 Abs. 1, 31, 253 Abs. 2 BGB i. V. m. §§ 124, 171 Abs. 1 HGB
A hat gegen K einen Anspruch auf Zahlung eines Schmerzensgeldes gemäß 611
196
Kapitel 7 Gesellschaftsrecht
§§ 823 Abs. 1, 253 Abs. 2 BGB, wenn K als Kommanditist der Maschinenbau Rat&Tat KG gemäß § 171 Abs. 1 HGB für einen Schmerzensgeldanspruch des A gegen die KG aus § 124 haftbar ist. Voraussetzung dafür ist zunächst ein bestehender Anspruch auf Schmerzensgeld, der der KG zuzurechnen ist. 1.
Bestehen eines Anspruches auf Schmerzensgeld gemäß §§ 823 Abs. 1, 253 Abs. 2 BGB
612 A wurde durch die fehlerhafte Konstruktion der Anlage verletzt. Nach § 4 Abs. 2 GPSG dürfen nur sichere Produkte in den Verkehr gebracht werden; zu den Produkten gehören gemäß § 2 Abs. 1 Nr. 1 GPSG auch technische Arbeitsmittel wie hier die Stahlblechanlage. Der Fehler wurde durch X also aufgrund der Verletzung der im industriellen Bereich bestehenden Produktsicherheitspflichten zumindest mitverursacht. Damit hat X eine schuldhafte Körperverletzung begangen. Gemäß §§ 823 Abs. 1, 253 Abs. 2 BGB kann der Verletzte für eine Körperverletzung eine billige Entschädigung in Geld verlangen. Somit ist bei einer zu unterstellenden schwerwiegenden Verletzung des A dessen Anspruch auch in dieser Höhe begründet.93 2.
Haftung der Maschinenbau Rat&Tat KG
613 Die KG haftet neben X für diesen Anspruch, wenn er ihr aufgrund einer erfüllten Zurechnungsnorm zurechenbar ist. a)
Zurechnung zuungunsten der Maschinenbau Rat&Tat aufgrund des § 31 BGB
614 In Betracht kommt § 31 BGB. Demnach müsste X für die KG als deren geschäftsführungsberechtigter Gesellschafter gehandelt haben. X wirkte bei der Erstellung der Anlagenplanung als geschäftsführungsberechtigter Gesellschafter für die Gesellschaft. Sein Verhalten könnte der Gesellschaft somit zuzurechnen sein. b)
Vorliegen einer KG
615 Das ist aber nur der Fall, wenn es sich bei der Maschinenbau Rat&Tat tatsächlich um eine KG handelt. Wie im Fall 1 „Falscher Rat ist teuer“94 dargelegt wurde, handelt es sich bei den Tätigkeiten der X und Y um die Ausübung eines freien Berufes, der kein Handelsgewerbe darstellt und somit nicht Gegenstand einer KG sein kann.95 Folglich ist die Maschinenbau Rat&Tat eine GbR. Eine Anwendung der haftungsrechtlichen Bestimmungen der KG kommt auch dann nicht in Betracht, wenn eine GbR fälschlicherweise als KG ins Handelsregister eingetragen wurde,96 da sonst eine Umgehung der engen Voraussetzungen des HGB möglich würde. 93 94 95 96
Zu den §§ 823 ff. Kapitel 4, Rn. 370 ff. S. Rn. 531 ff., sowie Hüffer, Gesellschaftsrecht, 7. Aufl. 2007, § 13, Rn. 13. S.o. Rn. 504 ff. BGH, NJW 1977, 1683; Baumbach/Hopt/Merkt, Handelsgesetzbuch, 33. Aufl. 2007, § 176, Rn. 6.
C. Die Haftung im Außenverhältnis
3.
197
Ergebnis
Eine Haftung des K als Kommanditist gemäß § 171 Abs. 1 HGB scheidet daher 616 aus. II.
Anspruch aus §§ 831 Abs. 1, 253 Abs. 2, 427 BGB i. V. m. dem Gesellschaftsvertrag
A hat gegen K einen Anspruch auf Schmerzensgeld, wenn ein schuldhaftes Verhal- 617 ten des X dem K als Gesellschafter der GbR zugerechnet werden kann und eine persönliche Haftung des K aufgrund der Natur der GbR vorgesehen ist. 1.
Schmerzensgeldanspruch gemäß §§ 823 Abs. 1, 253 Abs. 2 BGB durch Verschulden des X
Wie dargelegt ist ein Schmerzensgeldanspruch des A in der Person des X entstan- 618 den. 2.
Haftung des K als Gesellschafter der Maschinenbau Rat&Tat GbR
a)
Anspruch gegen K aus § 831 Abs. 1 BGB
Das Verhalten des X könnte dem K zugerechnet werden, wenn dieser als Verrich- 619 tungsgehilfe gehandelt hat. Dann hat A einen originären Anspruch aus § 831 Abs. 1 BGB gegen K als Geschäftsherrn. X war jedoch geschäftsführungsbefugter Gesellschafter der GbR. Er stand demnach in keinem Weisungsverhältnis zu dem Mitgesellschafter K. Ein Anspruch aus § 831 BGB scheidet demnach aus. b)
Zurechnung zuungunsten des K gemäß § 31 BGB analog
Eine Zurechnung wäre nur über § 31 BGB denkbar. Diese Vorschrift betrifft direkt 620 nur das Verhalten des Vorstandes in Bezug auf den Verein. Die h. M. wendet § 31 BGB gleichwohl auf alle juristischen Personen analog an.97 Da die GbR mit der Zuerkennung der Rechtsfähigkeit der juristischen Person angenähert wurde, ist § 31 BGB auch auf die GbR anzuwenden.98 Hiernach wird das Verhalten der vertretungsberechtigten Organe – das sind bei der GbR entweder gemäß § 709 BGB alle Gesellschafter gemeinschaftlich oder gemäß § 714 BGB ein Gesellschafter, dem die Vertretungsmacht eingeräumt wurde, – der GbR zugerechnet, sofern das Organ in Ausführung seiner Aufgaben, die ihm bei der GbR obliegen, gehandelt hat.99 X war mit der Vertretung der Gesellschaft betraut und er hat in seiner Eigenschaft als Vertreter dieser Gesellschaft gehandelt. Deshalb kann das deliktische Verhalten des X als des geschäftsführungsberechtigten Gesellschafters der GbR zugerechnet werden. Da für die Verbindlichkeiten der GbR jeder Gesellschafter gemäß § 128 HGB analog auch persönlich haftet, ist auch K dem A zum Schadenersatz verpflichtet. 97 98
99
Palandt/Heinrichs, Bürgerliches Gesetzbuch, 67. Aufl. 2008, § 31, Rn. 3. BGHZ 154, 88 (95) = NJW 2003, 1445 = MDR 2003, 639 = BB 2003, 862; BGH, NJW 2003, 2984 (2985). Palandt/Heinrichs, Bürgerliches Gesetzbuch, 67. Aufl. 2008, § 31, Rn. 10.
198
Kapitel 7 Gesellschaftsrecht
3.
Ergebnis
621 Es besteht ein Anspruch des A gegen K auf Zahlung eines Schmerzensgeldes. Lösungsvorschlag Abwandlung: 622 A könnte gegen K einen Anspruch auf Zahlung des Schmerzensgeldes in Höhe von 10.000 € gemäß §§ 831 Abs. 1, 253 Abs. 2 BGB haben, wenn K als Gesellschafter der GbR für ein Verschulden des T haftbar ist. I.
Haftung des K als Gesellschafter
1.
Verschulden des T
623 T hat durch seine fehlerhafte Zeichnung die Körperverletzung des A zumindest mitverursacht, woraus diesem gemäß §§ 823 Abs. 1, 253 Abs. 2 BGB ein Schmerzensgeldanspruch entstanden ist. 2.
Zurechnung zuungunsten des K
624 Dieser Anspruch richtet sich aufgrund des § 831 Abs. 1 BGB unmittelbar gegen K, wenn T als dessen Verrichtungsgehilfe gehandelt hat. T war Angestellter der Maschinenbau Rat&Tat GbR und arbeitete an der Erfüllung eines Auftrages für die GbR. Im Verhältnis zur GbR war T daher als Verrichtungsgehilfe gemäß § 278 BGB tätig. Damit handelte er aber auch für den Mitgesellschafter K. Ein Mitgesellschafter gilt grundsätzlich aufgrund des § 705 BGB, der die gemeinsame Unterstützung aller Gesellschafter bei der Zweckerreichung fordert, als Geschäftsherr, auch wenn er in der konkreten Situation, etwa aufgrund des Gesellschaftsvertrages, keine direkte Geschäftsführungsbefugnis hat. Somit hat A gegen K als Gesellschafter der KG einen Anspruch gemäß § 831 BGB. 3.
Haftungsobjekt
625 Fraglich ist schließlich, aus welchem Vermögen K diesen Anspruch erfüllen muss. a)
Haftung mit dem Gesamthandsvermögen als Gesamtschuldner
626 Der Anspruch des A richtet sich gegen K als Mitgesellschafter der GbR. Haftungsobjekt ist dabei zunächst das den Gesellschaftern gemeinschaftlich zustehende Vermögen aus § 718 Abs. 1 BGB (das sogenannte Gesellschaftsvermögen). Demnach kann A von K als Gesamtschuldner gemäß § 421 BGB die volle Summe verlangen. b)
Haftung mit dem Privatvermögen
627 Grundsätzlich ergibt sich aus der Struktur der GbR eine unbeschränkte Haftung der Gesellschafter als Gesamtschuldner gemäß §§ 421 ff. BGB. K sollte aufgrund des Vertrages mit X und Y als Kommanditist haften. Folglich sollte eine Haftung mit seinem Privatvermögen nach Leistung der Einlage ausgeschlossen werden. Diese Absprache war durch die Eintragung ins Handelsregister auch offenkundig. Im Gesellschaftsvertrag aber kann keine außenwirksame Haftungsbeschränkung vereinbart werden. Eine solche Haftungsbegrenzung ist nur durch vertragliche
C. Die Haftung im Außenverhältnis
199
Vereinbarung mit dem jeweiligen Vertragspartner möglich. Der geschädigte A aber war nicht Vertragspartner der GbR, sondern nur der Automobilzulieferer Z. Deshalb war gegenüber A keine Haftungsbeschränkung möglich. A kann seinen Schadenersatzanspruch daher gegen K durchsetzen. c)
Freistellungsanspruch von K gegen X und Y
Die Vereinbarung, die K mit X und Y getroffen hat, wirkt nur im Innenverhältnis 628 der Gesellschafter zueinander. K hat bereits seine Einlage geleistet. Ein größeres wirtschaftliches Risiko sollte er nach dem mit X und Y getroffenen Vertrag nicht eingehen. Damit haftet er im Innenverhältnis nicht mehr mit seinem Privatvermögen für Schulden, die aufgrund seiner Stellung als Gesellschafter entstanden sind. Deshalb steht K gemäß § 257 BGB ein Freistellungsanspruch gegen X und Y zu. Der setzt nach dem Wortlaut der Norm zwar eine „Aufwendung“ voraus, worunter die freiwillige Aufopferung von Vermögenswerten im Interesse anderer verstanden wird,100 jedoch wird § 257 BGB bei Schadenersatzzahlungen an Dritte, soweit damit ein Einsatz für fremde Interessen verbunden ist, den Aufwendungen gleichgestellt.101 Soweit K hier Schadenersatz an A leistet, liegt das erkennbar auch im Interesse von X und Y, denn A könnte sich wegen der akzessorischen Haftung aller Gesellschafter analog § 128 HGB durchaus auch an X und Y halten und diese gemeinsam oder auch nur einen von ihnen in Anspruch nehmen. II.
Ergebnis
A hat einen Anspruch gegen K auf angemessenes Schmerzensgeld. Aufgrund der 629 Absprachen der Gesellschafter K, X und Y sollte K nur mit seiner vermeintlichen Kommanditeinlage, also maximal in einer Höhe von 10.000 € haften. Da er die 10.000 € bereits in das Vermögen der Gesellschaft eingebracht hat, haftet er im Innenverhältnis nicht weiter. Deshalb steht K gemäß § 257 BGB ein Freistellungsanspruch gegen X und Y in Höhe des von A geforderten Schmerzensgeldes von 10.000 € zu.
100 101
BGH, NJW 1960, 1568; BGH, NJW 1989, 2816. Palandt/Heinrichs, Bürgerliches Gesetzbuch, 67. Aufl. 2008, § 256, Rn. 1 und § 670, Rn. 11.
Kapitel 8
Europarecht1
Das Europarecht im weiteren Sinne bezeichnet die normativen Regelungen aller 630 überstaatlichen europäischen Organisationen, so auch des europäischen Wirtschaftsraumes (EWR), der Westeuropäischen Union (WEU) und des Europarats und damit insbesondere auch die Konvention zum Schutz der Menschenrechte und Grundfreiheiten (EMRK). Das Europarecht im engeren Sinne wird durch den Vertrag über die Europäi- 631 sche Union (EUV)2 und das Recht der drei europäischen Gemeinschaften konstituiert. Das europäische Gemeinschaftsrecht lässt sich unterteilen in das primäre und das sekundäre Gemeinschaftsrecht. Das primäre Gemeinschaftsrecht wird gebildet aus den Bestimmungen der Verträge einschließlich der ungeschriebenen allgemeinen Rechtsgrundsätze des Gemeinschaftsrechts und des Gewohnheitsrechts. Das sekundäre Gemeinschaftsrecht ist das abgeleitete, also das auf der Grundlage der Verträge erlassene Recht der Gemeinschaftsorgane.
A. Europäische Union, Europäische Gemeinschaften und Mitgliedstaaten Die Europäische Union ist der Überbau und auf die Fortentwicklung der Integrati- 632 on angelegt. Ihre Grundlage sind die Europäischen Gemeinschaften. Hinzu treten auf der Basis des EUV die gemeinsame Außen- und Sicherheitspolitik (GASP) und die Zusammenarbeit in den Bereichen Justiz und Inneres. Die Europäischen Gemeinschaften sind die Europäische Gemeinschaft (EG, ur- 633 sprünglich: Europäische Wirtschaftsgemeinschaft, EWG) und die Europäische Atomgemeinschaft (EAG). Mit den diese Gemeinschaften konstituierenden Verträgen haben die Mitgliedstaaten einen Teil ihrer Hoheitsrechte auf diese übertragen. Insoweit haben sie ihre Souveränitätsrechte beschränkt und einen Rechtskörper geschaffen, der für sie selbst wie für ihre Staatsangehörigen verbindlich ist. Konstituiert somit das Gemeinschaftsrecht eine eigenständige Rechtsordnung, 634 1
2
Arndt, Europarecht, 8. Aufl. 2006; Doerfert, Europarecht: Die Grundlagen der Europäischen Union, 3. Aufl. 2007; Frenz, Handbuch Europarecht, Bde. 1 ff., 2004 ff.; Hakenberg, Grundzüge des Europäischen Gemeinschaftsrechts, 4. Aufl. 2007; Herdegen, Europarecht, 9. Aufl. 2007; Karpenstein, Praxis des EG-Rechts, 2005; Oppermann, Europarecht, 3. Aufl. 2005; Thiele, Grundriss Europarecht, 5. Aufl. 2006. Vertrag über die Europäische Union vom 7.2.1992, BGBl. II S. 1253, zuletzt geändert durch den am 2.10.1997 unterzeichneten Amsterdamer Vertrag.
202
Kapitel 8 Europarecht
muss diese gegenüber dem Recht der Mitgliedstaaten vorrangig sein. Das gilt sowohl für das Primärrecht als auch für das Sekundärrecht, das dieser autonomen Rechtsordnung entspringt und damit an ihrem Vorrang teilhat.3 Durch die Öffnung der innerstaatlichen Rechtsordnung für Rechtsakte von Ge635 meinschaftsorganen und die Übertragung von Hoheitsrechten auf diese können europäische Rechtsakte wie Handlungen deutscher Staatsgewalt unmittelbar den Bürger in der Bundesrepublik Deutschland zu einem Tun oder Unterlassen berechtigen oder verpflichten. Damit vermögen auch seine Freiheitsrechte eingeschränkt zu werden. Daher können nach der Konzeption des Bundesverfassungsgerichts auch Rechtsakte von Gemeinschaftsorganen an deutschen Grundrechten zu messen sein, wenn die aus nationaler Sicht unabdingbaren Grundrechtsstandards durch den Europäischen Gerichtshof nicht sichergestellt werden.4 Nähme dieses Recht jedes nationale Verfassungsgericht in Anspruch, würde dies indes die für das Zusammenwachsen Europas notwendige einheitliche Geltung des Gemeinschaftsrechts gefährden.5 Daher ist die Konzeption des Bundesverfassungsgerichts abzulehnen. Der Vorrang des Gemeinschaftsrechts bezieht sich deshalb in vollem Umfange auch auf die deutschen Grundrechte.
Fall 11: Alles Banane 636 Art. 17 ff. der EG-Bananenverordnung6 kontingentieren besonders stark den Import von Bananen aus den Gebieten, die nicht zu einem der EU-Mitgliedstaaten oder den AKP-Staaten gehören, und damit insbesondere aus lateinamerikanischen Staaten (Dollarbananen). A, der mit Bananen handelt und bislang alle Bananen aus solchen Gebieten bezogen hat, sieht seine Existenz gefährdet. Nachdem eine Klage vor dem EuGH erfolglos war,7 erhebt er gegen die Bananenverordnung wegen einer Verletzung von Art. 14 Abs. 1 GG Verfassungsbeschwerde vor dem Bundesverfassungsgericht. Kann er sich vor diesem insoweit auf dieses Grundrecht berufen?
3 4 5 6 7
Grundlegend EuGH, Slg. 1964, 1251 – Costa/ENEL. BVerfGE 89, 155 (175). EuGH, Slg. 1978, 629 (649 ff.); Slg. 1987, 2345 (2359). VO 404/93 EWG vom 13.2.1993, ABl. 1993 L 47, S. 1. EuGH, Slg. 1994, I-4933.
A. Europäische Union, Europäische Gemeinschaften und Mitgliedstaaten
203
Lösungsaufbau: I. Unmittelbare Einwirkung von Gemeinschaftsrecht auf die Grundrechte II. Ausschließlich öffnende Funktion des Grundgesetzes nach einer Übertragung von Hoheitsgewalt III. Einheitliche Anwendung des Gemeinschaftsrechts IV. Zwischenergebnis V. Überprüfung der Vollzugsakte deutscher Behörden an den Grundrechten des GG? VI. Gesamtergebnis
637
Lösungsvorschlag: Indem A die Grundlage für seinen Bananenhandel entzogen wird, droht sein Be- 638 trieb mit allen darin vereinigten Werten vollständig entwertet zu werden. Daher ist an sich der Schutzbereich von Art. 14 Abs. 1 GG berührt. A kann sich vor dem Bundesverfassungsgericht indes in diesem Fall nur dann auf sein Eigentumsgrundrecht berufen, wenn dieses auch gegenüber europäischem Sekundärrecht zu wirken vermag. I.
Unmittelbare Einwirkung von Gemeinschaftsrecht auf die Grundrechte
Für eine solche Wirkung spricht, dass durch die für das Gemeinschaftsrecht geöff- 639 nete nationale Rechtsordnung auch Rechtsakte von Gemeinschaftsorganen unmittelbar auf die innerdeutsche Rechtsordnung einzuwirken vermögen und wie Rechtsakte nationaler Organe die Grundrechte beeinträchtigen können.8 Indes entspringen diese Rechtsakte nicht der deutschen Rechtsordnung, der die nationalen Grundrechte entstammen. Indem sie Teil der Gemeinschaftsrechtsordnung sind, sind sie an den europäischen Grundrechten zu messen. Für deren Prüfung ist das Bundesverfassungsgericht indes nicht zuständig. II.
Ausschließlich öffnende Funktion des Grundgesetzes nach einer Übertragung von Hoheitsgewalt
Eine Ausnahme könnte höchstens insoweit bestehen, als die europäischen Grund- 640 rechte keinen Schutz gewähren und dadurch der vom Grundgesetz geforderte unabdingbare Grundrechtsstandard unterschritten wird. Im vorliegenden Falle war eine Klage vor dem Europäischen Gerichtshof erfolglos, während Art. 14 Abs. 1 GG einen Grundrechtsschutz in solchen Fällen prinzipiell verlangt. Rechtliche Basis für ein solches Eingreifen der Grundrechte könnte Art. 23 Abs. 1 S. 1 GG sein, der eine Europäische Union vorsieht, die einen dem deutschen Grundgesetz im Wesentlichen vergleichbaren Grundrechtsschutz gewährleistet. Indes bezieht sich diese Vorschrift nur auf die Verwirklichung eines vereinten 641 Europas beziehungsweise auch auf die Übertragung von Hoheitsrechten auf die Gemeinschaftsebene (Art. 23 Abs. 1 S. 2 GG). Es geht daher um das Hineinwirken der Bundesrepublik Deutschland auf die europäische Ebene, nicht um die 8
BVerfGE 89, 155 (175).
204
Kapitel 8 Europarecht
Rückwirkungen dieser auf die Rechtsordnung der Bundesrepublik Deutschland. Ist einmal in einem Bereich Hoheitsgewalt übertragen, findet eine Kontrolle an deutschen Verfassungsstandards nicht mehr statt. Somit können nur bei der Übertragung von Hoheitsgewalt beziehungsweise bei Einwirkungen deutscher Organe auf den europäischen Einigungsprozess die deutschen Grundrechte entgegenstehen. Insoweit ist dann eine in die Zukunft gerichtete Prognose anzustellen, ob ein dem deutschen Recht vergleichbarer Grundrechtsstandard gewährleistet ist. Dies ist indes grundsätzlich zu bejahen, da auf Gemeinschaftsebene ein umfassender Grundrechtsstandard gewährleistet ist, wie Art. 6 EUV nunmehr ausdrücklich festschreibt. Nach einer Übertragung kommt Art. 23 Abs. 1 GG aufgrund seiner grundsätzlichen Offenheit für die europäische Integration nur noch eine öffnende Funktion für Rechtsakte von Gemeinschaftsorganen zu, indes keine begrenzende mehr. III.
Einheitliche Anwendung des Gemeinschaftsrechts
642 Aus Sicht des Gemeinschaftsrechts würde ein Recht der nationalen Verfassungsgerichte, Rechtsakte von Gemeinschaftsorganen an innerstaatlichen Grundrechtsstandards – wenn auch nur partiell – zu überprüfen, die einheitliche Anwendung des Gemeinschaftsrechts infrage stellen. Eine solche einheitliche Anwendung ist indes die Grundlage dafür, dass das Gemeinschaftsrecht in allen Mitgliedstaaten gleichermaßen zu wirken vermag. Damit wird die Verwirklichung der europäischen Integration, das Hauptziel der Gemeinschaftsverträge, dem letztlich auch das gemeinschaftliche Sekundärrecht dient, ernsthaft gefährdet. Das aber widerspricht dem Sinn und Zweck der Gemeinschaftsverträge sowie insbesondere den Einzelbestimmungen des Art. 10 Abs. 2 EGV sowie Art. 12 EGV, der Diskriminierungen verbietet. Solche träten aber unweigerlich auf, wenn das Gemeinschaftsrecht nicht einheitlich zu wirken vermöchte. Daher können selbst aus nationaler Sicht unabdingbare Grundrechtsstandards nicht dem Gemeinschaftsrecht entgegengesetzt werden. IV.
Zwischenergebnis
643 A kann sich daher vor dem Bundesverfassungsgericht gegen die EG-Bananenverordnung nicht auf Art. 14 Abs. 1 GG berufen. V.
Überprüfung der Vollzugsakte deutscher Behörden an den Grundrechten des GG?
644 Ein Ausweg könnte höchstens darin bestehen, dass A sich nicht gegen die EGBananenverordnung wendet, sondern gegen die Rechtsakte deutscher Behörden in Vollzug dieser Gemeinschaftsvorschrift. Insoweit handeln deutsche Behörden, die an sich gemäß Art. 1 Abs. 3, 20 Abs. 3 GG der Grundrechtsbindung unterliegen.9 Aber auch dann, wenn Gemeinschaftsrecht von innerstaatlichen Einheiten vollzogen wird, bleibt der Gehalt dieser Rechtsakte durch Gemeinschaftsrecht bestimmt, soweit dieses entsprechende Vorgaben enthält. Die nationalen Vollzugsorgane 9
So auch BVerfGE 89, 155 (177 f.).
A. Europäische Union, Europäische Gemeinschaften und Mitgliedstaaten
205
fungieren insoweit ohne originäre Entscheidungsbefugnis. Sie haben die Aufgabe, mangels eines umfassenden gemeinschaftseigenen Verwaltungsunterbaus die flächendeckende, einheitliche Vollziehung sicherzustellen. Die Kompetenz zur Auslegung und zur Beurteilung der Gültigkeit dieser ge- 645 meinschaftsrechtlichen Vorgaben weist Art. 234 EGV dem Europäischen Gerichtshof zu. Dessen Entscheidungsmonopol kann nur dann in vollem Umfang zum Tragen kommen, wenn es sich auch auf die gemeinschaftsrechtlichen Determinanten der Vollzugsakte erstreckt. Auf diese Weise eingebunden in das europäische Integrationsprogramm, ist die Stellung der nationalen Vollzugsorgane als deutsche Staatsgewalt formal und inhaltlich überlagert durch die Vorgaben des Gemeinschaftsrechts. Im Hinblick auf die Grundrechte tritt an die Stelle der Bindung an die nationalen die an die europäischen. Können wegen der Ausübung deutscher Staatsgewalt nationale Gerichte angerufen werden, verengt sich dementsprechend ihre Prüfungskompetenz. Ihr unterliegen die nationalen Vollzugsakte lediglich insoweit, als sie von Vorgaben des Gemeinschaftsrechts einschließlich solcher aus allgemeinen gemeinschaftsrechtlichen Grundsätzen nicht erfasst werden und insoweit kein Widerspruch zum deutschen Recht auftritt. Im Übrigen haben die deutschen Gerichte bei einer Anrufung Gemeinschaftsrecht zu vollziehen. Die Bananenverordnung kontingentiert den Import von Bananen aus Gebieten, 646 die nicht zu einem der EU-Mitgliedstaaten und den AKP-Staaten gehören, sehr detailliert. Insoweit verbleiben daher den nationalen Behörden keine Entscheidungsspielräume. Somit können hier die deutschen Grundrechte nicht wirken. A kann sich daher auch gegenüber dem Handeln der deutschen Behörden, soweit sie die Bananenverordnung vollziehen, nicht auf Art. 14 Abs. 1 GG berufen. VI.
Gesamtergebnis
A kann weder gegen die Bananenverordnung selbst noch gegen die darauf gestütz- 647 ten Vollzugsakte deutscher Behörden Art. 14 Abs. 1 GG geltend machen.
206
Kapitel 8 Europarecht
B. Gemeinschaftsorgane Übersicht 8.1: Der Rat
648
Zusammensetzung: Aufgaben:
Unterscheide:
Europäischer Rat der Regierungschefs:
Je ein Vertreter der Mitgliedstaaten, Vorsitz wechselt alle sechs Monate, Art. 203 EGV. • Hauptrechtsetzungsorgan für sekundäres Gemeinschaftsrecht (Art. 251 f. EGV) • Koordination der Tätigkeit Kommission – Mitgliedstaaten (Art. 202 EGV: Abstimmung der Wirtschaftspolitik der Mitgliedstaaten) • Außenbeziehungen: Art. 300 ff. EGV: insbesondere Abkommen mit dritten Staaten oder Organisationen • Haushalt: Art. 272 EGV Beschlussfassung nach Mehrheit, Zusammenwirken mit Kommission und Europäischem Parlament, i. d. R. gem. Art. 251 f. EGV. Die im Rat vereinigten Vertreter der Regierungen: Sie fassen uneigentliche Ratsbeschlüsse, nunmehr insbes. relevant im Rahmen der gemeinsamen Außen- und Sicherheitspolitik sowie der Zusammenarbeit in den Bereichen Justiz und Inneres nach EUV. Er kann auch grundlegende Entscheidungen fällen, insbesondere eine Änderung der Verträge beschließen.
Übersicht 8.2: Die Kommission
649
Zusammensetzung: Aufgaben:
Beschlussfassung:
Die Mitglieder werden von den Mitgliedstaaten im gegenseitigen Einvernehmen ernannt. • Treffen von Entscheidungen und Mitwirkung an Handlungen der anderen Organe nach Maßgabe des EGV (Art. 211 EGV) • Initiativmonopol (Art. 251 f. EGV) • Kontrolle und Sanktionierung der Einhaltung von Gemeinschaftsrecht (Art. 211, 226 EGV) • Möglichkeit der Ermächtigung zur Durchführung von Vorschriften durch den Rat (Art. 202 3. Spiegelstrich EGV) • Aushandeln von Abkommen (Art. 300 EGV), Vertretung der Gemeinschaft in internationalen Organisationen (Art. 302 EGV) kollegial, die Vorbereitung erfolgt ressortmäßig. In der Regel gilt das Mehrheitsprinzip, Art. 219 EGV.
C. Rechtsetzung
207
Übersicht 8.3: Parlament, Gerichtshof, Ausschüsse und Investitionsbank Aufgaben Beteiligung an der Rechtsetzung durch Mitentscheidung (Art. 251 EGV) oder durch Zusammenarbeit (Art. 252 EGV) Kontrolle: Misstrauensvotum gegen die Kommission (Art. 201 EGV), Erörterung der Jahresberichte der Kommission (Art. 200 EGV. 15 Richter, die von den Sicherung der Wahrung des Europäischer GerichtsRegierungen der MitgliedRechts bei der Auslegung hof staaten im gegenseitigen und Anwendung der GeEinvernehmen ernannt meinschaftsverträge einwerden, Art. 221, 223 EGV. schließlich des Sekundärrechts (Art. 220 EGV). Ausschüsse: Insbesondere Wirtschafts- und Sozialausschuss, Ausschuss der Regionen: Sie sind Nebenorgane, üben eine beratende Tätigkeit aus und besitzen Anhörungsrechte (Art. 257 ff. EGV). Europäische Investitionsbank finanziert europäische Investitionsprojekte, Art. 266 f. EGV. Europäisches Parlament
Zusammensetzung In den einzelnen Mitgliedstaaten gewählte Abgeordnete, Art. 189 EGV.
650
C. Rechtsetzung Die Rechtsetzung der Gemeinschaftsorgane ist durch zwei Prinzipien beschränkt. 651 Beim Prinzip der begrenzten Ermächtigung (Art. 5 Abs. 1 EGV)10 besitzen die Gemeinschaftsorgane keine generelle Befugnis zum Erlass von Rechtshandlungen, sondern ihnen sind nur Einzelermächtigungen im Vertrag zugewiesen. Sie dürfen daher weder über die in den Verträgen geregelten Sachgebiete und für sie geltenden Ziele hinausgehen noch andere als in den Einzelermächtigungen eingeräumte Arten von Rechtshandlungen erlassen. Nach dem Subsidiaritätsprinzip (Art. 5 Abs. 2, 3 EGV) dürfen die Gemein- 652 schaftsorgane dürfen nur tätig werden, sofern und soweit Ziele auf Ebene der Mitgliedstaaten nicht ausreichend realisiert und (deutlich) besser auf Gemeinschaftsebene erreicht werden können. Was die Regelungsintensität anbetrifft, dürfen die Maßnahmen der Gemeinschaft nicht über das für die Erreichung der Ziele erforderliche Maß hinausgehen.
10
Ziff. 5 3. Spiegelstrich des dem Amsterdamer Vertrag beigefügten Protokolls über die Anwendung der Grundsätze der Subsidiarität und der Verhältnismäßigkeit.
208
Kapitel 8 Europarecht
Übersicht 8.4: Arten von Rechtsakten nach Art. 249 EG
653
Verordnungen (Art. 249 Abs. 2 EGV)
• haben allgemeine Geltung. • sind in allen ihren Teilen verbindlich (Gesamtverbindlichkeit).
• gelten unmittelbar in jedem Mitgliedstaat (Durchgriffswirkung, bedürfen keiner Umsetzung). Richtlinien (Art. 249 Abs. 3 EGV)
• sind für jeden Mitgliedstaat hinsichtlich des zu erreichenden Zieles verbindlich.
• überlassen den innerstaatlichen Stellen die Wahl der Form und der Mittel.
• gelten also grundsätzlich nicht unmittelbar, sondern
Entscheidungen (Art. 249 Abs. 4 EGV)
Empfehlungen und Stellungnahmen (Art. 249 Abs. 5 EGV) Sonstige Rechtsakte
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12
13
bedürfen der Umsetzung durch die Mitgliedstaaten. Das muss nicht förmlich und wörtlich erfolgen, aber so • klar und deutlich, dass die Begünstigten in der Lage sind, von allen ihren Rechten Kenntnis zu erlangen und diese gegebenenfalls vor nationalen Gerichten geltend zu machen.11 • gelten allerdings dann und insoweit unmittelbar, als sie von einem Mitgliedstaat nicht ordnungsgemäß umgesetzt wurden, hinreichend genau und bestimmt sind und nicht lediglich zwischen Privaten Pflichten begründen.12 • sind in allen ihren Teilen verbindlich. • für diejenigen, die sie bezeichnen: d.h. sie haben stets unmittelbare Wirkung, wenn sie an Individuen adressiert sind; wenn sie an Mitgliedstaaten gerichtet sind, unter den Voraussetzungen einer Richtlinie, da sie dann grundsätzlich umsetzungsbedürftig sind. sind nicht verbindlich.
Art. 249 EGV führt die möglichen Arten von Rechtsakten nicht abschließend auf.13 Zur wirksamen Durchführung zahlreicher Politiken sind etwa auch Warnungen, Empfehlungen etc. erforderlich. Eine Beschränkung auf die in Art. 249 EGV genannten Rechtshandlungen ergibt sich aber dann, wenn eine Vorschrift explizit auf diese Formen verweist.
EuGH, Slg. 1987, 1733; Slg. 1991, I-825 (867); Slg. 1991, I-2567 (2600 f.); Slg. 1991, I-2607 (2631). EuGH, Slg. 1974, 1337 (1348 f.); Slg. 1977, 113 (126 f.); Slg. 1987, 3969 (3985) – Kolpinghuis; Slg. 1986, 723 (749) – Marshall; Slg. 1995, I-2189 (2224) – Großkrotzenburg. Näher Frenz, Europäisches Umweltrecht, 1997, Rn. 67 f.
C. Rechtsetzung
209
Fall 12: Defizitäre Richtlinienumsetzung Die Grundwasserschutzrichtlinie14 bezweckt gemäß Art. 1 Abs. 1, die Verschmut- 654 zung des Grundwassers durch Stoffe der in anliegenden Listen aufgeführten Stofffamilien und Stoffgruppen zu verhüten und die Folgen seiner bisherigen Verschmutzung so weit wie möglich einzudämmen oder zu beheben. Dieser Zweck soll gemäß Art. 4 Abs. 1 dieser Richtlinie unter anderem durch die Vorgabe an die Mitgliedstaaten, jegliche direkte Ableitung von Stoffen aus der Liste I zu verbieten, erreicht werden. Das Recht der Bundesrepublik Deutschland entspricht zwar von den Standards her den Anforderungen der Grundwasserschutzrichtlinie, erfasst aber nicht alle Stoffe der Liste I ausdrücklich und sieht, was die direkte Ableitung von Stoffen anbetrifft, nur das Erfordernis einer Genehmigung, nicht eines Verbots vor. Ist nach dieser Rechtslage die Ableitung von allen Stoffen der Liste I der Grundwasserschutzrichtlinie in der Bundesrepublik Deutschland verboten? Lösungsaufbau: I. Nicht ordnungsgemäße Umsetzung II. Hinreichende Bestimmtheit und Genauigkeit III. Keine Rechtswirkungen ausschließlich zwischen Privaten IV. Ergebnis
655
Lösungsvorschlag: Die Ableitung von allen Stoffen der Liste I ist dann verboten, wenn die Grund- 656 wasserschutzrichtlinie in der Bundesrepublik Deutschland unmittelbare Wirkung entfaltet. Eine solche unmittelbare Wirkung setzt voraus, dass die Richtlinie von der Bundesrepublik Deutschland nicht oder fehlerhaft umgesetzt wurde, sie hinreichend bestimmt und genau ist und nicht unmittelbar zulasten Privater Pflichten begründet. I.
Nicht ordnungsgemäße Umsetzung
Die Grundwasserschutzrichtlinie wurde in der Bundesrepublik Deutschland umge- 657 setzt. Diese Umsetzung beinhaltet ein mit der Grundwasserschutzrichtlinie vergleichbares Niveau. Indes fügt sie sich nicht in deren System. So sind nicht alle Stoffe der Liste I ausdrücklich erfasst. Ein Rechtsakt ist nur in Gestalt einer Genehmigung, nicht eines Verbots vorgesehen. Bei einem solchen Abweichen ist es den von einem sauberen Grundwasser letztlich profitierenden Individuen erheblich erschwert, ihre Rechte zu erkennen und sie gegebenenfalls einzufordern; auch die Verpflichteten haben Schwierigkeiten, die sie treffenden Verhaltensanforderungen in Verbindung zu der Richtlinie zu sehen. Damit wird die Effektivität der Richtlinienumsetzung infrage gestellt. Tiefer 658 gehend führt eine solche strukturell nicht deckungsgleiche Umsetzung zu einer Verschiedenartigkeit der durch Richtlinien erfassten Rechtsgebiete, sodass eine harmonische und ausgewogene Entwicklung des Wirtschaftslebens innerhalb der 14
RL 80/68/EWG vom 17.12.1979, ABl. 1980 L 20, S. 43.
210
Kapitel 8 Europarecht
Gemeinschaft gefährdet wird. Diesem Ziel dienen letztlich entsprechend der Grundlagenbestimmung des Art. 2 EGV auch Richtlinien. Nach alledem genügt die Umsetzung von Art. 4 Abs. 1 der Grundwasserschutzrichtlinie im deutschen Recht nicht den gemeinschaftsrechtlichen Anforderungen. Sie ist daher nicht ordnungsgemäß. II.
Hinreichende Bestimmtheit und Genauigkeit
659 Art. 4 Abs. 1 Grundwasserschutzrichtlinie gibt eindeutig vor, dass jegliche direkte Ableitung von Stoffen aus der Liste I verboten sein muss. Die Ausgestaltung des nationalen Rechts ist hier in Einzelheiten vorgegeben; den Mitgliedstaaten verbleibt noch nicht einmal ein Ausgestaltungsspielraum. Die Richtlinie ist daher insoweit inhaltlich unbedingt und genau. III.
Keine Rechtswirkungen ausschließlich zwischen Privaten
660 Das Gewässerschutzregime erfordert ein Dazwischentreten staatlicher Instanzen. Die Grundwasserschutzrichtlinie wirkt daher nicht unmittelbar zulasten Privater, sondern vermittelt durch staatliche Instanzen. Damit ist die Staatsgerichtetheit der Richtlinien nach Art. 249 Abs. 3 EGV auch bei einer unmittelbaren Wirkung gewahrt.15 IV.
Ergebnis
661 Art. 4 Abs. 1 der Grundwasserschutzrichtlinie wirkt unmittelbar. Die Ableitung von allen Stoffen aus der Liste I dieser Richtlinie ist in der Bundesrepublik Deutschland damit verboten, auch wenn diese Bestimmung im deutschen Recht nicht enthalten ist.
D. Grundfreiheiten 662 Die Grundfreiheiten wirken unmittelbar.16 Sie verpflichten daher die innerstaatlichen Organe und können von Individuen vor den nationalen Gerichten eingefordert werden. Es existieren folgenden Grundfreiheiten:
15 16
Vgl. EuGH, Slg. 1995, 2189 – Großkrotzenburg. Etwa EuGH, Slg. 1963, 3 (24 ff.) – von Gend & Loos; Slg. 1974, 1337 (1347) – van Duyn.
D. Grundfreiheiten
• • • • • •
211
Zollfreiheit, Art. 23 f. EGV Warenverkehrsfreiheit, Art. 28 ff. EGV Arbeitnehmerfreizügigkeit, Art. 39 ff. EGV Niederlassungsfreiheit, Art. 43 ff. EGV Dienstleistungsfreiheit, Art. 49 ff. EGV Kapitalverkehrsfreiheit, Art. 56 a ff. EGV
gleichzustellen:
• Wettbewerbsfreiheit, Art. 81 ff. EGV
I.
Grundschema der Grundfreiheiten I. Verbotstatbestand, der zugleich den Schutzbereich umschreibt. II. Rechtfertigung von Einschränkungen der Grundfreiheit 1. Rechtfertigungsgrund 2. Rechtfertigung im konkreten Fall a) keine willkürliche Diskriminierung b) Wahrung des Verhältnismäßigkeitsprinzips, d. h. die Maßnahme muss sinnvoll, also für den angestrebten Zweck geeignet, sowie erforderlich (kein milderes Mittel) und angemessen (Proportionalität zwischen verfolgtem Zweck und beeinträchtigter Grundfreiheit) sein.
663
II. Die Warenverkehrsfreiheit Art. 28 EGV verbietet mengenmäßige Einfuhrbeschränkungen sowie alle Maß- 664 nahmen gleicher Wirkung. Eine Maßnahme gleicher Wirkung ist grundsätzlich jede Handelsregelung eines Mitgliedstaates, die geeignet ist, den innergemeinschaftlichen Handel unmittelbar oder mittelbar, aktuell oder potentiell zu behindern.17 Vertriebsbezogene Maßnahmen, das heißt solche, die bestimmte Verkaufsmodalitäten beschränken oder verbieten, fallen darunter nur bei hinreichendem Produktbezug; sie müssen tatsächlich nachteilige Wirkungen auf den Warenverkehr haben.18
17 18
EuGH, Slg. 1974, 837 (852) – Dassonville-Formel; Slg. 1995, I-1936 (1940) – Mars. EuGH, Slg. 1993, I-6097 (6130 f.) – Keck, wo eine differenzierende Anwendung auf in- und EU-ausländische Produkte verlangt wird.; a.A. Frenz, Europäisches Umweltrecht, 1997, Rn. 676.
212
Kapitel 8 Europarecht
Übersicht 8.5: Die Rechtfertigung
665
Rechtfertigungsgrund Art. 30 EGV nennt insbesondere: • Gründe der öffentlichen Sicherheit und Ordnung • Schutz der Gesundheit und des Lebens von Menschen • Schutz des gewerblichen und kommerziellen Eigentums Immanente Schranken (Cassis-Formel)19 sind insbesondere folgende zwingende nationale Erfordernisse: • wirksame steuerliche Kontrollen • Schutz der öffentlichen Gesundheit • Lauterkeit des Handelsverkehrs • Verbraucherschutz • sowie Umweltschutz20
Rechtfertigung im Einzelnen • keine willkürliche Diskriminierung • Verhältnismäßigkeitsgrundsatz Geeignetheit Erforderlichkeit Angemessenheit
Fall 13: Reines Bier 666 In der Bundesrepublik Deutschland erlaubt ein Gesetz nur das Inverkehrbringen solcher Getränke als Bier, die nach dem auf das Jahr 1516 zurückgehenden deutschen „Reinheitsgebot“ gebraut wurden. Eine niederländische Firma möchte ihr nach anderem Rezept hergestelltes, in den Niederlanden legal vertriebenes „Bier“ auch in Deutschland verkaufen. Sie fragt Sie, ob die deutsche Regelung gegen Art. 28 EGV verstößt. Lösungsaufbau: I. Einschränkung der Warenverkehrsfreiheit II. Rechtfertigung 1. Rechtfertigungsgrund a) Rechtfertigungsgrund nach Art. 30 EGV b) Immanente Schranken 2. Rechtfertigung im Einzelnen a) Wahrung des Diskriminierungsverbotes b) Wahrung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes aa) Geeignetheit bb) Erforderlichkeit III. Ergebnis
667
19 20
EuGH, Slg. 1979, 649 (662) – Rewe. EuGH, Slg. 1988, 4607 (4630) – Dänische Pfandflaschen; Slg. 1985, 531 (549) – ADBHU.
D. Grundfreiheiten
213
Lösungsvorschlag: I.
Einschränkung der Warenverkehrsfreiheit
Art. 28 EGV verbietet mengenmäßige Einfuhrbeschränkungen sowie alle Maß- 668 nahmen gleicher Wirkung zwischen den Mitgliedstaaten. Eine Maßnahme gleicher Wirkung ist, wie festgestellt, jede Handelsregelung eines Mitgliedstaates, die geeignet ist, den innergemeinschaftlichen Handel unmittelbar oder mittelbar, tatsächlich oder potentiell zu behindern. Dass in Deutschland nur nach dem deutschen Reinheitsgebot gebraute Getränke als Bier verkauft werden dürfen, kann den Absatz von in anderen Mitgliedstaaten nach einem davon differierenden Rezept hergestellten „Bieren“ behindern. Die Warenverkehrsfreiheit ist somit eingeschränkt. II.
Rechtfertigung
Die Einschränkung wäre gerechtfertigt, wenn ein Rechtfertigungsgrund bestünde 669 und dieser im Einzelnen durchgreifen würde. 1.
Rechtfertigungsgrund
a)
Rechtfertigungsgrund nach Art. 30 EGV
Art. 30 EGV rechtfertigt Beeinträchtigungen von Art. 28 EGV unter anderem zum 670 Schutz der Gesundheit. Diese ist indes durch den Genuss anderer als nach dem bayerischen Reinheitsgebot gebrauter Biersorten nicht bedroht. Art. 30 EGV scheidet daher als Rechtfertigungsgrund aus. b)
Immanente Schranken
Es könnten aber immanente Schranken eingreifen. Diese beruhen auf folgender 671 Überlegung: Solange eine Harmonisierung auf Gemeinschaftsebene für einen bestimmten Bereich noch nicht erfolgt ist, sind den nationalen Rechtsordnungen Unterschiede und Besonderheiten immanent, die für das innerstaatliche System von fundamentaler Bedeutung sein können. Daher müssen Hemmnisse für den Binnenhandel hingenommen werden, die sich aus den Unterschieden der nationalen Regelungen ergeben, soweit diese Bestimmungen notwendig sind, um konkreten zwingenden Erfordernissen gerecht zu werden. Solche zwingenden Erfordernisse sind unter anderem die Lauterkeit des Han- 672 delsverkehrs und der Verbraucherschutz.21 Die Lauterkeit des Handelsverkehrs und der Verbraucherschutz könnten hier insoweit eingreifen, als der Verbraucher beim Vertrieb von nicht nach dem Reinheitsgebot hergestellten Bieren in der Bundesrepublik Deutschland diese nicht erkennen würde, diese ihm mithin sozusagen stillschweigend untergejubelt würden. Der Verbraucher verbindet mit dem bislang in Deutschland ausschließlich vertriebenen Bier bestimmte Eigenschaften. Daher ist es zur Wahrung der Lauterkeit des Handelsverkehrs und zum Schutz der Verbraucher vom Grunde her gerechtfertigt, Verbrauchern, die aus bestimmten 21
EuGH, Slg. 1979, 649 (662) – Rewe, sogenannte Cassis-Formel.
214
Kapitel 8 Europarecht
Grundstoffen hergestelltem Bier besondere Eigenschaften zuschreiben, die Möglichkeit zu geben, die Wahl unter diesem Gesichtspunkt zu treffen.22 2.
Rechtfertigung im Einzelnen
a)
Wahrung des Diskriminierungsverbotes
673 Damit eine nationale Maßnahme im Einzelfall gerechtfertigt sein kann, muss sie das Diskriminierungsverbot wahren.23 Das bedeutet, dass sie auf inländische und ausländische Ware unterschiedslos anwendbar sein muss. Formal werden hier die deutschen und die ausländischen Biere gleich behandelt, da sie beide dem Reinheitsgebot entsprechen müssen. Das Diskriminierungsverbot ist von daher gewahrt. b)
Wahrung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes
674 Eine die Warenverkehrsfreiheit einengende mitgliedstaatliche Maßnahme aus zwingenden nationalen Erfordernissen muss zudem den Verhältnismäßigkeitsgrundsatz wahren.24 aa)
Geeignetheit
675 Die Maßnahme muss zunächst für den verfolgten Zweck geeignet sein, d. h. ihn fördern können. Ein gänzliches Verkehrsverbot für nicht dem Reinheitsgebot entsprechende „Biere“ vermeidet Verwechslungen. bb)
Erforderlichkeit
676 Des Weiteren muss die Maßnahme erforderlich sein. Es darf also kein milderes Mittel geben, mithin ein solches, das das angestrebte Ziel mit weniger einschneidenden Beeinträchtigungen zu erreichen vermag. Um Verwechslungen zu vermeiden und den Verbraucher über die Zusammensetzung des von ihm als Bier gekauften Getränks aufzuklären, genügt es, wenn die in Verkehr gebrachten Erzeugnisse ausreichend gekennzeichnet werden. Das kann sichergestellt werden „insbesondere durch die Verpflichtung zu einer angemessenen Etikettierung hinsichtlich der Art des verkauften Erzeugnisses. Durch die Angabe der bei der Bierzubereitung verwendeten Grundstoffe würde der Verbraucher in die Lage versetzt, seine Wahl in Kenntnis aller Umstände zu treffen; auch die Transparenz der Handelsgeschäfte und der Angebote an die Verbraucher würde dadurch sichergestellt.“25 Da somit ein milderes Mittel existiert, das den angestrebten Erfolg erreichen kann, ist ein Verbot nicht dem deutschen Reinheitsgebot entsprechender Biere nicht erforderlich und damit unverhältnismäßig.
22 23 24 25
EuGH, Slg. 1987, 1227 (1271). EuGH, Slg. 1981, 1625 (1638). EuGH, Slg. 1988, 4607 (4630). EuGH, Slg. 1987, 1227 (1271) unter Verweis auf EuGH, Slg. 1981, 3019.
D. Grundfreiheiten
III.
215
Ergebnis
Die Regelung, dass nur dem Reinheitsgebot entsprechende Biere als solche in 677 Verkehr gebracht werden dürfen, beeinträchtigt die Warenverkehrsfreiheit und ist wegen fehlender Erforderlichkeit nicht gerechtfertigt. Sie verstößt daher gegen Art. 28 EGV.
III. Arbeitnehmerfreizügigkeit Art. 39 EGV gewährleistet die Freizügigkeit der Arbeitnehmer aus anderen EUMitgliedstaaten. Diese müssen sich in gleicher Weise wie Einheimische um Beschäftigungsmöglichkeiten bewerben können, gleichermaßen entlohnt werden und den gleichen Arbeitsbedingungen unterliegen. Eingeschlossen ist, dass sie sich zu diesem Zweck im Hoheitsgebiet der anderen Mitgliedstaaten frei bewegen und aufhalten können. Dieses Recht zum Eintritt und zum Aufenthalt erstreckt sich auf Familienangehörige, die z.B. auch an den Sozialleistungen dieses anderen Mitgliedstaates teilhaben. Das Recht auf Freizügigkeit nach Art. 39 EGV wird etwa dadurch beschränkt, dass bestimmte Tätigkeiten nicht durch Inländer ausgeübt werden können, aber auch durch verdeckte mittelbare Diskriminierungen,26 z. B. aufgrund der Notwendigkeit der Zurücklegung bestimmter Wohnzeiten27 oder der Erfüllung bestimmter Sachverhalte im Inland.28 Ausgenommen von der Freizügigkeit der Arbeitnehmer sind gemäß Art. 39 Abs. 4 EGV Tätigkeiten in der öffentlichen Verwaltung. Dazu zählen entsprechend dem Ausnahmecharakter der Vorschrift aber nur solche Tätigkeiten, die eine Ausübung hoheitlicher Befugnisse mit sich bringen oder die Wahrnehmung von Aufgaben beinhalten, die auf die Wahrung der allgemeinen Belange des Staates oder anderer öffentlicher Körperschaften gerichtet sind.29 Nach Art. 39 Abs. 3 EGV besteht für die Mitgliedstaaten die Möglichkeit, das Recht der Arbeitnehmer auf Freizügigkeit aus Gründen der öffentlichen Ordnung, Sicherheit und Gesundheit zu beschränken. Diese Begriffe sind als gemeinschaftsrechtliche Begriffe und als Ausnahmetatbestand auszulegen. Die Beschränkung setzt eine tatsächliche und hinreichend schwere Gefährdung voraus, die ein Grundinteresse der Gesellschaft berührt und bedingt ist durch die Anwesenheit oder durch das Verhalten der von der Freizügigkeit Profitierenden.30
678
679
680
681
Fall 14: Zu viel Rotwein – Der abgewiesene Abfallentsorger A hat sein Studium der Abfallentsorgung an der RWTH Aachen erfolgreich abge- 682 schlossen. Nun möchte er dem oft regnerischen Wetter im Rheinland entfliehen und daher als Abfallexperte im sonnigen Italien arbeiten. Dort bestehen aber nor26 27 28 29 30
EuGH, Slg. 1974, 153 (164 f.) – Sotgiu; Slg. 1990, I-1779 (1792) – Biehl. S. EuGH, Slg. 1993, I-817 (843). S. EuGH, Slg. 1991, I-5531 (5541 f.) – Le Manoir. EuGH, Slg. 1987, 2625 (2639) – CNR. EuGH, Slg. 1975, 1219 (1231) – Rutili; Slg. 1977, 1999 (2031) – Bouchereau.
216
Kapitel 8 Europarecht
mative Anforderungen für die Ausübung dieses Berufs, die sich nicht mit den deutschen decken. Er müsste einen Abschluss in Italien machen, um dort bei einer Firma arbeiten zu können. Die italienischen Stellen berufen sich auch darauf, dass A während seiner Bewerbungsreise durch Italien in Rom zu viel Rotwein getrunken habe und nachts laut singend neben dem Gehweg gelaufen sei. Bei Deutschen sei dies nichts Ungewöhnliches, da der Chef eines großen deutschen Konzerns in ähnlicher Weise in Erscheinung getreten sei. Von daher bestehe auch Wiederholungsgefahr. A ist aber der Ansicht, aufgrund der Arbeitnehmerfreizügigkeit müsste sein Abschluss in Italien anerkannt werden. Lösungsaufbau: I. Unanwendbarkeit von Art. 39 EGV wegen Tätigkeit in der öffentlichen Verwaltung? II. Grundsatz der Inländergleichbehandlung III. Adäquate Berücksichtigung EU-ausländischer Diplome IV. Beschränkung aus Gründen der öffentlichen Sicherheit und Ordnung? V. Ergebnis
683
Lösungsvorschlag: 684 Der Abschluss von A könnte aufgrund von Art. 39 EGV anerkannt werden müssen. Diese Vorschrift verlangt die Herstellung der Freizügigkeit der Arbeitnehmer und gewährt in Abs. 3 lit. a) das Recht, sich um tatsächlich angebotene Stellen zu bewerben. Davon könnte die Anerkennung EU-ausländischer Abschlüsse umfasst sein. I.
Unanwendbarkeit von Art. 39 EGV wegen einer Tätigkeit in der öffentlichen Verwaltung?
685 Die Anwendbarkeit von Art. 39 EGV auf A wäre in diesem Fall gemäß Art. 39 Abs. 4 EGV ausgeschlossen, wenn die Tätigkeit des Abfallentsorgers eine Beschäftigung in der öffentlichen Verwaltung darstellen würde. Unabhängig davon, ob die Abfallentsorgung in Italien privatisiert ist oder nicht, zählen zu solchen Tätigkeiten entsprechend dem Ausnahmecharakter dieser Vorschrift nur solche, die eine Ausübung hoheitlicher Befugnisse mit sich bringen oder die Wahrnehmung von Aufgaben beinhalten, die auf die Wahrung der allgemeinen Belange des Staates oder anderer öffentlicher Körperschaften gerichtet sind. Die Tätigkeit als Entsorgungsexperte zählt dazu nicht. II.
Grundsatz der Inländergleichbehandlung
686 Die Arbeitnehmerfreizügigkeit umfasst gemäß Art. 39 Abs. 2 EGV die Abschaffung jeder auf der Staatsangehörigkeit beruhenden unterschiedlichen Behandlung der Arbeitnehmer. Sie statuiert damit den Grundsatz der Inländergleichbehandlung. Das bedeutet, dass Staatsangehörige anderer Mitgliedstaaten so wie die eigenen Staatsangehörigen behandelt werden müssen. Daher brauchen für Staatsangehörige aus anderen EU-Mitgliedstaaten keine besseren Bedingungen zu gelten. Von daher kann A nur verlangen, unter den für Italiener maßgeblichen Bedingungen eine Anstellung erhalten zu können.
D. Grundfreiheiten
217
Bestätigt wird dieser Befund durch Art. 39 Abs. 3 EGV. Er gibt nach lit. a) den 687 Arbeitnehmern das Recht, sich um tatsächlich angebotene Stellen zu bewerben, ohne dass die verlangten Anforderungen näher begrenzt sind. Vielmehr berechtigt Art. 39 Abs. 3 lit. c) EGV nur dazu, sich in einem Mitgliedstaat aufzuhalten, um dort nach dem für die Arbeitnehmer dieses Staates geltenden Rechts- und Verwaltungsvorschriften eine Beschäftigung auszuüben. Eine Anerkennung seines Diploms als Abfallentsorger, das er in der Bundesrepublik Deutschland erworben hat, ist daher zugunsten des A von Art. 39 EGV nicht vorgegeben. Dazu bedürfte es einer Harmonisierungsrichtlinie, die in diesem Falle, soweit ersichtlich, nicht vorhanden ist. III.
Adäquate Berücksichtigung EU-ausländischer Diplome
Damit ist noch nicht gesagt, dass dem in Deutschland erworbenen Diplom des A 688 in Italien keine Bedeutung zugemessen werden muss. Der Realisierung der Arbeitnehmerfreizügigkeit sind aus dem Grenzübertritt entstehende Schwierigkeiten inhärent. Diese beziehen sich auch darauf, dass in den verschiedenen Mitgliedstaaten unterschiedliche Ausbildungs- und Hochschulsysteme bestehen und unterschiedliche Diplome und Prüfungszeugnisse verliehen werden. Soll die Arbeitnehmerfreizügigkeit wirksam verwirklicht werden können, muss dies bei der Frage, ob die Abschlüsse eines Interessenten für die Berufsaufnahme ausreichen, berücksichtigt werden. Eine solche Einbeziehung folgt daher aus dem effet utile des Art. 39 EGV. Deshalb müssen die im EU-Ausland erworbenen Qualifikationen in jedem Fall adäquat berücksichtigt werden. Setzen die Rechtsvorschriften eines Mitgliedstaates für die Aufnahme eines Be- 689 rufes ein Diplom oder eine bestimmte berufliche Qualifikation voraus, bedarf es daher eines Vergleichs der zur Ausübung des gleichen Berufs in einem anderen Mitgliedstaat erworbenen Diplome, Prüfungszeugnisse und sonstigen Befähigungsnachweise mit den nach nationalem Recht vorgeschriebenen Diplomen und Fähigkeiten. Es darf weniger um die formale Bezeichnung gehen, sondern die Frage der Gleichwertigkeit der im Herkunftsstaat erworbenen Qualifikation ist besonders zu prüfen. Das dafür angewandte Verfahren muss eine objektive Beurteilung der Gleichwertigkeit ermöglichen. Diese Beurteilung darf sich nur nach den Kenntnissen und Fähigkeiten richten, die nach diesem Diplom unter Berücksichtigung von Art und Dauer des Studiums, auf das es sich bezieht, bei seinem Besitzer zu vermuten sind.31 Reichen danach die Kenntnisse und Fähigkeiten noch nicht aus, um den nationalen Voraussetzungen zu genügen, müssen die gestellten zusätzlichen Anforderungen verhältnismäßig sein.32 Daher kann A zwar nicht eine Anerkennung seines Diploms verlangen. Er hat aber aus Art. 39 EGV Anspruch darauf, dass seine durch das Studium in Deutschland erworbenen und in der Prüfung nachgewiesenen Kenntnisse adäquat auf ihre Gleichwertigkeit mit dem in einem vergleichbaren italienischen Studium erworbenen Kenntnisstand überprüft werden. 31 32
EuGH, Slg. 1994, I-923 (940 f.). Vgl. EuGH, Slg. 1991, I-2357 (2384) – Vlassopoulou; Slg. 1992, I-3003 (3028 f.) – Aguirre sowie bereits Slg. 1978, 2293 (2303 f.) – Choquet.
218
Kapitel 8 Europarecht
IV.
Beschränkung aus Gründen der öffentlichen Sicherheit und Ordnung?
690 Gemäß Art. 39 Abs. 3 EGV kann das Recht auf Arbeitnehmerfreizügigkeit aus Gründen der öffentlichen Ordnung, Sicherheit und Gesundheit beschränkt werden. Diese Begriffe sind indes als gemeinschaftsrechtliche Begriffe und als Ausnahmetatbestand eng auszulegen.33 Damit sie eingreifen, ist eine tatsächliche und hinreichend schwere Gefährdung erforderlich, die ein Grundinteresse der Gesellschaft berührt und bedingt ist durch die Anwesenheit und durch das Verhalten der von der Freizügigkeit Profitierenden. Nach Art. 3 Abs. 1 der auch Art. 39 Abs. 3 EGV konkretisierenden Richtlinien 691 64/221/EWG zur Koordinierung der Sondervorschriften für die Einreise und den Aufenthalt von Ausländern, soweit sie aus Gründen der öffentlichen Ordnung, Sicherheit oder Gesundheit gerechtfertigt sind,34 darf bei Maßnahmen der öffentlichen Ordnung oder Sicherheit ausschließlich das persönliche Verhalten der in Betracht kommenden Einzelpersonen ausschlaggebend sein. Es darf also nicht von der Staatszugehörigkeit oder von dem Verhalten von anderen Bürgern eines EUMitgliedstaates auf das Verhalten einer Person geschlossen werden. Daher darf die italienische Behörde nicht allgemein auf die Staatsangehörigkeit des A abstellen, indem sie auf das Verhalten des Chefs eines großen deutschen Konzerns verweist. Als Person ist A in Italien nicht gefährdend in Erscheinung getreten. Dass er in 692 Rom nach zu ausgiebigem Rotweinkonsum singend auf nächtlicher Straße neben dem Gehweg gegangen ist, reicht nicht aus. Auch lässt dieser Vorfall nicht auf spätere Verschlimmerungen schließen, die einen hinreichenden Grund der öffentlichen Ordnung und Sicherheit geben würden, um eine Beschränkung zu rechtfertigen. Schließlich können nach Art. 3 Abs. 2 der genannten Richtlinie noch nicht einmal strafrechtliche Verurteilungen für sich gesehen ohne Weiteres eine Beschränkung begründen. Eine Beschränkungsmöglichkeit der Arbeitnehmerfreizügigkeit des A aufgrund von Art. 39 Abs. 3 EGV besteht daher im vorliegenden Fall nicht.
33 34
S. EuGH, Slg. 1974, 1337 (1350) – van Duyn. ABl. 1964, S. 850.
D. Grundfreiheiten
V.
219
Ergebnis
A kommt trotz seiner „Eskapaden“ nach zu viel Rotwein in den Genuss der Ar- 693 beitnehmerfreizügigkeit nach Art. 39 EGV. Er kann aber nicht die (automatische) Anerkennung seines in Deutschland erworbenen Abschlusses in Italien verlangen, sondern nur dessen adäquate Berücksichtigung im Rahmen der Beurteilung der Gleichwertigkeit mit parallelen italienischen Abschlüssen.
IV. Niederlassungsfreiheit Die Niederlassungsfreiheit nach Art. 43 EGV beinhaltet, dass Staatsangehörige 694 aus anderen Mitgliedstaaten sich unter den gleichen Bedingungen wie die einheimischen Staatsangehörigen frei niederlassen oder eine Zweigstelle gründen dürfen. Im Gegensatz zur Arbeitnehmerfreizügigkeit nach Art. 39 EGV begründet Art. 43 EGV die Freizügigkeit der Selbstständigen. Sie genießen gleiche Zugangsrechte und gleiche Berufsbedingungen. Der Grundsatz der Gleichbehandlung schließt allerdings – wie bei der Arbeitnehmerfreizügigkeit35 – nicht ein, dass ihre Abschlüsse ohne Weiteres in dem anderen Mitgliedstaat anerkannt werden. Hierzu bedarf es einer Harmonisierungsrichtlinie. Existiert eine solche nicht, müssen die vorhandenen Kenntnisse und Diplome nur angemessen berücksichtigt werden.36 Mit der Niederlassungsfreiheit verbunden ist wie bei der Arbeitnehmerfreizügigkeit ein Recht auf Einreise und Aufenthalt, das sich auch auf die Familienangehörigen erstreckt. Art. 43 EGV schützt vor unmittelbaren wie vor mittelbaren Beeinträchtigungen, die etwa darin bestehen können, dass Anforderungen für die Eröffnung eines Betriebes festgelegt werden, die auf inländische Unternehmen zugeschnitten sind. Ausgenommen von der Niederlassungsfreiheit sind gemäß Art. 45 EGV, ver- 695 gleichbar zur Arbeitnehmerfreizügigkeit, solche Tätigkeiten, die in einem Mitgliedstaat dauernd oder zeitweise mit der Ausübung öffentlicher Gewalt verbunden sind. Dazu zählen aber aufgrund der für Ausnahmebestimmungen zu Grund– freiheiten gebotenen restriktiven Auslegung nur solche Tätigkeiten, die eine unmittelbare oder spezifische Teilnahme an der Ausübung öffentlicher Gewalt (zum Beispiel Notar) aufweisen.37 Einschränkungen sind wie bei der Arbeitnehmerfreizügigkeit nur aus Gründen 696 der öffentlichen Ordnung, Sicherheit oder Gesundheit gerechtfertigt.38
V. Freier Dienstleistungsverkehr Art. 49 EGV gewährleistet, dass Dienstleistungen über die Grenzen eines Mit- 697 gliedstaates hinaus ausgetauscht werden können. Beschränkungen können etwa 35 36 37 38
S. vorstehend Rn. 687. EuGH, Slg. 1991, I-2357 (2382 f.) – Vlassopoulou; auch BGH, NJW 1997, 867 (868). EuGH, Slg. 1974, 631 (654) – Reyners. S. näher o. Rn. 681.
220
Kapitel 8 Europarecht
darin bestehen, dass Unternehmer, die in einem anderen Mitgliedstaat ansässig sind und von dort aus in der Bundesrepublik Deutschland Handwerksleistungen erbringen oder Abfälle entsorgen wollen, besonderen Bedingungen unterworfen oder ganz vom deutschen Markt ausgeschlossen werden. Von der Dienstleistungsfreiheit ausgenommen sind wie bei der Niederlassungs698 freiheit gemäß Art. 55 i. V. m. Art. 45 EGV Tätigkeiten, die eine unmittelbare und spezifische Teilnahme an der Ausübung öffentlicher Gewalt aufweisen. Das gilt etwa nicht für die Abfallentsorgung. Beschränkungen sind wie bei der Niederlassungsfreiheit gemäß Art. 55 i. V. m. Art. 46 EGV gerechtfertigt aus Gründen der öffentlichen Ordnung, Sicherheit oder Gesundheit.39
VI. Kapitalfreiheit 699 Art. 56 ff. EGV gewährleisten die Freiheit des Kapital- und Zahlungsverkehrs. Zum Kapitalverkehr gehören alle einseitigen Wertübertragungen aus einem Mitgliedstaat in einen anderen, die zugleich eine Vermögensanlage darstellen, nicht hingegen der Austausch von Leistung und Gegenleistung. Insoweit greifen die für die Hauptleistung anwendbaren Vorschriften, insbesondere die Waren- und die Dienstleistungsfreiheit. Eine zusätzliche Liberalisierung bewirkt Art. 56 Abs. 2 EGV, der Beschränkungen des Zahlungsverkehrs verbietet und damit auch die Erbringung von finanziellen Gegenleistungen erfasst. Beide Vorschriften sind unmittelbar anwendbar.40 Die beiden Freiheiten können von den Mitgliedstaaten gemäß Art. 58 EGV durch Ausnahmeregelungen insbesondere aus Gründen der Steuererfassung und Bankenaufsicht, aber auch zur Bekämpfung hinreichend schwerwiegender Rechtsverstöße wie Geldwäsche, Drogenhandel und Terrorismus41 beschränkt werden. Diese Beschränkungen dürfen aber gemäß Art. 58 Abs. 3 EGV kein Mittel zur willkürlichen Diskriminierung bilden und müssen verhältnismäßig sein.
VII. Wettbewerbsfreiheit 1.
Verbot wettbewerbsbehindernder Vereinbarungen und Beschlüsse
700 Art. 81 Abs. 1 EGV erfasst Vereinbarungen zwischen Unternehmen, Beschlüsse von Unternehmensvereinigungen und aufeinander abgestimmte Verhaltensweisen, worunter auch ein bloßes paralleles Verhalten fällt, sofern es koordiniert erfolgt.42 Diese Verhaltensweisen sind dann mit dem Gemeinsamen Markt unvereinbar 701 und verboten, wenn sie
39 40 41 42
S. wie zuvor Rn. 678 u. 694. S. EuGH, Slg. 1995, I-4821 (4841 f.) – Sanz de Lera. EuGH, Slg. 1995, I-361 – Bordesa. Vgl. z. B. EuGH, Slg. 1989, 256 (273 f.) – Tournier.
D. Grundfreiheiten
221
• den Handel von Mitgliedstaaten zu beeinträchtigen geeignet sind. Es genügt also, wenn sie dem Handel zwischen den Mitgliedstaaten schaden können, etwa durch Abschotten nationaler Märkte oder eine Veränderung der Konkurrenzstruktur. Es muss sich mit hinreichender Wahrscheinlichkeit voraussehen lassen, dass die entsprechende Verhaltensweise unmittelbar oder mittelbar, tatsächlich oder potentiell den Warenverkehr zwischen Mitgliedstaaten beeinflussen kann.43 Die zu befürchtenden Auswirkungen dürfen mithin nicht lediglich national sein, sondern müssen eine gemeinschaftliche Dimension haben. • eine Verhinderung, Einschränkung oder Verfälschung des Wettbewerbs innerhalb des Gemeinsamen Marktes bezwecken oder bewirken. Wenn also zwei Wirtschaftssubjekte die Absicht haben, den Wettbewerb zu beeinträchtigen, muss dieses Resultat nur wahrscheinlich sein, selbst wenn das Verhalten keine wettbewerbsbeeinträchtigenden Auswirkungen hat. Wenn zwei Wirtschaftssubjekte keine wettbewerbsbeeinträchtigende Absicht haben, genügt es, wenn wettbewerbsbeeinträchtigende Wirkungen auftreten, sofern dieses Resultat nur vorhersehbar ist.44 Solche Verhaltensweisen können etwa auftreten, wenn sich alle nationalen Unter- 702 nehmen einer Branche aufeinander abstimmen, um eine bestimmte Quote oder ein bestimmtes Umweltziel z. B. in Form einer Produktverbesserung zu erreichen, ohne die Unternehmen aus dem EU-Ausland einzubeziehen. Diese müssen dann, auf sich allein gestellt, diese Entwicklung nachvollziehen oder sich den entsprechenden Anforderungen anpassen, was ihre Wettbewerbsfähigkeit mindert. Von Art. 81 Abs. 1 EGV erfasste Verhaltensweisen können gemäß Art. 81 703 Abs. 3 EGV unter folgenden Voraussetzungen dem Verbotsverdikt entrinnen: • sie müssen zur Verbesserung der Warenerzeugung oder -verteilung oder zur Förderung des technischen oder wirtschaftlichen Fortschritts beitragen, • an dem dabei entstehenden Gewinn die Verbraucher angemessen beteiligen, • dürfen lediglich für die Verwirklichung der verfolgten Ziele unerlässliche Wettbewerbsbeschränkungen wählen und • nicht die Möglichkeit eröffnen, für einen wesentlichen Teil der betreffenden Waren den Wettbewerb gänzlich auszuschalten. Förderung des technischen oder wirtschaftlichen Fortschritts können etwa auch 704 Verbesserungen im Umweltbereich sein. Der Umweltschutz als solcher genügt indes im Rahmen von Art. 81 Abs. 3 EGV nicht.45
43 44 45
EuGH, Slg. 1966, 281 (303) – Maschinenbau Ulm; Slg. 1980, 3775 (3791 f.) – L´Oréal. S. EuGH, Slg. 1966, 321 (390 f.) – Consten Grundig. Frenz, Nationalstaatlicher Umweltschutz und EG-Wettbewerbsfreiheit, 1997, S. 54 f.; anders die Kommission, XXII: Wettbewerbsbericht 1992, Tz. 77; bereits Kommission, ABl. 1983 L 376, S. 17 (19) – Carbon Gas Technologie.
222
2.
Kapitel 8 Europarecht
Missbrauch den Markt beherrschender Stellungen
705 Art. 82 EGV erfasst, dass ein Unternehmen eine beherrschende Stellung auf dem Gemeinsamen Markt oder einen wesentlichen Teil desselben46 hat, d.h. in einem je nach Marktverhältnissen ausreichend großen Gebiet eine dominante Position in einem bestimmten Produktbereich besitzt, die es ihm erlaubt, sich unabhängig von den Konkurrenten zu verhalten und damit die Aufrechterhaltung eines wirksamen Wettbewerbs zu verhindern.47 Wenn ein Unternehmen diese beherrschende Position missbräuchlich ausnutzt, 706 setzt das ein Verhalten voraus, welches ein objektiv schädliches Resultat für die Konkurrenz hat, auch wenn dieses von dem Unternehmen nicht beabsichtigt wurde. Beispiele dafür sind etwa die Erzwingung von unangemessenen Einkaufs- oder Verkaufspreisen oder sonstigen Geschäftsbedingungen, Absatzbeschränkungen, Koppelungen von Produktabnahmen etc. Außerdem kann es dazu führen, den Handel zwischen den Mitgliedstaaten zu beeinträchtigen. Insoweit gilt das zu Art. 81 EGV Ausgeführte.
Fall 15: Umweltfreundlichere Kühlschränke 707 Die deutschen Hersteller von Kühlschränken vereinbaren eine Kooperation, mit der sie gemeinsam versuchen wollen, die Recyclingfähigkeit von Kühlschränken weiter zu verbessern und ein umfassendes Rücknahmesystem zu etablieren. Aufgrund der hohen Investitionen und Anlaufkosten könnte dies ein Unternehmen nicht allein bewältigen. Sie fragen an, ob Bedenken im Hinblick auf die EGWettbewerbsfreiheit bestehen. Lösungsaufbau: I. Tatbestandsmäßigkeit nach Art. 81 Abs. 1 EGV II. Freistellungsfähigkeit nach Art. 81 Abs. 3 EGV 1. Verfolgung eines freistellungsfähigen Ziels 2. Angemessene Gewinnbeteiligung der Verbraucher 3. Unerlässlichkeit 4. Keine Ausschaltung des Wettbewerbs für einen wesentlichen Teil der betreffenden Waren 5. Zwischenergebnis III. Endergebnis
708
Lösungsvorschlag: I.
Tatbestandsmäßigkeit nach Art. 81 Abs. 1 EGV
709 Indem die deutschen Hersteller von Kühlschränken vereinbart haben, zusammenzuarbeiten, um recyclingfähigere Produkte herzustellen und ein Rücknahme- und Entsorgungssystem aufzubauen, liegt eine Vereinbarung zwischen Unternehmen 46
47
Zur Abgrenzung des relevanten Marktes EuGH, Slg. 1979, 461 (514 ff.) – HoffmannLa Roche. EuGH, Slg. 1980, 3775 (3793) – L´Oréal.
D. Grundfreiheiten
223
im Sinne von Art. 81 Abs. 1 EGV vor. Da im Verlaufe dieser Kooperation diese Erzeugnisse umweltfreundlicher werden und vom Verbraucher bequem zurückgegeben werden können, entsteht ein Anreiz für die Konsumenten, diese Produkte zu kaufen. Wollen ausländische Anbieter gleichziehen, müssen sie, da nicht an der Vereinbarung beteiligt, eigenständig versuchen, eine größere Umweltfreundlichkeit zu erreichen und ein entsprechendes Rücknahmesystem aufzubauen. Das wird ihnen schwerlich gelingen. Daher verfälscht die Vereinbarung der deutschen Hersteller den Wettbewerb innerhalb des Gemeinsamen Marktes. Zugleich besteht die Gefahr, dass die Importzahlen von Herstellern aus anderen EU-Mitgliedstaaten zurückgehen. Daher ist die Vereinbarung der deutschen Kühlschrankhersteller auch geeignet, den Handel zwischen Mitgliedstaaten zu beeinträchtigen. Somit ist an sich der Tatbestand von Art. 81 Abs. 1 EGV erfüllt. Würden sich allerdings die Kühlschrankhersteller Deutschlands nicht zusam- 710 menschließen, sondern jeder für sich allein versuchen, die angestrebten Neuerungen zu verwirklichen, würden ihre Produkte so teuer werden, dass sie vom Verbraucher nicht mehr gekauft würden. Daher ist eine Kooperation zur Verwirklichung entsprechend umweltfreundlicher Entwicklungen die einzige Möglichkeit, die angestrebten Ziele zu erreichen, ohne die Konkurrenzfähigkeit für die betroffenen Produkte zu verlieren. Diese Kooperation sichert mithin erst die Wettbewerbsfähigkeit dieser Produkte. Von daher wird Wettbewerb nicht beschränkt, sondern erst gebildet. Dem aus Art. 3 lit. g) EGV und der vierten Erwägung der Präambel zum EGV ersichtlichen Anliegen des Art. 81 Abs. 1 EGV, einen wirksamen, unverfälschten, redlichen Wettbewerb zu gewährleisten, wird somit durch die Kooperation gerade Rechnung getragen. Wettbewerbsbegründende Verhaltensweisen können daher nicht von Art. 81 Abs. 1 EGV verboten sein. Sind wettbewerbsbegründende Verhaltensweisen auch nicht als solche verbo- 711 ten, vermitteln sie keinen Freibrief für jedwedes Verhalten. Solche Verhaltensweisen können nur insoweit vor Art. 81 Abs. 1 EGV bestehen, als sie erforderlich sind, um die Wettbewerbsfähigkeit der entsprechenden Produkte herzustellen. Hierfür ist nicht ohne Weiteres der hier erfolgte Ausschluss der ausländischen Konkurrenz notwendig. Es wäre auch denkbar, dass eine Kooperation zur Herstellung recyclingfähigerer Kühlschränke und zum Aufbau eines Rücknahme- und Entsorgungssystems zusammen mit den ausländischen Anbietern erfolgte. Deren Ausklammerung kann allerdings dann notwendig sein, wenn diese Unternehmen nicht zu den angestrebten Entwicklungen bereit oder in der Lage sind.48 Die Zahl der Kühlschrankanbieter ist schwer übersehbar. Zudem werden die ausländischen Anbieter, zumal dann, wenn sie in Deutschland nur einen geringen Marktanteil haben, schwerlich bereit sein, aufwendige Entwicklungen mitzutragen. Indes ist den deutschen Kühlschrankherstellern anzuraten, ausländischen Anbietern die Möglichkeit einzuräumen, an der vereinbarten Kooperation teilzunehmen.
48
Frenz, Nationalstaatlicher Umweltschutz und EG-Wettbewerbsfreiheit, 1997, S. 44.
224
Kapitel 8 Europarecht
II.
Freistellungsfähigkeit nach Art. 81 Abs. 3 EGV
712 Selbst wenn die vorgesehenen Entwicklungen nicht so teuer sind, dass die Wettbewerbsfähigkeit der Produkte nur durch eine Kooperation sichergestellt werden kann und es sich somit um eine wettbewerbsbegründende Verhaltensweise handelt, könnte das Verhalten der deutschen Kühlschrankhersteller gemäß Art. 81 Abs. 3 EGV freistellungsfähig sein. 1.
Verfolgung eines freistellungsfähigen Ziels
713 Voraussetzung dafür wäre zunächst, dass die deutschen Kühlschrankhersteller ein freistellungsfähiges Ziel verfolgen. Die Herstellung recyclingfähigerer Produkte könnte die Warenerzeugung verbessern. Freilich steigert die Recyclingfähigkeit nicht die Gebrauchstauglichkeit und verbessert damit nicht die unmittelbaren Gebrauchsvorteile des Produkts. Indes kann der Begriff „Verbesserung der Warenerzeugung“ nicht losgelöst vom Gesamtsystem des EGV gesehen werden. Die Wettbewerbsfreiheit ist unabdingbares Element des Gemeinsamen Marktes und prägt daher diesen, wird aber auch von diesem geprägt, wie Art. 81 EGV durch seinen Bezug auf den Gemeinsamen Markt deutlich macht. Art. 2 EGV verlangt seit der Amsterdamer Vertragsänderung explizit ein hohes Maß an Umweltschutz und Verbesserung der Umweltqualität und verpflichtet auf eine nachhaltige Entwicklung des Wirtschaftslebens. Dem dienen der Umwelt nutzende Innovationen auch dann und gerade, wenn sie langfristig angelegt sind. Aus diesem Grunde ist der Nutzen für die Umwelt ebenfalls ein Maßstab, ob eine Verbesserung der Warenerzeugung gegeben ist.49 Daher sind auch Langfristeffekte relevant. Eine Steigerung der Recyclingfähigkeit stellt eine Verbesserung der Warenerzeugnisse dar. Eine solche Maßnahme trägt auch zur Förderung des technischen oder wirt714 schaftlichen Fortschritts bei, der gleichfalls vor dem Hintergrund des Gemeinsamen Marktes und damit des diesen wesentlich prägenden Umweltschutzes zu beurteilen ist. Gekoppelt mit der Verbesserung der Recyclingfähigkeit ist die Maßnahme der deutschen Kühlschrankhersteller, ein Rücknahme- und Entsorgungssystem aufzubauen, das in der besseren Verwertungsfähigkeit der Produkte seine Grundlage hat. Dieses zweite Vorhaben ist daher Bestandteil der Gesamtmaßnahme, die Umweltverträglichkeit von Kühlschränken zu verbessern. Von daher liegt in diesem Vorhaben insgesamt eine Förderung des technischen bzw. wirtschaftlichen Fortschritts. Ein freistellungsfähiges Ziel ist damit gegeben. 2.
Angemessene Gewinnbeteiligung der Verbraucher
715 Art. 81 Abs. 3 EGV setzt weiter voraus, dass die Verbraucher angemessen an dem entstehenden Gewinn beteiligt werden. Verbraucher sind alle unmittelbaren oder mittelbaren Abnehmer der in Betracht kommenden Erzeugnisse, also hier sowohl die Vertreiber als auch die Endverbraucher von Kühlschränken. Unter Gewinn ist die Summe aller Vorteile zu verstehen, zu denen die gegen Art. 81 Abs. 1 EGV verstoßende Vereinbarung führt.50 Hier haben sowohl die Vertreiber als auch die 49 50
Frenz, Europäisches Umweltrecht, 1997, Rn. 714. EuGH, Slg. 1977, 1875 (1916) – Metro/Saba I.
D. Grundfreiheiten
225
Endverbraucher den Vorteil, dass sie die Kühlschränke nach Gebrauch wieder kostenlos zurückgeben können. Freilich ist es denkbar, dass die Steigerung der Recyclingfähigkeit zu Preiserhöhungen führt. Dies ist für die Verbraucher ein Nachteil. Von daher stellt sich die Frage, ob Gewinn auch qualitative Verbesserungen wie die Steigerung der Volksgesundheit oder einfach eine bessere Umweltverträglichkeit sind. Bei einer Einbeziehung der Umwelt würde das Kriterium des Gewinns von der 716 grundsätzlich wirtschaftlichen Orientierung der Wettbewerbsfreiheit gelöst, für subjektive Wertungen offen und damit anfällig für eine Aufweichung. Indes ist auch insoweit relevant, dass die Wirtschaftsgemeinschaft durch Art. 2 EGV um eine Umweltkomponente ergänzt wurde. Ein verbesserter Umweltschutz hebt die Lebensqualität und ist daher auch zum Nutzen der Verbraucher. Daher stellt auch eine Verbesserung der Umwelt einen Gewinn für die Verbraucher dar. Das bedeutet allerdings nicht, dass die mit umweltverbessernden Maßnahmen verbundenen Preissteigerungen vollständig auf die Verbraucher abgewälzt werden können. Indem Art. 81 Abs. 3 EGV eine angemessene Beteiligung der Verbraucher verlangt, setzt er voraus, dass die sich für die Verbraucher ergebenden Gewinne die aus der Wettbewerbsbeschränkung resultierenden Nachteile übertreffen. Das bedeutet einmal, dass nicht überhöhte Preissteigerungen an die Seite von Umweltverbesserungen treten dürfen, indem etwa die nationalen Märkte abgeschottet werden oder das Preisgefüge erstarrt.51 Daraus folgt zugleich, dass finanzielle Anstrengungen zur Erreichung von Umweltstandards nicht einseitig zulasten der Verbraucher gehen dürfen, sondern dass die Unternehmen ebenfalls einen finanziellen Anteil tragen müssen, den sie nicht an die Verbraucher abwälzen können. Diese Aspekte müssen die Kühlschrankhersteller im Rahmen ihrer Kooperation berücksichtigen. 3.
Unerlässlichkeit
Dass die Beschränkungen der Wettbewerbsfreiheit gemäß Art. 81 Abs. 3 EGV für 717 die Erreichung des angestrebten Ziels unerlässlich sein müssen, bedeutet, dass sie unbedingt erforderlich sein müssen. Die verfolgten Ziele müssen also ohne die erzeugten Wettbewerbsbeschränkungen gänzlich oder in dem angestrebten Ausmaß, Zeitraum oder der gewollten Sicherheit unerreichbar sein.52 Die Verbesserung der Recyclingfähigkeit von Kühlschränken und der Aufbau eines umfassenden Rücknahme- und Entsorgungssystems sind nur durch einen Zusammenschluss der Hersteller erreichbar. Der Ausschluss ausländischer Konkurrenz ist allerdings nur unerlässlich, wenn sich keine praktikablen Wege finden lassen, auch die Firmen aus anderen Mitgliedstaaten zu beteiligen. 4.
Keine Ausschaltung des Wettbewerbs für einen wesentlichen Teil der betreffenden Waren
Schließlich verlangt eine Freistellung nach Art. 81 Abs. 3 EGV, dass den beteilig- 718 ten Unternehmen nicht die Möglichkeit eröffnet wird, für einen wesentlichen Teil 51 52
Kommission, ABl. 1980 L 161, S. 18 (31) – Hasselblad. EuGH, Slg. 1977, 1875 (1916) – Metro/Saba I.
226
Kapitel 8 Europarecht
der betreffenden Waren den Wettbewerb auszuschalten. Ein Ausschalten liegt nur dann vor, wenn überhaupt kein Wettbewerb mehr existiert. Das ist selbst dann nicht notwendig der Fall, wenn alle Unternehmen einer bestimmten Branche zusammenarbeiten. Entscheidend ist dann, wie intensiv sie dies tun. Bezieht sich die Kooperation lediglich auf die gemeinsame Entwicklung von Produkten bzw. die Verbesserung von Produkteigenschaften oder auf den Aufbau eines Rücknahmeund Entsorgungssystems, so bleibt davon der Wettbewerb im Hinblick auf den Absatz der betreffenden Waren unberührt. So liegt der Fall hier. Eine Ausschaltung des Wettbewerbs für einen wesentlichen Teil der betreffenden Waren wird daher nicht ermöglicht. 5.
Zwischenergebnis
719 Sieht man durch die Kooperation der deutschen Kühlschrankhersteller den Tatbestand von Art. 81 Abs. 1 EGV erfüllt, so ist diese immer noch freistellungsfähig nach Art. 81 Abs. 3 EGV, sofern die Firmen aus anderen Mitgliedstaaten nicht ohne Gefährdung der Zielerreichung beteiligt werden können. III.
Endergebnis
720 Die Vereinbarung der deutschen Kühlschrankhersteller ist nach EG-Wettbewerbsrecht unbedenklich, wenn die Firmen aus anderen EU-Mitgliedstaaten beteiligt werden oder ihnen diese Beteiligungsmöglichkeit zumindest offensteht oder aber sie von vornherein nicht praktikabel unter Gefährdung der Zielerreichung beteiligt werden können. 3.
Beihilfenverbot
a)
Staatliche oder aus staatlichen Mitteln gewährte Beihilfen
721 Art. 87 Abs. 1 EGV will vor einer Verfälschung des Wettbewerbs durch staatliche Beihilfen schützen.53 Der Begriff „staatliche oder aus staatlichen Mitteln gewährte Beihilfen gleich welcher Art“ ist daher weit und zweckorientiert zu verstehen. Entscheidend ist die Wirkung einer Maßnahme, unabhängig von ihrer Bezeichnung und von ihrem Ziel. Beihilfen sind somit alle Begünstigungen, soweit sie nicht durch eine marktgerechte Gegenleistung des Begünstigten kompensiert54 oder aber durch eine vorherige Abgabe aufgehoben werden. Es werden daher nicht nur direkte finanzielle Zuwendungen erfasst, sondern alle Entlastungen von Kosten, die ein Unternehmen bei unverfälschtem wirtschaftlichen Ablauf zu tragen hat.55 Auch die fehlende Inanspruchnahme von bestimmten Unternehmen durch den Staat oder deren spezifische Aussparung von einer gesetzlichen Regelung können eine Beihilfe darstellen. Erforderlich ist allerdings, dass die Beihilfe staatlich ist oder zumindest aus 722 staatlichen Mitteln gewährt wird. Das bedeutet, dass nicht notwendig staatliche 53 54 55
EuGH, Slg. 1974, 709 (718). EuGH, Slg. 1961, 1 (43) – Bergmannsprämie. EuGH, Slg. 1985, 439 (450).
D. Grundfreiheiten
227
Einheiten die Vergünstigung vergeben müssen. Indes muss der Staat hinter einer solchen Vergabe stehen. Letztlich muss die Beihilfe zu einer finanziellen Belastung staatlicher Mittel führen.56 b)
Wettbewerbsverfälschung
Mit dem Gemeinsamen Markt unvereinbar sind allerdings gemäß Art. 87 Abs. 1 723 EGV nur solche Beihilfen, die durch die Begünstigung bestimmter Unternehmen oder Produktionszweige den Wettbewerb verfälschen oder zu verfälschen drohen. Es genügt also die Gefahr einer Wettbewerbsverzerrung. Eine solche ist bereits durch die Entlastung von bestimmten Produktionszweigen von Zahlungs- und auch Verhaltenspflichten gegeben.57 c)
Beeinträchtigung des Handels zwischen Mitgliedstaaten
Um mit dem Gemeinsamen Markt unvereinbar zu sein, müssen Beihilfen schließ- 724 lich den Handel zwischen Mitgliedstaaten beeinträchtigen. Sie müssen also grenzüberschreitende Auswirkungen haben. d)
Ausnahmen
Art. 87 Abs. 2 EGV nennt verschiedene Fälle, in denen zwar der Beihilfetatbe- 725 stand des Art. 92 Abs. 1 EGV erfüllt ist, die aber gleichwohl mit dem Gemeinsamen Markt vereinbar sind. Dazu gehören Beihilfen sozialer Art an einzelne Verbraucher, wenn sie ohne Diskriminierung nach der Herkunft der Waren gewährt werden (lit. a), sowie Beihilfen zur Beseitigung von z. B. durch Naturkatastrophen entstandene Schäden (lit. b). Art. 87 Abs. 3 EGV legt Konstellationen fest, für die Beihilfen als mit dem 726 Gemeinsamen Markt vereinbar angesehen werden können. Dazu gehören namentlich Beihilfen zur Förderung der Entwicklung gewisser Wirtschaftszweige oder Wirtschaftsgebiete (lit. b). Umweltschützende Maßnahmen können die Bedingungen in Wirtschaftszweigen verbessern und damit deren Entwicklung fördern.58 Genehmigungsfähig sind etwa auch Beihilfen zur Förderung wichtiger Vorhaben von gemeinsamem europäischem Interesse (lit. c), zu denen auch Umweltprojekte gehören können. e)
Verfahren
Art. 87 Abs. 1 EGV legt nur die Unvereinbarkeit von bestimmten Beihilfen mit 727 dem Gemeinsamen Markt fest. Diese Unvereinbarkeit muss jedoch gemäß Art. 88 Abs. 2 EGV erst von der Kommission positiv festgestellt werden, bevor die Mitgliedstaaten die betroffene Beihilfe aufheben oder umgestalten müssen. Zur Konkretisierung dieser Praxis kann der Rat gemäß Art. 89 EGV Durchführungsver56 57 58
Vgl. EuGH, Slg. 1988, 439 (449) – van der Kooy. Vgl. etwa EuGH, Slg. 1980, 2671 (2688 f.) – Philip Morris. Entscheidung der Kommission vom 11.3.1992, ABl. L 170, S. 34 (38) im Hinblick auf die Tierzuchtwirtschaft, die überschüssige Gülle umweltverträglicher zu beseitigen.
228
Kapitel 8 Europarecht
ordnungen erlassen. Der Rat kann gemäß Art. 88 Abs. 2 UAbs. 3 EGV selbst Beihilfen für vereinbar mit dem Gemeinsamen Markt erklären.
E. Diskriminierungsverbot 728 Art. 12 EGV verbietet jede Diskriminierung aus Gründen der Staatsangehörigkeit. Diese Bestimmung beinhaltet den Grundsatz der Inländergleichbehandlung: Staatsangehörige aus anderen EU-Mitgliedstaaten dürfen nicht schlechter behandelt werden als eigene, sondern müssen vergleichbare Rechte genießen. Das gilt umfassend. Es werden also auch versteckte Diskriminierungen erfasst.59 Ein Verstoß gegen Art. 12 EGV liegt nach der Rechtsprechung des EuGH60 729 nicht vor, wenn eine unterschiedliche Behandlung aus Gründen der Staatsangehörigkeit objektiv gerechtfertigt werden kann. Eine solche Rechtfertigungsmöglichkeit besteht im Umweltbereich etwa auf der Basis des in Art. 174 Abs. 2 S. 2 EGV aufgestellten Prinzips, Umweltbeeinträchtigungen vorrangig an ihrem Ursprung zu bekämpfen.61
F. Grundrechte 730 Art. 6 Abs. 2 EUV verlangte von der Europäischen Union schon bisher, die Grundrechte zu achten. Diese ergeben sich bislang aus den Gewährleistungen der Europäischen Konvention zum Schutz der Menschenrechte und Grundfreiheiten sowie aus den gemeinsamen Verfassungsüberlieferungen der Mitgliedstaaten. Die Grundrechte sind mittlerweile in der Europäischen Grundrechtecharta detailliert aufgeführt. Auf sie verweist der Reformvertrag von Lissabon explizit. Der EuGH zieht sie schon heran. Im Ergebnis besteht ein mit den deutschen Grundrechten vergleichbarer Standard.62 Fest anerkannt sind etwa die Eigentums- und die Berufsfreiheit.63 Eine Beeinträchtigung dieser Grundrechte ist allerdings nach der ständigen Rechtsprechung des EuGH bereits dann gerechtfertigt, „sofern
59 60 61 62 63
EuGH, Slg. 1994, I-467 (479) – Hatrex. EuGH, Slg. 1974, 153 (265) – Sotgiu; Slg. 1980, 3005 (3019) – Hochstrass. Näher Frenz, Europäisches Umweltrecht, 1997, Rn. 760. S. BVerfGE 89, 155 (175). EuGH, Slg. 1974, 491 (507 f.) – Nold; Slg. 1979, 3727 (3745, 3750) – Hauer; Slg. 1989, 2237 (2268 f.) – Schröder, Slg. 1991, I-415 (552); Slg. 1994, I-4973 (5056) – Bananen m. w. N.
F. Grundrechte
229
• diese Beschränkungen tatsächlich den gemeinwohldienenden Zwecken der Gemeinschaft entsprechen und • nicht einen im Hinblick auf den verfolgten Zweck unverhältnismäßigen, nicht tragbaren Eingriff darstellen, • der die so gewährleisteten Rechte in ihrem Wesensgehalt antastet.“64 Dem Gemeinschaftsgesetzgeber und den Mitgliedstaaten wird ein weitgehender 731 Gestaltungsspielraum bei der Regelung wirtschaftlicher Sachverhalte zugebilligt. So prüfte der EuGH im Bananenurteil65 nur, ob • die fragliche Maßnahme zur Erreichung des verfolgten Zieles offensichtlich ungeeignet ist und • ob sie bei Unsicherheiten bezüglich der künftigen Auswirkungen offensichtlich irrig erscheint, und zwar ausgehend von den zur Zeit des Erlasses vorhandenen Erkenntnissen.66
64
65 66
EuGH, Slg. 1994, I-4933 (5065) – Bananen und zuvor bereits etwa Slg. 1989, 2237 (2268) – Schröder; Slg. 1989, 2609 (2639) – Wachauf; Slg. 1992, I-35 (63 f.) – Kühn. EuGH, Slg. 1994, I-4933 (5065). Frenz, Europäisches Umweltrecht, 1997, Rn. 766 ff.
Kapitel 9
Staatsrecht1
A. Rangordnung der Rechtsquellen Das objektive Recht besteht aus den verschiedensten Rechtsquellen. Diese haben 732 jeweils eine bestimmte Stellung untereinander. Grundsätzlich ist es so, dass die höherstehende Norm den nachfolgenden vorgeht. Man spricht daher auch von der Normenhierarchie. Für das deutsche Recht stellt sich die Rangfolge folgendermaßen dar: • • • • • • • • • • • • •
1
Europarecht Bundesverfassung Allgemeine Regeln des Völkerrechts (Art. 25 GG) Bundesgesetze Rechtsverordnungen (Bund) Landesverfassung Landesgesetze Rechtsverordnungen (Land und nachgeordnete Stellen) Satzungen (z.B. Gemeinden) Verwaltungsvorschriften (jedenfalls bei Selbstbindung der Verwaltung) Gewohnheitsrecht allgemeine Rechtsgrundsätze Richterrecht
Dohr, Staat, Verfassung, Politik: Grundlagen für Studium und Praxis, 18. Aufl. 2006; Frenz, Öffentliches Recht, 3. Aufl. 2007; Ipsen, Grundrechte, 10. Aufl. 2008; Katz, Staatsrecht: Grundkurs im Öffentlichen Recht, 17. Aufl. 2007; Manssen, Staatsrecht II: Grundrechte, 5. Aufl. 2007; Maurer, Staatsrecht I: Grundlagen, Verfassungsorgane, Staatsfunktionen, 5. Aufl. 2007; Pieper, Staatsorganisationsrecht, 11. Aufl. 2007; Pieroth/Schlink, Grundrechte, 23. Aufl. 2007; Reineck, Allgemeine Staatslehre und deutsches Staatsrecht, 15. Aufl. 2007; Schmidt, Grundrechte, sowie Grundzüge der Verfassungsbeschwerde, 7. Aufl. 2007; Schwacke/Schmidt, Staatsrecht, 5. Aufl. 2007; Stein/Frank, Staatsrecht, 20. Aufl. 2007; Thiele, Basiswissen Staatsrecht II: Grundrecht, 4. Aufl. 2007; Wiestner, Staats- und Verfassungsrecht: Prüfungswissen, Lernprogramme, Übungsklausuren, Multiple-Choice-Tests, 2007; Zippelius, Allgemeine Staatslehre: Politikwissenschaft, 15. Aufl. 2007; Zippelius/Würtenberger, Deutsches Staatsrecht, 31. Aufl. 2005.
232
Kapitel 9
Staatsrecht
B. Die unabänderlichen Verfassungsprinzipien (Art. 79 Abs. 3 GG) 733 Nach dem Willen des Grundgesetzgebers gibt es einige Regelungen im Grundgesetz, die so grundlegend für den Bestand der Bundesrepublik Deutschland sind, dass sie mit keiner Mehrheit durch den Gesetzgeber geändert werden können. Diese mit der sogenannten Ewigkeitsgarantie ausgestatteten Prinzipien nennt Art. 79 Abs. 3 GG. Das sind im Einzelnen: • die Gliederung des Bundes in Länder • die grundsätzliche Mitwirkung der Länder bei der Gesetzgebung • die Grundsätze des Art. 1 GG Menschenwürde als Kerngehalt des Wertsystems der Verfassung Unverletzlichkeit und Unveräußerlichkeit der Menschenrechte Grundrechtsbindung der Gesetzgebung, der vollziehenden Gewalt und der Rechtsprechung • die Grundsätze des Art. 20 GG Republik Demokratie Rechtsstaat Sozialstaatsprinzip Bundesstaat
C. Die Grundrechte I.
Allgemeine Lehren
734 Die Grundrechte bilden die Basis, auf der die gesamte Rechtsordnung aufbaut. Sie werden im materiellen Sinn durch den 1. Abschnitt des Grundgesetzes und die grundrechtsgleichen Rechte im Sinne des Art. 93 Abs. 1 Nr. 4a GG konstituiert. Die Grundrechte sind in erster Linie dazu bestimmt, die Freiheitssphäre des Einzelnen vor Eingriffen der öffentlichen Gewalt zu sichern. Daneben bilden sie objektive Wertentscheidungen. Als solche können sie nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts staatliche Schutzpflichten begründen und beeinflussen auch die Privatrechtsordnung (Drittwirkung).2 Man unterscheidet zwischen Freiheitsrechten, Gleichheitsrechten und Verfahrensrechten. Die Gleichheitsrechte verbieten den Staatsorganen, einen wesentlich gleichen Sachverhalt ohne sachlichen Grund ungleich zu behandeln.3 Die Verfahrensgrundrechte gewährleisten die Möglichkeit von Rechtsschutz und die Einhaltung bestimmter Verfahrensgrund2
3
St. Rspr. und Lehre vertreten eine mittelbare Drittwirkung; grundlegend BVerfGE 7, 198 (205 f.) – Lüth; 73, 261 (269); zur unmittelbaren Drittwirkung s. BAGE 1, 185 (193 f.); 48, 122 (138 f.). Etwa BVerfGE 49, 148 (165).
C. Die Grundrechte
233
sätze.4 Die Freiheitsrechte begründen für den Einzelnen Handlungsfreiheiten und bilden insbesondere Abwehrrechte, teilweise auch Leistungsrechte. Träger von Grundrechten kann jede natürliche Person sein, wobei das Grundgesetz zwischen sogenannten Bürger- und Deutschenrechten differenziert. Die Grundrechtsfähigkeit inländischer juristischer Personen bestimmt sich nach Art. 19 Abs. 3 GG. Juristische Personen des Privatrechts sind grundsätzlich Grundrechtsträger, juristische Personen des öffentlichen Rechts prinzipiell nicht. Ein Freiheitsrecht wird verletzt, wenn eine staatliche Maßnahme in den Schutz- 735 bereich dieses Grundrechts eingreift und der Eingriff verfassungsrechtlich nicht gerechtfertigt ist. Im Rahmen des sachlichen Schutzbereichs ist jeweils zu prüfen, ob die Maßnahme den Schutzbereich berührt. Der Schutzbereich ist aus dem Regelungsbereich des Grundrechts und persönlichen Einschränkungen zu ermitteln. Ist der Schutzbereich eröffnet, setzt ein Grundrechtseingriff weiter voraus, dass 736 die Maßnahme Eingriffsqualität hat. Davon kann in der Regel bei einem unmittelbaren, zielgerichteten Rechtsakt des Staates, der mit Befehl und Zwang angeordnet oder durchgesetzt wird, ausgegangen werden. Ein Rechtsakt mit mittelbarer Wirkung muss vergleichbare Wirkungen haben. Liegt eine grundsätzliche Einschränkungsmöglichkeit des Grundrechts vor, ist 737 der Eingriff verfassungsrechtlich gerechtfertigt, wenn er den jeweiligen Anforderungen grundrechtsunmittelbarer Schranken, eines Gesetzesvorbehaltes bzw. verfassungsimmanenter Schranken genügt. Bei einem Gesetzesvorbehalt sind neben der formellen Verfassungsmäßigkeit des Gesetzes die Voraussetzungen eines qualifizierten Gesetzesvorbehalts, die Verhältnismäßigkeit sowie die Ge- bzw. Verbote der Art. 19 Abs. 1 S. 1, 2; 19 Abs. 2 GG als sogenannte SchrankenSchranken zu prüfen.5
4 5
S. BVerfGE 52, 380 (389 f.); 57, 250 (275); 78, 123 (126). Zum Wesensgehalt von Grundrechten im Sinne des Art. 19 Abs. 2 GG allgemein BVerfGE 22, 180 (219).
234
Kapitel 9
Staatsrecht
Übersicht 9.1: Prüfung der Verletzung eines Freiheitsrechts
738
Eröffnung des Schutzbereichs Eingriff in den Schutzbereich
• Persönlicher Schutzbereich • Sachlicher Schutzbereich • Klassischer Eingriffsbegriff: finales staatliches Handeln
• • Verfassungsrechtliche Rechtfertigung
• • • •
Schranken-Schranken
• •
• • •
durch Rechtsakt, das mit Befehl und Zwang durchsetzbar ist und unmittelbar das grundrechtlich geschützte Verhalten einschränkt Im modernen Staat erweitert auch auf faktische Maßnahmen Mittelbare Eingriffe dann, wenn in Intensität unmittelbaren Eingriffen vergleichbar Grundsätzliche Einschränkungsmöglichkeit Grundrechtsunmittelbare Schranken (z. B. Art. 9 Abs. 2 GG) Gesetzesvorbehalt (formelle und materielle Verfassungsmäßigkeit des Gesetzes) Verfassungsimmanente Schranken (praktische Konkordanz: angemessener Ausgleich zwischen kollidierenden verfassungsrechtlichen Positionen, also i. E. Verhältnismäßigkeit) Voraussetzungen eines qualifizierten Vorbehalts (z. B. Art. 13 Abs. 2 GG) Grundsatz der Verhältnismäßigkeit – Herausarbeitung des verfolgten Zwecks und des eingesetzten Mittels – Geeignetheit: das eingesetzte Mittel muss den angestrebten Zweck fördern können – Erforderlichkeit: es besteht kein ebenso wirksames, weniger belastendes und damit milderes Mittel – Angemessenheit bzw. Zumutbarkeit bzw. Proportionalität: Vorteile für angestrebten Zweck überwiegen Nachteile für eingeschränktes Grundrecht (Verhältnismäßigkeit im engeren Sinne) Wesensgehaltgarantie gemäß Art. 19 Abs. 2 GG Zitiergebot gemäß Art. 19 Abs. 1 S. 2 GG Verbot eines Einzelfallgesetzes gemäß Art. 19 Abs. 1 S. 1 GG
Fall 16: Aggressive Gewerkschaftswerbung 739 Die IG Bergbau, Chemie und Energie möchte die Anzahl ihrer Mitglieder erhöhen. Zu diesem Zweck verteilt sie in dem Betrieb des Arbeitgebers A entsprechendes Werbe- und Informationsmaterial. Die Verteilung erfolgt durch betriebsangehörige Arbeitnehmer vor Beginn und am Ende der Arbeitszeit sowie während der Pausen. Die IG Bergbau, Chemie und Energie geht in dem Werbe- und Informationsmaterial gegen andere in dem Betrieb vertretene Gewerkschaften in grob unwahrer und hetzerischer Weise vor. Der Arbeitgeber wird in der Werbung als Kapitalistenschwein beschimpft und – ohne gesicherte tatsächliche Grundlage – mit der
C. Die Grundrechte
235
Mafia in Verbindung gebracht. Dementsprechend werden zahlreiche Arbeitnehmer dem Arbeitgeber entfremdet und lassen in ihrer Arbeitsleistung nach. Bei der Verteilung des Materials werden die Arbeitskameraden von den Gewerkschaftsmitgliedern der IG Bergbau, Chemie und Energie in Bezug auf die Mitgliedschaft erheblich bedrängt. Aufgrund dieser Umstände untersagt A der IG Bergbau, Chemie und Energie, in dem Betrieb Werbe- und Informationsmaterial zu verteilen. Die IG Bergbau, Chemie und Energie fragt, ob das Verbot rechtmäßig ist. Lösungsaufbau: I. Unmittelbare Drittwirkung II. Schutzbereich 1. Begriff der Koalition 2. Betätigungsfreiheit der Koalition III. Eingriff IV. Verfassungsrechtliche Rechtfertigung V. Ergebnis
740
Lösungsvorschlag: Das Verbot des Arbeitgebers A könnte rechtswidrig sein, wenn es in das Grund- 741 recht der Koalitionsfreiheit gemäß Art. 9 Abs. 3 GG eingreift. Dann stünde der IG-Bergbau, Chemie und Energie im Ergebnis ein Anspruch auf Verteilung des Werbe- und Informationsmaterials zu. I.
Unmittelbare Drittwirkung
Fraglich ist zunächst, ob ein Grundrechtsverstoß im Rahmen von Art. 9 Abs. 3 742 GG bei einer Maßnahme einer natürlichen Person gegenüber einer privatrechtlichen Vereinigung überhaupt möglich ist. Grundrechte sind in erster Linie Abwehrrechte gegen den Staat, sodass ein Grundrechtseingriff in der Regel nur bei einer staatlichen Maßnahme vorliegt. Aus Art. 9 Abs. 3 GG folgt der verfassungsmäßige Schutz der Koalitionen. Ein 743 Schutz lediglich gegenüber dem Staat wäre ungenügend. Diese Folgerung ist in Art. 9 Abs. 3 S. 2 GG ausdrücklich gezogen. Dort sind ohne Differenzierung nach der urhebenden Person Abreden und Maßnahmen, die das Koalitionsrecht einschränken oder zu behindern suchen, nichtig bzw. rechtswidrig. Dieser Bestimmung kommt somit unmittelbare Drittwirkung zu. Sie wirkt somit auch zwischen Privaten. II.
Schutzbereich
Das Verbot des A müsste in den Schutzbereich des Art. 9 Abs. 3 GG eingreifen. 744 Art. 9 Abs. 3 S. 1 GG gewährleistet das Recht, zur Wahrung und Förderung der Arbeits- und Wirtschaftsbedingungen Vereinigungen zu bilden. Die IG-Bergbau, Chemie und Energie müsste also eine Vereinigung bzw. Koalition sein, und die Verteilung des Werbe- und Informationsmaterials müsste als Betätigungsgarantie der Koalition vom Schutzbereich erfasst sein.
236
Kapitel 9
Staatsrecht
1.
Begriff der Koalition
745 Eine Koalition ist ein freiwilliger Zusammenschluss von Arbeitnehmern oder Arbeitgebern. Die Vereinigung muss eine vom Wechsel der Mitglieder unabhängige, also körperschaftliche Organisation aufweisen und auf gewisse Dauer angelegt sein. Eine Koalition muss kumulativ anstreben, die Arbeitsbedingungen (z. B. Arbeitszeit, Lohnbedingungen, Arbeitsschutz) und Wirtschaftsbedingungen (z. B. Einführung von neuen Technologien, Maßnahmen zur Bekämpfung der Arbeitslosigkeit) zu wahren und zu fördern, d. h. im Ergebnis den Abschluss eines entsprechenden Tarifvertrages herbeizuführen. Erforderlich ist ferner, dass die Mitglieder ausschließlich entweder aus Arbeitnehmern oder aus Arbeitgebern bestehen (Gegnerfreiheit) und eine wirtschaftliche Selbstständigkeit gegenüber der Gegenseite und Dritten (Staat, Parteien, Kirche) gegeben ist.6 Schließlich muss eine Koalition eine gewisse Durchsetzungskraft („Mächtigkeit“) gegenüber dem sozialen Gegenspieler haben.7 Die IG-Bergbau, Chemie und Energie erfüllt diese Begriffsmerkmale; eine Koalition liegt vor. 2.
Betätigungsfreiheit der Koalition
746 Art. 9 Abs. 3 GG schützt nicht nur das positive Koalitionsrecht des Einzelnen, sondern auch die Koalition selbst. Elemente dieser Gewährleistung sind die Gründungs- und Beitrittsfreiheit, die Freiheit des Austritts und des Fernbleibens sowie das Recht, durch spezifisch koalitionsmäßige Betätigung die in Art. 9 Abs. 3 GG genannten Zwecke zu verfolgen.8 Die Werbung neuer Mitglieder ist eine notwendige Voraussetzung für den Bestand und die Betätigung der Koalition. Sie kann ohne entsprechende Information und Selbstdarstellung seitens der Gewerkschaften nicht verwirklicht werden. Nur so kann diese sich nach außen präsentieren und ihre Position darstellen. Der Schutz der Koalitionen erfasst mithin grundsätzlich auch die Informations- und Werbetätigkeit.9 Die Verfassung garantiert jedoch diese Tätigkeiten nicht uneingeschränkt. Die 747 Bedeutung und Vielzahl der von der Tätigkeit der Koalitionen berührten Belange namentlich im Bereich der Wirtschafts- und Sozialordnung machen vielmehr die Begrenzung des Handlungsspielraumes notwendig; dies gilt umso mehr, als der Gegenstand der Gewährleistung auf sich wandelnde wirtschaftliche und soziale Bedingungen bezogen ist, die mehr als bei anderen Freiheitsrechten die Möglichkeit zu Modifikationen und Fortentwicklungen lassen müssen. Demgemäß ist das Betätigungsrecht der Koalitionen nur in einem Kernbereich gewährleistet.10 Die Betätigung wird nur insoweit geschützt, als diese für die Erhaltung und Sicherung der Existenz der Koalition als unerlässlich betrachtet werden muss. Allerdings dürfen dabei nur solche Schranken gezogen werden, die im konkreten Fall zum Schutz anderer Rechtsgüter, z.B. des Betriebsfriedens oder des ungestörten Ar6 7
8 9 10
BVerfGE 50, 290 (368); BVerfG, NJW 1986, 1923. BVerfGE 18, 18 (32); 58, 233 (249 f.); zum Arbeitnehmerverband s. BVerfG AP Nr. 31 zu § 2 TVG. BVerfGE 50, 290 (367). BVerfGE 57, 220 (245 f.). BVerfGE 50, 290 (368); 57, 220 (246).
C. Die Grundrechte
237
beitsganges, von der Sache her geboten sind. Das Betätigungsrecht kann danach im Einzelfall durch eine Mitgliederwerbung während der Arbeitszeit eingeschränkt sein;11 auch eine Betätigung betriebsexterner Gewerkschaftsangehöriger kann entgegenstehen, wenn die Gewerkschaft ihre Rechte auch durch ihre zur Belegschaft zählenden Mitglieder wahrnehmen kann. Die IG-Bergbau, Chemie und Energie verteilt das Werbe- und Informationsma- 748 terial nicht während der betrieblichen Arbeitszeit, sodass der ordnungsgemäße Ablauf der Arbeit und der reibungslose Zu- und Abgang der Belegschaftsmitglieder von und zu der Arbeitsstätte nicht beeinträchtigt wird. Ferner werden nur betriebsangehörige Personen eingesetzt, also keine Personen, die möglicherweise zum Betreten der Betriebsräume nicht ermächtigt sind. Die Verteilung des Werbeund Informationsmaterials durch die IG-Bergbau, Chemie und Energie wird daher von der Koalitionsfreiheit des Art. 9 Abs. 3 GG erfasst. III.
Eingriff
A untersagt der IG-Bergbau, Chemie und Energie, in seinem Betrieb Mitglieder zu 749 werben. Damit greift er in die Koalitionsfreiheit der IG-Bergbau, Chemie und Energie ein. IV.
Verfassungsrechtliche Rechtfertigung
Fraglich ist, ob der Eingriff gerechtfertigt ist, sodass das Verbot des A rechtmäßig 750 wäre. Eingriffsermächtigungen können sich zum einen aus Art. 9 Abs. 2 GG, der nach h. M. auch auf Art. 9 Abs. 3 GG Anwendung findet, und zum anderen aus kollidierendem Verfassungsrecht ergeben. Kollisionen können nach allgemeinen Grundsätzen auftreten, wenn • die Koalitionsfreiheiten verschiedener Koalitionen gegenläufig wirken oder • Konflikte mit den Rechtsgütern anderer gegeben sind oder • die individuelle mit der kollektiven Koalitionsfreiheit in Konflikt gerät. Die Werbeaktion verunglimpft in hetzerischer und verleumderischer Weise andere 751 Gewerkschaften. Dadurch wird diesen die Selbstdarstellung und damit die Werbung von Mitgliedern erheblich erschwert, mithin in ihre Koalitionsfreiheit eingegriffen. Indem so bei ihnen die Chancengleichheit durch eine Konkurrenzgewerkschaft stark beeinträchtigt wird, überwiegt dieser Eingriff die hier in unangemessener Weise ausgeübte Koalitionsfreiheit der IG Bergbau, Chemie und Energie im Betrieb des A. Die Mitgliederwerbung erfolgt des Weiteren durch ein Bedrängen der Arbeits- 752 kameraden, geht also über ein gütliches Zureden hinaus. Wegen der selbstverständlichen Entsprechung von positiver und negativer Freiheitsausübung schützt Art. 9 Abs. 3 GG auch das Recht zum Fernbleiben von Koalitionen, mithin die negative Koalitionsfreiheit.12 Daher verstößt die bedrängende Werbeaktion der IG Bergbau, Chemie und Energie gegen die auch in Art. 9 Abs. 3 GG enthaltene 11 12
BAG, NJW 1979, 1844 (1847). S. BVerfGE 50, 290 (367); 55, 7 (21); 73, 261 (270); BAGE 20, 175.
238
Kapitel 9
Staatsrecht
negative Koalitionsfreiheit der einzelnen Arbeitnehmer. Da die Arbeitnehmer auch auf andere Weise ohne Weiteres genauso effektiv umworben werden können, tritt demgegenüber die in der vorliegenden Weise ausgeübte Koalitionsfreiheit der IG Bergbau, Chemie und Energie zurück. Als kollidierendes Verfassungsrecht kommt auch ein Verstoß gegen das Eigen753 tumsrecht des Betriebsinhabers gemäß Art. 14 GG in Betracht. So lange der Ablauf der Arbeit und der Zu- und Abgang der Arbeitnehmer sowie die Erbringung der Arbeit nicht gestört werden, wird dieses Recht nicht oder nur äußerst geringfügig beeinträchtigt, sodass es das Recht der Gewerkschaften aus Art. 9 Abs. 3 GG nicht zu verdrängen vermag. Hier wird durch das aggressive Vorgehen der IG-Bergbau, Chemie und Energie Unfrieden in den Betrieb hineingebracht und der reibungslose Arbeitsablauf erheblich gestört. Daher wird der verfassungsrechtliche Eigentumsschutz unverhältnismäßig zugunsten des hier in Rede stehenden Rechts der Gewerkschaften nach Art. 9 Abs. 3 GG beeinträchtigt. Aufgrund der kollidierenden und im Rahmen einer Abwägung überwiegenden 754 Verfassungsgüter anderer überschreitet die IG-Bergbau, Chemie und Energie bei ihrer Werbe- und Informationstätigkeit die ihr gezogenen Grenzen. Der Eingriff des A ist verfassungsrechtlich gerechtfertigt. V.
Ergebnis
755 Das Verbot des A in Bezug auf die Verteilung von Werbe- und Informationsmaterial durch die IG-Bergbau, Chemie und Energie im Betrieb des A ist nicht rechtswidrig.
C. Die Grundrechte
239
Übersicht 9.2: Die Grundrechtsprüfung am Beispiel der Berufsfreiheit Eröffnung des Schutzbereiches des Art. 12 GG
• Persönlich: Deutsche, ggf. Erweiterung auf Unionsbürger • Sachlich: Vorliegen eines Berufes: jede auf Dauer ange•
Eingriff in den Schutzbereich
• •
Verfassungsrechtliche Rechtfertigung mit Schranken-Schranken
•
• •
756
legte Tätigkeit zur Schaffung und Erhaltung einer Lebensgrundlage, die nicht schlechthin gemeinschädlich ist Geschützt sind Berufswahl einschließlich Ausbildung und Berufsausübung Unmittelbar, wenn das „Ob“ oder „Wie“ des Berufes betroffen ist Mittelbar, wenn die Maßnahme objektiv eine berufsregelnde Tendenz aufweist Einschränkungsmöglichkeit: einheitlicher Gesetzesvorbehalt (Art. 12 Abs. 1 S. 2 GG), d.h. Eingriff muss durch oder aufgrund eines formell und materiell verfassungsmäßigen Gesetzes erfolgen Verstoß gegen Art. 19 Abs. 1 S. 2 GG Prüfung des Übermaßverbots mit Hilfe der Drei-StufenTheorie: – Eingriffsstufe: 1. Stufe: Regelung der Berufsausübung; 2. Stufe: subjektive Berufswahlregelung: Berufszulassung von subjektiven Voraussetzungen abhängig; 3. Stufe: objektive Berufswahlregelung: Berufszulassung von objektiven Voraussetzungen abhängig – Verfassungsrechtlich legitimierter Zweck des Eingriffs: 1. Stufe setzt vernünftige Erwägungen des Allgemeinwohls voraus; 2. Stufe erfordert den Schutz eines überragend wichtigen Gemeinschaftsgutes vor abstrakten Gefahren; auf 3. Stufe kann nur die Abwehr nachweisbarer oder höchstwahrscheinlicher schwerer Gefahren für ein überragendes Gemeinschaftsgut mit Verfassungsrang den Eingriff rechtfertigen – Geeignetheit des Eingriffs – Erforderlichkeit des Eingriffs (vor allem, ob Eingriff in weniger beeinträchtigende Stufe zur Erreichung des Zwecks ausreichen würde) – Angemessenheit des Eingriffs
Fall 17: Kontingentierung von Bergbauunternehmen Der Bundestag hat durch formell verfassungsmäßiges Gesetz die Zahl der Berg- 757 bauunternehmen begrenzt und sie einer spezifischen Genehmigungspflicht unterworfen. Ziel dieser Regelung ist es, den bestehenden Bergbauunternehmen eine gesicherte Existenz zu ermöglichen und damit zugleich dauerhaft Arbeitsplätze zu erhalten, da diese Unternehmen aufgrund eines Rückgangs an Ressourcen und einer starken Konkurrenz wirtschaftlich gefährdet sind. Durch deren Absicherung soll zugleich ein beständiger Abbau von Bodenschätzen gewährleistet werden. B hat soeben sein Bergbaustudium in Aachen erfolgreich abgeschlossen und möchte nun in Nordrhein-Westfalen ein Bergbauunternehmen gründen. Angesichts der großen Anzahl von in der Region bereits vorhandenen Bergbauunter-
240
Kapitel 9
Staatsrecht
nehmen erhält B unter Hinweis auf das neue Gesetz keine entsprechende Genehmigung. B möchte wissen, ob das Gesetz gegen die Berufsfreiheit gemäß Art. 12 GG verstößt. Lösungsaufbau: I. Eröffnung des Schutzbereichs II. Eingriff in den Schutzbereich III. Verfassungsrechtliche Rechtfertigung 1. Gesetzesvorbehalt 2. Formelle Verfassungsmäßigkeit 3. Materielle Verfassungsmäßigkeit a) Eingriffsstufe b) Legitimer Zweck des Eingriffs c) Geeignetheit des Eingriffs d) Erforderlichkeit des Eingriffs e) Angemessenheit des Eingriffs IV. Ergebnis
758
Lösungsvorschlag 759 Das Gesetz verstößt gegen Art. 12 GG, wenn es in den Schutzbereich der Berufsfreiheit eingreift und nicht verfassungsrechtlich gerechtfertigt ist. I.
Eröffnung des Schutzbereichs
760 Durch das Gesetz soll die Zahl der Bergbauunternehmen begrenzt werden. Dadurch könnte die Berufsfreiheit des B betroffen sein. Art. 12 Abs. 1 S. 1 GG gewährleistet, dass jeder Deutsche das Recht hat, seinen Beruf sowie Arbeitsplatz und Ausbildungsstätte frei zu wählen. Damit der Schutzbereich des Art. 12 GG eröffnet ist, müsste damit die Wahrnehmung einer Tätigkeit als selbstständiger Bergbauunternehmer einen Beruf darstellen. Ein Beruf ist jede auf Dauer13 angelegte Tätigkeit zur Schaffung und Erhaltung einer Lebensgrundlage,14 die nicht schlechthin gemeinschädlich15 ist. Die Tätigkeit als Bergbauunternehmer dient dazu, den Lebensunterhalt zu verdienen, und sie ist nicht gemeinschädlich, sodass sie einen Beruf darstellt. Art. 12 Abs. 1 GG schützt daher die Berufsfreiheit auch für Bergbauunternehmer. Der selbstständige Bergbauunternehmer könnte freilich im Rahmen des Berufes 761 des Bergbauingenieurs nur eine Berufsmodalität darstellen. Die Beschränkung allein dieser Tätigkeit wäre dann keine Beschränkung der Berufswahl, sondern nur der Berufsausübung. Indes ist eine Berufstätigkeit als Selbstständiger und als abhängig Beschäftigter sowohl rechtlich als auch tatsächlich insbesondere hinsichtlich wirtschaftlicher Grundlagen und sozialer Stellung grundlegend verschieden.16 Daher stellt der selbstständige Bergbauunternehmer einen vom Beruf des 13 14 15 16
BVerfGE 32, 1 (32 ff.). BVerfGE 7, 377 (397); 50, 290 (362). BVerwGE 22, 286 (289); s. aber auch BVerfGE 7, 377 (397). Vgl. BVerfGE 7, 377 (398 f.).
C. Die Grundrechte
241
angestellten Bergbauingenieurs zu unterscheidenden eigenständigen Beruf dar. Das vorliegende Gesetz, das die Zahl der selbstständigen Bergbauunternehmer begrenzt, berührt also die Aufnahme eines Berufs und damit die Berufsfreiheit. Der Schutzbereich ist somit eröffnet. II.
Eingriff in den Schutzbereich
Ein Grundrechtsverstoß setzt zudem voraus, dass nicht nur der Schutzbereich 762 betroffen ist, sondern ein Eingriff in den Schutzbereich vorliegt. Eingriff ist jedes staatliche Handeln, das dem Einzelnen ein Verhalten, das in den Schutzbereich eines Grundrechts fällt, unmöglich macht. Durch die Höchstzahlenbegrenzung in dem Gesetz wird die Gründung von Bergbauunternehmen und damit die Aufnahme dieses Berufs, mithin die Berufswahl beschränkt. Dass möglicherweise die Berufsaufnahme in einem Bezirk, in dem die Höchstzahlen nicht erreicht sind, noch möglich ist, ändert daran nichts, da Art. 12 Abs. 1 GG auch die freie Wahl des Arbeitsplatzes garantiert, mithin die Stelle auszusuchen, an welcher der Einzelne einem gewählten Beruf im konkreten Fall auch räumlich nachgehen möchte;17 er umfasst also auch die Niederlassungsfreiheit Selbstständiger.18 Es liegt daher ein Eingriff in den Schutzbereich vor. III.
Verfassungsrechtliche Rechtfertigung
Fraglich ist, ob dieser Eingriff verfassungsrechtlich gerechtfertigt ist. 1.
763
Gesetzesvorbehalt
Gemäß Art. 12 Abs. 1 S. 2 GG kann die Berufsausübung durch Gesetz oder auf- 764 grund eines Gesetzes geregelt werden. Hier geht es indes um die Berufswahl. Wahl und Ausübung des Berufes stellen ineinandergreifende, sich berührende Phasen der beruflichen Betätigung dar, die sich nicht trennen lassen.19 Obwohl der Wortlaut des Art. 12 Abs. 1 S. 2 GG lediglich die Berufswahl nennt, ist der Regelungsvorbehalt daher auch auf die Berufsausübung auszudehnen. Der Eingriff in die Freiheit der Berufswahl ist somit gerechtfertigt, wenn das Gesetz formell und materiell verfassungsmäßig ist. 2.
Formelle Verfassungsmäßigkeit
Das Gesetz ist nach dem Sachverhalt formell verfassungsmäßig (insbesondere 765 hinsichtlich der Gesetzgebungskompetenz, Art. 72 GG ff. und des Verfahrens, Art. 76 GG ff.) zustande gekommen. 3.
Materielle Verfassungsmäßigkeit
Im Rahmen der Prüfung der materiellen Verfassungsmäßigkeit ist die Verhältnis- 766 mäßigkeit des Eingriffs zu prüfen. Die Verhältnismäßigkeitsprüfung wird hier maßgeblich geprägt durch die Dreistufenlehre des Bundesverfassungsgerichts. 17 18 19
BVerfGE 84, 133 (146). BVerfGE 41, 378 (399). BVerfGE 7, 377 (401).
242
Kapitel 9
Staatsrecht
Diese ist das Ergebnis strikter Anwendung des Prinzips der Verhältnismäßigkeit bei den vom Gemeinwohl her gebotenen Eingriffen in die Berufsfreiheit.20 Ein Gesetz verstößt nicht gegen den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit, wenn es zur Erreichung des angestrebten Ziels geeignet, erforderlich und angemessen ist.21 Die Stufenlehre unterscheidet die Stufen der Regelung der Berufsausübung, subjektive Zulassungsvoraussetzungen und objektive Zulassungsvoraussetzungen. Die erste Stufe – Regelungen der Berufsausübung – erfasst die Art und Weise 767 beruflicher Tätigkeit. Subjektive Zulassungsgrenzen beschränken die Aufnahme der Berufstätigkeit anhand von der Person des Berufsanwärters abhängige und für diesen grundsätzlich erfüllbare Voraussetzungen,22 wie z. B. persönliche Eigenschaften und Fähigkeiten oder sonst nachgewiesene Leistungen. Objektive Zulassungsvoraussetzungen der Berufswahl liegen vor, wenn diese an Umstände anknüpfen, die außerhalb des Einflusses des Betroffenen liegen.23 Diese drei Stufen unterscheiden sich durch ihre Eingriffsintensität und die da768 mit verbundene Gestaltungsfreiheit des Gesetzgebers. So ist eine Regelung der Berufsausübung für den Betroffenen am wenigsten intensiv; der Gesetzgeber hat daher insoweit den größten Spielraum und dementsprechend die geringste Rechtfertigungslast. a)
Eingriffsstufe
769 Es ist zunächst zu klären, auf welcher Stufe das Gesetz in das Grundrecht aus Art. 12 Abs. 1 GG eingreift. Dass die Gesamtzahl von Bergbauunternehmen in einem Gebiet eine Höchstzahl nicht überschreitet, ist eine Voraussetzung, deren Erfüllung nicht von persönlichen Voraussetzungen des B abhängt. Es liegt daher eine objektive Zulassungsbeschränkung vor. b)
Legitimer Zweck des Eingriffs
770 Der Eingriffsakt müsste zunächst einen legitimen Zweck verfolgen. Eine Maßnahme auf der dritten Stufe, die also objektive Voraussetzungen der Berufswahl betrifft, kann nur durch die Abwehr nachweisbarer oder höchstwahrscheinlicher, schwerer Gefahren für ein überragendes Gemeinschaftsgut mit Verfassungsrang gerechtfertigt werden.24 Der Gesetzgeber will durch die Kontingentierung der zuzulassenden Bergbauunternehmen mittels Verhinderung eines übermäßigen Konkurrenzdrucks das Überleben der bestehenden Unternehmen ermöglichen und damit ein Ansteigen der Arbeitslosigkeit verhindern. Zudem soll eine ordnungsgemäße Gewinnung von Bodenschätzen gewährleistet werden. Das Gesetz dient also dem Erhalt von Arbeitsplätzen sowie der energiewirtschaftlichen Notwendigkeit eines steigenden Stromverbrauchs, mithin der Sicherung überragend wichtiger Gemeinschaftsgüter, die durch ein unkontrolliertes Zulassen von Bergbauunternehmen stark gefährdet würden. 20 21 22 23 24
BVerfGE 13, 97 (104). BVerfGE 80, 1 (24); 90, 145 (172 f.). BVerfGE 9, 338 (345 ff.). BVerfGE 7, 377 (402). BVerfGE 7, 377 (406); 25, 1 (11).
C. Die Grundrechte
c)
243
Geeignetheit des Eingriffs
Die Regelung müsste geeignet sein. Sie müsste also den verfolgten Zweck errei- 771 chen bzw. den gewünschten Erfolg zumindest fördern können.25 Durch eine Höchstzahlenbegrenzung wird die Gewinnung von Bodenschätzen auf weniger Bergbauunternehmen verteilt. Auf diese Weise wird das Entstehen einer starken Konkurrenzsituation verhindert und das wirtschaftliche Überleben der bestehenden Unternehmen ermöglicht. Die Kontingentierung begegnet daher tendenziell der Gefahr, dass ein beständiger Abbau von Bodenschätzen nicht mehr gewährleistet ist und die Arbeitslosigkeit zunimmt. Dieser Effekt lässt sich allerdings nicht sicher prognostizieren. Für nicht sicher 772 absehbare Entwicklungen steht dem Gesetzgeber jedoch ein Einschätzungsspielraum zu, den er vertretbar ausfüllen muss.26 Eine Geeignetheit ist daher nur dann nicht gegeben, wenn eine Eignung zur Erreichung des angestrebten Zwecks nicht ersichtlich ist. Von einer hohen Bergbauunternehmenszahl können die aufgezeigten Gefahren ausgehen. Durch eine Höchstzahlenbegrenzung der Bergbauunternehmen kann diesen Gefahren entgegengewirkt werden. Daher ist die Geeignetheit der Regelung gegeben. d)
Erforderlichkeit des Eingriffs
Der Eingriff müsste erforderlich sein. Das heißt, es dürfte, verglichen mit der 773 Höchstzahlenbegrenzung von Bergbauunternehmen, kein ebenso wirksames, weniger belastendes und damit milderes Mittel geben.27 Vor allem dürfte nicht ein Eingriff auf einer weniger beeinträchtigenden Stufe genügen.28 Das wäre dann der Fall, wenn ein Eingriff auf einer niedrigeren Stufe ebenso geeignet wäre. Eine Berufsausübungsregel vermag die Zahl der Bergbauunternehmen nicht zu begrenzen. Eine numerus clausus Regelung für den Studiengang des Bergbauingenieurs versperrt für die abgewiesenen Bewerber die Ergreifung sowohl des Berufs eines selbstständigen Bergbauunternehmers als auch eines unselbstständigen Bergbauingenieurs. Sie ist daher der schärfere Eingriff. Eine individuelle Bedürfnisprüfung, also die Prüfung des bestehenden Bedarfs bei jedem Zulassungsantrag, wäre angesichts des gesteigerten Verwaltungsaufwandes wenig praktikabel und somit weniger geeignet. Die Kontingentierung ist als solche mithin notwendig, um das Entstehen einer 774 starken Konkurrenzsituation und damit den Konkurs wirtschaftlich schwächerer Unternehmen zu verhindern. Ohne diese Regelung wäre die Energieversorgung durch Bodenschätze gefährdet; auch würde es den Verlust vieler Arbeitsplätze nach sich ziehen. Eine Höchstzahlenbegrenzung als das mildeste Mittel könnte aber auch so aus- 775 gestaltet werden, dass die Konzessionen nach der Leistung des Bewerbers, etwa nach den Diplomnoten, gegebenenfalls kombiniert mit praktischen Erfahrungen, verteilt werden. Dabei würde es sich um die Kombination einer objektiven Be25 26 27 28
BVerfGE 30, 292 (316 f.); 80, 1 (24 f.). BVerfGE 39, 210 (226). BVerfGE 7, 377 (405); 30, 292 (316); 75, 246 (269); 80, 1 (30). BVerfGE 7, 377 (408).
244
Kapitel 9
Staatsrecht
darfsbeschränkung mit einer subjektiven Komponente, mithin um ein milderes Mittel als eine rein objektive Kontingentierung handeln.29 Ein solcher Eingriff ist daher nicht erforderlich. e)
Angemessenheit des Eingriffs
776 Fraglich ist zudem, ob der Eingriff auch verhältnismäßig im engeren Sinne ist. Die beim Grundrechtsträger eintretenden Nachteile müssen in einem angemessenen Verhältnis zu dem bezweckten Vorteil stehen. Die mit der vorhandenen Regelung angestrebten Ziele, nämlich die Sicherung der Energieversorgung und die Sicherung von Arbeitsplätzen sind überragende Gemeinschaftsgüter. Sie werden durch diese Regelung nachhaltig gesichert. Die Vorteile für diese Gemeinschaftsgüter überwiegen die aus der Kontingentierung folgenden Berufsnachteile der Berufsanwärter. Die Regelung ist daher angemessen. IV.
Ergebnis
777 Mangels Erforderlichkeit ist das Gesetz mit Art. 12 GG nicht vereinbar und somit verfassungswidrig.
II. Die Eigentumsgarantie gemäß Art. 14 GG 778 Art. 14 GG gewährleistet neben dem Erbrecht insbesondere das Eigentum. Damit der Schutzbereich eröffnet ist, muss Eigentum gegeben sein. Dieses wird grundsätzlich zu einem bestimmten Zeitpunkt durch das einfache Recht ausgeformt und von daher durch dieses selbst definiert.30 Eigentum ist die Zuordnung einer vermögenswerten Position. Dieser Schutzgegenstand umfasst das Sacheigentum, private vermögenswerte Forderungen31 und öffentlich-rechtliche Positionen, wenn sie ein Äquivalent eigener Leistung sind.32 Keine vermögenswerten Positionen sind Erwartungen,33 das Vermögen als solches und rechtswidrige Rechtspositionen. Geschützt sind sowohl der Bestand als auch die Nutzung des Eigentums. Schutzbereichseingriffe können durch eine Inhalts- und Schrankenbestimmung 779 gemäß Art. 14 Abs. 1 S. 2 GG oder durch eine Enteignung nach Art. 14 Abs. 3 GG erfolgen. Inhalts- und Schrankenbestimmungen legen generell und abstrakt die Rechte und Pflichten des Eigentümers fest.34 Die Enteignung ist dagegen auf die Entziehung konkreter subjektiver Rechtspo780 sitionen für öffentliche Zwecke gerichtet.35 Die Entziehung kann durch Gesetz 29 30 31
32 33
34 35
Vgl. auch BVerwGE 51, 135 (239); OVG Lüneburg, NJW 1992, 1979 (1980). BVerfGE 58, 300 (336). Z. B. GmbH-Anteile, Bergbaurechte, BVerfGE 77, 130 (136); Hypotheken, Grundschulden, Pfandrechte, Vorkaufsrecht, BVerfGE 83, 201 (209 f.). BVerfGE 53, 257 (289 ff.); 69, 272 (299 ff.). Gleiches gilt für Umsatz- und Gewinnchancen, Hoffnungen und Aussichten, BVerfGE 68, 193 (222); 74, 129 (148). BVerfGE 58, 300 (330) – Nassauskiesung; 72, 66 (76); BVerfG, NJW 1998, 367 (367). BVerfGE 52, 1 (27); 72, 66 (76); BVerfG, NJW 1998, 367 (367).
C. Die Grundrechte
245
(Legalenteignung) oder durch behördlichen Vollzugsakt (Administrativenteignung) erfolgen.36 Die verfassungsrechtliche Rechtfertigung von Inhalts- und Schrankenbestim- 781 mungen erfordert gemäß Art. 14 Abs. 1 S. 2 GG ein formell und materiell verfassungsmäßiges Gesetz. Der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit ist hier von besonderer Struktur. Gegeneinander abzuwägen sind die grundsätzliche Anerkennung des Privateigentums durch Art. 14 Abs. 1 S. 1 GG und die Sozialbindung des Eigentums gemäß Art. 14 Abs. 2 GG, wonach der Gebrauch des Eigentums zugleich der Allgemeinheit dienen soll.37 Im Einzelnen sind die Eigenart des vermögenswerten Guts oder Rechts, deren Bedeutung für den Eigentümer sowie Härteklauseln und Übergangsregelungen38 zu berücksichtigen. Eine verfassungswidrige Inhaltsbestimmung stellt nicht zugleich einen „enteignenden Eingriff“ im verfassungsrechtlichen Sinne dar und kann wegen des unterschiedlichen Charakters von Inhaltsbestimmung und Enteignung auch nicht in einen solchen umgedeutet werden.39 Eine Enteignung muss gemäß Art. 14 Abs. 3 S. 2 GG durch Gesetz oder auf- 782 grund eines Gesetzes erfolgen.40 Enteignungen sind gemäß Art. 14 Abs. 3 S. 1 GG nur zum Wohl der Allgemeinheit zulässig.41 Die sogenannte Junktimklausel des Art. 14 Abs. 3 S. 2 GG verlangt, dass das Gesetz Art und Ausmaß einer Entschädigung regelt.42 Das Eigentum als Institut muss erhalten bleiben. Daher bildet die äußerste 783 Grenze beider Eingriffsmöglichkeiten die Entziehung solcher Sachbereiche, die zum elementaren Bestand grundrechtlich geschützter Betätigung im vermögensrechtlichen Bereich gehören.43
36 37 38
39 40 41 42 43
BVerfGE 58, 300 (330 f.) – Nassauskiesung. BVerfGE 52, 1 (29); 87, 114 (138); BVerfG, NJW 1998, 367 (368). Zur Notwendigkeit von Übergangsregelungen bei der Neuordnung eines ganzen Rechtsgebietes BVerfGE 70, 191 (201 f.); 83, 201 (211 f.). BVerfG, NJW 1998, 367 (367 f.). Dazu BVerfGE 56, 249 (261); 74, 264 (285). Rein fiskalische Gründe reichen insoweit nicht, BVerfGE 38, 175 (180). BVerfGE 24, 367 (418). BVerfGE 24, 367 (389); 53, 257 (290).
246
Kapitel 9
Staatsrecht
Übersicht 9.3: Prüfungsschema für Art. 14 GG
784
Schutzbereich
• Definition von Eigentum: Vermögenswerte Rechtspositionen, die dem Einzelnen zugeordnet sind
• z. B. Sacheigentum, private vermögenswerte Forderun• Eingriff
• •
Verfassungsrechtliche Rechtfertigung mit Schranken-Schranken
•
• •
gen, öffentlich-rechtliche Positionen, wenn Äquivalent eigener Leistung nicht Erwartungen, Vermögen als solches, rechtswidrige Rechtspositionen Inhalts- und Schrankenbestimmung: Festlegung bzw. Modifizierung der Rechte und Pflichten des Eigentümers Enteignung: Entziehung von Eigentumsrechten; Kriterium: Ausmaß der Erhaltung der Privatnützigkeit des Eigentums Inhalts- und Schrankenbestimmung: formell und materiell verfassungsmäßiges Gesetz; Grundsatz der Verhältnismäßigkeit erfordert angemessenen Ausgleich zwischen Privateigentum (Art. 14 Abs. 1 S. 1 GG) und Sozialbindung (Art. 14 Abs. 2 GG) Enteignung: formell und materiell verfassungsmäßiges Gesetz; nur zum Wohle der Allgemeinheit; Entschädigungsregel (Junktimklausel) Beachtung der Institutsgarantie
Fall 18: Der sanierungspflichtige Grundstückseigentümer 785 Das Bergbauunternehmen B ist Eigentümerin eines Abbaugrundstücks. Die B hat das Grundstück 1975 von der A-GmbH, die auf dem Gelände von 1950 bis 1975 ein Galvanikwerk betrieben hat, gekauft. Die frühere Nutzung und der tatsächliche Zustand des Grundstückes waren der B bei dem Erwerb des Grundstücks bekannt. 1999 werden auf dem Grundstück von der zuständigen Behörde Untersuchungsmaßnahmen eingeleitet. Dabei werden von dem Betrieb der A-GmbH stammende Verunreinigungen des Bodens festgestellt. Die Abfälle erscheinen nicht mehr äußerlich als vom Grund und Boden getrennte Gegenstände. Daraufhin ordnet die Behörde gegenüber der B entsprechende Sanierungsmaßnahmen an. B fragt, ob diese Auflagen gegen ihr Grundrecht auf Eigentum aus Art. 14 GG verstoßen. Lösungsaufbau: 786
I. Schutzbereich II. Eingriff III. Verfassungsrechtliche Rechtfertigung 1. Formell und materiell verfassungsmäßiges Gesetz 2. Verhältnismäßigkeit a) Die Zustandsverantwortlichkeit als solche b) Vorrangige Heranziehung des Handlungsstörers? IV. Ergebnis
C. Die Grundrechte
247
Lösungsvorschlag: Fraglich ist, ob die gegenüber der B angeordneten Sanierungsmaßnahmen gegen 787 Art. 14 GG verstoßen. Dies ist der Fall, wenn ein Eingriff in den Schutzbereich des Eigentums vorliegt und dieser Eingriff nicht verfassungsrechtlich gerechtfertigt ist. I.
Schutzbereich
Zunächst muss der Schutzbereich des Art. 14 GG eröffnet sein. Dann müsste die 788 staatliche Maßnahme das Eigentum der B betreffen. Die B hat das Grundstück von der A-GmbH nach zivilrechtlichen Vorschriften zu Eigentum erworben. Sie ist Eigentümerin des Abbaugrundstücks. Auf dieses beziehen sich die Sanierungsmaßnahmen. Der Schutzbereich ist eröffnet. II.
Eingriff
Ein Grundrechtsverstoß setzt weiter einen Eingriff in den Schutzbereich voraus. 789 Die Behörde hat B verpflichtet, bestimmte Handlungen auf dem Grundstück vorzunehmen, sodass die B mit ihrem Eigentum nicht mehr nach Belieben verfahren kann (vgl. § 903 BGB). Die Sanierungsmaßnahmen belasten somit das Eigentum der B an ihrem Grundstück. Ein Eingriff in Art. 14 GG kann durch eine Enteignung gemäß Art. 14 Abs. 3 790 GG oder eine unter dieser Intensität bleibende Beeinträchtigung erfolgen. Im vorliegenden Fall will die öffentliche Gewalt Eigentum nicht gänzlich einem öffentlichen Zweck unterwerfen und daher entziehen. Der Staat ist hier nicht primär am Eigentum interessiert; er bedarf seiner nicht, sondern er will Rechtsgüter der Gemeinschaft vor Gefahren schützen, die von dem Eigentum ausgehen. Zu diesem Zweck erlegt er dem Eigentümer Pflichten in Gestalt von Sanierungsmaßnahmen auf, die den privatnützigen Gebrauch des Eigentums zwar beschränken, aber nicht unmöglich machen: So können weiter Bodenschätze abgebaut werden. Es liegt keine Enteignung vor. Da es sich um eine behördliche Beanspruchung im Einzelfall handelt, liegt auch keine Inhalts- und Schrankenbestimmung vor, die gemäß Art. 14 Abs. 1 S. 2 GG durch Gesetz erfolgt. Vielmehr handelt es sich um eine Eigentumsbeeinträchtigung ohne Enteignungscharakter durch Einzelakt. III.
Verfassungsrechtliche Rechtfertigung
1.
Formell und materiell verfassungsmäßiges Gesetz
Eine solche Eigentumsbeschränkung ist verfassungsgemäß, wenn sie auf ein for- 791 mell und materiell verfassungsmäßiges Gesetz als Ermächtigungsgrundlage gestützt ist und in ihrer Ausgestaltung mit verfassungsrechtlichen Maßstäben übereinstimmt. Die Sanierungsmaßnahmen sind auf das Bundes-Bodenschutzgesetz (BBodSchG) gestützt, das diese Voraussetzungen erfüllt. Insbesondere besteht hinsichtlich der altlastenbezogenen Regelungen eine Gesetzgebungskompetenz des Bundes aufgrund der konkurrierenden Bundeszuständigkeit für das Bodenrecht gemäß Art. 74 Abs. 1 Nr. 18 GG, das Recht der Wirtschaft gemäß Art. 74 Abs. 1 Nr. 11 GG und bei Altablagerungen für die Abfallbeseitigung gemäß Art. 74 Abs. 1 Nr. 24 GG. Indem § 4 Abs. 3 BBodSchG die Verantwortlichkeit
248
Kapitel 9
Staatsrecht
mehrerer Personen für die Sanierung von Altlasten festschreibt, ohne einen Vorrang festzulegen, lässt er den Behörden einen Entscheidungsspielraum, wen sie im Einzelfall heranziehen. Die Ausfüllung dieses Entscheidungsspielraums durch Einzelanordnung ist selbstständig an Art. 14 GG zu überprüfen. 2.
Verhältnismäßigkeit
792 Die Auferlegung von Sanierungsmaßnahmen widerspräche verfassungsrechtlichen Maßstäben, wenn sie unverhältnismäßig wäre. a)
Die Zustandsverantwortlichkeit als solche
793 Bei der Verhältnismäßigkeitsprüfung sind die Anerkennung des Privateigentums durch Art. 14 Abs. 1 GG und die Sozialpflichtigkeit des Eigentums gemäß Art. 14 Abs. 2 GG, also sein sozialer Bezug und seine soziale Bedeutung für die Allgemeinheit, gegeneinander abzuwägen und zum Ausgleich zu bringen.44 Die Sozialbindung des Eigentums gemäß Art. 14 Abs. 2 GG bedeutet, dass die 794 Eigenart des Eigentumsrechts eine Einschränkung rechtfertigt, wenn die Interessen der Allgemeinheit dies erfordern. Hier gehen aufgrund der bestehenden Verunreinigungen Gefahren von dem Eigentum der B aus. Die B kann als Eigentümerin darauf einwirken. Daher ist es zumindest erforderlich, dass B Maßnahmen zur Gefahrenabwehr duldet. Zu bedenken ist weiter, dass der Eigentümer häufig nicht nur im Allgemeinin795 teresse, sondern auch im eigenen Interesse tätig wird. Hier gewinnt das Grundstück erheblich an Wert, wenn die Verunreinigungen beseitigt sind. Tiefergehend sind in Art. 14 Abs. 1 und Abs. 2 GG Recht und Pflicht untrenn796 bar gekoppelt. Die Pflicht umfasst aufgrund der Konkretisierung in Art. 14 Abs. 2 S. 2 GG die Wahrung des Wohls der Allgemeinheit. Daher kann das Eigentum dadurch konkretisiert und zugleich auch beschränkt werden, dass eine Pflicht zur Abwehr von Gefahren etwa durch Sanierungsmaßnahmen auferlegt wird. Der Eigentümer wird durch Art. 14 Abs. 2 GG gerade mit einer besonderen Verantwortung belegt, die ihn den von seinem Eigentum ausgehenden Gefahren näher stehen lässt als die Gesamtheit der Steuerzahler, die anderenfalls für die Kosten eines behördlichen Einschreitens aufkommen müsste.45 Daher begegnet die sogenannte Zustandshaftung, d. h. die Verantwortlichkeit 797 aufgrund einer Eigentümerstellung oder der Inhaberschaft der tatsächlichen Gewalt, als Ausdruck der Sozialpflichtigkeit grundsätzlich keinen verfassungsrechtlichen Bedenken.46
44 45 46
BVerfGE 37, 132 (140); 52, 1 (29). Näher Frenz, Das Verursacherprinzip im Öffentlichen Recht, 1997, S. 145 ff. BayVGH, BayVBl. 1986, 590 (592).
C. Die Grundrechte
b)
249
Vorrangige Heranziehung des Handlungsstörers?
Die in Rede stehenden Bodenverunreinigungen stammen von dem Galvanikbetrieb der A-GmbH. Daher könnte eine Heranziehung der A-GmbH vorrangig und eine solche der B nachrangig oder gar ausgeschlossen sein. Fraglich ist also, wie das Verhältnis des Zustandsverantwortlichen (B) und des Handlungsstörers (A) zu beurteilen ist. Das Bundes-Bodenschutzgesetz ordnet in § 4 Abs. 3 unter anderem die Verantwortlichkeit sowohl des Verursachers als auch des Grundstückseigentümers und Inhabers der tatsächlichen Gewalt an. Inwieweit Einzelne heranzuziehen sind, kann indes nicht losgelöst von verfassungsrechtlichen Erwägungen beurteilt werden. Eine Inanspruchnahme in solchen Fällen, in denen ein Grundstück allein durch Fremdwirkung in Mitleidenschaft gezogen und dadurch zu einer Gefahr für die öffentliche Sicherheit geworden ist, wird nach bisheriger Rechtsprechung höchstens dann ausgeschlossen, wenn der Zustandsverantwortliche bei Begründung des Eigentums weder vom ordnungswidrigen Zustand der Sache wusste noch zumindest Tatsachen kannte, die auf das Vorhandensein eines solchen Zustandes schließen lassen konnten.47 Wer diese Risiken kennt und eingeht, muss auch die gesetzliche Folge der ordnungsrechtlichen Verantwortlichkeit tragen. Die B kannte vor dem Erwerb des Grundstücks dessen frühere Nutzung und tatsächlichen Zustand. Damit ist das Bestehen einer die Inanspruchnahme ausschließenden sogenannten Opferposition zu verneinen. A könnte aber vorrangig heranzuziehen sein. Bei ihrer Ermessensentscheidung über die vorrangige Inanspruchnahme hat die Behörde nach der Rechtsprechung48 folgende Gesichtspunkte zu berücksichtigen: die mangelhafte Sicherung der Sache durch den Grundstückseigentümer, die bürgerlich-rechtlichen Beziehungen der Beteiligten untereinander49 und die Ungeklärtheit oder ein langes Unentdecktbleiben der Störerhandlung. Im vorliegenden Fall ist lediglich letztgenannter Aspekt von Bedeutung. Nach der Verkehrsanschauung verliert sich irgendwann einmal der Zusammenhang zwischen dem früheren Ablagerungsvorgang und den abgelagerten Gegenständen, die gewissermaßen mit dem Grundstück „verwachsen“. In demselben Maße wächst auch die Haftung des Zustandsstörers. Die Beseitigung von Störungen, deren Verursachung lange zurückliegt oder nicht eindeutig aufklärbar ist, weil die Abfälle nicht mehr äußerlich als von Grund und Boden getrennte Gegenstände erscheinen, fällt daher der Tendenz nach eher in die Verantwortung des Zustandsstörers.
47
48 49
BVerwG, DÖV 1991, 428. Das Bundes-Bodenschutzgesetz enthält insoweit keine Regelung; im Hinblick auf den früheren Eigentümer vgl. aber § 4 Abs. 6 BBodSchG. BayVGH, BayVBl. 1986, 590 (593 ff.). Zwar enthält § 24 Abs. 2 BBodSchG die Rechtsgrundlage für einen Ausgleichsanspruch der Verpflichteten untereinander. Indes soll die Behörde, soweit ihr dies möglich und zumutbar ist, von vornherein den nach bürgerlichem Recht Letztverantwortlichen in Anspruch nehmen, allgemein BayVGH, BayVBl. 1986, 590 (593).
798
799
800
801
802
250
Kapitel 9
Staatsrecht
Die vorliegenden Verunreinigungen sind kein klar fassbares Ergebnis der jüngeren Vergangenheit, sondern stammen aus der Zeit des Betriebs des Galvanikwerks von 1950 bis 1975. Die Verursachung liegt daher recht lange zurück. Die Abfälle erscheinen auch nicht äußerlich als vom Grund und Boden getrennte Gegenstände. Diese Umstände sprechen für eine vorrangige Inanspruchnahme der B als Grundstückeigentümerin und Zustandsverantwortliche. Die Anordnung der Sanierungsmaßnahmen verstößt daher nicht gegen die 804 Auswahlkriterien bei mehreren Verantwortlichen. Sie ist mithin nicht unverhältnismäßig und durch die Sozialbindung des Eigentums verfassungsrechtlich gerechtfertigt. 803
IV.
Ergebnis
805 Die Sanierungsmaßnahmen gegenüber der B verstoßen nicht gegen Art. 14 GG.50
III. Grundrechtliche Schutzpflichten: Art. 2 Abs. 2 S. 1 GG 806 Art. 2 Abs. 2 S. 1 GG enthält nicht lediglich ein subjektives Abwehrrecht, sondern zugleich eine objektiv-rechtliche Wertentscheidung der Verfassung, die für alle Bereiche der Rechtsordnung gilt. Diese begründet nach der Konzeption des Bundesverfassungsgerichts auch grundrechtliche Schutzpflichten. In seiner ständigen Rechtsprechung hält es den Staat aufgrund von Art. 2 Abs. 2 S. 1 GG für verpflichtet, sich schützend und fördernd vor die Rechtsgüter Leben und körperliche Unversehrtheit zu stellen, d.h. auch, sie vor rechtswidrigen Eingriffen Privater zu bewahren.51 Diese Pflichten bestehen z.B. zum Schutz gegen die Gefahren durch Aids, gegen terroristische Anschläge,52 gegen atomare Gefahren,53 gegen chemische Verseuchung und Schädigung von Luft und Wald oder gegen Flug-54 und Straßenverkehrslärm. Werden diese Schutzpflichten verletzt, so liegt darin zugleich eine Verletzung 807 des Grundrechts aus Art. 2 Abs. 2 S. 1 GG, gegen die sich der Betroffene mit Hilfe der Verfassungsbeschwerde zur Wehr setzen kann. Der Staat muss Maßnahmen normativer und tatsächlicher Art treffen, die dazu 808 führen, dass ein unter Berücksichtigung entgegenstehender Rechtsgüter angemessener und wirksamer Schutz erreicht wird (Untermaßverbot).55 Dem Gesetzgeber wie der vollziehenden Gewalt kommt bei der Erfüllung dieser Schutzpflichten ein weiter Einschätzungs-, Wertungs- und Gestaltungsbereich zu, der auch Raum 50
51 52 53 54 55
Die Haftung des Nur-Zustandsstörers, der die Verunreinigung also nicht selber verursacht hat, hat das BVerfG aus verfassungsrechtlichen Gründen dann aber im Prinzip auf den Wert des Grundstücks nach der Sanierung begrenzt, wobei es allerdings Ausnahmefälle gibt, bei denen diese Grenze überschritten werden kann oder unterschritten werden muss; vgl. BVerfG, NJW 2000, 2573; dazu Müggenborg, NVwZ 2001, 39 ff. Grundlegend BVerfGE 39, 1 (41 f.); 85, 191 (212); 88, 203; 90, 145 (195). BVerfGE 46, 160 (164 f.). Vgl. BVerfGE 49, 89; 53, 30 (55 ff.). BVerfGE 56, 54. BVerfGE 88, 203 (254).
C. Die Grundrechte
251
lässt, etwa konkurrierende öffentliche und private Interessen zu berücksichtigen.56 Diese weite Gestaltungsfreiheit kann von den Gerichten je nach Eigenart des in Rede stehenden Sachbereichs, den Möglichkeiten, sich ein hinreichend sicheres Urteil zu bilden, und der Bedeutung der auf dem Spiele stehenden Rechtsgüter nur in begrenztem Umfang überprüft werden. Der mit einer solchen Schutzpflicht verbundene grundrechtliche Anspruch ist im Blick auf diese Gestaltungsfreiheit nur darauf gerichtet, dass die öffentliche Gewalt Vorkehrungen zum Schutz des Grundrechts trifft, die nicht gänzlich ungeeignet oder völlig unzulänglich sind, das gebotene Schutzziel zu erreichen, oder erheblich dahinter zurückbleiben.57 Nur unter ganz besonderen Umständen kann sich diese Gestaltungsfreiheit in der Weise verengen, dass allein durch eine bestimmte Maßnahme der Schutzpflicht Genüge getan wird.
Fall 19: Ozongrenzwerte § 40 a BImSchG sieht Verkehrsverbote zur kurzfristigen Bekämpfung erhöhter 809 Ozonkonzentrationen vor. 1995 beschließt der Bundestag ein Gesetz zur Änderung dieser Vorschrift. Die neue Regelung bleibt hinter dem bisher erreichten Schutzniveau zurück. M hat sein Auto bereits vor Jahren abgeschafft, um entsprechende Umweltbeeinträchtigungen zu reduzieren. Er ist der Auffassung, der Gesetzgeber verletze seine Pflicht zum Schutz vor Gesundheitsgefahren, weil die Verkehrsverbote erst bei einem inakzeptabel hohen Ozonkonzentrationswert zum Tragen kommen. M möchte wissen, ob das Gesetz verfassungsgemäß ist. Lösungsaufbau: I. Bestehen einer Schutzpflicht II. Erfüllung der Schutzpflicht – Untermaßverbot III. Ergebnis
810
Lösungsvorschlag: I.
Bestehen einer Schutzpflicht
Das Gesetz ist verfassungswidrig, wenn ein Verstoß gegen ein Grundrecht vor- 811 liegt. In Betracht kommt ein Verstoß gegen Art. 2 Abs. 2 S. 1 GG. Das Gesetz könnte gegen Art. 2 Abs. 2 S. 1 GG verstoßen, wenn dem Staat eine aus dieser Vorschrift abgeleitete Schutzpflicht gegenüber dem menschlichen Leben und der Gesundheit obliegt und der Staat diese Pflicht verletzt hat. Auch Art. 2 Abs. 2 S. 1 GG bildet neben einem subjektiven Abwehrrecht ein Element objektiver Ordnung. Als solches ist es vom Staat zu schützen. In der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts ist daher anerkannt, dass der Staat sich schützend und fördernd vor die Rechtsgüter Leben und körperliche Unversehrtheit zu stellen, d.h. vor allem, sie auch vor rechtswidrigen Eingriffen vonseiten anderer zu bewahren hat. Das gilt auch und gerade im Hinblick auf umweltbeeinträchtigende Einwirkungen, 56 57
BVerfGE 77, 170 (214 f.); 90, 145 (195). BVerfGE 77, 170 (215); BVerfG, NJW 1996, 651.
252
Kapitel 9
Staatsrecht
die wie Abgase von Kraftfahrzeugen Auswirkungen auf die menschliche Gesundheit und gegebenenfalls auch auf das Leben haben. II.
Erfüllung der Schutzpflicht – Untermaßverbot
812 Art und Umfang des Schutzes im Einzelnen zu bestimmen, ist Aufgabe des Gesetzgebers. Allerdings hat der Gesetzgeber das Untermaßverbot zu beachten; insofern unterliegt er verfassungsgerichtlicher Kontrolle. Notwendig ist ein – unter Berücksichtigung entgegenstehender Rechtsgüter – angemessener Schutz. Die Vorkehrungen müssen für einen angemessenen und wirksamen Schutz ausreichend sein und zudem auf sorgfältigen Tatsachenermittlungen und vertretbaren Einschätzungen beruhen. Aufgrund des gleichwohl bestehenden beträchtlichen Einschätzungs-, Wertungs- und Gestaltungsspielraums kann eine Verletzung der Schutzpflicht nur dann festgestellt werden, wenn die staatlichen Organe gänzlich untätig geblieben sind oder wenn die bisher getroffenen Maßnahmen evident unzureichend sind. Fraglich ist, ob der Gesetzgeber nach diesen Maßstäben seine Pflicht, die Bür813 ger vor Gesundheits- und gegebenenfalls auch Lebensgefahren durch erhöhte Ozonkonzentration zu schützen, verletzt hat. Durch die Einführung des Katalysators, den Erlass der Großfeuerungsanlagenverordnung sowie der Verschärfung der TA Lärm wurde eine dauerhafte Reduzierung der Ozonbelastung eingeleitet. Die vorliegend angegriffene Regelung hat ergänzend die kurzfristige Reduzierung von Ozonspitzenkonzentrationen zum Ziel. Der Gesetzgeber ist also nicht gänzlich untätig geblieben. Ein Verstoß gegen Art. 2 Abs. 2 S. 1 GG liegt daher nur dann vor, wenn die 814 geltende Regelung evident unzureichend ist. Zur Reduzierung hoher bodennaher Ozonkonzentrationen sind je nach Beurteilung der tatsächlichen Verhältnisse sowie der Eignung, Effizienz und Angemessenheit der denkbaren Mittel und Wege verschiedene Lösungen möglich. Die Entscheidung des Gesetzgebers, Schritte zur nachhaltigen Reduzierung der Ozon-Vorläufersubstanzen mit kurzfristigen Verkehrsverboten zu kombinieren, die erst ab einer bestimmten Ozonkonzentration wirksam werden, erscheint aufgrund des derzeitigen Erkenntnisstandes nicht offensichtlich ungeeignet, die Bevölkerung vor unzumutbaren Ozonbelastungen zu schützen.58 III.
Ergebnis
815 Das angegriffene Gesetz verstößt nicht gegen das Untermaßverbot und wahrt daher die grundrechtliche Schutzpflicht aus Art. 2 Abs. 2 S. 1 GG. Es ist verfassungsgemäß.
58
BVerfG, NJW 1996, 651.
C. Die Grundrechte
253
Übersicht 9.4: Staatsstrukturprinzipien des Grundgesetzes Demokratie
Republik Rechtsstaat
Sozialstaatsprinzip Bundesstaat
Umweltstaat Einbindung in vereintes Europa und Völkerrechtsgemeinschaft
• Volk als wahlberechtigter Träger der Staatsgewalt (Art. 20 Abs. 1, 2; 28 Abs. 1 S. 1, S. 2 GG) • Parlamentarische Demokratie (Art. 20 Abs. 1 S. 2; 28 Abs. 1 S. 1, 2 GG) Staatoberhaupt wird gewählt; keine Monarchie oder Diktatur (Art. 20 Abs. 1; 28 Abs. 1 GG) • Gewaltenteilung (Art. 20 Abs. 2 S. 2 GG) • Rechts- und Gesetzesbindung (Art. 20 Abs. 3, 97 Abs. 1 GG): Vorrang des Gesetzes (kein Handeln gegen das Gesetz)/Vorbehalt des Gesetzes (kein Handeln ohne Gesetz); Bestimmtheit und Transparenz von staatlichen Maßnahmen • Bestehen einer Rechtsordnung (vgl. Art. 20 Abs. 3 GG) • Gewährleistung von Rechtsschutz (vgl. Art. 19 Abs. 4, 92, 97 Abs. 1; 101, 103, 104 GG) • Entschädigung für rechtswidrige staatliche Maßnahmen • Rechtssicherheit • Vertrauensschutz • Bestehen von Grundrechten (materieller Rechtsstaat) • Verhältnismäßigkeit staatlicher Maßnahmen Herstellen und Erhalten sozialer Gerechtigkeit und Sicherheit (Art. 20 Abs. 1; 28 Abs. 1 S. 1 GG) Trennender Rahmen: • eigene Verfassungsordnung und Organisationshoheit • Aufteilung der Staatsgewalt zwischen Bund (Zentralstaat) und Ländern (Gliedstaaten) (Art. 20 Abs. 1 GG; vgl. auch Art. 23, 28 ff., 50, 70 ff., 83 ff., 92 ff., 104 a ff. GG) • Länder haben grds. keine Befugnisse nach außen (vgl. Art. 32 Abs. 3 GG) Verbindende Ausfüllung: • Homogenitätsprinzip (Art. 28 Abs. 1 S. 1 GG) • Länder haben kein Recht zum Austritt • Länder können neu gegliedert werden (Art. 29 GG; vgl. aber Art. 79 Abs. 3) • Bund hat verschiedene Aufsichts- und Einwirkungsbefugnisse (Art. 37, 84, 85 GG) • Gebot zu bundesfreundlichem Verhalten (Bundestreue) Schutz der natürlichen Lebensgrundlagen, Art. 20 a GG Präambel, Art. 23 ff. GG
816
254
Kapitel 9
Staatsrecht
Übersicht 9.5: Die Verfassungsorgane
817
Legislativorgane:
Exekutivorgane:
Bundestag Bundesrat Gemeinsamer Ausschuss Bundespräsident
Judikativorgan:
Bundesregierung und Bundeskanzler Bundesverfassungsgericht
Art. 38 ff GG Art. 50 ff. GG Art. 53 a, 115 e GG Art. 54 ff. GG (gewählt durch Bundesversammlung, Art. 54 GG) Art. 62 ff. GG Art. 92, 93, 94 GG
Übersicht 9.6: Die Gesetzgebung des Bundes
818
Gesetzgebungskompetenz des Bundes Gesetzesinitiative Vorverfahren Gesetzesbeschluss Ein Zustimmungsgesetz kommt nur zustande, wenn Ein Einspruchsgesetz kommt zustande, wenn
Gegenzeichnung der Regierung Ausfertigung durch Bundespräsidenten Verkündung im Bundesgesetzblatt
Art. 70 ff. GG) Art. 76 Abs. 1 GG Art. 76 Abs. 2, 3 Art. 77 Abs. 1 GG • der Bundesrat zustimmt
• der Bundesrat zustimmt oder • den Antrag gemäß Art. 77 Abs. 2 GG auf Einberufung des Vermittlungsausschusses nicht stellt oder • innerhalb der Frist des Art. 77 Abs. 3 GG keinen Einspruch einlegt oder • den Einspruch zurücknimmt oder • der Einspruch vom Bundestag überstimmt wird (Art. 77 Abs. 4 GG) Art. 58 GG Art. 82 Abs. 1 GG Art. 82 Abs. 1 GG
Übersicht 9.7: Der Verwaltungsaufbau
819
Bund
• Unmittelbare Bundesverwaltung (Staat wird selbst durch seine Behörden tätig)
• Mittelbare Bundesverwaltung (Staat überträgt Verwaltungsaufgaben Bundesländer
auf von ihm geschaffene, rechtlich verselbstständigte Körperschaften, Anstalten und Stiftungen oder auf Beliehene) • Unmittelbare Landesverwaltung (Landesbehörden) • Mittelbare Landesverwaltung (insbes. Landkreise, kreisfreie Städte, Gemeinden im übertragenen Wirkungsbereich)
Kapitel 10
Verwaltungsrecht1
A. Das Verwaltungsrecht Das Verwaltungsrecht ist ein Bestandteil des öffentlichen Rechts. Es ist die Sum- 820 me der (geschriebenen und ungeschriebenen) Rechtssätze, die speziell auf die Erfüllung von Verwaltungsaufgaben bezogen sind. Es handelt sich demnach um das Sonderrecht der öffentlichen Verwaltung. Das Verwaltungsrecht regelt die Verwaltungstätigkeit, das Verwaltungsverfah- 821 ren und die Verwaltungsorganisation sowie die Rechtsbeziehungen der Bürger zur Verwaltung. Die Grundzüge sind dabei sehr bestandsfest. Es gibt sogar den Satz: „Verfassungsrecht vergeht, Verwaltungsrecht besteht.“ Allerdings passt sich auch das Verwaltungsrecht neuen Anforderungen an (Verwaltungsmodernisierung). Die gravierendsten Änderungen gibt es aber in den einzelnen Gebieten des besonderen Verwaltungsrechts. So wird derzeit ein neues Umweltgesetzbuch vorbereitet, das die bisherigen Einzelgesetze zusammenführt.
1
Böhm/Gaitanides, Fälle zum Allgemeinen Verwaltungsrecht, 4. Aufl. 2007; Detterbeck, Allgemeines Verwaltungsrecht, 4. Aufl. 2006; Dietlein/Dünchheim, Examinatorium Allgemeines Verwaltungsrecht, 3. Aufl. 2007; Erbguth, Allgemeines Verwaltungsrecht, 2005; Erichsen/Ehlers, Allgemeines Verwaltungsrecht, 13. Aufl. 2006; Frenz, Öffentliches Recht, 3. Aufl. 2007; Goltz, Basiswissen Verwaltungsrecht AT: Die Grundlagen in Frage und Antwort, 2007; Ipsen, Allgemeines Verwaltungsrecht, 5. Aufl. 2007; Knebel, Das Skript. Allgemeines Verwaltungsrecht: mit Beispielsfällen und Prüfungsschemata, 2007; Knemeyer, Memo-Check Verwaltungsrecht AT, 6. Aufl. 2007; Manssen, Allgemeines Verwaltungsrecht, 2005; Maurer, Allgemeines Verwaltungsrecht, 16. Aufl. 2006; Murken, Allg. Verwaltungsrecht leicht gemacht: eine Darstellung mit praktischen Fällen, anschaulich, lebendig, einprägsam, 2007; Peine, Klausurenkurs im Verwaltungsrecht: ein Fall- und Repetitionsbuch zum Allgemeinen und Besonderen Verwaltungsrecht mit Verwaltungsprozessrecht, 2. Aufl. 2006; Schmidt, Allgemeines Verwaltungsrecht: Grundlagen des Verwaltungsrechts, Verwaltungsverfahren und Staatshaftung, 10. Aufl. 2006; ders., Besonderes Verwaltungsrecht I und II, 11. Aufl. 2007; Stein, Bescheidtechnik: Lehrbuch mit Übungen, Wiederholungs- und Vertiefungsfragen, Aufbau- und Prüfungsschemata, 2007; Steiner (Hrsg.), Besonderes Verwaltungsrecht, 8. Aufl. 2006; Treder, Prüfungsschemata Verwaltungsrecht: Grundlagen und Erläuterungen, 4. Aufl. 2006.
256
Kapitel 10
Verwaltungsrecht
Übersicht 10.1: Die Handlungsformen der Verwaltung
822
• Verwaltungsakt §§ 35 ff. VwVfG • Sonstige verwaltungsrechtliche Willenserklärungen §§ 104 ff., 133 ff. BGB analog, außer Sonderregeln • Verwaltungsvertrag §§ 54 ff. VwVfG • Rechtsverordnung Art. 80 GG • Satzung • Plan • Rechtsakte im Innenverhältnis Verwaltungsvorschrift Einzelweisung • Schlichtes Verwaltungshandeln Realhandlungen/Realakte Wissenserklärungen • Verwaltungsprivatrechtliches Handeln
B. Abgrenzung zum privatrechtlichen Handeln 823 Öffentlich-rechtliches Handeln liegt vor, wenn ein Träger öffentlicher Gewalt aufgrund eines Rechtssatzes tätig wird, der ausschließlich einen Träger öffentlicher Gewalt zu einem Tun oder Unterlassen berechtigt oder verpflichtet. Bei öffentlichen Rechtsträgern ist im Zweifel davon auszugehen, dass sie bei der Erfüllung öffentlicher Aufgaben öffentlich-rechtlich handeln.
Fall 20: Staatliche Informationstätigkeit 824 Der Magistrat als Behörde der Kommunalverwaltung der Stadt X möchte einen Beitrag zum Umweltschutz leisten. Zu diesem Zweck führt er in X eine Plakatkampagne durch, mit der die Abfallvermeidung in Bezug auf Getränkeflaschen gefördert werden soll. Die Plakate enthalten zum einen Schlagworte wie „Verwerten ist gut, Vermeiden ist besser“ und „Gib dem Müll ’nen Korb“. Zum anderen wird die als „Schöne“ bezeichnete Mehrwegflasche durch ihre zeichnerische Darstellung hervorgehoben, während die Einwegflasche als „Biest“ dargestellt wird. Auf dem Plakat ist eindeutig ein Getränkekarton zu erkennen, der zu einer Produktgruppe gehört, die vom Fabrikant F für Einwegflaschen hergestellt wird. F fragt, ob ihm ein Abwehranspruch gegen die Plakatkampagne zusteht. Er begründet dies zutreffend mit dem Fehlen einer Befugnisnorm.
B. Abgrenzung zum privatrechtlichen Handeln
257
Lösungsaufbau: I. Grundrechtseingriff II. Erforderlichkeit einer Befugnisnorm III. Ergebnis
825
Lösungsvorschlag: F steht ein Abwehranspruch zu, wenn die Plakatkampagne rechtswidrig ist. Die 826 Rechtswidrigkeit könnte sich aus dem Fehlen einer ermächtigenden Rechtsnorm ergeben. Staatliche Maßnahmen bedürfen jedenfalls dann einer Befugnisnorm, wenn sie in Rechte der Bürger eingreifen. I.
Grundrechtseingriff
Vorliegend kommt ein Eingriff in die von Art. 12 Abs. 1 GG garantierte Be- 827 rufsausübungsfreiheit und in das von Art. 14 Abs. 1 GG geschützte Recht am eingerichteten und ausgeübten Gewerbebetrieb des F in Betracht. Als über die Summe der ein Unternehmen ausmachenden Einzelbestandteile hinausreichende Gesamtheit kommt diesem Recht eine eigene vermögenswerte Bedeutung zu; es ist daher als solches eigens von Art. 14 Abs. 1 GG gewährleistet.2 Fraglich ist, ob vorliegend in die aufgeführten Grundrechte eingegriffen wird. Die aufgehängten Plakate stellen behördliche Empfehlungen dar. Die von der 828 Behörde getroffene Aussage geht allerdings über einen bloßen Hinweis auf umweltpolitisch erhebliche Zusammenhänge hinaus, indem sie den von dem Plakat angesprochenen Personen ein bestimmtes Verhalten, eben die Abfallvermeidung, nahelegt. Zudem belegt das Plakat die Einwegflasche mit einem negativen Image. Dadurch beeinflusst es das Verhalten der Verbraucher dahingehend, dass diese Mehrwegflaschen bevorzugen. Daraus erwachsen Umsatzrückgänge bei Einwegflaschen sowie für dafür verwendete Getränkekartons. Von daher wird die Geschäftstätigkeit der entsprechenden Unternehmen stark beeinträchtigt. Erfolgt dies auch mittelbar über die Reaktion der Verbraucher und ohne anordnenden staatlichen Eingriff, wurde doch über öffentliche Plakate, die ein bestimmtes Verhalten nahelegen, hoheitliche Autorität in Anspruch genommen.3 Für die betroffenen Hersteller können sich schwerwiegende Folgen ergeben. Das gilt zumal für F. Es trifft zwar zu, dass der F als Hersteller einer vom 829 Verbraucher nach Auffassung der Behörde zu meidenden Verpackung auf dem Plakat nicht genannt wird. Jedoch wird eine von F auf den Markt gebrachte Produktgruppe eindeutig bezeichnet. Zudem hat die Behörde offenbar die Absicht, die gesamte auf dem Plakat bezeichnete Produktgruppe vom Markt zu verdrängen. Diese Absicht kommt insbesondere durch die verwendeten Schlagworte und die zeichnerische Darstellung zum Ausdruck. Aufgrund der sich aus diesen Umständen ergebenden Intensität der Beeinträchtigung liegt ein Eingriff in das Recht am
2
3
BGHZ 23, 157 (162 f.); 92, 34 (37); BVerwGE 62, 224 (226); s. aber auch BVerfGE 51, 193 (221 f.); 74, 129 (148). Vgl. HessVGH, DÖV 1995, 77 (78).
258
Kapitel 10
Verwaltungsrecht
eingerichteten und ausgeübten Gewerbebetrieb (Art. 14 GG) sowie die Berufsausübungsfreiheit (Art. 12 Abs. 1 GG) vor. II.
Erforderlichkeit einer Befugnisnorm
830 Von daher ist an sich von dem Erfordernis einer Befugnisnorm auszugehen. Eine Befugnis zur Anbringung der Plakate könnte indes ohne gesetzliche Grundlage unmittelbar aus der Verfassung aufgrund der Aufgabe erwachsen, gesellschaftliche Probleme zu erkennen und zu beheben, die Politik im Ganzen verantwortlich zu leiten und in diesem Zusammenhang die Öffentlichkeit zu unterrichten.4 Diese Befugnisse werden aber nur einem Verfassungsorgan zugebilligt. Danach kann der Magistrat als Behörde der Kommunalverwaltung keine Befugnisse unmittelbar aus der Verfassung herleiten.5 Zudem stellt die Unterrichtung der Öffentlichkeit allenfalls eine von der Verfassung zugewiesene Aufgabe dar. Diese kann nur im Rahmen der bestehenden Befugnisse ausgefüllt werden. Ein Schluss von der Aufgabe auf die Befugnis ist daher unzulässig. Eine Befugnisnorm wäre aber dann entbehrlich, wenn der Magistrat unmittel831 bar auf der Basis grundrechtlicher Schutzpflichten hätte handeln dürfen.6 Abfallvermeidung vermindert Umweltbeeinträchtigungen und dient von daher auch dem Gesundheitsschutz. Aus Art. 2 Abs. 2 S. 1 GG folgt die Pflicht des Staates, sich schützend und fördernd vor das Leben und die menschliche Gesundheit zu stellen. Staatliche Schutzpflichten bedürfen indes regelmäßig der Konkretisierung durch Gesetze und entbinden daher grundsätzlich nicht vom Erfordernis einer Befugnisnorm. Allenfalls bei schweren, anders nicht abwendbaren Gefahrenlagen kommt ein Handeln ohne normative Grundlage in Betracht.7 Solche Gefahren gehen indes von Mehrwegflaschen nicht aus. III.
Ergebnis
832 Die Plakatkampagne bedurfte daher einer Befugnisnorm. Eine entsprechende Ermächtigungsgrundlage ist nicht vorhanden. F hat mithin einen Abwehranspruch gegen die Umweltschutzbehörde.
C. Der Verwaltungsakt I.
Definition
833 Gemäß § 35 VwVfG ist Verwaltungsakt „jede Verfügung, Entscheidung oder andere hoheitliche Maßnahme, die eine Behörde zur Regelung eines Einzelfalles auf dem Gebiet des öffentlichen Rechts trifft und die auf unmittelbare Rechtswir4 5 6 7
Vgl. BVerwGE 82, 77 (80 f.); 87, 37 (46 f.). Vgl. HessVGH, DÖV 1995, 77 (78); s. auch BVerwGE 71, 183 (198). Vgl. BVerwGE 82, 77 (82 f.); 87, 37 (49). S. HessVGH, NJW 1990, 336; ausführlich Frenz, Das Verursacherprinzip im Öffentlichen Recht, 1997, 315 ff.; abl. BVerfG, NJW 1989, 3269 (3270).
C. Der Verwaltungsakt
259
kung nach außen gerichtet ist. Allgemeinverfügung ist ein Verwaltungsakt, der sich an einen nach allgemeinen Merkmalen bestimmten oder bestimmbaren Personenkreis richtet oder die öffentlich-rechtliche Eigenschaft einer Sache oder ihre Benutzung durch die Allgemeinheit betrifft“(z.B. Widmung einer Straße, Benutzungsregelung). Übersicht 10.2: Begriffsmerkmale des Verwaltungsaktes (VA) Behörde Maßnahme Auf dem Gebiet des öffentlichen Rechts Regelung Einzelfall Außenwirkung
jede Stelle, die Aufgaben der öffentlichen Verwaltung wahrnimmt. jedes Verhalten mit Erklärungsgehalt, das innerhalb von Rechtssätzen ergeht. öffentlich-rechtliches Handeln.
834
einseitige, verbindliche Maßnahme, die unmittelbar die Herbeiführung von Rechtsfolgen bezweckt. konkret-individuell, auch Allgemeinverfügung. auf unmittelbare Rechtswirkung nach außen gerichtet, keine behördeninterne Maßnahme.
II. Die Nebenbestimmung 1.
Begriff
Die in einem Verwaltungsakt begriffswesentlich enthaltene Hauptregelung kann 835 durch eine Nebenaussage ergänzt oder beschränkt werden. Trifft diese zusätzliche Bestimmung eine vom Hauptverwaltungsakt unterscheidbare Regelung, liegt eine sogenannte Nebenbestimmung vor. Keine Nebenbestimmung ist 836 • der Hinweis auf eine bereits bestehende Rechtslage • die nähere Bezeichnung des Inhalts des Hauptverwaltungsakts • die Teilgenehmigung (Antragsteller erhält weniger als beantragt: stets selbstständiger VA) • die modifizierte Genehmigung (Antragsteller bekommt etwas anderes als beantragt: stets selbstständiger VA) • modifizierende Auflage: Regelung einer modifizierenden Gewährung erhält Anordnungsqualität. Übersicht 10.3.: Die Arten der Nebenbestimmungen gemäß § 36 Abs. 2 VwVfG Befristung: Bedingung: Widerrufsvorbehalt: Auflage: Auflagenvorbehalt:
Geltung des VA ist von bestimmtem Zeitpunkt/-raum abhängig. Geltung des VA ist von ungewissem Eintritt eines bestimmten Ereignisses abhängig. Wirksamkeit des VA endet nach Widerruf, der selbst VA ist. Neben VA wird Tun, Dulden oder Unterlassen vorgeschrieben. Es wird im VA vorbehalten, nachträglich eine Auflage aufzunehmen, zu ändern oder zu ergänzen.
837
260
2.
Kapitel 10
Verwaltungsrecht
Rechtmäßigkeit einer Nebenbestimmung
838 Liegen keine Spezialvorschriften vor, die die Rechtmäßigkeit von Nebenbestimmungen regeln, ist auf die allgemeine Vorschrift des § 36 VwVfG abzustellen. Besteht auf den Grundverwaltungsakt ein Anspruch, ist die Nebenbestimmung rechtmäßig, wenn sie durch Rechtsvorschrift zugelassen ist oder wenn sie sicherstellen soll, dass die gesetzlichen Voraussetzungen des Verwaltungsaktes erfüllt werden, § 36 Abs. 1 VwVfG. Steht der Hauptverwaltungsakt im Ermessen, so muss auch das Ermessen in Bezug auf die Beifügung einer Nebenbestimmung pflichtgemäß ausgeübt worden sein, § 36 Abs. 2 VwVfG. Nach § 36 Abs. 3 VwVfG darf eine Nebenbestimmung dem Zweck des Verwaltungsaktes nicht zuwiderlaufen. 3.
Anfechtbarkeit von Nebenbestimmungen
839 Ansatzpunkt für die isolierte Anfechtbarkeit von Nebenbestimmungen ist, ob diese vom Hauptverwaltungsakt abtrennbar und damit teilbar sind. Mittlerweile vertritt das BVerwG8 die Auffassung, dass Teilbarkeit dann gegeben ist, wenn der verbleibende begünstigende Verwaltungsakt rechtmäßig ist. So setzt etwa die isolierte Aufhebung der einer Genehmigung beigefügten Auflage voraus, dass die Genehmigung mit einem Inhalt weiter existieren kann, welcher der Rechtsordnung entspricht. Der nicht aufgehobene Teil des Verwaltungsakts muss danach ohne Änderung seines Inhalts sinnvoller- und rechtmäßigerweise bestehen bleiben können. Bei der modifizierenden Auflage ist eine Teilbarkeit von Nebenbestimmung 840 und Hauptverwaltungsakt grundsätzlich abzulehnen, weil die Inhaltsänderung auch Inhalt der Auflage ist. Inhaltsänderung und Auflage sind mithin untrennbar miteinander verbunden, denn sie regeln dem Gegenstand nach das Gleiche.
Fall 21: Schutz des Kinderspielplatzes vor Garage 841 Das Unternehmen B ist Eigentümer eines Verwaltungsgebäudes in der Innenstadt von Aachen. Angesichts der bestehenden Parkplatzknappheit soll für die Mitarbeiter ein Garagengebäude errichtet werden. Ein solches Bauvorhaben würde zwar nicht den Festsetzungen des für das Gebiet vorliegenden Bebauungsplans entsprechen; die Baubehörde kann aber gemäß § 31 Abs. 2 BauGB im Rahmen einer Ermessensentscheidung unter Würdigung nachbarlicher Interessen und öffentlicher Belange die Baugenehmigung unter Befreiung von entgegenstehenden Festsetzungen des Bebauungsplans erteilen. Nachdem B eine dementsprechende Baugenehmigung bei der zuständigen Behörde beantragt hat, wird diese erteilt, jedoch unter der Auflage, einen angrenzenden Kinderspielplatz mit bestimmten technischen Mitteln abzusichern. B möchte wissen, ob diese Nebenbestimmung rechtmäßig ist.
8
BVerwG, NVwZ 1984, 366 f.; auch OVG NW, NWVBl. 1994, 23 f.
C. Der Verwaltungsakt
261
Lösungsaufbau: I. Rechtsnatur der Regelung II. Rechtmäßigkeit der Auflage 1. Spezialvorschriften 2. § 36 VwVfG a) Rechtscharakter des Hauptverwaltungsaktes b) Pflichtgemäßes Ermessen c) § 36 Abs. 3 VwVfG III. Ergebnis
842
Lösungsvorschlag: I.
Rechtsnatur der Regelung
Die Rechtmäßigkeitsvoraussetzungen einer Regelung hängen von ihrer Rechtsna- 843 tur ab, sodass die Art der Regelung zunächst begrifflich festzustellen ist. Die Behörde wählt eine „Auflage“. Zwar entscheidet nicht die behördliche Bezeichnung, sondern der materielle Gehalt. Hier wird jedoch ein neben dem Hauptverwaltungsakt stehendes Tun verlangt. Somit ist eine Auflage im Sinne des § 36 Abs. 2 Nr. 4 VwVfG gegeben. Auf die Abgrenzung zur Inhaltsbestimmung, dem Hinweis auf die bestehende Rechtslage, der sogenannten Teilgenehmigung oder der sogenannten modifizierenden Gewährung, die alle keine Nebenbestimmungen sind, kommt es daher nicht an. II.
Rechtmäßigkeit der Auflage
1.
Spezialvorschriften
Die Rechtmäßigkeit von Nebenbestimmungen bestimmt sich in erster Linie nach 844 Spezialvorschriften. Die Vorschrift des § 31 Abs. 2 BauGB enthält keine Regelung über Nebenbestimmungen. Spezialvorschriften sind mithin nicht einschlägig. 2.
§ 36 VwVfG
Es ist somit auf die allgemeine Vorschrift des § 36 VwVfG abzustellen. a)
845
Rechtscharakter des Hauptverwaltungsaktes
Nach der Vorschrift des § 36 VwVfG kommt es für die jeweils unterschiedlichen 846 Rechtmäßigkeitsanforderungen von Nebenbestimmungen auf den Rechtscharakter des Hauptverwaltungsaktes an. § 36 Abs. 1 VwVfG bezieht sich lediglich auf gebundene Verwaltungsakte, während § 36 Abs. 2 VwVfG nur für Verwaltungsakte gilt, die im Ermessen der Behörde stehen. Fraglich ist, welchen Rechtscharakter die erteilte Baugenehmigung hat. Bei 847 dem Erlass einer Baugenehmigung handelt es sich grundsätzlich um eine gebundene Entscheidung (vgl. § 75 Abs. 1 S. 1 BauO NW). Vorliegend kann die Behörde die Genehmigung aber nur unter Befreiung von entgegenstehenden Festsetzungen des Bebauungsplans gemäß § 31 Abs. 2 BauGB erteilen. Diese Entscheidung liegt im Ermessen der Behörde. Die Erteilung der Baugenehmigung als Hauptverwaltungsakt ist daher insgesamt als Ermessensverwaltungsakt anzusehen.
262
Kapitel 10
Verwaltungsrecht
b)
Pflichtgemäßes Ermessen
848 Es sind mithin die Rechtmäßigkeitsanforderungen des § 36 Abs. 2 VwVfG zu prüfen. Danach steht auch die Beifügung einer Nebenbestimmung im pflichtgemäßen Ermessen der Behörde. Denn sie könnte im Rahmen ihrer Ermessensentscheidung hinsichtlich des Grundverwaltungsaktes den Verwaltungsakt auch ganz ablehnen, sodass sie ihn erst recht unter Einschränkungen erteilen kann. Fraglich ist daher, ob die Behörde bei der Beifügung der Nebenbestimmung ihr 849 Ermessen pflichtgemäß ausgeübt hat. Die Behörde hat vorliegend nachbarliche Interessen sowie öffentliche Belange zu berücksichtigen. Hier soll ein Garagengebäude neben einem Kinderspielplatz errichtet werden. Ohne einen Zaun oder eine ähnliche Grenzvorrichtung bestünde die Gefahr, dass spielende Kinder die Garagenzufahrt betreten. Dies würde zu einer ständigen Gefährdung der Kinder führen und den Spielplatz nicht mehr benutzbar machen, weil die Sicherheit der Kinder nicht mehr geboten wäre. Mit Rücksicht darauf ist es sachgemäß, die Erteilung der Baugenehmigung davon abhängig zu machen, dass der Spielplatz mit bestimmten technischen Mitteln von B abgesichert wird. c)
§ 36 Abs. 3 VwVfG
850 Gemäß § 36 Abs. 3 VwVfG darf eine Nebenbestimmung dem Zweck des Verwaltungsaktes nicht zuwiderlaufen. Die Nebenbestimmung muss also sachbezogen und sachgerecht sein. Vorliegend wird die Errichtung des Garagengebäudes durch die Auflage weder verhindert noch nennenswert erschwert, sondern auf den benachbarten Kinderspielplatz abgestimmt, sodass diese Schranke nicht eingreift. III.
Ergebnis
851 Die Auflage ist rechtmäßig.
C. Der Verwaltungsakt
263
Übersicht 10.4: Die formelle Rechtmäßigkeit des Verwaltungsaktes Zuständigkeit
Verfahren
• • • • • • • • • • • • • •
Form Bekanntgabe
• •
Begründung
•
sachlich örtlich instantiell Handeln durch geeignete Amtsträger, §§ 20 f. VwVfG Richtige Verfahrensart, vgl. etwa § 17 FStrG ggf. Antragsbedürfnis, § 22 VwVfG; Heilung nach § 45 Abs. 1 Nr. 1 VwVfG Untersuchungsgrundsatz, § 24 Abs. 1 S. 1 VwVfG Mitwirkung anderer Stellen/Behörden, vgl. etwa § 36 BauGB; Heilung nach § 45 Abs. 1 Nr. 3 (Abs. 3) VwVfG Beteiligung Betroffener, § 13 VwVfG Anhörung Beteiligter, § 28 VwVfG Beratung und Information Beteiligter, § 25 VwVfG Rechtsbehelfsbelehrung, vgl. §§ 59, 73 Abs. 3 S. 1 VwGO Gestattung von Akteneinsicht, §§ 29 f. VwVfG ggf. besondere Anforderungen: förmliches Verwaltungsverfahren, §§ 70 ff. VwVfG, vor allem Planfeststellungsverfahren, §§ 72 ff. VwVfG § 37 Abs. 2-4 VwVfG § 41 Abs. 1 VwVfG; vgl. auch § 43 Abs. 1 VwVfG: Wirksamkeitsvoraussetzung! § 39 Abs. 1 VwVfG, Heilung nach § 45 Abs. 1 Nr. 2 (Abs. 3) VwVfG
852
Übersicht 10.5: Die materielle Rechtmäßigkeit des Verwaltungsaktes Voraussetzungen:
Aufhebung nach Unanfechtbarkeit
• • • • • • • • • • • •
• •
Rechtsgrundlage für Erlass des Verwaltungsaktes Rechtmäßigkeit der Rechtsgrundlage Tatbestandsvoraussetzungen der Rechtsgrundlage richtiger Adressat rechtmäßige Ermessensausübung Beachtung von anderen Rechtssätzen; vor allem einschlägige andere Gesetze, Grundrechte und Übermaßverbot Bestimmtheit, § 37 Abs. 1 VwVfG VA auf tatsächlich und rechtlich möglichen Erfolg gerichtet rechtmäßig nicht begünstigend: Widerruf im Ermessen der Verwaltung, § 49 Abs. 1 VwVfG rechtmäßig begünstigend: Widerruf nur nach Voraussetzungen des § 49 Abs. 2, 3 VwVfG rechtswidrig nicht begünstigend: Rücknahme im Ermessen der Verwaltung, § 48 Abs. 1 VwVfG rechtswidrig begünstigend: Rücknahme im Ermessen der Verwaltung, § 48 Abs. 1 VwVfG, außer: bei geldlichem VA, § 48 Abs. 2 VwVfG Vertrauen des Empfängers und Schutzwürdigkeit des Vertrauens bei nichtgeldlichem VA, § 48 Abs. 3 VwVfG, ist Vermögensnachteil nicht ausgleichbar, Vertrauen des Begünstigten überwiegt erweiterte Aufhebbarkeit im Rechtsbehelfsverfahren auf Anfechtung eines Dritten, § 50 VwVfG Wiederaufgreifen des Verfahrens nach § 51 VwVfG
853
264
Kapitel 10
Verwaltungsrecht
D. Weitere Grundbegriffe des Verwaltungsrechts I.
Ermessen
854 Verwaltungsrechtliche Rechtsnormen bestehen aus Tatbestand und Rechtsfolge. Die Rechtsfolge tritt ein, wenn der Tatbestand erfüllt ist. Ermessen liegt vor, wenn die Verwaltung bei Verwirklichung eines gesetzlichen Tatbestandes durch das Gesetz ermächtigt wird, die Rechtsfolge innerhalb mehrerer Handlungsvarianten bzw. eines gewissen Handlungsspielraumes eigenständig festzulegen. Beim sogenannten Entschließungsermessen kann die Verwaltung entscheiden, ob sie eine bestimmte Maßnahme überhaupt treffen will. Beim sogenannten Auswahlermessen kann sie von verschiedenen denkbaren Maßnahmen eine wählen. Ermessensfehler liegen bei Ermessensnichtgebrauch,9 Ermessensüberschreitung (Rechtsfolge liegt außerhalb Ermessensnorm) und Ermessensfehlgebrauch (Zweckverfehlung)10 vor. Hat sich die Wahlmöglichkeit im Einzelfall auf eine Alternative reduziert, ist nur diese Entscheidung ermessensfehlerfrei (Ermessensreduzierung auf Null).
II. Unbestimmter Rechtsbegriff 855 Während das Ermessen auf der Rechtsfolgenseite einer Vorschrift erscheint, ist der unbestimmte Rechtsbegriff Gegenstand des gesetzlichen Tatbestandes. Beispiele sind etwa: die Begriffe Eignung, Gemeinwohl, öffentliches Interesse. Die Rechtsanwendung erfordert eine inhaltliche Festlegung dieser Begriffe. Sie bedarf also der Wertung sowie prognostischer Erwägungen. Unbestimmte Rechtsbegriffe sind gerichtlich grundsätzlich voll überprüfbar. Nur ausnahmsweise gesteht die Rechtsprechung der Verwaltung einen von den Gerichten nur beschränkt überprüfbaren Beurteilungsspielraum zu, nämlich wenn es sich um Prüfungs- oder prüfungsähnliche Entscheidungen, Beurteilungen der Eignung und Befähigung von Beamten, verwaltungspolitische Entscheidungen, Risikobewertungen oder Entscheidungen wertender Art handelt. In grundrechtsrelevanten Bereichen bedarf es hierzu einer besonderen Rechtfertigung durch ein gegenläufiges Verfassungsgut und einer gesetzlichen Festlegung.11
III. Subjektiv-öffentliches Recht 856 Ein subjektiv-öffentliches Recht ist gegeben, wenn durch eine Vorschrift des öffentlichen Rechts die Rechtsmacht eingeräumt wird, vom Staat zur Verfolgung eigener Interessen ein bestimmtes Verhalten verlangen zu können.12 Dass dem Bürger ein subjektiv-öffentliches Recht zusteht, setzt zunächst voraus, dass ein 9 10 11 12
Etwa BVerwGE 15, 196 (199); 31, 212 (213). Etwa BVerwGE 26, 135 (140); s. auch BVerwGE 64, 7 ff. BVerfGE 84, 34 (49 ff.); 84, 59 (77 ff.); 85, 36 (59 ff.); BVerwGE 91, 211 (217). Vgl. BVerwGE 22, 129 ff.; 47, 19 ff.; 78, 85 (88 ff.).
E. Der öffentlich-rechtliche Vertrag
265
objektiver Rechtssatz die Verwaltung zu einem bestimmten Tun verpflichtet. Darüber hinaus muss diese Rechtsnorm zumindest auch dem Schutz von Individualinteressen dienen. Dies gilt insbesondere auch bei Ermessensspielräumen, sodass ein allgemeiner Anspruch auf ermessensfehlerfreie Entscheidung nicht besteht. Das subjektiv-öffentliche Recht kann im Klagewege durchgesetzt werden. Zuständig sind die Verwaltungsgerichte. Übersicht 10.6: Klagearten nach VwGO Anfechtungsklage Verpflichtungsklage
Fortsetzungsfeststellungsklage
Allgemeine Leistungsklage
Feststellungsklage
Normenkontrollklage
Kläger begehrt Aufhebung eines VA, § 42 Abs. 1, 1. Alt. VwGO (vorheriger Widerspruch notwendig) Kläger begehrt Erlass eines abgelehnten oder unterlassenen VA, § 42 Abs. 1, 2. Alt. VwGO (teilweise vorheriger Widerspruch notwendig) Kläger begehrt Feststellung der Rechtswidrigkeit eines VA nach Erledigung (str., ob vorheriger Widerspruch notwendig) Kläger begehrt Vornahme oder Unterlassung einer Handlung, die keinen VA darstellt, also eines Realaktes, ggf. auch einer Rechtsnorm (str.) Kläger begehrt Feststellung des Bestehens oder Nichtbestehens eines Rechtsverhältnisses oder der Nichtigkeit eines VA, § 43 Abs. 1 VwGO Antragsteller will Gültigkeit einer Rechtsnorm überprüfen lassen, § 47 Abs. 1 VwGO
Begehren einstweiligen Rechtsschutzes nach
857
858
• §§ 80, 80 a VwGO: bei Anfechtungsklage • § 123 VwGO: nicht für Anfechtungsklage • § 47 Abs. 8 VwGO: bei Normenkontrolle
E. Der öffentlich-rechtliche Vertrag I.
Definition
Ein öffentlich-rechtlicher Vertrag ist ein Vertrag (Einigung über die Herbeifüh- 859 rung einer Rechtsfolge), durch den ein Rechtsverhältnis auf dem Gebiet des öffentlichen Rechts begründet, geändert oder aufgehoben wird, § 54 S. 1 VwVfG. Übersicht 10.7: Arten der öffentlich-rechtlichen Verträge Koordinationsrechtlicher Vertrag Subordinationsrechtlicher Vertrag Verpflichtungsvertrag Verfügungsvertrag Vergleichsvertrag Austauschvertrag
gleichgeordnete Vertragspartner Verhältnis Über-Unterordnung, § 54 S. 2 VwVfG Verpflichtung eines oder beider Vertragspartner Herbeiführung einer unmittelbaren Rechtsänderung gegenseitiges Nachgeben beseitigt Ungewissheit, § 55 VwVfG gegenseitig verpflichtender Vertrag, § 56 VwVfG
860
266
Kapitel 10
Verwaltungsrecht
II. Rechtmäßigkeit des Verwaltungsvertrages 861 • • • •
Zulässigkeit der Vertragsform, § 54 VwVfG Schriftform, § 57 VwVfG Zustimmung von Dritten und Behörden, § 58 VwVfG Inhaltliche Rechtmäßigkeit des Vertrages (bestimmt sich nach materiellem Recht) • Bei einem Austauschvertrag muss die Gegenleistung des Bürgers für einen bestimmten Zweck vereinbart werden, der Erfüllung öffentlicher Aufgaben dienen, angemessen sein und in sachlichem Zusammenhang mit der vertraglichen Leistung stehen.
III. Folgen der Rechtswidrigkeit 862 • (Schwebende) Unwirksamkeit wegen fehlender Zustimmung, § 58 VwVfG • Spezieller Nichtigkeitsgrund gemäß § 59 Abs. 2 VwVfG (gilt nur i. R. v. § 54 S. 2 VwVfG) • Nichtigkeitsgrund in analoger Anwendung von BGB-Vorschriften gemäß § 59 Abs. 1 VwVfG • Nichtigkeit ist die einzige Fehlerfolge des rechtswidrigen Vertrages. Ohne Nichtigkeitsgrund gemäß § 59 VwVfG ist der Vertrag trotz Rechtswidrigkeit rechtswirksam und verbindlich. • Ausnahme: Kündigungsrecht der Behörde gemäß § 60 Abs. 1 S. 2 VwVfG
Fall 22: Baugenehmigung gegen Geld 863 Das Bauunternehmen B will auf einem seiner Grundstücke in der Stadt S eine kleine Lagerhalle errichten. Die beantragte Baugenehmigung wird jedoch von der zuständigen Baubehörde zunächst nicht erteilt. Nach längeren Verhandlungen schließen die Stadt S und B folgenden schriftlichen Vertrag: 1. Die Stadt S verpflichtet sich dem B gegenüber, die Baugenehmigung für die Lagerhalle zu erteilen. 2. B verpflichtet sich, nach Erteilung der Baugenehmigung für die Anschaffung eines neuen Feuerwehrautos 7.000 € zu zahlen. Die Stadt S möchte diesen Betrag dazu nutzen, das anzuschaffende Fahrzeug zu „verschönern“: Das Feuerwehrauto soll tiefergelegt werden und einen außergewöhnlichen Spoiler erhalten. Darüber hinaus soll auf den Fahrzeugseiten das Gemeindewappen angebracht werden. Erforderliche Zustimmungen von Dritten und Behörden werden schriftlich abgegeben. Nach Erteilung der Baugenehmigung fordert die Stadt S den Betrag ein. B fragt, ob es zur Zahlung verpflichtet ist.
E. Der öffentlich-rechtliche Vertrag
267
Lösungsaufbau: I. Verwaltungsvertrag II. Wirksamer Vertragsschluss III. Vertragsformverbot IV. Zuständigkeit der Behörde V. Schriftform VI. Zustimmungen VII. Inhaltliche Rechtmäßigkeit VIII. Verstoß gegen § 56 VwVfG 1. Subordinationsvertrag 2. Austauschvertrag 3. § 56 Abs. 1 S. 1 VwVfG 4. § 56 Abs. 1 S. 2 VwVfG IX. Rechtsfolgen der Rechtswidrigkeit X. Ergebnis
864
Lösungsvorschlag: B ist zur Zahlung verpflichtet, wenn der Vertrag wirksam ist. I.
865
Öffentlich-rechtlicher Vertrag
Die rechtlichen Voraussetzungen bestimmen sich nach der Art des Vertrages. Hier 866 kommt ein Verwaltungsvertrag in Betracht. Ein öffentlich-rechtlicher Vertrag im Sinne des § 54 S. 1 VwVfG ist ein Vertrag, durch den ein Rechtsverhältnis auf dem Gebiet des Verwaltungsrechts begründet, geändert oder aufgehoben wird. Vertragsgegenstand ist unter anderem die Verpflichtung zur Erteilung einer Baugenehmigung, die dem öffentlichen Recht zuzuordnen ist. Es sind somit die Rechtmäßigkeitsvoraussetzungen eines öffentlich-rechtlichen Vertrages zu prüfen. II.
Wirksamer Vertragsschluss
Die Einigung muss auf die Herbeiführung einer Rechtsfolge gerichtet sein. Die 867 Stadt S und B haben durch übereinstimmende Willenserklärungen die streitige Vereinbarung abgeschlossen. Ein wirksamer Vertragsschluss im Sinne des § 62 S. 2 VwVfG i.V.m. §§ 145 ff. BGB liegt daher vor. III.
Vertragsformverbot
Die Behörde darf die Rechtsform eines Verwaltungsvertrages gemäß § 54 S. 2 868 VwVfG nur wählen, soweit Rechtsvorschriften nicht entgegenstehen. Für die Baugenehmigung im Sinne des § 75 Abs. 1 S. 1 BauO NW ist die Form des Verwaltungsaktes zwingend vorgesehen, sodass die Genehmigungserteilung als solche nicht vertraglich geregelt werden kann. Vorliegend wurde aber die Verpflichtung zum Erlass einer Baugenehmigung zum Vertragsinhalt gemacht. Insoweit besteht jedenfalls kein Vertragsformverbot. IV.
Zuständigkeit der Behörde
Aus § 58 Abs. 2 VwVfG folgt, dass auch im vertraglichen Bereich die behördliche 869 Zuständigkeitsordnung gilt. Die Baubehörde ist für den Bereich zuständig, in dem
268
Kapitel 10
Verwaltungsrecht
die im Vertrag erfasste staatliche Verpflichtung angesiedelt ist. V.
Schriftform
870 Die für die formelle Rechtmäßigkeit des Vertrages erforderliche Schriftform im Sinne des § 57 VwVfG ist gewahrt. VI.
Zustimmungen
871 Zustimmungen Dritter oder einer Behörde, deren Genehmigung, Zustimmung oder Einvernehmen beim Erlass eines Verwaltungsaktes erforderlich ist, sind entsprechend § 58 VwVfG schriftlich erteilt. VII. Inhaltliche Rechtmäßigkeit 872 Der Inhalt des Vertrages muss mit geltendem Recht in Einklang stehen. Ein Verstoß gegen materielles Recht durch die Erteilung der Baugenehmigung ist nicht ersichtlich. VIII. Verstoß gegen § 56 VwVfG 873 Möglicherweise könnte ein Verstoß gegen § 56 VwVfG gegeben sein, wenn ein Austauschvertrag vorliegen würde. 1.
Subordinationsvertrag
874 Die Anwendbarkeit des § 56 VwVfG setzt zunächst einen subordinationsrechtlichen Vertrag voraus. Gemäß § 54 S. 2 VwVfG ist das der Fall, wenn die Behörde mit demjenigen einen Vertrag schließt, an den sie sonst einen Verwaltungsakt richten würde. Die Verpflichtung zum Erlass einer Baugenehmigung kann auch durch Verwaltungsakt erfolgen. Damit liegt ein hoheitliches Über/Unterordnungsverhältnis, mithin ein subordinationsrechtlicher Vertrag vor. 2.
Austauschvertrag
875 Ein Austauschvertrag setzt voraus, dass sich der Vertragspartner der Behörde zu einer Gegenleistung verpflichtet.13 B ist die Verpflichtung nur eingegangen, um die Genehmigung für die Lagerhalle zu erhalten. Die Verpflichtungen der Vertragspartner stehen somit in einem echten Austauschverhältnis, sodass es sich um einen Austauschvertrag handelt. 3.
§ 56 Abs. 1 S. 1 VwVfG
876 Ein Austauschvertrag erfordert gemäß § 56 Abs. 1 S. 1 VwVfG, dass die Gegenleistung zu einem bestimmten Zweck im Vertrag vereinbart wird und der Behörde zur Erfüllung ihrer öffentlichen Aufgaben dient. Mit der Anschaffung eines neuen Feuerwehrautos war der Zweck der Zahlungsverpflichtung ausdrücklich und konkret festgelegt. Der von B zu zahlende Geldbetrag sollte im Rahmen des Brand13
Vgl. BVerwGE 23, 213 ff.; BVerwG, NJW 1980, 1294; OVG Münster, DVBl. 1977, 903.
E. Der öffentlich-rechtliche Vertrag
269
schutzes und damit zur Erfüllung einer der Stadt S obliegenden öffentlichen Aufgabe verwendet werden. 4.
§ 56 Abs. 1 S. 2 VwVfG
Die Gegenleistung muss gemäß § 56 Abs. 1 S. 2 VwVfG den gesamten Umstän- 877 den nach angemessen sein und in sachlichem Zusammenhang mit der vertraglichen Leistung der Behörde stehen (sogenanntes Koppelungsverbot). Vorliegend sollte eine kleine Lagerhalle errichtet werden, die den wirtschaftlichen Wert des Baugrundstückes nicht wesentlich hebt. Es ist daher nicht davon auszugehen, dass sich der Geldbetrag prozentual an dem mit der Lagerhalle zu erwirtschaftenden Gewinn orientiert. Darüber hinaus sollte ein Teilbetrag der Zahlungsverpflichtung des B für völlig nutzlose Veränderungen an dem Feuerwehrauto verwendet werden. Aufgrund dieser Sachlage ist jedenfalls die Höhe des zu zahlenden Betrages nicht angemessen. Weitergehend könnte die Gegenleistung als solche rechtswidrig sein, da das 878 Geld für das Feuerwehrwehrauto nicht in sachlichem Zusammenhang mit der behördlichen Gegenleistung, nämlich der Baugenehmigung, stehen könnte. Das Koppelungsverbot bezweckt, den Verkauf von Hoheitsrechten auszuschließen.14 Geldleistungen des Bürgers stehen nur dann in sachlichem Zusammenhang mit der vertraglichen Leistung der Behörde, wenn die Geldleistung eine Art Aufwendungsersatz für die Ausgaben darstellt, die dem Hoheitsträger durch die zu erbringenden Leistungen erwachsen. Die Anschaffung eines neuen Feuerwehrautos steht in keinem Zusammenhang mit der Erteilung der Baugenehmigung für eine Lagerhalle. Dies wäre allenfalls dann anzunehmen, wenn die zu errichtende Lagerhalle wegen Erhöhung der Brandgefahr die Anschaffung notwendig werden ließe, was aber vorliegend wohl kaum der Fall ist. Die Gegenleistung des B ist somit nicht rechtmäßig. Der Austauschvertrag ist daher aufgrund eines Verstoßes gegen das Koppelungsverbot aus § 56 Abs. 1 S. 2 VwVfG rechtswidrig. IX.
Rechtsfolgen der Rechtswidrigkeit
Fraglich ist, was dieser Verstoß bewirkt. Diese Frage stellt sich deshalb, weil nicht 879 jeder Verstoß einer vertraglichen Regelung gegen Rechtsvorschriften zwingend zur Unwirksamkeit führt. Die Nichtigkeit des Verwaltungsvertrages kann sich nur aus den besonderen Voraussetzungen des § 59 VwVfG ergeben. Vorliegend hat der Verstoß gegen § 56 Abs. 1 S. 2 VwVfG gemäß § 59 Abs. 2 Nr. 4 VwVfG zwingend die Nichtigkeit der vertraglichen Vereinbarung zur Folge. X.
Ergebnis
Mangels Wirksamkeit des Vertrages steht der Stadt S gegen B kein Anspruch auf 880 Zahlung zu.
14
BVerwG, DÖV 1979, 756 (757); BVerwGE 42, 331 (338 ff.).
Literaturverzeichnis
Altmeppen, Holger: Abschied vom „Durchgriff“ im Kapitalgesellschaftsrecht, NJW 2007, 2657 – Gesellschafterhaftung und „Konzernhaftung“ bei der GmbH, NJW 2002, 321 Armbrüster, Christian: Treuwidrigkeit der Berufung auf Formmängel, NJW 2007, 3317 ff. Armgardt, Matthias: Der Kondiktionsausschluss des § 817 S. 2 BGB im Licht der neuesten Rechtsprechung des BGH, NJW 2006, 2070 ff. Arndt, Hans-Wolfgang: Europarecht, 8. Aufl., Heidelberg u.a. 2006 Baumbach, Adolf/Hopt, Klaus J./Merkt, Hanno: Handelsgesetzbuch, 32. Aufl., München 2006 Baur, Fritz u. Jürgen F./Stürner, Rolf: Sachenrecht, 18. Aufl., München 2007 Binder, Jens-Hinrich: Die Inzahlungnahme gebrauchter Sachen vor und nach der Schuldrechtsreform am Beispiel des Autokaufs „Alt gegen Neu“, NJW 2003, 393 ff. Böhm, Monika/Gaitanides, Charlotte: Fälle zum Allgemeinen Verwaltungsrecht, 4. Aufl., München 2007 Bonke, Jörg/Gellmann, Nico: Die Widerrufsfrist bei eBay-Auktionen, NJW 2006, 3169 ff. Brandt, Ulrich: Ein Überblick über die Europäische Aktiengesellschaft (SE) in Deutschland, BB Beilage 2005, Nr. 13, S. 1 ff. Braun, Johann: Der Zivilrechtsfall. Klausurenlehre für Anfänger und Fortgeschrittene, 4. Aufl., München 2007 Brehm, Wolfgang/Berger, Christian: Sachenrecht, 2. Aufl., Tübingen 2006 Brox, Hans: Allgemeiner Teil des BGB, 31. Aufl., Köln u.a. 2007 – Die Anfechtung bei der Stellvertretung, JA 1980, 449 ff. Brox, Hans/Henssler, Martin: Handelsrecht mit den Grundzügen des Wertpapierrechts, 19. Aufl., München 2007 Brox, Hans/Walker, Wolf-Dietrich: Allgemeines Schuldrecht, 32. Aufl., München 2007 – Besonderes Schuldrecht, 32. Aufl., München 2007 Bülow, Peter: Handelsrecht, 5. Aufl., Heidelberg 2005 Bünstorf, Sarah: Einführung in das Sachenrecht, 2. Aufl., Altenberge 2007 Canaris, Claus-Wilhelm: Handelsrecht, 24. Aufl., München 2006 Derleder, Peter: Der Kauf aus privater Hand nach neuem Schuldrecht, NJW 2005, 2481 ff. Derleder, Peter/Hoolmans, Fabian: Vom Schuldnerverzug zum Gläubigerverzug und zurück, NJW 2004, 2787 ff. Derleder, Peter/Thielbar, Carsten: Handys, Klingeltöne und Minderjährigenschutz, NJW 2006, 3233 ff. Detterbeck, Steffen: Allgemeines Verwaltungsrecht, mit Verwaltungsprozessrecht, 4. Aufl., München 2006 Diederichsen, Uwe/Wagner, Gerhard: Die BGB-Klausur, 10. Aufl., München 2007 Dietlein, Johannes/Dünchheim, Thomas: Examinatorium Allgemeines Verwaltungsrecht, 3. Aufl., Köln u.a. 2007
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Sachregister
Abwehranspruch 826 Abwehrrecht 806 Administrativenteignung 780 Aliud s. Kaufvertrag, Falschlieferung Allgemeine Leistungsklage 857 Anfechtung – einer Willenserklärung 83 ff. s. auch Inhaltsirrtum, Erklärungsirrtum, Eigenschaftsirrtum, arglistige Täuschung, widerrechtliche Drohung, Irrtum – des Bestätigungsschreibens 469, 488 – Rechtsfolgen der Irrtumsanfechtung 109 f. – und Rechtsschein 95, 469, 488 – Voraussetzungen der Irrtumsanfechtung 105 ff., 115 Anfechtungsklage 857 Angemessenheit 776 Anspruch auf Schmerzensgeld 377 ff., 611 ff. Ansprüche, nichtvertragliche 353 Anspruchsgrundlage 14 ff. Arbeitnehmerfreizügigkeit 678 ff. Auflage 837, 844 Auflagenvorbehalt 837 Aufrechnung 186 ff. Ausschüsse der EU 650 Bedingung 837 Befristung 837 Befugnisnorm 830 f. Beihilfenverbot 721 f. Bereicherungsrecht s. ungerechtfertigte Bereicherung Berufsausübung 764 – Prüfungsschema 756 Berufsfreiheit 756 Bestätigungsschreiben, kaufmännisches s. Schweigen auf kaufmännisches Bestätigungsschreiben
BGB 11 – Allgemeiner Teil 45 ff. – Schuldrecht 176 ff. – Schuldrecht, Allgemeiner Teil 178 ff. – Struktur 50 Bote, unrichtige Übermittlung 91 Bundesverfassungsgericht 638 C. i. c. s. Verschulden bei Vertragsverhandlungen Deliktsrecht s. unerlaubte Handlungen Demokratieprinzip 816 Diskriminierungsverbot 673, 728 Dissens (bei Willenseinigung) 74 ff. Drittwirkung – der Grundrechte 734 – unmittelbare 742 f. Drohung, widerrechtliche 112 ff., 116, 240 Durchsetzbarkeit des Anspruchs 245, 456 Eigenschaften – beim Unternehmensverkauf 100, 281 – verkehrswesentliche gem. § 119 Abs. 2 101 – vertragliche 99 Eigenschaftsirrtum 98 ff. – Doppelirrtum 104 – und Gewährleistungsrecht 103 Eigentumsrecht 638, 778 ff. – Inhalts- und Schrankenbestimmung 779 – Institutsgarantie 783 – Prüfungsschema 784 Eingriff 738, 756, 827 Eingriffskondiktionen 365 Eingriffsstufe s. Stufenlehre
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Sachregister
Einrede (des nichterfüllten Vertrages) 193 s. auch unter Zurückbehaltungsrecht Einschätzungsspielraum 772 Einsweiliger Rechtsschutz 858 Empfangsvertreter 61 Empfehlungen 653, 828 Enteignung 780 ff. Entschädigung 782 Entscheidungen des EuGH 653 Erbrecht 778 Erfüllung (des Schuldverhältnisses) 179 ff., 194 Erfüllungsschaden 109 Erklärungsbewusstsein, fehlendes 90 Erklärungsirrtum 89 Ermächtigungsgrundlage 832 Ermessen 848, 854 Ermessensentscheidung 801 Europäische Gemeinschaften 630, 632 Europäische Investitionsbank 650 Europäische Kommission zum Schutz der Menschenrechte (EMRK) 630, 730 Europäische Kommission 649 Europäische Union 632 Europäischer Gerichtshof 645, 650 Europäisches Parlament 650 Europarecht 630 Falllösung – Übersicht 17 – Zivilrechtliche 13 falsa demonstratio 77 Fehler s. unter Kaufvertrag Fehlerbegriff, erweiterter s. unter Rügeobliegenheit Feststellungsklage 857 Firma s. Firmenbegriff Firmenbegriff 415 ff., 419 Formkaufmann 400 – und GmbH 530 Formvorschriften 117, 120, 238 – Ausnahme für Kaufleute 408 Fortsetzungsfeststellungsklage 857 Freier Dienstleistungsverkehr 697 f. Freiheitsrechte 635, 735 Freistellungsfähigkeit 712 Gattungskauf 262, 348, 471 Gattungsschuld 181 GbR
– – –
Geschäftsführung 549, 557 Haftung der Gesellschaft 585 f. Haftung der Gesellschafter 543, 587 ff. – Haftung für gesetzliche Schulden 595 f. – Haftung, Umfang der 593 f. – Haftungsstruktur 585 ff. – Organisation 549 – Rechtsfähigkeit 509, 542 – Vertretung 550, 557 Gefährdungshaftung 380 ff. s. auch Produkthaftungsgesetz, Umwelthaftungsgesetz Geldschuld 182 Gemeinschaftsorgane 648 f. Gemeinschaftsrecht 631, 634 f. – primäres 631 – sekundäres 631 Geschäftsfähigkeit 80 ff. Geschäftsführung – ohne Auftrag 354 ff., 357 s. auch GoA – von Gesellschaften 545, 557 s. auch unter den einzelnen Gesellschaftsformen Gesellschaft bürgerlichen Rechts (GbR) 507, 511 s. weiter unter GbR Gesellschaft mit beschränkter Haftung (GmbH) 525 ff., 530 s. weiter unter GmbH Gesellschaft, Organisation 545, 557 Gesellschafters, Ausscheiden des 564 Gesellschaftsformen im Überblick 504 ff. Gesellschaftsrecht 503 ff. Gesellschaftsvertrag 547 – Auslegung des 570 Gesetzesvorbehalt 764 Gesetzgebung des Bundes 818 Gewährleistungsrecht 254 (Einzelheiten s. Kaufvertrag, Werkvertrag) – und Rügeobliegenheit 472 Gewerbebetrieb, eingerichteter und ausgeübter 827 Gewinnbeteiligung der Verbraucher 715 f. Gläubiger 184 Gläubigerverzug s. Verzug des Gläubigers GmbH – bei freien Berufen 529
Sachregister
– Geschäftsführung 555 – Haftung der Gesellschafter 606 – Haftung des Geschäftsführers 604 f. – Haftungsstruktur 604 f. – Organisation 554 – und Co. KG 519 – Vertretung 556 GoA – echte 355 – Eigengeschäftsführung 356 Grundfreiheiten 662 Grundrechte 639 f. Grundrechte, Drittwirkung s. dort Grundrechtseingriff s. Eingriff Haftung – aus Gefährdung s. Gefährdungshaftung – der Gesellschafter im Außenverhältnis 581 ff., 607 s. auch unter den verschiedenen Gesellschaftsformen – des Geschäftsherrn 376 – des Produzenten s. Produzentenhaftung – nach dem Produkthaftungsgesetz s. Produkthaftungsgesetz – persönliche des Gesellschafters 582 ff., 617 ff. – unbeschränkte des Gesellschafters 582, 626 ff. Handelskauf 460 ff. Handelsname (des Kaufmanns) 415 ff. Handelsrecht 391 f. Handelsregister 425 ff. – Rechtschein 425 f., 432, 446 f. Handelsunternehmen – Führung 414 – Schuldenhaftung 433 Handlungsbevollmächtigter s. Hilfspersonen des Kaufmanns Handlungsstörer 798 Harmonisierungsrichtlinie 694 Hilfspersonen des Kaufmanns – Handlungsvollmacht 434 – Ladenangestellte 435 – Prokura 420 ff., 444 f. – Übersicht 420 ff., 424 Immobiliarsachenrecht 387 Inhaltsbestimmung 843 Inhaltsirrtum 89 Inländergleichbehandlung 686
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Institutsgarantie 783 invitatio ad offerendum 67 Irrtum – Kalkulationsirrtum 96 – Rechtsfolgenirrtum 93 Kapitalfreiheit 699 Kapitalgesellschaften 504, 506 s. Körperschaften Kaufmannsbegriff 392, 400 s. auch Kaufmannseigenschaft Kaufmannseigenschaft 394 ff., 398 – Ist-Kaufmann 394 – Kann-Kaufmann 397 Kaufvertrag 256 ff. – Falschlieferung 262 – Fehlerbegriff 259 – Minderung 322 – Rechtsmangel 264 – Sachmängelhaftung 258, 302 – Schadenersatz 317, 324, 341 ff. – Verjährung 270, 276 – Wandlung 103 KG – Haftung des Kommanditisten 602 – Haftung des Komplementärs 601 – Haftungsstruktur 601 ff. – Organisation 553 – Voraussetzungen 615 Klagearten 857 Kleingewerbetreibende 399 Koalitionsfreiheit 743, 745 ff. Kollidierendes Verfassungsrecht 753 Kommanditgesellschaft (KG) 518, 520 s. weiter unter KG Kommission der EU 649 Koppelungsverbot 877 Ladenangestellter s. Hilfspersonen des Kaufmanns Legalenteignung 780 Leistung des Schuldners 185 Leistungskondiktionen 359 ff. Leistungsort 189 Leistungszeit 192 Mangelfolgeschaden – beim Kaufvertrag 254 – naher 343 Marktbeherrschende Stellung 705 f. Minderung s. Kaufvertrag, Werkvertrag Mobiliarsachenrecht 387
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Sachregister
Nebenbestimmung 835 ff. – Anfechtbarkeit 839 – Rechtmäßigkeit 838 Nichtigkeitsgründe (bei der Willenserklärung) 79 ff. Nichtleistungskondiktionen 363 ff. Niederlassungsfreiheit 694 ff. Normenkontrollklage 857 Offene Handelsgesellschaft (OHG) 512 ff., 517 s. weiter unter OHG Öffentliche Sicherheit und Ordnung 690 f. Öffentliches Recht, subjektives 856 Öffentlich-rechtlicher Austauschvertrag 860 Öffentlich-rechtlicher Verfügungsvertrag 860 Öffentlich-rechtlicher Vergleichsvertrag 860 Öffentlich-rechtlicher Vertrag 859 ff. – Form 861 – koordinationsrechtlicher 860 – Rechtswidrigkeit 862 – Subordinationsrechtlicher 860, 874 OHG – Geschäftsführung 551 – Haftung der Gesellschafter 514, 599 – Haftung für gesetzliche Schulden 600 – Haftungsstruktur 597 – Organisation 551 ff. – Rechtsfähigkeit 517 – Vertretung 552 – Voraussetzungen 536 f. Parteifähigkeit – im Zivilverfahren 534 f. – von Gesellschaften 535 Partnerschaftsgesellschaft 523, 539 f. Personengesellschaften 504 f. Plan 822 Positive Forderungsverletzung 297 Privatrechtliches Handeln der Verwaltung 823 Produkthaftungsgesetz 383 f. Produzentenhaftung 372 Prokura, Prokurist s. Hilfspersonen des Kaufmanns pVV s. positive Forderungsverletzung
Rat der EU 648 Recht 6 ff. – objektives 6 – subjektives 6, 856 Rechtfertigungsgrund 738, 758 – nach Art. 36 EGV 670 ff. Rechtsgeschäft 51 ff. Rechtsmangel s. unter Kaufvertrag Rechtsstaat 816 Rechtsverordnung 822 Republik 816 Richtlinien – der EU 653 – unmittelbare Wirkung 656 ff. Rügeobliegenheit – des Kaufmanns 471, 474 – und Mengenabweichungen 473 Sachenrecht 387 ff. Sanierungsmaßnahmen 787 Satzung 822 Schadenersatz 109 s. auch Erfüllungsschaden Scheinerklärung 84 Schenkungsvertrag 229 ff. Scherzerklärung 84 Schranken 737 Schuldner 183 Schuldnerverzug s. Verzug des Schuldners Schutzbereich 735 Schutzpflichten 734, 806 ff. Schweigen auf kaufmännisches Bestätigungsschreiben 461 ff., 470, 478 Sittenwidrigkeit 122, 455 Sozialauswahl s. unter Kündigung Sozialbindung 781 Sozialrecht 8 Sozialstaatsprinzip 816 Staatsrecht 8, 732 ff. Stellungnahmen 653 Steuerrecht 8 Stille Gesellschaft 505, 521 ff. Strafrecht 8 Stückschuld 181 Stufenlehre 766 ff. Subsidiaritätsprinzip 652 Subsumtionstechnik 15 ff. Täuschung, arglistige 110 f., 116 Teilgenehmigung 843
Sachregister
Übereignung 388 ff. – beweglicher Sachen 389 – von Grundstücken 390 Umwelthaftungsgesetz 385 f. Umweltstaat 816 Unbestimmter Rechtsbegriff 855 Unerlaubte Handlungen – gem. §§ 823 ff. 370 ff., 379 ungerechtfertigte Bereicherung 358 ff., 369 Unmöglichkeit – bei einseitigen Verträgen 196 ff. – beim gegenseitigen Vertrag 210 ff. – der Leistung 205 – vom Schuldner zu vertreten 205 Untermaßverbot 812 Verbotsgesetz 122 Verfahrensgrundrechte 734 Verfassungsbeschwerde 806 Verfassungsmäßigkeit – formell 765 – materiell 766 Verfassungsorgane 817 Verfassungsprinzipien 733 Verhältnismäßigkeit 674, 792 ff. Verletzung 738 Vermögen 778 Verordnungen der EU 653 Verpflichtungsklage 857 Verschulden bei Vertragsverhandlungen – c. i. c. 174, 226 ff., 246, 252 – s. Haftung des Geschäftsführers der GmbH Vertrag – über die Europäische Union 631 – Verfügungsgeschäft 53, 388 – Verpflichtungsgeschäft 53 Vertragsangebot 66 f., 24 Vertragsannahme 29, 33, 71 ff. Vertragsauslegung 41 Vertragsentstehung 78 Vertragsrecht 253 ff. Vertrauensschaden 109 Vertreter ohne Vertretungsmacht 142 Vertretung – Abgrenzung zur Botenschaft 126 – eigene Willenserklärung 124 f. – Geschäfte des täglichen Lebens 129 – Grenzen der Vertretungsmacht 146 f. – im Handelsrecht 440
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Offenkundigkeitsprinzip 128 ff. Übersicht 151 und Anfechtung 127, 141 unternehmensbezogenes Rechtsgeschäft 129 – Vertretungsmacht 131 s. auch Vollmacht – von Gesellschaften 576 – von Gesellschaftern, Gesamtvertretung 556 f., 563 Verwaltungsakt 822, 833 ff. – Aufhebung 853 – formelle Rechtmäßigkeit 852 – materielle Rechtmäßigkeit 853 – Rücknahmen 853 – Teilbarkeit 839 f. – Widerruf 853 Verwaltungsaufbau 819 Verwaltungshandeln, schlichtes 822 Verwaltungsrecht 820 ff. Verwaltungsvertrag 822, 860 f., 866 Verzug – beim gegenseitigen Vertrag 219 – des Gläubigers 220 – des Schuldners 215 ff. – Übersicht 224 Vollmacht – Anscheinsvollmacht 140, 165 (Vollmacht) – Duldungsvollmacht 139, 164 – Rechtsgeschäftliche 134 – Untervollmacht 160 ff. Vollmachtsurkunde 137 Vorbehalt, geheimer 84 Wandlung s. Kaufvertrag Warenverkehrsfreiheit 664 ff. Wegfall der Geschäftsgrundlage 97, 104 Werklieferungsvertrag 325, 334 Werkvertrag – Besteller 304 – Falllösung 22, 333 – Mängelhaftung 311 f., 324 – Minderung 322 – Schadenersatz 324, 341 ff. – Unternehmer 310 – Verjährung 323 – verspätete Herstellung des Werkes 317 Wesensgehalt 730 Wettbewerbsbeschränkung 710 Wettbewerbsfreiheit 700 ff.
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Sachregister
Wettbewerbsverfälschung 723 Widerruf 853 Willenseinigung 23, 65 ff. Willenserklärung – Abgabe 56 ff. – Auslegung 76 – Widerruf 64 – Wirksamwerden 58 ff. – Zugang 60 ff. Wucher 122 Zurückbehaltungsrecht – gem. § 320 489 – gem. §273 193 Zustandshaftung 797 Zustandsverantwortlichkeit 793