FICHTE-STUDIEN
Fichte-Studien Beiträge zur Geschichte und Systematik der Transzendentalphilosophie Begründet von Klaus Hammacher, Richard Schottky (†) und Wolfgang Schrader (†) Band 31 im Auftrage der Internationalen Johann-Gottlieb-Fichte-Gesellschaft
herausgegeben von Marco Ivaldo (Neapel) Hartmut Traub (Mülheim an der Ruhr)
in Zusammenarbeit mit Daniel Breazeale (Lexington, Kentucky), Erich Fuchs (München), Helmut Girndt (Duisburg), Karen Gloy (Luzern), Wolfgang Janke (Wuppertal), Reinhard Lauth (München), Oswaldo Market (Madrid/Lissabon), Kunihiko Nagasawa (Kyoto), Faustino Oncina Coves (Valencia), Marek J. Siemek (Warschau), Thérèse Pentzopoulou-Valalas (Thessaloniki) und Xavier Tilliette (Paris)
Günter Zöller / Hans Georg von Manz (Hrsg.)
Grund- und Methodenfragen in Fichtes Spätwerk
Beiträge zum Fünften Internationalen Fichte-Kongreß »Johann Gottlieb Fichte. Das Spätwerk (1810–1814) und das Lebenswerk« in München vom 14. bis 21. Oktober 2003 Teil IV
Amsterdam - New York, NY 2007
Die Fichte-Studien erscheinen in unregelmäßiger Folge. Publikationssprachen sind Deutsch, Englisch und Französisch. Adressen des Vorsitzenden des Wissenschaftlichen Beirats und der Herausgeber Dr. Hartmut Traub Goethestraße 8 D-45468 Mülheim an der Ruhr Prof. Dr. Günter Zöller Philosophie-Department Ludwig-Maximilians-Universität München Geschwister-Scholl-Platz 1 D-80539 München Dr. Dr. Hans Georg von Manz Bayerische Akademie der Wissenschaften Marstallplatz 8 D-80539 München Für den Rezensionsteil der Fichte-Studien zuständig: PD Dr. Christoph Asmuth Technische Universität Berlin Ernst-Reuter-Platz 7 D-10587 Berlin Manuskripte werden erbeten an die Adresse von Hartmut Traub.
Typographie und Satz: Holger Ostwald (Duisburg) ISBN: 978-90-420-2293-5 ISSN: 0925-0166 Vol. 1- 5 ISBN: 978-90-420-2045-0
The paper on which this book is printed meets the requirements of »ISO 9706:1994, Information and documentation – Paper for documents – Requirements for permanence«. ©Editions Rodopi B.V., Amsterdam-New York, NY 2007 Printed in the Netherlands
Inhalt Vorwort ...................................................................................................................... IX Siglenverzeichnis ....................................................................................................... XI
Daniel Breazeale (Lexington, Kentucky) »Der Blitz der Einsicht« and »der Akt der Evidenz«. A Theme from Fichte’s Berlin Introductions to Philosophy ....................................... 1 Jürgen Stahl (Leipzig) Von der Form der Anschauung zur Anschauung der Form. Zu Fichtes Verständnis des Formbegriffs ................................................................... 17 Albert Mues (München) Die Position der Anschauung im Wissen oder Die Position der Anschauung in der Welt. Der Unsinn der Subjektphilosophie .............................. 29 Christoph Asmuth (Berlin) Transzendentalphilosophie oder absolute Metaphysik? Grundsätzliche Fragen an Fichtes Spätphilosophie .................................................... 45 Marek J. Siemek (Warschau) Unendlichkeit und Schranke. Zum Fichteschen Entwurf einer transzendentalen Ontologie des Wissens.................. 59 Tom Rockmore (Pittsburgh) On Fichte and Idealism .............................................................................................. 69 Sabine Ammon (Berlin) Realismus oder Idealismus? – Irrealismus! ................................................................ 81 Akira Omine (Kyoto) Der Begriff des Übersinnlichen in der Philosophie Fichtes ........................................ 93 Roderich Barth (Halle) Wahrheit als Sein von Einheit. Die gewißheitstheoretische Reformulierung des absoluten Wahrheitsbegriffs in Fichtes Phänomenologie von 1804-II ............... 103
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Inhalt
Arkadij Lukjanow (Ufa) Auf der Suche nach einer neuen Theorie des Absoluten. Die Idee der Synthesis in den späteren Systemen von Fichte und Schelling .......... 117 Lu De Vos (Leuven) Der Gedanke des Lebens in den späten Schriften Fichtes ........................................ 125 Michael Gerten (Wiesenttal) Geistige Blindheit und der Sinn für Philosophie. Das systematische Problem einer Einleitung in Fichtes Wissenschaftslehre ............ 135 Kai Gregor (Berlin) »Revolution der Gesinnung« und »Vollendung der Freiheit« – Wesen und Möglichkeit höherer Lebensformen bei Kant und Fichte .................................. 159 Violetta L. Waibel (Tübingen und Wien) Die bildende Kraft des Wissens vom Wissen in der Spätphilosophie Johann Gottlieb Fichtes .............................................................................................. 175 Elvira Gareewa (Ufa) Wissen als ein freies und selbständiges Leben in den »Thatsachen des Bewußtseyns« .................................................................................................... 187 Franco Gilli (Turin) Die Präsenz der ›Populärphilosophie‹ im Spätwerk Fichtes ..................................... 195 Hans Georg von Manz (München) Die Funktion der »Tatsachen des Bewußtseins« im Blick auf die Wissenschaftslehre ......................................................................... 205 George di Giovanni (Montreal) Sacramentalizing the World: On Fichte’s Wissenschaftslehre of 1810 .................... 219 Stamatios D. Gerogiorgakis (Athen und Freising) Der Begriff Schema in Fichtes Spätwerk. Seine Unterschiede zum Schemabegriff in Fichtes Frühwerk und seine Einbettung in der philosophischen Tradition vor Kant .................................... 235 Jacinto Rivera de Rosales (Madrid) Die transzendentale Logik (1812). Ihr systematischer Ort und ihre Bedeutung ....... 245
Inhalt
VII
Alessandro Bertinetto (Paris) Die transzendentale Argumentation in der Transzendentalen Logik Fichtes ............ 255 Marc Maesschalck (Louvain) Attention et réflexivité dans la Logique de 1812 et la dernière philosophie de Fichte .......................................................................... 267
Vorwort
»Johann Gottlieb Fichte. Das Spätwerk (1810–1814) und das Lebenswerk« – zu diesem Thema fand vom 14. bis 18. Oktober 2003 im Hauptgebäude der Ludwig-Maximilians-Universität München am GeschwisterScholl-Platz der Fünfte Internationale Fichte-Kongreß statt. Veranstalter des Kongresses war die Internationale Johann-Gottlieb-Fichte-Gesellschaft in Verbindung mit dem Istituto Italiano per gli Studi Filosofici, Neapel, und der Bayerischen Akademie der Wissenschaften. Weitere Unterstützung gewährten die Deutsche Forschungsgemeinschaft, das Bayerische Staatsministerium für Wissenschaft, Forschung und Kunst, das Außenministerium der Republik Frankreich, das Philosophie-Department sowie die Universitätsgesellschaft der Ludwig-Maximilians-Universität München, die Carl Friedrich von Siemens Stiftung, das Kulturreferat der Landeshauptstadt München und die Bayerischen Staatsgemäldesammlungen. Die Planung, Vorbereitung und Durchführung des Kongresses wurde geleitet vom damaligen Präsidenten der Internationalen JohannGottlieb-Fichte-Gesellschaft, Günter Zöller (München), in Zusammenarbeit mit Hans Georg von Manz (München) und einem internationalen Organisationskomitee, dem Daniel Breazeale (Lexington), Jean-Christophe Goddard (Poitiers), Marco Ivaldo (Neapel), Kunihiko Nagasawa (Kyoto), Jacinto Rivera de Rosales (Madrid) und Hartmut Traub (Mülheim/R.) angehörten.
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Vorwort
Im Mittelpunkt des Kongresses stand das umfangreiche Spätwerk Fichtes aus seiner Lehrtätigkeit an der neugegründeten Universität Berlin. Zusätzlich wurde das Gesamtwerk Fichtes, bevorzugt aus der Perspektive des Spätwerks, in den Blick genommen. Das Programm umfaßte vier Plenarvorträge und 120 Sektionsbeiträge von Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern aus 19 Ländern und vier Kontinenten. Die Kongreßsprachen waren Deutsch, Englisch und Französisch. Sämtliche Plenarvorträge und der Großteil der Sektionsbeiträge des Kongresses kommen in fünf konsekutiven Bänden der Fichte-Studien (Band 28 bis 32) zur Veröffentlichung. Die einzelnen Bände sind thematisch anlegt und wie folgt betitelt: »Fichtes letzte Darstellungen der Wissenschaftslehre«, »Praktische Philosophie im Spätwerk Fichtes«, »Fichtes Spätwerk im Vergleich«, »Grund- und Methodenfragen in Fichtes Spätwerk« sowie »Grundbegriffe in Fichtes Spätwerk«. Die Dokumentation der Kongreßeröffnung und die Wiedergabe der Plenarvorträge erfolgt zu Beginn des ersten Bandes der Beiträge des Münchener Fichte-Kongresses. Bei der Herausgabe der Beiträge des Münchener Fichte-Kongresses wurden die Herausgeber unterstützt von Bernhard Jakl und Michael Weiß. Die Herausgeber
Siglenverzeichnis
GA (z. B. GA I/2, 340)
SW (z. B. SW X, 254) StA-1/SWV-1
StA-2/SWV-2
AzsL BdG
J. G. Fichte-Gesamtausgabe der Bayerischen Akademie der Wissenschaften (Reihe, Band, Seite) J. G. Fichte sämmtliche/nachgelassene Werke Hrsg. von I. H. Fichte, Bonn/Berlin (I–XI) Fichte, Johann Gottlieb: Die späten wissenschaftlichen Vorlesungen I, 1809–1811. Hrsg. von Hans Georg von Manz, Erich Fuchs, Reinhard Lauth und Ives Radrizzani. StuttgartBad Cannstatt: Frommann-Holzboog, 2000 Fichte, Johann Gottlieb: Die späten wissenschaftlichen Vorlesungen II. Wissenschaftslehre 1811. Über das Wesen der Philosophie 1811. Von den Thatsachen des Bewußtseyns 1811. Hrsg. von Hans Georg von Manz, Erich Fuchs, Reinhard Lauth und Ives Radrizzani. Stuttgart-Bad Cannstatt: Frommann-Holzboog, 2003 Anweisung zum seeligen Leben 1806 Vorlesungen über die Bestimmung des Gelehrten 1794
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Siglenverzeichnis
WdG
Über das Wesen des Gelehrten, und seine Erscheinungen im Gebiete der Freiheit 1805 Über die Bestimmung des Gelehrten 1811 Die Bestimmung des Menschen 1800 Beitrag zur Berichtigung der Urteile des Publikums usw.1793/94 Ueber den Begriff der Wissenschaftslehre 1794 Diarium ab März 1813 Diarium August/September 1813 Diarium Oktober 1813/Januar 1814 Über Geist und Buchstab in der Philosophie Grundlage des Naturrechts 1796 Die Grundzüge des gegenwärtigen Zeitalters 1806 Grundlage der gesammten Wissenschaftslehre 1794/95 Der geschlossene Handelsstaat 1800 Transzendentale Logik April bis August 1812 Transzendentale Logik Oktober bis Dezember 1812 Die Principien der Gottes-, Sitten- und Rechtslehre 1805 Rechtslehre 1812 Reden an die deutsche Nation 1808 Sittenlehre 1812 Das System der Sittenlehre 1798 Die Staatslehre, oder über das Verhältnis des Urstaates zum Vernunftreiche 1820 Die Thatsachen des Bewußtseins Ultima Inquirenda. J. G. Fichtes letzte Bearbeitungen der Wissenschaftslehre Ende 1813 / Anfang 1814, hrsg. von Reinhard Lauth. Stuttgart-Bad Cannstatt, 2001 Ueber Macchiavell 1807 Versuch einer neuen Darstellung der Wissenschaftslehre (1798) Wissenschaftslehre Wissenschaftslehre 1801/02 Wissenschaftslehre von 1804, Erste, zweite, dritte Vorlesungsreihe
BdG-1811 BdM Beitrag BWL Diarium-I Diarium-II Diarium-III GB GNR GdgZ GWL GHS TL I TL II Principien RL-1812 Reden SL-1812 SL StL TdB UI
UM VnD WL WL-1801/02 WL-1804-I/II/III
Siglenverzeichnis
WLnm WLnm-K ZdDf ZV ErE ZwE FG AA
KdU KpV KrV TWA
XIII
Wissenschaftslehre nova methodo 1796–1799 Wissenschaftslehre nova methodo 1798/1799, Nachschrift K. C. F. Krause Zurückforderung der Denkfreiheit 1793 Züricher Vorlesungen über den Begriff der Wissenschaftslehre Erste Einleitung in die Wissenschaftslehre 1797 Zweite Einleitung in die Wissenschaftslehre 1797 Fichte im Gespräch. Hrsg. v. E. Fuchs Immanuel Kant’s gesammelte Schriften, herausgegeben von der Königlich Preußischen Akademie und ihren Nachfolgern, Berlin 1900ff; Nachdruck der Druckschriften (Bde 1– 9), Berlin 1968. Kant: Kritik der Urteilskraft Kant: Kritik der praktischen Vernunft Kant: Kritik der reinen Vernunft G. W. F. Hegel: Theorie-Werkausgabe. Werke in zwanzig Bänden. Auf der Grundlage der Werke von 1832–1845 neu edierte Ausgabe. Redaktion Eva Moldenhauer und Karl Markus Michel. Frankfurt am Main: Suhrkamp, 1970
»Der Blitz der Einsicht« and »der Akt der Evidenz«. A Theme from Fichte’s Berlin Introductions to Philosophy1
Daniel Breazeale (Lexington, Kentucky)
Between December 1809 and December 1813, Fichte presented no less than seven sets of »introductory« lectures on philosophy. Of these seven, we have his own manuscript of only two (October 1812 and NovemberDecember 1813). For two others (December 1809 and April 1812) we have only his preliminary notes and reflections. For two more (October 1810 and October 1811) we have only student transcripts, plus, in the case of the October 1811 series, a page of preliminary notes by Fichte. And for one (April 1811), we have no documentary record whatsoever. On the basis of the surviving documentary evidence, I propose to divide these seven introductions into four distinct groups or stages. First, there are the public introductory lectures offering beginners »guidance in the art of philosophizing« from December 1809. Second, there are the general »introductions to the study of philosophy« from October 1810, April 1811, and October 1811. All three 1 This paper was prepared under the auspices of a Senior Independent Research Fellowship from the National Endowment for the Humanities. The author would also like to acknowledge his personal gratitude to Dr. Erich Fuchs, co-editor of the Fichte Gesamtausgabe, who generously provided copies of still-unpublished manuscript material and transcripts of Fichte’s lectures.
Daniel Breazeale
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of these week-long introductions were followed by a much longer course of preparatory lectures on the »Facts of Consciousness.« Third, there is the »introduction to the study of philosophy in general« from April 1812 and the »introduction to the study of philosophy« from October 1812, both of which were immediately followed by lectures on Transcendental Logic, which, in the case of those from the Wintersemester 1812/13, were in turn followed by new lectures on the Facts of Consciousness. Fourth and finally, there is the lengthy »Introduction to the Wissenschaftslehre« from November and December 1813. Though it would be useful to go through all four of these introductions, in order to trace the evolution of Fichte’s introductory strategy during his final years, here I will confine myself primarily to the first two stages of this development, with only a few anticipatory glances toward the content of the introductions of 1812 and 1813. Let us begin with Fichte’s lectures »Guidance in the Art of Philosophizing« from December 1809. The basic idea of these lectures is evident from their title: a genuine »Einleitung in die gesammte Philosophie« can only be an »Anleitung zum Philosophieren.«2 Whereas others might attempt to introduce students to philosophy by trying to acquaint them with elementary philosophical concepts, Fichte’s goal is not to provide them with »Kenntniße,« but to direct them instead »zu einem gewissen Seyn.«3 Learning to philosophize, in other words, means becoming a philosopher. At first glance, anyway, the main thing that distinguishes philosophers from everyone else is that the former are particularly skilled at thinking; that is, they are adept at making connections, until everything is connected in a single Verstandessystem. Thinking, however, is a skill that everyone possesses to one degree or another, and in this sense there would appear to be no sharp boundary between philosophy and everyday life. In another sense, of course, there is indeed an important distinction here, for in order to philosophize one must not only be adept at thinking, but must also acquire the ability to pay attention to one’s thinking: to think not about external objects, but about one’s consciousness of these objects. And this is manifestly not a skill that everyone already possesses. The way to lead students to the philosophical standpoint, therefore, is not by filling 2 3
GA, II,11,261, emphasis added. GA, II,11,268.
»Der Blitz der Einsicht« and »der Akt der Evidenz«
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their heads with exotic theories and novel ideas, but rather by doing whatever one can to animate within them that »Geist der Reflexion« or »Besonnenheit,« which is »de[r] eigentliche[] Kunstsinn«4 for genuine philosophizing. Like Socrates before him,5 Fichte thought that the best way to do this was to confuse and astound one’s students. The teacher awakens the spirit of reflection within his students by presenting them with examples and puzzles from ordinary life, puzzles selected because of their ability to force these students, first, to think about the issues, and then, to reflect critically upon their own thinking. Above all, the would-be philosopher has to become astounded by the »fact of experience« itself; that is, he has to become aware of the deep contradictions implicit within his ordinary, pre-philosophical view of the world. The chief obstacle to learning how to philosophize is therefore not so much any lack of intellectual ability as it is the simple fact that one already finds oneself in the grip of an »obscure feeling« concerning the independent reality of so-called external objects and hence immune to that »sense of wonder« without which philosophy cannot begin. Since no one still in thrall to this natural feeling can even start to philosophize, the first challenge to anyone who wishes to guide others to philosophy is to discover some way to counter and to oppose our innate realism or »dogmatism.« To put it more dramatically: since this »obscure feeling« is constitutive of our ordinary way of being human, it follows that »[d]er Zweck der Philosophie ist einen neuen Menschen zu gebähren, das alte Wesen ganz umzuschaffen.«6 It must be emphasized that neither the student nor the teacher can produce the desired »transformation« purely by an act of will. Left to one’s own devices, one may perhaps lift oneself above the dogmatism of everyday life and into an unstable condition of doubt and selfcontradiction. Though skeptical doubt is a necessary condition for philosophizing,7 the possibility of ever moving beyond this condition depends upon something else, something that can only be assumed at this point: namely, the existence of an actual solution to this problem of selfcontradiction and the real possibility of coming to know this solution. But what can one who would lead others to this standpoint actually say to 4 GA, II,11,261. »Der Geist der Reflexion u. Besonnenheit ist der der Philosophie: Diesen nun zu üben. Das Denken reglmäßig zu bilden, ist die Aufgabe« (GA, II,11,262). 5 See Plato, Republic, 523a-524d. 6 GA, II,11,267. 7 For further discussion of this topic, see Daniel Breazeale, »Fichte on Skepticism,« Journal of the History of Philosophy 29 (1991): 427–453.
Daniel Breazeale
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elucidate the real possibility of such an »Umschaffung«? Not much, is Fichte’s answer. In order to recognize that the contradictions between »Wissen« and »Sein« can actually can be solved, one actually has to solve them for oneself. In order to recognize that there is indeed a higher ground of unity between consciousness and its object, one has to see this ground for oneself. And the only way to »see« this is precisely by philosophizing. Though the instructor may solemnly declare that »[d]ie philosophische Kunst ist nun die Lösung dieser Widersprüche,«8 and may then proceed to describe to his student how his own system resolves every contradiction, this will hardly convince the student, who has by now acquired a healthy dose of skepticism concerning mere assertions. No, if the student is to advance beyond skepticism, then he himself will simply have to acquire »[d]ie Kunst sich selbst zum Philosophen zu machen.«9 And this means not simply that he must actively think for himself and question all of his prior certainties, but also that he must possess the capacity to surrender himself to the truth when it appears to him in the course of his free reflections. This is a crucial point, and to express it Fichte uses the same term he had earlier employed to express how we are originally held captive by an obscure feeling of the independent existence of the external world and then, as a result of our first serious reflections on the latter, are seized by a new feeling of doubt and uncertainty: if we are to move beyond uncertainty, and if we are not to remain in a state of relativistic despair concerning truth and necessity, then »[i]rgendwo muß uns das absolute Gefühl der Gewißheit, u. Notwendigkeit ergreifen.«10 Only such an immediate feeling has the power to dispel doubt and uncertainty. This then is the philosophical »transformation« of our nature which was promised above, something that everyone must experience directly for himself: a »blitzähnliche[r] Zustand des Seyns; der gar nicht von uns abhängt, ‹der wie› ein Produkt der geistigen Nothwendigkeit h‹er›eingekommen: um es nach Belieben wieder herstellen zu können.«11 The task of the teacher is to do all that he can to produce such a »Blitz« within his students – or rather, since that is precisely what he cannot do, to lead them toward and to prepare them to experience something that they alone can experience, a bolt of lightning that transforms their very being. And this, Fichte
8 9 10 11
GA, II,11,278. GA, II,11,268, emphasis added. GA, II,11,269f. GA, II,11,270, emphasis added.
»Der Blitz der Einsicht« and »der Akt der Evidenz«
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confesses, somewhat wistfully, is a task better accomplished orally than through writing and is perhaps actually possible only when one is dealing with »nicht ganz verwahrlosten Jünglingen.«12 At this point, however, a note of caution is in order: However essential such a momentary »Blitz« of certainty may be for philosophizing, it is never sufficient on its own. Indeed, as we shall see, it cannot even occur on its own, without any prior preparation, but instead presupposes a quite specific context of rigorous thinking and imaginative problem solving. This is dimly alluded to in Fichte’s remark that one must be able to reproduce the »flash« voluntarily; but for clarification of this point let us turn to what I have called the »second stage« of Fichte’s Berlin Einleitungsvorlesungen. Many of the points sketched in Fichte’s notes for his 1809 lectures are expanded and developed in those of 1810 and 1811, particularly the claim that philosophy is something that everyone must produce or discover for oneself and that a teacher can, at best, guide one toward such a discovery. This time, however, Fichte adopts a new strategy for guiding his students toward philosophy. Rather than trying to engender skeptical doubts about one’s natural belief in external objects, the lectures of 1810 and 1811 begin by posing a question concerning the possibility of communicating any sort of knowledge from one person to another. The very posing of such a question requires an analysis of the differences between merely »historical« knowledge and genuinely »scientific« knowledge, as well as further discrimination between scientific knowledge as such, and distinctively philosophical knowledge. Dissatisfied with empirical knowledge of what is the case, science asks why something is the case; and, according to Fichte, simply by asking this question already assumes that there must be some answer to the same. In a striking illustration of what Nietzsche would later characterize as »scientific optimism,« Fichte cheerfully maintains that »an dem Antrieb zu solcher Frage [warum] schon zeigt sich, daß es irgend ein darum geben müsse.«13 Science, as characterized by Fichte, is the project of »explaining« some sensible appearance – the observed movement of a planet, for example – by synthetically connecting it to its supersensible ground (the force of gravity, or better, the law of universal gravitation). Though 12 GA, II,11,270. 13 1811 Krakau Nachschrift, p. 3r. »Er frägt: Warum? und sezt voraus daß es zu allen seinen Warums eine Welt von Darums gebe« (1811 Schopenhauer Nachschrift, p. 3r).
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Fichte’s language of »ground« and »appearance« occasionally suggests a relationship between two kinds of »objects« – one supersensible and one sensible – such an interpretation is incompatible with the very goal of science: namely, to discover the synthetic unity or »identity«14 of ground and phenomenon, a goal that is better conveyed by characterizing the »ground« not as some sort of supersensible thing, but instead as a necessary rule or law. »Die Sphäre der Wissenschaft ist also die Region der Gründe«15 – i.e., the space of reasons.. There is, however, an important difference between philosophy and all of the other sciences, in that the »phenomenon« or »appearance« to be explained by philosophy is not any sensible object, but is the fact of »appearance« itself: i.e., our consciousness or »Wissen« of objects. And this is why philosophy, unlike the other sciences, requires the kind of preparatory exercises included in Fichte’s new lectures on »Tatasachen des Bewußtseins,« which were inaugurated in the Wintersemester of 1810/11. From this general characterization of scientific and philosophical knowledge Fichte concludes that it is impossible to communicate such knowledge directly from one person to another. In order to understand why this is the case, we must look more closely at his account of how one obtains knowledge of the necessary connection between some appearance and its supersensible ground. Neither the mere perception of the appearance in question, nor the simple thought of its necessary ground, nor the combination of this perception and this thought, is sufficient to provide one with scientific knowledge, though all these are certainly necessary for such knowledge. But something else, something more, is required of the scientist: namely, a distinctive type of experience, which Fichte describes as follows: »Wie er nämlich beides dachte, die Erscheinung und den Grund derselben, da vereinigten sich in seinem Bewußtseyn beide wie durch einen Blitzschlag.«16 As this »lightning bolt« imagery dramatically emphasizes, there is a crucial element of scientific knowledge that is not a product of human freedom and that cannot be produced by any act of will, but simply has to
14 »Der Bliz der absoluten Evidenz besteht eigentlich darin; daß wir erkennen daß die Wahrnehmung und der Grund Eins sey, in diesem jene, in jener diesen sehn« (1811 Schopenhauer Nachschrift, p. 4r). 15 1811 Schopenhauer Nachschrift, p. 4r. 16 1810 Twesten Nachschrift, in Fichte, Die späten wissenschatlichen Vorlesungen, I 1808 – 1811, hrsg. von Hans Georg von Manz, Erich Fuchs, Reinhard Lauth und Ives Radrizzani (Stuttgart-Bad Cannstatt: Frommann-Holzboog, 2000) [henceforth = SWV), I, p. 204, emphasis added.
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happen. It is not the scientist himself who finally »unites« the appearance and the ground; they »unite themselves« in his consciousness, a union of which the scientist becomes passively aware in a moment of »insight« (Einsicht). Moreover, when such a »flash of insight« does occur, it transforms the person who experiences it, so that »man kann nicht sagen, daß er die Einsicht machte, vielmehr machte die Einsicht ihn; sie gewann in ihm Leben, und macht von der Zeit einen unvertilgbaren Theil seiner Individualität aus.«17 The impossibility of directly communicating scientific knowledge is thus a simple corollary of the fact that such knowledge always requires a »flash of insight,« which each person can experience only for himself. At this point, however, one must exercise extreme caution in order not to misunderstand Fichte’s claim. Though the »flash of insight« is not something that anyone can produce within himself through an act of will, Fichte nevertheless insists that science is something »daß jeder [...] selbst in sich erzeugen müsse.«18 What can this mean? How can I »produce science for myself« if, »[e]s trägt sich hier etwas in uns zu, wir thun nichts dabei, und zwar muß sich diese Evidenz in jedem selbst zutragen«?19 Fichte’s answer is that, though I cannot produce the »flash of insight,« I can and must freely produce that specific intellectual context within which alone the »feeling of certainty« or »Blitz der Einsicht« can count as scientific evidence. By »intellectual context« I mean not only that one must obtain for oneself a clear grasp of the phenomenon to be explained, but also that one must »think up« (»erdenken«) possible explanatory hypotheses, i.e., possible »grounds« of the appearance in question. Despite the element of passivity present in the »happening of evidence,« one can, according to Fichte’s account, be affected in this manner only if one has first acted appropriately: that is, only if one has determinately cognized (»bestimmt erkennen«) and schematically thought (»schematisch denken«) the phenomenon for which one seeks an explanation. The path to science starts, not with mere perception, but with perceptions that have been freely raised to the level of thought, i.e., with concepts. But then one must do something else as well. One must employ also one’s powers of free, creative thinking (»denkt man frei herum«), in 17 1810 Twesten Nachschrift, SWV, I,204. 18 1810 Twesten Nachschrift, SWV, I,206, emphasis added. 19 1811 Cauer Nachschrift, p. 6, emphasis added.
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order to imagine possible explanatory grounds for the aforementioned appearances, i. e., one must create hypotheses. Then, and only then, something altogether new might occur, something that one could never have anticipated and cannot produce through determinate cognition, schematic thinking, creative imagination, critical reflection, nor any combination of the same: »[I]n der Ueberlegung aber und Betrachtung kann es jetzt zu einem Wissen kommen, durch plötzliche Evidenz indem wie durch eine Blitzstrahl sich beides Denken (das schematische [Denken] des Phänom[ens] und das frei herumdenken) vereinigt..«20 It is only in this immediate evidence, this »flash of insight,« that the synthetic unity of ground and phenomenon is actually revealed; and it is precisely this experience that constitutes scientific »evidence,«21 strictly speaking. This is why Fichte now begins to use the term »Blitz der Evidenz« as a synonym for »Blitz der Einsicht,« and indeed, to favor the former term. Thus there is no real conflict between Fichte’s claim that we must »produce science for ourselves« and his assertion that scientific evidence has to »produce itself within us.« As he puts it, »[j]eder der zum Wissen kommen will muß sie in sich erzeugen durch jene ersten Bedingungen.«22 Only after we have freely produced these conditions within ourselves can »evidence« or »insight« produce itself. The process of acquiring scientific knowledge can be summarized in the following four steps: First, one must acquire, through disciplined observation and careful thinking about what one observes, a determinate intellectual grasp of the phenomena to be explained.. Second, one must make the transition from the sensible to the supersensible realm, which one does simply by asking »why« things are as they appear to be. Without this demand for an explanation and the resulting state of wonder, one could never advance toward science, according to Fichte, since »Gewißheit kann nur aus Zweifeln hervorgehen.«23 Third, one must think »problematically.« That is to say, one must use one’s creative imagination in order to construct hypothetical explanations of the phenomena by considering possible supersensible grounds of – or reasons for – the same. There is no reliable algorithm to guide one at this stage, nor can one ever be sure that one has considered 20 1811 Cauer Nachschrift, p. 6. 21 »Die Evidenz ist die SYNTHETISCHE Einheit des Phänom[ens] und das Grundes« (1811 Cauer Nachschrift, p. 6). 22 1811 Cauer Nachschrift, p. 7. 23 1811 Cauer Nachschrift, p. 7.
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every possible explanatory hypothesis or that one will, in fact, hit upon the correct explanation. This is why it requires not only creative imagination, but also a certain amount of courage to propose hypotheses. Fourth, »Die EVIDENZ eintreten.«24 With this »happening of evidence« what was previously a mere hypothesis is transformed into or recognized as an eternal and necessary – and hence, a »scientific« – truth. »In dem plötzlichen Uebergange aus dem Zweifel zur Gewißheit besteht der Akt der Evidenz. Dieser Augenblick ist die Geburtsstätte der Wissenschaft.«25 When one applies this general account of the acquisition of scientific knowledge to the special case of philosophy, matters become a bit more complex, inasmuch as »inner intuition« and »insight« are now required simply in order to become aware of that »appearance« (»Wissen als Wissen« or consciousness itself) for which one seeks an explanatory ground. In the more important respects, however, philosophical insight resembles scientific insight in general, inasmuch as it too presupposes, as the condition for the very possibility of the »happening of evidence,« a great deal of prior, free intellectual activity on the part of the philosopherto-be. It is precisely this insistence upon what one might call the »necessary conditions for the possibility of the flash of insight« that most clearly distinguishes Fichte’s appeal to this frankly mysterious »happening of evidence« from superficially similar-sounding appeals by romantically inclined Schwärmer. By way of a conclusion, let us look a bit more closely – and critically – at the final two steps of the process just described and consider more carefully the character of scientific hypotheses and the indefeasibility of genuine evidence. Fichtean experimentalism. As we have now seen, genuine science is never a matter of passive »Zusehen,« but always presupposes a »künstliche Vorbereitung im Denken.«26 A person who wants to acquire scientific knowledge has to be capable not just of keen observation and rigorous thinking; he must also possess a capacity for »schöpferisches Erdenken,« the power to imagine for himself and on his own, if only as an »hypothesis,« the concept of some possible supersensible ground of the 24 1811 Cauer Nachschrift, p. 7. 25 1811 Krakau Nachschrift, p. 3v, emphasis added. 26 1810 Twesten Nachschrift, SWV, I,207.
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appearance he wishes to explain. Hence, in Fichte’s words, what is required of the true scientist – including the philosopher – »wäre nicht sowohl eine Beobachtung als ein Experiment.«27 Though there are parallels between Fichte’s remarks on the method of science and familiar descriptions of the »hypothetico-deductive« method of the experimental sciences, one should not allow these similarities to blind one to the important differences between these accounts. Whereas others might understand an »experimental« method to be one that keeps open the constant possibility of revising one’s results in the light of newer experiments, the kind of »experiments« envisioned by Fichte have a strictly heuristic or pedagogic function. They are not conducted in order to become acquainted with contingent facts or empirical, law-like regularities, and their purpose is not to confirm or to falsify the results of previous experiments; instead, they are means to a very different end: namely, the immediate recognition, in »der Blitz der Evidenz,« of a synthetic but necessary, and hence a priori, truth. The student must conduct such experiments on his own simply because this is the only way he can recognize the same necessary truths recognized by previous experimenters.28 As Reinhard Lauth has recently reminded us, we must exercise similar caution in interpreting Fichte’s concept of »hypotheses« in science. When one hears this word, one must not think primarily of the kind of hypotheses associated with the modern experimental sciences of nature – that is, the sort of hypotheses associated with inductive arguments and a posteriori proofs. The kind of »hypotheses« Fichte appears to have in mind are not like those of a detective trying out explanations of some contingent state of affairs; instead, they are like those of a geometer searching for an a priori proof of some necessary truth.29
27 1810 Twesten Nachschrift, SWV, I,207, emphasis added. 28 »Der Lehrer, sagte ich, trägt dem Zuhörer ein gemachtes Experiment vor, und fordert von ihm, daß er auch dies Experiment mache, und es eben so finde, wie er« (1810 Twesten Nachschrift, SWV, I,208). 29 According to Lauth, the latter was still the prevailing conception of »hypothesis« in Fichte’s own day. See Reinhard Lauth, »Fichtes Lehrgebäude in seinen späten Berliner Vorlesungen,« in SWV, II, xxxvi–vii. It must be noted that there is a passage in Schopenhauer’s Nachschrift of the 1811 Einleitung that explicitly applies this notion of »der Blitz der Evidenz« to the problem of induction (p. 4v). This passage does not, however, appear in any of the other Kollegnachschriften of these same lectures, which certainly casts some doubt upon its authenticity.
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The certainty of scientific »evidence«: As we have now seen, the sole purpose of thinking about appearances, wondering about the reasons for the same, and then framing explanatory hypotheses is, in Fichte’s view, to prepare the way for the possibility of experiencing an indefeasible insight into the synthetic unity of ground and appearance, that is, an »innere Wahrnehmung« of a universal and necessary law. »Wie er [that is, one who obtains genuine scientific knowledge] die und die Erscheinungen aufgefaßt hatte, und den und den möglichen Grund davon erdachte, da flossen ihm, durch einen Blitzschlag, beide Gedanken zusammen, und ihm ward es evident, daß es so und nicht anders seyn könne.«30 It is precisely by means of such »insight into necessity« that a mere hypothesis is transformed into unshakably certain knowledge. From this Fichte concludes that a person who claims immediate insight into what is in fact false is not merely wrong, but must be guilty of lying, »weil der Irrthum ihm nicht kann durch den Bliz der Evidenz als Wahrheit bekräftigt seyn.«31 And such a conclusion seems inescapable, if, as Fichte maintains, the sole criterion of whether one really does possess scientific knowledge »besteht darin daß er mit einer ihm bisdahin ganz unbekannten Evidenz, die, in einem Augenblick, wie ein Bliz seine Seele erleuchtet, erkennt daß was er jezt denkt Wahrheit ist und für alle Ewigkeit bleiben wird. Nochmals erneuert sich dieser Bliz der Evidenz bey jeder neuen Erkenntniß. [....] Dieser Bliz der Evidenz ist das eigentliche Kriterium der Wahrheit der Hypothese.«32 This is the very assertion that provoked at least one auditor of Fichte’s lectures – namely, the young Schopenhauer – to comment in the margin his own Kollegnachschrift, »er acquirirt also Infallibilität!«33 Is this a fair comment? No it is not. To begin with, it is not the person of the scientist that concerns Fichte, but rather the truth of his claim. Like anyone else, a scientist can make errors, even while doing science. He can, for example, fail to have observed the phenomena carefully or to have thought them adequately, in which case he will lack the requisite »correct understanding« of what he trying to explain. Or he may make logical errors in his reasoning about the phenomena. Or he may simply find himself unable to »think up« the correct hypothesis. He may
30 31 32 33
1810 Twesten Nachschrift, SWV, I, 207. 1811 Schopenhauer Nachschrift, p. 5v. 1811 Schopenhauer Nachschrift, p. 4r–4v. Schopenhauer, Der handschriftliche Nachlaß, Bd. II, p. 22.
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have a weak imagination. Any of these mistakes or omissions will prevent one from grasping the truth. What one cannot do, however, – and this goes to the very heart of Fichte’s account of the irresistible evidentiary force of the »flash of insight« – is deny a necessary truth if and when it finally does present itself in a flash of insight and evidence. One cannot deny the force of such an »act of evidence,« because it will not allow one do so. This, I take it, is at least part of what it means to claim that one is »seized« or »transformed« by such an experience. For those who have never had such an experience – a group that may well include the majority of human beings, as well as the majority of professional philosophers – a claim to have »immediately experienced« the necessary truth of a particular explanation may well seem dubious or risible. But for those have been »struck by lightening« in the manner described by Fichte, the situation is utterly different, and »[o]b je schon so etwas mit ihm vorgegangen ist, muß Jeder wissen.«34 Where, one may well ask, does this leave those of us who have not experienced the indispensable »flash of insight«? Must we, as Schopenhauer reports Fichte to have asserted, simply stop making new hypotheses concerning a specific scientific question, »nachdem Einer gesagt hat, Ich habe die Wahrheit erkannt mit Evidenz, habe ein wissenschaftliches Wissen derselben«35? Is it really, as Schopenhauer further reports Fichte to have claimed, »reprehensible« [verwerflich] of us not to accept such truth claims? This cannot be right, even though Fichte might well have said it. And it cannot be right for reasons articulated best by Fichte himself. For how can we ever know that a person who solemnly claims to have experienced the »insight« in question really has experienced this? How can we be sure that he has avoided all the mistakes and omissions listed above? How can we be sure that he is not lying, or, more probably, selfdeluded? The only answer that is consistent with Fichte’s own account of the nature of science is that we cannot be sure of any of these things. The only way to decide the issue is to see if we can »produce« the knowledge in question for ourselves. If we try to do this and fail, if no »flash of evidence« illuminates our minds, then this does not prove that the person who swears to have discovered a truth that we have not experienced for
34 1811 Schopenhauer Nachschrift, p. 4r. 35 1811 Schopenhauer Nachschrift, p. 6r.
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ourselves is necessary wrong; but it does show that we cannot determine whether he is right. Fichte’s own rejoinder to those who deny the truth of the Wissenschaftslehre is not as uniformly dismissive as the sentence quoted by Schopenhauer might suggest, though neither is it a model of intellectual modesty and tolerance. In the introductions of 1810 and 1811, as in those of 1797, he can think of no other way to account for the failure of others to endorse his philosophy than to attribute this to a certain deficiency on their part. Thus, in 1797, he attributed the failure of philosophical dogmatists to recognize the superiority of idealism to a deficiency in both their intellectual powers and their moral character. And now, in 1811, he lays the blame on the inability of his critics to »produce for themselves« the Wissenschaftslehre, that is, on their failure to satisfy the conditions necessary for the possibility of experiencing that all-important »flash of evidence,« which, once experienced, permanental removes any further room for doubt concerning the truth of that science. There is, however, nothing particularly »reprehensible« about being a poor self-observer or an unimaginative thinker. What would be truly »reprehensible« would be to expect someone who is unable to produce scientific knowledge for himself to accept the truth of the same merely because some other person alleges that he has been transformed by a »flash of insight.« Accordingly, Fichte concludes that what is appropriate in this case is not invective but education, the aim of which is the personal transformation of those who are not yet »ready for philosophy«: »Denn es kommt hier darauf an den Wahrnemenden und Hinsehenden umzuschaffen und neu zu gebähren.«36 Particularly in the subsequent versions of these lectures, in the introductions of 1812 and 1813, this becomes a central theme: before one can philosophize, one must be »born again« and acquire a new »inner eye,« a new »spiritual organ,« »ein ganz neuer Sinn«37 – »damit ihn in diesem neuen schaffenden Leben die Evidenz erfasse.«38 But this seems to return us to the very problem with which we – and Fichte – began: If the only genuine »introduction to philosophy« is to provide guidance for those who want to learn how to philosophize for themselves, and if one cannot philosophize for oneself until one has first undergone the requisite »transformation,« through which one acquires 36 1811 Cauer Nachschrift, p. 10. 37 1812 Halle 3 Nachschrift, p. 6. 38 1811 Cauer Nachschrift, p. 11.
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intellectual powers that one did not previously possess: if this is the case, then what can a mere teacher ever do to »introduce« students to philosophy? With a certain amount of desperation, perhaps, we find Fichte suggesting, particularly in his final introductory lectures, that such a transformation requires – what else? – a »flash of insight.« It is science itself – and science alone? – that can transform us, »Die Wissenschaft [...] ist eine Umschaffung des Menschen zu einer ganz neuen Gestalt [...] die Wissenschaft giebt uns erst den höhern ganz neuen Sinn für die Wahrheit, die durchaus nur ist in der geistigen Welt, das reine Denken; u[nd] wer nicht zu dieser neuen Geburt kommt, entbehrt desselben gänzlich, u[nd] durchaus.«39 All this, however, is highly problematic, even paradoxical. If it is through science itself that one obtains the ability to grasp the truth, then it would seem that one must already be transformed by science before one can acquire scientific knowledge. Or should we instead distinguish two different »spiritual transformations«: one that has to occur, as it were, on the threshold of science and philosophy, and another that can only occur only as a consequence thereof? In the light of this fundamental problem, it seems no accident that Fichte’s final introductory lectures of 1812 and 1813 should begin with precisely this issue: namely, the need to acquire a new, »spiritual eye« for »das Bildwesen des Wissens«: »Unsere Lehre [ist] eben so Zusammenstellung und Erfassung in Einheit eines durch einen Sinn gegebenen; nur nicht durch den gewöhnlichen, sondern durch einen neu zu entwickelnden. Und so ist es denn ganz klar daß diese Lehre mit dem Menschen so wie er ist und vorgefunden wird, gar nichts machen könne; [...] daß das erste Geschäft sey den neuen Sinn im Menschen zu weken, und [daß] sie drum nicht bloß Lehre, und nicht zu allernächst Lehre sey, sondern Umbildung des ganzen Menschen an den sie kommt. Umschaffung und Erneurung; Erweiterung seines ganzen Daseyns, aus einem beschränkten zu einem höhern Umfange[;] daß auch eine Einleitung 39 1812, Fichte’s mss, p. 3v. »Die Wissenschaft will keinen Glauben sondern Einsicht. Die Philosophie giebt daher nicht ein System, was man zu glauben und auswendig zu lernen hätte; sondern sie will die innere Ansicht, das geistige Auge ändern; sie erzeugt eine neue Denkweise, die sich dann auf alle Wissenschaften anwenden läßt. Wer diese neue Ansicht des Lebens nicht selber hat und lebt, der hat die Wissenschaft nicht. Denn diese Wissenschaft giebt etwas neues; sie ist die höchste Verklärung des geistigen Auges; und nur wer diese Verklärung hat und in ihr lebt, kann diese Wissenschaft begreifen, und ihre Sätze verstehen.« (1812 Halle 2, mss p. 20).
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in diese Lehre beginnen müsse mit der Entwickelung jenes Sinnes; und gradezu darauf hinarbeiten müsse.«40
What these final lectures fail to do, however, is to explain how such a new organ can be inculcated or acquired. Instead, we find Fichte falling back upon language similar to the language he had used earlier to describe the involuntary happening of scientific evidence: »Diese Erhebung von Ansicht der Welt zur Durchsicht, nimmt das Wissen schlechthin mit sich selbst vor; nicht sowohl der Wissende macht diese Veränderung sondern das Licht geht ihm auf und ergreift ihn, und der Mensch hat nur das Bewußtseyn seines veränderten Zustandes.«41 Does this imply the impossibility of real philosophical education? Must we choose between the above-mentioned circle – according to which only science itself can give one the ability to do science – and what now appears to be an endless regress of »flashes of insight« – each providing us with the conditions necessary for experiencing the next? These questions cannot be avoided by anyone who takes seriously what Fichte has to say about »der Akt des Evidenz« in his Berlin introductions. Certainly Fichte himself took them seriously – even if he never managed to arrive at a final answer to any of them.
40 1813 Einleitung Cauer, p. 95r 41 1812 Halle 3 mss, p. 9.
Von der Form der Anschauung zur Anschauung der Form. Zu Fichtes Verständnis des Formbegriffs
Jürgen Stahl (Leipzig)
Mit dem durch Fichte erarbeiteten grundlegenden Neuverständnis des Formbegriffes vollzog der Philosoph einen einschneidenden Paradigmawechsel, war es doch dadurch möglich, die Eigengesetzlichkeit des menschlichen Denkens respektive Handelns mit der diesen zuerkannten Möglichkeit der Freiheit auf neue Weise zu begründen. In Bezug auf Fichtes gesellschaftstheoretisches Grundanliegen, die Wandlung der bestehenden gesellschaftlichen Zustände zu solchen, die der Vernunft gemäß sein sollten, theoretisch zu fundieren und zu befördern, war damit ein Ansatz gefunden, der den im menschlichen Streben auszufüllenden Naturrechtszustand in einer nichtempiristischen Weise auszugestalten gestattete. Versuche, die sozialpolitischen Gegebenheiten in der sich abzeichnenden und vollziehenden Phase des gesellschaftlichen Umbruchs im ausgehenden 18. Jahrhundert theoretisch zu fassen, waren zur Zeit des Fichteschen Denkeinsatzes außerordentlich vielfältig. Doch sowohl die spätfeudal-konservativen wie die aufklärerisch-bürgerlichen Ansätze sind – um in Analogie zu S. Kracauer zu formulieren – »eingebannt in das raumzeitliche Koordinatensystem«, ohne »sich über die Formen der
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Anschauung« hinausspannen zu können zur »Anschauung der Formen«.1 Herders anthropologisch ausgerichtete Überlegungen sind in methodologischer Hinsicht nicht weniger gleichsam ›empiristisch‹ intendiert und damit angreifbar wie Rehbergs konservative Gesellschaftsauffassung. Ebenso wenig konnten solche die Natur- und Gesellschaftsentwicklungen analogisierende Versuche – wie etwa bei dem sich an Rousseau orientierenden Moritz – mit ihrem teleologischen Grundmuster überzeugen.2 Der entscheidende Schwachpunkt war, daß mit der Einbeziehung neuer oder anderer Fakten der jeweilige Ansatz angreif-, gar aufhebbar war, da die Tatsachen im Rahmen eines theoretischen Systems nicht erklärt wurden, sondern die Fakten als unmittelbar gegebene theoretische Basis fungierten. Hier tritt das neue Verständnis des Formbegriffs, die durch Fichte vollzogene Positionsveränderung in der »Revolution der Denkart« auch gegenüber Kant hervor: Die analytische Methodik wird nicht in Analogie zu den in der Mathematik oder Physik gebräuchlichen Verfahren mit der Gefahr des Eingebundenseins in die Naturkausalität ausgebildet. Fichte erhebt dagegen die Anschauung der Formen des Denkens überhaupt zum Programm: »Die Philosophie wäre sonach eine Erkenntniß der Vernunft selbst durch sich selbst – aus Anschauung.« (Ankündigung, GA I/7, 157) Weil Aussagen über das Wesen, das Gesetzmäßige weder direkt aus den Sinneseindrücken noch aus der bloß quantitativen Analyse von Fakten zu erlangen sind, »wird aus allem Wissen heraus und über daßelbe hinaus gegangen, um es im Ganzen, durchaus seiner Form« nach, »als Wissen ... in seiner blossen Möglichkeit zu erklären.« (WL-1801/02, GA II/6, 265) Mit der im 1. Grundsatz gefaßten absoluten Setzung erhob er das Ich in den Rang einer systemkonstituierenden Kategorie, in der sich die logische Einheit von eingreifendem, durch den Willen bestimmtem Handeln und denkend-erkennendem Subjekt ausdrückt. Eine solche Position stand nicht nur gegen Leibniz’ »Entelechien« als »substantielle(n) Formen der Körper«3 mit dem ihnen zugrunde liegenden Präformationsprinzip. Sie ging bekanntermaßen auch über Kant hinaus, bei dem ja die Denkformen insofern defizitär bestimmt waren, als für Fichte Kategorien gerade »keine
1 Siegfried Kracauer: »Die Reise und der Tanz.« In: ders., Der verbotene Blick, Leipzig 1992, 126. 2 Vgl.: Ingeborg Schmidt: »Geschichtsdenken und kulturphilosophische Auffassungen im Werk von Karl Philipp Moritz« In: Philosophie und Geschichte im Denken der deutschen Klassik. Wissenschaftliche Zeitschrift der FSU Jena. Gesellschaftswissenschaftliche Reihe. 33. Jg. (1989), H. 1, 113f. 3 G.W. Leibniz: »Neue Abhandlungen über den menschlichen Verstand.« Hg. E. Cassirer, Leipzig 1915, 358.
Von der Form der Anschauung zur Anschauung der Form
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leeren Formen« sind, »die in der Seele liegen und darauf warten, daß die Erfahrung etwas in sie hineinlege...« (GNR, GA I/3, 358; analog: VnD, GA I/4, 220) Fichte antizipiert, indem er Zeit- und Formbestimmung in der Tradition des aristotelischen Produktionsparadigmas verbindet, die spezifische Potenz menschlicher Handlungskräfte als formgebendes Moment. Im Begriff der Kausalität des Ich liegt nach seiner Auffassung der Begriff des Hervorbringens; nicht des Hervorbringens der Materie, die sei immer existent, sondern sie wird durch den Handlungszusammenhang im Raum und in der Zeit bestimmt – also ihrer Form nach (vgl. Eigne Meditationen über ElementarPhilosophie [EmüEPh], GA II/3, 130). Die Reflexion auf sich selbst als Handlungsweise des Ich erscheint dabei als Elementarform des gegen alle Formen des Denkens gemeinsamen Handlungsinhalts für das Denken. Im Gegensatz zu den Vertretern des ›Dogmatismus‹ versteht Fichte Wirklichkeit nicht objektivistisch. Sie ist ihm eine Frage des Tätigseins und folglich durch das Handeln in ihrem Wesen aufschließbar. Es ist ein subjektiver Akt, der sich über die in der Kultur akkumulierten Formen vernünftigen Handelns in seinen allgemeinen, notwendigen und wesentlichen Momenten erschließt.4 Das Innen-Außenwelt-Schema des ›anschauenden‹ Materialismus wie des Idealismus wird verworfen. Damit verbunden appelliert Fichte an das Individuum, ein Moral- bzw. Rechtsverständnis zu entwickeln, das nicht durch ›fremde, äußere‹ Autoritäten vorgegeben wird, sondern das es selbst in der eigenen Anschauung entwirft. Er orientiert damit auf eine Gesellschaftsentwicklung, die den autoritär-etatistisch fixierten Handlungsformen der spätfeudalen Gesellschaft in Deutschland konträr gegenübersteht. Die Wendung Fichtes sowohl gegen den Empirismus wie gegen die rationalistische Metaphysik drückte sich auch darin aus, daß er die verfügende Anordnung des Ganzen des Denkens zu fassen suchte. Die von ihm in der Analyse der Denkformen zum Gegenstand erhobenen disjunktiven Konfigurationen wie theoretisches Wissen – praktisches Handeln, Subjekt – Objekt, sinnliche Anschauung – theoretische Erkenntnis, Recht – Moral, Wissen – Glauben wurden nicht nur hinsichtlich der Akte des Denkens, sondern ebenso in ihrer Verschränkung mit den daraus entspringenden Handlungen und dem leitenden Willen untersucht. Wissen ist damit nicht etwas kontemplativ zu Erlangendes, sondern der Vernunftbe4 Vgl. J. Stahl: »Zur Kultur in der Vermittlungsrolle zwischen empirischem und absolutem Ich«. In: Fichte-Studien 23. Amsterdam-New York 2003, 138f.
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griff umgreift das Selbstbewußtsein der Menschen über deren theoretisches und praktisches Vermögen. Die Formen des Denkens mit ihrem den Gesetzmäßigkeiten Ausdruck gebendem Charakter sind Momente der Aktivität der Subjekte. Derart geht es Fichte in der Analyse der Denkformen um den Nachweis ihrer Notwendigkeit und Allgemeinheit als Ausdrucksweisen des Gesetzmäßigen.5 Die Formen des Denkens sind den denkenden Subjekten ebenso notwendig eigen, wie sie deren Gedanken und Tun als Ergebnisse des Denkens als Handlungsform und das InBeziehung-Treten der Subjekte prägen. Sie sind deshalb im Fichteschen Verständnis nicht etwas äußerlich Hinzutretendes, Leeres, ein separates Wesen oder passiv Prägendes, sondern den Handlungen wesentlich Zugehöriges. »Die Form des Gesetzes ist nun da, und das Wissen ist in dieser Form, u. kann aus ihr nimmer heraus, ohne sich selbst zu vernichten. Seyn, und Wissen oder Freiheit, sind nun Eins, eben als absolutes Wissen, ...« (WL 1801/02, GA II/6, 168). Fichte will derart weit mehr als eine Fortführung der traditionellen ›Formenlehre‹ in der ontologisch-metaphysischen Denktradition mit der Vorstellung von unformierter Materie und »bloße(n) leere(n) Formen des Denkens« (Zu Bardilis Grundriß ..., GA II/5, 264). Denn: »Es ist ja ohnedies nöthig in einer genetisch fortschreitenden Philosophie« in einem analytisch-synthetischen Verfahren die notwendigen »Handlungsweisen« des denkenden Subjekts »aufzustellen, u. sie werden zu lassen.« (VüPlAph, T. 1, GA II/4, 50). Die durch ein solches Verfahren erlangte »genetische Evidenz« steht gegen die »faktische«, die »ganz zuwider dem innern Geiste der W.-L.« wäre (WL 1804 II, GA II/8, 60; analog: Transz. Logik (Hg. Lauth, Hamburg 1982, 84, 165f.). Im Fichteschen Denken verkörpern die Formen eine aktive, den Handlungen des Geistes inhärente, notwendige Potenz, in der sich individuelle, soziale, rechtliche, moralische und ökonomische Bestimmungen kreuzen. Die Konstruktion eines transzendentalen Ich läßt sich damit auch als Antwort auf die Disjunktion fassen, wie nämlich verantwortliches individuelles Handeln und gesellschaftlicher Fortschritt nicht gegen die Individuen, sondern weil bewußt den Gesetzen des Denkens und des dadurch bestimmten Handelns folgend, vereint werden können.
5 Fichte steht in die Tradition der Methodik Bacons, der die Form als Gesetz, nach dem eine bestimmte Anschauung oder ein bestimmter Gedanke als Tatsache des Bewusstseins auftritt oder zum Auftreten gebracht werden kann, verstand. Vgl. F. Bacon: »Neues Organon«. Teilband 2. Hamburg 1990, 281–283.
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Worin kommt der Paradigmawechsel im Verständnis des Formbegriffs zum Ausdruck und welches sind die damit neu gewonnenen theoretischen und methodischen Möglichkeiten? 1. Entscheidend scheint mir weniger die Feststellung, daß Fichte die traditionelle Form-Inhalt Bestimmung auflöste; das vollzogen bei unterschiedlicher Akzentsetzung bereits Bacon, Leibniz, Wolff, Lambert und insbesondere Kant. Wesentlicher scheint mir, daß Fichte das Erkenntnisobjekt in seiner Beziehung zum Subjekt als ein vielfältig bestimmtes Verhältnis vorführt. Es ist somit auch durch eine Vielzahl philosophischer Begriffe erfaßbar, wobei dem Formbegriff eine neue, zentrale Rolle zukommt. Gegen den Utilitarismus in der Aufklärungsphilosophie setzt Fichte: Die Form und damit die Wahrheit ist nicht etwas der Zweckmäßigkeit Verpflichtetes, sondern sie hat den Charakter der Notwendigkeit an sich. (Vgl.: Versuch eines erklärenden Auszugs ..., GA II/1, 341). Indem alles Wissen aus der »absoluten Identität« von Subjektivem und Objektivem (AaR, GA I/7, 304) abgeleitet werde, verbürge die Vernunftform aufgrund der ihr immanenten Allgemeinheit und Verbindlichkeit, also Gesetzmäßigkeit, die Wiederholbarkeit des Wissens als Produkt des Erkennens. Da das philosophische oder transzendentale Denken »in Absicht der Form dem gemeinen ganz gleich« ist (ebd., 306), unterliegt folglich jegliches Denken den Gesetzen der Vernunft, ist die Wiederholbarkeit nicht nur ein Moment »in allem, sondern auch für alle...« (ebd., 303)6. 2. Folgen wir dem Gedanken von Rosenkranz, so hatten bereits Lambert und Kant mit der Untersuchung der »Begriffe an und für sich«, »nicht bloß als Prädikate des schon immer vorausgesetzten Begriffs der Dingheit«,7 die Formanalyse zu einem ausgezeichneten Feld der Untersuchung erklärt. Bei Fichte nun sind die Denk- und Handlungsformen durch deren ausschließliche Zuordnung zum Ich als Moment des praktischen Wirksamwerdens des konstitutiv tätigen Subjekts charakterisiert. Indem sie darin als vielfältig bestimmte Verhältnisse analysiert werden, erscheinen sie zugleich als Momente der Transformation einer Form in andere Formen, in Kategorien mit neuem Inhalt. Fichtes Wechsel im Verständnis des Formbegriffs markiert damit einen herausragenden Punkt 6 Fichte wandte sich damit gegen die bei Reinhold wiederkehrende Auffassung von einem philosophischen, »vollkommenen« Denken, das den Gesetzen des Denkens genüge, getrennt vom »gemeinen (vulgaren)«, (AaR, GA I/7/300), das diesen Gesetzen nicht notwendig unterliege. 7 Karl Rosenkranz: »Geschichte der Kant’schen Philosophie.« Hg. St. Dietzsch. Berlin 1987, 50.
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im Umbruch vom ›weltordnenden zum weltentwerfenden‹, bewußt ändernden, gestaltenden Weltverständnis. Es ist mit der durch Fichte durchgeführten Unterscheidung der Formseite gegen ihren stofflichen Inhalt ein außerordentlicher Fortschritt in der sozialwissenschaftlichen Methodik angezeigt, zu der die etwa zeitgleich agierende klassische bürgerliche Ökonomie nach dem Urteil von Marx weitaus weniger in der Lage war.8 Gerade dieser Schritt aber war grundlegend, um entgegen empiristischen Ansätzen das Wesen eines Erkenntnisobjektes, dessen allgemeine Gesetzmäßigkeiten, analysieren zu können. 3. Die dafür zu lösende Problematik, wie das Subjekt von der sinnlichen Anschauung zu theoretischer Erkenntnis gelangt, wird von Fichte bekanntermaßen durch Neuinterpretation der ›intellektuellen Anschauung‹ bewältigt. Mit ihr gelingt es ihm, den qualitativen ›Sprung‹ von der Anschauung zum Denken, vom Einzelnen zum Allgemeinen, zu fassen. Während die empirische Existenz des Ich über die Empfindung vermittelt ist, kann das Ich in seiner Möglichkeit und damit Gesetzmäßigkeit bzw. seinem Wesen nur über die intellektuelle Anschauung, durch die qualitativ andere Stufe der Erkenntnis, erfaßt werden. Der in der intellektuellen Anschauung gefaßte Prozeß umgreift modern gesprochen das Problem der Induktion. Indem die Anschauung nicht auf deren sinnliche Stufe beschränkt bleibt, sondern von vornherein als unter der Form der Vernunft stehend von Fichte begriffen ist, kann der Übergang vom Einzelnen zum Allgemeinen, zur Erfassung des Gesetzmäßigen aufgezeigt werden, ist die Einheit des Wissens begründbar. 4. Wesentlich scheint mir in diesem Zusammenhang die von Fichte vorgenommene Konkretisierung des damit gefaßten Prozesses: Anschauung wird zum »wirklichen Wissen« durch »Intelligieren«. (MEr, GA II/9, 169). Das ›Intelligieren‹ ist aber ein Akt subjektiven »Konstruierens«, d. h. des Abstrahierens und »Formierens« (VüPlAph, T.1, GA II/4, 108) im Akt der Tathandlung. Fichte gab derart dem Konstruktionsbegriff einen neuen Inhalt, der nun nicht auf die Sinneswahrnehmung äußerlicher Objekte begrenzt blieb,9 sondern zur universellen Fähigkeit in der Begriffsbildung erhoben, als deren notwendiges Moment erkannt wurde. 8 Vgl. K. Marx. »Theorien über den Mehrwert.« In: K. Marx/F. Engels: Werke. Bd. 26.1. Berlin 1985, 64. 9 Wenn sich Fichte gegen ein ›Konstruieren‹ gleich der Geometrie aussprach, dann weil er diese in der Tradition Kants für eine aus der sinnlichen Anschauung heraus sich vollziehende Erkenntnis hielt. Er setzt dagegen die philosophische Erkenntnis als auf theoretischen Begriffen basierend (Seit sechs Jahren, GA I/7, 157). »Die Philosophie wäre sonach eine Erkenntniß der Vernunft selbst durch sich selbst – aus Anschauung.« (Ebd., 159) Durch deren
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5. Bereits die Forderung Wolffs und Lamberts nach der Erkenntnis des zureichenden Grundes ging nicht auf irgend eines der Momente im Beziehungsgefüge des Ganzen aus. Sie richtete sich auf die Aufdeckung des wesentlichen Bestimmungsverhältnisses, von dem sich der Ausgang für die Erklärung der Einheit des Ganzen im Aussagengefüge gewinnen läßt.10 Lambert gab der durch die aufbauend bedingte Schichtung der ›einfachen Begriffe‹ in der »Grundwissenschaft« im Bild der »Architectonic«11 einen sinnfälligen Ausdruck, den Kant zur Bezeichnung des Systemcharakters der Vernunftbegriffe aufnahm. (Vgl. KrV, A 832f.). Er konkretisierte darüber hinausgehend mit dem Begriff des ›Naturzwecks‹ das gewonnene methodische Prinzip, indem er dem äußerlichen finalen Grund in der mechanistischen Kausalitätsauffassung den Selbstzweck des Ganzen, die Einheit von Ursache und Wirkung, entgegenstellte. (Vgl. KrV, B 286). Den möglichen Ansatz zur Klärung des Problems der Freiheit baute Fichte dadurch aus, daß er das Prinzip der Einheit von Ursache und Wirkung im Ich-Begriff zu einem grundlegenden Tätigkeitsprinzip steigerte. Die ›Architektonik‹ des Denkens wird von ihm nun nicht mehr als eine räumlich-statische Schichtung fester Begriffe vorgestellt. Das Wissen erscheint in den Begriffsentfaltungen statt dessen zugleich als ein Werdendes. Die Momente der Erkenntnis sind darin als Stufen eines einheitlichen, zeitlich ausgelegten Prozesses gefaßt. Über diesen kann wiederum dem Inhalt, der Form und der Methode nach reflektiert werden. Der Logik des Werdens entspricht, daß der Sache nach damit für Fichte die Kenntnis der Genese – im Gegensatz zum »historischen Glauben« (SB, GA I/7, 261) – einer Erscheinung, für deren logisch-theoretisches ›Intelligieren‹ kann er die Anschauung der als ›nicht leer‹ gefassten Formen des Denkens (Bardili, GA II/5, 264) zum Ausgangspunkt der Analyse nehmen. Derart manifestiert sich gerade im Konstruktionsbegriff »der entwerfende, tätige Charakter des Subjekts im Herausarbeiten der theoretisch-begrifflichen Fassung des Wesens eines Gegenstandes.« (J. Stahl: »System und Methode – Zur methodologischen Begründung transzendentalen Philosophierens in Fichtes ›Begriffsschrift‹«. In: Fichte-Studien 10. Amsterdam-Atlanta 1997, 112); vgl. J. Manninen: »Relativität und Totalität des Wissens«. In: Annalen der internationalen Gesellschaft für dialektische Philosophie Societas Hegeliana. Bd. III, Köln 1986, 220; S. Dietzsch: »Dimensionen der Transzendentalphilosophie«, Berlin 1990, 56. 10 W. Risse bezeichnete den Versuch, das Prinzip vom zureichenden Grund zu beweisen, als den fruchtbarsten Irrtum der gesamten Aufklärungsphilosophie. (Vgl. W. Risse: »Die Logik der Neuzeit.« 2. Bd. 1640–1780. Stuttgart-Bad Cannstatt 1970, 610). Dieser Gedanke erscheint deswegen beachtenswert, weil sich über die immer neue Entfaltung dieses Prinzips auf der Suche nach der göttlichen Endursache die Wechselwirkung als wahre causa finalis offenbarte. 11 Johann Heinrich Lambert: »Anlage zur Architectonic, oder Theorie des Einfachen und des Ersten in der philosophischen und mathematischen Erkenntniß«. In: J. H. Lambert: Philosophische Schriften. Hg. v. H.-W. Arndt. Bd. 1, Hildesheim 1965, § 74.
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Wesensverständnis als unumgänglich erklärt wird. (Vgl. GWL I/2, 365; BWL, GA I/2, 147; Reden, Hg. Lauth, Hamburg 1978, 32f.; ÜaMagn. SW XI, 303). Fichte inauguriert eine qualitativ neue Totalitätsauffassung. Darin besteht nach meiner Auffassung eine seiner originären Leistungen, auf denen Schelling wie Hegel in der weiteren Aus- und Umbildung des transzendentalen Idealismus aufbauen. 6. Fichtes Forderung nach »Vernichten des Begriffs« (WL 1804, GA II/8, 60) wendet das Wolffsche Vollständigkeitstheorem dahingehend, daß damit nicht nur die Hierarchie der wesentlichen Beziehungen in der Architektonik herauszuarbeiten ist. Es geht ihm in der systematischen Darstellung um die theoretische Entfaltung ihres Bedingungsverhältnisses, der unterschiedlichen Schichtungen des Wesens. Dem zugrundeliegenden Gegensatz kommt dabei ein die Totalität formierender, bestimmender Charakter zu. (Vgl.: Zur Ausarbeitung der WL 1801/02, GA II/6, 82; SB, GA I/7, 260; Pract. Phil., GA II/3, 214). Die vielfältigen philosophischen Begriffe werden, vermittelt über die »Form« als den zu den »Thatsachen des innern Sinnes« gehörenden Gesetzen (SB, GA I/7, 204), in der Erklärung aus einem Grunde zu einem genetisch entwickelten System ausgebildet. Mit dem Bezug auf das reine, absolute Ich als dem die Form vererbenden Vermögen verschärft Fichte die Kantische Bestimmung der Wahrheit, die nicht die sinnliche Gewißheit, sondern die Übereinstimmung der Erkenntnisbedingungen a priori im Subjekt als deren Kriterium ausmachte: Das theoretische Konstrukt hat die Kriterien dafür zuerst in sich selbst; denn Wahrheit geht als Moment der Tathandlung über den Aspekt der sinnlichen Gewißheit hinaus. Fichte folgt damit dem analytischen Wissenschaftskonzept. Die gegensätzliche, gar widersprüchlich erscheinende Faktizität muß aus dem bedingenden Wesen, den bestimmenden Verhältnissen der Totalität erklärt werden. 7. Entgegen und über das von Leibniz, Wolff und Lambert verfolgte Programm einer ars inveniendi hinaus entwickelt Fichte das Beziehungsgefüge der Begriffe aber nicht allein auf der Basis einer formallogischen Methodik. Den entscheidenden Fortschritt birgt die Entwicklung einer ›analytisch-synthetischen‹ Methode. Fichte gelingt es darin, die Formverwandlung innerhalb des Denkens darzustellen, nämlich wie aus einem Gegensatzverhältnis von Begriffen unter der Bedingung der quantitativen Einschränkung ein neues, konkretes Verhältnis mit daraus resultierenden neuen Kategorien entspringt. Es gibt keine darüber hinaus als Entelechien existierenden Formen, losgelöst von den Gegensatzver-
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hältnissen der konkreten Totalität der Vernunft.12 Ihre Wirklichkeit ist die Wirklichkeit der Totalität der Vorstellung; ihre Form ist bestimmt schlechthin dadurch, daß sie wechseln, und sie wechseln notwendig und in dieser bestimmten Art und Weise in der Totalität. Es ist hier kein Raum für Erklärungen durch ein anderes, darüber hinaus liegendes Prinzip. Die Totalität hat die Wesens- und damit Formbestimmung an sich selbst. Sie erfüllt im Fichteschen Verständnis das Programm einer »Mathesis der Vernunft«, »nicht bloß der äußern Form, sondern auch dem Gehalte nach.« (Seit sechs Jahren .., GA I/7, 160). 8. Das Verfahren der ›limitativen Dialektik‹ ist zunächst dadurch charakterisiert, daß die durch einen Begriff abgedeckte Sphäre eine quantitative Einschränkung entweder nach der Seite der Form oder nach der Seite des Inhalts erfährt. Indem die Negation durch Fichte jedoch als ›unbestimmte‹ oder ›intuitionistische‹ Negation13 realisiert wird, führt diese in der darüber vollzogenen Formverwandlung auf eine andere, neue, aus dem Ausgangsverhältnis hervorgehende begriffliche Bestimmung. Die Begriffe werden auseinander entwickelt, sind nicht statisch, lediglich in ihrer spezifischen Differenz als disjunktive gesetzt. Der neue Begriff ist in seiner Charakterisierung deshalb nicht dadurch ausgeschöpft, daß er als Erscheinungsform des zugrunde liegenden Ausgangsverhältnisses ausgewiesen wird. Er ist als bewußt gewordene Denkform Ergebnis der aktiven Gestaltung im Handlungsvorgang des Denkens durch das Subjekt, ist Modifikation eines ursprünglichen Verhältnisses, dem Ansatz nach dessen Konkretion. Statt eines linearen Auffädelns oder einer innerlich kaum verbundenen Kategorientafel vermochte Fichte dadurch eine vielgliedrige, komplexe Systemstruktur der philosophischen Begriffe aufzuweisen.14 12 Der von Fichte vollzogene Positionswechsel erscheint in einem deutlicheren Licht, wenn man ihn in Beziehung setzt zu zeitgenössischen Denkern – etwa Goethe. Dieser bekannte noch 1829 im Nachdenken über die Unsterblichkeit, daß er »nicht an unserer Fortdauer« zweifle, »denn die Natur kann die Enetelechie nicht entbehren...« (J. P. Eckermann: »Gespräche mit Goethe«, Leipzig 1969) 13 Zur Problematik der ›unbestimmten‹ oder ›intuitionistischen‹ Negation vgl. L. Kreiser/W. Stelzner: »Zur Logik der Begriffe bei Wilhelm Wundt«. In: Zwischen traditioneller und moderner Logik. Nichtklassische Ansätze. (Reihe: Perspektiven der analytischen Philosophie. Neue Folge.) Hg. Werner Stelzner u. Manfred Stöckler. Paderborn. 2001, 170ff. 14 Wenn – wie kürzlich durch Karen Gloy (vgl.: K. Gloy: »Fichtes Dialektiktypen.« In: Fichte-Studien 17. Amsterdam-Atlanta 2000, 116) – einmal mehr die platonische Diaresis als Quelle der Fichteschen Methode detailliert herausgearbeitet und der Ansatz zur Fassung der Substanz-Akzidenz-Beziehung als die darin aufscheinende wesentliche Leistung aufgezeigt wird, so bleibt dennoch zu fragen, ob damit die Möglichkeiten zur Charakterisierung der Leistungsfähigkeit Fichtescher Dialektik ausgeschöpft sind. M.E. ging es Fichte eben nicht nur um die Klärung des hierarchischen Aufbaus der philosophischen Kategorien, wenngleich das von der Autorin aufgewiesene Ableitungsschema gerade das darzulegen scheint. Hervorhebenswert
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9. Das Formvermögen zur »Bildung der Dinge« (Beitrag, GA I/1/267) ist gebunden an den Kraftbegriff, der sich bei Fichte mit dem Subjektbegriff zusammenschließt. Es ist sein Anspruch, mit seinem System das Problem der menschlichen Freiheit dadurch zu lösen, daß »... die Grundtriebfedern dieser Bewegung auf eignem Boden« aufgesucht und erzeugt werden. »Schwärmerei« oder »Aberglaube« können damit keine »Wurzeln fassen.« Fichte ging es mit der Klärung der Formbestimmtheit des Denkens um Vernunft- oder Wesenserkenntnis gegen die sich aus den »Empfindungen über Glück und Unglück, Ehre und Schande durch den unsichtbaren Einfluß des Weltganzen« bildenden Auffassungen (SB, GA I/7, 255), man könnte auch sagen: gegen die aus dem empirischsozialen Dasein erwachsenden unterschiedlichen Auffassungen über das Dasein. Indem die Gesellschaft auf diese Weise eben nicht als natur-, sondern als vernunftbestimmt postuliert wird, vollzieht Fichte über die durchgeführten begrifflichen Transformationen eine eigentümliche Naturalisierung wie auch latente Historisierung des Gesellschaftlichen: Eine Naturalisierung insofern, als der idealisierte, der Vernunft gemäße Zustand eine ›überhistorische‹ Funktion erfüllt. Der Zustand figuriert nicht nur in einem angenommenen Ausgangspunkt sozialer Entwicklung, von dem es nur noch einen permanenten Abfall zu konstatieren gibt. Für Fichte steht das Natürliche als das Vernünftige in Gestalt einer über alle Zeit gleichermaßen wirkenden und zu erkennenden Vernunftgesetzlichkeit. Die Menschen sind zu jeder Zeit in ihrem Denken und Handeln durch diese Vernunftgesetze bestimmt. Dagegen unterscheiden sich die historischen Epochen dadurch, inwieweit die Vernunftgesetze erkannt werden, inwieweit die Menschen in ihren Handlungen ihnen mehr oder minder bewußt Rechnung zu tragen vermögen. Damit kommt der Aspekt der Historisierung auf neue Weise zum Tragen: »Verschiedene Zeiten sind da nur für den Verstand, und nur derjenige, der sie mit dem Begriffe durchdringt, lebt sie mit und ist da zu dieser seiner Zeit...« (Reden, a.a.O., 194)15. Die Vernunftform avanciert zu einem Mittel, die Epochen analytisch zu scheiden; der Grad der Entsprechung gegenüber der Vernunft-
scheint mir der darüber hinausgehende, mit der Genetisierung der Kategorien verbundene Gedanke Fichtes, statt die geschichtlichen Philosophiegestalten vom einzelnen Individuum abzuziehen, diese vielmehr als historische Ausbildung der Vernunftformen zu begreifen. Gerade in dieser Idee scheint mir ein die unterschiedlichen Ausarbeitungen der Wissenschaftslehre übergreifender Aspekt seines theoretischen und methodischen Ansatzes zu liegen. 15 Vgl. J. G. Fichte: »Jahrbücher der Kunst und Wissenschaft«, GA I/6, 425; Reden 34–38 ; VüLuMph, GA IV/1, 193; GdgZ, GA I/9, 197.
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form bezeichnet die historische Spezifik gegenüber den allgemeinhistorischen Funktionen. 10. So weit ich sehe, gelingt es Fichte vermittels des analytischen Herangehens unter Verwendung des Formbegriffs auch erstmals in der Philosophiegeschichte, auf einer bewußtseinstheoretischen Grundlage ideologische Effekte nicht einfach zu konstatieren und abzuweisen, sondern in Gestalt der Erklärung des Realismus und des Idealismus als geschichtliche Ausdrucksformen der Entwicklung der Vernunft, »des zu sich als System kommenden menschlichen Geistes«,16 darzustellen. Es ist dies ein neuer Aspekt in der Ideologiekritik, der die unterschiedlichen Positionen nicht lediglich in den alten Gegensatz von Schein und Wahrheit einträgt. Neben dem damals gängigen und bei Fichte vielfach auffindbaren Aspekt der Ideologiekritik, der die Herrschaftsdienlichkeit von Philosophie und Religion und politischer Theorie in der Tradition der Aufklärung kritisiert, rückt Fichte aus der oben bezeichneten Perspektive partiell vom utilitaristischen Betrugsvorwurf der Aufklärung ab. Indem er Philosophie als »Erkenntniß der Vernunft selbst durch sich selbst« (Seit sechs Jahren, GA I/7/159) und damit unter der Form der Vernunft stehend faßt, die somit in die Einheit des Wissens inbegriffen ist, wendet er sich gegen Spekulation, Wunder, Glauben, Offenbarung – die Kennzeichen von Religion in der traditionellen Kritik schlechthin. Er erklärt dagegen Religion als mit der Vernunft verknüpftes Phänomen: »Immer verhüllt die Form uns das Wesen.« (AzsL, GA I/9/111). Übergeordnete institutionalisierte Mächte ohne Autorisierung durch die davon beherrschten Individuen und ohne die Möglichkeit von deren Eingreifen sind ihm obsolet. Religion erscheint als passives, totes Prinzip; dem steht die Gottheit als tätiges Prinzip gegenüber, das im Subjekt selbst wieder eintritt »als Leben«. Gotteserkenntnis erscheint als Form der Vernunfterkenntnis, sich ausdrückend im praktisch-tätigen Verhältnis der Menschen. Mit dem letztlich unerreichbaren Absoluten, dem sich das strebende Individuum im Prozeß des Sollens nur zu nähern vermag, ist jedes Nicht-Erreichen dann kein falsches Tun, sondern ein mehr oder minder vollkommener Schritt auf dem Weg dorthin, weil selbst immer unter der Form der Vernunft stehend. Zusammenfassend läßt sich sagen: Indem den Subjekten die Potenz des Formierens des Nicht-Ich gemäß den Gesetzen der Vernunft eigen ist, 16 R. Bubner: »Innovationen des Idealismus«, Göttingen 1995, 89.
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kommt ihnen – modern ausgedrückt – eine sozial-praktische Formativkraft zu. Die Charakterisierung des Strebens als »einer Kausalität, die nicht Kausalität ist« (BWL, GA I/2, 151), bringt das widersprüchliche Problem, daß im Rahmen der Vernunftgesetze Möglichkeiten zum Bedenken von Handlungsalternativen gegenüber dem Nicht-Ich bestehen, zum Ausdruck. Die Formbestimmtheit des Ich ist für das Streben, das Nicht-Ich gemäß den Gesetzen der Vernunft durchzubilden, wesentlich. Derart wird die IchProblematik in der Ausbildung der Wissenschaftslehre aus dem ontologischen Gegensatz von ›Form und Materie‹ herausgelöst und in das Spannungsfeld der Kategorien Freiheit und Natur überführt.17
17 Vgl. A. Pieper: »Individuum«, in: Handbuch philosophischer Grundbegriffe. Hg. H. M. Baumgartner, Ch. Wild, H. Krings. München 1973, Bd 2, 731.
Die Position der Anschauung im Wissen oder die Position der Anschauung in der Welt. Der Unsinn der Subjektphilosophie
Albert Mues (München)
Wir sagen, ein jeder zu sich, »ich« und fassen uns jeweils als ein Individuum in Gestalt eines Subjekts, dem Objekte gegenüberstehen. Subjektiv sind wir Wille, der Objekte behandeln und realisieren will. Und subjektiv sind wir Erkennen, das sich auf Erkanntes oder zu Erkennendes richtet. Jedoch beziehen wir hier – eben in diesem ›ich‹, wenn wir z. B. schlicht sagen »ich sehe dieses Blatt Papier« – schlechthin Unvereinbares aufeinander: mich als das Subjekt des Sehens und etwa das Papier als dessen Objekt. Mich als (erkennen) Wollender und das Papier als (zu erkennen) Gewolltes. Und hier beginnt die Schwierigkeit. ›Subjekt‹ – das heißt philosophisch: ›nicht Objekt‹, und kein Wort mehr! (Wir meinen hier nicht einen in der Psychologie verwendeten Begriff von Subjekt.) ›Objekt‹ – das heißt: ›nicht Subjekt‹, und kein Wort mehr! Dieser Gegensatz zeigt sich auf der Erkenntnisebene so: Das Vorgestellte, der objektive Vorstellungsinhalt (das Papier), ist nicht die subjektive Vorstellung (des Papiers). Und auf der praktischen Ebene: das Gewollte, das objektiv Intendierte (dieses zu lesen), ist nicht der Wille, das subjektive Wollen (ich will lesen). Es gilt zu verstehen, daß die Gegensatzpaare sich einzig durch sich selbst bestimmen. Was das Eine nicht ist, ist das Andere, und umge-
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Albert Mues
kehrt. Es kann für diese Gegensätze kein ihnen gemeinsamer Oberbegriff ausgemacht werden. Versuchte ich ihn abstrahierend zu schaffen, würde dieser Oberbegriff mir wieder ein Objekt des Wissens, ein Vorgestelltes, ein Gewolltes und geriete damit unvermeidlich wieder zu einem Glied dieser dialektischen Antithetik. Es ist logisch nicht möglich, diese entgegengesetzten Pole zu einer Einheit zusammenzufügen. Es gelingt auch nicht auf die Weise, wie es der Realismus versucht. Ihm sind Subjekt und Objekt, Vorstellen und Vorgestelltes, Intendieren und Intentiertes dadurch, daß er sie als seiend behauptet, unter dem Oberbegriff ›Sein‹ universalientheoretisch zusammengefaßt. Daß ›Sein‹ wieder der Objektseite zukommt und daß er ›Sein‹ verstehen muß als ›Vorstellung ist das nicht‹, zwingt ihn dazu, den Begriff ›Objekt‹ vorauszusetzen. Ein Realist muß wissen, was ›Objekt‹ heißt, dann erst kann er ihm ›Sein‹ ein- und unterordnen. Es kann ihm nicht gelingen, den Begriff ›Sein‹ zu bilden und inhaltlich anzuwenden, wenn er ›Sein‹ nicht zugleich als der Objektseite zugehörig versteht.1 Es ist daher hier auch nicht nötig, alle seine verschiedenen, aber nie gelingenden Versuche zu referieren, die diese dialektische Situation begrifflich oder intentional aufheben wollen.2 1 Der Realist muß so argumentieren: Daß ich Objekte (oder mich als Subjekt) (2)finde, ist mir schon (1)vorgegeben, (1)finde ich schon vor. Er müßte aber auch zu diesem (1)finden in einem Verhältnis stehen, sonst versteht er gar nicht, daß er überhaupt findet, sei es nun (2)finden oder (1)finden. Dies glaubt er dadurch leisten zu können, daß er sich wiederholt: Dieses (1)finden ist mir auch (0)gegeben, (0)finde ich auch vor. Es wird ein regressus in infinitum. Und deswegen scheitert er. – Auch diejenigen, die dies umgehen wollen und die Herkunft aus dem »Vorstellungsvermögen« (mit Carl Leonhard Reinhold beginnend) oder aus der »Ichform« oder dem »Ausgang aus dem Ich« verstehen wollen, verweisen auf (dann als ›subjektiv‹ ummänteltes) Vorgegebenes und bleiben daher Realisten. Vgl. Dieter Henrich: Grundlegung aus dem Ich. Untersuchungen zur Vorgeschichte des Idealismus, Tübingen – Jena (1790–1794). Frankfurt am Main 2004, 21: »Diez’ Theorieversuch von 1791 ist der erste Ansatz zu einer philosophischen Grundlegung aus dem Ich. Er will zeigen, daß die folgerichtige Entwicklung aller kantischen Theoreme beim Selbstbewußtsein ihren Einsatz nehmen muß.« S. 1438: »Fichte [...] der die Philosophie von einer Erklärung der wissenden Selbstbeziehung her aufbauen wollte [...].« S. 1708: »Der Ausgangspunkt eines absoluten Prinzips, von dem her wir verstehen können, inwiefern Alles Eines ist, blieb aber in allen diesen Wandlungen gewahrt. Von ihm her mußte sich auch die durchaus spezifische und rätselkreierende Form eines Ich-Gedankens erschließen lassen, der nicht mehr selbst absolutes Prinzip war. Dies gilt für Fichte und Hegel nicht anders als für Schelling und Hölderlin. Die Überzeugung, jener Ausgangsgedanke sei nur in einem mit dem Begreifen der inneren Form des Ich zu fassen, macht den invarianten Kern der gesamten Bewegung der nachkantischen Philosophie aus. Ihretwegen ist sie insgesamt zu dem geworden, was mit ›spekulativer Idealismus‹ bezeichnet wird.« Wieder wird die Epoche des Deutschen Idealismus so gedeutet, als wären ihr eine »innere Form des Ich«, eine »wissende Selbstbeziehung«, »Strukturen des Subjektiven« vorgegeben. Sie wird wieder dem Realismus unterworfen, den sie gerade bekämpft. 2 Nach Friedrich Heinrich Jacobi erkennt die Vernunft (er meint ›Verstand‹; auch in WW II, 7–9: ›Vernunft‹ ist ihm dort das Vernehmen des Übersinnlichen, und das muß verstanden sein) sich und die Wahrheit durch den Begriff, ebenso lebt die Philosophie mit dem systematisch
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Wir wollen uns auch nicht mit den fatalistischen Lösungen unserer Zeit beschäftigen, die diese ungelöste Dialektik als permanenten oder performativen Selbstwiderspruch oder als absurde Situation kennzeichnen, mit dem oder mit der zu leben wir uns jedoch abfinden müßten, fatal, aber unausweichlich.3 Nur ein Wort dazu: Ein jeder von uns kommt sich jetzt weder widersprüchlich noch absurd vor, wenn er von sich sagt: »Ich sehe dieses Papier«. Fassen wir dieses Dilemma zusammen. Subjekt und Objekt sind – logisch betrachtet – äußerste, unvereinbare Pole, schlechthin auseinander. Wie in ›krumm‹ nichts von ›gerade‹ enthalten ist und in ›gerade‹ nichts von ›krumm‹ (solange wir nicht den ihnen gemeinsamen Begriff ›Linie‹ aufstellen), so ist ›Subjekt‹ imprägniert gegen ›Objekt‹ und ›Objekt‹ ›Subjekt‹ abweisend. Hier gibt es kein Wenn und Aber. Und eine Anwendung dieser Situation auf sich selbst: ›ich bin vorstellend diese Dialektik‹ oder ›ich will diese Dialektik‹ – hier wäre sie subjektiv –, ›ich existiere dialektisch‹ oder ›was ich will, ist Dialektik‹ – hier wäre sie objektiv –, verwiese diese Anwendung selbst in eine dieser Pole. Die Pole selbst aber verlangen gerade nach der Ausschließung ihrer Selbstanwendung. Diese
ordnenden Begriff. Dies hält Jacobi für einen Mangel der Vernunft und der Philosophie. Denn beide arbeiten nach ihm mit dem Begriff, welcher seiner Natur nach endlich ist und endlich bleiben muß. Die Wahrheit sei aber nicht endlich. Darum habe sich die Vernunft durch einen »salto mortale« aus ihrer begrifflichen Enge und aus der Philosophie zu retten, um einen Standpunkt zu erringen, der ihr das Vernehmen (statt des unzulänglichen Begreifens) der Realität, das ist der Wahrheit, garantiert. Diese Realität, diese Wahrheit sei der Vernunft gegeben, sei ihr letztlich objektiv vorgegeben. – Woher weiß Jacobi von diesem Gegebensein? Wenn der Verstand die Wahrheit nicht faßt, so ist das sein Vorzug, denn der sucht den Begriff und nicht die Wahrheit. Die Vernunft kann seiner entbehren, und dies ist ihre Stärke. Was Jacobi die gegebene Wahrheit oder das Reale ist, das es zu vernehmen gilt, wird ihm unter der Hand und gegen seinen Willen zu einem Gegenüber, zu einem Objekt, das als dieses verstanden sein, also in einen Begriff eingehen muß. (Auf den Punkt gebracht von Fichte gegen Schelling: »Drum ist ihm auch die Vft. nicht das reine Vernehmen, sondern das lezte Vernommene.« GA II,5, 484,13f.) Es wäre jedoch für Jacobi (oder Schelling) auch nichts zu vernehmen, oder – stärker –: es gäbe auch kein ›Vernehmen‹, da es ja eben als Vernehmen verstanden sein muß. Um aber eben diesem Verstehen zu entkommen, denn die Wahrheit entgeht ihrem Verstehen, kann sie einzig nur unbegrifflich, unbezogen, außerhalb dieses Verstehens, daß sie gegeben sei, erfaßt werden. Und das bedeutet allerdings: Ist sie unbezogen, so ist sie autark. Ist sie unbezogen zur Vernunft, so ist sie die Vernunft selbst, und diese ist unbegreiflich. – Jacobi sucht die Fülle der Wahrheit (bei Jacobi auch ›Realität‹ genannt) außerhalb der Vernunft (bzw. des Verstandes). Doch der Vernunft ist die Unbegreiflichkeit der Wahrheit das Siegel dafür, daß sie selbst autonom, unbezogen ist. – Und umgekehrt gerichtet: Diese Unbezogenheit macht evident, was unbezogen heißt: unbegreiflich geltend, ohne Bezug geltend. Daraus folgt: Was bezuglos gilt, kann nur gefunden sein. Natürlich nicht außerhalb der Vernunft – da wäre sie wieder die Gestalt des Beziehens – , sondern in der Gestalt der Vernunft selbst. 3 Fichte dazu in grimmiger Prophetie: »Es wird alles durch gemacht; u. das ist sehr gut.« (TL I, 81r; GA II,14, 140,1)
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Dialektik kann sich nicht selbst zum Thema machen, da das dann Thematisierte sich in einer der beiden dialektischen Ecken wiederfinden müßte. Fichte hat in seiner Wissenschaftslehre von 1794 dieses logische Auseinander in dem einen und höchsten »Wechsel des Ich in und mit sich selbst, da es sich endlich, und unendlich zugleich sezt« (GA I,2, 359,7; SW I, 215) festgesetzt als »Schweben der Einbildungskraft zwischen unvereinbaren.« (Ebd., 360,30; 217) Hier ist die Einbildungskraft das Vermögen des Vereinens. Die Unvereinbaren (Ich – Nicht-Ich, Subjekt – Objekt, Vorstellen – Vorgestelltes, Wollen – Gewolltes, in Fichtes späterer Terminologie in umgekehrter Reihenfolge: Seyn – Bild, Absolutes – Erscheinung) sind vor dem Einsatz der Einbildungskraft nicht einmal denkbar. »So wie sie durch das Denkvermögen vereinigt werden sollen, und nicht können, bekommen sie [erst] durch das Schweben des Gemüths, welches in dieser Funktion Einbildungskraft genennt wird, Realität [d. h. Geltung], weil sie dadurch anschaubar werden.« (Ebd., 368,15; 226) Und das heißt dann, sie sind gegeben. Anschauung ist also diejenige Aktion der Einbildungskraft, die das exponiert, was denkend nicht mehr vereinigt werden kann. Und dieses im Denken ›nicht (vereinigen) können‹ – seine Kapitulation – trifft zu, stimmt, ist gültig, ›gibt es‹. Was dem Denken nicht mehr erreichbar, aber dennoch gültig ist, ist ihm gegeben, als ›da kann man nichts machen, das ist so‹, läßt sich nur finden. Hier wurzeln die Axiome.4 ›Es gilt‹, ›es trifft zu‹, ›es ist gültig‹, das findet nicht zufällig seinen Ausdruck im ›so ist es!‹. Und eine geltende, zutreffende Einbildungskraft erscheint als eine gegebene Einbildungskraft, und die ist anschaubar. Anschauung ist also nichts anderes als eine unleugbar waltende, eine zutreffende Leistung der Einbildungskraft. Zutreffendes begegnet als ›so ist es‹, begegnet in der Gestalt des Gefundenen, ist gefunden. Daher kann mit Recht eine solche Einbildungskraft Anschauung genannt werden. Es ist also nicht die kantische, sinnliche Anschauung als
4 Daß dieses Gegebensein, dieses Gefundensein als quantitativ eines empfunden wird, liegt weder im Subjekt noch im Objekt begründet. Daß auch diese – Subjekt und Objekt – jeweils (numerisch) 1 Subjekt, 1 Objekt sind, bedarf schon dieser ihnen vorausgehenden Quantifizierung. Quantifizieren liegt also höher, ist ursprünglicher als Subjekt und Objekt. Und so legitimiert sich auch, daß das Quantifizieren nicht als Produkt des Denkens gefaßt werden kann. Es ist dem Denken vorgegeben. Hier entstehen, auf einzelne Fälle bezogen, die Axiome. – Abstrahiert von dem, aus wessen Anlaß sie Quantum ist, nämlich dem Gegeben-, Gefundensein, ist die Zahl ›1‹ der erste Ausdruck für Quantum, und mit Recht im ersten Satz des Peanoschen Zahlensystems in seiner Axiomatik der natürlichen Zahlen so gefaßt. (Daß ›0‹ eine natürliche Zahl ist, setzt allerdings diese ›1‹ voraus.) – Daß wir 1 Denken, 1 Verstand haben, müssen Denken und Verstand als sicher voraussetzen. Die ›1‹ steht im Tageslicht des Wissens, noch ehe jene zu »zählen« beginnen. Sie ist ihnen verstandeslogisch bzw. analytisch nicht erreichbar.
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die des Gegenübers zum Begriff gemeint, sondern die, die Fichte als die Vorgängerin des Begriffs ausweist. Gehen wir einmal den Weg von den Unvereinbaren, den SubjektObjekt-Gliedern zurück. Im Denken getrennt und als vollkommen sich Ausschließende gefaßt und verstanden werden sie dem Denken, reflektiert es über sich, gleichsam ungeheuerlich. Das Denken faßt sie als: ›dieses ist nicht das‹; und: ›das ist nicht dieses‹. Es vermag also, gleichsam auf dem einen Pol stehend, den anderen nicht zu sehen, behauptet aber, es gebe einen anderen Pol und beide Pole schlössen sich gegenseitig aus. Eben diesen Standpunkt kann es nicht mehr einnehmen, da es nicht über den Polen verweilen, nicht beide in einem Blick fassen kann. Dazu müßte es über beiden Polen »schweben«, wie Fichte dies treffend formuliert. Das Denken kann stets nur einen Pol als ›nicht der andere!‹ besetzen und besitzen, kann daher den anderen nicht im Blick haben, bedarf seiner jedoch, um den seinen zu fixieren. Daß das Denken ausschließt, ist dem Verstand noch zugänglich, doch wie es dies vollziehen kann, ist ihm nicht mehr verständlich. Die Sprache bietet sogar ein Wort für diesen schlechthin ausschließenden Gegensatz: ›oder‹. ›Oder‹ – und zwar das ausschließende ›oder‹, lateinisch ›aut‹, nicht ›vel‹ – kennzeichnet die Aufforderung, Gegensätzlichkeit zu fassen, abstrahiert von den dieses ›oder‹ sonst begleitenden Gliedern: krumm oder gerade, gut oder böse. Fassen wir dieses ›oder‹ allein, isoliert, dann fassen wir den Anspruch, einzig das einander Ausschließen ohne Gegensatzpaar zu vollziehen; es ist ein Anspruch: Auseinander! Sagt sich nun das Denken, der Verstand, daß eine solche grenzenlose Ausschließung zutrifft, übernimmt es bzw. er sich. Dennoch sieht es jeweils einen Pol und darin auch sich als widersprüchlich. Daß das Denken den Widerspruch gelten läßt, kann ihm nur insofern gelingen, als es selbst daran scheitert. Es kann den Gegensatz nur feststellen, nicht aber einholen. Es ist daher ein Ort anzusetzen, von dem aus schlechthin Unvereinbares als unvereinbar vollzogen wird. Ein Ort, in dem genau dieses gelingt, in dem gesagt werden könnte: »›auseinander‹, ›gegensätzlich‹, ›oder‹ – richtig, das stimmt!« Womit auch gesagt wird: »So ist es!« Was aber ›so ist‹, hat Geltung, ist in diesem Sinne dank der Einbildungskraft überhaupt geltend und, wie gesagt, als Geltung gegeben. So, wie mich beispielsweise die Geltung der durch einen Beweis gewonnenen Zahl B veranlaßt zu sagen: »Es gibt B«. Was es aber (geltend) gibt, hat Realität
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(nicht Wirklichkeit), ist anschaubar, ist in der Anschauung.5 Daher dieses Wort. Wir sind nicht durch einen Schluß, sondern apagogisch zu dieser Anschauung des Widerstreits Subjekt-Objekt gekommen. Es besteht auch keine logische Brücke, die von diesem Gegensatz zur Anschauung führt. Und umgekehrt kann auch nicht die Anschauung sich als logischer Grund für diesen Gegensatz bereitstellen lassen, durch den dann das Denken als ihre Folge angemustert werden sollte. Es besteht also schlechthin kein logischer Übergang, und doch soll die Anschauung das Widerstreiten im Denken garantieren: keine logische Brücke – und dennoch nicht absurd! Das Denken ist mittelbar, die es garantierende Anschauung ist unmittelbar, mittellos. Wie haben wir dies zu verstehen, wo es nichts mehr zu verstehen gibt? Was immer wir jetzt erklärend beibringen wollen, es bediente sich der Logik und der Begriffe, bediente sich der Zutaten, die wir gerade hinter uns gelassen haben, die aber Mittel unseres Erklärens sein müssen. Wir befinden uns – und das ist ja nicht überraschend – in einem argumentativen Patt. Darum bleibt uns hier, um uns verständlich zu machen, dieser Ausweg: Wir müssen uns der Beispiele bedienen, um uns vorstellig zu machen, was uns (und damit sind nicht Subjekte gemeint) gestaltet oder regiert. Wir suchen Beispiele für einen Übergang, für ein Verhältnis, in dem die Pole, die Gegensatzpaare, die Relata »verstanden« werden sollen nur durch das Verhältnis selbst. Also ein Verhältnis, das überhaupt erst die Relata zu Relata macht, die also vor diesem Verhältnis nicht einmal einen Eigenstand haben. So, wie ein Nordpol nicht verständlich wäre, wäre er nicht als ›Pol‹ auf sein Gegenteil bezogen. Ein Verhältnis also, das – außer als Verhältnis – selbst nicht thematisch wird. Man übersehe nicht, das gilt gerade für uns, sind wir doch auch ein solches Verhältnis, das als dieses überhaupt erst die Relata Subjekt – Objekt generiert. Gewußt (oder gewollt) wird die Sache nur vermittelt, das Mittel dazu wird – als Mittel – aber direkt erlebt oder vollzogen. Vollzogen wird das Verhältnis, gesehen, verstanden, gewollt werden die Verhältnisglieder. Hier nun das Beispiel. »Die Sonne lacht vom Himmel.« Das ist eine metaphorische Personifizierung. Sie drückt sprachlich aus, was aus Anlaß eines solchen Tages erlebt wird. Jedoch besagt dieser sprachliche Ausdruck, daß das, was ausgesprochen wird – »Sonne«, »lachen« – , in ihm gerade nicht ausgesprochen werden soll: nämlich das Erleben dessen, 5 Doch schon Fichte hoffte vergeblich: »Niemand wird diese Realität mit S e i n (Objektivität) verwechseln [...].« (Fichte, WL-1804-II, GA II,8, 144,10; vgl. 145,11; SW X, 163)
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was angesichts der Metapher gemeint ist. Man hat, man weiß (und will) dieses Erleben nur im sprachlichen Ausdruck, in (verobjektivierender) Aussage, aber gemeint soll sein ein durch ihn evoziertes Erleben oder Werten. Dieser sprachliche Ausdruck vermittelt selbst, daß er »nur« metaphorisch ist, und eröffnet dadurch den unmittelbaren Zugang zu dem, was durch eine Metapher erlebt, vollzogen wird. Wir haben ja nicht mehr als die sprachlichen Ausdrücke »Sonne«, »lachen«, aber gerade sie vermitteln, daß sie »nur« Bildgestalten sind. Sie vermitteln in den Worten die unmittelbare Gestalt ›Metapher‹. Sowohl »Sonne« als »lachen« kommen jeweils zweimal vor: Einmal als sprachlicher Ausdruck (im Begriff für einen Gegenstand und im Begriff für einen Gemütsvorgang), zum anderen als metaphorischer Ausdruck. Manifest sind aber nur die in Worte gefaßten Begriffe für jeweils eine – objektive – Gegebenheit. Als diese passen sie – in unserem Fall – aber nicht zusammen: Die Sonne hat kein Zwerchfell, und Lachen glüht nicht. Und nun sollen »Sonne« und »lachen« doch aufeinander bezogen bleiben und das heißt, sollen etwas bedeuten, obwohl sie Ausdruck für einen Gegenstand und einen Gemütsvorgang sind. Mittelbar durch die sprachliche Gestalt soll unmittelbar ihr nichtsprachlicher Sinn erfaßt, erlebt werden. Nur an der Sprache – mittelbar – wird diese Metapher – unmittelbar – präsent, aber sie selbst ist nicht mehr Sprache. Dieser Bezug des Mittelbaren auf das Unmittelbare muß auch umgekehrt gelten. Dazu ein zweites Beispiel: Die Verszeile »Der Wald steht schwarz und schweiget« ist zweifellos als Metapher – ebenfalls in Gestalt einer Personifikation – gewollt und wird auch so erkannt und erlebt. Daß die Unmittelbarkeit der Metapher nicht die Sachlage meint, zeige diese Wendung. Angenommen, ein Förster, von seinem abendlichen Kontrollgang zurückgekehrt, berichtet der Forstverwaltung beruhigend: »Der Wald steht schwarz und schweiget«, man würde seine fachlichen Fähigkeiten bezweifeln oder mindestens ihm nicht zutrauen, den Ernst der Lage – etwa bei drohendem Waldbrand – zu erfassen und ihm entsprechend zu berichten. Es bedarf weder beim Förster noch in dessen Verwaltung einer Kenntnis um die abendländische Kultur der Metaphorik, um zu wissen, daß hier mit falschem Ausdruck Bericht erstattet wird. Daß die Metaphorik nicht eine kulturelle Errungenschaft des Abendlandes, keine gesellschaftliche Spielregel ist, die anzueignen Voraussetzung ist, um Metaphern zu erleben, ist ein Hinweis auf die Unmittelbarkeit dieses Zugangs. Das in der Metapher zu Erlebende erlebe ich direkt, nicht metaphorisch. Es ist ja auch ein Erlebnis und kein Verfahren zur Anwendung von Begriffen. Ich habe dieses Erlebnis allerdings nur an der Metapher. Es ist ungegenständlich, es ist gar nicht, außer es ist in der
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Metapher. Es ist ein Erlebnis der Art, in der ich es ausspreche; dennoch erlebe ich das zu Erlebende an der Metapher, aber unmetaphorisch, direkt. Wenn wir ›Wald‹ und ›schweigen‹ aufeinander bezogen erleben, erleben wir dies nur durch das Beziehen selbst. Dieses Beziehen, das ist die »Arbeit« der Einbildungskraft, und zwar der geltenden Einbildungskraft, eben der Anschauung (im Sinne Fichtes, versteht sich), und nur in ihr ist Bedeutung (hier in unseren Beispielen die der Metapher innewohnende Bedeutung) anzutreffen. Demnach: Die Anschauung repräsentiert eine dem Denken und dem Wollen unzugängliche »Stelle«, der wir uns nur Zutritt verschaffen können, wenn wir uns des Denkens und des bestimmten Wollens enthalten. Gehen wir jetzt wieder unseren Gegensatz Subjekt–Objekt an. Sofern ich mich als Ich, als Einzel-Ich, als empirisches Ich erlebe im – so finde ich mich ja täglich – moralischen, ästhetisch suchenden und erkennenden Umgang, verstehe ich mich als Subjekt gegenüber der objektiven Welt. Nun war uns aber Subjekt–Objekt ein logisch unüberbrückbarer Gegensatz: Das Subjekt lebt davon, ›nicht Objekt‹ zu sein, doch dieses reklamiert sich als ›nicht Subjekt‹. Durch Denken läßt sich kein Halt finden. Ich bin also als lebendes Subjekt, als ›ich‹, mir im Denken nicht einholbar, erfasse denkend nicht, daß ich Subjekt gegenüber Objekt bin. Immerhin: Was in diesem Verstehenskreisel immer ›ich‹ bin, ist keine Schlußfolge, ich bin kein Allgemeinbegriff, ich bin mir kein performativer Widerspruch und mir auch nicht absurd. Dennoch habe ich mich nur in der schillernden Gestalt eines übereinandergelagerten:
Ich bin mir bewußt, und damit ist mir dieses mir Objekt des Wissens. Ich bin mir bewußt, denn nur einem Subjekt ist etwas bewußt. ›Ich‹ und ›mich‹ sind logisch wechselseitig definiert und auch praktisch wechselseitig aufeinander angewiesen. Nur so sind sie. Dessen sind wir sicher. Das stimmt! Das gilt! Was immer ich will, ist nicht dieses Willen vollziehende ich. Aber nur in dem, was ich will, bin ich mir sicher, daß ich will. Ich habe nur Eigenstand an Erkanntem, an Gewolltem. Jedoch das jeweils Erkannte (und sei ich es selbst), das Gewollte (und sei ich es – etwa als »Ichform« – selbst) bin ich nicht. Das ist zutreffend, gilt. Es gibt nichts objektiv (oder subjektiv) Zutreffendes. Das Schweben über den Gegensätzen ist das Zutreffen, das Gelten. Aber: Es selbst ist leer. Doch nur es garantiert, schafft Geltung. Dies allein ist »meine« Sicherheit, »mein«
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Eigenstand. Es bleibt nichts Positives! Dies ist das Unbehagen in der Kultur des Bewußtseins. »Mich« rettend bleibt einzig die Anschauung. Das ›Ich bin mir bewußt (dieses Blatt Papier zu sehen)‹ ist unbezweifelbar. Daher und nur darum gibt es jene, die uneinholbaren Pole Subjekt und Objekt überschwebende Anschauung, die diesen Kontrast zwischen ›ich‹ und ›mich‹, zwischen ›ich‹ und ›draußen‹ oszillierend überspringt. Der Verstand sagt: Schwankend bin ich. Die Anschauung sagt: Ich – das ist erlebter Gegensatz. Dieses ›Schweben‹, das ist die Ich-Anschauung; sie ist jene Anschauung, die eine Differenz, die Subjekt-Objekt-Differenz ermöglicht.6 Dieses ›Ich‹, als Anschauung präsent, ist von dem Ich des Denkens, des Verstandes, in dem ich mich finde als Subjekt gegenüber Objekt(en), streng unterschieden. Bin ich im Subjekt-Objekt-differenten alltäglichen ›ich‹ ein Subjekt, letztlich ein subjektives Individuum, gefangen in der Negation, so bin ich hier, in schwebender Anschauung als erlebter Gegensatz, nicht (mehr) Subjekt. Hier stehe ich in dem Ort, in dem es kein Subjekt und kein Objekt mehr gibt, und in dem ›ich‹ zu sagen nicht mehr heißt, ein Subjekt gegenüber einem Objekt zu sein. Wenn wir dennoch weiterhin jenseits der Subjektivität (obwohl wir bisher des Glaubens waren, das ›Ich‹, mein ›ich‹ sei die subjektive Gestalt seiner, meiner selbst) von ›Ich‹ sprechen, fern aller Individualität – Fichte nennt es »WeltIch« (TL I, 76r,v, 78r,v, 80r; GA II,14, 130f., 133f., 137) –, dann deswegen, weil ja immer noch ich derjenige bin, der sich nun als das (nichtindividuelle) Ich in Anschauung ist. Dieses ist das schlechthin leere Ich, leer nun auch eines Gegenübers ›Objekt‹ und daher auch dessen entbehrend, Subjekt zu sein; demnach auch leer an Subjekt-Zuschreibung.7 Dieses ›Ich‹ muß letztlich auch Descartes im ›cogito‹ gemeint haben, denn 6 »Die Objektivität des Sehens ist nicht etwa von einem für sich bestehenden Faktum gegeben (der Unsinn ist klar), wo denn das Sehen des Sehens der Reflex wäre, sondern umgekehrt. [...] Sichspaltung des Sehens selbst in subjektives, u. objektives [...].« (Fichte, WL 1811; GA II,12, 260,7) 7 »[...] nichts ist in dieser Anschauung gegeben, denn das bloße leere Ich [...]. Was es weiter werden soll, das muß es durch seine Freiheit bedingen [...].« (TL I, 67r; GA II,14, 117,15) »[...] es versteht sich, daß durchaus kein objektivirtes Ich, das reine, u. das absolute Ich [und das Absolute] seyn kann, daß daher eine Philosophie die nur aus einem fremden, u. objektivirten Ich [und Absoluten] das Wissen demonstrieren will, nothwendig ihres Zweks verfehlt. Dies ist auch einer der Gründe des Misverständnisses der W. L. Das reine Ich ist nicht in einem Repräsentanten [...].« (WL-1804-IV; GA II,9, 254,9) Licht, Evidenz »ist, indem es wird: hier ist schon der Urgegensatz: der aus seinem Bilden, formaliter, hervorkommt. Das Bilden ist an sich ein f a k t i s c h e s hinwerfen. Hier wirft es sich hin (der ganze wahre Grund des ich wird hier liegen) als selbstschöpferisch (eben in der [logisch späteren] Verdunkelung dieses [ursprünglichen] Ich mag die empirische Fakticität bestehen.).« (Fichte, Nach dem Schluße der Vorlesungen; GA; II,9, 15,12)
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erst dieses ›cogito‹ kann mich auch des Verweises und damit der Geltung versichern, daß ich ein Subjekt bin. Von dieser Ich-Anschauung her sollte nun auch einsichtig sein, daß die vielleicht erstmals durch Adam Weishaupt8 und dann durch Carl Leonhard Reinhold9 in die Welt der Philosophiegeschichte gesetzte und von Hegel freudig weitergetragene Behauptung, vor Kant (bzw. vor Descartes) habe man Objektphilosophie getrieben, seit Kant (bzw. seit Descartes) lehre man – außer Hegel – Subjektphilosophie, systematisch nicht haltbar ist, obwohl sich diese Behauptung durch die Jahrhunderte bis heute hält.10 So, wie das Ich als Anschauung strukturlos, gesetzlos, bar eines Gegensatzes, schlechthin leer ist, so wird auch das »untere« Ich in seiner Subjekt-Objekt-Trennung leer bleiben. Hinzugewonnen hat es einzig an Inhalt dies: reiner, leerer Gegensatz zu sein. Entsprechend baut auch der späte Fichte seine Gegensatzpaare auf. Ich warne also davor, in seine Gegensätze ›Gott – Erscheinung‹, ›das Absolute – Erscheinung‹, ›Seyn – 8 Ueber die Gründe und Gewisheit der Menschlichen Erkenntniß. Zur Prüfung der Kantischen Critik der reinen Vernunft. Von Adam Weishaupt Herzoglich Sachsen Gothaischem Hofrath. Nürnberg 1788, 34: »[...] Daß dieses System [Kants] [...] zu einer totalen Subjectivität unserer gesammten Erkenntniß führe.« S. 143: »[...] daß dieses System zu einer totalen Subjectivität führe.« S. 204: »[...] daß das Kantische System eine allgemeine Subjectivität lehre [...].« Kant hat dies vorausgeahnt. Vgl. seine Abwehr des Verdachtes, seine ›Kritik der reinen Vernunft‹ sei Idealismus, in: Prolegomena zu einer jeden künftigen Metaphysik die als Wissenschaft wird auftreten können, von Immanuel Kant. Riga 1783. § 13, Anmerkung II. 9 In: Beyträge zur leichtern Uebersicht des Zustandes der Philosophie beym Anfange des 19. Jahrhunderts. Herausgegeben von C. L. Reinhold. Erstes Heft, Hamburg 1801. S. 23: »[...] so muß das U r w a h r e , oder das A b s o l u t e , das die Philosophie nicht entbehren kann, [...] mit F i c h t e als a b s o l u t e S u b j e k t i v i t ä t , das r e i n e b l o ß e I c h [...] vorgestellt werden.« S. 119: »[...] daß der C r i t i c i s m u s nur dadurch und insoferne zur W i s s e n s c h a f t werden könne, daß und inwieferne die m a t e r i a l e n Bedingungen der Erfahrung, z u g l e i c h mit den F o r m a l e n aus der S u b j e k t i v i t ä t abgeleitet würden.« 10 Damals: »[Entweder] Ich, oder die Natur, scheinen sie [die Gegner der WL] zu denken, und da giebts kein drittes; natürlich, weil nur diese beiden Stücke in ihren Gesichtskreis fallen. Ihr Eifer entbrennt eigentlich nur dagegen, daß, da wir die Natur nicht als Absolutes wollen gelten lassen, wir drum das Ich zu demselben machten; darin aber irren sie sich; bei uns folgt das nicht, denn in unsern ausgedehnteren Gesichtskreis fällt außer jenen beiden Stücken noch einiges andere.« (TdB; GA, II,12, 80f.; SW II, 619) Heute: »An die Stelle des von Kant metaphysisch unterstellten ›Bewußtseins überhaupt‹, das immer schon die intersubjektive Geltung der Erkenntnis garantiert, tritt damit zugleich das regulative Prinzip der kritischen Konsensbildung in einer, in der realen Kommunikationsgemeinschaft allererst herzustellenden, idealen Kommunikationsgemeinschaft.« (Karl-Otto Apel: Transformation der Philosophie, Bd. II, Das Apriori der Kommunikationsgemeinschaft. Frankfurt am Main 1973, 354f.) Auch diese ideale Kommunikationsgemeinschaft, die theoretisches Wissen sowie praktisches und selbst ethisches Handeln als Anerkennungszusammenhänge propagieren will, ist nur in Subjektgestalt möglich. Dies hier nur »zur nähern Würdigung des Spasses, daß die W. L. [also die Transzendentalphilosophie] in der Subjektivität, u. auf einem ReflektirPunkte stehe.« (WL-1804-IV; GA II,9, 183,1)
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Bild‹ irgend etwas (und dann stets) Wünschenswertes an philosophischem Inhalt hineinzuschlichten. Fichte selbst spricht vom ›leeren Seyn‹.11 Im Beitrag von Herrn Bertinetto ist es treffend gesagt: ›Gott‹, ›das Absolute‹, ›Seyn‹ – da meint Fichte die äußerste, die umfassendste sprachliche Gestalt für ›an sich‹, ›aus sich‹, ›unabhängig‹. Und ›Erscheinung‹, ›Bild‹ ist dann der Ausdruck für ›abhängig‹, ›bezogen auf‹. Selbst ›Gott‹ und ›Seyn‹ sind entliehene Ausdrücke für das, was gemeint ist oder gemeint sein sollte: ›n i c h t Bild‹, ›n i c h t Erscheinung‹.12 Über diesem Gegensatz schwebe ich in Gestalt des AnschauungsIch. Innerhalb dieses Gegensatzes w ä r e ich – so meint man – ›Subjekt‹. Doch in der Tat bin ich in diesem Gegensatz »nur« Subjekt–Objekt-oszillierend. Ich bin nicht Anschauung im Kantischen Sinne, nicht Begriff, bin nicht ›Gott‹, nicht ›an sich‹, bin nicht ›Bild‹, nicht Vorstellung. Ich kann mir erst nach vielen weiteren durchlaufenen Gegensätzen ›Subjekt‹ zuschreiben.13 (Das hat schon die GWL sehr schön gezeigt. Dies wird aber gern übersehen, auf daß auch sie zur Subjektphilosophie abgestellt werden kann.) Es wird nicht beachtet, daß ›Gott‹, ›Seyn‹, ›an sich‹ »nur« einen Bezug ausdrücken, dessen Gerichtetheit, nämlich: unabhängig von einem Abhängigen, von Bild, Erscheinung, in seinem hier behandelten Ursprung nicht thematisch werden kann, weil dieser Bezug diese Gerichtetheit erst aus späteren, tiefer stehenden Ableitungen bzw. Erkenntnissen gewinnt. Beschreiben wir es mit Kant: Das Sollen (des Sittengesetzes) wäre nie zu finden und es wäre nie gebietend, wäre es nicht an sich, wäre es nicht das Faktum (des Sittengesetzes) schlechthin. Es kann aber nur an sich, Faktum sein an einem Nicht-an-sich, an einem Nicht-Faktum, an einem Abhängigen. Ebenso sind Seyn und Bild, Gott und Erscheinung gegenseitig aufeinander angewiesen. Es wäre daher auch falsch, dieses Paar ›Gott – Erscheinung‹, ›das Absolute – Erscheinung‹, ›Seyn – Bild‹ als einen metaphysischen Realismus des späten Fichte zu kennzeichnen, wie man sich derzeit Fichte bequem zurechtlegt.14 Es würde dann dieses Paar als Paar wieder in die – 11 »Ich, NichtIch; beide aber nichts weiter, als leere Freiheit, Prinzip aller Akte [...] – leeres, u. unbestimmtes Seyn.« (TL I, 67v; GA II,14, 118,21) 12 »[...] es ist ihm kein Seyn, oder Bild; es ist nur ausgesagt, daß wenn Eins von beiden sey, das andere gleichfals [damit] gesezt sey. [...] leer alles Bildes, u. Seyns, u. geschildert nur von der Seite eines Verhältnisses eines solchen [von Bild und Sein].« (TL II; GA II,14, 270,2; vgl. SW IX, 214) 13 »[...] wo es noch kein Ich giebt, sondern dieses erst werden soll«. (TL I, 83v; GA II,14, 145,10) 14 Man vgl. nur Karen Gloy: Bewußtseinstheorien. Zur Problematik und Problemgeschichte des Bewußtseins und Selbstbewußtseins. Freiburg, München 1998, 227: »Das Problem, den theoretischen Einheits- und Vermittlungsgrund im Selbstbewußtsein zu finden, bildet
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sagen wir – linke Seite etabliert und zu einem Gegebenen abgestempelt. Schon wären wir wieder im Objektbereich, und Fichte wäre zu einem »höheren« Realismus zurückgekehrt. Wir hätten ihn wieder handsam. Machen wir uns nichts vor. In keinem der beiden Gegensatzglieder ist Positives (oder Negatives) zu finden. ›Seyn‹, ›das Absolute‹, ›Gott‹, ›Sittengesetz‹ – es sind schlechthin leere Begriffe oder leere Ideen, gerade dazu tauglich, diese ihre Leere durch ihren oppositionellen Negationsstand zu dokumentieren. ›Seyn‹ – das heißt: ›Du bist das nicht‹. ›Sittengesetz‹ – das meint: ›Das sollst Du nicht‹. ›Das Absolute‹ – das bedeutet: ›Von allem Wollen und Wissen nicht abhängig‹. Und auch aus ›Gott‹ läßt sich kein positiver Wert schöpfen. Gott ist, was wir aus ihm machen sollen. Es gibt nicht an sich ein Absolutes, dem wir uns Trost suchend zuwenden können. Wir sind allein. Wir müssen es uns schon schaffen. Indem wir es aber praktisch schaffen, entdecken wir seine Geltung, sein ›es gibt‹.15 Daß es gilt, obliegt nicht unserem Schaffen. Ohne dieses unser Schaffen könnte es jedoch nicht gelten.16 Was dies individual- und menschheitsgeschichtlich bedeutet, das Thema von Fichtes Spätphilosophie, das Fichte durch eine Verlagerung der Problematik aus der Immanenz des Selbstbewußtseins in die Transzendenz zu lösen sucht.« Allein der Titel, der da meint, Kants und Fichtes Transzendentalphilosophie wäre eine Theorie, also eine Beschäftigung mit einem letztlich real Gegebenen, entlarvt das ganze Unterfangen. Und eine mögliche Transzendenz wäre ebenfalls immer schon gegeben. So kann auch der Begriff scheitern: nicht an der Anschauung, sondern am Vermögen zu denken. 15 Evidenz »ist in der That, u. [der] Wahrheit Selbstschöpfer . .« (Fichte, Nach dem Schluße der Vorlesung; GA II,9, 15,12) 16 »[...] Der Mensch wird[,] durch ein Göttliches Leben, Gottes inne« (Jacobi, Briefwechsel, hrsg. von Michael Brüggen und Heinz Gockel, Bd. I,4, Stuttgart – Bad Cannstatt 2003, 87; vgl. Jacobi-Werke IV,1, 212), und zwar nach Jacobi durch den »Sinn« der Vernunft für das Übersinnliche. Aber es gibt kein Objekt-Subjekt-Verhältnis zwischen Gott und mir. Gott ist nicht ein Glied eines Verhältnisses, denn wir können ihn begrifflich nicht adäquat konzipieren und sollen ihn als bestimmte Idee nicht wollen. Wir sind uns seiner aber nur so bewußt und können ihm praktisch auch nur in dieser Weise wollend begegnen. Wir können nur so, was wir so nicht dürfen. Hier ist der Ursprung der theoretischen und praktischen Metapher: Was geltend nicht Verhältnis sein soll, das soll im Verhältnis gelten. Das »Verhältnis« zum Absoluten, zu Gott, zur Freiheit ist insofern legitim ein solches, jedoch der Zutritt zum Absoluten gelingt nur über die praktische Metapher. Ein die Metaphorik auslösendes Verhältnis, das ja als dieses nicht gelten soll, dennoch als geltend, als wirklich anzunehmen, das zeichnet – legitim – Religion und Religionsausübung aus. Eine Intention Gott gegenüber, ein Gebet, soll gelten, soll Absicht kundtun, soll wirklich sein, dennoch ist sie nicht gemeint, sondern das, was sie metaphorisch aussagt. Das wird erkennbar, wenn man eine solche Intention als wirkliche nimmt: Versteht man eine Intention im Gebet als Rechtsforderung gegenüber Gott, wäre sie letztlich einklagbar.
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muß man sich einmal klar machen. Nur insofern ich das Absolute moralisch-praktisch verwirkliche, oder – religiös gefaßt – insofern ich das Gesollte selbst will, ist das Absolute und ist es mir. Nur wenn die Menschheit Gott will und Gott verwirklichen will, ist Gott und ist Gott ihr.17 Werte – ein gewollter Wert, die Evidenz als Wert, ein ästhetischer Wert, eine Erkenntnis als Wert – wir haben sie stets »nur« als zu verwirklichende, als erlebte, als wertende Verhältnisvollzüge, jenseits der Unterscheidungen, jenseits der Begriffe, erlebt an Verhältnissen, die wir gewollt, gewertet und gestaltet haben, und an Verhältnissen, die wir erkennend als Wert zu finden glauben.18 Und wieder glaubt sich der Einwand erheben zu dürfen: ›Gefunden‹, das setzt doch voraus ein ›(objektiv) gegeben‹. Nein, dieses ›finden‹, Ausdruck des alle Verhältnisse leitenden Geltens, findet nicht Gegebenes. Es steht jenseits des Realismus, ist die Bedingung dafür, daß so etwas wie ›gegeben‹ als ursprüngliche Erwartung entstehen kann, für die es dann auch etwas (objektiv) ›gibt‹.19 Versteht man sie als sittlich berechtigte Forderung, hätte sich letztlich Gott zu rechtfertigen, man geriete in die Theodizee. Betrachtet man sie als Bitte um Schuldenvergebung, erwartete man einen persönlichen, individuell ausgesprochenen Gnadenakt Gottes. Jedoch: Ein Gebet, ehrlich, also mit Anspruch auf Geltung vorgetragen, soll in diesem seinen Anspruch nicht Anspruch sein. Kein Verzicht, keine bescheidene Rücknahme des Anspruches, sondern geltend machend, sich in der – betend – ausgesprochenen Intention dieser sich zu enthalten. Etwas meinen zu dürfen, was als Gemeintes nicht auftritt. Etwas wollen zu sollen, was als Gewolltes nicht sein soll. In dieser – metaphorischen – Schwebe lebt wahre Religion; in ihrem reflektierten Stand – als Theologie – sollte sie sich dessen klar sein. (Sie war sich dessen auch einmal bewußt, in der Formel des IV. Laterankonzils, 1215: »inter creatorem et creaturam non potest tanta similitudo notari, quin inter eos maior sit dissimilitudo notanda«. Aber das scheint vergessen zu sein.) – Und es läßt sich jene Intention auch seiner rechtlichen und seiner nur moralischen Verpflichtung entziehen: Gott ist das, was wir liebend aus ihm machen sollen; liebend – da sind wir uns aufgegeben indem wir uns aufgeben, und da sind wir unter uns und damit in der Christologie. Hier erst ist eine Bitte um Vergebung der Schuld annehmbar. 17 Was ist aber mit ihr, wenn sich die Menschheit des Willens, Gott zu wollen, entsagt? Ein Heiliger kann von sich sagen, er habe ihn verwirklicht. Aber darf er dies beruhigt sagen und darf er sagen w o l l e n , er habe ihn verwirklicht, wenn Gott rechts und links von ihm und vor ihm und nach ihm nicht verwirklicht wurde und wird? Das geht auch ihn praktisch, und das heißt hier, eschatologisch an. 18 »Der melodische Einfall, der mich plötzlich, direkt aus dem Äther kommend, überfällt, der auftaucht, ohne daß eine sinnliche Anregung von außen vorliegt oder eine seelische Emotion, [...] erscheint in der Phantasie unmittelbar, unbewußt, ohne Einfluß des Verstandes. Es ist das höchste Geschenk der Gottheit [...].« Richard Strauss: Betrachtungen und Erinnerungen Herausgegeben von Willi Schuh. Zürich und Freiburg i. Br. 1949, 161. 19 »Die Einsicht vom Absoluten als unmittelbare Einsicht fußt unbeschadet des Umstandes, daß zu ihr aufgestiegen wird, nicht auf anderen Einsichten, so daß sie eine vermittelte wäre; denn dann gerade müßten faktische Momente außer dem Absoluten ins Absolute erhoben werden.« (Reinhard Lauth: Hegel vor der Wissenschaftslehre. Stuttgart 1987, 172) Vgl. dazu
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Und es kann und darf auch nicht gelingen, dieses Gegensatzpaar ›Gott – Erscheinung‹, ›das Absolute – Erscheinung‹, ›Seyn – Bild‹ seiner rechten Seite zu überantworten, ihm Bildeigenschaften, gar Strukturen des Vorstellens zuzugestehen, um dieses als ›Wissen‹ in die dann strukturell geprägte – gar »höhere« – subjektive Seite einzuverleiben. Mag Fichte mit diesem Gegensatzpaar beginnen, mögen seine Gegensatzglieder auch sprachlich verführen zu ontologischen Interpretationen, es ist nur der Beginn, ist die nur dem transzendentalen Ansatz sich eröffnende Frage: Wie ist ein Anschauen von Widerstreiten zu fassen, und wie könnte es überhaupt »etwas« aus sich entlassen? Damit ist die Logik verlassen, die Subjekt-Objekt-Differenz verabschiedet, Wissen-Gewußtes nicht mehr Thema. Deswegen taucht sie hier wieder auf, die Anschauung von 1794, als das »Mittel« – schon falsch – , als das »Etwas« – ebenso falsch – ... wir sind im Vakuum, in dem keine Begriffe mehr gelten und vorkommen dürfen, diese Anschauung, die – darf ich mich so ausdrücken? – Mutter aller Differenz. Sie ist nachvollziehbar. Ebenso, wie man eine Metapher nicht erklären kann, ohne sie zu zerstören, müssen wir diese Anschauung nachvollziehen können, ohne den Verstand einzusetzen. Eben dies verschließt die Tore zur Schwärmerei. Die Schwärmerei will mittels des Verstandes unverständig sein. Eine Philosophie, die sich des Ursprungs aller Differenz widmet, muß sich des Differenzierens, eben der Begriffe, Urteile, Schlüsse, der Sprache allerdings bedienen, will sie sich äußern. Sie meint in ihren Äußerungen das, was sie, indem sie es begrifflich, urteilend ausspricht, schon zerstört, ja zerstören muß. Das macht das Studium und den Vollzug der Transzendentalphilosophie und insbesondere das Studium des späten Fichte so schwierig. Aber das gestattet nicht, sie als eine bestimmte philosophische Sichtweise – etwa die subjektive – zu behandeln, die wahlweise durch eine andere – etwa eine diskursive – ersetzt werden könnte. Schon bei der Lektüre des Titels dieses Beitrages »Die Position der Anschauung im Wissen oder Die Position der Anschauung in der Welt« haben wir einen Gegensatz verstanden und waren eben dadurch, ohne daß er uns bewußt werden konnte, im Vollzug dieser hier thematisierten Anschauung. Diese Anschauung hat ihre Stelle weder im Subjektiven, im Wissen oder im subjektiven Wollen, noch im Objektiven, in der Fichte: »[...] in einem mittelbaren Einleuchten, das wir nicht erzeugten, weil wir es wollten, sondern das sich selber erzeugte, nicht aus irgend [... einer] Prämisse, sondern absolute, also in einer absolut sich selber erschaffenden, und darstellenden Evidenz, oder reinen Lichte.« (WL1804-II; GA, II,8, 79,15; vgl. SW X, 129f.)
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Welt oder in objektiven Werten. Sie ist jenes ›Schweben‹, dem Subjekt und Objekt, Wissen und Welt, Gott und Erscheinung, Sein und Vorstellung erst entspringen.
Transzendentalphilosophie oder absolute Metaphysik? Grundsätzliche Fragen an Fichtes Spätphilosophie
Christoph Asmuth (Berlin)
Die vorkritische Metaphysik hatte – dies sei in grober Schematisierung gesagt1 – das Seiende als Seiendes und seinen Grund, nämlich Gott, zu ihrem Thema.2 Die kritische Philosophie Kants prüfte die Möglichkeit metaphysischer Sätze mit dem Resultat, daß sich weder über Gott noch über das Ich noch über das Sein rein rationale Aussagen mit wissenschaftlichem Anspruch treffen lassen. Das Verstandes- und Vernunftvermögen endlicher Wesen gelte nicht für Dinge an sich, sondern einzig für Erscheinungen, die selbst ausschließlich in Raum und Zeit angeschaut werden können. Kants Transzendentalphilosophie entwickelte dazu eine Theorie, die – in kritischer Absicht – eine explizit nicht-transzendente Begründung der Erkenntnis versuchte: Der Rückgang auf Möglichkeitsbedingungen, die per se kein substantielles Substrat zulassen, macht den Verzicht auf ontologische oder theologische Prinzipien einsichtig. Die Welt als ganze und die Existenz Gottes scheiden daher als positiver Gegenstand der 1 Die Begriffe Transzendentalphilosophie und Metaphysik sind weder historisch noch systematisch klar bestimmbar. Unter einer heuristischen Perspektive sei es aber ohne große Umschweife gestattet, eine schematische Einordnung zu präsentieren. 2 Vgl. zur Komplexität des begrifflichen Terrains: Burkhard Mojsisch/Orrin F. Summerell, Metaphysik. Namen, Darstellungen, Deutungen, in: Die Philosophie in ihren Disziplinen. Eine Einführung. Bochumer Ringvorlesung Wintersemester 1999/2000 (Bochumer Studien zur Philosophie; 35), Amsterdam 2002, 89–118.
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Wissenschaft aus. Schließlich verliert auch das Ich, bei Descartes noch letzte metaphysische Bastion im Gang des methodischen Zweifels, seine substantielle Bedeutung als Seele. Die transzendentale Apperzeption ist nur noch die oberste Bedingung allen Verstandesgebrauchs, keineswegs läßt sich aber aus ihr auf eine immaterielle, immortale, inkorruptible und personale Seele schließen, an der die Vorstellungen wechselten wie Akzidentien an einer aristotelischen Substanz. Der Ansatz Fichtes bildet in vielen Hinsichten eine Verlängerung der Kantischen Transzendentalphilosophie. Hier wäre im einzelnen viel zu sagen, nämlich über den historischen Anknüpfungspunkt und die Art, in der Fichte das Kantische Programm weiterentwickelt.3 Insgesamt ist es offenkundig, daß Fichtes Jenaer Programm die Transzendentalphilosophie Kants fortschreiben will, wenn auch unter einer charakteristischen Perspektive. Aber Fichtes spätere und späte Philosophie, beginnend etwa mit dem Jahr 1800, hat manche Zweifel geweckt. Im Kontext der sich überbietenden Systementwürfe des ersten Jahrzehnts des 19. Jahrhunderts könnte es scheinen, als handle es sich bei Fichtes Wissenschaftslehre um einen Beitrag zur Entwicklung einer absoluten Metaphysik. Auf diese Weise ließe sich von den Theorien Fichtes, Schellings und Hegels als von einer dreifachen Vollendung eines gemeinsamen Projektes der nachkantischen Philosophie sprechen.4 So hätte jeder Denker für sich in je eigener Ausprägung eine Gestalt der Vollendung eines Problembestandes herbeigeführt, der in der Philosophie Kants, besser: in der neuzeitlichen Aufklärung wurzelte. Vollendung meint hier dreierlei: Vollendung als höchste Aufgipfelung eines Lösungsansatzes in letztgültiger Präsentation, Vollendung als beendende Beantwortung einer Grundfrage, Vollendung als Ende einer ganzen Denkbewegung. 3 Wilhelm Metz, Kategoriendeduktion und produktive Einbildungskraft in der theoretischen Philosophie Kants und Fichtes. (Spekulation und Erfahrung; II, 21), Stuttgart-Bad Cannstatt 1991; Armin Wildfeuer, Praktische Vernunft und System. Entwicklungsgeschichtliche Untersuchungen zur ursprünglichen Kant-Rezeption Johann Gottlieb Fichtes (Spekulation und Erfahrung; II, 40), Stuttgart-Bad Cannstatt 1999; Christoph Asmuth, »Von der Kritik zur Metaphysik. Der transzendentalphilosophische Wendepunkt Kants und dessen Wende bei Fichte«, in: Umbrüche. Historische Wendepunkte der Philosophie von der Antike bis zur Neuzeit. Festschrift für Kurt Flasch zu seinem 70. Geburtstag, hg. von Klaus Kahnert und Burkhard Mojsisch, Amsterdam/Philadelphia 2001, 167–187. 4 Vgl. zur Diskussion um die Vollendung: Walter Schulz, Die Vollendung des Deutschen Idealismus in der Spätphilosophie Schellings. Stuttgart 1955; Pfullingen 21975; Wolfgang Janke, »Von der dreifachen Vollendung des deutschen Idealismus und der unvollendeten metaphysischen Wahrheit«, in: Deutsche Zeitschrift für Philosophie 39 (1991), 304–320; ders.: Vom Bilde des Absoluten. Grundzüge der Phänomenologie Fichtes. Berlin/New York 1993, 1-26.
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Die Versuchung ist groß, in den jeweiligen Ausprägungen der Spätphilosophien diese Vollendung zu entdecken, insbesondere jedoch in den umfangreichen nicht von den Autoren selbst zum Druck autorisierten Texten. Es liegt dem die Vorstellung zugrunde, als sei die letzte Wort gewordene Gestalt eines Denkers zugleich auch von letztgültiger philosophischer Relevanz. Für alle drei ›Vollender‹ scheint allerdings Vorsicht angebracht: Sklerotische Tendenzen lassen sich – bei aller bestehenden philosophischen Dignität – wohl kaum übersehen, und was Fichte insbesondere betrifft, so läßt der literarische Zustand der Texte seiner Spätphilosophie ohnehin nur bedingte Aussagen über die Entwicklung seines Philosophierens zu: – Anlaß zur Mystifizierung und zugleich Anlaß für weitreichende interpretatorische Projekte. Bei Schelling zeigt sich zuerst der Versuch, den transzendentalen Vorbehalt Kants in einem Akt unmittelbarer Erhebung zu transzendieren, ohne jedoch die Resultate der Vernunftkritik rückgängig zu machen. Das Unbedingte als hypostasiertes Objekt eines totalisierten Vernunftschlusses wird zu einem nicht-objektivierbaren, gleichzeitig aber grundlegenden Prinzip einer alle Subjekt-Objektivität umfassenden Philosophie umgedeutet. Damit ist der kritische Vorbehalt in ein Positivum verwandelt, in ein absolutes Gesetz, das selbst durch nichts gesetzt, durch das vielmehr alles gesetzt ist, was gesetzt ist: absolute Autonomie. Gefordert ist dazu die Erhebung zu einem reinen oder absoluten Wissen, das als Akt nichts anderes sein kann als eine intellektuelle Anschauung, die alle Reflexion von sich abweist. Für Hegel schließlich wird der Akt der Erhebung selbst nun nicht mehr zu einem unmittelbaren Einssein mit dem Absoluten, sondern muß durch immanente Negativität hervorgebracht werden. Das absolute Wissen ist ihm wie Schelling zwar zunächst das Unmittelbare, aber zugleich auch Resultat eines vermittelnden Prozesses.5 Damit ist – so könnte man ungeschützt formulieren – Kants Programm einer Beschränkung der Vernunft, das auf die Möglichkeitsbedingungen der Erkenntnis rekurrierte, einer Theorie gewichen, in der die Selbstbeschränkung der Vernunft selbst beschränkt, d. h. nur in ihrer regionalen Gültigkeit ausgewiesen ist. So wird zwar bei Hegel die Endlichkeit der Vernunft überwunden, in der
5 Vgl. dazu Christoph Asmuth, »Anfang und Form der Philosophie. Überlegungen zu Fichte, Schelling und Hegel«, in: Schelling: Zwischen Fichte und Hegel, hg. von Christoph Asmuth, Alfred Denker und Michael Vater, Amsterdam 2000, 403–417.
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Überwindung aber festgehalten und erhalten. Die Reflexion bleibt, aber bloß als ein Moment des Verstandes. Beide, Schelling und Hegel, entwickeln eine absolute Metaphysik, deren Charakteristikum in der Negation der Endlichkeit besteht. Dazu wird der transzendentale Vorbehalt Kants zurückgewiesen. Gleichzeitig behalten beide – und zwar in je unterschiedlicher Weise – die kritische Tendenz der Kantischen Transzendentalphilosophie bei: Sie wollen nicht zurück zur alten rationalen Metaphysik, sondern über sie und durch sie hindurch zu einer neuen, absoluten Metaphysik fortschreiten. Die voraussetzungslose Duplizität von Denken und Sein ist für sie apriorisch vermittelt in einem Absoluten. Subjekt und Objekt, Immanenz und Emanenz, Idealismus und Realismus, Rationalismus und Empirismus bleiben in ihrer Einseitigkeit bloße Momente, bloße Aspekte, bloße Tendenzen des Einen reichhaltigen Absoluten. Es wird damit zum Erbe sowohl der theologischen wie der philosophischen Rede von Gott und Sein, allerdings säkular gewendet in die welthaltige und welthaltende Vernunft selbst. Im folgenden soll die These vorgetragen und erläutert werden, daß Fichte dem Theorieaufbau Schellings (und Hegels) explizit nicht folgt und daß seine Philosophie aus diesem Grunde Transzendentalphilosophie bleibt.
1. Fragen an die Spätphilosophie Fichtes 1.1. Der Gottesbegriff Im sog. Grundsatz der WL 18042 bestimmt Fichte das Absolute oder Gott in siebenfacher Weise als Sein, Leben, Einheit, Immanenz, Vernunft, Wir, Ich.6 Damit stellt sich die Frage, was Fichtes Gottesbegriff ausmacht. Einer der Einleitungssätze zu den Principien der Gottes-, Sitten- und Rechtslehre (1805) kann erklären, was Fichte mit dem Gottesbegriff bezweckt: »Gott, Göttliches – sich nicht an die Personifikation gestoßen: wir hoffen durch unsre Ansicht diese ganz wegzubringen. – . bedeutet bei uns, was es im ächten Christenthum, und überhaupt bei allen sich selbst verstehenden Menschen, die diesen Begriff dachten, von jeher bedeutet
6 Vgl. Christoph Asmuth, Das Begreifen des Unbegreiflichen. Philosophie und Religion bei Johann Gottlieb Fichte 1800–1806. Stuttgart 1999, 244–253.
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hat, das absolute, (...).«7 Das Absolute ist Gott.8 Bedenkenswert ist, daß man an dieser Textstelle nicht etwa umgekehrt liest: Gott ist das Absolute! In der Tat scheint es primär eine Frage der Terminologie zu sein, ob Fichte vom Absoluten und seiner Erscheinung oder von Gott und der Welt spricht. »Die Hauptschwierigkeit bei der lezten Benennung [Gott; Ch. A.], die nie entscheidend gelöst worden, wie dieses Wesen durchaus in sich geschloßen, und vollendet, scheinbar aus sich heraus gehen, u. Ursache einer Welt seyn könne, und wie diese Welt in gewisser Rüksicht als ausser Gott, und er ausser ihr erscheine, die denn doch in andrer Rüksicht der That, u. Wahrheit nach mit Gott ganz dasselbe seyn muß.«9 Die Hauptaufgabe der Wissenschaftslehre ist es daher, Identität und Differenz des Absoluten und seiner Erscheinung aufzuzeigen oder »die Einheit, u. Verschiedenheit Gottes u. der Welt«.10 Dabei ist für Fichte ›Gott‹ nur in absoluter Immanenz möglich: »Jene haben nur einen formalen Gott, der auswendige: der eigentliche reale Gott ist in uns selber.«11 Darin zeigt sich zugleich die innere Kongruenz von Gottesbegriff und dem Begriff des Ich aus der frühen Wissenschaftslehre: »(...) alle Realität ist in das Ich gesetzt (...)«12. Fichte entwickelt also weder einen theologischen noch einen transzendenten Gottesbegriff. Gott bedeutet für ihn vielmehr den Inbegriff der Realität, reine immanente Aktualität, die sich wesentlich in der sittlichen Durchdringung und Durchdrungenheit der Wissenschaftslehre ausfaltet und ihren Niederschlag findet im gelebten und lebendigen Leben.
1.2 Der Ichbegriff Schwierig und seit den Anfängen kontrovers diskutiert ist Fichtes IchBegriff. Bereits mit der Grundlage der gesammten Wissenschaftslehre beginnt die wechselvolle Karriere dieses Terminus in der Wissenstheorie Fichtes. Eine Interpretation unter dem Hinblick auf die Ich-Lehre Fichtes hat ein zentrales Problem zu lösen: Fichtes Rede vom Ich verändert sich nach 1800 grundlegend. Was vormals als Prinzip der Philosophie zu gelten hat, wird später zu einem nachgeordneten Terminus, ja, an vielen Stellen gebraucht ihn Fichte pejorativ. Das Ich gilt ihm dann als das, was 7 8 9 10 11 12
Principien, GA II/7, 378. Vgl.: Principien, GA II/7, 380. Principien, GA II/7, 378. Principien, GA II/7, 394. WL 1805, GA II/9, 227; vgl. auch: Principien, GA II/7, 403. GWL, GA I/2, 291.
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überwunden werden muß zugunsten des Absoluten oder Gottes. Andererseits – und das macht die Sache entschieden unübersichtlich – betont Fichte überall, er habe seine Lehre in den Grundzügen nicht verändert; es handle sich auch in späteren Schriften, so Fichte explizit,13 um denselben einen Gedanken, den er bereits in der Grundlage der gesammten Wissenschaftslehre ausgefaltet habe. Will man nicht Fichtes dezidierte Selbsteinschätzung relativieren oder ignorieren, bleibt nur die Annahme, Fichte habe seine Terminologie stark verändert: Das vormalige Ich als Prinzip der Philosophie sei nun unter den Begriffen Gott oder Absolutes wiederzufinden, von dem er das schlechte Ich des Individuums und das für die Prinzipienfunktion untaugliche Ich der transzendentalen Apperzeption abhebt. Das Ich entgeht daher dem häufig vorgetragenen Zirkeleinwand. Die Reflexion ist bei Fichte keineswegs eine leere Verdopplung. Vielmehr verändert sich das Ich durch die Reflexion. Es reichert sich im Prozeß der Reflexion an, gewinnt an Gehalt, ohne dabei sich selbst zu verlassen. Schließlich ist auf die grundlegende Differenz von Ich und Selbstbewußtsein hinzuweisen. Selbstbewußtsein, das zeigt sich in der Spätphilosophie noch viel deutlicher als in der Grundlage, ist ein nachrangiges Epiphänomen, ebenso wie das Bewußtsein. Dies ist gerade dasjenige, was durch die Theorie des Ich erklärt und in seiner Struktur aufgehellt werden soll, aber keineswegs der Ausgangspunkt. Bekanntlich betont Fichte selbst bereits in der Grundlage, daß das Ich als Prinzip in keinem empirischen Bewußtsein explizit vorkommt, eben weil es in allem Bewußtsein als dessen Prinzip bereits liegt.
1.3 Der Seinsbegriff Nicht anders stellt sich Fichtes Position zum Seinsbegriff dar. Es sei zu »brandmarken mit dem rechten Namen Materialismus, was ein Seyn zugiebt, u. sezt; ob dies nun auch ein Gott seyn soll. Denn dies ist ohne dies ein leerer Schattenbegriff,«14 bemerkt Fichte in der Königsberger WL 13 Vgl. AzsL, GA I/9, 47. 14 WL 1807, GA II/10, 113. Diese Textstelle referiert die Kritik Fichtes an Spinoza: Der Vorwurf Fichtes an Spinoza lautet, Spinoza habe ein totes Sein als Absolutes an die Spitze seines Systems gesetzt. Es mangele diesem Absoluten an dem mit dem realen Moment versöhnten Idealen, das aus dem starren, beharrenden und damit toten Sein, ein lebendiges, sich auf sich selbst beziehendes Absolutes mache. Dies erst könne die Transzendentalphilosophie erreichen. (Vgl. WL 18042, GA II/8, 116).
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von 1807. Das Sein bildet nicht etwa die Voraussetzung alles Denkens und Lebens; es ist nicht das unverfügbar Andere, keine geheimnisvolle ursprüngliche Verborgenheit, in deren Durchsichtigmachung die menschliche Existenz erst ihre unverbrüchliche Authentizität zu finden hoffen dürfte. Das Sein bildet nicht die Voraussetzung, es sei denn, das Sein sei bereits voraus gesetzt, d. h. Folge einer Setzung, die selbst wiederum durchschaut und durchdacht werden muß. Innerhalb der Spätphilosophie Fichtes rückt der Seinsbegriff in eine doppelte Funktion. Einerseits bildet er – gemeinsam und in eins mit dem Gottes- und Ichbegriff – eine grundsätzliche, jedoch schwebende Kennzeichnung des Absoluten, ganz Fichtes Einsicht gemäß, nach welcher der Begriff selbst sich an sich selbst für unvermögend erkennen muß, das An-sich der Sache, hier des Absoluten, zu repräsentieren. Es kommt nur zu einem ›Schattenbegriff‹. Andererseits zielt der Seinsbegriff auf das schlechte Sein. Fichte kritisiert damit nicht die Sinnenwelt, diskreditiert nicht die Empirie, sondern vielmehr den Blick des Betrachters, in dessen Hinschauen sich die an sich lebendige, d. h. einzig der Intelligibilität zugängliche Welt des Sittlichen zu einem bloß vorhandenen Etwas verwandelt. Das Sein disqualifiziert sich dadurch, daß es ist, für die Stelle des Absoluten. Sein hat einen Gegensatz: – nämlich das Nicht-Sein, mit dem das Sein behaftet ist, insofern es ist. Ein weiterer Gegensatz des Seins ist der Begriff. Gegensatz heißt für Fichte aber substantielles Uneins-Sein: Das unterschiedslose Eine, die absolute Realität, jenes Singulum lebendigen Seins des Grundsatzes der Wissenschaftslehre 18042, jenes absolute Ich, wird durch das Mannigfaltige nicht berührt. Das Mannigfaltige ist gegenüber dem einen lebendigen Sein absolutes Nichtsein.15 Nun ist es für Fichte nicht das Sein, das den Gegensatz zum Begriff ausmacht, sondern es ist der Begriff selbst, der, indem er sich als Begriff weiß, sich das Sein entgegensetzt. Beide Seinsbegriffe sind daher miteinander verbunden. Der Begriff verwandelt das absolute, lebendige und organische Sein in das tote Sein, den toten Absatz, in eine stehende, substante Welt. Weder Gott noch Ich noch Sein sind also Begriffe, mit denen Fichte eine extramentale Realität kennzeichnet. Sie scheiden aus als Begriffe für das existentiell vorgeordnete Unvordenkliche oder geheimnisvoll Verborgene. Sie sind für ihn nicht das opake Refugium Gottes, das einzig einer mystischen Versenkung zugänglich wäre, sondern ›sonnenklare‹ Transparenz.
15 Vgl. WL 1804-II, GA II/8, 234.
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Grundsätzlich ließe sich das analog auch für den Begriff ›Leben‹ zeigen.16 Fichte kennzeichnet damit nichts, was vor dem Wissen liegt oder etwa über oder unter ihm, sondern in ihm als lebendige Quelle der Realität. Wie für Sein und Gott gilt auch für das Leben: Sie sind Begriffe, welche die ursprüngliche Unmittelbarkeit in ihrer Einheit charakterisieren, daher prinzipiell dem Denken, d. h. der philosophischen Nachkonstruktion, zugänglich. Aufgrund ihres Inhalts, ursprüngliche Unmittelbarkeit in Einheit, lassen sie sich allerdings nicht als solche denken: Der Begriffscharakter ist dem Begriffsinhalt prinzipiell unangemessen, eine Überlegung, um die Fichtes Spätphilosophie immer wieder kreist. Diesen Gedanken überträgt Fichte schließlich auf den des Absoluten selbst: »Absolut ist selbst ein relativer Begriff, nur denkbar im Gegensatz mit dem relativen; (...). Wem die Absolutheit beigelegt wird, dem wird sie gerade dadurch genommen«.17
2. Fichtes Weiterentwicklung der Transzendentalphilosophie in den späten Manuskripten Das kritische Geschäft der Vernunft beruht auf der revolutionären Einsicht Kants, daß es zur Sicherung der Allgemeinheit, Valenz und Evidenz des Wissens nicht notwendig ist, auf eine göttliche, transzendente oder substante Vernünftigkeit zu rekurrieren, die dem endlichen Bewußtsein von Außen gegeben oder aus seiner Körperlichkeit, seiner physischen Natur, geschlossen sein müßte. Seine Überlegungen entwickeln ein Konstrukt aus Möglichkeitsbedingungen, die in jeder wirklichen Erkenntnis faktisch sind, selbst aber über kein ontisches Substrat verfügen. Damit ist zugleich die Reduktion auf die bloße Körperlichkeit des Erkennens weder ausgeschlossen noch eingeschlossen, denn seine Theorie ist in einer Sphäre bloßer Möglichkeitsbedingungen angesiedelt, damit gerade nicht belanglos für körpergebundene Erkenntnisprozesse, sondern im Gegenteil: in
16 Ansätze dazu in: Annette Sell, »Aspekte des Lebens. Fichtes Wissenschaftslehre von 1804 und Hegels Phänomenologie des Geistes von 1807«, in: Sein – Reflexion – Freiheit. Aspekte der Philosophie J. G. Fichtes, hg. von Christoph Asmuth, Amsterdam/Philadelphia 1997, 79–94; dies., »Plotin und Fichte – zwei Lebensbegriffe«, in: Platonismus im Idealismus. Die Platonische Tradition in der klassischen deutschen Philosophie, hg. von Burkhard Mojsisch und Orrin F. Summerell, München/Leipzig 2003, 77–90. 17 WL 1805, GA II/9, 195. – Vgl. auch WL 1805, GA II/9, 189. – Vgl. dazu: Wolfgang Janke, Johann Gottlieb Fichtes ›Wissenschaftslehre 1805‹. Methodisch-systematischer und philosophiegeschichtlicher Kommentar, Darmstadt 1999.
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höherem Maße, weil in höchstem Maße allgemein und objektiv, gültig für alle möglichen Erkenntnisse. Fichte entwickelt zwei Modelle transzendentalphilosophischer Argumentation, die über Kant hinausweisen, und zwar in ihrer genetischen Potenz, nicht in ihrem inhaltlichen Umfang. Das erste läßt sich als transzendentalphilosophische Reflexion beschreiben, das zweite als transzendentalphilosophische Problematizität.
2.1. Transzendentalphilosophische Reflexion Fichte beschreibt die transzendentalphilosophische Reflexion ganz dezidiert in der Wissenschaftslehre 1805, und zwar als »Kunst des transscendentalen Denkens«.18 Der Gedanke erkennt im Denken einen Inhalt, vermag aber, wenn auch nicht zugleich, den Gedanken dieses Inhalts zu denken. Fichte bezeichnet das als Reflex. Im alltäglichen Vernunftgebrauch ergibt sich daraus eine schlechte Unendlichkeit, die sich durch ihre Insuffizienz selbst ankündigt: Sie verliert den Inhalt in seiner Unmittelbarkeit und bleibt statisch bei dem Immer-Selben stehen, das sie in unendlichen Schleifen umkreist. Die transzendentalphilosophische Reflexion unterscheidet sich vom Reflex durch das sich vermittelst seines Denkens und seines Durchdenkens dieses Denkens selbst bewegende Subjekt. Und die perennierende Möglichkeit der Reflexion bleibt zurück als Reflexibilität.19 Der Träger der Argumentation ist zunächst das empirische Ich, mein Ich, dann das Wir der Wissenschaftslehre. Es ist das Subjekt der Argumentation und damit die Triebkraft der Wissenschaftslehre. Seine Funktion ist klar: Das Wir ist die sich bewegende Nahtstelle zwischen Mir, dem jeweiligen Hörer oder Leser der Wissenschaftslehre, und ihren Inhalten. Das Wir enthält das jeweilige Argument: Wir haben es gedacht und waren uns unseres Denkens bewußt, also ... Da die Reflexion auf das Denken des Gedankens reflektiert, muß der Gedanke gedacht sein, wenn weiter gedacht werden soll. Wird der Gedanke nicht gedacht, ist die Reflexion auf das Denken des Gedankens leer, das Argument daher insuffizient oder schlechterdings fehlend. Dazu braucht das Denken, sei dieses empirisch oder bereits transzendental, den Gedanken des Seins oder 18 Vgl. zum folgenden WL 1805, GA II/9, 230–232. 19 Vgl. dazu die Terminologie der Manuskripte der Jahre 1811/1812, insbesondere der TL-I.
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Absoluten als eines ersten und notwendigen Gedankens. An diesem absoluten Gehalt und an der Reflexion auf diesen absoluten Gehalt und an der Reflexion auf das Denken dieses absoluten Gehalts realisiert sich die Wissenschaftslehre als ein Prozeß der Selbstversicherung des Absoluten im endlichen Bewußtsein, das sich in diesem Prozeß als unendliches, als vernünftiges, als transzendentales Bewußtsein begreift, letztlich, d. h. bei Fichte ›in der Wurzel‹, begreift als identisch mit dem Absoluten. Ein Exempel der transzendentalen Reflexion findet sich in der Wissenschaftslehre 18042, bei der sich das Subjekt der Wissenschaftslehre durch transzendentalphilosophische Reflexion in das unmittelbare, unvermittelte Absolute vermittelt, allerdings nur, um sich in seiner dadurch erreichten Selbstgewißheit wieder zu restituieren. Die transzendentale Reflexion hat die Tendenz, alle eingeschränkten Bewußtseinsinhalte auf ihre zugrundeliegenden Bedingungen hin zu prüfen. Durch die permanente Koppelung alles Gewußten an einen grundlegenden Bewußtseinsakt als Möglichkeitsbedingung entsteht ein hoher Grad an Gewißheit. Denke ich einen Gehalt, so versichere ich mich im Denken dieses Gedankens seiner Bedingungen. Letztlich ist dadurch selbst der absolute Gehalt – vermittelst eines absoluten Denkaktes – mit dem endlichen Bewußtsein eines empirischen Ich verbunden. Und umgekehrt: Es ist sichergestellt, daß selbst das Wissen des Absoluten in einem absoluten Wissen nicht verschieden sein kann von allen empirischen Wissensakten, sondern vielmehr in allen Wissensakten als dessen oberste Möglichkeits- und Realitätsbedingung stets – implizit – enthalten ist.
2.2. Transzendentale Problematizität Beginnend mit den drei Fassungen der Wissenschaftslehre im Jahr 1804 entwickelt Fichte eine weitere transzendentalphilosophische Argumentationsform. Fichte bezeichnet sie als Problematizität. In der WL 18041 heißt es formelhaft: »Problematicität = Subjectivität = Standpunct der W.L.«20. Ziel und innere Tendenz der Wissenschaftslehre sind es, aus dieser Problematizität hinaus zu gehen zur Notwendigkeit und Objektivität des wirklichen Wissens. »(...) die WL werde daher durch ihr eignes, in seiner Möglichkeit begriffenes Seyn, genöthigt seyn, aus sich selber zu einem Nothwendigen herauszugehen.«21 20 WL 1804-I, GA II/7, 192. 21 WL 1804-I, GA II/7, 192f.
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Als Standpunkt der Wissenschaftslehre bewegt sich die Problematizität in einem Bereich logischer Möglichkeit. Im Unterschied aber von formallogischer Möglichkeit handelt es sich bei der Wissenschaftslehre um transzendentallogische Möglichkeit. Ihre Begriffe enthalten nicht nur keinen inneren Widerspruch, sondern sind darüber hinaus angelegt auf mögliche Erkenntnis. Das zeigt sich paradigmatisch an der Wissenschaftslehre 18042. Durch transzendentale Reflexion hat sich das Subjekt der Wissenschaftslehre in seinem Vollzug in das Absolute, jenes grundsätzliche Sein-LebenVernunft-Ich-Singulum, vermittelt, eine absolut realistische Gedankenbewegung. Trotzdem aber bleibt die ganze Untersuchung problematisch. Das zeigt sich bereits an der Aufforderung zur Konstruktion dieses Absoluten. Müssen Wir als Subjekt der Wissenschaftslehre erst aufgefordert werden, so können Wir das Aufgegebene auch unterlassen. Die Notwendigkeit der Konstruktion des Seins ist selbst problematisch. Die Konstruktion des Seins steht unter der Bedingung: Soll das Sein konstruiert werden, so muß ... Charakteristisch für die von Fichte vorgetragene Gedankenbewegung der Problematizität ist, daß einerseits gilt: Soll das Sein konstruiert werden, so ist es ein in sich geschlossenes Singulum lebendigen Seins. Das ist die in Rede stehende Problematizität. Ist aber das Sein andererseits ein in sich geschlossenes Singulum lebendigen Seins, so ist die Problematizität in ihm begründet. »Ist Construction des Seins, so ist sie in ihm selber absolut begründet; (...).«22 Das Soll ..., so muß ... wird zum prägenden Charakter des zweiten Teils der Wissenschaftslehre 18042. Es ist das von Fichte sogenannte problematische Soll. Es ist schon im ersten Teil, allerdings implizit, anwesend, kongruiert es doch mit der transzendentalen Reflexion: »Soll es zu dieser eben erlangten Einsicht kommen, so muß ec.«23 Der Gang der transzendentalen Reflexion erscheint in einer nachträglichen Betrachtung selbst als ein Grenzfall der Problematizität. Allerdings war es die Tendenz des ersten Teils, die Aktivität des Subjekts zugunsten des Vollzugsmoments zu eliminieren. Erst der zweite Teil, die Phänomenologie, restituiert das problematische Soll und macht es zum wesentlichen Movens der Argumentation: »Jetzt aber im Herabsteigen haben wir uns nun eben an dieses vernachlässigte Soll zu halten, das ja die fortdauernde innere Seele
22 WL 1804-II, GA II/8, 262/263. 23 WL 1804-II, GA II/8, 264/265.
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aller der Idealismen abgab, die während des Aufsteigens fortwährend sich ausschieden.«24 Die Formel soll..., so muß ... erzeugt die Verbindung des transzendentalen Wissens mit dem wirklichen. Sie garantiert, daß nicht etwa die Sphäre des transzendentalen Gedankens abgesondert existiert. Vielmehr liegt das transzendentale Wissen im wirklichen. Es ist das, was in jedem Wissen implizit zugrunde liegt. Bereits in der Grundlage von 1794/95 war Fichte der Überzeugung, daß nur das in allem Wissen Liegende durch Reflexion und Abstraktion zum philosophischen Bewußtsein erhoben werden müsse, und zwar als dessen nicht ontologisches, sondern transzendentales Prinzipienwissen. In den Principien der Gottes-, Sittenund Rechtslehre erklärt Fichte, daß das problematische Soll sich auf das Dasein oder Erscheinen Gottes bezieht: »Es soll schlechthin zum Daseyn Gottes kommen, so wie er in sich ist.–. Ich sage nicht, es ist, ist nicht, sondern soll. Da die Form des Daseyns Wissen: es kann zu diesem Daseyn nur in seiner Form kommen, (...), also nur im Wissen. – . Drum ist das Wissen da, und alle seine Beziehungen, u. Bestimmungen sind da lediglich um jenes Willen, u. sind daraus als aus dem UrPrincip vollständig zu erklären u. abzuleiten.«25 Es könnte sich hier um einen Fall einer deduktiven Metaphysik handeln: Am Anfang steht Gott als absolutes Prinzip. Daraus folgt das Dasein Gottes oder seine Erscheinung, die sich wiederum als Prinzip des Wissens erweist, und aller seiner weiteren Bestimmungen. Was aber aus dieser affirmativen Metaphysik Transzendentalphilosophie macht, ist das problematische Soll: »Ich sage nicht, es ist, ist nicht, sondern soll.« Im problematischen Soll ist eben nicht von einer metaphysisch vorausgesetzten Existenz die Rede, sondern von den Möglichkeitsbedingungen des Wissens überhaupt, zu denen auch Gott als schlechthinnige oder absolute Realität, aber auch sein Dasein zu zählen ist. Ähnlich entwickelt sich der Gedankengang in der Wissenschaftslehre 1811. Das Verfahren der Wissenschaftslehre ist auch hier problematisch: Sie fragt nach den Bedingungen der Möglichkeit des Wissens; die Antworten sind deshalb ein theoretisches Konstrukt ohne ontischen oder substantiellen Status. Gleichwohl müssen die von der Wissenschaftslehre abgeleiteten Möglichkeitsbedingungen in allem wirklichen Wissen gegeben sein. Die Wissenschaftslehre ist daher – so Fichte explizit – keine Seinslehre, keine Ontologie, keine Kosmologie, keine Metaphysik.
24 WL 1804-II, GA II/8, 264/265. 25 Principien, GA II/7, 437.
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Der problematische Charakter der Wissenschaftslehre spricht sich grammatisch in der Form aus: Wenn Wissen ist, dann notwendig unter genau diesen Bestimmungen. Fichte nennt diese Methode auch hier Problematizität, und es läßt sich das alte Soll ..., so muß ... wiedererkennen. Erst in der unmittelbaren Anschauung, d. h. dem wirkliche Wissen in seinem unmittelbaren Vollzug, verwandelt sich die Problematizität in Kategorizität.26
3. Schluß Die Wissenschaftslehre bleibt – so Fichte – nichts anderes als das, was sie auch schon 1794/95 war: eine Untersuchung über die transzendentale Apperzeption,27 d. h. eine Lehre vom Wissen und seinen Prinzipien. Die Spätphilosophie zeichnet sich insbesondere als Transzendentalphilosophie aus durch:
die Apriorizität der Grundbegriffe; den Primat der transzendentalen Apperzeption und der transzendentalen Einheit; die Immanenz des Wissens; die transzendentale Freiheit; den Rekurs auf die Möglichkeitsbedingungen des Wissens; und schließlich durch die beiden transzendentalen Argumentationsweisen: transzendentale Reflexion und transzendentale Problematizität.
Die transzendentale Reflexion fungiert dabei – achtet man auf den strukturellen Aufbau der Wissenschaftslehre – als ein realistisches Argument: Die Reflexion auf das subjektive Moment führt zu einer Depotenzierung. Das Denkende vernichtet sich selbst vor der Absolutheit seines absoluten Gehalts. Dadurch gewinnt die Wissenschaftslehre allererst ihren eigentlichen Ausgangspunkt; transzendentale Reflexion als spezifische Form der Abstraktion bildet – wie schon 1794/95 so auch in der Spätphilosophie – die einzige Propädeutik und Erhebung zur Wissenschaftslehre. Die transzendentale Problematizität ist strenggenommen der eigentümliche Modus, in dem die Wissenschaftslehre prozediert. Sie dient nicht nur dazu, die 26 Vgl. WL 1811, GA II/12, 145. 27 Vgl. WL 1811, GA II/12, 208.
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Unabtrennbarkeit des transzendentalen vom wirklichen Wissen argumentativ aufzuweisen, sondern zugleich dazu, die unauflösbare Synthesis des Praktischen und des Theoretischen zu demonstrieren. Das problematische Soll ist die Zauberformel, durch die sich im endlichen Wissen das Absolute aufzeigen läßt, nicht als sein Anderes, sondern als sein Eigenes, nicht in geheimnisvoller Verborgenheit, sondern in vollständiger Transparenz, nicht als substantes Sein, sondern als lebendiger Gedanke. Schelling jedenfalls reichte die bloße Evidenz eines in sich gewissen Absoluten und des aus ihm begründbaren eben so evidenten Wissens nicht aus. Er wollte, wie auch später Hegel, ein System, das die Fülle der kulturellen Phänomene in ihrem Wesen erfaßt und darstellt. Sie entschieden sich dabei gegen den Weg Fichtes und für eine absolute Metaphysik.
Unendlichkeit und Schranke. Zum Fichteschen Entwurf einer transzendentalen Ontologie des Wissens
Marek J. Siemek (Warschau)
Im Mittelpunkt der Lehre vom Wissen als dem erscheinenden Bild des Absoluten, die das theoretische Kernstück der späten Philosophie Fichtes ausmacht und als Konzept einer neuartigen Ontologie des Sinnes, oder einer transzendentalen Epistemologie betrachtet werden kann, steht dieselbe Spannung von Unendlichkeit und Schranke, die dem Grundgedanken der Fichteschen »Wissenschaftslehre« (WL) immer innewohnte. Die beiden Momente kommen schon von Anfang an im Begriff der »Ichheit« als Grundlage des Systems der Transzendentalphilosophie vor. Es ist nämlich der Begriff einer unendlichen Einheit, die nur in der beschränkenden Entzweiung mit sich selbst, einer absoluten Identität, die nur durch Differenzierung lebt und wirkt. Sein Inhalt wird bereits in der Grundlage der gesammten Wissenschaftslehre 1794/95 (GWL) nicht durch den »ersten Grundsatz« allein, der vom absoluten Sich-Selbst-Setzen des Ich spricht, sondern durch die unteilbare Einheit von allen drei »Grundsätzen« vertreten und ausgedrückt. Der zweite Grundsatz, der des absoluten Gegensatzes, wonach dem sich-selbst-setzenden Ich ein Nicht-Ich schlechthin entgegengesetzt werden muß, weist auf den unhintergehbaren Zwiespalt im Ich selbst hin: das Ich kann nämlich zu seiner Selbstbezie-
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hung erst vermittelst seiner Beziehung auf ein Anderes kommen. Die dynamische Vereinigung beider Glieder, und zwar durch ihre Wechselwirkung, kommt erst im dritten Grundsatz zustande, mit der ihm schon innewohnenden Dualität. Alle drei Grundsätze des Systems zielen darauf hin aufzuzeigen, wie das unendliche Ich sein Anderes, das Nicht-Ich, als seine eigene Schranke schon im voraus in sich selbst hat. Die ursprüngliche Limitation gehört notwendigerweise zum Wesen des Fichteschen Ich, das ja nicht nur als absolut spontane unbegrenzte Tätigkeit, sondern auch als Selbstbewußtsein gedacht werden muß. Das Selbstbewußtsein ist nämlich kein Zustand, sondern immer ein Akt, durch den das Ich als Subjekt sich erst findet, und zwar infolge seiner Rückkehr zu sich selbst aus seinem Anderen, dem Nicht-Ich als Objekt. Das Sich-Selbst-Setzen des Ich besteht also offenbar nicht in einer undifferenzierten Tätigkeit schlechthin, sondern in einer solchen, die in sich verdoppelt ist. In der Grundlage von 1794 spricht Fichte oft von zwei entgegengesetzten »Richtungen« der Tätigkeit des Ich, deren eine »ins Unendliche hinausgeht« und als »zentrifugal« bezeichnet wird; es ist die absolut spontane Tätigkeit seines ursprünglichen Sich-Setzens, des reinen Tuns und Produzierens. Soll aber das Ich im Selbstbewußtsein wirklich zum Ich werden, so muß es aus dieser Unendlichkeit zu sich selbst zurückkommen, um auch in seinem Sich-Wissen dasjenige zu erfassen, was es in seinem Sich-Setzen schon getan hat. Dies geschieht kraft der »entgegengesetzten Richtung« seiner Tätigkeit, die insofern als »zentripetal« betrachtet werden kann: die ursprüngliche, »zentrifugale« Tätigkeit wird hier »in sich selbst zurückgetrieben« (GWL, GA I/2, 405) oder reflektiert. Nur infolge dieser Reflexion kann die Tätigkeit des Ich »in sich selbst zurückgehen«, was seinerseits unentbehrlich ist, damit das Ich sich als Ich, d. h. für sich selbst oder im Selbstbewußtsein, setzen kann. Schon daraus ergibt sich notwendigerweise eine innere Entzweiung im Ich selbst, die etwas später, in der Wissenschaftslehre nova methodo 1798/99, als »ursprüngliche Duplizität« (WLnm-K, GA IV/2, 186f.) des menschlichen Geistes bezeichnet wird. Die Reflexion, in der sich das Ich als Ich, d. h. für sich selbst, erst setzt, ist durch die Hemmung und Begrenzung seiner ursprünglichen Tätigkeit wesentlich bedingt. Die Beschränkung gehört also zum Wesen des Ich; sie bedeutet zugleich sein »Aus-Sich-Herausgehen«, insofern das Ich sowohl diese Begrenzung seiner selbst, als auch den Grund derselben, in ein Begrenzendes außer sich (in ein Nicht-Ich) setzt. Jenes Begrenzende ist demnach ein eigenes Produkt vom Ich, eben weil es nur infolge seiner eigenen Selbstbegrenzung entsteht.
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Diese unhintergehbare Mittelbarkeit des Sich-Setzens birgt also in sich denselben Widerspruch zwischen der Unendlichkeit seiner Freiheit und der Faktizität des von ihm reflektierten (es beschränkenden) Seins. Der Widerspruch steckt demnach im Wesen des Ich und ist mit einer inneren Spaltung im Ich selbst gleichbedeutend: »Das Ich soll etwas heterogenes, fremdartiges, von ihm selbst zu unterscheidendes in sich antreffen« (GWL, 405). Denn: »Die Bestimmung des Ich, seine Reflexion über sich selbst, als ein bestimmtes, ist nur unter der Bedingung möglich, dass es sich selbst durch ein entgegengesetztes begrenze« (GWL, 361). Nun wird diese beschränkende Macht der Reflexion in den späteren Fassungen der W.L. auf den vertieften und verallgemeinerten Begriff des Bildes und Bildens übertragen. Es ist dabei nicht so, daß die neue Begrifflichkeit bei Fichte die alte des »transzendentalen Ich« und seines »Selbstbewußtseins« etwa verdrängt hätte, sondern die letztere wird vielmehr in die erstere aufgenommen und eben dadurch erst recht begründet und erklärt. So heißt es z. B. in der Transzendentalen Logik II (1812): »Es ist die Hauptsache, ein Ich an sich wegzubringen: und das Ich späterhin im Bildwesen, und aus der Sichbildung jenes einfachen Princips zu erklären: es entstehen zu lassen im Wissen selbst, nicht außerhalb desselben«.1 Und tatsächlich »läßt« hier Fichte die »ichliche« Selbstbeziehung »im Wissen selbst entstehen«, und zwar als notwendige Form der »sicherscheinenden Erscheinung«, oder als immanentes Gesetz des allumfassenden »Bildens« (Ebd., 63). Das Bild als Phänomen und Problem konzentriert in sich den ganzen komplexen und vieldimensionellen Zusammenhang, den die jedem Wissen zugrundeliegende Struktur des Verstehens von Bedeutungen ausmacht. Das Bild als paradoxe Einheit von Unendlichkeit und Schranke wird von Fichte in drei Schritten und auf drei Ebenen konstruiert. Zuerst stellt es sich direkt in seinem Sein dar, d. h. in seiner einfachen, unmittelbar ontischen Beschaffenheit. Diese zeigt sich aber sogleich als durchaus nicht ontisch, sondern epistemisch: das Bild ist nämlich kein Sein, sondern eben nur dessen Bild, d. h., wie Fichte bereits in der Wissenschaftslehre 1804 sagt, »ein Repräsentant und Stellvertreter« des Seins (WL-1804-II, 100). Anders gesagt: auf dieser ersten Ebene ist das Bild einfach ein Abbild. Es zeigt nicht sich selbst, sondern sein Abgebildetes. Es ist aber jenes Abgebildete eben nicht, sondern dessen bloßes Bild. In diesem Sinn weist jedes Bild »auf ein Ursprüngliches ausser ihm« (ebd.) hin; es setzt
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Transscendentale Logik II, ed. R. Lauth, Hamburg 1982 (TL-II), 28.
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immer ein Sein voraus, das in diesem Bild lediglich »vertreten«, weil abgebildet wird. Die erste Ebene wird also durch das unabtrennliche Zusammengehören von Bild und Abgebildetem konstituiert, das wir als epistemische Relation bezeichnen wollen. Das Bild weist auf das Sein als Abgebildetes hin, aber auch umgekehrt: jedes abgebildete Sein setzt das Bild voraus, in dem es abgebildet wird. Die Relation ist zwar zweistellig, aber zugleich wesentlich asymmetisch und sozusagen intransitiv. Das eine Glied, das Sein als Abgebildetes, könnte an sich auch nicht abgebildet werden. Dementgegen ist das Bild schon in sich gedoppelt: es setzt sich immer in einer Selbstentzweiung, die darin besteht, aus sich selbst heraus und über sich selbst hinaus zu gehen. »Das Bild aber setzt schlechthin durch sein Wesen, und so gewiß es Bild ist, (...) ein zweites Glied außer ihn, ein Gebildetes. (...) Bild kann nicht allein sein: es, in seiner Einheit gesetzt, setzt unmittelbar durch sein eignes Wesen eine Zweiheit« (TL II, 37). Die »Zweiheit« wird unmittelbar gesetzt durch das eigene Wesen des Bildes in »seiner Einheit«. Das heißt: die epistemische Relation von Bild und Abgebildetem kann nur dadurch erfaßt werden, daß das Bild nicht nur sein jeweiliges Abgebildetes, sondern auch sich selbst, und zwar »in seiner Einheit«, zeigt. Es zeigt sich nämlich als Bild. Um die in diesem Als enthaltene eigene Einheit des Bildes verständlicher zu machen, führt Fichte eine neue, sozusagen höhere Entzweiung ein. Bei jedem Bild haben wir es nämlich immer mit zweierlei zu tun. Zum einen, und vorerst, sehen wir ein einfaches Bild von Etwas. Fichte nennt es das Bild A. Dies ist unsere erste Ebene der unmittelbar epistemischen Beziehung. Das Bild A verweist immer nur auf etwas außer ihm und bleibt dabei vollständig durchsichtig: es zeigt nicht sich selbst, sondern seinen Inhalt, das Abgebildete. Nun wäre diese epistemische Transparenz des Bildes unmöglich (d. h. irgendwie auch unsichtbar), wenn sie sich zugleich als Selbsttransparenz in demselben Bilde nicht gezeigt hätte. Darum muß jedes Bild auch etwas mehr und etwas anderes in sich haben: »von demselben (dem Bilde A) schlechthin unabtrennlich ist ein anderes Bild B, wodurch A verstanden wird, als Bild« (Ebd.). Das Bild B ist auch eine Abbildung, nämlich des Bildes A. Aber B verhält sich zu A anders als A zu seinem Abgebildeten. In B wird A selbst in seinem einfachen Bildsein erfaßt, mithin als Bild dargestellt und verstanden. Das Bild B »erhebt sich« also zu einer neuen Ebene, auf der die epistemische Relation selbst, d. h. das unabtrennliche »Paar« von Bild A und seinem Abgebildeten, als ein Ganzes erscheint. Anders als A, ist demnach B kein Glied dieser Relation mehr, sondern deren Darstellung
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qua Relation, oder genauer: deren Begriff. Freilich ist es der Begriff in seiner ursprünglichen Form: er tritt auf als Anschauung, und zwar als »die absolute Anschauung dieses Unterschiedes (...) zwischen dem Seyn selbst und seinem bloßen Inhalte, ohne das Seyn« (Ebd.). Diese »absolut erkennende (intelektuelle) Anschauung« ist die des Unterschiedes von Sein und Bild, und zwar durch beiderseitige Negation. Bild ist Nicht-Sein, und Sein ist Nicht-Bild. Diese Differenz muß in jedem Bild sogleich erkennbar sein, wenn das Bild als Bild verstanden werden soll. Darum spricht Fichte von der absoluten Anschauung. Darin besteht also die eigene Einheit des in A und B entzweiten Bildes: B ist freilich von A verschieden, aber es stellt sich in A unmittelbar dar und kann als solches eben angeschaut werden. Nun ist dasjenige, was hier dargestellt und angeschaut wird, offensichtlich nichts anderes als diese Verschiedenheit von A und B selbst, der letzten Endes die absolute Differenz von Sein und Bild zugrundeliegt. Die Verschiedenheit, die Differenz, kann aber eigentlich weder dargestellt noch angeschaut, sondern nur begriffen werden. Es ist ja die Sache des Begreifens, d. i. des Denkens und Verstehens, überhaupt zu unterscheiden, Unterschiedenes aufeinander zu beziehen und das Eine immer durch das Andere zu erkennen. Darum bezeichnet Fichte dieselbe Einheit des Bildes, die er zuvor »absolute« Anschauung genannt hatte, gleich danach als Urbegriff. Wie verhält sich dieser »Urbegriff« zu jener »absoluten Anschauung«? Offenbar so wie B zu A im Bilde überhaupt und so wie das Bild überhaupt zu seinem Abgebildeten: als Einheit durch Differenz und Entzweiung. Gerade darum ist er der Ur-Begriff, die reine und absolute Form jedes Wissens und Verstehens. Was er bestimmt, ist die »absolute Denkform«, als ursprüngliches Wissen vom »Unterschied des Seins und Bildes«. Und damit erreichen wir – im dritten Schritt – die dritte Ebene der Betrachtung. Das Bild erscheint hier in seinem innersten Wesen, nämlich als unhintergehbare Bedingung und Form jedes Denkens und Wissens. Die epistemische Relation Bild-Abgebildetes wird hier nicht nur als solche erfaßt und verstanden (A und B, Bild als Bild), sondern auch auf sich selbst bezogen und in dieser Selbstbezüglichkeit unmittelbar dargestellt. Die Relation verdoppelt sich, sie wird zu einer Relation von Relationen, oder genauer gesagt, sie wird dreistellig, nach dem grundlegenden Modus des Darstellungsverhältnisses: Etwas wird durch etwas Anderes in einem Dritten dargestellt. »Wir haben eigentlich ein Dreifaches: zwei Bilder A und B – und eine höhere Einsicht, absolute Klarheit und Evidenz des Unterschieds von Sein und Bild« (TL II, 35). Aus der epistemischen Relation wird eine epistemologische. Das Wissen als Bild
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erkennt sich in seiner sinnstiftenden und sinnverstehenden Bildlichkeit, die sich selbst bildet. Es wird zum Bild des Bildes. Als Hauptobjekt solcher epistemologischen Selbstbesinnung des Wissens stellt sich nun der Sinn selbst dar. Und diese Selbstdarstellung des sich-bildenden Sinnes ist es, was Fichte als Bild des Bildes zu erfassen versucht. »Intellektuelle Anschauung«, »Urbegriff«, »absolute Denkform« – dies sind verschiedene Namen, unter denen diese epistemologische Einsicht in die Randbedingungen des Sinnes bei Fichte auftritt. Sie bezieht sich aber immer auf dasselbe: auf jenes Dritte, in dem das Eine durch das Andere dargestellt – gebildet – wird. Denn jenes Dritte ist das Bilden selbst: die sinnstiftenden Differenzierung zwischen dem Bild und seinem Abgebildeten, dem Sein. Darum ist die Fichtesche »Denkform« als »Einsicht des Unterschiedes zwischen dem Sein und dem Bilde« letzten Endes eine Einsicht jenes reinen Durch. »Diese Einsicht, als weder Bild des einen, noch des anderen, sondern Bild ihres Unterschiedes sowie ihrer Gleichheit, ist (...) ein innerlich lebendiges Bilden, ein Durch jedes der beiden durch das andere« (TL II, 33). Das eigentliche Vermögen dieser sinnstiftenden und -verstehenden Einsicht in das absolute »Durch«, das in der Form der Bildlichkeit waltet, ist nun für Fichte der Verstand. Als lebendiges Bilden bringt der Verstand alle Bilder hervor, und zwar dadurch, daß er sie als Bilder erst verständlich macht. Anders gesagt: Im Verstand bildet sich das Bild des Bildes. Das ist aber ein Begriff, und kein Bild mehr. Der Verstand ist das Vermögen der Sinngebung und des Sinnverstehens. So rekonstruiert Fichte die epistemologische Grundstruktur der Bildlichkeit. Sie erweist sich als ursprüngliche, dem Wesen des Wissens schlechthin innewohnende Entzweiung des Sinnbildens, das immer darin besteht, ein Bild in seinem Sinn zu verstehen. Die beiden Glieder dieser Zweiheit sind: Bild vom Sein (A) und Bild vom Bild (B). In der traditionellen Terminologie: Anschauung und Begriff. Daß beide sich wechselseitig voraussetzen, leuchtet ohne weiteres ein. Der Begriff, oder das Bild des Bildes, wodurch ein unmittelbar Angeschautes als Bild verstanden wird, setzt das einfache Bild des Seins voraus, als dasjenige, was überhaupt zu verstehen ist. Aber auch umgekehrt: Jedes einfache Bild vom Sein, oder die unmittelbare Anschauung, setzt das Bild des Bildes, oder den Begriff, ebenso voraus. A kann als Bild nur insofern erkannt und verstanden werden, inwiefern es ein Bild (und nicht Sein) schon von Anfang an tatsächlich ist.
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Mit A stellt sich also die eigentliche »Substanz« des Bildseins dar: dasjenige nämlich, was Fichte als »Äußerung, absolutes fiens, Genesis« (ebd.) bezeichnet. »Genesis, Bild. Genesis der Genesis, Bild und Erkenntnis des Bildes« (TL II, 43). Als solche ist aber die Genesis immerhin ein »Factum«, kein ewiges und geschlossenes Sein. In A, dem einfachen Bild vom Sein, das sich schon immer auf ein Abgebildetes bezieht, kommt die »Anschauung, Hinschauung« zustande, die auf »ein Leben« gerichtet ist (TL II, 46, Anm.). Nur darum hat A einen bestimmten qualitativen Inhalt, es ist ein Bild von Etwas. Aber dieser Inhalt »müßte als werdend und im Werden erscheinen, und angeschaut werden, in seinem Bilde« (TL II, 48). Zum Wesen des Bildseins gehört also die Bewegung, das Werden. Das Bild ist nur dadurch, daß es wird und sich im Werden präsentiert. Durch das Faktum des Werdens entsteht also das Bild, als gesetzt in der Äußerung dessen, was Fichte als Urbild bezeichnet. Es ist das sich im Bilde äußernde Leben, das allein dem Bild seinen Gehalt geben kann. Dieser unendliche Gehalt – die Qualität, die im Bild hingeschaut wird – schöpft sein Sosein aus dem unmittelbaren Erscheinen des Seins und erscheint insofern als die Wahrheit im Wissen, oder die unmittelbare Offenbarung, die das Sein von sich gibt. Zugleich ist aber diese unendliche Wahrheit nur in der einschränkenden Form der Anschauung, im bildlichen Medium der Sichtbarkeit überhaupt zugänglich. Denn es ist die Form und das Medium des Werdens, der unmittelbaren Genesis: ein Sich-Machen der Einheit vermittelst des lebendigen Durch, das den Fluß der Mannigfaltigkeit aufhält und in die Einheit des Bildes verwandelt. Der absolute Gehalt der Erscheinung muß diese Form annehmen, wenn er anschaubar sein soll; denn sie ist die Grundform der Bildlichkeit, in der die Erscheinung sich selbst als äußernd anschaut. Die beiden Dimensionen der Bildlichkeit, A und B oder Bild des Seins und Bild des Bildes, sind demnach komplementär und ergänzen sich gegenseitig im Wissen. In A wird ein Bild, sofern es durch die Faktizität der ursprünglichen Äußerung des lebendigen Seins in seiner Unendlichkeit gesetzt wird. In B wird es als Bild verstanden, indem es sich selbst sieht, sich objektiviert, zum Bild seiner selbst wird, im Unterschied zu dem von ihm gesetzten Sein. Ohne A ist B nur eine gehaltlose Form der Bildlichkeit: eine leere Stelle, an der nichts geäußert und abgebildet wird. Ohne B ist A kein sich selbst verstehendes Bild: das Quale der Äußerung, das von der unmittelbaren Erscheinung des Seins selbst herstammt, wäre unsichtbar und damit unverständlich, wenn sie nicht in die Form des Werdens als Grundform des Bildseins überhaupt aufgenommen würde, oder, was beim späten Fichte dasselbe bedeutet, in die Form der »Ichheit«.
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Denn gerade hier liegt der eigentliche Ausgangspunkt für »genetisches Entstehenlassen« der ichlichen Selbstbeziehung innerhalb des Wissens, nämlich als absolute Form und notwendige Grundstruktur der »Erscheinung« selbst. Das im »Urbild« bestimmte Wesen der Erscheinung besteht ja darin, daß ihr Quale, der Gehalt, zwar vom absoluten Sein kommt, aber nicht in der Form des objektiven Seins, sondern in ihrer eigenen Form des Bildes und des Begriffs seiner selbst auftritt: »in dem absoluten Mittelsein des Bildens und Gebildeten, Verstehens und Verstandenen, ist seine absolute Form« (TL II, 64). Nun ist dieses »absolute Mittelsein« nichts anderes als die Erscheinung selbst, nämlich insofern sie zwischen dem Fluß des bildenden Werdens und der Einheit des geschlossenen Bildes ständig schwebt und sich selbst als solches erfaßt. Daß aber etwas nicht nur das Bild seiner selbst ist, sondern auch ein Bild dieser bildlichen Beziehung zu sich selbst hat, daß nicht nur das Werden der Erscheinung gebildet wird, sondern auch daß eben sie, die Erscheinung, in diesem Werden das Werdende ist – all dies kann eigentlich in keinem Bild dargestellt, »gebildet« werden. Damit kommt Fichte zum Schlüsselpunkt seiner Epistemologie der Bildlichkeit. »Das Sein der Erscheinung im Bilde reisst hier ab, und es entsteht ein hiatus unzusammenhängenden Seins des Bildes. (...) Es findet sich sonach hier ein nicht angeschautes Prinzip als Prinzip und Seinsgrund einer Anschauung« (TL II, 75). Dieses Prinzip – das »Unbildbare« (ebd.) als Bedingung der Bildform selbst – kann nur mittelbar, durch einen Schluß erreicht werden, in dem eine Subsumtion der Anschauung oder des Bildes unter das eigene Werden der Erscheinung stattfindet. Was auf diese Weise entsteht, ist das eigenartige Bild der Identität des Anschauenden und Angeschauten: »ein Bild dieses Verhältnisses der Erscheinung zu sich selbst, ein eigentliches Ich, ein formales Bild der Erscheinung« (ebd.) Ein »formales Bild« ist aber kein Bild mehr, sondern ein Bild des Bildes, mithin ein Begriff, wodurch die im »Urbild« enthaltene Notwendigkeit des Bildseins, alles, was es ist, im Bilde seiner selbst auszudrücken, als Gesetz des Bildens erfaßt wird. Die »Ichheit« als selbstbezügliche Form der Bildlichkeit ist nichts anderes als verdoppeltes Bild der gesetzmäßigen Notwendigkeit, wonach jedes Gebildete angeschaut, d. i. ins einheitliche System der »Bildwesen« aufgenommen werden kann. Was besagt eigentlich dieses »unbildbare« Gesetz des möglichen Bildens? Nicht mehr, als daß es die unhintergehbare Reflexivität ist, die das Wesen des bildenden Wissens als solchen ausmacht. Und zwar in beiden Beziehungen zugleich: zum einen auf das gebildete Sein, oder jenes Etwas, das in jedem epistemischen Von-Etwas-Wissen unmittelbar
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dargestellt wird, zum anderen aber auf das es immer negierende Nur-imBild-Sein, das auf die epistemologische Relation der sich selbst verstehenden Darstellung unausweichlich verweist. In der ersten Beziehung muß das Wissen sein Gewußtes immer »an- und hinschauen«, d. h. es als das »Leben«, das »absolute Sein«, das »Objekt« ausser sich selbst setzen, ohne dabei sich als das Wissende direkt »hinzubilden« und damit anzuschauen. In der zweiten Beziehung stellt sich jedoch sogleich heraus, daß jenes »Sein ausser dem Bilde« zugleich erscheinen muß, mithin wiederum nur im Bilde möglich ist, oder: »das ausser muß sein ein innerliches Ausser« (TL II, 79). Wenn das erscheinende Bild ein bloßer »Reflex« der selbständigen und insofern nur »reflektierten« Objektivität ist, so ist die »Erscheinung« oder das Wissen selbst immerhin das Reflektierende in diesem Verhältnis. So gehört die Subjektivität als »Selbstheit« und »Ichheit« unabtrennlich zum »objektiven Sein« der Erscheinung, eben weil es immer ein Bildsein ist. Durch die selbstbezügliche »Ichform« wird also die Erscheinung, die im Bild als »Reflex« des »Seins außer dem Bilde« auftritt, auch zum »absolut notwendigen Reflex ihrer selbst«. Hier zeigt sich die unüberschreitbare Reflexivität des Wissens in ihrer ganzen Kreisstruktur. Beide Reihen der reflexiven Darstellung, die dargestellte Folge des »Bildes aus dem Sein« sowie die darstellende des »Seins aus dem Bild«, gehören zusammen und verweisen unaufhörlich aufeinander. Kein Wissen ohne Gewußtes, jenes Etwas »ausser« der bildenden Schöpferkraft des Denkens; aber auch kein Wissen ohne tätige Selbstbeziehung des Wissenden, ohne Setzen und Projizieren des »innerlichen Ausser«, ohne »frei bildendes Prinzip« des Konstruierens, das selbst eine ursprüngliche »Konstruktion der Erscheinung: das Ich« ist (TL II, 102). Allerdings handelt es sich zugleich immer um eine »Konstruktion des Unkonstruierbaren« (TL II, 104), um ein Bilden aus dem »Unbildbaren« her, um Verknüpfung und Vereinigung der notwendigerweise unter dem »Gesetz der Zweiheit« (TL II, 95) stehenden Elemente des Wissens, kurz: um Überwindung eines dem Wissen selbst innewohnenden hiatus zwischen dem unendlich lebendigen »Seyn« als seinem Gewußten und der es immer einschränkenden Form der »Ichheit« als seiner »bildenden« Erscheinung. So versucht Fichtes transzendentale Epistemologie der Bildlichkeit das durchaus paradoxe Phänomen des menschlichen Sinnbildens und Sinnverstehens auf den Begriff zu bringen.
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Tom Rockmore (Pittsburgh)
Idealism of all kinds advances different approaches to the problem of knowledge. Since Fichte claims to be a Kantian, and Kant claims to be an idealist, my argument falls into three parts. In the first part, I argue that Kantian idealism combines two very different representationalist and constructivist lines of argument. In the second part, I argue that Fichtean idealism is apparently representationalist but in fact constructivist. In the third part, I examine the challenge to my argument posed by Fichte’s Deduction of representation in the Grundlage der gesammten Wissenschaftslehre. I end by suggesting that nearly two centuries later, after the defeat of foundationalism, Fichte’s constructivist form of idealism remains astonishingly fresh.
Kant’s idealist position After some two centuries of very close examination, one can say that Kantian idealism remains mysterious. Like most commentators, I think that theory of knowledge is central to the critical philosophy. Though Kant is motivated by different concerns, such as the conditions of knowledge, the objectivity of claims to know, and so on, his basic account of knowledge is finally not coherent.
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For purposes of this paper, I will be drawing a distinction between Kant’s initial formulation of the problem of knowledge in the important Herz letter (1772) toward the beginning of the critical period and his proposed solution to it in the Critique of Pure Reason. In the Herz letter, Kant indicates his concern to analyze the relation of representation to object (Vorstellung zum Gegenstand). In the Critique of Pure Reason, where he provides a full statement of the critical philosophy, Kant proposes what, though Kant does not use this term, is known as the Copernican revolution in philosophy, or Copernican turn. In analyzing the relation of a representation to an object, by object Kant is presumably thinking not of tables and chairs as they are given in experience, but rather of the mind-independent external world, also known as metaphysical reality, or the way the world is. This suggests a basic distinction between empirical objects, objects given in experience and knowable, and non-empirical objects, such as things in themselves, if this term takes a plural, or noumena, which can be objects of mind but are not themselves given in experience. If this is correct, then an analysis of this relation would tell us how phenomena, or experiential objects, function as representations, or appearances with respect to such other objects. This view finds abundant textual support throughout the first Critique and in the Prolegomena. In saying, for instance, that if we cannot think things in themselves the result would be appearances without things that appear,1 Kant is calling our attention to his belief that what he calls representations in fact relate to mind-independent objects. This basic dualist approach is very familiar in a wide variety of modern causal theories of perception. It is the main theme in the new way of ideas in which, beginning in the seventeenth century, changes in the meaning of the word »idea« lead to numerous accounts of ways that the world influences the mind in producing ideas (in the mind) through which it can be known. Kant’s critical remarks in the first Critique on such predecessors as Descartes, Locke, Leibniz and Berkeley should not obscure the deep continuity, identified by his contemporaries as early as the initial reception of this treatise, between Kant’s critical philosophy and theories of knowledge based on the relation of ideas in the mind to the mind-independent external world.2 One should not be misled by Kant’s substitution of 1 See Kant, Kritik der reinen Vernunft, B xxvif. 2 See Frederick Beiser, German Idealism: The Struggle Against Subjectivism, 17811801, Cambridge 2002, chapter 6: »Kant and the Way of Ideas,« 132–147. Beiser fails to
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»representation« (Vorstellung) for »idea«. Kant and the proponents of the new way of ideas share the concern to solve the problem of knowledge through a representational theory. Both agree that knowing is basically a question of providing a correct analysis of the relation of representations to what they represent. A representationalist approach to knowledge presupposes metaphysical realism, or the idea that to know is to know the mind-independent external world as it is. Kant does not invent, but merely restates this theme. The difference between Kant and, say, Plato is that the latter claims that under certain circumstances some selected individuals can directly perceive the real. Since Kant denies the possibility of a direct grasp of the cognitive object, cognition requires that it in some way be represented, hence representationalism. A direct grasp of the cognitive object, which Plato features in the Republic, is the first theory anyone is likely to think of. Kant famously denies the very idea of a direct grasp of what is. Representationalism is a second best theory. If representationalism is the second theory likely to come to mind, then constructivism, Kant’s alternative to representationalism, is no more than a third best theory, the approach to knowledge one arrives at in rejecting both direct and indirect forms of metaphysical realism, hence representationalism, as well as skepticism. Constructivism, which is a modern doctrine, appears in such earlier modern thinkers as Hobbes and Vico, at the time of Kant in Herder and W. von Humboldt, and after him in such thinkers as Hegel, Marx, Cassirer, perhaps W. Sellars, Fleck, Kuhn and others. Kant’s Copernican turn is intended to suggest two important points. First, if the object is independent of the subject, then, since there is no epistemological link to it, we cannot explain how cognition is possible. This argument counts against any form of representationalism in suggesting there is no way to know that representations represent. To put the same point in different language, if access to objects is only possible through representations there is no way to know that they correctly do so, however correct representation is interpreted, or even that they ever do so. Kant’s Copernican turn, his second approach, arises out of his assessment of the Polish astronomer’s crucial contribution to the rise of modern science, which then became a fundamental theme in the critical
distinguish between Platonism, or the old way of ideas, and the modern tendency known as the new way of ideas.
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philosophy.3 According to Kant, through the switch from a geocentric to a heliocentric model of the solar system, Copernicus suggested a hypothesis that Newton later proved. The key insight is Kant’s famous statement about the possibility of making better progress in metaphysics, understood as a theory of knowledge, in rejecting the idea that »cognition must conform to objects« in favor of the rival view that »objects must conform to our cognition.«4 If the subject must in some way construct what it knows, then constructivism points toward philosophical anthropology that developed in later German idealism. This runs against Kant’s clear commitment to objective cognition which led him to make a distinction between the psychological and the logical conditions of knowledge in adopting a minimal conception of the subject reduced to its epistemological capacities. Constructivism suggests that the minimal condition for knowing an object is that the knower construct what he knows. This doctrine is obviously more appealing than such weak claims as trusting God not to deceive us, occasionalism, pre-established harmony, and other versions of psychophysical dualism. The advantage of constructivism lies in plausibly suggesting that objects are in effect transparent to mind, hence cognizable, for the very reason that we construct them. What that means in Kant remains mysterious. The closest he apparently comes to an answer is the well known remark that about the schematism of the understanding as an uncognizable art deep in the human soul.5 This is unsatisfactory since Kant seems to be saying that knowledge turns on a cognitive capacity which cannot be described. A main theme in the constructivist discussion since that time lies in trying to find a coherent way to make sense of what it means to construct what one knows.
Fichte in the Aenesidemus-Rezension on Kantian representation In the wake of the appearance of the Critique of Pure Reasons, different interpretations of the critical philosophy were proposed. Fichte’s position grows out of his effort to provide the correct interpretation. His interpretation was accepted by the young Schelling and the young Hegel. Some of Kant’s contemporaries, such as Schelling and Reinhold, were aware of 3 For the view that Kant knew little about and was not deeply interested in Copernicus, see Hans Blumenberg, The Genesis of the Copernican World, translated by Robert M. Wallace, Cambridge 1987. 4 Kant, Kritik der reinen Vernunft, B xvi. 5 See Kant, Kritik der reinen Vernunft, B 181.
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and interested in his Copernican turn. Reinhold’s Briefe über die Kantische Philosophie began post-Kantian German idealism. There are several passages in Reinhold’s writings on Kant that bear on the issue. In the first installment of the Letters that appeared in August 1786, hence earlier than the second edition of the Critique of Pure Reason, and could conceivably even have influenced Kant, Reinhold links Kant with revolution6 and then with Copernicus.7 This link is further developed by Schelling. He strongly suggests in a paper written on the occasion of Kant’s death (1804), without using the now canonical term, that Kant was indeed claiming to make a Copernican turn.8 To the best of my knowledge Fichte never directly refers to Kant’s Copernicanism. Nonetheless there is some evidence he was attracted to a constructivist reading of the critical philosophy, especially in the early Jena writings. In writings before Fichte leaves Jena, two passages are particularly relevant to the argument I am making. In the Aenesidemus-Rezension, where Fichte provides the initial statement of his position, he clearly indicates his intention to base his position on the concept of the subject. In his Elementar-Philosophie, as Fichte points out, Reinhold argued that in consciousness it must be possible to distinguish the representation from both subject and object and relate it to both. Fichte, who further notes that Aenesidemus (pseud. Schulze) objects that an unambiguous interpretation of Reinhold’s claim is not possible, goes on to argue, against Reinhold, that the first principle cannot be a fact but must be an act. He endorses Aenesidemus’ objection in noting the need to seek a new foundation for Reinhold’s principle. He claims against Aenesidemus that it makes no sense to base our judgments on something independent of our thinking, which is only a thought, and that Kant never makes a claim of this kind. I take it that Fichte is here rejecting a causal theory of perception as an explanatory basis for knowledge. With this in mind, he writes: »Es ist ja eben das Geschäft der kritischen Philosophie, zu zeigen, dass wir eines Ueberganges nicht bedür-
6 See K. L. Reinhold, »Briefe über die Kantische Philosophie«, in Teutscher Merkur, August 1786, 124–125. 7 See Reinhold, »Briefe über die Kantische Philosophie«, 126. 8 »Ähnlich wie seinem Landsmann Copernikus, der die Bewegung aus dem Centrum in die Peripherie verlegte, kehrte er zuerst von Grund aus die Vorstellung um, nach welcher das Subjekt unthätig und ruhig empfangend, der Gegenstand aber wirksam ist: eine Umkehrung, die sich in alle Zweige des Wissens wie durch eine elektrische Wirkung fortleitete.« »Immanuel Kant« (1804), in: Schellings Werke, edited by Manfred Schröter, Munich 1958, III, 599.
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fen; dass alles, was in unserm Gemüthe vorkommt, aus ihm selbst vollständig zu erklären und zu begreifen ist.«9 The significance of this passage can be brought out through Fichte’s earlier remark that the absolute subject and the absolute object are not given in empirical intuition, but posited by intellectual intuition. Fichte holds that the determinations in us cannot be ascribed to the thing in itself for three reasons. First, this would be to apply the category of causality to the noumenon. Second, this would be to explain the contents of consciousness other than on the basis of the mind itself. Third, Hume holds out the possiblity of arguably surpassing the human mind, which the critical philosophy soundly rejects. Understood in this way, it is difficult to separate Fichte’s Kant from Berkeley. Now perhaps this is not an accurate rendering of Kant’s position. There are arguably many passages where he can be read as claiming that the mind-independent external world affects us. What is important here is what Fichte attributes to Kant. Fichte corrects Aenesidemus in contending that »die Vorstellung [...] auf das Object bezogen [werde], wie die Wirkung auf ihre Ursache, und auf das Subject, wie Accidens auf Substanz.«10 This line of argument suggests an apparently causal theory of perception, in which the object can be said to cause its representation in the subject. Yet this is not quite right, since Fichte also says that it is impossible to think a thing independent of intellect. Fichte responds to this difficulty in claiming that the thing is self-constituted by its own representation, a discovery he explicitly credits to Kant. Or to put the same apparently paradoxical point in other words, the thing in itself, or whatever is not the subject, is only what it is in relation to the subject. It follows that subjectivity does not depend on objectivity, but rather objectivity depends on subjectivity.
Representation in the Grundlage der gesammten Wissenschaftslehre The upshot of this complex discussion of Aenesidemus’ critique of Reinhold lies in attributing a firm refusal of a causal theory of representation on both Kantian and general grounds. Fichte’s reason is obvious. A representational theory of knowledge depends on causality, also called the principle of sufficient reason, to suggest that the object causes its representation in the subject. This is a linear analysis of knowledge running 9 Fichtes Werke, edited by I. H. Fichte, Berlin, Walter de Gruyter, 1971, I, 15. 10 Fichtes Werke, I. 18.
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from object to subject and back again. Yet in understanding the object as ultimately dependent on the subject, Fichte introduces a circular model of knowledge in claiming that the thing affecting the subject is constituted or constructed by it. This analysis has two consequences. First, Fichte attributes to Kant the denial of a representational theory of knowledge in favor of a constructivist approach. This is problematic only in that it makes the critical philosophy better than it is. There are many passages where Kant straightforwardly appears to expound a representational, but not a constructivist view of knowledge. Second, it suggests that, if Fichte is a Kantian, then he also holds a constructivist, but non-representationalist approach to knowledge. Fichte is a remarkably consistent thinker. In the Grundlage der gesammten Wissenschaftslehre, following his breakthrough in the Aenesidemus-Rezension, he works out an analysis of knowledge from the perspective of the subject. In his account of the three basic principles of knowledge, he suggests objectivity should be understood through subjectivity and not conversely. His account comes to a high point in § 6, where Fichte argues that the striving after causality is derived from the subject’s own law, which in turn provides for the influence of the object on the subject in the absolute being of the subject, or self. This is, Fichte says, the point of union between the subject as absolute, practical and infinite. With this in mind, he writes: »Der letzte Grund aller Wirklichkeit für das Ich ist demnach nach der Wissenschaftslehre eine ursprüngliche Wechselwirkung zwischen dem Ich, und irgend Etwas ausser demselben, von welchem sich weiter nichts sagen lässt, als dass es dem Ich völlig entgegengesetzt sein muss.«11 This passage, which is not easy to interpret, sounds very much like a version of the critical philosophy without the representationalism Kant urges in the Herz letter. Fichte is suggesting that we need to understand reality as an original interaction between the subject and something else, or something outside it, from the angle of vision of the subject. What differs from the subject can neither be known nor represented as it is. In understanding reality on the basis of itself, the subject transforms this independent something precisely into something dependent on it. It follows, as Fichte notes, that critical idealism is a a real-idealism, or idealrealism. The real leads to the ideal, which in turn explains the real in an unavoidable circle, which is constitutive of any position which thinks through the problem raised in the critical philosophy. The result is a 11 Fichtes Werke I, 279.
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circular relation between ideality and reality. »Dies, dass der endliche Geist notwendig etwas Absolutes ausser sich setzen muss (ein Ding an sich) und dennoch von der andern Seite anerkennen muss, dass dasselbe nur für ihn da sei (ein notwendiges Noumen sei), ist derjenige Zirkel, den er in das Unendliche erweitern, aus welchem er aber nie herausgehen kann.«12 In pointing to the necessary circle at the basis of critical idealism, Fichte abandons representationalism. If a critical idealism depends on a thing in itself it cannot know, which is meaningful for it only as its own product, then mind-independent reality, the way the world is, simply cannot be represented. Fichte should not be read as a representationalist, as basing claims to know on the correct representation of the object, which Kant recommends in the Herz letter, but as an anti-representationalist, as giving up any form of the view that to know is correctly to represent what we know in favor of the theory since everything, literally everything, is explicable as a product of the subject’s activity.
Fichte’s Deduction of representation in the initial Wissenschaftslehre One might object Fichte’s Deduction of representation in the Grundlage der gesammten Wissenschaftslehre. Unquestionably Fichte presents such a deduction. What we need to determine is how he understands »representation« commits him to representationalism. In response, I will now argue that Fichte uses »representation« in a way totally unlike the metaphysical usage in the new way of ideas and in Kant’s critical philosophy. According to Fichte, the possibility of representation depends on attributing to the subject an absolute productive power. Fichte concludes that since subject and object are united through the power of the imagination, the object loses its absolute character. This is the result of the theoretical principle that the subject is determined by the object. If representation is a causal theory of perception, then Fichte is claiming that the subject is both determined and self-determining. From the point of view of philosophy, the subject is self-determining; but from the perspective of life it is determined by its surroundings. Fichte’s view of the subject accounts for its being determined only by itself. To put the same point differently, Fichte is dealing with, to use his term, two opposing trains of reflection: the subject which is determined and the subject which is self-determining, 12 Fichtes Werke, I, 281.
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in which the second series is merely the reverse of the first. The union, or unity of these two utterly opposed trains of reflection, viz. the objective and the subjective, the real and the ideal, or again the fact of consciousness and its philosophical explanation, can only be brought about through the productive imagination. At the close of this difficult line of argument, Fichte concludes »dass alle Realität — es versteht sich für uns, wie es denn in einem System der Transzendentalphilosophie nicht anders verstanden werden soll — bloss durch die Einbildungskraft hervorgebracht werde.«13 Fichte’s view on this point is both Kantian and non-Kantian. Kant holds that what is real for the subject, hence intuitable by it, is constructed by it as a condition of experience and knowledge of objects. Yet unlike, say, the partisans of the new way of ideas, unlike Kant in his representationalist mode, Fichte is not saying that representation represents things in themselves, or the way the world is. In fact, he clearly breaks on this point with Kant’s formulation of the problem of knowledge as requiring an analysis of how representations relate to metaphysical reality. On the contrary, Fichte is saying that we represent no more than what we ourselves construct through the productive imagination. Fichte develops this novel view in his »Deduction of representation.« It would be tedious and unnecessary to reprise this lengthy passage in detail. Suffice it to say that once again Fichte depicts the subject’s activity as checked by something, which is self-produced. Here as before, the subject is described as passive and active, and the difference between subjectivity and objectivity is overcome through imagination. The plausibility of this clearly Kantian claim does not lie in suggesting that we intuit the mind-independent real. It rather lies in the idea that the subject and object can be brought together in that the subject constructs its object through the imagination. In pointing out that the subject is the source of productive imagination and is also an intuitant, Fichte is saying very clearly that we construct what we know. This line of argument culminates in Fichte’s conclusion that the subject is distinguished from, but the origin of, what it intuits and knows, that understanding constructs our reality since imagination produces human reality on the basis of something which pre-exists it, and which can be encountered as an opposed activity, but which cannot be known. This conclusion enables Fichte to work out a view of interdetermination in which the subject is both determined by its object, hence passive, but also, 13 Fichtes Werke, I, 227.
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Tom Rockmore
since it produces that object through the imagination, basically selfdetermined. It follows that, as Fichte says, intuition is conditioned by the intuited, but also that, as Fichte adds, the subject’s activity is an activity of self-determination. In introducing the concept of judgment, Fichte goes on to clarify the activity of self-determination in the form of a determinate object constructed in the imagination and intuited in cognition. His Kantian point is that understanding determines judgment. He resolves the thorny problem of how it is possible for an absolute activity to oppose an objective activity in postulating the ability to abstract from objects in general, which he equates with reason itself. What is left when everything is thought away is only the subject. The answer is, as Fichte points out, that in representation there is a reciprocal relation between subject and object. But since the cognitive object is ultimately due to the subject, the relation of subject and object, or subjectivity and objectivity, is finally only a reciprocal relation of the subject to itself.
Conclusion: Fichte and Idealism Although everyone knows that Fichte is a German idealist, nearly two centuries after his death there is no agreement among scholars about the meaning of »idealism« or even »German idealism.« After sketching the difference between representationalism and constructivism in Kant, this paper has examined Fichte’s view on two levels, in the very early »Aenesidemus-Rezension,« where he first begins to work out his position, and later, in the initial version of the Wissenschaftslehre. I have argued two points. First, Kant defends both representationalism and constructivism. Second, despite the continuity between Fichte and Kant, Fichte rejects representationalism, understood as a strategy to make out metaphysical realism, that is, to know the way the world is, in favor of constructivism, or the claim that we finally only know what we construct, that is, the empirically real. This result is useful for understanding Fichte and post-Kantian German idealism. As concerns representationalism, Kant is a Cartesian. But Fichte, who is sometimes regarded as a Cartesian, is in fact an antiCartesian, committed to an anti-Cartesian, constructivist approach to knowledge. Though we do not know what »idealism« means, and there is no idealism in general, in the German idealist tradition initiated by Kant idealism encompasses both representationalism and constructivism. Re-
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presentationalism, which Plato already rejected long ago, is a failed approach, since there is no way to show that a representation represents. In abandoning representationalism for constructivism, Fichte chooses the more interesting approach to knowledge, an approach which remains important in the contemporary discussion.
Realismus oder Idealismus? – Irrealismus!
Sabine Ammon (Berlin)
Fichte hat in der Ersten Einleitung zum Versuch einer neuen Darstellung der Wissenschaftslehre von 1797 ein Patt zwischen Idealismus und Realismus aufgezeigt, wenn es darum geht, die Voraussetzungen unserer Erkenntnis zu klären – und er hat uns die Sehnsucht mitgegeben, dieses Problem endlich zu überwinden. Die philosophisch unbefriedigende Situation wird ungelöst in die Philosophie des 20. Jahrhunderts hineingetragen: die Debatte dreht sich weiter, nun unter sprachphilosophischen Vorzeichen. Von größtem Interesse sind daher Positionen, die eine Polarisierung zwischen innerer Perspektive und einem Außen hinter sich lassen. Deshalb soll im Zentrum meines Beitrags die Frage stehen, inwiefern es möglich ist, die idealistisch-realistische Polarisierung zu überwinden, oder ob wir uns mit dem von Fichte analysierten Gleichstand abfinden müssen.
1. Fichte: Realismus und Idealismus sind argumentativ nicht entscheidbar In unserem alltäglichen Erleben stellt sich die Situation ganz unproblematisch dar. Erfahrung, so ist man schnell bereit zuzugestehen, ist von zwei Komponenten abhängig: zum einen von mir, als wahrnehmendem Subjekt, und zum anderen von der Welt um mich herum. Das Subjekt nimmt wahr und die Dinge der Außenwelt sind das, was wahrgenommen wird: zwei Bereiche, die wechselseitig voneinander abhängig sind. »In der Er-
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fahrung«, so Fichte, »ist das Ding, dasjenige, welches unabhängig von unserer Freiheit bestimmt seyn, und wornach unsere Erkenntniß sich richten soll, und die Intelligenz, welche erkennen soll, unzertrennlich verbunden.«1 Wird allerdings diese unmittelbare Ebene verlassen und nach der Bedingung unserer Erkenntnis gefragt, finden sich eine Vielzahl widerstreitender Theorien. Nur zwei jedoch sind nach Fichte haltbar: Entscheidend ist, welches Prinzip als grundlegend für die Erfahrung herangezogen wird und was die Gültigkeit der Erfahrung garantiert. Im Idealismus wird das Bewußtsein zur ersten Instanz, im Realismus das Ding an sich zum Ursprung aller Erfahrung. Vermittelnde Positionen zwischen diesen Extremen seien nicht möglich; in ihnen müßte eine Vermischung der beiden Sphären des Bewußtseins und des Dinges an sich, also von Geist und Materie, vorausgesetzt werden, was gemäß Fichte von vornherein ausgeschlossen ist.2 So bleibt nur eine Entweder-Oder-Entscheidung. Welcher Position aber ist der Vorzug zu geben? Dazu Fichte: »Keines dieser beiden Systeme kann das entgegengesetzte direct widerlegen: denn ihr Streit ist ein Streit über das erste nicht weiter abzuleitende Princip; jedes von beiden widerlegt, wenn ihm nur das seinige zugestanden wird, das des anderen; jedes läugnet dem entgegengesetzten alles ab, und sie haben gar keinen Punkt gemein, von welchem aus sie sich einander gegenseitig verständigen und sich vereinigen könnten. Wenn sie auch über die Worte eines Satzes einig zu seyn scheinen, so nimmt jedes sie in einem anderen Sinne.«3 Es ist ein Patt entstanden. Aus der jeweiligen Position heraus ist die andere unsinnig, doch jedes System für sich genommen ist nicht widerlegbar: weder durch Überführung eines internen Widerspruches noch durch den Nachweis eines Versagens des Beweiszieles. Aus dem Idealismus heraus scheint der Realismus einem Widerspruch aufzusitzen: Der Mensch handelt frei, und doch muß der Logik des Realismus folgend, »alles, was in unserm Bewußtseyn vorkommt, Product eines Dinges an sich«4 sein, somit determiniert. Der Realismus löst den Widerspruch, indem er sich von der Freiheit verabschiedet: wir halten uns zwar für frei, sind es aber nicht. Aus der Sicht des Realismus scheint der Idealismus unfähig, Erkenntnis zu begründen, da er das Ding an sich 1 GA, I, 4, 188. 2 Obwohl Fichte in seiner Philosophie die durch Kant vollzogene erkenntnistheoretische Wende aufarbeitet, bedient er sich hier der älteren ontologischen Argumentation als Ausgangspunkt. 3 GA, I, 4, 191. 4 GA, I, 4, 192.
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leugnet und damit sein eigenes Beweisziel nicht erreichen kann. Doch der Idealismus findet im »Ich« eine neue Begründung von Erkenntnis und kommt somit ohne das Ding an sich aus. Das Ergebnis der Untersuchung lautet daher: Idealismus und Realismus sind jeweils konsistent, aber miteinander unvereinbar, eine Entscheidung für oder gegen eine der beiden Positionen läßt sich auf argumentativem Wege nicht erzwingen. Sie fällt letztlich aufgrund der eigenen Lebenseinstellung, abhängig davon, welche Prämissen man bereit ist zuzugestehen und welche Konsequenzen man in Kauf nimmt. Fichte hat diese Einsicht in berühmte Worte gefaßt: »Was für eine Philosophie man wähle, hängt ... davon ab, was man für ein Mensch ist: denn ein philosophisches System ist nicht ein todter Hausrath, den man ablegen oder annehmen könnte, wie es uns beliebte, sondern es ist beseelt durch die Seele des Menschen, der es hat.«5 Fichtes Erörterung bleibt an diesem Punkt nicht stehen. Er wird im weiteren Verlauf Gründe finden, warum der Idealismus letztlich aus philosophischen Überlegungen heraus triumphieren muß. Auch wenn damit die Entscheidung zugunsten des Idealismus gefallen ist, bleibt der Gegensatz Realismus-Idealismus Thema der Philosophie Fichtes. Bereits in der ersten Fassung der Wissenschaftslehre wird deutlich, daß sich in der internen Perspektive des Idealismus die Gegenpositionen neu arrangieren lassen. In einem übergeordneten Idealismus bilden Idealismus und Realismus zwei voneinander abhängige Perspektiven, zwei Seiten einer Medaille. Zwar kann Fichte auf diese Weise innerhalb des übergeordneten Idealismus die Entgegensetzung von Idealismus und Realismus überwinden, die Entscheidung für den Idealismus aber muß im Voraus fallen – und damit bleibt die widersprüchliche Ausgangssituation bestehen.
2. Carnap: Die Lösung des Problems 1928 ist das Problem gelöst. Der Streit um Realismus und Idealismus wird von Carnap als Scheinproblem entlarvt. Carnap setzt zu einem großen Befreiungsschlag an, als er erklärt: »Die Thesen des Realismus und des Idealismus können in der Wissenschaft weder aufgestellt noch widerlegt werden; sie haben keinen wissenschaftlichen Sinn. ... Was in den Scheinthesen des Realismus und des Idealismus zum Ausdruck kommt, ist nicht 5
GA, I, 4, 195.
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der theoretische Gehalt einer wissenschaftlich möglichen Aussage, sondern nur begleitende Gegenstandsvorstellungen; in diesen drückt sich vielleicht eine lebenspraktische Einstellung aus.«6 Sinnvolle Aussagen und Thesen über die Welt sind allein solche, die an der Erfahrung überprüft werden können. Kriterium hierfür ist die Sachhaltigkeit. Sie ist erfüllt, wenn die empirischen Bedingungen angegeben werden können, unter denen die Aussage bestätigt oder widerlegt werden kann. Was verifizierbar ist, ist sinnvoll, alles andere sinnlos. Fragen nach der empirischen Realität sind demnach immer sinnvoll. Zwei Landvermesser, der eine Realist, der andere Idealist, kommen beide zu dem gleichen wissenschaftlichen Ergebnis, wenn geklärt werden muß, ob ein sagenumwobener Berg in Afrika wirklich existiert oder nur der Legende nach.7 Solange sich die Aussagen auf die Erfahrung beschränken, stimmen die Befunde überein. Wird allerdings die Ebene der erfahrbaren Realität verlassen, kommt es zu unüberwindbaren Auseinandersetzungen, die durch kein Kriterium bestätigt oder abgewiesen werden können. Wollen wir die Voraussetzung der Erkenntnis erhellen, dann stellen sich schwerwiegende Probleme ein. Worauf schon Fichte hingewiesen hatte, macht Carnap noch einmal mit allem Nachdruck deutlich: Auf der Ebene der empirischen Wirklichkeit gibt es keinen Widerspruch zwischen Realismus und Idealismus. »Die sogenannten erkenntnistheoretischen Richtungen ...«, schreibt Carnap in Der logische Aufbau der Welt, »stimmen innerhalb des Gebietes der Erkenntnistheorie überein. ... Sie divergieren erst im metaphysischen Gebiet, also (wenn sie erkenntnistheoretische Richtungen sein sollen) nur infolge einer Grenzüberschreitung.«8 Indem wir nach den metaphysischen Hintergründen fragen, wird die Grenze des sinnvoll Sagbaren überschritten. Es sind die falschen Fragen, die uns über diese Grenze treiben. Hören wir auf, die falschen Fragen zu stellen, dann verschwinden auch unsere Probleme. Doch Carnaps Lösung bewährt sich nur für kurze Zeit. Die Hoffnung, mit der sprachphilosophischen Erneuerung lästige Probleme der Philosophie aus dem Weg geräumt zu haben, zerschlägt sich bald. Durch die zunehmende Kritik am empiristischen Sinnkriterium wird deutlich, daß das Verhältnis von Sprache und Welt alles andere als unproblematisch ist. Das Verifikationsprinzip beruht auf der Korrelation von Aussagen mit 6 7 8
Carnap, R.: Scheinprobleme in der Philosophie, [1928] Frankfurt/M.: 1966, 77f. ebd., 62. Carnap, R.: Der logische Aufbau der Welt, [1928] Hamburg: 1998, 250.
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der Erfahrung. Es zeigt sich, daß ein Großteil der Sprache überhaupt nicht direkt an der Welt überprüft werden kann – nicht nur jener Teil, der als metaphysisch aussortiert werden soll, sondern auch wichtige Bestandteile der Wissenschaften, die auf den ersten Blick nicht unter dem Verdacht der Sinnlosigkeit stehen: die Palette reicht von Gesetzen, Materialkonstanten und Dispositionsprädikaten über theoretische Begriffe bis hin zu einem einschlägigen Hintergrundwissen, in das jede Aussage eingebettet ist.9
3. Realismus und Idealismus nach der sprachphilosophischen Wende Der Versuch, wissenschaftliche Aussagen an der Erfahrung zu prüfen, hat gezeigt, in welch hohem Maße Wissenschaft und sprachliches Wissen selbst voraussetzungsreich sind. Mit der Suche nach diesen Voraussetzungen sickern in die Philosophie auch wieder metaphysische Fragestellungen ein. Inwieweit bedingt Welt die Sprache? Welchen Einfluß hat die Sprache auf die Welt? Wird die Welt in irgendeiner Form von der Sprache konstituiert? Die Frage nach der erkenntnistheoretischen Priorität läßt die alten Fronten aufleben: Realismus und Idealismus erscheinen nun unter sprachphilosophischen Rahmenbedingungen. Die Einsicht in den Zusammenhang von Sprache und Erkenntnis führt zu einer Verlagerung der Betrachtung: die Gegenüberstellung verschiebt sich von Welt und Bewußtsein hin zu Welt und Sprache. Das hat einen entscheidenden Vorteil: Das Problem des Subjektivismus, das sich jeder Position stellt, die aus einer inneren Perspektive heraus arbeitet, ist von vornherein gebannt. Fichte muß mit dem »Ich« als transzendentalem Subjekt operieren: voraussetzungsreiche Annahmen, die wiederholt drohen, seinen Ansatz zu sprengen. Sprache aber ist immer schon gelebt und praktiziert. Durch die notwendige Kommunikation hat sich in der Sprachgemeinschaft eine gemeinsam geteilte Praxis herausgebildet. Resultat ist ein Gebilde, dessen Intersubjektivität durch den gemeinsamen Diskurs bereits legitimiert ist. Trotz dieser wichtigen Veränderungen hat sich an der grundsätzlichen Konfrontation nicht viel geändert. Wieder gibt es ein Patt zwischen den gegensätzlichen Positionen. Auslöser für die neuerliche Debatte ist das Problem der Bedeutungsfestlegung. Realistische Positionen gehen von einer sprachlich unabhängigen Realität aus. Sie hat erkenntnismäßige Priorität, Sprache bildet lediglich ihre Strukturen ab – überprüft durch 9
Poser, H.: Wissenschaftstheorie, Stuttgart: 2001, 90ff.
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Korrespondenzprinzipien. Auf welche Weise sich aber der Kontakt zur Sprache gestaltet, wird zum unlösbaren Problem des Realismus. Um zu zeigen, wie der »weltliche«, der empirische Gehalt in die Sprache kommt, wie Bedeutung und Referenz festgelegt werden können, muß auf sprachliche Voraussetzungen zurückgegriffen werden. Doch damit ist die konsequent realistische Position bereits verlassen. Die idealistische Gegenposition arbeitet stattdessen von der Situation innerhalb des Sprachsystems aus. Wer allerdings die Sprache zum erkenntnistheoretischen Ausgangspunkt macht, muß klären, wie die Richtigkeit sprachlicher Aussagen und Bedeutungen gewährleistet wird. Aus Kommunikation und anderen Prinzipien kann zwar Kohärenz und Konsens entstehen, aber die Wahrheit der Aussagen ist auf diese Weise nicht garantiert. Der Ausweg aus Beliebigkeit und Willkür liegt in dem Zugeständnis eines zugrundeliegenden »Etwas«, das durch die Sprache strukturiert wird. Aber damit ist auch die idealistische Position verlassen. Mit diesen Problemen beladen, formieren sich die Lager neu. Die Etiketten heißen diesmal Realismus und Anti-Realismus. Doch was der historische Blick bereits gezeigt hat, bestätigt die neuerliche Debatte.10 Innerhalb der Dichotomie Idealismus – Realismus gibt es kein Fortkommen. Interessant werden daher Positionen, die ein Ende der Polarisierung fordern und für ihre eigene Philosophie eine Überwindung des tiefen Grabens reklamieren. Nelson Goodman ist hier neben einigen anderen zu nennen. Deshalb soll im folgenden exemplarisch seine Position untersucht werden.
4. Goodmans Konstruktivismus »Der Gebrauch von Symbolen erzeugt Welten«, so könnte man die zentrale These aus Nelson Goodmans Spätwerk zusammenfassen, die er in dem Buch Weisen der Welterzeugung von 1978 ausarbeitet. Welt wird als Beziehungen zwischen Symbolen gedeutet, welche im Gebrauch etabliert werden. Die Symbolisierungsleistung wird damit zu einem aktiven Prozeß und die Welt eine konstruierte. Dem Symbol kommt hierbei eine Schlüsselrolle zu. Symbol kann alles sein: weit über die Sprache hinaus konstitu-
10 Abel, G.: Realismus (Analytische Philosophie), in: J. Ritter, K. Gründer (Hrsg.): Historisches Wörterbuch der Philosophie, Bd. 8, Basel: 1992, Sp. 162 – 169; Willaschek, M.: Einleitung: Die neuere Realismusdebatte in der analytischen Philosophie, in: ders. (Hrsg.): Realismus, Paderborn: 2000.
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ieren Symbole die Wissenschaften ebenso wie die Künste, sie sind Wort ebenso wie Bild, Gegenstand wie Ereignis, ephemerer Klang wie manifestes Material. Symbole können in verschiedenen Funktionen auftreten und unterscheiden sich dadurch in der Art ihrer Bezugnahme, in der Art, wie sie aufeinander und auf die Welt verweisen. Es entsteht ein Geflecht aus Bezugnahmen, ein Symbolsystem. Und über dieses System wird Welt gestaltet, geformt, schematisiert, kategorisiert. Welten sind also nicht einfach gegeben, sondern sie müssen gemacht werden. Welt muß sich angeeignet und erschlossen werden, im Suchen und Finden vollzieht sich die Welterzeugung. Mit Hilfe von Symbolprozessen wird getestet und ausprobiert. Zeichen werden zueinander ins Verhältnis gesetzt, in bestehende Systeme eingebunden und auf bestimmte Bereiche angewendet. Zu den Konstruktionsprozessen zählen Komposition und Dekomposition, die durch Zerlegung, Analysieren auf der einen Seite und Zusammensetzen, Verbindung von Eigenschaften, Herstellen von Verknüpfungen auf der anderen Seite bei der Festlegung von Entitäten mitwirken. Gewichtung und Ordnen steuern, welche Arten als die relevanten auftreten. Wenn Dinge übersehen oder hinzugefügt werden, sind Tilgung und Ergänzung im Spiel. Unter Deformation schließlich fallen Veränderungen, die etwas Gegebenes stark korrigieren oder verzerren. Der konstruktivistische Charakter der Symbolbeziehungen macht deutlich, daß die Vorstellung von der einen Welt aufzugeben ist. Welt gibt es nur in einer vermittelten Form über Symbolsysteme. Alles, was ist, entsteht erst durch Symbolprozesse – die rohe, unbearbeitete Welt ist unerreichbar. Die vielen korrekten Symbolsysteme, die sich konstruieren lassen, sind die Weisen der Welt.11 Um aber aus der pluralistischen Welterzeugung nicht eine beliebige werden zu lassen, sind Kriterien der Richtigkeit von entscheidender Bedeutung. Da der Weg zu einer Welt-an-sich im Konstruktivismus systematisch abgeschnitten ist, entfällt die Möglichkeit, über Korrespondenz die Richtigkeit von Zeichen oder Zeichenkomplexen zu entscheiden. Aus diesem Grund kommt dem Kontext des Symbols, des umgebenden Symbolsystems, eine tragende Rolle zu. Soll ein Symbol oder ein Symbolkomplex neu eingeführt werden, ist seine Wirkung am bestehenden System zu testen. Das Symbol wird probeweise eingefügt mit dem Ziel, es zum Passen zu bringen. Unter Passen darf man sich allerdings kein passives Einpassen vorstellen; es ist 11 Goodman, N.: Languages of Art – An Approach to a Theory of Symbols, Indianapolis: 1968, deutsch: Sprachen der Kunst: Entwurf einer Symboltheorie, Frankfurt/M.: 21998, 18f.
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ein aktiver, modifizierender Prozeß: Das Passen wird erzeugt.12 Das bedeutet, daß sowohl Symbol als auch Umfeld Veränderungen durchlaufen, bis sie aufeinander abgestimmt sind. Die Veränderungen des bestehenden Gefüges können dabei so stark sein, daß es einer Revision des gesamten Symbolsystems gleichkommt. Wurde ein Symbol erfolgreich eingepaßt, zeigt sich das an der veränderten Wirkung des gesamten Systems. Lassen sich mit der Übernahme neue Einsichten gewinnen, werden Probleme plötzlich lösbar oder ergeben sich gewünschte Anwendungen, hat sich ein tieferes Begreifen und Verstehen eingestellt. Ein neues richtiges Symbolsystem ist entstanden – und damit eine neue Welt.
5. Der Irrealismus in der Selbstaussage Soweit der kurze Blick auf die Welterzeugung Goodmans. Wie ist diese Position nun einzuordnen? Goodman sagt von sich: »Ich bin ein AntiRealist und ein Anti-Idealist – also ein Irrealist.«13 Er beansprucht eine Position, die weder dem Realismus, noch dem Idealismus zuzuordnen ist. Irrealismus, das bedeutet einerseits eine Abgrenzung vom Realismus, andererseits aber keine positive Festlegung auf eine andere Position. Was also ist darunter zu verstehen? Goodman weist gängige Einordnungsversuche in Realismus, Idealismus, Empirismus und Rationalismus zurück und entwickelt seine Position des Irrealismus, die er allerdings nicht als eine weitere Doktrin verstanden wissen will. Irrealismus soll vielmehr eine gewisse Gleichgültigkeit zum Ausdruck bringen, die die zugrundeliegenden Differenzen dieser Richtungen weniger wichtig nimmt. Interessant ist für Goodman vielmehr, wie unsere Welten gebaut sind. »Laßt uns die Weisen betrachten, wie wir arbeiten, die Instrumente, die wir verwenden und die unterschiedlichen und faszinierenden Ergebnisse.«14 Idealismus und Realismus sieht Goodman nur als zwei Extreme, als Konvention auf der einen Seite und Inhalt auf der anderen. Wo aber die Grenze gezogen wird, sei zufällig und variabel. So kann er auf die Frage nach der Weise des Gegebenen nur antworten: »Die Antwort auf solche Fragen, die in der philosophischen Literatur ausführlich diskutiert werden, ist nach meiner Vermutung ein kräftiges Ja und ein kräftiges 12 Goodman, N., Elgin, Catherine Z.: Reconceptions in Philosophy and Other Arts and Sciences, Indianapolis: 1988, deutsch: Revisionen: Philosophie und andere Künste und Wissenschaften, Frankfurt/M.: 1993, 208. 13 Goodman, N.: Of Mind and Other Matters, Cambridge, MA: 1984, vii, e.Ü. 14 ebd., 43, e. Ü.
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Nein. Der Realist wird sich der Folgerung widersetzen, daß es keine Welt gibt; der Idealist wird sich der Folgerung widersetzen, daß alle konfligierenden Versionen verschiedene Welten beschreiben. Was mich betrifft, so finde ich diese Ansichten gleichermaßen reizvoll und beklagenswert – denn schließlich ist der Unterschied zwischen ihnen rein konventionell! In der Praxis freilich ziehen wir die Grenze nach unserem Belieben und ändern sie ebenso häufig, wie es zu unseren Zwecken paßt.«15 Ist dies endlich die Überwindung der jahrhundertealten erkenntnistheoretischen Probleme? Wie konsequent ist die Position Goodmans? Rekonstruiert man das Argument Goodmans, sieht es folgendermaßen aus: Zentrale Prämisse ist die »Einsicht«, daß die Welt durch Zeichenprozesse und Symbolsysteme konstituiert ist. Damit ist die konstruierte Welt alles, was uns vorliegt und was wir untersuchen können – auf diese Perspektive sind wir als Sprachteilnehmer, genauer: als Teilnehmer an den Symbolsystemen, beschränkt. Aus dieser Perspektive heraus ist es unmöglich, sinnvolle Aussagen über das Verhältnis von Konstruktion zu »wirklicher« Welt, zur Welt-an-sich zu verfassen. Die konstruktiven Voraussetzungen verhindern, die Gewichtung von Konvention und Inhalt zu klären, die in ihren äußersten Polen Idealismus und Realismus verkörpern. Also wird die Grenzziehung abhängig von dem, was wir sagen wollen. Die Grenze wird unscharf und verwischt.
6. Innere Perspektive und kantische Inspiration Hat Goodman mit dieser Argumentation tatsächlich die Dichotomie Idealismus – Realismus überwunden? Hat er mit seinem Ansatz zurück zur Gleichgültigkeit bezüglich erkenntnistheoretischer Problemstellungen gefunden, wie sie erstmals Carnap aufgezeigt hat? Goodman verdrängt in seiner Argumentation, daß auch seine Annahmen auf erkenntnistheoretischen Voraussetzungen beruhen – die keinesfalls ohne Folgen bleiben. Goodman hat immer wieder seine Nähe zu Kant betont, sei es in Vergleichen oder Anspielungen. Was ihn mit Kant verbindet, deutet er im Vorwort zu Weisen der Welterzeugung nicht unbescheiden an: »Gleichwohl glaube ich, daß dieses Buch zur Hauptströmung der modernen Philosophie gehört, die damit begann, daß Kant die Struktur der Welt durch die Struktur des Geistes ersetzte, in deren Fortführung C.I. Lewis 15 Goodman, N: Ways of Worldmaking, Indianapolis: 1978, deutsch: Weisen der Welterzeugung, Frankfurt/M: 41998, 145f.
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die Struktur der Begriffe an die Stelle der Struktur des Geistes treten ließ, und die nun schließlich dahin gekommen ist, die Struktur der Begriffe durch die Strukturen der verschiedenen Symbolsysteme der Wissenschaften, der Philosophie, der Künste, der Wahrnehmung und der alltäglichen Rede zu setzen.«16 Gemeinsam ist Goodman und Kant die Reflexion über das, was das Erkennen und Erleben der Welt ermöglicht, der Abschied vom ungehinderten Zugang zur Welt-an-sich. Ins Blickfeld geraten die vielfältigen Voraussetzungen, die gegeben sein müssen, bevor überhaupt Welt erfahren werden kann. Betrachtet man den Konstruktionsvorgang genauer, liegen hier aber auch die Unterschiede zu Kant. Bei Goodman werden die Voraussetzungen der Konstruktionsleistung nicht mehr über ein transzendentales Subjekt gerechtfertigt. Die neuen Erkenntnisse nach der sprachphilosophischen Wende verlangen eine andere Erklärung. Aus der kantischen Kategorienlehre, aus Raum und Zeit ist die weltbildende Kraft der Symbolsysteme geworden. Ihre Strukturierungsleistungen bestimmen unsere gelebte Welt. Von unserer erkenntnistheoretischen Perspektive aus sind wir immer auf konstruierte, bereits strukturierte Welten beschränkt. »Die Rede von einem unstrukturierten Inhalt, begriffslos Gegebenen oder eigenschaftslosen Substrat widerlegt sich selbst; denn Rede gibt Strukturen vor, bildet Begriffe, schreibt Eigenschaften zu.«17 Damit werden Aussagen sinnlos, die klären wollen, ob oder wie viele Welten-an-sich zugrunde liegen. »Doch was ist es, das so organisiert wird? Wenn wir alle Unterschiede zwischen den Weisen, es zu beschreiben, als Schichten der Konvention abstreifen, was bleibt übrig? Die Zwiebel wird geschält bis auf den leeren Kern.«18 Im Streit um eine Welt-an-sich gibt sich Goodman daher leidenschaftslos: »Wenn man auch die zugrunde liegende Welt jenseits dieser Versionen gegenüber denen, die daran hängen, nicht abzustreiten braucht, ist diese Welt vielleicht doch eine ganz und gar verlorene.«19 Damit ist deutlich geworden, daß Goodman konsequent aus einer innersystemischen Perspektive heraus argumentiert. Statt erkenntnistheoretische Fragestellungen hinter sich zu lassen, sind diese Annahmen Voraussetzung für seine Argumentationsführung. Ist also der Irrealist nichts anderes als ein Idealist im sprachphilosophischen Gewandt? In ihrer
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Goodman, Weisen der Welterzeugung, 10. ebd., 19. ebd., 144. ebd., 16.
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innersystemischen Perspektive gleichen sich Fichte und Goodman. Beide können aus dieser Position heraus bequem mit Idealismus und Realismus umgehen. Fichte baut in seinem System auf die Entgegensetzung von Idealismus und Realismus, die dann in einem höheren Idealismus überwunden wird. Bei Goodman kommt es zur scheinbaren Überwindung des Gegensatzes von Idealismus und Realismus. »Die Grenze verwischt«; – auch wenn er sich nicht vollständig von einer Grenze löst, kann Goodman auf dieser Ebene die Aufhebung der Polarisierung feststellen. Doch auf der zugrundeliegenden erkenntnistheoretischen Perspektive bleibt der Gegensatz »intern« versus »extern« erhalten. Die interne erkenntnistheoretische Perspektive bleibt immer extern bezogen – und sei es nur, um etwas als unmöglich zu erklären und eine Grenzziehung vornehmen zu können. So kann auch Goodman letztlich nicht die lang ersehnte Überwindung von Idealismus und Realismus erreichen. Denn diesem Disput liegt das wesentlich fundamentalere Bild der Zweiteilung der Erkenntnisvoraussetzung zugrunde. Dieser Gegensatz aber ist der eigentliche Nährboden des Konflikts – der Idealismus macht das »Interne« zum ersten Erkenntnisprinzip, der Realismus das »Externe«.
7. Das unüberwundene Bild von Intern und Extern So stellt sich am Ende das Ergebnis der Analyse dar. Auch unter sprachphilosophisch veränderten Bedingungen, befreit von Dualismus und Bewußtsein, gelingt es Goodman nicht, die Konfrontation von Idealismus und Realismus zu überwinden. Müssen wir uns also auf eine ewige Wiederkehr dieser Problematik gefaßt machen? Um die immer wiederkehrenden Fragen nach den erkenntnistheoretischen Voraussetzungen, verkörpert als Idealismus und Realismus, zum Verstummen zu bringen, reicht es nicht – wie Carnap es getan hat – die Fragen als unzulässig zu erklären. Nicht erst das Bedürfnis nach diesen Fragen aufkommen lassen, hieße, sich von einem erfolgreichen Paradigma der Philosophie verabschieden: der Aufteilung der Voraussetzungen der Erkenntnis in interne und externe. Doch diese Voraussetzungen, die in die Zweiteilung einer Innenwelt und einer Außenwelt münden, sind tief in der Philosophie verwurzelt. »Merke auf dich selbst:« rät Fichte, »kehre deinen Blick von allem, was dich umgibt, ab, und in dein Inneres; ist die erste Forderung, welche die Philosophie an ihren Lehrling thut. Es ist von nichts, was außer dir ist, die
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Rede, sondern lediglich von dir selbst.«20 Solange der in sich gekehrte Denker, selbstversunken, ganz bei sich, das Ausgangsbild jedes Philosophierens bleibt, werden wir die Kluft der neuzeitlichen Philosophie nicht überwinden können, die Kluft zwischen dem philosophierenden Bewußtsein oder dem Sprachteilnehmer und der Außenwelt.
20 GA, I, 4, 186.
Der Begriff des Übersinnlichen in der Philosophie Fichtes
Akira Omine (Kyoto)
1. Das vorliegende Referat unternimmt den Versuch, die Entwicklung von Fichtes Begriff des Übersinnlichen anhand seiner Spätschriften zu verfolgen. In Grundzüge des gegenwärtigen Zeitalters (1806) sagt Fichte: »Die religiöse Ansicht kann sich daher nie aus der blossen Beobachtung der Welt erzeugen, indem sie ja vielmehr in der sich uns aufdringenden Maxime besteht: die gesammte Welt und alles Leben in der Zeit gar nicht für das wahre und eigentliche Daseyn gelten zu lassen, sondern noch ein anderes, höheres Daseyn jenseits der Welt anzunehmen. […] Kurz, nicht das blosse Wahrnehmen, sondern das Denken aus sich selber heraus ist das erste Element der Religion. Mit dem bekannten Ausdruck der Schule: Metaphysik, zu Deutsch: Uebersinnliches, ist das Element der Religion. Vom Anbeginn der Welt an bis auf diesen Tag war die Religion, in welcher Gestalt sie auch erscheinen mochte, Metaphysik; und wer die Metaphysik, lateinisch: alles Apriori, – verachtet und verspottet, der weiss entweder gar nicht, was er will, oder er verachtet und verspottet die Religion.« (SW/VII, 241)
Akira Omine
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Was Fichte hier »Metaphysik« nennt, ist nicht die in der westlichen Philosophiegeschichte mit Aristoteles begonnene wissenschaftliche Erörterung des Seins des Seienden. Fichte meint nicht die Meisterschaft im systematisch theoretischen Denken und Wissen. Fichte meint mit »Metaphysik« vielmehr das grundlegende geistige Erwachen des Menschen zu dem Leben als solchem, das wir hier und jetzt immer schon leben. In der Zeit und sinnlichen Welt nicht über alltägliche oder philosophische Dinge zu diskutieren und sich stattdessen dem die Zeit transzendierenden »Übersinnlichen« auszuliefern, nur das ist »Metaphysik«. Zu beachten ist, daß in dem angeführten Zitat die Worte »Metaphysik« und »das Übersinnliche« in der gleichen Bedeutung gebraucht werden. Für Fichte ist »Metaphysik« nicht, wie mit diesem Wort gewöhnlich angenommen wird, menschliches Denken über das »Übersinnliche«. »Metaphysik« heißt für ihn vielmehr, daß wir dem »Übersinnlichen« wirklich begegnen, daß wir es besitzen und es real leben. Metaphysik in diesem Sinne als transzendenter Vollzug des Lebens ist nach Fichte das wesentliche Element des Religiösen. Der einzige Philosoph, der nach Fichte den Terminus »Metaphysik« in ähnlicher Bedeutung wie Fichte gebraucht hat, dürfte Heidegger gewesen sein. Nach Heidegger ist Metaphysik weder ein akademisches Lehrfach, das sich vom Katheder aus unterrichten läßt, noch ein wissenschaftliches Forschungsgebiet, das der einzelne beliebig wählen kann. Metaphysik ist also kein der unabänderlichen Grundtatsache der menschlichen Existenz von außen her sekundär hinzugefügtes zufälliges Unternehmen. Metaphysik ist vielmehr die Frage im Grund unseres Daseins, die unserer Angst vor dem Nichts entspringt. Unser Leben verläuft von seinem Anfang her auf den Tod hin. Deshalb zwingt uns das im Grund unserer Existenz immer gegenwärtige Nichts zur metaphysischen Frage und läßt nicht zu, daß wir dieser Frage ausweichen. In Was ist Metaphysik? schreibt Heidegger: »Das menschliche Dasein kann sich nur zu Seiendem verhalten, wenn es sich in das Nichts hineinhält. Das Hinausgehen über das Seiende geschieht im Wesen des Daseins. Dieses Hinausgehen aber ist die Metaphysik selbst. Darin liegt: Die Metaphysik gehört zur ›Natur des Menschen‹. Sie ist weder ein Fach der Schulphilosophie noch ein Feld willkürlicher Einfälle. Die Metaphysik ist das Grundgeschehen im Dasein. Sie ist das Dasein selbst.« 1 1
Martin Heidegger, Was ist Metaphysik?, 15. Aufl., Frankfurt a. M., 1998, 44.
Der Begriff des Übersinnlichen in der Philosophie Fichtes
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Natürlich hat die Metaphysik, von der Heidegger spricht, nichts mit dem »Übersinnlichen« bei Fichte zu tun. Für Heidegger ist Metaphysik nicht das Transzendieren von der sinnlichen zur übersinnlichen Welt, sondern ein Transzendieren als Infragestellung des Existierenden als Ganzem. Anders als Fichte kommt Heidegger von der Erfahrung des Verlustes der von Nietzsche »Hinterwelten« genannten übersinnlichen Welt her. Dasein und Welt werden für ihn nicht mehr von der übersinnlichen Welt getragen, sondern schweben über dem Abgrund des Nichts. Weil sich zu unseren Füßen das Nichts auftut, fürchten wir uns vor unserer Existenz. Und mit dieser Erfahrung beginnt die Metaphysik. Verkürzt kann man sagen, daß Metaphysik für Fichte die Erfahrung des Übersinnlichen, für Heidegger dagegen die Erfahrung des Nichts ist. Zwischen beiden Philosophen gibt es deutliche große Unterschiede. Dennoch läßt sich nicht leugnen, daß beide in einem gemeinsamen Horizont denken. Gemeinsam ist beiden, daß sie mit dem Wort »Metaphysik« ein Bemühen bezeichnen, das nicht in das Belieben des Menschen gestellt, sondern für die menschliche Existenz unerläßlich und unverzichtbar ist. Ohne das Metaphysik genannte Unternehmen verliert der Mensch sich selbst. Heidegger versteht in Sein und Zeit bekanntlich die Philosophie als das Erwachen des an die Alltäglichkeit des Man verlorenen Menschen zu seinem wahren Selbst. Fichte entfaltet in den Grundzügen des gegenwärtigen Zeitalters seine Religionstheorie so, daß er als allgemeines Merkmal seiner Zeit den Verlust der wahren Religion aufzeigt. Damit meint er Religion nicht als äußeres Phänomen, sondern die innere Religion des Menschen und dessen Leben.
2. Wenn Fichte vom »Übersinnlichen« oder vom »ewigen Leben« spricht, denkt er nicht an eine Welt, die unabhängig von unserer in der Zeit existierenden realen Sinnenwelt besteht. Das ist schon aus dem angeführten Zitat Fichtes deutlich. Sicherlich spricht Fichte davon, daß die Religion das Annehmen eines anderen, höheren Daseins jenseits der Welt oder die Transzendierung der Zeitlichkeit und die Erlangung des ewigen Lebens sei. Es wäre aber ein grobes Mißverständnis, wollte man das so verstehen, daß Fichte vom Glauben an oder von der Erwartung einer überzeitlichen Welt spricht, die es unabhängig von unserer zeitlichen Welt gibt. Daß die
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Transzendierung der zeitlichen Welt und die Erlangung des ewigen Lebens sich nicht nach dem Ende unseres zeitlichen Lebens, sondern in diesem selbst ereignet, darin liegt die Besonderheit von Fichtes Religionsverständnis. Für Fichte ist Religion nichts anderes als die grundlegende Erfahrung des Menschen, gerade mitten in der Zeit die Zeit zu transzendieren. Eine Ewigkeit, die nur im Jenseits der zeitlichen Welt verbleibt, ist keine wahre Ewigkeit. Fichte meint, daß nur eine Ewigkeit, der man mitten in der Zeit begegnen kann, wirklich den Namen Ewigkeit verdient. Deshalb ist bei Fichte das Gefühl der Ferne, das Begriffen wie übersinnliche Welt oder Reich Gottes traditionell anhaftet, getilgt. Eines der wichtigsten Merkmale von Fichtes Religionsverständnis ist gerade das Empfinden der Nähe der Ewigkeit und des Übersinnlichen. Fichte hat dieses Merkmal von Beginn seiner philosophischen Tätigkeit an entwickelt und in allen Phasen der systematischen Entfaltung seiner Philosophie beibehalten und in seiner späten Philosophie am klarsten formuliert. In Anweisung zum seligen Leben (1806), sechste Vorlesung, findet Fichte im Johannes-Evangelium die reinste und echteste Form der christlichen Lehre und schreibt, daß nur diese mit seinem Religionsverständnis und seiner Wissenschaftslehre übereinstimmt. Nach Fichte sind im Johannes-Evangelium immer und überall gültiges Wahres, der »metaphysische Satz«, und das nur für die Zeit Jesu und die Stiftung des Christentums, für den notwendigen Standpunkt Jesu und seiner Apostel Gültige, der »historische Satz«, zu unterscheiden. Das »Metaphysische« im Johannes-Evangelium ist Jesu Erkenntnis der »absoluten Einheit des menschlichen Daseyns mit dem göttlichen«. Daß der Mensch diese Erkenntnis erringen kann, ist fast vergessen. Vor Jesus war sie nicht vorhanden. Daß sie nach Fichte bis heute nicht nur einem Einzelnen möglich, sondern, wie Jesus selbst gelehrt hat, eine allen Menschen mögliche Erfahrung ist, das ist der von Fichte stark vertretene Standpunkt. »Nur das Metaphysische, keineswegs aber das Historische, macht selig« (SW/V, 485) schreibt Fichte. Nur das »Metaphysische« in diesem Sinne macht nach Fichte die dem Menschen eigentümliche Religion aus.
3. In den in Berlin gehaltenen Fünf Vorlesungen über die Bestimmung des Gelehrten (1811) schreibt Fichte, daß die Sinnenwelt und die übersinnli-
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che Welt »unabtrennbar« und »vereinigt« sind. Das schon in seinen bisherigen Schriften sichtbare und für Fichte charakteristische Empfinden der Nähe der übersinnlichen Welt tritt in diesen Vorlesungen noch eindeutiger und radikaler hervor. Fichtes Gedanke hier ist, daß das übersinnliche Wissen, das den Grund jeglichen Wissens bildet, mitten in der sinnlichen Welt verwirklicht wird und das »Bild« ist, nach dem die Welt als solche schöpferisch umgestaltet werden soll. Dabei versucht Fichte, eine Zweiweltenlehre zu überwinden, die sich mit einer statischen Aneinanderreihung von sinnlicher und übersinnlicher Welt zufrieden gibt, und eine tätige und lebendige Beziehung beider Welten aufzuzeigen. Daß ein Wissen, das nicht vom Übersinnlichen herkommt, nicht den Namen Wissen verdient, ist eine Grundthese Fichtes. »Allem Wissen liegt das Wissen vom Übersinnlichen zum Grunde. Ohne dieses Letztere ist überhaupt kein Wissen; und auch das wirkliche Wissen, das nicht bis zu jener Quelle seines Wissens zurückgeht, ist kein wahrhaftes Wissen, sondern der bloße leere Schatten und Schein eines Wissens. Auch kann niemals ein solcher Weltzustand eintreten, in welchem gar kein Mensch wirklich wisse vom Übersinnlichen; indem sodann der Zweck der Welt wegfallen würde und diese versinken müßte in das Nichts.« (SW/XI, 170)
Das Wissen des Übersinnlichen, das die Welt daran hindert, ins Nichts zu versinken, ist kein Abbild oder Nachbild des Daseins, das außerhalb des Wissens gefunden wird. Es ist also kein Wissen, das auf das Dasein folgt, sondern ein Wissen, das der realen Existenz vorausgeht und gleichsam das Urbild der Existenz ist. Mit einem bekannten Wort gesagt, ist es praktisch und tätig und die Grundlage der Existenz. Daß Wissen praktisch ist, bedeutet, daß vom Wissen ein Handeln gefordert wird. Dieses Handeln ist ausschließlich eine Forderung, es existiert nicht real. Es existieren auch keine Sachverhalte, die durch dieses Handeln herbeigeführt worden sein könnten. Daß Wissen praktisch ist, meint, daß Wissen auf ein solches Handeln hin ausgerichtet ist. Was aber nun handeln will oder Handeln fordert, ist nicht etwas, was in Beziehung zu bereits Existierendem steht. Nimmt man das bereits Existierende, wie es ist, dann kann es Handeln kaum geben. Es ist das Besondere des Handelns, daß es das herbeiführen will, was nicht existiert. Ein solches Handeln aber erfolgt nicht blind, sondern bewußt. Es folgt einem Begriff, den das Selbst von dem hat, was es machen will. Es erfolgt nach dem Vorbild einer Existenz.
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Akira Omine »Ein praktisches Wissen ist [...] ein solches, dem, indem es selbst ist, sein Gegenstand nicht entspricht, und dem überhaupt kein Gegenstand entspricht, das darum auch durch keinen Gegenstand bestimmt, noch ein Abbild irgend eines solchen ist, und so ein reines, durch sich selbst also gestaltetes Wissen, Abdruck lediglich seiner selbst, nicht eines andern, ein apriorisches Wissen, wie man unter andern diesen Begriff ausgedrückt hat.« (SW XI/149)
Fichte hat dieses praktische Wissen mit dem griechischen Ausdruck »Idee« und dem deutschen Wort »Gesicht« auf eine Formel gebracht. Dieses Wissen aber hat in keiner Weise eine Beziehung zu Gegenständen. Es stimmt mit nichts außer dem eigenen Selbst überein. Es ist ein Wissen, das als Übereinstimmung mit sich selbst nur innerliche Existenz hat. Und als solches Wissen geht es auf die übersinnliche Welt zurück. In Fichtes Worten: »Es ist in dieser seiner Absolutheit das Bild des innerlichen Seins und Wesens der Gottheit.« (SW/XI, 151) Nun darf man dieses übersinnliche Wissen aber nicht so denken, als würde damit eine der Realität der sinnlichen Welt gegenüber desinteressierte statische Transzendenz bezeichnet. Auch wenn das »Gesicht« die sinnliche Welt transzendiert, impliziert es die Forderung, es durch unser Handeln in der sinnlichen Welt real zu verwirklichen. Mitten in der sinnlichen Welt das Selbst real zu bilden und dadurch die unsichtbare übersinnliche Welt sichtbar zu machen, darin liegt das eigentlich Besondere des praktischen Wissens. Anders gesagt ist es unmöglich, daß die sinnliche Welt den Forderungen der übersinnlichen Welt gegenüber in Desinteresse verharrt. Wäre das der Fall, dann könnte die sinnliche Welt nicht dem Schicksal entrinnen, dem Nichts zu verfallen. Deshalb sagt Fichte: »Und so behält denn die Sinnenwelt und trägt ewig fort den Charakter, den wir ihr oben beigelegt haben, daß sie sei lediglich die Bedingung der Sichtbarkeit der übersinnlichen Welt.« (SW/XI, 154)
Diese Bestimmung der Beziehung von sinnlicher und übersinnlicher Welt scheint auf den ersten Blick Fichtes früher Bestimmung zu gleichen, geht aber in Wirklichkeit weit über diese hinaus. Denn anders als bisher wird der Sinn der Existenz der sinnlichen Welt positiv verstanden. Fichte erklärt jetzt das Wissen, das nur Abbild der äußeren Existenz ist, und den in diesem Wissen zum Ausdruck kommenden Existenzgrund der ganzen sinnlichen Welt wie folgt. Das wahre Wissen, das sich auf die übersinnliche Welt gründet, reines apriorisches Wissen und Gestalt des Göttlichen
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ist, verharrt nicht in unbestimmter, unklarer Form, sondern kommt als solches Wissen zur Erscheinung und muß eindeutig erkannt werden. Das Wissen bringt sich selbst immer schon als Wissen zum Ausdruck. Das ist aber nur mittels des Konflikts mit dem durch seine äußere Existenz begrenzten Wissen der sinnlichen Welt möglich. Es gibt also kein Mittel außer der sinnlichen Welt, um die Welt des übersinnlichen Wissens als wahre Welt zu erkennen. Die sinnliche Welt hat keinerlei Sinn, solange sie nicht das übersinnliche Wissen erreicht. Das aber ist noch kein zureichender Existenzgrund der sinnlichen Welt. Wäre die sinnliche Welt nämlich nur ein Mittel zur Erkenntnismöglichkeit der übersinnlichen Welt, dann müßte sie für den Menschen entschwinden, der bereits zur Anschauung der übersinnlichen Welt aufgestiegen ist. Sicherlich war die sinnliche Welt für diesen Menschen ein Mittel zur Anschauung der übersinnlichen Welt, aber damit, daß er dieses Ziel erreicht hat, müßte die sinnliche Welt, deren einziger Sinn die Vermittlung der Anschauung der übersinnlichen Welt war, ihren Existenzgrund verlieren. Fichte löst das hier angedeutete Problem wie folgt. Das Erscheinen der Göttlichkeit im Gesicht ist »ein unendliches Erscheinen«. Das Unendliche ist wiederum in der Art seiner Erscheinung unendlich. Deshalb erscheint die direkte Gestalt Gottes niemals mitten in der Zeit. Es erscheint immer nur die Gestalt seiner zukünftigen Gestalt. Aber auch diese zukünftige Gestalt ist wiederum jeweils nur die Gestalt der jeweils zukünftigen Gestalt. Und diese Art der Erscheinungen setzen sich ins Unendliche fort. Das eigentliche Urbild Gottes wird niemals real, transzendiert alle Zeit und ist der ewige nicht sichtbare Urgrund des unendlichen Fortbildens in der Zeit. Mit einem Wort Fichtes gesagt: »Das Erscheinen Gottes im Wissen ist nicht irgend ein stehendes und festes Bild, sondern ein unendliches Bilden.« (SW/XI, 153) Man kann hier die Absicht Fichtes sehen, die Göttlichkeit des Übersinnlichen und die zeitliche Sinnenwelt durch die Dynamik des Bildens aktiv miteinander zu verbinden. Auf der einen Seite ermöglicht die absolute Transzendenz der Urgestalt Gottes das unendliche Bilden in der sinnlichen Welt. Auf der anderen Seite kann nur der Standpunkt des ununterbrochenen Bildens das wahre Ewige berühren. Ohne die übersinnliche Welt könnte keine sinnliche Welt existieren. Umgekehrt könnte es aber auch ohne Sinnenwelt keine übersinnliche Welt geben. »So sind Sinnenwelt, und übersinnliche durchaus vereinigt, und unabtrennbar, und bilden nur in dieser nie zu trennenden Vereini-
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Akira Omine gung ein einiges, ganzes und wahres Wissen. Die übersinnliche Welt macht in’s Unendliche fort sich sichtbar in neuen und immer neuen Gestalten; und es muß darum in’s Unendliche fort eine Sinnenwelt ihr gegenüber stehen, und dauern, um jene zu deuten.« (SW/XI, 153)
Gibt es nun aber einen Ort außer unserer Sinnenwelt, an dem das Übersinnliche verwirklicht und sichtbar werden könnte? Fichte meint, daß das Übersinnliche einzig in der Sinnenwelt zur Erscheinung kommt und es für sie keinen Ersatz gibt. Wo aber ist nun der Punkt, an dem diese beiden Welten zur Vereinigung gelangen? Nach Fichte ist dieser Vereinigungspunkt der wahre Gelehrte, der das übersinnliche Wissen erworben hat und dem Bildungsprozeß der Sinnenwelt dient. »Er darum ist die Triebfeder der Fortschöpfung der Welt nach dem göttlichen Bilde. Durch ihn allein rückt die Welt weiter, und bekommt die jedesmalige Bestimmung, die sie in der nun eingetretenen Zeit haben kann und soll; ohne ihn würde dieselbe stille stehen, und nichts wahrhaft Neues unter der Sonne geschehen. Er ist der eigentliche Vereinigungspunkt zwischen der übersinnlichen und der sinnlichen Welt; und dasjenige Glied und Werkzeug, vermittelst welcher die erste eingreift in die letzte.« (SW/XI, 160)
Gemeinsam ist der Religion und dem philosophischen Wissen die Teilhabe an der übersinnlichen Welt. Die der Mehrzahl der Menschen offen stehende Religion und die nur wenigen Menschen mögliche Bildung des Gelehrten haben in gleicher Weise das Übersinnliche zur Quelle. Auch die, die keine Gelehrten sind, können religiös sein. Das gleiche gilt vom Gelehrten. Mehr noch, der Gelehrte, soweit er wirklicher Gelehrter ist, wird notwendig religiös. »Religiös« heißt hier ein Leben, das ganz in der Hingabe an Gott geführt wird, oder mit Fichtes Worten: »Sie wollen nicht mehr, sondern in ihnen will das Göttliche«. (SW/XI, 164) Aber auch wenn nun deutlich ist, daß die übersinnliche Welt allgemein in jedem religiösen Menschen anwesend ist, ist noch nicht klar, wie das geschieht. Die übersinnliche Welt bleibt gestaltlos. Deshalb kann ein Mensch, nur weil er religiös ist, nicht Interesse an einer schöpferischen Gestaltung der Welt haben, solange er die Welt so akzeptiert, wie sie ist. Für einen solchen Menschen soll die sinnliche Welt so sein, wie sie ist, und immer so bleiben. Ein solcher religiöser Mensch tröstet sich mit dem
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Blick auf das zukünftige Leben und betrachtet nicht das gegenwärtige, sondern das zukünftige Leben als das einzig wahre. Der Grund dafür ist, daß er, obwohl er der übersinnlichen Welt eine Gestalt zuschreiben kann, die sinnliche Welt nicht in die ihm vorschwebende Gestalt der übersinnlichen Welt umzugestalten vermag. Deshalb wird ihm »die gegenwärtige Welt lediglich eine Vorbereitungs– und Prüfungswelt für die Ewigkeit, und Nichts mehr; weil für ihn beide Welten durchaus sich trennen, und zwischen ihnen eine Kluft befestigt ist. Er findet sich hienieden noch nicht in der Ewigkeit, sondern nur an der Pforte derselben, und ihn treibts und ängstigts, diese Pforte zu durchbrechen, um herausgelassen werden aus einem Leben, das er nur aus Gehorsam trägt.« (SW/XI, 162)
Völlig anders dagegen ist das Wissen von der übersinnlichen Welt, das heißt das »Gesicht«, das der wahre Gelehrte haben sollte. »In diesem liegt nicht, wie in jenem (allgemein Religiösen, Verf.), das Übersinnliche bloß überhaupt, sondern es gestaltet sich auch zu einem gediegenen Bilde, das sich anschließt an die gegebene Gestalt der Sinnenwelt, und dessen Gepräge dieser aufgedrückt werden kann.« (SW/XI, 163)
Der Gelehrte kann das gegenwärtige Leben nicht, wie der allgemein Religiöse, um Gottes willen so lassen, wie es ist. Er erträgt die Welt nicht um Gottes willen, sondern »er soll sie anders machen um Gottes willen« und »sie bilden nach Gottes Bilde«. Gemeinsam ist beiden, daß das, was in ihnen will, nicht sie selbst sind, sondern der Wille Gottes. Im Gelehrten aber will der Wille Gottes die Welt nicht einfach erhalten, sondern sie »weiter schaffen«. Folglich ist nach Auffassung Fichtes die Religion eines solchen Gelehrten tiefer als die eines Ungelehrten in das Wesen der Religion eingedrungen. Das Wesen der Religion besteht, mit einem Wort aus der Anweisung zum seligen Leben gesagt, »in dem innigen Bewusstseyn, daß Gott in uns wirklich lebe und thätig sey, und sein Werk vollziehe.« (SW/ V, 473) Anders gesagt ist es das Bewußtsein der Wirklichkeit, daß das Ewige gegenwärtig ist. Daß eine solche Religion erst in der die Welt umgestaltenden schaffenden Tätigkeit des Gelehrten verwirklicht wird, ist die Überzeugung Fichtes im Jahr 1811. Darüber hinaus ist für Fichte die zukünftige Welt nicht, wie die christliche Kirche traditionell gedacht hat,
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eine einzige, sondern bildet eine Reihe unendlicher Entwicklungen. Solche Welten sind von der gegenwärtigen Welt, in der wir leben, »nicht der Art nach, sondern nur der Stufenfolge nach unterschieden«. Aus der Sicht der schaffenden Tätigkeit gesagt, wird die die übersinnliche und die sinnliche Welt trennende undurchsichtige Mauer vom Licht des Göttlichen durchstoßen und transparent. Für den Gelehrten »ist die Ewigkeit nicht erst zukünftig, sondern sie ist ihm schon angegangen, und er befindet sich mitten in derselben, indem schon hier allgegenwärtig das Uebersinnliche ihn umgiebt.« (SW/XI, 163)
Wahrheit als Sein von Einheit. Die gewißheitstheoretische Reformulierung des absoluten Wahrheitsbegriffs in Fichtes Phänomenologie von 1804-II
Roderich Barth (Halle)
Mit der forschungsgeschichtlichen Erschließung des mittleren und späten Fichte hat eine Korrektur des nicht zuletzt auf Hegel selbst zurückgehenden Bildes von Fichte als dem Ich- oder Reflexionsphilosophen und seinem bloß ›gesollten Absoluten‹ stattgefunden.1 Seit der Bestimmungsschrift greifbar, systematisch durchgeführt erstmals in der WL 1801/02, wird eine Explikation des Absoluten im Innersten der Begründungslogik seiner Wissenstheorie vollzogen. Das ›absolute Seyn‹ tritt als notwendiges Moment der intellektuellen Anschauung in die Selbstkonstruktion des absoluten Wissens ein.2 Trotz dieser durch den Atheismusstreit mitbe-
1 Zum Verhältnis Fichte-Hegel vgl. Ludwig Siep: Hegels Fichte-Kritik und die Wissenschaftslehre von 1804, Freiburg/München 1970. Reinhard Lauth: Hegel vor der Wissenschaftslehre, Mainz 1987 und Wolfgang Janke: Das bloß gesollte Absolute, in: Transzendentalphilosophie und Spekulation, hg. v. W. Jaeschke, Hamburg 1993, 177–191. 2 Vgl. die klassische Darstellung von Emanuel Hirsch: Fichtes Religionsphilosophie im Rahmen der philosophischen Gesamtentwicklung Fichtes, Göttingen, 1914. Zur WL 1801/02 Jürgen Stolzenberg: Fichtes Begriff der intellektuellen Anschauung. Die Entwicklung in den Wissenschaftslehren von 1793/94 bis 1801/02, Stuttgart 1986 [Anschauung], 249–382. Ulrich Barth: Die Christologie Emanuel Hirschs. Eine systematische und problemgeschichtliche
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Roderich Barth
dingten werkgeschichtlichen Entwicklung bleibt gleichwohl der programmatische Anschluß an Kants Transzendentalphilosophie eine Kontinuität in Fichtes Denken. Etwa die 1812 in Berlin gehaltene Vorlesung über ›Transscendentale Logik‹ legt dafür ein beredtes Zeugnis ab. Gerade diese Eigentümlichkeit der Gründergestalt des Deutschen Idealismus, d. h. also die innere Verschränkung von transzendentaler Wissenstheorie und Absolutheitstheorie – wie auch immer die Gewichtung dann im einzelnen beurteilt werden mag – und nicht etwa eine Preisgabe ersterer zugunsten eines theologisch oder philosophisch vermeinten Standpunktes im Absoluten, begründet das bleibende Interesse am mittleren und späten Fichte – insbesondere von seiten der Religionsphilosophie. Im folgenden möchte ich diese allgemeine Einschätzung am Beispiel eines Theologoumenons konkretisieren. Dabei handelt es sich um die philosophiegeschichtlich auf Augustin zurückgehende Identifikation von Gott und Wahrheit – also den Gedanken einer ewigen, absoluten Wahrheit Gottes.3 Mit der problemgeschichtlichen Orientierung am theologischen Wahrheitsbegriff soll aber zugleich gezeigt werden, daß es gerade die Wahrheitsthematik in ihrer absolutheitstheoretischen Zuspitzung ist, die einen Schlüssel zum inneren Aufbau der WL 1804-II, insbesondere ihrer Phänomenologie, an die Hand zu geben vermag. Dazu werde ich zunächst (I) einige kategoriale Bestimmungen, aber auch Probleme des Gedankens der absoluten Wahrheit entwickeln, wie sie dem ersten Teil der WL 1804-II zu entnehmen sind, um anschließend (II) einige Grundlinien von Fichtes Reformulierung desselben innerhalb des zweiten Teils – der Phänomenologie – zu entfalten.
I. Unabhängig davon, ob man dem Urteil Wolfgang Jankes folgen mag, in der WL 1804-II sei der Schlüsseltext für die gesamte Spätphilosophie zu erblicken,4 oder ob die mit der GA voranschreitende Erforschung des Darstellung ihrer geschichtsmethodologischen, erkenntniskritischen und subjektivitätstheoretischen Grundlagen, Berlin/New York 1992, 311-354. 3 Vgl. Werner Beierwaltes: Deus est veritas, in: Pietas. Festschrift für B. Kötting, hg. v. E. Dassmann u. K. S. Frank, Münster 1980, 15–29. 4 W. Janke: Fichte. Sein und Reflexion – Grundlagen der kritischen Vernunft, Berlin 1970 [Fichte], 304f: »Fichtes Denken hat den Aufstieg zur Wahrheit auch nur einmal zurückgelegt. [...] Der Boden dieser Grundlegung ist nicht mehr verlassen worden [...] auch die späteren Ausarbeitungen und Fortführungen des Systems selber verlassen sich auf die Ergebnisse dieser Wahrheitslehre«.
Wahrheit als Sein von Einheit
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Spätwerks dieses grundsätzliche Urteil zu relativieren hat, läßt sich zumindest hinsichtlich einer absolutheitstheoretischen Explikation der Wahrheitsidee die herausragende Bedeutung dieser Fassung der WL kaum bestreiten.5 Die zentrale Stellung der Wahrheitsthematik wird nicht nur äußerlich daran ersichtlich, daß Fichte den ersten Teil dieser WL als »Wahrheitslehre« bezeichnen konnte,6 sondern läßt sich auch bereits den einleitenden Ausführungen zum Begriff der WL entnehmen. Zu ihrer generischen Bestimmung heißt es dort, sie solle »die Wahrheit darstellen« (8), und nach einer kurzen kategorialen Präzisierung des Wahrheitsbegriffs resümiert Fichte, »die Aufgabe der Philosophie läßt sich auch ausdrücken: Darstellung des Absoluten« (10). Auch das zeitdiagnostisch motivierte Präliminarium über die zur WL befähigende Bewußtseinseinstellung verdeutlicht die absolutheitstheoretische Fassung des Wahrheitsbegriffs, zeigt aber zugleich dessen epistemologischen Status. Fichte erklärt »kurz und gut«, »daß hier in allem Ernste vorausgesetzt wird: es gebe Wahrheit, die allein wahr sei, und alles ausser ihr unbedingt falsch« (4 Hvh. R. B.). Der Absolutheitscharakter der in dieser unbedingten Hypothesis gesetzten Wahrheit wird ferner daran ersichtlich, daß sie als »schlechthin wahr« einleuchten solle, und, obgleich diese Einsicht den spontanen Denkvollzug notwendig voraussetze, sie doch »ohne alles [...] weiteres Zuthun sich schon von selbst ergebe[]« (ebd. Hvh. R.B.). Vergleicht man diese programmatischen Ausführungen mit der Leitbegrifflichkeit der WL 1801/02, so zeigt sich eine markante Verschiebung. Zwar führte auch diese Fassung – wie eingangs bemerkt – in ihrem Kern zu einer Explikation des Absolutheitsbegriffs, doch wurde sie nicht als Theorie des Absoluten, sondern als Theorie des absoluten Wissens bestimmt, dessen Begriff Fichte ausdrücklich vom Begriff des Absoluten unterschieden wissen wollte.7 Die WL 1804-II zielt demgegenüber zunächst auf »das Absolute« (10) oder »das Wahre« (8) selbst. Mit dieser veränderten Theorieausrichtung hängt es offenbar zusammen, daß in 5 Zum Wahrheitsbegriff beim frühen Fichte vgl. Reinhard Hiltscher: Wahrheit und Reflexion. Eine transzendentalphilosophische Studie zum Wahrheitsbegriff bei Kant, dem frühen Fichte und Hegel, Bonn 1998. Zur wahrheitstheoretischen Rekonstruktion der Erlanger WL vgl. Hans-Peter Falk: Existenz und Licht. Zur Entwicklung des Wissensbegriffs in Fichtes Grundlegung der Wissenschaftslehre von 1805, in: Subjektivität, hg. v. K. Hammacher / R. Schottky / W. H. Schrader (Fichte-Studien 7), Amsterdam / Atlanta GA 1995, 49–57. 6 WL 1804-II in: GA II/8, 228; 206; 242. Im folgenden werde ich Zitate aus dieser WL nur durch Seitenzahlen im Haupttext angeben. Auf der jeweils gegenüberliegenden Seite befindet sich die synoptisch abgedruckte Fassung der sog. Hallenser Copia, die ich nur dann ausdrücklich zitiere, wenn ich ihrer Lesart folge. 7 GA II/6, 144.
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dieser WL anstelle des Begriffs des absoluten Wissens der Vernunftbegriff in eine zentrale Position rückt.8 Darstellung der Wahrheit bzw. des Absoluten im Sinne der WL 1804-II ist also in einer ersten Annäherung als Theorie der Vernunft zu verstehen. So verwundert es nicht, daß Grundmotive eines neuzeitlichen Verständnisses vom lumen naturale in der den Explikationsgang über weite Strecken bestimmenden Lichtmetaphorik nachklingen. Auch die kritisch-konstruktive Verhältnisbestimmung zur Kantschen Vernunfttheorie ist durch dieses Interesse gesteuert. Trotz des programmatischen Anschlusses an den »Stifter der TransscendentalPhilosophie« (14) muß die Selbstaufklärung der Vernunft im Sinne eines konsequent durchgeführten Letztbegründungsdenkens auf die Freilegung des zwischen den Vernunftfunktionen vorliegenden und von Kant als »unerforschlich« (32) zurück gelassenen Wechselbestimmungszusammenhanges zielen.9 Doch wäre dieses vernunfttheoretische Programm – und damit der Anschluß an Kant – mißverstanden, wollte man es gegen das Anliegen einer Wissenstheorie ausspielen. Es steht vielmehr selbst ganz im Dienste einer systematischen Letztbegründung von Wissen. Aus der für die WL 1804-II bezeichnenden Verschränkung einer Prinzipientheorie des Wissens mit der absolutheitstheoretischen Fragestellung resultieren nun aber genau diejenigen systematischen Schwierigkeiten, die für das in der Forschungsliteratur immer wieder geäußerte Urteil eines Scheiterns der Fichteschen Durchführung verantwortlich zeichnen.10 Die Problematik läßt sich noch einmal zuspitzen, wenn man sie mit der Frage verbindet, in welchem Verhältnis zum Wahrheitsbegriff zwei weitere zentrale Explikationstermini für das höchste Wissensprinzip stehen – der Begriff absoluter Einheit und der des absoluten Seins. Ich wende mich zunächst – dem 8 Dies kann mit Bezug auf die Dominanz des Wissensbegriffs in den sogenannten ›Prolegomena‹ leicht übersehen werden. Diese erklärt sich aber zum Großteil aus deren vorverweisenden Charakter. Der Begriff des absoluten Wissens selbst begegnet erst in der Phänomenologie, vgl. dazu unten. Mit Bezug auf den Vernunftbegriff ist vor allem hinzuweisen auf das »Leben der Vernunft« (164f., u.ö.). Die Wahrheitslehre kann daher auch als »Vernunftlehre« (206; 228; 242) bezeichnet werden. 9 Vgl. dazu Roderich Barth: Absolute Wahrheit und endliches Wahrheitsbewußtsein. Das Verhältnis von logischen und theologischen Wahrheitsbegriff – Thomas von Aquin, Kant, Fichte und Frege, Tübingen 2004 [Wahrheit], Kap. 5.1. 10 Mit einem rekonstruktiven Interesse verwoben etwa bei Hans Radermacher: Fichtes Begriff des Absoluten, Frankfurt a. M. 1970 [Begriff]. Vgl. auch Peter Baumanns: J. G. Fichte. Kritische Gesamtdarstellung seiner Philosophie, Freiburg / München 1990, z. B. 269; Wilhelm Lütterfelds: Fichtes Konzept absoluter Einheit (1804) – ein performativer Selbstwiderspruch? [Einheit], in: Realität und Gewißheit, hg. v. H. N. Girndt / W. H. Schrader (FichteStudien Bd.6), Amsterdam / Atlanta GA 1994, 401-422.
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Duktus der Argumentation Fichtes folgend – dem Verhältnis von Einheits- und Wahrheitsbegriff zu. Das Programm einer systematischen Letztbegründung des Wissens läßt sich kategorial auch einheitstheoretisch explizieren. Der letzte Grund kann als eine höchste Einheit gedacht werden, welche die Konsequenzenmenge dieses letzten Grundes umfaßt. Philosophische Letztbegründung bedeutet somit nach Fichte: »Alles Mannigfaltige [...] zurückzuführen auf absolute Einheit« (8). Erst in einer absoluten, und d. h. zunächst soviel wie alle prinzipientheoretischen Gegensätze in sich vereinigenden und zugleich aus sich freisetzenden Einheit kommt Letztbegründungsdenken zu einem Abschluß. Aus dieser einheitstheoretischen Explikation seines Theorieprogramms folgt nun nicht nur ein genuiner Einheits-, sondern auch ein spezifischer Wahrheitssinn. Was zunächst den letzteren betrifft, so kann man sich dessen Profil am Vergleich mit Wahrheit im Sinne der Korrespondenztheorie verdeutlichen, von der ja noch Kants transzendentaler Wahrheitsbegriff hatte ausgehen können. Ist für Wahrheit im Sinne des Korrespondenzmodells ine prinzipielle Zweiwertigkeit konstitutiv, so meint »das Eine, wahre, in sich geschlossene Ansich« (10) dagegen eine Wahrheit, die nicht nur den Gegensatz der Wahrheitswerte übersteigt,11 sondern nicht einmal auf Erkenntnis im engeren Sinne beschränkt ist. Wie ein Vorblick auf die in § 28 deduzierten ›Standpunkte‹ deutlich machen kann, soll diese ›unwandelbare‹ Wahrheit nicht nur den praktischen und theoretischen Bewußtseinseinstellungen zugrunde liegen, sondern auch den ästhetischen und religiösen. Unter Wahrheit als »absolute[r] Einheit und Unveränderlichkeit der Ansicht« (8) hat man sich also vielmehr ein »übergegensätzliches Gelten« im Sinne Emil Lasks vorzustellen, das all seinen werthaften Konkretionen innerhalb der kognitiven, volitiven oder emotiven Funktionen als logische Bedingung voraus liegt.12 Was den Einheitssinn betrifft, so kann aufgrund der prinzipientheoretischen Introduktion des Gedankens einer absoluten Einheit deren Absolutheit zwar als Relationslosigkeit im Sinne des Ausschlusses anderer gleichursprünglicher Prinzipien verstanden werden. Der wesentliche Bezug auf die Gesamtheit des von ihr Prinzipiierten impliziert jedoch eine Relationalität in anderer Hinsicht. Wird also der letzte Grund von Fichte 11 Das gesuchte Einheitsprinzip stellt – in diesem Sinne analog zu Kants transzendentaler Wahrheit – in der Konstitution des Gegensatzes von ›Denken‹ und ›Sein‹ (10) allererst die Möglichkeitsbedingung der Zweiwertigkeit der Wahrheit bereit. 12 Emil Lask: Die Lehre vom Urteil, in: ders.: Gesammelte Schriften, Bd. 2, hg. v. E. Herrigel, Tübingen 1923, 386ff; vgl. auch 408: »gegensatzlose Wahrheit«.
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als absolute Einheit bestimmt, so geht damit zwangsläufig die Gesamtheit aller Elemente der Konsequenzenmenge zumindest in Gestalt ihrer Disjunktionsprinzipien in diese Einheit ein. Absolute Einheit wäre folglich nicht als differenzlose Einheit, sondern als in sich differenzierte Strukturganzheit zu denken. Genau dieser prinzipientheoretische Einheitssinn scheint aber nun der Einheit des Absoluten13 nicht zu entsprechen, da diese als eine gegensatzlose Einheit – zumindest im Sinne einer qualitativ identifizierbaren Andersheit – verstanden werden muß, wenn die Absolutheit des Absoluten nicht durch eine Bestimmungsoperation verspielt werden soll.14 Nachdem Fichte in den ersten noch vorwiegend methodisch orientierten §§ der Wahrheitslehre zunächst unterschiedliche Momente des Wissens als Kandidaten für die Position des epistemischen Korrelates der absoluten Einheit in Erwägung zieht,15 folgt daher auch ein transzendentaler Reduktionsgang, an dessen Ende selbst dem Absoluten eines ›höheren Realismus‹ noch eine unbemerkte Reflexionsbestimmung nachgewiesen werden kann. Aus der dann vollständig vollzogenen transzendentalen Abstraktion von allen Bestimmungsoperationen des Bewußtseins resultiert die Einsicht in die absolute Einheit als »in sich geschlossenes Singulum des unmittelbaren lebendigen Seyns« (243 / Copia). Fichtes Erläuterung bestätigt den absolutheitstheoretischen Einheitssinn: »Es ist durchaus von sich, in sich, durch sich; dieses sich gar nicht genommen als Gegensatz« (228; Hvh. R. B.). Gegenläufig zu Interpretationen, die in diesem Aufstieg zur absoluten Wahrheit und ihrem Abschluß den systematisch grundlegenden Ertrag der WL 1804-II verorten,16 müssen nun aber mit Bezug auf dieses 13 Die »Einheit, das Eine, wahre in sich geschlossene Ansich« (10); »von sich, aus sich, durch sich, ohne alle Spaltung, in reiner Einheit« (120); und ex negativo vgl. 240 (Copia): daß die »VerstandesEinheit gar nicht blose reine, durch sich selber bestimmte Einheit, sondern eine RelationsEinheit sey«. 14 Zu dieser in der Überbietung des Indifferenzgedankens Schellings entstandenen Konzeption absoluter Einheit vgl. etwa Fichtes Brief an Schelling vom 15. Januar 1802, GA/III, 5, 112f: »Aber es scheint mir an sich klar, daß das Absolute nur eine absolute, d. h. in Beziehung auf Mannigfaltigkeit, durchaus nur Eine, einfache sich ewig gleiche, Aeusserung haben kann; und diese ist eben das absolute Wissen. Das absolute selbst aber ist kein Seyn, noch ist es Wissen, noch ist es Identität, oder Indifferenz beider: sondern es ist eben – das absolute – und jedes zweite Wort ist von Uebel.« Zum Verhältnis Schelling / Fichte vgl. Christoph Asmuth: Begreifen des Unbegreiflichen. Philosophie und Religion bei Johann Gottlieb Fichte 1800–1806, StuttgartBad Cannstatt 1999 [Begreifen], 317–370; zur Problematik einer Theorie absoluter Einheit vgl. auch W. Lütterfelds: Einheit, 421. 15 Zunächst die Evidenz (§§ 4ff.), dann aber auch ein in der Begriffsfunktionalität liegendes mentales Einheitsvorkommnis (§ 7). 16 So etwa die Interpretation von W. Janke: Fichte, 301-417. Janke hat zwar in seiner großen Studie zur Phänomenologie Fichtes (Vom Bilde des Absoluten. Grundzüge der
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Ergebnis zwei Einschränkungen vorgenommen werden. Fichte selbst weist zunächst indirekt auf den ersten Aspekt hin, wenn er mit Bezug auf die gewonnene Einsicht von einem »Grundsatz« (242) spricht. Denn das noch in der GWL im Anschluß an Reinhold favorisierte Grundsatzverfahren wurde nicht nur in der Folge gänzlich verworfen, sondern bereits dort hatte es Fichte aus deduktionslogischen Gründen in ein Grundsatzsystem überführt.17 Für die »einzige[] Einsicht« (228), die der Grundsatz des § 15 ausdrückt, ist jedoch gerade der Ausschluß einer Deduktionsmöglichkeit charakteristisch.18 Mit Bezug auf die oben vorgenommene Differenzierung eines prinzipientheoretischen und eines absolutheitstheoretischen Einheitssinns läßt sich sagen, daß die Wahrheitslehre zunächst allein an der Explikation des letzteren orientiert ist. Durch den damit verbundenen Verlust einer qualitativ identifizierbaren Einheit wird die Möglichkeit einer Ableitung von Differenz versperrt. Die zweite Einschränkung ergibt sich, wenn man fragt, welchen epistemologischen Status die »Einsicht« (228) in das lebendige Sein – oder gar welchen ontologischen Status dieses Sein selbst hat. Wenn Fichte hier von einem »nachconstruiren« (228) und zugleich von einem »begreifen lediglich durch unsere eigene kräftige Vernichtung des Begreifens« (230) spricht, so handelt es sich offenbar zunächst um einen spekulativen Grenzbegriff bzw. die Idee des Absoluten. Darüber hinaus enthält die Wahrheitslehre weder eine epistemologische Rechtfertigung dieses Abschlußgedankens und seines Gehaltes, noch erklärt sie die Möglichkeit seiner prinzipientheoretischen Funktion. Sie verweist somit systematisch auf den argumentativen Neueinsatz der Phänomenologie.19
Phänomenologie Fichtes, Berlin / New York 1993 [Vom Bilde]) deren Gewicht gebührend zur Geltung gebracht. Zu einer Rekonstruktion der Phänomenologie von 1804-II ist es aber auch dort nicht gekommen. 17 Zum Grundsatzverfahren vgl. J. Stolzenberg: Anschauung, 60–117. Die Differenz zur GWL übersieht Chr. Asmuth: Begreifen, 250ff. 18 »Dieses einige Sein und Leben kann nun nicht ausser ihm selber sein [...]. Kurz, und mit Einem Worte: es findet durchaus und schlechthin nicht Zweiheit, oder Vielheit Statt, sondern nur Einheit« (230). In Gestalt eines neuen Reflexionspostulates kann es daher in der Phänomenologie heißen: »Das Sein ist eine schlechthin in sich geschlossene lebendige Einheit. Sein und Licht Eins. Da in dem [...] gewöhnlichen Bewußtsein, ein Mannigfaltiges angetroffen wird [...] – so muß in dem Lichte selber, als absoluter Einheit, und seiner Erscheinung ein Grund dieser Mannigfaltigkeit sich aufzeigen lassen« (300). 19 Vgl. Chr. Asmuth: Begreifen, 253ff; Ulrich Schlösser: Das Erfassen des Einleuchtens. Fichtes Wissenschaftslehre von 1804 als Kritik an der Annahme entzogener Voraussetzungen unseres Wissens und als Philosophie des Gewißseins, Berlin 2001 [Erfassen] 103.
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II. Mit der Wahrheitslehre ist der Aufstieg zum absoluten Einheitsprinzip der Wissenschaftslehre somit keineswegs abgeschlossen. Vielmehr stellt sich im Horizont der dort ausgewiesenen Idee eines einigen Vernunftlebens erneut die Frage nach einer absoluten Einheit, die nun jedoch nach ihrer spezifischen Funktion als Uniformitätsbedingung des Wissens und zugleich als dessen Differenzierungsprinzip durchsichtig werden muß. In einer ersten Annäherung läßt sich die methodische Aufgabe der Phänomenologie folglich als Rekonstruktion des epistemischen Ortes absoluter Einheit beschreiben. »Ein neues, bisjetzt unbekanntes Princip muß aufgestellt werden, habe ich gesagt: und mache dabei zugleich die Nebenbemerkung, daß wir [...] hier es nicht bloß mit der Aufstellung des zweiten, sondern zugleich mit der Vereinigung desselben mit dem ersten, zu thun haben« (256).
Die im Zitat angesprochene ›Vereinigung‹ beider Einheitsprinzipien läßt sich als ein Realisierungsverhältnis näherbestimmen. Dasjenige Wissen, welches die Phänomenologie als Repräsentation absoluter Einheit ausweisen kann, stellt die Verwirklichungsform der am Ende der Wahrheitslehre eingesehenen Absolutheitsidee dar. Umgekehrt ist mit absoluter Einheit der Wirklichkeitsmodus des absoluten Wissens bezeichnet. Insofern liegt auch allererst in der Phänomenologie in genau diesem Sinne eine Theorie des absoluten Wissens vor. Fichtes Phänomenologie ist also weder nur Überwindung noch Ableitung einseitiger Bewußtseinsformen, sondern sie ist in ihrem Zentrum eine Explikation des absoluten Wissens als Erscheinung absoluter Einheit.20 Im Lichte der hier vorgenommenen einheitstheoretischen Rekonstruktionsperspektive muß jedoch ein prinzipieller Vorbehalt gegenüber ontologischen Aufladungen der Erscheinungsrelation geltend gemacht werden. Der Erscheinungsbegriff ist nicht im Sinne eines ontologischen Zwei-Welten-Schnitts zu verstehen, sondern besagt soviel wie Vorkommen absoluter Einheit am Orte des Wissens. Insofern dies mit einem In-Differenz-Treten von absoluter Einheit verbunden ist, wird die Erscheinungsrelation durch einen einheitstheoretischen Unterschied begründet.
20 Zur Profilierung der Fichteschen Phänomenologie gegenüber der Hegels vgl. W. Janke: Vom Bilde, 1-26.
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Aus den komplexen und zum Teil enigmatischen Argumentationsgängen der Durchführung dieser wissenstheoretischen Rekonstruktion absoluter Einheit möchte ich im folgenden zwei Aspekte herausgreifen. Dabei wird auch die vorübergehend in den Hintergrund getretene Wahrheitsthematik wieder aufgegriffen. Zunächst ist zumindest in einem allgemeinen Sinne zu präzisieren, was die Argumentationsgänge der Phänomenologie letztendlich als Vorkommen absoluter Einheit am Orte des Wissens identifizieren können. Bereits Hans Radermacher hat in seiner Studie zu Fichtes Begriff des Absoluten deutlich gemacht, daß die in § 16 erneut anhebende, einige Themen der Wahrheitslehre variierende Argumentation ihren Zielpunkt in der mit § 23 einsetzenden Theorie der Gewißheit findet.21 Reine Gewißheit – so läßt sich die Grundthese der Phänomenologie von 1804-II zusammenfassen – ist der einschlägige Kandidat für die Position des Vorkommens absoluter Einheit am Orte des Wissens. Reine Gewißheit, d. h. nicht materiale Gewißheit, sondern Gewißheit, die als Operator mit Bezug auf wechselnde intensionale Gehalte fungieren kann: »Jetzt erst sind wir auf einen Charakter des Lichtes gekommen, durch welchen es sich unmittelbar zeigt, als Eins mit dem oben eingesehenen Sein: die Gewißheit, rein und für sich, und als solche« (346).
Insofern läßt sich auch eine Antwort auf die anfangs aufgeworfene Frage nach dem inneren Zusammenhang der absolutheitstheoretischen Leitbegriffe der WL 1804-II geben: In der reinen Gewißheit ist nach Fichtes Phänomenologie die absolute, übergegensätzliche Wahrheit zu erblicken, weil sie als Sein absoluter Einheit die Uniformitätsbedingung des Wissens darzustellen vermag. Ich komme zum zweiten, den Ausdruck ›Sein‹ von absoluter Einheit präzisierenden Gesichtspunkt. Die mit einer evidenten Beschreibung der Evidenz als »unerschütterliches Verbleiben und Beruhen in demselben unwandelbaren Eins« (346) anhebende Gewißheitsanalyse wird auf ihre 21 H. Radermacher: Begriff, 140. Vgl. auch U. Schlösser: Erfassen, 19; 93; 114f; 120-153. Die Rekonstruktion des § 23 bietet das Herzstück seiner Studie und dient somit dem Nachweis der Grundthese, »daß auch Fichte [sc. zum Zwecke der Grundlegung des Wissens bzw. der Kenntnis vom Unbedingten] von Grenzen des objektivierend-begrifflichen Erfassens ausgeht, aber über diese Grenzen hinaus zu einem in jedem Einzelnen zu realisierenden ursprünglichintuitiven Wissen aufsteigen will, um von dort aus die relative Berechtigung des begrifflichen Zugangs und die Möglichkeit der Rekonstruktion post factum des Weges zu ihr ausweisen zu können« (152).
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Erzeugungsbedingungen hin vertieft. In einer subjektivitätstheoretischen Rekonstruktion der reinen Gewißheit und der sich aus ihr generierenden Einsicht tritt Fichte in das Innerste seiner Theorie des absoluten Wissens ein, wenngleich auch hier wiederum ein hypothetisches Moment den Explikationsgang weitertreibt. Die Selbstkonstruktion der reinen Gewißheit muß sich demzufolge auch nach ihrer inneren Notwendigkeit erfassen können. Diese Position des absoluten Wissens ist dann zwar ihrer formalen Struktur nach ein Sich-setzen-als, ihrem Gehalt nach (unbedingte Notwendigkeit) kann es sich aber nicht als ein solches Sich-setzen-als erfassen. Es setzt sich somit nicht als Wissen, sondern ist das »Setzen eines Gesetzes«.22 Mit dem in dieser Struktur begründeten Ausschluß einer Differenz zwischen wissendem und gewußtem Wissen entfällt auch die Möglichkeit einer qualitativen Bestimmtheit – in Fichtes Terminologie: Das absolute Wissen »ist wesentliche Einheit« (374).23 Reine Gewißheit als Innerlichkeit unbedingter Notwendigkeit ist also streng genommen weder als ein Sich-Wissen noch als ein Wissen vom Absoluten zu beschreiben. Hierin hat man auch vermutlich den innersten Grund für Fichtes absolutheitstheoretische Verwendung des Seinsbegriffs zu erblikken. Das Repräsentationsverhältnis zwischen absoluter Einheit und reiner Gewißheit ist daher ebenfalls nicht als eine mentale, sondern als eine ontische Repräsentation zu beschreiben. Mit dem Ausschluß qualitativer Bestimmtheit wiederholt sich aber auch diejenige Aporie, die sich bereits am Ende der Wahrheitslehre mit Bezug auf die Prinzipienfunktion absoluter Einheit gezeigt hatte.24 Der in dieser Situation weiterführende Argumentationsgang Fichtes nimmt daher eine erstaunliche Wendung, die hier noch hinsichtlich ihrer Konsequenz für die Gewißheitskonzeption in den Blick genommen werden soll. Fichte unterscheidet nicht nur zwischen dem Absoluten und dem absoluten Wissen als der Erscheinung absoluter Einheit, sondern 22 »[D]urchaus in einem Standpunkte zwischen beiden steht das Wissen: es steht im Bilde der Nachconstruktion, als Bilde, in welchem Bilde ihm schlechthin durch ein inneres Gesetz, das Setzen eines Gesetzes entsteht« (373 / Copia). 23 »Hierin, in dieser gänzlichen Entfernung der materialen, qualitativen Einheit, die uns bis jetzt nicht verließ, liegt ein neues Unterpfand, daß wir höhergestiegen sind« (375 / Copia). 24 »Zuvörderst leuchtet wohl ohne weiteres ein, daß, falls wir in dem jetzt Vorgetragenen uns nur recht befestigen, keine Möglichkeit abzusehen ist, wie wir je heraus, und zu einem Weitern kommen sollten« (374). Mit meiner Interpretation der reinen Gewißheit als ontischer Repräsentation absoluter Einheit (vgl. dazu R. Barth: Wahrheit, Kap. 5.4.) weiche ich von der durch U. Schlösser: Erfassen, 146ff., vorgelegten Rekonstruktion ab, insofern dieser auch den unmittelbaren Vollzug als einen »in sich selbst transparenten Akt« (148) interpretiert und ihn somit als spezifischen Wissenssinn identifiziert.
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wiederum zwischen dem absoluten Wissen und dem Dasein des absoluten Wissens. Erstaunlich ist nun aber nicht die innere Stufigkeit der Erscheinungslehre, sondern der Sachverhalt, daß Fichte für das Dasein des absoluten Wissens, welches er sodann auch als transzendentales, die Ableitung begründendes Wissen oder als den besonderen Standpunkt der Wissenschaftslehre bezeichnen kann – daß er also für das Dasein des absoluten Wissens das gewöhnliche Wissen in eine Begründungsposition rückt: »Nun dürfte es sich finden, daß die Urbedingung der genetischen Möglichkeit des Daseins des absoluten Wissens, oder der W.-L., sei das gewöhnliche Wissen« (376).
Mit dieser Bedingung – nicht etwa für das absolute Wissen selbst, wohl aber für dessen Dasein – wird nun aber die Struktur mentaler Repräsentation einschlägig. Soll sich die reine Gewißheit in ihrer als ontische Repräsentation absoluter Einheit rekonstruierten Funktionalität unter den Bedingungen des intentionalen Bewußtseins selbst erfassen, so muß sie sich in die Position eines gewußten Wissens auslegen.25 Das Sein reiner Gewißheit projiziert und intuiert sich als Gewißheit eines Seins.26 Fichte exemplifiziert diese Struktur nun zunächst am Beispiel des »ursprünglichen Begriff[s]« (384) der Gewißheit selbst. In dieser »Urbeschreibung« (ebd.) kann sich die Gewißheit ihrer eigenen Absolutheit aufgrund der genannten Strukturgesetzlichkeit nur in Form einer faktischen Evidenz, nämlich der eines in sich geschlossenen Seins ansichtig werden. In dieser Rekonstruktion eines mentalen Selbstverhältnisses der reinen Gewißheit sieht Fichte daher die ›Genesis‹, d. h. die epistemologische Begründung der die Wahrheitslehre abschließenden Einsicht erreicht.27 Insofern zu dieser Genesis jedoch die freie Reflexion in Anspruch genommen wird – das Evidentwerden des Seins sich aber gleichwohl nicht als ihr »Effekt[]« (263) darstellt –, besteht die Pointe der Phänomenologie im Lichte des von Fichte in den Prolegomena aufgestellten Postulats einer vollständigen Überführung von faktischer in genetische Evidenz (vgl. 46ff.) darin, daß die Faktizitätsform auf der Ebene des intentionalen Bewußtseins als
25 »Ich sage: Beschreibung, als solche, ist innerlich immanente Projektion des Beschriebenen« (384). 26 »Was es in dieser Vernichtung seiner selber, in der es doch ist, intuirend projicirt, ist Sein« (386). 27 »Die Einsicht, welche am Schlusse unseres ersten Theiles so merkwürdig wurde, [...]war nichts Anderes, als die bloß faktisch vollzogene absolute Einsicht, deren Genesis wir hier eingesehen haben« (386f).
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notwendig zur mentalen Selbstauslegung der reinen Gewißheit gehörig eingesehen wird: »Es [sc. das absolute Faktum] hat uns fortdauernd [...] begleitet; es ist durch die Formel: die Vernunft ist absoluter Grund ihres eigenen Daseins, ausgesprochen worden; und wer es noch nicht sähe, bei dem käme es bloß daher, daß es ihm allzu nahe liegt. Wir selbst haben ja immerfort die Vernunft objektiviert, ihr Dasein daher, als Dasein in der äusseren Existentialform gesetzt [...] ein Faktum, aus welchem es uns nie gelungen ist, herauszukommen, und das durchaus nicht weiter aus irgend einer genetischen Prämisse zu erklären oder zu verstehen ist, wie es eben also sich verhalten muß, wenn es Ausdruck der absoluten Vernunft sein soll« (402f).
Die Vernunftkritik Kants hatte dem Gedanken einer absoluten Wahrheit Gottes in seiner traditionellen onto-theologischen Fassung den Boden entzogen. In Fichtes WL 1804-II – so läßt sich abschließend sagen – erhält dieser Gedanke eine vernunfttheoretische Reformulierung. Ihr organisierendes Zentrum hat diese Umformungsgestalt in der reinen Gewißheit. In ihr ist nach Fichte die Uniformitätsbedingung all unseres intentionalen Bewußtseinslebens zu erblicken. Sie vermag diese Funktion zu erfüllen, weil sie das epistemische Vorkommen absoluter Einheit darstellt. Unmittelbare Erscheinung des einigen Vernunftlebens ist Gewißheit allerdings nur im Sinne dieser rein ontischen Repräsentation. Ihr reales Vorkommen als Wissen steht dagegen unter den Strukturbedingungen mentaler Repräsentation. Die reine Gewißheit manifestiert sich immer als Gewißheit eines Seienden, das vermöge der Reflexionstätigkeit des Bewußtseins in einen unendlichen Bestimmungsprozeß eintritt. In den sich hierbei einstellenden materialen Evidenzen – von empirischen Alltagsevidenzen, über die Gewißheit sozialer Verbindlichkeit bis hin zu den faktizitären Momenten innerhalb des Selbstverhältnisses – tritt die Eine Wahrheit des Vernunftlebens somit immer nur in einer Brechungsgestalt zutage. Darin ist gleichsam die kritizistische Dimension in dieser Umformung gewahrt. Daher läßt sich die absolute Einheit der Wahrheit nach Fichte wiederum nur in einer Pluralität von ›Weltdeutungen‹ auslegen.28 28 Von »Weltansichten« oder Arten, die »Welt zu deuten« spricht Fichte in AzsL, GA I/9, 104. Zur deutungstheoretischen Rekonstruktion der Standpunktlehre vgl. Ulrich Barth: Von der Ethikotheologie zum System religiöser Deutungswelten. Pantheismusstreit, Atheismusstreit und Fichtes Konsequenzen, in: Ders.: Religion in der Moderne, Tübingen 2003, 285–311; Björn Pecina: Liebe des Seins. Wandlungen in Fichtes Religionsphilosophie bis zur ›Anweisung zum seligen Leben‹, Diss. Theol., Halle 2003, 283–300.
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Hier erhält dann auch der »Glaube an einen in allem Zeitleben allein wahrhaft, und innerlich lebenden Gott« (418) seinen systematischen Ort.29
29 Zur Einordnung und religionsphilosophischen Bedeutung idealistischer Spielarten eines vernunfttheoretischen Pantheismus vgl. Jörg Dierken: Protestantisch-pantheistischer Geist. Individuelles religiöses Selbstbewußtsein als göttliches Freiheitsleben im Diesseits der Welt, in: Das protestantische Prinzip, hg. v. A. v. Scheliha / M. Schröder, Stuttgart / Berlin / Köln 1998, 219–248.
Auf der Suche nach einer neuen Theorie des Absoluten. Die Idee der Synthesis in den späteren Systemen von Fichte und Schelling
Arkadij Lukjanow (Ufa)
Das Problem des Absoluten ist aktuell. Es ist aktuell dank seiner Gerichtetheit auf die letzten Gründe des Seins und des Wissens. Die Aufstellung dieses Problems, wie es in den Systemen der Philosophie von Fichte und Schelling vorliegt, beruht auf der These, daß es vermutlich etwas gibt, das als Quelle des Seins im Sein, als innere Kraft, erscheint und kraft dieses Erscheinens unterschiedliche Formen weltanschaulicher und kultureller Gestalten hervorbringt. Durch ihr Hervorgebrachtsein aus der Quelle des Seins sind die verschiedenen Gestalten kulturellen und geistigen Lebens einer synthetischen Betrachtung gleichermaßen bedürftig wie fähig. Wie ich zeigen werde, können sich gerade mit dem Begriff des Absoluten, wie er beim späteren Fichte entwickelt worden ist, jene großen Erwartungen und Hoffnungen als verknüpft erweisen, die heute in der drängenden Frage nach der Erhaltung der inneren geistigen und energetischen Ressourcen des Menschen beschlossen sind.
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1. Die synthetische Idee des Absoluten beim späten Fichte Unabhängig vom idealistischen Entwurf zur Theorie des Absoluten haben Religion und Philosophie weit verbreitete Vorstellungen über das Absolute hervorgebracht. Etwa: die Idee eines persönlichen Gottes, die Vorstellung eines unpersönlichen Seins, das als Quelle der Existenz verstanden wird, die Idee eines gewissen ewigen Gesetzes, das innere Wesen eines jeden Menschen, das absolute Ziel und Telos des Lebens oder die Vielzahl von Göttergestalten, die die unterschiedlichen Vorstellungen vom Paradies bevölkern. Mit Blick auf Fichte läßt sich zu dieser weiter fortsetzbaren Reihe kritisch feststellen: Es ist gerade das heuchlerische und zugleich am weitesten verbreitete Wesen des Bösen, daß es ständig seine Masken wechselt. Und deshalb ist es nicht zufällig, daß Fichte in seiner Auseinandersetzung mit Schelling um den Begriff des Absoluten eindringlich konstatiert: »[es] scheint mir an sich klar, daß das Absolute nur eine absolute, d. h. in Beziehung auf die Mannigfaltigkeit, durchaus Eine, einfache, sich ewig gleiche, Aeusserung haben kann; und diese ist eben das absolute Wissen. Das Absolute selbst aber ist kein Seyn, noch ist es ein Wissen, noch ist es Idendität, oder Indifferenz beider: sondern es ist eben – das absolute – und jedes zweite Wort ist vom Uebel.« (GA III/5, 112 f.)
Die theoretische Position, von der aus diese Feststellung möglich ist, ist die Position des Transzendentalen Idealismus. In seiner Rekonstruktion des Begriffs des Absoluten weist H. Girndt darauf hin, daß es das Eigentümliche der Wissenschaftslehre – qua transzendentalem Idealismus – sei, daß sie weder in der Realität des Absoluten noch – im Unterschied zum reinen Idealismus – im Konstruktionsprinzip der phänomenalen Existenz, sondern im Einheitspunkt beider stehe.1 Der in der Auseinandersetzung zwischen Schelling und Fichte um die Idee des Absoluten verhandelte Streitpunkt war zu dieser Zeit Fichtes Unterstellung, daß Schelling das Absolute in und durch eine Synthesis setze, also durch eine konstruierte, d. h. rein idealistische Identität, der das Wesen ihres konstruierten Seins deutlich anzusehen sei. Es mag sein, daß diese Auseinandersetzung, auf die ich hier nicht weiter eingehen kann, eine Rolle für Schellings Abkehr von der Konzeption des Absoluten als 1 H. Girndt, Das Ich des ersten Grundsatzes der GWL in der Sicht der Wissenschaftslehre von 1804. Fichte Studien 10, 325.
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Indifferenz und Identität von Idealem und Realem, von Denken und Anschauung gespielt hat. Gleichwohl hat er Fichtes kritische Lehre vom Absoluten, trotz ihres fruchtbaren und konstruktiven Anstoßes, weder in ihrer Bedeutung zutreffend einzuschätzen noch in die Entwicklung seines eigenen Systems – von der Philosophie der Identität zur Philosophie der Offenbarung – einzubeziehen vermocht. Der Grund dafür liegt darin, daß Fichte seine Philosophie des Absoluten erst nach der Auseinandersetzung mit Schelling neu durchdacht und entfaltet hat. In der 1810/11 in Berlin gehaltenen Vorlesung über die Thatsachen des Bewußtseyns entwickelt Fichte den synthetischen Gedanken, der die formale Selbstbestimmung des Lebens und deren moralischen Endzweck im Zusammenhang mit dem Absoluten thematisiert. Die Anschauung Gottes ist hier als der Endzweck der Selbstbestimmung des menschlichen Lebens aufgestellt. Dem Endzweck des Lebens und seiner Selbstbestimmung liegt jedoch die Möglichkeit der Anschaubarkeit zu Grunde. Als Anschaubarkeit seines Endzweckes kommt das Leben, wie Fichte schreibt: »in zweien zugleich seyenden und gegenseitig durcheinander bedingten Formen vor, in der allgemeinen als durch den Endzweck bestimmte Natur, die als ewige Natur zufolge derselben Bestimmung eine unendliche Reihe von Welten schafft, und in der individuellen, als durch denselben Endzweck bestimmbare absolute Freiheit; wodurch sonach in jedem Individuum gesetzt ist Naturtrieb, sittliche Bestimmung, und die zwischen beiden schwebende absolute Freiheit, die durch sich selbst in eigener faktischer Vernichtung zum Willen zu steigern ist; durch welche die individuelle Form in ihrer Bestimmtheit, d. h. die Summe der Individuen den Untergang aller möglichen Welten überlebt.« (GA II/12, 128) (Hervorhebung A. L.)
Nun ist aber der Endzweck der sittlichen Bestimmung keineswegs das Absolute selbst, sondern »nur« das »Seyn des bloß formalen Lebens«, d. h. des Lebens, dem »die innere Selbstbestimmung und Selbsttätigkeit« eigen sind (GA II/12, 127 f.). Eine nähere Bestimmung des Absoluten gewinnt Fichte aus der Analyse der Begriffe Sein, Werden (Leben) und Einheit, sowie aus der Bestimmung ihres synthetischen Zusammenhangs. Zum Sein heißt es: »Seyend nenne ich dasjenige, was durchaus nicht wird, und nie geworden ist, und von dem man eben schlechtweg nichts anderes sagen kann, denn es ist.« (GA II/12, 128)
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Dagegen ist das Leben, seinem formalen Wesen nach, nur Werden. Aus der Verbindung von Sein und Leben gewinnt das unendliche Werden in seiner unendlichen Verschiedenheit den »Augenblick« als Bestand, der notwendig ist, um das sonst »ins Nichts zerfließende« Leben als solches auffassen zu können. Es ist somit im Leben das »Seyn selbst in allem diesen unendlichen Werden [anwesend], es ist, und wird nicht, wird nicht geändert, nimmt an dem Wandel durchaus nicht Antheil.« (GA II/12, 129) Die Vermittlung der hier im Spiel befindlichen Elemente bestimmt Fichte in einer Synthesis, die besagt, daß die Einheit des Lebens nicht aus diesem selbst, sondern aus dem Sein folgt, d. h. aus seiner absoluten, göttlichen Quelle, die nach Fichte keine Bestimmung zuläßt (GA II/12, 131 ff.). »Nicht das Seyn folgt aus der Einheit, sondern die Einheit [des Lebens] folgt, und zwar erst im Gegensatze mit dem Werden als einem Wandel, aus dem Seyn.« ( II, 12, 129)
Der hier skizzierte Zusammenhang verdeutlicht, daß der späte Fichte offenbar darum bemüht war, seinen Begriff vom Absoluten unauflöslich mit dem Leben der Erscheinung zu verknüpfen und somit das Absolute in das Sinnfeld der Existenz einzuholen. Diese Beobachtung wird etwa durch die Studien von H. P. Falk gestützt, der schon für die Wissenschaftslehre von 1805 feststellt, daß Fichte dort das Wissen als die »absolute Existenz« bzw. als »die Existenz des Absoluten« verstanden wissen wollte.2 Man könnte allerdings versucht sein, den späten Fichte mit dem Neuplatonismus zu vergleichen. Diese Charakterisierung ist aber für Fichte nicht zutreffend. Denn im Unterschied zu einer neuplatonischen Sichtweise verläßt Fichte in seiner Bestimmung des Absoluten die Position der Transzendentalphilosophie nicht. Das heißt, die Wissenschaftslehre besteht und beruht auf der Forderung, nur von dem auszugehen, was dem Bewußtsein unmittelbar gegeben ist. Im Hinblick auf die Erklärung der phänomenalen Mannigfaltigkeit ist für ihn das absolute Wissen die einzige Erscheinungsform des Absoluten. Das absolute Wissen ist demnach Gott außer Gott. Weil aber außer Gott nichts ist, außer seiner Gestalt, so ist das Wissen nichts, als die Gestalt Gottes. Dabei, und das ist für Fichtes Verständnis des Verhältnisses zwischen dem Absoluten und seiner Erscheinung wesentlich, ist das absolute Wissen nicht als ein Resultat des Ausflusses Gottes, auch nicht als eine Wirkung der Ursache Gottes zu denken.
2 Hans Peter Falk, Existenz und Licht. Zur Entwicklung des Wissensbegriff in Fichtes Wissenschaftslehre von 1805, FS 7, 49–57.
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Eine solcher Gedanke des substantiellen Folgens oder Fließens des Wissens aus Gott wäre dann tatsächlich ein Hinweis auf eine Anleihe Fichtes aus der neuplatonischen Emanationslehre, derzufolge wir dann von zwei verschiedenen Niveaus des Seins sprechen müßten. Das aber ist bei Fichte nicht der Fall. Fichte bestimmt das Verhältnis zwischen Gott und Wissen vielmehr so, daß sich das Wissen transzendental als die sich selbst gleichbleibende Bedingung der Möglichkeit der Anschauung bzw. Offenbarung Gottes verstehen kann und soll. Gleichwohl aber bleibt das Problem, daß im Absoluten die Grundlage seines Seins von seinem wirklichen Existieren unterschieden werden muß.
2. Die synthetische Idee des Absoluten beim späten Schelling Der spätere Schelling antwortet auf diese Frage bekanntlich mit der Theorie vom Urgrund, vom Ungrund oder Abgrund. Der Abgrund ist einfaches Existieren, unvordenkliches Sein, ursprünglicher Zufall, der einfach ist. Aber im Urgrund ist als Trieb und unbewußtes Streben die Potenz des Vollkommeneren angelegt. Dieses Streben kann auf nichts anderes gerichtet sein, als auf das Absolute selbst und das Ziel, sich selbst den Urgrund zu entdecken. Wir finden hier bei Schelling das Streben nach Selbstobjektivierung des Triebes, dessen Resultat das in Gott erzeugte Bild seiner selbst ist. Jacob Böhme nannte die bewußte Natur oder dieses Bild Gottes in Gott »Sophia«. Trotz aller Originalität dieser Idee ist der Fichtesche Ursprung in Schellings neuer Theorie des Absoluten, die er in seiner Berliner Vorlesung über die Philosophie der Offenbarung entwickelt hat, nicht zu übersehen. Denn »in der Unbegreiflichkeit seines Seins ist [Gott] nicht wahrer Gott. Das wahre Wesen Gottes ist sein Begreifliches.« Gott als das »rein Seiende« ist »das Seiende im verbalen Sinne, als das Existierende in actu puro existentae.«3 Hier liegt offensichtlich eine interessante Parallele zu Fichtes später Philosophie des Absoluten, in der das reine Sein ebenfalls als »verbales, tätiges und lebendiges«, als ein »esse in mero aktu« verstanden wird (GA II/8, 229). Gleichfalls liegt hier aber auch eine wichtige Differenz. Zwar geht auch Fichtes Berliner Lehre vom Absoluten davon aus, daß es außer Gott, als absolutem Sein, nichts gibt. Schelling aber glaubt, im Gegensatz zu Fichte, daß das Wesen des Absoluten begreifbar 3 F. W. J. Schelling, Philosophie der Offenbarung. 1841/42, hg. von M. Frank, Frankfurt a. M. 1992, 161.
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sei, und daß Fichte es daher mit jenem Antlitz oder jener Gestalt versehen oder umkleiden müsse, die er das »absolute Wissen« genannt hatte. Hierbei ist aber der wesentliche Unterschied zu beachten, der bei Fichte zwischen Wissen und Leben als Erscheinung Gottes und dem formalen Wissen und Leben besteht. Letzteres läßt sich niemals als unmittelbare Erscheinung Gottes, sondern nur als unendliches Streben, Erscheinung Gottes zu werden, verstehen und begreifen (GA II/12, 131 f.). In diesem Abstand, wenn man so sagen darf, zwischen dem Bewußtsein in seiner reinen Wesentlichkeit, d. h. als natürlicher Trieb, sich zur Erscheinung Gottes zu machen, und der Verwirklichung dieses Strebens, entfaltet sich bei Fichte diejenige Potenz, die er die zwischen zwei Leben schwebende Freiheit nennt. Blickt man von hier aus auf Schelling, so läßt sich auch hier eine Parallele feststellen, nämlich, daß auch bei ihm die Freiheit diejenige »Potenz« darstellt, die zwischen dem Sein und dem Nicht-Sein schwebt. Jedoch setzt diese Potenz, schwebend zwischen Sein und Nicht-Sein, jenes »unvordenkliche Sein« Schellings voraus, in welchem sie selbst als Möglichkeit begründet ist.4 Schellings Absicht, das prius esse zu enthüllen, bedeutet des weiteren, auch das ihm entsprechende Erkennen mit zu entdecken. Dieser Versuch läuft auf den Unterschied zwischen dem »unvordenklichen Sein« und dem »Sein als Möglichkeit« hinaus, wobei die Seins-Möglichkeit sich selbst als Potenz des unvordenklichen Ur-Seins begreift. Aus dieser Gründung der Möglichkeit entspringt das Offene für den Entwurf eines Seins, das vordem nicht existierte, sondern das sich durch schöpferische Freiheit als etwas gänzlich Neues und Unerwartetes zeigen kann. Seine Aktualität gewinnt das unerwartete Sein aus jenem »Abgrund«, der für das erklärende Wissen verschlossen und in seiner Offenbarung ewig »unvordenklich« bleibt. Nun ist Schellings »unvordenkliches Sein« ohne Zweifel auch ein Gedanke. Ein Gedanke allerdings, der als »Bewußtsein auf den Rand der Natur« auf die höchste »Spitze« der Natur abstellt, und was nach der Philosophie der Mythologie als ta eschata tes physeos zu verstehen ist.5 Diese Vermittlung bewirkt, daß auch die materielle Welt, selbst in ihrer »untersten Schicht«, dem Totenreich, bei Schelling nicht ohne geistige Beseelung gedacht werden kann.
4 Daselbst, 162. 5 F. W. J. Schelling, Historisch-kritische Einführung in die Philosophie der Mythologie, 2 Bd., Moskau 1989, Bd. 1, 335.
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Schellings Idee des Absoluten als das die schöpferische Freiheit begründende, gleichwohl für das Denken unvordenklich abgründige Sein, erinnert, um noch einmal auf Fichte zurück zu kommen, an ein Wort von Jens I. Baggesen, der gegenüber Reinhold davon gesprochen hatte, daß er sich »im Kopf« des Fichteschen Systems eine völlig »reine Seele« denke, aus der – als reiner und unbestimmter Leere – das Ich seinen Anfang setzt.6 Das mag zutreffend von Baggesen bemerkt sein, nur ist diesem Bonmot hinzuzufügen, daß Fichte aus dieser »reinen Seele«, dem Quellpunkt seines Systems, nicht allein die Freiheit, sondern auch den ganzen Reichtum seines Denkens schöpft.
3. Resümee Zu Beginn eines neuen Jahrhunderts stehen wir heute vor der Aufgabe, die Fülle des unvordenklichen Abgrundes, den positiven Sinn und die Ergiebigkeit des Bildes von der reinen Leere offenzulegen. Unsere Begriffe vom Absoluten, so wir über sie verfügen, tun gut daran, die Produktivität der hier angestellten Überlegungen zu berücksichtigen. Denn die hier abgründig und unvordenklich aufscheinende Offenheit greift nicht in die nichtige Leere eines unvorhersehbaren, geschichtlich-geschicklichen Fatums, sondern in die Fülle eines durch Freiheit hervorzubringenden Seins. Fichtes Theorie des Absoluten enthält ein Streben nach etwas, das sich nicht aus dem erschließt, was dem primitiven menschlichen Verstand dient oder was dieser verehrt, sondern das sich aus der Erwartung von etwas Anderem, noch nicht Gegebenem, nährt, von etwas, das unsere Vorstellungskraft an Vollkommenheit und Schönheit unendlich übersteigt. Auf dem Weg zur Wahrheit häuft die Menschheit eine Fülle von Vorstellungen über das Absolute an. Diese Tatsache kann als ein Beleg dafür gelten, daß wir beständig in der Gefahr stehen, nicht das Unmögliche und schlechthin Neue zu versuchen, sondern uns bei einem Starren und Unveränderlichen als der vermeintlichen Wirklichkeit des Vollkommenen zu beruhigen. Aber die Vase unseres Lebens ist zu zerbrechlich, als daß sie im Stande wäre, die Vollkommenheit in sich aufzunehmen. Deshalb ist uns das Streben nach dem Absoluten als eine unendliche Aufgabe gestellt, eine Aufgabe, die uns jener philosophische Eros erleichtert, der uns unser Selbstbewußtsein als potentia potentiae, als »ein Sein in Frei-
6
E. Fuchs, Fichte im Gespräch, Bd. 4, Stuttgart-Bad Cannstatt 1987, 260.
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heit« erahnen läßt. Wenn auch undeutlich, so spüren wir doch lange bevor wir bestimmt erkennen, was wir lieben und nötig haben. Ich bestreite damit weder die Existenz noch die Nützlichkeit unserer dinglichen Welt. Ich glaube nur, daß die innere Kraft des Selbstbewußtseins fähig ist, Bedeutsames hervorzubringen und uns in den Horizont dessen zu stellen vermag, was wir ehedem nicht bemerkt haben. Das Selbstbewußtsein schildert und erklärt somit nicht nur die Phänomene des menschlichen Geistes, sondern es entdeckt und befördert wesentlich dessen neue Möglichkeiten.
Der Gedanke des Lebens in den späten Schriften Fichtes
Lu De Vos (Leuven)
Die spezifische Bestimmung der WL in den Schriften Fichtes ist ab 1804 das Leben: die Wissenslehre sei Lebenslehre1. Diese These wird nicht deutlich aus den früheren Texten, die einen Standpunkt des Wissens von einem des Lebens absetzen; ebensowenig wird die Zusammenfügung von Sein und Leben im Prinzip der WL 1804 II geklärt. Diese Unklarheit ändert sich, wenn Fichte nachher die Bestimmtheit des Lebens darzulegen versucht2. Die thematische Betrachtung vom Leben ergibt Grundbestimmungen, welche die früheren vereinzelten Bestimmungen systematisieren. Diese sind das Leben des Absoluten oder Gottes, das göttliche Leben oder die Erscheinung, die lebendige Klarheit desselben Lebens oder das zum reinen Wissen gebrachte Wissen und das Leben dieses zur Weisheit gewordenen Wissens. Aus dieser Übersicht tritt meine Hauptthese hervor: Leben ist die einzige durchgängige Bestimmtheit der WL in Fichtes Spätphase. Ob die Bestimmungsversuche – unbeschadet des Abweisens der Thematisierung der Bedeutung – das Leben und die Formen desselben Lebens faßbar machen, ist zu klären. Grundlegend fragt sich, wie das Leben der lebendigen WL, das göttliche Leben und das absolute Leben sich zueinander 1 2
Vgl. W. Janke, Vom Bilde des Absoluten. Berlin 1993, 66ff. Vgl. die Diskussion in ›Zu den Gedanken‹, GA II/11, 46ff.
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verhalten. Zur Beantwortung versuche ich, die Grundlehre des Lebens in ihren Momenten so zu artikulieren, daß die Bedeutung des Lebens in Fichtes Philosophie klar wird. Ich unterscheide zwischen den Vorträgen der WL bis 1812 und den spätesten Vorträgen, wobei die WL 1813 einen Angelpunkt bildet. Im Resultat wird die Hauptthese dahingehend kritisch befragt, ob und wie sie über die Bedeutung des Lebens als Bestimmung des Absoluten entscheiden kann.
1. Formen der WL bis 1812 Auch in der Berliner Zeit ist die Problematik der WL das Wissen des Wissens: Wie erhält das Wissen Einsicht in sein eigenes Leben und erwirbt es selbst Leben? Zur gezielten Lebendigkeit vereinigt sie die Elemente des Wissens in eine organische Vereinigung, wodurch vermieden wird, daß das Wissen ein Totes wäre (vgl. WL 1811, GA II/12, 155–158). Der Ausgangspunkt ist das Leben der Erscheinung. Dieses Leben ist das bewegliche und agile Schweben zwischen Wesen und Erscheinung (WL 1810, GA II, 11: 307). Solches Leben ist schematisierendes Leben, denn es ist Wissen, kein unmittelbar lebendes Leben. Dieses Urschema ist Schema Gottes und besitzt zudem ein eigenes Leben. Es einigt eine Zweiheit, die durch dasselbe aus dem Einen hergestellt wird. »In der Erscheinung, die da ist das absolute Erscheinen des Seyns, schlechtweg dadurch, daß es selbst ist, und wie es selbst ist in sich selbst, ist noch über dies ein eigenthümliches absolutes Leben, zufolge des sie sich selbst erscheint.« (WL 1811, GA II/12, 179)
Was wird hiermit gesagt? Das Leben ist das, wodurch die Erscheinung sich selbst erscheint. Die Erscheinung wird von diesem eigentümlichen und absoluten Leben ermöglicht und begrenzt. Das Leben ist also Trägerbestimmung des Erscheinens, sodaß dies nicht als totes Sein verstanden wird, denn es ist ein eigentümliches, eigenes Leben. – Bei dieser Ausgangslage wird, wie selbstverständlich, eingeführt, daß das Schema der Tod des Lebens ist: Die Realität, immer noch als die des Lebens der Erscheinung verstanden, ist nur zu leben und erleben, weil das Leben selbst zu leben ist, denn die Realität ist die Sache und kein totes Schema. Der zweite Gedanke ist die Gegenüberstellung von diesem Leben der Erscheinung und Gott. Gott ist in sich selbst lauter Leben (WLiaU 1810, §1, SW II, 696). Er kann sich weder verändern, noch bestimmen.
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Sofern Begriffsbestimmungen das Leben im Urschema schon getötet haben, greifen sie nicht. Mithin denkt das Denken das Absolute als eitel, reines Leben. Damit entsteht die Frage, wieso Gott Leben heißt oder, was es bedeutet, ihm Leben beizulegen3. Evidenterweise ist dieser Gedanke ein Akt des Begründens und insofern nicht der Sache nach Gott bestimmend. Problematisch bleibt jedoch, wieso Gott als Leben betrachtet wird und eben nicht als Wissen. Eigentlich fungiert diese Grenzziehung als Restriktion, die die Erscheinung und das Absolute voneinander unterscheidet. Von diesem Gedanken ab wird die Ausgangslage ausgearbeitet. Das absolute Leben erscheint als Leben: es macht sich sichtbar. Das Schema der Erscheinung ist Leben in der Tat des Lebens, in der die Lebendigkeit als ein freies selbständiges Leben in Schematen erscheint. Wie? Das Leben vermag in dieser wesentlichen Form der Erscheinung zu leben; das Wissen oder Bild ist die Sichtbarkeit des göttlich genannten Lebens. Dieses als lebendig gefaßte Leben ist damit zugleich zu einem lebendigen Bild Gottes geworden, denn das Leben des Bildes ist Leben des göttlichen Erscheinens. Mit dieser Bewegung, wobei das Leben sich zum Sehen bringt, ist die schroffe Gegenüberstellung von Wissen und Leben, die vorher herrschte, abgelehnt. In dieser Darlegung Fichtes können beide, Wissen und Leben, sowohl lebendig als unlebendig sein. Das Leben des Bildes ist zugleich seinem Wesen nach selbst Bild, oder die Erscheinung ist ein Vermögen, das nicht dem Absoluten als lauterem Leben zugeschrieben werden kann, wodurch die Unterscheidung von Leben und Bild freilich noch erhalten bleibt. Das Bild ist in sich weder lebendig noch selbständig, sondern es ist als Erscheinung kein reales, sondern ein Vermögen oder schematisierendes Leben durch Gott. Leben macht sich wesentlich an einem andern, entgegengesetzten Leben sichtbar. Diese Entfaltung des Lebens bildet die Wurzel des Wissens und zeigt, wie Leben in Gegensatz und Wandel besteht. Diese Verdoppelung des Lebens hat sich allerdings schon in der Duplizität der Bildhaftigkeit des Lebens gezeigt, das heißt, Leben wiederholt sich in der Bildung des Bildes. Das Bild hat oder ist das Vermögen, entweder sich auf das eigene Leben der Erscheinung zu beschränken oder sich in das Leben selbst zu werfen. Genau durch diese Entfaltung an der Sichtbarkeit des Lebens ist die Mannigfaltigkeit möglich, wodurch der Vollzug des Lebens 3 Ob die Einleitung die Identifikation sichert, bleibt dahingestellt. Vgl. W. G. Jacobs, Der Gottesbegriff in den „Thatsachen des Bewußtseyns“ von 1810/11 als Übergang zur Wissenschaftslehre in specie (vgl. Fichte-Studien 29 (2006), 211–224).
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selbst als Schema im wirklichen Leben und im Begreifen des wirklichen Lebens und Erlebens entsteht. Das Vermögen soll sich als das Schema des göttlichen Lebens sehen, durch das es nämlich ursprünglich ist und durch welches es Dasein hat. Dazu benötigt das Leben etwas anderes. Zu dieser möglichen Schau des göttlichen Lebens gehört das Verstehen des eigenen, entgegengesetzten Lebens als Vermögen aufzusteigen. Aus diesem Grunde erscheint das Ich als Prinzip der Sichtbarmachung des göttlichen Lebens. Das Ich ist eine lebendige Kraft in der Sinnenwelt, denn dieses Leben der Sinnenwelt, das ein dem Leben als Schema entgegengesetztes Scheinleben ist, stellt keineswegs das Ich her. Vielmehr ist sich das Ich durch die Sichtbarkeit des göttlichen Lebens gegeben. Das Sehen der Möglichkeiten als Schemata ist ein eigenes Leben des reinen Sehens. Als etwas, was eigenes, inneres Leben hat, ist das Leben in der zu bewirkenden Sittlichkeit, das dem gegebenen Leben gegenüber absolut schaffend ist. Das materialiter geschehende Aufgeben der freien Reflexion und das Sich-Hingeben an das Leben der Wahrheit bilden den Weg zur Wahrheit. Die Wahrheit ist im wirklichen Wissen das Leben des Sehens von Gott. Die eigentliche wahre Welt, in Bezug auf welche allein eine Körperwelt ist, ist die geistige Welt, als eine geistige Gemeinde, in der die Einzelnen sind. Die gesamte Geisterwelt ist als Einheit frei; darin besteht ihr eigenes vom Leben Gottes unterschiedenes Leben. Dieses Leben ist von Gott, ja vom göttlichen Leben geschieden, aber nicht umgekehrt. Gott bleibt der immer Schaffende, da ja der unmittelbare Gegenstand seiner Schöpfung nicht eine seiende Körperwelt, sondern das freie, ewig aus sich selbst lebende Leben ist. Das Eine geistige Leben ist also Schöpfer aller Erscheinungen. So ist der Standpunkt der Wahrheit erreicht: Der Begriff lebt in sich durchsichtig und vom geistigen Leben ergriffen. Mit dem wahren Wissen ist die Erscheinung des göttlichen Lebens in Bezug auf ihre faktische Möglichkeit erklärt. Der Begriff kann das wirkliche Leben nicht binden, denn der Grund des Lebens ist das Leben selbst. Gott ist keineswegs abgesondert und rein – wie wir uns im Intelligieren, das einen Grund denkt, ausgedrückt haben –, indem diese Reinheit bereits den Tod involviert. Das Wissen muß also gewußt werden, sodaß es abgezogen werde, damit göttliches Leben rein erscheine. Ist das Wissen schon Ausdruck des Lebens, wenn das Vermögen, das Wissen zu sehen, sich vollzogen hat? Mit dieser Frage erscheint erst der Wille, der das vorweggenommene Leben ist. Das Wissen soll sich zwar als Ausdruck des göttlichen Lebens sehen; dann jedoch ist der Wille das Schema, das sich als Leben betätigt.
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Diese lebendige Erscheinung bildet sich zum eigenen Leben der Erscheinung, weil sie nicht Leben schlechthin ist, sondern solches Leben, das überhaupt erst irgendetwas produziert. Mit dem Wissen ist kein wirkliches Erblicken vollzogen, sondern nur Wissen um das mögliche Erblikken. Gott als lauteres Leben kann in einer gleichfalls lebendigen Erscheinung durch die Erscheinung erscheinen, wenn sie sich als Erscheinung des Lebens willentlich betätigt. Diese letzte Einheit, wohin fortgetrieben wird, ist absolute Lebendigkeit der Weisheit. Die Erscheinung gibt sich dem wirklichen Leben hin, nicht dem in seiner Nichtigkeit dargestellten Leben der Sinnlichkeit, sondern dem göttlichen Leben, wie es in der WL lebt. Alle Formen des Lebens sind in der WL, die das Leben als Aktivität mit einem sich vom Leben herstellenden lebendigen Bild versteht, organisch entfaltet. Die hergestellte, sich lebendig erhebende Einheit weist auf ihren Träger hin, auf das göttliche Leben, das sich in Beziehung auf ein Leben Gottes hin restringiert. Bei diesem Resultat bleiben aber zwei wichtige Fragen, worüber im obigen Überblick nichts entschieden ist. Wieso reicht der Gegensatz von Tod und Leben aus, um Wissen und das im Wissen unableitbar Gewußte zu kennzeichnen? Wird damit nicht von einem im Wissen erschlossenen Etwas auf das Wissen selbst hinübergegangen und noch mehr auf das, was aus demselben Wissen unableitbar ist? Die zweite Frage ist, wie oder wieso Gott »leben« soll? Ist dies nicht eine mit der vorgeführten Weisheit unerreichbare Behauptung, sofern das Leben nicht in religiöser Weise als Gott, sondern Gott vielmehr umgekehrt als Leben gedacht wird? Beide werden in der Frage zusammengefaßt, ob Fichte eine Lehre vom Leben aufstellt, oder ob er »Leben« als distinktives Merkmal einer auf Tätigkeit angelegten Ontologie einführt4. 2. WL 18135 Ein Drehpunkt für all diese Fragen scheint die WL 1813 zu sein. Nicht nur lehnt diese WL die Kennzeichnung ›Ontologie‹ ab; schwieriger zu deuten scheint ihr Versuch zu sein, die WL insgesamt‚ ohne ›Leben‹ darzustellen. Der erste Eindruck ist insofern täuschend, als an bestimmten Momenten – und das nicht an den unwichtigsten – auch diese WL nicht ohne die Betä-
4 Damit frage ich dem Ansatz Brachtendorfs, der Leben auf Sein zurückführt, zuwiderlaufend. Vgl. J. Brachtendorf, Fichtes Lehre vom Sein. Paderborn 1995, 251–252. 5 Dazu I. Thomas-Fogiel, Science de la science et réflexivité en 1813, Vortrag an der Université Catholique de Louvain am 17.5.2002.
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tigung des sich aufzeigenden Lebens fortschreitet. Die Aufgabe der WL ist und bleibt nicht so sehr ein Bild zu entwerfen, sondern vielmehr, sie selbst zu leben (SW X, 5). Auch die Einheit des Wissens besteht in einer ›organischen‹ Verschmolzenheit des Wissens mit dem Sein (die vormalige Ausgangslage). Solches wissende Bild ist aus, von und durch sich lebendig, wodurch das Sehen lebendig wird, was die Leistung des Verstandes ist, der zu lebendigem Wissen im Theoretischen kommt. Dann bricht die Ausführung ab. Deshalb fragt sich: Kann diese wichtige Änderung der Darstellung von 1813 aus ihrem Status als abgebrochener Darstellung erklärt werden, weil sie nicht bis zur Frage der (realen) Differenz fortgeschritten ist? Das wäre gut möglich. Ist die Zurücksetzung des Lebensbegriffs wirklich oder scheinbar, und was leistet das Leben für diese WL? Weil diese WL nur den Verstand oder die Reflexivität selbst aufzuklären versucht, restringiert sie sich kritisch auf das Verstehbare. Dabei bleibt ihr allerdings die wichtigste Aufgabe zuerkannt, ins von ihr betätigte Leben überzugehen. Dabei wird die Problematik der Hinnahme des Gegensatzes von Tod und Leben im vorliegenden Text ausgeschaltet und verzichtet die WL ganz auf die Differenzierung des Lebens in Bezug auf Gott. Diese Differenzierung wird nicht mehr berührt, weil das vom Verstand erreichte Wissen zwar die Verstandesgesetze bestätigt und erfüllt, jedoch nicht mehr jenseits derselben zu fragen versucht. Ist dies Fichtes endgültige Lösung oder bloß ein abgebrochener Lösungsversuch? 3. Die letzte Phase6 a. In der Einleitung 18137 wird das Leben wieder Thema der Betrachtung. Vom einfachen Verstehen des Lebens, das jenseits der Natur ist, führt der Weg zum Leben. Hierdurch ist es nicht auf ein totes Sein zurückzuführen, sondern auf eins, das lebendig ist und Leben hat. Das Töten des Lebens ist das Geschäft des natürlichen Sinnes. Dagegen ist philosophisch das Leben als Leben und nicht als etwas anderes zu betrachten. Die Philosophie hat als Aufgabe die strenge Nachweisung des absoluten Nichts außer dem 6 Die Paginierung im Text entstammt R. Lauth (Hrsg.), ›Ultima Inquirenda‹. J.G. Fichtes letzte Bearbeitung der Wissenschaftslehre Ende 1813/ Anfang 1814. Stuttgart-Bad Cannstatt 2001. 7 Vgl. A. Bertinetto, »Sehen ist Reflex des Lebens«. Bild, Leben und Sehen als Grundbegriffe der transzendentalen Logik Fichtes, in: E. Fuchs u. a. (Hrsg.), Der transzendentalphilosophische Zugang zur Wirklichkeit. Stuttgart-Bad Cannstatt, 2001, 269–306, hier 288–293.
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einen unsichtbaren Leben, das auch Gott genannt wird (50). Bis zu dieser Aussage wird dem Leben bloß ein Name gegeben. Es scheint nicht mehr dargelegt zu werden als dasjenige, das mit dem Leben ausgewiesen wird. Gott ist gewöhnlich durch sich, von sich, aus sich im Verstand; in der Nachkonstruktion verschwindet das absolute Leben Gottes, zu einem erstorbenen; aber innerlich ist er ein ewig reges, nie stillstehendes Leben (53). Was heißt hier Leben? Eine Einheit oder eine Konkreszens von zweien und die innige Durchdringung des Seins und des Fassens in einem (58). – Mit dieser Aussage entsteht das Problem, ob und wieso man die Einheit von zweien dem Leben Gottes zusprechen kann. Wenn Leben als Leben in solcher Form bestimmt wird, erscheint Wissen. Dieses ist lebendiges Wissen, wenn ewig reges Leben durch lebendiges Bewußtsein für das Bewußtsein als solches erzeugt wird. Wahrhaft ist nur ein Leben in ihm selbst, und ein anderes ist nicht. Dies reine Leben stellt sich nun in einem Wissen oder Bilde seiner selbst dar. Das Wissen stellt das Leben anhaltend und befestigend vor sich hin. Das Befestigen als Grundgesetz vom Wissen erwirkt einen Gegensatz zum Nichtleben. Auf der Verkettung dieses Gegensatzes mit der Form des Lebens beruhen alle Gestaltungen des Wissens. Das seiende, absolute Nichtleben ist allenthalben als Gegenstand des Wissens mit dem Leben verschmolzen (90). b. Auf das Problem von Leben und Absolutem geht das Diarium III ein. Die Erscheinung wird falscherweise zu einem besonderen göttlichen Leben gemacht. Selbst eine Zweiheit zwischen absolutem Leben und seinem Bilde gilt nicht (187). Das Leben oder das Absolute ist Eins (145). Gefragt wird dennoch nach dem besonderen Leben des Bildes für die Form des Begriffs. Dies Bild ist das göttliche Leben selbst in der Form des Begriffs. Ist das absolute Leben darin als von sich, durch sich, so lebt und bildet sich das göttliche Leben an sich. So wird das Absolute an sich nicht tot dargestellt, sondern lebend8. Das Leben ist dann durch ein anderes Leben, der Unterschied besteht in dem Leben durch sich selbst und in dem Leben durch das Leben. Das Leben durch das Leben ist im Bild und außer dem Leben, das durch ein bloß erscheinendes, begreifliches Leben sich darstellt. Das Leben an sich aber ist nie Bild. Das absolute Noumen ist zwar das absolute Leben Gottes, es wird allerdings nur ein solches sein, das als Produkt nicht reflektiert werden soll. Damit ergibt sich eine durchaus konsistente Perspektive, da ja das ›an sich‹ oder die Position Gottes 8 7), 318f.
Vgl. G. Zöller, Leben und Wissen, in E. Fuchs u. a. (Hrsg.), op.cit. (Anmerkung
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bloß vom Bild aus zum Ansatz kommt. Unterschieden wird innerhalb der Form zwischen dem Leben an sich und der Form des Begriffs. Von uns aus gesehen ist das Leben rein, denn sein eigenes ›aus sich‹ sperrt sich für uns: Da ja das Leben selbst nicht im Bilde sein kann, ist es dem Bilde unzugänglich. Die Einführung der Gedankenspaltung von ›Tod und Leben‹ bringt, wenn der Tod des Lebens sich im Verstand als Strukturierungsprinzip ergibt, ein doppeltes Bild des Lebens hervor, eines, das an der Freiheit »da seyn« soll und eins, das »da gewesen« ist. Durch das Bild wird der Träger des Lebens als Hilfspunkt hingestellt, das Leben selbst anzuschauen. Das sich verstehende Leben ist das eine absolut göttliche Prinzip im Verstand. Dies höhere Leben bleibt notwendig außer dem Bilde. Dem verstehenden Sehen liegt ein reales Leben zu Grunde. Nur durch die Vernichtung des Verstehens wird Leben; im Nicht-Sein des Verstehens, welches Nichtsein begründet, liegt das Leben. Damit ist eine negative Bestimmtheit des Lebens erreicht, nämlich das sich nicht verstehen, wie in früheren Bestimmungen von Leben; der Hiatus ist für den Verstand, nicht für das Leben; die positive Bestimmtheit gehört dazu: Leben lebt, es ist nicht nicht, Aussichquellen und Tätigkeit. Das selbständige Leben des Wissens ist als werdend durch absolutes Verstehen erkennbar. Wenn es zum Verstehen des Verstehens kommt, verschwindet dieses und tritt das Leben Gottes oder das Eine wieder ein. Dieses Bild des Lebens muß ein Wiedererwecken des Toten sein. Dieses Leben ist somit die Erscheinung des Absoluten oder des Lebens und geht nicht weiter als diese Erscheinung. Die Absolutheit der Erscheinung bleibt so erhalten, ohne mit der wahren Absolutheit vermischt zu werden. Jenseits des Begriffs ist das reine einfache göttliche Leben. Leben ist in seinem Innern unverständlich und nur im Äußeren verständlich. Jenseits ist das Eine Leben Gottes, das wahre, qualitativ bildlose, reine Leben; und ein wahres Leben der Erscheinung jenseits aller Bestimmungen gibt es nicht. Das einzige wahrhaft Lebendige ist Gott, und er erhält innerhalb der Erscheinung die Form der Einheit durch den Gegensatz des Werdens. c. Aufgrund dieser privaten Überlegungen gestaltet Fichte die letzte WL 1814. Diese WL wird erneut programmatisch als die organische Einheit des Blicks eines Lebens bestimmt. Das angestrebte Verständnis ist lebendiges Bild. Leben ist hier nicht Teil des Wissens, denn es bleibt jenseits allen Wissens und außer dem Wissen, wie ja schon das Verständnis außer ihm ist. WL ist das Werden – d. h. inneres lebendes Bild – und das, was gebildet oder lebendig konstruiert wird, ist Darstellung, denn
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leben muß es, um nicht im Tod zu verharren. Dasjenige, was die WL selbst lebt, wird nicht selbst wieder ein Bewußtes. Denn das Leben, das durch denkende Einheit das Ganze faßt, ist nur im Bilde. Wahrhaft ist es, lebt und wirkt im Zerfließen und Sich-Bestimmen. Die WL mündet deshalb auch in das Nichtverstehen, sie bleibt bloße Lehre. Ist nun das Absolute, Gott als Leben zu bilden, dann bleibt Gott, so behauptet Fichte, dennoch immanent in ihm selbst und kann nicht in eine Welt heraustreten. Gott kann nicht aus sich herausgehen, denn dann fände eine Unterbrechung des Lebens statt. Die Differenzierung des Lebens gestaltet sich selbst: Leben wird nicht durch unseren Verstand unmittelbar verstanden, deshalb ist hier auch keine Anschauung des Lebens. Wäre die Bestimmung des Lebens sein Heraustreten aus seiner ursprünglichen Einheit, dann wäre es Verstehen seiner selbst. Das Leben in seiner Bestimmung wird von der Verstandesform ergriffen. Es macht sich nach dem Gesetz des Verstandes zum Produkt des Verstehens. Damit wird das Verstehen selbst umrissen; es ist absolutes Bild; ob das Bild leben könne, läßt sich lediglich durch den Versuch betätigen. Der Verstand ist im Realismus durch die Selbstbestimmung des Lebens zum Dasein begründet. Er ist ein faktisches Prinzip: absolute Freiheit und inneres Leben, d. h. ein sich Erschaffen des Lebens aus Nichtleben. Dies Leben war nicht da, das absolute sich Schaffen zum Leben macht das Verstehen zum Leben. Zu diesem Hervorgehen des Lebensakts wird das Vermögen, absolut zu leben oder ein Nichtleben zum Leben zu machen, vorausgesetzt. Das Lebensprinzip dagegen, das sich zum Leben schafft, ist nicht das absolute, sondern nur Wissen des Prinzips. Das Leben muß in die Verstandesform eintreten als ein absolutes Werden aus einem Nichtleben, da es Leben als ein Machen durch sich sein soll. Im eigenen Willen, in der absoluten Selbstbestimmung zum Leben, kann man erst Gott haben; wie man aber zu sittlichem, geistigem, göttlichem Leben kommt, ist die wichtigere Frage, womit Fichte seine Darlegungen beschließt.
4. Resultat Was zeigen diese letzten Darstellungen als Leben und als Probleme des Lebens? Insgesamt erscheint in der analysierten Phase das Leben stets als grundlegend und auch als die WL strukturierend und sie umfassend. Leben ist nicht zu definieren, sondern zu leben. Dennoch gibt es ›definitionsartige‹ Bestimmungen: Das Leben ist nicht-mechanisch, es ist und hat
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kein Bewußtsein, es ist nicht Wissen, nicht Bild, nicht philosophisches Wissen. Es ist im Verstande nicht beherrschbar, sondern gerade sittlich zu leben. Deshalb wird es auch göttlich genannt. Mit dieser Unreflektiertheit ist auch die anfängliche Dimension des unmittelbaren und unkonstruierbaren Lebens wieder eingeholt, aber jetzt nicht mehr als tatsächliches Leben, sondern als das einzige Leben, das es wert ist zu leben, nämlich das ›göttliche‹ Leben. Auch gibt es eine ›neuere‹ Bestimmung: es kann als Einheit von zweien und als sich selbst bewegende Einheit benannt werden. Doch gilt überhaupt, Leben gestaltet sich; die Lebendigkeit ist Tätigkeit, und das Leben ist das Reale, vielleicht das Reale Gottes. Beide Bedeutungen zusammen ergeben, daß das Leben ein Dasein bei sich führt, das als Erscheinung das erscheinende Leben ist. Doch ergeben sich vielleicht Schwierigkeiten: Mit den Ausführungen der WL 1813 gab Fichte den Eindruck, die Grenze des Lebens bloß als Grenze vorzutragen, ohne eine darüber hinausgehende Differenzierung zwischen Leben und Gott erneut vorzunehmen. Diese Auffassung, daß das unhintergehbare Leben bloß Gott genannt wird, hat auf diese Weise keine Parallele in anderen Texten Fichtes, weil in diesen die Unhintergehbarkeit des Lebens mit dem Namen Gott garantiert wird, der als unmöglich zu unterbrechendes Leben gekennzeichnet wird. Ist dem tatsächlich so, stellen sich die Fragen, ob das Leben zu unserer Charakterisierung für das Absolute überhaupt ausreicht? Denn wieso kann das Wissen zurecht das Leben Gottes vom göttlichen Leben unterscheiden? Und weshalb bedürfte es überhaupt einer solchen Unterscheidung? Mit diesen Fragen ist nur die hintergründige metaphysische Problematik der späten WL angedeutet. Von den unterschiedenen Positionen kann die WL 1813 dieser metaphysischen Frage entkommen, und, wenn ich sie richtig verstanden und dargelegt habe, entzieht sie sich auch der Voraussetzung des Gegensatzes von Leben und Tod. Denn weshalb heißt Leben Nicht-Tod? Diese Selbstverständlichkeit ist gar nicht evident, stammt sie doch aus der Wahrnehmung und noch dazu aus der Fremdwahrnehmung; außerdem, wie ist diese Bedeutung nicht-zirkulär dem Leben selbst zuzuschreiben, ohne Leerheit zu erwirken? Wenn es so ist, ist noch zu fragen, weshalb Fichte die Lösung von 1813 nicht beibehalten hat? Daß er sie mit einem religiös-metaphysischen Namen versieht, ist eine Nebensache. Daß er sie argumentativ aufgelöst hat, ist je nach Einschätzung unannehmbar oder befremdend, auf jeden Fall aber zu bedauern.
Geistige Blindheit und der Sinn für Philosophie. Das systematische Problem einer Einleitung in Fichtes Wissenschaftslehre
Michael Gerten (Wiesenttal)
I. Vorbemerkungen über die allgemeine Bedeutung der Thematik Bis heute wäre eine Geschichte der »bisherigen Schicksale«1 von Fichtes Wissenschaftslehre weitgehend die ihres Nicht- oder Mißverstehens. Getrieben durch die zeitgenössische Rezeption und eigene Lehrerfahrungen, reflektierte ihr Urheber in zunehmendem Maße auf die Schwierigkeiten des Verstehens seines philosophischen Grundansatzes und versuchte, die Bedingungen und Gründe des Verstehens, dann auch explizit die des Nichtverstehens, systematisch zu erfassen. Den Kernpunkt dieses Problems hatte Fichte schon sehr früh geahnt, er ist ihm jedoch erst im Verlauf seiner Lehrerfahrung in seiner ganzen Radikalität und in allen seinen Konsequenzen aufgegangen. Der Philosoph, einst berüchtigt durch seinen ›Versuch, die Leser zum Verstehen zu zwingen‹, versteigt sich schließlich – so scheint es jedenfalls auf den ersten Blickt – zu der denkbar härtesten Zumutung an sein Publikum: Man kann meine Philosophie, die Wissenschaftslehre, nur verstehen, oder nicht verstehen, ihren genui1 Bericht über den Begriff der Wissenschaftslehre und die bisherigen Schicksale derselben, 1806/07 (= BBWL), GA II/10.
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nen Grundcharakter sehen oder nicht sehen, ein Auge für sie haben oder blind sein. Als erste Bedingung, sie zu verstehen, braucht man deshalb einen genuin philosophischen Sinn, und wer diesen nicht hat, der wird sie nie verstehen – ja sogar: Für den ist sie überhaupt nicht vorhanden! Folglich: Wer meine Philosophie nicht versteht, beweist dadurch, daß ihm der philosophische Sinn, das Organ für die Wissenschaftslehre abgeht! Für Fichte, aber auch für seine Leser, hängt also nicht nur viel, sondern alles davon ab, wie diese – zunächst doch sehr esoterisch anmutende – These von einem vorauszusetzenden philosophischen Sinn zu verstehen ist. Allerdings hat auch die Fichte-Forschung die historische wie systematische Bedeutung dieser These bisher weitgehend verkannt. Nicht erst in den jüngst zum ersten mal publizierten Texten zu den Einleitungsvorlesungen aus der Erlanger und der zweiten Berliner Periode Fichtes,2 sondern schon in längst veröffentlichten Schriften3 hätten sich wichtige Elemente und das Ausmaß der Bedeutung von Fichtes Rede vom philosophischen Sinn finden lassen können – wenn man nur eben den Sinn für diesen Sinn gehabt hätte! Die These vom philosophischen Sinn ist ein – auch für die Propädeutik – außerordentlich wichtiger Teil der Fichteschen Lehre, weshalb ich sie im folgenden auch als ›Lehrstück‹ bezeichne. Ich bin während meiner Beschäftigung damit zu der Ansicht gelangt, daß mit diesem Lehrstück vom philosophischen Sinn der bisher so vielen Lesern und Interpreten fehlende Schlüssel zum Verständnis der Wissenschaftslehre in die Hand gegeben werden kann! Für eine richtige historische und systematische Einordnung von Fichtes Rede von einem philosophischen Sinn sind der eigentlichen Begriffsbestimmung dieses Sinnes (Punkt III.) zunächst Ausführungen über die spezielle philosophische Einleitungsproblematik voranzustellen, wie sie sich für Fichtes Wissenschaftslehre im besonderen wie für den 2 Dies sind bisher die Erlanger Einleitungsvorlesungen Institutiones omnis philosophiae von 1805 (= Iop), sowie das Textmaterial zu den Berliner Einleitungen von 1809–1812, veröffentlicht innerhalb GA II/9 – II/13, und in: Die späten wissenschaftlichen Vorlesungen, bisher 2 Bde., Stuttgart 2000 ff. (= SWV I u. II). 3 Ich meine v.a. die vollständigste Darstellung von Fichtes These vom philosophischen Sinn in seinen Vorlesungen zur Einleitung in die Wissenschaftslehre vom 4. November bis ca. 23. Dezember 1813, erstmals veröffentlicht in SW IX, im folgenden zitiert als EWL-1813 nach der neuen, kritischen Fassung in: R. Lauth (Hg.): Ultima Inquirenda. J.G. Fichtes letzte Bearbeitungen der Wissenschaftslehre Ende 1813/Anfang 1814, Stuttgart 2001, 1–129. Einschlägige Ausführungen finden sich aber auch in anderen, vor oder in den SW publizierten Texten, z. B. Die Bestimmung des Gelehrten 1811, Sittenlehre 1812, Transscendentale Logik vom Herbst 1812 (= Transzendentale Logik II, zitiert nach der kritischen Ausgabe von R. Lauth u. a., Hamburg 1982), sog. Staatslehre 1813.
Geistige Blindheit und der Sinn für Philosophie
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transzendental-idealistischen Grundansatz der Philosophie im allgemeinen ergibt.
II. Das spezielle Einleitungsproblem bezüglich des transzendentalidealistischen Grundcharakters der Wissenschaftslehre 1. Lehre als System und Vermittlung Fichte arbeitete an der Wissenschaftslehre als philosophischer Forscher und als Lehrer. Forschung ist die Arbeit an der ursprünglich erfindenden oder mit Hilfe der Überlieferung nacherfindenden Systemkonstruktion. Die Urerfindung hat ihre eigenen Bedingungen und Gesetze. Ihr Ergebnis ist eine Wissens- oder Vernunftlehre (Logologie), eine systematische Erkenntnis der geistigen Gesetze des Wissens, der Vernunft. Dieses System bildet den Lehrgehalt. Davon zu unterscheiden ist die Lehre im Sinne der Lehrtätigkeit, also die Arbeit an der äußeren Vermittlung des Systems. Die Lehrtätigkeit ist das interpersonale Geschehen der Tradierung des Lehrgehaltes durch den vorkonstruierenden Lehrer an den nachkonstruierenden, nacherfindenden Schüler. Erfindende Systemkonstruktion und lehrende Vermittlung erscheinen so als die beiden Grundarten aller philosophischen Tätigkeit. Allerdings herrscht zwischen diesen beiden Tätigkeitsarten ein Prinzipiengefälle. Die wirkliche Vermittlung in der Lehrpraxis setzt erstens die Erfindung der Lehre qua System voraus, und kann zweitens nur gemäß theoretischen Prinzipien geschehen, die unter den Prinzipien des Wissens selbst stehen und in oder aus der Wissenschaftslehre abzuleiten sind. Daß die Systemvermittlung unter Bedingungen steht, die es nicht erlauben, unvermittelt mit dem Vortrag der Wissenschaftslehre selbst anzuheben, sondern vielmehr einer geistigen Vorbereitung bedürfen, war Fichte von Beginn an klar. Entsprechend sind in der Interpretation seiner Texte Arbeiten zu der Wissenschaftslehre selbst von solchen einer propädeutischen Vorbereitung auf sie sorgfältig zu unterscheiden. Letztere ist gedacht als Hilfestellung des Autors und Lehrers für sein lesendes und hörendes Publikum in dessen Bemühen um ein grundsätzliches Verständnis oder anders gesagt: für ein Verständnis des Grundsätzlichen, des typischen Charakters und Grundansatzes der Wissenschaftslehre.
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2. Der Standpunkt des Lebens und der Standpunkt der Philosophie Das genannte Grundproblem von System und Vermittlung der Philosophie spezifiziert sich also zum Problem einer propädeutischen Einleitung in die Wissenschaftslehre, welcher die Erklärung des Grundansatzes als Bedingung ihrer Vermittlung dient. Zu einem eigentümlichen, ganz und gar nicht trivialen Problem wird diese Einleitungsaufgabe nun durch den transzendental-idealistischen Grundcharakter, den die Wissenschaftslehre mit der Philosophie Kants teilt. Durch diesen unterscheidet sich das philosophische Denken nämlich nicht etwa nur graduell von dem gewöhnlichen, alltäglichen Denken (etwa bloß durch seine größere Komplexität und Schwierigkeit), sondern stellt eine ganz eigene Denkart dar. Eine positive inhaltliche Bestimmung dieses Standpunktes setzt zunächst seine negative Bestimmung als Gegensatz zum Standpunkt oder Gesichtspunkt des gewöhnlichen Denkens voraus. Stärker noch als Kant betont Fichte von Anfang an, daß die wahre Philosophie nur erreicht werden kann durch eine grundsätzliche Überschreitung der gemeinen, empirisch-realistischen Denkart, durch den der Standpunkt des gewöhnlichen Lebens einschließlich der nichtphilosophischen Wissenschaften charakterisiert ist. Dieser Überschritt vom Boden des gewöhnlichen Lebens und seiner realistischen Denkart hin auf den Boden der philosophischen Spekulation und seiner transzendental-idealistischen Denkart ist für den Jenaer Fichte aber nur innerhalb der Spekulation und ihres rein theoretischen Interesses angesiedelt. Die philosophische Spekulation ist eben nur bezüglich der Denkart, also theoretisch, völlig neu, dagegen in praktischer Hinsicht auf das gewöhnliche, wirkliche Leben bezogen bleibend, dessen Standpunkt durchaus teilend. Daß diese Sicht des Verhältnisses zwischen spekulativem und lebenspraktischem Standpunkt später in einem wichtigen Punkt korrigiert wird (vgl. unten die Bemerkungen zur Wissenschaftslehre 1804), ändert nichts an den Konsequenzen, die sich schon aus der rein formalen Konstellation der Unterscheidung eines natürlichen, vorphilosophischen Standpunktes von einem durch Freiheit gebildeten philosophischen Standpunkt ergeben. Da der vorphilosophische Standpunkt des Lebens ohne Voraussetzung des philosophischen unmittelbar gelebt, der philosophische Standpunkt aber nur durch Überwindung des vorphilosophischen reflexiv erreicht, beide schließlich nur durcheinander bestimmt und begriffen werden können, kann folgerichtig der vorphilosophische ›niedere‹ Standpunkt sich selbst bezüglich seiner grundlegenden Denkart nicht begreifen, denn er sieht eben seinen Gegensatz, den philosophischen Standpunkt, gar nicht, und wenn, dann in einem völlig falschen Licht. Der
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sich selbst als höher einstufende, beide Standpunkte und Denkarten zugleich überblickende philosophische Standpunkt dagegen behauptet entsprechend, nicht nur sich selbst als eigentlich philosophischen, sondern auch den ihm entgegengesetzten natürlichen und gewöhnlichen Standpunkt als den nicht-philosophischen begreifen zu können. ›Natürlich‹ und ›gemein‹ ist der vorphilosophische Standpunkt insofern, als wir alle in ihm geboren werden. Zum ›künstlichen‹ Standpunkt der Philosophie und ihrer Denkart kann es folgerichtig nur unter Voraussetzung und durch Überschreitung des Standpunkts des Lebens und von dessen Denkart kommen. Das Problem der Einleitung in die Philosophie spezifiziert sich damit zu dem einer Anleitung zum Übergang von der gewöhnlichen, vorphilosophischen und natürlichen zur spekulativen, philosophischen und ›künstlichen‹, d. h. nur durch Freiheit und Bildung zu erreichenden Denkart.
3. Das Lehrstück vom philosophischen Sinn innerhalb des Gesamtwerkes In der erwähnten Einleitung in die Wissenschaftslehre von 1813 finden sich Fichtes letzte zusammenhängende Überlegungen zu diesem propädeutischen Grundproblem. Das Lehrstück selbst hat bei Fichte eine lange und komplexe Entwicklungsgeschichte. Eine detailliertere Rekonstruktion derselben wird überhaupt erst möglich durch die Publikation bisher unveröffentlichter Texte (u. a. die genannten Einleitungsvorlesungen der Erlanger und der zweiten Berliner Phase). In der Jenaer Phase finden sich nur erste Ahnungen. So können in den frühen Erwähnungen eines dem philosophischen Geist in seinem transzendentalen Grundcharakter verwandten »Aesthetischen Geistes«, der – eben wegen dieser Verwandtschaft – zwischen gemeinem, empirisch-realistischem und philosophischem, transzendental-idealistischem Standpunkt vermitteln soll,4 ebenso wie in der Rede von einem »transscendentalen Sinn«5 zwar durchaus Vorbereitungen einer Lehre vom philosophischen Sinn erkannt werden; aber diese Begriffe sind dort eher nebenher eingeführt, ohne Entfaltung ihrer späteren fundamentalen Bedeutung für das Verständnis der Wissenschaftslehre schlechthin. Erkennbar ist allerdings die Verbindung des Begriffs von
4 Vgl. den Brief Fichtes an J. E. von Berger vom 11. Oktober 1796, den § 31 der Sittenlehre von 1798 und kurz danach und mit Referenz darauf die Wissenschaftslehre nova methodo, hg. von E. Fuchs, Hamburg 1982, 244. 5 Vgl. die Rezension Bardili vom Herbst 1800 (GA I/6, 438 und 446 f.).
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einem »habituell«-Werden des transzendentalen Sinnes mit dem der »Besinnung«, womit der spätere Begriff der ›Besonnenheit‹ vorbereitet ist; mit ihm wird gegenüber einem nur blitzhaften Aufleuchten und Wiederverlöschen einer bloßen Ahnung des transzendentalen Gesichtspunktes die Notwendigkeit des klaren und besonnenen Sich-Haltens und Feststehens in ihm gefordert. Wörtlich findet sich der Begriff eines ›transzendentalen Sinnes‹ oder ›Organs‹ erst wieder in der Wissenschaftslehre 1804-II (GA II/8, 300) und in den dem Brief an Appia vom 23. Juni 1804 beigefügten Aphorismen über das Wesen der Philosophie als Wißenschaft (vgl. GA III/5, 245). Im Sonnenklaren Bericht dagegen wird seine systematische Stelle durch einen differenzierten Begriff der ›Anschauung‹ eingenommen, jetzt in der klaren Funktion als conditio sine qua non für das Erfassen des philosophischen Standpunktes und Grundansatzes. Allerdings erschien in dieser Funktion der Begriff der Anschauung damals wohl nur Fichte selbst als ›sonnenklar‹. Es ließe sich durch direkte Textvergleiche jedoch zeigen, wie sehr einzelne Gesichtspunkte bis hin zu Formulierungen dieses Werkes in die späteren Ausführungen über den philosophischen Sinn eingegangen sind. In der ersten Berliner Phase bis 1805 bleibt es noch bei verstreuten Bemerkungen darüber. Spätestens nachdem auch der Sonnenklare Bericht Fichtes Leser (einschließlich Reinhold, Jacobi und Schelling) nicht ›zum Verstehen zwingen‹ konnte, mußte Fichte aufgegangen sein, daß er auf die Mißverständnisse seiner Lehre nicht einfach nur mit Polemiken oder immer neuen Einleitungen und Berichten über Begriff und Grundansatz dieser Lehre reagieren konnte, sondern sich an die Untersuchung der negativen Hinderungsgründe für ein Verständnis, oder – was dasselbe ist – an die Untersuchung des letzten Grundes für das fast ausschließliche Mißverstehen derselben machen mußte. Den ersten Versuch einer systematischeren Behandlung des Themas liefern dann die Erlanger Einleitungsvorlesungen, die Institutiones omnis philosophiae von 1805. Sie betonen gleich zu Anfang schon, daß die Philosophie die ganze durch die äußeren Sinne gegebene Objektwelt übersteigt, indem sie von einem »Objekt, nicht des äussern, sondern des innern Sinnes« redet, ohne den sie »nur ein leeres Wort, wie das von Farbe Reden des Blinden« ist. Erstmals wird hier auch unmißverständlich die propädeutische Konsequenz daraus gezogen: »Der erste absolut nothwendige Erfolg eines Philosophischen Vortrages ist daher dieser, daß auf seine Veranlassung der neue, von allen andern Sinnen u. Fähigkeiten specifisch, u. toto genere verschiedene Sinn für die Philosophie eröfnet, entwikelt, u. gebildet werde« (GA II/9, 36).
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Die Gründe für diese vertiefte, nun auch stärker systematische Beschäftigung mit dem philosophischen Sinn sind nicht nur in äußeren Anlässen zu sehen (in den Erlanger Einleitungsvorlesungen ist unmittelbar erkennbar, daß der massive Hörerschwund Fichte zu einem tieferen Nachdenken über die Gründe der Verständnisschwierigkeiten bewegt hat). Vielmehr dürften sich im Verlauf der ungeheuer dichten und tiefgreifenden Arbeiten an der Wissenschaftslehre im Jahre 1804 auch innersystematische Gründe dafür ergeben haben. So erscheint spätestens jetzt der Standpunkt des gewöhnlichen Bewußtsein nicht nur hinsichtlich des theoretisch-spekulativen Gesichtspunktes, sondern als im Ganzen zu überwindender Standpunkt: »die W.-L. läugnet die Gültigkeit der Aussagen des unmittelbaren Bewußtseins, schlechthin als solche, und grade darum weil sie das [sind]« (WL-1804-II, GA II/8, 204). Auch die Königsberger Wissenschaftslehre von 1807 beginnt mit dem Lehrstück vom vorauszusetzenden Sinn, das dann in allen Einleitungsvorlesungen der zweiten Berliner Phase eine zentrale Rolle spielt. Daß Fichte bis in seine letzten Aufzeichnungen auch noch nach den letzten Einleitungsvorlesungen 1813 (nämlich im Neuen Diarium 1813 samt den Nebenblättern und der Wissenschaftslehre 1814) mit dem Thema beschäftigt war, mag ein Zeichen dafür sein, daß er selbst noch nicht zu einem Abschluß gekommen war. Seit Erlangen werden immer wieder neue, zum Teil auch scheinbar widersprüchliche Gesichtspunkte des Problems einführt. Die Aufgabe einer Synthese all dieser Aspekte bleibt einer umfassenden historisch-systematischen Rekonstruktion dieses Lehrstückes sowohl als Teil der Wissenschaftslehre selbst wie als Teil der angewandten Philosophie vorbehalten. Die meisten dieser zentralen Elemente und Einsichten des Lehrstückes vom philosophischen Sinn sind in Fichtes ausgereiftester Darstellung, den genannten Einleitungsvorlesungen von 1813, enthalten. So deutlich wie nie zuvor untersucht und erläutert Fichte mit der ersten Bedingung für das Verständnis seiner Philosophie zugleich auch den Grund, warum man diese nicht bloß faktisch, sondern notwendig nicht verstehen konnte und mißverstehen mußte. Die Vorlesungen selbst beginnen mit einem vernichtenden Urteil über das jetzt drei Jahrzehnte dauernde Schicksal der von Kants Kritiken begründeten und von Fichtes Wissenschaftslehre fortgesetzten Philosophie des transzendentalen Idealismus: So könne von »Verständniß, Besitz, Handhabung des GrundPrincips gar nicht« die Rede sein (EWL-1813, 3). Dabei ist das bloße Nichtverstehen »ein kleineres Uebel« gegenüber dem Mißverstehen, denn im Nichtverstehen ist das richtige Verstehen nur
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aufgeschoben, im Mißverstehen dagegen aufgehoben. Soll es daher zum Verstehen dieser Philosophie kommen, muß als erstes der Weg zum Mißverstehen versperrt werden mit dem Ziel, jedem zumindest die Klarheit darüber zu ermöglichen, »ob er sie habe, besitze, oder nicht, so daß darüber kein Irrtum statt finde, weder für jeden selbst, noch für andere in Absicht auf ihn« (EWL-1813, 4). In den folgenden, für unser Thema entscheidenden Sätzen schildert Fichte die prinzipielle Realisierungsbedingung dieses Zieles: »Ich halte dafür daß dieß erreicht werden werde, wenn unverhohlen, und gleich im Beginne der Lehre ausgesprochen und als Hauptpunkt hingesetzt wird, was Kant ohne Zweifel nicht ganz klar gewesen, und was mir erst im Vortrage dieser Lehre, und nach näherer Bekanntschaft mit der entgegengesetzten Denkart klar geworden. So wie es hier ausgesprochen [wird]: Diese Lehre setzt voraus ein ganz neues inneres Sinnenwerkzeug, durch welches eine ganz neue Welt geboren wird, die für den gewöhnlichen Menschen gar nicht vorhanden ist« (EWL-1813, 4).
Die Möglichkeit nun, diese Rede von einem für die wahre Philosophie vorausgesetzten philosophischen Sinn, einem spezifischen Organ für die Wissenschaftslehre also, nicht ganz ernst, sondern für eine rhetorische Redewendung zu nehmen, weist Fichte selbst kategorisch zurück: »Nicht zu verstehen als etwa eine Uebertreibung, rednerische Phrase – das nur gesagt wird, um viel zu fodern, mit dem stillen Bescheiden daß weniger gewährt werden möge. – sondern wirkl[ich] wie es heißt. – Nochmals: Für die Menschen, wie sie sind, durch ihre Geburt und die gewöhnliche Bildung werden, ist diese Lehre durchaus unverständlich, denn die Gegenstände von denen sie redet, sind für dieselbe[n] gar nicht da, weil sie den Sinn nicht haben, durch und für welchen diese behandelten Gegenstände da sind. Es wird ihnen drum durchaus die Rede von Nichts, von dem das nicht ist – für sie. Diese Lehre kann drum an die Menschen wie sie sind gar nicht gebracht werden. Sie können sie nicht verstehen, sie müssen sie misverstehen. Die erste Bedingung ist, daß der Sinn in ihnen gebildet werde, für den diese Gegenstände sind« (EWL-1813, 5).
Diese Sätze lassen schon in ihrer Formulierung keinen Zweifel zu über den Stellenwert, den Fichte selbst ihnen zumißt. Der Besitz des erforderlichen neuen inneren Sinnes ist unverzichtbar für das Verständnis der Wissenschaftslehre, ihn zu bilden erste Aufgabe einer Einleitung in dieselbe. Die Radikalität der These macht Fichte durch den Vergleich mit den
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äußeren Sinnesorganen deutlich: So wenig wie Blinde Licht und Farben sehen können, so wenig können die, denen das innere Auge dafür fehlt, die Wissenschaftslehre verstehen. Alle Rede darüber muß den Blinden vollkommen unverständlich bleiben; wollen sie dann »aus irgendeinem Grunde eurer Lehre doch einen Verstand geben, – so können sie dieselbe nur verstehen von dem was ihnen durch Betastung bekannt ist« (EWL1813, 5). So wie sich in der äußeren Sinnlichkeit Tasten und Sehen verhalten, so verhalten sich im inneren Sinn der gewöhnliche, natürliche und der neue, philosophische Sinn zueinander. Das Schicksal, mißverstanden zu werden, ist von der Wissenschaftslehre unabwendbar, wenn und solange sie mangels des neuen mit dem alten, gewöhnlichen Sinn aufgefaßt wird. Dagegen glaubt Fichte, »daß es durch Voraussendung eines Unterrichts über geistige Blindheit und ‹red›liche Vermeidung derselben sich von ihr abwenden lasse« (EWL-1813, 6).
III. Begriffliche Bestimmung des neuen, philosophischen Sinnes Mit dem expliziten Unterricht über den neuen inneren Sinn selbst und sein Gegenteil, den gewöhnlichen inneren Sinn und seine Blindheit, ist für den Versuch der Lösung des Einleitungsproblems eine neue Qualität erreicht. Dies genauer zu verdeutlichen, heißt eine begriffliche Bestimmung des neuen Sinnes selbst zu geben. Im folgenden beschränke ich mich auf einen Vorbegriff, eine Charakteristik der Grundbestimmungen. Dabei gehe ich in drei Schritten vor, in denen jeweils einer von drei miteinander zusammenhängenden Aspekte untersucht werden soll; die ersten beiden (1. die Bestimmung des Charakters des neuen Sinnes als Sinn; 2. die Bestimmung des Charakters der Neuheit des neuen Sinnes durch seine Differenzierung) geben eine eher formale Charakterisierung wieder, erst der dritte Aspekt (3. die Bestimmung der spezifischen Differenz des neuen vom alten, gewöhnlichen Sinn) liefert die eigentliche inhaltliche Charakteristik, worin denn der philosophische Sinn besteht und was das durch ihn Gegebene ist.
1. Die Bestimmung des Charakters des neuen Sinnes als Sinn ›Sinn‹ (sensus) heißt ein Erkenntnisorgan, durch das etwas Unmittelbares, d. h. eine Anschauung, wahrgenommen, dem Bewußtsein gegeben wird. Als Gegensatz dazu versteht man gewöhnlich den Verstand, der Unmittel-
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bares oder schon Verknüpftes verknüpft und wieder zergliedert und damit immer ein Vermitteltes zum Resultat hat. Dieses Grundsätzliche am Begriff des Sinnes, seine Verbindung mit einem Unmittelbaren, nur Anzuschauenden als der Basis aller weiteren Vermittlung, behält Fichte bei: »Unmittelbare Anschauung [ist] Grundlage alles anderen Wissens, bei ihnen wie bei uns; darüber sind wir uns einig« (EWL-1813, 20). Das Erkenntnisorgan dieses Unmittelbaren wird ›Sinn‹ genannt: »Alle Lehre, Theorie ist Zusammenstellung eines schon als bekannt vorausgesetzten; anerkannt, einig. Unmittelbar aber bekannt vor aller Lehre voraus ist es durch den Sinn unmittelbarer Wahrnehmung. Wovon redest du: von dem unmittelbar gegebenen« (EWL-1813, 6). Doch während das, was die gewöhnliche Ansicht ›Sinn‹ nennt, eine Qualität, eine Beschaffenheit von Objekten gibt, wird durch das, was Fichte zur Unterscheidung von den äußeren Sinnen ›innerer Sinn‹ nennt, »nicht gegeben irgend eine Beschaffenheit, sondern das durchaus andere: der Sinn u. die Bedeutung, in der man die Beschaffenheit nehmen soll, ob [als Seyn] oder [als Bild]« (Transzendentale Logik II, 31). Es ist hier unschwer zu erkennen, daß damit dasselbe gemeint ist wie in der beschriebenen Rede von den möglichen Gesichtspunkten oder Standpunkten. In den Erlanger Einleitungsvorlesungen nennt Fichte dies auch ›Vernunftansicht‹, und zwar »Ansicht: wegen Duplicität desselben angesehenen Objekts« (Iop, GA II/9, 91): Nicht das Objekt und dessen Beschaffenheit ist Gegenstand des inneren Sinnes, sondern das, als was es unmittelbar genommen, gesehen wird, also die Beschaffenheit von »Wissen, u. Bewußtseyn, Einsicht u. Ansicht« von Objekten (GA II/9, 93). Weil diese Ansicht durch den inneren Sinn und damit unmittelbar gegeben ist und in ihr als Denkform alles andere gesehen wird, nennt Fichte sie auch »Grundansicht« (Staatslehre, SW IV, 373 ff.). Die ›Duplicität‹ derselben weist darauf hin, daß sie sich aufspaltet in genau zwei entgegengesetzte Grundansichten, in zwei Grundformen des inneren Sinnes: eben den alten, gewöhnlichen und niederen Sinn, von Fichte nach der beschriebenen Analogie mit den äußeren Sinnen »Sinn der innern Betastung« genannt (EWL-1813, 6), und den neuen, höheren Sinn des ›inneren Sehens‹. Dies führt auf den zweiten Aspekt der Bestimmung des Begriffs des neuen, philosophischen Sinnes.
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2. Die Bestimmung des Charakters der Neuheit des neuen Sinnes durch seine Differenzierung Die Beantwortung der Frage nach der Charakterisierung des neuen Sinnes als ›neu‹ geschieht durch einige wichtige Differenzierungen innerhalb des Begriffs des neuen Sinnes. Ist der neue Sinn für den, der ihn zuerst nicht hat und blind ist, ihn dann hat und sieht, schlechthin neu? Würde diese Frage mit ›Ja‹ beantwortet, so wäre jeder Vermittlung der Boden entzogen, der neue Sinn wäre einer, »der erst aus nichts zu erschaffen wäre«, absolut, ohne jede Vermittlung, durch einen unerklärlichen Sprung (hiatus irrationalis). Fichte ist sich der Gefahr des Vorwurfs einer esoterischen Selbstimmunisierung gegen Kritik von außen bewußt, sieht aber seine Konzeption nicht davon betroffen. Denn er beantwortet die Frage der Neuheit schlechthin des neuen Sinnes mit einer ersten Differenzierung, innerhalb derer zwei weitere folgen (im folgenden unter (a), (b) und (c) abgehandelt). (a) Mit der ersten Unterscheidung von zwei grundsätzlichen Hinsichten, unter denen der neue Sinn und die Frage nach seiner Neuheit betrachtet werden muß, weist Fichte zugleich unmißverständlich den Irrationalismusvorwurf zurück: »[Er ist] nicht etwa ein partikulärer Sinn, der nur wenigen geweihten und absonderlich begeistigten zu Theil geworden; Eine solche Behauptung wäre anmaßend, sie widerstreitet auch [...] unserer ganzen Ansicht; sondern [er ist] einer dessen Anlage schlechterdings in allem ist, was Mensch ist, und vom Wesen desselben unabtrennbar; freilich ist er bei dem einen leichter zu entwikeln als bei dem andern, wovon denn im allgemeinen die Gründe sich auch recht wohl nachweisen lassen. Insofern also nur [ist er] neu und in die Zeit einzuführen, als entwikeltes und geübtes Vermögen, keineswegs als Anlage; als solche [ist er] ewig und schlechthin.« (EWL-1813, 7)
In der ersten Hinsicht, als Anlage und Potenz betrachtet, ist der neue Sinn allen gemein, ›ewig‹ und schlechthin mit dem Wesen des Menschen als endlicher Vernunft verbunden. Die Begriffe ›Anlage‹, ›Vermögen‹ fordern schon von sich aus den Aspekt der Entwicklung oder Nichtentwicklung, Realisierung oder Nichtrealisierung derselben. (b) Die Betrachtung des zweiten Aspektes, der der Entwicklung, führt auf die zweite Differenzierung in der Frage nach der Neuheit des neuen Sinnes. Diese zweite Unterscheidung geschieht innerhalb der
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Bildung und Entwicklung dieser Anlage, und zwar durch Betrachtung der Extension derselben: »Wie weit erstreckt sich denn nun unsere Forderung der Neuheit dieser Entwikelung? Etwa nur auf einzelne Personen, die zuerst in diese Lehre eingeweiht werden[,] oder etwa auf das ganze Menschengeschl[echt]? Ist unsere Meinung etwa die, daß diese Entwikelung für das ganze Geschlecht eine neue, und vorher niemals da gewesene Begebenheit sey?« (EWL-1813, 7 f.) Fichte bejaht diese Frage, allerdings mit einer entscheidenden Einschränkung, die zugleich die Schwierigkeit der Lehre vom philosophischen Sinn noch wesentlich steigert: »es ist mit jenem Sinn gesehen worden, seitdem Menschen da sind, und alles grosse und treffliche, was in der Menschheit ist und welches allein die Menschheit bestehen macht, stammt aus den Gesichten dieses Sinnes: daß aber dieser Sinn sich selbst gesehen habe, in seinem Unterschiede und seinem Gegensatze mit dem andern gewöhnlichen Sinne, war nicht der Fall.« (EWL-1813, 8). Nach der ersten Unterscheidung zwischen Anlage und Entwicklung des neuen Sinnes führt die zweite Unterscheidung zu zwei Grundstufen innerhalb dieser Entwicklung selbst. Bezüglich der ersten Stufe ist die Entwicklung des neuen Sinnes nicht schlechthin neu in der Geschichte der Menschheit, sofern es immer Menschen gab, die zumindest mit diesem Sinn gesehen haben, was eine partielle Entwicklung voraussetzt. Andererseits scheint daraus zu folgen, daß es eben auch Menschen geben könnte, die diesen Sinn nicht einmal partiell entwickelt haben. Letzteres kann nun aber nicht auf die mangelnde Anlage zurückzuführen sein, denn diese hat jeder. Insofern kann man – so Fichte in den Erlanger Einleitungsvorlesungen – die Blindheit des inneren Gesichtssinnes auch nicht als absolute, schlechthin angeborene und unheilbare ansehen: »[...] es giebt – der Satz ist streng zu erweisen – keinen innerlich blind gebohrenen. Wohl aber kann das innere Auge durch NichtGebrauch, u. durch den alleinigen einseitigen Gebrauch des ‹niedern innern› Sinns, das innere Auge im Leben u. für das Leben gelähmt werden« (Iop, GA II/9, 91). Da nur das Geborenwerden, nicht aber auch das Verbleiben in dieser Blindheit allein der geistigen Natur zuzuschreiben ist, redet Fichte entsprechend nicht nur von einer geistigen Blindheit, sondern von einer »geistigen Verblendung« und immer wieder von ›Verstocktheit‹ (GA II/9, 100 f.). Diese Unterscheidung der beiden Möglichkeiten hinsichtlich der ersten Entwicklungsstufe des neuen Sinnes überhaupt, nämlich zwischen einer allen allgegenwärtigen Chance, den nie ganz fehlenden Sinn zu entwickeln, und der »durch eigne Trägheit« verursachten »totale[n] Erlähmung« (GA II/9, 92) des inneren Gesichtssinnes, führt auf eine weitere Komplizierung der Thematik. Entsprechend muß sich näm-
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lich wie für die Blindheit so auch für die Entwicklung dieses Sinnes und des Sehens mit ihm die Frage stellen, inwieweit hier Schicksal und/oder Freiheit wirken. In Erlangen betont Fichte »daß die Frage über die Verschuldung der Blindheit pp. sowie die über die Freiheit, die allerschwerste an der ganzen Theorie der geistigen Welt ist, u. die vollendetste Bekanntschaft mit der geistigen Welt voraussetzt: drum hier [...] [ihre Beantwortung] nicht gegeben werden kann« (GAII/9, 101). Fichte ist uns wohl die Antwort schuldig geblieben, das Problem wird jedenfalls in den weiteren Thematisierungen des neuen Sinnes nicht mehr aufgegriffen. Es betrifft jedoch beide Stufen der Entwicklung des neuen Sinnes: die der partiellen Entwicklung, und die im folgenden darzustellende zweite und höchste Stufe der Entwicklung. Erst mit Blick auf diese zweite Stufe der Entwicklung der Anlage des neuen Sinnes ist nun dieser Sinn wirklich schlechthin neu: daß nämlich nicht nur mit ihm gesehen, sondern daß darüber hinaus er selbst zugleich mit seinem Gegensatz gesehen werde: »Diese letzte Anforderung, der Sinn des Sinnes selbst, der beide vereinigende Sinn, ist in der That neu[,] eine neue, dem Menschengeschl[echt] erst in unserer Zeit gestellte Aufgabe« (EWL-1813, 8). Die beiden Grundstufen der Entwicklung des neuen Sinnes sind also zum einen: bloßes Dasein dieses Sinnes, und zum andern: sich sehendes Dasein dieses Sinnes (= Dasein des Sinnes des Sinnes). Auf der ersten Stufe, wo zwar mit dem höheren Sinn gesehen, aber dieses Sehen selbst ebensowenig wie der gewöhnliche innere alte Sinn gesehen und begriffen wird, weil sie nur durcheinander begriffen werden können, wirkt er neben dem gewöhnlichen, niederen Sinn: »Die Eindrücke der beiden Sinne verschmolzen, das Leben[,] ohne Einigungsband, zerfiel in diese zwei Hälften« (EWL-1813, 8). Die Grundansicht, die der innere Sinn gibt, kann als Grundansicht nur eine sein. Eine einheitliche Grundansicht setzt entweder das alleinige Dasein und Wirken des niederen Sinnes, oder die alleinige (und das heißt: nicht partielle, sondern totale) Realisierung des höheren Sinnes voraus. Die nur partielle Realisierung jedenfalls führt zu einem Nebeneinander der beiden sich widersprechenden Grundformen des inneren Sinnes und damit zu einer Zerrissenheit des Bewußtseins, da in demselben zwei – zwangsläufig unreine, einander infizierende – Weltansichten (empiristisch-materialistische und spiritualistisch-idealistische) miteinander um den Rang der Grundansicht kämpfen, und dadurch eben das ›Leben ohne Einigungsband in diese zwei Hälften‹ zerfällt: in die durch die Grundform des inneren Sinnes als existierend behauptete sinnlich-materielle ›Welt‹ und die als neben oder ›über‹ ihr,
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jedenfalls mit ihr als wirklich oder ›überwirklich‹ behauptete ›übersinnlich‹-geistige ›Welt‹. Um – wie Fichte selbst, der nach meiner historischen Kenntnis der erste war – den höheren Sinn in seinem Unterschied zum gewöhnlichen, niederen explizit beschreiben zu können, muß man diesen Sinn schon rein als bestimmten und von seiner Vermischung mit dem niederen Sinn befreiten besitzen. Ihn für andere zu beschreiben und zu lehren, ergibt nur Sinn gegenüber Lernenden, von denen man annimmt, daß sie ihn nicht in seiner reinen Form entwickelt haben, es aber mit Hilfe der lehrenden Vermittlung prinzipiell können. Ihn in seiner reinen Form zu haben und mit ihm zu sehen, heißt Philosophieren. Der höhere Sinn, auf der ersten Stufe seiner Entwicklung noch vermischt mit den Schlacken des niederen, stellt erst nach seiner Entmischung mit dem niederen die reine Vernunftansicht dar, die den Stand- oder Gesichtspunkt der Philosophie ausmacht. Gesichtspunkt ist der treffendere Ausdruck, denn er betrifft das Sehen; Gesichtspunkt wiederum heißt es richtigerweise, weil mit ihm erst die Aufklärung der philosophischen Vernunftansicht über sich selbst in ihrer grundsätzlichen Beschaffenheit erreicht ist, aber noch nicht das systematische Ganze der Philosophie selbst. Mit dem Sinn für den höheren Sinn, mit der philosophischen Vernunftansicht, geht dem Vernunftwesen ein Licht über sich selbst als Vernunftwesen auf; diesen Lichtpunkt gilt es nun, um in der Raummetaphorik zu bleiben, extensiv über die ganze ›Fläche‹ und intensiv in den ganzen ›Raum‹, auszubreiten; ohne Metaphorik: mit dem richtigen Blick ist die ganze Vernunft zu durchdringen und zu erhellen. Damit ist das grundsätzliche Verfahren der philosophischen Propädeutik beschrieben: Sie setzt voraus eine gewisse Bildung des höheren Sinnes schon im vorphilosophischen Leben. Erst wenn hier, noch in der Vermischung von niederem und höherem Sinn, durch Befreiung von jeweils niederen Entwicklungsstufen des geistigen Sehens eine gewisse Stufe der geistigen Bildung erreicht ist, die zugleich auch eine ihr entsprechende sprachlich-begriffliche Bildung einschließt (hier wären wichtige Berührungspunkte mit der Sprachphilosophie des späten C. L. Reinhold zu untersuchen), kann auch die höchste Stufe, die Befreiung von der Mischung mit dem niederen Sinn überhaupt, historisch eintreten. Die UrVerwirklichung dieses Sinnes beim Entdecker verläuft dabei notwendig anders als jede weitere Anleitung dazu in einem Lehrer-SchülerVerhältnis. Auch dieser Unterschied wird durch Fichte explizit untersucht. Die Reflexion und Selbstbeobachtung beim Entdecken und beim Lehren hilft, die Bedingungen und Gesetze der Bildung des höheren Sinnes
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überhaupt zu begreifen und sie dann zu spezifizieren zu Gesetzen der interpersonalen Bildung und Vermittlung dieses Sinnes bei anderen, d. h. zu den Gesetzen einer philosophischen Propädeutik. Die Propädeutik als Vorbereitung für das eigentliche System der Philosophie hat als erstes die Grundbedingung, den richtigen Blick, die richtige ›Sehe‹, wie Fichte sich ausdrückt, auszubilden, um mit dieser dann alles weitere zu sehen und zur Wissenschaftslehre selbst überzugehen, den Blickpunkt gleichsam zum Einen Blick über das ›System der Vernunft‹ auszudehnen. (c) Hier zeigt sich also eine letzte Differenzierung bezüglich der Entwicklung des inneren Sinnes, die auch für die Frage nach der Neuheit Relevanz hat: innerhalb der zweiten und höchsten der grundsätzlich möglichen Entwicklungsstufen des höheren Sinnes, seinem bewußten und unvermischten Dasein nämlich, sind selbst noch einmal zwei Entwicklungsschritte zu unterscheiden. Die erste ist die Bildung der Sehe, des Bewußtseins und Sehens des höheren Sinnes überhaupt in seiner Reinform: Sinn des höheren Sinnes, Erheben zur philosophischen Vernunftansicht überhaupt. Die zweite ist dann das Sehen mit diesem Sinn, jetzt aber nicht, wie auf der unteren Stufe des bloßen Daseins dieses Sinnes in seiner Vermischung mit dem niedern Sinn, sondern als durchgehende Verbreitung dieses Blickes, dieser grundsätzlichen Vernunftansicht zum Übersehen (›Fläche‹) und Durchdringen (›Raum‹) der Struktur der Vernunft im Ganzen. Die Unterscheidung dieser beiden letzten Entwicklungsstufen: der Bildung der Sehe überhaupt und ihre Anwendung und Verbreitung im Sehen und Verstehen des Vernunftganzen, ist der Grund für die Unterscheidung von Propädeutik und eigentlicher Philosophie, von Einleitung und Durchführung der Wissenschaftslehre. Tatsächlich können sie im Vergleich zu den vorherigen Entwicklungsstufen nur im uneigentlichen Sinne ›Stufen‹ heißen. Dieser letzte Entwicklungsschritt vom Sehen des Sinnes zur durchgehenden Anwendung des Sinnes vollzieht sich auf derselben Prinzipienstufe; er ist nur eine Anwendung desselben Prinzips auf derselben Ebene. Damit ist auch die Frage bezüglich der Neuheit zu beantworten: So wie der Sinn in seiner Reinform neu ist in der Zeit, in der er entdeckt wird, so ist auch das Ergebnis seiner durchgehenden Anwendung, die Wissenschaftslehre neu. Allerdings ergibt dieses letzte und höchstmögliche Ergebnis nichts prinzipiell Neues in Bezug auf den grundsätzlichen philosophischen Gesichtspunkt, indem, einmal entdeckt, jede weitere extensive Anwendung wie jede weitere interpersonale Mitteilung und Aneignung »allemal nur wiederholend ist, nach einem schon eingetre-
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tenen Schema, nicht eigentlich neu bildend und schaffend« (Tagebuch über den animalischen Magnetismus 1813, SW XI, 303).6 Was nun, nach der eher formalen Charakterisierung des neuen und höheren inneren Sinnes, noch fehlt, ist seine eigentliche inhaltliche Bestimmung durch die Betrachtung seiner spezifischen Differenz von dem niederen, gewöhnlichen.
3. Die Bestimmung der spezifischen Differenz des neuen vom alten, gewöhnlichen Sinn Diese eigentliche inhaltliche Begriffsbestimmung des neuen Sinnes kann nur zusammen mit seinem Gegenteil, dem niederen, gewöhnlichen Sinn, d. h. durch Aufweis der spezifischen Differenz beider Sinne vorgenommen werden. Der Begriff des inneren Sinnes überhaupt wurde oben als Vernunftansicht bestimmt, ein geistiges Sehen mit dem Charakter der Unmittelbarkeit, ein Anschauen und ›Nehmen‹ eines gegebenen Etwas in bestimmter Weise, ein Sehen des Etwas als etwas. Genau diese bestimmte Weise, als was das gegebene Etwas genommen wird, macht eben den bestimmten Sinn und die bestimmte Vernunftansicht aus. In diesem allgemeinen Charakter als innerer Sinn und Vernunftansicht sind beide Ausformungen des inneren Sinnes, der niedere wie der höhere innere Sinn, gleich; sie unterscheiden sich genau in der je spezifischen Form, in der sie Gegebenes sehen und nehmen.
6 Eine weiterführende Interpretation hätte vor allem zu achten auf die bei Fichte nicht immer deutlich genug gekennzeichnete Unterscheidung zwischen der ersten Entwicklungsstufe des höheren Sinnes in seiner Vermischung mit dem niederen Sinn im vorphilosophischen Leben und der zweiten Entwicklungsstufe als Sinn des Sinnes, als sich seiner Form des Sehens bewußter und damit genuin philosophischer Sinn. In Verbindung mit der Unterscheidung von höherem geistigen Sehen mit dem Sinn und höchstem geistigen Sehens des Sinnes selbst in der Philosophie wäre auch das Verhältnis dieser Problematik mit der Standpunktlehre Fichtes zu untersuchen, besonders im Blick auf die dort sich ergebenden Frage, ob und inwiefern der Standpunkt der Moralität, wie Fichte behauptet (Iop, GA II/9, 97), die »allertiefste« Stufe des Sehens mit dem höheren Sinn ist, und ob der Standpunkt der Philosophie noch den der Religion übersteigt (vgl. dazu – allerdings noch ohne Bezug auf den höheren Sinn – Michael Gerten: Das Verhältnis von Wissen, Moralität und Liebe. Zum Philosophiebegriff des späten Fichte. In: Wolfgang H. Schrader (Hg.): Die Spätphilosophie J.G. Fichtes (= Fichte-Studien 17) Amsterdam/Atlanta 2000, 299–318). Von fundamentaler Bedeutung sind auch die Fragen, ob Fichte – zumindest in seinen vorliegenden Texten – das Problem des Übergehens vom niedern zum höheren und von der gemischten zur reinen Daseinsform des höheren Sinnes nicht zu einseitig theoretizistisch faßt und wie man seine zitierte Rede von ›Verschuldung‹ und ›Freiheit‹ bezüglich dieser Übergänge zu verstehen hat.
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Die begriffliche Bestimmung der jeweiligen Form kann nicht vorgenommen werden, ohne zugleich auch den Ursprung ihres Daseins zu betrachten. Schon die Bezeichnung des niederen Sinnes als ›natürlich‹ und ›gewöhnlich‹ stammt von der Betrachtung seines Ursprungs her. Dieser Sinn, diese Vernunftansicht und Form des Sehens ist diejenige, in die wir alle geboren und hineingewöhnt sind durch unsere Bildung, wie sie sich gestaltet, wenn sie allein der bildenden Kraft der Natur überlassen wird. Alle diese Bildung bleibt grundsätzlich derselben, sein-setzenden Grundform verhaftet und beschränkt sich auf die mit dieser Grundform hingedachte und abgesetzte Welt. Der natürliche Sinn ist die Form des Sehens, durch die alles Gegebene als ein Sein erscheint, als – vor allem Wissen und unabhängig von ihm – absolut ›an sich‹ Bestehendes. Diese Vernunftansicht gibt eine, wie sich noch zeigen wird, unvermeidliche, allerdings nicht unüberwindliche bloße Scheinwelt. Diese Form des niederen Sinnes, die ja nur da ist und bleiben kann, weil und solange der höhere Sinn und sein ungehemmtes Sehen in Reinform es nicht verdrängt, muß nun von diesem höheren Sinn des Sehens aus, der all das sieht, was sie ist, aber nicht sieht, und darüber hinaus all das sieht, was sie weder sein noch sehen wird, als ›geistige Blindheit‹ erscheinen. Die niedere Vernunftansicht ist selbst die natürliche Blindheit und alles durch sie Gegebene ist »das Produkt der natürlichen Blindheit, u. das, was das Auge verschlossen hält, ist das natürliche, u. angebohrene Daseyn des Menschen« (EWL-1813, 15). Diese Form, diese Ansicht, durch die zugleich die ganze Welt des natürlichen Sinnes bestimmt ist, ist ohne Entschluß, ohne willentliche Tätigkeit des natürlichen Menschen da, Ergebnis seiner Natur (nicht der physischen, sondern der des endlichen Geistes). Deshalb wird es auch bei dieser Natur und ihrer Form des Bewußtseins als niederem Sinn bleiben, wenn und solange kein Entschluß und Wille sich dagegen stemmt. Nur durch Tätigkeit und Freiheit kann es zu einer Änderung dieser Form des Bewußtseins kommen. Und so ist das erste, was die philosophische Propädeutik zur Ausbildung des höheren Sinnes »schlechthin jedem anmuthet: er muß zuallererst schlechthin durch sich selbst etwas thun, und zwar keineswegs ein positives, dergleichen ihm gar nicht zu beschreiben seyn würde, da es in einer Welt liegt, die er noch gar nicht kennt, sondern nur ein negatives; er muß nur nicht gefangen seyn, u. gefesselt durch eine Fessel, in der er ganz sicher gebohren ist« (EWL-1813, 17). Diese Möglichkeit des Sich-Losreißens ist nun nichts anderes als die mit dieser Natur der Vernunft zugleich allgemein gegebene, aber ohne Freiheit eben nicht verwirklichte Anlage des höheren Sinnes. Ihre Verwirklichung durch
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Freiheit führt zu einer völligen Verwandlung und Umschaffung des Menschen: »Setze man darum den [...] Fall: der Mensch könne durch sich selbst sich losreissen, (weil er nemlich kein blosses natürliches, sondern ein übernatürliches ist) so entstände ihm durch die Realisation dieses freilich durch sein ursprüngliches Seyn ihm mitgegebnen Vermögens ein ganz neues wirkliches Seyn, sein Seyn als frei, durch Freiheit« (EWL1813, 16). Die Vernunft ist kein Ding, sondern ein Sehen. Der Mensch in seinem Wesen ist Vernunftwesen: »das Seyn des Menschen ist ein sehendes, ein bewußtes« (EWL-1813, 16). Wirklich ist dieses Sein und Sehen nur immer in einer je bestimmten Form. Die erste ist die Grundform der (geistigen) Natur, gebildet ohne Zutun unseres Willens. Soll es nun eine zweite, prinzipiell andere Ansicht geben, so kann diese nur eine Ansicht durch Freiheit sein. So ist der Übergang in eine andere Grundansicht überhaupt nur durch Freiheit oder gar nicht möglich; und die Möglichkeit einer Grundansicht der Vernunft, eines inneren Sinnes und damit des Seins eines Menschen kann nur entweder die Grundansicht aus Natur oder die aus Freiheit sein. Dementsprechend wäre »dieses leztere Daseyn [...] nur für den da, der frei sich losgerissen hätte [...]; u. so könnte, obwohl in Absicht der Anlage die Menschen alle gleich wären, dennoch in Absicht der Wirklichkeit dazu es zwei durchaus entgegengesezte Klassen unter ihnen gebe[n], deren eine ein Seyn hätte, welches der andern schlechthin abzusprechen wäre.« (EWL-1813, 16) Ist das Sein des Menschen ein sehendes, ein Wissen, so gibt es keine Veränderung des Seins, des Zustandes des Menschen, die nicht eine Veränderung seines Sehens wäre, und umgekehrt. Alle Veränderung des Menschen könnte folglich immer nur entweder eine innerhalb einer Grundform des Sehens sein, wäre dann aber keine grundsätzliche und gründliche Veränderung; oder sie geschieht als Veränderung der Grundansicht selbst, also als Übergang von der einen zur anderen. Die denkbar grundsätzlichste Veränderung des Menschen wäre also immer eine der Grundform seines Sehens. Ihren Ursprung hätte sie aber nicht in diesem Sehen selbst, sondern in der Freiheit des Sich-Losreißens. Es ist also nur folgerichtig, wenn Fichte betont, daß der durch Freiheit realisierte Übergang von einer niederen Vernunftansicht zu einer höheren, einem gänzlich neuen Sinn, »nicht zu allernächst Lehre sey, sondern Umbildung des ganzen Menschen an den sie kommt. Umschaffung und Erneuerung; Erweiterung seines ganzen Daseyns, aus einem beschränkten zu einem höhern Umfange« (EWL-1813, 7).
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Wer nun die von anderen geäußerte Möglichkeit einer von der seinigen verschiedenen und höheren Ansicht nicht einmal hypothetisch zuläßt, ist nicht bloß blind, sondern mehr als das: verstockt. Wer auf dem alleinigen Dasein der ihm selbst eigenen Grundansicht beharrt, kann dafür keinen vernünftigen Grund angeben. Die übliche Haltung, es könne deshalb keine höhere Ansicht geben, weil man selbst eine solche nicht habe, entspringt tatsächlich einer logischen Fehlleistung des Verstandes, die man nur durch das dahinterstehende praktische Interesse erklären kann: »ungemeßne Selbstliebe und Selbstachtung« (EWL-1813, 9). Dem korrespondiert der Neid, diesen Sinn und das durch ihn Gegebene nicht schon ganz durch sich selbst zu besitzen, sondern einem anderen zu verdanken. Wäre die These vom vorauszusetzenden neuen Sinn tatsächlich richtig, so »folgt denn freilich, daß es etwas geben könne, das sie nicht gesehen hätten, und worauf sie erst durch andere aufmerksam gemacht werden müßten. So finden sie in jener Äußerung nur eine ihnen zugefügte Beleidigung, die ihren vollen Grimm und Haß erregt« (EWL-1813, 9). Wenn das Sein des Menschen ein Sehen ist, dann ist der Mensch, was er sieht, und er sieht, was er ist: »Seid das Rechte, so werdet ihr auch das Rechte denken; lebet geistig das Eine, so werdet ihr dasselbe auch erschauen« (BBWL, GA II/10, 27). In welcher bestimmten Form, als was nun sieht und nimmt der niedere Sinn ein gegebenes Etwas in seinem Wissen und Sehen? Er sieht und nimmt ein gegebenes Etwas als unmittelbar gegeben durch die Wahrnehmung der äußeren Sinne, ohne zu sehen und zu wissen, daß er dies in einem Wissen, in einem Sehen des Bewußtseins tut. Er sieht nur auf das gegebene Etwas der Wahrnehmung, nicht auf sein Sehen und Nehmen selbst des Etwas. Daß er das Wissen und Sehen des Bewußtseins nicht sieht, sondern nur auf das Etwas sieht, hat zwei bedeutende Folgen: Erstens: Weil er das Wissen und Sehen nicht sieht, kann er auch nicht sehen und sagen: ›das Etwas ist ein durch das Wissen und Sehen des Bewußtseins Gesehenes und Gegebenes‹; vielmehr kann er nur sehen das Etwas als bloßes unmittelbar Gegebenes (Faktum) und muß deshalb sagen: ›das Etwas ist‹, ohne über dieses Sagen und dieses ›ist‹ weiter Rechenschaft abgeben zu können. Sein Sehen, Nehmen und Sagen ist selbst bloß faktisch, ohne Einsicht in seinen Grund (vgl. EWL-1813, 13 f.). Zweitens: Daß der natürliche Mensch das Wissen und Sehen des Bewußtseins gar nicht sieht, heißt zugleich, daß er nicht nur nicht sieht und sagen kann, in welcher Form und als was er das gegebene Etwas sieht, sondern mehr noch, daß er nicht einmal sieht und sagen kann, daß er überhaupt das gegebene Etwas in einer bestimmten Form, als etwas sieht,
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obwohl er es unmittelbar tut. Er ist bloß das Sehen und geht in seiner natürlichen Grundform auf, ohne das Sehen selbst zu sehen, noch seine Grundform, noch den Grund selbst des Sehens und dieser Grundform. Fichte nennt die Grundtätigkeit dieser Grundform des inneren Sinnes, in der statt des Sehens selbst vermeintlich unmittelbare Objekte als Sein an sich gesetzt werden, auch »Hindenken« und »Absetzen des Seyns« (EWL1813, 15), weil in ihm nicht auf die Gebundenheit und Begründetheit dieses Seins im Wissen geachtet wird. Das Neue des neuen Sinnes gegenüber dem gewöhnlichen, die neue Welt, die durch ihn dem Sehen sich darbietet, ist nicht die Welt des Faktischen, sondern die Welt der Gründe. Zwar kennt auch der niedere Sinn die Frage nach dem Grund, aber nur hinsichtlich einzelner Seiender und einzelner Beschaffenheiten. Doch nicht darauf beruht seine Beschränktheit, »sondern darauf, daß er überhaupt ein Seyn schlechthin setzt: sagt, es ist etwas und damit gut« (EWL-1813, 14). Ein etwaiger Grund des Gegebenen wird nur wieder auf derselben Ebene des Gegebenen gesucht. Der neue Sinn dagegen sucht den Grund eben nicht auf derselben Ebene wie das Gegebene, Faktische, sondern auf der Ebene von Prinzipien, Gesetzen für das Faktische. Nicht die Anschauung, daß etwas faktisch, sondern die Anschauung des Gesetzes, warum etwas notwendig so oder so erscheint, ist Gegenstand und Ziel des neuen Sinnes. Daraus ergibt sich nun auch, warum der neue Sinn der höhere ist: In seiner Vernunftansicht wird das, was der niedere Sinn faktisch nimmt, ohne es zu merken, als faktisch, und zwar als bloß faktisch und deswegen begründungsbedürftig erkannt. Im Blick des neuen Sinnes erscheint das Gegebene des gewöhnlichen Sinnes nicht als unmittelbar gegeben, sondern als ›gemacht‹. Dieses ›gemacht‹ darf nun nicht wieder, wie im niederen Sinn, sofort objektivistisch im Sinne physischer Kausalität als ›hergestellt‹ verstanden werden (reale, zeitliche Genesis), sondern als durch geistige Prinzipien, Gesetze für die Erkenntnis konstituiert, eben: begründet (ideale, logische Genesis). Das Gegebene des niederen Sinnes ist für diesen durch die äußeren Sinne unmittelbar gegeben, und die äußeren Sinne heißen eben deswegen ›Sinne‹, weil sie für den niederen Sinn unmittelbares Sein in der Anschauung geben. Der natürliche, niedere Sinn sagt: Ich sehe Dinge, ich nehme sie unmittelbar wahr. Der neue Sinn sagt: ›Es sind Dinge‹ ist keine Wahrnehmung, sondern ein Schluß aus Prämissen, die eben nur der höhere Sinn sieht: »So sagen sie: wir sehen, hören, fühlen, und werden durch dieses Sehen pp uns der Dinge bewußt [...]. Nach uns: wir sehen hören, durchaus nicht, sondern wir urtheilen daß wir sehen und dadurch uns der Dinge bewußt werden.« (EWL-1813, 20 f.).
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Dreierlei folgt also daraus, daß der höhere Sinn erkennt, daß dem niederen Sinn nur scheinbar Unmittelbares gegeben ist: Erstens: Das, wodurch das dem niederen Sinne gegebene Sein nur scheinbar unmittelbar gegeben wird, die äußere Sinnlichkeit, hat gar nicht die Bezeichnung eines ›Sinnes‹ verdient: »der äußere Sinn, als Sinn, und in der Form des Sinnes [wird] abgeläugnet, und zurückgeführt auf ein Höheres, das allein unmittelbarer Sinn ist« (EWL-1813, 21). Zweitens: Genau darin ist der niedere Sinn blind und also der niedere, daß er fälschlich etwas als unmittelbar Gegebenes nimmt und blind für die Prämissen ist, aus denen dieses Gegebene abgeleitet wird und wodurch es seinen Charakter als unmittelbar Gegebenes verliert. Drittens: Das Sein, als für den niederen Sinn unmittelbar Gegebenes und durch ihn für unhintergehbar Gehaltenes, verliert für den höheren Sinn, der es als Abgeleitetes erkennt, seinen Charakter als stehendes Sein an sich und wird zu einem Werden, vermittelt und genetisiert aus höheren Prinzipien: »das Seyn, in seiner absoluten Form, und mit völliger Abstraktion von irgend einem Gegenstande, dem [es] zugeschrieben wird, [wird] geläugnet: und über dasselbe hinaus gesehen. Es drum verbleibt, nicht in seinem Seyn, sondern in seinem Werden, und Entstehen, aus einem andern, welches in ihm gebunden und gefesselt ist, in welcher Gebundenheit, die hier offenbar wird, eben das Seyn besteht. Also in dieser Entstehung des Seyns wird gesehen, nicht das Seyn, sondern das im Seyn Gebundene; ohne Zweifel Freiheit, Leben, Geist«; deshalb ist der neue Sinn der »Sinn für den Geist für den nur Geist ist, und durchaus nichts anderes, dem auch dies andere, das gegebene Seyn[,] annimmt die Form des Geistes und sich darein verwandelt« (EWL-1813, 21 f.). Die Form des Geistes aber ist kein Dingliches, keine vorauszusetzende geistige Substanz, die etwa die Eigenschaften hat, wissend, erkennend, sehend zu sein, sondern sie ist lebendiges Wissen, Erkennen, Sehen selbst. Fichte kritisiert zwei verwandte Grundansichten, die nur die beiden Seiten derselben falschen Münze sind: die objektivistischrealistische Ansicht, der das erkannte, gewußte, gesehene Objekt (Ding, Sein, Substanz) als letztes Faktum gilt; und die nach 1800 durch Reinhold, Fries u. a. verbreitete (bis heute selbst in der Fichte-Forschung noch immer virulente) subjektiv-idealistische Ansicht, der das erkennende, wissende, sehende Subjekt (Psyche, Seele, empirisches Ich, Selbstbewußtsein) als letztes Faktum gilt. Beides sind gleichermaßen Fehlinterpretationen des eigentlich transzendental-idealistischen Ansatzes von Kants Kritiken und Fichtes Wissenschaftslehre. Ihr gemeinsamer Fehler liegt eben darin, daß sie Fakten als unmittelbar Gegebenes (der empiri-
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schen inneren oder äußeren Sinnlichkeit) ansehen und hinnehmen, ohne die Genese dieser Fakten aus Gesetzen des Wissens selbst auch nur als Problem zu empfinden, geschweige denn diese Genese selbst, das logischideale Werden dieser ›Fakten‹ im Wissen, durch das Wissen für das Wissen, dies alles nach Gesetzen dieses Wissens zu wissen und zu sehen. Beide falschen Grundansichten sind die eine Ansicht des niederen Sinnes, der Fakten verabsolutiert und blind ist für die Genesis. Der höhere Sinn dagegen sieht das Faktische (sei es nun ›Substanz‹ oder ›Subjekt‹) in seinem Werden aus Prinzipien des Sehens, d. h. er sieht es in seiner Genesis, sieht letztlich das Prinzip der Genesis schlechthin, zu dem jede einzelne Genetisierung sich verhält wie der Fall zu seinem Gesetz. So wird der höhere Sinn der Sinn für die Genesis schlechthin. Diesem Sinn für die Genesis wird, da es für ihn nur Wissen, Sehen, geistiges Leben gibt, alles Sein des niederen Sinnes zum »gebundenen Sehen«, zum ›Hingesehenen‹, gebunden durch die Gesetze des Sehens, wie es dem niederen Sinn in seinem Naturzustand eigen ist: Dieses sieht gemäß den Gesetzen, nicht aber die Gesetze selbst. Zur Natur des geistigen Daseins als Wissen/Sehen gehört nur die Möglichkeit des Übergangs zur höheren, freien und wahrhaft sehenden Daseinsform; wer sich nun dieser Natur überläßt, wird in ihr festgehalten und bleibt in der Gebundenheit und Nichtfreiheit. Nur wer sich von ihr löst durch freie Bildung der höheren Ansicht als des höheren Daseins, ist wirklich frei und sieht die Freiheit und durch diese Freiheit das Sehen und Wissen selbst in seinem Wesen, d. h. in seiner notwendigen gesetzlichen Struktur. In der Welt der feststehenden Ansicht und der feststehenden Objekte des niederen Sinnes hat die Freiheit eigentlich nichts zu tun, ist ihr, konsequent gedacht, kein Raum, keine Sphäre der Bewegung und Betätigung gelassen. Auch die Wissenschaftslehre kann in diese Sphäre der gegebenen Dinge nicht das ursprüngliche Betätigungsfeld der Freiheit setzen: »[Wir setzen] die Freiheit gleich vom Beginn in das Bilden nicht der Dinge, sondern der Ansicht. Nach jenen: die Ansicht wie sie gegeben ist durch das natürliche Daseyn, ist richtig[,] drükt aus das Seyn an sich, ist nothwendig und unveränderlich. Giebt es Freiheit, so muß diese liegen jenseit dieser Ansicht, und in einer andern. Wir dagegen [sagen]: grade die Ansicht ist das allererste, welches durch die Freiheit gebildet und erschaffen werden muß. Wie könnte es denn anders sein; der Freie ist in der Wurzel seines Seyns, Sehen, Wissen: ist es nun in der That freier Grund seiner selbst, so ist pp – so auch des weiteren] Sehens, Wissens, weil es ja dies ist. Die vor-
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ausgegebene Ansicht kann drum gar keine Wahrheit und Bedeutung haben, als daß man von ihr mit Freiheit sich erhebe zur wahren Sphäre, [sie ist] Gegenstand und Terminus a quo dieser wahren, mithin gewiß nicht ausdrükend das Ansich, ewig bleibend, sondern das nicht an sich, zufällige, was vernichtet und aufgehoben werden soll.« (EWL-1813, 47 f.)
Vernichtet wird das Sein als Hingesehenes der natürlichen Ansicht und damit die natürliche Ansicht selbst nicht schlechthin, sondern nur als ein Erstes, Unhintergehbares: Das Sein, »welches durch das natürliche Sehen [gegeben ist], – das der vorausgegebenen äußern Sinnenwelt [...] wird durch die neue Ansicht, wiefern es Grund hat, nicht vernichtet, sondern nur verstanden. – als gebundenes Sehen; als eben die Ansicht, welche der Mensch nothwendig mitbringt« (EWL-1813, 48 f.) Im Gegensatz zu dem durch das Gesetz gebundenen Blick des niederen Sinnes (unser aller Blick im geistigen Naturzustand) ist der Blick des höheren Sinnes, indem er sich losreißt von dieser Gebundenheit, »frei: anschauend die Freiheit, sonst nichts. (nicht wie erst etwas, welches eben durch das Gesetz etwas wird) Da nun das Gesetz nicht verschwinden kann, so zeigt sich dies, als bindend die Freiheit eben selbst: die schon das stehende Objekt dieses Bliks ist« (EWL-1813, 39). Jedes wahre Wissen ist letztlich unmittelbare Anschauung eines Gesetzes als bindend die ursprüngliche Freiheit, die ebensowenig erscheint ohne gebunden zu sein durch das Gesetz, wie das Gesetz erscheinen kann, ohne die Freiheit zu binden. Das Verhältnis von Freiheit und Gesetz im Wissen erläutert Fichte dann weiter durch das schon in anderen Schriften entwickelte Schema der Erzeugung einer Anschauung in der Einheit von freier Konstruktion und – als Kriterium richtiger Konstruktion – notwendig sich einstellender Evidenz. Dieses Grundschema der wissenschaftlichen, d. h. apodiktisch notwendigen Erkenntnis überhaupt, wird für den höheren Sinn in seiner Reinform, den philosophischen Sinn, zur eigentlich wissenschaftlichen Erkenntnisform, die in ihrer durchgehenden Anwendung, Wissenschaftslehre genannt, zur genetischen Erkenntnis schlechthin sich entwickelt, zur Genese der Vernunft selbst aus ihrem Grund. Die Einleitung in die Philosophie kann diese Erkenntnisform als Fundament des philosophisch-systematischen Erkenntnisganzen nicht in einem anderen erzeugen, sondern nur zu dieser Erzeugung anleiten. Dies tut sie durch die Bemühung, »von dem hierzu erforderlichen Verfahren ein vorläufiges Bild zu geben, ein Bild des Weges der aus der natürlichen und
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angebornen Ansicht führt zu der jenseit aller Natur. [...] es würde dadurch erhellen[,] was von der Arbeit auf jeden Theil komme, was auf den Lehrer und was auf den Lehrling allein [...] Die Unwissenheit über diesen Punkt ist ein Hauptgrund des gänzlichen Mißverstehens unserer Lehre« (EWL1813, 32). Die Befreiung und der Übergang vom niederen Sinn und seiner Blindheit zum höheren, philosophischen Sinn und seiner Sehe als interpersonales Freiheitsgeschehen zwischen Lehrer und Schüler – das ist der höchste Punkt in Fichtes Reflexionen zur philosophischen Propädeutik. In ihm geht es darum, was in diesem Übergang vermittelt werden kann und was ewig unvermittelt bleiben muß, was der Lehrer tun kann, und was der Schüler tun muß, wie die Freiheit und Vernunfttätigkeit des einen auf die Freiheit und Vernunfttätigkeit des anderen einwirken kann, ohne sie als freie Vernunfttätigkeit aufzuheben. Sofern die Prinzipien des Wissens überhaupt allgemeiner sind als die Prinzipien der Vermittlung des Wissens, liegt es in der Natur der Sache, daß auch Fichte selbst erst mit dem Fortschreiten der Wissenschaftslehre die tiefere Einsicht in die Grundvoraussetzung der Einleitung und Vermittlung derselben gelungen ist: die Anleitung zur Ausbildung des neuen, höheren Sinnes, dem allein die geistige Welt der Philosophie sich erschließen kann. Theoretische Grundlage einer solchen praktischen Anleitung ist das Lehrstück vom neuen, geistigen Sinn überhaupt und seiner höchsten und reinen Form, dem genuin philosophischen Sinn. Mit einer Erarbeitung dieses Lehrstücks wird die grundlegendste Voraussetzung überhaupt geschaffen für eine adäquate Philosophie in ihren beiden Tätigkeitsarten: der philosophischen Forschung am System der Philosophie überhaupt (Wissenschaftslehre) und der philosophischen Lehre als interpersonaler Vermittlung derselben.
»Revolution der Gesinnung« und »Vollendung der Freiheit« – Wesen und Möglichkeit höherer Lebensformen bei Kant und Fichte
Kai Gregor (Berlin)
1. Hinleitung Es ist philosophische Grundannahme der transzendentalen Philosophie Kants und Fichtes, daß »der Zeit nach […] keine Erkenntnis in uns der Erfahrung vorher[geht], und mit dieser fängt alle an.«1 Die Erfahrung wird als ein »Zusammengesetztes« aufgefaßt, das die Philosophie in seiner komplexen Gesamtstruktur analysiert und auf apriorische Konstitutionsleistungen der reinen Vernunft zurückführt. Die transzendentale Erklärung intendiert aber neben einer sachlichen Analyse vor allem die Rechtfertigung (de iure) des systematischen Zusammenhangs der Erfahrungselemente (de facto). Diese Legitimation läuft in letzter Konsequenz auf das Unbedingte, auf eine Legitimation der Legitimation hinaus. Denn jede begründende Gesetzmäßigkeit ist ihrerseits auf höherer Ebene wiederum faktisch, d. h. bloß behauptet, und bedarf einer tieferen Legitimation. Am Ende muß sich das Wissen (unabhängig vom behauptenden Subjekt) als durch sich selbst gerechtfertigt ausweisen, weil sonst die Möglichkeit absoluter Gewißheit im infiniten Regreß verlorenginge. Soll überhaupt 1
KrV B 1; bei Fichte SB SW, II, 333 f.
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wahres, gewisses Wissen (auf theoretischer Seite) und gutes, sinnhaftes Leben (auf praktischer Seite) möglich sein, so muß sich das Wissen absolut durch sich selbst legitimieren. Es geht der Transzendentalphilosophie also nicht bloß um die vollständige und systematische Aufstellung faktischer Gesetzmäßigkeiten des Bewußtseins (wie es die phänomenologische Wesensschau intendiert), sondern um die Einsicht in das absolute Prinzip des Rechtfertigens selbst. In der Aufweisung dieses absoluten Prinzips der Vernunft besteht sowohl Aufgabe als auch wiederum die Rechtfertigung des transzendentalen Projektes: Sein praktischer Anspruch, das tun zu können, ist das treibende Moment seiner Analyse, er hebt es von Beginn an über alle Faktizität, alle Ontologie hinweg. Vergleicht man Kant und Fichte nun hinsichtlich ihres Begründungsanspruchs miteinander, so findet man, daß Kant zwar zur Grundlegung des Erfahrungswissen ansetzte, aber letztlich nicht das begriffliche Instrumentarium entwickelt hat, um diese Grundlegung abzuschließen. Kants Argumentation bleibt bei einer behaupteten Apodiktizität stehen, die immer eine höhere Faktizität ist.2 Seine höchsten Prinzipien sind die transzendentale Apperzeption und das Faktum der Vernunft. Kant formuliert letztlich nur eine Theorie des objektiven Wissens, in der die vorgetragenen Elemente zwar, wie Kant sagt, »unleugbar« sein sollen, die aber insgesamt durch ihre theoretische Erscheinungsweise noch als bezweifelbar gesetzt sind. Der Anspruch Fichtes einer vollständigen Legitimation des Wissens geht darüber hinaus. Die Bedingungen der philosophischen Genese der apodiktischen Resultate Kants werden dadurch zu einem Grundproblem Fichtes. Die Problematizität derselben wird vor der Folie der Legitimationsfrage nicht als Grenze der Vernunft, sondern als spezifische epistemische Qualität verstanden, die ihren Grund in einer noch nicht vollkommen zu sich selbst gekommenen Freiheit hat. Darum kann sie noch aufgehoben werden, ohne einen dogmatischen Abbruch zu begehen. Fichte vermag dadurch den Unterschied zwischen de iure und de facto abzuleiten, das dabei entdeckte reine Prinzip des Rechtfertigens ermöglicht die Erfüllung der transzendentalen Intention einer vollständigen Legitimation des Erfahrungssystems. Fichte bezeichnet es als das selbständige Bild des Absoluten, der Kantischen Theorie hingegen würde Fichte bloß den Status eines objektiven Bild des Bildes, eines formalen Schemas des absoluten Bildes einräumen: nach Kant hat man eine Theorie 2 Für Kant ist »alle menschliche Einsicht zu Ende, sobald wir zu Grundkräften oder Grundvermögen gelangt sind, denn deren Möglichkeit kann durch nichts begriffen werden, darf aber ebenso wenige erdichtet oder angenommen werden «(KpV, AA V, 46 f.).
»Revolution der Gesinnung« und »Vollendung der Freiheit«
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des Wissens, nach Fichte sind wir diese Theorie, welche Fichte Wissenschaftslehre nennt. Am Vergleich der »Revolution der Gesinnung« und der »Vollendung der Freiheit« möchte ich erstens einen Beitrag zum Verständnis der praktischen Philosophie Kants und Fichtes leisten, zweitens aber zeigen, wie eng das Design einer Theorie mit dem bezogenen praktischen Standpunkt, wie unmittelbar Philosophie und Leben zusammenhängen.
2. Revolution der Gesinnung Das empirische Handlungsbewußtsein ist in der praktischen Philosophie als Explanandum gewählt. Es ist der Legitimationsanspruch, welcher die Frage nach einem guten, durch sich selbst gerechtfertigten Handlungsvollzug aufwirft. Seine Möglichkeitsbedingungen wollen wir zuerst bei Kant verfolgen. Kant nennt nur zwei mögliche Motivquellen unserer Handlungen: Einerseits Lust/Unlust, andererseits reine praktische Vernunft. Erstere führt er von außen »als in der Psychologie billig gegeben«3 in die Philosophie ein, die letztere weist er als notwendige Bedingung eines freien Willens nach. Den Begriff eines freien Willens gewinnt Kant anhand des empirischen Phänomens des Sollens. Wir finden uns mit dem Vermögen vor, Zwecke allein aufgrund des Sollens, obwohl keine Lust als Motiv wirkt, zu realisieren. Wir sind also nicht Spielball unserer Natur, sondern die Vernunft ist im Menschen durch sich selbst praktisch. Dieses Sollens können wir uns bewußt werden, »indem wir auf die Notwendigkeit, womit […][es] uns Vernunft vorschreibt, und auf die Absonderung aller empirischen Bedingungen achthaben.«4 Kant leitet beide Motivquellen nicht ab, sondern weist sie zunächst als assertorische Vermögen unseres Handlungsbewußtseins auf. Seine Bemühung geht aber darauf, das bestimmte Bewußtsein des Sollens in seiner unbedingten Verbindlichkeit eines moralischen Gesetzes nachzuweisen. Seine Argumentation bezieht ihre Kraft aus der »Notwendigkeit«, mit der sich uns das Faktum der Vernunft aufnötigt; diese impliziert die Allgemeingültigkeit »für jedermann […], der Vernunft und Willen hat«.5 D. h. wir können uns dem kategorischen Imperativ nicht 3 4 5
KpV, AA V, 9. KpV, AA V, 36. KpV, AA V, 36.
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entziehen, wohl aber können wir von unserer Lust/Unlust abstrahieren. Lust/Unlust sind nur materiale Triebfedern (Akzidenzien) unseres Willens, das Sollen der reinen praktischen Vernunft ist dagegen rein formal, es ist unser freier Wille selbst. Indem das Individuum einsieht, daß das Sollen »für jedermann« gilt, begreift es, daß es Ausdruck der »gemeinen Menschenvernunft«6 an seiner individuellen Stelle im Leben ist. Das freie Wollen ist nach Kant ein Sollen, weil es nur an und im Gegensatz zur Lust/Unlust bewußt wird.7 Der Mensch steht demnach im Zeitverlauf »mitten inne zwischen seinem Prinzip a priori, welches formell ist, und zwischen seiner Triebfeder a posteriori, welche materiell ist, gleichsam auf einem Scheideweg.«8 In diesem Kräfteverhältnis müssen wir grundsätzlich durch eine zusätzliche willkürliche Entscheidung für die eine oder andere Seite den Ausschlag geben. Unser faktischer Wille ist also nach Kant immer gemischt und gebrochen. Gemischt, weil wir ihn nur an einer sinnlichen Affizierung wahrnehmen, gebrochen, weil wir uns zu unserem eigenen Willen noch durch einen Willensentschluß verhalten müssen. Dieses Verhältnis verwandelt die unbedingte Notwendigkeit der praktischen Vernunft in eine dynamisch-relative gegenüber den Neigungen und der Willkür: Wir können faktisch auch anders als wir sollen, im Zeitverlauf bestimmt Vernunft unseren Willen nicht »unausbleiblich«. Kant erklärt dieses faktische Verhältnis unseres empirischen Willens in seiner Religionsschrift von 1793 tiefer, indem er es auf ein Gesetz, die transzendentale Gesinnung, zurückführt. Der transzendentalen Analyse entdeckt sich nämlich die gesetzliche Struktur auch unseres praktischen Handlungsbewußtseins. Unsere Entscheidungen im Zeitverlauf stellen sich insgesamt bloß als Erscheinung einer zeitlich konstanten Selbstgesetzgebung (durch Maximen) heraus, die man nach Kant »auf die Zukunft mit Gewißheit« ebenso vorausberechnen könnte, »wie eine Mond- oder Sonnenfinsternis […], und dennoch dabei behaupte[n kann], daß der Mensch frei sei.«9 Die Gesinnung bildet also sowohl die funktionale Einheit unseres Handlungsbewußtseins (als theoretische Rechtfertigung der Einheit des individuellen Charakters), als auch seine moralische Qualität (als praktische Legitimation des Sollseins unseres Lebens). Nach Kant liegt es also a priori in der Gesinnung bestimmt, ob der Mensch auf dem Scheideweg eher seinen Neigungen oder seiner Vernunft folgt, d. h.
6 7 8 9
GMS, AA IV, 402. GMS, AA IV, 449. GMS, AA IV, 400. KpV, AA V, 99.
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alle Taten, Gedanken und Entscheidungen im Zeitverlauf sind bloß Ausdruck unserer grundsätzlichen Werthaltung. Diese bestimmt sich dadurch, daß in der Gesinnung das moralische Gesetz und die sinnlichen Triebfedern (unter dem Namen der Glückseligkeit) als höchste praktische Prinzipien in ein hierarchisches Verhältnis gesetzt sind. Wird das moralische Gesetz zuoberst gesetzt, ist Glückseligkeit nur noch von relativem Interesse, insofern auch der tugendhafte Mensch die allgemeine Wohlfahrt der Menschheit intendiert. Wird hingegen das Prinzip der Glückseligkeit zuoberst gesetzt, gebraucht das unmoralische Wesen Vernunft (als Klugheit und Geschicklichkeit) nur zur Erreichung seiner Privatinteressen bzw. eben, um in seine sinnlichen Triebfedern »Einheit der Maximen, die ihnen sonst nicht zukommen kann, hinein zu bringen.«10 Damit ist die innere Unauthentizität eines unmoralischen Charakters angesprochen, der ein rechtschaffenes Leben bloß äußerlich und aus niederen Motiven führt. In der Gesinnung bestimmt der Mensch seine Wertordnung selbst, sie »muß […] durch freie Willkür angenommen worden sein, denn sonst könnte sie nicht zugerechnet werden.«11 Daher ist auch eine Revolution der Gesinnung möglich. Unter »Revolution der Gesinnung« versteht Kant nun genau den Fall, daß sich das bestimmte Verhältnis der Triebfedern in der Gesinnung (ihrer Materie) umkehrt. Weil Kant aber voraussetzt, daß der Mensch von Geburt an eine verkehrte, unmoralische Gesinnung besitzt, so beschreibt eine Revolution der Gesinnung immer eine Umkehr zum Guten. Die höhere Lebensqualität der Tugend zeichnet sich nach Kant dadurch aus, daß sie unabhängig von lästigen Neigungen vom Gefühl der »Selbstzufriedenheit« erfüllt ist. Diese Revolution ist nach Kant notwendigerweise »vollkommen unerklärlich«, da sie in einem absolut freien Akt der Umwertung besteht. Die Gesinnung und ihre Revolution ist also formal durch freie transzendentale Willkür bedingt, beide sind nach Kant dem forschenden Verstand letztlich »unerforschlich«12, denn die transzendentale Tat der Annehmung der obersten Maxime kann auf kein Motiv zurückgeführt werden. Es ist tatsächlich unklar, wie die Gesinnung und ihre Revolution zustandekommen, denn unter den Kantischen Prämissen scheitert ihre Rekonstruktion: Einerseits müßte die transzendentale Willkür sich hin10 AA V, 137. 11 AA V, 125. 12 Rel., AA VI, 29.
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sichtlich der Bildung der obersten Maxime entweder von Lust/Unlust oder vom moralischen Gesetz bestimmen lassen (denn es sind die einzigen Motivquellen), andererseits aber müßte sie der selbständige Grund für die Bildung der obersten Maxime sein, in welche sie eine der beiden Triebfedern als höchste aufnimmt, denn sonst könnte die Gesinnung nicht zurechnet werden. Die Willkür kann nämlich nur von einer Triebfeder affiziert werden, die sie schon in ihre Maximen aufgenommen hat.13 Für alle subalternen Maximen ist zwar klar, daß die Qualität der obersten Maxime ihre Bildung bestimmt, aber für die oberste Maxime ist das Prinzip der Selbstgesetzgebung unerforschlich«. Da die Gesinnung aber der Grund für einen gemischten und gebrochenen Willen im Zeitverlauf sein soll, scheint zumindest soviel klar zu sein, daß durch transzendentale Willkür das Prinzip subjektiver Gesetzgebung inauguriert wird (ohne Klarheit über das Wie), in ihr muß daher der Grund liegen, warum die Form die Willens nicht allein durch reine praktische Vernunft bestimmt wird, sondern notwendig aus einem Ineinandergreifen von objektiver und subjektiver Gesetzgebung hervorgeht, wobei die subjektive Gesetzgebung die objektive bedingt. Das moralische Gesetz wäre ja eigentlich »in uns [die notwendige und hinreichende] Triebfeder = a; folglich ist der Mangel der Übereinstimmung der Willkür mit demselben (= 0) nur als Folge von einer realiter entgegengesetzten Bestimmung der Willkür, d. i. einer Widerstrebung derselben = – a, d. i. nur durch eine böse Willkür, möglich;«14
Woher hat die transzendentale Willkür aber diese Beharrungskraft, mit der sie dem moralischen Gesetz widersteht? Fichte wird der Auffassung sein, daß sie sie als selbständige Kraft durch sich selbst hat, Kant ist dagegen der Auffassung, daß die Beharrungskraft nur durch unsere praktische Bedingtheit, d. h. unsere Bedürfnisse und Neigungen, erklärt werden kann.15 Bedürfnisse werden nach Kant wirklich in die Gesinnung aufgenommen und schränken dadurch das moralische Gesetz als hinreichende faktische Triebfeder ein. Kurz, weil wir praktisch-bedingte Wesen sind, können wir uns nicht allein durch Vernunft bestimmen, sondern sind gezwungen, durch subjektive Gesetzgebung das Verhältnis zur objektiven Gesetzgebung auszumitteln. Hier liegt der Grund, warum wir nach Kant höchstens der Tugend fähig sind, denn selbst die beste Gesinnung ist 13 Rel., AA IV, 23 14 Rel. , AA VI, 23. Anmerk. 15 vgl. Rel., AA IV, 41.
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mindestens durch Neigungen affizierbar (und damit fähig, sich Ausnahmen vom Gesetz zu gönnen), die unmoralische Gesinnung ist nicht nur durch Neigungen affizierbar, sondern läßt sich durch diese bestimmen. Alle Menschen haben also nach Kant mindestens einen zurechenbaren, konstitutiven aber unvorsätzlichen »Hang zum Bösen«. Nach Kant muß selbst der »Apostel« mit der »Gebrechlichkeit des Herzens« kämpfen, alle anderen Formen tugendhafter Gesinnung sind aber durch »Unlauterkeit« gekennzeichnet, d. h. sie müssen die Triebfedern der Lust in ihre Maximen aufnehmen, um der Pflicht gerecht werden zu können.16 Der »Hang zum Bösen« bezieht sich auf den Menschen als Menschen, nicht bloß auf die unmoralische Gesinnung. Er kann auch nicht durch Revolution der Gesinnung beseitigt werden, dazu müßten die Naturanlagen insgesamt beseitigt werden, was unmöglich ist. Soweit geht die praktische Rechtfertigung der moralischen Wirklichkeit des Menschen bei Kant, besser kann der Mensch qua Mensch nicht sein. Sie geht genau genommen sogar noch einen Schritt weiter: Nämlich der Mensch soll sich nach Kant durchaus um seine Heiligung bemühen (er besitzt die Idee vollkommener Güte), ist aber ob der anthropologischen Konstante seiner Bedürftigkeit dazu verdammt, Heiligkeit sich zwar als in einer nicht abzuschließenden Bewegung erreichbar zu denken, sie aber niemals de facto erreichen zu können. Diese Idee kann nun dem Leben des Menschen höchstens einen idealen Sinn vermitteln (eine gedachte vollständige Rechtfertigung), realiter aber bleibt die Existenz des Menschen unerfüllt und ist de facto niemals durch sich selbst legitimiert. So bleibt das Ergebnis Kants unbefriedigend. Die unbedingte Legitimationsforderung geht weiter als das Kantische Resultat und weckt Zweifel einerseits an der von Kant behaupteten faktischen Realität des Praktischen-Bedingten im Willen, andererseits am Prinzip der Selbstgesetzgebung. Die Frage ist, sind Bedürfnisse notwendig eine Realität in unserem Willen, oder bekommen sie diese erst dadurch, daß wir sie frei in unsere Gesinnung aufnehmen. Es müßte das Prinzip der transzendentalen Willkür genauer bestimmt werden.
3. Überleitung zur Vollendung der Freiheit Die transzendentale Willkür ist Ort eines »Hanges zum Bösen«, der aus einer natürlichen Beharrungskraft des Menschen gegen seinen vernünfti16 vgl. Rel., AA VI, 29 f.
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gen Willen entspringt. Willkür in transzendentaler Funktion hat aber bei Kant eine unklare Doppelbedeutung, die Bildung der obersten Maxime setzt sich selbst immer voraus: ein Zirkel. Da aber eine oberste Maxime notwendig ist, schließt Kant aus diesem Problem, daß der Grund der Annehmung der obersten Maxime »unerforschlich« ist.17 Die moralische Wirklichkeit in diesem blinden Fleck der Menschheit kann er nur durch die Erfahrung ausfüllen, daß Vernunft offensichtlich nicht »unausbleiblich« die Willkür bestimmt.18 D.h. Kant kann die Wirklichkeit des allgemeinen »Hanges zum Bösen« in der Menschheit nur a posteriori rechtfertigen. Fichte löst das Problem rein a priori, indem er darauf verweist, daß die Freiheit der selbständige und allein hinreichende Grund der Annehmung der obersten Maximen ist, ihr inhäriert allein schon durch ihre Selbständigkeit die innere Beharrungskraft gegen das moralische Gesetz. Kurz, es gibt nach Fichte gar keinen Zweifel über den höchsten Bestimmungsgrund der Gesinnung: Es ist die formale Freiheit selbst, erst logisch danach stellt sich die materiale Frage, in welcher Hierarchie Naturtrieb und moralisches Gesetz konfiguriert werden. Kants Fehler ist also nach Fichte, daß er die »Unbegreiflichkeit« nicht als positiven und allgemeingültigen Wissensgehalt erkannte (dazu hätte er eine Theorie intellektuell anschaubarer Freiheit gebraucht). Man kann sagen, daß Kant der »Unerforschlichkeit« auf den Leim ging, indem an ihr das Verstandesprinzip als absolute Grenze des Begreiflichen scheiterte. In Ermangelung eines höheren epistemischen Vermögens hält Kant an der trügerischen Unterscheidung zwischen negativ-bestimmbarer Willkür und praktischen Bestimmungsgründen fest, anstatt die Unerforschlichkeit selbst schon als Anschauung des reellen Widerstandes formaler Freiheit gegen das evidente Gesetz aufzufassen. Nach Fichte muß also die Unerforschlichkeit (als Anschauung) der Freiheit ins Bewußtsein aufgenommen werden. Das Dasein der Freiheit ist der alleinige Grund für das Sollen, d. h. dafür, daß das moralische Gesetz seine Kausalität nicht durch sich selbst hat, sondern nur noch mittelbar, durch subjektive Gesetzgebung der Freiheit den Willen bestimmen kann.19 Dadurch wird der Zirkel der Selbstgesetzgebung aufgehoben. Es geht damit auch einher, daß eine »Vollendung der 17 Rel., AA VI, 29, vgl. auch 53 f. 18 »Daß ein solcher verderbter Hang im Menschen gewurzelt sein müsse, darüber können wir uns bei der Menge schreiende Beispiele, welche die Erfahrung an den Thaten der Menschen vor Augen stellt, den förmlichen Beweis ersparen.« (Rel., AA VI, 32 f.) 19 Vgl. zu diesem Verhältnis von transzendentaler Freiheit und subjektiver Gesetzgebung SW, IV, 57. (SL)
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Freiheit« praktisch möglich wird, denn die Unerfülltheit und Unheiligkeit (und auch Ungewißheit über sich selbst) basiert nicht mehr auf einer anthropologischen Konstante, sondern auf einem apriorischen praktischen Prinzip, welches sich unmittelbar formal mit Allgemeingültigkeit einsehen läßt (was, nebenbei gesagt, nie aus empirischen Triebfedern folgen könnte). Es wäre daher möglich, daß Widerstand gegen das Gesetz formal aufgehoben werden könnte, da er (der absoluten Forderung nach vollständiger Legitimation der Vernunft durch sich selbst zufolge) eben aufgehoben werden will. Das treibende Moment, der Rechtfertigungsanspruch der Vernunft, hat nach Fichte höhere Realität als jede bloß faktische Realität. In diesen Anspruch soll sich der Philosoph nach Fichte hineinstellen: Der philosophische Imperativ fordert (als formale Sehnsucht der Vernunft), solange weiter zu fragen, bis die Vernunft sich selbst transparent wird und das Sollen in Wollen aufgehoben ist. Fichte leitet in der Anweisung zum seligen Leben das angegebene Bewußtsein von moralischem Gesetz und subjektiver Freiheit faktisch aus einer freien Reflexion des natürlichen Menschen auf sich selbst her. Auch nach Fichte beginnt alle Erkenntnis, der Zeit nach, mit der Erfahrung20: Der Mensch findet sich als zwecksetzendes Wesen vor, d. h. er begreift sich ursprünglich als bewußtes Naturwesen, frei zwischen unmittelbar gefühlten Zwecken (Lust/Unlust) zu wählen. Sobald der Mensch sich aber durchgreifend dieser materialen Freiheit besinnt (sich reflektiert), setzt er sich als endliches Vernunftwesen. D. h. er begreift sich als ein unbestimmtes, formaliter freies und selbstständiges Prinzip. In der Sittenlehre von 1798 beschreibt Fichte dieses Prinzip wie folgt: »[Es] ist ein Trieb zur Tätigkeit, um der Tätigkeit willen, der dadurch entsteht, daß das Ich sein absolutes Vermögen innerlich anschaut. Es findet sonach hier gar nicht ein bloßes Gefühl des Triebes statt, […] sondern eine Anschauung. Der reine Trieb kommt nicht vor als Affektion; das Ich wird nicht getrieben, sondern es treibt sich selbst, und schaut sich an in diesem Treiben seiner Selbst.«21
D. h. das endliche Vernunftwesen wird bei der Reflexion von der Evidenz ergriffen, sich prinzipiell – wenn es will – autonom bestimmen zu können. Die Naturtriebe verlieren durch die Anschauung der Unbestimmtheit durch irgendetwas Äußeres gänzlich ihre bestimmende Kraft für das 20 SW, II, 333 f. (SB) 21 SW, IV, 144. (SL)
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wollende Ich. Freiheit ist nicht nur ein blindes, reelles Prinzip, sondern wird unmittelbar durch »das absolute Vermögen der [intellektuellen] Anschauung«22 bewußt. D. h. ein Freiheitsakt ist stets eine epistemische, selbstbewußte Leistung, Reflexion und Freiheitsakt gehen notwendig Hand in Hand. Dadurch begreift sich der Mensch erstens »in der tiefsten Wurzel seines Seins«23 als praktisches Gesetz, »seine Freiheit, beraubt der Neigung, ist nun leer, und ohne alle Richtung. Er muß sie wieder binden; und, Band für die Freiheit, oder Gesetz, ist ja ganz daßelbe.«24 Zweitens aber faßt er sich diesem Gesetz gegenüber notwendig als frei, d. h. mit dem Vermögen, ihm auch nicht gehorchen zu können, »er sondert sonach sich ab, und stellt sich, als auch eine für sich bestehende Macht, dem Gesetze, oder was das nun eigentlich sein mag, das ihm als Gesetz erscheint, gegenüber.«25 Der Gedanke des Gesetzes – das ist nun ein entscheidender Vergleichspunkt mit Kant – kommt aus einer freien Reflexion zustande, und dementsprechend steht das objektive praktische Gesetz wie bei Kant unter der Bedingung subjektiver Freiheit. Wo Kant aber den Phänomenbestand des Sollens als dynamische Einschränkung des guten Willens durch Bedürfnisse in der Willkür interpretiert26, zeigt Fichte, daß die intellektuelle Anschauung der Freiheit selbst schon rechtfertigt, daß uns unsere Vernunft als Sollen (nicht als Wille) erscheint. Der gute Wille muß uns als Pflicht erscheinen, weil beide Momente, Anschauung der Unerforschlichkeit und des kategorischen Solls sich wechselseitig bedingen und nur aneinander vorkommen. Einerseits kann in einem unbestimmten Vermögen der Selbstbestimmung das moralische Gesetz (als Wesen des freien Ichs) nur als kalter, kategorischer Imperativ bewußt werden, nicht aber das Subjekt »unausbleiblich« bestimmen. Die Unbestimmbarkeit also bedeutet, daß wir dem Soll stets auch zuwider handeln können. Andererseits fordert das moralische Gesetz, daß wir frei, d. h. uns selbst »unerforschlich« sein sollen; wir sollen uns durch nichts Äußeres, sondern nur durch uns selbst bestimmen. Kurz, wir sollen uns demnach keine bestimmte Natur, Wesen, Anlage etc. andichten. Beide zusammen bilden also die 22 SW, IV, 32. (SL) 23 Johann Gottlieb Fichte: Die Anweisung zum seligen Leben, hrsg. v. Hansjürgen Verweyen, Hamburg 41994, 113, im Folgenden AzsL 113. 24 AzsL 128. 25 Ebda. 26 Vgl. GMS I, 397 und noch ausführlicher, GMS III, 449: Wir sind nach Kant teils Glied einer intelligiblen, teils Glied der Sinnenwelt.
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absolut synthetische Einheit des Selbstbewußtsein einer reinen praktischen Vernunft. Zusammenfassend kann man also sagen, daß die transzendentale Reflexion (erster Ordnung) des natürlichen Standpunkts das Pendant zur »Revolution der Gesinnung« bei Kant darstellt, da sie wie jene das Prinzip der intellektuellen Selbstbestimmung über die Naturtriebe hebt. Gleichwohl stellt sie bei Fichte keine Umkehr zum Guten dar, da der Mensch durch den postulierten Akt überhaupt erst in die Sphäre der Verantwortlichkeit eintritt, es also noch unbestimmt ist, ob er – nun frei – sich für oder gegen eine tugendhafte Gesinnung entscheidet. Identisch wiederum ist, daß beiden Denkern zufolge der Mensch im Stand der Mündigkeit das prinzipielle Vermögen besitzen, dem moralischen Gesetz zuwider zu handeln.
4. Vollendung der Freiheit Fichte will nun zeigen, daß über der Revolution der Gesinnung noch eine »Vollendung der Freiheit« möglich ist. Nach ihm ist subjektive Freiheit gegenüber dem moralischen Gesetz eine in sich und durch sich selbst noch unerfüllte Lebensform, insofern eine solche erstens bloß relativ frei ist, zweitens aber diese Freiheit dadurch erkauft ist, daß sie mit sich selbst entzweit ist. Der freie Wille ist zwar kein gemischter, aber doch ein in sich gebrochener Wille. Diese Lebensform bezeichnet Fichte daher als niedere, formale Moralität, d. h. als nicht vollständig durch sich selbst legitimierte Haltung. Die treibende Frage, in welcher die Untersuchung die ganze Zeit über gestanden hat, nämlich die nach der Legitimation de iure menschlichen Lebens, ist nach Fichte die unaustilgbare formale »Sehnsucht« des Menschen nach einem vollkommen erfüllten Lebenssinn.27 Diese Sehnsucht ist als das bloß Bestimmbare die Folie, auf der die »Unerforschlichkeit« des subjektiv freien Ich als bestimmte epistemische Qualität, näherhin als defiziente Qualität bewußt wird: Das Ich kennt sich nur formal, dasjenige, um was es geht (der Sinn, der individuelle wie auch der ganze, letzte) kommt dem Ich als Material der Pflicht von Außen, aus einer fremden Natur vor. Man kann vielleicht von blinder Pflicht sprechen, die nicht das Ganze übersieht, sondern nur die konkrete empirische Aufgabe. Das zeitlich invariante Ich ist letztlich von sich selbst entfremdet, hat sich nur äußerlich. Die innere »Unerforschlichkeit« kann vor der Sehnsucht 27 AzsL 17.
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nach einem allgemeinen Lebenssinn (einer zumindest individuellen Rechtfertigung) nie selbstverständlich werden. Kant hat aufgrund dieser Symptomlage die Postulatenlehre entwickelt, um dieser tugendhaften Lebenshaltung zwar keinen unmittelbar anschaulichen, aber doch wenigstens einen idealen, denkmöglichen Sinn (die praktische Möglichkeit des kategorischen Imperativs) zu sichern, ohne aber die reelle Spaltung der endlichen Vernunft dadurch überwinden zu können: Es bleibt das Problem des perennierenden Sollens. Die »Vollendung der Freiheit« ist eine transzendentale Reflexion des freien Ich auf sein inneres Wesen, auf den inneren Sinn seiner konkreten Pflicht. Reflexion aber ist nach Fichte (das hat die Analyse des absoluten Reflexionsgesetzes in der Anweisung zum seligen Leben ergeben)28 notwendig synthetisch-analytisch, sie zergliedert, relativiert und objektiviert den Gegenstand der Reflexion, d. h. sie begreift ihn. Sie kann dies aber nur, indem sie die unterschiedenen Momente in einer neuen synthetischen Einheit faßt, in deren Evidenz sie wiederum unmittelbar aufgeht. Dieses Aufgehen der Reflexion bedeutet, daß jede – wohlgemerkt – evidente Reflexion (bloßes Meinen ist nach Fichte völlig gesetzlos und willkürlich) den reflektierten Inhalt als seiend bzw. real behauptet, kurz, sie setzt ihn notwendig in die Form des »X ist an sich« und begreift sich unmittelbar als die Vorstellung dieses X. Erscheinendes Sein und Dasein desselben sind die notwendigen Implikate alles faktischen Selbstbewußtsein. Diese faktische Form des Bewußtseins wird aber begründet durch die unbegreifliche genetische Evidenz, sodaß die faktische Evidenz (die durch Anwendung des bestimmenden Begriffs »Als« zustande kommt) die notwendige Bedingung der Sichtbarkeit der genetischen Evidenz, letztere aber der absolute, unbegreifliche Realgrund des endlichen Bewußtseins ist; beides bedingt sich wechselseitig, in nur »einem Schlag«. Damit ist das Verhältnis zwischen de iure und de facto bestimmt: Die innere genetische Evidenz ist das absolute Prinzip des Rechtfertigens selbst; wird dieses durch die »Vollendung der Freiheit« ins Bewußtsein gehoben (reflektiert), begreift sich die Vernunft als durch sich selbst legitimiert. In der »Vollendung der Freiheit« wird nun nicht irgendein bestimmter Inhalt des Selbstbewußtseins reflektiert (z. B. der Satz des Pythagoras), sondern das ganze, in sich selbst geschlossene, durch sich selbst bestimmte Selbstbewußtsein der niederen Moralität: Die transzendentale Reflexion erweitert und legitimiert insofern die absolute Qualität der Form dieses Selbstbewußtseins. 28 AzsL 49–57, 63–69.
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Durch eine solche transzendentale Reflexion auf den Standpunkt der niederen Moralität kann die Freiheit sich vollenden, das heißt absolut werden: Das Individuum holt die innere Struktur seines gebrochenen Selbstbewußtseins bewußt ein. Das »Band für die Freiheit« wird als eine begriffliche Leistung der Vernunft (als unbewußtes Sediment des charakterisierenden »Als« bei der Reflexion erster Ordnung) erkannt. Zugleich wird es (wie die Natur zuvor) relativiert und objektiviert, kurz, es kann sich beim »Faktum der Vernunft« nicht um das reale Wesen der Vernunft handeln, sondern nur um die notwendige faktische Erscheinungsweise des praktischen Selbstbewußtseins. Das synthetische Verhältnis von Gesetz und Freiheit wird eingesehen als Verhältnis zweier, sich gegenseitig einschränkender Partialkräfte, welche innerlich aber ein und demselben absoluten Grundwillen entspringen. Was vorher real, absolut und unhintergehbar erschien, wird durch den Vollzug der Reflexion zweiter Ordnung begriffen als notwendige, aber bloß faktisches Bild des absoluten Prinzip des Rechtfertigens. Durch die Reflexion zweiter Ordnung begreift endliche Vernunft aber nicht nur den Standpunkt niederer Moralität, sondern überwindet ihn zugleich auch performativ, indem sie in der Anschauung des höheren, ermöglichenden Grundes des Selbstbewußtseins aufgeht. Kurz, sie geht auf in dem absoluten genetischen Grundwillen (welcher zuvor der unbekannte Grund = X der unbegreiflichen Sehnsucht war)29. Dieser wird unmittelbar angeschaut und im Gegensatz zur faktischen und objektivierten Form des Selbstbewußtseins begriffen: Der absolute Grundwille ist absolute Subjekt-Objekt-Identität, d. h. sich theoretisch-praktisch selbst begründende, genetische Evidenz. Diese (vorher = X) kommt dadurch überhaupt in den Horizont des endlichen Bewußtsein, und wird als der absolute Realgrund der faktischen Form des Ich begriffen und synthetisch mit demselben als bloßem Idealgrund desselben vereinigt. Der absolute Grundwille offenbart sich in dieser synthetischen Einheit unmittelbar als das absolute, transrelationale, transreflexive und transfaktische, unbegreifliche, unerschöpfliche und evidente innere Leben der Vernunft. Eine Bemerkung zum Unterschied von höherer Moralität (wie sie nach Fichte hier vorliegt) und Religion: Er besteht darin, daß in der ersteren das Bewußtsein sich mit dem absoluten Grundwillen der Vernunft unmittelbar 29 Ich möchte darauf hinweisen, daß Fichte schon in der Sittenlehre 1798 das Verhältnis von Freiheit und Gesetz aus einem unbegreiflichen Urtrieb = X (z. B. SW, IV, 41 ff.) abgeleitet hat. Nicht die Sittenlehre, wohl aber die Anweisung zum seligen Leben (vgl. auch späte Sittenlehre) scheint mir der Ort zu sein, an welchem Fichte die Bedingungen der Sichtbarkeit dieses Urtriebs ableitet.
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anschaulich identifiziert, in der letzteren aber durch eine weitere Reflexion diese unmittelbare Anschauung noch einmal unter dem Namen »Gott« auf den Begriff bringt, d. h. als solche versteht (was aber nicht hierher gehört). Solange die Reflexion in der niederen Moralität aufgeht, kann das Ich praktisch nicht darüber hinaus; das bedeutet eben, daß sie ihr Material der Pflicht nur aus der Natur ziehen kann, um »der sinnlichen Natur«, wie Kant sagt, »die Form einer Verstandeswelt, d. i. einer übersinnlichen Natur«30 zu geben. Jetzt aber geht das endliche Bewußtsein im unendlichen Grundwillen auf, wodurch die lebendige, schöpferische Anschauung in den Horizont des Bewußtseins aufgenommen wird: Das Ich, seine Lebensform, ist also nach Fichte auf diesem Standpunkt eine materiale Idee seines Lebens selber. Es steht nicht mehr unerforschlich und verschlossen vor sich selbst, sondern geht in seiner individuellen Bestimmung auf (ein individueller Lebenssinn, der Sinn des Ganzen wird allerdings erst in der Religion verstanden), d. h. es ist nicht an die durch individuelle Reflexion nur konkret und momentan sich einstellende faktische Evidenz der (blinden) Pflicht im Zeitverlauf gebunden, sondern hat eine alle Zeitmomente begleitende und tragende genetische Evidenz dessen, was es im Zeitverlauf will. Die Darstellung aber eines transfaktischen Prinzips in der faktischen Natur erscheint in der letzteren nach Fichte notwendig als das qualitativ Neue. Des Weiteren fallen die Beträge an Willensenergie, die sich zuvor dynamisch einschränkten, zusammen, was die Konzentration, den Erfolg und die Erfüllung des vollendeten Individuums nach Fichte nicht nur erhöht, sondern vervollständigt. Es lebt in allem, was es tut, mit ganzer Kraft, »braucht sich nicht zu reizen und zu treiben« und »sein Geschäft [geht] immer gut vonstatten«.31 Erstens, weil er eine leitende Idee hat, zweitens, weil keine inneren Widerstände sein Tun verunsichern. Dadurch kann man sagen, daß – was Kant durch das Postulat Gottes versuchte, dessen Wirklichkeit das Freiheits- und das Naturgesetz verbinden sollte – mit Erreichung der schöpferischen Moralität die endliche Vernunft nicht nur mit sich, sondern auch mit der Natur ausgesöhnt ist, insofern die Naturgesetze (sie stammen aus demselben Prinzip) dem schöpferischen Menschen prinzipiell keinen Widerstand mehr entgegensetzen können (bloße Bedingung der Sichtbarkeit). Die Natur ist daher auf diesem Standpunkt das gefügige Instrument der Vernunft, aller Mißerfolg und alles Scheitern folgt nach Fichte aus einem inneren Widerspruch der endlichen Vernunft mit sich selbst. Zur Versöh30 KpV 43. 31 AzsL 140.
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nung mit der freien und unfreien Menschheit (im Ganzen) kommt es allerdings erst im Stand der Religion.32 Das evidente Leben der Vernunft wird durch den besagten Akt in den Horizont des Bewußtseins aufgenommen, d. h. aber, daß die formale Sehnsucht, nach praktischer sowohl als theoretischer Legitimation des Selbstbewußtseins der niederen Moralität performativ aufgehoben und als erfüllt empfunden wird; begriffen aber wird diese theoretisch-praktische Erfüllung als solche erst auf dem Standpunkt der Religion und letztlich dem der Wissenschaftslehre (durch welche das Bewußtsein einer erfüllten Existenz noch das qualitative Plus tieferer Erfüllung und Gewißheit bekommt). Erst durch diese Reflexion wird – zumindest performativ – klar, warum die Vernunft überhaupt die Rechtfertigung der Erfahrung fordert. Das transzendentale Projekt erhält dadurch nach Fichte eine allgemeine Rechtfertigung: Der Mensch soll nach Fichte sich als Erscheinung des Absoluten einsehen.
32 AzsL 153 ff.
Die bildende Kraft des Wissens vom Wissen in der Spätphilosophie Johann Gottlieb Fichtes
Violetta L. Waibel (Tübingen und Wien)
Das Wissen vom Wissen ist allererst eine Frage der theoretischen Philosophie, dessen bildende Kraft jedoch immer schon dem eigentlichen Ziel der Fichteschen Philosophie, dem der praktischen Vernunft, unterstellt ist. Die Wörter »bildende Kraft« und »Wissen vom Wissen« zeigen eine Spannung an, die das gesamte Unternehmen der Wissenschaftslehre begleitet. Die Bezeichnung »bildende Kraft« deutet auf den Kontext, den Fichte auch Leben, Lebendiges, Licht nennt. »Wissen vom Wissen« ruft das genaue Gegenteil von Leben ins Gedächtnis, dies nämlich, was Kant und andere nach ihm, etwa Schelling und Hegel, an der Wissenschaftslehre als bloße Logik und Formularphilosophie bezeichneten. So erklärte Kant 1799, die Wissenschaftslehre Fichtes sei ein gänzlich unhaltbares System: »Denn reine Wissenschaftslehre ist nichts mehr oder weniger als bloße Logik, welche mit ihren Principien sich nicht zum Materialen des Erkenntnisses versteigt, sondern vom Inhalt derselben als reine Logik abstrahirt, aus welcher ein reales Object herauszuklauben vergebliche und daher auch nie versuchte Arbeit ist, sondern wo, wenn es die Transscendental-Philosophie gilt, allererst zur Metaphysik übergeschritten werden muß.«1 1 Die Erklärung Kants ist am 28. August 1799 im Intelligenzblatt der Allgemeinen Literaturzeitung erschienen. Zitiert nach Schelling – Fichte. Briefwechsel. Kommentiert und
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Schelling, der zuerst Kants Kritik der Wissenschaftslehre aufs heftigste gerügt hat, schwenkt bald, wie auch Hegel, auf den Tenor Kants ein. Nach Schelling verfährt die Wissenschaftslehre »ganz bloß logisch« und habe »mit Realität gar nichts zu thun. Sie ist, so viel ich einsehe, der formelle Beweis des Idealismus, darum die Wissenschaft NDW‘ H[RFKQ. Was ich indeß Philosophie nennen will, ist der materielle Beweis des Idealismus.«2 Ganz ähnliche Formulierungen finden sich in Hegels Auseinandersetzungen mit der Wissenschaftslehre in der Differenzschrift und in Glauben und Wissen.3 Ist nun die Wissenschaftslehre »ganz bloß logisch«, oder gilt dies nur für die frühe, nicht aber für die spätere Wissenschaftslehre? Immerhin räumt Fichte im Hinblick auf Kants Vorwurf ein, sein System möge durchaus als Logik angesehen werden, da in der Wissenschaftslehre auch wirklich von aller bestimmten Erkenntnis abstrahiert werde, betont aber eine entscheidende Differenz im Sprachgebrauch: »nur bezeichnet, meinem Sprachgebrauch nach, das Wort Wissenschaftslehre gar nicht die Logik, sondern die Transscendentalphilosophie oder Metaphysik selbst. Unser Streit wäre sonach ein bloßer Wortstreit.«4 Wenn schon nicht tote Formularphilosophie oder Logik, sondern Transzendentalphilosophie oder Metaphysik, was ist die lebendige und bildende Kraft, die Fichte für die Wissenschaftslehre reklamiert? Ist sie Mimesis oder Poiesis? Bildet sie ab, oder bildet sie neu? – Oft genug spricht Fichte von der Nachkonstruktion, muß also Mimesis meinen –, oft aber auch spricht er vom schöpferischen Potential der Wissenschaftslehre? Tatsächlich verbindet sie beides. Das Wissen vom Wissen ist allerst eine Nachkonstruktion, die Zug um Zug eine poietische, also bildende Kraft entfaltet, die herauszuarbeiten nun mein Anliegen ist. Zuerst will ich mich den Thatsachen des Bewußtseyns von 1810/11, sodann der Wissenschaftslehre von 1812 zuwenden. Die erste Schrift kann als ein Pendant zur frühen Grundlage der herausgegeben von Hartmut Traub, Neuried (ars una) 2001, 231. 2 Schelling an Fichte, 19. November 1800, zitiert nach Traub [wie Anm. 1] 179. Es ist offenkundig, daß Schelling, der den öffentlichen Vorwurf Kants im Brief an Fichte vom 12. September 1799 (vgl. Traub 125–128) noch auf heftigste gerügt hat, diesen nun selbst bis in die Formulierungen hinein aufgreift. 3 So schreibt Hegel in Glauben und Wissen: »Dieser kritische Idealismus, den Fichte in schärferem Umriß heraushob, ist, wie von selbst erhellt, etwas formales; [...] so bleibt von der objectiven Welt die interessanteste Seite, die Seite ihrer Realität unerklärt.« (Hegel, Gesammelte Werke (GW) hg. von der Rheinisch-Westfälischen Akademie der Wissenschaften, 4, 388) Wenig später stellt Hegel dann fest: »Auf diese Weise ist im Fichteschen Idealismus das System des Wissens ein Wissen von einem ganz leeren Wissen, welchem eine empirische Realität [...] absolut entgegengesetzt ist, und von einer relativen Identität beyder.« (GW 4, 396) 4 Fichte an Schelling, September 1799, zitiert nach Traub [wie Anm. 1] 129; ähnlich im Entwurf dieses Briefes, Traub 131.
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gesamten Wissenschaftslehre angesehen werden, in der vom empirischen Wissen zum Wissen der Vernunft aufgestiegen wird, während die zweite Schrift eine Fassung dessen darstellt, was Fichte als die eigentliche Wissenschaftslehre begreift und als eine Reflexion auf das Absolute und seine Erscheinung zum Austrag bringt. Bereits in der Programmschrift Über den Begriff der Wissenschaftslehre von 1794 sieht Fichte die Wissenschaftslehre in einem Abbildverhältnis zu einem Urbild. Das Urbild bezeichnet Fichte als das »System des menschlichen Geistes«, dessen Abbild oder Darstellung die Wissenschaftslehre sein soll. Fichte fährt dann fort: »Sie hat nur unter der Bedingung, und nur in so fern Wahrheit, als sie getroffen ist. Wir sind nicht Gesetzgeber des menschlichen Geistes, sondern seine Historiographen; freilich nicht Zeitungsschreiber, sondern pragmatische Geschichtsschreiber.«5 Der pragmatische Geschichtsschreiber zeichnet mimetisch eine Sache nach, stellt sie jedoch in den Dienst einer zweckgerichteten Absicht. Diese Absicht ist das sich selbst Durchsichtigwerdenwollen des erkennenden Geistes, das es in den Dienst der Bestimmung des Menschen zu stellen gilt. Mit zunehmender Radikalität durchleuchtet Fichte das absolute Prinzip der Wissenschaftslehre, um es durch die philosophische Darstellung zur Erscheinung zu bringen, es mimetisch nachzukonstruieren. Die mimetische Nachkonstruktion des Absoluten setzt, so meine These, zunehmend poietische Kräfte frei, denen ich im folgenden meine Aufmerksamkeit zuwenden möchte. In der frühen Wissenschaftslehre von 1794/95 ist der poietische Gewinn des mimetisch nachkonstruierenden Wissens vom Wissen, der Konstruktion der Einbildungskraft durch Einbildungksraft, des Strebens nach wirklicher oder idealer Realität in hohem Maße der selbstexplikativen Kraft der Wissenschaftslehre und ihrer Wirksamkeit beim Leser oder Zuhörer überlassen. Die poietische Kraft leitet zwar den Erfinder der Wissenschaftslehre bei seiner geistigen Entdeckungsreise, bleibt aber selbst wenigstens zum Teil verdeckt, bis Fichte dieser Kraft in den späteren Wissenschaftslehren zunehmend mehr Aufmerksamkeit und Reflexionsarbeit zuwendet. Das Unternehmen der Wissenschaftslehre unter dem Generaltitel der Darstellung des ursprünglichen Systems des Geistes verfolgt nicht nur mehr oder weniger dialektische Methoden in den einzelnen, einander ablösenden Darstellungen, es ist als Ganzes als eine Dialektik zu lesen, in der gewiß hier und dort gedankliche Brüche, Inkompatibilitäten und Ungereimtheiten entdeckt werden mögen, die aber doch insgesamt einer zentralen Idee unterstellt sind und diese Idee in einem fortschreitenden Prozeß durchdringen und 5
BdWL GA I 2, 147; SW I, 77.
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sich teilweise auch überbieten. Die zweistellige Relation des Wissens vom Wissen bezeichnet mit dem ersten Relat das Wissen des Philosophen, der das Bild vom Wissen aktual erzeugt, mit dem zweiten Relat steht das Wissen des konkreten Weltbezugs und Daseinsvollzugs im Blick, jedoch nicht in seinem aktualen Vollzogensein, sondern als Untersuchungsgegenstand, der der Betrachtung unterzogen wird. Das aktuale Vollziehen des Betrachtens, Fichte spricht vom Anschauen der Bewußtseinsmomente, ist zwar gebunden durch die Bestimmtheit des Gegenstandes, doch aber auch frei, sowohl im Entschluß, sich auf den philosophischen Denkprozeß einzulassen, als auch frei, oder besser offen, die Freiheit in ihrem Möglichkeitsräumen allererst zu entdecken. So besteht und erzeugt sich auch das Wissen des Philosophen sowohl aus der mimentisch orientierten reproduktiven Urteilskraft als auch aus der poietisch orientierten produktiven Urteilskraft.
I. Thatsachen des Bewußtseyns von 1810/11 In den Thatsachen des Bewußtseyns von 1810/11 führt Fichte eine phänomenologische Beschreibung vor, die bei der Beziehung des Bewußtseins auf äußere Gegenstände des Wissens durch Wahrnehmung einsetzt und bei der Idee des Absoluten endet. Was gemeinhin als Wahrnehmung von äußeren Gegenständen gelten mag, umfaßt in Wahrheit den qualitativen Unterschied derjenigen Momente, die auf tatsächlicher sinnlicher Empfindung durch die fünf Sinnesorgane beruhen und der Momente, die darin nicht aufgehen. Die Ausdehnung von Flächen und Körpern kann nämlich nicht an sich wahrgenommen werden, sondern nur vermittest der Farbigkeit und ihren Grenzen, der Oberflächentextur und ihren Grenzen. Wie kaum anders zu erwarten, begreift Fichte den Raum mit Kant als ontologisch ideal. Die Ausdehnung wird nicht wahrgenommen, sie wird allein vom Subjekt erzeugt. Er demonstriert dies mit einem Gedankenexperiment. Es ist ein ideales Moment der Vorstellung, nicht aber der empirischen Erfahrung, wenn behauptet wird, daß jede beliebige Erstreckung von Gegenständen, repräsentiert durch eine bestimmte Linie, ins Unendliche geteilt werden könne. Bezogen auf den realen Körper eröffnet sich mit diesem Gedankenexperiment eine Potentialität und Freiheit des anschauenden Subjekts, die Fichtes Augenmerk auch im Fortgang der Untersuchung leiten wird. Die Reflexion auf den Wissensvollzug richtet sich auf die Ausdifferenzierung der durch das angeschaute Objekt gebundenen und durch es dem Subjekt sich eröffnenden Freiräume des Wissens.
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Als Resultat hält Fichte vorläufig fest, daß das Objekt weder bloß real empfunden, noch bloß ideal angeschaut wird, sondern aus einer Synthesis dieser Momente durch das denkende Subjekt hervorgeht. Die Synthesis oder Verschmelzung der Momente des geistigen Vollzugs, von denen keines für sich bestehen kann, nennt Fichte das Leben des Geistes, von dem er festhält: »Dieses also in sich aufgehende, und einen geschlossenen geistigen Lebensmoment bildende Bewußtseyn ist aber nicht einfach, sondern besteht aus den erwähnten zwei Haupttheilen, dem Denken, und der Selbstanschauung«6. Fichte sucht mit diesem Beispiel zu demonstrieren, daß selbst Wissen von äußeren Gegenständen nur zu einem geringen Teil aus Gegebenem besteht und wesentlich Äußerung der sich selbst bestimmenden Freiheit ist. In Fichtes Worten: »Wissen schlechtweg in seiner innern Form und Wesen ist das Seyn der Freiheit«7. Wenn schon die einfache, auf Wahrnehmung beruhende Anschauung von Gegenständen das Bild vom Gegenstand nicht bloß als Eindruck empfängt, sondern die freie Selbsttätigkeit des Geistes wesentliche Momente beisteuert, so lassen sich in der Reflexion auf die Wissensvollzüge mit fortschreitender Komplexion der kognitiven Leistungen auch zunehmend mehr logische Freiräume des Geistes entdecken. Durch die Aufdeckung der Freiräume im Vollzug der wahrnehmungsgebundenen Erkenntnis bestimmt sich das Subjekt in seiner Freiheit und umreißt den metaphysischen Handlungsraum seiner produktiven Urteilskraft. Das Subjekt erfährt sich in der genauen reflektierenden Durchleuchtung der geistigen Mechanismen seiner objektbezogenen Denkhandlungen zunehmend als ein Wesen, das nicht nur in Kausalreihen eingebunden ist, sei es im Affektionsmechanismus der Wahrnehmung selbst, sei es in der Kausalkette der Dinge untereinander, sondern als ein Wesen, das Kausalreihen selbst in Gang zu setzen vermag. Die reproduktive Einbildungskraft legt zunächst aus Eindrücken und Beobachtungen einen Bilderschatz an, um mit diesem Bildervorrat durch freie Bildungskraft, wie Fichte nun auch die produktive Einbildungskraft bezeichnet, etwas zu schaffen, das durch die konstruktive Kraft des freien Denkens als neue Möglichkeit entstehen kann. Fichte vergißt nicht zu erwähnen, daß die sukzessive Lösung vom unmittelbaren und unreflektierten Bezug des Bewußtseins auf die Welt freilich auch außer Kontrolle geraten kann, wenn, besonders unter dem Eindruck heftiger Leidenschaften, die freie Einbildungskraft einer nicht mehr lenkbaren Assoziationskette folgt, die sich bis hin zum Wahn steigern kann. Wichtig ist ihm 6 7
TdB-1810/11, GA II 12, 26. TdB-1810/11, GA II 12, 27.
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dieser Hinweis deshalb, weil mit der Aufhebung der ursprünglichen Bindung des Geistes auch eine ursprüngliche Ordnung aufgehoben wird, die durch eine freie Ordnung ersetzt werden muß, die Fichte Attention nennt, Attention nämlich auf den frei gewählten Zweck, dem es zu folgen gilt, um ihn mit bestmöglicher Aufmerksamkeit zu realisieren. Das Subjekt, das die Denkräume der Freiheit im Ausgang von der Objektbindung erkundet hat, vermag nun auch, das Bewußtsein insgesamt mittels der Reflexion zu durchleuchten. Das bedeutet, es erwirbt nicht nur eine innere Anschauung seiner Bewußtseinszustände, sondern auch seiner Vermögen. Wie schon in früheren Fassungen der Wissenschaftslehre ist der Begriff der Anschauung nicht auf sinnliche Gegenstände einer möglichen äußeren Erfahrung eingegrenzt, sondern gilt auch für die Selbstrepräsentation des Subjekts. Werden Bewußtseinszustände, die auf äußere Gegenstände bezogen sind, angeschaut, so handelt es sich um ein objektgebundenes Wissen vom Wissen, werden die Bewußtseinsvermögen angeschaut, die diese Zustände erzeugen, so handelt es sich um Wissen vom Prinzip des Wissens, das als Prinzip absolute Freiheit ist. Das Prinzip des Wissen kann jedoch nur insofern angeschaut werden, insofern es als dasjenige angesehen wird, dem die Bewußtseinszustände zugehören. In dieser Hinsicht ist es nur Form der ihm zugeschriebenen Bewußtseinszustände. An sich betrachtet läßt es sich nicht anschauen, sondern es wird gedacht. Sofern das Subjekt sich als Instanz seiner Bewußtseinszustände anschaut, ist es, wie die Phänomenalität seiner Zustände, fließend. Begreift sich das Subjekt jedoch als ein ruhendes, in sich bestehendes Sein, das Instanz aller fließenden Bewußtseinszustände ist, so schaut es sich nicht bloß an, sondern es denkt sich über alle kommenden und gehenden, zuweilen auch nicht vorhandenen Zustände als fortbestehendes Sein, als eine Substanz. Über den Charakter der Substanzialität hinaus ist das Subjekt auch kausales Prinzip seiner Freiheit. Um das Prinzip zu denken, werde, so Fichte, aus der Substanzialität des Ich, also »aus den Accidenzen durchaus herausgegangen, und dieselben gar nicht beibehalten; dann entsteht das Denken eines Princips, oder Grundes.«8 Nach Fichte sind zwei Substanzen zu unterscheiden, das Objekt der äußeren Wahrnehmung, und das Subjekt als Instanz der auf das äußere Objekt bezogenen akzidentellen Subjektzustände. Fichte betont die strenge Unterscheidung des Subjekts als Substanz in der eben genannten Rolle und des Subjekts als Prinzip, das erst durch eine absolute Synthesis des Denkens gedacht werden könne.
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TdB-1810/11, GA II 12, 38.
Die bildende Kraft des Wissens vom Wissen
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Da sich Fichte in der phänomenologischen Propädeutik zur Wissenschaftslehre auf die Erkundung der Möglichkeitsräume der Freiheit konzentriert, muß es nicht verwundern, daß er die reproduktive Kraft des Erinnerungsvermögens sehr entschieden als Gegenstand der Philosophie und nicht, wie traditionell üblich, der Psychologie ansieht. Dies führt überdies zur Betrachtung der leeren, dann der erfüllten Zeit, die, wie anfangs der Raum, als hervorgebracht durch das Subjekt gedacht wird, aber nicht hervorgebracht in willkürlicher Konstruktion, sondern gebunden an die Bedingungen ihrer Idealität. Schon in der frühen Wissenschaftslehre von 1794/95 zeichnete sich hie und da, wenn auch nicht in wünschenswerter Klarheit, ab, daß das in der Wissenschaftslehre dargestellt System des Geistes gar nicht anders, denn nach einem organologischen Modell expliziert werden kann. Die Kreislinie, im Ausgang vom Prinzip und im Aufstieg zum theoretischen Resultat der konstruierten Einbildungskraft und des Vorstellungsvermögens, sowie der Abstieg zum Prinzip, das nun als Ausdruck des Sittengesetzes anzusehen ist, ließ zwar durch die wachsende Komplexion des Wissens vom Wissens hindurch den organologischen Ansatz erahnen, doch erst in späteren Fassungen reflektiert Fichte ausdrücklich auf die methodologischen Bedingungen einer linearen Darstellung in der Sprache eines an sich hochkomplexen organischen Systems, wie es der Geist ist. Um dem organischen Ganzen des Bewußtseins gerecht zu werden, gebraucht Fichte zunehmend das Instrument der »Analogie« und des »Bildes« als Darstellungsmöglichkeit. So dient auch die Reflexion auf die Thatsachen des Bewußtseyns als analogisches Muster zur Untersuchung des sich ins Werk setzenden Prinzips alles Wissens und seiner Selbstdarstellung in der Prinzipienwissenschaft, nämlich der eigentlichen Wissenschaftslehre. Bereits das programmatische Wort des sich Durchsichtigwerdens des Bewußtseins durch die Wissenschaftslehre ist ein Bild, das die Absicht deutlich machen soll, sichtbar zu machen, was im gewöhnlichen Bewußtsein unsichtbar ist. Unsichtbar ist in ihm vor allem die hinter dem Bewußten, also dem Anschauen oder Denken, versteckte Präsenz der Freiheit und Spontaneität, die erst in der Reflexion auf die Tatsachen des Bewußtseins freigesetzt werden und allererst einen freien und schöpferischen Umgang mit den bindenden und freien Elementen des Wissens erlauben. Die Reflexion auf die Thatsachen des Bewußtseyns und ihre Wissensbedingungen ist ein mimetisches Nachkonstruieren, das Möglichkeitsräume der Freiheit faktisch, also ihr daß oder quid facti, eröffnet, deren wie oder quid juris dem schöpferischen Leben zur Disposition steht. Mit der
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Reflexion auf logische Möglichkeitsräume wird bildende und bildbare Kraft freigesetzt. Zudem weist das Wort »Durchsichtigkeit« auf ein Sehen, um das es Fichte auch in der Prinzipienlehre vornehmlich geht. Mit Kant ist auch für ihn die Anschauung ohne Begriff blind und der Gedanke ohne Inhalt leer9. Doch anders als Fichte zentriert Kant die Vorstellung organologischer Zusammenhänge in einem Begriff, nämlich einer Idee als focus imaginarius eines organologischen Systems, die das Ganze repräsentiert und auf die hin alle Teile sich organisieren und von der her die Teile sich bestimmen,10 während Fichte mit dem epistemologischen Primat des Bildes und dem weiteren Begriff der Anschauung das Zusammenschauen in vertikaler (zeitlicher) und horizontaler (räumlicher) Form im Blick hat.
II. Wissenschaftslehre von 1812 Während Kant dem Begriff in Gestalt einer Idee, der eine Anschauung niemals angemessen gegeben werden kann, die wesentliche Explikationskraft systemischer, also auch philosophischer Zusammenhänge zumutet, stützt sich Fichte mehr und mehr auf die Explikationskraft des Bildes, der Anschauung. Fichte bringt dies in der Wissenschaftslehre von 1812 mit emphatischen Worten zum Ausdruck, wenn er betont, es sei alles gewonnen, wenn die absolute Schöpferkraft des Bildes und des ganzen Bildersystems überhaupt begriffen sei.11 Es geht nun nicht mehr nur darum, die möglichen logischen Freiräume des faktischen Wissens zu erkunden, sondern das Bildeprinzip wahren Wissens in seiner positiven Freiheit reflexiv und genetisch einzusehen. Die begriffliche Reflexion genügt deshalb nicht, weil sie immer nur nachträglich bewußt macht, was zuvor seiendes und werdendes Leben war. Sein, Werden und ihr Erfaßtsein müssen der Wissenschaftslehre zufolge nicht bloß in ihrer Aufeinanderfolge hingestellt, sondern in ihrer inneren Identität begriffen werden. Eine solche Identität läßt sich der späten Wissen9 Vgl. KrV A 51, B 75 und Immanuel Kant, AA IV, 48 und AA III, 75. 10 »Zu einem Dinge als Naturzwecke wird nun erstlich erfordert, daß die Theile (ihrem Dasein und der Form nach) nur durch ihre Beziehung auf das Ganze möglich sind. Denn das Ding selbst ist ein Zweck, folglich unter einem Begriffe oder einer Idee befaßt, die alles, was in ihm enthalten sein soll, a priori bestimmen muß.« (Kant, KU § 65, AA V, 373) Das Prinzip der inneren Zweckmäßigkeit in organisierten Wesen bestimmt Kant in folgender Weise: »Ein organisirtes Product der Natur ist das, in welchem alles Zweck und wechselseitig auch Mittel ist.« (Kant, KU § 66, AA V, 81/82) 11 Vgl. WL-1812, GA II 13, 81/82; SW X, 363.
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schaftslehre zufolge nur durch das Analogieprinzip eines Bildersystems begreifen. Anders als in den Thatsachen des Bewußtseyns steht in der Wissenschaftslehre von 1812 das dem menschlichen Geist nie unmittelbar zugängliche Absolute und seine Erscheinung in Mittelpunkt des Interesses. Das Absolute erscheint dem menschlichen Geist theoretisch als Wahrheit, praktisch als Sittengesetz. Empirisch gestützter Verifikationismus der Wahrheit überläßt Fichte den Wissenschaften und fragt statt dessen nach dem metaphysischen und intrinsischen Bildeprinzip von apriorischen Wahrheitsbehauptungen. Daß Fichte in der Wissenschaftslehre von 1812 das System der Bilder begriffen wissen will, spiegelt seine organologische Vorstellung vom Mentalen ebenso wieder, wie in ihr der genetisch phänomenologische Primat der konkreten Anschauung als Grundform der Erscheinung präsent ist. Mit der Formel, »die Erscheinung erscheint sich« ist die Relation von Festem und Flüssigem, von totem, formalem Begriff und lebendiger Anschauung zum Ausdruck gebracht. Das erste Relat, die Erscheinung, hält das Sein der Wahrheit und Freiheit als Wesen fest. Sie ist Bild des Absoluten, als dieses Bild aber das Unwandelbare des Seins, das Sein, das sich zum formalen Begriff verfestigt. Das zweite Relat, das Sicherscheinen, bezeichnet als Verb Vollzug, Lebendiges, Flüssiges, Wandelbares und daher eine Anschauung, die sich nicht zum Begriff verfestigt, sondern das sich bildende Prinzip in seinem Aktcharakter im Blick hält. Die unwandelbare Begriffsseite des Prinzips und die wandelbare Anschauungsseite des Prinzips stellen zwar verschiedene Hinsichten, aber doch derselben Sache dar, von der keine als selbstständig und ohne die andere gedacht werden kann. Das leitet Fichte nun dazu, ihre Identität im Subjekt vollziehen zu lassen, das nicht nur, faktisch, diese Differenz reflektiert, sondern selbst dasjenige ist, das das Prinzip zur Erscheinung bringt. Fichte führt daher eine weitere Formel ein, die lautet: »die Erscheinung erscheint sich, als sicherscheinend«.12 Diese erweiterte Formel drückt zugleich die berühmte Fünffachheit der Prinzipienlehre der späten Wissenschaftslehre aus, die in zahlreichen anderen Kontexten wiederkehrt. Die beiden Satzteile vor und nach dem Als bilden jeweils eine Relation. Beide Relationen aus jeweils zwei Relaten werden ihrerseits durch das Als zu einer neuen Relation verknüpft. Das Als ist das fünfte Moment und wird von Fichte als schwebende Mitte bezeichnet. Offenkundig ist mit dieser Metapher eine Anbindung an das Schweben in der Grundlage
12 WL-1812, GA II 13, 75; SW X, 355.
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von 1794/95 intendiert, wenngleich 1812 nicht ausdrücklich vom Vermögen der Einbildungskraft die Rede ist. Fichte nennt diese fünffache Struktur einen »analytische[n] Ausdruck der SichErscheinung« des Prinzips13. Analytisch kann hier nicht im Sinne der Kantischen Unterscheidung von analytischen und synthetischen Urteilen verstanden werden. Mit analytisch bezeichnet Fichte den mimetischen Charakter der Darstellung der Struktur des Prinzips, das der Philosoph zufolge der Begriffsschrift von 1794 als Geschichtsschreiber nachzeichnen kann, aber nicht zu erfinden vermag, und was 1812 zum Bereich der Reflexibilität zählt. Überdies ist es in der Schrift von 1794 der pragmatische Geschichtsschreiber, der einerseits mimetisch nachzeichnet, der andererseits aber doch auch seinem Zweck gemäß der Erfinder der Methode der Wissenschaftslehre ist. Während die Reflexion analytisch jeweils im Nachhinein ihren Gegenstand zur Einsicht bringt, wird die philosophische Synthese gerade nicht innerhalb des additiven Systems der Reflexibilität, sondern in der Zusammenschau, also im Bild an sich vollzogen. Bilder, Anschauungen zeigen sich in einander überbietender Potenz und Erkenntnisdichte zunächst bloß als Erscheinende, sie werden in höherer Potenz subjektiv erfaßt im Sehen, die Mannigfaltigkeit des Erscheinens und des Gesehenen wird schließlich im Blick zur Ganzheit gefaßt, geordnet nach den Zwecken des Subjekts. Die genetische Erfassung des im Blick Gesehenen und Gedachten potenziert sich zum Ersehen, als dem in seinem regelfolgenden Konstruieren und freien Bilden sich selbst durchsichtig Gewordenen. Von der philosophischen Methode gilt, daß sie immer nur beispielhaft die Darstellung des intendierten Sachverhalts, wesentlich also das sich zur Erscheinung bringende Prinzip des Wissens, schöpferisch zu bilden vermag. Das Gesetz des Absoluten, der Wahrheit, gebietet nicht nur unmittelbar die mimetische Struktur ihrer Darstellung, sondern auch mittelbar die der poietischen Methode des Erfinders der Wissenschaftslehre, die nun ihrerseits in ihrem beispielgebenden Charakter reflektiert und in das sich zur Erscheinungbringen des Prinzips einbezogen ist. Wie aber das Schöpferische der Erfindung, und sei es die Erfindung der Methode, gedacht werden muß und wie es zum Leben gelangt, darüber ist letztlich keine Auskunft zu erhalten. Dies ist es eben, daß das Leben im emphatischen Sinne nicht mehr Leben, sondern Bild vom Leben ist, das sich verfestigt, wenn es faßbar ist und aufbewahrt wird, wenn die singuläre, an ihrem lebendigen Bedürfnis orientierte Erfindung als Beispiel entdeckt und 13 WL-1812, GA II 13, 75; SW X, 355.
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ihre intrinsische Regel reflektiert und formalisiert wird. Mit der Aufstufung der Selbstreflexion hat Fichte eine maximale Annäherung an das eigentliche des Lebens und seiner bildnerischen Kraft denkbar gemacht, die zuletzt nicht mehr in Bild und Begriff eingeholt werden kann, weil sie eben nichts mehr sein kann und will als bildende Kraft, der ein geistiges Wesen seine ganze ungeteilte Aufmerksamkeit zuwendet. So mag Kants Wort von der bloßen Logik noch für die späte Wissenschaftslehre gelten. Sie ist eine Logik, ein Logos oder der Kalkül des Bildnerischen, Schöpferischen, ein Kalkül der kreativen Überraschung, dessen unsichtbare Regeln zur Sichtbarmachung reizen, jedoch auch zu Fixierungen, die nach neuer Verflüssigung rufen – eine Logik also, aus der sehr wohl kein Objekt herauszuklauben ist, die aber alles Objekt möglich macht.
Wissen als ein freies und selbständiges Leben in den »Thatsachen des Bewußtseyns«
Elvira Gareewa (Ufa)
In den »Thatsachen des Bewußtseins« berührt J. G. Fichte ein Thema, das auch heute von großer Bedeutung ist. Das Thema lautet: das Wissen als ein freies und selbständiges Leben. Was allen Wissenschaften erst ihren wahren Wert verleiht, ist ihr Zusammenhang mit dem Leben, aber nur unter der Bedingung, daß wir unser Leben nicht nur mit weltlichen Problemen, etwa des gesellschaftlichen Daseins, verbinden, und uns nicht nur auf vergängliche und gewöhnliche Dinge beschränken. Wir sollen uns an die höheren und nicht sinnlichen Sphären des Geistes wenden, die unseren nebensächlichen Zielen, allen unseren Taten und Gedanken ihre wahre Bedeutsamkeit für ein ganz anderes, höheres und erhöhtes Leben verleihen. Diesen Hauptgedanken, von dem J. G. Fichte während seiner Arbeit an der Wissenschaftslehre ausging, kleidete Marheinecke in Worte, als er in seiner Grabrede auf den Philosophen sagte: »Was von Anbeginn an den menschlichen Geist reizte, sich mit seinen Gedanken über sich selbst und die sichtbare Welt zu erheben, was ihn unablässig treibt, bis zu der äußersten und letzten Quelle alles Wissens hinaufzusteigen, ... es ist das Gefühl eines höheren und erhöhten Lebens, es ist das geheime Vergnügen und je unaussprechliche Süßigkeit, mit dem Anblick jener ewigen Bilder
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Elvira Gareewa verbunden ist, wovon uns die Wirklichkeit überall nur verzerrte und verschrobene Nachbilder erblicken läßt... «1
Was versteht man darunter – »ein höheres und erhöhtes Leben?« Marheinecke versteht das im rein religiösen, christlichen Sinn. Er bestimmt es als ein Wissen, das mit seinem ewigen Grund verbunden ist. »Nur nach dem Maaße als alles Wissen mit diesem seinen ewigen Grunde zusammenhängt und aus diesem hervorgeht, nur in dem Verhältniss, als das Bewußtseyn Gottes in allem Wissen lebendig ist, strömt seliges Leben aus ihm hervor ... «2
Ferner drückt er einen in methodologischer Hinsicht fruchtbringenden Gedanken aus, daß nämlich alle an Fichte zurückdenken werden, »in denen er das göttliche Leben entzündet hat, immerdar in Segen genannt und wenn auch sie nicht mehr sind, noch auf der Welt wirksam und thätig bleiben.«3 Entscheidend ist hier, daß Fichtes Wirken gewürdigt wird als Beginn einer neuen Zeit, als Beginn eines neuen leuchtenden und erleuchtenden Denkens. Ähnlich vergleicht Schelling, der in der Zeit nach 1800 heftig mit Fichte aneinandergeraten war, Fichte in seinen Vorlesungen »System der Weltalter« mit einem Blitz, von dem ein Feuer aufloderte, das für die Zukunft brenne.4 Bevor wir das Wissen als freies Leben erklären, wollen wir darüber nachdenken, was Fichte selbst unter dem Verhältnis Wissen – Mensch versteht. Das Wissen, meint er, gehört nicht zum festen Besitz dessen, der weiß. Der Mensch hat keineswegs das Wissen, sondern das Wissen soll den Menschen haben.5 So ist das Wissen eine selbständige Grundlage. In dieser Hinsicht sagt Fichte folgendes: »... das Wissen ist schlechtweg, es
1 Marheinecke (Grabrede) Berlin, 31. Januar 1814, in: Erich Fuchs et al. (Hgg.), Fichte im Gespräch. Berichte der Zeitgenossen, Bd. 5, Stuttgart – Bad Cannstatt 1991, 87f.. 2 Ibid., 88. 3 Ibid., 88. 4 Vgl. F. W. J. Schelling, System der Weltalter. Münchener Vorlesung 1827/1828 in einer Nachschrift von Ernst von Lasaulx, hg. und eingeleitet von Siegbert Peetz, Frankfurt a. M., Vorlesung 12. 5 Vgl. J.G. Fichte, Die Thatsachen des Bewußtseyns 1810/11. Die späten wissenschaftlichen Vorlesungen 1809–1811, hg. von Hans Georg von Manz et al., Stuttgart-Bad Cannstatt 2000, 393.
Wissen als ein freies und selbständiges Leben
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hat ein selbstständiges Daseyn, und das einzige selbstständige Daseyn, welches wir hier kennen.«6 Wir glauben, es ist nicht nur das, daß das Wissen eine gewisse persönlich-überpersönliche Realität ist. Noch in der Wissenschaftslehre von 1794 sagt er, daß ohne Akt des Bewußtseins – »Ich bin ich«, d. h. ohne Tätigkeit der Positionierung, kein Wissen möglich ist. Wenn »Ich« das realisiert, so sieht das denkende Ich seine Grundlagen ein und bringt sie zugleich hervor. Das denkende Ich benötigt verschiedene objektive Inhalte. Gerade dadurch bringt es sich als Position hervor, als Position, die sich entgegensetzen und anderen Subjekten des Denkens entgegengesetzt sein kann, nämlich denkenden und handelnden Subjekten, d. h. Personen, die es anerkennt und von denen es anerkannt wird. Dies alles unterliegt zudem den kategorialen und weltanschaulichen Grundlagen, die Fichte apriorisch aus der Wissenschaftslehre abzuleiten versucht. So ist das Wissen nicht nur positional, sondern zugleich interpersonal.7 Dabei erzeugt die Position, d. h. das sich selbst als Ich hervorbringende Ich, als Resultat die interpersonalen Beziehungen. Das Wissen kann leben, d. h. entstehen, tradiert, gebraucht, fertiggestellt, weiter entwickelt werden, aber nur in interpersonalen Beziehungen. Deswegen ist das Wissen einerseits das Resultat des persönlichen Bemühens, andererseits hat es eine allgemeinkulturelle, objektive Bedeutsamkeit und ist mithin überpersönlich, überpositional. Daher stimmen wir folgender Auffassung Fichtes zu, daß der Mensch nicht in der Lage ist, aus sich selbst, d. h. aus seiner Person, aus seinem Besitz, aus seinem positiven Wissen heraus glücklich zu werden, wenn er nicht die Menschheit in sich entdeckt und anstrebt. Vermittelst seines Seins als Ich, vermittelst seiner Position, ist der Mensch verwiesen und angewiesen auf Kultur und Gesellschaft. Das Wissen läßt sich nicht auf bloße Informationen reduzieren, die man verbrauchen kann, auf Informationen, die stets einem Nützlichkeitsdenken unterliegen. Das Wissen als ein freies und selbständiges Leben ist das Sein, das bis zu Ende nicht verbraucht, sondern sich ewig angeeignet wird. Die grundlegende Charakteristik des Seins ist die Aktivität, aber nicht im Sinne äußerlicher Unruhe, sondern im Sinne der inneren Produktivität. Sein heißt, sich immer geistig wiederherzustellen, immer gleich in seiner Liebe zu bleiben, d. h. den Grundbestand seines Geistes 6 Ibid., 394.
Wenn das Subjekt sich selbst als denkendes Wesen hervorbringt (personifiziert) und das zugleich einsieht, schafft es eine objektivierte Form seiner eigenen Hervorbringung als Person: Wissen von sich als denkendem Wesen. Dies kann man als »Position« bezeichnen. 7 Vgl. Gromyko N.W. Metapredmet »Snanije«, Moskau, 2001. 86f..
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erhalten. Das kann man aber nicht erreichen, wenn diese Liebe nicht mit der Ewigkeit verbunden ist, wenn wir nicht nach der Ewigkeit streben, wenn wir in der Zeit der tiefsten Erniedrigung alles Fortschrittlichen und Schönen, was es in dieser oder jener Nation gibt, in der Zeit der größten Gefahr, den schöpferischen und freien Geist zu verlieren, Unschlüssigkeit und Apathie an den Tag legen, die wichtigsten Fehler und Mängel der Epoche nicht offenbaren und daran nicht arbeiten, damit die Freiheit weiter leben könnte. So denkt Fichte. Die Fähigkeit zum Denken macht das Bewußtsein des Menschen lebendig. Außerdem ist gerade das Leben des Bewußtseins – ein wahres Leben. Das Sein dieses Bewußtseins ist die Freiheit. Aber die Freiheit des Menschen ist nicht grenzenlos. Was beschränkt diese Freiheit? Das ist eine komplizierte und sogar eine heikle Frage. Warum? Fichte sagt, daß das Denken, das eine Bildungskraft besitzt, nicht nur transzendent, sondern mehr immanent ist. »Diese Bildungskraft ist hier immanenttranscendent, in sich bleibend-aus sich herausgehend.«8 Diese Beschränktheit zu zeigen bedeutet die Immanenz des Denkens aufzuweisen. Das veranschaulicht das folgende Zitat: »Das Beschränkende des Lebens würde seyn eine Kraft, und zwar eine stärkere, denn dieses Leben, welche, da sie dem Leben sich entgegensetzt, außer ihm gestellt werden könnte, und zwar als ein auf sich selbst beruhendes Seyn, da sie ja dem Leben als einem solchen und einer Kausalität desselben in der Sphäre dieses Seyns an sich sich entgegengesetzt: welche erstere Annahme einen objektiven Dogmatismus, eine Transcendenz über das freie Leben begründen würde. – Es könnte aber auch so seyn, daß diese Begränzung gleichfalls in dem einen geistigen Leben läge, nur nicht inwiefern dasselbe frei ist, sondern in seinem Seyn selbst, nur in einem höheren, welchem gegenüber dasjenige Seyn, von dem wir bisher gesprochen haben, nur ein anderes und untergeordnetes seyn würde; welche Annahme, falls sie sich bestätigen sollte, den erst erwähnten Dogmatismus aufhöbe, und einen immanenten Idealismus begründen würde.« (TdB, 276)
Fichte spricht über das Eine geistige Leben; diesem Leben ist das sich transzendierende Denken immanent. Er legt das Eine geistige Leben als die Tatsache des Bewußtseins aus und schlägt vor, das transzendentale Subjekt von Kant durch das Eine geistige Leben zu ersetzen. So schreibt er: 8
TdB, 287.
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»Also er (Kant – E.G.) hat jenes Bewußtseyn der Einheit des Lebens in den Vielen weder abgeleitet, wie wir es bisher auch noch nicht gethan haben, noch hat er es ausdrücklich aufgestellt als Faktum des Bewußtseyns, wie wir es im vorhergehenden gethan haben; sondern er hat es nur, getrieben durch den gemeinen Menschenverstand, stillschweigend vorausgesetzt.« (TdB, 326)
Fichte glaubt, daß diese Einheit des geistigen Lebens es erlaubt, »...auch allein die Gültigkeit des apriorischen für alle vernünftige Subjekte sowohl selbst, als der Anspruch eines jeden auf diese Gültigkeit zu erklären.« (TdB, 326) Wenn der Mensch, der immer individuell etwas erkennt, nicht in das Eine geistige Leben des Bewußtseins eingeschlossen würde, so hätte das, was er erkennt, nicht dieselbe Bedeutung für die anderen wie für ihn. Obwohl die Erkenntnis individuell ist, ist ihr Prinzip nicht-individuell. »Ist aber jenes Prinzip schlechthin das Eine und allgemeine Vernunftleben, und wird gleich als solches deutlich gesetzt, so ist klar, daß die Allgemeingültigkeit für dieses, und für jeden, in dem dieses sich äußert, gelten müsse, und von jedem, der dies nur einsieht, allen angemuthet werden könne.« (TdB, 326f.)
Der Mensch kann aber auf die bloß faktische Erkenntnis reduziert bleiben. Das bedeutet, daß er nicht fähig ist, das Leben in seiner Einheit zu denken, das zugleich Grundlage ist und Quelle allen individuellen Erkennens. Die Fakten sind nur Phänomene »des Einen geistigen Lebens«. Bloß Phänomene erkennend, ist es unmöglich, ihre Einheit zu begreifen. »... ist alles faktisch: der natürliche Mensch aber ist eine bloß historische Intelligenz, die wohl Fakta fassen, dieselben in der reproduktiven Einbildungskraft nachbilden, eines statt des anderen setzen, und sie mit einander vertauschen kann; an dieser aber auch die absolute Grundlage und Gränze seines Gesichtskreises hat. Wo es aber darauf ankommt, nicht mehr nur Fakta für Fakta zu tauschen, sondern schlechthin über alle Fakticität ihrer absoluten Form nach zum absoluten Grunde derselben durch reines Denken sich zu erheben; da ist es mit des natürlichen Menschen Vermögen zu Ende, da muß dieser sterben, und der neue gebohren werden. Diese Gränze ist nun hier, wo es gilt, über die Individualität, als den absoluten Sitz der Fakticität hinweg zu kommen, und das Eine geistige Leben zu fassen, als in der selben nur erscheinend.« (TdB, 349)
Anders gesagt, dem natürlichen Menschen reichen die Fähigkeiten schon nicht aus; er muß deswegen sterben und neu geboren werden. Fichte
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möchte damit sagen, daß man das Eine geistige Leben nur in der Erfahrung der unmittelbaren Anschauung begreifen kann. Ist aber diese Anschauung möglich? Mehr noch: Nur solche Anschauung ist das wahre Leben, das dem Einen geistigen Leben immanent ist. So bei Fichte: »1) Das Individuum wirkt in der That nicht als Individuum, sondern als das Eine Leben; seine Selbstbestimmung zur Wirksamkeit ist ja, wie wir schon oben gesehen haben, ein Aufgeben der Individualität, die auf dem bloßen freien Begriffe beruht, und ein sich Werfen in die objektive äußere Kraft, die da ist Kraft des Einen. Also nicht das Individuum wirkt, sondern das Eine. 2) Soll diese Wirksamkeit, oder ein Produkt derselben wahrgenommen werden, so bedarf es dazu beim wahrnehmenden Individuum der Attention. Aber die Attention ist gleichfalls ein Aufgeben des Individuum als solchen, und ein sich Hineinwerfen in das objektive Denken als das Eine. Und so ist es denn auch nicht das Individuum, das da wahrnimmt, sondern das Eine. Also in dem oben aufgestellten Faktum wirkt das Eine Leben auf das Eine, es wirkt auf sich selbst; und so scheint es denn durchaus erklärt und begreiflich, wie es, da es Leben des Bewußtseyns ist, in diesem seinen Wirken sich seiner bewußt seyn nicht nur könne, sondern auch müsse; grade so wie das individuelle Leben seiner individuellen Freiheit sich bewußt wird.« (TdB, 328)
»Die Thatsachen des Bewußtseyns« ist nicht nur ein rein theoretisches Werk, an dessen Lektüre man in rein spekulativem Denken Vergnügen finden kann. Dieses Werk repräsentiert ein lebendiges Denken, das auf die Veränderung des Lebens durch lebendiges Handeln zielt. Philosophie als Tätigkeit des Denkens ist vor allem lebendige Weisheit, d. h. kein weltfremdes spekulatives Schema, sondern sie ist wie eine geistige Persönlichkeit, mit deren Hilfe die Idee der Freiheit ihr Sein erreichen kann. Wenn das persönliche Leben dem Leben der Menschheit nicht gewidmet ist, wenn dieses Leben nicht danach strebt, das Menschentum auf eine neue geistige Stufe zu stellen, so können wir über die Idee nicht sprechen, weil sie, wie Fichte in der vierten Vorlesung seiner »Grundzüge des gegenwärtigen Zeitalters« behauptet, »ein selbstständiges, in sich lebendes und Materie belebendes Denken [ist]«. Deshalb ist es nicht zufällig, daß Fichte sein Hauptaugenmerk auf die Vorlesungstätigkeit richtete. Er träumte nicht nur davon, gute Menschen zu bilden, sondern die Menschen frei zu machen im Sinne der geistigen Selbständigkeit, sie zu befähigen, in gutem Einvernehmen mit sich selbst zu leben. Der Mensch, der für sich selbst und für seine Familie sorgt, ist kein Sklave, auch wenn
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er sehr arm ist. Im Gegenteil sorgt der Sklave nie für seine Ernährung, er wird von anderen unterhalten. Seine Kräfte sind deswegen der Willkür unterworfen. Er kann die Familie nicht führen; er ist bloß Mitglied einer fremden Familie (»Grundzüge des gegenwärtigen Zeitalters«, Vorlesung 10). Dasselbe kann mit einem Gelehrten passieren, wenn er nicht dafür sorgt, nach Möglichkeit seinen eigenen Gesichtspunkt, der zugleich das Sein des Menschseins enthält, auszudrücken. Er ist dann nur Bürger der für ihn fremden »Republik der Gelehrten« und ist gezwungen, dort bis zu seinem Tode zu bleiben. »Die Thatsachen des Bewußtseyns« ist ein Text, der einerseits allgemeinverständlich ist und andererseits tiefe theoretische Gedanken enthält. Dieser Text gibt uns die Möglichkeit, immer wieder die Fichtesche Denkart zu aktualisieren, obwohl uns das bestimmte Schwierigkeiten bereitet, denn es handelt sich um das Werk einer bestimmten historischen Epoche. Dieses Werk ist aber darüber hinaus organisch in die Kultur der Menschheit eingeschlossen und nicht nur in die bestimmten sozialpolitischen Verhältnisse seiner Zeit. Das empirische Leben Fichtes ist erloschen, aber die geistige Flamme, die er anzündete, wird auch weiter den Weg für jene Menschen erhellen, die ihr Leben der geistigen Entwicklung, dem Suchen nach Wissen als einem freien Leben widmen, das letzten Endes Grundlage für alles bildet.
Die Präsenz der ›Populärphilosophie‹ im Spätwerk Fichtes
Franco Gilli (Turin)
1. Einleitung. Die ›Populärphilosophie‹ aus den Jahren 1804–1806 Der Zweck und die Interpretationsrichtung des vorliegenden Beitrags bestehen darin, den Zusammenhang zwischen den sogenannten Populärwerken aus den Jahren 1804–061 und der Spätphase des Fichteschen Philosophierens zu untersuchen. Aus dieser Auslegung wird sich ergeben, daß und wie einige Hauptthemen der sog. Mittelphase der Philosophie Fichtes in der Spätphase – insbesondere in den Vorlesungen über die Bestimmung des Gelehrten (1811) und in der Staatslehre (1813)2 – wiederaufgenommen, vertieft und weiter entwickelt werden. Ich ziele darauf ab, die die Entfaltung der Fichteschen Wissenschaftslehre kennzeichnende Kontinuität hervorzuheben. Die Verwand1 Ich verweise auf die drei Vorlesungen, die Fichte zwischen November 1804 und März 1806 gehalten und im 1806 veröffentlicht hat: Die Grundzüge des gegenwärtigen Zeitalters, Über das Wesen des Gelehrten, und seine Erscheinungen im Gebiete der Freiheit und Die Anweisung zum seligen Leben. 2 Die fünf Vorlesungen Über die Bestimmung des Gelehrten wurden von Fichte im Mai–Juni 1811 an der Universität Berlin gehalten (in GA/II, 12 [Abk. BdG-1811]); die später als Staatslehre veröffentlichen Vorlesungen wurden im Sommer 1813 gehalten (in: J. G. Fichte, Sämmtliche Werke, Bd IV – Zur Rechts- und Sittenlehre II, hrsg. von I. H. Fichte, Berlin 1845 [Abk. StL-1813]).
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lungen bzw. die Änderungen in den Begriffs-Formen, die weitgehend seit den Jahren 1801–1802 zum Vorschein kommen, stellen den inneren Zusammenhalt der Gesamtidee der Philosophie Fichtes überhaupt nicht in Frage. Gewiß könnte man von einer »unsichtigen Wende« seines kritisch orientierten Denkens in die ›metaphysische‹ Lehre vom Absoluten, und demzufolge von einer wirklichen »Umwendung des Seinsverständnisses«3 reden. Eine solche Wende stellt jedoch ebenso wenig einen Bruch wie eine ›Aufhebung‹ der frühen Lehre dar. Sie ist vielmehr als Entwicklung und Erneuerung der Sprach- und Begriffs-Formen in der einheitlichen Entfaltung der Wissenschaftslehre anzusehen. Bereits in der mittleren Phase (vornehmlich in den oben erwähnten Populärwerken) wird der Begriff vom Sein nicht mehr als der dem Ich entgegengesetzte Gegenstand des Gedankens verstanden, sondern als Leben, Licht, Absolutes, Gott. Das absolute Sein ist das Gottesleben, das Leben des Absoluten selbst. Solche Verwandlung führt ihrerseits zum Begriff des Wissens als »Bild des Seins«. Das absolute Wissen ist weder das absolute Sein, noch bloßes Nicht-Sein, sondern das Sein in der Form der Sichtbarkeit. Demzufolge ist das Sein, oder Gott, kein objektives und ontologisch fixiertes ›An-sich‹, sondern das Nicht-Sichtbare4. In der mittleren Phase seines Denkens betrachtet Fichte die Wahrheit als das Allerklarste und gleichzeitig als das Verborgenste, nämlich als Licht, das das Sehen selbst durchleuchtet, jedoch ihm unsichtbar bleibt5. Unsere Auslegung hebt somit den engen Zusammenhang und zugleich die Spaltung zwischen dem Begriff vom Sein und demjenigen vom Bewußtsein hervor, d. h. zwischen dem Absoluten als unbegreiflichem Ursprung und Grund, und dem Bewußtsein, welches das »Unbegreifliche« als solches zu begreifen versucht. Diese Auffassung kulminiert in dem Konzept des Phänomens, das nicht mehr als bloßer Schein, sondern als die eigentliche und notwendige Erscheinung der transzendentalen Struktur des Absoluten6 gefaßt wird. Das absolute Wissen fällt nämlich 3 Vgl. Wolfgang Janke, Fichte. Sein und Reflexion. Grundlagen der kritischen Vernunft, Berlin 1970. 4 Zum Thema der Idee der Philosophie in dieser Phase, verweise ich auf meinen Beitrag Populärphilosophie und Religionslehre, in: Der transzendental-philosophische Zugang zur Wirklichkeit. Beiträge aus der aktuellen Fichte-Forschung, hrsg. von E. Fuchs, M. Ivaldo und G. Moretto, Stuttgart-Bad Cannstat 2001, 471–505. 5 Vgl. Wolfgang Janke, Fichte. Sein und Reflexion, XV und ff. 6 Die theoretische Struktur, die in den Vorlesungen über die Wissenschaftslehre aus diesen Jahren entfaltet wird, bildet das Substrat der Überlegungen Fichtes über das Wesen und die Bestimmung des Gelehrten, über die Philosophie der Geschichte und, insbesondere, über Religions- und Seligkeitslehre.
Die Präsenz der ›Populärphilosophie‹ im Spätwerk Fichtes
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nie mit dem Absoluten zusammen, sondern ein Abstand bleibt als unausweichliches Residuum zwischen dem absoluten Sein und dessen Erscheinung, zwischen Gott und Bild7. Sinn und Hauptaufgabe der Wissenschaftslehre gehen zudem mit der systematischen Erhellung des Wesens und der Bestimmung des Menschen und des Gelehrten einher. Sie fallen mit dem unerschöpflichen Erforschen eines ersten und unbedingten Grundes der transzendentalen Philosophie zusammen. Das Thema des »Abstandes«, der unüberbrückbaren Kluft zwischen Sein und Erscheinung, stellt ein die Fichtesche Gesamtidee der Philosophie charakterisierendes Leitmotiv dar. Die höchste Einheit des Prinzips ist die Voraussetzung der genetischen Ableitung der Erscheinung; und die Erscheinung wird ihrerseits von dieser Voraussetzung transzendental gerechtfertigt. Schon aus der Wissenschaftslehre 1804-II ergibt sich die problematische Struktur der Wissenschaftslehre als »Transzendentalphilosophie«: Das Soll, das nicht so sehr als das sittliche, das endliche Ich zum Handeln veranlassende »Sollen«, sondern als der erscheinungskonstitutive Begriff (auch Idee genannt) zu verstehen ist, erweist sich als die Grundlage der genetischen Struktur der Wissenschaftslehre als philosophisch-transzendentalen Wissens8.
2. Das Wesen und die Bestimmung des Gelehrten im Jahre 1811 Wie schon in den Jahren 1794 und 1806 greift Fichte in den Vorlesungen Über die Bestimmung des Gelehrten aus dem Jahre 1811 die Frage nach dem Wesen und der Bestimmung des Gelehrten wieder auf. Das Wesen des Gelehrten entsteht aus dem Begriff des Wissens selbst, das nicht als ein vom Wissen unabhängiges Abbild oder Nachbild des Daseins, sondern als »Vorbild des Seins« gefaßt wird. Das philosophische Wissen enthält in sich den Grund des Seins; »ein solches Wissen müsste praktisch und tätig sein, und ein Sein begründend« (BdG-1811, 314). Das Wesen des Gelehrten schließt ein Handeln in sich ein, das Bild seines eigenen Selbst und keines äußeren Gegenstandes ist. Als »praktisches Wissen« trägt es in sich ein Gesicht, das ein inneres Dasein hat, und »mit keinem außer sich, sondern nur mit sich selbst überein7 Zum Thema der ›Lehre vom Bild‹, vgl. J. Drechsler, Fichtes Lehre vom Bild, Stuttgart 1955, 11 und ff. 8 Vgl. die Auslegung des Begriff des Sollens durch G. Rametta, Libertà, scienza e saggezza nel »secondo« Fichte, in La libertà nella filosofia classica tedesca, hrsg. von G. Duso und G. Rametta, Milano 2000, 87–115.
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stimme. (...) Ein Gesicht aus der Welt, »die durchaus nicht da ist«, der übersinnlichen und geistigen Welt, die aber durch unser Handeln wirklich werden, und in den Umkreis der Sinnenwelt eingeführt werden soll« (BdG-1811, 316)9. Der echte Gelehrte soll keine bloßen Abbilder des gegebenen Seins herbeiführen. Sein Wissen stellt eher ein tatbegründendes Wissen dar. Das Gesicht ist kein Nachbild einer äußeren Welt, sondern das wahre Bild Gottes. Genau hier stellt sich die Forderung nach einer Darstellung der Fülle des Gesichts in der Sinnenwelt. Die Erscheinung Gottes im Wissen, die Erscheinung des eigentlichen Urbilds, wird nie in der Zeit vollendet, sondern »liegt über alle Zeit, als ewig unsichtbarer Grund und Gesetz, und Musterbild des unendlichen Fortbildens in der Zeit« (BdG-1811, 318). Die Erscheinung bildet kein stehendes und festes Bild, sondern ist »unendliches Bilden«. Als solche ist die absolute Erscheinung ein ewiger Strom, der seine bildliche Gestaltung aus der Sinnenwelt übernimmt. Die sinnliche und die übersinnliche Welt werden daher vereinigt und sind untrennbar10, und die übersinnliche Welt kommt von ihrer ewigen Unsichtbarkeit durch immer neue sichtbare Gestalten zum Vorschein. Der Begriff des Sollens bewährt das Verhältnis zwischen dem göttlichen Bild und der Sinnenwelt, und fördert die ständige Fortentwicklung des göttlichen Bildes. Der Gelehrte soll sich durch Selbstbesinnung zum Wissen des Bildes (als das Letzte und Höchste in aller Ewigkeit) erheben. Durch sein tätiges – und nicht bloß theoretisch-betrachtendes – Wissen wird er zur Lebenskraft der Welt, zur Triebfeder, zur Fortsetzung der Schöpfung. Darin bestehen sein Wesen, seine echte und wahre Bestimmung: Wollen sein Wissen und sein ganzes Leben Wert haben, so soll er sein11! Der Begriff des Sollens hat eine höchst relevante Bedeutung in transzendentaler Sicht. Das Sollen bestimmt nicht nur formell – selbst mit der kategorischen Unbedingtheit seiner Freiheit – einen von außen vorgegebenen Inhalt, sondern es läßt seinen Inhalt von sich selbst spontan entstehen. Im Begriff des Sollens liegt demnach das Moment einer absoluten Selbstgenesis, sowohl im Inhalt als in der Form, die sich vom Denkakt 9 Fichte verknüpft diesen Begriff mit dem griechischen Wort HLGR9 (Idee, Gestalt und Muster, im platonischen Sinne), das vom Partizip Perfekt des Verbs stammt: – »gesehen zu haben« und demzufolge »zu wissen«. 10 Vgl. BdG-1811, 318f. 11 Das ›Anforderungs-Prinzip‹ übt eine wesentliche Rolle aus, um Fichtes ›Begriff des Sollens‹ aufzuklären. Zu diesem Thema vgl. den Essay von G. Rametta, Libertà, scienza e saggezza nel »secondo« Fichte, 94 und ff.
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her erzeugt. Es handelt sich um die unbedingt genetische Produktivität des tätigen Wissens, die ohne äußere Bedingungen wirkt. Hiermit wird das Wissen zum »absoluten Wissen« als höchster Identität zwischen Sein und Denken. Eine solche Struktur des Wissens ist vom Sollen bzw. vom absoluten Wissen bestimmt. Dank der Ableitung des selbstgenetischen Wissens aus dem Begriff des Sollens wird offensichtlich, wie sich das Wissen durch das Ich der philosophischen Besinnung ersehen läßt: Der echte Gelehrte ist derjenige, der vom Wissen völlig durchdrungen ist und die transzendentale Wissenschaft vollzieht. Der Gelehrte hat nicht einfach, sondern ist das Wissen in dessen konkreter und aktualer Verkörperung; er ist »der eigentliche Vereinigungspunkt zwischen der übersinnlichen und der sinnlichen Welt« (BdG-1811, 324). Der Gelehrte ist kein passives Werkzeug in Gottes Händen, sondern schafft die Sinnenwelt nach Gottes Bild12. In ihm offenbart sich das Gesicht als wahrer Grund seines Lebens, d. h. als jene Anschauung der übersinnlichen Welt, die die Sinnenwelt formiert. Das absolute Sollen bildet insofern die innere Struktur des absoluten Seins, als es das Medium des Erscheinens des Absoluten in Bildern und Gesichtern ist. Im Sollen als aufforderndem Prinzip bzw. im ersten Schema des Absoluten befindet sich, der späten Wissenschaftslehre zufolge, was Fichte »das Vermögen« nennt, das Ausdruck der Freiheit ist, und die Freiheit ist ihrerseits als einzige transzendentale Bedingung des Seins und als jenes Prinzip, das alle deterministische Notwendigkeit zunichte macht, zu verstehen. Das bedeutet: Das Absolute schließt in sich ein ›Moment‹ ein, in dem es noch nicht offenbar wird. Das Absolute erweist sich in seiner Innerlichkeit als das Noch-nicht-Offenbare, denn sein allererstes Schema ist das Vermögen, eine Möglichkeit, die noch nicht zur Wirklichkeit geworden ist. Zwischen Möglichkeit und Verwirklichung (Offenbarung) öffnet sich somit ein Sprung; und eben in diesen unüberbrückbaren Raum setzt sich die Freiheit als Tat bzw. als ein reines Faktum, welches über alle vernünftig-genetische Ableitung hinausgeht. Die konkrete Tat der Seinserscheinung kann nicht deduziert werden. Das
12 Fichte unterscheidet zwischen reinem Gelehrten und religiösem Gemüt: Der Religiöse sieht die übersinnliche Welt ein, ohne Begründer einer sinnlichen Welt durch praktisches Wissen zu sein. Zu diesem Thema vgl. BdG-1811, 325 und ff. Hier kann auch ein Unterschied zwischen der Auffassung des religiösen Menschen, die in diesen Vorlesungen dargelegt wird, und derjenigen, die in der Anweisung zum seeligen Leben entwickelt ist, festgestellt werden. Der Grund eines solchen scheinbaren Widerspruchs wird aber in der Staatslehre-1813 beseitigt, vornehmlich im letzten Abschnitt – Neue Welt, wo Fichte seine Philosophie im engen Zusammenhang mit der christlichen Lehre wieder entfaltet. Vgl. StL-1813, 521–600.
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Seinsgesetz als Gesetz des Übersinnlichen verweist demnach mittels des Begriffs des Sollens und des Vermögens als Grundstruktur des Seins auf die Freiheit. Das Sichtbarwerden der inneren Struktur der Seinserscheinung ist eine nie vollendete Aufgabe für die Freiheit des Gelehrten und entspricht der Sollens-Aufforderung. Fichte macht uns auf die unüberwindbare Kluft zwischen der bildenden Tätigkeit des Gelehrten und der übersinnlichen Welt aufmerksam: Das Übersinnliche kann erst dank Gleichnissen, durch sinnliche Anschauung vermittelt, dargestellt werden. Die Trennung zwischen Sinnlichkeit und Übersinnlichkeit, Bild und Absolutem, Mensch (selbst wenn dieser ein Gelehrter ist) und Gott ist nicht zu überbrücken. Die gelehrte Bildung kann den Menschen nur »in sein Inneres führen, auf der Grundlage des innern Seins« (BdG-1811, 341), also dorthin, wo er lernen kann, Wissen, Verstehen und Denken als »freie Kunst« auszuüben. Die Freiheit des »Handelns des Bewusstseins« entsteht nicht vom Bewußtsein selbst aus, sondern sie bildet die transzendentale Bedingung der Erscheinung: Wenn das Absolute erscheinen soll, wenn Gott sichtbar werden soll, dann kann das Gesetz der Freiheit (die der Grund des Übergehens von der Möglichkeit zur Wirklichkeit ist) durchaus nicht »nicht da sein«; positiv ausgedrückt: Es muß dasein. Das Handeln des Bewußtseins kommt von der absoluten Freiheit heraus (vom Sollen), und letztere stellt sich im notwendigen Bestimmen (Müssen) des Handelns des konkreten Bewußtseins auf. Im Moment der Verwirklichung des absoluten Sollens im faktischen Sollen taucht der wesentliche Abstand zwischen Sein und Bild wieder auf. Das Handeln des Bewußtseins des Gelehrten erreicht die klare transzendentale Einsicht der einschlägigen Implikation zwischen Absolutem und Erscheinen; der Gelehrte ist somit zum eigentlichen Künstler geworden. In den bestimmten Punkten der Geisteswelt, zu denen sich die geistige Fortentwicklung der Schöpfung erhebt, ist der Mensch nur durch Gott und durch das unmittelbar göttliche Wirken; die Freiheit und die Selbständigkeit des Menschen bilden das Mittel dieses Wirkens. Das eigentliche Leben der Einen und freien Geisteswelt besteht darin, daß es in ein zweifaches Sein zerfällt: Im ersten wirkt unmittelbar Gott, im zweiten wird es von der Geisteswelt selber als Nachbild des ersten Seins hervorgebracht.
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3. Die Staatslehre 1813 – Erster Abschnitt In der sog. Staatslehre aus dem Jahre 1813 behauptet Fichte, daß die Welt der philosophischen Erkenntnis ein bestimmtes System des Seins und deshalb eine absolute neue Welt der Gesichter, im Gegensatz zur gewöhnlichen sinnlichen Welt, ist. Es gibt einen qualitativen Sprung zwischen der gegebenen Erfahrungswelt der Dinge und dem inneren Gefühl der Erkenntnis der geistigen Welt, das uns zur »Erkenntnis unseres Erkennens und Bewusstseins« erhebt. Ein solcher Sprung trennt die Erfahrungswelt von der Ansicht der Dinge, die an sich sind. Diese Erkenntnis ist nicht das Ergebnis des bloßen Räsonierens, sondern Resultat eines unmittelbaren Bewußtseins und einer vorgängigen geistigen Erhebung. Dank dieser echten philosophischen Erkenntnis »an der zweiten Potenz« überspringt die Wahrheit jede andere Mitteilungsform und wird als das Höchste erkannt. Fichte spricht nämlich von echter Vernunftkunst und nicht mehr von gemeinem Wissen. Das philosophische System bildet daher kein System von stehenden Dingen, sondern ein System von Bildern. Das Grundgesetz der philosophischen Leistung im Selbstbewußtsein entsteht aus der Freiheit: Von der sinnlichen Blindheit wird der Mensch durch die Befreiung seines geistigen Auges zum Sehen erhoben. Dies ist das Wesen der Philosophie. Die Verständlichkeit des Systems von Bildern beruht auf dem »Prinzip der allgemeinen Verständlichkeit« und ermöglicht uns, die Grundsätze der Einsicht der geistigen Welt zu eigen zu machen. Ein solches Gesetz verweist auf das transzendentale Schema des »Sollens« als FreiheitsUrprinzip und als Prinzip der Struktur des Seins. Dieser Auffassung zufolge sind die Bilder »Bestimmungen des Bewusstseins«, die sich auf zwei verschiedene Weise evidieren: Bilder, die unmittelbar durch das natürliche Dasein gegeben sind (sie sind ›Dinge‹ für die Unphilosophie, aber ›Bilder‹ für die Philosophie); und Bilder, die sich unmittelbar nicht offenbaren, sondern aus denen der Grund der Bestimmtheit der ersten Bilder erkannt werden kann (Bilder auf die zweite Potenz). Die Bilder der Gesetze für andere Bilder setzen sich unmittelbar als die das reine und das bestehende Sein bestimmenden Gesetze; daraus ergibt sich, daß das absolute Sein höher liegt als sie und daß die Bilder unmittelbare Erscheinungen eines ersten Bildes, d. h. des absoluten Gesetzes, sind. Die Philosophie hat somit ein neues Lebensverständnis vermittelt: Die gegebene Welt ist nicht da, ist Nichts; die Verstandeserkenntnis entsteht ihrerseits nicht aus sich allein heraus, sondern ist Darstellung eines wahren Seins und verweist auf jene (Ur-)Gesetze, die erst Gesetze
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im eigentlichen Sinn sind. Fichte macht sich wieder auf den Weg, den er seit den Jahren 1804–1806 eingeschlagen hat: Er hebt nochmals die Spaltung und den Abstand zwischen Sein und Wissen hervor; wahr ist, daß die Bilder auf das Absolute durch ihre Gesetze verweisen, aber das Absolute bleibt in sich selbst verborgen und wird erst durch die Bilder und ihre Gesetze (und in ihnen) sichtbar. Für die genetisch-philosophische Erkenntnis »ist allerdings ein Absolutes, durch, von, aus sich Stammendes, – Gott: dessen Offenbarung ist die Erkenntnis (…)« (StL-1813, 378). Nur das Absolute (als Gott bzw. als das Eine-Leben erfaßt) ist und lebt im eigentlichen Sinn; außer ihm ist nur die Erscheinung als Erscheinung, deren Sein mit ihrem »Auf GottBezogen-Sein« zusammenfällt und deren Wesen Bild-Sein, Erscheinung des Absoluten ist. Es gibt keine Welt außer der Erkenntniswelt, weil diese Bild Gottes ist. Gott selbst ist durch das Verstehen der Erkenntnis sichtbar, »(…) eben als das, als was wir sie hier verstanden haben. Gott ist nicht unmittelbar in der Erkenntnis (…), sondern nur im Verstande dieser Erkenntnis selbst, als seine Offenbarung« (StL-1813, 382). Die Wissenschaftslehre ist daher vollkommenes Verstehen, durchgeführtes Sehen und dadurch vollkommene Freiheit. Das erkennende Ich ist nicht nur ›erkennendes‹, sondern auch ›handelndes‹ und ›wirkendes‹, d. h. selbständiger Grund der Seinsbestimmungen. Der Mensch – als konkretes Bewußtsein und demzufolge als Bild – kann nur eine vor-begriffliche Wahrnehmung des sittlichen Ziels erreichen. Der in ihm wirkende sittliche Trieb kommt in ›schöpferischer Weise‹ (d. h. durch die Freiheit und nicht als notwendige Folge) von göttlicher Ordnung hervor. Gewiß trifft man hier einen der höchsten Gipfel des Fichteschen Philosophierens: die wissenschaftlichgenetische Erkenntnis hebt mit »einem verborgenen Prinzip« an, das in sich das konstitutive Schema des Sollens bzw. der Freiheit beinhaltet. Die Vorstellung eines unüberwindlichen Abstandes zwischen Sein und Bild, den Fichte in seiner mittleren Phase in der Religions- und Seligkeitslehre dargelegt hat, rückt in der Spätphase in den Mittelpunkt seiner Philosophie13. Der genetische Grundansatz der Sichtbarkeit des höheren Gesetzes bringt die Frage nach der Wahrhaftigkeit der menschlichen Erkenntnis mit sich. Die Erkenntnis ist Bild des Seins, Bild Gottes, aber als ein Werden, d. h. als Bild der ewig schaffenden Freiheit. Die eigentliche Erschei13 Vgl. Die Anweisung, wo Fichte ausdrücklich die Auffassung des ›Unbegreiflichen‹ entfaltet hat. Vgl. C. Asmuth, Das Begreifen des Unbegreiflichen. Philosophie und Religion bei J. G. Fichte 1800–1806, Stuttgart-Bad Cannstatt 1999.
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nung des absoluten Seins ist daher nicht die Welt an sich, sondern das Bild der Welt. Die wahre und vollkommene Weltansicht der Wissenschaftslehre kann nur durch die Bildung des inneren Auges erreicht werden: Sie kommt nicht von außen zustande, sondern jeder Mensch muß sie in sich selbst haben und entwickeln. Der echte Philosoph ist deshalb derjenige, dessen Erkenntnis frei und vollendet ist. Seinen Augen erschließt sich die Erkenntnis des wahren Seins; in ihm lebt und wirkt die philosophische Erkenntnis, und er selbst er-lebt und wirkt solche Erkenntnis. Fichte bezeichnet diese Anwendung der Philosophie »sittliches Leben«, das die sittliche Welt zustandebringt. Der echte Gelehrte ist der, der eine vollständige Einsicht der Seins- und Bildlehre besitzt und sich bewußt ist, daß er in der sinnlichen Welt leben und handeln muß. Die Aufgabe des sittlichen Lebens besteht in der Stiftung des Vernunftreichs, des Himmelreiches (auch: »Theokratie« genannt) im konkreten alltäglichen Leben14, d. h. in der Bildung einer sittlichen Ordnung des Wirklichen, die die Inkarnation Gottes sein soll. Gott kann nicht in der Zeit begriffen werden, und der Mensch ist zu einem qualitativ absoluten und überzeitlichen Sein aufgefordert.
4. Schlußbetrachtung In seiner Spätphase kehrt Fichte zur religiösen Sprache zurück. Die Grundauffassung der Anweisung zum seeligen Leben wiederaufnehmend, versteht der letzte Teil der Staatslehre-1813 die christliche Weltanschauung als das geeignete Mittel, um sich den Hauptthemen der Seinslehre annähern zu können. Die Lehre des Abstandes bzw. des hiatus irrationalis, die am Ursprung des Seins selbst liegen, bringt das »verborgene und unbegreifliche Prinzip« des Seins selbst zum Ausdruck; allerdings kann die wissenschaftliche Überlegung diese Struktur nie völlig begreifen, weil der Mensch in der Zeitlichkeit und im Bildsein lebt. Aus diesem Grund ist für ihn unausweichlich, sich der metaphorischen Sprache der Religion, insbesondere des Christentums, zu bedienen15.
14 Vgl. den letzten Abschnitt der StL – 1813, Neue Welt, 521 und ff. 15 Wir berufen uns nicht nur auf die Vorlesungen über die Anweisung, wo Fichtesche Spekulation sich auf die Religions- und Seligkeitslehre öffnet; sondern auch auf den letzten Abschnitt der Staatslehre – Neue Welt, in dem Fichte eine Vertiefung der Terminologie des Christentums in engem Zusammenhang mit den genetisch abgeleiteten Begriffen der Wissenschaftslehre bietet.
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Am Schluß dieses Beitrags soll demnach hervorgehoben werden, daß die Religionslehre und die damit verbundene Philosophie der Geschichte eine wesentliche Rolle spielen, um den Versuch vorzunehmen, den »Abstands-Begriff« bei Fichte zu durchdringen. Wir dürfen demnach nicht behaupten, die Religion sei nur eine vorübergehende Stufe zur Erreichung der vollendeten Wissenschaftslehre. Im Gegenteil spielt sie eine grundlegend philosophische Rolle, um uns dem Verborgenen und Unbegreiflichen legitim zuwenden zu können. Genau am lebendigen Punkt, von dem die genetisch philosophische Ableitung ausgeht, kann die Religionslehre (im Sinne von Lehre, Einsicht und nicht von mystischer Unio) unser Auge ›erhellen‹. Ansonsten würden wir in stummer Dunkelheit verbleiben.
Die Funktion der »Tatsachen des Bewußtseins« im Blick auf die Wissenschaftslehre
Hans Georg von Manz (München)
1. Einleitung – Fichtes eigene Charakterisierung der »Tatsachen des Bewußtseins« Eine Vorlesung mit dem Titel »Die Tatsachen des Bewußtseins« hielt Fichte erst während seiner späten Berliner Lehrtätigkeit. Von 1810 bis zu seinem Tod 1814 las Fichte über die »Tatsachen des Bewußtseins« insgesamt viermal.1 Der systematische Ort der Vorlesung über die Tatsachen des Bewußtseins läßt sich nur erfassen, wenn man Fichtes didaktisches Gesamtkonzept berücksichtigt. Fichte hatte für seine Vorlesungstätigkeit in Berlin – wie zuvor schon in Jena und Erlangen – ein umfassendes Konzept für die Darstellung seiner Philosophie entwickelt, das seine Vorstellung vom Verhältnis der Philosophie zum Leben widerspiegelt.2 Demnach soll der angehende Gelehrte sich bewußt werden über die Stellung und Verantwortung des
1 Vgl. dazu R. Lauth: Einleitung. In: Fichte, Johann Gottlieb: Die späten wissenschaftlichen Vorlesungen II. Hrsg. von H. G. von Manz, E. Fuchs, R. Lauth und I. Radrizzani. Stuttgart-Bad Cannstatt, 2003 (StA-2). 2 Vgl. dazu R. Lauth: Einleitung. In: StA-2.
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Gelehrten im Leben und in der Gesellschaft,3 was auf dem Hintergrund der Bestimmung des Menschen überhaupt herausgearbeitet werden konnte. Daran schließt sich eine Hinführung zum wissenschaftlichen Standpunkt an mit der Beantwortung der Frage nach dem Wesen von Wissenschaft und Philosophie (»Einleitung in die Philosophie« bzw. »Vom Wesen der Philosophie«). Der darin beschriebene Begriff der Philosophie bzw. der Wissenschaftslehre als Wissen vom Wissen ist zwar eine notwendige Bedingung, als methodischer Beginn für den Nachvollzug der Wissenschaftslehre ist er jedoch noch nicht ausreichend. Um die Entfaltung der Prinzipien des Wissens als solchen nachvollziehen zu können, ist es nach Fichte zuvor notwendig, die Konstitutionselemente des Wissens im Bewußtsein zu erfassen. Diesem Zweck dient die Vorlesung über die Tatsachen des Bewußtseins (sowie im Jahre 1812 die Vorlesung über das »Verhältnis der Logik zur wirklichen Philosophie«, allgemein bekannt als »Transzendentale Logik«4). Die Wissenschaftslehre selbst behandelt die Genese der Prinzipien des Wissens vom Wissen, und deren Ausfaltung führt zu den Wissensgrundlagen der materialen philosophischen Disziplinen (Natur-, Rechts-, Sitten- und Religionslehre). Die Geschichtsphilosophie, die ein Schema der möglichen Vernunftentwicklung liefert, erlaubt die konkrete Geschichtssituation in ein Entfaltungsstadium der Vernunft einzuordnen. Mit dieser Erkenntnis und den aus den philosophischen Disziplinen gewonnenen Anwendungswissenschaften (Technik, Politik, Pädagogik etc.) wendet sich die Philosophie als Vernunftkunst gestaltend auf das Leben und die Wirklichkeit zurück. Fichte selbst charakterisiert die Vorlesung über die Tatsachen des Bewußtseins nur als Vorbereitung zur Wissenschaftslehre: »Alle Betrachtungen, welche hier angestellt werden, sind nur als Vorbereitung zu der Wissenschaftslehre zu betrachten.«5 Die Gründe, warum Fichte eine solche die Wissenschaftslehre vorbereitende Vorlesung für nötig erachtet, scheinen auf den ersten Blick weniger systematischer Art als anthropologischer und didaktischer Natur zu sein. In den Einleitungsvorlesungen, die den »Tatsachen des Bewußtseins« vorausgehen, entwickelt Fichte zunächst den Begriff von Wissenschaft und von Philosophie, um anschließend auf die nähere Bestimmung 3 4 5
»Sittenlehre für Gelehrte« SS 1811. TL I SS 1812, TL II WS 1812/13. TdB 1811/12, Cauer, 1.
Die Funktion der »Tatsachen des Bewußtseins«
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des Gegenstandes der Philosophie einzugehen und zu erklären, worin sich ihr Gegenstand von dem anderer Wissenschaften unterscheidet. »Philosophie ist also eine Wissenschaft. – Die Wissenschaften aber sind verschieden nach den Phänomenen die sie begründen, es muß also auch vor allen das Phänom[en]. angegeben werden, das grade durch die Phil[osophie]. begründet wird – Dieses ist das Wissen selbst. – Um also zur Philosophie zu gelangen, muß zuerst das Wissen als Phän[omen]. genau bestimmt und aufgefaßt werden.«6
Aufgabe der TdB ist daher die Darstellung aller Momente, die das Wissen als solches ausmachen. Methodisch gesehen stellen die TdB den Gegenstand der Philosophie – nach Fichte – in der Art dar, wie sich andere Wissenschaften ihrem Gegenstand nähern: »Das Wesen aller Wissenschaft besteht darin, daß von irgend einem sinnlich wahrgenommenen, durch Denken, zum übersinnlichen Grunde desselben aufgestiegen werde. Ebenso also verhält es sich mit der Philosophie. Sie geht aus von der Wahrnehmung des Wissens durch den innern Sinn, und steigt auf zu dem Grunde desselben. In diesen Vorlesungen [d. h. den TdB] haben wir es mit dem ersten Stücke dieser Wissenschaft, mit dem Phänomene zu thun: dieses wollen wir systematisch beobachten...«7
Die systematische Beobachtung liefert als Abschluß eine »Naturgeschichte« aller Wissensmomente in ihrem lebendigen Zusammenhang.8 Die Darstellung der TdB erfüllt neben der inhaltlichen Bestimmung auch den methodisch-pädagogischen Zweck, in ihrem Mitvollzug sich vom Standpunkt des gemeinen Menschenverstandes zu lösen und den des transzendentalen Denkens einzunehmen. »Meine Vorlesungen Ueber die Thatsachen des Bewußtseyns sollen den Zuhörer auf den Standpunkt der absoluten Besonnenheit leiten, ihn das Phänomen sehn lassen welches [dann] die Wissenschaftslehre begründet«9. Fichte geht deshalb so vor, daß er bestimmte Wissensmomente nicht einfach beschreibt, sondern daß er von den Zuhörern einen aktiven Mitvollzug verlangt, damit sie sich das betreffende Wissensphänomen selbständig in ihrem eigenen Bewußtsein vergegenwärtigen. Er stellt sich gleichsam als Führer durch das Gebiet der
6 7 8 9
Einleitung 1811, Cauer, 8; StA-2, 261. TdB 1810/11, 6, StA-1, 229. TdB 1810/11, 213, StA-1, 394. Einleitung 1811, Schopenhauer, Bl. 8r, StA-2, 280.
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Wissensmomente dar: »In der Entwerfung dieses Bildes [vom Seyn des Wissens] eben habe ich Sie zu leiten, habe mit Ihnen das Zweckmäßige zu sondern, und auf das Merkwürdige Ihnen hinzudeuten«.10 Neben der Anleitung zur Beobachtung, zur Selbstbeobachtung von Bewußtseinsvorgängen bzw. -aktivitäten, die Wissensmomente formen, gibt Fichte für die TdB noch zwei weitere Methoden an, die über die reine Beobachtung hinausgehen: eine fortgeführte Form der Beobachtung, nämlich die Beobachtung, die durch »ein künstlich anzustellendes Experiment«11 im Bewußtsein ermöglicht wird. Wo beide Arten der Beobachtung nicht mehr zureichen, nämlich dann, wenn es um Begründungen von Wissenselementen geht, muß eine Hypothese gebildet werden. »Hypothese ist« – so Fichte – »ein frei Gedachtes oder Ersonnenes als möglicher Grund irgend eines Phänom[ens].«12 Wenn nun das Phänomen klar erfaßt wird und der (zunächst nur problematisch-hypothetisch angesetzte) Grund klar gedacht wird, und er das Phänomen vollständig erklären kann, dann kann es zu »dem plötzlichen Uebergange aus dem Zweifel zur Gewißheit« kommen, dem »Akt der Evidenz«13. »Die Evidenz ist die synthetische Einheit des Phänom[ens]. und des Grundes.«14 Sie verbürgt die wissenschaftliche Erkenntnis.
2. Die Funktion der »Tatsachen des Bewußtseins« Nach dieser anfänglichen Charakterisierung der TdB durch Fichte selbst soll im folgenden gezeigt werden, daß die TdB mehr darstellen als eine bloße Einführung zur Wissenschaftslehre und weit mehr als eine Beobachtung der Wissensmomente und deren Zusammenstellung. Dies soll in folgenden Schritten geschehen: 1. durch Betrachtung der in den TdB angewandten Methodik, 2. an Hand der Struktur und des Gesamtduktus. Daraus läßt sich 3. ein differenzierteres Bild geben, in welchem Verhältnis die TdB zur Wissenschaftslehre stehen.
10 11 12 13 14
TdB 1810/11, 6; StA-1, 229. TdB 1810/11, 6; StA-1, 229. Einl. 1811, Cauer, 7, StA-2, 260. Einl. 1811, Krakau, Bl. 3v, StA-2, 246. Einl. 1811, Cauer, 6, StA-2, 259.
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2.1 Die Deduktionen in den »Tatsachen des Bewußtseins« und die sich daraus ergebende Gesamtsystematik Betrachtet man die TdB im Ganzen, so stellt man fest, daß die Methode der Beobachtung bzw. der Selbstbeobachtung nur in ganz geringen Teilen zur Anwendung kommt. Sie ist von Bedeutung für den Ausgangspunkt der TdB, der Erfassung des ersten Teilmomentes der äußeren Wahrnehmung, der Sinnesaffektion. Bereits hier am Anfang wendet Fichte auch die Anleitung zur erweiterten Selbstbeobachtung mittels eines geistigen Experiments an, wenn es um die Frage geht, mit welcher Bewußtseinsleistung die Vorstellung einer räumlichen Ausdehnung zustande kommen kann. Die überwiegende Form der Darstellung vollzieht sich in Begründungszusammenhängen; die TdB bestehen aus einer Abfolge von Deduktionen. Die einzelnen Abschnitte der TdB stehen nicht nebeneinander, sondern im jeweils folgenden wird die Funktion dessen bestimmt, was im vorigen Abschnitt dargelegt worden ist. Für den kurzen Überblick auf diese Deduktionsstruktur in den TdB soll die Fassung aus dem WS 1811/12, d. h. die zweite erhaltene Fassung, verwendet werden, speziell die Kollegnachschrift von Cauer, die den Argumentationsgang am prägnantesten zusammenfaßt.15 Ausgangspunkt ist die Analyse der äußeren Wahrnehmung mittels Beobachtung der Sinnesaffektion und mittels eines geistigen, Experiments, das das Vermögen der Vorstellung von räumlicher Ausdehnung zeigt. Von der Rekonstruktion der äußeren Wahrnehmung geht Fichte über zur inneren Wahrnehmung, die er als notwendige Bedingung für die Erkenntnisleistung der äußeren Wahrnehmung ausweist. Das theoretische Vermögen steht insgesamt in einem spezifischen Verhältnis zum praktischen. So beginnt der Teil, in dem die praktischen Wissensmomente abgehandelt werden, mit dem Nachweis, daß das Gesamt der theoretischen Bewußtseinsmomente unter der Zweckbestimmung des Praktischen stehen. Daran schließt sich an der Nachweis der realen Handlungsmöglichkeiten (d. h. es »müßte das Ich gesetzt werden können als reales Princip.«16) Daraus ergibt sich die Notwendigkeit der praktischen Be15 Auch wenn die Fassungen der TdB der Grundstruktur nach gleich sind, gibt es doch beachtliche Unterschiede. So wird in den TdB 1810/11 das Problem der Individualität bzw. der Individuation sehr eingehend behandelt. Die TdB 1813 setzen nicht voraussetzungslos an, sondern knüpfen unmittelbar an die vorausgegangenen Vorlesungen der TL II an und richten sich an Hörer, denen der transzendentale Standpunkt bereits vertraut ist. 16 TdB 1811, Cauer, 44.
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stimmung der Natur bzw. der Materie einschließlich der Ableitung von apriorischen Anschauungsformen der Materie. Die Reflexion auf das Verhältnis vom Ich als praktischem Vermögen und der Materie führt zur Deduktion der Materialität und Leiblichkeit (in seiner spezifischen Struktur als organisierter, artikulierter Leib) des Ich. Über die Darlegung der Selbstbestimmung in ihrer formalen Struktur als Anschauung eines Übergangs des einen Zustandes des Ich zum entgegengesetzten und den implizierten Zweckbegriff findet sich ein Verweis auf ein (nicht faktisches) Gesetz, »das formaler und materialer Grund des Wirkens«17 ist, auf das Praktische schlechthin. Bevor auf dieses höhere Gesetz eingegangen werden kann, wird die Frage, wie das Ich faktisches Prinzip sein kann, beantwortet mit einer Deduktion des Handelns als Übergang des Begriffs zur Anschauung in der Zeit. Der Übergang zum »höheren Bewußtsein«18 geschieht durch den Nachweis, daß alle bisher aufgewiesenen Strukturen des Wissens sich als Bedingtes darstellen, als Möglichkeitsbedingung für eine »höhere Anschauung«, die »das ursprüngliche Bild des wahren Seins ohne alle Gestalt« ist, oder wie Fichte es mit dem von ihm geprägten speziellen Terminus bezeichnet: »Das reine, allein Realität ausdrückende, Gesicht.«19 Die Schnittstelle, an der das faktische Wissen und das höhere Wissen (vom wahren Sein) zur Anschauung kommen, ist das Ich.20 Gerade im Übergang von der niederen Anschauung, im Sich-Losreißen von ihr, und dem SichRichten auf die höhere Anschaung besteht das Wesen des Ich, da es sich in diesem Akt des Übergangs seiner selbst bewußt wird.21 Für das Ich erscheint das wahre Sein als Soll, als unbedingte Forderung.22 Und so »ist die Frage beantwortet, wie das Absolute sichtbar werden könne – nämlich im Handeln nach dem absoluten Gesetze.«23 Auf diese Weise ist das Ich der Form nach eingesehen. Für die Wirklichkeit muß es als faktisches, als mannigfaltiges erscheinen, es muß sich also in eine Vielzahl von Individu-
17 TdB 1811, Cauer, 50. 18 TdB 1811, Cauer, 59/60 (37). 19 TdB 1811, Cauer, 62 (38). 20 »Der Vereinigungspunkt zwischen beiden [der niederen und der höheren Anschauung] ist das Ich.« (TdB 1811, Cauer, 61). 21 »Das Ich ist factisches Princip der neuen Anschauung im Losreißen, und wird sich als solches bewußt« (TdB 1811, Cauer, 62). 22 »Jene höhere Anschauung ist im Zusammenhange ein Soll für das Ich. = praktisches Gesetz« (TdB, Cauer, 63). 23 TdB 1811, Cauer, 64 (40).
Die Funktion der »Tatsachen des Bewußtseins«
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en verzweigen, »welche mit Freiheit und unendlichen Vermögen auf die Anschauungswelt einzuwirken begabt sind.«24 Mit der Erkenntnis, wie sich das »Wesen« des absoluten Seins oder »Gottes« ausdrückt,25 nämlich im Handeln nach dem (unbedingten) Gesetz, ist die größtmögliche Annäherung in diesem Gedankengang der TdB an das Absolute, das reine Sein erreicht. Anhand dieses kurzen Abrisses über die TdB von 1811 dürfte das deduktive Verfahren als das bestimmende Moment des Gesamtduktus deutlich geworden sein. Fichte selbst verwendet, darf man den Kollegnachschriften trauen, an mehreren Stellen selbst das Wort »Deduktion«26 oder Ableitung. Entscheidend ist die durchgängige Argumentationsstruktur, in der Fichte entweder die Möglichkeitsbedingungen eines Wissensmomentes aufsucht27 oder von Wissensmomenten nachweist, daß sie nur als Möglichkeitsbedingung von einem »höheren« Wissensmoment zu verstehen sind. Die Staffelung der Bedingungsmomente bezieht sich nicht nur auf Einzelanalysen, etwa der Deduktion der apriorischen Bestimmungen der Materie, der Bestimmung des Leibes oder der Individuen und ihrer Mehrzahl; sie ist vielmehr das systembildende und einheitsstiftende Moment des Wissens überhaupt; und nach ihr ist auch die Vorlesung gegliedert. Im Verlauf der Vorlesung, als Fichte die Funktion der »Intelligibilität des Ich« aufgezeigt hat, gibt er einen prägnanten Überblick, wie ein Moment mit dem anderen zusammenhängt: »Somit ist ein neuer Zusammenhang des Wissens.[:] Die Welt ist nichts denn die Anschaubarkeit des Ich. Die Anschauung des Ich ist wiederum nichts als die Intelligibilität des Ich und das ganze System ist gefordert dadurch, daß das Seyn sich anschauet, von welchem wir dermalen als dem höchsten ausgehen. Das ganze System des Wissens von dem Satz an: Ich bin[,] ist herabgesetzt zur Bedingung des höhern Wissens bloß als Bild des Ich. Diese ganze Region des Wissens nennen wir niederes Wissen und die andere höheres als Bedingendes.«28
24 TdB 1811, Cauer, 68. 25 TdB 1811, Cauer, 69. 26 Z. B. TdB 1811, Halle, 72; StA-2, 345, TdB 1811, Halle, 94; StA-2, 367. 27 TdB 1810, 53; StA-1, 267. 28 TdB 1811 Halle, 108, StA-2, 379, Hervorhebung v. M.; vgl. auch die Ausführung zum »Verhältnis der höhern Anschauung zur niedern«, TdB 1811, Cauer, 63 (RZ 39) oder die »Uebersicht über das Wissen« TdB 1811, Cauer, 66f. (RZ 42).
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Indem Fichte konsequent versucht, alle Wissenselemente in Bedingungsbzw. Implikationsverhältnisse einzubetten, ist die Darstellung der TdB ein Lehrbeispiel der durchgängigen Anwendung des transzendentalen Ansatzes.29 Eine entscheidende Folge davon ist (u. a.), daß die theoretischen und praktischen Momente der Wissens- bzw. Bewußtseinsstruktur nicht unverbunden nebeneinander stehen, sondern in ihrem Wechsel- bzw. Bedingungsverhältnis aus einer Einheit begriffen sind.
2.2 Das Verhältnis der »Tatsachen des Bewußtseins« zur Wissenschaftslehre In welchem Verhältnis steht nun der Gang der TdB zu dem der Wissenschaftslehre? Fichte endet die Darstellung der TdB mit einer dafür erhellenden Bemerkung; sie lautet in Schopenhauers Nachschrift: »Das Wißen ist die Erscheinung des Seyns[,] die sich selbst erscheint. Mit diesem Saz endigt der Vortrag der Thatsachen des Bewußtseyns, und mit demselben hebt die Wißenschaftslehre an, welche den selben Weg rückwärts zurücklegt.«30
In der Halleschen Nachschrift heißt es: »So wie die Darstellung der Thatsachen anhob von der Beobachtung und sich von dieser zu dem Gesetz erhob und so fort bis zu dem höchsten Grundgesetz des Wissens; so verfährt in umgekehrter Rücksicht die Wissenschaftslehre, die da schließt in dem gesammten Kreise der nothwendigen Phänomene.«31
Die TdB und Wissenschaftslehre gehen also denselben Weg, die TdB in der einen Richtung, die Wissenschaftslehre in der anderen. Man kann auch von einem Aufstieg von unten zum höchsten Prinzip und von einem Abstieg von dort aus sprechen. In den TdB von 1810 verwendet Fichte selbst den Ausdruck »aufsteigende Reihe«: »Das Leben muß angeschaut werden, damit das Sittengesetz angeschaut werden könne, und das Sittengesetz muß angeschaut werden, damit das absolute angeschaut werden
29 Diese Erkenntnis ist von Bedeutung für die spätere Frage nach der WL, ob diese in der späten Zeit noch durchgängig transzendental sei. 30 TdB 1811, Schopenhauer, Bl. 41r, Hervorhebung v. M.. 31 TdB 1811 Halle, 122f.; StA-2, 391, Hervorhebung v. M..
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könne: dies wäre die aufsteigende Reihe unserer Betrachtung.«32 Auch in der Wissenschaftslehre von 1812 findet sich anläßlich der Frage, wie das Wesen des Blicks und der Reflexibilität bestimmt werden könnte, eine methodische Bemerkung, die den Gang der TdB als Aufsteigen bezeichnet und deren Methodik als Gang von niedereren Gesetzlichkeiten zu höheren näher charakterisiert: »Ich könnte auf diese [die ganz gewöhnliche Wahrnehmung] ... die freie Reflexion schildern; und es würde ein aufsteigen des Bewußtseyns sich darlegen, so ohngefähr, wie wir dasselbe in den Thatsachen des Bewußtseyns auch gehabt haben (freilich immer mit einer andern GrundAnsicht). Auf diese Weise würde ich die untergeordneten Gesetze erst hinstellen, u. durch sie mich zu den höhern erheben.«33
Der Gang der Wissenschaftslehre hingegen ist ein Herabsteigen vom höchsten Prinzip bzw. Gesetz aus. So heißt es in der WL 1810: »[Wir haben ein] Aufsteigen zur W.L.[; ein] Herabsteigen in ihr«34. Die Entfaltung der Prinzipien wird vollzogen »in ihrer herabgehenden Reihe...: Seyn, Soll, Als.«35. Nun ist die Methode des Aufstiegs zum höchsten Prinzip und des Abstiegs von diesem aus hinlänglich bekannt als leitendes Verfahren in früheren Darstellungen der Wissenschaftslehre. So heißt es in der Wissenschaftslehre nova methodo im § 14 – und dies klingt wie die letzten Sätze aus den TdB von 1811: »Bis in den vor[igen] § stiegen wir von unten herauf zum intelligiblen, jetzt ist der Weg umgekehrt[.]«36 In der WL-NM benennt Fichte auch die zwei Teile des Systems der Wissenschaftslehre; der eine Teil geht »bis dahin wo gezeigt wurde[,] reiner Wille ist das wahre Object des Bewustseins ... Von da gieng der andere Theil an[;] wir construiren nun würklich.« Ebenso wie in den TdB wurde auch dort als Ausgangspunkt die Wahrnehmung gekennzeichnet, von der dann nachgewiesen wird, daß sie in Abhängigkeit steht von einem praktischen Vermögen: »Anfangs hatten wir bloße Erkenntnis als Aus-
32 TdB 1810, 169; StA-1, 35., Hervorhebung v. M.. 33 WL 1812, GA II/13, 110; SW X, 401, Hervorhebung v. M.. 34 WL 1810, Bl. 52v, StA-1, 147, Hervorhebung v. M.. 35 WL 1811, Bl. 33v; StA-2, 152. – Vgl. a. Fichte bei der Betrachtung des Gesetzes der Reflexibilität: »Durch dieses Gesez der Reflexibilität ist aber die Projektion bestimmt; sie muß darum in absteigender Reihe ein solches Bildersystem ... projiciren.« (WL 1812, Kap. III, GA II/13, 98; SW X, 386f., Hervorhebung v. M.). 36 WL-NM (Krause), 161 (GA IV/2, 157).
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gangspunct des Bewustseins, dann sezten wir hinzu daß diese nicht ohne ein Wollen möglich sei«37. Eine analoge Aufteilung in Aufstieg »von faktischen Gliedern«38 bis hin zum höchsten Prinzip (14.–15. Vortrag), von wo aus absteigend eine genetische Entfaltung möglich ist, bildet die Grundstruktur des 2. Vortrags der Wissenschaftslehre von 1804. Aus all dem dürfte ersichtlich sein, daß die TdB für die jeweils daran anschließende Durchführung der Wissenschaftslehre die gleiche Funktion erfüllen wie die reduktiv-aufsteigenden Teile früherer Wissenschaftslehren. Aufstieg und Abstieg bilden eine Einheit und beide müssen zusammen gesehen werden. Tatsächlich hat Fichte jedoch beide Teile in getrennten Darstellungen behandelt und nicht innerhalb einer durchgängigen wie früher. Was ist der Grund dafür? Es ist sicherlich kein äußerlicher Grund, etwa, daß Fichte die Wissenschaftslehre unter einer Ankündigung nicht über mehrere Semester hinweg lesen wollte; vielmehr scheinen es sachliche Überlegungen zu sein, die eine getrennte Darstellung sinnvoll machten. Man kann hier zwei Aspekte anführen, einen inhaltlichen, und einen, der die Art der Darstellung betrifft. Der Gang der Wissenschaftslehre hat entscheidendes mehr zu leisten als einfach denselben Weg der TdB rückwärts zu gehen. Es geht nicht nur um die Deduktion aller notwendigen (apriorischen) Wissensmomente aus dem höchsten Prinzip, sondern es geht – und dies ist ausschlaggebend – um die Rechtfertigung des Prinzips der Entfaltung. Die Hallesche Nachschrift der TdB von 1811 endete, wie bereits zitiert: Die Wissenschaftslehre »gehet aus von einem [/] eigentlich a priorischen Begriff des Wissens, aus von einem Begriff der da eben ist, und welchen die Wissenschaftslehre auch zu rechtfertigen hat«.39 Auch die ausführlicheren TdB von 1810 enden mit einem Ausblick, was die Wissenschaftslehre zu leisten habe. Am Ende der TdB und am Anfang der Wissenschaftslehre steht die Einsicht, daß das Wissen als Erscheinung des reinen Seins aufzufassen ist und sein Gegenstand nur die Erscheinung des reinen Seins sein kann. »Nur kommt dieser einzig mögliche Gegenstand des Wissens [das Eine Seyn, das da wahrhaft ist, Gott] im wirklichen Wissen niemals rein vor, sondern immer gebrochen an insgesammt nothwen37 WL-NM (Krause), 179 (GA IV/2, 178). 38 WL 1804-II, SW X, 128. 39 TdB 1811 Halle, 122f.; StA-2, 391, Hervorhebung v. M.
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digen, und in ihrer Nothwendigkeit nachzuweisenden Formen des Wissens. Die Nachweisung der Nothwendigkeit dieser Formen ist eben die Philosophie, oder die Wissenschaftslehre.« 40
Die entscheidende Aufgabe für die Wissenschaftslehre ist nun (d. h. ab 1805) Phänomenologie, d. h. die Ausfaltung der Prinzipien und Formen der Erscheinung in ihrer sich selbst rechtfertigenden Genesis zu begreifen. Mit dieser Verschiebung der Aufgabe der Wissenschaftslehre, sich nun gänzlich der genetischen Durchdringung zu widmen, hängt auch der Unterschied in der Art der Darstellung zusammen. Die Fassungen der TdB folgen mehr oder weniger dem gleichen, relativ leicht nachvollziehbaren Aufbau (Ausnahme sind nur die TdB von 1813, denen die Vorlesungen der »Transzendentalen Logik« vorangehen, und die daran anschließen). Auch ihre Diktion ist so gewählt, daß ein Anknüpfen an Sprachformen anderer Philosophen, etwa der Kants, ohne größere Schwierigkeiten möglich ist. Anders hingegen die Darstellung der Wissenschaftslehre. In dem Bemühen um die Einsicht in das höchste Prinzip, die Rechtfertigung seiner Entfaltung und die daraus sich ergebenden geistigen Strukturen geht es um die Erzeugung einer Evidenz, die sich einer eindeutigen sprachlichen Erfassung prinzipiell entzieht. Daher spielt die Art der sprachlichen Annäherungsweise eine wesentlich größere Rolle. Zwar fordert Fichte auch in den Vorlesungen der TdB den Hörer zum aktiven geistigen Mitvollzug auf; doch in der Wissenschaftslehre ist dieser geistige Mitvollzug geradezu unerläßlich. Fichtes Ziel ist es, daß der Hörer die Einsichten völlig selbständig, ganz in seinen je eigenen Denk- und Sprachvollzügen für sich rekonstruieren kann, unabhängig von seinen, Fichtes, sprachlichen Vorgaben. Die unterschiedlichen Neuansätze der Darstellungsweise der Wissenschaftslehre sind auch vor diesem Hintergrund des Ringens um die Befreiung von der Sprache, von einer festen Terminologie, zu verstehen. (Dies gilt zunächst und in erster Linie für Fichte selbst als dann auch für seine Hörer.)41
40 TdB 1810, 209; StA-1, 390. 41 Vgl. zur Problematik der sprachlichen Darstellung der Wissenschaftslehre M. Siegels Beitrag: »Die Einforderung eines lebendigen Sprachvollzugs als Kennzeichen der späten Texte Fichtes«.
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3. Die Funktion der »Tatsachen des Bewußtseins« in ihrem Ungleichgewicht zur Wissenschaftslehre Auch ohne die Kenntnis der Struktur des Wissens, wie sie die TdB liefern, wäre die entscheidende Nachkonstruktion des Wissens möglich: »Gesetzt es träte Jemand ohne diese faktische Kenntniß [durch die TdB] in die W.-L. ein, und sähe das Wissen hervorgehen aus seinem Grunde; so bekäme er dennoch das gesammte Wissen, und das Wissen von dem gesammten Wissen, als ein aus dem Princip hervorgehendes: denn in der genetischen Einsicht liegt Alles«.42
Wie ist nun – angesichts dieser gewichtigeren Rolle der Wissenschaftslehre – das Verhältnis von den TdB zur Wissenschaftslehre zu bewerten? Die TdB erheben von ihrem Gehalt und ihrem deduktiven Vorgehen aus den Anspruch, die Struktur des Wissens in seiner systematischen Gesamtheit darzustellen. (Man muß hier auch noch die beiden Vorlesungen der »Transzendentalen Logik« im Durchgang von 1812/13 dazurechnen). Da in der absteigenden Entfaltung aus der genetischen Einsicht in das erste Prinzip alle Wissensmomente wieder erreicht werden müssen, ist der Wissenschaftslehre mit dem Schema, das die TdB liefern, ein Zielhorizont abgesteckt. Für die rechtfertigende und konstruierende Tätigkeit des Vollzugs der Wissenschaftslehre ist die (wenn auch provisorische) Kenntnis der wesentlichen Wissensmomente und deren Ort im System des Wissens die entscheidende Orientierungshilfe. Die TdB (und die »Transzendentale Logik«) liefern – zumindest faktisch, d. h. noch nicht genetisch gerechtfertigt – Bereiche von Wissensmomenten, deren Deduktion in der anschließenden Wissenschaftslehre (noch) nicht dargestellt ist. Der zum selbständigen, freien und schöpferischen Denken43 avancierte Mitvollzieher der Wissenschaftslehre wird jedoch in der Lage sein, auch für diese Wissensmomente die fehlenden genetischen Konstruktionen zu bilden. Die parallele Lektüre von Wissenschaftslehre und TdB erlaubt den Vergleich der analogen Punkte des Aufstiegs und des Abstiegs und der Methode, wie diese Punkte erreicht werden, einmal als Erschließung des höheren Gesetzes vom niederen aus – in den TdB – , das andere Mal als Deduktion vom höchsten Prinzip zu niedereren Gesetzen – in der Wissenschaftslehre. Dieser Vergleich liefert damit für das jeweilige 42 TdB 1813, SW IX, 404. 43 WL 1810 i. U., VI, StA-1, 180.
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Verfahren die entsprechende Gegenprobe. Auf diese Weise stellt die einheitliche Lesart von TdB und Wissenschaftslehre ein nicht zu unterschätzendes Instrument dar für die Einlösung der Problematizität44 der Anfangsvoraussetzung der Wissenschaftslehre und deren Überführung in kategorische Geltung (– letztlich durch die sich einstellende Evidenz).
44 Zur Frage der hypothetisch gesetzten Anfangsvoraussetzung in den späten Darstellungen der Wissenschaftslehre vgl. etwa Ciria, A.: Die Problematizität des Wissens in J.G. Fichtes Wissenschaftslehre 1811. Fichte-Studien 15, 1999, 105–118.
Sacramentalizing the World: On Fichte’s Wissenschaftslehre of 1810
George di Giovanni (Montreal)
0. Fichte is a unique philosopher in many ways, not in the least because of his dedication to a new philosophical rhetoric.1 His efforts in this field during the Jena period have been abundantly documented by his most recent biographer, mostly with reference to Fichte’s early attempts at popularizing the Wissenschaftslehre and in the context of his controversies with Goethe and Schiller.2 Such efforts were motivated throughout by the desire to establish an educated public ethically inclined to accept Fichte’s philosophical message. And they did not in any way abate during Fichte’s subsequent professional life in Berlin. The group of writings on which this paper is based, all produced in Berlin around 1810, are interspersed with repeated mentions of die Kunst der Philosophie (›the art of philosophi-
1 This essay is a much revised version of a paper originally delivered at the Kongreß der Internationalen J.-G.-Fichte-Gesellschaft vom 14. – 18. Oktober 2003 in München. The revisions were made in response to the interventions from the audience (for which the author is grateful) and also in view of much that the author learned from other contributions. In this respect, since the revisions are themselves a product of the Congress activities, the paper still represents one of its ›Minutes‹. 2 Anthony J. La Vopa, Fichte: The Self and the Calling of Philosophy, 1762–1799 (Cambridge 2001). The theme is stated on 9–11, and then developed throughout. See especially the very interesting section on 284–294.
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zing‹) and self-conscious references to Fichte’s own skills at the art.3 I am referring to the WL of 1810, the WL im Umriß (1810), and Die Thatsachen des Bewußtseyns (1810–1811).4 I shall argue in this paper that Fichte’s preoccupation with rhetoric was not accidental to his philosophy. The success of the WL depends at the end on precisely the persuasive force of its rhetoric. This is a very broad thesis, but I shall approach it along a very narrow line of argumentation. The WL is a detailed reproduction in the medium of reflective concepts of phenomenologically ascertainable facts of consciousness. It explains these facts, not causally, but in the classical sense of defining them, i.e. of clarifying them by way of conceptual exposition.5 Yet, despite Fichte’s tightly knit chains of deductions, which really amount to analyses of all that is entailed in making such or such a claim about the composition of a supposed fact of consciousness, the whole course of the WL depends on two metaphors that resist conceptual reduction. These are the metaphor of ›God as life‹ and of ›the life of God within us‹. Though Fichte might think otherwise, these are metaphors. And, although metaphors are no doubt acceptable and even necessary in any discourse, if a philosophical system must ultimately rely on them for closure, this alone ensures that it will have to rely on the force of rhetoric to command conviction. This, I want to claim, is the case with Fichte’s WL. At the root of the problem is a concept of ›appearance‹ (Erscheinung) that entails an irreducibly ineffable factor for its determination.6 The result is that the universe of appearances which Fichte painstakingly reconstructs in the medium of reflective conceptualization, though intended as selfcontained, still takes on the character of being a token or deputy (Ver-
3 Cf. Unterscheidung des Gefühls von der Erkenntnis, GA II/11, 268f; WL-1810, GA II/11, 309.5, 311.13f. 4 The text of the WL-1810 and of the Tatsachen are to be found in GA II/11; that of the Wissenschaftslehre im Umriß in SW II. There is an English translation of this last text as well as of the Tatsachen. ›The Science of Knowledge in its General Outline‹, tr. E. Walter. Idealistic Studies, 1976, 106–117; ›The Facts of Consciousness‹, tr. A. E. Kröger, The Journal of Speculative Philosophy, 5 (1871), 53–60, 130–143, 226–231, 338–349; 6 (1872), 42–52, 120–125, 332– 340; 7 (1873), 36–42; 17 (1883), 130–141; 263–283; 18 (1884), 47–71, 152–161. For the origin and the transmission of the texts, see the editorial notes in GA. Unless otherwise specified, any English translation in this essay is my own. 5 Cf. WL-1810, GA II/11, 360.29–361.16. The category of causality is itself introduced within this process of exposition, ibid. 361.35–362.5. 6 Of course, psychologically speaking Fichte’s concept of ›appearance‹ may well have been conditioned by some personal, highly subjective sense of the ›ineffable‹.
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treter) of a supposed transcendent divine life.7 Fichte, who in crucial respects was a post-modern ahead of the times, thus ends up reattaching his WL to the theme of reality as sacrament that motivated much of classical Christian metaphysics. Fichte himself was not sympathetic to historical learning, which he found even morally suspect.8 Spinoza and Kant were his only mentors,9 and they too were found wanting. Yet his idealism remained infected with the dogmatism of a Spinoza.10 This is the point that I now want to develop. 1. First, we must be clear about the fundamental premise that drives Fichte’s idealism. It is really a logical extension of Kant’s crititical premise. To put it in words more amenable to modern discourse, it amounts to a claim that the world of meaning, the same which classical metaphysic projected into the mind of God and found reflected in the physical cosmos, is in fact a product of the mind. It is constituted. Moreover, as so constituted, it stands on its own as a self-contained intentional life, independent of any antecedent it might have had in natural being, as if a leap had occurred creating an irreducible hiatus between it and the supposed antecedent. Phenomena refer, first and foremost, only to themselves. This does not mean that the supposed antecedent is not in some sense real, or that the relation that the world of intentional phenomena might still bear to it is not problematic. The point is rather that, whatever this reality might be in itself (assuming that it has an ›in itself‹), it has standing within the universe of meaning only to the extent that it has already been informed as an element internal to the structure of this universe. Its relation to the latter has therefore become itself a problem internal to it. The main tenet of idealism, as Fichte insists, is that the relating of phenomenal world and
7 The main difference between this version of the present paper and the one originally presented at the Fichte-Kongress is that in the latter I was more inclined to give the WL the benefit of the doubt. I left it open whether the success of the WL necessarily hangs on metaphor. 8 Cf. WL-1810, GA II/11, 306.9–17. 9 WL-1810, GA II/11, 305.21. ›waren Ausnahmen‹ is added editorially in the Studientexte edition of the work. Die Späten wissenschaftlichen Vorlesungen I: 1809–1811 (Hrsg. von Hans Georg von Manz, Erich Fuchs, Reinhard Lauth und Ives Radrizzani. Stuttgart-Bad Cannstatt, 2000), SWV-1, 49. 10 Fichte reproached Kant himself of dogmatism. He does so in several contexts, but most incisively because Kant made of God an idea dependent on the need for happiness. According to Fichte, Kant thus reattached himself to the dogmatic tradition of eudemonism. Cf. WL1800, GA II/11, 333.25–335.5.
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external being has to be done phenomenally, from within the context of meaningful intentions.11 It is the task, precisely, of the Wissenschaftslehre. 1.1. To repeat the point in perhaps a too brief but by no means inaccurate form, this is to say that for Fichte experience is throughout conceptual. There is no experience without conceptualization being already at work. Three consequences follow, all duly noted by Fichte. The first has to do with method. If it is the case that the human universe of being is not ready-made but construed through conceptual acts, it follows that the task of philosophy cannot be to explain given objects on the basis of their content as beings but to investigate, rather, how they have come to assume the meaning they carry simply as given. Philosophy is thus the reconstitution in the medium of reflective thought of an original process of objective constitution which it assumes has already taken place at a more immediate level of experience. And it will succeed in validating its own reflective work only to the extent that it demonstrates that this work is a late development of the presupposed prior process of constitution – one that brings it to conclusion. In other words, philosophy attains its end when it succeeds in regaining in the medium of its own reflection the immediacy of lived experience, though with a clarity that was not there before. To bring experience to such a reflective closure by way of reflection on its own reflectivity is precisely the task of the Wissenschaftslehre.12 1.2. I have just spoken of an original, pre-reflective level of experience. ›Pre-reflective‹ must be understood here in a relative sense, since on Fichte’s pre-mise experience is essentially reflective throughout. Now, as they first appear in experience, objects all exhibit the character of mere ›facts‹. They are just there, contingent in the sense that they might well have been otherwise, yet by the same token equally necessary, for their actual presence is ineluctable. They have nothing to vouch for it except their just being irreducibly there. ›Facticity‹ (›Faktizität‹) thus appears as itself the first and most immediate fact of experience. On reflection, 11 An early statement of this thesis, but still the clearest, is to be found in the so called Second Introduction to the WL of 1797. Zweite Einleitung in der Wissenschaftslehre (1797). GA I/4, 499. English tr. Breazeale, Daniel, J.G. Fichte, Introduction to the Wissenschaftslehre and Other Writings (Indianapolis 1994), 84–5. 12 A key passage in this context is WL-1810, GA II/11, 345.32–346.3. Cf.: ›I say: the W.L. is as thinking the reflection on reflectivity itself: their unity‹. The whole indicated text, and the context, are important.
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however, it turns out otherwise. For ›facticity‹ is hardly a characteristic that attaches to objects naturally. Their simply being there, presumably carrying an explanation for their presence which remains however hidden to a viewer, presupposes that they have already been introduced into a mental space of conceptual possibilities, in the context of which their not being there, or their being there otherwise, is itself a possibility. In other words, though it appears as an irreducible starting point of experience, ›facticity‹ is in fact already constituted. It is a ›fact‹ in the sense of ›factum‹. And this follows as a second consequence of Fichte’s original thesis. For if experience is throughout conceptual, and even apparently immediate objects are constituted, then every experience is an achievement. It carries with it a past performance that needs recovery.13 Experience necessarily starts in medias res, and the task it thereby poses for anyone engaged in it is always one of orientation and recovery. The orientation is in the ›things‹ within which one thus happens to find oneself, and the recovery is of the already produced but still unspoken performance that holds these things together and thereby invests them with meaning. 1.3. I am saying, in other words, that for Fichte the underlying and, before the culture of the WL sets in, the still unspoken interest motivating objective reflection is the reflection on a prior object-constituting reflection. All knowledge is self-knowledge.14 There is however no ›subjectivism‹ implied here, for any presupposed ›subject‹ must itself fall within the universe of meaning and therefore be just as constituted as the objects that also fall within it. It stands there as the phenomenally determined counterpart of precisely these objects. Object-constitution proceeds pari-passu with self-constitution. This is the third consequence that follows from Fichte’s premise. It applies to any ›subject‹ whatsoever, whether understood in some more or less qualified empirical sense or in Kant’s sense of a transcendental ›I‹. There is no such thing according to Fichte as a readymade subject that presides over experience, shaping it deliberately according to pre-determined ends.15 Freedom (for it is also as ›freedom‹ that Fichte characterizes the event that sets intentional life in motion and causes its breach from being) – freedom is originally a kind of anonymous behaviour. ›The subject‹ or ›subjectivity in general‹ are derived phenom13 I am interpreting WL-1800, GA II/11, 366.9–16; 367.23–368.23. Fichte is especially concerned here with the facticity of sense-intuition. 14 WL-1800, GA II/11: 313.15–26. 15 Cf. WL-1800, GA II/11, 313.28–314.15. Fichte denies the reality of any soul distinct from the body; the ›I‹ is an abstraction, a product of reason. Tatsachen, GA II/12, 75.
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ena16 reflectively constituted through a process which, though reflective in principle, is originally impersonal. It is a kind of spontaneous doing in general with no particular end in view. It is a consciousness without ›self‹ à la Sartre, one is tempted to say. This is the feature of the idealism of the WL for which Fichte especially deserves the title of proto post-modern man. It is a feature that was already present in the earliest versions of the Wissenschaftslehre, but the language of the ›I‹ and ›not-I‹ used there tended to obscure it. In the language of 1810, it comes through with unimpeachable clarity. The imagery of ›life‹ and ›life force‹ to which Fichte now appeals is meant to remedy precisely that earlier rhetorical flaw. The question is how, or whether, Fichte controls it conceptually. 2. The WL – 1800 starts with a concept of ›appearance‹ (Erscheinung) which Fichte then takes as the basis for his construction of the most general conceptual schemata defining the universe of appearances.17 The construction is by means of postulates. Why this is the case, and why it has to be the construction of ›schemata‹, will emerge in due time. In Tatsachen, the strategy is different. There Fichte begins with what is normally assumed to be the simplest form of conscious life, namely ›sense intuition‹;18 but then, in an attempt to explicate all that goes into this presumed immediate form, he proceeds to introduce other apparently more complex facts of consciousness, methodically demonstrating at each step that these other facts, normally assumed to be simply there, are in truth variations on one generalized attempt at objective reflection, each variation systematically implicating all the rest. The originally presumed simple ›sense intituition‹ is itself a product – the immediate precipitate,19
16 A key text in this regard is in WL-1800: ›A system would have to proceed from the »I« as factum, through an absolute postulate: as absolute fact. Mind you, in the course of the reflection on this factual »I« it would result now [that this »I« is itself a derivative]. It must result; it’s in the fact. [This absolute fact is] the highest fact of consciousness‹. GA II/11, 360.29–32. The glosses in square brackets are added in SWV-1, 130. 17 This is the opening note: ›[...] It is posited: there is an appearance of what is simply there, how would this have to be[?] NB[:] of itself, through itself, from itself. = A. Appearance. GA II/11, 293.2–4. SWV-1, 29. 18 ›The task is to analyse in its constituent parts the fact, well known to us all, of this perception in general. [...] I claim that the following is to be found in consciousness: 1) An affection of the outer sense...‹ Tatsachen, GA II/12, 21.29–32. The other facts are introduced systematically until a full picture of the life of the mind is developed. 19 Fichte’s word is ›Concretion‹. Cf. WL-1800, GA II/11, 368.24–369.2. Fichte applies the term to the objectifying intuition that constitutes knowledge in any of its forms. Ibid., 311.15–28.
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so to speak, of a whole system of attempts at reflection.20 In WL – 1800, ›sensibility‹ is introduced instead only at the end, by way of conclusion.21 In both texts, however, whether Fichte begins with the concept of ›appearance‹ or with the fact of sensibility, the WL comes to a resolution only when the ›facticity‹ that qualifies experience throughout is shown to be a derived product. As Fichte puts it, ›Wenn wir bis zur Erklärung dieser Fakticität selbst uns emporschwingen werden, dann werden wir vollendet haben‹.22 The illusion of solidity that the world of being as delivered by the senses conveys,23 the fascination that such a world thus holds for the unwary observer,24 is thereby dispelled. I now turn to Fichte’s analysis of the concept of ›appearance‹. Since in experience things appear to consciousness, and the WL is a science of experience, the concept is a natural starting point. But it is in the way Fichte analyses it, as we must now see, that he injects in an otherwise general idealistic thesis the extra element that makes such a thesis typically Fichtean and characteristically controversial. 3. Spinoza stands behind the analysis.25 Fichte accepts his definition of God (the Absolute) as Being in itself and by itself (von sich).26 It follows from the definition that appearance, whatever it might be the ›appearance of‹, cannot be the appearance of this Being. For if the Absolute truly appeared in it, then, as Absolute, it would be doubling itself – and this is impossible. Or again, if it truly appeared in appearance, then the latter, as the appearing of it, would itself have a claim to being and would therefore share in a dominion which, by definition, is already exhausted by the Absolute. In either case, God ceases to be by itself but would instead only 20 Cf. Fichte’s summing up of Tatsachen, one of his clearest statements. GA II/12, 132.20–133.30. 21 The final statement on the subject in WL-1810, so far as I can understand Fichte’s notes, is in GA II/11, 389.27–390.8. Space is introduced here. 22 ›If we shall bring ourselves to the explanation of this facticity, we shall then have reached completion.‹ GA II/11, 309.19f. In this particular text, Fichte is referring to the ›facticity‹ of the forms of consciousness he must assume at each stage of his scientific reflection. But that ›facticity‹ is not explained in full until the facticity of sense experience, and of intuition in general, is explained. 23 Cf. WL-1810, GA II/11, 378.30–31. 24 WL-1810, GA II/11, 354.9–15. 25 And Schelling as well, though for reason of space he will have to be passed over. Fichte’s criticism of Schelling is especially interesting because it naturally leads to a comparison between the radically different ways in which Fichte and Hegel respectively distanced themselves from him. For Fichte’s criticism of Schelling, see GA II/11, 303–305. 26 I am commenting on WL-1810, GA II/11, 293f.. The glosses in SWV-1, (29–31) are very helpful. Cf. also §§ 1–5 of WL im Umriß.
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have being; that is, ›being‹ would accrue to it only as attribute or mode, always only in some respect or other, and the condition set by the original definition would thereby be transgressed. Spinoza was guilty of precisely this transgression. This is Fichte’s first objection against his mentor.27 According to his analysis of appearance, what appears in appearance is instead just the ›appearing‹ of appearance – that is, its being whatever it is only with reference to something else; in effect, its being nothing in itself except ›only appearance‹,28 i.e. a seeming. On this position alone, according to Fichte, can one avoid the paradox of presupposing the Absolute, yet at the same time reserving ontological space for some other presumably derived yet still truly being. Appearance is non-being essentially.29 This is not to say that it does not carry a significant relation to God or the Absolute.30 The point is rather that the latter must remain hidden in it (verborgen).31 It is, if I may gloss, as if appearances carried a secret that urgently needs revealing but remains veiled precisely in being announced. Appearances are haunted by being, to borrow again a Sartrian image. And this, I want to say, is the extra element that defines the idealism typical of the WL. What specifies the latter is not the claim that objects are present in consciousness only by way of appearing to it. This is by itself a claim well in keeping with the general thesis of idealism – namely that objects exist as such only in relation, in the first instance as ›beings for consciousness‹. If they were present in consciousness in any other way, consciousness itself would lose its intentional form and would thereby lapse into purely natural existence. All this, I repeat, is in keeping with the fundamental thesis of all idealism. The specifically Fichtean extra claim is that in appearing objects at the same time hide their true being. Appearances are essentially non-revelatory; they offer a visibility (Anschaulichkeit) that hides. How this characteristically Fichtean extra element brings us back to 27 According to Fichte, Spinoza’s conception amounts to atheism. Cf. WL-1810, GA II/11, 294.3f. 28 ›Appearance is, in a special sense, absolutely for itself, namely as appearance and inasmuch as appearance can be absolute. [...] Its being = only appearance, not the essence itself; is only insofar and because the essence appears in it. Therefore its proper being is only in opposition, and with reference to the absolute being. It is itself only this opposition, and this reference...‹ WL-1800, GA II/11, 306.18–25. 29 ›[Being is to be attributed] to no other [God excepted], neither immediately nor mediately. [...] This is the opposite of dogmatism. This [is also] in the first place its [i.e. the WL’s] idealism‹. WL-1810, GA II/11, 295.21–24. Glosses in SWV-1, 33; [God excepted] is my gloss, justified by the context. 30 See the text in the immediately preceding note. 31 Fichte says that God is ›hidden‹ in himself. WL-1800, GA II/11, 294.1810–11. The supra-sensible world also remains ›hidden‹, 350.14f.
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my original thesis will emerge in a moment. But first let me show how it explains tropes in the WL that would otherwise remain obscure. 4.1. In ›appearance‹, according to Fichte, the Absolute is schematized. Appearance is the first schema, ›schema primum‹, of God.32 Why this choice of term, ›schema‹, instead of Spinoza’s ›attribute‹ or ›mode‹? The obvious first answer is that a ›schema‹ is a product of the mind, an intentional category rather than an ontological one as ›attribute‹ and ›mode‹ would be. And the WL is essentially a science of ›science‹ rather than of ›being‹.33 Even more to the point, however, is that a ›schema‹, just as ›appearance‹ in general as defined by Fichte, is nothing at all in itself except as the deputy (Vertreter) of something else, in this case the Absolute. Yet, while existing only by way of reference to a transcendent ›beyond‹, all that it says about this ›beyond‹ is said in terms and according to a logic typically its own. A ›schema‹ must abide by its internal rules of schematization. In ordinary cases, of course, the coordination of ›schema‹ and ›schematized‹ is done by a subject external to both. In Fichte’s extraordinary case, it has to be done however from within the schema itself, since there is no tertium quid to Absolute and schema. In effect, this means demonstrating how the hiding of the Absolute in appearance works itself out in terms of the structure of appearance itself. In appearing, appearance demonstrates its own nothingness. 4.2. The imagery of ›life‹ becomes important for Fichte for this reason.34 ›Life‹ denotes a force in general capable of assuming a number of different forms while not identifying necessarily with any. Fichte capitalizes on precisely the flexibility of this concept to convey the idea of a spontaneous though originally anonymous activity which at first manifests itself in such primitive, even natural, phenomena as a ›drive‹ (Trieb) but can then assume ever more reflective forms until it develops into a fully blown life of freedom.35 In developing the idea of ›life‹, Fichte is actually fleshing out the meaning of ›appearance‹. Just as life is constantly transcending 32 WL-1800, GA II/11, 308.6–7. 33 Cf. WL-1810, GA II/11, 307.26–29. 34 It is also important in the context of the tacit dialogue that Fichte is carrying on with Jacobi on the one hand, and Schelling on the other. The critical editors document this aspect of Fichte’s WL-1810 in their extensive footnoting to the text. 35 The development of the concept of Trieb is always a turning point in Fichte’s WL. For the 1810 version, see GA II/11, 359.20–24. ›Drive‹ is the first de facto expression of the force [Kraft] of life. Inasmuch as there is awareness of it, it is ›feeling‹. ›Feeling‹ is the first, factual and unexplainable, conscious manifestation of life (its first ›visibility‹).
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itself, being at once not quite all that it can be yet more of what it already is, so ›appearance‹ is a reflective event that constantly distances itself from whichever determination it might take on at the moment, infinitely mirroring itself and therefore infinitely reducing any of its would-be determinations to just a ›seeming‹. In this sense, inasmuch as its selfmirroring is infinite, it is a revelatory activity (i.e. a ›mirroring‹) that however hides (i.e. the mirroring is ultimately of nothing definite). Appearance is a negative event which however stands by its very negativity. And in this it imitates God’s freedom. It is just because it is, always intimating at an explanation which however escapes grasp.36 It therefore takes a specialized reflection, one that pre-figures the deliberate choice exercised in fully blown reflective consciousness, in order for the appearing of appearance to assume stable, determinate shapes.37 The performance of this reflection is itself an appearing; its event, therefore, just as unpredictable (free) as the fact of appearance. Its product is however knowledge, and the immediate objects of this knowledge are the schemata that define the typically human universe of meaning within which we, human beings, live and operate.38 Such schemata are essential to consciousness. They introduce in the otherwise fluid process of mere appearing the distance between subject and object, and between object and object, without which well articulated experience would not be possible. Yet it is important to keep in mind that for Fichte these well defined entities are but a ›seeming‹. Reflective conceptualization and the schemata it produces are in fact the death (Tod) of life, its ›Erstorbenheit‹;39 they are, to use another of Fichte’s metaphors, ›a pause of inner life‹ (Absatz des innern Lebens).40 The purpose of the WL is precisely to quicken again the otherwise sclerotized world of common experience by bringing to explicit consciousness through a schema of its own the reflective process of schematization that made experience possible in the first place.
36 This is how I can make sense of WL-1810, GA II/11, 364.3–29. 37 Cf. WL-1810, GA II/11, 312.10–15, 20–30. 38 These schemata organize themselves in groups of three that however expand into groups of five (Fünfachheit). Cf. WL-1810, GA II/11, 314.20–28. In this context, the five schemata seem to be Appearance, Life, Knowledge, Reflection, Intuition. In the summing up of Tatsachen, the five schema are God, Appearance (Knowledge), Life, Image of God (Moral World, Nature), The self-conscious ›I‹ (Finality). GA, II/12, 132–133. 39 This theme is repeated throughout the WL-1810. But note, by way of example, GA II/11, 308.5; 309.21–25. 40 WL-1810, GA II/11, 308.5–6.
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4.3. Here we have in principle the warrant for Fichte’s principal metaphors. Appearance in general is a schema of the life of God,41 in the sense that an appearance’s constant distancing of itself from its appearing, i.e. its escape from self-revelation, can be taken as an image of the selfcontainedness of God’s being which, as self-contained, shuns all light. The ›I‹, for its part, is the proto-image (Urbild) of God himself.42 The selfinitiated reflection by which the ›I‹ sorts out appearances can be taken as an image of the act of sheer freedom by which the otherwise selfcontained God, in an effort to become conscious, lets itself go as it were, thereby giving rise to appearances. And the ›I‹ attains its fullness precisely as an individual ›self‹ only when it recognizes that its inner life is but an image, a token, of God’s own life. The nurturing of this image within himself and his society thus becomes the end motivating all his actions. Finality is thereby introduced in the universe of appearances.43 But again, the point must be stressed that in all of this the attribution to God of ›life‹ or ›freedom‹ or ›self-revelation‹ is necessarily equivocal. God simply is, by himself, totally ineffable. To speak of him is in fact to speak of the structure of appearances; to speak of his ineffability is to speak of their ineffability. Images of God are in fact schemata of appearances, all devised for the sake of making sense of their appearing. Another objection that Fichte levels against Spinoza is precisely that he mistook the schemata of the life of God for God himself. He ended up falsifying both God and life.44 5. There is yet another point to be made. It explains why the WL must proceed through postulation and will take us back, this time directly, to my original thesis. Although Fichte shifts quite easily from ›appearance‹ to ›life‹, often using the two almost interchangeably, the fact remains that ›appearance‹ is the more general concept. As Fichte says, ›appearance is suspended [schwebt] between essence and life‹, i.e. it mediates God and life.45 Life denotes purpose. It presupposes some goal which, however unspecified, none the less requires at least a first sketch of determination. But determination depends on schematization, and the latter rests for its possibility on appearance. Unlike life, appearance eschews purpose. It is, on the contrary, an occurrence driven from behind, so to speak. It abol41 42 43 44 45
WL-1810, GA II/11, 320–321. WL-1810, GA II/11, 341.15–23; 349.8. This point is developed most clearly in Tatsachen, GA II/12, Chapter 3 of Part III. WL-1810, GA II/11, 323.1–5. WL-1810, GA II/11, 307.16–17.
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ishes any would be determination even as it is being adumbrated. It is just a ›seeming‹, as we have said; essentially a ›no-thingness‹. The only schema of reality that it could therefore sanction by itself would have to be mechanistic – one in which events have no independent standing just because their content dissolves upon reflection into an infinite multitude of external references.46 This is the case for both Fichte and Spinoza. Both rely on the nothingness of appearances in order to safeguard the absoluteness of God and, consequently, both have a mechanistic idea of nature. Yet their commonality ends there, and what strikes most is the difference that separates the two. Starting from equal assumptions, the two travel directly opposite routes. Spinoza deconstructs any idea of ›finality‹ by treating it as a function of ignorance and by interpreting such individualizing phenomena as ›guilt‹ as a sign of a bad conscience, a sickness of the mind. The whole effort of the Ethica is to naturalize moral phenomena by demonstrating their arbitrariness and therefore their nothingness with respect to God. Fichte, for his part, relies on precisely the arbitrariness of mental acts in order to redeem them from the mechanism of nature and at the same time prevent them from collapsing into their pre-history as ›being‹. Their ›arbitrariness‹ is the special form that their nothingness assumes. According to the WL, therefore, the whole effort of mental life should be directed at standing by this nothingness, i.e. by consciousness’s internally transcendent structure that sets it in opposition to nature in particular, and to being in general. And this structure is subjectively canonized only when the individual self recognizes his own life to be a mirror of God’s life. He therefore assumes as his purpose and that of his society the promotion of precisely this life. The question for Fichte is not whether, de facto, there is teleology in the universe of being, but, on the contrary, whether one should commit oneself to there being one – even if, and perhaps even more commitedly so, it were objectively demonstrated that there is none. The three texts on which this paper is based all culminate with a disquisition on the imitation of God’s life that should animate moral existence. The point to be stressed now is that although this move to the ›God within us‹ might appear as the remembering of a truth forgotten – as it would be indeed in an Augustinian or any neo-Platonic context – in the context of the WL, despite all rhetoric to the contrary, it must consist in a positing rather than a discovery. For, on Fichte’s schema of reality, the 46 It is in this sense, I take it, that Fichte argues against Schelling that Nature has no a priori science; it is the object of pure ›Empirie‹. WL-1810, GA II/11, 390.28–391.2.
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presumed event that gives rise to appearance and eventually sets deliberate reflection in motion escapes conceptualization per se; it is essentially ineffable. Consequently, the recovery of it in consciousness can only be by means of enactment (as if a new creation) rather than remembering. Here we have again, in different words, the extra element that defines typically Fichtean idealism. According to Fichte’s program, one should commit oneself upon demand to the constitution of a universe of meaningful intentions which, a nothingness in itself, is none the less prevented from sliding into mere illusion precisely by the commitment to holding it as the mirror of a transcendent life. It is all a matter of warding off a threatening illusion by deliberately investing it with the meaning of transcendent truth and by holding to this investiture. The supposed recovery of the immediacy of life which is the purpose of deliberate reflection is in fact the constitution through social moral habituation of a new kind of immediacy. Fichte’s puzzling claim, often repeated in the WL, that if one can, then one should; and if one should, then one must, can be understood in this way.47 Commitment has no justification at first except in the spontaneity of the resolve motivating it. It is made because it is made. But it can find validation ex post facto, in the success it might have in establishing the conditions that would make abstention from it no longer a realistic option in retrospect. The WL proceeds according to this model, by way of postulates. Its goal according to Fichte is ›die Erscheinung der Erscheinung‹,48 i.e. the appearing of appearance, or the reflective schema of the schema of God’s life. In its reflective medium, ›life makes itself visible as making itself visible‹.49 In other words, it is a deliberate re-enactment of the original event that presumably sets the process of appearing in motion and thereby establishes the basis for the subsequent universe of meaning. But, just as that original event has no explanation except its actual occurring, so the WL can only be at first the arbitrary response to an equally arbitrary demand to undertake a thought experiment. And it proceeds indeed by a series of thought experiments, each based on the assumption of some distinction or other, and all made for the sake of explaining an otherwise mere fact of experience. The original demand and the performances that it progressively elicits might well all be driven at first by noth-
47 In WL-1810, GA II/11, 388.24 ff., the claim is applied to the genesis of knowledge. 48 WL-1810, GA II/11, 299.13–25. 49 WL-1810, GA II/11, 348.1; also, 332.3–10; 350.19 ff.
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ing more than just intellectual curiosity.50 But as the construction proceeds and the outline of the mental universe it creates develops, in the context of this universe the original demand acquires a new self-justificatory force. It develops into a moral ›should‹; the universe itself into a program of social action which, if successful as it should be, would produce the kind of moral culture within which the event of the WL acquires itself the character of ineluctable fact. That it would not have occurred is no longer a credible possibility. 6. The WL is from beginning to end a conceptual construct, itself a blueprint for social praxis – one which is however in principle unable to recover its own origin in being conceptually. It must rely on irreducibly mytho-poetic images to express this presumed origin, and therefore ultimately on the force of its rhetoric to command conviction. This was my original point and now the upshot of my argument. I also said at the beginning that Fichte was reattaching himself to the traditional theme of reality as sacrament – as the deputy, that is, of a ›beyond‹ which none the less remains in itself unspoken. The whole economy of ›appearance‹ according to Fichte depends indeed, as we have seen, on its being the schema of a presumed divine life. Yet Fichte’s path in this direction is typically his own. In the tradition, appearance acquired true being by assuming sacramental value. For Fichte, on the contrary, the sacramentality of appearance is what empties it of being and thus ensures that it would not lapse into mere natural existence. Fichte’s universe of meaning is self-confessedly an idea that has reality only to the extent that one commits oneself to it. His God has nothing to do with Spinoza’s, just because God too is for Fichte an idea. Or again, his ›intellectual intuition‹51 has nothing to do with Spinoza’s, for, rather than a vision of the true, it is a commitment in faith to what ought to be the true. From begin50 Cf.: ›The first person who asked a question about the existence of God broke through the boundaries; he shook mankind to its deepest foundations and brought man into conflict with himself which has not yet been resolved and which can only be resolved by proceeding boldly to that supreme point from which the practical and the speculative appear as one. Presumption led us to philosophize, and this cost us our innocence. We caught sight of our nakedness, and since then we have had to philosophize for out salvation‹. Letter to Jacobi of 30 August 1795, tr. Daniel Breazeale, Fichte: Early Philosophical Writings, Cornell 1988, 412. 51 As far as I understand Fichte, ›intellectual intuition‹ is the awareness [Ersehen] of the point of identity between subject and object attained in reflection (itself a form of ›appearing‹) – which identity, however, is constantly presupposed in actual consciousness but is never, and cannot ever be, expressed as such. Just like appearing, it has disappeared in appearing. Life becomes conscious precisely in the schematization of this effort at expression. Cf. WL-1810, GA II/11, 341.25 ff.
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ning to end, Fichte is post-modern Mensch – a peculiar exemplar of it, to be sure, since he is totally commitment to the absoluteness of subjectivity. But the point is that this commitment is based on the explicit recognition that subjectivity is ultimately achieved only negatively, in its being missed. I have more than once adverted to Fichte’s criticism of Spinoza, and have just alerted again to the difference that separates the two. In one crucial respect the two however share common ground. And that is in the metaphysical assumption they both uncritically accept that ›being‹ does not admit ›becoming‹. They both assume that ›being‹ is in itself like a well-rounded sphere outside which one can only thread the way of the ›seeming‹. Fichte is an anti-metaphysician inasmuch as he deliberately walks precisely the pathway of the ›seeming‹; he even makes it a duty to abide by this course. Yet he is still bound to classical metaphysics at least in the sense that, according to the WL, in practising ›the life of God within‹ one would be giving oneself (but now as one’s own creation) precisely the kind of all transcending Being which, if per impossible attained would abolish the very nothingness on which the whole moral effort depends. But happily one cannot ever succeed in the effort. Fichte’s idealism is the negative counterpart of Spinoza’s dogmatism. It is constantly running the risk of lapsing into the latter by default. In this sense I said at the beginning that it is still infected by it. Now, at the end, I want to suggest that one need not accept the assumption common to the two. However much the product of a proto post-modern Mensch, the WL is still one chapter in the history of classical metaphysics
Der Begriff Schema in Fichtes Spätwerk. Seine Unterschiede zum Schemabegriff in Fichtes Frühwerk und seine Einbettung in der philosophischen Tradition vor Kant
Stamatios D. Gerogiorgakis (Athen und Freising)
Es ist geradezu frappierend, wie spärlich die Begriffe Schema und Schematismus in Fichtes Texten einerseits vor 1810 vorkommen, und wie enorm sich andererseits die Bezugnahme auf dieselben Begriffe in und nach diesem Jahr häuft, das gleichzeitig den Beginn des Wirkens Fichtes an der Berliner Universität markiert. Warum Fichte nach 1810 gerade das Schema und den Schematismus für das Verständnis Gottes herangeführt hat, ist nicht leicht einzusehen. Denn nach Kant, dem ersten und prominentesten Theoretiker des Schema-Begriffs, wird doch durch das einem Begriff zugehörige Schema die mögliche objektive Realität dieses Begriffes konkretisiert.1 Insofern kommt die Einführung eines Schemas Gottes durch Fichte der Auffassung gleich, daß Gott in dieser Bedingung möglicher objektiver Realität anzusehen ist. Oft stellen die wenigen Fichte-Stellen aus der Frühzeit, die sich auf den Schematismus beziehen, bloße Kommentare oder Anreicherungen der 1 Vgl. die Analyse der Problematik bei Kant in meiner Dissertation: Die Rolle des Schematismuskapitels in Kants Kritik der reinen Vernunft, Krumbach/Schwaben 1998, 72 ff.
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Stamatios D. Gerogiorgakis
bekannten Kantischen Theorie dar (KrV, A 137 ff./B 176 ff.), und stimmen mit letzterer darin überein, daß das Schematisierte unter der Bedingung einer zeitlichen Beschränkung stehen muß. Dies gilt für die Grundlage der gesammten Wissenschaftslehre aus den Jahren 1794/952 sowie für die Darstellung der Wissenschaftslehre aus dem Jahr 18013 und § 42 (=SW II, 132–136). Einerseits deutet das »höchste Schematisieren der Form des Seins selbst« (DWL, § 48 = SW II, 158) bereits eine etwas gewagte Revision der Kantischen Lehre an, zumal die Äußerung im gleichen Paragraphen, »[die Wissenschaftslehre] soll[e] [...] das leere[...], bloß schematisierte[...] Wissen [...] verschmähen«, wohl einen kritischen Ton bezüglich des Schematismus Kants laut werden läßt. Andererseits hatte Fichte in DWL, 2. Teil, § 42 (= SW II, 134) darauf aufmerksam gemacht, daß das Denken eines »totalisierenden Schematisierens der Unendlichkeit« »ruhen [ge]lassen« werden müsse. Manchmal versteht der frühe Fichte unter Schematismus die Gestalt, die Form eines Gegenstandes – was Kant als Schematismus empirischer Begriffe bezeichnen würde. Dies gilt z. B. für die Stellen aus dem Grundriß des Eigentümlichen der Wissenschaftslehre 1797/18024. Ein paar Mal wird das Wort »Schema« beim frühen Fichte wiederum im Sinne: Grundriß eines Wissensgebietes, Beweisgang, Ordnung benutzt (vgl. GWL, 171 und 327; GEWL, 381f.; 391 – wobei Fichte oft vom »Schema der Untersuchung« spricht; vgl. auch AzsL: SW V, 514). Erstaunlicherweise ist es diese zuletzt genannte Bedeutung, die eine sehr große Rolle für die veränderte Bedeutung des Schematismusbegriffs in Fichtes Spätwerk spielen sollte.
1. Zur neuzeitlichen Überlieferung des Schematismusbegriffs Bereits vor Kant hatten die Begriffe Schema und Schematismus die Ordnung bzw. das Ordnen eines Fachgebiets zu bedeuten. Johannes Heinrich Lambert5 sah z. B. folgenden Schematismus bzw. Grundriß der
2 Im Folgenden: GWL, SW I, 136. 3 Im Folgenden: DWL, 2. Teil, § 39 (= SW II, 117–124). 4 Im Folgenden: GEWL, SW I, 374) sowie aus DWL, 2. Teil, § 41 (SW II, 131). 5 Lambert, J. H., Monatsbuch, hrsg. v. Karl Bopp, Abhandlungen der Königlich Bayerischen Akademie der Wissenschaften, Mathematisch-physische Klasse, XXVII. Bd., 6. Abhandlung, München 1915, Eintragung Januar 1763, 25, außerdem: Anlage zur Architektonik, I. Bd., in: Lambert, J. H., Philosophische Schriften, hrsg. v. H.-W. Arndt, Bd. III, Hildesheim 1965 (reprographischer Nachdruck d. Ausgabe Riga 1771), 65.
Der Begriff Schema in Fichtes Spätwerk
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Disziplin Zeitmessung (chronologia) vor: A. Lehre über die Zeit-Dauer; B. Lehre über die Unbestimmtheit der Zeitmomente; C. Lehre über die Zeit-Grenzen; D. Lehre über die Eindimensionalität der Zeit. Diesen vier Teilfächern der Zeitmessung entsprechen nach Lambert vier Grundannahmen über die Zeit-Modi. Diese sind aber noch keine Axiome oder Postulate. Es sind nur Arbeitshypothesen (Lambert nennt sie »Grundsätze«), die es ermöglichen, Grundintuitionen zu ordnen, noch bevor die endgültige Theorie gebildet wird. Lambert hat wissenschaftliche Disziplinen von der Ontologie und der Zeitmessung bis hin zur SchifffahrtsErdkunde (geographia nautica) auf diese Art in Teilfächer zerlegt, oder, wie er sagte: »schematisiert«. Das heißt, er hat diese Disziplinen in ihre Teilfächer zerlegt, diese aber noch nicht als Lehrstücke entfaltet. Dieses Verfahren entspricht dem Schematismus-Begriff, den Kant von Lambert und seinen Zeitgenossen aufnahm. Kant selbst bezog den Schematismus jedoch nicht auf wissenschaftliche Disziplinen, sondern auf Begriffe. Begriffe, das ist die Hauptannahme hinter der Schematismuslehre der KrV, haben auch ihre natürlichen Teile, die in ihren Teilmerkmalen auszumachen sind. Es sei hier bruchstückhaft an einige Facetten der allgemein bekannten Kantischen Theorie erinnert: Es gibt sinnliche Begriffe und nicht sinnliche Begriffe. Den sinnlichen Begriffen (Teller, Hund) entsprechen genaue, individuelle Bilder von Gegenständen, die unter den jeweiligen Begriff fallen; den nicht sinnlichen Begriffen (Dreieck, Kausalität, Einheit) entsprechen wiederum Bilder nicht ohne Weiteres. Es ist bekannt (und war auch Kant geläufig), daß Berkeley in seinem Treatise Concerning the Principles of Human Knowledge aus dem Jahr 1710 (im Folgenden: PHK) die verschiedenen Dreiecks-Formen für eine Theorie gegen den Dreiecks-Begriff zum Anlaß genommen hatte, indem er darauf hingewiesen hatte, daß zwei verschiedenartige Dreiecke, etwa ein gleichschenkliges und ein schiefes, sich auf kein gemeinsames Dreiecks-Bild reduzieren lassen (PHK, Einleitung, 150). Kant war bekanntlich der Meinung, daß sich unter jeden nicht sinnlichen, durch und durch abstrakten Begriff jeweils eine Methode, ein Konstruktionsverfahren subsumieren läßt (KrV, A 140/B 179). Nach der Regel, welche im Begriff zum Ausdruck kommt, nennt Kant hergestellte Konstruktionsverfahren bzw. Methoden zur Bildung von Modellen nicht-sinnlicher Begriffe, »Schemata«. Die Zuweisung von Konstruktionsverfahren an unsinnliche Begriffe, etwa die Unterordnung der geometrischen Konstruktion irgendeines Dreiecks unter den Begriff Dreieck, nennt er »Schematismus«. Dies hat schon mit Zergliederung zu tun (wie übrigens der vorhin erwähnte Schematismus Lamberts), denn bei der Konstruktion irgendeines Dreiecks
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geht es doch darum, ein zu konstruierendes Dreiecke in seinen Hauptbestandteilen (d. h. in drei Geraden) auszumachen. Es liegt die Vermutung nahe, daß die ursprüngliche, vorkantische Bedeutung des Wortes »Schematismus« von Kants Konzeption überschattet und ergo nach Kant untergegangen wäre. Diese Vermutung läßt sich aber nicht bestätigen! In seinen Vorlesungen über die Tatsachen des Bewußtseins zwischen Oktober 1810 und Januar 18116 bezieht sich Fichte auf dieses begriffliche Relikt (TdB 1810-11, 212). Dabei geht es Fichte um den »Schematismus« der Wissenschaftslehre; d. h. um die Gliederung der Lehrveranstaltung bzw. des Faches mit dem Titel »Wissenschaftslehre«, worüber Fichte im Anschluß an die Vorlesungen über die Tatsachen des Bewußtseins lesen sollte.
2. Beziehungen zwischen den Vorlesungen über die Tatsachen des Bewußtseins und den Vorlesungen über die Wissenschaftslehre An der neugegründeten Berliner Universität hat Fichte seine Vorlesungen über die Wissenschaftslehre oft seinen Vorlesungen über die Tatsachen des Bewußtseins folgen lassen.7 Es scheint, daß er die Tatsachen des Bewußtseins als eine intuitiv einleuchtende Einführung in den Stoff der WL betrachtete. Über das Winterhalbjahr 1809/10 ist allerdings nur so viel bekannt: Im Herbst las Fichte eine sehr knappe Einleitung in die gesammte Philosophie, die da ist Anleitung zum philosophiren (SwV, Bd. I, 1–5), die aber mit ihren zwei handschriftlichen Originalseiten bestimmt nicht mehr als eine Vorlesung ergeben haben wird. Selbst wenn man annimmt, daß die sechs Manuskript-Blätter des Versuchs, ob sich für die Vorbereitung aus der Unterscheidung des dunklen Gefühls und der klaren Erkenntniß etwas machen lasse (SwV, Bd. I, 7 ff.) in einer (sich am Ende von Fichtes Notizen doch abzeichnenden) ausführlicheren Form vorgelesen wurden, so überbrückt dies schwerlich die Zeit bis zu den WL-Vorlesungen vom Februar 18108, als das anfangslose WL 1810-Manuskript fortfährt. In der dunklen Zwischenzeit von wenigen Monaten wird wohl Fichte keine 6 Fichte, J. G., Die späten wissenschaftlichen Vorlesungen (SwV), hrsg. v. Hans Georg von Manz, Erich Fuchs, Reinhard Lauth und Ives Radrizzani, Stuttgart/Bad Cannstatt, Bd. I: 2000; Bd. II: 2003, im Folgenden: TdB 1810–11: SwV, Bd. I, 225 ff. 7 Zu diesem Kontext und zu den damit zusammenhängenden vorlesungshistorischen Daten vgl. SwV, Bd. I, X–XI, aber insbesondere die sehr informative Tabelle von Fichtes Lehrveranstaltungen, die Reinhard Lauth in SwV, Bd. II, XX zusammenstellte. 8 Im Folgenden WL 1810: SwV, Bd. I, 27 ff.
Der Begriff Schema in Fichtes Spätwerk
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Tatsachen-des-Bewußtseins-Vorlesung gehalten haben. Dann wird Fichte die WL 1810 vorgelesen haben, ohne seine Hörer vorher in die Klärung ihrer Begriffe eingeführt zu haben, wie er es in der Folgezeit mit seinen Vorlesungen über die Tatsachen des Bewußtseins vorzunehmen pflegte. Dies läßt den in der WL 1810 eingeleiteten Schema-Begriff um so unvermittelter erscheinen – eben weil Fichte diesen nicht erläuterte (etwa in einer vorausgehenden Tatsachen-des-Bewußtseins-Vorlesung). Kompliziert wird das Problem des Fichteschen Schema-Begriffs dadurch, daß dieser sich in unkantischer Weise auf das Absolute bezieht (vgl. WL 1810, 52; 157 f.; 160). Ein paar Monate später benutzte Fichte (TdB 1810/11) einen Schematismus-Begriff, welcher der ursprünglichen Konzeption der Zergliederung eines Faches in Teilfächer entspricht. In den darauf folgenden Wissenschaftslehre-Vorlesungen jedoch, die er vom Januar bis zum April 1811 hielt (im Folgenden: WL 1811), stellte Fichte das Schema des Absoluten erneut dar. Es gibt viele Gründe zur Annahme der Vermutung, daß diese beiden Schema-Konzeptionen, die des Schemas des Absoluten sowie die der Zergliederung, etwas gemeinsam haben.
3. Freiheit, Sein und Wissen als Tatsachen des Bewußtseins und ihre Beziehung zum Schematismus Fichte hat in TdB 1810-11, 212, vom Schematismus des Faches Wissenschaftslehre gesprochen und somit den Schematismusbegriff in die Nähe der Lambertschen, traditionellen Konzeption gebracht. In denselben Vorlesungen erprobte er die These, das Sein der Freiheit sei das Wissen (TdB 1810-11, 17). Vorher, im Frühjahr 1810, hatte er nämlich gelehrt, daß das Bestehende und sein Schema absolut vereinigt sind (WL 1810, 157). An gleicher Stelle hatte Fichte bemerkt, daß das Wissen auch Schema ist. Beide Gleichungen, sowohl »Bestehendes = Schema« als auch »Wissen = Schema«, sind nur mit Hilfe der Grundauffassung in TdB 1810-11 zu verstehen, daß das Wissen das Sein der Freiheit ist. Den Zuhörern von beiden Vorlesungen leuchtete es wohl ein, daß das Schema sowohl für das Sein (das Bestehende) als auch für das Wissen als stellvertretend betrachtet werden kann. Man kann das Wissen nämlich soweit veranschaulichen, daß unter allen Wissensinhalten die Anschauung von Bestehendem subsumiert ist. Und alles, was besteht, kann wiederum so verallgemeinert betrachtet werden, daß nicht die Empfindung, sondern das ihr übergeordnete Schema als das Elementare gilt. Dies ist auch im Sinne
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Kants, denn auch nach diesem gibt es viele Konkretions- und Abstraktionsgrade (AA 24.2, 910). Genauso verhält es sich hier mit Fichtes Schema, das eine Konkretisierung des Wissens genauso wie eine Verallgemeinerung des Seins darstellt. Es geht doch in den Tatsachen des Bewußtseins darum (und hier ist der Ausdruck »Tatsachen des Bewußtseins« als ein Appelativum zu verstehen), daß die Denk- und somit die Bewußtseinsprozesse stets Abstraktionsprozesse sind. Als solche basieren sie auf schematischem Konstruieren; die Empfindungen sind nur Einzelfälle hiervon. Freisein heißt dann zu wissen, wie mein Ich in seiner Wechselbeziehung zur Welt beschaffen ist. Für Fichte erschöpft sich das Freisein in diesem Wissen. Das führt uns zum nächsten Punkt: Freisein bedeutet, sich einen Begriff (aber das heißt schon: ein Schema) des eigenen Ichs, nämlich des Bewußtseins, gebildet zu haben. Dies ist kein weltfremdes Wissen, wie diese Äußerung mißverstanden werden könnte. Denn in ihrer Freiheit, sich alles mögliche vorzustellen, verdichtet sich bei Fichte die produktive Einbildungskraft zur Welt (vgl. die Beschreibung der Welt als »absoluter Beschränkung der (freien) produktiven Einbildungskraft« in TdB 1810, 104-8). Das Sein der Freiheit ist das Wissen, und zwar das Wissen (der Grenzen) ebendieser Freiheit. Dies ist ein unkantischer Schluß. Das Schema ist nach Kant gleichartig mit dem (empfundenen) Gegenstand und hat gleichzeitig den Vorteil, auch mit dem Begriff gewissermaßen gleichartig zu sein (KrV, A 138/B 177). Die Gleichartigkeitsforderung bestimmt außerdem die Leistung der Einbildungskraft beim Schematismus – es tritt mit anderen Worten keine freie Einbildungskraft hier zu Tage. Das Schema des Tellers muß wirklichen Tellern gleichartig sein, das des Hundes wirklichen Hunden (KrV, A 137/B 176 sowie A 141/B 180). Aber bereits in der Mathematik findet Kant Fälle (so z. B. die schematische Konstruktion eines Dreiecks in KrV, A 141/B 180), wonach die Gleichartigkeitsforderung nicht ohne Weiteres zu erfüllen ist. Um so mehr sollte eine Schematisierung meines Wissens als eines Ganzen problematisch sein. Oder doch nicht? Prozesse, die durch und durch abstrakt sind, zeichnen sich dadurch aus, daß sie mit ihrer Konstruktion zusammenfallen. Die Freiheit ist z. B. durch und durch abstrakt9: Ich habe keinen Begriff der Freiheit, bevor ich ihn nicht konstruiert habe (etwa bevor ich asoziales Verhalten, 9 Ich nehme hier als evident an, daß der Begriff Dreieck etwa weniger abstrakt als der Begriff Freiheit ist. So verstehe ich z. B. Kants Äußerungen über die Typik der praktischen Vernunft in KpV, A 6.
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Einsiedlertum, Frechheit usw. nicht aus seinem Inhalt ausgeschlossen habe). Es gibt Regeln, die zu dem Zweck zu befolgen sind, Vorstellungen und Begriffe zu konstruieren. Diese Regeln werden im Begriff mitgeliefert, der konstruiert werden soll. »...[D]ie Reproduktion ist eine Sichbeschränkung der Einbildungskraft innerhalb ihres ganzen Gebiets nach der Vorschrift einer Beschränkung des äußern Sinnes. Die Regel dieser Beschränkung ist der Begriff – des Objekts der äußern Wahrnehmung nämlich, welches reproduziert wird. (Gib mir einen Begriff von der (mir unbekannten) Sache, heißt, gib mir die Regel, nach der ich mir die Sache im freien Denken konstruieren kann.) (TdB 1810, 43)«.
Weiter unten lesen wir, daß das Denken für die Logik nichts als »das freie Konstruieren zufolge einer solchen Regel« sei (a.a.O. – Hervorhebung von mir – S. G.). Jedem, der mit der Kantischen Lehre der (schematischen) Konstruktion und der Definition vertraut ist, sollte der hier hergestellte Zusammenhang zwischen Fichtes Konstruieren und Kants Schematismus ins Auge springen. Konstruieren heißt hier schematisches Konstruieren, genauso also, wie es bei Kant immer dort der Fall ist, wo nicht gerade mechanisches Konstruieren gemeint ist. Bereits in der WL des Jahres 1795 hatte Fichte auf Kants Schematismuslehre hingewiesen und sie mit der Bemerkung angereichert: »In der Wissenschaftslehre entstehen sie [d. h. die Schemata – S. G.] mit den Objekten zugleich und um dieselben erst möglich zu machen, auf dem Boden der Einbildungskraft selbst. (WL 1795, 189 – Fichtes Hervorhebung)«
Die Einbildungskraft, auf welcher der Schematismus basiert, ist laut WL 1795 eine freie, wie Fichte dem Leser kurz vorher versichert hat. In den Vorlesungen über die Tatsachen des Bewußtseins 15 Jahre später ist jedoch das Konstruieren viel umfangreicher als Kants und Fichtes eigener früher Schematismusbegriff. Der frühe Fichte hatte mit seiner Doktrin über das freie Konstruieren nur die Grundlage für seine spätere Konstruktionslehre geschaffen –wohlgemerkt eine, die eher derjenigen der KU als derjenigen der KrV entspricht. Dafür eignet sie sich aber nicht nur für die Konstruktion des Schönen als eines Symbols des Guten, wie es sich bei Kant mit dem freien Schematismus der reflektierenden Urteilskraft bewandt hat. Fichte bestimmt sein freies Konstruieren im Gegenteil für jede Modellierung eines jeden Begriffs, den sich ein freies Subjekt (ein-)bildet.
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Denn wie am Ende dieses Aufsatzes klar wird, fällt bei Fichte die Struktur des Subjekts mit der Struktur des gedanklichen Systems zusammen, welches dem Subjekt vorschwebt. Wo Subjekt und System, Denkendes und Gedachtes zusammenfallen, da ist eo ipso zwischen Kantischem Begriffs-Schematismus und vorkantischem Fächer-«Schematismus« nicht zu unterscheiden. So läßt sich einsehen, warum Fichte in den Vorlesungen über die Tatsachen des Bewußtseins auf die traditionelle, Lambertsche Schematismuskonzeption als Unterteilung eines Faches in Teilfächer zurückgreift: Der Schematismus (das Unterteilen also) einer Wissenschaft in ihre Teildisziplinen ist stets das Unterteilen der Wahrheit in dieser Wissenschaft in die nunmehr schemenhaften Teilvorstellungen, aus denen sich diese Wahrheit zusammensetzt. Aber ein durch und durch von abstracta durchzogenes System ausbauen zu können, heißt, wie wir gesehen haben, sich gleichzeitig die diesem System entsprechenden Vorstellungen in der freien Einbildungskraft zu konstruieren. Das systema abstractorum als Objekt entsteht gleichzeitig mit seiner schematischen Bewußtmachung durch das Subjekt. Ich fahre jetzt fort, indem ich diese Behauptungen im Fichteschen Text belege. Der Begriff Absolutes ist auch ein durch und durch abstrakter. Das heißt: Das System des Absoluten fällt mit der schematischen Bewußtmachung des Begriffes Absolutes im Subjekt zusammen. Daß dies der Fall ist, sollte Fichte später in seinen Vorlesungen über die Wissenschaftslehre zeigen. Wieso dies der Fall ist, begründete er in der Vermögenslehre der Vorlesungen über die Tatsachen des Bewußtseins. Dort wurde klar, daß es dem Prinzip, alles (auch das Unbedingte) als Bedingtes zu betrachten, zu Grunde liegt, daß das Subjekt sich selbst und seine Vermögen unmittelbar anschauen kann (TdB 1810, 54 f.). Letzteres geschieht dadurch, »den Zeitinhalt schlechthin a priori vorwärts und rückwärts zu erzeugen (TdB 1810, 56 – meine Hervorhebung)« (aber man merke: der Zeitinhalt ist nach Kant (KrV) das Schema der Qualitätskategorien), wobei »[das] Hineintragen der Bedingtheit [...] die Zeitreihe einen neuen und näher bestimmten Charakter [bekommen läßt] (TdB 1810, 52f. – meine Hervorhebung)«, (und man merke wieder: die Zeitreihe ist nach Kant (KrV) das Schema der Quantitätskategorien). Fichte meint damit wohl, daß jede Schematisierung eines Faches bzw. Erkenntnisinhaltes als Bedingtes (d. h. auch die des Unbedingten) auf der Selbstschematisierung unserer selbst und unserer Vermögen fußt. Dem Schematismus des Absoluten aus Fichtes späten Vorlesungen zur Wissenschaftslehre ist also keine exotische Anschauung der Welt als einer Alleinheit zu unterlegen, denn für jenen genügt es schon, wie Fichte seine Studenten kurz vorher, in den
Der Begriff Schema in Fichtes Spätwerk
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Vorlesungen über die Tatsachen des Bewußtseins, wissen ließ, sich selbst als Bewegung des Zeitinhalts in der Zeitreihe darzustellen. Also: sich selbst zu schematisieren. Was Fichte also: Schema des Absoluten nennt, ist das Produkt einer Selbstschematisierung.10 Eine Schwierigkeit besteht wohl immer noch darin, das Schematisieren des Absoluten in ein Erinnerungsvermögen zu fassen. Dies ist, Fichte hat es ja im relevanten Anhang in TdB 1810, 55–8 zugegeben, etwas völlig anderes. Der Zeitinhalt, gleichgültig ob er wirklich erlebt wurde oder nicht (ebenda, 56), ist ein notwendiger Bestandteil der Vermögenstheorie. Es drängt sich hierbei die Frage auf, was das für eine Begründung des Selbstschematismus in den Tatsachen meines Bewußtseins ist, die darauf abhebt, ob ich das Schema (den Zeitinhalt) wirklich erlebte oder nicht! Fichte antwortete hier folgendermaßen (TdB 1810, 54): »Wir denken das Ich hier nicht bloß als Wissendes, sondern als Prinzip.« Mit dieser Facette seiner Schematismus-Begründung in den TdB 1810 schwächt Fichte die subjektivistische Lesart seiner WL ab und läßt in einem fort die Selbstanschauung als Selbstbezüglichkeit eines kohärenten Systems, d. h. im Endeffekt: das Subjekt als System erscheinen!
10 Richtig bemerkt demnach Christoph Asmuth (in: Das Begreifen des Unbegreiflichen: Philosophie und Religion bei Johann Gottlieb Fichte 1800–1806, Stuttgart-Bad Cannstatt 1999, 208f.), daß Gott nach Fichte »nicht das eigentlich Absolute« ist. Es ist außerdem auch richtig und angemessen, daß Melanie Obraz (in: Der Begriff Gottes und das gefühlsmäßige Erfassen des Göttlichen bei Fichte und Schleiermacher, Münster 2001) keinen Rückgriff auf das Schema des Absoluten vornimmt, um Fichtes Erfassen des Göttlichen zu erläutern.
Die transzendentale Logik (1812). Ihr systematischer Ort und ihre Bedeutung
Jacinto Rivera de Rosales (Madrid)
1. Die Vorlesungen 1812 hat Fichte zweimal über Transzendentale Logik gelesen, vom April bis August und vom Oktober bis Dezember1. Sie dienten als Einleitung zur WL neben seinen Vorlesungen Über das Wesen der Philosophie und über Die Tatsachen des Bewußtseins. Aber mehr als eine Einleitung sind diese Vorlesungen über Transzendentale Logik als eine Vorübung, oder sogar als ein Teil der WL zu betrachten, der sogenannte niedrigere Teil2, der in der früheren Terminologie »theoretische Philosophie« genannt wurde. Es werden die empirische Erfahrung und die Natur als ihr Objekt, 1 Die ersten Vorlesungen werden bald in der GA II/14 unter dem Titel Vom Verhältniss der Logik zur wirklichen Philosophie, als ein Grundriss der Logik, und eine Einleitung in die Philosophie (= TL I) veröffentlicht werden, und die zweiten sind schon in der Ausgabe von Fichtes Sohn und später neu revidiert durch Reinhard Lauth und Peter K. Schneider unter dem Titel Ueber das Verhältniß der Logik zur Philosophie oder Transscendentale Logik (= TL II) (Hamburg 1982) erschienen. Vorher hatte Fichte in seinen Vorlesungen über Institutiones omnis philosophiae von Erlangen im Sommersemester 1805 über höhere und niedrige Logik als Einleitung und Propädeutik zur Philosophie gelesen (GA II/9, 25–171), so wie er in Jena Vorlesungen über Logik und Metaphysik nach Platners Philosophischen Aphorismen gehalten hatte (GA II/4). 2 »[… Etwas] gehört in höhere Theile der Ph., mit denen wir es hier nicht zu thun haben (in WL oder SL)« (TL I, 76v; vgl. auch TL II, 77v).
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das heißt, das Wesen der Empirie aus dem Wissen überhaupt und durch das transzendentale Ich hindurch als sein Reflex oder Bewußtsein genetisch erklärt. Die transzendentale Logik geht bis zur objektiven Erscheinung des Ich als dem eigentlich realen Inhalt der Empirie und ihrer Bildlichkeit: »ein System von seyenden Ichen«3, von körperlich getrennten Ichen, »die Zersetzung der Welt der Iche in die einzelnen«4, die bis zum Wollen sich erheben5. »Das reale der Welt sind hier Iche: die aus dem obigen bekannte Form der Sichtbarkeit ist die Materialität. Die Iche sind drum schlechthin materiell: oder alle Materie ist die Sichtbarkeit von Ichen«6. Das bildet das Ende der Vorlesungen. Wir treten nicht in die höheren Regionen des Wissens ein, die Sittlichkeit, die Religion und die WL als Wissen des Absoluten selbst (Alfa und Omega des ganzen Systems), da in diesen ein wirklicheres und wahreres Leben der Empirie gegenüber erscheint. Es handelt sich um ein erneutes Schreiben (und Erweiterung nach den Prinzipien der WL) der Kantischen Kritik der reinen Vernunft, vor allem ihrer transzendentalen Ästhetik und Analytik, mit Themen aus der Kritik der Urteilskraft, und zwar aus der »Kritik der teleologischen Urteilskraft«, wie z. B. die empirischen Begriffe und Gesetze, d. h., die Spezifizierung oder die »viele[n] Modificationen [weitere Bestimmungen, würde Fichte sagen] der allgemeinen transscendentalen Naturbegriffe«7, was auch für Kant »zum theoretischen Theile der Philosophie gehört«8. Es war also ein für die Studenten sicherlich schon bekannter Gegenstand, der als Brücke und Übergang von der Kantischen Philosophie zur WL dienen sollte, denn »alles erhält dadurch [durch die neue Denkungsart der WL] eine durchaus neue Ansicht […]. Das alte bleibt; es nimmt nur eine neue Klarheit an, durch eine neue Bildung«9. Schon der Begriff von »transzendentaler Logik« war eine Erfindung von Kant, und dieser Bezug kommt natürlich im Text selbst zur Sprache, nur daß Kant auf der Suche nach dem apriorischen Anteil des Wissens auf dem halben Wege stehen geblieben wäre10. Die Topologie und die alte »bildliche Darstellung«11 von der 3 TL I, 73r. 4 TL I, 74v. 5 TL II, 99v. 6 TL I, 73r. Vgl. auch TL II, 76v. 7 Kant, KdU, Einleitung IV, B XXVI; AA V, 179. 8 Kant, KdU, Einleitung VIII, B LII; AA V, 194. 9 TL I, 61r. 10 Vgl. z. B. TL II, 9v. Der Titel »Transzendentale Logik« stammt nicht selbst von Fichte, aber das Thema ist darin enthalten. 11 TL I, 70v.
Die transzendentale Logik
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Kritik, die über Anschauung und Begriff, über Apperzeption und Bewußtsein spricht, konnte helfen, die neue Sprache und Methode der WL zu verstehen, in der von Sehen und Sehen des Sehens, von Reflex und Reflexibilität gesprochen wird. Das Anliegen von Fichte besteht gerade darin, dieses transzendentale Unternehmen bis zum Ende oder zu Vollkommenheit zu bringen.
2. Die transzendentale Philosophie Die Frage ist aber, ob Fichte hier immer noch im Rahmen der transzendentalen Philosophie geblieben ist, oder ob er sie von Anfang an übersprungen hat. Erkennbar sind viele Elemente, die bei Kant und mehr noch bei dem früheren Fichte hervortreten, aber sie stehen in einem Zusammenhang und in einer Bedeutung, die vielleicht mehr als spekulativ zu bezeichnen wären. Um das zu zeigen, müssen wir auf das Prinzip zurückgreifen, und so auf den systematischen Ort und die gesamte Bedeutung seiner transzendentalen Logik verweisen. Transzendental ist eine Philosophie, die nach den apriorischen Bedingungen der Möglichkeit der Erfahrung fragt. Aber so allgemein ausgedrückt könnten verschiedene Philosophien transzendental genannt werden, zum Beispiel der Rationalismus, oder diejenigen Plotins und Hegels. Die Kantische Philosophie wollte aber einen bestimmten mittleren oder höheren Weg dem Rationalismus und Empirismus gegenüber einschlagen, um die objektive Erkenntnis der Welt, die Moral und die Ästhetik zu begründen. Dafür appelliert sie an eine besondere subjektive Instanz oder Tätigkeit, die spontan und selbständig wirkt, also frei und nicht empirisch ist, die aber nichts desto weniger ihre eigene Endlichkeit erfährt, sowohl in der Kantischen Affektion als auch im Fichteschen Gefühl, so daß ihre eigentliche Seinsart sich im Grunde genommen als moralische Aufgabe ausdrückt. Dieses letzte Element unserer gegensätzlichen Natur, die Endlichkeit, fand aber vielleicht nicht ihre beste Darstellung – weder im Kantischen Ding an sich noch im Fichteschen Anstoß12. Andere Anweisungen in dieser Richtung waren die Unbedingtheit, seiner Form nach, des zweiten Grundsatzes oder des Nicht-Ich13, und die Lehre, daß das erste Prinzip selbst (das ist wichtig) sich als Streben und Trieb und nicht als 12 Ausführlicher über dieses Thema habe ich im Aufsatz »Die Begrenzung. Vom Anstoß zur Aufforderung« (Fichte-Studien 16, 1999, 167–190) geschrieben. 13 GWL § 2.
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unendliche Kausalität manifestiert14. Diese Fragestellung wurde aber nach 1800 als unvollendete Philosophie und unvollkommene Vernunft gefühlt und gedacht, so daß die drei großen Denker, Hegel, Schelling und Fichte, und vielleicht auch in dieser Reihenfolge15 und jeder in seiner Art (als »die drei Vollendungen des deutschen Idealismus«), eine neue Philosophie des Absoluten entwickelten. So ist das Wissen hier, in der Transzendentalen Logik von 1812, absolut und absolute Kausalität oder Grund alles, was uns in unserer Erfahrung a priori und a posteriori je begegnen kann. Auch die Erklärungen der eigentlichen WL in Jena (nicht so in der Rechtslehre und Sittenlehre16) hatten freilich das Wissen oder die ideelle Tätigkeit als letzten Grund, denn nur diese immanenten und rein idealistischen Beweisführungen können die Erkenntnis, die Spontaneität und die Selbstbezüglichkeit des Ich angemessen behandeln, und so erklären, wie etwas für das Ich ist. Aber sie leisten das nicht, um alles in der Idealität aufzulösen und in sie zu verwandeln, d. h., um das Ich in sich selbst einzuschließen, sondern um es für das andere zu öffnen: »Alles ist seiner Idealität nach abhängig vom Ich, in Ansehung der Realität aber ist das Ich selbst abhängig; aber es ist nichts real für das Ich ohne auch ideal zu seyn [ohne dasselbe für sich durch die Idealität zu verarbeiten]; mithin ist in ihm Ideal- und Realgrund [synthetisch!] Eins und ebendasselbe, und jene Wechselwirkung zwischen dem Ich und Nicht-Ich ist zugleich [also synthetisch] eine Wechselwirkung des Ich mit sich selbst«17. Und so verfährt auch die WL nova methodo: sie geht von dieser Tätigkeit des Ich aus, aber um zum Nicht-Ich zu gelangen, denn »das Ich sieht alles in sich; sieht es etwas als auser sich, so muß der [ideale] Grund dazu doch in ihm liegen«18. Wir müssen beides in dieser synthetischen Methode beibehalten: das Anderssein des anderen und den ichlichen ideellen Grund dieses anderen. Aber in der Transzendentalen Logik ist alles, das Ich und das Nicht-Ich, die Welt der seienden
14 GWL § 5. 15 Obwohl Hegel seine Differenz des Fichteschen und Schellingschen Systems der Philosophie erst im Juli 1801 beendet, und im Oktober vollständig im Druck vorlag, dürfte seine »Konzeption allerdings in die letzten Frankfurter Monate zurückreichen« (Hegel, Werke, »Anmerkung der Redaktion«, II, 586), und dürfte durch die Zusammenarbeit mit Schelling in Jena seit Januar 1801 beeinflußt sein. Schelling schickte Fichte seine Darstellung meines Systems der Philosophie in einem Brief vom 15. Mai 1801. Und Fichte begann seine WL 1801/2 im Herbst. Wir könnten aber auch sagen, daß der spinozistische Duktus Schellings schon in Vom Ich (1795) unverkennbar war. 16 Vgl. z. B. SL SW IV, 97 = GA I/5, 97. 17 GWL § 4, SW I, 280–281 = GA I/2, 412. 18 WLnm § 6, 73 = GA IV/3, 381.
Die transzendentale Logik
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und die reine Tätigkeit des transzendentalen oder moralischen Ich, Erscheinung des einzigen absoluten Wissens. Alle Begrenzungen sind nur weitere Bestimmungen desselben, und insofern verhält es sich so wie bei Schelling und Hegel. Transzendental bleibt seine Logik für Fichte nur deswegen, weil sie die genetische Erklärung der Vorstellung leistet19.
3. Realismus und Idealismus Nur eine ontologische Begrenzung hat dieses Wissen als Ganzes: Das Wissen versteht sich als das absolute Wissen, aber nicht als das absolute Sein selbst. Im Gegensatz zu Hegel und in Kontinuität mit Kant unterscheidet Fichte zwischen Sein und Begriff (oder Wissen)20, und so versucht er, transzendental zu bleiben. Das Wissen bei Fichte ist Erscheinung oder Bild des absoluten Seins, nicht das Absolute selbst. Die WL 18042 versucht in ihrem ersten Teil, der Wahrheits- bzw. Vernunftslehre, durch verschiedene Auseinandersetzungen zwischen Idealismus und Realismus, zum reinen, in sich geschlossenen lebendigen Sein des Einen Absoluten als der verlangten reellen Einheit von Allem aufzusteigen. Diese Untersuchung wird aber durch den Begriff des Absoluten selbst als Kriterium der Realität und der gesuchten Einheit und als spekulative Aufforderung für das philosophische Denken (oder als Aufforderung der spekulativen Vernunft) geführt21. Der Realismus behauptet, es gebe ein an sich und durch sich absolutes Sein oder Leben, woraus das Durch, der Begriff und alles Bewußtsein, herkomme, ein Sein, das auch jenseits aller Beziehung, also jenseits alles Begreifens liege. Diese realistische Behauptung sollte Fichte dazu dienen, den Jacobischen Vorwurf des Nihilismus von Grund auf zu überwinden; und so gilt für das gesamte System der »Grundsatz: das [absolute] Sein ist durchaus ein in sich geschlossenes Singulum [Einheit] des Lebens und Seins, das nie aus sich heraus kann«22. Aber die WL will auch eine kritische Philosophie bleiben, deswegen reflektiert sie im Gegenteil zu Spinoza über ihre eigene Refle-
19 TL II, 10r. 20 Z. B. WL-1804-II, SW X, 271 = GA II/8, 344–346. Seit D[er] Bestimmung des Menschen denkt Fichte, daß das bloße Wissen zum Nihilismus führt, und schon in der GWL § 6 behauptet er, die Realität sei eine praktische Angelegenheit. 21 »Die Aufgabe der Philosophie läßt sich auch ausdrücken: Darstellung des Absoluten« (WL-1804-II, SW X, 94 = GA II/8, 10). 22 WL-1804-II, SW X, 212 = GA II/8, 242.
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xion23, und läßt die idealistische Anforderung auch gelten: Die Behauptung des absoluten Seins ist nur für und durch das Wissen, und nicht außerhalb desselben möglich, nicht z. B. durch eine Offenbarung (wie für Jacobi). Wir müssen also beide, Realismus und Idealismus, beibehalten, um ihre Einseitigkeit zu überwinden. Aber im Aufsteigen zum Ur-Inhalt der Wahrheit hat die WL eine Vorliebe für den Realismus, für die unabhängige Realität dieses absoluten Seins, während im Hinabsteigen oder in der Erscheinungslehre, in der die transzendentale Logik auch zu verorten ist, sie eine Vorliebe für den Idealismus hat24, da die WL unsere ganze Welt als bloßes Wissen und Erscheinung versteht; darin besteht nach Fichte ihr transzendentaler Idealismus25. Nun aber wird dieses Aufsteigen durch den Begriff, durch seine Vernichtung, also durch seine kritische Selbstdeutung, durchgeführt, und im Hinabsteigen wird immer daran erinnert, daß die Erscheinung nicht in sich selbst, sondern im absoluten Sein ihren realen Grund findet. Das Wissen ist also, was bis zum Absoluten und Unbegreiflichen aufsteigt. Um das zu leisten, verfügt es über zwei gegensätzliche Bilder, über ein Bild des Bildes und ein Bild des Absoluten. Dank derer und ihres Vergleichs, der von der WL durchgeführt wird, versteht das Wissen sich selbst als bloßes Bild und das Absolute als das andere26. Das nennt Fichte die Vernichtung des Begriffs, den höchsten Akt des Realismus, in dem das Wissen seine ontologische Grenze anerkennt, und sich für das Absolute öffnet27. Aber es ist zu beachten, daß die Behauptung dieses Seins im 23 »[…] in welchem Reflektiren auf das Princip des eignen Reflektirens eben die transscendentale Kunst bestehet« (WL-1807, GA II/10, 185). Vgl. auch WL-1812, SW X, 327 und 345f. = GA II/13, 52 und 68, und WL-1813, SW X, 3f. 24 WL-1804-II, SW X, 177 und 226 = GA II/8, 172 und 264. 25 »Es ist ganz klar, daß vor Durchführung des tr. Idealismus d. i. daß das Wissen allein die Realität sey, und in allen seinen Bestimmungen durch sein eignes Leben sich setze« (Logik Erlangen, GA II/9, 118). Vgl. auch. WL-1811, GA II/12, 173. 26 TL II, 25r-v. 27 Faktisch und innerlich kommen wir nie aus dem Prinzip der Sonderung heraus, aber wohl intelligibile. Wir stehen zwischen den zwei Prinzipien, dem der Sonderung und dem der Einheit, beide vernichtend und beide setzend zugleich. Der Begriff und das Unbegreifliche sind unzertrennlich, denn nur in der Vernichtung des Begriffes leuchtet das Unbegreifliche, das Sein an sich, ein, da das Wissen der Unterscheidung bedarf (WL-1804-II, SW X, 116f. = GA II/8, 56). Dieser Schritt hat seine Ähnlichkeit mit dem der transzendentalen Dialektik der KrV und der Grenze, die die theoretische Vernunft für sie selbst dort zieht. So versucht Fichte, transzendental zu bleiben. Diese kritische Grenze bei Kant öffnet uns aber zur moralischen Erfahrung, während sie uns bei Fichte an die Grenze aller Begreiflichkeit und Erfahrung stellt, in eine mittlere Position zwischen Aufklärung (Ideal der totalen Transparenz der Welt) und Romantik (die Unbegreiflichkeit des Abgründigen). Diese Unbegreiflichkeit des An-sich wird sich bald bei Schopenhauer, einem Studenten von Fichte, in einen irrationalen und bösen Willen verwandeln, da die grausame Welt, sein Spiegel, es auch so belegt.
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Wissen selbst stattfindet, was der höchste Akt des Idealismus wäre; das bedeutet, wir bleiben immer im Begriff, und wir können weder mit dem Begriff noch mit irgendeiner mystischen Einung in das absolute Sein selbst hineintreten28. Weil die WL im Wissen bleibt und nicht Seinslehre wird, ist sie für Fichte transzendentaler Idealismus29. Beide müssen gleichzeitig beibehalten werden, da die WL ein Real-Idealismus oder Ideal-Realismus sein will. Wir können also nicht hinterher, wie manche Fichtespezialisten es tun, den Idealismus als das letzte Wort gelten lassen, und das Absolute nur als bloßes Bild des Wissens betrachten, weil sonst die Behauptung dessen Dogmatismus wäre; denn in diesem Fall würde der Realismus abgeschafft, und das Wissen als das Absolute selbst und nicht als seine bloße Erscheinung genommen werden, was für Fichte Nihilismus (seit dem 2. Buch von der Bestimmung des Menschen) bedeuten würde, oder für andere Pantheismus. Das absolute Ansich besteht nicht bloß durch den Begriff und unsere Behauptung, sondern durch sich selbst, und das Gegenteil anzunehmen ist für Fichte der Grundfehler des Idealismus30. Indem das Wissen sich als bloßes Bild von Grund auf in der WL anerkennt, öffnet es sich für das absolut Andere31, für das »Nichtbild«32, für die Transzendenz. Der Begriff ist seine ratio cognoscendi, nicht aber seine ratio essendi. Das absolute Sein »wird in seinem Begriff ausgesprochen, als nicht nicht sein könnend, als nothwendig seiend, wenn auch der Begriff [= die Erscheinung] desselben gar nicht wäre: also nicht auf den Credit des Begriffs, und darum, weil ein Begriff desselben ist, sondern schlechthin, weil es selbst ist […] und keine Genesis [= kein Wissen] damit vereinigt werden« kann33. Hier geht Fichte deutlich über die kritische oder transzendentale Philosophie hinaus34. 28 Wir bleiben an der Schwelle des Cannaan, damit Cannaan in unserem Bewußtsein erscheint. 29 WL-1813 SW X, 4. 30 WL-1804-II, SW X, 184–6 = GA II/8, 184–188. »Auf diese […] Unterscheidung des Seyns, u. der Existenz [=das Wissen] […] kommt nun der TransscendentalPh. alles an sie zu machen ist die Bedingung, ohne welche nicht. […] In der gewöhnlichen, nicht transscendentalen, d. h. sichten, u. oberflächlichen Ansicht, wird die Existenz zum Seyn selbst gemacht, – der Charakter des Seyns, von sich pp. wird an die Existenz weggeworfen; u. dies ist der GrundIrrthum« (WL-1805, GA II/9, 187). 31 »Das Bild aber sezt schlechthin durch sein Wesen, u. so gewi es Bild ist, u. man sich dies nur scharf denke, ein zweistes Glied ausser ihm, ein gebildetes [das Sein]. Es geht unaufhaltsam aus sich selbst heraus, durch sein blosses Wesen gedrungen zu diesem herausgehen, u. sich nicht genügend […] Bild kann nicht allein seyn: es, in seiner Einheit gesezt, sezt unmittelbar durch sein eignes Wesen eine Zweiheit« (TL II, 14r). 32 WL-1805, GA II/9, 186. 33 WL-1812, SW X, 329 = GA II/13, 53; cfr. auch 333 = 57f.: Die Erscheinung »wird als nothwendig erkannt, zufolge ihrer Wirklichkeit [also gefunden und angeschaut].
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In der Tat geht Fichte den umgekehrten Weg: vom Begriff des einen absoluten Seins zum Wissen, das deswegen als bloßes Bild und als außer Gott einzig mögliche Realität ausgelegt wird. Da das Aufsteigen selbst durch den Begriff des Absoluten als Eins, als durch sich von sich aus sich selbst Sein, als das »nicht nicht sein könnend«, geführt wird, ist diese absolute Realität eigentlich nicht einfach das Ergebnis dieses Aufsteigens, sondern vor allem die Voraussetzung des gesamten Systems, und durch dasselbe bestätigt und dargestellt; so bildet sich der Kreislauf des Ganzen. Wie könnte man sonst das erste Prinzip beweisen? Durch das Aufsteigen wurde dieser Begriff nur freigelegt; denn »wo es [das Denken] sich zu Ende denkt, entsteht dieser Begriff des Seyns; der sich unmittelbar mit absoluter Evidenz ankündigt, u. so für seine Wahrheit zeugt«35, als unumgängliche Anforderung der spekulativen Vernunft. Dieser Sachverhalt kommt in der WL-1807 zum klaren Ausdruck: »Gott [also das absolute Sein und seine Realität] ist absolutes Postulat an Sie [an die Studenten]: von welchem einen Beweiß zu fordern der absolute Widerspruch ist«36. Das absolute Sein sei eine vernünftige Selbstverständlichkeit, wenn wir nach der reellen Einheit von Allem fragen. Es bildet den absoluten Anfang der philosophischen Untersuchung. »Giebt Seyn. […] Die WL weiß das schlechthin, u. nimmt es vor allem voraus an: u. ist so recht eigentlich in ihrer Wurzel Realismus – Kein einziges philosophisches System […] nimmt dies so im ganzen Ernste an […] Sie [die anderen Systeme] wollen das Seyn durch das Denken, vermittelst eines Schlußes, zufolge irgend einer Prämisse, herausbringen […]. Sie sind alle idealistisch [… Aber unsere WL behauptet] es ist von sich aus sich durch sich, was es ist, u. seyn kann: u. dieses von sich seyn ist sein Seyn: also inneres lebendiges Seyn, alles Seyn, u. außer ihm kann es kein Seyn geben. Gott: u. außer ihm nichts. Jene wollen eben das Daseyn Gottes beweisen«37. Gott ist aber Dagegen wird das Absolute als wirklich seiend erkannt, zufolge seiner Nothwendigkeit«. »Seyn: Geschlossenheit In sich selbst: absolute Immanenz u. Ihre Bildlosigkeit. Bild dagegen: dasselbe Seyn, sich äussernd, u. erscheinend. – . Also absolutes sich äussern, als sich äussern; Fakticität, als solche, Genesis, ist der Charakter des Bildes« (TL II, 18r). 34 Damit möchte ich nicht sagen, daß es grundsätzlich schlecht wäre, nicht transzendental zu bleiben. Die transzendentale Philosophie ist nur eine Methode, eine Art zu Denken in der Philosophiegeschichte, aber überhaupt nicht die einzige, die uns wichtige Ideen und Denkmittel angeboten hat. 35 WL-1811, GA II/12, 164 36 GA II/10, 175. »Als Hypothese«, sagt die WL-1813 (SW X, 13). 37 GA II/10, 165f. – Das Problem ist folgendes. Nach dem Jenenser Fichte waren wir gleichzeitig reines und empirisches Ich, und so konnten wir das ursprüngliche mit der Erscheinung vergleichen, z. B. bei dem Gefühl des Sehens, und so beide in seiner Seinsart verstehen. Aber nach der Berliner WL sind wir nur Erscheinung; wie könnten wir denn die totale Alterität
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für die WL die absolute Voraussetzung ihres ganzen Systems, von welchem aus das Wissen mit all unserer Erfahrung und Tätigkeit als bloßes Bild auszulegen ist. Es könnte nicht anders sein, weil Fichte von einem solchen fast Parmenidischen Begriff von Sein ausgeht38. Diesem Seinsbegriff nach kann es nur ein Sein geben, also »das Wissen [als das andere dem Sein gegenüber] ist eßentialiter in Grund u. Boden, Erscheinung, Bild, Schema: das Seyn komt in demselben nicht vor, sondern dies bleibt rein, u. lauter in Gott«39. Spinoza hat recht mit einer göttlichen unveränderlichen Substanz, aber außer diesem kann es kein Sein mehr geben, nur Wissen, lauteres Bild; das ist »ein Accidens Gottes allerdings, wie Spinoza, aber nur Eins«40, nur cogitatio und nicht extensio. Die Behauptung dieses Seins ist ein Akt des Wissens, aber dieses absolute Sein selbst ist nicht nur Bild oder bloßes Element des Wissens, sondern ontologischer Grund desselben, ein Postulat, von dem das Wissen für sein Sich-selbst-Verstehen ausgehen soll. Die ganze WL wird später die genetische Erklärung dieses Begriffs sein, weil sie auch die genetische Erklärung unserer ganzen Realität darstellt, die nur Wissen und Bild des Absoluten, bloß ein schematisierendes Leben ist, und deren erster Teil in der transzendentalen Logik zu des absoluten Seins verstehen, da das Bild nur Bild bleibt? Nur durch den Begriff desselben und das Postulat seiner Realität, und wenn wir das andere nach dieser Idee interpretieren. Und was versichert mich über die Richtigkeit beides? Die bloße Forderung der Vernunft nach einem solchen Sein. Die nächste Frage wäre: Ist die Vernunft und ihre Forderung nur so, spekulativ, auszulegen? Die Denkform, d. h. der Grund alles andern Verstehens und die intellektuelle Anschauung, ist gerade diese Unterscheidung zwischen Sein und Bild (TL II, 12r); sie ist »der absolute Verstand, der nicht wird, sondern ist«, und in allem Begreifen vorausgesetzt wird (TL II, 14v; auch 16r), das wäre die letzte rein spekulative Antwort Fichtes. 38 Dieses Sein ist so »eifersüchtig«, so viel Licht, daß es uns im Schatten und ohne eigenes Sein lässt. Nietzsches dionysisches Verständnis von Sein als Werden, Pluralität und Maske wäre sein Gegenteil. 39 Fichte, WL-1811, GA II/12, 157. »Bescheiden! Das ewige u. absolute ist nicht bescheiden, sondern absolut kategorisch, vor ihm aber soll sich bescheiden, u. verstummen alle Individualität« (TL II, 46r). 40 WL-1807, GA I/10, 169. »Es giebt kein besseres als das System des Spinoza: damit ein gemeinschaftl. Standpunkt; sodann ein wesentlicher Gegenstand. Satz: in welchem wir übereinstimmen. Das Seyn ist schlechthin Eins, von sich, durch sich, aus sich selbst […]. Alle Wandelbarkeit u. Veränderung ist von ihm ausgeschlossen. […] In ihm ist das Seyn alles, u. ausser ihm ist kein Seyn« (WL-1811, GA II/12, 163–164). Aber die WL geht hinaus »über dieses Faktum zur Genesis derselben […] Das absolute Seyn selbst ist es, das durch sich selbst sich ausspricht in diesem Denken. So werden wir dieses denken selbst in seiner Reihe [die die WL selbst ist] ableiten als das lezte (dies gehört zum Zurückkehren der WL in sich selbst [wo das Ich den Standpunkt des Philosophen erreicht]) u. so denn das gesagte finden. – So zu Ende: am Anfange, wie Sp. jedem anmuthen die unmittelbare Evidenz« (WL-1811, GA II/12, 164–165; vgl. auch WL-1813 SW X, 3–4). Das ganze System ist ein Beleg des ersten Prinzips; der Zirkel des Wissens. Vgl. auch WL-1812, SW X, 326ff. = GA II/13, 51ff.
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finden ist. Angemessener als das frühere, 1804, den Leser vorbereitende Aufsteigen durch Realismus und Idealismus vor dem System selbst, ist eben deswegen das Aufsteigen des Ich selbst zum Absoluten, d. h. das Aufsteigen des Wissens in dieser seiner weiteren Bestimmung im Inneren des Systems, und zwar in der zweiten Hälfte desselben, was zum Schließen des Zirkels führen, und die Richtigkeit des Systems und seines Anfangs beweisen würde41.
41 Wir können auch denken, daß dieser Begriff vom Absoluten eine Evidenz für diese Epoche wurde, so daß es unnötig war, ihn zu beweisen; es schien genug, ihn systematisch zu erklären. Auch der philosophische Geist dieser Zeit war gegen alle Dualität prinzipiell gerichtet: »Wer in oder an dem, was ein philosophisches System als sein Höchstes setzt, irgend eine Distinktion als möglich nachweisen kann, der hat dieses System widerlegt« (WL-1804-II, SW X, 93 = GA II/8, 8). – Im Text selbst der Transzendentalen Logik darzustellen, daß Fichte hier außerhalb des Rahmens der transzendentalen Philosophie philosophiert, soll aber Thema für andere Aufsätze bleiben.
Die transzendentale Argumentation in der transzendentalen Logik Fichtes
Alessandro Bertinetto (Paris)
I In der Debatte über das transzendentale Argument (TA) gibt es zwei Hauptorientierungen1. Die erste ist die Ansicht, die in der angloamerikanischen Philosophie vorherrscht: das TA sei eine deduktive Widerlegung einer skeptischen Thesis, die vermeidet, die naturalistischen Voraussetzungen des Skeptikers in Frage zu stellen, der z. B. die Möglichkeit des Beweises der Existenz der äußeren Welt verneint. Für die Anhänger dieser Konzeption ist das TA ein Schluss mit der Form: »A; aber B ist notwendige Möglichkeitsbedingung von A; also B«2. A besteht z. B. in der Erfahrung, in einem weitverbreiteten Glauben, in der Sprache, etc.; B bezeichnet eine metaphysische und apriorische Möglichkeitsbedingung, die in jeder möglichen Welt gültig ist. Die Argumentstrategie richtet sich darauf, den skeptischen Zweifel abzulehnen, indem man zeigt, daß das,
1
David Bell, Transcendental Arguments and Non-Naturalistic Anti-realism, 189–
210. 2 Vgl. R. Stern (Hrsg.), Transcendental Arguments, a.O.; s. insbesondere die Introduction von R. Stern, 3.
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was der Skeptiker negiert, Möglichkeitsbedingung seines eigenen Einwandes ist3. Jedoch ist es erstens schwierig, diese Art TA vom klassischen modus ponens zu unterscheiden. Zweitens braucht diese Art TA die Mitwirkung eines zusätzlichen Verifikationismus, um gegen den Skeptizismus erfolgreich zu sein: Denn der Skeptiker könnte sagen, daß es genügt daran zu glauben, daß B wahr sei, um die Erfahrung bzw. die Sprache zu ermöglichen. Dies impliziert, daß es nötig ist, die Wahrheit oder die Falschheit von A mit Hilfe von anderen, empirischen und nicht-transzendentalen Mitteln festzustellen, um die Kluft zwischen dem, was uns erscheint und was wir glauben und dem, was tatsächlich ist, zu füllen; folglich wäre diese Argumentation unnütz oder überflüssig. Dem TA bliebe also eine beschränkte Funktion übrig: die Milderung einiger Formen dogmatischen Skeptizismus’4. Nach der anderen Hauptorientierung darf das TA nicht auf dem gleichen naiv-realistischen epistemischen Niveau des Skeptikers bleiben, sondern ihn als unphilosophischen verwerfen. »Transzendental« bedeute demnach gerade den Gegensatz zu »empirisch«, »faktisch«, »naturalistisch«, »psychologisch«, »formal«. Transzendentalphilosophie sei also nicht nur eine bestimmte Art und Weise zu argumentieren, sondern eine globale Welt- und Denkanschauung. Als solche ziele sie darauf, nicht spezielle Probleme zu lösen, sondern systematische Denkgebäude zu errichten; ihre Methode sei reflexiv (selbsterklärend, selbstversichernd und selbstkritisch); und sie sei antidogmatisch, anti-realistisch, anti-naturalistisch5. Fichtes Philosophie kann als Modell für diese reflexive Auffassung des TA angenommen werden. In den späten Darstellungen der WL kritisiert Fichte mit Argumenten dieser Art den Ansatz der Philosophie Spinozas oder den Begriff des Dinges-an-sich, den Fichte für eine prote-
3 Vgl. Isabelle Thomas-Fogiel, Fichte et l’actuelle querelle des arguments transcendantaux, in »Revue de métaphysique et de morale«, Décembre 2003, n°4. 4 Vgl. R. Stern, Transcendental Arguments and Scepticism. Answering the Question of Justification, Clarendon Press, Oxford, 2000. 5 In diesem Sinne transzendentale bzw. »reflexive Argumente zielen ganz wesentlich […] auf die Aufdeckung von (zu vermeidenden) Widersprüchen ab. Jedoch nicht auf logische, d. h. solche der Form, oder auf semantische, d. h. solche der Bedeutung bzw. des Sinns, sondern auf pragmatische Widersprüche (Selbstwidersprüche), d. h. solche zwischen dem propositionalen Inhalt (von Redehandlungen) und ihren nicht-kontingenten, performativen Voraussetzungen« (W. Köhler, Zur Debatte um reflexive Argumente in der neueren deutschen Philosophie, in Philosophie und Begründung (hrsg. vom Forum Philosophie Bad Homburg), Frankfurt a. M., Suhrkamp, 1987, 303–333, hier 305).
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statio facto contraria, d. h. für einen performativen Widerspruch hält. In Beziehung auf das Thema »TA« vollzieht Fichte jedoch in der TL II6 etwas gründlicheres: Denn die TL II bietet eine transzendentale Begründung der philosophischen Argumentation, die die logische und epistemologische Form des Wissens in actu exercitu darstellt, indem sie gerade die performativen Widersprüche der formalen Logik (= FL) und der naturalistischen bzw. faktischen Konzeption des TA zeigt und sie als falsche Positionen abweist. Hauptmangel der FL sowie der faktischen Konzeption des TA sei die faktische Voraussetzung, auf dem Niveau des empirischen Bewußtseins von einer Kluft zwischen der Erscheinung, dem Glauben, dem Bild auf der einen Seite, und der Realität, dem Faktum, dem Sein auf der anderen Seite auszugehen. Diese Faktizität spiegelt sich nun auf dem Niveau der philosophischen Reflexion in der Trennung zwischen der Reflexion und dem Reflexionsobjekt wider. Da die FL und die faktische Konzeption des TA diese Kluft und diese Trennung nicht genetisch aufheben, bleiben sie faktische und psychologische Welt- und Denkauffassungen, über die der Skeptiker leicht siegt. Aber er siegt auf einer Art und Weise, gegen die Fichte polemisiert, weil der Skeptiker ebenso faktisch und psychologisch argumentiere.
II Die TL ist nach Fichte ein Teil der WL, der vom Inhalt des Wissens abstrahiert und auf die Wissensform, auf das Denken bzw. auf die Argumentation reflektiert. Als Untersuchung über die Form des Wissens ist ihre Aufgabe, auf folgende Frage zu antworten: Wie ist das Verstehen, wie ist der Sinn möglich? Die TL II hat eben »das ursprüngl. Wissen [...] genetisch zu machen, zu verstehen«7. Anders als bei Kant gibt es bei Fichte nicht zwei Logiken nebeneinander: eine formale und eine transzendentale TL ist eben die Transzendentalisierung der Logik8, die die Möglichkeitsbedingung der »gemeinen« Logik erklärt und genetisiert, indem sie diese »vernichtet«. Anders als die FL, die die Naivität des empirischen Bewußtseins dogmatisch wiederholt und das Wissen als ein Faktum, als »Ding an
6 J. G. Fichte, Ueber das Verhältnis der Logik zur Philosophie oder Transscendentale Logik (Oktober–Dezember 1812), hrsg. v. R. Lauth (et alii), Hamburg, 1982 (= TL II). 7 TL II, 175. 8 J. G. Fichte, Wissenschaftslehre 1801–02; GA II, 6, 323; SW II, 161.
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sich«, denkt (und somit bleibt sie faktisch, abstrakt und psychologisch), ist die TL wissenschaftlich, d. h. philosophisch (vgl. TL II, 22 und 186f.), weil sie weiß, ein Bild des Wissens zu sein. Deshalb leitet sie das Faktum des Denkens aus seinem Gesetz ab und stellt seine transzendentalen Möglichkeitsbedingungen dar (TL II, 191). Nach der TL geht alles darum, Begriff, Urteil und Schluß nicht als abgesonderte Stücke anzunehmen, wie die FL es macht, sondern sie für Teile eines organischen Prozesses zu halten, in denen alle Momente und der ganze Prozeß schon enthalten sind (vgl. TL II, 195–196). Das Wissen hat also eine zirkuläre bzw. selbstreflexive Form, die auf dem Niveau des empirischen Bewußtseins implizit bleibt, weil sie a priori ist. Diese selbstreflexive Form kommt immer ins Spiel, falls ein Wissen vorliegt. Dies beweist Fichte mit einem Syllogismus, der selbstreflexiv die »organische Einheit« von Begriff, Urteil und Schluß in actu zeigt. Dieser Syllogismus, der die transzendentale Apperzeption logisch entwickelt, wird folgendermaßen ausgedrückt (TL II, 156): »m a i o r: Alles Verstehen versteht sich, die Erscheinung versteht sich. minor: Nun ist hier ein Verstehen eines Bildes als Bild. c o n c l u s i o: Also ist das Verstehen ein Sichverstehen des Bildes als Bild = Ich.«
Die Transzendentalisierung der logischen Argumentation besteht eben darin, daß die Glieder bzw. die Begriffe jedes Satzes (bzw. jedes Urteils) und die Urteile dieses Schlusses schon den ganzen Schluß voraussetzen. Umgekehrt aber ist der Schluß nur dann verständlich, wenn seine Teile verstanden sind. Außerdem wird mit diesem Syllogismus die Selbstreflexion sowohl als Objekt als auch als Subjekt der Untersuchung der TL verstanden. Damit wird das Faktum der Reflexion der TL – das Sagen der TL – durch das Objekt ihrer Reflexion – die transzendentale Apperzeption: bzw. das, was die TL sagt, – genetisiert. Und die Apperzeption wird nicht, wie bei Kant, als ein Faktum etabliert, sondern aus dem gleichen Gesetz, das sie eigentlich ist, genetisch abgeleitet. Indem die TL die Möglichkeitsbedingung des Wissens darstellt, stellt sie ihre eigene Möglichkeitsbedingung auf. Mit anderen Worten: Die von der TL II dargestellte Genetisierung der Argumentation läuft genauso zirkulär wie die Wissensform bzw. die Argumentation, die das Objekt des Diskurses der TL II ist. Die Bedeutung der Begriffe, mit denen die TL ihre Argumentation bear-
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beitet, hängt selbstreflexiv von der ganzen Entwicklung der Argumentation derselben TL ab.
III Die »Genetisierung« ist die Rückführung eines Faktums auf sein Gesetz bzw. seine Möglichkeitsbedingung. In der Logik ist aber dieses Faktum das Wissen bzw. das Denken (die formale Seite des Wissens). Die Logik ist ein Wissen über die Form des Wissens. Um die faktische Objektivierung der Logik zu vermeiden, muß also die TL wissen, daß sie selbst die Regel des Denkens schon befolgen muß, indem sie über das Denken reflektiert, um seine Regel zu etablieren. Um die Regel des Denkens richtig darzustellen, muß sie darauf hinweisen, daß ihre Argumentation in actu gerade ihr eigenes Objekt ist9. Da die TL das Wissen über die Form des Wissens ist, ist sie die Selbstreflexion des Wissens über seine Form, die eben die Selbstreflexion ist, und die somit den Inhalt der TL ausmacht. Deswegen ist der Gang der TL zirkulär bzw. selbstbezüglich. Also: Die Form der Untersuchung über die Form des Wissens (bzw. über die Argumentation) ist genau dieselbe Form des Wissens (vgl. TL II, 135, 186, 231). Die Faktizität der FL wird also nur dann vermieden, wenn man berücksichtigt, daß man nicht aus dem Wissen herausgehen kann, um das Wissen zu verstehen. Sonst hätte man nicht mehr das Wissen als Wissen, sondern als Faktum angesehen: Man würde sich mit dem gleichen Hauptmangel der FL finden – Bild des Wissens zu sein, ohne es zu wissen –; und man würde auch den Mangel, den Fichte Kant zuschreibt, wiederholen: Die Kategorien und die Apperzeption nur als Faktum zu etablieren, ohne sie zu genetisieren, um damit die Bedingungen seiner eigenen Rede zu rechtfertigen. Wird man nicht die Selbstanwendung der von derselben transzendentalen Reflexion aufgestellten Gesetze durchführen, wird man also das Gesetz des Denkens, die Selbstreflexion, im Bereich der Logik, die das Gesetz des Denkens verstehen sollte, nicht berücksichtigen: Dann würde man sich in denjenigen Schwierigkeiten befinden, die die Kritiker der naturalistischen Auffassung des TA gegen diese Position erheben: die
9 In der WL-1804-II drückt Fichte diesen Sachverhalt folgendermaßen aus: Das Faktum ist Genesis und die Genesis ist Faktum. J.G. Fichte, Die Wissenschaftslehre – Zweiter Vortrag im Jahre 1804 vom 16. April bis 8. Juni, hrsg. von R. Lauth (et alii), 2. Aufl., Hamburg, 1986, 273.
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Kluft zwischen Erscheinung und Sein nicht füllen zu können (und damit dem Skeptiker den Sieg zu lassen). Diese Kluft zu füllen heißt aber nicht, von einer Erscheinung zum Faktum zu schließen, das angeblich erscheint; sondern im Gegenteil darauf hinzuweisen, daß das Verstehen nie aus der Erscheinungssphäre, die die Sphäre des Sinnes ist, heraustritt: Es ist performativ unmöglich, aus dieser Sphäre herauszugehen. Die TL erkennt also die Möglichkeitsbedingung des Sinnes mit einer selbstreflexiven Argumentation. Indem sie die Selbstbezüglichkeit für das Wesensmerkmal des aufgeklärten Wissens hält und indem sie berücksichtigt, daß sie selbst ein Wissen (über die Form des Wissens) ist, befolgt sie das gleiche Gesetz des Denkens, das sie erklärt (vgl. TL II, 60).
IV Die Reflexivität der Argumentation des Diskurses der TL über die Argumentation wird durch die Unterscheidung von zwei Reihen der Reflexion dargestellt: Einer synthetischen und einer analytischen. Die erste Reihe fängt mit dem Begriff von Wissen als »Bild von etwas« an (d. h. mit der faktischen Auffassung der Form des Wissens), und kommt zum Begriff der transzendentalen Apperzeption; die zweite Reihe stellt die transzendentale Apperzeption durch die syllogistische Form dar, die das Denken als Akt der Selbstreflexion klar machen soll. Der Begriff Bild wird am Anfang der TL II dazu benutzt, die Form des Wissens zu verstehen. Das Bild sei der »Grundcharakter« des Wissens (TL II, 20). Das Wesen des Bildes bzw. des Wissens wird aber erstens nur negativ bestimmt. Umgangssprachlich bezeichnet der Begriff Bild nur das, was dem Begriff Sein entgegengesetzt ist. Falls es Wissen gibt, ist es Wissen von etwas: Etwas, das vom Wissen sich unterscheidet. Dieses »Etwas«, das nicht Wissen ist, wird umgangssprachlich Sein genannt. »Der Begriff des Seyns« ist aber »leer« (TL II, 42): Er bezeichnet das, was Nicht-Wissen ist, so wie Wissen das ist, was Nicht-Sein ist. Wenn man etwas weiß, hat man ein Bild und das Sein, wovon das Bild eben Bild ist. Dies ist aber eine naive Auffassung des Bild-SeinVerhältnisses: Wenn man darüber reflektiert, wird man es als eine organische Synthesis bzw. als »DurchEinheit« (Diarium-III, 257) fassen. Das heißt, das Sein ist nur durch und im Bilde: Denn es ist das Gebildete, das nur durch das Bild und im Bilde als außer dem Bilde »interpretiert« werden kann.
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Auf dem transzendentalen Standpunkt reflektiert man also, daß man das Bild als Bild reflektieren muß, damit man versteht, daß das Bild Bild (des Seins) und nicht Sein ist und daß das im Bilde abgebildete Sein eben Sein und nicht Bild ist. Es handelt sich nicht um eine Reflexion, die aus dem Bild von außen kommt. Demselben Bilde ist die Darstellung seiner Differenz vom Sein wesentlich. Ohne diese Selbstdarstellung gebe es kein Bild, kein Wissen. Das Wesen des Bildes bestehe gerade in seiner Selbstdarstellung als Bild, die die Darstellung von einem »zweit[en] Glied«, vom Sein als Gebildeten ist (vgl. TL II, 37 und 166). Dies sei die »absolute Grundlage alles Verstehens, u. alles Wissens« (TL II, 33; vgl. 29f.). Die im Bilde dargestellte Differenz von Bild und Sein macht also das Wesen des Bildes und des Wissens aus (vgl. TL II, 28f.; 38f.). Die Differenz von Bild und Sein, die zugleich eine Einheit ist, da beide Glieder, Bild und Sein, nur durch einander (verstanden) werden können, nennt Fichte Denkform (TL II, 31). Und das Bild bzw. die Einsicht der Denkform ist der Verstand bzw. der Sinn. Der Verstand ist die Einsicht des Verhältnisses und des Unterschiedes von Sein und Bild, der das Wesen des Bildes ausmacht (vgl. TL II, 33). Die Möglichkeitsbedingung des Verständnisses des Seins als Gegensatz des Bildes ist also der Besitz eines Bildes vom Bild und eines Bildes vom Sein. Damit versteht man, daß die Entgegensetzung von Sein und Bild eigentlich die Vergleichung zweier Bilder miteinander ist: Von der einen Seite, ein Bild einer »Geschlossenheit in sich selbst«, »absolute[n] Immanenz« und »Bildlosigkeit« (ein Bild des »absoluten bildlosen«, d. h. dessen, was als solches nicht zum Bilde kommen kann: das Sein); von der anderen Seite, ein Bild der Erscheinung des Seins (TL II, 41, 48). Kurz: Ist der Grundcharakter des Seins die Faktizität, dann ist der Grundcharakter des Bildes das Erscheinen, die Äußerung, die Genesis: Die Reflexion auf den Unterschied von Sein und Bild, bzw. auf die Denkform, ist also Bild des Bildes, bzw. »Genesis der Genesis«, d. h. Konstruktion der Evidenz (TL II, 42). Diese Reflexion wird nicht außerhalb des Reflektierten vollzogen werden, sonst würde die Genesis zum Faktum, das Bild zum Sein objektiviert werden. Diese Objektivierung ist nur ein erstes Niveau der Reflexion. Denn auf einem höheren Niveau versteht man, daß das Faktum Genesis ist, da die von der TL vollzogene Reflexion dieselbe Reflexion ist, die das Bild als solches ausmacht und durch die das Bild als Bild sich setzt. Als Reflexion über die Wissensform ist die TL also die genetische »Selbstconstruktion« des Bildes. Ist das Wissen, als selbstreflektiertes Bild, »Genesis der Welt«, da die Welt durch das Wissen er-
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schlossen wird, dann ist das Wissen des Wissens, die TL, »Genesis dieser Genesis« (TL, 45). Wenn man die reflexiv-transzendentale Argumentation unternimmt, begeht man also nicht den Fehler der naturalistischen Auffassung des TA und der FL: die faktische Entgegensetzung Sein/Bild (bzw. Realität/Erscheinung). Denn man sich wird bewußt, daß das Sein nur durch das Bild (Erscheinung, Genesis) als Sein, bzw. als Bild einer »Geschlossenheit in sich selber«, erscheinen kann. Die Kluft Sein/Bild wird überwunden, indem man versteht, daß der Mangel des empirischen Bewußtseins in der faktischen Annahme dieser Kluft besteht. Auf dem empirischen Niveau des Bewußtseins fixiert der Verstand das Erscheinen der Erscheinung in einem Bild, das als Sein erscheint und das für das Ding an sich gehalten wird. Wenn man aber den Verstand versteht, sieht man, daß »die wahre Erkenntniß« im »Mittelpunkt« zwischen Sein und Bild hingestellt ist, da Bild (Wissen) und Sein nur durcheinander sind und denkbar sind (TL II, 52f). Dies Durcheinander von Sein und Bild ist eben das Erscheinen als Genesis. Durch die Reflexion des Verstandes wird die ursprünglich vom Verstand am empirischen Niveau des Bewußtseins fixierte Vorstellung zum Bilde, und damit kommt das Durch von Sein und Bild im Bilde vor. Die Erscheinung, die jetzt als das Wesen des Bildes verstanden wird, hat also ein Sein nur durch ihre Selbstreflexion, bzw. durch den Verstand, der die Differenz Sein/Bild einsieht; umgekehrt ist der Verstand nur die Selbstreflexion der Erscheinung. Verstand und Erscheinung sind (bzw. sind denkbar) nur durcheinander. Die Erscheinung erscheint der transzendentalen Reflexion also in einer doppelten Weise: Als Erscheinen (als Genesis) und als Sein (als Faktum, so wie das empirische Bewußtsein es wahrnimmt). Es handelt sich um »eine Synthesis des Werdens, u. Seyns [...]« (TL II, 66), die selbst im Bilde ist und das Bild als solches ausmacht. Man hat es aber mit einem Widerspruch zu tun, dessen entgegengesetzte Glieder synthetisiert werden müssen: Um Bild zu sein, muß das Bild von der einen Seite geschlossen, bzw. muß ein Sein sein, und von der anderen Seite muß es Erscheinen, Genesis, Werden bleiben. Um die Wissensform zu verstehen, muß man daher das Denken sowohl als Prozeß als auch als Vorstellung im Bilde haben. Es handelt sich laut Fichte um das Muster der Untersuchungen der Transzendentalphilosophie, und zwar um eine »Vereinigung absoluter Gegensätze« (TL 66).
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V Die Untersuchung, die diesen Widerspruch lösen soll, ist diejenige über die transzendentale Apperzeption. Mit diesem Begriff muß verstanden werden, daß Erscheinung und Verstand, das Gedachte und der Prozeß des Denkens, ursprünglich eins sind. Deswegen muß die Argumentation beweisen, daß die Einsicht der Differenz von Bild und Sein, die das Wesen des Bildes als Erscheinung ausmacht, mit der Einsicht der Selbstreflexivität der Erscheinung zusammenfällt. Transzendentale Apperzeption sei dann die Bedingung der Möglichkeit sowohl des Bildes als Synthesis von Anschauung (Bild) und Begriff (Bild als Bild), als auch der philosophischen Reflexion über das Bild als Bild und als Äußerung des Seins. Sie ist nicht eine faktische, sondern eine genetische Möglichkeitsbedingung des Denkens. Anders als Kant betrachtet Fichte die analytische Einheit der Apperzeption als Bedingung der Möglichkeit der synthetischen Einheit der Apperzeption. Nach Fichte wird die analytische Einheit, die ist, und nicht wird, nicht durch das wandelbare Mannigfaltige gesehen (vgl. TL II, 68) – im Gegensatz zu Kant, für den das »Ich denke« diejenige Funktion ist, welche die schon fertigen Vorstellungen zu einer synthetischen Einheit bringen kann, damit sie alle als meine Vorstellungen verstanden werden können10. Indem Fichte »die synthetische Einheit der Apperception« als »Nachbild der analytischen« versteht (TL II, 69; vgl. 74), meint er, daß, transzendental angesehen, jede Vorstellung analytisch selbstreflexiv ist. Mit anderen Worten: Die transzendentale Möglichkeitsbedingung des objektiven Wissens von etwas (bzw. des Vorstellens) ist das Denken als selbstreflexiver Prozess, während das Vorstellen die faktische Möglichkeitsbedingung des Denkens als Prozess ist. Die Erscheinung hat also ursprünglich die Ich-Form und die IchForm, bzw. die Apperzeption ist das, was im Bilde sozusagen stabil bleibt. Es handelt sich aber um die Stabilität der selbstreflexiven Bewegung durch den Wechsel der verschiedenen Inhalte. Gibt es ein Bild, dann gibt es Ich-Form: Selbstreflexion des Bildes als Bild, das das Bild als solches ausmacht. Fichte bezeichnet deswegen das Ich als die ursprüngliche Vorstellung: Es handelt sich um die Vorstellung der Form der Vorstellung überhaupt, die das Denken wie jede Vorstellung als das Ergebnis eines Urteils versteht. »Ich« ist das Bild des Bildes, welches das Bild als solches bestimmt. Es ist die apriorische Form des Denkens als Selbstreflexion, 10 Vgl. I. Kant, KrV, B 131.
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d. h. der Verstand in dessen Beziehung zur Erscheinung. Ich ist die als Erscheinung reflektierte Erscheinung, d. h. die Form der Erscheinung: Das Ich ist Erkenntnisbedingung der Erscheinung und die Erscheinung ist Möglichkeitsbedingung des Ichs (TL II, 111). Die Ich-Form ist also das Gesetz des Denkens. Da aber die Gesetze nicht in die Anschauung eintreten, sondern sie nur bestimmen, bleibt die Ich-Form dem natürlichen Bewußtsein verborgen: Ihm erscheinen nur die objektiven Bedeutungen; im Gegenteil, auf der Ebene der genetischen-transzendentalen Reflexion, erscheint das Ich als Sinn, bzw. als transzendentale Möglichkeitsbedingung der Vorstellung und der Bedeutung überhaupt. Das heißt aber nicht, daß das Ich die Bedeutungen, die Vorstellungen faktisch produziert: Dies wäre ein psychologisches Mißverständnis des transzendentalen Standpunktes. Vielmehr ist das Ich, als transzendentales Gesetz der Selbstreflexion, seinerseits Bild einer Konstruktion (einer Setzung): Das Ich ist Bild der Konstruktion eines unkonstruierbaren Inhaltes (TL II, 103–104). Es ist ein Bild, das sich als sich setzendes setzt, nur darum, weil es das Gesetz der Selbstreflexion nicht sieht, nach welchem es ist (vgl. TL II, 123). So hebt Fichte den Schein von subjektivem Idealismus auf, den seine Jenenser Definition des Ichs noch erregen könnte. Als apriorische Form des Wissens hängt das Ich davon ab, daß es eine Erscheinung gibt, und es erscheint als solches, wenn man über die Erscheinungsform als Wissensform überhaupt reflektiert, indem man also von jedem aposteriorischen Inhalt abstrahiert. Diese Abstraktion des Wissensinhaltes von der Wissensform wird von der Logik gemacht, um die Form des Wissens zu verstehen. Wenn aber die Form des Wissen vom Wissen abgerechnet wird, bleibt nur das »Bildlose«: nämlich das Absolute. Mit dem Begriff »Absolutes« meint Fichte den unkonstruierbaren Inhalt des Wissens, dessen Erscheinung das Wissen ist und das als Unkonstruierbares nur in der Selbstreflexion des philosophischen Wissens ist bzw. erscheint. »Absolutes«, »Sein«, »Gott«, »Leben« sind also alle Bilder: Bilder, die das ausdrücken, was sich wegen seiner Unmittelbarkeit der Bildform bzw. der Begrifflichkeit oder der Denkform entgegensetzt. Aber diese Entgegensetzung ist nicht nur die Möglichkeitsbedingung der Denkform – falls nichts erscheinen würde, gäbe es kein Bild. Sie ist die Denkform selbst. Die Denkform, die die Differenz von Bild und Sein ist, wird also von ihrem begrifflichen Gegensatz (dem Nicht-Bild, dem Nicht-Wissen) mitkonstituiert: Dies hiatum irrationalis ist nicht nur Grenze, sondern eben Möglichkeitsbedingung des Denkens.
Die transzendentale Argumentation in der transzendentalen Logik Fichtes
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Schluß Die systematische Entwicklung des Problems der Erscheinung des Absoluten ist die Hauptaufgabe der späten Darstellungen der WL. Es ist aber ein Problem, das die TL II, die nur auf die Wissensform reflektiert, nur en passant berührt, um jeden Anschein von Psychologismus zu vermeiden und um die Denkform als Selbstreflexion zu verstehen. Diese Aufgabe wird erledigt, wenn man die Vorstellung genetisch aus der begrifflichen Entwicklung der transzendentalen Apperzeption durch den schon erwähnten Syllogismus hervorgehen läßt. Indem man diesen Syllogismus aufstellt, wird die Erscheinung als Bildsein und als Bild dieses Bildseins verstanden. So bekommt man Evidenz über das Faktum, das am Anfang der Untersuchung vorausgesetzt war: das Verständnis des Wissens als Bild von etwas. Die erzielte Evidenz ist der Sinn als das durch das Verstehen der Selbstreflexivität als Form der Vorstellung dargestellte Verhältnis zwischen der objektiven Bedeutung und der Möglichkeitsbedingung der Bedeutung, Faktum und Genesis. In demselben Bild ist nämlich die Hinschauung eines faktischen Seins mit der Bildung des Wesens vereinigt. Der Sinn ist also die Synthesis zwischen dem Faktum, das die Anschauung unmittelbar nachbildet, und dem Wesen, das den Begriff als solchen ausmacht (TL II, 145). Das Denken ist Synthesis von faktischer und intellektueller Anschauung, von Bild und Bild des Bildes, und als solche müssen Ich bzw. transzendentale Apperzeption verstanden werden (TL II, 151–152).
Attention et réflexivité dans la Logique de 1812 et la dernière philosophie de Fichte
Marc Maesschalck (Louvain)
Dans la Logique de 1812, l’attention est mobilisée à la douzième leçon, là où la liberté est conçue comme »image de la construction d’un inconstructible«1. Comment peut-on se faire sans perdre tout simplement sa liberté ? Il faut pouvoir se donner librement à ce processus, se représenter comme ce Moi pouvant se déterminer librement au non-être libre comme ce point de passage du se faire soi-même. L’attention est précisément »l’image de cet abandon libre de soi à la non liberté«2, le moment de l’expérience intellectuelle où nous devenons par nous-mêmes l’image en train de se réaliser. L’attention joue ainsi un rôle déterminant qui mérite à mon sens clarification, d’autant plus que cet usage de l’attention est pour le moins novateur par rapport aux usages antérieurs que lui avait accordé Fichte. Pour clarifier l’enjeu spéculatif de l’attention, il faut passer d’un usage psychologique de l’attention à un usage épistémologique, avant de s’essayer à en cerner la signification générique pour l’exercice de la liberté transcendantale.
1 2
SW IX, 218. SW IX, 220.
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1. L’intérêt transcendantal de l’attention Pour comprendre l’intérêt transcendantal du concept d’attention, il faut remonter à la Psychologia empirica de Wolff qui manifestement marque l’usage du concept d’attention chez le dernier Fichte. Si l’on en reste à la lettre de Kant, le concept d’attention n’a guère d’intérêt. Il accompagne le processus de l’abstraction et est circonscrit à une fonction de type psychologique: il faut pour réussir une abstraction se concentrer sur certaines propriétés d’une représentation et dès lors réduire en intensité d’autres aspects également contenus par cette représentation. Cette mise en latence libérant d’une possible dispersio est l’attention qui ouvre la voie d’une intentio capable de fixer, de sélectionner et à terme de catégorialiser. Puisqu’elle est subordonnée à l’opération d’abstraction au plan volontaire, Kant en conclut que la faculté d’attention est inférieure à celle d’abstraction. En effet, au-delà d’être une »attention négative«, l’abstraction exige un processus d’acquisition pour devenir une disposition de l’intelligence, tandis que l’attention correspond à une tendance spontanée de l’intelligence à se fixer sur des détails, sur des déterminations spécifiques, plutôt que de s’orienter vers une représentation moins soumise aux impressions immédiates. Kant en a fini ainsi avec l’attention, mais son maître Wolff ne l’entendait pas de cette façon. Si Wolff traite aussi de l’attention dans le domaine de la Psychologie empirique, c’est avec minutie pour distinguer plusieurs degrés d’attention et en dégager une dimension épistémologique toute particulière en lien avec la réflexion. Wolff ne consacre pas moins d’une trentaine de paragraphes à l’attentio dans sa Psychologia empirica. L’objectif de ces analyses est d’établir le lien entre l’attention et sa conservation par le libre-arbitre. Conserver l’attention face aux sollicitations tant des sensations extérieures que des images de l’imagination exige un entraînement graduel de l’esprit dépendant à la fois de l’âge et du degré d’éducation. – C’est cet aspect d’apprentissage qui retiendra d’emblée Fichte dans l’usage pédagogique de l’attention présent dès la première philosophie – . Toujours selon Wolff, l’effort demandé à la volonté pour conserver l’attention est inversement proportionnel au degré d’habitude atteint dans l’exercice de l’attention. Pour atteindre la liberté d’indifférence face aux sollicitations, il faut procéder graduellement en s’exerçant d’abord sur un objet unique pour en arriver à diriger son attention face à une pluralité d’objets et saisir, enfin, le principe dont dépend cette direction de l’attention, à savoir la réflexion de notre libre-arbitre. On lit ainsi au § 257 de la Psychologia empirica : »Attentionis successiva directio ad
Attention et réflexivité dans la Logique de 1812
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ea, quae in re percepta insunt, dicitur reflexio. Unde simul liquet, quid facultas reflectendi, scilicet quod fit falcultas attentionem suam succesive ad ea, quae in re percepta insunt, pro arbitrio dirigendi«. – Cette fois, l’attention n’est plus uniquement un exercice auxiliaire formant la concentration mentale et l’aptitude à l’abstraction. Il s’agit aussi de l’accès à une sphère d’activité de l’esprit reposant sur une habitualité et, plus encore, de la saisie du principe directeur de cette sphère d’activité, la faculté de réflexion du libre-arbitre. C’est un tel pas qui nous paraît déterminer le retour du concept d’Attention dans la dernière philosophie de Fichte – . Pour Wolff, ce qui entrave l’attention entrave aussi la réflexion et, en conséquence, l’aptitude même de l’agent à l’action (§ 264). – Ce dernier pas ouvre une considération pratique sur l’attention qui est aussi l’objet ultime de notre préoccupation pour le rôle de ce concept dans la dernière philosophie – . Comme le précise la Philosophia Practica universalis, l’attention peut être dirigée volontairement et constituer la base d’une imputabilité morale : »Si ex decreto animae attentionem dirigis in objectum, a quo eandem avertere poteras, directio attentionis est actio libera« (§ 18). Il n’est donc pas juste de prétendre que l’on était incapable de détourner son attention d’une situation alors qu’il nous était réellement possible de diriger notre faculté dans une autre direction et dès lors de rendre possible un autre comportement. David, attiré par Bethsabée qui se baignait3, pouvait détourner son attention et rendre possible un comportement différent que celui qu’a nourri sa concupiscence (§ 544). Avec Wolff, il est donc possible de distinguer trois pas dans la formation du concept d’attention : le pas pédagogique (appuyé sur une psychologie empirique de l’activité de connaissance et une forme d’entraînement mental), le pas épistémologique (qui pose la question d’une sphère d’activité spécifique de la raison dotée de ses propres conditions de développement, un domaine), le pas théorétique ou spéculatif (qui renvoie au principe directeur du domaine ainsi distingué et rapporte directement ce principe à la signification pratique de la raison pour le libre-arbitre). Quand Fichte reprend à son compte le travail d’une psychologie de la connaissance dans les Thatsachen des Bewusstsein en 1810 et en 1813, il renoue avec ce traitement minutieux et particulier de l’attention qui rappelle celui proposé par Wolff. Fichte mobilise alors clairement le terme d’Attention qui renvoie directement au concept latin d’attentio traité par Wolff. 3
2 Sa 11, 2ss.
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Selon les Thatsachen de 1810, si l’on nomme x une perception externe, »dans l’état d’attention, ce x est pénétré de part en part avec liberté, son être-là est un produit de la liberté«4. Ainsi, en s’abandonnant à la configuration d’un objet perçu (une fleur, un poêle), le Moi peut en même temps se concentrer, sélectionner des traits en diminuant l’intensité d’autres traits, reproduire cette expérience à souhait, si bien que dans l’état d’attention, l’être-là d’une perception externe est pénétré de part en part avec liberté, son être-là devient un produit de la liberté : »son demeurer, tout autant qu’il demeure est un produit de la liberté«5. Dès que la conscience naît à son libre principe, elle n’est plus immédiatement causalité par le seul fait d’exister avec son environnement, mais elle dispose de la capacité de se remettre dans cette position grâce à l’attention6. Quand le Moi s’intuitionne comme principe d’une image7, il se situe comme percevant face à un monde d’objets présents (vorhanden), donnés, comme créateur d’images. Ce qui s’accomplit alors par l’attention à cet état de percevant par rapport auquel le Moi est libre tout autant de s’engager que de s’abstraire, c’est la scission ou la division (Spaltung) du Moi jugeant et du Moi percevant, du Moi correspondant à la conscience universelle d’un monde commun et du Moi individuel correspondant à l’acte de s’auto-déterminer à percevoir. Dans la scission de l’attention se détermine le sens premier de la liberté : celui de pouvoir s’engager dans une individuation de la manifestation en se maintenant dans l’horizon externe de référence à un Moi transcendantal impersonnel et supra-individuel, indivisible, intuitionnant le monde comme l’image de la manifestation de son être. C’est dire plus précisément que l’attention rend possible la corrélation entre un monde prédonné que nous considérons tous comme unique et identique pour tous les sujets percevant en tant qu’image imagée et le principe imageant conduisant le développement interne du système des états de fait en tant qu’acte libre d’un sujet percevant.
4 5 6 7
GA II,12, 35. Ibid.. GA II,12, 33. SW IX, 519.
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2. Portée épistémologique du concept d’attention Mais au-delà de l’apprentissage d’une certaine familiarité à l’exercice transcendantal de la raison, il y va aussi, dans l’attention, d’un enjeu plus radical qui est celui de l’introduction au domaine spécifique de la raison transcendantale. L’attention permet à l’auditeur de prendre conscience de son propre déplacement intellectuel quand il en vient à se mouvoir dans le domaine transcendantal. Dans la Logique de 1812, il y a deux aspects de l’auto-manifestation du Moi en tant qu’être libre. Il est à la fois, d’un point de vue formel pur8, un être produit par soi-même, une pure image de soi et, d’un point de vue formel qualitatif, une image produite par la manifestation de son être, un produit fondé sur un être. Ces deux aspects sont corrélatifs dans l’intelligibilité du Moi. Fichte parle de Zweiheit9 ou de Duplicität10. Le contenu (Inhalt11) du Moi comme vie est corrélatif de son contenant (Gehalt) comme effectivité ou comme substance. Le Moi se comprend donc selon un double schéma : comme image manifestée par l’être (schéma I) et comme image de cette image (schéma II) manifestant la loi d’indissociabilité de l’être et de l’image12, comme »frei Bilder-Princip«13. C’est dire que le Moi combine, dans sa manifestation, la capacité de se faire soi-même (conformément à sa forme d’être) et la capacité de se laisser affecter en sa forme d’être par cette transformation de soi par soi. Le point médiant entre ces deux capacités est l’attention14. L’attention du point de vue de la Logique transcendantale rend possible une forme d’abandon de soi (hingeben), de »passibilité«, en corrélation avec un devenir par soi-même. Elle permet donc d’expliquer l’image du Moi en tant que »construction d’un inconstructible«15 ! La liberté n’est en aucun cas un constructible. Elle se donne à elle-même grâce à la schématisation de la loi formelle contenue par le concept du Moi. De cette schématisation découle la double image contenue dans le principe de »se faire soimême«, à savoir l’image d’un construire et l’image d’un construit, dans l’activité transcendantale.
8 9 10 11 12 13 14 15
Cf. SW IX, 209–210. SW IX, 209. SW IX, 220. SW IX, 218. SW IX, 211. SW IX, 212. SW IX, 220. SW IX, 218.
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C’est sur ce plan que l’on peut comprendre un intérêt spécifiquement phénoménologique pour le concept d’attention qui est, me semble-til, porteur de certaines clarifications épistémologiques fondamentales. C’est, en effet, par l’attention que la liberté comme activité propre de la raison peut devenir le thème d’une réflexion transcendantale. Dans les termes de Husserl, on pourrait dire que l’attention permet une »prise de conscience par soi-même de la subjectivité transcendantale«16 et fournit la clé d’une philosophie de la philosophie transcendantale ou d’une »phénoménologie de la réduction phénoménologique«17.
3. Vers la dimension spéculative de l’attention Dans sa radicalité transcendantale, l’attention ne se restreint pas, dans la dernière philosophie, au domaine de la psychologie transcendantale, ni à la prise de conscience de l’activité transcendantale comme responsabilité radicale du sujet transcendantal à l’égard du destin de la raison, mais permet aussi de relier la Logique transcendantale de 1812 avec la WL de la même année. Selon la Logique de 1812, l’enjeu de l’attention n’est pas seulement de donner à concevoir la duplicité du construire grâce à la duplicité des images du construire et du construit. L’attention consiste surtout à saisir, selon une loi formelle structurant les schèmes, l’indépendance du construit, c’est-à-dire à saisir, dans l’acte du construire, une image du construit qui est indépendante de l’acte de construire18 ; l’image du »constructum de la manifestation«19, indépendante des images de premier ordre dérivées de la Grundbild du principe construisant librement. Comment comprendre cette duplicité faite d’images de premier et de deuxième ordre du »se faire soi-même du Moi« ? Un lien est posé entre l’image fondamentale de la forme du Moi et la duplication de cette image dans la manifestation. Dans l’ordre de la manifestation se séparent en effet l’image Moi se faisant (schéma I) et l’image du Moi fait par le Moi (schéma II), le produit (constructum) de ce construire. Cette séparation permet d’éviter la réduction formelle de la manifestation à l’identité absolue du Moi = Moi (l’Hinschauung) et de saisir la non-contradiction du pouvoir d’auto-
16 17 18 19
Husserl, E., Formale u. Transzendentale Logik, Hua XVII, 280. Husserl, E., Erste Philosophie. II. Teil, Hua VIII, 314. SW IX, 217. SW IX, 216.
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construction du Moi. La manifestation rend possible l’idée d’une prise de conscience de soi comme liberté pure par le pouvoir d’attention au Constructum, en tant qu’»être-construit-par-soi-même« du Moi se faisant. Dans cette image, l’être-construit du Moi apparaît comme indépendant du »se faire« et se caractérise comme »libre de ne pas faire«, comme »disposition pure«, comme la déterminabilité séparée de la détermination, comme »passibilité«. Si l’on peut considérer le Moi non seulement comme un pur principe créateur, mais aussi comme un »reçu« ou un don qu’on se donne à soi-même, ce n’est donc pas au sens où il serait donné au Moi d’être possible (donation), ni au sens où le Moi serait constitutivement selon la modalité du »je peux«. C’est plus exactement parce qu’il peut se donner à soi-même sous la forme d’un »je peux«. Sa modalité réflexive consiste précisément à relier la spontanéité de sa forme pure avec la réceptivité de son être propre. Il en résulte, pour toute manifestation de la liberté, la nécessité de surmonter, par l’attention proprement spéculative, l’antinomie de la liberté purement en acte et du devenir libre ou du passage par assomption vers l’actualisation de la forme pure. Ce dépassement révèle un degré supérieur d’attention, celui de la WL, qui rend possible l’autointuition aperceptive de soi-même comme subject-objectivité, comme trait d’union (vermittelnde Glied20) du multiple et du simple voir, comme le flux ou écoulement de l’unité sur le multiple. (Fluss, fliessen). Il s’agit d’un troisième ordre de schème constituant une image de soi-même dans l’attention21 à l’acte de réflexion, un schème III qui concerne la réalisation de l’unité transcendantale comme communauté de destin. Ce schéma III renvoie au concept pur de la WL en tant que connaissance (erkennen22) de la forme pure posée selon la réflexibilité de la manifestation, c’est-à-dire selon la liberté de la manifestation. La réflexibilité de la manifestation en sa forme peut ainsi être pensée selon un concept pur, indépendant de son mélange avec le réel. A mon sens, la réflexibilité est la conception achevée de l’image de la passibilité du Moi comme »image de la construction d’un inconstructible«.
20 GA II,13, 101. 21 GA II,13, 100: Attention auf den Reflexionsakt. 22 Ibid.
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4. Interprétation pratique de l’attention Dans l’usage qu’en propose Fichte s’affirme encore une dimension prescriptive de l’attention. Elle devient une exigence de la raison. Avant les textes de 1810 à 1814, Fichte n’utilise pour ainsi dire jamais le concept d’Attention. Par contre, celui d’Aufmerksamkeit est déjà bien présent. Spontanément, ce concept suggère les recommandations pédagogiques de Fichte à ses auditeurs. Il est d’abord lié comme chez Wolff à la considération de l’effort intellectuel à fournir par l’auditeur non accoutumé à évoluer dans la sphère transcendantale. Mais il s’agit plus encore de déterminer l’attitude mentale qui correspond à la reproduction authentique de la WL comme activité transcendantale. La Cinquième conférence de la WL de 1804 donne un condensé de cet usage de l’attention. On y retrouve l’articulation entre la dimension psychologique de l’attention et sa dimension épistémologique. D’un côté, l’attention est un préalable consistant à se concentrer sur l’objet visé ; d’un autre côté, cette disposition acquise devient un moyen (Mittel) qui accompagne la reproduction vivante de la WL et l’enracinement en elle (einwurzeln). Dans la cinquième conférence de 1804, il est question d’acquérir une Stimmung à l’égard des exposés de Fichte. Cette Stimmung doit permettre de parvernir à reproduire de manière personnelle et vivante, comme disait la deuxième conférence, l’exposé de la WL23. Fichte insiste sur le fait qu’il doit s’agir d’une attention pleine et entière (ganze und volle), c’est-à-dire qui se projette elle-même dans l’objet exposé avec toutes ses capacités intellectuelles, s’y ajuste (ansetzen) et s’en laisse pénétrer (aufgehen) de telle sorte d’abord qu’aucune autre pensée ne puisse entrer et que tout l’espace intérieur de l’esprit soit occupé24, mais aussi de telle sorte, ensuite, que l’esprit puisse 1/ construire intérieurement un concept précis ; 2/ tenir ensemble le Construit et, enfin, 3/ laisser se produire une intellection (Einsicht)25. Il y a ainsi une finalité immédiate et une finalité médiate de l’attention. Le concept de Stimmung est aussi présent en lien avec celui d’attention dans l’Ethique de 1798. En 1798, l’Aufmerksamkeit est mobilisée dans une situation bien précise comme exigence pratique. Elle apparaît à la rubrique des devoirs inconditionnés particuliers, quand Fichte parle des devoirs du peuple à l’égard des classes dirigeantes. Ces devoirs ne 23 GA II,8, 22. 24 GA II,8, 66. 25 GA II,8, 69.
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peuvent s’entendre, selon lui, comme une forme de soumission aveugle au pouvoir des classes dirigeantes ni comme une reconnaissance rationnelle des obligations de la raison à l’égard des représentants de la loi ou des éducateurs. Il s’agit dans ce cas d’une »simple attention« consistant à admettre l’intérêt d’un examen approfondi des recommandations formulées par les savants pour améliorer la productivité sociale26. Fichte parle de cette attention comme d’une Stimmung conduisant l’esprit à demeurer ouvert à l’examen autonome des propositions. Une telle disposition »dépend d’une délibération (Überlegung) et d’une réflexion (Reflexion)«27 et l’on peut faire indirectement un devoir, non de la disposition comme telle, mais bien de cet examen réflexif (Nachdenken) par lequel elle se réalise. En imaginant cette forme ouverte de coopération sociale, Fichte assigne à l’attention ce rôle particulier de rendre possible une articulation entre l’expérience immédiate d’un rôle social avec ses finalités propres dans l’ensemble du corps social et les finalités générales de ce corps social qui sont de rendre possible le progrès de l’humanité dans son ensemble vers sa finalité ultime. Si une telle articulation est pratiquée grâce à l’attention recommandée, une réelle coopération pourrait s’établir dans la vie sociale et rendrait »l’homme ordinaire toujours plus capable de progresser avec la culture de son époque«28. Il ne s’agit donc pas ici de convenance ni d’ailleurs de subsomption, mais d’une opération qui partant d’un contenu déterminé s’élève pratiquement à la forme d’une finalité absolue, sans en appeler pour autant au »saut« d’une création morale. Au contraire, l’attention qui relie les ordres de finalité est le maillon épistémologique qui manque à une Glaubensphilosophie du saut. Le problème crucial pour le moi individuel de l’éthique appliquée est de se réaliser hors de soi en devenant effectivement le moyen de sa propre fin, c’est-à-dire en devenant, à travers son concept de moyen, un produit de la volonté pour un concept de fin désormais posé hors de soi par ce moyen29. Mais comment est-il possible pratiquement d’inférer l’existence d’une fin morale hors de soi à partir du concept d’individualité comme produit de la liberté, c’est-à-dire comme un moyen pour la réalisation du moi pur ? L’action sur le moyen nécessite, en effet, de poser une fin hors de soi, c’est-à-dire d’inférer du concept de fin immédiate un
26 27 28 29
GA I,5, 315. GA I,5, 316. GA I,5, 317. Cf. GA I,5, 203.
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concept de fin médiate, toujours à l’horizon de la totalité du processus temporel de nos actions30. Il faut être en mesure dès lors d’unir des finalités différentes dans une seule et même loi formelle de la liberté, c’est-àdire d’unir une finalité prochaine et une finalité ultime de telle sorte que ce soit la finalité prochaine qui conduise à la finalité ultime et non cette dernière qui soit conçue comme subsumant la première. C’est ainsi la réflexibilité du moyen qui rend médiatement possible la réflexivité sur la fin de ce moyen. La réflexibilité au plan transcendantal des conditions nécessaires à la réalisation de la liberté rend donc possible la réflexion sur la nécessité de ces conditions eu égard à l’objet ultime de la poursuite de l’action. La distinction entre la fin prochaine et la fin dernière des actions du moi individuel31 repose sur la mise en œuvre d’une faculté transcendantale d’attention à l’acte de réflexion32 susceptible de réunir ces ordres de finalité dans la réalisation de la liberté. L’attention comprise comme cette condition épistémologique pour une corrélation des fins est la base d’une philosophie de la Doctrine de la science ou de la doctrine nécessaire au sein de la doctrine pour accompagner l’auto-genèse de son point de vue.
30 Cf. GA I,5, 234. 31 Cf. GA I,5, 234. 32 GA II,13, 100.
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Perspektiven der Philosophie
Amsterdam/New York, NY, 2006 391 pp. Paper € 80 / US$ 104 ISBN-10: 9042021314 ISBN-13: 9789042021310
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Inhalt I. Erschließung von Sinnräumen Jürgen GROßE: Langeweile. Zur Metaphysik einer Stimmung Sigbert GEBERT: Welt, Sinn, Gefühle und “das” Nichts. Blinde Flecken der Systemtheorie Heinz-Gerd SCHMITZ: Onto-Semiotik. Zur Grundlegung der Zeichentheorie bei Saussure und Heidegger Vítezslav HORÁK: Das Bild als Werkzeug II. Fluchtpunkte der Freiheit Dagmar FENNER : Ist die “negative Freiheit” ein Irrtum? Berlins Konzept “negativer Freiheit” im Kontrast zu Taylors Gegenentwurf “positiver Freiheit” Reinhard PLATZEK: Moderne Hirnforschung oder das vermeintliche Ende des freien Willens Kurt MAGER: Wissen als Verrat an der Freiheit der Existenz? Zum Problem der Subjektivität bei Karl Jaspers Georges GOEDERT: Dankbarkeit als Dialogizität Andreas LISCHEWSKI: Über die Erziehung zum Patriotismus. Geschichtlicher Streifzug zu einem aktuellen Thema III. Perspektiven des Sinngrundes Edgar FRÜCHTEL: Inneres Auge und göttliche Schau. Reflexionen zum antiken Horizont des Begriffs “Vision” Helke PANKNIN-SCHAPPERT: Ein Denker zwischen Mittelalter und Neuzeit. Zum Selbstverständnis des Nikolaus von Kues in seiner Spätschrift De apice theoriae Peter BÖHM: Vom Wesen des Menschseins. Überlegungen zur politischen Ästhetik bei Karl Philipp Moritz Harald HOLZ: All-Wesen und Unendlichkeit: Chinesische und europäische Landschaftsmalerei im Vergleich IV. Buchbesprechung Redaktionsnotiz
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Science in Culture Piotr Jaroszyn´ ski
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Contemporary Pragmatism
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Edited by John Shook, Paulo Ghiraldelli, Jr.
Contemporary Pragmatism is an interdisciplinary, international journal for discussions of applying pragmatism, broadly understood, to today’s issues. CP will consider articles about pragmatism written from the standpoint of any tradition and perspective. CP especially seeks original explorations and critiques of pragmatism, and also of pragmatism’s relations with humanism, naturalism, and analytic philosophy. CP cannot consider submissions that principally interpret or critique historical figures of American philosophy, although applications of past thought to contemporary issues are sought. CP welcomes contributions dealing with current issues in any field of philosophical inquiry, from epistemology, philosophy of language, metaphysics and philosophy of science, and philosophy of mind and action, to the areas of theoretical and applied ethics, aesthetics, social & political philosophy, philosophy of religion, and philosophy of the social sciences. CP encourages work having an interdisciplinary orientation, establishing bridges between pragmatic philosophy and, for example, theology, psychology, pedagogy, sociology, economics, medicine, political science, or international relations. Current issue: Vol. 3, Issue 2 Online access is included in print subscriptions.
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Selected Writings on Ethics and Politics Translated by Paul Rusnock and Rolf George Bernard Bolzano
Celebrated today for his groundbreaking work in logic and the foundations of mathematics, Bernard Bolzano (17811848) was best known in his own time as a leader of the reform movement in his homeland (Bohemia, then part of the Austrian Empire). As professor of religious science at the Charles University in Prague from 1805 to 1819, Bolzano was a highly visible public intellectual, a courageous and determined critic of abuses in Church and State. Based in large part on a carefully argued utilitarian practical philosophy, he developed a non-violent program for the reform of the authoritarian institutions of the Empire, which he himself set in motion through his teaching and other activities. Rarely has a philosopher had such a great impact on the political culture of his homeland. This volume contains a substantial collection of Bolzano’s writings on ethics and politics, translated into English for the first time. It includes a complete translation of the treatise On the Best State, his principal writings on ethics, an essay on the contemporary situation in Ireland, and a selection of his Exhortations, dealing with such topics as enlightenment, civil disobedience, the status of women, anti-Semitism and Czech-German relations in Bohemia. It will be of particular interest to students of central European philosophy and history, and more generally to philosophers and historians of ideas.
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