C.H.GUENTER
Tödlicher Bumerang
ERICH PABEL VERLAG GMBH, 7550 RASTATT
1. Die Polarstation Columbia war die nördlichs...
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C.H.GUENTER
Tödlicher Bumerang
ERICH PABEL VERLAG GMBH, 7550 RASTATT
1. Die Polarstation Columbia war die nördlichste der NATO auf gewachsenem Fels. Mitunter wurden Stationen noch näher am Nordpol eingerichtet. Aber sie schwammen auf Eis, veränderten ihre Lage und waren für militärische Zwecke ungeeignet. Anders Columbia im kanadischen EllesmereGebiet. Die kompaniestarke Besatzung bestand aus Wissenschaftlern, Technikern und Offizieren. Zwei Drittel waren Amerikaner, der Rest Engländer. Arbeitsräume und Unterkünfte der Basis hatte man in die Erde verbunkert. Nur die haushohen Radarantennen der Frühwarnanlage ragten aus dem ewigen Schnee. Gegen Mittag - im Februar war es zu dieser Stunde ebenso dunkel wie um Mitternacht - landete noch ein Transportflugzeug. Die riesige Galaxy war erst in einer Woche fällig. Daß sie den Nachschub an Heizöl, Lebensmitteln und Ersatzteilen jetzt schon anlieferte, hatte einen besonderen Grund. Schneestürme standen bevor. „Diesmal wird es besonders scharf blasen", sagte der Pilot zu dem Basiskommandeur. „Ihre Leute sollen Dampf mit dem Ausladen machen. Ich möchte gern oben sein, bevor es losgeht." Der Colonel deutete auf das Thermometer.
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„Noch fünfundvierzig Grad minus. Bei dieser Kälte ändert sich das Wetter nur langsam." Der Pilot wischte mit dem Handschuh die Frostkristalle von der Glasröhre. Dann nahm er für Sekunden die Hand aus der schützenden Hülle und klopfte gegen die eingeschlossene Quecksilbersäule. Sie zuckte kurz und dehnte sich dann ruckartig um wenige Millimeter aus. „Aber die Temperatur steigt, Colonel." „Gewöhnlich dauert es zwei Tage, bis der Schneeorkan hier ist. Bis dahin sind wir fertig." Der militärische Befehlshaber der ColumbiaStation sorgte dafür, daß sein Adjutant dafür sorgte, daß alles etwas schneller ging als sonst. Der vierdüsige Transportgigant startete gegen Abend wieder. Nachdem der Chefmeteorologe den letzten Wetterbericht aus dem Computer gezogen hatte, wurde die Station vorbereitet wie ein Schiff, das in Sturm geriet. Was notwendigerweise im Freien blieb, die Motorschlitten der Hubschrauber und - soweit man sie nicht in die unterirdischen Tanks hatte entleeren können - die Eisenfässer mit Benzin und Diesel, wurde festgezurrt und mit Planen, die man ebenfalls festzurrte, abgedeckt. Die Klarmeldung erfolgte gegen 23.00 Uhr. „Dann kann es ja losgehen", sagte der Colonel und machte seine Abendrunde durch die Basis. Er hatte es sich zur Gewohnheit gemacht, zweimal täglich alle Sektionen aufzusuchen: Küche, Krankenrevier, das Kraftwerk, die große Sende- und Empfangszentrale mit der Fülle von Funkgeräten, Fernschreibern, Telekopierern, Bildschirmen und
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Computern. Überall das gleiche Bild. Die Männer der zweiten Wache verrichteten ihre Arbeit konzentriert und ruhig, mit genau dem Energieaufwand, der nötig war. Die Raumtemperatur wurde von der Klimaanlage auf konstant 24 Grad gehalten. Dies bei optimaler Luftfeuchtigkeit. Deshalb genügte es, innerhalb der Station Hemd und Hose zu tragen. Soldaten und Offiziere erkannte man an ihrem NATO-Grün und den Rangabzeichen. Wer in Jeans und bunten Hemden herumlief, war Wissenschaftler oder Zivilingenieur. Auf dem Weg in seine Schlafkammer schaute der Colonel noch bei Captain White, dem Adjutanten, vorbei. „Tagesmeldung schon raus, White?" „Bin gerade dabei, Sir." „Machen Sie mir morgen früh einen Termin beim Doktor. Das alte Leiden, Rheuma. Muß mich nächstes Jahr wohl versetzen lassen. Paar Meilen weiter nach Süden. Florida vielleicht. Sechs Jahre im Eis, das reicht." Auch der Adjutant dachte an Florida. Er stammte aus Key West. Ein paar Meilen südlich, hatte der Oberst gesagt. Verdammte fünftausend Meilen entfernt strahlte die Florida-Sonne. Der Colonel faßte nach der Kaffeekanne. Der Henkel war heiß, deshalb zog er die Hand zurück. „Lieber nicht. Man schläft nur schlecht. Und Träume sind das einzige, was einem hier bleibt." Der Adjutant hatte noch bis vier Uhr Dienst. Er goß sich die Tasse voll. In diesem Moment klapperte
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der Löffel auf der Untertasse. Nur zweimal, aber deutlich. In wenigen Sekunden war alles vorbei. Als polarerfahrene Offiziere wußten sie, daß es viele Erklärungen für das Klirren des Löffels gab. Trotzdem blickten sie sich an. Der Captain winkte beruhigend ab. „Die Kraftstation. Sie haben den Diesel für Generator zwei anlaufen lassen." „Das geschieht stets bei Wachwechsel", sagte der Colonel. „Ausdrücklicher Befehl von mir. Und Wach Wechsel ist schon vorbei." „Vielleicht ein kleines Beben." „Ja, das wird es gewesen sein." Mit dieser Annahme gaben sie sich zufrieden. Hier im Norden kam es oft zu Erschütterungen der Erdoberfläche. Die Ausbreitung von Erdbebenwellen unterlag in Polnähe anderen Gesetzen. Warum, das wußte niemand genau. Der Colonel tippte einen Gruß an die Schläfe und ging nach nebenan, wo seine Kammer lag. Da sah er einen Mann, eingehüllt in den pelzbesetzten Dreischichtenanzug mit Isolierstiefeln und Gesichtsmaske den Gang entlangwanken. Er war nur am Namensschild zu erkennen. „He, Professor", rief der Colonel. „So spät noch führen Sie Ihren Hund raus?" Der Wissenschaftler fuhr gerade in die Handschuhe. „Die Temperaturenübertragung von den Außenfühlern ist unterbrochen. Mal nachsehen." „Wird wieder ein Sensor sein." „Ja, sie sind mächtig empfindlich, die Dinger. Vor allem gegen Erschütterungen."
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„Was war das vorhin, Professor?" Der Wissenschaftler war weitergegangen und stand schon an der Klimaschleuse beim Hauptausgang. „Ein Erdstoß", sagte der Geologe, „Stärke vier. Aus Osten. Nichts Besonderes." Die Schotten zischten auf und zu. Der Professor verließ die Station. Der Colonel legte sich auf sein Feldbett und drehte noch ein wenig am Radio. Minuten später erfolgte eine Durchsage über Lautsprecher. „Mister Rosenberg in den Periskopraum!" Im Halbschlaf hörte es der Colonel und wurde sofort hellwach. Rosenberg war ihr Experte flir alles, was mit Fotografie, Videografie, Filmen und Filmauswertung zu tun hatte. Im Periskopraum gab es einen ausfahrbaren Mast. Die Optik darin erlaubte Rundblicke bis zum Horizont und zu den Sternen, ohne daß man ins Freie trat. Der Colonel war sofort auf den Beinen. Er eilte den Gang entlang, die Treppe hinauf und durch den Eistunnel zum Radardom Nr. 2. Dort waren die Leute von der zweiten Wache schon versammelt. Der Professor, jetzt allerdings ohne Vermummung, und auch Rosenberg, der seine Videokamera an das Verbindungsglied am Periskopsockel klemmte. Die Kamera lief. Er selbst hatte die Augen an die gummigepolsterte Sehmuschel gepreßt und drehte das Periskop langsam, als vollführe er einen Kameraschwenk. „Überall das gleiche", murmelte er. „Nicht zu fassen."
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„Was gibt's?" wandte sich der Colonel an den Professor. Der rauchte hastig. „Ich trete raus und traue meinen Augen nicht. Der ganze Himmel übersät mit Silberflitter." „Bei Wetteränderung kommt es oft zu extrem sternklaren Nächten." „Er hängt voller Silberdollar, als hätte man eine Million davon aufgehängt und mit Scheinwerfern angestrahlt." „Hochstehende Objekte werden von der rundum laufenden Sonne getroffen." „Welche Objekte bitte?" fragte der Professor. „Wer hat hier den Himmel für einen Faschingsball dekoriert? Sie kennen doch diese Feuerwerksraketen, Colonel, die man abschießt und die dann silberne Wasserfälle oder Spiralen bilden. Genauso sieht es draußen aus. Nur, daß die Erscheinung nicht vergeht. Das Firmament strahlt von Horizont bis Horizont wie mit Lametta geschmückt." Kopfschüttelnd blickte der Colonel durch das Periskop. Dann gingen sie hinaus. Das nicht erklärbare Phänomen eines silbrig glitzernden Himmels, als rasten die Sterne aller Galaxien auf die Erde zu, hielt ungefähr zwei Stunden an. Dann hatten die Höhenstürme, die dem Wetterumschwung vorausgingen, den Zauber verwehrt. Die Experten der Polarstation Columbia bastelten an einer Erklärung und glaubten bald, eine gefunden zu haben. - Möglicherweise als Folge des schwachen Bebens war irgend etwas in die oberste Stratosphäre
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geraten und hatte von dort das Sonnenlicht reflektiert. Man hoffte, daß auch andere Beobachtungsstationen die Erscheinung registriert hatten, und setzte eine Meldung zur Zentrale in Omaha ab.
Der norwegische Walfänger Prinsesse Astrid lief schwerbeschädigt in Kirkenes ein. Er sah aus, als wäre er unter einen Supertanker geraten und dann noch bei Nebel gegen ein Riff gelaufen. Nur mit äußerstem Einsatz war es der Besatzung gelungen, ihn in den rettenden Fjord zu bringen. Nach einem fürchterlichen Schlag, erzählten die Seeleute, sei der Walfänger gekentert. Aber wegen seiner soliden Konstruktion und seiner Formstabilität habe er sich wieder aufgerichtet wie ein Segler mit Bleikiel. Doch danach sah das Schiff schlimm aus. - Rudermaschine ausgefallen, Hauptmaschine ausgefallen, Hilfsmaschinen ausgefallen. Es gab keinen Strom, und ohne Energie arbeiteten die Pumpen nicht. Und das alles am Rande des Packeises bei 35 Grad minus. Der Kapitän war einem Rudel Blauwale gefolgt. Seit einigen Jahren hatten die Wale jedoch eine merkwürdige Taktik entwickelt. Sie verdrückten sich unter das Eis und kamen nur zum Blasen hervor, wenn sie aus- und einatmeten. Dann mußte man sie kriegen. Zwei dieser Meeresriesen hatten sie bereits
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geschossen, mit Preßluft gefüllt und mit Peilsendern markiert, damit das Fabrikschiff sie fand. Und plötzlich war es geschehen, von einer Sekunde zur anderen, kurz vor Mitternacht. Eine Titanenfaust hatte sich aus der See erhoben und auf sie eingehämmert, als gelte es ein Insekt zu zerschmettern. Ein Gebirge aus Wasser und Eis hatte sie tosend unter sich begraben. Ihre damalige Position war in der Barents-See gewesen, auf Höhe von Franz-Josef-Land, etwa 80 Grad Nord, aber in internationalen Gewässern. Seitdem vor Jahren mehrere Walfänger spurlos verschwunden waren, traute sich kein Kapitän mehr in sowjetisches Hoheitsgebiet. Dort wimmelte es von ein- und auslaufenden russischen U-Booten. Sie übten Angriffe auf alles, was die Fünfzig-MeilenZone nicht einhielt. Und das mit scharfen Torpedos. Kapitän Rasmussen konnte anhand von Seekarte und Logbuch nachweisen, daß er weit genug von den sowjetischen Eismeerinseln entfernt gewesen war. Aber diese gigantische Faust, diese Urkraft, die sein robustes Schiff fast vernichtet hatte, blieb Kapitän Rasmussen ein Rätsel. Deshalb bestand seine Logbucheintragung auch nur aus folgenden nüchternen Worten; Wurden von Grundsee erfaßt. Vermutlich ausgelöst durch Seebeben. Am Nachthimmel wurden kurzfristig polarlichtartige Erscheinungen festgestellt, silberfarben, ungewöhnlich stark. Längere Beobachtung nicht möglich, da alle Kräfte auf Rettung des Schiffes konzentriert. Sie hatten gekämpft, wie selten eine Walfängerbesatzung vor ihnen. Sie hatten die Lecks gedichtet,
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hatten das Schiff per Hand ausgepumpt, hatten die Generatoren wieder zum Laufen gebracht und einen der Hauptdiesel. Um Hilfe rufen, konnten sie nicht, denn die Masten und Antennen waren über Bord gegangen So hatten sie den Rückweg angetreten. Bei 35 Grad minus. Hoffend, daß es sie nicht noch einmal erwischte. „Wir hätten", erzählte der Kapitän später, „gebetet. Aber dazu blieb uns verdammt keine Minute Zeit. Gott hat uns auch so geholfen." Die Schäden an dem Walfänger, das Logbuch und die Aussagen der Besatzung waren Beweis dafür, daß man nicht versuchte, irgendeinen seemännischen Fehler zu vertuschen. Etwa das Rammen eines Eisberges in der Hitze der Jagd oder daß man den Walen zu tief in die tückischen Schelfeisbuchten, die sich plötzlich zusammenzogen wie Zieharmonikabälge, gefolgt wäre. Die Werft schätzte die Reparaturkosten auf mehrere Millionen Kronen, worauf die Versicherung vor Erstattung des Betrags eine Seeamtsverhandlung forderte. - Dem wurde stattgegeben. Aber auch vor Gericht war keiner der Kapitäne in der Lage, eine andere Erklärung zu finden, als daß es sich um eine jener gewaltigen Grundseen, die Energien von mehreren Atombomben entwickelten, gehandelt haben müsse. Woher die Riesenwelle gekommen war, ob ein Seebeben sie ausgelöst hatte, diese Frage konnte niemand beantworten. Einer der Aquaphysiker meinte, die Welle könne nur von Osten gekommen sein.
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„Solche verheerenden Grundseen", erklärte er, „benötigen einen sehr langen Anlauf. Um ihre Energien zu entwickeln und zu speichern, müssen sie Tausende von Meilen durch die Meere rollen, und zwar ungehindert und nicht durch Festlandsockel abgelenkt. - Wenn wir uns die Karten ansehen, liegt im Westen Spitzbergen wie ein Riegel vor. Nur im Osten fand die Grundsee die nötige Weite. Also kommt sie aus der Sibirischen See." Dann machte der Sprecher allerdings eine Einschränkung: „Meiner Meinung nach."
Der Weltluftverkehr hatte nie Pause. Zu jeder freien Minute befanden sich überall rund um die Erde immer Maschinen in der Luft. Die Radarschinne waren stets voller auftauchender und verschwindender Punkte. So fiel nicht weiter auf, daß die planmäßige Boeing 747 der American Airlines auf ihrem Flug von Anchorage/ Alaska nach Oslo über dem Nordpol geringfügig vom Kurs abkam. Der Pilot begründete es damit, daß er einem hochreichenden Tief auswich. Daß seine Abweichung aber mehr als dreihundert Meilen betrug, hatte der Flugkapitän nicht im Cockpit seines Jumbo-Jet entschieden. Das war zwölf Stunden vorher im amerikanischen Verteidigungsministerium beschlossen worden. Deshalb auch der programmwidrige Pilotenaustausch in Alaska kurz vor dem Start. Erst hatte es eine Verzögerung gegeben. Angeblich
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stand der zum Volltanken benötigte Treibstoff nicht in der nötigen Menge und Spezifikation zur Verfügung. Als dann aber eine zweisitzige F-15 der U.S. Air Force gelandet war, wurde auch der Jumbo plötzlich vollgetankt. Allein diese Vorgänge durchschauten nur wenige Eingeweihte. Aber es kam noch besser. Buchstäblich in der Minute vor der Startfreigabe erschien der Chefpilot der AA-Linie im Cockpit. Er zeigte dem Flugkapitän ein Telex der Firmenzentrale, wodurch er beauftragt sei, diesen Flug zu übernehmen. Der Kapitän fragte - was sein gutes Recht war nach Gründen. Sie wurden ihm genannt. Angeblich sollte er für einen erkrankten Kollegen auf der Australien-Route einspringen. Die erfahrenen Piloten blickten sich kurz in die Augen. Ohne daß weitere Worte gewechselt wurden, wußte der Linienkapitän Bescheid. Sein Chefpilot war Luftwaffenoberst der Reserve. Vermutlich steckte ein militärisches Problem dahinter. Der Kapitän verließ seinen Platz. Als sie sich draußen auf der Gangway die Hand schüttelten, sagte der abgelöste Kapitän: „Sehen Sie zu, Jim, daß es Ihnen nicht so ergeht wie dem Kollegen der Japan Airlines vor zwei Jahren. Er kam bei Sachalin zufällig vom Kurs ab. Dabei erwischte ihn eine MG-6-Rakete. Viel Glück, Jim!" Den AA-Jumbo traf keine Russenrakete. - Selbstverständlich wurde seine Kursabweichung vom neuen sowjetischen Superradar in Krasnojarsk
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erkannt, aber die Russen ergriffen keine Gegenmaßnahmen. Vermutlich deshalb, weil der amerikanische Düsenjet zwar den Komsomolez-Inseln, den nördlichsten der Welt, nahe kam, sie aber nicht überflog. Zwar streifte er Kap Molotow auf 27 000 Fuß Höhe, geriet dabei aber keine Meile auf sowjetisches Territorium. Während des ganzen Fluges hatte der Chefpilot mit seinem Copiloten und dem Flugingenieur nur das allernötigste gesprochen. Auch die 376 Passagiere waren über den Umweg nicht informiert worden. Wozu auch. Der Jumbo hatte Höhenwinde im Rücken und würde pünktlich in Oslo ankommen. Etwa eine Stunde, nachdem der Chefpilot die Flugroute ausgebaucht hatte, sagte er: „Sie können wi eder nach Westen drehen." „Kurs Oslo, Sir" bestätigte der Copilot. „Ja, Direktkurs." Die Boeing 747 landete mit nur vier Minuten Verspätung, die jedoch von der Flugleitung verursacht wurden, auf dem Osloer Airport. Die Nachtpause bis zum Weiterflug nach New York nützte der Chefpilot auf besondere Weise. Ein schwarzer Chevrolet mit Diplomatenkennzeichen brachte ihn zur US-Botschaft. Dort übergab er seine Armbanduhr einem Experten aus dem norwegischen CIA-Team. Die Ersatzuhr, die er dafür bekam, glich der seinen weitgehend. Sie war lediglich zwei Millimeter flacher, denn sie enthielt keine hochwertige Spionagekamera. „Aufpassen mit dem Film", riet der Chefpilot der AA. „Diese Fotos gibt es nur einmal."
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„Wird gemacht, Colonel", versicherte der Agent. Dann telefonierte der Chefpilot vom Zimmer des Botschafters aus mit Washington. „Die Sicht war exzellent bis brillant", meldete er. „Trotz der Dunkelheit war es zu erkennen." „Gab es noch Feuer?" fragte der Mann im Pentagon. „Nein, das war wohl erloschen, Sir." „Wie stellt es sich dar?" „Wie ein schwarzer Fleck, Sir. Deutlich auszunehmen in Schnee und Eis." „Eckig oder rund?" „Eher oval." „Und wo genau?" „Nicht weit von der Stelle entfernt, wo wir es einpeilten." „Auf den Komsomolez-Inseln also." „Auf dem Außenministerkap", bestätigte der Chefpilot Sie nannten es so, weil der nördlichste Punkt der Inselgruppe den Namen eines ehemaligen sowjetischen Außenministers führte: Molotow. „Noch irgendwelche Besonderheiten, Colonel?" „Ich hoffe, die Fotos zeigen mehr." „Wann liegen sie vor?" „Wie ich hörte, bringt sie ein Kurier mit dem Nachtflug rüber." „Wir warten darauf", erklärte der General im Pentagon. „Wir alle hier, die CIA und auch der Stab des Präsidenten, sind höchst beunruhigt." „Was meldet der Satellit, Sir?" „Der nächste Durchlauf durch dieses Planquadrat erfolgt erst in siebenundvierzig Stunden."
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„Bis dahin wissen wir längst Bescheid", versicherte der Chefpilot. „Hoffentlich." Aus Washington vernahm er noch ein unterdrücktes Seufzen. Kein Zweifel, die verantwortlichen Stellen gerieten allmählich unter Druck.
2. Die elegante Penthouse-Galeriewohnung im Münchner Stadtteil Schwabing hatte dreifach verglaste Fenster. Zwischen den Hohlräumen der Scheiben befand sich noch eine besondere Gasfüllung. Wozu sie gut sein sollte, das hatte der Eigentümer der Wohnung, der BND-Agent Robert Urban, nie ganz durchschaut. Angeblich verbesserte das Gas geringfügig die Schall- und Temperaturundurchlässigkeit. Seine Reinemachefrau pflegte zu sagen: „Allet Fillefanz. Da sputniken se aufm Mond rum, aber daß de Fänster nich dreckich wem, harn se noch nich erfunden." „Ich war noch nicht auf dem Mond", pflegte Urban sich zu entschuldigen. Doch sie entgegnete stets: „Aber es sin Ihre Fänster. Und ob Se nich doch aufm Mond mitwaren, wer weiß dat bei Ihre Lebensgewandel." Bei geschlossenen Fenstern hörte man von dem Verkehr auf der Leopoldstraße wirklich nur sanftes Rauschen. So wie er es liebte. Ruhe, aber nicht fern aller Menschen und Straßenkreuzungen. Gar nicht hingegen schätzte er, wenn nachts die
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Telefone bis hinauf ins Schlafzimmer bimmelten. Das Götz-Zitat half wenig. Also hob er ab. „Zwei Uhr bitte", meldete er sich. „Guten Morgen", dröhnte eine Stimme, vielmehr das gepflegte Organ eines Mannes, den er sehr schätzte, nämlich des Vizepräsidenten des BND. Vielleicht war seine Zunge nicht mehr so leicht wie am hellen Tag. „Urban, dieser Anruf hat sehr profanen Charakter", sagte er. Im Hintergrund sprachen Leute, eine Frau lachte, man hörte auch Musik. Etwas eher Konservatives in der uralten Foxtrottrichtung. In seinem hanseatischen, ein wenig britisch genäselten Tonfall fuhr der Vize fort: „Sind Sie mir einen Dienst schuldig, Bob?" „Nein. Aber Sie sind mein Vorgesetzter." „Aber Sie sind auch kein Fahrer. Andererseits habe ich Kopfschmerzen. Die Gesellschaft dauert noch an. Mein Chauffeur ist erst für fünf Uhr bestellt, und ich kann ihn nicht erreichen. Wochenende, Sie verstehen. Taxi ist auch keines zu bekommen. Wäre es sehr unverschämt, wenn ich Sie bäte..." „... Ihnen eine Tablette zu bringen? - Aber wo denken Sie hin." Urban kannte den Vizepräsidenten. Die Gründe, die er anführte hatten alle kein Gewicht. Da lag etwas anderes vor. „Wo?" „Also erst mal Generalrichtung Tegernsee." Urban bekam die Adresse. „In einer Stunde", sagte er.
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Es war die Villa eines Industriellen, der glaubte, auch in der Politik mitmischen zu können. Man ließ ihn bei dem Glauben. So schwang er große Reden, bewegte aber nichts. Urban ging gar nicht erst hinein. Er winkte dem Burschen, der die Luxuskarossen bewachte, und beschrieb den Vize: „Sagen Sie einem der Diener, er soll ihm ausrichten, daß ich warte." „Wer wartet?" „Der Fahrer." Mit einem verächtlichen Blick auf Urbans bemoostes BMW-Coupe trottete er davon. Muß ein toller Mann sein, der eine so verhagelte Karre fährt, schien er zu denken. Nach dem herkömmlichen Denkschema hatte er damit recht. Aber es gab auch bucklige Heroen und Klassefrauen, die äußerlich nichts hermachten. Der Lederhosenträger nahm die Stufen zur Terrasse und öffnete die Glasschiebetür. Musik und Lärm schwallten heraus. Urban steckte sich eine MC an. Er genoß das Aroma und die edle Glätte des Goldmundstücks. Schon sah er ihn kommen. Groß, schlank, im Smoking, Trenchcoat übergehängt. Urban blinkte kurz und machte den rechten Schlag von innen auf. Der Vize stieg ein. „Good morning!" Urban wendete, fuhr Richtung München. Der Vize rückte seinen Sitz zurecht und stemmte sich in den Kurven gegen die Spritzwand ab.
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„Natürlich habe ich keine Kopfschmerzen", gestand er. „Dachte ich mir fast." „Ziemlich bescheuerte Party. Nicht mein Fall. Da oben sind zehn Prozent von Bayerns Kapital versammelt, aber alle links gewirkt, was ja Mode sein soll. Wirklich nicht mein Fall. Auch nicht von Ihrer Partei, diese Leute?" „Es geht hoch her", schätzte Urban. „Ja, sie saufen Champagner aus Magnumflaschen. Fragen Sie lieber nicht, was die jetzt feiern." Kurz darauf gab er die Antwort: „Sie feiern die Verschrottung der ersten tausend SS-20-Raketen." „Die lagen doch schon auf dem Schrottplatz", bemerkte Urban. „Sie wurden nur von der Süd- zur Nordseite gekarrt und auseinandergesägt." „Sie feiern es wie die Analphabeten. Ich habe ihnen gesagt, wenn alle Pershing-Zwei und alle Marschflugkörper der Amerikaner zerstört sein werden, bleiben in Europa noch immer viertausend Atomsprengköpfe übrig. Von den Bomben, LanceRaketen und Artilleriegranaten gar nicht zu reden," „Wie reagierte man?" „Sie waren lauter als ich." „Vielleicht", deutete Urban an, „hätten Sie erwähnen sollen, daß es weltweit fünfzigtausend Atomsprengköpfe gibt, die die Erde hundertmal entvölkern können und daß Moskau und die NATO derzeit mehr als sieben Millionen Soldaten unter Waffen halten." „Daß die Sowjets insgesamt sechsundsechzigtausend Panzer haben, siebzehntausend Kampfflugzeuge und zweitausend Kriegsschiffe. Das ließ ich
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unerwähnt, denn man hätte mich als altmodisch verlacht. Wichtig ist nicht die Menge der Waffen, sondern daß man sie vernichtet. Und sei es nur um Prozente. Nicht Fakten zählen, sondern die Gesten." „Wenn man betrunken ist", antwortete Urban, „mag das so aussehen." „Was", wollte der Vize wissen, „würden Sie für feiernswert halten, Bob?" „Über den Daumen gepeilt, die Sprengung von zehntausend Panzern, T-74, Abrams und Leopards." Auf irgendeine Weise wirkte der Vizepräsident nicht so gelassen wie sonst. Eher nervös. „Die Fahrbereitschaft in Pullach", erwähnte Urban, „steht Ihnen Tag und Nacht zur Verfügung. Warum wollten Sie, daß ich Sie abhole?" „Stimmt", erklärte der Vize, „Es hat einen ganz anderen Grund."
Urban nahm nicht die Autobahn, sondern die Straße über Tölz. So hoffte er, schneller nach Grünwald durchzukommen. „Der CIA-Direktor rief mich an", begann der Vize wieder. Das bedeutete nichts. Sie telefonierten oft miteinander. Aber wenn er es erwähnte, gab es wohl eine tiefere Ursache. „Zwischen Fischsuppe, die übrigens zuviel Safran hatte, und gefüllter Flugente holte man mich ans Telefon." „Doch nicht wegen der Galafeuerwerksgeschichte am Nordpol?"
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„Offenbar gibt es neue beunruhigende Erkenntnisse." „Dann ist es schon die Erkenntnis Nummer siebzehn. Die Vermutungen reichen von extremer Polarlichterscheinung bis zu einem Vulkanausbruch, hervorgerufen durch Seebeben." „Aber was steckt wirklich dahinter?" Der Vizepräsident war ein miserabler Schauspieler. Er mochte vielleicht einen Zuschauerraum betreten haben, aber nie die Bühne eines Theaters. Im Grunde war ihm die Sache auch schnuppe. Drüben in Washington hatten sie immer den sogenannten Verdacht des Tages. Sie wurden regelrecht krank, wenn sie nicht etwas hatten, das ihnen Rätsel aufgab. Noch kränker wurden sie allerdings, wenn es nicht möglich war, es auf die schlichte amerikanische Art zu erklären. Möglicherweise traten sie jetzt in dieses Stadium ein, denn sie bastelten schon lange genug an der Lösung. „Sie haben", befürchtete Urban, „ganz wenig im Topf. Aber sie quirlen es so lange herum, bis es schäumt. Und wir schäumen mit." „Aber wir sind gefordert." „Wozu?" bat Urban um Aufklärung. „Daß wir in ihre Hysterie verfallen? Fünfzig Prozent der als brisant eingestuften Fälle erwiesen sich beim Anstechen des Ballons meist als Luft. Sie stank nicht und war nicht einmal heiß." „Aber es könnte etwas dran sein", gab der Vize zu bedenken. ,Zum Beispiel?" „Eine neue Waffe. Rüsten die Sowjets etwa deshalb so bereitwillig ab, weil sie etwas Neues in
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petto haben, das nicht auf der Liste der verbotenen Kampfmittel steht." „Warum testen sie es dann so lautstark?" „Das ist der Punkt. Darum geht es. War es Zufall oder Absicht?" Sie fuhren durch Wolfratshausen und an der Isar entlang. Kaum Verkehr. Die letzten Autos standen in der Garage, die ersten waren noch nicht angelassen. „Unser Netz drüben, was meldet es?" „Schweigen im Walde." „Wie, bitte, wollen wir die Geheimhaltung dann knacken?" Der Vize musterte Urban mit seinen kühlen Buddenbrook-Augen. „Mit Ideen." „Lieber küsse ich einen Spucknapf", bemerkte Urban, „als meine Phantasie damit zu belästigen." „Tun Sie es trotzdem." „Ohne Not?" „Mir zuliebe", sagte der zweite Mann im BND und gähnte. Wenn er etwas nicht schätzte, war es Ungewißheit. „Also, übernehmen Sie, Mister Dynamit." „Ist das ein Befehl?" „Und bitte", faßte der Vize nach, „ungefähr in diesem Jahr." „Ja, heuer noch." Dann schwieg er, denn er war eingeschlafen. Auf den letzten fünfzehn Kilometern bis zur Wohnung des Vize im südlichen Münchner Nobelvorort Grünwald versuchte Urban, sein Gefühl zu analysieren. Es war wie bei der Begegnung mit
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einem neuen Mädchen. Da entwickelte er kurzfristig einen siebenten Sinn. Ähnlich war es bei Konfrontationen mit Problemen. Schrumpften sie auf Nullgroße oder wucherten sie? Und was war das Ergebnis? Ein gutartiges oder ein bösartiges Geschwür? Wenn Krebs, wie kam man ihm bei? Ließ er sich überhaupt bekämpfen, oder umschlang er einen mit Krakenarmen? Für dies alles hatte er einen Sensor entwickelt und ein sensibles Computerprogramm. Allein schon mit der Andeutung einer Andeutung, mit der zwanzigsten Stelle hinter dem Komma, rechnete es los. Diesmal stellte sich der dringende Wunsch ein, die Angel zu holen und eine Hütte in der Südsee zu bauen. Bei Gefahr lautete der Rat seines inneren Seismographen immer so. Egal von wem sie ausging. Von einer blonden Tigerkatze oder einem grauen Tigerhai.
3. Überängstlich, wenn es sich um die Sicherheit der USA handelte, beschloß der amerikanische Geheimdienst CIA, gedrängt von Pentagon und Weißem Haus, zwei Maßnahmen. Die eine bekam den Code Schneeadler, die zweite den Code Moulin Rouge. Der Schneeadler ist ein Vogel, der sich gerne in großen Höhen aufhält und auch über Gletschern nistet. Das Moulin Rouge ist ein Pariser Cabaret nahe Pigalle, wo frivole Songs und nackte Busen dargeboten werden.
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Doch weder der Adler noch die Mühle hatten mit den damit getarnten Kommandounternehmen etwas zutun. Die Operation Schneeadler sah als Ziel einen Punkt wenige hundert Meilen südlich des Nordpols die Operation Moulin Rouge einen Punkt an der Straße zwischen Paris und Madrid vor. Gemeinsam war diesen Operationen, daß sie zu schnell beschlossen und überhastet organisiert worden waren und in ein und derselben Nacht durchgezogen werden sollten.
Ein Atom-U-Boot der Ohio-Klasse näherte sich der Position 82 Nord 96 Ost. Nach Einbruch der Polarnacht tauchte das Unterwasserschiff - es hatte die Tonnage eines kleinen Kreuzers - aus der Tiefe und durchbrach mit seinem Turm das Packeis. Der Kommandant, Fregattenkapitän Robertson, fand die Wettervorhersage bestätigt. Dichter Nebel, Temperatur minus 12 Grad, Wind nullkommafünf Knoten aus NW. „Dann los!" befahl er seinem Ersten Wachoffizier. Mehr war nicht zu sagen. Die Prozedur war bis zur Vergasung exerziert worden. Zunächst baute das Boot ein radarabweisendes Feld um sich herum auf. Es hatte Ähnlichkeit mit jenem Magnetismus, den Nordlichter abstrahlen und damit Funkwellen wie Radarfrequenzen mächtig durcheinanderbringen. Im Schutz dieser Rosa Wolke, wie die Amerikaner
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sie nennen, wurde der wasserdichte Deckhangar bei diesem Boot eine Verlängerung des Turms um neun Meter nach achtern hin - geöffnet. Kaum waren die Torflügel aufgefahren, hakte man innen ein Drahtseil an ein auf vier Vollgummirädern laufendes Gestell. Die Elektrowinde zog an, und das Gestell kam ins Freie. Darauf ruhte ein Hubschrauber vom Typ Hughes-Defender. Dieser zweisitzige leichte Kampfhubschrauber war speziell zum Transport in Containern ausgelegt. Der Hauptrotor ließ sich zusammenklappen, ebenso der Heckrotor. Binnen weniger Minuten war der Hubschrauber klar. Die vorgewärmte Allison-Turbine sprang sauber an. Die Piloten meldeten sich beim Kommandanten ab. „Zwei Dinge", vergatterte Robertson sie noch einmal, „sind obligatorisch: Alles sehen und nicht gesehen werden." Das knapp sieben Meter lange Gerät startete mit dem singenden Ton eines giftigen Insekts und verschwand, kaum daß es abgehoben hatte, im eisigen Nebel. Das Radar verfolgte den Hubschrauber auf seinem Flug über das Packeis bis zu den KomsomolezInseln. Er steuerte in gerader Linie Kap Molotow an. Die Entfernung bis zum Ziel betrug hundertzehn Meilen. „In vierzig Minuten sind sie da", rechnete der Erste Offizier, die Stoppuhr in der Hand. Dann stiegen sie, wegen der Kälte, wieder ins Innere des Kommandoturmes. Alle Systeme waren auf Alarm geschaltet. Was auch immer sich dem U-Kreuzer näherte, sei es unter 25
Wasser, auf dem Eis oder in der Luft, wurde so rechtzeitig erkannt, daß Zeit zur Identifikation und notfalls zu seiner Vernichtung blieb. „Sonarraum", rief der Commander, „aufpassen! Hier oben sind jede Menge russischer Jagd-U-Boote unterwegs. Sie verfügen über fast lautlose Antriebe." „Er fliegt zu hoch", meldete der Mann am Hubschrauberverfolgungsradar. ,,Kein Wunder, bei dem Nebel." „Die Russen haben eine automatische Radarstation dort." „Die haben wir heute nacht geblendet." „Die Blendung hält nur we nige Stunden an, Sir. Jetzt geht er runter und gerät außer Sicht." „Dann hat er das Vorgebirge hinter sich." Der Hubschrauber hatte Befehl, Kap Molotow zu überqueren, landeinwärts eine weite Kurve zu fliegen und dort Messungen durchzuführen. Eine Elektronik-Gondel unter dem Rumpf besorgte das selbsttätig. Gemessen wurde, wozu Sensoren fähig waren. Geräusche, Strahlung, Magnetismus, Temperatur, Luftzusammensetzung. Das Mastix-Gerät, dessen Augen auch durch Nacht und Nebel drangen, fotografierte und nahm alles auf Video. Der Kreisbogen, den der Hughes-Defender schlug, hatte einen Durchmesser von zwanzig Meilen. In seinem Zentrum mußte jener geheimnisvolle Punkt liegen, von dem alles ausgegangen war, wovon man zwar die Wirkung, nicht aber die Ursachen kannte. Nach weiteren fünfzehn Minuten meldete der Mann am Verfolgungsradar. „Sie kehren zurück, Sir."
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Da absolute Funkstille befohlen war, gaben die Helikopterpiloten ein besonderes Signal. Für Sekunden schalteten sie das Eigenerkennungsgerät ab. Damit zeigten sie an, daß sie in fünfunddreißig Minuten landen würden. „Sieht gut aus", sagte der I. Offizier, und fast im gleichen Moment: „Mein Gott, was ist das?" Der grüne Punkt am oberen Rand des Radarschirmes war ihr Hubschrauber. - Diesem Punkt näherte sich vom unteren Rand her etwas ebenfalls Grünes. Aber mindestens viermal so schnell und, wie es aussah, unaufhaltsam. „Verdammt, eine Rakete!" „Haben die hier oben auch Raketenstellungen?" „Vielleicht ein paar automatische Starter." An Bord des U-Bootes verfügten sie über die nötige Einrichtung, diese Abwehrrakete zu erkennen. Der Hubschrauber hatte diese Einrichtung nicht. Also durchbrachen sie die Funkstille. „Achtung, Schneeadler! Sam im Anflug aus zwei eins null." Das genügte. Der Hubschrauber reagierte sofort. Der Pilot fing zu tanzen an. Walzer und Polka, Tango und Samba. Er pendelte nach allen Seiten aus, auch was seine Höhe betraf. Die Piloten taten, was sie konnten, um den Suchkopf der Boden-Luft-Rakete zu irritieren. Vermutlich würden sie jetzt ihr Abwehrsystem aktivieren. Sie verfügten über eine einzige AIM-OK-Sidewinder, mit der sich zur Not auch Raketen stoppen ließen. Zuerst aber öffneten sie wohl den Kasten mit den Stanniolstreifen, die den Suchkopf des Angreifers
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ablenkten. Das Radar zeigte deutlich, wie sich der Punkt aufblies. War er vorher groß wie eine Haselnuß gewesen, wuchs er jetzt zu einem Hühnerei. „Sie tun, was sie können, Sir." Der Hubschrauber ging so tief wie möglich, ohne sich ins Es zu rammen. Es schien, als suche er hinter jedem Hügel, hinter jedem Schneehaufen und in jeder Mulde Deckung. Aber der Lichtpunkt der Sam-Rakete näherte sich erbarmungslos. Er machte jede Kursänderung des Objekts mit. Vom U-Boot aus bekamen die Piloten Kurs und Abstand der angreifenden Rakete. Im Hubschrauber behielten sie die Nerven und feuerten die Sidewinder erst ab, als Aussicht bestand, die Sam auch zu treffen. Die Sidewinder zischte los, näherte sich dem Angreifer, aber dann überkreuzten sich die Kurse. „Daneben", meldete der Funkoffizier des OhioBootes. „Was jetzt?" „Sie haben noch eine einzige Chance", erklärte der Commander. „Die Sam ist eine Boden-Luft-Rakete und nicht auf Erdziele programmiert." „Treffer in zehn Sekunden, neun, acht. . ." Der Commander nahm das Sprechfunkmikro in die Hand. „Landen, Schneeadler!" befahl er. „Landen! Laßt euch fallen wie ein Stein." Offenbar hatten die erfahrenen Piloten dieses letzte Manöver schon eingeleitet. Sie gerieten außer Sicht „Die haben blitzartig geschaltet", kommentierte einer.
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In den nächsten Sekunden jagte die russische Abwehrrakete über den Hubschrauber hinweg und verschwand irgendwo mit Kurs auf Kap Molotow. Nach Minuten, als die Gefahr, daß die Rakete sich wieder nähern könnte, nicht mehr bestand, erschien der Hubschrauber wieder als Radarpunkt. Um 22.00 Uhr Ortszeit setzte er am Landekreuz des Ohio-Bootes glatt auf. Kaum war er im Hangar, tauchte das Boot. Die Meßergebnisse wurden sofort im Labor ausgewertet und per Unterwasserfunk zur Basis in NeuEngland gemeldet. Dies nahm nahezu eine Stunde in Anspruch. Aus zweihundert Meter Tiefe benötigte jeder einzelne Buchstabe mehrere Sekunden, um die Empfangsantenne - eine am Meeresboden vor der US-Ostküste ausgelegten Schleife von sechzig Meilen Durchmesser - zu erreichen. Die sehr gewagte Operation Schneeadler brachte keine neuen Erkenntnisse. Die radioaktive Strahlung bei Kap Molotow war geringer, als im Garten hinter einer Dorfkirche. Die überirdische Explosion einer Atombombe schied mithin aus. Das riesige schwarze Oval, im März aus einer Linienmaschine der AA fotografiert, war mittlerweile von einer Schneeschicht bedeckt. Beim Vergleich mit älteren Satellitenkarten ergab sich jedoch, daß diese Senke vor drei Monaten noch nicht vorhanden gewesen war. Die Luftzusammensetzung glich den Werten in Polnähe. Sie mochte etwas besser sein als im New Yorker Centralpark, aber die allgemeine Vergiftung machte jetzt auch von entfernten Territorien nicht mehr halt.
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Die Ergebnisse ließen also keinerlei Rückschlüsse auf die Vorgänge in jener Februarnacht im Nordpolbereich zu. Das beunruhigte die Verantwortlichen, und man hoffte sehr, daß die Operation Moulin Rouge erfolgreicher sein würde.
Es war ein trüber, regnerischer Abend in Paris, als sich die Citroen-CX-Limousine, besetzt mit zwei Mann mittleren Alters und Aussehens, in Bewegung setzte. Aus einer Seitenstraße der Rue Richelieu folgten sie dem Reisebus durch die Stadt bis zum Autobahnring und weiter bis zur Südautobahn. Dort ließen sie sich zurückfallen. Der Bus konnte ihnen nicht mehr entwischen. „Ein mieses Hotel, ein alter Bus, billiger geht's wohl nicht mehr", bemerkte Frazer. „Russen haben wenig Geld", antwortete Floyd, der Fahrer des CX. „Moment mal, sie sind das beste Grand Ballet der Welt und tanzen vor ausverkauften Häusern. Das macht doch Kasse, oder?" „Zur Aufbesserung der Devisenlage der Sowjetunion. Transport, Unterkunft und Verpflegung haben sie frei. Darüber hinaus erhält jeder pro Tag zwanzig Francs Taschengeld." Der im angekippten Sitz neben dem Fahrer rechnete. „Zwanzig Francs sind knapp vier Dollar. Mann, damit kannst du Sprünge machen." „Nicht mal wie ein Floh", bemerkte der Fahrer. Er
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trug den gleichen grauen Flanellanzug wie sein Kollege. „Jeder nur vier Dollar, egal ob Star oder Leibwächter, ob Primaballerina oder Garderobiere." „Es lebe der Sozialismus", spottete der andere. „Aber was, bitte, reizt einige von ihnen, höher zu hüpfen oder eine Pirouette mehr zu drehen? Was zum Beispiel reizt ihren Superstar, diese Wera Carlowa, härter zu arbeiten?" „Der Ruhm und wohl auch ihre Privilegien in Moskau. Als Primaballerina gehört man dort zur Elite, zur Kaste der Nomenklatura, die alles hat, alles kriegt, alles darf." „Nur hier dürfen sie nicht mal vier Dollar ausgeben. Die hängen doch alle an der Kette wie Sträflinge." „Ein Schritt abseits und du bist reif." „Für Sibirien." „Sie wenden jetzt subtilere Mittel an." Der Bus vor ihnen fuhr langsamer. Die Autoroute zog sich über eine lange Steigung hin. Der alte Diesel mußte sich quälen. Dabei stieß er schwarze Wolken aus dem Endrohr. „Na ja", meinte der neben dem Fahrer. „Wera Carlowa ist eben ein Sonderfall." „Wären wir sonst hinter ihr her?" Sie rauchten beide. Der eine Pfeife, der andere Zigarillos. Nach drei Stunden, schon südlich von Dijon, bekamen sie Durst. Zwar hatten sie Bourbon dabei, aber Whisky war kein Bier und erst recht kein Kaffee. „Halten die denn niemals an?"
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„Schätze, sie führen ihren Tee in Thermosflaschen mit." „Pinkeln müssen sie auch nicht." „Ein Russe kann sich beherrschen." „Und notfalls?" „Dafür gibt es Töpfe." „Wie bitte? Männer und Frauen in einem Bus pissen alle in einen Eimer?" „Ich bitte dich, Frazer, seit wann zählst du Ballettänzer zu den Männern." Es ging auf 23.00 Uhr. Ausfahrt Macon kam, dann Lyon. Der Fahrer klopfte immer öfter auf die Benzinuhr. „Muß bald tanken." „Der Bus nicht. Schätze, sein Diesel reicht bis Madrid. Ob die so verrückt sind und ohne Pause durchrauschen?" „Verrückte Handlungen sind die Folge von verrückten Befehlen", meinte der andere. „Ich hörte von unserem Vorermittler, daß sie auf halbem Weg übernachten." „Das wäre ungefähr in Narbonne." „Noch vier Stunden mindestens." „Vor drei Uhr kommen sie also nicht ins Bett." „Dann sind sie todmüde. Um so besser für uns." Floyd überholte den Bus und tankte bei Montelimar. Dann warteten sie, bis der Bus vorbeikam und hängten sich wieder an. Sie hatten sich am Lenkrad abgewechselt. Der im Beifahrersessel schlief ein. Es fing zu regnen an. Südlich von Orange, wo die Autobahn ins Languedoc abbog, wurde es stürmisch. Der Mistral griff voll zu. Dafür regnete es jetzt nicht mehr. „Möchtest du Russe sein?" fragte der Fahrer.
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„Nicht mal General." „Die führen ein flottes Leben, wie man hört." „Wir doch auch, oder?" Sie sprachen englisch, doch als sie in Narbonne ihren Citroen geparkt hatten und ausstiegen, um zu beobachten, wie die russische Balletttruppe den Bus verließ und geschlossen die Straße zum Hotel hinübermarschierte, sprachen sie nur noch französisch. Unter den Platanen warteten sie, bis sich die Ballett-Kompanie mit ihren Plastikköfferchen im Hotel versammelt hatte. Dort wurden die Zimmer verteilt und die Personen nach einem ausgeklügelten System einander zugeordnet. „Ich gehe jetzt rein." Frazer wartete noch, bis die Russen verschwunden waren, dann fragte er den Nachtportier, ob er ein Zimmer haben könnte. Der bedauerte. „Wir sind komplett, Monsieur." Frazer schob einen Hundertfrancsschein über die Tischplatte. Der Nachtportier wurde regelrecht traurig. „Nicht für tausend auch nur eine Bettritze, Monsieur." „Darum geht es nicht. Können wir offen reden?" „Ich bin allein. Das übrige Personal schläft." Frazer, im grauen Anzug und mit Fred-AstairGesicht, sagte: „Die Ballerina assoluta, wo schläft sie?" „Wen meinen Sie bitte?" „Wera Carlowa. Die kennen Sie gewiß von den Plakaten her."
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Der Nachtportier steckte sich eine Gauloises an. „D'accond! Sie hat Zimmer vierzehn, also vier im Ersten." „Ein Einzelzimmer?" „Nur sie und der Ballettmeister haben Einzelzimmer." Frazer dämpfte die Stimme. „Ich muß die Dame sprechen." „Grand amour! Eh bien." „So ist es. Darf aber niemand merken. Überall lauern die Leibwächter." Der Portier riet dem Fremden, sich noch eine Stunde zu gedulden und dann hinaufzugehen. „Sie sperrt gewiß ab." „Dann klopfen Sie eben." „Das hört man." „Ich überlasse Ihnen..." Der Portier zögerte, aber ein weiterer Hunderter nahm ihm seine Bedenken. „... den Passepartout, den Hauptschlüssel. Wenn die Dame ihren Schlüssel innen stecken läßt, dann haben Sie allerdings Pech." Frazer besaß einige Erfahrung, was Schlüssel betraf. „Sie ist nicht so naiv, sie weiß, daß ich sie besuche. Aber wie komme ich herein?" „Der Generalschlüssel öffnet auch die Hintertür. Gehen Sie durch den Hof und durch die Küche ins Haus. Ich lasse an der Treppe Licht brennen." „Merci", dankte Frazer. „Mehr kann ich nicht tun, Monsieur." Sie warteten. Vom Wind abgesehen war es eine laue Nacht. Um vier Uhr, es war noch dunkel, gingen sie los.
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Frazer hatte den 38er im Hosenbund, Floyd, sein Partner, tastete nach dem Fläschchen voll Äther und dem Mull. Unbemerkt betraten sie das Hotel Etienne. Die Treppe knarrte. Prompt steckte bei 14 innen der Schlüssel. Sie fummelten ihn aus dem Schloß und standen dann im Zimmer. Floyd richtete den Lampenstrahl auf die Primaballerina Wera Carlowa. Sie wachte auf und erschrak. Sie versuchte zu schreien. Floyd preßte die Hand auf ihre Lippen. Frazer bewegte den 38er vor ihren angstvoll geweiteten blauen Augen. Dabei riß er ihr die Decke weg. Die Russin hatte nichts an. Sie war Nacktschläferin. Von ihren Reizen interessierten ihn nur die Beine. Er bohrte den Lauf des 38er in ihre linke Kniescheibe. „Einen Ton", zischte Floyd auf russisch, „und wir schießen. Entweder du tust lautlos, was wir befehlen, oder wir zerschmettern dir das komplizierteste Gelenk, über das ein Mensch verfügt. Dann ist es aus mit deiner Glanznummer, mit dem sterbenden Schwan, Baby." Sie war blaß und einer Ohnmacht nahe. Vorsichtshalber verschlossen sie ihr die Lippen mit Klebeband. Sie mußte sich anziehen, ihre Sachen in den kleinen Koffer werfen und mitkommen. Erst als die Russin hinten im Citroen saß, kam sie einigermaßen zu sich. Sie riß das Leukoplast von den Lippen und keuchte: „Was haben Sie vor? Wohin bringen Sie mich?"
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„In Madrid wird die zweite Besetzung für dich tanzen", antwortete Frazer. Offenbar hatte sie die Drohung, daß man sie rollstuhlreif schießen würde, vergessen. Sie versuchte, sich zu wehren. Sie gebärdete sich wie eine Katze, sie schlug, kratzte, trat und biß um sich. Sie schrie um Hilfe. Aber zu dieser Stunde hörte es keiner. Die zwei Agenten wurden schnell mit ihr fertig. „Mach sie still", riet Frazer. Floyd träufelte von dem Narkosemittel auf den Mull und zwang sie, es einzuatmen. „Fesseln?" „Ist besser." „Man kann sie von draußen sehen. Wird bald hell." „Breite die Decke über sie. In vier Stunden sind wir da." Auf der Fahrt nach Marseille hielten sie noch einmal an, um zu tanken und einen Kaffee zu nehmen. Floyd telefonierte. Er wählte eine Nummer in Paris und faßte sich kurz. „Operation Moulin Rouge", meldete er, „erfolgreich." Auf der Weiterfahrt fragte er seinen Kollegen: „Was, zum Teufel, wollen sie eigentlich mit dieser Hupfdole?" „Solche Fragen stelle ich gar nicht erst." „Kidnapping einer russischen Ballerina, was ergibt das für einen Sinn?" „Besser, du weißt es nicht", meinte Frazer. „Ich habe stets besser funktioniert, wenn ich wußte, wofür ich zu funktionieren habe."
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„Bei mir ist das Gegenteil der Fall", gestand Frazer. „Ich lege Wert auf gute Vorbereitung, Aber nach Gründen frage ich nicht. Das hab ich mir abgewöhnt. Du kriegst ohnehin keine Antwort. Dafür bist du eine Nummer zu klein." Sie hielten schon wieder Tempo hundertvierzig, als Floyd sagte: „Was bedeutet eigentlich Moulin Rouge?" „Die Rote Mühle am Pigalle ist ein Cabaret, ein Nachtclub. Da wird getanzt. Nackte Girls und so. Etwas anderes als ein Tanzgirl ist sie im Grunde auch nicht. Oder?" „Eher weniger", meinte Floyd. „Ich mag Ballett nicht. Wie ich hörte, können Ballettanten nicht mal richtig steppen." „Aber Spitzentanz." „Das macht die Füße kaputt." „Und Whisky macht den Kopf kaputt", erklärte Frazer und setzte die Flasche an. „Cheers!"
4. Bei der Post fand der BND-Agent Nr. 18 einen Faltbeutel. Unfrankiert, denn er war per Kurier gekommen. Absender Claude Isidor Almary. Die CIA wählte meist unverfängliche Namen, achtete aber darauf, daß die Anfangsbuchstaben stimmten. Claude Isidor Almary, das bedeutete CIA oder Central Intelligence Agency, amerikanischer Geheimdienst. Sie hatten Urban angekündigt, daß sie in den nächsten Tagen eine Reihe von Hilfestellungen zur
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Lösung des Falles Nordlicht erwarteten. Hilfestellung Nummer eins befand sich offenbar in diesem Faltbeutel. Urban öffnete ihn und nahm eine Plastiktüte mit grauschwarzem Pulver heraus. Wenige Gramm nur. Das Zeug wog schwer. Etwa so wie nasser Sand. Urban zerrieb etwas davon zwischen den Fingern. Es enthielt ziemlich harte und spitze Körner. Er roch daran. Seine Nase war anerkannt gut. Ein Starkoch hätte seine Freude damit gehabt. Urban fand, daß ein Duft von Schwefel und Sprengstoffschmauch von dem Pulver ausging. Da er kein Begleitschreiben fand, gab er das Pulver ins Labor. Die Analyse erreichte ihn beim Lunch im Casino. „Vulkanstaub", lautete sie. „Ich komme." Minuten später betrat er das Büro des Forschungschefs Professor Stralman im Basement. Die TWA erstreckte sich unter dem BND-Gelände mehrere tausend Quadratmeter weit. Hier konnte so gut wie jede Frage auf wissenschaftlichem Gebiet beantwortet, jede Analyse gemacht, jeder Prototyp eines Spionagegerätes hergestellt werden. Urban pflanzte sich bei Stralman in den Besuchersessel. Der Professor, heute im weißen Labormantel und mit Goldrandzwickel auf der Nase, begann wie stets schulmeisterlich: „Es ist Vulkanstaub von ordinärer Kategorie. Präziser ausgedrückt, zerkleinerte Vulkanasche. Bei der chemischen Zerlegung von Vulkanasche lassen sich Bestandteile bestimmen, die wiederum auf die
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ungefähre Lage des die Asche erzeugenden Vulkans schließen lassen. Aber nur ungefähr." „Nord- oder Südhalbkugel?' wollte Urban wissen. „Nun, etwas genauer geht es schon", meinte der Professor, „denn bei Eruptionen von Vulkanen im Mittelmeerbereich tritt anders zusammengesetztes Magma-Material zutage als bei Vulkanen in Ostasien." „Die Aschemassen werden hochgeschleudert und begeben sich mit den Höhenströmen auf Wanderschaft um die Erde." „Richtig", bestätigte Stralman und steckte die Nuckelpfeife an. Sie röchelte wie eine defekte eiserne Lunge. „Kommt es zur Vermischung von solchen Strömen?" „Selten. Und über den Äquator hinweg wandern sie so gut wie nie. Wir beziehen unser Wissen allerdings nur aus seismographischen und meteorologischen Beobachtungen, sowie aus dem Computer." „Wie lange halten sich solche Aschenwolken da oben auf?" „Mitunter jahrelang. Sie werden entweder abgeregnet oder durch andere Gegebenheiten herabgetragen." „Man kann sie hoch oben also einfangen." Dies bestätigte der Professor. „Durch Flugzeuge, die Luftproben ziehen, oder durch Ballone, die in solche Wolken steigen und dabei Staubproben nehmen, ist das möglich." Urbans Fragen wurden präziser.
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„Stammt diese Probe aus der nördlichen Hemisphäre?" „Im Süden gab es in letzter Zeit keine signifikanten Vulkanausbrüche." „Im Norden etwa?" „Nun, da köchelt immer etwas. In Japan, in Hawaii, auf Martinique. Der Mont Pelé etwa, der Krakatau, der Vesuv, der Stromboli und und und", zählte Stralman auf. „In den letzten drei Monaten?" Stralman rollte mit den Schultern. Er tat es abwechselnd einmal links und einmal rechts. „Da mußt du einen echten Vulkanologen fragen, Junge." Stralman betrachtete Urban von jeher als eine Art Sohn. Aber der Sohn sagte Sie zu seinem Vater. „Gibt es irgendwelche Ursprungshinweise an dieser Asche?" „Kaum. Sobald die Asche am Rand der Stratosphäre schwebt werden sofort gewisse Prozesse eingeleitet. Oxydation, Reaktionen mit Luftbestandteilen wie Säuren, Ozon, Sauerstoff, Kohlenmonoxyd, Sonnenlicht, UV-Strahlung. Möglicherweise liegt der Verursacher dieser Vulkanasche in einem Gebiet mit stark magnesiumhaltigen Erdschichten." Urban bohrte weiter und kam sich vor wie ein siebengescheiter Pennäler. „Wo verlaufen solche Schichten?" „Überall." „Und wo treffen sie auf Vulkane oder umgekehrt?" „Überall", antwortete Stralman wieder. „Aber speziell dort, wo es auch Kohle und Erze gibt. In
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Nordeuropa, im Küstenbereich, auf Inseln, die oft Vulkankegel sind. Asche wird meist von sogenannten Stratovulkanen hochgeschleudert. Man nennt das Vulkanbomben. Unter Druck stehende Gase schießen sie wie durch ein Kanonenrohr ab. Bestandteile dieser Bomben sind meist Lockerprodukte wie Schlacke, Lapilli, Sand und Aschen." Der Professor wußte eine Menge, wenn auch nicht alles. Aber er war ein konsequenter Denker und stellte nun seinerseits eine Frage. „Woher stammt die Asche?" „Von CIA Washington." „Sie wollen etwas von dir." „Anzunehmen." „Warum stellst du ihnen nicht die Fragen, die du mir stellst?" „Werde ich." Urban gestand, daß er sich vorausinformieren wollte, um auf die richtige Weise nachhaken zu können. Sonst belatscherten ihn diese Burschen mit Vulkanchinesisch, und er verstand nur die Hälfte. Wie sich am nächsten Tag, als Washington anrief, zeigte, tappten sie dort selbst im dustern. „Eine unserer Höhenmeßsonden hat den Dreck heruntergebracht", teilte ihm der CIA-Kollege mit. „Wo?" „Aufgelassen wurde die Sonde von der Columbia Station. Vermutlich hatte die Wolke aber das Polargebiet mehrmals umrundet. Inzwischen hat sie sich aufgelöst," „Wann wurde die Probe genommen?" „Ende März."
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„Schon eine Weile her. Warum bekam ich sie heute erst? Wolltet ihr den Abfall vom Tisch haben?" „Allmählich verdichteten sich die Hinweise, daß es sich um Vulkanasche von den sowjetischen Komsomolez-Inseln handelt Aber einen Vulkan im herkömmlichen Sinne gibt es dort nicht. Nur ein abgesenktes Oval von mehreren Meilen Länge." „Gab es dort je Vulkane?" „Wenn ja, dann nur garantiert längst verloschen, also inaktive." Urban glaubte, die Taktik der CIA zu durchschauen. Es war die Blinde-Hennen-Geschichte. Auch eine blinde Henne, so sagt man, findet einmal ein Korn. Sie alle waren blinde Hennen. Aber je mehr blinde Hennen nach einem Korn suchten, um so größer war die Aussicht, daß eine von ihnen es bald fand. „Wie gefallen euch die Fotos?" fragte der Amerikaner. In Urbans Büro war noch keine Akte angelegt worden. Die Fotos lagen irgendwo herum. „Ach je, die Fotos", wich Urban aus. „Was sagt ihr dazu?" „Wenig, denn der Kommentar fehlt. Könnte ebensogut das Foto eines Gänseblümchens sein. Man schaut es an und denkt, na ja, ein Gänseblümchen. Steht aber darunter: Dieses Gänseblümchen ist siebzig Meter hoch, dann denkt man Donnerlittchen, nimmt die Lupe und stellt Fragen." Der Amerikaner lachte ein wenig krampfhaft und erklärte: „Immerhin zeigen die Fotos das phantastischste,
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das grandioseste Brillantfeuerwerk aller Zeiten und Epochen." „Vielleicht mit staunenden Kinderaugen betrachtet", schränkte Urban ein.
Professor Stralman riet, einen Vulkanologen zu befragen. Urban kannte einen. Er hieß Andreas Ponater, war Südtiroler und leicht verrückt. Beim Törgelen in Meran, wo sie sich zum ersten Mal begegnet waren, hatte der junge Wissenschaftler ein furchterregendes Szenario entworfen. „Stellen Sie sich vor", hatte er gesagt, „alle Vulkane dieser Erde brechen plötzlich wieder aus. Dagegen sind eine Million Hiroshima-Bomben gar nichts, nur ein Furz am Himalaja," „Sie sind betrunken, Andi", hatte Urban geantwortet Dr. Ponater aber hatte behauptet, er sei stocknüchtern. Ein Liter Roter mache die Kehle eines echten Südtirolers gerade aufnahmebereit für Speck, Vintschgauer Vorschlag, Nüsse und Maronen. Natürlich war er schon randvoll gewesen, hatte aber weiter von seinen Arbeiten und seinen Theorien erzählt. Daß zwischen den ins Erdinnere reichenden Schlünden der Vulkane ein Zusammenhang bestehe und daß hier unter gewissen Umständen Manipulationen möglich seien. Man müsse das einmal durchrechnen. Sobald er an den geeigneten Computer komme, würde er das tun.
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Auf dem Oktoberfest hatten sie sich noch einmal getroffen, und später hatten sie mehrmals telefoniert. Der Vulkanologe war von Urbans Arbeit so fasziniert wie Urban von der Tätigkeit Ponaters. Ihre Profession sei es, so hatte Ponater formuliert, in die Tiefen hinabzusteigen, bei ihm geologisch, bei Urban psychisch gesehen. Er messe Vulkane aus, Urban lote in die Untergründe des Verbrechens. Urban hatte ihn bei dieser Meinung gelassen. Nun war er unterwegs nach Meran zu Dr. Ponater. Den Brenner hatte er schon hinter sich. Brixen kam. Noch vierzig Kilometer, und er mußte die Autostrada verlassen. Von Bozen fuhr er nach Meran und, nachdem er sich durch dessen Enge gezwängt hatte, das Passertal aufwärts bis Riffian. An einem der sonnigen Südwesthänge, zweihundert Meter über der Passer, hatten die Ponaters ihren Bauernhof. Andis Mutter bestellte ihn mit einem alten Knecht, so gut es ging. Sie trug Schwarz, wie die älteren Frauen hier. Daß sie als Mädchen eine Schönheit gewesen war, sah man heute noch, auch wenn sich Kummer in ihre Züge eingegraben hatte. Sie fing gleich zu jammern an. „So ein paradiesisches Weingut", sagte sie, „und der Bub wäre gerne Bauer geworden. Aber der Pfarrer meinte, er ist begabt und muß studieren. Mein Andi gab sich alle Mühe nichts zu lernen, weil sein Vater es so wollte. Alles war meine Schuld. Ich wollte einen Doktor in der Familie. Er ist so gescheit, konnte bei den Examen gar nicht durchfallen. Das
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habe ich jetzt davon. Nun treibt er sich in der Welt herum, und die Weinberge verkommen." Sie gingen ins Haus. Drinnen war es kühl. In der zirbelholzgetäfelten Stube roch es nach Bienenwachs und ländlichem Wohlstand. Es gab rubinroten St. Martiner, Speck, frische Butter, aus der noch die Milch perlte, und flaches Tiroler Brot. Daß Urban zulangte, schien der alten Dame zu gefallen. Sie lächelte, als stände sie auf dem Turm eines Tiroler Schlosses, Ausschau haltend nach ihrem Ritter, der im Morgenland den Moslems die Köpfe einschlug. „Das letzte Mal war er zur Christnacht hier", erzählte Andis Mutter. „Läßt man eine alte Frau so allein?" „Wo ist er?" „Auf Expedition, wie er es nennt. Möchten Sie wissen, wie ich es nenne? Kaminkehrerei. Er klettert in die Vulkane wie ein Schlotfeger. Warum läßt er nicht von anderen diese rußigen Röhren ausputzen?" „Weil er die Leidenschaft dazu hat", vermutete Urban. „Das ist wichtig für den Beruf. Wo putzt er denn heute die Vulkane?" Sie holte eine Postkarte. „Auf der Insel San Bartolo." Urban schnitt den Speck in dünne Streifen. Das scharfe Messer ging hinein, daß es knisterte. „San Bartolo liegt ja vor der Haustür." „Nur eine Flugstunde bis Mailand. Aber er läßt sich nicht blicken." „Er kratzt also am Stromboli herum", bemerkte Urban. „Schon lange?" „Vier Monate."
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„Wann haben Sie das letzte Mal von ihm gehört?" Sie stand auf, ging zum Spiegel, in dessen holzgeschnitztem Rahmen eine andere Postkarte geklemmt war. „Das kam zu meinem Geburtstag. Im Januar." Man konnte nicht behaupten, daß der Kontakt von Dr. Ponater zu seiner Mutter besonders innig und herzlich war. Er hatte alles Gute gewünscht. Unterschrift: Dein Andreas. Die Karte war Anfang Januar in San Bartolo abgestempelt. „Schade", bedauerte Urban. „Hätte ihn gerne gesprochen." „Ich auch", gestand die alte Dame, „einmal wieder." Sie trocknete ein paar Tränen. Schritte polterten, der Knecht stand unter der Tür, fragte dies und das. Der Knecht ging. Ein Ackerschlepper sprang an und verließ mit einem Faß voll Spritzmittel den Hof. Urban bedankte sich für Speis und Trank, wie es üblich war. „Wenn Sie ihn sehen", bat die alte Dame, „grüßen Sie ihn von seiner Mutter, und fragen Sie ihn, ob er sie ganz vergessen hat." „Wird erledigt", versprach Urban. Als er wieder Richtung Meran fuhr, überlegte er, was zu tun sei. - War Dr. Ponater so ergiebig, daß er ihn ausfindig machen ließ, oder bekam er die nötigen Informationen auch von anderen? Zurück in München unterrichtete er sich über die Positionen der V-Leute in Süditalien. Der BND hatte einen Mann in Palermo. Ihn wegen Dr. Ponater
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extra auf die Äolischen Inseln zu schicken, schien ihm zuviel Aufwand. Deshalb rief er in Rom bei SISMI an. Der italienische Geheimdienst saß überall, auch auf den kleinsten Inseln. Wenn es nicht gegen die Mafia ging, zeigten sie sich immer kooperativ.
Fontebelli war ein Agent aus der zweiten Riege, dort aber einer der zuverlässigsten. Sie hatten in Tripolis zusammengearbeitet. Das lag aber schon Jahre zurück. Fontebelli von SISMI rief Urban aus Lipari an. „Stimmt", sagte er. „Dr. Ponater klettert also am Stromboli herum." „Heute nicht", sagte der Italiener, „und gestern auch nicht. Möglicherweise sitzt er drüben auf der Insel Vulcano oder gar im Vesuv. Aber hier kennt ihn jeder." „Wo genau?" „In den Trattorien von San Bartolo und im Hotel Stella Mare. Das war meist sein Basislager." Immerhin schien es Andi Ponater noch zu geben. „Sonst noch was?" „Ponater hat sich einer anderen Forschergruppe angeschlossen." „Woher kommt sie?" „Schwer zu sagen", meinte Fontebelli. „Die Einheimischen verstanden ihre Sprache nicht. Sie soffen ständig Grappa, weil es keinen Wodka gab. Eigentlich wollten sie Wodka, aber sie begnügten sich mit unserem Tresterschnaps. Außerdem hatten 47
sie merkwürdige Eßgewohnheiten. Keine Spaghetti, nur Pfannkuchen. Keinen Brodo, nur Gemüseeintopf." „Blini und Borschtsch", sagte Urban. „Das ist slawische Küche." „Dachte ich mir doch. Es waren Polen oder Russen." „Mit ihnen freundete sich Ponater also an." „Nun, Wissenschaftler ziehen keine Grenzen zwi schen Herkunft oder Hautfarbe. Hauptsache, es sind Fachkollegen, und sie sind gut." Urban hatte noch eine Menge von Fragen. Eine davon lautete: „Wann wurde Ponater das letzte Mal mit diesen Leuten gesehen?" „Das läßt sich schwer ermitteln", lautete die Auskunft. „Eigentlich war er immer mit ihnen zusammen. Schon letztes Jahr. Dann kamen sie wieder. Wenn du einen Burschen in 'ner Clique ortest, läßt sich kaum sagen, wann das war. Es war eben oft." „Das hätte ich gern genauer." „Ich werde nachfassen, Colonello", versprach der Italiener. Urban hatte das Gefühl, daß die Schiene zu Ponater wegen Gleisarbeiten unterbrochen war. Dann kam ein Anruf, der ihn Ponater völlig vergessen ließ. Es war der Operationschef Oberst a. D. Sebastian, der ihm den ersten ruhigen Abend seit Wochen kaputtmachte. „Sie müssen sofort los", wünschte der alte Treiber. „Es ist keine große Sache, aber was wollen wir machen, wir haben gerade keine größere."
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Im Klartext bedeutete das, es war ein heißes Eisen, und er mußte dicke Asbesthandschuhe mitnehmen. „Keine Hochzeit, keine Beerdigung?" fragte Urban ironisch. „Leider nicht." „Sie wissen, daß ich da nur hingehe, wenn ich entweder die Braut sein kann oder die Leiche." „Irgendwann stopft Ihnen einer noch Ihr Großmaul, Nummer achtzehn." Doch dann erfuhr Urban ein paar Sachen, die ihn ahnen ließen, daß das, was mit einem NordpolGalafeuerwerk begonnen hatte, eine neue Dimension annahm. Er bekam die Adresse und die Ermahnung, äußerste Vorsicht walten zu lassen. - Er hatte etwas höchst Ungewöhnliches zu erledigen. Keiner sollte es merken. Und wenn sie es merkten, durfte keiner wissen, wer es verursacht hatte. Das war wieder einer der Momente, wo er seinen Beruf besonders liebte.
5. Über Moskau strahlte der Himmel wolgablau. Im Verteidigungsministerium hingegen herrschte Gewitterstimmung. Es ging um undichte Stellen im Apparat. Stets, wenn etwas Supergeheimes ins Ausland durchsickerte oder wenn nur der Verdacht bestand, es könnte durchsickern, erhöhte das die Nervosität. Der Minister dröhnte:
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„Genossen! Mit den Ereignissen auf den Komsomolez-Inseln haben wir einen Trumpf in der Hand." „Gegen das amerikanische SDI-Programm", bemerkte General Rakitin. „Die Regierungschefs kamen überein, bei Weltraumwaffen zunächst nur zu forschen. Was auf Kap Molotow passierte, beeinflußt jedoch alle Angriffe aus dem Weltraum, ohne die Abmachungen zu verletzen. Das ist es. Und das ist unser As, Genossen." „Wir müssen sie in dem Glauben lassen, daß es so ist", meinte einer der Generäle vorsichtig. „Es ist so", behauptete der Minister, „und damit basta." Er war ein Pragmatiker von Lenins Gnaden. Was hohe Funktionäre äußerten, das war Tatsache, die absolute Wahrheit. Wie Gottes Wort. Einer der Militärs blätterte in seinen Akten. Dies aber nur zum Schein, um seiner Erklärung Gewicht zu verleihen. ,,Die Amerikaner sind voll am Ball." „Nicht nur das Pentagon und die CIA, auch alle Geheimdienste der NATO. Sogar die Japaner werden munter. Wie lange läßt sich das Ereignis noch geheimhalten?" „Solange wir wollen", entschied der Minister. „Und eines möchte ich hier klarstellen, Genossen: Wenn nur ein Hinweis oder eine Andeutung, wenn nur das kleinste Bißchen aus diesem Raum an fremde Ohren dringt, dann rollen Köpfe." Etwas wie Protestgemurmel wurde vernehmbar. Die versammelten sieben Genossen, alles bedeutende Funktionäre, Generäle, Geheimdienstleute,
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Professoren mit höchsten Auszeichnungen - sogar ein Politbüromitglied war unter ihnen - fühlten sich angegriffen. Deshalb lenkte der Minister ein. „Anwesende natürlich ausgeschlossen." Aber wen konnte er meinen, wenn nicht einen der Anwesenden. Die wahren Zusammenhänge kannten nur sie und ein paar Leute in der Führungsspitze. Die Konferenz dauerte noch Stunden. Richtlinien wurden erarbeitet, beschlossen und erlassen. Der KGB-Chef wurde ermächtigt, jeden Vorstoß von Agenten oder Spionen des Westens - wo auch immer und sei es jenseits der Grenzen - sofort zu stoppen. Falls sie sich anschickten, ihre Fühler in Richtung Komsomolez-Projekt auszustrecken, sollte dies sogar mit allen Mitteln unterbunden werden. „Die Amerikaner behaupten", schloß der Minister die Konferenz, „sie seien uns bei Laser um fünf Jahre, in der Mikroelektronik sogar um zehn Jahre voraus. Wir werden sie zwingen, daran zu zweifehl." Die Versammlung löste sich auf. Beim Hinausgehen zog der Minister General Rakitin, einen kaukasischen Holzfällertyp, beiseite. „Juri", sagte er. „Glauben Sie an einen Verräter in unseren Reihen?" „Nie und nimmer", erwiderte der altgediente Erneuerer der russischen Luftwaffe. „Und wenn es den Anschein hat, als dringe etwas nach draußen, dann steckt die übliche Manipulation dieser verdammten Amerikaner dahinter. Um uns zu verunsichern und damit wir an der Loyalität der Genossen zweifeln."
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„Ganz meine Meinung", pflichtete der Minister ihm bei. „Was ist denn schon nach außen gelangt, bitte?" Der Minister flüsterte es ihm zu. „Auf Kap Molotow wurde ein automatischer Raketenstarter ausgelöst. Wahrscheinlich auf ein fremdes Flugobjekt. Vermutlich auf einen Hubschrauber, ausgesetzt von einem amerikanischen Atom-U-Boot." „Wurde er abgeschossen?" „Wir sind nicht sicher." „Nun, daß die Amerikaner Klarheit haben wollen, das steht ihnen zu. Damit war zu rechnen." „Mag sein." Do- Minister Mir fort: „Wie ich hörte, kam es in Frankreich zu einem merkwürdigen Zwischenfall. Eine Tänzerin des Bolschoi Balletts kam abhanden. Ob es da Zusammenhänge gibt oder ob sie nur absprang, wird noch überprüft." „Ist das alles?" „Danke, mir reicht es." „Kommt doch immer wieder vor, daß Sportler, Schauspieler oder Künstler im Westen bleiben, weil sie dem falschen Luxus dieser Glitzerwelt verfallen." Der Minister wechselte das Thema. „Ein gefährlicher Agent des BND, sie nennen ihn Mister Dynamit, er ist hier hinlänglich bekannt, folgte in Italien der Spur eines Wissenschaftlers." Der General war gut informiert, wollte es aber nicht zeigen, denn er war besser im Bilde, als er es sein durfte. „Ein wichtiger Mann?" fragte er.
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„Vulkanologe, Italiener aus Südtirol. Doktor Ponater." „Steht er auf unserer Seite?" „Mehr oder weniger." „Es ist Sache der Dzerzhinskystraße, hier Licht hineinzubringen", meinte der General. „Lassen wir uns nicht verrückt machen." Lange blickte der Minister den General an. „Juri", sagte er. „Wir kennen uns schon eine Ewigkeit, wir sind beide Pokerspieler. Haben Sie es gern, wenn jemand hinter Ihnen steht, in Ihre Karten schaut und Ihrem Gegner heimlich Signale gibt?" „Ich verabscheue das", gestand der General, „aber ich halte meine Karten stets so, daß man sie nicht ausspionieren kann." Der Minister wollte schon gehen, fragte aber noch: „Wie geht es Katherina?" Die Genossin, die er Katherina nannte, war Botschafterin der UdSSR in Belgrad. Jeder wußte, daß der General mit ihr befreundet war. Keiner nahm daran Anstoß, keiner redete darüber, denn das waren private Dinge. Eine Geliebte innerhalb der Funktionärsriege war besser, als eine Geliebte anderswo zu haben. „Es geht ihr gut", sagte General Juri Rakitin. „Grüßen Sie Katherina von mir", bat der Minister. „Auch ich war schon verknallt in sie. Leider hat sie mich nie erhört." Vielleicht nimmt er mir übel, dachte der General, daß ich zum Zuge kam. Katherina war eine schöne, intelligente und
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begehrenswerte Frau. Vielleicht hatte der Minister auch andere Gründe. Rakitin nahm sich vor, aufzupassen.
Noch in derselben Nacht telefonierte der General mit Belgrad. Vorwahl Jugoslawien, Ortsnummer Belgrad, Anschluß sowjetische Botschaft, Nebenstelle 111. - Über sie war Ihre Exzellenz, die Botschafterin, privat erreichbar. Nur wenige wußten, wie man zu dem Apparat in ihrem Schlafzimmer durchkam. Sie hob ab und meldete sich mit ihrer dunklen Stimme, die betörend erotisch, aber auch befehlend klingen konnte. Heute wirkte sie ein wenig müde. „Hast du schon geschlafen, Katuschka?" fragte der General. Es war, als schüttle sie Reste des Traumes von sich. „Ich habe grade an dich gedacht, Juri. Sehr sogar. Wie geht es dir?" Er lachte laut, als müßte es durch die kaukasischen Wälder hallen. Das war es, was ihr als erstes an ihm gefallen hatte. Seine Rauhbeinigkeit. Dann seine Offenheit. Er war als Soldat zu hoch geklettert, um keine Hinterlist zu kennen, um nicht mit Gemeinheiten und Tricks zu arbeiten. Nur zwischen ihnen gab es das nicht. Sie hatten sich nicht ewige Liebe geschworen, aber sie wollten sich stets die Wahrheit sagen. „Wie es mir geht, Katuschka. Wie geht es schon einem Burschen wie mir, so allein in Moskau." „Schluck alles runter, Juri. Denk an die Datscha, 54
die wir eines Tages haben werden, an das Weideland, soweit du schauen kannst, bis zum Fluß, und an die Pferde." „Du fehlst mir." „Leider", gestand die Botschafterin, „entfernt sich alles immer mehr. Je weniger man sich sieht, desto stärker verblassen die Bilder." „Sie lassen uns verdammt nicht aus den Fängen", fürchtete der General. „Du bist als Diplomatin zu wichtig und ich wohl als General." Sie seufzte erst ein wenig, dann drehte sie sich offenbar zur Seite, denn die Seidenbezüge ihres Bettes raschelten. „Wie lange haben wir uns nicht mehr gesehen, Juri?" „Einen Monat, nein, sechs Wochen." „Bist du mir treu?" „Und du?" „Das war abgemacht", erwiderte Katherina. „Es ist ein Teil unseres Bündnisses. Was mich betrifft, ich halte mich stets daran." „Ich auch", sagte Rakitin. „Trotzdem müssen wir vorsichtig sein. Du weißt, man betrachtet so eine Verbindung mit Mißtrauen. Eine enge Beziehung zwischen Diplomatie und Militär halten manche für riskant." „Das ist es auch", äußerte sie scherzhaft. „Was glaubst du, wie ich explodieren würde, wenn du jetzt bei mir wärst, Juri." Er ging darauf ein. Sie sprachen über Intimes. Aber bald kam er zu dem, was ihm Sorge bereitete. „Ist das Problem wieder aufgetaucht?" „Es wird mich nie mehr loslassen", antwortete sie.
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„Katuschka ...", verfiel er in einen warnenden Ton. „Es ist meine Rückversicherung", erklärte sie. „Vielleicht sind wir eines Tages noch froh darüber. Aber eigentlich nervt mich etwas anderes. Ständig werde ich daraufhin angesprochen. Wohin ich auch komme. Der Minister fragt, die Genossen vom jugoslawischen ZK, die Kollegen von den anderen Vertretungen, sogar der Botschafter des Heiligen Stuhls hat mich daraufhin angesprochen. Was soll ich antworten?" ,,Du meinst die Ereignisse im Winter im Norden?" „Genau das. Aus Moskau liegen keine präzisen Direktiven vor." „Zu welcher Sprachregelung rät der Außenminister?" „Zu der Andeutung, daß es sich möglicherweise um eine neue semi-atomare Waffe handelt." „Fürwahr eine diplomatische Umschreibung." Nach einer Pause vernahm er ihre Stimme wieder. „Und die Wahrheit, Juri?" „Nicht am Telefon", entschied der General. „Du kennst sie?" „Nur zum Teil." „Du bist nicht der Mann, der sich mit Halbheiten zufriedengibt." „Ich werde es bald wissen", versprach er. „Ich werde einen jungen Wissenschaftler treffen, einen Vulkanologen." „Dann unterrichtest du mich." „Nicht am Telefon", betonte er noch einmal. Sie ging sofort darauf ein. „Es von deinen Lippen an meinem Ohr zu
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vernehmen, wäre mir das Allerliebste. Wann sehen wir uns?" „Was läßt sich machen? Wann unternimmst du wieder eine Dienstreise?" „Demnächst nach Wien." „Ins westliche Ausland kann ich nicht schon wieder", bedauerte der General. „Budapest, Prag, Warschau, Berlin, Sofia ginge vielleicht." Sie überlegte. „Ich werde etwas arrangieren." „Gib mir drei Tage vorher Nachricht." „Ich habe Sehnsucht", flüsterte sie. ,Ja, es wird Zeit", gestand Rakitin, „daß ich dich wieder in meinen Armen spüre, Katuschka. Höchste Zeit," Er hatte von seinem Büro aus telefoniert, weil vom KGB meist nur private Ferngespräche mitgehört wurden. Alles konnte er sich leisten, nur nicht, daß sie sein Liebesgeflüster mit der Botschafterin aufnahmen. Diese Burschen analysierten jedes gesprochene Wort und jedes nicht gesprochene. Gerade jetzt durfte er nichts tun, was auch nur den Schatten eines Verdachtes auf seine Person warf. Es war schon spät. Bis zu seiner Datscha in den Leninbergen fuhr er vierzig Minuten. Deshalb beschloß General Juri Rakitin, auf dem alten Ledersofa in seinem Büro zu schlafen.
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6. Der Spezialauftrag, der den BND-Agenten Nr. 18, Robert Urban, nach Südfrankreich führte, war ungewöhnlich. - Nicht nur extrem geheim, sondern besonders heikel und obendrein noch illegal. Er wußte, um was es ging, dachte aber nicht an die Hintergründe, sondern konzentrierte sich auf den nächsten Schritt. Da war ein Haus, eine provenzalische Villa, mit einem Garten drumherum. Im Garten wuchsen Palmen und Kakteen, aber auch Mimosen, Hibiskus und Bougainvilleen. Zur Straße hin wurde der Garten von einer Mauer geschützt, zwei Meter hoch, bestehend aus den Steinen, die man in den Seealpen brach. Die Mauer hatte ein Tor aus grünem Blech, aber mit eisernen Spitzen. Man konnte also nicht in den Garten sehen. Zweimal am Tag schwang das Tor auf. Dann fahr entweder ein grauer Citroen heraus oder ein Mehari, ein 2 CV mit Jeepkarosserie, in Deutschland der Brennbare genannt. Der TÜV ließ ihn nicht zu, weil der Kunststoff, wenn es heiß wurde, gern dahinschmolz und in Flammen aufging. Gefahren wurden die Autos von zwei Burschen, die sich erstaunlich ähnlich sahen. Erstens, weil sie gleiche Anzüge trugen, und zweitens, weil sich durch den Job ihre Physionognomien einander angeglichen hatten. Der eine hieß Frazer, der andere Floyd. Darüber hinaus besaß Urban noch einige Informationen. Er wußte, wen sie in der Villa bei Nizza versteckten, wie sie sich bei der Bewachung abwech-
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selten, daß sie beide Wert auf Speis und Trank legten und daß sie abends lange auf der Terrasse saßen, Champagner süffelten und auf neue Befehle warteten. Urban sah zwei Möglichkeiten: Er konnte bei Nacht zuschlagen, wenn der Wein sie müde gemacht hatte. - Aber Burschen wie Frazer und Floyd waren ausgepicht. Das gehörte zum Job des Geheimagenten. Ebenso gehörte dazu, daß sie mit ihren Smith & Wessons in Reichweite schliefen. Es konnte also zu einer Ballerei kommen. - Urban hätte es gerne leise gemacht Also tüftelte er an Plan II. Am nächsten Morgen setzte er ihn in die Tat um. Diesmal war es der beige Mehari, der die Villeneinfahrt verließ, um in der Stadt Besorgungen zu machen. Urban folgte ihm mit seinem Coupe auf der kurvigen Straße von Cap Ferrat zur unteren Corniche. In Villefranche schaute Floyd bei einem Friseur vorbei, fuhr aber sofort weiter und stellte den Mehari in der Altstadt von Nizza in eine Parklücke. Zehn Minuten später kam er schwerbeladen mit Tüten und einer Gemüsekiste vom Markt. Bei einem Weinhändler packte er vier Kartons dazu, kaufte danach Zeitungen und Tabakwaren. Auf dem Rückweg nahm er seinen Termin beim Friseur wahr. Der Mehari stand jetzt zwischen zwei Lastwagen. Urban wurde aktiv. Mit einer Sprühdose voll Isolierschaum, wie er bei Bauten für alles mögliche verwendet wurde, schlich er zwischen den Lastwagen und den Häusern durch.
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Hinter dem Mehari bückte er sich, führte den Schlauch der Sprühdose in das Auspuffrohr und gab Druck. Das Kunststoffgemisch wurde durch den Schlauch in das Auspuffsystem geblasen. Es würde sich dort ausdehnen und binnen weniger Minuten durchhärten. Mit Sicherheit würden der Hauptschalldämpfer und das Endrohr total zu sein. So dicht, daß es dem kleinen Zweizylindermotor die Atemwege verstopfte und er sich nicht mehr auspusten konnte. Urban schlich zu seinem BMW, steckte sich eine Zigarette an und wartete. Etwa so lange, wie es dauerte, um einen Mann zu rasieren und Fasson zu schneiden. Dann kam Floyd wieder. Pfeifend, also gutgelaunt, schwang er sich in den offenen Mehari. Er startete. Der Motor kam sofort, starb aber nach we nigen Umdrehungen ab. Er ließ wieder an und orgelte ziemlich lange. Kopfschüttelnd stieg er aus, öffnete die Motorhaube, rüttelte an den Steckverbindungen von Kerzen und Zündspule. Ratlos schloß er die Haube, ließ wieder an und versuchte es so lange, bis es nach Benzin stank und die Batterie sich leerte. Schon weniger fröhlich betrat er wieder den Laden des Coiffeurs. Urban vermutete, daß er jetzt telefonierte. Nun kam es darauf an. Ließ er den Mehari abschleppen und nahm ein Taxi, oder bat er seinen Partner zu kommen? Bis zum Haus auf dem Cap waren es nur wenige Kilometer. Sechs höchstens. Urban hoffte, daß er tief genug in die Psyche dieser Burschen eingedrungen war. Leute wie sie gingen nicht gerne zu Reparatur-
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Werkstätten, wo man Fragen stellte. Schon ein Wunder, daß er sich nicht selbst rasierte. Urban fuhr Richtung Cap. Prompt kam ihm der metallicgraue CX entgegen. Jetzt hatte er ungefähr noch fünfzehn Minuten Zeit.
Das Tor war nur angelehnt. Trotzdem ließ er den BMW auf der Straße stehen. Zu leicht wurde ein Garten mit Mauern zur Falle. Die vierzig Meter über den Kiesweg nahm er im Eilschritt. Im Erdgeschoß waren alle Türen versperrt, die an der Terrasse aber nur zugeschnappt. Mit der Scheckkarte fummelte er den Riegel zurück, war im Haus und orientierte sich. Unten war die Wohnhalle, die Küche und ein WC. Er nahm die Treppe zur Galerie. Oben links ein Bad, dann Schlafzimmer, in denen Männerhosen über Bügeln hingen. Gegenüber ein Gästezimmer, leer, und ein versperrtes Zimmer. Der Schlüssel steckte außen. Er öffnete. Alles dunkel. Er knipste Licht an. Im Sessel, nahe dem offenen Fenster, kauerte eine junge, blonde Frau. Sie konnte nicht hinaussehen. Der Fensterladen war zu und verkettet. Sie starrte Urban an und versuchte, ihn einzuordnen. Als Zeichen ihrer Hilflosigkeit hob sie die gefesselten Hände. Er schnitte die Stricke durch. Dann goß er aus einer Viertelliterflasche, die er aus seiner Sakkotasche nahm, klare Flüssigkeit in ein Mundglas.
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„Trinken Sie!" „Was ist das?" „Wodka. Ihre Fingerabdrücke und der Lippenabdruck sollen daran zu sehen sein." Sie trank und fragte dann: „Wer sind Sie?" „Und jetzt die Zigarette." Er hatte eine Originalpackung russischer Pappfilter-Papirossy besorgt, kniff den Filter ein, schob ihn ihr zwischen die Lippen und gab ihr Feuer. „Nach wenigen Züge bitte ausdrücken." „Wo?" „Auf russische Art am Fußboden." „Wer sind Sie?" fragte sie wieder. „Hat man Sie gut behandelt?" „Ich bin unverletzt." Bevor er sie aufforderte mitzukommen, wurde er beinah offiziell. „Sie sind Wera Carlowa?" Sie nickte. „Bolschoi-Ballett-Compagnie." Da brach es aus ihr heraus. „Was soll das alles? Was hat man bloß mit mir vor? Ich bin so unbedeutend wie nichts." Bevor sie in Weinkrämpfe verfiel, fragte er, ob sie gehen könne. Es bereitete ihr Mühe, aber die Hoffnung, daß diese Gefangenschaft zu Ende sei, gab ihr Kraft. Auf der Treppe stützte er sie. Wenig später saß sie in seinem Coupe. Das Ganze hatte nicht einmal acht Minuten gedauert.
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Gute Arbeit, dachte er, aber Glück hattest du außerdem. Vom Cap gab es nur eine Straße nach Villefranche. Dort gabelte sie sich. Links ging es nach Nizza und Cannes, rechts nach Monte Carlo. Er fuhr mäßig schnell. Kaum aus einer Kurve heraus, sah er den grauen CX kommen. Er hatte den Mehari im Schlepp. „Kopf runter!" Mit einem Schlag auf die Schulter brachte er die Tänzerin in Deckung. Gewiß hatte Frazer den BMW registriert. Sie begegneten sich schon zum zweiten Mal, und das innerhalb einer Viertelstunde. Das fiel sogar Leuten auf, die man nicht zum Agenten geschult hatte. Dazu sein Nummernschild, Schwarz auf Weiß. Na schön, das M konnte auch Madrid bedeuten oder Mailand. Die Italiener führten jetzt ebenfalls Europa-Nummernschildern ein. Aber der 633 CSi war nicht zu verwechseln. „Gurten Sie sich fest, Wera. Könnte sein, daß es gleich ziemlich flott vorangeht. Sie verstehen doch mein Englisch?" „Ich hoffe, Sie verstehen meines", antwortete sie.
Urban war sicher, daß sie verfolgt wurden, wenn auch nicht auf herkömmliche Weise mit irgendwelchen Fahrzeugen zu Lande oder in der Luft. Zunächst würden sie die Verfolgung auf elektronischem Wege organisieren. „Wann merken sie, daß ich weg bin?" fragte Wera. Zum erstenmal blickte Urban sie richtig an. Auch
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ungeschminkt strahlte sie etwas aus. Sie war ein schönes blondes Madchen mit herzförmigem Gesicht, wie man es oft bei Slawinnen antraf, mit großen, unschuldig wirkenden Augen in hellem Blau und etwas Grün. Vor hundert Jahren hätte man nicht bezweifelt, daß sie aus aristokratischer Familie stammte. Aber das gab es in Rußland nicht mehr. „Sie haben erst mal mit dem Auto zu tun", bemerkte er. „Im Haus hinterließen wir ja keine Spuren." „Aber in meinem Zimmer." „Wodka und eine Papirossa." „Soll man Sie für einen Russen halten?" „Es wäre mir lieber", gestand Urban. „Es gäbe dem Unternehmen einen Hauch von Legalität. Ihr Besucher soll, wie es sich gehört, Russe sein." „Vom KGB", ergänzte sie ohne abfälligen Ton, mehr als nüchterne Feststellung. „Ich denke, daß sich unser Vorsprung rasch verkürzen wird. Haben sie erst einmal festgestellt, daß ihnen einer den Auspuff mit Schaumstoff lahmgelegt hat, um sie damit beide vom Haus wegzulocken, werden sie Verdacht schöpfen." „Und was werden sie unternehmen, damit sie mich wiederkriegen?" „Alles", befürchtete Urban. „Und was liegt Ihnen daran, mich zu kriegen. Ist es nicht nur der Transport von einem Verlies in ein anderes?" „Ich verstecke Sie nur zu Ihrer Sicherheit, Wera. Das ist etwas anderes. Wenn Sie darauf bestehen, können Sie gehen, wohin Sie wollen. Leider, flüchte ich, kämen Sie vom Regen in die Traufe."
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„Wenn Sie mich gesucht haben, dann wissen Sie etwas. Wer sind Sie, woher kannten Sie mein Versteck? Warum befreiten Sie mich? Wer sind diese zwei Typen?" „Amerikaner." Sie fühlte, daß er nicht darüber reden wollte oder durfte. Sie aber tat es. „Aber keine Gangster." „Nein." „Warum ausgerechnet mich?" Er blickte sie an. War sie wirklich so ahnungslos? „Können Sie sich das nicht vorstellen, Wera?" „Es geht um Erpressung." „So ist es." „Da man mich nicht erpressen kann, ich bedeute zu wenig, was ist schon eine Tänzerin, wird man einen anderen erpressen wollen." „Stimmt", räumte Urban ein. „Wenn es Amerikaner sind, Ihre Verbündeten, warum nehmen Sie ihnen dann die Möglichkeit zur Erpressung? Wäre sie nicht auch in Ihrem Sinn?" „In wessen Sinn?" tat er erstaunt. „Sie sind weder Franzose noch Spanier noch Italiener. Ich tippe auf Niederländer oder Deutscher." „Mein Name ist Robert Urban." „Sie sind von Interpol oder einem Geheimdienst. Normalerweise kooperieren Sie mit den Amerikanern." „Alles läuft auf Abgrenzung von Interessen hinaus", erklärte er. „Was wiegt schwerer, was liegt einem näher. - Das allein bestimmt das Gesetz des
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Handelns. Und wenn es obendrein ein wenig human ist, muß man es eben tun." „Reden Sie weiter!" „Ich bin fertig." „Sie haben eine angenehme Stimme, Robert." „Und Sie haben hübsche Beine, Wera." „Tänzerinnen haben nie hübsche Beine." „Sie schon. Pardon, aber man sieht eine Menge davon." Sie versuchte die Knie zu bedecken, hatte aber nur das, was man ihr in Narbonne gelassen hatte, einen Mini-Jeansrock und einen Pullover. „Wir werden Klamottinis kaufen", versprach er. „Welche Größe?" „Vierunddreißig." „Besorge ich, sobald wir zu Hause sind." „Wie zu Hause, wo zu Hause?" „Nennen wir den Ort, wo ich Sie hinbringe mal so. Es klingt weniger dienstlich." „Ich würde mir die Sachen gerne selbst aussuchen." Dafür hatte er Verständnis. Welche Frau tat das nicht gerne. „Aber nur mit Perücke", entschied er. „Ein paar Höschen brauche ich auch." Sie streifte den Rock hinauf, bis es nicht mehr höher ging. „Sehen Sie, null darunter - und einen BH." „Größe?" Blitzschnell riß sie den Pullover hoch, ließ die zwei frechen Meinen Dinger springen und zog ihn wieder herunter. „Die sind ja niedlicher als die kommunistische Partei erlaubt", bemerkte er.
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Im Mittagsverkehr von Nizza fühlte Urban sich sicher. Der Verkehr hielt bis Cannes. Aber irgendwann mußte er mit dem stahlblauen BMW runter von der Straße. Bald würden sie irgend etwas organisiert haben. Sie verfügten über ausgezeichnete Verbindungen zur Gendarmerie Nationale. Wera bat um eine Zigarette. „Und warum haben Sie mich befreit?" fragte sie noch einmal. „Was sind es für Interessen, die schwerer wiegen als die Pflichten dem Verbündeten gegenüber?" „Wir müssen verhindern, daß die Person, die man durch Ihr Kidnapping erpressen will, unter Druck gesetzt werden kann." „Und warum dieses, bitte?" „Verziehung", bat Urban. „Aber das gehört zu jenen Dingen, die auf dieser Erde nur eine Handvoll Männer wissen. Es trägt den Geheimgrad royal secret. Das klingt altertümlich, ist aber wirklich das Geheimste vom Geheimen." Damit gab sie sich vorerst zufrieden. 7. Der CIA-Direktor erlitt einen Wutanfall. Einen lautlosen. Das waren die schlimmsten. Sein Toben über die Infamie des Verbündeten, die Bundesrepublik Deutschland, wanderte in der Administration wellenförmig nach unten. Die Stimmung war wie am Abend vor einer Kriegserklärung. In dieser hochgespannten Krise beging der CIADirektor einen Fehler. Statt seinen Kollegen, den
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Präsidenten des BND in München anzurufen und die Sache unter dem gemeinsamen Geheimdienstdeckel zu kochen, hetzte er den Außenminister auf, und dieser den Präsidenten. So geriet Bonn binnen weniger Stunden unter außerordentlichen Druck. Was sich der Kanzler vom Präsidenten der USA sagen lassen mußte, löste die übliche Reaktion aus. Der Bundesnachrichtendienst wurde wieder als stinkender Haufen, als stetes Ärgernis und zudem als absolut überflüssig bezeichnet. Wieder einmal dachte man an Neuorganisation, Reorganisation, Durchleuchtung, totale Kontrolle. Auf den Chef des BND war man ohnehin nicht gut zu sprechen. Es kam aber noch schlimmer. Der amerikanische Botschafter legte Protest ein. Das brachte das Faß zum Überlaufen. Erst recht deshalb, weil man in der BND-Zentrale München Pullach beharrlich schwieg. Da der Kanzler dem US-Präsidenten jedoch sein Manneswort verpfändet hatte, binnen vierundzwanzig Stunden Licht in die peinliche Affäre zu bringen, setzte der Kanzleramtsminister, als Oberaufseher der Geheimdienste, seinen Bohrer an. Er bestellte den BND-Chef zum Rapport. Und mit einemmal, unter vier Augen, sah alles ganz anders aus. „Die CIA", berichtete der BND-Präsident, „kidnappte mit gefälschten Ausweisen der französischen Drogen-Polizei eine russische Tänzerin. Und wir nahmen sie den Amerikanern wieder weg. That's all."
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„Nun", meinte der Minister, „illegal plus illegal ist nicht gleich legal." „Wie sagen doch die Engländer: Right or wrong, my country." „Na schön, recht oder unrecht, die Interessen unserer Republik sollten an erster Stelle stehen. Ich bin auch dafür, ich bin ja kein Grüner. Aber ich sehe keinen Zusammenhang. Was, zum Teufel, hatten die Amerikaner mit diesem ... hm ... Menschenraub im Sinne?" „Erpressung", faßte sich der BND-Chef kurz. Der Minister hob die Brauen. „Mit einer Tän-zer-in?" „Sie ist Wera Carlowa." „Und was, zum Teufel, bedeutet das?" Der BND-Präsident sprach fast tonlos, als könne man mithören. „Carlowa, Herr Minister, Carlowa!" „Carlowa, ja und?" „Die Mutter von Wera Carlowa ... Katherina Carlowa..." Beim Minister schien sich der erste Vorhang zu öffnen. „Na klar. Politikerin der Sowjetunion und ZKMitglied der KPdSU. Was macht sie derzeit?" Der BND-Chef räusperte sich. „Sie ist Moskaus Botschafterin in Belgrad." Der Minister steckte sich hastig eine Zigarette an. In der Öffentlichkeit vermied er das neuerdings, aber hier gab es ja keine Kameras. Sein Zeigefinger stach in verschiedene Himmelsrichtungen.
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„Kapiere. Tochter, Mutter, die Vorgänge am Nordpol, die Amerikaner." „Sie hoffen darauf, daß die Sorge der Mutter um die Tochter größer ist als die Pflicht zur Geheimhaltung." „Aber weiß die Carlowa denn etwas?" „Sie ist mit General Rakitin befreundet." „Hat der General Zugang?" „Vermutlich. Und wenn nicht, beschafft er sich ihn." Der Minister ging jetzt rasch auf und ab. „Neuer Aspekt", murmelte er, „ganz neuer Aspekt, Diese Amerikaner drehen immer nur die großen Schrauben, nicht die kleinen." „Ja, Uhrmacher waren die nie." Der Minister blieb stehen und fuhr auf dem Absatz herum. „Was soll ich bloß dem Kanzler sagen? Das ist doch alles verdammt dünn. Es rechtfertigt nicht unser Vorgehen." „Schildern Sie ihm die Zusammenhänge", riet der BND-Präsident. „Das alles liefert noch keinen handfesten Grund dafür, daß wir unsere Verbündeten daran hindern, die sowjetische Botschafterin mit ihren glänzenden Beziehungen nach Moskau zu erpressen. Immerhin geht es, geht es um ..." „... um mehr", deutete der BND-Präsident an, „Und um was, bitte, noch?" Der BND-Chef antwortete nun pflichtgemäß. Aber er äußerte kein Wort. Er schrieb es auf einen Zettel. Diesen gab er dem Minister für wenige
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Sekunden zu lesen, dann verbrannte er ihn im Ascher. „Meine Güte!" Der Minister stöhnte. „Das darf nicht wahr sein. Wie wo llen wir das Washington jemals klarmachen?" Der BND-Chef bot sich dafür an. Das linderte die Qual des Ministers ein wenig. Der BND-Chef fragte präzise: „Erlauben Sie, daß ich das übernehme?" „Nur zu gerne", gestand der Minister erleichtert und fügte hinzu: „Nichts dagegen, wenn Sie diesen Oberschlaubergern tüchtig vor den Ballon treten." „Mit Genuß", versicherte der Geheimdienstchef.
In der Nacht fand ein denkwürdiges Gespräch zwischen München und Washington statt. Zwar läutete es keine Sternstunde der Menschheit ein, aber es dämpfte die Präpotenz der CIA nachhaltig. Der BND-Chef stellte die Dusche, um die Hitze zu nehmen, auf eiskalt. „Es gibt da einen alten Schlachtruf, sagte er. „Germans to the front! Warum wollen Sie uns die Sache mit Katherina Carlowa in Belgrad nicht überlassen?" „Wir hatten diese einmalige Idee", entgegnete der Amerikaner forsch. „Wir haben das eingefädelt, nicht Sie." „Aber in eine Nadel, in der längst ein Faden war, Sir." „Wie darf ich das verstehen, bitte?"
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„Sie dröselten mühsam einen zweiten Faden ins Öhr und behindern damit den Näh Vorgang." „Was erzählen Sie da?" fuhr der CIA-Direktor ihn an. „Unser Faden war neu und gut gezwirnt." „Nur ist unserer nicht aus Baumwolle, sondern aus zäher Seide." „Das behaupten Sie jetzt." „Pardon", beharrte der BND-Präsident. „Unser Faden hängt seit vierzehn Jahren an der Nadel. Sollte Ihnen das wirklich entgangen sein?" „Was faseln Sie da? Vierzehn Jahre?" „Und wir haben manche Naht damit genäht." Der Amerikaner versuchte zu präzisieren. „Mit der Nadel meinen Sie Katherina Carlowa." „Oder auch mit dem Faden, Sir, wenn Sie so wollen. Aber die Nähmaschine sind wir." „Der BND?" „Richtig." „Das würde ja bedeuten, würde das ..." „Daß wir ein wenig ältere Rechte haben." „Damned!" fluchte der CIA-Direktor. „Darf ich das so verstehen, daß ..." Der BND-Chef sprach es aus, denn die Leitung war absolut abhörsicher. „... daß die Botschafterin der Sowjetunion, ihre Exzellenz Katherina Carlowa, Agentin des Bundesnachrichtendienstes Deutschland ist." Für Sekunden herrschte Stille. Ein gekünsteltes Husten beendete sie. „Dann hätten wir die Lady ja schön in die Bredouille gebracht." „Sagen wir, in Gefahr." „Man wäre auf sie aufmerksam geworden."
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„Was im Sowjetapparat automatisch Kontrolle, Überwachung, Mißtrauen, Verdacht bedeutet", befürchtete der Deutsche. „Und Sie stehen ständig in Kontakt mit ihr?" „In dem üblichen." „Und über die Polgeschichte, den Fall Nordlicht, kam nichts durch?" „Die Informationen sind uns angekündigt." „Die Dame ist mit General Rakitin liiert." „Rakitin ist höchster Geheimnisträger", gab der BND-Chef zu bedenken. „Weiß er auch über die Nordpolaffäre Bescheid?" „Er versucht, sich zu informieren." „Die Sache liegt schon Monate zurück." „Sie gerät aber erst jetzt ins Blickfeld der NATO." Der Amerikaner wollte sofort den Secretary of State unterrichten. Dann wünschte er dem deutschen Kollegen viel Glück, bat um Informationen und setzte hinzu: „Natürlich ziehen wir unsere Agenten aus Südfrankreich zurück." „Wir bitten darum", sagte der Deutsche. „Guter Mann, Ihr Mister Dynamit. Wirklich sehr beachtliche Leistung. Bitte verärgern Sie ihn, wir würden ihm sofort einen Vertrag geben. Auf Lebenszeit." Nach diesem Gespräch wiegte sich der BNDPräsident in dem Glauben, daß die Angelegenheit damit beendet sei. Er irrte sich. Es lag nicht im Charakter der Amerikaner, eine Niederlage hinzunehmen.
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8. Der Treff zwischen General Juri Rakitin und dem Vulkanologen Dr. Andreas Ponater war umsichtig arrangiert. Trotzdem kam er nicht zustande. Allein Ponaters Aufenthaltsort herauszufinden, war nicht einfach gewesen. Schließlich war es dem General mit Hilfe eines alten Kameraden, der jetzt für die Polizei tätig war, gelungen. Der Italiener Dr. Ponater wohnte am Südrand von Moskau, in einer Siedlung für Emigranten, Künstler, Literaten und auch Wissenschaftler. Meist waren es Leute, die ihre Heimat verlassen hatten, um im Sowjetparadies bessere Lebens- und Arbeitsbedingungen vorzufinden. Einige von ihnen hatte man auch schlichtweg abgeworben, weil man ihr Fachwissen benötigte. Diese Personen wurden in der Regel gut behandelt und hatten langfristige Verträge. Zu ihnen gehörte auch der Italiener aus Südtirol. Der General rief mehrmals draußen in Limograd an. Als er Dr. Ponater endlich erreichte, stellte er sich kurz vor. „In wenigen Monaten lernt man nicht Russisch", bedauerte der Italiener. „Können wir englisch sprechen?" „Versuchen wir es." Der General fuhr also in Englisch fort: „Ich könnte Sie auch in mein Büro ins Verteidigungsministerium bestellen, aber es gibt Gründe, dies nicht zu tun." Damit versuchte der General, Ponater ein wenig
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einzuschüchtern. Der Italiener sollte eine halboffizielle Untersuchung oder Ähnliches befürchten. „Ich stehe zu Diensten, General", erklärte Ponater. „Sie kamen erst vor kurzem aus dem Norden zurück", erwähnte der General. „So ist es." „Ich entnahm das unter anderem einem Bericht des Woroschilov-Krankenhauses, wo man Sie wegen Erfrierungen behandelte." „Dritten Grades", ergänzte der Italiener. „Mir wurden mehrere Zehen abgenommen." „Offenbar lag es an unzureichender Polarkleidung", äußerste der General, „von der in den Depots Hunderte von Tonnen lagern und von den Ratten gefressen werden. Wir können nicht zulassen, daß Fachexperten wie Sie unter der Schlamperei der Bürokratie leiden müssen. Ich bin beauftragt, dies zu untersuchen - unter anderem." „Verfugen Sie über mich", zeigte sich der Vulkanologe bereit „Die Sache läuft noch unter Geheimhaltung", deutete der General an. „Ich gebe Ihnen eine Telefonnummer, unter der Sie mich erreichen können. Paßt es Ihnen am Wochenende?" „Ich habe nichts Besonderes vor, General." „Treffen wir uns also zwischen Freitag und Montag", entschied Rakitin im Kasernenton. „Sie hören von mir." Dies war das erste Gespräch, das General Rakitin mit dem Italiener flihrte. Zwei Tage später kam noch eines zustande. Der Italiener meldete sich bei der Nummer, die der
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General ihm genannt hatte. Es war die Wohnung von Rakitins Mutter, der hochbetagten Sonja Rakitinowa Der Italiener hatte es einige Male versucht, bis es ihm endlich gelang, Rakitin zu erreichen. „General, aus unserer Verabredung wird nichts, fürchte ich." „Sind Sie krank?" „Nein, aber ich bekam schriftliche Order, die es mir verbietet, die Siedlung vorerst zu verlassen." Das bedeutete, daß Ponater bereits überwacht wurde. „Was habe ich verbrochen?" fragte er. „Was habe ich falsch gemacht? Ich kam freiwillig hierher, half nach bestem Wissen und Gewissen, Ihre Probleme zu lösen, und nun schränkt man meine Freiheit noch mehr ein als bisher schon. Wenn ich das gewußt hätte." „Seien Sie unbesorgt", tröstete der General ihn, obwohl er selbst in Sorge geriet. „General", deutete Ponater an. „Angenommen, es käme so weit, daß ich mich entscheiden würde, in meine Heimat zu reisen..." „Das geht nicht ohne Einverständnis der Behörden." „Schön, dann nennen wir es beim Namen, General. Nennen wir es Flucht. Angenommen, ich müßte versuchen zu fliehen. Könnten Sie mir helfen?" „Nein", erklärte der General kategorisch. „Nur einen Namen, eine Adresse, wohin ich mich wenden kann, wo man mir durch Polen, die CSSR oder Jugoslawien hilft" „Das will ich nicht gehört haben", fiel der General ihm ins Wort. Aber dann nannte er dem Italiener,
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von dem er Informationen brauchte, die man ihm vorenthielt, doch einen Anlaufpunkt. „Ich komme zu Ihnen nach Limograd. Morgen abend nach zweiundzwanzig Uhr. Es gibt da einen Vergnügungspark hinter dem Parteihaus. Treffpunkt, die kleine Insel im See." „Ich bin zur Stelle", versprach Ponater.
Am nächsten Tag kleidete sich der General bei seiner Mutter in Zivil, wartete die Dunkelheit ab und fuhr in seinem privaten Lada durch die Stadt nach Süden. Wegen des unfreundlichen Wetters - es war kühl und regnerisch - war der Park hinter dem Sportplatz nicht sehr belebt. Rakitin nahm einen Kahn, ruderte zur Insel und wartete bis Mitternacht. - Der Wissenschaftler kam nicht. Einen Tag später wählte der General noch einmal Ponaters Nummer. Ein kubanischer Kollege des Vulkanologen rückte schließlich damit heraus, daß Dr. Ponater verhaftet worden sei. Zivilisten hätten ihn in einem dunkelgrünen Wolga abgeholt. Der KGB hat zugeschlagen, dachte der General. Auch er wurde seit Tagen von Männern, die in einem dunkelgrünen Wolga saßen, beschattet. Über die Dienstleitung, die normalerweise nicht abgehört wurde, telefonierte er mit der sowjetischen Botschaft in Belgrad. „Ich muß dich sprechen, Katherina", drängte er. „So schnell es geht." „Was ist geschehen?"
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„Nur von Mund zu Ohr. Wann ist es möglich?" „Nächste Woche." „Nein, morgen." Er hörte sie im Notizbuch blättern. „Morgen habe ich sieben Termine, Juri." „Dann sag sie ab. Verschiebe sie. Es geht um alles, es geht um uns, Katuschka." Da wußte sie, daß er nicht übertrieb und daß soviel wie das Leben davon abhing. „Einverstanden. Ich werde eine Unpäßlichkeit vorschützen. Wo treffen wir uns?" „Wie immer." Das bedeutete für die Carlowa eine Nachtfahrt von mehreren hundert Kilometern über miserable Gebirgsstraßen nach Osten. Aber nur an der Grenze nach Rumänien stellten die Beamten einer Frau mit Diplomatenpaß in einem schwarzen ZIL mit CDSchild keine Fragen. „Wie immer", bestätigte Katherina Carlowa. „Sei vorsichtig." „Ich liebe dich", sagte der General.
Nach vierstündigem Flug landete General Rakitin die Kuriermaschine auf einem Feldflugplatz der rumänischen Luftwaffe. Es handelte sich um einen betagten Iljuschin Hochdecker. Angetrieben wurde er von den schon im Krieg bewahrten RataSternmotoren. Die Kabine bot Platz für zwölf Personen. In der Roten Luftwaffe wurde ein dreißig Jahre altes Gerät normalerweise aus dem aktiven Dienst ausgemu-
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stert. Aber dieser Typ, wegen seiner Robustheit bewährt und seiner narrensicheren Flugeigenschaften geliebt, wurde immer noch benutzt. Besonders von älteren Piloten, welche die Jetlizenz nicht mehr erworben hatten. Für sein Rendezvous mit der Botschafterin hatte Rakitin stets diese Maschine geordert. In seiner Position fiel ihm das nicht schwer. Es kostete ihn einen Anruf auf der Luftbasis II, schon stand der Vogel gewartet und betankt bereit. - So auch an diesem Frühsommerabend. Am Zielort gab es nie Probleme. Die rumänischen Kameraden in Deta stellten keine Fragen. Sie waren froh, wenn er ihnen einen Karton voll Lebensmittel mitbrachte. Beliebt waren Kaffee, Dosenschinken und geräucherte Würste. Auch Schokolade bekamen sie, wegen der miserablen Wirtschaftslage in Rumänien, sonst so gut wie gar nicht mehr zu sehen. Anfangs war der Flug angenehm verlaufen. Über dem Dnjepr und der Ukraine wurde es böig bis stürmisch, aber auf Schitomir zu klarte es wieder auf. Der Rest war Routine. General Rakitin war, entgegen der bestehenden Anordnung, ohne Copilot geflogen. Wie vorgesehen landete er um 23.30 Uhr. Die Funktionärslimousine aus Belgrad wartete schon am Rollfeldrand, Kaum hatte der General die Motoren abgestellt, Öffnete sich an dem Sechsmeterwagen, einer gepanzerten ZIL-4104-Limousine, die in den Moskauer Automobilwerken noch in Handarbeit und nur für Funktionäre hergestellt wurde, die Fahrertür. Die Botschafterin trug einen hellen Regenmantel,
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dazu Kopftuch und Brille. Die Brille hatte Fenstergläser, tarnte sie aber einigermaßen. Der General half ihr in die Kabine des Flugzeugs, wo sie sich stumm umarmten. „Du bist ganz schön fertig", stellte er fest. „Die Umstände", erklärte Katherina Carlowa lächelnd. „Mußtest du denn dieses Ungetüm von Automobil benutzen?" „Mit dem kleinen Schigulli wäre ich wohl scharf überprüft worden. Außerdem lenkt sich der Große angenehm." Das mochte zutreffen. Der ZIL verfügte über einen Sieben-Liter-Motor, Automatic, alle Servos und Klimaanlage. Was sie so erschöpft hatte, war also etwas anderes. „Du machst dir Sorgen, Katuschka." „Die ganze Zeit. Auch jetzt noch." Sie legte ab. In der Kabine gab es einen Klapptisch und hinten, neben der WC-Tür, eine Liege. „Erzähl, Juri, was ist geschehen?" Er entkorkte eine Flasche Krimsekt, öffnete die Dose mit rotem Beluga. Dazu gab es Salzkekse. Sie tranken, umarmten sich immer wieder, und beide wußten sie, daß ihre Beziehung in eine Krise geraten war. Nicht, weil sich ihre Gefühle zueinander geändert hatten, sondern aus einem anderen Grund. „Sie beobachten mich", begann der General. „Sie öffnen meine Post, hören meine Telefone ab, schließen mich mit fadenscheinigen Begründungen von Sitzungen aus." „Etwa meinetwegen?" kombinierte die Botschafterin. „Dann sind sie aufmerksam geworden."
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„Über unsere Beziehungen wissen sie längst Bescheid. Sie ist kein Geheimnis." „Dann sind sie mir auf der Spur." „Ich hatte Mühe, wegzukommen. Schaffte es gerade noch." „Was mag es ausgelöst haben?" Er zögerte mit der Antwort. „Vielleicht mein Versuch, mit Doktor Ponater Kontakt aufzunehmen. Sie haben ihn verhaftet." „Schlimm. Es ist schlimm, aber es beweist noch nichts", bemerkte die kühl denkende Diplomatin. „Es kam eins zum anderen. Im Lauf der Jahre sammelten sie Stein für Stein. Die setzen sie jetzt zusammen. Gewisse Staatsgeheimnisse, die an die NATO gelangten, deine guten Beziehungen zu Diplomaten im Westen. Unser Verhältnis, unsere Rendezvous, sie wissen alles. Wie ich hörte, brachte man sogar Wera auf ihrer Europatournee in Schwierigkeiten, um dich zu erpressen." „Das würde eher eine Entschuldigung für mich bedeuten", wandte die Botschafterin ein. „Wera soll ihre Balletttruppe verlassen haben." Eher heimliche Freude als Bestürzung zeigte sich in den Zügen der Diplomatin. Deutlich senkte sie die Stimme. „Wera wollte schon immer aussteigen und drüben bleiben. Aus Rücksicht auf mich tat sie es nicht Ich sagte ihr, nimm jede Chance wahr, Werutschka, Kleines." „Ohne Rücksicht auf Repressalien?" staunte RaHtin. „Ich gäbe mein Leben für sie. Entweder bin ich Mutter oder nicht. Was interessiert mich meine
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Karriere", sie tastete nach seiner harten kaukasischen Baumfällerhand, „solange es uns gibt." „Solange es uns noch gibt", verbesserte der General. Er leerte sein Glas, ging nach vorn ins Cockpit, schaltete kurz die Armaturenbeleuchtung ein, schaltete sie wieder aus und zog, als er in die Kabine zurückkam, den Vorhang zu. „Nur noch viertelvoll." „Was?" „Die Tanks." „Was bedeutet das?" „Flugbenzin für knapp eine Stunde." „Dann laß sie auffüllen." „Sie haben hier schon seit Wochen nichts. Ich müßte in Lemberg zwischentanken." „Und das willst du nicht." „Auf jedem Flugplatz in der Union erwarten sie mich." „Auch Rumänien liegt im Befehlsbereich des Warschauer Paktes", wandte die Botschafterin ein. „Bis die Befehle nach Deta durchkommen, dauert es länger. Das kann morgen früh werden. Außerdem sind sie alle gute Freunde von mir." Es wurde warm in der Kabine. Katherina Carlowa zog die Jacke ihres Reisekostüms aus. Sie hatte jetzt nur noch Bluse und Rock an. Er war eng geschnitten und gerade so kurz, wie eine Frau in ihrer Stellung es sich erlauben konnte. Trotz ihrer achtundvierzig Jahre hatte sie noch eine exzellente Figur, und schlanke Beine hatte sie schon immer gehabt. Ihre Beine und ihr Gang waren das erste gewesen, in das
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der General sich verliebt hatte. Dann in ihr dunkles Haar und die hellen Augen. „Was hast du vor?" fragte sie. „Der nächste Flugplatz im Westen ist ein griechischer." „Und Wien, wie steht es mit Wien?" „Über Budapest kommen wir nicht durch." „Wir?" fragte sie. „Denkst du, ich ließe dich zurück? Du liefst irgendwann in ihr Messer." „Wien klappt also nicht." „Und Mazedonien auch nicht. Der Sprit reicht nicht bis Pazar." Sie überlegten. Die Botschafterin machte den Vorschlag, daß sie Rakitin in ihrem Dienstwagen bis Belgrad mitnehmen könne. Von dort kamen sie vielleicht nach Italien. Aber der General hatte schon alle Hoffnungen aufgegeben, daß es für sie beide eine Zukunft geben könnte. „Ich muß verschwinden", sagte er. „Du allein hast dann eine Chance. Du fährst nach Belgrad zurück, tust weiter deine Arbeit, als sei nichts gewesen, und ich verschwinde." „Wohin?" „Überlaß das mir, bitte." „Wie verschwinden, Juri?" wollte sie wissen. „Ein Flugzeug kann abstürzen." Da erklärte sie, diese Kabine nicht zu verlassen, wenn er nicht schwöre, von diesem Plan abzulassen. „Schön, ich schwöre es." Nun nahm der General einen Briefumschlag aus seinem Aktenkoffer.
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„Darin findest du alles, was ich über die Vorgänge auf den Komsomolez-Inseln ermitteln konnte. Trage ihn am Körper, lies ihn, und dann vernichte ihn. Und laß uns nicht mehr darüber reden." „Weißt du", sagte sie leise, „was heute anders ist als sonst? Sonst umarmten wir uns, rissen uns die Kleider vom Leibe und liebten uns erst einmal," Der General versuchte zu lächeln. „Dann laß uns das jetzt nachholen", schlug er vor. Sie umarmten sich. Katherina Carlowa löste sich von ihm und ging in den Waschraum am Ende der Kabine. Als sie wieder herauskam, hatte sie nur ein Unterkleid an. Darunter war sie nackt. Ihre dunklen Brustwarzen zeichneten sich ab. Das dunkle Dreieck zwischen ihren Schenkeln schimmerte wie Persianerfell. Sie liebten sich, als sei es das letzte Mal, wi ld und verzweifelt. Es war wie nie zuvor schmerzhaft, aber auch berauschend. Erschöpft fielen sie aneinandergeschmiegt auf dem Liegebett in den Schlaf. Spät - es mochte gegen 2.00 Uhr sein - erwachte die Botschafterin, als Juri die Liege verließ. Sie hörte ihn in den Waschraum gehen und versuchte weiterzuschlafen. Eine Stunde blieb ihnen noch. In einer Stunde mußte die Entscheidung fallen. Die Entscheidung fiel schon in der nächsten Minute. Der Knall eines Schusses peitschte durch die dünne Aluminiumwand. „Juri!" schrie die Carlowa, tastete durch das Halbdunkel und riß das Schott zum Waschraum auf.
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General Juri Rakitin lag am Boden zwischen WC und Becken. Er hatte sich durch den Mund ins Gehirn geschossen. Das Neunmillimeter-Projektil hatte ganze Arbeit geleistet. Oberhalb der Augen war von seinem Schädel nichts mehr vorhanden.
9. Urban stand am Fenster. Die Tänzerin lag auf dem Grand lit, wie man in Frankreich die eineinhalbschläfrigen Betten nannte. Für eine Person waren sie zu breit, für zwei zu schmal. Sie taugten für einen Mann und eine Liliputanerin oder für ein Liebespaar. „Worauf wartest du?" fragte Wera. Sie hatten sich darauf geeinigt, sich ohne Namen, nur mit du anzureden. „Daß sich ein gelber Mehari oder ein grauer CX sehen läßt." „Wie sollten sie uns hier finden." „Hast du eine Ahnung von Agenten. Das sind Bluthunde mit Intelligenz." Man konnte die Straße auf achthundert Meter überblicken, sowohl ins Tal auf Agay zu als auch bergauf. „Nach einem Tag, ist da eine Spur nicht erkaltet?" „Kalt ja, aber nicht verschwunden." ,,Du hast extra eine zweite gelegt" „In die falsche Richtung. Ich fürchte nur, es war ein wenig zu falsch." Es hätte ihn nicht gewundert, wenn sie das
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Versteck gefunden hätten. Es hätte ihn aber auch gewundert, wenn sie es nicht fanden. „Wem gehört dieses Haus?" fragte Wem. „Dem Freund eines Freundes eines Freundes", sagte er. „Und der bist zufällig du selbst." „Für mich ist die Riviera meist Kampfgebiet", erwiderte er, „Spielwiese von Gangstern und Ganoven. Wer baut seine Hütte schon auf Kriegsschauplätzen." So sehr wie er sein Augenmerk der Straße widmete, horchte sein Ohr aufs Telefon. Diese Nummer kannten nur zwei Leute. Der Operationschef, Oberst Sebastian, und der Vizepräsident. Urban hatte kurz den Erfolg des Unternehmens bestätigt. Seitdem hatte er nichts mehr gehört. Kein gutes Zeichen. Er fühlte sich isoliert. Trotz der Meldung füllte er sich von der Zentrale und von der Außenwelt abgeschnitten. Und im Radio wie im TV gab es nur Blabla, Werbung, Zwölfton-Pop oder alte amerikanische C-Filme. „Wann kaufen wir", fragte Wera, „was du Klamottinis nennst?" „Morgen." „Das hieß es gestern schon." „Es geht um deine Sicherheit Bedien dich aus dem Wäscheschrank der Dame des Hauses." „Bedaure, aber die Gemahlin des Freundes des Freundes eines Freundes hat Größe sechsundvierzig." „Dann mach einen Knoten rein", schlug er vor. Sie stand auf, um zum dritten Mal zu baden.
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Immer wenn sie aus dem Bad kam, hatte sie etwas Begehrliches in den Augen. Dann überkam es auch ihn. Aber er wußte sich zu beherrschen. Für ihn war dieses Geschöpf wie ein Baby, das er aus den Händen von Kidnappern befreit hatte. Damit trieb man keine Sexspielchen, auch wenn sich ein verregneter Nachmittag dazu anbot. Andererseits war sie ein raffiniert schönes Weib und wollte es vielleicht noch stärker als er. Sie kam mit hochgestecktem Haar im viel zu weiten Bademantel, der vorne klaffte und legte sich malerisch hin. „Die Pralinen sind auch alle. Die letzten waren ranzig." „Denk dir was für das Abendessen aus", schlug er vor. „Können wir nicht in ein Restaurant gehen?" „Übermorgen." „Ich friere" hörte er sie nach einer Weile. „Mich friert, heiß das", verbesserte er. „Schön, mich friert also." „Dann deck dich zu." Sie lag reichlich entblättert herum, und er war nicht aus Eisen, nicht einmal aus Holz. Das war so eine Sache mit Tänzerinnen. Entweder sie waren lesbisch oder frigide. Wenn nichts davon zutraf, dann waren sie verrückt auf Sex, ebenso wie Hochleistungssportlerinnen. Im Grunde war der Beruf der Tänzerin nichts anderes als der einer professionellen Athletin. Eine Primaballerina war Olympiaklasse, und ohne Training war sie noch stärker auf Sex fixiert.
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„Im Keller ist ein Hometrainer", erinnerte er Wera. „Ich hatte mal einen Bekannten", erzählte sie, „der stellte einen Grundsatz auf: Jeder Herzschlag, den du anstatt im Bett am Sportplatz vergeudest, ist ein verlorener Herzschlag." „Stimmt", sagte er, drehte sich um und sah sie liegen. Daß es sie fror, wunderte ihn nicht, denn sie war total nackt. In diesem Moment schrillte das Telefon.
Der Vize war dran. „Hat einige Zeit gedauert", berichtete er. „Jetzt haben sie es endlich kapiert." „Langley?" „Der CIA-Direktor weiß Bescheid und klärt drüben die Lage." Bedeutet das bleifreie Luft?" „Man hat uns versprochen, daß das Einsatzkommando Moulin Rouge auf der Stelle abgezogen wird" „Und die Konsequenz für mich?" „Sie richten sich nach den Wünschen der Dame Carlowa. Was immer sie möchte, zurück zur Truppe oder ein Flugticket irgendwohin, erfüllen Sie ihr diese Bitte." Urban fürchtete, daß sie ganz andere Wünsche hatte. „Noch eine Frage. Wie läuft es in Belgrad?" „Wir glauben, daß unser Maulwurf dort außer Gefahr ist. Aber wie es aussieht, hat die Aufklärung
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des Falles Nordlicht damit einen Rückschlag erlitten." „Schon möglich." „Sie ist trotzdem vorrangig. Sie bleibt absolut die Nummer eins." „Ich werde es beherzigen", versprach Urban. „Wann können wir Sie erwarten?" „Morgen." Damit legte er auf. Die Russin hatte kaum etwas verstanden. Aber ein Wort hatte sie doch mitbekommen. „Morgen, tomorrow, domani, demain. Dein ohnehin magerer Wortschatz, mein Freund, besteht vorwiegend aus diesem Begriff. Wie wäre es mit adesso, just, maintenant oder jetzt?" Er nickte. „Jetzt, Genossin, packen wir den Koffer." Sie richtete sich auf und zog das Laken über ihre Meinen Brüste. „Neue Befehle?" fragte sie beunruhigt. „Allerdings." Graziös, wie es nur eine Tänzerin vermochte, stand sie auf und kam näher. „Da ich nicht das Objekt deiner Begierde bin, sondern das Objekt eurer Politik, darf ich vielleicht fragen, was man nun mit mir vorhat." „Nichts mehr, Gospodina" „Warum dann Koffer packen?" „Man hatte etwas mit dir im Sinne, aber es erübrigte sich." „Und jetzt will man mich loshaben, abschieben. So rasch, so elegant, so lautlos wie möglich", fuhr sie ihn an. „Da ist was Wahres dran."
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Sie stand dicht vor ihm. Der Duft der GuerlainSeife, die der Dame des Hauses gehörte und die Wera beim Baden benutzt hatte, wurde deutlich. Es war die Süße Schwere von Mitsouko. „Warum", fragte sie wütend, „und wozu hat man mich benutzt?" Jetzt sagte er es ihr, denn sie hatte ein Recht darauf. „Um deine Mutter zu erpressen." „Meine Mutter?" „Du hast doch eine, oder? Sogar eine sehr prominente." „Was könnte sie wissen, was man in Washington nicht weiß." „Nun, sie ist immerhin Botschafterin der UdSSR in Jugoslawien." Es hatte sie getroffen wie ein Peitschenhieb, aber sie überwand es schnell. Offenbar hatte sie etwas Derartiges erwartet. „Womit zu erpressen, ihr Bastarde?" „Kidnapper pflegen gewöhnlich Geld zu verlangen. Von deiner Mutter wollte man Informationen." „Worüber?" „Frag mich was anderes", bat er. „Ein Staat wie die Sowjetunion umgibt sich immer mit Geheimnissen. Sie können für den Gegner lebenswichtig sein. So wichtig, daß man auch vor Entführungen nicht zurückschreckt." Man sah ihr an, wie es in ihr arbeitete. „Wenn ich von jetzt ab frei bin, bedeutet das, daß sich die Erpressung erübrigt hat. Mithin gibt es mehrere Möglichkeiten. Man hat von meiner Mutter die Antwort erhalten, die Sache wurde anders 90
aufgeklärt, oder meine Mutter ist nicht in der Lage zu antworten. - Wie geht es ihr?" „Ich hoffe gut." „Sie war immer eine intelligente, loyale, vorsichtige Frau." „Dann wird es ihr auch weiterhin gutgehen", schätzte Urban. „Und jetzt solltest du packen." „Die Plastiktüte mit dem, was mir geblieben ist, steht bereit, Sir." Er trat ans Fenster. Ein Wagen fuhr vorbei. Ein weißer Peugeot. Er hatte ihn schon einmal gesehen. Der 504 gehörte wohl Leuten, die weiter oben wohnten. Urban drehte sich wieder um. Wera stand noch da wie vorhin, barfuß bis zum Hals, jetzt aber in die Bettdecke gewickelt. „Wo darf ich dich hinbringen?" „Habe ich die Wahl?" „Zu deiner Truppe nach Madrid, nach Paris oder zu einem Flugplatz?" „Nicht nach Madrid", entschied sie. „London wäre gut. Sie haben ein erstklassiges Ballett dort. Noch besser ist New York. Aber ich besitze nicht einen Dollar." „Laß das unsere Sorge sein." Ihre Züge entspannten sich. Die Schranke hatte sich gehoben und gab ihr freie Fahrt. Endlich schien sie zu wissen, wie es weiterging. Wera ließ das Bettlaken fallen, schmiegte sich an ihn und schlang ihre Arme um seinen Hals. Sie küßte ihn und nahm den Kopf zurück. „Warum küßt du mich nicht?"
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„Weil jemand im Garten ist." Jetzt hörte auch sie die Schritte. Urban schob sie vom Fenster weg.
Unter den Sykomoren, zwischen Zaun und Haus, standen zwei Männer. Sie hatten das Format von Hans Moser und Theo Lingen, aber mit Gesichtern, wie aus Pfannkuchenteig gebacken. Blaßgelb und am Rand schön kroß. Die beiden verständigten sich lautlos und verhielten sich professionell. Der eine ging um das Haus herum, der andere auf den Vordereingang zu. Urban hatte beobachtet, daß Wera einen Blick auf sie warf. „Kennst du sie?" „Nein, aber ... sie kommen mir bekannt vor." „Alle Agenten kommen einem bekannt vor." „Du glaubst..." „Ich bin sicher. Geh in Deckung." „Warum kommen sie jetzt, wo alles klar ist?" „Sie wollen dich wiederhaben. Nur darum geht es." „Zu spät. Jetzt will ich etwas anderes." „An der Metropolitan tanzen", sagte er, „oder in Hollywood" „Eine Million Dollar verdienen, ist das unmoralisch?" Urban preßte den Finger an die Lippen, denn er hörte die Hintertür gehen. „Leg dich hin, überkreuz die Arme so, als seist du gefesselt", flüsterte er, verließ das Zimmer und trat
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ins Dunkel unter der Treppe zum Dachraum. Dort wartete er. Die zwei Agenten hatten sich in der Wohnhalle getroffen. Der kleine, der von hinten kam und der Lange, der von vorne eingetreten war, verständigten sich offenbar stumm. Während einer die unteren Räume absuchte, knirschten sandige Schuhsohlen auf den Steinstufen. So leise war es, daß Urban den Atem des Mannes gehen hörte. Etwas schnappte stählern. Er hatte die Pistole durchgeladen. Ein Schatten bewegte sich an der Wand. Es war der Kleine. Jetzt stand er auf dem oberen Flur, stieß die Tür zum Badezimmer auf. Er schnupperte und schien alles zu wissen. Im Bad war es noch feuchtwarm. Die Fenster waren beschlagen, es duftete nach Badeschaum und Parfüm. Der Agent machte blitzartig kehrt, trat die Tür zum gegenüberliegenden Zimmer auf und sprang hinein. Er sah noch Wera liegen, schon explodierte Urbans Handkante in seinem Nacken. Er spreizte sich hoch, stellte sich auf die Fußspitzen. Dadurch wuchs er fast um Kopflänge. Dann tat die Hochspannung das ihre und durchschlug die Sicherung. Stromlos sackte er zusammen. Urban fing ihn auf und legte ihn sanft hin. Aber die Waffe entglitt seiner Hand und polterte zu Boden. Von unten rief der andere auf russisch: „Mischa, was ist da oben los, Mischa?"
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Urban fiel keine passende Antwort ein. Er brummte nur etwas. Fluchend hetzte der andere herauf. Er nahm mehrere Stufen gleichzeitig und schoß wild um ach. Automatisch wandte er sich oben erst nach rechts zum Gästezimmer. Dort hatte Urban den Kleinen unter den Achseln gepackt, hochgezogen und auf die Beine gestellt. Er hielt ihn wie einen Schutzschild vor sich. So stand er unter der halboffenen Tür. Der Lange kam vom Dunklen ins Helle, sah etwas, hielt es für den Gegner und schoß. Er feuerte zweimal. Der Kleine wurde getroffen. Urban schleuderte ihn seinem Partner entgegen und sprang in Deckung. Der Lange fluchte wütend über seinen Irrtum. Er schoß durch die offene Tür, dann stürmte er hinein. Urban streckte den Fuß vor. Der Russe stürzte, rollte aber noch im Fallen herum, zielte auf Urban und drückte ab. Urban hatte mitgezählt. Die Markarow war leer. Der Schlagbolzen klickte. Nun schleuderte der Russe die Waffe auf Urban. Urban riß das Laken von Wera und warf es über den Gegner. Der war für einen Moment blind. Das nützte Urban, packte den Stuhl, hob ihn hoch und ließ ihn dort fallen, wo er den Kopf des Gegners vermutete. Unter dem Leinen zuckte es ein paarmal, dann war der zweite Mann des KGB-Kommandos so still wie der erste. Urban untersuchte seine Schußwunden. Nichts
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Angenehmes, aber auch nichts, was einen Mann umbrachte. „Komm", sagte er zu Wera. „Es wird Zeit."
Sie kauften ein paar Sachen für sie. Einen Koffer, Jeans, T-Shirt mit Straß bestickt, einen weißen Trenchcoat, Boxcalfstiefel. In St. Raphael betrat Urban das Büro der Air France und ergatterte einen Platz in der Abendmaschine nach London. Von dort buchte er gleich weiter bis New York und über den Hotelcomputer ein Zimmer in Manhattan. Aus seiner Dispositionsreserve, über die er bei Einsätzen dieser Art verfügte, nahm er zweitausend Dollar und steckte sie in einen Umschlag. Nach dem Essen fuhren sie nach Marseille. Es wurde dunkel, als sie Marignane Airport erreichten. Der Parkplatz vor der Abfertigung war fast leer. Urban stellte den BMW ziemlich weit draußen hin. Dann erteilte er Wera ein paar Ratschläge. „Danke, ich bin alt genug", entgegnete sie. „Du verwendest den amerikanischen Paß, den die CIA-Burschen benutzt hätten, um dich über die Grenze zu bringen." „Wozu soll er sonst gut sein?" reagierte sie patzig. Er übergab ihr den Umschlag mit den Banknoten und das Ticket. „Mehr kann ich nicht für dich tun", bedauerte er. „Wirklich nicht?" „Was denn noch?"
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Sie hatte wieder den Glanz der Erregung in den Augen, wie vor einer Premiere oder nach einem rauschenden Erfolg. „Das, vielleicht, woran wir zweimal gehindert wurden." „Hier?" Urban schaute sich um. Es war dunkel, nur wenig Licht fiel herein. „Dazu ist überall Platz und Zeit. Wenn man es will", bemerkte sie. Sie war Tänzerin und auf rasches Umziehen trainiert. Beim Garderobewechsel zog man das eine Kostüm aus und das andere an. Wera verachtete auf das andere. Sie behielt das attraktivste an, das sie besaß, das Eva-Kostüm. Urban kippte den Sitz rechts ab. Seine Hand tastete bei ihr dorthin, wo ihre Hand bei ihm schon lange verweilte. „Du bist mit der Pille auf der Höhe?" fragte er anstandshalber. „Laß das meine Sorge sein." „Wenn du in deinem neuen Leben etwas nicht gebrauchen kannst, ist das eine Schwangerschaft." „Bei uns unterziehen sich alle Primaballerinen einer kleinen Operation. Also keine Sorge. Und wenn schon." Er überließ es ihr. Er hatte gefragt. Jetzt fragte er nicht mehr und gab ihr und sich das, woran sie schon lange und intensiv gedacht hatten. Es war eng, doch sie war sehr schmal und beweglich, und es lief wirklich so optimal, wie es in einem BMW-Coupe überhaupt zu machen war. Sie lagen entspannt da Urban schaute auf die Uhr. „Noch Zeit?"
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„Ja, fünfzig Minuten." „Genug." „Wofür?" „Für noch einmal", entschied sie. Später fragte sie. „Du bist unverheiratet?" „Auch sonst keine Kinder." „Würdest du welche wollen?" „Ich wäre ein schlechter Vater. Natürlich könnte ich mit Kindern umgehen, auch mit Müttern, aber bei diesem Job?" „Was bist du für ein Mann, Bob?" Er zögerte mit der Antwort. „Ein Einzelgänger, ein einsamer Wolf mit wenig Freunden. Es gibt zwei Typen von Männern, die einen sind geboren, andere zu führen, und die anderen sind geboren, sich führen zu lassen, sie laufen den Führern nach." „Und wozu bist du geboren?" „Zu keinem von beiden", gestand er. „Ich muß so in den Tag hinein leben, als wäre jeder der letzte, als hätte ich heute den letzten Abend vor mir." „Keine Angst vor dem Tod?" „Nur vor der Prozedur ein bißchen." „Versuche, es hinauszuziehen", scherzte sie, „deine Beerdigung." „Das wird eine festliche Beerdigung", spottete er. „Keiner geht hin." „Ich komme", versprach sie. „Du bestimmt", sagte er. Gegen das beschissene Gefühl, das sie beide plötzlich spürten, halfen nur zwei Schlucke aus der bourbongefüllten Reiseflasche.
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Er begleitete Wera Carlowa bis zum Flugsteig. Später schaute er der Maschine nach, als sie in den Nachthimmel zog. Dann trat er die Achthundert-Kilometer-Fahrt nach München an. Der nicht ganz ereignislose Tag machte sich bemerkbar wie Wetterwechsel. Im Grunde war es auch einer. Was zurückblieb war das Apres-amour-Gefühl und ein eiserner Reifen, der sich um den Kopf legte und langsam enger wurde. Kein Wunder. Ein ungelöster Fall, das Adieu mit Wera, die Fahrt nach München. - Es gab zwei Möglichkeiten: eine Kanne Kaffee oder einen der kleinen weißen Nothelfer. Er drückte eine Tablette aus der ThomapyrinPackung. Nimm besser zwei, dachte er. 10. In dieser Woche erreichten Katherina Carlowa, Botschafterin der Union der Sozialistischen Sowjetrepubliken in Jugoslawien, Anrufe internatioaler Zeitungskorrespondenten. - Jeder bat um ein Interview. Die Weltöffentlichkeit hatte mit dem Tode von General Juri Rakitin ihre Sensation und gierte nach Einzelheiten. Die Botschafterin war durchaus bereit, sie der Presse zu liefern. Selbst die KGB-Ermittler, die sie mehrmals verhört hatten, hatten nicht gewagt, ihr einen Maulkorb umzuhängen. Schließlich sagte sie dem Korrespondenten der
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Neuen Zürcher Zeitung zu. Nicht nur, weil es sich um ein bekannt seriöses Blatt handelte, sondern weil es auch in München gelesen wurde. Der Schweizer Journalist erschien pünktlich und brachte wie üblich seinen Fotografen mit. Der mußte allerdings während des Gespräches im Vorzimmer warten. Beim Tee und ein paar einleitenden Sätzen, sagte der Mann aus der Schweiz: „Darf ich mein Tonbandgerät mitlaufen lassen, Exzellenz?" „Wenn es sein muß." Er stellte den Minirecorder zwischen die Blumen und den silbernen Samowar und schaltete ihn ein. „Exzellenz, Frau Botschafterin!" Er begann gleich mit einem Tiefschlag: „Wie kam es zum Tod von General Rakitin?" Die Diplomatin behielt Format. Sie antwortete, ohne daß ihr Wimpernschlag sich erhöhte. „Rakitin erschoß sich." „Sie waren dabei, Exzellenz?" „Nicht, als er es tat." Sie konzentrierte sich darauf, was sie den KGBLeuten erzählt und wie sie bei ihrem Besuch in Moskau den Hergang dargestellt hatte. Nicht im kleinsten Detail durfte sie davon abweichen. Der Schweizer kam schon zum nächsten Punkt. „Sie trafen sich auf einem Flugplatz jenseits der Grenze, in Rumänien." „Wir waren befreundet." „Man sagt, es sei mehr gewesen", wandte der Schweizer ein. „Was ist mehr als Freundschaft?"
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„Liebe zum Beispiel, Gnädige Frau." „Liebe ist wie junger Wein, Wenn er reift und edel wird, dann wird Freundschaft daraus", antwortete sie routiniert und geübt darin, nicht alles beim Namen zu nennen. Der Schweizer, bekannt dafür, daß er hart fragte, aber auch fair berichtete, bohrte weiter: „Warum trafen Sie sich heimlich?" „Ist ein Flugplatz ein geheimer Treffpunkt? Ich dachte, heimliche Liebesnester seien verschwiegene Villen oder Lichtungen in Wäldern." „Heimlich ist, was von der Öffentlichkeit verborgen werden soll. Es war Nacht. Niemand wußte, wohin Sie fuhren. Auch der Flug des Generals war nicht offiziell angemeldet." Sie lehnte sich zurück, spielte mit ihrer Perlenkette und dachte nach. „Gewisse Dinge sind in einem Gesellschaftssystem wie dem unseren nicht vorzeigbar. Beziehungen zwischen Prominenten etwa." „Sie sind beide geschieden. Sie ebenso wie der General." „Ich bin Witwe und außerdem nicht sein Scheidungsgrund." Der Reporter wechselte nun das Thema. „Warum, glauben Sie, Madame, erschoß sich der General?" „Darüber schrieben die Zeitungen ausführlich." „Er glaubte, Krebs zu haben. Aber die Obduktion ergab, daß er gesund war. Kein Krebs." „Psychosomatische Krankheitszustände, Erkrankungen der Seele etwa, kann man bei Obduktionen nicht erkennen."
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„War es etwas Derartiges?" Sie nickte und sagte dann, als gäbe sie ein Geheimnis preis: „Er litt an Depressionen." Es war die krasse Unwahrheit. Juri hatte sich getötet, weil er keinen Ausweg mehr gesehen hatte. Aber wenn sie das zugab, dann lieferte sie sich selbst ans Messer. Man würde fragen, was denn so ausweglos gewesen sei. In was sie sich beide verstrickt hatten. Das Interview dauerte gut eine Stunde. Am Ende, als er die Bandkassetten mehrmals gewechselt hatte, bat der Schweizer noch, ein Foto machen zu dürfen. Fotos seien für Interviews nicht nur gut, sondern wichtig, praktisch unabdingbar. „Ein Bild", erlaubte die Botschafterin. „Nur ein einziges. Und zwar draußen." „Es stürmt und regnet, Exzellenz", gab der Reporter zu bedenken. „Draußen!" entschied sie und bat ihn zu warten. Nach wenigen Minuten kam sie wieder. Sie trug einen hellen Popelinemantel, der innen mit Polarfuchs gefüttert war und einen Polarfuchskragen hatte. Nur in ihm wollte die Botschafterin fotografiert werden. Und zwar mit einer selbstgedrehten Zigarette im Mund, einer Papirossa, die sie mit einem altertümlichen Benzin-Sturmfeuerzeug ansteckte. Der Reporter stellte keine Fragen mehr. Und der Fotograf blitzte sie so, wie die Botschafterin es wünschte: in halboffenem, mit Polarfuchs gefütter-
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ten Mantel, mit der Selbstgedrehten zwischen den Lippen, die sie dann mit einem Sturmfeuerzeug ansteckte.
Die Zeitungsleute fuhren weg. Die Botschafterin ging ins Haus und fand einen Mann in ihrem Arbeitszimmer. Zwar verfügte sie über ein hervorragendes Personengedächtnis, aber diesen Burschen hatte sie nie vorher gesehen. „Wie kommen Sie hier herein?" fuhr sie ihn an. Er sah aus wie ein junger Terrorist. Schwarzer Bart, glühende Augen, drahtig wie ein Bergsteiger. Er gefiel ihr vom ersten Augenblick an nicht. Der Fremde schwieg. „Ich rufe die Wache", drohte sie. „Pardon, Madame" antwortete er jetzt. „Ich beherrsche Russisch nur sehr unzureichend." Sie wiederholte es also auf englisch, das sie perfekt beherrschte. Doch er blieb stehen, wo er war, und schien völlig unbeeindruckt. „Nein Name ist Andreas Ponater." Jetzt erinnerte sie sich. ,,Doch nicht dieser Südtiroler Vulkanologe?" „Ich bin es, Madame." Das machte sie nicht nur ratlos, sondern bestürzt. „Was ... mein Gott, wie kommen Sie ausgerechnet hierher?" „Ich bin auf der Flucht, Madame." „Zu mir?" „General Rakitin nannte mir eine Anlaufadresse, an die ich mich im Notfall wenden könnte."
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Das nahm sie ihm nicht ab. Wenn er auf der Flucht war, dann auf der Flucht aus Rußland. Dann glaubte er, von KGB-Agenten verfolgt zu werden. So ein Mann begab sich nicht in die Mausefalle, die eine Sowjetbotschaft für ihn darstellte. Er ging zu seinen eigenen Leuten, zu den Italienern, und ließ sich von dort aus weiterhelfen. In Belgrad war das schlimmste Stück schon geschafft. Der Mann gefiel ihr immer weniger. Daß er etwas von Rakitin zu überbringen hatte, daran glaubte sie auch nicht. Die Hintergründe der KomsomolezVorgänge hatten in Rakitins Brief gestanden. Um diesen Punkt der Erkenntnis und des Mißtrauens zu erreichen, brauchte die Botschafterin weniger als zehn Sekunden. Sie näherte sich dem Wissenschaftler, blieb vor ihm stehen und musterte ihn scharf. Sie fixierte seine Augen bis zur Schmerzgrenze, bis er den Blick senkte. „Sie belügen mich, Ponater." „Ich bin in Gefahr, wie Sie in Gefahr sind, Madame." „Ach Unsinn! Sie wollen mich in Gefahr bringen. Das ist es. Sie belügen mich." „Wie sollte ich ..." „Sie sind ..." Ihr Finger stach geradezu auf ihn ein. „Sie sind ein Provokateur des KGB. Geben Sie es doch zu. Man hat Sie geschnappt und umgedreht. Man ließ Sie unter der Bedingung laufen, daß Sie zu mir kommen und mich aufs Kreuz legen." Die Redewendung aufs Kreuz legen gehörte normalerweise nicht zu ihrem Wortschatz, aber sie wollte ihm die Situation so genau wie möglich
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beschreiben. Sie zweifelte nicht im mindesten daran, daß es sich so verhielt, wie sie es gesagt hatte. Ponater erblaßte. Mühsam stützte er sich am Schreibtisch ab und sackte in einen der Sessel. „Madonna!" brach es aus ihm heraus. „Sie haben es durchschaut." Es war nicht schwer gewesen. Seit dem Tod des Generals wurde sie pausenlos überwacht. Jeder ihrer Schritte wurde registriert, jedes ihrer Gespräche belauscht, ihre Telefonate abgehört. Wohin sie ging oder fuhr, man folgte ihr. Und jetzt noch dieser Bursche. Was für ein übler Trick, um sie zu überführen. Man nahm an, daß sie Informationen besaß, und wollte verhindern, daß sie diese weitergab. - Demnach wußten sie mehr. Sie wußten wohl so gut wie alles. Nur fehlten ihnen noch die Beweise. Nun suchten sie nach einem Weg, sie als Verräterin zu paralysieren. Gar nicht so einfach bei einer Botschafterin. „Was", fragte sie, „verlangt man von Ihnen?" Der Vulkanologe begann zu stottern. „Daß ich zu Ihnen eindringe, Sie im Namen des Generals um Hilfe bitte. Falls Sie mir diese Hilfe gewähren, bin ich der Zeuge für Ihre konspirative Tätigkeit mit General Rakitin. Man versprach mir Belohnung und die Rückkehr in meine Heimat." Da begriff Katherina Carlowa, daß sie nur noch eine Chance hatte, ihre Haut zu retten. Sie hob das Telefon ab. „Die Wache!" rief sie. „Aber schnell!" Wenig später versammelte sich das KGB-Team, das für die Sicherheit in der Botschaft verantwortlich war, im Arbeitszimmer. 104
„Wie, Genossen", die Botschafterin deutete erregt auf Ponater, „ist es möglich, daß dieses Individuum in die Botschaft gelangte?" „Er hatte einen Visumsantrag", redeten sie sich heraus. „Und offenbar einen Plan, wie man in meine Privaträume gelangt. Wollen Sie, daß man ein Attentat auf mich verübt? Nehmen Sie ihn fest! Selbstverständlich werde ich Sie alle zur Verantwortung ziehen." Sie ergriffen Ponater und führten ihn hinaus. Unter der Botschaft gab es Räume, die sich als Gefängniszellen eigneten, weil sie speziell für diese Zwecke eingerichtet waren. „Und den Sicherheitschef zu mir!" befahl die Botschafterin, immer noch in gut gespielter Wut. Was sie auch tat, es konnte nur einen Aufschub bedeuten. Aber was sie jetzt brauchte, war Zeit. Ein paar Tage oder auch nur vierundzwanzig Stunden.
11. Der britische MI-6 und die CIA waren sich selten so einig. Die Chefs dieser befreundeten NATO-Geheimdienste trafen sich in der Villa von Lord Babington in London. Man kannte sich schon lange und so gut, wie Kameraden vom Kriegspfad, die durch die Splitter von ein und derselben Granate verletzt worden waren.
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Der fettleibige Babington und der hagere Amerikaner verstanden sich ausgezeichnet. Erst recht bei einem Glas Whisky, wenn sie auch unterschiedliche Marken bevorzugten. Es ging auf Mitternacht. Am Kaminfeuer entwikkelte sich ein Dialog, als wäre dies die Stunde vor dem Weltuntergang. „Die sowjetische Strategie zielt auf Überlegenheit gegenüber jeder anderen Macht", erklärte der Amerikaner. „Daran ändern die frommen Sprüche von Regierungschefs wenig. Was ist schon ein Präsident, was sind vier Jahre Amtszeit. Wir befinden uns im kalten Krieg. Er dauert schon zehnmal so lange, wie ein Präsident normalerweise im Weißen Haus residiert." „Die sowjetische Politik ist verlogen", pflichtete der Brite dem Amerikaner bei. „Seit siebzehn Jahren schon beobachtet mein Dienst ein Programm, das man als sowjetisches SDI bezeichnen kann. Also genau das, wogegen sie ständig lärmen." Der Amerikaner faßte es in Details: „Die Russen haben Killersatelliten. Die Russen haben das einzig bestehende Raketenabwehrsystem der Welt. Es ist rund um Moskau stationiert. Die Russen haben alle ihre neuen SS-24 Interkontinentalraketen elektronisch gehärtet und beweglich gemacht. Sie können von Spezialeisenbahnwagen aus, die ständig in den weiten UdSSR unterwegs sind, gestartet we rden. Die Russen haben eine permanente Raumstation und bauen sie aus. Beinah jeden Monat schießen sie eine neue Komponente in den Orbit und montieren sie an. Die Russen sind mithin zu Echtzeit-Aufklärung fähig. Die Russen
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besitzen einen derart hochenergetischen Laser, der in der Lage ist, heute schon unsere Satelliten im Weltraum zu blenden. Die Russen haben in Krasnojarsk ein neues Phasenradar errichtet. Sein Schirm umfaßt die Größe von fünf Fußballfeldern. Die Russen haben zweiundsiebzig strategische U-Boote mit mehr als eintausendfünfhundert Saturnraketen, und seit Februar sind sie offenbar imstande, einen geheimnisvollen Schutzschild über ihr ganzes Land zu spannen. Da kann man einen freundlichen Händedruck zwischen den Staatschefs doch nur als blanken Hohn empfinden." Der CIA-Chef hatte so heftig und erregt gesprochen, daß er Herzklopfen bekam. Der Brite pflichtete ihm rückhaltlos bei und faßte alles in wenigen Sätzen zusammen: „Die Weltraumrüstung ist bei den Russen schon Wirklichkeit. Dadurch haben sie jetzt Mittel zur Verstärkung ihrer konventionellen Waffengattungen. Sie ziehen ohnehin vor, einen Krieg mit Panzern, Artillerie und Infanterie zu führen. Darin sind sie uns haushoch überlegen. Und sie sind überzeugt, daß sie so einen Krieg gewinnen." „Alles ist nur eine Frage der Zeit", befürchtete der Amerikaner. „Auf unserer Seite aber regieren zu sehr Glaube und Hoffnung." Batrington steckte sich eine Havanna an. Nach den ersten Zügen blies er auf die Glut, daß sie hell leuchtete. „Man muß Dinge, die man liebt, genießen", sagte er. „Wie lange haben wir sie noch. Vielleicht gar nicht mehr lange. Der Russe hat seine letzte Blöße bedeckt. Die einzige Lücke, die es noch gab, nämlich
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die offene sowjetische Polarfront, haben sie offenbar geschlossen." „Aber mit welcher neuartigen Technologie?" „Fragen wir doch die Kollegen in München", schlug der Brite vor. „Sie nahmen uns das einzige Mittel \\eg, von dem wir uns Erfolg versprachen." „Die Tänzerin?' „Tochter der russischen Botschafterin in Belgrad", ergänzte der CIA-Chef. „Was weiß die schon von High-Tech-Waffen." „Sie war mit General Juri Rakitin liiert", erinnerte der Amerikaner. „Rakitin ist tot." „Er nahm sich das Leben, als der KGB hinter ihm her war. Einen Mann, der nichts weiß und der nicht bereit ist, sein Wissen weiterzugeben, den läßt man gewöhnlich in Ruhe." „Ob die Carlowa jetzt das Geheimnis kennt?" überlegte der Lord. „Fragen Sie die Kollegen in München. Die Carlowa ist ihr Spion." „Man hört, sie sei praktisch isoliert." „Warum holen die Deutschen sie nicht schleunigst heraus?" „Sie ist ihr bester Maulwurf im Ostnetz." „Ein erkannter Maulwurf ist ein toter Maulwurf. Man muß die Carlowa herausholen, solange sie uns noch nützt." Der Lord legte ein Scheit Buchenholz nach und entschied sich: „Ich spreche mit München." „Aber wir warten nicht mehr lange."
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„Ich fürchte, Sie meinen das im Ernst", sagte der Engländer, ging in sein Arbeitszimmer und hob den weißen Apparat ab, der ihn mit seiner Zentrale verband. Dort bestellte er eine Verbindung mit Bonn, Kanzleramt, Voranmeldung Kanzleramtsminister, der gleichzeitig Chef der deutschen Nachrichtendienste war.
Wenn es gegen die Germans ging, fühlten Briten und Amerikaner sich noch immer stark, wie damals, als sie Alliierte waren. Sie setzten Bonn unter Druck. Bonn gab den Druck nach München weiter. Unerfüllbaren Forderungen gegenüber hatte man im BND-Hauptquartier jedoch eine Art Bunkermentalität entwickelt. „Aber aussitzen können wir das nicht", entschied der BND-Vize. „Die Bündnispartner verlangen Fakten. Die Amerikaner behaupten, wir hätten ihnen dadurch, daß wir die Tänzerin befreiten, ihr Spiel ruiniert." „Nun verlangen sie von uns, daß wir die Königin opfern", ergänzte Urban. „Wenn wir dadurch ein Schachmatt holen." „Bestenfalls ein Remis", meinte Urban. „Auch wenn es uns gelingt, die Carlowa heil herüberzubringen, ist sie fortan wertlos." „Weiß sie aber etwas über diese Nordlicht-Sache, dann war sie wertvoll genug. Dann war das die wundervolle Schlußapotheose ihrer Laufbahn." „Na schön, machen wir Schluß mit der Apotheke."
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Der Vize fand Urbans Bemerkung nicht komisch. „Haben Sie schon darüber nachgedacht?" „Wir waren ziemliche Stümper, wenn es keinen Plan gäbe", antwortete Urban. „Und wie sieht der aus?" „Wir haben mehrere Möglichkeiten ins Auge gefaßt. Sie richten sich nach dem Grad der Maßnahmen, die der KGB zum Schutz der Carlowa veranlaßte. Beim KGB haben sie in den letzten Jahren die Taktik geändert, verfeinert, würde ich es nennen. Heute denkt man umgekehrt. Man baut Fallen auf, läßt den Gegner ins Messer laufen und Klappe zu. Es geht lautlos und elegant. Man beschmutzt sich nicht, spritzt nicht mehr mit Blut um sich." Der Vizepräsident rauchte eine von seinen flachovalen filterlosen Ägyptischen. „Und wie stellt sich die Lage in Belgrad dar?" „Denkbar schlecht." Urban nahm eine zusammengerollte Zeitung aus seiner Sakkotasche. Es handelte sich um eine Zürcher. Er blätterte bis zur Seite drei durch. „Interview mit der Botschafterin der UdSSR. Und ein Foto." Der Vize, geübt im Querlesen - ohne Querlesen kam man nicht mehr durch die Aktenberge -, überflog den Artikel und blickte Urban an. „Na und? Alles bekannte Tatsachen." „Das Foto." „Hübsche Frau." „Fällt Ihnen etwas daran auf?" Der Vize nahm die Lupe. „Ja, es muß sich um ein älteres Foto handeln. Vermutlich wurde es schon im Winter aufgenom-
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men. Sie trägt einen pelzgefütterten Mantel. Das hätte sie angesichts der sommerlichen Temperaturen am Balkan wohl unterlassen." Urban deutete mit der Spitze seines Kugelschreibers auf helle Punkte im Hintergrund des Fotos. „Blühender Jasmin." „Also doch ein neueres Foto. Hat sie nur diesen einen Mantel?" „Wohl kaum. Und sie leidet auch nicht an einer Erkältung." Der Vize hob die rechte Braue. „Ob es Absicht war?" Urban deutete nun auf die Zigarette an ihren Lippen und auf das Feuerzeug. „Eine krumme, selbstgedrehte, fransige Papirossa", kommentierte er. „Nicht gerade ladylike", bemerkte der Vize. „Eine Botschafterin dreht sich die Zigaretten wie ein Muschik." „Wohl kaum", sagte Urban wieder. „Und das alte Ding von einem Sturmfeuerzeug ist Modell Zweiter Weltkrieg Eismeerfront. Soweit wir ermitteln konnten, waren damals die sibirischen Truppen damit ausgerüstet." „Interessant." Der Vize hob nun beide Brauen und bat um eine Erklärung. Doch die kam nicht. Urban knobelte noch daran herum. „Ob sie uns damit einen Hinweis liefern wollte?" fragte der Vize. „Sie wird vom KGB pausenlos bewacht. Keiner kommt unkontrolliert an sie heran. Ihre Telefone werden wahrscheinlich abgehört, notfalls gestört oder unterbrochen. Dachte Kathe-
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rina Carlowa, als sie den Fototermin gewährte, nur daran, daß der Reporter den Film in seiner Kamera mit in die Schweiz nehmen und daß dieses Foto in einer Auflage von mehreren hunderttausend Exemplaren erscheinen würde? Daß die Zürcher auch im BND aufmerksam gelesen wird, das wußte sie." „Vielleicht ein Hinweis", räumte Urban ein. „Aber in welche Richtung?" „Das Foto wird weiter analysiert." „Wann", wollte der Vize wissen, „können wir frühestens einen Befreiungsversuch starten?" Urban rechnete. Die Vorbereitungen durften nicht überhastet werden. Zu viel hing davon ab, daß man alle Möglichkeiten bedachte, daß man Pannen ausschloß und ein festes Auffangnetz spannte. „Übermorgen." „Das sollte reichen." „Wenn es übermorgen zu spät ist", äußerte Urban, „dann wäre es heute schon zu spät." „Haben Sie auch für diesen Fall einen Plan?" „Methode siebzehn", schlug Urban vor. „Okasa grausam für Elefanten und Seeleute." Dann allerdings half nur ein paramilitärisches Kommandounternehmen. Aber das war wohl das letzte denkbare Mittel.
In der Fahrbereitschaft überwachte Urban die Vorbereitung der Fahrzeuge. Sie montierten schußfeste Reifen an den Wohnwagen und installierten ein Radio, das auch als Sender zu benutzen war. „Statt Isolierwolle ist Kevlar in den Zwischen-
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wänden", sagte der Meister. „Kugelfest. Ein paar MC-Garben hält er aus." „Und das Versteck?" Sie zeigten es ihm. Es war geschickt eingebaut, groß genug für einen Menschen und nur zu finden, wenn man den Wohnwagen zerlegte. „Damit kriegst du sogar einen russischen Marschall unbemerkt über die Zonengrenze", versicherte der alte Kfz-Meister. Als Zugwagen wählte Urban den bewährten Mercedes 300 G. Mit diesem Kampfgerät kam er praktisch überall durch. Mit seinem Allradantrieb zerrte er den Wohnwagen notfalls quer übers Gebirge. Das Gespann sollte bis zum Abend startklar sein. Urban wurde ans Telefon gerufen. Das Fotolabor war dran. „Polarfuchs", übermittelten sie ihm. „Der Mantel der Carlowa ist mit Polarfuchs gefüttert." „Seid ihr sicher?" „Keine Polarfuchstatzen, nein, ganze Felle. Ein teures Stück." „Und das Feuerzeug?" „Sturmerprobtes Benzinmodell. Allerdings ziemlich neu. Die Dinger kommen wieder in Mode und werden nachgebaut. Aber es ist der alte Kosakentyp, wo unten der Docht raushängt. Übrigens, im Zigarettendrehen ist die Dame nicht sonderlich begabt. Was sie an der Lippe hängen hat, ist mehr eine Trompete. Am Ende klebt das Papier nicht richtig, wegen unzureichender Befeuchtung." Sie war nervös und hatte einen trockenen Mund, dachte Urban.
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Oben im Büro ließ er den Plan anlaufen. In Belgrad waren V-Leute zu verständigen. Für Hn- und Rückfahrt mußte die genaue Route festgelegt werden. Es galt, ein Depot zu errichten. Zwei Ausweichquartiere waren für den Fall, daß sie sich verstecken mußten, vorzusehen. Dafür wurden ein Campingplatz und ein Ferienhotel ins Auge gefaßt „Wie steht es mit Ärzten?" fragte Urban. „Wir organisieren auch das." „Es muß jederzeit ein Arzt verfügbar und so mobil sein, daß er mehrere hundert Kilometer fahren kann. Plus Notfallausrüstung, auch für kleinere Operationen." Es gab hundert Dinge zu berücksichtigen. Sebastian kam aus der Operationsabteilung herüber und fragte: „Schon gelesen?" Er nahm eine Zeitung aus Urbans Postablagekorb. Eine russische, die Prawda „Hinten, die technische Beilage. Sehr interessant." Urban blätterte sie durch. Neben dem rotangestrichenen Artikel fand er die deutsche Übersetzung angeheftet. Es handelte sich um den Beitrag eines prominenten sowjetischen Rüstungswissenschaftlers. Urban überflog ihn. Sebastian wartete ungeduldig. „Was sagen Sie dazu?" „Endlich rücken sie damit heraus." ,,Die lassen sich immer viel Zeit" „Aber diesmal kommt es zu einem Zeitpunkt, der
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mir mißfällt. Sie wissen, daß wir etwas unternehmen, und liefern uns prompt eine Erklärung." „Angeblich", zitierte der Alte, »können sie durch gezielte nukleare Vulkanerregungen einen Ascheschirm über die UdSSR spannen, der für SDIWaffen, Raketen, Marschflugkörper, Radar, Laser und so weiter undurchdringlich ist." „Ähnlich wie im Krieg die deutsche Flak durch abgeworfene Aluminiumdüppel irritiert wurde. Auch Asche kann reflektieren. Aus, also, für Radar und Infrarotsuchköpfe", fügte Urban hinzu. Der Alte nuckelte an seiner Virginia. „Und", wollte er wissen, „ist es das?" „Ich fürchte", antwortete Urban, „das ist es noch lange nicht." „Was dann? Bluff?" „Überall gibt es Gläubige und weniger Gläubige. Aber die Gutgläubigen haben gewaltige Stimmkraft und können damit vieles ändern. Leider fallen sie nur zu gerne auf Tricks, auf Lügen, auf Bluff herein. Jedenfalls ist der Artikel ein geschickter Schachzug." „Wir müssen endlich Klarheit bekommen." Urban schaute auf die Uhr, „In fünf Stunden fahre ich los, mische mich mit dem Wohnwagen in die Touristenströme." „Mein?" „Ein Mann allein mit Wohnwagen fällt auf. Ich nehme eine Kollegin mit." ,,Die Agentin Nummer sechsunddreißig." „Sie spricht Jugoslawisch." „An Ihrer Stelle" riet der Oberst, „würde ich mein
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Gesicht nicht so ungetarnt herumzeigen. Sie sind doch bekannt wie ein bunter Hund." Urban besänftigte den Operationschef. „Ich habe noch einen Termin beim Maskenbildner. Die Dolle kommt herunter, der Rest wird hell gefärbt. Aus dem Glencheck rein in Freizeitklamotten. Dazu einen Dreitagebart und Schulmeisterbrille." „Wie sieht die aus?" „Ein Mittelding zwischen Lupe und Mikroskop." Den Alten plagte wieder seine Gastritis. Er faßte sich an den Schmerbauch, seufzte und watschelte hinüber in die Operationsabteilung.
Es war eine laue, sternklare Nacht. Urban rollte mit seinem Gespann, dem langen Wohnwagen auf Tandemachse und vorne dran der 300 GD, auf der Autobahn Richtung Salzburg. Es war mehr ein Mitschwimmen im Urlaubsverkehr als ein zügiges Vorwärtskommen. Gerade das kam ihm gelegen. Daß sich die Urlauberflut auf Jugoslawien ergoß, war Teil seiner Taktik. Wo verbarg sich der Habicht besser als im Schwalbenschwanz. Es gab Unfälle und Staus. Mal ging es nur schrittweise voran, dann wieder zügiger. Die Kollegin, eine zart wirkende, aber hart schlagende Rothaarige, hatte sich hinten auf der Sitzbank zusammengerollt. Drüben in Österreich würde sie ihn ablösen. Bald lag der Chiemsee hinter ihnen. Es ging auf die
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Ausfahrt Reichenhall zu, als das Autotelefon summte. Sie hatten es, versenkt zwischen den Vordersitzen, eingebaut. Urban öffnete die Klappe und hob ab. Der Vizepräsident war dran. Urban versuchte, das Zeichen zu deuten. Gut oder schlecht? Vor zwei Stunden hatte er ihnen Hals- und Beinbruch gewünscht. „Kommando zurück!" Der Vize hatte einen militärischen Tonfall drauf, der ihm eigentlich überhaupt nicht lag. Daraus zog Urban seine Schlüsse. Es konnte sich nur um Sarkasmus mit einem Hauch Ironie handeln. Eine Hand am Lenkrad, mit der anderen den Telefonhörer am Ohr haltend, fragte Urban: „Neue Lage?" „Die Entscheidung überlasse ich Ihnen, Nummer achtzehn", sagte der Vize, „aber die Voraussetzungen haben sich geändert." Urban schwante Schlimmes. „Die Russen haben in Belgrad zugeschlagen." Es kam noch schlimmer: „Nein, die Amerikaner. Sie können es eben nicht lassen. Blitzaktion der CIA." „Ihr Name ist Operation Carlowa, fürchte ich." „Zwar kennen die Amerikaner die Örtlichkeiten nicht sehr gut, haben kaum Balkanexperten, verstehen sich wenig auf den Umgang mit jugoslawischen Verhältnissen, wissen noch weniger über die Carlowa, aber ihr Grundsatz ist immer Augen zu und mit Full speed durch."
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„Sie halten uns für unzuverlässige, feige, faule Abendländer ohne Mumm und Power." Urban hatte Lust, die Situation mit dem Wort Scheiße zu verzieren, nahm aber Rücksicht auf das eher vornehme Gemüt des Vize. „Scheiße", sagte der Vize, „wenn es gestattet ist." Damit endete das Gespräch. Urban fuhr langsamer, rollte am nächsten Parkplatz hinaus und hielt an. Seine Kollegin hinten erwachte von der Unterbrechung im Fahrtrhythmus. „Was ist los?" fragte sie verschlafen. Urban summte eine Melodie. Daliah Lavi hatte es einst gesungen: Wer hat mein Lied so zerstört. . . „Ich muß nachdenken", sagte Urban. 12. Die führenden Männer des amerikanischen Geheimdienstes wußten aus Erfahrung, daß ein Plan nicht zwangsläufig unbrauchbar sein mußte, nur weil die daraus entstandene Aktion gescheitert war. Es konnte ebensogut an der Durchführung gelegen haben. „Die Operation Moulin Rouge", erklärte der QAEuropa-Chef seinen Experten, „enthielt einen brillanten taktischen Gedanken. Wir nehmen ihn wieder auf." Einer seiner Leute fragte: „Haben wir jetzt diese Wera Carlowa?" „Die brauchen wir nicht", entschied der Sektionsleiter. „Sucht eine junge Frau, sie mag dick sein oder
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dünn, blond oder schwarz, aber sie muß reines Moskauer Russisch sprechen. Ihr nehmt sie mit nach Belgrad. Dort wird sie als Wera Carlowa, ihre Mutter, die Botschafterin, aus dem bewachten Nest locken." Einer der Polit-Fachleute bat um Einzelheiten. „Sie ruft also von Belgrad aus bei der Botschaft an und begehrt ihre Mutter zu sprechen. Was soll sie sagen?" „Daß sie ihre Mutter treffen möchte. Das kann man der Botschafterin nicht verweigern. Ist sie erst heraus aus der Festung, dann schnappt sie euch." „Man wird sie mit Leibwächtern umgeben." ,Aber sie ist raus aus dem Bunker. Im Botschaftsgebäude können wir nichts machen. Das ist exterritoriales Gebiet. Aber irgendwo in Belgrad werdet ihr doch mit ein paar Bodyguards fertig werden, oder?" Der Politologe äußerte Bedenken. „Das Mädchen ruft also von Belgrad aus an und sagt es möchte seine Mutter sprechen. Angenommen, unsere Wera kommt gar nicht bis zur Botschafterin durch?" „Alles eine Frage der Hartnäckigkeit und der nötigen Forschheit." „Sie spricht also mit ihrer Mutter. Ihre Mutter weiß sofort, daß es nicht ihre Tochter sein kann und daß es sich vermutlich um einen Rettungsversuch flir ihre Person handelt. Sie wird selbstverständlich darauf eingehen, denn sie hat keine andere Wahl." „Weil es nur eine Frage von Tagen oder Stunden ist, bis man sie endgültig enttarnt hat." „Sie möchte sich also mit ihrer Tochter treffen,
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aber der KGB fordert, daß Wera in die Botschaft kommt. Dann sind wir aufgeschmissen." Der Europa-Chef winkte ab. „Sind wir ganz und gar nicht. Selbstverständlich wird Wera es ablehnen, die Botschaft zu betreten. Sie hat sich ja von ihrer Balletttruppe entfernt. Dort gilt sie immer noch als Aussteigerin. Und wer sich einmal entschloß, abzuspringen, der begibt sich nicht freiwillig wieder in die Hände des KGB. Daß der Weg von der sowjetischen Botschaft in Belgrad nach Sibirien kürzer ist, als von der Botschaft zur nächsten Bushaltestelle, das muß ihr als Tochter der Katherina Carlowa klar sein. Sie wird also mit Sicherheit der Botschaft fernbleiben. Der KGBOffizier in Belgrad weiß das und wird der Botschafterin den Treff mit ihrer Tochter gestatten, weil er hofft, Wera schnappen zu können." Dagegen gab es kaum Einwände. Sie diskutierten nur noch über den Weg, auf dem sie die Botschafterin in den freien Westen bringen wollten. Der Luftweg war der sicherste und schnellste. Ein zweidüsiges Geschäftsreiseflugzeug wurde von Athen nach Belgrad beordert. Laut Papieren war es auf einen gewissen Max McFuller aus Kansas City zugelassen, der ein Importgeschäft betrieb. McFuller führte aus Griechenland Olivenprodukte und aus anderen Balkanländern deren Spezialitäten ein. In Jugoslawien kaufte er angeblich große Mengen Slibowitz. In Wahrheit gehörte die Maschine der CIA eigenen Airline.
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Der Anruf wurde, wie alle Anrufe, automatisch registriert. Er kam am Vormittag. Die Stimme - es war die einer jungen Frau - klang frisch und klar. Sie sprach einwandfreies Moskauer Russisch. „Mein Name ist Wera Carlowa. Ich möchte die Botschafterin sprechen." Die Telefonistin fühlte sich überfordert und winkte einem der KGB-Leute. „Einen Moment, bitte." Der KGB-Offizier hörte mit und kritzelte etwas auf einen Zettel. Die Telefonistin antwortete: „Ihre Exzellenz ist beschäftigt. Kann ich Sie mit dem Attache verbinden?" „Nein, ich möchte die Botschafterin sprechen", verlangte die Anruferin energisch. „Nur sie." „Sie werden gewiß verstehen, daß das nicht ohne weiteres ..." Die Telefonistin wurde unterbrochen. Und dies recht barsch. „Haben Sie schlechte Ohren, Genossin? Ich bin Wera Carlowa und möchte die Botschafterin sprechen. Sie ist meine Mutter." „Verzeihung", stammelte die Angestellte und wandte sich hilfesuchend an den KGB-Mann, der neben ihr in der Vermittlung saß. Der übernahm jetzt. „Hier Sekretariat der Botschafterin," Die Anruferin gebärdete sich, als sei sie wü tend. „Ich sage es Ihnen noch einmal, langsam und zum
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Mitschreiben. Ich bin Wera Carlowa und möchte meine Mutter, Katherina Carlowa, sprechen. Wenn Sie mich nicht sofort mit ihr verbinden, dann rufe ich in Moskau an, beschwere mich bei meinem Patenonkel, dem Minister, und der wird Sie in den Hintern treten, Genosse." Der KGB-Offizier mußte, da er sich keine Blöße geben wollte, höflich bleiben. Er griff zur üblichen Hinhaltetaktik. „Die Botschafterin ist unten in der Schwimmhalle. Bitte rufen Sie in fünfzehn Minuten wieder an." „Das werde ich." Der KGB-Offizier vernahm ein hartes Klicken und wandte sich an die Telefonistin. „Ortsgespräch?" „Kann sein. Schwer feststellbar. Sie können von Australien telefonieren, und Ihre Stimme klingt, als stünden Sie neben mir, Genösse Hauptmann." Der KGB-Offizier besprach sich mit seinem Vorgesetzten, einem Obersten. Sie wägten mehrere Möglichkeiten ab. Am besten, die Botschafterin verließ das Gebäude nicht, und das Mädchen kam zu ihr. Das wäre optimal gewesen. Es gab aber auch andere Wege, sie zu fassen. Es dauerte nicht lange, dann erfolgte der zweite Anruf. Sie verbanden zur Botschafterin durch und hörten alles mit. Dabei gewann das KGB-Team nicht den Eindruck, daß sich Mutter und Tochter durch den Draht in die Arme fielen. Die Botschafterin reagierte eher kühl. „Wo bist du?" fragte sie.
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„In deiner Nähe." „In Belgrad?" „Ja, hier", sagte Wera. „Aber ... aber deine Truppe gastiert doch in Madrid. Du hast mir den Terminplan mitgeteilt." Das Mädchen schwieg eine Weile, offenbar mit schlechtem Gewissen. „Mamutschka", gestand Wera. „Ich bin nicht mehr bei der Compagnie." „Wie bitte", äußerte sich die Diplomatin mißbilligend. „Es ist aber so." „Was heißt das? Doch nicht etwa ... daß du desertiert bist?" „Nur weggelaufen, Mamutschka. - Ich muß dich sprechen." „Dann komm sofort her", entschied die Botschafterin rasch. „Du weißt, das ist unmöglich." „O Gott, meine Tochter eine Fahnenflüchtige!" „Du mußt mir helfen." Nach deutlichem Zögern entschied sich die Botschafterin. „Schön, wo sehen wir uns und wann?" Wera nannte ihr ein bekanntes Cafe am Bulevar Smederevo und legte dann auf, so als wollte sie keine weitere Frage ihrer Mutter mehr zulassen. Der KGB-Offizier in der Telefonzentrale organisierte den Einsatz. „Das Cafe abriegeln. Unauffällig. An jede Tür einen Mann. Zwei Fahrzeuge. Und eines folgt der Botschafterin."
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Sie meldeten die Sache nach Moskau. Von dort erhielten sie neue Befehle. Befehle, die sie ein wenig in Staunen versetzten.
Wie in vielen Botschaften der Sowjetunion, so hatte die CIA auch in Belgrad einen ihrer V-Leute sitzen. Er war der zweite Sekretär in der Abteilung Handel und Wirtschaft. Mit dem Vorwand, er benötige Unterschriften, passierte er das Vorammer und legte die dünne Akte vor Katherina Carlowa. „Kann das nicht der Legationsrat erledigen?" fragte sie so laut, daß man es draußen hörte. Inzwischen hatte sie die Mappe geöffnet, unter dem ersten Dokument den Zettel gefunden und darauf drei Sätze: Ich kann Dr. Ponater herausbringen - Im Kofferraum des Wagens - Sie wissen nichts davon. Die Botschafterin unterschrieb das Dokument, reichte dem Sekretär die Mappe zurück und nickte ihm unmerklich zu. Dann rief sie, wie stets am Donnerstagvormittag, ihre Berater zusammen. Es galt, den Wochenbericht für Moskau mit den üblichen Lagebeurteilungen, den neusten Prognosen und Analysen zu formulieren. „Senden Sie" sagte die Botschafterin in einem Anflug von Spott, „also den Wetterbericht über Telex ins Ministerium. Ich bin heute nicht mehr zu erreichen." Sie schaute auf die Uhr. Noch dreieinhalb Stunden. Das Essen ließ sie sich in ihrer Suite servieren. 124
Danach legte sie sich hin. Etwa eine Stunde vor der Verabredung bestellte sie ihren Dienstwagen. Daraufhin wurde sie vom KGB-Chef der Botschaft angesprochen. „Darf ich Sie fragen, wohin Sie sich begeben, Exzellenz? Nur aus Sicherheitsgründen." Der Oberst tat so, als hätte er keine Ahnung. „Ich treffe mich mit einer Verwandten." Das war nicht unbedingt gelogen. Sie hütete sich wie stets, die absolute Unwahrheit zu sagen. „Ich muß auf Sicherheitsstufe zwei bestehen", erklärte der KGB-Offizier. Stufe zwei bedeutete nicht unbedingt Körperdekkung von Seiten der Leibwächter, aber nahezu. „Von mir aus." Die Botschafterin kleidete sich an und warf den ganzen Schmuck, den sie in Belgrad dabei hatte in ihre Handtasche. Dazu alles Bargeld aus dem Safe, die Rubel, Dinare und Dollars. Sie ahnte, was in den nächsten Stunden geschehen würde, und nahm einen kurzen Abschied. Ihre Kleider, Mäntel, Pelze und Schuhe, alles Dinge, die sie liebte, ließ sie zurück. Jetzt ging es ums nackte Leben. Um 15.00 Uhr verließ sie ihre Wohnräume und fuhr mit dem Lift ins Erdgeschoß. In der Halle warteten schon die Leibwächter. Draußen in der Auffahrt stand der lange schwarze ZIL mit dem Stander am Kotflügel.
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Sie überquerten die Donau, nahmen ein Stück die Straße des 29. November. Dann schnitt der Fahrer zum Bulevar Revolucije ab. Es war die Stunde des mäßigen Verkehrs. Er steigerte sich erst wieder, wenn die Büros und Fabriken schlössen. Gegen 16.30 Uhr etwa. Der Himmel über Belgrad war dunstig. Vom Industriegebiet wurde am Tag jener Dreck herübergeweht, den sie in der Nacht aus den Schornsteinen bliesen. Die Stadt wirkte grau und heruntergekommen. Die schlechte Wirtschaftslage machte sich überall bemerkbar, sowohl in den Auslagen der Geschäfte wie beim Verkehr und den Menschen. Die Bäume werden hier schneller gelb, dachte die Botschafterin, als der Wagen um den Park vor dem Smederevo fuhr. Sie hatte dem Fahrer die Cafeteria genannt. „Halten Sie ein Stück davor", befahl sie. „Und wenn zugeparkt ist, Exzellenz?" „Dann halten Sie irgendwo anders. Seien Sie in einer Stunde wieder da." Der Wagen ihrer Begleitung überholte und wischte in eine Parklücke genau vor dem Treffpunkt. - Um so besser, jetzt paßte der lange ZIL nicht mehr hinein. Und Dr. Ponater konnte unbemerkt entkommen. Vorausgesetzt, er wurde vom KGB nicht mehr an der langen Leine geführt. Es war ihr gleichgültig. Offiziell wußte sie nichts davon. Der ZIL hielt in der zweiten Reihe. Der Fahrer kam herum und riß den Schlag auf. Die Botschafterin stieg aus, nahm ihre schwarze Krokohandtasche
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unter den Arm und eilte zwischen den Sonnenschirmen über das Trottoir in das Cafe hinein. Wie stets war sie unauffällig, aber elegant gekleidet und trug Sonnenbrille. Drinnen schaute sie sich um. Dies nur pro forma, als wollte sie wirklich jemand treffen. Zögernd ging sie wieder hinaus und musterte die Paare an den Boulevardtischen. Der Oberkellner des Cafes näherte sich ihr. „Einen Tisch, Madame?" „In einer Nische, wenn Sie haben." „Sie erwarten noch Freunde?" „Nein." „Doch, Madame", flüsterte er. „Sie werden erwartet." Dabei kniff er ein Auge auf unverschämte Weise zu. Normalerweise hätte sie sich eine solche Anzüglichkeit verbeten. Heute nicht. Sie bekam den letzten Tisch hinten in der Nische. Bevor sie Platz nahm, sah sie im Spiegel, wie ihr die Leibwache folgte. Noch waren die zwe i KGBOffiziere draußen. Der Oberkellner sprach sie an und lenkte sie ab. - Das war Absicht. Irgend etwas würde im nächsten Augenblick geschehen. Aber was? Im selben Moment wurde die Tür zur Toilette spaltbreit geöffnet. Eine junge Frau mit blassem Gesicht winkte ihr. „Hallo, Mam", flüsterte sie. Die Carlowa nahm es als Erkennungszeichen. Sie ging in den Waschraum, durch die offene Hintertür des Querganges wieder hinaus m einen Hof. Vertrauensvoll folgte sie dem Madchen im Ledermantel. - Es
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ging Treppen hinunter, durch eine Weinhandlung, dann wieder hinauf. Alles im Laufschritt. „Können Sie mir folgen, Madame?" „Ich war mal Olympiaturnerin." Sie traten hinaus auf eine schmale Straße. Nur wenige Meter entfernt wartete ein Fiat mit laufendem Motor. Die Tür schwang auf. Sie setzten sich hinein. Der Fiat zog ab. Vorn neben dem Fahrer saß ein Mann, der amerikanisch aussah. Quer über den Knien hatte er einen Revolverkarabiner, eine schwere 9-mm-Automatic, die mit langem Lauf und Kolben versehen war. Als der Wagen mehrere Ecken mit Powerslide genommen und eine Reihe schmaler Gassen hinter sich gelassen hatte, kam er auf einen Platz heraus. Dort schlug er die Richtung zum Autoput, zur Autobahn ein. „Es geht Ihnen gut, Madame?" fragte der Amerikaner. ,Ja, die Würfel sind wohl gefallen", antwortete die Botschafterin und wandte sich an das Mädchen im Ledermantel. „Und wo ist meine Tochter wirklich?" „Nicht in Madrid", eröffnete man ihr. „Wo dann?" „Im Westen", sagten sie. „In Freiheit und in Sicherheit, Exzellenz."
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Nach zwanzig Kilometern auf dem Autoput in Richtung Skopje bog der Fahrer an einer Tankstelle ab. Aber nicht, weil er Benzin brauchte. Er hielt dicht neben einem Lancia. Die Botschafterin wurde gebeten, umzusteigen. „Wagenwechsel, Madame." „Wo geht es hin?" „Zum Flugplatz. In zwei Stunden sind Sie in Western Germany." Im Lancia saß hinten ein Mann, den sie kannte. Der junge Andreas-Hofer-Typ aus Südtirol. Zweifel kamen in ihr auf. - Und wenn es nun doch ein KGB-Arrangement war, um sie der Flucht zu beschuldigen? - Wie konnte Ponaters Ausbruch so glattgegangen sein? „Wo sind Ihre KGB-Freunde?" fragte sie scharf. „Die Freiheit, Exzellenz, steht über allem. Sie ist das einzige, was zählt." Er äußerte es so überzeugend, daß sie keine weiteren Fragen stellte. „Ich hoffe nur, Sie können Details zu den Ereignissen im Februar beisteuern, Doktor." „Zumindest kann ich einige Fragen wissenschaftlich ergänzen." Der Fahrer nahm die schmale Straße nach Süden. Sie führte erst durch Laubwälder, dann durch hügeliges, verkarstetes Land. Der Amerikaner drehte sich um. „Folgte Ihnen ein Wagen, Madam?" „Der meiner Leibwächter." „Vielleicht noch ein zweiter?" „Ich glaube nicht." „Uns auch nicht. Merkwürdig."
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„Seien Sie froh. Es war gut organisiert." „Offenbar nicht nur das. Wir hatten ungewöhnlich viel Glück", bemerkte der Amerikaner nachdenklich. Gegen 16.10 Uhr, nachdem sie lichte Birkenwälder durchfahren hatten, überquerten sie ein flaches weideartiges Stück Land, das so eben war, als hätte man es mit Raupen planiert. Bald hatte die Botschafterin die Erklärung dafür. In einer Waldschneise, am oberen Ende der Ebene stand ein Flugzeug. Es sah sehr elegant und schnell aus mit seiner spitzen Nase und den Turbotriebwerken hinten beiderseits des Rumpfes. Am Flugzeug sprangen, als sie den Lancia kommen sahen, zwei Männer im Overall ins Freie. Der Lancia überwand die letzten Meter im hohen Gras. Die Botschafterin, Dr. Ponater und der CIAAgent stiegen um. Die Kabinentür wurde verriegelt. Kurz darauf brachten die Anlasser die Düsentriebwerke zum Singen. Als sie die Turbinen auf Einspritzdrehzahl gebracht hatten, erfolgte die Zündung. Die Triebwerke heulten los, pfiffen in hohen Kadenzen. Der Jet rollte, beschleunigte im Rennwagentempo und hob nach etwa einer Meile Anlauf ab. Dabei ging er sofort auf Nordwestkurs. Die Piloten nahmen mit der jugoslawischen Luftraumkontrolle Kontakt auf. Wegen der Außenlandung bedienten sie sich einer sorgfältig vorbereiteten Ausrede. „Sie schlucken es", sagte der Pilot. „Was wollen sie machen." „Und jetzt den Funkspruch an die Relaisstation",
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wünschte der CIA-Agent. „Text wie folgt: Operation Moulin Rouge II erfolgreich durchgeführt." „Gratuliere, Commander", sagte der Pilot. „Gekonnt ist gekonnt", meinte der Amerikaner überheblich. „Man muß nur wollen und ein wenig Grips entwickeln. Jetzt haben wir es diesen Pfeifen vom Bundesnachrichtendienst mal gezeigt." „Einen Kaffee, Colonel?" „Gibt es keinen Schnaps an Bord?" Als höflicher Sieger goß der Commander erst der Botschafterin, dann dem Vulkanologen ein Glas davon ein.
Der Alarmstart der Cessna-Citation war von zwei Jägern beobachtet worden. Sie kauerten auf einem Hochsitz im Birkenwald am Rande des alten Feldflugplatzes. „Perfekte Organisation von Seiten dieser Amerikaner", sagte einer der Jäger. Er sprach russisch. „Unsere ist auch nicht übel." „Wie erfuhren Sie davon, Genösse Major?" „Durch den heimlichen Abflug dieser Maschine in Athen. Wir verfolgten sie. Sie entwischte uns, aber dann bekamen wir sie wieder." . „Eine beachtliche Leistung." Der Major lachte in sich hinein. „Es gibt kleine Sender. Sie haften magnetisch. Man bringt sie bei Fahrzeugen an, die man verfolgen möchte. Die Sender strahlen leicht ortbare Signale ab. Stärkere Modelle eignen sich auch für Flugzeuge.
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Ein Mechaniker in Athen klemmte ihn an die Fahrwerkklappe. Unter anderem." „Ist das die neue Linie?" wollte der zweite Jäger wissen. Der Major nickte. „Der KGB hat einen eher schlechten Ruf in der Welt. Man bringt uns mit Giftmorden, mit Kopfschüssen, mit Entführungen, mit wer weiß was in Verbindung. Inzwischen hat sich unsere Politik geändert. Innen wie außen. Damit hat sich auch der KGB geändert." „Wir führen also nicht mehr das, was man die feine russische Art nennt vor?" „Mehr die feine englische Art." Sie hatten den Abgasschweif der Garret-Triebwerke noch eine Weile verfolgt. Der Major schaute auf den Armbandchronometer. „In zwei Stunden könnte er leicht in München sein." „In wenigen Minuten ist er auf Reiseflughöhe, in elf Minuten auf neuntausend Meter." „Und ebensoschnell wieder unten." „Notfalls noch schneller." Sie hielten Sprechfunkverbindung mit Belgrad und meldeten: „Sie sind unterwegs." „Warum hat man sie nicht gestoppt?" „Order von der Zentrale." „Zur Hölle mögen sie fahren." „Warum so gehässig?" fragte der Jäger im Birkenwald. ,Jeder bekommt doch das, was ihm zusteht."
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Sie hatten ihre Arbeit beendet, kletterten vom Hochsitz, stapften zu ihrem Lada und fuhren in die Stadt zurück. 13. Auf dem Bundeswehrflugplatz Erding bei München wartete das Empfangskomitee. Es bestand vorwiegend aus Amerikanern und zwei deutschen Delegierten: dem BND-Agenten Robert Urban und dem Chef der Operationsabteilung, Wolf Sebastian. „Doch immerhin hochanständig", höhnte das alte Dackelgesicht, „daß man uns eingeladen hat." „Der Jet hat nur Sprit bis München. Er muß hier landen", wandte Urban ein. „Das ist nicht der Grund", sagte der Oberst, „für diese höfliche Geste. Sie können Erding auch ohne unser Einverständnis benutzen. Das sieht der Truppenvertrag vor. Mit dem Deutschlandvertrag gaben sie uns die Souveränität zurück, und mit dem Truppenvertrag hoben sie sie gleich wieder auf." Zweifellos gehörte das zu jenen politischen Spezialitäten, die er ätzend fand. Urban war auch nicht in Stimmung, ihn zu besänftigen. Er goß ein wenig Öl ins Feuer. „Diesmal geht es um etwas anderes. Sie wollen uns beschämen, uns zeigen, was für Pflaumenauguste wir sind und daß sie alles besser können." Der Alte nuckelte an seiner Virginia. „Wie es scheint, konnten sie es wirklich besser." „Nur schneller", schränkte Urban ein.
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„Ist gar nicht unterschrieben, ob Sie es ebenfalls geschafft hätten, Nummer achtzehn." „Garantien gibt es nie. Auch wenn die Ernte in der Scheune ist, kann noch der Blitz einschlagen." „Hier schlägt nichts ein. Die Amis haben sogar das Gewitter unter Kontrolle." Sie froren beide. Kühler Wind, durchmischt mit feinem Regen, fegte über das weite Rollfeld. Ein Amerikaner trat auf sie zu. „Es kann noch dauern", meinte er. „Wie lange?" „Soeben wurde die Maschine von unseren Abfangjägern über der Adria in Empfang genommen." „Blasmusik und Ehrenkompanie wie bei einem Maharadscha", knurrte Sebastian. „Also was uns betrifft, wir wärmen uns im Casino." Urban und Sebastian folgten den Amerikanern. Sie nahmen etwas Anregendes. Aber nicht Siegeschampagner, wie die Bundesgenossen. Urban ließ sich Cognac in den Kaffee kippen und der Alte Rum in den Tee. Dann kam eine Durchsage. Aus Höflichkeit gegen die Verbündeten auf englisch. „Radarstation Triest meldet Einflug der Dreiergruppe auf NATO-Territorium." Die Amerikaner jubelten laut. Als wenig später der Tower meldete, daß die Dreierformation, der Citation-Jet und die zwei Phantom-Jäger, die Dolomiten erreicht hätten, Sinkflug einleiteten und sich Erding näherten, kannte die Fröhlichkeit der Amerikaner keine Grenzen. Sie sangen und schrien ihr Hurrä-hurrä!
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Die letzte Meldung des Tower lautete: „Landung in vierzehn Minuten." Die Amerikaner nahmen Champagnerflaschen und Gläser. Sie stürzten hinaus, um ihre Beute in Empfang zu nehmen und ihren Triumph zu feiern. Urban drückte die MC in den Ascher. Die Virginia zwischen den Zähnen des Oberst war kalt geworden. „Schlage vor, wir spielen den fairen Verlierer." Sebastian nickte nur. Er war alt. Kämpfen war nichts mehr für ihn. Niederlagen nahmen ihn auch nicht mehr sonderlich mit. Um so mehr bewunderte er Urbans Haltung. „Kein Neid?" fragte er. „Doch", gestand Urban. „Jede Menge."
Die weiße Cessna-Citation flog mit den PhantomJägern in Dreiecksformation, deren Spitze sie bildete. Die zwei Interceptors hingen etwas überhöht mit doppeltem Flächenabstand hinter ihr. Die Sonne stand schräg im Westen. Sie blendete ziemlich. Die Air-force-Piloten hatten die dunklen Helmvi siere heruntergeklappt. Hinter Triest riß die Wolkendecke auf. Durch die offenen Felder hatten sie jetzt Bodensicht. Rasch näherten sie sich der italienisch-österreichischen Grenze. Für Österreich besaßen die NATO-Jäger keine Überfluggenehmigung. Die Phantom-Piloten verabschiedeten sich von der Cessna. „Wir machen kehrt", sagten sie. „Kommen Sie gut nach Hause."
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„Verstanden. Roger", antwortete der erste Pilot der Cessna. „Danke." Die Phantoms kippten ab und flogen, Kondensstreifen ziehend, zur NATO-Basis Beluno zurück. Der Kapitän in der Zivilmaschine nahm eine geringfügige Kurskorrektur vor, meldete sich beim Tower Innsbruck und bekam eine neue Flughöhe zugewiesen, die etwa 3000 Fuß unter seiner derzeitigen lag. Der zweite Pilot wandte sich an die Passagiere. „Landung in fünfzehn Minuten." „Sollen wir schon die Hüte aufsetzen?" alberte der CIA-Agent „Die Gurte anlegen genügt. Hat aber noch Zeit." „Wo sind wir jetzt?" „Eisacktal, Brenner. Etwas östlich davon. Die roten Berge unter uns sind die Dolomiten." Das waren die letzten Worte, die zwischen Piloten und Passagieren und überhaupt an Bord gewechselt wurden. Ein Schlag, als überrollte ein Automobil einen zu hohen Stein und riß sich die Ölwanne auf, dröhnte durch die Maschine. Abrupt beendete der Pilot seine Durchsage. In einem Automobil blickte man nach solchen Zwischenfällen in den Rückspiegel, um zu sehen, ob man Ölspuren hinterließ. Flugzeuge hatten keine Rückspiegel, aber man konnte eine Kurve fliegen. Die Piloten leiteten sie ein und stellten fest, daß die Cessna eine schwarze Rauchbahn zog. Jeder Autofahrer hätte nun sofort angehalten, um nach der Ursache zu forschen. Er hätte sich unter die
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Vorderachse gebückt und dort den Schaden entdeckt. Bei einem Flugzeug war dies nur bedingt möglich. Es mußte vorher landen. Übertragen auf ein Automobil bedeutete es, eine Garage aufzusuchen. - Bis dahin konnte der Ölverlust allerdings den Motor zerstört haben. Noch blieb die Besatzung gelassen. Es waren erfahrene Piloten mit vielen tausend Flugstunden. Sie überprüften ihre Instrumente. Dort zeigte sich nichts Beunruhigendes. Turbinendrehzahlen, TOT, Drücke, Temperaturen, Avionik, alles normal. Die Hydraulik arbeitete wie stets, die Ruder ließen sich mühelos bewegen. Keine Warnlampe flackerte. Auch die Elektrik war in Ordnung. Generator, Stromversorgung, alles okay. Die Piloten blickten sich ein wenig ratlos an. Woher kam die schwarze Fahne, die sie über den Himmel schleppten? Mit einemmal nahm die Nase des zweiten Piloten etwas wahr, als hätte man vergessen, die Platte eines Elektroherdes abzustellen. Es roch wie glühendes Metall und schmorendes Kabel. Irgend etwas zischte. Erst so, als betätige man einen Parfumsprüher, einmal kurz, einmal länger. Jetzt blieb das Zischen. Als der Bodenbelag im Cockpit zu qualmen anfing, wußten sie es. Außerdem stank es nach Petroleum. Das Zischen kam aus einer der vielen Kerosinleitungen von den Tanks zu den Turbinen. Der fein zerstäubte Strahl hatte sich entzündet. Der zweite Pilot betätigte die Feuerlöscher. Sie
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arbeiteten automatisch, sobald man sie durch einen Schlag auf den roten Zentralknopf freigab. Nun begannen auch die Kontrollinstrumente zu tanzen. Erst verlor Turbine eins, dann die andere an Drehzahl. Flugzeuge wie diese aerodynamisch gestylte Cessna waren schlechte Segler. Im Sturzflug nahmen sie Fahrt auf und verloren rapide an Höhe. Der Kapitän suchte nach einem Notlandeplatz. Der zweite Pilot gab den Notruf Mayday durch und immer wieder Mayday! Er rief auch noch Mayday als die giftigen Gase schwelender Kunststoffe Cockpit und Kabine vernebelten, als es überall brannte und es nur noch eine Frage von Sekunden war, bis die Cessna zum Feuerball wurde. Ehe sie brannte wie eine Fackel, wurde die Cessna-Citation von einer Explosion zerfetzt. Was schließlich zur Erde fiel und sich auf einem der Dolomitenpässe verteilte, waren die lodernden Fackeln großer brennender Trümmer. Flächen, Leitwerk, Triebwerke und ein Teil des Rumpfes. Der Rest wurde mehr oder weniger atomisiert.
Als die Absturzmeldung zum Bundeswehrflugplatz Erding durchkam, wollten es die wartenden Amerikaner nicht glauben. Sie hielten es für einen sehr unpassenden, wenn nicht bösartigen Scherz. Kaum war die Meldung wiederholt und durch eine Ortsangabe erweitert worden, schleuderten sie die Champagnergläser weg und die Flaschen hinterher.
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Die CIA-Agenten, die Männer der Air Force, die so sicher gewesen waren, diesen Fisch vor allen anderen an Land gezogen zu haben, schienen erst jetzt zu merken, wie kalt und eisig es war. Sie stellten die Kragen ihrer Mäntel hoch, stießen die Fäuste in die Taschen, standen da und warteten stumm. Dabei blickten sie nach Süden, wo vor einer Stunde der Jet hätte auftauchen müssen. Einer von ihnen näherte sich den abseits stehenden BND-Leuten. „Ist das zu fassen", keuchte er erschüttert. „Schwer zu fassen", sagte Urban. „Wir hatten es doch total im Griff." „Andere offenbar auch." „Das war kein Unfall." „Nein, gewiß nicht." „Dieser dreimal verfluchte KGB. Warum ... warum haben sie nicht in Belgrad zugeschlagen? Ich meine, wenn es ihnen möglich war, eine Bombe in das Flugzeug zu praktizieren, dann wäre es ihnen gewiß ein leichtes gewesen ..." „Man ändert seine Taktik", sagte Urban, „paßt sie der Zeit an, den Erfordernissen. Vielleicht wollten sie nicht, daß es in Jugoslawien passiert." „Sie wollten es anderen hinterlassen." „Den Müll wegzufegen", drückte Urban es deutlicher aus. Der Amerikaner ging wieder zu seiner Gruppe. Urban und Sebastian schlenderten zum Dienstmercedes. Urban blieb stehen. „Da fällt mir was von Ringelnatz ein: Bumerang flog ein Stück, kehrt nicht mehr zurück."
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„Ziemlich unpassend, wie?" sagte der Alte. „Man soll den Tag nie vor dem Abend loben paßt besser." „Ja, wie mir scheint, ist jetzt aller Tage Abend." Die Amerikaner standen noch immer am Rollfeld wie zu Stein erstarrt. Die BND-Delegation fuhr nach München zurück. Von Pullach aus fuhr Urban noch in der Nacht zum Absturzort.
14. Auf der Höhe zwischen Falzarego-Paß und SellaJoch lag eine hauchdünne Schneedecke. In der Nacht hatte es auf zweitausend Meter Höhe sanft gerieselt. Die Marmolata trug weiße Hauben. An der Absturzstelle war es nur ein Schleier aus weißem Tüll. Der Tüll hatte jetzt Risse und Löcher, hervorgerufen von den Stiefeln Hunderter von Helfern, von Carabinieri, Sanitätern, Soldaten und Experten. Mit Geländewagen, Sankas und LKWs waren sie heraufgekommen. Sie hatten Hunde dabei, Suchgeräte und Notarztausrüstung. Bergsteiger suchten Geröllhänge, Schluchten und Schrunde ab. Ein Hubschrauber kreiste, ein anderer flog gerade mit den Kommissaren der Luftfahrtbehörde an. Lautsprecher und Sprechfunkdurchsagen brachten System in das Chaos. Mit Bändern, die an eisernen Stangen befestigt waren, wurde das Absturzgebiet in Sektoren eingeteilt. Den Zivilverkehr leitete man schon in Cortina, drüben in Bozen und im Norden in Brixen um.
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Urban holte die silberne Reiseflasche aus dem Mercedes GD und bot sie seinem italienischen Kollegen Mencini an. „Technisches Versagen scheidet ebenso aus wie menschliches", sagte er, „hörte ich eben." Weiter unten sammelten sie die Toten ein - oder was von ihnen noch übrig war. Fünf mit Papier abgedeckte Blechwannen kamen auf einen Lastwagen der italienischen Gebirgsjäger. Der Lancia rollte abwärts in Richtung Schauhaus. „Um was ging es eigentlich?" fragte Mencini. Urban setzte ihn einigermaßen ins Bild. „Sie wollten verhindern, daß die Wahrheit über das Komsomolez-Ereignis bekannt wird." „Ich dachte, sie hätten es schon in der Prawda beschrieben." „Mag sein, daß sie in der Prawda eine Erklärung dazu lieferten. Aber wenn es die Wahrheit ist, warum sprengt man dann auf fünftausend Meter Höhe alle in die Luft?" „Ich hoffe, für dich entstehen keine Probleme daraus, Dynamit", äußerte der Italiener. „Es war, wie so oft", erklärte Urban. „Zwei reiten los, um die Prinzessin zu befreien. Der eine Ritter ist schneller, also gibt der andere auf, weil er keine Chancen mehr sieht. Aber bei der Rückfahrt landet die Kutsche mit Tausendschön im Graben." „Altes italienisches Sprichwort: Wenn du es eilig hast, koch dir erst Spaghetti." „Damit war nicht zu rechnen", bemerkte Urban. „War damit wirklich nicht zu rechnen?" „Nein", gestand Urban. „Aber man hätte damit rechnen müssen. Die Amerikaner bezeichnen Ruß-
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land zwar als das Reich des Bösen, wir aber kennen es besser." Eigentlich hatte er gehofft, noch irgend etwas unter den Trümmern zu finden. Deshalb hatte er sich in der Nacht auf die Fahrt in die Dolomiten gemacht. Er hatte sich die Leichen angesehen. Jetzt wußte er, daß nichts mehr zu machen war. Außerdem war er hundemüde. Er legte Mencini die Hand auf die Schulter, sagte: „Ciao amigo!" und fuhr hinunter nach Cortina. Der kürzere Weg nach München führte über das Joch und Sankt Ulrich, aber er war fertig und brauchte ein Bett. Er wendete den 300 GD und nahm, immer schön im zweiten Gang, die Serpentinen. Er dachte an nichts Aufregendes. Ein Frühstück, und dann nichts wie pennen. Er kurvte in eine Kehre ein, dann in eine Vierergruppe von engen Schleifen. Ein Wäldchen kam, verkrüppelte Fichten, eine lange Gerade, ein Hohlweg. Und plötzlich stand der Lancia da, der Dreiachser der italienischen Gebirgsjäger. Hinten war die Bordwand der Pritsche heruntergeklappt. Die Plane flackerte im Wind. Unter dem Wagen sah Urban einen menschlichen Körper liegen. Er bremste und stieg aus. Der Soldat rührte sich nicht. Er hatte eine Beule an der Schläfe und lag in tiefer Bewußtlosigkeit. Der andere Soldat kam zu sich. Urban flößte ihm Bourbon ein und half ihm auf die Beine. Er wankte stehend. „Was ist passiert?" „Ein Wagen, dunkelgrün, Kombiwagen und zwei
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Männer. Sie hielten uns an und ballerten sofort mit ihren Kanonen herum. Erst schlugen sie meinen Kameraden nieder, dann mich. Weiß der Teufel, was sie mit der Leiche wollen." Urban flankte auf die Pritsche und zählte die Wannen. Noch vier. Eine fehlte also. Er ahnte, wer fehlte, überzeugte sich aber durch Anheben der Papierbahnen. - Noch vorhanden waren die Piloten, ein ihm unbekannter Mann und die Botschafterin Katherina Carlowa. - Sie hatten Dr. Ponater mitgenommen. Urban sprang von der Pritsche. „Wie sahen sie aus?" „Ein Langer und ein eher Kleiner." Urban beschrieb sie genauso, wie er sich an die zwei KGB-Agenten von der Riviera erinnerte. Der Gebirgsjäger bestätigte seinen Verdacht. „Wie groß ist ihr Vorsprung?" „Zehn Minuten vielleicht." „Gibt es eine Abkürzung?" Der Mann von der Gebirgstruppe deutete durch den Wald in die Tiefe. „Nur die Fallinie, Signore. Sie schneidet mehrere Kilometer ab. Aber ..." Da war Urban schon an seinem Geländewagen, von dem man behauptete, er bringe einen überallhin und so weit, wie es der Mut eines Mannes zuließ. Er startete den Fünfzylinder, würgte den Allradantrieb hinein und die Geländeübersetzung. Erster Gang, hart links und hinunter in den Hochwald. Es ging fast senkrecht abwärts. Jetzt bloß nicht
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bremsen, einfach rollen lassen. Hauptsache, er kam nicht quer, und die Räder schmierten im feuchten Waldboden nicht durch.
Nachdem Urban in einer chaotischen Steilfahrt, als ginge es um sein Leben, die letzten zweiundzwanzig Kilometer nach Cortina um sechs Kilometer abgekürzt hatte, erreichte er wieder die Straße. Er rechnete sich aus, daß das KGBKommando noch nicht hiergewesen sein konnte. Also wendete er den Geländewagen bergwärts und hielt ihn in der Mitte des schmalen Asphaltbandes. Beiderseits, zum Steilhang wie zum Abgrund hin, war noch ein Meter Platz. Zu schmal zum Durchkommen. Er zog den Gurt enger. Kein Zweifel, es würde zu einem Zusammenprall kommen. Aber der Mercedes hatte einen stabilen Stahlrahmen und wog zwei Tonnen. Dagegen war jeder PKW eine Sardinenbüchse. Er kam aus dem Wald, nahm das gerade Stück im Dritten mit 2800 Dieselumdrehungen. - Noch nichts zu sehen. Wenn die Russen schon vorbei waren, blieb noch eine Möglichkeit. Er mußte an ein Funkgerät kommen und die Carabinieri verständigen, damit sie unten an der Sperre den Kombi abfingen. Falls dieser vor Cortina nicht einen anderen Weg einschlug. Irgendeinen Schleichpfad. Es war unnötig. Urban sah etwas blitzen. Ein Reflex der aufgehenden Sonne im Scheinwerferspie-
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gel. Der Wagen war noch eine Serpentine weiter oben. - In der Kurve würden sie sich treffen. Er schaltete in den Zweiten. Damit hatte er die totale Wucht. Noch fünfzig Meter bis zur Kurve. Der andere kam von oben und hielt sich hart rechts. Urban machte keinen Meter Platz. Der andere hupte, blinkte, hupte. Urban hielt auf ihn zu, stur wie ein Panzer. Der andere bremste scharf. Schon hatte Urban ihn auf die Hörner genommen. Seine bärenstarke Daimlerstoßstange würgte sich bei dem Peugeot bis in die Motoreingeweide. Der Kühler verlor Wasser, es zischte und dampfte. Die Männer im grünen Kombi stemmten beiderseits die Türen auf, gingen dahinter in Deckung und Schossen sofort. Sie merkten aber, daß die Kugeln an Urbans Panzerglasscheibe abprallten. Urban riß die Mauser vom Magnethalfter und feuerte Warnschüsse ab. Die KGB-Agenten warfen sich über die Böschung wie Gummibälle. „Stehenbleiben!" schrie er. Es war, als fordere man von aufgescheuchtem Wild, nicht zu fliehen. Die Russen rollten abwärts in ein Latschengestrüpp. Dort bewegten sich Äste, hin und wieder tauchte ein Kopf auf. Sie waren in Panik und nicht mehr einzuholen. Urban schaute sich den Kombi an. Hinten lag die Wanne mit den Resten von Dr. Ponater. Warum wollten sie die Leiche entführen? Die gleiche Frage stellte ihm eine Stunde später der SISMI-Agent Mencini.
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„Irgend etwas", antwortete Urban, „hat es mit dem Toten auf sich." „Das wir nicht entdecken sollten." „Oder ..." Urban zögerte. „Aber so möchte ich das nicht unbedingt sehen." „Oder?" drängte Mencini. „Sie machten es, damit wir ihnen die Leiche abjagen und etwas oder besser genau das finden, was wir finden sollen." „Klingt ziemlich weit hergeholt." „Stimmt, wie aus dem Weltraum herbeigezerrt." „Wir werden den Toten bis auf die Knochen untersuchen lassen." „Bis ins Zellgewebe", bat Urban. Und so wurde es gehandhabt. Die Leiche von Dr. Andreas Ponater, um die sich die KGB-Agenten so sehr bemüht hatten, kam nach Mailand, wo die italienische Kriminalpolizei über die modernsten pathologischen Untersuchungsmöglichkeiten verfügte.
Vierundzwanzig Stunden später - Urban hatte zwar sein Schlafminus ausgeglichen, aber nicht seinen Gemütszustand - kam ein Anruf aus Mailand. „Total negativ", meldete das gerichtsmedizinische Institut. „Eine Leiche aus einem abgestürzten Flugzeug wie jede andere. Sie zeigt Verbrennungen, Metall- und Kunststoffsplitter in reichem Maße, verätzte Lungen, dazu die üblichen Geweberisse, Knochenbrüche, Durchstoßungen von Herz, Lunge, Leber und Milz durch das eigene Skelett. Ach ja, und
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zwei Zehen fehlen. Wurden wohl mal amputiert. Sonst nichts. Leider gar nichts von Bedeutung." „Und die Gewebeanalyse?" „So normal wie die Blut- und Harnanalyse. Mageninhalt Nudeln mit Fleischsoße und etwas Kaffee. Keine Narben, keine alten Wunden et cetera." Urban zweifelte nicht an dem Ergebnis. Trotzdem äußerte er eine ungewöhnliche Bitte. „Könnten Sie uns ein Körperteil des Toten überlassen, Dottore?" Der Italiener tat ein wenig entrüstet. „Mißtrauen Sie unseren Verfahren, unserer Sorgfalt und unseren Ergebnissen?" „Nie und nimmer", versicherte Urban. „Aber ich habe da eine ausgefallene Idee." ,,Darf man sie erfahren?" „Konnten Sie an dem Toten Spuren von Verseuchung feststellen, Dottore?" „Wir haben den Körper im Fein-Geigerzähler überprüft. Das war das allererste. Er zeigte keine abnormalen Werte. Seit Tschernobyl liegen ja alle ein wenig höher, aber noch weit unter dem von ukrainischen Walderdbeeren." „Sie sind also sicher, Dottore, daß dieser Mann nie mit radioaktiver Strahlung in Berührung kam oder sich in der Nähe einer Atomexplosion aufhielt?" „So gut wie hundertprozentig, Colonello." Doch mit einemmal wurde der Italiener nachdenklich. Vielleicht wollte er auch nicht allein die Verantwortung tragen. „Hängt viel davon ab?" „Alles", untertrieb Urban.
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„Bene. Genügt Ihnen eine Hand?" „Ein ganzer Arm wäre besser." „Wir konservieren ihn." „Bitte ohne chemische Mittel. Tiefkühlung wäre uns am liebsten." „Einverstanden", sagte der Italiener. „Lassen Sie das Teil abholen." „Grazie, Dottore." Urban machte sich an die Transportorganisation. Ein Kurier mit einem Thermobehälter im Kofferraum wurde nach Mailand geschickt. 15. „Was, zum Teufel, haben Sie jetzt wieder vor", erkundigte sich der Operationschef. „Das fragen mich die Amerikaner auch jede Stunde zweimal." „Und was antworten Sie ihnen?" „Was wollen Sie hören, Großmeister?" Da wußte Oberst Sebastian, daß weiterbohren nichts brachte. Urban würde immer eine Ausrede finden, um seine Absichten zu verschleiern. Vermutlich war er unsicher, ob sie zum Erfolg führen würden. Er wollte nicht sagen, jetzt machen wir dies und das, und am Ende stand er da wie die CIA-Agenten vor drei Tagen am Flugplatz in Erding. Inzwischen war der Kurier mit einem Arm des Vulkanologen Ponater nach München zurückgekehrt. Das Glied befand sich schon im Labor. Professor Stralman, der die Untersuchung beauf-
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sichtigte, besprach mit Urban noch einmal das Vorgehen. „Was die Italiener protokollierten, brauchen wir nicht nachzuchecken." „Das ist unnötig." „Aber was, bitte, sollen wir suchen, wo es nichts mehr zu finden gibt?" Nun gab Urban seine Überlegungen preis. „Die Sowjets sprechen von einer neuen Waffe. Sie lösten mit der Atombombenexplosion in einem erloschenen Vulkan einen Ascheregen aus, der für Raumwaffen undurchdringbar ist. Wenn sie Dr. Ponater in Moskau einen Forschungsvertrag gaben, dann deshalb, weil diese neue Waffe mit Ponaters Spezialgebiet, die Wiederbelebung erloschener Vulkane, zu tun hat. Also muß Ponater in der Nähe des Experimentierfeldes gewesen sein, und sein Körper müßte eine erhöhte Strahlendosis abbekommen haben. - Das hat er offenbar nicht. Dafür gibt es drei Erklärungen: Entweder er war nicht dabei, weil er im Februar noch in Sizilien arbeitete, oder er war doch dabei, weil man ihn für das Experiment kurzfristig in die UdSSR holte." „Und drittens?" „Es war gar keine Atombombe, womit man den Ascheregen auslöste." „Sondern?" „Vielleicht nur ein Unfall." „Aber wozu entführte man dann die Leiche Ponaters?" Urban klopfte sich gegen die Schläfe wie um den Denkprozeß anzuregen. „Etwa um sie zu kontaminieren. Um sie radioaktiv
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zu verseuchen und damit den Bluff der Prawda zu erhärten." Stralman überflog den Mailänder Untersuchungsbericht. „Aber sie ist nicht kontaminiert gewesen." Nun kam Urban zum entscheidenden Punkt. Das war jetzt schon höhere Mathematik. Es war Superschach. „Der KGB stahl die Leiche, nur um sie sich wieder abjagen zu lassen. Daran zweifle ich nicht. Davon lasse ich mich nicht abbringen." Der Professor nahm den Zwicker ab und putzte die Gläser. „Sag mir, Junge, wonach wir suchen sollen, und wir tun es. Egal ob es sich um eine geheimnisvolle Krankheit, um ein Kohle- oder Eisenbergwerk handelt, um verstecktes Heroin oder Diamanten, um was auch immer." „Ich werde den Verdacht nicht los", erklärte Urban, „daß man uns beweisen möchte, daß sich Ponater nahe bei einer unterirdisch detonierenden Atombombe aufhielt. Was tut man mit Leuten, die Strahlung abbekamen?" „Man entseucht sie." „Gibt es dafür Methoden?" „Ja, wenn sie sofort eingeleitet werden, sogar erfolgreiche." „Danach sucht", forderte Urban. „Und nach nichts anderem. Denn das könnte der dicke Bluff gewesen sein."
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Spät in der Nacht rief das Stralman-Labor bei Urban an. „Kalzium-Diäthylen-Triamin-Pentaessigsäure", buchstabierte der Professor ihm vor. „Damit entgiftet man Leute, die in radioaktiven Splitterhagel geraten sind. Man muß es allerdings in den ersten zwölf Stunden tun, ehe sich der Plutonium- oder Cadmiummist im Gewebe eingelagert hat." „Klappt das?" „Die Russen scheinen dieses Mittel, das nichts ist als eine Kombination von Waschmittelzusätzen, noch verbessert zu haben." „Womit?" „Mit einem ganz normalen frei erhältlichen Grippe- und Kopfschmerzmittel. Mit Boxazin, der altbekannten Acetylsalicylsätme, die mit etwas Vitamin C angereichert ist." „Und wozu soll das Ganze gut sein?" „Die Strahlenteilchen im Blut des Betroffenen werden von der Chemikalie umschlossen und über die Nieren mit dem Harn ausgeschieden." Urban schwenkte darauf ein wie ein Hai auf die Blutspur. „Und das fanden Sie bei Dr. Ponater." „In winzigen Bestandteilen." „Wo?" „Auf der Haut." „Wie lange behält ein Mensch Reste von dem Plutonium-Entferner im Körper?" „Nur kurz." „Wie lange?" „Tage." Urban hatte es geahnt.
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„Dann haben sie es nachträglich aufgebracht, um uns in die Irre zu führen und die Prawda-Version glaubhafter zu machen. Ponater war nie verseucht, es gab nie eine Atomexplosion. Die Sache am Pol war ein Betriebsunfall und keine nagelneue Geheimwaffe. Die KGB-Agenten behandelten Ponaters Leiche auf den wenigen Kilometern nach Cortina. Man will uns eventuelle Zweifel nehmen." Stralman kannte den Fall nicht so in- und auswendig wie Urban. Urban informierte ihn kurz und brachte dann die Archivleute in Schwung. „Schafft mir alles heran", verlangte er, „was über die Komsomolez-Inseln bekannt ist. Und wenn es tausend Jahre zurückliegt." Sie wollten sich an die Arbeit machen. - Aber das könne dauern, meinten sie. „Ihr habt Zeit", genehmigte Urban, „genug Zeit bis zum Frühstück." Bekanntlich regte Nachtarbeit nicht den Geist an. Erstens einmal machte sie wütend darüber, daß man etwas tun mußte, während andere schliefen. Aber Wut schüttete Adrenalin aus. Adrenalin bildete Hyperenergie, und aus Power entstand Kreativität. Am Morgen lag etwas vor, wenn auch wenig. An der Landespitze der nördlichsten der Komsomolez-Inseln, nahe Kap Molotow, hatte es wirklich einen Vulkan gegeben. Angeblich hatte ihn ein Meteoriteneinschlag in Sibirien vor mehreren tausend Jahren das letzte Mal aktiviert. Seitdem galt er als erloschen. Ausgerechnet diesen Vulkankegel im Ewigen Eis hatten sich die Russen für etwas Besonderes ausgesucht. Nach Beendigung des zweiten Weltkrieges hatten
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sie alle nicht mehr verwendbare Munition, Bomben, Granaten, Raketen aus Stalinorgeln, Minen, Sprengmittel, vielleicht eine Million Tonnen, dort hingekarrt, eingebaggert und endgelagert. Und offenbar auch längst vergessen. Nun glaubte Urban, das Rätsel gelöst zu haben. Er brauchte nur noch ein Dutzend Fakten richtig zu ordnen.
Um 11.00 Uhr ersuchte er beim Vizepräsidenten um einen Vortragstermin. In der üblichen hanseatisch-kühlen Atmosphäre zeigte Urban, was er hatte. Er fing mit dem Februarereignis am Pol an und wie die Russen die Sache erklärten. Dann kam er zu Ponater und der Vorspiegelung der Entseuchung einer nicht stattgefundenen Verseuchung. „Die Russen", sagte er, „pokern mit einem atomar aufspannbaren Raketenabwehrschirm. Es gab aber keine atomare Auslösung, es gab keinen Schirm, mithin auch nichts gegen SDI." „Wie fanden Sie die Glieder in der Kette?" wollte der Vizepräsident wissen. Urban zeigte ihm noch einmal das Foto der Botschafterin in der Zürcher Zeitung. „Das ist der Schlüssel", erklärte Urban. „Sie meinen den ungewöhnlichen Outfit der Dame. Pelz im Sommer." „An diesem Tag war es in Belgrad zwar trüb, aber nicht kalt." „Na schön. Und was folgern Sie daraus?"
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„Der Mantel ist mit Polarfuchs gefüttert." „Ja, die Russen haben die schönsten Pelze." „Die Carlowa steckte sich eine selbstgedrehte, und zwar jämmerlich gedrehte, Papirossa an. Ähnlich einem Trapper oder wie ein Pelztierjäger." Dem Vize ging das nächste Licht auf. „Dazu dieses altertümliche Benzinsturmfeuerzeug." Urban kam zum Schluß: „Sie wollte damit sagen, daß es irgendein dummer Zufall war. Leute, die hoch im Norden arbeiteten, Geologen, Radartechniker, Jäger, lösten eine ungeheuere Explosion aus. Wie auch immer, sei es durch ein Lagerfeuer, das sie mit Benzin nährten, oder durch andere Umstände, durch Schallmessungen etwa, muß das Feuer außer Kontrolle geraten sein. Es kroch, schwelte bis an eine alte Pipeline, an ein Brennstoffdepot, wer kann das noch sagen. Das Feuer fraß sich weiter bis zu jenem Vulkankegel, in dem die Russen ihre Abfallmunition gelagert hatten. So kam es zu dem Riesengalafeuerwerk, das die Asche mit hochriß." „Und das man sich nicht erklären konnte." „Die Strategen im Kreml fanden einen Dreh. Sie nutzten den Vorgang als Abschreckung. Deshalb die Geheimhaltung, deshalb die Opferung derjenigen, die die Wahrheit herausfanden." „Gigantisch fies", sagte der Vize. „Und erbärmlich zugleich", ergänzte Urban. „Welcher Aufwand für nichts." Doch der Vize sah es mit einem Mal anders. „Einige Leute werden von jetzt ab besser schlafen können. Das ist schon etwas, denke ich. Nur schade
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um Katherina Carlowa Sie war schon eine Klassefrau." „Sogar gutklassig." „Und eine Schönheit." „Ich begegnete ihr einmal in Paris", erzählte Urban. „Fast hätte ich mich in sie verknallt. Trotz des Altersunterschiedes." Und der Vize bemerkte kleinlaut „Darf ich Ihnen etwas gestehen? Ich war nicht nur fast, sondern richtig in sie verliebt. - Leider befand sie sich in festen Händen." „Wie wurde sie eigentlich unsere Agentin?" wollte Urban wissen. „Das ist ein Roman für sich", deutete der Vize an. „Stalins Henker schossen 1940 ihren Vater ins Massengrab von Katyn. Er gehörte zu einer Gruppe von konterrevolutionären Offizieren. Ihre Mutter kam in ein Arbeitslager in Sibirien. Dort wurde Katherina 1940 geboren. Sie war im Herzen immer Antikommunistin, verstand es aber zu verbergen. Auf ihrem ersten Auslandsposten, der Botschaft in London, nahm sie Kontakt mit uns auf." Urban begann zu träumen. „Schön und talentiert. Man stelle sich vor, sie wäre eines Tages Generalsekretärin der KPdSU geworden." „Das ist leider nicht vorstellbar." Sie kamen zum Thema zurück Der Vize rieb sich die Hände. Er war es, der es den Verbündeten übermitteln durfte. Das Ergebnis würde sie von ihrem Marmorsockel herunterholen. Aber vorher gab es noch einen Drink. Der Vize, ein Liebhaber von spanischem Kognak,
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öffnete eine Flasche. Der Kognak war vom Feinsten, schmeckte aber etwas eigenartig. Man brauchte lange, um sich daran zu gewöhnen. Doch wer sich daran gewöhnt hatte, der wollte ihn wohl nicht mehr missen. Urban war andere Sachen gewohnt. Deshalb fand er, daß er in seine Stimmung paßte, und zwar wie angegossen.
Urban fühlte sich auf irgendeine Weise verarscht. Er nahm Trenchcoat, Hut, Zündschlüssel und ging. Er war weiß Gott ein Insider und glaubte, die Zusammenhänge zwischen Politik, Forschung, Rüstung und Wirtschaft zu kennen. Aber was da verpulvert wurde, nur um den Gegner zu täuschen, was da an Mitteln hinausgeworfen wurde, um einen kaum meßbaren Vorsprung zu gewinnen, und in derselben Zeit kamen in den Hungerregionen Hunderttausende von Menschen ums Leben. Das war Perversion hoch drei. Mann, das wurmte ihn allmählich. Das einzige, was in den nächsten Tagen seine Laune besserte, war eine Meldung aus New York. Sie besagte, daß die russische Ballerina Wera Carlowa einen Vertrag mit der Metropolitan Opera abgeschlossen hatte. Sie übernahm die Hauptrolle in einem Ballett. Sie tanzte das Dornröschen in Dornröschen ... ENDE
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