Parker pokert mit Pistolen Ein neuer Butler-Parker-Krimi mit Hochspannung und Humor von Günter Dönges „Das ist doch nie...
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Parker pokert mit Pistolen Ein neuer Butler-Parker-Krimi mit Hochspannung und Humor von Günter Dönges „Das ist doch niemals eine Straße, Mr. Parker“, stellte Lady Simpson mißbilligend fest. „Das ist ein Kanal!“ „Diesem Eindruck kann man sich in der Tat kaum verschließen, Mylady“, gab Josuah Parker gemessen zurück. Er saß am Steuer seines hochbeinigen Monstrums und lenkte das Gefährt vorsichtig durch Schlaglöcher und Pfützen. „Sie haben sich verfahren, Mr. Parker.“ Lady Simpson schob ihren Kopf prüfend an die Wagenscheibe und versuchte etwas zu erkennen. Doch das war einfach unmöglich. Riesige Wassermassen ergossen sich vom nächtlichen Himmel. Die Scheibenwischer auf der Frontscheibe hatten Mühe, Parker etwas Sicht zu verschaffen. Ein schlimmeres Unwetter hätte man sich kaum vorstellen können. Myladys Anspielung auf einen Kanal, in dem man sich laut ihrer Behauptung befand, war nicht von der Hand zu weisen. Zu beiden Seiten der schmalen Straße stiegen Böschungen steil an. Gelbbraunes Schmutzwasser ergoß sich in Strömen über den Weg. Falls ein Ruderboot erschienen wäre, hätte Butler Parker sich kaum gewundert. »Sie haben sich verfahren«, wiederholte die Lady eigensinnig. »Mitnichten, Mylady, wenn ich widersprechen darf.« Parker keß sich nicht aus der Ruhe bringen. Das Zusammenleben mit Lady Agatha Simpson hatte seinen an sich schon starken Nerven den letzten Schliff gegeben. »Diese unangenehme Passage dürfte bald überwunden sein.« »Wir werden noch ertrinken«, unkte Lady Simpson weiter und wandte sich dann ihrer Begleiterin zu. »Warum sa-
gen Sie nichts, Kindchen? Ist es Ihnen vollkommen gleichgültig, wie wir enden werden?« Kathy Porter lächelte nur. Sie war schon seit Jahren Myladys Sekretärin und Gesellschafterin. Die langbeinige, junge Frau, äußerst attraktiv anzusehen, wußte nur zu gut, wie temperamentvoll die ältere Dame war. Lady Simpson war ungemein aktiv und eigentlich nie zu bremsen. Kathy Porter wußte, daß Mylady diese Ausfahrt im Grunde genoß. Eine glatte Fahrt bei strahlender Sonne hätte sie bestimmt nur gelangweilt. »Da ist ja ein Schild«, stellte Kathy Porter fest. Sie hatte ihren Satz noch nicht beendet, als Josuah Parker seinen hochbeinigen Wagen anhielt. Er konnte trotz der voll eingeschalteten Scheinwerfer die Aufschrift auf dem Wegweiser nicht erkennen. Die drei Richtungs-
schilder waren verwittert und verwaschen. Parker griff nach seiner Taschenlampe, schaltete sie ein und beleuchtete damit das Wegekreuz. »Nach rechts«, ließ Lady Agatha sich energisch vernehmen. »Wolverton House liegt rechts, Mr. Parker.« »Nach meinen bescheidenen Informationen, Mylady, die ich vor Antritt der Fahrt aus einer Straßenkarte schöpfte, muß es nach links gehen.« »Papperlapapp, Mr. Parker. Können Sie denn nicht lesen? Es geht nach rechts weiter.« »Mylady dürfen versichert sein, daß ich nur ungern zu widersprechen wage, aber...« »Bringen Sie meinen Kreislauf nicht in Unordnung«, grollte Lady Simpson. »Es geht nach rechts weiter.« »Wie Mylady befehlen.« Parker schaltete seine Taschenlampe aus, befestigte sie wieder in der Halterung am Armaturenbrett und ließ sein hochbeiniges Monstrum wieder anrollen. Er fuhr also nach rechts weiter, obwohl er nach wie vor anderer Meinung war. In Anbetracht der späten Stunde wollte er sich auf keine weitere Diskussion einlassen. Er schloß zudem auch nicht aus, daß er sich vielleicht doch getäuscht haben könnte. Behutsam ließ er den Wagen über die schmale Straße rollen, die jetzt ein wenig anstieg. Sie wurde erfreulicherweise auch erheblich besser. Die Anzahl der tiefen Schlaglöcher und Wasserlachen verminderte sich zusehends. »Warum kriechen Sie wie eine Schnecke?« beschwerte sich Lady Simpson wieder. »Soll ich Sie ablösen, Mr. Parker? Sie scheinen sich ein wenig übernommen zu haben.«
»Auf keinen Fall, Mylady!« Parkers Stimme bekam einen panischen Unterton. Er kannte die Fahrkünste Lady Simpsons nur zu gut. Saß sie am Steuer eines Gefährts, gleich welcher Bauart, verwandelte sie sich augenblicklich in eine Todesfahrerin. Myladys Verhältnis zur Technik war mehr als unbefangen. Sie konnte sich wahrscheinlich gar nicht vorstellen, daß selbst die perfekteste Technik nicht fehlerlos war. Hinzu kam dann leider noch eine erhebliche Selbstüberschätzung. Im Gegensatz zu ihrer Umwelt hielt Lady Agatha sich selbst für eine gute Fahrerin. Um Lady Simpson vom Steuer fernzuhalten, steigerte der Butler die Geschwindigkeit, obwohl gerade in diesen Sekunden der Regen noch dichter wurde. Er verschluckte das Licht der voll eingeschalteten Scheinwerfer und gaukelte Parker eine wahre Wand aus Wasser vor. Er näherte sich mit dem hochbeinigen Monstrum einer Biegung, die um einen Hügel herumführte. Parker bremste ab, schaltete herunter und ließ den Wagen um die Biegung rutschen. Vor ihm lag jetzt eine Gerade. Um sie auszuleuchten, schaltete der Butler den Spezialsuchscheinwerfer ein. Der grelle Lichtfinger fraß sich durch die vom Himmel stürzenden Wassermassen und erfaßte plötzlich die Rückseite eines Lastwagens, auf dessen Ladefläche ein Öltank befestigt war. Der Lastwagen am Ende der Geraden bot ein Hindernis, das völlig unpassierbar war. Die Breite des Lasters füllte die schmale Straße vollständig aus. »Eine Unverschämtheit«, ließ Lady Simpson sich vernehmen. »Der Wagen
hat noch nicht einmal die Rücklichter eingeschaltet.« »Und kommt direkt auf uns zu.« Kathy Porters Stimme verriet Überraschung und Bestürzung. Parker hatte seinen Wagen bereits angehalten und musterte mißtrauisch den Lastwagen, der sich tatsächlich in Bewegung gesetzt hatte. Immer schneller werdend, rollte er auf sie zu. Es wurde höchste Zeit, etwas zu unternehmen. Parker reagierte mit der Präzision eines programmierten Roboters. Und das war gut so, denn es ging um Sekunden, wenn er und seine Mitreisenden von dem Laster nicht zermalmt oder von der Straße gefegt werden wollten. Der Butler legte den Rückwärtsgang ein, gab Vollgas und zuckte mit keiner Wimper, als genau in diesem Augenblick vom Laster aus eine gleißend helle Feuerzunge blitzschnell auf das Monstrum zujagte. * Josuah Parker war ein Meisterfahrer. Er hatte sich halb umgewendet und steuerte sein hochbeiniges Monstrum in einem wahnwitzigen Tempo zurück zur Biegung. Falls er es schaffte, sie zu erreichen, war die erste Gefahr gebannt. Die Feuerzunge erwies sich als ungeheuer schnell. Sie holte auf und ließ selbst Lady Simpson vor Erregung keuchen. Kathy Porter hatte sich vorgebeugt und fixierte die Feuerschlange. Dann drehte sie ihren Kopf zurück und versuchte herauszubekommen, wie weit es noch bis zur Biegung war. Kathy war entsetzt.. Von der Straße war kaum etwas zu sehen und von der Biegung gar nichts
mehr. Es war Kathy ein Rätsel, wieso Parker sich mit dem Wagen überhaupt noch auf dem richtigen Weg befand und woher er wußte, welchen Kurs er zu steuern hatte. »Wir werden es nicht schaffen«, erklärte Lady Simpson mit sichtlich belegter Stimme. »Mylady erlauben, daß ich mir die Kühnheit nehme zu widersprechen«, antwortete Parker höflich und mit einer Stimme, die eiserne Selbstbeherrschung verriet. Im gleichen Moment riß er das Steuer herum, fing den wegrutschenden Wagen ab und brachte ihn wieder auf festen Untergrund. Natürlich war Parker vollkommen klar, daß ihre Chancen nicht besonders groß waren. Er konnte tatsächlich nicht mehr viel sehen. Die beiden Rückscheinwerfer lieferten nicht ausreichend Licht. Und die breite Feuerschlange, die so ungewöhnlich grell war, raste immer näher auf sie zu. Da Parker beschäftigt war, konnte er sich nicht weiter um den Lastwagen kümmern. Parker trat mit aller Kraft auf das Bremspedal, doch diesmal verzichtete Lady Agatha auf jeden Kommentar. Sie beobachtete nur die Feuerwalze, zu der die gleißend-helle Schlange jetzt geworden war. Sie befand sich ihrer Schätzung nach nur noch knapp zehn Meter vor dem Kühler des Monstrums. Nein, sie würden es nicht mehr schaffen. Insgeheim bedauerte Lady Simpson, so hartnäckig auf diesem Weg bestanden zu haben. Er hatte direkt in die Katastrophe geführt, wie sich jetzt zu beweisen schien. Parker ließ durch Gegenlenken den Wagen herumdriften, gab wieder Vollgas und hielt dann an.
»Sind Sie wahnsinnig, Mr. Parker?« Lady Simpsons Stimme war inzwischen nicht mehr belegt, sondern schon heiser. »Warum halten Sie an?« »Die Gefahr, Mylady, dürfte meiner bescheidenen Ansicht nach gebannt sein.« Parker deutete mit seiner rechten Hand fast lässig auf die Feuerwand, die jetzt die Biegung erreicht hatte, doch die Kurve nicht nehmen konnte. Sie stürzte lotrecht weiter und hüpfte dann über den Steilhang weiter nach unten. »Puh«, stieß Kathy Porter hervor und holte tief Luft. »Das war sehr knapp.« »Nun übertreiben Sie mal nicht, Kindchen«, sagte Lady Simpson. »Ich wäre vielleicht noch etwas schneller gewesen. « »Gewiß, Lady Simpson«, antwortete Kathy Porter und lächelte bereits wieder. So war sie nun einmal, Lady Agatha Simpson. Sie wußte alles besser und mußte kritisieren. Wahrscheinlich waren solche Behauptungen nur eine Art Ventil, um >inneren Dampf < abzulassen. »Der Lastwagen, Mylady«, meldete der Butler gemessen. Lady Simpson und Kathy Porter beugten sich vor und beobachteten den Wagen, dessen aufgeschraubter Kastentank lichterloh brannte. Diese riesige Fackel hatte die Biegung erreicht und schoß mit großer Fahrt über den Straßenrand hinweg nach unten auf den Steilhang. Sekunden später war eine Detonation zu hören. * »Wenn Mylady gestatten, möchte ich dem abgestürzten Tankwagen meine bescheidene Aufmerksamkeit widmen.« »Aber beeilen Sie sich«, verlangte
Lady Agatha. »Ich möchte endlich meinen Tee nehmen.« . »Damit kann- ich selbstverständlich dienen, Mylady.« Der Butler griff nach einem Bastkorb, der neben ihm im Wagen stand, öffnete den Deckel und holte eine Thermosflasche hervor. Da er den äußerst schwachen Kreislauf Lady Simpsons kannte, hatte er für jede Fahrt sicherheitshalber einen französischen Cognac mitgenommen. »Das mache ich schon, Mr. Parker«, schaltete Kathy Porter sich ein, als Parker den Cognac servieren wollte. »Laufen Sie nicht in die nächste Falle, Mr. Parker«, warnte die Lady, als Parker den Wagen verlassen wollte. »Eine Falle, Mylady?« Parker sah Lady Agatha ernst und gemessen an. »Haben Sie das noch nicht herausgefunden?« wunderte sich Lady Simpson. »Das wundert mich aber doch sehr, Mr. Parker.« »Mylady haben Tatbestände entdeckt, die diese Annahme rechtfertigen?« »Mein gesunder Menschenverstand«, sagte die Lady energisch.« Es kann doch kein Zufall gewesen sein, daß der Lastwagen ausgerechnet dort oben auf der Geraden stand, oder? « »Über diesen Punkt werde ich ein wenig nachdenken«, versprach der Butler. Er griff nach seinem UniversalRegenschirm und öffnete ihn. Es war erstaunlich, daß dieses Gerät tatsächlich auch gegen Regen schützte. Normalerweise war dieser Schirm nichts anderes als ein geschickt getarntes Schießgerät, mit dem der Butler Blasrohrpfeile durch die Lüfte schicken konnte. Er rückte seine schwarze Melone zurecht und schloß dann die Wagentür
hinter sich. Der Wind griff sofort nach seinem Covercoat, den er trug. Regen peitschte auf den Schirm. Der Butler stemmte sich gegen den Sturm und ging dann gemessen zur Biegung. Der Lastwagen brannte noch, obwohl der Regen in Sturzbächen vom Himmel rauschte. Er lag gut und gern fünfzig bis sechzig Meter unten auf dem Steilhang. Im Feuerschein war nicht zu erkennen, ob dort unten menschliches Leben war. Parker mußte also notgedrungen absteigen und sah sich nach einem geeigneten Weg um. Er fand eine Art Pfad, nur wenige Fuß breit, der in steilen Serpentinen nach unten führte. Der Butler stieg ab und ließ sich dabei Lady Simpsons Behauptung durch den Kopf gehen. Sollte es sich wirklich um eine Falle gehandelt haben? Hatte man Lady Simpson, Kathy Porter und ihn vielleicht umbringen wollen? Falls dem so war, mußte diese Falle von langer Hand vorbereitet worden sein. Der Aufwand war beträchtlich gewesen und ließ auf gute Organisation schließen. Laien konnten so etwas wohl kaum inszeniert haben. Nun, zur Zeit standen Lady Simpson, Kathy Porter und er nicht im Mittelpunkt irgendeines Gangsterrings. Das Trio arbeitete an keinem Fall. Man befand sich auf dem Weg nach Wolverton House, um einer Verwandten Myladys einen Besuch abzustatten. Lady Dorothy Wolverton hatte sehr dringend um diesen Besuch gebeten und dazu das richtige Stichwort geliefert. Sie hatte Lady Simpson gegenüber von einem geheimnisvollen Spuk gesprochen und damit natürlich sofort eine Zusage ausgelöst. Für Geister und Spuk war Lady Simpson immer zu haben. Sie
ließ sich keine Gelegenheit entgehen, Gespenstern auf den Zahn zu fühlen. Die beiden Damen waren miteinander verwandt. Lady Dorothy Wolverton war die Schwägerin Lady Agathas, inzwischen auch längst verwitwet und ebenfalls nicht gerade unvermögend. Lady Agatha und -Lady Dorothy Wolverton waren sich nicht gerade in überströmender Herzlichkeit zugetan. Normalerweise hätte Lady Agatha eine Einladung abgelehnt, doch wie gesagt, der Hinweis auf einen Spuk hatte sie geradezu belebt und ihre Aversion gegen Lady Wolverton vergessen lassen. Parker hatte inzwischen die eigentliche Unfallstelle erreicht. Der Tankaufsatz des Lastwagens war auseinander geborsten. Der Inhalt – es schien sich um Heizöl zu handeln – brannte lichterloh und schlug eine Zone, die wegen der Hitze einfach nicht zu durchbrechen war. Die Tankflüssigkeit war ausgelaufen, breitete sich immer weiter aus und bildete überall kleine Tochterbrände, gegen die selbst der Regen nicht ankam. Nein, hier war nichts mehr zu machen. Wer immer sich im Lastwagen befunden haben mußte, der konnte einfach nicht mehr leben, es sei denn, er war im letzten Moment aus dem Wagen geschleudert worden. Parker rechnete mit solch einer Möglichkeit und suchte erst die nähere, dann die weitere Umgebung der Brandstelle ab. Vom Fahrer des Lastwagens war weit und breit nichts zu sehen. Er befand sich entweder im fast weißglühenden Lastwagen, oder es war ihm sogar gelungen, noch rechtzeitig auszusteigen. *
Lady Agatha Simpson hatte auf ihren Tee verzichtet, dafür aber einen doppelten Cognac zu sich genommen. Nachdem ihr Kreislauf auf diese Art und Weise wieder auf Touren gebracht worden war, sah sie ihre Gesellschafterin wieder einmal mißbilligend an. »Spüren Sie denn nichts, Kindchen?« fragte sie Kathy Porter. »Was denn, Lady Simpson?« wollte Kathy wissen. »Da braut sich wieder was zusammen«, behauptete Lady Agatha kriegerisch. »Ich spür's in den Fingerspitzen. Irgend etwas tut sich da draußen im Regen.« »Sie rechnen mit einem zweiten Lastwagen, Mylady?« »Seien Sie nicht albern, Kindchen. Aber es gefällt mir einfach nicht, daß wir hier im Wagen herumsitzen. Besser könnten wir uns doch gar nicht anbieten. « »Das Wetter draußen ist grauenhaft, Mylady.« »Der Tod ist aber noch grauenhafter, Kindchen.« Lady Simpson nickte nachdrücklich und griff dann nach ihrem Südwester. »Wir werden sofort den Wagen verlassen. Werfen Sie sich was über.« »Mylady, Sie werden sich erkälten.« »Papperlapapp, Kindchen. Mich wirft so leicht nichts um. Kommen Sie, oder wollen Sie als Zielscheibe dienen?« »Die Wagenfenster bestehen aus schußsicherem Glas, Mylady.« »Müssen Sie immer widersprechen?« Lady Simpson kümmerte sich nicht weiter um ihre Sekretärin. Sie band sich den Südwester unter dem faltenreichen Kinn fest zusammen und erinnerte jetzt an den energischen Kapitän eines Drei-
mastschoners, der sich anschickt, Kap Horn zu umsegeln. Sie griff nach ihrem weiten, wallenden Umhang, drückte die Wagentür auf und stieg beherzt ins Freie. Kathy Porter mußte notgedrungen folgen. Eine Lady Agatha Simpson ließ man tunlichst nicht allein. Selbst hier draußen im Unwetter fand sie bestimmt eine Möglichkeit, eine mittelmäßige bis große Dummheit zu begehen. Ihre Energien brauchten einfach ein Betätigungsfeld. Kathy streifte sich ebenfalls ihren Südwester über und band sich ein Tuch um den Kopf. »Mir nach, Kindchen!« Lady Simpson marschierte bereits los, doch zu Kathys Überraschung nicht in Richtung Feuerschein, der inzwischen etwas schwächer geworden war. Lady Agatha hielt auf die Biegung zu, stieg dann in den Straßengraben und arbeitete sich erstaunlich rüstig und kraftvoll die Böschung hinauf. Hinter einem mannshohen Wacholderstrauch, der vom Sturm gepeitscht wurde, ging sie in Deckung. »Gleich wird sich hier was tun«, flüsterte sie Kathy ins Ohr, mit einer Lautstärke, die recht beachtlich war. Lady Simpson schwenkte unternehmungslustig ihren perlenbestickten Pompadour, der ihren Glücksbringer enthielt, nämlich ein echtes Hufeisen, das nur recht oberflächlich mit dünnem Schaumstoff umwickelt war. Kathy konnte sich wirklich nicht vorstellen, was sich hier noch tun sollte, doch sie nahm die Gelegenheit wahr, sich vor dem Sturm zu schützen. Sie baute sich dicht neben Lady Simpson auf, die sich vom Unwetter überhaupt nicht beeindrucken ließ. Ihr schien die-
ses Intermezzo außerordentlich zu gefallen. Kathy Porter wunderte sich wieder einmal über den Sportsgeist und die Form der älteren Dame, die ihr Alter stets vage mit etwa annähernd sechzig angab. Lady Agatha Simpson war eine immens vermögende Frau, die sich jede Extravaganz leisten konnte und dies auch genußvoll tat. Mit dem Blut- und Geldadel der Insel verschwistert und verschwägert, hätte sie sich ein luxuriöses und bequemes Leben leisten können. Aber nein, Lady Simpson gab sich voll und ganz ihrer Leidenschaft als Amateurdetektivin hin und jagte Gangster aller Kaliber. Seitdem Josuah Parker in ihren Diensten stand, war Lady Agatha ungemein erfolgreich geworden. Sie betrachtete all diese gelösten Fälle als Studien für den großen Kriminalroman, den sie eines Tages schreiben wollte. Sie hatte es sich in den Kopf gesetzt, eine gewisse Agatha Christie in den Schatten zu stellen. Sie träumte von einem Bestseller und neuerdings auch noch von einem Bühnenstück. Natürlich hatte sie sich jetzt wieder etwas eingeredet. Kathy Porter glaubte nicht einen Moment lang daran, daß sich dort unten an Parkers hochbeinigem Monstrum etwas tat. Wer sollte das sein? Wer wußte denn überhaupt von dieser Ausfahrt nach Südwales? Eines war sicher, während der ganzen Fahrt waren sie nicht beschattet und verfolgt worden. Der Zwischenfall mit dem Lastwagen konnte nur ein unglücklicher Zufall gewesen sein. Kathy fuhr aus ihren Gedanken hoch, als Lady Simpsons Ellenbogen ihr einen derben Knuff in die Seite versetzte. Sie
deutete mit majestätischer Geste auf die Böschung. Nicht weit von ihnen erkannte Kathy Porter nun tatsächlich zwei dunkle Schatten, die sehr vorsichtig auf den Wagen zuhielten. Der Widerschein des brennenden Lastwagens lieferte ausreichend Licht, um deutlich zu erkennen, daß diese beiden Gestalten nicht gekommen waren, um den Insassen des Wagens ihre Hilfe anzubieten. Die beiden Gestalten rutschten die Böschung hinunter,, durchschritten den Graben und näherten sich jetzt langsam dem Wagen. Ihre Gesichter waren leider nicht zu erkennen, weil sie geschwärzt waren. Jetzt wurde Lady Simpson aktiv. Sie hatte sich bereits gebückt und wog einen ansehnlichen Stein in ihrer rechten Hand. Dann holte sie weit aus und schleuderte das Wurfgeschoß auf die beiden Gestalten. »Treffer!« stellte sie zufrieden fest. Sie übertrieb dabei keineswegs. Kathy erkannte recht deutlich, daß eine der beiden Gestalten plötzlich stehenblieb und dann in die Knie sackte. Die zweite Gestalt drehte sich um, starrte in die Dunkelheit, bückte sich und langte nach dem Getroffenen. »Gibt's denn hier nicht mehr Steine?« schimpfte Lady Agatha. Sie hatte sich gebückt und suchte nach einem weiteren Wurfgeschoß. Als sie ein geeignetes gefunden hatte, schleifte die Gestalt den Getroffenen gerade hinter Parkers Wagen. »Sie bleiben hier, Kindchen!« Lady Simpson schüttelte grimmig den Kopf, als Kathy Porter sich in Bewegung setzen wollte. Kathy, äußerlich zwar mit einem scheuen Reh zu verwechseln, war
aber in Wirklichkeit eine erfahrene Einzelkämpferin, die sich in Judo und Karate sehr gut auskannte. »Ich könnte sie noch erwischen«, gab Kathy zurück. »Und Sie könnten getroffen werden, Kindchen!« Nein, Lady Simpson war dagegen, daß Kathy sich in Gefahr begab. Sie wußte zu genau, wie weit man in bestimmten Situationen gehen durfte. * »Endlich, meine Liebe. Ich bin ja so glücklich.« Lady Dorothy Wolverton war eine schmale, zerbrechlich wirkende Frau von etwa achtundfünfzig Jahren. Sie machte einen nervösen und gehetzten Eindruck, der sich in ihren großen, ausdrucksvollen Augen deutlich widerspiegelte. Sie empfing ihre Gäste in der großen Halle von Wolverton House, einem weiträumig angelegten, zweistöckigen Prachtbau, der mit Erkern und Spitztürmen förmlich übersät war. Wolverton House war eine altehrwürdige Schloßanlage, die man im Laufe der Zeit immer wieder erweitert hatte. Das riesige Gebäude lag inmitten eines großen Parks, wie man ihn sich nur erträumen konnte. Selbst bei Mondlicht war der Reiz dieser Anlage einfach überwältigend. Das schreckliche Unwetter hatte inzwischen merklich nachgelassen. Selbst der Mond traute sich jetzt hinter den Wolken etwas hervor. Es regnete nur noch sanft. »Du scheinst mit den Nerven ziemlich herunterzusein«, stellte Lady Simpson fest und musterte ihre Schwägerin un-
geniert. Die beiden Damen hatten sich nur selten gesehen, weil sie sich nicht ausstehen konnten, daher konnte auch von besonderer Herzlichkeit keine Rede sein. »Du weißt ja nicht, Agatha, was ich hier mitmache«, seufzte Lady Dorothy auf. »Aber davon später mehr. Ihr habt euch verspätet, nicht wahr?« »Um ein Haar wären wir überhaupt nicht mehr angekommen.« Lady Simpson nickte grimmig. »Wieso, was ist denn passiert?« »Man wollte uns umbringen«, stellte Lady Agatha fest. »Nur durch meine Geistesgegenwart sind wir noch einmal davongekommen.« »Schrecklich, Agatha. Bist du dir auch völlig sicher?« Lady Dorothy war sichtlich irritiert. »Und ob ich sicher bin, meine Liebste. Diesen Subjekten werde ich schon noch den Marsch blasen. Wo sind meine Räume? « »Ich habe für dich im Ostflügel eine Suite herrichten lassen. Dein Personal wohnt im Küchenanbau.« Lady Dorothy musterte Butler Parker und Kathy Porter mit einem flüchtigen, neutralen Blick. Zu Angestellten schien die Dame des Hauses Distanz zu halten. »Du irrst dich, meine Liebe.« Lady Simpson schüttelte den Kopf. »Miß Porter wohnt bei mir. Und Mr. Parker hätte ich ebenfalls gern in meiner Nähe.« »Für das Personal gibt es aber recht nette Zimmer, meine Liebe.« Lady Dorothy sah ihre Schwägerin sehr erstaunt an. »Vielen Dank, Mylady.« Parker deutete Lady Wolverton gegenüber eine Verbeugung an, um dann Lady Agatha mit einem kurzen Blick zu streifen. Sie ver-
stand sofort. Parker wollte im Ostflügel einquartiert werden, um in der Nähe des Personals zu sein. »James wird Ihnen Ihre Zimmer zeigen.« Lady Dorothy nickte hoheitsvoll und wandte sich zu einem etwa dreißigjährigen Mann um, der einen drahtigen, energischen Eindruck machte. »Das ist übrigens James Cortlay, mein Verwalter.« »Schön, und wo ist das Gespenst?« erkundigte sich Lady Simpson burschikos. »Ich hoffe, du hast mich nicht wegen einer Lappalie in diese Wildnis gelockt.« »Bitte, Agatha, nicht so laut.« Lady Dorothy warf einen scheuen Blick in die Runde und schien sich zu ängstigen. »Nimm diese Sache nur nicht auf die leichte Schulter. Beim Tee werde ich dir alles weitere erzählen.« »Man wollte Sie umbringen, Mylady?« schaltete sich Verwalter James Cortlay ein. »Unsinn«, gab Lady Simpson grimmig zurück. »Man hat nur ein wenig mit uns gespielt und uns rösten wollen. Aber das soll man nicht überbewerten.« »Nun verstehe ich überhaupt nichts mehr, meine Liebe«, beschwerte sich Lady Dorothy unsicher. »Dein Humor ist immer noch so eigenartig wie früher. Wie soll man sich da nur zurechtfinden.« Bevor Lady Agatha Simpson antworten konnte, war irgendwo im Obergeschoß ein greller Schrei zu vernehmen, der von Klirren und Scheppern zerbrochenen Porzellans begleitet wurde. Sekunden später erschien oben an der Brüstung der Galerie eine ältere Angestellte, die sich kaum noch auf den Beinen zu halten vermochte.
»Das Gespenst«, stöhnte sie. »Das Gespenst. Ich ... Ich hab's ganz deutlich gesehen.« * James Cortlay, der Verwalter von Wolverton House, lief schnell die breite Treppe hinauf und kümmerte sich um die Angestellte, die einen Weinkrampf erlitt. Lady Dorothy zitterte am ganzen Leibe und flüchtete sich in einen der großen Sessel. Sie zog die Beine an, als rechne sie mit einer Invasion von Mäusen. »Was halten Sie davon, Mr. Parker?« erkundigte sich Lady Simpson bei ihrem Butler. »Das Entsetzen dürfte meiner bescheidenen Ansicht nach nicht gespielt sein«, antwortete Parker gemessen. »Es war ganz dicht vor mir. Es war ganz nahe«, wimmerte die Angestellte, die von James Cortlay behutsam nach unten geleitet wurde. »Es ... Es war grauenvoll.« »Das will ich Ihnen ja gern glauben, aber was haben Sie nun wirklich gesehen?« Lady Simpson näherte sich der Angestellten, die auf der Kante eines hohen Lehnstuhls Platz nahm. »Eine genaue Personenbeschreibung wäre in der Tat äußerst hilfreich«, fügte der Butler hinzu. Kathy Porter sagte nichts. Sie merkte, daß sie von dem Verwalter des Hauses verstohlen beobachtet wurde. Als ihre Blicke sich trafen, schlug sie sittsam die Augen nieder und gab sich leicht verschämt. »Nun reden Sie schon endlich«, grollte Lady Simpson die verstörte Hausan-
gestellte an. »Wie sah das Gespenst aus?« »Grauenvoll«, wimmerte die Frau. »Das sagten Sie bereits. Einzelheiten, wenn ich bitten darf.« »Sollte man nicht warten, bis der erste Schock vorüber ist, Mylady?« bat James Cortlay, »Ich bin kein Unmensch«, räumte Lady Simpson ein. »Verschieben wir die Befragung also. Wo, meine Liebe, sind meine Wohnräume?« »Im Obergeschoß, Agatha.« »Dann habe ich vielleicht das Glück, das Gespenst gleich treffen zu können.« Lady Simpson lachte amüsiert auf und nickte dann Kathy zu. »Kommen Sie, Kindchen, machen wir uns etwas frisch. Kathy! Was ist denn?« Kathy Porter, die gerade wieder einen Blick mit Cortlay ausgetauscht hatte, zuckte zusammen und tat sichtlich eingeschüchtert. Lady Dorothy schüttelte den Kopf und sah Lady Simpson flehentlich an. »Ich ... Ich gehe nicht mit«, sagte sie dann. »Ich gehe nicht mit nach oben. Keine zehn Pferde bringen mich dort rauf, Agatha.«' »Ich werde Sie nach oben bringen, Mylady«, ließ der Hausverwalter sich vernehmen. Er griff nach der schweren Reisetasche und dem Koffer Lady Agathas. Mannhaft setzte er sich in Bewegung und marschierte auf die Treppe zu. Lady Simpson und Kathy Porter folgten ihm auf dem Fuß. Josuah Parker blieb zurück, um den beiden anderen Frauen Gesellschaft zu leisten. »Gibt es wirklich ein Gespenst?« fragte Kathy Porter, sich an James Cortlay wendend.
»Es wird so gesagt«, gab Cortlay zurück. »Ich habe es leider noch nicht zu Gesicht bekommen.« »Und wie soll es aussehen? Man muß es doch beschrieben haben, junger Mann.« »Das ja, Mylady, aber diese Beschreibung paßt überhaupt nicht auf ein Gespenst.« »Wie soll ich das verstehen? Was ist in Ihren Augen ein Gespenst?« »Na ja, vielleicht ein Skelett, oder ein Geköpfter, der seinen Kopf unter dem Arm trägt, oder vielleicht ein kettenrasselndes Etwas.« »Und in diesem Fall?« Kathy Porter zeigte Cortlay große Augen. »Es soll so eine Art Gnom sein«, berichtete Cortlay, während er die Gäste durch einen langen Korridorgang führte, der ausgezeichnet beleuchtet war. »Nein, Gnom ist wohl nicht der richtige Ausdruck. Es soll ein Wesen sein, das laufend seine Form ändert und über den Boden kriecht.« »Donnerwetter, junger Mann, das ist endlich mal eine neue Version«, freute sich Lady Simpson und nickte anerkennend. »Und seit wann spukt dieses Etwas hier in Wolverton House herum?« »Seit knapp acht Tagen«, antwortete James Cortlay. »Zuerst wurde es nur von Myladys Angestellten gesehen, dann von Lady Wolverton selbst.« »Und welchen Unfug richtet es an?« »Keinen, Mylady«, lautete Cortlays Antwort. »Es soll nur über den Boden kriechen und dann irgendwo in den Wänden und Mauern verschwinden.« »Wen haben Sie in Verdacht, junger Mann.« Lady Simpson war stehengeblieben und sah Cortlay streng an.
»Wie soll ich das verstehen, Mylady?« Cortlay war oder tat ahnungslos. »Das sind doch Taschenspielereien, nicht wahr?« »Das glaube ich natürlich auch, Mylady, aber ich wüßte nicht, wer sie ausführen sollte.« »Da!« Kathy Porter war stehengeblieben und deutete mit halb angehobenem Arm auf das Ende des Korridors. Ihre Augen hatten sich geweitet. Lady Simpson fuhr herum und erkannte tatsächlich ein weißes Etwas. Es war vielleicht einen Meter groß, breit und in dauernder Bewegung. Es schien auseinanderzufließen, zog sich wieder zusammen, kroch dann flach über den Boden und war im nächsten Moment auch schon wieder verschwunden. James Cortlay verlor einiges von seiner Selbstbeherrschung. Er ließ das Gepäck mit einem lauten Aufprall zu Boden fallen und sah Lady Simpson entgeistert an. Kathy Porter nutzte die Gelegenheit, sich schutzsuchend an ihn zu schieben. Lady Simpson aber richtete sich auf. Ihre Nasenflügel vibrierten nervös und ihre Augen funkelten animiert. »Sehr schön«, sagte sie dann anerkennend. »Das ist wirklich neu. Solch ein Gespenst habe selbst ich noch nicht gesehen. « Der Pompadour an ihrem Handgelenk setzte sich unternehmungslustig in Bewegung. Grimmig setzte sich die Amateurdetektivin in Bewegung und marschierte auf die Stelle zu, wo eben noch die seltsame und unheimliche Erscheinung gewesen war. *
»Ein bemerkenswertes Gespenst«, sagte Butler Parker. »Es dürfte, wenn ich so sagen darf, dem gängigen Standard keineswegs entsprechen.« »Das hat mich ja so verblüfft, Mr. Parker.« Lady Simpson nickte.« Es war wie vom Erdboden verschwunden, ich war leider nicht schnell genug dort, um es aufhalten zu können.« Parker befand sich in den Räumen, die man Lady Simpson zur Verfügung gestellt hatte. Es gab hier einen hübsch eingerichteten Wohnraum, ein Schlafzimmer und ein Bad. Auf der anderen Seite des Badezimmers befand sich das Zimmer, in dem Kathy Porter wohnte. Kathy war bereits mit dem Auspacken der Koffer beschäftigt und lächelte, als sie an den Hausverwalter dachte. »Irgendein geschickter Trick«, meinte sie dann. »Aber ich möchte behaupten, daß Mr. Cortlay wirklich Angst hatte.« »Wissen Sie bereits, wer in diesem Haus arbeitet?« fragte Lady Simpson, sich an Parker wendend. »Ich war so frei, Mylady, mir einen ersten Überblick zu verschaffen«, gab Parker gemessen zurück. »Es gibt eine Köchin, eine Küchenhilfe, zwei Hausangestellte und besagten Mr. Cortlay.« »Sie kommen mit dem großen Haus zurecht?« wunderte sich Lady Simpson sichtlich. »Vor einigen Wochen kam es zu einer Art Massenkündigung«, berichtete Parker weiter. »Es ist mir peinlich, Mylady, diesen Punkt berühren zu müssen, aber Lady Wolverton scheint nicht im Besitz jener Mittel zu sein, die benötigt werden, um soviel Personal zu halten.« »Sollte Dorothy pleite sein?« Lady Simpson schüttelte irritiert den Kopf.
Das konnte sie sich nicht vorstellen. Dorothy war doch nicht unvermögend, das nun wirklich nicht. »Die Löhne für die Angestellten konnten nicht mehr angewiesen werden«, sagte Parker höflich. »Daraufhin kam es seitens der Angestellten zu diesen Kündigungen.« »Darüber werde ich mit Dorothy aber unbedingt reden müssen.« Lady Simpsons Gesicht färbte sich ein wenig rot. »Hoffentlich ist sie keine Löhne schuldig geblieben. Das wäre ja unerhört. Warum hat sie mich in ihre Schwierigkeiten denn nicht eingeweiht? Das ist doch reine Dummheit.« Lady Simpson erregte sich merklich und bekam prompt Kreislaufbeschwerden. Sie goß sich einen Schluck Cognac ein und fühlte sich nach dieser Erfrischung wieder wohler. »Die noch verbliebenen Angestellten haben das bewußte Gespenst bisher nicht in Augenschein nehmen können«, berichtete Parker weiter. »Bis auf heute, als Mrs. Rose Robson damit konfrontiert wurde.« »Demnach hat also allein meine Schwägerin dieses komische Etwas gesehen?« »Dem scheint tatsächlich so zu sein, Mylady. Hinzu kommt dann allerdings noch die Begegnung vor einer halben Stunde, als Mylady einen Blick auf diese Erscheinung werfen konnten.« »Angenehm sah dieses komische Ding nicht gerade aus«, räumte Lady Simpson ein. »Wer kann es hier durchs Haus laufen lassen, Mr. Parker? Ist es vielleicht eine Art Racheakt der Angestellten? Dieses Gespenst erschien ja erst nach der allgemeinen Kündigung, nicht wahr?«
»Dieser Anregung werde ich nachgehen, Mylady«, versprach der Butler. »Ich möchte allerdings betonen, daß die betreffenden Angestellten als durchaus verträgliche Bewohner eines nahegelegenen Dorfes gelten.« »Fragt sich also, wer etwas gewinnt, wenn er meine Schwägerin in Angst und Schrecken versetzt.« »Zumal Lady Wolverton sich ja in finanziellen Schwierigkeiten befinden dürften, Mylady.« »Sie haben den Mordanschlag auf uns vergessen, Mylady«, schaltete sich Kathy Porter ein. »Steht er mit dem Gespenst nicht in engem Zusammenhang?« »Darauf weise ich doch die ganze Zeit hin«, erwiderte die Lady sofort. »Ersparen Sie sich Ihre Frage, Mr. Parker. Ja, es stimmt. Nach meinem Ableben wird auch meine Schwägerin einen ganz schönen Batzen erben, selbst wenn ich sie von einer Erbschaft ausschließen wollte. Das hängt mit einigen Vermögensklauseln zusammen, auf die ich hier nicht näher einzugehen brauche. Es ist nun einmal so.« »Darf ich mich erkühnen, Mylady eine diffizile Frage zu stellen? « »Sie wollen wissen, ob ich meiner Schwägerin einen geplanten Mord zutraue?« »Mylady dürfen versichert sein, daß ich diese Frage niemals so direkt gestellt hätte.« »Kann man Dorothy einen Mord zutrauen, weil sie ihre Finanzen damit aufbessern will? « Lady Simpson fragte sich das halblaut, konnte sich aber zu einer Antwort nicht entschließen. »Offen gesagt, ich kenne sie zu wenig.« »Lady Wolverton sind immerhin Myladys Schwägerin«, sagte Parker.
»Aber wir haben uns eigentlich nie umeinander gekümmert.« Lady Simpson dachte über die erste und entscheidende Frage offensichtlich noch immer nach. »Sie liegt mir nicht besonders, um es vorsichtig auszudrücken. Sie ist mir zu empfindlich und hat niemals Sport getrieben, wie ich. Nein, eigentlich haben wir überhaupt keine Gemeinsamkeiten. Und daher gingen wir uns aus dem Weg.« »Lady Wolverton ist ohne Kinder?« Parker dachte auch an solch eine Möglichkeit. »Sie haßte Kinder«, lautete die Antwort Lady Simpsons. »Ich nehme an, sie hat immer um ihre Figur gefürchtet. Die Ehe mit dem Bruder meines Mannes ist wahrscheinlich daher kinderlos geblieben. Um noch einmal auf die erste Frage zurückzukommen, Mr. Parker, nein, ich glaube nicht, daß sie raffiniert genug ist, einen Mord zu planen. Schlagen Sie sich das aus dem Kopf.« »Ich werde es versuchen, Mylady«, antwortete der Butler und deutete eine knappe Verbeugung an. »In Lady Wolvertons nächster Umgebung muß sich aber eine Person befinden, die von unserer Ankunft wußte. Sonst wäre der Lastwagen nicht auf der Geraden gestanden.« »Kathy und ich sahen immerhin zwei Gestalten«, stellte die Amateurdetektivin grimmig fest. »Zudem hat man uns ja eindeutig auf die falsche Straße gelockt, Mr. Parker.« »An einem bewußten Verdrehen des Wegekreuzes ist tatsächlich nicht zu zweifeln, Mylady. Die Polizei wird dies bestätigen können.« »Wer will uns an den Kragen?« Lady Simpson marschierte nachdenklich
durch den großen Wohnraum. »Oder geht es nur um mich allein, Mr. Parker? « »Von dieser Tatsache möchte ich mir erlauben auszugehen, Mylady.« Parker nickte bestätigend. »Darf ich Mylady darum zur größten Vorsicht und Wachsamkeit raten?« »Sie dürfen, Mr. Parker. Und darum werden Sie mir irgendeine Schußwaffe besorgen. Ich möchte dem Gespenst, falls es wieder auftaucht, eines über den Pelz brennen.« »Wenn Mylady vielleicht mit dieser handlichen Waffe vorliebnehmen wollen?« Wie durch Zauberei lag auf Parkers rechter Handfläche plötzlich eine automatische Pistole vom Kaliber 6.35 »Etwas Kleineres hatten sie wohl nicht parat, wie?« Die Lady, die mit einer Schußwaffe durchaus umgehen konnte, sah verächtlich auf die kleine Waffe. Im nächsten Moment fuhr sie zusammen und riß Parker die Pistole aus der Hand. Draußen vor der Tür war plötzlich ein seltsames Geräusch zu vernehmen, eine Mischung aus ersticktem Lachen und atemlosen Keuchen. Lady Simpson war schnell an der Tür, riß sie auf und reagierte recht erstaunlich. »Ruhe, wenn ich bitten darf!« rief sie mit barscher Stimme. »Spuken Sie gefälligst später!« * »Ich kann mir wirklich nicht erklären, wer die Flurbeleuchtung ausgeschaltet haben könnte«, sagte Verwalter James Cortlay, der wenige Minuten später im Zimmer Lady Simpsons erschien. Er machte einen hilflosen, zugleich aber
auch nervösen Eindruck. Möglicherweise hing das aber auch mit der Waffe zusammen, deren Mündung Lady Simpson auf ihn richtete. »Wieso sind Sie hier?« wollte Lady Simpson wissen. »Ich – ich hörte ein seltsames Gelächter«, antwortete James Cortlay. »Ich lief hinauf zur Galerie und sah dann, daß das Licht nicht mehr brannte. Bitte, Mylady, könnten Sie die Waffe herunternehmen?« »Sie haben schwache Nerven, junger Mann.« Lady Agatha funkelte den Verwalter mißtrauisch an. »Falls Sie das Gespenst sehen sollten, Mr. Cortlay, warnen Sie es gefälligst. Ich schieße gern und treffe sogar recht häufig.« »Wie -wieso sollte ich das Gespenst sehen, Mylady. Sie glauben doch nicht etwa, daß ich ...?« »Papperlapapp, junger Mann, ich glaube gar nichts. Glauben bedeutet nichts wissen.« Sie schnitt ihm ungnädig das Wort ab. »Sie können jetzt gehen. Wann wird gegessen? Ich möchte hier nicht unbedingt verhungern.« »In fünfzehn Minuten wird angerichtet sein, Lady Simpson.« James Cortlay beeilte sich, zurück in den Korridor zu gelangen. Er schloß die Tür behutsam hinter sich zu. »Sie sollten sich um diesen jungen Mann kümmern, Mr. Parker«, sagte Lady Simpson. »Er gefällt mir nicht.« »Mylady verdächtigen Mr. Cortlay?« »Das schon, aber er kann unmöglich der Drahtzieher sein«, erklärte Lady Simpson mit Nachdruck. »Das wäre dann wohl doch zu einfach und schon fast eine Beleidigung. Aber er scheint etwas zu wissen, und vor diesem Wissen hat er Angst.«
Lady Simpson benahm sich recht ungeniert. Bevor sie zusammen mit Parker und Kathy Porter den Raum verließ, brachte sie ihre Schußwaffe an einem außerordentlich ungewöhnlichen Platz unter. Sie schob ihn in den Ausschnitt ihrer Bluse und barg ihn an ihrem wogenden Busen. »Gehen wir«, sagte sie dann. »Mr. Parker, möchten Sie mit uns essen? Oder haben Sie andere Pläne?« »In der Tat, Mylady«, räumte der Butler ein. »Ich möchte Kontakt mit dem noch verbliebenen Personal herstellen, wenn es erlaubt ist.« »Gut, aber passen auch Sie auf sich auf. Das gilt auch für Sie, Kindchen.« Parker öffnete die Tür, um Lady Simpson hinaus in den Korridor treten zu lassen, doch kaum halbgeöffnet, warf er sie hastig wieder zurück ins Schloß. »Was soll denn das?« rief Lady Agatha entrüstet. »Ein, äh, Skelett, Mylady.« Parkers Stimme klang indigniert. »Ein was?« »Ein Skelett, Mylady, falls meine Sinne mich nicht getäuscht haben.« »Und so etwas wollen Sie mir vorenthalten? Was soll denn das?« Lady Simpsons Stimme färbte sich dunkler als sonst. Sie riß die Tür auf, drehte sich dann aber spöttisch zu Parker um. »Seit wann leiden Sie an Halluzinationen?« fragte sie dann. »Weit und breit kein Skelett zu sehen. Was ist denn los mit Ihnen, Parker?« »Ich möchte ab sofort als äußerst beeindruckt erscheinen«, gab Parker leise zurück. »Das Skelett habe ich eindeutig gesehen. Es hing an einem Wandleuch-
ter neben dem Schrank in der Fensternische.« »Machen Sie sich nicht lächerlich, Mr. Parker.« Myladys Stimme grollte bemerkenswert laut. Sie schien es darauf angelegt zu haben, daß man sie weithin hörte. »Sehen Sie doch selbst, von einem Skelett kann ich nichts bemerken.« »In der Tat«, räumte Parker nach einem Blick in den langen Korridorgang betroffen ein. »Ich sollte wohl davon ausgehen, daß meine Sinne mich genarrt haben.« * Kathy Porter lag in ihrem Bett und hatte gerade das Licht ausgeschaltet. Das Abendessen lag ihr schwer im Magen. Es war nichts Besonderes, dafür aber etwas recht Fettes gewesen. Auch der gereichte Wein hatte nicht sonderlich gut geschmeckt. Aber wahrscheinlich hing ihr Unwohlsein auch mit der Spannung zusammen, die das große Haus erfüllte. Kathy spürte förmlich, daß mit weiteren, unliebsamen Überraschungen zu rechnen war. Sie hatte die Tür zum angrenzenden Badezimmer spaltbreit geöffnet. Die Tür, die von dort aus in Lady Simpsons Zimmer führte, war ebenfalls nur angelehnt. Kathy wollte sofort eingreifen können, falls sich etwas Ungewöhnliches ereignete. Lady Simpson schlief bereits tief und fest. Ihre Schnarchtöne waren nicht zu überhören. Sie hatte sich vor dem Niederlegen noch ein wenig mit ihrem stets bedrohten Kreislauf befaßt und ihn nachdrücklich auf Vordermann gebracht. Angst war für die Lady etwas Unbekanntes.
Kathy schlief ohne Übergang ein und hatte wahrhaft wirre Träume. Zuerst explodierten Farben um sie herum und schleuderten sie hinauf zu den Sternen. Sie fror entsetzlich, um dann wieder vor Hitze und Qual zu schwitzen. Sie hörte Töne, die dumpf und wimmernd waren und dann wieder ihre Nerven reizten. Und schließlich rannte sie durch die Straßen einer menschenleeren Stadt, verfolgt von wilden Hunden. Sie fuhr aus diesen verrückten Träumen hoch, wachte auf und fand sich zu ihrer Überraschung neben der Badewanne. Sie war völlig nackt. Das Nachthemd, das sie getragen hatte, lag völlig zerfetzt und zerrissen neben ihr. Kathy hatte rasende Kopfschmerzen, griff stöhnend nach ihren Schläfen und versuchte sich zu erinnern. Was war nur los mit ihr? Wie war sie in das Badezimmer geraten? Sie zog sich am Rand der Wanne hoch und merkte erst jetzt, wie schlapp und kraftlos ihre Muskeln waren. Am liebsten hätte sie sich zurücksinken lassen. Sie schaffte es jedoch und taumelte zum Waschbecken hinüber. Von dort aus wollte sie sich zur Tür vorarbeiten, um nach Lady Simpson zu sehen. Ihre Sorge um Lady Agatha war größer als ihre körperliche Schwäche. Als sie sich zufällig im Spiegel entdeckte, weiteten sich ihre Augen vor Überraschung und Ratlosigkeit. Ihre Brüste und ihr Leib waren beschmiert mit blutroten Symbolen, deren Sinn sie nicht kannte. Es schien sich um magische Zeichen zu handeln. Und erst jetzt spürte sie das Brennen und Kribbeln auf ihrer nackten Haut, die Zeichen schienen sich in ihre Haut einbrennen zu wollen.
Kathy Porter taumelte weiter, fiel gegen die nur angelehnte Tür von Lady Simpsons Schlafzimmer und landete auf dem Teppichboden. Sie hatte nicht mehr die Kraft, noch einmal auf die Beine zu kommen. Sie kroch, verzweifelt weiter, schob sich langsam an Lady Simpsons Bett heran und zog sich an der Bettkante hoch. Das Bett war leer, Lady Simpson war verschwunden! Kathy wollte schreien und wollte Alarm schlagen, doch die Stimmbänder gehorchten nicht mehr ihrem Willen. Sie brachte nur ein ersticktes Stöhnen hervor. Und dann war wieder diese Müdigkeit da. Sie sackte auf den Boden zurück, rollte auf die Seite und schloß die Augen. Sie konnte nicht mehr. Ihr war alles gleichgültig. Sie hatte nur den einen Wunsch, wieder zu schlafen, Aber irgendwo in ihrem Unterbewußtsein war und blieb die Sorge um Lady Simpson. Kathy schob sich wie ein verwundetes Tier vom Bett weg, kroch zur Tür, die hinaus in den Korridor führte. Sie mußte sich um Lady Simpson kümmern. Ihr durfte nichts passieren. Sie brauchte viel Zeit, bis sie die Tür endlich erreicht hatte. Die schwere Eisenklinke war weit von ihren Händen entfernt. Kathy aktivierte ihre letzten Kräfte, zog sich am Türrahmen hoch und langte dann mit der linken Hand nach der Türklinke. Die Tür schwang auf, nahm sie förmlich mit, ließ sie straucheln und wieder zu Boden gehen. Ausgepumpt und völlig erschöpft blieb die junge Frau in der
halbgeöffneten Tür stehen. Sie konnte nicht mehr weiter. Plötzlich spürte sie fest zupackende Hände, die sie hochrissen. Von weither hörte sie eine Stimme, doch sie verstand die Worte nicht. Sie versuchte die Augen zu öffnen, sackte aber wieder in sich zusammen, wurde erneut hochgerissen und durchgeschüttelt. Jetzt endlich konnte sie vage Umrisse erkennen. Vor ihr schien ein Mann zu stehen, er schrie ihr etwas zu, aber den Sinn seiner Worte begriff sie nicht. Nur sehr langsam wurde das Bild scharf. Die Gestalt formte sich ganz allmählich zu James Cortlay, der sie jetzt endgültig hochhob und wegtrug. * Butler Parker genierte sich ein wenig. Er war nämlich keineswegs korrekt gekleidet, wie man es von ihm gewohnt war. Er trug nur eine oberschenkellange, pikant gemusterte Unterhose im Sporthosenschnitt, dazu ein Trikothemd. Dieser seltsame Aufzug war es nicht allein, der ihm leichte Schamröte ins Gesicht getrieben hatte. Hinzu kam nämlich die Tatsache daß er sich im Zimmer einer Frau befand, die mit seiner Anwesenheit überhaupt nicht einverstanden zu sein schien. Sie gab dies laut und deutlich zu verstehen, denn sie schrie, als habe man sie gerade aufgespießt. Der Unmut der Frau war durchaus verständlich. Parker lag nämlich hautnah neben ihr! »Nicht so laut, wenn ich höflichst bitten darf«, sagte Parker und griff automatisch nach seiner Melone, die erstaunlicherweise auf seinem Kopf war. Er
liftete sie ein wenig an und merkte, daß seine Zunge ihm nicht sonderlich gehorchte. Sie schien einem Volltrunkenen zu gehören, und war ein Fremdkörper in seiner Mundhöhle. Die Frau neben ihm im Bett hatte keinen Sinn für seine undeutlich geäußerten Höflichkeiten. Sie schrie unaufhörlich und schob sich weiter aus dem recht schmalen Bett hinaus. Sie rannte zur Tür und wollte diese aufreißen, merkte aber, daß sie verschlossen war. Auch der Schlüssel fehlte zu ihrem Entsetzen. »Ein – ein kleines Mißverständnis«, entschuldigte sich Josuah Parker. Bis er diese Entschuldigung hervorgebracht hatte, dauerte es allerdings einige Zeit. Wie gesagt, seine Zunge war ein lästiger Fremdkörper, der sich seinem Willen einfach nicht beugen wollte. Butler Parker wollte sich erheben, um das fremde Bett zu verlassen. Es kostete ihn erhebliche Mühe, seinen Oberkörper aufzurichten. Als er es geschafft hatte, verließen ihn die Kräfte. Er fiel zurück und sehnte sich nach Ruhe und Entspannung. Das Geschrei seiner Zimmergenossin störte ihn nicht mehr. Parker schloß die Augen, kuschelte sich im Kissen zurecht und zog die Knie an. Er glich jetzt einem großen Säugling. Die Frau im Zimmer hatte es aufgegeben, die Tür öffnen zu wollen. Sie schlich vorsichtig am Fußende des Bettes vorüber, stürzte sich dann an das Fenster und riß es auf. Ihre Hilferufe gellten in die Nacht hinaus. »Nicht doch«, bat Parker murmelnd. »Das stört, wenn ich das so sagen darf.« Seine Bettgenossin hatte sich inzwischen auf eine andere Taktik besonnen.
Sie riß ein Kissen an sich und veranstaltete mit dem Butler eine einseitige Kissenschlacht. Sie drosch mit dem Kissen auf Parker ein, der langsam seinen Arm abwehrend hob. »Ihr Benehmen ist einfach schockierend«, tadelte er die Frau, die ihre Tugend um jeden Preis schützen wollte. »Sie Strolch«, herrschte die Frau ihn an. »Schämen sollten Sie sich! Verschwinden Sie! Aber sofort!« »Sie – Sie sind sehr aufdringlich«, fand Parker und bemühte sich, seine Augen offenzuhalten. Hatte er für einen Moment vergessen, in welchem Aufzug er sich befand, so kehrte die Erinnerung jetzt jäh in ihn zurück. Diese Erkenntnis traf ihn wie ein Blitzstrahl. Parker genierte und schämte sich also erneut, langte nach der Bettdecke und hüllte sich darin ein. Hatte er die Frau bisher nur in Umrissen gesehen, so wurde sie jetzt zu einer festen Kontur. Parker zwinkerte und holte tief Luft. Er befand sich im Zimmer einer gewissen Beth, die als Küchenhilfe im Haus tätig war. Sie sah nicht gerade ansehnlich aus. Sie war klein und dick und trug ein neckisches Nachtgewand, das sich durch seine pikante Kürze auszeichnete. Die Oberschenkel der Küchenhilfe Beth glichen stämmigen Säulen. »Sie sehen mich überrascht«, bekannte Parker und schob sich aus dem Bett, was sich jedoch als nicht gerade einfach erwies. Als er zur Tür taumelte, gaben seine Beine immer wieder nach. Wenig später erhielt er den »Fangschuß«. Beth schleuderte ihm ein Kissen nach, das ihn am Hinterkopf erwischte. Parker fiel gegen die Tür und sackte dann langsam
zu Boden. Er zog die Knie wieder an, glich erneut einem riesigen Baby und warf sich begeistert in die Arme eines tiefen Schlafes. * Lady Agatha Simpson verfügte über eine wahre Pferdenatur. Nach einem wirren Traum, an dessen Einzelheiten sie sich nicht mehr erinnern konnte, war sie plötzlich hellwach. Ihr war kalt. Sie schaute an sich hinunter und schüttelte ratlos den Kopf. Sie trug ihr knöchellanges Flanellhemd, das sich in dieser Umgebung stilvoll ausmachte. Sie befand sich nämlich auf einem Friedhof, genauer gesagt, sie lag auf einem noch frischen Grab. Man hatte sie in einen halbverwelkten Kranz geschoben und mit Blumen dekoriert. Zu ihren nackten Füßen brannte eine Grablampe. Jede andere Frau hätte wahrscheinlich einen Nervenzusammenbruch erlitten, nicht aber Lady Agatha Simpson. Schön, sie hatte gräßliche Kopfschmerzen, aber die brachten sie nicht aus der Fassung. Grimmig musterte sie ihre Umgebung, die im fahlen Mondlicht nicht gerade einladend aussah. Um sie herum waren Gräber und Grabsteine, die teilweise recht unordentlich und schief standen. Und genau in diesem Moment war ganz in der Nähe auch ein Käuzchen zu vernehmen. Es schien auf diesen Moment nur gewartet zu haben. Lady Simpson schüttelte die Blumen von sich und zwängte sich aus dem Grabkranz. Sie stand auf und atmete die frische Nachtluft tief ein. Wie sie hierhergeraten war, wußte sie sich beim besten Willen nicht zu erklären, aber dar-
über zerbrach sie sich nicht weiter den Kopf. Sie lehnte sich gegen den Grabstein und versuchte sich zu orientieren. Wahrscheinlich handelte sich es sich hier um den alten Dorffriedhof von Wolverton. Erfreulich war, daß es nicht mehr regnete. Nur der Wind war empfindlich kühl. Lady Simpson entdeckte die kleine, windschief aussehende Kirche im Hintergrund und marschierte auf sie zu. Sie war zwar ein wenig wackelig auf den Beinen, doch das machte ihr nichts aus. Ihr Kreislauf arbeitete wieder normal. Sie hatte den Weg zwischen den Grabreihen noch nicht ganz erreicht, als plötzlich ein Skelett hinter einem Grabstein erschien. Es sah unheimlich aus, klapperte mit den Gebeinen und glühte sie aus leeren Augenhöhlen an. Jetzt hob es drohend die Arme und breitete sie aus. Lady Simpson benutzte den Kranz, den sie noch in ihrer rechten Hand trug. Sie holte kraftvoll und schnell aus und schleuderte ihn auf die Spukerscheinung. Die Knochen klapperten, als der Grabkranz einschlug, aber Sekunden später war das Skelett verschwunden. »Frechheit«, murmelte Lady Agatha Simpson. »So geht man mit einer ängstlichen Frau nicht um.« Sie hielt genau auf die Stelle zu, wo das Skelett eben noch gestanden hatte. Leider waren die Lichtverhältnisse zu schlecht, um irgendwelche Abdrücke im weichen Boden erkennen zu können. Der Mond lieferte sich Zweikämpfe mit den Wolken und unterlag zeitweilig. Lady Simpson erreichte einen breiten Weg, der mit feinem Kies ausgelegt
war. Dieser Weg führte direkt auf die Dorfkirche zu. Sie schaute sich unentwegt prüfend um. Sie wußte, daß mit weiteren Überraschungen durchaus noch zu rechnen war. Sie bedauerte es sehr, ihren Pompadour nicht zur Hand zu haben. Das Käuzchen ließ sich wieder vernehmen. Es schien an der Erscheinung da unten auf dem Kiesweg Gefallen gefunden zu haben. Der Nachtvogel strich dicht vor Lady Simpson quer über den Weg und schwieg dann für einen Augenblick. Lady Simpson hatte inzwischen die Kirche erreicht und steuerte auf das kleine Portal zu. Sie merkte nun doch, wie schwer ihr dieser kurze Fußmarsch gefallen war. In ihrem Körper war irgend etwas, was die Muskeln außerordentlich lähmte. Sie fror inzwischen gründlich und sehnte sich nach Wärme und Kreislaufmitteln. Ja, und dann kicherte ein Etwas irgendwo zwischen den Grabsteinen. Aus dem Kichern wurde ein Seufzen, das in ein Schluchzen überging. Blumen segelten durch die Luft und landeten vor Lady Simpsons nackten Füßen. Es handelte sich übrigens um Lilien, die bereits angefault waren und daher nicht mehr sonderlich gut rochen. Lady Simpson beantwortete diesen Gruß umgehend. Sie schleuderte einen weiteren Grabkranz sehr kraftvoll und gekonnt in die Richtung, aus der die Lilien gekommen waren. Ob sie etwas getroffen hatte, wußte sie allerdings nicht zu sagen. Lady Simpson glaubte, so etwas wie einen dumpfen Fall zu hören. Sie ging dieser Sache aber nicht näher auf den Grund, dazu war es ihr einfach zu kühl.
Sie wollte sich so schnell wie möglich in der Kirche unterstellen, denn sie fürchtete, sich eine Erkältung zu holen. Die Pforte war leider fest verschlossen. Lady Simpson murmelte einige abfällige Worte, die sich allerdings nicht auf den Glauben bezogen, sondern nur auf den Pfarrer dieser Kirche. Sie ging auf ihren nackten Füßen um die kleine Kirche herum und erspähte dann endlich einen Lichtschimmer hinter einer dichten Taxushecke. Wenig später fand sie eine Lücke in der Hecke, marschierte über den feuchten Rasen und näherte sich dem beleuchteten Fenster, hinter dem sie eine Gestalt ausmachte. Sie drückte ihr Gesicht an die Scheibe und entdeckte einen mittelgroßen, etwa vierzigjährigen Mann, der im Zimmer auf und ab wanderte, ganz in ein Buch vertieft. Lady Simpson klopfte sehr energisch an. Der Mann – wahrscheinlich war es der Pfarrer – bekam solch einen Schrecken, daß ihm das Buch aus der Hand fiel. »Nun machen Sie schon auf«, verlangte Lady Simpson grimmig. »Ich möchte mir nicht unbedingt einen Schnupfen holen.« Der Mann – es war tatsächlich der Pfarrer – eilte ans Fenster, öffnete es und starrte die leicht bekleidete Lady Simpson entgeistert an. »Ja, Sie wünschen?« fragte er dann sehr förmlich. »Einen Cognac«, erwiderte Lady Agatha Simpson. »Wagen Sie es nicht, mir einen Tee anzubieten, junger Mann. Ich könnte sonst sehr ärgerlich werden!« *
»Lady Dorothy wurde von einem Dorfbewohner unten an der Straße gefunden«, berichtete James Cortlay hastig. Er trug die Dame des Hauses auf seinen kräftigen Armen und eilte mit ihr zur Treppe hinüber. Lady Dorothy Wolverton war nur notdürftig bekleidet. Man hatte einen alten Mantel über sie gedeckt, doch der Saum ihres Nachthemdes war deutlich zu sehen. Sie machte einen erschöpften Eindruck und hielt die Augen geschlossen. Aus einer Tür unterhalb der großen Treppe kam die Köchin Flora, eine hagere, etwa fünfzig Jahre alte Frau. Sie hatte ihre Arme mit Wärmflaschen beladen. Neben ihr erschien die Küchenhilfe Beth, die ein Tablett mit Teekanne und Tasse trug. Sie warf Josuah Parker einen geradezu vernichtenden Bück zu. Josuah Parker verbeugte sich nur andeutungsweise und hielt diesem Blick stand, zumal er sich wirklich keiner Schuld bewußt war. Die beiden Küchendamen folgten dem Verwalter Cortlay, der bereits die Galerie erreicht hatte. »Sie mag Sie nicht, Mr. Parker«, frotzelte Lady Simpson wieder außerordentlich aufgeräumt und zwinkerte ihrem Butler keck zu. »Ich hätte Ihnen übrigens einen besseren Geschmack zugetraut, Mr. Parker.« »Mylady sehen mich nach wie vor zerknirscht«, erwiderte der Butler. »Ich werde in Zukunft besser auf Sie aufpassen müssen«, stichelte Lady Agatha genußvoll weiter. Sie wirkte schon wieder völlig munter. Sie hatte ihren Kreislauf intensiv gepflegt und so das Abenteuer auf dem Friedhof und mit dem Pfarrer sehr gut überstanden. Sie
schien sich, dank des Kreislaufmittels, noch nicht einmal einen Schnupfen geholt zu haben. Parker hingegen litt noch ein wenig unter seiner Entgleisung. Es war ihm nach wie vor äußerst peinlich, daß man ihn tief schlafend im Zimmer der Miß Beth angetroffen hatte. Wie er dorthin geraten war, konnte er sich noch nicht erklären, wenngleich er bereits eine gewisse Theorie entwickelt hatte. Kathy Porter hatte hingegen immer noch heftige Kopfschmerzen. Sie saß dicht vor dem Kamin in der großen Bibliothek, in dem ein mächtiges Feuer prasselte. Sie hielt sich die Schläfen und starrte ins Feuer. Sie hatte die Nachwirkungen der wilden Alpträume noch nicht überwunden. Zudem brannten die blutroten Symbole auf ihrer Haut. Sie quälten und irritierten sie. Es ging inzwischen auf die dritte Morgenstunde zu. An Schlaf war bisher nicht zu denken gewesen, weil man Lady Dorothy in ihrem Zimmer vermißt hatte. Es hatte eine ausgiebige Suche nach ihr im Haus stattgefunden, die Polizei war alarmiert worden, nun hatte man die Hausherrin endlich im Freien bergen können. Vernehmungsfähig war sie nicht, dies hatte Parker auf den ersten Bück gesehen. Der Butler war froh, daß Lady Simpson abgelenkt wurde. Zusammen mit einem uniformierten Polizeibeamten erschien ein untersetzter, rundlicher Mann, der etwa fünfundfünfzig Jahre alt sein mochte. Er trug einen sichtlich zu langen Mantel und eine schäbige Melone, die er höflich abnahm. »Inspektor Hereford«, stellte er sich linkisch vor. »Ich bin von der Polizeistation hier am Ort verständigt worden. Es
sollen sich recht eigenartige Dinge ereignet haben, wenn ich nicht irre.« Sein linkisches Benehmen war nur Tarnung, das merkte Butler Parker sofort. Er hielt sich an die kühlen Augen des Inspektors, die Intelligenz und Skepsis verrieten. »Lassen Sie sich von Mr. Parker alles erzählen«, meinte Lady Simpson, die jetzt doch erste Anzeichen von Müdigkeit zeigte. »Wenn Sie nichts dagegen haben, Inspektor, werde ich mich hinlegen. « »Ich wünsche eine angenehme Nachtruhe, Madam.«- Inspektor Hereford nickte zustimmend. »Ich werde meine Gesellschafterin mitnehmen, Inspektor. Einwände dagegen?« »Ganz sicher nicht, Madam.« Inspektor Hereford war erneut einverstanden. Auch er hatte sich bereits ein Bild von Parker gemacht und schien sicher zu sein, den richtigen Gesprächspartner in ihm gefunden zu haben. »Kann ich noch irgend etwas für Mylady tun?« fragte Parker. »Sorgen Sie dafür, daß man mich nicht wieder auf einem Friedhof aussetzt«, raunzte Lady Simpson ihn an. »Und lassen Sie die Frauen hier im Haus, in Ruhe, Mr. Parker. Sie sind schließlich kein junger Springinsfeld mehr!« * »Eine sehr ungewöhnliche Geschichte«, stellte Inspektor Hereford neutral fest, als Parker seinen Bericht beendet hatte. »Ungewöhnlich und eindeutig, wenn ich so sagen darf, Sir.«
»Es scheint, daß Ihnen irgend etwas verabreicht worden ist, das sie widerstandslos gemacht hat«, meinte Hereford. »Ich bin zwar kein Mediziner, aber die Symptome sprechen dafür, finden Sie nicht auch?« »Durchaus, Sir«, entgegnete der Butler. Er saß zusammen mit Hereford vor dem Kamin. »Das Essen oder die Getränke müssen entsprechend präpariert worden sein. Natürlich bin ich so frei, keineswegs an Geister und Spuk zu glauben.« »Daran tun Sie gut, Mr. Parker. Der Lastwagen war ganz sicher keine Geistererscheinung. Ich habe bereits veranlaßt, daß sich die Spurensicherung näher damit befaßt. Sie gaben bei der hiesigen Polizei zu Protokoll, diese Benzinspur sei ungewöhnlich hell und gleißend gewesen, nicht wahr?« »Es würde mir niemals einfallen, Sir, den polizeilichen Ermittlungen vorgreifen zu wollen«, schickte Josuah Parker voraus. »Meiner bescheidenen Ansicht nach wurde die Feuerspur mit Thermit ausgelegt. Falls es gewünscht wird, kann ich mit einigen Bodenproben dienen. Ich habe sie mir gleich an Ort und Stelle verschafft.« »Sehr nützlich«, freute sich Inspektor Hereford. »Sie kennen sich in solchen Dingen gut aus, Mr. Parker?« Josuah Parker ging auf die Frage des Inspektors nicht ein. »Konnte ermittelt werden, Sir, ob das Wegekreuz verdreht wurde?« »Die Arme wiesen genau in die richtige Richtung«, lautete die Antwort des Kriminalbeamten. »Doch das will nicht viel besagen. Man kann es nach dem Zwischenfall wieder berichtigt haben.«
»Sehr wahr, Sir. Ließe sich vielleicht feststellen, wer der Besitzer des Lastwagens ist?« »Selbstverständlich. Der Wagen wurde natürlich als gestohlen gemeldet. Er stammt aus Harlech und gehört einem Baustoffunternehmer, der mit der ganzen Sache nichts zu tun haben dürfte. Vom Fahrer des gestohlenen Lastwagens haben wir keine Spur finden können. Selbst im ausgebrannten Wrack konnten wir nichts entdecken.« »Eine recht geheimnisvolle Geschichte, wenn ich das so formlos ausdrücken darf.« »Ist sie tatsächlich so rätselhaft?« Inspektor Hereford sah den Butler aufmerksam an. »Könnten Sie sich vorstellen, wer an solch einem Attentat interessiert sein könnte?« »Dies, Sir, entzieht sich meiner Kenntnis«, antwortete Josuah Parker. »Genauer gesagt, haben Sie Feinde? Diese Frage schließt auch Lady Simpson und Miß Porter ein.« »Man kann nicht nur Freunde haben, Sir.« »Ihre Namen sind mir nicht unbekannt«, erklärte Inspektor Hereford. »Ich weiß, daß Sie sich privat mit der Aufklärung von Kriminalfällen befassen.« Parker nickte zustimmend. »Mylady behebt dieses Steckenpferd zu reiten, wenn ich das so respektlos ausdrücken darf.« »Noch genauer gefragt, Mr. Parker: Sind Gangster hinter Ihnen her?« »Dieser Tatbestand, Sir, ergibt sich zwar immer wieder, doch im vorliegenden Fall möchte ich solch eine Möglichkeit fast ausschließen. Warum sollten echte Profis derart umständlich verfah-
ren? Der Zwischenfall mit dem Lastwagen und dem brennenden Tankaufsatz wirkt für meine bescheidenen Begriffe ein wenig zu umständlich. Zudem hätten Täter, die an Mord interessiert sind, vor ein paar Stunden ihr Vorhaben in aller Ruhe ausführen können. Mylady, Miß Porter und meine bescheidene Wenigkeit waren das, was man außer Gefecht gesetzt nennt. Ein Mord bot sich förmlich an.« »Dann spielt irgendeine Person Katz und Maus mit Ihnen.« »Dieser Deutung würde ich mich anschließen, Sir.« »Hier will die betreffende Person ihren Triumph und ihre Überlegenheit voll auskosten.« »Ich schließe mich immer noch Ihrer Deutung an, Sir.« »Diese Person möchte sie durch eine Hölle der Angst jagen, bevor sie zuschlägt.« ' »Ich sehe keinen Grund, Sir, anders zu denken.« »Diese Person muß sich in Wolverton House befinden.« »Nicht unbedingt, Sir, wenn dieser Einwand gestattet ist.« »Das Abendessen wurde präpariert. Haben Sie das vergessen?« »Dies dürfte zwar richtig sein, Sir, aber das Präparat kann auch von einem Außenstehenden unter das Essen gemischt worden sein. Die Küche des Hauses ist, räumlich gesehen, leicht zugänglich.« »Ich möchte Ihnen einen Vorschlag machen, Mr. Parker. Bringen Sie Lady Simpson dazu, Wolverton House umgehend zu verlassen. Hier sind Sie Ihres Lebens nicht mehr sicher, glauben Sie mir.«
»Sie kennen Mylady nicht, Sir«, deutete der Butler vornehm an. »Mylady würden auf diesen Vorschlag, gerade nach den bekannt gewordenen Vorfällen, niemals eingehen.« »Ich werde Sie kaum schützen können.« »Natürlich nicht, Sir.« »Der Täter kann noch in dieser Nacht endgültig zuschlagen.« »Damit ist kaum zu rechnen«, widersprach der Butler. »Wie ich ihn einschätze, möchte er gern noch ein wenig mit seinen Opfern spielen. Ich möchte das, was sich bisher getan hat, als eine Ouvertüre bezeichnen.« »Sie haben gute Nerven, nicht wahr?« Inspektor Hereford lächelte amüsiert. »Hoffentlich reichen sie für diesen Fall aus, Sir. Mir ist durchaus bewußt, daß man es mit einem ungewöhnlichen Täter zu tun hat, der über Intelligenz, Witz und Sinn für raffinierte Steigerungen verfügt. Ein plötzlicher Mord paßt nicht zu diesem Täter. Er wäre sonst nur ein gewöhnlicher Mörder wie viele.« Parker sprach eigentlich nicht mehr zu Inspektor Hereford allein. Er hatte seine Stimme leicht angehoben und redete zur geöffneten Tür hinüber, die in die große Wohnhalle führte. Parker hoffte, von dem Täter gehört zu werden, und daß seine Worte auf fruchtbaren Boden fielen. Er spekulierte auf die Eitelkeit eines Mörders, den er leider noch nicht kannte. * »Ich bringe keine guten Nachrichten«, sagte Verwalter James Cortlay am anderen Morgen. Er war auf Josuah Parker zugegangen, der sich den weiträumigen
Park ein wenig angesehen hatte. Es war noch sehr früh, im Haus war alles ruhig. »Das Personal ist gegangen, nicht wahr?« »Sie wissen also schon Bescheid, Mr. Parker?« Cortlay hob bedauernd die Schultern. »Ich kann die Frauen ja verstehen. Nach den Vorfällen in der vergangenen Nacht glauben sie sich in Lebensgefahr.« »Dabei geht es doch wahrscheinlich nur um Lady Simpson, Miß Porter und um meine bescheidene Wenigkeit.« »Sind Sie da ganz sicher, Mr. Parker?« »Mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit, wie ich in solchen Fällen zu sagen pflege, Mr. Cortlay. Vielleicht könnte man den Kreis der Bedrohten noch zusätzlich einschränken. Geht es doch nur um Lady Simpson?« »Ich habe keine Ahnung. Ich weiß nur, daß es hier auf Wolverton House jetzt verdammt schwierig wird. Solch ein großes Haus ist einfach nicht instand zu halten. Mit neuem Personal brauchen wir erst gar nicht zu rechnen. Die Gruselgeschichten sprechen sich hier doch sehr schnell herum.« »Eine Frage im Vertrauen, Mr. Cortlay. Müssen Lady Dorothy Wolverton diesen Landsitz nicht ohnehin aufgeben?« »Lady Dorothy hat gerade nicht sehr viel Bargeld, aber verkaufen braucht sie vorerst nicht.« »Sie übersehen ihre finanziellen Verpflichtungen? « »Einigermaßen, Mr. Parker.« Cortlay nickte. »Wie konnte es zu diesem Engpaß kommen?«
»Meine Vorgänger haben Lady Wolverton zu riskanten Spekulationen verleitet, dabei ist es zu großen Vermögensverlusten gekommen. Mehr darf ich dazu nicht sagen, es wären reine Mutmaßungen.« »Sie denken privat, .Lady Dorothy Wolverton sei systematisch um ihre finanzielle Substanz gebracht worden?« »Sehr vornehm ausgedrückt, Mr. Parker.« Cortlay lächelte unwillkürlich. »Als ich vor einem halben Jahr hier anfing, war im Grunde schon nichts mehr zu retten. Ich sollte Ihnen wohl doch reinen Wein einschenken, obwohl ich das eigentlich nicht dürfte.« »Der Verkauf von Wolverton House ist also unausweichlich?« »Richtig, Mr. Parker, daran führt kein Weg mehr vorbei.« »Haben Sie schon Fühler ausgestreckt, wie es so treffend heißt? Haben Sie bereits Verbindungen mit eventuellen Käufern aufgenommen?« »Aber nein, Mr. Parker. Ohne Auftrag würde ich so etwas niemals tun. Die Sache mit dem Verkauf werde ich Lady Wolverton erst sehr schonend beibringen müssen.« »Ist Wolverton House Ihrer Meinung nach überhaupt abzusetzen?« »Sehr schwer zu sagen. Es müßte sich schon ein Liebhaber dafür finden. Die zum Landsitz gehörenden Ländereien sind schon vor meinem Antritt hier verkauft worden. Der Besitz besteht jetzt nur noch aus dem Haus und dem Park. Mehr ist nicht mehr vorhanden.« »Dies sind allerdings niederschmetternde Nachrichten, Mr. Cortlay.« »Darf ich jetzt eine Frage im Vertrauen stellen, Mr. Parker?«
»Sie möchten wissen, ob Lady Simpson vielleicht den Restbesitz übernehmen würde, nicht wahr?« »Genau, Mr. Parker. Sie soll ja sehr vermögend sein. Vielleicht will sie diesen Familiensitz retten. Es könnte ja sein, sie ist schließlich die Schwägerin von Lady Wolverton.« »Das ist eine Frage, die mein höchstes Interesse erregt«, sagte Parker, das Thema wechselnd. »Wer, Mr. Cortlay, außer Lady Wolverton und Ihnen, wußte von dem Hilferuf an Lady Simpson? Wer wußte noch, daß Mylady gestern hier auf Wolverton eintreffen würde?« »Keiner sonst, Mr. Parker. Ich allein war anwesend, als Lady Wolverton anrief. Ich allein, um es noch einmal zu sagen. Ich bin sicher, daß sonst kein Mensch von dieser Einladung wußte.« »Und dennoch wartete ein Mörder auf Lady Simpson«, stellte der Butler fest. »Hier auf Wolverton House befindet sich der Mörder, der sich einen Spaß daraus macht, mit seinen Opfern zu spielen.« »Ich wette, Sie trauen mir nicht über den Weg, Mr. Parker«, sagte Cortlay und lachte amüsiert auf. »Erwarten Sie darauf tatsächlich eine exakte Antwort?« fragte der Butler gemessen zurück. »Warum sollte ich Lady Simpson, Miß Porter und Sie töten wollen?« Cortlay schüttelte den Kopf. »Wo wäre da mein Vorteil? Was könnte ich an diesem Massenmord verdienen? « »Über diese Frage werde ich näher nachdenken«, versprach Josuah Parker höflich und liftete dann seine schwarze Melone. »Ich möchte übrigens nicht versäumen, mich für diese gutgemeinte Anregung zu bedanken.«
* »Nicht gerade ideal, aber doch ganz brauchbar«, entschied Lady Agatha Simpson nach dem Frühstück. Sie befand sich zusammen mit Josuah Parker auf dem weiten Rasen hinter Wolverton House und wollte sich mit Golfspiel ein wenig die Zeit vertreiben. So wirkte es vielleicht auf den ahnungslosen Zuschauer. In Wirklichkeit aber wollte die resolute Dame zum Gegenangriff übergehen. Ihr ging es darum, den geheimnisvollen Täter herauszufordern. Leichtsinnig wie sie nun einmal war, bot sich Lady Agatha Simpson als Köder an. Josuah Parker war zwar dagegen gewesen, doch er hatte Lady Simpson nicht umzustimmen vermocht. Wenn sie sich einmal etwas in den Kopf gesetzt hatte, dann führte sie es auch auf Biegen und Brechen durch. Parker trug eine schon recht abgenutzte Golftasche, in der sich verschiedene Golfschläger befanden. Er folgte gemessen seiner Herrin, die den Golfball über den leicht hügeligen Rasen trieb. Sie hielt zielsicher auf die Zone der hohen Sträucher zu, die den Park begrenzten. Es handelte sich natürlich nicht um einen echten Golfrasen mit Löchern zum Einputten. Lady Simpson betrieb nur ein leichtes Konditionstraining. Wie gut sie aber in Form war, zeigte die Kraft und Wucht ihrer Schläge. »Warum stellen wir dem Täter nicht eine Falle?« fragte sie. Lady Simpson war von ihrem Butler umfassend informiert worden. »Wenn wir abreisen, wird er Farbe bekennen müssen. Dann muß
er sich mit seinem geplanten Mord beeilen, Mr. Parker.« »Mit solch einer Reaktion wäre in der Tat zu rechnen, Mylady.« »Worauf warten wir dann noch?« »Die Vorteile wären auf der Seite des Mörders, Mylady, wenn ich darauf verweisen darf.« »Und wenn wir bleiben?« »Genießt der Mörder möglicherweise sein Spiel, Mylady. Ihm scheint es ja offensichtlich darum zu gehen, seine Überlegenheit voll auszukosten.« »Sind Sie da sicher, Mr. Parker?« »Ich verweise auf die vergangene Nacht, Mylady. Der Täter hätte sehr leicht seine Morde ausführen können, doch er tat es nicht. Dies scheint mir ein äußerst wichtiger Gesichtspunkt zu sein.« »Gut, wir werden bleiben. Ich war ja von Anfang an dafür.« Lady Simpson nickte und interessierte sich jetzt für den Ball, den sie erreicht hatten. Sie waren nicht mehr sehr weit von den ersten Sträuchern der Begrenzungszone entfernt. Parker musterte unauffällig, aber intensiv dieses schwer überschaubare Gelände. Seine innere Alarmanlage hatte sich bereits eingeschaltet. Gefahr lag in der Luft. Dort drüben im Strauchwerk bereitete sich eine Überraschung vor. Parker konnte nur hoffen, daß seine Einschätzung des Mörders stimmte. Falls dies nicht der Fall war, konnte es leicht zu einer Katastrophe kommen. »Darf ich Mylady um Panik bitten, falls es zu einem Zwischenfall kommt?« fragte er leise. Und dann passierte es auch schon. Lady Agatha Simpson fand keine Zeit, ihrem Butler eine Antwort zu geben. Aus dem Strauchwerk segelte
eine Art Miniaturkomet hervor, dessen Feuerschweif gefährlich zischte. Dicht neben dem Golfball landete jetzt ein Dynamitstab im Gras, dessen überraschend kurze Lunte Feuer spuckte. Lady Simpson stieß einen gellenden Schrei aus und rannte weg. Sie warf dabei ihren Golfschläger zu Boden, duckte sich und lief auf eine kleine Senke zu. Josuah Parker wußte nicht genau, ob Lady Agatha Simpson in wirklicher Panik schrie. Er hatte auch keine Zeit mehr, sich genau danach zu erkundigen. Er hörte das tückische Zischen der Lunte, die fast heruntergebrannt war, sah den Dynamitstab, der gleich detonieren mußte und handelte. Er riß einen Golfschläger aus der Tasche, holte aus und schlug zielsicher und kraftvoll zu. Er traf genau. Der Dynamitstab hob sich aus dem Gras, schoß in einer ansteigenden Kurve in die Luft und wirbelte dann zurück in das Strauchwerk. Um allen peinlichen Eventualitäten aus dem Weg zu gehen, warf der Butler sich dann flach ins Gras und hob beide Arme schützend über Melone und Kopf. Er wartete offensichtlich auf die Detonation, die jeden Augenblick erfolgen mußte, doch im Buschwerk rührte sich nichts. Der Dynamitstab verhielt sich vollkommen ruhig. Er hatte sich im Strauchwerk verfangen und pendelte in dünnen Zweigen, schaukelte fast anmutig hin und her und gab dann ein verpuffendes leises Geräusch von sich. Parker erhob sich, klopfte sich Grashalme von seinem schwarzen Zweireiher und machte einen äußerst irritierten Eindruck. Er schaute zu Lady Simpson
hinüber, die die schützende Talsenke bereits verlassen hatte und mit schnellen Schritten zurück zum Landsitz eilte. Die energische Dame schien mit ihren Nerven völlig am Ende zu sein. Parker griff nach der Golftasche und zuckte erneut zusammen. Ein zweiter Dynamitstab lag bereits zischend im Gras. Auch die Lunte dieses Sprengkörpers war verdächtig kurz. Parker schaltete. Es war schon immer seine Spezialität gewesen, sich in die Gedanken eines Täters versetzen zu können. Diesmal verzichtete er auf einen Treibschlag. Er rannte los, erreichte mit knapper Mühe und Not die kleine Senke, hechtete sich dort hinein und bot auf keinen Fall mehr das Bild eines stets beherrschten Menschen, der über allen Situationen stand. Wie richtig er daran getan hatte, zeigte sich Bruchteile von Sekunden später. Der Dynamitstab krachte berstend auseinander. Parkers Melone wurde von der Druckluftwelle erfaßt und durch die Luft geschleudert. Und dort, wo der Stab eben noch gewesen war, schoß eine gelbgraue Rauchwolke steil gen Himmel. Der Rasen wurde ganz empfindlich aufgerissen. Parker gratulierte sich zu seiner Reaktion und Einschätzung der Lage. Man hatte es wirklich mit einem wahrhaft teuflischen Täter zu tun. Hier mußte ein Sadist am Werke sein. Josuah Parker erhob sich, schaute noch einmal zu den Sträuchern hinüber und begab sich dann äußerst eilig hinüber zum Landsitz. Genau gesagt verzichtete er sogar auf jede Spur von Würde und Gemessenheit. Parker legte
einen Schweinsgalopp vor, der so gar nicht zu ihm paßte. Er war sicher, daß der Mörder dieses Schauspiel in vollen Zügen genoß. * Lady Agatha Simpson hatte den Landsitz bereits erreicht, stürmte durch die Tür in die große Wohnhalle und rief nach ihrer Schwägerin. Die Detektivin machte noch immer einen äußerst verwirrten Eindruck. Die Detonation hatte ihre Schritte nur noch beflügelt. Sie war atemlos und wirkte sichtlich erschöpft. Lady Dorothy Wolverton antwortete nicht. Lady Agatha Simpson schien Angst zu haben. Nur sehr vorsichtig traute sie sich weiter in die Halle hinein und . . . stieß einen Laut des Entsetzens hervor. Oben auf der Galerie erschien ein Skelett. Es war ganz plötzlich da, erstrahlte in einem grünlich-magischen Licht und klapperte mit seinen Gebeinen. Lady Simpson schnaufte beeindruckt, starrte nach oben und schüttelte dann irritiert den Kopf. In Sekundenschnelle war das Skelett vom Dämmerlicht oben auf der Galerie verschluckt worden. Dafür aber erschien stöhnend und ächzend eine Gestalt an der Brüstung, deren Kopf eine mächtige Streitaxt zierte. Der Schädel war offensichtlich gespalten. Es war schon ein medizinisches Wunder, daß die Gestalt dort oben sich überhaupt noch auf den Beinen halten konnte. Sie taumelte zur Treppe, stöhnte, verlor das Gleichgewicht und fiel dann kopfüber die Stufen nach unten.
Lady Simpson stöhnte ebenfalls auf und wandte sich zur Flucht. Als sie zurück ins Freie stürmen wollte, stieß sie mit ihrem Butler zusammen, der seinerseits unbedingt ins Haus wollte. »Ein. .. ein Toter«, keuchte Lady Simpson. »My .. .Mylady sehen mich bestürzt«, gab der Butler zurück. »Be ... Bestehen Mylady darauf, daß ich ihn sofort in Augenschein nehme?« »Nein, nein«, antwortete Lady Agatha. »Kommen Sie schnell, Mr. Parker. Ich bleibe keinen Augenblick länger in diesem Haus.« Parker nickte und geleitete Lady Simpson ins Freie. Sich immer wieder nach allen Seiten umsehend, führte er die konsternierte Lady Simpson zu seinem hochbeinigen Wagen hinüber. Er mußte ein wenig nachhelfen, um Lady Simpson in den Wagen zu hieven. Ihre Beine waren weich geworden. Er setzte sich ans Steuer und fuhr los. Er unternahm einen Rennstart. Die Räder tourten durch, so eilig hatte es der Butler. Er kurvte über die Auffahrt und jagte dann durch den weiten Park. »Hoffentlich übertreiben wir nicht, Mr. Parker«, sagte Lady Simpson jetzt mit völlig normaler Stimme. »Ich komme mir sehr albern vor.« »Der Täter braucht das, was man im Volksmund gemeinhin > starken Tobak < nennt«, gab der Butler höflich zurück. »Was war das für eine Detonation, Mr. Parker?« »Eine zweite Dynamitstange, Mylady, diesmal allerdings ein echtes Exemplar.« »Das geht zu weit, Mr. Parker. Ich lasse mir das nicht länger bieten.«
»Darf ich mir erlauben, Myladys Geduld noch ein wenig zu strapazieren?« bat Josuah Parker. »Der Täter dürfte meiner bescheidenen Ansicht nach sein Hochgefühl noch nicht ganz erreicht haben.« »Haben Sie wenigstens eine Theorie, wer der Täter sein könnte?« »Ich muß ungemein bedauern, Mylady.« »Ich traue diesem Verwalter nicht über den Weg, Mr. Parker.« »Inspektor Hereford zieht bereits Erkundigungen über ihn ein«, antwortete der Butler. »Er war so freundlich, mir auch zusätzliche Informationen beschaffen zu wollen.« »Dieser Tote im Haus wird nachher natürlich nicht mehr vorhanden sein.« » Natürlich nicht, Mylady.« »Wo steckt Kathy, Mr. Parker? Ich möchte nicht, daß das Kind sich in Gefahr begibt.« »Miß Porter widmet sich Mr. James Cortlay«, gab Parker nähere Auskunft. »Sie wird zu verstehen geben, daß sie sich von Mylady trennen möchte, aber leider stark verschuldet ist.« »Demnach werde ich also als ein wahres Ungeheuer geschildert, nicht wahr? « »Eine taktische Maßnahme, Mylady, die Mylady verzeihen sollten.« »Ich möchte möglichst bald zum Angriff übergehen«, erklärte die Lady energisch.« Ich bin schließlich keine Maus, mit der man spielt.« »Natürlich nicht, Mylady.« Josuah Parker erlaubte sich die Andeutung eines schwachen Lächelns. Schon von der Figur her war Lady Agatha Simpson nicht mit einer Maus zu vergleichen.
»Unterlassen Sie gefälligst das impertinente Grinsen, Mr. Parker«, raunzte ihn die resolute Dame an. »Mylady müssen meinen Gesichtsausdruck mißdeutet haben«, entschuldigte sich der Butler und liftete sicherheitshalber seine schwarze Melone. »Darf ich Sie darauf hinweisen, daß man sich einer schmalen Holzbrücke nähert?« »Na und?« »Ich würde dieser Brücke unter den gegebenen Umständen nicht allzuviel Vertrauen entgegenbringen«, meinte der Butler kühl. »Sie ist die einzige Verbindung über den Bach weit und breit. Möglicherweise hat auch der Täter daran gedacht.« »Und was schlagen Sie vor?« »Es wird bereits vorgeschlagen, Mylady!« Während der Butler noch sprach, quoll unter der schmalen, aber an sich soliden Holzbrücke eine tückisch und bedrohlich aussehende Wolke hervor. Sie hüllte die Brücke in Sekundenschnelle völlig ein. »Der Täter besteht darauf, daß Mylady auf dem Gebiet von Wolverton-House bleibt«, stellte der Butler fest, ohne sich auch nur eine Spur aus der Fassung bringen zu lassen. »Wenn ich mir den Rat erlauben darf, sollte man diesem Wunsch nachkommen.« * Die Leiche mit dem gespaltenen Schädel am Fuße der Treppe war natürlich verschwunden. Butler Parker war in die Wohnhalle gegangen und hatte sich zuerst dort umgesehen. Er erschien darauf draußen an der Tür und bat Lady Simpson herein.
»Ich bin sicher, daß ich sie ganz deutlich gesehen habe«, erklärte die energische Dame gespielt nervös und laut. »Sie kollerte die Treppe herunter, Mr. Parker. Ich konnte jede Einzelheit genau verfolgen.« »Darf ich Mylady hinauf auf ihr Zimmer geleiten? Ein wenig Ruhe wäre vielleicht angebracht.« Bevor Lady Agatha Simpson sich weiter dazu äußern konnte, erschien oben auf der Galerie die Gastgeberin. Lady Dorothy Wolverton, wie immer leidend aussehend, schwebte die Treppen hinunter und sah ihre Schwägerin prüfend an. »Ist etwas passiert?« fragte sie dann. »Du hast nichts mitbekommen?« wunderte sich Lady Agatha und schüttelte erstaunt den Kopf. »Was denn?« Die Hausherrin schien wirklich völlig ahnungslos zu sein. »Dann werde ich dir alles ausführlich erzählen, Dorothy. Wo kann man sich in diesem schrecklichen Haus sicher fühlen?« »Ich . . . Ich weiß es nicht«, gab Lady Wolverton ängstlich zurück. »Ich habe eigentlich immer Angst, Agatha. In diesem Haus fühle ich mich nicht mehr sicher.« »Warum ziehst du dann nicht aus?« »Das . . . Das ist eine Geschichte, die du unbedingt hören mußt, Agatha. Gehen wir hinauf in mein Zimmer, ja?« »Mylady werden, falls Sie mich brauchen sollten, meine bescheidene Wenigkeit in der Küche finden«, sagte Parker. »Ich werde mir erlauben, einen kleinen Lunch herzurichten.« Die beiden Frauen gingen nach oben, während der Butler unten in der Wohnhalle wartete. Als die beiden Damen auf
der Galerie waren, wandte der Butler sich ab und ging auf die Tür zu, die sich unter der großen Treppe befand. Von dort erreichte man über Treppen und Korridore die Küchenräume. Um Lady Agatha Simpson machte er sich im Augenblick keine Sorgen. Einmal war sie bewaffnet und wußte mit einer Pistole ausgezeichnet umzugehen, zum anderen glaubte er nicht, daß der Mörder jetzt endgültig zuschlagen würde. Parker war trotzdem wachsam, als er die Steinstufen hinunterschritt. Welche Rolle er im Gesamtplan des Täters spielte, war ihm nicht bekannt. Er konnte sich allerdings vorstellen, daß man ihn gern außer Gefecht setzen wollte. Da war schließlich der zweite Dynamitstab gewesen, der sich als scharf erwiesen hatte. Er erreichte die Küche, die im Souterrain war und die er bereits kannte. Er sah sich die Vorräte in der Speisekammer und in den beiden Kühlschränken an. Sie machten einen unverdächtigen Eindruck. Viel fand er übrigens nicht vor, die Vorräte waren mehr als bescheiden und deuteten darauf hin, daß man Lady Wolverton keinen Kredit mehr einräumte. War ihre verzweifelte Finanzlage der Grund für dieses Theater? Gingen all diese Vorgänge auf die Initiative der Lady Wolverton zurück? Hatte sie sich mit ihrem Verwalter James Cortlay verbunden? Spekulierte die Hausherrin auf den Tod der Lady Simpson? Wartete sie nur darauf, ihr Erbe antreten zu können? Parker gönnte sich ein wenig Ruhe, um sich mit diesen Fragen in aller Ruhe auseinanderzusetzen. Er hatte in der Nische hinter einem mächtigen Pfeiler
Platz genommen und konnte von den Fenstern aus nicht gesehen werden. Der Gang führte auf einen etwa anderthalb Meter breiten weiteren Gang hinaus, der als Licht- Und Luftzufuhr diente. Warum zog Lady Dorothy, falls sie die wirkliche Täterin war, solch ein unglaubwürdiges Spektakel auf? Es war doch klar, daß die Behörden nach einem Mord an Lady Simpson niemals mit einem Spuk rechnen würden. Die Polizei hielt sich in jedem Fall an Realitäten und gab sich ganz sicher nicht mit einem Gespenst als Mörder zufrieden. Parker gestand sich ein, daß er sich die Motive für diesen Spuk nicht erklären konnte. Wer, das war zum Beispiel eine wichtige Frage, verfügte über Dynamit? Wer hatte sich vorsorglich mit einer Rauchbüchse versorgt, die wahrscheinlich aus Beständen der Armee stammte? Wieso hatte man die schmale Holzbrücke so schnell mit diesem Signalrauch sperren können? Lady Simpson hatte in der regenschweren Sturmnacht zwei Gestalten ausmachen können. Kathy Porter hatte sie ebenfalls gesehen. Wer waren diese beiden Personen? Lady Wolverton und James Cortlay? Nein, Parker wollte nicht so recht daran glauben. Ging es überhaupt nicht um Lady Agatha Simpson, wie er vermutete? War sie nur einbezogen worden in ein raffiniertes Kesseltreiben, das ausschließlich Lady Wolverton galt? Sollte sie dazu gebracht werden, Wolverton House so schnell wie möglich zu verkaufen? Wenn dem so war, mußte der Landsitz für den Täter ungemein wertvoll sein, und zwar über den rein materiellen Rahmen hinaus. Parker hatte plötzlich eine Idee.
Er dachte an die Hinweise, die James Cortlay ihm geliefert hatte. Danach waren sämtliche Ländereien bereits verkauft worden. Wer also hatte das alles aufgekauft? Wer wollte jetzt noch unbedingt das Landhaus besitzen? Gab es irgendwelche Bodenschätze? Bargen die Mauern von Wolverton House einen geheimen Schatz? Ging es um eine zielstrebige Planung? Nun, der entscheidende Punkt in Seinen Überlegungen waren das absichtlich verdrehte Wegekreuz und der Lastwagen mit dem Tankaufsatz. Perfekter und tödlicher hätte eine Falle gar nicht aussehen können. Nun aber fragte sich der Butler, ob diese tödliche Falle ihnen gegolten hatte. War sie für Lady Agatha Simpson, Kathy Porter und ihn präpariert worden? Parker kam nicht mehr dazu, diesen Gedanken vollständig zu Ende zu führen, denn in diesem Augenblick waren oben im Haus zwei Schüsse zu hören! * »Sehen Sie sich das Scheusal genau an«, forderte Lady Simpson den Butler auf und wies angewidert auf den Mann, in dessen Schädel die mächtige Axt getrieben worden war. »Eine Puppe, wenn ich nicht sehr irre, Mylady.« Parker war im Eiltempo hinauf ins Obergeschoß gerannt und stand nun vor dem Spuk, der mit seltsam verrenkten Gliedern auf dem Boden des Korridors lag. »Natürlich ist das eine Puppe«, gab Lady Agatha zurück. »Und du, Dorothy, solltest dich endlich zusammennehmen. Du benimmst dich wie ein Kind. Nimm dir ein Beispiel an mir!«
Parker untersuchte die Puppe, deren' Kopf aus Kunststoff bestand. Die Axt stammte wahrscheinlich aus dem Haus. Altertümliche Waffen hingen hier überall an den Wänden. »Das Ding kicherte auf dem Korridor herum«, erklärte Lady Simpson ihrem Butler. »Ich gebe zu, daß ich ein wenig gereizt war, die Tür aufriß und erst einmal schoß.« »Wer die Puppe geführt hat, Mylady, war nicht zu erkennen?« »Dort drüben am Schrank liegen ein paar Stecken«, redete die Amateurdedektivin animiert weiter. Ihre Augen funkelten vergnügt. »Damit ist das Gespenst wahrscheinlich herumgestoßen worden.« »Ich . . .Ich werde das Haus sofort verlassen«, sagte Lady Dorothy leise und musterte ängstlich und scheu die Puppe. »Ich halte es hier nicht mehr länger aus, Agatha.« »Darüber werden wir später noch reden, Dorothy.« »Bitte, schaffen Sie das scheußliche Ding weg«, sagte Lady Wolverton, sich an den Butler wendend. »Sehr wohl, Mylady.« Parker bückte sich und hob das Gespenst an. Er trug es hinüber zur Galerie und stellte es dort erst einmal ab. Dann ging er zu den beiden Damen zurück, die in Lady Dorothys Zimmer verschwunden waren. »Er muß es einfach wissen«, sagte Lady Simpson gerade eindringlich zu ihrer Schwägerin. »Mr. Parker ist mehr als nur ein Butler, begreife das endlich. Lady Wolverton ließ sich in einem Sessel nieder und sah angestrengt zur Seite. Es war ihr offensichtlich peinlich, daß Lady Simpson Details zur Sprache bringen wollte, die ihrer Ansicht nach
niemals für die Ohren von Angestellten gedacht waren. »Meine Schwägerin ist pleite«, sagte Lady Agatha rundheraus und derb. »Sie pfeift auf dem letzten Loch, Mr. Parker. Bis auf den Landsitz hier mit dem vorderen Teil des Parks gehört ihr hier überhaupt nichts mehr.« »Darf ich Mylady eine Frage stellen?« Parker sah fragend zu Lady Wolverton hinüber. »Fragen Sie. Sie dürfen!« Lady Simpson nickte energisch. »Wer ist der neue Besitzer?« »Hast du nicht gehört, Dorothy? Wie heißt der neue Besitzer der gesamten Ländereien? Vornehmes Schweigen ist jetzt wirklich nicht angebracht.. Rede endlich!« »Ein – ein Mr. Herbert Blakers«, lautete die leise Antwort die nur sehr widerwillig gegeben wurde. »Mylady kennen diesen Herrn?« »Natürlich. Mr. Blakers ist ein sehr angesehener Hotelier in Harlech.« »Ist er auch an Wolverton House selbst interessiert?« »Heraus mit der Sprache, Dorothy.« Lady Simpsons Stimme grollte gefährlich. »Er hat mir bereits vor Monaten ein Angebot gemacht.« Lady Wolverton nickte. Sie antwortete nur sehr zögernd. »Gibt es sonst noch Interessenten?« erkundigte sich Josuah Parker, der plötzlich neue Zusammenhänge witterte. »Verkauften Mylady direkt an Mr. Blakers?« »Das besorgte meine Hausbank«, sagte Lady Dorothy Wolverton jetzt in einem hochfahrenden Ton. »Mit diesen Dingen geb ich mich nicht ab.«
»Mylady hatten Verbindlichkeiten bei der Bank?« »Total verschuldet war sie, und die Bank sicherte sich mit den verpfändeten Ländereien ab.« Lady Simpson hatte sich eingeschaltet. Es war ihr völlig gleichgültig, ob ihre Schwägerin zusammenzuckte oder nicht. Lady Simpson liebte eine offene und ungezwungene Sprache. »Kam es zu einer, verzeihen Sie, Mylady, Versteigerung durch die Bank?« »Bevor es eine öffentliche Ausschreibung gab, schaltete sich Mr. Blakers ein. Er löste meine Schuldverschreibungen ein.« Lady Dorothy senkte den Kopf und war äußerst verlegen. »Woher wußte er denn von deiner Misere?« Lady Simpson hakte gnadenlos nach. Parker fand, daß er nicht besser hätte fragen können. »Muß das sein, Agatha?« Lady Wolverton zerzupfte ihr kleines Taschentuch. »Ich verstehe.« Lady Agatha nickte und ließ nicht locker. »Du hattest ihn verständigt, nicht wahr? Du kennst ihn also recht gut, wie?« »Wir – wir sind miteinander befreundet«, gestand Lady Dorothy ein. Das kleine Taschentuch bestand jetzt nur noch aus kleinen Fetzchen. »Das heißt, wir waren es. Diese Affäre ist inzwischen beendet.« Parker war klar, daß Lady Simpson hier nachhaken würde, doch dabei wollte er nicht stören. Er verbeugte sich und verließ diskret das Zimmer der Gastgeberin, um sich noch ein wenig näher mit der Gespensterpuppe zu befassen. Zu seiner Überraschung aber war diese nicht mehr vorhanden. Sie schien sich in Luft aufgelöst zu haben.
* »Geld müßte man haben«, sagte James Cortlay zu Kathy Porter und seufzte auf. »Was könnte man aus diesem Tal alles machen.« »Schöner geht es doch gar nicht mehr«, erwiderte Kathy und sah in das grüne Tal hinunter. Jenseits der Hügel und Berge war der Mount Snowdon zu sehen, mit seinen elfhundert Metern schon ein beachtlicher Berg. Weiter westlich schimmerte die See. »Ich denke an den Fremdenverkehr«, begeisterte sich Cortlay weiter. »Stellen Sie sich vor, Miß Porter, wie man nach Wolverton House strömen würde. Der Landsitz wäre mit .wenigen Mitteln in ein erstklassiges Hotel zu verwandeln.« »Mit Geistern und Spuk inbegriffen, nicht wahr?« Kathy verzog ihr Gesicht. »Glauben Sie etwa daran, Miß Kathy?« »Na, ich weiß nicht recht.« Kathy Porter hob die Schultern. »Unheimlich ist das alles schon, oder?« »Reiner Mumpitz.« »Und wer führt den vor, Mr. Cortlay? Aus welchem Grund will man Lady Wolverton in Angst und Schrecken jagen?« »Um sie zum Verkauf zu treiben. Für mich ist das ein ganz klarer Fall.« . »Sie erzählten doch eben, daß die Ländereien bereits verkauft worden sind.« »An Blakers.« Cortlay nickte. »Und ich wette, der steckt auch hinter dem Unfug mit den Gespenstern. Er will sich alles unter den Nagel reißen.«
»Dann müßte er im Haus selbst aber Verbündete haben, finden Sie nicht auch?« »Darüber denke ich unentwegt nach, Miß Kathy. Und auch über die Sache mit dem Lastwagen.« »Um ein Haar wären Lady Agatha, Mr. Parker und ich umgekommen. Warum wollte man uns ermorden?« »Glauben Sie wirklich, daß der Anschlag Ihnen gegolten hat? « James Cortlay sah Kathy erstaunt an. »Wem denn sonst? Man hat ja fast auf uns gewartet. Dann das verdrehte Wegekreuz! Das war doch ein richtiger Mordanschlag.« »Das schon, Miß Kathy, aber er galt wahrscheinlich Bruce Wells. Könnte ich mir wenigstens vorstellen.« »Wer ist denn das? Bruce Wells? Nie gehört.« Sie wanderten weiter über die Hügel und genossen die Aussicht auf das herrliche Land. An Gefahr oder Überraschungen dachten sie nicht. Kathy Porter war es schnell gelungen, das Vertrauen dieses James Cortlay zu gewinnen. Sie horchte ihn vorsichtig aus. Josuah Parker wollte schließlich durch sie herausbekommen, was mit Cortlay los war. »Bruce Wells ist ein Konkurrent von Blakers«, erklärte Cortlay beiläufig. »Sie bekämpfen sich schon seit Jahren bis aufs Messer.« »Konkurrenzneid?« Kathy Porter gestattete sich ein leichtes Stolpern und hielt sich an Cortlay fest. Er nutzte seine Chance und zog sie vorsichtig an sich. Kathy räumte ihm ein paar Sekunden ein, befreite sich dann lächelnd von ihm und nickte ihm dankbar zu.
»Konkurrenzneid?« wiederholte sie dann ihre Frage. »Das klingt ein bißchen zu sanft«, meinte James Cortlay. »Sie waren früher einmal Kompagnons, trennten sich dann aber im Streit. Wells und Blakers bauten danach ihre eigenen Hotelketten auf. Sie jagten sich gegenseitig das Personal ab, unterbieten die Pensionspreise und demolieren sich auch gegenseitig ihre Nachtclubs. Beweisen kann ich das nicht, aber man weiß halt Bescheid in der Branche.« »Stammen Sie denn aus der Hotelbranche, James?« »Ich war Blakers Assistent«, antwortete Cortlay. »Ich weiß Dinge, über die man besser nicht spricht, Kathy. Man könnte sich sonst die Zunge verbrennen. Blakers ist ein Kerl, der über Leichen geht, wenn es sich nur für ihn bezahlt macht.« Kathy blieb stehen und sah zu dem schmalen Weg am Waldrand hinüber, auf den sie langsam zugingen. Sie wollten zurück nach Wolverton House und hatten noch einen ziemlich weiten Weg vor sich. Zwei Männer stiegen aus einem Jeep. Ihre Gesichter waren nicht zu erkennen, denn sie trugen Sonnenbrillen und hatten sich ihre Golfmützen tief ins Gesicht gezogen. Es schien sich um Jäger zu handeln, denn sie holten jetzt Gewehre aus dem Jeep. Kathy Porter spürte plötzlich Unruhe in sich aufsteigen. Sie kam sich wie Wild vor, das gejagt werden wollte. Sie befand sich mit James Cortlay auf einem Grasweg und bis zum Waldrand waren es gut und gern noch hundert Meter.
»Was ist denn, Kathy?« fragte Cortlay. Auch er war jetzt stehengeblieben. »Die beiden Männer dort drüben gefallen mir nicht.« Sie deutete verstohlen zum Waldrand hinüber. Um ihn zu erreichen, mußte man erst ein mit Büschen und Sträuchern bewachsenes, kleines Tal, durch das ein kleiner Bach floß, durchqueren. »Na und? Zwei Jäger.« Er lächelte unbesorgt und wollte weitergehen. »Die es auf uns abgesehen haben!« Kathy holte tief Luft, als einer der beiden Männer sein Gewehr in den Anschlag nahm und sie anvisierte. »Schnell, James!« Sie wartete seine Reaktion nicht ab, denn es ging um Sekunden. Sie hatte sich blitzschnell für das schmale, kleine Tal entschieden, hechtete sich vor und rollte sich ab. Sie hörte Schüsse, die gedämpft klangen. Kathy nahm sich nicht die Zeit, nach den beiden Schützen Ausschau zu halten. Sie rollte sich nochmals. ab, machte sich dabei ganz klein, warf sich nach links und hatte die Wiese damit auch schon hinter sich. Kathy rauschte in Zweige und Blätter hinein, rutschte ab, hielt sich fest und platschte dann mit der Hüfte in den Bach. Sie sah hoch und versuchte den Weg auszumachen, konnte aber nichts sehen, denn die Zweige und Blätter der Büsche bildeten ein dichtes und schützendes Dach. Sie befand sich damit vorläufig in Sicherheit. Sie fuhr herum, als sie ein Keuchen hinter sich vernahm. James Cortlay watete hinkend durch den Bach auf sie zu und schien sich verletzt zu haben.
* »Wir müssen hier weg«, flüsterte Cortlay nervös, nachdem er Kathy erreicht hatte. Er rieb sich das linke Bein und stöhnte. »Haben Sie sich verletzt?« »Nicht der Rede wert, Kathy, nur ein Kratzer. Mein Gott, das war knapp. Sie haben aus allen Rohren auf uns geschossen.« »Wer können die beiden Männer sein?« »Ist für mich ganz klar, Kathy.« Er redete leise und schaute sich dabei immer wieder nach allen Seiten um. »Das sind Blakers Schläger. Er hat sich eine ganz schöne Leibgarde zugelegt.« »Aber warum jagen sie uns?« »Wir sollen verschwinden, Kathy, liegt doch auf der Hand. Erwischt von Gespenstern.« »Das verstehe ich nicht.« Kathy schüttelte den Kopf. »Wir sollen irgendwohin verschwinden. Zurück würden dann nur noch ein paar Hinweise auf Gespenster bleiben. Blakers arbeitet mit faulen Tricks. Wie in Wolverton House.« »Hören Sie doch, James!« Und ob er gehört hatte. Auf dem Hang, der hinauf zum Weg führte, kollerten plötzlich Steine und waren Rufe zu hören. Die beiden Killer liefen den Hang hinunter, um ihr Wild unten am Bach aufzuspüren und zu stellen. Die Situation spitzte sich dramatisch zu und wurde für Kathy und Cortlay immer prekärer. »Wir müssen weiter«, drängte Kathy und deutete bachaufwärts. Dort wurde der Bachlauf steiniger und flacher und
das Gesträuch dichter. Für ein erstes Versteck boten sich diese dichten Sträucher förmlich an. »Wir müssen rüber auf die Straße«, widersprach James Cortlay, der immer nervöser wurde. Er schien die Killer dieses Mr. Blakers sehr genau zu kennen. Cortlay wollte in die entgegengesetzte Richtung. Er griff nach Kathys Hand und wollte sie in die andere Richtung zerren. Kathy war mit dieser Entscheidung gar nicht einverstanden. Sie war von Josuah Parker ausgebildet worden und wußte auch, wie man sich draußen im Gelände richtig zu verhalten hatte. Sie wollte den beiden Schützen nicht direkt ins Visier laufen. Sie riß sich einfach los und nahm die Richtung, die sie vorgeschlagen hatte. Sie kümmerte sich nicht weiter um Cortlay, der überrascht stehengeblieben war und ihr nachschaute. Und da war es auch bereits passiert. Er hatte zu lange gezögert. Gerade als Kathy Porter hinter die ersten Sträucher glitt, wurde Cortlay hart und warnend angerufen. Kathy schlängelte sich tiefer in das Labyrinth der Büsche hinein, glitt unter einen dichten Strauch und beobachtete von hier aus die Szene. James Cortlay hatte die Arme hoch über den Kopf gehoben und dachte nicht mehr an Flucht. Kathy war verzweifelt und erwartete jeden Moment einen Schuß. Von den beiden Killern konnte sie jedoch nichts sehen. Sie hielten sich im Buschwerk versteckt.. »Komm schon, Cortlay«, sagte eine ironisch und triumphierend klingende Männerstimme. »Darauf haben wir schon lange gewartet.«
»Macht – macht keinen Unsinn, Jungens«, erwiderte Cortlay mit spröder Stimme, in der Angst mitschwang. Er setzte sich aber in Bewegung und ging zögernd auf die Stimme zu. »Wo ist die Puppe?« fragte eine zweite Männerstimme, die böse und rauh klang. »Ich – ich weiß nicht«, stotterte Cortlay, der das Strauchwerk erreicht hatte. »Keine Sorge, wir holen's schon aus dir heraus.« Die böse Stimme ging in ein geiferndes Kichern über. Sekunden später entdeckte Kathy einen Gewehrlauf, der sich aus dem Blattwerk hervorschob und Cortlays Brust berührte. Kathy schloß für einen Moment die Augen. Sie hörte dumpfe Schläge, Stöhnen, Gurgeln und erstickte Schreie. Die beiden Killer wollten den Verwalter von Wolverton House dazu bringen, ihr Versteck zu verraten. Kathy war empört. Sie dachte jetzt nicht mehr an sich, sondern nur noch an James Cortlay. Sie mußte ihm helfen. Und sie wollte das so schnell wie möglich tun. Sie konnte davon ausgehen, daß die beiden Killer damit rechneten, unter sich zu sein. Die beiden Schläger rechneten bestimmt damit, daß sie in panischer Angst weiter bachaufwärts flüchtete. Doch sie flüchtete nicht. Kathy verwandelte sich in ein fast schwereloses Wesen. Mit der Geschicklichkeit und Schnelligkeit einer Raubkatze pirschte sie sich an das Versteck der beiden Killer heran. * Inspektor Hereford hatte sich die Geschichte mit der Puppe angehört und
zuckte ratlos mit den Schultern. Er war vor etwa zwanzig Minuten auf Wolverton House angekommen und von Lady Dorothy förmlich überfallen worden. Ihre Worte hatten sich überschlagen. Sie stand noch immer unter dem Eindruck dessen, was vorgefallen war. Die Puppe mit der Axt im Schädel hatte ihr einen mächtigen Schrecken eingejagt. »Ich kann die Worte meiner Schwägerin nur unterstreichen«, schaltete Lady Agatha Simpson sich ein. »Es hat diese scheußliche Puppe gegeben.« »Sie verschwand leider, Sir«, schloß Butler Parker das Gespräch über die Puppe ab. »Ein sogenanntes Beweisstück kann ich Ihnen leider nicht anbieten.« »Die Puppe würde uns auch kaum weiterbringen«, meinte der Kriminalinspektor. »Außer Ihnen befand sich sonst kein Mensch im Haus?« »Das Personal ist gegangen«, erwiderte Dorothy tadelnd. »Ich weiß.« Inspektor Hereford nickte. »Ich hörte davon unten im Dorf, Mylady. Wo befindet sich Mr. Cortlay?« »Er ist zusammen mit Miß Porter ausgegangen«, warf der Butler ein. »Ich muß gestehen, Sir, daß ich mir die Freiheit nehme, mich ein wenig zu sorgen. Sie hätten längst zurück sein sollen.« »Cortlay und Miß Porter scheiden ja wohl auch aus.« »In welcher Hinsicht, Sir?« »Nun, sie dürften diese Puppe ja nicht weggeräumt haben, oder?« »Mit letzter Sicherheit, Sir. Ich hege den Verdacht, daß sich im Haus bzw. in der Nähe des Hauses Personen befinden, die diesen ganzen Spuk inszeniert haben.«
»Und sogar mit Dynamit spielen!« Lady Simpson hatte sich grimmig zu Wort gemeldet. Inspektor Hereford sah die energische Dame überrascht an und wandte sich dann wieder an Parker. Der Butler berichtete knapp und präzise vom geplanten Golfspiel der Lady Simpson und dem abrupten Ende dieser Frühsportbeschäftigung. »Ich sollte Ihnen die Stelle zeigen, wo die Dynamitpatrone detoniert ist«, sagte er und ging einfach voraus, ohne auf Hereford zu warten. Er wollte mit dem Inspektor allein sein. Hereford entschuldigte sich bei den Damen und folgte dem Butler. » Sie haben die Bodenproben analysieren lassen, Sir?« erkundigte sich Parker draußen vor dem Landsitz. »Thermit, Mr. Parker, wie Sie richtig vermuten. Das Thermit hat die Feuerspur des Benzins quasi wie auf Schienen gelenkt.« »Also ein geplanter Mord.« » Sieht so aus, Mr. Parker. Ich verstehe nicht, warum Lady Simpson nach diesen Vorfällen noch auf Wolverton House bleibt? Hier schwebt sie doch in permanenter Lebensgefahr.« »Sie kennen Lady Simpson nicht, Sir, sonst würden Sie eine solche Frage niemals stellen.« »Viel Schutz kann ich Ihnen aber nicht bieten! Wir sind hier draußen auf dem flachen Land hoffnungslos unterbesetzt. Ich. könnte Ihnen lediglich für die kommende Nacht einen Sergeanten schicken.« »Ich denke, Sir, man sollte darauf verzichten. Ein offizieller Behördenvertreter würde die Dinge nur unnötig komplizieren.« »Welche Dinge, Mr. Parker?«
»Die Identifizierung der Täter. Dort ist übrigens der Sprengtrichter.« »Sehr beeindruckend.« Hereford sah sich den Trichter an, der brandig und zackig wie eine große Wunde im Rasen aussah. »Ich habe mich übrigens um diesen Cortlay gekümmert. Er hat bis vor einem halben Jahr etwa für einen gewissen Herbert Blakers gearbeitet, sich dann aber von ihm getrennt.« »Wer ist Herbert Blakers, Sir?« Parker tat ahnungslos. »Ein Hotelier, der hier an der Küste eine ganze Reihe von Hotels und Motels besitzt. Ein ziemlich rüder Bursche, was seine Geschäftsmethoden anbetrifft. Er knüppelt seine Konkurrenten zusammen, doch das alles konnten wir ihm bisher noch nicht schlüssig nachweisen, denn die Geschädigten nennen prinzipiell keine Namen.« »Könnten Sie sich zu diesem Thema vielleicht etwas ausführlicher äußern, Sir?« »Blakers scheint Schlägertrupps zu haben, die die Gäste konkurrierender Hoteliers belästigen und aus deren Häusern scheuchen. Er sorgt für Angst und Unsicherheit in diesen Häusern.« »Und dagegen hat sich noch kein Konkurrent aufgelehnt?« wunderte sich Parker. »Doch, einen Mann gibt es, der den offenen Schlagabtausch mit Blakers riskiert«, lautete Herefords Antwort. »Er heißt Bruce Wells und ist vom Schlage Blakers. Er arbeitet mit den gleichen Methoden und dürfte auch eine Art Schlägerbande haben.« »Ihre Arbeit ist nicht gerade leicht zu nennen, Sir.« »Wir kommen kaum einen Schritt voran«, bedauerte Hereford. »Wir ren-
nen vergebens gegen eine Mauer des Schweigens und der Angst an.« »Möglicherweise läßt sich diese Mauer brechen, Sir«, deutete der Butler höflich an. »Die entscheidende Frage für mich bleibt, wer den Lastwagen samt Tankaufsatz oben auf dem Weg aufgebaut hat. Galt der Mordanschlag Lady Simpson? War ein ganz anderes Opfer gemeint? Gerieten Mylady nur rein zufällig in diese Falle? Dagegen spricht eigentlich das verdrehte Wegekreuz.« »Meine Leute versuchen herauszubekommen, was es damit auf sich hat.« »Auch ich werde mich bemühen, dieses Geheimnis zu lüften«, sagte Parker gemessen. »Darf ich Ihre Hilfe noch einmal in Anspruch nehmen, Sir?« »Verfügen Sie über mich, Mr. Parker.« Hereford lächelte. »Ich habe es ja nicht mit einem Laien zu tun.« »Lady Wolverton, Sir, arbeitet mit einer hiesigen Bank zusammen, die bereits den Verkauf der Ländereien an Mr. Blakers vornahm. Könnte man in Erfahrung bringen, wer nun über Mr. Blakers hinaus noch an einem Ankauf von Wolverton House interessiert ist? Sie nannten da eben den Namen Bruce Wells. Es würde mich interessieren, ob auch er ein potentieller Käufer ist. Von den anderen Interessenten einmal ganz abgesehen.« »Das läßt sich leicht ermitteln, Mr. Parker. Ich werde Sie anrufen, sobald ich mehr herausgefunden habe, einverstanden?« Sie schlenderten zurück zum Landsitz. »Ich hätte noch eine zusätzliche Bitte«, sagte Parker und blieb stehen. »Könnten Sie in Erfahrung bringen, ob sich irgendeine staatliche Institution kurz- oder langfristig für das Wolver-
ton-Tal und Wolverton House interessiert? Geht es möglicherweise um eine gezielte Bodenspekulation?« »Sie denken an eine Autostraße oder an Bodenschätze?« »Sie haben mich verstanden, Sir«, bedankte sich Josuah Parker. »Ich sehe Ihrer Nachricht mit Ungeduld entgegen, wenn ich es so umschreiben darf.« Er blieb stehen, als Inspektor Hereford plötzlich auf den Landsitz zurannte. Hereford tat dies nicht etwa aus sportlichen Gründen oder aus Eitelkeit, um Parker zu beweisen, wie durchtrainiert' er war. Hereford hatte zwei Schüsse im Haus gehört. Als Kriminalinspektor fühlte er sich einfach dazu verpflichtet, etwas für die Sicherheit der Bürger im Landsitz zu unternehmen. Josuah Parker hingegen hatte keine sonderliche Eile. Er wußte, daß etwaige Gespenster bei Lady Agatha Simpson immer schon sehr gut aufgehoben waren. * Kathy Porter hörte Stimmen, leises Lachen und dann wieder scharrende Geräusche. Sie konnte die beiden Killer zwar noch nicht sehen, doch weit bis zu ihnen war es sicher nicht mehr. Sie überhastete nichts. Sie schlängelte sich weiter an die dichte Buschgruppe heran und duckte sich dann. Die beiden Männer saßen auf der steinigen Böschung des Bachbettes und rauchten. Von Cortlay war nichts zu sehen. Wahrscheinlich lag er, restlos zusammengeschlagen, im Bachlauf. Kathys Empörung verwandelte sich in kalte Entschlossenheit. Sie fühlte sich
hier keineswegs unterlegen. Sie suchte nach einem handlichen Steinbrocken, um etwas wie eine Waffe zu haben. Wenn sie angriff, mußte dies blitzschnell geschehen. Die beiden Killer durften keine Zeit finden, nach ihren Gewehren zu greifen. Sie hatten sie neben sich gestellt, rauchten jetzt Zigaretten und unterhielten sich miteinander. Sie kamen überhaupt nicht auf die Idee, daß ihr zweites Opfer sich in allernächster Nähe befinden könnte. Kathy hatte sich entschlossen, es mit einem gezielten Steinwurf zu probieren. Damit wollte sie einen der beiden Schläger außer Gefecht setzen. Die entstehende Verwirrung mußte sie dann konsequent nutzen und den zweiten Mann erledigen. Langsam hob sie den rechten Arm, wog den recht schweren Stein in ihrer Hand und ließ den Arm dann verblüfft sinken. James Cortlay erschien auf der Bildfläche. Er machte zwar einen sehr mitgenommenen Eindruck, doch er stand sehr fest und sicher auf seinen Beinen. Er bewegte sich zwanglos und schien keine Angst vor den beiden Killern zu haben. Sein Jackett war an der linken Schulter eingerissen, sein Gesicht schmutzbedeckt. Doch er grinste. »Sie hat sich abgesetzt«, sagte er zu den beiden Killern. »Wir sollten sie nicht zu weit wegrennen lassen.« »Wir gehen gleich los«, sagte der erste Killer. »Die entwischt uns schon nicht.« Der zweite Killer machte eine wegwerfende Handbewegung. »Sie rennt sich oben im Tal fest.«
»Wir sind uns also klar«, sagte James Cortlay. »Ich geh voraus. Ihr fangt sie ein und dreht sie durch die Mangel. Dann erscheine ich auf der Bildfläche und betätige mich als Retter, klar?« »Aber übertreib nicht«, warnte der zweite Killer. »Ich werde schon nicht zu hart zulangen«, versprach Cortlay. »Kommt, bringen wir's hinter uns.« Die drei Männer, die sich so ausgezeichnet verstanden, verschwanden nacheinander im Bachbett und nahmen die Richtung, aus der Kathy gekommen war. Sie lag wie betäubt in ihrem Versteck und ließ sich das, was sie gerade gesehen und gehört hatte, durch den Kopf gehen. Es war ihr klar, daß Cortlay hier eine raffinierte Show abgezogen hatte. Er spielte doppeltes Spiel. Er steckte mit den beiden Killern unter einer Decke. Er hatte von Anfang an gewußt, daß ihm die Schüsse nicht gefährlich werden konnten. Kathy Porter sah den drei Männern nach, die die Verfolgung wieder aufnahmen. Kathy überlegte, wie sie sich verhalten sollte. War es richtig, sich scheinbar ahnungslos auf dieses Doppelspiel einzulassen? Oder war es richtiger, sich abzusetzen? James Cortlay mußte getäuscht werden. Er durfte gar nicht auf die Idee kommen, daß er durchschaut worden war. Kathy Porter entschloß sich für die erste Version. Es wurde höchste Zeit, sich wieder in eine ängstliche Frau zu verwandeln. Sie mußte wieder zum gehetzten Wild werden. Kathy Porter begab sich aus ihrem Versteck, schlängelte sich nach vorn und erreichte das Bachbett, Sie hörte
jetzt bachabwärts Stimmen, verließ die schützenden Sträucher und rannte auf einen Teich zu, den der Bach hier bildete. Einen besseren Zeitpunkt hätte sie gar nicht erwischen können. Die beiden Killer brachen hervor und richteten ihre Gewehre auf sie. Nach zwei verteufelt gut gezielten Schüssen gab Kathy auf, hob die Arme und war nur noch ein verängstigtes Etwas, als die beiden Killer grinsend auf sie zumarschierten. * »Es war ein Skelett«, behauptete Lady Simpson nachdrücklich. »Ich habe es ganz deutlich gesehen. Es kam über die Galerie, Inspektor.« »Kam, Mylady?« Inspektor Hereford machte einen etwas verlegenen Eindruck. Ihm war anzusehen, daß er der Aussage nicht so recht traute. »Kam«, wiederholte die resolute Dame. »Es kam über die Galerie wie ein Spaziergänger. Anders kann ich's nicht ausdrücken. Du mußte es doch auch gesehen haben, Dorothy.« »Ich war ja noch im Zimmer«, entschuldigte sich Lady Wolverton. Sie war sehr ängstlich und nervös. »Darf man erfahren, Mylady, wie das Skelett auf die beiden Schüsse reagierte?« fragte Josuah Parker, der inzwischen eingetroffen war. »Es verschwand wie durch Zauberei, Mr. Parker.« Lady Agatha Simpson hob ratlos die Arme, wobei der Lauf ihrer Pistole sich auf den Inspektor richtete. Hereford tat einen erschreckten Schnaufer und brachte sich in Sicherheit. Er schien den Schießkünsten der
energischen Dame nicht sonderlich zu trauen. »Nun haben Sie sich nicht so«, tadelte sie ihn und ließ die Waffe wieder sinken. »Sie nehmen mir das Skelett natürlich nicht ab, wie?« »Doch, doch, natürlich.« Hereford hütete sich, seine wirklichen Zweifel zu äußern. Er hielt Lady Simpson für leicht überspannt, behielt das aber für sich. »Man sollte das Haus noch einmal genau durchsuchen«, sagte er, sich an Parker wendend. »Irgendwer muß das Skelett ja schließlich bewegt haben. So etwas marschiert nicht von allein herum.« »Verfügen Sie über meine bescheidene Wenigkeit«, bot der Butler seine Hilfe an. »Ich werde mich mit meiner Schwägerin unten in der Bibliothek einschließen«, sagte Lady Agatha Simpson. »Und machen Sie sich bemerkbar, wenn Sie vor der Tür sind, sonst schieße ich. Ich habe es gründlich satt, mich herumhetzen zu lassen.« Sie gingen nach unten in die Wohnhalle und wollten sich hier trennen, als Parker draußen vor dem Landsitz einen Wagen hörte. Er deutete in Richtung Lady Simpson eine knappe Verbeugung an und begab sich zur Tür. Vor dem Portal hielt gerade ein ansehnlicher Bentley neuester Bauart, ein Wagen, den man nicht gerade als billig bezeichnen konnte. Aus dem Wagen stiegen zwei etwa fünfunddreißige Männer, die groß und breitschultrig waren. Man sah ihnen an, wie wachsam und entschlossen sie waren. Es waren Männer, die Sicherheit verkauften und sich dafür sehr gut bezahlen ließen. Einer von ihnen öffnete den hinteren Wagenschlag und trat zur Seite. Ein
dritter Mann stieg aus, mittelgroß, breitschultrig und mit einem kantigen Kopf, der fast ohne Halsansatz auf den Schultern saß. »Du kennst ihn, Dorothy?« erkundigte sich Lady Simpson bei ihrer Schwägerin, die einen leisen Ruf der Überraschung hören ließ. »Das ist Blakers«, schaltete sich Inspektor Hereford ein, bevor Lady Wolverton antworten konnte. »Aha, also dein Verflossener«, stellte Lady Agatha gnadenlos und wenig taktlos fest. Sie besorgte das offensichtlich mit Genuß. »Über Geschmack soll man nicht streiten, meine Liebe.« »Bitte, Agatha«, flüsterte Lady Wolverton und bekam einen roten Kopf. Herbert Bläkers schritt auf die Tür zu und nickte den dort Versammelten knapp zu. Erstaunt musterte er Hereford, dann Lady Simpson und Butler Parker. Seine beiden Leibwächter machten einen gespannten Eindruck. Wahrscheinlich rechneten sie stets und überall mit Überraschungen. »Mr. Blakers? Was führt Sie zu mir?« fragte Lady Wolverton kühl. Sie hatte sich von ihrer anfänglichen Überraschung wieder erholt. Ihre Haltung war abweisend. »Sie wollten mich doch unbedingt sprechen«, antwortete Blakers rundheraus. »Ich konnte gestern leider nicht kommen. Geschäftliche Dinge. Ich war in Liverpool.« »Ich wollte Sie sprechen, Mr. Blakers?« Überraschung war in Lady Dorothys Stimme. Sie schüttelte den Kopf. »Ich kann mich nicht erinnern. Ich wüßte auch nicht, was wir uns noch zu sagen hätten.«
»Nun mal hübsch langsam«, gab Blakers zurück. »Sie haben doch angerufen. Ich habe Ihre Stimme genau erkannt. Sie wollten mich unbedingt wegen des Verkaufs dieser Bude hier sprechen. Verdammt, warum streiten Sie das jetzt ab?« »Ich habe Sie niemals angerufen, Mr. Blakers.« Lady Dorothy Wolverton schüttelte noch energischer den Kopf. »Das sind doch Mätzchen, die nur den Preis hochtreiben sollen.« Blakers machte eine wegwerfende Handbewegung. »Sie wollen Wells gegen mich ausspielen, wie? Wird nicht klappen, meine Dame, wird nicht hinhauen. Wetten, daß er Ihnen kein Angebot mehr machen wird?« »Ihr Ton gefällt mir nicht, Sie Lümmel.« Lady Agatha Simpsons Stimme erinnerte an das ferne Grollen eines herannahenden Gewitters. »Ihr Benehmen ist unmöglich, Sie Flegel.« »Wer ist denn das?« fragte Blakers und musterte Lady Simpson verächtlich. »Sie haben den Vorzug, von Lady Simpson einer Anrede gewürdigt zu werden«, erklärte Josuah Parker. »Mylady sind die Schwägerin Lady Wolvertons.« »Und weder Sie noch dieser Wells werden Wolverton House kaufen können.« Lady Simpson hatte einen Entschluß gefaßt. »Ich selbst werde den Landsitz übernehmen. Dorothy, betrachte das als verbindlich.« »Momentchen mal, Lady«, brauste Blakers auf. »So geht das nicht. Ich habe ein Vorkaufsrecht, ist das klar? Und Sie werden verdammt wenig Freude an diesem alten Schuppen haben, wenn Sie...«
»Ihre Erziehung ist äußerst mangelhaft«, fand der Butler. »Sie hat nie stattgefunden«, erklärte Lady Agatha Simpson entschieden und verabreichte dem Hotelbesitzer eine mehr als saftige Ohrfeige. Sie kam derart schnell, daß die beiden Leibwächter keine Zeit zum Eingreifen fanden. Blakers taumelte zurück und rieb sich verdutzt die rechte Wange. Die beiden Leibwächter hatten inzwischen geschaltet und wollten ihre hohe Gage rechtfertigen. Fast gleichzeitig langten sie nach ihren Schulterhalftern, doch sie schafften es nicht, an ihre Waffen heranzukommen. Lady Simpson langte mit ihrem Pompadour herzhaft zu. Der darin befindliche Glücksbringer landete auf der linken Schläfe des ersten Wächters. Dem Mann wurden förmlich die Beine unter dem Leib weggerissen. Er legte sich für Bruchteile von Sekunden waagerecht und landete dann klatschend auf den Sandsteinen des Eingangs. Der zweite Schläger wich automatisch zurück und geriet in die äußerst gefährliche Nähe des Butlers. Josuah Parker, dem Schußwaffen verhaßt waren, reagierte nicht weniger schnell und nachdrücklich als sein Schützling. Er benutzte die Rundung seiner schwarzen Melone als Nahkampfwaffe. Da sie mit Stahlblech ausgefüttert war, wirkte sie vernichtend. Die Rundung setzte sich auf die Nasenspitze des Mannes, die sich sofort verformte und ihm das Wasser in die Augen trieb. Der Schläger kickste, stöhnte ein wenig und taumelte zurück. Er stolperte unglücklicherweise über Myladys rechtes Bein, das rein zufällig dort stand. Der Mann schlug einen Salto rückwärts und lan-
dete dann mit dem Bauch auf dem Kies vor dem Portal. Nach einer kurzen Rutschpartie blieb er regungslos hegen. »Gut, daß ich nichts gesehen habe«, ließ Inspektor Hereford sich vernehmen. »Ich hätte sonst vielleicht einschreiten müssen.« »Das ist.. . Das ist ein Angriff«, keuchte Blakers. Ungläubig starrte er auf seine beiden teuren Leibwächter, die immer noch regungslos am Boden lagen. Josuah Parker kümmerte sich um die beiden Männer und begutachtete sie der Reihe nach. »Wenn mich nicht alles täuscht, Sir, so haben Sie keine Waffen bei sich«, vermeldete er, sich wieder aufrichtend. »Nein?« fragte Blakers überrascht. »Ich bedaure«, redete der Butler weiter. »Darf ich jetzt erwarten, daß Sie sich bei den Damen entschuldigen, Mr. Blakers? Wir sollten doch die Formen zivilisierter Menschen wahren, nicht wahr?« »Ah, ich . .. Also gut!« Blakers hatte sich durchgerungen. Er rieb sich noch einmal die sehr brennende Wange und sah Lady Agatha und Lady Dorothy giftig an. »Entschuldigung, also! Aber wir sprechen uns noch, Dorothy.« »Der Verkauf an mich ist perfekt«, erinnerte Lady Simpson. »Dieses Thema existiert nicht mehr.« »Aber ich besitze das Vorkaufsrecht.« »Das habe ich dir niemals weder schriftlich noch mündlich – gegeben, Herbert«, rief Lady Dorothy. »Sie werden verdammt wenig Freude an dem Schuppen haben.« Blakers drohte schon wieder, während seine beiden Leibwächter sich erhoben. »So ähnlich drückten Sie sich bereits aus«, stellte Parker höflich gemessen
fest. Er ließ die beiden Leibwächter nicht aus den Augen. Sie prüften gerade die Gebrauchsfähigkeit ihrer Glieder und gingen dann langsam auf ihn zu. Sie planten diesmal offensichtlich eine konzentrierte Aktion. »Da kommt ja Kathy«, rief Lady Agatha in diesem Moment und deutete auf die Zufahrt. »Du lieber Himmel, Kindchen, wie sehen denn Sie aus?« Lady Agatha stieß die beiden Leibwächter einfach zur Seite. Da sie noch recht schwach auf den Beinen waren, landeten sie erneut im Kies. Energisch marschierte Lady Agatha auf Kathy Porter zu, die einen erschöpften und mitgenommenen Eindruck machte. Blakers hatte sich umgedreht, musterte Kathy und ihren Begleiter Cortlay aus schmalen, bösen Augen und stampfte dann zurück zu seinem Bentley. * Kathy Porters Rock und Bluse bestanden nur noch aus Fetzen. Ihr rotbraunes Haar war zerzaust. Erdspuren waren auf ihrem Gesicht zu sehen. Sie sah James Cortlay dankbar an. »Ohne Mr. Cortlay wäre ich nicht davongekommen«, sagte sie. »Die beiden Männer wollten mich umbringen.« »Sie werden mich noch kennenlernen«, drohte die resolute Dame. Sie legte behutsam ihren rechten Arm um Kathys Schulter und führte sie zum Portal hinüber. »Mr. Cortlay konnte sie in die Flucht schlagen«, berichtete Kathy Porter weiter. »Um ein Haar hätte er es nicht mehr geschafft. Es war fürchterlich, Mylady.« Kathy schluchzte auf. Sie konnte nicht weitergehen. Sie schlang ihre Arme um
Myladys Hals und weinte dann. James Cortlay war verlegen, hüstelte und ging dann auf Parker, Hereford und Lady Dorothy zu, um Bericht zu erstatten. Kathy Porter nutzte die Gelegenheit. Sie flüsterte Lady Agatha Simpson leise ins Ohr, was sich draußen im Gelände tatsächlich alles zugetragen hatte. Sie stellte die Zusammenhänge richtig dar, doch das hätte nicht einmal ein mißtrauischer Mensch vermutet. Sie schluchzte, ließ Lady Agatha nicht los und bat sie inständigst, sich vorerst nicht mit James Cortlay zu befassen. »Das wird mir schwerfallen, Kindchen«, flüsterte die energische Dame wütend zurück. »Am liebsten würde ich diesen Lümmel auf einen Satz zusammenstauchen.« »Dazu ist immer noch Zeit, Mylady«, beschwor Kathy Lady Agatha. »Das möchte ich auch sehr hoffen.« Lady Simpson hielt ein fast fahnentuchgroßes Taschentuch in der rechten Hand und tupfte damit die echten Tränen von Kathys Augen. »Was soll jetzt geschehen?« »Man müßte Mr. Parker schleunigst informieren, Mylady.« . »Das werde ich übernehmen, Kindchen. Gut, ich werde mich beherrschen. Kommen Sie jetzt, der Inspektor wird sicher ein paar Fragen an Sie haben.« Hereford hatte gerade den Bericht von James Cortlay entgegengenommen und nickte Kathy väterlich zu. »Falls Sie zu erschöpft sind, Miß Porter, werde ich meine Fragen später stellen.« »Es geht schon wieder«, erwiderte Kathy und sah Cortlay dankbar an. Er war tatsächlich ahnungslos, lächelte auf-
munternd zurück und sah in diesem Moment recht vertrauenerweckend aus. Sie gingen ins Haus und nahmen in der großen Wohnhalle Platz. Während Kathy Cortlays Bericht ergänzte, versorgte der Butler sie mit einem Cognac. Cortlay hielt sich an einen Whisky und rauchte mit Genuß eine Zigarette. Er genoß es, im Mittelpunkt zu stehen und als Held zu gelten. »Sie kennen die beiden Schläger?« wollte Inspektor Hereford wissen. »Ich kann nur vermuten,, daß sie von Blakers bezahlt werden«, erwiderte Cortlay. »Beweisen kann ich's natürlich nicht. Bitte, Inspektor, meine Vermutung braucht nicht an die große Glocke gehängt zu werden. Blakers ist außerordentlich rachsüchtig.« »Keine Sorge, ich werde Sie da nicht reinziehen.« Hereford nickte beruhigend. »Sie nehmen an, daß man Miß Porter und Sie umbringen wollte?« »Da bin ich ganz sicher«, schaltete sich Kathy Porter ein. Sie hatte sich wieder gefangen und gab sich tapfer. »Man hat schließlich auf uns geschossen, Inspektor.« »Als sie mich das erste Mal erwischten, drohten sie mit dem Tod«, berichtete Cortlay. »Sie schlugen mich zusammen und ließen mich liegen. Ich bekam gerade noch mit, daß sie Miß Porter fertigmachen wollten. Ja, so drückten sie sich aus. Und da war da noch etwas.« »Nämlich?« fragte Hereford ahnungslos. »Als sie hinter Miß Porter her waren, ließen sie bei mir ein Skelett zurück.« »Ein was, bitte?« wollte Lady Simpson wissen und graulte sich sichtlich. Sie konnte das ausgezeichnet mimen.
»Ein Skelett«, wiederholte Cortlay und nickte. »Wahrscheinlich wollten sie es später in unserer Nähe zurücklassen. So als Hinweis auf ein Gespenst. Nehme ich wenigstens an.« »Unglaublich«, schnaufte Lady Simpson empört. »Junger Mann, ich muß mich bei Ihnen sehr bedanken. Ich denke, ich werde Ihnen eine goldene Uhr oder etwas Gleichwertiges schenken.« »Aber nein, Mylady«, wehrte Cortlay bescheiden ab. »Was ich getan habe, war doch selbstverständlich meine Pflicht.« »Das allerdings«, räumte Lady Simpson ein. »Vergessen Sie das mit der Uhr oder einem Geschenk. Ich wollte Sie nicht beleidigen.« James Cortlay zog unwillkürlich ein betroffenes Gesicht. So wörtlich hatte er es eigentlich nicht gemeint. * »Sehr umsichtig«, fand Lady Agatha Simpson und beugte sich über den Kamintisch in der Bibliothek. Sie musterte beifällig die beiden Waffen, die Josuah Parker erbeutet hatte. Es handelte sich um die Revolver der beiden Leibwächter von Blakers. Parker hatte sie selbstverständlich still und heimlich verschwinden lassen, um die eigene Feuerkraft zu steigern. Es war Nachmittag geworden. Inspektor Hereford hatte sich längst verabschiedet und war zurück nach Harlech gefahren. Seit ihrer schmachvollen Niederlage hatten sich Blakers und seine beiden Gorillas nicht mehr blicken lassen. Wahrscheinlich warteten sie darauf, daß es dunkel wurde. Mit ihrer Rückkehr war zu rechnen. Darum
hatte Parker auch so etwas wie eine Bestandsaufnahme der im Hause befindlichen Waffen angeregt. »Du rechnest mit einem Überfall, meine Liebe?« erkundigte sich Lady Dorothy bei ihrer Schwägerin. Seit Blakers Besuch war sie sehr still und nachdenklich geworden. Sie schien große Angst zu haben. »Dieser Blakers ist nicht der Mann, der eine Niederlage hinnimmt, Dorothy«, antwortete Lady Simpson. »Hast du denn überhaupt keine Menschenkenntnis? Der Mann schäumte doch vor Wut.« »Darf ich höflichst fragen, ob es noch weitere Schußwaffen gibt?« ließ Parker sich gemessen vernehmen. »Ich kann noch einen alten Armeerevolver zur Verfügung stellen, der sich im Kofferraum meines Wagens befindet.« »Ich habe eine Pistole«, erinnerte Lady Simpson. »Und ich ein Jagdgewehr«, sagte James Cortlay, »eine Schrotflinte. Ob die reicht, weiß ich nicht.« »Und ob sie reichen wird, junger Mann! Aus nächster Nähe abgefeuert, bewirkt so ein Gewehr wahre Wunder. Die Gespenster werden sich noch sehr wundern.« »Im Jagdzimmer gibt es zwei Duellpistolen«, warf Lady Dorothy schüchtern ein. »Ich weiß allerdings nicht, ob sie noch funktionieren.« »Wenn Sie erlauben, Mylady, werde ich das später überprüfen«, sagte Josuah Parker. »Eine bemerkenswerte Feuerkraft, wenn ich so sagen darf.« »Agatha, ich möchte weg von hier!« Lady Wolverton sah ihre Schwägerin flehend an. »Du willst kneifen, Dorothy?«
»Meine Nerven halten das nicht aus, Agatha. Ob wirkliche Gespenster oder Blakers, für mich ist da kaum ein Unterschied.« »Also gut«, erwiderte Lady Agatha und verzog ihr Gesicht. »Dann fahre meinetwegen, Dorothy! Hoffentlich kommst du gut an!« »Wie .. .Wie meinst du das, Agatha?« »Denk daran, daß man uns bereits unterwegs umbringen wollte.« »Ich könnte Mylady nach Harlech bringen«, bot Cortlay seine Dienste an. »Auf Wiedersehen, Dorothy«, sagte Lady Simpson nur. Sie wandte ihrer Schwägerin den Rücken zu. Sie war mit diesem Entschluß nicht einverstanden. »Darf ich mir einen bescheidenen Hinweis erlauben?« schaltete sich Butler Parker wieder ein. »Ich fahre in jedem Fall.« Lady Wolverton befürchtete, überredet zu werden. »Darf ich auf Myladys Absicht verweisen, wonach Mylady Wolverton House übernehmen wollen?« »Richtig, Dorothy.« Lady Simpson ging auf Parkers Hinweis sofort ein. »Vor deiner Abfahrt könnten wir das schnell schriftlich festhalten. Damit bist du sofort alle Sorgen los, Dorothy.« »Und der Preis?« fragte Lady Dorothy. Obwohl sie große Angst hatte, dachte sie an diesen wichtigen Punkt. »Der Preis gilt, den die Bank fordern wird«, erwiderte Lady Agatha. »Und weil du es bist, Dorothy, werde ich noch zehn Prozent drauflegen. Fairer geht es nicht.« »Was soll ich tun, Mr. Cortlay? Sie sind schließlich mein Verwalter.« Dorothy Wolverton sah Cortlay unsicher an. »Die Entscheidung liegt ganz bei Ihnen, Mylady«, erwiderte Cortlay unter-
würfig. »Auf der anderen Seite, wenn' schon verkauft werden soll, sollte man auch noch andere Interessenten hören.« »Blakers?« fragte Lady Simpson. »Auch Blakers«, erklärte Cortlay. »Er ist zwar ein Gangster, aber Geld stinkt nicht.« »Aber an ihn willst du doch um keinen Preis verkaufen«, erinnerte Lady Simpson ihre Schwägerin. »Bitte, laß mir Zeit.« Lady Dorothy wandte sich ab und schüttelte den Kopf. »Ich muß erst eine Nacht darüber schlafen, meine Liebe. Setz mich nicht unter Druck. Es ist alles so schrecklich für mich.« »Könnte man vielleicht auch ein Angebot von Mr. Wells einholen?« ließ sich Parker da höflich und ohne jede Anspielung vernehmen. »Sie sagten mir am Morgen, Mr. Cortlay, daß auch er auf Wolverton House unter Umständen reflektiert. « »Sind Sie verrückt, Mr. Parker?« entrüstete sich Lady Simpson und sah ihren Butler strafend an. »Wollen Sie, daß der Familienbesitz in fremde Hände gerät?« »Mylady mögen entschuldigen«, schickte Parker voraus, »aber dieses an Mr. Wells gerichtete Angebot wäre eine rein taktische Maßnahme, wenn ich so sagen darf. Lehnt er einen Ankauf ab, dürfte er als Drahtzieher all dieser bösen Zwischenfalle bestimmt nicht in Betracht kommen.« »Das ist allerdings gut, Parker.« Lady Simpson hatte sich schon wieder beruhigt und nickte zustimmend. »Dann hätten wir es nur noch mit diesem Flegel namens Blakers zu tun, nicht wahr?« »Dies, Mylady, ist meine Annahme.« » Rufen Sie ihn an.« Lady Simpson sah Cortlay streng an. »Worauf warten
Sie noch, junger Mann. Sie haben doch gehört, daß es sich um einen Trick handelt.« James Cortlay zuckte unter Lady Agathas strengem Bück zusammen und setzte sich augenblicklich in Bewegung. Er verließ die Bibliothek und eilte hinüber in die Wohnhalle. Parker wußte inzwischen von Lady Simpson, was sich draußen im Gelände abgespielt hatte. Er traute Cortlay nicht mehr über den Weg. Der Verwalter von Wolverton House hatte den Schwindel mit Kathy Porter ganz sicher nicht auf eigene Rechnung inszeniert. Er besorgte' das für einen Geldgeber und Drahtzieher im Hintergrund, in dessen Sold er stand. James Cortlay hatte wiederholt den Hotelier Herbert Blakers beschuldigt. Stand Cortlay also in Diensten dieses noch unbekannten Bruce Wells, dem früheren Kompagnon von Blakers? Hatte die Lastwagenfalle diesem Blakers gegolten? Der Mann hatte eben erst behauptet, Lady Dorothy habe ihn nach Wolverton House bestellt. War es also Bruce Wells' Absicht gewesen, seinen Konkurrenten in die Flammenhölle zu schicken? Der Verwalter kam zurück und strahlte. Parker ahnte schon, was Cortlay zu melden hatte. Natürlich erklärte Wells sich bereit, in die Kaufverhandlungen einzusteigen. Anders konnte er gar nicht reagieren, wenn er diesen Landsitz an sich bringen wollte. Natürlich war Parker sich bewußt, daß seine Theorie einen Schönheitsfehler besaß. Außer Wells und Blakers konnte es noch ganz andere Interessenten und Gangster geben, deren Namen noch völlig unbekannt waren. Doch darauf
mußte er es nun ankommen lassen. Es war einfach sinnlos, den Kreis der verdächtigen Personen zu weit zu ziehen. »Mr. Wells wird morgen vorbeikommen, Lady Wolverton, um Ihnen sein Kaufangebot zu unterbreiten«, sagte James Cortlay prompt. »Er bittet Sie, Mylady, auf keinen Fall vorher abzuschließen.« * Josuah Parker hatte sich mit einem Fernglas bewaffnet, das aus seinem Privatbesitz stammte. Der Kofferraum seines hochbeinigen Monstrums war reichlich gefüllt und enthielt Materiahen, die einen Fachmann in Entzücken und Erstaunen zugleich versetzt hätten. Parker war ein Mann, der stets gerüstet war und auf gewisse Hilfsmittel technischer und chemischer Art nicht verzichten wollte. Josuah Parker befand sich im Obergeschoß des Landsitzes und beobachtete von einem der Balkonfenster aus den wegfahrenden Wagen, in dem Lady Dorothy und Cortlay saßen. Er war gespannt, wie weit dieser Wagen kommen würde. Nach seinen Schätzungen mußte die Fahrt bereits an der schmalen Holzbrücke enden. Der Wagen, es handelte sich um einen Hillman, näherte sich bereits dieser schmalen Brücke und verlangsamte sein Tempo. »Nun?« fragte Lady Simpson, die neben Parker erschien. »Ist der Wagen bereits gestoppt worden?« »Es muß gleich soweit sein, Mylady«, gab der Butler zurück, um sofort danach zufrieden zu nicken. »Es ist soweit, Mylady. Man scheint eine zweite Nebelbüchse geworfen zu haben.«
»Und man schießt«, stellte die Hobbydetektivin grimmig fest. »Gleich wird dieses Nervenbündel von einer Schwägerin wieder hier sein.« Die Schüsse waren deutlich zu vernehmen, auch wenn sie schallgedämpft waren. Peitschen schienen zu knallen, mehr war es nicht, doch die friedliche Stille im Wolverton-Tal trug die Schußgeräusche deutlich ans Haus heran. »Der Wagen stößt zurück«, meldete der Butler weiter. »Wenn Mylady sich vielleicht überzeugen wollen?« »Ach was«, gab die resolute Dame geringschätzig zurück. »Wir wußten es ja, nicht wahr?« »In der Tat, Mylady.« »Sie werden diesen Zwischenfall der Polizei melden?« »Sobald Lady Wolverton und Mr. Cortlay wieder zurück sind, Mylady.« »Achten Sie auf das Abendessen«, warnte Lady Simpson. »Ich möchte nicht noch einmal auf einem Friedhof lustwandeln, Mr. Parker. Am liebsten würde ich überhaupt nichts essen.« »Mylady dürfen versichert sein, daß man große Sorgfalt walten lassen wird.« »Dennoch, Mr. Parker. Dieser Cortlay darf keine Chance haben, irgendein Präparat unter das Essen zu mischen. Das gilt natürlich auch für die Getränke.« »Sehr wohl, Mylady, daran zu denken, erlaubte ich mir bereits.« »Was geschieht nun, wenn Sie Cortlay überraschen?« »Seine Entlarvung, Mylady, würde nicht sonderlich viel einbringen, wenn ich darauf hinweisen darf. Es gilt festzustellen, für wen der Verwalter wirklich arbeitet.« »Aber wir können doch nicht plötzlich Essen und Trinken verweigern.«
»Mylady reißen die Problematik treffend an.« »Soll sich das Theater etwa noch einmal wiederholen?« Lady Simpson hatte sofort verstanden und sah ihren Butler mißmutig an. »Ich fürchte sehr, Mylady, daß dem so ist.« »Ich soll mich noch einmal hinaus auf einen Friedhof schaffen lassen?« »Dieses Risiko erscheint mir recht groß, Mylady.« »Das meine ich aber auch, Mr. Parker. Und wenn man mich umbringen will?« »Man könnte ein wenig mit den Pistolen und Revolvern pokern, Mylady, falls diese Umschreibung gestattet ist.« »Und wie soll das vor sich gehen?« »Falls Mylady zustimmen, könnte ich Mylady und Miß Porter mit Spezialwaffen ausstatten«, erklärte der Butler. »Die bekannten Handfeuerwaffen könnten von dem Täter dann ruhig unbrauchbar gemacht werden.« »Das gefällt mir schon wesentlich besser. Mr. Parker. Leiten Sie alles in die Wege. Ich muß mich jetzt um das Nervenbündel dort unten kümmern.« Lady Simpson deutete nach unten auf den Vorplatz. Der Hillman war zurückgekehrt. James Cortlay half der Hausherrin aus dem Wagen und mußte sie stützen. Sie machte einen mitgenommenen Eindruck Parker entdeckte bei der Gelegenheit, daß die beiden rechten Seitenscheiben des Wagens zerschossen worden waren. Der Drahtzieher im Hintergrund legte großen Wert auf Echtheit. *
Josuah Parker befand sich in der Küche von Wolverton House und richtete ein frugales Dinner her. Er ging dennoch mit ausgesuchter Sorgfalt zu Werke. Als er das Wasser für den Tee in den großen Kessel einfüllte, musterte er kritisch und mißtrauisch den Wasserhahn. War die Flüssigkeit, die er gerade abgezapft hatte, auch tatsächlich in Ordnung? Konnte sie nicht vielleicht schon mit etwas versetzt worden sein? Parker war unbekannt, woher das Wasser kam. Darum hatte er sich bisher noch nicht gekümmert. Als plötzlich irgendwo hinter der Küchenwand eine Pumpe ansprach, ging ihm ein Licht auf. Hier draußen im Tal, weitab vom Dorf, konnte es nur eine eigene Wasserversorgung geben. Er öffnete die schmale Tür neben der Treppe, die hinauf ins Erdgeschoß führte. Parker betrat einen schmalen Korridor, der vor einer Eisentür endete. Sie ließ sich ohne weiteres öffnen. Ja, hier befand sich die Pumpe, die das Wasser aus dem Erdreich hochholte und in einen zylinderförmigen Druckbehälter beförderte, der seinerseits unter Druck stand. Von hier aus wurden die Wasserleitungen im Haus versorgt. Das System war einfach, aber wirkungsvoll. In einem zweiten, kleineren Keller entdeckte der Butler dann noch das Dieselaggregat, das den Strom für das Haus lieferte. Dieser Raum war schalldicht ausgepolstert worden, damit die Geräusche des arbeitenden Diesels und Generators im Landsitz nicht zu hören waren. Nun, Josuah Parker sah sich den Druckkessel sehr genau an, konnte aber keine Veränderungen an ihm entdecken. Er schritt gemessen zurück in die Küche
und sah mit einem Bück, daß der große Wasserkessel nicht mehr so stand, wie er ihn zurückgelassen hatte. Während seiner Abwesenheit mußte jemand sich am Wasserkessel zu schaffen gemacht haben. Parker vergewisserte sich, daß er allein in der Küche war und auch von den Fenstern und von der Tür aus nicht beobachtet wurde. Dann goß er das gerade eingefüllte Wasser wieder aus und spülte den Kessel sehr sorgfältig aus. Anschließend widmete er sich dem Geschirr und untersuchte es genau. Waren die Tassen, Teuer oder gar die Kannen bereits chemisch behandelt worden? Um sicher zu sein, spülte der Butler das benötigte Geschirr ebenfalls gründlich ab. Dann machte er sich an die Zubereitung des eigentlichen Dinners. Aus dem Inhalt einiger weniger Konservendosen zauberte er ein frugales Mahl, mehr war einfach nicht vorhanden. Parker gestattete sich nicht den geringsten Fehler. In der kommenden Nacht durften weder Mylady, Kathy Porter noch er außer Gefecht gesetzt werden. Das konnte unter Umständen tödlich sein. Für den Butler stand es fest, daß in der Nacht die Würfel fallen sollten. Der Drahtzieher im Hintergrund brauchte nicht mehr länger zu warten. Nachdem Parker den Tee aufgebrüht hatte und die wenigen Speisen auf den Silberplatten arrangiert worden waren, verließ er die Küche. Er trug das voll beladene Tablett mühelos hinauf in den Wohnraum, wo er bereits von Kathy Porter erwartet wurde. »Ich bekomme keinen Bissen herunter«, klagte Lady Dorothy, die nach wie vor einen verstörten Eindruck machte.
»Nun hab dich gefälligst nicht so«, meinte ihre Schwägerin burschikos. »Setz dich, Dorothy.« Die Hausherrin nahm wehleidig Platz. Lady Simpson nickte Kathy Porter zu und setzte sich ebenfalls. Neben Kathy saß James Cortlay, der abwehrte, als Parker den Tee servierte. » Später vielleicht«, sagte der Hausverwalter. Parker bediente die Damen und füllte die Teetassen. »Hoffentlich ist er nicht wieder zu dünn, Mr. Parker«, sagte Parkers Herrin streng und sah ihren Butler an. »Mylady werden ihn mit Sicherheit vertragen«, gab der Butler zurück. »Laufen Sie nicht so herum, Mr. Parker, das stört mich. Setzen Sie sich.« Lady Simpson deutete auf einen der vielen, freien Stühle. Die Hausherrin äußerte sich nicht. Wahrscheinlich hatte sie inzwischen nichts mehr dagegen, daß sich das Personal mit ihr an einen Tisch setzte. Parker sprach dem Tee ungeniert zu, worauf auch Lady Simpson trank. Lady Dorothy nippte ebenfalls an ihrem Getränk, worauf auch Kathy Porter sich bediente. Nun erst fand auch James Cortlay Gefallen an dem Tee. Er schüttelte dankend den Kopf, als Parker aufstehen und ihm servieren wollte. Er füllte sich seine Tasse und wehrte lächelnd ab, als Kathy Porter ihm den Zucker reichte. »Nein, nein, vielen Dank«, sagte er. »Weder Zucker noch Milch. Ich liebe ihn pur.« Genau in diesem Moment wußte Parker, daß er einen entscheidenden Fehler begangen hatte.
* Die beiden Damen fühlten sich nicht wohl. Lady Dorothy klagte über Kopfschmerzen und wollte sich niederlegen, obwohl es erst auf neun Uhr zuging. Lady Agatha hatte ebenfalls Schwierigkeiten mit ihrem Kreislauf, wie sie offen kundtat. Auch sie wollte zu Bett gehen. Sie besaß jedoch noch soviel Kraft und Energie, um ihrem Butler einen vernichtenden Bück zuzuwerfen. Lady Simpson war klar, daß es sie erwischt hatte. Butler Parker hatte also doch nicht so aufgepaßt, wie er ihr versichert hatte. So etwas mußte ihrem Dafürhalten nach gerügt werden. Auch Parker verspürte bereits ein seltsames Gefühl der Euphorie in sich. Für ihn hatte die ganze Welt sich rosarot gefärbt. Sein Bewußtsein schwebte wie auf Wolken. Er fühlte sich leicht und fast schwerelos. Noch hielt er seine Gedanken und Reaktionen unter Kontrolle. Auch ihm war natürlich bewußt, daß er sich hatte hereinlegen lassen. Das Präparat war entweder im Zucker oder aber in der Milch gewesen. Er machte sich nur beiläufig einige Vorwurfe. Gut, er hätte die Milchdose besser kontrollieren sollen. Auch den Zucker hätte man nicht ohne Kontrolle lassen können. Doch was bedeutete das jetzt schon? Das innere Gefühl der Hochstimmung wog das alles auf. »Können wir denn gar nichts unternehmen?« fragte Kathy Porter unternehmungslustig. »Mr. Cortlay, müssen wir unbedingt Trübsal blasen?« »Aber nein, Miß Kathy«, gab er lächelnd zurück. »Vielleicht können wir
gleich etwas tanzen. Ich habe ein paar sehr gute Schallplatten im Zimmer.« »Wunderbar.« Kathy summte eine Melodie, schloß die Augen und kostete ihr Hochgefühl aus. Josuah Parker war um den langen Tisch herumgegangen und bot Lady Agatha seine Dienste an. Nur widerwillig ließ sie sich von ihm hinüber in die große Wohnhalle führen. Dorothy Wolverton schloß sich ihnen an. James Cortlay räumte den Tisch ab und füllte das große Tablett mit dem Geschirr. Parkers Gedanken überschlugen sich inzwischen. Er sorgte sich um Lady Simpson. Wahrscheinlich befand sie sich in Lebensgefahr. Ihr Tod konnte gewissen Leuten sehr nutzen. Ihr Tod bedeutete bares Geld. Er mußte sie schützen, solange er noch einigermaßen klar denken konnte. Er mußte sich irgend etwas einfallen lassen und sie aus der Schußlinie herausschaffen. Sie stützte sich schwer auf, schnaufte ein wenig, als sie die Treppe hinaufmarschierte und lachte dann unvermittelt auf. Das Präparat nahm von Sekunde zu Sekunde immer mehr Besitz von ihr. Lady Dorothy Wolverton war vorausgeeilt und kümmerte sich nicht weiter um ihre Schwägerin. Sie steuerte ihr Zimmer an, öffnete die Tür und verschwand dahinter. Man hörte deutlich, daß sie sehr sorgfältig abschloß. »Sie sind eigentlich ein netter Bursche«, sagte Lady Simpson plötzlich und blieb hartnäckig stehen. Sie schaute ihren Butler an, als habe sie ihn gerade jetzt zum ersten Mal gesehen. »Mylady bringen meine bescheidene Wenigkeit in einige Verwirrung«, erwiderte der Butler.
»Wenn Sie nur nicht immer so schrecklich steif wären«, beschwerte sich Parkers Herrin, die gar nicht mehr so grimmig wie sonst aussah. »Mylady verunsichern mich«, sagte Parker verwirrt. »Wissen Sie, daß ich Sie im Grunde ganz gern mag?« fragte Lady Agatha weiter. »Auch ich erlaube mir, Mylady gegenüber ähnliche Gefühle zu hegen«, lautete Parkers Antwort. »Nur Ihre Sturheit bringt mich hin und wieder auf die Palme«, redete Lady Agatha ungeniert weiter. »Ich werde versuchen, mich grundlegend zu ändern, Mylady.« »Ihre verdammte Besserwisserei«, tadelte Lady Agatha. »Mylady werden sich in Zukunft nicht mehr alterieren müssen«, versprach der Butler, aber doch schon sichtlich lockerer als sonst. »Bilden Sie sich bloß nichts ein, Mr. Parker.« »Mitnichten, Mylady.« Parker schob die Lady behutsam weiter und vergaß, was er eben noch gewollt hatte. Richtig, jetzt fiel es ihm wieder ein. Er mußte Lady Simpson aus der Schußlinie herausbringen. Sie mußte quasi von der Bildfläche verschwinden. Die Täter durften sie einfach nicht finden. Es wurde höchste Zeit, daß Parker etwas unternahm. Die letzten Reste einer Selbstkontrolle wurden von rosaroten Wolken eingehüllt. Parker fühlte in sich einen kaum gekannten Leichtsinn hochsteigen. Er hatte Lust, irgend etwas Albernes zu unternehmen. »Wissen Sie, Mr. Parker, daß Sie mir gefährlich werden könnten?« bekannte
Lady Simpson inzwischen und blieb vor ihrer Zimmertür stehen. »Ich müßte nur ein paar Jahre jünger sein.« »Mylady steigern meine Verlegenheit und schmeicheln meinem Stolz.« »Drei bis vier Jahre jünger, Parker.« Lady Agatha verzichtete bereits auf die sonst übliche und offizielle Anrede. »Ich würde einen Vulkan aus Ihnen machen.« »Mylady stürzen mich in einen Strudel der Verwirrung«, gab der Butler zurück. »Mylady erwecken in meiner bescheidenen Wenigkeit orkanhafte Gefühle.« Anzusehen war ihm allerdings nichts. Josuah Parker hielt sich steif und distanziert wie sonst. Nur seine graugrünen Augen glänzten ein wenig mehr als sonst. Er öffnete die Tür, drückte sie auf und schloß sie wieder. »Aber, Parker, was soll denn das?« Lady Agatha war völlig verdutzt. Der Butler hatte sie daran gehindert, in ihr Zimmer zu gehen. Er zog sie überraschend sanft zurück und ging mit ihr in die Dunkelheit des langen Korridors. Lady Agatha folgte lammfromm und lächelte töricht. Sie war bereit, sich ihrem Butler restlos anzuvertrauen. * Kathy Porter befand sich im siebten Himmel. Sie tanzte mit James Cortlay und schien vergessen zu haben, daß er als Verwalter von Wolverton House ein doppeltes Spiel trieb. Sie war sich der Gefahr, in der schwebte, überhaupt nicht mehr bewußt. Er hatte sie dicht an sich gezogen und flüsterte ihr Schmeicheleien ins Ohr.
Kathy Porter lächelte verträumt, genoß die Aufmerksamkeiten und ignorierte die warnende Stimme ihres Unterbewußtseins. Diese Stimme wurde immer schwächer, und war schließlich nicht mehr zu hören. Sie nickte nur, als Cortlay ihr vorschlug, hinauf in sein Zimmer zu gehen. Ihre Beine spielten plötzlich nicht mehr mit. Sie sank an seine Brust, schlang ihre Arme um seinen Hals und ließ sich hochheben. James Cortlay trug sie über die Treppe hinauf zur Galerie. Seine Zimmer befanden sich im anderen Teil des großen Hauses. Als er sie küßte, ließ sie es nur zu gern geschehen. Sie kuschelte sich an ihn und schloß genußvoll die Augen, Er legte sie auf die Couch vor dem Kamin, schürte das Holzfeuer und mixte ihr einen Drink. Sie schüttelte zwar abwehrend den Kopf, als er ihr das Glas an die Lippen führte, trank dann aber doch. Sie war völlig willenlos und gab sich diesem Gefühl des Ausgeliefertseins hin. Sie protestierte nur schwach, als er ein wenig zudringlich wurde. Sie merkte nichts von dem Spott in seinen Augen. Cortlay wußte genau, daß sie keinen Widerstand leisten würde. Er kannte das Präparat, das er der Tischrunde verpaßt hatte, zu genau. Cortlay selbst hatte es seinem Geldgeber und Drahtzieher vorgeschlagen und besorgt. Es handelte sich um eine Art LSD, das gerade erst in Kreisen der Unterwelt gehandelt wurde. Dieses Präparat lähmte den Willen, heizte den Leichtsinn an und ließ das Bewußtsein in einem wilden Strudel von Farben untergehen.
Cortlay hatte dieses Präparat bereits nach Ankunft der Gäste verwendet. Der Erfolg war durchschlagend gewesen. Und nun hatte es wieder geklappt. Er war davon ausgegangen, daß dieser Butler Parker vielleicht Verdacht geschöpft haben mochte. Cortlay war alle Möglichkeiten durchgegangen und hatte sich schließlich für den Zucker und die Kondensmilch entschieden. Er war stolz darauf, wie gut und reibungslos alles geklappt hatte. Er hatte die beiden Milchdosen seitlich geöffnet, nachdem die Verpackungshülle vorher' entfernt worden war. Durch ein winziges Loch hatte er das Präparat dann in die Milch gegeben und die beiden winzigen Öffnungen wieder zugelötet. Nachdem die Etiketten wieder angebracht worden waren, hatte selbst ein Mann wie dieser Parker keinen Verdacht mehr schöpfen können. Den Zucker hatte er auf sehr einfache Art und Weise versetzt. Einige Milligramm des Präparats waren von ihm untergemischt worden. Cortlay brauchte für diese kommende Nacht Menschen im Landsitz, deren Bewußtsein nicht mehr funktionierte. In dieser Nacht wollte sein Auftraggeber seinen Plan vollenden. Cortlay hatte wenig Zeit, die es gut zu nutzen galt. Natürlich hatte er sich in Kathy Porter verguckt. Sie war sehr attraktiv und mit Sicherheit eine erstklassige Geliebte. Warum sollte er sich diese Frau entgehen lassen? Schneller und sicherer konnte er sein Ziel ja nicht erreichen. Er brauchte sich nur zu bedienen. Er öffnete die Knöpfe ihrer Bluse, drückte ihre Hände sanft zur Seite und küßte sie. Er lenkte Kathy ab, streifte
ihren Rock herunter und zog sie zu sich auf den Schoß. Sie legte ihren Kopf gegen seine Brust und seufzte. Cortlay stand auf und trug sie hinüber in sein Schlafzimmer. Er wollte in der Enthüllung der Tatsachen gerade fortfahren, als gegen seine Zimmertür geklopft wurde. Unwillig richtete er sich auf, und verließ fluchend das Schlafzimmer. Er hatte keine Ahnung, wer da klopfte. Etwa Parker? Das war so gut wie ausgeschlossen. Auch der Butler hatte schließlich von der Kondensmilch und dem Zucker genommen. Der Mann konnte keiner zielbewußten Aktion mehr fähig sein. »Wer ist da?« fragte Cortlay leise. »Mach schon auf.« Eine rauhe Männerstimme hatte geantwortet. Cortlay öffnete die Tür und sah den vor ihm stehenden Mann erstaunt an. Es handelte sich um einen der Killer, der sofort in sein Zimmer kam, »Ihr wolltet doch erst gegen Mitternacht kommen«, sagte James Cortlay. »Neuer Befehl«, sagte der Killer. »Der Chef will reinen Tisch machen. Wir schicken auch den Butler in die Hölle.« »Wieso denn das?« Cortlay zündete sich eine Zigarette an. »Der Chef weiß inzwischen, was mit ihm los ist. Parker ist sehr gefährlich. Wenn die alte Gans erledigt ist, „wird er wie 'ne Klette an dem Fall bleiben. Parker muß erledigt werden.« »Hier im Haus?« »Unsinn. Den setzen wir unten im Dorffriedhof aus. Mit dem üblichen Zauber.« »Und Lady Simpson?« »Ist anschließend an der Reihe. Aber das hat ja noch Zeit. Die wird sich hier im Haus das Genick brechen. Oder un-
ten am Bach. Jetzt muß erst mal Parker weggebracht werden.« »Und die Kleine?« erkundigte sich James Cortlay. »Die darf überleben«, lautete die Antwort. »Wir wollen ja nicht gerade 'nen Massenmord aufziehen. Aber wir werden sie Blakers unter die Weste schmuggeln. Sie muß später gegen ihn aussagen. Sie soll ihn vor Gericht fertigmachen.« Ein besseres Stichwort hätte es gar nicht geben können. Kathy Porter erschien in der Verbindungstür. Sie sah sehr einladend aus. Sie trug nur noch Slip und BH. Sie lehnte sich gegen den Türrahmen und schwankte leicht. »Kommst du?« fragte sie Cortlay, schien den zweiten Mann nicht zu sehen. »Klar, sofort, Süße.« Cortlay winkte ihr beruhigend zu. »Leg dich schon mal ins Bett.« Kathy Porter lächelte mechanisch und drehte sich um. Auf unsicheren Beinen ging sie zurück in das Schlafzimmer. Der Killer grinste und spitzte dann die Lippen. »Nicht schlecht«, meinte er. »Bevor wir sie bei Blakers abliefern, werden wir noch 'ne kleine Party mit ihr feiern.« »Dann mal los.« Cortlay hatte sich auf die neue Situation bereits eingestellt. »Schaffen wir Parker weg. Wo ist dein Partner?« »Der sieht sich die alte Gans an.« Der Killer grinste abfällig. Man hörte laute Schritte auf dem Korridor und Cortlay drehte sich um. Im Zimmer erschien der zweite Killer. Er nickte beruhigend. »Die Alte pennt wie ein Dachs«, meldete er. »Ich habe gerade in ihr Zimmer gepeilt. So was von Schnarchen gibt's
kaum noch einmal. Die wird uns nicht stören.« »Und Lady Wolverton?« »Pennt ebenfalls. Alles bestens, Leute. Wir können mit dem Theater anfangen. « * Josuah Parker tollte mit einer Frau durch einen weiten Park. Erstaunlicherweise kam er sich dabei gar nicht albern vor. Er hielt die rechte Hand der Frau und hüpfte mit seiner Begleiterin unter blühenden Bäumen herum. Dabei produzierte er jauchzende Freudenlaute. Um ihn herum waren Farbwirbel, die ihn blendeten, die dann wieder seinen Augen schmeichelten. Plötzlich stolperte er und fiel in die Arme seiner bacchantisch sich gebärdenden Mittänzerin. Parker zuckte zusammen und schämte sich. Lady Agatha Simpson! Sie hielt ihn fest, funkelte ihn aus ihren Augen unternehmungslustig an und wollte ihn offensichtlich an ihren wogenden Busen ziehen. In Parker brach Panik aus. Es widersprach seinen ehernen Grundsätzen, irgendwelche Gefühle zu zeigen oder ihnen gar nachzugeben. Als Butler hatte er selbst in solchen Situationen eiserne Selbstbeherrschung zu zeigen. Parker löste sich aus den Armen und merkte, daß sie überhaupt nicht vorhanden waren. Auch von den grellen Farbwirbeln war plötzlich nichts mehr zu sehen. Um ihn herum war Dunkelheit. Fröstelnde Kälte war in seinem Körper. Der Adrenalinstoß in seinem Blut hinderte ihn daran, in die Traumvorstellungen zurückzufallen. Der Butler schaute
sich um und konnte jetzt erst Einzelheiten unterscheiden. Er befand sich eindeutig auf einem Friedhof! Ein zweiter Adrenalinstoß machte seinen Kopf noch klarer. Er ging nicht näher auf den Kopfschmerz ein, merkte aber, daß er zwischen zwei Gräbern lag. Dieser Schock ernüchterte ihn vollends. Parker richtete sich auf, versuchte seine Gedanken unter Kontrolle zu bringen und erinnerte sich. Richtig, da war doch dieser Tee gewesen, den er gereicht hatte. Man hatte ihn hinaus auf den Friedhof von Wolverton geschafft. Und dies war bestimmt nicht geschehen, um sich einen makabren Spaß zu leisten. Parker versuchte aufzustehen, doch dies fiel ihm sehr schwer. Sein Blut schien kaum noch durch die Adern zu pulsieren. Müdigkeit wollte ihn erneut einlullen. Der Butler kroch mühsam auf einen Grabstein zu und zog sich an ihm hoch. Wankend blieb er auf seinen Beinen stehen. Fast dankbar nahm er zur Kenntnis, daß irgendwo ein Käuzchen schrie. Der Nachtvogel wußte mit ihm wohl nichts anzufangen und beschwerte sich. Parker holte tief Luft und aktivierte seine letzten Reserven. Er durfte jetzt auf keinen Fall schlappmachen. Dank Lady Simpsons Traumerscheinung war er wohl vorzeitig wach geworden. Er tastete mit der linken Hand nach dem nächsten Grabstein und wollte den Friedhof so schnell wie möglich verlassen. Er zuckte zusammen, als irgend etwas dicht vor ihm zu Boden fiel. Parkers Fuß stieß gegen einen Gegenstand, den er in der Dunkelheit nicht zu identifizieren vermochte. Als er sich vorbeugte, verlor er das Gleichgewicht und
fiel auf diesen Gegenstand. Ein Sportbogen! Parker wußte nicht, wieso dieses Gerät in seinen Händen war. Er nahm es erstaunt zur Kenntnis, merkte, daß er eine kleine Zeitlücke in seinem Gedächtnis gehabt haben mußte. Er wog den Bogen in den Händen, wußte nichts mit ihm anzufangen und entdeckte in diesem Moment nicht weit vor sich ein Skelett. Ein Irrtum war ausgeschlossen. Neben einem Grabstein stand ein echtes Skelett. Oder war es ein gestaltloser Geist, dessen Konturen verschwammen? Die Bilder wechselten rasend schnell und ließen sich nicht mehr fixieren. Doch, es mußte ein Skelett sein. In Parker stieg so etwas wie Unmut auf. Man wollte ihn narren, sich einen Spaß mit ihm erlauben. Normalerweise wäre er darauf bestimmt eingegangen, doch in diesem Fall mußte der Ulk wohl tödlich enden. Parker nahm den Bogen hoch, wunderte sich, daß er auch über einen Pfeil verfügte, legte ihn auf die Sehne und spannte sie. Genußvoll schickte er den Pfeil auf die Reise. Es war schon mehr als beachtlich, wie genau der Butler traf. Der Pfeil landete im Ziel, die spukhafte Erscheinung erhielt einen Stoß und kippte nach hinten. Doch unmittelbar darauf richtete sich das Gespenst wieder hoch. Parker hörte ein seltsames Geräusch. Es erinnerte ihn an das giftige Zischeln einer Giftschlange. Zuerst war dieses Zischeln nur undeutlich zu hören, doch dann wurde es immer aufdringlicher und lauter. Es füllte schließlich seinen Schädel aus und quälte ihn. Parker zwang sich dazu, den Boden zu mustern und schaute fast gleichgültig auf die Dynamitstäbe, die seitlich neben seinen
Füßen lagen. Die Lunte war bis auf ein letztes Drittel bereits heruntergebrannt und sprühte Feuer. Fasziniert starrte der Butler auf diesen Flammenpunkt,, der sich schnell und zielbewußt auf die Dynamitstäbe zu bewegte. Ein lustiges Feuerwerk. Hübsch sah diese kleine Flammenzunge aus. Wie hübsch mußte sich erst der Knall anhören, wenn die Dynamitstäbe detonierten! Detonation! In seinem Kopf fand sie bereits statt. Man wollte ihn in die Luft sprengen. Es ging um Sekunden. Parker setzte sich schwerfällig in Bewegung. Er bückte sich erst gar nicht. Er wußte, daß er sich dann nicht wieder aufrichten konnte. Noch war die Koordination seiner Nerven und Muskeln chaotisch. Parker torkelte auf einen Erdhaufen zu, hinter dem ein umgestürzter Grabstein lag. Er hatte den kleinen Hügel noch nicht ganz erreicht, als ein greller Feuerblitz die Dunkelheit zerriß. Eine riesige Hand faßte nach ihm, hob ihn hoch und schleuderte ihn in das Nichts. * »Das hätten wir«, sagte James Cortlay und nickte zufrieden. Er und seine beiden Begleiter hatten den grellen Feuerblitz registriert. Sie wußten, daß das Problem Butler Parker damit erledigt war. Sie ließen ihr Gespenst absichtlich auf dem Friedhof zurück, kümmerten sich auch nicht weiter um den Sportbogen, den sie absichtlich mitgenommen hatten. Die Polizei sollte später glauben und herausfinden, Parker habe ein Gespenst gejagt und sei in seinem Wahn dabei
umgekommen. Die Polizei sollte ermitteln, Josuah Parker habe diesen Spuk nicht nur mit Pfeil und Bogen, sondern auch mit Dynamit verfolgt. Die Knochen eines Skeletts und die Reste eines Sportbogens würden diesen Verdacht nur noch unterstreichen. Die drei Gangster, waren sich ihrer Sache derart sicher, daß sie sich nicht weiter um den Butler kümmerten. Sie pirschten zurück zum Wagen, den sie draußen vor dem kleinen Dorf zurückgelassen hatten. Sie mußten sich ohnehin absetzen, denn die Detonation hatte die Menschen in den Häusern hochgeschreckt. Allenthalben wurde Licht eingeschaltet, waren erstaunte und ängstliche Stimmen zu hören. Sie erreichten ungesehen den Wagen und fuhren los. Sie verließen schon sehr bald die normale Straße und fuhren auf Schleichwegen zurück nach Wolverton House. Später erst gingen sie auf die eigentliche Verbindungsstraße zurück, passierten die schmale Holzbrücke und näherten sich dem Landsitz. »Wer ist jetzt an der Reihe?« Der Killer, der den Wagen steuerte, drehte sich zu James Cortlay um, der auf dem Rücksitz saß. »Die beiden Alten«, meinte Cortlay. »Lady Wolverton setzen wir am besten irgendwo im Park aus.« »Und diese Simpson?« wollte der zweite Killer wissen. »Warum nicht unten am Bach?« Cortlay zuckte die Achseln. Ihm war es völlig gleichgültig, wie diese Frau endete. »Drücken wir auch ihr was in die Hand«, meinte der erste Killer. »Vielleicht so 'ne Streitaxt oder 'nen Spieß, wie?«
»Hauptsache, es sieht nach Verrücktheit aus«, erklärte der zweite Killer und lachte leise auf. Sie hatten den Landsitz erreicht, stiegen aus und betraten das Haus. Cortlay übernahm die Führung. Er stieg hinauf ins Obergeschoß und marschierte auf die Räume zu, in denen sie Lady Agatha Simpson zurückgelassen hatten. Geschickt sperrte er die Tür auf und ging dann mit seinen beiden Partnern auf das Bett zu. Lady Agatha Simpson schnarchte steinerweichend. Sie hatte das dicke Oberbett weit über den Kopf gezogen. Nur ihr Haarschopf war noch zu sehen. James Cortlay riß ungeniert und wenig taktvoll das Oberbett zurück und erbleichte. »Das – das kann doch nicht wahr sein«, sagte er dann mit heiserer Stimme. »Was denn?« Die Killer, die hinter ihm standen, drängten sich ebenfalls vor und verloren erheblich von ihrer gesunden Gesichtsfarbe. Im Bett lag nämlich keineswegs Lady Agatha Simpson, sondern eine monströs aussehende Gummipuppe, die prall aufgeblasen war. Sie entsprach zwar in der Größe einem menschlichen Körper. In Kopfhöhe dieser Puppe aber lag ein kleines Tonbandgerät, aus dessen eingebautem Lautsprecher die beeindruckenden Schnarchtöne kamen. »Verdammt«, meinte der erste Killer und wurde nervös. »Reingelegt«, stellte der zweite Killer fachmännisch fest. *
»Ich weiß genau, daß sie von dem Tee getrunken hat. Sie hat auch Milch und Zucker genommen.« James Cortlay schlug wütend auf die unschuldige Puppe ein, die daraufhin Verformungen zeigte und durch die Wucht der Schläge aus dem Bett hüpfte. »Sie kann nicht weit sein«, meinte der erste Killer nachdenklich. Der zweite Killer hielt sich nicht mit Mutmaßungen auf. Er lief zum Schrank hinüber und riß ihn auf. Nichts! Er rannte ins Badezimmer, durchsuchte es, wechselte hinüber in das Zimmer, in dem Kathy Porter normalerweise wohnte. Nichts! »Ich begreife das nicht.« James Cortlay hatte sich von seiner Überraschung noch immer nicht erholt. »Wer hat das hingezaubert?« fragte sich der erste Killer halblaut. »Sie selbst? Bist du sicher, Cortlay, daß die Alte high war?« »Aber natürlich.« Cortlay nickte gereizt. »Ich habe gesehen, wie der Butler sie raufgebracht hat. Sie konnte sich kaum auf den Beinen halten.« »Los, durchsuchen wir das Haus.« »Sollten wir nicht lieber erst den Chef anrufen?« erkundigte sich Cortlay. »Das können wir immer noch. Erst will ich die Alte haben. Moment mal, mir kommt da gerade ein Gedanke.« »Los, sag schon«, ermunterte ihn sein Partner. »Und wenn die Kleine aus Cortlays Zimmer...?« Die drei Männer sahen sich einen kurzen Moment lang betroffen an, um dann hinüber in den anderen Flügel des Landsitzes zu rennen. Sie stürmten Cortlays
Zimmer und blieben vor dem Bett stehen. Kathy Porter lag friedlich schlafend auf dem Bett. Sie schüttelten und rüttelten sie, doch Kathy reagierte nicht. Cortlay hob eines der Augenlider und untersuchte den Zustand der Pupille. »Vollkommen rüber«, sagte er dann fachmännisch. »Sie kann's nicht gewesen sein.« »Dann hat die Alte es allein geschafft.« Der erste Killer langte nach seiner Schußwaffe und entsicherte sie. »Allein oder von mir aus auch Parker«, meinte Cortlay. »Sie ist weg! Und sie muß wieder her, sonst war, das ganze Theater umsonst. Wir klappern jetzt systematisch den Bau ab, Jungens.« Und sie taten es. Cortlay und die beiden Killer strengten sich an. Sie ließen kein Zimmer, keine Kammer aus. Sie durchforschten die Keller- und Küchenräume, ja, selbst den Dachboden. Doch von Lady Simpson war nichts zu entdecken. »Wir müssen das Gelände absuchen«, forderte Cortlay. »Jetzt, wo kaum was zu sehen ist, wie?« Der erste Killer schüttelte den Kopf. »Wir sollten endlich den Chef anrufen«, verlangte der zweite Killer. »Vielleicht fällt dem was ein.« »Noch mal ganz schön langsam und ruhig.« Cortlay wollte nicht aufgeben. »Gehen wir mal davon aus, daß Parker die Alte weggeschafft hat. Viel Zeit hatte er nicht. Er kam schon nach wenigen Minuten wieder runter. Sie muß also irgendwo im Haus sein.« »Das hatten wir doch schon«, regte sich der erste Killer auf. »Sollen wir etwa noch die Dielenbretter aufreißen?«
»Habt ihr vielleicht Geheimgänge?« fragte der zweite Killer. »In alten Landsitzen soll's so was immer geben.« »Hier nicht«, antwortete Cortlay und schüttelte den Kopf. »Wartet mal, da ist doch was, was nicht stimmt.« »Was denn?« brauste der erste Killer auf. »Spuck's schon aus, Cortlay.« »Was stimmt nicht?« wollte der zweite Killer wissen. »Ich hab's!« Cortlay sah seine beiden Partner triumphierend an. »Die Rüstungen im Obergeschoß sind nicht mehr an der richtigen Stelle.« »Na und?« Der erste Killer reagierte nicht. »Sie steckt in einer der Rüstungen«, behauptete Cortlay und setzte sich wie ein Sprinter in Bewegung. »Parker hat die Alte in irgendeine Rüstung gestopft. Daß ich nicht früher draufgekommen bin!« * Nach einer guten Viertelstunde hatten sich die drei Gangster verausgabt. Sie hatten sämtliche Rüstungen im Haus auf den Kopf gestellt, aber von Lady Agatha Simpson keine Spur finden können. Sie hatten sich noch einmal alle Truhen vorgenommen und auch in sämtliche Schränke geschaut. Lady Simpson war und blieb verschwunden. Sie schien sich in Luft aufgelöst zu, haben. Der erste Killer trat den Gang nach Canossa an und verständigte seinen Chef. Das Gespräch war ungewöhnlich kurz. Als er zurückkam, wirkte er leicht mitgenommen. »Wells tobt«, sagte er. »Er will die Alte haben. Wir sollen draußen im Park
nach ihr suchen und das Haus noch mal auf den Kopf stehen.« Die drei Gangster stärkten sich mit einem weiteren Whisky und wollten sich gerade in Bewegung setzen, als oben von der Galerie her ein schnarrendes Geräusch zu vernehmen war. Synchron fuhren ihre Köpfe herum. Die drei Männer starrten hinauf und entdeckten dort eine Bewegung. »Nicht schießen«, flüsterte Cortlay, als die beiden Killer sofort wie gewohnt reagieren wollten. Erwartungsvoll beobachtete er das weiße Etwas, das zwischen dem Schnitzwerk des Galeriegeländers undeutlich zu erkennen war. Kroch Lady Agatha Simpson zur Treppe? Hatte sie sich aus ihrem Versteck hervorgewagt? Das weiße Etwas hatte die Treppe erreicht und .. . kollerte jetzt nach unten. Es handelte sich um jenes Gespenst, das Lady Simpson bereits gesehen hatte. Es war und blieb gestaltlos, schien ein großer Sack zu sein, der lediglich ein Innenleben besaß. Das Etwas hüpfte munter über die Stufen nach unten und rollte dann auf den Steinfliesen der Wohnhalle aus. Die beiden Killer preschten auf das Gebilde zu und drehten sich dann nach Cortlay um. »Was ist das?« fragte der erste Killer, vorsichtig mit der Schuhspitze nach dem Etwas tretend. »Ein Gespenst«, gab Cortlay zurück. »Stammt von mir. Da drin sind ein paar Fußbälle. Damit hab ich das Personal verrückt gemacht.« »Und wie kommt das Ding von ganz allein zur Treppe?« Der zweite Killer schaute zur Galerie hoch und erstarrte. »Parker«, flüsterte er dann.
»Wo denn?« wollte Cortlay wissen. »Eben war er noch da!« Der erste Killer deutete nach oben. »Parker ist hin«, behauptete Cortlay wütend. »Habt ihr doch mit eigenen Augen gesehen.« »Und wenn's sein Geist ist?« Der zweite Killer schien abergläubisch zu sein. »Quatsch!« Der erste Killer beförderte das gestaltlose Gespensterwesen mit einem Fußtritt zur Seite und lief nach oben. Er hatte die Hälfte der Treppe hinter sich gebracht, als wie durch Zauberei, eine der umgekippten Rüstungen durch die Luft segelte. »Achtung!« warnte Cortlay brüllend, doch er kam mit seinem Schrei zu spät. Der Killer wurde voll erwischt, schrie auf und stürzte zusammen mit der mittelalterlichen Rüstung über die Treppenstufen zurück in die Wohnhalle. Stöhnend blieb er hegen. »Das ist Parker«, sagte der zweite Killer. »Ich glaube, ich habe gerade so was gesehen. Los, Cortlay, wir müssen da rauf.« »Wir nehmen die Hintertreppe«, entschied Cortlay leise und deutete auf die Tür unterhalb der Treppe. »Wir greifen ihn von hinten an.« Der stöhnende Killer protestierte zwar dagegen, allein gelassen zu werden, doch die beiden anderen Männer scherten sich einen Dreck darum. Heiliger Eifer hatte sie erfaßt. Sie witterten eine echte Chance, ihre bisherige Niederlage wieder wettmachen zu können. Cortlay übernahm die Führung. Er schlüpfte durch die Tür in den langen Korridor, der zu den Wirtschaftsräumen und der Küche führte und wechselte dann hinüber zu der Wendeltreppe,
über die man hinauf ins Obergeschoß gelangte. Über diese Treppe versorgten einstmals die Hausangestellten die Bewohner der oberen Räume. Cortlay, der nun auch seine Waffe schußbereit in der Hand hielt, rannte in langen Sätzen nach oben. Seiner Schätzung nach hatte der Butler die Galerie besetzt. In ein paar Minuten konnten sie ihn erwischen. Cortlay fegte um die nächste Treppenbiegung herum und ... versuchte abzubremsen. Eine Ritterrüstung kippte auf ihn zu, begleitet von einigen Helmen. Abwehrend hob Cortlay die Arme, um sein Gesicht zu schützen. Doch er war nicht schnell genug. Einer der herumsegelnden Ritterhelme landete schmerzhaft auf seiner Nase. Cortlay brüllte auf, rutschte aus und fiel gegen seinen Begleiter. Der zweite Killer wollte ausweichen, schaffte es sogar, doch in diesem Moment knallte ihm ein Morgenstern in den Magen. Es handelte sich dabei um eine keulenähnliche Waffe, deren dickes Ende mit spitzen Nägeln bespickt war. Der zweite Killer fiel in das Brüllen Cortlays ein, mußte noch einen Helm in Kauf nehmen und rumpelte daraufhin haltlos nach unten. * »Wie nach einer Schlacht«, stellte Inspektor Hereford anerkennend fest. Er war vor wenigen Minuten mit einem Streifenwagen eingetroffen und brauchte nicht mehr einzugreifen. »Die Herren Täter befinden sich zur Zeit in einer Art Verlies«, sagte der Butler gemessen. »Darf ich unterstehen, Sir,
daß Sie durch die Detonation auf dem Dorffriedhof alarmiert wurden? « »Das auch«, bestätigte der Inspektor. »Doch ich wollte ohnehin hierher nach Wolverton House. Für den Fall des Falles, Sie verstehen?« »Die Herren Täter hatten tatsächlich die Absicht, Sir, noch in dieser Nacht für klare Verhältnisse zu sorgen.« Parker hielt sich diskret an einer Stuhllehne fest, denn er war noch ein wenig schwach auf den Beinen. »Und wie klar sollten die Verhältnisse werden?« »Lady Agathas Ermordung stand im Mittelpunkt der Absichten«, erläuterte der Butler. »Dies war den Worten der drei Herren eindeutig zu entnehmen.« »Wem nutzt denn das? Etwa Lady Dorothy Wolverton? « »In der Tat, Sir«, antwortete Parker und nickte vorsichtig, um in seinem Kopf das Chaos nicht wieder anzufachen. »Nach Lady Simpsons Tod würde Lady Dorothy beträchtlich erben. Beträchtlich, Sir, wenn ich das noch einmal unterstreichen darf.« »Moment mal, Mr. Parker. Sie glauben, daß Lady Dorothy die eigentliche Täterin ist?« »Zusammen mit Mr. Bruce Wells«, sagte Parker schlicht. »Meiner bescheidenen Ansicht nach tätigte Lady Wolverton eine Art Tauschgeschäft. Sie erklärte sich bereit, Wolverton House an Mr. Wells zu verkaufen. Mr. Wells hingegen wollte dafür die Erbfolge innerhalb der Familie Simpson neu regeln.« »Das wäre ja ungeheuerlich.« » Sie sagen es, Sir. Lady Wolverton war finanziell ruiniert. Auch der Verkauf dieses Landsitzes hier hätte sie
nicht sanieren können. Damit hätten sich nur die drückendsten Schulden und Lasten beheben lassen. Lady Dorothy brauchte also viel Geld, und das konnte sie sich nur durch ein dementsprechendes Erbteil sichern.« »Glauben Sie, daß sie das alles ausgekocht hat?« »Dem würde ich nicht unbedingt zustimmen, Sir. Möglicherweise ist die eigentliche Initiative von Mr. Wells ausgegangen. Im Endeffekt aber dürfte das keine Rolle spielen.« »Und der ganze Mummenschanz mit den Gespenstern?« »Sollte dazu dienen, Sir, das Haus zu leeren, wenn ich es so ausdrücken darf. Personal konnte nicht erwünscht sein, sonst hätte man nicht ungestört operieren können. Zudem brauchte man ein Lockmittel, um Lady Simpson dazu zu bringen, nach Wolverton House zu kommen.« »Das klingt plausibel, Mr. Parker.« Inspektor Hereford nickte zustimmend. »Lady Dorothy spielte dieses Gespensterspiel natürlich mit«, berichtete der Butler weiter. »Sie ließ sich auch absichtlich in jene wilden Träume versetzen, die ich Ihnen, Sir, nicht unbedingt wünschen möchte. Sie verschaffte sich so ein Alibi.« »Und seit wann wissen Sie das alles?« »Die sprichwörtlichen Schuppen, Sir, fielen mir just in dem Moment von den Augen, als Miß Porter das Doppelspiel Mr. Cortlays durchschaute. Darauf werde ich später noch eingehen.« »Cortlay trat hier also als eine Art Verbindungsmann von Wells ein, nicht wahr?« »Das ist der Tatbestand, Sir. Er sorgte für Geister, Spuk und Gespenster, um
den Boden für Lady Simpson vorzubereiten. « »Hoffentlich werden die drei Gangster auch reden und Wells und Lady Wolverton belasten.« »Damit dürfte zu rechnen sein, Sir.« Parker nickte zuversichtlich. »Das Verlies ist recht feucht, wenn nicht sogar sehr naß. Es handelt sich um eine alte Zisterne unterhalb der Küche. Wenn ich mir einen Rat erlauben darf, Sir, so sollte man die drei Herren noch ein wenig unter sich lassen. Das dürfte die spätere Gesprächsbereitschaft erheblich fördern.« »Und Miß Porter sollte also bei Blakers eingeschmuggelt werden.« Inspektor Hereford tat so, als habe er überhaupt nichts gehört. »Sie und Ihre Beamten, Sir, hätten Miß Porter in einer sehr schrecklichen Situation bei Mr. Blakers aufgespürt«, versicherte der Butler dem Inspektor. »Mr. Cortlay oder Lady Dorothy hätten dafür schon geschickt gesorgt.« »Er hätte später alles ausbaden müssen. Auch den Mord an Lady Simpson.« »In der Tat, Sir.« »Bleibt die Sache mit dem Lastwagen. Sie geht auf Wells' Konto?« »Gewiß, Sir. Aber dieser Anschlag galt tatsächlich Blakers, den man durch einen fingierten Telefonanruf in die Falle locken wollte. Wells wollte so seinen Konkurrenten für immer loswerden. Es war ein sogenannter dummer Zufall, daß Lady Agatha, Miß Porter und meine bescheidene Wenigkeit diesen Weg wählten.« »Sie erwähnten gerade Lady Simpson. Wo steckt sie denn eigentlich? Sie sagten doch eben, die drei Gangster hätten
»Mylady, der Fall ist gelöst«, verkündete Parker. »Die Gefahr ist gebannt, wenn ich so sagen darf.« »Lassen Sie mich gefälligst in Ruhe«, sagte die Hobbydetektivin, ihre Augen jetzt mühsam öffnend. »Sie stören, merken Sie das nicht?« »Sehr wohl, Mylady.« Parkers Gesicht verzog sich zu einem erleichterten Lächeln. Mylady redete also wieder in normaler Tonart. Die Welt war wieder in Ordnung. »Was machen wir nun?« fragte Inspektor Hereford. »Wenn ich mir einen Rat erlauben darf, Sir, so sollte man den Schrank vorerst wieder vor die Nische schieben«, gab der Butler zurück. »Mylady reagieren meist recht unwirsch, wenn man ihre Nachtruhe stört.« Parker lehnte sich gegen die Schrankseite und schob das Möbelstück vor Lady Simpson. Er war für Sicherheit. Er wollte sich erst dann wieder nähern, wenn sie völlig frei war von diesem psychedelischen Präparat. Er nickte Hereford zu und ging, als sei überhaupt nichts passiert. Ja, und dann dachte Parker noch einmal an den wüsten Traum und an Mylady, die mit ihm lustvoll durch die Gräser tanzte. Sie hatte dabei schon recht komisch ausgesehen...
das ganze Haus auf den Kopf gesteht und nach ihr gesucht.« »Mylady sind sicher«, antwortete Parker. »Mylady befinden sich in einer Mauernische, vor die ich einen Wandschrank schob. Erfreulicherweise bemerkte Mr. Cortlay nicht diese kleine räumliche Neuordnung.« »Wollen wir sie nicht herausholen?« »Sehr wohl, Sir. Ich stehe sofort zur Verfügung.« »Mir ist und bleibt es ein Rätsel, Mr. Parker, wie Sie das alles geschafft haben, obwohl Sie doch auch von dem Präparat geschluckt hatten. Besitzen Sie eine Pferdenatur?« »Keineswegs, Sir.« Parker schüttelte vorsichtig den immer noch schmerzenden Kopf. Er schloß für einen kurzen Moment die Augen und sah wieder alles ganz genau vor sich. Parker schritt zur Treppe und stieg dann feierlich-gemessen nach oben. Inspektor Hereford folgte ihm, bis sie den bewußten Wandschrank im Korridorgang erreicht hatten. Gemeinsam schoben sie ihn zur Seite und legten eine Mauernische frei, in der Lady Agatha mit angezogenen Knien hockte. »Mylady?« rief der Butler sie vorsichtig an. »Parker?« gab sie leise und ein wenig undeutlich zurück. »Sind Sie es?« ENDE
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Sokrates, der alte Greis, sagte oft in tiefen Sorgen: „Ach, wieviel ist doch verborgen, was man immer noch nicht weiß!“
Seit Sokrates sind nun schon weit über 2000 Jahre verstrichen und wir wissen, daß wir heute vieles immer noch nicht wissen, insbesondere was die Geheimnisse der Heilpflanzen betrifft. Die Heilpflanzen sind voller Geheimnisse und noch ist es keinem Labor der Welt gelungen, diese gänzlich zu entschlüsseln. Es scheint, als gäbe die Natur ihre letzten Geheimnisse nicht preis. Wie könnte man z. B. mit bloßem Verstand und den kompliziertesten, wissenschaftlichen Berechnungen das Geheimnis zwischen dem Chlorophyll (Blattgrün) und dem menschlichen Blut ergründen. Das Chlorophyllmotekül ist nämlich ähnlich aufgebaut wie das Molekül des Blutfarbstoffes. Vielleicht aber liegt darin überhaupt das große Geheimnis der segensreichen Wirkungen der Heilpflanzen auf Körper und Geist des Menschen. Außer Chlorophyll sind in den Heilpflanzen aber noch eine Unmenge von Wirkstoffen oft nur in Spuren enthalten. Allerdings muß gesagt sein, daß viele dieser oft sehr wertvollen Wirkstoffe bei den verschiedenen Zubereitungsarten verlorengehen, hauptsächlich diejenigen, die nicht wasserlöslich sind oder beim Übergießen mit heißem Wasser vernichtet werden. Außerdem können schwerlösliche (Lipophite) Arzneiwirkstoffe ohne Vorbehandlung im Magen-Darmtrakt nur teilweise oder gar nicht gelöst werden und stehen daher dem Organismus dann nicht zur Verfügung. (Literaturhinweis: Wissenschaftliche Untersuchung Dr. Davies u. Fell. Communications. J. Pharm. Pharmac – 1975. 27. 50/51.) Das ist im Besonderen bei Wurzel- und Rindendrogen der Fall, wie z. B. Ginseng. Baldrian und Teufelskralle usw. Unsere Heilpflanzenpräparate bestehen aus neuartigen Extrakten, die speziell aus diesen Erkenntnissen gewonnen werden. Selbst das kleinste Wirkstoffpartikel wird erfaßt und alle wirksamen Stoffe, auch die empfindlichsten, bleiben erhalten. Diese sind frei von Ballaststoffen, Staub und Schmutz. Eine Stellungnahme der Firma Roth-Heildrogen, 8013 Haar/München auf vielerlei Anfragen.
Günter Dönges schrieb für Sie den nächsten Krimi Nr. 153
Zarter Speck in scharfer Falle Neugierig und erwartungsvoll wie ein großes Kind betrat Lady Agatha Simpson den riesigen Freizeitpark, der ein wenig an Disneyland erinnerte. Solch ein Angebot an Abwechslung hatte die energische, ältere Dame nicht erwartet. Es gab Dschungellandschaften, Südpolregionen, Märchenschlösser und schließlich sogar auch Feen, die sich allerdings recht bald als ziemlich mörderisch erwiesen. Es tauchten Zwerge und Riesen auf, die es auf Myladys Gesellschafterin abgesehen hatten und sie entführen wollten. Als Lady Agatha daraufhin energisch wurde, landete sie zusammen mit Kathy Porter in einer Landschaft, die man nur als einen Alptraum bezeichnen konnte, der leider Wirklichkeit geworden war. Butler Parker hatte leider keine Ahnung, wo seine beiden Damen sich befanden. Er vermißte sie nur und mußte mühselig nach ihnen forschen. Dank seiner skurrilen Logik fand er Spuren, die ihn geradewegs ebenfalls in diesen Alptraum hineinführten. Daß dabei ein wenig nachgeholfen worden war, merkte Josuah Parker leider zu spät. Plötzlich saß auch er in einer tödlichen Falle, aus' der es kein Entrinnen mehr zu geben schien ... Der Zauberkreis-Verlag bietet einen neuen Parker-Krimi an, in dem es wieder mal turbulent und ungewöhnlich zugeht. Hochspannung, Witz und Humor sind die Bestandteile dieser Krimimischung, die man einfach probieren muß!
In einer Neuauflage erscheint als Butler Parker Nr. 121
PARKER pokert mit Banditen ebenfalls von Günter Dönges