Talon Nummer 18 „Gesprengte Ketten“ von Thomas Knip
auf dem Gewissen. So einfach lassen wir ihn nicht mehr davonkommen...
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Talon Nummer 18 „Gesprengte Ketten“ von Thomas Knip
auf dem Gewissen. So einfach lassen wir ihn nicht mehr davonkommen!“ Er warf seinem dunkelhäutigen Beifahrer einen Blick zu. Mit einem stummen Nicken öffnete der Sudanese auch seine Tür und griff gleichzeitig nach seiner Schrotflinte, die zwischen seinen Beinen ruhte. Er überprüfte kurz die Kammern des doppelläufigen Gewehrs und schwang sich dann aus der Fahrerkabine. „Verdammt noch mal, kommen Sie sofort zurück!“ fuhr Kamal alHamidi die beiden Männer an, die sich im Schutz der geöffneten Türen einen Überblick verschafften. Nervös sah er sich um und versuchte, durch die dreckverschmierten Scheiben einen Hinweis auf ihre Beute zu erhalten. Beute… die Jagd verlief absolut nicht so, wie es sich Al-Hamidi vorgestellt hatte. Er hatte bereits früher Jagd auf Menschen gemacht; unwillige Untergebene, die es gewagt hatten, sich ihm zu widersetzen, oder auch Straßenkinder, die niemand vermisste. Doch sie alle hatten sich verhalten wie aufgeschreckte Tiere, die in ihrer Panik prompt das Falsche machten und somit ein leichtes Ziel boten. Dieser Mann
1. „Das darf doch nicht wahr sein“, entfuhr es Al-Hamidi. Ungläubig starrte er auf die meterhoch empor züngelnden Flammen, die aus dem Wrack des Jeeps schlugen. Das Feuer fand in dem trockenen Unterholz reiche Nahrung, und so war der Wagen nur noch schemenhaft hinter der vor Hitze flirrenden Luft zu erkennen. Sein arabischer Fahrer brachte den Geländewagen in einem sicheren Abstand zum Stehen und fluchte ausgiebig. Er öffnete die Wagentür und hatte bereits einen Fuß auf das Trittbrett gesetzt, als ihn der beleibte Kuwaiti an der Schulter zurückhielt. „Moment, was wollen Sie da machen?“ fragte er den Fahrer irritiert. „Dieser Weiße hat bereits zwei unserer Fahrzeuge zerstört, und Sie glauben doch nicht, dass einer der Männer lebend davongekommen ist?“ Der dürre Mann sah den Kuwaiti aus zusammen gekniffenen Augen finster an und schüttelte dessen Hand ab. „Das ist der Grund, warum wir jetzt da rausgehen und nachsehen werden. Dieser Kerl hat vier unserer Freunde 2
das auf dem Sitz des Beifahrers lag. Er hatte keine Ahnung, wie das Gerät wirklich funktionierte und versuchte sich daran zu erinnern, welche Schalter und Knöpfe der Sudanese bedient hatte. Doch so sehr er sich auch bemühte, mehr als ein statisches Rauschen ließ sich dem kleinen Mikrofon nicht entlocken. Unentwegt brüllte Al-Hamidi in die Sprechmuschel und verlangte eine Antwort. Währenddessen verfolgte er, wie sich die beiden Männer inzwischen trennten und das Autowrack an verschiedenen Seiten umgingen. Die Flammen hatten bereits eine breite Schneise in das trockene Gras getrieben und fraßen sich unaufhörlich vorwärts. Dunkle Rauchfetzen verhüllten wie ein löchriger Vorhang den Blick auf den blassblauen Himmel des frühen Vormittags. Frustriert warf der Kuwaiti schließlich das Mikrofon von sich und ließ sich in seinen Sitz sinken. Nur mühsam unterdrückte er den Wunsch, seinen Tränen freien Lauf zu lassen. Diese Blöße wollte er sich nicht geben, auch wenn er jetzt alleine war. Immer wieder spähte er nach draußen und suchte nach seinen beiden Begleitern, die ihn hier zurück gelassen hatten. Doch von ihnen war nichts mehr zu erkennen. Sie waren bereits in den Schatten der niedrig wachsenden Bäume verschwunden. Über seinen Ausguck am Dach hätte er sich eine bessere Übersicht verschaffen können, doch er wagte es nicht, die schützende
jedoch war anders. Er wehrte sich. Er benahm sich, als sei er in diesem Gelände zuhause und warte nur darauf, dass sie ihm in die Falle gingen. Der Kuwaiti kaute auf seiner Unterlippe. Seine Hände verkrampften sich in das abgewetzte Polster der Rückenlehne des Fahrersitzes. „Sie kommen sofort zurück!“ schrie er nach draußen. „Die Jagd ist abgeblasen. Wir fahren zu Ibn Said. Soll er sich um diesen tollwütigen Weißen kümmern! Verdammt, hören Sie nicht?“ Der arabische Fahrer hatte inzwischen ein Jagdgewehr aus dem Gepäck gezogen, das auf dem Dach verstaut war und steckte seinen Oberkörper in die Fahrerkabine. Er sah seinen Schützling nur kühl an und deutete mit dem Finger auf ihn. „Sie bleiben hier. Informieren Sie Sayyid Ibn Said, wenn Sie wollen. Verschließen Sie die Türen, wenn Sie wollen. Aber hören Sie auf, so viel Lärm zu machen“, herrschte ihn der Mann mit der leicht gebogenen Nase an. Er sah kurz auf das Lenkrad und zog den Zündschlüssel aus seiner Halterung. „Nicht, dass Sie ohne uns abfahren.“ Der Kuwaiti schnappte laut nach Luft und sah dem Mann mit offenem Mund nach, wie er mit seinem dunkelhäutigen Kollegen in geduckter Haltung den Schutz des hohen Grases ausnutzte, während sich beide Männer dem noch immer brennenden Wrack näherten. Seine wulstigen Finger griffen nach dem altertümlichen mobilen Finkgerät, 3
Hastig schob er sich vor und bekam den Griff der Fahrertür zu packen. Mit beiden Händen zog er sie ins Schloss und hielt sich verkrampft an dem kühlen Metall fest, als könne es ihn beruhigen. Er hatte die Augen geschlossen und wagte es nicht, wieder aufzusehen. Minuten lang blieb er in der verkrümmten Haltung auf dem Sitz liegen und lauschte. Hoffte auf ein Geräusch, das ihm mitteilte, es sei vorbei. Doch außer seinem eigenen Herzschlag und dem Blut, das in seinen Ohren rauschte, war nichts zu hören. Endlich richtete sich Al-Hamidi auf und stützte sich auf das große Lenkrad. Er hob den Kopf an und sah zu dem Feuer herüber und erstarrte. Im Licht der Flammen zeichnete sich eine schlanke, hochgewachsene Silhouette ab, die mit sicheren Schritten direkt auf den Geländewagen zuhielt. Es war keiner der Männer, die ihn begleitet hatten. Der Kuwaiti hatte diesen halbnackten Mann nur einmal kurz gesehen, als ihn Ibn Said als ‚Beute’ vorstellte, die es zu jagen galt. Die Gedanken im Kopf des untersetzten Mannes überschlugen sich. Keine fünfzig Meter trennten den Weißen von dem Fahrzeug. AlHamidi fragte sich nicht, was mit den Männern geschehen war, die ihn hier zurück gelassen hatten. Der ruhige Gang, mit dem sein Gegner die Distanz überbrückte, offenbarte, dass er nicht auf der Flucht war. Unwillkürlich tastete seine rechte Hand nach hinten und suchte nach seinem Jagdgewehr, das er auf der
Deckung des Wagens zu verlassen. Jetzt erst nahm Al-Hamidi die noch immer geöffneten Türen bewusst war. Sein Herzschlag beschleunigte sich. Mühsam schob er sich zwischen den beiden vorderen Sitzen hindurch und streckte sich, um den Griff der Tür auf der rechten Seite zu erreichen. Er zerdrückte mehrere Flüche auf seinen Lippen und schwor sich innerlich, „endlich etwas abzunehmen“. Gerade als er den Griff zu fassen bekam, zerschnitt das Aufbellen eines Schusses die Stille. Der Kuwaiti erstarrte. Sofort danach folgte ein weiterer Schuss. Dann war es wieder ruhig. Augenblicke lang wagte er nicht zu atmen. Seine Augen wanderten umher, doch in der nach vorne gebeugten Haltung, in der er halb über dem Sitz des Beifahrers lag, konnten sie kaum mehr erkennen als die staubbedeckten Armaturen des Wagens. Hastig umschlossen seine Finger den Griff und zogen die Tür zu. Sie schloss sich mit einem lauten Schnappen. Atemlos ließ der Kuwaiti seinen Kopf nach vorne sinken. Der Schweiß lief ihm in breiten Bahnen über das Gesicht. Sein Hemd klebte inzwischen wie eine zweite Haut an seinem Körper. Stoßweise entfuhr der Atem seinen Lippen. Al-Hamidi stützte sich auf seine Hände und schob sich zurück, um nun die andere Tür zu schließen. Eine Garbe von Schüssen erfolgte. „Nein, verdammt, nein!“ flüsterte der Geschäftsmann aus dem kleinen Golfstaat und warf sich herum. 4
Al-Hamidi sah in den Lauf eines Gewehrs, das ihm den Weg versperrte und hob den Kopf an. Die fast nackte Gestalt des Weißen war von Ruß und Dreck dunkel gefärbt, getrocknetes Blut bedeckte die rechte Seite, wobei nicht zu erkennen war, ob es sein eigenes war. „Steh auf“, befahl Talon dem Kuwaiti auf Arabisch. Zitternd kam der Mann in die Höhe und hob unwillkürlich die Arme leicht an, um zu zeigen, dass er sich ergab. Talons blaue Augen musterten kühl die klägliche Gestalt. Er richtete seine Kalaschnikov auf die Brust des Kuwaitis und streckte seinen eigenen Körper durch. „Nein!“ brach es aus dem untersetzten Mann heraus. „Bitte… nicht! Ich - - ich habe Geld! Du kannst von mir haben, was du willst!“ Al-Hamidi konnte sehen, wie wenig der Vorschlag seinen Gegner interessierte. „Ich kann mit Ibn Said reden“, setzte er nach. „Er lässt dich frei, und die ganze Sache ist vergessen, ja?“ Dabei war er ein, zwei Schritte zurückgewichen, ohne wirklich fliehen zu wollen. Ein schmales Grinsen zog sich über Talons Lippen. „Ich bin frei“, erwiderte er nur. „Du hast nichts, was mich interessieren würde.“ Der Kuwaiti sah in die Mündung des Gewehrs, das auf seinen Kopf gerichtet war. Leise kamen die Worte der ersten Sure über seine Lippen. „Geh!“ hörte er plötzlich die Stimme des Weißen. Ungläubig sah
Rückbank hatte liegen lassen. Als seine Finger das Metall nicht zu fassen bekamen, warf er immer wieder kurze Blicke nach hinten, um die Waffe im Halbschatten des Wageninneren zu finden. Er wagte es nicht, den Weißen aus den Augen zu lassen, der bereits die Hälfte der Strecke überwunden hatte. Plötzlich riss seine ‚Beute’ den rechten Arm hoch und brachte ein Gewehr zum Vorschein, das im hohen Gras bisher nicht zu sehen gewesen war. Noch im Lauf feuerte der Mann einen Schuss ab. AlHamidi zuckte zusammen, als die Windschutzscheibe auf der linken Seite zerbarst. Splitter sirrten durch die Luft. Schützend riss der Kuwaiti seinen rechten Arm hoch. Er hatte es aufgegeben, nach seiner Waffe zu suchen. Der nächste Schuss schlug ein Loch in die Mitte der Scheibe. Kamal al-Hamidi schrie auf, als er spürte, wie die Splitter sein dunkles Haar bedeckten. Verzweifelt tastete er nach dem Griff der Fahrertür und drückte ihn durch. Noch während die Tür aufschwang, ließ der Kuwaiti seinen kräftig gebauten Körper nach außen kippen und rollte ins hohe Gras. Im gleichen Moment durchschlug eine weitere Kugel die Scheibe an der Stelle, an der er gerade noch gesessen hatte. „Allah, nein…“ keuchte der kleine Mann rau auf. Ohne noch zu einem klaren Gedanken fähig zu sein, robbte er durch das hohe Gras und brachte so viel Abstand zwischen sich und den Wagen wie möglich. Doch plötzlich stellte sich ihm ein Schatten in den Weg. 5
kurzen, modisch geschnittenen Haaren verwirrt und kam der wortlosen Geste nach, Platz zu nehmen. Sie schlug ihre schlanken Beine übereinander und wippte abwartend mit ihrem rechten Fuß. Es war ungewöhnlich, dass Vanderbuildt sie mitten aus einem Auftrag abzog und zurückbeorderte. „Etwas zu trinken?“ fragte der Mann nach, als erinnere er sich jetzt erst an seine Umgangsformen. Seine Angestellte wirkte übermüdet und abgehetzt. Doch Janet winkte ab und beugte ihren Oberkörper leicht vor. „Nein, danke. Was meinen Sie damit, ich ‚kehre in den Dschungel zurück’?“ Vanderbuildt erhob sich aus seinem breiten Sessel und ging um die Kante des Schreibtischs. Er griff in die Brusttasche seines Anzugs und zog ein schwarzes, fingerlanges Objekt hervor. Zwischen Daumen und Zeigefinger hielt er es so, dass das hereinfallende Sonnenlicht genau auf seine Oberfläche fiel. Doch statt eines Lichtreflexes oder eines kurzen Aufleuchtens schien das Objekt das Licht völlig zu verschlucken. „Sie haben mir diesen Splitter mitgebracht und mir etwas vom ‚Blut des schwarzen Löwen’ erzählt.“ Janets Augen fixierten ihren Chef. Sie hatte das kristallartige Gebilde sofort wieder erkannt, auch wenn inzwischen Monate seit diesem Auftrag vergangen waren. Hinter ihrer Stirn arbeitete es wild. Ihr Mund öffnete sich leicht, als wolle sie zu einer Erklärung ansetzen,
er in dessen kalt glitzernden Augen, während sein Kopf nervös zuckte. „Was?“ fragte er, als habe er das Wort nicht richtig verstanden. „Verschwinde“, wiederholte Talon beherrscht seine Aufforderung. Er deutete mit dem Lauf der Waffe auf die flach ansteigenden Hügel. Es war die entgegengesetzte Richtung zu Ibn Saids Anwesen. Al-Hamidi begehrte auf. „Da draußen bin ich verloren! Ich kenne mich hier nicht aus!“ „Geh oder stirb hier“, machte Talon dem Araber seine Situation klar und ließ keinen Zweifel erkennen, dass er sein Angebot nicht wiederholen würde. „Ich werde hier warten, bis du am Horizont verschwunden bist. Danach kannst du zurückkehren.“ Der Kuwaiti schätzte die Entfernung zu den Hügeln auf gut zwanzig Kilometer. Bei dieser Hitze ohne Wasser wusste er, wie seine Chancen standen. Ein müdes Lächeln stahl sich um seine Lippen. Er nickte schwach und setzte sich in Bewegung. 2. „Sie kehren zurück in den Dschungel“, eröffnete Amos Vanderbuildt der jungen Frau übergangslos seine Pläne. Janet Verhooven war direkt vom Flughafen in das Firmengebäude gefahren und betrat gerade erst das große, fast leere Büro des charismatischen Mannes Anfang Fünfzig. „Bitte?“ erwiderte die Frau mit den 6
während sie nicht wusste, wohin sie blicken sollte. „Janet, dieser Kristall birgt eine unfassbare Macht in sich! Mehr als es sich Menschen in ihren kühnsten Träumen vorstellen können. Ich will diese Macht für mich!“ Vanderbuildt streckte ihr die geballte Faust entgegen, die den Splitter fest umschlossen hielt. Seine Augen funkelten hell auf, während er eindringlich auf seine Untergebene einredete. Er nahm kaum wahr, wie der Kristall in seiner Hand zunehmend wärmer wurde. Erst als die Hitze wie eine kleine Nadel in seine Haut stach, hielt er inner und blickte auf die geöffnete Handfläche. Ungläubig weiteten sich seine Augen. Janet Verhooven entfuhr ein Laut der Überraschung. Die Konturen des Objekts waren weicher geworden, zerflossen wie schmelzendes Eis auf der Haut des Mannes. Doch gleichzeitig dehnte sich die Schwärze immer weiter aus. Als seien sie von Leben erfüllt, glitten die einzelnen Enden über die breite Hand und krochen unter den Ärmel des Anzugs. Amos Vanderbuildt schnappte nach Luft, als schnürte ihm die Schwärze den Hals zu. Mit der Linken zog er den Ärmel des Sakkos und des Hemdes gleichzeitig hoch. Die Nähte des teuren Stoffes rissen unter der Belastung, doch darauf nahm der Mann keine Rücksicht. Wie flüssiges Öl umhüllte die Dunkelheit inzwischen seinen gesamten Unterarm. Es schien, als ließe sie in ihren Bewegungen nach.
doch dann schloss sie ihn wieder und griff stattdessen nach der Wasserkaraffe und schenkte sich doch etwas zu trinken ein. „Seitdem habe ich meine Wissenschaftler auf dieses Objekt angesetzt. Ich habe Phänomene erlebt, die ich früher als Phantasterei abgetan hätte“, fuhr Vanderbuildt fort. „Je länger ich diesen Splitter besitze, desto mehr Fragen wirft er auf. Und ich komme zu keiner Antwort!“ Er streckte Janet den schwarzen Kristall entgegen, während seine Augen sie kühl betrachteten. „Hier finde ich offenbar keine Antwort, meine Liebe. Deshalb werden wir dorthin fahren, wo die Quelle des Objekts ist. Sie und ich.“ „Zurück zum Tempel?“ entfuhr es der jungen Frau. „Das ist nicht Ihr Ernst! Ich bin froh, dass ich damals lebend entkommen bin!“ Sie rutschte unruhig in ihrem Stuhl hin und her und wäre am liebsten aufgesprungen, um das Büro zu verlassen. Doch die massige Gestalt ihres Chefs versperrte ihr den Weg. „Janet“, kamen die Worte schneidend über seine Lippen, „Sie sind mir eine wichtige und fähige Mitarbeiterin. Ich möchte Sie ungern verlieren. Doch glauben Sie mir – jeder, der von diesem Objekt weiß, wird mir entweder helfen oder keine Gelegenheit haben, dieses Wissen jemals weiter zu geben. Ich hoffe, wir haben uns verstanden.“ Janets Gedanken überschlugen sich. Sie hätte nicht gedacht, dass ihr Chef ihr so offen drohen würde. „Ja, Sir“, brachte sie nur zögernd hervor, 7
durchströmten. Unsicher wich Janet zurück, bis sie mit den Knien gegen ihren Stuhl stieß. „Sie werden mich zum Tempel bringen, Janet“, grollte seine Stimme dunkel durch den Raum. „Ich will jeden Tropfen Blut, das der schwarze Löwe vergießen wird!“
Fasziniert hob er den Arm an und führte ihn nahe vor sein Gesicht. Vanderbuildt betrachtete seine Handfläche, die konturenlos und dunkel schimmerte. Tief in der Schwärze schien ein geheimnisvolles Feuer zu brennen, das ein lichtloses Leuchten erzeugte. Er fühlte sich von einem Leben erfüllt, das er nicht beschreiben konnte. Ungeahnte Energien drangen von der Dunkelheit in seinen Körper ein und durchflossen jede einzelne Faser. Janet Verhooven hatte die Finger in die Armlehnen ihres Stuhls gekrallt und betrachtete fassungslos das Bild, das sich ihr bot. Die Augen ihres Arbeitgebers schienen in eine Wirklichkeit entrückt, die sich außerhalb ihrer Wahrnehmung befand. Die junge Frau sprang auf und packte den Mann am linken Oberarm, um ihn aus seiner Trance zu lösen. „Mr. Vanderbuildt, bitte…“ setzte sie an. Doch im gleichen Augenblick, in dem sie ihn berührte, verlor die Schwärze jenes ungreifbare Leuchten, das aus ihr selbst heraus drang. Zuerst lösten sich nur die äußersten Enden von der Haut des Mannes. Sie verfestigten sich und zerfielen gleichzeitig zu einem dünnen Staub, der wie in Zeitlupe zu Boden fiel. Es dauerte nur wenige Momente, dann hatte die Dunkelheit den Mann verlassen, als sei sie nicht mehr als ein flüchtiger Schatten gewesen. In Vanderbuildts Augen tobte ein Feuer, genährt durch eine Flut von Emotionen, die seinen Geist
3. Adembe Kano zündete sich eine Zigarette an und lehnte sich gegen die Wand aus grobem Sandstein. Er sah zum Haupthaus herüber, das sich wie ein Schatten in etwa achtzig Metern Entfernung vom lichtlosen Himmel abhob, und seufzte. Er war noch nicht lange bei Ibn Saids Männern und hatte daher die undankbare Aufgabe, die Pferche zu bewachen, in denen die Gefangenen untergebracht waren. Nicht, dass die Aufgabe gefährlich gewesen wäre; die Männer, die in diesem Bereich von den Frauen getrennt waren, stellten keine Gefahr dar. Hitze und Resignation ließen ihren Widerstand schnell zusammenbrechen. Aber der Gestank machte Kano zu schaffen. Seine Familie hatte eine große Ziegeherde, doch er fand, dass nichts so sehr stank wie eine Ansammlung von Menschen, die in ihren eigenen Extrementen hausten. Er zog erneut an der Zigarette. Die Spitze loderte kurz hell auf, dann blies der junge Mann den Rauch nach oben. Kano sah den dünnen Schlieren nach, die sich im Nachthimmel verloren. Wie eine Klammer legte sich der 8
Nisheki… er wusste nicht, was er für die junge Frau empfand. Er glaubte nicht, dass er sie liebte. Vielleicht fühlte er wegen der gemeinsam verbrachten Stunden etwas wie eine Verpflichtung ihr gegenüber. Eine Schuld, die er einlösen wollte. Vielleicht waren aber auch das nur Vorwände, um sich keine Gedanken über seine tatsächlichen Beweggründe machen zu müssen. Ein leises Rufen riss ihn aus seinen Gedanken. Aus einem der Käfige reckten sich ihm zwei Arme entgegen, und eine raue Stimme fragte heiser, wer er sei. Talon hatte dem Toten neben dessen Sturmgewehr auch das Bajonett abgenommen, das er getragen hatte und ging damit auf den Käfig zu. Er wusste, dass er alleine gegen Ibn Saids Männer keine Aussicht auf Erfolg hatte. Also musste er für eine Ablenkung sorgen. Er ging vor dem hölzernen Verschlag in die Knie und blickte in die hellen Augen, die ihn aus der Dunkelheit anleuchteten. „Werdet ihr gegen Ibn Said kämpfen, wenn ich euch freilasse?“ fragte er die Männer unvermittelt. Ein unterdrücktes, kehliges Lachen war die Antwort. „Lass uns hier raus, und Ibn Said wird den Tag verfluchen, an dem er geboren wurde!“ kam die Antwort. Talon lächelte bitter und zerschnitt mit der Klinge die unterarmdicken Taue, die die einzelnen Holzstäbe zusammenhielten. Mehrere Männer krochen aus dem Käfig. Ihre
muskulöse Unterarm um seinen Hals. Ein gurgelnder Laut entfuhr dem Sudanesen überrascht, der mit einem Ruck nach hinten gerissen wurde. Instinktiv griffen seine Hände nach hinten, doch im gleichen Augenblick zerschnitt ein heller Blitz sein Bewusstsein. Mit gebrochenem Genick erschlaffte der Körper des Mannes in der Umklammerung. Talon wartete einen Augenblick, um sicher zu gehen, dass sein Gegner tatsächlich tot war, und legte ihm dann im Schatten der Mauer nieder. Seine Augen sahen sich um und suchten die Umgebung ab. Er hatte den ganzen Nachmittag in der Nähe der Pferche gelauert und die Abfolge studiert, in der die Wachen die Gefangenen bewachten. Ibn Said schien sich seiner Sache sehr sicher zu sein, wenn er nur einen Mann zur Nachtwache einteilte. Doch Talon wusste nicht, wann die Ablösung für den Mann kommen würde, und so war er gezwungen gewesen, schnell zu handeln. Es war erst früh am Abend. Die wenigsten der Männer, die hier eingesperrt wurden, schliefen bereits. Manche von ihnen hatten offenbar etwas von dem mitbekommen, was gerade geschehen war. Eine leichte Unruhe breitete sich in einem der Käfige aus. Während Talon die Ausrüstung des Toten untersuchte, fragte er sich selbst, was ihn hierher zurück trieb. Er hätte gehen können, nachdem er den letzten Überlebenden der Jagd der Wildnis überlassen hatte. Doch der Gedanke an zwei dunkle Augen hatte ihn nicht losgelassen. 9
die den gesamten Besitz Ibn Saids umgab. Er wusste nicht, wie groß die Chancen der Männer tatsächlich waren, sich zu befreien. Doch sie hatten es wenigstens verdient, es zu versuchen. Talon war nur nicht bereit, an ihrer Seite zu kämpfen. Ihm ging es darum, Nisheki zu finden. Mehr interessierte ihn nicht. Die Neumondnacht hüllte den gesamten Besitz in ein kaum zu durchdringendes Dämmerlicht. Nur am dreistöckigen Haupthaus brannte noch Licht in ein paar Fenstern, ebenso in einem niedrigen Bau aus Stein, der etwas abseits stand. Dort erhellten mehrere große Scheinwerfer die Einfahrt in den Innenhof, in dessen Licht sich mehrere Wachen versammelt hatten und sich lauthals unterhielten. Talon schlich die Mauerbrüstung entlang. Ab und zu presste er sich flach auf den kühlen Stein und wartete ab, wenn unter ihm eine der Wachleute vorbei lief, um wieder im Dunkel der Nacht zu verschwinden. Plötzlich bellte ein Schuss durch die Nacht. Der Ausbruch der Gefangenen war früher entdeckt worden, als es Talon recht war, doch damit hatte er rechnen müssen. Binnen weniger Augenblicke versammelte sich mehr als ein Dutzend bewaffneter Männer im Innenhof. Hektische Rufe hallten über den Platz. Weitere Scheinwerfer flammten auf und hüllten das Anwesen in ein gleißendes Licht. Bei den Pferchen ertönten tumultartige Geräusche. Der Klang von Schüssen mischte sich
ausgemergelten Körper hatten Mühe, sich aufrecht zu halten, doch in den müden Augen brannte ein Feuer voller Entschlossenheit, das ihren Zustand Lügen strafte. Sobald Talon jedoch den zweiten Verschlag geöffnet hatte, ging einer der dort eingesperrten Männer auf einen jener los, die sich gerade an einem Trog erfrischten. Sofort war Talon zwischen ihnen und hielt sie auseinander. „Ruft Saids Wachen am besten gleich zusammen!“ herrschte er sie mit gedämpfter Stimme an. „Was ist los?“ wollte er wissen. Nur mühsam konnte der Angreifer seine Erregung unterdrücken. „Seine Miliz“, erklärte er heiser. „Die haben dafür gesorgt, dass ich hier stecke!“ „Und wer hat unsere Felder geplündert, heh?“ folgte die Antwort. Talon spürte förmlich, wie die Situation eskalierte und rief beide Männer zur Ordnung, bevor ihre Unruhe auf die andere überschlug. „Ihr seid hier immer noch Gefangene“, machte er ihnen klar. „Denkt daran, wer euer gemeinsamer Feind ist und regelt eure Streitigkeiten später. Okay?“ Nur mühsam hielten sich die beiden Männer zurück und sahen sich feindselig an. Doch schließlich nickten sie stumm und halfen den anderen, die mit ihren bloßen Händen an den Tauen zerrten, um die übrigen Käfige zu öffnen. Talon überließ einem der Männer, der etwas besonnener wirkte, das Gewehr der toten Wache und schwang sich auf die Außenmauer, 10
rasch lauter. Noch bevor er reagieren konnte, wurde die Tür aufgerissen. Talon blickte in die weit aufgerissenen Augen eines dunkelhäutigen älteren Mannes mit schlohweißen, krausen Haaren. Mit einem Satz war er bei ihm und legte ihm die Hand auf den Mund. „Ein Laut, und du bist tot. Verstanden?“ Der ältere Mann nickte und wagte nicht, sich zu bewegen. „Ich suche eine Frau, Nisheki. Weißt du, wo ich sie finde?“ Wieder nickte der alte Mann. „Gut“, fuhr Talon fort, „dann bring mich zu ihr.“ Er drehte den Farbigen zu sich um und löste die Hand von dessen Lippen. „Ich will nur die Frau, dann lasse ich dich in Ruhe“, erklärte er dem Mann, dessen Unruhe und Angst deutlich zu sehen waren. „Hat Ibn Said Wachen im Haus?“ fragte er den Alten. „Nur seine beiden Leibwächter“, brachte dieser zögernd hervor und musterte den halbnackten Weißen ungläubig, der nicht in sein Weltbild passen wollte. „Anderen Menschen vertraut der Sayyid nicht.“ Der Alte zuckte zusammen, als Schüsse im Hof erklangen. Talon fluchte innerlich. Ihm würde nicht mehr viel Zeit bleiben. „Los!“ trieb er den Sudanesen an. Dieser blickte auf das lange Bajonett in Talons rechter Hand und bedeutete dem Weißen, ihm zu folgen. Über eine schmale Treppe gelangen sie in den Keller. Die Stufen endeten in einen schmalen Gang, der durch zwei Glühbirnen
mit dem von Schreien. Talon sprang auf und hastete die Mauer entlang. Die Wachleute konzentrierten sich auf das andere Ende des Geländes. Diesen Vorteil musste er ausnutzen, solange ihm Zeit dafür blieb. Auch am Haupthaus waren inzwischen in fast allen Fenstern die Lichter angegangen. Die erschreckten Stimmen von Frauen hallten nach draußen, unterbrochen von herrischen Rufen. Über das Flachdach eines Anbaus erreichte Talon die Rückseite des Haupthauses, die im Dunkel der Nacht lag. Mehrere große schwarze Tüten mit faulig riechenden Abfällen standen eine Wand entlang aufgereiht. Offensichtlich befand sich hier der Zugang zur Küche. Talon zog am Griff der einzigen Tür, die auf dieser Seite in die Wand eingelassen worden war. Sie öffnete sich einen Spalt, blieb dann aber an einem Widerstand hängen. Mit einem kräftigen Ruck riss der Mann aus dem Dschungel die Tür auf. Leise krachend brach der einfache Riegel aus seiner Verankerung und hing lose an einer Schraube von der Türkante. In dem Raum befand sich tatsächlich die einfach eingerichtete Küche, in deren Mitte mehrere große Feuerstellen aufgebaut waren. An der Wand stand ein Herd, der mit einer großen Flasche Gas betrieben wurde. Hinter der Tür, die weiter in das Innere des Hauses führte, konnte Talon schwach die gedämpften Laute von Stimmen wahrnehmen. Die meisten von ihnen entfernten sich, doch eine von ihnen wurde 11
im Arm die Treppe empor. Er beschloss den gleichen Weg zu nehmen wie den, den er gewählt hatte, um ins Haus zu gelangen. Von draußen waren heftige Schusswechsel zu hören. Offenbar waren die Gefangenen an weitere Waffen gekommen, und damit würden sie Ibn Said tatsächlich gefährlich werden können; alleine schon durch ihre zahlenmäßige Überlegenheit. Talon konzentrierte sich alleine auf den Gedanken an eine sichere Flucht. Er half der jungen Frau, die gut einen halben Kopf kleiner war als er, auf den niedrigen Anbau, der neben dem Haupthaus direkt in die Mauer gebaut worden war, und schwang sich dann selbst empor. Er wollte nicht warten, bis das Gefecht entschieden war. Sollten Ibn Saids Männer gewinnen, würden sie die Umgebung nach Flüchtlingen absuchen. Falls die Gefangenen die Oberhand gewinnen sollten, wusste er nicht, wie sicher die Lage dann war. Die Spannungen zwischen den einzelnen Gruppierungen konnten dazu führen, dass sie ihren Bürgerkrieg direkt unter sich fortsetzten. Er half Nisheki auf die Mauerkante und ließ sie dann vorsichtig auf der Außenseite herab. Die letzten zwei Meter musste die junge Frau springen, doch sie überwand die Entfernung ohne Probleme. Talon kam mit einem Satz neben ihr auf und zog sie sofort weiter, in den Schutz der niedrig wachsenden Büsche, die das Anwesen umgaben. In gebeugter Haltung kämpften sie
nur schwach erhellt wurde. Mehrere Menschen hatten sich in dem Gang versammelt und redeten wild durcheinander. Doch ein Rufen des alten Mannes brachte die Gruppe, die zumeist aus Frauen bestand, zum Verstummen. Als sie Talon erblickten, schrien viele von ihnen erschreckt auf und zogen sich in ihre kleinen Kammern zurück. Unter wenigen, die sich nicht zurückgezogen hatten, blickte eine junge Frau den Weißen entgeistert an. Ihr langes, dunkles Haar wurde durch ein blaues Tuch über der Stirn gebändigt. „Du hast gesagt, du kommst mit, wenn ich dich hier raushole. Wie ist es?“ Talon steckte die Klinge weg und bot Nisheki die rechte Hand. Die junge Afrikanerin lachte verlegen auf und blickte zuerst auf die ausgestreckte Hand und dann in sein Gesicht. Ihre Augen verengten sich. „Du meinst das ernst“, stellte sie fest. Sie sah ihn unschlüssig an und legte zögernd ihre schlanken Finger in die Handfläche. Talon griff zu und zog ihren schlanken Körper zu sich her. „Wir müssen uns beeilen!“ machte er ihr klar, und sie nickte stumm. Talon richtete sich an den Alten, der abwartend hinter ihm stehen geblieben war. „Sag allen, sie sollen hier unten bleiben. Dann wird ihnen nichts geschehen.“ Der Alte lächelte schwach. „Das wirst nicht du entscheiden, sondern die, die hier gewinnen.“ Kommentarlos wandte sich Talon um und hastete mit der jungen Frau 12
Überleben.“ Die dunklen Augen der Frau blitzten auf. „Denkst du, für mich war es anders? Wir leben seit Jahrzehnten mit Kampf und Gewalt. Und trotzdem versuchen wir, etwas in unserem Leben aufzubauen!“ „Nisheki, ich kann dir nichts bieten. Ich lebe in der Wildnis und werde dieses Leben auch nicht aufgeben wollen“, versuchte Talon ihr zu erklären. Die junge Frau antwortete ihm nicht, sondern versuchte nur mühevoll, ihre Tränen zurück zu halten. Als Talon sie trösten wollte, wies sie seine Hand schroff ab. „Es ist nichts! Es ist schon gut. Lass uns aufbrechen. Wir haben noch einen weiten Weg.“ Sie erhob sich aus ihrer kauernden Haltung und wartete nicht ab, ob Talon ihr folgte. Im Osten warf die Sonne die ersten Strahlen über die vom Dunst erfüllte Ebene.
sich vorwärts und ließen den Tumult hinter sich zurück. 4. „Was willst du jetzt machen?“ Die junge Schwarze richtete ihre Frage an Talon. Sie hatte ihre Arme nicht nur wegen der Kälte des frühen Morgens schutzsuchend um ihren dünnen Körper geschlungen. Der Weiße sah sie aus offenen Augen lange an, bevor er schließlich den Blick senkte. „Ich werde dich in dein Dorf bringen.“ Nisheki sah zu Boden und nickte stumm. Talon legte ihr die Hand auf den Unterarm und zwang sie, ihn anzusehen. „Glaubst du wirklich an eine Zukunft für uns beide? Ich kann dir nichts bieten. Die letzten Jahre waren nichts anderes als Kampf und
Fortsetzung folgt in Talon Nummer 19 „NAYLA, DIE LÖWIN“
Talon erscheint bei vph Verlag & Vertrieb Peter Hopf, Goethestr. 7, D-32469 Petershagen. © Copyright aller Beiträge 2003 bei Thomas Knip und vph. Nachdruck, auch auszugsweise, nur nach schriftlicher Genehmigung durch den Verlag gestattet. 13