Lady Agatha Simpson langweilte sich sichtlich. Sie saß zusammen mit ihrer Gesellschafterin und Sekretärin in einer Loge...
51 downloads
981 Views
599KB Size
Report
This content was uploaded by our users and we assume good faith they have the permission to share this book. If you own the copyright to this book and it is wrongfully on our website, we offer a simple DMCA procedure to remove your content from our site. Start by pressing the button below!
Report copyright / DMCA form
Lady Agatha Simpson langweilte sich sichtlich. Sie saß zusammen mit ihrer Gesellschafterin und Sekretärin in einer Loge der Festival Bowl und konnte dieser Musik keinerlei Geschmack abgewinnen. Es handelte sich um eine festliche Gala-Vorstellung, in der klassische Musik dargeboten wurde. Lady Agatha hatte es längst aufgegeben, auf einen Fehler des Pianisten zu warten. Dieser Mann dort im Frack, der ihrer Ansicht nach den Konzertflügel trak tierte, war sich seiner Arbeit vollkommen sicher. Bis her hatte er noch nicht einmal danebengegriffen. Alles deutete darauf hin, daß dies auch bis zum Ende des Konzerts nicht anders werden würde. Lady Agatha hätte viel lieber etwas Flottes angehört. Sie war ein Fan der Beatles und liebte darüber hinaus den guten alten Swing aus der Zeit Benny Goodmans. Damit war hier jedoch nicht zu rechnen. Man spielte etwas von Tschaikowski, wie sie dem Programm ent nommen hatte. Die Sache hatte gerade erst angefan gen und dauerte sicher seine Zeit. Agatha Simpson war eine ältere Dame, die über ihr Alter nicht gern sprach. Seit ihrem 60. Geburtstag, der einige Zeit zurücklag, zählte sie ihre Lebensjahre nicht mehr, denn über solche Kleinigkeiten war sie
erhaben. Ihrer Ansicht nach war man stets so alt, wie man sich fühlte. Nach dieser Rechnung hatte sie gerade erst fünfzig Jahre hinter sich gebracht. Sie war eine majestätische Erschei nung, groß, füllig und an eine Bühnen heroine erinnernd. Lady Agatha war sehr vermögend und konnte sich prak tisch jede Extravaganz leisten. Ver wandt und verschwägert mit dem Blutund Geldadel des Königreichs, betätigte sie sich seit dem Tod ihres Mannes als leidenschaftliche Amateurdetektivin. Darüber hinaus wollte sie eines Tages eine gewisse Agathe Christie in den Schatten stellen, dennn sie träumte da von, eines Tages eine berühmte Krimi nalromanautorin zu werden. Zur Zeit aber war sie noch damit beschäftigt, sich den passenden Stoff zu suchen. Diese etwas skurrile Dame konnte ihre Gesellschafterin und Sekretärin nicht verstehen. Kathy Porter saß neben ihr und hatte verzückt die Augen ge schlossen. Sie gab sich ganz der Musik hin und schien sie sichtlich zu genießen. Sie war es schließlich gewesen, die Lady Agatha in dieses verdammte Konzert gelockt hatte. Mit Kathy war im Moment überhaupt nichts anzufangen. Lady Agatha beschäftigte sich inzwi schen mit Entfernungsschätzen, um ihre Fähigkeiten zu konzentrieren. Ihr Blick wanderte hinüber zum Solisten am Flügel, dann zurück zu einem der Saaldiener und dann hinauf zur Galerie. Doch dieses Spiel langweilte sie bald. Sie wurde zudem auch abgelenkt vom Dirigenten, der endlich die ersehnte Ab wechslung brachte. Der Mann im Frack stach mit seinem Dirigentenstab in das Orchester hinein, war abwechselnd aggressiv und kampf betont, dann wieder vorsichtig und be schwörend. Er schien mit seinem Stab 2
eine Art Gefecht zu führen und wirkte auf Lady Agatha äußerst begabt. Der Mann wußte zu fintieren und dann plötz lich auszufallen und zuzustoßen. Nachdem Lady Agathas Interesse an diesem Scheingefecht erlahmt war, nahm sie ihr Opernglas hoch und schaute sich die Zuhörer an. Sie schmunzelte erleichtert und unverhoh len, als sie einen Zuschauer entdeckte, der selig schlief. Dieser Mann hatte sich in sein Innenleben geflüchtet und nutzte die Zeit. Die Musik schien ihn über haupt nicht zu stören. Lady Simpson entdeckte ein neues Spiel, um sich die Langeweile zu vertrei ben. Es war statistisch vielleicht interes sant, wie viele Zuhörer dort unten im Parkett ein kleines Nickerchen mach ten. Sie machte sich daher augenblick lich daran, Material für diese Studie zu sammeln. Sie suchte mit ihrem recht leistungsfähigen Opernglas die Reihen im Parkett und dann später die Besu cher in den Logen ab. Sie war ehrlich überrascht, daß allein im Parkett sechs Besucher schliefen. Obwohl die Musik gerade schmetterte, wachten diese Herrschaften keineswegs auf. Es mußte sich um durchtrainierte und erfahrene Konzertbesucher han deln, die sich auch nicht mehr durch Lautstärke ablenken ließen. Lady Agatha befaßte sich inzwischen mit den Logen auf der gegenüberliegen den Seite der Konzerthalle und hoffte auch hier auf reiche Beute. Plötzlich jedoch erhielt sie so etwas wie einen elektrischen Schlag und sie war sofort alarmiert. Dort in einer Loge spielte sich etwas ab, was man nicht mehr als regu lär bezeichnen konnte. Die Ermordung eines Mannes war zumindest in dieser festlichen Umgebung mehr als unpas send und ungewöhnlich.
Zwei junge Männer, die sehr drahtig aussahen, standen hinter einem vor der Logenbrüstung sitzenden Herrn und strangulierten ihn. Einer der beiden Tä ter hatte einen Schal um den Hals des Opfers geschlungen und zog ihn zu. Der zweite Täter zerrte das Opfer vom Stuhl nach hinten in die Tiefe der Loge. Agatha Simpson reagierte prompt, im pulsiv und sehr gekonnt. Sie schien direkt erleichtert zu sein, endlich etwas tun zu können. Sie war bereits aufgesprungen und ließ ihren Pompadour kreisen. Es handelte sich dabei um einen perlenbestickten Hand beutel, wie er um die Jahrhundertwende und davor in Mode gewesen war. In ihm befand sich Myladys ,Glücksbringer', wie sie das Pferdehufeisen untertrei bend nannte. Dieses schwere Hufeisen war nur sehr oberflächlich mit dünnem Schaumstoff umwickelt, um schwere Verletzungen zu vermeiden. Lady Simpson war eine erstklassige Sportlerin. Nachdem sie den Pompa dour in Fahrt gebracht hatte, ließ sie ihn los. Das Wurfgeschoß segelte quer über das Parkett und landete in der gegen überliegenden Loge, in der das Opfer bereits sichtlich unter Luftnot litt. Eine Hammerwerferin hätte nicht kraftvoller und genauer zielen können. Der Pompadour landete prompt im Gesicht eines der beiden Täter. Der Auf schrei, der unmittelbar danach ertönte, wirkte sich auf das Geschehen in der Konzerthalle erheblich störend aus. Er paßte einfach nicht zu Tschaikowski!
Der ältere Herr röchelte beachtlich und schnappte nach Luft. Er lag in einer Ecke der Loge und stierte Lady Simp son mit einer Mischung aus Dankbar
keit und noch nicht überwundenem Entsetzen an. »Die Kette«, schnaufte er. »Nehmen Sie die Kette!« »Sie brauchen keine Angst zu haben, ich bin ja bei Ihnen«, meinte Lady Aga tha beruhigend. »Was für eine Kette mei nen Sie?« »Hier!« Der ältere Herr zerrte sich sein Frackhemd auf und wollte noch etwas sagen, doch da verließen ihn die Kräfte. Er rutschte haltlos zurück und schloß die Augen. »Er wird doch nicht?« Lady Simpson sah ihre Gesellschafterin an, die sich jetzt um den Herrn kümmerte. »Nur eine Ohnmacht, Mylady«, beru higte Kathy Porter die Lady. »Das möchte ich mir auch ausgebeten haben!« Lady Simpson hörte Schritte vor der geöffneten Logentür und griff blitzschnell nach der dünnen Kette, die unter dem Frackhemd des Ohnmächti gen hervorschimmerte. Die resolute Dame zögerte keinen Augenblick. Mit fester und sicherer Hand langte sie herz haft zu und riß dem Herrn die dünne Kette vom Hals. Ohne sich lange mit ihr zu beschäftigen, ließ Lady Simpson sie dann geistesgegenwärtig in ihrem Aus schnitt verschwinden. Sie schaute hoch und sah sich einem uniformierten Beamten gegenüber, der gerade die Loge betreten hatte. Der Ser geant, ein schlanker, energisch ausse hender Mann, kümmerte sich sofort um das Opfer, ohne sich durch Kathys Nähe ablenken zu lassen. Demnach mußte der Sergeant sogar noch sehr pflichtbewußt sein. Kathy sah nämlich ungewöhnlich attraktiv aus. Das Konzert war selbstverständlich abgebrochen worden. Unten im Parkett, auf den Rängen und in den Logen stan den die festlich gekleideten Menschen 3
herum und diskutierten mehr oder we niger erregt diesen Zwischenfall. Lady Simpson hätte sich liebend gern ange schaut, woraus der Anhänger am Kett chen bestand, doch dies verbot sich im Augenblick von selbst. Es dauerte gar nicht lange, bis ein gewisser Superintendent McWarden auf der Bildfläche erschien. McWarden, ein alter Bekannter von Lady Simpson, schluckte nervös, als er die Dame in der Loge entdeckte. McWarden, ein unter setzter, bullig wirkender Mann von fünf zig Jahren, witterte natürlich sofort Komplikationen. Wo Lady Simpson ihre Hand im Spiel hatte, war es mit seiner üblichen Bombenruhe vorbei. Daran hatte er sich bereits gewöhnt. Das Opfer war inzwischen wieder zu sich gekommen, schien aber nicht ver nehmungsfähig zu sein. McWarden rich tete einige Fragen an den älteren Herrn, doch der reagierte nicht. Ob er es ab sichtlich tat, vermochte selbst die stets mißtrauische Lady Simpson nicht ein deutig zu sagen. McWarden wartete bis die Männer des Krankenwagens er schienen und das Opfer auf eine Trage packten. Als der Mann dann aus der Loge gebracht war, konzentrierte der Superintendent sich auf Lady Simpson. »Ich bin Ihnen für jede Geschichte dankbar«, sagte er mit einer gewissen Bitterkeit. »Sie darf sogar wahr sein.« »Machen Sie sich nicht lächerlich, McWarden«, gab Lady Simpson grim mig zurück. »Als ob ich Sie schon jemals belogen hätte!« »Oh, Lady Simpson«, seufzte McWar den auf, »eines Tages werde ich mich in die Provinz versetzen lassen, weit weg von Ihnen.« »Wie wollen Sie dann noch Kriminal fälle lösen?« erkundigte sich die Lady ironisch. »Sie sollten dankbar sein, daß 4
ich mich etwas um Sie kümmere.« »Um was ging's denn diesmal?« fragte McWarden, ohne dieses Thema zu ver tiefen. »Miß Porter wird Ihnen alles erzäh len«, gab Lady Simpson zurück. »Und Sie werden nichts zu hören bekommen als die Wahrheit, die reine Wahrheit.« »Ich weiß!« McWarden verdrehte die Augen und nickte Kathy Porter zu. Lady Simpsons Gesellschafterin berichtete knapp und präzise von dem, was sich in der Loge abgespielt hatte. Sie vergaß allerdings das Kettchen zu erwähnen, doch das konnte möglicherweise mit ih rer Aufregung zusammenhängen. »Also reiner Zufall, daß Sie diesen versuchten Mord beobachteten?« McWarden drehte sich zu Lady Simpson um. »Sie scheinen gut zugehört zu haben. Reiner Zufall, Superintendent. Wollen Sie mir nicht endlich sagen, wen ich da vor dem Tod errettet habe? Darauf habe ich doch wohl einen Anspruch, nicht wahr?« »Sie kennen den Mann wirklich nicht, Mylady? « »Sie werden albern, junger Mann«, raunzte die ältere Dame den Superinten dent an. »Ich spiele nicht mit gezinkten Karten. Ich bin ahnungslos.« McWarden durchforschte bereits die Brieftasche des Opfers und fand eine Menge Hinweise auf dessen Identität. In der Brieftasche befanden sich Kredit karten, ein internationaler Führer schein, Pfundnoten und dann auch ein Hotelausweis. »Nun zieren Sie sich nicht länger«, brummte Lady Simpson. »Wie heißt der Mann?« »James Findlay«, antwortete der Su perintendent zögernd. »Er ist Amerika ner und scheint sich erst seit zwei Tagen
hier in London aufzuhalten.« »In welchem Hotel ist er abge stiegen?« ' »Im ,Palace', Mylady, aber das darf ich Ihnen schon nicht mehr sagen.« »Ich habe auch nichts gehört«, ant wortete Lady Simpson. »Werden Sie sich mit dieser Sache befassen?« fragte McWarden vorsichtig an. Ihm war nur zu bekannt, welchem Hobby die resolute Dame hemmungslos frönte. »Der Fall soll doch aufgeklärt werden, oder?« Sie sah ihn grimmig an. »Natür lich werde ich ein wenig neugierig sein, McWarden. Vielleicht wartet hier ein Stoff auf mich, der mir einen Bestseller garantiert.«
»Wann werden Sie sich endlich einen größeren Wagen zulegen, Kindchen?« grollte Lady Simpson und deutete auf den Mini-Cooper. »Dieser Schuhkarton ist doch eine Zumutung.» »Man hat daher mit ihm keinerlei Parkprobleme, Mylady«, sagte Kathy Porter lächelnd. »Ich komme mit ihm praktisch überall hin.« Lady Simpson faltete sich zusammen und schob sich ächzend und stöhnend auf den Beifahrersitz. Kathy Porter war tete, bis die ältere Dame sich endlich zurechtgerückt hatte, dann ging sie um den Mini-Cooper herum und setzte sich vor das Steuer. »Fahren Sie los«, sagte Lady Simpson. »Ich wette, McWarden beobachtet uns. Er traut mir mal wieder nicht über den Weg.« »Gebranntes Kind scheut das Feuer, Mylady.« Kathy ließ den Motor an und fuhr langsam los. Als sie den Parkplatz verließ, tauchte der Superintendent auf,
gestikulierte und schien den Mini-Coo per unbedingt anhalten zu wollen. Ja, er machte einen geradezu aufgeregten Ein druck. »Ich hoffe, Sie wollen nicht reagie ren«, meinte Lady Agatha. »Ich sehe nichts. Haben Sie mich verstanden?« »Es scheint aber wichtig zu sein, Mylady.« »Wir sehen nichts. Biegen sie nach rechts ab, Kindchen. McWarden geht mir auf die Nerven.« Kathy Porter hielt sich also an die strikte Anweisung der Lady Agatha, übersah den Superintendent und witschte mit ihrem Mini-Cooper in eine schmale Gasse, die von parkenden Wa gen gebildet wurde. Wenig später waren sie auf der regulären Straße und fuhren in Richtung Hyde Park, in dessen Nähe sich das Palace-Hotel befand. »Sie scheinen wieder mal mit einer Schnecke konkurrieren zu wollen«, mo kierte sich die energische Lady. »Geht's nicht etwas schneller, Kindchen?« »Mylady, der Verkehr ist einfach zu dicht.« »Sie sind überfordert, Kathy«, stellte die Lady fest. »Ich denke, ich sollte das Steuer übernehmen.« Kathy Porter hätte am liebsten ent setzt aufgeschrien. Sie kannte den Fahr stil der resoluten Lady. Ein ehemaliger Kamikaze-Flieger wäre gegen Myladys Verwegenheit nur ein zaudernder An fänger gewesen. Wenn Lady Agatha am Steuer eines Wagens saß, war das stets so etwas wie ein Happening. Sie hatte die Spielregeln des Verkehrs längst ver gessen, zudem auch noch sämtliche Ver kehrszeichen. Sie fuhr so, wie es ihr gerade in den Sinn kam. »Sollten Sie sich nicht das Kettchen ansehen, Mylady?« lenkte Kathy Porter schnell ab. Sie konnte nur hoffen, daß 5
Lady Agatha auf diesen Trick hereinfiel. Sie tat es erfreulicherweise. »Richtig, das Kettchen!« erinnerte sich die Lady und suchte in ihrem mäch tigen und fülligen Ausschnitt nach be sagtem Gegenstand. Nach einiger An strengung hatte sie endlich den Gegen stand gefunden und sicher geborgen. Sie betrachtete ihn neugierig. Das Silberkettchen hatte einen An hänger. Bei diesem Anhänger handelte es sich um eine längliche Kapsel, die aus zwei Hälften bestand. Sie war etwa vier bis fünf Zentimeter lang und hatte einen Durchmesser von ungefähr anderthalb Zentimeter. Die zwei Hälften waren ge nau in der Mitte gegeneinander ge schraubt. Die obere Hälfte war mit ein gelassenen roten Kreuzen versehen, mit denen Lady Simpson nichts anzufangen wußte. »Das sieht aber reichlich medizinisch aus«, fand sie und zeigte ihrer Begleite rin die Kapsel. Sie zeigte ihr sie derart nachdrücklich, daß Kathy die Sicht auf die Fahrbahn versperrt wurde. Doch das bekam Lady Simpson in ihrem Eifer nicht mit. Kathy mußte eine Notbremsung durchführen und entging nur mit knap per Not einem Auffahrunfall. Davon be kam Lady Agatha jedoch nichts mit. »Moment, Kindchen«, sagte sie ah nungslos, »Sie können wahrscheinlich nicht genug sehen.« Lady Simpson nahm die Kapsel noch höher und damit Kathy auch die letzte Sicht. Kathy Porter seufzte auf. »Was ist denn, Kathy? « wunderte sich die ältere Dame. »Warum blockieren Sie plötzlich den gesamten Verkehr? Wir sind doch nicht allein auf der Straße? Sie sollten mal wieder Fahrunterricht nehmen.« »Mylady, ich kann beim besten Willen 6
nichts sehen«, gab Kathy ergeben zu rück. Es hatte keinen Sinn, sich über die Lady zu wundern. Sie war ein Natur eignis, das man einfach hinnehmen mußte. Kathy steuerte den Wagen vor sichtig an den Straßenrand und hielt an. »Der Straßenverkehr hat Sie ge schafft, Kindchen, nicht wahr?« Mitge fühl schwang in Myladys Stimme mit. »Darf ich die Kapsel sehen, Mylady?« fragte Kathy, ohne auf die Feststellung Lady Agathas einzugehen. Sie überhör te sie geflissentlich. »Ein sehr eigenartiger Talisman«, fand Lady Agatha, als sie ihrer Gesell schafterin die Kapsel reichte. »Das ist eine Rettungskapsel«, sagte Kathy nach einem kurzen und prüfen den Blick. »Eine was?« Lady Simpson schüttelte irritiert den Kopf. »Eine Rettungskapsel, Mylady«, wie derholte Kathy und schraubte die bei den Hälften auseinander. »Sie enthält Angaben zur Person des Besitzers. Blut gruppe, Rhesusfaktor, eine Liste der be reits verabreichten Impfungen und Hin weise auf Allergien, das alles ist hier verzeichnet.« Während Kathy Porter noch redete, zog sie ein eng zusammengerolltes Stück Papier aus der unteren Kapsel hälfte, rollte es auseinander und reichte es Lady Simpson. »Tatsächlich«, sagte die Amateurde tektivin enttäuscht. »Der Name lautet James Findlay. Er ist identisch mit dem, den McWarden uns genannt hat. Das ist aber eine herbe Enttäuschung, Kindchen.« »Sie hatten Mikrofilme erwartet, My lady?« Kathy lächelte. »Natürlich«, räumte Lady Simpson ehrlich ein, was an sich schon überra schend genug war. »Warum hat dieser
Findlay mir sonst diese Kapsel aufge drängt? Sein Rhesusfaktor interessiert mich doch überhaupt nicht.« »Vielleicht birgt die Kapsel irgendein Geheimnis, Mylady?« Kathy wußte sehr genau, wie man Lady Simpson ge schickt ablenken konnte. Sie hatte da so ihre Erfahrungen. »Manchmal haben Sie sogar akzepta ble Ideen, Kindchen«, gab Lady Simp son zurück und nickte beifällig. »Worauf warten Sie eigentlich noch? Wir wollen uns diese Kapsel zu Hause mal in aller Ruhe ansehen.« Kathy wollte anfahren, doch in diesem Augenblick tat sich etwas, womit sie nicht gerechnet hatte. Die Fahrertür wurde aufgerissen, und sie sah Bruch teile von Sekunden später in den Lauf einer Pistole, die mit einem Schalldämp fer modernster Bauart ausgerüstet war.
»Ganz ruhig, die Damen«, sagte der junge Mann, der die Pistole hielt. Er mochte vielleicht fünfunddreißig Jahre alt sein, schlank und mittelgroß. Er hatte ein glattes Gesicht und trug trotz der Dunkelheit eine Sonnenbrille. »Was soll das?« grollte Lady Simpson gereizt. »Wenn Sie mit Bargeld rechnen, so haben Sie sich gründlich in den Fin ger geschnitten. Ich zahle nur per Scheck.« »Wie wär's denn mit der Kapsel?« fragte der junge Mann und lächelte dünn. Kathy Porter überdachte blitz schnell ihre Chancen, dem Mann die Waffe aus der Hand zu schlagen, doch sie kam zu dem Schluß, daß sie es mit einem Profi zu tun hatte, den man so leicht nicht hereinlegen konnte. »Meinen Sie etwa diese Kapsel?« fragte die energische Lady, die die Waffe
gar nicht zu sehen schien. Sie hielt sie hoch, als hätte sie möglicherweise noch gar nicht mitbekommen, in welcher Ge fahr sie schwebte. »Sie sind 'ne Schnelldenkerin«, lobte der junge Mann Lady Agatha. »Reichen Sie mir das Ding 'rüber, und schon sind Sie aus dem Schneider. Aber ein biß chen plötzlich, wenn's nicht peinlich werden soll.« Nun hatte die ältere Dame endlich begriffen. Sie stieß eigenartige Töne aus, rang sichtlich nach Luft und schien einem Herzanfall nahe zu sein. Sie beugte sich vor, griff nach ihrem Herzen und fiel dann gegen die Wagentür, deren Scheibe heruntergedreht war. Dabei passierte ihr jedoch ein Mißge schick. Ihre Hand, die die Kapsel hielt, rutschte nach draußen. Und Bruchteile von Sekunden später war ein Klicken draußen neben dem Wagen zu hören. »Die Kapsel!« stieß Kathy Porter her vor und sah den jungen Mann veräng stigt an. Dieser Ansicht war auch der Mann. Er stieß einen recht häßlichen Fluch aus und wußte im ersten Moment nicht, wie er sich jetzt verhalten sollte. Dann aber drückte er sich fluchend zurück und sah Kathy wütend an. »Hauen Sie ab«, sagte er. »Los, ma chen Sie schon.« »Aber die Kapsel«, warf Kathy ein, während die Lady weiterhin nach Luft schnappte und gar nicht mitbekam, was sich tat. »Die liegt unter dem Schlitten. Los, fahren Sie endlich!« Kathy wartete eine weitere Einladung nicht ab, sondern marschierte mit ihrem Mini-Cooper sofort los. Sie fuhr derart scharf an, daß Lady Simpson tief in die Polster gedrückt wurde. Im Rückspie 7
gel beobachtete Kathy den jungen Mann. Er besichtigte die Gosse und die Fahrbahn. Auf die Kapsel schien er ganz versessen zu sein. »Dieser Anfänger«, ließ Lady Agatha sich in diesem Moment abfällig ver nehmen. »Mylady?« Kathy wandte sich über rascht an die ältere Dame, die völlig normal und gesund neben ihr saß. Mit dem Herzen schien sie nie etwas gehabt zu haben. Gesünder konnte kein Mensch aussehen. »Er sollte sein Lehrgeld zurückzah len«, mokierte sich Lady Agatha und nickte grimmig. »Wie kann man denn nur auf solch einen alten Trick hereinfal len! Das ist einfach nicht zu glauben!« »Oh, Mylady, ich dachte wirklich ...« »Nun geben Sie schon Gas, Kindchen. Der Lümmel wird gleich sehr wütend sein.« »Sie haben die Kapsel noch, Mylady? « Kathy war ein Licht aufgegangen. »Aber natürlich.« Lady Simpson nickte triumphierend. »Ich werde mei nen Fall doch nicht so leicht verspielen.« Sie präsentierte die Kapsel und lachte dröhnend. Ihre dunkle Stimme kam da bei voll zur Geltung. »Und was haben Sie auf die Straße geworfen, Mylady?« Kathy lachte nun ebenfalls. »Meinen Ring, Kindchen. Aber diesen Verlust wird dieser Strolch mir noch ersetzen, so wahr ich Lady Simpson heiße!« Kathy schaute wieder in den Rück spiegel und suchte nach dem Verfolger. Der hereingelegte junge Mann mußte ja inzwischen den Schwindel entdeckt ha ben. Er mußte doch jetzt racheschnau bend die Hetzjagd aufgenommen haben. »Er ist doch hoffentlich hinter uns her«, erkundigte sich Lady Simpson 8
neugierig. »Ich kann nichts erkennen, Mylady, der Verkehr ist einfach zu dicht.« »Macht ja nichts«, sagte die resolute Dame zufrieden. »Er wird sich wieder melden, Kindchen. Und dann werde ich diesem Lümmel mal zeigen, wie man sich Damen gegenüber zu benehmen hat!«
»Eine Geschichte, Mylady, die ich mit Ihrer Erlaubnis als ausgesprochen my steriös bezeichnen möchte«, sagte But ler Parker eine knappe halbe Stunde später. Er befand sich zusammen mit den bei den Damen im großen Kaminzimmer von Lady Simpsons Stadtwohnung in Shepherd's Market, London. Er hatte der Lady gerade eine kleine Erfrischung serviert. Sie bestand, das nur am Rande, aus einem dreifachen Cognac, den Lady Simpson nach Kennermanier genüßlich zu sich nahm. Parker war der Prototyp eines engli schen Butlers. Er schien einem Gesell schaftsfilm entstiegen zu sein. Korrek ter hätte auch dort kein Butler aussehen und sich bewegen können. Parker war ein wenig über mittelgroß, fast schlank zu nennen, besaß ein aus drucksstarkes Gesicht, daß aber unbe weglich zu sein schien, und graugrüne Augen. Er trug einen schwarzen Zwei reiher, einen weißen Eckkragen und eine schwarze Krawatte. Da er gerade die leichte Erfrischung serviert hatte, trug er weiße Handschuhe. Parker war ein Mann, der praktisch in jeder Lebens lage auf Formen hielt. Leichtfertige Nachlässigkeiten gestattete er sich nicht. »Sehen Sie sich endlich die Kapsel
an«, sagte Lady Simpson. »Sie muß so etwas wie einen doppelten Boden haben.« »Wie Mylady befehlen.« Parker nahm die bewußte Kapsel entgegen und schraubte sie auf. Er legte den zusam mengerollten Zettel zur Seite und ging zu einer der Wandlampen hinüber. Er sah das Innere der beiden Kapselhälften an und stocherte dann mit einem langen Kaminstreichholz im Inneren der bei den Hülsen herum. »Mikrofilm, nicht wahr?« Für Lady Simpson gab es überhaupt keine andere Möglichkeit. Sie wollte ihren Mikrofilm sehen, doch Josuah Parker mußte be dauern. »Die beiden Hälften scheinen keinen doppelten Boden zu besitzen, Mylady«, meldete er höflich. »Ich möchte sie aller dings noch einmal gründlich über prüfen.« »Was ich mir auch ausgebeten haben möchte«, erwiderte Lady Simpson grim mig. »Vergessen Sie nicht, daß sie mir aufgedrängt worden ist. Und zwar von einem Mann, den man umbringen wollte! Und vergessen Sie außerdem nicht, daß dieser Strolch mir die Kapsel wieder abjagen wollte.« »Was gewisse Rückschlüsse zulaßt, Mylady, falls mir diese Bemerkung er laubt ist.« »So, welche denn?« »Mylady und Miß Porter wurden of fensichtlich beobachtet, als Sie sich um den älteren Herrn kümmerten. Man muß gesehen haben, daß Mylady die Kapsel an sich nahmen.« »Natürlich, Mr. Parker.« Lady Simp son wirkte leicht ungeduldig und deute te auf den zusammengerollten Zettel. »Halten wir uns nicht mit so unwichti gen Kleinigkeiten auf. Sehen Sie sich jetzt mal den Zettel an. Ich behaupte
nach wie vor, daß diese Kapsel gefährli cher ist als eine Stange Dynamit.« »Wie Mylady meinen.« Parker ließ sich nicht aus der Ruhe bringen. Er rollte den Zettel auseinander und stu dierte die Angaben darauf. Er erfuhr etwas über die Blutgruppe, den Rhesus faktor, die Impfungen und die Allergien des Mr. Findlay. Ferner war dessen Hei matadresse angegeben, demnach wohnte James Findlay in New York. Parker hielt den Zettel, der einen lei nenähnlichen Charakter hatte, gegen das Licht. Punktierungen waren aller dings nicht zu erkennen, bestimmte Buchstaben oder Zahlen so nicht ge kennzeichnet. »Haben Sie wenigstens jetzt etwas ge funden?« hoffte Lady Agatha grimmig. »Ich muß nach wie vor außerordent lich bedauern, Mylady.« »Sie lassen nach, Mr. Parker«, beur teilte Lady Simpson streng. »Vor ein paar Wochen noch hätten Sie ein Ge heimnis mit einem Blick durchschaut.« »Sehr wohl, Mylady.« Parker deutete eine leichte Verbeugung an. »Sie sehen meine bescheidene Wenigkeit untröst lich. Wenn es erlaubt ist, werde ich mich zurückziehen und eine genauere Über prüfung vornehmen.« Bevor Lady Simpson sich dazu äu ßern konnte, war die Türglocke zu hö ren. Parker schritt gemessen aus dem Kaminzimmer und öffnete im Treppen haus einen kleinen Wandschrank. Er schaltete die Fernsehkamera ein, die den Eingang überwachte. Auf dem Bild schirm des kleinen, im Wandschrank eingebauten Monitors war Superinten dent McWarden zu sehen. Er kannte die Kamera und sah genau in die Optik. »Machen Sie schon auf, Mr. Parker«, sagte er gereizt. »Ich bringe wichtige Nachrichten. Lady Simpson hat keine 9
Ahnung, daß sie in Lebensgefahr schwebt!«
»Findlay ist entführt worden«, sagte McWarden, nachdem er die beiden Frauen kurz und hastig begrüßt hatte. »Das sieht Ihnen ähnlich«, antwortete Lady Simpson und verzog ihr Gesicht. »Wie ist es denn passiert?« »Der Krankenwagen ist auf dem Hof des Konzerthauses gestoppt und über fallen worden«, berichtete McWarden und wischte sich den Schweiß von sei nem bulligen Gesicht. »Die beiden Fah rer sind niedergeschlagen worden.« »Ich werde mir einige anzügliche Be merkungen ersparen, McWarden«, meinte die Lady. »Und jetzt? Wieso be finde ich mich dadurch in Lebensge fahr, wie Mr. Parker meldete.« »Findlay hat einen besonderen Status, Mylady«, erwiderte McWarden. »Eigent lich darf ich darüber gar nicht sprechen, aber in diesem Fall werde ich eine Aus nahme machen.« »Das möchte ich auch hoffen, McWar den. Wer ist also dieser Findlay? « »Ein CIA-Agent, Mylady.« McWarden hatte unwillkürlich seine Stimme ge dämpft. »Wir haben es eben erst von der amerikanischen Botschaft unter der Hand erfahren. Der Mann ist sogar ein Spitzenagent.« »Der sich für diesen Tschaikowski in teressiert?« Lady Simpson meinte selbstverständlich den russischen Kom ponisten, doch McWarden mißverstand und spitzte die Ohren. »Tschaikowski?« Er beugte sich vor. »Ein Sowjetagent?« »Möglich ist alles«, antwortete Lady Agatha genußvoll, »aber laut Kathy Por ter soll der Mann ein ziemlich begabter 10
Komponist gewesen sein.« »Ach so, jetzt begreife ich!« McWar den schüttelte den Kopf und schämte sich ein wenig. »Ich sehe schon überall Gespenster. Man hat uns ganz schön auf Trab gebracht, Mylady. Selbst der In nenminister ist an dieser Sache interes siert. Findlay scheint ein äußerst wichti ger Mann zu sein.« »Darf man höflichst fragen, Sir, warum Mr. Findlay den Konzertsaal auf suchte?« schaltete sich Butler Parker gemessen ein. »Wollte er nur der klassi schen Musik frönen oder suchte er dort Kontakt mit irgendeiner Person?« »Scheint so, aber genau weiß ich das nicht. Die amerikanische Botschaft ist da sehr zurückhaltend. Sie verlangt nur, daß wir Findlay herbeischaffen.« »Und warum, Sir, hält man dann Myla dys Leben für gefährdet?« erkundigte Parker sich weiter. »Man vermutet in der Botschaft, daß wichtiges Material an Findlay überge ben worden ist, Material aus dem Fernen Osten. Ich möchte da nicht deutlicher werden.« »Was habe ich denn damit zu tun?« fragte die ältere Dame amüsiert. »Sie, Mylady, selbstverständlich auch Miß Porter, Sie also hinderten die bei den Mörder daran, ihre Tat auszuführen. Und Sie waren zuletzt bei Findlay, wenn Sie sich recht erinnern.« »Natürlich, wir leisteten Erste Hilfe.« Lady Simpson trank ihr Glas leer und sah McWarden interessiert an. »Dem nach waren die beiden Lümmel, die Findlay strangulieren wollten, Agenten aus dem Fernen Osten, nicht wahr?« »Das ist anzunehmen, Mylady.« McWarden blieb reserviert und zurück haltend. Er wollte offensichtlich nicht zuviel ausplaudern. Man schien ihn ein gehend vergattert zu haben.
»Wurde das bewußte Material denn an Findlay übergeben, Sir?« erkundigte sich Parker höflich. »Steht das wenig stens fest?« »Man weiß es nicht, Mr. Parker. Nur Findlay kannte diesen Überbringer. Und der wird sich auf keinen Fall mel den, denke ich. Der Mann dürfte nun vorgewarnt sein und sich nicht mehr rühren.« »Ich möchte endlich wissen, warum ich mich in Lebensgefahr befinde?« Lady Simpson war unwillig geworden. »Und warum muß auch Miß Porter um ihr Leben fürchten, McWarden? Lassen Sie gefälligst die Katze aus dem Sack und zieren Sie sich nicht wie eine Jungfrau!« »Nun ja, Mylady, Mr. Findlay wurde doch zum Krankenwagen getragen, nicht wahr?« »Halten Sie mich nicht mit solchen Kleinigkeiten auf.« »Im Treppenhaus kam er wieder kurz zu sich und redete von einer Kette.« »Von einer Kette?« Lady Simpson zuckte mit keiner Wimper. Sie hatte sich wunderbar unter Kontrolle. »Was hat denn das nun wieder zu bedeuten?« »Findlay redete auch von einer Kap sel, Mylady.« Mc Warden sah die resolute Lady prüfend an. »Das wird ja immer geheimnisvoller«, wunderte sich Lady Agatha gekonnt. »Dabei fingerte Findlay an seiner Brust herum, Mylady. Er muß dort et was gesucht haben.« »Eine Kette und eine Kapsel etwa, Mc Warden?« »Richtig, Lady Simpson. Die beiden Krankenträger sagten übereinstim mend aus, daß das Hemd zerrissen war.« »Sie hegen eine bestimmte Vermu tung, Sir?« fragte Butler Parker. »Die beiden Krankenträger haben we
der eine Kette noch eine Kapsel entdek ken können, Mr. Parker. Sie muß also vorher entwendet worden sein.« »Wahrscheinlich von den beiden Lümmeln«, sagte Lady Simpson. »Wäre Findlay dann noch entführt worden?« Mc Warden schüttelte den Kopf. »Mit an Sicherheit grenzender Wahr scheinlichkeit«, erwiderte Butler Par ker. »Nur Mr. Findlay kann doch sagen, wer ihm das Material übergeben hat. Diese Information will man wahrschein lich aus ihm herauspressen.« »Das fürchte ich allerdings auch«, pflichtete der Superintendent ihm bei. »Ich weiß immer noch nicht, warum Kathy und ich uns in Lebensgefahr be finden«, ließ Lady Simpson sich unge duldig vernehmen. »McWarden, Sie sind wieder einmal sehr umständlich.« »Nun, es könnte ja sein, theoretisch wenigstens, daß die beiden Mörder an nehmen, S i e hätten die Kapsel, Myla dy.« Nun hatte McWarden die sprich wörtliche Katze aus dem Sack gelassen. »In diesem Fall würde man wahrschein lich vor keinem Mord zurück schrecken.« »Das ist richtig«, fand die Lady und nickte zustimmend. »Man würde Sie in solch einem Fall erbarmungslos jagen«, warnte McWar den eindringlich. »Das kann ich mir sehr gut vorstel len«, fand auch Lady Agatha. »In dieser komischen Kapsel muß sich also irgend etwas sehr Wichtiges befinden, nicht wahr?« »Wahrscheinlich«, gab der Superin tendent zurück. »Hat die Botschaft Ihnen dazu wenig stens eine Andeutung gemacht, Sir?« wollte Josuah Parker wissen. »Eine mehr als vage Andeutung. Sie 11
enthält die Belohnung für das Agenten material.« McWarden schien wirklich nicht mehr zu wissen. Er zuckte hilflos die Achseln. »Diese Geheimniskrämer können einem schon auf die Nerven ge hen. Ja, was ich noch fragen wollte, My lady. Sie haben diese Kette samt Kapsel nicht zufällig gesehen? « »Eine Gegenfrage, McWarden, glau ben Sie wirklich, ich würde das in solch einem Fall jemals zugeben?« Lady Simpson lächelte unergründlich. »Nein, Sie würden das sicher niemals zugeben«, erwiderte McWarden aufseuf zend. »Ich kenne Sie inzwischen. Sie arbeiten ja immer auf eigene Faust. Aber diesmal werden Sie auf Granit beißen, glauben Sie mir! Das hier ist kein norma ler Kriminalfall. Hier geht es um interna tionale Agenten. Wissen Sie, was ich machen werde?« »Wahrscheinlich werden Sie es mir gleich sagen, McWarden.« Lady Agatha sah den Superintendent erwartungsvoll an. »So makaber es klingen mag, Mylady, ich werde zu Ihrem baldigen Begräbnis erscheinen.« McWarden nickte knapp und wandte sich dann um. Er ging, ohne sich noch einmal umzuwenden.
Butler Parker hatte sich in seine ,Ba stelstube' zurückgezogen und beschäf tigte sich mit der Kapsel. Diese Bastelstube befand sich im Sou terrain des alten, wunderschönen Hau ses. Sie war technisch hervorragend ein gerichtet und eine gekonnte Mischung aus Labor, feinmechanischer und elek trischer Werkstatt. Hier schuf der Butler seine kleinen Überraschungen, die schon so manchen Gegner zur Verzweif lung getrieben hatten. 12
Nach den Andeutungen McWardens war der Butler nur noch neugieriger ge worden. Er wollte das Geheimnis der Kapsel ergründen. Sie schien im über tragenen Sinne doch so etwas wie einen doppelten Boden zu haben. Warum wä ren Lady Simpson und Kathy Porter sonst wohl von dem jungen Mann be droht worden? Der Butler schaute sich den Zettel noch einmal sehr genau an. Er unter suchte ihn mit polarisiertem Licht, nahm eine Probe vor, ob vielleicht irgendeine Botschaft mit Geheimtinte abgefaßt worden war und studierte dann die medizinischen Hinweise auf die Impfdaten. Sie bestanden aus gro ßen Buchstaben und Ziffern. Diese Zei chen konnten durchaus eine Art Schlüs sel darstellen. Parker nahm sich vor, diese Eintragungen so schnell wie mög lich einem Mediziner vorzulegen. Nur solch ein Mann konnte ihm sagen, ob sie regulär waren oder nicht. James Findlay war also laut McWar den ins Konzert gegangen, um hier Kon takt mit einem Agenten aufzunehmen. Findlay sollte angeblich Spionagemate rial entgegennehmen und dafür zahlen. Der Superintendent hatte anklingen las sen, daß diese Bezahlung durch die Übergabe der Kapsel erfolgen sollte. Josuah Parker spannte zuerst die obere, dann die untere Hälfte der Kapsel in einen Schraubstock und schnitt sie mit einer winzig kleinen Kreissäge auf. Sie war nicht größer als das Instrument eines Zahnarztes. Anschließend bog er die Hülsen auseinander und glättete sie. Mit einer starken Lupe untersuchte er nun die Innenwandungen der beiden Kapselhälften. Ratlos richtete er sich auf. Nichts war zu sehen. Das Metall war glatt und unbe handelt. Hatte der Überfallene Findlay
die Kapsel gemeint, die Lady Simpson an sich genommen hatte? Befand man sich vielleicht auf einer völlig falschen Spur? Nein, das kam eigentlich nicht in Betracht, denn da war ja noch immer der Überfall auf Lady Simpson und Kathy Porter. Der junge Mann war eindeutig hinter dieser Kapsel her gewesen. »Ich hoffe, Sie haben das Geheimnis endlich gelüftet«, sagte Lady Simpson, die sich nach unten in Parkers Bastel stube bemüht hatte. Sie schaute sich die aufgetrennten Kapselhälften oberfläch lich an. »Ich muß leider außerordentlich be dauern, Mylady«, gab Parker zurück. »Sollte man McWarden aufs Kreuz ge legt haben?« fragte die Hobbydetektivin grimmig. »Diese Möglichkeit, Mylady, darf nicht übersehen werden«, erwiderte Parker. »Sind Mylady sicher, die richti ge Kapsel sichergestellt zu haben?« »Wie kommen Sie denn darauf? « Lady Simpson sah ihren Butler mehr als er staunt an. »Man sollte, wenn ich es so ausdrük ken darf, jede Möglichkeit in Betracht ziehen.« »Findlay kann nur die gemeint ha ben.« Die Lady deutete auf die beiden aufgeschnittenen Hälften. »Er stammel te etwas von einer Kapsel und riß sich dabei das Hemd auf. Und dann denken Sie doch an diesen Strolch, der Miß Por ter und mich überfallen hat. Er wollte diese Kapsel haben und keine andere. Er schien sie zu kennen.« »Mylady sehen meine bescheidene Wenigkeit zur Zeit ein wenig ratlos«, bekannte Josuah Parker. »Darf ich mich erkühnen, einen Vorschlag zu unter breiten?« »Zieren Sie sich nicht, Mr. Parker.« »Sollte man die Kapsel samt Inhalt
nicht der amerikanischen Botschaft zu spielen? Vielleicht stehen da Interessen auf dem Spiel, die keineswegs einen weiteren Aufschub dulden.« »Und wir geben damit den Fall ab, Mr. Parker?« Lady Simpson behagte diese Vorstellung überhaupt nicht. »Nationale Sicherheiten könnten auf dem Spiel stehen, Mylady.« »Nun gut, schicken Sie das Zeug weg, Mr. Parker.« Lady Simpson hatte sich zu einem Entschluß durchgerungen. »Ver gessen wir also diesen kleinen Zwi schenfall. Aber ich bitte mir eines aus.« »Mylady?« Parker sah die energische Lady erwartungsvoll an. »Besorgen Sie mir gefälligst einen Er satzfall«, grollte Lady Simpson. »Sie wissen, ich brauche einen passenden Stoff für meinen Bestseller!«
Josuah Parker saß am Steuer seines hochbeinigen Monstrums und fuhr durch die nächtliche Stadt. Sein Ziel war die amerikanische Bot schaft. Er wollte die beiden aufgetrenn ten Kapselhälften und den Zettel mit den medizinischen Hinweisen so schnell wie möglich loswerden. Natür lich hatte er sich eine Fotokopie dieses Zettels angefertigt, doch das nur für be sagten Fall des Falles. Parker hatte auch die Kapselhälften sorgfältig fotografiert. Er war eben ein sehr ordentlicher und korrekter Mensch, der sich später keine Vorwürfe machen wollte. Daß er verfolgt wurde, wußte Parker übrigens schon seit knapp fünf Minuten, doch das bereitete ihm keinerlei Sorgen. Ja, genau das Gegenteil war der Fall. Er hatte es recht gern, wenn seine Gegner sich mit ihm beschäftigten. Es bot sich dann immer die Möglichkeit, sie gehörig 13
aufs Glatteis zu führen. In seinem Privatwagen war er zudem recht sicher. »Das hochbeinige Monstrum, wie Freunde und Gegner dieses ehemalige Londoner Taxi nannten, war nach Par kers Plänen gründlich umgestaltet wor den. Von dem einstigen Taxi war nur noch die äußere Form übriggeblieben, alles andere hatte der Butler austau schen lassen. Der Motor hätte durchaus in einen Rennsportwagen gepaßt, die Federung und Radaufhängung war ex quisit und entsprach dem eines moder nen Land-Rovers. Die Wagenscheiben bestanden aus schußsicherem Glas und hatten dem Butler in der Vergangenheit schon oft das Leben gerettet. Darüber hinaus aber war dieses eckige und hoch beinige Gefährt eine wahre Trickkiste auf Rädern. Auch davon wußten ehema lige Gegner ganze Arien zu singen. Der Wagen, der sich an seine Fersen geheftet hatte, war ein Morris, klein, wendig und schnell. Er beförderte zwei Insassen, Männer, deren Gesichter Par ker nicht erkennen konnte. Warum sie ihn verfolgten, lag für Josuah Parker auf der Hand. Die beiden Herren wollten sich früher oder später mit ihm intensiv unterhalten. In Anbetracht dieser Umstände steu erte der Butler sein Ziel nicht direkt an. Er ließ das kleine Päckchen, das er bei der Botschaft abliefern wollte, erst ein mal unter dem Sitz verschwinden. Dann kurvte er aus dem Zentrum, steuerte nach Norden und lockte seine Verfolger in eine Gegend, die ihm für sein Vorha ben passend erschien. Auch Parker war inzwischen an einem längeren Gespräch interessiert. Er wollte zumindest heraus finden, wer diese beiden Männer waren. Parker hatte sich für den Regent's Park entschieden. Es gab dort ein Frei 14
licht-Theater, das um diese Zeit zwar seine Pforten geschlossen hatte, für den Kundigen aber noch Eintrittsmöglich keiten bot. Der Butler ließ seinen Wagen auf einem der Parkplätze für das künst lerische Personal stehen und stieg aus. Unauffällig hielt er Ausschau nach dem Morris. Der kleine Wagen stand auf der Zufahrtstraße und hielt ebenfalls an. Die beiden Männer blieben vorerst noch im Wagen und sondierten erst einmal die Lage. Parker legte sich seinen Universal-Re genschirm über den linken Unterarm, vergewisserte sich, daß seine schwarze Melone korrekt auf dem Kopf saß und begab sich dann ohne jede Hast hinüber zum Kofferraum seines Wagens. Er öff nete ihn bedächtig und schien wirklich keine Ahnung davon zu haben, daß er intensiv beobachtet wurde. Parker griff nach einem kleinen, schwarzen Kasten, der nicht größer war als eine Zigarrenki ste. Er klemmte ihn sich unter den rech ten Arm und ging dann auf den Bühnen eingang zu. Rechts davor gab es eine Taxushecke, die einen Weg verdeckte. Über diesen Weg gelangte man zu den Magazinräu men, die unter der Erde lagen. Von die ser Hecke aus beobachtete der Butler die beiden Männer. Sie hatten sich in Bewegung gesetzt und waren im Lauf schritt hinter ihm her.
»Ich möchte bloß mal wissen, was der alte Knacker da unten auf der Freilicht bühne will«, sagte der erste Verfolger. Er hatte zusammen mit seinem Partner die Taxushecke erreicht. »Das holen wir gleich aus der Type 'raus«, meinte der zweite Verfolger. »Los, den haben wir gleich. Da hinten
geht er ja.« Die beiden Verfolger setzten sich wie der in Bewegung. Es waren handfest aussehende Männer, jeder von ihnen knapp vierzig Jahre alt. Sie machten einen durchaus professionellen Ein druck und schienen über die nötige Härte des Berufes zu verfügen. Ihr Opfer hatte sie inzwischen entdeckt und rannte jetzt los. Es hielt auf einen Seiten gang zu und verlor dabei den schwarzen Kasten. Im Licht der Lampen, die hier die ganze Nacht über brannten, war das genau zu sehen. Die beiden Jäger waren mit schnellen Sätzen herangekommen und bremsten ihren Schwung ab. Das schwarze Käst chen übte einen geradezu magischen Zwang auf sie aus. Einer von ihnen bückte sich danach und wog es nach denklich prüfend in der Hand. »Das kann 'ne Falle sein«, warnte der zweite Mann. »'ne Falle? Von der komischen Type? Das soll doch wohl'n Witz sein, oder?« Während er noch redete, fingerte er am Verschluß herum und beugte sich leichtsinnigerweise etwas vor. »Nun mach schon!« verlangte der an dere Jäger ungeduldig. »Die Type darf uns nicht durch die Lappen gehen.« Der Neugierige hatte sich mit der Me chanik des Verschlusses vertraut ge macht. Gewarnt von seinem Partner, lö ste er den kleinen Metallriegel nur sehr vorsichtig und hielt mit den linken Fin gern den Deckel sicherheitshalber zu. Er wollte keine Überraschungen erleben. Der Mann konnte natürlich nicht wis sen, daß Josuah Parker dieses Kästchen absichtlich zurückgelassen hatte. Er konnte noch weniger wissen, daß es in Parkers Bastelstube präpariert worden war. Es enthielt zwei äußerst starke, jetzt unter Druck stehende Spiralfedern, die
den Widerstand der sichernden Finger ganz leicht überwanden. Der Deckel schnellte mit solch einer Wucht nach oben, daß die Hand des Mannes förm lich zur Seite geschleudert wurde. Gleichzeitig schoß eine Rußwolke aus dem Kasten. Sie breitete sich nach allen Seiten aus und nahm den beiden Män nern jede Sicht. Sie husteten und spuck ten, sie schlugen wie besessen um sich und weinten schließlich um die Wette. Sie weinten jedoch ungewollt. Die Rußwolke enthielt nämlich ein an sich ungefährliches Reizmittel, das im Moment aber äußerst unangenehm war. Die beiden Männer vergossen dicke Krokodilstränen, schnappten verzwei felt nach Luft und setzten sich, ebenfalls wider Willen, auf den Boden. Dann ver suchten sie auf allen vieren aus der Reiz zone zu kriechen. Dabei übersahen sie allerdings völlig, daß Josuah Parker sich ihnen genähert hatte. Er war um die hohe Taxushecke herumgegangen und wartete außerhalb der Rußwolke auf seine beiden Gegner. Sie krabbelten zielsicher auf ihn zu, halbblind und immer noch röchelnd und hustend. Josuah Parker war ein friedfertiger Mensch, dem Aggressionen an sich fremd waren. Als er mit dem bleigefüt terten Bambusgriff seines Universal-Re genschirms zulangte, geschah das sogar mit einer gewissen Behutsamkeit. Nein, Josuah Parker wollte selbst einem Geg ner keinen unnötigen Schaden zufügen. So etwas wäre ihm niemals in den Sinn gekommen. Seine Behutsamkeit reichte übrigens vollkommen aus, die beiden Jäger in das Land der Träume zu schicken. Sie streckten sich auf dem Boden aus und merkten nicht mehr, daß Parker sie ent waffnete. Der Butler stellte zwei Schuß 15
waffen sicher, zwei Brieftaschen, Klein kram, den er in den Taschen der beiden Männer fand und dann noch zwei kleine, rechteckige Plastikkarten, die er er staunlicherweise unter den Revers der beiden Anzüge entdeckte. Die Sichtung dieser Habseligkeiten konnte Parker an Ort und Stelle nicht vornehmen. Mit dem Erwachen der bei den Kurzschläfer war bald zu rechnen. Parker begab sich zu seinem hochbeini gen Monstrum zurück und kam ein we nig später am Morris der beiden Männer vorüber. Er hielt kurz an und entlastete die beiden Vorderreifen, die seiner An sicht nach zu sehr unter Druck standen. Nachdem der Morris vorn ein wenig ein gesackt war, setzte der Butler sich wie der ans Steuer und fuhr mit sich und der Welt zufrieden zurück nach Shepherd's Market. Wie heiter seine Grundstim mung sein mußte, ließ sich daran erken nen, daß er das Autoradio einschaltete, um sich von der Mitternachtsmusik um schmeicheln zu lassen.
»Warum bitten wir diesen Lümmel nicht herein?« Lady Agatha Simpson stand am Fen ster ihres Schlafzimmers und spähte dis kret nach draußen. Neben ihr hatte Ka thy Porter sich aufgebaut. Auch sie ver folgte den jungen Mann, der sich da draußen auf dem Platz herumtrieb, mit Blicken. Lady Simpsons Stadthaus begrenzte einen kleinen, quadratischen Platz, der mit schönen, alten Fachwerkhäusern umsäumt wurde. Dieser Platz war eine friedliche Oase inmitten der Millionen stadt London. Doch auch diese Oase hatte so ihre Tücken, wie in der Vergan genheit schon mancher Gesetzesbre 16
cher es hatte erleben müssen. Offiziell bewohnte die Lady zwar nur dieses eine Haus, doch das war eine Täuschung, denn ihr gehörten auch die benachbarten Häuser, die nur scheinbar bewohnt wurden. In Wirklichkeit stan den sie alle miteinander in Verbindung. Parker hatte Lady Simpson diese Aus weitung vorgeschlagen, damit man sich im besagten Falle eines Falles besser helfen konnte. »Ich glaube wirklich, Mylady, daß das der junge Mann ist, der uns überfallen hat«, sagte Kathy jetzt. »Natürlich ist er es!« Für Lady Simp son gab es überhaupt keinen Zweifel. »Er ist immer noch hinter der Kapsel her. Schließlich wird er sich ja wohl das Kennzeichen Ihres Schuhkartons ge merkt haben, Kindchen.« »Er pirscht sich immer näher an die Haustür heran, Mylady.« »Er wird natürlich einbrechen wollen. Aber wollen wir uns das Türschloß de molieren lassen, Kathy? Man bekommt so schwer die richtigen Handwerker.« »Daran habe ich gar nicht gedacht, Mylady.« Kathy nickte. »Ich werde ihn holen, Mylady. Einen Moment, bitte.« Sie verließ das Schlafzimmer der Lady und betrat das Treppenhaus. Sie ging auf einen mächtigen, alten Schrank zu, öffnete eine der beiden Türen und drückte auf einen versteckt angebrach ten Knopf. Eine knappe Sekunde später schwang die Rückfront zusammen mit den Einlagefächern nach hinten weg und gab den Weg frei in das Nachbar haus. Hier stieg Kathy praktisch aus der Wand, da die Holzverkleidung ebenfalls zur Seite geschwenkt war. Sie brauchte kein Licht. Kathy Porter kannte hier jeden Zentimeter. Sie eilte über die Hintertreppe, die einmal für die Dienstboten gedacht war, nach unten
ins Souterrain und erreichte die Ein gangstür. Von außen sah sie normal und regulär aus, aber hier, von der Innensei te her, präsentierte sie sich als eine Art Tresortür, so sicher und solide war sie. Kathy schlüpfte nach draußen. Erstaunlicherweise hatte sie keine Waffe mitgenommen. Sie verließ sich ganz auf ihre Geschicklichkeit und auf ihr besonderes Können. Kathy Porter sah zwar aus wie ein scheues Reh, doch das täuschte. In Wirklichkeit war diese attraktive, junge Dame eine erstklassige Judo- und Karatekämpferin. Natürlich hatte der Mann vorn an Lady Simpsons Haus nichts gehört. Die Türangeln waren bestens geölt und hat ten keinen Ton von sich gegeben. Der junge Mann inspizierte gerade das Tür schloß an Lady Simpsons Haus. Er war mißtrauisch und vorsichtig, er schaute sich auch immer wieder um, doch er rechnete nicht damit, daß eine große zweibeinige Kathy sich lautlos an ihn heranpirschte. Kathy huschte wie ein Schatten auf den überdachten Hausein gang zu und war dann hinter dem ah nungslosen Einbrecher. Er probierte gerade einen Dietrich aus. Er sah sich einem sehr einfachen Schloß gegenüber, das normalerweise für einen Fachmann kein Problem dar stellen konnte. Dieses Schloß war natür lich nur Tarnung und sollte etwaige Ein brecher hinhalten und beschäftigen. Selbst mit einer mittleren Sprengladung war diese Tür nicht zu knacken. Dies gehörte mit zu den Sicherheitsmaßnah men, die Parker vorsorglich getroffen hatte. Kathy ersparte sich jeden Effekt. Sie schlug kurz und knapp mit ihrer rechten Handkante zu. Der Mann seufzte ein wenig auf, blieb noch einen ganz kurzen Moment wie versteinert stehen und
kippte dann nach vorn. Es dauerte nur wenige Minuten, bis Lady Simpson geöffnet hatte. Über die Fernsehkamera hatte sie sich dieses kurze Schauspiel genießerisch angese hen und nickte ihrer Gesellschafterin anerkennend zu. »Brave Arbeit«, meinte sie, während sie sich ungeniert zu dem ohnmächtigen Mann hinunterbeugte. »Jetzt haben wir doch wenigstens etwas Unterhaltung, bis Parker zurückkommt. Ich werde mir dieses Subjekt in aller Ruhe vornehmen, Kindchen. Er wird diesen Besuch so schnell nicht wieder vergessen.«
Die beiden Männer waren wieder auf den Beinen, doch sie fühlten sich hun deelend. Noch waren sie nicht in der Lage, Verwünschungen oder Drohun gen auszustoßen. Sie schleppten sich mühsam auf ihren Wagen zu, wobei sie ausgiebig husteten und sich immer wie der die Tränen aus den Augen wischten. Als sie jedoch entdeckten, daß die bei den Vorderreifen ihres Morris ohne Luft waren, verloren sie einiges von ihrer bis her geübten Zurückhaltung und stießen reichlich unschöne Flüche aus. »Dem Typ dreh' ich den Hals um«, sagte der schlankere der beiden Männer. »Mann, Hale, wie konnte uns das nur passieren?« »Weil du Idiot ja unbedingt den Ka sten aufmachen mußtest«, regte sich Hale auf. »Ich hatte dich doch gleich gewarnt, Pete.« »Wer denkt denn an so 'ne Gemein heit«, entrüstete sich Pete. »So was ist uns noch nie passiert.« »Wie kommen wir jetzt von hier weg? « Hale schaute sich um und trat dann wü tend gegen die unschuldige Karosserie 17
des Morris. »Verdammt, um diese Zeit bekommen wir hier doch niemals ein Taxi.« »Irrtum, Hale!« Petes Stimmung drückte Hoffnung aus. Er lief ein Stück auf die Fahrbahn und winkte. Er hatte nämlich gerade ein Taxi entdeckt, das um eine Straßenecke kam. Das Taxi kam näher und hielt an. Der Fahrer, ein älterer Mann, der eine Brille trug, beugte sich heraus. »Mann, Sie schickt uns der Himmel«, sagte Pete erleichtert. »Bringen Sie uns zum Chatham-Hotel.« Während er noch den Namen des Hotels nannte, stieg er bereits nach hinten in den Wagen und warf sich aufatmend ins Polster. Sein Partner Hale folgte und stierte mißmu tig nach draußen in die Dunkelheit. Der Taxifahrer war ein mundfauler Mensch. Er schaltete das Taxameter ein und fuhr los. Das etwas seltsame Ausse hen seiner beiden Kunden schien ihn überhaupt nicht zu stören. Nun, das war kein Wunder, denn Josuah Parker hatte ja im vorhinein gewußt, was nach dem öffnen des Kästchens passieren würde. Er war es nämlich, der sich mit ein fachsten Hilfsmitteln in einen Taxifah rer verwandelt hatte. Etwaiges Mißtrau en wäre allein schon vom echten Taxa meter zerstreut worden, das beharrlich schnarrte und tickte. Parker konnte die ses Taxamter ganz nach Belieben einund abbauen. Dazu gehörten nur wenige Handgriffe. Da sein Wagen einstmals ein echtes Taxi gewesen war, nutzte er selbstverständlich ganz nach Bedarf diese Tarnung. Seine beiden Fahrgäste waren und blieben ahnungslos. Sie redeten kein Wort miteinander, standen wahrschein lich noch zu sehr unter dem Eindruck dessen, was ihnen passiert war. Parker war keineswegs enttäuscht, jetzt nichts 18
zu hören. Die beiden Männer hüteten sich, vor dem vermeintlichen Taxifahrer in irgendwelche Details zu gehen. Ob wohl die Trennscheibe zwischen Fahr gastraum und dem Fahrer geschlossen war, wollten sie kein Risiko eingehen. Butler Parker übrigens auch nicht. Während er scheinbar das gewünschte Hotel ansteuerte, legte er mit der rech ten Hand einen der vielen Kipphebel vorn am Armaturenbrett um. Unhörbar für die beiden Gäste, strömte eine wohl tuende Gasmischung in den Fahrgast raum. Im Rückspiegel beobachtete Par ker die beiden Männer, die plötzlich zu gähnen anfingen. Sie rieben sich die im mer noch leicht tränenden Augen und konnte sich ihr plötzliches Ruhebedürf nis überhaupt nicht erklären. Bevor sie überhaupt Verdacht schöpfen konnten, rutschten sie haltlos gegeneinander und warfen sich in die Arme eines gewissen Morpheus, wie die alten Griechen den Gott des Schlafes nannten. Parker nickte wohlwollend. Die Dinge entwickelten sich reibungs los. Er nahm die Brille ab, die alte, spek kige Lederkappe, zog sich den grünen Wollschal vom Hals, packte diese Requi siten in ein verstecktes Fach unter dem Armaturenbrett und war wieder der kor rekt aussehende Butler. In einer stillen Seitenstraße hielt er kurz an, entfernte das Taxameter und stellte den privaten Charakter seines hochbeinigen Mon strums wieder her. Eine Viertelstunde später stellte Par ker seinen Wagen in einer Seitenstraße des Chatham-Hotels ab und kümmerte sich nicht weiter um seine beiden Fahr gäste. Sie lagen inzwischen auf dem Wa genboden, doch sie brauchten keines wegs zu frieren. Als human eingestellter Mensch hatte Parker eine große Decke über sie gebreitet. Dies hatte zudem
noch den Vorteil, daß ein patrouillieren der Polizist nicht aufgeschreckt wurde, falls er wirklich einmal in den Wagen hineinschaute. Parker betrat die Halle des Hotels, ein korrekter Butler wie aus einem Bilder buch. Das Chatham-Hotel war ein gutes Haus der Mittelklasse, eigentlich kein Quartier für zwei Gangster. »Ein Einzelzimmer«, verlangte er an der Rezeption. Er tat dies in einem Ton, der überhaupt keine Gegenfrage auf kommen ließ. »Sind die Herren Lorrings und Stepnut bereits in ihren Zimmern? « Diese beiden Namen hatte Parker den Zimmerpässen entnommen, die er in den Brieftaschen der beiden Männer entdeckt hatte. Natürlich wurde ihm vom Nachtportier mitgeteilt, die beiden Herren seien noch außer Haus. Keiner wußte das schließlich besser als Parker. Sie waren ja Gäste in seinem Wagen. Parker bekam selbstverständlich sein Zimmer. Erfreulicherweise lag es auf der Etage, auf der auch die Herren Lor rings und Stepnut wohnten. Der Butler nahm die kleine, recht altmodisch aus sehende Reisetasche hoch und begab sich hinüber zum Lift. In dieser Tasche befand sich alles, was er zur gründlichen Durchsuchung eines Zimmers brauchte.
Er massierte sich den Nacken und starrte die beiden Frauen verärgert und nachdenklich zugleich an. Vielleicht rechnete der junge Mann mit dem glat ten Gesicht sich noch echte Chancen aus. Er hatte längst entdeckt, daß man ihn nicht gefesselt hatte. Er saß in einem Ledersessel und stand jetzt vorsichtig auf. »In Ordnung, Sie haben mich reinge
legt«, meinte er großspurig. »Vergessen wir das. Ich bin nicht nachtragend.« »Wie schön«, gab Lady Simpson voller Ironie zurück. »Ich schlage Ihnen ein Geschäft vor« redete der junge Mann weiter. »Sie ge ben mir die Kapsel, und ich vergesse dafür, daß es Sie gibt.« _ »Woher wußten Sie, daß ich die Kap sel habe?« Agatha Simpson überhörte den leicht arroganten Ton des Mannes. »Ich saß oben auf der Galerie des Kon zertsaals«, gab der junge Mann zurück. »Ich habe genau gesehen, daß Sie Find lay die Kapsel abgerissen haben.« »So etwas dachte ich mir schon.« Lady Agatha nickte. »Die Kapsel scheint wichtig zu sein, nicht wahr?« »Für Sie ist sie vollkommen wertlos.« »Und für Sie stellt sie ein Vermögen dar, wie?« »Nur im übertragenen Sinn.« »Unter gewissen Voraussetzungen bin ich bereit, auf Ihren Vorschlag ein zugehen, junger Mann«, schickte Lady Simpson voraus. »Ich möchte zuerst mal wissen, wer Sie sind? Haben Sie einen Anspruch auf die Kapsel?« »Nennen Sie mich Rob Harlow.« Der junge Mann mit dem glatten Gesicht lächelte ironisch und fühlte sich von Minute zu Minute immer überlegener. »Und was die Kapsel anbetrifft, so war sie für mich bestimmt.« »Besonders überzeugend klingt das aber nicht, Mr. Harlow.« Lady Simpson schüttelte enttäuscht den Kopf. »Warum waren Sie nicht unten in Mr. Findlays Loge? Er hatte doch Zeit genug, Ihnen die Kapsel zu geben.« »Je weniger Sie wissen, desto besser für Sie.« »Sie sind einfach albern, junger Mann.« Lady Simpson sah den jungen Mann verweisend an. »Sie erzählen mir 19
hier Märchen. Sie glauben doch nicht, daß ich Ihnen auch nur ein einziges Wort abnehme, wie?« »Also gut, ich werde Ihnen noch einen kleinen Hinweis liefern. Ich sollte die Kapsel abholen, aber ich war vorsichtig. Sie müssen doch spüren, wie heiß die Ware ist, oder?« »Für wen sollten Sie die Kapsel abho len, junger Mann? Ich möchte Einzelhei ten erfahren.« »Für einen .. . Freund! Mehr kann ich dazu nicht sagen. So, jetzt aber Schluß mit der Rederei. Rücken Sie die Kapsel heraus. Ich habe schon genug Zeit ver trödelt. « »Die Kapsel erhält der Eigentümer, junger Mann. Er soll bei Gelegenheit um einen Besuchstermin bitten. Meine Ge sellschafterin wird alles weitere regeln.« »Sind Sie verrückt? Glauben Sie wirk lich, ich würde ohne die Kapsel gehen? « Der junge Mann langte blitzschnell nach einem Schürhaken, der gegen den mächtigen Kamin gelehnt war und hob ihn drohend gegen Lady Agatha. »Ich mache keinen Spaß, bilden Sie sich das bloß nicht ein!« »Ist seine Naivität nicht schon fast rührend, Kindchen?« Lady Simpson wandte sich an Kathy, die bisher ge schwiegen hatte, den jungen Mann aber nicht aus den Augen ließ. Sie stand hin ter dem langen Ledersofa und sah sehr schüchtern aus. »Wie naiv ich bin, werden Sie gleich erleben.« Rob Harlow, wie er sich nannte, geriet in Wut. »Verdammt, wol len Sie unbedingt für ein paar Wochen ins Krankenhaus?« »Was haben Sie vor?« sorgte sich jetzt die ältere Dame, als Rob Harlow den Schürhaken schwang. Sein eben noch glattes Gesicht war zu einer wütenden Fratze geworden. 20
»Ich werde Ihnen 'ne Kniescheibe ein schlagen«, sagte der Mann. »Sie sind sehr unbeherrscht«, tadelte ihn Lady Agatha und schüttelte den Kopf. »Wie kann man sich nur derart gehenlassen? « Rob Harlow hörte schon gar nicht mehr zu. Er wollte tatsächlich zuschla gen. Er tat es dann allerdings doch nicht. Und das hing mit dem Schrotgewehr zusammen, das Kathy plötzlich in Hän den hielt. Der Lauf der Waffe war direkt auf Harlow gerichtet, der wie erstarrt stehenblieb und überrascht auf Kathy starrte. »Wir verwenden meist recht groben Schrot«, erklärte Lady Simpson. »Möch ten Sie eine kleine Kostprobe haben, junger Mann?« »Sie . . . Sie würden niemals schie ßen«, behauptete Rob Harlow. »Lassen Sie es doch mal darauf an kommen, Sie Flegel!« grollte die Stimme der resoluten Dame. Sie erin nerten an ein fernes, aber schnell heran ziehendes Gewitter. Rob Harlow ließ den Schürhaken zu Boden fallen und warf sich wie ein schlecht erzogener, großer Junge wie der in den Sessel. Finster sah er die beiden Frauen an. »Sie sind ganz schön blöd«, meinte er schließlich. »Aber bitte, wenn Sie unbe dingt draufgehen wollen! Nicht mein Bier. Ich hab' die Sache elegant klären wollen.« »Mit einem Schürhaken und einer zer trümmerten Kniescheibe«, präzisierte die Lady grollend. »Was enthält die Kapsel?« »Sie haben sie doch bestimmt schon aufgeschraubt, oder?« »Natürlich, junger Mann.« Lady Simpson schaltete wieder auf ihren Plauderton um. »Der Inhalt war gerade
verschwand dann hinter den Häusern. zu sensationell.« Rob Harlow grinste wissend. »Den Code kann keiner knacken«, meinte er dann. »Das schafft nur mein »Natürlich sind das die beiden Sub Freund.« jekte«, sagte Lady Agatha Simpson und »Was würde Ihr Freund denn für die richtete sich wieder auf. »Sie wollten Kapsel zahlen, junger Mann? « erkundig Findlay umbringen. Ich erkenne sie ge te sich Lady Simpson jetzt. »Sie . . . Sie wollen Geld?« Rob Har nau wieder.« »Ein guter Fang, Mylady, wenn ich lows Gesicht nahm einen verdutzten Ausdruck an. »Sie müssen doch stink mich so ausdrücken darf.« Parker reich sein, wenn Sie sich diese Bude hier schloß die Wagentür. »Sie werden be stimmt Auskunft darüber geben kön leisten können.« »Etwas Kleingeld kann man immer nen, wo Mr. Findlay sich zur Zeit gebrauchen«, gab Lady Agatha zurück. aufhält.« Parker war zum Stadthaus Lady »Zudem bin ich geldgierig, ich mache Simpsons zurückgekehrt, nachdem er keinen Hehl daraus. Die Steuern fressen die Hotelzimmer von Pete Lorrings und unsereinen doch auf.« »Warum haben Sie nicht gleich von Hale Stepnut gründlich durchsucht Geld gesprochen? « Der junge Mann wit hatte. »Sie glauben doch nicht im Ernst terte sichtlich angenehme Morgenluft. »Darüber kann man sich doch jederzeit daran, daß diese beiden Subjekte reden unterhalten. Ich biete Ihnen, sagen wir, werden, Mr. Parker.« Lady Agatha fünfhundert Pfund. Steuerfrei und bar schüttelte den Kopf. Sie hatte mit einem Blick gesehen, daß man es mit Profis zu auf die Hand.« tun hatte. »Fünftausend Pfund.« »Man könnte, wenn ich mich erküh »Sie sind wahnsinnig! Sechshundert nen darf, einen Vorschlag zu unterbrei Pfund, aber das ist bereits Spitze.« »Und wo ist das Geld? « Lady Simpson ten, den beiden Herren Lorrings und sah jetzt tatsächlich ungemein raffgierig Stepnut ein Geschäft vorschlagen.« »Kapsel gegen Findlay?« aus. Ihre Augen funkelten, ihre Wangen »Mylady erraten wieder einmal meine färbten sich rosig. »Ich bin in 'ner Stunde wieder hier«, einfachen Gedanken.« »Gut, Mr. Parker, einverstanden. Mit versprach Rob Harlow. »Aber keine fau len Tricks. Geld gegen Ware. Ist das ein dieser Kapsel scheint man tatsächlich Geschäfte machen zu können. Wie im Wort?« »Warum sitzen Sie hier noch herum?« Fall Rob Harlow. Schaffen Sie diese Wi fuhr die energische Dame ihn an und derlinge ins Haus.« Parker war auch für solch einen zeigte auf die Tür. »Sputen Sie sich, junger Mann! Und gebrauchte Scheine, Schwertransport ausreichend gerüstet. Nur zu oft schon hatte er in der Vergan wenn ich bitten darf!« Rob Harlow schob sich aus dem Ses genheit Personenbeförderungen dieser sel und ging zur Tür. Wenig später war er Art vornehmen müssen. Sein hochbeini draußen vor dem Haus zu sehen. Er ges Monstrum stand in einer geräumi rannte hinüber zur nahen Straße und gen Garage hinter dem altehrwürdigen 21
Fachwerkhaus. Die Türen zur schmalen Versorgungsgasse waren geschlossen. Er konnte sich also ungehindert betäti gen und brauchte keine unliebsamen Überraschungen zu befürchten. Lady Simpson ging über den Verbin dungskorridor ins Haus zurück, um sich mit einem Kreislaufbeschleunigungs mittel ein wenig anzuregen. Ihr stand in Anbetracht der allgemeinen günstigen Entwicklung der Sinn nach einem dop pelten Cognac. Parker aktivierte inzwischen die kleine Rutsche, die hinunter in die weit verzweigten Kellerräume des Hauses führte. Dort unten gab es fast so etwas wie ein Labyrinth, in dem sich nur Lady Simpson, Kathy Porter und er aus kannten. Der Butler öffnete den schweren und massiven Werkzeugschrank, der in einer Nische stand. Er entriegelte das untere, breite Fach und hob den Einsatz heraus. Darunter war eine viereckige Öffnung zu sehen, an die sich die erwähnte Rut sche anschloß. Die beiden Männer, die Findlay hatten strangulieren und ermorden wollen, be kamen überhaupt nichts mit. Nachein ander glitten sie über die Rutsche hinun ter in den Keller, wo sie mehr oder weni ger sanft auf alten Autoreifen landeten. Parker verschloß diesen Einstieg und stellte den alten Zustand wieder her. Anschließend begab auch er sich ins Haus und von dort aus hinunter in den Keller. Pete Lorrings und Hale Stepnut hat ten die Rutschpartie gut überstanden. Sie kamen gerade zu sich und brauchten einige Sekunden, bis sie sich auf die neue Lage eingestellt hatten. Sie redeten nicht miteinander, sondern interessier ten sich nur für den Lichtschein, der durch den Spalt einer nur angelehnten 22
Tür schimmerte. Von der Rutsche nah men sie keine Kenntnis, wahrscheinlich sahen sie sie im dunklen Keller gar nicht. Sie taten genau das, was Parker von ihnen erwartete. Pete Lorrings und Hale Stepnut machten sich auf die Beine und verlie ßen den Keller. Sie erreichten einen schmalen Kellergang, schoben sich miß trauisch und vorsichtig durch ihn und landeten vor einer Tür, die sie natürlich öffneten. Was sollten sie auch anderes machen? Sie suchten nach einem Weg, um aus dem Keller zu kommen. »Ich erlaube mir, den Herren einen fröhlichen und guten Morgen zu wün schen«, sagte Josuah Parker, während gleichzeitig ein grelles Deckenlicht auf flammte. Pete Lorrings und Hale Stepnut hör ten, wie hinter ihnen die Tür ins Schloß fiel. Sie blieben geblendet stehen. Als ihre Augen sich an das grelle Licht ge wöhnt hatten, sahen sie sich dem Mann gegenüber, den sie hatten jagen wollen. Sie hätten sich liebend gern auf ihn gestürzt, doch zu ihrem Leidwesen stand der Butler hinter einem Lattenver schlag und war für sie im Moment uner reichbar. Sie zügelten also ihre Unge duld und musterten verstohlen die dün nen Holzlatten, die allerdings einen zer brechlichen Eindruck machten. »Ich kann Ihren Unmut verstehen«, redete Parker inzwischen weiter. »Sie hatten sich diese Verfolgung natürlich erheblich anders vorgestellt.« »Wovon reden Sie eigentlich?« fragte Pete Lorrings gespielt unschuldig. »Sie halten uns gegen unseren Willen hier fest«, beschwerte sich Hale Stepnut gekränkt. »Das ist kriminell.« »Kommen wir doch zur Sache«, meinte Parker höflich und gemessen.
»Sie wurden von Mylady als die Herren identifiziert, die Mr. Findlay strangulier ten und offensichtlich ermorden woll ten. Nein, bitte, ersparen Sie meiner be scheidenen Wenigkeit gegenteilige Ver sicherungen. Sie kosten nur unnötig Zeit. Im Auftrag von Mylady habe ich Ihnen einen Tausch vorzuschlagen. Ge gen eine Auslieferung Mr. Findlays wür den Sie die bewußte Kapsel erhalten. Ich war so frei, Ihnen den Ort dieses Austausches aufzuzeichnen, damit es später keine Mißverständnisse gibt. My lady erwarten diesen Austausch noch vor Morgengrauen. Von jetzt an gerech net in zwei Stunden, um präzise zu sein.« Die beiden Profis steckten ihre Köpfe zusammen, was vollkommen verständ lich war. Wahrscheinlich wollten sie sich über diesen Vorschlag kurz verständi gen. Sie tuschelten miteinander, nick ten, schüttelten die Köpfe, gingen vom Lattenverschlag weg und bauten sich an der geschlossenen Tür auf. Und dann passierte es! Sie hatten sich wirklich auf einen Plan geeinigt, doch der widersprach Parkers durchaus wohlmeinenden Vorschlägen. Sie drückten sich gleichzeitig von der Wand ab und brausten auf den Latten verschlag zu. Ihre Absicht war unver kennbar: Sie wollten den Verschlag mit ihren Schultern einrennen und sich dann auf den Butler stürzen. Josuah Parker sah sie herankommen, doch er rührte sich nicht von der Stelle. Er zeigte auch kein sonderliches Erstau nen. Ja, im Grunde wirkte er sogar etwas gelangweilt. Wahrscheinlich hing es mit seinem Wissen darüber zusammen, daß der zerbrechlich aussehende Lattenver schlag in Wirklichkeit aus dünnen und zähen Eisenstäben bestand. Sekunden später wußten es auch die beiden Profis.
Sie rammten den Verschlag und blie ben stöhnend an ihm hängen. Das dünne Balsaholz, das die Eisenstäbe umgeben hatte, war zersplittert. Mehr hatten die beiden energischen Vollpro fis nicht erreicht. Ächzend lösten sie sich von dem trennenden Gitter und schienen über ihren Mißerfolg reichlich erbost zu sein. Parker lächelte wissend.
Kathy Porter blieb vor dem Haus ste hen, in dem Rob Harlow verschwunden war. Nachdem der junge Mann mit dem glatten Gesicht das Stadthaus Lady Simpsons verlassen hatte, war sie hinter ihm her gewesen und hatte ihn nicht aus den Augen gelassen. Darauf hatte sie sich blitzschnell mit Lady Simpson geei nigt. Nur durch Beschattung war her auszubekommen, wer dieser Harlow wirklich war, wo er wohnte und mit wem er in Verbindung stand. Er hatte sich ein Taxi genommen und augenscheinlich nicht mitbekommen, daß er verfolgt wurde. Kathys Mini-Coo per stand in einer Seitenstraße und konnte vom Fenster einer gerade be leuchteten Wohnung aus nicht gesehen werden. Rob Harlow mußte das Licht eingeschaltet haben. Das Haus befand sich in einer Straße, die an den Stadtteil Soho angrenzte, war schmalbrüstig und vier Stockwerke hoch. Es war ein unscheinbarer Bau, der nichts Geheimnisvolles an sich hatte. Wohnte in diesem Haus der Freund Harlows? Gab es solch einen Mann über haupt? Man ging wohl besser davon aus, daß dieser Rob Harlow Mylady und ihr eine wahre Räubergeschichte aufge tischt hatte, um erst einmal frei zu 23
kommen. Gerade jetzt hätte Kathy sich liebend gern mit einem gewissen Butler Parker beraten. Sie wußte nicht, wie sie sich am besten verhalten sollte. War es richtig, sofort zu Lady Simpson zurückzufah ren? War es besser, den Dingen auf den Grund zu gehen? Nun, sie brauchte sich nicht zu ent scheiden. Um die Straßenecke kam ein Mann, der eine Hundeleine in der Hand hielt. Er blieb an der Ecke stehen und rief mit leisen, lockenden Tönen nach seinem Vierbeiner, der in der Seitenstraße wohl herumschnüffelte und nicht gehorchen wollte. Der Mann wurde ärgerlich, über querte die Straße und entdeckte Kathy. »Dieser Mistköter«, sagte er gereizt. »Schaffen Sie sich niemals 'nen Hund an.« Er blieb fast mitten auf der Fahrbahn stehen, schaute sich wieder zur Straßen ecke um, doch der Hund ließ sich nicht sehen. »Dann eben nicht!« Der Mann be schleunigte seine Schritte und gab es offensichtlich auf, seinen Hund zu lok ken. Etwa zehn Meter von Kathy ent fernt, bog er dann doch wieder zur Seite ab, um besser die Straßenecke überblik ken zu können. Kathy achtete bereits nicht mehr auf den Mann, sah wieder hinauf zur beleuchteten Wohnung. Se kunden später hörte sie katzenhaft schnelle und leise Schritte, wandte sich hastig um und . . . hatte das mehr als zweifelhafte Vergnügen, in die Mün dung einer Schußwaffe blicken zu dür fen. Das heißt, von dieser Mündung war nicht viel zu sehen, ein langer Schall dämpfer davor deutete sie nur an. »Wenn schon kein Hund, dann eben 'ne Katze«; sagte der Mann leise. »Ich weiß, daß Sie so was hier kennen.« 24
Kathy nickte. Sie fühlte, daß ihr Mund plötzlich sehr trocken wurde. Gleichzei tig ärgerte sie sich maßlos. Wie eine blu tige Anfängerin war sie auf den Bluff dieses Mannes hereingefallen. Damit war sie auch Rob Harlow aufgesessen. Nur er konnte diese geniale Überrump lung inszeniert haben. »Ich lade Sie zu 'nem Drink ein«, sagte der Mann fast höflich. »Aber wenn Sie Theater machen, drücke ich ab.« Der Mann sprach korrekt, doch seine Aussprache war hart. Kathy hörte her aus, daß sie es mit einem Ausländer zu tun hatte. »Ich . . . Ich mache kein Theater«, gab sie zurück. »Gehen Sie auf die Haustür da drüben zu.« Kathy war klar, welche Haustür er meinte. Sie hoffte, daß der Mann viel leicht ein wenig näher kam, doch darin sah sie sich bald getäuscht. Der angeb liche Hundebesitzer hielt auf Distanz. Er wollte sicher keinerlei Risiko eingehen. Kathy überquerte die Straße und er reichte die Haustür. Als sie auf der er sten Stufe war, wurde die Tür von innen geöffnet. Sie sah sich einem feixenden Rob Harlow gegenüber. Der Mann hin ter ihr drückte ihr den Schalldämpfer nachdrücklich gegen das Rückgrat. »Reichen Sie mir mal die Patschhänd chen«, verlangte Rob Harlow. »Schön weit vorstrecken, Süße. Und nur keine falsche Bewegung, sonst gibt's 'ne Kata strophe. « Sie mußte tun, was er verlangte. Sie streckte also ihre Hände weit vor und konnte nichts dagegen unternehmen, daß Harlow sie blitzschnell mit einem langen Strick fest verschnürte.
»Ich würde es ungemein bedauern, falls Sie sich verletzt haben sollten«, sagte Josuah Parker zu den beiden Män nern jenseits des Gitters. »Falls Sie es wünschen, versorge ich Sie selbstver ständlich notdürftig mit dem notwendi gen Material.« »Dafür sprechen wir uns noch«, drohte Pete Lorrings mit erstickter Stimme. Er stöhnte sehr ausgiebig. »Die Rechnung wird eines Tages be glichen«, äußerte sich auch Hale Step nut zu diesem Thema. »Ich hätte Sie wohl doch rechtzeitig darauf aufmerksam machen müssen, daß die leichten Latten in Wirklichkeit kaschierte Eisenstäbe sind«, bedauerte der Butler höflich. »Ein peinliches Ver sehen meinerseits.« »Wir kommen ja auch mal wieder raus«, drohte Pete Lorrings weiter. »Vertiefen wir dieses Thema doch nicht unnötig«, schlug Josuah Parker würdevoll vor. »Es langweilt auf die Dauer, finden Sie nicht auch? Unterhal ten wir uns lieber über Mr. Findlay.« »Wer soll denn das sein?« Hale Step nut war scheinbar völlig ahnungslos. »Jener Herr, den Sie in der Loge des Konzertsaals strangulierten und augen scheinlich ermorden wollten. Jener Herr, der von Ihnen mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit entführt worden ist.« »Spinnen Sie?« wollte Pete Lorrings wissen. »Ich habe Ihnen im Auftrag Myladys einen Tausch vorzuschlagen, meine Herren. Mylady sind bereit, die bewußte Kapsel gegen Mr. Findlay auszutau schen. Falls er noch lebt, um in diesem Punkt genau zu sein.« »Wer hat Ihnen denn diesen Floh ins Ohr gesetzt?« Hale Stepnut sah den But ler kopfschüttelnd an.
»Sie enttäuschen mich«, beklagte sich Parker. »Ich hatte Sie für Profis gehal ten, wie es in Ihrer Branche wohl so treffend heißt, in Wirklichkeit scheint man es jedoch mit Amateuren zu tun zu haben.« »Nehmen wir mal an, wir hätten die sen Findlay, von dem Sie da eben ge sprochen haben«, schickte Lorrings vor aus. »Nehmen wir mal an, Sie haben da so 'ne Art Kapsel. Nehmen wir weiter mal an, wir würden auf so'n Tauschge schäft eingehen. Wie soll denn das über die Bühne gehen? Wie haben Sie sich das vorgestellt?« »Sehr einfach«, erwiderte der Butler gemessen. »In solch einem Fall würde ich Sie freilassen und mit Ihnen einen Treffpunkt vereinbaren. Aber das alles sagte ich Ihnen ja bereits. Ich warte auf Ihre Entscheidung.« »Wo soll der Austausch stattfinden?« fragte Hale Stepnut kühl und konzen triert. »Mr. Findlay lebt also noch?« »Und wird abkratzen, wenn wir ihn nicht aus dem Versteck rausholen.« Stepnut nickte sehr nachhaltig. »Das ist keine leere Drohung, klar?« »Ich sagte Ihnen schon, daß ich Ort und Zeit des Austausches niederge schrieben habe.« Parker griff in die linke Tasche seines Zweireihers und holte ei nen kleinen Notizzettel hervor, den er auf eine Querstrebe des Gitters legte. »Die Polizei und so bleibt aber aus dem Spiel«, sagte Pete Lorrings. »Das ist selbstverständlich meine Her ren.« Parker nickte andeutungsweise. »Darf ich Ihnen bei dieser Gelegenheit Ihre persönliche Habe zurückgeben?« Er legte die beiden Brieftaschen auf eine Querstrebe, darauf dann die beiden Plastikkärtchen, die er unter den Auf schlägen der Jacken gefunden hatte. 25
»Die Waffen, meine Herren, behalte ich vorsichtshalber noch zurück«, fügte er hinzu. »Wie ich Sie einschätze, wer den Sie schon bald wieder im Besitz anderer Gegenstände dieser Art sein.« Lorrings und Stepnut kamen ans Git ter und steckten ihre Brieftaschen weg. Selbstverständlich ließen sie auch die beiden Plastikkärtchen verschwinden. Sie taten so, als seien sie überhaupt nicht wichtig. »Meine bescheidene Wenigkeit wird von Neugier geradezu geplagt«, gestand Parker. »Was, bitte, bedeuten diese bei den Plastikkärtchen? Handelt es sich um Ausweise? Ich vermochte, das geste he ich frank und frei ein, nichts mit ihnen anzufangen.« »Zerbrechen Sie sich bloß nicht unnö tig den Kopf«, erwiderte Lorrings und winkte ab. »Das sind Mitgliedskarten für einen Privatclub.« »Plastikkärtchen ohne jede Auf schrift?« Parker schüttelte leicht ver wundert den Kopf. »Ist Ihnen eigentlich schon aufgefallen, daß sie in verschiede nen Farben gehalten sind? Die eine ist braun, die andere gelb.« »Können wir nun abhauen oder nicht?« fragte Stepnut und sah betont auf seine Armbanduhr. »Sie brauchen sich nur der Tür hinter Ihnen zu bedienen«, entgegnete Josuah Parker höflich. »Der Kellergang endet vor einem Lichtschacht, den Sie sicher lich leicht bewältigen werden.« Lorrings und Stepnut drehten sich um und marschierten zur Tür hinüber, öff neten sie und schauten in den schmalen Gang hinein. Die Tür zum Reifenkeller war geschlossen. Sie entdeckten den Lichtschacht, der ihnen vorher über haupt nicht aufgefallen war, stürmten im Eilschritt auf ihn zu und zwängten sich mühsam nach oben. Sie hatten es 26
eilig, zurück in die Freiheit zu gelangen. Parker kümmerte sich nicht weiter um sie. Er wog zwei schmale, kleine Plastik kärtchen in der linken Hand. Eine von ihnen war braun, die andere gelb. Es waren die Originalkärtchen, die er na türlich zurückbehalten und durch Du plikate ersetzt hatte. Er hatte bisher keine Zeit gehabt, sich mit ihnen einge hend zu befassen. Dies wollte er jetzt nachholen. Dank der sehr grellen Beleuchtung, für die Parker absichtlich gesorgt hatte, hatten die beiden Männer diesen Aus tausch nicht wahrnehmen können. Das Licht hatte sich auf den Plastikkärtchen gespiegelt und Einzelheiten verschwim men lassen. Mochten Lorrings und Stepnut sich vorgenommen haben, was immer sie wollten, sie mußten sich in jedem Fall wieder mit Parker befassen. Früher oder später merkten sie, daß sie die falschen Plastikkärtchen besaßen.
Der angebliche Hundebesitzer hatte sich als Oscar Walmlin vorgestellt. Er mochte etwa knapp fünfzig Jahre alt sein, hatte ein breitflächiges Gesicht und dunkle Augen. Kathy Porter hatte schnell herausge funden, daß er das Kommando führte. Der Hund, den er draußen auf der Straße angeblich gesucht hatte, schien Rob Harlow zu sein. »Ärgern Sie sich nicht, Miß Porter«, sagte Oscar Walmlin gelassen. »Wir alle machen mal Fehler.« »Ihr Trick mit dem Hund war sehr gut«, gestand Kathy. »Tiere machen sich immer gut, Miß Porter. Aber verlieren wir keine Zeit. Sie
wissen, daß wir die bewußte Kapsel ha ben wollen.« »Das hat Mr. Harlow uns deutlich ge zeigt« Kathy nickte. Sie saß in einem einfachen Sessel und hatte im Augen blick nicht die geringste Möglichkeit, etwas Produktives zu ihrer Befreiung zu unternehmen. »Lady Simpson besitzt die Kapsel, das steht einwandfrei fest. Falls sie sie raus rückt, dürfte Ihnen kaum etwas passie ren, Miß Porter.« »Lady Simpson ist geldgierig«, be hauptete Kathy und sah Rob Harlow an, der das ja aus Myladys Mund gehört hatte. »Fünftausend Pfund verlangt sie.« »Sie wird keinen Cent bekommen, Miß Porter. Dafür aber Sie. Und zwar völlig unversehrt und ohne jeden Trans portschaden.« »Ich begreife das alles nicht«, wunder te sich Kathy Porter gespielt und sich um Naivität bemühend. »Wieso kann solch eine kleine Kapsel so wertvoll sein?« »Sie haben sie inzwischen aufge schraubt, nicht wahr?« »Natürlich«, gab Kathy Porter zurück. »Aber da war kein Geld drin. Dazu ist sie ja auch viel zu klein.« Sie spielte ihre Rolle ausgezeichnet. Sie war die Unschuld vom Lande, um bei dieser Spruchweisheit zu bleiben. Groß und erstaunt blickten ihre Augen in der Gegend umher. »Und was war wirklich drin?« wollte Oscar Walmlin wissen. »Ein zusammengerollter Zettel«, ant wortete Kathy. »Lady Simpson hat ihn mir allerdings nicht gezeigt. Sie ist darin sehr eigen, müssen Sie wissen. Sie hat ihn sofort in ihren Sekretär einge schlossen.« »Wie stehen Sie zu dieser raffgierigen
Alten? « erkundigte sich Walmlin weiter. »Ich bin ihre Sekretärin und Gesell schafterin«, entgegnete Kathy und ver zog geringschätzig ihr Gesicht. »Immer kommandiert sie mich herum, nichts kann ich ihr recht machen. Ich glaube, daß ich bald kündigen werde. Ich halte dieses Leben nicht länger aus.« »Mensch, Oscar, die bindet dir doch 'n Bären auf«, schaltete sich Rob Harlow ein. »Schließlich hat sie mich vor der Haustür erwischt. Nur sie kann mich niedergeschlagen haben.« »Ich glaube allerdings auch, daß Sie uns was vormachen wollen, Miß Por ter«, sagte Oscar Walmlin und lächelte ironisch. »Wir werden die Wahrheit aus ihr herausholen müssen.« »Welche Wahrheit denn?« Kathy be mühte sich konsequent um Naivität. »Ich begreife das alles nicht. Zwei Män ner haben versucht, diesen Mr. Findlay zu ermorden. Lady Simpson hat das ver hindert und Mr. Findlay eine Kapsel weggenommen. Das hieß, er hatte sie sogar darum gebeten. Das habe ich deut lich gehört. Anschließend ist Findlay verschwunden. Man muß ihn gekidnapt haben, wenn ich den Superintendent richtig verstanden habe.« »Aber Ihre komische Lady hat die Kapsel nicht an den Bullen rausge rückt?« fragte Harlow gespannt. »Ich sagte Ihnen doch schon, daß My lady raffgierig ist«, wiederholte Kathy noch einmal. »Gehört die Kapsel denn eigentlich Ihnen? Wieso ist sie so wert voll? Lady Simpson nimmt jedenfalls an, daß sie ein Vermögen wert ist.« »In der Beziehung hat sie durchaus recht«, bestätigte Walmlin. »Da fällt mir noch was ein«, plapperte Kathy naiv weiter. »Der Superintendent meinte, sie sei lebensgefährlich. Ich meine, die Kapsel!« 27
»Das stimmt ebenfalls,« Walmlin nickte. »Sie ist mit 'ner Atombombe zu vergleichen.« »Ein paar Großmächte würden sich die Finger nach ihr lecken«, fügte Rob Harlow hinzu. Er schien endlich auch einmal etwas sagen zu wollen. »Du redest zuviel«, sagte Walmlin und sah den jungen Mann mit dem glatten Gesicht strafend an. »Handelt es sich etwa um Spionage?« Im Rahmen ihrer gespielten Naivität mußte Kathy jetzt diese Frage stellen. »Sind in der Kapsel etwa Mikrofilme oder Geheimpläne? Ich habe mir schon so etwas gedacht.« Kathy merkte sofort, daß sie den rich tigen Ton getroffen hatte. Eine ausge kochte Frau hätte solch eine prekäre Frage wahrscheinlich gar nicht erst ge stellt. So etwas konnte nur ein naiver Mensch tun, der von wahren Zusam menhängen keine Ahnung hatte. Walmlin sah Kathy schweigend an, schien sich vergewissern zu wollen, ob ihre Naivität gespielt oder echt war. Er lächelte plötzlich unergründlich und wandte sich an Rob Harlow. »Vertreibt euch die Zeit«, sagte er. »Ich muß weg, Rob. Laß dich nicht noch einmal reinlegen. In einer Stunde bin ich wieder zurück.« »Wir werden uns bestimmt nicht lang weilen, Oscar«, versprach Rob Harlow und grinste schmierig. Er ließ seine Blicke über Kathys Körper wandern und zog sie dabei gleichzeitig aus. Seine Augen hatten jetzt einen gierigen Aus druck angenommen.
Harlow konnte es kaum erwarten, bis Walmlin das Apartment verlassen hatte. Immer wieder schaute Harlow zu Kathy 28
hinüber. Die Aussicht, mit ihr allein zu rückbleiben zu können, gefiel ihm von Sekunde zu Sekunde besser. Kathy blieb in ihrer Rolle. Sie saß ängstlich und schüchtern im Sessel und machte einen sehr verlege nen Eindruck. Für Harlow war sie eine leichte Beute, das jedenfalls glaubte er. Er schien seinen Niederschlag vor der Tür von Lady Simpsons Stadthaus längst vergessen zu haben. Walmlin war gegangen. Für Kathy stand es fest, daß auch die ser Walmlin nicht der Mann war, den sie suchte. Auch er schien an gewisse Wei sungen gebunden zu sein. Dieser Mann war nur eine Art Zwischenstation. Der Mann, der sich für die Kapsel letztlich interessierte, konnte er nicht sein. Er und Rob Harlow waren nur die Helfers helfer dieser Person. Harlow baute sich am Fenster auf und schaute hinunter auf die Straße. Wahr scheinlich vergewisserte er sich, daß Os car Walmlin auch tatsächlich wegfuhr. Kathy Porter nutzte die Gelegenheit, etwas für ihre persönliche Freiheit zu tun. Sie mühte sich ab, die verflixten Stricke loszuwerden, die ihre Handge lenke zusammenhielten. Leider blieb ihr nicht ausreichend Zeit. Rob Harlow drehte sich um und grinste sie an. »Die nächste Stunde gehört uns«, sagte er, langsam auf sie zukommend. »Hoffentlich ist das nicht deine letzte Stunde.« »Wieso?« Sie drückte sich noch ängst licher in den Sessel und sah ihn aus großen Augen an. »Oscar ist unberechenbar«, warnte Rob Harlow. »Auf einen Mord mehr oder weniger kommt's dem überhaupt nicht an.« »Mord? « Ihre Augen wurden groß und rund.
»Der serviert alles ab, was ihm nicht paßt.« »Könn . . . Können Sie nichts für mich tun, Mr. Harlow?« » Na, ich weiß nicht.« Er blieb dicht vor ihr stehen. »Vielleicht, aber das ist 'ne gefährliche Sache.« »Und wenn ich Sie ganz lieb darum bitte, Rob?« Kathy sorgte für etwas Ko ketterie in ihrer Stimme. Sie war wirk lich eine vollendete Schauspielerin. »Nur 'ne Bitte?« Er schüttelte langsam den Kopf. »Ein bißchen wenig, finden Sie nicht auch? Sie haben mich immer hin niedergeschlagen. In der Beziehung bin ich nachtragend.« »Lady Simpson hatte mich dazu ge zwungen. Persönlich habe ich über haupt nichts gegen Sie, Rob. Bitte, hel fen Sie mir.« »Und was bekomme ich dafür?« »Was . . . wollen Sie denn haben, Rob?« »Einmal darfst du raten, Süße.« »Ich . . . kenne Sie ja kaum, Rob.« Ka thy senkte verschämt den Blick. »Das haben wir schnell geändert, Süße.« »Ich weiß nicht.« Sie wirkte noch ver schämter. »Aber ich weiß!« Er grinste tückisch und . . . ohrfeigte sie ohne jede Vorwar nung. Kathy schrie leise auf und sah ihn entgeistert an. »Für wie blöd hältst du mich eigent lich?« fragte er mit beißender Ironie. »Hast du etwa geglaubt, mit der billigen Show Eindruck schinden zu können, du kleines Luder? Auf so was fällt doch höchstens 'n blutiger Anfänger rein. Jetzt werd ich dir mal zeigen, was 'ne Harke ist! In'n paar Minuten bist du weich wie'n Klassesteak.« Seine Ausdruckweise war vielleicht blumig, doch seine weitere Reaktion nur
noch brutal. Er riß Kathy aus dem Sessel und schob sie trotz Gegenwehr auf das breite Sofa zu. Kathy behielt die Übersicht. Sie wehrte sich, doch nicht zu sehr. Er mußte das Gefühl der Überlegenheit ha ben. Noch war es zu früh, ihm die Zähne zu zeigen. Sie ließ sich auf die Couch werfen und starrte ihn aus vor Entsetzen weit geöffneten Augen an. Er griff in ihren Ausschnitt und fetzte das Kleid auf. Sie merkte, daß er sich von Sekunde zu Sekunde immer sicherer fühlte. Für ihn wurde sie zu einem willenlosen Ob jekt, mit dem er ganz nach Belieben verfahren konnte, wie er wollte. Er zerrte ihre Arme hoch, dann drückte er sie über den Kopf nach hin ten und wollte die Handgelenke am Heizkörper hinter dem Sofa festbinden. Dabei kam er immer mehr in die Reich weite ihrer Beine, doch darauf achtete er längst nicht mehr. Ihm ging es nur noch darum, sie völlig wehrlos zu machen. Kathy Porter wartete den genau richti gen Zeitpunkt ab. Sie strampelte mit den Beinen in der Luft herum und . . . knallte ihm dann ihre Knie gegen den Körper. Rob Harlow wurde zurückge worfen, krachte mit dem Rücken gegen die Sessellehne und fiel dann nach vorn auf das Gesicht. Für einen Moment blieb er benommen liegen, dann aber zwang er sich hoch und stierte sie an. Seine Augen tränten vor Schmerzen. Der junge Mann mit dem glatten Gesicht keuchte, schnappte nach Luft, hielt sich den Leib und war wahrscheinlich einer Ohnmacht nahe. Doch der Haß trieb ihn wieder hoch. Er griff nach seiner Waffe in der Schulterhalfter. Diese Bewegung kostete ihn jedoch eine Riesenanstren gung. Die rasenden Schmerzen in sei nem Leib lähmten seine Nerven und Muskeln. 29
Kathy war bereits hoch. Schnell und geschmeidig war sie ne ben Rob Harlow. Sie trat mit der linken Schuhspitze nach seiner Hand und schlug mit beiden Händen konsequent zu. Rob Harlow stöhnte noch einmal erstickt auf, bevor er dann besinnungs los zusammenfiel und regungslos auf dem Boden liegenblieb. Sie kümmerte sich nicht weiter um ihn, lief in die kleine Küche und ent deckte im Abwasch ein Fleischmesser. Sie klemmte es zwischen ihre Knie und schnitt sich die Handfesselung auf. Die ser Vorgang dauerte höchstens eine Mi nute. Sie rieb sich die schmerzenden Gelenke und ging zurück zu Harlow. Er rührte sich nicht. Kathy nahm die Schußwaffe, die sie ihm aus der Hand getreten hatte, an sich und machte sich daran, Rob Harlows Hände zu binden. Sie besorgte das mit Können und Nach druck. Sie wollte diesem Widerling nicht noch einmal ausgeliefert sein. Dann begann sie intensiv die Wohnung zu durchsuchen. Schon nach wenigen Minuten machte sie eine seltsame Entdeckung. Walmlin, eindeutig der Inhaber dieser Wohnung, schien ein Liebhaber klassischer Musik literatur zu sein. In einem kleinen Stu dio, dessen Wände und Decke mit Eier tragen vollkommen ausgeschlagen wa ren, fand sie zwei Geigenkästen, die tat sächlich auch Geigen enthielten. Es gab weiter ein erstklassiges Tonbandgerät, ein Regal mit einer Unmenge von Schallplatten und dann einen Wand schrank, der mit Noten vollgestopft war. Ihr fiel allerdings auf, daß das alles recht unbenutzt und verstaubt aussah. Walmlin schien seit längerer Zeit hier nicht mehr gearbeitet und gespielt zu haben. Kathy sah sich die Schallplatten an, dann die Noten. Ein Zweifel war 30
ausgeschlossen. Sie hatte es mit einem ausübenden Liebhaber klassischer Mu sik zu tun. Nachdenklich verließ sie das Studio und ging zurück in den Wohnraum. Rob Harlow war inzwischen wieder zu sich gekommen. Er verzichtete auf jede Drohung, die eigentlich normalerweise fällig war. Er sah sie nur aus haßerfüllten Augen an.
»Sie sehen mich außerordentlich glücklich, Miß Porter«, sagte Josuah Parker, als er aus seinem hochbeinigen Monstrum stieg. »Bei dieser Gelegen heit erlaube ich mir, Grüße von Mylady zu überbringen.« »Sind Sie geflogen, Mr. Parker?« fragte Kathy lächelnd. »Ich habe doch erst vor knapp zehn Minuten ange rufen.« »Nun, ich fuhr vielleicht ein wenig schneller als es gemeinhin erlaubt ist«, entgegnete der Butler gemessen. »Die Rückkehr dieses Mr. Walmlin möchte ich mir auf gar keinen Fall entgehen lassen.« Kathy hatte von einer nahen Telefon zelle aus Butler Parker angerufen und ihm in Stichworten mitgeteilt, was sich inzwischen ereignet hatte. Parker hatte sie gebeten zu bleiben und war nun selbst hier. Sie standen in der Seitenstra ße, von deren Ecke aus sie das Haus beobachten konnten. Von der Stunde, die Walmlin für seine Rückkehr angegeben hatte, waren noch knapp fünfzehn Minuten übriggeblie ben. Der Mann mit der harten, offenbar ausländischen Aussprache konnte also jeden Moment auftauchen. »Wir sollten uns in meinen Wagen set zen«, schlug der Butler vor. »Er bietet
die Gewähr für eine gewisse Tarnung.« Höflich und zuvorkommend öffnete der Butler die hintere Wagentür und ließ Kathy Porter einsteigen. Sie war froh, daß er so schnell gekommen war. In seiner Gegenwart fühlte sie sich stets sicher und geborgen. »Sie sind also sicher, Miß Porter, daß es sich um die Wohnung des Mr. Walm lin handelt?« erkundigte sich Parker. »Ich habe es von der Größe der Anzü ge abgelesen, Mr. Parker, die ich in ei nem Kleiderschrank fand«, gab sie zu rück. »Viel wichtiger aber scheint mir zu sein, daß Walmlin Musiker ist. Er ist ganz sicher kein Amateur oder beson ders begabter Laie, nein, er muß Berufs musiker sein.« »Sie haben bestimmte Gründe für Ihre Annahme, Miß Porter?« »Die Noten, Mr. Parker. Sie repräsen tieren praktisch die gesamte gängige Konzertliteratur. Sie wissen, daß ich mich darin etwas auskenne.« »Durchaus, Miß Porter. Sie ziehen, wenn ich Sie recht verstehe, gewisse Schlüsse daraus?« »Dieser James Findlay sollte immer hin während eines Konzerts umge bracht werden, Mr. Parker. Kann das nur ein Zufall sein?« »Sie glauben also, Miß Porter, daß Mr. Findlay dieses Konzert in einer ganz bestimmten Absicht besucht hat?« »Das glaube ich, Mr. Parker. Oder ist das zu weit hergeholt?« »Mitnichten, Miß Porter.« Parker deu tete ein zustimmendes Nicken an. »Nach der Auskunft von Superinten dent McWarden ist Mr. Findlay ja ein CIA-Agent. In der Kapsel, die er Mylady reichte, soll sich laut McWarden angeb lich die Belohnung für Agentenmaterial befunden haben. Wem wollte er diese Belohnung in die Hände spielen?«
»Einem Besucher der Konzerts, oder ...« Kathy sprach ihren Satz nicht zu Ende. Sie sah Parker ein wenig zwei felnd an. Sie schien sich nicht zu trauen, die nächste Schlußfolgerung zu ziehen. » . . . oder einem der Musiker, nicht wahr?« »Das meinte ich, Mr. Parker.« Kathy nickte erleichtert. »Es würde mich nicht wundern, wenn Mr. Walmlin Mitglied des Orchesters ist.« »Wir werden es bald ganz genau wis sen. Oder besser gesagt, in wenigen Mi nuten. Mr. Walmlin scheint zu nahen.« »Das ist er«, sagte sie leise und deutete auf den Mann, der sie mit dem ,Hunde trick' hereingelegt hatte. Walmlin war bereits aus seinem Wagen gestiegen und eilte auf das schmalbrüstige Haus zu.
»Was wird er jetzt wohl machen?« fragte Kathy den Butler. »Meine Flucht kann ihm doch überhaupt nicht in den Kram passen, Mr. Parker.« »Wenn das Glück Ihnen, Miß Porter, und meiner bescheidenen Wenigkeit hold ist, wird Mr. Walmlin bald zu einer neuen Fahrt aufbrechen. Vielleicht führte er uns dann zu seinem wirklichen Auftraggeber.« Nun, Walmlin erschien tatsächlich noch einmal, nämlich kurz am Fenster. Die Umrisse seiner Gestalt waren deut lich zu sehen. Dann drückten diese Um risse sich aber durch das Fensterglas, das klirrend auseinanderbarst. Sekun den später war ein Aufschrei des Entset zens zu vernehmen. Walmlin stürzte 31
nach draußen, breitete die Arme weit aus und war dann sehr schnell unten auf der Straße. »Sie sollten nicht mitkommen«, sagte Parker leise zu Kathy. Er schritt schnel ler als gewöhnlich auf den auf der Straße liegenden Mann zu, beugte sich knapp über ihn und kam dann zu Kathy zu rück. Er schüttelte den Kopf. »Ich fürchte«, sagte er kühl und gelas sen, »ich fürchte, daß man Mr. Oscar Walmlin von der Liste streichen muß. Er hat das gesegnet, was man gemeinhin das Zeitliche nennt.«
Agatha Simpson grollte. Sie befand sich allein in ihrem Stadt haus in Shepherd's Market und lang weilte sich. Ihr Butler hatte sich vor etwa zwanzig Minuten sehr schnell ver abschiedet, um Kathy Porter Beistand zu leisten. Zu spät hatte die Hobbyde tektivin begriffen, daß sie von Josuah Parker ganz plump hereingelegt worden war. Er hatte sie gebeten, für einen etwa igen Anruf zur Verfügung zu stehen, falls die beiden Profis Lorrings und Stepnut sich meldeten. Lady Agatha stampfte auf ihren stäm migen Beinen durch den großen Wohn raum und schielte immer wieder zum Telefon hinüber. Eben erst hatte sie ei nen doppelten Kreislaufbeschleuniger zu sich genommen. Sie fühlte sich äu ßerst unternehmungslustig. Sie wollte sich an irgendeiner Aufgabe messen. Ausgesprochen undamenhaft lief sie zum Telefon, als das erste Läuten zu hören war. Bevor sie ihren Namen nen nen konnte, war bereits eine Stimme zu hören, die ihr nicht ganz unbekannt vorkam. »Sind Sie etwa dieser Lorrings?« er 32
kundigte sie sich hoffnungsfroh. »Richtig, altes Mädchen«, erwiderte Pete Lorrings sehr respektlos. »Mo mentchen mal, Findlay will mit Ihnen reden. Der Junge scheint große Sorgen zu haben »Findlay«, meldete sich kurz darauf eine schwache und leise Stimme. »Myla dy, i c h . . . ich brauche dringend Ihre Hilfe.« »Was kann ich für Sie tun?« Lady Simpson vibrierte vor Tatendrang. »Die Kapsel, die ich Ihnen anvertraut habe«, redete die Stimme weiter, von der Lady Agatha natürlich nicht wußte, ob sie wirklich diesem Mr. Findlay ge hörte. »Man will mich umbringen, wenn ich sie nicht sofort ausliefere.« »Aber dieses Geschäft ist doch bereits beschlossen«, gab Lady Simpson zu rück. »Ich werde die Kapsel zur Verfü gung stellen, falls man Sie freiläßt.« »Die beiden Männer wollen nicht län ger warten. Sie befinden sich ganz in der Nähe Ihres Hauses. Bitte, Mylady, Sie müssen mir helfen. Kommen Sie sofort!« »Und wohin?« »Lorrings wieder an der Strippe«, mel dete sich die erste Stimme. »Passen Sie auf, altes Mädchen, prägen Sie sich den Treffpunkt genau ein, sonst startet Find lay zu 'ner Reise ins All.« »Ich höre, Sie Flegel!« Lady Simpson merkte sich die Einzelheiten, die Lor rings durchgab, wiederholte sie dann. »Und lassen Sie bloß die Bullen aus dem Spiel«, warnte Lorrings abschlie ßend. »Bis gleich.« Lady Simpson legte auf und versorgte sich noch mit etwas Medizin für ihren stets gefährdeten Kreislauf. Daß es sich hierbei natürlich um eine Falle handelte, war ihr klar. Diese beiden Subjekte Lor rings und Stepnut wollten sie aus dem
Haus locken und kidnappen. Ihre Gier nach der bewußten Kapsel mußte rie sengroß sein. Der Köder in dieser Falle konnte na türlich der richtige Mr. Findlay sein. Bot sich hier eine Möglichkeit an, diese bei den Lümmel zu überlisten? Lady Simpson griff nach dem ,Elek tronischen Notizbuch', schaltete das kleine Tonbandgerät ein und hinterließ für ihren Butler und Kathy Porter eine Nachricht. Dann präparierte sie sich für ihren nächtlichen Ausflug und war be ster Dinge, als sie in den inzwischen herandämmernden Morgen hinaus schritt.
Sie zeigte ihnen die Kapsel. Lady Agatha stand nur wenige Meter von dem parkenden Wagen entfernt und hatte die linke Hand erhoben. Sie sah übrigens abenteuerlich aus, die energi sche Amateurdetektivin. Sie trug ihr Tweed-Kostüm und hatte sich einen Topfhut aufgesetzt. An ihrem rechten Handgelenk baumelte der Pompadour mit dem darin befindlichen ,Glücks bringer'. Falls die beiden Männer mit einem Schnellschuß gerechnet hatten, so sa hen sie sich darin ein wenig getäuscht. Lady Simpson hatte sich einen taktisch günstigen Platz ausgesucht. Ihre linke Hand schwebte über dem Rand des niedrigen Holzzaunes. Dahinter befand sich eine tiefe Baugrube, deren Sohle mit Grundwasser ausgefüllt war. Die Bauarbeiten waren hier vor einigen Wo chen eingestellt worden. Falls sie die Hand öffnete, mußte die begehrte Kap sel mit tödlicher Sicherheit in dieses etwa fünfzig Zentimeter tiefe Schmutz wasser plumpsen. Das Suchen und mög
liche Finden der Kapsel konnte dann viele Stunden oder sogar Tage an dauern. Die Scheinwerfer des parkenden Wa gen blendeten auf und wieder ab. Lady Agatha sollte veranlaßt werden, noch näher an den parkenden Wagen heran zukommen. Doch sie dachte nicht im Traum daran. Sie wußte um ihren Vor teil und wollte diesen auf keinen Fall preisgeben. Sie hatte sich von einem Taxi hierher bringen lassen und den Fahrer umge hend wieder weggeschickt. Sie wollte nicht, daß dieser Mann gefährdet wurde.
»Vielleicht rühren Sie sich endlich!« Ihre Stimme trug weit und hatte einen grollenden Unterton. »Ich möchte end lich ins Bett. Ich habe keine Lust, mir auch noch den Rest der Nacht um die Ohren zu schlagen.« Lorrings stieg aus dem Wagen und machte im Gegensatz zu Lady Simpson einen unentschlossenen Eindruck. Ihm war anzumerken, daß er sich diesen Austausch ein wenig anders vorgestellt hatte. Es konnte ihm nicht passen, daß die begehrte Kapsel so gefährdet war. »Hören Sie«, sagte er nervös. »Wir konnten Findlay nicht mitbringen. Der Mann hat's mit dem Herz, er fühlt sich nicht ganz wohl.« »Auf Wiedersehen«, rief Lady Agatha grimmig. »Hauen Sie ab, Sie Flegel! Wol len Sie etwa eine wehrlose Frau herein legen?« »Ehrenwort, ihm geht's nicht beson ders,« »Aber Sie wollen die Kapsel haben, nicht wahr?« 33
»Vertrauen gegen Vertrauen.« Er schmeichelte plötzlich und schob sich vorsichtig immer näher an Lady Agatha heran. Er wollte sie überrumpeln, und Lady Simpson wußte das sehr genau, doch sie ließ sich nichts anmerken. »Weiß ich überhaupt, ob das die richti ge Kapsel ist?« fragte er dann vorwurfs voll weiter. »Wir wollen nämlich nicht reingelegt werden.« Er war schon gefährlich nahe heran, doch Lady Agatha tat so, als habe sie das noch gar nicht mitbekommen. »Darf ich wenigstens mal sehen?« fragte er und streckte seine Hand nach der falschen Metallkapsel aus. Und dann, wie von einer Sehne geschnellt, warf er sich auf Lady Simpson. Er wollte sie erst einmal von dem niedrigen Bau zaun wegdrücken und sich dann mit der Kapsel befassen. Sie durfte auf keinen Fall hinunter in das trübe und dreckige Grundwasser fallen. Lorrings hatte natürlich keine Ah nung, mit wem er es zu tun hatte. Er sah da nur eine schon etwas betagte Dame vor sich, die keine ernsthafte Gegnerin sein konnte. Er hatte keine Ahnung, daß diese Dame in einigen Sportdisziplinen noch immer recht erfolgreich war. Eine dieser Disziplinen war unter anderem das Florettfechten. Nun, Lady Agatha hielt zwar kein Flo rett in der Hand, dafür jedoch plötzlich eine recht lange Hutnadel, die es in Form und Größe mit einer Stricknadel aufnehmen konnte. Während Lady Simpson geschickt auswich, stach sie mit dieser Nadel blitzschnell und zielsi cher zu. Lorrings brüllte überrascht auf, als er den ersten Stich kassierte. Die Hutnadel hatte sich nämlich in seine rechte Hüfte gebohrt und brachte den Mann völlig aus dem Konzept. Dann stöhnte er nur 34
noch. Lady Simpsons Pompadour wischte wie ein Aufwärtshaken nach oben und legte sich auf Lorrings Unter kiefer, der daraufhin verdächtig knackte. Lorrings verdrehte die Augen und dann überkam ihn eine süße Schwäche, die ihn gegen Lady Simpson fallen ließ. Normalerweise hätte sie es abgelehnt, ein solches Subjekt aufzufangen. In die sem speziellen Fall hingegen zog sie den Mann sogar fest und besitzergreifend an sich, als habe sie es mit einem Liebhaber zu tun, der sich nur ein wenig schüch tern gibt. Wie richtig diese Inbesitznahme war, zeigte sich unmittelbar darauf. Ein dumpfes ,Plopp' war zu vernehmen. Lorrings erhielt einen harten Schlag, den selbst Lady Simpson deutlich spürte. Dann wurde Lorrings noch schwerer. Lady Simpson war jedoch eine starke Frau. Sie ließ Lorrings nicht los, sondern benutzte ihn auch weiterhin als Schutz und Schirm. Sie rechnete mit einem zweiten, schallgedämpften Schuß, doch der blieb aus. Sie hörte das Aufrauschen eines Wagenmotors, spähte über Lor rings' Schulter hinweg auf den Wagen und schnaufte nun doch ein wenig. Der Wagen schoß auf sie zu. Der Fah rer schien fest entschlossen zu sein, sie samt Lorrings zu rammen. Auf einen Mord kam es ihm dabei überhaupt nicht an. Die Situation spitzte sich zu. Nun mußte auch Lady Simpson um ihr Le ben fürchten. Sie ließ Lorrings los und zu Boden fallen. Dann warf sie sich gegen die leichte Brettertür, vor der sie sich vom Taxifahrer hatte absetzen lassen. Vor der Ankunft der beiden Gangster hatte sie noch Zeit gehabt, den Zaun zu unter
suchen. Sie wußte also sehr genau, was sie tat. Die Tür schwang auf und gab den Zugang frei zu einer Holztreppe, die nach unten in die Baugrube führte. Lady Simpson hörte hinter sich das unange nehm klingende ,Plopp'. Dicht neben ihr wurden einige große Holzsplitter aus dem Bauzaun herausgerissen. Das Ge schoß hatte sie nur um wenige Zentime ter verfehlt. Lady Simpson witschte gewandt um den Pfosten herum und brachte sich erst einmal aus dem Sichtfeld des Schützen. Dann bückte sie sich nach dem dicken Stein, den sie hier abgelegt hatte. Sie holte weit aus und warf ihn nach unten. Dabei stieß sie einen gekonnten, weithin zu hörenden Schrei aus, der vom Auf platschen des Steins im Wasser jäh abge schnitten wurde. Ihr Plan ging genau auf. Der Schütze mußte einfach anneh men, sie habe das Gleichgewicht verlo ren und sei in die wassergefüllte Bau grube hinunter gestürzt Lady Simpson hörte schnelle Schritte, Keuchen, einen Fluch und sah dann den Fahrer des Wa gens, der ohne Bedenken oder Mißtrau en durch die Brettertür marschierte. Für ihn trieb Lady Simpson bereits unten im Schmutzwasser herum. Daß dies nicht der Fall war, merkte er dann sehr nachhaltig. Lady Simpson vergaß für einen kur zen Moment ihre an sich erstklassige Erziehung. Sie schmetterte ihren ,Glücksbringer' in das Genick des Gang sters, der nun genau das tat, was er von Lady Simpson erwartet hatte. Der Mann kippte leider über das Ge länder der soliden Holztreppe, schrie nicht weniger gellend als Lady Agatha, segelte nach unten und vollführte in der wassergefüllten Baugrube eine völlig
mißglückte Bauchlandung.
»Ich komme zufällig vorbei«, sagte Superintendent McWarden ohne jede Überzeugungskraft. Es ging auf zehn Uhr zu, und Lady Simpson hatte gerade ein ausgiebiges Frühstück hinter sich gebracht. Sie saß frisch und munter im Kaminzimmer und schaute McWarden ironisch an. »Sagen Sie schon, was Sie auf dem Herzen haben«, meinte sie fast freund lich. »Ich sehe es Ihnen doch an der Nasenspitze an, daß Sie irgendwo der Schuh drückt.« »In der vergangenen Nacht war eine Menge los«, sagte McWarden. »Hier weniger«, erwiderte die Dame genießerisch. »Oder war was, Mr. Parker?« Sie schaute sich nach Josuah Parker um, der gerade den Frühstückstisch ab räumte. Dann wandte sie sich Kathy Porter zu, die die Morgenpost sortierte. »Sie hatten Ungemach, Sir?« erkun digte sich Parker bei McWarden, ohne auf Lady Simpsons Frage einzugehen. »Darf man fragen, ob Mr. Findlay sich inzwischen eingefunden hat?« »Er ist und bleibt wie vom Erdboden verschluckt.« McWarden machte einen unglücklichen Eindruck. »Dafür ist aber die Kapsel aufgetaucht, von der er beim Abtransport aus der Loge geredet hat.« »Wie schön für Sie und Ihre Freunde von der CIA«, sagte Lady Simpson recht desinteressiert. Ihr war schließlich nur zu bekannt, daß ihr Butler die aufge schnittene Kapsel samt Inhalt inzwi schen bei der amerikanischen Botschaft abgeliefert hatte. Der Butler hatte dies nach dem Mord an Oscar Walmlin nach geholt. 35
»Die Kapsel war aufgeschnitten wor den«, redete McWarden inzwischen wei ter. »Die Leute von der CIA haben sich auch den Zettel angesehen, der in dem Ding gewesen sein muß.« »Damit dürfte der Fall ja erledigt sein«, stellte Lady Simpson fest. »Eben nicht«, widersprach McWar den. »Keinen einzigen Schritt sind wir weitergekommen.« »Könnten Sie dies möglicherweise ein wenig interpretieren, Sir?« bat Josuah Parker gemessen. Nachträglich gratu lierte er sich zu dem Entschluß, diese Rettungskapsel abgeliefert zu haben. Nun erfuhr er aus erster Hand, was Au toritäten und Fachleute herausgefun den hatten. Deren Untersuchungsergeb nisse schienen sich also mit den seinen zu decken. »Die Kapsel ist völlig wertlos«, sagte McWarden inzwischen. »Es handelt sich um eine ganz normale Rettungskapsel. Man nennt diese Dinger auch SOS-Kap seln. Sie enthalten medizinische Hin weise und Angaben zur Person des Trägers.« »Verlieren Sie sich gefälligst nicht in unnötige Kleinigkeiten«, sagte Lady Simpson grimmig. »Wer überbrachte dieses wertlose Ding? Hat man wenig stens das herausgefunden?« »Die Kapsel war in 'nem kleinen Päck chen, das man auf der Zufahrt zur Bot schaft fand. Der Hinweis darauf erfolgte anonym per Telefon.« »Wem, wenn man höflichst fragen darf, gehörte denn diese SOS-Kapsel?« Parker sah McWarden unschuldig an. »James Findlay«, lautete die Antwort. »Das konnte sehr schnell herausgefun den werden.« »Den Sie immer noch nicht gefunden haben«, wunderte sich die Lady nach drücklich und schüttelte den Kopf. 36
»Dieser Fall ist demnach also noch völ lig offen, oder?« »Muß man leider sagen, Mylady«, ge stand der Superintendent ein. »Ist das alles, was Sie uns zu sagen hatten?« »Vor ein paar Stunden ist eine komi sche Geschichte passiert, Mylady.« »Endlich kommen Sie zur Sache, nicht wahr?« »Nicht weit von hier gibt's eine Bau stelle, Mylady, die aus Geldmangel auf gegeben worden ist. Diese Baugrube ist mit Grundwasser gefüllt und dieses Grundwasser steht etwa einen knappen Meterhoch.« »Sind Sie über Nacht zur Baupolizei versetzt worden?« Deutlicher Spott war in Lady Simpsons Stimme zu ver nehmen. »An dieser Baugrube hat sich einiges getan«, meinte McWarden gereizt. »Ich will's kurz machen. Anwohner wollen eine Dame gesehen haben, die es mit zwei handfesten Gangstern aufgenom men hat. Es sollen auch zwei Schüsse gefallen sein, schallgedämpfte übrigens. Kurz, einer dieser Männer wollte die Dame überfahren und landete anschlie ßend unten im Grundwasser, der zweite Mann verschwand zusammen mit der Dame. Wir haben da eine sehr genaue Beschreibung. Im Grunde, Mylady, muß die Dame wie Sie ausgesehen haben.« »Papperlapapp, McWarden«, sagte Lady Simpson. »Ältere und füllige Frauen wie mich gibt es hier in London zu Tausenden. Und das wissen Sie sehr genau. Trauen Sie mir etwa zu, es mit zwei Gangstern aufnehmen zu können?« »Unbedingt, Mylady.« »Vielen Dank.« Die Amateurdetekti vin nickte kokett. »Sie können ja sogar
galant sein. Und wie lautet die Beschrei bung des Mannes, den man im Grund wasser fand?« »Woher wissen Sie, daß er noch lebt?« hakte der Superintendent sofort nach. Er hoffte sehr, eine schwache Stelle ge funden zu haben. »Ich weiß überhaupt nichts.« Lady Simpson schüttelte den Kopf. »Der Mann befindet sich in einem Po lizeihospital«, berichtete McWarden weiter. »Er hat eine Menge Prellungen davongetragen, aber sonst geht es ihm gut.« »Warum wurde dieser bedauernswer te Mann in ein Polizeihospital eingelie fert?« schaltete Josuah Parker sich ein. »Ist er in Ihren Akten bereits verzeich net, Sir?« »Auch in unseren«, bestätigte McWar den. »Und in denen des Geheimdien stes. Der Mann heißt Hale Stepnut, ein Name, mit dem Sie sicher nichts anfan gen können.« »Sie sagen es, McWarden«, bestätigte die energische Lady schamlos. »Hale Stepnut ist ein gefährlicher Agent, der vor Jahren England verlas sen hat und jetzt heimlich auf die Insel zurückgekommen ist. Er arbeitet für ei nen fernöstlichen Geheimdienst und hat sich bis vor einigen Monaten in Asien herumgetrieben. Der Mann ist gefährli cher als eine Klapperschlange. Aber warum erzähle ich Ihnen das alles?« »Das möchte ich allerdings auch wis sen, McWarden«, fragte Lady Agatha lä chelnd. »Sollten Sie einen ganz be stimmten Zweck damit verfolgen?« »Bei der CIA weiß man, daß dieser Stepnut meist mit einem Partner zusam menarbeitet. Pete Lorrings soll dieser Mann heißen.« »Sie nehmen an, Sir, daß auch dieser Mr. Lorrings sich in England aufhält?«
erkundigte sich Parker höflich. »Davon sollte man ausgehen, Mr. Par ker.« Der Superintendent nickte und schaute wieder Lady Simpson prüfend an. »Ich erzählte eben schon, daß Au genzeugen gesehen haben, daß Stepnut nicht allein an der Baugrube war.« »Sie nehmen an, daß Lorrings, oder wie er auch immer heißen mag, die er wähnte Dame entführt hat?« Lady Aga tha erwiderte kaltblütig den Blick McWardens. »Könnte es nicht vielleicht auch um gekehrt der Fall gewesen sein?« McWar den holte tief Luft. »Könnte diese Dame nicht Lorrings entführt haben?«
»Sie glauben, daß ich diesen Lorrings entführt und diesen Stepnut in die Bau grube geworfen habe?« »Richtig, Mylady.« »Aber Sie können das nicht beweisen, oder?« »Richtig, Mylady.« »Wie dumm für Sie, McWarden.« Lady Simpson lächelte ironisch. »Was ma chen wir denn da?«
Parker umgab die Atmosphäre des Konzerthauses. Er hatte sich telefonisch angemeldet und wurde vom Manager des Orchesters sofort empfangen. Der Name der Lady Agatha Simpson hatte auch hier wieder Wunder bewirkt, denn normalerweise hätte Parker tagelang auf einen Termin 37
warten müssen. Der Manager hieß Walter B. Brewster, war etwa fünfundfünfzig Jahre alt, groß, hager und verfügte über eine ausgepräg te Glatze. »Mylady lassen sich entschuldigen«, sagte Parker nach der Begrüßung. »My lady hatten eine etwas schlechte Nacht. Mylady haben, um auf den Grund dieses Besuches zu kommen, ihr Herz für die klassische Musik entdeckt.« Da spitzte nun Mr. Walter Brewster die Ohren. Lady Agatha Simpson war eine sehr vermögende Frau, das wußte er. Ihr Interesse konnte unter Umständen ba res Geld bedeuten. Ein Orchester, das staatlich nicht subventioniert wurde, brauchte immer Mäzene, die die Arbeit finanziell unterstützten. »Sie haben, wenn man meine beschei dene Wenigkeit richtig informiert hat, eine Auslandstournee hinter sich?« Par ker kam nun zur Sache. »Und zwar eine sehr erfolgreiche«, be stätigte Walter B. Brewster begeistert. »Wir waren in Japan, in Korea, dann machten wir einen Abstecher nach Pe king und reisten über die Sowjetunion und den Kontinent zurück nach Eng land. Die Kritiken waren ausge zeichnet.« »Darf ich mir erlauben, das Orchester und Sie dazu zu beglückwünschen, Mr. Brewster?« »Vielen Dank, Mr. Parker.« Brewster strahlte. »Wird Lady Simpson morgen im Konzert sein? Beethoven, Mahler und Ravel stehen auf dem Programm. Blandhaven wird der Solist sein. Mehr brauche ich Ihnen ja nicht zu sagen.« »Mylady werden sicherlich erschei nen«, erwiderte Parker. »Ja, ich möchte dafür sogar garantieren. Könnte man vielleicht schon jetzt eine Loge reservie ren? Sie verfügen sicherlich über einen 38
Sitzplan.« Brewster griff mit sicherer Hand nach dem gewünschten Sitzplan, und Parker wählte wie zufällig genau jene Loge, in der James Findlay überfallen und stran guliert worden war. Brewster hüstelte leicht, als Parker seine Wahl getroffen hatte. »Hoffentlich stört sich Lady Simpson nicht an dieser Loge«, sagte er dann vorsichtig. »Sie wissen ja, was sich ge stern im Konzert ereignet hat, nicht wahr?« »Mylady lieben den Prickel, wenn ich es so ausdrücken darf«, gab der Butler zurück. »Und nun zu einem gewissen Mr. Oscar Walmlin. Er ist Ihnen be kannt?« »Aber natürlich. Mr. Walmlin ist Mit glied unseres Orchesters. Oder muß ich jetzt sagen, war? Er wurde leider in der vergangenen Nacht ermordet, das heißt, genau steht das noch nicht fest. Das tragische Ende eines Mannes, dessen künstlerischen Fähigkeiten ...« »Mr. Walmlin nahm an der Asientour nee teil, Mr. Brewster?« »Selbstverständlich. Er gehört zu den Ersten Geigen, wenn ich das hinzufügen darf. Warum interessieren Sie sich für diesen Mann, Mr. Parker? Ich möchte ja nicht gerade neugierig sein, aber...« »Ist Ihnen der Name Rob Harlow be kannt, Mr. Brewster?« Parker überhörte die Frage Brewsters. »Nein, nie gehört, Mr. Parker.« »Ich möchte Sie im Namen Myladys bitten, diese meine Fragen vertraulich zu behandeln«, schickte Parker voraus, »pflegte Mr. Walmlin innerhalb der Or chestermitglieder besondere Freund schaften? Sie als Manager müßten das wissen, denke ich.« »Walmlin war, wie es heißt, eine Art Betriebsnudel, Mr. Parker. Sie verste
hen, was ich meine, nicht wahr? Er wurde von allen Orchestermitgliedern geschätzt, war bei allen beliebt. Sein Tod ist für uns ein schwerer Verlust.« »Pflegte er darüber hinaus eine beson dere Freundschaft? Ich muß diese Frage einfach noch einmal wiederholen.« »Lassen Sie mich nachdenken, Mr. Parker. Ja, richtig. Mit der Flöte ver stand er sich besonders gut. Entschuldi gen Sie, ich meine William Cleetans. Er ist natürlich keine Flöte, sondern spielt sie.« »Was ich mir bereits zu denken erlaub te.« Parker erhob sich. »Ich bedanke mich für dieses Gespräch. Sie können versichert sein, daß Mylady sich er kenntlich zeigen wird. Und noch einmal, meine Fragen wurden im Grunde gar nicht gestellt.« »Welche Fragen?« Brewster hatte schnell geschaltet und lächelte. Wahr scheinlich dachte er an einen namhaften Betrag, den die vermögende Lady für das Orchester aussetzte. Er brachte Par ker zur Tür seines Büros und dienerte. Josuah Parker schritt die Treppe hin unter und spielte einen Moment lang mit dem Gedanken, sich im Konzertsaal ein wenig umzusehen, doch irgendwie kam er sich beobachtet vor. Er spürte, daß dieser Bau ein Geheimnis barg. Parker blieb stehen, lauschte in das Treppenhaus hinein. Hatte er Schritte gehört? Folgte man ihm? Hatte dieser Orchestermanager Brewster Alarm aus gelöst? War dieser Mann mehr als nur ein Verwaltungsfachmann? Hatte er et was mit dem Verschwinden von Findlay zu tun? Der Butler ließ sich nichts anmerken, als er den unteren Korridor erreicht hatte. Er schritt gemessen und würde voll auf die Pförtnerloge zu. Ein Mann wie er hatte sich stets unter Kontrolle.
Er nickte dem Pförtner zu und drückte die Tür auf, die hinaus auf den kleinen Parkplatz führte, der für das Orchesterpersonal reserviert war. Er war noch nicht ganz draußen, als er wußte, daß man ihn abgefangen hatte. »Kann ich etwas für Sie tun?« erkun digte er sich bei den beiden Männern, die links und rechts von ihm auftauch ten. Sie hätten Zwillinge sein können, so sehr glichen sie sich, was den Gesichts ausdruck anbetraf. Es waren ausdruckslose und glatte Gesichter mit Augen, die Härte verrie ten. Die beiden Männer waren mittel groß, schlank und mochten etwa dreißig Jahre alt sein. »Haben Sie was gegen eine Unterhal tung?« sagte der Mann, der links von Parker stand. »Aber nein«, erwiderte Parker höflich. »Sie wollen mich zu einer kleinen Aus fahrt einladen?« »Genauso ist es«, sagte der Mann, der rechts von Parker stand. »Unser Wagen steht dort drüben neben Ihrem Schlit ten. Gehen wir!« Parker kam überhaupt nicht auf den Gedanken, die beiden Herren anzuge hen. Er war die Ruhe in Person. Er hoffte, neue Erkenntnisse sammeln zu können. Danach war immer noch Zeit, die Handlungsweise der beiden Männer zu mißbilligen.
»Darf man fragen, mit wem ich das möglicherweise zweifelhafte Vergnü gen habe?« Parker saß im Fond des grauen, unauf fälligen Ford. Neben ihm hatte einer der beiden Männer Platz genommen. Er be drohte den Butler keineswegs mit einer Waffe, doch seine rechte Hand befand 39
sich unter dem linken Rockaufschlag seines Jacketts. Diese Geste war Einge weihten durchaus vertraut. Zudem hatte der Butler mit sicherem Blick er kannt, daß beide Männer Schulterhalf ter trugen, die sicher nicht als Dekora tion gedacht waren. Sie enthielten ein deutig Schußwaffen. »Ihnen passiert überhaupt nichts«, sagte der Mann neben Parker. »Sie kön nen jederzeit aussteigen, wenn Sie's wünschen.« Während er das sagte, spielte seine Hand unter dem Rockaufschlag. »Möchten Sie raus?« fragte der Mann am Steuer. »Wir möchten uns nicht nachsagen lassen, wir hätten Sie gekid nappt.« »Sie können entscheiden.« Der Mann neben Parker lächelte dünn. »Ich betrachte mich als nicht ent führt«, antwortete Josuah Parker. »Wo hin soll die Fahrt denn gehen, wenn ich fragen darf?« »Wir möchten Ihnen gern mal den Ha fen zeigen«, sagte der Fahrer und lachte leise und ein wenig ironisch. »Es gibt da 'ne Menge feiner Ecken«, fügte der Mann hinzu, der neben Parker saß. »Sie haben doch nichts dagegen, oder?« »Aber gewiß nicht, meine Herren.« Parker schüttelte den Kopf. »Ein müder, alter und relativ verbrauchter Mensch wie meine bescheidene Wenigkeit be grüßt jegliche Abwechslung.« Für den Butler war es klar, daß man ihn auf raffinierte Art und Weise unter Druck setzen wollte. Die ausgesuchte Höflichkeit der beiden Männer war im Grunde noch bedrückender und gefähr licher als etwa rüde Worte oder Drohun gen. Die beiden Entführer, denn das wa ren sie ganz sicher, schufen raffiniert eine Atmosphäre der Angst. 40
Nun, bei Parker verfing so etwas na türlich nicht. Nach außen hin ging er auf dieses Spiel zwar ein, innerlich aber blieb er kühl und gelassen. Er war ja nicht gerade wehrlos. »Sie ahnen, worüber wir uns unterhal ten wollen?« fragte der Mann neben ihm. »Ich nehme an, Sie interessieren sich für eine bestimmte Kapsel«, gab der Butler zurück. »Hat Mr. Findlay sich nicht näher dazu geäußert, meine Herren?« »Wo könnte die Kapsel wohl sein?« fragte der Fahrer und schaute sich kurz nach Parker um. »Wir würden dafür eine Menge Dollar zahlen«, sagte der andere Mann. »Sehen Sie sich das an, Mr. Parker!« Der Fahrer hielt an und deutete auf eine Art Trümmergelände. Umgeben von ei ner hohen Steinmauer, die allerdings beachtliche Lücken und Löcher auf wies, waren die Reste einer Fabrik zu sehen. Unkraut wucherte allenthalben. Der Ford schob sich vorsichtig um ei nige Schuttberge herum und hielt dann vor einer Steinbaracke. »Mir liegt es fern, als Besserwisser zu erscheinen«, schickte Parker voraus. »Aber ist das bereits das Hafengelände, das Sie mir zeigen wollten?« »Natürlich nicht«, erwiderte der Fah rer. »Aber das hier sollte man sich auch nicht entgehen lassen.« Der Mann neben Parker zog plötzlich einen kurzläufigen Revolver, doch er richtete den Lauf keineswegs auf den Butler. Er schaute sich nur die Waffe an und schob sie dann zurück in die Schul terhalfter. »Wo könnte die Kapsel sein?« Der Fahrer wandte sich nun endgültig zu Parker um. »Überlegen Sie doch mal, Mr. Parker. Wir haben ja Zeit. Wir wollen
Sie zu nichts drängen.« »Sehr schätzenswert«, meinte Parker und nickte höflich. Gleichzeitig zuckte seine rechte Hand hoch und beförderte den Bambusgriff seines Universal-Re genschirms gegen das Kinn des neben ihm sitzenden Mannes. Da dieser Griff mit Blei ausgegossen war, zeigte das Kinn sich beeindruckt. Der Mann verdrehte die Augen und spürte eine lähmende Müdigkeit in sei nen Gliedern. Sein Hirn schien plötzlich nur noch aus Watte zu bestehen. Der Mann sackte in die Polster zurück und entschloß sich jäh, einem dringenden Ruhebedürfnis nachzukommen. Der Fahrer reagierte ein wenig zu spät. Er war von Parkers Aktion ebenfalls überrascht worden. Als er nun nach sei ner Waffe greifen wollte, verformte der Bambusgriff seine Nase. Der Fahrer grunzte, schnappte verzweifelt nach Luft und konnte den Butler nur noch sehr verschwommen erkennen. Seine Augenhöhlen hatten sich mit wahren Wassermassen gefüllt. Dennoch wollte der Mann nicht aufge ben. Er zwang sich dazu, den Griff nach der Waffe doch noch auszuführen. Par ker aber schob den Bambusgriff vor und hakte ihn hinter das Handgelenk des Mannes. Dann zog er ruckartig an und brachte den Mann in seine Nähe. Mit der linken Hand grüßte Parker jetzt höflich. Dazu lüftete er seine schwarze Melone, deren Wölbung mit solidem Stahlblech ausgefüttert war. Diese Wölbung koket tierte mit der Schädeldecke des Fahrers. Der Mann rutschte haltlos in sich zu sammen und machte es sich auf der vorderen Sitzbank bequem. Josuah Par ker barg die beiden Schußwaffen und . . . staunte ein wenig. Er entdeckte nach kurzer Prüfung, daß die Waffen aus Plastik bestanden und daher auch nicht
geladen waren. Ihr äußeres Aussehen war bestechend echt. Die Taschen der beiden Männer waren total ausgeräumt. Nichts deutete auf ihre Identität hin. Josuah Parker begriff, mit wem er es hier zu tun hatte. Die beiden harten Männer gehörten auf kei nen Fall zur Unterwelt. Ja, sie standen wahrscheinlich sogar auf seiner Seite. Der Butler erinnerte sich der ungewöhn lichen Höflichkeit. Er stieg aus, begab sich nach vorn und brauchte nicht lange nach dem zu suchen, was er unter dem Armaturenbrett vermutete. Das kleine Tonbandgerät war nicht größer als eine flache Zigarrenkiste. Parker spulte es zurück und betätigte dann den Vorlauf. Er hörte prompt die Stimmen der bei den Männer, hörte seine Antworten. Parker nahm den Zündschlüssel an sich und schritt gemessen zur nahen Steinbaracke hinüber. Neben einer windschiefen, geöffneten Tür entdeckte er einen geeigneten Sitzplatz, der aus alten Balken und Brettern bestand. Par ker zog aus der Innentasche seines Zweireihers einen kleinen und flachen Handbesen, wie er zum Abstauben von Kleidungsstücken verwendet wird, um damit seinen geplanten Sitzplatz zu säu bern. Anschließend setzte er sich und wartete ohne Ungeduld auf das Erwa chen seiner beiden Gesprächspartner.
»Reißen Sie sich gefälligst zusam men«, grollte Lady Simpson und sah Pete Lorrings verächtlich an. »An die sen kleinen Schrammen werden Sie ja noch nicht gleich sterben.« Lorrings lag in einem von Lady Simp sons > Gästezimmern