BAD EARTH Die große Science-Fiction-Saga
FLUCHT IN DEN AQUA-KUBUS von Claudia Kern & Geralt di Cordoba 2019: Die erste...
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BAD EARTH Die große Science-Fiction-Saga
FLUCHT IN DEN AQUA-KUBUS von Claudia Kern & Geralt di Cordoba 2019: Die erste Marsmission unter Leitung von Nathan Cloud scheitert. Sämtliche Astronauten verschwinden spurlos. 2041: Eine zweite Marsmission, angeführt von John Cloud, Nathan Sohn, soll die Kräfte erforschen, die der ersten Mission zum Verhängnis wurden. Doch dazu kommt es nicht. Im Zuge dramatischer Ereignisse entartet der Planet Jupiter, eine Invasionsflotte - so genannte Äskulap-Schiffe - erscheint und nähert sich der Erde. Zeitgleich rückt auch der Mars in den Blick der Außerirdischen. Den überlebenden Mitgliedern von Mission II – normal geborene Menschen und GenTecs (in vitro gezeugte, »optimierte« Crewmitglieder) - gelingt es, ein Äskulap-Schiff unter Ihre Kontrolle zu bringen. Beinahe jedenfalls. Denn wenig später treibt es führungslos in Wurmloch und wird an einen unbekannten Ort weitab des Sonnensystems geschleudert. Wie sich herausstellt, hat der ungewollte Transfer die Menschen nicht nur räumlich, sondern auch zeitlich versetzt. In eine Zukunft, In der die Menschen Erinjij genannt werden und sich zur verhassten Geißel der friedliebenden galaktischen Völker entwickelt haben! Cloud und die GenTecs geraten zwischen alle Fronten, werden sogar von irdischen Schiffen gejagt und können nur mit Mühe von Kaiser, der Nargenwelt, flüchten. Ihr Ziel Ist ein Ort, von dem der zwielichtige Außerirdische Damok behauptet, er böte ihnen Schutz selbst vor hartnäckigsten Verfolgern. Aber weiß Damok wirklich, worauf er und die Menschen sich mit Betreten des gigantischen, im All treibenden Würfel voller Wasser einlassen...? 1. Niemand von ihnen hatte so etwas je gesehen. Stumm starrten sie auf den Bildschirm und ließen ihre Blicke unablässig über den gigantischen, mit Wasser gefüllten Würfel gleiten, der wie eine Provokation mitten im All trieb. Versteht mich, schien er zu fordern, aber sie verstanden nichts, weder seine Ausmaße, die ganze Planetensysteme beherbergten, noch seine Form, die allem zu widersprechen schien, was das Universum nach menschlichem Glauben hervorgebracht hatte. Und es waren Dinge darin, das sahen sie durch die Vergrößerung ihres Bildschirms, wirbelnde, gleitende Dinge, die durch eine grüne Welt schwebten. Sie versuchten sie mit Blicken festzuhalten, aber sie verschwanden stets, bevor ihre Beschaffenheit zu erkennen war. Schließlich war es Jarvis, der als Erster das Naheliegende aussprach. »Heilige Scheiße, was ist denn das?!«
Die Worte rissen John Cloud aus seiner Erstarrung. Er blinzelte und drehte sich zu Jarvis um, dessen Gesichtszüge beim Anblick des Phantastischen fast eingefroren wirkten. »Was ist mit den Schiffen? Sind sie noch hinter uns?«, fragte er. »Keine Ahnung. Der Bildschirm hat einfach umgeschaltet. Vielleicht kannst du mir ja erklären, wie man diese Kontrollen bedient - wenn es überhaupt Kontrollen sind.« Cloud ließ die Fingerspitzen über die dunklen Metallflächen gleiten, die in scheinbar wahllosen geometrischen Formen an den Wänden angeordnet waren. Sie erwärmten sich unter seiner Berührung, ansonsten geschah nichts. »Wie sieht's aus, Darnok?«, fragte er, ohne sich nach dem Wesen umzudrehen, das am Rand seines Gesichtsfeld in einer Art Becken lag. Es hatte das Aussehen eines dunklen pochenden Herzens, kein Gesicht und keine wirklichen Extremitäten, sah man von den Strünken ab, die von seinem Torso abzweigten wie zerrissene Adern. Etwas Verstörendes umgab dieses Wesen, und Cloud war aufgefallen, dass auch die anderen es nur ansahen, wenn sie es nicht vermeiden konnten - abgesehen von Scobee vielleicht, der einzigen Frau an Bord, die von ihm fasziniert zu sein schien. »Die Schiffe werden uns nicht folgen.« Die Worte kamen aus den gebogenen dunklen Wänden, dem abschüssigen Fußboden und der schwarzen Decke. Es war ein kleines Raumschiff, gerade mal so groß wie eine Mondfähre, doch die Stimme hallte wider wie in einer Kathedrale. Er macht das absichtlich, dachte Cloud. Er will uns verunsichern. »Wohin werden sie uns nicht folgen?«, fragte er laut. »Ins Wasser. Sie werden nicht in den Würfel eindringen.« Bevor Cloud antworten konnte, machte Jarvis einen Schritt auf das Lebewesen zu. »Komischer Zufall, das werden wir nämlich auch nicht.« Seine Drohgebärde würde ohne Wirkung bleiben, das musste ihm ebenso klar sein wie allen anderen. Darnok war hinter der transparenten, kuppelförmigen Panzerung unangreifbar und das Schiff ohne ihn unkontrollierbar. Scobee hatte wohl den gleichen Gedanken, denn sie griff Jarvis am Arm und zog ihn zurück. »Wie weit ist es noch bis zum Würfel?«, fragte sie, aber Darnok antwortete nicht. Cloud sah zurück zum Bildschirm an der Vorderseite des Kleinstraumschiffes - des Karnuts, wie Darnok es nannte. Der Würfel füllte bereits die gesamte Fläche aus. Sein grünliches Licht erhellte das dämmrige Schiffsinnere und spiegelte sich auf den Gesichtern der Menschen. Der kahlköpfige Resnick wirkte nervös, der blonde Jarvis, der ihm wie ein Bruder ähnelte, obwohl es keinerlei verwandtschaftliche Bande gab, verärgert. Nur Scobee, deren tätowierte Augenbrauen Cloud immer noch irritierten,
stand ruhig und unbeeindruckt in der Mitte des Raumes. Sie hatte sich besser unter Kontrolle als die beiden anderen GenTecs, und Cloud fragte sich, was wirklich in ihr vorgehen mochte. Er lächelte unwillkürlich, als sie seinen Blick bemerkte und ihn ansah. Sie erwiderte sein Lächeln ebenso knapp - als wollte sie ihm versichern, dass sie tatsächlich auf seiner Seite stand. Nein, widersprach er sich in Gedanken, sie will mir versichern, dass es keine Seiten mehr gibt, dass wir alle gleich sind, Menschen und GenTecs. Aber das waren sie nicht, egal, wie sehr sich Scobee auch um diesen Eindruck bemühte. Die drei künstlich gezeugten und genetisch hoch gezüchteten Klone waren Cloud körperlich überlegen und seit langem daran gewöhnt, unter sich zu bleiben. Sie bildeten eine Einheit, in der seine fast schon altmodischen Vorstellungen von Menschlichkeit keinen Platz hatten. Er war ein Außenseiter unter ihnen, dessen war sich Cloud stets bewusst, und daran änderte auch Scobees Lächeln nichts. Das Karnut reduzierte seine Geschwindigkeit, je näher sie dem Würfel kamen. Die Triebwerke summten kaum wahrnehmbar, und einige der geometrischen Formen an den Wänden verschoben sich mit leisem Klicken. Cloud versuchte sich ihre Anordnung zu merken, gab jedoch nach den ersten zehn Bewegungen auf. »Wird das Schiff dem Wasserdruck standhalten?«, fragte er, ohne zu Darnok hinzusehen oder eine Antwort zu erwarten. Scobee hob die Schultern. »Wir wissen nicht, was es kann.« Jarvis deutete mit dem Kinn auf das pulsierende, schweigende Wesen. »Dann hoffen wir mal, dass er es weiß.« Ein Zittern durchlief das Schiff. Cloud stützte sich an einer Wand ab und zuckte zurück, als er bemerkte, wie kalt sie war. »Vielleicht sollten wir uns festhalten«, sagte Resnick. Er sah sich suchend um, aber es schien keinen Halt zu geben, keinen Sitz, keinen Griff, gar nichts.
Das Zittern wurde stärker. Cloud starrte auf die grünliche Welt, die sich vor ihnen bis in die Unendlichkeit zu erstrecken schien. Er fragte sich, warum die Raumschiffe mit den irdischen Schriftzeichen ihnen nicht folgten. Konnten oder wollten sie nicht, und wenn Letzteres zutraf, war es dann wirklich eine so gute Idee, in einen Bereich einzudringen, vor dem eine ganze Flotte zurückschreckte? Er drehte sich zu Darnok um, der jetzt heftiger pulsierte. »Sie können nicht hinein«, sagte die Stimme in den Wänden, »selbst wenn sie es wollten.« Cloud fragte sich, ob das unbegreifliche Wesen seine Gedanken gelesen hatte. Im nächsten Moment wurde er zu Boden geworfen, als das Schiff von einem plötzlichen Ruck erschüttert wurde. Resnick stürzte ebenfalls; Scobee und Jarvis hielten sich mühsam auf den Beinen. Der nächste Schlag brachte auch sie zu Fall. Cloud schützte seinen Kopf mit den Armen, während die beiden ihm über den abschüssigen Boden entgegenrutschten. Die Erschütterungen des Schiffs waren so heftig, dass er Hoch geschleudert und gegen die Wände geworfen wurde. Er hörte jemanden aufschreien - Resnick? - und eine andere Stimme fluchen. Einen Augenblick lang schien das Schiff auf dem Kopf zu stehen und sich wie ein Karussell zu drehen. Er verlor die Orientierung, fühlte sich schwerelos in der einen und bleischwer in der nächsten Sekunde. Decke, Wände, Boden - alles verschwamm in dem grünen kalten Licht. Und dann war es auch schon vorbei. Cloud hob den Kopf. Er lag unmittelbar vor Darnok, der langsamer pulsierte und ansonsten reglos wirkte. Scobee hockte an einer Wand und schüttelte ihre Benommenheit ab. Jarvis kam ein paar Meter entfernt auf die Beine, ebenso Resnick. Ein dünner Blutfaden lief von seinem Haaransatz über die Wange, aber er schien nicht ernsthaft verletzt zu sein. »Bist du okay?«, fragte Cloud, während er sich aufsetzte. Resnick nickte und wischte sich das Blut vom Gesicht. »Ja, kaum was passiert.« Er sah zum Bildschirm und schien etwas hinzufügen zu wollen, schwieg dann jedoch. Cloud folgte seinem Blick. Von außen hatte die grünschimmernde Welt des Kubus matt und verzerrt gewirkt, aber jetzt, hinter der Barriere, die er mangels besseren Wissens als Energiewall bezeichnete, eröffnete sich die Farbenpracht und Fremdheit, als hätte jemand einen Schleier von zurückgezogen. Planeten hingen grau inmitten des grünen Wassers. Cloud sah Monde, die sie nicht umkreisten, aber dennoch zu ihnen zu gehören schienen, und gewaltige, rosafarbene Korallenkrusten, die sich wie Gürtel um ganze Welten gelegt hatten. In der lichtdurchfluteten grünlichen Helligkeit wirkten die Farben der Korallen beinahe grell. Einige trieben vor dem Bildschirm in merkwürdig geordnet wirkenden Kettenformationen vorbei. Sie waren von einem bunten Fischschwarm umgeben, der grüne Pflanzen von ihren Spitzen fraß. Nach der Dunkelheit des Alls und der Kargheit des Nargen-Planeten (Siehe Bad Earth 3 und 4) war der Anblick des Wasserwürfels überwältigend. »Wer mag das geschaffen haben?«, fragte Resnick. Er war dicht vor den Bildschirm getreten und machte eine Handbewegung, die den gesamten Kubus einschloss. »Der
Wasserdruck würde die Welten im Inneren zerquetschen, wenn es nicht künstlich wäre. Und das Energiefeld, das den Würfel umgibt, das Licht... jemand hat all das hier gemacht - oder zweifelt jemand daran?« Cloud sah Darnok nicht an. »Du hast gewusst, dass es hier sein würde.« »Es existiert schon seit langer Zeit.« Die Stimme hatte ihren Hall verloren und klang flach wie die eines Menschen. Vielleicht hatte Darnok keine Kraft mehr für die Illusion, vielleicht hatte er auch nur die Lust daran verloren. »Willst du uns hier etwas zeigen, so wie auf Kalser?« »Willst du denn etwas sehen?« Cloud betrachtete den Bildschirm. Weit entfernt glitt etwas, das beinahe wie ein Rochen aussah, mit langsamem Schwingenschlag durchs Wasser. Er fragte sich, was sein Vater geantwortet hätte, der Mann, der als Erster den Mars betreten und dort sein Leben gelassen hatte. Der Mars war bis zu ihrem Sturz durch das Wurmloch das Ziel von Clouds Träumen gewesen. Im Angesicht des Wasserwürfels erschien ihm das beinahe lächerlich. »Ich glaube schon, dass ich etwas sehen möchte«, sagte Cloud nach einem Moment und hörte, wie Jarvis scharf die Luft einzog. »Es sei denn, es artet wieder in eine Lektion aus.« »Du kannst nicht mehr entscheiden, wo wir hingehen oder was wir tun, John«, erinnerte ihn Jarvis. »Ich dachte, darauf hätten wir uns geeinigt...« Cloud wandte den Blick nicht vom Bildschirm ab. Man hatte ihm das Kommando entzogen und es auf Scobee übertragen, als sich die Ereignisse auf der Erde überschlugen. Die GenTec hatte das kein einziges Mal ausgenutzt. Auch jetzt mischte sie sich nicht ein, obwohl Jarvis sie ansah. Es gab eine Übereinkunft zwischen ihnen: Die alte Kommandohierarchie war zerbrochen, zählte hier nicht mehr. Sie alle sollten gleichberechtigt sein - so waren sie übereingekommen. »Ich habe nichts entschieden«, rechtfertigte sich Cloud, »nur eine Frage beantwortet.« »Dann solltest du dir vielleicht genau überlegen, welche Fragen du allein beantworten kannst und welche du zuerst mit uns be...« »Möchtest du auch eine Frage beantworten, Jarvis?«, unterbrach ihn Darnoks Stimme. Sie hatte einen väterlichen Klang angenommen, aber Cloud war sich nicht sicher, ob das beabsichtigt war. Jarvis betrachtete einen Punkt oberhalb des Außerirdischen. »Kommt drauf an.« »Dann sag mir, was du möchtest.« »Ich möchte hier raus, sobald die Schiffe abgezogen sind.« Er zeigte auf den Bildschirm. »Wer einen solchen Würfel erbauen kann, ist so mächtig und so... fremd, dass wir uns von ihm fernhalten sollten, und zwar so weit wie möglich.« Resnick nickte, und auch Scobee pflichtete ihm bei. Die GenTecs neigten dazu, sich solidarisch zu erklären. »Und?«, fragte Jarvis nach einem Moment. »Welchen Wunsch erfüllst du, Darnok, seinen oder unseren?« Schweigen. Auf dem Bildschirm zog ein augenloser Fischschwarm langsam an einem Felsen vorbei. Cloud glaubte bereits, Darnok wolle nicht mehr auf die Frage eingehen, als er schließlich doch wieder die Stimme erhob.
»Neugier«, sagte er in seinem väterlichen Tonfall, »ist wichtiger als Furcht.« Jarvis sah aus, als wolle er jemanden schlagen, und Cloud konnte sich durchaus denken, wen.
Entropie: Die Reise von der Ordnung zum Chaos. Leben: Die Reise von der Geburt zum Tod. Zeit: Die Reise von der Vergangenheit in die Zukunft. Er hat die Begriffe längst verinnerlicht, doch ihre Bedeutung bleibt ihm fremd. Alles in der Welt, die ihn umgibt, verändert sich, nichts bleibt gleich. Sie ist eine wirbelnde Masse chaotischer Elemente, unvorhersehbar und unbestimmbar. Er hasst diese Welt. Ordnung, Ruhe, Stagnation. Das sind die Zustände, nach denen er sich sehnt und die er herbeizuführen versucht, obwohl ein ganzes Universum gegen ihn zu sein scheint. Er sucht in ihm nach Klarheit, nach der erlösenden Zufriedenheit, die ein Wesen seiner Art nur in der völligen Erstarrung finden kann, aber wenn er tief genug blickt, ist selbst im stillsten Fels ständige Bewegung. Stoppen kann er die Bewegung ebenso wenig wie den Verfall, von dem er umgeben ist. Alles, was in dieser Welt existiert, scheint bestrebt zu sein, auf dem schnellsten Weg sein Ende zu erreichen. Gegen diesen universellen Wunsch wirkt seine eigene Macht klein und unbedeutend, aber trotzdem nimmt er den Kampf gegen die Entropie und gegen die Zeit auf. Und gegen das Leben.
»Weiter links, nein rechts... verdammt...« Jarvis trat einen Schritt zurück und strich sich mit der Hand durch die kurzen blonden Haare. »Bist du sicher, dass du weißt, was davon Kontrollen sind und was nur Verzierungen?« Cloud schob eine der kleinen Metallplatten zur Seite. Das Schiff sackte langsam nach unten weg und machte eine Linkskurve. Er versuchte zu beschleunigen, aber entweder war der Widerstand des Wassers zu groß, oder er hatte sich die falsche Kombination gemerkt. »Ich glaube nicht, dass hier irgendetwas der Verzierung dient«, antwortete er, als das Schiff einen stabilen Kurs einnahm. »Jede Form hat auch eine Funktion.« Jarvis hob nur die Augenbrauen. Seit Stunden beschäftigten sie sich bereits mit den Kontrollen des Schiffs, so wie es ihnen Darnok - Cloud schreckte vor dem Wort
einen Moment zurück und dachte es dann doch - befohlen hatte. Sehr weit waren sie allerdings noch nicht gekommen. »John hat Recht«, sagte Scobee, die neben Darnok an der Rückwand stand. Resnick hockte vor ihr auf dem Boden und zeichnete geometrische Formen in ein kleines Notizbuch. »Nichts in diesem Schiff geschieht zufällig. Wir haben erst einen Bruchteil von möglichen Kombinationen ausprobiert. Es muss noch Tausende von Funktionen geben, von denen wir nichts ahnen.« »Hoffentlich ist keine Selbstzerstörungsfunktion dabei.« Jarvis warf einen Blick auf Darnok. »Ist das Schiff eigentlich bewaffnet?« »Möchtest du, dass es bewaffnet ist?« »Diese Yoda-Scheiße kotzt mich wirklich an! Kannst du nicht eine vernünftige Antwort geben?« Er wandte sich ab und fluchte kaum hörbar. Seine Nervosität ließ ihn aggressiver wirken als Cloud ihn bisher kennen gelernt hatte. »Willst du mal übernehmen, G.T.?«, fragte er und benutzte dabei den »Vornamen«, für den sich Jarvis selbst entschieden hatte. »Wir sollten uns alle mit der Steuerung vertraut machen.« Jarvis winkte ab. »Schon gut, ich sehe mir das später an.« Er lehnte sich mit vor der Brust verschränkten Armen gegen die. Wand, nur um im nächsten Moment im Schiff auf und ab zu gehen. »Aber ich würde gerne übernehmen.« Scobee ging an ihm vorbei und stellte sich neben Cloud. Er bemerkte ihren besorgten Blick, zuckte jedoch nur mit den Schultern. Ebenso wie jeder andere an Bord musste Jarvis lernen, sich mit der Situation abzufinden. »Die Kombination aus Dreieck, Rechteck und diesem seltsamen Ding, das wie ein Trichter mit Krone aussieht, bestimmt die Geschwindigkeit des Schiffs.« Er zeigte auf die entsprechenden Metallplatten. »Es reicht, wenn du einfach darüber streichst, ungefähr so.« Seine Finger glitten über die Formen und verschoben sie mühelos. Der Boden des Karnut zitterte leicht, als das Schiff gegen den Wasserwiderstand ankämpfte und verlor. Scobee lehnte sich vor. »Wie unterscheidet man Beschleunigung und Verlangsamung?« »Hier.« Cloud ergriff ihre Hand und führte sie zu einem Dreieck. Sie fühlte sich warm und trocken unter seinen Fingern an. »Drück das zur Seite und es bremst ab.« »Die Steuerung ist ungeheuer kompliziert«, hörte er Resnick hinter sich sagen. »Schnelle Manöver werden wir damit nie ausführen können.« »Es wurde ja auch nicht für Lebewesen mit Gliedmaßen konzipiert.« Darnoks Stimme hatte ihren Hall zurück gewonnen. »Für was denn sonst?« Wieder war es Jarvis, der aggressiv nachfragte und wieder war es Darnok, der nicht antwortete. Cloud drehte sich zurück zum Bildschirm. Peinlich berührt bemerkte er, dass seine Hand immer noch auf Scobees lag. Ohne ein Wort zog er sie weg. Er war sich nicht sicher, aber aus den Augenwinkeln glaubte er die GenTec lächeln zu sehen.
Sie drehte den Kopf zu Darnok. »Selbst wenn es nicht für Lebewesen wie uns gebaut wurde, sind jetzt welche an Bord und wir haben bestimmte biologische Bedürfnisse, die erfüllt werden müssen.« »Das Schiff wird euch mit allem versorgen, was ihr benötigt.« »Und wie?« Jarvis breitete die Arme aus, schloss mit seiner Geste den ganzen leeren Raum ein. »Hier gibt es nichts, kein Wasser, kein Essen, . noch nicht einmal ein Klo. Wie...« »Ich glaube nicht, dass Wasser unser größtes Problem sein wird«, sagte Resnick mit einem Blick auf den Bildschirm. Sein Einwurf klang so trocken, dass Cloud beinahe gelacht hätte. Neben ihm grinste Scobee, während Jarvis nur den Kopf schüttelte und die Arme senkte. »Ihr wisst, was ich meine«, fügte er gereizt hinzu und stolperte im nächsten Moment, als ein Ruck durch das Schiff ging. Cloud stützte sich an der Wand ab und sah ebenso wie Scobee und Resnick zum Bildschirm. Vor ihnen breitete sich der unendlich scheinende Ozean aus, aber ein Hindernis, gegen das sie möglicherweise gestoßen waren, ließ sich nicht erkennen. »Das Schiff bewegt sich nicht mehr«, sagte Resnick, »aber das Triebwerk läuft noch.« Cloud spürte die starken Vibrationen unter seinen Füßen. Es fühlte sich an, als würde das Schiff von etwas festgehalten. »Darnok, wie stelle ich den Bildschirm um? Ich will sehen, was hinter uns ist.« Nur Schweigen antwortete ihm. »Darnok?« Die schwarze Masse pulsierte langsam und rhythmisch, reagierte jedoch nicht. Cloud sah die anderen an und hob die Schultern. Resnick trat neben ihn. Sein Gesicht drückte Ratlosigkeit aus. »Vielleicht ist er eingeschlafen«, sagte er nach einem Moment. »Eingeschlafen?« Jarvis schlug mit der flachen Hand gegen eine Wand. »Er ist nicht eingeschlafen, er spielt ein Spiel mit uns! « »Das glaube ich nicht. Was hier geschieht, betrifft ihn ebenso sehr wie uns. Wieso sollte er uns absichtlich seine Hilfe verweigern?« »Weil er ein verdammter Außerirdischer ist und wir keine Ahnung haben, warum er überhaupt etwas tut. Er denkt nicht wie wir, versteht das doch endlich!« Beinahe gehetzt sah er sich um, suchte wohl nach Zustimmung in den Gesichtern der Menschen, die zwischen ihm und Darnok standen. Scobee machte einen Schritt nach vorn. »Beruhig dich erst mal, G.T.«, sagte sie. »Es bringt niemandem was, wenn du durchdrehst.« »Vielleicht bringt es mir was. Dieses Ding soll ruhig wissen, dass wir uns nicht alles von ihm gefallen lassen... zumindest ein paar lassen sich nicht alles gefallen.« Der ging an mich, dachte Cloud. Er wollte antworten, aber Scobee kam ihm zuvor. »Niemand lässt sich hier irgendwas gefallen, aber im Gegensatz zu dir haben wir anscheinend begriffen, dass wir auf Darnok angewiesen sind. Er hat uns gerettet, wir sind auf seinem Schiff und müssen uns irgendwie mit ihm arrangieren. Wenn du eine
Alternative dazu kennst, sag sie. Wenn nicht, kannst du gerne noch ein paar Mal gegen die Wand schlagen, aber sei wenigstens ruhig dabei.« Jarvis blinzelte überrascht. Einen Moment sah es so aus, als wolle er noch etwas sagen, doch dann verschränkte er nur stumm die Arme vor der Brust. Cloud bemerkte die Muskelstränge, die sich unter dem Stoff der Ärmel abzeichneten und seine Anspannung deutlich machten. Er hatte das Rededuell vielleicht abgebrochen, aber die Auseinandersetzung war längst nicht vorbei. Etwas bewegte sich am Rand seines Gesichtsfelds. Cloud hob den Blick und trat unwillkürlich einen Schritt zurück, als er die Veränderung an der Decke bemerkte. »Was ist denn das?« Resnick zeigte nach oben zu der Stelle, an der sich vier Ballons zu formen begannen. Sie waren so schwarz wie die Schiffsdecke und glänzten feucht. Minutenlang vergrößerten sie sich, bis sie einander berührten und lautlos nach unten tropften. Cloud schätzte, dass sie einen Durchmesser von fast einem Meter hatten. Die Vibrationen des Schiffsdecks übertrugen sich auf die Ballons und ließen sie erzittern. Sie strahlten eine Wärme ab, die deutlich über der Raumtemperatur lag. »Sie verändern sich«, sagte Scobee leise. »Siehst du es?« Cloud nickte. Die Ballons fielen in sich zusammen, veränderten und verschoben sich in immer schneller werdender Folge. Jarvis wandte sich von ihnen ab, und auch Cloud bemerkte, wie ihm schwindelig wurde, als seine Augen den Bewegungen nicht mehr folgen konnten. Nur eines war sicher: die Ballons waren längst verschwunden, hatten sich in etwas verwandelt, das noch nicht zu erkennen war. Und dann war es auch schon vorbei. Die Bewegungen wurden langsamer, und Cloud erkannte endlich, was vor ihnen am Boden lag. Es war Kleidung - vier graue eng anliegende Overalls mit Handschuhen und Stiefeln. Es gab keinen Helm, trotzdem war klar ersichtlich, worum es sich dabei handelte. Tauchanzüge, dachte Cloud und räusperte sich. »Ich glaube, unser Gastgeber möchte, dass wir uns draußen ein wenig umsehen.«
Scobee hob einen der Overalls vom Boden auf und strich über das seltsam glatte Material. Der Stoff - wenn es sich denn um Stoff handelte - war so leicht, dass sie sein Gewicht kaum spüren konnte. »Wow«, hörte sie Resnick beinahe ehrfürchtig sagen. »Das ganze Schiff muss aus dieser Art Materie bestehen. Eine andere Erklärung gibt es nicht.« Cloud drehte einen anderen Overall zwischen den Fingern und zog daran. Das Material machte die Bewegung mit, nahm aber sofort wieder seine eigentliche Form an, als er es losließ. »Und was bedeutet das?«, fragte er. »Dass es sich um Substanz der ursprünglichsten Art handelt. Sie ist wie Knetmasse, die nur darauf wartet, in eine Form gepresst zu werden. Da jeder Gegenstand und
jedes Ding aus Atomen besteht, kann man mit genügend Zeit und Energie alles daraus erschaffen.« Scobee hätte in diesem Augenblick gewettet, darauf eine Antwort von Jarvis zu hören und sie wurde nicht enttäuscht. »Das heißt«, sagte er, »Darnok könnte aus diesem lahmen kleinen Shuttle ein Kriegsschiff machen, wenn er das nur wollte?« Resnick schüttelte den Kopf. »Nein, du kannst die eigentliche Masse natürlich nicht überschreiten. Außerdem diktiert der Energieaufwand bestimmte Grenzen. Wir haben alle die Wärme gespürt, die von den Anzügen ausging. Bei längeren und komplexerenVorgängen würde die Hitze uns vermutlich töten und die Energiezellen - oder womit auch immer das Schiff angetrieben wird - ausbrennen.« »Wo liegt deiner Meinung nach die Grenze?« Cloud dachte weniger martialisch als Jarvis, aber ebenso praktisch, während Resnick immer stärker von der theoretischen Seite ihrer Reise fasziniert zu sein schien. »Das lässt sich ohne umfassende Experimente nicht bestimmen«, sagte er jetzt. »Ich nehme an, dass Darnok diese Frage beantworten könnte.« Und das wird er sicherlich auch tun, dachte Scobee sarkastisch. Sie machte sich nicht die Mühe, den Satz laut auszusprechen. Die Gesichter der anderen verrieten, dass sie das Gleiche dachten wie sie. Zumindest darin waren sich die drei Männer vor ihr einig, ebenso wie in dem Unwohlsein, das sie in Darnoks Gegenwart empfanden. Scobee bemerkte es an der Art, wie sie ihn nie direkt betrachteten und ihm den Rücken zuwandten, wann immer es ging. Sie selbst empfand den Anblick des Außerirdischen zwar als fremd, aber nicht unangenehm. Trotzdem schien Darnok Cloud als Gesprächspartner zu suchen und keinen anderen. Sie fragte sich, woran das lag. »Wir sollten darüber reden, wer von uns das Schiff verlässt.« Jarvis sah zum Bildschirm und trat von einem Fuß auf den anderen. »Ich melde mich freiwillig, falls es jemanden interessiert.« »Ich schließe mich an«, sagte Cloud zu Scobees Überraschung. Die Spannungen zwischen den beiden waren offensichtlich, und es verwunderte sie, dass er vor einer solch fordernden Zusammenarbeit nicht zurückschreckte. Aus den Augenwinkeln musterte sie Jarvis. Er wirkte ebenso überrascht und nicht sonderlich begeistert. »Okay«, sagte sie, um einem möglichen Kommentar Resnicks zuvor zu kommen. »Dann können wir uns alle Diskussionen sparen. Ihr geht und wir bleiben im Schiff zurück, für den Fall, dass es Schwierigkeiten gibt.« Cloud nickte und streifte sich den Overall mit den Beinen voran über. Fasziniert beobachtete Scobee, wie sich das Material dehnte und sich dann wie eine zweite Haut über seine Kleidung legte. Jede Falte und jede kleine Unebenheit zeichnete sich darunter ab. »Wie fühlt es sich an?«, fragte sie. »Ich weiß nicht... « Cloud sah an seinem Körper herab, während er den Overall über die Schultern zog. »Zum einen bin ich wirklich froh, dass man ihn über und nicht anstelle der Kleidung trägt...«
Resnick lachte. »... zum anderen fühlt er sich nach gar nichts an, so als hätte ich ihn nie angezogen. Es ... « Er brach ab, als sich der Overall um seinen Hals schloss und begann nach etwas zu tasten, das sich vor seinem Gesicht zu befinden schien. Scobee dachte unwillkürlich an einen Pantomimen, der eine nicht existente Kugel in Händen hält. Sie trat einen Schritt vor. »Was ist los?« »Da ist eine Art Blase.« Cloud drehte den Kopf, als wollte er etwas ausprobieren. »Wenn ich sehr schnell die Augen bewege, kann ich erkennen, wie sie mein Sichtfeld leicht verzerrt. Sie scheint den ganzen Kopf zu umschließen.« »Das dürfte dann wohl der fehlende Helm sein«, sagte Resnick. Neben ihm schloss auch Jarvis den Overall und tastete mit seinen Fingern nach seinem Gesicht. »John hat Recht. Das ist eine Blase. Sie fühlt sich weich an, aber ich kann sie nicht durchstoßen. Hört sich meine Stimme anders an?« »Nein.« Scobee streckte vorsichtig die Hand nach Clouds Gesicht aus, bis sie auf Widerstand stieß. Sie drückte gegen das unsichtbare Hindernis, konnte aber sein Gesicht nicht berühren. »Spürst du was?«, fragte sie. »Nichts.« Er schob den Kopf nach vorne, und Scobee fühlte, wie ihre Hand zurückgedrängt wurde. »Da 'ist kein Widerstand. Die Blase scheint den Druck zu absorbieren.« »Apropos Widerstand«, sagte Jarvis, während er sich in seinem Overall streckte. »Was ist mit Waffen?« Cloud hob die Schultern. »Die scheinen nicht vorgesehen zu sein.« »Ich hätte aber wirklich gerne Waffen.« Scobee senkte ihre Hand und sah Jarvis an. »Du solltest versuchen, nicht immer an Gewalt zu denken.« »Das ganze Universum ist voller Gewalt, das haben wir doch gesehen. Ich versuche nur, mich auf diese Gewalt einzustellen, bevor sie uns alle umbringt!« Er schrie sie nicht an, aber die Adern in seinem Hals traten blau hervor. »Möchtest du eine Waffe?« Darnoks überlaute Frage kam unerwartet. Scobee zuckte erschrocken zusammen. »Ja, verdammt noch mal. Natürlich will ich eine Waffe.« »Und du, John? Möchtest du auch eine Waffe?« Cloud sah an ihm vorbei auf einen Punkt an der Wand. Die Frage klang wie ein Test, das musste ihm ebenso wie jedem anderen an Bord klar sein. »Werde ich eine brauchen?«, fragte er zurück. »Möchtest du auch eine Waffe?« Es war eine Wiederholung, die im exakt gleichen Tonfall gesprochen wurde, ohne Ungeduld, aber auch ohne Hintertür. »Ja«, sagte Cloud, nachdem Scobee seinen ratlosen Blick mit einem Schulterzucken beantwortet hatte. »Ich hätte sehr gern eine Waffe.« »Du sollst sie bekommen.« Wie schon bei den Overalls formten sich auch dieses Mal schwarze Tropfen an der Decke. Es waren nur zwei und sie waren wesentlich kleiner als die, die Scobee
vorher gesehen hatte. Sie lösten sich vom Rest des Schiffs und fielen dem Boden entgegen. Als sie mit einem metallischen Laut aufschlugen, hatten sie bereits ihre endgültige Form gefunden. »Na endlich.« Jarvis grinste und ging in die Hocke. »Das ist doch schon besser.« Vorsichtig berührte er eine der Waffen mit den Fingerspitzen, bevor er seine Hand um den Griff schloss. »Sie ist warm, aber nicht heiß«, sagte er. Cloud nahm die andere Waffe und sah auf, als Scobee neben ihn trat. »Sie ist eindeutig für Lebewesen mit Gliedmaßen gemacht.« Die metallisch graue Handfeuerwaffe reflektierte das Licht des Schiffs. Sie bestand aus einem Griff, einem rund zwanzig Zentimeter langen, klobig wirkenden Lauf und einem Kontaktpunkt an der Unterseite, bei dem es sich vermutlich um den Abzug handelte. Von außen waren keine weiteren beweglichen Teile zu sehen, keine Mechanik, kein Magazin. »Wie funktioniert sie?« Cloud öffnete den Mund, um zu antworten, aber Jarvis kam ihm zuvor. »Ist doch egal. Sie hat einen Griff und eine Mündung. Das eine Ende hält man fest, das andere richtet man auf den Gegner.« Scobee verschränkte die Arme vor der Brust. »Und was kommt aus diesem Ende raus?« »Keine Ahnung, aber hoffentlich ist es groß, laut und richtet jede Menge Schaden an.« Resnick nahm ihm die Waffe aus der Hand und drehte sie langsam. »Du solltest vorsichtig sein, bevor du sie zum ersten Mal einsetzt. Wenn sie elektrische Ladungen abgibt, könntest du im Wasser selbst das Opfer werden.« »Darnok kann uns jeder Zeit umbringen, wenn er das will«, sagte Cloud. »Warum sollte er es auf eine so umständliche Weise versuchen?« »Vielleicht hat er Sinn für Humor.« Resnick reichte die Waffe Jarvis, der sie, wie Scobee mit unterdrücktem Lächeln bemerkte, jetzt wesentlich misstrauischer betrachtete. Sie nickte ihm und Cloud zu. »Seid ihr bereit?« »Ja.« Die Antwort kam von beiden nach dem gleichen kurzen Zögern. Etwas ratlos standen sie in ihren eng anliegenden Raumanzügen in der Mitte des Raumes, die Waffen zu Boden gerichtet. »Bereit bin ich schon«, sagte Cloud, »aber wo ist die Luftschleuse?« »Wo immer du willst. Gehe einfach durch eine Wand.« Dieses Mal war Scobee auf Darnoks Stimme vorbereitet, und auch seine Aussage überraschte sie kaum noch. Wenn sich das Schiff tatsächlich beliebig formen ließ, konnte die Schleuse an jeder Stelle erscheinen, die gewünscht wurde. Sie fragte sich, ob der Außerirdische als Einziger über die Fähigkeit verfügte, diese Materie zu beherrschen oder ob auch ein Mensch damit hätte umgehen können. Vor ihr drehte sich Jarvis um. der bereits neben Cloud an einer Wand stand. »Sollten wir keinen Kontakt halten können, wartet eine Stunde. Wenn wir dann nicht zurück sind, bittet Darnok um größere Waffen.«
Scobee schüttelte leicht den Kopf. »Er wird euch schon nicht ins offene Messer laufen lassen. Schließlich hängt er hier ebenso fest wie wir.« »Ich hoffe, du hast Recht«, sagte Cloud so leise, dass sie ihn beinahe nicht verstand. Dann griff er nach Jarvis' Arm und verschwand lautlos in der dunklen Wand. Resnick sah zur Decke. Sein Mund bewegte sich, als er lautlos bis fünfzig zählte, um den beiden genügend Zeit zu geben, sich an die fremde Umgebung zu gewöhnen. »Resnick an Außenteam«, sagte er dann. »Außenteam, bitte kommen.« Stille. »Außenteam, könnt ihr uns hören?« Scobee betrachtete den Bildschirm in der Hoffnung einen anderen Ausschnitt zu sehen, doch der Monitor zeigte immer noch die Sicht von der Frontseite des Schiffs. Was hinter ihnen geschah, blieb im Verborgenen. »Sie antworten nicht.« Resnick lehnte sich an eine Wand und wandte den Blick ebenfalls dem Bildschirm zu. »Ich weiß nicht, ob dieser Ausflug eine so gute Idee war.« Scobee dachte an Darnok, der stumm und pulsierend hinter ihnen saß. »Und ich weiß nicht, ob wir eine Wahl hatten.«
Es war ein unglaubliches Gefühl. Cloud schwebte in dem endlosen Ozean, eine Hand wie zur Sicherheit gegen die Wand des Karnuts gepresst. Er hatte geglaubt zu fallen, als er aus der Außenhaut des Schiffs trat und den Boden unter den Füßen verlor, aber der Eindruck verging so schnell, wie er gekommen war. Neben ihm trat Jarvis Wasser, ein Reflex, der unnötig war, denn es gab keine Schwerkraft, die ihn hätte nach unten ziehen können, keinen Grund, der ihn am Ende des Würfels erwartete. »Scheiße«, hörte Cloud seine Stimme in der Energieblase, ahnungslos, woher die Luft strömte, die er atmete, »das ist schon was anderes als ein Weltraumspaziergang.« Er hatte Recht. Im Vakuum des Alls war es wesentlich schwieriger, die eigenen Bewegungen zu koordinieren. Jeder Impuls löste eine Reaktion aus, die nur durch einen Gegenimpuls gebremst werden konnte. Hier war es das Wasser, das durch seine Dichte bremste und die Illusion von Schwere vermittelte. »Cloud an Scobee und Resnick, könnt ihr uns hören?« Die Antwort blieb aus. »Wir sind wohl unter uns«, sagte Jarvis, als auch nach dem dritten Versuch nichts zu hören war. »Sieht so aus. Lass uns zur Rückseite schwimmen. Je eher wir wissen, was los ist, desto schneller sind wir wieder im Schiff.« Es kostete Cloud ein wenig Überwindung, die Hand von der Außenhülle zu lösen und sich abzustoßen. Aus den Augenwinkeln bemerkte er, dass auch Jarvis sich dicht
neben dem Schiff hielt, dem einzigen Fixpunkt in dieser desorientierenden Welt, deren Endlosigkeit merkwürdig klaustrophobisch wirkte. Bis zum Heck des Schiffs waren es nur wenige Meter. Cloud bemerkte, dass er sich am besten in einem halb schwimmenden, halb aufrechten Gang fortbewegen konnte. Er fragte sich, ob das Wasser warm oder kalt war, aber der Raumanzug blockierte diese Wahrnehmung. Vor ihm stoppte Jarvis neben dem Triebwerk des Schiffs und winkte ihn heran. »Wir haben ein Problem«, sagte er. Cloud betrachtete das abgeschaltete Triebwerk, das dunkle Heck und das Wasser, das beides umgab. »Ich sehe nichts.« »Du musst die Außenhaut anfassen.« Jarvis ergriff seine Hand und zog sie nach unten. Durch die Handschuhe spürte Cloud die Oberfläche des Schiffs. Sie war rauer und unebener als weiter vorne, so als läge irgendeine Schicht darüber. Er tastete sich weiter, folgte den Unebenheiten mit den Fingerspitzen, bis er das Ende des Schiffs erreicht hatte. Etwas berührte sein Bein. Cloud wich instinktiv zurück, obwohl er nichts sehen konnte. »Vorsicht«, sagte er, »hier ist irgendwas.« Jarvis nahm die Waffe hoch. »Was auch immer es ist, es soll ruhig kommen.« »Ich glaube nicht, dass du es erschießen kannst.« »Man kann alles erschießen, wenn man nur die richtige Waffe hat.« Cloud hob die Augenbrauen und schwieg. Seine Finger glitten über die Strukturen, die sich unter und hinter dem Schiff immer weiter ausdehnten. Jeder einzelne Faden war so dünn, dass er praktisch unsichtbar war, so wie das Netz einer Spinne. Es war unmöglich zu schätzen, über welche Entfernung es sich erstreckte. »Es ist eine Art Spinnennetz«, sagte er nach einem Moment. Jarvis nickte. »Der Gedanke ist mir auch gekommen, aber hätten die Sensoren oder Schilde oder so ein Scheiß das nicht bemerken müssen?« »Darnoks Schiff ist nicht die Enterprise. Vielleicht hat es keine Sensoren.« Cloud antwortete abwesend, konzentrierte sich mehr auf die Fäden und das, was möglicherweise dahinter lauerte, als auf seinen Gesprächspartner. Jarvis schloss zu ihm auf. »Dann sollte jemand Yoda sagen, dass Sensoren eine verdammt gute Investition wären. Am besten sagst du ihm das, du scheinst ja sein Lieblingsschüler zu sein.« »Ich bin nicht sein...« Cloud stutzte. »Siehst du das?« »Was?« »Da unten in diesen Algen, bewegt sich da nicht was?« Er kniff die Augen zusammen, aber die Konturen, die er zwischen den grünen Blättern zu sehen geglaubt hatte, waren verschwunden. Lautlos und schwebend wie ein fliegender Teppich glitten die Algen unter ihnen vorbei. »Müssten sie nicht auch in die Fäden geraten?«, stellte Jarvis die Frage, die Cloud in gleichem Moment einfiel.
»Eigentlich schon.« Außer ein Bewusstsein steuerte die Fäden und sorgte dafür, dass sie nur lohnende Ziele angriffen. Das war ein durchaus denkbares Szenario. »Wir sollten versuchen die Fäden zu beschießen«, fügte er hinzu. »Vielleicht lösen sie sich dann auf.« »Endlich mal ein vernünftiger Vorschlag.« Jarvis wich mit ihm ein Stück zurück und hob die Waffe. »Dann hoffen wir mal, dass wir nicht gegrillt werden.« Cloud sah, wie seine Fingerspitze über dem Kontaktpunkt schwebte, aber keiner von beiden drückte ab. Sie hatten keine Ahnung, was die Waffen tatsächlich auslösen konnten. Die Anspannung lähmte sie beinahe. Jarvis lachte nervös. »Wir sollten irgendwann abdrücken.« »Okay«, sagte Cloud. »Auf drei. Eins... zwei... " Er drückte ab, bevor er die drei aussprechen konnte. Seine Hand kribbelte, als sie den Kontaktpunkt berührte... Und das Wasser begann zu kochen. Cloud schrie auf, als Luftblasen sich explosionsartig in alle Richtungen ausbreiteten. Die Druckwelle schleuderte ihn gegen einen Teil des Karnuts. Verzweifelt hielt er sich fest, um nicht fortgerissen zu werden. Das verdampfende Wasser machten es beinahe unmöglich etwas zu sehen. Sein ganzer Körper erbebte unter dem Donnern des Ozeans. Der Lärm sterbender Kreaturen und das Tosen der Naturgewalten hüllten ihn ein und raubten ihm jeden klaren Gedanken. Luftblasen hämmerten wie Faustschläge gegen seinen Anzug. Er krümmte sich unter ihnen zusammen, fragte sich, weshalb er sie spürte, aber selbst nicht gekocht wurde. Gegenstände trafen ihn, Tierreste, Algen, Korallen, vielleicht auch Steine. Halb benommen spürte er, wie seine Finger ihre Kraft verloren und langsam vom Karnut abglitten. Cloud dachte an den unendlichen Ozean hinter sich und hoffte, sich nicht darin zu verlieren. Dann ließ er los.
Erinnerungen. Ihn stören Erinnerungen, denn sie sind Dokumente der Veränderungen, die er erlebt hat. Erleben - noch so ein verhasstes Wort. Wer etwas erlebt, macht Erinnerungen, das Eine ergibt das Andere und beides ist unerwünscht. Aber er hat Dinge erlebt und Erinnerungen gemacht, das lässt sich nicht leugnen. So sehr er sich auch bemüht, die Veränderungen zu vergessen und völlig in der gewollten Stagnation seiner Existenz aufzugehen, es gelingt ihm doch nicht. Die Erinnerungen kehren stets zurück. Sie haben ihn geholt, eines Tages vor unendlich langer Zeit.
Er war einer unter vielen, ein Gleicher unter Gleichen, reglos, ohne Vergangenheit und Zukunft. Die Welt, auf der sie lebten, war ebenso unveränderlich wie sie selbst, nicht mehr als ein toter Felsen im All, der ungestört seine Kreise zog. Er wusste von dieser Bewegung und sie hätte sein ästhetisches Empfinden stören müssen, aber wie die anderen zog er es vor, diesen Umstand zu ignorieren. Die Temperatur auf der stets sonnen zugewandten Seite ihrer Welt veränderte sich kaum, das reichte ihnen. Bis sie kamen. Er erinnert sich an die erste Begegnung mit den seltsamen Wesen, denen er keinen Namen gab, weil es die Vollkommenheit seiner Sprache nicht erlaubt. Ihr einen neuen Begriff hinzuzufügen, wäre undenkbar. Also nannte er die Fremden einfach sie und wartete darauf, dass sie wieder verschwanden. Aber das taten sie nicht. Sie blieben und begannen, die Dinge zu verändern. In seiner gesamten ereignislosen Existenz hatte er so etwas noch nicht gesehen. Strukturen entstanden und hüllten Felsen in Schatten, die für Jahrmillionen die Sonne gesehen hatten. Andere Felsen wurden ins Licht gerissen, obwohl sie nie zuvor dort gewesen waren und keinen Platz an diesem Ort hatten. Alles wurde anders, und obwohl er sich immer noch weigerte, ihnen einen Namen zu geben, musste er sich doch eingestehen, dass er etwas Neues für diese Wesen empfand. Hass. Auch in dieser Erkenntnis war er ein Gleicher unter Gleichen gewesen. Er konnte später nicht mehr sagen, woher der Impuls gekommen war oder was den Ausschlag gegeben hatte, aber sie alle reagierten gemeinsam und taten etwas, das sie noch nie getan hatten. Sie bewegten sich. An diesem verhassten Tag voller Erinnerungen sah er zum ersten Mal, wie es war, wenn Wesen starben.
Mit einem Ruck kehrte die Schwerkraft zurück. Cloud spürte, wie sein Körper auf etwas Hartem aufschlug und über es hinweg rutschte, bevor er endlich zur Ruhe kam. Eine Frauenstimme rief seinen Namen. Etwas griff nach ihm. Aus einem Reflex heraus schlug er zu, traf jedoch nur Luft, »Immer mit der Ruhe. Ich bin's.« Die Worte drangen zu ihm durch und erst jetzt bemerkte Cloud, wie still es um ihn herum geworden war. Er schüttelte den Kopf, um die Benommenheit zu vertreiben, dann setzte er sich auf. Scobee hockte neben ihm auf dem Fußboden des Raumschiffs. Resnick stand vor dem Bildschirm und starrte auf die toten Kreaturen, die langsam an ihm vorbei trieben. »Wo ist Jarvis und was ist passiert?«, hörte Cloud Scobee fragen.
»Ich... « Er räusperte sich. »Keine Ahnung. Wir wollten das Schiff aus diesem Netz befreien und haben darauf geschossen. Die Ladungen explodierten, das Wasser begann zu kochen. Ich konnte mich nicht mehr halten... und jetzt bin ich hier.« »Du bist aus der Wand gefallen. Vermutlich hat die Außenhaut auf das Material des Anzugs reagiert und sich geöffnet.« Jetzt blickte auch Scobee zum Bildschirm. »Und du hast Jarvis nicht gesehen?« Er rieb sich die Schläfen und bemerkte erst jetzt, dass die Energieblase, der »Helm«, verschwunden war. »Nein. Selbst wenn er direkt neben mir gestanden hätte, wäre er bei dem Chaos kaum zu sehen gewesen. Wir müssen nach ihm suchen.« »Ein Mann und ein GenTec gehen raus«, sagte Resnick, ohne sich umzudrehen, »ein Mann kommt allein zurück.« Cloud sah auf. Er spürte einen Stich, der mehr Enttäuschung als Wut war. »Was willst du damit sagen?« »Dass es immer so ist. Wir sind die Ersten, die sterben.« »Ich habe ihn nicht zurückgelassen!« »Vielleicht nicht.« Resnick berührte einige Kontrollen und das Schiff änderte die Richtung, steuerte jetzt langsam und suchend im Kreis. »Aber vielleicht«, fuhr er dann fort, »hättest du besser auf ihn geachtet, wenn er das wäre, was du unter einem >richtigen< Menschen verstehst - und keiner von uns.« Cloud hätte ihn am liebsten angeschrien, aber er schwieg, als Scobee eine Hand auf seinen Arm legte. »Du weißt, dass das nicht stimmt«, sagte sie an Resnick gewandt. »Weiß ich das?« Die Ironie der Situation entging Cloud nicht. Seit Monaten bemühte sich Scobee sein Misstrauen gegenüber den GenTecs abzubauen und jetzt, wo sie es beinahe geschafft hatte, stellte sich heraus, dass es ein GenTec war, der sein Misstrauen einfach nicht ablegen konnte. »Du solltest es wissen«, sagte Cloud. Er streifte Scobees Hand ab und stand auf. »Wenn wir uns nicht aufeinander verlassen können, sind wir tot. Und das ist vielleicht genau das, was er will.« Er nickte Darnok zu. »Schließlich hat er uns die Waffen gegeben, und du glaubst doch wohl nicht wirklich, dass er nicht wusste, was wir auslösen, wenn wir sie abfeuern. Richtig, Darnok?« Natürlich erhielt er keine Antwort, aber zumindest drehte sich Remick zum ersten Mal vom Bildschirm weg, um den Außerirdischen anzusehen. »Er trägt für Jarvis' Verschwinden die Verantwortung, nicht ich. Wenn du auf jemanden wütend sein willst, dann such dir wenigstens das richtige Ziel aus.« »Es ist leichter, auf jemanden wütend zu sein, der ein Gesicht hat.« Keine Entschuldigung, aber wenigstens ein Rückzug, dachte Cloud. Er nickte. »Okay, dann lass uns Jarvis suchen. Die Druckwelle kann ihn nicht weit weg geschleudert haben.«
Es erschien Scobee moralisch falsch, gelangweilt zu sein, aber nach der stundenlangen erfolglosen Suche ertappte sie sich immer wieder, dabei, wie ihre Gedanken abschweiften und zu Tagträumen wurden. Dann verschwand Resnicks monotone Stimme im Hintergrund, und sie war wieder auf der Erde, irgendwo draußen, wo die Sonne schien und leichter Wind wehte. Aber die Illusion hielt nie lange an, denn irgendetwas riss sie stets zurück - eine neue Entdeckung, die für einen kurzen Moment Hoffnung versprach oder eine Enttäuschung, so wie Clouds frustrierter Tritt gegen die Wand, der sie dieses Mal hoch fahren ließ. »Scheiße, wir sind hier schon gewesen!«, stieß er hervor. Resnick betrachtete das komplizierte Koordinatensystem, das er erstellt hatte, um die Suche besser organisieren zu können. »Das ist unmöglich. Wir haben Quadrat B7/2 noch nicht passiert.« »Und doch waren wir schon hier.« Cloud deutete auf eine Korallenformation, die steil in das blaue Wasser aufragte. »Die habe ich beim letzten Mal bemerkt, weil sie wie der Eiffelturm aussieht.« »Bist du sicher?« »Ja.« Resnick seufzte und legte das Koordinatensystem zur Seite. »Dann sind wir nicht in B7/2, was bedeutet, dass ich mich irgendwann in den... « Er sah auf seinen Anzugchronometer. »... letzten viereinhalb Stunden verrechnet habe.« Cloud strich sich müde mit der Hand über die Augen. »Das heißt, wir haben keine Ahnung, wo wir sind.« »Nicht die geringste.« Es ist nicht deine Schuld, wollte Scobee Resnick sagen, aber das wäre eine Lüge gewesen, durch die Resnick sich auch nicht besser gefühlt hätte. Sie hatten sich bei der Suche auf sein System verlassen. Jetzt gab es keinen Anhaltspunkt mehr, der ihnen zur Orientierung dienen konnte. Zum Glück schien Cloud nicht vorzuhaben, sich für Resnicks Anschuldigungen zu revanchieren, denn er hockte nur stumm auf dem Boden und starrte auf den Bildschirm. Obwohl er Jarvis am wenigsten kannte, trieb er die Suche nach ihm am stärksten voran, so als wolle er beweisen, dass ihm GenTecs ebenso wichtig waren wie andere Menschen. Sie war froh darüber. Es zeigte, dass es ihm nicht egal war, was sie und Resnick über ihn dachten. »Können wir den Ausgangspunkt der Explosion wieder finden und von vorne anfangen?«, fragte sie, aber beide Männer schüttelten nur den Kopf. »Nein«, sagte Cloud. »Einige Schritte lassen sich vielleicht zurückrechnen, aber den Ausgangspunkt finden wir nur, wenn wir zufällig darüber stolpern.«
Er nahm den Blick nicht vom Bildschirm. Schweigen legte sich über den Raum, während die eine Frage, die mit jedem Moment unausweichlicher wurde, stumm zwischen ihnen stand. Scobee wusste, dass Cloud sie nicht stellen konnte und Resnick sie nicht stellen wollte. Also schluckte sie ihre Zweifel und ihr schlechtes Gewissen herunter und stellte sie selbst. »Hat es dann überhaupt noch Sinn weiterzusuchen?« Niemand antwortete. Resnick wich ihrem Blick aus, als sie ihn ansah, und Cloud erwiderte ihn zwar, aber sein Gesicht war so maskenhaft starr, dass sie nicht darin lesen konnte. Minutenlang war nichts zu hören außer dem dumpfen Brummen des Antriebs und dem eigenen Herzschlag. »Sie hat eine Frage gestellt«, sagte Darnok plötzlich in die Stille hinein. »Verdient sie nicht eine Antwort?« »Du kannst ja antworten.« Cloud drehte sich zu ihm um, wich dem Anblick des fremden Wesens vielleicht zum ersten Mal nicht aus. »Lohnt es sich noch weiterzusuchen, oder hast du es geschafft, Jarvis mit deiner verdammten Waffe umzubringen?« »Ich kenne nicht alle Antworten, und ich trage nicht die Verantwortung für alles, das euch widerfährt. Ich bin nur für die Lektionen zuständig.« »Also bist du für das hier verantwortlich! Du wusstest genau, was passieren würde, als du uns die Waffen gegeben hast.« Cloud machte einen Schritt auf Darnok zu. Scobee sah, dass seine Fäuste geballt waren. »Warum tust du das? Warum sabotierst du uns, anstatt zu helfen?« Er machte eine wegwerfende Geste. »Ach ja, ich vergaß: Wir sind ja die Mörder deines Volkes und müssen bestraft werden. Dies hier ist der intergalaktische Gerichtshof, du der Oberrichter, und wir sind nichts weiter als rechtlose Gefangene...« Er blieb abwartend stehen, aber nichts geschah. Die Mischung aus beißender Ironie und triefendem Sarkasmus verfehlte ihre Wirkung bei diesem... Etwas. Sogar das Pulsieren des Wesens war kaum mehr als ein Zittern. Schließlich wandte Cloud sich von ihm ab und ging zurück zum Bildschirm. »Lasst uns weitersuchen«, sagte er und klang dabei so müde wie Scobee sich fühlte. »Ich weiß nicht, was wir sonst tun könnten.« Seine Finger griffen nach den Kontrollen, doch Resnicks Stimme unterbrach ihn. »Warte einen Moment. Schwenk ein wenig nach rechts.« Cloud kam der Aufforderung nach. Der Korallen-Eiffelturm verschwand vom Bildschirm und wurde durch einen grünen Algenteppich abgelöst, der über einem Fischschwarm schwebte. »In dem Teppich ist irgendwas.« Resnick trat ebenfalls zum Bildschirm und zeigte auf eine dunkle Kontur, die sich im Grün abzeichnete. »Ich glaube, es verfolgt uns schon seit Stunden. Zuerst dachte ich, es seien verschiedene Algenteppiche, aber diese Kontur erscheint immer wieder.« »Den gleichen Teppich habe ich vor der Explosion gesehen«, bestätigte Cloud. Die Hoffnung in Clouds Stimme war ansteckend. Scobee beugte sich vor und versuchte mehr zu erkennen. »Kannst du näher heran fliegen?«
Cloud brachte das Schiff vorsichtig auf eine Höhe mit den Algen, aber was auch immer sich zwischen ihnen verbarg, wurde auch jetzt nicht klarer sichtbar. »Wir sollten es uns ansehen«, sagte er. »Warum?« Resnick schien wenig angetan von der Idee zu sein. »Was sollte ein Algenteppich mit Jarvis' Verschwinden zu tun haben?« »Keine Ahnung, aber der Teppich folgt uns nicht grundlos seit über vier Stunden.« »Manche Raubtiere folgen ihrer Beute tagelang«, warf Scobee ein. »Vielleicht wartet er nur darauf- dass sich jemand noch einmal nach draußen wagt.« »Oder er folgt uns, weil er wissen möchte, wer wir sind. Das werden wir erst herausfinden, wenn wir etwas unternehmen.« Cloud schloss den von Darnok erhaltenen Anzug mit einer Handbewegung. »Ich gehe raus.« Er drehte sich vom Bildschirm weg und ging auf eine der Außenwände zu. Resnick hob irritiert die Augenbrauen. »Und auf welchen Fakten basiert diese Entscheidung? Du weißt nichts über das, was da draußen ist.« »Nenn es Instinkt.« »Wenn du nichts dagegen hast, nenne ich es lieber unverantwortlichen Leichtsinn.« Scobee war geneigt, Resnick zuzustimmen, aber Cloud winkte nur ab. Sie verstand seine Frustration und sein Bedürfnis, mehr zu unternehmen als bisher, bezweifelte jedoch, dass er den richtigen Weg gefunden hatte. Im besten Fall schwamm er nur durch ein paar Algen, im schlimmsten Fall... Vor ihr verschwand Cloud wortlos in der Wand.
»Scheiße.« Jarvis setzte sich mit einem Ruck auf. Ein kleiner violetter Fisch, der unmittelbar vor seinen geöffneten Augen schwamm, wich erschrocken zurück und ergriff die Flucht. Überall war Wasser - vor ihm, hinter ihm, über ihm. Nur unter sich spürte er harten Fels. Sein Blick glitt über seine Umgebung, fand noch mehr Felsen, die steil und spitz wie die Wände einer Kathedrale nach oben ragten und in einem Dach aus Korallen, silbern schimmernden Pflanzen und grünen Algen endeten. Sie waren tausendfach durchbrochen von fingerbreiten Ritzen, durch die das Licht dieser Welt wie mit Speerspitzen in das Wasser stach. Alles glänzte in diesem weichen Licht, die fadenartigen Würmer, die an ihm vorbei glitten und die kleinen Fischschwärme, die von Algen fraßen oder scheinbar ziellos umher schwammen. Jarvis fragte sich, ob sie durch einen Eingang hereingekommen waren. Vielleicht waren sie auch schon immer hier gewesen. Er konnte sich nicht daran erinnern, das Bewusstsein verloren zu haben, und es kam ihm nicht vor, als sei er gerade erst zu sich gekommen. Trotzdem wusste er, dass Zeit
vergangen war, Zeit, an die er keine Erinnerung hatte. Der Gedanke erschreckte ihn mehr als die Befürchtung völlig allein zu sein. »Okay, ganz ruhig«, sagte er leise. »John, kannst du mich hören? Bist du hier irgendwo?« Es erhielt keine Antwort, so wie er es erwartet hatte. »Anscheinend nicht«, fügte er nach einer langen Pause hinzu. »Okay, kein Problem, dann wird's eben ein Soloausflug. Ich krieg das schon hin.« Er beruhigte den hämmernden Herzschlag und spürte, wie sich sein Körper zu entspannen begann. Er wusste nicht, wie er an diesen Ort gelangt war, ob er bei der Explosion einen Schock erlitten hatte und möglicherweise in Panik hierher. geschwommen war, oder ob ihn jemand absichtlich in diese Höhle gebracht hatte als Gast oder sogar als Gefangenen. Nur eines war ihm klar: Er wollte so schnell wie möglich weg von hier und zurück ins Schiff. Auch wenn Hunger und Durst noch kein Problem darstellten, würden sie bald zu einem werden. Inmitten des Ozeans zu verdursten, war eine Ironie, die ihn nicht besonders reizte. Jarvis dachte an Darnok und fluchte. Es gab keinen Zweifel daran, dass er genau gewusst hatte, was die Waffen ausrichten würden. »Wieder irgendein scheiß Test«, sagte Jarvis in die Stille des Ozeans, »den ich natürlich nicht bestanden habe.« Ein Schatten glitt über sein Gesicht hinweg. Nervös sah er auf und zuckte zusammen, als ein Wesen, das annähernd so groß war wie er selbst, an ihm vorbei schwamm. Auf den ersten Blick erinnerte es an einen dunklen, gepunkteten Delphin, doch dann bemerkte Jarvis, dass das, was er für die Schwanzflosse gehalten hatte, aus Tentakeln bestand, die jetzt langsam auffächerten und sich mit Saugnäpfen an der Wand befestigten. Waagerecht ragte es in die Höhle hinein, wippte in der leichten Strömung auf und ab. Seine breiten Seitenflossen waren ausgestreckt, und sein schlanker langer Kopf war auf den GenTec gerichtet. Es starrte ihn aus bemerkenswert grünen Augen an. »Willst du mich fressen, mich umbringen oder mit mir reden?« Das Wesen reagierte nicht. Jarvis fühlte sich unwohl unter seinem Blick, so wie ein Objekt, das untersucht werden sollte. Dr. Lyman hatte ihn immer so angesehen, wenn sie seine Reaktionen testete - allerdings ihre Katze auch. Entweder war das Wesen hochintelligent, oder es wartete darauf, dass er eine Gummimaus warf... Jarvis stieß sich vom Felsen ab und schwamm einige Meter zur Seite, weiter weg von der Wand und seinem Beobachter. Beinahe sehnsüchtig dachte er an die Waffe, die Darnok ihm überlassen hatte - auch wenn sie ihn fast umgebracht hätte. Ein Schuss hätte gereicht, um das Wesen und die Wand dahinter zu vernichten. »Ich hoffe, du kannst meine Gedanken nicht lesen, Flipper«, sagte er. »Wenn ich könnte, würde ich dich umbringen und zwar sofort. Ein sauberer Schuss zwischen die Augen - und noch fünf, sechs hinterher, um auf Nummer sicher zu gehen. Wer weiß schon, wo bei dir die Organe liegen.« Er schwamm weiter nach oben, der Decke entgegen. Es fiel ihm schwer, die Entfernungen im Wasser richtig einzuschätzen, aber die Höhle schien wesentlich höher zu sein, als er anfangs angenommen hatte.
Das Wesen blieb unter ihm zurück. Es drehte nur den Kopf, um ihn weiter im Auge zu behalten. Jarvis fragte sich, ob er kräftig genug war, um es im Notfall mit seinen bloßen Händen zu töten. Ein kleiner Fischschwarm stob mit hektischen Bewegungen auseinander, als er näher heran kam. Einige Fische versteckten sich zwischen trichterförmigen, violetten Blüten, andere tauchten in einen Wald aus Algen und Seetang ein, der die Kuppel der Höhle und den oberen Teil der Wände bedeckte. Kopfgroße krebsartige Tiere mit langen Rüsseln liefen wie auf Zehenspitzen an den Blättern entlang, ohne sich um die Aufregung zu kümmern. Ihre schwarzen Panzer waren mit Dornen bedeckt, und sie machten nicht den Eindruck, als würden sie sich vor irgendetwas in dieser Höhle fürchten. Jarvis beneidete sie.. Seine Hände berührten die Felsen, die sich an der Decke zu einer Kuppel wölbten. Blätter, so lang wie Arme, strichen über seinen Körper. Krebse musterten ihn desinteressiert aus gelben Stielaugen. Die Vegetation war so dicht, dass er nicht erkennen konnte, ob sich dahinter vielleicht ein Weg nach draußen befand. Jarvis warf einen Blick nach unten, aber sein Beobachter hing immer noch am Fels. Der kleine Fischschwarm, den er aufgeschreckt hatte, fand sich langsam wieder zusammen. Es waren weniger Tiere als zuvor. Sie könnten nach draußen geflohen sein, dachte er und schob vorsichtig einige Blätter zur Seite. Vor ihm schien ein ganzer Wald aus Tang und Algen zu liegen. Langsam stieß er in diese dunkle grüne Welt vor und ließ die licht durchflutete Höhle hinter sich zurück. Nach nur wenigen Metern war nicht mehr zu erkennen, woher er gekommen war. Eine wogende Wand aus Blättern umgab ihn, ein grüner Dschungel, der viel größer und dichter war, als es von unten den Anschein gehabt hatte. Auf Jarvis wirkte er so undurchdringlich wie die Felsen der Höhle. »Blödsinn«, sagte er laut, bevor der Gedanke an die Dichte des Dschungels in Klaustrophobie umschlagen konnte, »alles, was in der Höhle lebt, muss durch diesen Wald gekommen sein. Also gibt es auch einen Ausgang. Ich muss ihn nur finden.« Seine eigene Stimme spornte ihn an. Jarvis schwamm durch die Blätter hindurch und riss einige ab, nur um sich selbst zu beweisen, dass es zwischen ihnen nichts gab, das ihn verletzen konnte. Das Gleiche hatte er auch damals getan, beim Überlebenstraining in den Wäldern Washingtons. Mit einem abgebrochenen Ast hatte er nach den Bäumen geschlagen, nach den Sträuchern und nach dem hohen Gras, in dem seine Phantasie Wölfe und Bären sah. So lange hatte er auf seine Umgebung eingeschlagen, bis die Angst verschwand und er ganz ruhig wurde. Und dann hatte er überlebt, so wie man es ihm aufgetragen hatte. Mit sechs Jahren hatte er diese Prüfung bestanden und nun mit zwanzig stand er erneut vor ihr. Versagen war keine Option, war es nie gewesen. Er bestand die Aufgaben, die man ihm stellte - die er sich selbst stellte -, auch wenn Blätter immer näher zu kommen schienen und die weißen Äste, die zwischen ihnen hingen, wie Knochen aussahen. Jarvis stoppte und begann Wasser zu treten. Seine Augen hatten die Gefahr lange vor seinem Geist wahrgenommen. Die Algenwand hatte von unten nicht nur weniger
dicht ausgesehen, sie war weniger dicht gewesen. Jetzt jedoch bewegten sich die Pflanzen, kamen langsam von allen Seiten auf ihn zu. Armlange Knochen, die sich zwischen ihnen verfangen hatten, wurden mitgezogen und deuteten bereits das Schicksal an, das ihm bevorstand. Sie haben mich in eine Falle gelockt, dachte er. Sein Mund wurde trocken, sein Herzschlag raste kurz, bis er ihn wieder kontrollierte. Ich muss hier raus. Das erste Blatt schlang sich um seinen Fuß.
Unverantwortlicher Leichtsinn. Resnicks Worte hallten in Clouds Geist nach, als er sich vom Schiff abwandte und zu dem Algenteppich hinabtauchte, der ihnen die ganze Zeit gefolgt war. Aus den Augenwinkeln bemerkte er, wie das Karnut sich drehte. Scobee hatte die Steuerung schon wesentlich besser unter Kontrolle als noch vor einigen Stunden. Sie lernte schnell. Sie alle lernen schnell, dachte er, ohne es denken zu wollen. Seit Wochen versuchte er sich auf die Gemeinsamkeiten zwischen gewöhnlichen Menschen und geklonten GenTecs zu konzentrieren, aber es waren die Unterschiede, die ihm immer wieder auffielen; ihre Körperkraft, ihre Geschicklichkeit, die Art und Weise, wie sie sich auf manchen Gebieten auskannten und auf anderen völlig unerfahren wirkten. Sie waren Menschen, genau so wie er ein Mensch war, aber im Gegensatz zu ihm wirkten sie psychisch merkwürdig unfertig - vor allem Resnick und Jarvis. Cloud richtete sich im Wasser auf, um die Tauchbewegung zu stoppen. Der Algenteppich war nur wenige Meter entfernt, aber außer dem fließenden Grün der Pflanzen waren keine Konturen zu sehen. Was immer er auch darin vermutet hatte, entweder war es längst verschwunden, oder es hatte nie existiert, war nur ein Teil seiner Einbildung gewesen. Sharon. Der Name schnitt wie ein Messer durch seinen Geist. Sein Körper krümmte sich unter den Schmerzen zusammen, die wie Tritte auf ihn einprasselten. »Nein, nicht ausgerechnet jetzt.« Cloud konnte nicht sagen, ob er geflüstert oder geschrien hatte. Etwas legte sich wie eine Decke über sein Bewusstsein und drohte ihn zu ersticken. Er öffnete den Mund... ... aber er kann nicht atmen. Der Druck, der auf ihm lastet, ist zu groß. Um ihn herum tobt infernalischer Lärm, aber das Hämmern des Pulses in seinen Schläfen und das Rauschen des Bluts in seinen Ohren übertönt die donnernden Maschinen und das Reißen und Knirschen von Metall.
Denken ist unmöglich, jede Bewegung eine Tortur. Seine Finger handeln automatisch und folgen den Reflexen, die man ihnen in Hunderten von Stunden antrainiert hat. Sie drücken Knöpfe, deren Bedeutung er nicht mehr versteht und berühren Hebel, die er durch tränende Augen nur noch verschwommen wahrnimmt. Sharon. An sie klammert er sich, der Gedanke an ihr Gesicht hält ihn bei Bewusstsein. Er wird ihren Namen in den Staub schreiben, dort oben am Ziel seiner Wünsche. Wenn er doch nur atmen könnte, dann wäre alles... »In Ordnung.« Cloud hustete, holte tief Luft und hustete erneut. »Es ist alles wieder in Ordnung.« Er fragte sich, mit wem er eigentlich sprach und erkannte schaudernd Sharons Gesicht vor seinem geistigen Auge. Sie lächelte verkrampft, so wie nur Leute auf Fotos lächeln können. Er schüttelte sich, und ihr Gesicht verschwand. Mit jedem Atemzug wurde seine Umgebung realer. Cloud sah das Schiff, das links von ihm im Wasser hing, und den Algenteppich unter sich. Er fragte sich, wie lange der Anfall gedauert hatte. Es konnten nur wenige Augenblicke gewesen sein, sonst wäre jemandem im Karnut etwas aufgefallen. Er warf einen Blick auf den Algenteppich. Auch dort war alles ruhig. Sein Instinkt schien ebenso falsch zu sein wie die Traumbilder dieses fremden Ichs. Cloud drehte sich um und begann langsam zum Schiff zurück zu schwimmen. Er machte sich nichts vor; ohne die Spur, die er im Algenteppich vermutet hatte, gab es kaum noch Hoffnung Jarvis zu finden. Ohne Koordinaten konnten sie nicht zum Ausgangspunkt ihrer Suche zurückkehren, und Darnok, der vielleicht hätte helfen können, zeigte sich völlig unkooperativ. Cloud war noch nie so wütend auf dieses unnahbare Wesen gewesen - und noch nie so wütend auf sich selbst. Unverantwortlicher Leichtsinn, hatte Resnick gesagt, doch das stimmte nicht. Es war sein unverantwortliches schlechtes Gewissen, das ihn aus dem Schiff getrieben hatte und ihn vielleicht noch weiter treiben würde, wenn er es ihm gestattete. Aber das werde ich nicht, dachte er. Das war meine erste und letzte unüberlegte Aktion. Die Entscheidung gab ihm Kraft. Mit weit ausholenden Bewegungen schwamm er dem Schiff entgegen, nur um überrascht die Stirn zu runzeln, als Scobee plötzlich aus der Flanke des schildkrötenartigen Fahrzeugs trat. »Es gibt kei...«, begann er, aber sie gab ihm nicht die Gelegenheit auszureden. »Hinter dir! « Cloud fuhr herum.
Wenn man ihn fragen würde, was er stärker verabscheut, den Tod oder das Leben, wäre seine Antwort vermutlich: den Tod. Beides sind störende Elemente in der
Harmonie des Universums, aber während das Leben zumindest versuchen kann, dem Idealzustand der Stagnation entgegenzustreben, kennt der Tod keine solche Disziplin. Er ist unaufhaltsame, ungebremste Entropie. Doch genau diese bringen sie über die Welt. In dem einen Moment ihrer Bewegung bricht das Chaos über die Fremden herein - und über ihn selbst. Ursache und Wirkung, ein Konzept, dem sie nur beiläufiges Interesse gewidmet haben, steht plötzlich im Mittelpunkt, als Dinge explodieren, Körper zerfetzen und Metall in dampfenden Tropfen verglüht. Er spürt, wie sich alles verändert in diesem Moment, der kürzer als ein Gedanke und länger als die Ewigkeit ist. Es entstehen Berge und Schluchten, Krater und Klippen, über die flüssiges Gestein spritzt. Atome werden von der Macht ihrer Bewegung zusammengedrückt und bilden kleine Sonnen, die heller leuchten als alles, was er je gesehen hat. Irgendwann ist es vorbei. Die Flammen vergehen in der Eiseskälte des Alls, der Lärm schwindet mit den letzten verwehenden Schwaden einer neu geschaffenen Atmosphäre. Stille senkt sich erneut über die Welt, die nicht mehr seine Welt ist. Sie ist zu etwas Unbekannten geworden, das so fremd wie die Eindringlinge ist, die tot im Staub liegen. Lange denkt er darüber nach. Er fühlt sich unwohl in der neuen Welt und es missfällt ihm, dieses Unwohlsein zu einem Zustand zu erklären, in dem er die Ewigkeit verbringen wird. Wie jede Erinnerung kommt auch die an die Bewegung ungewollt, aber im Gegensatz zu den anderen verdrängt er sie nicht, sondern spielt mit den Möglichkeiten, die sie bietet. Schließlich handelt er. Als Erster unter Gleichen beginnt er die Umgebung zu verändern, Stein um Stein, Staubkorn um Staubkorn. In seiner Erinnerung ist die Welt perfekt, und in seiner Vorstellung wird sie es wieder sein. Es ist schwieriger als er gedacht hat. Dieses Mal geht es um keine unkontrollierte Explosion des Hasses, sondern um Vorsicht und Geschick. Beides ist ihm unbekannt. Er fühlt die Abscheu der anderen, als sie seine tölpelhaften Versuche beobachten. So oft will er aufgeben, doch immer kommt etwas dazwischen, ob es ein Felsen ist, dessen Schatten im exakt falschen Winkel auf den Boden fällt oder der tote Körper eines Wesens, der sich langsam in nichts auflöst. Ruhig und beharrlich verwandelt er seine Umgebung, bis auch die anderen begreifen, was er tut, und bald ist er wieder ein Gleicher unter Gleichen. Durch ihre Kraft wird die Welt wieder zu dem, was sie sein soll. Zumindest bis zur Rückkehr der Fremden.
Er hatte einen Kampf gewollt; er hatte einen Kampf bekommen. Es war beinahe erlösend, als die Anspannung, mit der Jarvis einen Angriff erwartet hatte, abfiel und das Adrenalin wie eine Droge durch seinen Körper schoss. Mit
beiden Händen griff er nach den Pflanzensträngen und riss sie auseinander. Seine Füße traten nach den Blättern. seine Beine zuckten vor und zurück, um kein Ziel zu bieten. Ich muss hier raus! Grüne Teppiche wurden vom blanken Fels gefegt. Jarvis zerdrückte Blüten zwischen seinen Fingern und zerschnitt die Stränge an scharfen Korallen. Wäre es möglich gewesen, hätte er sie auch zwischen die Zähne genommen und zerbissen. Im Kampf legte er alles Menschliche ab. Er wedelte die Pflanzenreste, die vor ihm im Wasser trieben, zur Seite. Sie raubten ihm die Sicht und ließen ihn nichts erkennen, das mehr als eine Armlänge entfernt war. Vereinzelte Stränge legten sich um seine Gelenke, aber er zerfetzte sie, bevor sie ihn fesseln konnten. Es fiel ihm mit jedem Mal schwerer, so als würden die Pflanzen an Stärke gewinnen. Ich muss hier raus! Jarvis tauchte unter einem Strang hindurch. Er hatte jegliche Orientierung verloren, wusste nicht mehr, ob die Felsen vor ihm Wand oder Decke waren. Ein weiterer Strang umschlang seine Brust. Er griff danach und riss ihn mitsamt der Wurzeln aus dem Fels. Die Stränge trieben an ihm vorbei wie die Tentakel eines getöteten Tiers und zuckten plötzlich in wilder Bewegung. Einer schoss auf seinen Kopf zu. Jarvis duckte sich unwillkürlich und stöhnte, als mehrere Pflanzenstränge gegen seinen Rücken schlugen. Einer legte sich um seinen Hals. »Nein...«. Seine Finger ertasteten etwas Dürres, beinahe so dünn wie ein Strick. Es hatte sich vier oder fünf Mal um seinen Hals gewickelt. Er zog daran, aber es war zu elastisch, dehnte sich mit jeder Bewegung, ohne zu reißen. Der Druck nahm zu. Jarvis spürte andere Stränge, die seine Arme und Beine berührten. Sie schienen von allen Seiten zu kommen, als hätten sie sich abgesprochen, genau auf diesen Moment zu warten. Es sind scheiß Pflanzen, dachte er über das Hämmern seines Pulsschlags hinweg, sie sprechen sich nicht ab. Er schrie, als die Stränge seine Hand mit einem Ruck zur Seite rissen. Für eine Sekunde glaubte er, sie hätten ihm den Arm ausgekugelt, doch dann ließ der Schmerz nach. Mit seinem freien Arm schlug er nach den Pflanzen, zerrte und riss daran. Der Strang um seinen Hals drückte zu, aber er war nur Ablenkung, das begriff Jarvis jetzt, da es viel zu spät war. Dieser Teil der Pflanze war nicht kräftig genug, um ihn zu töten, doch die anderen waren es, die, die seine Arme und Beine umklammert hielten, als wollten sie... »Oh Scheiße!« Er hing fast reglos zwischen den Strängen. Dutzende hatten sich um seine Gliedmaßen geschlungen, unzählige weitere krochen aus dem grünen Dunkel auf ihn zu. Seine Muskeln waren angespannt und kämpften einen sinnlosen Kampf gegen die Pflanzen. Jarvis wusste, dass er verloren hatte, aber es gab nichts, was er sonst noch hätte tun können - also kämpfte er weiter. Die Stränge wurden angezogen. Seine Gliedmaßen streckten sich, Gelenke knackten. Er biss die Zähne gegen die Schmerzen in seinen Schultern zusammen. Es war
offensichtlich, was die Pflanzen wollten und gleichzeitig so ungeheuerlich, dass sich seine Vorstellung gegen die Erkenntnis sträubte. Du hast sie auseinander gerissen, flüsterte eine Stimme in seinem Inneren, und jetzt machen sie das Gleiche mit dir. Mit den Bewegungen der Stränge nahmen die Schmerzen zu. Zuerst schienen Nadeln in seine Gelenke zu stechen, dann Messer, und schließlich glaubte er, sie würden aus ihm herausgeschnitten. Längst hatte er das Gefühl in Händen und Füßen verloren, aber seine Hoffnung, dass sich das auf den Rest des Körpers übertragen würde, erfüllte sich nicht. Mit verschwommenem Blick und halb bewusstlos erlebte er mit, wie die Stränge noch einmal angezogen wurden. Nur um sofort wieder nachzulassen. Jarvis hob den Kopf. Verwirrt starrte er auf die abgetrennten Pflanzenstränge, die sich von seinen Gliedmaßen lösten und sanft im Wasser trieben. Ein schwarzer Schatten brach zwischen ihnen hindurch, trieb sie mit seiner Bugwelle auseinander. Hunderte von Pflanzen bedeckten ihn und hüllten seinen Körper in eine grüne Schicht. Dazwischen blitzte es immer wieder weiß auf. Der Schatten drehte sich mit atemberaubender Geschwindigkeit um die eigene Achse. Pflanzenstücke wurden von ihm geschleudert, und die Strömung nahm so stark zu, dass Jarvis gegen die Felsen gepresst wurde. Erst dann fielen ihm die Tentakel des Schattens auf und er erkannte seinen Beobachter, der wie ein wahnsinniges Tier unter den Pflanzen wütete. Die Enden seiner Flossen schnitten mühelos durch die Stränge, und Jarvis sah, dass Schuppen wie Sägeblätter davon abstanden. Andere Schuppen richteten sich an seinem Rücken auf, als die Stränge ihn zu umschlingen versuchten. Sein ganzer Körper schien eine einzige Waffe zu sein. Eine hoch überlegene Waffe, dachte Jarvis halb nervös und halb erleichtert. Er wollte sich drehen, das Chaos zur Flucht nutzen, aber seine Arme und Beine reagierten nicht, sondern lagen ebenso reglos im Wasser wie die abgeschlagenen Stränge der Pflanzen. »Keine Panik, das geht vorbei« Er spürte, wie sich seine Muskeln langsam entspannten und das Blut kribbelnd in Hände und Füße zurückströmte. Ein paar Minuten... Länger dauerte es sicher nicht mehr, bis er sich wieder bewegen konnte. Er schluckte, als das Wesen abrupt sein Massaker beendete und sich mit einem eleganten Flossenschlag umdrehte. Die Schuppen standen immer noch von seinem Körper ab. Pflanzenreste, die darüber hinweg trieben, wurden zerteilt. Scharf wie Rasierklingen. Jarvis räusperte sich, als das Wesen näher herankam. Die Tentakel lagen jetzt wieder zusammen und dienten als Schwanzflosse. Die irdisch wirkenden Augen schienen ihn zu mustern. »Alles klar?«, fragte Jarvis in dem sanften Tonfall, der so gut bei nervösen Hunden funktionierte, hier aber nur in den Helm - ins Leere - gesprochen wurden. »Du willst mir doch nichts tun, oder? Ich bin doch viel zu interessant, um aufgeschlitzt zu werden.« Die Schuppen glätteten sich plötzlich, als habe das Wesen seine Worte verstanden. Es war jetzt so dicht vor ihm, dass Jarvis sein eigenes Spiegelbild in den Augen
erkennen konnte. Das Maul war halb geöffnet. Die Zähne, die in mehreren Reihen dahinter lagen, wirkten spitz und nicht weniger scharf als die Schuppen. »Mach jetzt keinen Scheiß, Flipper.« Das Zittern seiner Stimme ärgerte ihn, und er schaltete es aus. Dennoch war sein Mund trocken, als das Wesen leicht gegen ihn stieß und seinen Körper mit einer Flosse führte. Obwohl er seine Arme wieder bewegen konnte, wagte Jarvis es nicht, sich zu wehren oder die Flucht zu ergreifen. Stattdessen ließ er sich von den Flossen steuern, als wäre er nicht mehr als ein Balken, der im Wasser trieb. Einige Pflanzenstränge griffen noch nach ihm, dann hatten sie die Vegetation an der Spitze der Höhle auch schon verlassen. Jarvis blinzelte in die plötzliche Helligkeit. Er drehte den Kopf und sah zurück zur Decke, die langsam kleiner wurde. Nach einigen Minuten erreichte er den Boden. Alles umsonst, dachte er. Das Wesen schwebte ihm gegenüber im Wasser. Seine Flossen wurden zu Tentakeln und hafteten am Fels. Es starrte. ihn an.
Cloud sah die Bewegung aus den Augenwinkeln und wich instinktiv zurück. Etwas Graues zog mit schnellen Flossenschlägen an ihm vorbei. Es drehte sich und verschwand auf der anderen Seite des Schiffsrumpfs. Er folgte ihm mit dem Blick, wartete darauf, es in den Weiten des Kubus verschwinden zu sehen, aber es blieb offenbar am Schiff - fast außerhalb der Sichtweite. Als könnte es sich nicht zwischen Angst und Neugier entscheiden, dachte Cloud. Reglos und ein wenig unentschlossen verharrte er im Wasser. »Was machst du da?«, hörte er Scobee fragen. »Komm zurück ins Schiff.« Er schüttelte den Kopf. »Warte. Ich möchte wissen, was es als nächstes tut.« »Es ist verwirrt, John. Du passt nicht in sein Nahrungsschema, und es weiß nicht, ob du Beute oder Jäger bist. Ich schlage vor, seine Entscheidung im Inneren des Karnuts abzuwarten.« Sie klang beinahe so trocken wie Resnick. Cloud sah sie kurz an, bevor er seine Aufmerksamkeit wieder dem grauen Schemen hinter dem Rumpf zuwandte. Es schien ungefähr menschengroß zu sein, mehr ließ sich nicht erkennen. »Vielleicht ist es das, was Darnok will«, sagte er. »Bis jetzt haben wir nur darüber nachgedacht, wie wir uns vor Gefahren schützen können. Wir haben uns von unserer Angst regieren lassen, nicht von der Neugier, die er in uns wecken wollte. Das könnte die Gelegenheit sein, zur Abwechslung mal einen Test zu bestehen.« Scobee schwamm langsam näher heran. »Und warum hat er mir dann das gegeben?« Sie hielt einen schmalen schwarzen Stab hoch, den Cloud vorher nicht bemerkt hatte. »Was ist das«, fragte er.
»Keine Ahnung. Es tropfte plötzlich aus der Wand. Darnok sagte, ich solle es nehmen.« »Benutze das Ding bloß nicht.« Scobee war jetzt nahe genug heran gekommen, dass er ihr Lächeln sehen konnte. »Ich bin nicht Jarvis. Ich glaube nicht, dass das gesamte Universum ständig mit meiner Ermordung beschäftigt ist.« »Warte...« Er hob die Hand, als er eine Bewegung hinter dem Schiffsrumpf wahrnahm. Eine schmale Flosse ragte empor, dann folgte ihr ein Teil des Oberkörpers und schließlich der Kopf. Cloud blickte in braune Augen, die in einem Gesicht saßen, das wie weicher grauer Ton wirkte. Seine Linien waren verschwommen, so als habe der Bildhauer noch nicht endgültig entschieden, was er mit der Form anfangen wollte. »Seine Augen...« Scobee flüsterte, obwohl sie wohl nicht hätte sagen können, warum sie es tat. »Sie haben keine Pupillen.« Cloud nickte. Es war seltsam, in diese Augen zu sehen. Der Blick rutschte immer wieder ab, fand nichts, worauf er sich konzentrieren konnte. Ohne Pupillen wirkte das Wesen leblos wie eine Puppe. Die Bewegungslosigkeit der beiden Menschen schien es zu beruhigen, denn nach und nach schob es seinen ganzen Körper hinter dem Schiff hervor. Cloud hatte Recht gehabt. es war tatsächlich menschengroß und die Ähnlichkeiten hörten bei dieser Übereinstimmung nicht auf. Es hatte einen Torso, einen runden Kopf, lange Flossen, die wie Arme aus Schultern wuchsen und zwei Beine, die in schmalen Flossen endeten. Geschlechtsteile bemerkte er keine. »Es wirkt humanoid«, sagte Scobee überrascht. Sie wollte etwas hinzufügen, stutzte dann jedoch. »Spürst du die Schwingungen?« Cloud hatte sich fast schon daran gewöhnt, dass die GenTecs neue Eindrücke vor ihm hörten, sahen oder fühlten. Ihre besser entwickelten Sinne sprachen auf kleinste Veränderungen an. Geduldig wartete er einige Sekunden, bis er ebenfalls ein leichtes Vibrieren verspürte, das von seinem Magen auszugehen schien. »Schallwellen. Zu tief, um sie zu hören«, stellte er fest. Sein Blick glitt über das Gesicht des Wesens. Es hatte den Mund geöffnet und die Wangen gewölbt. Er sah keine Zähne, nur einen dunklen Schlund. »Redet es mit uns?« »Keine Ahnung.« Scobees Stimme klang fasziniert und neugierig. »Wenn ja, weiß ich nicht, wie wir antworten sollen.« »Beruhigend.« Cloud breitete die Anne aus und spreizte die Finger, zeigte dem Wesen seine leeren Handflächen. Es musterte ihn aus leeren Augen und wiederholte die Geste dann langsamer, linkischer. »Versteht es, was du willst oder imitiert es dich nur?« »Macht das einen Unterschied? Es will kommunizieren, also ist es intelligent, richtig?« Scobee neigte den Kopf. »Richtig, aber das heißt nicht, dass es weiß, wo Jarvis ist.« »Nein... « Cloud schwankte zwischen schlechtem Gewissen und Neugier Er hatte sich immer gewünscht, einem Außerirdischen auf diese Weise entgegenzutreten,
nicht so, wie es bei Darnok oder bei den anderen gewesen war, denen sie begegnet waren. Hier standen sich zwei Fremde gleichberechtigt gegenüber und suchten nach einer Möglichkeit miteinander zu sprechen. Es gab keine geheimen Pläne und kein verborgenes Wissen, nur diesen Versuch. »Nein...«, wiederholte er, »... vielleicht weiß es nicht, wo Jarvis ist, aber wir können es zumindest fragen.« Er hob die Hand, zeigte zuerst auf sich, dann auf Scobee und schließlich auf das Schiff. Der Außerirdische ahmte die Bewegung nach und sah ihn erwartungsvoll an. »Okay, noch einmal.« Cloud hatte den Eindruck, dass die Vibrationen stärker wurden. Das Wasser um ihn herum schien zu zittern. Ob es ein Zeichen für die Aufregung des Fremden war, oder für eine andere Gefühlsregung, konnte er nicht sagen. Sicher war nur, dass es kein Hinweis auf eine gelungene Verständigung war, denn der Außerirdische wiederholte jede Geste mit der Präzision und dem Stumpfsinn eines Spiegelbilds. Schließlich ließ Cloud resigniert die Arme sinken. »Lassen wir es. Er begreift nicht, was wir von ihm wollen.« »Wir könnten einfach zu fremd für ihn sein. Wie willst du mit jemandem kommunizieren, wenn es keinen gemeinsamen Ansatzpunkt gibt? Es könnte Wochen dauern, bevor wir auch nur eine Geste gefunden hätten, deren Bedeutung wir und er auf gleiche Weise verstehen.« »Ich weiß.« Cloud lauschte einen Moment in den Ozean hinein und spürte, wie die Vibrationen nachließen. »Und ich glaube, es hat die gleiche Schlussfolgerung gezogen.« Die Annahme war logisch, aber trotzdem wiederholte das Wesen weiterhin die Gesten, die man ihm gezeigt hatte. Dabei wich es in der stärker werdenden Strömung langsam vom Schiff zurück. Sein Gesicht begann zu verschwimmen, und seine eben noch braunen Augen waren von blaugrünem Wasser durchzogen. Scobee hob langsam den Stab. »Es verwandelt sich.« »Die Frage ist nur: in was?« Es war ein Zufall, dass Cloud in diesem Moment nach oben sah. Vielleicht hatte ein Teil von ihm die Bewegung erahnt, vielleicht auch nur den Zug der Strömung gespürt. Jetzt sah er jedoch einen riesigen hellen Körper auf sich zuschießen, fünf oder sechs Mal größer als er selbst. Mit jedem kräftigen Schlag seiner Schwanzflosse kam er um Meter näher heran. Seine Mäuler, die den dreieckigen Kopf wie Reißverschlüsse umgaben, waren aufgerissen. Cloud dachte nicht nach. Er packte Scobee, die erst jetzt seinem Blick folgte und stieß sich mit ihr ab, dem Karnut entgegen. Die Außenhaut schien in Zeitlupe näher zu kommen, die Bestie hinter ihnen im Zeitraffer. Er nahm alles in übergroßer Deutlichkeit wahr: Seine Finger, die sich um Scobees Arm gelegt hatten; das Wesen auf der anderen Seite des Rumpfs, das nur noch eine gallertartige Masse war - und die Strömung, die ihn auf das Schiff zuwarf... ... und dagegen.
Ungläubig schlug Cloud mit der Faust gegen die Außenwand, aber das Karnut blieb geschlossen und die Rettung, die nur eine Armlänge entfernt zu sein schien, war plötzlich unerreichbar. »Darnok!« Cloud konnte die Panik in seiner Stimme nicht verbergen, als ihnen die Bestie entgegen schwamm. »Er bringt uns um...«
»Du bringst sie um!« Resnicks Blick wechselte ständig zwischen dem Bildschirm und dem stummen pulsierenden Darnok. Er sah, wie Cloud in sichtlicher Verzweiflung gegen das Schiff schlug, doch plötzlich von Scobee zur Seite gerissen wurde. Das muränenartige Wesen verfehlte ihn nur um wenige Zentimeter. Seine Schwanzflosse schlug so heftig gegen das Karnut, dass Resnick die Erschütterung im Boden zu spüren glaubte. »Du bringst sie um«, wiederholte er leiser. »Wieso tust du das?« Darnok antwortete nicht. Die Bildschirmperspektive wechselte jedoch, zeigte jetzt Scobee und Cloud von einer anderen Seite. Sie hatten sich zwischen Antrieb und Rumpf des Schiffs verborgen und nutzten den Schatten als Deckung. Das angreifende Tier war nicht zu sehen, aber die Anspannung in ihren Gesichtern verriet deutlich, dass es in der Nähe sein musste. »Soll ich sie umbringen?« Darnoks Stimme klang sanft. Resnick hasste diesen fast väterlichen Tonfall. »Natürlich nicht. Wieso sollte ich das wollen?« »Wieso solltest du ihr Überleben wünschen? Bedeuten sie dir etwas?« Der schwarze Körper pulsierte schneller. Draußen stieß sich Cloud vom Schiff ab. Scobee schrie lautlos. Ihr Griff, der ihn hätte festhalten sollen, ging ins Leere. »Fragst du mich das wegen meiner Bemerkung zu John?« Resnick wandte den Blick vom Bildschirm ab, um sich nicht weiter ablenken zu lassen. Der wirkliche Kampf ums Überleben spielte sich hier drinnen ab, nicht dort draußen. »Das war dumm und...« Ich habe mich dafür entschuldigt, wollte er sagen, doch das war falsch, zumindest im klassischen Sinn des Wortes. »Geht es darum? Willst du die beiden töten, weil du glaubst, dass wir uns nicht sonderlich leiden können?« »Wirst du meine Frage beantworten?« Resnick dachte darüber nach, was Darnok hören wollte. Aus den Augenwinkeln bemerkte er, dass die Perspektive auf dem Bildschirm erneut gewechselt hatte. Er unterdrückte den Impuls hinzusehen und konzentrierte sich stattdessen ganz auf eine Antwort. »Ja«, sagte er. »Sie sind meine Freunde. Sie bedeuten mir etwas.«
Es klang in seinen eigenen Ohren halbherzig. Resnick war kein emotionaler Mensch und galt selbst unter den GenTecs als ruhiger Analytiker. Über Gefühle zu sprechen war ihm unangenehm. »Du verstehst das nicht«, suchte er dann die rationale Erklärung, »das Verhältnis zwischen einem GenTec und einem normal geborenen Menschen wie John ist schwierig... für beide Seiten. Es gibt Vorurteile und Abneigungen, aber wir haben es, glaube ich, trotzdem geschafft Freunde zu werden - auch wenn es für dich vielleicht anders aussieht.« Er nahm das aufgewühlte Wasser auf dem Bildschirm wahr. Er glaubte Cloud zu sehen, dann verdeckte der Körper des Tiers die Kamera. Ein Schlag traf das Schiff und erschütterte es diesmal wirklich. »Ich soll ihnen helfen, weil sie deine Freunde sind?« »Ja.« »Ist das die Wahrheit?« Darnoks Stimme hallte Von den Wänden wider - oder trat aus ihnen heraus. Im wirbelnden Wasser tauchte Scobees Gesicht auf, dann ihre Hand. Sie hielt den schwarzen Stab fest, den sie an Bord bekommen hatte und schien ihn aktivieren zu wollen, aber nichts geschah. »Ja, das ist die Wahrheit.« Nur die Kontrolle, die Resnick über seine Emotionen hatte, verhinderte, dass er Darnok anschrie. »Ich glaube dir nicht. Sie werden sterben, weil du lügst.« »Was zum Teufel willst du von mir hören?« »Die Wahrheit.« »Das ist die Wahrheit!« Stille legte sich über den Raum. Irgendwo draußen schlug das Tier erneut heftig gegen das Schiff. Resnick atmete tief durch und wischte sich den Schweiß von der Stirn. Ihm wurde langsam klar, worauf Darnok hinaus wollte. »Die Wahrheit, okay...« Er zwang sich dazu, den Bildschirm zu ignorieren. »Die Wahrheit ist, dass es mir egal ist, wen du da draußen rettest. Es ist mir egal, ob es meine Freunde sind oder völlig Fremde, Hauptsache, es sind Menschen. Wenn sie sterben, bin ich allein mit dir in diesem Schiff, und das macht mir größere Angst als alles, was ich je erlebt habe. Angst, von der ich fürchte, sie nicht kontrollieren zu können. Wolltest du das hören?« Darnoks Pulsieren wurde ruhiger, regelmäßiger. »Ich wollte, dass du es weißt.« Ein Ruck ging durch das Schiff und riss Resnick beinahe von den Füßen. Er stützte sich an der Wand ab und blickte zum Bildschirm. Im ersten Moment glaubte er, das Tier habe erneut gegen die Außenhaut geschlagen, doch dann sah er, wie sich das Karnut bewegte und zur Seite kippte. Im aufgewühlten Wasser war kaum etwas zu erkennen, nur ein paar dunkle Flossen zwischen umherwirbelnden Algen. »Wo sind sie?«, fragte Resnick. Er erwartete keine Antwort und erhielt auch keine. Das Schiff zeichnete einen langsamen Kreis, während sich das Wasser beruhigte. Resnick sah das Wesen, mit dem Cloud versucht hatte zu kommunizieren. Es wirkte nicht mehr entfernt menschlich, eher wie eine große Schnecke.
Mimikry, dachte er. Es nimmt die Form der Beute an, um sie zu täuschen und dem Raubtier die Jagd zu erleichtern. Das Schiff zog einen weiteren Kreis, der größer als der erste war. Genauso hatte es sich noch vor kurzer Zeit bei der Suche nach Jarvis bewegt. »Wir haben sie verloren, nicht wahr?«, fragte Resnick. Seine Stimme erschien ihm selbst fremd und klang - das wurde ihm in diesem Moment bewusst - einsam durch das Schiff des Außerirdischen. »Ja«, sagte Darnok. »Wir haben sie verloren. Was möchtest du jetzt tun?« Dich töten, dachte Resnick und schwieg.
Die Rückkehr der Fremden ist wie ein Schlag, der die Stagnation hinwegfegt und Veränderung bringt. Sie sind vorsichtiger dieses Mal, schweben in ihrer Metallhülle, die er später Raumschiff nennen wird, über der Welt und beobachten sie. Aber so wie das Beobachtete den Beobachter verändert, so verändert auch der Beobachter das Beobachtete. Er kann es fühlen, überall um sich herum, die Unruhe und die Angst vor dem, was kommen wird. Die Erinnerung, die sie zu verdrängen suchten, holt sie ein und wird zur Vision der Zukunft. Er weiß nicht, ob das Leben, so wie sie es in Harmonie mit dem Universum geführt haben, diese Zukunft überstehen kann. Das Ende der Stagnation. Der Gedanke ist so erschreckend, dass niemand ihn zu denken wagt. Wenn man das täte, würde man ihm vielleicht allein durch diese Vorstellung Realität verleihen. Er hat den Zeitraum zwischen den beiden Besuchen der Fremden genutzt, um sich stattdessen Gedanken um seine eigene Existenz und die der anderen zu machen. Nach reiflicher Überlegung ist er zu dem Schluss gelangt, dass sie Wächter ihrer Welt sind. Gemeinsam bewahren sie den Planeten vor dem Sturz in die Entropie, halten ihn rein und frei von all den Einflüssen, die sie auf anderen Welten sehen. Er hätte eine Atmosphäre bilden können, doch das haben sie ebenso verhindert wie die Meteoriteneinschläge, die seine Oberfläche beschädigt hätten. In letzter Konsequenz hätten sie sich selbst vernichten müssen, denn auch sie sind Fremdkörper auf diesem toten Stein im All. Doch ohne sie nähme auch seine Unveränderlichkeit ein Ende, deshalb tolerieren sie sich und suchen Inspiration in seiner Leblosigkeit. Es gibt viele Theorien über ihren Ursprung. Manche sagen, dass sie gemeinsam mit dem Universum entstanden, aus seiner Masse auftauchten, so vollkommen und starr wie sie heute noch sind. Andere behaupten, dass sie viel älter als das Universum sind und dass sein Entstehen ihr größter Fehler war... Er mag diesen letzten Gedanken, denn es gibt seiner Existenz einen Sinn. Wenn seine Existenz fortgesetzt wird, kann er irgendwann vielleicht verhindern, dass ein
neues Universum entsteht. Am Ende des Alten werden dann nur sie übrig sein, um das Ende der Zeit zu begrüßen. Das würde ihm gefallen. Doch es sind die Beobachter, an die er immer wieder denken muss. Viele von ihnen haben sich inzwischen versammelt. Ihre Raumschiffe schweben wie eingefrorene Meteoriten über dem Planeten, stumm und lauernd. Er spürt die Strahlung, mit der sie seine Welt abtasten, um alles über sie zu erfahren. Und er spürt die Strahlung, mit der sie ihn abtasten. Sie erfahren alles über ihn, obwohl er sich wehrt und es lange dauert. Am Ende geht dann aber alles sehr schnell. Ihre Raumschiffe lösen sich aus ihrer Starre und fallen dem Boden entgegen. Sie sind schneller als alles, was er je gesehen hat. Er glaubt, dass sie die Zerstörung suchen, doch sie suchen ihn. Weder er noch die anderen vier haben eine Chance, als sich die lähmende Kraft über sie legt. Sie werden aus ihrer Welt ins All gerissen und müssen den Schiffen hilflos folgen, während hinter ihnen der Planet verschwindet. Er ist sich nie sicher gewesen, ob Wesen seiner Art sterben können. Auf der Reise erfährt er, dass es so ist. Sie sterben nicht wie die Fremden, schreiend und stöhnend, sondern stumm. Drei von denen, die neben ihm durch das All gezogen werden, hören irgendwann einfach auf zu denken. Er spürt die Leere in sich, die sie einst ausfüllten und weiß, dass sie gegangen sind. Der vierte tut etwas anderes, von dem er bisher nicht wusste, dass es passieren kann: Er verliert den Verstand. Vielleicht ist es wirklich der bessere Weg sich in sich selbst zurückzuziehen, als die ständige Veränderung, diese wilde Jagd vorbei an Sternen und Planeten, an Kometen und Asteroiden zu ertragen. Er übt sich darin, auch den Verstand zu verlieren, aber die Unordnung in seinem Geist liegt ihm nicht. Sie reflektiert, was er draußen im All sieht und was er ändern würde, wenn man ihn ließe. Stattdessen widmet er sich der Ordnung in seinem Geist. Alles gehört an einen bestimmten Platz in seinen Erinnerungen, so sehr er die Notwendigkeit, sich zu erinnern, auch verabscheut. Die Hoffnung, je wieder auf seine Welt zurückzukehren, schwindet, zumal er dort nur eine neue Veränderung und kein Teil der Gemeinschaft mehr sein könnte. Nicht nach dem hier Erlebten. Also bleibt ihm der Blick nach vorne und der Gedanke an eine leblose Welt, auf der er vielleicht die Ruhe finden wird, nach der er sich so sehr sehnt. Doch am Ende seiner Reise erwartet ihn nicht etwa der Tod, sondern hektisches, gewaltiges, brüllendes Leben. Er taucht ein in eine Welt aus... Wasser.
Jarvis nannte es Joe. Nicht etwa, weil er glaubte, dass das Wesen möglicherweise so hieß, sondern weil er es mit einem Namen ansprechen wollte und Flipper ihm mittlerweile zu harmlos klang. Es schien den Klang seiner Stimme, vom Außenlautsprecher übertragen, zu mögen, denn so lange er sprach, wiegte es. seinen Körper sanft in der Strömung und sah ihn mit schräg gelegtem Kopf an. Nur wenn er aufhörte, wurde es unruhig. Nach dem Kampf, den Jarvis beobachtet hatte, war er sehr interessiert daran, Joe bei Laune zu halten, also redete er. »Du könntest jederzeit hier raus, nicht wahr? Die Fleisch fressenden Pflanzen dort oben sind keine Gefahr für dich. Aber du bleibst hier in der Höhle. Warum?« Blätter, Äste und Korallensplitter trieben um ihn herum im Wasser; Überreste des Kampfes, den er ohne Joe verloren hätte. Jarvis sammelte einige ein und stieß andere fort. Nicht alle eigneten sich für seinen Zweck. »So wie ich das sehe, gibt es zwei Möglichkeiten für deine Entscheidung. Die eine ist, dass hinter den Pflanzen eine Gefahr lauert, vor der selbst du Angst hat. Die andere, dass man dir befohlen hat hier zu bleiben und du mein Wärter bist. Was davon stimmt?« Joe blinzelte. Die Reaktion wirkte so menschlich, dass Jarvis für einen Moment glaubte, verstanden worden zu sein. Er schüttelte den Gedanken ab und konzentrierte sich auf die Korallen und Pflanzenreste in seiner Hand. Die Äste waren kurz und fest, die abgebrochenen Korallen wirkten messerscharf. Er wagte es nicht, die Schärfe mit einem Finger zu prüfen, aus Angst dem Anzug ein Leck zuzufügen. Blätter und Pflanzenstränge durchtrennten die Korallenstücke jedoch mühelos. Joe schlug die Vorderflossen zusammen, als wolle er applaudieren. Einige Tentakel, mit denen er sich am Stein festgesaugt hatte,, ließen los und schlugen hin und her. Jarvis seufzte leise. »Schon gut, ich rede ja weiter.« Er befestigte einen der Splitter an der Spitze eines Astes und begann ihn mit Pflanzensträngen zu umwickeln. Joe beruhigte sich und sah zu. In seinem Blick spiegelte sich deutliches Interesse. »Faszinierend, oder? Bei den aufstellbaren Schuppen hat uns die Evolution vielleicht benachteiligt, aber wenn es um Greifwerkzeuge geht, sind wir klar im Vorteil. Mit unseren Händen können wir Werkzeuge bauen = und Waffen.« Er zurrte die Pflanzenstränge fest und drückte das so entstandene Korallenmesser gegen den Fels. Die Spitze saß fest und wirkte stabiler, als er es erwartet hatte. »So hat alles angefangen, mit einem Menschen irgendwo in einer Höhle, der auf die Idee kam, einen Steinsplitter an einen Ast zu binden. Waffen haben uns zu dem gemacht, was wir heute sind...« Unwillkürlich stiegen die Bilder der Raumschiffe, die auf die Erde zugeflogen waren, vor seinem geistigen Auge auf. »Was auch immer wir heute sind«, fügte er dann nachdenklicher hinzu. Das Messer lag leicht und angenehm in seiner Hand. Mit weiteren Pflanzensträngen begann er einen runden, vom Wasser glatt polierten Stein zu umwickeln. Die Fasern waren rau genug, um seinen Fingern Halt zu bieten. Der Plan - eigentlich kein Plan, korrigierte sich Jarvis in Gedanken, sondern eine grobe Fluchtidee - bestand aus zwei Aspekten. Zum einen musste er zu jenem Punkt der Decke schwimmen, den Joe größtenteils von Pflanzen befreit hatte, sich dort
durch den Rest kämpfen und fliehen - um das zu bewerkstelligen, hatte er das Messer gebaut, und er war sicher, dass ihm dieses Mal die Flucht gelingen würde. Der zweite Aspekt hing mit dem Stein in seiner Hand zusammen und betraf Joe. Wenn er tatsächlich der Wärter in diesem Gefängnis war, würde er vielleicht versuchen seinen Gefangenen aufzuhalten. Das durfte ihm nicht gelingen... Das Bedauern, das er empfand, ärgerte Jarvis. »Okay, mein Freund. Dann lass uns herausfinden, auf welcher Seite du stehst.« Er richtete sich auf und stieß sich vom Fels ab, der Decke entgegen. »Leg dich nicht mit mir an. Der Stein in meiner Hand ist härter als dein Schädel.« Joe sah ihm nach, als er höher stieg. Einen Augenblick schien es, als habe er kein Interesse an einer Verfolgung, dann jedoch lösten sich seine Tentakel plötzlich vom Fels. In einer elegant fließenden Bewegung glitt er an Jarvis vorbei und blockierte dessen Weg. »Scheiße!« Joes Schuppen lagen glatt an seinem Körper, aber seine Absicht war eindeutig. Tentakel drückten gegen Jarvis' Schultern und stießen ihn nach unten. Er schlug danach, aber das Wasser bremste seine Bewegungen so stark ab, dass Joe längst ausgewichen war, als der Stein seine Position erreichte. Jarvis hatte den Eindruck, dass der andere mit ihm spielte. Immer wieder stießen die Tentakel gegen ihn, bis er den Fels unter seinen Füßen spürte. Er erwiderte den Druck und stemmte sich mit aller Macht gegen Joe. Der Stein schlug sinnlos ins Wasser, seine Armmuskeln schmerzten. Schweiß lief in Bahnen über sein Gesicht. Er versuchte ihn wegzublinzeln; seine Augen brannten. Das bringt nichts. Der Gedanke kam einer Kapitulation gleich, stahl ihm die letzte Kraft. Jarvis ließ sich gegen den Fels pressen und blieb schwer atmend liegen. Über ihm drehte sich Joe wie im Triumph. Mit zusammengelegten Tentakeln schwamm er zur Decke hinauf, schlug einen Haken und stieß in einen Fischschwarm hinein. Nur Sekunden später hatte er Jarvis wieder erreicht. Sorgfältig legte er einen kleinen blauen Fisch, dem der Kopf fehlte, vor ihn auf den Felsen. Jarvis schüttelte den Schweiß aus seinen Haaren. »Zuckerbrot und Peitsche, so stellst du dir das also vor. Tut mir Leid, mein Freund, aber das wird nicht hinhauen.« Joe stieß mit der Schnauze gegen den Fisch und schob ihn näher heran. Er verstand offensichtlich nicht, weshalb seine Gabe verschmäht wurde. Jarvis wandte sich von ihm ab. Der Stein in seiner Hand war plötzlich unsagbar schwer.
Cloud sah sich um, versuchte im ruhiger werdenden Wasser zu erkennen, ob sein Angreifer tatsächlich verschwunden war und - noch wichtiger - ob Scobee ebenso überlebt hatte wie er selbst.
Ein Mensch und ein GenTec gehen raus, ein Mensch kommt allein zurück. Resnicks Worte hallten in seinem Kopf wider. In gewisser Weise hatte er Recht mit seiner Anschuldigung. Cloud hatte nicht an Jarvis gedacht, als er um sein Überleben kämpfte, und er fragte sich, ob das bei einem »richtigen« Menschen vielleicht anders gewesen wäre. »John?« Der Klang von Scobees Stimme ließ ihn erleichtert ausatmen. Sie waren getrennt worden, als das Schiff sich wie eine Mauer vor die angreifende Riesenschlange geschoben hatte. Damit schienen Resnick und Darnok das Tier vertrieben zu haben. Jetzt hing das Karnut bewegungslos über ihm. »Scobee?«, fragte Cloud zurück. »Wo bist du?« »Ein ganzes Stück hinter dir. Ich kann deinen Rücken sehen.« Er drehte sich um und zuckte zusammen, als er plötzlich auf die riesige Scheibe eines Planeten starrte. Sie füllte sein gesamtes Gesichtsfeld aus. Er sah Gebirgszüge, die sich wie wulstige Narben an der Oberfläche entlang zogen. Alles war grün und braun wie ein gigantischer planetarer Wald. Scobee, die in ihrem grauen Tauchanzug vor ihm schwebte, war ein Fremdkörper, der nicht dazu passte. »Das ist jetzt vielleicht eine dumme Frage«, sagte Cloud, »aber war der Planet eben schon da?« »Ich weiß es nicht. Aufgefallen ist er mir zumindest nicht.« Scobee bewegte die Arme und schwamm näher an ihn heran. »Ist das nicht seltsam? Wie kann man einen ganzen Planeten übersehen?« »Möglicherweise wollte er übersehen werden.« Cloud schüttelte den Kopf. »Du klingst fast wie Darnok.« »Dabei bist doch du sein Lieblingsschüler.« Er hörte den gutmütigen Spott in ihrer Stimme, ging jedoch nicht darauf ein. »Wieso sagt ihr das alle?«, fragte er stattdessen, als sie näher heran kam. »Ich bin nicht sein Lieblingsschüler.« »Nun, du bist der Einzige, der glaubt, dass Darnok uns nicht umbringen will. Das scheint er zu spüren.« Scobee schwebte jetzt neben ihm im Wasser und sah hinauf zum Schiff. Cloud hob die Augenbrauen. »Du glaubst auch, dass er uns töten will?« »Ich glaube, dass er es tun würde, wenn er sich einen Vorteil davon verspricht. Er mag uns ebenso wenig wie wir ihn.« Eine plötzlich aufkommende Strömung trieb sie auseinander. Cloud ruderte dagegen an. »Jemanden nicht zu mögen«, sagte er, »ist nicht das Gleiche, wie dessen Tod in Kauf zu nehmen. Darnok hat...« »John...« Scobee sah immer noch nach oben. Cloud folgte ihrem Blick. Das Karnut schwebte über ihnen, so wie zuvor, aber es war jetzt weiter entfernt und wurde mit jeder vergehenden Sekunde kleiner. Die Strömung, die es auslöste, drückte Cloud nach hinten.
»Das ist doch ein Witz...« Er gab dem Impuls zu winken und zu rufen nicht nach. Darnok wusste, wo sie waren. Wenn er sie hätte aufnehmen wollen, wäre das längst geschehen. »Was sagtest du über Darnoks Unlust, unseren Tod in Kauf zu nehmen?«, fragte Scobee sarkastisch. Cloud schwieg.
Wasser ist ein seltsames Medium. Es ist immer in Bewegung und kommt nie zur Ruhe. Er hasst Wasser. Er ist umgeben davon, schwebt in einem abgeschlossenen Raum, der ihn von den Fremden trennt. Sie nennen die Wände des Raums Kraftfeld. Man kann sie nicht überwinden, egal, wie sehr man darum kämpft. Und er kämpft lange Zeit, während die Fremden ihn beobachten. Irgendwann gibt er auf. Sein Verstand ist stark genug, um sich mit der neuen Situation abzufinden und sie so weit es geht seinen Bedürfnissen anzupassen. Er verändert das Wasser, widerwillig und mühsam, bis es erstarrt und ihn mit beruhigenden, stets gleichen Mustern umgibt. Nur die Fremden bringen noch Unruhe in seine Welt. Es werden immer mehr, die sich auf den anderen Seiten der Wände versammeln. Manchmal berühren sie seinen Körper mit Hilfe eines anderen Kraftfelds. Das erste Mal, als das geschieht, glaubt er zu sterben. Er ist noch nie berührt worden und das Gefühl ist unangenehmer als alles, was er je erlebt hat. Sie müssen spüren, wie unangenehm ihm das ist, aber sie machen weiter und ignorieren seinen Schmerz. Er hasst die Fremden mehr als das Wasser. Eines Tages bringen sie ein Lebewesen zu ihm. Es sieht nicht so aus wie sie und wirkt primitiver. Er wartet ab, als es beginnt die Muster des Wassers mit seinen Bewegungen zu zerstören. Er ist sicher, dass es sein eigenes Handeln nicht versteht, also lässt er es gewähren und wartet darauf, dass die Fremden es wieder entfernen. Doch das geschieht nicht. Schließlich bringt sein Verlangen nach Harmonie ihn dazu zu reagieren. Sein Geist greift nach dem Lebewesen und lässt es erstarren. Sorgfältig von ihm gesteuert kommt es in einem Teil des Raumes zur Ruhe, der dafür angemessen ist. Er wird nicht müde, es dort bis in die Ewigkeit zu betrachten. Er weiß nicht, warum die Fremden danach andere zu ihm bringen, lebende und tote Wesen, verweste und neu geborene. Sie bringen ihm Gegenstände, Flüssigkeiten, Lava und Korallen. Alle werden ruhig, wenn sein Geist sie berührt, und er findet Orte, an denen sie sich harmonisch einfügen.
Auch wenn er es zu dieser Zeit nicht begreift, ist er glücklich. Die Fremden ermöglichen ihm die Schaffung einer eigenen Welt in dem Raum, dessen feste Grenzen er zu schätzen lernt. Mit jeder Gabe nähert sie sich der Vollkommenheit. Bis sie ihm eines Tages eine Stadt bringen.
»Lass mich endlich mit deinem scheiß Fisch in Ruhe!« Jarvis trat gegen den Kadaver, der träge vom Felsen rutschte. Joe wich zurück und schnappte in einer instinktiven Bewegung danach. Er hielt den toten Fisch im Maul, biss jedoch nicht zu. Sein Blick zeigte Verwirrung. »Glaub mir«, sagte Jarvis milder, »ich weiß dein Geschenk zu schätzen. Ich kann nur nichts damit anfangen.« Sein Magen knurrte, und sein Mund war trocken. Er fragte sich, ob er von Süß- oder Salzwasser umgeben war, und wie durstig er werden würde, bis die Verzweiflung ihn dazu trieb, diese Frage selbst zu beantworten. Falls der Anzug das zuließ. »Ich werde sterben, wenn ich diese Höhle nicht verlasse, verstehst du das?« Joe legte den Kopf schräg. Die Flossen des Fischs in seinem Maul bewegten sich in der Strömung auf und ab, als versuche er zu fliehen. »Verstehst du das wirklich nicht?« Jarvis drückte mit der Hand gegen die Energieblase, die seinen Kopf umgab. »Ich kann weder essen noch trinken, und wer weiß, wie lange der Sauerstoff in diesem Ding hält. Wenn du mir beim Sterben zusehen willst, okay, aber wenn du mich lebend brauchst, solltest du dir langsam eine Alternative zu dieser Höhle überlegen.« Er zeigte auf den Fisch und die Höhle, dann auf sich und zur Decke, aber Joe schien den Zusammenhang nicht zu verstehen und sah ihn nur weiter an. Bei der Intelligenz, die er bisher bewiesen hatte, erschien es Jarvis unwahrscheinlich, dass er sich so begriffsstutzig zeigte. Er achtete kaum auf die Gesten, nur auf die Worte, die nach außen getragen wurden und die er hörte. »Du verarschst mich doch«, sagte Jarvis schließlich. »Du verstehst ganz genau, was los ist, kannst es dir aber nicht anmerken lassen. Hat man dir das befohlen? Wollen deine Bosse sehen, wie ich mich verhalte, wenn mir das Wasser bis zum Hals steht?« Er lachte über seinen eigenen unbeabsichtigten Witz. Die Aussicht von einer außerirdischen Macht getestet zu werden, hatte etwas seltsam Beruhigendes, denn es bedeutete, dass er und Joe nicht allein waren, und dass es jemanden gab, der zusah und vielleicht sogar einspringen würde, wenn es tatsächlich gefährlich wurde. Nur darauf verlassen konnte sich Jarvis nicht. »Tests, richtig? Darum geht es hier also.« Er stieß sich vom Boden ab und schwebte nach oben. Joes Blick folgte ihm. »Ich habe keine Angst vor Tests, schließlich bin ich damit aufgewachsen. Ein GenTec
weiß mehr über seinen Körper und seine Seele als jeder normaler Mensch. Ich weiß, wie ich auf Hitze reagiere, auf Kälte, auf Hunger, Durst, negative Stimulans, positive Stimulans, wie ich Trauer empfinde, Wut oder Freude, Leidenschaft... « Jetzt kam auch Joe vom Boden herauf. Seine Tentakel schlossen sich zu Flossen zusammen. Mit eleganten Bewegungen schwamm er an Jarvis vorbei und umkreiste ihn wie ein spielfreudiger Delphin. »Man hat alle Tests mit mir gemacht, die vorstellbar sind und einige, die vielleicht mehr Phantasie erfordern, als deine Bosse haben.« Er verbarg seine rechte Hand hinter dem Rücken. Die Fingerspitzen umschlossen den Stein. »Es wird sehr schwer sein, mich mit irgendwas zu überraschen, das ihr plant.« Er stieg höher auf, der Decke entgegen. Joe überholte ihn und ließ sich herabsinken, wollte ihn wohl wieder mit seinem Körper nach unten drücken. Es wirkte spielerisch. Jarvis schluckte trocken und dachte an die Schuppen. »Auf der...« Seine Stimme klang so heiser, dass er sich räuspern musste. »Auf der anderen Seite wisst ihr nichts über mich, und das sollte reichen, um euch zu überraschen.« Joe war näher an ihn heran geraten und schwamm jetzt weniger als eine Armlänge entfernt. Jarvis drehte sich, als wolle er zurück zum Boden schwimmen. Noch kannst du abbrechen, sagte eine innere Stimme, du musst es nicht durchziehen. Er verdrängte den Gedanken, konzentrierte sich völlig auf die Aufgabe, die vor ihm lag. Man hatte ihn darauf trainiert, alle Zweifel abzuschalten und eine einmal getroffene Entscheidung nicht weiter zu hinterfragen. Und er hatte sich entschieden, schnell und kompromisslos vorzugehen. Also handelte er, zog in einer fließenden Bewegung die Beine an und trat zu. Seine Fußsohlen kollidierten mit Joes Flossen und rissen seinen Körper herum. Jarvis bäumte sich auf, griff mit einer Hand nach seinem Kopf und schlug mit der anderen zu. Er spürte nachgebenden Widerstand, als der Stein Joe unmittelbar über dem Auge traf. Etwas knirschte unter seinen Fingern, der Körper zuckte schwach, aber Jarvis ließ nicht los, schlug stattdessen einmal, dann noch einmal zu, bis dunkle Blutschwaden aufstiegen und die Flossenbewegungen endgültig erstarben. Erst dann ließ er den Stein fallen und paddelte zurück. Schwer atmend sah er zu, während Joe ohne Eigenbewegung dem Boden entgegen trieb und auf einem der Felsen zur Ruhe kam. Blut verteilte sieh wie Rauchschwaden im Wasser. Jarvis wandte sich ab und schwamm zur Decke empor, dem Ausgang entgegen. Tut mir Leid, dachte er, ich hatte keine andere Wahl. EinTeil von ihm glaubte daran, ein anderer hoffte, dass er nicht getötet hatte.
Wesley. Liam. Charles. Connor. Vier Vornamen, die Resnick in die engere Wahl genommen hatte. Mit übereinander geschlagenen Beinen und geschlossenen Augen lehnte er an der Wand des Schiffs und wiederholte die Silben in seinen Gedanken. Es war eine Art Meditation, mehr nicht, denn ihm fehlte das Wissen und der Instinkt, um einen eigenen Vornamen auszusuchen. Dazu benötigte er die anderen an Bord, Scobee, Jarvis und vor allem Cloud, der als einziger sein ganzes Leben unter Menschen, die zwei Namen besaßen, zugebracht hatte. »Liam«, sagte er leise. »Liam Resnick. Wesley Resnick... Wes Resnick." Für ihn klang das eine so gut wie das andere. Scobee oder Cloud hätten gewusst, welcher Name besser zu ihm passte, während Jarvis ihm vermutlich vorgeworfen hätte, er würde seine Existenz als GenTec verleugnen, wenn er sich einen konventionellen normal menschlichen Vornamen aussuchte. Sie hatten ein paar Mal darüber diskutiert, ohne zu einem Ergebnis zu kommen. »Worüber denkst du nach?« Es war der erste Satz, den Darnok seit mehreren Stunden sprach. Resnick öffnete die Augen und betrachtete den pulsierenden schwarzen Körper. Seit er beschlossen hatte ihn zu hassen, fiel ihm der Anblick leichter. »Über einen Namen.« »Du hast einen Namen.« »Nein, nicht wirklich.« Resnick trank einen Schluck Wasser aus einer Flasche, die sich vor einiger Zeit aus der Wand geschält hatte. Es schmeckte süßlich und war zu warm. »Resnick ist der Name der Matrix, aus deren Körper ich geklont wurde. Er gehört nicht mir allein.« »Und doch trägst du ihn.« »Man hat ihn mir gegeben, zusammen mit meinem Körper.« Und auch der gehörte ihm nicht, sondern eigentlich der Regierung, die hinter seiner Erschaffung stand. Doch im Gegensatz zu Jarvis bereitete ihm der Gedanke daran nur selten Unbehagen. Zumal inzwischen kaum mehr als sicher angenommen werden durfte, dass seine »Schöpfer« noch existierten. Die damit verbundene Fessel - falls es je eine solche gegeben hatte -, der Albtraum, war damit in eine andere Qualität übergegangen. »Warum willst du mehr, als man dir gegeben hat?« Weil ich es verdiene, wollte Resnick spontan antworten, bremste sich dann jedoch. Darnok hatte bereits mehr über ihn erfahren, als ihm recht war. Er hatte einen gewaltigen Informationsvorsprung, der sich mit jeder weiteren Frage zu vergrößern schien. »Suchen wir noch nach ihnen?«, sagte er stattdessen. »Nach wem?«
»Du weißt genau, nach wem.« Resnick lehnte müde seinen Hinterkopf gegen die Wand. Sie war so kalt unter seiner nackten Haut, dass er zusammenzuckte. »Deine Spiele verlieren langsam ihren Reiz.« Er schüttelte die Müdigkeit ab, stand auf und ging zum Bildschirm. Darnok hatte das Raumschiff in den Orbit eines großen Planeten gesteuert, der fast die gesamte Sichtfläche einnahm. Resnick sah eine braungrüne, Algen bewachsene Oberfläche, die von Gebirgen durchzogen war. Korallenbänke und Felstrümmer zogen an ihm vorbei. »Wieso sind wir hier?« Darnok antwortete nicht. Das Schiff sank tiefer, fiel förmlich den riesigen, kilometerhohen Algenwäldern entgegen. Das ständige dumpfe Dröhnen des Antriebs erstarb. Die Vibrationen, die Resnick die ganze Zeit über unbewusst wahrgenommen hatte, ließen nach, bis sie schließlich nicht mehr fühlbar waren. Im gleichen Moment gingen die Lichter des Schiffes aus. »Was ist los?« Resnick drehte sich unwillkürlich zu den anderen um, bevor ihm einfiel, dass es keine anderen mehr hier an Bord gab. Sein Blick fiel auf Darnoks pulsierende Masse, die im Licht des Ozeans violett schimmerte. »Was ist los?«, wiederholte er. »Schweig.« Die Stimme war nicht mehr als ein Zischen. Resnick sah zurück zum Bildschirm und dem Planeten, der immer näher kam. Das Schiff bewegte sich auf die Algenwälder zu. Es sah fast so aus, als wolle sich Darnok dort verbergen. »Gibt es ein Problem? Werden wir verfolgt?« »Du musst still sein.« Darnoks Stimme schien jetzt ebenso zu pulsieren wie sein Körper. Die Bildschirmperspektiven begannen rhythmisch zu wechseln, zeigten einmal die Wälder und dann wieder den tiefen Ozean mit seinen lichtdurchfluteten Korallentrümmern. Resnick schwieg und versuchte in den friedlich wirkenden Bildern eine Bedrohung zu erkennen, doch sie wechselten so schnell, dass ihm schwindelig wurde. Grün, blau, braun und rot, das waren die Farben, die immer wieder aufblitzten. Er konzentrierte sich darauf, ohne sie wirklich wahrzunehmen. Vielleicht ist es nur ein weiteres Spiel, dachte er müde, um mich aus der Fassung zu bringen. Es... Schwarz. Die Schwärze war plötzlich da und glitt mit breiten Schwingen an ihm vorbei. Die Perspektivwechsel stoppten, zeigten nur noch diese gewaltige dunkle Form, die sich über die Farben legte, als wolle sie das Leben selbst ersticken. Ihre Größe ließ sich kaum schätzen, doch war sicher, dass das Karnut mehr als fünfzig Mal in sie hineingepasst hätte. »Still«, flüsterte Darnok, »ganz still. Sie kann unseren Atem hören.« Stimme, wollte Resnick ihn korrigieren, schwieg dann aber, als die Schwärze mit majestätisch langsamem Flügelschlag am Schiff vorbeizog. Dunkelheit legte sich über den Raum, verharrte einen Moment und verschwand. Das blaue Licht erschien
dem GenTec hell und klar, als es_ die Schwärze ablöste und ins Schiffsinnere zurückkehrte. Auf dem Bildschirm verschwand die Form langsam am Horizont. Resnick atmete tief durch. »Was war das?« »Etwas Altes.« Darnoks Stimme hallte zwar von den Wänden wider, aber sie klang weitaus weniger überlegen als vor der Begegnung mit dem fremden Wesen. Sein Körper pulsierte unregelmäßig und heftig. Er hat Angst, erkannte Resnick. Es gibt also tatsächlich etwas, vor dem selbst er sich fürchtet...
Scobee wusste, was es bedeutete, Angst zu haben. Sie hatte das Gefühl erfahren, war ihm bereits in frühester Kindheit ausgesetzt worden, um es kontrollieren zu lernen. Man hatte sie darauf trainiert, konditioniert, selbst in extremen Situationen ruhig und angstfrei zu reagieren, aber als der gewaltige Schatten über sie hinweg glitt, spürte sie, wie ihr Körper zu zittern begann. »Was ist das?«, hörte sie Cloud durch das Hämmern ihres Herzschlags flüstern. Ein Schwarm kugelförmiger Lebewesen trieb tot an ihnen vorbei. Scobee antwortete nicht. Sie schluckte bei dem Gedanken, wie Cloud sich fühlen musste. Ohne die genetischen Veränderungen und anerzogenen Angstsperren musste der Anblick des Schattens fast unerträglich sein. Quälend langsam bewegten sich die schwarzen Schwingen. Ein Geräusch, das wie verzerrte, dunkle Walgesänge klang, ging von dem Wesen aus und setzte sich als Kopfschmerz hinter Scobees Schläfen fest. Sie versuchte den Schatten mit den Augen eines Wissenschaftlers zu sehen, so wie sie es bei Darnok tat, um dessen Fremdheit zu verarbeiten, aber die dunkle Form entglitt ihrem Blick, als läge sie hinter einem Vorhang verborgen. Wir werden beeinflusst, dachte Scobee. Etwas manipuliert unsere Wahrnehmung. Der Ozean um sie herum war völlig leblos. Nur der tote Schwarm trieb hinter dem Schatten her wie, eine Warnung. »Was auch immer sie getan haben«, sagte Cloud leise, »wir sollten es vermeiden, den selben Fehler zu machen.« Die Trockenheit seines Humors reizte zum Lachen. Scobee biss sich auf die Lippe. Über ihr begann sich der Schatten zu drehen, noch langsamer und irgendwie aufmerksamer als zuvor. Cloud schien die Veränderung ebenfalls zu bemerken, denn er zog einen Finger über seine Kehle, um Scobee zum Schweigen aufzufordern. Vielleicht kann es uns nicht sehen, nur hören. Scobee folgte dem Schatten mit ihren Blicken. Er verharrte über ihnen. Sie sah kurz zu Cloud hinüber, der keine Reaktion zeigte. Eine Ewigkeit schien zu vergehen, bis der Schatten sich endlich bewegte. Mit einem einzigen Schwingenschlag drehte er seinen Körper und schwebte hinaus in den
offenen Ozean. Scobee sah ihm nach, bis er hinter einigen Felstrümmern verschwand, aber es war Cloud, der als Erster sprach. »Okay, das war eine Erfahrung, auf die ich gerne verzichtet hätte.« »Das muss schlimm für dich gewesen sein«, sagte Scobee. »Die...« Sie brach ab und fluchte innerlich über ihre Worte. Obwohl sie sich seit Wochen bemühte, Cloud davon zu überzeugen, dass er den GenTecs nicht unterlegen war, bewies sie mit jedem Satz das Gegenteil. »Nein, es war nicht so übel«, antwortete Cloud dann auch erwartungsgemäß. »Ich habe es nur etwas intensiver als du gefühlt.« »So meinte ich das auch.« Scobee wandte sich ab und betrachtete die Planetenoberfläche. Zwischen den Wäldern und Gebirgen lagen seltsam eckige Formen, die nicht so recht zu der natürlichen Umgebung zu passen schienen. »Ist das etwa eine Stadt?«, nahm Cloud ihren Gedanken vorweg. Sie nickte. »Ich glaube schon, es sind zumindest Gebäude.« Er schwamm an ihr vorbei und begann Wasser zu treten. »Das sind die ersten Hinweise auf intelligentes Leben, die wir hier gefunden haben. Was meinst du, wie weit sie weg sind, vier oder fünf Kilometer?« »Das müsste hinkommen. Willst du dorthin schwimmen?« Cloud sah sie an. Der Optimismus in seinem Blick war ebenso ansteckend wie der Humor, den er eben gezeigt hatte. »Natürlich. Unser Taxi ist ohne uns abgefahren, wir haben kein Wasser, nichts zu essen und keine Ahnung, wie lange der Sauerstoff reicht. Da unten gibt es Wesen, die Städte bauen. Wer das kann, sollte auch in der Lage sein, uns zu helfen. Was meinst du?« Er wartete ihre Antwort nicht ab, sondern begann mit kräftigen Bewegungen der Oberfläche entgegen zu schwimmen. Scobee folgte ihm ohne etwas zu sagen. Ich meine, dass du Unrecht hast, dachte sie. Wir sind dir nicht überlegen. Unsere Sinne sind in gewisser Weise stumpfer als deine, nur deshalb haben wir uns besser unter Kontrolle. Du empfindest alles, so wie es ist und kannst trotzdem noch im Angesicht des Schreckens scherzen. Das ist weit mehr, als wir jemals erreichen werden. Kurz fragte sie sich, ob sie ihm das sagen solle, doch dann entschied sie sich dagegen. Cloud hätte ihr ohnehin nicht geglaubt. Stattdessen schwammen er und sie stumm der Stadt entgegen - und dem, was dort auf sie erwartete.
Es war schwieriger, als er gedacht hatte, schwieriger und langwieriger. Die Tentakel hatten ihm keine Probleme bereitet, waren sogar zurückgezuckt, wenn er ihnen zu nahe kam. Das Massaker, das Joe unter ihnen angerichtet hatte, war wohl nicht vergessen. Doch über den Tentakeln begannen die Schwierigkeiten, denn die poröse
Felsdecke war zwar von röhrenartigen Schächten durchzogen, aber es gab keinen Hinweis, welche davon ins Freie führten und welche in Sackgassen endeten. Jarvis hatte bisher vierzehn Sackgassen mit Algen markiert und steckte in der fünfzehnten. Er hatte noch nie unter Klaustrophobie gelitten, aber hier, eingepfercht in eine Felsröhre, die gerade mal so breit wie sein eigener Körper war, spürte er zum ersten Mal Unbehagen. »Scheiße«, sagte er, um sich abzulenken. »Scheiße, Scheiße, Scheiße.« Mit den Armen schob er sich vorsichtig rückwärts dem Ausgang entgegen. Sein Anzug schabte über Felsen und scharfkantige Korallen. Das Material hatte bisher allen Belastungen standgehalten, aber Jarvis versuchte trotzdem, es so wenig wie möglich zu belasten. Schließlich war der Anzug das einzige, was ihn vom Tod trennte. »Aber nicht mehr lange.« Die einseitige Unterhaltung mit Joe hatte eine längst vergessene Angewohnheit wieder zu Tage gefördert. Als Kind hatte er mit sich selbst geredet, wenn er allein und ängstlich war. Die Wissenschaftler hatten ihn dazu gebracht, damit aufzuhören, doch jetzt fiel ihm wieder ein, wie angenehm und zuversichtlich der Klang der eigenen Stimme sein konnte - auch wenn sie nichts Angenehmes und Zuversichtliches zu sagen hatte. Der Anzug, der ihn jetzt noch schützte, würde schon bald zur Todesfalle werden. Jarvis schätzte, dass er noch rund zwei Tage ohne Flüssigkeit überleben konnte, bevor ernste körperliche Schädigungen eintraten. Bis dahin musste er eine Lösung für sein Problem gefunden haben, denn danach kam jeder Einfall zu spät. »Und eine Lösung kann es nur draußen geben, außerhalb der Höhle. Hier drinnen werden mich die anderen nie finden.« Wenn sie überhaupt noch nach ihm suchten, doch daran zweifelte er eigentlich nicht. Darnok mochte die menschliche Crew egal sein, aber Scobee, Resnick und sogar Cloud würden ihn nie im Stich lassen. Diese Überzeugung gab ihm Kraft. Jarvis spürte, wie seine Beine aus der Röhre rutschten und stieß sich ab. Den letzten Meter glitt er nach unten und genoss das Gefühl, als sich seine verkrampften Muskeln entspannten. Einen Moment schwebte er einfach nur an der Höhlendecke, dann riss er sich zusammen und betrachtete die restlichen Röhren. Es waren weit über hundert Stück, die er auf den ersten Blick sehen konnte, aber die Vielversprechendsten hatte er bereits abgehakt. Mehr als die Hälfte war zu klein, um einen Menschen aufzunehmen und zahlreiche andere endeten nach nur wenigen Metern. Trotzdem waren rund dreißig Röhren übrig, die Jarvis noch nicht erforscht hatte. Dreißig Röhren, dreißig Hoffnungen. Sein Blick fand eine Öffnung, die gerade breit genug für ihn zu sein schien. Er schwamm darauf zu und bewegte das Wasser mit der Hand, um einem möglichen Bewohner die Gelegenheit zur Flucht zu geben. Bisher hatte er keine unangenehmen Begegnungen in den Röhren gehabt, und er hoffte, dass das so blieb. Jarvis schob sich hinein in Dunkelheit und Enge. Sein Körper blockierte das Licht, das von außen hineinfiel. Er hatte sich längst daran gewöhnt, im Inneren der Röhren völlig blind zu sein, deshalb überraschte es ihn, als das Licht von außen verschwand, aber die Felsen weiter sichtbar blieben. Seine Hände strichen über die Steine, suchten
nach fluoreszierenden Substanzen, ohne fündig zu werden. Nicht die Felsen selbst leuchteten, sie wurden beleuchtet. Es gab eine zweite Lichtquelle. Jarvis vergaß die Vorsicht, mit der er sich die ganze Zeit bewegt hatte. Mit kraftvollen Klimmzügen zwängte er sich an Felsen und Korallen vorbei, riss dunkle Algen samt ihrer Wurzeln ab und stieß Meter um Meter nach oben vor. Schweiß lief über seine Stirn und stach in seine Augen. Er ignorierte die Schmerzen in seinen Armen und Schultern, konzentrierte sich nur auf den Ausgang, den er irgendwo hinter einer Biegung vermutete. Stunden schienen zu vergehen, bis er ihn endlich sah. Es war eine Felsspalte, mehr nicht, die das Ende der Röhre und das Ende der Höhle markierte. Hellblaues Licht fiel an wehenden Algen vorbei auf Jarvis' Gesicht und blendete ihn mit unerwarteter Helligkeit. »Das Licht am Ende des Tunnels«, sagte er und konnte ein Lachen nicht mehr zurückhalten. Für diesen Moment hatte sich alles gelohnt, der Kampf gegen die Tentakel, der Angriff auf Joe und die Quälereien in etlichen Schächten. Er hatte es geschafft. Seine Fingerspitzen schlossen sich um die Ränder der Spalte. Einen furchtbaren Augenblick lang glaubte er, sie sei zu schmal für ihn, doch dann schob er sich mit schmerzenden Rippen an den Felsen vorbei hinaus in die licht durchflutete... ... Höhle. Die Enttäuschung war wie ein körperlicher Schlag. Jarvis drehte sich keuchend um sich selbst, fand Wände, eine hohe Decke und Hunderte, vielleicht sogar Tausende neuer Röhren, deren dunkle Öffnungen tief in die Felsen führten. Er hatte die Freiheit gesucht, doch gefunden hatte er nur ein weiteres Gefängnis. »Scheiße!«, fluchte Jarvis. Dann kam Joe.
Fragen und Antworten, das war alles, woraus Resnick zu bestehen schien. Mit vor der Brust verschränkten Armen stand er am Bildschirm und spekulierte über die Stadt, die in der Ferne zu sehen war. »Vielleicht hat man uns hierher gelockt«, hörte Darnok ihn sagen. »Sie haben die anderen bereits gefangen genommen und warten nur noch auf uns. Der Schatten gehört vermutlich zu ihnen und soll uns an der Flucht hindern. Könnte er eine Maschine sein, die nur wie ein Lebewesen wirkt - oder arbeiten sie möglicherweise sogar mit organischen Bestandteilen?« Es war erstaunlich, wie viel man in einige geometrische Formen auf einer Planetenoberfläche hinein interpretieren konnte. Resnick wusste nichts über die Stadt und ihre Bewohner, äußerte jedoch trotzdem Vermutungen. Darnok hatte diesen
Mechanismus des Öfteren bei Menschen beobachtet. Er schien ihnen zu helfen, Dinge zu begreifen und einzuordnen. Was für eine seltsame Spezies, dachte er. Sie versteht nur selten, was sie sieht, versucht jedoch alles zu erklären und zu benennen. Das war eine weitere Besessenheit, die ihm aufgefallen war. Menschen benötigten Namen. Identität schien für sie untrennbar mit Namen verbunden zu sein, ob es sich um den eigenen handelte, wie bei Resnick, oder einen, den man anderen gab, um ihnen die Fremdheit zu rauben. Zumindest mit letzterem hätte Darnok Resnick aushelfen können, denn er wusste, wie die Wesen genannt wurden, die den Kubus beherrschten. Vaaren. Kein anderer Name hatte solche Legenden inspiriert. Man sagte ihnen große Taten nach und schreckliche - Wunder und Gräuel. Einige glaubten, dass sie den Kubus erbaut hatten, andere sagten, sie hätten ihn den wahren Erbauern gestohlen oder von ihnen geschenkt bekommen. Die Wahrheit kannte womöglich niemand draußen in der Weite des Alls. Darnok zwang das Schiff zum Sinkflug. Es reagierte schwerfällig auf seine unpräzisen Befehle, aber er war zu schwach, um sie klarer zu formulieren. Am liebsten hätte er Resnick die Steuerung überlassen, doch fehlte ihm die Erfahrung für komplexe Manöver. Schwäche verleitet zu Fehlern. Mit diesen Worten mahnte er sich seit dem Zwischenfall mit Jarvis zur Konzentration. Im Gegensatz zu dem, was die Menschen dachten, hatte er ihm nicht absichtlich, sondern versehentlich die falsche Waffe gegeben. Die Explosion im Wasser hatte ihn ebenso überrascht wie die anderen. Er sah jedoch keine Notwendigkeit, ihnen diesen Fehler zu erklären. Es spielte keine Rolle, ob sie ihn für einen Mentor oder einen Feind hielten. »Willst du in der Stadt landen?« Schon wieder stellte Resnick eine Frage, ohne darüber nachzudenken, ob er der Antwort würdig war. Wie alle Menschen, die er bisher getroffen hatte, glaubte auch dieser, das Universum schulde ihm Wissen, obwohl in Wirklichkeit das Gegenteil zutraf und die meisten Fragen bereits ihre eigene Antwort in sich trugen. Geduld war der Schlüssel. »Zieh den Anzug an«, sagte Darnok, während das Schiff tiefer sank. Er gab seiner Stimme den Hall, der die Menschen so zu irritieren schien. »Du wirst die Stadt erkunden.« Resnick drehte sich zu ihm um. »Wirst du mich begleiten?« »Nein, ich werde an Bord bleiben.« »Ich verstehe. Wird das Schiff noch da sein, wenn ich zurückkehre oder willst du mich ebenso loswerden wie die anderen?« Es fiel Darnok immer noch schwer, den Tonfall von Menschen richtig einzuordnen, aber er glaubte keine Wut zu hören, nur Resignation. Das Experiment, Resnick nicht nur von seinen Artgenossen, sondern auch von seiner vertrauten Umgebung zu isolieren, reizte ihn zwar, doch im Angesicht der fremden Stadt mit ihren möglichen Gefahren war es besser, darauf zu verzichten. Es gab ja immer noch Cloud und
Scobee. Ihr Verhalten in der Isolation würde ihm genügend Aufschlüsse über diesen Teil des menschlichen Verhaltens liefern. Das Schiff schwebte jetzt über den ersten Gebäuden. Darnok sah feine Kristallstrukturen und Mauern, die aus Silber gesponnen schienen. Die Konstruktionen wirkten viel zu filigran für den Druck und die ständige Bewegung des Wassers. Sie wurden nicht für den Kubus gebaut, dachte Darnok, aber dennoch halten sie ihm stand. Zeigt sich vielleicht schon darin die Macht der Vaaren? »Und wenn ich mich weigere?« Resnick stand jetzt vor ihm und blickte aus seinen seltsamen runden Augen auf ihn herab. »Wenn ich einfach an Bord bleibe, was machst du dann?« Darnok schwieg, weil auch diese Frage ihre Antwort in sich trug. Nach einer Weile senkte Resnick den Kopf und griff nach dem Anzug. Das Schiff setzte mit einem Ruck auf dem Boden der Stadt auf. Er weiß nicht, warum sie ihm eine Stadt bringen. Sie gehört nicht in diese Welt, das sieht er sofort. Ihre Ordnung ist eine andere als die des Wassers. Und die Wesen, die auf ihr leben, diese kleinen wimmelnden Gestalten voller Leben, gehören ebenfalls nicht ins Wasser. Ihr Anblick stört die Harmonie seiner Umgebung. Während die Stadt im Nichts zwischen den Welten schwebt, denkt er über seinen nächsten Schritt nach. Die Herren des Wassers verhindern mit einem Kraftfeld, dass er die Stadt zurück- an den Ort bringt, den das Universum für sie vorgesehen hat, selbst, wenn er ihn wirklich finden könnte. Doch bleiben kann sie nicht in seiner Nähe, nicht mit dem ständigen Leben und Sterben und den Veränderungen, die zu den Bewohnern gehören. Sie erbauen, sie zerstören, sie wachsen, sie schrumpfen. Die Stadt ist ein Test seiner Fähigkeiten und seiner Überzeugungen, das ist ihm klar, doch verweigern kann er sich nicht. Der Drang nach Harmonie ist zu stark, die Sehnsucht nach Ordnung der einzige Wunsch seines Geistes. In der Stadt vergehen viele Generationen, während er über die Lösung nachdenkt, und als er sie schließlich findet, ist er überrascht über ihre Einfachheit und Schönheit. Er muss die beiden Ordnungen in Einklang bringen, um eine neue Harmonie zu erschaffen. Doch die Stadt ist vorbereitet, als er schließlich handelt. Seit Generationen haben sie ihn studiert, ihn, der die Bedeutung von Zeit zu vergessen sucht und im Fortschritt nur Entropie sieht. Sie haben Waffen gefunden gegen ihn, die sie einsetzen, während das Wasser über sie hereinbricht. Der Kampf währt weitere Generationen, und die Zerstörungen sind fürchterlich. Am Ende, als der letzte Bewohner in Leblosigkeit erstarrt, liegt sie in Trümmern. Die filigranen Kristall- und Glasbauten, die Gesteinsformationen und Schnitzereien, alles ist zerstört. Es gibt Harmonie in Ruinen, aber nicht in diesen, die Ausdruck seines Versagens sind. Er weiß, dass die Rückführung zur Ordnung und zur Stagnation bis zum Ende der Zeit all seine Kraft benötigen wird, und das erfüllt ihn mit einem seltenen Moment des Glücks. Auch wenn er selbst nie wieder völlige Stagnation erleben wird,
so kann er doch dafür sorgen, dass sie wenigstens an einem Ort dieser fremden Wasserwelt erhalten bleibt. Und so beginnt er mit seiner Arbeit, auch wenn er Anfänge ebenso wie Enden verabscheut. Irgendwann lösen sie das Kraftfeld auf und bringen ihn und die Stadt zu einem Planeten. Er lässt sie gewähren. Die Zeit vergeht, und sie vergessen ihn. Und schließlich vergisst er auch sie.
Als er die Veränderungen spürt, sind sie wie Erinnerungen an etwas lange Vergangenes. Er erwacht aus der Routine seiner stets gleich bleibenden Arbeit und fragt sich, was in seiner Stadt geschieht. Er nimmt Laute wahr, die durch die Stille donnern und Bewegungen, die in der Starre rasend sind. Leben und Tod, das sind die Worte, die er damit verbindet. Durch die Augen seiner Stadt sucht er danach und findet seltsame Kreaturen. Sie bewegen sich durch die leeren Straßen und über die Plätze hinweg, fassen Gegenstände an und dringen in Gebäude ein. Es ärgert ihn, dass sie nicht zu begreifen scheinen, dass jedes Molekül seinen eigenen Platz besitzt. Sie bringen alles durcheinander, so wie es in der Natur von Lebewesen liegt. Er könnte sie vernichten, doch sie gehören nicht auf diese Welt. Sie sind Fremde, die einer eigenen Ordnung unterliegen, sogar zwei Ordnungen, wenn er die Signale aus der Maschine richtig deutet. Es würde viel Kraft kosten, ihre Ordnungen in die seine zu integrieren. Er denkt darüber nach, ob die Störung seiner Harmonie diesen Aufwand rechtfertigt und beschließt, dass dem nicht so ist. Die Zerstörungen und Veränderungen, die sie auslösen, sind gering, und sie werden nicht länger als für die Dauer ihres kurzen Lebens in seiner Stadt bleiben. Vielleicht verlassen sie den Planeten bereits vorher, so rastlos, wie sie auf ihn wirken. Er hofft darauf, damit ihre Körper nicht Teil der Stadt werden müssen. Langsam sinkt er zurück in seine Routine, lauscht nur noch mit einem Teil seines Geistes auf die Bewegungen an der Oberfläche. Sie durchbrechen Muster, die für die Ewigkeit gedacht waren. Das ärgert ihn mehr, als er geglaubt hat, also steigt er wieder empor, um die Lebewesen zumindest durch seine Augen zu beobachten - und zu handeln, sollte ihre Zerstörungswut es erfordern. Schließlich konnte er auch den ehemaligen Bewohnern im Tod eine Harmonie schenken, die ihnen im Leben verwehrt blieb. Vielleicht, denkt er, rechtfertigte das sogar den Aufwand.
Wohnzimmer, dachte Cloud und stutzte. Es war erschreckend, wie sehr ihn der Raum an die Erde erinnerte. Da waren Sessel, ein Tisch und Regale, in denen irgendwelche Gegenstände lagen, die er nicht einordnen konnte. Die Sitzgelegenheiten - wenn es denn welche waren - sahen zwar entsetzlich unbequem aus, doch einem jungen New Yorker Designer wäre Vergleichbares durchaus zuzutrauen gewesen. Bewohner waren keine zu entdecken. Die beiden Menschen schwammen weiter dem Boden entgegen auf etwas zu, das eine Straße hätte sein können. Auch dort regte sich nichts. Genauso wenig wie hinter all den Fenstern, an denen sie vorbeikamen. Es war, als schwebten sie durch eine Geisterstadt. In Cloud festigte sich der Gedanke, dass dieser Eindruck nicht trog. »Sie haben durchsichtige Fenster«, sagte er. »Und? Das ist der Sinn von Fenstern.« »Wie würdest du es finden, wenn einfach jeder vor deine Wohnung schwimmen könnte, um dir zuzusehen, wie du lebst?« Kaum hatte er es gesagt, hätte Cloud sich am liebsten auf die Zunge gebissen. Die GenTecs hatten zeitlebens unter Beobachtung gestanden. Scobee schien diesen Gedanken nicht zu haben - oder sie zeigte es nicht. »Vielleicht sind sie zu schwer zum Schwimmen.« »Nein, sieh dir diese Sessel an. Die sind viel zu filigran, um irgendetwas wirklich Schweres auszuhalten.« Die GenTec nickte nachdenklich, während sie weiter dem Boden entgegen schwammen. »Komm schon, Scob«, sagte Cloud. »Es ist ziemlich einleuchtend. Die zerbrechlich wirkenden Türme, die Fenster... Wir haben sogar eine Treppe gesehen. Warum sollte ein Volk, das unter Wasser lebt, Treppen bauen?« Er hielt inne, als käme ihm gerade ein neuer Gedanke. »Außerdem gibt es hier gar keine ausreichende Gravitation. Was sollte die Bewohner auf der Treppe halten?« Er schaute nach unten, wo sich etwa fünfzig Meter unter ihm die Straße erstreckte. »Nur weil wir es nicht verstehen, bedeutet das nicht, dass kein Sinn dahinter steckt«, sagte Scobee. »Aber wahrscheinlich hast du Recht. Diese Stadt wurde nicht von Unterwasser Bewohnern errichtet.« »Das würde auch erklären, warum hier offenbar niemand mehr lebt.« Den Rest der Strecke zum Boden legten sie schweigend zurück, jeder mit seinen eigenen Gedanken über die Erbauer dieser Stadt und deren Schicksal beschäftigt. »Vorsicht!«, rief Scobee plötzlich, machte eine Rolle im Wasser und strebte mit hektischen Bewegungen wieder nach oben - ohne vorwärts zu kommen. Sie sank im Gegenteil immer weiter abwärts. Cloud, der eine halbe Körperlänge hinter ihr gewesen war, spürte es den Bruchteil einer Sekunde später. Etwa zehn Meter über dem Boden verstärkte sich die zuvor nur schwach spürbare Gravitation schlagartig und zog ihn mit dem Kopf voran nach unten.
Wild warf er sich herum und strampelte mit den Beinen, um dem Sog Widerstand zu leisten. Einen Moment später schlug er hart auf der Straße auf. Die Luft wurde ihm aus den Lungen gepresst, und er sah Sterne. Doch immerhin hatte er sich nichts gebrochen, wie er erleichtert feststellte, als er sich aufrappelte. Neben ihm landete Scobee mit der geschmeidigen Eleganz einer Katze. »Alles in Ordnung?« »Ich denke schon.« Cloud sah sich um. »Irgendwelche Vorschläge?« »Ja.« Cloud deutete auf eine Stelle hinter der GenTec. »Wir reden ein ernstes Wort mit Darnok.« Sie blickte in die gezeigte Richtung. In der Entfernung verschwand das Karnut hinter einem Turm. Offenbar setzte es gerade zur Landung an.
Resnick verließ das Karnut und befand sich auf einem großen Platz inmitten silbriger, filigraner Türme. In der Rechten hielt er die Waffe, die Darnok kommentarlos für ihn geschaffen hatte. Der Alien musste sich wirklich Sorgen machen, wenn er auf seine Psychospielchen verzichtete. Der GenTec schaute sich um. Es war niemand zu sehen. Niemand schien sich dafür zu interessieren, dass gerade ein fremdes Fahrzeug in der Stadt gelandet war. Am Himmel zogen Algenfelder wie grüne Wolken entlang, und irgendein riesenhaftes Wesen, das entfernt einem Aal glich, schwamm vorbei. Irritiert ließ Resnick seinen Blick wandern. Hier unten gab es keine Fische, Krebse oder was man sonst in einer Unterwasserstadt erwartet hätte. Nicht einmal Pflanzen. Die silbernen Türme schimmerten in dem seltsamen Licht, das hier überall leuchtete, und erweckten zumindest auf die Entfernung nicht den Eindruck, als wären sie flechten- oder Korallenbewachsen. Resnick einen letzten Blick auf das Karnut. Ob Darnok warten würde? Oder wollte der Außerirdische nur noch den letzten, ihm unbequemen Menschen loswerden? Wenn dem so war, dann konnte der GenTec ohnehin nichts dagegen unternehmen. Schulter zuckend wandte er sich ab und schritt auf den nächstgelegenen Turm zu. Das Gebäude schien entgegen dem ersten Eindruck nicht aus Metall zu bestehen, und wie er schon vermutet hatte, war nirgendwo Bewuchs zu entdecken. Resnick streckte die Hand aus, obwohl er nicht erwartete, durch den Handschuh viel erspüren zu können. Langsam näherten sich seine Finger der Wand - und zuckten zurück. Was auch immer es war, es strahlte Wärme aus.
Erneut legte er die Fingerspitzen an die Mauer. Versuchte es zumindest. Vielleicht einen Millimeter, bevor er sie berührt hätte, traf er auf Widerstand. Ein unsichtbarer Film oder ein Kraftfeld, das er nicht durchdringen konnte, umgab das Material. Nun, das erklärt immerhin, warum hier kein Moos oder dergleichen wächst, überlegte Resnick. Und da es hier keine Nahrung gibt, finden Fische es wohl auch nicht sonderlich wohnlich. Jetzt musste er nur noch die Erbauer der Stadt finden. Vielleicht versteckten sie sich irgendwo. Wie sollte man auch sonst reagieren, wenn irgendwelche Fremde zu Besuch kamen? Der GenTec ging zu einer Tür und versuchte, sie zu öffnen. Vergeblich. Entweder war sie abgeschlossen, oder das Kraftfeld verhinderte, dass er sie bewegen konnte. Nachdenklich blickte Resnick auf die Waffe in seiner Hand. Darnok hatte ihm versichert, sie ohne Bedenken unter Wasser abfeuern zu können. Er musste es ihm nur glauben. Zumindest aber verschaffte es ihm die theoretische Möglichkeit, die Tür bei Bedarf zu überwinden. Andererseits war es kaum die richtige Art, wie man irgendwo um Hilfe anklopfte... Der GenTec beschloss, sich zunächst weiter umzusehen. Möglicherweise ließen sich die Bewohner ja doch noch blicken. Wer konnte schon nachvollziehen, wie sie dachten? Ohne bestimmtes Ziel wanderte Resnick durch die Straßen, rüttelte an Türen und versuchte Fenster zu öffnen. Doch offenbar war er nicht willkommen. Als er nach zwanzig Minuten noch immer nichts erreicht hatte, siegte die Frustration und die Sorge, auf einen weiteren Trick von Darnok hereinfallen zu können. Er stellte sich einige Meter entfernt vor eine Tür, hob die Waffe und schoss. Eine dünne Spur aus Luftblasen säumte den Weg des Strahls, der hervorbrach. So harmlos es aussah, umso verheerender war die Wirkung auf das anvisierte Objekt. Die Tür zerplatzte förmlich, Tausende von Splittern wirbelten durch das Wasser. Dabei war nicht einmal ein Knall zu hören, nur das Geräusch von kochendem Wasser und ein Knistern von aneinander schabenden Splittern. Resnick war beeindruckt. G.T. hätte seine helle Freude an dem Ding gehabt. Vor ihm beruhigte sich der Sturm, den er entfesselt hatte. Der GenTec machte einen Schritt auf die Tür zu - und wirbelte herum. Er wusste nicht, was ihn alarmiert hatte. Vielleicht ein Geräusch, vielleicht eine Bewegung aus den Augenwinkeln registriert... Jedenfalls standen vor Resnick drei schlanke Wesen. Wo kommen die denn so plötzlich her?, dachte er. Und noch bevor er irgendeinen Versuch machen konnte, sich mit ihnen zu verständigen, richteten jedes von ihnen ein seltsames Gerät auf ihn. Winzige Torpedos schossen daraus hervor und jagten auf ihn zu.
Cloud und Scobee schritten zügig nebeneinander her durch die Straßen der Geisterstadt. »Was ist, Scob? Hast du schon eine Vorstellung, wie die hiesigen Bewohner einmal ausgesehen haben?« »Was sollen solche Überlegungen bringen? Wenn sie wirklich alle fort sind, ist es ohne Belang. Sind sie wider Erwarten noch da, werden wir ihnen früher oder später gegenüberstehen.« »Bist du denn gar nicht neugierig? Ich meine: Sieh dich um! Und überleg, was wir in den Häusern gesehen haben. Man könnte fast meinen, dass hier Menschen gelebt haben.« Cloud glaubte nicht wirklich daran, doch ihm gefiel die Vorstellung, dass die Menschheit etwas derart Schönes geschaffen hatte. Wie es schien, war alles irgendwie versiegelt worden, sodass es nicht mehr zersetzenden Einflüssen ausgesetzt war. Leider führte das dazu, dass sie auch keines der Gebäude betreten konnten, um sich genauer umzusehen. Kurz war er versucht, Scobee zu bitten, ihnen mit Darnoks Waffe Zugang zu verschaffen. Doch er verwarf den Gedanken sofort wieder. Er wollte so schnell wie möglich wieder zurück zum Karnut. Dort konnten sie immer noch über ihr weiteres Vorgehen entscheiden. »Ich denke nicht«, ging Scobee auf seinen Gedanken ein, »dass hier Menschen gelebt haben. Die Treppenstufen passen nicht. Sie sind für Wesen mit längeren Beinen konstruiert worden. Ich schätze, dass ihre Beine wenigstens anderthalb Meter lang sind, während die Decken der Zimmer nicht höher sind als auf der Erde.« Cloud nickte. Wahrscheinlich hatte sie Recht. Aber immerhin bewies ihre Antwort, dass sie sich doch Gedanken über das Aussehen der Aliens gemacht hatte. Er lächelte leicht. Die Straße, durch die sie gingen, mündete in einen großen Platz - und es schien, als würden hier die gröbsten Fragen, das Aussehen der Erbauer betreffend, beantwortet. Vor ihnen ragte eine riesige Statue auf. Sie schien aus demselben Material wie die Gebäude zu bestehen, schimmerten ebenfalls silbern. Die Statue zeigte zwei Wesen, die einander umklammert hielten wie Ringer. Vielleicht umarmten sie sich auch in Freundschaft, das war schwer zu sagen. Die Wesen verfügten über zwei lange schlanke Beine, die jeweils zwei Knie hatten, die nach hinten wiesen. Der Oberkörper hing dazwischen wie bei einem Insekt, und die Arme - eben falls mit j e zwei Gelenken - endeten in achtfingrigen Händen. Die Gesichter erinnerten Cloud mit ihren großen runden Augen an Robbenbabys. Als sie näher traten, entdeckten sie am Fuß der Statue eine Tafel mit einer Inschrift. Sie war - natürlich - nicht zu entziffern.
»Offenbar eine Art Denkmal«, murmelte Cloud, nur um irgendetwas zu sagen. Ihm war unheimlich zu Mute bei dem Gedanken, wie sehr diese Kultur der menschlichen ähnelte. »John«, riss Scobees Stimme ihn aus den Gedanken. Sie war um die Statue herumgegangen. »Das hier solltest du dir ansehen!«
Resnick war nicht an einer gewaltsamen Auseinandersetzung gelegen, doch als die seltsamen Wesen ihn ohne Zögern angriffen, handelte er wie in seinen Genen verankert. Er warf sich zur Seite, durch den Widerstand des Wassers viel langsamer als gewohnt, und riss seine Waffe hoch. Zielen und abdrücken war eins. Noch bevor die Mini-Torpedos ihn erreichten, zischte eine Blasenspur aus kochendem Wasser auf die mittlere der drei Gestalten zu. Einen Lidschlag später spürte er, wie eines ihrer Geschosse seine Haut entlang der Hüfte aufritzte, spürte, wie Wasser in den Anzug eindrang. Im gleichen Augenblick traf sein Waffenstrahl das Ziel und zerriss den Alien. Nur einen Moment später, wie durch eine schreckliche Kettenreaktion, ereilte dessen beiden Begleiter das gleiche Schicksal. Resnick presste die Hand auf die Wunde und ignorierte den Schmerz. Plötzliche Verwirrung... Er presste die Hand fester auf das Leck im Anzug und... ... konnte kein Loch mehr ertasten. Er spürte den Schmerz der Wunde, war sich sicher, getroffen worden zu sein, und trotzdem... Vorsichtig zog er die Hand zurück. Der Anzug war intakt, hatte sich ganz offensichtlich selbst repariert! Resnick wollte gerade aufatmen, als vor ihm das Wasser Schlieren bildete, als würde es erneut und diesmal nicht nur entlang des Schussverlaufs einer Hochenergiewaffe erhitzt. Einen Augenblick später standen neun der langbeinigen Außerirdischen vor ihm und blickten ihn aus ihren tot wirkenden, pechschwarzen Augen an. Ohne zu zögern richteten sie ihre Waffen auf ihn. Der GenTec kam auf die Beine, feuerte einmal in ihre Richtung und floh dann so schnell er nur konnte. Hinter sich hörte er das Sirren neuer Torpedos. Er fühlte sich unendlich langsam, als er gegen den Wasserwiderstand ankämpfte. Doch keines der Geschosse fand sein Ziel. Kurz bevor Resnick um eine Ecke bog, warf er noch einen Blick zurück. Die Wesen machten keine Anstalten, ihn zu verfolgen. Wahrscheinlich haben sie das nicht nötig, und ich laufe direkt in eine Falle, dachte er fatalistisch. Aber nichts dergleichen geschah.
Resnick beschloss, zum Karnut zurückzukehren. Er hatte nicht den Eindruck, dass er noch irgendetwas von Interesse finden würde, und es schien ihm sinnvoller, die Stadt zu verlassen, bevor er erneut angegriffen wurde. Als er auf halben Weg die offene Doppeltür entdeckte, besann er sich jedoch anders. Hier bot sich ihm endlich die Gelegenheit, mehr zu erfahren. Es war das erste einstöckige Gebäude, das er sah. Vorsichtig bewegte er sich darauf zu. Er hielt die Waffe bereit. Doch nichts regte sich. Kurz darauf stand er vor der Tür und schaute ins Innere. Eine Treppe! Hohe Stufen führten in die Tiefe. Dort unten herrschte das gleiche diffuse Licht, das offenbar den ganzen Aqua-Kubus erhellte. Resnick zögerte. Vor der Tür existierte ein ähnliches Kraftfeld wie es auch sonst über allem lag. Langsam schob er die Finger hindurch. Er spürte nichts - kein Kribbeln, keinen Schock, nicht einmal Widerstand. Entschlossen machte er einen Schritt vorwärts, trat hindurch - und befand sich nicht mehr im Wasser. Die Energiebarriere hielt es zurück. Resnick genoss das Gefühl, wieder die volle Kontrolle über seinen Körper zu haben. Ermutigt und sicher, sich seinem Ziel zu nähern - wie auch immer es geartet sein würde -, eilte er die Stufen hinab.
Vor ihnen lag eine abwärts führende Treppe. Sie stand nicht unter Wasser. Zumindest wenn Cloud die spiegelnde Trennfläche richtig interpretierte. Es sah aus wie eine Glasscheibe, die auf dem Boden lag. Er hätte es auch dafür gehalten, wenn Scobee nicht eben noch den Arm hindurchgestreckt hätte. »Was meinst du?«, wandte er sich an die GenTec. »Ist das hier wichtig genug, um unseren Weg zum Karnut zu unterbrechen?« Seinem Tonfall war deutlich anzuhören, dass er die Stufen hinabsteigen wollte. Doch er konnte es nicht einfach beschließen, sondern brauchte ihre Zustimmung. Die auch prompt erfolgte. »Ich schätze, ein paar Minuten können nichts kaputtmachen.« Wenig später hatten sie die Treppe hinter sich gebracht und befanden sich am Anfang eines langen Ganges. Auch hier war es hell, ohne dass eine Lichtquelle zu erkennen gewesen wäre. Die Wände schimmerten silbrig. So viel zu meiner Vermutung, dass dem Wasser eine Leuchtsubstanz beigemengt ist, dachte Cloud. Nach etwa zehn Metern erreichten sie eine Abzweigung.
»Na, wenigstens wissen wir jetzt, wo die Erbauer der Stadt geblieben sind«, meinte Cloud, als er um die Ecke schaute. An der rechten Gangseite stapelten sich unzählige Körper fein säuberlich bis zur Decke. Er trat näher. Alle Geschöpfe waren nackt, besaßen aber ein kurzes dichtes Fell. Sie wirkten nicht tot, sondern als würden sie schlafen. Nirgends waren Verwesungsspuren zu entdecken. Aber das musste nichts bedeuten, erinnerte er sich. Schließlich war hier irgendjemand in der Lage, sämtliche Naturgesetze außer Kraft zu setzen. Da war eine perfekte Konservierung wohl das geringste Problem. Unwillkürlich hob er die Hand, um über das samtig aussehende Fell zu streichen. Halb erwartete er, dass ihn auch hier das Kraftfeld, das in dieser Stadt alles zu umgeben schien, aufhalten würde. Doch dem war nicht so. Er konnte sie berühren und streichelte fasziniert über die feinen Härchen. So sollten Aliens aussehen - nicht wie eine größenwahnsinnige Molluske, befand er mit einem Gedanken an Darnok. Er riss sich los. Scobee beobachtete ihn leicht belustigt, sagte jedoch nichts. Cloud sah sich um. Sie sollten hier nicht mehr Zeit vertrödeln als unbedingt nötig, doch noch hatten sie nichts wirklich Interessantes entdeckt. »Okay«, sagte er. »Ich schlage vor, wir schauen uns noch maximal eine halbe Stunde um, dann sehen wir zu, dass wir zum Karnut gelangen. Wer weiß, wie lange Darnok noch wartet.« Scobee nickte und marschierte voran. Das Tunnelsystem verzweigte sich immer mehr. Sie passierten einige Treppen und etwas, das Cloud für eine Aufzugskabine hielt. Er entdeckte jedoch keinerlei Kontrollmechanismen. Mehrere Räume waren voller seltsamer Geräte. Es konnte sich dabei ebenso gut um Haushaltsmaschinen handeln wie um Waffen. Die meisten besaßen nicht einmal irgendwelche Schalter oder Displays. Wozu auch immer sie gedacht waren, ihr Zweck verschloss sich Cloud völlig. Scobee erging es nicht besser. Zwar hegte sie teilweise Vermutungen wie Cloud auch, doch war keiner von beiden bereit, irgendwelche Knöpfe zu drücken und damit womöglich eine Katastrophe auszulösen. Berühmte letzte Worte, dachte Cloud mit einem schiefen Grinsen. Was wohl passiert, wenn...? Trotzdem betrachteten sie alles eingehend, und ein paar der kleineren Gegenstände wurden eingesteckt. Und überall waren Außerirdische. Irgendwie war es gruselig, ständig aus toten Knopfaugen angestarrt zu werden, die inzwischen gar nicht mehr an niedliche Robben erinnerten. Die Frist, die sie sich selbst gesetzt hatten, neigte sich dem Ende zu. Scobee wies ihn darauf hin, als er gerade eine Kaffeemaschine - oder eine Atombombe - in Augenschein nahm. Er zuckte mit den Achseln und folgte ihr zur Tür. Beinahe wäre er in sie hineingerannt, denn sie blieb scheinbar grundlos plötzlich stehen. Er spähte an ihr vorbei.
Dort, wo sie hergekommen waren, versperrte ihnen nun ein Kraftfeld den Weg. Scobee nahm einen der Gegenstände, den sie eingesteckt hatte, und berührte damit die Barriere. Aber im Gegensatz zu dem Hindernis, welches das Wasser zurückgehalten hatte, schien dieses hier undurchdringlich. Der Rückweg war ihnen versperrt.
Er ist unzufrieden mit sich selbst. Dadurch, dass er den Störer der Harmonie beseitigen wollte, hat er nur noch mehr Chaos geschaffen. Und auch die beiden Fremdwesen haben begonnen, Entropie zu verbreiten. Begreifen sie denn nicht, dass alles seinen ihm bestimmten Platz hat? Er befürchtet, dass sie die Disharmonie noch vergrößern werden, wenn er sie dem großen Ganzen einzufügen versucht. Außerdem gehören sie nicht hierher. Ihr einziger Zweck scheint es zu sein, sein Werk zu stören. Also beschließt er, sie zu verjagen. Er wird sie zu ihrem Raumschiff treiben - mit so wenig Aufwand wie möglich, denn der Lärm und die Eile sind ihm zuwider - und dann hoffen, dass sie fortgehen. Nie mehr wiederkommen. Sollten sie sich aber nicht entfernen, muss er versuchen, sie in die Ordnung zu integrieren. Es scheint sein Schicksal zu sein, niemals Ruhe, niemals wahre Harmonie zu finden.
»Offenbar will uns jemand unbedingt hier behalten«, sagte Cloud. Scobee antwortete nicht. »Wollen wir versuchen, uns den Weg freizuschießen?«, fragte Cloud und deutete auf die stabförmige Waffe an ihrem Gürtel. »Da wir nicht wissen, wie sich diese Waffe auswirkt, besonders in geschlossenen Räumen, halte ich das für keine gute Idee. Vielleicht möchte man uns nur irgendwohin lotsen. Wir sollten nicht auf Gewalt zurückgreifen, bevor es nicht zwingend notwendig ist.« Scobee drehte sich um und schritt den Gang entlang, den einzigen Weg, der ihnen noch blieb. Super, dachte Cloud, während er ihr folgte. Jetzt hält sie mich für einen schießwütigen Trottel.
Ihr Weg war jetzt eindeutig vorgegeben. Bei jeder Kreuzung waren alle Abzweigungen bis auf eine blockiert. Die Scobee zögerte nicht ein einziges Mal. Doch dann, plötzlich, hielt sie doch inne. »Was ist?«, wollte er wissen. »Still!« Scobee war plötzlich ganz Konzentration. »Ich höre Schritte.« Ihre Hand glitt zur Waffe, umfasste sie jedoch nicht. »Ich dachte, wir wollen den Einheimischen begegnen«, flüsterte Cloud. »Dann sollten wir uns aber nicht verstecken. Oder?« Einen Moment später entspannte sie sich und lächelte ihn an. »Du hast Recht. Komm!« Sie gingen weiter und hofften, dass die Erbauer der Stadt, oder wer auch immer hier hauste, friedfertig waren. Als sie um die nächste Ecke bogen, blickten sie in die Mündung einer Waffe. Doch nur für einen Moment, dann wurde sie gesenkt. »Scobee! Ex!«, stieß Resnick hervor. Er benötigte nicht einmal eine Sekunde, um sich zu fangen. »Wo kommt ihr denn her?« Cloud glaubte, Freude und eine große Portion Erleichterung aus dem Tonfall des GenTecs herauszuhören. Rasch berichteten sie einander, was 'seit ihrer Trennung vorgefallen war. »Na«, schloss Resnick. »Ich hab ein paar Aliens getroffen, und sie waren nicht gerade friedlich. Ich schlage vor, wir verschwinden von hier.« »Gern - falls der Weg nicht versperrt ist...«, übte sich Cloud in Skepsis.
»Joe, alter Kumpel«, stieß Jarvis hervor. »Du bist doch nicht sauer auf mich, oder?« Das Korallenmesser lag fest, aber nicht verkrampft in seiner Hand. Erst hatte er noch geglaubt, es sei nur ein Artgenosse, ein zweiter »Flipper«. Doch dann bemerkte der GenTec die aufgeplatzte Haut über dem Auge - dort, wo er ihn mit dem Stein getroffen hatte. Jarvis glaubte nicht, dass er eine Chance hatte, wenn Joe beschloss, ihn anzugreifen. Im Gegensatz zu ihm war der Fisch hier in seinem Element. Andererseits war der GenTec auch nicht bereit, sich einfach umbringen zu lassen. Aber das hatte Joe offenbar gar nicht vor. Er schwamm zur Wand, klammerte sich mit den Tentakeln fest und blickte Jarvis abwartend an. Zumindest machte es auf den GenTec diesen Eindruck. »Du willst wohl wieder, dass ich dir was erzähle.« Und Jarvis redete drauf los. Er wusste nicht, wie lange er über alles sprach, was ihm gerade in den Sinn kam, bis mit einem Mal Licht durch einen der Schächte viel und rasch heller wurde. »Hey, Joe, wir bekommen Besuch.«
Einen Augenblick später schwammen drei Wesen in die Höhle. Sie waren entfernt menschenähnlich – hatten zwei Arme und zwei Beine. Sie schienen von innen zu leuchten, während sie ohne sichtbare Hilfsmittel auf Jarvis und Joe zu glitten. Sie machten nicht einmal richtige Schwimmbewegungen, sondern schienen mehr durch das Wasser zu schweben. Auch ihre Gesichter glichen denen von Menschen, aber ihre Augen glitzerten kalt wie Obsidian. In ihren Händen lagen kleine Geräte, die der GenTec für Waffen hielt. Kaum hatten die drei Wesen den Schacht verlassen, schoss Joe auf sie zu, schlug eine Rolle und stoppte einen halben Meter vor ihnen. Der mittlere der Neuankömmlinge legte ihm die Hand auf den Kopf, eine Geste, die Jarvis an einen Menschen im Umgang mit seinem Hund erinnerte. Na prima, ich hab die ganze Zeit mit einem Haustier gequatscht!, schoss es ihm durch den Sinn. Andererseits hatte Joe bewiesen - zumindest in Jarvis' Augen -, dass er intelligent war. Misstrauisch beobachtete der GenTec die Szene. Wahrscheinlich berichtete Joe gerade, wie der Gefangene, also Jarvis, versucht hatte zu fliehen. Außerdem hatte der auch noch den Wächter angegriffen und... Joe schien zu explodieren. Die scharfen Schuppen aufgestellt schwamm er blitzschnell eine enge Kurve und raste auf die drei leuchtenden Wesen zu, das Maul mit den beeindruckenden Zähnen weit aufgerissen. Er greift sie an!, erkannte Jarvis verwirrt. Ein greller Blitz hüllte Joe ein. Für einen Moment wirkte er tatsächlich durchscheinend. Ein stechender Schmerz durchfuhr Jarvis. Er brach wieder ab, bevor der GenTec auch nur im Reflex die Hände an die Schläfen heben konnte. Indes sank Joe leblos und verbrannt zum Grund der Höhle. Jarvis blickte ihm nach, konnte aus einem Grund, den er selbst nicht verstand, nur daran denken, dass der Schmerz, den er gespürt hatte, der im Ultraschallbereich ausgestoßene Todesschrei des Fischs gewesen sein musste. Die drei leuchtenden Wesen glitten auf Jarvis zu. Der mittlere hob wie zum Gruß die Hand. Der GenTec erwiderte die Geste. Der Außerirdische schob die Hand nach vorn, berührte die von Jarvis und... ... der GenTec zuckte zurück. Da waren Bilder in seinem Geist aufgetaucht. Bilder von ihm selbst, wie er in diese Höhle gebracht wurde. Wie auch Joe hierher gebracht wurde. Er war auch nur ein Gefangener - genau wie ich, erkannte Jarvis, ein Wesen, das Angst hatte und beruhigt werden wollte. Vielleicht hat ihn meine Stimme entspannt, vielleicht hat er sie auch gar nicht wahr genommen, sondern nur die Schallwellen gespürt... Wenn es möglich gewesen wäre, hätte er sich bei Joe entschuldigt, doch dafür war es zu spät.
Das Wesen vor ihm sah ihn abwartend an. Zögernd streckte es erneut die Hand aus, sie berührten sich - und wieder wurde er von einer Flut von Bildern überschwemmt. Offenbar hatte er die herrschende Spezies des Aqua-Kubus vor sich - und diese war nicht erfreut, dass jemand in ihr Gebiet eingedrungen war. »Was habt ihr mit mir vor?«, fragte Jarvis laut. Er hoffte, dass die Wesen seine dazugehörigen Gedanken erkennen konnten. Es funktionierte. Sie gaben ihm zu verstehen, dass sie ihn wegbringen würden, um ihn zu untersuchen. »Und wenn ich mich weigere?« In Jarvis' Kopf blitzte ein Bild von Joe auf.
Alles weist darauf hin, dass die Störer zur Kooperation bereit sind. Zumindest bewegen sie sich auf ihr Fahrzeug zu, und er hofft, dass sie sich nun endgültig entfernen. Er ist zufrieden und erleichtert. Bald wird wieder die Harmonie bestehen. Da bemerkt er etwas am Rand seines Wahrnehmungsbereichs. Fahrzeuge! Viele Fahrzeuge! Es scheinen die zu sein, die ihn damals hierher verfrachtet haben. Wollen sie ihn wieder aus seiner Harmonie reißen? Wollen sie erneut das Chaos über ihn bringen? Nein! Noch einmal wird er das nicht zulassen. Er glaubt nicht, dass er es noch einmal überstehen würde, der Entropie ausgesetzt zu sein. Er erinnert sich, wie sein Artgenosse damals dem Wahnsinn verfiel, hat noch einmal dessen Gedankenchaos vor Augen. Nein, das kann er nicht zulassen. Er schafft eine Energiekuppel um sich, um seine Stadt, um die gesamte Sphäre. Er wird sie aufhalten... Tatsächlich scheint es zu funktionieren. Die Fährzeuge verhalten in einiger Entfernung jenseits der von ihm errichteten Abschirmung. Haben sie verstanden? Im nächsten Augenblick bricht das absolute Chaos über ihn herein.
Cloud und die beiden GenTecs erreichten die Oberfläche dort, wo Resnick in das Tunnelsystem eingedrungen war. Sie benötigten einen Moment, um sich wieder an den Wasserwiderstand bei ihren Bewegungen zu gewöhnen, dann brachen sie auf. Resnick übernahm die Führung, da er sich hier am besten zu orientieren vermochte. Schließlich war er bereits einmal hier gewesen.
Plötzlich loderte der Himmel auf. Eine gewaltige Kuppel, die sich über der Stadt spannte, wurde sichtbar. Die Köpfe der drei Menschen legten sich weit in den Nacken. Dort oben, zwischen den grünen Algenwolken, waren zwei gigantische rochenähnliche Gebilde zu erkennen. Immer wieder jagten kleinere Objekte Torpedos? - aus ihnen hervor und trafen auf die Kuppel. Unvorstellbare Energien brachten das Wasser zum Kochen und zehrten von der Struktur der Abschirmung. Scobee hielt sich die Hände vor die Augen. »Was ist?«, fragte Cloud. »Sie muss mit Infrarotsicht direkt in die Explosionen geblickt haben«, erklärte Resnick. »Zwar ist mit normaler Sicht nicht viel außer Gasblasen zu sehen, aber die sind unvorstellbar heiß.« Er packte die geblendete GenTec und zerrte sie hinter sich her. »Besser, wir zögern nicht länger.« Er rannte los, ohne eine Antwort abzuwarten. In diesem Moment brach die Kuppel zusammen. Eines der Torpedos raste ungebremst auf den Planeten nieder. Glücklicherweise geschah dies am anderen Ende der Stadt. Denn dort, wo die Detonation erfolgte, verdampfte sie in Sekundenschnelle Millionen Liter Wasser. Die sich ausbreitende, ultra hoch erhitzte Gasblase fegte über die silbernen Türme hinweg, riss sie nieder und verdampfte sie in einem Radius von beinahe drei Kilometern. Erst dann war sie so weit abgekühlt, dass sie dem silbrigen Baumaterial nichts mehr anhaben konnte. Doch noch weitere zwei Kilometer vom Mittelpunkt der Explosion entfernt brachte sie das Wasser zum Kochen. Die Druckwelle, die durch das sich ausbreitende Gas entstand, drückte Fenster und Türen ein, ließ sie einfach zersplittern. Dann erreichte sie die drei Menschen. Cloud wurde von der Woge voll erfasst und gegen eine Mauer geschmettert. Resnick, der noch immer Scobee hinter sich herlotste, hatte bereits die Deckung eines Turms erreicht. Die beiden GenTecs verloren nur kurz den Boden unter den Füßen. »John!«, schrie Resnick. »Komm schon! Es ist höchstens noch ein Kilometer! « Er rannte weiter, warf aber immer wieder Blicke über die Schulter, um sich zu vergewissern, dass Cloud ihm auch folgte. Der stemmte sich ächzend wieder auf die Beine. Verdammt!, fluchte er innerlich, dann folgte er den beiden GenTecs mit ihrer übermenschlichen Konstitution.
Es ist wie damals auf der Welt, von der er stammt. Er existiert in Harmonie, und die Welt ist geordnet. Doch plötzlich kommen Fremde von weit her. Sie passen sich der Harmonie nicht an, sondern zerstören.
Bringen Chaos. Entropie. Wahnsinn...
Sie hatten das Karnut erreicht. Es stand vor ihnen auf dem Platz, wo es gelandet war. Immerhin hat er gewartet, dachte Resnick. Er war sich nicht sicher gewesen, ob sie ihm wichtig genug waren, nicht von ihm zurückgelassen zu werden. Noch fünfzig Meter trennten sie von dem kleinen, schildkrötenförmigen Schiff, das selbst jetzt wie mit Raureif überzogen wirkte. Plötzlich war Darnoks Stimme zu hören. »Beeilt euch!« Seine Aufforderung spornte sie noch einmal an. Scobee konnte inzwischen wieder selbständig laufen, Cloud folgte ihr dichtauf, und Resnick hatte sich etwas zurückfallen lassen, bildete die Nachhut. Noch dreißig Meter. Unvermittelt tauchte über ihnen ein gigantischer Schatten auf. Die beiden Rochenschiffe glitten auf das Karnut zu und blieben unmittelbar darüber im Wasser hängen. Im Vergleich zu diesen Ungetümen glich Darnoks Raumschiff einer Nussschale. Sich ein Beispiel an Scobee nehmend war Cloud langsamer geworden und schließlich stehen geblieben. Er verrenkte sich beinahe den Nacken, als er versuchte, die Ausmaße dieser Fahrzeuge zu erfassen. Luken, wo vorher nur der glatte Schiffsrumpf zu sehen gewesen war, öffneten sich. Leuchtende, menschenähnliche Gestalten schwebten daraus hervor. Majestätisch sanken die Gestalten zu Boden, als würde die Gravitation für sie nicht existieren. Es waren acht. Drei von ihnen schwammen voraus und richteten sich vor den Menschen auf, jeder vor einem von ihnen. Das Geschöpf vor Cloud war etwas kleiner als er selbst. Die Füße berührten den Boden nicht, obwohl Cloud deutlich den Sog der Gravitation spürte. Langsam und graziös hoben die drei Wesen synchron ihre Hände und berührten damit ihr jeweiliges Gegenüber an der Brust. Plötzlich sah Cloud sich, wie er an Bord einer der Rochenraumschiffe ging... Eine Art Telepathie. Die Geschöpfe konnten Bilder vermitteln - und was sie erwarteten, war eindeutig. Cloud wechselte einen Blick mit Scobee. Ihrer Miene war abzulesen, was auch er dachte. Er schüttelte den Kopf. »Nein.« Das Bild wiederholte sich. »Nein! « Cloud konzentrierte sich darauf, an Bord des Karnuts zu gehen.
Das Wesen blickte ihn aus kalten Augen an. Er sah sich, wie er von einem schwarzen Schatten eingehüllt wurde, der ihn vollständig verschlang und... »Vorsicht!« Scobee stieß das Wesen zurück und zerrte gleichzeitig Darnoks stabförmige Waffe hervor. Cloud blickte auf. Über ihm tauchte der schwarze Schatten aus seiner Vision auf. Er war riesig, mindestens so groß wie ein Fußballfeld, und waberte an den Rändern, als besäße er keine feste Form. Er sank herab wie ein riesiges schwarzes Laken. Auch Resnick hielt mit einem Mal eine Waffe in der Hand, und die GenTecs begannen zu feuern. Cloud hörte Scobee fluchen, dann hatte der Schatten ihn erreicht und hüllte ihn ein. Wie dunkler Sand bedeckte etwas Clouds Anzug. Nur das Energiefeld des Helms blieb frei. Die GenTecs waren aus seinem Blickfeld verschwunden. Sie mussten irgendwo hinter oder in dem schwarzen Etwas sein. Clouds Haut begann zu kribbeln. Hektisch wischte er sich über den Arm, um den schwarzem Belag loszuwerden. Doch er haftete, ließ sich nicht wegwischen. Er rieb heftiger und... ... plötzlich riss der Anzug. Das Zeug löst das Material auf!, schoss es ihm durch den Sinn. Im nächsten Moment erlosch das Helm-Energiefeld. Wasser brandete gegen seinen Kopf. Er verschluckte sich. Nicht nur Wasser umschloss ihn, legte sich brennend auf seine Augen... Entsetzt spürte er, wie eine sandigraue Flüssigkeit seine Kehle hinab rann. Er wollte schreien, doch die dunkle Masse lag bereits auf seinen Stimmbändern und breitete sich unaufhaltsam weiter in ihm aus. Dann wurde seine Welt schwarz. ENDE Sie lasen einen Roman mit der Bastei Zinne. Wo gute Unterhaltung zu Hause ist. Sie finden uns im Internet: unter http://www.bastei.de. Hier können Sie aktuelle Informationen zu unseren Serien und Reihen abrufen, mit anderen Lesern in Kontakt treten, an Preisausschreiben und Wettbewerben teilnehmen oder in Fan-Shops stöbern. Schauen Sie mal rein - es lohnt sich!