PARKER und die Dame ohne Unterleib Ein Butler-Parker-Krimi mit Hochspannung und Humor von Günter Dönges Josuah Parker h...
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PARKER und die Dame ohne Unterleib Ein Butler-Parker-Krimi mit Hochspannung und Humor von Günter Dönges Josuah Parker hielt das Gewehr fest in den Händen und visierte sein Ziel an. Er ließ sich nicht aus der Ruhe bringen. Er hatte sich mit zwei Schüssen bereits eingeschossen und wußte, daß der dritte Schuß das Intermezzo beenden mußte. Er atmete tief durch und nahm Druckpunkt. Bruchteile von Sekunden später löste sich der Schuß. Ein leichtes splittern und Brechen, dann ein fast erlöster Aufschrei. Parker nahm das Gewehr herunter und legte es auf den Tresen. Dann blieb er gelassen, würdevoll und ohne Triumph stehen. Er sah dem Mann nach, der sich nach dem Opfer bückte und es aufhob. Beeindruckt kam der Mann zurück zum Tresen und drückte Parker den Teddybären in die Hand. »Hätte ich nicht gedacht«, sagte der Besitzer der Schießbude etwas bedauernd, »die Bären gehen kaum weg. Vielleicht zwei pro Tag, mehr bestimmt nicht.« Parker nickte andeutungsweise und. wandte sich zu Sue Weston um, die neben ihm stand. »Wenn ich mir erlauben darf, Madam«, sagte Parker und lüftete dabei seine schwarze Melone, »wenn ich mir erlauben darf, möchte ich Ihnen diesen kleinen Bären überreichen.« »Wie reizend, Mister Parker.« Sue strahlte Parker an, »süß sieht er aus, finden Sie nicht auch?« »Möglicherweise«, gab der Butler würdevoll zurück, »darf ich fragen, Miß Weston, ob Sie noch weitere Wünsche hinsichtlich dieses Abends haben?« Parker befand sich zusammen mit Mike Randers Privatsekretärin auf einem riesigen Rummelplatz, einem Lunapark von überdimensionalen Ausmaßen im Osten der Stadt. Sue hatte auf diesem Besuch bestanden. Vielleicht gerade deshalb, weil Mike Rander an diesem Abend an einem Dinner teilnehmen mußte, das die Handelskammer von Chikago gab. »Die Achterbahn haben wir hinter uns«, sagte Sue nachdenklich. Sie wirkte wie ein großes, sehr hübsches Kind, das sich um
jeden Preis amüsieren wollte. »Die Achterbahn und den Türkischen Honig«, präzisierte der Butler. »Wie wäre es mit den Stoßautos?« fragte Sue unternehmungslustig. »Wenn ich raten darf, Madam, sollte man davon Abstand nehmen«, erwiderte Parker, »die Fahrt zurück in die City wird solch einer Fahrt gleichkommen, wenn mich nicht alles täuscht!« »Die Geisterbahn«, sagte Sue spontan, »oh, bitte, Mister Parker, die Geisterbahn.« »Wie Sie wünschen, Madam«, sagte Parker, ohne eine Miene zu verziehen, um sich dann an den Besitzer der Schießbude zu wenden, »Sie sollten übrigens die Visiere richten, wenn ich mir diesen Rat erlauben darf. Sie werden dann mit größter Sicherheit einen noch besseren Umsatz an Teddybären zu verzeichnen haben.« Sue schmunzelte und hakte sich bei Parker ein. Der Butler war ein wenig indigniert ob dieser Freizügigkeit. Doch in Anbetracht der ausgelassenen Atmosphäre, in der sie sich befanden, verzichtete er auf Einsprüche jeder Art. Zumal ihm dieses Einhaken letztlich nicht gerade unangenehm war. »Schade, daß Mister Rander nicht hier ist«, sagte Sue, als sie hinüber zur Geisterbahn gingen. »Mir ist vollkommen klar, Madam, daß ich nur ein schwacher Ersatz für Mister Rander sein kann«, gab der Butler zu. »Das war doch nicht auf Sie gemünzt«, meinte Sue auflachend, »Mister Rander müßte mal gründlich ausspannen, finden Sie nicht auch?« »In der Tat, Madam«, erwiderte Parker gemessen, »Mister Rander vergräbt sich zu sehr in seinen Akten. Ich bin der unmaßgeblichen Meinung, daß Mister Rander wieder mal an einem Fall arbeiten sollte!« »Das liegt doch nur an Ihnen«, widersprach Sue lächelnd, »die Gauner und Gangster scheinen sich alle gebessert zu haben.« »Dem möchte ich doch entschieden widersprechen«, sagte Parker, »es fehlen, was ich einräumen muß, die interessanten Fälle. Dort ist übrigens die Geisterbahn, die Sie zu sehen wünschen, Madam!« Sie hatten eine mittelgroße Schaubude erreicht, deren Fassade mit Geistern, Monstren und Fabelwesen grell bemalt war. Neben dem kleinen Kassenhäuschen stand der Ausrufer und
brüllte durch ein Mikrofon seine Werbesprüche. Er versprach Einmaligkeit und Sensation, Gänsehaut und Grusel. Er kündigte Nervenschocks an. Parker löste zwei Karten und damit gleichzeitig den Eintritt in einen neuen Kriminalfall, auf den er seit Wochen so verzweifelt gewartet hatte. * Nach dem dritten Gespenst mit seinen langen, bleichen Armen schrie Sue plötzlich auf und klammerte sich fest an Parker. »Nicht schreien!« sagte der junge Mann beschwörend, der zu Sue und Parker in den kleinen Karren gesprungen war, in dem sie durch die Geisterbahn ratterten. Er preßte Sue mit seiner linken Hand ängstlich den Mund zu, was Parker praktisch nur in Umrissen feststellen konnte. Auf und in der Gespensterbahn war es sehr dunkel. Es gab nur Lichtblitze und Farbexplosionen, die den unmenschlichen Eindruck dieses Vergnügens noch unterstreichen sollten. »Würden Sie die Dame freundlicherweise in Ruhe lassen«, wandte Parker sich in seiner höflichen Art an den jungen Mann. »Keine Sorge. Aber nicht schreien!« sagte der junge Mann beschwörend und eindringlich, »ich steige gleich wieder aus.« Er gab Sues Mund frei. Schneller übrigens, als er. es gewollt hatte, den Sue hatte ihm ihren Ellbogen ziemlich unfreundlich in die Seite geboxt. Der junge Mann hatte sich bereits halb erhoben und stand absprungbereit im ratternden Karren. Genau in diesem Moment hörte Parker trotz des Lärms der sie umgab, das unheimliche und tödliche »Plopp« eines schallgedämpften Schusses. Der junge Mann schien diesen Schuß ebenfalls gehört zu haben. Er wandte sich halb zu Sue um, duckte sich noch weiter ab und fiel dann über Sues Knie. Parker reagierte sofort und geistesgegenwärtig. Er zog den jungen Mann, der haltlos weich geworden war und vom Karren abzurutschen drohte, zu sich herüber und hob den Kopf vorsichtig an. »Sie«, sagte er eindringlich, »Sir…!«
»Ist er…!?« Sue sprach ihren Satz nicht aus. Sie hatte entsetzt die beiden geballten Hände vor den Mund genommen. Bevor Parker antworten konnte, blieb die Geisterbahn plötzlich stehen. Der Karren, in dem Sue und Parker saßen, ruckte und schrammte noch ein paar Zentimeter über die ausgeleierten Schienen. Parker zog Sue über seine Beine hinweg auf eine Art Rampe, wo sich ein schreckhaftes Monster befand, das aus wenigstens acht grünen Armen und einem quadratischen, gelben Leib bestand. »Wenn Sie sich einen kleinen Moment gedulden wollen«, sagte Parker. Er hob den jungen Mann aus dem Karren und trug ihn auf das Geisterpodest. Er ließ ihn auf der Holzrampe vorsichtig nieder. »Ich bin sofort wieder zurück«, sagte Parker. Ihn störte ein kleiner Scheinwerfer, der die Rampe beleuchtete. Diese Lichtquelle wollte er sicherheitshalber außer Betrieb setzen. Dabei prägte sich ihm die Tatsache ein, daß das gesamte Stromnetz der Geisterbahn nicht außer Betrieb gesetzt worden war. Man hatte nur die kleinen Karren gestoppt. Er stieg über die Schienen und näherte sich dem kleinen Scheinwerfer. Dabei schaute er sich sicherheitshalber noch mal nach Sue um. Sie hatte den Kopf des jungen Mannes in ihren Schoß gebettet und beugte sich dicht über seinen Mund. Parker hatte durchaus den Eindruck, daß der junge Mann noch lebte, ja, daß er sogar noch in der Lage war, Sue etwas mitzuteilen. Parker hatte den Scheinwerfer erreicht und erkannte, daß er ihn einfach zur Seite drehen konnte. Er brauchte die Birne hinter dem Glas noch nicht mal zu zerstören. Parker griff nach dem Scheinwerfer und drehte ihn im. Gelenk hart zur Seite. Damit strahlte er nicht nur einen Teil, der Geisterbahn an, sondern auch zwei mittelgroße, schlanke Männer von vielleicht 30 Jahren, die tadellos sitzende, dunkelgraue Anzüge trugen. Sie hielten Pistolen in ihren Händen, auf deren Mündungen Schalldämpfer aufgeschraubt waren. Sie wurden vom schnell abgewandten Licht des Scheinwerfers völlig überrascht und blieben einen Moment verdutzt und wie versteinert stehen.
Bruchteile von Sekunden später kam allerdings sehr viel Leben in sie. Die beiden Männer rissen ihre Waffen hoch und schossen auf den Butler, der das gar nicht sonderlich schätzte. Parker sah sich veranlaßt, erst mal in Deckung zu gehen. Er verschwand hinter einem Gespenst. Zwei »Plopps« zeigten an, daß Parker tatsächlich aufs Korn genommen worden war. Er brachte das an einem Galgen hängende Gespenst in wilde Schwingungen und trat mit seinem Fuß gegen den Karren, den Sue und er eben erst verlassen hatten. Seine Rechnung ging leider nicht auf. Der Karren, der an einem Führungsseil befestigt war, blieb eisern stehen. Doch der Fußtritt, der ihm gegolten hatte, irritierte die beiden Schützen. Sie hatten wohl instinktiv damit gerechnet, daß der Karren nun auf sie zurattern würde. Sie sprangen sicherheitshalber zur Seite und brachten sich damit um ihren nächsten Schuß. Als sie merkten, daß der Karren keine Gefahr darstellte, hatten sie bereits verspielt. Der Butler hatte sich prompt an seine vielen Kugelschreiber erinnert, die sich in seinen zahlreichen Westentaschen befanden. Einen dieser Kugelschreiber hatte er durch eine Drehung des Oberteils gegen das Unterteil aktiviert und in Richtung der beiden Schützen geworfen. Der Kugelschreiber war zwischen den Schienen gelandet und hatte sich zischend in eine Nebelsäule verwandelt, die blitzschnell zu einer undurchsichtigen Nebelwand wurde. Parker stieg über die Schienen zurück zu Sue, die den Kopf des jungen Mannes hatte zu Boden sinken lassen. Sie breitete stumm die Arme aus. »Man sollte, wenn ich vorschlagen darf, Miß Weston, diese ungastliche, Stätte verlassen«, sagte Parker, »dem jungen Mann ist offensichtlich nicht mehr zu helfen, wenn ich nicht sehr irre.« Während Parker noch sprach, beugte er sich schnell zu dem Opfer der beiden Schützen hinunter. Dabei schob er Sue Weston hinter sich. Sie konnte oder sollte vielleicht auch nicht sehen, was Parker mit seinen schnellen Händen und Fingern erledigte. »Das war doch Mord«, sagte Sue entsetzt, als Parker sich wieder aufrichtete. Der Butler verzichtete auf eine Antwort. Er griff nach Sues Arm und zog die junge Dame über die Schie-
nen zurück zum achtarmigen Gespenst, das am Galgen hin- und herbaumelte. Er schob zuerst sich, dann Sue durch einige Pappkulissen, erreichte wieder ein Stück Schiene und blieb dann vor einer Zeltwand stehen. Parker zog fast bedächtig ein Taschenmesser hervor, öffnete die Klinge und stach damit in die Zeltwand. Dann ein kurzer, energischer Ruck nach unten, und der Weg nach draußen in die lärmende Helligkeit der Reklamelichter war frei. »Bitte, Madam!« Parker trat höflich zur Seite und ließ Sue ins Freie treten. Dann folgte er gemessen, ohne jedes Anzeichen von Hast oder Eile. Sie befanden sich in einer schmalen Gasse, die aus der Rückseite der Geisterbahn und Wohntrailern bestand. Der Weg in die Sicherheit schien damit erreicht zu sein. * Parker übernahm die Führung. Sue hielt sich dicht hinter ihm und atmete schnell und ängstlich. Ihr war klar, in welcher tödlichen Gefahr sie sich befanden. Parker bog nach rechts zwischen zwei langen Wohntrailern ab, um sofort wieder zurückzuzucken. »Was ist?« fragte Sue leise. »Ein Mann, der mir nicht sonderlich zusagt«, sagte Parker und sah sich suchend um. Dann bückte er sich nach einem Putzeimer, der neben der Treppe stand, die hinauf in einen Wohnwagen führte. Er griff nach dem klatschnassen Aufnehmer, der noch halb im Wasser hing und schob Sue dicht an den Wagen heran. Wenig später waren vorsichtige Schritte zu hören. Der Mann, der Parker so gar nicht zusagte, schien sich dem Wohnwagen zu nähern, hinter dem sich Parker und Sue aufgebaut hatten. Er schien sich nicht zu nähern, er kam… Parker wartete den günstigsten Moment ab. Dann schwang er seinen Arm samt Aufnehmer kraftvoll um die Ecke des Wohnwagens. Ein fast fett zu nennendes Klatschen, ein erstickter Aufschrei… Parker ging gemessen um den Wohnwagen herum und betrachtete sein Werk aus der Nähe.
Er hatte voll getroffen. Das heißt, genauer gesagt, der Aufnehmer hatte diese Arbeit erledigt. Der Mann lag halb auf der Holztreppe und kämpfte verzweifelt mit dem klitschnassen Lappen, der sich um sein Gesicht und seinen Hinterkopf gewickelt hatte. Parker beendete diese Versuche. Er langte mit dem bleigefütterten Bambusgriff seines Universal-Regenschirmes kurz und etwas unhöflich zu. Nachdem dieser Bambusgriff den Hinterkopf des Mannes berührt: hätte, rutschte der Mann endgültig in sich zusammen und begab sich in eine mittelfristige Ohnmacht. Parker griff in den Einreiher seines Gegners und fand prompt einen 45er, den er einsteckte. Er fand noch mehr, aber davon ließ er Sue nichts sehen. Er nickte ihr gemessen zu und deutete hinüber zum Rummelplatz dicht hinter den Wohntrailern. »Falls mich nicht alles täuscht, Miß Weston«, sagte er, »dürften die ersten Schwierigkeiten überstanden sein.« * Parker war ungemein wachsam. Irgend etwas in ihm sagte laut und deutlich, daß die Treibjagd jetzt erst begann. Die Gründe für solch eine Jagd lagen auf der Hand. Da war erst mal Sue, die noch Zeit gehabt hatte, sich mit dem Sterbenden zu unterhalten. Ob sie es getan hatte, wußte Parker zu diesem Zeitpunkt natürlich nicht. Er hatte Sue danach noch nicht fragen können. Er mußte aber davon ausgehen, daß die beiden Schützen diese Szene beobachtet hatten. Dann ging es auch um ihn, um Josuah Parker. Er hatte den Scheinwerfer überraschend auf die beiden Schützen und Mörder gerichtet. Er hatte sie also voll gesehen und sich ihre Gesichter einprägen können. Dagegen mußten Mörder einfach etwas einzuwenden haben, Mörder, die auf ihr Inkognito den größten Wert legten. Sie würden also alles daransetzen, ihn Parker aus dem Weg zu räumen. Und sie mußten versuchen aus Sue das herauszuholen, was sie in ihr vermuteten, nämlich Informationen, Aufschlüsse und Hinweise. Die Gelegenheit war günstig und ungünstig zugleich für die Mörder. Sie mußten Sue und Parker erst mal in diesem Gewühl
ausfindig machen. Hatten sie das aber geschafft, dann konnten sie gerade dieses, Menschengewimmel für ihre Pläne ausnutzen. Parker und Sue passierten wieder den Stand mit dem zähen türkischen Honig, als der Butler einen der beiden Mörder entdeckte. Der Mann stand vor einem Stand, an dem es heiße Hamburger gab. Dieser Mann hatte seinerseits den Butler ausgemacht und ruderte durch die Menge auf ihn zu. »Zwei Portionen, bitte«, sagte Parker, sich an den Verkäufer wendend, der den Honig an die Kundschaft zu bringen gedachte. Parker zahlte ohne Eile und kümmerte sich auch nicht um die erstaunten und unruhigen Blicke seiner Begleiterin. Parker ließ das Pergamentblatt, auf dem die beiden Portionen lagen, geöffnet. Er wog die beiden Portionen nachdenklich in der rechten Hand. Warum, sollte Sue bald merken. »Bleiben Sie bitte einen Moment stehen, Madam«, sagte Parker zu Sue, die sofort reagierte. Sie vertraute sich dem Butler blindlings an. Wenig später sah sie sich einem 30jährigen Mann gegenüber, der einen dunkelgrauen Anzug trug und sich vor ihr aufbaute. Er wollte etwas sagen, doch er kam nicht mehr dazu. Parker tauchte hinter ihm auf und drückte ihm mit langem Arm die beiden Portionen des türkischen Honigs mitten ins Gesicht. Der Mordschütze schnaufte, warf sich geblendet zurück, riß die Hände hoch und kämpfte mit der zähen und klebrigen Masse. »Ich erlaube mir einen recht guten Appetit zu wünschen«, sagte Parker, während sich um den mit Honig Beschmierten neugierige Zuschauer versammelten. Parker zog Sue durch die Menge und steuerte in Richtung der westlichen Straße. Dort gab es einen zweiten Ausgang aus dem Lunapark. Er kam nicht weit. Der zweite 30jährige schnitt Parker und Sue den Weg ab. Er hatte wohl nicht registriert, was seinem Partner passiert war, doch er war wesentlich gefährlicher und wachsamer als sein Mitmörder. Das ging schon daraus hervor, daß er seine rechte Hand unter die linke Seite seines Jacketts geschoben hatte. Die Finger dieser Hand lagen sicher um den Griffkolben seiner Schußwaffe. Parker lenkte ein und um.
Er zog Sue an den Tresen eines Standes, an dem es Hamburger gab, also Frikadellen, die in einer großen, flachen und rechteckigen Pfanne bruzzelten. »Was ist denn, Mister Parker?« erkundigte sich Sue nervös. Sie konnte nicht verstehen, warum Parker ausgerechnet jetzt Hamburger erstehen wollte. »Bitte, nicht umdrehen«, beschwor Parker seine Begleiterin, »tun Sie so, als wollten Sie diese, etwas obskuren Eßwaren erstehen.« Nachdem sie und Parker den Stand erreicht hatten, der ziemlich dicht umlagert war, deutete sie auf die Hamburger und hob zwei Finger. Währenddessen nahm der Butler seine schwarze Melone ab, als sei ihm heiß geworden. Er hielt sie so, daß er in die Wölbung hineinsehen konnte. Da sich in dieser besagten Wölbung ein kleiner Spiegel befand, war er in der Lage, praktisch hinter sich zu sehen, ohne dabei den Kopf zu wenden. Der zweite Schütze hatte sich bereits dicht an ihn und Sue Weston herangeschoben. Es war allerdings fraglich, ob er jetzt und hier mit seiner schallgedämpften Waffe arbeiten würde. Parker ließ es sicherheitshalber gar nicht darauf ankommen. Nach wie vor hielt er an der altbekannten Spruchweisheit fest, nach der die Vorsicht die Mutter der Porzellankiste ist. Er griff zur Plastikflasche mit dem Senf für die Hamburger. Er liebte diese Gefäße, die auf Handdruck hin den Inhalt ruckartig nach außen beförderten. Parker wandte sich halb zu Sue um. Er tat so, als wollte er sich einen der beiden Hamburger zu Gemüte führen. Die Plastikflasche mit dem Senf preßte er dicht gegen seinen Körper. Bis der Mann richtig seitlich hinter ihm stand. Bruchteile von Sekunden später war es bereits passiert. Der Mann brüllte auf, als der scharfe Senf sich in seinen Augen breitmachte. Der Schütze vergaß seine Schußwaffe und seine finsteren Absichten. Er interessierte sich nur noch für seine Augen und konnte nicht sehen, daß Parker ihm die beiden heißen Hamburger unter das Vorhemd schob. Als sie aber auf der völlig unvorbereiteten Haut seines. Bauches landeten, da verwandelte sich der Mann trotz seiner momentanen Sichtschwierigkeiten in einen ekstatischen Steptänzer. Der Mann stieß dazu halbirre Schreie aus, sprang von einem
Bein auf das andere, improvisierte einen Kriegstanz wie zu Zeiten der Indianer und schaffte es endlich, einen der beiden Hamburger zurück ans Tageslicht zu holen. Er warf die immer noch sehr heiße Frikadelle einfach von sich, was sich für ihn aber nicht sonderlich auszahlte, sondern ihm weitere Schwierigkeiten bescherte. Die Frikadelle segelte durch die Luft und landete im Ausschnitt einer ziemlich fülligen Dame, die einen recht handfesten Eindruck machte. Sie war nicht sonderlich erbaut von diesem Wurfgeschoß und revanchierte sich entschlossen und fast bösartig. Angewidert ließ sie zuerst die Frikadelle zu Boden fallen. Dann schob sie sich durch die erwartungsvoll zurücktretenden Zuschauer und pflanzte sich vor dem herumtanzenden Gangster auf. Sie maß ihn mit prüfenden Blicken und entschloß sich zu einer Kelle Bratensauce. Diese dunkelbraune und ziemlich heißzähe Flüssigkeit befand sich in einem Behälter, der seinerseits in einem Wasserbad stand. Mit dieser undefinierbaren Sauce konnte man sich die Hamburger ganz nach Wunsch zusätzlich beträufeln. Die resolute Dame entschloß sich also, es einmal mit dieser Sauce zu versuchen. Sie füllte die Kelle und entleerte sie über dem Kopf des Mannes, der inzwischen seinen Kriegstanz beendet hatte und sich wieder angelegentlich mit seinen brennenden Augen befaßte. Die Sauce mußte es in sich haben, denn der Mann begann prompt, einen zusätzlichen Boogie-Woogie zu improvisieren. Was verständlich war, wie Parker zugeben mußte, der interessiert zuschaute. Die Hälfte der Sauce war dem Schützen in den Hemdkragen gelaufen. Doch damit nicht genug. Die beleidigte und füllige Dame nutzte den Schöpflöffel in ihrer Hand weidlich aus. Sie hämmerte damit fast rhythmisch auf den Kopf des Mannes, der sich daraufhin auf dem Boden niederließ und still vor sich hinweinte. *
Josuah Parker und Sue Weston hatten sich inzwischen diskret entfernt. Auf Details waren sie verständlicherweise nicht sonderlich scharf. Parker ging es darum, Sue so schnell wie möglich in Sicherheit zu bringen. Seiner bescheidenen Ansicht nach war die Gefahr noch längst nicht gebannt. Wie richtig er die Lage eingeschätzt hatte, sollte sich bald zeigen. Der Schütze, der von Parker mit türkischem Honig behandelt worden war, hatte die weitere Verfolgung aufgenommen und sich an die Fersen von Sue Weston und Parker geheftet. Er holte sehr schnell auf. »Darf ich Ihnen den Besuch jenes Panoptikums vorschlagen?« erkundigte Parker sich bei Sue, die allerdings keine Zeit hatte, Parkers Frage zu beantworten. Bevor sie richtig reagieren konnte, hatte der Butler bereits zwei Eintrittskarten gelöst und war mit ihr im Zelt des Panoptikums verschwunden. Die Wachsfiguren machten einen traurigen und verstaubten Eindruck. Zudem wirkten sie durch die Bank leicht lädiert. Maria sah deutlich die Spuren frecher Hände, die an den Wachsfiguren herumgefingert hatten. Hier fehlte ein Ohr, Napoleons Nase hing schief im Gesicht, das Dekollete der Pompadour war fast schamlos entblößt, und eine Figur, die eine entfernte Ähnlichkeit mit Winston Churchill hatte, rauchte statt der obligaten Zigarre eine Zigarette. Sue sah den Butler fragend an. Wollte Parker es hier auf einen Kampf ankommen lassen? Das Zelt war bis auf sie menschenleer. Hier konnte Parker sich nach Herzenslust betätigen und brauchte nicht zu befürchten, daß er unbeteiligte Besucher gefährdete. Parker deutete auf einen Richtblock, über den sich Maria Stuart gebeugt hatte. Seitlich neben ihr stand ein riesiger Mann mit nacktem Oberkörper aus Wachs. Er hielt ein Richterschwert in der Hand und war wohl schon seit Jahren damit beschäftigt, Maria Stuart im nächsten Moment zu enthaupten. Sue verstand sofort. Sie verschwand hinter dem Henker und verhielt sich still. Parker baute sich hinter Cäsar auf und tarnte sich mit dessen Toga-Falten. Es dauerte, nur ein paar Sekunden, bis der Mordschütze auf der Bildfläche erschien.
Er fühlte sich vollkommen sicher und hatte bereits seine schallgedämpfte Pistole gezogen. Die Feuerkraft der beiden Gegner war enorm. Sie hatten sich mit Ersatzwaffen ausgerüstet, um jeder Eventualität vorzubeugen. Weit kam der Mann nicht. Parker hatte endlich Gelegenheit, das im Schirm eingebaute Blasrohr einzusetzen. Er hatte bereits die Preßluftstärke im und am Schirmgriff eingestellt, richtete jetzt die Spitze des Regenschirms auf den Mann, der sich mißtrauisch suchend umschaute und gab den Blasrohrpfeil frei. Fast geräuschlos sirrte das Geschoß durch die Luft. Bruchteile von Sekunden später zuckte der Mann zusammen und griff automatisch nach seinem rechten Oberschenkel. Ungläubig starrte er dann auf den Blasrohrpfeil, den er sich aus der Hose zog. Dann verdrehte er die Augen, seufzte müde und fiel in die Arme Jacqueline Kennedys, die einen ramponierten Eindruck machte. Parker holte Sue aus ihrem Versteck und ging mit ihr tiefer in das kleine Wachsfigurenkabinett hinein. An weiteren Auseinandersetzungen war er nicht interessiert. Sicherheit war jetzt das höchste Gebot. * »Irgendwie habe ich es die ganze Zeit über geahnt«, sagte Mike Rander eine Stunde später. Er war vom Dinner der Handelskammer zurück in sein Penthouse gekehrt und hatte sich die Geschichte von Sue und Parker angehört. »Ich darf Ihnen versichern, Sir, daß weder Miß Weston noch meine bescheidene Wenigkeit diesen Eklat provozierten«, sagte der Butler würdevoll. »Auf jeden Fall haben wir den Salat«, seufzte Rander auf. Der schlanke, etwas über mittelgroße Anwalt, der immer wie ein großer Junge aussah, schüttelte ergeben den Kopf, »wir haben eine Leiche, zwei Männer, die als Mörder in Betracht kommen und dazu noch eine Hetzjagd auf Miß Weston und auf Sie, Parker!« »In der Tat, Sir!« »Wissen Sie wenigstens, wer der Tote ist?« »Ich hoffe, Sir, damit dienen zu können«, antwortete der Butler
höflich, »der Ermordete heißt, falls seine Papiere stimmen, die sich in der Tasche des Jacketts fand, Andy Peters.« »Was geht noch aus den zufällig gefundenen Papieren hervor?« fragte Rander weiter. Er wußte aus Erfahrung, daß Parker sich stets für fremde Brieftaschen interessierte, die in einen Kriminalfall verwickelt waren. »Mister Andy Peters, Sir, ist das, was man einen Schausteller nennt«, sagte der Butler, »ihm scheint ein kleines Kinderkarussell zu gehören.« »Weiter, weiter«, drängte Rander. »Es fand sich noch eine Brieftasche«, bekannte der Butler, »sie stammte aus der Tasche eines der beiden Schützen. Dieser Mann heißt Will Cardigan und ist Angestellter eines Betriebes, der sich mit Stoßautos beschäftigt.« »Sonst noch etwas?« »Im Augenblick muß ich lebhaft bedauern, Sir.« »Zwei Rummelplatzleute also«, faßte Rander nachdenklich zusammen, »vielleicht handelt es sich um einen internen Streit. Soll in diesen Kreisen vorkommen.« »Gewiß, Sir.« »Oder vermuten Sie etwas anderes, Parker?« »Ich glaube, wir sollten davon ausgehen, Sir, daß auch der zweite Schütze Angestellter eines Rummelplatzbetriebes ist.« »Okay, liegt nahe«, Rander nickte. »Wie würden Sie, Miß Weston, diese beiden Schützen beurteilen?« wandte sich Parker mit seiner Frage an Sue Weston, die bisher nur aufmerksam zugehört hatte. »Nach Rummelplatz sahen sie sicher nicht aus«, meinte Sue Weston spontan. »Dazu wirkten sie zu elegant. Ich kann das nur rein gefühlsmäßig beurteilen.« »Damit dürften Sie das getroffen nahen, Miß Weston, was man den Nagel auf den Kopf nennt«, pflichtete der Butler bei, »die beiden Mordschützen erinnerten mich bestürzend an berufsmäßige Killer, wenn ich es so umschreiben darf – an Killer der gehobenen Gehaltsklasse. Es muß sich um hoch dotierte Spezialisten gehandelt haben.« »Worauf wollen Sie hinaus?« fragte Ränder mißtrauisch. Insgeheim hoffte er noch immer, diesem sich ankündigenden Fall entgehen zu können. Er hatte sich strikt vorgenommen, sich nur noch in speziellen Fällen persönlich zu engagieren.
»Spezialisten dieser Gehaltsklasse, Sir, dürften sich kaum in einen internen Streit einmischen.« »Sie rechnen also mit einem neuen, schweren Fall, Parker?« »In der Tat, Sir«, sagte Parker, »sowohl Miß Weston als auch meine bescheidene Wenigkeit sind in der Lage, die beiden Schützen jederzeit zu identifizieren. Darüber hinaus muß bei den Tätern der Eindruck entstanden sein, daß der sterbende Mister Peters noch Gelegenheit hatte, Miß Weston einige Informationen zuzuflüstern.« »Was er natürlich nicht tat, oder?« Rander sah Sue Weston hoffnungsfroh an. »Ja und nein zugleich«, erklärte Sue achselzuckend, »er sprach, aber es war so gut wie überhaupt nichts zu verstehen. Das einzige Wort, was ich mitbekam, hieß Leib oder so ähnlich.« »Okay«, sagte Rander, der zu einem Entschluß gekommen war, »das alles werden wir jetzt Captain Madford vom Sonderdezernat vorlegen, womit wir dann mal wieder aus dem Schneider sind. Und der Presse teilen wir mit, daß weder Sie, Miß Weston, noch Sie, Parker, sich an die Gesichter der beiden Schützen erinnern können. Damit dürfte alles klar sein.« »Sie haben mit Sicherheit eine gewisse Kleinigkeit übersehen«, meinte Parker würdevoll. »Einer der Schützen, Mister Will Cardigan, wird inzwischen seine Brieftasche vermißt haben.« »Und die beiden Mörder werden zudem kein Wort von dem glauben, was in den Zeitungen stehen wird«, schaltete Sue sich ein, »an diesem Fall, Mister Rander, werden Sie nicht vorbeikommen, fürchte ich.« Rander verdrehte die Augen und schwieg. Er hatte längst begriffen, daß er wieder mal in der Falle saß. * »Was soll der ganze Unsinn?« schnaufte Madford gereizt wie immer. Zusammen mit seinem Assistenten McLean, der ihn um fast zwei Köpfe überragte, stattete er dem Penthouse des Anwalts einen Besuch ab. »Was soll dieser Blödsinn mit der Leiche auf der Geisterbahn?« »Muß ich unterstellen, Sir, daß Sie keineswegs eine Leiche fanden?« fragte Parker. Der schmale, kleine Madford mit dem pech-
schwarzen Lippenbärtchen blitzte den Butler wütend an. »Genau das soll es heißen!« »Keine Leiche. Nichts!« gab McLean von sich. »Die auf dem Rummelplatz heißen alle durch die Bank Hase und wissen von nichts.« Sue Weston sah den Butler völlig entgeistert an. »Sein Kopf lag ja auf meinem Schoß«, sagte sie dann fast empört, »Sie glauben doch wohl nicht, Captain, daß wir Ihnen einen Bären aufgebunden haben.« »Im Moment glaube ich erst mal gar nichts«, erwiderte Madford, »aber ich will durchaus annehmen, daß Sie mich nicht beschwindelt haben.« »Immerhin etwas«, sagte Sue besänftigt, »dann kann also die Leiche nur weggeschafft worden sein.« »Sind Sie sicher, Miß Weston, daß der Mann tot war?« fragte Madford skeptisch. »Mister Parker, bitte, antworten Sie für mich!« Sue wandte sich hilfesuchend an den Butler. »Der Mann hatte bereits das gesegnet, was man gemeinhin das Zeitliche nennt«, erläuterte der Butler, »meiner bescheidenen Ansicht nach dürfte ein Irrtum ausgeschlossen sein.« »Wie hieß der Tote noch?« fragte Madford, sich blitzschnell an Sue wendend. Er wollte sie überrumpeln, doch er hatte die Rechnung ohne Sue gemacht. »Keine Ahnung«, erwiderte Sue, die sich selbstverständlich mit dem Butler abgesprochen hatte, »er hatte keine Zeit mehr sich vorzustellen.« Mike Rander wandte sich leicht hüstelnd ab und beschäftigte sich mit seinem Drinkglas. Er schwitzte wieder mal Blut und Wasser. Als Jurist war ihm völlig klar, daß Josuah Parker und Sue Weston wichtige Beweismittel unterschlugen. Wieder einmal! Sie besorgten das mit einer Unverfrorenheit, die er einfach nicht begriff. »Ich stelle fest, daß Sie den Namen des Toten nicht kennen«, sagte Madford. Und über diese Formulierung freute sich Rander plötzlich wieder. Selbstverständlich wußten Parker und Sue nicht, wie der Tote hieß. Sie hatten in seiner Brieftasche nur einige Unterlagen gefunden, die darauf schließen ließen, daß der Mann Andy Peters hieß. Das aber waren zwei verschiedene Schuhe. »Hoffentlich haben Sie mir nichts unterschlagen«, warnte Madford eindringlich.
»Sollte sich zu einem späteren Zeitpunkt noch etwas an Erinnerung aufdrängen, Sir, werde ich Sie umgehend verständigen«, gab der Butler gemessen zurück, »Sie werden verstehen, daß Miß Weston und meine bescheidene Wenigkeit noch unter einem begreiflichen Schock stehen.« »Sie und Schock!« Captain Madford maß den Butler mit einem seiner stets gereizten Blicke, »aber schön, lassen wir das. Würden Sie die beiden Schützen wiedererkennen, Mister Parker?« »Ich fürchte, verneinen zu müssen.« »Ich auch«, schloß Sue Weston sich schnell dem Butler an, »vergessen Sie nicht die Lichtverhältnisse, Captain.« »Ich vergesse überhaupt nichts. Und daran werden Sie sich eines Tages erinnern!« Diese Bemerkung Madfords war ausschließlich an den Butler gerichtet. Natürlich ahnte Madford zumindest, daß Parker wieder mal seine sehr eigene Suppe kochen wollte. Wie Parker das in der Vergangenheit stets getan hatte. Madford tröstete sich auf der anderen Seite damit, daß Parker ihm bisher jedes Mal einen fertig abgeschlossenen Fall geliefert hatte. Was schließlich auch nicht zu verachten war. Lieutenant Madford war nicht ohne Grund zum Captain befördert worden. Und nicht ohne Grund hatte man ihm das Sonderdezernat anvertraut. Madford galt als erstklassiger Kriminalist, der er auch war. Es war nur sein Pech, daß ein gewisser Josuah Parker eben immer schneller war als er. Als Madford und McLean gingen, meldete sich das Telefon. Rander hob ab, da Parker die beiden Detektive zur Tür brachte. Er hörte kurz zu und reichte dann den Hörer an Sue weiter, die sich meldete. Sie hörte einen kurzen Moment zu, um den Hörer dann langsam, fast betreten auf die Gabel zu legen. »Ist was?« fragte Rander. »Sieht so aus, Mister Rander«, erwiderte Sue, »man hat mir gerade mitgeteilt, daß man mich umbringen will!« * Eine knappe Stunde später verließ Parkers hochbeiniger Wagen die Tiefgarage des Bürohauses, auf dessen Dach sich das Penthouse Mike Randers befand.
Parker saß, stocksteif, wie immer, am Steuer. Im Fond des Wagens hatte Sue Weston Platz genommen. Eng gekuschelt in der linken Wagenecke schien sie wert darauf zu legen, nicht gesehen zu werden. Parker steuerte sein Monstrum – ein ehemaliges Taxi aus London, das nach seinen Plänen umgebaut worden war in relativ schneller Fahrt durch die Innenstadt, um dann hinaus auf den Nord-West-Turnway zu gehen. Ein heimlicher Beobachter hätte schnell daraus geschlossen, daß Parker den Auftrag hatte, Sue Weston aus der Stadt zu einem sicheren Ort irgendwo in der Provinz zu bringen. Und diesen heimlichen Beobachter gab es bereits, wie der Butler sehr schnell herausgefunden hatte. Seit dem Verlassen des Loop, der engeren City der Stadt, folgte ihnen hartnäckig ein unauffällig aussehender Ford, der sich nicht abschütteln ließ, obwohl Parker einige recht harmlose Ablenkungsmanöver inszeniert hatte. Genau solch einen heimlichen Beschatter hatte der Butler sich sehnlichst gewünscht. Was er brauchte, war ein enger Kontakt zu den beiden Mordschützen. Er benötigte Informationen aus erster Hand, und diese Informationen wollte er sich im Lauf der Nacht beschaffen. Parker, der auch die nähere Umgebung der Stadt wie seine Westentasche kannte, blieb nicht lange auf dem Turnway. Als die Peripherie der Stadt erreicht war, lenkte er seinen Privatwagen in ein neu errichtetes Industrieviertel. Hier hatten sich mittelgroße Firmen der Bauindustrie angesiedelt, deren Gebäude zum größten Teil entweder aus vorgefertigten Bauelementen bestanden oder aus Holzhallen und Baracken. Parker, der seinen jungen Herrn vor einigen Wochen hierher begleitet hatte, als Rander in seiner Eigenschaft als Jurist einige Verträge abgeschlossen hatte, hielt auf dem etwas chaotisch aussehenden Gelände einer Firma, wo sich Baumaterialien aller Art türmten. Er stieg aus seinem Wagen und war bereits in der Dunkelheit verschwunden, als der unauffällige Ford, der jetzt sehr auffällig geworden war, auf der Bildfläche erschien. Zwei Männer stiegen vorsichtig aus dem Wagen und orientierten sich. Es handelte sich, wie Parker erkannte, einmal um Will Cardigan, den er mit einem Aufnehmer behandelt hatte. Und um einen
zweiten Mann, der mit Cardigans Partner auf dem Rummelplatz nicht identisch war. Die beiden Männer flüsterten leise miteinander und verschwanden dann ebenfalls in der Dunkelheit. Sie bauten sich hinter einem Bretterstapel und einem Schaufellader auf. Sie wollten wohl warten, bis Parker zurück zu seinem Wagen ging, um ihn dann aus dem Hinterhalt aufs Kreuz zu legen. Sie hatten zuvor selbstverständlich in den Wagen hineingeschaut und sich vergewissert, daß Sue Weston ebenfalls ausgestiegen war. Sie mußten das einfach annehmen, denn Parker hatte den Fahrgastraum seines Monstrums mit Sue Westons Parfüm besprüht. Es roch also nach einer kultivierten Frau. Sue Weston war allerdings dennoch nicht vorhanden. Auch nicht in Parkers Nähe. Sie war überhaupt nicht mitgekommen. Sie befand sich um diese Zeit im Penthouse Randers und damit in Sicherheit. Die Dame im Fond war eine raffiniert hergerichtete aufblasbare Gummipuppe gewesen, die Sues Stelle eingenommen hatte. Parker beobachtete die beiden Männer intensiv durch sein Nachtzielgerät, das nicht größer war als ein Kofferradio. Es wurde von Batterien gespeist und lieferte erstklassige Infrarotbilder. Cardigan und sein neuer Partner waren deutlich zu sehen, obwohl sie in vollständiger Dunkelheit Schutz gesucht hatten. Sie sahen nichts, wurden dafür aber genau beobachtet. Parker liebte seine technische Ausrüstung. Er war stets bemüht, mit den neuesten Schöpfungen auf diesem Gebiet zu arbeiten. Um gegen hartgesottene Gangster anzukommen, mußte man schon erfinderisch und trickreich sein. Butler Parker nahm sich übrigens sehr viel Zeit. Er dachte vorerst nicht daran, sich den Männern zu zeigen. Sie sollten sich erst mal die Beine in den Leib stehen und weich werden. Nach zehn Minuten, als die beiden Männer in der Optik des Nachtzielgerätes unruhig wurden, ging der Butler zum Angriff über. Dazu benutzte er wieder einmal und fast freudig seinen Universal-Regenschirm, in dessen Schirmstock das wohlbekannte Blasrohr eingebaut war, das mit Preßluft arbeitete. Zuerst nahm Parker sich Will Cardigan aufs Korn. Er stellte die stärkere Preßluftdosis ein und schickte den Blasrohrpfeil auf die Reise. Dieser bunt gefiederte Pfeil traf sein Ziel mit einer Präzision und
Sicherheit, die nur verblüffen konnte. Cardigan wurde unterhalb der linken Schulter geritzt und sprang wie ein erschreckter Hase aus seinem Versteck. Er versuchte an den Pfeil zu gelangen, doch sein Arm war dazu zu kurz. Zudem reichte auch die Zeit nicht mehr. Cardigan fiel auf die Knie, ruderte mit seinen Armen noch etwas in der Luft herum und wurde dann ohnmächtig. Selbstverständlich war der Pfeil, den Parker abgeschossen hatte, vergiftet. Das heißt, dieses Gift bestand aus einem harmlosen, aber sehr schnell wirkenden Schlafmittel. Der neue Partner Cardigans, der diese Szene selbstverständlich mitbeobachtet haben mußte, rührte sich nicht aus seinem Versteck hinter dem Schaufellader. Ihm war sicher der Schrecken in die Glieder gefahren. Er wüßte wohl noch zu wenig von Parkers ungewöhnlichen Kampfmitteln. Parker suchte mit seinem Infrarotgerät nach diesem Mann, doch zu seiner Überraschung war der Begleiter Cardigans nicht mehr zu sehen. Er schien innerhalb weniger Sekunden seinen Standort gewechselt zu haben. Aus Angst? Oder vielleicht aus Raffinesse? Parker mußte es darauf ankommen lassen und weiter warten. Er konnte diesem verschwundenen Mann aber auch eine neue Falle stellen. Möglichkeiten dazu harte Parker genug. * Josuah Parker holte das Miniaturtonbandgerät aus der Tasche seines Zweireihers und schaltete es auf Sendung. Das von Batterien gespeiste Kleinstgerät mit einer Drahtspule produzierte sofort ein leises, unterdrücktes Hüsteln, dann ein feines Scharren. Wenig später lieferte es das Knacken von Holz und dann einen leisen Nieser. Das Gerät war von Parker in einen Stapel Schalbretter gestellt worden. Er selbst hatte sich etwas zurückgezogen und stand hinter einer Planierraupe. Der Fuchs ging sehr schnell in die Falle. Angelockt von den typischen Geräuschen einer Person, die sich irgendwo versteckt hält, es aber nicht schafft, vollkommen leise zu bleiben, angelockt, also von diesen Geräuschen erschien Car-
digans neuer Begleiter auf der Bildfläche. Parker konnte ihn durch die Optik des Nachtzielgerätes genau erkennen. Der Mann hielt ein Schrotgewehr in der Hand, dessen Lauf abgesägt war; eine fürchterliche Waffe, die aus der Nähe unbedingt tödlich wirkte. Diese Waffe ließ Rückschlüsse auf den Träger zu. Parker, das stand für ihn fest, hatte es mit einem brutalen Gangster zu tun, der sich in der Dunkelheit auskannte. der genau wußte wie sicher solch eine Waffe schoß, wenn die Sichtverhältnisse nicht optimal waren. Dieser Gangster nun pirschte sich immer näher an die Schalbretter heran und feuerte dann in schneller Reihenfolge zwei Schrotladungen auf den vermeintlichen Butler ab. Dann setzte der Mann sich sicherheitshalber erst mal ab. um in aller Ruhe abzuwarten, ob er auch wirklich getroffen hatte. Das Kleinstgerät war von einigen Schrotkugeln getroffen worden. Zu Parkers Freude übrigens, denn jetzt brauchte das Gerät keine Geräusche mehr zu produzieren. Sie hätten den Schützen doch nur mißtrauisch gemacht. Nach zwei bis drei Minuten des Wartens kam der Schütze zu dem Schluß. daß er wohl doch voll getroffen haben mußte. Er arbeitete sich erneut an die Schalbretter heran, das Schrotgewehr im Hüftanschlag. Er war bereit, beim geringsten Geräusch noch mal zu schießen. Wozu es aber nicht mehr kam. Parker hatte seinen zweiten Blasrohrpfeil auf die Luftreise geschickt und selbstverständlich einen Treffer verbucht. Der Mann faßte erstaunt und überrascht nach seinem linken Oberschenkel knapp über der Kniekehle und riß den Blasrohrpfeil aus der kleinen Wunde. Dann sank er aber auch schon in sich zusammen und landete klatschend auf dem Sandboden. Parker war wieder mal mit sich zufrieden und verließ seine Deckung. Er schritt gemessen und würdevoll auf sein zweites Opfer zu, um dessen Taschen zu visitieren. Er wollte schließlich wissen, mit wem er es zu tun hatte. Er hatte den Mann fast erreicht, als sich die ungefähr scheunentorgroße Mündung des abgesägten Schrotgewehrs blitzschnell hob und sich gleichzeitig auf ihn richtete…
* Rander und Sue Weston hielten sich im Studio des Penthouse auf und warteten ungeduldig darauf, daß Josuah Parker sich meldete. Was technisch nicht schwierig war, denn Parker konnte sich einmal über das Autotelefon mit Rander in Verbindung setzten, zum anderen auf dem Umweg über ein Funksprechgerät, das er allerdings nur selten benutzte. Auf beiden Kanälen aber schwieg der Butler sich äußerst vornehm aus, worüber Sue Westen sich Gedanken machte. »Es wird ihm doch nichts passiert sein?« fragte die Sekretärin, sich an Rander wendend. »Kaum auszudenken«, meinte Rander und schüttelte den Kopf, »bei Parker kann doch noch ein altgedienter Fuchs etwas lernen. Er wird’s noch nicht geschafft haben!« Sue zündete sich eine Zigarette an und hielt sich in der Nähe des Telefons auf. Seitdem sie Parker kennengelernt hatte, möchte sie ihn. Praktisch vom ersten Moment an. Sie hatte Vertrauen zu diesem so verschlossen wirkenden Mann, dessen Alter man einfach nicht bestimmen konnte. Er war für sie so etwas wie ein Vater- und Bruderersatz geworden. »Vielleicht hätten wir Captain Madford doch alles sagen sollen«, überlegte sie besorgt und laut. »Parker wird sich sicher gleich melden«, beruhigte Rander seine Privatsekretärin, »er geht eben seine eigenen Wege. Daran muß man sich einfach gewöhnen.« * »Ooooh!« sagte Parker gedehnt, als er in die Mündung des Schrotgewehrs schaute. »Reingefallen, Parker!« erwiderte der Gangster und richtete sich geschmeidig auf. »In der Tat«, räumte der Butler ein, »ich muß zugeben, daß ich das bin, was ich beeindruckt nennen möchte.« »Und jetzt geht Ihnen sicher die Melone hoch, was?« Es war Cardigan, der hinter dem Butler erschien. Er hielt seine Schußwaffe feuerbereit in der rechten Hand. »Ich möchte jetzt sogar gestehen, daß ich äußerst verblüfft
bin«, antwortete der Butler, »bestehen Sie darauf, daß ich die Hände hochnehme?« Sie bestanden darauf, und Parker streckte die Arme hoch gegen den nächtlichen Himmel. Er mußte es sich gefallen lassen, daß man ihn nach Waffen absuchte. »Denk an die Kugelschreiber«, sagte der Mann vor Parker. »Und ob«, erwiderte Cardigan, der die Durchsuchung vornahm. Er räumte alle Taschen des Butlers leer und vergaß auch nicht, die so harmlos aussehende Pillendose mit dem gefährlichen Inhalt. »Wir lassen uns immer nur einmal aufs Kreuz legen«, sagte Cardigan dann, »wir fanden diesen Kugelschreiber mit der Nebelbombe auf der Geisterbahn. Ich wette, diese harmlosen Dinger hier haben es ebenfalls in sich.« »Ich werde mir nicht erlauben, dies abzustreiten«, sagte Parker in seiner höflichen Art. »Mir scheint, daß Sie aus gewissen Vorgängen gewisse Schlüsse gezogen haben.« »Die Blasrohrpfeile, wie?« Der Mann vor Parier lachte amüsiert und wirkte in diesem Moment durchaus sympathisch. »Wir haben uns natürlich was untergezogen!« »Unterwäsche aus Blech«, warf Cardigan lachend ein. Auch er sah nicht aus wie ein mordlüsterner Gangster. Was aber gar nichts zu besagen hatte. Aus Erfahrung wußte der Butler, daß Gangster niemals wie Gangster aussehen. Ausgenommen in einschlägigen Kriminalfilmen, wie man immer wieder zu sehen bekommt. »Damit dürfte ich die Erklärung für die Wirkungslosigkeit meiner Blasrohrpfeile bekommen haben«, bedankte der Butler sich, »darf ich fragen wie Ihre weiteren Pläne aussehen?« »Sehr einfach«, sagte der Mann vor Parker, »wir möchten wissen, was Peters Ihrer Begleiterin vor dem Abkratzen noch gesagt hat?« »Und je schneller Sie reden, desto besser für Sie«, schaltete Cardigan sich ein. Er lächelte jetzt nicht mehr. »Lassen Sie’s sich gesagt sein, Parker, daß wir die Wahrheit aus Ihnen rausholen werden! Früher oder später.« »Miß Weston war leider nicht in der Lage, auch nur ein einziges Wort zu verstehen«, sagte Parker fast wahrheitsgemäß. »Lassen Sie das Theater!« Der Mann vor Parker schüttelte fast beleidigt den Kopf, »Andy Peters hat noch gesprochen. Das ist
gesehen worden. Was hat er Miß Weston zugeflüstert?« »Wenn ich Ihnen jetzt etwas sage, werden Sie mir natürlich nicht glauben«, antwortete Parker. »Erraten! Wir nehmen Ihnen nur das ab, was Sie nach einer kleinen Spezialbehandlung ’rausschreien werden!« »Dies scheint mir sehr eindeutig zu sein«, stellte, der Butler gemessen fest. »Darf man erfahren, wo diese Spezialbehandlung erteilt werden soll?« »Bleiben wir doch gleich hier draußen«, sagte der Mann vor Parker und deutete auf eine der Fertigungshallen, »sieht so aus, als wären wir dort ganz unter uns…« Parker mußte sich hinüber in die Fertigungshalle bemühen. Seine Lage war ziemlich hoffnungslos. An technischen Tricks oder Hilfsmitteln stand ihm nichts mehr zur Verfügung. Oder besser gesagt, kaum noch etwas. * »Das Telefon…« Sue stürzte sich förmlich auf den Apparat und riß den Hörer aus der Gabel. »Hier bei Mister Rander«, meldete sie sich, »mit wem spreche ich?« Mike Rander war neben sie getreten und hielt sich die zweite Hörmuschel ans Ohr. »Hören Sie genau zu, Süße«, sagte eine etwas schleppend klingende Stimme, die dazu noch undeutlich und verzerrt klang, »sperren Sie Ihre kleinen Lauscherchen mal weit auf. Es geht um Ihren Haushofmeister Parker!« »Was ist mit Mister Parker?« fragte Sue schnell. »Noch ist sein Blutdruck völlig normal, aber das wird sich schnell ändern wenn Sie nicht spuren, verwandeln wir ihn in ’nen kleinen, netten Engel!« »Was . Was verlangen Sie?« fragte Sue hastig. »Das ist genau die Tonart, die wir lieben«, sagte die schleppende Stimme in den beiden Hörmuscheln, »immer schön spuren, Süße! Also, setz dich in deinen Schlitten und komm ’raus zum Rummelplatz. Wir haben da ’ne nette Überraschung für dich pa-
rat. Spezialprogramm für einsame Mädchen!« »Werden Sie dann auch Mister Parker freilassen?« fragte Sue absichtlich sehr naiv. »Aber klar, Süße«, meinte die schleppende Stimme, »wir können’s kaum erwarten.« »Wann soll ich kommen?« fragte Sue Weston. »Sagen wir doch, gleich!« meinte die schleppende, Stimme lässig, »sagen wir, in ’ner halben Stunde, einverstanden?« »Ich fahre sofort los«, erwiderte Sue. »Noch etwas, Schwesterchen«, mahnte die schleppende Stimme, »aber allein kommen, klar! Mit den Bullen wollen wir doch nichts zu tun haben, oder?« »Ich… Ich hab verstanden.« Auf der Gegenseite wurde eingehängt. Sue wandte sich an Mike Rander, der spontan den Kopf schüttelte. »Sie werden natürlich nicht gehen«, sagte er dann fast streng, »was hier über die Bühne gehen soll, dürfte ja auf der Hand liegen.« »Und Parker…?« »Wie wollen Sie ihm denn helfen, falls er wirklich überlistet worden ist? Nein, nein, Miß Weston, wir müssen uns mit Madford in Verbindung setzen. Da liegt unsere einzige Chance.« »Die einzige Chance für Parker, mit Sicherheit umgebracht zu werden«, widersprach Sue energisch. »Hören Sie, Mister Rander, ich habe da eine Idee. Vielleicht klappt es doch noch, Parker herauszuhauen. Alles hängt davon ab, die Gangster zu überraschen.« »Sie können sagen, was immer Sie wollen, Miß Weston, Sie lasse ich nicht ’raus zum Rummelplatz«, erklärte Rander kategorisch und endgültig, »mich stimmen Sie nicht um!« * In der großen Fertigungshalle wurden tagsüber Betonbauteile hergestellt. Parker interessierte sich naturgemäß für seine neue Umgebung. Schließlich war er waffenlos und mußte sich nach Verteidigungsmitteln umsehen. Viel bot sich seinen suchenden Augen allerdings nicht. Es gab Rahmenformen für Bauelemente, Baustoffbehälter mit
langen, biegsamen Metallschläuchen, durch die Materialien in die Formen befördert werden konnten und dann noch das dazu erforderliche Handwerkszeug. Als sie einen Hochbehälter passierten, blieb der Butler stehen und hob die Arme. Er machte einen äußerst unglücklichen und resignierten Eindruck. »Los, weiter«, drängte der neue Begleiter von Cardigan. Er schien das Kommando zu haben, zumal Cardigan ihm förmlich nach den Augen schaute. »Ich hätte eine Frage«, sagte Parker und näherte sich mit seinen Händen dem Drahtbügel seitlich neben dem Behälter. »Spucken Sie’s schon aus«, entgegnete der Gangster, der sich knapp anderthalb Meter vor dem Butler aufgebaut hatte. Cardigan stand schräg hinter dem Mann, dessen Schrotgewehr drohend auf den Butler gerichtet war. »Könnte man sich möglicherweise die lästige Prozedur einer peinlichen Befragung ersparen?« fragte Parker in seiner stets höflichen Art, »ich glaube, mich jetzt sehr genau an das zu erinnern, was der sterbende Mister Peters zu Miß Weston sagte!« »Was meinen Sie, Cardigan?« fragte der Gangster und wandte sich kaum merkbar um. Parker genügte dieses leichte Wegwenden, um mit den Händen fest und entschlossen nach dem Drahtbügel zu greifen. Er ging sicher ein großes Risiko ein, denn er wußte selbstverständlich nicht, welche Materialien sich in dem Hochbehälter befanden. Und er wußte ferner nicht, ob sich überhaupt irgendwelche Dinge in diesem überdimensional großen Blechzylinder befanden. Er hatte Glück. Nachdem Parker blitzschnell den Drahtbügel nach unten gezogen hatte, rauschte aus dem Auslaßtrichter etwa eine gute Tonne Bimsstein heraus. In Bruchteilen von Sekunden befand sich eine Wand aus feinkörnigem Bims zwischen Parker und den beiden Gangstern. Und der Butler hatte sogar den erfreulichen Eindruck, daß der Mann mit dem Schrotgewehr von einem Teil der ausströmenden Ladung erwischt wurde. Dennoch hatte dieser Mann offensichtlich blitzschnell reagiert und geschossen. Doch Parker, obwohl sehr nahe, spürte nichts. Die vielen Schrotkörner waren mit Sicherheit von der herunterrauschenden Wand aus gekörntem Bims abgebremst und ver-
schluckt worden. Parker nutzte den aufwallenden Staub, um sich diskret zu entfernen. Er wollte nicht länger lästig fallen. Er zog sich in die Dunkelheit der Montagehalle zurück und passierte dabei einen zweiten zylinderartigen Hochbehälter aus Stahlblech. Auch hier gab es einen Drahtbügel, der nur darauf wartete, von Parker gezogen zu werden. Der Butler konnte einfach nicht widerstehen. Er griff nach diesem Drahtbügel und sprang sofort zur Seite. Auch hier wußte er nicht, was die Austrittsöffnung ausspeien würde. Diesmal handelte es sich um Zement. Dieser Grundbaustoff wirbelte, nachdem er zu Boden gegangen war, orkanartig hoch und sorgte für eine undurchdringliche Nebelwand. Parker hüstelte leicht und bemühte sich weiter weg. Er war sicher, daß die beiden Gangster vorerst mit sich allein zu tun hatten. Parker erreichte die Wand der Fertigungshalle und tastete sich an ihr entlang. Dann fand er eine kleine pfortenartige Tür, die er frohgestimmt öffnete. Sekunden später befand er sich erst mal in Sicherheit. Es war ihm gelungen, sich der beiden Gangster zu entledigen. * Sue Weston traf mit einiger Verspätung am Rummelplatz ein. Sie ließ den Wagen vor dem Eingang stehen, der durch ein Drahttor verschlossen war. Der gesamte Lunapark wurde von einem Zaun aus einer Mischung von Bretterwänden und Drahtzäunen umspannt. Jetzt, um diese Zeit herrschte Ruhe auf dem Platz. Es ging schließlich auf zwei Uhr zu. Sie schaute sich suchend um und versuchte ihr Herzklopfen zu überhören Sie ahnte, was sie erwartete. Als sich hinter dem Drahttor nichts rührte, stieß sie gegen den leichten Rohrrahmen, der sofort zurückschwang. Der Weg hinein in den Lunapark war somit frei. Sue fühlte sich von scharf registrierenden Augen überwacht, als sie auf die ersten Schaubuden zuschritt, die alle geschlossen waren. Der Nachtwind spielte mit Papierfetzen und trieb sie durch
die Budengassen. Irgendwo schlugen nicht festgebundene Zeltstoffe gegen Spanngerüste. Und, wie nicht anders zu erwarten war, heulte prompt irgendwo im Lunapark ein Hund. Kurz es herrschte jene Stimmung, die Sue Weston in Kriminalfilmen so schätzte! Von Schritt zu Schritt aber wurde Randers Privatsekretärin sicherer. Schließlich hatte sie sich vor Antritt der Fahrt hierher in Parkers privater Bastelstube intensiv umgesehen und auch bedient. Sie hoffte nur, daß sie nach den richtigen Dingen gegriffen hatte. Davon hing vielleicht ein paar Minuten später ihr Leben ab. Sue schrak fürchterlich zusammen, als vor ihren Füßen plötzlich ein Stein landete, um den ein Fetzen Papier gewickelt war. Sie sah sich nach allen Seiten um und wollte herausbekommen, woher der Stein gekommen war, bückte sich nach ihm und wickelte das Papier herunter. »Panoptikum«, las sie halblaut, »Parker wartet auf Sie!« Sue erinnerte sich, wo das Wachsfigurenkabinett lag. Sie bog nach rechts ab und ging vorbei an der jetzt endlos scheinenden Front der geschlossenen Rummelplatzbuden. Es brannten nur wenige Bogenlampen, und der Schein dieser Lampen reichte kaum aus, Einzelheiten vor und neben den Buden erkennen zu können. Sue kam sich vor wie in einem schrecklichen Alptraum. Dann – für ihre Begriffe viel zu schnell – hatte sie das Wachsfigurenkabinett erreicht. Sie blieb vor dieser Schaubude stehen und wartete weiter ab. Gewiß, sie befand sich wie auf einem Präsentierteller, aber sie rechnete nicht damit, daß man auf sie schießen würde. Vorerst brauchte man sie sicher noch. »Hei, Süße!« Sue drehte sich blitzschnell um und wandte der Schaubude den Rücken zu. Auf dem Podium einer Boxbude erkannte sie einen Gnom, der ihr steif zuwinkte. Es mußte sich um einen Liliputaner handeln. Doch in der Beleuchtung schien dieser Mann wie aus einer anderen Welt zu stammen. Zögernd ging sie zu ihm hinüber und blieb knapp vor dem Podium stehen. »Kommen Sie!« rief er ihr mit etwas heiserer Stimme zu, »kommen Sie, Süße!«
Sue Weston hätte sich jetzt am liebsten umgedreht und wäre weggerannt. Ihre Nerven waren bis zum Zerreißen gespannt. Sie fühlte, daß sie dicht vor einem Schreikrampf stand. Der Gnom blieb im zweigeteilten Vorhang stehen, der hinein in die Boxbude führte. Er winkte ihr erneut zu, um dann den Vorhang hinter sich zufallen zu lassen. Es geht um Parker, redete Sue sich ein, rief sich zur Ordnung und ging über die breite Holztreppe hinauf aufs Podium. Dann näherte sie sich zögernd dem zweigeteilten Vorhang. Sie hatte ihn noch nicht erreicht, als plötzlich eine Riesenhand durch den Vorhang griff und sich um ihr Handgelenk legte. Ein kurzer Ruck, und sie befand sich fast waagerecht in der Luft. In Bruchteilen von Sekunden war sie hinter dem Vorhang verschwunden. * Parker war nach wie vor ohne Waffen, doch das scherte ihn nicht mehr sonderlich. Hauptsache, er hatte sich erst mal von den beiden Gangstern lösen können. Nun kam es darauf an, diese Männer so auszutricksen, daß er seine persönliche und sehr wichtige Habe wieder an sich nehmen konnte. Er rechnete damit, daß die Kerle auf dem schnellsten Weg zurück zu ihrem Wagen gehen würden. Und er wußte im vorhinein, daß sie diesen Rückweg mit ihren Schußwaffen decken würden. Es war also sinnlos, sie ohne Waffe anzugreifen. Dabei hätte er keine Chance gehabt. Parker wechselte hinüber zu dem großen Schaufellader. Er entledigte sich seines Zweireihers und seiner gestreiften Butlerweste. Anschließend knöpfte er sich die soliden Hosenträger ab, mit denen er sicherheitshalber seine maßgeschneiderte Hose am Körper festhielt. Parker stieg in die große Stahlschaufel und befestigte die beiden Längsteile der Hosenträger je an einem der schweren Ladezähne. Das Mittelteil nahm er in die Hand und bog es zu einer Art Schlaufe zusammen. Munition stand ihm ausreichend zur Verfügung. Im Schaufellader befanden sich Kies- und Steinbrocken aller Größen. Er brauchte sich nur zu bedienen.
Und er brauchte nicht lange zu warten, was wichtig für ihn war. Aus der Dunkelheit tauchten plötzlich die beiden Gangster auf, die ihrem Wagen zustrebten. Der Mann mit dem Schrotgewehr war übrigens nicht sonderlich gut bei Fuß, denn er hinkte offensichtlich. Er schien von der Bimsladung einiges abbekommen zu haben. Er und Cardigan sicherten wie scheue Füchse, die sich einem Hühnerstall näherten. Sie fühlten sich von Parker bedroht und wollten sich nicht noch aufs Kreuz legen lassen, nachdem sie bereits die entscheidende Runde gegen ihn verloren hatten. Parker überhastete nichts. In der improvisierten Schlaufe der Hosenträger befand sich ein ansehnlicher Kieselstein. Parker strammte die Träger und sorgte so für den notwendigen Schwung. Er visierte den Mann mit dem Schrotgewehr an, denn er hielt ihn für besonders gefährlich. Parker wartete, bis der Kerl seitlich neben dem Wagen stand. Dann ließ er das Mittelteil der Hosenträger los und schickte den Kieselstein auf die Luftreise. Die Wirkung war unheimlich. Der Mann, auf dessen Schulterblätter er gezielt hatte, wurde voll und sehr hart getroffen. Bis zu Parker hin war das Geräusch des Aufschlags zu hören. Der Schrotgewehrträger hielt plötzlich kein Gewehr mehr in der Hand. Er warf die Arme hoch in die Luft, gluckste und fiel, wie vom Blitz getroffen, zu Boden, wo er regungslos liegenblieb. Cardigan, der auf der anderen Wagenseite stand, hatte natürlich auch etwas gehört. Er stellte sich jetzt auf die Zehenspitzen, um über das Wagendach hinweg zu seinem Begleiter hinüberzusehen. Doch er konnte nichts feststellen. »Buddy… Buddy?« rief er leise, aber doch hörbar für den Butler. Buddy hüllte sich in Schweigen. »Was ist denn, Buddy?« Cardigan wurde nervös. Er konnte sich nicht erklären, wieso sein Begleiter plötzlich nicht mehr zu sehen war. Vorsichtig ging er also um den Wagen herum und brachte sich für Parker in die genau richtige Position. In diesem Augenblick schickte der Butler den zweiten Kieselstein auf die Reise. Der Stein pfiff haarscharf an Cardigans Schulter vorbei und zer-
trümmerte die Wagenscheibe auf der Fahrerseite. Cardigan witterte Unheil und wollte sich schleunigst in Sicherheit bringen. Er trabte zurück und wurde jetzt von einem dritten Kiesel genau auf der Brust erwischt. Auch Cardigan litt nun unter Luftschwierigkeiten und schmerzenden Rippen. Er hustete, rutschte gegen den Wagen und sackte schließlich an ihm herunter. Er blieb still und apathisch auf dem Boden liegen. Er hatte keine Lust und Möglichkeit mehr, sich an weiteren Auseinandersetzungen zu beteiligen. Parker vervollständigte erst mal seine Garderobe, bevor er zu den beiden Gangstern hinüberging. Dann sammelte er seine persönlichen Habseligkeiten, legte sich den Universal-Regenschirm über den linken Unterarm und besichtigte dann seine beiden Gegner. Es galt zu überlegen, was jetzt zu tun war. Zwei Männer dieser Provenienz durften ja an und für sich nicht länger frei herumlaufen… * Sue Weston schnappte verzweifelt nach Luft. Die schwere Riesenhand über ihrem Mund nahm ihr den Atem. Sie trat und keilte mit den Füßen aus, traf, aber sie hatte keine Chancen gegen den Mann, der sie festhielt. Dieser Mann war das genaue Gegenstück zu dem Gnom. Er war riesengroß, muskulös wie ein Stier und hatte das stumpfe Gesicht eines Menschen, mit dessen Geisteskräften es nicht sonderlich weit her ist. »Zappel nur!« sagte er mit einer erschreckenden Fistelstimme, »zappel, mein Häschen!« Dann ließ er Sue unvermittelt los. Sie, die mit ihren Füßen vielleicht zehn Zentimeter über dem Bretterboden geschwebt hatte, fiel unkontrolliert zurück auf den Boden und wäre um ein Haar hingefallen, wenn sie sich nicht an einer Holzverstrebung festgehalten hätte. Sue entdeckte neben dem Riesen den Gnom, der sie aus alten und klugen Augen abwägend musterte. »Was… Was wollen Sie von mir?« fragte Sue, die sich inzwischen etwas gefangen hatte.
»Zu wem wollen Sie um diese Zeit?« erkundigte sich der Gnom, dessen Stimme baritonalsonor klang. »Ich… Ich bin verabredet«, sagte Sue, »sagt Ihnen das Stichwort Parker etwas?« »Kennen wir einen Parker?« fragte der Gnom, sich an den Riesen wendend. »Weiß nicht«, sagte der Riese fast traurig. Seine Fistelstimme, die so gar nicht zu seinem Körper paßte, wirkte grotesk. »Gehen Sie besser zurück«, redete der Gnom weiter, »und entschuldigen Sie, daß wir Sie abgefangen haben!« »Warum haben Sie das getan?« wollte Sue wissen. Sie sah hinüber zu dem Riesen, der jetzt am Vorhang stand und hinaus auf die Schaubuden blickte. Er tat das sehr geheimnisvoll. »Vielleicht wollten wir nicht, daß Ihnen etwas passiert«, sagte der Gnom. »Ich… Ich muß gehen«, wehrte Sue ab, als der Gnom tiefer in die Boxbude hineindeutete. Dann fragte sie spontan: »Wem gehört eigentlich drüben das Panoptikum?« »Buddy Halloway«, erwiderte der Gnom. »Kennen Sie ihn?« »Flüchtig.« Dann sah er hinüber zu dem Riesen, der aufgeregt von einem Bein auf das andere tanzte und sich wie ein neugieriges Kind benahm. »Da kommen welche«, fistelte der Riese. Der Gnom lief auf seinen kurzen und krummen Beinen zu ihm und spähte durch den Vorhang nach draußen. Dann wandte er sich schnell an Sue. »Sie können mitkommen«, sagte er hastig, »aber wenn Sie bleiben, dann sagen Sie nur, Sie hätten Angst gehabt.« Der Riese lief bereits an dem Gnom vorbei und schien plötzlich eine höllische Angst zu haben. »Schnell, schnell«, sagte er furchtsam, »Mrs. Feather kommt. Schnell weg!« Der Gnom schloß sich seinem riesigen Freund an. Die beiden so irrsinnig ungleichen Männer hasteten am Boxring vorbei und verschwanden irgendwo in der Dunkelheit des Zeltdaches. Sue stahl sich zum Vorhang und sah nach draußen. Der Riese hatte nicht gelogen. Dem Podium des Boxzeltes näherte sich eine Frau, die vielleicht fünfundvierzig Jahre zählte. Sie war groß und schlank und sah
sehr energisch aus. Sie trug einen altmodischen Mantel, in dem sie aber durchaus noch selbstsicher und respektheischend aussah. »Was tun Sie da?« rief sie Sue entgegen, die sich hinaus auf das Podium begeben hatte. »Ich… Ich…« Sue wußte nicht, was sie sagen sollte. »Haben Jim und Joe Ihnen etwa einen Streich gespielt?« fragte die Frau, als sie Sue erreicht hatte. Sie schüttelte empört den Kopf. »Wie können Sie aber auch um diese Zeit im Lunapark herumgeistern? Wenn Sie schon einen Freund besucht haben, so kann er Sie doch wenigstens auch wieder bis zur Straße bringen. Jim und Joe sind unberechenbar. Das wissen hier doch alle.« »Jim und Joe?« fragte Sue. »Joe, der Riese… Jim, der Gnom«, erläuterte die Frau, »und ich bin Mm Feather. Aber kommen Sie jetzt, Miß…« Sue war ehrlich irritiert. Sie wußte nicht, was sie von diesem Intermezzo halten sollte. Diente es nur der Ablenkung und Verunsicherung? Oder war das alles reiner Zufall? Sie folgte der Frau, die sich Mrs. Feather nannte und sah hinüber zum Wachsfigurenkabinett. »Ist noch etwas?« fragte die Feather und sah Sue scharf an. »N…n…nein!« erwiderte Sue Weston zögernd, »schon gut, Mrs. Feather.« Dann zuckte sie doch zusammen. Auf dem Podium zum Wachsfigurenkabinett entdeckte sie den Riesen und den Gnom. Sie tanzten wie betrunken umher und kicherten dazu in einer geradezu abstoßenden Art und Weise. Sie schienen sich auf ihre Art köstlich zu amüsieren… * »Und weiter?« drängte Rander, als Sue mit ihrem Bericht diesen Punkt erreicht hatte. »Die Feather fauchte Jim und Joe an Daraufhin verschwanden sie wie zwei gescholtene Kinder. Das alles wirkte unwirklich und unheimlich, wenn Sie mich verstehen, wie ich es meine, Mister Rander.« Sue Weston saß neben Rander im Wagen. Der Anwalt war selbstverständlich mit hinaus zum Rummelplatz gekommen, um
eventuell eingreifen zu können. Er hatte sich wieder mal herumkriegen lassen. Sue wußte bereits aus Erfahrung, wie man bei Mike Rander so etwas anzustellen hatte. »Und sonst passierte nichts?« fragte Rander verdutzt. Er hatte seinen Wagen anrollen lassen und steuerte ihn in Richtung Hauptstraße. »Sonst passierte nichts«, erwiderte Sue ratlos, »ich frage mich, warum man mich eigentlich hinaus in den Lunapark bestellt hat. Damit ich auf Jim und Joe stieß?« »Vielleicht hat man kalte Füße bekommen«, meinte Rander, »vielleicht glaubte man, daß Sie der Speck in der Falle wären.« »So kam ich mir auch vor«, gestand Sue ein, »ich glaube kaum, daß ich noch mal in den Lunapark gehe. Wenigstens nicht um diese Zeit.« »Bleibt das Problem Parker«, wechselte Rander das Thema, »er hat sich noch immer nicht gemeldet. Langsam mache ich mir ernstliche Sorgen. Wir sollten…« »Telefon…!« stieß Sue hervor, als ich das Autoradio meldete. Bevor Rander nach dem Hörer greifen konnte, hatte sie ihn bereits in der Hand und am Ohr. »Mister Parker!« sagte sie erleichtert, nachdem sie sich gemeldet hatte, »wir haben gerade von Ihnen gesprochen. Alles in Ordnung?« Rander hatte den Innenlautsprecher eingeschaltet, um mithören zu können. Aus diesem Gerät drang jetzt Parkers würdevolle Stimme. »Ich darf durchaus sagen, daß sich alles zu einer gewissen Ordnung gewendet hat«, meinte Parker, »meine Rückkehr wird sich allerdings noch ein wenig verzögern.« »Brauchen Sie Hilfe?« fragte Sue tatendurstig. »Auf keinen Fall«, wehrte der Butler per Lautsprecher ab. »Und wo stecken Sie?« wollte Sue weiter wissen. Sie platzte vor Neugier. »Irgendwo an der Peripherie der Stadt«, antwortete der Butler, »genauer gesagt, in einem Fertigungsbetrieb für Bauteile aller Art.« »Und was machen Sie da?« »Ich treffe zur Zeit gewisse Vorbereitungen, um eine Sondermischung herzustellen«, erläuterte der Butler geduldig, »ich hoffe, daß ich dabei den Beifall zweier Herren erhalten und finden wer-
de, die sich Will Cardigan und Buddy Halloway nennen…« »Buddy Halloway?« fragte Sue verdutzt. »Sagt Ihnen dieser Name etwas?« wollte Parker wissen. »Später mehr darüber«, entgegnete Sue ausweichend. Um Parker nicht zu beunruhigen, erwähnte sie kein Wort von ihrem Ausflug in den Lunapark. »Dann möchte ich jetzt dieses Gespräch beenden«, schloß Parker, »ich melde mich in kurzer Zeit zurück.« »Buddy Halloway?« fragte nun auch Rander, als Sue den Telefonhörer zurück in die Klemmhaltung gegeben hatte. »Buddy Halloway… Ist das nicht der Besitzer des Wachsfigurenkabinetts?« »Genau«, erwiderte Sue und nickte nachdrücklich, »dieser Fall scheint sich auf den Lunapark zu konzentrieren und mit ihm in Zusammenhang zu stehen. Aber wichtiger ist jetzt, was Parker tut. Um welche Spezialmischung mag es sich handeln, die er da zusammenstellt?« * Buddy Halloway, der Mann mit dem abgesägten Schrotgewehr, und Will Cardigan waren äußerst schlechter Laune. Was durchaus verständlich war, denn Parker hatte ihnen private Handschellen angelegt, die er seinem reichhaltig ausgestatteten Kofferraum entnommen hatte. Cardigan und Halloway hockten auf einem niedrigen Bretterstapel und haderten mit ihrem Schicksal. Einmal, weil sie sich bereits als Sieger auf der ganzen Linie gefühlt hatten, zum anderen, weil sie einfach nicht begreifen konnten, wie Parker sie außer Gefecht gesetzt hatte. Da Parker seine Hosenträger längst wieder angeknöpft hatte, kamen sie: noch nicht mal auf die vage Idee, daß er sie als Schleuder verwendet haben, könnte. Halloway verspürte nur einen dumpfen Schmerz zwischen den Schulterblättern, und Cardigan einen ähnlichen auf der Brust. Parker hatte sie bisher keines Wortes bedacht. Cardigan und Halloway sahen allerdings etwas irritiert hoch, als der Butler einen der großen fahrbaren Betonmischer in Betrieb setzte. Es handelte sich um eine birnenförmige Trommel, die auf dem Chassis eines Lastwagens montiert war. In dieser Trommel wurde fertig gemixter Beton zu diversen Baustellen gefahren. Während der
Fahrt wurde diese birnenförmige Trommel in Rotation versetzt, damit eine erstklassig durchgemischte Ware den Zielort erreichte. Cardigan schaute Halloway, dann Halloway wieder Cardigan an. Sie konnten sich nicht erklären, was der Butler vorhatte. Die birnenförmige Trommel rotierte bereits, nachdem der Butler die Antriebswelle in Bewegung gesetzt hatte. Sie rumpelte hohl und leer, denn die Trommel .war ohne Füllung. »Wenn Sie gestatten, meine Herren, möchte ich Sie höflichst auf das Prinzip solch einer Betontrommel hinweisen«, begann Parker, nachdem er zurück zu Cardigan und Halloway gekommen war, »in diesem Blechbehälter befinden sich wenigstens zwei Arme, die gegeneinander versetzt sind. Sie sorgen dafür, daß das Mischgut ordentlich in Bewegung gehalten wird und vermeiden unnötige Klumpenbildung.« Halloway maß den Butler mit einem verächtlichen Blick. Cardigan verbiß sich ein Grinsen. Er war zu dem Schluß gekommen, daß der Butler leicht gestört sein mußte. »Wenn ich nun einen von Ihnen, meine Herren, in diese Trommel gebe«, redete der Butler inzwischen weiter, »wird der Betreffende kaum zur Kühe kommen, wie Sie sich wohl vorstellen können. Einmal dank der natürlichen Rotation, zum anderen wegen der beiden Rührarme, die er tunlichst überklettern sollte!« »Moment mal!« Cardigan holte tief Luft und war nun gar nicht mehr der Meinung, daß der Butler gestört war. »Moment mal, Parker, Sie wollen uns in diese verdammte Kaffeemühle setzen?« »Nacheinander«, präzisierte der Butler. »Jeder von Ihnen soll selbstverständlich seine Bewegungsfreiheit haben.« »Das ist… Das ist doch heller Wahnsinn!« heulte Halloway auf. Er malte sich bereits lebhaft aus, was er in der Trommel durchstehen mußte. »Falls Wahnsinn, so dürfte er dennoch Methode haben«, zitierte Josuah Parker abgewandelt, »ich darf Ihnen versichern, daß ich die Rotationsgeschwindigkeit selbstverständlich sehr niedrig halten werde. Schließlich fehlt Ihnen ja das Training eines, sagen wir, vorgebildeten Astronauten!« »Sie wollen uns umbringen!« beschwerte sich Cardigan. »Das ist reinster Sadismus«, stellte Halloway fachmännisch fest. Er kannte sich auf diesem Gebiet erstklassig aus. »Sie werden einem alten, müden und wahrscheinlich auch relativ verbrauchten Mann verzeihen, daß er zu ungewöhnlichen Me-
thoden greifen muß, um Informationen zu sammeln«, führte der Butler aus, »aktive, physische Gewalt liegt mir nicht sonderlich, wie ich Ihnen versichern darf. Ich möchte ja nur in Erfahrung bringen, warum man den Schausteller Andy Peters erschossen hat. Nicht mehr und auch nicht weniger!« Cardigan und Halloway starrten sich an und preßten dann ihre Lippen fest aufeinander. Es war wie ein heimlicher Schwur, auf keinen Fall etwas zu sagen. »Wenn Sie erlauben, meine Herren beginne ich die Befragung mit Ihnen, Mister Halloway«, entschied Parker, »das abgesägte Schrotgewehr hat in mir gewisse Allergien ausgelöst, die ich bekämpfen muß.« Halloway schrie wie am Spieß, als Parker ihn kopfüber in die Blechbirne beförderte, die er vorher allerdings abgestellt hatte. »Ich wünsche viel Glück«, sagte Parker, bevor er das Ablaßloch hinter Halloway schloß. Halloways Antwort war nicht genau zu verstehen, aber sie enthielt mit Sicherheit einige bösartige Flüche und Verwünschungen… * »Was… Was wollen Sie?« stotterte Cardigan, als Parker ihn bat; sich hinüber in eine der Baracken zu bemühen. »Ich möchte Ihre Nerven schonen«, sagte Parker höflich, »ich fürchte, Sie werden sie noch früh genug gebrauchen!« Er brachte Cardigan so unter, daß der Mordschütze den Transportwagen mit der Blechtrommel nicht mehr sehen konnte. Er kettete den Mann mit einer zweiten Handschelle an eine Heizungsleitung und begab sich dann wieder hinaus zum Mischwagen. Parker kletterte in das Fahrerhaus und setzte die Trommel in Bewegung. Nur ganz kurz. Nur für ein paar Sekunden. Ihm ging es nur darum, Halloway in Panik zu bringen. An einer richtigen Durchmischung war ihm nicht gelegen. Parker wollte den Mann selbstverständlich nicht gefährden. Anschließend öffnete er das Ausstoßloch und zerrte den völlig entnervten Gangster zurück ins Freie. Halloway schluchzte leise vor sich hin, als Parker ihn zum
Schaufellader brachte, in dessen Füllgerät er ihn verschwinden ließ. Dann kehrte er zum Betonmischer zurück und setzte die Trommel richtig in Fahrt. Scheppernd, kreischend und dröhnend rotierte die Blechbirne durch die Nacht. Sie lief auf vollen Touren. Cardigan starrte den Butler aus schreckgeweiteten Augen entsetzt an als Parker zu ihm zurückgekehrt war. »Gedulden Sie sich noch ein wenig«, sagte Parker gemessen, »aber ich darf Ihnen versichern, daß Sie in spätestens drei Minuten bereits an der Reihe sein werden!« »Sie… Sie werden mich umbringen«, schluchzte Cardigan. »Kaum«, beruhigte Parker sein Gegenüber, »aber ich fürchte in der Tat. daß es wohl zu gewissen, partiellen Hautabschürfungen kommen wird.« »Hören Sie, Parker! Hören Sie genau zu! Ich packe aus! Ehrlich, ich werde auspacken… Aber packen Sie mich bloß nicht in die Trommel!« »Sie wollen mir tatsächlich sagen, wer Ihr Partner auf der Geisterbahn war?« fragte Parker gespielt überrascht, »freiwillig und unter Verzicht auf jeden Druck?« »Das war Hank Stark. Er hat Peters erschossen, so wahr ich Will Cardigan bin.« »Hank Stark also«, wiederholte Parker würdevoll, »sind Sie sicher, Mister Cardigan?« »Es war Hank Stark«, sagte Cardigan noch mal mit Nachdruck, »er allein hat Andy erwischt. Er allein! Fragen Sie ihn doch selbst! Er war verdammt stolz darauf, ihn erledigt zu haben.« »Ich werde das bei passender Gelegenheit tatsächlich tun«, versprach Parker, »und warum, wenn man fragen darf, wurde der Besitzer des Kinderkarussels erschossen?« Cardigan sah zu Boden und wollte nicht mit der Sprache herausrücken. »Hören Sie noch das Rotieren der Blechtrommel?« erkundigte Parker sich angelegentlich und deutete nach draußen. »Ich… Ich weiß nicht, warum er sterben mußte«, sagte Cardigan jetzt hastig, »Hank und ich bekamen den Auftrag, und wir führten ihn aus…!« »Womit sich bereits die nächste Frage zwangsläufig ergibt«, meinte Parker, »wer gab Ihnen diesen Mordauftrag, den Sie so willig ausführten?«
»Das weiß nur Hank«, redete sich Cardigan heraus. Oder wußte er tatsächlich nicht mehr? »Arbeitet Ihr Freund Hank ebenfalls für diesen Stoßautobetrieb?« fragte Parker, das Thema wechselnd. Cardigan nickte. »Und Halloway in der Blechtrommel?« »Dem… Dem gehört das Wachsfigurenkabinett«, lautete die für Parker überraschende Antwort. »Und wem gehört der Stoßautobetrieb?« »Auch Halloway!« Parker ließ sich von seiner Überraschung nichts anmerken. Mit Mister Buddy Halloway schien er einen ausgesprochen interessanten und guten Fang gemacht zu haben. »Welche Betriebe im Lunapark gehören ihm sonst noch?« lautete Parkers nächste Frage. »Halloway hat seine Finger überall drin«, beeilte sich Cardigan zu sagen. »Ich bin an Einzelheiten interessiert«, sagte Parker höflich. »Er hat noch zwei Losbuden und ein Raritätenkabinett.« »Sehr aufschlußreich. Dennoch die Frage, ob man damit ausreichend verdient.« »Bestimmt! Halloway kann sich verdammt gut helfen.« In Cardigans Stimme war so etwas wie Bitterkeit hineingeraten. Er schien Halloway einiges nicht zu gönnen. »Stehen seine Betriebe fest im Lunapark oder reist er von Rummelplatz zu Rummelplatz?« »Er ist meistens unterwegs. Er klappert alle wichtigen Städte in den Staaten ab.« »Mit allen Schaubuden?« »Mit allen Schaubuden«, bestätigte Cardigan eilig, »hören Sie, Mister Parker, Sie dürfen mich aber nicht verpfeifen. Ich weiß nicht, was Halloway sonst tun wird.« »Sie können sich fest auf meine Diskretion verlassen«, meinte Parker, »es dürfte sich für Ihre persönliche Zukunft aber empfehlen, den Dunstkreis dieses Mister Halloway schleunigst zu verlassen. Ich schlage Ihnen vor, sich zum Beispiel der Polizei zu stellen.« »Werden Sie mich jetzt noch in die Trommel stecken?« fragte Cardigan, statt auf Parkers Vorschlag einzugehen. »Dies wird sich nicht vermeiden lassen«, sagte der Butler, »a-
ber ich darf Ihnen versichern, daß ich auf die Rotation verzichten werde!« * »Ich begreife nicht, warum Sie nicht die Polizei verständigt haben«, sagte Rander fast vorwurfsvoll zu Parker, der inzwischen ins Penthouse zurückgekehrt war. »Solch eine Maßnahme, Sir, wäre möglicherweise wenig sinnvoll gewesen«, sagte Parker gelassen. »Die Herren Cardigan und Halloway hätten höchstens meine bescheidene Wenigkeit angeklagt.« »Wieso?« wollte Sue Weston wissen. Sie hatte mit größtem Interesse zugehört. »Die Herren Cardigan und Halloway hätten meine bescheidene Wenigkeit angeklagt…« »Und Sie?« »Meine Aussage hätte gegen die beider Herren gestanden. Nach ein paar Tagen Untersuchungshaft wären Cardigan und Halloway wieder auf freien Fuß gesetzt worden.« »Da ist schon was dran«, meinte Rander lächelnd zu Sue, »ohne echte Beweismittel hätte Parker allerdings nichts erreicht.« »Und das Schrotgewehr und die übrigen Waffen?« »Cardigan und Halloway brauchen doch nur abzustreiten, daß die Waffen ihnen gehören. Ein gerissener Anwalt hätte Parkers Aussage in der Luft zerfetzt.« »Zudem sind mir die Herren Cardigan und Halloway in Freiheit erheblich nutzbringender«, präzisierte Parker seine Vorstellungen zur Lage, »sie können sich nun weiter mit meiner bescheidenen Person befassen und werden dabei hoffentlich und vielleicht auch sicher einige verhängnisvolle Fehler begehen.« »Oder sie sind jetzt sehr gewarnt«, gab Sue zu überlegen, »sie wissen doch inzwischen genau, mit wem sie es zu tun haben.« »Vergessen Sie auf keinen Fall die übliche Eitelkeit der Gangster«, wiedersprach Parker, »sie sind nicht in der Lage, sich eine Niederlage einzugestehen!« »Und werden darum jede Gelegenheit nutzen, Sie umzubringen«, warnte Sue besorgt. »Dagegen wird man sich in der Tat vorsehen müssen«, räumte
Josuah Parker ein, »in diesem Zusammenhang, Miß Weston, möchte ich Sie dringend bitten und warnen, nicht mehr hinaus auf den Rummelplatz zu gehen. Dort scheinen die Fäden dieses Falles zusammenzulaufen.« »Wobei wir nach wie vor nicht ahnen, worum es eigentlich geht«, schaltete Mike Rander sich ein, »der Mord an diesem Andy Peters muß seinen Grund gehabt haben. Und das Stichwort, das Miß Weston gerade noch mitbekam, muß ein wichtiger Hinweis sein.« »Worauf?« Sue sah den Butler erwartungsvoll an. »Ich muß leider bedauern«, erwiderte Parker, »zur Zeit sehe ich mich wirklich nicht in der Lage, auch nur andeutungsweise eine Theorie zu entwickeln. Dazu müßte man erst mal Kontakt zum Schaustellergewerbe an sich herstellen.« * Jerry Stinton, ein Mann von gut und gern zwei Zentnern, untersetzt und kurzatmig, wuchtete sich aus seinem Ledersessel hoch, um den Butler zu begrüßen. »Daß Sie sich mal die Zeit nehmen, hier aufzukreuzen«, sagte er fast vorwurfsvoll mit dröhnender Stimme, »wie geht es Ihnen, mein Bester?« »Man lebt«, erwiderte Parker fast privat und freundlich. Er kannte Stinton schon seit Jahren und hatte ihm vor anderthalb Monaten einen Dienst erwiesen. Stinton sollte seinerzeit erpreßt werden und Abgaben an ein Rackett entrichten. Nachdem Parker sich eingeschaltet hatte, war von diesen Abgaben nicht mehr gesprochen worden. Stinton hatte seitdem seine Ruhe, während zwei Gauner hinter Schloß und Riegel saßen. »Nehmen Sie doch Platz, mein Bester«, dröhnte Stinton und ließ sich erschöpft zurück in seinen Sessel fallen, »wie wäre es mit einem Kognak? Direkt aus Frankreich. Geschmuggelt. Von einem dankbaren Artisten, dem ich wieder auf die Sprünge geholfen habe!« »Einem derartigen Getränk bin ich keineswegs abgeneigt«, sagte Parker freundlich, »Schmuggelware muß vernichtet werden.« Stinton klingelte nach seiner Sekretärin, einer mittelalterlich aussehenden Matrone, die aber, was Parker wußte, ungemein tüchtig
und gewissenhaft war. »Kognak«, sagte Stinton. Die Matrone ging neben Stinton in die Knie und öffnete die linke Seite des Schreibtisches, vor dem Stinton saß. Dann holte sie Schwenker und Gläser hervor, die sie auf der Schreibtischplatte abstellte. »Gießen Sie ein«, schnaufte Stinton, dem bereits schlecht wurde vom Zusehen. Er scheute körperliche Anstrengung jeder Art. Nachdem seine Sekretärin die Gläser gefüllt hatte, huschte sie hinaus wie eine graue Maus. »Was kann ich für Sie tun?« erkundigte sich Stinton, nachdem sie getrunken hatten, »ich mache mir nicht gern etwas vor, mein Bester, wegen meiner einmaligen Figur sind Sie gewiß nicht gekommen.« »In der Tat«, sagte Parker und leistete sich hier und vor Stinton ein fast offenes Lächeln, »wenn ich recht unterrichtet bin und mich richtig erinnere, dann sind Sie doch der Herausgeber einer Artistenfachzeitung, nicht wahr?« »Schaustellerzeitung«, stellte Stinton richtig, »ein mieses Blättchen, das seinen Mann recht und schlecht ernährt.« »Man sieht es Ihnen an«, pflichtete der Butler ihm bei, »ich darf also weiter unterstellen, Mister Stinton, daß Sie sich in Kreisen der Schausteller gut auskennen?« »Ich weiß, wer in Frisko hustet und wer Zahnschmerzen in New York hat«, antwortete Stinton, »an wen speziell sind Sie interessiert, mein Bester?« »An einem gewissen Buddy Halloway«, gab Parker lakonisch zurück. »Halloway! Ausgerechnet an dem?« »Sie kennen ihn?« »Kennen wäre übertrieben. Ich weiß, daß er existiert.« »Und wie ich Sie hoffentlich richtig einschätze, Mister Stinton, wissen Sie noch etwas mehr.« »Halloway ist ein faules Ei«, sagte Stinton und verzog sein Gesicht, »alles an ihm stinkt!« »Könnten Sie Ihre Geruchsempfindlichkeit etwas genauer definieren?« »Lassen Sie’s mich versuchen, mein Bester. Halloway tauchte vor etwa anderthalb Jahren auf und kaufte sich zuerst ein mieses und verkommenes Wachsfigurenkabinett. Dann wechselte er über
auf Stoßautos und Losbuden, ich glaube, er hat sich dann auch noch ein Raritätenkabinett unter den Nagel gerissen.« »Eine seltsame Sammlung!« »Eigentlich nicht, wenn man in der Branche aufgewachsen ist.« »Sind diese Unternehmen das, was man geldträchtig nennen könnte, Mister Stinton?« »Na ja, man macht seinen Schnitt, aber steinreich wird man nicht dabei.« »Und Mister Halloway war und ist Ihrer Ansicht nach branchenfremd?« »Und ob… Er gehört nicht auf einen Rummelplatz.« »Könnten Sie mir dies etwas näher erklären?« »Lassen Sie’s mich versuchen«, meinte Stinton wieder und goß sich einen großen Schluck Kognak über die Zunge, »Halloway ist, sagen wir, ein Fremdkörper… Ich habe so das Gefühl, daß er die Schaubuden nur gekauft hat, um sich eine Tarnung zuzulegen.« »Diese Wendung verspricht interessant zu werden. Was, wenn man fragen darf, will er tarnen?« »Das herauszubekommen, mein Bester, ist Ihr Job«, entgegnete Stinton und klingelte nach seiner Sekretärin, die nachgießen mußte. Als sie wieder gegangen war, grinste Stinton den Butler an. »Sie sind doch aus irgendeinem Grund hinter ihm her, oder?« »Dies möchte und will ich auf keinen Fall ableugnen.« »Weil er Ihrer Ansicht nach Dreck am Stecken hat, oder?« »Dies scheint der Fall zu sein.« »Lassen Sie mich jetzt mal fragen, mein Bester. Halloway ist in einen Kriminalfall verwickelt?« »Er scheint einen Mord begangen zu haben, Mister Stinton. Und zwar an einem gewissen Andy Peters, nachdem ich Sie hiermit ebenfalls frage.« »Kinder-Andy?« erkundigte sich Stinton und lächelte. »Andy Peters.« »Sag ich doch… Kinder-Andy… Er hatte ein Karussell und… Aber Moment, jetzt begreife ich erst. Andy ist ermordet worden?« »Alles deutet daraufhin.« »Von Halloway?« »Warum zerreißen Sie den Burschen dann nicht in der Luft, mein Bester?« »Weil mir noch einige Beweise fehlen. Das, was Sie gerade vor-
schlugen, wird man auf einen späteren Zeitpunkt verschieben müssen.« »Schieben Sie das nur nicht auf die lange Bank«, sagte Stinton aufgebracht, »ich soll Ihnen also helfen, Beweisstücke gegen Halloway zu beschaffen?« »Dies, Mister Stinton, würde ich ungemein begrüßen.« »Sagen Sie mir, was ich tun soll.« »Könnten Sie herausfinden, Mister Stinton, wann und wo Mister Halloway mit seinen Unternehmungen unterwegs war und auf welchen Rummelplätzen er Station machte?« »Ich laß die Telefonleitungen heiß werden«, versprach Stinton, »das heißt, das kann meine Sekretärin erledigen. Man soll sich nicht überanstrengen, mein Bester. Sobald ich Bescheid weiß, werde ich Sie anrufen.« * Nach seinem Besuch bei Stinton setzte der Butler sich in sein hochbeiniges Monstrum und fuhr hinaus zum Lunapark, um sich nach Cardigan und Halloway umzusehen. Nachdem er sie in der vergangenen Nacht in die Betontrommel gesteckt hatte, war die Ortspolizei von Parker verständigt worden. Anonym zwar, was ihm im Grunde zuwider war. Er hatte die diensttuenden Beamten darauf aufmerksam gemacht, daß auf dem Gelände einer Fertigteilfirma seltsame Geräusche zu hören seien, die offensichtlich aus einer Betontrommel kämen. Dies hatte selbstverständlich ausgereicht, Cardigan und Halloway aus ihrem Gefängnis zu befreien. Parker wollte nun sehen, was aus den beiden Mordschützen geworden war. Der Lunapark war um diese Zeit natürlich noch für den Publikumsverkehr geschlossen. Aber die Tore standen weit auf und die Schausteller wickelten ihre normalen Tagesgeschäfte ab. »Würden Sie mir freundlicherweise sagen, wo ich Mister Halloway finden kann?« fragte Parker bei einem Platzarbeiter, der Papier einsammelte und zwar auf dem Umweg über einen zugespitzten Eisenstab, den er in der Hand hielt. Parker erhielt die gewünschte Auskunft und schritt gemessen auf den sehr modernen Wohntrailer zu, der nicht billig gewesen sein konnte.
Parker klopfte höflich an. Die Tür wurde von innen aufgedrückt. Der Butler sah sich dem zweiten Mann gegenüber, den er am Vortag auf der Geisterbahn zusammen mit Cardigan gesehen hatte. Hank Stark! Stark erkannte den Butler sofort, aber er ließ sich nichts anmerken. »Bitte?« fragte er erstaunlich höflich. »Mein Name ist Parker, Josuah Parker«, stellte der Butler sich vor und lüftete seine schwarze Melone, »ich würde mich gern ein wenig mit Mister Halloway unterhalten.« »Halloway!« Hinter Stark erschien Halloway, der einen leicht lädierten Eindruck machte. Die kurzfristige Rotation in der Betontrommel war ihm nicht gut bekommen, wie einige Pflaster auf dem Gesicht verrieten. »Parker… Josuah Parker«, stellte auch der Butler sich noch einmal vor, auf das im Grund sinnlose Ritual eingehend, nach dem man sich einfach noch nicht kannte. »Was kann ich für Sie tun?« erkundigte sich Halloway höflich. Seine Augen redeten allerdings eine andere Sprache. Sie versprühten Haß wie aus einer Spraydose, die unter Überdruck steht. »Ich sehe mit Bestürzung, daß Sie sich verletzt haben«, meinte Parker. »Kleinigkeiten«, gab Halloway zurück, »sind Sie allein?« »Wie Sie sehen, Mister Halloway. Haben Sie Interesse an einem kurzen Gespräch? Ich möchte mich allerdings auf keinen Fall aufdrängen!« »Kommen Sie ’rein! Hank, du bleibst draußen!« Stark gab den Weg frei, schob sich dicht und drohend an Parker vorbei über die Vortreppe nach draußen und baute sich vor dem Trailer auf. Parker folgte der einladenden Hand Halloways. »Sie haben Nerven«, sagte Halloway, der die Tür hinter Parker schloß. »Danke, ich kann wirklich nicht klagen«, erwiderte Parker, »möglicherweise werde ich Sie sogar noch brauchen.« »Darauf können Sie Gift nehmen, Parker!« »Später vielleicht«, wehrte der Butler gelassen ab, »und selbst dann werde ich mir Ihren Vorschlag noch sehr überlegen, Mister Halloway.« »Sagen Sie mir, wie Sie Cardigan und mich draußen neben un-
serem Auto außer Gefecht gesetzt haben«, wechselte Halloway das Thema, »Sie hatten doch keine Schußwaffe bei sich. Und für einen Steinwurf aus der Hand war die Entfernung zu groß.« »Darüber später mehr«, wich Parker höflich aus, »ich möchte Ihnen nur mitteilen, daß ich Sie als Mörder vor Gericht zu bringen gedenke!« »Hoffentlich übernehmen Sie sich nicht! Und Mord? Davon weiß ich nichts. Reden Sie sich diesen Mord nicht nur ein, Parker?« »Ich spreche, um jedes Mißverständnis auszuräumen, von Mister Andy Peters…« »Wer ist das?« »Lassen wir das Versteckspiel«, sagte Parker, »ich spreche von jenem Mister Peters, der kurz vor seinem Tod noch in der Lage war, Miß Weston etwas zuzuflüstern, was Sie ja wohl mitbekamen. Inzwischen wissen selbstverständlich Mister Rander und auch meine bescheidene Wenigkeit von dem, was Mister Peters noch sagen konnte. Miß Weston verständigte uns logischerweise.« »Was soll dieser Bluff?« meinte Halloway auflachend, »wenn Sie etwas wüßten, hätten Sie doch längst die Polizei informiert.« »Dies wird geschehen, sobald Mister Rander und meine bescheidene Person die letzten Worte Mister Peters richtig gedeutet haben.« »Wie… Wie soll ich das verstehen?« fragte Halloway, der plötzlich Interesse zeigte. »Sehr einfach«, gab der Butler zurück, »Mister Peters war leider nur noch in der Lage einige Stichworte zu geben, die zuerst mal und für sich genommen ein wenig rätselhaft klangen. Mister Rander und meine bescheidene Wenigkeit bemühten uns intensiv, diese Stichworte zu klaren Anweisungen und Anleitungen auszudeuten. Es scheint sich aber um wichtige Dinge zu handeln, sonst hätte Mister Peters sich diese Stichworte nicht abgerungen. Und sonst würden Sie nicht große Anstrengungen machen, diese Stichworte in Erfahrung zu bringen.« »Hören Sie, Parker, ich werde Ihnen einen fairen Vorschlag machen«, rückte Halloway im Klartext mit der Sprache heraus, »ich könnte mit diesen Stichworten etwas anfangen. Sie beziehen sich auf Dinge, die Peters mir gestohlen hatte… Nein, nein, keine Fragen dazu, ich würde sie nicht beantworten. Es handelt sich aber um mein Eigentum, wie ich Ihnen noch mal sagen möchte… Sobald ich die Stichworte von Peters kenne, lasse ich Sie und Ran-
der und dieses Mädchen in Ruhe. Dann kenne ich sie alle plötzlich nicht mehr!« »Sie glauben tatsächlich, daß ich Ihnen trauen dürfte?« »Sie werden es darauf ankommen lassen müssen«, meinte Halloway ironisch, »falls Sie nämlich nicht einverstanden sind, Parker, lasse ich Sie der Reihe nach wegputzen. Ich bekomme, was ich haben will, mein Wort darauf!« »Es scheint sich um einen ansehnlichen Schatz zu handeln«, erwiderte der Butler. »Glauben Sie wirklich, ich würde mit der Sprache herausrücken?« antwortete Halloway auflachend. »Dies dürfte kaum noch notwendig sein«, bluffte Parker mit steinernem Gesicht, »ich war inzwischen so frei, meine Kombinationsgabe in Aktion zu setzen… Ich bin zu folgendem Schluß gekommen, falls es Sie interessiert: unter dem Deckmantel Ihres Schaubudenbetriebs reisen Sie durch die Staaten und besuchen dabei eine interessante Stadt nach der anderen. In diesen Städten, Mister Halloway, dürften Sie einem Gewerbe nachgehen, das bei den zuständigen Industrie- und Handelskammern noch niemals offiziell registriert wurde.« »Nämlich?« Halloway sah den Butler kalt an. »Sie erleichtern Ihre Mitmenschen illegal um diverse Vermögen!« »Reden Sie nur ruhig weiter!« »Ich glaube, daß ich bereits deutlich genug war«, entschuldigte sich Parker und lüftete erneut seine schwarze Melone, »die Einzelheiten werde ich Zug um Zug herbeischaffen…« »Sagen Sie, mit wem haben Sie über diesen blühenden Unsinn noch gesprochen?« fragte Halloway und rang sich ein ironisches Auflachen ab, was ihm allerdings nicht sonderlich gelang. »Ich improvisierte aus dem Moment heraus«, gestand Parker, was übrigens nicht stimmte. »Behalten Sie diesen Unsinn besser für sich«, meinte Halloway abfällig, »Sie machen sich sonst nur lustig…« »Ich werde es darauf ankommen lassen«, versprach der Butler und nickte Halloway verabschiedend zu. Er öffnete die Tür des Wohntrainers und stieg über die angestellte Treppe hinunter auf den Rasen. Hank Stark schien sich inzwischen irgendwo die Füße zu vertreten, er war jedenfalls nicht mehr zu sehen.
»Nett, Sie gesehen zu haben«, rief Halloway dem Butler nach, der hinüber zu der Hauptgasse der Schaubuden ging. Dann verschwand Halloway wieder in seinem Wohnwagen und schmetterte die Tür wütend hinter sich ins Schloß. Parker hingegen war mit dem Erfolg seines Besuches voll und ganz zufrieden. Er hatte das gute Gefühl, auf der richtigen Fährte zu sein. Nun mußte er allerdings aufpassen, daß er nicht in eine Bleiladung hineinlief. Für einen gewissen Mister Halloway wußte er bereits zuviel… * Daß es dem ermordeten Andy Peters nicht sonderlich gut gegangen war, sah man auf den ersten Blick. Sein Wohnwagen war alt und brauchte dringend einen neuen Anstrich. Der Gerätewagen, ein alter Sattelschlepper, wirkte zerstoßen und unansehnlich. Parker stieg über die schmale Anstelltreppe hinauf zum Wohnwagen und klopfte an. Da Peters zwei Wagen besaß, mußte er zumindest noch einen Mitarbeiter gehabt haben. Er hörte schnelle, aber leise, fast verstohlene Schritte hinter der Tür, dann bewegte sich die Gardine vor dem schmalen und hohen Türfenster. »Ich werde mit Sicherheit nicht lange stören«, rief Parker gemessen. Dazu lüftete er höflich seine schwarze Melone. Die Gardine bewegte sich nicht mehr. Wer sich auch immer im Wohnwagen aufhielt, er wollte sich mit Parker nicht unterhalten. Oder befand sich diese Person illegal in dem Wagen? Parker drückte die Klinke herunter. Die Tür war von innen verschlossen. Der Butler stieg zurück auf den Erdboden und schritt würdevoll von dannen. Doch hinter dem nächsten Wohnwagen blieb er sofort wieder stehen und sah sich nach Andy Peters Wohnwagen um. Seine Taktik erwies sich als richtig. Es dauerte höchstens eine Minute, bis die Tür von Peters’ Wohnwagen geöffnet wurde. Eine junge, schlanke Frau, vielleicht 25 Jahre alt, sah verstohlen und vorsichtig nach draußen. Sie besaß dunkelbraunes Haar und ein durchaus apartes Gesicht, wie
der Butler feststellte. Sie zuckte überrascht zusammen, als Parker plötzlich neben ihr stand. Der Butler hatte einen Halbkreis beschrieben und sich ihr von der anderen Seite aus genähert. »Sie sollten vor einem alten, müden und relativ verbrauchten Mann keine Angst haben«, sagte er gemessen, »mein Name ist übrigens Parker, Josuah Parker.« Sie stand auf dem Sprung zurück in den Wohnwagen. Doch dann schien sie tatsächlich so etwas wie Vertrauen gefaßt zu haben. »Was… Was wollen Sie?« »Habe ich die Ehre, mit Mister Peters’ Mitarbeiterin zu sprechen?« »Ich… ich war seine Freundin«, sagte die Braunhaarige, »kommen Sie ’rein, Sir… Ich möchte nicht beobachtet werden!« Parker folgte nur zu gern dieser Einladung und begab sich in den Wohnwagen, in dem es überraschend freundlich und hell eingerichtet war. »Ich war Zeuge jenes Vorfalls auf der Geisterbahn«, sagte Parker, der sich von der jungen Frau, die Jeans trug, mustern ließ. »Mister Peters wandte sich an meine Begleiterin und konnte ihr vor seinem Ableben noch einige Worte zuflüstern…« »So…« Mehr sagte sie nicht. Es klang aber abweisend. »Sie haben Angst, nicht wahr?« tippte der Butler ungeniert bei der jungen Frau an. »Angst…!? Wieso…? Warum sollte ich Angst haben?« Sie tat wirklich zu unbeteiligt, und sie war eine schlechte Schauspielerin dazu. Während sie redete, sah sie hinüber zur Tür. Sie schien, das spürte Parker irgendwie, unter einem starken seelischen Druck zu leiden. »Nun, ich könnte mir vorstellen, daß ein gewisser Mister Halloway Ihnen gegenüber nicht gerade sehr freundlich ist…« »Halloway? Wie kommen Sie darauf? Halloway ist völlig in Ordnung. Sonst würde ich ihm ja nicht alles verkaufen. Er hat mir einen sehr anständigen Preis gemacht.« »Sie sind Mister Peters’ Alleinerbin?« »Okay… Das hat bereits ein Anwalt bestätigt…« »Werden Sie verkaufen?« »Natürlich… «Was soll ich jetzt noch mit dem Karussell?« Sie schaute verloren durch eines der kleinen Fenster und hing ihren Gedanken nach.
»Könnten Sie sich vorstellen, wer Ihren Lebensgefährten ermordet hat?« »Nein!« war die fast schroffe Antwort. »Ich will es auch gar nicht wissen, Sir. Was hätte Andy davon? Soll die Polizei sich mit diesen Dingen befassen. Ich werde diese Stadt so schnell wie möglich verlassen.« Während sie noch redete, trat der Butler an ein Fenster und schob die Gardine vorsichtig zur Seite. Er hatte sich nicht getäuscht. Vor einem Gerätewagen auf der gegenüberliegenden Seite der Gasse hatte sich Hank Stark aufgebaut und blätterte ausgesprochen lustlos in einer Zeitung. Es war klar, daß er Parker und die junge Frau überwachen sollte. »Vielleicht ist das, was Sie planen, vollkommen richtig«, meinte der Butler und nickte andeutungsweise, »mit Mister Halloway dürfte nicht zu spaßen sein… Ich erlaube mir, mich zu empfehlen. Sollten Sie aber irgendwann mal den dringenden Wunsch verspüren, sich mit meiner bescheidenen Wenigkeit zu unterhalten, so erreichen Sie mich unter dieser Telefonnummer…« Parker überreichte ihr seine schmale Visitenkarte und drückte die Türklinke des Wohntrailers. Als er über die Anstelltreppe hinunterging, war Hank Stark bereits verschwunden… * Parker schritt an einem Stapel von Bodenplatten vorbei, die neben dem Gerätewägen aufgestapelt worden waren. Genau dort hatte Stark sich aufgebaut. Als Parker ein leises Stöhnen hörte, blieb er natürlich sofort stehen und schaute hinter den Stapel. Zu seiner Überraschung entdeckte er Hank Stark, der sich gerade schwerfällig aufkniete und sich dabei den Hinterkopf rieb. »Befinden Sie sich möglicherweise irgendwelchen Schwierigkeiten?« erkundigte der Butler sich angelegentlich, »darf ich Ihnen meine zwar hilfreiche, aber wahrscheinlich schwache Hand bieten?« Stark drückte sich mit den Armen loch auf die Beine und sah den Butler ausgesprochen finster an.
»Für diesen faulen Trick revanchiere ich mich noch!« »Sie unterstellen mir, wenn ich recht verstehe, eine böse Tat?« »Sie verdammter, alter Heuchler«, schimpfte Stark gereizt, »wer sonst sollte mich niedergeschlagen haben?« »Dies entzieht sich meiner Kenntnis«, erwiderte Parker distanziert und würdevoll zugleich, »die Logik wird Ihnen allerdings sagen, daß ich für diesen Zwischenfall nicht in Betracht kommen kann.« Stark tastete vorsichtig nach der sich schnell bildenden Beule und trollte sich. Er schien die Anweisung bekommen zu haben, jedem möglichen Streit aus dem Weg zu gehen. Parker erreichte die Schokoladenseite des Lunaparks, nämlich die Frontseiten der Schaubuden. Er lustwandelte an den nach wie vor geschlossenen Rummelplatzbuden entlang und erkundigte sich bei einem unverdächtig aussehenden Arbeiter nach einer gewissen Mrs. Feather. Er erhielt seine Auskunft, wurde dann aber abgelenkt, denn plötzlich strömten von allen Seiten Männer und Frauen zu einem ganz bestimmten Punkt. Dort war ein Boxzelt, auf dessen Schaufront riesige, muskelbepackte Gladiatoren des Faustkampfes zu sehen waren. Die Männer und Frauen, die wohl ausschließlich zum Schaugewerbe gehörten, hasteten über die Stufen hinauf zum Podium und verschwanden dann im Zelt. Neugierig geworden, schloß der Butler sich diesem allgemeinen Trend an. Wenig später wußte er aus erster Hand, warum man so aufgeregt war. An einem gepolsterten Pfosten des Seilvierecks hing ein gewisser Will Cardigan, der sich offensichtlich freiwillig umgebracht hatte… * Parker verließ sehr schnell wieder das Boxzelt. Er schien sich überhaupt nicht um die näheren Einzelheiten zu kümmern. Er informierte auch keineswegs die Polizei. Parker schritt, schneller als gewöhnlich, zurück zum Wohntrailer Andy Peters’.
Er blieb hinter einem Gerätewagen stehen und beobachtete den Wagen, in dem er die braunhaarige Frau zurückgelassen hatte. Was sich als richtig erweisen sollte, denn er machte Hank Stark aus, der zusammen mit Halloway gerade in diesem Wohntrailer verschwand. Parker pirschte sich näher an den Wohnwagen heran und baute sich unter einem kleinen Fenster interessiert auf. Undeutliches Stimmengewirr war zu hören. Die beiden Männer schienen auf die Braunhaarige sehr energisch einzureden. Einzelheiten waren allerdings nicht zu verstehen. Doch der Butler wußte sich selbstverständlich zu helfen. Schließlich war er ein Liebhaber der modernen Technik. Er wollte gerade sein Miniatur-Abhörgerät installieren, als die Tür des Wohntrailers aufgerissen wurde. Parker preßte sich dicht gegen die Wand des Trailers und beobachtete Halloway und Stark, die mit der Braunhaarigen über die Anstelltreppe nach unten kamen. Sie hatten die junge Frau mit dem aparten Gesicht zwischen sich genommen und führten sie offensichtlich zwangsweise ab. Gewiß, die junge Frau wehrte sich nicht, aber sie war sicher auch nicht in der Lage, ihren Weg selbst zu bestimmen. Parker folgte ihnen vorsichtig und fand heraus, daß sie im nahen Wachsfigurenkabinett verschwanden. Sollte die Braunhaarige dort energisch befragt werden? Wollte man sie unter Druck setzen? Parker freute sich bereits im vorhinein auf das, was seiner bescheidenen Ansicht nach zwangsläufig kommen mußte… * »Nun sperr mal deine Ohren auf!« sagte Stark zu ihr, »wir sind ganz friedliche Leute, Jane, aber wir wollen endlich die Wahrheit wissen. Wo hat Andy die Ware versteckt?« »Wie oft soll ich Ihnen noch sagen, daß ich nichts weiß«, gab Jane, das braunhaarige Mädchen, ängstlich zurück, »ich weiß überhaupt nicht, wovon Sie eigentlich reden…« »Dann also nicht, Jane!« Es war Halloway, der jetzt redete, »dann müssen wir eben andere Saiten aufziehen, Süße. Du wirst dich noch darum reißen, uns deine Geschichte zu erzählen!«
Ein leiser Aufschrei folgte, der Parker das Blut in die Wangen trieb. Er reagierte stets allergisch, wenn Frauen gequält wurden. Dennoch bezwang er sich und trat noch nicht in Erscheinung. Er hoffte, daß Jane vielleicht vorschnell reden würde und er dadurch wichtige Informationen erhielt. Doch der nächste leise Aufschrei ließ seine Vorsätze zunichte werden. Parker erschien neben Cäsar und spannte seine Gabelschleuder, in dessen Lederschlaufe eine Tonmurmel lag. Er visierte Stark an, der Jane gerade über den Richtblock der Maria Stuart legen wollte. Er verrenkte ihr dabei die Arme, leider handelte es sich dabei um Janes Arme… Stark schielte plötzlich und stieß einen leisen Kickser aus. Dann rutschte er von seinen Beinen und fiel über den Richtblock. Halloway, der neben ihm geständen hatte, schaute sich nervös und irritiert um. Bevor er aber die Flucht ergreifen konnte, landete die nächste Tonmurmel auf seinem Hinterkopf. Halloway blieb für Sekundenbruchteile unbeweglich stehen und starrte Jane an, die ängstlich zurückwich. Dann krachte er auf die Bretterbohlen und rührte sich nicht mehr. »Keine Sorge, Miß Jane«, rief der Butler die junge braunhaarige Frau an, »wenn Sie einverstanden sind, sollten wir diese ungastliche Stätte verlassen.« Sie schluchzte auf, als sie Parker erkannte. Sie verbarg ihr Gesicht in den Händen und warf sich dann an Parkers väterliche Brust. »Sorgen Sie sich nicht, Miß Jane«, beruhigte der Butler die weinende Frau, »es wird mit Sicherheit alles gut werden… Kommen Sie!« Er führte sie durch den Hintereingang aus dem Wachsfigurenkabinett und brachte sie in ihren Wohnwagen. Sie ließ sich in einen Strohsessel fallen und tupfte sich dann die Tränen ab. »Ich benehme mich wie ein kleines Schulmädchen«, entschuldigte sie sich dann. »Kein Wunder! Die Herren Halloway und Stark sind nicht das, was man angenehme Zeitgenossen nennen könnte.« »Ich… Ich will weg von hier…« Sie stand schnell auf und sah sich im Wohnwagen um, »Halloway und Stark werden zurückkommen… Ich weiß es ganz genau…«
»Ich ebenfalls«, erwiderte Parker beruhigend, »aber daraus sollten Sie sich nichts machen… Haben Sie inzwischen verkauft?« »Halloway will heute nachmittag den Vertrag mit mir machen!« »Darf ich Ihnen einen Gegenvorschlag machen, Miß Jane?« »Wieso? Ich verstehe nicht ganz…« »Sie werden sehr bald begreifen, Miß Jane… Sie sollten nur etwas Vertrauen zu mir haben.« Sie sah ihn schweigend und erheut ab schätzend an. Dann nickte sie. »Ich traue Ihnen«, meinte sie und lächelte schüchtern. »Hauptsache, Sie schützen mich vor Halloway und Stark!« * »Na, auf Ihre Überraschung bin ich gespannt«, sagte Rander etwa zwei Stunden später. Zusammen mit Sue Weston saß er in Parkers hochbeinigem Wagen, der von dem Butler in den Ostteil der Stadt gesteuert wurde. »In wenigen Minuten, Sir, werde ich mit der angekündigten Überraschung dienen können…« Parker hielt, was er versprochen hatte. Er stoppte sein hochbeiniges Monstrum vor einem Fabriktor und hupte diskret. Wie durch Zauberhand wurde daraufhin das Stahlblechtor geöffnet und Parker konnte in den mittelgroßen Hof einer stillgelegten Fabrik für Fleischkonserven fahren. »Haben Sie sich einen Privatzirkus zugelegt?« Rander war ausgestiegen und sah in einer Mischung aus Belustigung und Sorge auf einen Wohntrailer und auf einen Gerätewagen. Beide Fahrzeuge stammten, das sah man auf dem ersten Blick, aus dem Milieu eines Lunaparks. »Ich war so frei, Sir, das Eigentum Miß Jane Cramps aus dem Verkehr zu ziehen… Miß Cramp ist die Freundin des leider ermordeten Mister Andy Peters.« Während Parker noch redete, ging Sue bereits auf die beiden Wagen zu und blieb neugierig vor ihnen stehen. »Und was soll das alles?« erkundigte sich Rander. »Ich hoffe sehr, Sir, daß diese beiden Wagen sich als eine Art Köder für Mister Halloway erweisen werden…«
»Sie glauben, er sucht in den beiden Wagen nach irgendwelcher Ware?« »In der Tat, Sir!« »Weiß er denn, daß Sie die Wagen haben wegschaffen lassen?« »Dies, Sir, möchte ich doch sehr hoffen«, gab der Butler zurück, »sein privater Nachrichtendienst dürfte ihn inzwischen informiert haben.« »Haben Sie die beiden Wagen etwa hierher geschafft?« wollte Sue Weston wissen. Sie war zu Rander und Parker zurückgekommen. »Ein gewisser Mister Stinton lieh mir seine hilfreiche Hand«, erläuterte der Butler, »das hießt, er besorgte diese hilfreichen Hände… Er selbst würde wohl kaum ein Steuerrad anfassen…« »Und wie soll’s weitergehen?« Rander sah sich im Fabrikhof neugierig um. »Ich möchte annehmen, Sir, daß Mister Halloway selbst erscheinen wird, um die beiden Wagen quasi auseinanderzunehmen… Bei dieser ungesetzlichen Tätigkeit werde ich ihn auf einen Filmstreifen bannen.« »Was Sie inzwischen sicher auch schon vorbereitet haben, wie?« »Es handelt sich um zwei automatische Kameras«, berichtete der Butler weiter, »ich habe sie an taktisch günstigen Stellen aufgebaut. Sie werden jede Einzelheiten aufnehmen.« »Hoffen wir also, daß er in die Falle geht…« Rander zündete sich eine Zigarette an, »was die Ware anbetrifft, von der Sie sprechen, Parker, so wissen Sie immer noch nicht, um was es sich eigentlich handelt, oder?« »Leider, Sir… ich bin nur auf gewisse Vermutungen angewiesen.« »Und die sehen wie aus?« »Es muß sich um Kostbarkeiten handeln, Sir… Um Dinge, die den aufwendigen Lebensstil Mister Halloways erst ermöglichen!« »Rauschgift?« warf Sue ein. »Eine der vielen Möglichkeiten.« »Woran denken denn Sie, Parker?« fragte Rander. »Ich möchte mich noch nicht festlegen, Sir… Im Augenblick warte ich auf das Ergebnis einer Befragung, die Mister Stinton für meine bescheidene Wenigkeit durchführen läßt…« »Eine Umfrage!?« Sue Weston lächelte. Sie hatte längst kapiert,
daß der Butler wieder mal auf Hochtouren lief. »Ich möchte herausfinden, Miß Weston, in welchen Städten und zu welcher Zeit Mister Halloway mit seinen Unternehmen auf diversen Rummelplätzen gastierte. Daraus kann man dann möglicherweise gewisse Schlüsse ziehen.« »Dann dürften Sie ja in der kommenden Nacht unterwegs sein«, meinte Rander. Er deutete auf die beiden Wagen, »schon wegen der beiden Kameras, oder?« »In der Tat, Sir! Die Kameras müssen zumindest eingeschaltet werden.« »Kann ich Ihnen dabei nicht helfen?« bot sich Sue Weston sofort spontan an. »Sie werden zu Hause bleiben«, antwortete Rander, bevor der Butler etwas sagen konnte, »wir haben es schließlich mit kaltblütigen Mördern zu tun. Wenn schon einer mithilft, dann nur ich…« »Und wo steckte die Freundin Mister Peters’?« wollte Sue wissen. »Ich konnte Miß Cramp dazu bewegen, sich für einige Tage in ein nettes Hotel zu begeben… Dort wird sie, vor den Nachstellungen Mister Halloways sicher sein…« * Parker blieb am Steuer, seines hochbeinigen Monstrums, bis sie eine Hochgarage mit zwei Ausfahrten erreicht hatten. In der Dunkelheit einer Parketage nahmen Rander und Parker anschließend einen schnellen Rollentausch vor. Rander setzte sich Parkers schwarze Melone auf den Kopf und schlüpfte auch in dessen Zweireiher. Parker streifte sich seine Zweitkleidung über, verzichtete keineswegs auf seine schwarze Melone und blieb in der Hochgarage zurück, als Rander und Sue im hochbeinigen Wagen verschwanden. Der Butler wartete etwa zehn Minuten, bis er mit dem Fahrstuhl hinunter ins Erdgeschoß fuhr. Er sondierte die Lage und begab sich dann hinaus ins Freie. Sein Ziel war der Innenhof der Fabrik, den er möglichst ungesehen erreichen wollte. Parker hatte diesen Fabrik-Innenhof dank seiner erstklassigen Beziehungen und Verbindungen leicht für sich aktivieren können. Er war mit dem Haushofmeister eines sehr erfolgreichen Maklers
bekannt, der ihm diese Möglichkeit sofort eingeräumt hatte. Durch eine Seitenpforte betrat der Butler die stillgelegte Fabrik. Er durchwanderte das Erdgeschoß und begab sich anschließend hinauf in die Obergeschosse. Er studierte die Transportanlage für Rinderviertel, die noch in Betrieb war. Es handelte sich um einen T-Träger unter der Decke, der so aufgehängt war, daß die Fleischhaken an und auf Rollen unbehindert bewegt werden konnten. Diese Transporteinrichtung führte vom Erdgeschoß hinunter in den Keller und von dort aus hinein in die ehemaligen Kühlräume, die durch eine Hartgummischleuse zu erreichen waren. Das alles sah selbstverständlich ungepflegt und verdreckt aus. Die Fabrik war schließlich schon vor einem Jahr stillgelegt worden. Parker visitierte noch mal die beiden versteckt angebrachten Kameras, überprüfte die Schärfeneinstellung und die beiden kleinen Elektromotore, die die Filme transportierten. Sie wurden von einem Akku mit Strom versorgt. Parker baute sich an einem der Fenster auf und schaute hinunter auf die beiden Wagen von Andy Peters. Nun mußte er sich in Geduld fassen und warten. Alles hing davon ab, wie ungeduldig Mister Halloway war… * Halloway war sehr ungeduldig. Für ihn schien es um große Dinge zu gehen, die keinen Aufschub verdienten. Josuah Parker hatte sich gerade zu dem Entschluß durchdrungen, sich eine seiner schrecklichen Zigarren anzuzünden, die von der Umwelt so gefürchtet wurden. Es handelte sich um pechschwarze Torpedos von beachtlichem Ausmaß, deren Aroma ausreichte, Insekten aller Art in eine wohltätige Ohnmacht fallen zu lassen. Parker hatte also gerade nach seinem abgewetzten Zigarrenetui gegriffen, als sich unten auf dem Fabrik-Innenhof etwas ereignete. Wie zwei scheue Ratten, die vollgepumpt mit Mißtrauen sind, erschienen zwei Männer im Innenhof. Woher sie gekommen waren, vermochte der Butler im Moment
nicht zu sagen. Sie waren einfach da. Wahrscheinlich hatten sie durch ein Fenster die leeren Fabrikationshallen betreten, vielleicht aber auch ein Kellerfenster benutzt. Parker sah sich ihre Gesichter aus der Nähe an. Er erkannte in seinem Spezial-Fernglas Hank Stark und einen Mann, der in einem Overall stark. Diesen Mann hatte er bisher noch nicht gesehen. Wahrscheinlich handelte es sich um einen Angestellten von Halloway. Waren sie allein gekommen? Parker hatte am Vorabend bereits eine Kostprobe von der Gerissenheit und Schläue Halloways erhalten, als seine beiden Blasrohrpfeile wirkungslos verschossen worden waren. Hatte dieser Halloway sich auch jetzt etwas einfallen lassen? Parker zog sich von seinem Beobachtungsposten zurück und sicherte sich eist mal gründlich ab. Er hatte sich kaum hinter einer querstehenden Kachelwand zurückgezogen, als er leise, vorsichtige Schritte hörte. Er blieb wie angewurzelt stehen und wartete ab. Wenig später erschien ein Mann, der ebenfalls einen Overall trug. Seine Füße staken in leicht ausgefransten Tennisschuhen. Er hielt eine Schußwaffe in der rechten Hand, auf deren Mündung ein Schalldämpfer aufgesetzt war. Parker sah schnell hinüber zur Kamera. Sie befand sich in einem verrosteten Behälter, der früher mal zur Herstellung von Konserven verwendet worden sein mußte. Er stand inmitten anderer Behälter dieser Art und fiel nicht sonderlich auf. War diese Kamera gut genug versteckt worden? Der Mann näherte sich den leeren Behältern, blieb stehen, sicherte und pirschte sich dann weiter nach vorn. Dann schien er etwas gehört zu haben und drehte, sich blitzschnell in Richtung Parker um. Doch der Butler rührte sich nicht. Der Mann wartete einen Moment, um dann weiterzugehen. Er war wohl zu dem Schluß gekommen, daß er sich getäuscht hatte. Er verschwand aus dem Gesichtskreis des Butlers und suchte wahrscheinlich die ganze Etage ab. Parkers Hochspannung dauerte etwa zehn Minuten, dann sah er den Mann erneut. Er ging hinüber zur Treppe, um die beiden über
seinem Kopf befindlichen Etagen abzusuchen. Nachträglich noch war der Butler froh, daß der an sich staubige Fußboden auf allen Stockwerken mit Fußspuren übersät war. Sie stammten wahrscheinlich von Stadtstreichern, die sich hier kurzfristig niederließen. Oder aber von neugierigen Halbwüchsigen, die sich im leeren Fabrikgebäude getummelt hatten. Seine Fußspuren also fielen auf keinen Fall auf. Parker verließ seine Deckung hinter der querstehenden Kachelwand und begab sich hinüber zu seiner Kamera. Er spähte durch das Glas hinunter in den Hof. Dort hatte sich inzwischen einiges getan. Angeleitet von Stark arbeiteten jetzt insgesamt vier Männer in Overalls daran, die beiden Wagen auseinanderzunehmen. Sie gingen methodisch und gründlich vor. Sie durchforschten Zentimeter um Zentimeter. Sie glichen Schatzsuchern oder Fahndungsbeamten der Steuerbehörde, die Belege für Unterschlagungen suchen… Hank Stark stand an der, Fabrikmauer und schaute zu. Er beschränkte sich darauf, hin und wieder Anweisungen zu geben. Ihm war anzumerken, daß er sich sehr sicher fühlte und mit keinerlei Überraschungen rechnete. Parker entdeckte den Mann, der die Stockwerke der Fabrik abgesucht hatte. Der Mann war zurück in den Innenhof gekehrt und machte Stark mit einer Geste klar, daß alles in Ordnung war. Dann beteiligte er sich am Auseinandernehmen der beiden Wagen. Es handelte sich jetzt um fünf Männer, die schnell und präzise arbeiteten. Und es war erstaunlich, wie wenig Krach sie dabei verursachten. Parker betätigte sich inzwischen als Kameramann. Er filmte die Szenerie in aller Ruhe und benutzte die Gummilinse, um Großaufnahmen von den Gesichtern der Männer zu machen. Dieses Fotomaterial konnte später mal zu einem wichtigen Beweisstück gegen die Gangster werden. Parker wollte die Gummilinse gerade wieder zurückdrehen, als er plötzlich hinter sich ein Geräusch hörte. Unter Verzicht auf jede würdevolle Geste warf er sich blitzschnell zur Seite. Womit er sein Leben rettete, denn dicht neben seinem Kopf donnerte ein Holzknüppel auf die leeren Behälter. Das Geräusch, das dadurch entstand, hätte Scheintote zum Le-
ben erweckt. Die Behälter dröhnten wie schlecht gestimmte Glocken und veränderten schlagartig die Idylle, die gerade noch geherrscht hatte… * Parker sah halb neben sich einen weiteren Mann, der den Holzknüppel mit wenig freundlicher Absicht geschwungen hatte. Von der Gewalt des Schlages mitgerissen, war der Mann mit dem Oberkörper nach vorn gerutscht. Parker konnte nicht umhin, seine Handkante zu betätigen, was er normalerweise nicht sonderlich schätzte. Schließlich haßte er Gewaltakte jeder Art. Der Mann zappelte einen Moment wie ein Kaninchen, um sich dann zwischen den Behältern zur Ruhe zu begeben Parker warf einen schnellen Blick hinunter auf den Innenhof. Dort purzelte alles wie in einem aufgescheuchten Ameisenhaufen durcheinander. Stark schrie Befehle und Anweisungen, die fünf Männer in ihren Overalls formierten sich und stürmten in Richtung Fabrikgebäude. Parker setzte sich taktisch geschickt ab. Gegen eine Übermacht von fünf bis sechs Gegnern hatte er nichts zu bestellen, darüber war er sich vollkommen im klaren. Er verschwand hinter der querstehenden Kachelwand und wartete, bis die Armada an ihm vorbeistürmte. Sie tat ihm den Gefallen. Starks ganze Aufmerksamkeit hatte sich verständlicherweise auf das erste Obergeschoß gerichtet. Dorthin schickte er seine Mannen. Sie kamen über die Steintreppe und hatten das Geschoß fast erreicht, als Parker ihnen ein Spezialpräparat entgegenwarf. Dieses Geschoß bestand aus einer Papiertüte, in der sich etwa anderthalb Pfund gelbe Erbsen befanden. Sie waren getrocknet und demgemäß natürlich hart wie die Produkte in einem Kugellager. Was sich dann auf den Treppenstufen abspielte, war schon sehr beeindruckend. Die Schuhsohlen der Gangster fanden plötzlich keinen Halt mehr auf den Stufen. Sie rutschten, glitten und rollten über die gelben Erbsen und machten die Besitzer dieser Füße völlig instabil.
Die fünf Overallmänner warfen ihre Arme haltsuchend hoch in die Luft, sie torkelten, hielten sich aneinander fest, bildeten Gruppen und Klumpen und stürzten dann übereinander hinunter ins Erdgeschoß. Dies alles erinnerte den Butler an ein deutsches Märchen, das er vor langer Zeit in Kindheitstagen mal gelesen hatte. Es handelte sich dabei um kleine Zwerge, die man schändlicherweise überlistete hatte. Wie gut Märchen sein können, erwies sich an diesem Tag. Die Gangster, alles andere als Zwergerscheinungen, landeten inzwischen mit mehr oder weniger dumpfen Aufschlägen im Erdgeschoß und blieben völlig benommen liegen. Sie brauchten einige Zeit, bis sie endlich wieder auf den Beinen waren. Diese Zeit nutzte der Butler, um sich durch einen viereckigen Durchbruch in der Betondecke hinunter ins Erdgeschoß zu begeben. Während der Produktion der Konserven mußte sich hier so etwas wie ein Lastenfahrstuhl befunden haben, der inzwischen abmontiert worden war. Zum Hinunterschwingen gebrauchte der Butler seinen Universal-Regenschirm, an dessen Schirmstock er sich nach unten beförderte. Er erreichte mit seinen Schuhen das Oberteil eines verrotteten Fließbandes und stieg von dort aus hinunter auf den Boden des Erdgeschosses. Währenddessen stürmten die fünf Overallmänner erneut das erste Obergeschoß. Das heißt, sie bewegten sich diesmal ungemein vorsichtig. Sie wollten nicht mit weiteren Gemüseartikeln aus dem Gleichgewicht gebracht werden. Parker schritt inzwischen hinüber zum großen Treppenhaus und passierte dabei die T-förmige Transportanlage, die in einem eleganten Bogen hinunter in den Kühlkeller führte. Parker schaute sich diese Anlage jetzt mit großem Interesse an. Seiner bescheidenen Ansicht nach ließ sich daraus etwas machen. Man mußte eben nur die richtigen Einfälle haben… * Stark bildete die Nachhut. Mit anderen Worten, erst jetzt erschien er im Erdgeschoß und schaute angelegentlich nach oben. Die Betondecke gab das He-
rumgetrampel seiner Leute deutlich wider. Parker ging kein Risiko ein. Er nahm seine Gabelschleuder zur Hand und gab eine Tonmurmel in die bewußte Lederschlaufe. Er strammte die beiden Gummistränge und ließ die Tonmurmel hinter dem Ohr von Stark platzen. Wie ein gefällter Baum brach der Mann in sich zusammen. Parker schleifte ihn an den Armen hinüber zu der RinderviertelTransportanlage und wuchtete den Mann hoch. Er ließ einen der dort zusammengeschobenen Fleischhaken unter den Leibriemen von Stark schlüpfen. Stark glich jetzt fast einem Rinderviertel, wie er da so hilflos’ am Haken baumelte. Er kam ohne Übergang zu sich und zappelte plötzlich mit Armen und Beinen in der Gegend herum. »Sie werden verzeihen, daß ich Sie ein wenig aus meinem Gesichtskreis entfernen muß«, sagte Parker und schickte Stark auf die Reise. Zuerst langsam, dann immer schneller Fahrt aufnehmend, rollte der Haken samt Stark über den T-Träger nach unten. Stark schien Schreckliches zu ahnen. Er brüllte plötzlich laut auf und verschwand jetzt schnell nach unten. Parker sah ihm fast liebevoll nach. Stark, am Fleischerhaken zappelnd, beschrieb einen leichten Bogen nach rechts, schwenkte dann nach links und donnerte anschließend mit sehr viel Fahrt hinunter in den ehemaligen Kühlkeller. Die Schleuse dort bestand aus zwei zerfranst aussehenden Torflügeln aus Hartgummi. Sie schwenkten beim notwendigen Auflaufdruck nach innen und gaben der Ware den Weg frei in den Kühlraum. Die beiden fransigen Hartgummitore machten keinen Unterschied zwischen Rindervierteln und Stark. Als der Mann auf sie zuraste, schrie er noch mal gellend auf. Dann klatschte er bereits mit seinem Körper gegen die beiden Hartgummitore, die nach innen schwenkten. Wie durch Zauberei war das Schreien von Stark plötzlich nicht mehr zu hören. Die beiden Hartgummitore schwangen wieder gehorsam zurück in die alte Lage.
Parker mußte sich von diesem faszinierenden Anblick fast mit Gewalt losreißen. Noch hatte er es mit den übrigen Gegnern zu tun. Und sie waren mit Sicherheit nicht zu verachten. Aufgeschreckt von den Schreien ihres Chefs kamen sie eiligst zurück zur Treppe. Sie riefen nach ihm, bekamen keine Antwort und verloren sofort an Selbstbewußtsein, als sie die Stimme ihres Herrn und Meisters nicht hörten. Schritt für Schritt stahlen sie sich über die Treppenstufen nach unten. Sie wollten den diversen gelben Erbsen nicht noch mal zum Opfer fallen. Diese Vorsicht kam den Wünschen des Butlers entgegen. Er könnte sich in aller Ruhe auf seine nächste Aktion vorbereiten. Er war inzwischen zu dem Schluß gekommen, daß er wohl doch eine echte Chance hatte, sich gegen diese Männer durchzusetzen. Und dann tat der Butler etwas, was ein Unbeteiligter als hellen Wahnsinn bezeichnet hätte: Parker griff nach einem Wandhaken und schwang sich nach unten. Er machte sich, daran, die Reise von Hank Stark nachzuempfinden. Die Overallmänner trauten ihren Augen nicht, als der Butler, am Fleischhaken hängend, nach unten ins Kellergeschoß rollte. Sie rannten zu dem großen Einschnitt in der Betondecke und verfolgten den Weg eines gewissen Josuah Parker. Der Butler hing äußerst wohl an dem Fleischerhaken, den er fest in seinen schwarz behandschuhten Händen hielt. Er sah hinauf zu den Overallmännern, die sich plötzlich animiert fühlten, es ihm nachzutun. Was sie wohl besser nicht hätten tun sollen, wie sich bald darauf zeigte. Sie verzichteten auf den Gebrauch ihrer Schußwaffen, denn der Butler war für sie ohnehin ein bereits geschnapptes Opfer. Sie brauchten ja nur noch zuzulangen. Nacheinander klemmten also auch sie sich an die reichhaltig vorhandenen Rollhaken und stießen sich ab nach, unten. Es war ein Bild für Götter, wie der Volksmund es wieder mal so treffend ausgedrückt hätte. Die Konservenfabrik schien ihren Betrieb frisch eröffnet zu haben. Auf den Rollhaken hingen die Rinderviertel und begaben sich hinunter in Richtung Kälteschleuse. Für Parker war die Reise fast beendet.
Er mußte jetzt höllisch aufpassen, wenn er in einen nicht zu harten Kontakt mit den beiden Hartgummitoren kommen wollte. Er mußte seine angewinkelten Beine als eine Art Bremse betätigen und einsetzen. Seine Fahrt hatte inzwischen die Höchstgeschwindigkeit erreicht. Noch eine leichte Kurve, dann ging es steil nach unten auf die Gummitore zu. Sekunden später war es soweit. Parker war überrascht, wie hart der Aufprall war. Er war froh, sich derart vorbereitet zu haben. Dennoch ging ein Schlag durch seinen Körper, als er die beiden nach innen wegklappenden Tore passierte. Er ließ sofort den Haken los und sprang zu Boden. Er hatte keine Zeit, sich um Stark zu kümmern. Es konnte nicht lange dauern, bis die Verfolger vor den beiden Gummitorflügeln eintrafen. Parker sprang zuerst nach rechts und dann nach links. Dabei löste er jeweils die Schwingsperren. Die hochgestemmten Tore rutschten zurück in ihre Führungsrohre und ließen sich nun nicht mehr bewegen. Sie waren zu einer festen und starren Wand geworden. Dann trat der Butler zur Seite und hielt sich diskret die Ohren zu. Er ahnte im voraus, was sich jenseits der Tür abspielen würde. * Der erste Overallmann sauste auf die beiden Hartgummitore zu und war sich seiner Sache vollkommen sicher. Wenn Parker durch die Schwingtore gekommen war, dann mußte das schließlich auch bei ihm der Fall sein. Worin er sich aber täuschen sollte, wie sich schnell zeigte. Er knallte mit viel Fahrt gegen die beiden Tore, die nicht im Traum daran dachten, ihm den Weg freizugeben, die ihn auch gar nicht öffnen konnten, da der Butler sie gesperrt hatte. Der Mann knallte gegen die Hartgummiflügel und sackte an ihnen herunter wie ein nasses Handtuch. Die Gangster, die auf dem Weg nach unten waren, merkten viel zu spät, was sich mit den Schwingflügeln getan hatte. Abzuspringen riskierten sie nicht, denn bis zum Boden waren es gut und
gern zweieinhalb Meter. Zudem hatten sie dazu auch keine Zeit, denn sie alle befanden sich bereits auf dem Sturzflug nach unten. Nacheinander rauschten sie gegen die Schwingtore, um an den Hartgummiflächen abzutropfen wie Öl. Am unteren Ende der Schwingtore bildete sich innerhalb weniger Sekunden ein Menschenhaufen, der aus ineinander verstrickten Armen und Beinen bestand und aus dem ein dumpfes Stöhnen und Fluchen zu hören war. Parker sperrte die beiden Tore wieder hoch und schritt seitlich an den sehr beeindruckten Gangstern vorbei, die überhaupt nicht auf ihn achteten. Dann begab er sich hinauf in das Erdgeschoß, wo er die Fingerspitzen leicht gegeneinander drückte, wie er es nach getaner Arbeit oft zu tun pflegte. Er durfte mit dem Erfolg seiner Improvisation wieder mal voll und ganz zufrieden sein. Er ging hinaus in den Innenhof und sah sich die beiden Schaustellerwagen von Andy Peters an. Sie waren nur noch Gerippe auf Rädern, soweit waren sie bereits demontiert worden. Parker verlor keine Zeit damit, nun seinerseits nach irgendwelcher Ware zu suchen. Seiner bescheidenen Ansicht nach war diese Ware, von der Halloway gesprochen hatte, auf keinen Fall in den beiden Wagen zu finden. Das Versteck mußte sich an ganz anderer Stelle befinden. Vielleicht irgendwo auf dem Rummelplatz. Der Butler verließ die stillgelegte Fleischfabrik, um von der nächsten Telefonzelle aus die Polizei zu alarmieren. Er bat darum, man möge vielleicht sicherheitshalber einen Ambulanzwagen mitbringen und Männer, die in der Ersten Hilfe ausgebildet waren. »Es könnte durchaus sein«, schloß er seinen Anruf, »daß diese großen Kinder sich beim Spielen mehr oder weniger verletzt haben.« * »Sie wollen mir doch nicht aufbinden, daß Sie nicht wissen, wo Ihr Butler ist«, brauste Captain Madford wieder mal auf. Er befand sich im Studio des Penthouse und war wieder mal böse auf
Rander und Parker. »Fehlanzeige«, gab Rander lächelnd zurück, »ob Sie sich nun aufregen oder nicht, Madford…« »Er war draußen auf dem Rummelplatz, als wir zu Cardigan geholt wurden.« »War es Selbstmord?« erkundigte sich Rander, das Thema wechselnd. »Sie wissen also, daß Cardigan tot ist?« »Natürlich. Und zwar von Parker. Cardigans Tod ist doch kein Geheimnis. Fast alle auf dem Rummelplatz haben das schließlich mitbekommen.« »Die ganze Sache riecht nach Mord, obwohl sie wie ein Selbstmord arrangiert worden ist.« »Dann glauben Sie endlich auch, daß Mister Parker und ich auf der Geisterbahn Augenzeugen davon wurden, daß Andy Peters erschossen wurde, oder?« Sue Weston hatte sich kriegerisch eingemischt. »Daran glaube ich solange nicht, bis wir Andy Peters Leiche gefunden haben«, gab Madford stur zurück, worauf sein Assistent McLean wieder mal ergeben die Augen verdrehte. »Wer ist nun dieser Cardigan?« fragte Rander gespielt ahnungslos. »Irgendein Schaubudenangestellter«, erwiderte Madford, »aber Sie glauben doch wohl nicht, daß ich Ihnen mehr sagen werde, wie? Von Ihnen bekomme ich ja auch keine Informationen.« »Das wird sich wohl ändern, sobald Parker wieder zurück ist.« »Dem werde ich was erzählen«, schimpfte Madford, »es steht einwandfrei fest, daß er mich nicht informiert hat, als man Cardigan fand. Und das, obwohl er doch dabei war. Er ist gesehen worden!« »Von wem, bitte?« schaltete Sue Weston sich ein. »Von einem gewissen Halloway, zum Beispiel.« »Wer ist denn das?« Rander schien von nichts zu wissen. »Irgendein Schaubudenbesitzer«, sagte Madford etwas zu schnell, was Rander stutzig werden ließ. Wußte Madford mehr über und von diesem Halloway? »Ein Bekannter von Ihnen?« tippte Rander vorsichtig an. »Wie kommen Sie denn darauf?« »Es könnte doch sein, daß er in Ihren Akten bereits verzeichnet ist, Madford.«
»Wissen Sie was darüber?« wandte Madford sich an McLean. »Klar«, sagte McLean gespielt naiv. Er hatte noch Zeit, Sue zuzuzwinkern, »klar, Chef… Halloway war vor Jahren mal in ein paar Kriminalaffären verwickelt, konnte sich aber immer im letzten Moment herauswinden.« »Wir reden noch miteinander!« zischte Madford seinen Assistenten an. McLean schien also wirklich aus der Schule geplaudert zu haben. Absichtlich übrigens, wie zumindest Sue Weston jetzt wußte. »Halloway scheint damals Mitglied einer Tresorknackerbande gewesen zu sein«, führte McLean ungerührt weiter aus. »Sie Trottel!« sagte Madford daraufhin heftig. »Wieso denn, Chef, das ist doch die Wahrheit und nichts als die Wahrheit«, verteidigte sich McLean. »Riesentrottel«, steigerte sich Madford und erdolchte seinen engsten und besten Mitarbeiter mit den Augen. »Wieso Trottel?« fragte Rander und schüttelte scheinbar verständnislos den Kopf. »Riesentrottel, habe ich gesagt«, präzisierte Madford und ermordete McLean noch mal mit seinen Blicken, »ich möchte nur wissen, warum ich Sie nicht zurück in den Straßendienst schicke!« »Weil Sie ihn brauchen, Captain«, schaltete Sue sich lächelnd ein, »warum ärgern Sie sich eigentlich? Sie wissen doch, daß Parker sich für diese, sagen wir, Versprecher, mit Informationen revanchieren wird.« »Eben, Chef.« McLean sah seinen Captain grinsend an. »Man muß Parker schon was bieten, wenn man ihn aus seiner Reserve hervorlocken will.« »Sie scheinen noch immer nicht gemerkt zu haben, wie sehr er überschätzt wird«, erklärte Madford grimmig, »der Mann hat nur sagenhaftes Glück. Nicht mehr und auch nicht weniger.« »Und Einfälle«, schloß McLean grinsend. * McLean hatte seinen Hinweis noch nicht ganz ausgesprochen, als das Telefon sich meldete. Sue Weston hob ab. »Für Sie, Captain«, sagte sie dann und reichte Madford den Hö-
rer. Dieser hörte schweigend zu. Auf seinem Gesicht bemerkte man dabei deutliche Spuren der Betroffenheit. Dann knallte er schließlich den Hörer wütend zurück auf die Gabel. »Ist was?« fragte Rander harmlos. »Ihr Butler scheint mir mal wieder ein Kuckucksei ins Nest gelegt zu haben«, fuhr Madford ihn gereizt an, »ich bekomme gerade die Nachricht, daß aus dem Keller einer stillgelegten Konservenfabrik ein gutes halbes Dutzend Männer geborgen wurden, die mehr oder weniger alle Prellungen davongetragen haben.« »Warum müssen Sie dabei ausgerechnet an Parker denken?« fragte Rander gespielt harmlos und atmete innerlich erleichtert auf. Parker schien also mit heiler Haut aus der von ihm gestellten Falle herausgekommen zu sein. »Warum ich auf Parker komme? Warum!? Weil alle diese Burschen vom Lunapark stammen und Angestellte dieses Buddy Halloway sind!« »Das spricht doch immer noch nicht gegen meinen Butler«, verwahrte sie! Mike Rander. »Und alle diese Kerle schleppten Schußwaffen in jeder Menge mit sich herum.« »Wollen Sie das etwa Parker anlasten?« Rander bekam immer mehr Oberwasser. »Schon gut. Schon gut«, meinte Madford und wehrte mit einer entsprechenden Handbewegung ab, »ich mache mir so meine Gedanken, Rander, ich weiß genau, aus welcher Ecke der Wind pfeift.« »Sie dürften wieder mal die falsche Witterung in der Nase haben«, sagte Mike Rander lächelnd, »wie ich Parker kenne, sitzt er still und friedlich in irgendeinem netten Lokal und gibt sich seinen heiß geliebten Gaumengenüssen hin!« »Sie brechen mir das Herz«, schnaufte Madford und verdrehte die Augen. * Parker war mit seinem hochbeinigen Monstrum wieder unterwegs. Er hatte seinen Privatwagen aus der Tiefgarage des Hochhauses geholt, wo Mike Rander ihn abgestellt hatte. Parker saß stocksteif am Steuer seines Wagens und erinnerte sich erst wäh-
rend der Fahrt, daß er völlig vergessen hatte, sich bei seinem jungen Herrn zurückzumelden. Da er keine Zeit verlieren wollte, besorgte er das per Autotelefon. »Gut, daß Sie nicht hochgekommen sind«, meinte Sue Weston, die das Gespräch entgegengenommen hatte, »Captain Madford war bei uns. Und seine Stimmung war eigentlich noch schlechter als sonst. Er war gar nicht erbaut daß Sie ihm ein halbes Dutzend Gangster frei Haus geliefert haben.« »Diese Freude, Miß Weston, wird sich mit Sicherheit zu einem späteren Zeitpunkt einstellen«, erwiderte der Butler gemessen, »würden Sie Mister Rander freundlicherweise ausrichten, daß ich auf dem Weg bin, Mister Stinton einen Besuch abzustatten.« »Kommen Sie dann zurück ins Penthouse?« »Wahrscheinlich, Miß Weston, falls akute Dinge mich nicht veranlassen, meine Pläne zu revidieren.« Parker legte schnell auf, bevor Mike Rander ans Telefon kommen konnte. Er wollte freie Bahn behalten und war ehrlich froh, daß er sowohl Mike Rander als auch Sue Weston ausgeschaltet hatte. Seiner bescheidenen Ansicht nach brauchten sie sich an der Aufklärung dieses Falles nicht zu beteiligen. Stinton deutete bei Parkers Eintreten ins Büro so etwas wie ein vages, höfliches Aufstehen an, um sich sofort wieder erschöpft in seinen Sessel zurückfallen zu lassen. »Sie kommen genau zum richtigen Zeitpunkt«, sagte er kurzatmig wie immer, »meine Sekretärin hat die Telefondrähte heiß werden lassen. Hier ist die Liste!« Er deutete auf ein Schreibmaschinenblatt, das mit Daten und Städtenamen voll beschrieben war. Er brachte nicht die Kraft auf, dieses Blatt anzuliften und es Parker zu reichen. Der Butler bediente sich. Er überflog die Liste jener Städte, die von Halloways Schaubudenunternehmen besucht worden waren. Diese Liste bezog sich auf das laufende Jahr, dessen Mitte man gerade überschritten hatte. »Ganz nette Sammlung, nicht wahr?« »Erstaunlich, Mister Halloway scheint ein fleißiger und strebsamer Unternehmer zu sein.« »Ein raffinierter Gauner ist das«, meinte Stinton verächtlich, »aber ich werde das im Gegensatz zu Ihnen, mein Bester, niemals beweisen können.«
»Setzen Sie nicht zu große Hoffnungen in meine bescheidene Person«, wehrte Parker in gewohnt schamhafter Weise ab, »ich möchte aber nicht versäumen, mich herzlichst zu bedanken. Diese Liste wird mir eine große Hilfe sein.« »Vielleicht kann ich mit ein paar weiteren Details dienen«, schnaufte Stinton, »ich habe Freunde aus der Branche interviewt. Alles alte Hasen, die sich auskennen.« »Und zu welchen Beurteilungen ist man gekommen, Mister Stinton?« »Halloway lebt über seine Verhältnisse«, sagte Stinton, »ich tu’s zwar auch, aber ich weiß, daß ich dafür Schulden habe. Die scheint Halloway aber nicht zu haben.« »Er gibt also mehr aus, als er einnimmt.« »Hört sich schrecklich an, nicht wahr? Ganz wie bei mir.« »Aber er hat keine Schulden.« »Das hört sich wieder verdammt gut an. Ich werde Halloway bei Gelegenheit fragen, wie man so etwas macht.« »Sehr einfach«, erwiderte Josuah Parker, »man besorgt sich illegale Ware und verkauft sie dann mit hohem Gewinn.« »Dachte ich mir schon fast, mein Bester. Aber welche Ware muß man sich besorgen? Darauf scheint es ja wohl anzukommen.« »Sobald ich mehr darüber weiß, Mister Stinton, werde ich Sie gern informieren«, sagte Parker und steckte die Liste ein, »hoffentlich wird das bald der Fall sein.« »Noch etwas«, rief Stinton dem zur Tür gehenden Butler nach, »meine Freunde sind der Ansicht, daß Halloway früher mal so etwas wie ein Gangster gewesen sein muß. Fragen Sie mich nicht nach Beweisen dafür!« »Auch diesen Hinweis nehme ich dankend entgegen«, sagte Parker, lüftete seine schwarze Melone und verließ das Büro Mister Stintons. * »Habe ich die Ehre mit Mrs. Feather?« erkundigte sich Parker, als er der großen, schlanken und sehr energisch aussehenden Frau gegenüberstand. »Ehre!?« »Warum nicht, Madam, dünken Sie sich weniger als Ihre Ge-
schlechtsgenossinnen?« Mrs. Feather lächelte ironisch. Dann trat sie einen halben Schritt zurück und musterte den Butler. »Wollen Sie sich bei mir als Schauboxer bewerben?« fragte sie dann. »Im Augenblick wohl nicht«, sagte Parker, »aus Ihren Worten aber darf ich wohl schließen, daß Sie die Besitzerin des Boxzeltes sind?« »Sie dürfen.« »In Ihrem Zelt wurde der bedauernswerte Mister Cardigan gefunden, nicht wahr?« »Wer sind Sie und was wollen Sie?« »Ich möchte Mister Halloway vor ein ordentliches Gericht bringen«, erklärte der Butler höflich, aber bestimmt, »meiner bescheidenen Ansicht nach dürfte er der Mörder von Mister Andy Peters und Cardigan sein.« »Nehmen Sie den Mund nicht etwas reichlich voll?« »Ich hoffe sehr, Sie überzeugen zu können, Mrs. Feather. Mein Name ist übrigens Parker, Josuah Parker. Ich habe die Ehre, und die Freude, der Butler Mister Randers zu sein.« Parker stand zusammen mit Mrs. Feather vor dem Wohnwagen dieser bemerkenswerten Frau, die einem Schaubudenboxbetrieb vorstand. Und er hätte noch nicht ganz seinen Satz beendet, als er unter dem Wohnwagen ein Kichern hörte, das ein wenig nach Irrsinn klang. »Jim…!« rief Mrs. Feather streng, »wo treibst du dich schon wieder ’rum. Komm da heraus!« In Parkers Gesicht zuckte kein Muskel, als der kleine Gnom, von dem Sue bereits erzählt hatte, unter dem Wohnwagen hervorkletterte und sich, vor Vergnügen auf die Schenkel klopfte. »Er will Halloway an den Galgen bringen«, sang der Gnom leise dazu, »er will Halloway ins Zuchthaus bringen. Er will sich von Halloway umbringen lassen.« »Warum spielen Sie den Narren?« erkundigte sich Parker ruhig und gemessen bei Jim. »Ihre Augen sagen mir laut und deutlich, daß ich es mit einem überdurchschnittlich intelligenten Menschen zu tun habe. Darf ich annehmen, Mrs. Feather, daß er Ihnen die Geschäftsbücher führt?« Die Feather und der Gnom sahen sich wie auf ein geheimes Kommando hin völlig überrascht an.
Dann lachte Jim nicht mehr. In Bruchteilen von Sekunden verwandelte er sich in einen normalen Menschen. »Kommen Sie Mister Parker«, sagte er, »gehen wir in Mrs. Feathers Wohnwagen. Man braucht uns hier nicht zu sehen.« »Aber Jim!« schimpfte Mrs. Feather. »Kommen Sie. Mister Parker«, wiederholte Jim noch mal und ging auf seinen kurzen und recht krummen Bemühen mühsam über die Stufen der Anstelltreppe hinauf und in den Wohnwagen. Erstaunlicherweise schnaufte Mrs. Feather nur protestierend und folgte ihm. Josuah Parker bildete den Abschluß. »Ist man hier ungestört?« fragte Parker. »Dafür wird Joe sorgen«, sagte der Gnom und deutete auf eines der Wohnwagenfenster. Parker sah hinaus und schrak fast zusammen, als er diesen Muskelberg von einem Menschen sah. Der Riese, von dem Sue ebenfalls schon berichtet hatte, übertraf bei weitem seine Vorstellungen. »Sie sind also hinter Halloway her, ja?« fragte der Gnom mit seiner sehr angenehm klingenden, sonoren Stimme. »Die junge Dame, die sicher bereits von Joe und mir gesprochen hat, gehört demnach zu Ihnen?« »In der Tat!« »Es war ein wenig unvorsichtig von der jungen Dame, allein hierher zu kommen.« »Erfreulicherweise sorgten Sie ja dafür, daß ihr nichts passierte«, entschuldigte Parker Sue Weston, »sie kam übrigens in bester Absicht und wollte mir helfen. Das zu diesem Komplex; befassen wir uns lieber mit Mrs. Halloway.« »Sie wollen wissen, wer er ist?« erkundigte sich der Gnom. Mrs. Feather meldete sich überhaupt nicht zu Wort. Sie saß still und etwas abwesend auf einer schmalen Couch und schien nicht interessiert zu sein. »Wer Mister Halloway ist, ist mir bereits bekannt«, sagte Parker, »ich möchte erfahren, wie er von den Schaustellern aufgenommen wurde.« »Halloway ist und bleibt ein Außenseiter.« »Der aber dennoch sehr gut verdient.« »Von uns Schaustellern aus gesehen muß er über ein Vermögen verfügen.« »Und was ist mit seinen Angestellten? Kennen Sie die näher?« »Sie sondern sich ab. Aber sie stammen niemals aus der Bran-
che, abgesehen von einigen Handlangern, denen es völlig gleich ist, für welche Unternehmer sie arbeiten.« »Haben Sie sich möglicherweise schon mal gefragt, warum Mister Andy Peters erschossen wurde? Er muß doch sehr beliebt gewesen sein…« »Das stimmt, Mister Parker.« »Hatte er einen engeren Kontakt zu Halloway?« »Überhaupt nicht.« »Wieso kann er dann diesen tödlichen Ärger mit Mister Halloway bekommen haben?« »Kein Kommentar, weil wir wirklich nichts wissen«, erwiderte der Gnom. »Wir alle stehen vor einem Rätsel. Bei Cardigan ist das anders, verstehen Sie? Er war Halloways Angestellter und gehörte nicht zu uns.« »Mister Andy Peters – ein ehrsamer Schausteller mit einem Kinderkarussell. Dieser brave Mann wird nach einer wahrscheinlichen Hetzjagd brutal erschossen. Das muß doch einen Grund gehabt haben!« »Hat er Ihnen oder Ihrer jungen Begleiterin nichts mehr sagen können?« erkundigte sich der Gnom gespannt. »War er sofort tot? Konnte er wirklich nichts mehr sagen?« »Im Vertrauen. Er sagte etwas, bevor er starb!« »Dann hätten Sie doch einen Anhaltspunkt!« Der Gnom schien sich für den Butler zu freuen. »Leider bin ich nicht in der Lage, mit diesem Stichwort etwas anzufangen«, beklagte sich Parker gemessen. »Wie lautet denn dieses Stichwort?« erkundigte sich der Zwerg fast beiläufig. »Ich werde es Ihnen bei Gelegenheit mitteilen«, sagte Josuah Parker, »solange Sie nichts wissen können Sie auch nicht in Gefahr geraten. In diesem Kriminalfall sind bereits zwei Todesopfer zu beklagen, wenn ich daran erinnern darf.« »Angst vor Halloway haben wir nicht«, erklärte der Gnom. »Ich weiß«, sagte Parker mit dem leisen Anflug eines Lächelns, »sonst hätten Sie Hank Stark ja nicht vor dem Wohnwagen außer Gefecht gesetzt, als ich mich mit Miß Jane Cramp unterhielt. Darf ich annehmen, daß es Ihr Freund Joe war?« »Das war ich«, sagte der Gnom und lächelte schon wieder, »mit einer Eisenstange in der Hand kann ich glatt meine fehlende Größe überspielen.«
»Darf ich weiter annehmen, daß Sie durch die Zeltwand schlugen?« »Richtig kombiniert, Mister Park. Er brauchte mich ja nicht zu sehen. Und ich hatte etwas dagegen, daß er Jane unter moralischen Druck setzen wollte. Männer wie Stark kennen da niemals Hemmungen. Wie Halloway.« »Ich glaube, daran sollten wir alle denken«, sagte Parker und lüftete verabschiedend seine schwarze Melone, »ich danke Ihnen für dieses Gespräch!« Als Parker den Wohnwagen verließ, war von dem Riesen Joe weit und breit nichts mehr zu sehen. Ihm schien die Zeit zu lang geworden zu sein. Parker schritt an den Schaubuden vorbei, die zum Teil bereits geöffnet wurden. Die ersten Zuschauer erschien nen auf dem Platz und ließen sich von den grellen Reklamen beeindrucken. Unter anderem auch Parker, der plötzlich über eine Schaubudenfront stolperte, die in ihm Assoziationen auslöste, auf die er die ganze Zeit über so gewartet hatte. * Auf dieser Schaubudenfront wurde eine Dame ohne Unterleib angepriesen, ein medizinisches Rätsel unseres Jahrhunderts. Die große Reklamezeichnung war nicht gerade von einem Künstler hergestellt worden, aber sie zeigte doch deutlich, um was es ging. Es war die Silbe Leib, die den Butler hatte aufmerksam werden lassen. Genau diese Silbe Leib glaubte Sue Weston ja von dem sterbenden Andy Peters gehört zu haben. Sollte es hier eine direkte Verbindung geben? Die Schaubude, in der die Dame ohne Unterleib gezeigt wurde, war noch geschlossen. Parker ging um den Vergnügungsbetrieb herum. Er benutzte dazu eine der schmalen, höchstens körperbreiten Gassen zwischen den Buden. Auf einem Sockel aus Brettern lag das Spitzzelt. Auf der Rückseite gab es eine Art Tür, die mit Kette und Schloß fest gesichert war. Parker tippte darauf, daß einer der in der Nähe stehenden Wohntrailer die Dame ohne Unterleib beherbergen mußte. Er ging also auf einen ganz in der Nähe stehenden Wagen zu, stieg über
die Anstelltreppe hinauf zur Tür und klopfte an. Es dauerte eine Weile, bis eine etwa 40jährige Frau öffnete. Sie trug einen leichten Arbeitskittel, der ihre etwas reichlich üppigen Formen deutlich unterstrich. Die Frau sah ansehnlich und nicht gerade unschön aus. Sie hatte kupferrotes Haar, ein etwas zu weiches Gesicht und helle, sehr wachsame Augen. »Bitte?« fragte sie. »Mein Name ist Parker. Josuah Parker«, stellte der Butler sich vor und lüftete höflich seine schwarze Melone, »habe ich die Ehre und das Vergnügen, mit der Dame ohne Unterleib zu sprechen?« Sie sah ihn schmunzelnd an. »Ich bin die Dame ohne Unterleib«, sagte sie dann. »Hazel Fanters! Was kann ich für Sie tun?« »Ich komme im Grund wegen Ihres Branchenkollegen Andy Peters«, rückte der Butler sofort mit der Sprache heraus. »Andy!?« »Andy Peters«, wiederholte der Butler noch mal, »er wurde, wie Sie vielleicht schon wissen, auf der Geisterbahn des Mister Halloway erschossen!« »Er soll erschossen worden sein«, gab sie zurück, »aber seine Leiche hat man doch noch nicht gefunden, oder?« »Dies ist richtig und entspricht den Tatsachen«, gab der Butler höflich zurück. »Haben Sie Mister Andy Peters vielleicht etwas näher gekannt, Miß Fanters?« »Kaum«, sagte sie und wirkte plötzlich zurückhaltend, »warum wenden Sie sich nicht an seine Freundin, an Jane Cramp?« »Dies ist bereits geschehen«, erläuterte Parker, »aber auch Miß Cramp ist nicht in der Lage, die letzte Äußerung Mister Peters’ zu deuten?« »Letzte Äußerung?« »Bevor er starb, nannte er noch Sie, Miß Fanters, das heißt, um korrekt zu sein, er sprach von der Dame ohne Unterleib, was er sicher nicht absichtlich getan haben dürfte.« »Was hat er denn damit gemeint?« »Dies entzieht sich leider meiner Kenntnis. Könnte es sich um eine gewisse Ware gehandelt haben, die er Ihnen vor seinem Tod noch hatte zustecken können?« »Ich weiß von nichts«, sagte die Dame ohne Unterleib, »und von irgendeiner Ware schon gar nichts. Vielleicht haben Sie sich
nur verhört?« »Dies könnte in der Tat der Fall gewesen sein«, entschuldigte sich der Butler, »vielleicht erkundige ich mich noch mal bei Mister Halloway – ich bedanke mich für Ihre freundliche und hilfreiche Auskunft, Madam.« Er lüftete seine Melone und verließ die Dame ohne Unterleib, die ausgeprägte und durchaus einladende Hüften aufzuweisen hatte. * Parker bekam trotz mehrmaligen Klopfens keine Antwort. Entweder war Halloway nicht in seinem Wohnwagen, oder aber wollte nicht aufmachen. Parker bewegte den Knauf und stellte zu seiner Überraschung fest, daß Halloways Wohnwagen nicht verschlossen war. Also drückte er die Tür auf und betrat das Innere. »Mister Halloway! Mister Halloway!?« Keine Antwort. Parker durchmaß den vorderen Teil des Wohnwagens und schlug den Vorhang zum Schlafabteil zurück. Er blieb sofort wie erstarrt stehen. Auf dem breiten Bett lag Halloway. Doch er schlief keineswegs, er war eindeutig tot! Er schien aus nächster Nähe erschossen worden zu sein, wie die Schmauchspuren auf dem Hemd bewiesen. Der Schuß mußte sein Herz zerfetzt haben. Parker suchte nach einer Waffe, obwohl er im voraus wußte, daß er so etwas nicht finden würde. Von einem Selbstmord konnte keine Rede sein. Halloway war ermordet worden. Parker hatte seine Suche noch nicht ganz beendet, als er vor dem Wohnwagen schnelle Schritte hörte. Dann erklangen sie auf der Anstelltreppe, die hinauf in den Wohnwagen führte. Captain Madford baute sich breitbeinig vor dem Butler auf und sah ihn mit schiefem Blick an. »Schon zur Stelle?« fragte er dann. »Wie Sie sehen, Sir«, gab der Butler gemessen zurück, »darf man erfahren, ob man Sie anonym verständigt hat?« »Genau – Halloway soll erschossen worden sein!« »Dies entspricht den Tatsachen, Sir, wenn Sie sich bitte davon
überzeugen wollen.« McLean, der Mann, der wie ein Grislybär aussah, stampfte an dem Butler vorüber und befaßte sich mit Halloway. Madford steckte sich eine Zigarette an und winkte dann die Beamten der Mordkommission zu sich heran. »Ihr könnt anfangen«, sagte er mürrisch. Dann wandte er sich an Parker: »Und wie sieht’s mit Ihnen aus, Parker? Auch anonym angerufen worden?« »Nein, um wie stets bei der Wahrheit zu bleiben«, erwiderte der Butler, »es drängte mich, mit Mister Halloway einige Worte zu wechseln, was sich dann leider als unmöglich herausstellte.« »Und warum wollten Sie ihn sprechen?« »Ich wollte ihm eine Liste jener Städte vorlegen, Sir, in denen er mit seinen Schaubuden gastierte.« »Warum?« Madford war mißtrauisch geworden. Für seine Begriffe rückte der Butler zu schnell mit der Sprache heraus. Seiner Ansicht nach mußte das wieder mal einen Grund haben. »Ich war so frei, Sir, mir eine Theorie zurecht zu legen.« »Wie schön«, spottete Madford. »Nach dieser Theorie, Sir, nutzte Mister Halloway seine jeweiligen Gastspiele dazu aus, gewisse Transaktionen vorzunehmen.« »Transaktionen!?« Madford hüstelte leicht, womit er sich eigentlich schon verriet. Er wußte bereits anhand von Tatsachen, daß Parker auf dem richtigen Weg war. »Er scheint in den jeweiligen Städten ungesetzliche Maßnahmen durchgeführt zu haben«, tastete der Butler sich weiter vor. »Das muß man erst mal alles genau abklären«, sagte Madford ausweichend. »Das Schaustellerunternehmen dürften nur als Tarnung gedient haben«, riskierte der Butler sich einen Schritt weiter vor. »Hört sich zumindest nicht schlecht an«, wertete Madford Parkers Hinweis ab. »Und Andy Peters mußte sterben, weil er hinter Halloways Schliche kam«, schloß Parker. »Dann möchte ich nur wissen, warum Halloway jetzt ermordet wurde«, gab Madford sarkastisch zurück. »Weil Mister Halloway auf keinen Fall das Schlußglied dieses Falles ist«, fügte Parker großzügig an, »er scheint von der Person erschossen worden zu sein, die wir als den eigentlichen Hintermann und Drahtzieher bezeichnen sollten!«
* »Und wer käme Ihrer Ansieht nach dafür in Betracht?« fragte Sue Weston. Die Sekretärin, Rander und Parker befanden sich im Studio des Penthouse und gingen den Fall noch mal gründlich durch. Es war später Nachmittag geworden, und die Reklamelichter flirrten bereits von den Häuserfronten. »Die Auswahl dürfte nicht sonderlich groß sein«, erwiderte der Butler, »immer vorausgesetzt, daß alle Fäden auf dem Rummelplatz zusammenlaufen und daß Miß Weston sich nicht verhört hat, als der sterbende Mister Peters seine letzten Worte an sie richtete.« »Ich bin mir jetzt vollkommen sicher, daß er Leib sagte«, erklärte Sue mit Nachdruck. »Die Dame ohne Unterleib also«, erwiderte Rander nachdenklich, »hört sich fast zu gut an, finden Sie nicht auch?« »Was wollte Peters damit sagen?« gab Sue zu überlegen, »wollte er andeuten, daß Miß Fanters die bewußte Ware hat, oder wollte er damit sagen, daß sie die Chefin hinter Halloway ist und damit auch seine Mörderin?« »Das ist es«, entgegnete der junge Anwalt, »welche Rolle spielt diese Dame ohne Unterleib? Welchen Eindruck hatten Sie von ihr, Parker?« »Ich möchte mich lieber auf den Eindruck verlassen, den Miß Jane Cramp von ihr hat«, sagte der Butler, »wenn Sie erlauben, Sir, würde ich mich gern mit Miß Cramp in Verbindung setzen.« Er ging ans Telefon und wählte eine Nummer. Auf der Gegenseite wurde abgehoben. Die Rezeption des kleinen Hotels, in dem Parker Miß Cramp untergebracht hatte, meldete sich. Aber sie war nicht in der Lage, den Butler mit der gewünschten Person zu verbinden. »Sie hat das Hotel vor etwa einer halben Stunde verlassen«, berichtete der Butler, als er den Hörer auflegte, »was ich übrigens ungemein bedaure, Sir. Mir scheint, daß Miß Cramp ein Rendezvous mit dem Tod sucht!« »Falls Sie nicht der Drahtzieher ist, nach dem wir suchen«, gab Rander zu bedenken.
* Parker ließ sein hochbeiniges Monstrum auf einem der vielen Parkplätze vor dem Lunapark stehen und ging zu Fuß weiter. Es war inzwischen dunkel geworden, und er wollte sich den riesengroßen Rummelplatz noch mal gründlich aus der Nähe ansehen. Er wußte inzwischen mehr. Mike Rander hatte dank seiner erstklassigen Verbindungen eine wichtige Tatsache erfahren: in allen Städten, die auf Stintons Liste verzeichnet waren, hatten unbekannte Täter mehr oder weniger große Raubüberfälle begangen. Einmal war der Lohngeldtransport einer Wäscherei gestoppt und ausgeraubt worden, dann hatte man eine Bank leergeräumt und dann wieder das Büro eines Immobilienmaklers überfallen. Die durchschnittliche Beute betrug pro Stadt etwa 30.000 bis 50.000 Dollar. In allen Fällen hatte die Polizei keine Spur ausfindig machen können. Damit war Parkers Theorie bereits bestätigt worden. Halloways Schaubudenunternehmen waren nichts anderes als eine Tarnung für seine Arbeit als Gangsterchef. Und seine Angestellten – oder wenigstens einige davon – bildeten seine Bande. Soweit war alles klar. Blieb die Frage, warum jetzt Halloway erschossen worden war. Hatte er tatsächlich für einen geheimnisvollen und unbekannten Drahtzieher gearbeitet, der ihn sich jetzt vom Hals geschafft hatte? Oder lag der Fall wesentlich einfacher? War Halloway von einem seiner Bandenmitglieder erledigt worden? Parker schlenderte gemessen und würdevoll über den Lunapark und ließ die ausgelassene Atmosphäre auf sich einwirken. Es roch nach Staub, nach Schweiß, nach gebratenen Würsten und nach heißem, verbrannten Fett. Darüber lagerte sich die Kakophonie der durcheinanderwirbelnden Musikfetzen ab, die aus ungezählten Lautsprechern in das grelle Licht der Reklamen hineindröhnte. Vor dem Zelt der Dame ohne Unterleib blieb er stehen. Miß Hazel Fanters saß hinter einem Tisch, über dem ein schmales Tuch lag, der den Blick auf die Beine eigentlich hätte freigeben müssen. Doch diese Beine waren nicht zu sehen. Man sah unter dem Tisch hindurch und suchte vergeblich. Hazel Fanters hielt ein mit einem weißen Tuch umwickeltes Mik-
rophon in der Hand und versuchte Neugierige in ihre Schaubude zu locken. Die Dame ohne Unterleib versprach Sensationen am laufenden Band, unter anderem die Präsentation einer echten Haremsdame, einen erotischen Bauchtanz und einen Striptease, den man angeblich noch nie vorher gesehen hatte. Josuah Parker schob sich durch die spärliche Menge bis dicht an das Podium heran und baute sich vor der Dame ohne Unterleib auf. Er lüftete höflich seine schwarze Melone. Miß Hazel Fanters erkannte ihn sofort. Sie nickte ihm unmerklich zu und dröhnte dann wieder ins Mikrophon. Ihr schien eingefallen zu sein, daß ein echter Fakir sich die Zunge durchbohren würde. * Die Unternehmen Mister Halloways waren geschlossen. Wie häßliche und abstoßende Fremdkörper lagen die dunklen Schaubuden zwischen den Lichtkaskaden. Nach Halloways Ermordung hatte sich bisher wohl niemand gefunden, der den Betrieb aufrechterhielt. Parker wechselte die Front der Schaubuden und wandte sich dem Boxzelt zu, unter dessen Zeltdach es hoch hergehen mußte. Man hörte begeisterte Schreie, Johlen, Stampfen und schrille Pfiffe. Parker ging zum Kassenschalter und kaufte sich eine Eintrittskarte. Mister Feather erkannte ihn ebenfalls sofort und lächelte ihm aufmunternd zu. »Wir fangen gleich an«, sagte sie. »Sie können sich den Platz aussuchen, der Ihnen am besten gefällt.« Parker betrat das Zelt und blieb überrascht stehen. Von einem massierten Publikum konnte nun wirklich keine Rede sein. Auf den einfachen Holzbänken langweilten sich etwa zwei Dutzend Zuschauer, die alle schon mehr oder weniger angeheitert waren. Parker entdeckte die Lautsprecher, die den begeisterten Lärm ausstießen und ging dann hinüber zu einem Vorhang, den er zur Seite schlug. Hinter dem Vorhang gab es so etwas wie eine Garderobe der Faustkämpfer.
Joe, der Riese aus der Vorzeit, bereits in kurzer Boxerhose und Tennisschuhen, saß müde auf einem Klappstuhl und mampfte ohne jede Begeisterung an einem Apfel. Der Gnom saß auf einem umgestülptem Eimer und blätterte in einer Zeitung. »Ich möchte Ihre Kampfvorbereitungen auf keinen Fall stören«, entschuldigte sich der Butler und lüftete höflich seine schwarze Melone, »darf ich damit rechnen, Sie, Mister Joe, bald im Ring sehen zu können?« Jim und Joe hatten ihn längst überrascht angestarrt. »An Ihrer Stelle würde ich nicht warten«, meinte der Gnom dann lächelnd, »hier bei uns ist nichts mehr los. Sieht so aus, als müßten wir bald dichtmachen!« »Gehen die Geschäfte so schlecht?« wunderte sich der Butler. »Noch schlechter«, sagte Jim, der Gnom, »aber Mrs. Feather will nicht einsehen, daß mit der Boxerei nichts mehr zu holen ist. Die Leute sind vom Fernsehen zu sehr verwöhnt.« »Vielleicht kann Mrs. Feather jetzt in die Unternehmen einsteigen, die nach Mister Holloways Tod freigeworden sind.« »Ein guter Vorschlag, wenn’s nicht zu teuer wird.« Jim nickte, als fände er diesen Vorschlag ausgezeichnet. »Oder Madam sollte es mal mit einer Dame ohne Unterleib versuchen«, tippte der Butler an. »Daran glaubt doch kein Provinzidiot mehr«, knurrte Joe, der Riese. Das heißt, er fistelte und seine Stimme klang wie berstendes Glas. »Waren Andy Peters und Miß Fanters gut miteinander befreundet?« erkundigte sich der Butler. »Auf keinen Fall! Dafür hätte schon Jane gesorgt…« »Jane Cramp!?« fragte der Butler sicherheitshalber. »Jane«, wiederholte der Gnom noch mal mit seiner sonoren sympathischen Stimme. »Sie hatte Andy die Augen ausgekratzt!« * Parker hatte das Boxzelt verlassen, wo der Trübsinn sich noch gesteigert zu haben schien. Er nickte Mrs. Feather zu und ließ sich noch mal vor der Dame ohne Unterleib sehen. Sie wurde gerade auf einem fahrbaren Gestellt, unter das man
hindurchsehen konnte, zurück ins Zelt gerollt. Dafür erschien auf dem Podium eine etwas angefettete Haremsdame, die gut und gern ihre vierzig Jahre auf dem Speckrücken haben mußte. Der Bauchtanz, den sie zeigte, ließ die kleinen Speckröllchen in Hüftnähe in bedrohliches Zittern und Schwabbeln geraten. Die durchsichtige Pumphose, die an den Fußknöcheln geschlossen war, schrie unhörbar nach zwei Weißmachern. Parker blieb nicht lange stehen. Er schlenderte weiter und näherte sich wieder dem Wachsfigurenkabinett, von dem er magnetisch angezogen wurde. Das Zelt lag dunkel, verschlossen und irgendwie abweisend in der Front der schreiend bunten Rummelplatzbuden. Die Zuschauer und Neugierigen schoben sich an diesem dunklen Block vorbei, fast sah es so aus, als hätten sie es plötzlich eilig. Parker verschwand durch eine Budengasse nach hinten und sondierte die Lage. Als er gerade nach einem Zugang suchte, hörte er deutlich hinter der Zeltwand ein unterdrücktes Geräusch, das wie ein leiser Aufschrei klang. Parker handelte augenblicklich. Er holte einen Patent-Kugelschreiber aus einer der. vielen Westentaschen, schraubte die Kappe ab und hielt damit ein Trennmesser in der Hand, das die Schärfe einer Rasierklinge glatt in den Schatten gestellt hätte. Parker schlitzte sich ungeniert einen Zugang in die Zeltleinwand und betrat das Wachsfigurenkabinett. Er wartete einen Moment, bis seine Augen sich an die Dunkelheit gewöhnt hatten. Dann schritt er vorsichtig aus und näherte sich den Wachsfiguren. Als er die Königin Elizabeth von England passierte, holte sie plötzlich und wenig fein mit ihrem Szepter aus und donnerte es Parker auf die Melone. Beeindruckt davon, daß seine Königin sich mit ihm befaßte, ging der Butler daraufhin erst mal in die Knie. * Parker blieb nicht lange beeindruckt. Im Grund war er nur etwas angeschlagen und hatte sein Be-
wußtsein nur für wenige Minuten verloren. Als er wieder zu sich kam. merkte er mit Mißfallen, daß die Königin Elizabeth ziemlich hart zugelangt hatte. Seine Melone war ihm tief in die Stirn getrieben worden. Er nahm sich vor, der Queen bei Gelegenheit einige deutliche Worte zu sagen. Vorerst wurde der Butler aber fasziniert von dem Richtblock, über den man ein junges Mädchen gezerrt hatte. Dieses Mädchen trug eine Art Haremskostüm, das ziemlich zerfetzt war. Die Hände des Mädchens waren nicht deutlich zu sehen, denn seitlich neben dem Block stand ein Turm von einem Henker. Er war entweder von Natur tiefschwarz, oder er hatte sich ein schwarzes Trikot übergestreift. Einzelheiten konnte Parker wegen der schlechten Lichtverhältnisse nicht ausmachen. Er hatte übrigens längst herausgefunden, daß er sich nicht so bewegen konnte, wie er es vielleicht getan hätte. Man hatte ihm die Hände auf dem Rücken zusammengebunden. Zu seiner echten Freude übrigens mit einem Strick. Parker beugte sich etwas vor, um besser zu sehen. Vor der über dem Richtblock liegenden Haremsdame erschien plötzlich eine Bekannte. Es handelte sich um die Dame ohne Unterleib, die jetzt allerdings auf ihren sehr ausgeprägten Beinen stand. Sie baute sich vor der Haremsdame auf und fragte mit scharfer Stimme, wo Andy die Ware versteckt habe. Jetzt ging dem Butler ein Licht auf. Die Haremsdame auf dem Richtblock war Jane Cramp, die Freundin des ermordeten Andy Peters! »Ich laß dir den Kopf abschlagen, wenn du nicht redest«, warnte die Dame ohne Unterleib. Sie brauchte nicht zu befürchten, draußen vor dem Zelt gehört zu werden. Selbst hier im Wachsfigurenkabinett herrschte ein Lärm, der die Trommelfelle in stetiger Vibration hielt. War der Henker hinter Jane Cramp echt? Parker wußte es nicht mit Sicherheit zu sagen. War er beim ersten Besuch des Kabinetts bereits schwarz gewesen? Auch darauf wollte und konnte der Butler sich nicht festlegen. Er beobachtete diesen Henker sehr scharf. Er hielt das Richtbeil in beiden Händen, die er bereits halb über
dem Kopf hochhielt. Richtig, diese Hände und Arme zitterten ein wenig und bewegten sich. Der Henker in Schwarz war also aus Fleisch und Blut! Jane Cramp, mochte der Teufel wissen, mit welchem Trick man sie gefunden hatte, Jane Cramp also auf dem Richtblock schüttelte den Kopf. Wahrscheinlich wollte sie damit andeuten, daß sie nichts zu sagen hatte. Daraufhin nickte die Dame ohne Unterleib dem schwarzen Henker zu, der sein Richtbeil nach unten sausen ließ. Doch dicht über dem Nacken von Jane Cramp stoppte er die Fallbewegung, sorge dann aber dafür, daß sie die Kälte des Stahls auf ihrem Nacken zu spüren bekam. »Ich gebe dir genau zwei Minuten Zeit«, sagte die Dame ohne Unterleib jetzt zu Jane Cramp, »dann laß ich dir den Kopf abschlagen! Dann kenne ich keine Gnade mehr!« Parker hatte also nur noch zwei Minuten Zeit. Er beschäftigte sich mit seinen Handfesseln, die seine Gelenke eng zusammenschnürten. Dennoch hatte er eine Chance, sich aus eigener Kraft zu befreien. Parker hatte die Rückenpartie seines schwarzen Zweireihers bis zu den Hosenträgern hochgeschoben. Sehr diskret, das man verstehen wird. Am Steg, in den die beiden Träger zusammenliefen, befand sich eine Art Grat, der nicht höher war als höchstens einen halben Zentimeter. Dieser Grat bestand selbstverständlich aus einem erstklassigen Spezialstahl, der scharf geschliffen war. Parker mußte sehr aufpassen, daß er sich jetzt nicht die Haut von den Händen trennte. Dieser geschliffene Grat war für Fesseln aller Art bestimmt. Es handelte sich dabei um eine typische Parker-Erfindung. Der Butler ließ sich jetzt nicht stören, als die Dame ohne Unterleib zu ihm herüberkam und sich vor ihm aufbaute. »Überrascht?« fragte sie fast stolz. »Eigentlich nicht«, widersprach der Butler, »Mister Peters’ Hinweis auf Ihren Leib war wohl deutlich genug, Miß Fanters!« »Aber vorerst sind nur Sie mir auf der Spur«, sagte Miß Fanters lächelnd, »die Polizei wird es nicht schaffen. Und was dieses Mädchen und Ihren Arbeitgeber angeht, so werde ich dafür sorgen, daß sie keinen Ärger machen können!« »Sie meinten sicher Miß Sue Weston, nicht wahr?« »Richtig… Diesmal wird die Falle klappen. Sie und Ihr Chef wer-
den sich überschlagen, um Ihnen zu helfen. Ich werde das arrangieren und sie in die Grube fallen lassen.« »Sie drücken sich deutlich und plastisch zugleich aus. Was, wenn ich fragen darf, Miß Fanters, möchten Sie jetzt von Miß Cramp in Erfahrung bringen?« »Wo Andy Peters die Ware hat…« »Sie meinen die Beute des letzten Raubzuges, nicht wahr?« »Richtig«, sagte Miß Fanters. Die Dame ohne Unterleib schaute kurz zum Richtblock hinüber. »Peters war zu neugierig. Er kam Halloway auf die Schliche, als er in Detroit Lohngelder absahnte. Andy ließ den Koffer mit der Beute verschwinden. Er muß ihn aus dem Wohnwagen von Halloway gestohlen haben.« »Es muß sich um einen ansehnlichen Gewinn gehandelt haben, nicht wahr?« »Immerhin 65.000 Dollar«, sagte die Dame ohne Unterleib, »und auf solch, eine Summe verzichtet man nicht einfach. Zudem hätte Andy Peters uns bestimmt bei der Polizei verpfiffen…« »… und die Beute behalten?« »Keine Ahnung… Vielleicht, vielleicht auch nicht, aber das ist jetzt nicht wichtig.« »Mich würde es interessieren, wie sie Miß Cramp in den Lunapark gelockt haben.« »Sie kam freiwillig. Wahrscheinlich wollte sie sich den Koffer mit den 65.000 Dollar unter den Nagel reißen. Sie lief mir direkt in die Arme.« »Wer konnte denn auch schon ahnen, Miß Fanters, daß Sie die Drahtzieherin von Mister Halloway waren.« »Sie ahnte es bestimmt nicht.« »Wie kam es zu dieser Zusammenarbeit mit Halloway?« »Wir kannten uns von früher«, sagte die Dame ohne Unterleib, »ich machte ihm den Vorschlag, und Halloway ging sofort darauf ein, er war völlig abgebrannt…« »Und warum ermordeten Sie ihn?« »Weil die Polizei oder Sie früher oder später auf ihn gestoßen wären. Oder es bereits sind. Er hätte vielleicht reden können.« »Was Sie auch von Cardigan befürchteten, nicht wahr?« »Richtig, wenn Sie nichts dagegen haben! Cardigan wollte nach der Panne draußen in der Fertigbauhalle aussteigen. Ich durfte das nicht zulassen!« »Blieb noch die Leiche von Andy Peters«, sagte Parker, der es
natürlich genau wissen wollte. »Andy Peters wird heute aus dem Lunapark gebracht«, sagte die Dame ohne Unterleib und wandte sich wieder zu den Wachsfiguren um, »sehen Sie sich mal da drüben den Astronauten an!« »Oh… Ich verstehe!« »Besser hätten wir ihn doch überhaupt nicht verstecken können«, sagte die Dame ohne Unterleib, »und kein Mensch wird etwas ahnen, wenn ich diese Wachspuppe auf den Müll schaffen lasse, oder?« »Sobald man Sie verhaftet hat, muß man Sie unbedingt in die Obhut eines Psychiaters geben«, sagte Parker, »mir scheint, daß Sie das haben, was man einen seelischen Defekt nennt.« Sie starrte ihn an und sagte nichts. »Zuerst, Parker… Schlag ihm den Kopf ab«, schrie sie dann dem Henker zu. Sie trat zur Seite, als der Henker auf Parker zuschritt, langsam, schwerfällig und stumpf wie ein Roboter. Parker fühlte sich daraufhin, veranlaßt, etwas für seine Gesundheit zu tun, zumal er seine Hände inzwischen wieder frei hatte. * Er warf sich gegen Heinrich VIII. der aus dem Gleichgewicht geriet und Cäsar belästigte. Cäsar, nicht sehr sicher auf seinen Beinen, rutschte gegen Madame Kennedy, die ihrerseits die Pompadour rammte. Beeindruckt davon fiel die Mätresse einem gewissen Mister Churchill um den Hals, der sich postwendend vor die Füße des Henkers legte. Dies alles geschah mit erstaunlicher Schnelligkeit. Parker hatte seinen Universal-Regenschirm bereits in der Hand, als die Dame ohne Unterleib verduften wollte. Wie durch Zauberei war plötzlich der Gnom vor ihr und rollte sich zu einer Kugel zusammen. Die Dame ohne Unterleib stolperte sehr real und klatschte mit dem Kopf gegen den Richtblock. Sie rutschte haltlos an ihm herunter und blieb regungslos auf dem Bretterboden liegen. Der Henker hatte sich hochgerappelt und schwang sein Beil wie
ein Krieger aus dem Mittelalter. Joe, der Riese, stand plötzlich seitlich neben ihm und verpaßte ihm einen klassisch schönen Schwinger. Der schwarze Riese flog durch die Luft, verlor unterwegs seih Beil und landete ausgerechnet auf der halb liegenden Cleopatra, die dabei war, sich mit dem Biß einer Schlange, die sie in ihrer Hand hielt, zu töten. Sie brauchte die Schlange nicht mehr. Sie platzte unter der Wucht des Aufpralls förmlich auseinander und hatte es endlich geschafft, sich zu entleiben. * »Bevor man die Polizei holt, Mrs. Feather, sollten wir vielleicht noch einige Dinge regeln.« Mrs. Feather war im Wachsfigurenkabinett erschienen und hatte sich den Henker und Miß Fanters angesehen. Beide waren gebunden und konnten kein Unheil mehr anrichten. Jane Cramp hatte sich inzwischen beruhigt und erholt. Sie nippte an einem Drink, den Joe, der Riese, ihr besorgt hatte. »Welche Dinge sollten wir regeln?« fragte Jim, der Gnom. Seine sehr intelligenten und wachen Augen sahen den Butler prüfend an. »Es geht um einen Koffer mit 65.000 Dollar Inhalt«, schickte der Butler voraus, »dieses Geld wurde gestohlen. Einzelheiten später… Ich bin fest davon überzeugt, daß der ehrliche Finder mit einer beachtlichen Prämie als Finderlohn rechnen dürfte.« Der Gnom sah Mrs. Feather an. »Meinen Sie?« sagte er dann. »Ich bin sicher«, sagte Parker, »vielleicht sind Sie so nett, Mister Jim diesen Koffer schnellstens zu finden. Weit kann er ja nicht sein.« »Sind Sie auch sicher, daß wir nur als Finder angesehen werden?« wollte der Gnom wissen. »Vollkommen sicher, Mister Jim.« »Das schöne Geld!« seufzte der Gnom, nickte aber zustimmend, »wir hätten es heute ohnehin der Polizei übergeben, Mister Parker.« »Selbstverständlich«, gab der Butler gemessen zurück, »ich zweifle nicht eine einzige Sekunde daran. Wann und wo fanden
Sie den Koffer? Das heißt, die Frage nach dem wann sollten wir streichen.« »Ich werde den Koffer gleich unter einem Bretterstapel finden«, entgegnete der Gnom, »dort muß Andy Peters ihn knapp vor seiner Ermordung versteckt haben.« »Damit dürften sich alle Fragen geklärt haben«, meinte der Butler, »und Sie, Miß Cramp, brauchen nun auch nicht mehr nach dem bewußten Koffer zu suchen, nicht wahr?« »Vielleicht dreht man automatisch durch, wenn es sich um soviel Geld handelt«, sagte sie elegisch, »aber es lohnt sich nicht, sich dafür umbringen oder einsperren zu lassen!« »Goldene Worte«, bestätigte Parker, »ich denke, daß mein Besuch hier auf dem Lunapark damit sein Ende gefunden hat. Sie erlauben, daß ich gleich die Polizei verständige, nicht wahr?« »Soll er wirklich?« erkundigte sich Joe, der Riese bei seinem kleinen Freund. »Laß ihn«, meinte Jim, der Gnom. »Fundsachen muß man eben abgeben. Vor allen Dingen dann, wenn man weiß, wer sie hat! Vielen Dank übrigens, Mister Parker!« »Dank? Wofür?« »Für Ihre Beratung«, meinte der Gnom lächelnd, »können wir vielleicht noch etwas für Sie tun?« »Okay«, sagte der Butler, »ich wurde von meiner Königin nachdrücklich niedergeschlagen. Wie konnte das geschehen?« »Die Fanters hatte Sie erwartet und war in das Kostüm der Königin geschlüpft«, gab Jim Auskunft. »Ich dachte es mir schon fast.« Der Butler lächelte andeutungsweise. Dann deutete er auf den schwarzen Henker. »Und jener Herr?« »Der Eunuch der Dame ohne Unterleib«, sagte der Gnom und schmunzelte anzüglich, »mit der Kopie aus Wachs hätte Miß Fanters sich niemals zufrieden gegeben!« Parker lüftete seine schwarze Melone und verließ das Wachsfigurenkabinett. Er hatte es plötzlich eilig. Ihm war eingefallen, daß Sue Weston und Mike Rander in etwa fünfzig Minuten dinieren wollten. Es wurde Zeit, daß er dazu seine Vorbereitungen traf. Ein Josuah Parker wollte sich niemals Nachlässigkeit oder Desinteresse vorwerfen lassen. Was er tat, tat er mit ganzem Herzen! ENDE
Die nächsten Butler-Parker-Storys von Günter Dönges erscheinen als Nr. 127 PARKER klopft dem »Paten« auf die Finger (Heft-Erstdruck) und Nr. 96 Das Girl mit dem Striptease-Trick (Neuauflage)