Ein universales Bifdungswerk für Privat- und Schulbibliotheken sind die neuen LUXLESEBOGEN-BÜCHER — geschmackvolle Ganz...
42 downloads
626 Views
437KB Size
Report
This content was uploaded by our users and we assume good faith they have the permission to share this book. If you own the copyright to this book and it is wrongfully on our website, we offer a simple DMCA procedure to remove your content from our site. Start by pressing the button below!
Report copyright / DMCA form
Ein universales Bifdungswerk für Privat- und Schulbibliotheken sind die neuen LUXLESEBOGEN-BÜCHER — geschmackvolle Ganzleinenbände, in denen die bisher erschienenen 360 Lux-Lesebogen sinnvoll nach Sachgebieten geordnet sind. Der solide Einband macht sie auch geeignet für die Buchausleihe in öffentlichen Büchereien, Jugendheimen, Internaten, Betrieben und Soldatenbüchereien.
Fünfzehn stoffliche Ganzfeinenbände Jedes Buch umfaßt etwa 800 Seiten mit vielen Illustrationen. Die Lesebogen-Bücher zur Weltgeschichte umfassen zwei Bände, die Lesebogen-Bücher zur Naturgeschichte vier Bände. Alle übrigen Sach-und Wissensgebiete sind in je einem Band zusammengefaßt.
Das Wissen unserer Zeh wird in spannender, leichtverständlicher und zuverlässiger Darstellung dem jugendlichen und dem erwachsenen Leser mühelos nahegebracht. Die vielmillionenfach bewährten Lux-Lesebogen sind von Kultusministerien und Pädagogen, von Presse und Rundfunk glänzend beurteilt und zur Anschaffung empfohlen. Jedes Lux-Lesebogen-Buch kostet nur DM 8,90. Das Gesamtwerk mit 15 Bänden, mit einem Umfang von etwa 11500 Seiten und Tausenden von Abbildungen, kostet DM 120,—. Es kann auch gegen 12 Monatsraten bezogen werden. Statt der ganzen Reihe können auch die Bücher der Sachgruppen bestellt werden. VERLAG SEBASTIAN LUX • M U R N A U VOR M Ü N C H E N
KLEINE
BIBLIOTHEK
DES
WISSENS
LUX-LESEBOGEN NATUR- UND KULTURKUNDLICHE HEFTE
GUSTAV BDSCHER
TRIUMPHE DER TECHNIK Hirngespinste wurden Wirklichkeit 2006 digitalisiert von Manni Hesse
V E R L A G S E B A S T I A N LUX MURNAU • M Ü N C H E N • INNSBRUCK • BASEL
Fortschritt mit angelegten Bremsen Gern lächeln wir über die Irrtümer unserer Vorfahren. Haben sich unsere Ahnen nicht gegen die Einführung der Eisenbahn gewehrt, und trat sie nicht dennoch ihren Siegeslauf um die Erde an? Gab es nicht unzählige Gutachten hochgelehrter Kollegien, die mit viel ausgeklügelten Gründen neue Erfindungen und wirklich fortschrittliche Vorschläge in Grund und Boden verdammten, und haben nicht dennoch so viele kühne Erfinder und Planer die Gelehrten Lügen gestraft? Unsere Großväter hatten nur wenig Verständnis für naturwissenschaftliche und technische Dinge, der Techniker wurde kaum geschätzt: dafür hielt man jeden, der ein paar mäßige Gedichte gemacht oder einige mit2
telmäßige Theaterstücke verfaßte hatte, für einen begnadeten Menschen. Techniker waren in den Augen der meisten nicht viel mehr als bessere Schlosser, auf die man von höherer Warte herabschauen durfte. Aber daß selbst ein Schlosser bei seiner Tätigkeit oft mehr nachdenken und mehr wirkliche geistige Arbeit leisten muß als mancher Literat, das erfaßten viele nicht. Heute erfreut sich der Techniker und Ingenieur einer gerechten Beurteilung. Und doch findet auch heute noch ein Kaufmann, der es zu einem gewissen Wohlstand gebracht hat, durchweg mehr Anerkennung als der Ingenieur, dessen Arbeiten ihm, dem Kaufmann, oft erst die Voraussetzung für sein Geschäft geschaffen haben. Wir aber wissen, daß es ohne die technische Begabung eines Gutenberg keine Prese, keine Bibliotheken und nicht die Fülle und Breite der Volksbildung in allen Kulturländern gäbe, daß ohne die große Tat des Erfinders von Siemens nicht das elektrische Licht leuchtete und nicht die elektrischen Bahnen führen, und ohne die Techniker Daimler, Benz, Maybach keine Kraftwagen über die Straße rollten. Die friedliche Entwicklung der Technik — und nur von ihr wollen wir auf den folgenden Seiten plaudern — wird immer weiter ausgreifen. Was heute noch als Utopie erscheint, kann morgen schon Wirklichkeit sein. Technisch ist alles möglich, was nicht im Widerspruch zu den ewigen Naturgesetzen steht. Diese Einsicht fehlte in früherer Zeit. Und deshalb wurden immer wieder dem menschlichen Fortschritt Grenzen gezogen und heftig verfochten. Aber die Entwicklung ging immer wieder über diese Grenzen hinweg. Was heute als Hirngespinst galt, war morgen oft schon Tatsache, der sich dann auch die Gegner nicht mehr verschließen konnten. Die Geschichte der Technik ist reich an Beispielen dieses Ringens zwischen dem Neuen, Vorwärtsdrängenden und der Welt des Beharrens . . . Blättern wir ein wenig zurück! Die „unmögliche" Eisenbahn Selbst die Idee der Eisenbahn war vielen einmal ein Hirngespinst. Als sich das erste Dampfroß vom Strang der holperigen Landstraße losriß und auf eigene, eiserne Straßen hinüberwechselte, um hier schneller, sicherer und ungehindert vom gemächlichen Fuhrwerksverkehr der guten alten Zeit in die Zukunft zu brausen — weckte es nur bei wenigen Einsichtigen Begeisterung; 3
den meisten war es ein Unding und Ärgernis. „Den Menschen kam mit einem Male die Erkenntnis, daß eine neue Rasse wilder und gefährlicher Tiere um sie erstanden war." In aller Welt fuhren die ersten Dampfwagen gleichsam mit angezogenen Bremsen; an den Rockschößen der allerersten wagemutigen Lokführer zerrten Angst, Unverstand und auch die ernste Lebenssorge derer, die um Arbeitsplatz und Brot bangten, oft knirschte in den Kurbeln, Rädern, Zylindern der frühen Dampfrosse auch der Sand des Konkurrenzneides und des Spekulantentums. überall standen Prellböcke, das Ungeheuer aufzuhalten. Fast jede Bauerlaubnis zur Anlage eines Schienenweges wurde unter Tumulten erkämpft, Gutachten ehrwürdiger wissenschaftlicher Institute wurden herangezogen, um die „furchtbare Gefährdung von Leib und Leben der Untertanen" zu bannen. Und in jedem Land wiederholte sich das gleiche Schauspiel. Als Frankreich sich zum Bau erster Eisenbahnen entschloß, rief Minister Thiers den französischen Parlamentariern beschwörend zu: „Wie groß haben wir unsere Zivilisation aufgebaut! Müssen wir nicht das Menschenleben zu hoch achten, als daß wir es durch die Anlage von Eisenbahnen leichtfertig aufs Spiel setzen dürften?" Auch gegen die erste deutsche Eisenbahn, die Nürnberg mit Fürth verbinden sollte, erhob sich die warnende Stimme der um die Sicherheit besorgten Verwaltung. Der königlich bayerische Oberst-Bergrat Ritter von Baader in München machte sich zum Wortführer der Eisenbahngegner: „Solange die Wagen durch Pferde, also langsam gezogen wurden, war auch keine große Gefahr damit verbunden. Seitdem man aber auf diesen Eisenbahnen die längsten und schwersten Wagenzüge mit einer ungeheuren Geschwindigkeit von 10 bis 14 bayerischen Stundenlängen in einer Zeitstunde fortzutreiben angefangen hat, können die Schienen keine Sicherheit gegen das Hinausschleudern und Umwerfen der Wagen mehr gewähren. Es ist leicht zu begreifen, daß bei einer so schnellen Bewegung der schwersten Massen der geringste Stoß hinreichen muß, um die Räder mit ihrem kaum einen Zoll breiten Falz herab- und über die Bahn hinauszuwerfen. Wenn nun aber gar eine Achse an einem Dampfwagen bricht, so können von dem heftigen Anstoßen gegen den Boden nur die schrecklichsten Folgen erwartet werden . . ." Selbst in England, wo bis dahin der technische Erfindungsgeist am wenigsten gehemmt war und wo die Eisen4
I i
; •
i j j I \ ]
bahn am frühesten in Fahrt kam, trugen um jene Zeit die Mediziner schwerste Bedenken vor: „Die Lokomotive atmet einen giftigen Rauch aus, der die Atmosphäre verpestet, die die Vögel tötet und die Menschen krank macht. Der Himmel wird durch den Rauch verfinstert. Häuser in der Nähe der Bahnlinie werden durch die Funken in Brand gesteckt, die aus dem Schornstein der Lokomotive herausfliegen. Die Kühe können das vergiftete Gras nicht mehr fressen. Die Reisenden selbst sind in jedem Augenblick höchsten Gefahren ausgesetzt, ein explodierender Kessel muß sie in Stücke reißen und ihre Anverwandten könnten ihnen nicht mal ein ordentliches christliches Begräbnis bereiten." „Der Lärm wird unerträglich sein", heißt es in einer anderen Begutachtung, „man wird das Land an der Eisenbahn nicht mehr verkaufen können. Und was soll aus all den Menschen werden, die heute auf den so wohlgebauten Straßen ihre in der ganzen Welt berühmten Postkutschen fahren, was mit den vielen Wirtshäusern an der Straße, in denen man bisher aufs beste aufgehoben war? Alles wird vernichtet •durch solch ruchlose Pläne, die sich doch nie verwirklichen lassen." Technische Fachleute bewiesen dann den „hirnverbrannten" Eisenbahnpionieren, daß ihre Lokomotiven überhaupt sinnlos seien. Sie müßten Kohlen und Wasser mit sich führen, und man müsse doch sicher alle paar Meilen große Kohlenlager errichten und Wasserfässer aufstellen. Wenn man schon Dampf benutzen wolle, so gebe es nur einen ^Veg: „man errichte an bestimmten Punkten große, solide, altbewährte Dampfmaschinen und ziehe die Wagen mit Seilen hin und her." Ein gelehrtes Komitee, das vom englischen Parlament mit einem Gutachten über Stephensons Lokomotive beauftragt worden war, kam zu dem Urteil, daß eine Lokomotive bei Regen überhaupt nicht fahren könne, denn es werde in den Schornstein hineinregnen und dadurch das Feuer unter den Kesseln gelöscht. Ein stärkerer Wind aber könne die an sich schon große Spannung im Lokomotivkessel vermehren, und das führe unweigerlich zur Explosion. Schalten wir Eigennutz und Angst vor materiellen Schädigungen aus, so bleibt als Erklärung für diese Gegnerschaft die Furcht vor dem Neuen, dem Unbegriffenen. Irgendwie paßte die neue technische Einrichtung nicht in den Geist und die Ordnung der Zeit. Man fuhr Postkutsche; gelangte man nicht an einem Tage von hier nach dort, so schaffte man es in drei oder vier 5
Tagen, oder in einer Woche. Man lebte langsam und behutsam! jede Beschleunigung des Lebenstempos bedeutete einen Eingriff in den bestehenden Zustand und war deshalb unwillkommen. Kleine Fortschritte ließen sich, da sie weniger in Erscheinung traten, ertragen, sie wurden hingenommen. Große Umwälzungen verlangten Anpassung, Voraussicht, einen weniger engen Horizont, Eigenschaften, die man nicht ohne weiteres erwarten durfte. Der Sprung von der Postkutsche zur Dampfmaschine auf Rädern war zu groß, als daß man ihn wagen wollte. Das fauchende Ungetüm auf Rädern und Schienen war eine erschrekkende Vorstellung. Und dennoch gehörte diesem Ungetüm die Zukunft.
Dampf- und Benzinauto unerwünscht Ein halbes Jahrhundert später machte der Kraftwagen seine ersten Gehversuche. Aus mehreren Werkstattoren zugleich rollten die Versuchsfahrzeuge — und rannten gegen die gleichen Wände von Unverstand und Bedenken. Im technischen Museum für Industrie und Gewerbe in Wien steht ein Wagen von Siegfried Marcus aus dem Jahre 1875, der bereits mit einem Benzinmotor betrieben worden war. Das Gefährt hatte aber nur wenige Probefahrten gemacht, dann war ihm durch die Wiener Polizei die Benutzung der Straßen wegen des „großen Geräusches" verboten worden. Der Erfinder, mit anderen Ideen beschäftigt, hatte es daraufhin aufgegeben, seine Erfindung bis zur wirtschaftlichen Verwendbarkeit weiterzuentwickeln. Ein Jahrzehnt später erst rollte dann die erste Benzinkutsche von Carl Benz über die Wallstraße von Mannheim, und auch er mußte sein Fahrzeug über viele Hindernisse kurzsichtiger bürokratischer Einwände hinwegsteuern. In England gab es seit dem Jahre 1834 ein Gesetz, das den Vorläufern des späteren Benizinautos, den damaligen Dampfstraßenwagen, jede weitere Entwicklungsmöglichkeit nahm. Da man behauptete, das „Dampfauto" sei für die Allgemeinheit gefährlich, durften die Wagen nicht schneller als fünf Kilometer in der Stunde fahren. Aber nicht genug damit: 50 Meter vor dem Dampfwagen mußte ein Mann gehen — nicht etwa laufen der eine rote Fahne zu schwenken und vernehmlich zu rufen hatte: „Achtung, Achtung, bringt euch in Sicherheit!" Und merkwürdig: Dieses Gesetz blieb 60 Jahre bestehen und behinderte lange Zeit auch die Einführung des selbstbeweglichen Benzin-' 6
fahrzeugs. Die Ausdehnung des Kraftwagenverkehrs war damals in Großbritannien für eine große Zeitspanne gehemmt. Und trotzdem eroberte sich auch das motorisch betriebene Fahrzeug die Welt. Im Jahre 1961 betrug die Zahl der Kraftwagen auf der ganzen Erde mehr als 112 Millionen.
Dampfschiffe — unsinnige Phantastereien Zu Wasser hatten es die Pioniere des Fortschritts nicht viel leichter als jene erfindungsreichen Männer, die schnellere und bessere Landfahrzeuge in Bewegung bringen wollten. Ein Spanier, der als erster den Gedanken aussprach, daß man mit Dampf zu Wasser schneller vorwärts kommen könne als mit Segel und Rädern, ward ins Irrenhaus gebracht, und ein Deutscher, der einen Dampfkessel zur Fortbewegung der Schiffe anzu wenden versuchte, verlor bei seinen Versuchen sein Vermögen und wurde zum Gespött der Zeitgenossen. Auch Fulton, der den dampfbetriebenen Schiffen zum endgültigen Siege verhalf, stieß auf den gleichen Mangel an Verstand-
Daimlers Motorrad entstand im gleichen Jahre wie das erste Benz-Auto
7
nis und Vertrauen. Die Ideen dieser Männer waren so umwälzend und neu, daß nicht nur der einfache Mann der Straße sie für Phantastereien hielt, sondern auch ein so weitschauender Staatsmann wie Napoleon. Fulton hatte im Jahre 1807 dem französischen Kaiser in einer persönlichen Begegnung die Pläne für sein Schiff vorgelegt und ihm darzulegen versucht, daß er mit diesen Fahrzeugen das widerspenstige England vernichten könne. Napoleon hatte den Mechaniker lange prüfend angesehen und ihm dann gesagt: „Das Ganze ist nichts als Narretei. Wiederum eine Erfindung, deren man mir fast täglich eine anbietet, eine immer unsinniger als die andere. Erst gestern wurde mir von einem Scharlatan der Vorschlag gemacht, die englische Küste durch eine auf gezähmten Delphinen sitzende Kavallerie zu erreichen. Gehen Sie, auch Sie sind ein Narr!" Fulton hatte den Welteroberer erstaunt angesehen und war ohne ein Wort der Erwiderung von dannen gezogen. Acht Jahre später segelte die „Bellerophon" mit dem geschlagenen Kaiser auf die Felseninsel St. Helena zu, die bis zu seinem Tod sein Verbannungsort sein sollte. Napoleon stand an Deck, als sich am fernen Horizont eine dunkle kleine Rauchwolke zeigte, die näher und näher kam. Schließlich schoß ein starkes Dampfschiff mit graziöser Leichtigkeit an dem gegen die hochgehenden Wogen ankämpfenden schwerfälligen Segler „Bellerophon" vorüber. Es war der erste amerikanische Dampfer, der den Namen „Fulton" führte. Napoleon blickte dem majestätisch über das Wasser gleitenden Schiff lange nach, dann ging er, ohne ein Wort zu sagen, in seine Kajüte. Als sein vertrauter Freund Bertrand später bei ihm eintrat, fand er BonapaTte an einem Tisch sitzend, das Haupt in die Hand gestützt. „Heute weiß ich es", sagte Napoleon zu dem Gefährten, „damals, als ich Fulton aus den Tuilerien wies, verschenkte ich meine Kaiserkrone." Die Geschichte der Schiffahrt ist reich an ähnlichen Beispielen der Kurzsichtigkeit. Da hatte zu Beginn des 19. Jahrhunderts der Ingenieur Josef Ressel, ein junger Österreicher, die Schiffsschraube erfunden und tatsächlich auch ein Dampfboot mit dieser Schraube zum Fahren gebracht. Die Triester Polizeibehörde stoppte alle weiteren Versuche. Weil nämlich bei der Dampfmaschine, die die Schiffsschraube antrieb, ein Röhrchen geplatzt war, entschied man: „Da von den drei Bestandteilen der Erfindung: Schiffskörper, Schiffsschraube und Dampfmaschine die 8
j I I
I
' \ 1
I
Maschine beschädigt wurde, so ist die Schiffsschraube zum Antrieb der Dampfschiffahrt untauglich." Später versuchte der schwedische Ingenieur John Ericsson, die Schraube als Schiffsantrieb in England durchzusetzen. Er schlug der britischen Kriegsmarine vor, Schraubendampfer zu bauen, von denen er mit Recht behauptete, daß sie sich viel besser steuern ließen. Trotz der glänzend ausgefallenen Versuchsfahrten wollten die hohen Herren jedoch nichts vor der überflüssigen Neuerung wissen. Ein amerikanischer Marinemann, der von den Arbeiten Ericssons erfahren hatte, war klüger und verpflichtete den Schweden in seinen Dienst. Es wurde ein kleiner Schraubendampfer gebaut, der in 46 Tagen den Ozean überquerte und wohlbehalten in Amerika ankam. Aber trotz dieses Erfolges wollten andere amerikanische Fachleute nichts von dieser neuzeitlichen Einrichtung wissen. Auch die Kapitäne lehnten meist den Dampfbetrieb ab und meinten, bald werde man keine Dampfer mehr auf den Russen und Meeren sehen. Damals kam der Erfinder zu der Einsicht, daß ein waschechter Seebär nie zu überzeugen sei. Doch Ericsson hatte sich in den Seeleuten getäuscht. Die Schiffahrtsgeschichte der späteren Jahrzehnte und die großen Kapitäne und Riesenflotten von heute beweisen es.
Das gefährliche „neue" Licht Sollte es den Licht-Ingenieuren besser gehen als ihren Kollegen vom Verkehr? Es war keineswegs leicht, Licht unter die Menschen zu bringen. Der erste, der eine elektrische Glühlampe zum Leuchten brachte, war der deutsche Optiker und Mechaniker Heinrich Goebel, der im Jahre 1848 nach Amerika ausgewandert war und sich in New York ein kleines Geschäft eingerichtet hatte. Die Polizei verhaftete ihn, als er vor seinem Laden batteriegespeiste Reklamelampen aus leergepumpten Kölnisch-WasserFlaschen und Drähten anbrachte, um die Kunden auf seine Kramerei aufmerksam zu machen. Später nahm ihn die Gesellschaft Edisons in ihre Dienste, und auf diesem Wege kam die Glühbirne dann zur Wirkung. Aber gar zu leicht wollte sich die Welt auch jetzt nicht erleuchten lassen; es gab vielerorts heiße Debatten, böse Kämpfe und Einwände von vielen Seiten. 9
Genügte die hübsche Petroleumlampe nicht, die aus den unerschöpflichen nordamerikanischen Ölquellen gespeist wurde? Seit den fünfziger Jahren hatte sie über die alten Rüböllampen, über die Wachskerzen und Talglichter den Sieg davongetragen, hatte ihre Launen, explodieren zu wollen, aufgegeben und war zum Inbegriff häuslicher Gemütlichkeit und zum wichtigsten Beleuchtungsgerät geworden. Die Elektrizität aber war vielen ein heimtückisch zauberisches Ding, das man nicht gern zu sich ins Haus ließ. Unbehagen und Respekt vor dieser gespenstigen Kraft versteckten sich gern hinter dem Vorwand über zu hohe Kosten, zu grelle Lichtwirkung, über Augenschäden und was man sonst noch vorzubringen wußte. Dem Licht der Glühlampe stand aber oft auch der Gedanke entgegen, daß das Neue Luxus und deshalb nicht erforderlich sei. So hieß es beim Kraftwagen, so hieß es auch bei der elektrischen Beleuchtung . . . Heute brennen Glühlampen in der kleinsten Hütte. Die ersten elektrischen Anlagen arbeiteten noch mit Gleich ström. Als der Wechselstrom aufkam, der mit einfacheren Ma salinen zu erzeugen war und nach Wunsch auf höchste uni niedrigste Spannungen umgewandelt werden konnte, gab es auch hier unvorstellbar harte Kämpfe unter den Technikern. Wohlgemerkt, hier warfen sich Fachleute gegenseitig vor, sie litten unter Hirngespinsten. Selbst ein Mann vom Range Edisons zeigte sich der Frage des Wechselstrom gegenüber geradezu verbohrt. Als er bei seiner Anwesenheit in Berlin aufgefordert wurde, sich den neuentstandenen Wechselstrommotor anzusehen, sträubte er sich mit Händen und Füßen dagegen: „Nein, nein, Wechselstrom ist ein Unding, ich will nichts von Wechselstrom wissen noch sehen!" Aber nicht nur die elektrische Beleuchtung wurde sehr langsam in ihrer Bedeutung begriffen, auch die Gasbeleuchtung hatte sich nur mit Mühe durchsetzen können. Ihr Verfechter in England war um das Jahr 1800 der Maschineningenieur William Murdock, der in London eine Aktiengesellschaft gegründet und eine Gasfabrik gebaut hatte. Als das Röhrennetz durch das Stadtviertel verlegt war, verbot der Magistrat überraschend das Anzünden der Flamme; denn die befragten Professoren hatten schwere Bedenken vorgetragen und behauptet, daß ein gefüllter Gaskessel gefährlicher sei, als wenn er Schießpulver enthalte; durch die kleinste Öffnung in der Wand des Gasbehälters könne der Inhalt Feuer fangen, ganz London werde in die Luft fliegen. 10
Murdock war zum Glück ein Mann, der sich so leicht nicht verblüffen ließ; kurzerhand lud er den Magistrat nebst seinen Gutachtern zur Besichtigung ein und führte sie in das Gebäude, in dem der Gasometer aufgestellt war. Als er sie da drinnen alle beisammen hatte, schloß er hinter ihnen ab. Dann nahm er eine Spitzhacke, schlug ein Loch in den Gasometer und entzündete das herausströmende Gas. Entsetzen und Flucht nach den Türen! Da sie aber verschlossen waren, blieb den Herren nichts anderes übrig, als festzustellen, daß weder etwas in die Luft ging noch zum Glühen kam. Ganz ruhig brannte die Flamme. Dieser Gewaltstreich hatte den gewünschten Erfolg. Murdock konnte sein Gaswerk in Betrieb setzen. Als dann das Parlamentsgebäude in London zum ersten Male durch Gas erleuchtet werden sollte, gab es erneut Aufregung und Mißtrauen. Selbst den Abgeordneten eines Weltreiches kam eine solche Sache nicht ganz geheuer vor. Vorsichtig fuhren sie mit behandschuhten Händen an den Leitungen entlang und wunderten sich, daß die Rohre kalt blieben; denn sie erwarteten, daß das Gas in brennendem Zustand durch die Leitungen ströme und daß sie eigentlich glühen müßten. Es war ein verständliches Unbehagen; auch uns überkommt es oft, wenn wir uns mit unbekannten Neuerungen vertraut machen wollen. Fernsprecher — „barer Unsinn" So stand fast jeder Erfinder einer mißtrauischen Welt gegenüber, und viele technische Errungenschaften hätten der Menschheit viel früher dienstbar gemacht werden können, wenn dieses Mißtrauen nicht hemmend im Wege gestanden hätte. Am 26. Oktober 1861 führte der deutsche Physiker und Lehrer Philipp Reis im Hörsaal des Physikalischen Vereins zu Frankfurt am Main zum erstenmal jenen merkwürdigen Apparat vor, aus dem sich später der Fernsprecher entwickeln sollte. Aber er fand für sein seltsames Gerät im Kreise der gelehrten Gesellschaft nicht das geringste Verständnis. Da Reis sich aber niemals entmutigen ließ, arbeitete er weiter, verbesserte den Sprechapparat und wagte im Jahre 1863 mit einem neuen Modell ein zweites Mal eine Vorführung in gleichem Kreise. Es gelang ihm, durch den Draht Töne auf eine Entfernung von 100 Meter zu übertragen. Aber auch dieses Mal war es kein „durchschlagender" Erfolg. Für die gelehrte Welt blieb das Reissche Telephon 11
eine schöne „Spielerei", man bezweifelte auch, daß gesprochene Worte übertragen werden könnten; denn Reis hatte bei den Vorführungen nur einfach zusammengesetzte Melodien übermittelt. Den Zweiflern antwortete er aus seiner Werkstatt: „Der Apparat gibt ganze Melodien, die Tonleiter zwischen dem C und c ganz wieder, und ich versichere Sie, wenn Sie mich hier besuchen wollen, daß ich Ihnen zeigen will, daß man imstande ist, allerdings auch Worte zu verstehen. Was macht denn das Trommelfell in unserem Ohr, um alle Töne mit ihrer Klangfarbe, den Akkorden usw. zu reproduzieren? Am besten wird es immerhin sein, wenn Sie sich selbst von der Einfachheit und Richtigkeit der Tatsache überzeugen." Der Brief blieb ohne Ergebnis. Reis schickte eine Beschreibung seiner Erfindung an Poggendorff, den Schriftleiter und. Herausgeber der sehr angesehenen Zeitschrift „Annalen der Physik". Auch das Manuskript blieb unbeachtet. Es erging dem Entdecker wie Robert Mayer, der das wichtigste Gesetz der exakten Naturwissenschaften fand, das „Gesetz von der Erhältung der Energie". Auch Mayers Abhandlung fand in der Redaktion der „Annalen der Physik" keine Gnade. Mayer und Reis waren Poggendorff nicht „zünftig" genug: Sie bekleideten kein akademisches Lehramt, und so gingen ihre Manuskripte als „nicht geeignet" zurück. Immerhin sei zur Ehre Poggendorffs gesagt, daß er später im Falle Reis seinen Irrtum einsah und um erneute Einsendung bat. Diesmal war es Reis, der ablehnte: „Mein Apparat wird auch ohne Ihre Beschreibung in den ,Annalen der Physik' bekannt werden." Phylipp Reis starb verhältnismäßig jung als Opfer seines Berufes im Januar 1874. Kurz vor seinem Tode äußerte er: „Ich habe der Welt eine große Erfindung geschenkt; anderen muß ich es überlassen, sie weiterzuführen." — Fünfzehn Jahre später konstruierte der englische Physiologe Graham Bell mit mehr Erfolg ein zweites Ferngesprächgerät. Aber selbst der Generalpostmeister Heinrich von Stephan fand nur wenig Anklang, als er den Bellschen Fernsprecher in Berlin einführen wollte: Ganze acht Teilnehmer schlössen sich im ersten Jahre dem Telephondienst der Reichshauptsadt an. Dann aber begann sich das Netz von Leitungen zu knüpfen, das heute den ganzen Erdball umspannt. Aus acht Fernsprechteilnehmern des ersten Telephonamtes sind inzwischen hunderfünfunddreißig Millionen auf der ganzen Welt geworden. 12
Kampf gegen Dummheit Gelehrte, Erfinder, Forscher haben oft mehr Zeit an das Beiseiteräumen von Vorurteilen verschwenden müssen als an ihre eigentliche Arbeit. Häufig war das bezopfte Beamtentum ver• gangener Tage schuld am gestoppten Fortschritt, zu einer Zeit, da selbständiges Denken und Entscheiden nur wenigen zugestanden war. Zu verbieten erschien weniger riskant als einer noch undurchschaubaren- Entwicklung freien Lauf zu lassen. Beklagt sich doch selbst Franz Dinnedahl, der große Maschinenbauer (1775—1826) in seiner Lebensbeschreibung, wie kränkend es für ihr gewesen sei, daß er sich „in allen Stücken der Unkunde und der Willkür einer Behörde preisgegeben sehen mußte". Was sollte man auch in jener so autoritätsgläubigen Zeit von diesem Manne halten, der es fertigbrachte, nicht nur zu denken, sondern es auch auszusprechen: „Minister und Staatsräte sind auch nicht allezeit die klügsten Leute." Waren es nicht die Behörden, die Schwierigkeiten machten, so waren es Berufsvertretungen oder ganze Berufsschichten, die befürchteten, durch die Einführung irgendeiner Verbesserung ihr Brot zu verlieren. Am Rhein schössen die Schiffsleute mit Flinten auf die ersten Dampfer, die ihnen die Arbeitsplätze zu nehmen drohten. Schneider und Schneidergesellen schlugen die ersten Nähmaschinen in Stücke, die auf den Markt kamen. Als die Dampffeuerspritze erfunden war, fürchteten die Männer der Handfeuerspritze um ihren Verdienst. Es kam vor, daß sie bei einem Brande erst das Feuer unter dem Kessel der Dampfspritze löschten, um dann mit ihren Handspritzen gegen den Brandherd vorzugehen. In anderen Fällen waren es Handelskreise, die ihre Geschäfte gefährdet sahen. Als Franz Karl Achard (1753—1821) seine erste Zuckerrübenfabrik erbaut hatte, setzten die Hamburger Rohrzuckerimporteure Himmel und Hölle in Bewegung, um das neue Verfahren zu hintertreiben. Sie dichteten dem Rübenzucker alle möglichen schlechten Eigenschaften an, und als Achard mit beispielloser Energie diese Angriffe in jahrelangen Kämpfen zurückwies, suchten sie ihn zuerst mit 50 000, dann mit 200 000 Talern zu bestechen. Er sollte erklären, daß er sich getäuscht habe, und daß eine Fabrikation von Zucker aus Rüben ein Ding der Unmöglichkeit sei. Den Kampf gegen den Widersacher Dummheit haben fast alle aufnehmen müssen, die der Menschheit Geschenke machten, und 13
nicht selten waren es die Gelehrten, die gegenüber dem Neuen und Besseren versagten. Jedes Jahrhundert der Neuzeit liefert Beispiele dafür. Otto von Guericke ließ den „luftleeren Raum" Wirklichkeit werden, obwohl die Wissenschaft zu seiner Zeit mit vielen mathematischen und physikalischen Begründungen lehrte: „Die Natur hat einen Abscheu vor dem leeren Raum, der zudem dem Wesen Gottes widerspricht, und deshalb kann es keinen geben." Otto von Guericke galt der Gelehrtenzunft als zu unbedeutend, da er Bürgermeister, aber kein Studierter war: „Wie kann sich ein x-beliebiger erdreisten . . ., kann er überhaupt Latein?" — Als ihm das Geschwätz der Doktoren und Professoren schließlich zu dumm wurde, schrieb er: Dieses und anderes Gerede derart zu widerlegen, halte ich für überflüssig, denn auf Versuche ist mehr Gewicht zu legen als auf das Urteil der Dummheit, das immer Vorurteile gegen die Natur zu spinnen pflegt." Als Edison im Jahre 1879 der französischen Akademie der Wissenschaften in Paris seinen Sprechapparat vorführen ließ, kam es zu einem unglaublichen Skandal. Kaum waren die ersten Töne aus dem Trichter gedrungen, als der Gelehrte Bouillaud aufsprang und dem Vertreter Edisons zuschrie: „Sie Betrüger! Glauben Sie, wir lassen uns von einem Bauchredner zum besten halten?" Man übergab dem Empörten den Phonographen, damit er sich persönlich von der Ehrlichkeit der Erfindung überzeuge. Aber Bouillaud machte sich gar nicht die Mühe einer Untersuchung, er blieb dabei, daß es sich um Bauchredner ei handle; denn „ein Mensch mit Geist und Verstand" könne „unmöglich überzeugt werden, daß auf schäbigem Metall der edle Klang der menschlichen Stimme nachzuahmen" sei. Noch im Jahre 1913 klagte Rudolf Diesel über Dummheit und Neid, Trägheit und heimliche Bosheiten und über „die entsetzliche Zeit des Kampfes mit Menschen, der ein Martyrium ist, auch wenn man Erfolg hat". Trotz aller Widerstände aber ist der Fortschritt der Technik unaufhaltsam gewesen. Je mehr wir uns der Gegenwart nähern, um so rastloser wurde das Tempo, so daß wir uns heute fragen: Kann es überhaupt noch ein Mehr geben, sind nicht schon die äußersten Grenzen erreicht? Haben wir nicht schnellste Verkehrsmittel, stärkste Maschinen, raumerobernde Raketen, Bauten, die über fünfhundert Meter hoch aufragen? Irgendwo muß doch das mit Menschenkräften Mögliche ein Ende haben. 14
Aber zu allen Zeiten lagen die Grenzen für die Weiterentwicklung immer nur etwas w e i t e r als das, was schon erreicht worden war. Und alle, die glauben, daß es darüber hinaus nicht weitergehen könne, haben sich getäuscht. Wenn wir in unserer Zeit manche Möglichkeiten vielleicht noch nicht erkennen, so werden uns das spätere Geschlechter gewiß nicht verargen; aber sie dürfen über uns lächeln, wie wir uns über die irrenden Propheten der Vergangenheit belustigen, wenn wir aussprächen, daß die Menschheit jetzt das Äußerste an technisch Möglichem geleistet habe. Sprechen wir überhaupt nicht von einer Grenze, sie eilt doch. stets (unerreichbar?) vor uns her. Wohl ergeben sich oft Schwierigkeiten, aber wie die Vergangenheit lehrt, sind sie nicht unüberwindlich. Manchmal sind es plötzliche Geistesblitze der Erfinder, die den Weg voraus aufleuchten lassen, dann wieder in mühseliger Arbeit errungene Erkenntnisse, die vorwärts führen. Was erreicht ist, was vielleicht einmal erreicht werden kann, davon wollen wir im zweiten Teil plaudern.
Reisen über Land — gestern, heute und morgen! Ein kleiner Rückblick und ein kühner Ausblick auf die Reisegeschwindigkeiten von Anno dazumal, von heute und in der Zukunft ist besonders lehrreich. 1682 brauchte man für die dreihundert Kilometer lange Strecke Berlin—Hamburg mit Pferdewagen und der „Geschwinden Fahrt" 50 Stunden. 1850 bewältigte man mit einer der ersten Eisenbahnen die Strecke in 12 Stunden. Um 1900 schrumpfte die Fahrzeit auf 3 Stunden zusammen und 1933 auf 2V4 Stunden. Die Beschleunigung des Zugverkehrs wurde aber nicht nur durch die Erhöhung der Fahrgeschwindigkeit erreicht, sondern auch durch die Verringerung der Unterwegsstationen. Im Jahre 1868 hielten die Schnellzüge zwischen München und Berlin fünfunddreißigmal; kurz vor dem Kriege 1914 machte einer der Züge mit Kurs Ingolstadt—Nürnberg—Halle auf der Strecke von 674 km nur zweimal Station, wobei als längste Teilstrecke 314 km ohne fahrplanmäßigen Aufenthalt durchfahren wurden. 1936 betrug die längste ohne Halt zurückgelegte Strecke Berlin—Breslau 329,5 km. Andere Länder mit anders gearteten Verhältnissen gingen weit über diese Zahl hinaus. Ein Diesel-Triebwagenzug der Chicago-Burlington & Quincy-Bahn stellte bei Versuchsfahrten den Langstreckenrekord der Welt auf,, als er 15
die 1658 km lange Entfernung Denver—Chicago in 13 Stunden 5 Minuten ohne Halt zurücklegte, also mit einer mittleren Reisegeschwindigkeit von 125 km in der Stunde. Die Union Pacific-Bahn fährt einen fahrplanmäßigen Schnellzug, der aus einer Diesellokomotive und 17 Wagen besteht, von Salt Lake City nach Caliente, 520 km weit, ohne auch nur einmal die Fahrt zu unterbrechen. Schon aber ist so ein Phantast zur Stelle, der Entfernungen, wie die von Hamburg nach Berlin, in Minutenfrist überbrücken will und den Plan für sein Projekt in einer Patentschrift niedergelegt hat. Es ist der Ingenieur Kemper, der seine Reisewagen durch ein besonders gebautes Fahrrohr brausen läßt, in dem starke Magnete die Kabinen regelrecht in der Schwebe halten, so daß sie ohne Reibungswiderstand dahinschießen. Mit einer solchen Schwebebahn würde man kaum in Berlin einsteigen und schon wieder in Hamburg einsteigen können. Dabei ist allerdings nicht das Anfahren berücksichtigt, das, wie das Abbremsen am Zielort, mit Rücksicht auf die Reisenden behutsam vor sich gehen müßte. Doch selbst bei 10 Minuten Fahrdauer dürfte man einigermaßen zufrieden sein. Aber sind solche Geschwindigkeit für den menschlichen Körper überhaupt noch erträglich? Es ist die immer wieder auftauchende Frage, welche Geschwindigkeit der Mensch überhaupt vertragen kann. — Die Antwort lautet: Jede, sofern das Tempo gleichbleibend ist. Wir fahren auf unserem Erdball ständig mit der ungeheuren Geschwindigkeit von 104 400 km in der Stunde Karussell und merken es nicht: wir merken nicht einmal, daß wir dabei in der Kurve liegen. Nicht genug damit! Mit dem Sonnensystem sausen wir zusätzlich mit mehreren 100 000 km stündlich durch das Weltall; und auch dabei fühlen wir uns wohl: wir spüren absolut nichts von der unheimlichen Fahrt. Die Gelehrten mußten sich sogar die allergrößte Mühe geben, um überhaupt zu ermitteln, mit welchem Tempo wir ständig durch das All unterwegs sind. Anders aber steht es mit der Beschleunigung, dem langsameren oder schnelleren Infahrtkommen, wie beim Anfahren mit einem Aufzug oder beim Start eines Erdsatelliten. Das dabei auftretende Gefühl der Unbehaglichkeit rührt daher, daß alle Körperteile und Körpersäfte erst einmal ihre Trägheit überwinden und selbst „in Fahrt" kommen müssen. Hier besteht eine starke Ab16
hängikeit von der persönlichen Anlage. Manche unter uns empfinden schon die rasche Abfahrt eines schnellen Verkehrsmittels, z. B. einer elektrischen Stadtbahn, die in einer Minute auf eine Geschwindigkeit von 60 Kilometer in der Stunde (km/st) kommen kann, als unangenehm. Der Geschwindigkeitszuwachs, also die Beschleunigung, beträgt dabei nur den dreißigsten Teil derjenigen, die beim freien Fall auftritt. Auch der tüchtigste und alterfahrene Fallschirmspringer vermag die beim Sturz auftretende Beschleunigung (bei nichtgeöffnetem Schirm) nur einige Sekunden zu ertragen, ohne das Bewußtsin zu verliern. Dem in die Erdatmosphäre wiedereintretenden Raumfahrer mußte man eine eigens geformte Liegestatt konstruieren, damit er die ungeheure Belastung ohne Schaden übersteht. Bei dem Schwebezug, wie er bereits auf dem Papier in allein Einzelheiten konstruiert und vorgeschlagen ist, würde demnach die gleichbleibende Blitzgeschwindigkeit unterwegs den Fahrgästen kaum zum Bewußtsein kommen. Wenn nur die Anfahrt zu Beginn der Reise und die Verlangsamung zum Ende nicht gar zu stürmisch vor sich gehen und der Zug nur in langgestreckten Kurven durch die Lande geführt wird, erscheint ein solches Reisen nicht mehr so unmöglich, wie man zunächst erwarten müßte. Wer wollte voraussagen, daß nicht irgendwann und irgendwo einmal die blitzschnellen Schwebefahrten Wirklichkeit sein werden! Doch bis heute noch sind selbst die schnellsten Reisezüge weit hinter ihren flinksten Konkurrenten von den Auto-Rennbahnen und den Luftverkehrswegen zurückgeblieben. Das schnellste Schienenfahrzeug war ein Raketenwagen, der im letzten Kriege 400 km/st schaffte; weniger schnell war der Schienenzepp von 1931 mit 230 km/st, der von Propellern bewegt wurde; die Gründe für das Einstellen der Weiterentwicklung für die Propeller-Eisenbahn mögen vor allem Sicherheitsgründe gewesen sein. Zukunftsmöglichkeiten und Aussichten sind hier trotzdem vorhanden. Es mag sehr wohl sein, daß dem einmal erreichten Vorsprung später ein weiterer folgt. — Fast 30 Jahre vor dem Schienenzepp machten die AEG und die Siemens-Werke Versuchsfahrten mit einem großen Elektrotriebwagen zwischen Zossen und Marienfelde bei Berlin. Bei den aufsehenerregenden Fahrten wurden 210 km/st erreicht! Später gebaute Elektrolokomotiven haben es, vor eine normale Wagenreihe gespannt, auf 180 km/st gebracht! Die deutsche Eisenbahn erlaubt 175 km/st als Höchstgeschwindigkeit. 17
Wo liegen die zunächst erkennbaren Widerstände für eine Geschwindigkeitssteigerung der schienengebundenen Züge? Da ist z. B. das Problem der Abführung der überschüssigen Wärme. Man sollte meinen, daß der bei schneller und schnellerer Fahrt entgegenkommende Gegenwind diese Aufgabe übernähme. Das ist aber keineswegs der Fall; wenn 580 km/st überschritten werden, so kühlt nach theoretischer Berechnung der Luftzug nicht mehr, sondern beginnt zu wärmen! Praktisch sieht es nicht ganz so schlimm aus. Es werden sich Mittel finden, den kritischen Punkt ferner zu rücken, z. B. durch chemische Kühlung. Doch ist die ,alte' Kolbenmaschine selbst nie in die Nähe dieser gefährlichen Geschwindigkeit gekommen. Das Hin- und Herbewegen der Kolben im Zylinder kostet nicht nur deshalb zuviel Energie, weil der Kolben mit der Pleuelstange aus der kurzen Ruhestellung an einem Ende immer neu in Bewegung gesetzt und zur Änderung der Bewegungsrichtung veranlaßt werden muß, sondern auch, weil über eine bestimmte Wechselzahl einfach nicht hinausgegangen werden kann. Aber die „neuen" Motoren, die Gasturbine und der Düsenantrieb, lassen auch dem Schienenverkehr für die Zukunft Chancen, die wir heute noch nicht übersehen.
Durchstoß durch die Schallmauer Wie das Schienenfahrzeug wegen der Wärmebildung einen kritischen Punkt bei 590 km Stundengeschwindigkeit erreicht, so das Flugzeug bei 1200 km, der Schallgeschwindigkeit. Lange Zeit galt die 1200-km-Grenze als undurchstoßbare Schallmauer; man glaubte, daß jedes Flugzeug daran zerschellen müsse, und doch wagte man sich heran. Im Jahre 1939 lag der Weltrekord im Schnellflug bei 755,11 km/st. Kriegsjagdflugzeuge erreichten in den folgenden Jahren Geschwindigkeiten von 970 km/st. Im Jahre 1946 unternahm dann der Amerikaner Goodin den Durchbruch durch die Schallmauer. Das Gefürchtete trat nicht ein. Er überbot mit seinem Düsenflugzeug „Bell XS" die Schallgeschwindigkeit sogar um 400 Kilometer; er flog in 24 000 m Höhe mit 1600 Kilometer Stundengeschwindigkeit. Die V-2-Rakete mit 1000 km/st wäre weit'hinter der „Bell XS" zurückgeblieben, und nur ein Kanonenschuß mit rund 1800 km/st und ein Infanteriegeschoß, das rund 3240 km/st erzielt, hätte Goodins Rekordmaschine einholen können. — Die Technik aber griff inzwischen schon wieder weiter aus: Ein verbessertes Modell erreichte 3620 km/st, die X-15 mit Staustrahl- und Raketen18
antrieb sogar 6548 km/st. Die Erde lasse sich damit in sechs Stunden umrunden. Schnellflüge über 1000 km/st ergeben übrigens die merkwürdigsten Zeitverhältnisse. Fliegt man mittags Punkt zwölf Uhr von Berlin ab, so kommt man bei einer Fluggeschwindigkeit von 1000 km/st zur gleichen Zeit, d. h. Punkt zwölf Uhr, im 1000 km entfernten London an, da die Zeit dort um eine Stunde gegen die mitteleuropäische verschoben ist. Würde man mit 2000 km/st die gleiche Strecke fliegen, dann erreichte man London sogar eine halbe Stunde „vor" dem Start in Berlin. Ein Flugzeug, dessen Schnelligkeit der scheinbaren Sonnengeschwindigkeit (rund 1666 km/st) gleichkäme und zur Mittagszeit in Westrichtung startete, würde kalendermäßig nach der Umrundung der Erde schon am nächsten Mittag am Abflugort landen, und die Sonne ging während des Fluges für die Flugzeugbesatzung überhaupt nicht unter. Beim Flug in östlicher Richtung und unter sonst gleichen Bedingungen würde das Flugzeug an einem Tage zweimal eine volle Nacht durchfliegen. Diese kleine Rechnung hat zu Unrecht den Beigeschmack des Phantastischen und Utopischen, denn es gibt die überschnellen Düsenflugzeuge, die als Verkehrsmaschinen größte Strecken bewältigen; auch hier ist der Fortschritt zum noch Schnelleren nicht aufzuhalten. Der Erdball ist verkehrstechnisch schon so mächtig zusammengeschrumpft, daß die Menschen trotz aller Entzweiung ganz nahe zusammengerückt sind. Wir erinnern uns jenes Romans des Franzosen Jules Verne, in dem der Held Philias Fogg in 80 Tagen die Erde umreist. Für damalige Zeiten — es war das Jahre 1875 — erschien die Leistung des Weltumwanderers mehr als unglaublich, und doch gelang es schon kurz darauf einer Zeitungsreporterin, die Strecke des Weltumfangs in 72 Tagen mit Schiff und Bahn, zu Pferde und zu Fuß zu bewältigen. — 1913 brauchte John Mears für die Erledigung der gleichen Aufgabe nur 36 Tage. Im Jahre 1929 umflog Dr. Eckener mit „Graf Zeppelin" den Erdball bei drei Zwischenlandungen in 26 Tagen, wovon er tatsächlich nur 12 Tage unterwegs war. 1931 wurde die gleiche Strecke von 40 077 km in 8 Tagen und 15 Stunden im Flugzeug zurückgelegt. 1933 wurde dieser Rekord durch einen Alleinflieger in 7 Tagen und 18 Stunden überboten. 1949 flog die Superfestung „Lucky-Lady II" im Nonstopflug rund um den Globus mit einer Durchschnittsgeschwindigkeit von 399 km/st; die Maschine schaffte die Strecke 19
von 37 523 km, die fast dem Äquator entspricht, in 94 Stunden, das heißt in rund vier Tagen. Die ersten erdumkreisenden Weltraumfahrer haben nur eine Stunde benötigt. Magellans Segler, der 1519 von Lissabon ausgefahren war, hatte zur ersten Welt-' umrundung fast drei Jahre gebraucht.
Das wahnsinnige Karussell Auch auf anderen Gebieten der Technik purzeln ständig die Rekorde. Leistungen, die man noch vor Jahren für undenkbar hielt, steigern und übersteigern sich fast von Jahr zu Jahr. Als Beispiel für viele andere sei die phantastische Entwicklung der „Drehzahl" genannt, der Zahl der Umdrehungen eines Rades oder Maschinenteils in der Minute. — Das Kettenrad eines Fahrrades macht bei einer Geschwindigkeit von 15 km/st etwa 45 Umdrehungen in der Minute (U/min). Der Plattenteller eines Grammophons macht genau 78 Umdrehungen je Minute, wenn er mit normaler Geschwindigkeit läuft. Die Schiffsschraube eines Dampfers dreht sich mit einer durchschnittlichen Geschwindigkeit von 130 U/min. Die Wasserturbinen und die damit gekuppelten Generatoranker drehen sich 300mal in der Minute um sich selbst. Dampfturbinen werden im allgemeinen so konstruiert, daß ihre Wellen mit 1500 oder 3000 Touren in der Minute rotieren. Die Achse eines Werkstatt-Elektromotors dreht sich etwa 1400mal in der gleichen Zeit; etwas schneller kreist der Propeller eines Verkehrsflugzeuges. Die Kurbelwelle eines Autos macht bei 60 km/st. Fahrt rund 2000 Umdrehungen in der Minute; aber es gibt Rennmotoren mit 7000 und noch höherer „minütlicher" Tourenzahl!
Modernes Frachtflugzeug mit propellerlosem Stahltriebwerk mit Ladeturbine (Typ „Avro Tudor 8")
20
Vor einigen Jahren noch galt die Drehzahl der Ultrazentrifuge der Virginia-Universität, die mit komprimierter Luft angetrieben wurde, als Rekordwunder: sie brachte es auf 500 000 U/min! Heute ist man schon wieder ein gut Stück weiter. Da ist eine kleine Turbine erbaut worden, die 15 000 Umdrehungen in der Sekunde macht, das sind 900 000 Umdrehungen in der Minute! Das Maschinchen — denn es ist nur ein kleines Wunder — mißt 1 cm im Durchmesser und wird durch Druckluft angetrieben. Der drehbare Teil läuft, frei in der Luft tanzend, um seine Achse. Wird statt komprimierter Luft Wasserstoff zum Antrieb des „Laufrades" verwendet, so läßt sich die Drehzahl auf rund 1200 000 U/min steigern, denn der „dünnere" Wasserstoff verursacht weniger Reibung als die dickere Luft! — Wahrlich ein wahnsinniges Karussel! — Nehmen wir einmal an, es gelänge, ein größeres Rad, sagen wir von 1 Meter Durchmesser, in gleichschnelle Drehbewegung zu versetzen; nehmen wir weiter an, wir brächten dieses Rad auf die Landstraße, dann würde es schneller als der Läufer Münchhausens den Raum bewältigen. Rechnen wir uns aus, was dabei herauskommt: Ein Rad von 1 Meter Durchmesser hat einen Umfang von rund 3,14 m; bei einer Drehzahl von 1 200 000 in der Minute legt es also einen Weg von 1 200 000 mal 3,14 m, das sind 3 768 000 m oder 3768 km, in der Minute zurück. In einer Stunde hätte das merkwürdige Rad 22 608 km, das ist mehr als die Hälfte des Erdumfangs, hinter sich gebracht. In zwei Stunden wäre es schon etwas mehr als einmal um den Äquator gesaust . . . Aber hier sind wir nun wirklich bei Münchhausen angelangt, wenigstens was die Radgeschwindigkeit betrifft!
Immer höher hinauf! Dieser Aufschneider und Lügenbaron Münchhausen war übrigens der einzige, dem es bisher gelang, mit einem Ballon die den Erdball umgebende, vermutlich 500 km starke Luftschicht zu durchstoßen; dazu benutzte er eine „Montgolfiere", einen jener ersten mit Heißluft gefüllten Gasbälle. Er war eben ein Mann von Phantasie und nicht des technischen Verstandes; denn was Ballone erreichen können, ist sehr wenig, gemessen an der Höhe der Atmosphäre. Der Erdball hat einen Durchmesser von 12 740 km, seine „Luftschale" mißt nur etwa den 25. Teil davon; und noch nicht einmal der zehnte Teil dieser Luftschicht konnte im unbemannten Ballon gemeistert werden. Bei rund 46,4 Kilometern 21
liegt der bisherige Höhenrekord, den ein instrumentenloser Registrierballon von 60 Meter Durchmesser erzielen konnte. Mit Passagieren kam ein Ballon in eine Höhe von 34 600 Meter über der Erde. Piccard und Kipfer erreichten 1931 in der bekannten Kugelgpndel 14 781 Meter, im Jahre darauf 16 780 Meter. Die geringere Luftdicke in größeren Höhen macht Ballonen den weiteren Aufstieg schwer, für Flugzeuge ist dünnere Luft jedoch von Vorteil. In der Höhe ist der Luftwiderstand soviel geringer, daß man ohne übermäßigen Kraftaufwand die großen Geschwindigkeiten erreichen kann, die bei Rekordaufstiegen erforderlich sind. Denn nur bei hoher Geschwindigkeit findet das schwere Flugzeug auf den dünnen Luftschichten noch ein genügendes Polster für die Tragflächen. Im „normalen" Flugzeug konnte sich der Italiener Donati 1934 in eine Höhe von 14 433 Meter hinaufschrauben. Dieser Rekord wurde 1937 von Adam gebrochen, der bis 16 439 Meter aufflog. 1940 lag der Höhenrekord bei 17 100 Meter. Fachleute behaupteten, daß die Gipfelhöhe der Flugzeuge bei etwa 18 000 Meter liege; sie ist inzwischen erheblich überboten worden. Das Düsenflugzeug aber kletterte bereits 1947 auf 18 150 Meter hoch hinauf. Man soll eben mit der Festlegung von Grenzen immer vorsichtig sein. Der Raketenantrieb hat den Menschen selbst in Regionen an der Grenze der Atmosphäre hinaufgehoben. Schon hat der Menschenwille den Erdtrabanten Mond ernsthaft in die Liste seiner Reiseziele eingereiht.
Tiefer und tiefer! In der Tiefe aber ist nun tatsächlich ein Halt geboten; denn ein Abstieg über die Dicke der Erdkruste hinaus oder gar bis zum Mittelpunkt der Erde wird für immer unmöglich bleiben. Eine Fahrt in die Erdmitte, die etwa vierundsechzigmal kürzer wäre als eine Mondreise, wird nie auf den Prospekten der Reisegesellschaften stehen. Bis zum Erdmittelpunkt sind es rund 6350 Kilometer, das entspricht etwa der Länge einer Ozeanüberquerung Europa—Nordamerika. Aber die tödliche Hitze im Innern der Erde macht diese Kilometerzahl unüberwindlich. Bis zu einem Kilometer Tiefe steigt die Temperatur um 22 Grad Celsius, zwischen dem ersten und zweiten Kilometer auf 28 Grad Celsius, in 40 Kilometer Tiefe herrschen etwa 1200 Grad Celsius; bei dieser Temperatur schmilzt Lava, in 93 Kilometer Tiefe schmilzt Platin; in 100 Kilometer Tiefe können sich bei 1500 Grad Celsius und unter 30 000 Atmosphären Druck Diamanten entwickeln. Der Mensch käme darin um. 22
Wir bewegen uns mit diesen Zahlen allerdings nicht auf besonders sicherem Boden. Zwar weiß der Bergmann, daß seine Arbeitsstätte um so wärmer wird, je tiefer er hinabsteigt. Alle hundert Meter nimmt in den Bezirken, in denen wir praktische Erfahrungen sammeln konnten, die Wärme um zwei bis drei Grad zu. Rechnet man weiter, so käme man für den Erdkern auf Wärmegrade, die in die Hunderttausende gehen. Das kann jedoch nicht gut stimmen; denn die zutage tretende Lava, die kaum Zeit gehabt hat, sich wesentlich abzukühlen, ist niemals wärmer als 1000 bis 1500 Grad Celsius. Die Wissenschaft vertritt daher den Standpunkt, daß die in Bergwerken und Bohrlöchern gemessene Wärmezunahme nicht bis in die „ewige Teufe" — wie der Bergmann sagt — anhält, sondern sehr bald ihre Begrenzung in einem Höchstwert finden muß. Nachmessen kann man das nicht; denn beim Vordringen ins Erdinnere ist man durch Bohrungen bisher nicht tiefer als 7700 Meter gekommen. Diese Tiefe entspricht etwa dem 18. Teil der Erdkrustendicke. Die wirklichen Geheimnisse beginnen aber erst unterhalb dieser dünnen Schale, die uns vom glühenden Erdinnern trennt. 7 700 Meter! Das ist die Tiefe des tiefsten Bohrloches. Der Mensch selber ist jedoch kaum ein Drittel so tief eingedrungen. Das tiefste Bergwerk der Erde liegt in Südafrika in der VillageDeap-Mine. Hier arbeiten hitzegewohnte Menschen mühselig in einer Tiefe von 2500 Meter. Dem Menschen wird es gewiß gelingen, sich noch tiefere Regionen persönlich anzusehen, aber sie werden im Verhältnis zur Mächtigkeit der Erdkugel immer nur in der Schale liegen. Dem Vordringen in die nassen Reiche der Tiefe, in die Meeresabgründe, stellen sich andere Schwierigkeiten entgegen. Ohne technische Ausrüstung sind nur die obersten Wasserschichten zu durchtauchen. Selbst bei den kühnsten Schwamm- und Perlenfischern in den tropischen Meeren ist die Tauchtiefe gering; die Zeit, die sie, abgeschnitten von jeder Luftzufuhr, im Wasser verbringen können, zählt nur nach Minuten. Drei bis fünf Minuten beträgt der Durchschnitt der Tauchdauer. In wenigen Ausnahmefällen sind zehn Minuten erreicht worden. Besonders geübte Taucher wagten sich etwa 18 Meter hinunter. Der Eingeborenenrekord liegt bei 30 bis 40 Meter Tiefe. Bei dieser primitivsten Art des Tauchens und bei der Zeitkürze ist an ein eigentliches Arbeiten unter Wasser schon nicht mehr zu denken. 23
Die Tiefen, in denen Taucher mit normalen Spezialanzügen eine Zeitlang verbringen können, sind ebenfalls nicht sehr groß: rund 40 Meter; als Rekord gilt eine Tiefe von 93 Meter. Ein Unterseeboot brachte es auf 116 Meter. Mit schlauchlosen Taucherausrüstungen ist es gelungen, um weitere 30 Meter bis auf etwa 140 Meter hinabzugelangen. Dem Taucher wird dabei nicht, wie sonst, vom Schiff aus Druckluft zugeführt, vielmehr trägt er auf dem Rücken einen Behälter für komprimierten Sauerstoff und für Preßluft und Geräte, die die Atmung erleichtern. So ausgerüstet können diese Taucher noch in 90 und 100 Meter Tiefe einige Arbeiten verrichten; darüber hinaus aber besteht für sie keine Arbeitsmöglichkeit mehr; der Aufenthalt muß auf wenige Minuten beschränkt werden. Für Tiefen von etwa 200 Meter wird deshalb ein Taucherpanzer benutzt. Obwohl diese Unterwasser-Ritterrüstung das beträchtliche Gewicht von 400 Kilogramm hat, gestattet sie während einiger Stunden ein verhältnismäßig leichtes Arbeiten auf dem Meeresgrunde. Alle zehn Meter nimmt der Druck des Wassers um eine Atmosphäre zu, das heißt um ein Kilogramm je Quadratzentimeter. Bei einer Tiefe von einem Kilometer bedeutet das einen Druck von einer zehntel Tonne auf jeden Quadratzentimeter. Der gigantischen Belastung in solcher Abgründigkeit ist nur noch die dickwandige stählerne Tauchkugel gewachsen, wie sie der amerikanische Naturforscher Dr. William Beebe als erster entwickelt hat. Beebe selber ließ sich mit seiner „Bathysphäre" 920 m hinab, sein Mitarbeiter Ortis Barton überbot diesen Tiefenrekord vor der kalifornischen Küste um über 400 Meter. Das Streben in noch tiefere Abgründe aber ging weiter. Denn die Tiefsee ist nicht nur ein ungeheures Reich unbekannter und unerforschter Lebewesen, die in den Büchern der Naturforschung fehlen; der Meeresgrund birgt auch riesige Schürffelder für Rohstoffe, vor allem für öl, dessen Erbohrung in Küstennähe bereits begonnen hat. Forscherdrang und Rohstoffhunger ließen den Menschen noch größere Meerestiefen bewältigen; 11,3 km Tiefe wurden erreicht.
Eine Kraft, die niemand erträumt hat War die Wissenschaft immer etwas vorsichtig mit Voraussagen, so ist die Phantasie der Poeten utopischer Romane meist der Technik um Jahrzehnte vorausgeflogen. Die dichterische Phantasie kennt keine Grenzen; sie läßt bemannte Geschosse zu den Bewohnern des Mondes aufsteigen, als es noch Raumfahrt24
raketen gibt, sie zieht den Mars in erreichbare Nähe, sie weiß die Schwerkraft vom Menschen abzuschütteln, so daß er zum Wanderer zwischen den Sternen wird, weiß kosmische Energien in kleine irdische Maschinen zu bannen und erfindet Wunderstrahlen, die Macht über alles Irdische verleihen. Aber keiner, selbst der absurdeste Romanschriftsteller nicht, hat jene Kraft auch nur erdichten können, die unserer Zeit den Namen Atomzeitalter gegeben hat. Atomenergie! Sie hat alles noch vor Jahrzehnten Erdenkbare weit hinter sich gelassen, und niemand kann heute sagen, welche Zukunftsgewalten mit ihrer Entdeckung entfesselt worden sind. Denn die Fülle der atomaren Kräfte, die in aller Materie rings um uns wirksam sind, ist unvorstellbar. Alle anderen irdischen Energien sind Kinderspiel gegen das, was an gewaltigem Atomvermögen in jedem Stoff, in einem Stück Holz, im Gefüge einer Nähnadel, eines Sandkorns, eines Glasscherben, eines Wassertropfens, oder was es auch sein mag, steckt. Und das ist eine Entdeckung, die niemand vorausgeahnt hat. Der Techniker gibt Energiewerte in PS- oder Kilowattstunden an. Manchmal setzt er ein anderes Arbeitsmaß, die „Kalorie", ein, dann zum Beispiel, wenn er den „Heizwert" von Brennstoffen angeben will, wenn er in Zahlen ausdrücken möchte, welches Arbeitsvermögen etwa in der Kohle, im Spiritus, im Benzin oder im öl vorhanden ist. So weiß er, daß ein Kilogramm guter Kohle beim Verbrennen eine Wärmemenge von 8000 Kalorien erzeugt. Das ist ein Energiewert, der rund 9 Kilowattstunden entspricht. Ganz anders sieht der Atomenergiewert der gleichen Menge Kohle aus. In den Atomen einer Handvoll des schwarzen Minerals, in einem Kilogramm, sind 20 Billionen Kalorien enthalten! Und nicht nur in dieser Menge Kohle, nein, in jedem Kilogramm eines jeglichen Stoffes, in einem Kilo Granit, in einem Kilo Stearin, oder einem Kilo gewöhnlicher Humuserde. 20 Billionen Kalorien! Rechnet man das in Kilowattstunden um, so kommt man auf rund 25 Milliarden Kilowattstunden, oder in PS-Stunden auf 34 Milliarden. Das sind unerhört große Werte, von denen wir uns nur mit Hilfe von Vergleichen einen gewissen Begriff machen können. Verlieren wir uns ruhig einmal in einige vorläufig noch utopische Überlegungen in dieser Richtung. Die Leistung des Kraftwerkes von Colorado, das 1 Million PS liefert, könnte durch die Atomenergie, die in einem Kilogramm Kohle steckt, vier Jahre lang ersetzt werden. — Der 81 000 BRT 25
große Riesendampfer „Queen Mary" mit seinen 160 000 PS, die ungefähr der Leistung des Walchenseewerkes entsprechen, könnte mit einem einzigen Kilogramm Kohle 24 Jahre lang in Betrieb gehalten werden. Ein Gramm Kohle aber könnte mit der in ihr enthaltenen Atomenergie das oberbayerische Kraftwerk etwa neun Tage lang in Betrieb halten. — Eine der größten Turbinen der Welt in der New State Line Station am Michigansee, die eine Leistung von 280 000 PS hat, verbraucht stündlich 120 Tonnen Kohle, täglich also 2880 Tonnen. Die Atomenergie nur eines einzigen Gramms Kohle würde bei verlustloser Ausnutzung fünf Tage lang das gleiche leisten wie die Riesenmaschine. Mit einem Kilogramm Kohle könnten die gesamten ausbaufähigen Wasserkräfte der Erde auf die Dauer von etwas mehr als vier Tagen ersetzt werden! Inzwischen ist es gelungen, die Atomkräfte, die in der Materie stecken, in Maschinen praktisch zu nutzen, in Atommotoren für über- und Unterwasserschiffe und Spezialkraftwagen, in Wärmekraftwerken und zu Beleuchtungszwecken. Selbst bei einem Wirkungsgrad von nur 10"/o ist eine Atomkraftmaschine allen anderen unendlich überlegen. Um welche Kräfte es hier geht, wird deutlich, wenn der Atomphysiker uns berichtet, daß ein Kilogramm reines Uran mit dem Atomgewicht 235 dem Wärmewert von 3000 Tonnen Kohle oder von rund 28 Millionen Kilowattstunden entspricht. An die Uranbatterie, die man auch Uranbrenner, Amtommotor, Atomreaktor oder, nach dem französischen Wort für Batterie, „Pile" nennt und in der die Kräfte des Urans nutzbar gemacht werden, knüpfen sich die Hoffnungen derer, denen die friedliche Auswertung der Atomkraft am Herzen liegt. Aber auch jeder, dem die langsame, aber stetige Abnahme der großen Energielieferanten Kohle und Erdöl Sorge macht, verfolgt erregt die Bemühungen der Atomphysiker und Ingenieure um die Verbesserung und Betriebsverbilligung der Atomkraftanlagen, die der Erzeugung von elektrischem Strom, dem Antrieb von Schiffen, Flugzeugen und Landfahrzeugen dienen. Wir geben uns keinem Phantom hin, wenn wir unsere Erwartungen in dieser Hinsicht hoch spannen. Das Antlitz der Erde wandelt sich Noch auf vielen anderen Gebieten sind Aufgaben in Angriff genommen, die in früheren Jahrhunderten als unmöglich und als 26
Hirngespinste gegolten hätten; denn schon greift der planende Mensch mit kühner Hand den Globus selber an, und die Ziele sind weit gesteckt. Weithin wird sich das Antlitz der Erde verändern, wenn einmal vollendet ist, was in Angriff genommen wurde und wenn alles das Wirklichkeit werden sollte, was an Projekten in den Köpfen der großen Planer umgeht. Mit dreieinhalbtausend Kilometer Länge und eintausend Kilometer Breite dehnten sich einst die unberührten Prärieböden Nordamerikas vom Golf von Mexiko bis in die Grenzgebiete Westkanadas. Viele Menschenalter hindurch gab die kostbare Braunerde her, was der Mensch in sie hineinsäte. Im 20. Jahrhundert aber begann sich der ausgebeutete, ausgelaugte, ausgerodete Boden zu rächen, begann zur Staubwüste zu werden. In den Flußgebieten der Riesenströme rissen die alljährlichen Überschwemmungen den fruchtbaren Humus bis zum nackten Felsgrund meerwärts mit sich fort; zwei Milliarden Tonnen der guten Erde, die einst den Einwanderern das Land zum Paradies gemacht hatte, schwemmten davon, über die schutzlosen Landstriche rasten die Stürme, wirbelten die Reste der ausgedörrten Bodendecke zu Staubwolken auf, und zuletzt lag ein Siebentel der Gesamtfläche der Vereinigten Staaten, ein Drittel des landwirtschaftlich genutzten Bodens, mehr oder weniger verwüstet. War es nicht ein Hirngespinst, den ungeheuren, unaufhörlich vordringenden Gewalten der Zerstörung Einhalt gebieten zu wollen? Heute liegt der wütende Tennessee, der Hauptzerstörer im Südosten, gebändigt durch Dutzende von gewaltigen Dämmen, Staustufen, Stauseen und fügt sich selbst in den tosenden Zeiten seiner Hochwasser den regelnden Schalthebeln der Wasseringenieure, die über die Talsperren gebieten, und heute geht über 50 Millionen Morgen der einstigen Wüste wieder der Pflug der Farmer und der Ruf der Erntearbeiter. Schon sind bis hoch in die Quellgebiete des Tennessee neue Wälder im Kommen, Hoffnung für künftige Zeiten. In den Planungsbüros aber liegen die Projekte bereit, auch dem urgewaltigen Mississippi seine Schrekken zu nehmen. Im Osten der USA ist das südkalifornische Imperial-Tal Schauplatz ähnlich gigantischer Kultivierungen. Schon hat die friedliche Eroberung hier neues Siedlungsland für 65 000 Farmer der Sand- und überschwemmungswüste abgetrotzt. Das Wasser, das der fast verdurstete Boden braucht, kommt fernher aus dem Bett 27
Durch die Aufstauung des Ob und Jenniseij soll in Zentralrußland ein mächtiges Meer („Sibirisches Meer") entstehen
des Colorado-Flusses. Aus mächtigen, künstlich geschaffenen Klärbecken am Imperial-Staudamm fließen die Wassermassen in den „AU-American-Kanal", der sich mit seinen Abzweigungen und Rinnsalen über 338 Kilometer weit durch die Lande windet. Noch gewaltiger ist der „Metropolitan-Aqueduct" mit 770 Kilometer Länge, der die Küstengebiete um Los Angeles mit Wasser aus dem gleichen Colorado-Fluß versorgt. Ohne diese große Wasserregulierungsanlage lägen zahlreiche kalifornische Städte längst inmitten ausgetrockneter Umgebungen, wären die in aller Welt berühmten kalifornischen Obstplantagen lange schon unergiebig. Stündlich strömen rund 5 Billionen Liter Wasser durch den Versorgungsstrang, eine Wassermenge, die ausreichen würde, in einer Stunde einen Behälter von 10 Kilometer Länge, 5 Kilometer Breite und 100 Meter Tiefe auszufüllen. Die Wasser der Kanäle dienen, über Turbinen geleitet, zugleich der Erzeugung ungeheurer Mengen elektrischen Stromes. Auch an anderen Stellen der Erde beginnt sich das Bild über riesige Räume hin zu verschieben. 28
Das „Atiantropa-Projekt" sieht zwei Meere im Kongobecken und in der südlichen Sahara vor. Das Mittelmeer wird durch riesige Staudämme zum Energielieferanten
Seit Jahrzehnten senkt sich der Wasserspiegel des Kaspisdien Meeres, das fast doppelt so groß wie die Bundesrepublik Deutschland ist. An allen Ufern tritt der Meeresgrund zu Tage, so daß viele Uferorte landein gerückt sind und auch die Feuchtigkeitsverhältnisse in der weiten Umgebung eine Veränderung erfahren haben. Um dieses größte Binnenmeer der Erde wieder aufzufüllen, ist geplant, der Kaspi-See Wasser zuzuführen, das von der Natur gar nicht für sie bestimmt ist. Der Mensch wagt hier einen der kühnsten Eingriffe in die natürliche Landschaft. Da fließen seit dem Ende der Eiszeit zwei Ströme ins Nördliche Eismeer, deren Quellgebiete tief im Innern Rußlands liegen. Es sind die 29
Flüsse Petschora und Wytschegda. Diese beiden Ströme will man dazu veranlassen, daß sie statt nach Norden nach Süden fließen und ihre Wasser dem Kaspischen Meer zuführen. Die Petschora soll oberhalb der Stadt Petschora durch einen zwölf Kilometer langen Erddamm abgeriegelt werden, der einundsiebzig Meter hoch sein wird. Die Wasser werden sich vor dem Damm zu einem gewaltigen See anstauen. Auch der Wytschegda-Fluß soll durch einen gewaltigen Damm am Abströmen nach Norden gehindert werden, und auch an diesem Sperrdamm würde sich ein riesiger See ausdehnen, der durch einen Kanal mit dem Petschora-See Verbindung haben wird. Bei Borowsk und Perm würden zwei weitere Dämme den Kamafluß, der der Kaspi-See zuströmt, zu einer dritten riesigen Wasserfläche aufstauen, und auch dieser See würde durch einen Kanal mit den anderen Stauseen verbunden. Die drei Seen zusammen wären so groß wie Schleswig-Holstein, die Ableitung ihrer Wasser soll über die Kama zur Wolga und mit ihr ins Kaspische Meer erfolgen. Unterwegs könnten große Landgebiete östlich der Wolga bewässert werden und bei den Dämmen würden leistungsstarke Kraftwerke entstehen. 1000 Kilometer neue Wasserwege erleichterten die Verfrachtung von Holz und Kohle aus dem Norden, und die Seen böten Gelegenheit zu reichem Fischfang, dessen Ertrag auf 80 000 Doppelzentner jährlich geschätzt wird. Gelingt dieses gewaltige Unternehmen, so wie es die Ingenieure geplant haben, so könnte in den folgenden Jahrzehnten ein noch weitergehendes Projekt in Angriff genommen werden, mit dem sich die russischen Planer ebenfalls schon seit Jahren befassen. Man würde dann auch die Wasser des Ob und des Jennisseij (s. Karte), die ins Nördliche Eismeer fließen, in ähnlicher Weise zur Umkehr zwingen, bevor sie das Eismeer erreichen. Ob und Jenniseij würden nach der Durchführung der Flußlaufveränderung im Uralsee und nicht mehr im Nordmeer münden. Das ist ungefähr so, als wenn man dem Rhein etwa in der Höhe von Duisburg den Weg verlegte, damit er nicht mehr in die Nordsee, sondern in das Mittelmeer münde. Die Arbeiten an diesem gewaltigen Unternehmen, das den großen Projekten der USA kaum nachsteht, haben inzwischen begonnen. Hoch im Norden, am Niederlauf des Ob und Jennisseij ist bereits der Grund zu den ungeheuren Staudämmen abgesteckt worden, die später einmal als Sperriegel die beiden Ströme abfangen sollen. Die Landschaft vor diesen Dämmen ist das ausgetrocknete Becken eines Binnen30
meeres des Tertiärzeitalters, das sich nach der Aufstauung des Ob und Jenniseij wieder in ein Meer mit zwei durch einen Querarm verbundenen enormen Wasserflächen zurückverwandeln wird. Dieses „Sibirische Meer" soll so groß wie Westdeutschland und 60 Meter tief sein; die Millionenstadt Nowosibirsk und die Großstadt Omsk werden an seine Küste heranrücken. Der riesige Stau erst wird es den Strömen ermöglichen, gleichsam stromauf nach Süden zu fließen. Hier aber werden die Fluten an den Höhen des Turgaigebirges, das den Weg zum Aralsee versperrt, ein neues Hindernis finden. Deshalb soll das Gebirge in einem 930 km langen Kanal durchstoßen werden. Der Ingenieur Dawidow, der dieses umwälzende Unternehmen erdacht, sagt voraus, daß unter dem Einfluß des neuen Binnenmeeres in Turkestan und weithin im Lande die Herrschaft des heiß-trockenen Suchoej-Steppenwindes durch ein Mittelmeerklima abgelöst werden könne, das selbst noch in den Randgebieten der Wüste Gobi die Anpflanzungen von Apfelsinenhainen erlauben würde. Die sibirische Kälte dagegen würde mitteleuropäischen Temperaturen weichen. Schon eine Erwärmung um wenige Grad würde in diesem Raum zu entscheidenden Verbesserungen der Anbaumöglichkeiten beitragen. Bis in die Steppen Südrußlands und der mongolischen Grenzlandschaften Chinas hinein könnten Niederschläge den Ertrag der Landwirtschaft steigern. Und vielleicht ergäben sich auch merkliche Änderungen in den Witterungsverhältnissen Europas. Das Gesamtvorhaben verlangt, so erklärt der Ingenieur, die Bewegung von 10 bis 15 Milliarden Kubikmeter Erdmasse. Bis zur Auffüllung des „Sibirischen Meeres" und bis zur Abgabe von überschüssigen Wassermengen nach Süden würden aber noch zehn bis zwanzig Jahre vergehen. Da die Tiefe des Kanals durch das Gebirge zwanzig Meter und seine Breite an einigen Stellen seines Verlaufes das Doppelte des Ärmelkanals zwischen Dover und Calais betragen werde, bilde er eine Wasserstraße, auf der mit Seeschiffen oder Flößen das Nutzholz der sibirischen Urwälder in die holzlosen Steppen Südrußlands und bis zum Kaspischen Meer gebracht werden könne. Das Unmögliche scheint möglich geworden. Wer wollte nach den einen ganzen Kontinent umfassenden Leistungen in den Vereinigten Staaten, und nachdem das Riesenprojekt des Sibirischen Meeres in die Nähe gerückt ist, mit Sicherheit voraussagen, daß nicht auch jenes vielbesprochene und umstrittene Atlantropa-Pro31
jekt des verstorbenen Münchener Ingenieurs Hermann Sörgel eines Tages wenigstens in Teilen Wirklichkeit werden könnte. Sörgel schlägt vor, Europa und Afrika zu einer einzigen Wirtschaftseinheit „Atlantropa" zusammenzuschließen. In Zentralafrika gelte es, die wasserreichen Ströme Kongo und Sambesi anzustauen und das Kongobecken in ein künstliches Binnenmeer von rund einer Million Quadratkilometer Größe zu verwandeln. Ein nur verhältnismäßig kleiner Durchstich durch das Gebirge werde dann genügen, den am Südrand der nordafrikanischen Wüste gelegenen alten Tsadsee zu einem Meer zu vergrößern, das an Fläche das Kongomeer noch überträfe. Was diese Binnenmeere im heißesten Tropengürtel des Schwarzen Erdteils für das Klima, die Besiedlung, die Gesundheitsverhältnisse und für die Stromerzeugung bedeuten könnten, ist unübersehbar. Dieser Bewässerungsplan ist noch entfernteste Zukunftsmusik, und seine Verwirklichung hängt mit der Entwicklung der politischen Verhältnisse im Schwarzen Kontinent zusammen. Unabhängig davon aber arbeitet man an einem Vorhaben,, das die Libysche Wüste im Nordosten Ägyptens betrifft: Hier will man Wasser des Mittelmeeres durch einen Gebirgstunnel in die natürliche Wüstensenke von Quitara leiten, die sich zwischen Alexandrien und der Oase Siwa ausbreitet und 134 Meter tiefer liegt als das Mittelmeer. Es soll nur so viel Wasser Zugang finden, wie erforderlich ist, um durch Verdunstung in der heißen Wüstensonne die Wetter- und damit die Wachstumsverhältnisse zu verbessern, damit neue Siedlungsräume erschlossen werden.
Schlußwort Hirngespinste? —• Nein! Schon greift der Flug der Phantasie noch weiter: Die toten Räume Australiens, didüberschwemmungsgebiete Chinas, die unerschlossenen Urwälder des Amazonas, die rohstoffreichen Zonen des Hohen Nordens tauchen vor uns auf. Die Menschheit, die so freigiebig und bereitwillig immer wieder unermeßliche Mittel für die Vernichtung vergeudete, könnte mit einem Bruchteil der Anstrengungen, die der Zerstörung dienen, gemeinsam alle diese Aufgaben in der Frist eines Menschenalters zu Ende führen. Der Technik sollten Grenzen nur dort gesetzt sein, wo sie das Böse schafft — wo sie das Gute will, da gibt es keine Grenzen.
32
'
Umschlaggestaltung: Karlheinz Dobsky Abbildung Seite 2 nach einem Aquarell von W. Zeeden
L u x - L e s e b o g e n 9 5 ( T e c h n i k ) - H e f t p r e i s 3 0 Pf. Natur- und kulturkundliche Hefte - Bestellungen (viertelj. 6 Hefte DM 1,80) durch jede Buchhandlung und jede Postanstalt - Verlag Sebastian Lux, Murnau (Oberb.), Seidlpark -Druck: Sittler & Federmann, Ulertissen - Printed in Germany