Dieter Dinkler Grundlagen der Baustatik
Dieter Dinkler
Grundlagen der Baustatik Modelle und Berechnungsmethoden für ebene Stabtragwerke Mit 63 Abbildungen und 13 Tabellen STUDIUM
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Prof. Dr.-Ing. Dieter Dinkler leitet das Institut für Statik an der Universität Braunschweig. Email:
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1. Auflage 2011 Alle Rechte vorbehalten © Vieweg +Teubner Verlag | Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH 2011 Lektorat: Dipl.-Ing. Ralf Harms | Sabine Koch Vieweg+Teubner Verlag ist eine Marke von Springer Fachmedien. Springer Fachmedien ist Teil der Fachverlagsgruppe Springer Science+Business Media. www.viewegteubner.de Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlags unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Die Wiedergabe von Gebrauchsnamen, Handelsnamen, Warenbezeichnungen usw. in diesem Werk berechtigt auch ohne besondere Kennzeichnung nicht zu der Annahme, dass solche Namen im Sinne der Warenzeichen- und Markenschutz-Gesetzgebung als frei zu betrachten wären und daher von jedermann benutzt werden dürften. Umschlaggestaltung: KünkelLopka Medienentwicklung, Heidelberg Satz/Layout: Annette Prenzer Druck und buchbinderische Verarbeitung: STRAUSS GMBH, Mörlenbach Gedruckt auf säurefreiem und chlorfrei gebleichtem Papier. Printed in Germany ISBN 978-3-8348-1017-5
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Vorwort Das vorliegende Lehrbuch ist aus den Lehrveranstaltungen f¨ ur das Fachgebiet Baustatik im Bachelorstudiengang Bauingenieurwesen an der Technischen Universit¨ at Braunschweig entstanden. Es zielt auf die Darstellung und Vermittlung der Grundlagen der Baustatik f¨ ur Studierende des Bauingenieurwesens und nahestehender Studieng¨ ange. Vorausgesetzt werden die Grundlagen der Technischen Mechanik f¨ ur Ingenieurstudieng¨ ange, sodass Spannungen, Kr¨afte und Momente bekannt sind und erste Erfahrungen in der Berechnung von Schnittgr¨oßen f¨ ur Balken und Fachwerke vorliegen. Das Lehrbuch ist in drei gr¨oßere Abschnitte unterteilt, in denen die baustatischen Methoden anschaulich und grundlegend dargestellt sind. Der erste Teil behandelt die Modellierung statischer Systeme und bietet eine Einf¨ uhrung in die Berechnung der Zustandslinien von Tragwerken. Im zweiten und dritten Teil stehen statisch bestimmte und unbestimmte Systeme mit der Ermittlung von Zustandslinien und Einflusslinien im Vordergrund. Die Spannungstheorie II. Ordnung und eine Einf¨ uhrung in die Fachwerkmodelle erg¨ anzen die vorangehenden Abschnitte und bereiten die Studierenden auf die anderen Fachgebiete des Konstruktiven Ingenieurbaus vor. Das Lehrbuch w¨ are in dieser Form ohne die Unterst¨ utzung meiner Mitarbeiter nicht m¨ oglich gewesen. Besonders bedanken m¨ochte ich mich bei Frau cand. BSc. Corinna Mai, die die vielen Bilder mit großer Sorgfalt gezeichnet hat, und bei Herrn cand. BSc. Andreas Jansen, der die vielen Skizzen zur Modellbildung mit großer Anschauung von Hand angefertigt hat. Ganz herzlichen Dank an Herrn Prof. Dr.-Ing. Hermann Ahrens und Frau Dr.Ing. Ursula Kowalsky, die in vielen fachlichen Diskussionen wesentliche Impulse f¨ ur die Auswahl der Inhalte und die Art der Darstellung gegeben haben.
Braunschweig, 1. September 2010
Dieter Dinkler
Inhaltsverzeichnis
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Inhaltsverzeichnis
GRUNDLAGEN
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Einf¨ uhrung 3 1.1 Historische Entwicklung der Baustatik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4 1.2 Aufgaben der Baustatik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6 1.3 Der Tragwerksentwurf . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 8 1.4 Die Tragwerksmodellierung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 11 1.5 Die Tragwerksberechnung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 13
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Tragwerksmodelle der Stabstatik 2.1 Einordnung der Tragwerke . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.2 Idealisierung der Tragwerke . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.3 Idealisierung der Einwirkungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.4 Beispiele f¨ ur Tragwerksmodellierungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.5 Modellierungsfehler . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
14 14 17 21 26 30
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Grundlagen der Berechnungsverfahren 3.1 Das Schnittprinzip . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.2 Vorzeichendefinitionen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.3 Statische Bestimmtheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.4 Grundgleichungen f¨ ur Stabtragwerke . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.5 Analytische L¨osung der Grundgleichungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.6 Vorgehensweise der Baustatik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
31 33 34 36 47 56 58
STATISCH BESTIMMTE SYSTEME
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Zustandslinien statisch bestimmter Systeme 4.1 Fachwerke . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.2 Rahmentragwerke . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.3 Bogentragwerke . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.4 Seiltragwerke . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
67 67 73 86 92
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Kinematik von ebenen Stabtragwerken 94 5.1 Begriffsbildung f¨ ur Polpl¨ane . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 95 5.2 Vorgehen beim Aufstellen von Polpl¨anen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 97 5.3 Anwendungsgebiete von Polpl¨anen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 102 5.4 Untersuchung der Gleichgewichtsbedingungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 105
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Inhaltsverzeichnis
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Arbeitss¨atze 107 6.1 Begriffe zur Formulierung der Arbeiten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 107 6.2 Der Arbeitssatz f¨ ur elastische Stabtragwerke . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 110 6.3 Verschiedene Formulierungen des Arbeitssatzes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 112
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Virtuelle Arbeiten 114 7.1 Das Prinzip der virtuellen Verschiebungen (PvV) . . . . . . . . . . . . . . . . . . 114 7.2 Das Prinzip der virtuellen Kr¨afte (PvK) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 117
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Berechnung von Schnittgr¨oßen mit dem PvV
9
Einflusslinien f¨ ur Kraftgr¨oßen 127 9.1 Statische Methode . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 128 9.2 Kinematische Methode . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 130 9.3 Beispiele zur kinematischen Methode . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 132 9.4 Auswertung von Einflusslinien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 144
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10 Berechnung von Weggr¨oßen mit dem PvK 147 10.1 Die Grundf¨alle . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 147 10.2 Umformung der Arbeitsgleichung des PvK . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 153 10.3 Auswertung der Integrale der Inneren Arbeiten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 154 11 Berechnung von Biegelinien 156 11.1 Baustatische Methode mit ω-Zahlen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 157 11.2 Rechnerorientiertes Vorgehen mit Teilbiegelinien . . . . . . . . . . . . . . . . . . 161 12 Einflusslinien f¨ ur Weggr¨oßen 163 12.1 S¨atze von Betti und Maxwell . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 163 12.2 Berechnung von Einflusslinien f¨ ur Weggr¨oßen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 167 12.3 Dualit¨at der Einflusslinien f¨ ur Weg- und Kraftgr¨ oßen . . . . . . . . . . . . . . 169 STATISCH UNBESTIMMTE SYSTEME 171 13 Eigenschaften statisch unbestimmter Systeme 173 13.1 Tragverhalten statischer Systeme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 174 13.2 Berechnungsans¨atze f¨ ur statisch unbestimmte Systeme . . . . . . . . . . . . 177 14 Das Kraftgr¨oßenverfahren 183 14.1 R¨ uckf¨ uhrung auf statisch bestimmte Hauptsysteme . . . . . . . . . . . . . . . 184 14.2 Die Gleichgewichtsbedingungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 185 14.3 Die Verformungsbedingungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 187 14.4 Die Berechnung der Weggr¨oßen am Hauptsystem . . . . . . . . . . . . . . . . . 187 14.5 Zustandslinien des statisch unbestimmten Systems . . . . . . . . . . . . . . . . 189 14.6 Anwendungsbeispiele f¨ ur das Kraftgr¨oßenverfahren . . . . . . . . . . . . . . . . 190 14.7 Fehlerquellen und Rechenkontrollen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 204
Inhaltsverzeichnis
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15 Verallgemeinerung des Kraftgr¨oßenverfahrens 209 15.1 Folgerungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 211 15.2 Beispiel f¨ ur die Wahl unterschiedlicher Hauptsysteme . . . . . . . . . . . . . 213 15.3 Grenzen des Kraftgr¨oßenverfahrens . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 215 16 Berechnung von Weggr¨oßen 216 16.1 Herleitung des Reduktionssatzes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 216 16.2 Anwendungsbeispiel f¨ ur den Reduktionssatz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 218 17 Das Drehwinkelverfahren (DV) 219 17.1 Kinematisch unbestimmte Tragwerke . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 219 17.2 Kinematisch bestimmte Hauptsysteme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 221 17.3 Grundlagen des Drehwinkelverfahrens . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 224 17.4 L¨osungsweg des Drehwinkelverfahrens . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 229 17.5 Anwendungsbeispiele . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 232 17.6 Aufstellen der Gleichgewichtsbedingungen mit dem PvV . . . . . . . . . . . 240 17.7 Eingepr¨agte Weggr¨oßen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 247 17.8 Berechnung von Biegelinien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 253 18 Analogie zwischen Kraftgr¨oßen- und Drehwinkelverfahren
254
19 Einflusslinien statisch unbestimmter Systeme 256 19.1 Einflusslinien f¨ ur Weggr¨oßen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 256 19.2 Einflusslinien f¨ ur Kraftgr¨oßen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 259 19.3 Analogie der Einflusslinien f¨ ur Weg- und Kraftgr¨ oßen . . . . . . . . . . . . . 262 19.4 Einflusslinien bei Durchlauftr¨agern und deren Auswertung . . . . . . . . . 263 SPANNUNGSTHEORIE II. ORDNUNG 267 20 Stabtragwerke nach Theorie II. Ordnung 269 20.1 Einf¨ uhrung in die Theorie II. Ordnung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 271 20.2 Stabendmomente nach Theorie II. Ordnung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 274 20.3 Einfluss der Knotenverschiebungen auf das Gleichgewicht . . . . . . . . . 283 FACHWERKMODELLE 295 21 Fachwerkmodelle 297 21.1 Fachwerkmodelle f¨ ur Stabtragwerke . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 298 21.2 Fachwerkmodelle f¨ ur gedrungene Tragwerke . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 302 21.3 Lastabtrag u utzlinien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 304 ¨ber St¨ LITERATUR
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STICHWORTVERZEICHNIS
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GRUNDLAGEN
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1 Einf¨ uhrung
Die Statik ist urspr¨ unglich ein Teilgebiet der Mechanik. Mit dem Entwurf von immer komplexeren Tragsystemen hat sie sich jedoch unabh¨ angig von der Mechanik weiterentwickelt. Heute ist die Baustatik als Folge der auch in Grenzbereichen der Tragf¨ahigkeit geplanten modernen Konstruktionsweisen und mit den hierf¨ ur notwendigen weitentwickelten Berechnungsverfahren als eigenst¨ andiges Fachgebiet f¨ ur das Bauwesen unentbehrlich. Die Statik ist die Lehre von den Kr¨aften, die ohne Bewegung vorhanden sind. Kraft- und Verformungszust¨ande sind zeitlich konstant, sodass alle bewegungsabh¨ angigen Kr¨ afte und Massentr¨agheiten verschwinden. Zeitkonstante Lasten und daraus folgende Kr¨afte im Bauwerk sind praktisch bei allen Tragwerken des Bauingenieurwesens vorhanden, sei es als Eigengewicht, Erd- oder Wasserdruck. Setzungen, Verkehrslasten, Wind oder vergleichbare Einwirkungen k¨ onnen in der Regel ebenfalls als zeitkonstant aufgefaßt werden, wenn die Beschleunigungen klein sind. Sogar wenn die Zeitver¨anderlichkeit von Einwirkungen auf Tragwerke beachtet werden muss, reicht es oft aus, mit Hilfe von Schwingbeiwerten oder Lastvergr¨oßerungsfaktoren eine Tragwerksanalyse unter zeitkonstanten Einwirkungen durchzuf¨ uhren. Weil der Schwerpunkt der Baustatik in der Tragwerksanalyse und nicht in der Anwendung und Entwicklung von werkstoffabh¨angigen Konstruktionsweisen und Bemessungsregeln liegt, hat die Baustatik die Aufgabe, Tragwerke werkstoff¨ ubergreifend zu untersuchen und auf den Tragwerksentwurf und die Bauausf¨ uhrung einzuwirken. Wie im folgenden Bild dargestellt, nimmt die Baustatik zwischen vielen anderen Disziplinen eine integrierende Schl¨ usselposition ein und ist Grundlage f¨ ur alle Fachgebiete des Konstruktiven Ingenieurbaus. Baustatik ) Holzbau
Stahlbau
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Massivbau
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Grundbau
Balken, St¨ utzen, B¨ogen, Seile, Anker, Pf¨ahle, Spundw¨ande ...
D. Dinkler, Grundlagen der Baustatik, DOI 10.1007/978-3-8348-9862-3_1, © Vieweg+Teubner Verlag | Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH 2011
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1 Einf¨ uhrung
1.1 Historische Entwicklung der Baustatik ¨ Einen einf¨ uhrenden Uberblick der Entwicklung der mechanischen Prinzipi” en“ gibt Istvan Szabo in seinem 1987 erschienenen Werk [20]. Weiterf¨ uhrend und umfassender ist die historische Entwicklung der Baustatik von Karl-Eugen Kurrer [12] in seinem Buch Geschichte der Baustatik“ dargestellt. Mit viel ” ¨ Ubersicht und Detailwissen wird der Leser in die Entwicklung der Modelle, Prinzipien und L¨ osungsverfahren der Baustatik eingef¨ uhrt und mit vielen Hintergrundinformationen versorgt, die nachfolgend zusammengefasst sind. Bereits in der Antike entwickeln sich bei der Errichtung großartiger Bauwerke ein großer Erfahrungsschatz und erste Erkenntnisse u ¨ ber Tragwirkungen in ¨ Bauwerken. Asthetik in der Form, Zweck und Tragwirkung bilden eine Einheit, wenn die Gew¨ olbewirkung beim Bau von Br¨ ucken oder Kuppeln ausgenutzt wird, oder wenn schlanke S¨aulen die D¨acher von Tempelanlagen tragen. Metallische Verbindungsmittel werden zur Lagesicherung von Bauteilen verwendet, auch um einen Widerstand gegen Erdbebeneinwirkungen zu entwickeln. Trotz der vielen praktischen Erfahrungen sind jedoch nur wenige Kenntnisse u ¨ ber die Gesetzm¨ aßigkeiten des Bauens bekannt. So sind zwar mit den Arbeiten von Archimedes (287–212 v. Chr.) Schwerpunkts¨atze, Hebelgesetze und Betrachtungen zum Gleichgewicht u ¨ berliefert, die aber in den folgenden Jahrhunderten zum Teil wieder verloren gehen. Erst in der Renaissance erwacht das Interesse an den Zusammenh¨angen zwischen Bauwerk, Belastung und Verformung von neuem. Leonardo da Vinci (1452–1519) untersucht u. a. die Gew¨ olbetragwirkung, statische Momente und die Balkenbiegung. Newton ver¨offentlicht seine Axiome u ¨ber die Mechanik des Punktes 1687 und legt die Grundlagen u ¨ber die Wirkung von Kr¨ aften und die Bewegung von Massen. Weiterf¨ uhrende Arbeiten sind von Hooke (1635–1703) u ¨ber die Proportionalit¨at von Biegung um die Kante B gibt: Kraft und Verschiebung und von Bernoulli σ = 0,5 Eb h2 (1654–1705) u ummung und die ¨ber die Verkr¨ Hypothese vom Ebenbleiben der Querschnitte Bild 1-1 Galileis Ansatz f¨ ur die bei der Balkenbiegung bekannt. Euler (1707– Balkenbiegung, Szabo [20] 1783) entwickelt das Schnittprinzip und den Momentensatz und untersucht die Biegelinie sowie die Stabilit¨ at von St¨ aben. Coulomb (1736–1806) arbeitet u. a. an der Erddrucktheorie.
1.2 Historische Entwicklung der Baustatik
5
Trotz des nun stark erweiterten Wissens erfolgte das Bauen jedoch bis zum Beginn des 19. Jahrhunderts im Wesentlichen empirisch mit Hilfe von Erfahrungswerten. Die Grundlagen der Baustatik der Stabtragwerke werden erst relativ sp¨ at zun¨ achst von Navier (1785–1836) gelegt. Sp¨ ater entwickelt Culmann (1821–1881) die Fachwerktheorie und zeichnerische L¨ osungsverfahren. Mohr (1835–1918) arbeitet auf dem Gebiet der Festigkeitslehre, Ritter (1847–1906) vervollst¨ andigt die graphischen Verfahren, und M¨ uller-Breslau (1851–1925) systematisiert und verfeinert die Berechnungsmethoden f¨ ur Stabtragwerke. Fl¨ achentragwerke sind besonders kosteng¨ unstige Bauteile, wenn sie raumabschließend wirken und gleichzeitig Tragfunktionen u ¨bernehmen. Deckenplatten und Wandscheiben sind heute so selbstverst¨andlich, dass sie kaum noch als besonderes Tragwerk wahrgenommen werden. Die sytematische Untersuchung von Fl¨ achentragwerken beginnt mit der Darstellung von Klangfiguren mit Hilfe der Eigenschwingungsformen von Platten durch Chladni (1756–1827). Laplace (1749–1827) und Sophie Germain (1776–1831) entwickeln nach 1810 eine erste noch fehlerhafte Plattenbiegetheorie. Kirchhoff (1824–1887) korrigiert den Ansatz und stellt 1850 die heute g¨ ultige Biegetheorie d¨ unner Platten vor. Gekr¨ ummte Fl¨ achentragwerke werden als Schalen bezeichnet, wenn sie die Einwirkungen u onnen. Hierbei sind be¨berwiegend als Membrantragwerk tragen k¨ sonders schlanke und materialsparende Bauwerke m¨oglich, die im K¨ uhlturmbau und im Beh¨ alterbau sowie in der Luftfahrt- und Fahrzeugtechnik eingestzt werden. Eine erste Approximation der Schalenbiegetheorie wird von Love um 1888 ver¨ offentlicht. Erg¨ anzungen und L¨osungen, vor allem auch f¨ ur das nichtlineare Tragverhalten, werden erst mit dem Beginn des 20. Jahrhunderts erarbeitet. Ein Paradigmenwechsel der Baustatik erfolgt parallel zur Entwicklung moderner Rechenmaschinen. War urspr¨ unglich die Entwicklung von vereinfachenden Modellen und Berechnungsverfahren wichtig, die nur wenig Handarbeit erforderten, so ist die Modellbildung heute oft sehr komplex, da mit modernen Berechnungsprogrammen alles berechenbar ist, was dem Anwender wichtig erscheint. Gerade deshalb sind die Grundlagen so wichtig, da sie auf fehlerhafte Modellbildung hinweisen und die Ergebnisse zu interpretieren helfen. Grundlage moderner Programmsysteme ist heute die in allen Bereichen des Ingenieurwesens, der Technik und sogar der Biomechanik eingesetzte FiniteElement-Methode [3], [23]. Sie wird ab 1955 in der Statik und Strukturmechanik urspr¨ unglich zur Berechnung des Tragverhaltens von Fl¨ achentragwerken entwickelt und ist die am weitesten verbreitete Methode f¨ ur die Untersuchung physikalischer und technischer Ph¨anomene und Prozesse.
6
1 Einf¨ uhrung
1.2 Aufgaben der Baustatik Alle Bauwerke des Ingenieurwesens m¨ ussen die mit der speziellen Nutzung verbundenen Rahmenbedingungen erf¨ ullen. Dies sind u. a. die Raumanordnung und die Bauphysik. Dazu sind weitere Kriterien wesentlich, da sie die Qualit¨ at und Akzeptanz eines Bauwerks beeinflussen k¨onnen. Hierzu geh¨ oren ¨ • ideelle Werte: Asthetik, Harmonie, Innovation des Entwurfs mit neuen Bauweisen oder Materialien • Umweltvertr¨aglichkeit: Baustoffe, Emissionen, Landschaftsschutz, Recycling von Baustoffen, Entsorgung von Schadstoffen • Technik: Bauweisen- und Konstruktion, Lastabtrag im Tragwerk, Querschnitte, St¨ utzweiten und Werkstoffe • Sicherheit: Trag- und Gebrauchssicherheit, Betriebssicherheit, Zuverl¨ assigkeit, Lebensdauer • Wirtschaftlichkeit: direkte Baukosten, Bauwerkserhaltung und Sanierung, Lebensdauer, volkswirtschaftlicher Gewinn als Folge des Bauwerks. Alle im Einzelfall vorliegenden Rahmenbedingungen k¨ onnen in der Regel kaum gleichzeitig eingehalten werden, sodass man Vor- und Nachteile der jeweils m¨ oglichen Entwurfsvarianten gegeneinander abw¨agen muss. Optimale Entw¨ urfe ¨ kann man jedoch nicht ohne weiteres finden, wenn Kosten mit Asthetik oder Lebensdauer mit Landschaftsschutz verglichen werden m¨ ussen. Oft werden Kompromisse ausgearbeitet. Ganz entscheidend sind der technische Aspekt des Entwurfs sowie die Sicherheit. Hierbei sind zun¨achst geeignete Tragsysteme zu finden, die die vorliegenden Einwirkungen tragen k¨ onnen und damit auch die Bauteilabmessungen festlegen. Diese h¨angen auch vom Werkstoff, vom Bauablauf und anderen Randbedingungen ab. F¨ ur den jeweiligen Zweck eines Bauwerks gibt es in der Regel mehrere Entwurfsm¨ oglichkeiten, siehe Tabelle 1.1. Br¨ ucken k¨ onnen z. B. aus Holz, Stahl oder Stahlbeton gebaut und fallabh¨angig als Balken-, Fachwerk-, Bogen- oder H¨ angetragwerk entworfen werden. Baustoff, Konstruktion und Tragwerk sind dabei nicht beliebig kombinierbar, sondern m¨ ussen aufeinander abgestimmt sein, um ein ansprechendes Bauwerk errichten zu k¨ onnen. Schlanke H¨ angebr¨ ucken, deren Haupttragglieder auf Zug beansprucht sind, besitzen einen anderen Einsatzbereich und ein anderes Tragverhalten als gedrungene auf Biegung beanspruchte Balkenbr¨ ucken. Bogenbr¨ ucken sind auf Druck beansprucht und daher auch in ihrer Stabilit¨at gef¨ahrdet.
1.2 Aufgaben der Baustatik
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Tabelle 1.1 Bauwerk und Tragwerk Bauwerkszweck
Bauwerk
Tragwerk
Einwirkungen
Straßen¨ uberf¨ uhrung
Br¨ ucke
Balken (Biegung) H¨angebr¨ ucke (Zug) Bogenbr¨ ucke (Druck) Fachwerk
Eigengewicht Verkehr Wind W¨arme, ...
Wetterschutz
Trib¨ unendach
Biegest¨abe, Membran, Seile Fachwerkbinder
Schnee, ...
Wasserk¨ uhlung
K¨ uhlturm
Stahlbetonschale verkleidetes Fachwerk abgeh¨angtes Seilnetz
Wasserdampf, ...
Die Trib¨ unen¨ uberdachung eines Stadions kann z. B. als filigranes Zeltdach oder Seilnetzwerk an Pylonen aufgeh¨angt und am Boden verankert sein. Auch Balken oder Fachwerktr¨ ager, die auf St¨ utzen aufliegen oder r¨ uckw¨ artig an Pylonen abgespannt sind, sind als Tragwerk denkbar.
Bild 1-2 Dachkonstruktionen: Hannover – Messehalle, M¨ unchen – Olympiastadion Als Tragwerk sind die Teile des Bauwerks bezeichnet, die die Einwirkungen tragen und weiterleiten. Sie m¨ ussen so bemessen sein, dass das Bauwerk standsicher ist, und d¨ urfen sich nur so verformen, dass die Gebrauchsf¨ ahigkeit des Bauwerks nicht beeintr¨achtigt wird. Die wesentlichen Aufgaben der Baustatik sind daher die Untersuchung der Tragwirkungen und die Berechnung des
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1 Einf¨ uhrung
Tragverhaltens der Bauwerke. Sie umfassen im weiteren Sinn auch die Dimensionierung sowie die Standsicherheits- und Gebrauchstauglichkeitsnachweise. Teilaufgaben sind • der Tragwerksentwurf, • die Tragwerksmodellierung • und die Tragwerksberechnung mit Dimensionierung und Nachweisen. Wenn der erste Entwurf eines Tragwerkes nicht gleich zu einer ansprechenden L¨osung f¨ uhrt, sind die Teilaufgaben oft mehrmals zu bearbeiten. Hier ist eine enge Zusammenarbeit mit anderen Gebieten des Ingenieurbaus erforderlich, da erst so die Details u ¨ber Steifigkeiten, Einspanngrade, Lager- und Gelenkrealisierungen festgelegt werden k¨onnen.
1.3 Der Tragwerksentwurf Der Tragwerksentwurf ist ein sch¨opferischer Prozess, an dem alle am Projekt beteiligten Ingenieurdisziplinen gemeinsam arbeiten. Bei der Tragwerksoptimierung einer Br¨ ucke sind z. B. ganz erhebliche Kenntnisse auf den Gebieten des Stahlbaues, des Stahlbeton-, Spannbeton- und Massivbaues sowie des Grundbaues erforderlich, um die Machbarkeit des gew¨ ahlten Tragwerks beurteilen zu k¨ onnen und um Spannweiten, Bauh¨ohen oder Gr¨ undungen absch¨ atzen zu k¨ onnen. Die Statik stellt hierbei das Wissen u ¨ ber Tragsysteme (Stabtragwerke, Fl¨ achentragwerke) sowie u ¨ ber das Tragverhalten (z. B. Biege-, Torsions-, Druck- oder Zugtragwirkungen) zur Verf¨ ugung. Ziel des Tragwerksentwurfes ist es, bei Vorgabe der geometrischen Abmessungen, des Einsatzbereiches des Bauwerkes, der geplanten Lebensdauer und anderer Randbedingungen zu einer sicheren, wirtschaftlichen und ¨ asthetisch ansprechenden L¨ osung zu gelangen. Am Beispiel der Elbebr¨ ucke bei Pirna kann die Vielfalt m¨ oglicher Tragwerksentw¨ urfe f¨ ur Straßenbr¨ ucken verdeutlicht werden. Der obere Entwurf in Bild 1-3 sieht eine in sich verankerte Bogenbr¨ ucke vor. Die rechts und links vom jeweiligen Lager angeordneten Bogensegmente sind u ¨ber ein in die obenliegende Fahrbahn integriertes Zugband gehalten. Hiermit gelingt es, den Horizontalschub im Lager und damit eine aufw¨ andige Gr¨ undung zu vermeiden. Der mittlere Entwurf sieht einen auf einen Bogen aufgelagerten Durchlauftr¨ ager vor. Aufgrund des Horizontalschubes ist die Gr¨ undung sehr aufw¨ andig. Im unteren Entwurf ist eine Bogenbr¨ ucke mit abgeh¨ angter Fahrbahn gew¨ ahlt. Hier wird ein Teil des Horizontalschubes mit einem Zugband in
1.3 Der Tragwerksentwurf
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der Fahrbahn aufgenommen. Nachteilig ist die Bauh¨ohe, mit der die Br¨ ucke das Elbetal dominiert h¨atte. Die Entwurfsrandbedingungen f¨ uhrten hier zur Wahl der in sich verankerten Bogenbr¨ ucke.
Bild 1-3 Entw¨ urfe f¨ ur eine Br¨ ucke u ¨ber die Elbe bei Pirna [6], Einheiten in [m] Zum Tragwerksentwurf geh¨ort auch die Querschnittsgestaltung, da hier letztendlich der Nachweis der Schnittgr¨oßen erfolgt. In der Regel sind mehrere Entwurfvarianten m¨ oglich, die an die Anforderungen des Tragwerks angepasst werden m¨ ussen. Bild 1-3-rechts zeigt die in [6] untersuchten Querschnitte. Nach der Entscheidung u ultigen Entwurf sind der Bauablauf und ¨ber den endg¨ die unterschiedlichen Bauzust¨ande im Detail zu planen und zu untersuchen. Diese sind in der Regel genauso wichtig wie das fertige Bauwerk, da andere statische Systeme vorliegen k¨onnen, die teilweise mit Hilfsger¨ usten versehen sind und entsprechend bewertet werden m¨ ussen. Nicht ohne Grund ereignen sich die meisten Unf¨ alle in der Bauphase. F¨ ur die hier beschriebene Br¨ ucke sind die verschiedenen Bauphasen in Bild 1-4 gezeigt. Nach Bau der Fundamente und der Pfeiler werden Hilfsst¨ utzen errichtet, um die innenliegenden Bogenabschnitte w¨ahrend der Bauphase zu halten. Dies ist erforderlich, solange das obenliegende Zugband noch nicht wirksam
10
1 Einf¨ uhrung
ist. Die Bogenabschnitte werden zuerst zum Ufer hin eingebaut, siehe Bauphase zwei, und dann mit R¨ uckverankerung u ¨ ber die Elbe, Bauphasen drei, vier und f¨ unf. Im Bauzustand nach Bauphase f¨ unf werden die Zugb¨ ander u ¨ ber den Hauptpfeilern eingesetzt. Jetzt kann das Schlussst¨ uck eingeh¨ angt sowie die R¨ uckverankerungen und Hilfsst¨ utzen entfernt werden.
Bild 1-4 Bauablauf der Elbebr¨ ucke bei Pirna [6]
1.4 Die Tragwerksmodellierung
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1.4 Die Tragwerksmodellierung Die tats¨ achlich vorhandenen Verformungen und Spannungen k¨ onnen nur am wirklichen System (Dachbinder, St¨ utzen, Fahrbahnplatten) gemessen werden, wenn das Tragwerk ein einmalig hergestelltes Bauwerk ist. Die f¨ ur die Bemessung ben¨ otigten Spannungen und Verformungen k¨onnen aber vorweg mit Hilfe von experimentellen oder theoretischen Modellen ermittelt werden. Wirklichkeitsnahe Experimente sind in der Regel sehr aufw¨andig, sodass man schon fr¨ uh vereinfachende mathematische Modelle entwickelt hat, die nur die wesentlichen physikalischen Eigenschaften der Tragwerke erfassen. Hiermit sind mit geringem Aufwand rechnerisch Parameterstudien und Optimierungen durchf¨ uhrbar. Nach erfolgtem Tragwerksentwurf ist das Tragwerk mit einem Berechnungsmodell idealisiert zu beschreiben. Zun¨achst sind die wirklich vorhandenen Einwirkungen wie Eigengewicht, Verkehr, Wind, W¨arme und Baugrundverschiebungen in Gr¨ oße und Richtung festzulegen. Die Beschreibung des Tragverhaltens erfolgt der Geometrie entsprechend vereinfachend mit Stab- sowie Platten-, Scheiben- oder Schalenmodellen. Hierbei ist entscheidend, dass der gew¨ ahlte ¨ Tragwerkstyp die festgelegten Einwirkungen tragen kann. Auch f¨ ur die Ubergangsbereiche zwischen einzelnen Tragwerksteilen und f¨ ur die Lagerung oder Gr¨ undung des Bauwerks m¨ ussen fallabh¨angig vereinfachende Modelle wie z. B. gelenkige Lagerung, elastische oder starre Einspannung gew¨ ahlt werden. Die Berechnung des Spannungs- und Verformungszustandes des Tragwerks erfolgt mit Hilfe von Modellgleichungen, die das Tragverhalten analytisch beschreiben, siehe Bild 1-5. Hier kann man die Grundgleichungen, die Arbeitss¨ atze sowie weitere hier nicht angegebene Prinzipe unterscheiden. Die Grundgleichungen sind Differentialgleichungen oder algebraische Gleichungen, die am differentiellen Element entwickelt werden. Bei allen denkbaren Tragwerken der Statik und des Ingenieurwesens ganz allgemein ist die Struktur der Grundgleichungen identisch. V Die Verformungsgeometrie bzw. Kinematik definiert die Verformungsm¨ oglichkeiten des Tragwerks sowie die Verschiebungen auf dem Tragwerksrand. G Die Gleichgewichtsbedingungen beschreiben den Spannungszustand im Tragwerk und auf dem Tragwerksrand. W Die Werkstoffgleichungen oder Werkstoffmodelle beschreiben den Zusammenhang zwischen dem Verzerrungs- und dem Spannungszustand. Die Verformungsgeometrie und die Gleichgewichtsbedingungen sind voneinander v¨ ollig unabh¨ angig. Sie gelten f¨ ur beliebige Materialien, da werkstoff-
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1 Einf¨ uhrung
spezifische Parameter erst in den Werkstoffgleichungen vorhanden sind. Daher vervollst¨ andigen erst die Werkstoffgleichungen das Beschreibungsmodell. Modellentwicklung Zweck → Form → Einwirkungen → Tragwerk ? Beschreibungsvariable des Modells → Spannungen, Kr¨afte, Momente, Verschiebungen, Verzerrrungen, Verkr¨ ummungen ? Modellgleichungen ? Grundgleichungen • Kinematik
? • Arbeitssatz • Prinzip der virtuellen Kr¨afte
• Gleichgewicht
• Prinzip der virtuellen Verschiebungen
• Werkstoffverhalten ?
?
L¨osung mit den Verfahren der Baustatik • Schnittprinzip • Kraftgr¨oßenverfahren • Weggr¨oßenverfahren ¨ Bild 1-5 Ubersicht der Modellgleichungen f¨ ur die Tragwerksmodellierung V¨ ollig unabh¨ angig von den Grundgleichungen ist die Beschreibung des Tragund Verformungsverhaltens mit Hilfe der Arbeitss¨ atze m¨ oglich. Im Gegensatz zu den am differentiellen Element entwickelten Grundgleichungen enthalten die Arbeitss¨ atze integrale Aussagen f¨ ur das gesamte Tragwerk und sind mit u upft. Man kann zeigen, dass die ¨bergeordneten physikalischen Aussagen verkn¨ Grundgleichungen und die Arbeitss¨atze unter bestimmten Bedingungen ineinander u uhrbar sind. Auch die Arbeitss¨atze sind unabh¨ angig vom Werkstoff ¨ berf¨ und k¨ onnen f¨ ur beliebige Tragwerke angegeben werden. Die L¨ osung der Grundgleichungen bzw. der Arbeitss¨ atze erfolgt hier mit den Verfahren der Baustatik, die urspr¨ unglich f¨ ur eine effiziente Berechnung des Tragverhaltens entwickelt wurden. Heute werden sie in der Regel f¨ ur die anschauliche Kontrolle elektronischer Berechnungen eingesetzt.
1.5 Die Tragwerksberechnung
13
1.5 Die Tragwerksberechnung Ziel der Baustatik ist die schnelle Ermittlung des f¨ ur die Bemessung erforderlichen Spannungs- und Verformungszustandes. Die analytische L¨ osung der Grundgleichungen ist mit den aus der Mathematik und Mechanik bekannten Vorgehensweisen grunds¨atzlich m¨oglich – Ansatz f¨ ur die L¨ osung der Differen¨ tialgleichung, Anpassen der allgemeinen L¨osung an die Rand- und Ubergangsbedingungen, Interpretation der L¨osung. F¨ ur Tragwerke, die aus mehreren Teilgebieten bestehen, wie Fachwerke und Rahmen, f¨ uhrt dieses Vorgehen zu einem wenig anschaulichen und sehr rechenintensiven L¨ osungsschema. Deshalb sind in der Baustatik L¨ osungsverfahren entstanden, die die Analyse komplexer Tragwerke mit großer Anschauung, vertretbarem Aufwand und wenig fehleranf¨allig zulassen, siehe Bild 1-5. Grundlage aller L¨ osungsverfahren ist das Schnittprinzip nach Abschnitt 3, mit dem eine Aufteilung komplexer Systeme in u oglich ¨berschaubare Teilsysteme m¨ ist, die getrennt analysiert werden k¨onnen. Hiermit k¨ onnen die Gleichgewichtsbedingungen und die Arbeitss¨atze schnell und u ¨ bersichtlich zur Berechnung der Zustandslinien eingesetzt werden. F¨ ur statisch bestimmte Systeme kann der Spannungszustand allein mit den Gleichgewichtsbedingungen berechnet werden, siehe Abschnitt 4. Falls erforderlich, kann man den Verformungszustand in einem zweiten Schritt mit dem jetzt bekannten Spannungszustand ermitteln, siehe Abschnitte 10 und 11. Bei statisch unbestimmten Systemen reichen die Gleichgewichtsbedingungen nicht aus, um den Spannungszustand zu berechnen. Hier m¨ ussen zus¨ atzlich Verformungsbedingungen formuliert werden, damit die Zahl der Gleichungen und die Zahl der Unbekannten u osbar ist. ¨ bereinstimmt und die Aufgabe l¨ Wenn Spannungszustand und Verformungszustand jedoch gemeinsam betrachtet werden m¨ ussen, bedeutet dies, dass der Spannungszustand von den Werkstoffeigenschaften und damit von den Steifigkeiten des Tragwerks abh¨ angt. Hiermit erh¨ alt man die M¨oglichkeit, den Spannungszustand durch geschickte Wahl der Steifigkeiten zu optimieren. Die L¨ osung der Gleichungen ist in der Regel mit einem erheblichen Rechenaufwand verbunden, sodass eine Systematisierung der L¨ osungsschritte erforderlich ist. Aus der Anschauung heraus sind so das Kraftgr¨oßenverfahren und das Wegoßenverfahren zur Berechnung statisch unbestimmter Systeme entstanden. gr¨ Die Verallgemeinerung dieser Verfahren mit Hilfe der Arbeitsprinzipe f¨ uhrt auf die Matrizenmethoden der Baustatik [1], [2] und zu den Finite-ElementMethoden [3], [23], die heute in allen Ingenieurdisziplinen weiterentwickelt und eingesetzt werden.
14
2 Tragwerksmodelle der Stabstatik
2 Tragwerksmodelle der Stabstatik
Reale Bauwerke sind immer drei-dimensionale K¨ orper. Die Beschreibung der Eigenschaften und die Untersuchung des Verhaltens r¨ aumlicher K¨ orper unter außeren Einwirkungen ist jedoch sehr aufw¨andig, sodass in der Regel Vereinfa¨ chungen erforderlich und sinnvoll sind, die eine effiziente Berechnung zulassen. Die Beschreibung der wesentlichen Eigenschaften eines Bauwerks mit physikalisch begr¨ undeten Ans¨atzen heißt Modellbildung. In der Baustatik interessiert in der Regel das Trag- und Verformungsverhalten der tragenden Teile der Bauwerke, sodass die Modelle die Einwirkungen, das Tragwerk und seine Steifigkeiten erfassen m¨ ussen. Die in der Baustatik zu analysierenden Tragwerke sind oft so gestaltet, dass ihr Trag- und Verformungsverhalten ausreichend genau u ¨ ber das Verhalten einer Referenzachse bei Stabtragwerken oder einer Referenzfl¨ache bei Fl¨achentragwerken beschrieben werden kann. Die f¨ ur die Berechnung zul¨assigen Vereinfachungen und Ersatzmodelle richten sich nach den Einwirkungen und dem hieraus zu erwartenden Spannungs- und Verformungszustand.
2.1 Einordnung der Tragwerke Die wesentlichen Unterscheidungsmerkmale der Tragwerke folgen aus der geometrischen Form, den Einwirkungen und dem Tragverhalten.
Gerade Stabtragwerke sind Balken (Biegung), St¨ utzen (Druck) und Seile (Zug). Die aus Einzelst¨ aben zusammengesetzten Tragwerke sind Fachwerke (Druck- und Zugst¨ abe), biegesteife Rahmen (Biegung mit Druck oder Zug) sowie Tr¨ agerroste (Biegung und Torsion). Tr¨ agerroste sind ebene gekreuzte Balkensysteme, die senkrecht zur Tragwerksebene belastet sind.
Tr¨agerrost aus Biege- und Torsionsst¨aben
Rahmentragwerk
D. Dinkler, Grundlagen der Baustatik, DOI 10.1007/978-3-8348-9862-3_2, © Vieweg+Teubner Verlag | Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH 2011
2.1 Einordnung der Tragwerke
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Gekr¨ ummte Stabtragwerke sind Bogentragwerke, die große Druck- und Zugkr¨afte, aber nur geringe Biegebeanspruchungen aufnehmen k¨onnen. In der Regel sind sie mit anderen Bauteilen kombiniert, um die jeweiligen Vorteile im Tragverhalten oder in der Funktion m¨ oglichst gut einsetzen zu k¨onnen. Nachfolgend ist eine Stabbogenbr¨ ucke skizziert, siehe [22], bei der der unten angeordnete Bogen bei geringem Materialeinsatz große St¨ utzweiten u ucken kann, und die darauf angeordneten ¨ berbr¨ St¨ utzen die Lagerkr¨afte der als Durchlauftr¨ager ausgebildeten Fahrbahn nach unten leiten.
Ebene Fl¨ achentragwerke sind Tragwerke mit zwei ausgezeichneten Tragrichtungen. Wenn sie in ihrer Ebene belastet sind, werden sie als Scheiben bezeichnet, die eine Membranbeanspruchung mit Zug-, Druck-, und Schubkr¨aften erfahren, und als wandartige Tr¨ ager eingesetzt. Wirkt die Belastung senkrecht zur Tragwerksebene, entwickelt das Tragwerk ein Biegetragverhalten mit Biege- und Torsionsmomenten in beiden Richtungen und wird als Platte bezeichnet.
Platte
Scheibe
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2 Tragwerksmodelle der Stabstatik
Gekr¨ ummte Fl¨ achentragwerke werden als Schalen bezeichnet. Wenn die Einwirkungen fl¨achig verteilt wirken, sind Schalen vorwiegend auf Druck und Zug in der Tragwerksfl¨ache beansprucht. Sie k¨ onnen dann mit geringer Wandst¨ arke und großer Schlankheit konstruiert werden. Im Randbereich und unter Einzellasten erfahren Schalen auch Biegebeanspruchungen, die jedoch nur ¨ ortlich begrenzt und f¨ ur den Lastabtrag nicht wesentlich sein d¨ urfen. Gekr¨ ummte Fl¨achentragwerke, K¨ uhlturm die ihre Einwirkungen vorwiegend u ¨ ber Biegung tragen, k¨onnen daher nicht als Schalen bezeichnet werden. Schalen vereinigen mit ihrer ansprechenden Form und ihrem g¨ unstigen Tragverhalten zwei wesentliche Bauwerkseigenschaften. Ung¨ unstig ist die aufw¨ andige Herstellung, sodass Schalentragwerke im Wesentlichen auf repr¨ asentative Bauwerke oder regelm¨aßige Geometrien beschr¨ankt sind.
Kuppeln
Gedrungene Bauwerke sind z. B. Fundamente, Staud¨amme oder Reaktordruckbeh¨ alter. Sie weisen in der Regel einen r¨aumlich stark ver¨anderlichen Verformungszustand auf, der nur schwer auf eine Tragwerksachse oder -fl¨ache reduziert werden kann. Die Berechnungsmodelle m¨ ussen hier den drei-dimensionalen Spannungs- und Verformungszustand beschreiben k¨onnen.
St¨ utzenfundament Staudamm
2.2 Idealisierung der Tragwerke
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2.2 Idealisierung der Tragwerke Das idealisierte Tragwerk mit Lagerung und Einwirkung wird im weiteren als statisches System bezeichnet. Nachfolgend sind die wesentlichen Idealisierungen der Stabstatik angegeben, mit denen die Geometrie, das Werkstoff- und das Tragverhalten vereinfachend beschrieben werden k¨onnen.
2.2.1 Stabtragwerke Die Stabstatik befasst sich mit Tragwerken, deren Verformungszustand mit Hilfe kinematischer Annahmen vereinfachend durch die Weggr¨ oßen einer Tragwerksachse beschrieben werden kann. Hier wird die Bernoulli-Hypothese entsprechend Abschnitt 3.4 angesetzt. Gleichzeitig wird der Spannungszustand integral durch diejenigen Kr¨afte und Momente der Tragwerksachse beschrieben, die auf den Weggr¨ oßen der Stabachse Arbeit leisten k¨ onnen. Mit der Reduktion des Verformungs- und Spannungszustandes auf die Tragwerksachse werden aus dem drei-dimensionalen Stabkontinuum zwei Koordinaten eliminiert, sodass eine Berechnung des Tragwerks analytisch m¨ oglich wird. Der Einfluss der hierbei gemachten Vereinfachungen h¨ angt von den Bauwerksabmessungen ab, ist aber bei geometrischen Verh¨ altnissen von L¨ ange zu Dicke und L¨ ange zu Breite > 4 vernachl¨assigbar. Nachfolgend werden ebene Stabtragwerke untersucht. R¨ aumliches Tragverhalten kann vereinfachend mit ebenen Tragwerken beschrieben werden, vergleiche Bild 2-1. Federsteifigkeiten, wie f¨ ur den Stab 2 in Ebene 2-5 angedeutet, werden vernachl¨ assigt. Ebene Tragwerke liegen auf der sicheren Seite, wenn r¨ aumlich vorhandene Tragwirkungen und Steifigkeiten nicht ber¨ ucksichtigt sind. 3 2 1
6 5
4
x z
1
x 4 Ebene 1 - 4
z
1
x 2
3
z
Ebene 1 - 2 - 3
Bild 2-1 Statische Systeme f¨ ur ein r¨aumliches Rahmentragwerk
2 Ebene 2 - 5
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2 Tragwerksmodelle der Stabstatik
2.2.2 Lager und Gelenke Die Lagersteifigkeit von Tragwerken ist in der Realit¨ at oft nicht genau feststellbar. Ein in den Baugrund gebettetes Fundament ist weder fest eingespannt noch gelenkig gelagert. Entscheidend f¨ ur den Grad der Einspannung ist das Verh¨ altnis der Steifigkeiten des Tragwerks und des angrenzenden Bodens oder Bauwerks. F¨ ur die Berechnung der Tragwerke werden vereinfachend die Lagerungsarten nach Bild 2-2 gew¨ahlt, in der auch die vom jeweiligen Lager aufnehmbaren Kr¨ afte und Momente angegeben sind.
Bild 2-2 Lagerungsarten und Reaktionskr¨afte im Lager Auch die Verbindungen von Tragwerksteilen untereinander sind in der Regel weder starr noch vollst¨andig gelenkig. Hier setzt man entsprechend Bild 2-3 Gelenke f¨ ur Momente und Querkr¨afte sowie Schiebeh¨ ulsen f¨ ur Normalkr¨ afte an, wenn die Konstruktion entsprechend ausgebildet ist oder die Steifgkeiten geschw¨ acht sind.
Schiebehülse
Querkraftgelenk
Momentengelenk
N=0
Q=0
M=0
Q = 0
N = 0
Q = 0
M = 0
M = 0
N = 0
Bild 2-3 Verbindungselemente Aufgrund der in der Wirklichkeit vorhandenen Lagersteifigkeiten, der Reibung oder der Maßungenauigkeiten sind fast immer Nebenspannungen vorhanden, die zwar f¨ ur das Systemtragverhalten unbedeutend sind, ¨ ortlich aber konstruktiv ber¨ ucksichtigt werden m¨ ussen. Gelenke oder verschiebliche Lager sind in der Realit¨ at in der Regel nicht perfekt ausgebildet, sondern als Querschnittsschw¨ achung konstruiert. F¨ ur die Modellbildung sind die Steifigkeitsverh¨ altnisse benachbarter Bauteile entscheidend. In Bild 2-4 sind den idealisierten Lagern und Gelenken wirkliche Konstruktionen gegen¨ ubergestellt.
2.2 Idealisierung der Tragwerke
19
verschiebliches Lager
w = 0, M = 0 N=0
Rollenlager
Neoprenlager festes Lager
w = 0, M = 0
St¨ utzenfuß
Mauerwerkssturz Einspannung
w = 0, j = 0
Kragbalken
K¨ocherfundament Gelenk
M=0
Balkengelenk
Fachwerkknoten
Schiebehülse
N=0
Rollenk¨afig
Rohrh¨ ulse
Bild 2-4 Reale St¨ utzungen und Anschl¨ usse des konstruktiven Ingenieurbaus
20
2 Tragwerksmodelle der Stabstatik
2.2.3 Werkstoffe Reale Werkstoffe zeigen im einaxialen Zug- und Druckversuch ein mehr oder weniger ausgepr¨ agt nichtlineares Spannungs-Dehnungsverhalten. Baustahl weist unter Zug- und Druckspannungen einen nahezu linear-elastischen Verformungsbereich unterhalb der Fließspannung auf, vergleiche Bild 2-5-links. Spannungssteigerungen oberhalb der Fließspannung sind wegen des ausgepr¨ agt duktilen Verhaltens mit sehr großen Dehnungen oder Stauchungen verbunden. Beton verh¨ alt sich im Druck und Zugbereich sehr unterschiedlich und stark nichtlinear. Unter Druckbeanspruchung kann Beton sehr große Spannungen bei geringer Duktilit¨ at aufnehmen. Im Zugbereich zeigt der Werkstoff bei geringen Spannungen Spr¨ odbruchversagen. Weiterhin sind unter Last in der Zeit anwachsende Verformungen infolge Kriechen vorhanden. s
s Beton
Baustahl
Druckversagen
Verfestigung Fließplateau Hooke’sche Gerade
arctan E
e
e
Sprödbruch
Bild 2-5 Reales Werkstoffverhalten: Baustahl (links) – Beton (rechts) F¨ ur die Berechnung eignen sich nichtlineare Werkstoffkennlinien nur bedingt, da sie spezielle iterative L¨osungsverfahren erfordern. H¨ aufig setzt man daher vereinfachend Linearisierungen an. Im Rahmen der Elastizit¨ atstheorie wird das Hooke’sche Gesetz verwendet, solange die Dehnungen gen¨ ugend klein sind. Im Stahlbau ist das Plastifizieren des Werkstoffs in die Bemessungskonzepte eingebunden. So wird das Materialverhalten beim Traglastverfahren vereinfachend als elastisch-plastisch entsprechend Bild 2-6 ber¨ ucksichtigt.
Bild 2-6 Idealisiertes Werkstoffverhalten
2.3 Idealisierung der Einwirkungen
21
Aus verschiedenen Komponenten hergestellte Werkstoffe bezeichnet man als Verbundwerkstoffe (z. B. Stahlbeton, faserverst¨arkte Kunststoffe). Hierbei u ¨bernimmt die Faser (z. B. Stahl, Glas, Kohle) die Zugspannungen. Der Matrixwerkstoff (z. B. Beton, Kunststoff) gibt die ¨außere Form, wirkt f¨ ur die Fasern stabilisierend und u ¨bernimmt teilweise die Druckspannungen. In modernen Konstruktionen wird Glas auch als Konstruktionswerkstoff f¨ ur tragende Bauteile verwendet.
2.3 Idealisierung der Einwirkungen Bauwerke erfahren je nach Verwendungszweck unterschiedliche Wechselwirkungen mit der Umwelt. Dies sind die Einwirkungen, die von außen auf das Tragwerk wirken und den Spannungs- und Verformungszustand des Tragwerks ver¨ andern. Die im Regelfall anzusetzenden Einwirkungen sind in der Normenreihe DIN 1055 [24] und im Eurocode EC 1 [26] angegeben. Einwirkungen k¨ onnen zeitkonstante oder zeitver¨anderliche Kraft- und Wegwirkungen sein. Sie k¨ onnen auf das Tragwerk r¨aumlich (z. B. Volumenkr¨ afte, Erw¨ armung) oder fl¨ achig (an der Oberfl¨ache) einwirken. Im statischen System werden sie u ¨ ber den Querschnitt integriert und als Einwirkungen der Tragwerksachse bzw. -fl¨ ache beschrieben. Einwirkungen k¨ onnen oft nur relativ ungenau quantifiziert werden, da sie in der Regel erst im Gebrauch des Bauwerks auftreten. In den Regelwerken sind daher auf der sicheren Seite liegende Werte gew¨ahlt, um die unzureichende Kenntnis im Einzelfall kompensieren zu k¨onnen.
2.3.1 Lasten Kraftwirkungen sind im weiteren als Lasten bezeichnet. Sie werden im Berechnungsmodell im Gleichgewicht ber¨ ucksichtigt. a) Das Eigengewicht ist st¨andige Last. Es entsteht aus der Gravitationswirkung und ist im realen Tragwerk r¨aumlich verteilt. Im Berechnungsmodell wird es als ¨ außere Last auf das unbelastete statische System aufgebracht. b) Nutz- u. Verkehrslasten k¨onnen r¨aumlich und zeitlich ver¨ anderlich sein. Dies sind z. B. Personen, Lagerstoffe, Fahrzeuge, Kranlasten, auch Ersatzlasten f¨ ur nicht n¨ aher definierte Einwirkungen. Nutzlasten sind vorwiegend ruhend (z. B. Lagerstoffe). Verkehrslasten sind nicht vorwiegend ruhend (z. B. Fahrzeuglasten, Bremskr¨ afte, Massentr¨agheiten). In Bild 2-8 ist ein Lastmodell f¨ ur die Einwirkungen auf Straßenbr¨ ucken dargestellt. Das Modell enth¨alt f¨ ur die einzelnen Fahrstreifen Einzel- und Gleich-
22
2 Tragwerksmodelle der Stabstatik
lasten unterschiedlicher Gr¨oße, die den Schwerlastwagen sowie die Personenkraftwagen erfassen.
Bild 2-7 Lastmodell 1 aus DIN Fachbericht 101 [25] c) Windlasten sind stochastisch in Raum und Zeit ver¨ anderlich. Sie h¨ angen vom Staudruck, den Umgebungsbedingungen sowie den geometrischen Abmessungen und der Form des Bauwerks ab. Im statischen System werden sie vereinfachend als zeitkonstante Lasten angesetzt, wobei die Gr¨ oße der Windlast mit Hilfe des Geschwindigkeitdrucks q und dem tragwerksabh¨ angigen Druckbeiwert cp bestimmt ist. d) Schneelasten sind mit extremen Wetterlagen f¨ ur unterschiedliche Wetterzonen quantifiziert. Sie h¨angen von der Dachneigung und der jeweiligen Situation am Bauwerk ab. Einflussparameter wie Feuchte, Dichte und Art des Schnees werden nicht unterschieden. e) F¨ ur Silos und Beh¨alter sind besondere Lastannahmen erforderlich, die den jeweiligen Beanspruchungszustand beim F¨ ullen, bei der Lagerung und beim Entleeren von Fl¨ ussigkeiten und Sch¨ uttg¨ utern erfassen. So h¨ angen die Einwirkungen auf die Silowand u. a. vom Bewegungszustand und von der Dichte des F¨ ullgutes ab. Infolge Massentr¨agheit des Sch¨ uttgutes sind die Vertikalkr¨afte pv beim F¨ ullen am gr¨ oßten. Beim Entleeren treten die gr¨ oßten Horizontallasten ph und Wandreibungslasten pw auf, wenn sich eine Gew¨ olbewirkung einstellt und sich das Sch¨ uttgut an der Silowand Entleeren Einfüllen abst¨ utzt.
2.3 Idealisierung der Einwirkungen
23
Getreide, Kies, Zement
Flüssigkeiten p
p
h
p
p
h
h
he
p
p
h
w
f
Entleerungskurve
Füllkurve
p =g · z
z
z
h
pv
f) Baugrundlasten entstehen aus Erddruck. Der Erddruck e wird mit den Einwirkungen γ, p und dem Erddruckbeiwert k bestimmt. Bei aktivem Erddruck ea , ka dr¨ uckt das Erdreich auf das nachgebende Tragwerk. Beim Erdruhedruck (ungest¨ orter Zustand) eo , ko sind keine Verschiebungen des Erdreichs und des Tragwerks vorhanden. Passiver Erddruck ep , kp entsteht, wenn das Tragwerk gegen das Erdreich dr¨ uckt. Beispiel Spundwand
Der Erddruck ist mit der Last festgelegt. So ist der Erddruck aus Eigengewicht mit der Dichte γ e = γ · h · kg und aus Verkehrslast mit ev = pv · kp festgelegt. Die Erddruckbeiwerte sind vom Winkel der inneren Reibung ϕ des Baugrunds und damit vom jeweils vorliegenden, in der Regel geschichteten Material abh¨ angig. Richtwerte sind
pv -s
+s
ep
ea k
kgo = 0, 5 kgp = 3 . . . 5 kga = tan2 (45 o − ϕ/2)
kp ka -s
ko +s
Der Winkel der inneren Reibung ist z. B. f¨ ur Kies ϕ = 35 o .
g) Dynamische Effekte aus Stoßeinwirkung, Erdbeben, Maschinenschwingungen bewirken eine Ver¨anderung des Spannungs- und Verformungszustandes gegen¨ uber einer statischen Betrachtung. Sie werden in der Regel mit einem Schwingbeiwert ϕ und statischen Ersatzlasten erfasst.
24
2 Tragwerksmodelle der Stabstatik
2.3.2 Verformungen Analog zu Kraftwirkungen auf ein Tragwerk sind auch Wegwirkungen m¨ oglich. Dies sind z. B. Lagersetzungen und -verdrehungen oder Dehnungen und Verkr¨ ummungen aus Erw¨armung. Sie f¨ uhren zu Zw¨angungen und inneren Eigenspannungszust¨ anden (bzw. Kr¨aften, Momenten) bei Tragwerken, die sich nicht spannungsfrei verformen k¨onnen. Eingepr¨agte Wegwirkungen werden in der Verformungsgeometrie ber¨ ucksichtigt. a) Ein W¨ armezu- oder -abfluss bewirkt im Bauwerk Temperatur¨ anderungen, die u onnen. Wenn ¨ ber die Tragwerksdicke konstant oder nichtkonstant sein k¨ z. B. auf der Außenseite eines Tragwerks andere Temperaturen vorliegen als auf der Innenseite, ist ein Dehnungsgradient die Folge, der das Tragwerk verkr¨ ummt. Die Gr¨ oße der bei der Erw¨armung im Tragwerk auftretenden Dehnungen bzw. Stauchungen εT ist mit dem W¨armeausdehnungskoeffizienten αT bestimmt: = 10−5 εT = + αT · (T1 − T0 ) [1/ o C] Beton, αT = 1, 2 · 10−5 [1/ o C] Stahl. κT = − αT · (Tu − To )/h Kann sich das Tragwerk ungezw¨angt verformen, ist der Spannungszustand null, siehe Bild 2-8 oben. Liegt eine Dehnungsbehinderung vor, stellt sich ein Eigenspannungszustand ein. Zu beachten ist, dass die Dehnungen bei Volleinspannung schon bei ca. 50 o C Temperaturdifferenz die Gr¨ oßenordnung der Dehnungen aus planm¨aßigen Lasten erreichen k¨onnen. In der Regel sind die Zw¨ ange infolge der Nachgiebigkeit der Anschl¨ usse jedoch geringer.
gleichmäßige Erwärmung
T0
ungleichmäßige Erwärmung To
so
Tu
su
T1
s
σ = −E · αT (T1 − T0 ) N = −EA · αT (T1 − T0 ) M =0 Bild 2-8 Stabtragwerke bei Erw¨armung
σo/u = ± E · αT 12 ΔT N =0 M = −EI · αT ΔT /h
DT = Tu - To
⎫ ⎪ ⎬ ⎪ ⎭
w = 0.
2.3 Idealisierung der Einwirkungen
25
b) Lagerverschiebungen oder -verdrehungen k¨onnen als Folge von Setzungen oder Hebungen des Baugrundes erfolgen. Dies kann beim Einbrechen von unterirdischen Hohlr¨ aumen in Bergbaugebieten auftreten, bei ungleichm¨ aßig nachgebendem Baugrund und auch bei Erdbeben. Hebungen treten z. B. beim Quellen von bindigen B¨ oden infolge von Wasseraufnahme auf, oder beim Gefrieren des Baugrundes, wenn keine frostsichere Gr¨ undung vorliegt.
d1
d2
d3
d
Hohlraum
Quelle
c) Schwinden ist die Verk¨ urzung des Betons beim Erh¨ arten. Das Schwinden f¨ uhrt zu Schwindrissen, wenn die inneren Spannungen im Betonbauteil die Zugfestigkeit des Betons u ¨ berschreiten. Dies kann auftreten, wenn die Temperatur im Betonbauteil beim Erh¨arten sehr ungleichm¨ aßig ist, oder wenn die Verk¨ urzung durch angrenzende Lagerung behindert wird.
Schwindrisse
d) Kriechen ist eine in der Zeit anwachsende Verformung des Werkstoffs infolge eines st¨ andig wirkenden Spannungszustandes. Die Verformungsgeschwindigkeiten sind sehr gering, sodass man im Bauwesen in der Regel die Endwerte ansetzen kann. Kriechen ist bei Holz, Beton und Kunststoffen zu beachten, bei Metallen nur bei h¨ oheren Temperaturen. In gezw¨ angten Bauteilen, deren Spannungszustand z. B. aus Lagerverschiebungen, Lagerverdrehungen oder Erw¨armung entsteht, kann der umgekehrte Prozess ablaufen. Bleibt der Verformungszustand zeitlich konstant, verringern sich die Spannungen mit der Zeit, der Werkstoff relaxiert.
26
2 Tragwerksmodelle der Stabstatik
2.4 Beispiele f¨ ur Tragwerksmodellierungen Br¨ uckentragwerk Das obere Bild zeigt die Letziwaldbr¨ ucke, die der Schweizer Ingenieur Christian Menn 1959 entworfen und gebaut hat, siehe [22]. Die Br¨ ucke erscheint aufgrund des flachen Bogens extrem schlank und ist a ¨sthetisch sehr ansprechend ausgef¨ uhrt. Der Werkstoff Beton ist dem Felsgestein angepasst.
Bild 2-9 Letziwaldbr¨ ucke [22] Im unteren Bild ist das statische System angegeben, das aus den tragenden Elementen Balken, Bogen und Fundament entsprechend den vorhandenen Einwirkungen besteht. Aufgrund der großen Steifigkeit des Baugrundes kann der untenliegende Tragwerksteil große Normalkr¨afte aufnehmen. Er ist als Dreigelenkbogen ausgef¨ uhrt, sodass eine m¨ogliche Lagersetzung keine weiteren Beanspruchungen bewirkt. Die seitlich angeordneten Verbindungselemente zwischen Balken und Bogen versteifen das Tragwerk zus¨atzlich.
Bild 2-10 Statisches System der Letziwaldbr¨ ucke An den Lagern sind Querschotte angeordnet, die als Torsionseinspanungen wirken. Aufgrund der großen Steifigkeit und Festigkeit des Bogens und des anstehenden Felsgesteins ist das Tragwerk extrem schlank.
2.4 Beispiele f¨ ur Tragwerksmodellierungen
27
Hallenrahmen mit Kranbahn (Stahl) Das obere Bild zeigt einen Ausschnitt der Versuchshalle im Leichtweiß-Institut f¨ ur Wasserbau der Technischen Universit¨at Braunschweig. Unten ist das statische System der tragenden Elemente angegeben.
Bild 2-11 Versuchshalle im Leichtweiß-Institut f¨ ur Wasserbau Der Dachbinder ist als Fachwerk mit steigenden und fallenden Streben ausgebildet. Die Stahlst¨ utzen sind in H¨ohe der Kranbahn abgesetzt und fest mit dem Dachbinder verbunden. Die Lagerkraft der Kranbahn lastet direkt auf dem Flansch des unten angeordneten I-Profils.
Kranbahn auf Flansch
Bild 2-12 Statisches System des Hallenrahmens
28
2 Tragwerksmodelle der Stabstatik
Klappbr¨ ucke ¨ uber den Peenestrom (Stahl) Im Bild ist die Klappbr¨ ucke u ¨ber den Peenestrom gezeigt. Die kombinierte Straßen- und Eisenbahnbr¨ ucke wird mehrmals am Tag f¨ ur den Schiffsverkehr ge¨offnet und muss daher filigran und beweglich gebaut sein. Die Br¨ ucke ist einfl¨ ugelig und mit Waagebalken mit hochliegendem Gegengewicht versehen.
Bild 2-13 Klappbr¨ ucke mit Waagebalken in Wolgast Die Br¨ uckenkonstruktion ist aus Stahl, da der Werkstoff im Druck und Zugbereich gleiche Festigkeiten aufweist sowie bei Wechselbeanspruchungen eine hohe Lastspielzahl zul¨asst. Außerdem ist mit der Stahlkonstruktion eine relativ filigrane Konstruktion m¨oglich. Infolge der unterschiedlichen Hebepositionen ¨andern sich die statischen Systeme und die Einwirkungen, sodass im Einzelfall sehr unterschiedliche Lastfallkombinationen und Spannungszust¨ande zu untersuchen sind. An dem Br¨ uckenbauwerk wird deutlich, dass nicht nur statische Einwirkungen auftreten, sondern dass auch die Dynamik sowie die Kinematik eines Bauwerks entscheidend f¨ ur den Entwurf sein k¨onnen.
2.4 Beispiele f¨ ur Tragwerksmodellierungen
29
Trockendock (verschiedene Baustoffe) Bild 2-14 zeigt einen Schnitt durch das Trockendock einer Werftanlage mit typischen Bauteilen. Dies sind Pfahlb¨ocke, Spundw¨ande, Bodenplatten und Verankerungselemente, die in der Regel verplombt werden. Die Elastizit¨ at des Bodens kann man mit Hilfe einer Bettung ber¨ ucksichtigen, die als kontinuierliche Verteilung von Federn interpretierbar ist. Als wesentliche Einwirkungen sind hier Kranlasten, Wasser- und Erddruck angegeben, der von den Bodeneigenschaften sowie den Verformungen der Spundwand abh¨angt. Kranlast Pfahlbock Spundwand
Bodenplatte Anker
Anker
Belastung der Spundwand Erddruck
Belastung der Bodenplatte
Wasserdruck
Auftrieb Verankerung
Bild 2-14 Einwirkungen und statische Systeme eines Trockendocks
30
2 Tragwerksmodelle der Stabstatik
2.5 Modellierungsfehler Die Idealisierung des Tragwerks muss so erfolgen, dass die in der Regel erforderlichen Vereinfachungen das Tragverhalten nicht verf¨ alschen, sondern in der Gr¨ oßenordnung von Nebenspannungen beeinflussen. Zu beachten ist, dass die hierbei gemachten Fehler in keiner Berechnung nachweisbar sind. Nach jeder Berechnung sind daher die Ergebnisse zun¨achst mit der eigenen Anschauung sorgf¨ altig zu u ufen und dann zus¨atzlich mit dem wirklichen Tragwerk zu ¨berpr¨ verifizieren. Ungenauigkeiten in der Modellbildung k¨ onnen an unterschiedlicher Stelle entstehen: a) Das Tragwerksmodell kann zu ungenau gew¨ahlt sein, wenn man eine Plattentragwirkung mit einem Balkenmodell beschreibt. Dies kann zu einer zu ungenauen Einsch¨ atzung des Spannungs- und Verformungszustandes f¨ uhren. ¨ Die Uberg¨ ange zwischen angrenzenden Bauteilen m¨ ussen richtig modelliert werden. Dies ist z. B. bei der Verbindung einer Platte mit einem Unterzug oder einer St¨ utze zu beachten. Lager sind in der Regel immer elastische Einspannungen. Das hieraus folgende Moment wird bei gelenkiger Lagerung vernachl¨ assigt und bei fester Einspannung u atzt. ¨ bersch¨ b) Bei ebenen Tragwerken wird die Torsion nicht ber¨ ucksichtigt. Zu beachten ist, dass Lasten oder Anschl¨ usse, die bez¨ uglich der Tragwerksachse exzentrisch sind, Torsion hervorrufen und im Einzelfall eine Ere P weiterung des Modells erfordern. Ebenso wird beim Verspringen von Tragwerksachsen Torsion geweckt. Torsion ist f¨ ur das globale Gleichgewicht wichtig, wenn keine aussteifenden Elemente vorgesehen sind. c) Nebenspannungen sind Spannungen, die aus nicht ber¨ ucksichtigten Zw¨ angungen und Tragwirkungen entstehen, aber in der Regel vernachl¨ assigbar sind. So k¨ onnen Fachwerkst¨abe als gelenkig angeschlossen anH gesetzt werden, da die Biegespannungen im Anschluss vernachl¨ assigbar sind. Bremslasten von Fahre zeugen bewirken nicht nur Normalkr¨afte in St¨aben, sondern durch ihren exzentrischen Lastangriffspunkt bez¨ uglich der Tragwerksachse auch verteilte Momente, die lokal zu Nebenspannungen f¨ uhren. Fehler in der Modellbildung k¨onnen in der Berechnung nicht mehr bemerkt und korrigiert werden und sind daher besonders gef¨ahrlich.
31
3 Grundlagen der Berechnungsverfahren
F¨ ur die Berechnung des Trag- und Verformungsverhaltens von Tragwerken m¨ ussen Modellgleichungen f¨ ur die einzelnen Tragwerkstypen formuliert werden. Ziel der baustatischen Verfahren ist, die Modellgleichungen m¨ oglichst effizient zu l¨ osen, um die f¨ ur die Sicherheitsnachweise erforderlichen Zustandsgr¨ oßen schnell zu erhalten. Hierf¨ ur sind vereinfachende Annahmen erforderlich, die f¨ ur ebene Stabtragwerke nachfolgend zusammengestellt sind. a) Ebene Stabtragwerke bestehen aus geraden oder gekr¨ ummten St¨ aben, die in einer Ebene angeordnet sind. Ihre Abmessungen betragen h, b < /4. b) Die Einwirkungen ebener Stabtragwerke liegen in der Tragwerksebene. c) Die Verformungen des Tragwerks finden in der Tragwerksebene statt. Der Verformungszustand des Stabquerschnitts ist mit den Weggr¨ oßen u, w, ϕ der Tragwerksachse beschreibbar. Die Weggr¨oßen sind messbare Gr¨ oßen. d) Der Spannungszustand wird bei Stabtragwerken integral mit den Zustandsgr¨ oßen M, Q, N der Tragwerksachse beschrieben. Der Einfluss anderer Spannungen auf den Verformungszustand wird vernachl¨assigt. Der Spannungszustand ist Modellvorstellung und nicht direkt messbar. e) Es gilt das Prinzip von St. Venant: In hinreichender Entfernung von der Krafteinleitungsstelle h¨angt die Wirkung von Kr¨ aften nicht mehr von der ortlichen Verteilung der Spannungen ¨ im Krafteinleitungsbereich ab, sondern nur noch von den Resultierenden. Hiermit ist der jeweilige lokale Spannungszustand nicht entscheidend f¨ ur das Tragverhalten des Tragwerks.
N Q M
h
s
h
s
M, N
M, N
f) F¨ ur Biegest¨ abe wird die Bernoulli-Hypothese f¨ ur schubstarre Balken angesetzt. Die Querschnitte bleiben bei der Verformung eben und senkrecht zur Stabachse. Dies bedeutet, dass die Verformung des Balkens allein aus Verkr¨ ummungen κ entsteht. Timoshenko erweitert die Theorie f¨ ur schubsteife BalD. Dinkler, Grundlagen der Baustatik, DOI 10.1007/978-3-8348-9862-3_3, © Vieweg+Teubner Verlag | Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH 2011
32
3 Grundlagen der Berechnungsverfahren
ken um den Schubwinkel γ, dessen Einfluss auf den Verformungszustand f¨ ur die hier vorliegenden F¨alle vernachl¨assigbar ist. Mit einer genauen 3D-Analyse des Balkens k¨ onnen weitere Verformungsanteile bestimmt werden, die aber ebenfalls nur St¨ orungen der Bernoulli-Theorie sind.
g
Bernoulli
Theorie
genaue Theorie
Timoshenko Theorie g = konst.
g=0
exz ≠ konst.
g) Es wird eine lineare Theorie I. Ordnung verwendet. Dies bedeutet, dass die Verformungen der Tragwerke so klein sind, dass ihr Einfluss auf die Verformungsgeometrie und das Gleichgewicht vernachl¨assigbar ist. Die lineare Theorie ist in Abschnitt 20 um die nichtlinearen Anteile einer Theorie II. Ordnung erg¨ anzt, sodass auch Stabilit¨atsf¨alle untersucht werden k¨ onnen. Im Bild zeigt der Kragarm ein lineares Tragverhalten, wenn die Biegelinie w keinen Einfluss auf das Gleichgewicht hat. Nichtlineares Tragverhalten entsteht, wenn das Versatzmoment aus Normalkraft P und Biegelinie ber¨ ucksichtigt wird. P
linear w
P, H
Knicklast
H
nichtlinear
w
h) Das Werkstoffverhalten ist linear elastisch und mit dem Hooke’schen Gesetz beschreibbar. Das Plastifizieren von Stahl kann mit dem Traglastverfahren ber¨ ucksichtigt werden, das jedoch eine ganz andere Bemessungsphilosophie ¨ verfolgt. Bei Stahlbetontragwerken kann die Rissbildung beim Ubergang vom ungerissenen Zustand I zum gerissenen Zustand II vernachl¨ assigt werden, wenn die Biegesteifigkeit nach Zustand II angesetzt wird. i) Im linearen Fall gilt das Superpositionsgesetz. Damit k¨ onnen Lastf¨ alle getrennt berechnet und anschließend additiv u ¨ berlagert werden. Mit den hier getroffenen Annahmen sind die L¨osung der Modellgleichungen und damit das Tragverhalten nach Theorie I. Ordnung eindeutig. Mehrere L¨ osungen der Modellgleichungen k¨onnen nur existieren, wenn das Tragverhalten nichtlinear ist, z. B. nach Theorie II. Ordnung.
3.1 Das Schnittprinzip
33
3.1 Das Schnittprinzip Grundlage aller Berechnungsverfahren der Baustatik ist das Schnittprinzip. Erst hiermit ist es m¨oglich, komplexe Tragwerke in u ¨ berschaubare Teile zu zerlegen und einer Berechnung zug¨anglich zu machen. Hier wird es f¨ ur die Berechnung der Schnittgr¨oßen M, Q, N eingesetzt. Das Schnittprinzip enth¨alt folgende Gedanken: An beliebigen Stellen eines Tragwerks k¨ onnen gedanklich Schnitte gemacht werden. Damit die Schnitte das Trag- und Verformungsverhalten des Tragwerks auch in der Vorstellung nicht ver¨ andern, m¨ ussen die im Inneren des Tragwerks vorhandenen Kraftwirkungen an den Schnittufern als ¨außere Kraftwirkungen angesetzt werden, siehe Bild 3-1. Sie werden im weiteren als Schnittgr¨oßen bezeichnet.
d
d
a a
b
c
c b
Bild 3-1 Schnitte an beliebigen Stellen eines Tragwerks Sind in einem Schnitt Gelenke“ vorhanden, so sind die entsprechenden Schnitt” gr¨ oßen null. In Stabtragwerken unterscheidet man zwischen Momenten-, Querkraft- und Normalkraft gelenken“, vergleiche Bild 3-2. ”
N,Q,M
N,Q
Q,M
N
Bild 3-2 Zwischenreaktionen in Schnitten Pendelst¨ abe haben an beiden Stabenden Momentengelenke und k¨ onnen daher nur Normalkr¨ afte u ¨ bertragen, sofern sie selbst unbelastet sind.
34
3 Grundlagen der Berechnungsverfahren
F¨ ur die richtige Verwendung der Begriffe der Kraftwirkungen ist es wichtig, zwischen den Einwirkungen q, P, M e , die von außen auf das Tragwerk wirken (Index e , falls nicht eindeutig), den Schnittgr¨oßen M, Q, N sowie den inneren Kraftwirkungen zu unterscheiden, siehe Bild 3-3. Hiermit gelingt es, das Gleichgewicht zwischen den ¨außeren Einwirkungen“ und den inneren Kr¨ aften“ an” ” schaulich zu verstehen. q N, Q, M
M, Q, N
Schnittgr¨oßen innere Kraftwirkungen Schnittgr¨ oßen ¨ Bild 3-3 Außere und innere Kr¨afte, Schnittgr¨oßen Die inneren Kraftwirkungen sind als Reaktion auf die Schnittgr¨ oßen und die außeren Einwirkungen interpretierbar. Sie sind f¨ ur das Schnittprinzip ohne wei¨ tere Bedeutung, werden aber sp¨ater bei den Arbeitss¨ atzen ben¨ otigt.
3.2 Vorzeichendefinitionen Nach Durchschneiden“ der Tragwerksachse werden die im Tragwerk vorhande” nen nach außen nicht beobachtbaren Spannungen bzw. Kr¨ afte und Momente zu a ¨ußeren Schnittgr¨oßen. Beim Schnitt der Tragwerksachse zeigt die Normale des positiven Schnittufers in die positive Richtung der x-Koordinate, das negative Schnittufer liegt auf der anderen Seite des Schnitts. Normalenrichtung
x positives
negatives Schnittufer
Die in der Baustatik verwendeten Kraftgr¨oßen und Weggr¨ oßen sind einander zugeordnet (N → u, Q → w, M → ϕ). Kraftgr¨oßen sind die Lasten und die Schnittgr¨ oßen, Weggr¨oßen sind die Wege aus Last und die Schnittuferwege. Im weiteren werden folgende Vorzeichendefinitionen f¨ ur die Weggr¨ oßen und Kraftgr¨oßen der Tragwerksachse verwendet, die hier auf in der x-z-Ebene liegende ebene Stabtragwerke beschr¨ankt sind.
3.2 Vorzeichendefinitionen
35
1. Die Verschiebungen u, v, w [m] sind positiv in Richtung der positiven Koordinaten x, y, z. Die x-Koordinate ist die Tragwerksachse. F¨ ur die Verdrehung ϕ[rad] gibt es verschiedene Definitionen. Hier ist ϕ positiv in Richtung w . x v
y
x z w
j=w
u z
+w
Weggrößen aus Einwirkungen
2. Klaffungen (Schnittuferwege) δN = Δu, δQ = Δw, δM = Δϕ sind positiv, wenn sie in Richtung der positiven Schnittgr¨oßen am Schnittufer zeigen. Dj
dN
dQ
j2
j1 Dj = j1 + j2
Schnittuferwege
3. Eine Schnittkraft N [kN ], Q [kN ] ist positiv, wenn der zugeh¨ orige Kraftvektor am positiven Schnittufer in die positive Koordinatenrichtung x, z zeigt. Ein Moment M [kN m] ist positiv, wenn der Momentenvektor am positiven Schnittufer in die positive Koordinatenrichtung y zeigt. Am negativen Schnittufer zeigen die positiven Schnittgr¨oßen in die entgegengesetzte Richtung. N Q M
Damit die Definition f¨ ur das positive Moment auch bei komplexen Tragwerken eindeutig zu erkennen ist, wird auf der Zugseite (des positiven Moments) des jeweiligen Stabes eine gestrichelte Linie in die Tragwerksskizze eingezeichnet. P2 P1
-
-
-
+
-
pos. M
M +
Bild 3-4 Vorzeichenregelung f¨ ur Momente
+
+
-
36
3 Grundlagen der Berechnungsverfahren
Die Momente aus Einwirkungen werden immer auf der Seite des Systems abgetragen, auf der das Moment Zugspannungen erzeugt. Das Vorzeichen des Momentes richtet sich dann nur noch nach der gestrichelten Linie. Positive Querkr¨ afte und Normalkr¨afte werden auf der gestrichelten Seite abgetragen. ¨ 4. Außere Lasten“ P [kN ], q [kN/m], M e [kN m] sind positiv, wenn sie in Rich” tung der konjugierten positiven Weggr¨oßen u, w, ϕ zeigen. 5. F¨ ur Lagerkr¨ afte und -momente gibt es keine spezielle Vorzeichenregelung.
3.3 Statische Bestimmtheit An jedem aus dem Gesamttragwerk herausgeschnittenen Teilsystem (differentielle Elemente, Einzelst¨abe, Knoten ...) gelten die gleichen Bedingungen wie am Gesamttragwerk. Ist das Gesamtragwerk im Gleichgewicht, so ist auch jedes Teilsystem im Gleichgewicht. F¨ ur jedes freigeschnittene ebene Teilsystem gilt Σ H = 0,
Σ V = 0,
Σ M = 0.
Mit den Gleichgewichtsbedingungen k¨onnen die Schnittgr¨ oßen berechnet werden, wenn die Zahl der Schnittgr¨oßen und die Zahl der Gleichgewichtsbedingungen u ur alle Systeme m¨ oglich ist, m¨ ussen Statische ¨ bereinstimmt. Da dies nicht f¨ Systeme unterschieden werden in:
Statisch unterbestimmte Systeme Wenn es f¨ ur beliebige ¨außere Belastungen keinen Gleichgewichtszustand gibt, dann ist das System lokal oder global verschieblich bzw. kinematisch. Dies ist z. B. der Fall, wenn zu wenige Lager oder zu viele Gelenke vorhanden sind. d
Ψ
d
Ψ
Bild 3-5 Statisch unterbestimmte Systeme Die Verschieblichkeit ist eine Systemeigenschaft und damit unabh¨ angig von den Einwirkungen.
3.3 Statische Bestimmtheit
37
Statisch bestimmte Systeme Der Spannungszustand des Systems kann allein mit den Gleichgewichtsbedingungen ermittelt werden. Auch die statische Bestimmtheit ist eine Systemeigenschaft. Verschiedene grundlegende statisch bestimmte Systeme sind in Bild 3-6 angegeben. Zu beachten ist, dass ein Drei-Gelenk-Rahmen nicht immer drei Momentengelenke besitzen muss, sondern im Einzelfall auch andere Schnittgr¨ oßen null sein k¨ onnen. N=0
M=0
Q=0
Kragarm
Balken
M=0
Drei-Gelenk-Rahmen
M=0
M=0
Drei-Gelenk-Rahmen
Bild 3-6 Statisch bestimmte Grundsysteme
Statisch unbestimmte Systeme Bei statisch unbestimmten Systemen kann der Spannungszustand nur mit den Gleichgewichts- und mit den Verformungsbedingungen berechnet werden. Geschlossene Rahmen oder Tragwerksteile sind innerlich statisch unbestimmt, da man die Schnittgr¨oßen nicht allein mit Gleichgewichtsbedingungen bestimmen kann, siehe hierzu die beiden rechten Systeme der Bild 3-7. Sind mehr Lagerkr¨ afte und -momente als Gleichgewichtsbedingungen vorhanden, ist das System wie im rechten und im linken System ¨ außerlich statisch unbestimmt.
Bild 3-7 Innerliche und ¨außerliche statische Unbestimmtheit Der Grad n der statischen Unbestimmtheit ist eine Systemeigenschaft und kann auf verschiedenen Wegen ermitteln werden.
38
3 Grundlagen der Berechnungsverfahren
3.3.1 Aufbauprinzip f¨ ur ebene Rahmentragwerke Der Grad der statischen Unbestimmtheit kann anschaulich ermittelt werden, wenn man das wirkliche statisch unbestimmte System von den Lagern aus so aufbaut, wie man es in der Realit¨at auch bauen k¨ onnte. Ausgehend von einem statisch bestimmten Grundsystem wird so das wirkliche System durch sukzessives Anf¨ ugen von Scheiben und Bindungen entwickelt. Die Zahl der statisch wirsamen Anschlussgr¨oßen gibt den Grad der statischen Unbestimmtheit an.
Beispiel 1: Stockwerkrahmen Das Grundsystem ist ein Drei-Gelenk-Rahmen. Auf den statisch bestimmten Stockwerkrahmen wird ein zweites Stockwerk errichtet, das f¨ ur sich ebenfalls ein statisch bestimmter Drei-Gelenk-Rahmen ist. Danach werden drei Gelenke geschlossen, sodass ein dreifach unbestimmtes System vorliegt.
n=0
n=0
n=3
Bild 3-8 Statisch unbestimmtes Rahmentragwerk
Beispiel 2: Talbr¨ ucke Ausgangssystem sind die zwei Pylone, die als Kragarme statisch bestimmt sind. Danach wird die Fahrbahn als Balken auf die Pylone gelegt und in einem zweiten Schritt fest mit den Pylonen verbunden. Zuletzt werden die ¨ außeren Lager angesetzt. Insgesamt liegt ein dreifach statisch unbestimmtes System vor.
n=0
n=0
n=1
n=3
Bild 3-9 Statisch unbestimmte Talbr¨ ucke
3.3 Statische Bestimmtheit
39
Beispiel 3: Abgeh¨ angte Br¨ ucke Der Drei-Gelenk-Bogen in Bild 3-10-links ist statisch bestimmt. An den Bogen k¨ onnen jetzt sukzessive vom linken oder rechten Lager ausgehend jeweils ein H¨ anger und ein untenliegender Balken gelenkig und damit statisch bestimmt angebracht werden. Der letzte Balken f¨ uhrt auf ein einfach unbestimmtes System. Die biegesteife Verbindung der untenliegenden Balken f¨ uhrt auf ein insgesamt f¨ unffach unbestimmtes System.
n=0 n=1
n=5
Bild 3-10 Statisch unbestimmte Bogenbr¨ ucke
Beispiel 4: Vierendeel-Tr¨ ager Vierendeel-Tr¨ ager sind geschlossene Rahmentragwerke, die aus biegesteif verbundenen Einzelst¨ aben bestehen. Im Gegensatz zu Fachwerken, die ihre große Steifigkeit aus den im Dreieck angeordneten Druck- bzw. Zugst¨ aben beziehen, tragen Vierendeel-Tr¨ager auf Biegung und sind daher viel weniger steif. n=0
n=0
n=2
Bild 3-11 Statisch unbestimmter Vierendeel-Tr¨ager Der untenliegende Balken mit den biegesteif angebrachten St¨ utzen ist statisch bestimmt. Nach Anbringen des linken und rechten Drei-Gelenk-Rahmens ist das System weiterhin statisch bestimmt. Das Schließen des inneren oberen Riegels bewirkt eine zweifache Unbestimmtheit.
40
3 Grundlagen der Berechnungsverfahren
3.3.2 Abz¨ ahlkriterium f¨ ur Rahmentragwerke Besteht ein statisches System aus einem einfach zusammenh¨ angenden Gebiet, das im weiteren als Scheibe bezeichnet wird, so kann man alle Schnittgr¨ oßen und die Lagerreaktionen allein mit den Gleichgewichtsbedingungen berechnen. Einfach zusammenh¨angende Scheiben besitzen eine zusammenh¨ angende Oberfl¨ ache, die man ohne Schnitt umfahren kann. Beispiele sind in Bild 3-12 gegeben. Der Vierendeel-Tr¨ager nach Abschnitt 3.4.3 ist z. B. mehrfach zusammenh¨ angend. Balken
Q=0
M=0
Kragarm
M=0
Pendelstab
Drei-Gelenk-Rahmen
Bild 3-12 Einfach zusammenh¨angende Scheiben Besteht ein statisches System aus mehreren Scheiben, so wird es als Schei” benverband“ bezeichnet. Ein aus zwei Scheiben bestehendes System ist der Dreigelenkrahmen nach Bild 3-13. Der Rahmen ist ¨ außerlich und innerlich statisch bestimmt. Nach Freischneiden der einzelnen Scheiben k¨ onnen die Gleichgewichtsbedingungen an beiden Scheiben so angesetzt werden, dass alle Lagerreaktionen a und alle Zwischenreaktionen z berechenbar sind.
Hb
b Vb a
c
Ha
Va
Hc
Vc
unbekannt z = 2, a = 4 Gleichungen 2 · 3 = 6 . Bild 3-13 Scheibenverband: n = 0 Bei komplexen Scheibenverb¨anden bestehen die einzelnen Scheiben aus statisch bestimmten Untersystemen, die selbst Fachwerke oder Rahmen sein k¨ onnen.
3.3 Statische Bestimmtheit
41
Zerlegt man ein komplexes statisches System mit Hilfe von Schnitten in einfach zusammenh¨ angende Scheiben und vergleicht die Zahl der Schnittgr¨ oßen in den Schnitten und die Zahl der Lagerreaktionen mit der Zahl der Gleichgewichtsbedingungen, so erh¨alt man den Grad der statischen Unbestimmtheit, siehe Bild 3-14.
2 1 3
Bild 3-14 Statisch unbestimmtes System: n = 3 Bei der Bestimmung der Zwischenreaktionen in Schnitten ist darauf zu achten, dass die Zahl der Reaktionen durch bereits vorhandene Gelenke verringert wird. Pendelst¨ abe k¨ onnen durch einwertige Schnitte bzw. Lager ersetzt werden, z¨ ahlen aber dann nicht mehr als Scheibe. Mit a z p n
Zahl der Lagerreaktionen Zahl der Zwischenreaktionen (Schnittgr¨ oßen in Schnitten) Zahl der einfach zusammenh¨angenden Scheiben Grad der statischen Unbestimmtheit
ist die Zahl der Unbekannten a+z und die Zahl der Gleichgewichtsbedingungen 3 p. Damit ist der Grad der statischen Unbestimmtheit bei ebenen Systemen n = a+z −3p
0
statisch unterbestimmt, verschieblich, statisch bestimmt, statisch unbestimmt.
Bei r¨ aumlichen Systemen gibt es sechs Gleichgewichtsbedingungen, sodass hier n = a + z − 6 p anzusetzen ist.
Satz Ein System ist n-fach statisch unbestimmt, wenn die Zahl der unbekannten Lager- und Kraftgr¨oßen in Schnitten, die zu einfach zusammenh¨ angenden Scheiben f¨ uhren, um n gr¨oßer ist als die Zahl der Gleichgewichtsbedingungen.
42
3 Grundlagen der Berechnungsverfahren
Beispiele zur Berechnung der statischen Unbestimmtheit 2
1
3
1
3
3 a = 6, z = 0, p = 1, n = 3
3 a = 8, z = 2, p = 2 , n = 4
2
1
2
1
4
3
2
3
a = 8, z = 4, p = 3, n = 3
3
3
a = 8, z = 4, p = 3, n = 3
3
3
1
3
3
3
3
a = 6, z = 4, p = 2, n = 4
3
3
1
a = 7, z = 9, p = 2 , n = 10
Anmerkungen In der Literatur wird manchmal der Begriff statisch unterbestimmtes System“ ” f¨ ur die in unserem Sinne statisch unbestimmten Systeme verwendet. Hiermit ist gemeint, dass die Zahl der Gleichgewichtsbedingungen unter der Zahl der unbekannten Schnitt- bzw. Lagergr¨oßen ist. Zu beachten ist, dass mit dem Abz¨ahlkriterium nicht alle verschieblichen Systeme identifiziert werden k¨onnen, da auch statisch bestimmte oder unbestimmte Systeme verschieblich sein k¨onnen. Hinreichende Kriterien f¨ ur die Verschieblichkeit von statischen Systemen geben allein die Untersuchungsmethoden f¨ ur kinematische Systeme nach Abschnitt 5.
3.3 Statische Bestimmtheit
43
3.3.3 Aufbauprinzip f¨ ur ebene Fachwerke Das wirkliche Fachwerk wird aus einem bekannten statisch bestimmten Grundsystem sukzessive durch Anbindung neuer Knoten entwickelt. Hierbei gelten folgende Regeln: a) Zwei St¨ abe schließen einen neuen Knoten statisch bestimmt und unverschieblich an, wenn die St¨abe nicht auf einer Geraden liegen. verschieblich
fest
b) Zwei St¨ abe schließen eine neue Scheibe immer gelenkig an, wenn die angeschlossene Scheibe nicht ausreichend gelagert ist. Es entsteht ein verschiebliches Gelenkviereck.
Drehpol verschieblich
c) Drei St¨ abe schließen eine neue Scheibe statisch bestimmt und unverschieblich an, wenn sich die Geraden, auf denen die St¨abe liegen, nicht in einem Punkt schneiden. Wenn sich die Richtungen der drei St¨abe in einem Punkt schneiden oder parallel sind, sind beide Scheiben gegeneinander verschieblich. Drehpol
verschieblich fest
44
3 Grundlagen der Berechnungsverfahren
Beispiel 1: Ein statisch bestimmtes Fachwerk Das statisch bestimmte Fachwerk mit den Knoten 1–7 und der Lagerung in den Knoten 1 und 7 kann wie folgt aufgebaut werden. Ausgangssystem ist die Scheibe mit den Knoten 1–3 und dem Lager in Knoten 1. Das System ist zun¨ achst verschieblich.
1
6
4
2
5
3
7
Hilfslager
Nach Einbau eines Hilfslagers am Knoten 3 folgt ein erstes statisch bestimmtes, nicht verschiebliches System 1–2–3. Das Anbinden der Knoten 4–7 erfolgt sukzessive jeweils mit Hilfe zweier St¨abe bis alle Knoten angeschlossen sind. Nach Anbinden des zweiten Lagers am Knoten 7 und Entfernen des Hilfslagers liegt das statisch bestimmte und nicht verschiebliche System vor.
1
6
4
2
5
3
7
a
b
Beispiel 2: Ein statisch unterbestimmtes Fachwerk Nachfolgendes System ist statisch unterbestimmt und damit verschieblich bzw. kinematisch. Da eine einzige Verschiebungsm¨oglichkeit vorhanden ist, ist das System einfach verschieblich. 2
4 1 3
Die Scheiben 1 und 4 besitzen jeweils nur ein Lager und sind durch zwei andere Scheiben, dies sind hier die parallelen St¨abe 2 und 3, miteinander verbunden. Damit bilden die Scheiben 1, 2, 3 und 4 ein verschiebliches Gelenkviereck. Die Pfeile deuten die Bewegungsm¨oglichkeiten der Scheiben 1 und 4 an.
3.3 Statische Bestimmtheit
45
Beispiel 3: Ein statisch unbestimmtes Fachwerk Das System ist ¨ außerlich und innerlich statisch unbestimmt, da die Zahl der Lagerkr¨ afte gr¨ oßer als die Zahl der Gleichgewichtsbedingungen ist und nach dem Aufbauprinzip mehr St¨abe vorhanden sind als zum Anbinden der Knoten erforderlich.
n=0
n=4
Im unteren Bild ist ein m¨oglicher statisch bestimmter Teil des Tragwerks grau hinterlegt. Drei zus¨ atzliche St¨abe sowie eine zus¨atzliche Lagerkraft kennzeichnen die statische Unbestimmtheit des Systems.
3.3.4 Abz¨ ahlkriterium f¨ ur Fachwerke Das Abz¨ ahlkriterium f¨ ur Rahmen gilt auch f¨ ur Fachwerke, wenn die gelenkige Verbindung der Fachwerkst¨abe beachtet wird. Einfacher ist das folgende, speziell f¨ ur Fachwerke g¨ ultige Kriterium. Bei Fachwerken sind die Momente aprioi zu null gesetzt, sodass nur die Lagerreaktionen und die Stabkr¨afte unbekannt sind. Zur Berechnung der unbekannten Stab- und Lagerkr¨ afte stehen an jedem Fachwerkknoten und an jedem Lager zwei Kraftgleichgewichtsbedingungen zur Verf¨ ugung. Es werden daher alle Fachwerkknoten frei geschnitten. Mit a s k n
Zahl der Lagerreaktionen Zahl der Stabkr¨afte Zahl der Fachwerkknoten Grad der statischen Unbestimmtheit
ist die Zahl der Unbekannten a+s und die Zahl der Gleichgewichtsbedingungen
46
3 Grundlagen der Berechnungsverfahren
2 k. Hiermit gilt in der Ebene n = a +s−2k
0
statisch unterbestimmt, verschieblich, statisch bestimmt, statisch unbestimmt.
n ist der Grad der statischen Unbestimmtheit bei ebenen Fachwerken. Bei r¨ aumlichen Fachwerken gibt es drei Gleichgewichtsbedingungen je Knoten n = a + s − 3 k. Der Kran in Bild 3-15 ist in der Ebene 1-fach statisch unbestimmt. Die grau angelegte Fl¨ ache ist nach dem Aufbauprinzip statisch bestimmt, wenn von den beiden Lagern ausgehend jeder Knoten mit zwei St¨ aben angeschlossen werden. Der zus¨ atzliche Stab bewirkt die Unbestimmtheit.
a=3 s = 28 k = 15 a
}
n = 3 + 28 2 * 15 = 1
b
Bild 3-15 Statisch unbestimmter Kran Die Fachwerkbr¨ ucke in Bild 3-16 ist 2-fach statisch unbestimmt. Auch hier ist der grau angelegte Bereich mit dem Aufbauprinzip als statisch bestimmt identifizierbar. Ausgehend von einem Lager und einem Hilfslager kann man sukzessive alle Knoten mit zwei Fachwerkst¨aben anschließen. Das Hilfslager wird entfernt, sobald das Fachwerk auf beiden Lagern ruht. Die zwei zus¨ atzlichen St¨ abe bewirken die statische Unbestimmtheit des Systems. a=3 s = 35 k = 18
}
n = 3 + 35
a
Bild 3-16 Statisch unbestimmte Fachwerkbr¨ ucke
2 * 18 = 2
b
3.4 Grundgleichungen f¨ ur Stabtragwerke
47
3.4 Grundgleichungen f¨ ur Stabtragwerke Die Modellierung von beliebigen Tragwerken des Ingenieurwesens umfasst neben der Idealisierung des Tragwerks auch immer die mathematische Beschreibung des Trag- und Verformungsverhaltens mit den Grundgleichungen und den zugeh¨ origen Randbedingungen. Die Grundgleichungen werden f¨ ur kontinuierliche Tragwerke (St¨ abe, Fl¨achentragwerke, 3-D-Kontinua) am differentiellen Element aufgestellt. Im einzelnen gibt es folgende Grundgleichungen: V Die Verformungsgeometrie oder Kinematik beschreibt den Verformungszustand im Gebiet und auf dem Rand. Beschreibungsvariable sind Weggr¨ oßen und Verzerrungen. G Die Statik beschreibt das Gleichgewicht im Gebiet und die Kraftrandbedingungen. Beschreibungsvariable sind Spannungen sowie Kr¨ afte und Momente. W Die Werkstoffgleichungen beschreiben unabh¨angig von Kinematik und Statik das Werkstoffverhalten mit den Spannungen und Verzerrungen. Die Grundgleichungen kann man u ¨ bersichtlich in das Tonti-Schema nach Bild 3-17 einordnen. Die Gleichungen f¨ ur die Kinematik und das Gleichgewicht sind Differentialgleichungen, deren Integrationskonstanten an die Randbedingungen des jeweiligen Gebietes angepasst werden. Sie gelten unabh¨ angig voneinander und m¨ ussen gleichzeitig erf¨ ullt sein. Die Werkstoffgleichung ist im einfachsten Fall eine algebraische Gleichung, die werkstoffunabh¨ angig mit Hilfe vergleichbarer Materialparameter wie dem Elastizit¨ atsmodul und der Querdehnzahl formuliert werden kann. So wird die Biegesteifigkeit EI und die Dehnsteifigkeit EA f¨ ur Stahl, Holz und Stahlbetonquerschnitte angesetzt und das Materialverhalten als linear elastisch beschrieben. Lasten P, q
6 Gleichgewicht ? Spannungen σ
Verschiebungen u
6
Kinematik ? Werkstoffgleichungen Verzerrungen ε
Bild 3-17 Tonti-Schema der Grundgleichungen
48
3 Grundlagen der Berechnungsverfahren
Die Werkstoffgleichungen verkn¨ upfen die Beschreibungsvariablen der Kinematik und der Statik. Der Werkstoff legt fest, wie sich das Tragwerk bei gegebenem Spannungszustand verformt: σ → ε → u. Der Werkstoff legt damit auch fest, wie sich der Spannungszustand bei gegebenem Verformungszustand einstellt: u → ε → σ. Wie groß die Verformungen bei gegebenem Spannungszustand sind, ist mit der Steifigkeit des Werkstoffs festgelegt. Man unterscheidet generell zwischen starren“ Tragwerken mit unendlich großen Steifigkeiten, stei” ” fen“ Tragwerken mit endlichen Steifigkeiten und schlaffen“ Tragwerken mit ” verschwindender Steifgkeit. Die in der Baustatik untersuchten Stabtragwerke sind als schubstarr, dehnstarr und biegesteif“ vorausgesetzt. ” Die Grundgleichungen sind linear, wenn die Verformungen in der Tragwerksberechnung als infinitesimal klein angenommen werden und das Werkstoffverhalten als linear elastisch angesetzt wird. In desem Fall ist die L¨ osung der Grundgleichungen nach Kirchhoff eindeutig, sodass die L¨ osungen f¨ ur unterschiedliche Lastf¨ alle superponiert werden k¨onnen. Wenn die Stabilit¨at von Tragwerken (Kippen, Knicken, Beulen) untersucht werden soll, sind die Verformungen endlich groß und m¨ ussen in den Grundgleichungen zus¨ atzlich ber¨ ucksichtigt werden. Hierbei kann es mehrere unterschiedliche L¨osungen der Grundgleichungen zu gleichen Einwirkungen geben. Aufgrund der Nichtlinearit¨ at gilt das Superpositionsprinzip dann nicht mehr. Nachfolgend sind die Grundgleichungen f¨ ur Stabtragwerke in einer Form zusammengestellt, die im Bauwesen ausreichend ist.
3.4.1 Das differentielle Element Die Grundgleichungen werden am differentiellen Element aufgestellt, das aus dem jeweiligen Tragwerk an der Stelle x ± dx/2 entsprechend Bild 3-18 herausgeschnitten wird. Mit der speziellen Wahl des differentiellen Elementes lassen sich die Grundgleichungen widerspruchsfrei herleiten. q M
dx j z, w
Bild 3-18 Das differentielle Element
x
e
P
3.4 Grundgleichungen f¨ ur Stabtragwerke
49
Zus¨ atzlich zu den Grundgleichungen sind die Randbedingungen des Tragwerks angegeben, da sie die Integrationskonstanten der L¨osung der Grundgleichungen festlegen. In der hier zun¨achst gew¨ahlten Theorie I. Ordnung sind die Tragwirkungen des Balkens und des Dehnstabes nicht gekoppelt, sodass die Grundgleichungen getrennt entwickelt werden k¨onnen.
3.4.2 Biegest¨ abe Biegest¨ abe bzw. Balken sind in z-Richtung belastete St¨ abe, sodass die Verformungen des Tragwerks in der x-z-Ebene stattfinden. Nachfolgend sind die Grundgleichungen unter Annahme der Bernoulli–Hypothese angegeben. F¨ ur Einzelst¨ abe gilt: Raumkoordinaten Verschiebung Verdrehung Verkr¨ ummung Lasten Biegesteifigkeit
: : : : : :
x, z w(x) ϕ(x) κ(x) q(x), P, M e EI
q(x)
Me ϕ
x
P
z,w
I beschreibt das Fl¨ achentr¨agheitsmoment des Balkenquerschnitts. P, M e sind eingepr¨ agte Kr¨ afte und Momente am Rand des Balkens.
Verformungsgeometrie Die Verformungsgeometrie beschreibt den Zusammenhang zwischen der Verschiebung w, der Neigung der Stabachse ϕ und der Verkr¨ ummung κ. dx x z
w – dw/2 w
w + dw/2 j
j – dj/2
j
x j + dj/2
Bild 3-19 Kinematik am differentiellen Balkenelement Am differentiellen Element nach Bild 3-19-links ist die Neigung ϕ der Balkenachse mit der Biegelinie w verkn¨ upft. Im Bild rechts folgt die positive Ver-
50
3 Grundlagen der Berechnungsverfahren
¨ kr¨ ummung aus der postiven Anderung der Verdrehung. tan ϕ =
dw dx
= w ,
ϕ = arctan w , κ=
dϕ dx
=
w (1 + w 2 )3/2
.
Die Gleichungen sind stark nichtlinear, wenn die Verdrehung ϕ groß ist. Wenn ϕ klein ist, kann man die Gleichungen vereinfachen. Es gilt dann ϕ − w = 0
im Gebiet und
we − w = 0
auf dem Rand.
ϕ −ϕ = 0
κ−ϕ = 0
e
e
w ist eine eingepr¨agte Lagerverschiebung und ϕe eine eingepr¨ agte Lagerverdrehung. Hiermit sind die Weggr¨oßen am Rand des Biegestabes festgelegt.
Gleichgewicht Die Gleichgewichtsbedingungen werden am differentiellen Element entsprechend dem Bild aufgestellt. Stetig verteilte ¨außere Momente m(x) z. B. aus Bremswirkung k¨ onnen im Rahmen der Bernoulli-Theorie zwar angesetzt werden, werden hier aber vernachl¨assigt. q
M
dM/2
M + dM/2
Q
dQ/2
Q + dQ/2 dx/2
dx/2
x
F¨ ur die Summe der Kr¨afte gilt − ( Q − dQ/2 ) + ( Q + dQ/2 ) + q dx = 0. Mit dQ = Q dx kann man die Gleichung vereinfachen ( Q + q ) dx = 0. F¨ ur die Summe der Momente an der Stelle x ist ( Q − dQ/2 )·dx/2 + ( Q + dQ/2 )·dx/2 + ( M − dM/2 ) − ( M + dM/2 ) = 0 anzusetzen. Auch hier kann man die Gleichung mit dM = M dx vereinfachen ( M − Q ) dx = 0.
3.4 Grundgleichungen f¨ ur Stabtragwerke
51
Zus¨ atzlich zu den Gebietsgleichungen muss das Gleichgewicht auf dem Rand erf¨ ullt werden. Der Rand hat in x-Richtung keine r¨ aumliche Ausdehnung, sodass kein differentielles Element erforderlich ist. Hier wird nur Gleichgewicht ¯ M ¯ und den inneren Reaktionen Q, M gefordert. zwischen den Einwirkungen Q, Rand x
M Q
z
l
e
M
P
Damit sind die Gleichgewichtsbedingungen wie folgt anzusetzen: Q + q = 0
im Gebiet und
M −Q=0
P −Q=0
auf dem Rand.
e
M +M =0
Werkstoffgleichungen Das Werkstoffverhalten wird hier als linear elastisch angesetzt. Plastische Verformungen und Rissbildung erfordern zus¨atzliche Annahmen und Bedingungsgleichungen, die erst bei weiterf¨ uhrenden Modellen eingesetzt werden. Im Rahmen der Bernoulli-Theorie werden die Verkr¨ ummungen aus Elastizit¨ at und Erw¨ armung mit dem Biegemoment sowie dem Temperaturgradienten ΔT in Dickenrichtung verkn¨ upft. Es gilt κel = −M/EI κT = −αT (Tu − To )/h = −αT ΔT /h
+k +M
Die Verformungsbedingung verkn¨ upft die Verkr¨ ummungen aus Elastizit¨ at und Erw¨ armung mit der Verformungsgeometrie κ − κel − κT = 0. Die Querkr¨ afte sind mit den Biegemomenten nur u ¨ ber die Gleichgewichtsbedingungen verkn¨ upft. Eine Werkstoffgleichung f¨ ur die Querkraft kann im Rahmen der Bernoulli–Hypothese mit schubstarren Querschnitten nicht angesetzt werden, da die Schubverformung verschwindet.
52
3 Grundlagen der Berechnungsverfahren
3.4.3 Dehnst¨ abe Dehnst¨ abe sind in L¨angsrichtung des Stabes (x-Achse) belastet und k¨ onnen Druck- und Zugkr¨afte aufnehmen. Sie werden in der Baustatik als dehnstarr angesetzt, da die Dehnsteifigkeiten in der Regel erheblich gr¨ oßer als die Biegesteifigkeiten sind. Streckenlasten k¨onnen u ¨ ber den Stab integriert und an den Stabenden als Einzellasten aufgebracht werden. Bei statisch unbestimmten Systemen sind die Steifigkeiten wesentlich f¨ ur den Lastabtrag, sodass die St¨abe im Einzelfall als dehnsteif angesetzt werden m¨ ussen. Am Einzelstab gilt zun¨achst allgemein: Koordinate Verschiebung Dehnung Lasten Dehnsteifigkeit
: : : : :
x u(x) ε(x) p(x), P EA
p(x) P x,u
A beschreibt die Querschnittsfl¨ache des Dehnstabes. p(x) ist eine Streckenlast und P eine Einzellast. Die Grundgleichungen des Dehnstabes werden analog zum Biegestab am differentiellen Element aufgestellt.
Verformungsgeometrie Die Verformungsgeometrie bzw. Kinematik definiert den Zusammenhang zwischen den Verschiebungen u(x) und den Verzerrungen ε(x). In der Mechanik und der Statik sind verschiedene Verzerrungsmaße bekannt, die je nach Anwendungsgebiet unterschiedlich definiert sind. Hier wird die anschauliche Ingenieurverzerrung verwendet, bei der die L¨ange des verformten differentiellen Elementes auf die unverformte L¨ange bezogen ist. dx/2
dx/2
u
x u
du/2
u + du/2
Entsprechend der Abbildung sind die Ingenieurverzerrungen wie folgt definiert ε =
(u + du/2) − (u − du/2) . dx
3.4 Grundgleichungen f¨ ur Stabtragwerke
53
Mit du = u dx folgen die Grundgleichung und die zugeh¨ orige Randbedingung f¨ ur u. Es gilt u − ε = 0
im Gebiet und
ue − u = 0
auf dem Rand.
e
agte Lagerverschiebung, die die Randverschiebung festlegt. u ist eine eingepr¨
Gleichgewicht Das Gleichgewicht der Kr¨afte liefert am differentiellen Element − ( N − dN/2 ) + ( N + dN/2 ) + p dx = 0. P N
dN/2
N + dN/2
dx/2
dx/2
x
Mit dN = N dx kann man die Gleichung umformen zu ( N + p ) dx = 0. Außerdem sind die Kraftrandbedingungen zu erf¨ ullen. Damit gilt N + p = 0
im Gebiet und
P −N =0
auf dem Rand.
Werkstoffgleichungen Die Werkstoffgleichungen verkn¨ upfen die Verzerrungen εel , εT mit den Normalkr¨ aften N sowie der Erw¨armung von T0 auf T1 . Vereinbarungsgem¨ aß ist lineares Werkstoffverhalten angesetzt. Hierf¨ ur gilt εel = N/EA εT = αT (T1 − T0 ) Die Verformungsbedingung verkn¨ upft die Werkstoffgleichungen mit der Verformungsgeometrie ε − εel − εT = 0.
54
3 Grundlagen der Berechnungsverfahren
3.4.4 Torsion Torsionsst¨ abe erfahren eine um die L¨angsachse (x-Achse) wirkende Momentenbelastung, die zu einer Verdrillung des Stabes f¨ uhrt. In der St. Venant Torsionstheorie setzt man voraus, dass die Querschnitte bei der Verformung eben bleiben und keine Verw¨olbung auftritt. Dies ist f¨ ur die Torsion von Kreisquerschnitten exakt. Bei beliebigen Querschnitten treten jedoch Verw¨ olbungen auf, die man nur mit einer genaueren Theorie beschreiben kann. Hierf¨ ur gelten die folgenden Grundgleichungen daher nur, wenn als Randbedingungen der freie Rand mit vorgegebenem Torsionsmoment oder die Gabellagerung zugelassen sind. Die Gabellagerung nimmt das Torsionseinspannmoment auf, ist jedoch keine Festeinspannung, sodass eine ungehinderte spannungsfreie Verw¨ olbung m¨ oglich ist, die in den Grundgleichungen nicht ber¨ ucksichtigt werden muss. F¨ ur die Beschreibung des Tragverhaltens von Torsionsst¨aben gilt: Raumkoordinate Drillwinkel Verdrillung Einwirkungen Drillsteifigkeit
: : : : :
x ϑ(x) d(x) mT (x), MTe GIT
mT
J
e
MT
x
G ist der Schubmodul und IT beschreibt das polare Fl¨ achentr¨ agheitsmoment des Querschnitts.
Verformungsgeometrie Die Verformungsgeometrie beschreibt nicht die Dehnungsverteilung im Querschnitt, sondern ausschließlich die Verdrillung d in Stabl¨ angsrichtung, die einem Schubwinkel entspricht. Hierf¨ ur gilt J
dJ/2
(ϑ + dϑ/2) − (ϑ − dϑ/2) . d = dx
x
dx/2 dx/2 dJ/2
Mit dϑ = ϑ dx folgen die Grundgleichung und die zugeh¨ orige Randbedingung ϑ − d = 0
im Gebiet und
ϑ −ϑ=0
auf dem Rand.
e
e
ϑ ist ein eingepr¨agter Drillwinkel am Lager, analog zu einer Lagerverdrehung bei einem Biegestab.
3.4 Grundgleichungen f¨ ur Stabtragwerke
55
Gleichgewicht Torsionsst¨ abe k¨ onnen von Einzelmomenten MTe und von Streckenmomenten mT belastet werden. Momentengleichgewicht um die L¨ angsachse liefert −(MT − dMT /2) + (MT + dMT /2) + mT dx = 0. mT MT dMT /2
MT + dMT /2
dx/2
dx/2
x
Mit dMT = MT dx sowie dem einwirkenden Torsionsmoment MTe folgt MT + mT = 0
im Gebiet und
− MT = 0
auf dem Rand.
MTe
Werkstoffgleichung Auch f¨ ur die Torsion wird elastisches Werkstoffverhalten angesetzt. Erw¨ armung liefert jedoch keinen Beitrag. Damit gilt die Werkstoffgleichung del = MT /GIT sowie die Verformungsbedingung d − del = 0.
Anmerkung In der Bemessung der Tragwerke unterscheidet man Gleichgewichtstorsion und Vertr¨ aglichkeitstorsion. Die Unterscheidung ist nicht zwangsl¨ aufig erforderlich, sondern in unterschiedlichem Systemtragverhalten begr¨ undet.
Gleichgewichtstorsion
Vertr¨aglichkeitstorsion
56
3 Grundlagen der Berechnungsverfahren
1. Gleichgewichtstorsion muss nachgewiesen werden, da das Tragwerk einst¨ urzt, wenn die Torsionsmomente nicht aufgenommen werden k¨ onnen. Dies bedeutet f¨ ur das im Bild links dargestellte Tragwerk, dass der L¨ angstr¨ ager torsionssteif und eine Gabellagerung vorhanden sein muss. 2. Vertr¨ aglichkeitstorsion liegt vor, wenn die Einwirkungen zwar zur Torsion eines Stabes f¨ uhren, aber zus¨atzliche Tragwirkungen vorhanden sind, die die Standsicherheit auf anderem Wege sicherstellen k¨ onnen. Das im Bild rechts dargestellte System tr¨agt die Lasten auch u ¨ber Biegung ab.
3.5 Analytische L¨ osung der Grundgleichungen Hier wird die analytische Vorgehensweise f¨ ur Biegest¨ abe allgemein erl¨ autert, ohne die im Einzelfall m¨oglichen Vereinfachungen zu ber¨ ucksichtigen. F¨ ur den auf Biegung beanspruchten Einzelstab mit konstanter Biegesteifigkeit gilt nach Zusammenfassung der Grundgleichungen EIw = q(x). Die Gleichung beschreibt das Kr¨aftegleichgewicht in z-Richtung. Die Gleichgewichtsbedingung enth¨alt folgende Teill¨osungen, die superponiert werden. • Die L¨ osung der homogenen Differentialgleichung EIw = 0
wh = ao + a1 x + a2 x2 + a3 x3
−→
• und die Partikularl¨osung, hier f¨ ur konstante Belastung EIw = q
−→
wp =
qx4 . 24EI
Damit ist die Gesamtl¨osung qx4 . 24EI Die Anpassung der Konstanten ai der Gesamtl¨osung an die Randbedingungen erfolgt f¨ ur den jeweils vorliegenden Einzelfall. F¨ ur das im Bild gew¨ ahlte System gilt: w = wh + wp = ao + a1 x + a2 x2 + a3 x3 +
q(x)
x
j z,w
w(0) = 0 w(l) = 0
b
a l
M (0) = −EIw (0) = 0 M ( ) = −EIw ( ) = 0
3.5 Analytische L¨ osung der Grundgleichungen
57
Damit folgt die an die Randbedingungen angepasste Gesamtl¨ osung w = ( l3 x − 2 lx3 + x4 )
q . 24 EI
Mit der Gesamtl¨ osung der Differentialgleichung ist die Biegelinie w bekannt. Im Nachlauf kann man mit den Grundgleichungen auch die anderen Zustandslinien (ϕ, M, Q) nach Differentiation der Biegelinie berechnen. F¨ ur den gelenkig gelagerten Balken mit konstanter Belastung erh¨alt man den Verlauf der Zustandslinien wie im Bild dargestellt. Wenn die Biegelinie w(x) ein Polynom vierter Ordnung ist, ist die Neigung w=j w ϕ(x) dritter Ordnung. Beide Zustandslinien sind hier nur der Vollst¨andigkeit halber angegeben. Prim¨ar interessieren j j=-M EI das Moment und die Querkraft. Wenn w(x) ein Polynom vierter Ordnung ist, folgt ein quadratischer Verlauf der MoM=Q M mentenlinie und ein linearer Verlauf der Querkraftlinie. Am gelenkigen Lager ist Q=-q Q die Momentenlinie null. Der Extrem wert der M-Linie gibt wegen M = Q den Nulldurchgang der Querkraftlinie an. F¨ ur eine anschauliche Kontrolle des Ergebnisses kann man den Zusammenhang zwischen Moment, Verkr¨ ummung und Einwirkung verwenden. Die Berechnung der Lagerkr¨afte ist in der Regel nicht erforderlich, kann aber in einer nachfolgenden Berechnung mit den Zustandslinien M und Q erfolgen. Entsprechend Bild 3-20 k¨onnen die Lagerkr¨afte f¨ ur das vorliegende Beispiel mit den Querkr¨ aften ermittelt werden. Qa
Qb B
A A = Qa
B = - Qb
Bild 3-20 Schnitt am Lager Bei mehreren Feldern und bei Rahmentragwerken sind die Grenzen der analytischen Vorgehensweisen schnell erreicht, sodass hier immer die viel effizienteren Verfahren der Baustatik eingesetzt werden.
58
3 Grundlagen der Berechnungsverfahren
3.6 Vorgehensweise der Baustatik In der Baustatik berechnet man grunds¨atzlich zuerst die Momentenlinie. Erst danach werden alle anderen Zustandslinien mit Hilfe der Grundgleichungen und danach eventuell die Lagergr¨oßen ermittelt. Hierbei gelten folgende Regeln: 1. Die Momentenordinaten werden nur an ausgezeichneten Stellen des Tragwerks ermittelt. Dies sind vorzugsweise die Grenzen der Integrationsbereiche der Grundgleichungen, also z. B. Lager und Rahmenecken. 2. Der Verlauf der Momentenlinie zwischen den berechneten Einzelordinaten wird mit Hilfe der nachfolgenden Tabellen f¨ ur den Zusammenhang der Zustandslinien ermittelt. 3. Die genaue Momentenlinie zwischen Einzelordinaten wird mit Hilfe der Schlusslinie und der Momentenlinie am Einzelfeld bestimmt, was nachfolgend ebenfalls erl¨ autert ist.
3.6.1 Zusammenhang der Zustandslinien F¨ ur vorhandene Lasten q(x) erh¨alt man die analytische L¨ osung der Zustandslinien nach Differentiation der Gesamtl¨osung, siehe Abschnitt 3.4.2 und Abschnitt 3.5. Bei Einzellasten und Einzelmomenten weisen die Zustandslinien Knicke und Spr¨ unge auf, siehe Bild 3-21. P M li
M re
M Qre
Q li
M
e
M li Q li
Mre Qre
M
Qre = Qli − P
Qre = Qli
Mre = Mli
¯ Mre = Mli + M
Bild 3-21 Einzellast und Einzelmoment F¨ ur die qualitative Beschreibung der Zustandslinien ist der Zusammenhang zwischen den Zustandsgr¨oßen in Tabelle 3.1 angegeben. Hiermit sind der Verlauf der Zustandsgr¨ oßen sowie Nulldurchg¨ange, Knicke und Spr¨ unge ohne weitere Berechnung qualitativ angebbar, wenn eine einzige Zustandslinie bekannt ist. In nachfolgender Tabelle ist auch die Zuordnung von Nullstellen, Extremwerten
3.6 Vorgehensweise der Baustatik
59
und Wendepunkten der Zustandslinien angegeben, sodass man mit gegebener Momentenlinie M die Biegelinie w qualitativ zeichnen und damit die Momentenlinie anschaulich kontrollieren kann. Tabelle 3.1 Verlauf der Zustandslinien bei gegebener Last q(x)
Q
M
w
0 0 konstant linear ... Einzellast Einzelmoment
0 konstant linear Parabel 2. Ordnung ... Sprung unver¨andert
konstant linear Parabel 2. Ordnung Parabel 3. Ordnung ... Knick Sprung
0
max/min 0
Wendepunkt
Nachfolgendes Beispiel zeigt, wie die Momentenlinie von der Art der Last abh¨ angt. Die Gleichlast q bewirkt eine quadratische Momentenlinie. Im unbelasteten Teil des Balkens ist die Momentenlinie linear. An der Stelle des rechten Lagers ist ein Knick vorhanden. Der Verlauf der Querkraft ist als Neigung der Momentenlinie ablesbar. Die Verkr¨ ummung der Biegelinie entspricht direkt der Momentenlinie. Der Momentennullpunkt ist Wendepunkt der Biegelinie. q
WP
w
M min
Q
P
60
3 Grundlagen der Berechnungsverfahren
Beispiel 1 Das Moment und die Querkraft im Pendelstab sind null. Das Moment links neben dem Gelenk erh¨alt man als Schnittmoment im Kragarm b − d. Weil die Querkraft im Gelenk b und die Normalkraft im Stab b − d null sind, ist die Querkraft Qa−b ebenfalls null und die M-Linie vom Gelenk bis zur Einspannung konstant. Die Querkraft ist die Neigung der M-Linie. Die hier nicht dargestellte Normalkraft Nb−c ist null, und die Normalkraft im Stab a−b konstant, Na−b = −P . P
d a
b
c
P
w
M M=0 Q=0
Q
N=0
Wichtig f¨ ur das anschauliche Verstehen des Tragverhaltens ist der Zusammenhang von Biegelinie w und Momentenlinie M . Besonders bei modernen Berechnungsprogrammen ist eine schnelle und effiziente Kontrolle m¨ oglich, wenn man die berechnete Biegelinie mit der Anschauung u uft. Wenn M auf der ¨ berpr¨ Zugseite abgetragen wird, ist die Verkr¨ ummung des entsprechenden Balkenabschnitts vorgegeben. Hiermit verschiebt sich der Stab b − d nach oben und der Knoten d nach links. Stab b − c ist nicht gekr¨ ummt. Die aus der Momentenlinie entwickelte Biegelinie entspricht der Anschauung.
Beispiel 2 In c und d ist ein Momentengelenk angeordnet, damit ist die Momenten-Linie im Bereich c − d null, da der Stab unbelastet ist. In c−links springt die M-Linie ¯ . Die Neigung der M-Linie bleibt von c nach b null, weil die Querkraft auf M bei einem Momentensprung unver¨andert ist. Von b nach a ist keine Belastung vorhanden, sodass die M-Linie linear auf null in a abnimmt. Die Querkraft folgt aus der Neigung der M-Linie.
3.6 Vorgehensweise der Baustatik
61
Auch hier kann man die Momentenlinie mit der Biegelinie anschaulich kontrollieren. Stab c−d ist nicht gekr¨ ummt, Stab a−c ist einsinnig mit untenliegender Zugseite gekr¨ ummt. M a
b
e
c
d
w
M Mb
e
M
Q
M=0 Qc = 0
Beispiel 3 ¯ . Im In c ist das Moment null. Rechts und links von c springt die M-Linie auf M Bereich c − d verl¨ auft die M-Linie linear bis auf null in d. Von c nach b bleibt die Neigung der M-Linie unver¨andert, sodass Mb direkt ermittelt werden kann. Von b nach a nimmt die M-Linie linear auf null ab. Die Querkraft folgt aus der Neigung der M-Linie. Die Biegelinie weist in c einen Knickwinkel auf, wobei die Biegelinien links und rechts vom Knick gleich gekr¨ ummt sind. M a
b
c
e
d
w
M Mb
Q
M
e
M=0 e Qc = – M /lcd
62
3 Grundlagen der Berechnungsverfahren
Beispiel 4 ¯ . Im Bereich In c ist das Moment null. Rechts von c springt das Moment um −M c − d nimmt die M-linie linear auf null in d ab. Da das Einzelmoment in c die Neigung der M-Linie unver¨andert l¨asst, steigt das Moment von null in c linear und parallel zum Verlauf in c − d auf Mb an. Schnitt in b und a sowie Σ M = 0 um b gibt die Querkraft rechts von a und damit die Neigung der M-Linie von a bis zur Einzellast. Damit ist auch die M-Linie von der Einzellast nach b bekannt. Die Querkraft ist die Neigung der M-Linie. P
M
a
b
e
c
d
WP
w
M
Q
3.6.2 Schlusslinien Das in Abschnitt 3.1 erl¨auterte Schnittprinzip wird zur Berechnung der Schnittgr¨ oßen eingesetzt, ohne die Grundgleichungen explizit zu l¨ osen. Aufgrund des Superpositionsprinzips kann man am gelenkig gelagerten Balken die Momentenlinien aus Stabendmomenten sowie aus Last getrennt berechnen und danach addieren. Hierbei wird vorausgesetzt, dass die Momentenlinien am gelenkig gelagerten Einfeldbalken unter beliebiger Einwirkung bekannt sind. P Mli
M
Mre Mli
Mre
P · l/4
Bei komplexen Tragwerken kann man entsprechend verfahren. Wenn an beliebigen Stellen eines Tragwerks Schnitte gelegt werden k¨ onnen, so kann man durch
3.6 Vorgehensweise der Baustatik
63
geschickte Wahl der Schnitte die Schnittgr¨oßen an besonders ausgezeichneten Stellen im Tragwerk direkt berechnen. F¨ ur alle freigeschnitten Teilsysteme gilt Σ H = 0,
Σ V = 0,
Σ M = 0.
Sind die Momentenordinaten an ausgezeichneten Schnitten bekannt, so kann man den Verlauf der Momentenlinie und der Querkraftlinie zwischen benachbarten Schnitten mit Hilfe einfacher Regeln analog zum links und rechts gelenkig gelagerten Balken bestimmen. Sind in einem beliebigen Stababschnitt eines Stabtragwerks die Momentenordinaten am linken und am rechten Rand mit Hilfe des Schnittprinzips berechnet, so wird die geradlinige Verbindung zwischen den Ordinaten der Stabendmomente als Schlusslinie bezeichnet.
Beispiel 1 Wenn der Stababschnitt unbelastet ist, muss die Momentenlinie wegen
Q li
M li
M (x) = Mli + Qli · x linear zwischen den Randwerten verlaufen. Wegen
Mre
Qre
x l
M
+
Q
+
Q = M = (Mre − Mli )/l wird die Querkraft mit den Randwerten der Momentenlinie berechnet.
Beispiel 2 Steht eine Einzellast in Feldmitte, muss die lineare Momentenlinie des unbelasteten Stababschnitts um den Anteil aus Einzellast erg¨ anzt werden. Dies erfolgt so, dass die Momentenlinie aus Einzellast am gelenkig gelagerten Einfeldbalken auf die Schlusslinie addiert wird. Die Querkr¨ afte erh¨ alt man mit Q = M oder aus Addition der Querkraftlinie infolge Einzellast und der Querkraftlinie des unbelasteten Stababschnitts.
P
x l Pl 4
M
Schlusslinie
M li
Mre
Q Q li
P
Q re
64
3 Grundlagen der Berechnungsverfahren
Beispiel 3 Im Stababschnitt sind die Momentenordinaten am linken und rechten Rand gegeben. Bei konstanter Belastung x muss die Momentenlinie wegen l ql 2 M (x) = Mli + Qli · x − q · x2 /2 Schlusslinie 8 zwischen den Randwerten quadratisch M verlaufen. Wegen + M li M re Q(x) = M = Qli − q · x ist die Querkraftlinie linear. Analog Q + Qre ist vorzugehen, wenn die Belastung Q li beliebig verteilt ist oder Einzelkr¨afte oder Einzelmomente vorhanden sind. Damit ist es grunds¨atzlich von Vorteil, bei beliebigen Tragwerken nur die Ordinaten in ausgezeichneten Schnitten zu berechnen und die Zustandslinien M (x) und Q(x) des gelenkig gelagerten Balkens zwischen den Schnitten einzuh¨angen.
Beispiel 4 Die Berechnung der Momentenlinie des Durchlauftr¨ agers erfolgt in zwei Schritten. Zuerst wird die Schlusslinie feldweise bestimmt. P
q
x,u a
c
b
z,w
d
WP
w
M max
Q
Nach Freischneiden der Lager des Balkens folgt aus dem Momentengleichgewicht um die Stelle c die Querkraft am linken Rand a. Mit Q = M in Abschnitt a − b folgt das Schnittmoment in b. Momentengleichgewicht am Abschnitt c − d um die Stelle c gibt das St¨ utzmoment an der Stelle c. Damit ist die Schlusslinie gegeben. Die Momentenparabel im Abschnitt b − c wird nur noch eingeh¨angt.
STATISCH BESTIMMTE SYSTEME
67
4 Zustandslinien statisch bestimmter Systeme
In diesem Abschnitt werden die Vorgehensweisen zur Berechnung von Zustandslinien von statisch bestimmten Tragwerken erl¨autert und an ausgew¨ ahlten Beispielen gezeigt. Das Vorgehen der Baustatik ist f¨ ur Durchlauftr¨ ager bereits in Abschnitt 3.3 gezeigt. Im folgenden Abschnitt stehen die M, Q, N -Verl¨ aufe in ebenen Fachwerken sowie Rahmen- und Bogentragwerken im Vordergrund.
4.1 Fachwerke Beim Entwurf von Fachwerken und der Berechnung der Stabkr¨ afte erleichtern einige Grundregeln die Analyse des Tragverhaltens. Fachwerkknoten sind Schnittpunkte der idealen Stabachsen. Die St¨abe sind gerade und gewichtslos, Lasten greifen nur in Fachwerkknoten an. Fachwerkst¨ abe sind im Berechnungsmodell grunds¨ atzlich gelenkig miteinander verbunden. Die in der Wirklichkeit vorhandenen Einspannwirkungen sind vernachl¨assigbar, da sie f¨ ur das Tragverhalten unwesentlich sind. Zeigt bei einem Stab-Dreieck eine Knotenlast in Richtung der Winkelhalbierenden zweier St¨abe, sind die Stabkr¨ afte gleich groß. Zeigt bei einem Stab-Dreieck eine Knotenlast senkrecht zur Winkelhalbierenden zweier St¨abe, sind die Stabkr¨ afte entgegengesetzt gleich groß (Druck bzw. Zug). Stehen zwei St¨ abe senkrecht aufeinander, so u ¨ bertragen sie keine Kraftwirkungen untereinander. Liegen an einem Knoten zwei St¨ abe auf einer Geraden und ist ein dritter in einem beliebigen Winkel dazu angeordnet, so ist die dritte Stabkraft null. P P D
Z
P Z 0
D
0
0
≠0
≠0
Die Berechnung der Stabkr¨afte von statisch bestimmten Fachwerken erfolgt mit dem Schnittprinzip. Wenn die Verschiebungen der Fachwerkknoten von Interesse sind, m¨ ussen die St¨abe als dehnsteif angesetzt werden. D. Dinkler, Grundlagen der Baustatik, DOI 10.1007/978-3-8348-9862-3_4, © Vieweg+Teubner Verlag | Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH 2011
68
4 Zustandslinien statisch bestimmter Systeme
4.1.1 Anwendung des Schnittprinzips Bei der Berechnung der Stabkr¨afte mit Hilfe des Schnittprinzips herrscht an jedem freigeschnittenen System Gleichgewicht (Ritter-Schnitt). Die Berechnung statisch bestimmter Fachwerke erfolgt dann in folgender Reihenfolge. 1. Zuerst sind die Lagerkr¨afte des Gesamtsystems zu berechnen. 2. Danach ist das Schnittprinzip sukzessive so anzuwenden, dass in jedem Schnitt maximal drei Stabkr¨afte unbekannt sind. Die Stabkr¨ afte kann man dann mit den Gleichgewichtsbedingungen berechnen. 3. Die Gleichgewichtsbedingungen sind am freigeschnittenen Teilsystem so anzusetzen, dass je Gleichung nur eine unbekannte Stabkraft vorhanden ist, und die Gleichgewichtsbedingungen damit entkoppelt sind. Hierbei kann auch ΣM = 0 f¨ ur verschiedene Drehpunkte angesetzt werden. P 6
4
2
1
5
3
A
7 B
S42
ΣM3 = 0 ΣM4 = 0 ΣV = 0
S
34
P
HA S35 VA
→ S42 → S35 → S34
VB
4.1.2 Vergleich zweier Fachwerkbr¨ ucken Auf den nachfolgenden Seiten werden zwei Br¨ ucken mit unterschiedlichem Fachwerk aber sonst gleichen Bedingungen verglichen, vergleiche hierzu die Systemskizzen. Die Lagerkr¨afte sind in beiden F¨allen: ΣH = 0 = HA → HA = 0 ΣM1 = 0 = VB 4 − P ( + 2 + 3 ) → VB = 1, 5P ΣV = 0 = VA + VB − 3P → VA = 1, 5P Mit bekannten Lagerkr¨aften kann man jetzt sukzessive alle Stabkr¨ afte nacheinander mit jeweils einer Gleichung berechnen.
4.1 Fachwerke
69
Schr¨ age Druck- und Zugstreben Das nachfolgende Fachwerk ist trotz der 15 St¨abe insgesamt viel weniger aufw¨ andig hergestellt als das zweite Fachwerk. Besonders vorteilhaft ist, das alle Knotenverbindungen gleichartig sind und die Stabl¨ angen auf maximal zwei Varianten beschr¨ ankt sind. Außerdem ist das optische Erscheinungsbild ausgewogener. Es gilt a2 = h2 + 2 /4, sin α = h/a, cos α = /2a. 2
8
6
4
15 Stäbe h 1
a
Va
P l
geschnittene St¨abe
7
5
3
a
Ha
P l
9 b
P l
l
Vb
Gleichgewicht
Stabkraft
P/h
S12 − S13
ΣV
S12
−1, 5 a
S12 − S13
ΣH
S13
+0, 75
S13 − S23 − S24
ΣV
S23
+1, 5 a
S13 − S23 − S24
ΣH
S24
−1, 5
S24 − S34 − S35
ΣV
S34
−0, 5 a
S24 − S34 − S35
ΣH
S35
+1, 75
S35 − S45 − S46
ΣV
S45
+0, 5 a
S35 − S45 − S46
ΣH
S46
−2
S46 − S56 − S57
ΣV
S56
+0, 5 a
S46 − S56 − S57
ΣH
S57
+1, 75
S57 − S67 − S68
ΣV
S67
−0, 5 a
S57 − S67 − S68
ΣH
S68
−1, 5
S68 − S78 − S79
ΣV
S78
+1, 5 a
S68 − S78 − S79
ΣH
S79
+0, 75
S79 − S89
ΣV
S89
−1, 5 a
70
4 Zustandslinien statisch bestimmter Systeme
Schr¨ age Druckstreben und vertikale Zugst¨ abe Das zweite Fachwerk besitzt 13 St¨abe, ist jedoch schwieriger herzustellen, da die Knotenverbindungen sehr vielf¨altig sind. Nachteilig ist auch, dass die Stabkr¨afte teilweise gr¨oßer und die Druckstreben l¨anger sind als im ersten Fall. Damit erfordert der Knicksicherheitsnachweis gr¨ oßere Querschnitte. Vorteilhaft ist nur, dass hier der mittlere obere Druckstab des ersten Beispiels nicht vorhanden ist. Aus der Geometrie des Fachwerks folgen die Stabl¨ angen und Winkel b2 = h2 + 2 , sin β = h/b, cos β = /b. 6
4
2
13 Stäbe
h
b
1 Va
5
3
a
Ha
P l
geschnittene St¨abe
8
7 P
l
b
P l
Vb
l
Gleichgewicht
Stabkraft
P/h
S12 − S13
ΣV
S12
−1, 5 b
S12 − S13
ΣH
S13
+1, 5
S13 − S23 − S24
ΣV
S23
+1, 5 h
S13 − S23 − S24
ΣH
S24
−1, 5
S24 − S34 − S35
ΣV
S34
−0, 5 b
S24 − S34 − S35
ΣH
S35
+2
S35 − S45 − S57
ΣV
S45
1, 0 h
S35 − S45 − S57
ΣH
S57
+2
S78 − S68
ΣV
S68
−1, 5 b
S78 − S68
ΣH
S78
+1, 5
S46 − S67 − S78
ΣV
S67
+1, 5 h
S46 − S67 − S78
ΣH
S46
−1, 5
S46 − S47 − S57
ΣV
S47
−0, 5 b
4.1 Fachwerke
71
4.1.3 Analogie zwischen Fachwerk und Ersatzbalken Wenn Fachwerke in ihrem Gesamttragverhalten wie Biegest¨ abe wirken, kann man die Stabkr¨ afte mit Hilfe von Ersatzbalkensystemen interpretieren und berechnen.
Fachwerk
Ersatzrahmen
Gegeben sei das nachfolgend im Bild dargestellte Fachwerk – z. B. eine Eisenbahnbr¨ ucke – mit den Knoten 1–12. Das Fachwerk ist durch die untenliegende Fahrbahn in den Knoten 3, 5, 7, 9 und 11 belastet. Idealisiert man die gesamte Br¨ ucke als Ersatzbalken ohne genaue Aufgliederung in die einzelnen Fachwerkst¨ abe, so kann man die Schnittgr¨oßen M und Q am Ersatzbalken ermitteln. Die Achse des Ersatzbalkens ist hier im Untergurt angeordnet. 2
4
6
8
10
7
9
11
Fachwerk 1
3
5
a
12
b 6Dl P
P
P
P
P
Ersatzbalken Q
M
Die beim Freischneiden anzusetzenden Schnittgr¨oßen M und Q des Ersatzbalkens m¨ ussen den beim Schnitt des Fachwerks vorhandenen Stabkr¨ aften Sij ¨ statisch ¨ aquivalent sein, sodass die Stabkr¨afte aus Aquivalenzbedingungen berechnet werden k¨ onnen. F¨ ur das gew¨ahlte Beispiel k¨ onnen z. B. die Stabkr¨ afte S56 , S46 und S57 aus nachfolgenden drei Bedingungen ermittelt werden.
72
4 Zustandslinien statisch bestimmter Systeme
Die Summe der vertikal wirkenden Anteile der Stabkr¨ afte entspricht der Querkraft, die Summe der horizontal wirkenden Anteile der Stabkr¨ afte entspricht der Normalkraft und die Gurtkr¨afte entsprechen den Druck- und Zugkr¨ aften ¨ aus Biegewirkung. Die Aquivalenzbedingungen sind ΣV : S56 sin α = −Qi , ΣH : S46 + S57 + S56 cos α = Ni , ΣM : S46 · h + S56 · sin αΔx = −Mi (x).
2
Wendet man die Vorgehensweise auf alle Schnitte an, so entsprechen die st¨ uckweise konstante Querkraft“- und die ” st¨ uckweise lineare Momenten“-Linie ” des Fachwerks den Zustandslinien des Ersatzbalkens.
S46 S56
4
1 a
3
a
P
5 P
P
P
S57
M
Q N
Dl
Dl
Dx
Ist der Untergurt der Fachwerkbr¨ ucke gleichm¨aßig belastet, so kann man als Ersatzbalken einen gleichm¨aßig belasteten Balken w¨ ahlen. Hierbei ver¨ andern sich die Querkraft- und die Momenten-Linie gegen¨ uber dem ersten Fall. q = P / Dl
Ersatzbalken
Q DQ Versatz
M
Weil die Gleichlasten beim Fachwerk direkt zu Knotenlasten integriert werden, muss die Differenz ΔQ infolge feldweise konstanter Querkraft bei Belastung in den Fachwerkknoten und der linearen Querkraftlinie des Ersatzbalkens beachtet werden. Damit ist bei linearer Querkraftlinie f¨ ur die Berechnung der Stabkr¨ afte des Fachwerks in jedem Schnitt ein Versatzmaß von 0, 5 Δl vorzusehen, das den stabweisen Lastabtrag auf die Knoten des Fachwerks ber¨ ucksichtigt.
4.2 Rahmentragwerke
73
4.2 Rahmentragwerke Ebene Rahmentragwerke sind aus St¨aben zusammengesetzt, die gleichzeitig das Tragverhalten von Dehnst¨aben (Membrantragwirkung) und Biegest¨ aben (Biegetragwirkung) aufweisen. F¨ ur den Einzelstab zwischen den Rahmenknoten gelten die in Abschnitt 3.4 angegebenen Grundgleichungen. Die Einzelst¨ abe r¨aumlicher Rahmen tragen zus¨atzlich auf zweiachsige Biegung und Torsion. Im Vergleich zur Biegesteifigkeit sind die Dehnsteifigkeiten der St¨ abe sehr groß, sodass die Verformungen aus Dehnung oder Stauchung der St¨ abe in der hier vereinfachenden Berechnung vernachl¨assigt werden k¨ onnen. Die St¨ abe sind daher als dehnstarr angesetzt. Lasten in Richtung der Stabachsen werden in den Stabenden angesetzt.
Bild 4-1 Rahmentragwerke Analog zu Balkentragwerken wird auch bei Rahmentragwerken zuerst die Momentenlinie ermittelt. Hierbei bietet es sich an, zun¨achst die Stabendordinaten der Momentenlinie mit Hilfe des Schnittprinzips zu berechnen und zwischen den Stabenden die Schlusslinie mit den Momentenlinien des gelenkig gelagerten Balkens einzuh¨ angen. Die Querkr¨afte werden weiterhin aus der Neigung der Momentenlinie bestimmt und die Normalkr¨afte in einem dritten Schritt mit Knotengleichgewichten berechnet.
Kr¨ aftegleichgewicht an Rahmenknoten An jedem Rahmenknoten gilt ΣH = 0 und ΣV = 0. Bei nicht rechtwinklig angeordneten St¨ aben k¨onnen die Schnittkr¨afte mit einer Transformationsvorschrift in eine andere Richtung transformiert werden. Es gilt
a
N = +H cos α + V sin α Q = −H sin α + V cos α
Q
oder invertiert
H = +N cos α − Q sin α V = +N sin α + Q cos α
x
N
z
H V
74
4 Zustandslinien statisch bestimmter Systeme
Momentengleichgewicht an Rahmenknoten An jedem Rahmenknoten muss ΣM = 0, ΣH = 0 und ΣV = 0 erf¨ ullt sein. Da sich die Momente und die Kr¨afte wegen der Schnittufer-Definition nicht vorzeichengerecht addieren lassen, m¨ ussen Momente und Kr¨ afte entsprechend ihrer Wirkungsrichtung angesetzt werden. Mo
Nl Ql Ml
Qo No
Rahmenmittelknoten
Mu Qu
Rahmenecke Mu Qu Nu
Nu
Mr Qr Nr
4.2.1 Anschauliches Finden der Zustandslinien Der Zusammenhang der Zustandslinien von Balkentragwerken ist aus Abschnitt 3.6.1 bekannt. Bei Rahmentragwerken gelten f¨ ur den Biegeanteil die gleichen Zusammenh¨ ange, hinzu kommen die Normalkr¨afte. Die anschauliche Kontrolle der Zustandslinien gelingt daher analog zu Balkentragwerken mit der Verformungsfigur des Rahmentragwerks. Setzt man dehnstarre St¨ abe und kleine Verschiebungen voraus, kann man die Verformungen eines Rahmens mit Hilfe des Sehnenpolygons anschaulich entwickeln. Hierbei gibt man die Verschiebung eines Rahmenknotens entsprechend der Einwirkungen vor und zeichnet die daraus folgenden Verschiebungen der anderen Rahmenknoten. Die geradlinige Verbindung der Rahmenknoten bezeichnet man als Sehnenpolygon. In einem zweiten Schritt erg¨ anzt man den Sehnenpolygon um die aus dem Sehnenpolygon folgenden Knotenverdrehungen und Stabverkr¨ ummungen sowie um die aus den Einwirkungen folgenden Verkr¨ ummungen. Mit den Verkr¨ ummungen der Einzelst¨abe kann man die Biegelinie und die Momentenlinie vereinfachend skizzieren. P q
Sehnenpolygon
4.2 Rahmentragwerke
75
Beispiel F¨ ur das folgende System lassen sich die Biegelinie und die Zustandslinien f¨ ur M, Q, N ohne direkte Berechnung der Ordinaten qualitativ entwickeln. 1. Anschauliche Bestimmung des Sehnenpolygons und der Biegelinie. Wenn die St¨ abe dehnstarr sind, verschiebt sich Knoten b infolge Last horizontal und der Knoten d senkrecht zum Stab e–d nach oben. Damit ist der Sehnenpolygon bekannt. Die Biegung der Einzelst¨abe folgt jetzt aus der Streckenlast und der Kontinuit¨ at der Verformungen in den Rahmenecken, wenn dort die Winkel bei der Verformung erhalten bleiben. Mit der Biegelinie liegt auch das Vorzeichen der Verkr¨ ummung fest.
c
b
w
-
+
d
-
M
e
a
2. Mit dem Verkr¨ ummungsverlauf und den Wendepunkten der Biegelinie ist der Verlauf der Schlusslinie qualitativ bekannt. Mit der Schlusslinie und der Belastung der Einzelst¨abe kann man die Momentenlinie vervollst¨ andigen. . 3. Aus der Momentenlinie folgt die Querkraftlinie mit Q = M 4. Aus der Querkraftlinie folgen die Normalkr¨afte mit Kr¨ aftegleichgewicht am Knoten.
-
-
+ Q
+
N
+ Die qualitative Bestimmung der Zustandsgr¨oßen mit Hilfe der Biegelinie ist weniger f¨ ur die Vorabanalyse des Tragverhaltens oder die Bemessung geeignet als vielmehr f¨ ur eine Kontrolle der Ergebnisse eines modernen Berechnungsprogramms.
76
4 Zustandslinien statisch bestimmter Systeme
4.2.2 Direkte Berechnung von Zustandslinien Die Berechnung der Momentenlinie erfolgt mit Hilfe des Schnittprinzips. Hierbei werden in einem ersten Schritt die wesentlichen Schnittgr¨ oßen – dies sind M und Q – in ausgezeichneten Schnitten ermittelt, sodass die Momentenlinie bestimmt werden kann. Bei der L¨osung sollten m¨ oglichst wenig Schnitte und Schnittgr¨ oßen verarbeitet werden, damit die Fehlerm¨ oglichkeiten gering bleiben. Abschließend werden die Zustandslinien analog zu Abschnitt 3.6 berechnet.
Beispiel 1 Im gesamten System a–b–c sind nur Vertikalkr¨afte vorhanden, da aus ΣH = 0 sofort Qb−c = 0 folgt. Da zus¨atzlich das Lagermoment Mc null ist, ist die Momentenlinie im gesamten Stab b − c null. Damit bleibt der Stab bei der Verformung gerade. Der Stab a − b tr¨agt die Einzellast wie ein gelenkig gelagerter Einfeldbalken. P a
b
h
w c l -P/2 -
+
+ Pl/4
M
P/2 Q
Beispiel 2 Pendelst¨ abe, die nicht direkt belastet werden, nehmen nur Normalkr¨ afte auf. Stab c − d wirkt daher wie ein horizontal verschiebliches Lager. Das Moment an der Stelle b kann damit wie bei einem Kragarm berechnet werden. Mit dem Eckmoment Mb = p · h und den Momentengelenken in a und c ist bereits die gesamte Momentenlinie gegeben.
4.2 Rahmentragwerke
77
a
b
h
w c
h/2
P
d l
-Ph/l
Ph
Q
M
P +
Beispiel 3 Die Momentenlinie im Stab a−b ist mit dem Einzelmoment in b und dem Gelenk in a gegeben. In einem Horizontalschnitt durch die St¨ abe a−b und c−d m¨ ussen die Horizontalkr¨ afte entgegengesetzt gleich sein, sodass das Moment in c und damit auch die M-Linie in b − c bekannt sind. M
c
b
h
w a
d l
l M M
-M/l -
-M / h² + l² -
M
+
Q M/h
Die Biegelinie l¨ asst sich mit Hilfe der Rahmenecke b − c − d konstruieren. Wenn auf der Außenseite der Rahmenecke die Zugseite liegt, muss Punkt b nach innen verschoben werden.
78
4 Zustandslinien statisch bestimmter Systeme
4.2.3 Berechnung von Zustandslinien mit dem Aufbauprinzip Das Aufbauprinzip wird bisher zur Bestimmung des Grades der statischen Unbestimmtheit verwendet. Hierbei entwickelt man das Tragwerk vom Fundament her kommend sukzessive bis zum obersten Bauteil. Besonders vorteilhaft l¨ asst sich das Aufbauprinzip jedoch f¨ ur die effiziente Berechnung der Zustandslinien komplexer Systeme einsetzen. Grundidee ist hierbei, das Tragwerk sukzessive von der Last her kommend so in Teilsysteme aufzuschneiden, dass die Schnittgr¨ oßen der einzelnen Bauteile von oben“ nach unten“ schnell und m¨oglichst einfach berechnet werden ” ” k¨ onnen. Das Aufbauprinzip ist vor allem bei geschlossenen Rahmen oft die einzige M¨ oglichkeit, die Momentenlinie effizient zu berechnen.
Beispiel 1 Nachfolgendes System wird zun¨achst entsprechend dem Aufbauprinzip so geschnitten, dass der Balken c−d auf dem Restsystem liegt und die Schnittgr¨ oßen in c und d zuerst berechnet werden k¨onnen. q
q
d
c
b
Qc , Nc
q h
Qd , Nd
d
b
e
a
0,5 l
l
M
N
Q
Q
N
1. Die Momentenlinie am Stab c − d ist eine quadratische Parabel. Die Querkr¨ afte Qc = +q /2 und Qd = −q /2 folgen aus dem Momentengleichgewicht um c bzw. d. 2. Die Momentenordinate in b kann jetzt am Kragarm b−c des unteren Systems berechnet werden. Hiermit folgt Mb = −Qc · /2 − q 2 /4/2 = −3q 2 /8. Die Querkraft in b ist mit dem Kr¨aftegleichgewicht gegeben Qb−c = Qc + q /2. 3. Die Momentenlinie und damit auch die Querkraftlinie sind im Pendelstab d − e null. Kr¨ aftegleichgewicht am Horizontalschnitt durch die St¨ abe a − b und d−e liefert Qa−b = 0 und damit Ma−b = konst. Damit sind die Momentenlinie und die Querkraftlinie im gesamten System bestimmt.
4.2 Rahmentragwerke
3ql 8
79
2
q(1,5l) 8
2
-
1 ql 2
+ -
ql 8
M
ql
2
-
1 ql 2
+
Q
4. Die Normalkr¨ afte N sind stabweise konstant und erf¨ ullen das Kr¨ aftegleichgewicht in den Knoten b und d. Hiermit folgen Nb−a = −Qb−c , Nb−c = Qb−a , Nd−e = Qd−c und Nd−c = −Qd−e . Qd-c
Qb-c -
-
ql
N
Nb-c
1 ql 2
Nd-c Qd-e
Qb-a Nb-a
Nd-e
Falls ben¨ otigt k¨ onnen die Lagerkr¨afte und Einspannmomente direkt aus den Zustandslinien abgelesen werden, vergleiche Bild 3-20.
Beispiel 2 Liegt ein geschlossener Rahmen vor, so kann man die Momentenlinie nur mit Hilfe des Aufbauprinzips bestimmen. Das nachfolgende Tragwerk wird daher so geschnitten, dass im ersten Schritt die Schnittkr¨afte in a und c sowie deren Verlauf im oberen Drei-Gelenk-Rahmen berechnet werden k¨ onnen. Mit den dann bekannten Schnittkr¨aften in a und c wird der untere Teil des Tragwerks im zweiten Schritt berechnet. P
P b
2h
a
a a
c
h
4·l
80
4 Zustandslinien statisch bestimmter Systeme
Aufschneiden des oberen Systems in den Gelenken a und c liefert mit ΣMc = 0 die Schnittkraft Va = −P und mit ΣV = 0 die Schnittkraft Vc = −P . Ein zweiter Schnitt durch die Gelenke a und b liefert mit ΣMb = 0 die Schnittkraft Ha = −P /2h und damit auch sofort Hc = −P /2h. P
P
P Hb
b
Va
Vb
Ha
Hc
Va
Vc
Ha
Mit den Schnittkr¨aften k¨onnen die Momentenordinaten in den Rahmenecken direkt ermittelt werden, sodass die Schlusslinie und damit auch die Momentenlinie bekannt sind. Die Momentenlinie ist im oberen Bereich null, da sie symmetrisch ist und das Gelenk auf der Symmetrieachse liegt. Außerdem entspricht die Tragwerksgeometrie der St¨ utzlinie, vergleiche Abschnitt 4.3.3. Die Momente in den Rahmenecken an den Lagern im unteren Bereich werden mit den Schnittkr¨ aften Ha und Hc bestimmt. 0 0
0
0 0
M
0 -
lP/2
0 0
Q
l ·P 2h
l ·P + 2h
0
Mit M = Q ist die Querkraftlinie und mit Knotengleichgewicht auch die Normalkraftlinie bestimmt. -lP/2h -
-P/sin a N
-P
-
+
lP/2h
Nb = Na · cos a = P / tan a
-
-P/sin a
Na
-
Na = P / sin a
a
Q P
-P
Das Tragverhalten des oberen Teilsystems weist nur Normalkr¨ afte auf, da die Einzellasten in die Rahmenknoten geleitet werden. Obwohl die Knoten a und c nach außen gedr¨ uckt werden, werden die oberen St¨ abe aufgrund der Verschiebungsm¨ oglichkeiten nicht verkr¨ ummt.
4.2 Rahmentragwerke
81
Beispiel 3 Auch das nachfolgende System kann mit dem Aufbauprinzip effizient analysiert werden. q 6
c
7
4 5
3
1
2
c
a
b
a
b
Analog zum vorhergehenden Beispiel entspricht der obere Teil des Tragwerks einem Drei-Gelenkrahmen, sodass dieser Tragwerksteil zuerst berechnet wird. Der Schnitt durch die Gelenke 1 und 2 (im Bild links) gibt zun¨ achst ΣH = 0
Q1 = −Q2 ,
ΣM2 = 0
N1 = −q
q
a2 +2ab+b2 4b
.
q
Q3 Q1 N1
Q2
N3
Q1
N2
N1
Danach erfolgt der Schnitt durch die Gelenke 1 und 3 (im Bild rechts) ΣM3 = 0
Q1 = q a
2 −b2
4c
.
Mit den Querkr¨ aften Q1 und Q2 ist die Neigung der Momentenlinie in der linken und rechten St¨ utze bekannt, sodass die Momentenordinaten in den Rahmenecken und damit auch im unteren Riegel berechnet werden k¨ onnen. Der Kragarm im rechten oberen Riegel ist unbelastet, sodass die Momentenlinie null ist. Damit f¨ allt die Momentenline von M7 in Punkt 7 nach Punkt 3 linear auf null ab. Da außerdem das Moment M6 = q a2 /2 mit Hilfe des Kragarms direkt berechenbar ist, folgt mit dem Momentengleichgewicht in der linken oberen Rahmenecke das noch fehlende Moment M4 = −q (a2 + b2 )/4. Damit sind die
82
4 Zustandslinien statisch bestimmter Systeme
Schlusslinie und die Momentenlinie bestimmt. Im Bereich der Streckenlast ist die Momentlinie parabolisch, sonst linear. 2
2
2
2
q · (a +b )/4
q · a /2
2
2
2
q · (a –b )/4
q · (a –b )/4 M
Die Querkraftlinie ist mit Q1 und Q2 bereits teilweise berechnet. Die noch fehlenden Querkr¨afte und Normalkr¨afte k¨onnen mit Q = M sowie aus dem Kr¨ aftegleichgewicht an den Rahmenecken berechnet werden. Q6
M4
Q4
4
N4
N6 = 0
M6
Q3
M5
Q=0
7
N3
N=0
Q1
Q2 N2
N1 2
2
q · (a –b )/4b
qa
-
-
+
2
2
q · (a +3b )/4b Q
-
+
q · (a2–b2)/4c
0
q · (a2–b2)/4c
Die Normalkraft N1 ist bereits bekannt. Die fehlenden Normalkr¨ afte folgen aus dem Kr¨ aftegleichgewicht in den Rahmenecken. 2
2
q · (a –b )/4c
N
2 2 ) - q · (a –b /4b
- N1 + q · (a2–b2)/4c
4.2 Rahmentragwerke
83
4.2.4 Besonderheiten bei symmetrischen Systemen Symmetrische Systeme weisen Besonderheiten auf, die bei einer Handberechnung der Zustandslinien zu Vereinfachungen f¨ uhren k¨ onnen und bei einer Computeranalyse eine Verringerung des Rechenaufwandes bewirken. Außerdem lassen sich hiermit die Ergebnisse zum Teil kontrollieren. Zun¨ achst k¨ onnen beliebige Belastungen eines symmetrischen Systems in einen symmetrischen und einen antisymmetrischen Anteil aufgeteilt werden. Beide Lastf¨ alle k¨ onnen getrennt berechnet und danach superponiert werden. Bei einem gelenkig gelagerten Einfeld-Balken kann man die Last wie folgt aufteilen.
=
b
+
b
a
b
b
a
b
Bei der Berechnung von symmetrischen Systemen k¨onnen danach die folgenden Zusammenh¨ ange zwischen der Belastung und den Zustandsgr¨ oßen ( s: symmetrisch, a: antisymmetrisch) verwendet werden.
q
s
a
Q
a
s
Q = − q
M
s
a
M = Q
j
a
s
ϕ = −
w
s
a
w = ϕ
M EI
Die Zusammenh¨ ange lassen sich auf geometrisch beliebig komplexe symmetrische Systeme u ¨ bertragen. Wesentlich ist, dass bei symmetrischen und antisymmetrischen Einwirkungen jeweils ein Teil der Zustandsgr¨ oßen auf der Symmetrieachse den Wert null hat. Dies kann man verwenden, um die Ermittlung der Zustandslinien am halben System durchzuf¨ uhren, wenn entsprechende Zwangsbedingungen auf der Symmetrieachse gesetzt sind. Das Vorgehen ist jedoch nur
84
4 Zustandslinien statisch bestimmter Systeme
f¨ ur sehr große Systeme sinnvoll und wird in der Regel nur bei Computeranalysen verwendet, um hier den Rechenaufwand zu reduzieren. Symmetrie kann man mit einer verschieblichen Einspannung realisieren, Antisymmetrie mit einem gelenkigen Lager.
l 2
l
Symmetriebedingungen ϕ = 0, Q = 0.
Antisymmetriebedingungen w = 0, M = 0.
Anwendungsbeispiel f¨ ur Systemsymmetrien Die Last auf dem symmetrischen Rahmen kann in ein symmetrisches und ein antisymmetrisches Lastbild aufgeteilt werden. Die symmetrische Last bewirkt eine symmetrische Momentenlinie und eine antisymmetrische Querkraftlinie. Die antisymmetrische Last bewirkt eine antisymmetrische Momentenlinie und ein symmetrische Querkraftlinie. P
Q=0
P
N=0
symmetrisches System
2P
l
antisymmetrisches System 6 · l/2
Symmetrisches System Im mittleren Riegelstab ist die Querkraft null und wegen des Gelenkes auch die Momentenlinie. Da die Momentenlinie außerdem im Pendelstab null ist, tragen die a ange . ¨ußeren Riegelst¨abe die Einzellasten als Einfeld-Balken der L¨ Antisymmetrisches System Im gesamten Riegel ist die Normalkraft null und damit auch in den Pendelst¨ aben. Der Riegel tr¨agt die Einzellast als Einfeld-Balken der L¨ ange 3 /2.
4.2 Rahmentragwerke
85
P
P
P
-
P - 1/3 Pl
+ Pl/4
Pl/4
Pl/6
1/3 Pl
Ms
Ma
P
P
P -
+ P/2
+
- 1/3 P -
P/2
P + 2/3 P
+ 2/3 P Qa
Qs
Superposition der Zustandslinien Die Superposition der symmetrischen und der antisymmetrischen Zustandslinien liefert die Momentenlinie und die Querkraftlinie des urspr¨ unglichen Systems. - 5/6 P -
- Pl/6 Pl/6
- Pl/12
- P/3 +
+
P/6
7/6 P
7/12 Pl
Mges
Qges
Die Normalkr¨ afte werden am Gesamtsystem mit dem Kr¨ aftegleichgewicht in den Rahmenecken bestimmt. Q = -P/3
Q = -5/6 P
Q = -P/3
N = -0,24 P
N=0
Q = P/6 N=0
N = -0,29 P
Q=0
Q=0
N = -0,58 P 0,5 P -
-
-
0,7 P Nges
0,7 P
N = -0,58 P
86
4 Zustandslinien statisch bestimmter Systeme
4.3 Bogentragwerke ¨ Bogentragwerke eignen sich hervorragend f¨ ur das Uberspannen großer Spannweiten, da die Verformungen trotz großer Lasten klein sind. Ein besonders anschauliches Beispiel hierf¨ ur ist die Bogenbr¨ ucke nach Bild 4-2.
Bild 4-2 Bogenbr¨ ucke im oberen Rheintal [22] Im unteren Bild ist das statische System gegeben, das aus den tragenden Elementen Balken, St¨ utze, Bogen und Fundament entsprechend den vorhandenen Einwirkungen besteht. Ost
West
Rhein
Trotz der großen Spannweite und der insgesamt hohen Verkehrslasten k¨ onnen die einzelnen Bauteile relativ schlank gestaltet werden, was zu einem sehr ansprechenden Gesamteindruck f¨ uhrt. Die Ursache hierf¨ ur ist das besondere Tragverhalten von Bogentragwerken, das nachfolgend erl¨ autert wird, sowie die großen Steifigkeiten und Festigkeiten von St¨ utzen und Bogen verbunden mit der Gr¨ undung auf dem anstehenden Fels.
4.3 Bogentragwerke
87
4.3.1 Schnittgr¨ oßen in Bogentragwerken Die bisher untersuchten Tragwerke bestehen aus geraden St¨ aben. Hierbei ist das Tragverhalten von Dehnst¨aben und Biegest¨aben am differentiellen Element und damit am Einzelstab entkoppelt. Eine Kopplung im Tragwerk entsteht erst infolge der Gleichgewichtsbedingungen an Rahmenknoten, wenn L¨ angs- und Querkr¨ afte im Gleichgewicht sind. Bei gekr¨ ummten Stabtragwerken ist die Kopplung bereits am differentiellen Element vorhanden. Ursache hierf¨ ur ist die Stabkr¨ ummung, die die Tragwirkungen entlang der Stabachse und senkrecht dazu miteinander koppelt, siehe Bild 4-3. Ganz entscheidend f¨ ur das Tragverhalten gekr¨ ummter St¨ abe ist, dass bei Querbelastung ps nicht nur Querkr¨afte und Biegemomente geweckt werden, sondern auch Normalkr¨afte. Diesen Anteil bezeichnet man als Gew¨ olbetragwirkung. Nebeneffekt oder sogar Ziel des Entwurfs von Bogentragwerken ist die Aktivierung der Gew¨olbetragwirkung, da hierbei mit relativ wenig Materialaufwand große Lasten aufgenommen und in die Lager geleitet werden k¨ onnen (die Membransteifigkeit ist gr¨oßer als die Biegesteifigkeit). Aufgrund der schlanken auf Druck beanspruchten Bauteile ist allerdings die Stabilit¨ atsgef¨ ahrdung zu beachten, sodass entsprechende Sicherheitsnachweise erforderlich sind. Das Biegemoment sowie die L¨angs- und Querkr¨ afte sind im gekr¨ ummten t–s– Koordinatensystem entsprechend Bild 4-3 definiert, also tangential und senkrecht zur gekr¨ ummten Stabachse. Die Belastung kann man ebenfalls im t–s– Koordinatensystem angeben oder einfacher im globalen Koordinatensystem als horizontal und vertikal wirkende Lasten.
N-dN/2
M-dM/2 P t t Ps
Q-dQ/2 t0
M+dM/2 N+dN/2 Q+dQ/2
Bild 4-3 Schnittgr¨ oßen am Bogenelement
Die Grundgleichungen f¨ ur Bogentragwerke werden hier nicht angegeben, da sie sehr komplex sind.
4.3.2 Berechnung der Zustandslinien f¨ ur Bogentragwerke Die Berechnung der Zustandslinien von statisch bestimmten Bogentragwerken erfolgt hier anschaulich mit dem Schnittprinzip und nicht u osung der ¨ ber die L¨ Grundgleichungen. Nachfolgend wird der Br¨ uckenbogen nach Bild 4-2 vereinfachend als Drei-Gelenk-Bogen idealisiert, dessen vertikale Lasten Pi aus den dar¨ uber angeordneten St¨ utzen eingeleitet werden.
88
4 Zustandslinien statisch bestimmter Systeme
Als Lagerkr¨ afte werden die Vertikalkr¨afte Va und Vb sowie die in der Verbindungsgeraden a − b liegenden Kr¨afte Fa und Fb gew¨ ahlt. Mit den auf einer Geraden liegenden Kr¨aften Fa und Fb gelingt es, die Wirkung des Horizontalschubes besser zu verdeutlichen, als dies mit den Horizontalkomponenten H = F · cos α m¨ oglich ist. a2 a1 Ha = Fa cos a
Fa
P2
P1
c
P3
= Va
Va + Fa sin a
hc
hx
b
a
a
Vb
x
Fa Va
Fb
l c
b
Bild 4-4 Drei-Gelenk-Bogen unter Einzellasten Die Berechnung der vertikalen Lagerkr¨ afte des Drei-Gelenk-Bogens erfolgt mit den Gleichgewichtsbedingungen am Gesamtsystem a − b. Es gilt allgemein
c ai Pi
1. ΣMa = 0 : Vb = ΣPi · ai / , 2. ΣV = 0 : Va = ΣPi · (1 − ai / ), 3. ΣH = 0 : Fa = Fb . Wendet man das Schnittprinzip auf den linken Bogenabschnitt a − c an, erh¨alt man den Horizontalschub
hc
a
a Fa Va
x ai
Fa · hc cos α = Va · c − ΣPi · (c − ai ),
hx
(1 − c/ ) Fa = ΣPi · ai . hc cos α Erst mit bekanntem Horizontalschub sowie den Vertikalkr¨aften l¨asst sich die Momentenlinie M (x) berechnen.
M(x)
Pj
4. ΣMc = 0 :
a x
Fa Va
4.3 Bogentragwerke
89
Die Momentenlinie wird jetzt in jedem Schnitt der x–Koordinate ermittelt M (x) = Va · x − ΣPi · (x − ai ) − Fa · h(x) cos α. Trennt man die Anteile, die von den Vertikalkr¨aften verursacht werden, von den Anteilen, die der Horizontalschub bewirkt, so gilt M (x) = Mo (x) − Fa · h(x) cos α. Man erkennt, dass die beiden ersten Anteile einer Momentenlinie Mo (x) entsprechen, die an einem horizontal liegenden geraden Balken a–b ohne Gelenk in c ermittelt ist. Der zweite Anteil beschreibt den Einfluss des Horizontalschubes, der die Bogentragwirkung aktiviert. In Bild 4-5 sind beide Anteile getrennt dargestellt. Die Momentenordinaten entsprechen der Momentenlinie des Ein¨ feldbalkens unter gleicher Last. Erst in der Uberlagerung wird deutlich, dass sich beide Anteile bis auf relativ kleine Momentenordinaten kompensieren, siehe Bild 4-6. Dies verdeutlicht das besondere Tragverhalten von Bogentragwerken im Vergleich zu geraden Balken. c hx
Pi b
a c
x
M0
Fa
MF
+
Fb
Fa. h x cos a
Bild 4-5 Teilmomentenlinien aus Vertikalkr¨aften und Horizontalschub Die Gesamtmomentenlinie des Bogens ist wegen h(x) von der Form des Bogens abh¨ angig. Wenn die Form der Momentenlinie des Balkens entspricht, ist die Momentenlinie M (x) null, siehe Abschnittt 4.3.3. M
Bild 4-6 Momentenlinie am Bogen infolge Einzelkr¨aften Pi Aus den Momentenlinien M0 und MF kann man mit M = Q jeweils die Querkraft berechnen und zur Querkraftlinie superponieren. Wenn M klein ist, gilt dies ebenfalls f¨ ur Q. Die Normalkraft N kann danach mit dem Knotengleichgewicht bestimmt werden.
90
4 Zustandslinien statisch bestimmter Systeme
4.3.3 St¨ utzlinien Die Momentenlinie Mo des Einfeld-Balkens im letzten Beispiel wird um die Anteile aus Horizontalschub vermindert. Ist der Anteil aus Horizontalschub H gerade so groß wie die Momentenlinie am Ersatzbalken, so ist die Gesamtmomentenlinie M (x) identisch null. Dieser Fall tritt genau dann ein, wenn der Hebelarm die Bedingung h(x) cos α = Mo (x)/Fa erf¨ ullt. Diese spezielle geometrische Form des Tragwerks bezeichnet man als St¨ utzlinie. Die Form der St¨ utzlinie erh¨alt man daher aus der Momentlinie des Einfeld-Balkens. Einige Beispiele f¨ ur St¨ utzlinien sind im Bild dargestellt, links ist jeweils die St¨ utzlinie angegeben, rechts der Ersatzbalken mit der Last. P P
P
M
1,5 P
P
1,5 P
M q q
M
St¨ utzlinien sind besonders g¨ unstige Tragwerksformen, da sie die Lasten bei verschwindender Biegung allein u ¨ ber Druckkr¨afte tragen. Wenn die Biegung gering ist, sind auch die bei Werkstoffen mit geringer Zugfestigkeit auftretenden Risse vermeidbar, z. B. bei Naturstein, Mauerwerk oder Beton. Mit der St¨ utzlinie sind große St¨ utzweiten bei relativ kleinen Querschnitten realisierbar, sodass sie f¨ ur viele schlanke Bauwerke formgebend ist, so z. B. f¨ ur Kirchend¨ acher und Bogenbr¨ ucken. Zu beachten ist allerdings, dass die Druckkr¨ afte von der Neigung der St¨ abe abh¨ angen und mit sinkender Neigung u ¨berproportional anwachsen.
4.3 Bogentragwerke
91
Das Prinzip der St¨ utzlinien kann man auf Fl¨achentragwerke erweitern, wenn man den Lastabtrag auf Druck in verschiedene Richtungen zul¨ asst. So k¨ onnen z. B. moderne Dachtragwerke als Kuppel- oder Schalentragwerk in St¨ utzfl¨ achenform (Gew¨ olbe) hergestellt werden, siehe hierzu die zusammenfassende Darstellung von Heinle und Schlaich [7].
Bild 4-7 Bogenstaumauer Bild 4-7 zeigt eine Bogenstaumauer, bei der aufgrund des Wasserdrucks eine perfekte Kreisform die St¨ utzfl¨ache beschreibt. In Bild 4-8 ist eine Vierpunktgelagerte Freiformfl¨ ache als Dachtragwerk dargestellt. Die Form entspricht der St¨ utzfl¨ ache aus Eigengewicht, die man z. B. mit Hilfe einer Vierpunkt-gelagerten Zugmembran erh¨ alt. Aufgrund der geringen Biegesteifigkeit sind die freien R¨ ander aus der Schalenfl¨ache herausgebogen.
Bild 4-8 Dachtragwerk in St¨ utzfl¨achenform – Naturtheater in Gr¨ otzingen, aus [7]
92
4 Zustandslinien statisch bestimmter Systeme
4.4 Seiltragwerke Seiltragwerke zeichnen sich im Vergleich zu Bogentragwerken durch eine noch gr¨ oßere Tragf¨ ahigkeit aus, da sie ausschließlich auf Zug beansprucht werden und die Stabilit¨ atsgef¨ahrdung entf¨allt. Hiermit sind noch gr¨ oßere Spannweiten bei geringerem Materialeinsatz m¨oglich. Am Beispiel der Golden Gate“-Br¨ ucke ist das Tragverhalten von H¨ angebr¨ ucken ” anschaulich erkennbar. Das u ¨ ber die Pylone gespannte Seil ist an festen Widerlagern verankert, die in der Regel mit massiven Betonbl¨ ocken sowie Erdankern realisiert werden. Die Belastung des Tragseiles erfolgt durch Eigengewicht sowie u anger, an denen die Haupttragelemente der Fahrbahn als Durchlauf¨ber die H¨ tr¨ ager aufgeh¨ angt sind. Die Tragseile und die H¨anger erhalten ihre Steifigkeit gegen Querlasten allein aus der Vorspannung infolge Eigengewicht des Br¨ uckentr¨ agers, sodass derartige Tragwerke in der Regel empfindlich gegen Windeinwirkung sind. Zur Verringerung der Gef¨ahrdung aus Wind sind die Fahrbahntr¨ ager von H¨ angebr¨ ucken als filigranes Fachwerk und ohne Windangriffsfl¨ achen entworfen.
Bild 4-9 Golden Gate Bridge [13], Max-Eyth-See Br¨ ucke [9] Am Beispiel der Br¨ ucke u ¨ ber den Max-Eyth-See wird deutlich, dass auch geometrisch komplexe Tragwerke m¨oglich sind und die Pylone bei gelenkiger Lagerung mit Abspannseilen stabilisiert werden k¨onnen. Die verschiedenen Bauweisen und das Tragverhalten von Br¨ ucken aller Art werden u. a. von Troyano [21], Leonhardt [13] und Holgate [9] umfassend dargestellt und diskutiert.
4.4 Seiltragwerke
93
Seillinien In Seiltragwerken wird die Biegesteifigkeit apriori zu null angesetzt, sodass die Seile biegeschlaff sind und keine Biegemomente und Querkr¨ afte aufnehmen k¨ onnen. Wenn Seile belastet sind, spannen und stabilisieren sie sich, sodass sie den Einwirkungen Widerstand entgegensetzen k¨ onnen. Wegen der kleinen Querschnitte und der in der Regel großen Zugkr¨afte m¨ ussen jedoch die Dehnsteifigkeiten ber¨ ucksichtigt werden, sodass Seill¨ange und -form im belasteten Zustand ver¨ andert sind. Der Seildurchhang unter Belastung wird als Seillinie bezeichnet, deren Form analog zur St¨ utzlinie von der Laststellung und der Lastgr¨ oße abh¨ angig ist.
Berechnung der Seilkr¨ afte Seile und H¨ anger sind auf Zug beansprucht, sodass Nebenspannungen aus Biegung f¨ ur das globale Tragverhalten vernachl¨assigbar sind. Wenn sich die Form der Seillinie wegen verschwindender Biegesteifigkeit entsprechend der Lasten frei einstellen kann, kann man die Seilkr¨ afte nicht direkt berechnen, sondern muss die Verformungen im Gleichgewicht ber¨ ucksichtigen. Die Berechnung der Seilkr¨afte kann daher nicht mit einer Theorie I. Ordnung erfolgen, sondern muss mit einer geometrisch nichtlinearen Theorie durchgef¨ uhrt werden, siehe Abschnitt 20.
94
5 Kinematik von ebenen Stabtragwerken
5 Kinematik von ebenen Stabtragwerken
Bisher ist die Berechnung der Zustandslinien M, Q und N von statisch bestimmten Stabtragwerken erfolgt. Dies ist mit dem Schnittprinzip m¨ oglich, wenn die Gleichgewichtsbedingungen eingesetzt werden. Statische Systeme k¨ onnen nur dann im Gleichgewicht sein, wenn sie nicht verschieblich sind. Dies ist bei komplexen, insbesondere r¨aumlichen Systemen nicht immer deutlich sichtbar, sodass hierf¨ ur Entscheidungshilfen vorhanden sein m¨ ussen. Ob und wie ein System als ganzes oder ¨ortlich verschieblich ist, kann man zeichnerisch mit Hilfe von Polpl¨ anen oder rechnerisch mit den Gleichgewichtsbedingungen untersuchen. Ziel der Untersuchungen ist daher: 1. Feststellen der Unverschieblichkeit des Tragwerks. Alle ausgef¨ uhrten Tragwerke m¨ ussen unverschieblich sein, da die Lasten sonst nicht in den Baugrund abgeleitet werden k¨onnen. 2. Finden aller m¨oglichen Verschiebungsfelder eines verschieblichen Systems. Dies kann man dazu verwenden, das System gezielt dort mit Steifigkeiten zu versehen, wo die gr¨oßten Verschiebungen auftreten. d
Ψ
d
Ψ
F¨ ur die Untersuchung der Verschieblichkeit werden folgende Annahmen und Voraussetzungen getroffen: 1. Es wird eine Theorie I. Ordnung vorausgesetzt. Dies bedeutet, dass die Verschiebungsfelder eines verschieblichen Systems infinitesimal klein angenommen sind. Zur Verdeutlichung der Verschiebungsm¨oglichkeiten eines Systems werden sie in Polpl¨ anen endlich groß dargestellt. 2. Verschieblichkeit“ ist eine Systemeigenschaft und unabh¨ angig von den Ein” wirkungen. Sie wird daher stets am unbelasteten System untersucht. 3. Elastische Verformungen werden nicht ber¨ ucksichtigt, da sie erst als Folge von ¨ außeren Einwirkungen auftreten. Die Systeme sind daher aus kinematisch starren Teilsystemen zusammengesetzt. D. Dinkler, Grundlagen der Baustatik, DOI 10.1007/978-3-8348-9862-3_5, © Vieweg+Teubner Verlag | Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH 2011
5.1 Begriffsbildung f¨ ur Polpl¨ane
95
5.1 Begriffsbildung f¨ ur Polpl¨ ane Die zeichnerische Untersuchung der Verschieblichkeit eines statischen Systems erfolgt mit Polpl¨ anen“. Hierbei geht man davon aus, dass das System ver” schieblich ist. Tritt im Polplan ein Widerspruch auf, so ist das System nicht verschieblich. Bei der Entwicklung eines Polplanes werden folgende Begriffe verwendet: Scheibe Eine Scheibe ist ein kinematisch starres Teilsystem. Bei einem Scheibenverband sind mehrere Scheiben gelenkig, aber unverschieblich miteinander verbunden. a 1
1
b
c
a b
Kinematische Kette Eine Kinematische Kette ist ein Scheibenverband, dessen Scheiben Starrk¨orperverschiebungen oder Rotationen ausf¨ uhren k¨ onnen. Eine zwangsl¨aufige kinematische Kette ist eine Kette mit einem Freiheitsgrad. 2 1
d
2
3 J
1 4
Pol Ein Pol ist ein Punkt der Tragwerksebene, um den sich eine Scheibe drehen kann. Ist der Pol von der Scheibe endlich weit entfernt, erfolgt eine Drehung ϑ der Scheibe um den Pol, liegt der Pol im Unendlichen, so findet eine Translation statt. a da
ra J Pol
rb J
da ≠ db b db
Polstrahl Die Verbindung von einem Pol zu einem Punkt (i) einer Scheibe wird Polstrahl ri genannt. Die Verschiebung δi eines Scheibenpunktes (i) erfolgt senkrecht zum Polstrahl ri , solange infinitesimal kleine Drehungen angesetzt werden. Zwei bekannte Polstrahlen legen einen Pol fest, hier ra und rb .
96
5 Kinematik von ebenen Stabtragwerken
Absolutpol (Hauptpol) Ein Absolutpol (n) ist ein nicht verschieblicher Punkt der Tragwerksebene, um den sich die Scheibe n drehen kann. Absolutpole sind z. B. feste Lager, hier Lager (1). Dies k¨ onnen auch Verbindungspunkte zu festen Tragwerksteilen sein.
d
(1)
1
Relativpol (Nebenpol) Ein Relativpol (n/m) ist ein Pol, um den sich die Scheiben (n) und (m) relativ zueinander verdrehen. Ein Momentengelenk (M = 0) gibt direkt den Relativpol an, hier Relativpol (1/2). Bei Schiebeh¨ ulsen (N = 0) und bei Querkraftgelenken (Q = 0) liegt der Relativpol senkrecht zur Bewegungsrichtung im Unendlichen. Bei nicht benachbarten Scheiben liegt der Relativpol irgendwo in der Tragwerksebene.
1
2
(1/2)
d2
8
(1/2) 1
2
d1 d2
d1 1
2
8
(1/2)
Momentanpol Momentanpole sind verschiebliche Pole, die ihre Lage bei Annahme endlich großer Verschiebungen des Systems ver¨andern.
Pollinie Eine Pollinie ist die Verbindungsgerade dreier Pole, die die Relativbewegung der beteiligten Scheiben festlegen. Bei verschieblichen Systemen liegen immer mindestens drei Pole auf einer Pollinie. Absolut-Pollinie Auf einer Absolut-Pollinie liegen immer zwei Absolutpole und der zu den beteiligten Scheiben geh¨orende Relativpol, z. B. (1)−(1/2)−(2). Dies bedeutet, dass die beiden Scheiben – im Bild die Scheiben 1 und 2 – gegeneinander verschieblich sind, und sich bez¨ uglich des Relativpoles bewegen. (1)
d
1 (1/2)
2
(2) (1)
(1/2)
(2)
Relativ-Pollinie Auf einer Relativ-Pollinie liegen immer drei Relativpole, z. B. (1/2) − (2/3) − (1/3). Dies bedeutet, dass die drei beteiligten Scheiben – hier die Scheiben 1, 2 und 3 – gegeneinander verschieblich sind.
5.2 Vorgehen beim Aufstellen von Polpl¨anen
97
5.2 Vorgehen beim Aufstellen von Polpl¨ anen Das Aufstellen von Polpl¨anen sollte immer systematisch erfolgen, da sonst wesentliche Eigenschaften des Systems u onnen. Damit auch bei ¨bersehen werden k¨ großen Systemen u ufbar ist, ob der Polplan alle Informationen enth¨ alt, ¨ berpr¨ muss die Zahl der Pole und der Pollinien bekannt sein. Ein verschiebliches statisches System mit p kinematisch starren Scheiben hat genau • p Absolutpole, p(p − 1) p •( )= Relativpole, 2 1·2 p •( ) Absolutpollinien, z. B. (1) − (1/2) − (2), 2 p(p − 1)(p − 2) p •( )= Relativpollinien, z. B. (1/2) − (1/3) − (2/3). 3 1·2·3 Mit diesen Vorweginformationen kann man einen Polplan wie folgt entwickeln: 1. Benennen aller Scheiben des Systems. 2. Benennen aller sofort erkennbaren Absolutpole (feste Lager) und Relativpole (Momentengelenke, Schiebeh¨ ulsen und Querkraftgelenke). 3. Zeichnen der unmittelbar erkennbaren Polstrahlen senkrecht zu verschieblichen Lagern, zu Schiebeh¨ ulsen und Querkraftgelenken. 4. Sukzessives Suchen von weiteren Polen mit Hilfe von Absolut- und Relativpollinien. F¨ ur jeden weiteren Pol werden zwei geometrische Orte bzw. Richtungen ben¨ otigt, in deren Schnittpunkt der Pol liegt. In einem Gelenkviereck bestimmen die Relativpollinien der gegen¨ uberliegenden Scheiben den Relativpol der ande1 (2/4) (1/4) (1/2) ren beiden Scheiben. Hier legen die Relativpollinien (1/4) − (1/2) sowie (3/4) − (2/3)
4
2 (2/4)
den Relativpol (2/4) fest. Der Relativ(3/4) (2/3) 3 pol (2/4) liegt im Unendlichen, da beide Polstrahlen parallel zueinander sind (1/3) (1/3) und sich nicht schneiden. V¨ollig analog kann man den Relativpol (1/3) finden. In nachfolgendem Bild links sind die Pole (1) und (1/2) gegeben. Der Pol (2) muss auf der Geraden (1) − (1/2) liegen, wenn das System verschieblich ist.
98
5 Kinematik von ebenen Stabtragwerken
Wenn der Pol (2) außerdem senkrecht zum verschieblichen Lager zu suchen ist, bestimmt der Schnittpunkt dieser beiden Polstrahlen den Absolutpol (2). Im Bild rechts ist eine zus¨atzliche Scheibe 3 vorhanden, sodass zwei Absolutpole (2) zum Widerspruch im Polplan f¨ uhren. (2) (2) (2/3) (1/3) (1/2)
3
(1/2) 2
1
1
2
(1)
d2 (1) - (1/2)
(1)
(2)
(2)
5. Wenn der Polplan vollst¨andig ist und alle Pole und Polstrahlen gefunden sind, kann man u ufen, ob der Polplan Widerspr¨ uche enth¨ alt. Ein Wider¨berpr¨ spruch liegt z. B. vor, wenn zu einer Scheibe mehrere Absolutpole oder zu zwei Scheiben mehrere Relativpole vorhanden sind. Sind Widerspr¨ uche vorhanden, sind Teile des Systems oder das gesamte System unverschieblich. Liegt kein Widerspruch vor, ist das System verschieblich. 6. Mit viel Erfahrung kann man die Entwicklung des Polplanes im Einzelfall auf ¨ das Wesentliche konzentrieren. So reicht es bei der Uberpr¨ ufung der Verschieblichkeit in der Regel aus, einen beliebigen Widerspruch zu finden und dann die weitere Entwicklung des Polplanes abzubrechen. Sind Verschiebungsfelder f¨ ur einen Scheibenverband gesucht, so reicht es in der Regel aus, die Absolutpole zu finden, um die sich die Scheiben drehen.
Beispiel 1 Das gegebene System mit vier Scheiben ist statisch bestimmt (a = 4, z = 8, p = 4 bzw. a = 4, z = 2, p = 2). Es existieren vier Absolutpole (1), (2), (3) und (4), sechs Relativpole (1/2), (1/3), (1/4), (2/3), (2/4) und (3/4), sechs Absolutpollinien und vier Relativpollinien. Die Pollinien sind: Absolutpollinien (1) − (1/2) − (2) (1) − (1/3) − (3) (1) − (1/4) − (4) (2) − (2/3) − (3) (2) − (2/4) − (4) (3) − (3/4) − (4)
Relativpollinien (1/2) − (2/3) − (1/3) (1/2) − (2/4) − (1/4) (1/3) − (3/4) − (1/4) (2/3) − (3/4) − (2/4)
5.2 Vorgehen beim Aufstellen von Polpl¨anen
99
Der Polplan wird wie folgt bestimmt. 1. Alle Scheiben und alle unmittelbar gegebenen Absolutpole und Relativpole werden gekennzeichnet. 2. Der Absolutpol von Scheibe 1 ist das linke Lager A. Das rechte Lager (B) ist Absolutpol von Scheibe 2. 3. Es gilt weiterhin (1) − (1/3) (1) − (1/4) → (3)∞ → (4)∞ (2) − (2/3) (2) − (2/4) (1) − (2) (2/3) − (2/4) → (1/2) → (3/4)∞ (1/3) − (2/3) (1/3) − (1/4) (3/4) ∞ (3) ∞ (4) ∞ (1/4)
(2/4)
4 (2/3)
1 3
2
(1/3) (1/2)
(1) a
(2) b
Damit sind alle Absolutpole und alle Relativpole zun¨ achst ohne Widerspruch bekannt. Der Polplan kann jetzt mit den restlichen Absolut- und Relativpollinien kontrolliert werden. Von den Pollinien sind die Absolutpollinie (3)∞−(4)∞−(3/4)∞ sowie die Relativpollinie (1/4) − (2/4) − (1/2) noch nicht verwendet. Die Absolutpollinie f¨ uhrt zu keinem Widerspruch. Allerdings platziert die Relativpollinie den Relativpol (1/2) rechts von Scheibe 4, sodass ein Widerspruch vorliegt. Dies bedeutet, dass die Scheiben 1 und 2 zueinander unverschieblich sind und wie eine Scheibe wirken. Damit sind auch die Scheiben 3 und 4 fest, sodass das System insgesamt unverschieblich ist. Fragen: Gibt es eine Lage von Scheibe 3, bei der das System verschieblich ist? Unter der Annahme, dass es sich um elastische biegesteife St¨ abe handelt, gibt es eine Lage von Scheibe 3, bei der das System besonders steif ist, welche?
100
5 Kinematik von ebenen Stabtragwerken
Beispiel 2 Der aus drei Scheiben bestehende Rahmen ist statisch bestimmt(a = 5, z = 4). Die Lager a und c sind Absolutpole, die Gelenke sind die Relativpole (1/2) und (2/3). (2/3)
Der Relativpol (1/3) folgt mit (1) − (3) → (1/3) (1/2) − (2/3) und der Absolutpol (2) mit ⎫ (1) − (1/2) ⎬ (3) − (2/3) ⎭ senkrecht Lager b
(2)
2
(1/2)
3
1
→ (2)
(1/3)
(1)
→ Widerspruch: Scheibe 2 ist fest.
a
(3) c
b
Wenn Scheibe 2 fest ist, so werden die Relativpole (1/2) und (2/3) zu Absolutpolen (1) und (3). Damit m¨ ussen auch die Scheiben 1 und 3 fest sein, da die unverschieblichen Lager a und c ebenfalls Absolutpole (1) und (3) sind.
Beispiel 3 Nach Verlagerung des Gelenkes (1/2) ¨andert sich die Kinematik des Systems. Das System ist aber weiterhin statisch bestimmt (a = 5, z = 4). F¨ ur Absolutpol (2) gilt ⎫ ⎬
(1) − (1/2) (3) − (2/3) ⎭ senkrecht Lager b
(2) (2/3)
→ (2) (1/2)
→ hier liegt kein Widerspruch vor F¨ ur den fehlenden Relativpol (1/3) gilt (1/2) − (2/3) → (1/3) (1) − (3)
1 (1) a
2
3
(3)
(1/3) b
c
Der Relativpol (1/3) liegt in Lager a. Damit sind alle drei Absolut- und die einzige Relativpollinie ber¨ ucksichtigt. Wenn ein Absolutpol und ein zugeh¨ origer Relativpol in einem Punkt liegen, liegt auch der zweite Absolutpol in diesem Punkt, hier (2) − (2/3) → (3). Damit ist Scheibe 3 fest. Scheiben 1 und 2 sind dagegen verschieblich.
5.3 Vorgehen beim Aufstellen von Polpl¨anen
101
Beispiel 4 F¨ ur das im Bild dargestellte Tragwerk k¨onnen mit Hilfe des Aufbauprinzips vier in sich starre Scheiben festgestellt werden. Dies bedeutet, dass insgesamt vier Absolut- und sechs Relativpole sowie sechs Absolut- und vier Relativpollinien vorhanden sind. Das System ist statisch bestimmt (a = 4, z = 8). 2
1
a
3
c
4 b
Direkt gegeben sind der Absolutpol (1) sowie die Relativpole (1/2), (1/3), (2/4) und (3/4). Die anderen Pole k¨onnen wie folgt bestimmt werden. (1/2) − (2/4) (1) − (1/2) (1/4) (2) (1/3) − (3/4) senkrecht Lager c (2) − (3) (2) − (2/4) (2/3) (4) (1/3) − (1/2) senkrecht Lager b (1) − (1/3) (3) senkrecht Lager b (2) (1/2) 2
1 (1)
(3) (2/4)
(1/3)
3 (2/3)
4 (4), (3/4) (1/4)
Die fehlende Absolutpollinie (3) − (4) − (3/4) liegt in Lager b, was ein Widerspruch bez¨ uglich des Absolutpoles (3) ist. Auch die Absolutpollinie (1) − (4) − (1/4) sowie die Relativpollinie (2/4) − (3/4) − (2/3) f¨ uhren zu Widerspr¨ uchen: doppelte Nebenpole (1/4) und (2/3). Damit sind die Scheiben 1 und 4 sowie 2 und 3 gegeneinander unverschieblich, und damit das gesamte System.
102
5 Kinematik von ebenen Stabtragwerken
5.3 Anwendungsgebiete von Polpl¨ anen Das Ziel von Polpl¨anen ist der Nachweis der Verschieblichkeit eines Systems. Ist ein System nicht verschieblich, so ist es fest. Es gelten folgende S¨ atze: • Der Polplan ist ein hinreichendes Kriterium zum Nachweis der Verschieblichkeit eines Systems. • Ein System oder ein Teilsystem ist verschieblich, wenn der zugeh¨ orige Polplan widerspruchsfrei und vollst¨andig ist. • Ein Widerspruch im Polplan weist auf eine oder mehrere feste Scheiben hin. • Ein Widerspruch liegt vor, wenn die drei Pole einer Pollinie nicht auf einer Geraden liegen. • Ein Widerspruch liegt vor, wenn eine einzelne Scheibe mehr als einen Absolutpol aufweist. Sie ist dann unverschieblich. Kinematisch starre Systeme, bei denen die Widerspr¨ uche schwach ausgepr¨ agt sind, sind fast“ kinematisch und m¨ ussen ebenfalls vermieden werden. Dies ist ” z. B. der Fall, wenn bei einer festen Scheibe die Absolutpole dicht zusammen liegen oder die Pole einer Pollinie nur wenig von einer Geraden abweichen. Mit Hilfe von Polpl¨anen kann man auch gew¨ unschte Verschieblichkeiten finden oder kontrollieren. Dies ist z. B. der Fall, wenn statische Systeme so gelagert sein sollen, dass Zw¨ange z. B. aus Temperatur nur geringe Spannungen bewira ken. So werden im Br¨ uckenbau oft Pollagerungen verwendet, um unerw¨ unschte Zwangsbeanspruchungen kleinzuhalten. Im Bild ist Lager a ein Festpunkt. Die anderen Lager sind so angeordnet, dass sie sich in Richtung des festen Lagers frei verschieben k¨onnen. Um Missverst¨ andnisse zu vermeiden, muss man folgende Begriffe unterscheiden. a) Ein System heißt verschieblich, wenn es eine kinematische Kette ist. b) Ein System heißt verschiebbar, wenn es keine kinematischen Mechanismen besitzt, aber die materiellen Punkte des Systems infolge Einwirkungen verschoben werden k¨ onnen.
5.3 Anwendungsgebiete von Polpl¨anen
103
5.3.1 Verschiebungspl¨ ane F¨ ur einige Anwendungen ist nicht nur wichtig, zu entscheiden, ob eine Scheibe verschieblich ist, sondern auch wie groß die Verschiebungen der Scheibe oder einer kinematischen Kette sind. Dies kann rechnerisch u ¨ ber die oben angegebenen Beziehungen zwischen Polstrahl r, Verschiebung δ und Drehwinkel ϑ geschehen. Die rechnerische Bestimmung des Verschiebungsfeldes und der Stabverdrehungen kann bei Systemen mit nicht rechtwinklig angeschlossenen St¨ aben sehr aufw¨ andig sein. Beim Aufstellen von Verschiebungspl¨anen wird Folgendes vorausgesetzt: • Die Bewegungen der Scheiben sind infinitesimale Drehungen um die Absolutpole, sodass man die Winkelbeziehungen linearisieren kann. Liegt der Absolutpol einer Scheibe im unendlichen, erfolgt eine Parallelverschiebung der Scheibe. • Die Verschiebung δi eines Scheibenpunktes (i) steht senkrecht zum Polstrahl ri und ist infinitesimal klein. • Die Verschiebung δi ist proportional zur Polstrahll¨ ange (Strahlensatz). • Bei der Entwicklung des Verschiebungsfeldes einer einfach kinematischen Kette wird die Verschiebung eines Punktes oder der Drehwinkel einer Scheibe zu 1 vorgegeben. Infolge des Verschiebungsfeldes der Scheibe kann man die Verschiebungen und Verdrehungen der anderen Scheiben sukzessive ermitteln, siehe Bild 5-1.
(2)
(2)
h d=1
1
d=1
1
1 l/h
h
1
h
2
2
2
(1)
(3) l
l
(1) l
l
Bild 5-1 Verschiebungsfelder bei Vorgabe einer Verschiebung δ = 1
104
5 Kinematik von ebenen Stabtragwerken
5.3.2 Aussteifung von Systemen Pol- und Verschiebungspl¨ane kann man dazu verwenden, verschiebliche oder nahezu verschiebliche Systeme gezielt auszusteifen. Hierzu setzt man in Richtung der gr¨ oßten Verschiebungen Lagerbedingungen oder zus¨ atzliche Bauteile an, die die Verschiebungen behindern. Beispiele hierf¨ ur sind z. B. Windverb¨ ande, entweder als zus¨ atzliche Maßnahme bei bereits vorhandenen Biegesteifigkeiten von Rahmentragwerken oder aber als zwingend erforderliche Aussteifung bei Gelenkverb¨ anden. In der Praxis m¨ ussen alle verschieblichen und fast“ ver” schieblichen Systeme unbedingt vermieden werden. Beim Aussteifen eines Scheibenverbandes legt man gedanklich in alle biegesteifen Knoten des Systems Momentengelenke, sodass das System zur kinematischen Kette wird. Danach werden so viele Aussteifungselemente angeordnet, bis das System unverschieblich ist. Dies k¨onnen Windverb¨ ande, Lager oder biegesteife Verbindungen sein. Ein Zuviel an Aussteifungselementen kann auch zu gewollt statisch unbestimmten Systemen f¨ uhren, die Zw¨ angungen aus Erw¨ armung oder Lagersetzungen bewirken. Je h¨oher der Grad der statischen Unbestimmtheit, desto h¨ oher die Redundanz im Lastabtrag. In Bild 5-2 sind die zur Stabilisierung der Halle erforderlichen Aussteifungsverb¨ ande V1 in den Giebelw¨anden A − A, V2 in den Seitenw¨ anden B − B und V3 , V4 in den Dachebenen C − C angeordnet.
C V4 V3 B A C
V2
A B
V1 V1
B
Bild 5-2 Aussteifung einer Halle mit Windverb¨anden
A
5.4 Untersuchung der Gleichgewichtsbedingungen
105
Der Dachverband V3 wirkt als oberes Lager f¨ ur den Wind auf die Giebelw¨ ande und leitet die Kr¨ afte u ¨ ber die Verb¨ande V2 in das Fundament. Der Dachverband V4 leitet die Windlasten auf die Seitenw¨ande in die Giebelw¨ ande, wo sie von den Verb¨ anden V1 in das Fundament geleitet werden. An Stelle des Dachverbandes V4 k¨onnen die Hallenrahmen die Windlast auch u ¨ ber Biegetragwirkung direkt in das Fundament leiten, dann wird auch V1 nicht ben¨ otigt.
Anmerkungen Generell ist zu beachten, dass bei statisch bestimmten Tragwerken eine einzige Fehlstelle z. B. in den Verbindungsmitteln der Bauteile ausreicht, um ein Tragwerk zur kinematischen Kette werden zu lassen. Dies ist auch bei Fertigteilkonstruktionen zu beachten, wenn die Verbindungen durch nachtr¨ agliches Betonieren hergestellt werden und damit eine Schwachstelle aufweisen k¨ onnen. Besonders sorgf¨ altig sind Montagezust¨ande von Bauwerken z. B. bei Br¨ ucken oder Hallenrahmen zu untersuchen, wenn die Tragf¨ahigkeit des Tragwerks noch nicht ausgebildet ist. Hier werden in der Regel r¨aumliche Lehrger¨ uste eingesetzt, die in den Standsicherheitsnachweisen nicht immer aufgef¨ uhrt sind. Tragwerke, die nur zeitweise in Gebrauch sind und h¨ aufig auf- und abgebaut werden, unterliegen besonderen Beanspruchungen, die zur Erm¨ udung von Verbindungsmitteln f¨ uhren k¨onnen. Wenn diese Tragwerke statisch bestimmt sind, kann durch Werkstoffversagen eine kinematische Kette entstehen.
5.4 Untersuchung der Gleichgewichtsbedingungen Ein rechnerischer Nachweis der Verschieblichkeit ist m¨ oglich, wenn man die Gleichgewichtsbedingungen zur Berechnung der Lager- und Schnittgr¨oßen als ein Gesamtgleichungssystem aufstellt. Dies ist praktisch immer der Fall, auch wenn man ein Berechnungsprogramm einsetzt und nicht das in Abschnitt 4 gezeigte Vorgehen w¨ahlt. Nachfolgend wird das Determinantenkriterium f¨ ur die Verschieblichkeit an einem statisch bestimmten System mit den vier unbekannten Lagerkr¨aften A, Vb , Hb , Vc erl¨ autert.
P c
d
Vc
l 30° b
e
Hb
b
l
Vb a
A
b
106
5 Kinematik von ebenen Stabtragwerken
Die Gleichgewichtsbedingungen lassen√sich in Matrizenschreibweise angeben, wobei sin 30o = 1/2 und tan 30o = 1/ 3 eingesetzt sind, ⎡ ⎤⎡ ⎤ ⎤ ⎡ 1 0 cos β 1 P ΣV Vb ⎢ ⎥ ⎢ sin β 0 ⎥ 0 ΣH ⎢ 0 1 Hb ⎥ ⎥⎢ ⎥. ⎥=⎢ √ ⎢ ⎥⎢ o ⎣ ⎦ ⎣ ΣMb ⎣ 0 0 2 cos(β − 30 ) A P 3 ⎦ 0 ⎦ √ Vc ΣMe 0 3 0 0 0 Die Koeffizientenmatrix ist nicht invertierbar, wenn die Determinante null ist. Wenn das Gleichungssystem nicht l¨osbar ist, bedeutet dies, dass kein Gleichgewicht m¨ oglich und dass das System verschieblich ist. F¨ ur den vorliegenden Fall ist die Determinante √ det = 2 3 2 cos(β − 30o ) identisch null, wenn β = − 60o ist. Auf der anderen Seite ist das System kinematisch besonders stabil, wenn die Determinante maximal wird. Dies ist der Fall f¨ ur β = +30o . Betrachtet man das Tragverhalten des Systems unter der vorgegebenen Belastung, so ist das System besonders steif, wenn die Last P direkt in das Lager A geleitet wird. Dies ist f¨ ur β = 0 der Fall. Das hier f¨ ur ein statisch bestimmtes System gezeigte Vorgehen und die Interpretation der Determinante des Gleichungssystems sind auf moderne Berechnungsverfahren u ur einen Einsatz ¨bertragbar. Auch wenn die Herleitung der f¨ auf einem Computer entwickelten Verfahren v¨ollig unterschiedlich ist, stellen sie ebenfalls Gleichgewichtsbedingungen auf. Wenn die Determinante verschwindet, weist dies in der Regel auf ein kinematisches System hin oder aber auf eine fehlerhafte Systembeschreibung.
107
6 Arbeitss¨ atze
Grundlage der bisher gew¨ahlten Berechnungsverfahren f¨ ur Zustandslinien sind der Kraft- und der Momentenbegriff. Wenn ein statisches System nicht verschieblich ist, dann sind bei beliebiger Anwendung des Schnittprinzips alle am System angreifenden Schnittgr¨oßen und Lasten im Gleichgewicht. Dies ist sichergestellt, wenn die Gleichgewichtsbedingungen zur Berechnung der Zustandslinien f¨ ur M, Q und N erf¨ ullt sind. Eine ganz andere Betrachtungsweise von statischen Systemen ist m¨ oglich, wenn integrale Bedingungen f¨ ur das gesamte System formuliert werden. Hierbei betrachtet man nicht mehr das Gleichgewicht am differentiellen Element oder an jedem Schnitt, das nat¨ urlich weiterhin erf¨ ullt sein muss, sondern die im System geleistete Gesamtarbeit aller Lasten und Schnittgr¨oßen. Was bisher die Gleichgewichtsbedingungen leisten, wird jetzt unabh¨ angig hiervon mit Hilfe von Forderungen an die Gesamtarbeit erf¨ ullt. Die Beschreibung dieser integralen Systemgr¨oße erfolgt mit Hilfe der bereits bekannten Kr¨ afte und Momente sowie der konjugierten Verschiebungen und Verdrehungen.
6.1 Begriffe zur Formulierung der Arbeiten Arbeit wird von Kr¨aften auf konjugierten Wegen geleistet. Wenn Kraft und konjugierte Verschiebung nicht in die gleiche Richtung zeigen, darf nur die Projektion der Verschiebung in Richtung der Kraft betrachtet werden. A = F · u · cos α
Arbeit einer Kraft:
A = M · ϕ · cos α
Arbeit eines Momentes (f¨ ur kleine Drehungen ϕ): F
.
u1
Projektion
u
u.cos a a
u2
.
. u
j . cos a
M
a j
Kraftgr¨ oßen und Weggr¨oßen sind zueinander u ¨ ber die Arbeiten konjugiert. Bei den hier untersuchten ebenen Stabtragwerken sind die in Tabelle 6.1 aufgef¨ uhrten Arbeiten m¨ oglich. Die Kraftgr¨oßen sind positiv definiert, wenn sie auf den konjugierten Wegen positive Arbeit leisten. Die Einheit der Arbeit ist nach Integration u ¨ ber den Raum immer [A] = kN m. D. Dinkler, Grundlagen der Baustatik, DOI 10.1007/978-3-8348-9862-3_6, © Vieweg+Teubner Verlag | Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH 2011
108
6 Arbeitss¨ atze
Tabelle 6.1 Arbeitskonjugierte Kraft- und Weggr¨ oßen Kraftgr¨ oße
Weggr¨ oße
Einzelkraft Streckenlast Einzelmoment
F, P q, p Me
kN kN/m kN m
Verschiebung Verschiebung Verdrehung
innere Spannungen innere Normalkraft
σ N
kN/m2 kN
innere Querkraft inneres Biegemoment
Q M
kN kN m
Schnittl¨angskraft
N
kN
Schnittquerkraft Schnittmoment
Q M
kN kN m
u, w u, w ϕ
m m rad
Verzerrung Verzerrung
ε ε
1 1
Gleitung Verkr¨ ummung
γ κ
1 1/m
Spreizung
δN = Δu
m
Sprung Knickwinkel
δQ = Δw δM = Δϕ
m rad
Definition der Arbeiten Bei der Formulierung der Arbeiten ist zu beachten, dass Kr¨ afte nur auf den Wegen Arbeit leisten k¨onnen, die in die Richtung der Kraft zeigen. In der Statik gilt A = F du, wenn F die Kraft und u die zu F konjugierte Verschiebung ist. Bei konstanter Kraft wird Verschiebungsarbeit geleistet. Kr¨afte, die von den Verschiebungen selbst abh¨ angig sind, leisten Eigenarbeit. F
F
u Verschiebungsarbeit F = konstant
u Eigenarbeit F = kF · u
Verschiebungsarbeiten Die Arbeit, die eine Kraftgr¨oße auf den Wegen leistet, die von einer anderen Kraftgr¨ oße verursacht werden, heißt Verschiebungsarbeit. Dies ist z. B. bei Gewichtskr¨ aften der Fall, deren Kraftangriffspunkt verschoben wird. Hierbei ist
6.2 Begriffe zur Formulierung der Arbeiten
109
die Kraft F l¨ angs des Weges u konstant A = F du = F u|uu10 = F (u1 − u0 ). Die Arbeit ist in diesem Fall nur vom Anfangs- und vom Endzustand abh¨ angig und hat damit Potentialeigenschaften. Analog gilt f¨ ur die Momente 1 A = M dϕ = M ϕ|ϕ ϕ0 = M (ϕ1 − ϕ0 ).
Eigenarbeiten Die Arbeit, die eine Kraftgr¨oße auf den von ihr selbst verursachten Wegen leistet, heißt Eigenarbeit. Wenn eine Kraft den Weg, auf dem sie Arbeit leistet, selbst erzeugt, muss ein Zusammenhang zwischen Kraft und Weg existieren. Vereinfachend kann man zun¨achst F = kF u ansetzen, was einem linearen Federgesetz mit der Federsteifigkeit kF entspricht. F¨ ur die Arbeiten gilt jetzt 1 1 A = F du = kF u du = kF u2 |uu10 = kF [ (u1 )2 − (u0 )2 ], 2 2 sodass sie ebenfalls nur vom Anfangs- und Endzustand abh¨ angt und damit Potentialeigenschaften hat. F¨ ur Momente gilt analog 1 1 1 A = M dϕ = kM ϕ dϕ = kM ϕ2 |ϕ kM [ (ϕ1 )2 − (ϕ0 )2 ]. ϕ0 = 2 2
Energie Unter der Voraussetzung, dass die geleisteten Arbeiten Potentialeigenschaften besitzen, kann die Arbeit gespeichert und wiedergewonnen werden. Gespeicherte Arbeit wird als potentielle Energie oder Energie der Lage definiert. Es gilt Energie = – Arbeit.
Leistung Eine weitere wichtige, aber in der Statik weniger gebr¨ auchliche Systemgr¨ oße ist ¨ die Leistung. Die Leistung ist die zeitliche Anderung der Arbeit. Es gilt Leistung =
d dt
Arbeit.
110
6 Arbeitss¨ atze
6.2 Der Arbeitssatz f¨ ur elastische Stabtragwerke F¨ ur abgeschlossene Systeme gilt der Arbeitssatz. Er sagt aus, dass die Summe aller am System geleisteten inneren und ¨außeren Arbeiten verschwindet. ΣA = Aa + Ai = 0. Der Arbeitssatz ist eine der wichtigsten Aussagen der Physik und der Mechanik, da er die unmittelbare Erfahrung und Anschauung ohne weitere Annahmen wiedergibt. In der Baustatik werden alle bewegungsabh¨angigen Kr¨ afte vernachl¨ assigt, da die Geschwindigkeiten und die Beschleunigungen null sein sollen. Die Belastung der Systeme erfolgt daher unendlich langsam“. Dies bedeutet, dass nur die a ¨u” ßeren Lasten und die inneren Reaktionen des Tragwerks Arbeit leisten k¨ onnen. Mit dem Arbeitssatz wird nicht mehr zwischen Arbeiten von Horizontal- und Vertikalkr¨ aften oder von Momenten unterschieden, sondern es wird eine Bedingung f¨ ur die Summe aller Arbeiten formuliert. Der Arbeitssatz ist damit eine integrale Aussage f¨ ur das gesamte Tragwerk. Der Arbeitssatz kann in verschiedenen Formulierungen angeschrieben werden. Nachfolgend wird er f¨ ur die Arbeiten angeschrieben, die bei der Verformung eines Tragwerks geleistet werden, wenn es von der unverformten in die verformte Lage wandert. Diese Arbeiten werden als Form¨anderungsarbeiten bezeichnet.
¨ ußere Form¨ A anderungsarbeiten ¨ Außere Form¨ anderungsarbeiten sind die Arbeiten aller am Tragwerk angreifenden Lasten auf den konjugierten Wegen. Die Arbeiten enthalten Eigenarbeiten, wenn die Wege von den Lasten selbst erzeugt werden, aber auch Verschiebungsarbeiten, wenn die Lasten auf Wegen Arbeit leisten k¨ onnen, die von anderen Lasten verursacht werden. Exemplarisch werden die Arbeiten f¨ ur zwei Einzellasten P1 und P2 angegeben. P1 d1,eig
P2
d1,fremd
d2,eig
Wenn zuerst P1 aufgegeben wird und danach P2 , gilt 1 1 Aa = P1 ( δ1 ,eig + δ1 ,f remd ) + P2 δ2 ,eig . 2 2 : selbstverursachte, eigene Wege δ1 ,eig δ1 ,f remd : fremdverursachter Weg von P2 an der Stelle 1
6.2 Der Arbeitssatz f¨ ur elastische Stabtragwerke
111
In Bild 6-1 sind die ¨ außeren Arbeiten der Kr¨afte Pj auf den Verschiebungen δj als schraffierte Fl¨ achen sichtbar. P1
P2
d1,eig
d1,fremd
d
d
d2,eig
Bild 6-1 Form¨anderungsarbeiten In Analogie k¨ onnen die Arbeiten von Streckenlasten und von Einzelmomenten angegeben werden.
Innere Form¨ anderungsarbeiten Innere Form¨ anderungsarbeiten sind die Arbeiten, die infolge der Elastizit¨ at in den differentiellen Elementen des Tragwerks bei der Verformung geleistet werden. Dies sind auf unterster Ebene der Materialfaser die Arbeiten von Spannungen auf Dehnungen und bei Stabtragwerken die Arbeiten der integralen Schnittgr¨ oßen M, Q und N auf den konjugierten Verzerrungsgr¨ oßen κ, γ und ε. Bei schubstarren Stabtragwerken (Bernoulli-Hypothese) sind die Schubverzerrungen γ identisch null, sodass die zugeh¨origen Arbeiten verschwinden. Die Vorzeichen der inneren Arbeiten sind negativ, wenn die positiven inneren Reaktionsspannungen (Zug) im differentiellen Element nach innen zeigen und damit auf positiven Dehnungen negative Arbeit leisten. Bei Stabtragwerken kann man dies direkt auf die Arbeiten der Normalkr¨ afte u ¨ bertragen Ai (N ) = − Ni du = − Ni · ε dx. Das Vorzeichen der inneren Arbeiten der Momente ist jedoch positiv, da die inneren Momente und die konjugierten Verkr¨ ummungen gleichgerichtet sind Ai (M ) = + Mi dϕ = Mi · κ dx.
dx + du +e dx N
N
Ni
M
M +Mi
dj
+k
112
6 Arbeitss¨ atze
Damit werden am differentiellen Element dx die inneren Arbeiten dAi = {−N d ε + M d κ } dx geleistet und am Gesamttragwerk nach Integration Ai = {−N d ε + M d κ } dx. Die inneren Arbeiten sind Eigenarbeiten, wenn die Spannungen gemeinsam mit den Verzerrungen anwachsen, und Verschiebungsarbeiten, wenn sie bei Anwachsen der Verzerrungen konstant sind. Nachfolgend steht der Biegeanteil stellvertretend f¨ ur alle inneren Arbeiten. Wie oben gezeigt, k¨ onnen die Arbeiten auch f¨ ur zwei Spannungszust¨ ande M1 und M2 infolge P1 und P2 formuliert werden. 1 1 Ai = { M1 ( κ1 ,eig +κ1 ,f remd ) + M2 κ2 ,eig } dx. 2 2 κ1 ,eig κ1 ,f remd
:
von M1 selbstverursachte, eigene Verkr¨ ummungen
:
von M2 fremdverursachte Verkr¨ ummungen
6.3 Verschiedene Formulierungen des Arbeitssatzes F¨ ur die bei der Form¨anderung geleisteten Gesamtarbeiten von Einzellasten und zugeh¨ origen Spannungszust¨anden gilt damit 1 1 ΣA = P1 ( δ1 ,eig + δ1 ,f remd ) + P2 δ2 ,eig 2 2 1 1 + { M1 ( κ1 ,eig +κ1 ,f remd ) + M2 κ2 ,eig } dx = 0. (6.1) 2 2 Die beiden unterschiedlichen Einzellasten kann man auch als Lastzust¨ ande deuten, sodass eine Verallgemeinerung auf beliebige Lasten einfach m¨ oglich ist. Wenn nur der Lastzustand P1 aufgebracht wird und P2 verschwindet, gilt 1 1 ΣA = P1 δ1 ,eig + { M1 κ1 ,eig } dx = 0. (6.2) 2 2 Damit kann aber ebenfalls (6.3) ΣA = P1 δ1 ,f remd + { M1 κ1 ,f remd } dx = 0 angesetzt werden, da die Eigenarbeiten des Zustandes P1 und auch die Eigenarbeiten des Zustandes P2 den Arbeitssatz erf¨ ullen m¨ ussen. Mit den Gleichungen (6.1), (6.2) und (6.3) liegen verschiedene Formulierungen des Arbeitssatzes vor, die im weiteren f¨ ur unterschiedliche Anwendungen zur Verf¨ ugung stehen.
6.3 Verschiedene Formulierungen des Arbeitssatzes
113
Forderungen an den Spannungs- und den Verzerrungszustand In der Arbeitsgleichung wird die Arbeit eines Spannungszustandes auf einem Verformungszustand betrachtet. Es wird dabei implizit vorausgesetzt, dass beide Zust¨ ande am wirklichen System m¨oglich sind. Das wirkliche System muss die Gleichgewichtsbedingungen, die Verformungsgeometrie und die Werkstoffgleichungen erf¨ ullen. Dies bedeutet, dass der Spannungszustand im Arbeitssatz die Gleichgewichtsbedingungen und der Verformungszustand die Verformungsbedingungen erf¨ ullen muss. Dies ist wichtig und die Grundlage f¨ ur alle weiteren Betrachtungen. Die Erf¨ ullung der Werkstoffgleichungen erfolgt implizit, z. B. wenn mit dem Spannungszustand in einem weiteren Schritt die Biegelinie berechnet wird.
114
7 Virtuelle Arbeiten
7 Virtuelle Arbeiten
Die bisher im Arbeitssatz angesetzten Terme sind die Arbeiten wirklicher Kraftgr¨ oßen auf konjugierten wirklichen Wegen, wobei die m¨ oglichen Systeme starr – ohne innere Arbeiten – oder elastisch sein k¨onnen. Spannungs- und Verformungszustand sind zun¨achst in ihrer Gr¨oße und Verteilung unbekannt. Zus¨ atzlich zu den wirklichen Lasten k¨onnen virtuelle Lasten oder virtuelle Wege auf das System gebracht werden, die zugeh¨orige innere Zustandsgr¨ oßen und Verformungen erzeugen. F¨ ur den virtuellen Zustand gelten grunds¨ atzlich die gleichen Grundgleichungen wie f¨ ur den wirklichen Zustand. Virtuell bedeutet: Die virtuell aufgebrachten Lasten oder Wege sind nicht wirklich, sondern nur gedanklich vorhanden. Sie sind infinitesimal klein, k¨ onnen aber in einer linearen Theorie passend gew¨ahlt werden, da der Skalierungsfaktor f¨ ur virtuelle Einwirkungen und daraus folgende virtuelle Tragwerksreaktionen gleich ist. Er kann daher in der Arbeitsgleichung gek¨ urzt werden. Virtuelle Gr¨ oßen werden im weiteren immer mit einem Querstrich gekennzeichnet. virtuelle Kraft virtuelle Verschiebung virtuelle Arbeit
P u A
: : :
P¯ , u ¯, ¯ A.
Virtuelle Verformungen und virtuelle Spannungszust¨ ande sind unabh¨ angig vom wirklichen Zustand und damit fremderzeugt, sodass die hiermit formulierten Arbeiten immer Verschiebungsarbeiten sind, die den Arbeitssatz entsprechend Gleichung (6.3) erf¨ ullen m¨ ussen.
7.1 Das Prinzip der virtuellen Verschiebungen (PvV) In Abschnitt 6.1 f¨ uhrt der Arbeitssatz u. a. auf die Formulierung von Verschiebungearbeiten nach Gl.(6.3). Es gilt, wenn der jetzt unn¨ otige Index 1 weggelassen wird sowie die Normalkr¨afte und ¨außere Einzelmomente erg¨ anzt werden, A = P δf remd + M ϕf remd + { M κf remd − N εf remd } dx = 0. Bisher ist der im Arbeitssatz verwendete Verformungszustand aus einer vorgegebenen wirklichen Last entstanden, die nachtr¨ aglich auf das mit der Last
D. Dinkler, Grundlagen der Baustatik, DOI 10.1007/978-3-8348-9862-3_7, © Vieweg+Teubner Verlag | Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH 2011
7.1 Das Prinzip der virtuellen Verschiebungen (PvV)
115
P1 belastete System gebracht wird. Da die nachtr¨ aglich auf das System gebrachte Last P2 nicht mehr im Arbeitssatz auftaucht, braucht sie nicht weiter betrachtet zu werden. Der Verformungszustand kann daher auch beliebig gew¨ ahlt werden (zu einem nicht mehr interessierenden Lastzustand geh¨orig), ohne dass sich die Aussage des Arbeitssatzes ¨ andert. Er muss aber auf jeden Fall die Verformungsgeometrie im Gebiet und auf dem Rand erf¨ ullen, denn sonst kann er kein Verformungszustand des wirklichen Systems sein. Jetzt wird der Verformungszustand als virtuell angenommen. Er wird dann nicht mehr als Folge einer Last verstanden, sondern kann v¨ ollig unabh¨ angig gew¨ ahlt werden. Die hieraus folgende Form des Arbeitssatzes ¯ ¯ A = P δ + M ϕ¯ + { M κ ¯ − N ε¯ } dx = 0. (7.1) wird als Prinzip der virtuellen Verschiebungen bezeichnet. Andere Bezeichnungen sind Prinzip der virtuellen Verr¨ uckungen oder Prinzip der virtuellen Weggr¨oßen. Die Bedeutung dieses Prinzips ergibt sich aus den Bedingungen, die an den Spannungszustand und den virtuellen Verformungszustand gestellt werden. • Der virtuelle Verformungszustand wird nicht berechnet, sondern kann beliebig gew¨ ahlt werden. Er muss aber die Verformungsgeometrie des untersuchten Systems erf¨ ullen. Dies bedeutet f¨ ur die Biegearbeiten im Gebiet auf festem Rand auf eingespanntem Rand
κ ¯=w ¯ , w ¯ = 0, ϕ¯ = 0
und f¨ ur die Dehnarbeiten im Gebiet auf festem Rand
ε¯ = u ¯ , u ¯ = 0.
• Der wirkliche Spannungszustand muss die Gleichgewichtsbedingungen des Systems unter der wirklichen Last erf¨ ullen. Dies bedeutet, dass der wirkliche Spannungszustand ein Gleichgewichtszustand ist, wenn die Summe der am Tragwerk geleisteten virtuellen Arbeiten auf beliebigen, kinematisch zul¨assigen virtuellen Verschiebungen verschwindet. Damit ist das Prinzip der virtuellen Verschiebungen eine andere Formulierung des Gleichgewichts des wirklichen Spannungszustands.
116
7 Virtuelle Arbeiten
Beispiel In nachfolgendem Bild ist ein im Gleichgewicht befindliches System freigeschnitten. Im linken Fall sind die Lagerkr¨afte Fa und Fb freigeschnitten und eine virtuelle Verschiebung w ¯ senkrecht zum Balken gew¨ ahlt. Die Summe der virtuellen Arbeiten der Lagerkr¨afte und der Last P auf w ¯ verschwindet, wenn die Kr¨ afte im Gleichgewicht sind. Die Arbeitsgleichung entspricht dem Gleichgewicht der Kr¨ afte in Richtung w. ¯ Im rechten Fall ist eine virtuelle Verdrehung ϕ¯ des Balkens um Lager a gew¨ ahlt. Auch hier m¨ ussen die virtuellen Arbeiten der Last P und der Lagerkraft Fb auf den virtuellen Verschiebungen verschwinden. Klammert man im Arbeitssatz die virtuelle Verdrehung ϕ¯ aus, wird deutlich, dass Lagerkraft Fb und Last P mit dem jeweiligen Hebelarm multipliziert werden. Die Arbeitsgleichung entspricht dem Gleichgewicht der Momente um Lager a. P
a
b
b
l
l
P
P
Fa
P
a
Fb
a
Fb
j w
−Fa · w ¯ − Fb · w ¯+P ·w ¯ = 0 (−Fa − Fb + P ) · w ¯ = 0
Fb · · ϕ¯ − P ·
2
· ϕ¯ = 0
(Fb · − P · 2 ) · ϕ¯ = 0
Bild 7-1 Anwendung des Prinzips der virtuellen Verschiebungen
Erg¨ anzungen Die Erweiterung des PvV um die virtuelle Arbeit weiterer Kraftgr¨ oßen ist einfach m¨ oglich, da die Arbeiten skalar addiert werden k¨ onnen. Nachfolgend ist das PvV um die Arbeit von Streckenlasten q sowie Lagerkr¨ aften Fa und Laaußere Kraftgr¨ oßen germomenten Ma erg¨anzt, die nach dem Freischneiden wie ¨ angesetzt werden, siehe Bild 7-2. Die Richtung von virtuellen Verschiebungen
7.2 Das Prinzip der virtuellen Kr¨afte (PvK)
117
und konjugierten Kraftgr¨oßen ist so gew¨ahlt, dass von den Lagerkr¨ aften und Einspannmomenten positive Arbeit geleistet wird. Wenn im Einzelfall virtuj a
z,w
x j
a
Ma da
q
P
Fa
b M
c
e
Bild 7-2 Arbeit auf virtuellen Lagerweggr¨oßen elle Wege und wirkliche Kr¨afte entgegengesetzt wirken, ist das Vorzeichen zu wechseln. Insgesamt liegen damit folgende virtuelle Arbeiten vor A¯ = + { − N ε¯ + M κ ¯ } dx +P δ¯ + M ϕ¯ + q · w ¯ dx + Σ Fa · δ¯a + Σ Ma · ϕ¯a = 0. Das Prinzip der virtuellen Verschiebungen ist ein ganz grundlegendes Prinzip der modernen Berechnungsverfahren f¨ ur Tragwerke. Es wird hier eingesetzt, um Lagerkr¨ afte, Schnittgr¨oßen und Einflusslinien f¨ ur Schnittgr¨ oßen zu berechnen. Eine Erg¨ anzung der Arbeitsgleichung des PvV um Arbeitsterme infolge Erw¨ armung ist nicht m¨ oglich. Hierbei ist zu beachten, dass die Temperatur¨ anderung eine Einwirkung ist und daher keine virtuellen Temperaturdehnungen vorhanden sein k¨ onnen. Der tiefere Hintergrund des Fehlens der Erw¨ armung im PvV liegt darin, dass das PvV eine andere Formulierung der Gleichgewichtsbedingungen ist und die Erw¨armung in die Gleichgewichtsbedingungen nicht direkt eingeht.
7.2 Das Prinzip der virtuellen Kr¨ afte (PvK) In vollst¨ andiger Analogie zum Prinzip der virtuellen Verschiebungen kann aus dem Arbeitssatz Gl.(6.3) ein Prinzip der virtuellen Kr¨afte entwickelt werden. Es gilt zun¨ achst wie in Abschnitt 6 ΣA = P δf remd + M ϕf remd + { M κf remd − N εf remd } dx = 0. Die Verformungen werden jetzt als Verformungszustand gedeutet, der als Folge der wirklichen Belastung eintritt. Der Verformungszustand erf¨ ullt damit alle Verformungsbedingungen des wirklichen Systems.
118
7 Virtuelle Arbeiten
Der Spannungszustand ist ein Gleichgewichtszustand. Die hierzu geh¨ orenden Verformungen interessieren nicht, da sie im Arbeitssatz nicht verwendet werden. Der im Arbeitssatz vorhandene Spannungszustand wird jetzt als virtuell angenommen. Er ist dann kein wirklicher Gleichgewichtszustand, sondern nur noch ein gedachter. Die hieraus folgende Form des Arbeitssatzes ¯ ϕ+ {M ¯κ−N ¯ ε } dx = 0. ΣA¯ = P¯ δ + M (7.2) wird als Prinzip der virtuellen Kr¨afte bezeichnet. Die Bedeutung des Prinzips folgt aus den Bedingungen, die an den virtuellen Spannungszustand und den wirklichen Verformungszustand gestellt werden. • Der wirkliche Verformungszustand ist Folge der wirklichen Last. Er erf¨ ulllt daher die Verformungsbedingungen des wirklichen Systems. • Der virtuelle Spannungszustand muss die Gleichgewichtsbedingungen erf¨ ullen. Die daraus folgenden virtuellen Verformungen interessieren nicht. Dies bedeutet, dass das Prinzip der virtuellen Kr¨afte eine andere Formulierung der Verformungsbedingungen des wirklichen Tragwerks ist, wenn der gew¨ ahlte virtuelle Spannungszustand im Gleichgewicht ist. Oder: Der wirkliche Verformungszustand erf¨ ullt alle kinematischen Bedingungen, wenn die Summe der am Tragwerk geleisteten virtuellen Arbeiten beliebiger, statisch zul¨assiger virtueller Spannungszust¨ ande auf den wirklichen Verschiebungen verschwindet.
7.2.1 Virtuelle Arbeiten bei Erw¨ armung In Abschnitt 7.2 ist die Arbeitsgleichung des PvK gegeben. Bei Erw¨ armung verformen sich die Tragwerke, sodass entsprechende zus¨ atzliche Arbeiten von virtuellen Spannungen auf wirklichen Wegen geleistet werden k¨ onnen. Der virtuelle Spannungszustand im PvK ist bereits erkl¨ art, sodass nachfolgend die Verformungen aus Erw¨armung sowie die entsprechenden Arbeiten angegeben werden. ¯ und der virtuBisher sind die inneren Arbeiten der virtuellen Normalkr¨ afte N ¯ auf wirklichen Dehnungen und Verkr¨ ellen Momente M ummungen ber¨ ucksichtigt: ¯ ·κ − N ¯ · ε } dx. A¯i = {M
7.2 Das Prinzip der virtuellen Kr¨afte (PvK)
119
Wenn Tragwerke erw¨armt werden, treten neben den Dehnungen aus Elastizit¨ at auch Dehnungen aus Temperatur¨anderungen auf. Es gilt f¨ ur Elastizit¨ at und Erw¨ armung
ε = εel + εT .
N
dx
T
e
el
dx
e
T
dx
e dx
ε sind wirkliche Dehnungen, sodass die Arbeit infolge virtueller Normalkraft wie folgt geschrieben werden kann: ¯) = − A¯i (N
¯ · ( εel + εT ) dx. N
Die Werkstoffgleichung“ f¨ ur die Temperaturdehnung kann, falls erforderlich, ” in die Arbeitsgleichung eingesetzt werden. Hierf¨ ur gilt αT T0
εT = αT · T0
[1/K] [K]
W¨armeausdehnungskoeffizient Temperatur¨anderung in Kelvin
Bei unterschiedlicher Erw¨armung der Ober- und der Unterseite eines Balkens verkr¨ ummt sich der Stab, wenn sich die einzelnen Fasern unterschiedlich dehnen. Mit εT o = αT · To und εT u = αT · Tu sowie ΔT = Tu − To (unten w¨ armer) kann die Verkr¨ ummung κT aus Erw¨armung berechnet werden: To
κT = − ( εT u − εT o )/h
M
= − αT · ΔT /h.
Tu
k = kel + kT
Das Vorzeichen folgt aus der Definition positiver Momente und positiver Verkr¨ ummungen. Damit leisten die virtuellen Momente innere Arbeiten auf den Verkr¨ ummungen aus Elastizit¨at und Erw¨armung ¯) = + A¯i (M
¯ · ( κel + κT ) dx. M
120
7 Virtuelle Arbeiten
7.2.2 Virtuelle Arbeiten bei Lagerwegen Bisher sind die ¨ außeren Arbeiten von virtuellen Einzelkr¨ aften und Einzelmomenten auf wirklichen Wegen erfasst ¯ · ϕ. A¯a = ΣP¯ · δ + ΣM Zus¨ atzlich k¨ onnen eingepr¨agte Verschiebungen und Verdrehungen z. B. als Lagerverschiebung δa oder Lagerverdrehung ϕa vorhanden sein, sodass die zum virtuellen Spannungszustand geh¨orenden virtuellen Lagerkr¨ afte und -momente ebenfalls Arbeit leisten.
x
j z,w
Ma
P
ja a da
Fa
b M
c
Die Richtung der virtuellen Kraftgr¨oßen ist im Bild so angesetzt, dass sie auf den wirklichen Wegen positive Arbeit leisten. Falls die virtuellen Kr¨ afte und die wirklichen Wege entgegengesetzt wirken, ist ein Vorzeichenwechsel zu ber¨ ucksichtigen. Insgesamt liegen damit folgende ¨außere Arbeiten vor ¯ · ϕ + Σ F¯a · δa + Σ M ¯ a · ϕa . A¯a = Σ P¯ · δ + Σ M
7.2.3 Arbeitsgleichung des Prinzips der virtuellen Kr¨ afte Die Erweiterung des Prinzips der virtuellen Kr¨afte um die in den Abschnitten 7.2.1 und 7.2.2 betrachteten Terme gibt ¯ (εel + εT ) + M ¯ (κel + κT ) } dx A¯ = {−N ¯ · ϕ + Σ F¯a · δa + Σ M ¯ a · ϕa = 0. + Σ P¯ · δ + Σ M Der virtuelle Spannungszustand muss im Gleichgewicht sein, damit der Arbeitssatz eine Bedingung f¨ ur die Erf¨ ullung der Verformungsbedingungen des wirklichen Systems ist. Neben den Verformungsbedingungen muss das wirkliche Tragwerk auch die Gleichgewichtsbedingungen und die Werkstoffgleichungen erf¨ ullen. Daher m¨ ussen beide Gleichungen ebenfalls in das PvK einfließen, da sonst der Verformungszustand in keinem Zusammenhang mit den Einwirkungen des wirklichen
7.2 Das Prinzip der virtuellen Kr¨afte (PvK)
121
Tragwerks steht. Mit den Werkstoffgleichungen εel =
N , EA
M , EI ΔT = −αT , h
κel = −
εT = αT T0 ,
κT
kann das PvK in der Form ¯ ( M + αT ΔT ) } dx ¯ ¯ ( N + αT T0 ) − M A = {− N EA EI h ¯ · ϕ + Σ F¯a · δa + Σ M ¯ a · ϕa = 0 + Σ P¯ · δ + Σ M
(7.3)
geschrieben werden. Die Gleichgewichtsbedingungen des wirklichen Zustands k¨ onnen nicht direkt im Arbeitsprinzip erfasst werden, sondern sind bereits vorweg bei der Berechnung der N, M infolge der wirklichen Einwirkungen erf¨ ullt. Das Prinzip der virtuellen Kr¨afte ist ein ganz grundlegendes Prinzip der Baustatik. Es wird hier eingesetzt, um einzelne Weggr¨oßen zu berechnen.
Beispiel Die Bedeutung des P vK als Verformungsbedingung des wirklichen Systems wird mit folgendem Beispiel deutlich. Der Kragarm ist mit einem Einzelmoment am Ende belastet. Gesucht ist die Verdrehung ϕb am freien Ende. Im Bild links sind die Momentenlinie und die Biegelinie skizziert. Die analytische Berechnung der Verdrehung erfolgt mit M · M ϕb = κdx = − dx = − . EI EI Die Verdrehung ist hier entsprechend der Vereinbarungen nach Abschnitt 3.4 positiv im Uhrzeigersinn. a
M
w
b
+
M
M
j
b
+ j w
e
M=1
1
+
M
122
7 Virtuelle Arbeiten
F¨ ur die Anwendung des Prinzips der virtuellen Kr¨ afte muss ein virtuelles Einzelmoment ¯ 1 in Richtung der Verdrehung aufgegeben werden. Die virtuelle Momentenline ist im Bild rechts gegeben. Die Auswertung des P vK erfolgt mit ¯ · ϕb − M ¯ M dx = 0 M EI M . 1¯ · ϕb = 1¯ EI Im Vergleich mit der analytischen L¨osung best¨atigt sich die Aussage des P vK. Das positive Vorzeichen besagt, dass die Verdrehung ϕb in Richtung des virtu¯ zeigt. ellen Einzelmomentes M
123
8 Berechnung von Schnittgr¨ oßen mit dem PvV
Der wesentliche Gedanke des Prinzips der virtuellen Verschiebungen ist in Abschnitt 7.1 herausgearbeitet: Die virtuellen Arbeiten des wirklichen Gleichgewichtszustands auf einem beliebigen, kinematisch zul¨assigen virtuellen Verschiebungszustand sind im Integral u ¨ber das gesamte Tragwerk identisch null. Das Prinzip der virtuellen Verschiebungen wird hier zur Berechnung von Lagerkr¨ aften und Schnittgr¨oßen eingesetzt. Die Berechnung erfolgt in drei Schritten. 1. An der Stelle im Tragwerk, an der die Schnittgr¨ oße f¨ ur eine gegebene Einwirkung gesucht ist, wird die zugeh¨orige Bindung gel¨ ost und die inneren Spannungen werden als ¨ außere“ an den Schnittufern wirkende Schnittgr¨ oße aufge” bracht. Als Folge des Schnitts verringert sich der Grad der statischen Bestimmtoder Unbestimmtheit um eins. Statisch bestimmte Systeme werden zur kinematischen Kette, statisch unbestimmte Systeme vom Grad n werden zu statisch unbestimmten Systemen vom Grad n − 1. Dieses Vorgehen wird als Lagrange’sche Befreiung bezeichnet. 2. Es wird eine kinematisch zul¨assige virtuelle Verschiebung −¯ 1 vorgegeben, auf der die Schnittgr¨oße negative virtuelle Arbeit leistet. F¨ ur die Zuordnungen von Kraft- und konjugierten Weggr¨oßen sind Tabellen 6.1 und 9.1 zu beachten. Die angesetzten virtuellen Verschiebungen sind infinitesimal klein, werden in der Verschiebungsfigur aber endlich groß dargestellt. 3. Es wird der Arbeitssatz des PvV mit dem Spannungszustand nach 1. und dem virtuellen Verformungszustand nach 2. ausgewertet. Die einzige Unbekannte ist die gesuchte Schnittgr¨oße. Bei einer kinematischen Kette entstehen hierbei keine inneren Arbeiten, da sich die Einzelst¨ abe starr verschieben und die virtuellen Verzerrungen und Verkr¨ ummungen verschwinden. Die Auswertung der Arbeitsgleichung wird hierdurch erheblich vereinfacht. In den nachfolgenden Beispielen sind die Lager- und Schnittgr¨ oßen stets an statisch bestimmten Systemen gesucht. Die Lagrange’sche Befreiung f¨ uhrt daher immer zu einer kinematischen Kette mit starren Tragwerksteilen. Nach Vorgabe einer virtuellen Weggr¨oße kann das gesamte virtuelle Verschiebungsfeld mit Hilfe des Polplanes bestimmt werden. Der Arbeitssatz des P vV gilt ganz allgemein f¨ ur beliebige Stab- und Fl¨ achentragwerke und kann entsprechend eingesetzt werden. D. Dinkler, Grundlagen der Baustatik, DOI 10.1007/978-3-8348-9862-3_8, © Vieweg+Teubner Verlag | Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH 2011
124
8 Berechnung von Schnittgr¨ oßen mit dem PvV
Beispiel 1 1. Das gegebene Tragwerk ist statisch bestimmt. Gesucht ist die Lagerkraft Va . Nach Entfernen der zu Va konjugierten Bindung wird die unbekannte Lagerkraft Va als ¨ außere Kraft angesetzt.
q
M
a l/2
2. Jetzt wird das Tragwerk im Punkt a virtuell um δ¯ = −¯1 verschoben.
c b l/2
l/2
q
M b
3. Die auf den virtuellen Verschiebungen geleisteten Arbeiten m¨ ussen nach dem PvV in der Summe verschwinden. Dies liefert eine Bestimmungsgleichung f¨ ur die Lagerkraft.
c
Va
b
d
d l
1d 2
1 δ¯ δ¯ A¯ = −Va δ¯ + (q ) · ( ) − M = 0, 2 22 l 1 1 Va = q l − M . 8 l
l/2
Beispiel 2 1. Das gegebene Tragwerk ist statisch bestimmt. Gesucht ist das Biegemoment Mb . Nach Entfernen der zu Mb konjugierten Bindung wird das unbekannte Biegemoment Mb als Schnittmoment angesetzt. 2. Das Tragwerk wird virtuell so verschoben, dass das Schnittmoment Mb virtuelle Arbeit auf dem virtuellen Knickwinkel ϑ¯ leistet. F¨ ur kleine Knickwinkel gilt tan ϑ¯ = ϑ¯ und damit 16 ¯ ¯ ¯ δ. ϑ¯ = −δ/( /4) − δ/(3 /4) =− 3 3. Die auf den virtuellen Verschiebungen geleisteten Arbeiten m¨ ussen nach dem PvV in der Summe verschwinden. Dies liefert eine Bestimmungsgleichung f¨ ur das Schnittmoment Mb .
q a
c
b
l/4
3l/4
l/4
1 3d
Mb
d
d l/4
2 3d
J = 16 d 3l
16 δ¯ δ¯ δ¯ A¯ = − Mb − q ( + )=0 3 4 3 6 16 1 ¯ { − Mb −q }δ = 0 3 42 3 q 2 Mb = − 128
125
Beispiel 3 1. Das gegebene Tragwerk ist statisch bestimmt. Gesucht ist die Querkraft Q links vom Lager c. Nach Entfernen der zu Q konjugierten Bindung wird die unbekannte Querkraft Q als Schnittkraft angesetzt.
q a
c
b l/3
2l/3
Ql
Beispiel 4
P c
b
d
h
q
e
a
2. Das Tragwerk wird virtuell verschoben, sodass Mb virtuelle Arbeit auf dem ¯ h leistet. Knickwinkel ϕ¯ = 4 δ/3
3l/4
3. Das PvV liefert die Bestimmungsgleichung f¨ ur M b . δ¯ l δ¯ δ¯ + Mb ( + ) h 4 h 3h l 4 ¯ + Mb } δ = 0, 4h 3h 3 3 P l. M b = + q h2 − 8 16
3 ld
Qr
3 2d
l 3 A¯ = −Q δ¯ − q δ¯ − P δ¯ = 0 6 2 l 3 ¯ −{ Q + q + P } δ = 0 6 2 l 3 Q = −q − P 6 2
3. Die auf den virtuellen Verschiebungen geleisteten Arbeiten m¨ ussen nach dem PvV in der Summe verschwinden. Dies liefert eine Bestimmungsgleichung f¨ ur die Querkraft Q.
δ¯ A¯ = −q h + P 2 h = { −q + P 2
l/2 dQ
2. Das Tragwerk wird virtuell so verschoben, dass die Querkraft Q virtuelle Arbeit auf der virtuellen Spreizung δ¯Q leistet.
1. Der Drei-Gelenk-Rahmen ist statisch bestimmt. Gesucht ist das Moment Mb . Nach Entfernen der zu Mb konjugierten Bindung wird Mb als Schnittmoment angesetzt.
P
Mb
d h
d .l. 4 h 4 3l
d .l h 4
l/4
d
d h
126
8 Berechnung von Schnittgr¨ oßen mit dem PvV
Beispiel 5
P
3l l h −P − N } δ¯ = 0, 2 4h h N= −
3 h2 q − P. 2l 4
e
a 3l/4
l/4 d
3. Die auf den virtuellen Verschiebungen geleisteten Arbeiten m¨ ussen nach dem PvV in der Summe verschwinden. Dies liefert eine Bestimmungsgleichung f¨ ur die Normalkraft N .
= { −q
d
q
2. Das Tragwerk wird virtuell so verschoben, dass die Normalkraft N virtuelle Arbeit auf der Spreizung δ¯L leistet. Die virtuellen Verschiebungen werden mit Hilfe eines Polplans bestimmt.
δ¯ 3 l δ¯ δ¯ −N l A¯ = − (q h) − P 2 h 4 h
c
b
h
1. F¨ ur den Drei-Gelenk-Rahmen ist die Normalkraft N im rechten Stiel an der Stelle d gesucht. Nach Entfernen der zu N konjugierten Bindung wird die unbekannte Normalkraft N als Schnittkraft angesetzt.
d h l d d h
d h
d . 3l h 4
d
N d h
127
9 Einflusslinien f¨ ur Kraftgr¨ oßen
Die Schnittgr¨ oßen M, Q, N werden bisher in Zustandslinien dargestellt:
Zustandslinien Die Funktion, die die Gr¨oße einer Schnittgr¨oße an ver¨ anderlichem Ort x infolge einer festen Lastanordnung beschreibt, heißt Zustandslinie. Zustandslinien werden so dargestellt, dass die Schnittgr¨ oße an der jeweiligen Stelle x angetragen wird. Nach der Berechnung der Zustandslinien erfolgt die Bemessung der tragenden Konstruktion in der Regel an einzelnen, maßgebenden Querschnitten des Tragwerks. Hierf¨ ur werden jeweils die maximalen und minimalen Schnittgr¨ oßen aus allen Lastf¨allen ben¨otigt, um die ung¨ unstigste Kombination der Schnittgr¨ oßen zu bestimmen. Ist die Zahl der Lastf¨alle gering, so kann man die Berechnung der Zustandslinien f¨ ur jeden Lastfall mit dem bisherigen Vorgehen durchf¨ uhren und erh¨ alt so obere und untere Grenzwerte der Zustandslinien, siehe nebenstehendes Beispiel. Damit k¨onnen die ung¨ unstigsten Stabschnittgr¨oßen gezielt ausgew¨ ahlt werden.
M
1
M
2
M
3
P1
P2
P3
M grenz
Sind viele Lastf¨ alle zu ber¨ ucksichtigen oder sind bewegliche Verkehrslasten mit unendlich vielen m¨ oglichen Laststellungen, z. B. bei Eisenbahnz¨ ugen, vorhanden, so kann das Finden oberer und unterer Grenzwerte der Zustandslinien sehr aufw¨andig sein. Der Aufwand kann in Grenzen gehalten werden, wenn nicht die Extremwerte der Schnittgr¨oßen im gesamten Tragwerk gesucht sind, sondern nur an wenigen f¨ ur die Bemessung maßgebenden Stellen. Da die maximalen und minimalen Schnittgr¨oßen von der Lastanordnung auf dem Tragwerk abh¨ angen, ist die ung¨ unstigste Lastanordnung gesucht. Zur Vereinfachung kann man statt verschiedener Lastanordnungen zun¨ achst auch eine wandernde Einzellast ansetzen und beliebige Lastanordnungen gedanklich aus Einzellasten zusammensetzen. Im weiteren wird die Wanderlast immer als D. Dinkler, Grundlagen der Baustatik, DOI 10.1007/978-3-8348-9862-3_9, © Vieweg+Teubner Verlag | Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH 2011
128
9 Einflusslinien f¨ ur Kraftgr¨ oßen
Einheitslast P = 1 gew¨ahlt und mit dem Zeichen · · ↓ · · dargestellt. Um die ung¨ unstigste Laststellung zu finden, muss der Einfluss des Ortes der Wanderlast auf die gesuchte Schnittgr¨oße am festen Ort bekannt sein.
Einflusslinien Die Funktion, die den Einfluss des ver¨anderlichen Ortes x einer Wanderlast P auf eine vorgegebene Schnittgr¨oße an einem festen Ort a beschreibt, heißt Einflusslinie. Sie wird so dargestellt, dass die Schnittgr¨ oße infolge der Wanderlast als Ordinate an der jeweiligen Stelle x der Wanderlast angetragen wird, vergleiche Bild 9-1. Die Einflusslinie f¨ ur eine Schnitt- oder Lagergr¨oße erh¨ alt die Bezeichnung η. Die Ordinaten der Einflusslinien sind positiv, wenn sie in Richtung der Wanderlast zeigen. Entsprechend der Definition der Einflusslinie sowie Bild 9-1 kann Pl a
.. ..
P
M
x=l
x Pl 2
h
P
M
x = l/2
P M
Ma
x=0
Bild 9-1 Einflusslinie f¨ ur das Einspannmoment Ma man die gesuchte Schnittgr¨oße am festen Ort mit Ma = P |x · ηM (x) berechnen, wenn η bekannt ist. Die Ermittlung der Einflusslinien η f¨ ur Kraftgr¨ oßen wird nachfolgend erl¨autert.
9.1 Statische Methode Die Berechnung der Einflusslinie f¨ ur eine Schnittgr¨ oße erfolgt mit der sta” tischen Methode“ durch mehrmalige Berechnung der gesuchten Schnitt- oder Lagergr¨ oße f¨ ur verschiedene Laststellungen. Im Regelfall kann man die Einflusslinie bestimmen, indem man an ausgezeichneten Stellen des Tragwerks die Ordinaten bestimmt und dazwischen eine lineare Verbindung vorgibt. F¨ ur Sonderf¨ alle gelingt es, die Einflusslinie geschlossen zu berechnen.
9.2 Statische Methode
129
Beispiel 1 Gesucht ist die Einflusslinie η(ξ) f¨ ur die Querkraft Qf . Das Momentengleichgewicht um Lager b gibt die Lagerkraft Va = P ·
l−x = P · ( 1 − ξ ). l
a
l3
l x= x l
Wenn Qf = P · ηQf ist, folgt ηQf = −ξ . F¨ ur P an einer Stelle x ≥ 1 gilt ηQf = ( 1 − ξ ).
l2
l1
Qf = Va − P = − P · ξ.
und damit
b
f
F¨ ur P an einer Stelle x < 1 gilt
Qf = Va = P · ( 1 − ξ )
P=1
.. ..
x
c l
x 1
hQ
1 x h
Der Sprung Δη = 1 an der Stelle f ist charakteristisch und entspricht einer Spreizung δQ = −1.
Beispiel 2 Gesucht ist die Einflusslinie f¨ ur das Feldmoment Mf . Mit Hilfe des Schnittprinzips erh¨ alt man f¨ ur x ≤ 1 Mf
= =
P=1 .. ..
ηM f
= Vb · 2 − P · ( x − 1 ) x = P · · 2 − P · ( x − 1 ) l = 1 ( 1 − ξ ).
Zu beachten ist hier der Knick tan ϑ = −1 an der Stelle f des gesuchten Feldmomentes.
b
l2
l1
l3
l
und die Einflusslinie ηM f = ξ ( l − 1 ) . F¨ ur x ≥ 1 gilt Mf
f
a
Va · 1 − P · ( 1 − x ) l −x · 1 − P · ( 1 − x ) P· l
x= x l
l1
h
hM J= 1
l2
130
9 Einflusslinien f¨ ur Kraftgr¨ oßen
9.2 Kinematische Methode Die statische Methode zur Ermittlung von Einflusslinien verwendet das Schnittprinzip zur Berechnung der Schnitt- oder Lagergr¨ oßen. Dieses Vorgehen kann im Einzelfall sehr aufw¨andig werden und ist daher nicht zu empfehlen. Ein sehr viel u ¨bersichtlicheres und weniger aufw¨andiges Vorgehen ist mit Hilfe des Prinzips der virtuellen Verschiebungen m¨oglich. Mit dem PvV k¨ onnen nach Abschnitt 7 Lager- und Schnittgr¨oßen mit Hilfe der Lagrange’schen Befreiung bestimmt werden. F¨ ur die Berechnung der Lagerkraft Va des nebenstehenden Systems wird die zur Lagerkraft konjugierte Bindung am Lager a gel¨ost und eine virtuelle Verschiebung δ¯ so vorgegeben, dass die freigeschnittene Lagerkraft virtuelle Arbeit auf der Verschiebung leistet.
x
. . .P. = 1
a
b
l
c
Va da
d(x)
Setzt man statt der festen Lastanordnung wie in Abschnitt 7 jetzt eine Wanderlast P |x = 1 an, so kann der Arbeitssatz v¨ollig analog ausgewertet werden. Es gilt ¯ = 0. A¯ = A¯a + A¯i = Va · δ¯a + P |x · δ(x) Hieraus berechnet man die Lagerkraft Va zu Va
=
¯ δ(x) − P |x · ¯ . δa
W¨ ahlt man die virtuelle Verschiebung, auf der die gesuchte Lagerkraft virtuelle Arbeit leistet, zu δ¯a = − ¯1, so gilt Va
=
− P |x ·
¯ δ(x) . − ¯1
Diese Schreibweise der Berechnung der Lagerkraft entspricht aber v¨ ollig der in Abschnitt 9.1 beschriebenen Bedeutung der Einflusslinie. Die Einflusslinie f¨ ur die Lagerkraft ist damit identisch mit der virtuellen Verschiebungsfigur infolge einer Verschiebung von δ¯a = − ¯1, wobei ¯1 entgegengesetzt zur Lagerkraft aufgebracht ist ¯ δ(x) ηV a = ¯ . 1
9.2 Kinematische Methode
131
Die Berechnung der Einflusslinie f¨ ur beliebige andere Lager- und Schnittgr¨oßen kann jetzt v¨ ollig analog erfolgen. Die zu der gesuchten Schnittgr¨oße konjugierte Bindung wird gel¨ ost und eine virtuelle Weggr¨ oße von δ¯ = − ¯1 entgegengesetzt zur Schnittgr¨ oße aufgebracht. Mit nebenstehenden Bild erfolgt die Berechnung der Einflusslinie f¨ ur das Feldmoment Mf nach Vorgabe eines Knickwinkels ϑ¯ = − ¯ 1. Wenn das System statisch bestimmt ist, ist die Einflusslinie Bereichsweise geradlinig.
P=1
.. .. f x= x l d(x)
Mf
Jf = 1
Die virtuellen Arbeiten auf der vorgegebenen virtuellen Verschiebung sind ¯ A¯ = Mf · ϑ¯f + P |x · δ(x) = 0. Mit ϑ¯f = −¯ 1 gilt M f = − P |x ·
¯ δ(x) , −¯1
womit die Einflusslinie wie oben mit ηM f =
¯ δ(x) ¯1
festgelegt ist. Obwohl δ¯ beliebig klein angesetzt ist, ist η endlich groß, da sich die virtuellen Verschiebungen bei der Bestimmung der Einflusslinie herausk¨ urzen. Damit kann man anstelle virtueller Weggr¨oßen −¯1 auch von vornherein endliche Weggr¨ oßen −1 ansetzen, vergleiche Abschnitt 8.
Satz von Land Eine Einflusslinie f¨ ur eine Lager- oder Schnittgr¨ oße ist identisch mit der Verschiebungsfigur infolge der zur Kraftgr¨oße konjugierten Weggr¨ oße −1“, wenn die Verschiebungen des Lastgurtes auf die Lastrichtung pro” jiziert werden. η = δ(x).
Vorzeichendefinition Unabh¨ angig von der aufgebrachten Weggr¨oße −1“ sind Einflusslinien positiv ” definiert, wenn sie in Richtung der Wanderlast zeigen.
132
9 Einflusslinien f¨ ur Kraftgr¨ oßen
9.3 Beispiele zur kinematischen Methode Einflusslinien f¨ ur Schnittgr¨oßen von statisch bestimmten Tragwerken bestehen aus geraden Streckenabschnitten, da nach L¨osen der zur Schnittgr¨ oße geh¨ orenden Bindung eine kinematische Kette entsteht. F¨ ur die Bestimmung der Einflusslinie mit der kinematischen Methode sind folgende Punkte zu bearbeiten. 1. L¨ osen der zur Lager- oder Schnittgr¨oße geh¨orenden Bindung. 2. Vorgeben der zur Lager- oder Schnittgr¨oße konjugierten Weggr¨ oße −1“. ” 3. Bestimmung der Verschiebungsfigur infolge der Weggr¨ oße −1“ mit dem Pol” plan. Hierbei sind folgende Zusammenh¨ange mit dem Polplan zu beachten. a) Im Bereich einer Scheibe ist die Einflusslinie geradlinig. b) Unter einem Absolutpol ist η = 0. c) Liegt der Absolutpol im Unendlichen gilt η = konstant. d) Unter einem Relativpol ist ein Knick in η vorhanden. e) Liegt ein Relativpol im Unendlichen ist ein Sprung in η vorhanden. 4. Bestimmung der Projektion der Verschiebungsfigur in Richtung der Wanderlast, da nach dem Arbeitssatz nur die Projektion der Verschiebungen in Richtung der Last Arbeit leistet. 5. Bestimmung des Maßstabes der Einflusslinie, falls erforderlich. Tabelle 9.1 Vorzeichenregelung f¨ ur die Weggr¨oßen −1“ ” Schnittgr¨oße Lagerkraft
d= 1
V
Einspannmoment
Querkraft
Normalkraft
Weggr¨ oße
M
J= 1 J= 1 Q
N
Schnittmoment M
d= 1
J= 1
9.3 Beispiele zur kinematischen Methode
133
9.3.1 Einflusslinien bei Durchlauftr¨ agern Durchlauftr¨ ager bei direkter Belastung Wenn die Wanderlast direkt auf dem Tr¨ager l¨auft, f¨ ur den die Einflusslinien bestimmt werden, spricht man von direkter Belastung. Im nachfolgenden Beispiel kann man die Einflusslinien relativ effizient ermitteln, wenn die oben angef¨ uhrten Zusammenh¨ange mit dem jeweiligen Polplan beachtet werden. Die Polpl¨ane werden hier allerdings nicht gezeichnet, da die Lage der Absolut- und Relativepole eindeutig ist. So sind die Lager a, b, d in allen F¨allen Absolutpole und damit Nullstellen der Einflusslinien. Lager b ist bis auf den ersten Fall, wenn die Lagerkraft bestimmt wird, ebenfalls Absolutpol. Die Momentengelenke sind Relativpole und damit Knicke der Einflusslinie. Bei einer Querkraftspreizung liegen die benachbarten Scheiben parallel. Im ersten Fall ist die Einflusslinie f¨ ur die Lagerkraft Vb gesucht, sodass eine Lagerabsenkung in b von −1“ erfolgt. Im zweiten Fall ist die Einflusslinie f¨ ur ” die Querkraft Qs (Spreizung −1“) und im dritten Fall die Einflusslinie f¨ ur das ” Moment Ms (Knick −1“) gesucht. ” a
b
c s
l1
hVb
hQs
d t
l1
l1
1
1
hMs 1
Durchlauftr¨ ager bei indirekter Belastung Eine indirekte Belastung liegt vor, wenn die Last u ¨ ber ein auf dem untersuchten Tr¨ ager angeordnetem Hilfstragwerk eingeleitet wird. Dies ist z.B. der Fall, wenn eine Br¨ uckenfahrbahn auf Quertr¨agern gelagert ist, die wiederum auf den Haupttr¨ agern ruhen.
134
9 Einflusslinien f¨ ur Kraftgr¨ oßen
Hierbei sind mehrere F¨alle m¨oglich. Im Bild ist eine Fahrbahn gew¨ ahlt, deren Tr¨ ager als Einfeldbalken gelenkig auf den Quertr¨ agern gelagert sind. P=1
a
b
s
c
t
d
Die Einflusslinien f¨ ur die Schnittgr¨oßen des untenliegenden Tr¨ agers sind bei direkter Belastung bekannt. Bei indirekter Belastung wird die Last u ¨ber die Zwischenlager auf den untenliegenden Tr¨ager weitergeleitet. Damit m¨ ussen an den Zwischenlagern die Ordinaten ηi der Einflusslinien bei indirekter und direkter Belastung u ur die Ordinaten η(ξ) zwischen diesen St¨ utzstel¨bereinstimmen. F¨ len gilt Folgendes: Im gelenkig gelagerten Einzelfeld sind die Schnittkr¨ afte Vn und Vn+1 bei wandernder Last P (x) vom Ort der Last abh¨ angig. F¨ ur ein Einzelfeld gilt daher
x
P
l−x x P (x) und Vn+1 = P (x) . l l
Vn
Vn+1
Auf den untenliegenden Tr¨ager wirken jetzt die Einzelkr¨afte Vn und Vn+1 . Bei der Formulierung des Arbeitssatzes kann jetzt die Arbeit der Wanderlast mit der Arbeit der Schnittkr¨afte beschrieben werden. Mit dem P vV gilt
hn
hn+1
Vn =
x hn
h(x)
hn+1
¯ − Vn · δ¯n + Vn+1 · δ¯n+1 = 0. A¯ = P · δ(x) Wenn δ¯ = η · ¯ 1 folgt sowie
P (x) · η(x) = Vn · ηn + Vn+1 · ηn+1
P (x) · η(x) = P (x) · (
x l−x · ηn + · ηn+1 ). l l
Damit ist die Einflusslinie gegeben η(ξ) = ( 1 − ξ ) ηn + ξ ηn+1 . Damit weisen die Einflusslinien f¨ ur Schnittgr¨oßen bei indirekter Lasteinleitung zwischen den St¨ utzstellen einen linearen Verlauf auf.
9.3 Beispiele zur kinematischen Methode
135
F¨ ur nachfolgenden Durchlauftr¨ager mit indirekter Belastung sind die Einflussli¨ nien bei direkter Belastung gestrichelt angegeben, sodass die Anderung infolge indirekter Belastung gut zu erkennen ist. St¨ utzstellen der Einflusslinie sind die Ordinaten an den Quertr¨agern. Dazwischen verl¨auft die Einflusslinie linear. P=1
a
b
hQs
s
c
t
d
1
hMs
1 hQt
1
hMt
1
Auch wenn die Fahrbahnbalken u ¨ ber die Quertr¨ager hinausreichen, aber weiterhin gelenkig miteinander verbunden sind, werden die Werte der Einflusslinie bei direkter Belastung als St¨ utzwerte verwendet. P=1
a
hQs
b
s
c
1
hMs
1
d
136
9 Einflusslinien f¨ ur Kraftgr¨ oßen
Hierbei wird die direkte Verbindung der St¨ utzwerte an den Quertr¨ agern jeweils bis zum n¨ achsten Gelenk verl¨angert und von dort linear auf die n¨ achste gegebene Ordinate weitergef¨ uhrt.
9.3.2 Einflusslinien bei schr¨ ag angreifender Last Wenn die Richtung der Wanderlast nicht senkrecht zur gew¨ ahlten Stabachse zeigt, muss die Einflusslinie aus der Projektion der Verschiebungsfigur in Richtung der Wanderlast bestimmt werden, da im Arbeitssatz P (ξ) · η(ξ) ausgewertet wird. Die Bestimmung der Einflusslinie f¨ ur das Moment Ms erfolgt in zwei Schritten. Zun¨ achst wird die Verschiebungsfigur δ(y) infolge Knickwinkel −1“ wie ” bisher ermittelt. Hiermit sollte auch der Maßstab festliegen. Im zweiten Schritt wird die Verschiebungsfigur in die Richtung der Wanderlast projeziert. Die Projektion der Verschiebungsfigur gibt dann die Einflusslinie ηMs f¨ ur vertikale Wanderlasten.
J= 1
Ms s y
a x
d(y)
s h M(x)
F¨ ur das Beispiel gilt damit
ηMs (x) = cos α · δ (y) .
Bei der Auswertung der Einflusslinie f¨ ur Streckenlasten ist darauf zu achten, dass die Wanderlast auf dem schr¨agen“ Balken l¨ auft, und damit die Auf” standsl¨ ange gegen¨ uber der Horizontalen vergr¨oßert ist.
9.3 Beispiele zur kinematischen Methode
137
9.3.3 Einflusslinien bei Fachwerken Beispiel 1 Gesucht ist die Einflusslinie f¨ ur die Stabkraft O3 . Das oben beschriebene Vorgehen zur Bestimmung der Einflusslinie ist auch hier anwendbar, wobei die Stabkraft die Arbeit −O3 · 1 leisten muss. Die Hauptpole (1) und (2) sind Nullstellen der Einflusslinie. Die Scheiben 1, 2 sind in der Einflusslinie gerade Linien, die sich um die Hauptpole drehen. Im Nebenpol (1/2) ist ein Knick ϕ1/2 = −1/h einzupr¨agen. d= 1
h
O3
1
2 (2)
(1) (1/2) P=1 l
l
l
l
2 1 h
1
h
Beispiel 2 Bei der Einflusslinie f¨ ur die Stabkraft U3 ist zu beachten, dass die Wanderlast nicht an allen Orten direkt auf die Scheiben 1 und 2 wirkt. Damit liegt hier teilweise eine indirekte Belastung vor. (2)
h
(1/2)
1
2
U3
(1)
d= 1 P=1 l
h
l
l
1 2
l
1 h
138
9 Einflusslinien f¨ ur Kraftgr¨ oßen
Beispiel 3 Bei der Einflusslinie f¨ ur die Stabkraft D sind die Scheiben 1, 2, 4 gerade Linien. (3)
r
(2/3)
(1/3)
(1/2)
D 1
2 d= 1 (1/4)
(4) (3/4)
1 r h
(2) 4
(2/4) P=1
8
(1)
8
3
1 4
2
Die Relativpole (1/4) und (4/2) kennzeichnen die Knicke der Verschiebungsfigur. Die qualitative Bestimmung der Einflusslinie ist bereits mit der Lage der Absolut- und Relativpole m¨oglich. Bei der Bestimmung der wirklichen Ordinaten muss beachtet werden, dass sich Scheibe 1 und Scheibe 4 relativ zueinander um ϕ1/4 = −1/r verdrehen sollen. Wenn der Winkel nicht eingehalten ist, muss die qualitative Einflusslinie mit einem Maßstabsfaktor multipliziert werden.
9.3.4 Einflusslinien bei Rahmentragwerken Einflusslinien f¨ ur M, Q oder N sind eigentlich f¨ ur Rahmentragwerke nicht sinnvoll, da der Spannungsnachweis immer mit den Extremwerten von Spannungen aus einer Kombination von M, Q und N erfolgt. Um die Problematik zu vereinfachen, wird im weiteren das Vorgehen nur f¨ ur Einflusslinien von einzelnen Schnittgr¨ oßen gezeigt. Einflusslinien sind bei Rahmentragwerken nicht so einfach zu ermitteln wie bei Durchlauftr¨ agern, da die Scheiben in beliebigem Winkel zueinander angeordnet sein k¨ onnen und Absolut- und Relativpole in der gesamten Tragwerksebene verteilt sind. Deshalb ist Folgendes zu beachten. 1. Vor der Bestimmung der Verschiebungsfigur ist immer festzulegen, welche Scheiben und welche Absolut- und Relativpole f¨ ur die Verschiebungsfigur und damit f¨ ur die Einflusslinie ben¨otigt werden. Pole, die f¨ ur die Einflusslinie nicht ben¨ otigt werden, m¨ ussen auch nicht bestimmt werden.
9.3 Beispiele zur kinematischen Methode
139
2. Die Einflusslinie ist weiterhin die Verschiebungsfigur infolge einer Weggr¨ oße −1“. Das bedeutet, dass alle geometrischen Zuordnungen zwischen den Schei” ben, wie L¨ angenverh¨altnisse und Winkel zwischen den Scheiben, bei der Projektion der Verschiebungsfigur zur Einflusslinie erhalten bleiben. 3. Bei Rahmentragwerken kann man die Verschiebungsfigur auf verschiedene Geraden in der Tragwerksebene projizieren, sodass Einflusslinien f¨ ur horizontale und vertikale Wanderlasten bestimmt werden k¨onnen. Dies wird erforderlich, wenn z. B. Wind oder horizontale Stoßlasten ber¨ ucksichtigt werden m¨ ussen.
Beispiel 1 F¨ ur den nachfolgenden Rahmen ist die Einflusslinie f¨ ur das Moment Ms im Riegel gesucht. Die Wanderlast ist auf dem gesamten Riegel angesetzt, sodass die Verschiebungsfigur f¨ ur die am Riegel beteiligten Scheiben ermittelt werden muss. Dies sind zuf¨allig alle Scheiben. Die Scheiben sowie die Absolut- und Relativpole sind im Bild angegeben. Punkt s ist gleichzeitig Relativpol (1/2), sodass der Absolutpol (2) bestimmt werden kann. Damit sind alle Absolutpole der Riegelscheiben bekannt, sodass das Verschiebungsfeld bei Vorgabe eines Knickes −1“ in s gezeichnet werden kann. Damit ist die Einflusslinie als Po” lygonzug gegeben. (2)
s
2
(3/4) 4
3
1
(3)
(1) (1)
h
(2/3)
(2)
1
Die Konstruktion des Knickes erfolgt am besten so, dass der horizontale Abstand s − (2) unter dem Absolutpol (2) der Einflusslinie abgetragen wird und dieser Punkt mit dem Absolutpol (1) der Einflusslinie verbunden wird. Die anderen Knicke und damit der Streckenzug der Einflusslinie liegen mit den Nebenpolen (2, 3) und (3, 4) fest.
140
9 Einflusslinien f¨ ur Kraftgr¨ oßen
Beispiel 2 Gesucht ist die Einflusslinie f¨ ur das Schnittmoment Ms in der St¨ utze. Hier ist zu beachten, dass der Knickwinkel −1“ nicht zwischen den Scheiben des Riegels ” auftritt, also nicht durch die Scheiben dargestellt werden kann, auf denen die Wanderlast l¨ auft. Deshalb m¨ ussen die Verschiebungen der Riegelscheiben und die der mittleren St¨ utze in der Einflusslinie bestimmt werden. (2)
2
h
(2/4)
(1/2)
s
1
(2/3)
1
(3/4)
3 (3)
(1)
4
b a
(4)
(3/4)
h
1
a/h
1
2
4
3
Zuerst werden die Absolutpole der Scheiben 1, 2, 3 und 4 bestimmt. (3) wird hier ben¨ otigt, da der Knickwinkel −1“ zwischen Scheibe 2 und 3 aufgebracht ” wird. Hierzu werden auch die Relativpole (1/2), (2/3) und (2/4) ben¨ otigt. Nach Vorgabe der Verschiebung eines Punktes des Riegels kann die Einflusslinie f¨ ur die Scheiben 1, 2 und 4 qualitativ ermittelt werden. Obwohl die Scheibe 3 nicht Teil der Einflusslinie ist, muss der Maßstab der Einflusslinie mit Hilfe der Scheibe 3 festgelegt werden, da der Knickwinkel −1“ ” zwischen Scheibe 2 und 3 liegt. Verschiebt man den Punkt s nach rechts, sodass sich die Scheibe 2 dreht und die Basisl¨ange a entsteht, ist der Drehwinkel der Scheibe 2 mit a/h festgelegt. Damit kann man die Scheibe 2 der Einflusslinie um den gleichen Winkel a/h drehen, um den Polygon zu normieren. Der Knickwinkel zwischen den Scheiben 2 und 3 wird abschließend mit Hilfe von a und b auf die Gr¨ oße −1“ normiert, sodass hiermit auch der Maßstab festliegt. ”
9.3 Beispiele zur kinematischen Methode
141
Beispiel 3 F¨ ur den gleichen Rahmen wie in Beispiel 2 ist die gleiche Einflusslinie f¨ ur das Schnittmoment Ms in der St¨ utze gesucht. Jetzt wird allerdings die horizontale Projektion der Verschiebungsfigur zur Bestimmung des Knickwinkels verwendet. Diese ist gleichzeitig die Einflusslinie f¨ ur horizontale Wanderlasten auf der mittleren St¨ utze.
b
(2)
2
s
1
(2/3)
3 (1)
a
(2/4)
(1/2)
1
3
4
2
hM (3)
(4)
2
hV
1
1 3
4
Zuerst ist die Horizontalprojektion der Verschiebungsfigur zu ermitteln. Dies ist wie bisher mit den Absolutpolen (2) und (3) sowie dem Relativpol (2/3) m¨ oglich, der dem Punkt s entspricht. Der Knickwinkel −1“ wird mit den ” L¨ angen a = b konstruiert. Jetzt kann die Vertikalprojektion bestimmt werden. Hierbei ist zu beachten, dass die L¨ angenverh¨ altnisse und die Winkel erhalten bleiben. Dies bedeutet, dass die Scheiben 2 und 3 der Vertikalprojektion senkrecht zu den Scheiben 2 und 3 der Horizontalprojektion liegen m¨ ussen. Ihre genaue Lage ist mit den Absolutpolen (2) und (3) der Vertikalprojektion gegeben. Damit ist auch der Knickwinkel −1“ der Vertikalprojektion festgelegt. Die Scheiben 1 und 4 ” k¨ onnen wie bisher bestimmt werden.
142
9 Einflusslinien f¨ ur Kraftgr¨ oßen
Beispiel 4 (2)
Gesucht ist die Einflusslinie f¨ ur die Querkraft Qs in der St¨ utze der Trib¨ unen¨ uberdachung.
1
2
S
2
h
(1/2)
1
3
3
1 h 1
(1)
h
(3)
1
2
1 h
1
Auch hier wird die Spreizung −1“ in der Horizontalprojektion aufgebracht. ” Die Scheiben 2 und 3 sind parallel, sodass die Verschiebungsfigur mit den Absolutpolen (2) und (3) sowie der Spreizung bestimmt ist. In der Vertikalprojektion liegt Scheibe 2 senkrecht zu Scheibe 2 der Horizontalprojektion, sodass die Einflusslinie mit (1/2) und (1) bereits maßstabsgerecht gegeben ist.
9.3.5 Einflusslinien bei Bogentragwerken F¨ ur die Einflusslinien von Bogentragwerken gelten die gleichen Bemerkungen wie f¨ ur Rahmentragwerke. Die Verschiebungsfigur infolge δ = −1 besteht auch hier aus geraden Linien, sodass auch die Einflusslinien trotz der Tragwerkskr¨ ummung Geraden sind. Wenn die Einflusslinie der Projektion der Verschiebungsfigur in Richtung der Wanderlast entspricht, sind mit den Absolutpolen die Nullstellen und mit den Nebenpolen die Knicke der Einflusslinie gegeben.
Beispiel 1 Die Einflusslinie f¨ ur das Schnittmoment Ms eines Drei-Gelenk-Bogens kann man u ¨ ber die Verschiebungsfigur infolge eines Knickwinkels ϑ = −1 ermitteln. Nach L¨ osen der Momentenbindung gibt die vertikale Projektion der Verschiebungsfigur infolge Knick ϑ = −1 die Einflusslinie. Die Einflusslinie ist ein
9.4 Beispiele zur kinematischen Methode
143
Streckenzug, der die Scheiben 1, 2, 3 als gerade Linien enth¨ alt. Bei der Auswertung f¨ ur Streckenlasten ist zu beachten, dass die Lastaufstandsl¨ ange auf dem Bogen anders ist, als die vertikale Projektion. (2)
s 2
3
1
a (3)
(1)
hM
1 a
a
Beispiel 2 Die Einflusslinie f¨ ur die horizontale Lagerkraft Hs kann man u ¨ ber die Verschiebungsfigur infolge einer Horizontalverschiebung δ = −1 ermitteln. Infolge δ = −1 dreht sich Scheibe 1 um den Absolutpol (1) mit dem Winkel −1/h. Damit dreht sich Scheibe 1 auch in der vertikalen Projektion um den gleichen Winkel, sodass mit dem Nebenpol (1/2) die gesamte Einflusslinie festliegt. Anstelle des Winkels −1/h kann man auch den Knickwinkel −1/f zwischen Scheibe 1 und Scheibe 2 im Nebenpol (1/2) ansetzen. (1)
(1/2)
h
1 h 1 Ha
1
f
2
a (2)
.
1 h hH
a
1 f
144
9 Einflusslinien f¨ ur Kraftgr¨ oßen
9.4 Auswertung von Einflusslinien Die Einflusslinien werden bei der kinematischen Methode mit Hilfe des Prinzips der virtuellen Verschiebungen als Verschiebungsfigur interpretiert. Bei der Verwendung des PvV zur Berechnung von Lager- und Schnittgr¨ oßen k¨ onnen im Arbeitssatz aber nicht nur Wanderlasten, sondern auch beliebige Lasten ber¨ ucksichtigt werden. Daher ist es m¨oglich, Einflusslinien auch f¨ ur Streckenlasten und Einzelmomente auszuwerten, um die jeweils gesuchte Schnittgr¨ oße zu berechnen. Wenn Einzelmomente vorhanden sind, ist der Neigungswinkel η (ξi ) der jeweiligen Scheibe aus der Einflusslinie zu berechnen. Die Auswertung der Einflusslinie erfolgt entsprechend dem PvV jeweils mit
Schnittgr¨ oße =
P (ξi ) η(ξi ) +
i
M (ξi ) η (ξi ) +
i
l q(ξ) η(ξ)dξ.
(9.1)
0
Der Index i gibt jeweils den Ort der Einzellast bzw. des Einzelmomentes an.
9.4.1 Auswertung f¨ ur feste Laststellung F¨ ur nachfolgenden Balken ist die Einflusslinie f¨ ur die Lagerkraft Va gegeben. 2 kN/m 3 kN
5 kNm b
a Va 4m
4m
1,5 m 1,5 m
x h 1
1 2
1 8
3 16
Die Auswertung der Einflusslinie erfolgt mit Gleichung 9.1, wobei die Neigung mit η = −1/8 und die Verschiebung der Resultierenden der Gleichlast mit η = 1/2 · 1/2 ber¨ ucksichtigt sind. Hiermit folgt 1 Va = P · η + (q · ) · ( · η) + M · η 2 1 1 1 13 3 kN. Va = 3 · (− ) + (2 · 4) · ( · ) − 5 · = 16 2 2 8 16
9.4 Auswertung von Einflusslinien
145
9.4.2 Bewegte Laststellungen Bewegte Lasten sind zum Beispiel bei Straßen- und Eisenbahnbr¨ ucken vorhanden. Hierbei werden die vorgeschriebenen Lastanordnungen gedanklich u ¨ ber die Br¨ ucke geschoben, um die ung¨ unstigste Laststellung f¨ ur eine gesuchte Lageroder Schnittgr¨ oße zu erhalten. Zus¨atzlich sind Schwingbeiwerte ϕ als Vergr¨ oßerungsfaktoren der gesuchten Schnittgr¨oße zu ber¨ ucksichtigen. Bei der Berechnung der Schnittgr¨oße mit Hilfe der Einflusslinie wird das jeweilige Lastbild so u ur eine Bemessung wich¨ber die Einflusslinie gestellt, dass die f¨ tigen Extremwerte der gesuchten Schnittgr¨oße direkt ermittelt werden k¨ onnen.
Beispiel Straßenbr¨ ucke Nach DIN-Fachbericht 101 [25] – Lastmodell 1 ist f¨ ur Straßenbr¨ ucken nachfolgendes Lastbild f¨ ur den am st¨arksten belasteten Fahrstreifen anzusetzen, vergleiche Abschnitt 2.2, kN q = 9 2 Fl¨achenlast und P = 240 kN Achslast m P
P
1,2 m
beliebige Länge
q
beliebige Länge
Auswertung der Einflusslinie F¨ ur nachfolgenden Durchlauftr¨ager sind die Extremwerte f¨ ur das Schnittmoment Ms gesucht. Die Einflusslinie f¨ ur Ms entspricht der Verschiebungsfigur infolge des Knickes −1“ an der Stelle s. ” s 8m
2m
10 m
2m
1
1
2,5
hM
1
5
8m
146
9 Einflusslinien f¨ ur Kraftgr¨ oßen
Die Laststellung f¨ ur das maximale Moment ist so anzusetzen, dass nur positive Arbeiten der Lasten auf der Einflusslinie geleistet werden. Die Breite des Fahrstreifens ist zu 3 m gew¨ahlt. P
P q
s 2,5
3,8 m 1,2 m
3,8 5,0
Ms,max = 240 · (2, 5 +
· 2, 5) + ( 9 ·
1 2
· 10 · 2, 5 ) · 3
= 1056 + 112, 5 · 3 = 1393, 5 kN m. Die Laststellung f¨ ur das minimale Moment ist so anzusetzen, dass nur negative Arbeiten der Lasten auf der Einflusslinie geleistet werden. P
P q
q
1
1
6,8 m
1,2 m
Ms,min = −240 · (1 +
6,8 8,0
= −444 − 90 · 3 = −714 kN m.
· 1) − ( 9 · ( 12 · 10 · 1) · 2 ) · 3
147
10 Berechnung von Weggr¨ oßen mit dem PvK
Bisher stand die Berechnung der Zustandsgr¨oßen f¨ ur den Nachweis der Standsicherheit im Vordergrund der Tragwerksanalyse. Hierf¨ ur werden allein die Gleichgewichtsbedingungen eingesetzt, da die bisher untersuchten Tragwerke statisch bestimmt sind. In der Praxis ist in der Regel jedoch auch die Gebrauchstauglichkeit zu untersuchen und gegebenenfalls nachzuweisen. Hierzu m¨ ussen die Verformungen des belasteten Tragwerks bekannt sein. Die Berechnung der Verformungen ist m¨oglich, wenn der Spannungszustand bekannt ist und die anderen Grundgleichungen – Verformungsgeometrie und Werkstoffgleichungen – in der Analyse ber¨ ucksichtigt werden. Grunds¨ atzlich ist die gesamte Verformungsfigur von Interesse. Oft reicht es jedoch aus, die Knotenverschiebungen oder andere ausgezeichnete Ordinaten zu bestimmen, um die Verformungen des Gesamttragwerks einordnen zu k¨ onnen. Daher werden zun¨ achst die Berechnungsverfahren f¨ ur Einzelweggr¨ oßen gezeigt.
10.1 Die Grundf¨ alle Mit dem PvK liegt ein Prinzip vor, mit dem beliebige Einzelweggr¨ oßen berechnet werden k¨ onnen, wenn die zur Einzelweggr¨ oße konjugierte Kraftgr¨ oße als virtuelle Einheitskraft ¯1 angesetzt wird. Von praktischem Interesse sind die vier Grundf¨ alle • • • •
Verschiebung eines Punktes, Drehung einer Tangente, Relativverschiebung (Abstands¨anderung) zweier Punkte, Relativverdrehung zweier Tangenten.
F¨ ur die Berechnung der Einzelweggr¨oßen wird die Arbeitsgleichung des PvK nach Abschnitt 7.2.3 entsprechend der Aufgabenstellung so umgestellt, dass die jeweils gesuchten Weggr¨oßen auf der linken Seite der Arbeitsgleichung stehen ¯ ( M + αT ΔT ) } dx ¯ · ϕ = {N ¯ ( N + αT T0 ) + M Σ P¯ · δ + Σ M EA EI h ¯ a · ϕa . − Σ F¯a · δa − Σ M Wenn eine einzelne Weggr¨oße gesucht ist, kann man die linke Seite vereinfachend durch ¯ 1 · δ ersetzen, wobei ¯1 fallabh¨angig f¨ ur eine virtuelle Kraft oder ein virtuelles Moment stehen kann. D. Dinkler, Grundlagen der Baustatik, DOI 10.1007/978-3-8348-9862-3_10, © Vieweg+Teubner Verlag | Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH 2011
148
10 Berechnung von Weggr¨ oßen mit dem PvK
10.1.1 Verschiebung eines Punktes Ist die Verschiebung δ eines Tragwerkpunktes in bestimmter Richtung gesucht, ¯ =¯ muss die zur Verschiebung konjugierte virtuelle Kraft P 1 auf das unbelastete System gebracht und die zugeh¨orige virtuelle Momentenlinie ermittelt werden. Wenn die virtuelle Momentenline bekannt ist, kann der Arbeitssatz des PvK zur Berechnung der wirklichen Verschiebung δ ausgewertet werden. Die Gesamtverschiebung δ eines Punktes in der Ebene kann man nur mit zwei unabh¨ angigen z. B. horizontalen und vertikalen oder beliebig zueinander angeordneten Anteilen bestimmen. Deshalb sind in der Regel zwei unabh¨ angige virtuelle Zust¨ ande erforderlich. dH
d
d d1
dV
.
.
d2
Die Gesamtverschiebung ist dann mit dem Schnittpunkt der Senkrechten auf die Endpunkte der Teilverschiebungen gegeben, was nur im Sonderfall auf ein Parallelogramm f¨ uhrt.
Beispiel Die Momentenlinie f¨ ur den Drei-Gelenk-Rahmen ist berechnet, sodass die Verformungsfigur entsprechend Abschnitt 4.2 abgesch¨ atzt werden kann. In einer Nachlaufrechnung k¨onnen jetzt auch einzelne Weggr¨ oßen in ihrer Gr¨ oße berechnet werden. q
b
c
e
d H
h
w f g
a l
10.1 Die Grundf¨ alle
149
F¨ ur die Berechnung der horizontalen Verschiebung in b wird eine horizontale virtuelle Einzelkraft in b aufgebracht, und f¨ ur die vertikale Verschiebung in c wird in einer weiteren Berechnung eine vertikale virtuelle Einzelkraft in c aufgebracht. h/2
b
1
l/8
1
l/8
c h/2
Mb
Mc
M für horizontale Verschiebung db
M für vertikale Verschiebung dc
Die Berechnung der virtuellen Momentenlinie erfolgt mit den gleichen Regeln wie f¨ ur wirkliche Systeme. Die virtuellen Momentenlinen sind immer geradlinig, da nur virtuelle Einzelkr¨afte angesetzt werden. Die Berechnung der Verschiebungen erfolgt in einem zweiten Schritt mit dem Prinzip der virtuellen Kr¨ afte. F¨ ur die Gesamtverschiebung von d m¨ ussen zwei virtuelle Spannungszust¨ ande bekannt sein. So berechnet man zun¨achst eine horizontale und eine vertikale Verschiebung entsprechend folgender virtueller Momentenlinien. 1
1
l/4
l/4 d
h/2 d
h/2
MV
MH
M für vertikale Verschiebung ddv
M für horizontale Verschiebung ddh
Die senkrechte Projektion beider Teilverschiebungen liefert im Schnittpunkt die Gesamtverschiebung δd . Auch wenn zwei beliebige andere Verschiebungen von d bekannt sind, kann man Gr¨oße und Richtung der Gesamtverschiebung wie oben gezeigt bestimmen.
ddH dd ddV
150
10 Berechnung von Weggr¨ oßen mit dem PvK
10.1.2 Drehung einer Tangente an die Biegelinie Ist die Drehung einer Geraden gesucht, so muss das zur Drehung konjugierte ¯ = ¯1 auf das System wirken. Geraden sind im statischen virtuelle Moment M System als Tangenten an die Biegelinie 1 oder als Sekanten des Sehnenpolygons denkbar. Das virtuelle Moment wird bei j Tangenten in dem Punkt aufgebracht, in dem die Verdrehung gesucht ist. Die Tangente Sekantendrehung interessiert hier nicht.
Beispiel Die Momentenlinie f¨ ur den Drei-Gelenk-Rahmen ist berechnet und die Verformungsfigur entsprechend Abschnitt 4.2 abgesch¨atzt. q b
c
d
w
h
e
a l
Die Drehung der Tangente ϕb ist festgelegt durch die Drehung des Rahmenknotens b, sodass hierf¨ ur ein virtuelles Einzelmoment in b anzusetzen ist. Die Drehung der Tangente an die Biegelinie oberhalb von e wird mit einem virtuellen Einzelmoment in e bestimmt. 1
1 b 1
Mb
Me
1
M für Drehung von b
M für Drehung von e
Bei der Bestimmung des Drehsinns der Verdrehungen ist darauf zu achten, wie das jeweilige Moment auf das Tragwerk wirkt.
10.1 Die Grundf¨ alle
151
10.1.3 Relativverschiebung zweier Punkte Abstands¨ anderungen zweier Punkte k¨onnen mit Hilfe eines virtuellen Kr¨ aftepaares berechnet werden, das entgegengesetzt aber auf gleicher Wirkungslinie angesetzt wird. Abstands¨anderungen k¨onnen die Verschiebungen zweier voneinander weit entfernt liegender Tragwerkspunkte sein, aber auch die gegenseitigen Verschiebungen in einer Schiebeh¨ ulse oder einem Querkraftgelenk. dN 1
a b
da
1
db
dQ
F¨ ur die direkte Berechnung der Abstands¨anderung sind die virtuellen Einzelkr¨ afte gleichzeitig in entgegengesetzter Richtung aufzubringen. Berechnet man z. B. die Gesamtarbeiten als Differenz der Arbeiten der virtuellen Einzelkr¨ afte in a und b ¯1 δb − ¯1 δa = ¯1 Δδba , so erh¨ alt man die gegenseitige Verschiebung mit dem Prinzip der virtuellen Kr¨ afte, wenn man die virtuelle Momentenlinie infolge des Kr¨ aftepaares ansetzt.
Beispiel F¨ ur den Drei-Gelenk-Rahmen sollen die Klaffung im Querkraftgelenk e und die gegenseitige Verschiebung der Punkte b und e oberhalb des Querkraftgelenkes bestimmt werden. q
c
d
h/2 b
e
w
h/2 a
f
F¨ ur die Berechnung der Klaffung im Querkraftgelenk ist ein Kr¨ aftepaar entsprechend einer Querkraft in e aufzubringen, und f¨ ur die Berechnung der gegenseitigen Verschiebung von b und e ein Kr¨aftepaar in b und e. Wenn die Momentenlinien bekannt sind, erfolgt die Berechnung der gegenseitigen Verschiebungen mit dem Arbeitssatz des PvK jeweils in einem Schritt.
152
10 Berechnung von Weggr¨ oßen mit dem PvK
h/2
h
h/2
1
h
1
M
M
1 1
M für Spreizung D de
M für Abstandsänderung D dbe
10.1.4 Relativverdrehung zweier Tangenten Eine Relativverdrehung oder einen Knickwinkel zweier Tangenten kann mit dem Arbeitssatz direkt berechnet werden, wenn zwei entgegengesetzt wirkende virtuelle Momente gleicher Gr¨oße auf den Verdrehungen Arbeit leisten. Ist der Knickwinkel in einem Gelenk gesucht, sind die virtuellen Einzelmo1 mente ¯ 1 gleichzeitig an den Schnittufern der Stabenden in entgegengesetzter Richtung aufzubringen. Jedes EinDj zelmoment ist der Verdrehung des zugeh¨ origen Schnittufers konjugiert. Berechnet man die Differenz der Arbeiten beider virtuellen Momente ¯1 ϕ ¯ ¯ links − 1 ϕrechts = 1 Δϕ, so erh¨ alt man den Knickwinkel mit dem Arbeitssatz direkt, wenn die virtuelle Momentenlinie des Gesamtzustandes angesetzt wird.
Beispiel F¨ ur den Drei-Gelenk-Rahmen unter Windlast soll der Knickwinkel im Momentengelenk c berechnet werden. q
b
c
d
w
a
e
10.2 Umformung der Arbeitsgleichung des PvK
Der virtuelle Spannungszustand wird jetzt mit einem virtuellen Doppelmoment im Gelenk c bestimmt. Bei der Bestimmung des Vorzeichens des Knickwinkels ist auf den Drehsinn der virtuellen Momente zu achten. Ist die gegenseitige Verdrehung der Tangenten in a und e gesucht, so sind die virtuellen Momente in a und e anzusetzen.
153
1
1
1
Mj
M für Relativverdrehung Djc
10.2 Umformung der Arbeitsgleichung des PvK Die Arbeitsgleichung des PvK zur Berechnung von Einzelweggr¨ oßen umfasst nach Abschnitt 7.2.3 folgende ¨außere Arbeiten der virtuellen Kr¨ afte und Momente. A¯a =
¯ · Δϕ ¯ ·ϕ + P¯ · Δδ + M P¯ · δ + M
aus Einzellastgr¨oßen aus Doppellastgr¨ oßen
Wenn immer nur eine einzige virtuelle Lastgr¨oße angesetzt wird, kann man grunds¨ atzlich einfacher schreiben A¯a = ¯1 · δ
[kNm].
¯ 1 ist dann immer die virtuelle Einheitslastgr¨ oße. ¯ δ ist dann immer die zu 1 konjugierte Weggr¨ oße. Außerdem kann man die Arbeitsgleichung des PvK nach der gesuchten Weggr¨ oße aufl¨ osen ¯ ( N + αT T0 ) + M ¯ ( M + αT ΔT ) } dx − Σ C¯A · cA − Σ M ¯ A · ϕA . ¯ 1 · δ = {N EA EI h F¨ ur die Berechnung der Weggr¨oße δ ist es vorteilhaft, den Faktor ¯ 1 grunds¨ atzlich zu k¨ urzen“, da er in allen Termen auftaucht, und die Weggr¨ oße δ auf ” δ = δ · EIc zu skalieren, damit die Zahlenrechnung in einer vern¨ unftigen Gr¨ oßenordnung erfolgt. EIc ist hierbei eine Vergleichsbiegesteifigkeit, die in komplexen Biegetragwerken außerdem den Einfluss unterschiedlicher Stabsteifigkeiten auf die
154
10 Berechnung von Weggr¨ oßen mit dem PvK
Weggr¨ oße widerspiegelt. Mit stabweise konstantem EI gilt dann ¯ · EIc · αT ΔT + N ¯ · N Ic + N ¯ · EIc · αT T0 } dx(10.1) ¯ · M Ic + M δ = {M I h A ¯ a · ϕa . − EIc · Σ F¯a · δa − EIc · Σ M
(10.2)
Diese Form der Arbeitsgleichung wird f¨ ur alle weiteren Untersuchungen verwendet.
10.3 Auswertung der Integrale der Inneren Arbeiten In der Arbeitsgleichung des PvK treten bei den Inneren Arbeiten Integrale der Form ¯ · f (x) dx ¯ (x) · M (x) dx = M ˆ f(x) auf, wenn die Stabeigenschaften EI, αT , h als konstant angesetzt sind. Die virtuelle Funktion f¯(x) ist wegen der Einzellastgr¨oßen immer linear und kann aus zwei Grundfunktionen additiv zusammengesetzt werden. a
b = a x
b
+ x
x
Die Funktion f (x) kann lastabh¨angig auch quadratisch (M-Linie bei Gleichlast) oder h¨ oherer Ordnung sein. c b = a
a
x
x
c
b + x
Beim Multiplizieren der virtuellen und der wirklichen Momentenlinie kann das Gesamtintegral in eine Summe von Einzelintegralen aufgeteilt werden, die schnell ausgewertet sind: c
a
a
+
a
b
b dx
.
a
+
b+
b .
a
+
b+
c
c dx
10.3 Auswertung der Integrale der Inneren Arbeiten
155
¯ i · Mj lassen sich getrennt integrieren, sodass Die Produkte der Funktionen M die Auswertung der Integrale auf wenige Grundintegrale zur¨ uckf¨ uhrbar ist, die ¯ j dx angegebetabellarisch aufbereitet sind, siehe Tabelle 10.1. Die f¨ ur M i · M ne Tabelle l¨ asst sich sinngem¨aß auch f¨ ur alle anderen Arbeitsterme auswerten. Bei Anwendung der Tabelle ist zu beachten, dass die virtuellen Momentenlinien spaltenweise geordnet sind. Zeilen 8 bis 10 gelten f¨ ur Parabeln, die in der Mitte oder an einem Rand einen Scheitelpunkt aufweisen (M = 0). Tabelle 10.1 Integraltabelle:
4
6
1 jk 3
1 jk 6
1 jk 2
1 jk 6
0
j 2
j
-j
-
j
-
j 2 gl
7
8
1 jk 2
j
5
dl
j j Quadr. Parabel
j
9
Quadr. Parabel
10
k
0
j
3
j Quadr. Parabel
k 2
-k k
1 jk 2
j
2
k
jk
j
1
¯ j dx = l ·Tabellenwert Mi M
k
k
l
2
j dx
1 jk 4
j
0
1 j2 3
1 jk 6
1 jk 4
1 j2 3
1 jk 6
1 jk 3
1 jk 4
1 j2 3
1 jk 4
0
1 jk 4
1 jk 4
1 j2 4
1 jk 4
1 jk 4
1 jk 4
1 jk 2
1 jk(1+g) 6
2 jk 3
2
1 jk 8
1 j2 4
1 jk(1-2g) 6
1 jkd 4
1 j2 3
1 jk 3
0
1 jk 6
8 2 15 j
1 jk 3
1 jk 4
1 jk 6
1 jk 24
1 jk 3
1 jk 12
1 jk 6
5 jk 24
1 j2 5
1 j2 5
156
11 Berechnung von Biegelinien
11 Berechnung von Biegelinien
Bisher k¨ onnen mit dem PvK einzelne Verschiebungen oder Verdrehungen berechnet werden. F¨ ur verschiedene Aufgabenstellungen werden jedoch nicht nur einzelne Weggr¨ oßen, sondern die gesamte Biegelinie eines Tragwerks ben¨ otigt. Die Biegelinie eines komplexen Rahmentragwerkes kann man additiv aus unterschiedlichen Anteilen zusammensetzen. Es sind dies • Knotenverschiebungen des Sehnenpolygons, dies sind auch Lagersetzungen und -verdrehungen, • Verkr¨ ummungen und Dehnungen der Einzelst¨ abe aus Last und Temperatur. Lagersetzungen und Lagerverdrehungen f¨ uhren bei statisch bestimmten Tragwerken zu geradlinigen Stabverschiebungen j
a
x w(x) z,w
w(x) cA
Die Dehnungen aus Normalkraft bewirken in der Regel nur geringe L¨ angen¨ anderungen der Einzelst¨abe und werden daher bei der Verschiebungsfigur vernachl¨ assigt. Wesentliche Anteile folgen dagegen aus den Verkr¨ ummungen aus Erw¨ armung, da sie mit der Biegeline w(x) verkn¨ upft sind. F¨ ur die Berechnung von Biegelinien stehen damit folgende Gleichungen zur Verf¨ ugung, wenn die Werkstoffgleichungen in die Verformungsgeometrie eingesetzt sind: ΔT M − αT , EI h = − q.
Verformungsbedingung : w = − Gleichgewicht :
M
Die Differentialgleichungen k¨onnen bereichsweise integriert werden. wobei die Integrationsbereiche durch Unstetigkeiten der Belastung und der Steifigkeiten sowie Lager- und Randbedingungen begrenzt werden. Die Anpassung der Bie¨ gelinie an Rand- und Ubergangsbedingungen kann allerdings sehr aufw¨ andig und un¨ ubersichtlich sein, wenn Tragwerke mit mehreren Bereichen analysiert werden m¨ ussen. In der Baustatik sind daher andere, effizientere L¨ osungswege entwickelt worden, um die Biegelinie w zu berechnen: D. Dinkler, Grundlagen der Baustatik, DOI 10.1007/978-3-8348-9862-3_11, © Vieweg+Teubner Verlag | Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH 2011
11.1 Baustatische Methode mit ω-Zahlen
157
11.1 Baustatische Methode mit ω-Zahlen Die Biegelinie eines Tragwerks kann man n¨aherungsweise als Polygonzug δ (x) aus einzelnen Verschiebungen ermitteln, die jeweils mit dem PvK berechnet werden. Die St¨ utzstellen der Einzelverschiebungen sollten die Orte mit UnsteP a
q
b
d
c
e M
d db
dd
tigkeiten in Geometrie, Steifigkeiten oder Belastung sein, da dies die Integrationsgrenzen bei L¨ osung der Grundgleichungen sind. Zwischen den St¨ utzstellen der Einzelverschiebungen sowie den End- und Zwischenlagern muss zus¨ atzlich die Verkr¨ ummung κ der Stababschnitte ber¨ ucksichtigt werden, damit die Gesamt-Biegelinie w(x) alle Verformungsbedingungen erf¨ ullt. a
b
c
db
d
e
dd
Infolge Verkr¨ ummung k¨onnen gegen¨ uber dem Polygonzug weitere Verschiebungsanteile w(x) berechnet werden, die mit M bzw. αT ΔT h festgelegt sind. w(M, ΔT ) kann man am zwischen den St¨ utzstellen liegenden Balkenabschnitt analytisch berechnen und f¨ ur verschiedene Momentenlinien tabellarisch aufbereiten. x x da
d(x)
db
a
w(M,DT)
b
w(M,DT)
Wenn w(M, ΔT ) bekannt ist, kann man die Gesamt-Biegelinie feldweise berechnen w(x) = δ(x) + w(M, ΔT ).
158
11 Berechnung von Biegelinien
Berechnung der ω-Zahlen F¨ ur gerade Balken mit konstantem EI gilt w = −
M . EI
Bei linearem Momentenverlauf und gelenkiger Lagerung M =
x Mb l
Mb
a
b
x
0
x = l
1
folgt nach Integration w = −
M b x3 ( + a1 x + a2 ). l · EI 6
Die Anpassung der allgemeinen L¨osung der Grundgleichung an die Randbedingungen wa = 0, wb = 0 gibt a2 = 0 und a1 = −l 2 /6. Damit ist die Biegelinie gegeben w
= −
Mb ( x3 − l2 x ). 6 · l · EI
=
Mb 2 l ( ξ − ξ 3 ). 6 · EI
Die normierte Darstellung w
+
ist Grundlage der tabellarischen Auswertung in den ω-Tabellen. In den ωTabellen sind die Biegelinien infolge beliebiger M und ΔT so aufbereitet, dass man die Ordinaten an gegebenen St¨ utzstellen ξ direkt als Zahlenwerte vorliegen hat. Im Prinzip ben¨otigt man f¨ ur eine beliebige lineare Momentenlinie nur die ur Dreiecke und kann alle anderen Verteilungen hieraus u ωD -Werte f¨ ¨berlagern. F¨ ur Streckenlasten ist zus¨atzlich ein parabolischer Anteil der Momentenline mit ωP zu ber¨ ucksichtigen.
M
wD
ql 8
2
M
wP
1
Zur Verringerung des Aufwandes sind h¨aufig vorkommende Momentenbilder tabelliert. Heute ist dieses Vorgehen weniger wichtig, da Biegelinien effizient und schnell mit dem Computer berechnet werden k¨ onnen.
11.1 Baustatische Methode mit ω-Zahlen
159
Tabelle 11.1 ω-Funktionen f¨ ur die Grundf¨alle der M-Linie M-Verlauf
M
M
M
M
l 2
l 2
M
M
M 2 w = EI ·...
1 2 ωR
1 6 ωD
1 12 ωΔ
1 3 ωP 1
1 12 ωP 2
ω-Funktion
ωR = ξ − ξ 2
ωD = ξ − ξ 3
ωΔ = 3ξ − 4ξ3
ωP 1 = ξ − 2ξ 3 + ξ4
ωP 2 = ξ − ξ 4
Nachfolgend sind die ω-Funktionen f¨ ur eine Unterteilung des Balkenabschnittes in n = 10 gleiche Teile ausgewertet. Die Zahlen geben die 104 -fachen Werte der ω-Funktionen an den St¨ utzstellen m an. Da die Koordinate ξ von links nach rechts und die Koordinate ξ von rechts nach links l¨ auft, kann man die ωFunktionen gespiegelt auch als ω -Funktionen verwenden.
Tabelle 11.2 Tabelle der ω-Zahlen f¨ ur die Grundf¨alle der M-Linie, 104 -fache Werte M-Verlauf
m
1
2
3
4
5
6
7
8
9
M
ωR
900
1600
2100
2400
2500
2400
2100
1600
900
M
ωD
990
1920
2730
3360
3750
3840
3570
2880
1710
M
ωP 1
2960
5680
7920
9440
10000
9440
7920
5680
2960
ωP 1
981
1856
2541
2976
3125
2976
2541
1856
981
ωP 2
999
1984
2919
3744
4375
4704
4599
3904
2439
M
M M
Wenn Momentenlinien vorliegen, die den Zeilen 2 und 4 entsprechen, jedoch gespiegelt sind, kann man die Funktionen ωD sowie ωP 2 spiegeln und als ωD sowie ωP 2 verwenden.
160
11 Berechnung von Biegelinien
Beispiel An einem Durchlauftr¨ager unter Teilstreckenlast wird die Anwendung des Konzeptes gezeigt. Hierbei werden die Systemwerte wie folgt angesetzt. = 6, 0 m, q = 0, 5 kN/m, EI = 200 kN m2. q a l
d
c
b l/3
2l/3
ql /9 2
ql2/18
M
ql/3
ql/9 Q ql/3
Die Zustandslinien f¨ ur M und Q werden wie bisher berechnet. F¨ ur den Polygonzug δ(x) ben¨ otigt man hier nur die Verschiebung wc , die wird mit dem PvK berechnet wird 4 q 4 = 0, 0133 m. wc = 243 EI Damit sind die linearen Verschiebungslinien des Polygonzuges bestimmt. Die zus¨ atzlichen Verschiebungen aus Verkr¨ ummungen werden mit der Momentenlinie und den ω-Funktionen ermittelt. Bei der Berechnung der Biegelinie w(M ) kommt der Quotient q 4 /EI = 0, 81 m in mehreren Termen vor. Damit gilt bereichsweise: Bereich a − b :
w(M ) =
q 4 ωD q 2 2 1 · · ωD = · = 0, 015 ωD , 9 EI 6 EI 54
Bereich b − c :
w(M ) =
q 2 2 1 q 4 ωD · · ωD · = 0, 015 ωD = , 9 EI 6 EI 54
Bereich c − d :
w(M ) =
q 4 ωD q 2 2 1 · · ωP 1 = · = 0, 015 ωP 1 . 18 EI 3 EI 54
Hierbei ist der Faktor 0, 015 f¨ ur alle Bereiche zuf¨allig gleich. Wertet man die ωFunktionen punktweise entsprechend Tabelle 11.2 aus, kann man die Biegelinie anschließend skizzieren. Beide Abschnitte a − b und b − d werden in jeweils f¨ unf gleiche Abschnitte unterteilt, sodass aus Tabelle 11.2 nicht alle Werte der entsprechenden Zeilen verwendet werden.
11.2 Rechnerorientiertes Vorgehen mit Teilbiegelinien
161
In nachfolgender Tabelle sind die Verschiebungen wi an den St¨ utzstellen 1 bis 9 berechnet. Hierbei sind i die ¨aquidistanten St¨ utzstellen des gesamten Durchlauftr¨ agers. F¨ ur jeden Bereich wird die Unterteilung so gew¨ ahlt, dass die St¨ utzstelle i mit einer entsprechenden St¨ utzstelle m der ω-Tabelle des jeweiligen Bereiches u ¨bereinstimmt. ωm sind die entsprechenden Zahlen aus Tabelle 11.2 und w(M ) die hiermit berechneten Verschiebungen aus Verkr¨ ummung. Mit w(M )i und δi k¨ onnen jetzt die Verschiebungen wi bestimmt werden. i
Bereich
Funktion
m
ωm
w(M )
δm
wi [m]
1 2 3 4
a−b
ωD
2 4 6 8
0,1920 0,3360 0,3840 0,2880
0,0288 0,0504 0,0576 0,0432
0,000 0,000 0,000 0,000
0,0288 0,0504 0,0576 0,0432
6
b−c
ωD
6
0,3360
0,0504
0,008
0,0584
7 8 9
c−d
ωP 1
1 4 7
0,2919 0,4704 0,2439
0,0438 0,0705 0,0366
0,012 0,008 0,004
0,0558 0,0785 0,0404
Mit den Verschiebungen wi an den St¨ utzstellen kann die Biegelinie skizziert werden.
w 10 · 0,2 l 0
1
2
3
4
5
6
7
8
9
10
11.2 Rechnerorientiertes Vorgehen mit Teilbiegelinien Eine ganz andere und sehr schematische Vorgehensweise ist in den modernen Berechnungsprogrammen f¨ ur Stabtragwerke verwirklicht. Die Programme beschreiben die Biegelinie intern mit Hilfe der Verschiebungen und Verdrehungen der Knoten des Stabtragwerkes. Den einzelnen Knotenweggr¨ oßen sind Verlaufsfunktionen zugeordnet, die den Einfluss der jeweiligen Knotenweggr¨ oße auf die Verschiebungen des Stabes zwischen den Knoten beschreiben.
162
11 Berechnung von Biegelinien
Die Biegelinie des Stababschnittes a − b kann man damit aus Teilbiegelinien f1 (x) − f4 (x) u ¨ berlagern, die den Verschiebungen und den Verdrehungen der R¨ ander a und b zugeordnet sind. Diese vier Anteile entsprechen (nur anders geordnet) der L¨ osung der homogenen Differentialgleichung in 3.5, die ebenfalls vier Anteile besitzt. Die vier Polynome geh¨ oren zu einer besonderen Polynomart, die in der Literatur als HermitePolynome bezeichnet werden. Die Polynome sind normiert und werden mit der jeweiligen Knotenweggr¨oße multipliziert. Zus¨ atzlich zu den Teilbiegelinien aus Randverschiebung und -verdrehung in a und b wird zwischen den R¨andern die lastabh¨ angige Partikularl¨osung wP addiert.
x a
b wb
wa
j
b
j
a
wa 1
f1(x)
j
a
1
f2(x)
f3(x)
j
b
f4(x)
wP
wb
1
1
Wenn die Gesamtbiegelinie eines Stabes zu bestimmen ist, sind daher zun¨ achst die Einzelweggr¨ oßen wa , ϕa , wb , ϕb sowie wP zu berechnen. Die Gesamtbiegelinie folgt dann zu w(x) = wa · f1 (x) + ϕa · f2 (x) + wb · f3 (x) + ϕb · f4 (x) + wP (x). Die Teilbiegelinien f¨ ur den Einfluss der jeweiligen Knotenweggr¨ oßen entsprechen den ω-Funktionen. Hierbei ist ξ = x/l die normierte Stabkoordinate. f1 (x)
=
1 − 3ξ 2 + 2ξ 3
→ − ωD + ωD + ( 1 − ξ)
f2 (x)
=
l ( ξ − 2ξ 2 + ξ 3 ) → − ωD /2 + ωD
f3 (x)
=
3ξ 2 − 2ξ 3
→
f4 (x)
=
l (− ξ 2 + ξ 3 )
→ − ωD + ω D /2
+ ωD − ωD +ξ
163
12 Einflusslinien f¨ ur Weggr¨ oßen
Die Arbeitss¨ atze nach Abschnitt 6 sind integrale Aussagen f¨ ur das gesamte Tragwerk. Erg¨ anzt man die Verschiebungsarbeiten nach Gleichung (6.3) um die Arbeiten entsprechend Abschnitt 7.2.3, so folgt A = {−N (εel + εT ) + M (κel + κT ) } dx + q · w dx + Σ P · δ + Σ M · ϕ + Σ Fa · δa + Σ Ma · ϕa = 0. Der Arbeitssatz in dieser Form bedeutet, dass die Arbeiten eines statisch zul¨ assigen (im Gleichgewicht befindlichen) Spannungszustandes auf einem kinematisch zul¨ assigen (die Verformungsbedingungen erf¨ ullenden) Verformungszustand im Integral u ¨ ber das Tragwerk verschwinden. Spannungszustand und Verformungszustand m¨ ussen nicht voneinander abh¨angen, sondern k¨ onnen beliebig sein, insbesondere sind sie keine virtuellen, sondern zwei unterschiedliche wirkliche Zust¨ ande. Dies kann man mit Hilfe der Indizes j und k beschreiben. Ajk = {−Nj (εel + εT )k + Mj (κel + κT )k } dx + qj · wk dx + Σ Pj · δk + Σ Mj · ϕk + Σ Fa,j · δa,k + Σ Ma,j · ϕa,k = 0.
(12.1)
Es wird vereinbart, dass der erste Index den Ort angibt, an dem die Arbeit geleistet wird, und der zweite Index die Ursache der geleisteten Arbeit. 1. Index : Ort (der Kraftgr¨oße j) Ajk 2. Index : Ursache (Weg infolge Zustand k) Der Arbeitssatz nach Gleichung (12.1) ist grundlegend und wird nachfolgend f¨ ur die Berechnung von Einflusslinien f¨ ur Weggr¨oßen verwendet.
12.1 S¨ atze von Betti und Maxwell Die oben gegebene Formulierung des Arbeitssatzes ist Grundlage f¨ ur die S¨ atze von Betti und Maxwell. Stellvertretend f¨ ur beliebige Lastanordnungen werden Einzellasten an zwei unterschiedlichen Stellen j und k betrachtet, die nacheinander auf das System aufgebracht werden. Weil die inneren und die ¨ außeren Arbeiten entgegengesetzt gleich groß sind, werden außerdem nur die ¨ außeren explizit angeschrieben. Aa = −Ai D. Dinkler, Grundlagen der Baustatik, DOI 10.1007/978-3-8348-9862-3_12, © Vieweg+Teubner Verlag | Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH 2011
164
12 Einflusslinien f¨ ur Weggr¨ oßen
System 1 Die Reihenfolge der Belastung ist: zuerst Pj , dann Pk . Infolge Pj werden an der Stelle j Eigenarbeiten auf δjj und Verschiebungsarbeiten auf δjk geleistet. Infolge Pk werden an der Stelle k nur Eigenarbeiten auf δkk geleistet. Pj Pk djj dkk
djk
Die Gesamtarbeiten sind: A1
= Ai1 + Aa1 1 1 = Ai1 + Pj · δjj + Pk · δkk + Pj · δjk 2 2 Aajk = Ai1 + Aajj + Aakk +
Eigenarbeiten Verschiebungsarbeiten
System 2 Bei Vertauschung der Reihenfolge gilt: zuerst Pk , dann Pj . Infolge Pj werden an der Stelle j nur Eigenarbeiten auf δjj geleistet. Infolge Pk werden an der Stelle k Eigenarbeiten auf δkk und Verschiebungsarbeiten auf δkj geleistet. Pk
Pj djj
dkk dkj
Die Gesamtarbeiten sind: A2
= Ai2 + Aa2 1 1 = Ai2 + Pj · δjj + Pk · δkk + Pk · δkj 2 2 = Ai2 + Aajj + Aakk + Aakj
Eigenarbeiten Verschiebungsarbeiten
Der Endzustand ist in System 1 und System 2 gleich, wenn er unabh¨ angig von der Reihenfolge der Belastung ist. Dies ist f¨ ur elastisches Materialverhalten und richtungstreue Lasten erf¨ ullt, da in diesem Fall keine Arbeit dissipiert
12.1 S¨ atze von Betti und Maxwell
165
wird. Wenn der Endzustand gleich ist, sind auch die gespeicherten inneren und außeren Arbeiten jeweils gleich, sodass ¨ Ai1 = Ai2
und
Aa1 = Aa2
erf¨ ullt sind. Weil die Eigenarbeiten in beiden Systemen identisch sind, sind auch die Verschiebungsarbeiten gleich groß Pj · δjk = Pk · δkj . Diese grundlegende Aussage ist im Satz von Betti f¨ ur beliebige Lastzust¨ ande verallgemeinert angegeben.
Satz von Betti Die Verschiebungsarbeit Ajk eines ersten Lastzustandes j auf den Wegen eines zweiten Lastzustandes k ist gleich der Verschiebungsarbeit Akj des zweiten Lastzustandes k auf den Wegen des ersten Lastzustandes j: Akj = Ajk . Dieser oben f¨ ur Einzellasten hergeleitete Satz gilt auch, wenn f¨ ur System 1 eine Kraft und f¨ ur System 2 ein Moment angesetzt werden Pj · δjk = Mk · δkj . Die konjugierten Weggr¨oßen sind dann Verschiebungen und Verdrehungen. W¨ ahlt man anstelle beliebiger Lastgr¨oßen Einheitskr¨ afte und Einheitsmomente, so folgt der Satz von Maxwell.
Satz von Maxwell Die Weggr¨ oßen zweier beliebiger Einheitslastzust¨ ande j und k in Richtung des jeweils anderen Lastzustandes k bzw. j sind gleich groß. Ort und Ursache d¨ urfen vertauscht werden. 1 · δkj = 1 · δjk . Wesentlich ist, dass die S¨atze von Betti und Maxwell die Gleichheit der Verschiebungsarbeiten (Einheit kN m) ansetzen, und erst danach die Deutung f¨ ur unterschiedliche Lasten und Weggr¨oßen erfolgt. Dies bedeutet, dass die Einheiten der Lasten und Weggr¨oßen bei der Interpretation der S¨ atze beachtet werden m¨ ussen.
166
12 Einflusslinien f¨ ur Weggr¨ oßen
Beispiel 1 In Beispiel 1 ist zu beachten, dass die Einheit der Arbeit immer [kNm] ist, die Einheit von δjk aber damit von der Arbeit leistenden Last abh¨ angt. Mit den Verschiebungsarbeiten f¨ ur Einheitslasten A12
=
P1 · δ12
=
1 [kN] · δ12 [m]
=
δ12 [kNm]
A21
=
M2 · δ21
=
1 [kNm] · δ21 [1]
=
δ21 [kNm]
δ12 = δ21 .
gilt f¨ ur die Weggr¨oßen P1
M2
d21 d12
Beispiel 2 In Beispiel 2 sind der Knickwinkel δ21 infolge P1 = 1 und die Verschiebung δ12 infolge M2 = 1 gleich groß. d
21
P1
d
M2
12
Beispiel 3 F¨ ur die Kraftgr¨ oßen P1 und P2 sind die Spreizung δ12 infolge P2 = 1 und die Verschiebung δ21 infolge P1 = 1 gleich groß. P1
d21
P2
d12 P1
12.2 Berechnung von Einflusslinien f¨ ur Weggr¨oßen
167
12.2 Berechnung von Einflusslinien f¨ ur Weggr¨ oßen In Analogie zu den Einflusslinien f¨ ur Schnittgr¨oßen nach Abschnitt 9 k¨ onnen auch Einflusslinien f¨ ur Weggr¨oßen definiert werden:
Definition Die Einflusslinie f¨ ur eine Weggr¨oße δkj an einer festen Stelle k infolge Wanderlast an der Stelle j gibt an jeder Stelle j eines Tragwerks den Wert der Weggr¨oße δkj an. P=1 k j w k = d kj
x
Die Einflusslinie f¨ ur eine Weggr¨oße kann man auf verschiedenen Wegen ermitteln. a) Die punktweise Bestimmung der Einflusslinie f¨ ur eine Weggr¨ oße, hier wk = δkj , erfordert die wiederholte Berechnung der Einzelweggr¨ oße wk und ist daher zu aufw¨ andig. 1 w 1 = h1
j=1 1
j=2
w 2 = h2 1 w 3 = h3
j=3
hWk
hW h1
h2
h3
Im Bild sind drei verschiedene Ordinaten von ηw berechnet und entsprechend der Definition an der Stelle der Wanderlast abgetragen.
168
12 Einflusslinien f¨ ur Weggr¨ oßen
b) Mit dem Satz von Betti gilt Pk · δkj = Pj · δjk . Wenn der Zustand j als Wanderlast Pj = 1 interpretiert wird, ist δkj die Weggr¨ oße an der festen Stelle k infolge der Wanderlast an der Stelle j. Dies bedeutet, dass die Weggr¨oße δjk an der Stelle j der Wanderlast infolge der oße δkj gedachten“ Last Pk = 1 an fester Stelle k direkt die gesuchte Weggr¨ ” angibt, also der Definition der Einflusslinie entspricht: ηδkj = δjk .
Satz Die Einflusslinie f¨ ur eine Weggr¨oße an fester Stelle k entspricht der Biegelinie f¨ ur die zu der Weggr¨oße konjugierten gedachten Kraftgr¨ oße Pk = 1. Die Einflusslinien f¨ ur Weggr¨oßen werden also mit einer gedachten“ ” Kraftgr¨ oße 1“ an der Stelle der gesuchten Weggr¨ oße berechnet. ” ηδk (x) = w(x)
infolge Pk = 1.
Dieser Satz gilt f¨ ur alle elastischen Tragwerke – auch f¨ ur statisch unbestimmte Tragwerke und Fl¨achentragwerke – und f¨ ur alle m¨ oglichen Weggr¨ oßen, also f¨ ur Verschiebungen, Verdrehungen, gegenseitige Verschiebungen, gegenseitige Verdrehungen.
Anmerkungen Im Gegensatz zu Einflusslinien f¨ ur Schnittgr¨oßen sind Einflusslinien f¨ ur Weggr¨oßen auch an statisch bestimmten Systemen gekr¨ ummt. Dies bedeutet, dass die Biegelinie im Einzelfall detailiert ermittelt werden muss. Die Auswertung der Einflusslinien f¨ ur gegebene Laststellungen erfolgt mit dem Satz von Betti. Es gilt f¨ ur die Weggr¨oße δk = δkj an fester Stelle k infolge Last an der Stelle j qj (x) · ηj (x)dx. 1 · δk = ΣPj · ηj + ΣMj · ηj + Da der Betti-Satz die Gleichheit der Arbeiten fordert, k¨ onnen auch Einzelmomente auf der Neigung η der Einflusslinie Arbeit leisten. Die Einheit der Einflusslinie ist [m]. Das Vorzeichen der Einflusslinie ist positiv, wenn die Ordinaten in Richtung der Wanderlast zeigen.
12.3 Dualit¨ at der Einflusslinien f¨ ur Weg- und Kraftgr¨ oßen
169
Beispiel Gesucht ist die Einflusslinie f¨ ur die vertikale Verschiebung δ1 . P d1
Die zur konjugierten gedachten Einzellast 1“ geh¨orende Momentenlinie ist: ” 1 M
Die Biegelinie infolge P = 1 wird wie in Abschnitt 11 berechnet, also z. B. mit ω-Zahlen oder mit dem rechnerorientierten Vorgehen. Damit ist auch die Einflusslinie f¨ ur die Verschiebung δ1 gegeben. w
= h wk =
h1
12.3 Dualit¨ at der Einflusslinien f¨ ur Weg- und Kraftgr¨ oßen Die Bedeutung von Einflusslinien f¨ ur das Verst¨andnis des Systemtragverhaltens bei vielen Lastf¨ allen ist ganz fundamental. Erst hiermit wird deutlich, wie ung¨ unstigste Lastanordnungen aussehen und wo das Tragwerk gezielt verst¨ arkt werden muss. Bei der Berechnung von Einflusslinien zeigt sich noch einmal der duale Aufbau aller Berechnungsverfahren der Statik. Die Dualit¨at von Kraftgr¨ oßen, die die Gleichgewichtsbedingungen erf¨ ullen m¨ ussen, und Weggr¨ oßen, die die Verformungsbedingungen erf¨ ullen m¨ ussen, wird hierbei ganz deutlich. Einflusslinien f¨ ur Kraftgr¨oßen werden mit dem PvV begr¨ undet. Die Einflusslinie f¨ ur eine Kraftgr¨ oße ist die Verformungsfigur infolge einer gedachten“ Weggr¨ oße ” −1“. ” Einflusslinien f¨ ur Weggr¨oßen werden mit dem Satz von Maxwell begr¨ undet. Die Einflusslinie f¨ ur eine Weggr¨oße ist die Verformungsfigur infolge einer gedach” ten“ Kraftgr¨ oße 1“. ”
STATISCH UNBESTIMMTE SYSTEME
173
13 Eigenschaften statisch unbestimmter Systeme
Bisher wurde das Trag- und Verformungsverhalten an statisch bestimmten Systemen untersucht sowie die Berechnungsverfahren f¨ ur Schnittgr¨ oßen und Weggr¨ oßen grundlegend entwickelt. Statisch bestimmte Systeme besitzen f¨ ur die Baupraxis verschiedene Vor- aber auch viele Nachteile, sodass man sie dort vermeidet, wo man auch andere Bauweisen w¨ahlen kann. Die Vorteile sind: 1. Der Zusammenbau vorgefertigter Bauteile zu einem Tragwerk ist mit relativ geringem Aufwand m¨oglich, wenn die Verbindungen der Bauteile nicht die volle Querschnittstragf¨ahigkeit der Bauteile aufweisen m¨ ussen, z. B. gelenkige Verbindung anstelle voller Biegesteifigkeit. Diese Bauweise eignet sich besonders f¨ ur Tragwerke aus Holz oder Stahl. Die Herstellung einer nachtr¨ aglichen biegesteifen Verbindung ist teilweise m¨oglich, aber in der Regel aufw¨ andig. 2. Das Ersetzen einzelner Bauteile ist m¨oglich, wenn die Verbindungen der Bauteile dies zulassen, z. B. Momentengelenk, Querkraftgelenk, Lager. Dies kann entscheidend sein, wenn z. B. ein Tr¨ager einer Mehrfeldbr¨ ucke in kurzer Zeit ausgewechselt werden muss. Die Nachteile statisch bestimmter Systeme sind gleichzeitig die Vorteile statisch unbestimmter Systeme. Wesentlich ist: 1. Statisch bestimmte Tragwerke sind in der Regel nicht robust. Sobald ein Querschnitt eine reduzierte Festigkeit z. B. aus Sch¨ adigung aufweist, k¨ onnen weite Teile des gesamten Tragwerks vom Einsturz bedroht sein. 2. Statisch bestimmte Tragwerke haben keine Systemtragreserven, die bei nicht ¨ vorhersehbaren Einwirkungen oder Uberbeanspruchungen den Kraftfluss u ¨ ber andere Tragwerksteile erm¨oglichen. 3. Die Bemessungsschnittgr¨oßen sind in statisch bestimmten Systemen in der Regel gr¨ oßer als in vergleichbaren unbestimmten Systemen. Dies bewirkt unwirtschaftliche Systeme, bei denen der Werkstoff und die Querschnitte nur an wenigen Stellen im Tragwerk voll ausgenutzt sind. 4. Die Verformungen statisch bestimmter Tragwerke sind in der Regel gr¨ oßer als bei unbestimmten Systemen, da die Systemsteifigkeiten geringer sind.
D. Dinkler, Grundlagen der Baustatik, DOI 10.1007/978-3-8348-9862-3_13, © Vieweg+Teubner Verlag | Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH 2011
174
13 Eigenschaften statisch unbestimmter Systeme
13.1 Tragverhalten statischer Systeme Damit Tragwerke robuster gegen¨ uber nicht geplanten System¨ anderungen z. B. ¨ aus Alterung oder Umnutzung eines Bauwerks sind oder Tragreserven bei Uberbeanspruchung heranziehen k¨onnen, sollte man vorrangig statisch unbestimmte Systeme entwerfen. Nachfolgende Beispiele sollen verdeutlichen, wie man den Kraftfluss bei gegebener Last aber unterschiedlichen statisch bestimmten und unbestimmten Systemen beeinflussen kann.
Beispiel 1 Einen Durchlauftr¨ager eines Dachtragwerks oder einer Br¨ ucke kann man mit unterschiedlichen statischen Systemen realisieren, siehe Bild 13-1. M1
a
b
c
d
e
P
f Pl/4
4l Pl/6 M2 l/4
M3
Pl/6
0,1 Pl
0,0067 Pl 0,027 Pl
0,2 Pl
Bild 13-1 Durchlauftr¨ager Das erste System ist statisch bestimmt. Hier reicht ein Versagen des Querschnitts an der Stelle e infolge Mmax = p /4 bereits aus, um das gesamte System zur kinematischen Kette werden zu lassen. Im zweiten System, das ebenfalls statisch bestimmt ist, aber kleinere Bemessungsmomente aufweist, erfolgt bei einem Querschnittsversagen in e nur der Einsturz von Feld e − f . Erst wenn der Durchlauftr¨ager wie in System 3 durchgehend biegesteif verbunden ist, bleibt die Systemtragf¨ahigkeit auch bei Querschnittsversagen in e erhalten. Infolge der statischen Unbestimmtheit sind die Extremwerte der Momentenlinie in der Regel kleiner und gleichm¨aßiger verteilt, das Material ist besser ausgenutzt.
13.1 Tragverhalten statischer Systeme
175
Beispiel 2 Im zweiten Beispiel soll gezeigt werden, wie man die Momentenlinie und damit das Tragverhalten eines Rahmentragwerks mit geeigneter Wahl der Steifigkeiten und Verbindungen zwischen den St¨aben gezielt beeinflussen kann. Hiermit gelingt es, Tragreserven zu aktivieren und den Kraftfluss unabh¨ angig von der Stabanordnung des Tragwerks zu optimieren. Das im Bild dargestellte Rahmentragwerk ist statisch bestimmt. Die Momentenlinie infolge Wind von links weist große Ordinaten im Feld m und in der Ecke c auf. Eine H¨ alfte der Windlast wird u ¨ ber den Riegel b − c in das rechte Lager geleitet: Qd = 0, 5 qh. 0,50 c
q b m
h
0,125
a EI
2
M/qh
d l = 1,6 h
Bild 13-2 Statisch bestimmtes Rahmentragwerk Das System wird einfach statisch unbestimmt, wenn ein Gelenk geschlossen ist. Die Folge ist eine ver¨anderte Momentenlinie, bei der das Eckmoment Mc erheblich kleiner ist als im ersten Fall, das Feldmoment Mm nur geringf¨ ugig gr¨ oßer. Außerdem ist das System robuster, da eine Schw¨ achung eines Querschnitts nicht zwangsl¨aufig zum Einsturz des Systems f¨ uhrt. Nur ein kleiner Teil der Windlast wird in das rechte Lager geleitet: Qd = 0, 39 qh. 0,39
0,11
q h
0,18
EI
l = 1,6 h
Bild 13-3 Einfach statisch unbestimmtes Rahmentragwerk
2
M/qh
176
13 Eigenschaften statisch unbestimmter Systeme
Im dritten System ist die Biegesteifigkeit der linken St¨ utze verdoppelt und das untere linke Gelenk geschlossen. Das Systemtragverhalten ist jetzt v¨ ollig ver¨ andert, da ein großer Teil der Windlast u utze in das linke Lager ¨ber die St¨ geleitet wird. Die horizontale Lagerkraft in a betr¨ agt hier Qa = 0, 72 qh. 0,28 EI
q h
EI
2EI
M/qh
2
0,22 l = 1,6 h
Bild 13-4 Versteiftes statisch unbestimmtes Rahmentragwerk Die Momentenlinie deutet an, dass eine weitere Optimierung der Biegesteifigkeiten sinnvoll ist, da der Riegel und die rechte St¨ utze im Verh¨ altnis zur linken St¨ utze kleinere Biegesteifigkeiten aber gr¨oßere Momente aufweisen.
Anmerkungen Ein Tragwerk sollte in der Regel so entworfen werden, dass die Lasten auf k¨ urzestem Weg und, wenn m¨oglich, redundant in die Lager geleitet werden k¨ onnen. Beide Beispiele verdeutlichen die M¨oglichkeiten und Vorteile statisch unbestimmter Systeme, sodass dies der Regelfall des Tragwerkentwurfs sein sollte. Je unbestimmter ein System ist, desto mehr Gestaltungsraum f¨ ur den Kraftfluss und die Sicherheitskonzepte sind vorhanden. Bei statisch unbestimmten Systemen sind die Schnittgr¨ oßen von den Steifigkeitsverh¨ altnissen im Tragwerk abh¨angig. Dort, wo große Steifigkeiten angeordnet sind, werden die Einwirkungen in die Lager geleitet – Steifigkeiten ” ziehen Schnittgr¨ oßen an“. Wesentlich ist, dass der Werkstoff bei statisch unbestimmten Systemen im Mittel besser ausgenutzt ist und die Tragwerke robuster sind. F¨ ur die Berechnung der Schnittgr¨oßen in statisch unbestimmten Systemen bedeutet dies, dass der Kraftfluss im System von den Gleichgewichts- und Verformungsbedingungen sowie von den Werkstoffgleichungen bestimmt wird. Damit sind spezielle Berechnungsverfahren erforderlich, die alle Bedingungsgleichungen mit wenig Aufwand l¨osen k¨onnen.
13.2 Berechnungsans¨atze f¨ ur statisch unbestimmte Systeme
177
13.2 Berechnungsans¨ atze f¨ ur statisch unbestimmte Systeme Das Verst¨ andnis f¨ ur das Tragverhalten und die Berechnungsverfahren von statisch bestimmten Systemen ist Grundlage f¨ ur die Analyse statisch unbestimmter Systeme. F¨ ur die Berechnung der Schnittgr¨oßen und Weggr¨ oßen von statisch unbestimmten Systemen sind jedoch Erweiterungen in den Vorgehensweisen erforderlich, da die bisherige Trennung in die Berechnung der Schnittgr¨ oßen und die nachfolgende Berechnung der Weggr¨oßen nicht mehr eingehalten werden kann. Warum nicht? Generell m¨ ussen alle Tragwerke die Gleichgewichtsbedingungen (Statik), die Verformungsgeometrie (Kinematik) und die Werkstoffgleichungen erf¨ ullen, wobei hier die geometrisch lineare Theorie I. Ordnung sowie das lineare Werkstoffverhalten nach Hooke angesetzt sind. Bei statisch bestimmten Systemen kann man mit dem Schnittprinzip die Schnittgr¨ oßen allein aus Gleichgewichtsbedingungen ermitteln. Die Berechnung der Weggr¨ oßen und der Biegelinie ist hiervon entkoppelt und kann in einem zweiten Schritt mit der Verformungsgeometrie und den Werkstoffgleichungen erfolgen. Bei n-fach statisch unbestimmten System sind mehr unbekannte Schnitt- und Lagergr¨ oßen zu bestimmen als Gleichgewichtsbedingungen vorhanden sind, n = a + z − 3p. Die n zus¨ atzlich erforderlichen Gleichungen k¨onnen als Verformungsbedingungen formuliert werden, sodass die Bilanz (Anzahl der Unbekannten = Anzahl der Gleichungen) wieder erf¨ ullt ist. Das gleichzeitige Erf¨ ullen der Gleichgewichtsbedingungen und der Verformungsbedingungen erfordert besondere Vorgehensweisen, wenn der Berechnungsaufwand klein bleiben soll. In der Baustatik sind daher zur Berechnung statisch unbestimmter Systeme • das Kraftgr¨ oßenverfahren und • das Weggr¨ oßenverfahren entwickelt worden. Nachfolgend sind die Grundideen beider Berechnungsverfahren an einem einf¨ uhrenden Beispiel erl¨autert.
13.2.1 Einf¨ uhrungsbeispiel Gegeben ist das folgende einfach statisch unbestimmte System mit konstantem EI und einer Einzellast im rechten Feld. Momentenlinien, die die Gleichgewichtsbedingungen erf¨ ullen, gibt es unendlich viele, da eine Schnitt- oder Lagergr¨ oße unbestimmt ist und damit frei gew¨ahlt werden kann.
178
13 Eigenschaften statisch unbestimmter Systeme
P a
b
c m
l
l
Im Bild unten ist jeweils die mittlere Lagerkraft vorgegeben, sodass man mit Σ Ma = 0 die anderen Lagerkr¨afte und damit die Momentenlinie berechnen kann. Zu jeder Momentenlinie geh¨ort eine Biegelinie, die jedoch nicht die Verformungsbedingungen erf¨ ullt. M G1
0
P/2
1/8 P
3/4 P
P/2
M G2
3/8 P
Biegelinien, die die Verformungsbedingungen erf¨ ullen, gibt es ebenfalls unendlich viele. Zu den im Bild willk¨ urlich gew¨ahlten Biegelinien geh¨ ort jeweils eine Momentenlinie, die jedoch nicht die Gleichgewichtsbedingungen erf¨ ullt. w V1
w V2
Es gibt nur eine einzige Momentenlinie und die dazu geh¨ orige Biegelinie, die die Gleichgewichts- und die Verformungsbedingungen gleichzeitig erf¨ ullen. Dies ist bei Annahme einer Theorie I. Ordnung und linearem Materialverhalten der einzig richtige Zustand des Tragwerks unter den gegebenen Bedingungen. Die Aufgabe ist nun, die richtige Momentenlinie und die dazu geh¨ orende Biegelinie zu finden. Das wirkliche Tragverhalten kann man einschranken, wenn man das System k¨ unstlich ver¨andert. Ordnet man u ¨ ber dem Lager b ein Momentengelenk an, erh¨alt man eine untere Grenze f¨ ur das St¨ utzmoment, da die Balken keine Einspannwirkung erfahren (System A). H¨ alt man den Balken am Lager b gegen Verdrehen fest (System B), so erh¨alt man eine obere Grenze f¨ ur das St¨ utzmoment, da die Balken voll eingespannt sind. F¨ ur die Korrektur des k¨ unstlich verf¨ alschten Systems gibt es die beiden nachfolgenden L¨ osungswege.
13.2 Berechnungsans¨atze f¨ ur statisch unbestimmte Systeme
179
13.2.2 L¨ osungsweg mit unbekannten Kraftgr¨ oßen – System A Wenn am Lager b ein Gelenk angeordnet wird, ist das System statisch bestimmt. Das unbekannte St¨ utzmoment Mb ist zun¨achst null gesetzt. Die Momentenlinie M (P ) kann wie bisher berechnet werden und erf¨ ullt die Gleichgewichtsbedingungen. P M(P)
P l/4
Die Biegelinie w(P ) erf¨ ullt jedoch nicht die Verformungsbedingungen des wirklichen Systems, da sie in b einen Knick aufweist.
w(P)
P
Djb (P)
wm
In Knoten b ist die Verformungsbedingung des wirklichen Systems verletzt, da ein Knick in der Biegelinie auftritt, der am wirklichen System nicht vorhanden ist. Den Knick kann man beseitigen, wenn man in dem k¨ unstlichen“ Gelenk ” ein Doppelmoment M vorgibt, das die Gr¨oße des wirklichen Momentes Mb hat und den Knickwinkel korrigiert. Mb w(Mb)
Djb (M)
M(Mb)
Mb
Die Gr¨ oße des Doppelmomentes ist zun¨achst noch unbekannt. Sie wird aus der Verformungsbedingung an der Stelle des k¨ unstlichen“ Gelenkes berechnet: ” Δϕ(P ) + Δϕ(Mb ) = 0. Die Berechnung der Verdrehungen Δϕ kann mit dem PvK erfolgen. Hierbei werden auch die Werkstoffgleichungen verwendet. Beide Teilbiegelinien erf¨ ullen
180
13 Eigenschaften statisch unbestimmter Systeme
die Verformungsbedingung f¨ ur Δϕb nicht. Die Gesamtbiegelinie erf¨ ullt jedoch alle Verformungsbedingungen. w = w(P ) + w(Mb ). ¨ Die Gesamtmomentenlinie folgt aus der Uberlagerung der Teilmomentenlinien: M = M (P ) + M (Mb ). Die Gesamtmomentenlinie ist im Gleichgewicht, wenn beide Teilmomentenlinien im Gleichgewicht sind. Dies ist eine Vorbedingung, ohne die dieses Konzept nicht anwendbar ist. Die Verallgemeinerung dieses Vorgehens f¨ uhrt auf das Kraftgr¨oßenverfahren. Unbekannt sind die Kraftgr¨oßen an den Orten der k¨ unstlich“ gel¨ osten Bin” dungen.
13.2.3 L¨ osungsweg mit unbekannten Weggr¨ oßen – System B Wenn am Lager b eine feste Einspannung angeordnet wird, wird der linke Biegestab vollst¨ andig gegen die Verformungen des rechten Stabes unter Einzellast abgeschottet. w(P ) erf¨ ullt jetzt die Verformungsbedingungen des wirklichen Systems, da keine Knicke und keine Spr¨ unge vorhanden sind. __ ___. 7 Pl³ 768
w(P)
EI
DM b= 3/16 Pl M(P) 5/32 Pl
Die Momentenlinie M (P ) verletzt jedoch am Lager b die Gleichgewichtsbedingungen, da hier ein Sprung ΔMb vorhanden ist. Am wirklichen System ist die Momentenlinie jedoch stetig, wenn kein Einzelmoment vorhanden ist. Hier entsteht der Sprung durch die k¨ unstliche Festhaltung des Systems am Knoten b. Am wirklichen System verdreht sich der Balken in b jedoch um ϕb , sodass die Knotenverdrehung nachtr¨aglich auf das zun¨achst festgehaltene System gebracht werden muss. Die aus der Knotendrehung ϕb folgende Biegelinie erf¨ ullt ebenfalls die Verformungsbedingungen, die Momentenlinie jedoch nicht die Gleichgewichtsbedingungen.
13.2 Berechnungsans¨atze f¨ ur statisch unbestimmte Systeme
181
jb
w(jb)
DMb
M(jb)
¨ Die Gesamtmomentenlinie muss jedoch im Gleichgewicht sein. Uberlagert man die M -Linie aus Last und die M -Linie aus Verdrehung ϕb so, dass der Sprung gerade verschwindet, so kann man die Gr¨oße der noch unbekannten Verdrehung mit der Gleichgewichtsbedingung ΔM (P ) + ΔM (ϕb ) = 0 berechnen. Auch das Werkstoffgesetz ist einbezogen, da die Momentenlinie aus Verdrehung ϕb von den Steifigkeiten abh¨angt. Die Gesamtmomentenlinie folgt ¨ aus Uberlagerung beider Teilmomentenlinien. M = M (P ) + M (ϕb ). Beide Teilmomentenlinien sind nicht im Gleichgewicht. Der Fehler wird durch die zus¨ atzliche Gleichgewichtsbedingung am Knoten behoben, sodass die Gesamtmomentenlinie im Gleichgewicht ist. Die Gesamtbiegelinie folgt aus der Superposition beider Teilbiegelinien w = w(P ) + w(ϕb ). Beide Teilbiegelinien erf¨ ullen von vornherein alle Verformungsbedingungen, damit erf¨ ullt auch die Gesamtbiegelinie die Verformungsbedingungen. Die Verallgemeinerung des Vorgehens f¨ uhrt auf das Weggr¨oßenverfahren. Unbekannt sind die Weggr¨oßen an den Orten der k¨ unstlichen“ Festhaltungen. ”
13.2.4 Dualit¨ at der Kraft- und Weggr¨ oßen Zwischen den Ans¨ atzen f¨ ur die Berechnung der Kraft- und Weggr¨ oßen existiert eine Dualit¨ at, die sich in verschiedener Hinsicht offenbart. So sind die Gleichgewichtsbedingungen der Statik und die Verformungsbedingungen der Kinematik v¨ ollig unabh¨angig voneinander und gleichwertig formuliert. Auch
182
13 Eigenschaften statisch unbestimmter Systeme
stehen die Arbeitsprinzipien des PvV und des PvK gleichwertig nebeneinander, da das PvV den Gleichgewichsbedingungen und das PvK den Verformungsbedingungen ¨ aquivalent ist. Kraft- und Weggr¨oßen sind erst miteinander verkn¨ upft, wenn die Werkstoffgleichungen in das PvV bzw. in das PvK eingesetzt sind, um die unbekannten Wege mit dem PvK bzw. die unbekannten Kr¨afte mit dem PvV zu ermitteln. Aus der Dualit¨ at von Kraft- und Weggr¨oßen lassen sich die beiden L¨ osungswege f¨ ur statisch bzw. kinematisch unbestimmte Systeme entwickeln und interpretieren. Das Kraftgr¨oßenverfahren entsprechend System A arbeitet mit unbekannten Kraftgr¨oßen, dem St¨ utzmoment Mb im einf¨ uhrenden Beispiel. Das Weggr¨ oßenverfahren entsprechend System B arbeitet mit unbekannten Weggr¨ oßen, der Knotenverdrehung ϕb im einf¨ uhrenden Beispiel. Das Kraftgr¨ oßenverfahren verwendet Verformungsbedingungen zur Berechnung der unbekannten Kraftgr¨oßen. Die Verformungsbedingungen m¨ ussen zus¨ atzlich erf¨ ullt werden, damit der Knick Δϕ in System A verschwindet. Das Weggr¨ oßenverfahren setzt die Gleichgewichtsbedingungen zur Berechnung der unbekannten Weggr¨oßen ein. Die Gleichgewichtsbedingungen m¨ ussen erf¨ ullt sein, damit der Momentensprung ΔM in System B verschwindet. Beide Vorgehensweisen f¨ uhren auf den gleichen Spannungs- und Verformungszustand, der alle Grundgleichungen erf¨ ullt, siehe Bild 13-5. P 0,094 Pl
M + 0,094 P
0,688 P
0,203 Pl
w WP.
Bild 13-5 Momentenlinie und Biegelinie des Zweifeldtr¨agers
0,406 P
183
14 Das Kraftgr¨ oßenverfahren
Die Zustandslinien von statisch unbestimmten Systemen k¨ onnen nicht allein mit den (bei ebenen Systemen) drei Gleichgewichtsbedingungen berechnet werden. Es werden zus¨ atzliche Gleichungen ben¨otigt, um die Gesamtbilanz Zahl der unbekannten Lagergr¨oßen und Schnittgr¨ oßen bei einfach zusammenh¨ angenden Scheiben =
Zahl der zur Verf¨ ugung stehenden Gleichungen
zu befriedigen. Die zus¨atzlich erforderlichen Gleichungen sind beim Kraftgr¨ oßenverfahren die Verformungsbedingungen.
Beispiel P
P
a = 5,
z = 0,
p=1
n= 5+0−3·1 =2 Das System ist 2-fach statisch unbestimmt. Damit m¨ ussen zus¨ atzlich zu den 3 Gleichgewichtsbedingungen 2 Verformungsbedingungen formuliert werden. Hieraus ergeben sich folgende Fragen: Wie werden die Gleichgewichtsbedingungen eingesetzt? Wie und wo werden die Verformungsbedingungen formuliert? Die Gleichgewichtsbedingungen werden eingesetzt, um statisch zul¨assige Zustandslinien (M, N, Q) zu berechnen. Die Zustandslinien k¨ onnen • am statisch unbestimmten System nach Vorgabe von n Lager- oder Schnittgr¨ oßen ermittelt werden oder • nach L¨ osen von n Lager- oder Schnittgr¨oßenbindungen an einem (unverschieblichen) statisch bestimmten System. In beiden F¨ allen werden n Verformungsbedingungen verletzt und m¨ ussen in einem zweiten Schritt nachtr¨aglich korrigiert werden. Hier wird der zweite Weg gew¨ ahlt, da er anschaulicher ist. D. Dinkler, Grundlagen der Baustatik, DOI 10.1007/978-3-8348-9862-3_14, © Vieweg+Teubner Verlag | Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH 2011
184
14 Das Kraftgr¨ oßenverfahren
14.1 R¨ uckf¨ uhrung auf statisch bestimmte Hauptsysteme Mit den Gleichgewichtsbedingungen allein k¨onnen Zustandslinien (M, N, Q) berechnet werden, wenn das System statisch bestimmt ist. Werden an einem statisch unbestimmten System zun¨achst genau so viele Bindungen gel¨ ost, wie der Grad der statischen Unbestimmtheit betr¨agt, dann liegt ein statisch bestimmtes System vor. Dieses System wird als statisch bestimmtes Hauptsystem (HS) bezeichnet. Das statisch bestimmte Hauptsystem ist das Ausgangssystem f¨ ur die Berechnung der Zustandsgr¨oßen mit dem Kraftgr¨ oßenverfahren. Statisch bestimmte Hauptsysteme gibt es f¨ ur jedes n-fach statisch unbestimmte System n · ∞-viele, da man die Bindungen an jeder beliebigen Stelle des Tragwerks l¨ osen kann. Beim Kraftgr¨oßenverfahren besteht Wahlfreiheit f¨ ur das statisch bestimmte Hauptsystem. Bei geschickter Ausnutzung dieser M¨ oglichkeit kann man Rechenumfang und Rechengenauigkeit g¨ unstig beeinflussen. Mit ein wenig Erfahrung kann man besonders geeignete Hauptsysteme schnell identifizieren und genau die Bindungen l¨osen, bei denen die nachfolgende Berechnung m¨ oglichst effizient ist und die Fehlerm¨oglichkeiten klein sind. Bei der Wahl des statisch bestimmten Hauptsystem ist Folgendes zu beachten: 1. Beim L¨ osen von n Bindungen werden n unbekannte Schnittgr¨ oßen freigeschnitten. Die unbekannten Schnittgr¨oßen werden zun¨ achst zu null gesetzt. 2. Alle St¨ abe des statisch unbestimmten Systems m¨ ussen im statisch bestimmten Hauptsystem enthalten sein. 3. Das statisch bestimmte Hauptsystem darf nicht verschieblich sein. 4. Die Momentenlinien sollten am Hauptsystem m¨ oglichst schnell und einfach ermittelt werden k¨onnen. Dies erreicht man, wenn man m¨ oglichst nur Momentenbindungen l¨ ost, da mit Momentengelenken unterschiedliche Bereiche des Tragwerks voneinander entkoppelt werden k¨onnen. ¨ Außerdem sind bei der Uberlagerung des Last- und der Einheitsspannungszust¨ ande zur Gesamtmomentenlinie die Momentenordinaten an den Stellen der unbekannten Momente direkt gegeben. Besonders vorteilhaft sind hierbei Momentenbindungen in Rahmenecken oder u ¨ber einem Lager, da mit den unbekannten Momentenordinaten gleichzeitig ein Teil der Schlusslinie festliegt. Der Durchlauftr¨ager im Bild ist 2-fach unbestimmt. Das unbestimmte System wird durch gezieltes Entfernen von jeweils 2 Bindungen auf unterschiedliche sta-
14.2 Die Gleichgewichtsbedingungen
185
tisch bestimmte Hauptsysteme zur¨ uckgef¨ uhrt. Als unbekannte Schnittgr¨ oßen sind Momente M und Lagerkr¨afte F gew¨ahlt. P
P
a
b
c
HS infolge w0
ja
wb
w0
wb
wc Djb
w0
ja
Ma Fb
Fb Fc
Ma Mb
gel¨ oste Bindung
=0
=0
=0
ϕa wb
wb wc
ϕa Δϕb
=0
=0
=0
Aufgrund der oben beschriebenen Vorteile ist das Hauptsystem am besten geeignet, bei dem zwei Momentenbindungen gel¨ost sind. Daher werden die L¨ osungsschritte des Kraftgr¨oßenverfahrens am unteren Hauptsystem 3 erl¨ autert.
14.2 Die Gleichgewichtsbedingungen Die zun¨ achst zu null gesetzten Lager- und Schnittgr¨oßen sind die Unbekannten des Kraftgr¨ oßenverfahrens. Sie m¨ ussen nachtr¨aglich auf die im wirklichen System vorhandenen Werte korrigiert werden. Hierzu ist der Einfluss der Last und der unbekannten Schnittgr¨oßen auf den Spannungs- und Verformungszustand zu ber¨ ucksichtigen. Dies erfolgt mit Last- und Einheitsspannungszust¨ anden.
Der Lastspannungszustand – LSZ Der Lastspannungszustand ist der Gleichgewichtszustand am HS unter der Wirkung der ¨ außeren Belastung. Der Lastspannungszustand ist mit dem unteren Index 0 gekennzeichnet. Hierzu geh¨oren die Momentenlinie M0 und die Bieullt die Gleichgewichtsbedingungen, gelinie w0 . Der Lastspannungszustand erf¨
186
14 Das Kraftgr¨ oßenverfahren
aber nicht die Verformungsbedingungen. F¨ ur das Hauptsystem 3 ist der LSZ nachfolgend angegeben. P P M0
w0 ja0
Djb0
Die Einheitsspannungszust¨ ande – ESZj Die Einheitsspannungszust¨ande sind Gleichgewichtszust¨ ande am Hauptsystem infolge der zu 1“ gesetzten Schnittgr¨oße am Ort der jeweils gel¨ osten Bindung. ” Hierzu geh¨ oren die Momentenlinie Mj und die Biegelinie wj . Alle Einheitsspannungszust¨ ande erf¨ ullen die Gleichgewichtsbedingungen, jedoch nicht die Verformungsbedingungen. F¨ ur das Hauptsystem 3 sind die Einheitsspannungszust¨ ande nachfolgend gegeben. 1
M1 1
w1
ja1
Djb1 1
M2
w2
Djb2 ja2
Die Einheitsspannungszust¨ande entstehen stets aus Doppelwirkungen 1“ an ” beiden Schnittufern, bei Lagergr¨oßen im Schnitt zwischen Konstruktion und Fundament. Wenn die noch unbekannten Schnittgr¨ oßen am wirklichen System den Wert Xj haben, ist der gesamte Einheitsspannungszustand aus der jeweiligen Schnittgr¨ oße 1“ mit dem Faktor Xj zu multiplizieren. ”
14.4 Die Verformungsbedingungen
187
14.3 Die Verformungsbedingungen Am Hauptsystem sind die unbekannten Kraftgr¨oßen zun¨ achst zu null gesetzt, wenn die entsprechenden Bindungen gel¨ost sind. Wenn die Last- und Einheitsspannungszust¨ ande am Hauptsystem berechnet werden, erf¨ ullen sie daher die Verformungsbedingungen des wirklichen, statisch unbestimmten Systems nicht. Die Verformungsbedingungen des wirklichen Systems werden nachtr¨ aglich so erf¨ ullt, dass die Summe der Weggr¨oßen aus Einwirkungen und aus allen Schnittbzw. Lagergr¨ oßen in den gel¨osten Bindungen verschwindet. ϕa (Ma ) + Δϕb (Ma ) +
ϕa (Mb ) + Δϕb (Mb ) +
ϕa (P ) = Δϕb (P ) =
0 0
Wenn Ma und Mb als Einheitsgr¨oßen zu 1 mit noch unbekannten Multiplikatoren Xj gesetzt sind, gilt auch ϕa (Ma = 1) · X1 Δϕb (Ma = 1) · X1
+ +
ϕa (Mb = 1) · X2 Δϕb (Mb = 1) · X2
+ ϕa (P ) = 0 + Δϕb (P ) = 0
Dies sind die Bestimmungsgleichungen des Kraftgr¨oßenverfahrens. In allgemeiner Form kann man die Verformungsbedingungen auch mit δij · Xj + δi0 = 0 schreiben, wenn die δij die Weggr¨oßen an der Stelle der gel¨ osten Bindung i infolge der unbekannten Schnittgr¨oßen Xj sind und δi0 die Weggr¨ oßen aus Einwirkungen. Der erste Index gibt den Ort, der zweite Index die Ursache an.
14.4 Die Berechnung der Weggr¨ oßen am Hauptsystem Gegeben ist das System nach Abschnitt 14.2 mit konstanter Biegesteifigkeit EI. Die Momentenlinien des Lastspannungszustandes M0 und der Einheitsspannungszust¨ ande M1 , M2 sind bereits berechnet. Die Berechnung der Weggr¨oßen δj0 und δjk erfolgt mit dem PvK. Anstelle der δ k¨ onnen auch die EIc -fachen Werte berechnet werden. Damit gilt ¯ · EIc · αT · ΔT } dx ¯ · M · Ic + M ¯ 1 · δ · EIc = {M 1 · δ = ¯ I h ¯ ¯ −EIc · Σ Fa · δa − EIc · Σ Ma · ϕa . F¨ ur die Berechnung der Weggr¨oßen m¨ ussen die zu den Weggr¨ oßen konjugierten virtuellen Kraftgr¨ oßen ¯1 auf das System gebracht und die virtuellen Momentenlinien berechnet werden. Zu beachten ist, dass die virtuellen Spannungszust¨ ande mit den Einheitsspannungszust¨anden identisch sind, und damit die
188
14 Das Kraftgr¨ oßenverfahren
Berechnung der virtuellen Momentenlinien nicht mehr explizit erfolgen muss.
1 M1
1 M2
Wenn die Last- und Einheitsspannungszust¨ande sowie die virtuellen Momentenlinien bekannt sind, kann der Arbeitssatz ausgewertet werden. Im hier vor¯ liegenden Beispiel sind nur die Integrale mit den Momentenlinien M und M auszuwerten. Damit folgt f¨ ur die Weggr¨oßen aus Lastspannungszustand ¯1 · M0 · Ic dx = 1 · ¯1 · P · 1 · ¯ 1 · δ10 = M I 4 4 P ¯2 · M0 · Ic dx = 2 ( 1 · ¯ ¯ 1 · δ20 1· ·1· ) = M I 4 4 und f¨ ur die Weggr¨oßen aus Einheitsspannungszust¨ anden ¯1 · M1 · Ic dx = 1 · ¯ ¯1 · δ11 1·1·1· = M I 3 ¯1 · M2 · Ic dx = 1 · ¯ ¯1 · δ12 1·1·1· = M I 6 ¯2 · M1 · Ic dx = 1 · ¯ ¯1 · δ21 1·1·1· = M I 6 ¯2 · M2 · Ic dx = 2 · ( 1 · ¯ ¯ 1· 1·1· ) = M 1 · δ22 I 3 In der u urzten Darstellung der Berechnung der Weggr¨ oßen ver¨ blichen verk¨ zichtet man auf die virtuelle Einheitskraft ¯1 und die Kennzeichnung (¯) der virtuellen Momentenlinien und formuliert die Verformungsbedingungen direkt mit EIc –fachen Werten δ11 X1 + δ12 X2 + δ10 = 0, δ21 X1 + δ22 X2 + δ20 = 0.
Anschließend werden die unbekannten Faktoren Xj der Einheitsspannungszust¨ ande berechnet.
14.5 Zustandslinien des statisch unbestimmten Systems
189
14.5 Zustandslinien des statisch unbestimmten Systems Nach L¨ osung der Verformungsbedingungen sind die zun¨ achst unbekannten Faktoren Xj bekannt, sodass die Berechnung der Momentenlinie des unbestimm¨ ten Systems erfolgen kann. Die Uberlagerung der Teilmomentenlinien aus dem Lastspannungszustand und den Einheitsspannungszust¨ anden zur Gesamtmomentenlinie erfolgt mit den berechneten Unbekannten Xj zu M = M0 + X1 · M1 + X2 · M2 . Die anderen Zustandslinien Q, N des wirklichen Systems k¨ onnen in einem zweiten Schritt aus der Momentenlinie berechnet werden. Wenn alle Mj und M0 das Gleichgewicht erf¨ ullen, erf¨ ullen M und damit auch die anderen Zustandslinien die Gleichgewichtsbedingungen. Mit Hilfe der Zustandslinien k¨ onnen bei Bedarf die Lagerkr¨ afte Fa , Fb , Fc sowie das Einspannmoment berechnet werden. Die Berechnung der Biegelinie w erfolgt v¨ollig analog zu statisch bestimmten Systemen. Zun¨ achst wird der Sehnenpolygon wS mit Hilfe von Einzelweggr¨ oßen ermittelt und anschließend die Anteile aus Verkr¨ ummung mit Hilfe der ω-Tafeln superponiert. Es gilt w = wS + w(M ) + w(T ). Alternativ kann man die Biegelinie mit den Last- und Einheitsspannungszust¨ anden ermitteln. w = w0 + X1 · w1 + X2 · w2 . Dieser Weg ist in der Regel aufw¨andiger, bietet aber die M¨ oglichkeit, die Momentenlinie mit den Verkr¨ ummungen unabh¨angig, aber nur qualitativ zu kontrollieren. Ma M
Fa
Fc
Fb P
P w
Der Gesamtzustand M, w erf¨ ullt als wirklicher Zustand alle Gleichgewichtsund Verformungsbedingungen.
190
14 Das Kraftgr¨ oßenverfahren
14.6 Anwendungsbeispiele f¨ ur das Kraftgr¨ oßenverfahren Die Berechnung der Zustandslinien von statisch unbestimmten Systemen erfolgt mit dem Kraftgr¨oßenverfahren mit folgenden Schritten: ¨ 1. Ubersetzen des wirklichen Tragwerks in ein statisches System (hier statisch unbestimmt) mit Wahl der Systemabmessungen, Stabanordnung, Randbedingungen und Gelenke. Vorgabe der Steifigkeiten und Einwirkungen. 2. Ermittlung des Grades n der statischen Unbestimmtheit. Wahl des statisch bestimmten Hauptsystems durch L¨osen von n Bindungen. 3. Berechnung des Lastspannungszustandes LSZ. Hierbei sind alle freigeschnittenen Lager- und Schnittgr¨oßen zu null gesetzt. Der LSZ ist im Gleichgewicht. 4. Berechnung der Einheitsspannungszust¨ande ESZ. Hierbei wird jeweils eine Schnittgr¨ oße zu 1 und alle anderen unbekannten Schnittgr¨ oßen zu null gesetzt. Die ESZ sind im Gleichgewicht. oßen 5. Berechnung der Weggr¨oßen δij und δi0 mit dem PvK. Ursache der Weggr¨ am Ort i der gel¨ osten Bindungen sind der LSZ sowie die ESZ j. 6. Formulierung der Verformungsbedingungen am Ort i n
δij · Xj + δi0 = 0 ,
i = 1, ...n
j=1
und L¨ osen des Gleichungssystems f¨ ur die unbekannten Faktoren Xj der ESZ. ¨ 7. Uberlagerung der Last- und der Einheitsspannungszust¨ ande zur Momentenlinie. M = M0 +
n
X j · Mj .
j=1
Berechnung der Querkr¨afte Q und der Normalkr¨ afte N aus der Momentenlinie. 8. Berechnung von Einzelweggr¨oßen des unbestimmten Systems und Berechnung der Biegelinie w mit Hilfe der Momentenlinie M . w = wS + w(T ) + w(M ). 9. Gleichgewichts- und Verformungskontrollen. Nachfolgend sind zun¨achst die Punkte 1 bis 7 f¨ ur Durchlauftr¨ ager und Rahmentragwerke detailliert aufgef¨ uhrt.
14.6 Anwendungsbeispiele f¨ ur das Kraftgr¨oßenverfahren
191
14.6.1 Durchlauftr¨ ager 1. System Der statisch unbestimmte Durchlauftr¨ager ist mit einer Einzellast P = 10 kN und einer Lagerverdrehung ϕa = 0, 002 rad belastet. Gesucht sind die Momentenlinie und die Biegelinie. ja
P c
b
a 4,5
1,5
d 3
3
Die Steifigkeitsverh¨ altnisse sind im linken Stab a − b Ic /I1 = 1 und im rechten Stab b − d Ic /I2 = 1, 5. Die Biegesteifigkeit betr¨agt EIc = 1, 5 · 104 kN m2 .
2. Hauptsystem Das System ist 1-fach statisch unbestimmt. Es wird die Momenten-Bindung in c gel¨ ost, da dies eine u ande ¨bersichtliche Bestimmung der Spannungszust¨ und der Weggr¨ oßen δi0 erm¨oglicht. Die L¨osung der Momentenbindung in a ist ebenfalls m¨ oglich. Aufgrund der Lagerdrehung ϕa ist die Auswertung der Arbeitsgleichung f¨ ur die Berechnung der Weggr¨oßen dann aber schwierig zu interpretieren.
3. Lastspannungszustand LSZ Der Lastspannungszustand bewirkt am Hauptsystem eine Momentenlinie, die von der Einzellast bestimmt ist. Die Lagerverdrehung ϕa hat am statisch betimmten Hauptsystem keinen Einfluss auf die Momentenlinie. M0 15
ja w0
d10 Die Biegelinie w0 enth¨alt damit den Anteil entsprechend der Momentenlinie M0 sowie den Anteil aus Lagerdrehung ϕa , der die Verdrehung der St¨ abe a − b und
192
14 Das Kraftgr¨ oßenverfahren
b − c bewirkt. Infolge der Einwirkungen entsteht am Hauptsysem ein Knickwinkel δ10 , der mit dem Einheitsspannungszustand korrigiert werden muss.
4. Einheitsspannungszustand ESZ Der Einheitsspannungszustand ist mit dem Doppelmoment 1“ an der Stelle ” c sowie den Momentennullpunkten in den Gelenken festgelegt. Die Biegelinie ist mit den Verkr¨ ummungen entsprechend M1 bestimmt. Infolge des Einheits3 M1
1
w1
d11 spannungszustandes entsteht der Knickwinkel δ11 , der den Knickwinkel δ10 kompensieren muss.
5. Weggr¨ oßen aus Last- und Einheitsspannungszust¨ anden Die Berechnung der δj0 Werte erfolgt mit dem PvK. Hier gilt ¯ · M · Ic } dx − EIc · Σ M ¯ a · ϕa . ¯ {M 1 · δ = I
Die beim PvK anzusetzenden virtuellen Spannungszust¨ ande aus Einheitskr¨ aften bzw. Einheitsmomenten sind beim Kraftgr¨oßenverfahren identisch den Einheitsspannungszust¨anden, da die Weggr¨oßen jeweils an den Stellen der gel¨ osten ¯ = Mj gilt: Bindungen berechnet werden m¨ ussen. Mit M Ic δ10 = M1 · M0 · dx − EIc · Σ M1a · ϕa I 1 · 1, 0 · 15 · 1, 5 · 6 − 1, 5 · 104 · 3, 0 · ( −0, 002 ) = −123, 75 = 4 Wertes erfolgt ebenfalls mit dem PvK. Die Berechnung des δ11 Ic δ11 = M1 · M1 · dx = I 1 1 1 · 3 · 3 · 1 · 4, 5 + · 1 · 1 · 1, 5 · 1, 5 + · 1 · 1 · 1, 5 · 6, 0 = 17, 25 3 3 3
14.6 Anwendungsbeispiele f¨ ur das Kraftgr¨oßenverfahren
193
6. Verformungsbedingungen Die Verformungsbedingung ist direkt mit EIc -fachen Werten formuliert X1 + δ10 = 0. δ11
In Zahlen folgt das Gleichungssystem f¨ ur die Berechnung von X1 17, 25 X1 = + 123, 75 . Die L¨ osung der Gleichung liefert X1 = 7, 174 , womit gleichzeitig das St¨ utzmoment Mc = 1 · X1 gegeben ist.
7. Momentenlinie des statisch unbestimmten Systems ¨ Die Momentenlinie folgt aus der Uberlagerung der Teilmomentenlinien. M = M0 + M1 · X1 . Mit der Momentenlinie kann auch die Querkraftlinie berechnet werden. M
7,17
21,52
11,41 4,78 Q
3,80
+
6,20
8. Biegelinie Die Biegelinie enth¨ alt verschiedene Anteile. Dies sind die Teilbiegelinie w0 (ϕa ) aus der Lagerverdrehung ϕa , die am Hauptsystem keinen Einfluss auf die Momentenlinie hat, und die Teilbiegelinie w = w(M ) aus der Verkr¨ ummung, die mit den ω-Tabellen punktweise bestimmt werden kann. w = w0 (ϕa ) + w(M )
j
a
w
wP wM
wjA
194
14 Das Kraftgr¨ oßenverfahren
14.6.2 Durchlauftr¨ ager unter eingepr¨ agter Weggr¨ oße Sind Einzelweggr¨ oßen als Einwirkung vorgegeben – z. B. als Lagerverschiebung oder als Knick an beliebiger Stelle im System –, so bewirkt das im statisch unbestimmten System einen Spannungszustand und damit auch eine Biegelinie. Nachfolgend ist der L¨osungsweg f¨ ur die Berechnung der Momentenlinie und der Biegelinie infolge eines Knickes gezeigt.
1. System und Einwirkung Das System ist zweifach statisch unbestimmt. Der Knick ϑ = −1 wird an der Stelle k am statisch unbestimmten System aufgebracht. = 10 m, EIc = 8.000 kN m2 (HEB 180), Ic /Ij = 1, 0.
a
2/3 l
c
b
k
1/3 l
l
2. Hauptsystem F¨ ur das Hauptsystem werden die Momentenbindungen in a und b gel¨ ost. Hiermit vereinfacht sich die Berechnung der Einheitsspannungszust¨ ande und die Berechnung der Verformungsbedingungen.
3. Lastspannungszustand Am statisch bestimmten Hauptsystem wird der Knick ϑ = −1 wie eine eingepr¨ agte Weggr¨ oße behandelt. Die hieraus folgende Verformungsfigur ist geradlinig, da sich das System ohne weiteren kinematischen Zwang verformen kann. Bei geradliniger Verformung ist die Momentenlinie M0 identisch null. d10
d20
w0 J= 1
4. Einheitsspannungszust¨ ande Die Einheitsspannungszust¨ande M1 und M2 sind geradlinig und schnell berechnet, da an jedem Stabende entweder der Wert 1 oder 0 gegeben ist. Da das wirkliche Moment Mk des statisch unbestimmten Systems an der Stelle k
14.6 Anwendungsbeispiele f¨ ur das Kraftgr¨oßenverfahren
195
Arbeit auf dem Knick leistet, m¨ ussen die entsprechenden Ordinaten der Einheitsspannungszust¨ ande bekannt sein. M1
1/3
1
M2 1
2/3
5. Berechnung der Weggr¨ oßen Die δj0 -Werte k¨ onnen entweder sofort anschaulich aus w0 oder formal u ¨ ber die Arbeitsgleichung berechnet werden. Hier leisten die Momentenordinaten der Einheitsspannungszust¨ande an der Stelle k Arbeit. Mj · M0 1 · δj0 = dx − Mj · ϑ = −Mjk · ϑk , EI δj0
δ10 =
= δj0 · EIc ,
1 · EIc , 3
δ20 =
2 · EIc . 3
Die δjk -Werte werden mit der Arbeitsgleichung berechnet.
10 1 · 1 · 1 · 1 · 10 = 3 3 20 1 = 2 · ( · 1 · 1 · 1 · 10) = 3 3 10 1 = · 1 · 1 · 1 · 10 = 6 6
= δ11 δ22 δ12
6. Verformungsbedingungen Die Verformungsbedingungen werden wie bisher aufgestellt. Es gilt allgemein δjk · Xk + δj0 = 0 und mit den Zahlenwerten
3, 333 1, 667 1, 667 6, 667
X1 X2
+
0, 333 · EIc 0, 667 · EIc
=
Die L¨ osung des Gleichungssystems gibt X1 = −0, 0572 EIc,
X2 = −0, 0857 EIc.
0 0
.
196
14 Das Kraftgr¨ oßenverfahren
7. Momentenlinie Mit den berechneten Xj folgt die Momentenlinie infolge ϑ = −1 0,0572 EI c
M =0+
0,0857 EIc
M
Xj · M j .
j
0,00285 EIc
0,00857 EIc
0,0114 EIc
Die Momentenlinie erf¨ ullt alle Gleichgewichtsbedingungen.
8. Biegelinie Die Gesamtbiegelinie ist die Superposition der Teilbiegelinien aus Sehnenpolygon, Einzelweggr¨oßen und Verkr¨ ummungen. Dies ergibt im Einzelnen w = wS + w0 (ϑ) + w(M ). Hierbei steht wS f¨ ur den Sehnenpolygon, der hier entf¨ allt. w0 (ϑ) beschreibt die Biegelinie am statisch bestimmten Hauptsystem infolge vorgegebener Einzelweggr¨ oße ϑ und w(M ) die Biegelinie am gelenkig gelagerten Balken“, die ” mit Hilfe der ω-Tabellen bestimmt werden kann. w(M ) weist u ¨ ber dem Lager b einen Knick auf, der nur mit w0 (ϑ) beseitigt werden kann. w(M)
k
w0(J)
J= 1
w J= 1
Die Biegelinie erf¨ ullt alle Verformungsbedingungen. Der Knick −1“ ist einge” pr¨agt.
14.6 Anwendungsbeispiele f¨ ur das Kraftgr¨oßenverfahren
197
14.6.3 Rahmentragwerk 1. System und Belastung Der statisch unbestimmte Rahmen ist mit einer Einzellast P und einer Streckenlast q belastet. Die Biegesteifigkeiten sind konstant und betragen f¨ ur alle St¨ abe EI = 2 · 104 kNm2 . Gesucht ist die Momentenlinie. P q = 0,5 kN/m b
c
d 3m
a
e
h EI P q
= 5,0 = 3,0 = 2 ·104 = 5,0 = 0,5
m m kNm2 kN kN/m
5m
2. Hauptsystem Das System ist 2-fach statisch unbestimmt. Es werden die Momenten-Bindungen in a und b gel¨ ost, da hiermit verschiedene Vorteile verbunden sind. So sind bei der Berechnung des Last- und der Einheitsspannungszust¨ ande die Momentenlinien der St¨ abe a − b und b − d voneinander entkoppelt, und die Momentenordinaten in a und b jeweils direkt gegeben. Hiermit ist gleichzeitig die Schlusslinie f¨ ur alle Spannungszust¨ande in diesem Bereich bekannt. Außerdem werden mit den unbekannten Schnittgr¨ oßen Xj in a und b die endg¨ ultigen Momentenordinaten direkt berechnet.
3. Lastspannungszustand LSZ Der Lastspannungszustand wird am HS berechnet. Die Momentenlinie im Stab a − b wird mit Hilfe der Schlusslinie a − b berechnet, sodass in b eine Horizontalkraft q /2 in den rechten Bereich geleitet wird und in Lager e eine gleich große horizontale Reaktionskraft bewirkt. Mit der Momentenordinate Md = h q /2 ist bereits die gesamte Schlusslinie und damit auch die Momentenlinie bestimmt. Die Biegelinie w0 weist in a und in b jeweils einen Knickwinkel Δϕ0 auf, der am wirklichen System nicht gegeben ist, aber mit den Einheitsspannungszust¨anden korrigiert werden kann.
198
14 Das Kraftgr¨ oßenverfahren
6,25
Djb0
2,25
5,125 0,56 ja0
M0
w0
4. Einheitsspannungszust¨ ande ESZ Die Einheitsspannungszust¨ande sind mit den Einheitsmomenten im Schnitt a und im Schnitt b zu berechnen. Die Momentenlinien sind im Stab a − b mit den Stabendordinaten direkt gegeben. Im Stab d − e erh¨ alt man die Querkraft Q = ±1/h mit einem Schnitt durch die St¨abe a − b und d − e, sodass die Momentenlinie auch in d − e bestimmt ist. Einheitsspannungszustand 1 Djb1
1
ja1
M1
w1
1
Die Biegelinie w1 weist in a und in b jeweils einen Knickwinkel Δϕ1 auf, der am wirklichen System nicht gegeben ist. Einheitsspannungszustand 2 Djb2 1
1
M2
ja2
w2
14.6 Anwendungsbeispiele f¨ ur das Kraftgr¨oßenverfahren
199
Die Biegelinie w2 weist in a und in b jeweils einen Knickwinkel Δϕ2 auf, der am wirklichen System nicht gegeben ist.
5. Weggr¨ oßen aus Last- und Einheitsspannungszust¨ anden Die Berechnung der Weggr¨oßen erfolgt mit Hilfe des PvK. Die beim PvK anzusetzenden virtuellen Spannungszust¨ande aus virtuellen Einheitsmomenten sind beim Kraftgr¨ oßenverfahren identisch mit den Einheitsspannungszust¨ anden, da die Weggr¨ oßen jeweils an den Stellen der gel¨osten Bindungen berechnet werden m¨ ussen. Im weiteren wird daher nicht mehr zwischen den virtuellen Spannungszust¨ anden und den Einheitsspannungszust¨anden unterschieden. ¯ j = Mj gilt f¨ ur die Weggr¨oßen δj0 aus Belastung Mit M
1 Ic dx = · 1 · 0, 56 · 1 · 3 I 3 1 1 + · 1 · 2, 25 · 1 · 5 − · 1 · 6, 25 · 1 · 5 + 3 4 1 Ic δ20 = M2 · M0 · dx = · 1 · 0, 56 · 1 · 3 I 3 1 1 − · 1 · 2, 25 · 1 · 5 + · 1 · 6, 25 · 1 · 5 − 2 2 = δ10
M1 · M0 ·
1 · 1 · 2, 25 · 1 · 3 = −1, 24 3
1 · 1 · 2, 25 · 1 · 3 = +8, 31 3
¯ j = Mj . erfolgt ebenfalls mit M Die Berechnung der Weggr¨oßen δjk
1 1 11 Ic dx = 2 ( · 1 · 1 · 1 · 3 ) + · 1 · 1 · 1 · 5 = I 3 3 3 1 1 1 Ic = M1 · M2 · dx = · 1 · 1 · 1 · 3 − · 1 · 1 · 1 · 5 − · 1 · 1 · 1 · 3 = −3 δ12 I 6 2 3 1 Ic δ22 = M2 · M2 · dx = 2 ( · 1 · 1 · 1 · 3 ) + 1 · 1 · 1 · 1 · 5 = 7 I 3 δ11 =
M 1 · M1 ·
δ21 = δ12
6. Verformungsbedingungen Die Verformungsbedingungen sind direkt mit EIc -fachen Werten formuliert X1 + δ12 X2 + δ10 = 0, δ11 X1 + δ22 X2 + δ20 = 0. δ21
200
14 Das Kraftgr¨ oßenverfahren
In Zahlen folgt das Gleichungssystem f¨ ur die Berechnung der unbekannten Kraftgr¨ oßen zu 3, 667 −3, 0 X1 1, 24 . = −3, 0 7, 0 X2 −8, 31 Die L¨ osung des Gleichungssystems liefert die unbekannten Kraftgr¨ oßen X1 −0, 975 , = X2 −1, 605 die direkt die Momentenordinaten Ma bzw. Mb angeben.
7. Momentenlinie und Biegelinie ¨ Die Momentenlinie folgt aus der Uberlagerung der Teilmomentenlinien M = M0 + X1 · M1 + X2 · M2 . Die Momentenlinie ist im Gleichgewicht, wenn die Teilmomentenlinien im Gleichgewicht sind. 2,58
1,60 4,16
M
w
0,975
Die Biegelinie erf¨ ullt alle Verformungsbedingungen. Die Bestimmung des Sehnenpolygons erfolgt mit den Horizontalverschiebungen der Punkte b und d.
8. Riegel mit doppelter Steifigkeit Wenn der Riegel b − d mit Ic /IR = 0, 5 doppelt so steif ist, ¨ andern sich die Unbekannten X1 −0, 552 , = X2 −1, 34 sodass die Eckmomente Mb = −1, 34 und Md = −1, 89 kleiner und das Feldmoment Mc = 4, 63 gr¨oßer werden. Damit wird die geringere Einspannwirkung des steiferen Riegels in die weicheren St¨ utzen deutlich.
14.6 Anwendungsbeispiele f¨ ur das Kraftgr¨oßenverfahren
201
14.6.4 Rahmentragwerk bei Erw¨ armung und St¨ utzensenkung 1. System Das statisch unbestimmte Rahmentragwerk ist durch Wind q sowie Temperaturdifferenz ΔT und St¨ utzensenkung δd belastet. Gesucht sind die Momentenlinie und die Biegelinie. EIc h αT q δd ΔT
= 1, 5 · 104 kN m2 = 0, 30 m = = = =
q
DT
−5
10 1/K 0, 2 kN/m 0, 05 m 15K
c
b
d
4m a
Stab a − b : Ic /I1 = 1, 0 Stab b − c : Ic /I2 = 1, 5 Stab c − d : Ic /I3 = 1, 0
4m
6m
2. Hauptsystem Das System ist 2-fach statisch unbestimmt. Es werden die MomentenBindungen in b und c gel¨ost.
Hauptsystem
3. Lastspannungszustand LSZ Der Lastspannungszustand enth¨alt die Momentenlinie M0 infolge Wind q sowie die Biegelinie w0 infolge Temperatur ΔT und St¨ utzensenkung δd . d10
d20 0,05
2
ql /8 = 0,4
M0
w0
Die Knickwinkel δ10 und δ20 k¨onnen am wirklichen System nicht auftreten und m¨ ussen daher mit Hilfe der Einheitsspannungszust¨ ande korrigiert werden.
202
14 Das Kraftgr¨ oßenverfahren
4. Einheitsspannungszust¨ ande ESZ Infolge des ersten Einheitsspannungszustandes mit Einheitsmoment in b treten die Knickwinkel δ11 und δ21 auf. Der zweite Einheitsspannungszustand mit Einheitsmoment in c bewirkt die Knickwinkel δ12 und δ22 . d21
d11
1 w1
M1
d12
1
M2
0,167
d22
w2
Die vertikale Lagerkraft in d leistet Arbeit auf der Lagersetzung δd . Ihr Wert kann mit der Querkraft im Stab c − d ermittelt werden.
5. Weggr¨ oßen aus Last- und Einheitsspannungszust¨ anden Die Berechnung der δ Werte erfolgt mit Hilfe des PvK. Hier gilt ¯ · EIc · αT · ΔT } dx − EIc · Σ F¯d · δd . ¯ · M · Ic + M ¯ 1 · δ = {M I h Die beim PvK anzusetzenden virtuellen Spannungszust¨ ande sind identisch mit ¯ j = Mj gilt f¨ ur die δj0 Werte: den Einheitsspannungszust¨anden. Mit M Ic ΔT δ10 + EIc · αT · M1 · ) dx − EIc · Vd1 · cd = ( M1 · M0 · I h 15 1 1 · 1 · 0, 4 · 1 · 4 + 1, 5 · 104 · 10−5 · · 1 · · 4 = 15, 533 = 3 2 0, 3 Ic ΔT δ20 + EIc · αT · M2 · ) dx − EIc · Vd2 · cd = ( M2 · M0 · I h 15 1 · (4 + 6) − 1, 5 · 104 · 0, 167 · (−0, 05) = 162, 5 = 1, 5 · 104 · 10−5 · · 1 · 2 0, 3
14.6 Anwendungsbeispiele f¨ ur das Kraftgr¨oßenverfahren
203
Die Berechnung der δjk -Werte erfolgt ebenfalls mit dem PvK. 1 1 Ic δ11 · 1 · 1 · 1, 5 · 4 = 3, 333 = M1 · M1 · dx = · 1 · 1 · 1 · 4 + I 3 3 1 Ic δ12 = δ21 = M1 · M2 · dx = · 1 · 1 · 1, 5 · 4 = 1, 0 I 6 1 1 I c · 1 · 1 · 1 · 6 = 4, 0 = M2 · M2 · dx = · 1 · 1 · 1, 5 · 4 + δ22 I 3 3
6. Verformungsbedingungen Die Verformungsbedingungen sind direkt mit EIc -fachen Werten formuliert X1 + δ12 X2 + δ10 = 0, δ11 X1 + δ22 X2 + δ10 = 0. δ21
Das Gleichungssystem f¨ ur die Berechnung der unbekannten Kraftgr¨ oßen Xj und die L¨ osung des Gleichungssystems sind nachfolgend gegeben. 15, 533 8, 15 X1 X1 3, 333 1, 0 = − = → . 1, 0 4, 0 X2 162, 5 X2 −42, 66
7. Momentenlinie und Biegelinie ¨ Die Momentenlinie folgt aus Uberlagerung der Teilmomentenlinien. Die unbekannten Xi geben zugleich die Schlusslinie an. 8,15
dM dT
-42,66
dM dT 0,05
4,47
M
w
Die Biegelinie enth¨ alt verschiedene Anteile. Dies sind die Verkr¨ ummungen aus der Momentenlinie wM = w(M ) sowie die Verkr¨ ummungen aus der Temperaturdifferenz wT = wo (ΔT ) und die geradlinige Verschiebung wc = wo (δd ) aus Lagerverschiebung am Hauptsystem. w = w(M ) + w0 (δd ) + w0 (ΔT )
204
14 Das Kraftgr¨ oßenverfahren
14.7 Fehlerquellen und Rechenkontrollen W¨ahrend und nach der Berechnung m¨ ussen Kontrollen durchgef¨ uhrt werden. Grunds¨ atzlich sollte man die Momentenlinie und die Biegelinie auf ihre Plausibilit¨ at kontrollieren. Dies bedeutet, dass man das Tragverhalten des Systems unter den gegebenen Einwirkungen zuerst anschaulich versteht und danach mit der Momentenlinie und der Biegelinie vergleicht. Dies ist mit der Verformungsfigur besonders schnell und einsichtig m¨oglich. Wenn die Ergebnisse nicht plausibel sind, sind detaillierte Kontrollen erforderlich.
14.7.1 Fehlerquellen in der Berechnung ¨ Die entscheidenden Fehler werden h¨aufig beim Ubersetzen des Bauwerks in ein Berechnungsmodell gemacht. Daran sollte man denken, wenn nachfolgend einige Fehlerm¨ oglichkeiten im eigentlichen Rechenablauf behandelt werden.
Rechenfehler 1. Wenn nur die Last– und Einheitsspannungszust¨ ande M0 , Mj fehlerhaft sind, k¨ onnen unabh¨ angige Gleichgewichtskontrollen auf den Fehler hinweisen. Fehler im Gleichgewicht k¨onnen durch die am Ende der Rechnung u ¨blichen Verformungskontrollen nicht aufgedeckt werden. , δj0 falsch berechnet sind, kann die Verformungs2. Wenn die Weggr¨oßen δjk kontrolle I nach Abschnitt 14.7.3 den Ort ()j des Fehlers aufdecken. Hierbei sind Fehler bei den Steifigkeitsverh¨altnissen Ic /I, den Vorzeichen der Momentenlinien und bei der Tafel der Arbeitsintegrale m¨ oglich.
3. Fehler beim L¨osen des Gleichungssystems sind in der Regel Eingabefehler f¨ ur das Programm. So kann z. B. ein Vorzeichenfehler in der rechten Seite auftreten, wenn A · X = B mit A · X + B = 0 vertauscht ist. 4. Wenn die Superposition der M0 , Mj zur Momentenlinie M = M0 + Xj · Mj falsch ist, kann man falsche Momentenordinaten mit unabh¨ angigen Gleichgewichtskontrollen aufgedecken. Wenn falsche Xj verwendet werden, deckt die Verformungskontrolle I den Fehler auf.
Verfahrensfehler Verfahrensfehler ¨außern sich in Schwierigkeiten bei der Aufl¨ osung des Gleichungssystems. Maßgebend ist hier der Aufbau der δjk -Matrix: angig, z. B. 1. det δjk = 0 : Die Einheitsspannungszust¨ande sind linear abh¨ angig und wenn M3 = a · M1 + b · M2 . Damit sind die Gleichungen linear abh¨
14.7 Fehlerquellen und Rechenkontrollen
205
das Gleichungssystem ist nicht eindeutig l¨osbar. 2. det δjk ≈ 0 : Das Gleichungssystem ist schlecht konditioniert“, d. h. ” die Zahlenrechnung f¨ uhrt auf kleine Differenzen großer Zahlen. Abhilfe ist mit Wahl eines anderen Hauptsystems m¨oglich.
14.7.2 Gleichgewichtskontrollen Last- und Einheitsspannungszust¨ande werden aus Gleichgewichtsbedingungen berechnet und erf¨ ullen damit alle Gleichgewichtsbedingungen. Da der endg¨ ultige Spannungszustand aus der Superposition dieser Teilzust¨ ande folgt, ist auch er im Gleichgewicht. Gleichgewichtskontrollen f¨ ur die Last- und Einheitsspannungszust¨ ande sollten deshalb bereits vor Beginn der statisch unbestimmten Berechnung erfolgen. Das Gleichgewicht kann man auch nachtr¨aglich mit allen angreifenden Lasten und allen Lagerreaktionen mit ΣM = 0, ΣH = 0 und ΣV = 0 am Gesamttragwerk unabh¨ angig kontrollieren.
14.7.3 Verformungskontrollen Die Verformungsbedingungen k¨onnen nur f¨ ur den endg¨ ultigen Spannungszustand u uft werden. Die Verformungen, die zur endg¨ ultigen Momentenlinie ¨ berpr¨ geh¨ oren, d¨ urfen keine Verletzungen der Verformungsbedingungen des statisch unbestimmten Systems aufweisen. Speziell an den Stellen j, an denen beim Hauptsystem Bindungen gel¨ost werden, gilt am unbestimmten System die Verformungsbedingung δj = δj1 · X1 + δj2 · X2 + · · · + δjn · Xn + δj0 = 0. δj = 0 ist hierbei z. B. der Knickwinkel an der Stelle einer gel¨ osten Momentenbindung. δj0 folgt wie bisher aus Last, Temperatur und Lagerweggr¨ oßen Mj · M0 dx + δj(T,Δ) δj0 = δjL + δjT + δjΔ = EI und
δjk =
M j · Mk dx, EI
j, k = 1, ... n
wie bisher aus den Einheitsspannungszust¨anden. Die Weggr¨ oßen δj0 und δjk werden jetzt nicht betragsm¨aßig berechnet, da dies direkt auf die bereits verwendeten Verformungsbedingungen f¨ uhren w¨ urde.
206
14 Das Kraftgr¨ oßenverfahren
Nach Einsetzen der δjk in die Verformungsbedingung folgt Mj · M 0 Mj · M 1 Mj · M n dx + ... + Xn dx + dx + δj(T,Δ) = 0 δj = X1 EI EI EI oder umgeschrieben 1 dx + δj(T,Δ) = 0. δj = Mj · (X1 · M1 + ... + Xn · Mn + M0 )
EI endg¨ ultiger Spannungszustand M Dies ist die Kontrollformel I, die mit Normalkraftanteilen folgende Form erh¨ alt: ΔT M N + αT ) dx + Nj ( + αT · T0 ) dx Mj ( δj = EI h EA Faj · δa − Maj · ϕa = 0. − a
a
Satz Die Verschiebungsarbeit eines jeden Einheitsspannungszustandes j auf den Wegen des wirklichen Spannungszustandes am statisch unbestimmten System ist gleich null. F¨ ur die Arbeitsanteile der Lagerkr¨afte auf eingepr¨ agten Weggr¨ oßen gilt wie bisher folgende Regelung: δa sind eingepr¨agte Verschiebungen an der Stelle a, Faj sind Lagerkr¨ afte aus Mj an der Stelle a, ϕa sind eingepr¨ agte Verdrehungen an der Stelle a, Maj sind Einspannmomente aus Mj an der Stelle a. Die Bedeutung der Kontrollformel wird noch einmal mit nachfolgender Biegelinie verdeutlicht. M und w sind bekannt. Eine Momentenlinie Mj infolge einer Doppelwirkung an beliebiger Stelle j bewirkt nur innere Arbeiten, da an der Stelle des Doppelmomentes in der Biegelinie w kein Knickwinkel δj vorhanden sein darf. Die Arbeit des Einspannmomentes auf der Verdrehung ϕa wird in Kontrolle I dagegen explizit ber¨ ucksichtigt.
ja
j
w
Mj
1
P
14.7 Fehlerquellen und Rechenkontrollen
207
Kontrollformel I ist eine sehr effektive Kontrolle, wenn sie nacheinander f¨ ur alle j = 1, 2, ... n eingesetzt wird. Sofern die Kontrolle selbst fehlerfrei durchgef¨ uhrt wird, kann man hiermit feststellen, welcher Einheitsspannungszustand fehlerhaft ist. Jede Kontrolle erstreckt sich nur u ¨ber die von dem ESZ j erfassten Teile des Systems und ist daher leicht u ¨ berschaubar.
Beispiel 1 Zun¨ achst wird der Knickwinkel Δϕc u ¨ ber dem mittleren Lager im Beispiel nach Abschnitt 14.6.1 kontrolliert. Das System und die Momentenlinie sind gegeben.
ja
P
4,5
M
21,52
c
b
a
1,5
d 3
3
7,17 11,41
Mit dem Spannungszustand aus Doppelmoment entsprechend M1 aus Abschnitt 14.6.1 gilt mit δ1 = Δϕc : δ1 = M1 · M · IIc dx − EIc · M1a · ϕa = 0. 3 M1
1
Die Auswertung der Arbeitsgleichung gibt 1 1 1 Δϕc = − · 3 · 21, 52 · 1 · 4, 5 − · 1 · 7, 17 · 1, 5 · 1, 5 − · 1 · 7, 17 · 1, 5 · 6 3 3 3 1 4 + · 1 · 15, 0 · 1, 5 · 6 − 1, 5 · 10 · 3 · ( −0, 002 ) = 0, 02. 4 Damit liegt der Fehler unter 1 % des gr¨oßten Teilwertes.
Beispiel 2 Das Beispiel aus Abschnitt 14.6.4 ist 2-fach statisch unbestimmt. Nachfolgend werden daher die Knickwinkel in beiden Momentenbindungen bestimmt. System, Belastung und Momentenlinie sind im Bild gegeben.
208
14 Das Kraftgr¨ oßenverfahren
q
DT
8,15 c
b
42,66
d
4m
4,47
M
a 6m
4m
F¨ ur beide Zust¨ ande gilt die Arbeitsgleichung ΔT Ic dx − EIc · Fdj · δd = 0. Mj · M dx + EIc · Mj · αT δj = I h Die Spannungszust¨ande aus Doppelmomenten sind aus Abschnitt 14.6.4 bekannt. 1 1 M1
M2
0,167
Die Anwendung der Kontrollformel f¨ ur Zustand j = 1 liefert 1 1 1 Δϕ1 = · 1 · 8, 15 · 1 · 4, 0 + · 1 · 0, 40 · 1 · 4, 0 + · 1 · 8, 15 · 1, 5 · 4, 0 3 3 3 1 1 15 + · 1 · (−42, 66) · 1, 5 · 4, 0 + 1, 5 · 104 · · 1 · 10−5 · · 4, 0 = +0, 04. 6 2 0, 30 Damit liegt der Fehler f¨ ur den Spannungszustand 1 unter 1 %. Bei der Anwendung der Kontrollformel f¨ ur den Zustand j = 2 ist zu beachten, dass sowohl die Erw¨armung des Riegels als auch die St¨ utzensenkung in der Arbeitsgleichung zu ber¨ ucksichtigen sind. 1 1 · 1 · 8, 15 · 1, 5 · 4, 0 + · 1 · (−42, 66) · 1, 5 · 4, 0 6 3 1 15 1 · 10, 0 + · 1 · (−42, 66) · 1 · 6, 0 + 1, 5 · 104 · · 1 · 10−5 · 3 2 0, 30 1 · ( 0, 05 ) = +0, 01. −1, 5 · 104 · 6, 0 Δϕ2 =
Auch f¨ ur den Spannungszustand 2 ist der Fehler kleiner als 1 % des gr¨ oßten Teilwertes.
209
15 Verallgemeinerung des Kraftgr¨ oßenverfahrens
In einem abgeschlossenen elastischen System gilt nach Abschnitt 6.2 sowohl f¨ ur Eigen- als auch f¨ ur Verschiebungsarbeiten A = Aa + Ai = 0. Als Prinzip der virtuellen Kr¨afte interpretiert gilt ebenso
mit A¯ajk
=
und A¯ijk
=
A¯a + A¯i = 0, ¯ a · ϕk P¯j · wk + M j
¯ j · κk dx = − M
¯ j · Mk M dx, EI
¯a ¨ wobei P¯j und M oßen sind. Wenn der virtuelle Spanj außere virtuelle Kraftgr¨ nungszustand im Gleichgewicht ist, ist das PvK eine Verformungsbedingung des wirklichen Systems. Nachfolgend wird die Verschiebungsarbeit betrachtet, die ein virtueller Spannungszustand j“ auf den Wegen eines zweiten wirklichen Zustandes k“ leistet. ” ” ¯ j soll aus beliebigen virtuellen Dopj“ Der virtuelle Gleichgewichtszustand M ” pelschnittgr¨ oßen entsprechend den Schnittgr¨oßen in gel¨ osten Bindungen ¯ j entspricht damit den virtuellen Spannungszust¨ entstanden sein. M anden, mit denen die δj0 -,δjk -Werte berechnet werden. Es sollen sonst keine virtuellen Lasten vorhanden sein. Der virtuelle Spannungszustand ist im Gleichgewicht und damit ein statisch zul¨assiger Zustand“. ” k“ Der wirkliche Verformungszustand ist mit M/EI (hier Mk /EI) beschrie” ben. Er erf¨ ullt alle Verformungsbedingungen des wirklichen Systems. Mit dieser Annahme ist A¯ajk = 0, denn die Doppelwirkungen des virtuellen Zustandes leisten auf den Wegen des endg¨ ultigen Systems keine Verschiebungsarbeiten, wenn die Verformungsbedingungen des wirklichen Systems erf¨ ullt sind, vergleiche Verformungskontrolle I nach Abschnitt 14.7.3. Wenn also ein virtuelles Doppelmoment an beliebiger Stelle angesetzt wird, leistet es keine Arbeit, wenn es an dieser Stelle keinen Knickwinkel gibt. ¯j aus Doppelwirkungen ur spezielle M Damit bleibt A¯i = 0 f¨ ¯ Mj · M dx = 0. (15.1) A¯i = EI D. Dinkler, Grundlagen der Baustatik, DOI 10.1007/978-3-8348-9862-3_15, © Vieweg+Teubner Verlag | Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH 2011
210
15 Verallgemeinerung des Kraftgr¨ oßenverfahrens
Entwickelt man den endg¨ ultigen Zustand M nach Teilmomentenlinien M = M0 +
n
Xk · Mk ,
k=1
wobei M0 und die Mk Gleichgewichtszust¨ande sind und die Mk außerdem linear unabh¨ angig sein m¨ ussen, so kann man die Arbeiten abgek¨ urzt schreiben ¯ ¯ M j · M0 Mj · Mk dx, δ¯jk = dx. δ¯j0 = EI EI Mit Gleichung (15.1) folgt die verallgemeinerte Form der Verformungsbedin” gung“. Sie ist hier eine Bedingung f¨ ur die virtuellen Arbeiten δ¯j0 +
n
Xk · δ¯jk = 0.
k=1
Die δ¯jk sind hier nicht mehr Einzelweggr¨oßen, sondern virtuelle Arbeiten. Die ¯ j sowie Mk sind beliebige, jeweils linear unabh¨angige Gleichgewichtszust¨ ande. M
Anmerkungen 1. Unter Voraussetzung einer linearen Theorie, kann man den wirklichen Spannungszustand eines n-fach statisch unbestimmten Systems aus einem Lastspannungszustand M0 und n linear unabh¨angigen Spannungszust¨ anden Mk additiv zusammensetzen. 2. Alle Zust¨ ande m¨ ussen Gleichgewichtszust¨ande sein. Die Xk sind Maßstabsfaktoren der gew¨ ahlten Spannungszust¨ande Mk . Gesucht sind nicht wie bisher einzelne Schnittgr¨oßen an den Stellen gel¨oster Bindungen, sondern die Gleichgewichtszust¨ ande Xk · Mk . ¯ j sind beliebig aber linear unabh¨ an3. Die virtuellen Gleichgewichtszust¨ande M ¯ j die gig. Die Berechnung wird jedoch einfacher, wenn man f¨ ur die virtuellen M ¯ j kann wirklichen Spannungszust¨ande Mk w¨ahlt. Der virtuelle Charakter der M dann in der Berechnung unber¨ ucksichtigt bleiben. ¨ 4. Ahnlich wie die Arbeitsgleichung des Prinzips der virtuellen Verschiebungen eine Verallgemeinerung der Gleichgewichtsbedingungen ist, ist die Arbeitsgleichung des Prinzips der virtuellen Kr¨afte eine Verallgemeinerung der Verformungsbedingungen. 5. Die Verformungsbedingung ist hier nicht mehr wie in Abschnitt 14.3 als Verformungsbedingung in einer speziellen gel¨osten Bindung zu verstehen. Sie
15.1 Folgerungen
211
besagt ganz allgemein, dass ein beliebiger virtueller Gleichgewichtszustand auf den Wegen des wirklichen – auch die Verformungsbedingungen erf¨ ullenden Spannungszustandes keine Verschiebungsarbeit leisten darf. Also muss ¯ Mj · M A¯i = dx = 0, j = 1 . . . n. EI ¯ j erf¨ ullt sein. f¨ ur beliebige Spannungszust¨ande M
15.1 Folgerungen Mit der Verallgemeinerung des Kraftgr¨oßenverfahrens sind verschiedene Interpretationen der Arbeitsintegrale m¨oglich, die betr¨ achtliche Rechenvereinfachungen bewirken k¨onnen und an nachfolgendem System verdeutlicht werden. P
l
l HS
1. Wahl verallgemeinerter Lastspannungszust¨ ande Ein Lastspannungszustand darf auch Kombinationen aus beliebig großen, aber fest angenommenen Einheitsspannungszust¨anden enthalten, wenn die Zust¨ ande im Gleichgewicht sind. Insbesondere kann das Hauptsystem auch statisch unbestimmt sein. LSZ wie bisher
LSZ verallgemeinert Pl/8
P + M10
+ Pl/4
M0 = M01 +
Allgemein gilt
P
M0
Xj1 · Mj ,
j
Xj1
wobei hier die geeignete Faktoren zur Vorgabe von M0 sind. Hiermit kann man u. a. den Berechnungsaufwand der δj0 -Werte gezielt verringern.
212
15 Verallgemeinerung des Kraftgr¨ oßenverfahrens
2. Wahl verallgemeinerter Einheitsspannungszust¨ ande Ein Einheitsspannungszustand kann aus einer beliebigen Kombination mehrerer Doppelschnittgr¨oßen berechnet werden. ESZ wie bisher
ESZ verallgemeinert 0,5
1
+
1
+
+
1
1
+
+
+
Hierbei muss man darauf achten, dass die Einheitsspannungszust¨ ande linear unabh¨ angig sind, da das Gleichungssystem f¨ ur die Berechnung der Xj bei det = 0 nicht l¨ osbar ist. Mit geschickter Wahl der ESZ kann man viele δjk –Werte von vorn herein auf null bringen, sodass der Rechenaufwand verringert wird.
3. Wahl unterschiedlicher Hauptsysteme Der Lastzustand und die linear unabh¨angigen Einheitsspannungszust¨ ande k¨ onnen an jeweils anderen statisch bestimmten Hauptsystemen ermittelt werden, da ein statisch zul¨ assiger Zustand nur die Gleichgewichtsbedingungen erf¨ ullen muss, sonst aber beliebig ist. P M0
+
Pl/4
0,5 M1
M2
+
1l
1
+
+
1
Vorteilhaft ist, wenn sich die M -Linien nur u ¨ ber Teilbereiche des Systems erstrecken und damit die Berechnung der δjk erleichtert wird. Wenn beliebige Hauptsysteme verwendet werden k¨ onnen, kann man durch spezielle Wahl der Einheitsspannungszust¨ande den Berechnungsaufwand f¨ ur die Weggr¨ oßen stark reduzieren, wenn δjk = 0 f¨ ur j = k ist.
15.2 Beispiel f¨ ur die Wahl unterschiedlicher Hauptsysteme
213
15.2 Beispiel f¨ ur die Wahl unterschiedlicher Hauptsysteme 1. System Die Berechnung des nebenstehenden symmetrischen Systems erfolgt f¨ ur den Sonderfall IR = IS = konstant, sodass Ic /I = 1, 0 f¨ ur alle St¨abe gilt. Weil das System in der Anordnung der St¨ abe und Lager sowie in den Steifigkeiten symmetrisch ist, kann man die Symmetrien bei der Wahl der Einheitsspannungszust¨ ande ausnutzen. Insgesamt verringert sich der Rechenaufwand, sodass weniger Fehlerm¨oglichkeiten vorhanden sind.
P = 5 kN W = 10 kN
IR
b
d
c
IS
IS a
h=4m
e l=6m
2. Lastspannungszustand
5 kN
Wenn die Einwirkungen unsymmetrisch verteilt sind, macht es wenig Sinn, die Systemsymmetrien auszunutzen. Das Ziel bei der Wahl des Hauptsystems ist daher, einfache Momentenlinien auf wenigen Bereichen zu erhalten.
10 kN 7,5 M0 40
3. Einheitsspannungszust¨ ande Das Ziel f¨ ur die Wahl unterschiedlicher Hauptsysteme ist hier, ein entkoppeltes Gleichungssystem zu erhalten. Dies erreicht man durch spezielle Wahl von symmetrischen und antisymmetrischen ESZ. 3 +
1
3 +
+
M1 0,5
1
1
M2
1
M3
0,5
Obwohl hier nicht nur Momentenbindungen gel¨ost werden, gibt es verschiedene Vorteile bei Wahl von symmetrischen und antisymmetrischen Einheitsspannungszust¨ anden:
214
15 Verallgemeinerung des Kraftgr¨ oßenverfahrens
1. Die Momentenlinien der Einheitsspannungszust¨ ande m¨ ussen jeweils nur f¨ ur das halbe System berechnet werden, da jeweils die andere H¨ alfte aus Symmetrie bzw. Antisymmetrie folgt. 2. Es sind weniger Weggr¨oßen zu berechnen, da das Integral u ¨ ber das Produkt von symmetrischen und antisymmetrischen Momentenlinien verschwindet und die Weggr¨ oßen δjk damit null sind. 3. Die Koeffizientenmatrix des Gleichungssysym. 0 stems zerf¨ allt in zwei voneinander entkoppelte 0 antisym. Bl¨ ocke, die jeweils f¨ ur sich l¨osbar sind. und δjk Damit folgen die Arbeitswerte δj0 δ10 =
1 2
= δ20
− 31 · 1 · 40 · 1 · 1 2 · 3 · 40 · 1 · 4 2 · ( 14 · 1 · 1 · 1 2 · ( 13 · 1 · 1 · 1
δ30 = δ11
=
δ22
=
δ33
· 1 · 7, 5 · 1 · 6
= 22, 5, = −53, 3,
4
= 240, · 4) + 1· 1·1·1· 6
= 8,
· 4)
= 8/3,
= 2 · (1 · 3 · 3 · 1 · 4) + 2 · ( = 0, δ12
δ13 = 0,
1 3
· 3 · 3 · 1 · 3 ) = 90. δ23 = 0.
Aufgrund der hier gew¨ahlten Einheitsspannungszust¨ ande sind alle Nebendiagonalterme der Koeffizientenmatrix null. Diese Orthogonalisierung der Einheitsspannungszust¨ ande ist immer m¨oglich, erfordert aber bei wenigen Unbekannten einen zu großen Aufwand.
4. Verformungsbedingungen Die Verformungsbedingungen sind hier durch die spezielle Wahl der Hauptsy steme entkoppelt, sodass die Xk jeweils aus Xk = − δk0 /δkk berechnet werden k¨ onnen. ⎡ ⎤⎡ ⎤ ⎡ ⎡ ⎤ ⎤ 22, 5 8 0 0 0 X1 ⎢ ⎥ ⎥ ⎢ ⎢ ⎥ ⎣ 0 8/3 0 ⎦ ⎣ X2 ⎦ + ⎣ −53, 3 ⎦ = ⎣ 0 ⎦ . X3 0 0 90 0 240 Die L¨ osung des Gleichungssystems ist X1 = −2, 81,
X2 = +20,
X3 = −2, 66.
15.3 Grenzen des Kraftgr¨oßenverfahrens
215
5. Momentenlinie Die Momentenlinie des statisch unbestimmten Systems folgt aus der Superposition der Einzelzust¨ande M j · Xj . M = M0 + j
Ma = −40 + (−0, 5) · (−2, 81) + 1, 0 · 20 + (−3, 0) · (−2, 66) = −10, 6 kNm Me =
0 + (−0, 5) · (−2, 81) + 1, 0 · 20 + (+3, 0) · (−2, 66) = +13, 4 kNm
Mb =
0 + (+1, 0) · (−2, 81) + 0, 0 · 20 + (−3, 0) · (−2, 66) = +5, 2 kNm
Mc = 7, 5 + (+1, 0) · (−2, 81) + 0, 0 · 20 + (+0, 0) · (−2, 66) = +4, 7 kNm Md =
0 + (+1, 0) · (−2, 81) + 0, 0 · 20 + (+3, 0) · (−2, 66) = −10, 8 kNm
10,8 + 5,2
4,7 M +
10,6
13,4
15.3 Grenzen des Kraftgr¨ oßenverfahrens Das Kraftgr¨ oßenverfahren ist ein grundlegendes Berechnungsverfahren f¨ ur statisch unbestimmte Systeme, das mit den Vorteilen der Verallgemeinerung auch die Berechnung gr¨ oßerer Systeme zul¨asst. Dies erfordert allerdings ein tieferes Verst¨ andnis f¨ ur die Vorgehensweisen bei der Orthogonalisierung der Einheitsspannungszust¨ ande. Infolge der umfangreichen Zahlenrechnung steigt der Aufwand bei Systemen n > 2 jedoch stark an. Der große Nachteil des Kraftgr¨oßenverfahrens ist die mangelnde Systematisierung der Berechnung der Last- und Einheitsspannungszust¨ ande f¨ ur unterschiedliche statische Systeme. So ist das Verfahren f¨ ur den Einsatz auf einem Computer wenig geeignet, da die Berechnung der Momentenlinien jeweils am Gesamtsystem erfolgen muss und hierbei das Schnittprinzip variabel eingesetzt wird.
216
16 Berechnung von Weggr¨ oßen
16 Berechnung von Weggr¨ oßen
Die Berechnung von Biegelinien von statisch unbestimmten Systemen ist – sofern man die M -Linie kennt – analog zu statisch bestimmten Systemen durchzuf¨ uhren. Die Gesamtbiegelinie aus vorgegebenen Einwirkungen ist die Suoßen perposition der Teilbiegelinien aus Sehnenpolygon wS , der Einzelweggr¨ w0 (δ, ϑ) am Hauptsystem sowie der Verkr¨ ummungen aus der Momentenlinie (ω-Tafeln) und aus Erw¨armung (ω-Tafeln). Damit gilt w = wS + w0 (δ, ϑ) + w(M ). Die Berechnung von Einzelweggr¨oßen am statisch unbestimmten System kann mit dem Reduktionssatz vereinfachend durchgef¨ uhrt werden werden.
16.1 Herleitung des Reduktionssatzes Einzelweggr¨ oßen k¨onnen mit dem Prinzip der virtuellen Kr¨ afte berechnet werden. Das Vorgehen richtet sich hier nach dem bekannten Berechnungsweg von Einzelweggr¨ oßen an statisch bestimmten Systemen. Mit dem PvK gilt ¯ · M dx. ¯1 · δa = M EI F¨ ur nachstehenden Balken ist die Verschiebung δ an der Stelle a gesucht. q
a
M
+
a l
Wenn die Momentenlinie M bekannt ¯ ist, muss die virtuelle Momentenlinie M ¯ ¯ infolge einer Einzellast P = 1 im Punkt a berechnet werden. Zun¨achst w¨aren M ¯ jeweils am statisch unbestimmund M ten System zu berechnen, wobei M und ¯ prinzipiell mit einem jeweils andeM ren statisch bestimmten Hauptsystem ermittelt werden k¨onnen.
w
da
P= 1 P
M
D. Dinkler, Grundlagen der Baustatik, DOI 10.1007/978-3-8348-9862-3_16, © Vieweg+Teubner Verlag | Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH 2011
a +
16.2 Herleitung des Reduktionssatzes
217
Wenn jeder der unbestimmten Zust¨ande bei der Berechnung nach dem Kraftgr¨ oßenverfahren aus der Superposition von LSZ und Xj -fachen ESZ entsteht, ¯ und M auch umschreiben. Zun¨ kann man die Momentenlinien M achst gilt ¯ =M ¯0 + X ¯1 · M ¯1 + X ¯2 · M ¯2 + . . . M ¯ in die Arbeitsgleichung ein, so folgt Setzt man M ¯ ¯ ¯ M0 · M M1 · M M2 · M ¯1 · ¯2 · ¯ dx + X dx + X dx + . . . 1 · δa = EI EI EI
= 0
= 0
Hierbei verschwinden jeweils die den Xj zugeordneten Integrale, da eine beliebige Doppelwirkung auf der Biegelinie keine Arbeit leistet, vergleiche Kontrolle I in Abschnitt 14.7.3. Damit bleibt ¯ M0 · M ¯1 · δa = dx EI und vollst¨ andig mit Ber¨ ucksichtigung der Normalkr¨ afte sowie eingepr¨ agter Verformungen und Weggr¨oßen ¯ ¯ M0 · M ¯ 0 · αT · ΔT } dx + { N0 · N dx + N ¯0 · αT · T0 } dx ¯ +M 1 · δa = { EI h EA ¯ a0 · ϕa . F¯a0 · δa − M (16.1) − a
a
Hier wird also der tats¨achliche Zustand f¨ ur das statisch unbestimmte System und der virtuelle Zustand an einem beliebigen vorteilhaften Hauptsystem ermittelt. Diese Art der Berechnung stellt den Regelfall dar, weil im allgemeinen der tats¨ achliche Spannungszustand am unbestimmten System f¨ ur die Bemessung erforderlich ist und damit vorliegt. Es ist nat¨ urlich denkbar, den virtuellen Zustand am statisch unbestimmten System zu ermitteln. Dann braucht der tats¨achliche Lastzustand nur an einem beliebigen statisch bestimmten Hauptsystem berechnet zu werden. Dieser L¨ osungsweg wird in der Regel nicht gew¨ahlt, wenn die wirkliche Momentenlinie bereits bestimmt ist.
Reduktionssatz Bei der Berechnung von Einzelweggr¨oßen statisch unbestimmter Systeme mit dem PvK muss nur einer der beiden Spannungszust¨ ande am statisch unbestimmten System ermittelt zu werden. Der andere Zustand kann an einem beliebigen statisch bestimmten Hauptsystem aufgestellt werden.
218
16 Berechnung von Weggr¨ oßen
16.2 Anwendungsbeispiel f¨ ur den Reduktionssatz Bei der Berechnung von Weggr¨oßen in statisch unbestimmten Systemen ist nachfolgender L¨ osungsweg sinnvoll. 1. Die Momentenlinie aus Einwirkungen ist bekannt. 2. Entsprechend dem PvK ist die virtuelle Kraftgr¨ oße ¯ 1 am Ort und in Richtung der gesuchten Weggr¨oße anzusetzen. 3. An einem beliebigen statisch bestimmten Hauptsystem ist die virtuelle Mo¯ 0 zu 2. zu berechnen. mentenlinie M 4. Die Auswertung des Arbeitssatzes (16.1) liefert die gesuchte Einzelweggr¨ oße.
Beispiel Die Momentenlinie f¨ ur nachfolgenden Durchlauftr¨ ager unter Lagerverdrehung ϕa ist gegeben, siehe Abschnitt 14.6.1. Gesucht ist die Verdrehung des Balkens am Lager c. Das Hauptsystem ist mit einem Momentengelenk in c so gew¨ ahlt, dass die Auswertung der Arbeitsgleichung m¨oglichst einfach ist.
j
j
a
C
P
w
7,17 M 11,41
21,52 M0
1
¯ 0 am Hauptsystem folgt hier aus einem Der virtuelle Lastspannungszustand M virtuellen Einzelmoment ¯1 in Richtung von ϕc . Hierbei ist es gleichwertig, ob das virtuelle Moment rechts oder links vom Gelenk in c angesetzt wird. Auch hier gilt die Regel, die Momentenlinie so zu w¨ahlen, dass der Rechenaufwand m¨ oglichst klein ist. ¯ 0 M dx = 1 · 1 · (−7, 17) · 6 · 1 + 1 · 1 · (15, 0) · 6 · 1 = 8, 16 ¯ 1 · ϕc = M EI 3 EI 4 EI EI
219
17 Das Drehwinkelverfahren (DV)
In vollst¨ andiger Analogie zum Kraftgr¨oßenverfaren kann man ein Berechnungsverfahren f¨ ur die Momentenlinie entwickeln, das mit unbekannten Weggr¨ oßen arbeitet, siehe System B in Abschnitt 13.2. Hierbei sind die Grundgleichungen wie folgt zu erf¨ ullen. 1. Der Verformungszustand ist additiv u ¨ berlagerbar aus (1 + m) Verformungszust¨ anden, die alle die Verformungsbedingungen erf¨ ullen. Dies sind 1 Lastverformungszustand und m Einheitsverformungszust¨ande. Damit sind die Verformungsbedingungen im Gebiet und auf dem Rand vorweg erf¨ ullt. ur die Einheitsverformungs2. Unbekannt sind die Vergr¨oßerungsfaktoren Yj f¨ zust¨ ande. 3. Die Unbekannten Yj werden mit Hilfe von Gleichgewichtsbedingungen berechnet. Damit werden die Gleichgewichtsbedingungen des statischen Systems erst nachtr¨ aglich beim L¨osen des Gleichungssystems f¨ ur die Yj erf¨ ullt. 4. Die Werkstoffgleichungen werden bei der Formulierung der Gleichgewichtsbedingungen ber¨ ucksichtigt. Nachfolgend wird das f¨ ur Handrechnungen besonders effektive Drehwinkelverfahren vorgestellt. Unbekannte sind hierbei nur Knotendrehungen und Stabdrehungen. Das Verfahren eignet sich in dieser Form f¨ ur Durchlauftr¨ ager und Rahmentragwerke, kann aber auf beliebige Tragwerke erweitert werden.
17.1 Kinematisch unbestimmte Tragwerke Verformbare Tragwerke sind generell statisch unbestimmt. Erst wenn die Verschiebungen aller Materialteilchen eines Tragwerks bekannt sind, ist ein statisches System kinematisch bestimmt. Dies bedeutet, dass die Grundgleichungen der Verfomungsgeometrie des einzelnen Stabes gel¨ ost sind und die Ge¨ samtl¨ osung an die Wegrandbedingungen oder an die Ubergangsbedingungen zu den benachbarten St¨aben angepasst ist. Beim Drehwinkelverfahren reicht es aus, die Verschiebungen und Verdrehungen der Tragwerksknoten zu kennen, wenn damit auch die Verschiebungen zwischen den Knoten eindeutig festgelegt sind. Dies ist bei Stabtragwerken erf¨ ullt, wenn die Biegelinien der Einzelst¨abe f¨ ur beliebige Lasten und Knotenweggr¨ oßen von vornherein bekannt sind. D. Dinkler, Grundlagen der Baustatik, DOI 10.1007/978-3-8348-9862-3_17, © Vieweg+Teubner Verlag | Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH 2011
220
17 Das Drehwinkelverfahren (DV)
Bei ebenen Stabtragwerken besitzt jeder Knoten 3 Freiheitsgrade, bei r¨ aumlichen Stabtragwerken 6 Freiheitsgrade. Ebene
x, u j
z, w
Raum
x z
j
x, u y, v
1
j
2
z, w
j
3
Dies bedeutet f¨ ur den Einzelstab, dass er in der Ebene an jedem Stabende drei freie Weggr¨ oßen u, w, ϕ besitzt. Sind die Knotenweggr¨ oßen bekannt, ist der Stab kinematisch bestimmt. Der Grad der kinematischen Unbestimmtheit ist damit u ¨ ber die Zahl der freien Weggr¨oßen in den Knoten festgelegt.
kinematisch unbestimmter Stab
kinematisch bestimmter Stab P
ub
a
wb
a
b
jb
wa ua ja
Sind die Knotenweggr¨oßen unbekannt, ist der Stab in der Ebene 6-fach kinematisch unbestimmt.
u w =0 j a
u w =0 j b
Sind alle Knotenweggr¨ oßen bekannt, ist der Stab kinematisch bestimmt.
Ein Stabtragwerk ist damit m-fach kinematisch unbestimmt, wenn das Stabtragwerk m unbekannte Knotenweggr¨oßen aus elastischer Verformung des Systems besitzt. Wenn alle Knotenweggr¨oßen eines Tragwerks null sind, ist das System kinematisch bestimmt. Am kinematisch bestimmten System sind die Zustandsgr¨ oßen der einzelnen St¨abe entkoppelt. Die Verformungen aus Einwirkungen bleiben auf Einzelst¨abe beschr¨ankt.
Beispiel 1 Beim nachfolgenden ebenen Rahmentragwerk besitzen die Knoten b, d, f je 3 Freiheitsgrade aus elastischen Verformungen des Systems. Das System ist damit 3 · 3 = 9-fach kinematisch unbestimmt. Setzt man dehnstarre St¨ abe voraus, sind beim ebenen System die horizontale Riegelverschiebung sowie die drei
17.2 Kinematisch bestimmte Hauptsysteme
221
Knotenverdrehungen in den Rahmenecken b, d, f unbestimmt. u w j
P
b
u w j
u w j
d
f
c
e
P a
Im r¨aumlichen Fall besitzen die Knoten b, d, f je 6 Freiheitsgrade. Das System ist dann 3 · 6 = 18-fach kinematisch unbestimmt.
Beispiel 2 F¨ ur nachfolgendes System sind im ebenen Fall die Knotenweggr¨ oßen u, ϕ in Knoten e und u, w, ϕ in Knoten b und d sowie die Verdrehung ϕ in Knoten c unbekannt. Das System ist 9-fach kinematisch unbestimmt.
e
q
u w j
d
b
c a
u j u w j j
Setzt man, wie in der Stabstatik u ¨ blich, dehnstarre St¨ abe voraus, so ist das System 5-fach kinematisch unbestimmt. Wenn außerdem die Verdrehungen der Stabenden in den Knoten c und e f¨ ur die Berechnung uninteressant bzw. aus entsprechenden Tabellen f¨ ur den Einzelstab berechenbar sind, ist das System nur noch 3-fach kinematisch unbestimmt. In diesem Fall sind die horizontale Verschiebung des Riegels sowie die Knotendrehungen in b und d unbekannt.
17.2 Kinematisch bestimmte Hauptsysteme Eine wesentliche Voraussetzung f¨ ur die Anwendung des Drehwinkelverfahrens ist, dass die Verformungsbedingungen des Systems von vornherein erf¨ ullt sind. Dies ist erreicht, wenn das zu berechnende Tragwerk in allen Tragwerksknoten k¨ unstlich gegen Verdrehen und Verschieben festgehalten wird. Das k¨ unstlich festgehaltene Tragwerk wird als kinematisch bestimmtes Hauptsystem bezeichnet, siehe Abschnitt 17.1.
222
17 Das Drehwinkelverfahren (DV)
An einem kinematisch bestimmten Hauptsystem sind alle Knoten so gegen Verdrehen und Verschieben festgehalten, dass sich die Zustandslinien benachbarter St¨abe nicht mehr gegenseitig beeinflussen k¨onnen. Man erh¨ alt das Hauptsystem, indem nach Einteilen des Systems in Einzelst¨ abe alle Weggr¨ oßen der Knoten unterdr¨ uckt werden. Gelenke sind dabei nicht zu schließen, da sie die Einzelst¨ abe ohnehin voneinander trennen. Die Zahl der f¨ ur diese Festhaltungen erforderlichen zus¨atzlichen Bindungen ist der Grad der kinematischen Unbestimmtheit. Beim Drehwinkelverfahren sind die St¨ abe dehnstarr, sodass sich die Zahl der erforderlichen Knotenfesthaltungen von vornherein verringert. Die Symbole f¨ ur die unterdr¨ uckten Weggr¨oßen sind Symbol
f¨ ur die Volleinspannung eines Knotens gegen Verdrehen sowie
Symbol
f¨ ur die Festhaltung eines Knotens gegen Verschieben.
Das Drehwinkelverfahren setzt voraus, dass alle Zustandsgr¨ oßen Q, M, ϕ, w f¨ ur Einzelst¨ abe infolge aller m¨oglichen Einwirkungen aus Last- und Knotenweggr¨ oßen tabellarisch zur Verf¨ ugung stehen. Werden die Tabellen auch f¨ ur Einzelst¨ abe mit Momenten- und Querkraftgelenken an den Stabenden aufbereitet, so sind im kinematisch bestimmten Hauptsystem nachfolgende Einzelst¨ abe zugelassen.
Diese Erg¨ anzung ist sinnvoll, da mit den Momenten- und Querkraftgelenken zus¨ atzliche Informationen u ¨ ber die Momentenlinie vorliegen, die im Berechnungsablauf direkt verarbeitet werden k¨onnen. Die Erweiterung der kinematisch bestimmten Einzelst¨abe auf St¨abe mit gelenkigen Anschl¨ ussen an die Knoten verringert nicht nur den Grad der kinematischen Unbestimmtheit und damit den Berechnungsaufwand, sondern erm¨oglicht auch eine Systematisierung des Berechnungsablaufes ohne Sonderf¨alle.
Beispiele Aufgrund der Annahmen ist die Bestimmung der kinematischen Unbestimmtheit besonders einfach. Lediglich die Zahl der unbekannten Knotenverschiebungen ist nicht immer sofort ersichtlich. F¨ ur dehnstarre Systeme kann man die Verschiebefesthaltungen jedoch systematisch ermitteln.
17.2 Kinematisch bestimmte Hauptsysteme
223
Legt man in alle Rahmenknoten und in alle Einspannungen k¨ unstliche Gelenke, so kann eine k¨ unstliche kinematische Kette entstehen. Die zur Stabilisierung der kinematischen Kette erforderlichen Festhaltungen sind die Verschiebefesthaltungen des kinematisch bestimmten Hauptsystems. Jeder Riegel kann einzeln verschoben werden. F¨ ur nachfolgendes System sind hiermit die Verschiebefesthaltungen mψ = 3 schnell und u ¨bersichtlich bestimmbar.
mΨ = 3
Das nachfolgende rechte System ist m = 3-fach kinematisch unbestimmt. Es besitzt zwei unbekannte Knotendrehungen in b, c und eine unbekannte Verschiebung in b. c
b m=3
m=1 a
d a
Das linke System besitzt nur einen Verdrehfreiheitsgrad, da der Knoten a bei dehnstarren St¨ aben keine Verschiebungen erfahren kann. Nebenstehendes zweist¨ockiges Rahmentragwerk besitzt vier unbekannte Knotenverdrehungen in b, c, e, f und zwei unbekannte Riegel- bzw. Stockwerksverschiebungen in b und c. Alternativ kann man die Verschiebefesthaltungen auch in den Knoten e und f anordnen. Das System ist damit m = 6-fach kinematisch unbestimmt.
f
c
e
b m=6 a
d
Bei Annahme dehnstarrer St¨abe reicht es beim nachfolgendem System aus, nur einen der Riegelknoten horizontal und den Knoten c vertikal festzuhalten. Wenn auch die m¨ oglichen drei Knotendrehungen in b, d, f zu null gesetzt werden, entsteht das kinematisch bestimmte Hauptsystem.
224
17 Das Drehwinkelverfahren (DV)
b
c
d
f
e
g
m=5 a
Beim Drehwinkelverfahren ist das statische System damit m = 5-fach kinematisch unbestimmt.
17.3 Grundlagen des Drehwinkelverfahrens F¨ ur die hier mit dem Drehwinkelverfahren untersuchten Tragwerke wird zun¨ achst eine lineare Stabwerkstheorie entsprechend einer Theorie I. Ordnung und dem Hooke’schen Gesetz vorausgesetzt. Sp¨ater wird das Verfahren auf die Theorie II. Ordnung erweitert. Wie beim Kraftgr¨oßenverfahren werden nur ebene Rahmensysteme untersucht, was aber keine Einschr¨ankung f¨ ur die M¨oglichkeiten des Verfahrens bedeutet. Mit Einschluss von Torsion ist das Drehwinkelverfahren auch auf r¨ aumliche Systeme erweiterbar. Alle Einzelst¨abe besitzen eine n¨ aherungsweise konstante Biegesteifigkeit EI. Das Drehwinkelverfahren ist auf EI(x) erweiterbar. Die Stabverformungen aus den Spannungszust¨anden N und Q sind vernachl¨ assigbar klein, sodass die St¨abe als dehn- und schubstarr angesetzt werden d¨ urfen. Allerdings d¨ urfen L¨angen¨anderungen aus eingepr¨ agten Verformungen wie W¨ arme, Vorspannung oder Kriechen nicht vernachl¨ assigt werden, da sie Einwirkungen auf das Tragwerk sind. eT
+T
wT
ev
Pv
wV
Die Momentenlinien aus ¨außeren Einwirkungen an den Einzelst¨ aben und aus den noch unbekannten Drehwinkeln“ m¨ ussen bekannt sein, entweder aus Ta” bellen oder aus eigener statisch unbestimmter Vorab-Berechnung. In der Berechnung werden nur die Stabendmomente der Einzelst¨ abe verwendet.
17.3 Grundlagen des Drehwinkelverfahrens
225
17.3.1 Vorzeichendefinitionen Das Drehwinkelverfahren verwendet andere Vorzeichenregelungen als die sonst u ur die Stabend¨blichen Vorzeichen der Baustatik. Die Vorzeichendefinition f¨ momente und die Drehwinkel ist hier ohne gestrichelte Linie so gew¨ ahlt, dass das Verfahren m¨ oglichst fehlerunanf¨allig eingesetzt werden kann. Die Momentenlinien werden aber weiter auf der Zugseite der St¨ abe angetragen, sodass die Drehrichtung der Momente sofort erkennbar ist.
Schnittgr¨ oßen-Vorzeichen Es ist sinnvoll, das positive Vorzeichen der Stabendmomente im Uhrzeigersinn festzulegen, damit die Gleichgewichtsbedingungen sofort vorzeichengerecht hingeschrieben werden k¨onnen. Damit drehen die positiven Momente am Knoten entgegengesetzt, aber unabh¨angig von Orientierung und Zahl der angeschlossenen St¨ abe. +M
Stabende
+M
Knoten
Weggr¨ oßen-Vorzeichen Beim Drehwinkelverfahren sind die Knotendrehungen und die Stabdrehungen unbekannt. Der positive Drehsinn wird so gew¨ ahlt, dass die hieraus folgenden Stabendmomete ebenfalls positiv sind. Positive Knotendrehungen drehen daher im Uhrzeigersinn.
j
+ j
+ϕ
im Uhrzeigersinn
Positive Relativknotenverschiebungen Δw bewirken eine gegen den Uhrzeigersinn drehende positive Stabverdrehung ψ, die ebenfalls zu positiven Stabendmomenten f¨ uhrt.
l + Dw
+ψ
entgegen dem Uhrzeigersinn
Ψ = Dw / l Positive Drehwinkel ϕ bzw. ψ erzeugen stets positive Stabendmomente.
226
17 Das Drehwinkelverfahren (DV)
17.3.2 Die Zustandsgr¨ oßen am Einzelstab Die Momentenlinie zwischen den Knoten des kinematisch bestimmten Hauptsystems l¨ asst sich bei dehnstarren St¨aben sowie beidseitiger Einspannung grunds¨ atzlich aus nachfolgenden vier Anteilen u ¨berlagern. 1. Momente aus Einwirkungen a
b
+ Ma< 0
Mb > 0
2. Momente aus Einheitsverdrehung ϕa des Knotens a b
a
Ma
+
+
ja
Mb
3. Momente aus Einheitsverdrehung ϕb des Knotens b jb
b
Ma
+
a
Mb
+
4. Momente aus Relativverschiebung Δw der Knoten a und b (Stabdrehung ψ) a Dw
Ψ = Dw/l
b
Ma +
+ Mb
Alle Einheitsverdrehungen sind so angesetzt, dass die Stabendmomente Ma und Mb positiv im Sinne der hier verwendeten Vorzeichendefinition sind. Die Knotendrehwinkel und die Stabdrehwinkel sind die Unbekannten des Drehwinkelverfahrens. Sie k¨onnen zun¨achst als Einheitsgr¨ oßen zu 1 angesetzt werden. F¨ ur die Zahlenrechnung ist es jedoch zweckm¨ aßig, nicht mit Einheitsdrehwinkeln, sondern wie im Bild mit ϕj = 1/EIc bzw. ψj = 1/EIc zu rechnen, wobei EIc eine Vergleichsbiegesteifigkeit ist. Außerdem ist es bei Systemen mit unterschiedlichen Fl¨achentr¨agheitsmomenten I in den einzelnen St¨ aben vorteilhaft, die Stabendmomente mit der bezogenen Stabl¨ ange l = l · Ic /I zu berechnen, da so der Berechnungsaufwand und die Fehlerm¨ oglichkeiten weiter verringert werden.
17.3 Grundlagen des Drehwinkelverfahrens
227
w1
Ψ=1•
M1 6EI 1 6 6 • = = l’ l EIC l IC
1 EIC
I
Tabellen mit den f¨ ur das Verfahren ben¨otigten Momentenlinien am Einzelstab sind in vielen Taschenb¨ uchern vorhanden. Tabelle 17.1 gibt die Stabendmomente f¨ ur verschiedene Einwirkungen am Einzelstab an. Sie werden f¨ ur die Lastverformungszust¨ande ben¨otigt. Tabelle 17.1 Stabendmomente infolge Einwirkungen auf den Einzelstab Lastfall
q
2
ql 12
+ql 12
2
ql 8
2
l/2
l/2
Pl 8
Stützensenkung Ψw =(wa wb)/l
3 Pl 16
+3EJ l Ψw
Ma
Mb
Ψw
wb
wa
+ Pl 8
M a = M b = 6EJ Ψw l
Temperatur DT h
Ma
Mb DT M a = M b = EJ a T h
3 EJ a DT T h 2
Tabelle 17.2 gibt die Momente f¨ ur die hier ben¨otigten Einheitsweggr¨ oßen an. Hierbei gilt ψ = Δw/l sowie l = l · Ic /I
228
17 Das Drehwinkelverfahren (DV)
Tabelle 17.2 Stabendmomente infolge Einheitsverformungszust¨anden Stabelement
j = 1/EIc, y = 1/EIc
Stabendmomente
17.4 L¨ osungsweg des Drehwinkelverfahrens
229
17.4 L¨ osungsweg des Drehwinkelverfahrens Das Drehwinkelverfahren ist ein f¨ ur die Handrechnung optimiertes Verfahren zur Berechnung der Momentenlinie. Ausgehend vom statischen System und den Einwirkungen sind folgende Schritte zu bearbeiten. 1. Ermittlung des Grades der kinematischen Unbestimmtheit, Festlegen des kinematisch bestimmten Hauptsystems. 2. Berechnung des Lastverformungszustandes LVZ. 3. Berechnung der Einheitsverformungszust¨ande EVZ. 4. Aufstellen der Gleichgewichtsbedingungen zur Berechnung der Vergr¨ oßerungsfaktoren Yi der Einheitsverformungszust¨ande. 5. L¨ osen der Gleichgewichtsbedingungen. Hiermit sind die Knotendrehwinkel ϕj = Yj /EIc sowie die Stabdrehwinkel ψk = Yk /EIc bekannt. ¨ 6. Uberlagerung der Teilmomentenlinien zur Gesamtmomentenlinie und Berechnung der Querkr¨afte und Normalkr¨afte aus der Momentenlinie. ¨ 7. Falls erforderlich kann die Biegelinie z. B. aus Uberlagerung von Last- und Einheitsverformungszust¨anden ermittelt werden. Am Beispiel werden die einzelnen Schritte zun¨achst ohne Zahlen erl¨ autert. Um Verwechselungen mit dem Kraftgr¨oßenverfahren zu vermeiden, werden die Indizes f¨ ur die Last- und die Einheitsverformungszust¨ande hochgestellt.
Das kinematisch bestimmte Hauptsystem Als ¨ außere Einwirkungen sind hier P sowie T0 in Stab a − b angesetzt. P c
b h
T0
m=2
a l
Bei dehnstarren St¨ aben ist das System 2-fach kinematisch unbestimmt. Nach Hinzuf¨ ugen von 2 Bindungen liegt das kinematisch bestimmte Hauptsystem vor. Die unterdr¨ uckten Weggr¨oßen sind die Einspannung von Knoten b gegen Verdrehen ϕb (Symbol ) sowie die Festhaltung des Riegels gegen Verschieben bzw. gegen Stabdrehung ψa−b (Symbol ).
230
17 Das Drehwinkelverfahren (DV)
Die Lastverformungszust¨ ande LVZ Am kinematisch bestimmten Hauptsystem treten unter Einwirkungen Verformungen und als Folge davon Biegemomente, Normalkr¨ afte und Querkr¨ afte auf. Die Verformungen werden als Lastverformungszustand bezeichnet. Er erf¨ ullt al¨ le Verformungsbedingungen an den Uberg¨ angen zu den benachbarten St¨ aben, sodass hier keine Knicke und keine Spr¨ unge m¨oglich sind. Im Gebiet zwischen den Knoten sind die Biegelinien apriori stetig und stetig differenzierbar angesetzt. Die Gleichgewichtsbedingungen sind bei den Lastverformungszust¨ anden an den ¨ Knoten verletzt, da am Ubergang zu den Nachbarst¨ aben infolge der Abschottung durch die Festhaltungen Spr¨ unge in der Momentenlinie auftreten. Das Sprungmoment wird hierbei von der Festhaltung aufgenommen. Auch das Kr¨ aftegleichgewicht ΣH = 0, ΣV = 0 F N am System und in den Rahmenecken ist nicht erf¨ ullt, da die Einzelst¨abe voneinander abgeschottet sind. Die Lagerkraft F in der VerschiebeQ festhaltung wird jeweils mit dem Knotengleichgewicht berechnet, siehe Abbildung rechts. Der Lastverformungszustand f¨ ur P gibt MP0 sowie FP0 = 0 : P F0
P
w0
M0
P
P
Der Lastverformungszustand f¨ ur T0 gibt MT0 sowie FT0 = 0 : Dh
Ψ= l Dh = eT• h T0
w0
F0
T
T
M0
T
17.4 L¨ osungsweg des Drehwinkelverfahrens
231
Die Einheitsverformungszust¨ ande EVZ Die Einheitsverformungszust¨ande werden so eingepr¨ agt, dass jeweils eine Festhaltung gel¨ ost und die konjugierte Weggr¨oße vorgegeben wird. Die Verformungszust¨ ande infolge der Einheitsweggr¨oßen erf¨ ullen ebenfalls alle Verformungsbedingungen. Es treten auch hier keine Spr¨ unge und keine Knicke auf. Es ist zweckm¨ aßig, mit den 1/EIc -fachen Weggr¨oßen als Einheits-Weggr¨ oßen zu rechnen, da so die Zahlenrechnung einfacher wird. 1
j1= EI
1
C
F =
DM h + + 1
w1
M +
F2 =
DM h +
1
Ψ2= EI
C
M2
w2 +
Die Gleichgewichtsbedingungen sind nur an den Knoten verletzt, die von den jeweiligen Drehwinkeln beeinflusst werden. Dies ist grunds¨ atzlich anders als beim Kraftgr¨ oßenverfahren, wo sich die Momentenlinien aus Einheitskraftgr¨ oßen u ¨ ber das gesamte System erstrecken k¨onnen.
Die Gleichgewichtsbedingungen Anschaulich sind die Knoten des wirklichen Systems unter Einwirkungen so verdreht und verschoben, dass in allen in der Berechnung angesetzten Festhaltungen die Kraftgr¨ oßen und Momente null und die Bindungen damit u ussig ¨ berfl¨ sind. Da die wirklichen Drehwinkel zun¨achst noch unbekannt sind, werden die Einheitsverformungszust¨ande mit unbekannten Faktoren Yj multipliziert. Gesucht sind diejenigen Werte von ϕ1 · Y1 und ψ2 · Y2 , mit denen auch die Gleichgewichtsbedingungen erf¨ ullt sind.
232
17 Das Drehwinkelverfahren (DV)
Bei allen Last- und Einheitsverformungszust¨anden sind die Gleichgewichtsbedingungen nur an den Orten der Festhaltungen verletzt, sodass auch nur hier die Gleichgewichtsbedingungen f¨ ur die Berechnung der unbekannten Drehwinkel formuliert werden k¨onnen. Hierzu m¨ ussen die Momentenspr¨ unge und Lagerkr¨ afte der Einheitsverformungszust¨ande mit den Faktoren Yi multipliziert ¨ werden. Wenn die Gesamtmomentenlinie aus der Uberlagerung der Teilmomentenlinien folgt, gilt dies auch f¨ ur die Kr¨afte und Momentenspr¨ unge in den Festhaltungen. Gleichgewicht f¨ ur die Momente am Knoten b gibt j Mb = ΔMb0 + ΔMb1 Y1 + ΔMb2 Y2 = 0, Am wirklichen System ist die Lagerkraft F = 0. Damit muss auch j Fb = Fb0 + Fb1 Y1 + Fb2 Y2 = 0. erf¨ ullt sein. Dies sind die zwei Bestimmungsgleichungen f¨ ur Y1 , Y2 . Nach Berechnung der Unbekannten Yi erh¨alt man die Momentenlinie des wirklichen Systems mit M = M 0 + Y1 · M 1 + Y2 · M 2 . Die anderen Schnitt- und Weggr¨oßen werden mit der Momentenlinie berechnet.
17.5 Anwendungsbeispiele Nachfolgend werden Gleichgewichtsbedingungen des Drehwinkelverfahrens mit dem Schnittprinzip zun¨achst anschaulich als Momenten- und Kr¨ aftegleichgewicht formuliert. Anschließend wird das Prinzip der virtuellen Verschiebungen zur Formulierung der Gleichgewichtsbedingungen des Drehwinkelverfahrens in Abschnitt 17.6 erl¨ autert. Mit den Arbeitss¨atzen kann man besonders das Kr¨ aftegleichgewicht sehr elegant und weniger fehleranf¨allig aufstellen.
17.5.1 Momentengleichgewicht des Drehwinkelverfahrens Das kinematisch bestimmte Hauptsystem weist Bindungen auf, die am wirklichen System nicht vorhanden sind. Dies sind die Drehfesthaltungen der Knoten. Die wirklichen Verdrehungen der einzelnen Knoten sind identisch mit den Einheitverdrehungen, jeweils multipliziert mit den Vergr¨ oßerungsfaktoren Yj . Die wirklichen Drehungen der Knoten sind gerade so groß, dass die Momentengleichgewichtsbedingungen an den Knoten erf¨ ullt sind. Um dies im Berechnungsverfahren sicherzustellen, sind an jedem Knoten Rundschnitte um den Knoten zu f¨ uhren und das Verschwinden der Momentensumme zu fordern.
17.5 Anwendungsbeispiele
233
Bei der Momentensumme sind die Momente Mi0 aus dem Lastverformungszustand und alle Momente Mij aus den Einheitsverformungszust¨ anden zu ber¨ ucksichtigen, die am jeweiligen Momentengleichgewicht am Knoten i beteiligt sind: Mi0 +
Mij · Yj = 0.
j
Bei der Formulierung des Momentengleichgewichtes sind die Vorzeichen des Drehwinkelverfahrens zu beachten. pos. Stabendmoment
pos. Knotenmoment
Beispiel Das horizontal unverschiebliche Rahmentragwerk ist auf dem Stab b − c mit einer Streckenlast q = 2 kN/m sowie im Knoten c mit einem Knotenmoment M = 3 kN m belastet. Die Biegesteifigkeit betr¨agt EIc = 4.000 kN m2 (IP E − 200), wird aber f¨ ur die Berechnung der Momentenlinie nicht ben¨ otigt. Wesentlich sind jedoch die Steifigkeitsverh¨altnisse Ic /I, da sie den Lastabtrag beeinflussen. Zur Vorbereitung der Berechnung m¨ ussen daher die effektiven Stabl¨ angen l f¨ ur jeden Einzelstab ermittelt werden. 2 kN/m c
b
3 kNm
3 e
d 1
a 6
Stab
l
Ic I
a−b b−c c−d c−e
4 6 3 4,23
1,5 1 1 1
3
1. Das kinematisch bestimmte Hauptsystem Das vorliegende System besitzt zwei unbekannte Knotendrehwinkel in b und c, sodass hier die Verdrehfesthaltungen angebracht werden. Der Riegel wird durch den dehnstarren Stab c − e festgehalten.
m=2
l = l · 6 6 1 4,23
Ic I
234
17 Das Drehwinkelverfahren (DV)
2. Der Lastverformungszustand Der Lastverformungszustand wird stabweise berechnet, da die Knotenverdrehungen null gestzt sind. Die Momentenline in Stab b−c folgt f¨ ur die Streckenlast aus Tabelle 17.1. Das Knotenmoment wirkt nur am Knoten und hat damit keinen Einfluss auf die Momentenlinien der Einzelst¨ abe. 2 kN/m
2
ql /12 = 6
+6
3 kNm
3
3
M
0
w0
3. Einheitsverformungszust¨ ande Die Einheitsverformungszust¨ande folgen mit den Drehwinkeln 1/EIc in Knoten b und c. Die Stabendmomente infolge der Knotendrehungen k¨ onnen aus Tabelle 17.2 entnommen werden. Sie sind alle positiv im Sinne des Drehwinkelverfahrens. 1/EIc
4/l = 0,67
w1
2/l = 0,33 1/EIc
2/l = 0,33
4/l = 0,67
M
1
4/l = 0,67
2/l = 0,33
1,33
w2
M
2
2/l = 0,67
17.5 Anwendungsbeispiele
235
4. Knotengleichgewicht Die Momentengleichgewichtsbedingungen m¨ ussen dort aufgestellt werden, wo die Verdrehfesthaltungen angebracht sind. Die Stabendmomente aus Last- und Einheitsverformungszust¨anden k¨onnen dabei mit gleichem Vorzeichen, aber gegendrehend als Knotenmoment angesetzt werden. Die Stabendmomente aus Einheitsverformungszust¨anden werden mit dem jeweiligen Multiplikator Yj versehen. Zus¨ atzlich ist das Knotenmoment aus Last in Knoten c anzusetzen. 1 1 2 2 + Mbc ) Y1 + ( Mba + Mbc ) Y2 + Mb0 = 0 Mb = ( Mba Mb = ( 0, 67 + 0, 67 ) Y1 + ( 0 + 0, 33 ) Y2 − 6, 0 = 0 1 1 1 2 2 2 + Mcd + Mce ) Y1 + ( Mcb + Mcd + Mce ) Y2 + Mc0 = 0 Mc = ( Mcb Mc = ( 0, 33 + 0 + 0 ) Y1 + ( 0, 67 + 1, 33 + 0 ) Y2 + ( 6, 0 − 3, 0 ) = 0
5. L¨ osung des Gleichungssystem Die L¨ osung des Gleichungssystems f¨ ur die unbekannten Faktoren Yj erfolgt in Matrizenschreibweise. 0 Y1 −6, 0 1, 33 0, 333 . = + Y2 0 +3, 0 0, 333 2, 00 Mit den Faktoren Yj Y1 = 5, 10,
Y2 = −2, 34
sind gleichzeitig die unbekannten Knotendrehungen ϕb = Y1 /EIc = 0, 00127,
ϕc = Y2 /EIc = −0, 00058
sowie die hiermit verkn¨ upfte Biegelinie festgelegt.
6. Berechnung der endg¨ ultigen Momente aus Superposition Die Berechnung der Momentenlinie erfolgt mit den Teilmomentenlinien. Vorzugsweise werden die Stabendmomente superponiert, sodass die Schlusslinie festliegt. j 0 Mkl = Mkl + Yj · Mkl j
k
= betrachteter Knoten
l
= abgelegener Knoten
236
17 Das Drehwinkelverfahren (DV)
Hierbei werden die Stabendmomente entsprechend der Vorzeichen des Drehwinkelverfahrens superponiert. Damit gilt Mba = Mbc =
0, 0 + 0, 67 · 5, 10 +
0, 0 · (−2, 34) = 3,40
−6, 0 + 0, 67 · 5, 10 + 0, 33 · (−2, 34) = 3,38
Mcb = (6, 0 − 3, 0) + 0, 33 · 5, 10 + 0, 67 · (−2, 34) = 6,14 Mcd =
0, 0 +
0, 0 · 5, 10 + 1, 33 · (−2, 34) = 3,12
Im Bild ist die Momentenlinie so dargestellt, dass die Momente ohne Vorzeichen auf der Zugseite abgetragen sind. Die Biegelinie ist entsprechend der Knotenverdrehungen und der Verkr¨ ummungen aus Momentenlinie skizziert. 6,12 3,40
3,12 4,24 1,56 1,70
M
w
17.5.2 Gleichgewicht gegen Verschieben Beim Drehwinkelverfahren k¨onnen nicht nur Knotendrehungen unbekannt sein, sondern auch Verschiebungen von Knoten, die als Stabdrehungen deutbar sind. Auch aus den Stabdrehungen folgen Stabendmomente und entsprechende Knotenmomente, die im Momentengleichgewicht um den jeweiligen Knoten ber¨ ucksichtigt werden m¨ ussen. Wenn verschiebbare Knoten am kinematisch bestimmten Hauptsystem gegen Verschieben festgehalten sind, sind im Last- und in den Einheitsverformungszust¨ anden in der zugeh¨origen Festhaltung Lagerkr¨ afte vorhanden. Da das Lager am wirklichen System nicht vorhanden ist, muss die Summe der Lagerkr¨ afte am wirklichen System verschwinden. Es gilt dann j Fi0 + Fi · Yj = 0. j
Beispiel Nachfolgendes Beispiel verdeutlicht die Berechnung der Lagerkr¨ afte und das Aufstellen der entsprechenden Gleichgewichtsbedingung.
17.5 Anwendungsbeispiele
237
1. System und kinematisch bestimmtes Hauptsystem Das Rahmentragwerk ist mit einer horizontal wirkenden Einzelkraft P = 5,0 kN belastet. Die Abmessungen sind = 5,0 m, h = 3,0 m. Alle St¨ abe besitzen die gleiche Biegesteifigkeit EIc = 2.000 kN m2 (IP E 160), sodass die Ersatzl¨ angen wie die wirklichen L¨angen anzusetzen sind. Das System ist 3-fach kinematisch unbestimmt. Am Hauptsystem sind die Knoten b und c gegen Verdrehen und der Riegel b − c gegen horizontale Verschiebungen festgehalten. b h
c m=3
P
d
a
l
2. Lastverformungszustand Der Lastverformungszustand mit der Momentenlinie M 0 folgt aus Tabelle 17.1. Zus¨ atzlich zum Momentensprung an der Knotenverdrehfesthaltung ist jetzt eine Lagerkraft F 0 = P/2 in der Verschiebefesthaltung vorhanden, die am wirklichen System verschwindet. Die Lagerkraft kann mit dem Knotengleichgewicht f¨ ur die Horizontalkr¨ afte aus der Querkraft Q = M berechnet werden. F P
0
Pl/8 +
w0
M0
Pl/8
3. Einheitsverformungszust¨ ande Die Einheitsverformungszust¨ande folgen aus den Knotendrehungen in b und c sowie der Stabdrehung ψa−b = 1/EIc . Die Stabendmomente folgen aus Tabelle 17.2.
238
17 Das Drehwinkelverfahren (DV)
1 EIC
F1
4/l
2/l
4/h M1
w1 2/h 1 EIC
F2
4/l
2/l 3/h
w2
M
2
F3 6/h
1 EIC
3/h
w3
M
3
6/h
In allen Einheitsverformungszust¨anden sind Lagerkr¨ afte F j vorhanden, die jeweils mit dem Schnittprinzip und dem Gleichgewicht f¨ ur die horizontal wirkenden Kr¨ afte berechnet werden k¨onnen. Die Lagerkr¨ afte F j k¨ onnen mit Q = M und entsprechenden Schnitten am Gesamttragwerk ermittelt werden. F 1 = ( 4/h + 2/h ) /h = 6/h2 F 2 = ( 3/h ) /h = 3/h2 F 3 = ( 6/h + 6/h ) /h + ( 3/h ) /h = 15/h2
4. Gleichgewichtsbedingungen Die Momentengleichgewichtsbedingungen an den Knoten b und c sind 4 4 P ·h 2 6 + ( + ) · Y1 + · Y2 + · Y3 = 0, Mb = 8 h l l h 4 4 2 6 1 + ( + ) · Y1 + · Y2 + · Y3 = 0, = 8 3 5 5 3
17.5 Anwendungsbeispiele
=
Mc
=
239
3 2 4 3 · Y1 + ( + ) Y2 + · Y3 = 0, l l h h 4 3 3 2 0 + · Y1 + ( + ) · Y2 + · Y3 = 0. 5 5 3 3 0 +
Die unbekannten Knoten- und Stabdrehwinkel ϕj · Yj bzw. ψj · Yj m¨ ussen auch die Bedingung erf¨ ullen, dass die Lagerkraft F in der k¨ unstlichen Verschiebe festhaltung am wirklichen System null sein muss: F = F 0 + F j · Yj = 0. Damit gilt
F
= =
6 P 3 15 + 2 · Y1 + 2 · Y2 + 2 · Y3 = 0, 2 h h h 6 3 15 5 + · Y1 + · Y2 + · Y3 = 0. 2 9 9 9
5. Gleichungssystem Damit folgt das Gleichungssystem in Matrizenschreibweise ⎤⎡ ⎡ ⎤ ⎤ ⎡ ⎤ ⎡ Y1 2, 133 0, 40 2, 0 0 0, 125 ⎣ 0, 40 1, 80 1, 0 ⎦ ⎣ Y2 ⎦ + ⎣ 0 ⎦ = ⎣ 0 ⎦ . 0, 66 0, 33 1, 66 0 Y3 2, 50 Zu beachten ist hier die Unsymmetrie der Koeffizientenmatrix. Die L¨ osung des Gleichungssystems ist Y1 = 2, 16,
Y2 = 0, 94,
Y3 = − 2, 55.
Damit sind gleichzeitig die unbekannten Knotendrehungen ϕb = Y1 /EIc = 0, 00108,
ϕc = Y2 /EIc = 0, 00047
sowie die horizontale Verschiebung des Riegels festgelegt ub = Y3 /EIc · h = −2, 55/2.000 · 3, 0 = − 0, 0038 m.
6. Berechnung der endg¨ ultigen Momente aus Superposition Die Berechnung der Momentenlinie erfolgt mit der Superposition der Stabendmomente sowie der Schlusslinie. Hierbei werden die Stabendmomente entsprechend der Vorzeichen des Drehwinkelverfahrens superponiert. Damit gilt j 0 + Yj · Mkl . Mkl = Mkl j
240
17 Das Drehwinkelverfahren (DV)
Mab = − 0, 125 + 0, 67 · 2, 16 + 0, 0 · 0, 94 + 2, 0 · (−2, 55) = −3, 78 Mba = + 0, 125 + 1, 33 · 2, 16 + 0, 0 · 0, 94 + 2, 0 · (−2, 55) = −2, 10 Mbc =
0, 0 + 0, 8 · 2, 16 + 0, 4 · 0, 94 + 0, 0 · (−2, 55) =
2, 10
Mcb =
0, 0 + 0, 4 · 2, 16 + 0, 8 · 0, 94 + 0, 0 · (−2, 55) =
1, 62
Mcd =
0, 0 + 0, 0 · 2, 16 + 1, 0 · 0, 94 + 1, 0 · (−2, 55) = −1, 61
Im Bild ist die Momentenlinie ohne Vorzeichen auf der Zugseite abgetragen. Die Biegelinie ist entsprechend der Knotendrehungen, der horizontalen Verschiebung des Riegels sowie den Verkr¨ ummungen aus Momentenlinie skizziert. 2,10
2,91
1,61
M
w
3,78
17.6 Aufstellen der Gleichgewichtsbedingungen mit dem PvV In Abschnitt 8 ist das Prinzip der virtuellen Verschiebungen zur Berechnung von Einzelschnittgr¨oßen und Lagerkr¨aften eingesetzt. Das Vorgehen umfasst im Wesentlichen folgende Schritte: 1. Lagrange’sche Befreiung: L¨osung der zu der gesuchten Schnittgr¨ oße konjugierten Bindung und Ansetzen der Doppelschnittgr¨ oße als Einwirkung. 2. Virtuelle Verschiebung: Vorgabe eines virtuellen Verschiebungsfeldes, auf dem die gesuchte Schnittgr¨oße Arbeit leistet. 3. PvV: Aufstellen der virtuellen Arbeiten und Berechnung der gesuchten Schnittgr¨oße mit dem Arbeitssatz. Die Anwendung des PvV f¨ ur die Formulierung der Gleichgewichtsbedingungen des Drehwinkelverfahrens kann v¨ollig analog erfolgen. Beim Drehwinkelverfahren sind die gesuchten Schnittgr¨ oßen die Stabendmomente des wirklichen Systems. Diese k¨onnen jedoch nicht direkt ermittelt werden, wenn an einem Knoten mehrere St¨abe angeschlossen sind, sondern nur implizit u ¨ ber die Knoten- und Stockwerksgleichgewichtsbedingungen.
17.6 Aufstellen der Gleichgewichtsbedingungen mit dem PvV
241
17.6.1 Knotengleichgewicht Die Lagrange’sche Befreiung wird auf alle an einem Knoten angeschlossenen St¨ abe so angewendet, dass die angreifenden Stabendmomente bzw. die Knotenmomente virtuelle Arbeit leisten k¨onnen.
kinematisch bestimmtes HS
Lagrange’sche Befreiung der Stabendmomente
Die virtuellen Knotendrehungen ϕ¯ werden entgegengesetzt zur wirklichen Knotendrehung angesetzt, damit positive Arbeit geleistet wird. Die virtuelle Verschiebungsfigur ist geradlinig mit verschwindenden Auslenkungen, da die Gelenke der Lagrange’schen Befreiung direkt neben den Knoten liegen und die virtuellen Knotendrehungen damit keine Biegewirkung auf die angrenzenden St¨ abe u onnen. ¨bertragen k¨ jb
jc w2
w1
In der Arbeitsgleichung werden die virtuellen Arbeiten der Knotenmomente auf den virtuellen Knotendrehungen ausgewertet. Aufgrund der gew¨ ahlten Drehrichtungen sind diese Arbeiten immer positiv. jc jb
F¨ ur die beiden jeweils getrennt anzusetzenden virtuellen Knotendrehungen folgen mit dem Arbeitssatz des PvV die Gleichungen
A¯b
=
P ·h 4 4 2 6 · ϕ¯b + ( + ) Y1 · ϕ¯b + · Y2 · ϕ¯b + · Y3 · ϕ¯b = 0 8 h l l h
242
17 Das Drehwinkelverfahren (DV)
4 4 P ·h 2 6 + ( + ) Y1 + · Y2 + · Y3 } · ϕ¯b = 0 8 h l l h 3 2 4 3 · Y3 · ϕ¯c = 0 A¯c = 0 + · Y1 · ϕ¯c + ( + ) Y2 · ϕ¯c + l l h h 3 4 3 2 · Y3 } · ϕ¯c = 0 = { 0 + · Y 1 + ( + ) Y2 + l l h h Nach Ausklammern“ der virtuellen Verr¨ uckungen sind die beiden Gleichungen ” den Momentengleichgewichtsbedingungen nach Abschnitt 17.5.1 gleichwertig. = {
17.6.2 Stockwerksgleichgewicht Mit dem Prinzip der virtuellen Verschiebungen k¨ onnen auch Einzelkr¨ afte berechnet werden, dies sind hier die Lagerkr¨afte F . Das System ist dabei so zu befreien, dass ein virtuelles Verschiebungsfeld entsteht, bei dem die Stockwerksfesthaltungen verschoben werden und die Lagerkr¨afte F virtuelle Arbeit leisten. M¨oglich sind die im Bild angegebenen virtuellen Verschiebungen. w
w
F
F Q
Q w
w
Nachteilig ist, dass entweder die inneren Arbeiten aufgrund der virtuellen Verkr¨ ummungen nicht verschwinden oder die Querkr¨afte berechnet werden m¨ ussen. Da die virtuellen Verschiebungen beliebig w¨ahlbar sind, bietet es sich jedoch an, die Lagrange’sche Befreiung so zu w¨ahlen, dass die St¨ abe gerade bleiben und damit keine inneren virtuellen Arbeiten ausgewertet werden m¨ ussen. Dies erfolgt so, dass zus¨atzliche k¨ unstliche Gelenke an den Stabenden angesetzt werden, und das System in Richtung der Verschiebefesthaltung verschoben wird. Hierbei bleiben die St¨abe gerade. virtuelle Drehung ψ¯ mit positivem ϑ¯
w Jb
Ψ
Jc w3
Ja
Die virtuelle Verschiebung ist so zu w¨ahlen, dass die positiven Stabendmomente
17.6 Aufstellen der Gleichgewichtsbedingungen mit dem PvV
243
positive Arbeit leisten. Daraus folgt, dass die virtuelle Drehung ψ¯ entgegengesetzt zur Stabverdrehung ψ aufgebracht werden muss. Aufstellen der Arbeitsgleichung: Wenn die Lagerkraft F am wirklichen System verschwindet, m¨ ussen auch die zugeh¨ origen virtuellen Arbeiten verschwinden. Es bleiben die Arbeiten aller außeren Lasten auf den zugeh¨origen Verschiebungen und die Arbeiten der frei¨ geschnittenen Stabendmomente auf den zugeh¨origen Stabendknickwinkeln.
h hP ¯ 4 2 hP ¯ + (− ) · ϑa + ( ) · ϑb + Y1 · ( · ϑ¯b ) + Y1 · ( · ϑ¯a ) 2 8 8 h h 3 6 6 3 +Y2 · · ϑ¯c + Y3 · · ϑ¯a + Y3 · · ϑ¯b + Y3 · · ϑ¯c = 0. h h h h ¯ ¯ ¯ Hier vereinfacht sich die Gleichung wegen ϑa = ϑb = ϑc = ψ¯ zu A¯ =
P · ψ¯ ·
6 3 15 ¯ h } ψ = 0. A¯ = { P · + Y1 · + Y2 · + Y3 · 2 h h h
Auch hier ist die Arbeitsgleichung der Gleichgewichtsbedingung nach Abschnitt 17.5.2 gleichwertig, was nach dem Ausklammern“ des virtuellen Stabdrehwin” kels ψ¯ besonders deutlich wird. Im Vergleich zu Abschnitt 17.5.2 ist hier die Koeffizientenmatrix symmetrisch, was in dem besonderen Charakter des PvV begr¨ undet ist, wenn wirkliche und virtuelle Weggr¨oßen gleich gew¨ ahlt werden.
17.6.3 Anwendungsbeispiel Das Rahmentragwerk ist mit einem Knotenmoment M = 4 kN m, einer Einzelkraft F = 3 kN sowie einer Streckenlast q = 2 kN/m belastet. Zur Vorbereitung der Berechnung m¨ ussen die effektiven Stabl¨angen l f¨ ur jeden Einzelstab ermittelt werden, da die Steifigkeitsverh¨altnisse Ic /I f¨ ur die in der Tabelle 17.1 angegebenen Stabendmomente wesentlich sind. Die Vergleichssteifigkeit betr¨ agt EIc = 4.000 kN m2 (IP E200). Die Abmessungen sind in [m] angegeben.
M
q
e
c
b 4
a 3
5
F
Stab
l
Ic I
a−b b−c
5,0 5,0
1,0 0,5
l = l · 5,0 2,5
Ic I
244
17 Das Drehwinkelverfahren (DV)
1. Das kinematisch bestimmte Hauptsystem Das vorliegende System besitzt einen unbekannten Knotendrehwinkel in b sowie eine unbekannte Knotenverschiebung bzw. einen unbekannten Stabdrehwinkel, sodass das System 2-fach kinematisch unbestimmt ist.
2. Der Lastverformungszustand (LVZ) Einzelmoment und Einzelkraft haben keinen Einfluss auf die Biegelinie und die Momentenlinie des Lastverformungszustandes, da beide Einwirkungen direkt auf die Festhaltungen wirken. Die Streckenlast bewirkt am Stabende in Knoten b ein negatives Stabendmoment. 2
M
e
ql /8 = 6,125 F M0
w0
3. Einheitsverformungszust¨ ande (EVZ) Der Einheitsverformungszustand infolge Knotendrehung 1/EIc in Knoten b kann wie bisher ermittelt werden. 1/EI c 4/l’ = 0,8
3/l’ = 1,2
M1
F w1
2/l’ = 0,4
F¨ ur den Einheitsverformungszustand aus Stabdrehung ψ = 1/EIc in Stab a − b muss die Kinematik genauer untersucht werden. Aufgrund der Stabanordnung verschiebt sich der Knoten b bei einer Drehung des Stabes a − b um 5/EIc nach links oben. Dies bewirkt eine horizontale Verschiebung von Knoten b um
17.6 Aufstellen der Gleichgewichtsbedingungen mit dem PvV
245
4/EIc nach links und um 3/EIc nach oben. Hieraus folgt ein negativer Stabdrehwinkel f¨ ur den Stab b − c, was entsprechend Tabelle 17.2 auch negative Stabendmomente bewirkt. Infolge der Stabdrehung ψb−c = −3/5EIc sind die Stabendmomente nach Tabelle 17.2 mit dem Faktor −3/5 zu multiplizieren. 4/EIc 3/l’• 3/5 = 0,72 6/l’ = 1,2
3/EI c 3/5EI c
M2
1/EI c
w2
6/l’ = 1,2
Die virtuellen Stabdrehungen sind entgegengesetzt zum Einheitsverformungszustand angesetzt, weisen aber die gleichen Gr¨ oßenverh¨ altnisse auf. Auch hier sind positive und negative Stabdrehwinkel vorhanden. Die horizontale Verschiebung des Riegels betr¨agt ψ¯a−b · 4.
4Ψ
3/5 Ψ
Ψ
4. Knotengleichgewicht Die Momentengleichgewichtsbedingung wird in Knoten b aufgestellt, wobei die Stabendmomente aus Einheitsverformungszust¨anden mit dem jeweiligen Multiplikator Yj versehen werden. Zus¨atzlich ist das Knotenmoment aus Last in Knoten b anzusetzen. Mb = ( 0, 8 + 1, 2 ) Y1 + ( 1, 2 − 0, 72 ) Y2 + ( −4, 0 − 6, 125 ) = 0. Die Arbeitsgleichung des PvV wird f¨ ur das Stockwerksgleichgewicht angesetzt. Bei der Arbeit der Stabendmomente des Stabes b − c auf den virtuellen Stabenddrehwinkeln m¨ ussen die Vorzeichen beachtet werden. Weil die Stabendmomente und auch die virtuellen Stabenddrehwinkel negativ sind, ist die virtuelle Arbeit positiv. Dies gilt grunds¨atzlich auch bei anderen Stabanordnungen. Hier gilt A¯2 = [ 0, 8 + 0, 4 + 1, 2(−3/5) ] Y1 ψ¯ ¯ Y2 + 3, 0 · 4 ψ¯ = 0, + [( 1, 2 + 1, 2 ) ψ¯ + (−0, 72) · (−3/5 ψ)] =
0, 48 Y1 ψ¯ + 2, 832 ψ¯ Y2 + 12, 0 ψ¯ = 0.
246
17 Das Drehwinkelverfahren (DV)
5. L¨ osung des Gleichungssystems Die L¨ osung des Gleichungssystems f¨ ur die unbekannten Faktoren Yj erfolgt in Matrizenschreibweise −10, 125 0 2, 0 0, 48 Y1 + = , +12, 0 0 Y2 0, 48 2, 832 mit den Faktoren Yj Y1 = 6, 34,
Y2 = −5, 31.
6. Berechnung der Momente aus Superposition Die Momentenlinie erfolgt mit Superposition der Teilmomentenlinien M = M 0 + M 1 · Y1 + M 2 · Y2 . Zuerst werden die Stabendmomente mit dem Vorzeichen des Drehwinkelverfahrens berechnet. Hierf¨ ur gilt Mab = 0 + 0, 4 · 6, 34 + 1, 2 · (−5, 31) = −3, 84 0 + 0, 8 · 6, 34 + 1, 2 · (−5, 31) = −1, 30 Mba = Mbc = −6, 125 + 1, 2 · 6, 34 + 0, 72 · (−5, 31) = +5, 31 Die Stabendmomente werden ohne Vorzeichen auf der Zugseite der St¨abe abge1,30 tragen. Damit liegt bereits die Schlusslinie fest. Anschließend wird die Parabel 6,125 5,31 im Stab b − c eingeh¨angt. Der Sprung M am Knoten b folgt aus dem Einzelmoment. Falls die Vorzeichen der Baustatik erforderlich sind, wird eine gestri3,84 chelte Linie vorgegeben.
7. Berechnung der Biegelinie Mit der L¨ osung des Gleichungssystems sind gleichzeitig die unbekannte Knotendrehung ϕb = Y1 /EIc = 0, 00158 sowie die horizontale Riegelverschiebung nach rechts festgelegt. ub = h · Y2 (−1/EIc ) = 0, 00634 m.
17.7 Eingepr¨ agte Weggr¨oßen
247
Die Biegelinie folgt aus dem Sehnenpolygon wS aus den Verschiebungen der Systemknoten, vergleiche Abschnitt 17.8, und den Verkr¨ ummungen entsprechend der Momentenlinie. Die Verschiebungen des Sehnenpolygons sind bereits ohne weitere Berechnung mit dem Stabdrehwinkel ψ2 Y2 gegeben.
0,0063
w
w = wS (ψi Yi ) + w(M )
17.7 Eingepr¨ agte Weggr¨ oßen Analog zu statisch bestimmten Systemen sollen auch f¨ ur statisch unbestimmte Systeme Einflusslinien f¨ ur Kraftgr¨oßen bestimmt werden, siehe Abschnitt 19. Einflusslinien f¨ ur Kraftgr¨oßen entsprechen den Biegelinien infolge von Einzelweggr¨ oßen. Die Einzelweggr¨oße ist beim Drehwinkelverfahren als Einwirkung dem kinematisch bestimmten Hauptsystem einzupr¨ agen, und die zugeh¨ orige Momentenlinie M 0 sowie die Biegelinie w0 sind zu berechnen. Die hierzu erforderlichen Stabendmomente f¨ ur Einzelst¨abe infolge Einzelweggr¨ oße sind in Tabelle 17.3 angegeben. Lagersetzungen oder -verdrehungen sind dagegen als vorgegebene Stabdrehwinkel oder Knotendrehwinkel zu behandeln. Die in der Tabelle angegebenen Stabendmomente aus Einzelweggr¨ oßen kann man folgendermaßen anschaulich erkl¨aren. w0
jb0
jb0
jc0
M0
-1
w1
M1 jc0
w2
M2
w
M -1
248
17 Das Drehwinkelverfahren (DV)
Betrachtet man z. B. einen beidseitig gelenkigen Balken mit einem Knick ϑ = −1 im Gebiet, so ist die Momentenlinie identisch null. Aus dem Zur¨ uckdrehen der beiden R¨ander um ϕ0b bzw. ϕ0c auf die Position des links oder/und rechts eingespannten Balkens entstehen die in Tabelle 17.3 angegebenen Stabendmomente. Tabelle 17.3 Stabendmomente aus Einzelknickwinkel a +
l´ = l . Jc / J a. l
l
b.l
Ma / EJc
b +
Mb / EJc
-2(3 b - 1) / l´
2(3 a - 1 ) / l´
-3 b / l´
0
-4 / l´
-2 / l´
-3 / l´
0
-1
6/( l . l´)
6/( l . l´)
-1
3/( l . l´)
0
-1
-1 -1 -1
Der L¨ osungsweg zur Berechnung der Gesamtmomentenlinie und der Gesamtbiegelinie des kinematisch unbestimmten Systems infolge Einzelweggr¨ oße ist v¨ ollig analog zur Berechnung eines Systems unter den sonst u ¨blichen Einwirkungen. Die Momentenlinie am kinematisch bestimmten Hauptsystem infolge eingepr¨ agter Weggr¨oße sowie der Knickwinkel sind im Lastverformungszustand zu ber¨ ucksichtigen.
17.7 Eingepr¨ agte Weggr¨oßen
249
Beispiel Das Rahmentragwerk erf¨ahrt an der Stelle k einen Knick der Gr¨ oße −1“ im ” Viertelspunkt des Stabes a − b. Wesentlich f¨ ur die Momentenlinie sind die Steifigkeitsverh¨ altnisse Ic /I der einzelnen St¨abe, die in der Tabelle angegeben sind. Hier wird EIc = 4.000 kN m2 (IP E 200) angesetzt. Zur Vorbereitung der Berechnung m¨ ussen die effektiven Stabl¨angen l f¨ ur jeden Stab ermittelt werden. d
b
1
f
k 3
3
e
c a 4
4
Stab
l
Ic I
l = l IIc
a−b c−d e−f b−d d−f
4,0 3,0 3,0 4,0 4,0
1,5 1,5 1,5 1,25 1,25
6,0 4,5 4,5 5,0 5,0
Die Abmessungen sind in [m] angegeben.
1. Das kinematisch bestimmte Hauptsystem Das vorliegende System besitzt zwei unbekannte Knotendrehwinkel in b und d sowie eine unbekannte Riegelverschiebung, sodass das System 3-fach kinematisch unbestimmt ist.
2. Der Lastverformungszustand Der Lastverformungszustand infolge Knick −1“ wird f¨ ur den Stab a − b nach ” Tabelle 17.3 berechnet. Die Stabendmomente sind positiv und auf den Stab a − b beschr¨ ankt. 4.000 • 2,5/6,0 k -1 w0
M0 4.000 • 0,5/6,0
250
17 Das Drehwinkelverfahren (DV)
3. Einheitsverformungszust¨ ande Die Einheitsverformungszust¨ande infolge Knotendrehungen 1/EIc in Knoten b und d k¨ onnen aus Tabelle 17.2 entnommen werden. Sie sind alle positiv im Sinne des Drehwinkelverfahrens. 1/EIc
4/5
2/5
4/6
w1
M1 2/6
4/5
1/EI c
2/5 4/4,5
w2
3/5
M2
2/4,5
Der 3. Einheitsverformungszustand entsteht infolge Stabdrehung ψ = 1/EIc . Weil die St¨ abe d − c und f − e k¨ urzer sind, sind die entsprechenden Stabdrehungen und Stabendmomente gr¨oßer. 6/6 1/EI c
1,778
4/3EI c
4/3EIc
6/4,5 • 4/3 = 1,778
w3 6/6
M3
3/4,5 • 4/3 = 0,889
Die virtuellen Stabdrehungen sind entgegengesetzt angesetzt und weisen die gleichen Gr¨ oßenverh¨altnisse auf. 4/3Ψ Ψ
4/3Ψ Ψ w3
17.7 Eingepr¨ agte Weggr¨oßen
251
4. Knotengleichgewicht Die Momentengleichgewichtsbedingungen werden in den Knoten b und d aufgestellt. Die Stabendmomente aus Einheitsverformungszust¨ anden werden mit dem jeweiligen Multiplikator Yj versehen. Zus¨atzlich ist das Knotenmoment aus Last in Knoten b anzusetzen. Mb = ( 4, 0/6, 0 + 4, 0/5, 0 ) Y1 + 2, 0/5, 0 Y2 4 +6, 0/6, 0 · Y3 + 4.000 · 2, 5/6, 0 = 0, 3 Md = 2, 0/5, 0 Y1 + ( 4, 0/5, 0 + 4, 0/4, 5 + 3, 0/5, 0 ) Y2 4 Y3 + 0 = 0. 3 Die Arbeitsgleichung des PvV wird f¨ ur das Stockwerksgleichgewicht angesetzt. Es gilt 4 A¯3 = ( 4, 0/6, 0 + 2, 0/6, 0 ) Y1 ψ¯ + ( 4, 0/4, 5 + 2, 0/4, 5 ) Y2 ψ¯ 3 4 4 +[( 6, 0/6, 0 + 6, 0/6, 0 ) ψ¯ + ( 6, 0/4, 5 + 6, 0/4, 5 ) · ψ¯ 3 3 4 4 ¯ + 3, 0/4, 5 · · ψ] · Y3 + 4.000 · 0, 5/6, 0 · ψ¯ = 0. 3 3 +6, 0/4, 5 ·
5. L¨ osung des Gleichungssystems Die L¨ osung des Gleichungssystems f¨ ur Matrizenschreibweise: ⎡ ⎤⎡ 1, 467 0, 40 1, 0 ⎢ ⎥⎢ ⎣ 0, 40 2, 288 1, 778 ⎦ ⎣ 1, 0 1, 778 7, 926
die unbekannten Faktorn Yj erfolgt in ⎤ ⎡ ⎤ ⎡ ⎤ 1.667 0 Y1 ⎥ ⎢ ⎥ ⎢ ⎥ Y2 ⎦ + ⎣ 0 ⎦ = ⎣ 0 ⎦ 333 0 Y3
Mit den Faktoren Yj Y1 = −1232,
Y2 = 154,
Y3 = 78, 9
sind gleichzeitig die unbekannten Knotendrehungen ϕb = Y1 /EIc = −0, 308,
ϕc = Y2 /EIc = 0, 0385
sowie die Riegelverschiebung ub = h · Y3 /EIc = 0, 079 nach links festgelegt.
252
17 Das Drehwinkelverfahren (DV)
6. Berechnung der Momentenlinie Die Berechnung der Momentenlinie erfolgt mit den Stabendmomenten. Damit gilt 333 + 0, 33 · (−1232) +
0, 0 · 154 +
1, 0 · 78, 9 = 5,34
Mba = 1.667 + 0, 67 · (−1232) +
0, 0 · 154 +
1, 0 · 78, 9 = 920
Mab = Mbd =
0, 0 +
0, 8 · (−1232) +
0, 4 · 154 +
0, 0 · 78, 9 = −924
Mdb =
0, 0 +
0, 4 · (−1232) +
0, 8 · 154 +
0, 0 · 78, 9 = −369
Mcd =
0, 0 +
0, 0 · (−1232) + 0, 44 · 154 + 1, 778 · 78, 9 = 208
Mdc =
0, 0 +
0, 0 · (−1232) + 0, 88 · 154 + 1, 778 · 78, 9 = 276
Mdf =
0, 0 +
0, 0 · (−1232) +
0, 6 · 154 +
Mef =
0, 0 +
0, 0 · (−1232) +
0, 0 · 154 + 0, 889 · 78, 9 = 70,1
0, 0 · 78, 9 = 92,4
Im Bild ist die Momentenlinie so dargestellt, dass die Momente ohne Vorzeichen auf der Zugseite abgetragen sind. Kleine Rundungsfehler sind am Momentengleichgewicht in den Knoten erkennbar.
920
369 92,4 276 -1 5,34
208
M
70,1
w
7. Biegelinie Die Biegelinie folgt aus dem Sehnenpolygon wS (ψi Yi ) aus den Verschiebungen der Systemknoten, vergleiche Abschnitt 17.8, der Biegelinie wg0 (−1) am gelenkig gelagerten Balken und dem Anteil infolge Verkr¨ ummungen aus der Momentenlinie: w = wS (ψi Yi ) + wg0 (−1) + w(M ). Die Knotenverschiebunen f¨ ur den Sehnenpolygon sind wie bereits oben erl¨ autert mit den Stabdrehwinkeln festgelegt. Die Biegelinie zwischen den Knoten ist entsprechend der Knotenverdrehungen und den Verkr¨ ummungen aus Momentenlinie skizziert.
17.8 Berechnung von Biegelinien
253
17.8 Berechnung von Biegelinien Biegelinien sind f¨ ur Gebrauchstauglichkeitsnachweise sowie f¨ ur eine anschauliche Kontrolle der Ergebnisse wichtig. Außerdem ist die Berechnung von Einflusslinien auf die Berechnung von Biegelinien zur¨ uckgef¨ uhrt. Beim Drehwinkelverfahren sind Biegelinien mit wenig zus¨ atzlichem Aufwand auf zwei Wegen berechenbar. Hierbei liegen jedoch im Vergleich zum Kraftgr¨ oßenverfahren mit der Momentenlinie bereits alle Informationen vor, sodass keine zus¨ atzlichen Berechnungsschritte mit dem P vK erforderlich sind.
¨ 1. Uberlagerung von Teilbiegelinien ¨ Die Gesamtbiegelinie folgt aus der Uberlagerung der Teilbiegelinien der Last¨ und Einheitsverformungszust¨ande wie die Gesamtmomentenlinie aus der Uberlagerung der Teilmomentenlinien w = w0 +
m
Yi · wi .
i=1 0
Die Biegelinie w erh¨alt man aus Tabellenwerken analog zu M 0 . Die Teilbiegelinien infolge eingepr¨agter Knotendrehwinkel ϕa , ϕb sowie Stabdrehwinkel ψab entsprechen den Hermite-Polynomen nach Abschnitt 11.2 und sind mit Hilfe der ω-Funktionen darstellbar.
2. Berechnung mit der Momentenlinie Im Vergleich zum ersten L¨osungsweg erfolgt hier keine Superposition der Teilbiegelinien der Einheitsverformungszust¨ande, sondern eine strikte Aufteilung der Gesamtbiegelinie in den Sehnenpolygon aus Knotenverschiebungen und in die Verkr¨ ummungen infolge Momentenlinie. Die Knotenverschiebungen sind direkt mit den Stabdrehwinkeln ohne P vK berechenbar. Hiermit liegt der Sehnenpolygon wS (ψi Yi ) fest, da diese Verschiebungsanteile zwischen den Knoten linear verlaufen. Die zus¨ atzlichen Verschiebungen infolge Momentenlinie sind mit den ω-Tabellen berechenbar, wenn die endg¨ ultige Momentenlinie entsprechend der ω-Tabellen anteilig aufgespalten wird. Wenn Einzelweggr¨ oßen im Feld der Einzelst¨abe vorhanden sind, ist zus¨ atzlich ucksichtigen, siehe Abder Anteil wg0 am gelenkig gelagerten Balken zu ber¨ schnitt 17.7. w = wS (ψi Yi ) + w(M ) + wg0 .
254
18 Analogie zwischen Kraftgr¨oßen- und Drehwinkelverfahren
18 Analogie zwischen Kraftgr¨ oßen- und Drehwinkelverfahren
Nachfolgend sind die Analogien bei der Berechnung der Momentenlinie mit dem Kraftgr¨ oßen- und dem Drehwinkelverfahren gezeigt. Ist die Momentenlinie bekannt k¨ onnen die Querkr¨afte, die Normalkr¨afte sowie die Biegelinie in einer Nachlaufrechnung bestimmt werden. Beide Verfahren sind v¨ ollig dual aufgebaut und unterscheiden sich nur in der Art und Weise, wie die Grundgleichungen erf¨ ullt werden.
Kraftgr¨ oßenverfahren 1. n-fach statisch unbestimmtes System 2. Statisch bestimmtes Hauptsystem w¨ahlen und n-Bindungen freigeben. Es besteht Wahlfreiheit f¨ ur das Hauptsystem. 3. Lastspannungszustand am HS berechnen. Der LSZ erf¨ ullt die Gleichgewichtsbedingungen. Der LSZ verletzt die Verformungsbedingungen. 4. n linear unabh¨angige Einheitsspannungszust¨ande am HS ansetzen Die ESZ erf¨ ullen die Gleichgewichtsbedingungen. Die ESZ verletzen die Verformungsbedingungen. Die n Unbekannten sind die Faktoren der Einheitsspannungszust¨ ande, mit denen die Verformungsbedingungen des Systems nachtr¨ aglich erf¨ ullt werden. 5. Das Gleichungssystem enth¨alt die Verformungsbedingungen des wirklichen Systems (Verformungen = 0 in den zun¨achst gel¨osten Bindungen). n
δjk · Xk + δj0 = 0,
j = 1...n
k=1
6. Endg¨ ultiger Zustand: Superposition der Last- und der n Einheitsspannungszust¨ ande: M = M0 +
n
Mk · X k .
k=1
Allein der endg¨ ultige Zustand erf¨ ullt die Verformungsbedingungen und die Gleichgewichtsbedingungen. 7. Kontrollen: vorzugsweise Verformungsbedingungen. D. Dinkler, Grundlagen der Baustatik, DOI 10.1007/978-3-8348-9862-3_18, © Vieweg+Teubner Verlag | Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH 2011
255
8. Nachlaufrechnung f¨ ur die Querkr¨afte und die Normalkr¨ afte. 9. Berechnung der Knotenverschiebungen f¨ ur den Sehnenpolygonzug mit dem P vV . Berechnung der Biegelinie aus Verkr¨ ummungen mit ω-Tabellen.
Drehwinkelverfahren 1. m-fach kinematisch unbestimmtes System 2. Kinematisch bestimmtes Hauptsystem festlegen, indem m Bindungen zus¨ atzlich angesetzt werden. Dabei sind die Einzelbalken gegenseitig abgeschirmt. Es besteht (fast) keine Wahlfreiheit f¨ ur das HS. 3. Lastverformungszustand am HS. Der LVZ erf¨ ullt die Verformungsbedingungen. Der LVZ verletzt die Gleichgewichtsbedingungen. Die Momentenlinie M 0 wird aus Tabellen entnommen. 4. m linear unabh¨ angige Einheitsverformungszust¨ande am HS ansetzen Die EVZ erf¨ ullen die Verformungsbedingungen. Die EVZ verletzen die Gleichgewichtsbedingungen. Die m Unbekannten Yi sind die Faktoren der Einheitsverformungszust¨ande, mit denen die Gleichgewichtsbedingungen des wirklichen Systems nachtr¨aglich erf¨ ullt werden. 5. Das Gleichungssystem enth¨alt die Gleichgewichtsbedingungen des wirklichen Systems an den Orten der Festhaltungen j ΔMjk · Yk + ΔMj0 = 0, k
Fjk · Yk + Fj0
=
0.
k
Alternativ hierzu k¨ onnen die Gleichgewichtsbedingungen mit dem PvV formuliert werden. ¨ 6. Der endg¨ ultige Zustand wird aus der Uberlagerung der Last- und der m Einheitsverformungszust¨ande berechnet. Allein der endg¨ ultige Zustand erf¨ ullt die Gleichgewichtsbedingungen und die Verformungsbedingungen: m M = M0 + M k · Yk . k=1
7. Kontrollen: vorzugsweise Gleichgewichtsbedingungen. 8. Nachlaufrechnung f¨ ur die Querkr¨afte und die Normalkr¨ afte. 9. Berechnung der Knotenverschiebungen f¨ ur den Sehnenpolygonzug mit den Stabdrehwinkeln ψ. Berechnung der Biegelinie aus Verkr¨ ummungen mit ωTabellen.
256
19 Einflusslinien statisch unbestimmter Systeme
19 Einflusslinien statisch unbestimmter Systeme
Die Bedeutung von Einflusslinien f¨ ur Weg- oder Kraftgr¨ oßen ist f¨ ur statisch bestimmte Systeme in Abschnitt 9 sowie 12 erl¨autert. An der Stelle j“ der wirklichen Wanderlast wird die Ordinate der Weg- bzw. ” Kraftgr¨ oße an fester Stelle k“ infolge der Wanderlast abgetragen. ”
19.1 Einflusslinien f¨ ur Weggr¨ oßen Die Berechnung von Einflusslinien f¨ ur Weggr¨oßen verl¨ auft bei statisch bestimmten und statisch unbestimmten Systemen v¨ollig analog.
Beispiel Gesucht ist die Einflusslinie f¨ ur die Durchbiegung wk an der Stelle k f¨ ur eine Wanderlast P = 1 an der Stelle j. P=1 k a
b
j
c
wk
d
Stellt man die Wanderlast P = 1 an eine beliebige Stelle j (hier 1,2,3), 1
1
1
1
2
wk1
3
wk2
wk3
so sind die Durchbiegungen wkj die jeweiligen Einflussordinaten η an der Stelle j = 1, 2, 3. P=1 +
h
1 h1 = wk1
-
2 h2= w k2
k +
3 h3= w k3
d
Den L¨ osungsweg zur Berechnung der Einflusslinien f¨ ur Weggr¨ oßen kann man aus den Arbeitss¨ atzen ableiten. Nach dem Satz von MAXWELL sind die Arbeiten der Last Pk = 1 auf der Verschiebung wkj gleich den Arbeiten der Last D. Dinkler, Grundlagen der Baustatik, DOI 10.1007/978-3-8348-9862-3_19, © Vieweg+Teubner Verlag | Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH 2011
19.1 Einflusslinien f¨ ur Weggr¨oßen
257
Pj = 1 auf der Verschiebung wjk . Hierbei kennzeichnet der erste Index jeweils den Ort, an dem die Arbeit geleistet wird, und der zweite Index jeweils die Ursache der Verschiebung: 1k · wkj = 1j · wjk . Wenn hiermit die gesuchte ortsfeste Verschiebung wkj gleich der Verschiebung wjk ist, ist wjk identisch mit der Einflusslinie η(wkj ). Damit wird die Einflusslinie als die Biegelinie wjk infolge der ortsfesten Last Pk = 1k berechnet. P=1
P=1
j
k j
wkj
k
wjk
fester Ort der Weggr¨oße wandernde Ursache
j k
wandernder Ort der Weggr¨ oße fester Ort der Ursache
Der Satz von Maxwell gilt ganz allgemein f¨ ur beliebige Weggr¨ oßen δkj und konjugierte Einheitskraftgr¨oßen. Kraft- und Weggr¨ oßen sind konjugiert, wenn die Kraftgr¨ oße auf der Weggr¨oße Arbeit leistet, z. B. P −→ w und M −→ ϕ.
Folgerung mit dem Satz von Betti Der Satz von BETTI ist eine allgemeinere Aussage als der Satz von MAXWELL, da er die Arbeiten zweier beliebiger Laststellungen betrachtet. Damit gilt allgemeiner f¨ ur beliebige Weggr¨oßen und Lastbilder auch 1k · δkj = ( beliebiges Lastbild j ) · wjk , ur beliebige Lastbilder verwendet werden sodass die Einflusslinie η = wjk auch f¨ kann. Damit folgt der
Satz: Die Einflusslinie η f¨ ur eine Weggr¨oße an der Stelle k“ ist gleich der ” Biegelinie infolge der konjugierten Kraftgr¨oße 1“ an der Stelle k“. ” ” Einflusslinie η(wkj )
=
Biegelinie wjk Pk = 1
w1k = wk1= h w,h 1
2
3
k
d
258
19 Einflusslinien statisch unbestimmter Systeme
L¨ osungsweg zur Berechnung der Einflusslinien f¨ ur Weggr¨ oßen Die Berechnung einer Einflusslinie f¨ ur eine Weggr¨ oße reduziert sich auf die Berechnung einer Biegelinie infolge der konjugierten Kraftgr¨ oße. Damit folgt der L¨osungsweg: 1. Einheitskraftgr¨oße 1“ konjugiert zur gesuchten Weggr¨ oße auf das statische ” System geben. Hierbei gilt Tabelle 19.1. 2. Momentenlinie M infolge der Einheitskraftgr¨oße berechnen. 3. Biegelinie infolge der Einheitskraftgr¨oße f¨ ur die von der Wanderlast ber¨ uhrten St¨ abe berechnen. Beispiele f¨ ur die Berechnung der Biegelinie von Stabtragwerken unter Ein” heitslasten“ sind f¨ ur das Kraftgr¨oßenverfahren in Abschnitt 14 und f¨ ur das Drehwinkelverfahren in Abschnitt 17 gegeben. Tabelle 19.1 Einflusslinien f¨ ur Weggr¨oßen an der Stelle k Einflusslinie Verschiebung Verdrehung Spreizung Knick
ηw ηϕ ηΔw ηΔϕ
vorgeben −→ −→ −→ −→
Einzellast 1“ in k ” Einzelmoment 1“ in k ” gegenwirkendes Kr¨ aftepaar 1“ in k ” gegenwirkendes Doppelmoment 1“ in k ”
Die gedachte Kraftgr¨oße 1“ f¨ ur die Berechnung der Einflusslinien f¨ ur Weg” gr¨oßen hat nichts mit dem Prinzip der virtuellen Kr¨afte gemeinsam, da beim Satz von BETTI beide Zust¨ande die Gleichgewichts- und die Verformungsbedingungen erf¨ ullen m¨ ussen. Dagegen muss der virtuelle Spannungszustand beim PvK nur das Gleichgewicht erf¨ ullen.
Auswertung von Einflusslinien f¨ ur Weggr¨ oßen Die Auswertung von Einflusslinien f¨ ur Weggr¨oßen folgt aus dem Satz von Betti, mit dem die gesuchte Weggr¨oße f¨ ur beliebige Laststellungen berechnet werden kann: δkj = ( beliebiges Lastbild j ) · η. Hiermit m¨ ussen die Arbeiten“ der Lasten auf der Einflusslinie η berechnet ” werden, siehe auch Abschnitt 19.4.
19.2 Einflusslinien f¨ ur Kraftgr¨oßen
259
19.2 Einflusslinien f¨ ur Kraftgr¨ oßen Grunds¨ atzlich besteht bei der Ermittlung der Einflusslinien von Kraftgr¨ oßen kein Unterschied darin, ob es sich um ein statisch bestimmtes oder ein statisch unbestimmtes System handelt. Die Berechnung erfolgt am einfachsten nach der kinematischen Methode mit Hilfe des Prinzips der virtuellen Verschiebungen.
Satz von Land Man erh¨ alt die Einflusslinie f¨ ur eine Kraftgr¨oße an der Stelle k“, indem ” man die zur gesuchten Kraftgr¨oße konjugierte Weggr¨ oße −1“ an der ” Stelle k“ als Verformungsfall einpr¨agt. Die Biegelinie infolge −1“ ist ” ” mit der Einflusslinie f¨ ur die Kraftgr¨oße identisch. Dieser Satz gilt sowohl f¨ ur das Kraft- als auch f¨ ur das Weggr¨ oßenverfahren. Nur der Weg zur Ermittlung der Einflusslinie η ist bei beiden Verfahren verschieden.
19.2.1 Statisch bestimmte Systeme Bei statisch bestimmten Systemen ist die Verschiebungsfigur infolge einer Weggr¨ oße −1“ vergleichbar der Verschiebung einer kinematischen Kette mit ei” nem Freiheitsgrad. Sie setzt sich aus geraden Linienz¨ ugen zusammen, siehe Abschnitt 9.
Beispiel Gesucht ist die Einflusslinie f¨ ur das Moment M an der Stelle k. Mit dem Prinzip der virtuellen Verschiebungen folgt: 1. L¨ osung der Bindung in k, die zum gesuchten Biegemoment geh¨ort. Das Schnittmoment Mk ist als ¨außeres Doppelmoment aufzubringen.
Pj = 1 j
k
2. Vorgabe der virtuellen Verschiebungen infolge Knick ϑ¯ = −¯1. 3. Anschreiben der virtuellen Arbeiten des Schnittmomentes an der Stelle k“ ” und der Wanderlast an der Stelle j“. ” Die inneren Arbeiten sind null. A¯ = Pj · δ¯j + Mk · ϑ¯k = 0.
Pj = 1 Mk Pj = 1
Mk
J= 1
260
19 Einflusslinien statisch unbestimmter Systeme
Mit ϑ¯k = −¯ 1 und Pj = 1 folgt aus dem PvV zun¨ achst 1 · δ¯j = Mk · ¯1
sowie δj (−1) = Mk ,
wenn der virtuelle Charakter des Knicks gek¨ urzt“ wird, siehe Abschnitt 9. ” Damit ist die Verschiebungsfigur δj (−1) mit der Einflusslinie ηMk identisch, wenn die Einflusslinie an der Stelle j jeweils die Gr¨ oße des Momentes Mk angibt ηMk = δj (−1).
19.2.2 Statisch unbestimmte Systeme Bei statisch unbestimmten Systemen ist die Verschiebungsfigur infolge einer Weggr¨ oße −1“ eine Biegelinie aus gekr¨ ummten Linienz¨ ugen. ”
Beispiel Gesucht ist die Einflusslinie f¨ ur das Moment Mk im Punkt k. Die Anwendung des Prinzips der virtuellen Verschiebungen gibt: 1. L¨ osen der Bindung in k, die zur gesuchten Kraftgr¨ oße geh¨ort. Das Schnittmoment Mk ist als ¨außere Kraftgr¨oße aufzubringen. 2. Vorgabe der virtuellen Verschiebungen infolge des Knicks ϑ¯k = −¯1. 3. Aufschreiben der virtuellen Arbeiten, die der Spannungszustand infolge Pj = 1 auf den virtuellen Verschiebungen infolge ϑ¯ = −1 leistet. Hier sind zun¨ achst auch innere Arbeiten infolge Verkr¨ ummungen zu beachten. Es gilt zun¨ achst allgemein
P=1 k
j P=1
j
Mk
P=1
h
dj J= 1
A¯ = A¯a + A¯i = 0. Die ¨ außeren virtuellen Arbeiten sind wie bisher A¯a = Pj · δ¯j + Mk · ϑ¯k . Hier ist Mk das Moment im Punkt k infolge der Wanderlast Pj = 1. F¨ ur die inneren virtuellen Arbeiten gilt zun¨achst A¯i = M (Pj = 1) κ ¯ (ϑ¯k = −¯ 1) dx
19.2 Einflusslinien f¨ ur Kraftgr¨oßen
261
und mit der Werkstoffgleichung ¯ (ϑ¯k = −¯ 1) M A¯i = − M (Pj = 1) dx. EI Hierbei sind M (Pj = 1)
die Momentenlinie am statisch unbestimmten System infolge Wanderlast Pj = 1. Die Momentenlinie ist im Gleichgewicht.
¯ (ϑ¯ = −¯ M 1)/EI
die virtuelle Verkr¨ ummung des statisch unbestimmten Systems infolge des virtuellen Knicks ϑ¯ = −¯ 1 im Punkt k.
Entsprechend Verformungskontrolle I nach Abschnitt 14.7.3 kann man die inneren Arbeiten auf die Arbeiten der Last- und Einheitsspannungszust¨ ande umschreiben. Es bleibt ¯0 M dx. A¯i = − M EI ¯0 /EI beschreibt die Verkr¨ κ¯0 = −M ummung des statisch bestimmten Hauptsystems. Da die Verschiebungen des Hauptsystems infolge des Knicks ϑ¯ = −¯ 1 geradlinig sind, ist die Verkr¨ ummung identisch null. Es gilt damit A¯i = 0. Hiermit vereinfacht sich der Arbeitssatz wie bei statisch bestimmten Systemen zu A¯ = Pj · δ¯j + Mk · ϑ¯ = 0. Mit Pj = 1 und ϑ¯ = −¯1 folgt δj (−1) = Mk und hiermit die Einflusslinie ηMk = δj (−1). Die Einflusslinie f¨ ur das Biegemoment Mk ist identisch mit der Biegelinie infolge eines Knicks ϑ = −1. Im Unterschied zu statisch bestimmten Systemen ist die Einflusslinie bei statisch unbestimmten Systemen gekr¨ ummt.
L¨ osungsweg zur Berechnung der Einflusslinien f¨ ur Kraftgr¨ oßen Der L¨ osungsweg f¨ ur die Berechnung von Einflusslinien f¨ ur Kraftgr¨ oßen ist damit analog zu dem L¨ osungsweg f¨ ur die Berechnung von Einflusslinien f¨ ur Weggr¨ oßen. Beispiele sind f¨ ur das Kraftgr¨oßenverfahren in Abschnitt 14 und f¨ ur das Drehwinkelverfahren in Abschnitt 17 gegeben.
262
19 Einflusslinien statisch unbestimmter Systeme
1. Einheitsweggr¨ oße −1“ konjugiert zur gesuchten Kraftgr¨ oße vorgeben, siehe ” Tabelle 19.2. 2. Momentenlinie M infolge Einheitsweggr¨oße berechnen. 3. Biegelinie infolge Einheitsweggr¨oße f¨ ur die von der Wanderlast P ber¨ uhrten St¨ abe berechnen. Tabelle 19.2 Einflusslinien f¨ ur Kraftgr¨oßen an der Stelle k Einflusslinie
vorgeben
Schnittmoment ηM Querkraft ηQ
−→ −→
Knick Δϕ = −1 in k Spreizung Δw = −1 in k
Normalkraft
−→
Klaffung Δu = −1 in k
ηN
19.3 Analogie der Einflusslinien f¨ ur Weg- und Kraftgr¨ oßen Einflusslinien f¨ ur Weggr¨oßen
Einflusslinien f¨ ur Kraftgr¨ oßen
Die Einflusslinie einer Weggr¨oße folgt aus dem BETTI-Satz (δjk = δkj ) und wird mit einer gedachten Kraftgr¨oße 1“ berechnet. Die zu der Weggr¨oße ” konjugierte gedachte Kraftgr¨oße wird an der Stelle der gesuchten Weggr¨oße angesetzt.
Die Einflusslinie einer Kraftgr¨ oße folgt aus dem Prinzip der virtuellen Verschiebungen (A¯ = 0). Die zu der gesuchten Kraftgr¨ oße konjugierte gedachte Weggr¨ oße −1“ wird an der ” Stelle der gesuchten Kraftgr¨ oße angesetzt.
Die Einflusslinie f¨ ur die Verdrehung ϕc ist die Biegelinie infolge Mc = 1.
Die Einflusslinie f¨ ur die Lagerkraft Fa ist die Biegelinie infolge δa = −1.
a
Mc = 1 c
b hj
+
da = 1
+ hv
Damit gilt f¨ ur beliebige statische Systeme:
Satz Die Einflusslinie einer Weg- bzw. Kraftgr¨oße ist gleich der Biegelinie infolge der konjugierten Kraft- bzw. Weggr¨oße −1“ bzw. 1“, die mit der ” ” gesuchten Zustandsgr¨oße Arbeit leistet.
19.4 Einflusslinien bei Durchlauftr¨agern und deren Auswertung
263
19.4 Einflusslinien bei Durchlauftr¨ agern und deren Auswertung F¨ ur nachfolgenden Durchlauftr¨ager sollen Einflusslinien f¨ ur verschiedene Kraftund Weggr¨ oßen qualitativ bestimmt werden. 1 a
3
2 b
c
5
4 d
e
f
Die Einflusslinien kann man in der Regel anschaulich ermitteln und f¨ ur die Festlegung ung¨ unstiger Laststellungen verwenden. WP
r
EL f¨ ur Mr
J= 1 WP
EL f¨ ur M c
WP
J= 1 dQ = 1
EL f¨ ur Q r
r WP
WP
EL f¨ ur Qc links
dQ = 1
WP
1 r
EL f¨ ur wr
EL f¨ ur ϕa
1
Ung¨ unstige Laststellungen bei Durchlauftr¨ agern In der Regel werden Nutzlasten bei Durchlauftr¨agern in Lagerh¨ ausern, Parkh¨ ausern u. ¨ a. feldweise variiert. Ung¨ unstige Laststellungen f¨ ur Extremwerte der Zustandsgr¨ oßen kann man daher mit dem Vorzeichen der Einflusslinie feststellen.
264
19 Einflusslinien statisch unbestimmter Systeme
Mmax in Feld 1,3,5 und Mmin in Feld 2,4
Mmax in Feld 2,4 und Mmin in Feld 1,3,5
(Mc )min und (Qc links )min
(Mc )max und (Qc links )min
Auswertung f¨ ur bewegte Lastbilder Die Auswertung von Einflusslinien f¨ ur eine Kraftgr¨ oße F erfolgt analog zum PvV
F =
n j=1
Pj · ηj +
n j=1
Mj ·
ηj
q · η(x)dx.
+ l
P sind Einzellasten, M sind Einzelmomente und q ist eine Streckenlast. Die ur die Arbeit der Einzelmomente wesentlich. Neigung η der Einflusslinie ist f¨ Bei Eisenbahnbr¨ ucken erfolgt die Auswertung von Einflusslinien mit Lastenz¨ ugen gem¨ aß den Vorschriften der Deutschen Bahn. F¨ ur den Lastenzug UIC 71 [25] wird dabei P = 250 kN und p = 80 kN/m angesetzt. Die Einzellasten P entsprechen den Radlasten der Zugmaschine, die Streckenlasten p den Waggons. Der Zug muss so u ucke gef¨ uhrt werden, dass der ung¨ unstigste Wert ¨ ber die Br¨ der gesuchten Schnittgr¨oße bestimmt werden kann.
19.4 Einflusslinien bei Durchlauftr¨agern und deren Auswertung
2
1
q
x
3
4
P
q
l3
x0
l5
WP
dc= 1 WP
h(x)c
+ hj
265
+ WP
Im Bild ist die Einflusslinie f¨ ur die Lagerkraft Fc gegeben, die gleich der Biegelinie infolge Lagerverschiebung −1“ ist. Die Berechnung der Lagerkraft erfolgt ” mit 4 Fc = 250 · ηj + 80 · η(x) dx + 80 · η(x) dx. j=1
l3
l5
angig sind, Da die Ordinaten ηj der Einflusslinie von der Laststellung x0 abh¨ m¨ ussen in der Regel mehrere Berechnungen mit verschiedenen x0 durchgef¨ uhrt werden.
SPANNUNGSTHEORIE II. ORDNUNG
269
20 Stabtragwerke nach Theorie II. Ordnung
St¨ abe unter hoher L¨angsbelastung k¨onnen zur Seite ausweichen, wenn die L¨ angsbelastung bestimmte Grenzwerte erreicht oder u ¨ berschreitet. Bei perfekten, ideal geraden St¨ aben wird dies als Knicken bezeichnet. Knicken beschreibt einen Vorgang, bei dem sich das Tragverhalten des Stabes schlagartig ver¨ andert. Unterhalb der Knicklast tr¨agt der Stab die L¨angsbelastung als Druckstab. Beim Knicken verkr¨ ummt sich der Stab, sodass zus¨atzlich die Biegetragwirkung aktiviert wird. Dieser Vorgang tritt pl¨otzlich und ohne Vorank¨ undigung ein und ist in der Regel mit großen Verformungen verbunden. Bei der Bemessung knickgef¨ ahrdeter Stabtragwerke sind daher die Sicherheiten f¨ ur • die Spannungen gegen Erreichen der zul¨assigen Spannungen, • die Stabilit¨ at gegen Erreichen der Knicklast und • die Gebrauchstauglichkeit gegen Erreichen großer Verformungen nachzuweisen. An Stelle des Stabilit¨atsnachweises kann man nach DIN 18 800 auch den Nachweis nach Spannungstheorie II. Ordnung (Theorie II. Ordnung) durchf¨ uhren, und hat hiermit die M¨oglichkeit, alle drei Nachweise mit einem Berechungsschritt zu erf¨ ullen. Bei Anwendung der Theorie II. Ordnung werden oft Last-Weg-Diagramme zur Veranschaulichung des Tragverhaltens verwendet, da hier die Steifigkeiten und die Grenzlasten des Systems deutlich zu erkennen sind, siehe Bild 20-1. Th. II. O. Zug Theorie I. O.
Th. II. O. Druck
l E : Eulersche Knicklast
Bild 20-1 Geometrisch nichtlineares Tragverhalten von Knickst¨aben
D. Dinkler, Grundlagen der Baustatik, DOI 10.1007/978-3-8348-9862-3_20, © Vieweg+Teubner Verlag | Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH 2011
270
20 Stabtragwerke nach Theorie II. Ordnung
Die Theorie II. Ordnung setzt realit¨atsnahe imperfekte Systeme mit Vorverformungen und Querlasten an, sodass die Biegetragwirkung grunds¨ atzlich auch unterhalb der Knicklast vorhanden ist. Bei L¨angsdruck λ P entstehen Biegeverformungen allerdings nicht nur durch die Querbelastung λ H, sondern auch durch Umlenkung der Normalkr¨afte N entlang der verformten Stabachse. Dies bedeutet, dass die Verformungen des Tragwerks im Gleichgewicht ber¨ ucksichtigt werden m¨ ussen. Wenn der Stab unter Druck zur Seite ausweicht, w¨ achst die Umlenkwirkung mit steigendem L¨ angsdruck u ¨berproportional an. Ein nichtlineares Tragverhalten ist die Folge. Man bezeichnet die Theorie II. Ordnung daher auch als geometrisch nichtlineare Theorie. St¨abe unter steigendem L¨ angsdruck n¨ ahern sich so mit anwachsenden Durchbiegungen von unten der Knicklast. Gleichzeitig wachsen die Spannungen aus L¨angsdruck und Biegung. Damit sind die Verformungen und die Spannungen f¨ ur jedes Lastniveau berechenbar und bekannt, und die Sicherheitsnachweise k¨onnen direkt ohne Umweg“ u ¨ ber die Knicklast ” durchgef¨ uhrt werden. Entsprechend Bild 20-1 gilt f¨ ur den Fall eines gezogenen oder gedr¨ uckten Einzelstabes Folgendes: 1. Die Theorie I. Ordnung ist geometrisch linear und beschreibt das lineare Tragverhalten des Stabes unter Druck, Zug oder Biegung. Die Theorie II. Ordnung beschreibt das realit¨atsn¨ahere nichtlineare Tragverhalten, bei dem Druck/Zug und Biegung gekoppelt sind. 2. Bei Druck ohne Querbiegung (H = 0) liegt f¨ ur perfekte, gerade St¨ abe ein Verzweigungsproblem vor, wenn die Knicklast erreicht ist. F¨ ur die Knicklast existieren infinitesimal benachbarte Gleichgewichtszust¨ ande mit Biegeverformungen. Die Spannungen werden nach Theorie I. Ordnung berechnet. Zus¨ atzlich ist die Knicklast mit der linearen Stabilit¨atstheorie zu bestimmen. 3. Bei Zug mit Querbiegung (H = 0) versteift das System, der Stab wird ge” rade“ gezogen, sodass sich die Verkr¨ ummungen aus Querlast verringern. Die ur eine gute N¨aherung. Theorie I. Ordnung ist hierf¨ 4. Bei Druck mit Querbiegung (H = 0) wachsen die Biegeverformungen bereits unterhalb der Knicklast u orende ¨berproportional an, sodass der hierzu geh¨ Spannungszustand direkt f¨ ur den Sicherheitsnachweis ber¨ ucksichtigt werden kann. Das Knicken des Stabes ist hier implizit erfasst. Die Theorie II. Ordnung beschreibt das Trag- und Verformungsverhalten von Rahmentragwerken realit¨atsnah und kann den Knicksicherheitsnachweis ersetzen, wenn die Biegeverformung aus Einwirkung der Knickfigur aus Stabknickung entspricht.
20.1 Einf¨ uhrung in die Theorie II. Ordnung
271
20.1 Einf¨ uhrung in die Theorie II. Ordnung Wenn die Verformungen im Gleichgewicht ber¨ ucksichtigt werden sollen, unterscheidet man je nach Gr¨oße der Verformungen unterschiedlich genaue Theorien. F¨ ur die Anwendung der unterschiedlichen Tragwerkstheorien ist es ganz wesentlich, die Grenzen der Modelle zu kennen, da die Tragwerksanalyse sonst zu v¨ ollig falschen Ergebnissen gelangen kann.
Theorie I. Ordnung Alle Grundgleichungen d¨ urfen nach Theorie I. Ordnung am unverformten System aufgestellt werden, wenn der Einfluss der Systemverformungen auf den Trag- und Verformungszustand vernachl¨ assigbar ist. Dies bedeutet f¨ ur nebenstehendes System, dass sich das Kragarmende horizontal verschiebt und das Versatzmoment aus L¨angskraft P und Verschiebung w0 keinen Einfluss auf die Momentenlinie M hat. Damit gilt Mu = H · und N = P .
l
l
Geometrisch nichtlineare Theorie Wenn die Verformungen des Tragwerks groß sind, m¨ ussen alle Grundgleichungen am verformten System aufgestellt und gel¨ost werden, was jedoch nur f¨ ur Einzelf¨ alle gelingt. Dies bedeutet f¨ ur die Gleichgewichtsbedingungen, dass die Versatzmomente infolge w0 und Δ in der Gr¨oßenordnung der Momente nach Theorie I. Ordnung liegen k¨onnen und nicht vernachl¨ assigbar sind. Die L¨ osung der nichtlinearen Grundgleichungen f¨ uhrt in der Regel auf sehr komplexe Zusammenh¨ange zwischen allen Zustandsgr¨ oßen ε = f (u , w ...), κ = f (u , w , w , ...), Δ = f (ε, κ, ...), Mu = H · ( − Δ ) + P · w0 , N = f (P, H, w).
l
l
l
l
272
20 Stabtragwerke nach Theorie II. Ordnung
Theorie II. Ordnung F¨ ur baupraktische F¨alle sind die Verformungen zwar endlich, aber so klein, dass nur die wesentlichen Anteile beachtet werden m¨ ussen. Vernachl¨ assigbare Anteile h¨ oherer Ordnung sind u. a. die L¨angen¨anderungen aus Normalkr¨ aften und die Absenkungen Δl von Knoten infolge Stabdrehungen sowie die genauen Verkr¨ ummungen aus Durchbiegung. Die einzig wichtigen Anteile sind dann die Versatzmomente aus Normalkr¨aften und Biegeverformungen. Hiermit vereinfachen sich die Gleichgewichtsbedingungen zu Mu = H · l + P · w0 ,
N = P.
Genaue Berechnungen mit aufw¨andigen numerischen Verfahren zeigen, dass bei Stabtragwerken zwei Anteile aus Theorie II. Ordnung in den Gleichgewichtsbedingungen von Bedeutung sind. 1. Die Versatzmomente aus Normalkraft und Biegelinie w(x) ver¨ andern die Trageigenschaften der Einzelst¨abe. 2. Die Schiefstellungen ψ von Tragwerksst¨aben bewirken Versatzmomente ¨ P · ψ · , die eine wesentliche Anderung des globalen Tragverhaltens bewirken k¨ onnen. Die Einwirkungen sind von vornherein mit einem Sicherheitsbeiwert γ zu versehen, da das Last-Verschiebungsverhalten nichtlinear ist und das Superpositionsgesetz nicht mehr gilt, siehe Bild 20-1. Wenn die Schnittgr¨ oßen M, Q, N mit den γ-fachen Einwirkungen berechnet sind, darf der Spannungsnachweis entsprechend den Sicherheitskonzepten z. B. nach DIN 18 800 erfolgen.
Anwendungsbereiche der Theorie II. Ordnung Die Spannungstheorie II. Ordnung kann man f¨ ur die Berechnung von Tragwerken mit großen Zug- oder Druckkr¨aften einsetzen, da sie hier realit¨ atsn¨ ahere Ergebnisse liefert. Dies sind 1. bei Zug:
2. bei Druck:
Genauere Berechnung von stark verformbaren Tragwerken (Seilnetze, H¨angebr¨ ucken). Hier ist im Einzelfall eine noch genauere Theorie erforderlich, wenn sich die Seile stark dehnen k¨onnen. Ersatz des Stabilit¨atsnachweises nach DIN 18 800 Teil 2 (Rahmentragwerke mit schlanken St¨ utzen).
Der Stabilit¨ atsnachweis darf durch eine Berechnung nach Theorie II. Ordnung ersetzt werden, wenn die Verformungsfigur des Tragwerks die zur niedrigsten
20.1 Einf¨ uhrung in die Theorie II. Ordnung
273
Knicklast geh¨ orende Knickfigur enth¨alt. Mit kleiner St¨ orlast Ps oder einer Vorverformung ψo als Imperfektion wird das Verzweigungsproblem zum Spannungsproblem, und die Theorie II. Ordnung f¨ uhrt zum richtigen Ergebnis. Nachfolgender symmetrischer Rahmen ist symmetrisch belastet. Die Last bewirkt eine symmetrische Biegelinie, die dem Verformungszustand nach Theorie I. Ordnung entspricht. Trotz Biegeverformung aus symmetrischer Last liegt hier ein Knickfall vor, da das System mit Erreichen der 1. Knicklast vom symmetrischen Verformungszustand in die erste antisymmetrische Knickfigur umspringt. P
P
P
q
P q
y
o
Der symmetrische Verformungszustand bewirkt einen Spannungszustand entsprechend Theorie I. Ordnung, der das Ausknicken des Systems nicht erfassen kann. Dieser Ansatz f¨ uhrt am symmetrischen System zum falschen Spannungszustand.
y
o
Mit einer Anfangsschiefstellung ψ0 als Imperfektion weicht das System auch unterhalb der Knicklast zur Seite aus. Die Theorie II. Ordnung kann so den unsymmetrischen Verformungszustand entsprechend der 1. Knickfigur erfassen.
Prinzipielle L¨ osungswege durch Iteration Nichtlineare Aufgabenstellungen m¨ ussen in der Regel iterativ mit wiederholter Linearisierung der Aufgabe gel¨ost werden. Die Iteration beginnt mit dem Ergebnis nach Theorie I. Ordnung: N1 , w1 . In jedem Iterationsschritt wird entweder N oder w aus dem vorangegangenen L¨osungsschritt u ¨ bernommen und sukzessive verbessert.
1. Variante nach dem Kraftgr¨ oßen-Verfahren (KV) Die Biegelinie w wird iterativ ermittelt. Die Konvergenz der Iteration ist langsamer als bei der 2. Variante, da sich die Verschiebungen in der Iteration stark andern. Außerdem ist die Berechnung der Knotenweggr¨ oßen relativ aufw¨ andig. ¨
274
20 Stabtragwerke nach Theorie II. Ordnung
P
P
H
w1 w2
Die Knotenweggr¨ oßen werden mit dem PvK und dem Reduktionssatz in jedem Iterationsschritt berechnet, sodass die Versatzmomente Pj · δj im Lastspannungszustand zus¨ atzlich ber¨ ucksichtigt werden k¨ onnen. Die Iteration endet, wenn mit der richtigen Biegelinie Gleichgewicht am verformten System erreicht ist.
2. Variante nach dem Drehwinkel-Verfahren (DV) Die Normalkr¨ afte N werden iterativ berechnet, bis mit den richtigen L¨ angskr¨ aften Gleichgewicht am verformten System erreicht ist. Die Konvergenz ist schneller als bei der 1. Variante, da sich die Normalkr¨ afte in der Iteration nur wenig ¨ andern und die Biegelinie mit den Knotenverdrehungen und der Stabschiefstellung ψ in y y den Gleichgewichtsbedingungen als Unbekannte direkt ber¨ ucksichtigt ist. Vorteilhaft ist, dass das Drehwinkelverfahren nach Theorie I. Ordnung nur geringf¨ ugig erweitert werden muss. Hier erfolgt die Berechnung nach Theorie II. Ordnung mit dem Drehwinkelverfahren. Die sukzessive Erweiterung auf das Weggr¨ oßenverfahren ist m¨ oglich.
20.2 Stabendmomente nach Theorie II. Ordnung Nachfolgend werden die Anteile aus Verbiegung des Einzelstabes beschrieben, siehe auch Beton-Kalender I 1991 [5]. Die Herleitung gilt f¨ ur schub- und dehnstarre St¨ abe, sowie endliche aber kleine Drehungen. Falls diese Bedingungen nicht erf¨ ullt sind, m¨ ussen in der Regel numerische Verfahren eingesetzt werden, die die Aufgabe n¨aherungsweise l¨osen k¨onnen.
20.2.1 Grundgleichungen am verformten Stab ¨ Die Anderung der Grundgleichungen am differentiellen Element ist bei Theorie II. Ordnung auf die Gleichgewichtsbedingungen beschr¨ ankt. Die Grundgleichungen gelten f¨ ur gerade Balken, EI = konst. und N als Druckkraft positiv.
20.2 Stabendmomente nach Theorie II. Ordnung
275
Die Grundgleichungen der Verformungsgeometrie sind wie bei Theorie I. Ordnung definiert, siehe Abschnitt 3.4.2: Drehung : ϕ = w , Verkr¨ ummung
κ = ϕ .
:
Die Werkstoffgleichung gilt ebenfalls wie bei Theorie I. Ordnung nach Hooke
κ = −M/EI.
:
Die Gleichgewichtsbedingungen am verformten System sind entsprechend Bild 20-2 gegeben. Hierbei ist N als Druckkraft positiv angesetzt. ΣM = 0
:
M = Q,
ΣV = 0
:
Q − (N · ϕ) = −q(x). q
x x
j z,w
Nj
d(Nj)/2
Nj + d(Nj)/2
Bild 20-2 Normalkr¨afte am differentiellen Element bei Theorie II. Ordnung Mit konstanter Normalkraft N und konstantem EI kann man die Grundgleichungen zusammenfassen: EIw + N · w = q(x). Die Gesamtl¨ osung w(x) der Differentialgleichung kann f¨ ur gegebene Normalkraft N wie gewohnt analytisch berechnet werden. Ohne explizite Herleitung gilt w(x) = wp + c1 + c2 · x + c3 · sin λx + c4 · cos λx. N / EI. Die Geamtl¨osung enth¨alt die Partikularl¨ osung wp Hierbei ist λ = f¨ ur die rechte Seite und die homogene L¨osung bei verschwindender rechter Seite zur Anpassung der Gesamtl¨osung an die Randbedingungen des Einzelstabes. Beim Drehwinkelverfahren wird jedoch nicht die Biegelinie ben¨ otigt, sondern die Stabendmomente Ma , Mb aus Last und Knotenweggr¨ oßen. Diese kann man mit den Grundgleichungen aus der analytischen L¨osung w(x) f¨ ur gegebene Normalkraft berechnen.
276
20 Stabtragwerke nach Theorie II. Ordnung
20.2.2 L¨ osungsweg beim Drehwinkelverfahren In der Theorie II. Ordnung besteht zwischen den Einwirkungen und den Zustandsgr¨ oßen ein nichtlinearer Zusammenhang. Das Superpositionsgesetz gilt also nicht mehr. Dennoch kann das Drehwinkelverfahren f¨ ur γ–fache Einwirkungen zur Berechnung der Tragwerksverformungen eingesetzt und die Momentenlinie M des Einzelstabes additiv aus M 0 und allen M i · Yi berechnet werden. Dies ist m¨oglich, weil die Normalkraft im Iterationsschritt konstant ist, und weil die Nichtlinearit¨aten infolge N direkt in den Gleichgewichtsbedingungen des Drehwinkelverfahrens ber¨ ucksichtigt werden. Daher m¨ ussen – die Stabendmomente M 0 aus Last und – die Stabendmomente M i aus den Drehwinkeln ϕa , ϕb sowie ψ = Δw/l nach Theorie II. Ordnung am Einzelstab zur Verf¨ ugung stehen, siehe nachfolgende Abbildung.
Die Stabendmomente infolge Drehwinkel kann man wie folgt ansetzen: Ma Mb
EI EI EI ϕa + β ϕb + (α + β) ψ EI EI EI ϕa + α ϕb + (α + β) ψ. = Mb0 + β = Ma0 + α
Die Steifigkeitskoeffizienten nehmen in der linearen Theorie I. Ordnung die Werte α = 4, 0 und β = 2, 0 sowie γ = 3, 0 an. In der nichtlinearen Theorie II. Ordnung sind sie abh¨angig von der Stabschlankheit l/i und der Druckkraft N , die in einem dimensionslosen Schlankheitsgrad ε zusammengefasst sind. ε ist definiert zu ! ! ! |N | |N | I l oder ε = · mit dem Tr¨ agheitsradius i = . ε=l· EI i EA A Nachfolgend sind die Steifigkeitskoeffizienten α(ε), β(ε), γ(ε) f¨ ur Druckkr¨ afte als Tabelle angegeben, die f¨ ur eine Handrechnung ausreichend genau ist. In der Literatur sind zus¨atzlich auch analytische und graphische Darstellungen angegeben, siehe z. B. [5].
20.2 Stabendmomente nach Theorie II. Ordnung
277
Tabelle 20.1 Steifigkeitskoeffizienten f¨ ur die Stabendmomente [5]
Infolge L¨ angsdruckkraft mit ε = 1, 20 ver¨andert sich die Momentenlinie aus Knotendrehung ϕa wie im Bild dargestellt. Anschaulich wird der Stab nach unten herausgedr¨ uckt, sodass die Verkr¨ ummung und damit das Stabendmoment am linken Stabende verringert werden und am rechten Stabende zunehmen.
genaue Theorie II. Ordnung
Theorie I. Ordnung
278
20 Stabtragwerke nach Theorie II. Ordnung
Aus dem Verlauf der Steifigkeitskoeffizienten in Abh¨ angigkeit von ε kann man folgende Hinweise f¨ ur die Anwendung des Drehwinkelverfahrens ableiten. 1. Bei gedrungenen St¨aben mit ε < 1, 2 kann man n¨ aherungsweise α = 4, 0 und β = 2, 0 ansetzen, da der Fehler bei ε = 1, 2 kleiner als 5 % ist. Der Fehler am Gesamtsystem ist in der Regel noch kleiner, wenn Anteile aus Knotenverschiebungen hinzukommen. Dies gilt f¨ ur fast alle Stahlbetonrahmen, zumal die Biegesteifigkeit von Stahlbetonquerschnitten nicht genau erfassbar ist, z. B. im gerissenen Zustand. 2. Bei schlanken St¨aben unter Druck mit ε > 1, 2 sind die genauen Steifigkeitskoeffizienten mit kleineren α- und gr¨oßeren β-Werten anzusetzen. Dies betrifft vor allem die in der Regel schlanken Stahlst¨ utzen mit großen Druckkr¨ aften. 3. Bei Zugkr¨ aften sind gr¨oßere α-, γ- und kleinere β-Werte vorhanden, da die St¨ abe unter Zug versteifen“. Hier k¨onnen die Werte nach Theorie I. Ordnung ” verwendet werden.
Last- und Einheitsverformungszust¨ ande In der nachfolgenden Tabelle 20.2 sind die Stabendmomente am Einzelstab f¨ ur den Lastverformungszustand angegeben, siehe [5]. Tabelle 20.2 Stabendmomente aus Einwirkungen +
+ a
EJ
b
+ a
EJ
b
b (1+ a )
20.2 Stabendmomente nach Theorie II. Ordnung
279
In Tabelle 20.3 folgen die Stabendmomente am Einzelstab f¨ ur die Einheitsverformungszust¨ ande ϕ = 1/EIc und ψ = 1/EIc . Tabelle 20.3 Stabendmomente aus Einheitsverformungen Stabgeometrie
1/EJ c ,
,
1/EJc
1
=l J c /J
1
Die Momentenlinien am Einzelstab sind infolge der Drucknormalkraft nichtlinear, werden aber in der Regel vereinfachend linear dargestellt.
280
20 Stabtragwerke nach Theorie II. Ordnung
20.2.3 Beispiel 1: Knickstab Am nachfolgend berechneten Knickstab soll gezeigt werden, wie sich die Stabendmomente aus Theorie II. Ornung auf die Momentenlinie auswirken. Die Berechnung erfolgt f¨ ur γ-fache Lasten, da das Superpositionsprinzip nicht gilt.
1. System und Belastung Das System ist mit einer Streckenlast γ · q = 0, 6 kN/m sowie zwei Vertikalkr¨ aften mit γ · P = 300 kN belastet. Die Steifigkeiten und die Geometrie sind in untenstehender Tabelle angegeben. Das System ist 1-fach kinematisch unbestimmt. P c Ic / I2 = 1,0
l
m=1
P q
b Ic / I1 = 2,0
l
a
Stab 1
Stab 2
HE − B 200
HE − B 180
-
12.000
8.000
kN m2
0
0
-
L¨ ange
6, 0
6, 0
m
Ic /I
1, 0
1, 5
-
l = l · Ic /I
6, 0
9, 0
m
gesch¨ atzte N
600
300
kN
ε=l·
1, 34
1, 16
-
Profil EI Imperfektion ψ0
N/EI
[
]
20.2 Stabendmomente nach Theorie II. Ordnung
281
2. Stabendmomente Die Abweichungen der α, β, γ-Werte von denen nach Theorie I. Ordnung sind hier ber¨ ucksichtigt, da der Einfluss aus Stabbiegung wesentlich ist (ε > 1, 2). Stab 1
Stab 2
[
]
α
3, 751
3, 819
-
β
2, 064
2, 048
-
γ
2, 615
2, 719
-
3. Last- und Einheitsverformungszust¨ ande Die Last- und Einheitsverformungszust¨ande sind nachfolgend f¨ ur die Theorie II. Ordnung aufbereitet. Hierbei sind die genauen Stabendmomente entsprechend der jeweiligen Normalkraft angesetzt. Das Stabendmoment des oberen Stabes im Lastverformungszustand ist entsprechend Tabelle 20.2 Mb2 = −q 2 /2α = −2, 88 und die Stabendmomente des Einheitsverformungszustandes aus Tabelle 20.3 Ma1 = β/ = +0, 344, Mb1 = α/ = +0, 625, Mb2 = γ/ = +0, 302.
0,625 2,88
w⁰
M⁰
0,302
w
1
M1 0,334
Lastverformungszustand
Einheitsverformungszustand
4. Gleichgewichtsbedingung Das Momentengleichgewicht ist am Knoten b verletzt. Damit ist anzusetzen: Mb0 + Mb1 · Y1 = −2, 88 + (0, 625 + 0, 302) · Y1 Mb = 0 =
282
20 Stabtragwerke nach Theorie II. Ordnung
5. Au߬ osung des linearen Gleichungssystems
0, 927
· Y1 + − 2, 88 = 0
→
Y1 = 3, 11
6. Ergebnis und Kontrolle ¨ Die Momentenlinie folgt aus der Uberlagerung der Teilmomentenlinien M = M 0 + Y1 · M 1 . Mit Vorzeichen des Drehwinkelverfahrens betr¨agt das St¨ utzmoment Mb2 = −2, 88 + 0, 302 · 3, 11 = −1, 94 kN m und das Einspannmoment Ma1 = 0, 334 · 3, 11 = 1, 04 kN m. Die Theorie I. Ordnung gibt Mb2 = −1, 80 kN m und Ma1 = 0, 90 kN m. Nachfolgende Schnittkr¨afte sind mit den Vorzeichen der Baustatik ermittelt. Hierbei kennzeichnen die Indizes den jeweiligen Knoten und Stab.
C
1,94
B
M
1,04
A
a) Querkr¨afte n¨aherungsweise mit Δ M/ Qa = −(1, 04 + 1, 94)/6, 0 = −0, 50 kN Qb1 = Qa = −0, 50 kN Qb2 = 1, 94/6, 0 + 0, 6 · 6, 0/2 = 2, 12 kN Qc = 1, 94/6, 0 − 0, 6 · 6, 0/2 = −1, 48 kN b) Normalkr¨afte aus Gleichgewicht in c und b N1 = 600 kN N2 = 300 kN c) horizontale Lagerkr¨ afte A = Qa = −0, 50 kN B = −Qb1 + Qb2 = 2, 62 kN C = −Qc = 1, 48 kN
Die Summe der Horizontalkr¨afte: A + B + C − q · = 0, 00. Die Summe der Momente um Punkt a: C · 2 + B · + Ma − q · 1, 5 = 0, 04. Bei dem vorliegenden System ist keine weitere Iteration erforderlich, da die am Anfang der Berechnung gesch¨atzten Normalkr¨afte unver¨ andert bleiben.
20.3 Einfluss der Knotenverschiebungen auf das Gleichgewicht
283
20.3 Einfluss der Knotenverschiebungen auf das Gleichgewicht Bei Theorie II. Ordnung haben die Anteile aus den Knotenverschiebungen einen sehr viel gr¨ oßeren Einfluss auf die Gesamtl¨osung als die Anteile aus den Verkr¨ ummungen der Einzelst¨abe. Dies liegt daran, dass Rahmentragwerke gegen horizontale Lasten relativ nachgiebig sind.
Gleichgewicht bei Stabschr¨ agstellung Normalkr¨ afte auf schr¨ag stehenden St¨aben erzeugen ein die Schr¨ agstellung ver st¨ arkendes Moment H · Δw, das von der Stabl¨angskraft H und den Knotenverschiebungen Δw bzw. den Stabdrehwinkeln ψ abh¨ angt, siehe Bild 20-3. Dies f¨ uhrt dazu, dass die in der Festhaltung wirkende Kraft V entsprechend ver¨ andert wird. Mit dem Momentengleichgewicht am Einzelstab folgt die Lagerkraft V =
Mo − Mu + H · ψ,
die im Stockwerksgleichgewicht entsprechend ber¨ ucksichtigt werden muss. Das am verformten Stab wirkende Moment H · ψ · kann statisch a ¨quivalent am unverformten Stab mit dem Kr¨aftepaar H · ψ im Abstand an den Stabenden beschrieben werden. Die Kr¨aftepaare (Ersatzkr¨afte, Umlenkkr¨ afte) sind senkrecht auf alle St¨ abe anzusetzen, die einen Stabdrehwinkel ψ aufweisen, wobei die ψ die noch unbekannten Stabdrehwinkel sind. H V=
Dw
H
DM +H·Ψ l
H·Ψ
V
l
Ψ
V=
DM +H·Ψ l H
Ψ
H·Ψ
V H
links: Kr¨afte am verformten System rechts: Kr¨afte statisch ¨aquivalent am unverformten System Bild 20-3 Gleichgewicht am Einzelstab
284
20 Stabtragwerke nach Theorie II. Ordnung
Die Formulierung des Gleichgewichts mit dem PvV erfordert eine zus¨ atzliche ¨ Uberlegung. Wenn das Gleichgewicht am verformten System erf¨ ullt sein soll, m¨ ussen die virtuellen Verschiebungen auf das verformte System aufgebracht werden. Da die virtuellen Verschiebungen dehnstarr erfolgen, verschiebt sich der Knoten horizontal um w¯ und vertikal um u¯, sodass die Normalkr¨ afte H die Arbeit H · u¯ leisten. w
w H u
w
Ψ·l Ψ
u
Ψ
l Ψ· Ψ
H
Ψ·l·Ψ
Ψ
Ψ
Ψ
Ψ
Ψ Ψ
Ψ
H
H
links: ohne Schiebeh¨ ulse rechts: mit Schiebeh¨ ulse Bild 20-4 Virtuelle Verschiebungen am verformten System Die Vertikalverschiebung kann man vermeiden, wenn im Stab eine virtuelle Schiebeh¨ ulse so angeordnet wird, dass sich die Schnittufer bei einer reinen Horizontalverschiebung gegeneinander verschieben und die Stabkraft N Arbeit leistet. Die virtuelle Schnittuferverschiebung folgt aus der Kinematik zu ¯ ψ · · ψ. Damit sind die virtuellen Arbeiten in der Schiebeh¨ ulse ¯ A¯s = N · ψ · · ψ. Diese Arbeiten kann man jedoch statisch ¨aquivalent als die Arbeiten des Kr¨ aftepaares N · ψ auf dem virtuellen Weg ψ¯ · am unverformten System deuten, sodass die anschauliche Herleitung nach Bild 20-3 mit dem PvV u ¨ bereinstimmt. Das Konzept der Schiebeh¨ ulse in der virtuellen Verschiebungsfigur ist umfassend im Betonkalender 1976 [4] dargestellt. Bei der Anwendung des PvV setzt man daher die Kr¨ aftepaare N · ψ am unverformten System an und setzt die virtuelle Verschiebung wie bei Theorie I.
20.3 Einfluss der Knotenverschiebungen auf das Gleichgewicht
285
Ordnung ebenfalls am unverformten System an. Hierbei wird die Schiebeh¨ ulse nicht weiter ben¨ otigt. Nach DIN 18 800 sind Vorverformungen ψ0 als Imperfektionen des Systems in St¨ aben mit Druckkr¨aften so zu ber¨ ucksichtigen, dass die Spannungstheorie II. Ordnung das Knickproblem ersetzen kann. Die Vorverformungen sind daher als Anfangsverdrehungen ψ0 zus¨atzlich zu ber¨ ucksichtigen. Sie werden im Lastverformungszustand mit den Umlenkkr¨aften N · ψ0 angesetzt. Mit den Umlenkkr¨aften aus Stabdrehungen und Vorverformungen kann die Berechnung mit dem Drehwinkel-Verfahren wie u uhrt ¨ blich durchgef¨ werden. Hierbei werden die Kr¨aftepaare im Stockwerkgleichgewicht analog zu Bild 20-3 ber¨ ucksichtigt. Zur Beschleunigung der Iteration kann man im ersten Iterationsschritt die Normalkr¨afte N z. B. unter Einhaltung des vertikalen Gleichgewichts absch¨atzen oder einer Berechnung nach Theorie I. Ordnung entnehmen. Da die Iteration selbstkorrigierend ist, hat dies keinen Einfluss auf das Endergebnis.
20.3.1 Beispiel 2: Hallenrahmen Am Beispiel eines Hallenrahmens wird gezeigt, wie der Einfluss der Stabschiefstellung auf die Gleichgewichtsbedingungen nach Theorie II. Ordnung ber¨ ucksichtigt wird.
1. System und Belastung Das System ist mit einer Horizontallast γ · 0, 1P = 20 kN sowie mit Vertikalkr¨ aften γ · P = 200 kN belastet. Die Steifigkeiten und die Geometrie sind in untenstehender Tabelle angegeben. Das System ist 1-fach kinematisch unbestimmt. P
P
2P
0,1 P 3
3 4
2
1
6
1
6
m=1
286
20 Stabtragwerke nach Theorie II. Ordnung
Stab 1 / 2
Stab 3
HE − B 180
HE − B 200
-
EI
8.000
12.000
kN m2
Imperfektion Ψ0
1/200
0
-
L¨ ange
4, 0
6, 0
m
Ic /I
1, 5
1, 0
-
6, 0
6, 0
m
200 / 400
0
kN
< 1, 2
< 1, 2
-
Profil
l = l · Ic /I gesch¨ atzte N ε=l·
N/EI
[
]
2. Steifigkeiten und Stabendmomente Die Abweichungen der α, β, γ-Werte von denen nach Theorie I. Ordnung werden hier nicht ber¨ ucksichtigt, da der Einfluss aus Stabbiegung bei ε < 1, 2 unwesentlich ist, siehe auch Abschnitt 20.2.
3. Last- und Einheitsverformungszust¨ ande Der Lastverformungszustand muss die Vorverformungen ber¨ ucksichtigen, da diese unabh¨ angig vom tats¨achlichen Spannungszustand sind und den Einzelst¨ aben als konstante Schiefstellung zugeordnet werden. Sch¨ atzt man zun¨ achst die Normalkr¨ afte in den vertikalen St¨aben aus Knotengleichgewichten, so kann man die Umlenkkr¨afte N · ψ0 infolge der Anfangsschiefstellung der vertikalen St¨ abe bereits im ersten Iterationsschritt ber¨ ucksichtigen. Weil alle St¨ abe die gleiche Anfangsschiefstellung haben, wird die Umlenkkraft mit der Summe aller vertikalen Kr¨ afte berechnet ΣN ψ0 = ( 200 + 400 + 200 )ψ0 = 800ψ0 = 4 kN. P
2P
P
0,1 P N · Ψ₀ = 4,0 Ψ₀
Ψ₀ w⁰
Ψ₀
4,0 M⁰
20.3 Einfluss der Knotenverschiebungen auf das Gleichgewicht
287
Auch im Einheitsverformungszustand k¨onnen die Umlenkkr¨ afte N · ψ abgesch¨ atzt, zusammengefasst und zus¨atzlich zur Momentenlinie ber¨ ucksichtigt werden. Da alle Stabdrehwinkel gleich groß sind, gilt vereinfachend ΣN ψ = ( 200 + 400 + 200 )/ EIc = 800/ 12.000 = 2/30 = 0, 067 kN. Die Stabendmomente infolge Stabdrehung ψ werden hier wie bei Theorie I. Ordnung mit γ = 3, 0 berechnet. Ψ1 = 1/EIc
N · Ψ = 0,067
0,067 w
1
0,5
M
1
0,5
3/h’ = 0,5
4. Virtuelle Verschiebungsfigur Die virtuelle Verschiebungsfigur wird entgegengesetzt zur wirklichen Verschiebung mit dem virtuellen Stabdrehwinkel ψ¯ aufgebracht. Da hier das Gleichgewicht am verformten System mit den Umlenkkr¨aften statisch ¨ aquivalent am unverformten System erf¨ ullt wird, kann die virtuelle Verschiebungsfigur wie bei Theorie I. Ordnung und ohne Schiebeh¨ ulse angesetzt werden. Die f¨ ur die – 4,0 · Ψ
– Ψ –1 w
virtuellen Arbeiten wichtige Horizontalverschiebung des Riegels ist f¨ ur alle Umlenkkr¨ afte gleich groß.
5. Gleichgewichtsbedingung Das Stockwerkgleichgewicht wird mit dem PvV formuliert. Hierbei wird die Arbeit der Stabendmomente auf den konjugierten Knickwinkeln ψ¯ wie bisher berechnet. Die Arbeit der Umlenkkr¨afte N · ψ0 und N · ψ auf der entsprechenden virtuellen Verschiebung h · ψ¯ = 4, 0 · ψ¯ muss zus¨ atzlich ber¨ ucksichtigt werden, damit das PvV am unverformten System angesetzt werden kann. Diese
288
20 Stabtragwerke nach Theorie II. Ordnung
zus¨ atzlichen Arbeiten sind bei Druckkr¨aften grunds¨ atzlich negativ. ¯ (ΣM − ΣN · ψ · h) · ψ − (P + ΣN · ψ0 ) · h · ψ¯ = 0 ( 3 · 0, 5 Y1 − 0, 067 Y1 · 4 ) · ψ¯ − ( 20, 0 + 4 ) · 4, 0 · ψ¯ = 0 →
Y1 = − 77, 8.
An der Gleichgewichtsbedingung kann man die Wirkung der Umlenkkr¨ afte aus Theorie II. Ordnung anschaulich verstehen. Der Koeffizient auf der linken Seite beschreibt die Steifigkeit des Systems, die infolge der Umlenkkr¨ afte bei Druck verringert wird und damit direkt die Schiefstellung ψ · Y1 vergr¨ oßert. Auf der oßerung der Einrechten Seite bewirkt die Anfangsschiefstellung ψ0 eine Vergr¨ wirkungen, sodass die Schiefstellung des Systems in ung¨ unstiger Richtung weiter vergr¨ oßert wird. Ganz wesentlich ist, dass die nichtlinearen Terme aus Theorie II. Ordnung direkt in der Gleichgewichtsbedingung ber¨ ucksichtigt sind und keine weitere Nebenrechnung erforderlich ist.
6. Momentenlinie und Biegelinie Die Einspannmomente am unteren Ende der St¨ utzen sind hier alle gleich: M = 0, 5 · Y1 = 0, 5 · 77, 8 = 38, 9 kN m. Damit sind auch die Querkr¨afte in den St¨ utzen gegeben: Q = ΔM/ = 38, 9/4 = 9, 5 kN. Die Normalkr¨ afte ¨andern sich gegen¨ uber den Anfangssch¨ atzwerten nicht, da die Riegel gelenkig auf den St¨ utzen liegen und damit den vertikalen Lastabtrag bei Schiefstellung nicht beeinflussen. 2,6 cm 0
0
w
M 38,9
38,9
38,9
Die Schiefstellung des Systems aus Einwirkungen betr¨ agt ψ · Y1 = 0, 065, und die Horizontalverschiebung des Riegels w = ψ · Y1 · = 0, 026 m. Die Ber¨ ucksichtigung der Imperfektion ψ0 bei der Biegelinie ist nicht sinnvoll, da ψ0 eine geometrische Ersatzimperfektion ist und andere Imperfektionen in Geometrie, Werkstoff und Einwirkungen integral ber¨ ucksichtigt.
20.3 Einfluss der Knotenverschiebungen auf das Gleichgewicht
289
20.3.2 Beispiel 3: Rahmen 1. System und Belastung Das System ist mit einer Windlast γ ·q = 0, 6 kN/m sowie zwei Vertikalkr¨ aften mit γ ·P = 600 kN belastet. Die Steifigkeiten und die Geometrie sind in untenstehender Tabelle angegeben. Das System ist 2-fach kinematisch unbestimmt. 2P
P 2 c
b 1
3 4
3
m=2
a d q 4
Das System wird nachfolgend unter γ-facher Belastung berechnet, die in der Tabelle in den Normalkr¨aften bereits ber¨ ucksichtigt ist. Stab 1
Stab 2
Stab 3
HE − B 180
HE − B 200
HE − B 180
-
8.000
12.000
8.000
kN m2
0
0
0
-
L¨ange
3, 0
4, 0
4, 0
m
Ic /I
1, 50
1, 0
1, 50
-
l = l · Ic /I
4, 50
4, 0
6, 0
m
gesch¨ atzte N
1200
0
600
kN
< 1, 20
< 1, 20
< 1, 20
-
Profil EI Imperfektion Ψ0
ε=l·
N/EI
[
]
Das Systemtragverhalten nach Theorie II. Ordnung wird im Wesentlichen von den Umlenkkr¨ aften bestimmt, die vom jeweiligen Stabdrehwinkel ψ abh¨ angen. Zu beachten ist, dass die Umlenkkr¨afte in Stab a − b gr¨ oßer sind, wenn Stab a − b k¨ urzer wird, also die Umlenkwirkung mit kleinerer L¨ ange ansteigt.
290
20 Stabtragwerke nach Theorie II. Ordnung
2. Steifigkeiten Die Abweichungen der α, β, γ-Werte von denen nach Theorie I. Ordnung sind so gering, dass dieser Einfluss aus Stabbiegung bei einer Berechnung nach Theorie II. Ordnung vernachl¨assigt werden kann (ε < 1, 2, siehe Abschnitt 20.2).
3. Last- und Einheitsverformungszust¨ ande Die Last- und Einheitsverformungszust¨ande sind nachfolgend f¨ ur die Theorie II. Ordnung aufbereitet. Im Lastverformungszustand m¨ ussen die Umlenkkr¨ afte aus Imperfektion ber¨ ucksichtigt werden. Wegen ungewollter Schr¨ agstellung als Imperfektion werden die Umlenkkr¨afte mit gesch¨atztem N zu N · ψ0 = 600/200 = 3, 0 kN bzw. N · ψ0 = 1200/200 = 6, 0 kN angesetzt. Die Imperfektion wirkt ung¨ unstig, sodass die Umlenkkr¨afte in Richtung der Horizontallast anzusetzen sind. N · Ψ₀ = 3,0
6,0
Ψ₀
w⁰
6,0
M⁰
Ψ₀
3.0
Der erste Einheitsverformungszustand ist die Knotendrehung in Knoten c. Die Stabendmomente werden wie bei Theorie I. Ordnung berechnet. 3/l’ = 0,75 4/l’ = 0,67
w
1
M
1
2/l’ = 0,33
Der zweite Einheitsverformungszustand ist f¨ ur die Theorie II. Ordnung entscheidend. Infolge Stabschr¨agstellung entstehen zus¨ atzliche Umlenkkr¨ afte, die von der Gr¨ oße des Stabdrehwinkels ψ abh¨angen. Als zus¨ atzliches Kr¨ aftepaar aus Stabschr¨ agstellung sind N ·ψ = 1200/EIc bzw. N ·ψ = 600/EIc anzusetzen.
20.3 Einfluss der Knotenverschiebungen auf das Gleichgewicht
N · Ψ · h2/h1 = 0,133
291
N · Ψ = 0,05 6/l’ = 1,0
Ψ1 w
2
2
M
0,133
6/l’ = 1,0
Ψ1 = Ψ · h2/h1
0,05
4. Gleichgewichtsbedingungen 1. Das Momentengleichgewicht ist am Knoten c verletzt. Damit ist anzusetzen Mc = 0 = Mc0 + Mc1 · Y1 + Mc2 · Y2 =
− 0, 8 + (0, 75 + 0, 67) · Y1 + 1.0 · Y2
2. Das Kr¨ aftegleichgewicht (Stockwerkgleichgewicht) istam Knoten b c b verletzt. Damit gilt Fb= 0 oder ¯ A = 0. geschickter mit dem PvV – – Ψ · h2/h1 Ψ 3. Nach Anordnen von zwei zus¨atz–2 lichen Gelenken in c und d kann man w a die virtuelle Verschiebungsfigur infolge d ψ¯ mit geraden St¨aben angeben. ψ¯ entgegengesetzt zu ψ angesetzt, liefert positive virtuelle Arbeit. 4. Virtuelle Arbeit wird in Gelenken an den Knoten c und d sowie auf Verschiebungen des Stabes c − d und des Riegels geleistet. 4ψ¯ A¯ = − 0, 6 · 4 · − (6, 0 + 3, 0) · 4 ψ¯ − (0, 8 − 0, 8) ψ¯ 2 + (0, 67 + 0, 33) · Y1 · ψ¯ + (1, 0 + 1, 0 − 0, 133 · 4 − 0, 05 · 4) · Y2 · ψ¯ = −40, 8 + 1, 0 · Y1 + 1, 267 · Y2 = 0.
5. Au߬ osung des linearen Gleichungssystems
1, 417 1, 0
1, 0 1, 267
·
Y1 Y2
+
−0, 8 −40, 8
0
= 0
−→
Y1 = −50, 02, Y2 = +71, 68.
292
20 Stabtragwerke nach Theorie II. Ordnung
6. Ergebnis und Kontrolle ¨ Die Momentenlinie folgt aus der Uberlagerung der Teilmomentenlinien M = M 0 + Y1 · M 1 + Y2 · M 2 . Die Momentenordinaten an den Stabenden werden mit den Vorzeichen des Drehwinkelverfahrens berechnet: Mc2 = − 0, 75 · 50, 0
= − 37, 5 kN m
Mc3 = − 0, 8 − 0, 667 · 50, 0 + 1, 0 · 71, 7 = + 37, 5 kN m Md = + 0, 8 − 0, 333 · 50, 0 + 1, 0 · 71, 7 = + 55, 8 kN m Die Momentenlinie ist in der Abbildung ohne Vorzeichen auf der Zugseite der St¨abe angetragen. 37,5
w
M 55,8
Die Biegelinie ist hier nicht exakt berechnet, sondern mit den Stabdrehwinkeln und der Momentenlinie anschaulich entwickelt. Die Schiefstellung von Stab c−d betr¨ agt ψc−d = Y2 /EIc + ψ0 = 71, 7/12.000 + 1/200 = 0, 01098 = 0, 011 und von Stab a − b ψa−b = Y2 /EIc · 4/3 + ψ0 = 71, 7/12.000 · 4/3 + 1/200 = 0, 01297 = 0, 013. Die Horizontalverschiebung des Riegels aus Einwirkungen betr¨ agt ohne Imperfektion δHb = Y2 /EIc · = 0, 024 m. Die Imperfektion ist eine Anfangsschiefstellung und kann hier nicht mitgerechnet werden, da sie f¨ ur die Knoten b und c auf verschiedene Werte f¨ uhrt. In der Nachlaufrechnung werden die Querkr¨afte wie bei Theorie I. Ordnung und die Normalkr¨afte aus Knotengleichgewicht berechnet.
20.3 Einfluss der Knotenverschiebungen auf das Gleichgewicht
22,1 9,4
Q
293
a) Die Querkr¨afte werden n¨ aherungsweise mit Δ M/ ± q /2 berechnet: Q1 = 0 Q2 = 37, 5/4 = 9, 4 kN Qc3 = −(55, 8+37, 5)/4+0, 6·4/2 = −22, 1 kN Qd3 = −(55, 8+37, 5)/4−0, 6·4/2 = −24, 5 kN
b) Die verbesserten Normalkr¨ afte der vertikalen St¨abe folgen aus Gleichgewicht in b und c: N1 = 2P + Q2 = 1209, 4 kN 15 N3 = P − Q2 = 590, 6 kN Die Normalkraft im oberen Riegel ist eine Zug+ 1209 590 + kraft, da die Umlenkkr¨ afte in Stab a−b gr¨ oßer sind als in Stab c−d. Die Berechnung der NorN malkr¨afte (als Druckkraft positiv) an den Stabenden ergibt mit den Eingangswerten f¨ ur N am verformten System: Nb2 = −N1 · ψ1 = −1200 · 0, 013 = −15, 6 kN 2P P Nc2 = P · ψ3 − Qc3 = 600 · 0, 011 − 22, 1 = Q2 N2 b c Q2 N2 −15, 5 kN Q Ψ1 3 Kleine Abweichungen in den NachkommastelN1 N3 len sind in Rundungsfehlern begr¨ undet. N3 Da die Normalkr¨afte im ersten IterationsΨ3 N1 Ψ1 schritt mit N1 = 1200 kN und N3 = 600 kN Q3 angesetzt waren, betr¨ agt der Fehler des 1. Iterationsschrittes jeweils ΔN1 = 9, 4 kN und Hd Ha damit weniger als 1 %. Die horizontalen Lagerkr¨afte werden am verformten System berechnet und sind hier positiv nach rechts gerichtet. Mit den verbesserten Normalkr¨ aften folgt 24,5
Ha = −N1 · ψ1 = −15, 7 kN , Hd = Qd3 − N3 · ψ3 = +18, 0 kN . Damit ist das Gleichgewicht am verformten System bis auf einen kleinen Iterationsfehler erf¨ ullt: Ha + Hb − q · = −0, 10 kN. Dieser Fehler nimmt jedoch bei weiteren Iterationen ab. Ein 2. Iterationsschritt k¨ onnte mit den verbesserten Normalkr¨aften durchgef¨ uhrt werden. Aufgrund der guten Konvergenz des Verfahrens lohnt sich der Aufwand in der Regel nicht.
FACHWERKMODELLE
297
21 Fachwerkmodelle
Reale Tragwerke besitzen Ausdehnungen in allen drei Raumrichtungen. Wenn ein oder zwei Tragwerksabmessungen klein sind gegen die verbleibenden Abmessungen, kann man zur Vereinfachung der Berechnung Ersatzmodelle verwenden, bei denen das Trag- und Verformungsverhalten des gesamten Tragwerkkontinuums mit den Weg- und Schnittgr¨oßen einer Referenzfl¨ ache oder -achse beschrieben wird. Das Tragverhalten von Stabtragwerken wird mit der Bernoulli-Hypothese auf die Stabachse reduziert, wenn der Verformungs- und Spannungszustand in Dickenrichtung mit den Variablen der Stabachse beschrieben werden kann.
x
sx (x,y,z)
y
j z,w
z t (x,y,z)
x,u u , w ,j N,M,Q e , k ,g
}
(x)
Ein anderer Weg, das Tragverhalten anschaulich zu beschreiben und zu verstehen, ist mit Hilfe von Fachwerkmodellen m¨oglich. Hierbei werden die Tragwirkungen allein mit Fachwerkst¨aben (Druck und Zug) beschrieben. Dies erlaubt auch eine Trennung unterschiedlicher Werkstoffe in Verbundtragwerken. Die Vorteile von Fachwerkmodellen sind kurz erl¨autert. 1. In Fachwerkmodellen sind nur Druck- und Zugst¨ abe vorhanden. Alle Kraftwirkungen werden nur mit Fachwerkst¨aben beschrieben. 2. Mit Fachwerkmodellen werden alle Kraftwirkungen anschaulich interpretiert. 3. Nach B¨ undelung des Spannungsflusses auf die Fachwerkst¨ abe kann mit einfachen Mitteln kontrolliert werden, ob und wie das Gleichgewicht erf¨ ullt wird. 4. Das Vorgehen kann auf alle Tragwerke des Bauwesens erweitert werden. Hiermit ist auch das Tragverhalten von 3D-Kontinua und Fl¨ achentragwerken interpretierbar. Wesentlich ist, dass Fachwerkmodelle nicht von vornherein festliegen, sondern dass Sie f¨ ur die jeweils vorhandenen Tragwerke und Kraftwirkungen neu entwickelt werden m¨ ussen. Sie k¨onnen dazu verwendet werden, das Tragverhalten anschaulich zu interpretieren oder Kraftwirkungen gezielt festzulegen, wenn z. B. in Stahlbetonbauteilen die Bewehrungsf¨ uhrung konstruiert wird. D. Dinkler, Grundlagen der Baustatik, DOI 10.1007/978-3-8348-9862-3_21, © Vieweg+Teubner Verlag | Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH 2011
298
21 Fachwerkmodelle
21.1 Fachwerkmodelle f¨ ur Stabtragwerke Die Beschreibung des Tragverhaltens von Dehn- und Biegest¨ aben erfolgt mit den integralen Schnittgr¨oßen N, M und Q. Hierbei wird die Spannungsverteilung im Stabquerschnitt auf die Stabachse reduziert. F¨ ur Biegung und Normalkraft kann man am differentiellen Element nachfolgendes Fachwerkmodell entwickeln. N
x
s, e
M
dx
Anstelle einer einzigen Stabachse mit den Schnittgr¨ oßen N und M k¨ onnen auch zwei Normalkr¨afte NO und NU verwendet werden. Sie beschreiben die unterschiedlichen Tragwirkungen in der Druck- und Zugzone. Im Inneren des Biegetr¨ agers werden die Normalkr¨afte gedanklich von zwei Fachwerkst¨ aben aufgenommen (nur Modellvorstellung, keine realen St¨ abe). Die Lage der St¨ abe kann z. B. in den Schwerpunkten der Druck- und der Zugzone gew¨ ahlt werden. No
N o = N/2
h
x Nu
M/h
N u = N/2 + M/h
Das Modell mit zwei Kraftwirkungen NO und NU erscheint komplexer als das differentielle Element der bisherigen Betrachtungsweise, beschreibt aber das Tragverhalten des Tragwerks ebenso gut wie das Balkenmodell mit M und N . Ein Fachwerkmodell f¨ ur Querkraftwirkung kann man wie folgt entwickeln. Zun¨ achst gilt am Element Δx des Balkens Q Δx = ΔM . Das Fachwerkmodell muss also die Wirkung der Querkraft gemeinsam mit dem Momentenzuwuchs beschreiben. Ersetzt man den Biegemomentenanteil durch ein Kr¨ aftepaar, so wirken an den Schnittfl¨achen die Kr¨afte Q, D und Z. Sie m¨ ussen mit Hilfe eines innenliegenden Fachwerks aufgenommen werden. D DM Q
Q
Q Dx
h
Q Z Q . Dx = D . h , D =
DM DM , Z = + h h
Die Querkraft repr¨asentiert die in Dickenrichtung wirkenden Schubspannungen.
21.1 Fachwerkmodelle f¨ ur Stabtragwerke
299
In einem Fachwerkmodell m¨ ussen daher zun¨achst die Schubspannungen mit Hilfe eines vertikalen Stabes in das Fachwerk eingeleitet werden. Das Gleichgewicht zwischen der Stabkraft aus Querkraftwirkung und der Druck- und Zugkraft aus Momentenwirkung muss mit weiteren Fachwerkst¨ aben sichergestellt werden. Die Anordnung des Fachwerks ist auf verschiedene Arten m¨ oglich. a) Zugdiagonale Es wird angenommen, dass die Schubspannungen von Punkt a bzw. c ausgehend entlang der vertikalen St¨abe integriert werden. In a bzw. c sind die Stabkr¨ afte null, in b bzw. d ist jeweils die gesamte Querkraft im Stab vorhanden. Gleichgewicht ist im Punkt b und d noch verletzt, sodass eine Zugdiagonale b−d angeordnet werden muss. Mit den Stabkr¨aften V, S1 , S2 sind die Gleichgewichtsbedingungen zwischen den inneren Kraftwirkungen und den Schnittgr¨ oßen an allen Knoten erf¨ ullt. b
Vmax = Q
(Druck),
Q (Druck), S2 = D = tan α Q Z S1 = = (Zug). cos α sin α
c
a
D
S2
S1 Q
a
d
Vmax
S2
.
S1
Vmax
Q
Z
D
Z
b) Druckdiagonale Es wird angenommen, dass die Schubspannungen von Punkt b bzw. d ausgehend entlang der vertikalen St¨abe integriert werden. In b bzw. d sind die Stabkr¨ afte null, in a bzw. c ist jeweils die gesamte Querkraft im Stab vorhanden. Gleichgewicht ist im Punkt a und c noch verletzt, sodass eine Druckdiagonale a − c angeordnet werden muss. Mit den Stabkr¨aften V, S3 , S4 sind auch hier die Gleichgewichtsbedingungen an allen Knoten erf¨ ullt. c
b
Vmax = Q
(Zug),
Q S4 = Z = (Zug), tan α Q D = (Druck). S3 = cos α sin α
D
S3 Q
a
a
S4 d
Q
Z
D Vmax
S3 Vmax
S4
. Z
300
21 Fachwerkmodelle
¨ Mit der Uberlagerung der Fachwerke f¨ ur Normalkraft, Querkraft und Momententragwirkung k¨onnen die Tragwirkungen innerhalb eines Biegestabes mit Hilfe eines Fachwerkes integral beschrieben werden. F¨ ur Einfeldtr¨ ager unter mittiger Einzellast sind folgende Modelle m¨oglich. a) Bei Fachwerken mit Zugdiagonalen stellen sich ¨ ortlich und global H¨ angetragwerke ein. Dargestellt sind nur die Zugdiagonalen. P
a h
C
b) Bei Fachwerken mit Druckdiagonalen k¨onnen sich ¨ ortlich und global Gew¨ olbetragwirkungen einstellen. Hierdurch kann die Last direkt in die Lager gegeleitet werden. Dargestellt sind nur die Druckdiagonalen. P
h a C
Zu beachten ist, dass im Fachwerkmodell die im Zuggurt vorhandenen Zugkr¨afte Z u uhrt da¨ ber die L¨ange der Einzelst¨abe jeweils konstant sind. Dies f¨ zu, dass bei einer Bemessung nach Fachwerkmodellen ein Versatzmaß v der Zugkr¨ afte gegen¨ uber der Momentenlinie vorhanden ist und im Einzelfall auch nachgewiesen werden muss. Hierf¨ ur gilt P
v = h · cot α.
M ZM v
21.1 Fachwerkmodelle f¨ ur Stabtragwerke
301
Tragwirkungen in einem Lager Bei gelenkigen Lagern werden gedanklich Einzelkr¨ afte in die Unterst¨ utzung geleitet und dort auf den zur Verf¨ ugung stehenden Querschnitt verteilt. Hierbei entsteht bei vertikaler Lagerkraft V eine Sprengwerkwirkung, die bei Einhaltung der Gleichgewichtsbedingungen auch horizontal wirkende Spaltzugkr¨ afte Z bewirkt. Diese Kraftwirkung ist grunds¨ atzlich bei allen Punktlasten vorhanden und muss im Einzelfall nachgewiesen werden. Horizontale Lagerkr¨afte H werden wie Querkr¨ afte weitergeleitet.
V
H
V
H Z
Z
D Z
Abgesetzte Lager Zur Verringerung der Bauh¨ohe und aus ¨asthetischen Gr¨ unden k¨ onnen im Lagerbereich von Biegetr¨agern Querschnittsanteile ausgeklinkt werden, die aufgrund von Fachwerkanalogien nichttragend sind. Wie beim Querkraftmodell k¨ onnen auch hier im Wesentlichen zwei Varianten gew¨ ahlt werden. Wenn das Fachwerkmodell mit Zugdiagonalen verwendet wird, stellt sich der links angegebene Kraftverlauf ein. Gegen¨ uber dem Biegetr¨ager ist der Nullstab am Lager weggelassen.
Z
Wird das Fachwerkmodell mit Druckstreben verwendet, wird die Druckdiagonale aus Querkraftwirkung mit vertikalen Zugst¨aben nach oben aufgeh¨ angt. Die als Folge im oberen Bereich des Balkens angreifende vertikale Zugkraft verursacht hier lokal eine Sprengwerkwirkung, sodass eine weitere horizontale Zugkomponente Z auftritt. Die aus Gleichgewicht erforderlichen Kr¨ afte m¨ ussen bis zum n¨ achsten Vertikalstab geleitet werden, wo sie in der Zugzone verankert werden k¨ onnen.
302
21 Fachwerkmodelle
Rahmenecken ¨ Der Kr¨ aftefluss in Rahmenecken kann mit Uberlagerung der Momenten- sowie Normalkraft- und Querkraftwirkungen interpretiert werden. Auch hier muss das Kr¨ aftegleichgewicht in allen Schnittpunkten der Kraftwirkungslinien erf¨ ullt sein. Hierf¨ ur k¨ onnen u. a. nachfolgende Fachwerkmodelle entwickelt werden. Bei reiner Biegung m¨ ussen die Druckund die Zugkraft an der Rahmenecke umgeleitet werden. Dies ist aus Gleichgewichtsgr¨ unden nur m¨oglich, wenn Umlenkkr¨ afte ber¨ ucksichtigt werden, die in der Rahmenecke diagonal wirken. Bei positivem Moment (oben) sind dies Zugkr¨ afte, bei negativem Moment (unten) sind dies Druckkr¨afte. Diese Kr¨afte m¨ ussen in der Bemessung nachgewiesen werden, da die Rahmenecken sonst gesch¨ adigt werden k¨onnen. Insbesondere sind bei Betonbauteilen die Zugkr¨afte mit Bewehrungseisen aufzunehmen und bei d¨ unnwandigen Stahlbauteilen die Druckzonen durch zus¨atzliche Aussteifungen gegen Beulen nachzuweisen. Bei Querkraft und Momentenzuwuchs im Riegelanschnitt ist nebenstehende Gleichgewichtsgruppe in der Rahmenecke zu verfolgen. Hierbei kann sich ein Fachwerk vergleichbar der Querkraftwirkung am Einfeldtr¨ager ausbilden. Die Normalkraft in der St¨ utze wird hierbei auf zwei Kraftwirkungen aufgeteilt.
D Z Z Z
D
Z D D Z
D
D Q Z
N
21.2 Fachwerkmodelle f¨ ur gedrungene Tragwerke Die Analyse des Tragverhaltens von gedrungenen scheibenartigen Tragwerken ist mit den bisher verwendeten Stabtragwerksmodellen nicht m¨ oglich. Erst bei Anwendung von Fachwerkmodellen kann das Tragverhalten mit einfachen Mitteln untersucht werden.
21.2 Fachwerkmodelle f¨ ur gedrungene Tragwerke
303
Konsolen Konsolen werden z. B. als Lager f¨ ur Einfeldtr¨ager verwendet, die in Rahmentragwerke eingebunden werden sollen. Die Entwicklung von Fachwerkmodellen zur Beschreibung des Tragverhaltens ist auf verschiedene Arten m¨ oglich. Die außere Belastung der Konsole ist z. B. eine vertikal wirkende Einzelkraft. Die ¨ inneren Reaktionen aus Rahmentragwirkung sind Normalkr¨ afte und Biegemomente in der St¨ utze, die, wie oben gezeigt, durch eine Druck- und eine Zugkraft ersetzt werden k¨ onnen.
Konsole mit Zugdiagonale Die auf die Konsole wirkende Einzelkraft P wird u ¨ber die Druckkraft Do im unteren Bereich der Konsole aufgenommen. Zum Gleichgewicht ist eine unter dem Winkel γ schr¨ ag wirkende Zugkraft Z1 und eine horizontale Druckkraft D1 erforderlich. Z1 und D1 werden so in das Tragwerk geleitet, dass an jedem Knoten Gleichgewicht erf¨ ullt ist.
P
Z1
g
D1 Z
D0
D
Konsole mit Druckdiagonale In Analogie zum Fachwerkmodell mit Zugdiagonale ist ein Modell mit Druckdiagonale m¨ oglich. Hierbei steht die Einzelkraft P direkt im Krafteinleitungsbereich mit einer schr¨agen Druckkraft und einer Zugkraft im Gleichgewicht. Ein anderes Modell ist m¨oglich, wenn die Druckkraft auf die gegen¨ uberliegende Seite der St¨ utze geleitet wird. Hierbei werden die Zugkr¨afte in der St¨ utze um 90o umgeleitet. Die zum Gleichgewicht erforderliche Druckkraft liegt nahezu auf der Winkelhalbierenden. Die Horizontalkraft H ist in diesem Fall f¨ ur das Gleichgewicht nicht erforderlich. Dies ist vorteilhaft, wenn die konstruktive Auslegung des Tragwerks und die Bemessung durchzuf¨ uhren sind.
P Z Z
D
D
D Z
D
P Z Z
D D H
Z
D
304
21 Fachwerkmodelle
21.3 Lastabtrag ¨ uber St¨ utzlinien Eine andere M¨ oglichkeit, Tragwirkungen in 3-D-Kontinua zu beschreiben, ist mit Hilfe von St¨ utzlinien gegeben. Hierbei wird innerhalb des Tragwerks eine St¨ utzlinientragwirkung entworfen, die die Lasten in die Lager weiterleiten kann. Dies kann die Interpretation des Lastabtrags gegen¨ uber einem Fachwerkmodell weiter vereinfachen.
Balken
q
Die St¨ utzlinie f¨ ur eine Gleichlast ist ein Parabelbogen. Der Bogen kann sich innerhalb eines Biegetr¨agers ausbilden, wenn die horizontale Schubkraft mit Hilfe eines Zugbandes aufgenommen wird. Liegen Einzellasten vor, so besteht die St¨ utzlinie aus Geraden. Auch hier ist ein Zugband f¨ ur das Gleichgewicht erforderlich.
D Z
P
P
D Z
Wandscheiben Wenn Wandscheiben wie Biegetr¨ager gelagert sind, k¨ onnen je nach Art der Belastung unterschiedliche Modelle entwickelt werden. Bei einer Streckenlast, die aus einer obenliegenden Deckenplatte resultiert, stellt sich ein Druckgew¨ olbe in der Scheibe ein. Die Horizontalkomponente der im Lagerbereich schr¨ ag angreifenden Druckkraft wird mit einem Zugband ins Gleichgewicht gesetzt. Die Vertikalkomponente wird direkt ins Lager geleitet. Greift eine untenliegende Einzelkraft als Zugkraft an, so muss diese innerhalb der Scheibe aufgeh¨angt werden, z. B. mit einer vertikalen Zugkraft. Die Zugkraft wird mit Druckdiagonalen ins Lager geleitet, wo wiederum ein Zugband f¨ ur das Gleichgewicht in horizontaler Richtung sorgt.
q
D
Z
D
Z Z P
D
Literaturverzeichnis
305
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Stichwortverzeichnis
307
Stichwortverzeichnis
Abz¨ ahlkriterium, 40, 45 analytische L¨ osung, 56, 275 Arbeitsgleichung, 147, 153, 243 arbeitskonjugiert, 108 Arbeitssatz, 12, 107, 110, 112 Aufbauprinzip, 38, 43, 78 Aussteifungsverband, 104 Auswertung von Einflusslinien, 144, 145, 263 Balkenbiegung, 4, 49, 274 Bauwerk, 6 Berechnungsmodell, 11 Bernoulli-Hypothese, 31, 49 Biegelinie, 57, 58, 156, 161, 253 Biegestab, 49 biegesteif, 48 Bogenbr¨ ucke, 9, 26 Bogentragwerk, 15, 26, 86, 142 Br¨ ucke, 9, 26, 28, 38, 39, 69, 70, 145 Dehnstab, 52 dehnstarr, 48, 52, 73, 221, 224, 226 Determinantenkriterium, 105 differentielles Element, 48, 274 direkte Belastung, 133 Drehwinkelverfahren, 219, 224, 254, 276 Druckdiagonale, 299, 303 Druckstrebe, 301 Durchlauftr¨ ager, 133, 263 Eigenarbeiten, 109 Einflusslinien f¨ ur Kraftgr¨oßen, 127, 133, 136, 138, 142, 144, 259, 261 Einflusslinien f¨ ur Weggr¨oßen, 163, 168, 256
Eingepr¨agte Weggr¨ oße, 194, 247 Einheitsspannungszustand, 186 Einheitsverformungszustand, 231, 279 Einwirkungen, 21 Entwurf, 6 Ersatzbalken, 71 Erw¨armung, 24, 118 Fachwerk, 43–45, 67, 71 Fachwerkmodell, 297, 301 Fehlerkontrolle, 204 Fehlerquelle, 204 Finite-Element-Methode, 5 Fl¨achentragwerk, 5, 15, 91 Form¨anderungsarbeit, 110, 111 Gelenk, 18, 19 Gleichgewicht, 47, 50, 53, 55, 275 Gleichgewichtsbedingung, 11, 185, 231 Grundgleichung, 11, 12, 47, 56, 274 Hermite-Polynome, 162 Hooke’sches Gesetz, 20, 32 Imperfektion, 285 indirekte Belastung, 133 Iteration, 273, 276 Kinematik, 11, 94 kinematisch bestimmt, 219 kinematisch bestimmtes Hauptsystem, 221, 229 kinematisch unbestimmt, 219 kinematische Kette, 95 kinematische Methode, 130, 132 Knicklast, 269 Knickstab, 280 Knotenverdrehung, 221
D. Dinkler, Grundlagen der Baustatik, DOI 10.1007/978-3-8348-9862-3, © Vieweg+Teubner Verlag | Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH 2011
308
Knotenverschiebung, 221 Knotenweggr¨ oßen, 220 Konsole, 303 Konvergenz, 274 Kraftgr¨ oße, 34 Kraftgr¨ oßenverfahren, 13, 183, 190, 254 Kraftwirkung, 297 Lager, 18, 19 Lagerkr¨ afte, 57 Lagrange’sche Befreiung, 123, 130, 240, 242 Lasten, 21 Lastspannungszustand, 185 Lastverformungszustand, 230, 278 Modell, 11, 14, 21, 297 Modellbildung, 14, 30 Modellgleichung, 11 Modellierung, 47 Momentengleichgewicht, 232, 241 Momentenlinie, 58 Pfahlbock, 29 Pol, 96 Pollagerung, 102 Pollinie, 96 Polplan, 94, 97, 102 Prinzip der virtuellen Kr¨afte, 117, 120, 121, 147, 153, 209 Prinzip der virtuellen Verschiebungen, 114, 116, 123, 240, 283 Prinzip von St. Venant, 31 R¨ uckf¨ uhrung auf statisch bestimmte Hauptsysteme, 184 Rahmenecke, 302 Rahmentragwerk, 27, 38, 73, 138, 175, 197, 201, 213, 285 Randbedingung, 47, 56 Reduktionssatz, 216, 217
Stichwortverzeichnis
Relativverdrehung, 152 Relativverschiebung, 151 Satz von Betti, 165, 257 Satz von Land, 131, 259 Satz von Maxwell, 165, 257 Schale, 16, 91 Scheibe, 38, 95, 304 Schiebeh¨ ulse, 18, 19, 284 Schlusslinie, 62 Schnittgr¨ oße, 33 Schnittprinzip, 33 schubstarr, 31, 48, 51, 111, 224 Sehnenpolygon, 150, 156, 216, 247, 253 Seiltragwerk, 92 Setzung, 24, 120 Spannungsfluss, 297, 302 Spannungstheorie II. Ordnung, 269, 272 Spannungszustand, 13, 31, 113 St¨ utzfl¨ache, 91 St¨ utzlinie, 90, 304 Stabendmomente, 226, 274, 277 Stabilit¨ at, 269 Stabtragwerk, 14, 31, 47 statisch bestimmt, 37, 41, 67 statisch bestimmtes Hauptsystem, 184, 213 statisch unbestimmt, 37, 42, 173, 177 statisch unterbestimmt, 36 statische Methode, 128 statisches System, 17 Steifigkeitskoeffizient, 277 Stockwerkgleichgewicht, 236, 242, 285 Symmetrie, 83 Tabelle der ω-Funktionen, 159 Tabelle der ω-Zahlen, 159 Tabelle der Arbeitsintegrale, 155
Stichwortverzeichnis
Tabelle der Stabendmomente aus Einheitsverformungszust¨anden, 228 Tabelle der Stabendmomente aus Einheitsverformungszust¨anden – Theorie II. Ordnung, 279 Tabelle der Stabendmomente aus Einwirkungen, 227 Tabelle der Stabendmomente aus Einwirkungen – Theorie II. Ordnung, 278 Temperatur¨ anderung, 24, 51, 118, 156 Theorie II. Ordnung, 271, 275 Tonti-Schema, 47 Torsionsstab, 54 Tragwerk, 7 Tragwerksanalyse, 3 Tragwerksberechnung, 8 Tragwerksentwurf, 8 Tragwerksmodellierung, 8, 11 Trockendock, 29 verallgemeinertes Kraftgr¨oßenverfahren, 209 Verdrehung, 147 Verformungsbedingung, 187 Verformungsgeometrie, 11, 47, 49, 52, 54, 275 Verformungskontrolle, 205, 217, 261 Verformungszustand, 13, 31, 113 Verschieblichkeit, 102, 105 Verschiebung, 147 Verschiebungsarbeiten, 108 Verschiebungsplan, 103 virtuelle Arbeiten, 114 virtuelle Verschiebung, 116, 130, 284 Vorgehensweise der Baustatik, 58 Vorzeichen der Baustatik, 34 Vorzeichen des Drehwinkelverfahrens, 225 W¨ armeausdehnungskoeffizient, 24, 51, 118, 156
309
Weggr¨oßenverfahren, 13 Weggr¨oße, 34 Weggr¨oßenberechnung, 147, 187, 216 Werkstoffgleichung, 11, 47, 51, 53, 55, 275 Werkstoffverhalten, 20, 32 Widerspruch, 102 Zugdiagonale, 299, 303 Zustandslinie, 58, 67, 74, 76, 78, 87, 189 Zw¨angung, 24