Parker harpuniert den >Killerhai< Ein Butler-Parker-Krimi mit Hochspannung und Humor von Günter Dönges
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Parker harpuniert den >Killerhai< Ein Butler-Parker-Krimi mit Hochspannung und Humor von Günter Dönges
»Ich bin erledigt und ruiniert«, sagte Robert Fulham mit weinerlicher Stimme, beugte sich vor und schaute angestrengt zu Boden. Er bot das Bild totaler Verzweiflung. »Wie schön«, fand Lady Simpson hingegen. Die stattlich aussehende Dame, die seit Jahren ihr Alter mit etwa sechzig angab, sah ihr Gegenüber interessiert und recht unbekümmert an. Sie war überhaupt nicht beeindruckt, was deutlich zu erkennen war. »Erzählen Sie, Fulham, genieren Sie sich nicht! Ich höre gern gute Geschichten. Und Ihre Geschichte scheint gut zu sein.« Im Hintergrund des Salons hüstelte Butler Parker diskret, aber mahnend, doch seiner Herrin machte das überhaupt nichts aus, denn sie pflegte stets das zu sagen, was sie meinte. Unnötige Rücksichtnahme war ihr zuwider. »Sie finden meine Lage schön, Mylady?« Robert Fulham, etwa fünfzig, korpulent und normalerweise sicher sehr energisch, sah Lady Simpson anklagend und verständnislos an. »Ich habe mich wahrscheinlich nicht richtig ausgedrückt, Mylady. Ich bin verzweifelt, erledigt und ruiniert!« »Nun, das hörten wir ja schon«, antwortete Lady Agatha ungeduldig.
»Kommen Sie endlich zur Sache!« »Kann ich noch einen Whisky haben?« bat Robert Fulham. »Okay, wenn es Ihnen hilft, Mr. Parker, bitte.« Lady Simpson wandte sich kurz zu Josuah Parker um, doch der war bereits in Aktion und servierte Fulham auf einem silbernen Tablett einen Whisky. Butler Josuah Parker war ein mittelgroßer Mann undefinierbaren Alters. Sein Gesicht erinnerte an das eines ausgefuchsten Pokerspielers, seine Bewegungen waren würdevoll und gemessen. Er war der Prototyp eines englischen hochherrschaftlichen Butlers, wie man ihn eigentlich nur noch im Film und auf dem Bildschirm sah. Parker trug einen schwarzen Zweireiher, einen Eckkragen und eine ebenfalls schwarze Krawatte. Hier im Haus hatte er sich weiße Zwirnshandschuhe übergestreift. Robert Fulham nahm das Glas entgegen und gönnte sich einen herzhaften Schluck. Er kippte den Inhalt in einer Art wilder Verzweiflung herunter. »Ihnen scheint es immerhin noch zu schmecken«, stichelte die ältere Dame. »Vergessen Sie über dem Whisky nicht Ihre Geschichte, junger Mann!«
»Sie wissen, Mylady, daß ich Versicherungsmakler bin«, schickte Robert Fulham voraus und bemühte sich um eine sachlich und neutral klingende Stimme. »Meine Firma beteiligt sich an Versicherungsabschlüssen, die ein Maklerbüro allein nicht übernehmen kann.« »Wieso eigentlich nicht?« fragte Lady Agatha, die sich in dieser Materie nicht auskannte. »Weil das Risiko zu groß wäre«, erklärte Fulham. »Nehmen wir einen Frachter, Mylady, mit einer besonders wertvollen Ladung, oder denken Sie an einen Öltanker. Im Fall eines Verlustes dieser Ladung oder des Tankers könnte eine Firma allein nicht die Versicherungssumme zahlen, sie würde das Betriebsvermögen und die Rücklagen bei weitem übersteigen.« »In solchen Fällen, Mylady, pflegen mehrere Versicherungsmakler sich Risiko und Gewinn zu teilen«, schaltete der Butler sich aus dem Hintergrund ein. »Sehr vernünftig.« Lady Agatha nickte zustimmend. »In meinem Fall haben die Verluste sich gehäuft«, sagte Robert Fulham. »Ich bin verzweifelt, erledigt und ...« «... ruiniert, Fulham, wiederholen Sie sich nicht ständig!« Die Stimme der passionierten Detektivin verriet ein gereiztes Grollen. »Sie haben also ein paar saftige Versicherungsschäden bezahlen müssen, wie?« »Zwei Tankeranteile, Mylady, drei Frachteranteile, von dem Wert der
jeweiligen Ladungen ganz zu schweigen.« »Noch einen Whisky für Mr. Fulham«, ordnete die resolute Dame an, doch Parker hatte das vorausgeahnt und servierte einen weiteren Drink, den Fulham dankbar annahm. Seine Hand zitterte, als er das Glas hob. »Sollte und müßte man unterstellen, Sir, daß außer Ihnen noch weitere Versicherungsmakler in finanziellen Schwierigkeiten gerieten?« fragte der Butler. »Darauf können Sie sich verlassen!« Fulham nickte. »Außer mir sind noch drei weitere Makler ruiniert.« »Und was erwarten Sie nun von mir, Fulham?« wollte die Detektivin wissen. »Sie denken doch hoffentlich nicht an Geld, oder? Sie sollten wissen, daß ich eine arme Frau bin.« Parkers diskretes Hüsteln im Hintergrund war nicht zu überhören. Keiner wußte besser als er, daß Lady Simpson geradezu schamlos untertrieb. Sie war eine der reichsten Frauen der Insel, mit dem Blut- und Geldadel Englands eng verschwistert und verschwägert und konnte sich jede noch so kostspielige Extravaganz leisten. Fulham schüttelte den Kopf. »Geld würde nicht helfen, Mylady«, sagte er. »Das höre ich sehr gern«, antwortete Agatha Simpson anerkennend. »Wir bitten Sie um Ihre kriminalistische Hilfe«, redete Robert Fulham weiter. »Meine Freunde und ich glauben nämlich,
daß Gangster diese Schiffe versenkt haben.« »Das ist ja wunderbar.« Lady Agatha stand überraschend schnell auf. »Mr. Parker, haben Sie das gehört? Ein neuer Fall! Junger Mann, Ihnen kann geholfen werden, dafür verbürge ich mich.« * Butler Parker vertrat sich wieder mal ein wenig die Füße, wie er es auszudrücken pflegte. Er hatte sein hochbeiniges Monstrum auf einem Parkplatz stehen lassen und lustwandelte gemessen durch die engen Straßen von Soho, die um diese Zeit erst richtig zum Leben erwachten. Die gleißenden, grellbunten Reklamen verliehen diesem alten Stadtteil von London einen Glanz besonderer Art. Touristen aus aller Herren Länder schlenderten herum und ließen die prickelnde Atmosphäre auf sich wirken. Sie roch nach Abenteuer, Nervenkitzel, Amüsement und Laster. Butler Parker steuerte einen Nachtclub an, der so etwas wie einen doppelten Boden besaß. Hinter der eigentlichen Bar gab es noch einen verbotenen Spielclub, den man allerdings erst nach mehreren Kontrollen betreten konnte. Nachdem Parker geläutet hatte die Bar gab sich als Privatclub aus, die nur für Mitglieder zugänglich war - öffnete sich eine kleine, viereckige Klappe im Türblatt. Ein derb geschnittenes Gesicht wurde sichtbar. Flinke Augen musterten den Butler abschätzend.
»Einen wunderschönen Abend erlaube ich mir zu wünschen«, grüßte Parker und lüftete seine schwarze Melone. »Würden Sie mich freundlicherweise einlassen?« »Nur für Mitglieder«, sagte der Türwächter knapp. »Und Sie kenn' ich nicht.« »Verständlich«, antwortete Parker gemessen. »Ich pflege diesen Club nur sporadisch zu besuchen.« »Ihr Name, Sir?« »Mein Name ist Parker, Josuah Parker.« »Warten Sie einen Moment, Sir.« Die Türklappe schloß sich. Der Türwächter blätterte nun wohl in den Mitgliederlisten und suchte nach Parkers Namen. Er tat es wirklich, wie der Butler Sekunden später feststellen konnte. Der große, muskulöse Mann hatte eine Liste in der Hand und schüttelte zweifelnd den Kopf. Er wandte Parker den Rücken zu und fuhr herum, als der Butler diskret hüstelte. »Wie... Wie sind denn Sie 'reingekommen?« fragte er dann. »Die Tür muß nicht korrekt geschlossen gewesen sein«, erwiderte Josuah Parker. »Ich schlage vor, dieses Thema jedoch nicht weiter zu vertiefen.« Parker verschwieg, daß er im öffnen verschlossener Türen ein wahrer Meister war. Unter seinen geschickten Händen bemühte sich förmlich jedes Schloß, alle Sperren und Sicherungen freudig zu öffnen. Dazu benutzte Parker ein kleines Spezialbesteck aus seiner > Bastelstube Kindchen< neben ihr war die fünfundzwanzigjährige, langbeinige und schlankgeschmeidige Kathy Porter. Sie hatte braun-rotes Haar in der Farbe reifer Kastanien und erinnerte auf den ersten Blick an ein scheues Reh. Kathy Porter war
Sekretärin und Gesellschafterin der Lady. Sie achtete wie Parker darauf, daß die ältere Dame sich nicht unnötig in Gefahr brachte, was wirklich nicht einfach war. Kathy saß neben Mylady auf dem Beifahrersitz eines robusten Landrover, den Agatha Simpson sich neuerdings zugelegt hatte, um beweglicher zu sein. »Die Ermittlungen sind nicht einfach, Mylady«, entschuldigte Kathy Porter den Butler, der mit seinem Wagen bereits losfuhr. »Bitte, Mylady, noch nicht folgen. Mr. Parker rechnet mit einer eventuellen Verfolgung.« »Schwierige Ermittlungen? Daß ich nicht lache, Kindchen!« Agatha Simpson schnaubte verächtlich. »Diesen Subjekten darf man nicht mit Höflichkeit kommen, aber das will Mr. Parker nicht einsehen.« »Manchmal, Mylady, führen Umwege schneller zum Ziel als direkte Wege.« »Ich höre wieder mal, daß Mr. Parker Sie angesteckt hat«, tadelte die Detektivin. »Dort scheinen die Verfolger bereits zu kommen, Mylady.« Kathy Porter deutete auf einen japanischen Wagen, der wie ein Torpedo aus einem Torbogen schoß und dann in die Straße kurvte. Er beeilte sich ganz offensichtlich, an Parkers hochbeiniges Monstrum Anschluß zu bekommen. »Haben Sie jetzt etwas dagegen, daß ich losfahre, Kindchen?« erkundigte Agatha Simpson sich ironisch während sie bereits kuppelte.
»Ich würde Ihnen niemals Vorschriften machen, Mylady«, sagte Kathy Porter lächelnd. »Sie bevormunden mich doch am laufenden Band«, behauptete die ältere Dame und ließ die Kupplung vehement kommen. Der an sich nicht gerade leichte Landrover machte einen neckischen Sprung nach vorn und entwickelte sportlichen Ehrgeiz. Er rammte um ein Haar einen anderen, am Straßenrand abgestellten Wagen, nahm dann Fahrt auf und raste viel zu schnell zur nächsten Straßenkreuzung, hinter der Parker und seine Verfolger bereits verschwunden waren. Kathy Porter hatte sich selbstverständlich angeschnallt, stemmte sicherheitshalber aber noch die Füße gegen das Bodenbrett. Sie wußte aus Erfahrung, daß ihre Chefin sich für eine erstklassige Fahrerin hielt, die von der Teilnahme an einer Rallye träumte. Natürlich überschätzte sich Lady Agatha auch darin. Von technischen Dingen hatte sie nicht die geringste Ahnung. Ihr Fahrstil war nur noch mit dem eines Crashfahrers zu vergleichen. Am Steuer eines schweren Panzers wäre sie am richtigen Platz gewesen, denn sie neigte dazu, Hindernisse nicht zu umfahren, sondern zu knacken. Kathy Porter war froh, abgelenkt zu werden. Unterhalb vom Armaturenbrett leuchtete eine rote Signallampe auf. Die junge Dame zog das Mikrofon aus der Halterung und meldete sich. »Hier Parker« meldete sich die Stimme des Butlers aus dem Lautsprecher. »Darf ich Mylady
bitten, vorerst noch nicht zur Attacke überzugehen? Aus taktischen Erwägungen sollten die Verfolger erst kurz vor Erreichen des Ziels an einer Weiterfahrt gehindert werden.« »Wohin fahren Sie, Mr. Parker?« erkundigte Kathy Porter sich. Die Verständigung zwischen den beiden Wagen war ausgezeichnet. »Zu den East India Docks«, meldete Parker. »Mein Besuch gut einem gewissen Mr. Walt Litty, der dort ein recht anrüchiges Lokal betreibt, das die Damen besser nicht aufsuchen sollten.« »Das hat er sich so gedacht!« Agatha Simpson schmunzelte grimmig. »Natürlich werde ich mir diese Bruchbude ansehen, Kindchen. Ich lasse mir doch meinen Spaß nicht verderben.« * Die beiden Männer im japanischen Wagen hatten genaue Anweisungen von ihrem Boß Vickers erhalten. Sie sollten Butler Parker verfolgen, stellen und dafür sorgen, daß er für einige Zeit Patient der Intensivstation eines Hospitals wurde. Damit wollte Steve Vickers, der Besitzer des privaten Nachtclubs jeder Komplikation aus dem Weg gehen. Er fürchtete einfach, daß früher oder später herauskommen würde, daß er den Butler zu Walt Litty geschickt hatte. Und er bedauerte nachträglich sehr, den Hinweis auf eine gewisse Dockratte gegeben zu haben. Er kannte diesen Mann und dessen Organisation. Unerwünschte Kontakte mit dieser Dockratte
erwiesen sich in der Regel als lebensgefährlich. Die beiden Männer im japanischen Wagen waren erfahrene Schläger, auf die Vickers sich bisher immer hatte verlassen können. Sie hießen John Lane und Pete Bromley und freuten sich über den Auftrag, denn sie hatten sich seit geraumer Zeit nicht mehr richtig betätigen können. Gut, ihnen war bekannt, daß Parker ein nicht zu unterschätzender Gegner war, doch darauf hatten sie sich bereits eingestellt. Für sie lag der Butler bereits im Rettungswagen und befand sich auf dem Weg ins nächste Hospital. »Ob er uns schon entdeckt hat?« fragte John Lane, der den Wagen steuerte. Lane war fünfundzwanzig, schlank und aggressiv. Er hatte stechende, fast schwarze Augen. »Natürlich weiß er, daß er verfolgt wird«, erwiderte Pete Bromley gelassen. Er war dreißig Jahre alt, untersetzt und stämmig. Er glich einem gutmütigen Bernhardiner, den man ohne weiteres streicheln konnte. »Dann kommt bestimmt bald so ein übler Trick von ihm«, meinte Lane. »Klar doch.« Bromley lächelte und nickte. »Aber darauf gehen wir nicht ein. In der nächsten Straße rammen wir ihn, John. Wir nehmen ihn auf die Hörner.« Um den japanischen Wagen brauchten die beiden Gangster sich keine Sorgen zu machen. Er war ohnehin gestohlen und hinterließ keine Spuren, mit denen die Polizei etwas anfangen konnte. John Lane gab etwas mehr Gas und holte auf. Beide Männer überprüften noch mal
ihre Sicherheitsgurte und machten sich bereit, das Rammen von Parkers hochbeinigem Vehikel einzuleiten. Die Gelegenheit dazu wurde von Minute zu Minute immer günstiger. Man hatte die City längst hinter sich gelassen und fuhr über die Commercial Road in Richtung East India Docks. Sobald Parker zu den Docks und Lagerschuppen abbog, sollte die Sache steigen. Um diese Zeit war hier draußen im Hafengelände nicht viel los. Beide Gangster waren von ihrer Einmaligkeit derart überzeugt, daß sie überhaupt nicht auf den Landrover achteten, der hinter ihnen fuhr. Das Gefährt sah auch nicht gerade auffällig aus. Es zeichnete sich durch Beulen, leichte Blechschäden und eine gewisse Schäbigkeit aus. Myladys Landrover hatte schon einige Stürme hinter sich und präsentierte sich dementsprechend. Als Lane Gas gab, um Parkers hochbeiniges Monstrum auf die Hörner zu nehmen, wurde der Landrover ebenfalls schneller. Genauer gesagt, er schien die Sporen bekommen zu haben. Er jagte immer näher heran und ... donnerte dann sehr ungeniert in den Kofferraum des japanischen Wagens. Die starke Stoßstange, zusätzlich verstärkt, riß eine tiefe Bresche in das Blech des gerammten Wagens und zeigte Neigung, selbst die Rücksitze des japanischen Wagens noch restlos zu deformieren. Lane und Bromley wurden völlig überrascht. Sie hingen benommen in ihren Sicherheitsgurten und
brauchten einige Sekunden, bis sie sich von ihrem Schock erholten. Dann aber stieg die kalte Wut in ihnen hoch. Sie lösten ihre Sicherheitsgurte, stiegen aus und waren bereit, den Fahrer des Landrover zusammenzuschlagen. Sie waren dann aber überrascht, als sie einer stattlichen Dame gegenüberstanden, die ein zerbeultes Tweedkostüm trug und sie grimmig ansah. »Sie Flegel«, grollte die Detektivin entrüstet. »Wie kommen Sie dazu, so plötzlich zu bremsen? Das war Vorsatz! Diese Lümmelei wird Sie teuer zu stehen kommen.« Die beiden Gangster waren zuerst mal fassungslos. Mit solch einem wortreichen Angriff hatten sie nicht gerechnet, auch nicht mit der Unverfrorenheit. Lane wußte schließlich ganz genau, daß er nicht gebremst hatte. »Haben Sie überhaupt einen Führerschein?« grollte die ältere Dame weiter. »Und wollen Sie sich nicht endlich entschuldigen? Das ist doch wohl das wenigste, was ich erwarten kann.« Die Lady war ehrlich entrüstet. Das zeigte sich eigentlich schon an den Schwingungen, in die ihr Pompadour geraten war, der am rechten Handgelenk hing. Dieser perlenbestickte Handbeutel enthielt Myladys >Glücksbringer< ein echtes Pferdehufeisen, das nur oberflächlich mit dünnem Schaumstoff umwickelt war. »Sie haben wohl nich' alle Tassen im Schrank, wie?« John Lanes Temperament brach sich Bahn. »Sie
alte Schachtel haben nicht aufgepaßt!« »Sagten Sie alte Schachtel?« »Uralte Schachtel«, steigerte John Lane leichtsinnigerweise. »Wären Sie'n Mann, würd' ich Ihnen eine verpassen!« »Zuerst bin ich an der Reihe«, erwiderte Lady Agatha und landete ihren Pompadour auf der rechten Gesichtshälfte des Gangsters. Dieser Schlag kam so überraschend, daß der Mann zu keiner Abwehrbewegung mehr fähig war. Er hatte das Gefühl, von einem auskeilenden Pferd erwischt worden zu sein. Er legte sich seitlich flach auf die Luft und verlor den Halt. Dann klatschte er auf die Fahrbahn und blieb regungslos hegen. Pete Bromley traute seinen Augen nicht. Dann, leider mit erheblicher Verspätung, ging ihm ein Licht auf. Er erinnerte sich dunkel einer gewissen, streitbaren Lady, von der sein Chef Vickers mal gesprochen hatte. Pete Bromley reagierte an sich richtig, aber eben zu spät. Er wollte nach seiner Schußwaffe langen, doch mehr als ein Versuch wurde nicht daraus. Hinter ihm erschien Kathy Porter, die bisher absichtlich nicht in Erscheinung getreten war. Mit ihrer linken Handkante schlug sie nachdrücklich gegen Bromleys Oberarm, der daraufhin nicht mehr in der Lage war, die Bewegung zu Ende zu führen. Bevor der Gangster sich neu orientieren konnte, fand der Pompadour der Lady Agatha ein neues Ziel. Pete Bromley vollführte einen mächtigen Sprung nach hinten,
absolvierte einen allerdings etwas mißglückten Salto und landete auf dem Bauch. Er zappelte noch ein wenig, wurde dann ruhiger und gönnte sich anschließend eine längere Pause. »Melden Sie Mr. Parker, daß er seine Ruhe haben wird«, sagte die ältere Dame zu Kathy Porter. »Finden Sie nicht auch, Kindchen, daß die Gangster nicht mehr das sind, was sie mal waren? Überhaupt kein Rückgrat, schlapp und verweichlicht. Nein, nein, in was für einer Zeit leben wir eigentlich!?« * Als Butler Parker die >Caverne< betrat, wie Littys Kneipe sich nannte, war er so etwas wie eine Sensation. Das hing schon mit seiner korrekten und konservativen Kleidung zusammen, die so gar nicht in diese Umgebung paßte. In der >Caverne< verkehrten fast ausschließlich papageienhaft bunt gekleidete Besucher, die an Exoten erinnerten. Es waren Zuhälter, Gangster und Ganoven, die während der Nacht die Hafengegend kontrollierten. Natürlich gab es auch biedere, aber handfeste Seeleute aus aller Herren Länder. Darauf legte Litty besonderen Wert, denn der Polizei gegenüber wollte er nicht als reiner Spelunkenwirt auftreten. Parker übersah die neugierigen Augen und überhörte Anzüglichkeiten und Frotzeleien. Er schritt würdevoll die Steintreppe hinab und wollte zum Tresen gehen. Er blieb allerdings stehen, als ein bewußt
ausgestrecktes Bein ihm den Weg versperrte. Es gehörte zu einem kleinen, tückisch aussehenden Mann, der sichtlich angetrunken war. Er grinste dem Butler unverschämt ins Gesicht. »Entspannung ist immer sehr empfehlenswert«, sagte Parker und lüftete höflich seine schwarze Melone. Er wollte über das ausgestreckte Bein hinwegsteigen und nahm die Provokation einfach nicht zur Kenntnis. Der Mann war mit dieser Lösung aber nicht einverstanden. Er wollte Streit haben. Er gehörte zu einer Runde von ebenfalls bereits angetrunkenen Männern, die gespannt darauf warteten, wie die Dinge sich entwickelten. Und sie entwickelten sich... Der Mann nahm sein ausgestrecktes Bein noch höher und grinste noch unverschämter. »Denken Sie tunlichst auch an Ihr zweites Bein«, riet Parker höflich. »Wenn ich mir erlauben darf...?« Mit dem Bambusgriff seines Universal-Regenschirms hakte er nach der Ferse des zweiten, noch angewinkelten Beines und zog es nach vorn. Der Mann war verblüfft, denn mit dieser Hilfe hatte er nicht gerechnet. Dann ärgerte er sich, da seine Freunde grinsten und lachten. Der Verulkte sprang auf und stand wütend vor Parker. »Los, entschuldige dich«, fuhr er den Butler an. »Mach's möglichst schnell, bevor ich zulange!« »Welche Form der Entschuldigung bevorzugen Sie?« erkundigte der Butler sich gemessen. »Ich möchte
Sie darauf aufmerksam machen, daß es viele Möglichkeiten gibt.« Solch ein Angebot hatte der Mann noch nie gehört. Er war im Grund ein kleiner Gauner, der nicht zum inneren Kreis von Walt Littys Freunden gehörte. Aber er wollte sich produzieren und an Profil gewinnen. Ihm war nicht entgangen, daß der Besitzer der >Caverne< ihn vom Tresen aus beobachtete. Er schlug also erst mal zu. Es blieb natürlich nur bei dem Versuch an sich, denn Parker konnte man auf solche Weise nicht überraschen oder gar treffen. Josuah Parker blockte den Fausthieb mit dem Schirmstock ab, was für den Schläger äußerst schmerzhaft war. Er keuchte, verfärbte sich und spürte es dann feucht in seinem Gesicht. Daraufhin hustete er ausgiebig, verlor jedes Interesse an Parker und sackte auf seinen Stuhl zurück. Er sah nur noch milchige Nebel vor seinen Augen, verschwommene Konturen und spürte dann eine peinliche Übelkeit in sich hochsteigen. Er hatte überhaupt nicht begriffen, daß Parker ihn chemisch behandelt hatte. Durch die winzig kleine Düse in der Zierperle seiner Krawattennadel hatte der Butler einen Spezialspray versprüht, der diesen Effekt auslöste. Durch den Druck auf eine bestimmte Stelle der schwarzen Krawatte trat der Zerstäuber prompt in Aktion. Es handelte sich um eine Konstruktion, die Parker in seiner privaten >Bastelstube< ersonnen hatte. Der Butler schritt inzwischen weiter und erreichte den Tresen. Er
nickte Walt Litty zu, der ihn aus zusammengekniffenen Augen musterte. Walt Litty war ein großer, fetter, ehemaliger Catcher, der sich schon vor Jahren aus seinem an sich ehrbaren Beruf zurückgezogen hatte. Er war sicher weit über zwei Zentner schwer und glich irgendwie einem tückischen Eber. Parker war ihm nicht unbekannt. Er winkte ab, als streitlustige Gäste sich an den Butler heranschieben wollten. Walt Litty legte keinen Wert darauf, daß seine Gäste angeschlagen unter den Tischen lagen, und Parker war die Garantie dafür, falls man ihn angriff. * »Kommen Sie nach hinten«, sagte Litty nervös. »Sie bringen meine Gäste auf die Palme, Mr. Parker.« »Das verstehe ich nicht«, wunderte Parker sich. »Meine Absichten sind lauter, wie ich versichern darf.« »Das nehme ich Ihnen nicht ab, Mr. Parker.« Litty gab sich höflich, wandte sich ab und ging voraus. Er führte seinen Besucher in ein kleines Hinterzimmer neben dem Tresen und wischte sich den ersten Schweiß von der Stirn. Der tückische Eber, an den er mehr denn je erinnerte, wußte diesen Besuch noch nicht zu deuten. »Ich werde Sie nicht lange belästigen«, schickte Josuah Parker voraus. »Mir geht es, wie Sie sich denken können, um eine Information.« »Da sind Sie bei mir an der falschen Adresse.« »Ich suche die Dockratte, um genau zu sein.«
»Die Dockratte? Mann, woher soll ich wissen, wo die steckt? Gibt's die denn überhaupt noch?« »Sie wissen es, Mr. Litty, meine bescheidene Wenigkeit weiß es, die Dockratte nicht minder.« »Mit krummen Sachen geb' ich mich schon seit Jahren nicht mehr ab, Mr. Parker. Was wollen Sie denn von dieser Dockratte? Tun wir mal so, als würd' sie es geben.« »Es handelt sich um zwei kleine bis mittelgroße Tanker, dann um drei Frachter«, erwiderte Parker gemessen. »Aus unerfindlichen Gründen erlitten sie Schiffbruch und gingen zusammen mit ihrer Ladung unter. Die jeweiligen Mannschaften konnten sich erfreulicherweise in Sicherheit bringen.« »Und wann ist das alles passiert?« Der tückische Eber war sehr aufmerksam geworden. »Innerhalb der vergangenen zwei Monate, Mr. Litty. Nach den Aussagen der Geretteten scheinen Tanker und Frachter, sagen wir, torpediert worden zu sein.« »Torpediert?« Walt Litty sah den Butler fast anerkennend an. »Das is' ja'n Ding! Nee, davon hab' ich hier in meinem Lokal noch nichts gehört.« »Diese Untergänge ereigneten sich in der Irischen See, im Golf von Mexiko, vor der spanischen Küste und dann wieder in der Höhe von Venezuela.« »Und die Kähne sind einfach weggesackt?« »Sie sagen es, Mr. Litty! Wenn ich recht erinnere, befaßte sich die sogenannte Dockratte doch hin und
wieder mit gewissen Erpressungen, nicht wahr?« »Klopfen Sie ruhig auf den Busch, Mr. Parker, bei mir kommt nichts 'raus. Ich kenne die Dockratte nicht. Schön, ich habe mal von dem Namen gehört, aber mehr auch nicht. Ich habe... Zum Teufel, was ist denn jetzt schon wieder los?« Walt Litty war abgelenkt worden. Aus dem Kellerlokal war grölendes Lachen zu hören, abgelöst von Anzapfungen eindeutiger Art, die sich nur auf eine Frau beziehen konnten. Walt Litty stand auf und ging zur Tür, während Butler Parker sich nicht rührte. Ihm war klar, wer die Caverne betreten hatte: Lady Simpson. Die ältere Dame, unternehmungslustig wie immer, hatte sich natürlich wieder mal nicht an seinen Rat gehalten und stattete der Spelunke einen Besuch ab. Parker seufzte innerlich und machte sich bereit, zum geeigneten Zeitpunkt helfend einzugreifen. Für ihn stand fest, daß alle Zeichen auf einen Orkan deuteten. * Lady Agatha ließ sich im Gegensatz zu ihrem Butler liebend gern provozieren. Ja, im Grund wartete sie nur darauf, etwas unternehmen zu können. Sie marschierte durch die Tischreihen und musterte grimmig die Gäste in der Caverne. Der Pompadour an ihrem Handgelenk beschrieb bereits leichte Kreise und pendelte sich ein. Hinter ihr ging Kathy Porter.
Sie machte einen völlig verschüchterten Eindruck und schien vor Angst fast umzukommen. Sie hielt sich dicht an Agatha Simpson und suchte dort augenscheinlich Schutz. Sie fuhr zusammen, als einer der billigen Zuhälter sich zwischen Mylady und sie schob. Der junge Mann sah sie ausgesprochen frech an und griff nach ihrer Schulter. »Komm Süße«, sagte er. »Wie war's denn mit 'nem Schluck? Setz dich schon!« »Bitte«, hauchte Kathy Porter entsetzt und wandte den Kopf zur Seite. Sie wurde vor Verlegenheit blutrot im Gesicht. »Nehmen Sie Ihre dreckigen Finger von meiner Sekretärin!« Lady Agatha hatte den kleinen Zwischenfall bemerkt und drehte sich um. Der Zuhälter maß sie mit spöttischem Bück. »Verschwinde, alte Schachtel«, sagte er dann. »Dein Jahrgang ist hier nicht gefragt.« Das fanden auch zwei weitere junge Burschen, die Kathy abdrängen wollten. Natürlich fühlten sie sich auf vertrautem Boden sicher und überlegen. Sie hofften auf eine nette Abwechslung. Nun, sie wurden nicht enttäuscht... Der erste Zuhälter handelte sich von Mylady eine schallende Ohrfeige ein, die ihn über einen der kleinen runden Tische warf. Er rutschte wie auf Glatteis über die Tischplatte und landete krachend auf dem Boden. Erfreutes und lautes Johlen belohnte die ältere Dame für ihre Energieleistung. Gelächter brandete auf, dann entstand eine gewisse
Spannung. Der Geohrfeigte war inzwischen aufgestanden, schüttelte ein wenig benommen den Kopf und ... zeigte dann plötzlich ein offenes Messer. »Dafür schlitz' ich dir die Wäsche auf«, verkündete er gereizt, da die Kommentare nicht zu seinen Gunsten ausgefallen waren. Er sprang vor, fintierte und wollte tatsächlich Myladys Tweedkostüm auftrennen. Agatha Simpson ließ sich nicht täuschen. Sie ging auf die Finte überhaupt nicht ein, blieb stehen und trat dem Lümmel, wie sie ihn laut nannte, gegen das linke Schienbein. Daraufhin verfärbte sich der Mann, knickte ein und jammerte laut. Als der Pompadour sich dann noch auf seinen rechten Kinnwinkel setzte, trat er eine zweite Luftreise an und segelte über den Steinboden, der mit Sägemehl bedeckt war, bis hinüber zum Tresen. Es gab einen dumpfen Laut, als der Kopf des Mannes mit dem Holz kollidierte. »Frechling«, sagte die Detektivin entrüstet. »Sie haben es mit einer Dame zu tun, falls Ihnen das entgangen sein sollte.« Die beiden Freunde des Gefällten sahen sich veranlaßt, nun ebenfalls einzugreifen. Sie wollten die Sechzigjährige in die Zange nehmen und zudringlich werden. Für Kathy Porter interessierten sie sich im Augenblick nicht mehr. Lady Agatha hatte eine ihrer Hutnadeln in der Hand und stach damit herzhaft und freudig zu. Der Ganove brüllte und fühlte sich wie aufgespießt. Er hielt sich die linke
Hüfte, taumelte auf einen günstig stehenden Stuhl und kümmerte sich ab sofort nur noch um seine an sich harmlose Stichwunde, die allerdings teuflisch schmerzte. Myladys Hutnadeln waren nämlich von Parker präpariert. Die Spitzen dieser Nadeln - Mylady trug einige davon in ihrem abenteuerlich aussehenden Hut waren chemisch vorbehandelt; Mylady brauchte nur zu wählen. Der zweite Mann befand sich inzwischen hinter Agatha Simpson und wollte gegen alle Regeln des Anstands verstoßen: Es war seine erklärte Absicht, seine Faust in das Genick der Frau zu schlagen. Er holte kraftvoll aus und ... erlebte ebenfalls, eine peinliche Überraschung. Der Pompadour kreiste um Myladys Längsachse und zerknautschte seine Nase. Der Gangster taumelte zurück, setzte sich auf einen freien Stuhl und kümmerte sich ab sofort nicht mehr um Lady Simpson. Er befaßte sich nur noch mit seiner Nase und versuchte, sie vorsichtig wieder in die alte, ursprüngliche Lage zu bringen. Die Gäste in der Caverne waren mehr oder weniger fassungslos. So etwas war ihnen hier noch nie geboten worden. Sie wußten nicht, wie sie sich verhalten sollten. Ihr tiefer Respekt der älteren Dame gegenüber war deutlich zu spüren. Walt Litty schaltete sich ein. Er machte einen tiefen Diener vor Lady Agatha und bat sie nach hinten ins Gästezimmer. Agatha Simpson nickte gewährend, blieb jedoch noch einen Moment stehen und schaute sich in der Runde um.
»Hoffentlich wissen Sie jetzt, wie man sich einer schwachen Frau gegenüber zu benehmen hat«, sagte sie dann mit tiefer, sonorer Stimme. »Ohne etwas Rücksicht geht es einfach nicht!« * »Ein sehr langweiliger Abend«, beschwerte Lady Simpson sich eine Stunde später. Man befand sich wieder in ihrem Stadthaus in Shepherd's Market, einem uralten Fachwerkbau, der an einem kleinen quadratischen Platz in der Nähe des Hyde Park lag. Inmitten der Millionenstadt London war diese Region eine Oase der Ruhe und des Friedens. »Mylady sind verärgert?« erkundigte Parker sich völlig überflüssigerweise. »Was haben wir denn erreicht?« gab sie zurück und sah ihn gereizt an. »Ich hatte mir von diesem Ausflug mehr versprochen, Mr. Parker. Was ist nur mit dieser Dockratte? Sie hat sich nicht blicken lassen.« »Aber sie dürfte inzwischen von den Herren Vickers und Litty ausgiebig informiert worden sein, Mylady«, erwiderte Parker höflich. »Das war der tiefere Sinn der beiden Besuche, wenn ich es so ausdrücken darf.« »Aha.« Sie schaute ihn zweifelnd an. »Ein Gangster wie die Dockratte, Mylady, wird sich mit einiger Sicherheit früher oder später melden.«
»Und warum sollte dieser Gangster das tun?« wollte die ältere Dame grimmig wissen. »Aus Überheblichkeit, Mylady, und auch aus einer gewissen Besorgnis heraus.« »Besorgnis, Mr. Parker?« »Ein Gangster wie die Dockratte, Mylady, übt stets dunkle Geschäfte aus -oder aber plant sie. Die Dockratte wird in Erfahrung bringen wollen, was Mylady wissen.« »Nun ja, das klingt einigermaßen überzeugend, Mr. Parker«, räumte Lady Agatha ein. »So ähnlich hatte ich mir das bereits vorgestellt. Man kennt ja diese Kreaturen.« »Möglicherweise ist bereits noch in dieser Nacht mit einem Besuch zu rechnen, Mylady.« »Hoffentlich«, seufzte Agatha Simpson, deren Bedarf an Abenteuern noch längst nicht gedeckt war. »Beschleunigen kann man solch einen Besuch wohl nicht, oder?« »Ich fürchte, Mylady, diese Frage verneinen zu müssen. Ratten pflegen sehr vorsichtig zu sein.« »Wird die Dockratte selbst kommen?« »Davon möchte ich ausgehen, Mylady. Wie ich bereits anzudeuten mir erlaubte, ist die Dockratte als überheblich zu bezeichnen.« »Hatten Sie schon mal Kontakt mit ihr?« »Vor Jahren, als ich noch nicht die Ehre hatte, Mylady dienen zu dürfen.« »Und wie ging dieser Kontakt aus?« »Unentschieden, um der Wahrheit die Ehre zu geben, Mylady. Meiner
bescheidenen Wenigkeit war es leider nicht vergönnt, die letzten Beweise zu beschaffen, der Dockratte wiederum gelang es nicht, meinem Leben ein Ende zu bereiten.« »Hoffentlich ist dieses Subjekt noch immer ordentlich wütend auf Sie, Mr. Parker.« »Dies, Mylady, ist als sicher zu unterstellen.« »Freuen wir uns also auf die nächsten Tage«, meinte Agatha Simpson hoffnungsfroh. »Nach welchen Mustern hat dieses Subjekt denn bisher gearbeitet?« »Es handelte sich um Erpressungen, wie ich Mylady bereits während der Rückfahrt andeutete. Für die reibungslosen Beund Verladearbeiten an den Docks ließ die besagte Dockratte sich sogenannte Betreuungsgelder von den Speditionsfirmen zahlen. Wer sich weigerte, diese Zahlungen zu leisten, Mylady, mußte mit empfindlichen Schwierigkeiten und Verlusten rechnen. Kostspielige Ladungen verdarben oder gingen zu Bruch und gelangten erst nach wochenlangen Irrwegen an den Empfänger - oder kamen nie an.« »Sie nehmen an, dieser Gangster könnte sich inzwischen auf das Versenken von Schiffen verlegt haben?« »Von solch einer Möglichkeit sollte man tunlichst ausgehen, Mylady«, lautete Parkers Antwort. »Die Dockratte könnte ihr Geschäft erheblich ausgeweitet haben.« *
Mitternacht war vorüber. Vor Lady Simpsons Fachwerkhaus erschien in langsamer Fahrt ein Rolls-Royce, der in diesem Stadtteil von London überhaupt nicht auffiel, der sogar hierher gehörte. Der Rolls stoppte hinter dem Platz und entließ zwei junge, sportlich aussehende Männer, die korrekt sitzende Smokings trugen. Sie unterhielten sich ungeniert miteinander und schlenderten dann wie selbstverständlich auf den U-förmigen Platz zu, als gehörten sie hierher. Im Wagen blieben der Fahrer zurück und ein Fahrgast, der im Fond saß. Dieser Mann war etwa fünfundfünfzig Jahre alt, rundlich, hatte eine Glatze und trug eine seriöse Brille. Er rauchte eine Zigarre und lehnte sich in die Wagenecke zurück. Er schlug den schweren, pelzgefütterten Mantel über die Beine und schloß die Augen. Dieser Mann hieß Glenn Blackfen und war die Dockratte. Er konnte sich jeden erdenklichen Luxus leisten, denn seine sogenannten Geschäfte gingen ausgezeichnet. Er verfügte über erstklassige Mitarbeiter, die ihm hündisch ergeben waren. Glenn Blackfen zahlte großzügig und sorgte durch ein raffiniertes System gegenseitiger Bespitzelung dafür, daß keiner seiner Leute zu mächtig wurde. Wer sich seinen Vorstellungen und Anordnungen widersetzte, verschwand schnell von der Bildfläche, trat angeblich eine längere Auslandsreise an und wurde dann nie wieder gesehen.
Die beiden Smokingträger hatten inzwischen Lady Simpsons Haus erreicht und beschäftigten sich angelegentlich mit dem an sich harmlos aussehenden Türschloß. Sie hatten die Absicht, sich ungebeten ins Haus zu stehlen. Die beiden jungen Mannen waren ausgesuchte Spezialisten mit großer Erfahrung. Solch ein Türschloß stellte für sie überhaupt kein Problem dar. Sie waren derart mit dem Schloß beschäftigt, daß ihnen ein gewisser Vorgang völlig entging. Hinter ihnen senkte sich vom Vordach aus ein Rollgitter geräuschlos nach unten und versperrte ihnen wenig später den Rückweg. Diese Absperrung dauerte nur einige Sekunden, war aber ungemein wirkungsvoll. Die beiden Smokingträger standen nun zwischen Tür und Rollgitter. Links und rechts von ihnen befanden sich die Mauern des kleinen Vorbaus. Ein perfekteres Gefängnis konnte man sich gar nicht vorstellen. Diese technische Delikatesse hatte Parker sich einfallen lassen. Zu oft schon in der Vergangenheit waren nachts Personen aufgetaucht, die unbedingt ins Haus wollten. Parker hatte sich daraufhin etwas einfallen lassen. Die Haustür war übrigens sicher wie die Panzertür eines Banktresors. Man hätte sie noch nicht mal mittels einer normalen Sprengladung öffnen können. Glenn Blackfen, die Dockratte, warf einen Blick auf seine teure Armbanduhr. Seiner Schätzung nach mußten die beiden Spezialisten inzwischen längst im Haus sein. Für solche Dinge hatten sie vorgegebene
Richtzeiten, die sie sonst immer einhielten. Es war so gewesen, wie Butler Parker es vorausgesagt hatte: Die Dockratte war von den beiden Gangstern Vickers und Litty informiert worden. Glenn Blackfen hatte daraufhin sofort geschaltet. Er schätzte es gar nicht, daß ausgerechnet Butler Parker sich nach ihm erkundigte. Er hielt den Mann für einen gefährlichen Amateurdetektiv, mit dem man sich besser nicht anlegte -oder den man diesmal möglichst schnell ausschaltete. Glenn Blackfen war nämlich damit beschäftigt, seine trüben Geschäfte auszuweiten. Störungen konnte und wollte er sich da nicht leisten. Weder Blackfen noch sein Fahrer merkten, daß sie seit einiger Zeit genau beobachtet wurden. Im Kelleraufgang eines nahen Hauses erschein eine schmale Gestalt, die ein schwarzes Trikot trug und so gut wie überhaupt nicht gesehen werden konnte. Sie verschmolz förmlich mit der Dunkelheit der Nacht. Diese Gestalt pirschte sich mit der Geschmeidigkeit eines Raubtiers an den Rolls-Royce heran und blieb dicht hinter dem spaltbreit geöffneten hinteren Wagenfenster stehen. Wenig später hätte ein scharfes, geübtes Ohr ein feines Knacken hören können, als würde eine Glasampulle zerbrochen. Der Arm der geschmeidigen Gestalt schob sich nach oben und warf etwas ins Wageninnere. Danach huschte die Gestalt schnell zurück zum Kelleraufgang und verschwand dort.
Das Wageninnere des Rolls-Royce füllte sich schlagartig mit weißlichem Nebel, der die beiden Insassen veranlaßt», zuerst wenig, dann aber recht intensiv zu husten. Glenn Blackfen machte nur einen schwachen Versuch, aus dem Wagen zu kommen. Doch bevor er sich überhaupt aus seiner lässigbequemen Lage hochzudrücken vermochte, schwanden ihm bereits die Sinne. Er sackte wieder zurück, gähnte und räkelte sich dann bequem zurecht. Sein Fahrer kam ebenfalls nicht weit. Er hatte es zwar noch geschafft, die Türklinke zu ergreifen, doch dabei blieb es. Er machte es sich mit dem Oberkörper über dem Lenkrad bequem und schlief schnell ein. * »Bedürfen die Herren möglicherweise der Hilfe?« fragte eine würdevoll-zurückhaltende Stimme die beiden Gangster vor der Haustür. Die Vertreter der Dockratte wurden voll überrascht. Sie richteten sich auf und griffen automatisch nach ihren Schußwaffen. Dann wollten sie sich zurückziehen und erst mal Raum gewinnen. Doch das erwies sich zu ihrer peinlichen Überraschung als unmöglich. Erst jetzt bemerkten sie das Rollgitter, gegen das sie geprallt waren. »Mr. Blackfen erwartet Sie bereits«, redete die sonore Stimme weiter. »Sobald Sie Ihre diversen Schuß-, Stich- und Hiebwaffen abgeliefert haben, können Sie eintreten.«
Die beiden Gangster gerieten in Panik. Natürlich war ihnen klar, daß sie über einen versteckt angebrachten Lautsprecher angesprochen wurden, doch das war es nicht allein. Das Rollgitter machte sie nervös und ließ sie durchdrehen. Sie fühlten sich wie Ratten in der Falle. Sie warfen sich wütend gegen das Hindernis und rissen und zerrten verzweifelt an ihm, doch ohne jeden Erfolg. Das Rollgitter saß bombenfest und rührte sich nicht. Nachdem die beiden Gangster sich ausgetobt hatten, lehnten sie sich erschöpft gegen die Seitenwände des Vorbaus und legten eine kleine Atempause ein. »Ich darf Ihnen versichern«, ließ die sonore Männerstimme sich wieder vernehmen, »daß das Rollgitter von bester Qualität ist. Ohne fremde Hilfe werden Sie es nicht zu öffnen vermögen. Darf ich Sie nun bitten, Ihre Ausrüstungsgegenstände in den Briefkasten zu werfen? Wie bereits gesagt, Mr. Blackfen erwartet sie und dürfte inzwischen ein wenig ungeduldig geworden sein.« Während die Stimme noch zu hören war, klappte der untere Teil des Briefkastens, der in der Hauswand eingelassen war wie ein kleiner Müllschlucker auf. Die beiden Gangster sahen sich kurz an und nickten sich dann zu. Sie sahen ein, daß hier nichts mehr zu machen war. Sie warfen zwei Revolver, zwei Totschläger und zwei dolchartige Messer in den Briefkasten, der daraufhin automatisch zuklappte. Sekunden später klickte es, worauf die Haustür sich automatisch öffnete.
Die beiden Gangster betraten zögernd das Gebäude und standen dann in einer Art Vorflur. Sie fuhren nervös herum, als die schwere Haustür sich hinter ihnen schloß. Durch eine Glastür konnten die beiden Gangster in die Wohnhalle des Hauses bücken. Sie sahen jenseits der Tür einen Butler, der sich nur andeutungsweise verbeugte und dann nach links auf die geöffnete Tür zu einem Salon wies. Die beiden jungen Smokingträger witterten ihre Chance. Okay, sie waren zum Schein auf die Wünsche eingegangen, die man ihnen per Lautsprecher übermittelt hatte, doch jetzt waren sie an der Reihe, um diese Panne wieder auszubügeln. Sie hatten nämlich nicht alle Waffen abgeliefert ... Noch verfügte jeder von ihnen über eine kleine Automatik, die sie unterhalb ihrer Knie trugen. Blitzartig holten sie die Waffen hervor und begannen ihren Angriff. Sie warfen sich gemeinsam gegen die Glastür und wollten in die Wohnhalle stürmen, um es diesem Butler gründlich zu besorgen. Sie barsten fast vor Wut und mußten sich abreagieren. Doch sie erlebten, die nächste Überraschung. Sie warfen sich zwar gemeinsam gegen die leicht und zierlich aussehende Glastür, aber die rührte sich nicht. Sie bestand in Wirklichkeit aus schwerem Panzerglas in solidem Stahlrahmen. »Sie sollten sich um eine gewisse Seriosität bemühen«, hörten sie den Butler sagen. »Wenn Sie erlauben, werde ich Ihre möglicherweise
vorhandenen Bestrebungen ein wenig fördern und unterstützen.« Parker ließ in seiner linken, weiß behandschuhten Hand eine Art Fernsteuerung sehen, wie man sie für Fernsehgeräte verwendet. Er drückte auf einen der vielen Knöpfe, worauf die beiden Gangster wie durch Zauberei im wahrsten Sinn des Wortes plötzlich den Boden unter ihren Füßen verloren. Sie schrien gemeinsam und sausten durch eine sich öffnende Falltür in einen Keller, den vor ihnen bereits andere Gangster kennengelernt hatten. * »Okay, Lady, diese Runde geht an Sie«, sagte Dockratte Blackfen und nickte fast anerkennend. »Ich hatte wohl die faulen Tricks Ihres Butlers vergessen.« »Sie rechnen mit weiteren Runden?« erkundigte die ältere Dame sich. Agatha Simpson saß in einem hochlehnigen Ledersessel vor dem Kamin und sah den Mann interessiert an. »Das hier war nur'n Vorspiel«, erwiderte Blackfen. »Ich weiß jetzt, wo's lang geht.« »Sie glauben, ich würde Sie wieder freisetzen?« »Müssen Sie wohl, Lady.« Blackfen grinste. »Umbringen werden Sie mich nicht, das sitzt bei Ihnen nicht drin. Und wenn Sie mich festhalten, hänge ich Ihnen 'nen saftigen Prozeß an den Hals. Es gibt da nämlich einige Leute, die genau wissen, wohin ich gefahren bin.«
»Meinen Sie die beiden Lümmel, die Sie zur Haustür geschickt haben?« »Die haben Sie auch kassiert?« Blackfen bleckte die ein wenig schadhaften Zähne. »Es ließ sich nicht umgehen«, schaltete der Butler sich ein, der seiner Herrin ein Kreislaufbelebungsmittel reichte. Es handelte sich um einen erstklassigen französischen Cognac, den sie dazu benutzte. »Es gibt noch mehr Leute.« Blackfen winkte lässig ab. »Aber kommen Sie doch endlich mal zu Stuhle, Lady. Was wollen Sie von mir? Warum sind Sie hinter mir her?« »Haben diese Subjekte Vickers und Litty Sie verständigt?« »Ich würd' sie umbringen, wenn sie's nicht getan hätten.« »Ein Menschenleben zählt für Sie nicht?« »Lassen wir doch dieses verdammte Geplänkel, Lady. Sagen Sie mir endlich, warum Sie mich gekidnappt haben.« »Mylady interessieren sich für Ihre augenblicklichen Geschäfte, Mr. Blackfen«, schaltete der Butler sich ein. »Mylady vermutet, daß Sie sie ausweiten und sich jetzt zusätzlich noch mit dem Versenken von Tankern und Frachtern befassen.« Blackfen starrte den Butler überrascht an. Dann schaute er zu Agatha Simpson hinüber und brach in schallendes Gelächter aus. »Haben Sie nicht mehr alle Tassen im Schrank?« wollte er dann von Lady Agatha wissen. Danach hätte er sich wohl besser nicht erkundigt, wie
sich umgehend zeigte. Lady Simpson warf ihm ohne jede Vorwarnung ihren Pompadour an den Kopf. Sie besorgte das sehr kraftvoll und gekonnt. Blackfen, der damit nicht gerechnet hatte, mußte den im Pompadour befindlichen >Glücksbringer< voll nehmen. Sein Kopf flog zurück, der Mann gurgelte ein wenig und tastete dann nach seiner Nase. Er bekam in seiner Verwirrung nicht mit, daß Parker inzwischen hinter ihm stand und den Pompadour barg. »Verdammte Schachtel!« Blackfen fingerte an seiner Nase herum, federte aus dem Sessel und wollte sich auf die ältere Dame stürzen. Josuah Parker aber verhinderte das in seiner einmalig höflichen Art. »Nicht doch, Mr. Blackfen«, sagte er und drückte den Gangster mit den Händen auf die Sitzfläche zurück. Dabei erlitt die Dockratte einige Stauchungen im Rückgrat. »Sie sollten in der Wahl Ihrer Ausdrücke vielleicht ein wenig vorsichtiger sein, Mr. Blackfen«, sagte der Butler dazu. »Und es empfiehlt sich, nun Myladys Frage eindeutig zu beantworten.« »Ich ... Ich versenke keine Schiffe«, sagte die Dockratte dann und wischte sich den Schweiß von der Stirn. »Wer hat Ihnen denn sowas eingeredet? Ich laß doch keine Schiffe in die Luft fliegen! Wer behauptet, daß ich sowas mache? Den Kerl bring' ich um!« »Sie können sich nicht vorstellen, wer Ihnen solche Dinge zutraut? « erkundigte Parker sich gemessen.
»Sie sind ahnungslos, wer so etwas von Ihnen behauptet haben könnte?« »Dave Ilford! Der ist es gewesen, nicht wahr? Nee, Sie brauchen mir nichts zu sagen, Sie brauchen's auch gar nicht abzustreiten, ich weiß Bescheid. Na, der kann sich auf was gefaßt machen! Wenn einer die verdammte Schweinerei begeht, Pötte absaufen zu lassen, dann Ilford.« »Und warum wären Sie dazu nicht fähig?« erkundigte Agatha Simpson sich skeptisch. »Lady, ich war mal Seemann«, lautete die überraschende Antwort. »Verstehen Sie, was ich meine? Ich war mal Seemann! Ich würd' keinen noch so kleinen Kahn auf Grund setzen und die Jungens dabei draufgehen lassen. Ich hab' andere Methoden, um an mein Stück Kuchen zu kommen. Nee, sowas würd' ich nicht machen.« »Was meinen Sie zu dieser Aussage, Mr. Parker?« Agatha Simpson wandte sich an ihren Butler. »Falls Mylady einverstanden sind, werde ich Myladys Gast zur Tür geleiten«, antwortete der Butler gemessen und steif. »Mr. Blackfen möchte vielleicht noch die Freuden dieser Nacht genießen.« * »Ihr Leichtsinn ist kaum noch zu überbieten, Mr. Parker«, sagte Agatha Simpson verärgert. »Doch, ich korrigiere mich, Ihre Vertrauensseligkeit ist noch größer.« »Mylady tadeln die Entlassung der Dockratte?«
»Was sonst?« Sie sah ihn grimmig an. »Solche Gangster läßt man nicht einfach laufen.« »Mr. Blackfen, Mylady, wird einer der eifrigsten Mitarbeiter in diesem Fall werden«, entgegnete der Butler würdevoll. »Er dürfte nach Lage der Dinge alles daran setzen, sich von dem geäußerten Verdacht reinzuwaschen.« »Sie trauen ihm diese Sache mit den Tankern und Frachtern also nicht zu?« »Nach Lage der Dinge möchte ich Mr. Blackfen in dieser Hinsicht für unbeteiligt und unschuldig halten, Mylady.« »Sie ahnungsloser Engel, Sie!« »Er war Seemann, Mylady, das verbindet.« »Er hat Ihnen etwas vorgemacht! Um ein Haar hätte er vielleicht sogar noch Krokodilstränen geweint. Sie sind einfach zu gutgläubig, Mr. Parker.« »Wer ist eigentlich dieser Dave Ilford?« schaltete Kathy Porter sich ein. Sie hatte das schwarze Trikot längst ausgezogen und trug ein einfaches, sehr sittsam wirkendes Kleid. Wie eine geschmeidige Pantherkatze sah sie nicht mehr aus. »Mr. Dave Ilford, Miß Porter, ist das, was man in eingeweihten Kreisen einen neuen Stern am Gangsterhimmel bezeichnet. Er versucht sich zu etablieren und zu profilieren, wie man hört. Seine Mittel dazu sind Brutalität und sogar Mord. Seine Methoden sind selbst in Gangsterkreisen mehr als umstritten.« »Kennen Sie ihn, Mr. Parker?« erkundigte Kathy Porter sich.
»Ich hatte bisher noch nicht das zweifelhafte Vergnügen, Miß Porter.« »Wissen Sie wenigstens, wo dieser Lümmel zu finden ist?« fragte die ältere Dame grollend. »Wenn schon nicht Blackfen, dann wenigstens Ilford. Ich werde meine Hände nicht in den Schoß legen.« »Mylady dürfen versichert sein, daß ich mich bemühen werde, Kontakte zu besagtem Mr. Ilford herzustellen«, versprach Josuah Parker. »Ich bitte darum, Mr. Parker«, erwiderte die Detektivin. »Aber ich wiederhole noch mal, der wirkliche Täter ist diese Dockratte. Das spüre ich in den Fingerspitzen.« »Wie Mylady wünschen.« Parker deutete eine knappe Verbeugung an. »Ein ziemlich ergebnisloser Tag«, räsonierte Lady Agatha und erhob sich aus ihrem Ledersessel vor dem Kamin. »Wir sind keinen Schritt weitergekommen.« Bevor Parker dazu Stellung nehmen konnte, klingelte es an der Haustür. Lady Simpsons Gesicht nahm sofort einen leicht freudigen Ausdruck an. Wahrscheinlich hoffte sie auf einen weiteren Zwischenfall. Ihr Bedarf an Abenteuern war noch längst nicht gedeckt. Parker verließ den Salon, schritt gemessen durch die Eingangshalle in den Vorflur und schaltete hier nach Öffnung eines Wandschränkchens die unter dem Vorbau montierte hauseigene Fernsehkamera ein. »Nun machen Sie schon auf«, sagte der untersetzte, bullig aussehende Mann vor der Haustür und sah genau in die Kamera, ein
sicheres Zeichen dafür, daß er von ihrer Existenz sehr genau wußte. Dieser Mann, an eine Bulldogge erinnernd, hatte ein fast rundes Gesicht und runde Basedowaugen. »Mylady werden entzückt sein«, sagte Josuah Parker. »Darf auch ich Ihnen meinen nächtlichen Gruß entbieten, Mr. McWarden?« Parker öffnete und Heß ChiefSuperintendent McWarden eintreten. Er war der eigenwillige und stets leicht unter Dampf stehende Chef einer Sonderabteilung des Yard. * »Sie kommen natürlich wieder mal zufällig vorbei, nicht wahr?« spottete die ältere Dame, nachdem McWarden im Salon war und sie begrüßt hatte. »Ich komme gezielt«, antwortete McWarden. »Und ich weiß noch nicht, ob ich mich wegen dieses späten Besuches entschuldigen soll oder muß.« »Entscheiden Sie sich später, junger Mann«, sagte Lady Simpson, worauf McWarden prompt ein saures Gesicht zog. Er haßte es, von Lady Agatha als >junger Mann< bezeichnet zu werden. Er war immerhin fünfzig. »Mir sind da eben einige Informationen zugetragen worden«, begann McWarden, nachdem er Platz genommen hatte. »Sie beschäftigen sich wieder mal mit einem Kriminalfall, Mylady?« »Hoffentlich können Sie mir noch mal verzeihen, McWarden«, gab die Dame des Hauses süffisant zurück.
»Sie müssen wieder mal ganz schön tätig gewesen sein. Mylady.« »Was die Leute so reden.« Agatha Simpson winkte desinteressiert ab. »Sie waren in zwei privaten Nachtclubs«, zählte der ChiefSuperintendent auf. »Sie waren bei Vickers und Litty, nicht wahr?« »Ich mußte mich etwas entspannen, lieber McWarden.« Sie schmunzelte. »Diese Entspannungen kenne ich, Mylady«, entgegnete McWarden. »Sie müssen ganz schön zugeschlagen haben, wie mir berichtet wurde.« »Es gab da einige Flegel, die mir zu aufdringlich wurden.« »Ich hörte so nebenbei, daß Sie sich für die Dockratte interessieren, Mylady?« »Ihre Spitzel sind auch nicht mehr das, was sie mal waren«, stellte Lady Agatha abfällig fest. »Es geht also um die beiden Tanker und die drei Frachter, wie?« Der Chief-Superintendent ließ sich nicht aus dem Konzept bringen. Er nickte nur flüchtig, als Parker ihm einen Whisky servierte. »Mr. Parker, kennen wir diesen Fall?« Lady Simpson sah Butler Parker fragend an. Sie wußte nicht recht, wie sie sich verhalten sollte. »Zwei Frachter und drei Tanker?« fragte Parker höflich zurück. »Zwei Tanker und drei Frachter«, korrigierte McWarden. »Tun Sie doch bloß nicht so, als wüßten Sie nicht längst Bescheid! Mir machen Sie nichts vor.« »Da war doch was?« Lady Simpson dachte übertrieben angestrengt nach und sah erneut
ihren Butler an. »Hatte Mr. Fulham nicht davon erzählt? Oder werfe ich das mit einer anderen Geschichte durcheinander? Man wird alt, junger Mann. Eines Tages werden auch Sie das merken.« »Fulham hat Sie also um Hilfe gebeten.« McWarden nickte zufrieden. »Einige seiner Geschäftsfreunde hingegen waren bei mir, Freunde, die ebenfalls betroffen sind. Und ich denke, sie haben sich damit an die wirklich richtige Adresse gewandt.« »Daß das ein Irrtum war, werden diese Dummköpfe bald herausfinden«, erwiderte Lady Agatha ungeniert. »Solch ein Fall ist nichts für die Behörden.« »Sie geben also zu, daß Sie ...« »Warum rücken Sie nicht endlich mit Ihrem Angebot heraus, McWarden, daß man doch eigentlich zusammenarbeiten könnte?« fragte die ältere Dame spitz. »Reden Sie nicht um den heißen Brei herum!« »Nun ja, gegen eine Zusammenarbeit wäre nichts einzuwenden«, räumte McWarden ein. »Inoffiziell natürlich, damit ich nicht falsch verstanden werde.« »Sie sitzen also bereits auf dem Trockenen, wie?« stichelte Lady Agatha genußvoll. »Davon kann überhaupt keine Rede sein«, wehrte McWarden sich. »Lassen Sie es mich so ausdrücken: Meine Möglichkeiten sind leider beschränkt.« »Sie fordern mich geradezu zu einer spitzen Bemerkung heraus«, meinte die Detektivin. »Aber ich werde sie mir verkneifen.«
»Es würde Tage oder sogar Wochen dauern, bis ich eine Genehmigung bekäme, nach den Bermudas zu fliegen. Sie hingegen brauchten sich ja nur in eine Maschine zu setzen.« »Und was soll ich auf den Bermudas?« fragte Lady Agatha, deren Augen schon wieder unternehmungslustig glänzten. »Dort ist gerade wieder ein Frachter gesunken«, lautete McWardens lakonische Antwort. »Er ist aber erfreulicherweise auf einem Riff hängen geblieben und kann teilweise noch besichtigt werden.« »Mr. Parker, bestellen Sie die notwendigen Flugtickets«, sagte die energische Dame zu ihrem Butler. »Diesen Frachter werde ich mir aus der Nähe ansehen.« * Dave Ilford, der neue Stern am Gangsterhimmel, sah aus wie ein jugendlicher Filmheld. Er war groß, sportlich durchtrainiert und hatte ein gebräuntes, kühn geschnittenes Gesicht. Von seiner Brutalität war ihm nichts anzumerken. Sein Lächeln war strahlend wie das für eine Zahnpastareklame. Im Moment lächelte er allerdings nicht. Er befand sich in seinem Apartment, das über einem Supermarkt in der Nähe der East India Docks lag. Dieser Supermarkt gehörte ihm und war seine bürgerliche Tarnung nach außen hin. Dave Ilford hatte gerade eine Information erhalten, die ihm
überhaupt nicht schmeckte. Ein > ÜberlauferversichernMitarbeiterCaverne< erreicht war. Die Kellerkneipe war ebenfalls noch geschlossen, doch damit hatte Parker gerechnet. Er geleitete seine resolute Dame durch einen schmalen Torweg in einen Hinterhof und deutete mit der Spitze seines Schirms auf eine Kellertreppe, die von Mülltonnen fast verborgen war. »Der Haupteingang tagsüber«, sagte er erklärend. »Mylady sollten
sich auf eine eventuell ablehnende Stimmung vorbereiten.« »Das höre ich gern.« Sie nickte erfreut. »Hoffentlich werde ich nicht enttäuscht.« Parker ging voraus, stieg über die verschmutzte Steintreppe ins Souterrain und wartete hier, bis die Lady nachgekommen war. Er drückte eine Tür auf, durchquerte eine Art Waschküche und klopfte dann mit dem bleigefütterten Bambusgriff seines UniversalRegenschirms gegen die Füllung einer Stahltür. Er tat das in einem ganz bestimmten Rhythmus. Die Eisentür wurde daraufhin ohne weiteres geöffnet. Die Türwache machte sich noch nicht mal die Mühe, einen prüfenden Blick nach draußen zu werfen. Schließlich war nur eingeweihten Stammgästen dieses Klopfsignal bekannt. »Einen ausgesprochen wunderschönen Tag erlaube ich mir zu wünschen«, sagte Parker und nickte dem Türsteher zu, der ihn entgeistert anstierte und dann erst mehrmals schluckte. Solch einen Stammgast hatte der große, schwere Mann bisher noch nie gesehen. Und schon gar nicht die Frau in der Begleitung dieses Mannes, die sich durch die Tür schob. »Stop«, sagte er, nachdem er endlich wieder zu sich gefunden hatte. »Sie sind hier auf dem falschen Dampfer. Hier findet 'ne private Party statt. Verschwindet!« »Wie reden Sie Lümmel eigentlich mit einer älteren Dame?« fragte Lady Simpson gereizt. »Sie wollen sich wohl eine Ohrfeige einhandeln, wie?«
Das schien er wirklich zu wollen, denn er war so leichtsinnig, nach Myladys Oberarm zu greifen, um die Frau dann zurück durch die Tür zu schieben. Sekunden später schob er schon nicht mehr. Er saß auf seinem Gesäß und stierte benommen auf den nackten Zementboden. Er erinnerte sich vage daran, von einem auskeilenden Pferd getreten worden zu sein. * »Wie kommen denn Sie hier 'rein?« fragte Walt Litty, der ehemalige Catcher. Der schwere Mann, der stets wie ein gereizter Stier aussah, musterte seine Gäste in einer Mischung aus Überraschung und Ärger. Es war ganz offensichtlich, daß ihm dieser Besuch überhaupt nicht paßte. »In Ihren Kreisen, Mr. Litty, scheint man sich auf diese Standardfrage geeinigt zu haben«, antwortete Josuah Parker und lüftete höflich die schwarze Melone. »Ich weiß nicht, was Sie damit meinen«, antwortete Litty und schaltete sofort auf Vorsicht um. »Aber hier geht 'ne kleine, private Feier über die Bühne, um das mal gleich zu sagen.« »Ein festlicher Rahmen, eine festliche Stimmung«, lobte der Butler und beäugte die Kellerkneipe. Litty hatte zu seiner angeblich privaten Party etwa ein Dutzend hart aussehender Männer eingeladen, die alle in der Seefahrt tätig waren, wie schon allein ihre Kleidung bewies.
»Das sind doch sicher die unglücklichen Opfer der Schiffsversenkungen«, tippte Lady Simpson an. »Das heißt, hier dürfte es sich wohl um einige besonders hart Betroffene handeln, nicht wahr?« »Warum gehen Sie nicht?« seufzte Litty. »Ich halte es für meine Pflicht, diesen netten Leuten eine Runde zu spendieren«, fand Lady Agatha und nickte den Seeleuten freundlich zu. Sie wußten nicht, wie sie sich verhalten, sollten, starrten die ältere Dame abwartend an und sahen wie auf Kommando zu Litty hinüber, der erneut seufzte und dann resigniert die Schultern hob. »Ich will keinen Krach mit Ihnen haben, Lady«, sagte er. »Ich werde also 'ne Lokalrunde servieren.« »Sie sind ein kluger Mann, mein Bester.« Agatha Simpson zwinkerte dem gereizten Stier zu »Ich glaube, Sie haben ein sicheres Gefühl dafür, wo Ihre Grenzen liegen.« »Mit Ihnen leg' ich mich nicht an, Lady.« Litty verdrehte die Augen und bewegte seinen massigen Körper zum Tresen. Parker folgte ihm, während Agatha Simpson sich unter die Seeleute mischte und ein munteres Gespräch mit ihnen begann. »Ich bin außerordentlich froh und glücklich, Mr. Litty, mit Ihnen ein paar private Worte wechseln zu können«, sagte Parker, während Litty diverse Biergläser füllte. »Sie vielleicht, Mr. Parker, ich bin nicht froh.«
»Mylady sagte es bereits überdeutlich, Mr. Litty, Sie scheinen Ihre Grenzen genau zu kennen.« »Worauf wollen Sie hinaus, Mr. Parker?« »Tun Sie es nicht«, bat Parker höflich. »Was soll ich nicht tun, verdammt!« »Schalten Sie sich in gewisse Vorgänge nicht ein, Mr. Litty. Sie werden außer Ärger nichts einbringen.« »Ich verstehe kein Wort, Mr. Parker. Könnten Sie sich deutlicher ausdrücken?« »Sie dürften inzwischen wissen, daß Ilford und seine Leute von den zuständigen Behörden festgenommen wurden. Sie rechnen damit, daß der Dockratte ähnliches passieren wird. Sie spielen mit dem Gedanken, ein dadurch entstehendes , kriminelles Vakuum zu füllen.« »Niemals, Mr. Parker, niemals!« Litty sah den Butler treuherzig an. »Wie beruhigend und schön für Sie, Mr. Litty«, entgegnete Parker. »Sie würden nämlich mit Sicherheit nur draufzahlen. Ich halte es allerdings für außerordentlich verdienstvoll, daß Sie die betroffenen Seeleute zu einer kleinen Besprechung eingeladen haben. Chief-Superintendent McWarden wird diese ebenfalls mit Respekt vermerken.« »Das wurden Sie ihm gegenüber erwähnen?« »Der Chief-Superintendent wird es erfahren, Mr. Litty, mein Wort darauf! Dadurch erwirken Sie bei ihm eine Art Bonus, den Sie eines
Tages möglicherweise bitter nötig haben.« »Im Grund habe ich die Jungens ja für Sie eingeladen, Mr. Parker«, sagte Litty dann. »Ich hab' nämlich geahnt, daß Sie kommen würden. Und was meine Grenzen betrifft, nee, die überschreit' ich niemals. Ich bin doch nicht wahnsinnig. Mir reicht das, was ich habe!« »Sie sind fast schon so etwas wie ein Philosoph, Mr. Litty«, urteilte Parker würdevoll. »Erhalten Sie sich diese Weisheit!« * Die Dockratten kamen schon sehr früh. Butler Parker und Lady Simpson hatten einen günstigen Logenplatz, von dem aus sie die Ereignisse gut überblicken konnten. Der Butler hatte gegenüber dem privaten Club des Steve Vickers kurzfristig und mit einer ansehnlichen Summe eine Art Massagestudio gemietet und die weiblichen Angestellten für diesen Abend nach Hause geschickt. Von den beiden Fenstern aus ließen sich die Straße und die seitliche, schmale Gasse einsehen. Es ging auf zwanzig Uhr zu, als einige Taxis erschienen, aus denen etwa zehn stämmige Soho-Besucher ausstiegen. Sie schauten sich kurz und prüfend nach allen Seiten um, um dann in die schmale Gasse einzusickern. Sie wollten offensichtlich nicht den Haupteingang zum Club benutzen, sondern durch eine Hintertür eindringen.
»Wünschen Mylady das Opernglas?« erkundigte Parker sich höflich. »Könnte nicht schaden, Mr. Parker.« Sie nickte gnädig. »Und reichen Sie mir etwas für meinen Kreislauf.« Parker holt den lederumspannten, flachen Taschenbehälter aus der Innentasche seines schwarzen Zweireihers, schraubte den Verschluß ab und benutzte ihn als Becher. Dann servierte er seiner Herrin den gewohnten erstklassigen französischen Cognac, den sie sichtlich genoß. Sie beugte sich etwas vor, nahm das Opernglas hoch und konzentrierte sich auf die Vorstellung, die Parker ihr garantiert hatte. Die Männer aus den Taxis hatten inzwischen den Hintereingang erreicht und auch schon geöffnet. Die Dockratte hatte alles an Spezialisten aufgeboten, was ihr zur Verfügung stand. »Haben Sie Vickers vorgewarnt?« erkundigte die ältere Dame sich bei Parker. »Selbstverständlich, Mylady«, antwortete Josuah Parker. »Mir ging es darum, die Gewichte möglichst gleichwertig zu verteilen.« »Dann müßte sich ja bald einiges tun, denke ich.« »Mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit, Mylady.« »Es beginnt!« Sie nickte grimmigzufrieden und beobachtete eine erste Gestalt, die samt der Tür in die Gasse katapultiert wurde. Kurz danach erschien eine zweite Gestalt, die waagerecht in der Luft lag, ein Stück frei segelte und dann eine Art
Bruchlandung an der gegenüberhegenden Hauswand der Gasse machte. »Sehr hübsch«, fand Lady Agatha und nickte zustimmend. »Die Dinge scheinen sich zu entwickeln.« »Der Privatclub wird nicht mehr das sein, was er mal war«, deutete Parker an. »Wegen mir sollen sie ihn kurz und kleinschlagen«, erwiderte Lady Simpson. »Schade, daß man sich daran nicht beteiligen kann, Mr. Parker!« »Dieses Risiko, Mylady, wäre zu groß gewesen«, entgegnete der Butler höflich. »Unter Umständen könnte sogar geschossen werden. Gangster sind in dieser Beziehung leider unberechenbar.« Inzwischen segelten weitere Gestalten aus der Hintertür, überwanden in kurzem Steigeflug die Gasse und krachten an die gegenüberhegende Hauswand. Die betreffenden Flieger warteten dann ein wenig, sammelten sich und stolperten oder humpelten zurück zum Kriegsschauplatz in Vickers' Club. Eine gewisse Hartnäckigkeit und Moral war diesen Kämpfern nicht abzusprechen. Sie gaben ihr Bestes, wie deutlich zu sehen war. »Hoffentlich kommt McWarden nicht zu früh«, sorgte sich die Detektivin. »Mit Sicherheit nicht, Mylady«, antwortete Parker. »Der ChiefSuperintendent hat einige seiner Leute hier postiert, die den richtigen Zeitpunkt wählen werden.« »O, sehen Sie doch, sehr nett!« Agatha Simpson hatte sich ablenken lassen und verfolgte den
Formationsflug zweier Gestalten, die nach dem Verlassen der Hintertür elegant einkurvten und Kurs auf die Durchgangsstraße nahmen. »Eine bemerkenswerte Flugfigur«, urteilte Parker, als die beiden Gleitflieger eine zweite Richtungsänderung vornahmen, um dann krachend in der Schaufensterscheibe einer Pizzeria zu landen... * »Sie haben ziemlich lange auf sich warten lassen, junger Mann«, raunzte Lady Simpson den ChiefSuperintendent an, der gerade von Parker gemeldet worden war. Man befand sich wieder im Stadthaus der Lady und richtete sich auf einen erholsamen Abend ein. »Ich wollte nicht stören«, entschuldigte sich McWarden. »Sie wollten mich absichtlich auf die Folter spannen«, behauptete Agatha Simpson. »Nun berichten Sie schon, sonst bekommen Sie keinen Portwein.« »Das wäre ja schrecklich, Mylady.« McWarden fühlte sich wunderbar, wie ihm deutlich anzusehen war. Er hatte Erfolg auf der ganzen Linie gehabt. Parker servierte den bereitgestellten Portwein, und McWarden nahm in einem der großen Ledersessel vor dem Kamin Platz. Er übersah bewußt die leicht gereizten, auffordernden Blicke der Hausherrin, nahm einen vorsichtigen Schluck und nickte dann anerkennend.
»Ausgezeichnet«, meinte er andächtig. »Sie sind nicht als Portweinkoster hier, McWarden, sondern um mir etwas zu berichten«, grollte Lady Simpson. »Was ist nun geschehen?« »Die Dockratten sitzen, Mylady«, antwortete McWarden. »Blackfens Organisation ist damit geplatzt und erledigt.« »Meinen Sie mit den Dockratten auch Blackfen selbst?« wollte die Detektivin wissen. »Auch ihn.« McWarden nickte. »Er und seine beiden Vertrauten haben zwar Freistellung gegen Kaution beantragt, aber damit werden sie nicht durchkommen.« »Und was ist aus Vickers geworden?« »Sein Nachtclub besteht nur noch aus Kleinholz«, berichtete ChiefSuperintendent McWarden weiter, um dann erst wieder einen genußvollen Schluck aus dem Portweinglas zu nehmen. »Die beiden Spielräume existieren ebenfalls nicht mehr. Die Dockratten haben erstklassige Arbeit geleistet, kann man nicht anders sagen.« »Irgendwann werden Sie einen Orden bekommen, McWarden«, stichelte Lady Simpson. »Ihre Erfolge häufen sich ja förmlich.« »Drei Gangsterbanden innerhalb weniger Stunden.« McWarden nickte. »Ich weiß natürlich, wem ich das zu verdanken habe.« »Das möchte ich mir auch ausgebeten haben«, erklärte Parkers Herrin nachdrücklich. »Ich werde mich eines Tages dafür revanchieren, Mylady, keine Sorge.«
»Ich lasse mich überraschen, junger Mann. Wissen Sie nun, wer die Tanker und Frachter versenkt hat?« »Das ist jetzt nur noch eine Frage der Verhöre. Ich glaube, alle drei Banden sind darin verwickelt.« »Möglich.« Mehr sagte Lady Agatha dazu nicht. Und genau das ließ McWarden stutzen. Er beugte sich vor. »Sie glauben es nicht, oder?« fragte er. »Haben Sie bereits Zeit gefunden, Sir, gewisse Seeleute zu verhören?« »Das wird jetzt intensiv nachgeholt.« »W i r haben sie bereits verhört«, sagte Agatha Simpson spitz. »Ach nee.« McWarden beugte sich noch weiter vor und vergaß den wunderbaren Portwein. »Und was haben Sie herausgefunden? Ich darf Sie daran erinnern, daß wir zusammenarbeiten wollten.« »Berichten Sie, Mr. Parker!« Lady Agatha ließ sich zurücksinken und lächelte grimmig. »Mr. Walt Litty, der Ihnen ja nicht unbekannt sein dürfte, Sir, Mr. Walt Litty also war so liebenswürdig, einige dieser Seeleute zu einem Gespräch einzuladen.« »Litty? Dieser ehemalige Catcher, der nach Strich und Faden schmuggelt?« McWarden zog eine saure Miene. »Eines Tages werde ich ihn auch noch schnappen.« »Befassen Sie sich lieber mit wirklichen Gangstern, McWarden«, grollte Lady Agatha sofort. »Lassen Sie diesen unschuldigen Burschen gefälligst in Ruhe!«
»Unschuldig? Sie gestatten, Mylady, daß ich lache. Er ist einer der raffiniertesten Schmuggler.« »Der aber dafür gesorgt hat, daß Mr. Parker und ich uns mit einigen wichtigen Zeugen unterhalten konnten, vergessen Sie das nicht! Sie hätten doch bestimmt wieder Wochen gebraucht, bis Ihre Männer diese Seeleute zusammengetrommelt hätten.« »Äh, was haben die Zeugen ausgesagt?« fragte McWarden, schnell das heikle Thema wechselnd. »Sind die Tanker und Frachter nun tatsächlich torpediert worden, wie es in den Berichten heißt?« * »Von einer Torpedierung im klassischen Sinne sollte man wohl nicht ausgehen«, stellte Josuah Parker fest. »Blasenbahnen wurden von keinem Zeugen beobachtet, Sir.« »Sondern sie haben was gesehen?« McWarden lehnte sich ein wenig zurück. »Die Detonationen fanden allerdings außenbords statt«, berichtete der Butler weiter. »Mylady und meine bescheidene Wenigkeit haben dieser Tatsache besondere Aufmerksamkeit geschenkt« »Detonationen außenbords.« McWarden wußte damit nicht viel anzufangen. »Ist das näher beschrieben worden?« »In einigen Fällen durchaus«, redete Parker gemessen weiter. »Diese Beobachtungen bezogen sich auf je einen Frachter, der in der Irischen See und vor der spanischen Küste zum Sinken gebracht wurde.
Außenbords, Sir, müssen Sprengladungen gezündet worden sein.« »Froschmänner, wenn Sie mich fragen, McWarden«, schaltete Agatha Simpson sich jetzt ein. »Es können nur Froschmänner gewesen sein.« »Froschmänner auf offener See?« In McWardens Stimme lag Zweifel. »Sie sind natürlich von einem kleinen U-Boot aus abgesetzt worden, junger Mann.« Sie sah ihn gereizt an. »Haben Sie denn keine Phantasie? Diese Gangster hatten sie offensichtlich.« »So etwas kommt doch nur in James-Bond-Filmen vor, Mylady«, widersprach McWarden sehr leichtsinnig, worauf er sich einen empörten Bück einhandelte. »Diese Gangster lernen doch aus solchen Filmen«, raunzte die die Detektivin auch prompt. »Meiner Ansicht nach haben die Froschmänner Haftminen außenbords angebracht.« »Und wie denken Sie darüber, Mr. Parker?« McWarden wandte sich dem Butler zu. »Dies ist eine Möglichkeit, die man nicht ausschließen sollte«, lautete Parkers vage und vorsichtige Antwort. »Ich möchte mich allerdings nicht festlegen.« »Aber wo liegt der Sinn solcher Versenkungen?« fragte McWarden. »Versicherungsschwindel ist doch auszuschließen. Die Tanker und Frachter waren keine verrotteten Seelenverkäufer, das hat meine Dienststelle inzwischen festgestellt. Es handelte sich um tadellose,
moderne Schiffe, die noch jahrelang ihren Dienst verrichten konnten. Die betreffenden Eigner kommen in keinem Fall an zusätzliche Gelder heran, auch wenn die Versicherungen zahlen.« »Erpressungen«, behauptete die ältere Dame. »Denken Sie an die Dockratte und an diesen Ilford! Fragen Sie die Reeder, ob sie gewisse Zahlungen nicht geleistet haben! Da liegt des Rätsels Lösung. Für mich ist dieser Fall klar.« »Nun ja, die Verhöre werden die Lösung bestimmt bringen.« McWarden erhob sich. »Sprengungen außenbords, nicht zu glauben... Und das immerhin auf hoher See.« »Oder zumindest weitab von der Küste«, präzisierte der Butler. »Die Detonationen rissen große Löcher in die Schiffswände und führten zum Sinken.« »Nun ja, für Sie, Mylady, ist damit die Sache erledigt«, behauptete McWarden. »Wollen Sie wirklich noch 'rüber zu den Bermudas? Inzwischen sitzen ja alle Gangster, die für diese Dinge in Betracht kommen.« »Diesen Flug lasse ich mir nicht nehmen«, antwortete Lady Agatha grimmig. »Ich möchte mir das Sprengloch im vierten Frachter genau ansehen.« »Darf ich Sie dann um ein paar Fotos bitten? Ich hätte sie schneller als auf dem Dienstweg.« »Was wären Sie ohne mich!« Die Lady sah ihn geringschätzig an. »Warum lösen Sie Ihre Dienststelle nicht auf und kommen zu mir, McWarden? Sie könnten noch eine
Menge lernen, finden Sie nicht auch?« »Bestimmt, Mylady«, räumte McWarden ein, der an den Fotos interessiert war und sich daher jeder ironischen Antwort enthielt. »Vielleicht komme ich eines Tages noch mal auf Ihr Angebot zurück.« »Nehmen Sie nicht immer alles gleich so wörtlich«, schränkte die Lady sofort ein. »Mein Angebot war nur ein kleiner Scherz, damit keine Mißverständnisse aufkommen!« * »Die Bermudas, Mylady«, sagte Butler Parker und deutete durch das kleine rechteckige Fenster des Jet nach unten. »Dreiundfünfzig Quadratkilometer groß mit etwa sechzigtausend Einwohnern, Hauptstadt Hamilton. Angebaut werden Kartoffeln, Mais, Tabak, Kaffee und Baumwolle. Die Haupteinnahmen resultieren aus dem Fremdenverkehr, den während der Wintermonate in den USA hauptsächlich die Amerikaner bestreiten. Die Bermudas besitzen die Selbstverwaltung, gehören jedoch der britischen Völkerfamilie an, wenn ich es so ausdrücken darf. Die Bermudas, Mylady, setzen sich aus insgesamt dreihundert großen, kleinen und kleinsten Inseln zusammen und erleben im Augenblick eine Art literarischen Boom. Sie sind zum Synonym für Geheimnis und außerirdisches Wirken geworden.« »Sie haben das ja alles recht gut auswendig gelernt«, konterte Parkers
Herrin. »Ich fand die Angaben in einem Reiseprospekt, Mylady.« »Sieht alles recht akzeptabel aus«, fand die ältere Dame und schaute nach unten. »Mit England ist das natürlich nicht zu vergleichen, Mr. Parker, das möchte ich sofort klarstellen.« »In der Tat, Mylady! Mylady sollten sich vielleicht anschnallen, die Maschine setzt zur Landung an.« »Dreihundert große, kleine und kleinste Inseln.« Agatha Simpson wiederholte diese Angaben und schnallte sich an. »Hoffentlich weiß Kathy inzwischen, wo der Frachter liegt?« »Mit Sicherheit, Mylady.« Parker hatte Myladys Gesellschafterin und Sekretärin bereits vorausgeschickt, um gewisse Vorbereitungen treffen zu lassen. Kathy Porter war mit einem Tag Vorsprung hierher geflogen und würde sie am Flughafen von Hamilton in Empfang nehmen. Und sie war da! Kathy Porter stand in der kleinen Empfangshalle und eilte auf Lady Simpson und Butler Parker zu. Sie trug einen leichten Hosenanzug und sah darin sehr attraktiv aus. Schön, Sie zu sehen, Kindchen«, meinte Agatha Simpson und zog Kathy Porter kurz an sich. »Hoffentlich muß ich nicht zu lange bleiben.« »Ein paar Tage werden es schon werden, Mylady«, antwortete Kathy Porter lächelnd. »Aber ich habe ein sehr ruhiges und hübsches Hotel gefunden. Es liegt am Strand.«
»Und wo liegt der Frachter, auf den es mir ankommt?« »Es ist ziemlich kompliziert, Mylady, um dorthin zu kommen. Man muß entweder ein Boot chartern oder ein kleines Wasserflugzeug.« »Du lieber Himmel!« Lady Agatha sah Kathy sofort mißbilligend an. »Der Frachter liegt also weit draußen auf See?« »In der Nähe einer kleinen Insel, Mylady.« »Und wie komme ich ins Hotel?« »Ich habe einen Land-Rover gemietet, Mylady.« »Das hört sich schon wieder besser an. Nun, Kindchen, was haben Sie bisher herausgefunden?« »Ein Teil der Mannschaft hält sich noch hier in Hamilton auf, Mylady. Ebenfalls ein Agent der Reederei. Man will nämlich versuchen, einen Teil der Ladung zu bergen.« »Lohnt sich denn das?« »Der Agent der Reederei ist dieser Ansicht, Mylady. Ich habe bereits Ihr Kommen angekündigt. Er steht zu Ihrer Verfügung.« »Nun ja, fahren wir erst mal ins Hotel, Kindchen. Sonst irgendwelche Neuigkeiten?« »Nein, Mylady. Das heißt die Seeleute, die ich gesprochen habe, sagen übereinstimmend aus, daß der Frachter nicht torpediert worden ist.« »Froschmänner«, erklärte Agatha Simpson und sah ihren Butler streng an. »Hoffentlich schließen Sie sich endlich meiner Ansicht an, Mr. Parker.« »Ich werde mich bemühen, Mylady. Wenn ich mich jetzt um das Gepäck kümmern dürfte?« Er
wartete diese Erlaubnis natürlich nicht ab, sondern schritt gemessen hinüber zum Gepäckverteiler und barg die wenigen Koffer, die für diese Flugreise mitgenommen wurden. Es handelte sich außerdem um zwei Reisetaschen und einen Kleidersack. Parker brauchte erstaunlich viel Zeit, bis er die wenigen Dinge endlich an sich gebracht hatte. Er schien sich absichtlich viel Zeit zu nehmen und beobachtete dabei die übrigen Flugreisenden, die mit dem Jet gekommen waren. Anschließend begab er sich würdevoll hinüber zum Chefsteward der Maschine und stellte sich als Butler der Lady Simpson vor. Er führte eine kurze Unterhaltung mit diesem Mann und durfte dann einen Bück in die Liste der Passagiere tun. * »Ich werde mich der Landessitte anpassen und kurz Siesta halten«, sagte Lady Agatha im Hotel. »Soviel Postkartenschönheit geht mir auf die Nerven.« »Mylady mögen die Bermudas nicht?« erkundigte Parker sich höflich. »Diese Inseln sind etwas für Snobs«, urteilte sie. »Englischer Nebel ist mir lieber. Diese unentwegt strahlende Sonne, diese Palmen, dieses penetrant blaue Meer und diese Blumenpracht, da muß man ja trübsinnig werden!« »Wann wünschen Mylady geweckt zu werden?« »Sobald diese scheußliche Sonne tiefer steht, Mr. Parker. Sollte sich
allerdings etwas Dramatisches ereignen, möchte ich sofort verständigt werden.« »Mylady können sich auf meine bescheidene Wenigkeit fest verlassen.« »Was ich mir auch ausgebeten haben möchte. Übrigens, wieso haben Sie sich für die Passagierliste interessiert?« »Mylady sind nur schwer hinter das sprichwörtliche Licht zu führen«, antwortete Parker und deutete eine schuldhafte Verbeugung an. »Ich habe meine Augen überall«, sagte sie in ihrer üblichen Übertreibung. »Aber weichen Sie nicht aus! Was haben Sie festgestellt?« »Ich war so frei, mich für einen Vertreter jener Reederei zu interessieren, Mylady, der der Frachter gehört. Es handelt sich um einen gewissen Mr. Frank Slaughter.« »Aha. Und was bedeutet das?« »Dazu wäre zur Zeit noch nichts zu sagen, Mylady, dies muß erst die nahe Zukunft bringen.« »Schön, Mr. Parker! Lassen Sie diesen Mann möglichst nicht aus den Augen!« Parker antwortete mit einer knappen Verbeugung und verließ dann die kleine Hotelsuite. Er schritt über den Korridor hinüber zu Kathy Porters Zimmer, klopfte an, hörte ihr >Herein< und öffnete die Tür. »Mylady macht einen sehr ausgeglichenen Eindruck«, sagte Kathy Porter lächelnd. »Mylady freut sich auf weitere Abenteuer«, antwortete der Butler«,
Sie konnten die Frachtpapiere einsehen, Miß Porter, um die ich Sie telegrafisch bat?« »Ich besitze sogar genaue Kopien«, sagte sie. »Ich glaube, Mr. Parker, daß Sie auf der richtigen Spur sind.« »Man wird sehen, Miß Porter, bitte keine Vorschußlorbeeren.« »Wenn man von den beiden Tankern mal absieht, Mr. Parker, befand sich an Bord aller vier Frachter Ladegut einer ganz bestimmten Firma.« »Deren Name wie lautet, Miß Porter?« »Es handelt sich um die Firma >United ElectronicsUnited Electronics< wertlose Fracht hoch versichern ließ, um dann anschließend die Frachter versenken zu lassen? Das wäre ja ungeheuerlich!« »Dies ist in der Tat die Richtung meiner Vorstellungen«, antwortete Parker. »Meiner bescheidenen Ansicht nach kann es kein Zufall sein, daß ausgerechnet auf allen vier Frachtern je eine wertvolle Ladung der erwähnten Firma vorbanden war.« »Aber die beiden Frachter, Mr. Parker? Die haben mit der >United Electronics< doch überhaupt nichts zu tun.« »Dies, Miß Porter, Heß auch meine bescheidene Wenigkeit stutzen«, räumte der Butler ein. »Aber könnten die Versenkungen dieser beiden Tanker nicht eine Art Ablenkungs- und Tarnmanöver gewesen sein?« »Aber wie, Mr. Parker, sind Tanker und Frachter versenkt worden? Von Froschmännern oder U-Booten kann doch keine Rede
sein! Das halte ich für ausgeschlossen.« »In der Tat, das wäre ein Aufwand, der in keiner Relation zum erwarteten Versicherungsgewinn steht.« »Haben Sie schon eine Theorie, wie die Schiffe denn sonst versenkt worden sind?« »Mylady erwähnten Haftminen, wenn auch in einem anderen Zusammenhang.« »Das wäre möglich?« »Technisch durchaus. Ein erfahrener Elektroniker könnte einen entsprechenden Mechanismus leicht konstruieren. Möglicherweise aber haben die Zeugen sich auch getäuscht, und die Sprengladungen zündeten vom Schiffsinneren aus. Das würde dann bedeuten, daß...« »... die Sprengladungen sich in den Containern der >United Electronics < befanden, nicht wahr?« Sie hatte ihn spontan unterbrochen und sah Parker erwartungsvoll an. »Sie sagen es, Miß Porter«, bestätigte der Butler. »Doch erst eine eingehende Untersuchung des Wracks durfte da Klarheit bringen. Die nähere Betrachtung der Container garantiert einige Überraschungen.« »Angenommen, diese Firma steht hinter den Versenkungen, Mr. Parker, hat sie dann mit der Dockratte oder vielleicht mit Ilford zusammengearbeitet?« »Dies, Miß Porter, nehme ich nicht an.« Parker schüttelte den Kopf. »Hier scheint es sich um eine private Unternehmung zu handeln. Hoffentlich trifft das bewußte Fernschreiben bald ein.«
Die interessante Unterhaltung wurde jäh unterbrochen, als plötzlich eine Handgranate durch das geöffnete Balkonfenster flog und zischend auf dem Teppich hegen blieb. Butler Parker fand diese ungewöhnliche Zuneigung gar nicht angenehm! * »Kindchen, ich bin nicht besonders zimperlich«, sagte Lady Simpson eine Viertelstunde später. »Aber sind Sie sicher, das richtige Hotel gewählt zu haben? Hier herrscht ja eine Unruhe! Es ist einfach nicht zu glauben!« »Sie hing mit einer Handgranate zusammen, Mylady«, gab Kathy Porter Auskunft. »Wie war das? Eine Handgranate?« Agatha Simpsons Augen funkelten sofort unternehmungslustig. »Wie aufregend, wie schön! Wem galt sie?« »Mr. Parker und mir, Mylady.« »Was Sie nicht sagen, Kindchen! Erzählen Sie schon!« »Sie flog plötzlich durch das geöffnete Balkonfenster, Mylady. Mr. Parker riß mich mit sich ins Badezimmer und konnte gerade noch die Tür zuwerfen, bevor sie detonierte.« »Dann sind wir auf der richtigen Spur.« Lady Agatha nickte grimmig. »Wie gut, daß ich darauf bestanden habe, die Bermudas zu besuchen.« »Uns ist nichts passiert«, versicherte Kathy Porter. »Natürlich nicht«, antwortete die resolute Dame. »Sie hatten ja Mr.
Parker bei sich. In gewissen Situationen ist dieser Mann durchaus zu gebrauchen.« »Aber Mylady!« Kathy Porter mußte unwillkürlich lächeln. »Gut, ich sorge mich also nachträglich«, räumte Lady Agatha ein. »Aber wir wollen doch nichts dramatisieren. Wo steckt Mr. Parker jetzt?« »Er ist zur Bank of Bermudas gegangen, um dort ein Fernschreiben abzuholen.« »Er hat also wieder mal so seine Geheimnisse, Kindchen, nicht wahr?« »Mr. Parker bittet darum, Mylady möge sich für den Ausflug hinaus zum Wrack bereithalten. Mr. Parker schlägt vor, ein Boot zu benutzen.« »Wie lange wird diese Fahrt dauern, Kindchen?« »Etwa fünfundvierzig Minuten, Mylady. Es wird von Insel zu Insel gehen.« »Das hört sich aber ziemlich langweilig an, Kindchen«, fand die ältere Dame. »An Bord der kleinen Yacht, Mylady, befindet sich eine komplette Ausrüstung für Sportfischer.« »Sie wollen mir doch nicht etwa zumuten, auf Fischfang zu gehen, oder?« »Auch dann nicht, Mylady, wenn es sich um den Killerhai handelt?« »Sie machen mich neugierig, Kindchen.« »Ein Riesenhai, Mylady, der seit einigen Wochen diese Gewässer sehr unsicher macht. Es muß sich um ein außergewöhnliches Exemplar handeln.«
»Nun ja, Miß Porter, das klingt ja schon bedeutend besser. Ich lasse mich überraschen. Hoffentlich hat Mr. Parker dafür gesorgt, daß ich diese Bestie sichte.« Der gerade erwähnte Mr. Parker erschien wenig später in der Hotelsuite und verbreitete sich ausgiebig über den Killerhai, von dem auch schon Kathy Porter gesprochen hatte. »Wovon wollen Sie ablenken, Mr. Parker?« erkundigte die Detektivin sich plötzlich. »Mich führen Sie nicht hinters Licht. Was machten Sie auf der Bank of Bermudas?« »Es ging um ein Fernschreiben, Mylady«, erwiderte der Butler. »Wenn Mylady Wert darauf legen, werde ich die Vorgeschichte, die zu diesem Fernschreiben führte, kurz zusammenfassen.« »Fassen Sie kurz zusammen!« Lady Agatha ließ sich gemütlich in einem der Strohsessel nieder. Sie wußte aus Erfahrung, daß Parkers Geschichten selten kurz waren. »Und wie lautet nun die Auskunft über diese Firma?« fragte sie schließlich. »Die >United ElectronicsLittle Jupiter< ansehen wollen.« »Sind Sie nicht zusammen mit uns in Hamilton angekommen, junger
Mann?« fragte Lady Simpson und musterte den Mann. »Ich möchte wetten, Sie auf dem Flugplatz gesehen zu haben.« »Sie müssen mich sogar gesehen haben«, antwortete Frank Slaughter lachend und zeigte ein blendend weißes Gebiß. »Ich habe schon versucht, ein Boot zu chartern, aber ich habe nichts Passendes gefunden.« »Steigen Sie über, junger Mann!« Agatha Simpson war einverstanden. »Sie untersuchen für Ihre Reederei das Schiffswrack? « »So ist es, Mylady«, erwiderte Slaughter und sprang vom Bootssteg aus an Bord der Motorjacht. »Sie kennen mich?« »Ich habe mich diskret nach Ihnen erkundigt, Mylady«, lautete die arglose und offensichtlich ehrliche Antwort. »Ich wollte wissen, wer sich für das Wrack interessiert.« »Miß Porter, Mr. Parker«, stellte die ältere Dame ihre beiden Begleiter vor. »Sie wissen also, wie der Frachter zum Wrack wurde?« »Ich kenne vorerst nur die Berichte des Kapitäns und der Schiffsoffiziere«, gab Slaughter zurück. »Sie alle sprechen übereinstimmend von einer Art Detonation außenbords.« »Als sei ein Torpedo eingeschlagen?« fragte Parker. »Nein, nein, so nicht, Sir«, gab Slaughter zurück. »Blasenbahnen wurden nicht festgestellt.« »Froschmänner«, behauptete die Detektivin prompt. »Davon lasse ich mich nicht abbringen. Nun, wir werden uns das aus nächster Nähe
ansehen. Ich sehe, Sie sind entsprechend ausgerüstet.« »Natürlich, Mylady, Filmkamera, Fotoapparate und Tape-Recorder, um sofort einen ersten Bericht auf Band zu sprechen.« Frank Slaughter deutete auf seine Fototaschen und auf einen kleinen Aluminiumkoffer. »Hoffentlich haben Sie auch eine Harpune«, meinte Lady Agatha mit gutmütigem Spott. »Hier in den Gewässern soll sich ein Killerhai herumtreiben.« »Habe ich schon gehört, Mylady. Ich bin nicht versessen darauf, das Biest zu sehen. Gegen Haie habe ich etwas, bin sozusagen allergisch.« »Ich werde Ihnen vielleicht zeigen können, wie man diese Burschen aus dem Wasser holt«, hoffte die ältere Dame, die an dem jungen Mann offensichtlich Gefallen fand. Sie sah ihm interessiert nach, als er mit seiner Ausrüstung nach vorn zum Bug der jetzt ablegenden Jacht ging. Dann wandte sie sich an Kathy Porter und zwinkerte ihr eindeutig zu. »Mylady?« fragte Kathy Porter ahnungslos. »Wäre das nichts für Sie, Kindchen?« fragte Lady Agatha rund heraus, wie sie es stets war. »Was haben Sie gegen einen kleinen Urlaubsflirt? Dieser junge Mann sieht doch ganz passabel aus, oder?« »Er lacht mir etwas zu aufgesetzt, Mylady.« Kathy Porter verzog das Gesicht. »Was für Ansprüche«, seufzte Lady Agatha. »Ein paar Jahre jünger, Kindchen, und ich würde keinen Moment zögern, mir diesen Goldfisch an Land zu ziehen.«
»Ein in der Tat bemerkenswerter junger Mann«, fand Parker, der sich jetzt einschaltete. »Seine Fotoausrüstung ist beachtlich.« Frank Slaughter hatte seine Umhängetaschen abgestellt und geöffnet. Er holte eine moderne Kamera hervor und richtete sie ein. Dann befaßte er sich mit einer Spiegelreflexkamera und setzte ein Teleobjektiv auf. Kathy wandte sich ab und ging nach hinten zum Heck der kleinen Motorjacht. Sie schmunzelte, setzte sich in einen der Drehstühle, die mit Sicherheitsgurten versehen waren und sah hinaus auf das tiefblaue Wasser und die Küste, die langsam im Dunst der Nachmittagssonne verschwand. Es dauerte nicht lange, bis die ersten kleinen Inseln in Sicht kamen. Kathy Porter fühlte sich fast in die Südsee versetzt. Weiße Strände gab es hier, Palmen, die sich im sanften, stetigen Wind bogen, Atolle, gegen die eine leichte Brandung rauschte, kurz, ein schöneres und friedlicheres Bild hätte man sich gar nicht vorstellen können. Von Gangstertum und Verbrechen war weit und breit nichts zu sehen oder gar zu spüren. Agatha Simpson erschien neben Kathy und ließ sich in einem zweiten Drehstuhl nieder. Sie beschäftigte sich leicht verärgert mit einer kurzen Sportangel und hielt dabei Ausschau nach dem berüchtigten Killerhai. Sie hielt es für selbstverständlich, daß dieses Raubtier der Meere sich umgehend zeigte, um dann von ihr gefangen zu werden. Der Killerhai aber ließ sich nicht blicken. Noch nicht!
* Die >Little Jupiter