HERMANN JOSEF VOGT
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GENES
ALS EXEGET herausgegeben von Wilhe1m Geerlings
Ferdinand Schöningh Paderbom· München· Wie...
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HERMANN JOSEF VOGT
o
GENES
ALS EXEGET herausgegeben von Wilhe1m Geerlings
Ferdinand Schöningh Paderbom· München· Wien· Zürich
Gefördert durch die Alfried
Krupp von Bohlen und Halbach-Stiftung Essen.
PVA 99. 3583
Di(: I)(:utsch(: BibliOlhd - CIP-Einhdtsaufnahme
Vogt, Hermann J.:
Origenes als Exegct! Hcrmann Josef Vogl. Hrsg. von Wilhelm Gcc rlings. - Padcrborn; München: Wien: Zilrich: Schöningh. 1999 ISBN 3-506-79509-0
Umschlnggestaltung: I l OVA Gmbll. 1)·33178 Borcnen
G(:druckt nuf umweltfr(:undlichcm. chlorfr(:j g(:bleichtcm und nltcrungsb(:sländig(:m Papi(:r\9 ISO 9706
0 1999 F(:rdinand Schöningh. Pad(:loom (V(:rlag F(:rdinand Schöningh GmbH. jtlh(:nplatz I. 0·33098 Pnderbom) AII(: R(:chte vorbehalten. Dieses Werk sowie einzeln(: Telk des.'>Clben sind urhcbcrrcchlilch
ge.'>Chillzt. kd(: V(:(W(:rtung in andcr(:n als d(:n gCS(:tzlich zugelassenen Fällen ist ohne vorhe rig(: schrifllichc. .zustimmung des Verlages nicht zulä.�ig I)rinted in Germnny. Herstellung: Fcrdinand Schöningh. Pnderbom ISBN 3·506·79509-0
Vorwort
Untrennbar verbunden mit der lateinischen Theologie und sie zuliefst prägend ist Augustinus. Den gleichen Rang nimmt für die griechische Theologie Orige nes ein. Aber während Auguslinus nur geringe Einflüsse, ablesbar an den wenigen Übersetzungen, auf den griechischen Sprachraum ausgeübt hat,ja sogar rür die Einheit der Kirchen eher hinderlich war, war Origenes nie auf den griechischen Sprachraum beschränkt, sondern ein Theologe der Ökumene. Zahl reiche Übersetzungen seiner Schriften wurden bereits im Altertum angefertigt, und er war bis weit ins Mittelalter hinein präsent. Auch die Verurteilung als Ketzer hat seinen Einfluß nicht mindern können. Eine Geschichte der Origenes Rezeption wäre noch zu schreiben. Daß er in Deutschland in der Theologie unseres Jahrhunderts nur wenig rezipiert wurde, hängt sicherlich mit den Kir chen der Reformation zusammen. für die Augustinus der Bannerträger war. In Frankreich setzt die Origenes-Rezeption unseres Jahrhunderts. verbunden mit den Namen Danielou, de Lubac und anderen, eine Generation früher als in Deutschland ein. Ein wesentliches Verdienst, die deutsche Origenes-Rezeption in Gang gebracht zu haben, kommt Hermann Josef Vogt zu. Er hat den großen Matthäus-Kommentar des Origenes übersetzt und uns in vielen Beiträgen zur exegetischen Methode, in kritischen Rezensionen und Aufsätzen Origenes na hegebracht. Von seiner Habilitationsschrift "Der Kirchenbegriff des Origenes" bis hin in die jüngsten Publikationen hat sich Hermann Josef Vogt als Kenner und, was noch stärker ins Gewicht fallt, als Liebhaber des Origenes erwiesen. Seine Aufsätze verraten, daß die Beschäftigung mit Origenes für ihn nicht einfach trockenes Handwerk und gelehrte Untersuchung ist, sondern von Verehrung für diesen großen Theologen geprägt ist. Seine Lehrtätigkeit' ließ den Funken der Begeisterung für Origenes auf die ihm zuhörenden Studenten überspringen. Die Beiträge, die nun zum Ende seiner akademischen Lehrtätigkeit erschei nen, fördern zum einen die patrologischen Studien zu Origenes, zum anderen bringen sie uns einen großen Theologen der frühen Kirche nahe. Deshalb ehren die Aufsätze nicht nur den Verfasser, sondern er selbst macht vor allem uns ein Geschenk. Der Bischof von Rottenburg-Stullgart, Prof. Dr. Walter Kasper, die Diozöse Trier und die Alfried Krupp von Bohlen und Halbach-Stiftung haben durch Druckkostenzuschüsse das Erscheinen dieses Bandes ermöglichl. Den Satz erstelhen Dr. Christian Schulze und Manuela Bonnekamp. Allen sei herzlich Dank gesagl. Bochum. am I . Juni 1999, dem Fest Justins des Märtyrers Wilhelm Geerlings
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Inhalt
Origenes: Leben und Werke
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Der Kommentar zum Evangelium nach Matthäus
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Bemerkungen zur lateinischen Übersetzung des Matthäus� Kommentares von Origenes
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Wie Origenes in seinem Matthäus-Kommentar Fragen offen läßt
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Falsche Ergänzungen oder Korrekturen im MatthäusKommentar des Origenes
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Das Verhältnis der alten lateinischen Übersetzung (L) zum griechisch erhaltenen Text des Matthäus�Kommentares (Gr) The later Exegesis of Origen
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Die Exegese des Origenes in Contra CeJsum Das neue Interesse an der Eschatologie
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Die Witwe als Bild der Seele in der Exegese des Origenes
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113
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Die Lehre des Origenes von der Inspiration der Heiligen Schrift. Ein Vergleich zwischen der Grundlagenschrift und der Antwort auf Kelsos
179
Beobachtungen zum Johannes�Kommentar des Origenes
187
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Ein�Geist-Sein ( I Kor 6, 17 b) in der Christologie des Origenes Die Juden beim späten Ori genes
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207 225
Warum wurde Origenes zum Häretiker erklärt? Kirchliche Vergangenheitsbewältigung in der Vergangenheit
241
Der Häretikervorwurf des Hieronymus an Theodoret und Ori genes
265
Eucharistielehre des Origenes?
277
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Gott als Arzt und Erzieher. Das GoltesbiId der Kirchenväter Origenes und Augustinus
289
Forschungsberichte
301
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Quellenverzeichnis
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Origenes: Leben und Werke
J. Leben Origenes. über den Eusebius. h. e. 6 ausführlich berichtet, wurde um 185 in Alexandrien geboren. Sein Vater Leonidas, der als Märtyrer starb, hat ihn früh mit der Heiligen Schrift vertraut gemacht; später hat er, wie kleine Verwechs· lungen zeigen, wohl häufig aus dem Gedächtnis zitiert. Die Tätigkeit als Gram matiklehrer gab er auf, um bekehrungswillige Heiden zu unterweisen. Um auch auf philosophische Fragen antworten zu können, studierte er Philosophie bei dem Platoniker Ammonios Sakkas. Im Platonismus entdeckte er, trotz festge haltener Distanz zur Philosophie, viele Gedanken, die ihm mit der Heiligen Schrift übereinzustimmen schienen. Sein Ansehen als christlicher Lehrer wuchs so, daß er seine Hörer aufteilen mußte und die Einführungsstufe dem Heraklas anvertraute. Aus dieser Lehrtätigkeit ist wohl durch Aneinanderreihung von zwei unterschiedlich ausführlichen Darlegungen der ganzen Glaubenslehre sein Werk ntQi. uQXwv - De principiis entstanden. Die erkenntnissichere Darstel lung und der Versuch, bisher offene Fragen zu beantworten,mag das Mißtrauen von Bischof Demetrius erregt haben, der ihm die Unterweisung der Katechume nen anvertraut hatte. Als ihn der Bischof von Cäsarca zum Predigen einlud und ihn sogar zum Presbyter ordinierte. hielt Demetrius um 230 zwei Synoden gegen Origenes ab und schloß ihn aus seiner Gemeinde aus. Der Bischof von Cäsarea aber beauftragte Origenes mit der regelmäßigen Predigt über alle Bücher der Heiligen Schrift. Origenes scheint diese Aufgabe aber nicht zu Ende geführt zu haben; jedenfalls gab es schon zur Zeit des Eusebius nicht zu allen Büchern der Bibel Predigten von ihm. In Cäsarea bildete sich eine Schülergemeinschaft um Origenes, die Gregor der Wundertäter in seiner Dankrede (pan. Or.) schilden; Origenes ist aber auch gereist, u.a. nach Rom. wo er Hippolyt hörte, und nach Athen, wo er auch eine griechische Übersetzung des Alten Testamentes erwarb. In der Verfolgung des Decius wurde er so schwer gemartert, daß er etwa im Jahre 253 an den Folgen starb. Literatur ( L): Bibliographien: 0., BiPa III. Paris 1980. - U. Bemer. 0., Darmstadt 1981. - H. Crouzel. Bibliographie critique d'O., Steenbrugge 1971; Suppl. I, 1982; Suppl. 2, 1996. - ders., Chronique orig�nienne: B LE (regelmä ßig). - ders., Curren' Theology. The Li'er.'ure on O. 1970-1988: TS 49 (1988) 499-516. - H. Crouzel, 0., Paris 1985. - 1. Danielou, Origenes, Paris 1948. LA. Fischer, Die alexandrinischen Synoden gegen 0.: OS 28 (1979) 3-16. - w. Geerlings, H. König (Hg.), 0., Vir ecclesiasticus, Bonn 1995. - C. Kannengie ßer, W.L. Petersen (Hg.), 0., His world and his legacy. Notre Dame, lndiana 1986. - S. Leanza, 0.: La Bibbia ne11'Antichita ... Cristiana I, ed. E. Norelli, Bologna 1993,377-407. - L. Lies. Zum derzeitigen Stand der O.-Forschung (1.
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Origenes: Leben und Werke
Teil}: ZKTh 115 (1993) 37-62. - P. Nautin, 0., Vie et reuvre, Paris 1977. - B. Neuschäfer, O. als Philologe. Basel 1987. - Origeniana (Colloquium Montserat 1973), Sari 1975. Origeniana 2 (CoII. Sari 1977), Rom 1980. - Origeniana 3 (Coll. Manchester 1981). Rom 1985. - Origeniana 4 (CoII. Innsbruck 1985), Innsbruck 1987. - Origeniana 5 (Colt. Boston 1989), Louvain 1992. - Origenia� na 6. Origenes el la Bible (ColI. Chantilly 1993), Louvain 1995. - H. van Os, 0 Een experimenteei theoloog uit de derde eeuw, Kampen 1995. P. Ossand6n, P. Rodrfguez, EI metodo de 0.: TyV 33 ( l 992) 185-191. L. Perrone, "Quae stiones el responsiones" in 0.: erSt 15 (1994) I-50. C. Scholten, Die I.C. Smith, The alexandrinische Katechetenschule: IAC 38 (1995) 16-37. ancient wisdom of 0., Lewisburg 1992. - J. W. Trigg. 0., the Bible and Philoso phy, London 1985. H.l. Vogt, 0.: Handbook of Patristic Exegesis, ed. C. und P. Kannengiesser, Leiden (im Druck). -
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11. Werke Eine Aufstellung der Werke des Origenes bietet Eusebius, h.e. 6, 24. 32. 36; an der Aufzählung in ep. 33 des Hieronymus an Paula läßt sich ablesen, wieviel inzwischen schon von den großen Kommentaren (/omoi), den Homilien und den sogenannten Scholien oder Exzerpten (kurzen Notizen) verJorengegangen war. Weil später manches bewußt vernichtet wurde, ist die Überlieferung einzelner Werke sehr dürftig. AuszUge aus verschiedenen Schriften haben sich in der angeblich 358/359 durch Basilius und Gregor von Nazianz zusammengestellten "Philokalie" (phi loc.), einer Anthologie aus Origenes' Werken, erhalten. Werke (W): Gesamtausgaben, C. de la Rue, 4 Bde., Paris 1733-1759 PG 11-17, - C.H.E. Lommatzsch, 25 Bde.. Berlin 1831-1848. GCS 12 Bde. H.U. von Balthasar, 0., Geist und Feuer, Salzburg '1991 [dt. Auswahl-Ü]. phi/oe. 1-20 (Schriftinspiralion), M. Harl (SC 302). - philoc. 21-27 (Willensfrei heit), E. Junod (SC 226). L: E. Junod. Basile de Cesaree et Gregoire de Nazianze sont ils les compila teurs de la Philocalie d'O.?: FS J. Gribomont SEAug 27 (1988) 349-360. =
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I. Hexapla: Die "Hexapla", also die "sechsfache (Textgestalt des Allen Testa mentes)", die Origenes sich als Arbeitsinstrument hatte anfertigen lassen, bOI den in der Liturgie der Kirche verwendeten Text der Septuaginta, diejüngeren Übersetzungen von Aquila, Symmachus und Theodotion und eine von Origenes selbst aufgefundene fünfte und sechste Übersetzung. So wollte Origenes, der kein Hebräisch konnte, die Unterschiede zwischen Septuaginta und hebräischem Text erfassen. In der von ihm selbst besorgten Gesamtausgabe der Bibel in vier Bänden hat er die nicht in der Septuaginta enthaltenen Abschnitte eingescho ben und mit einem Asteriskus versehen, andererseits die nur in der Septuaginta enthaltenen Partien durch einen Obeliskus gekennzeichnet. So konnten christli-
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II
ehe Theologen erkennen, auf welche Texte sie sich in der Diskussion mit luden berufen durften. Hildesheim W : Hex aplorum q uae supersufll I-lI, F. Field, Oxford 1875 1964. =
J
L: C.P. Bammel, Die Hex.pl. des 0.: Aug. 28 (1988) 125-149. - D. Bar thelemy, O. et le texte de l'Ancien Testament: FS J. Danielou, Paris 1972. 247-261. - G. Dorival, L'apport des chaines exegetiques grecques a une r<edition des Hex.ples d'O.: RHT 4 (1974) 45-74. 2. Exegetische Werke: Die früheste erhaltene exegetische Arbeit des Origenes war wohl ein Kommentar zu einer Reihe von Psalmen, an den er nur mit großem Zögern herangegangen ist (PG 12.1076C); später hat er den ganzen PsaJter ausgelegt. Zum lohannes-Kommentar (Jo.) wurde er durch seinen Freund Ambrosius, den er von der Gnosis zum großkirchlichen Christentum bekehrt hatte, gedrängt, um die Erklärung des Gnostikers Herakleon zu widerlegen. Diese scheint aber nur bis zu Joh 8,50 gereicht zu haben; jedenfalls zitiert Origenes sie tiber Buch 20,38,358 hinaus nicht mehr. Er selbst kam wohl auch nicht über loh 13,13 hinaus; das ist der letzte Vers, den er im Buch 32 - mehr hat es nie gegeben erklärt. Auch von den 141 Fragmenten zu Joh behandeln nur zwei einen Text jenseits von Joh 13, 13, nämlich Joh 17,20 und 20.24. Die neun Bücher. die von Jo. erhalten sind. finden sich in nur zwei Handschriften; so muß man die verderbten Partien ofl durch Konjekturen heilen. Zur immer noch maßgeblichen kritischen Ausgabe von Jo. von E. Preuschen (1903) machte z. B. E. Klostermann (1904) zahlreiche Verbesserungsvorschläge. E. Corsini ( 1968) hat die von ihm für seine italienische Übersetzung getroffenen Entscheidungen in der FS für A. Pincherle (1967) gerechtfertigt. Die Textgestalt und die Übersetzung, welche C. Blanc in den SC weitgehend in Übereinstimmung mit dem Preuschen-Text vorgelegt hat. wurden von P. Nautin kritisiert. E. Corsini (1995) hat auch gegenüber diesen Vorschlägen von Nautin noch Bedenken. E. Klostermann hat den Text seiner GCS-Ausgabe der griechischen. in nur zwei oder drei Handschriften erhaltenen Bücher 10--17 des Mt-Kommentars (comm. in MI.) mit Hilfe der alten lateinischen Übersetzung. die ab Buch J 1,9. also von Mt 16,13 bis Mt 27.66 erhalten ist, an etwa 600 Stellen korrigiert. E. Früchtel hat 1955 fast alle diese Korrekturen abgelehnt, Klostermann selbst sie 1964 noch einmal verteidigt. Die erste deutsche Übersetzung des Mt-Kommen tars verzichtet ebenfalls auf die meisten dieser Korrekturen, weil der alte tat. Text nicht einfach. wie Klostermann gemeint hatte, mechanisch übertragen hat und so eine Rückübersetzung ermöglicht, sondern eigenen monastisch-spiritu ellen Interessen folgt. Auch ein Lk-Kommentar wird dem Origenes zugeschrieben, hat sich aber nicht erhalten; daraus mögen die Fragmente aus den Katenen stammen. die im Anhang der Lk-Predigten abgedruckt sind. Mk dagegen wurde von Origenes nicht eigens ausgelegt. Von den Erklärungen zu Ps. Röm. 1 Kor und Eph (comm.
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Cor., Eph.) haben sich in den Kalenen längere Fragmente, vom großen Gen·Kommentar (comm. in Gell.) nur ganz spärliche Reste erhalten. Die Echt heit der Notizen zur Apokalypse (Apoc.) ist umstritten. Die ursprünglich 15 Bücher co/mn. in Rom. hat Rutin im Lateinischen auf zehn Bücher verkürzt. Ebenso hat er die Erklärung zu Ps 36-38, weil sie "ganz in Rom.,
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moralisch ... von Besserung des Lebens" handle. in der Form von neun Homilien übertragen (Orig. in psalm.). Vielleicht sind die Psalmenpredigten des Hierony mus nicht nur von Origenes inspiriert, sondern kaum überarbeitete Übersetzun gen von dessen Homilien. Von den Homilien aus Cäsarea sind heute griechisch nur die zu Jeremia erhalten. in lateinischer Übersetzung die zum Pentateuch, zu Jos und Ri, Hld, Ps und Lk (horn. in Gen., Lev., Jos., Jud., I Sam., Cant., Lc.). Ansonsten sind nur Fragmente überliefert. W: Jo., E. Preuschen (GCS 10). - E. Corsini, Turin 1968 [it.Ü]. - C. Blanc (SC 120. 157. 222. 290. 385). - R. Gög1er, Einsiedeln 1959 [dt. Auswahl-ÜlK]. - comm. in Mt., E. Kloslermann (GCS 40). - R. Girod, Paris 1970 (Buch 10-1 1) [Tlfrz.ÜIK].- H.J. Vogt, Stuttgart 1983. 1990. 1993 [dt.ÜIK]. - comm. in Rom., A. Ramsbotham: JThS 1 3 (1912) 209-224. 357-368; 14 ( 1 9 1 3) 10-22 [T]. C.P. Hammond Bammel, Freiburg i.B. 1990 [T). - T. Heither (FC 2/ 1-5). comm. in J Cor., C. lenkins: lThS 9 ( 1908) 23 1-247. 353-372. 500-5 14; 10 ( 19 1 1 ) 29-51 [T); dazu C.H. Turner: JTS 10 (19 1 1 ) 270-276. - comm. in Eph., 1.A.F. Gregg: JTS 3 ( 1902) 233-244. 398-420. 554-576 [T]. - comm. in Gen., P. Sanz, Bruchstücke: MPSW 4 (1946) 87-104 [TIK]. - P. G1aue, Bruchstück: MPSG 2 (1928) 435 [Tldt.ÜIK]. - Apoc . 1-27, C.J. Diobouniotis, A. von Harnack (TU 38), Ber1in 19 1 1 , 21 44 [TI; dazu C.H. Turner: JThS 1 3 ( 1912) 386-397 [TI. - Apoc. 28-38, C.H. Turner: JThS 25 (1923) 125 [T]. - homo in Ps. 36-38, E. Prinzivalli u. a. (SC 4 1 1). -G. Coppa, 740melie sul librodei saImi. Origenes, Gerolamo. Mailand 1993 [il.Ü/K). - homo in Jer., P. Husson. P. Nautin (SC 232. 238). - E. Schadei, Stuttgart 1980 [dt.ÜIK). - horn. in Gen., H. de Lubac, L. Doutre1eau (SC 7). - hO/ll. ;/1 Lev., M. Bonel (SC 286f). - 110111 . ;" NU11I., L. Doutre1eau (SC 415). - homo in Jos ., A. Jaubert (SC 71 ). - 110m. ;" Jud. P. Messie (SC 389). - homo i" I Sam., P. Nautin (SC 328). - 110m. ;11 Lc., H.J. Sieben (FC 41 1-2). - Jr. 110m., P. Sanz, Bruchstücke: MPSW 4 (1946) 104-1 10 [TIK]. L: C.P. Bammel, Der Römerbrieftext des Rufin und seine O.-Übersetzung. Freiburg LB. 1985. - G. Bendinelli, Un confronto. I commentari a Malteo di Q. e I1ario di Poitiers: OT 96 ( 1993, 3) 214-237. - E. Corsini, In margine a una traduzione delJ'in loannem di 0.: FS A. Pincherle (SMSR 38), Rom 1967, 146-169. - ders O. Commento al Vangelo di Giovanni: Aug. 35 ( 1 995) 1 83-195. - H. Crouzel. Un fragment du Commentaire sur la Genese d'O. el la creation de la matiere a partir du neant: FS U. Bianchi, Rom 1994, 417-425. B.O. Ehrmann, G.D. Fee. M.W. Holmes, The text of the fourth Gospel in the writings of 0., Atlanta 1992. - E. Fruchtei, Nachträge zu Bd. 10, 1 1 . 1211 (GCS 1212), Berlin 1955, 53-79. - E. Klostermann, 0.' loh-Kommentar: GGA 166 .
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Origenes: Leben und Werke
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( 1 904) 265- 282. - ders., Epilog zu O.-Kommentar zum Mt: SDAW.S 1964. Nr. 4. - P. Koetschau, Textkritik des loh-Kommentars (TU 12/2), Berlin 1905, 76ff. F. Mah, Das "Opus imperfectum in Matthaeum" und sein Verhältnis zu den Mt-Kommentaren von O. und Hieronymus, Innsbruck 199 1 . - K. McNamee, O. in the Papyri: CIF 27 ( 1 973) 28-53. P. Nautin, Notes critiques sur I'ln f oha""ern d'O.: REG 85 ( 1 972) 155-177; RPh 49 ( 1 975) 202-216; 55 (1981) 273-284; 59 (1985) 63-75. V. Peri, Omelie origeniane sui salmi. Identifica zione dei testo latino, Rom 1980. -
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Die Papyrusfunde von Tura in Ägypten im Jahre 1941 erbrachten einen großen Abschnitt des comm. in Rom., der bis dahin nur in der abkürzenden Übersetzung Rufins vorlag und zwei unbekannte Werke: die Nachschrift einer Diskussion des Origenes mit einem Bischof Herakleides über den Vater und den Sohn und die Seele (diaL.). und eine zu m Teil zerstörte Abhandlung über das Osterfest (pascha). W: comm. in Rom. 3, 5-5,7, J. Scherer. Kairo 1957 [T/frz.Ü/K1. - dial., J. Scherer, Kairo 1949 [T]. J. Scherer (SC 67). - E. Früchtel (BGrL 5), SlUttgart 1974 [dt.ÜIK]. - pascha, O. Gueraud, P. Nautin, Paris 1979 [Tlfrz.ÜIK]. - B. Witte, Altenberge 1993 [Tldt.ÜI K]. -
3. De Principiis: Das Werk De principiis (princ.) behandelt die Grundwirk lichkeiten des Glaubensinhaltes, also hauptsächlich die drei göttlichen Perso nen. Princ. 4. 13 ist eine Abhandlung über die Heilige Schrift, ihre Inspiration und Auslegung. die griechisch in der Philokalia erhalten ist. Der Gesamttext existiert nur noch in der lateinischen Übersetzung Rufins. der anstößige Stellen, die er für Verfälschungen hielt, verbessert hat. In seiner kritischen Ausgabe hatte P. Koetschau 1913 in den lateinischen Text griechisch erhaltene Fragmente eingeschoben, die sich zu m Beispiel bei Gregor von Nyssa und in den antiorige nistischen Anathematismcn der Synode von 553 finden. Solche Zitate können aber verkürzt oder verHUscht sein, stören jedenfalls im Text Rufins. M. Simo neui hat in der Einleitung zu seiner Übersetzung (1968) eine überzeugende Gliederung vorgeschlagen und die Fragmente nur noch in den Anmerkungen geboten. In den Source Chretienne ist die Doppelüberlieferung, also griechisch und lateinisch, hauptsächlich im Buch 4, parallel mit Übersetzung abgedruckt. Im Text ist die überlieferte Einteilung beibehalten. die Übersetzung aber in zwei Zyklen mit drei beziehungsweise neun Traktaten und einer Zusammenfassung gegliedert. W: pri"e., P. Koetschau (GCS 22) [TJ. - H. Crouzel (SC 252. 253. 268. 269. 3 1 2). - H. Karpp, H. Görgemanns, DarmSladt 1976 [Tldt.ÜIKJ. - G.W. Butter worth. London 1936 [engI.Ü/K]. - M. Simonetti, Turin 1968 lit.Ü]; dazu: HJ. Vogt: ThRv 66 ( 1 970) 294-296. L: R.M. Berchmann, The peri ar c!IOIl. 0.' apodeixis euaggelike, Providence, RI, 1984. - R. Calonne, Le Iibre arbitre selon le Traite des Principes d'O.: BLE 89 ( 1 988) 243-262. - H. Crouzel, Qu'a voulu faire O. en composant le Traite
Origencs: Leben und Werke
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des Principes?: BLE 76 (1975) 161-186.241-260. J. Dillon.lmagery of Light in the First Chapter of 0,' Per; Archon (1988): ders., The Golden Chain (CStS 333), London 1990. NT. 22. L. Lies. 0.' Peri archon, DarmSladt 1992. - B. Sluder, Die Bedeutung der Auferstehung Jesu in PA des 0.: Dominus Salvator, ed. ders., Rom 1992. 213-250. - ders .. Zur Frage der dogmatischen Terminolo· gie in der lat. Ü. von 0: princ.: FS J. Danielou, 1972, 403-414. - A. Meis Wörmer, EI problema dei mal eo O. Significado teologico dei tiempo (princ . 31, 124), Santiago de Chile 1988. A. Meredith. 0.' princ. aod Gregory of Nyssa's Oralio Catecherica: HeyJ 36 (1995) 1-14. -
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4. Contra Celsum: Eine ähnliche Sonderstellung wie princ. nehmen die acht BUcher gegen den heidnischen Philosophen Celsus (Cels.) ein, der im 2. Jahr· hundert das Christentum bekämpft hatte. Zu dessen Widerlegung war Origenes wie zum Joh·Kommentar von Ambrosius gedrängt worden (praef I). Origenes befürchtet zwar, durch eine solche "Apologie" die Oberzeugungskraft der Worte und Taten Jesu abzuschwächen (ebd. 3). macht sich aber um der im Glauben Schwankenden willen ans Werk (ebd. 4). Er zitiert Celsus wörtlich. vom Vorwurf verbotener Konventikelbildung durch die Christen (I, 1) bis zur Mahnung an sie, voll an Kriegsdienst und Politik teilzunehmen (8,73-75), so daß man sein Werk zum Teil rekonstruieren konnte. Da er einerseits auch die Juden angegriffen, andererseits sich breit auf jüdisChe Polemik gegen das Christentum gestützt hatte. verteidigt Origenes zunächst auch das Judentum. weist dann aber dessen Polemik zurück (z. B. 1,26 ff) und betont, schon das Alte Testament sei ein Zeugnis für Christus; umgekehrt aber finde sich ein Zeugnis für das Alte Testament nur, wenn man an Christus glaubt. Weil Celsus der Bibel ganz allgemein die Allegorisierbarkeit, die er für den Qualitätsbeweis von Literatur schlechthin hielt. abgesprochen hatte, mußte Origenes beweisen, daß auch schon Mose "als echter Schriftsteller . . . überall die Verdopplung des Ausdrucks" gepflegt hat ( l,18). Trotzdem zielt die ganze Bibel "auch auf die Menge der Einfacheren", um welche ..die griech. Dichter sich nicht gekümmert haben" (4,50). Wenn man aber die Bibel allegorisch auslegt. d.h. in ihr ein ,,Philoso· phieren in Andeutung" entdeckt (5,58), übersetzt man den Inhalt konkreter Erzählungen ins Allgemeine; wie Jesus sich einem einzelnen Kranken zuwendet, zeigt. wie er alle heilen will. W: Cels. M. Borret (SC 132. 136. 147. 150.227). - P. Koetschau (BKV' 52 f) [dt.Ü]. - H . Chadwick. Cambridge 1965 [engLÜ/K]. L: D. Caliandro, 11 Logos e I'uomo nella visione cosmica di O. DeI Contra Celso. Rom 1987. - M. Fedou. Christianisme Cl religions paiennes dans le Contre Celse d'O Paris 1988. RJ. Hauck. The more divine proof, Atlan· ta 1989. - L. Lies. Vom Christentum zu Christus nach 0 Cels. : ZKTh 112 (1990) 150-177. F. Mosetto. I miracoli evangelici nel dibattito tra Celso e 0 Rom 1986. - HJ. Vogt, The later Excgesis of 0.: FS J. Gribomont (SEA 27). Stuttgart 1988, 583-591. - ders., Die Exegese des O. in Cels. : StPatr 21 (1989) 356-373. .
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5. Sonstige Werke: Die Frömmigkeit des Origenes spricht sich auch in der .Ermahnung zum Martyrium" (marI.) aus,die ebenso an seinen Gönner Ambro sius gerichtet ist wie die ausführliche Abhandlung ..Über das Gebet" (or.). die zunächst grundsätzliche Fragen. wie die nach Gottes Vorsehung und der Freiheit des Menschen, und dann das Vaterunser und schließlich Ort, Haltung und Zeit des christlichen Gebetes behandelt. Das (liturgische) Gebet soll sich an den Vater richten. alles Gebet aber zuerst ..Lobpreisung Gottes" sein "durch Christus, der mitgepriesen wird, in dem hl. Geist, der mitverherrlicht wird" (33.1). Von den Briefen und den Stromateis des Origenes existieren nur noch Frag mente. W: or., mart., P. Koetschau (BKVl 48) (dt.ÜIK]. - dial., marI., E. Früchtel (BGr L 5), Stullgart 1974 [dt.Ü/K). L: P. Dyckhoff. Das kosmische Gebet. Einübung nach 0., München 1994. W. Gessel. Die Theologie des Gebetes nach or. von 0 Paderbom 1975. •
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Ill. Inhaltliche Grundlinien 1 . Zur Exegese: Origenes gibt die von ihm in Ja. bekämpfte Ansicht der Gnostiker SO wieder: ,.Es gäbe solche. die von Natur aus ... Kinder Gottes seien; nur durch ihre Wesensverwandtschaft mit Gott seien sie flthig, das Wort Gottes aufzunehmen" (20, 33,287). Widerlegung der Gnosis zeigt sich aber auch im comm. ill MI. Auch an Stellen. wo man es nicht erwarten würde, bekämpft Origenes die "Märchen über die Naturen", die von Gott schon unterschiedlich geschaffen seien; denn das wäre eine ungerechte Anschuldigung des Schöpfers. Außerdem beweise das Beispiel des Judas. der ja seine Schuld bereute (Mt 27.3-10). daß man das Wort über die guten Früchte des guten und die schlechten des schlechten Baumes (Mt 7. 1 8) nicht auf drei unterschiedliche Naturen, d.h. Menschenklassen, von denen die Gnostiker reden. beziehen dürfe: ,,Nicht die Natur in uns ist der Grund der Schlechtigkeit, sondern die freie eigene Entschei dung, die das Böse tut" ( com",. in Mt. 10, 1 1 .). Origenes stellt fest (prille. 4,2, I), daß die Mehrheit der Juden den Heiland unter Berufung auf den Wortlaut der Schrift abgelehnt hat und daß die Gnostiker, ebenfalls auf den wörtlich verstandenen Bibeltext gestützt, behaupten, man müsse unterscheiden zwischen dem vollkommenen Gott und Vater Jesu Christi und dem minderwertigen Weltenschöpfer und Gott des Alten Testamentes. Deshalb ist er überzeugt, daß der eigentliche Sinn der ganzen Bibel. den der Geist (princ. 4,2,7) bzw. der Logos (ebd. 4,2.9) offenbaren will, hinter dem Wortlaut zu suchen und zu finden ist. Ja. er rechnet sogar mit drei Stufen des Schriftsinnes. die sich mit Fleisch, Seele und Geist des Menschen vergleichen lassen und die Einfaltigeren. die ein wenig Fortgeschrittenen und schließlich die Vollkommenen je auf ihre Weise erbauen sollen (ebd. 4,2,4). Für diese Dreitei lung bringt er aber keine überzeugende Begründung aus der Heiligen Schrift bei; wohl deshalb spricht er dann (priffe. 4.2,79) nur noch von zwei Absichten des
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Offenbarungsgeistes und entsprechend zwei Ebenen der Schriftaussage; so hält er es auch in seinem exegetischen Spätwerk, v.a. im Mt-Kommentar. Aber daß Allegorese notwendig ist, daran hält er fest und erklärt in seinem Kommentar zum Hld. alles lasse sich vom Sichtbaren auf das Unsichtbare übertragen, weil die göttliche Weisheit uns von den irdischen Dingen zu den himmlischen hinüberführen will. Dies gelte aber nicht nur für die Schöpfung. sondern auch für die Bibel, nicht nur fUr das Alte Testament. sondern auch für das Evangelium. Origenes steht damit i n einer Auslegungstradition, die für die HorneT-Exegese entwickelt, dann von denjUdo Gelehrten in Alexandrien, v. a. von Philo. auf die Bibel angewendet worden war; beide Male sollten Anstößigkeiten beseitigt werden; freilich ist die Ähnlichkeit weitgehend nur formal. Für Philo war, da die Natur sich zu verbergen liebe (Oefuga 32,179; De mutarione nominum 8, 60; Oe somniis 1 , 2 , 6), die Physiologie geradezu mit der Allegorese identisch. welche die Natur der Dinge für die wenigen Eingeweihten (De Abrahamo 29, 147) ans Licht bringt (Oe providenria 2,40). Der Auslegungshorizont ist für Philo also das. was Wissenschaft und Philosophie über den Menschen und die Welt erkannt haben. Solche Physiologie lehnt Origenes dagegen entschieden ab: Die Fallsucht des Mondsüchtigen von Mt 17, 14ff möge man physiologisch erklären, wie man wolle; so werde der Sinn der Wunderheilung und des Berich tes darüber nicht erfaßt (comm. ;11 Mt. 1 3 , 6). Für Origenes ist Hintergrund und Horizont aller Exegese, auch schon des Alten Testamentes, der Glaube an die heilsschaffende Menschwerdung des Gottessohnes. L: A.F. Castellano. La exegesis de O. y de Heracle6n en eI Libro VI dei "Commentario a Juan": TyV 31 ( 1 990) 309-320. - ders., L'esegesi di O. e di Eracleone alle testimonianze dei battista, Rom 1991. F. Cocchini, Aspetti dei Paolinismo Origeniano: Aug. 3 1 (1991) 245-276. - ders 11 Paolo di 0., Rom 1992. - R. Gögler, Zur Theologie des bibI. Wortes bei 0., Düsseldorf 1963. R.C.P. Hanson, Allegory and Event, London 1959. - T. Heither, Begegnung am Brunnen: EuA 69 (1993) 5-18. - dies., Translatio religionis, Köln 1990. - H. Karpp, Kirchliche und außerkirchliche Motive im hermeneutischen Traktat des 0., princ. 4,13: FS T. Klauser, Münster 1984, 194-212. - L. Lies, Zur Exegese des 0.: ThRv 88 ( 1 992) 89-96. - H. de Lubac, Histoire el esprit. Paris 1950 dt.: H.U. von Balthasar, Geist aus der Geschichte (mit Einleitung), Einsiedein 1968. ders., "Du hast mich betrogen, Herr!" Der O.-Kommentar über Jeremia 20,7, Einsiedeln 1984. - F. Manns, Une traditionjuive dans les commentaires du Cantique: AnIon. 65 ( 1 990) 3-22. - M. Mees, loh 6 bei 0.: Lat. 48 ( 1 982) 179-208; Laur. 25 ( 1984) 78-130. - ders.. loh 5 bei 0.: Lat. 49 (1 983) 25-55. 247-256. - ders., 2Co 6,1-10 und die Auferstehung der Toten nach O. und Methodius: Lat. 5 1 ( 1 985) 153-163. - H. Strutwolf, Gnosis als System. Zur Rezeption der valentinianischen Gnosis bei 0., Göltingen 1993. -J.A. Trumbo wer, 0: Exegesis of lohn 8,19-53: VigChr 43 (1989) 138-154. - HJ. VOgI, Beobachtungen zum Joh-Kommentar des 0.: ThQ 170 ( 1990) 19 1-208. - ders., Die Lehre des O. von der Inspiration der heiligen Schrift (princ. und Ce1s.): ThQ -
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170 (1990) 97-103.
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2. Trinitätslehre: FOr die spätere Trinitätstheologie hat Origenes die Weichen gestellt. da er schon in seinem frühen loh-Kommentar (Ja. 2, 10,75) Vater, Sohn und Heiligen Geist "drei Hypostasen" nennt. Nachdem er (ab 1 .28,200) die verschiedenen Namen Christi als verschiedene Betrachtungsweisen (bti.vOlaL) ein und desselben Christus erklärt hat (auch 1 , 3 1 . 223. 1 . 35, 259), wendet er sich entschieden gegen jene, die auch die Unterscheidung von Vater und Sohn nur im Sinne solcher bti.vOt,aL. aber nicht im Sinne der im6o'tao� verstehen wollen ( 1 0. 37,246): Vater und Sohn sind zwar eins in der Wesenheit ouoia, aber nicht einer der Zahl nach. Die ewige innergöuliche Zeugung des Sohnes findet Origenes in der Bibel selbst hinlänglich dargestellt. z.B. durch Ps 2,7: .Mein Sohn bist du, heute habe ich dich gezeugt". Für Gott ist ja dieses .Heute" immer; "denn es gibt keinen Abend Goues. ich meine aber auch keinen Morgen" (Ja. 1.29, 204). Dieselbe Einsicht gewinnt Origenes aus Spr 8.25 (LXX): "Vor allen Hügeln zeugt er mich" , weil es da nämlich nicht heiße: vor allen Hügeln hat er mich gezeugt (Vergangenheit), sondern: "zeugt er mich", also in der göttlichen Gegenwart. die kein FrOher oder Später kennt (hom. in Jer. 9.4). Origenes denkt sich aber die drei göttlichen Hypostasen nicht statisch nebeneinander. sondern dynamisch aufeinander bezogen; vom Sohn z.B. sagt er: .Er bleibt dadurch, daß er bei Gott ist, immer Gott; dies hätte er nicht, wenn er nicht bei Gott wäre; und er bliebe nicht Gott, wenn er nicht bei der unablässigen Schau der Tiefe des Vaters bliebe" (Ja. 2,2, 17). L: 1. Dillon, 0: Doctrine of the Trinity and Some Later Neoplalonic Theories: ders., The Golden Chain (CStS 333), London 1990. Nr. 2 1 . l. Hammerstaedt, Der trinitarische Gebrauch des Hypostasisbegriffs bei 0.: JAC 34 (1991) 12-20. - K. McDonnell. Does O. have a Trinitarian Doctri ne of the Holy Spirit?: Gr. 75 (1994) 5-35. - A. Orbe, O. y los Monarquia nos: Gr. 72 (1991) 39-72. - H. Ziebritzki, Heiliger Geist und Weltseele. Das Problem der dritten Hypostase bei 0., Platin und ihren Vorläufern, Tübingen 1994. •
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3. Anthropologie: Präexistenz der Seelen: Die Behauptung, die Naturen der Seelen seien verschieden. die Origenes den Schulen des Marcion. des Valentin und des Basilides zuschreibt (prille. 2,9,5), läßt ihn nach dem Ursprung der Seelen fragen. Da GOIt in der Bibel als gütig und gerecht geschildert wird, darf man ihm keine uranfangliche Ungleichbehandlung seiner Geschöpfe unterstel len (2,9,6; ähnlich schon 1 , 8,1 ff). Die Unterschiede zwischen den geistigen Geschöpfen mOssen also auf ihre eigene Schuld oder Verdienste zurUckgehen. Diese vom Theodizeeanliegen geforderte Schlußfolgerung findet Origenes auch in der Heiligen Schrift bezeugt; wenn z.B. PauJus (ROm 9, 13) Mall . 2 f zitiert: ,,Jakob habe ich geliebt, Esau gehaßt" und trotzdem versichert, in Gott sei keine Ungerechtigkeit, dann müsse man schließen, daß Jakob aufgrund von Verdien sten eines früheren Lebens liebenswert war, Esau hassenswert (princ. 2,9,7; ähnlich schon 1 . 7,4). An dieser für manche anstößigen "geheimnisvollen Lehre" (comm. in Mt. 15.34. 36), die von Selen wanderung ganz verschieden ist. hat
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Origenes auch unter Berufung auf das Gleichnis von den Weinbergsarbeitern (Mt 20, 1-16) immer fe'tgehahen (ebd, 1 5 ,35), L: c,p, B ammel, Adam in 0,: FS H, Chadwick, Cambridge 1989, 62-93. H.S. Benjamins, Eingeordnete Freiheit. Freiheit und Vorsehung bei 0., Leiden 1994. R. Calonne, Le libre arbilre dans le trait� des Principes d'O.: BLE 89 ( 1 988) 243-262. - H. Crouzel. Theologie de ('image de Dieu chcz 0., Paris 1956. - J. Dupuis, L'esprit de I'homme. Etude sur I'anthropologie religieuse d'O., Desclte 1967. - M. Edwards, 0. no gnoSlic: JThS 43 ( 1 992) 23-37. P. van der Eijk, 0.' Verteidigung des freien Willens: VigChr 42 ( 1 988) 339-351. M. Hauke, Heilsverlust in Adam. Irenäus - O. - Kappadozier, Paderborn 1993. - A. Seolt. Q. and the Life of the Stars, Oxford 1991. - G. Sfameni Gasparro. 0., Studi di Antropologia e di storia della tradizione, Rom 1984. - P. Tavardon, La doctrine de la cr�ation selon O. dans la mouvance platonicienne: ETR 65 ( 1 990) 59-76. - G. Watson, Souls and Bodies in 0.' peri archon: IThQ 55 ( 1989) 173-192.
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4. Christologie: Auch die Seele Jesu existiert "vom Anfang der SChöpfung an"; sie hing dem Logos Gottes immer untrennbar an und hat als ganze ihn ganz (tota IOlum) i n sich aufgenommen, so daß sie mit ihm im vollen Sinne ein Geist wurde (principaliter unus spiritus); in dieser Vereinigung der präexistenten Seele mit dem Logos sieht Origenes das Wort des Apostels: Wer dem Herrn anhängt, ist ein Geist mit ihm (I Kor 6. 17), auf die vollkommenste Weise verwirklicht (z.B. comm. in MI. 15. 24; 16,8). Ja, die Menschwerdung des Gottessohnes ist durch Vermittlung dieser Seele geschehen, weil "die Natur Gottes sich nicht ohne Vermittlung mit dem Leib" verbinden kann (princ. 2,6,3); es kommt also der Gottessohn mit seiner präexistenten Seele in einen menschli chen Leib. Da auch diese Seele im himmlischen Jerusalem ihre Mutter hat, leann Origenes den Satz, "der Mann wird Vater und Mutter verlassen und seiner Frau anhangen" (Gen 2,24; Mt 19,5), im Sinne der inkarnation verstehen; der Gottessohn hat Gou, seinen Vater. und seine Mutter, das obere Jerusalem, verlassen "und er hing seiner hierher herabgefallenen Frau an", nämlich der ..Kirche, welche sein Leib ist" (so comm. in MI. 14, 17; horn. in JeT. 10,7). So wird die innere Verbindung von Christologie, Soteriologie und Ekklesiologie deutlich. L: H. Crouzel. La christologie d·. selon son Commentaire sur le Cant.ique des Cantiques: FS J. Betz, Düsseldorf 1984. 421-438. - M. Fedou. La sagesse et le monde. Essai sur la christologie d'O., Paris 1995. - I. Golden. O. and Mariology: GOTR 36 (1991) 141-154. - M. Harl. O. el la fonction r�velatrice du Verbe incarn�. Paris 1958. J. Letellier, Le Logos chez 0.: RSPhTh 75 (1991) 587--612. - R. Lyman, Christology and Cosmology. Models of Divine Activity in 0., Eusebius, and Athanasius, Oxford 1993. - A. Meis-Wörmer, La preemi nencia de Jesus: TyV 33 (1992) 65-88. - R. Roukema. 0.' visie op de Recht vaardiging volgens zijn Commentar op Romeinen: GThT 89 (1989) 94-105. J.M. Rowe. 0.' doctrine of subordination. Bern 1987. - J.W. Trigg. The Angel -
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of Gre.. Counsel: IThS 42 (1991) 35-51. - HJ. Vogt, Ein-Geist-Sein (I Kor 6, 17 b) in der Christologie des 0.: IThZ 93 (1984) 25 1-265. 5. Kirche - Sakramente - Frömmigkeit: Weil Origenes sich an manchen Stellen sehr kritisch über kirchliche Amtsträger äußert und ohne Zweifel das eigentliche Wesen der Kirche fUr ihn nicht im Sichtbaren liegt, hat man bei ihm sogar die Theorie einer inneren Hierarchie finden wollen. Aber wenn Origenes z. B. in comm. in Rom. 9, 2 das Gleichnis von der Einheit des Leibes und der Verschiedenheit der Glieder (Röm 12,4 f) so deutet, daß er Christen, die sich in Studium und Erkenntnis hervortun, als Auge des Leibes, solche, die auf Gott hören, als Ohr, solche die verkünden, als Zunge, andere, die wirken, als Hände und wieder andere, welche die Kranken besuchen, als Füße bezeichnet usw., dann sind da äußerlich wahrnehmbare Tätigkeiten und Eigenschaften gemeint, aber gerade nicht eine innere, im Verborgenen bleibende Hierarchie. Eine eigene Sukzession der charismatischen Lehrer bezeugt Origenes nicht; die Kirche wird auch für ihn von den Amtsträgem geleitet; freilich ist weder deren Lebenswandel immer ohne Tadel, noch ihr Urteil immer zutreffend. Das Wesen der Kirche verwirklicht sich in denen, die Gott nahekommen durch Erkenntnis und gute Werke; beidem dienen alle Arbeiten des Origenes, auch die großen Kommentare. Innere Christusnähe findet Origenes erwartungsgemäß im Hld ausgesprochen. L: J. Alviar, Klesis. [ ... j Dublin 1993. - F. Cocchini, L'esegesi origeniana di Rom I, 14: SMSR54 (1988) 7 1-80. - H. Crouzel. ,,Ecc1esiasticus" dans l'ttuvre d '0.: FS V. Saxer, Rom 1992, 147-162. - ders., Le theme du mariage mystique ehez O. et ses sourees: StMiss 26 (1977) 37-58. - ders., 0.: O.S. 1 1 (1982) 933-962. - 1. Dillon, Aislhesis Noele. A Doctrine of Spiritual Senses in O. and in Plotinus: ders., The Golden Chain (CStS 333), London 1990, Nr. 19. - G.A. Galluccio, L'"ut unum sint"' (Gv 17,20-26): Nicolaus 20 (1993) 25-102. - T. Heither, "Gotteserfahrung" in der Theologie des 0.: EuA 68 (1992) 265-277. L. Lies, 0: Eucharistielehre im Streit der Konfessionen, Innsbruck 1985. - K. Nasilowski, De potestatis sacerdotalis apud Origenem distinctione: ApolI. 58 (1985) 629-699. - T. Schäfer, Das Priester-Bild im Leben und Werk des 0., Frankfurt a.M. 1977. - R. Thomas, Nisi cognoveris te ... Observationes ill Origellis de cognitione sui doe/rinam, Rom 1993. - HJ. Vogt, Das Kirchenver ständnis des 0., Köln 1974. - dcrs., Zum Bischofsamt in der frUhen Kirche: ThQ 162 (1982) 22 1-236; bes. 228-233. - ders., Die Witwe als Bild der Seele in der Exegese des 0.: ThQ 165 (1985) 105-118. 6. Apokatastasis pali/oll: Schon in princ. stellt Origenes die Frage nach der Wiederherstellung aller (restitutio omnium: 2,3,5). Da die Unterwerfung des Sohnes unter den Vater (I Kor 15.28) als gut und heilsam zu verstehen sei, müsse das auch von der Unterwerfung der Feinde gelten, d.h. also deren Rettung und Wiederherstellung bedeuten (3,5,7). Origenes rechnet damit, daß nach "unend lich langen Zeiträumen" (3,6,6) "alle vernUnftigen Seelen" in einen vollkom-
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menen Zustand zurUckgeführt sein werden (ebd., ähnlich 3.6.9). Ob auch die bösen Geister, besonders der Teufel, am Ende wieder in den urspr. Zustand der Gottesnähe zurückgelangen können, hat Origenes sich wohl gelegentlich ge· fragt. dies aber nie behauptet, sich vielmehr in einem Brief an seine Freunde. aus dem sowohl Rufin (adult. 7) als auch Hieronymus (adv. Rufin. 2, 18) die entscheidende Stelle zitieren. gegen eine solche Unterstellung entschieden gewehrt; aber der Gedanke blieb mit seinem Namen verbunden. wahrscheinlich weil man meinte, er folge mit Notwendigkeit aus der uranfanglichen Gleichheit aller geistigen GeSChöpfe. Jedenfalls anathematisierte Justinian in einem Brief an das fünfte ökumenische Konzil von 553 an erster Stelle die "erdichtete Präexistenz der Seelen und ihre darausfolgende phantastische Wiederherstellung". Die bloße Wiederherstellung des anfänglichen Zustandes ist aber fUr Onge nes nicht das letzte Ziel der Heilsgeschichte. Jesus habe nicht in Kafarnaum den Anfang seiner Wunder gemacht, sondern in Kana, weil der Logos nur wegen der Unheilssituation der Menschen als Arzt kam, sein eigentliches Wirken aber auf die Freude der Festfeier Gottes geht (Ja. 10, 12, 66): das Ende wird also den Anfang überbieten. Deshalb hat Origenes selbst schon der Unterstellung, die in ihre ursprüngliche Würde wieder eingesetzten geistigen Wesen könnten erneut abfallen, widersprochen (Ja. 10,42,292 fO; ewige Wiederkehr sei mit dem freien Willen nicht vereinbar (Cels. 4,67); ein erneuter Abfall sei unmöglich. weil die Geschöpfe dann die Erfahrung der Liebe Goues gemacht haben und dadurch selbst in der Liebe gefestigt sind (comm. in Rom. 5. 10). L: E. dal Covolo. Appunti di escatologia origeniana: Sa!. 41 ( 1989) 769-784. - H. Crouzel, Les fins dernieres selon 0., Hampshire 1990. •
IV. Auseinandersetzungen um Origenes Origenes selbst hat sich schon gegen manche VorwUrfe verteidigen mUssen. Um das Jahr 300 hat Methodius von Olympus in seiner Abhandlung Ober die Auferstehung. von der Reste bei Epiphanius. haer. 19 erhalten sind, die Escha tologie und die allegorische Schriftauslegung des Origenes entschieden be kämpft. Eustathius von Antiochien hat in einer Abhandlung über Sauls Gang zur Hexe von Endor. die Auslegung angegriffen, die Origenes in seiner Predigt zu I Sam 28 vorgetragen, aber auch in horn. in Jer. 1 8 und in Ja. 20,393; 28.148 f sowie in comm. in Mt. 15,35 angedeutet haue. Origenes verteidigt auch hier die Willensfreiheit auch des verstorbenen Menschen; Samuel habe aus eigener Ent scheidung dem Saul prophezeit. Eustathius wirft Origenes v.a. vor, daß er keine endgültige Auslegung versuchte. sondern mit einem fortwährenden Prozeß immer besseren Verständnisses rechnete. Die "thwlogie en recherche" verur sachte offenbar bei Eustathius einen .,horror of ambiguity". Der in der Verfol gung des Maximinus als Märtyrer gestorbene Priester Pamphilus hat in Cäsarea mit Hilfe des späteren Bischofs Eusebius eine Verteidigung des Origenes in fUnf
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Büchern verfaßt, zu der Eusebius ein sechstes hinzugefügt hat; erhalten ist nur das erste in der Übersetzung Rufins. Pamphilus zählt neun damals schon gängige Vorwürfe gegen Origenes, z.B. die Lehre von der Seelenwanderung, auf und widerlegt sie aus dessen eigenen Werken. Pamphilus selbst übernimmt zwar nicht alle Vorstellungen des Origenes, wohl aber seine theologisch-exege tischen Methoden und begründet so den Origenismus im positiven Sinn. Meist wird der Begriff aber negativ verstanden und auf Theologen angewendet, welche Gedanken des Origenes verfestigt und Ubertrieben und so der Orthodoxie ihrer Zeit widersprochen haben, wie z. B. Evagrius Ponticus, dem Psalmenerklärun gen, die dem Origenes zugeschrieben wurden, erst wieder i m 20. Jahrhundert zurückgegeben wurden. Mehr von ihm als von Origenes waren die origenisti sehen Mönche beeinflußt, deren Bekämpfung durch Theophilus von Alexandri en den Origenismusstreit um 400 auslöste. Kaiser lustinian reagierte im 6. Jahrhundert auf die Streitigkeiten unter den z. T. extrem origenistisch eingestell ten Mönchen, indem er Sätze, die dem Origenes zugeschrieben wurden, durch eine Vorsynode des fUnften Allgemeinen Konzils verurteilen ließ. L: H.U. von Balthasar, Die Hiera des Evagrius: ZKTh 63 ( 1939) 86-106. 1 8 1-206. - E.A. Clark, Elite Networks and Heresy Accusations. Towards a Social Description of the Origenist Controversy: Semeia 56 ( 1 992) 79- 1 1 7 . F.R. Diekamp, Die origenistischen Streitigkeiten im 6. Jh., Münster 11989. E.A. Junod, L'Apologie pour O. de Pamphile et la naissance de I'origenisme: StPalr 26 ( 1 993) 267-286. - P. Larde, L' Apologie de ]tröme contre Rufin, L'Origenismo. Apologie e polcmiche intorno a 0.: Aug. 26 Leiden 1993. ( 1986). D. Pazzini, La critica di Cirillo Alessandrino alla dottrina origenista della preesistenza delle anime: CrSt 9 ( 1 988) 237-280. - E. Prinzivalli, 1J1YXAI EX AI�OY META nEMnEI:eA I. Una proposta di letteratura della polemica di Eustazio con 0.: Aug. 35 (1995) 679-696. M.-J. Rondeau, Le commentaire sur les psaumes d'Evagre le Pontique: OCP 26 ( 1960) 307-348. - J.W. Trigg. Eustathius of Antioch's Attack on 0.: JR ( 1 995) 2 1 9-238. H.J. Vogt, Warum wurde O. zum Häretiker erklärt?: Origeniana 4 (1987) 78-99. 100-1 1 1 . -
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Auch westliche Kirchenväter (Hilarius. Ambrosius, Augustinus) haben die Al legorese von Origenes gelernt und dem Mittelalter überliefert. Wohl im Umkreis Cassiodors (t um 580) ist die lateinische Übersetzung des Mt-Kommentars entstanden; den Teil davon, der von Mt 22,34 bis 27,66 reicht, wozu der griechische Text nicht mehr erhalten ist, hat man im Mittelalter in 145 unter schiedlich lange Abschnine eingeteilt und als Commentariorum Series bezeich net. Paschasius Radbertus (t vor 860) stimmt in seinem zwölf BUcher umfas senden Mt-Kommentar (PL 120, 3 1 -994) an vielen Stellen fast wörtlich mit Origenes überein, nennt ihn aber nicht. Das von Paulus Diaconus für Karl den Großen zusammengestellte Homiliar enthält einige dem Origenes zugeschriebe ne Predigten. Die Humanisten wurden neu auf Origenes aufmerksam; er scheint sogar die Ikonographie der Sixtina beeinOußt zu haben; in der Reformationszeit versuchte man. Argumente aus ihm zu gewinnen. Die modeme Origenesfor-
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Origenes: Leben und Werke
schung beginnt mit den Origeniana von P.D. Huet (t 1721), abgedruckt PO 17, 633-1284. L: H. Crouzel, Une controverse sur O. a la Renaissance. Paris 1977. - J.F. Dechow, Dogma aod mysticism in early Christianity. Epiphanius of Cyprus aod A. Godin. Erasme. leeteur d'O., Genf the legacy of 0., Macon. Ga. 1988. 1982. - V. Grossi, La presenza in filigrana di O. nell' ultimo Agostino (426-430): Aug. 30 (1990) 423-440. - H. König, "Vestigia antiquorum magistrorum sequi". Wie liest Apponius O.?: ThQ 170 (1990) 129-136. L. Lies. 0: Eucharistie· lehre im Streit der Konfessionen, Innsbruck 1985. - ders., Q. und die Euchari stiekontroverse zwischen Paschasius Radbertus und Ratramnus: ZKTh 1 0 1 (1979) 414 426. - E. Prinzivalli, Per un' indagine sull'esegesi deli pensiero origeniano nel IV secolo: ASEs 1 1 (1994) 433-460. - M. Schär, Das Nachleben des O. im Zeitalter des Humanismus. Basel 1979. J. Schwind, O. und der Dichter Arator: REAug 4 1 (1995) 1 l 3-1 30. - G. Sfameni Gasparro, Agostino di fronto alla "eterodossia" di 0.: Aug(L) 40 ( 1990) 219-243. E. Wind, Tbe Revival of 0.: FS B . da Costa Greene, Princeton 1954, 412-424. .
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Der Kommentar zum Evangelium nach M atthäus Teil I
Leben und Werke des Origenes In den uns erhaltenen Werken des Origenes finden sich nur spärliche Nachrich ten über sein Leben; er scheint aber i n den verlorengegangenen Schriften etwas bereitwilliger über sich Auskunft gegeben zu haben. Aus ihnen hat offenbar Bischof Eusebius von Cäsarea, der erste Kirchengesch.ichtsschreiber, geschöpft, wenn er uns im sechsten seiner zehn zu Beginn des vierten Jahrhunderts veröffentlichten Geschichtsbücher (h.e.) ziemlich ausführlich über Origenes unterrichtet. Allein aus der Menge der Nachrichten über diesen einen Kirchen schriftsteller läßt sich das Überragende seines Werkes und die besondere Hoch schätzung ermessen, die Euseh ihm entgegenbringt. Der Vater des Origenes starb, von seinem Sohn in seinem Bekennermut gestärkt, als Märtyrer in einer Verfolgung im zehnten Jahr des Kaisers Septimius Severus; Origenes blieb, noch nicht siebzehnjährig, mit sechs jüngeren Ge schwistern zurück (h.e. 6,2, 1 1), muß also ctwa im Jahr 185 nach Christus geboren sein. Da in der Verfolgung alle bekannten christlichen Lehrer aus Alexandrien geflohen warcn, wandten sich bekehrungswi lIige Heiden bald an Origenes, dessen Glaubenseifer und gute Bildung nicht unbekannt geblieben waren. So wurde Origenes mit knapp achtzehn Jahren zu dem christlichen Katecheten in der Hauptstadt Ägyptens, obwohl er eigenllieh seinen und seiner Familie Lebensunterhalt durch Grammatikunterricht verdiente. Den gab er bald als hinderlich auf und widmete sich nur noch den theologischen Studien und der Askese, durch die er seine Schüler noch mehr förderte als durch die Lehre, so daß etliche das Martyrium auf sich nahmen (h.e. 6. 3 , 8 ff; 6, 4 u. 5). Als die Zahl der Glaubensschüler wuchs, erwählte Origenes sich unter ihnen den auch philosophisch geschulten Herakles zum Gehilfen und übertrug ihm den Unter richt für die Anfänger, während er selbst nur noch die Fortgeschrittenen unter richtete (".e. 6, 15). Als erste Leistung des Origenes nennt Euseb aber weder eine thematische noch eine exegetische Schrift, sondern seine textkritische Arbeit: Er erwarb sich nicht nur eine hebräische Bibel, sondern auch, neben der vorchristlichen grie chischen Übersetzung des Alten Testamentes, die zweiundsiebzig Übersetzern zugeschrieben wurde und deshalb abgekUrzt die Septuaginta (LXX) heißt, die damals erst einige Jahrzehnte alten Übersetzungen des Aquila. des Symmachus und des Theodotion. Später gelang es ihm, Euseb berichtet das aber schon gleich (h.e. 6, 16), noch zwei weitere griechische Übersetzungen aufzutreiben, eine in
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Griechenland. die andere in der Nähe von Jericho, wo sie in einem Krug verborgen gewesen war. Diese sechs Übersetzungen stellte er in Spalten neben einander, um den Textbestand vergleichen und so Hilfe für die Auslegung finden zu können. Dieses gewaltige Werk trägt den Namen Hexapla, also die sechsfache (Übersetzung); die erste Spalte, in der sich der hebräische Text in griechischer Umschrift befand', wurde nicht mitgezählt Schon zu Beginn seiner exegeti schen Arbeit bediente er sich der vier geläufigeren Übersetzungen, die aber wohl nicht gemeint sind, wenn Euseb von einem vierteiligen Werk spricht. Das Wort, das sich bei Euseb findet, ist Tetrassa (nicht Tetrapla) und bedeutet wohl "vierbändiges Werk"; es dürfte die von Origenes selbst besorgte kritische Ausgabe der Septuaginta gemeint sein, in der durch Asterisken bzw. Obelisken vermerkt ist, ob ein Satz oder Wort im Hebräischen oder umgekehrt in der Übersetzung fehlt. Diese Edition, die nun den ganzen differierenden Textbestand bietet, hat die Texttradition sehr stark beeinflußtl. Bevor Euseb eine Schrift des Origenes nennt (h.e. 6, 23.24), berichtet er über sein damals schon weltweites Ansehen; nicht nur der Statthalter von Arabien, sondern auch Mamäa, die Mutter des Kaisers Alexander Severus, ließen ihn zu sich rufen und sich von ihm unterweisen (l1.e. 6, 19,15; 6, 21,3). Origenes scheint seine Arbeiten auf Betreiben eines von ihm bekehrten Anhängers der Häresie des Gnostikers Valentin, namens Ambrosius, mit Bibel kommentaren begonnen zu haben (I/.e. 6, 23), und zwar, wie später noch genauer zu zeigen sein wird, mit einem Kommentar zu den ersten fünfundzwanzig Psalmen. Euseb hat aus den "ausführlichen Buchüberschriften" entnommen, daß außerdem die ersten fünf Bücher zum Johannesevangelium - insgesamt lagen Euseh zweiundzwanzig (oder doch zweiunddreißig?) Bücher vor - acht von zwölf Büchern zur Genesis, fünf Bücher zu den Klageliedern, zwei Bücher über die Auferstehung, das Werk über die Grundlagen (De priflcipiis) und zehn Bücher. sogenannte Teppiche (eher lose Gedankensammlungen), noch in Alex andrien, also in der ersten Schaffensperiode des Origenes entstanden sind (h.e. 6,24). Nachdem er nämlich einmal für kurze Zeit nach Cäsarea in Palästina übergesiedelt war - offenbar hatte es in Alexandrien Proteste gegen seine Auslegung der Genesis gegeben -, dort von verschiedenen Bischöfen zum Predigen aufgefordert und bei einem zweiten Aufenthalt in Cäsarea zum Priester geweiht worden war, sah er sich schließlich durch die ablehnende Haltung und
So jedenfalls P. Nautin, Origtne. Sa vie el son ttuvre Cruistianisme aolique I, Paris 1977, 3 1 4f; weder die Hexapla des Origenes. noch die sehon früher von Juden für des Hebräischen nicht mächtige Glaubensgenossen geschaffenen mehrspaltigen Ausgaben hätten den hebräi schen Text in hebräischen Buchstaben enthalten. Euseb unterscheide deutlich zwischen Bibelausgaben, die in den eigenen Buchstaben der Hebräer (hebraioll sloicheia) geschrieben sind (h.e. 6. 16.1). und der ersten Spalte der HexapJa, die nur die hebräische Bezeichnung (hebraion semeiosis) enthalte (ebd. § 4). l Vgl. D. ßarthelemy, Orig�ne ct Je texte de l' Ancien Testament, in: Epektasis. Melanges palristiques offerts au Cardinal J. Danielou, Paris 1972, 247-26 1. bes. 256f; Origenes habe die Hexapla nicht selber gescruieben. sondern nur überwacht. I
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Maßnahmen seines Bischofs Demetrius gezwungen, etwa im Jahre 232 Alexan drien für immer zu verlassen und in Cäsarea Wohnung zu nehmen. Auch daß sein ehemaliger Schüler und Kollege Herakles bald Nachfolger des Demetrius wurde. änderte nichts an der alexandrinischen Einstellung. verschärfte sie eher noch. In Cäsarea schrieb bzw. diktierte Origenes einen Kommentar zu Jesaia. von dem Euseb dreißig Bücher kannte, fünfundzwanzig Bücher zu Ezechiel und zehn BUcher zum Hohenlied (".e. 6, 32). Euseb hat offenbar bei den Werken der rund zwanzig Jahre währenden zweiten Schaffensperiode keine Überschriften gefunden. die eine genaue Datierung ennöglicht häuen; so darf man seine Reihenfolge hier noch weniger als sicher ansehen als bei den ersten Werken. Euseb nennt weiter acht BUcher gegen den Philosophen Kelsos. fünfundzwanzig über das Matthäusevangelium, fünfundzwanzig (ihm noch vorliegende) Ober das Zwölfprophetenbuch (h.e. 6. 36,2) und verweist im Obrigen auf das Verzeichnis der Werke des Origenes. das er der Biographie des Pamphilus eingefügt habe (ke. 6, 32,3). Zuvor aber gibt er an. wie ein beträchtlicher Teil der auch noch auf uns gekommenen Hinterlassenschaft des Origenes enlStanden sei; allerdings hat auch Euseb es nur vom Hörensagen, daß Origenes erst im Alter von über sechzig Jahren. nachdem er sich schon sehr große Fertigkeit erworben haue. die Erlaubnis gegeben habe. seine Unterredungen vor der Gemeinde mitzustenogra phieren (ebd. 6, 36,2). Auch wenn das Wort ..Unterredungen" (dialexeis) zuerst an Gespräche, theologische Diskussionen denken läßt. wie Origenes sie etwa mit dem Bischof von Bostra in Arabien über die Präexistenz Christi (h.e. 6, 33. 1-3) oder mit anderen arabischen Bischöfen über das Weiterleben d�r Seele' führen mußte, hat Euseb vielleicht doch an die Predigten gedacht, die Origenes in Cäsarea in sehr großer Zahl gehalten hat. J. Nautin· ist zu dem Ergebnis gekommen, daß Origenes den Auftrag hane, in den Jahren 239-242 in sämtli chen Gottesdiensten, d. h. täglich, zu predigen und die gesamte Bibel. die in einem Dreijahreszyklus gelesen wurde. auszulegen; die Reihenfolge der behan delten Bücher lasse erkennen. daß Origenes seine Predignätigkeit nicht mit Beginn des Zyklus aufnahm. in dem Altes und Neues Testament parallel gelesen wurde, das Alte natürlich in längeren Abschnitten. Daß auch im Altertum nicht zu allen biblischen Büchern Origenespredigten bekannt waren, veranlaßt Nau tin' zu der Frage, ob sich vielleicht in der Gemeinde Protest gegen die allegori sche und sicher auch intellektuell zu anspruchsvolle Bibelpredigt des Origenes erhob und der Bischof einen anderen Prediger beauftragte. Für das Neue Testament nennt das große Verzeichnis der Werke des Origenes, das Hicronymus seinem 33. Brief eingefügt hat und das sicher auf die Liste des Euseb zurückgeht, 25 Homilien zu Matthäus. 39 zu Lukas, 17 zur Apostelge· schichte. 1 1 zum 2. Korintherbrief. 2 zum ( I .?) Thessalonicherbrief, 7 zum
) Die Milschrifl dieser DiSKussion ist erhalten in einem 1941 in Toura bei Kairo gefundenen ManUSkript: verbesserte Zweil3usgabe von J. Scherer: SC 67 (1960) . • Nautin (vgl. Anm. I ) 389ff. S Ebd. (vgl. Anm. I ) 405.
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Galaterbrief. I zum Titusbrief und 18 zum Hebräerbrief. Dabei muß schon mit Verlusten gerechnet werden. denn Origenes selbst verweist z. B. im Johannes Kommentar (32.2,5) auf eine Predigt zu Lk 14, 16. die sich unter den von Hieronymus genannten und übersetzten' nicht findet, und in der 17. Lukaspre dige auf Homilien zum 1 . Korintherbrief, die Hieronymus (wohl aus Unacht samkeit) ausgelassen hat. Die BUcher (gr. lomo;), d. h. Kommentare zu neutesta mentlichen Büchern bilden eine eigene Sparte; besondere Erwähnung verdienen die fünfzehn BUcher zum Römerbrief, die aber Ende des vierten Jahrhunderts schon nicht mehr vollständig waren, so daß Rufinus (aus anderen Werken des Origenes?) ergänzen mußte. um eine lateinische Übersetzung (Bearbeitung) des Kommentars zum ganzen Römerbrief (in 10 BUchern) bieten zu können'. Von den Kommentaren zu Galater, Philipper, Kolosser sind nur spärliche Fragmente, zu I Korinther und Epheser immerhin so viele griechisch in den Katenen erhahen, wie rund 70 bzw. 50 Seiten des Journal of Theological Studies ausma ehen'. Es fallt auf, daß nur das Markusevangelium, die beiden Timotheusbriefe, die katholischen Briefe und die Apokalypse weder in Kommentaren noch in Predigten behandelt wurden. Das zweite Evangelium wird allerdings (wie Lukas) bei der Auslegung des Matthäus herangezogen. wenn es einen abwei chenden Wortlaut hat; der Kommentar zum Lukasevangelium, der nach der Vorrede des Hieronymus zu seiner Übersetzung der Lukaspredigten auffallen derweise nur fUnf BUcher umfaßte. hat wohl nur das lukanische Sondergut behandelt, im übrigen auf den Matthäus-Kommentar verwiesen. Auch die Apo kalypse wollte Origenes kommentieren; das sagt er bei der Erklärung von Mt 24.29f ( ... "die Sterne werden vom Himmel fallen"), wo er Offb 12,4 ( ... ..der Schweif des Drachens zog den dritten Teil der Sterne vom Himmel") heran zieht1o• So gibt es gute GrUnde, die zu Beginn unseres Jahrhunderts in einer Handschrift eines Meteorenklosters entdeckten Kurzerklärungen (hermeneiai) fUr echt anzusehen. Dann aber geben sie uns Einblick in die Art, wie Origenes , Herausgegeben samt den erhaltenen Fragmenten von M. Rauer. Die Griechischen Christlichen Schriftsteller (GCS) Origenes IX. t 1959. 7 GCS (vgl. Anm. 6) IX. 1 1 0, Z. 9. I Praefatio und Epilog des Rufinus zum Römerbrief-Kommentar in: Tyrarllli Ruftni Opua .. Corpus Chr;stianorum. Suits Latina XX, ed. M . Simoneni, 1961, 273-277. Ocr Text findet sich in der Patrologia Graua 14. 833-1 292: es haben sich aber große Teile griechisch erhalten. Nachdem A. Ramsbotham im Journal of Thcological Studies (JTS) 1 3 ( 1 9 1 2 ) 209-224. 357-368 und 1 4 ( 1 9 1 3 ) 10-22 und K. Staab in dcr Biblischen Zeitschrift (RZ) 18 ( 1 927128) 72-83 eine ganze Reihe von teilweise längeren Fragmenten veröffentlicht hallen. wurde ein großes. allerdings beschädigtes. fortlaufendes Stück ebenfalls in Ägypten gefunden: J. Sche rer, Le commentaire d'Origtne $ur Rom 1II,5-V, 7, Le eaire 1957. , C. Jenkins, Origen on I Corinthians: JTS (vg!. Anm. 8) 9 ( 1 908) 23 1-247. 353-372. 500-5 14; 1 0 ( 1 909) 29-5 1 : dazu C.". Turner: JTS 10 ( 1 909) 270-276: J.A .F. Gregg, The Commeotary of Origen upon the epistle to the Ephesians: JTS 3 ( 1902) 233-244. 398-420. 554-576. IOZU Mt 22,34-27,66 ist nur eine alte lateinische Übersetzung erhalten. die frUher als Predigt reihe aufgefaßt und deshalb in kurze Abschnittc eingeteilt wurde. jetzt aber Commtntariorum Suits (comm. ur. in MI.) genannt wird: sie ist mit griechischen ParallelfragmeDtcn ediert in GCS (vg!. Anm. 6) XI: dort obiges Zitat S. 105 . 8.
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auch sonst gelegentlich gearbeitet hat; mit dem 32. Buch zu Johannes hatte er erst das 13. Kapitel erreicht. den Rest des Evangeliums scheint er nur in Form von Kurzbemerkungen, Scholien, behandelt zu haben; denn auch Euseb kannte nur 32 Bücher zu Johannes. [m Alten Testament behandelten die 13 Bücher zur Genesis nur deren erste fünf Kapitel; zu den folgenden Büchern Moses erwähnt die Liste nur excerpta, Scholien. Bei den Psalmen allerdings scheinen die Scholien nicht als Ersatz für den nicht zustandegekommenen langen Kommen tar. sondern als dessen Kurzfassung zur bequemeren Benützung gemeint zu sein". Die Briefe des Origenes nennt Euseb zuletzt, nicht weil sie die zeitlich spätesten Schriften wären, sondern weil erst er sie gesammelt hat (h.e. 6,36,3 f); das meiste davon ist verloren. In der Christenverfolgung des Kaisers Decius (249-25 1 ) wurde Origenes eingekerkert, in Ketten gelegt und in den Block gespannt. vielfältig gefoltert und mit dem Feuertod bedroht, aber nicht getötet; das habe der Richter vielmehr unbedingt vermeiden wollen. Origenes hat davon selber in Briefen berichtet, ja sogar nach der Verfolgung noch einige Werke verfassen können (h.e. 6,39.5). Daß ihm das Martyrium, das er seit seiner Jugend ersehnt hatte, nicht vergönnt war, ist nicht nur seine persönliche Tragik, sondern wohl auch der Grund dafür. daß sein Werk nur in Bruchteilen auf uns gekommen ist. Wäre er Märtyrer geworden, wäre nicht nur sein Andenken vor Verketzerung, sondern wohl auch sein Werk vor teilweiser Vernichtung bewahrt geblieben.
Das Nachwirken des Origenes Auch für die Wirkung, die Origenes auf die Nachwelt ausgeübt hat, ist ältester Zeuge der Bischof Eusebius. Er half seinem in der Verfolgung des Diokletian eingekerkerten Lehrer Pamphilus, eine Verteidigung des Origenes in fünf Bü chern zu schreiben, der er selbst nach dem Tode des Pamphilus noch ein sechstes anfügte. Wie die Rechtgläubigkeit des großen Alexandriners schon zu Lebzeiten so umstritten war, daß er sie selbst in vielen Briefen verteidigen mußte (h.e. 6, 36,4), so blieb die Geschichte seines Werkes eine Geschichte seiner Bekämp fung und Verteidigung, aus der sich schon im Altertum wenigstens zwei große Origenistenstreite herausheben lassen, gegen Ende des vierten und in der Mitte des sechsten Jahrhunderts. Bald nach der Mitte des vierten Jahrhunderts stellte Basilius, später Bischof von Cäsarea in Kappadozien. mit Hilfe seines Freundes Gregor von Nazianz, der ihn in seiner pontischen Einsiedelei aufsuchte. eine Blütenlese aus den Werken des Origenes zusammen, die als Philokalie erhalten ist und uns z. B. den größten Teil des 4. Buches der Grundlagenschrifl griechisch bietet. Dem Abend land wurde die Exegese des Origenes bald darauf durch Hilarius. Bischof von 1 1 Nautio
(vgL Anm. I ) 289 f.
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Poitiers. erschlossen, der 355 wegen seines nizänischen Glaubens vom ariani sierenden Kaiser Konstantius in den Osten verbannt worden war, wo er sich mit dem Reichtum der griechischen Theologie vertraut machte; der nach seiner Rückkehr in den Westen im Jahre 360 verfaßte Psalmenkommentar ist so stark von Origenes beeinflußt, daß Hieronymus. sicher übertreibend, ihn einfach als Übersetzung bezeichnet'Z, Ähnliches gilt von den Psalmenpredigten, ja den meisten exegetischen Werken des großen Mailänder B ischofs Ambrosius; Au gustinus schreibt über ihn in seinen Confessiones (6, 4,6): "Oft habe ich mit Freuden gehört, wie Ambrosius in seinen Vorträgen an das Volk sagte: ,Der Buchstabe tötet, der Geist macht lebendig' (2 Kor 3,6), und wie er dann da, wo der Buchstabe Verkehrtes zu lehren schien, den mystischen Schleier wegzog und das geistige Verständnis aufschloß". Die Ausdrucksweise läßt erkennen, wie sehr Augustinus selbst von Origenes beeinflußt ist, wurde er doch erst durch die allegorischen, d. h. im Sinne des Origenes gehaltenen Predigten des Ambrosius zum Alten Testament für das katholische Christentum gewonnen, dem er bis dahin, von den "gebildeten" Manichäern beeinflußt, blinden Buchstabenglauben vorgeworfen hatte. Zwar hat Augustinus später in der Auseinandersetzung mit den Pelagianern über die Gnade geradezu eine Wende vollzogen und das dem Ambrosius so teure Pauluszitat neu verstanden, nämlich als tötend den verbie· tenden Gesetzesbuchstaben, als lebendigmachend aber die Gnadengabe des Geistes (De spiritu et littera 6), was wohl der Meinung des Paulus besser entspricht. aber er läßt doch weiterhin gelten, "daß wir einen bildlich gebrauch· ten Ausdruck, dessen wörtliche Bedeutung widersinnig ist, nicht buchstäblich auffassen. sondern eine andere Bedeutung betrachten"!). Diese Auffassung hat er ebenso wie Hieronymus, wie Ambrosius und vor allem Gregor der Große, dessen Moralia in Job von Allegorese geradezu strotzen, ans Mittelalter weiter· gegeben. das fast ganz von der geistlichen Auslegung, d. h. letztlich von der Exegese des Origenes beherrscht war. Den größten Teil der Übersetzungsarbeit, durch die das Abendland mit Origenes vertraut wurde, leisteten um die Wende zum vierten Jahrhundert die beiden Jugendfreunde, die dann über dem Origenes zu erbitterten Feinden wurden, Rufinus und Hieronymus. In den theoretisch·methodischen Auseinan· dersetzungen ging es um dieselbe Frage. die im 16. Jahrhundert zwischen Jesuiten und Benediktinern über die Werke Augustins erörtert wurde, ob man ihn nämlich möglichst historisch getreu abdrucken oder der dazwischen liegen· den Dogmenentwicklung anpassen sollte. Rufin ging es um die Brauchbarkeit für die Kirche seiner Tage. Hieronymus forderte exakte Wiedergabe auch der Irrtümer und dogmatisch anstößigen Aussagen. In seiner exegetischen Praxis aber verfuhr Hieronymus ebenso wie Rufin; er hat für seine Bibelkommentare
Alle einschlägigen Äußerungen des Hieronymus bei Q. Bardeohewer. Geschichte der ahkirch lichen Literatur, Freiburg, Ud. 11, 11923, 374, Anm. 6 (Nachdruck 1962). n übersetzung nach S. Kopp, in: Augustinus. Schriften gegen die Pelagianer, Bd. I, Würzburg 1971. 309 . n
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die des Origenes nicht nur hemmungslos ausgewertet, sondern dessen PsaJmen predigten bei der Übersetzung kaum überarbeitet und doch als sein Werk hinausgehen lassen". .,So geht fast alles, was in acht Jahrhunderten in der Kirche des Ostens und des Westens zur Erklärung der Psalmen vorgetragen wurde, auf Origenes zurück" (Paul de Lagarde). Seine anderen exegetischen Werke waren nicht ebenso geschätzt und nicht ebenso einflußreich. was sich allein schon daran erkennen läßt. daß viele nur bruchstückhaft oder gar nicht auf uns gekommen sind; wie unentbehrlich sie aber andererseits waren, läßt sich aus der lateinischen Übersetzung des Matthäus-Kommentars erkennen, die wohl am ehesten in den Umkreis Cassiodors gehört, der sich in der zweiten Hälfte des 6. Jahrhunderts darum bemllhte. einen Kommentar zur ganzen Heiligen Schrift zusammenzubringenu. Mag Origenes auch mehrfach verurteilt, ja von der griechischen Kirche gar als Erzketzer angesehen worden sein - vieles wurde mißverstanden, manches ihm nur unterstellt -, aus der Geschichte der christli chen Frömmigkeit kann man ihn nicht wegdenken. Wer sich mit ihm befaßt, folgt also nicht nur historischer Neugier für längst vergangene Zeiten. sondern geht zurück zu Wurzeln, die immer noch in der Christenheit lebendig sind. Noch erstaunlicher aber ist eine Wirkung des Origenes, die eigentlich nicht Nachwirkung genannt werden dürfte. weil sie bei einem seiner Zeitgenossen zu spOren ist. aber doch unter diese Überschrift gehört. weil sie sogar in das Traditionsgut einer anderen Religion. nämlich des Judentums, eingegangen ist. Davon, wie Origenes von rabbinischer Exegese beeinfiußt wurde - was längst bekannt ist -, ist in dieser Einleitung noch zu reden; wie er selbst im Wechsel spiel auf den Rabbi Yohanan von Tiberias eingewirkt hat. der in den vierziger Jahren des dritten Jahrhunderts mehrfach seinen Lehrer Hoshaya Rabba in Cäsarea besuchte, hat unlängst Reuven Kimelmanl' gezeigt. R. Yohanan führte .,den exegetischen Kampf gegen die Christologisierung des Hohenliedes" durch Origenes. indem er ihm streckenweise folgte. War (Ur Origenes das, was der Bräutigam Christus der Braut bringt, höher als alles. was sie zuvor von Gesetz und Propheten empfangen hatte. so erhöht R. Yohanan die Lehren der Schrift gelehrten über die geschriebene Torah hinaus, um die Behauptung zu widerle gen, nur der Neue Bund (das Christentum) könne mit dem gemeint sein, was den Alten überbietetl7• Ja sogar zur Betonung des Abraham. der die Sünde Adams wiedergutgemacht habe, sei R. Yohanan durch Origenes herausgefordert wor den. der diese Rolle Christi auch im Hohenlied ausgesprochen fand. Weil auch im COI1lI1l. in Mt. davon die Rede ist, seien noch zwei weitere Differenz- und Konkordanzpunkte origenischer und rabbinischer Exegese genannt: Nicht dem I. Dcm Origcncs zurückgegeben wurden die Homilien durch V. Peri , Omelie Origeniane sui Salmi. Contributo all'identificazionc dcl testo latino :: StT 289 ( 1 980). U Vgl. R. Girod, La traduction latine anonyme du Commcntaire $ur Matthieu, in: Ongeniana :: Quaderni di Vetcra Christiaoorum 12, Bari 1975, 1 25-138, bes. 132. I' R. Kimelman, Rabbi Yohanan and Origen on the Song of the Songs: A thirdcentury Jewish Christiao Disputation, in: HThR 73 ( 1 980) 567-595. I1 Ebd. (vg!. Anm. 16) 580f.
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himmlischen, wie Origenes lehrt (comm. in MI. XIV, 13. 17 u. ö.), sondern dem irdischen Jerusalem gelten die Verheißungen nach der Auffassung des R . Yoha nano denn Israel ist nicht verstoßen (so comm. in MI. XIV, 16.17), sondern nur gezüchtigt I', Wenn der Einfluß des Exegeten Origenes in und außerhalb der Geschichte des Christentums so groß ist, stellt sich die Frage, ob er gewissermaßen unre flektiert und naiv so beeindruckende und überzeugende bzw. herausfordernde Auslegungen gefunden hat, oder ob hinter seiner exegetischen Arbeit eine Theorie der Schriftdeutung, ja vielleicht eine Theorie der Bibel und ihrer Geistinspiration stand. Tatsächlich hat Origenes eine einheitliche Vorstellung von Entstehung und Auslegung der Bibel besessen, die nicht nur gelegentlich in den Kommentaren aufblitzt, sondern im vierten Buch der Grundlagenschrift entfaltet, in manchen Kommentaren ergänzt wird.
Schriftauslegung nach Origenes
I . in Oe principiis Das 4. Buch seiner Grundlagenschrift hat Origenes (mit Ausnahme des 4. Kapitels, das eine Zusammenfassung der ersten drei Bücher darstellt) der Heiligen Schrift gewidmet. 1m 1 . Kapitel wird ausführlich dargetan. daß die ganze Heilige Schrift Werk des Heiligen Geistes ist, der sich hauptsächlich durch die schon erfüllten Prophezeiungen zu erkennen gibt. Wenn aber in und hinter den menschlichen Verfassern der Gottesgeist wirkt, kommt es darauf an, dessen Aussageabsichten zu erfassen. Wer sich nur an den Wortlaut der Schrift hält, kann nicht erfassen. was der Geist eigentlich sagen will; das erkennt man einerseits daran, daß die Juden den Heiland unter Berufung auf den Wortlaut der Schrift abgelehnt haben. andererseits die Häretiker (im wesentlichen die Gno� stiker) ihre gotteslästerliche Unterscheidung zwischen dem Weltschöpfer und dem vollkommenen Gott auf wörtlich aufgefaßte Stellen des Alten Testamentes gründen (lV. 2, I). Origenes betont (wie schon in der Vorrede zum ganzen Werk: Praef 8), daß auch die Einfältigsten unter den rechtgläubigen Christen davon überzeugt sind. daß die Heiligen Schriften geheimnisvolles, göttliChes Heilshan� deIn andeuten, wenn sie auch nicht anzugeben vermögen, welche Heilstat sich jeweils hinter dem einzelnen Bibelwort verbirgt (prille. 4, 2,2). Dieser aJlgemei� ne Konsens fUr die Erforschung der Bibel ist nicht nur wiChtig, sondern geradezu grundlegend, weil er exegetische Bemühungen nicht nur ermöglicht oder für erlaubt erklärt, sondern zwingend vorschreibt. Origenes kann eine Liste von Gegenständen, nach denen geforSCht werden muß. vorlegen, die aber nicht erschöpfend, sondern nur beispielhaft gemeint ist. .Es ist fUr uns notwendig. •
" Ebd. (vgl. Anm. 16) 595.
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Kenntnis zu gewinnen" , und zwar Ober Gott. über die Seelen. über die anderen Vemunftwesen. Ober die Weh und tiber den Ursprung des Bösen (pril1c. 4. 2.7). Die Kenntnis Gottes und seines Einziggeborenen nennt Origenes zwar nicht als erste, bezeichnet sie aber als Grundlage aller Ubrigen Einsichten. Daß die Kenntnis der Seelen an erster Stelle genannt wird. ist soteriologisch und seel sorgerlieh begründet". dürfte aber auch erkennen lassen, daß die Frage: Wer bin ich? in einer von Gnosis geprägten Umwelt auch für Origenes die erste ist, die sich stellt. Die Lehre über Gott gehört gewissermaßen mit zur Antwort auf diese erste Frage. Sie umfaßt die gesamte Soteriologie. nämlich "aus welchen GrUn den der Sohn Gottes bis ins menschliche Fleisch herabgestiegen ist ... , welches seine Wirkkraft ist und wen sie erreicht" (ebd.). Über die genannten Gegenstände und andere von ähnlicher Art wollte der Heilige Geist, der die Diener der Wahrheit erleuchtete. durch die Bibel Kenntnis gewähren (pritlc. 4. 2. 8). Das ist fUr alle Christen unbestritten; es muß aber. wer den Weg zum Sinn der Schrift finden will. ihre innere Struktur bedenken, die aus dem Buch der Sprüche (22.20f LXX) erkennbar wird, wenn es heißt: "Und damit du Worte du schreibe sie dreifach in deinen Willen und deinen Verstand der Wahrheit antworten kannst!" Aus diesem Wort "dreifach" - i m Hebräischen ist von 30 Sprüchen die Rede - folgert Origenes: Dreifach also muß man sich die Gedanken der Heiligen Schrift in die Seele schreiben (princ. 4, 2.4). Auch der Septuaginta-Wortlaut dieses Verses ließe sich wohl im Sinne besonderer Aufmerksamkeit und tiefen Einprägens verstehen; die Deutung. die Origenes dann anschließt, muß ihm also aus anderen Gründen vertraut gewesen sein. Man wird nicht fehlgehen, wenn man hinter der dargelegten Dreiteilung die bei den Gnostikern übliche Einteilung der Menschen in drei Klassen wirksam sieht. Origenes möchte, daß der Einfältigere durch das erbaut wird, was man Fleisch der Schrift nennen könnte, nämlich die auf der Hand liegende Auffassung; wer schon ein wenig fortgeschritten (wörtlich: emporgestiegen) ist, soll gewisser maßen die Seele der Schrift, der Vollkommene aber das "geistliche Gesetz" erfassen; wie nämlich der Mensch, so bestehe auch die Heilige Schrift aus Leib, Seele und Geist. Eine Stütze fUr diese Dreiteilung des Schriftsinnes vermag Origenes offenbar aus der Heiligen Schrift selbst nicht beizubringen, sonst brauchte er sich nicht auf das Hirtcnbuch des Hermas zu berufen, von dem er genau weiß, daß es nicht allgemein anerkannt ist. Darin erhält der Visionär den Auftrag, zwei Bücher (d. h. Kopien derselben Schrift) zu schreiben und eines einer Frau namens Grapte, ein anderes dem Klemens zu übergeben. Die Grapte (der Name bedeutet: Die Geschriebene) soll die Witwen und Waisen unterrich ten; Origenes sieht in ihr den bloßen Buchstaben. der für die bestimmt ist, die • ...
19 Origenes. Vier BUcher yon den Prinzipien. hrsg .. übers .. mit kritischen u. erillul. Anm. versehen von H. GOrgemanns und H. Karpp. Wissenscharttiche Buchgesellschaft. Darmstadt 1976.723. Anm. 29. Zu dieser bewundernswerten Ausgabe und Übersetzung und zum Problem der Grundlagenschrift überhaupt ygl. E. Junod. Entre deu," tditioos du Dt Pr;ncipiis d'Origene. in: BLE 78 ( 1 977) 207-220.
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Gott noch nicht ihren Vater nennen können und des himmlischen Bräutigams noch nicht würdig sind. wenn sie sich auch von dem unrechtmäßigen schon getrennt haben. Klemens soll das Büchlein an die auswärtigen Städte schicken: Origenes findet da die Seelen angedeutet, die sich "außerhalb des Leiblichen und der niedrigen Gedanken" befinden. Hermas selber aber, als Schüler des Geistes. soll durch lebendige Worte den Ältesten der ganzen Gemeinde Gottes Botschaft bringen (princ. 4, 2,4). Diese Deutung des dreifachen Schriftsinnes macht nicht nur einen recht gekünstelten Eindruck, sondern tut auch dem Hermastexi Gewalt an; dort heißt es nämlich ausdrücklich. Hermas solle in der Stadt zusammen mit den vorstehenden Presbytern den Text lesen1O• Es mag allerdings sein, daß Origenes einen abweichenden Hermastext vorliegen hatte. Origenes hält zunächst an der Dreiteilung des Schriftsinnes fest, macht darauf aufmerksam. daß die Bibel an manchen Stellen. wie er zeigen werde, das Leibliche nicht aufweist, also keinen vordergründigen Sinn hat, sondern nur Seele und Geist, die aber verborgen sind. und bringt ein Beispiel für die psychische Erklärung: Paulus gewinnt in I Kor 9, 9 aus Dtn 25,4 (Du sollst dem dreschenden Ochsen das Maul nicht zubinden) einen Hinweis auf den Lebens· unterhalt der Verkünder des Evangeliums. Dann aber gerät die Dreiteilung aus dem Blick. Von da ab scheint Origenes sich nur noch für die geistliche Erklärung zu interessieren; jedenfalls spricht er in § 7 und 8 nur noch von zwei Zwecken, die der Heilige Geist bei der Abfassung der Schriften verfolgte, in § 9 nur noch von zwei Sinnebenen im Text der Schrift und nur noch von zwei Arten von Schriftaussagen. Die erste Absicht (skopos) des Geistes, der nach Gottes Vorsehung durch das anfängliche Wort Gottes (die ganze Trinität ist also an der Abfassung der Heiligen Schrift beteiligt) die Diener der Wahrheit erleuchtet, bezog sich auf die verborgenen Geheimnisse des göttlichen Heilshandelns am Menschen; wer imstande ist, sich belehren zu lassen und forscht und sich in die Tiefen des Sinnes der Texte versenkt (vgl. I Kor 2. 10), soll aJler Dogmen seines Ratschlusses teilhaftig werden (prille. IV. 2,7), Hier braucht natürlich nicht genau festgelegt zu werden, um wessen Ratschluß es geht; Vater. Sohn und Geist sind, wenn an der Abfassung der Schrift. dann erst recht an dem ihr zugrundeJiegenden Heilshandeln, von dem sie berichten soll, beteiligt. Die Dogmen sind wohl nicht nur verbindliche Glaubenslehre, sondern die göttlichen Heilsratschlüsse selbst; ihrer teilhaftig werden, bedeutet wohl nicht nur Information über sie erhalten. sondern das Heil. wenigstens anfanghaft. zu empfangen, Daß Origenes dies im Sinn hat. geht aus dem nächsten Satz hervor. wo er von den Seelen, über welche, wie oben schon angedeutet, Kenntnis nötig ist, sagt. sie könnten nicht anders Vollkommenheit erlangen, als durch "die reiche und weise Wahrheit über Gott", Die Heilige Schrift ist also für Origenes in allererster Linie Selbstmitteilung Gottes; ihr Adressat ist zuerst nicht der simple Hörer der Geschichten, sondern der Lernfä· hige und Lernwillige, kurz der Vervollkommnungsbereite. Zweck der Schrift ist laDer Hin des Hermas. 2. Vision. 4,3 (: 8.3 ed. M. Whiuaker S. 7) GCS 1956.
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es, diese, wenn auch stark erkenntnismäßige, aber eben nicht nur intellektuelle, sondern auch moralische Vervollkommnung zu bewerkstelligen, die freilich höchste Anspannung des Lesers erfordert. Der Geist Gottes verfolgte aber von vornherein durch die Diener der Wahrheit, die Propheten und Apostel, einen zweiten Zweck, der sich allerdings nur von seiten der Adressaten der Offenba rung auferlegte: Der Geist sieht und nimmt offenbar hin, daß es Menschen gibt, welche die Mühe nicht z.u ertragen vermögen. die es kostet, wenn man die göttlichen Geheimnisse aus den Texten heraushören will; deshalb verbarg er sie "in Ausdrücken, die äußerlich eine Erzählung vorstellen. die Kunde enthält Ober die sinnenfiilligen Schöpfungswerke, die Erschaffung des Menschen" usw. oder auch: "über die Taten der Gerechten oder deren gelegentliche Verfehlungen" (prillc. IV. 4,8). Hier könnte man meinen, daß die Inspirationstheologie des Origenes an einem schweren Widerspruch krankt. Wenn es Menschen gibt, die sich nicht der Erforschung des Schriftsinnes widmen können. dann hätte der Geist für sie die verborgenen Geheimnisse doch enthüllen und im Wortlaut der Schrift selbst aussagen sollen. Die Schwierigkeit für die Mehrzahl der Hörer scheint der Geist überhaupt erst dadurch geschaffen zu haben, daß er seine Heilsratschlüsse verbirgt. Aber so würde man Origenes sicher mißverstehen. Aus dem, was er dann über die "unmöglichen" Stellen der Schrift sagt, läßt sich wohl entnehmen. daß die Heilsmysterien gar nicht direkt durch einen geschrie benen Wortlaut ausgesagt werden können. In diese Richtung deuten auch seine Erklärungen zu den beiden Gleichnissen von Sämann und Saat (Mt 1 3 , 3-8 und 1 3 , 24-30); nur für diese beiden Gleichnisse bietet ja das Evangelium auch die Deutung (Mt 13. 18-23 und 36-43). Origenes findet in dem Schlußwort Jesu: "Wer Ohren hat zu hören. der höre!" die Lehre. "daß auch das zur Auslegung des Gleichnisses Gesagte selbst wiederum einer Erklärung bedarf" (comm. in Mt. X. 2, S. 63). Wollte man diese wiederum aufschreiben. so ergäbe sich die gleiche Schwierigkeit und man könnte mit Schreiben nicht aufbören, so daß schließlich "die Welt die Bücher nicht fassen könnte" (Joh 2 1 . 24), die dazu notwendig wären (comm. i" MI. XIV, 12). Nicht das Verh üllen als solches ist also der zweite vom Geist verfolgte Zweck. sondern, daß er als Hülle für die Mysterien Erzählungen verwendet. die in sich nicht nur verstanden werden können, also einen vordergründigen Sinn entfalten, sondern darin auch schon erbauen und zum Guten antreiben, etwas Protreptisches enthalten, wie Origenes gelegentlich i n der Matthäus-Erklärung sagt (z. B . XIV, 25; XV, 22). Daß die ganze Schrift, jedenfalls an den meisten Stellen (von den Ausnahmen spricht Origencs kurz darauf) in ihren Erzählungen, also auf der Ebene des vordergründigen Sinnes, einen logischen Zusammenhang einhält, ist aber nicht nur Geschenk des Geistes an die ..Einfachen" , sondern stellt selbst schon einen Hinweis auf den Gesamtzusammenhang dar, den die Heilsgeheimnisse bilden. Diesen Zusammenhang in den geistlichen Dingen (pri"c. IV, 2.9) könnte man gewiß auch aus der Einheit Gottes ableiten; Origenes nennt ihn aber erst, nachdem von der Folgerichtigkeit des Wortsinnes die Rede war; zuvor hat er von den Geheimnissen und Dogmen in der Mehrzahl gesprochen. Dieser geistliche
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Der Kommentar
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Kosmos oder diese geistliche Geschichte soll verkündet werden, und zwar durch Dinge, die geschehen sind. und solche, die getan werden sollen: YEYEvT1�Evou:; xat JtQax'tEOl�. Diesen Dativ ziehen die Übersetzer, jedenfalls Butterworth und Simonel.li1l, wohl verleitet durch die Rufin-Übersetzung, zu dem vorangehenden Dativ "in den geistlichen" Dingen. so daß Origenes von "ergangenen und zukünftigen Heilstaten Gottes reden wUrde. Das gibt ohne Zweifel einen guten Sinn. trotzdem scheint die Übersetzung von Görgemanns und Karpp den Sinn besser zu treffen. wenn sie ..geschehene und noch auszuführende Handlungen" als Geschichtserzählungen und Gesetze" verdeutlichenu. Der Geist verwendet " also nicht nur Geschichten. sondern auch Gesetze, die in ihrer Mehrzahl sinnvoll und erfüllbar sind. als Hülle und zugleich doch auch als Ausdrucksmittel für die Heilsgeheimnisse. Origenes denkt sich den Logos (oder auch die geradezu personifizierte Schrift) dabei wie einen menschlichen Schriftsteller. der litera· rische Motive sucht. "Wo er geschichtliche Ereignisse fand. die sich auf diese geheimnisvollen Dinge beziehen ließen, benutzte er sie. um den tieferen Sinn vor der Menge zu verbergen" (prillc. I V 2,9). Dann muß man von vornherein damit rechnen. daß der Logos auch auf Ereignisse. ja sogar Erzählungen über diese Ereignisse stößt, die der Darlegung des Zusammenhangs der geistigen Dinge nicht entsprechen; in diesem Fall hat die Schrift in die "zuvor aufgeschrie· bene" Geschichte Dinge hineingewoben. die nicht geschehen sind; manche davon können gar nicht geschehen, andere könnten zwar geschehen. sind aber doch im Text. so wie wir ihn haben. als nicht geschehen zu erkennen (ebd.). Hier wä.re es verlockend. bei Origenes eine "Quellentheorie" zu entdecken! Dcr endgültig inspirierte Text hätte älteres Erzähl· und GeselZgebungsmaterial neu verwendet. Görgemanns und Karpp sind allerdings der Meinung. daß man sich das "vorausgehende" Aufzeichnen und das "Mit·Hineinweben" ohne zeitlichen Abstand als einen einheitlichen Vorgang der Theopneustie zu denken hae'. Aber auch. wenn es sich nicht um zwei zeitlich nacheinander erfolgende Vorgänge handelt. sind zwei sachlich voneinander verschiedene Verfahrensweisen des göttlichen Urhebers der Schrift zu erkennen, denen auch der Exeget gerecht werden muß. Er braucht dabei allerdings nicht damit zu rechnen. auf biblische Bücher zu stoßen, welche überwiegend solche Dinge enthielten, die im Wortsinn unhistarisch wären. Origenes betont vielmehr. daß die historisch "wahren" Partien weitaus zahlreicher sind als die ..hinzugewobenen bloß geistlichen" Stellen (princ. IV, 3.4). Dies ist offenbar nicht nur tatsächlich so. sondern erklärt sich einerseits vom Urheber. andererseits vom Zweck der Bibel her. Wäre mehr biblischer Text ohne historischen Sinn. dann könnte man an der göttlichen ,
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Origeo. On First Principles. Translated into English. togethcr with an Introduction and Notcs by G.w. ßutterworth. Londoo 1 936. New York Z!966. 286: ..Ihose that have already happened aod Ihose that are yet to come 10 pass". I Prioeipi di Origene. A cura di M. Simonetti. Torino " 1968, 5 1 1 : ..... Ia corrispoDdeDza ... rra eib ehe � accaduto e eib che si deve rare. u S o 727. Anm. 35 (vgl. Anm. 19). lJ S. 729. Aom. )7 (vg!. Anm. 19). Theopneustie oder Inspiralion: Die Bibel ist Werk des von Gott deo Verrassern eingehauchten Geistes.
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Vorsehung, die hinter der Schrift steht, zweifeln. Der Geist hätte dann nicht gefunden, was er in der auch von ihm gelenkten Geschichte des Volkes Israel suchte, um damit seine Heilspläne und die göttlich-geistliche Wirklichkeit Uberhaupt auszudrUcken. Andererseits wäre eine historisch überwiegend "un wahre" oder sinnlose Bibel fUr die Mehrheit der Gläubigen nutzlos; sie erfassen ja (zunächst jedenfaJls. solange sie nicht Belehrung erhahen) nur das ..Leibliche der Schriften"; für sie ist "die Hülle der geistlichen Dinge" nUtzlieh. weil sie dadurch in dem Maß, wie sie sie erfassen. gebessert werden (ebd. IV, 2,8). An den allermeisten Stellen hat die Schrift also einen vordergründigen, auch schon nUtzlichen Sinn. Nur gelegentlich. wo es um besonders geheimnisvolle Inhalte geht. sind einige wenige AusdrUcke, manchmal aber auch mehr .,zusätzlich in den Text eingeschaltet" (ebd. IV. 2.9). Einige Zeilen zuvor hat Origenes, gewissermaßen grundsätzlich, erklärt. daß zur Verkündigung Dinge. die geschehen sind, und solche, die getan werden sollen. verwendet werden. Deshalb spricht er nun, nachdem erst von der Ge schichte die Rede war, von der Gesetzgebung; sie muß man entsprechend auffassen. Es läßt sich im Gesetz des Alten Testamentes vieles finden. was ..unmittelbar nützlich ist und in die Zeiten der Gesetzgebung paßt, manchmal aber ist ein nützlichcs Gebot nicht zu erkennen. An anderen Stellen wird gar Unmögliches gesetzlich vorgeschrieben" (ebd.). Der Zweck, den der inspirie rende Geist damit verfolgt, ist derselbe wie dort, wo er in die Geschichtserzäh lungen .,Ärgernissc". ..Anstöße" und ..Unmögliches" hineingesctzt hat. Es soll zunächst einer Gcfahr vorgebeugt werden, deren Beschreibung den literarisch Gebildeten verrät. Origenes befürchtet (offenbar aufgrund des Literaturbetrie bes seiner Zeit) und er unterstellt auch dem göttlichen Logos diese Beflirchtung. wir könnten uns, wenn der Bibeltext keinerlei störende Beimischung enthielte, zum rein literarischen Genuß verleiten lassen und so entweder gar nichts erfahren, was Gottes wUrdig ist, und schließlich ganz von den Glaubenslehren abfallen oder aber uns selbst um jede tiefere Gotteserkenntnis bringen, wenn wir nur beim (gefalligen) Wortlaut bleiben (ebd.). Wie die Schrift jetzt tatsächlich abgefaßt ist, macht sie jedem deutlich, daß sie nicht nur oberflächlich gelesen werden will. Freilich werden nur die GeUbteren und Forschungswilligeren sich der sorgfältigen Untersuchung des Textes widmen und dabci die glaubwUrdige Überzeugung gewinnen, daß man gerade an den dunklen Stellen einen Sinn suchen muß, der Gottes würdig ist. Die Geübteren sind also in besonderer Weise die Adressaten der in den dunklen Stellen enthaltenen Mahnung. Die hat der Geist Gottes also nicht nur verfassen lassen. weil nicht genügend symbolflihige Geschichten zur VerfUgung standen (siehe oben); die dunklen Stellen haben nicht nur Ersatzfunktion. sondern sind gewissermaßen in sich selbst beabs ichtigt als Anreiz und Stachel. Aus der völligen Entsprechung. die Origenes hier zwischen Geschichte und Gesetz erblickt, wird man schließen müssen, daß nicht nur die GeschichtsbUcher Dinge erzählen, die nicht geschehen sind, sondern auch der Text der alttcstamentlichen Gesetzgebung Forderungen enthält, die in der Geschichte des Volkes nie geboten waren . Von daher ergibt sich gcwisser-
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maßen nebenbei eine neue Möglichkeit. das Problem der Verbindlichkeit des mosaischen Gesetzes, hzw. seiner teilweisen Aufhebung für die Christen zu lösen. Dies ist aber wohl nicht der erste Zweck der von Origenes entwickelten Inspirationslehre. Ihr Zweck ist vielmehr, mit den Schwierigkeiten des Bibel· textes fertig zu werden. unter denen schon die Vorgänger des Origenes, und zwar nicht nur die christlichen Exegeten, sondern auch schon der große jüdische Ausleger des Alten Testamentes. Philo von Alexandrien. gelitten hatten. Ja. schon vorchristliche Theologen. welche die Bibel der Heiden, nämlich die homerischen Heldengesänge, im Sinne einer philosophischen Gotteslehre aus legen wollten, konnten den zahlreichen unrUhmlichen Göttergeschichten nur dadurch einen gotteswUrdigen (8E01tQE1t,,
IOOrig�ne. Conlre Celse. Torne IV (vgl. Anrn. I): SC 150 ( 1 969) 169. 11 Origen. Conlra Cdsum (vgt. Anrn. 4), 450. IlSO Koctschau (vgl. Anrn. 5), S. 250 und Orig�nc. Contre Celse. Torne V ( ...gl. Anrn. I ) (SC 227 1 1 976]), Addenda S. 538.
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des Geistes wider das Fleisch in 8,23 verwendet. Um diese relecture. diese neue Deutung richtig einzuschätzen, ist es notwendig, den Sitz im Leben dieser pauIinischen Aussage in den Blick zu nehmen. Paulus knüpft an der Streitsucht der Galater an, die sich "gegenseitig beißen und auffressen" (5, 15). Ein solches Verhalten nennt Paulus Fleisch; er setzt es dem Geist entgegen. von dem die Galater überzeugt sind, daß sie ihn empfangen haben. und den sie offenbar auch nicht verlieren wollen. Dann aber müssen sie. so macht Paulus ihnen klar, gegen das Fleisch kämpfen. Deshalb zählt er die Werke des Fleisches auf, die zu meiden sind (5, 1 9-21) und die Fruchte des Geistes. die den Menschen vom Gesetz befreien (5,220. Diese andere Überle gung von der Gesetzesfreiheit kann hier außer Betracht bleiben. In der ganzen Paränese. in die der Satz von der doppelten Begierde eingebettet ist, zeichnet sich keine eschatologische B lickrichtung ab; man kann sie allenfalls angedeutet finden in dem abschließenden Satz6, 10: "Solange wir also Zeit (oder: Gelegen heit) haben, laßt uns Gutes tun"! Der Antagonismus von Fleisch und Geist dagegen scheint eine theologisch-anthropologische Dichotomie zu verraten. die zeitlos gültig ist, zumal Paulus sich nicht mit dem bekannten Satz über Fleisch und Geist begnügt. sondern die grundsätzlich klingende Begründung hinzufügt: "Diese sind nämlich einander entgegengesetzt", was übrigens an Platos Aussage im Phaidoll (94 c) : ..ln tausend Dingen sehen wir die Seele dem Leiblichen widerstreben" anklingt. Origenes durchbricht diese geradezu metaphysische Geltung des Grundsatzes und relativiert ihn in das Zeitschema hinein, indem er nur zwei Wörtchen, nämlich die Konjunktion öoov und ein EU "solange noch" hinzufUgt: ..Solange noch das Fleisch gegen den Geist begehrt und der Geist gegen das Fleisch. ist es", so erklärt Origenes diesmal nun seinerseits grundsätz lich, "unmöglich, daß der zusammengesetzte Mensch mit seinem ganzen Wesen Feste feiert", in his entirety, wie Chadwick sagtl). Origenes macht also deutlich, daß der Gegensatz von Fleisch und Geist vorübergehen wird. daß er nur Kennzeichen der jetzigen Zwischenzeit ist. die, wie wir hinzufügen dOrfen. noch unerlöst oder noch nicht voll erlöst ist. Indem Origenes fast nebenbei den Menschen als zusammengesetzt bezeichnet und erkennen läßt. daß die rech te Festfeier aus seinem ganzen Wesen (V; ÖAOlV) hervorkommen muß. deutet er hinlänglich an, daß die Aufhebung des Gegensatzes von Fleisch und Geist nicht dadurch zu erwarten ist. daß einer der beiden Teile aufgehoben oder unterdruckt wird, sondern daß sie miteinander versöhnt werden. Origenes rela tiviert den Paulusspruch also nicht nur, sondern gewinnt ihm eine bedeutsame eschatologische Perspektive ab, die ihm selbst ein Anliegen sein muß, denn der Punkt der Auseinandersetzung mit Kelsos. an dem er hier steht, hätte ihn keinesfalls dazu gedrängt. ja auch nicht dazu, sich auf Gal 5. J 7 zu berufen. Damit dies aber deutlich wird, ist es notwendig, auf Kelsos selber zurückzuge hen. Kelsos hatte, wie schon im vorigen Kapitel zur Sprache kam, den Christen vorgeworfen. sie revollierten gegen die gesamte Menschengemeinschaft, da durch. daß sie sich weigerten. an dem allgemeinen Götterkult teilzunehmen.
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Origenes rechtfertigt, wie wir schon sahen, die Absonderung der Christen, nimmt dann aber das Anliegen des Kelsos auf und erklärt, die Christen brauchten keine Altäre und Standbilder zu errichten, da das Hegemonikon eines jeden Gerechten ein Altar und jeder, der Gott ähnlich wird, ein Gott wohlgefalliges Weihebild sei (Ce/s. 8. 17). Die Christen brauchten aucb keinen Tempel zu errichten; Christus selbst, sein ganzer Kirchenleib. sei ihr Tempel; so brauche es dann auch keine Festzeiten und -tage; immer werde das Gott wohlgefallige Opfer dargebracht; Origenes zitiert mit Zustimmung die Kritik, die Paulus in Gal 4, lOf an den ..Monaten, Zeiten und lahren" übt. Origenes ist aber ehrlich genug zuzugeben, daß die Christen eben doch Herrentage, Rüsttage, Ostern und Pfingsten haben (Cels. 8, 22). Hier scheint aber nicht nur Aufrichtigkeit, sondern der Wunsch, der Gemeinde selbst die Festtage zu deuten, Origenes die Feder geführt zu haben. Er erklärt diese Festtage so: "Der Vollkommene, der immer in den Worten, Werken und Gedan ken dessen ist, der von Natur aus Herr und Logos Gottes ist, der ist immer in dessen Tagen und feiert immer Herremage". ..Aber auch wer sich immer dazu rüstet, wahrhaftig zu leben, sich enthält der Vergnügungen des Lebens ... feiert immer Rüsttage". ".,' Wer weiß, daß das Pascha Durchgangsopfer bedeutet und immer mit jedem Gedanken, Wort und Werk von der Wirklichkeit dieses Lebens zu Gott hinübergeht", "feiert immer Pascha", ..Wer mit Recht sagen kann: ,Wir sind mit Christus auferstanden rKol 2, 1 21 ... ' ist immer in den Tagen der Pentekoste, vor allem wenn er ... immer betet ... um des gewaltigen Geisteshauches würdig zu werden ..." (Zitat gekürzt), Das sind nun freilich weitgehend innerliche Verhaltensweisen, keine äußeren Festfeiern; die große Menge der im Grunde (noch) nicht im vollen Sinn Gläu bigen bedarf aber äußerer Erinnerungszeichen (Ce/s. 8, 23), Auch das habe, so meint Origenes. Paulus schon bedacht und deswegen zwar einerseits die Fest feier gereChtfertigt (wenn er Kol 2, 1 6 schreibt: "Niemand soll Euch wegen Essen oder Trinken oder aufgrund eines Festes richten"), andererseits aber ihre Vorläufigkeit und Unvollständigkeit dadurch zum Ausdruck gebracht, daß er vom !1EQO� tOQ"tfj� spricht, was Origenes als ..Teil des Festes" versteht. Dies gilt aber offensichtlich nicht nur quantitativ, sondern vor allem qualitativ, Insofern äußere Feste sinnvoll und notwendig sind, gelten die Vorschriften des alten Gesetzes; und da entdeckt Origenes nun eine deutliche Dialektik. Zwar wird zur Festfeier aufgefordert. gleichzeitig aber in die Festfreude das Gegenteil hineingemischt; beim Passafest soll man nach Dtn 16,3 ..das Brot der Bedräng nis", nach Ex 12,8 ,.Bitterkcäuter" essen; am Versöhnungstag soll man sich nach Lev 16,29 "verdemütigen", Darüber, so meint Origenes, wäre nun viel zu sagen; er begnügt sich aber als Begründung für diese sozusagen dialektischen Festan weisungen jenen Grundsatz anzusprechen, den wir schon ins Auge gefaßt haben, der vollständig so lautet: ..Denn es ist auch gar nicht möglich, daß der zusam mengesetzte Mensch, solange noch ,das Fleisch gegen den Geist begehrt und der Geist gegen das Fleisch' [GaI 5,1 7] aus allen (wohl zu ergänzen; seinen Wesens-
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teilen) Feste feiert; entweder mißhandelt nämlich jemand, indem er mit dem Geist feiert. den Leib. welcher wegen des ,Sinnens des Fleisches' [Röm 8.6] nicht imstande ist. mit dem Geist zusammen zu feiern. oder er feiert im Sinn des Fleisches und erfaßt nicht das Fest im Sinn des Geistes", Nun würde man die Erklärungen erwarten, die Origenes angekündigt hat; er sagt aber nur: .. Aber dies genügt für den Augenblick zur Lehre über die Feste", Deutlich ist aber, daß Origenes - und das sagt er offenbar sowohl seinem heidnischen Gegner als auch seinen Mitchristen. denen, die geistig Feste zu feiern verstehen, und denen, die auf äußere Festfeier angewiesen sind - für das Eschaton eine Feier des ganzen Menschen, seines Geistes und seines Leibes erwartet. Daß Origenes so verstanden sein will, dürfte sich aus seinem Matthäus-Kom mentar entnehmen lassen, wo er im vielleicht gleichzeitig geschriebenen 27. Kapitel des 17. Buches, in dem er die listige Frage der Pharisäer, ob man dem Kaiser Steuer zahlen dürfe, übertragen auslegt ("tQ01tOAOyfjOOl.) und den glei chen Ausdruck "den Leib mißhandeln" (xoxoüv "to OWllo) verwendet (GeS X, 659,27 f). Zu Beginn des Kapitels erklärt Origenes, genau wie hier im Kelsos Buch, daß wir "aus Seele und Leib zusammengesetzt sind", wobei er für den Augenblick vorn Wesensbestandteil Geist (rtveüIlO) absehen wolle. In den zwei grundsätzlichen Möglichkeiten, die Frage nach der Steuer zu beantworten, findet Origenes die heiden unterschiedlichen Meinungen bezüglich dessen, was dem Leib geschuldet wird, vorgebildet. Mit denen, die keine Steuer zahlen wollen. die er vorher in Kap. 26 (S. 656,7 ft) mit den Pharisäern identifiziert hat, vergleicht Origenes diejenigen, die "mit aller Kraft durch Fasten und Nachtwa chen und alle Art von Enthaltsamkeit den Leib mißhandeln". Solcher Rat und solches Verhalten sind also nicht im Sinne der Aufforderung Jesu: Gebt dem Kaiser, was des Kaisers ist, und Gott, was Gottes ist! Andererseits warnt Origenes auch vor denen, die dieses Schriftwort ohne Verdeutlichung (atQavo:ruot;) anwenden und daraus "phantasieren, daß man auch dem Leib die Schuldigkeiten entrichten müsse"; (man muß wohl mit dem Lateiner ergänzen: ..in jeder Hinsicht"). Dann versteht man, wie Origenes den Gedanken zu Ende bringt. der Heiland habe klar unterschieden zwischen dem . ..was vemünftiger weise dem Leib geschuldet ist und dem. was die Seele schuldig ist ...... Nur die Steuer also, die das Bild des Kaisers trägt. und nichts darüber hinaus seien wir dem Leib schuldig. Die Auslegung trägt also dem Gegensatz von Leib und Seele und vor allem der sich daraus ergebenden verschiedenen Lehrmeinungen Rech nung; das Recht des Leibes wird grundsätzlich verteidigt, wenn auch in engen Grenzen. Andererseits läßt Origenes im Buch ..Gegen Kelsos" selbst (schon in 7,4) erkennen. daß die Aufhebung des mehrfach ausgesprochenen Gegensatzes nichts rein Eschatologisches ist, sondern sogar schon in der Vorzeit verwirklicht war. Die Propheten bei den Juden waren durch den Kontakt des Heiligen Geistes mit ihrer Seele nicht nur im Verstand einsichtsvoller und in der Seele herrlicher geworden. sondern auch im Leib, "welcher überhaupt nicht mehr dem tugend haften Leben entgegenwirkte. weil er im Sinn des bei uns so genannlen ,Sinnens
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des Fleisches' abgetötet war". Andererseits bleibt doch auch diese gnadenhaft geschenkte Abtötung innerhalb nicht nur des Zeitraumes. sondern auch des Zustandes. in dem das Fleisch gegen den Geist begehrt und umgekehrt. ist also auch nur etwas Vorläufiges und insofern Prophetisch�Zeichenhaftes. welches sich im Eschaton erfüllen muß. Aber sowohl die Beschreibung des prophetischen Lebens als auch die dem Origenes als ausgewogen geltende asketische Anleitung aus dem Matthäus�Kommentar erhalten ihr volles Licht erst von der für das Eschaton erwarteten Aufhebung des genannten Antagonismus her. Solche Er� wartung scheint mir nicht platonisch und auch nicht spiritualisierend zu sein. Borret weist in seiner Anmerkung zu 8.23 des Kelsos�Buches auf das Werk über Origenes von 1. Danielou hin. der (5. 47-52) die Kapitel 17-23 kommentiert, wobei cr zunächst daraus die Nachricht über die von uns eben schon genannten christlichen Feste und Festzeiten entnimmt. Gegen Ende seiner Ausfllhrungen zitiert er den von uns hier kommentierten Satz. in dem Origenes seine eschato� logische Erwartung ausdrückt. läßt gerade diese aus, so daß als Zitat nur Obrigbleibt. daß der aus zwei Teilen zusammengesetzte Mensch in der Tat als Ganzer kein Fest feiern kann. Auch ein Hinweis auf die Verwendung von Gal 5. 17 unterbleibt. ohne daß dies markiert wäre. Aus einem so verstümmelten Origenes�Zitat kann Danielou dann Folgendes schließen: ..Seine spiritualisie� rende Tendenz würde den Origenes dazu bringen, die Bedeutung der sichtbaren Seite der Sache zu mißachten. Aber er sicht wenigstens. daß diese Seile mit der leiblichen Natur des Menschen verknüpft ist und ebenso mit seiner sozialen Natur" ..... Wo Danielou spiritualisierende Tendenz diagnostiziert. scheint mir in Wirklichkeit von Origenes der Spiritualismus auf geradezu spektakuläre Weise überwunden zu sein, und zwar dadurch, daß der Blick entschlossen auf das Eschaton gerichtet wird und von dort her die Gegebenheiten dieser Weltzeit relativiert werden. Es braucht durchaus nicht bestriuen zu werden. daß wir in vielen früheren Werken des Origenes spiritualisierende Tendenzen feststellen können; hier aber scheint mir alle Einseitigkeit überwunden zu sein; auch dieses Kapitel des Werkes ,.Gegen Kelsos" ist also eine echte Retractatio.
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Die Witwe als Bild der Seele in der Exegese des Origenes
l. "Sie sagen, Witwe sei die Seele, die den Teufel verstoßen hat; ihr Gegner (afllidikos) sei er; gegen ihn wende sie sich an Gott. den Richter der Ungerech· tigkeit, d. h . an den, der die Ungerechtigkeit verurteilt, der keinen Gott hat. den er fUrchten müßte, und auch auf keinen Menschen RlIcksicht [wörtlich: die Person keines Menschen] nimmt, der sich auch der Seele. die ihn belagert, erbarmr' (PG 72. 8520). So lesen wir in den Lukaspredigten des Kyrill von Alexandrien, jedenfalls in dem Text, den Migne von A. Mail übernommen hat, als Auslegung der Parabel vom Richter, der Golt nicht fürchtet, und der Witwe, der er wegen ihrer Zudringlichkeit doch Recht verschafft (Lk 18, 2-7). Schon R. P. Smith, der 1859 eine englische Übersetzung der syrisch erhahe nen Lukaspredigten des Kyrill herausgabl, erklärte diesen Abschniu für unecht, weil er kein syrisches Gegenstück hat. und nannte als Urheber den Griechen Theophylakt, der im 1 1 . Jahrhundert Erzbischofbei den Bulgaren war. In dessen Lukasauslegung (PG 123. 1001 A) lesen wir: .Es haben aber einige versucht. dieses Gleichnis zu neugierig [periergoteron, vielleicht: zu kurios] aufzufassen. und es gewagt. [diese Auffassung) der Wahrheit anzugleichen. Witwe nämlich, sagten sie. ist jede Seele, die ihren Mann, den sie früher hatte. den Teufel nämlich. verstoßen hat und die ihn deshalb als Gegner hat. der sie immer angreift. Sie aber wendet sich an Gott, den Richter der Ungerechtigkeit. d. h. an den, der Ungerechtigkeit richtet, der auch Gott nicht fürchtet. Er selbst ist nämlich der einzige Gott. und er hat keinen anderen, den er fürchten mUßte; aber er scheut sich auch vor keinem Menschen, denn Gott nimmt keine RUcksicht auf einen Menschen (nicht die Person eines Menschen). Über diese Seele. die Gott andauernd wegen ihres Gegners. des Teufels, bittet, erbarmt sich Gou, weil ihre Belagerung ihn beschämt hat. Das mag nun annehmen. wem es lieb ist; es wurde nämlich hier angefügt, damit es nicht unbekannt bleibt." Theophylakt hält diese •
I A . Mai, Nova Pa/rum Biblio/htca 11. Rom 1 844. 376. Zum Gleichnis: H. Paulsen. Die Witwe und der Richter (Lk 18. 1-8). in: ThGI 74 ( 1 984) 13-39 (Li!.) und G. Slählin, Das Bild der Witwe. Ein Beitrag zur Bildersprache der Bibel und zum Phänomen der Personifikation in der Antike. in: JAC 17 ( 1914) 5-20 (ebenfalls mit Lit.). Ich Ilbcrselze alle Texte und biete sie in einiger Ausführlichkeit, um so auch den Lesern einen Einblick in die Schätze pallislischer Uibelauslegung und eil! Urteil darüber zu ermöglichen. die keine Textausgabe zur Hand habel!. ith, A Commtntary upon Ihe Gospel according to S. Luke by S. Cyrill. Patriarch of I R.P. Sm Aleundria. Now firsl traoslattd ioto English from an anden syriac version. Qxford 1859.
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Auslegung also doch fUr erwägenswert; daß er sie aber schon vorweg als zu neugierig bezeichnet, könnte er Obernommen haben; das versprengte StUck Exegese mag mit dieser Einleitung umgelaufen sein. Wenn der pseudokyrillische Text in Wirklichkeit eine Übernahme aus Theo phylakt ist. wundert man sich nicht, daß er fast wörtlich die gleiche Einleitung bietet. Allerdings ist sein Schlußurteil viel kritischer: ..Aber einige haben dies leichtfertig und falsch aufgefaßt." Das könnte sich zwar auf diese Auslegung des Gleichnisses beziehen, die damit als falsch und riskant abgetan wäre. Aber dann wUrde man sich doch fragen, warum sie überhaupt geboten wird! Sie erschien dem Verfasser zwar als neugierig oder kurios, aber immerhin als mitteilenswert. So wird der Nachsatz eher bedeuten, daß die Exegese nicht nur. wie Theophylakt freistellt, von denen, denen sie .. lieb" ist, angenommen wurde, sondern daß sie darüber hinaus falsch und verwegen verwendet wurde, und zwar im Hinblick auf die Endzeit; denn dann wird eingeschärft, der Herr verlange besonders bei der Vollendung der Weltzeit inständiges Gebet, er werde dann aber nur wenig Glauben auf Erden finden. Kann man vermuten. daß die Parabeldeutung im Sinne übertriebener Heilszuversicht, im Sinne der Rettung aller (Kirchenglie der) verwendet wurde? Pseudo-Kyrill würde jedenfalls eine Kenntnis von der Verwendung der Parabel verraten, die Theophylakt (noch?) nicht besaß. Es gibt außer der wörtlichen Übereinstimmung der Einleitung, die ja nicht erkennen läßt. wer von wem abhängt, weitere Hinweise für die Priorität des Theophylakt. Aber zunächst sind die inneren GrUnde dafür zu nennen, daß der Abschnitt nicht von Kyrill selber stammen kann. Die syrische Parallele reicht ja nur bis: "Gut ist also das Flehen durch ständiges Bitten; denn unsere Bitten wird annehmen und unser Verlangen erfllllen Christus" (PG 72, 852C). Der Syrer hängt dann den üblichen Predigtschluß an: "Durch den und mit dem Dir, Gott dem Vater, Ehre und Herrschaft sei, mit dem Heiligen Geist, in alle Ewigkeit. Amen" (Smilh. 555): auch inhaltlich ist die Predigt damit zu einem Ende gekommen. Sie halte schon nach kurzer Einleitung die Frage gestellt: "Wenn nämlich den ungerechten Richter, der weder Gott fürchtete noch einen Men schen scheute. das ständige Herantreten der Witwe beschämte. so daß er ihr auch gegen seinen Willen Recht verschaffte. wie wird dann der Freund des Erbarmens und Feind der Schlechtigkeit. der denen, die ihn lieben, immer die rettende Hand reicht. nicht die annehmen, die am Tage und in der Nacht zu ihm kommen, und ihnen Recht verschaffen als den Auserwählten?" (PG 72. 849A). Dann fragt KyrilI. wer die Feinde sind, die gegen uns und gegen Gott sündigen, und ob man gegen sie beten dUrfe, und antwortet, es gebe eben nicht nur böse Menschen. sondern die bösen und feindlichen M.ächte (pollerai kai alllikeimenai dynameis); vor allem aber sei der Rechtsgegner (anridikos) der Satan, der ,.alle, die richtig leben wollen, heftig anfeindet . . . und uns die Samen aller SUnde einpflanzt"}. Gegen ihn habe uns Recht verschafft der einzige Logos Gottes. als er Mensch
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Vgl. unlen Anm. 1 2 und den Ausspruch des Evagrius S. 156.
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wurde. So ist die Predigt von der spirituellen Ermahnung zur heilsgeschichtli chen Aussage und Verheißung gediehen; eine Weiterführung erscheint ilberflils slg. Das neue StUck beginnt dann aber. also nach dem Blick auf Christus, so: Wenn aber den Richter der Ungerechtigkeit, der sich weder vor Gon noch vor den Menschen schämte und von jeder Schlechtigkeit voll war, die Belagerung und Ausdauer der Witwe erweichte, um wieviel mehr werden wir den Vater des Erbarmens (vgl. 2 Kor 1 , 3 ) zum Mitleid ziehen, wenn er auch im Augenblick Langmut übt?" Der Blick wird also wieder auf Gott den Vater gerichtet und dann die oben mitgeteilte Deutung der Parabel geliefert. Diese Einleiwngsfrage wiederholt die Frage von col. 849 A, zwar mit anderen Worten. aber inhaltlich gleich. Fast wörtlich findet sich diese Frage bei Theophylakt (pG 132. I 000 CD) mitten in seiner Erklärung und, etwas abgewandelt, noch einmal. bevor er zur Behandlung von Lk 1 8 . 8 übergeht. Dabei ist ihm der Hinweis auf die große Schlechtigkeit des Richters besonders wichtig'; er nennt sie zweimal und erklärt, sich vor Menschen nicht zu scheuen. sei noch schlimmer, als Gott nicht zu fürchten (col. I oooD). So stimmt der an die Kyrill-Predigt angehängte Abschnitt (PG 72. 852C-853A) im Gedanken und im Ausdruck nicht mit KyrilI, sondern mit Theophylakt überein, scheint also von ihm geborgt zu sein. Allerdings wäre es auch denkbar. daß Theophylakt nicht nur die Auslegung des Gleichnisses. sondern auch die Einleitung dazu vorgefunden und seine Erörterung danach gestaltet hätte. Dann müßte man nicht nur nach dem Urheber der Parabeldeutung fahnden, sondern auch nach dem Überlieferer, der sie als "zu neugierig" bezeic hnet hat. Dieser Aufgabe sei hier nicht nachgegangen; sie erledigt sich vielleicht irgendwann nebenbei. Viel wichtiger ist die Frage nach dem Erstausleger. zumal uns seine Vorstellungen in einem anderen byzantini schen Werk als völlig anerkanntes Auslegungsergebnis begegnen. •.
n. Unter den Werken des Athanasius von Alexandrien ist bei Migne (PO 28. 7 1 2-773) eine Schrift abgedruckt. die den Titel Rheseis kai hermelleiai (Worte und Deutungen) trägt. aber mehr aus Fragen und Antworten besteht. also in die ' bei den Byzantinern so beliebte Gattung der erOlopokriseis gehört. Sie kann
•
Erst die Schlechtigkeit des Richters macht den Erfolg der Witwe so eindrucksvoll; dadurch gerät diese Parabel (ür Theophylakt in die Nähe der anderen vom zudringt.ichen Freund (Lk 1 1 , 5ff; PG 123. 1001 A). Dieselbe Zusammenstellung dieser beiden Parabeln findet sich über ein halbes Jahnausend frUher bei Asterios dem Sophisten in seiner 12. Rede zu den Psalmen und bei Pseudo-Makarios (zu diesem vgl. Anm. 9) i n deo Deucn Homilien 1 6 . 7 und in der Schrift I1ber die Erhöhung Nr. t2. I Vgl. H. Beck. Kirche und Theologische Literatur im Byzantinischen Reich (Byzantinisches Handbuch IVI). München 1959. 9 1 . 437.444f.523 u.o.
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nicht von Athanasius (t 373) stammen, da er die Parabel Lk 18,2-7 ganz anders verwendet' und weil sie Johannes Chrysostomos (t 407) und Kyrill von Alex andrien ( t 444) nennt (NT. 36. 37) und den Theodoret von Kyrrhos (t ca. 458) auswertet (ohne ihn zu nennenf. Das Werk enthält auch origeneisches Gut; es steckt jedenfalls voller Allegorese. wenn es auch in der einzelnen Deutung nicht immer Origenes folgt. Pseudo-Athanasius bietet: .Frage Nr. 30: Wer ist der Richter der Ungerechtigkeit. der weder Gott fUrchtet noch einen Menschen scheut? Antwort: Gau; denn er hat keinen Gau, den er fUrchten mUßte, noch braucht er einen Menschen zu scheuen. Es war aber eine Witwe in der Stadt. Wer ist diese Witwe? Die Seele jedes Menschen, die irgendwann den Teufel als Mann hatte und ihn fortgejagt. Christus aber in ihr Herz aufgenommen hat, ist eine Witwe und bittet jeden Tag und jede Nacht. indem sie den Richter anruft und klagt und sagt: Verschaffe mir Recht gegen meinen Rechtsgegner! Frage 3 1 : Wer ist der Rechtsgegner? Antwort: Der Teufel, der ,wie ein brüllender Löwe umhergeht. suchend. wen er verschlinge' (I Petr. 5.8). Frage 32: Was aber sagte der Richter? Wenn ich auch Gott nicht fürchte und keinen Menschen scheue, will ich ihr doch Recht verschaffen, damit sie nicht kommt und mich ins Gesicht schlägt. Und der Herr fügt hinzu: Hört was der Richter der Ungerechtigk.eit sagt, Gott nämlich; denn er richtet und veruneilt die Ungerechten. Denn für einen Gerechten gibt es kein Gesetz (I Tim 1,9)" (pG 28, 720C-72! A). Hier ist also die Deutung der Parabel. die dem Theophylakt als kurios erscheint. zum unbestrittenen Katechismuswissen geworden. das wohl schon •
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Athanasius zitien (An die Mönche 42, I ) Lk 1 8 , 2 , um die arianischen Bischöfe als wahrhaftig ohne Gottesfurcht und ohne Menschenscheu, d. h. als ganz und gar verdorben, zu charakteri sieren. In seinem Brief an Seraphion von Thmuis (cap. J3 f) verwcndet er dieselbe Stelle auf eine ganz merkwUrdigc Weise gegcn die Pneumatomachen. Diese hallen sich auf 1 Tim 5,21 berufen, weil dort GOII, Christus und dann die auserwählten Engel genannt werden, nicht aber der Heilige Geist. Athanasius fragt, was sie wohl, wenn sie Lk 18, 2 1esen, wo GOII und Mensch genannt werden. sagen. "Ist etwa der Sohn der Mensch, den der Richter nicht scheute? Kommt etwa der Sohn nach dem Menschen als Driller, dcr Heilige Geist dann als Vicrter?" 1 Wcnn in Frage 24 die wahren Anbeter (Joh 4,23) die sind, "welche in den Einöden und auf den Bergen und in den Höhlen und Erdspalten wohnen, welche ohne die Gottesdienstver sammlung der Kirche ... im Geist und in der Wahrheit unseren Vater i m Himmel anbeten". dann scheint hier wenigstens die Mönchsgeschichte des Theodoret von KhYtTOS (t um 458) vorausgesetzt. Daß in Nr. 76 das Geschlecht der Römer oder Franken rur dje Kreuzigung Christi verantwortlich gemacht wird, gibt wohl nicht viel her filr die Datierung; leicht konnte ein Abschreiber zur Zeit der Frankenherrschaft sich an den verhaßten westlichen UnterdrUk· kern Iilerarisch rächen, indem er den Namen in einen längst vorliegenden Text einschob. Die erste Frage vermengt Mk 1 2 . 2 und 14, 1 3 und deutet die Stadt (Jerusalem) auf die Kirche. den Traget des Wasseruuges auf den Vorläufer. Die ähnlich gebautc Frage S versteht die Eselin und das FillIen von Mt 2 1 , 2 als das Judenvolk und die Kirche aus den Heiden. wie das etwa Origenes (comm. in Mt. 16, 17) getan halle; in dem Triger des Wasserkruges hatte eraUerdings den Gesetzgeber Mose gesehen (comm. scr. in MI. 79: GCS XI. 1 9 1 . 4 ff).
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eine lange Geschichte hinter sich hat. Es fragt sich somit, wo wir diese Deutung früher, wo vielleicht zum ersten Mal bezeugt finden. KyrilI, dessen Predigt zu Lk 18. 1 fr oben zusammengefaßt wurde, scheint Kenntnis dieser Deutung zu verraten; ja, man hat fast den Eindruck, er habe einen ähnlichen Text vor Augen oder doch im Kopf, wenn er, was das Gleichnis gar nicht nahelegt, ausdrücklich den Teufel als den Gerichtsgegner schlechthin bezeichnet. Daß er vom Teufel sagt. er pflanze uns die Samen aller SUnde ein, scheint auf eine Spur zu führen. der noch nachgegangen werden muß. Jedenfalls scheint jener Abschreiber, der das unechte Stück an die Kyrillpredigt angehängt hat, die innere Übereinstim mung zwischen beiden Texten erkannt und der von ihm vermißten Ausdrück lichkeit bei Kyrill auf seine Weise abgeholfen zu haben. Schaut man sich bei den Zeitgenossen oder Vorgängern des Kyrill um, dann stößt man auf die Geistlichen Homilien, die dem Mönchsvater Makarios von Ägypten (t um 390) zugeschrieben wurden' oder dem Simeon von Mesopota mien (t vor 4(0), einem SchUler der großen Kappadokier'. Ln Homilie 33 heißt es unter anderem: 2 . . . . ..Auch die Seele . . . soll sich mit ganzer Kraft anstrengen und sich sammeln mit aB ihren Gedanken und sich ganz der Erwartung Christi widmen . . . 3. Wehe der Seele. die nicht von ihrem schlimmen Fall aufsteht und nicht den guten Hausherm Christus als Bewohner bei sich aufnimmt. sondern bei ihrer Unreinigkeit bleibt und die in sich beherbergt. die sie beschwätzen und dazu zwingen, Feindschaft zu halten gegen ihren eigenen Bräutigam, und die ihre Gedanken von Christus weg verderben wollen (2 Kor 1 1 ,3). 4. Wenn aber der Herr sieht, daß sie sich sammelt, soviel sie kann, indem sie immer den Herrn sucht und Tag und Nacht auf ihn wartet und zu ihm ruft. wie er aufgetragen hat, unablässig zu beten ( 1 Thess 5. 17). und zwar in jedem Augenblick. dann wird er ihr Recht verschaffen (Lk 18.8). wie er es versprochen hat. indem er sie von der Unreinigkeit. die in ihr ist, reinigt und sie als untadelige und makellose Braut für sich selbst hinstellt (Eph 5.26)." Diese geistliche Homilie weist Ubcrraschende Ähnl ichkeiten mit jener wohl in Ägypten entstandenen christlich-gnostischen Schrift aus dem Kodex Il der Bibliothek von Nag Hammadi auf. die den Titel trägt: Exegese über die Seele. Hier seien jetzt nur Entsprechungen. unter Angabe der jeweils ersten Zeile, hervorgehoben: .,( 127. 19) Die Weisen. die vor uns waren. gaben der Seele einen weiblichen Namen. (22) Solange sie allein beim Vater war, war sie eine Jungfrau. I
Allerdings war von solchen Werken dieses Mönchsvaters im Altertum nichts bekannt. • Dieser Simeon, der in der zweiten Hälfte des 4. Jahrhunderts gelebl hat, gill als Begründer des Messalianismus, der Lehre der Euchilen, fUr die die euche (das Gebel) nicht nur Mittel punkt, sondern einzige Kraft des geistlichen Lebens war. Die Homilien sind aber wohl noch später entstanden, da sie am meisten von allen Vätern den KyrilI ...on AJeundrien (t 444) auswerten. Vgl. K.G. ßonis (Hrsg.), Pachomios, Qrsiesios, Theodoros Monachos, Makarios ho Aigyptios (ßKV 41), Athen 1970, 135. Der zil. Text in: Die SO Geistlichen Homilien des Ma.karios. Hrsg. u. erl. .... H. DOrries, E. KIOSlermann, M . Kröger: PTS 4 ( 1 964) 258f.
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(25) Als sie aber in den Körper herabfiel und in dieses Leben kam. da fiel sie i n die Hände vieler Räuber. (29) Einige nun fUgten ihr gewaltsam Schaden zu. andere aber überredeten sie . . . ; sie schändeten sie. (128, 3) Von dem. dem sie zugetan sein wird, glaubt sie, daß er ihr Gatte sei. ( 1 3) Sie aber betrügen sie eine lange Zeit . . . ( 16) Und am Ende von alledem verlassen sie sie und gehen. Sie aber wird eine arme Witwe, die keine Hilfe hat; sie hat auch kein Anhören in ihrem Leid . . . (26) Wenn aber der Vater. der oben im Himmel ist, sich nach ihr umsieht und auf sie herabblickt und sie sieht, wie sie . . . bereut . . . und wie sie beginnt, seinen Namen anzurufen. daß er ihr helfe . . . . ( 129, 3) dann wird er beschließen. sie würdig zu machen, daß er sich ihrer erbarme. ( 1 3 1 , 19) . . dann wird sich der Vater ihrer erbarmen . . . ( 1 32. 6) Aber da sie eine Frau ist und nicht allein Kinder zeugen kann, hat der Vater ihr vom Himmel ihren Mann gesandt, der ihr Bruder ist. der Erstgeborene. ( 1 35, 26) Der Vater aber ist ein guter Menschenfreund und erhört die Seele. die ihn anruft. ( 1 36. 14) Von jetzt an sollen sich dir nicht wieder nähern, die irreführen (Jes 30,20 LXX)."" Hier findet sich zwar nicht der Gedanke an einen Rechtsgegner. gegen den der Richter angerufen wird, aber die Seele erscheint als Witwe. die zwar zunächst von ihren Liebhabern verlassen wird. sich dann aber selbst von ihnen abwendet. Besonders auffallig ist. daß sie offensichtlich von sich aus zu Gott zu rufen beginnt. und Gon. wenn er sie rellet, auf ihr ausdauerndes Gebet hört. Während wir aber bei der geistlichen Predigt nicht einmal den Entstehungsort und bei der E)(egese über die Seele die Zeit nicht genau angeben können. gewinnen wir sichereren Stand bei dem bedeutenden ale)(andrinischen Exegeten und Theologen Didymos dem Blinden (t 398). In seinem großen Kommentar zum Propheten Sacharja legt er Vers 7 . 9 f (Haltet gerechtes Gericht, . . . unter drückt nicht die Witwen und Waisen . . . ) im Sinne sittlicher Weisung aus. wobei er außer all- und neutestamenllichen Parallelstellen (z. B. Dtn 1 . 1 7 und Jak 1,27) auch AristOleles zitiert, nämlich die Nikomachische Ethik (V, 4,7): ..Denn der Richter ist das lebendige Recht." Dann fährt er fort (Nr. 147 ff): "Gut ist es also und GOII gdällig. für die einzulreten. denen es so ergeht gemäß der Geschichte 1= im wörtlichen Sinn]. besonders aber gemäß der Hinaufführung [= im über.
10Gnostische und hermetische Schriften aus Codex 11 und Codex VI. Hrsg. Y. M. Krause. P. Labib: ADAI.K 2 ( 1 9 7 1 ) 68-87. Diese "Exegese über die Seele" ähnelt der Erkl:l.rung des Origcnes in homo in E,. 8, 3: sie scheint aber vor allem in drei Punkten mit der Geistlichen Homilie 33 ühcreinzustimmen. daß nlmlich die bösen Geister die Seele ( I ) beschwätzen (peithein. dieses griechische Wort steht sogar im koptischen Text). (2) zwingen oder Gewalt gegen sie Ubcn und (3) schänden bzw. ihre Gedanken "yerderben" wol.len: das Wort phtheirein. du die Homilie 33 im Anschluß an Paulus (2 Kor 1 1 . 3 ) verwendet. kann auch ganz einrach "schänden" bedeuten.
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tragenen Sinn1. 148. Gelobt wird eine Witwe im Sinne der übertragenen Betrach lung, welche den schlechten Mann, den sie hatte, verstoßen hat, der kein anderer ist als der Teufel oder irgendein anderer böser Geist. Ebenso ist gut eine Waise, für die gestorben ist der Vater, der sie im Sinne der Sünde gezeugt hat. Symbol dafür ist derjenige. der aus dem Hause seines Vaters weggeht, weil er von Gott gerufen wurde (vg1. Gen 12, I ) , und jene, zu der in den Psalmen gesagt wird: , Vergiß dein Volk und das Haus deines Vaters ' (Ps 44, 1 1), da er ja für dich schon gestorben. Seelen, die so verwitwet oder verwaist sind, führt der göttliche Bräutigam, der auch Vater ist, in die Höhe empor, gemäß dem Psalmwort über ihn: Die Waise und die Witwe wird er aufnehmen (ps 145,9); denn Vater der Waisen und Richter der Witwen ist er (Ps 67,6) . "11 Diesen Psalmvers selbst legt Didymos in seinem Psalmenkommentar (pG 39, 1444 A) so aus: ,,Er erfreut nämlich diejenigen, die von dem Satan gewaltsam beherrscht werden, indem er ihnen die Hilfe zeigt. Man muß sich also beeilen, den früheren Vater zu verlassen, der im Sinne der Schlechtigkeit gezeugt hat, und den gesetzwidrig zusammenlebenden Mann, damit wir als Vater Gott haben, der auch die göttlichen Samen in uns hineinsendet. .. Evagrios Pontikos (t um 400), Zeitgenosse des Didymos und wie dieser stark von Origenes beeinflußt, bemerkt zu Psalm 108,9 (LXX: Seine Kinder sollen zu Waisen werden und seine Frau zur Witwe): "Witwe ist die Seele, welche nicht Samen vom Teufel annimmt. " IZ Diese ganz knappe Form ist auf die verkürzende Überlieferung zurückzuführen, würde für sich allein also noch keine Vertrautheit mit dem Thema beweisen. Andererseits wird man annehmen dürfen, daß Evagri os mir der gleichen Selbstverständlichkeit diese übertragene Deutung vortrug, wie dies auch Didymos tat. Man wird also kaum umhinkönnen, hinter den Auslegungen des KyrilI, der Geistlichen Homilien, des Didymos, des Evagrios und vielleicht auch wenigstens z.T. der gnostischen Exegese über die Seele eine einzige Quelle anzunehmen, die in der "kuriosen" Auslegung von Lk 18,2-7 zu fassen ist, die Theophylakt überliefert. Diese seiher kann wohl, wenn die Origenisten Didymos und Evagrios sie so selbstveständlich zitieren, nur von Origenes stammen. Bevor aber jetzt nach ähnlichen Aussagen des Origenes selbst - seine Predigt zu Lk 1 8 , 2 ff ist verloren I ) , und auch in den erhaltenen Werken ist diese Lukasstelle kaum verwen det - gesucht wird, sei betont, daß dies keineswegs die einzige. ja nicht einmal die älteste Deutung des Gleichnisses von der Witwe und dem Richter ist.
11 Didyme r Aveugle, Sur Zacharie: SC 84, 490.
11 PO 12, l568CD; unter den Scholia des Origenes zu den Psalmen; stammt aber von Evagrios;
vgl. H.U. von Balthasar, Die Hiera des Evagrios. in: ZKTh 63 ( 1 939) 86--106. 18 1-206 und: MJ. Rondeau. Le commenlaire sur les psaumes d'Evagre le Pontique. in: OrChrP 26 ( 1 960) 307-348. Das Scholion siehl. ebenso wie Didymus. die Verbindung zwischen Seele und Teufel im Bild der sexuellen Vereinigung: die Exegcsc Uber die Seele nimmt das Bild wörtlich. KyriU hat es an der oben (vgl. Anm. 3) hervorgehobenen Stelle offenbar vom Sexuellen ins Botanische (Samen einpflanzen) Ubertragcn: ähnlich macht die lateinische übersetzung (PO 39. 1 1 43 A) aus den thdai gOflai des Didymus dOfla div;fla.
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fII. Hippolyt von Rom stellt in seinem Werk über den Antichrist eine große Zahl von SchriftstelIen zusammen. um ..die Abstammung, das Auftreten und die Vernich tung des Antichrist" zu beschreiben, und schildert dann (Nr.
55) dessen Tun: Er
werde das ganze ludenvolk aus der Zerstreuung sammeln, ihm die Rückgabe des Landes und die Wiederaufrichtung des Tempels versprechen. um von ihnen wie Gott angebetet zu werden. Dann wendet Hippolyt auf den Antichrist das Gleich nis vom Rebhuhn, das fremde lunge zu sich lockt,
an,
das sich bei Jeremia
(17, 1 1) findet: ,.Er lockt die Menschheit zu sich, weil er sich aneignen will, was ihm nicht gehört, indem er allen ein leeres Erlösungsversprechen macht, obwohl er sich selbst nicht retten kann." In Nr. 56 zieht Hippolyt das Gleichnis Lk 18.2 ff heran, um das Verhältnis von Antichrist, Juden und Christen zu beschreiben: "Dieser beginnt nun, nach dem er bei sich das Volk versammelt hat, welches immer Gott gegenUber ungehorsam war, die Heiligen zu verfolgen, da er von jenen angerufen wird, als seien diese ihre Feinde und Rechtsgegner, wie der Evangelist sagt: ,Es war ein Richter in einer Stadt, der Gott nicht fUrchtete und keinen Menschen scheute. Es war aber eine Witwe in jener Stadt, die ihn anrief und sagte: Verschaff mir Recht gegen meinen Gegner! Der aber wollte eine Weile nicht; später aber dachte er: Wenn ich auch Gott nicht fürchte und keinen Menschen scheue, werde ich dieser Witwe doch Recht verschaffen. weil sie mir lästig fällt· (Lk 1 8 , 2-6).
57. Mit dem ungerechten Richter, der weder Galt fürchtet, noch einen Menschen scheut. meint er ohne Zweifel den Antichrist, welcher als Sohn des Teufels und Werkzeug des Satans, wenn er zur Herrschaft gelangt ist, sich gegen Galt erheben wird und so wahrhaftig weder Gott fürchtet noch den Sohn Goues, welcher der Richter aller ist, scheut. Die Witwe aber, die. wie er sagt. in der Stadt ist, bezeichnet Jerusalem selbst. welches wirkJich Witwe ist, da es von dem vollkommenen himmlischen Bräutigam verlassen wurde und nun bei einem sterblichen Menschen Recht sucht. als ob es von Christus Unrecht erlitten hätte; ihn nennt es seinen Rechtsgegner und nicht Heiland, weil es nicht das Wort des Propheten Jeremia verstanden hat: .Dafür, daß sie der Wahrheit nicht geglaubt haben. wird zu diesem Volk und zu Jerusalem dann ein Täuschungsgeist spre chen'
(Jer 4, 1 1 ).
Ähnlich sagt lesaja: ,Dieses Volk, weil sie nicht das ruhig
nießende Wasser des Siloam trinken wollen, haben sie vielmehr den Raasson, den König der Assyrer, über sich gebracht' (Jes 8,6 f LXX, verkürzt). König der Assyrer aber nennt er symbolisch den Antichrist, wie auch ein anderer Prophet
Il
Schon Hieronymus hat sie nicht mehr gekannt. Auch unter den zahlreichen in den Katenen erhaltenen Fragmenten findet sich keines zu Lk 1 8 , 2 ff. Diese Fragmente können auch aus den filnf Büchern Ober Lukas stammen, die wohl nur das lukanische Eigengut behandelten und nach dem Mauhäuskommentar verfaßt waren: sie sind als Ganzes verloren. V gl. P. Nautin. Origl:ne. Sa vie et son �uvre, Paris 1977, 253.376.
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sagt: ,Und dann wird mein Friede herrschen, wenn der Assyrer über euer Land kommt und auf eure Berge steigt' (Mi 5,4 f LXX, verkürzt). 58. Und Mose hat ebenso vorauserkannt, daß das Volk den wahren Heiland der Welt von sich stoßen und verwerfen, mit dem Irrtum aber gemeinsame Sache machen und sich einen irdischen König erwählen. den himmlischen aber ableh nen wird, und gesagt: ,Ist dies nicht bei mir eingesammelt und versiegelt in meinen Schätzen? Am Tag der Vergeltung werde ich heimzahlen und zu der Zeit, wenn ihr Fuß strauchelt' (Dtn 32,34 f). Sie sind also ganz gestrauchelt, da sie sich in keinem Punkt in Übereinstimmung mit der Wahrheit erweisen, weder im Sinn des Gesetzes, da sie es übertreten haben. noch im Sinn der Propheten, da sie auch die Propheten getötet haben, noch im Sinne des Wortes der Evangelien, da sie den Heiland selbst gekreuzigt haben, noch haben sie den Aposteln geglaubt, weil sie sie verfolgt haben; immer haben sie der Wahrheit nachgestellt und sie verraten, sich als Gottes Feinde und nicht als Gottes Freunde erwiesen; ja, sie ergreifen dann die Gelegenheit und erbitten sich ihr Recht von einem sterblichen Menschen, indem sie gegen die Knechte Gottes auftreten. Dieser (Mensch] beginnt dann, von ihnen hochmütig gemacht, Schriften gegen d.ie Heiligen auszusenden, man solle überall alle töten, die ihn nicht wie einen Gott verehren und anbeten wollen . . . " (GeS Hippolyt H, 37,6-39.5). Hippolyt sieht also in dem Richter eine ganz böse Gestalt, wie ja auch noch Theophylakt seine Schlechtigkeit hervorhebt. Verwunderlich ist eher die Deu tung der Witwe auf das Judenvolk; damit hat Hippolyt nicht nur keine Tradition begründet; diese Deutung verstößt wohl auch gegen den ursprünglichen Sinn des Gleichnisses. Wie immer man es auslegen mag. die ausdauernde Witwe wird als Vorbild hingestellt, dem man nacheifern soll. In ihr das Judenvolk zu sehen, welches dabei getadelt und bekämpft wird, ist wohl nicht weniger kurios als die Deutung des Richters auf Gott. Seide so verschiedenen Auslegungen haben dies gemeinsam - und dadurch kommen sie notwendig zur gewaltsamen Deutung der einen oder der anderen Gestalt des Gleichnisses -, daß sie die Parabel als Allegorie verstehen oder wenigstens so auslegen wollen!', sich also nicht damit begnügen, den entscheidenden Vergleichspunkt, die Sinnspitze, von der Bild ebene auf die gemeinte Sachebene zu proj izieren, sondern die ganze Erzählung Zug für Zug Ubertragen, also für jede Gestalt der Parabel eine Gestalt und ein Geschehen in der Heilsgeschichte ausfindig machen wollen. Spätere Exegese wird in der Gestalt der Witwe die Kirche sehen; Hilarius von Poitiers (t 367) etwa versteht, ohne freilich Lk 18,2-7 heranzuziehenlS, die 1 3 1 , 1 5 Vulgata) als die Wilwe von Ps 1 3 1 , 23 (altlateinische übersetzung =
L. Origcncs crk.lärt zwar ausdrücklich. "daß die Gleichnisse und die Vergleiche sich nicht auf alle Zuge ihrer Vergleichsgegenstll.nde beziehen Jassen. sondern nur auf einigc" (comm. in Mt. 10, 13), legt aber doch das Gleichnis vom Netz (Mt 13, 47-50) im selben Kapitel wie eine Allegorie aus (GCS X, 15, 1 3 ff, bes. 30ff). L' Augustinu5 aber beruft sich, weitere flinfzig Jahre später. ausdrücklich. um denselben Psalm vers zu deuten, auf Lk 18.2 fr (Enarr. in Ps. 1 3 1 , 23).
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Kirche, insofern sie aus der Synagoge hervorgegangen ist; weil das Gesetz aufgehört hat, ist die ehemalige Synagoge, die Witwe des Gesetzes, nun gesegnet als Kirche, als Braut Christi (Tractat zu Ps 1 3 1 cap. 24). Gewiß ist das etwa 150 Jahre später geschrieben. gewiß sind da Gedanken eingeflossen, deren Ursprung hier noch aufzuspüren ist, gewiß hat die Entwicklung des 4. Jahrhunderts ein ganz neues ekklesiologisches Interesse gezeitigt. aber man fragt sich doch, ob Hippolyt etwa die Gestalt der Kirche nicht als Aufgabe für die Exegese gesehen hat. Das hat er aber wohl, denn im unmittelbaren Anschluß an die oben wiedergegebene Auslegung bietet er eine ausführliche Beschreibung des im Meer der Welt schwimmenden Schiffes der Kirche (die übrigens gewaltsam genug an Jes 18, I anknüpft), und deutet danach die apokalyptische Frau (Offb 12, 1 -17) auf die verfolgte Kirche, wobei er das wohl auch später nicht überbo tene Lob der Kirche in die Worte faßt: ,,Die Kirche hört nie auf, den Logos aus ihrem Herzen zu gebären" (Alltiehr. 6 1 : GCS Hippolyt tI, 4 1 , 1 8 . 22). Daß es ihm aber nicht in den Sinn kam, die Witwe von Lk 1 8 , 2 ff als die Kirche zu verstehen, wird sich wohl aus seiner ganz traditionellen Haltung erklären lassen. die in einer Witwe nur die vom Schicksal Geschlagene sehen konnte, und aus seiner scharfen Frontstellung gegen die Juden, die durch bestimmte Umstä.nde der Christenverfolgung im römischen Reich bestärkt, wenn nicht gar begründet war. Im übrigen bewegt sich die Deutung des Hilarius doch in der Linie des Hippolyt, denn beide blicken auf die Gemeinde, die Großpcrson (Israel oder die Kirche), und auch für Hilarius ist die Kirche insofern Witwe, als sie mit der Synagoge identisch ist. Die Auslegung von Lk 18,2 ff aber, um die es hier geht und die durch die Kontraste erst verdeutlicht werden sollte, sieht in der Witwe die Seele und bewertet ihren Witwenstand als ein Freisein vom Bösen, das frühere Verheiratetsein dagegen als einen minderwer tigen, ja geradezu schlechten Zustand.
IV. Origenes hat diese Bewertung und dieses Verständnis von Witwenschaft vielfal tig zur Schilderung des Zustandes der Seele herangezogen. Das früheste Beispiel dUrfte sich in der Grundlagenschrift finden, wo er im Anschluß an die 2. Vision des Hermas (4,3: eine Frau namens Grapte soll den Witwen und Waisen das Buch vorlesen) die Unterscheidung zwischen dem buchstäblichen (leiblichen) Sinn, der Seele und dem Geist der Schrift zu machen versucht und dann erklärt: "Der bloße Buchstabe ermahnt die. welche in ihren Seelen noch Kinder sind und die sich Gott noch nicht als Vater zuschreiben können und die deshalb Waisen genannt werden; er ermahnt auch die Seelen, die nicht mehr mit dem ungesetz lichen Bräutigam Umgang haben. die aber verwitwet sind. weil sie noch nicht des (himmlischen) Bräutigams wllrdig sind" (prille. rv, 2,4. griechisch in der Philokalie erhalten)l'. Die Waisen scheinen hier von den Witwen verschieden zu sein; später sind das, wie sich schon in den Zitaten aus Didymos gezeigt hat. nur
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zwei Namen, zwei Betrachtungsweisen für ein und dieselbe Menschengruppe oder ein und denselben Seelenzustand. In der Grundlagenschrift sagt Origenes nicht, wer der ungesetzliche Bräuti gam ist, den verlassen zu haben schon ein Verdienst und die Voraussetzung für allen weiteren geistlichen Fortschritt darstellt. In einem der früheren Bücher des Johanneskommentars scheint Origenes sich deutlicher ausgesprochen zu haben. Jedenfalls erklärt er in Buch XlII, 8,48 - die Bücher 3-5, 7-9, l 1 und 12 sind bis auf Bruchstücke verloren - bei der Auslegung des Gespräches Jesu mit der Samariterin am Jakobsbrunnen (Joh 4, 16) : "Wir haben schon in der vorausge henden Auslegung gesagt, das über die Seele herrschende Gesetz, dem ein jeder sich selbst unterwirft. sei der Mann." Das versucht Origenes dann mit Hilfe eines Pauluszitates zu beweisen; er versteht nämlich in Röm 7. 2 (die verheiratete Frau ist an den lebenden Mann gebunden durch das Gesetz) den Dativ nomo nicht instrumental, sondern als eine Beifügung zu alldri, "als ob er sagen würde: . . . und der Mann ist das Gesetz". So gewinnt Origenes der von Jesus an die Samariterin gerichteten Aufforderung: "Geh und hol deinen Mann!" folgenden Sinn ab: " Wenn also Gesetz der Mann ist und die Samariterin einen Mann hat, da sie sich selbst in falscher Auslegung der gesunden Lehren einem Gesetz unterworfen hat. nach dem jeder der Anders[= lrr]gläubigen leben mag. dann will das göttliche Wort hier [erreichenl. daß die irrgläubige Seele das Gesetz, das über sie herrscht, [mit dem geistlichen Gesetz) vergleicht und so beschämt wird. daß sie es wie einen nicht rechtmäßigen Ehemann verachtet und einen anderen Mann sucht, um einem anderen anzugehören. nämlich dem Logos, der aus den Toten auferstehen wird, der nicht widerlegt wird und nicht sterben, sondern ewig bleiben wird und herrscht und alle Feinde unterwirft." Natürlich steht hinter dieser Deutung die antike Vorstellung, daß die Frau dem Mann unterworfen ist; anders könnte er nicht als ihr Gesetz verstanden werden, aber was Origenes meint, ließe sich auch im Bild der neuzeitlich-partnerschaft lichen Ehe darstellen: Eine Seele kann sich freiwillig so an eine Weltanschauung binden, wie sich zwei Menschen aneinander binden; das kann eine legitime Ehe sein. das kann aber auch ein Verhältnis sein, zu dessen Auflösung aufgefordert wird, weil der Partner. in diesem Fall der Irrglaube, der Seele schadet. Hier ist der geistige Vorgang einfach: Der Logos, der Christus, der zugleich die Offen barung ist, ruft eine in Irrtum verstrickte Seele zu sich, und sie folgt. Da aber in demselben Gespräch mit der Samariterin Jesus von deren fünf Ehemännern und dem einen weiteren Mann spricht, der nicht ihr rechtmäßiger Mann ist, die sie gewissermaßen alle verleugnet, fragt Origenes nach dem 16
Vgl. dazu: Der Kommentar zum Evangelium nach Mallhäus (siehe oben 23-90). H. Crouzel und M. Simonetti sagen (SC 269, 1 8 2 Anm. 37) zu dieser Stelle, der böse GaUe sei offensicht lich der Teufel. ehebrecherischer Gatte der Seele, die den einzigen rechtmäßigen GaUen, den Christus, verlassen hat. So kann Origenes die Seele und ihr Geschick sehen, wie sich in den nächsten Texten zeigen wird. Es ist aber nicht ausgemacht, daß er immer zuerst an eine Verbindung zwischen Seele und Christus denkt. Hier scheint es, wie an einigen anderen Stellen, eher die Geschichte der Seele im bösen Zustand beginnen zu Jassen.
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tieferen Sinn. d. h. danach, ob sich aus diesem Text etwas über das Voranschrei ten der Seele ablesen läßt, und findet da den ja nicht seltenen Fall angedeutet, daß der Weg zum Logos nicht geradlinig verläuft, sondern Umwege macht. ja daß das scheinbar Bessere und Höhere doch falsch sein kann: "Ich meine. daß jede Seele. die in die Gottesverehrung, die durch die Schriften in Christus [begründet ist], eingeführt wird und dabei mit den sinnenhaften und leiblichen Aussagen beginnt, die fünf Männer hat, wobei jeder der [fünD Empfindungen ein Mann entspricht; wenn aber jemand, nachdem er mit den sinnenhaften Dingen umgegangen ist, sich nun aufrichten mag und sich den geistigen Dingen zuwendet und dabei auf eine Lehre stößt, die unter dem Vorwand von Allegorie und geistlichen [Erklärungen] ungesund ist. der geht nach [dem Zusammenleben mit1 den fünf Männern zu einem anderen, indem er den fünf früheren sozusagen den Scheidebrief gibt und sich dafür entscheidet, mit dem sechsten zusammen zuleben. Und bis lesus irgendwann kommt und uns zum Bewußtsein bringt. was das für ein Mann ist, sind wir mit ihm zusammen; wenn dann aber der Herr, der " (Jo. XlII, Logos, kommt und mit uns spricht, verleugnen wir jenen Mann . . .
9, 5 1 . 52). Wenn man bedenkt, wieviel Mühe Origenes sich mit dem tieferen Sinn gibt, wie er sogar in dem Augenblick, da er diese Erklärung vorträgt, den Text des Johannesevangeliums allegorisiert, dann hat seine Warnung vor falscher Allego rese und vorgeblich geistlicher Deutung besonderes Gewicht. Natürlich hat cr nicht einfach seine Exegese für gute und berechtigte Allegorese, die der anderen für schlecht gehalten; vielmehr hat er immer seinen Freund Ambrosius im Blick, den er von der auslegungsfreudigen Gnosis zur Kirche bekehrt hatte und der ihm eine ganze Schreibstube zur Verfügung stellte, damit Origenes einen Johannes kommentar veröffentlichen, der Gnosis dieses Evangelium entwinden und so vielen den gleichen Dienst erweisen könnte. In einer Predigt zum Levitikus-Buch. die er wohl zu Anfang seiner Zeit in Caesarca gehalten hat17• äußert Origenes bei der Auslegung der Vorschrift für den Hohenpriester (Eine Witwe, eine Verstoßene oder eine Entehrte. eine Dirne. darf er nicht heiraten: Lcv 2 1 . 14) einen ähnlichen Gedanken: ..Warum Christus eine Dirne und eine verstoßene und befleckte Seele nicht zur Gattin nimmt. ist nicht schwer zu erklären; warum aber eine Witwe nicht genommen wird, muß man sorgfaltiger betrachten." Nach einem Verweis auf Röm 7. 1 ff im selben Sinn wie im 10hanneskommentar fahrt Origenes fort: ..Wenn es geschieht. daß das Gesetz für die Seele stirbt, daß die Seele also vom Gesetz weggeht, sich dann aber nicht durch die Zucht einer keuschen Ehe bindet. vom Gesetz weggeht, aber nicht das Joch der Lehre des Evangeliums auf sich nimmt. dann kann Christus diese [Seele] nicht heiraten. weil sie ungebundene Freiheit gesucht hat. nicht aber die Verehrung des jungfräulichen und einfachen Glaubens" (hom. in Lev. 12,5: GCS 6, 463,30ff).
17 So Nautin (5. Anm.
13) 389-409. bcs. 405.
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Auch die Dime deutet Origenes auf die Seele, deshalb sei auch dieser Gedanke hier wiedergegeben, weil er den Horizont erhellt, in dem sich die Auslegung der Witwe von Lk 18,2 ffbewegt: "Welche Seele ist eine Dirne? Die, welche Liebhaber bei sich aufnimmt . . . Wer sind diese Liebhaber . . . , wenn nicht die feindlichen Mächte und Dämonen, die nach ihrer Schönheit verlangen? . . . Sie hat das Bild und Gleichnis Gottes. Wenn nun die feindlichen Mächte diese Schönheit erblicken, der Teufel nämlich und seine Engel, begehren sie ihre Gestall. Und weil sie nicht ihr Bräutigam werden können, wollen sie Unzucht mit ihr treiben . . . Wenn du . . . die feindlichen Geister aufnimmst, die dich zum Sündigen verleiten. hat deine Seele mit ihnen Unzucht getrieben" (hom. in Lev. 12J GCS VI, 465, 20ft). Derselbe Gedanke wird auch in den Homilien zu Ezechiel mehrfach ausge· sprochen. z. B. 6, 1 1 ; 8, I ; 8.3. Dort erscheint das Wort Gottes als Mann der Seele, als Bräutigam und wahrhafter Liebhaber, der ihr gute Gaben, d. h. Tugen· den, gegeben hat. Wenn sie sich mit den feindlichen Mächten einläßt, ver· schwendet sie das Gut ihres Mannes an diese Liebhaber, so daß diese sogar prahlen können: "Ich habe ihre Kräfte für mich in Anspruch genommen; Gott hat all ihre guten Taten vergessen, . . . weil sie ihn vergessen hat, weil unsere Freundin uns die Geheimnisse erzählt hat, die sie gehört hatte, und uns all ihre Güter übertragen hat" (GCS VIII, 404,23 rf). Die Nähe zur Exegese über die Seele ist deutlich. Auch der Gedanke, daß die Seele zuvor einen himmlischen Bräutigam haue, ist dort angedeutet; Origenes scheint hier allerdings nicht an die gute Präexistenz der Seele zu denken, sondern an ein längeres christliches Leben, das nicht vor Fall in die Sünde bewahrt; er spricht nämlich von den guten Gaben des Mannes, welche die Seele tiber lange Zeit hin mit Mühe erworben hatte. Auch ein Fragment (Nr. 10) zu Jeremia ( 1 5 , 8 t) versteht die Witwe als "die Seelen der Gottlosen, die den Bräutigam Christus verloren haben" (GCS Ill,
202,2 f). Da ist aber, wie oft bei Fragmenten, mit verkürzenden Eingriffen der Traden· tcn zu rechnen, so daß nicht ganz sicher ist, daß Origenes immer zuerst den Logos als Mann der Seele sieht. Ja er kann sogar von ehelicher Verbindung zwischen der Seele und einem Engel sprechen, wenn ein Text. hier Num 30,3 ff. 7 ff, dazu Anlaß bietet. "Häufig haben wir gesagt. daß über die Seelen, die in der Kirche Gottes sind, die Engel Sorge und Aufsicht haben . . . Mir scheint also, daß auch an dieser Stelle geheimnisvoll . . . gezeigt wird, daß einige Seelen ihnen wie Töchter unterstellt sind, andere wie Gattinnen, gemäß der Unterschei· dung, die wir oben getroffen haben" (110m. i" Num. 24,3, ähnlich comm. i" Mt. 14,21). Diese Unterscheidung scheint der von Waisen und Witwen in der Grundla· genschrift zu entsprechen. Die Engel stehen auf jeden Fall im Dienst Christi, wie die feindlichen Mächte im Dienst des Teufels; so braucht nicht gefragt zu werden, ob der Teufel selbst oder einer seiner bösen Engel als Mann oder Liebhaber der Seele zu betrachten ist; daß aber eine Seele einem guten Engel
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wie eine Frau unterstellt ist, bedeutet. wie in derselben Numeripredigt verdeut· licht wird, einen unvollkommenen Zustand, über den sie hinausgelangen soll, um mit Christus selbst verbunden zu sein. "Bei den Gerechten und Auserwählten ist der Herr selbst"; .. Wir wollen uns beeilen, so dem Herrn [selbst] anzuhängen, daß wir mil ihm ein Geist sind ( I Kor 6, 17b)!"'1 So kann Origenes den Befehl im Hohenlied (2, 15), die Füchse zu fangen, als an die Engel. an die dem Bräutigam "freundlichen Mächte", gerichtet verstehen; sie sollen die "feindlichen Kräfte" überwinden, "welche den Seelen der Men· sehen nachstellen, damit sie nicht unter dem Vorwand, sie hätten verborgene Kenntnis zu bieten, die Anfänge ihres Glaubens und die Blüten ihrer Tugenden vernichten" (in cant. 1lI: GCS Vlll, 240, lOff; ähnlich schon 235, 1 7 ff). ln dieser Auslegung des HohenJiedes, in der Origenes nach dem Urteil des Hieronymus nicht nur alle übrigen Ausleger, sondern sich selbst übertraf. zeigt sich auch und das ist zu unterstreichen -, daß die Rede von der Ehe oder der Unzucht der Seele mit dem Teufel oder seinen Mächten nur ein Bild ist, das einige Bibclstel· len nahelegen, das aber durch andere Bilder ersetzt werden kann, daß also für Origenes die Seele nicht etwa ihrer Natur nach weiblich ist, wie die Exegese über die Seele mit Angabe anatomischer Einzelheiten daherfaselt". Dieselben bösen Mächte. die nach Ez 16.32ff unzüchtige Liebhaber, nach Hld 2 , 1 5 gefräßige Füchse sind. können auch in den Räubern gesehen werden, die den Menschen Adam, der vom Paradies Jerusalem in die Welt Jericho geht, überfal len und fast töten (hom. in u. 34: GCS IX, 190, 1 4 ff. griech.)20. Allerdings ist dem Origenes das Bild von der weiblichen Seele besonders lieb, weil sich darin nicht nur, spätere Brautmystik vorwegnehmend, die innige Nähe zwischen dem Menschen und seinem Heiland, sondern auch das sittliche Han· dein beschreiben läßt. Im Matthäuskommentar legt Origenes bei der Erörterung der Sadduzä.erfrage von Mt 22,23 ff (eine Frau hatte siehen Männer) die Bestim· mung der Leviratsehe von Dln 26,7 ff so aus: "Nach einer Erklärung scheint mir die Frau die Seele des Menschen zu sein, die zunächst mit dem Buchstaben des Gesetzes verheiratet war. aber keine Kinder gebar, zum zweiten Mal aber mil dem geisllichen Gesetz [verheiratet warl und von ihm fruchtbar wurde und gebar, sich aber durch das Kind nicht von der Verehrung für das für sie gestorbene Buchstabengesetz abwandte. Und vielleicht heiratet jede Seele, die selig sein wird und die übertragen Frau genannt wird. unbedingt im Sinne der Einführung zunächst den Buchstaben des Gesetzes, welches aber stirbt, wenn die Frau Seele voranschreitet, um der heiligeren und fruchtbaren Ehe teilhaftig "GCS Origenes VII, 232,8 . 1 3. Zu dem Ein-Geist-Werden, das Origenes gern christologisch verwendet. vgl. meinen Aufsatz "Ein·Geist-Sein ( I Kor 6. 17 b) in der Christologie des Origenes·· (unten 207-224). It Vor allem [27,22; 1 3 t,20-30 (vgt Anm. 10). 200a$ oben genannte Pseudo-Athanasianum (V&1. Anm. 7) bringt diese Erk[ärung fast wörtlich in Frage [5: allerdings sind jetzt die Räuber nicht mehr die bösen Mächte. die den Menschen von außen anfallen, sondern (eßlsprechend dem asketischen Interesse) ..die bösen Gedanken und die übertretung" (PG 28. 7 1 3 0).
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zu werden, in der sie ,durch Kindergebären gerettet wird' ( 1 Tim 2, 15), wenn die Kinder bleiben in Glaube und Liebe und Heilung mit Besonnenheit, wobei sie nicht gerettet wird vor dem Kindergebären oder unabhängig davon. Die Kinder aber dieser Frau Seele von dem zweiten Mann, dem geistlichen Gesetz, sind die ihm entsprechenden Werke (comm. in Mt. XVll, 3 1 : GCS X, 674, 14 ff). Origenes weiß aber und spricht es in diesem späten Werk, das in vieler Hinsicht sein letztes Wort darstellt, auch aus, daß auch im sittlichen Fortschritt. genau wie im Erkenntnisfortschritt, der im Johanneskommentar beim Gespräch Jesu mit der Samariterin dargestellt wurde, nicht nur geradlinige, friedliche Aufwärtsentwicklung geschieht. sondern daß es auch Irrwege, auch feindliche Macht gibt. Zum Vorwurf Jesu an die Juden. sie seien ein böses und ehebreche risches Geschlecht, sagt Origenes. nachdem er wieder das siebte Kapitel des Römerbriefes herangezogen hat: "Ganz allgemein ist also das Gesetz in den Gliedern, welches dem Gesetz des Geistes widerstreitet (antistrate'lOmenos), wie ein ehebrecherischer Mann Ehebruchsgenosse der Seele. Aber auch jede feindliche (alltikeimene) Macht, welche sich der menschlichen Seele bemächtigt und sich mit ihr vermischt, ist ihr Ehebruchsgenosse, da sie ja als Bräutigam, der ihr von Gott gegeben ist, den Logos hat" (comm. in MI. 12, 4: GeS x. 75, I ff), Hier sind wir wohl schon ganz in der Nähe der Auslegung von Lk 1 8 , 2 ff. die Origenes in seinen Homilien zu Lukas, die vor dem Matthäuskommentar gehal ten sind, oder in seinem kurzen Lukaskommentar, der wohl später geschrieben wurde, geboten haben mag. Freilich ist in allen Texten, die bis jetzt hier angeführt wurden, der Teufel noch nicht ausdrücklich als (Ehe-)Mann der Seele erschienen, nur als ihr Verführer. Aber Origenes kann ihn auch als Mann bezeichnen, zwar direkt nur als Mann der Großperson Synagoge, indirekt dann aber auch als Mann der Einzelseele. Im Matthäuskommentar ( 1 4, 19), wo die Pharisäerfrage, warum Moses gebo ten habe. den Scheidebrief auszustellen (Mt 19,30, behandelt wird. zieht Origenes die entsprechende Gesetzesbestimmung von Dtn 24,1-4 heran. wo es heißt, eine zum zweiten Mal entlassene Frau könne nicht zu ihrem ersten Mann zurOckkehren, und sieht in der Synagoge die Frau, an welcher der Mann etwas "Häßliches" gefunden hat; als sie rief: Kreuzige ihn!, sei das Häßliche hervor gebrochen, und so sei die Scheidung geschehen. "Es ging also die frOhere Frau, die nicht Gnade gefunden hat vor dem Mann, weil in ihr etwas Häßliches gefunden wurde, hinaus aus dem Haus des Mannes und gehörte einem anderen Mann, dem sie sich unterordnete, sei es, daß man den Räuber Barabas den Mann nennen muß. welcher bildlich der Teufel ist, sei es eine andere böse Macht" (GCS X, 3 3 1 , 30 ff) . So weit geht es um die Gesamtsynagoge; Origenes fahrt aber fort: .,Und bei einigen von jener Synagoge trat das erste ein, was im Gesetz geschrieben ist, bei anderen das zweite; denn der letzte Mann haßte die Frau . . . 20. Es gibt aber auch solche, denen es zustieß. daß der Mann [mit ihnen) zusammenwohnte und sie nicht haßte . . . da er ihre Gemeinschaft (synagoge) zur Frau nahm . . . .. (ebd. S. 332,7 ff). Was der Gemeinde zustößt, trifft ihre Glieder "
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(und umgekehrt); wenn der Teufel der Mann der Gemeinschaft ist, dann auch der einzelnen Seele. Origenes spricht dann weiter davon, wie Gott selber die Scheidung von dem zweiten Mann. dem Teufel, bewirkt, um am Ende Juden wie Heiden zu retten. So sei, um das Bild abzurunden, auch die eschatologische Aussage von Buch XVII, 33 des Mauhäuskommentars zitiert: "Also wird der Sohn des Königs bei der Auferstehung der Toten eine Hochzeit feiern, die anders ist als jede Hochzeit, die ein Auge sah oder ein Ohr hörte . . . , wo die beiden nicht mehr ein Fleisch sein werden (Gen 2,24; Mt 19, 6), sondern wo man mit mehr Recht sagen kann, daß ein Geist sind ( I Kor 6. 17 b) der Bräutigam und die Braut" (GCS X, 692,5 fl)".
v.
Da Didymos im Psalmenkommentar und in der Sacharjaauslegung u . wo er die Exegese von Lk 18,2 ff vorauszusetzen scheint. mit den Witwen, die sich von dem schlechten Mann getrennt haben. die Waisen verbindet, "für die der Vater gestorben ist, der sie im Sinne der Sünde gezeugt hat", sei auch die Quelle dieses Gedankens genannt. Origenes sagt zu Jer 1 1, 10 (Sie sind zurückgekehrt zu den Ungerechtigkeiten ihrer früheren Väter): .,Bevor wir zum Glauben kamen, waren wir Söhne des Teufels" und führt als Beweis dafür. daß wir zwei Väter haben. Ps 44, I 1 an (Vergiß dein Vaterhaus). den Didymos auch zitiert. Origenes sagt weiter: .,Der Teufel war früher unser Vater. bevor Gott unser Vater wurde. wenn denn jetzt der Teufel nicht mehr unser Vater ist . . . Wenn jeder, der die Sünde tut, aus dem Teufel gezeugt ist ( 1 Joh 1 . 5), werden wir gewissermaßen so oft aus dem Teufel gezeugt. wie wir sündigen. Unselig also ist der. der immer gezeugt wird aus dem Teufel, wie wiederum selig der immer aus Gott Gezeugte" (horn. ;" Jer. 9.4: GCS 111 [ ' 1983) 70.4fl). Didymos scheint auch den exegetischen Grund für die Deutung von Lk 18.2 ff, die wir Origenes zuschreiben möchten, anzugeben, wenn er bei der Auslegung von Sach 7,9 f Ps 67.6 zitiert. wo Gott als der Vater der Waisen und der (Recht verschaffende) Richter der Witwen bezeichnet wird. Im Anschluß an das Wort Jesu über den wohlunterrichteten Schriftgelehrten, der wie ein Haus herr aus seinem Schatze Neues und Altes hervorholt (Mt 1 3 , 52), stellt Origenes die exegetische Grundregel auf, daß es notwendig ist, "nicht nur die neuen Aussprüche der Evangelien und der Apostel und ihrer Offenbarung in unserem Herzen zu sammeln, sondern auch die alten des Gesetzes, welches ,den Schatten der zukünftigen Güter' (Hebr l O , l ) bietet. und der Propheten, die dementspre chend prophezeit haben. Das wird zusammengebracht, wenn wir lesen und erkennen und in Erinnerung daran Geistliches mit Geistlichem ( I Kor 3.2) zum rechten Zeitpunkt vergleichen. indem wir nicht Unvergleichbares miteinander 'L Vgl. Anm. 17. JlSiehe oben.
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vergleichen . . . So muß man diejenigen beschämen, die . . . von dem Alten das Neue abschneiden . . . (comm. in Mt. X, 15: GCS X, 18,32(0. Origenes besteht also darauf, zur Erklärung neutestamentlicher Texte auch Stellen des Alten Testamentes heranzuziehen, die " eine gewisse Ähnlichkeit des Ausdrucks" bieten und dieselben "Gedanken und Lehren" enthaltenu. Wenn er bei der Auslegung von Lk 18.2 ff dieser seiner Regel folgen wollte, konnte er nicht umhin, den Psalmvers, in dem Gott selbst als der Richter der Witwen bezeichnet wird (Ps 67,6 a), heranzuziehen, und war so geradezu genötigt, in dem Richter Gott selber zu sehen. Dies gilt freilich nur, wenn das Gleichnis wie eine Allegorie behandelt wird; aber alle Schriftkommentare des Origenes bewei sen, daß er trotz der von ihm selbst klar ausgesprochenen Eigenart des Gleich nissesu, d. h. seiner Verschiedenheit von einer Allegorie, doch alle Gleichnisse wie Allegorien ausleg!. Schließlich scheint unsere Parabelauslegung auch dadurch auf Origenes zu verweisen, daß sie die Eigenschaft des Richters, keinen Menschen zu scheuen, positiv deutet, in dem Sinn nämlich. daß vor ihm kein Ansehen der Person gilt. Die Forderung von Dtn 1 , 17, kein Ansehen der Person gelten zu lassen, zitiert Didymos ausdrücklich, wo er den Sacharja-Vers 7.9 (Haltet gerechtes Gericht) auslegt. Der Gedanke, daß GOll kein Ansehen der Person kennt (Röm 2. 1 1 ). scheint dem Origenes besonders lieb gewesen zu sein; er verbindet ihn mit dem anderen Pauluswort (Röm 9, 14), daß es bei Gott keine Ungerechtigkeit gibt (prillc. 1. 7,4), und begründet damit die anfänglich ganz gleichrangige Präexi stenz aller Seelen und die Erschaffung aller Geistwesen als völlig gleich (prillc. t, 8,4); ja, er erklärt sogar bei der Darlegung des Inkarnationsgeheimnisses, die Annahme gerade dieser menschlichen Seele durch den Logos sei nicht cum persollae acceptiolle geschehen (prillc. Il, 6,4). Dieser Gedanke also bestimmt seine gesamte Theologie (Gotteslehre im engeren Sinn), seine Kosmologie und Anthropologie, seine Christologie und Soteriologie. Er muß ihm wohl auch bei der Auslegung des Gleichnisses vom ,.Richtcrder Ungerechtigkeit" gegenwärtig gewesen sein. Freilich wird er wohl nicht so knapp und unbedenklich wie das dreifach erhaltene anonyme StOck exegesiert haben, sondern solche Auslegung unter Beiziehung anderer Bibelstellen nahegelegt haben, wie es auch sonst seine Art ist. Unwiderleglich beweisen läßt sich die Urheberschaft des Origenes rOr die ..kuriose" Exegese nicht, wohl aber wahrscheinlich machen. Es dürfte aber deutlich geworden sein, daß solche Auslegung keineswegs kurios ist. sondern von den Grundüberzeugungen des Origenes her voll verständlich wird: Die Seele jedes Menschen auf Erden ist zunächst in der Gewalt des Bösenlll (mit dem Teufel verheiratet); Gott aber verschafft ihr (nachdem sie sich aus eigener ..
J) Vgl. dazu meine Obersetzung (5. Anm. 16) S. 103 Anm. 32 (hier nicht abgedruckt).
Vgl. Anm. t4. uOu betont Origenes in: homo in Jtr. 8. I : GCS 111 (11983) S6.26rf und in: Cds. 3.62. l&
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Freiheit vom Teufel getrennt hat)/I6 Recht. indem er sie den Angriffen des Bösen entreißt.
16
Das klingt pelagianisch oder doch wenigstens semipelagianisch: aber Origenes nennt (comm. in MI. 10, 1 1 : GCS X, 12,26) als Grund für unsere Gerechtigkeit "das Wort, das wir angenommen haben" , ist also darin mit Augustinus im Einklang. Vg!. meine übers. (s. Anm. 6) S. 99 Anm. 16 (hier nicht abgedruckt).
Die Lehre des Origenes von der Inspiration der Heiligen Schrift
Ein Vergleich zwischen der Grundlagenschrift und der Antwort auf Kelsos*
Die Erörterung des Wertes der Heiligen Schrift, daß sie nämlich göttlichen Ursprungs ist. beginnt Origenes im 4. Buch der Grundlagenschrift (princ. IV, 1 , 1 ) empirisch. d. h. von der Universalgeschichte her: Die Gesetzgeber und Weisheitslehrer - natürlich hauptsächlich die der Griechen - haben es nicht vermocht (ou dynamenoi). Menschen anderer Sprachen und Nationen zur Beob achtung ihrer Gesetze und zur Ü bernahme ihrer Lehren zu rufen; ja, sie haben dies gar nicht erst versucht. weil sie es mit Recht von vornherein für unmöglich (adynalon) hielten. Dies ist nun nicht nur ein Blick in den äußeren Geschichts verlauf, sondern da wird auch den Philosophen eine bestimmte Meinung unter· stellt. Es wäre aber auch denkbar, daß Origenes nicht nur unterstellt, sondern zitiert oder mindestens auf eine Äußerung Platos anspielt. Der sagt j a im Timaios (28 C 3-5), es sei unmöglich (adynaton), den Schöpfer und Vater des Alls, wenn man ihn denn selbst erkannt hat, allen bekannt zu machen. Daß nicht nur bei Juden (nämlich bei Josephus, Comra Apionem 2, 224) und bei Christen (nämlich bei Justin, 2. Apologie 10.6 f). sondern auch schon. und zwar offenbar frUher. bei heidnischen Philosophen (nämlich im Didaskalikos1) das platonische ady· natOIl stillschweigend in ein asphaIes (unsicher) abgeändert worden war1• konn le Origenes an dieser Stelle außer acht lassen; es zeigt aber, daß sich die Universalmission von Judentum und Christentum einer Universalisierung oder Demokratisierung des Bildungswesens Uberhaupt einfügt, die wohl hauptsäch lich auf die Stoa zurückgeht. welche ja als erste die Tugend für lehr- und lernbar erklärt hatte. Was also die (früheren) Philosophen und heidnischen Gesetzgeber für unmöglich hielten, das haben Mose und Christus vollbracht. nämlich bei Griechen und Barbaren unzählige Gefolgsleute gefunden, obwohl diese nicht nur ihre Überlieferungen verlassen mußten, sondern jetzt als Juden dem Haß. als Christen darüber hinaus noch Gefahren und dem Tod ausgesetzt sind. Daraus ergibt sich für Origenes, daß eine göttliche Macht am Werk war; die Geschichte erweist die Erfüllung der Verheißungen Jesu, ja sie zeigt, daß "wahrhaftig ein Gott Mensch geworden ist und den Menschen die Lehre des Heils Ubergeben •
Verkürzt vorgctragen beim 5. Origeocs-Colloquium im August 1989 in Boston. Werke. Ed. c.F. Hcrmann ( 1 853) 179, 31 er. I Plato 1 Vgl. J. Whittaker, Platonie Philosophy in thc Early Ccolurics of the Empire. in: ANRW 11. 36/1. 81-123, 105. _
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hat" (princ. IV, 1,2). Daß nun aber nicht etwa Judentum und Christentum gleichberechtigt nebeneinanderher missionieren. ergibt sich fOr Origenes einer seits aus dem Ende der jüdischen Eigenstaatlichkeit und andererseits aus der Menge der Neuchristen bei allen Völkern; sie zeigen, daß die wahre neue Heilszeit angebrochen ist (ebd. Nr. 3). Israels Ruhm hat also ein Ende gefunden; diese Beobachtung scheint dahinterzustehen, wenn Origenes I Kor 1, 26-29 antijüdisch versteht. Dort ist ja der Blick des Paulus nicht auf das Judentum, sondern auf die beeindruckende Umwelt der kleinen christlichen Gemeinde von Korinth gerichtet. Draußen gibt es Weise. Mächtige, Vornehme; in der Christen gemeinde kaum. So kann Paulus erklären, Gott habe gerade das, was nichts ist, erwählt, um das, was etwas ist (nämlich weise, mächtig und vornehm), zunichte zu machen, damit sich kein Fleisch vor Gott rühmen kann. Damit meint Paulus natürlich alle Menschen. insofern sie sterblich. vergängliCh, ganz und gar von Gott abhängig sind. Origenes aber behauptet. mit ..alles Fleisch" habe Paulus ..das Israel dem Fleische nach" (von I Kor 10, 18) gemeint. Damit wäre zu dem Argument aus der äußeren Geschichte auch ein biblisches Argument dafür gewonnen, daß nun die christliche Verkündigung nach dem Willen Gottes die jüdische abgelöst hat und daß die jüdische, wenn sie doch noch stallfindet. von Gott her nicht mehr legitimien ist. Dann verfolgt Origenes das Auftreten der Apostel in der Welt und kann darin die Erfüllung der auf Christus gerichteten Weissagungen erkennen. Origenes kann für das Auftreten der Apostel denselben Ausdruck wie für das Kommen Christi verwenden, nämlich epidemia, womit er wohl deutlich machen will, daß das Auftreten Jesu und das der Apostel eine Einheit bilden, die eine Wende der Heilsgeschichte darstellt. Origenes gibt sich aber gewissermaßen nicht damit zufrieden. die jüdische Verkündigung jetzt durch die christliche abgelöst, die alttestamentliche Offen barung durch die neutestamentliche überholt zu sehen. Vielmehr erklärt er grundsätzlich, und zwar sowohl in der Grundlagenschrift (IV, 2.5) als auch im Werk gegen Kelsos (1 .45), das Alte Testament werde erst durch das Neue autorisiert. Vor der Ankunft Christi habe man keine zwingenden Beweise (eilDr ge paradeigmata) dafür bringen können, daß die alten Schriften inspiriert sind; man hätte vielmehr vermuten können, sie stammten nicht von Gott. Die Ankunft Jesu aber hat dazu geführt, daß man erkennt, daß sie durch ..himmlische Gnade" aufgeschrieben sind; sie waten also immer schon göttlich inspiriert, werden es nicht erst durch das Kommen Christi. 1m Gesetz des Mose ist ein Licht enthalten (enyparcJwn), das aber durch die HüHe (kalymma) verdeckt war; es begann erst zusammen mit dem Kommen Christi zu strahlen (synelampse) (princ. IV, 1 , 6). Dabei geht es offensichtlich um die Qualität des alttestamentlichen Textes. nicht so sehr um die Inhalte, also um die berichteten Ereignisse. Diese faßt Origenes in dem ja viel später geschriebenen Werk gegen Ke)sos in den Blick. hält aber die gleiche Grundposition ein: Die Juden haben keinen Beweis (deixis) für Mose, die Christen dagegen haben Beweise (apodeixeis) für Jesus, und zwar aus dem Gesetz und den Propheten; diese Beweise für Christus aber beweisen
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dann rückwirkend, daß Mose und die Propheten wirkliche Propheten Gottes waren (Ce/s. 1 , 47). Man wird hier wohl keinen Unterschied zur Grundlagen schrift konstruieren dürfen, so als ob Origenes im Alter das Alte Testament geringer geschätzt und ihm nicht mehr ein schon immer innewohnendes Licht zugetraut hätte. Vielmehr erklärt er schon in Ce/so 1 . 36, man müsse zugeben, daß auch die Juden Propheten hatten; deren Aufgabe sei esja gewesen, die Juden "in den ihnen gegebenen Geselzen zu halten", damit sie dem Schöpfer glaubten und nicht etwa zum heidnischen Polytheismus überliefen. Diese Aufgabe haben die Propheten nach der Meinung des Origenes offenbar erfüllt. 1m folgenden Kap. 37 bekräftigt Origenes noch einmal. die Propheten hätten bei den Juden nicht nur allgemein. sondern auch in einzelnen Dingen geweissagt. z. B. über die Eselinnen. die Saul suchen mußte. Die großen Weissagungen aber scheint Origenes alle auf Christus und die Zeitenwende zu beziehen. Von einer Erfüllung innerhalb der Geschichte Israels, wie Salomo sie etwa in seinem Tempelweihe gebet lobt, hält Origenes offenbar nichts. Das bedeutet aber doch wohl, daß auch die schriftlich niedergelegten Mahnworte der Propheten schon vor der Ankunft Christi als Zeichen göttlicher Pädagogik. also als inspiriert erkennbar waren. Daß das Volk Israel schließlich beim Glauben an den einen Gott geblieben ist, ist dann eben doch ein Beweis, eine deixis fur Mose. In ähnlicher Weise scheint Origenes sich aber auch schon in der Grundlagen schrift zu widersprechen. Dort sagt er unmittelbar nach der Erklärung. erst die Ankunft Christi habe das Licht des Gesetzes aufleuchten lassen: "Wer mit Sorgfalt und Aufmerksamkeit an die Prophetenschriften herangeht, wird durch das bloße Lesen eine Spur von Begeisterung (oder: einen Eindruck von der Wirksamkeit Gottes: icllnos enlllousiasmou) empfangen und so über zeugt werden. daß die von uns für Gottes Wort gehaltenen Texte nicht [nur] Schriften von Menschen sind" (princ. IV, 1 , 6). Ähnlich heißt es später im Werk gegen Kelsos (6, 5), die schlichte Sprache der Schrift lasse den unvorein genommenen Leser in Begeisterung geraten (emhousiall). Da muß man doch fragen, ob diese Wirkung vom Text des Allen Testaments frUher nicht auf den Leser ausgehen konnte. Muß jemand, um diese Wirkung verspüren zu können, wissen, daß die Christen die Schrift für inspiriert halten? Wenn ein solches Wissen sozusagen als Vorbereitung, als Mahnung zur Aufmerksamkeit, nötig ist, dann müßte es doch genügt haben zu wissen. daß die Juden die Bibel für inspiriert halten! Zusammenfassend möchte ich festhalten, daß Origenes offenbar durch die Auseinandersetzung mit den Juden so geprägt war, daß er sein ganzes Leben hindurch - von der Grundlagenschrift bis zur Kelsos-Widerlegung - bei der Überzeugung geblieben ist, erst das Christusereignis lasse die alttestamentliche Offenbarung als solche erkennen, obwohl er in einem gewissen Widerspruch dazu behauptet, das Alte Testament könne auch unmittelbar als inspiriert erkannt werden. Wie stark Origenes unter dem Einfluß des Gesprächs mit den Juden stand, läßt sich übrigens daran erkennen, daß er, als er in dem Werk des Kelsos auf von einem Juden vorgetragene Argumente gegen das Christentum stieß (vgl.
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Cels. 1, 28), sich entschloß, seine Widerlegungsmethode zu ändern und dies durch ein nun erst verfaßtes Vorwort zu rechtfertigen. Man könnte vielleicht sogar den eben genannten Widerspruch noch stärker herausstreichen, wenn man in dem Werk gegen Kelsos (2. 4) liest. für die Christen geschehe die Einführung in den Glauben auf der Grundlage des Mose und der Propheten. Denn dann ist ja doch das Alte Testament als solches schon als Hinführung zu Christus verständlich. Der Fortschritt (im Glauben. in der Frömmigkeit) geschehe da durch. fuhrt Origenes fOft. daß man das Alte Testament erklärt und verdeutlicht. indem man das verborgene Geheimnis sucht; diese (christlichen) Voranschrei tenden erwiesen dem Gesetz sogar noch größere Ehre. indem sie die Tiefe der darin enthaltenen Weisheit zeigen. welche den an der Oberfläche haftenden Juden verborgen bleibt (ebd.). In dieser Hinsicht ist Origenes sich wiederum treu geblieben. denn sachlich besteht wohl zwischen der EnthUllung der verborgenen Weisheit und dem Aufstrahlenlassen des im Gesetz enthaltenen Lichtes (princ. IV, 1,6) kein Unterschied. Und wo Origenes auf die Paulus-Briefe und die Evangelien zu sprechen kommt. wird die Ähnlichkeit zur früheren Meinung noch deutlicher. Wer die Absicht des Paulus zu erfassen versuche. müsse den Geist dieses Mannes bewundern. weil er große Dinge in einfacher Alltagsspra che (idiotike /exis) sagt; wer Paulus nicht bewundere. mache sich geradezu Iä.cherlich (Ce/s. 3, 20). Man erfährt also auch bei Paulus ..eine Spur von Begeisterung" (vgl. princ. IV, 1.6). Irgendwie überzeugt also die Bibel selbst, weist sich selbst als inspiriert aus. Man kann aus den Evangelien die Ehrfurcht und die Gesinnung der Verfasser vermutungsweise erfassen. Das hätte sogar Kelsos können mUssen; Origenes wirft ihm nämlich vor (Ce/s. 3. 74), daß er weder den Sinn der Evangelien geprüft hat, noch in ihre Aussageabsicht einzu dringen versucht. Schließlich kann Origenes ganz allgemein erklären (Ce/s. 4, 53), aus den biblischen Texten lasse sich die Absicht, die Gesinnung und die Einstellung der Verfasser vermutungsweise erfassen (stochazomai), wobei die ses Verb ja nicht ein willkürliches Vermuten. sondern eine begründete Weise des Erfassens bedeutet. Sowohl in der Grundlagenschrift als auch in der Antwort auf Kelsos geht Origenes also von der Erfahrung aus, von der allgemeinen Geschich te wie vom Erlebnis des einzelnen; er behandelt die Inspiration induktiv apolo getisch. also nach der Weise der Fundamentaltheologie, nicht der Dogmatik. Das war im Werk gegen Kelsos so zu erwarten. In der Grundlagenschrift aber, die ja meist für die erste christliche Dogmatik gehalten wird, hätte man es sich anders denken können. Daß Origenes auch damals schon so apologetisch verfuhr. sollte zur Beurteilung dieser Frühschrift berücksichtigt werden. Origenes findet sich (priflc. IV, 3.5) damit ab, daß es unmöglich ist, den geschlossenen Sinnzusammenhang der Bibel auf der Ebene des Wortsinnes darzustellen; auf der Ebene des eigentlichen (proegoumenos) Sinnes sei dies aber sehr wohl möglich; man könne den ganzen Sinn der Schrift erfassen, indem man die im wörtlichen Sinn unmöglichen oder sinnlosen Stellen mit Hilfe anderer unmittelbar verständlicher Stellen. die ähnliche Ausdrücke oder Gedan ken aufweisen, allegorisiert und dann auch die wörtlich sinnvollen Stellen
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entsprechend übertragen deutet. Origenes tlbernimmt aber die Überzeugung von der doppelten Sinnebene nicht einfach aus der geistigen Umwelt, sondern beruft sieb auf die Rede des Apostels Paulus vom ..Israel dem Fleische nach" ( 1 Kor 10,18); daraus ergebe sich, daß es auch ein Israel dem Geiste nach geben muß. Bestätigt wird dieser Schluß durch Röm 2,28, wo ausdrücklich dem ,,Juden in der Öffentlichkeit" ein ,.Jude im Verborgenen" gegenübergestellt wird. Damit ist für Origenes in der Grundlagenschrift ein für allemal die Übertragung aller Aussagen, die kata sarka oder eil phanero in der Bibel gemacht sind, auf eine höhere Ebene freigegeben, ja angeregt; im ganzen Werk gegen Kelsos dagegen zitiert Origenes weder 1 Kor 10, 18 noch Röm 2,28. Daß man darin eine geistige Entwicklung sehen kann, wird durch eine andere Beobachtung bestätigt. In der Grundlagenschrift (IV, 2,6) begründet Origenes die Lehre von der geistlichen Auslegung der Bibel durch Stellen wie 1 Kor 10, 1 1 (das ist typisch geschehen), Gal 4,24 (das ist allegorisch gesagt), Kol 2, 16 (Schatten der kommenden Dinge) und Hebr lO, 1 (Schatten der kommenden Güter), also vorzugsweise durch SteUen, die den Gegensatz von Jetzt und Dereinst herausstellen, d.h. im zeitlich eschatologischen Schema reden. Dane ben aber verwendet Origenes auch Hebr 8, 5a (Abbild und Schatten der himm lischen Dinge) und Hebr 8,5b (Vorbild, das auf dem Berg gezeigt wurde), wo also nicht im eschatologischen Schema, sondern im räumlichen ,.Hier unten Dort oben" gesprochen wird. Im ganzen Werk gegen Kelsos taucht Hebr 8, Sb Ex 25,40 nicht mehr auf, und der "Schauen" von Hebr 8,5a wird sofort durch Ko1 2, 1 6 eschatologisiert (Cels. 2,2). In der Grundlagenschrift ([V. 2. 1 . 2) führt Origenes breit aus, wie sich Juden, Häretiker und einfältige Christen ober Gott täuschen, weil sie dem Wortlaut folgen, statt die Bibel geistlich zu verstehen; so verfallen sie in Falschmeinun gen. Irrlehren und unangemessene Reden. Im Werk gegen Kelsos ( I , 42) faßt Origenes djes knapp so zusammen: "Wer sich ungetäuscht (anexapalelos) bewahren will. wird genau unterscheiden. welchen Aussagen er (einfach sol zustimmen und welche er übertragen verstehen will." Letzteres hält Origenes dann für möglich. aber auch geboten, wenn man einen Zugang (eisodos) in die Absicht des Verfassers findet. Das sagt Origenes zwar zunächst im Blick auf die heidnisch-griechische Literatur, erklärt es dann aber als eine Vorbemerkung fUr die "ganze Geschichte Jesu, wie sie in den Evangelien berichtet wird". Also kann auch die Bibel, kann auch das Evangelium "täuschen"; Juden, Häretiker und einfältige Christen wurden so getäuscht. In der Grundlagenschrift (IV. 2,5) sieht Origenes in den Wasserkrügen von Joh 2,6, die je "zwei oder drei Maß" fassen, einen Hinweis darauf, daß nicht alle Schriftstellen den dreifachen Sinn enthalten, sondern manche nur den zweifachen. Immer seien der psychische und der pneumatische Logos im Text enthalten. manchmal aber kein somatischer. Im Werk gegen Kelsos taucht Joh 2,6 nicht mehr auf; auch die Frage, ob es einen zweifachen oder dreifachen Schriftsinn gibt, wird nicht mehr erörtert. sondern nur noch von doppeltem Sinn gesprochen. Das Vertrauen in die Bibel, nämlich in die Allgegenwart des =
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inspirierenden Geistes, hat Origenes sich aber bewahrt. Er vergleicht es selbst (princ. IV, 1,7) mit dem Vertrauen der Gläubigen in die Allwirksamkeit der göttlichen Vorsehung; diese sei in den Ereignissen auf Erden, vor allem in den menschlichen Widerfahmissen. nicht so leicht zu erkennen wie an Sonne und Mond und an den Seelen und Leibern der Tiere. Warum vergleicht Origenes die Schriftinspiration mit der uneingeschränkten Vorsehung? Diese wurde nach der Auffassung der Zeitgenossen des Origenes nicht nur von den Aristotelikern, sondern auch von den Gnostikern geleugnet (so jedenfalls princ. H, 9.5.6). Man konnte also gewissermaßen für die Verteidigung der vollen Inspiration den Kampf gegen Aristoteliker und Gnostiker ausnutzen. Daß Origenes Vorsehung und Inspiration so eng zusammenbringt. hat aber auch einen sachlichen Grund, der im Werk gegen Kelsos deutlich hervortritt: Die Vorsehung ist nicht eine mechanische allgemeine Weltverwahung, die dann auch den Menschen erfaßt, sondern ihre Absicht ist es . ..den Menschen zu helfen" (Ce/s. 3, 28). Das gilt so sehr, daß man daran die Echtheit von Offenbarungen oder Wundern prüfen kann; wenn sich nicht erkennen läßt, wie die Vorsehung der Menschheit damit nUtzen wollte, sind Zweifel an den Berichten angebracht. Schließlich ist in den Augen des Origenes in der Vorsehung die gleiche Herab lassung Gottes wirksam wie in der oikollomia, welche ja die Inkarnation mitum faßt: "ln seinem Wesen unverändert bleibend, läßt er sich durch Vorsehung und Heilshandeln zu den menschlichen Verhältnissen herab" (Ce/s. 4, 14). In der Grundlagenschrift (IV, 2,4) sieht Origenes eine Entsprechung zwi schen den drei Sinnebenen, also dem Leib, der Seele und dem Geist der Schrift und den drei Vollkommenheitsstufen der Hörer. den Einfältigen, den ein wenig Aufgestiegenen und den Vollkommenen. In der Schrift gegen Kelsos (4, 16) unterscheidet er fünf Stufen auf dem Weg zur vollen Erkenntnis, nämlich 1 . die, die eben eingeführt werden, 2. die ein wenig vorangeschrinen sind. 3. die weiter vorangeschritten sind. 4. die schon nahe an die Tugend herangekommen sind und 5. die zur Tugend gelangt sind. Diesen fünf Erkenntnisstufen entsprechen ebenso viele Gestalten des Logos. Damit wird zwar gegen die Behauptung des Kelsos, die Christen glaubten an einen Gestaltwandel Gottes, Front gemacht, aber Origenes hätte. wenn ihm das ein Anliegen gewesen wäre. im Zusammen hang mit den Gestalten des Logos sozusagen unweigerlich auf die Sinnebenen der Schrift zu sprechen kommen müssen. Er macht jedoch keinerlei Versuch. fünf entsprechende Schriftsinne zu entdecken. Nun könnte man sagen, er sei ja auf drei Sinnebenen festgelegt gewesen; aber schon zwei Kapitel weiter (Ce/s. 4. 18) bietet Origenes wieder eine Dreistufeneinteilung: Für die Kinder ist der Logos Milch (vgl. 1 Petr 2,2), für die Schwachen ist er Gemüse ( Krankenkost nach Röm 14,2), für die Starken und Vollkommenen ist er feste Speise (nach Hebr 5, 12. 14). Da gibt Origenes nicht den geringsten Hinweis auf die alte Einteilung der drei Schriftsinne, obwohl sie sich hier erst recht nahegelegt hätte. Diese Einteilung scheint rur ihn also ein fUr allemal überholt zu sein. Wenn man den Gedanken, der Logos erscheine jedem in der Gestalt. in der er ihn einerseits nötig hat. ihn andererseits aufnehmen kann, ernst nimmt, ergibt sich daraus, daß =
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die Heilige Schrift jedem, der sie ernsthaft befragt, das antwortet, was er nötig hat. Ebenso viele unterschiedliche Sinngehalte aber von vornherein im Text der Schrift enthalten zu sehen, wird wohl niemandem in den Sinn kommen. Ober· haupt ist die Vorstellung von verschiedenen Bedeutungen, die von vornherein in die Schrift hineingelegt sind. eine sehr dingliche, ja geradezu mechanische. Da wird die Schrift zur Schatztruhe, aus der man herausholt, was drinliegt. Auch die noch weiter verfeinerte Unterscheidung vorgegebener Schriftsinne, wie das Mittelalter sie ausgebaut hat. geht weiter auf diesem mechanistischen Irrweg. Durch den Gedanken von den verschiedenen Gestalten, die der Logos annimmt. eröffnet Origenes grundsätzlich einen neuen Weg, nämlich zu einem dynami· sehen Verständnis des Schriftsinnes, welcher nicht ein für allemal mechanisch in der Schatztruhe liegt, sondern durch Interaktion von Bibelwort und Leser oder Hörer zustande kommt. Die Bibel spricht "häufig im seiben Wortlaut zu den Geistlichen" (vgl. I Kor 2. 1 3), zu den "Schwächeren" und zu den "Bewander teren" (die aber vielleicht mit den Geistlichen identisch sind, so daß nur zwei Gruppen unterschieden würden) (Cels. 4, 7 1) . Dies entdeckt man, wenn man das, was geistlich genannt wird, den Geistlichen anvertrauen will (synkrinein nach 1 Kor 2, 13). Man entdeckt also den für die Schwächeren geeigneten Sinn, wenn man die geistliche Auslegung für die geistlich gesinnten Hörer sucht, nicht umgekehrt. Aber es bedarf nicht eines Lehrers; vielmehr werden alle, die fähig sind (dYllamenoi), selbst das bearbeiten (epergazomai). was eine Bibelstelle enthält, die ihnen einfach in der Weise der Erzählung (historia) präsentiert werden kann (Cels. 5, 29). Nicht um das Aufspüren eines schon fertig in der Schrift liegenden Sinnes also geht es, sondern um das Erarbeiten einer Bedeu tung, die offenbar erst durch solche eigene Arbeit voll zustande kommt. Der verständige Bibelleser ist also wie einer, der den Boden bearbeitet und daraus Frucht erntet. Was als Erzählung (mythikolerorl) vorgetragen wurde. verwandelt sich für die, welche den Logos darin suchen, in die Wahrheit, die Unverhülltheit (alelheia : Cels. 4, 42). Freilich ist dies nicht durch bloße Anstrengung des Bibellesers oder -auslegers zu erreichen: das Wort der Schrift ist, auch wenn es noch so wahr und glaubwürdig ist, nicht ausreichend (autarkes); hinzu kommen muß die Kraft und Gnade (dynamis kai clzaris) Gaues (Cels. 6, 2). Das hängt damit zusammen, daß auch der inkarnierte Logos keineswegs leicht erkennbar ist (Ce/s. 6, 69). Und doch gilt, daß nichts Gutes je getan wird, ohne daß der Logos in die Seele einwirkt (Ce/s. 6, 78). Diese klare Aussage des Origenes, die später als anti-pelagianisch zu bewerten ist, wenn sie auch ohne das Wort "Gnade" auskommt, gilt ganz allgemein, also auch für den Umgang mit der Heiligen Schrift; was da an Erkenntnis gewonnen wird, ist immer auch dem Logos zu verdanken; aber es wird Erkenntnis gewonnen. Deutlicher konnte wohl zur Zeit des Origenes nicht ausgesprochen werden, daß der Sinn der Bibel für jeden Leser und Hörer nicht ein für allemal vorliegt, sondern durch sein eigenes Mittun erst zustande kommt. Dies scheint mir das letzte Wort des Origenes zur Sache zu sein, welches aber bisher weitgehend übersehen wurde.
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Beobachtungen zum Johannes-Ko mmentar des Origenes
I. Der älteste Evangelienkommentar Während es seit gut 20 Jahren eine vollständige italienische Übersetzung des Johannes-Kommenlars des Origenes und aller erhaltenen Fragmente von Euge nio Corsini I gibt. besitzen wir im Deutschen nur die Auswahlübersetzung von Rolf Göglerl, die zwar einen guten Einblick in das Auslegungsverfahren und die wichtigsten Gedanken des Origenes gewährt, aber eben nicht alles bietel. Der lohannes-Kommentar ist der erste, den Origenes zu einem Evangelium geschrie ben hat; aber er ist gewissennaßen nicht aus freien StUcken an diese Arbeit herangegangen, sondern um einen lohannes-Kommentar des Gnostikers Herak leOD zu widerlegen. Es ist eine seltsame Tatsache der Kirchengeschichte, daß der erste Kommentar zu einem Evangelium nicht aus den Kreisen der orthodo xen Kirche kam, sondern von einem Gnostiker verfaßt wurde. Die Großkirche schien in der zweiten Hälfte des 2. Jahrhunderts eine befriedigende Unterwei sung nur für die einfacheren, wenig gebildeten Leute anzubieten. So suchten viele Gebildete eine mehr intellektuelle Lehre und eine geistlichere Auslegung der Heiligen Schrift bei den Gnostikern und meinten sie dort auch zu finden', wie etwa in der zweiten Hälfte des 4. Jahrhunderts Augustinus sich an die Manichäer hielt. Ein gewisser Ambrosius, ein gebildeter und reicher Mann, der eine Zeitlang Anhänger der Gnostiker gewesen war, fand einen Meister der geistlichen Schriftauslegung und der intellektuellen theologischen Unterwei sung. aber ga.nz im Sinne der Großkirche, in der Person des Origenes, so wie später Augustinus in Ambrosius, dem Bischof von Mailand. Ambrosius von Alexandrien war dem Origenes so dankbar rur seine Unterweisung, daß er ihm eine ganze Schreibstube zur Verfügung stellte. also Schnellschreiber, Rein schreiber und Schönschreiberinnen, Ober ein Dutzend Personen, um ihm die
I Commento al
Vangelo di Giovanni di Origene. A cura di E. Corsini: CdF 3 ( 1 968) 972. S. Corsini Ubersetzt den von E. Preuschen 1903 in GCS Origenes 4 kritiscb edierten Tex!. Diese Ausgabe bietet zum ersten Mal die Einteilung in kurze Paragraphen. die auch hier fUr die Zilation angegeben werden. l Origenes. Das Evangel.ium nach Johannes. übers. und eingef. v. R. Gögler: MKZU . NS4 ( 1 959). Eine englische Übersetzung, die aber nur die BUcher 1-5, 6 und 1 0 umfaBt, findet sich in: Ante-Nicene Fatben. Original Supplement to the American Edition. Ed. A. Menzies. Michigan 1974. In Französiscb liegen inzwiscben in den Bänden 120, 157, 222, 290 der Sources Chretiennes, erschienen 1966, 1970, 1915 und 1982, in der Übersetzung von C. Blanc die BUcher 1-5, 6 und 10. 13 und 1 8 und 20 vor. ) Vgl. etwa P. Lampe, Die stadtrömischen Christen in den ersten beiden Jabrhundcrten. Unter suchungen zur S07.ialgeschichte, TUbingen 1 ) 989. 251-268: Valeotinianer.
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Möglichkeit zu geben, seine theologischen Einsichten und exegetischen Ergeb nisse zu veröffentlichen·, Diese zunächst großartige Möglichkeit wurde für Origenes zu einem harten Zwang, mußte er doch diese ganze Mannschaft ständig beschäftigen; manche vermeidbar erscheinende Länge oder Abschweifung in seinen Werken mag sich so erklären. Ambrosius aber drängte deshalb so sehr, weil er die große Anziehungskraft kannte, die gnostische Schriften auf Gebildete ausübten, und allen das anbieten wollte. was für ihn selbst das wirksame Heilmittel gegen die gnostische Versuchung gewesen war, nämlich die Theolo gie des Origenes. Die Arbeit, die Origenes hier leisten sollte und wollte, nämlich die Kommen tierung des Johannes-Evangeliums, war also eine kirchlich-religiöse und mis sionarische; das muß man immer im Blick behalten. Aber diese Arbeit war nicht frei gewählt; Origenes konnte nicht selbst entscheiden, wo er beginnen wollte. Das Evangelium, welches man das am meisten kirchliche genannt hat und das auch in der frUhen Kirche am häufigsten zitiert und kommentiert wurde, ist das nach Matthäus. Man weiß nicht, ob Origenes, wenn er ganz frei hättc wählen können, nicht seine Evangelienexegese mit Matthäus begonnen hätte. Aber er mußte eine Antwort auf das Werk des Gnostikers Herakleon geben, und deswe gen hat er mit dem Johannes-Evangeiium begonnen. Später hat er Predigten zum Lukas-Evangelium gehalten, von denen noch 39 in der lateinischen Übersetzung des Hieronymus und zahlreiche Fragmente erhalten sinds, die aber vielleicht von einem fortlaufenden Kommentar stammen, von dem jedoch kein einziges voll ständiges Kapitel auf uns gekommen ist. Das Matthäus-Evangelium hat Orige nes gegen Ende seines Lebens vollständig ausgelegt, aber griechisch besitzen wir heute nur die BUchcr 10-17, die von Mt 13.36 bis 22,33 reichen, sodann eine alte anonyme lateinische Übersetzung, die mit Mt 16. 1 3 einsetzt und bis Mt 27,66 geht'. Es ist uns also nicht der ganze Text erhalten. aber das Erhaltene bildet einen ununterbrochenen Zusammenhang. Mit dem Johannes-Kommentar des Origenes verhält es sich ganz anders. Während im Matthäus-Kommenrar die Anfänge der (acht erhaltenen) Bücher mit Kapirelanfängen des Evangelientextes zusammenfallen. ohne daß Origenes von Anfang oder Ende eines Buches spräche, bezeichnet er im Johannes-Kom mentar normalerweise das Ende eines Buches, eines lomos also, wie er sagt. So heißt es z. B . am Ende von Buch 10: "Hier machen wir Schluß mit dem Buch 10, da es schon einen ausreichenden Umfang hat", oder am Ende von Buch 20: "Aber an dieser Stelle machen wir, weil das Buch 20 schon einen ausreichenden Umfang hat, Schluß mit unseren Überlegungen, um sie mit Hilfe der göttlichen Offenbarung weiterzuführen im Blick auf das, was folgt . . . " Dieselbe Formu-
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Vgl. Euseb. h.l!. 6, 18, I und 6. 23, 1.2. ' Ausgabe: OCS Origenes 9. Hrsg. v. M. Rauer, Berlin 11959 . igenes. • Kritischer Text: GCS X. Hrsg. v. E. Klostermann, Berlin 1935: dt. übersetzung: Or Der Kommentar zum Evangelium nach Matläus. Einge!.. übers. und mi t Anm. vers. v. HJ. VOgl, 3 Bde. (BOL 18. 30.38). Stuugart 1983. 1990. 1993.
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lierung findet sich am Ende von Buch 28 und Buch 32. Am Ende von Buch 13 sagt er wenigstens: "Im folgenden Buch werden wir das behandeln, was Jesus in Jerusalem am Fest der Juden gesagt und getan hat". Das 1 . Buch endet so: Und dies soll nun genügen zur Erklärung des Verses: Im Anfang war der " Logos!" Und das 2. Buch beginnt so: Nachdem wir im vorausgegangenen Teil hinlänglich die Frage behandelt haben . . . , was ein Evangelium ist und welches der Anfang ist, in dem der Logos war, schicken wir uns nun an, heiliger Bruder Ambrosius. im Zusammenhang zu untersuchen, inwiefern der Logos bei Gou war." Wo sich keine derartige Bemerkung findet, darf man annehmen, daß ein Textstilck verlorengegangen ist. Die interessanteste Einführung haben wir im Buch 6; die Auslegung von Joh 1 , 19 beginnt Origenes erst im 3. Kapitel; zuvor spricht er von den Grundlagen, die jedes Gebäude haben muß, danach von dem Sturm, der gegen ihn in Alexandrien entfesselt worden war, und dann von seinem Weggang von Alexan drien; er habe den Anfang des 6. Buches, den er schon in Alexandrien diktiert haue, dort zurilekgelassen und beginne deshalb dieses Buch von neuern. Durch die da erwähnten Ereignisse erklärt sich vielleicht der Verlust der Bücher 3-5; aber es fehlen auch die Bücher 7 und 8. 1 1 und 12, 14-17, 19, 2 1-27 und 29-3 1 . Erhalten sind uns nur die Bücher 1 und 2, Bruchstücke von Buch 5 und dann wieder die Bücher 6. 10, 13, 18. 20, 28 und 32. Mit diesem letzten Buch war Origenes bis zu Joh 1 3,33: "Wo ich hingehe, dorthin könnt ihr jetzt nicht kommen" gelangt. Es scheint, daß er den lohannes-Kommentar darüber hinaus nicht fortgesetzt hat; zu den weiteren Johannes-Kapiteln existieren nicht einmal Fragmente. Andererseits stimmen die 140 in byzantinischen, aus verschiedenen Autoren zusammengesetzten. sogenannten Kettenkommentaren (Katenen) er haltenen Fragmente zu den ersten 13 Johannes-Kapiteln nur in AusnahmefaJlen mit dem Text des Kommentars überein, wo er uns erhalten ist. Das ist kaum zu erklären; sollten die Katenisten so stark in den Text eingegriffen haben? Viel leicht haben sie entweder paraphrasiert oder knapp referiert. Wenn man bedenkt, daß die neun erhaltenen Bücher ungefähr 700 Druckseiten füllen. dann ergäbe der Gesamuext der 32 BUcher rund 2500 Seiten; dafür wUrde sich vielleicht kein Leser und noch viel weniger ein Herausgeber finden. Origenes widerlegt in seinem lohannes-Kommenlar, wie schon gesagt wurde, die gnostische Exegese des Herakleon; das letzte Fragment, das er von ihm zitiert. findet sich in Buch 20. 38. 358 und behandelt Joh 8.50: "Ich suche nicht meine Ehren; es ist aber einer. der sie sucht und richtet." Die Kapitel 39-44 von Buch 20, die sich mit Joh 8,5 1-53 befassen, bieten keine Zitate mehr aus dem Kommentar des Herakleon; entweder war er mit seinem Kommentar nicht weiter gekommen, oder es existiene zur Zeit des Origenes weiter kein Text von ihm. Die heiden letzten uns erhaltenen BUcher, nämlich 28 und 32, zeigen, wie schon Corsini hervorgehoben hat', größere Aufmerksamkeit fUr den wörtlichen ..
1 Corsini (5. Anm. 1) 92.
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Beobachtungen zum Johannes-Kornmentar des Origenes
Sinn des Evangeliums und betonen stärker die sich daraus ergebenden sittlichen Verpflichtungen. Corsini will den Grund dafUr entweder darin sehen, daß Origenes nun nicht mehr durch die gnostische Auslegung des Herakleon dazu herausgefordert war, diese geistig-geistlich zu Uberbieten, oder darin, daß On genes jetzt älter und daher geistig nicht mehr so beweglich gewesen sei, oder schließlich gar darin, daß ihm das Interesse an dieser sich schon zu lange hinziehenden Arbeit verlorengegangen sei. Ich meine, daß dieser Wandel im Stil und im Auslegungsverfahren nichts anderes ist als der Wandel, den Origenes selbst durchgemacht hat, nämlich vom alexandrinischen Professor zum Prediger und Meister des geistlichen Lebens, als welcher er in Caesarea in PaJästina, seinem neuen Wohn- und Arbeitssitz, hauptsächlich gefordert war. Davon wird noch zu reden sein.
11. Weisen der Schriftverwendung Statt sofort den ersten Johannes-Vers auszulegen, beginnt Origenes das 1 . Buch seines Kommentars mit Betrachtungen über das alte Volk Gottes und über die 144 000 Bezeichneten aus allen Stämmen Israels, von denen Offb 7,4ff spricht. Dann erklärt er, daß so, wie ein Stamm den priesterlichen Dienst versah, Gott also näher war als die Ubrigen und für diese Miulertätigkeit ausübte, auch heute die große Menge der Gläubigen auf diejenigen angewiesen ist, die Gott näher sind. weil sie sich nicht den Tätigkeiten des Lebens widmen. sondern nur dem göttlichen Logos. Daraus ergebe sich ein doppeltes Verständnis der Heiligen Schrift: ( I ) wie alle sie verstehen können und (2) wie sie von den geistlichen Menschen verstanden wird. Dabei handelt es sich nicht um den naturgegebenen Unterschied der intellektuellen Begabung, wie er dem gnostischen System zugrunde liegt, sondern um den Unterschied, der von der persönlichen Fröm migkeit und vor allem von der göttlichen Gnadengabe abhängt. "Wer nicht sein Haupt an die Brust Jesu gelehnt hat und von ihm nicht Mafia als seine Mutter erhalten hat. kann den tiefen Sinn der Schrift, vor allem des Johannes-Evange liums, nicht erfassen" ( 1 , 4,23). Origenes stimmt also mit den Gnostikern Uberein, daß es in dem heiligen Text einen tieferen Sinn gibt. Weil aber das Evangelium die Erstlingsgabe der ganzen Schrift ist, muß es in Übereinstim mung mit der Gesamtheit der Offenbarung und der kirchlichen Tradition ausge legt werden, wie Origenes schon in seiner Grundlagenschrift betont hauei. Wie im Neuen Testament nicht alles klar und offen ist rur alle, so sei auch im Alten Testament nicht alles dunkel und verhüllt gewesen für alle. ,.Auch vor dem Kommen des Christus im Leib gab es jenes verstandesmäßige (noeie) Kommen des Christus für die Vollkommeneren" (Jo. 1 . 7,37). Origenes ist überzeugt, daß die Patriarchen, Mose und die Propheten solche Vollkommene waren wie im Neuen Testament die Apostel. •
Vgl. princ. , praef 2 und IV, 1 , 6
u.ö.
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Deshalb kann er sagen: "Wie es ein Gesetz gibt, welches den Schatten der zukünftigen Güter (Hebr 10, 1) enthält, die durch das im Sinne der Wahrheit verkündete Gesetz offenbar gemacht werden, so lehrt das Evangelium einen Schatten der Geheimnisse Christi, das Evangelium nämlich, von dem man meint, es werde von allen verstanden; jenes Evangelium aber, welches Johannes das ewige Evangelium nennt (Offb 14,6) und welches im richtigen Sinn geistlich genannt werden kann, stellt alle Dinge. die sich auf den Sohn Gottes beziehen, klar dar. d.h. die Geheimnisse, die in seinen Worten enthalten sind, und die Wirklichkeiten, von denen seine Handlungen rätselhafte Andeutungen sind" ( 1 , 7.39). In einer langen Anmerkung zu diesem Text bietet Corsini davon zwei verschiedene Auslegungen9• De Lubac findet darin eine trichotomische Abfolge, drei Stufen, drei Testamente, drei Paschafeiern, drei einander ablösende Völker: Israel, die Kirche, die Versammlung des Reiches, welche durch die drei Ausdrük ke "Schatten, Bild, Wirklichkeit" angezeigt wären '0. M . Harl hat dieser Deutung widersprochen; der Gegensatz zwischen dem Evangelium. das nur scheinbar von allen verstanden wird, und dem geistlichen Evangelium sei nicht ein zeitliches Aufeinanderfolgen, sondern bestehe gleichzeitig und bedeute nichts anderes als die Notwendigkeit, auch das Evangelium auszulegen'1. leh wUrde noch weitergehen: Auch dort, wo Origenes vom Gesetz als dem Schatten der zukünftigen Güter und vom wahren Gesetz, das diese Güter offenbar macht, spricht, haben wir nicht den Gegensatz zwischen Gegenwart und Zukunft, sondern den Gegensatz zwischen dunkler Andeutung und klarer Verkündigung der Güter, die in beiden Fällen zukünftig sind und bleiben. Auch für die Propheten blieben die Güter, die sie klar erkannten, zukünftig. Origenes bietet uns hier nicht einen kurzen Abriß der Heilsgeschichte, sondern eine Rechtfertigung fur die geistliche Auslegung des Evangeliums. Wie wir schon in seiner Grundlagenschrift lesen können, waren fast alle Glieder der Großkirche davon überzeugt. daß eine allegorische Auslegung des Alten Testamentes uner läßlich istll. Wer nicht wenigstens das Gesetz allegorisch auslegen wollte, mußte es entweder wörtlich befolgen wie die Juden oder es gänzlich für abgeschafft erklären wie die Gnostiker. Diesen Gnostikern, die eine geistliche Auslegung des Johannes-Evangeliums vorgelegt hauen, konnte Origenes nur mit einer ebenfalls geistlichen oder allegorischen Auslegung antworten. Die allegorische Auslegung war also die einzige Möglichkeit, gebildete und religiös interessierte Personen vor der gnostischen Verführung zu bewahren. Aber dies bedeutet natürlich nicht, daß die Übernahme dieser Auslegungsweise von seiten des Origenes eine List oder ein Trick gewesen wäre. Es war seine feste Überzeugung, daß im Text der ganzen Heiligen Schrift ein geistlicher Sinn verborgen ist, daß also allegorische Deutung möglich und notwendig ist. Aber diese Überzeugung 9
Corsini (s. Anm. I ) 128 Anm. 14. '0 H. de Lubae, Histoire et esprit. L·intelligencc dc I' Ecriturc d' apres Origl:nc, Paris 1 950, 2 1 7 rr. 1 1 M. Ha!l. Origl:Dc et la ronction rl!velatrice du Verbe incame: PalSor 2 ( 1 958) 144 ff. '� Vgl. princ. IV, 2,6 (13).
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Beobachtungen zum lohannes·Kommentar des Origenes
hatte Origenes nicht aus der platonischen Weitsicht übernommen, welche die Ideen als die eigentlichen Wirklichkeiten versteht, von denen die Erfahrungs· wirklichkeiten nur blasse und flüchtige Abbilder sind; diese Überzeugung des Origenes war vielmehr Frucht seiner Bibelkenntnis. Paulus spricht ja in Oal 4, 23 von den Dingen, die im Alten Testament per allegoriam dicta sunl, und lesus gibt im Matthäus·Evangelium eine Erklärung der Gleichnisse vom Sämann und vom Unkraut (Mt 13, 19 ff. 37 ff), also von Tex.ten des NT selbst. Das Kennen· lernen der platonischen Philosophie konnte und mußte freilich die aus der Bibel gewonnene Überzeugung verstärken. In dem Augenblick, wo Origenes sich entschlossen hatte, dem Wunsch seines Freundes und Schülers Ambrosius in der geschilderten Weise zu entsprechen, mußte er die christliche Öffentlichkeit der Großkirche davon überzeugen, daß er berechtigt war, dies zu tun, das heißt, daß auch das Evangelium allegorisch ausgelegt werden konnte und mußte. Auch im Matthäus·Kommentar (12, 3.4) spricht Origenes so ähnlich vom Gesetz wie im 10hannes-Kommentar I , 7,39ff, wie wir schon gesehen haben. Vor allem spricht er dort vom Zeichen. vom semeion. Er ermahnt den Leser, zuerst zu untersuchen, aufweIche Sache im Neuen Bund jedes Zeichen hinweist, weIches sich in der Alten Schrift findet, und an zweiter Stelle, worauf das hinweist, was im Neuen Bund Zeichen genannt wird. Dann nennt er zwei Möglichkeiten: Erstens kann es sich um ein Zeichen handeln. das Wirklichkeiten des zukünftigen Aion offenbart; es kann aber auch zweitens Dinge offenbaren, die sich in den Generationen zutragen werden, die nach der Zeil kommen, in der das Zeichen gezeigt oder verwirklicht wurde. Dabei versteht sich von selbst, daß diese späteren Generationen noch zu diesem Aion gehören, nicht zum zukünfti· gen. Daraus ist also folgendes zu schließen: Wir haben vor uns zwei Tex.te, das Alte und das Neue Testament. Das Alte enthält Zeichen. die auf das Neue hinweisen, das Neue Zeichen. die entweder auf die irdische Zeit nach den biblischen Ereignissen oder aber auf den zukünftigen Aion hinweisen. Wenn bei dieser Darstellung auch der Ausdruck typos nicht fällt, haben wir hier doch eine typologische Betrachtungsweise, wie wir sie später etwa im Matthäus·Kommen· tar des Hilarius von Poitiers finden, der z. B. in Herodes (einer Gestalt des Neuen Testamentes also) den Typ aller Chrislenverfolger (in den späteren Generationen dieser Weltzeit) erblickt. Wir stellen also im lohannes·Kommentar des Origenes den Gegensatz zwischen äußerlich und innerlich, zwischen allgemeinversL'ind· Iich und geistlich, fest. den man als platonisch bezeichnen könnte; im Matthäus· Kommentar dagegen den Gegensatz zwischen jetzt und zukUnftig, den man biblisch, heiIsgeschichtIich oder eschatologisch nennen könnte. Sollen wir da bei Origenes selbst eine Entwicklung annehmen? Der Unterschied mag auch ein biSchen von der Lage abhängen, in der Origenes sich beim Schreiben befand; aufs Ganze gesehen aber möchte ich sagen, daß wir bei Origenes die gleiche Entwicklung finden wie bei Augustinus, nämlich von der platonischen Weitsicht hin zur biblischen. von der Philosophie zur Heilsgeschichte. Mit diesem Wandel sehen wir einen anderen verbunden, den ich schon angedeutet habe und nun noch klarer herausstellen möchte.
BcobachlUngcn
zum
Johanncs-Kommentar des Origenes
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Den Vers loh 1 . 2 zitiert Origenes am Anfang seines Iohannes-Kommentares ( 1 . 7.43) und im 12. Buch (Kap. 4) des Matthäus-Kommentars. Die unterschied liche Auslegung ist dabei aufschlußreich. Im Iohannes-Kommentar spricht er zunächst vom körperlichen (somalikon) Evangelium, welches man verkünden muß, indem man sagt. daß man nur den Gekreuzigten kennt; dieses Evangelium gilt für die Fleischlichen (sarkinoi) . .,Wenn sich aber Leute finden, die mit dem Geist ausgestattet sind und schon Früchte des Geistes hervorbringen und die himmlische Weisheit ersehnen, dann muß man ihnen den Logos mitteilen, welcher nach seiner Fleischwerdung zurückgekehrt ist zu dem, was er am Anfang bei Gott war" (Jo. 1 , 7.43). Origenes scheint nicht daran zu zweifeln, daß der Ausleger den geistigen Logos denen mitteilen kann. die solcher Mittei lung würdig sind. Der Logos ist also nach seiner Auffassung innerhalb der Reichweite des Exegeten. Dies scheint mir eine sehr optimistische Einstellung zu sein. sagen wir eine typisch professorale; denn ein Professor muß ja wohl davon überzeugt sein. daß er den Logos erfassen und auch mitteilen kann. Im Matthäus-Kommentar (12,4) spricht Origenes vom Gesetz. in welchem Opfer für die Sünden vorgesehen sind Aber vielleicht gibt es Menschen. die schon keine Sünde mehr haben und die deswegen der Opfer nach dem Gesetz nicht mehr bedürfen, die vielmehr das Gesetz überwunden haben und zum Logos gelangt sind, welcher jenseits des Gesetzes steht und der Fleisch geworden ist fUr diejenigen, die nach dem Fleisch leben. sich aber von denjenigen. die nicht mehr im Sinne des Fleisches Kriegsdienst leisten. vielleicht so schauen läßt. wie er im Anfang bei Gott war, nämlich als Gouwort, und ihnen den Vater offenbart" (apolwlyptei). In beiden Fällen spricht Origenes vom Unterschied zwischen den Fleischlichen und den Geistigen und den heiden diesen Gruppen entsprechenden Seins- und Erscheinungsweisen des Logos. nämlich des inkarnierten und dessen, der im Anfang bei Gou war. Aber hier im Matthäus-Kommentar ist es nicht mehr der Exeget. der den göulichen Logos mitteilt. sondern dieser selbst zeigt sich den Vollkommenen und offenbart ihnen den Vater. Origenes ist sich dessen jedoch keineswegs sicher. sondern er hält es nur fUr möglich oder wahrschein lich. er sagt: "vielleicht" (Iacha). Das ist also nicht mehr die optimistische Betrachtungsweise des Professors, sondern die realistische des geistlichen Leh rers und Predigers. .
••
1lI. Bibel und Philosophie Andererseits darf man sich den in Alexandrien lehrenden Origenes nicht als Philosophieprofessor vorstellen. Wie distanziert er bei allem Bemühen um Erkenntnis doch der Philosophie gegenübersteht, läßt sich an einem Beispiel zeigen. An vielen Stellen des Johannes-Kommenlars wie aueh des Matthäus Kommentars versteht Origenes unter la paradoxa die Wunder und Zeichen Iesu. Nur im 2. Buch des lohannes-Kommentars (Kap. 16). wo er Joh 1,4 behandelt, drückt er sich anders aus. Origenes hat übrigens eine Verseinleitung im lohan-
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Beobachtungen zum Johannes·Kommentar des Origenes
nes·Prolog, die uns nicht vertraut ist; bei ihm lautet der Vers 4 so: "Was in ihm geschaffen wurde, war Leben. und das Leben war das Licht der Menschen". Origenes beginnt seine Auslegung dieses Verses mit einem Hinweis auf beson· dere Lehren der Griechen, die paradoxa genannt werden, und zitiert davon zwei, nämlich: ( 1 ) ,.Jeder Weise. und nur der Weise, ist Priester. weil jeder Weise. und nur er. Kenntnis der Verehrung Gottes besitzt." (2) ,.Jeder Weise, und nur der Weise, ist frei, weil er vom göttlichen Gesetz die Fähigkeit zur Selbstbestimmung empfangen hat." Dann stellt Origenes sich selbst die Frage. warum er von diesen
paradoxa
spricht, die doch "nach dem Maßstab der Heiligen Schrift untersucht werden müßten. um zu sehen. welchen die Lehre der Gottesverehrung zustimmt und welchen nicht. Auf solche Untersuchung aber läßt sich Origenes nun nicht ein, sondern rechtfertigt die bloße Zitation von zwei philosophischen paradoxa mit dem Hinweis, daß jemand. der den johanneischen Satz: "Was in ihm geschaffen wurde, war Leben" (Joh 1,4) auslegen will, "vergleichbare
paradoxa oder
vielleicht noch paradoxere formulieren könnte", Dann formuliert er selbst seinerseits zwei solche paradoxa, indem er sie sozusagen vorwegbegründet oder doch wenigstens in ihren notwendigen Verständniszusammenhang stellt: (I) "Wenn wir den Logos bedenken . . . , welcher Gott ist. werden wir sagen können: Vernünftig (logikcs) ist nur derjenige. der an diesem Logos teilhat . , , ; das bedeutet also. daß nur der Heilige
(hagios) vernünftig ist (logikos)."
(2) "Und wenn wir auch noch ganz das Leben verstehen. das im Logos geworden ist . . ' . werden wir sagen: Keiner von denen, die außerhalb des Christusglaubens sind. lebt, vielmehr sind alle tot. die nicht für Gott leben." Dann setzt er seine Auslegung fort, indem er den SalZ zitiert: ,,Er ist nicht ein Gott von Toten. sondern von Lebendigen" (Mk 12,27); dieser Satz sei gleich· bedeutend mit folgendem: "Er ist nicht ein Gou von SUndern, sondern von Heiligen"; daraus ergibt sich, daß die Heiligen die Lebendigen sind, Davon leilet Origenes nun ein anderes paradoxon ab: ,,Es ist nicht möglich, daß einer heilig sei. außer denen, die lebendig sind, noch auch daß jemand nur lebendig genannt würde und nicht mit dem Leben auch das Heiligsein besäße", Origenes hält sich hier offenbar nicht streng an die Form des philosophischen. besonders stoischen
paradoxon; täte er es, müßte er sagen: leder Heilige. und nur der Heilige. ist lebendig, Oder: Jeder Lebendige, und nur er. ist heilig, Seide Sätze gelten, weil Origenes ja zuvor ausdrücklich Heilige und Lebendige identifiziert hat. So drückt Origenes sich aber nicht aus. Vielmehr zitiert er nun auch noch Ps 1 15 . 9 (LXX) : "Ich werde dem Herrn wohlgefallig sein im Land der Lebendigen" und folgert daraus: "Das wahre Wohlgefallen findet sich in der Ordnung der Heili gen," In der Form des stoischen paradoxon hieße das: leder Heilige, und nur er, ist dem Herrn wohlgefällig. Dann zitiert Origenes Ps 143,2b: "Vor dem Ange· sicht Gottes ist keiner gerecht. der lebt" und deutet dies so: ..1m Vergleich zu Gott wird keiner von denen. die ganz selig sind. gerechtfertigt sein" und erklärt dies wiederum durch einen anderen Vergleich: "Keine Lampe macht hell im
Beobachtungen zum Johannes-Kommentar des Origenes
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Vergleich zur Sonne". Dieser Satz hat fast die Gestalt eines philosophischen
paradoxon. aber in negativer Form. Man gewinnt den Eindruck, daß Origenes in diesen zitierten und nun
so
von ihm umgeformten und erklärten Psalmversen
solche Aussagen der Heiligen Schrift sieht. von denen er gesprochen hat, die nämlich noch paradoxer sind als die philosophischen paradoxa. So stellt sich doch die Frage, warum Drigenes, obwohl er philosophische
paradoxa zitiert, seinen eigenen Gedanken nicht diese Form gibt. obgleich es doch seine Absicht ist. die philosophischen Sätze durch biblische oder theolo gische zu ersetzen oder gar zu überbieten. Darauf läßt sich eine doppelte Antwort finden: Einerseits ist sein persönlicher Sprachstil anders; er liebt es, langsam und bedächtig voranzuschreiten und alle Gedankenschritte zu erklären; er liebt es, einen Gedanken zu umkreisen. alle seine Aspekte ins Auge zu fassen und daraus alle möglichen Folgerungen zu ziehen. Ein Grund für diesen Stil war vielleicht auch die Notwendigkeit, seine ganze Schreibstube, die sein Freund Ambrosius für ihn unterhielt, zu beschäftigen. Die entscheidende Antwort dürfte aber folgende sein: Origenes hatte in der Heiligen Schrift nicht nur den Inhalt der Wahrheit gefunden. sondern auch die angemessenste Fonn. sie auszudrük ken. Das bedeutet, daß Origenes selbst dort, wo er ausdrücklich von Philosophie spricht, sich also ihrer Bedeutung bewußt ist. in ihr doch weder inhaltlich noch formal einen Maßstab für Glaubens wahrheiten und deren Darstellung findet. Er bezieht sich auf die Philosophie überhaupt nur, weil sie bei seinen Hörern oder Lesern in Ansehen steht und er, indem er sie überbietet, der Heiligen Schrift und der kirchlichen Glaubensaussage noch größeres Ansehen erwerben will.
IV.
Die Christologie
I . Das Verhältnis Vater - Sohn Nach diesen eher formalen Beobachtungen soll nun über einen sehr wichtigen Inhalt des Johannes-Kommentars gehandelt werden. indem wiederum der Ver gleich mit dem Matthäus-Kommentar angestellt wird, nämlich über die Christo logie des Origenes. Gegen die Lehre der Gnostiker, nach welcher die Pneuma tiker
(die
Geistigen,
also
die
höchste
Stufe
der
ungeschaffenen (also der göttlichen) Natur wesensgleich
Menschen)
mit
der
(homoousior) wä.ren,
zitiert Origenes bei der Auslegung der Szene mit der Samariterin am Jakobs brunnen (Joh 4) den Vers Joh 14,20: .Der Vater, der mich gesandt hat, ist größer .
als ich" und spielt an auf Mk 10, 1 8 : .. Nur einer ist gut, der Vater!" und erklärt dann wörtlich: ..Der Heiland und der Heilige Geist überragen alle Wesen, die geschaffen sind, mit (alles1 übertreffendem Vorrang; trotzdem werden sie selbst vom Vater ebenso überragt oder sogar noch mehr, als der Sohn und der Heilige
(Jo. 1 3 . 25. 1 5 1 ). Weiter erklä.rt Origenes: ,,Der Sohn übertrifft durch Wesenheit (ous;a), Würde. Macht. Gottheit (theiotes) Geist die anderen Wesen überragen"
und Weisheit
SO
bedeutende Wesen; trotzdem kann er durchaus nicht mit dem
196
Beobachtungen zum Johannes-Kommenlat des Origenes
Vater verglichen werden" (ebd.
152). Dies ist eine klare Behauptung der Unter
legenheit von Sohn und Heiligem Geist dem Vater gegenüber - freilich nicht dozierende Theologie, sondern Auseinandersetzung mit der Homoousie-Lehre der Gnostiker. Auf keinen Fall aber hätte Origenes in diesem Zusammenhang und zu diesem Zeitpunkt seiner geistigen Entwicklung den Sohn als mit dem Vater wesensgleich bezeichnet. Haben wir in dieser seiner Aussage also einen Subordinatianismus. wie er nach dem Konzil von Nizäa abgelehnt werden mußte? Die Sache ist so einfach nicht. Die nizänischen Väter haben nämlich Joh
14,28 auf den Inkarnierten angewendet und gesagt, der Sohn sei in seiner menschlichen Natur geringer als der Vater. Das ist übrigens eine Lösung, die mehr elegant ist als wahr, denn sie verliert die Unterschiede, die es zwischen der göttlichen Existenz des Vaters und der göttlichen Existenz des Sohnes und des Heiligen Geistes gibt, aus dem Blick. Davon wird noch zu reden sein. Hier gilt es einstweilen nur festzuhalten, daß Origenes nicht einfach vom (präexistenten) Sohn spricht, sondern vom Heiland. von dem nämlich, der "von Petrus und von Paulus als fleckenloser Spiegel des Wirkens des Vaters gesehen wurde"
(10. 13.
25,153). Es versteht sich, daß der Heiland der Menschgewordene ist, daß der Sohn nur insofern gesehen werden kann, als er in menschlicher Natur inkarniert ist. Es weist also auch der Gedanke des Origenes hier schon in die Richtung der nizänischen Väter. Es scheint, daß Origenes seine Behauptung von der Unterlegenheit des Sohnes dem Vater gegenüber, die wir im Johannes-Kommentar finden, im Matthäus-Kommentar abgeändert hat. Dort. also in einem Spätwerk, das fast
13. Buch des Johannes-Kommentars verfaßt ist, lesen wir: ,.Und wie der Heiland Bild des unsichtbaren Gottes ist (Kol I. 15), so ist er auch Bild seiner Gutheit" (Weish 7, 26). Und in jedem geringeren Wesen, auf
zwanzig Jahre nach dem
das die Bezeichnung "gut" angewendet wird, hat das. was von ihm gesagt wird, eine andere Bedeutung. da er ja Bild der Gutheit im Blick auf den Vater ist, im Blick aber auf die übrigen Wesen das. was die Gutheit des Vaters fUr ihn istu. Vielleicht ist aber eine noch nähere Ähnlichkeit zwischen der Gutheit Gottes und dem Heiland zu sehen, welcher ja Bild seiner Gutheit ist, als zwischen dem Heiland und einem guten Menschen oder einem guten Werk oder einem guten Baum. "Größer ist nämlich im Blick auf die geringeren GUter die Überlegenheit im Heiland, insofern er Bild der Gutheit Gottes selbst ist, als die Überlegenheit Goues, welcher gut istL' im Blick auf den Heiland. welcher sagt: ,Der Vater. der
14,28) und welcher für alle übrigen auch Bild der Gutheit Gottes ist" (comm . in MI. 15, 10)u. Aber Origenes will mich gesandt hat. ist größer als ich' (Joh
hier im Matthäus-Kommentat keine Christologie oder Trinirätstheologie entfal ten, sondern eine Belehrung in der Demut erteilen, denn er spricht unmittelbar im Anhang daran von Lk LI
17, 10 (Wenn ihr alles getan habt. was euch aufgetragen
Oie Gutbeit des Valers iSI also sein Urbild, so wie er selbsl Urbild der andercn ist. U N:lmlieh ganz allgemein obnc irgcodcinc Einschränkung. I'GCS X. 375 r.
Beobachtungen zum Johannes-Kommenlar des Origenes
197
war, sollt ihr sagen: Wir sind unnütze Knechte!) und erklärt wörtlich: "Wenn wir alles getan haben, was uns aufgetragen war, haben wir doch nicht so [wie es hier gemeint ist) etwas Gutes getan." Hier im Mauhäus-Kommentar (15, 10) legt Origenes die Szene mit dem reichen 1üngling aus (Mt 15, 16--30), der Jesus fragt: "Was muß ich Gutes tun?" und dem Jesus antwortet: "Warum fragst du mich nach dem, was gut ist? Nur einer ist gut!" Auch im lohannes-Kommentar ( 1 3, 25, 151) haUe Origenes auf diese Szene so angespielt: ,,Deswegen hat er es nicht ertragen. auch nur die Bezeichnung ,gut' im eigentlichen und wahren und vollen Sinn anzunehmen, die ihm angetragen wurde, sondern sie voller Dankbarkeit an den Vater weiter gegeben und den zurechtgewiesen. der den Sohn Ober das Maß ehren wollte." Man sieht aber sofort, daß Origenes im 10hannes-Kommentar nicht den Mat thäus-Text im Blick hatte, sondern den von Mk 10, 17 und Lk 18, 18, wo der Jüngling Jesus "guter Meister" nennt und wo die Antwort Jesu: "Warum nennst du mich gut? Keiner ist gut, nur Gott" viel deutlicher macht, daß er für sich diese Bezeichnung "gut" nicht annimmt. Bei Matthäus ist diese Weigerung nicht so klar, weil Jesus nur fragt: "Warum fragst du mich nach dem, was gut ist?" Sollte der Unterschied in der Auslegung zwischen dem 10hannes-Kommentar und dem Matthäus-Kommentar sich so erklären? Offensichtlich nicht; denn auch im Matthäus-Kommentar zitiert Origenes den Text von Markus und Lukas und vergleicht ihn mit dem von Matthäus. Woher also kommt dieser doch ganz erhebliche Unterschied. daß Origenes im 10hannes-Kommentar zwischen GOll und dem Christus einen größeren Abstand sieht als zwischen dem Christus und den Geschöpfen. im Mauhäus-Kommentar aber den Christus diese Geschöpfe viel mehr überragen läßt, als der Vater ihn überragt? Müssen wir hier einen Widerspruch entdecken, dessen Origenes sich vielleicht gar nicht bewußt gewe sen wäre, oder eine Entwicklung in der Trinitätstheologie des Origenes. der im Laufe seiner exegetischen Arbeit zu größerer Klarheit gelangt wäre? Oder gibt es noch eine dritte Möglichkeit, nämlich weder Widerspruch noch Entwicklung, sondern unterschiedliche Betrachtungsweisen? Es ist wohl sehr bedeutsam, daß Origenes an beiden Stellen Weish 7,25 f zitiert. und zwar im Johannes-Kommentar ( 13,25) fast vollständig, im Mau häus-Kommentar (I5, (0) dagegen nur den Ausdruck "Bild seiner Gutheit". We ish 7,24 sagt von der (göttlichen) Weisheit in recht stoischer Betrachtungs weise: "Sie durchdringt alles" und beschreibt sie dann so: "Sie ist Hauch der Kraft Gottes und reiner Ausfluß der Herrlichkeit des Allherrschers . . . , Wider schein des ewigen Lichtes. ungetrübter Spiegel von Gottes Kraft und Bild seiner Gutheit" (Weish 7,25f). Im Johannes-Kommentar (13, 25,153) bedient sich Origenes dieses Textes, um den Abstand zwischen dem Sohn Gottes und dem Er ist nämlich Bild seiner Vater zu unterstreichen. indem er den Text erweitert: .. Gutheit und Abglanz, nicht Gottes, sondern [nur] seiner Herrlichkeit und seines ewigen Lichtes, und Hauch, nicht des Vaters, sondern [nur] seiner Kraft." Man muß tatsächlich in beiden Fällen im Deutschen der Klarheit halber ein "nur" einschieben. Im Mauhäus-Kommentar ( 15, 10) dagegen bedient sich Origenes
198
Beobachtungen zum Johannes-Kommentar des Origenes
des Ausdrucks ..Bild seiner Gulheit" von Weish 7,26. um zu betonen. wie nahe der Sohn dem Vater ist; freilich zitiert er dabei nicht nur diesen Ausdruck, sondern verbindet ihn mit dem aus Kai 1 , 15. nämlich: ..Bild des unsichtbaren Goues", und erklärt dann: ..Der Heiland ist, wie Bild des unsichtbaren Goues. so auch Bild seiner Gutheil." Dies scheint eine aufsteigende Stufung zu sein; Bild der Gutheil Gottes" scheint mehr zu bedeuten als nur .Bild Gottes", Die Verbindung von Weish 7.26 und Kai I, 15 liefert also eine andere Auslegung. weil sie einen anderen Ausgangspunkt bietet. Origenes mußte von der Gutheil sprechen, weil er in seinem Matthäus-Kommentar zu diesem Gespräch zwischen Jesus und dem reichen Jüngling gekommen war. Deswegen erinnert er sich an Weish 7,26. schickt aber Kol 1, 15 voraus, um eine gute Auslegungsgrundlage zu haben. Er zitiert dabei nicht die übrigen Weisheitstitel aus Weish 7.25f. als ob er dabei eine gewisse Verlegenheit empfände. Im Johanncs-Kommentar ( 1 3,25) hatte er nicht Kol 1 , 15 zu Weish 7,25 f hinzugezogen, war vielmehr von Joh 14,28 (der Vater ist größer als ich) ausgegangen; und dieser Satz hatte ihm eine andere Leitlinie fUr die Auslegung geboten. Bemerkenswert ist, daß Dnge nes auch im Matthäus-Kommentar (15. 10) Joh 14,28 zitiert. aber am Ende. nicht als Ausgangspunkt; er liest da also Joh 14,28 im Licht von Kol I , 15 und Weish 7,26c. Im Johannes-Kommentar dagegen hatte er Weish 7,25 f im Licht von Joh 14,28 gelesen. Der Unterschied zwischen den beiden trinitätstheologischen Aussagen ergibt sich vielleicht nicht aus, zeigt sich aber an der Verwendung von Kol l , 15. d.h. dem Ausdruck "Bild des unsichtbaren Gottes". Deshalb lohnt es sich und verspricht weitere Klärung nachzuprüfen, wie Origenes diesen Aus druck Uberhaupt im ganzen Johannes-Kommentar verwendet·'. .•
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2. Das "Bild des unsichtbaren Gottes" Im Bibelstellenregister. das Corsini seiner vollständigen Ü bersetzung beigege ben hat. ist 27mal Kai 1 , 15 aufgefUhrt. aber in nur sieben Fällen handelt es sich dabei um den Ausdruck " Bild des unsichtbaren Gottes", der uns hier interessiert; die anderen zwanzig Stellen zitieren nur den anderen Christustitel, der sich auch in Kai I, 15 findet, nämlich "Erstgeborener der ganzen Schöpfung". Von den sieben Stellen, die uns hier angehen, zitieren zwei - nämlich 10, 39,264 und den ganzen Vers Kai 1 . 15, also die Verbindung von ,,Erstgebore 28, 18, 159 ner aller Schöpfung" und ..Bild des unsichtbaren Gones". Wenn man diese Stellen des Johannes-Kommentars näher anschaut. kann man gewissermaßen einen Pfad in diesen ungeheuren Wald schlagen, in dem man sich ohne Führer leicht verlieren könnte. -
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Selbstverständlich spricht Origene$, obgleich insgesamt verhältnismäßig wenig. doch an mehr Stellen des Jnhannes-Kommenlars vom "Bild Gottes", 1.ls hier behandelt werden können; als Beispiel sei nur der Satz genannt: ..Um des einen Christus willen gibt es viele Gesalbte, die seine Nachahmer und nach ihm, der selbst Bild Gottes iSI, gestaltet sind" (6, 6.42). Da wird aber keinerlei weilere Erklärung angefllgt.
Beobachtungen zum Johannes-Kommentar des Origenes
199
( 1 ) Wir finden Kai I, 15 zum ersten Mal zitiert in Jo. 1 , 17, 104. wo Origenes Joh 1 . 1 auslegt und die vier Bedeutungen von .Anfang" erörtert, nämlich Beginn eines Weges, Ursprung, Materialursache und Formalursache. Da heißt es: "Wenn der Erstgeborene aller Schöpfung das Bild des unsichtbaren Gottes ist, ist der Vater sein Anfang. In ähnlicher Weise ist der Christus seinerseits Anfang derer, die nach dem Bilde Gottes sind. Da wird nichts über Nähe oder Abstand zwischen Christus und dem Vater oder den Geschöpfen und Christus gesagt. Es scheint aber, daß für Origenes der Ausdruck ,,Erstgeborener aller Schöpfung" als Subjekt des Satzes stehen kann, "Bild des unsichtbaren Gottes" dagegen nur als Prädikat. (2) Diese Beobachtung wird bestätigt, wo Origenes in der langen Behandlung der Titel Christi auch Ps 44,2 zitiert. nämlich: "Mein Herz hat ein gutes Wort hervorgestoßen", und daraus schließt: ..... der Vater hält die Schau der Wahrheit nicht in sich, sondern stößt sie hervor und schafft ihren Abdruck im Logos, der deswegen Bild des unsichtbaren Gottes genannt wird" (Jo. 1 , 38,283). Es erscheint aber nicht sehr sinnvoll. daß der Logos deswegen Bild Gottes genannt werden soll, weil er der Abdruck der Schau der Wahrheit ist. Man wUrde hier eher den Titel ,.Erstgeborener aUer Schöpfung" erwarten. Vielleicht hat Origenes sich ganz einfach zwischen den beiden Titeln von Kol I, 1 5 vertan. Auf jeden Fall spricht er nicht von einer Beziehung des Bildes. sei es zum Vater, sei es zu den Geschöpfen. (3) Im 6. Buch des Johannes-Kommentars (Kap. 4, 19) legt Origenes Joh 1.19: ..Und dies ist das Zeugnis des Johannes" aus und stellt sich die Frage. wie die Heiligen im Alten Testament "die Geheimnisse der Gottheit begriffen haben", und antwortet: "Sie konnten nicht nur die Erscheinung von Engeln haben, sondern die von Gott selbst in Christus; und so, wie den Vater sieht, wer den Sohn sieht (Joh 14.9), haben sie, da sie das Bild des unsichtbaren Gottes sahen, Gott gesehen und gehört . . . Der Titel aus Kai I , 15 dient hier also als Bestätigung fUr Joh 14,9, wird aber nicht benutzt. um etwas Uber Christus selbst zu sagen. Das Augenmerk ist gerichtet auf die Offenbarung, nicht auf die Christologie oder Trinitätstheologie; trotzdem leuchtet die Verwendung des Titels aus Kol J. 15 hier elß. (4) Im 10. Buch des Iohannes-Kommcntars (Kap. 39.264) spricht Origenes von Joh 2, 2 1 : "Aber er sprach vom Tempel seines Leibes" und erklärt die Anwendung des Ausdrucks "Tempel" auf den Leib Jesu so: "Wie der Tempel der Ort war, wo die Herrlichkeit Gottes wohnte so werden der Leib und die Kirche mit gutem Recht Tempel Gottes genannt. weil sie in sich den Erstgeborenen aller Schöpfung enthalten, der Bild und Herrlichkeit Gottes ist." Außer der seltsamen Beobachtung, daß Origenes den genetivus exegeticus "des Leibes" (Jesus spricht vom Tempel, der sein Leib ist) nicht zu verstehen scheint, sondern ihn als genetivus posscssionis auffaßt (der Tempel des Leibes ist der Tempel, in dem sich der Leib befindet, nicht mit dem er identifiziert wird), ist festzuhalten, daß Origenes hier nichts Uber das Verhältnis des Bildes Gottes zu Gott selbst sagt; den Ausdruck ..Bild Gottes" verwendet er ein weiteres Mal als Prädikat� nämlich als Aussage Uber den ,.Erstgeborenen". •
...•
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Beobachtungen zum Johannes-Kommentar des Origenes
(5) Wo Origenes Joh 4,34 auslegt (Meine Speise ist es, den Willen dessen zu tun, der mich gesandt hat), zitiert er auch Joh 5, 19 f: .Der Vater zeigt dem Sohn alles, was er selbst tut" und fahrt dann so fort: .. Und das ist vielleicht der Grund, warum er Bild des unsichtbaren Gottes ist; der Wille, der in ihm ist, ist nämlich das Bild des ersten Willens; die Gottheit, die in ihm ist, ist Bild der wahren Gottheit; und da er Bild der Gutheit des Vaters ist, fragt er: Warum nennst du mich gut (Mk 1O, 1 8)?" (Jo. 13, 36,234). Hier haben wir wiederum eine Verbindung von Kol 1 . 15 mit Weish 7,26 und Mk 10, 18. So ähnlich, wie sie sich viele Jahre später im Matthäus-Kommentar findet und wie wir sie im kurz zuvor geschriebenen 25. Kapitel ( § 1 5 1) des gleichen 13. Buches des Johannes Kommentars fanden, wo aber Kol 1, 15, wie wir schon gesehen und bedacht haben, nicht zitiert wird. Dort dient Weish 7,26 als Beleg für den Abstand zwischen Vater und Sohn, und Mk 10, 1 8 sollte zeigen, daß der Heiland die Bezeichnung "gut" für sich nicht annahm. Hier aber (in Jo. 1 3, 36,234) dient die an den reichen Jüngling gerichtete Frage Jesu als Beweis dafür, daß er wirklich Bild der Gutheit Gottes ist. Diese Frage wird hier also nicht als Ablehnung, sondern eher als Zustimmung ausgelegt. Origenes scheint die Frage Jesu: Warum nennst du mich gut? im folgenden Sinn zu verstehen: Weißt du. daß du mich gut nennen kannst und sollst, weil ich tatsächlich das Bild dessen bin, der als einziger aus sich selbst gut ist?" (6) 1m 28. Buch des Johannes-Kommentars (Kap. 18, 159) erklärt Origenes das Wort des Kaiphas: ,.Es ist besser, daß ein Mensch stirbt fUr das ganze Volk" (Joh 1 1 . 50) unter anderem so: "Was von ihm sterben sollte, war der Mensch, während nicht Mensch waren die Wahrheit und die Weisheit ... und auch nicht das, worüber gesagt ist: Der Logos war bei Gott; es starb also weder der Logos noch die Wahrheit ... , weil das Bild des unsichtbaren Gottes, der Erstgeborene aller Schöpfung. nicht empfanglieh war für den Tod." Hier ist nun einmal der Ausdruck ..Bild des unsichtbaren Gottes" - allerdings zusammen mit .,Erstge borener aller Schöpfung" - Subjekt des Satzes. Ohne dies ausdrücklich zu erklären, gibt Origenes zu verstehen, daß das Bild so nahe bei Gott ist, daß es an seiner Unsterblichkeit teilhat. Aber man erkennt sofort, daß der Begriff ,.Bild" weder entfaltet noch definiert oder eingegrenzt wird. Außerdem muß man hier doch auch mit im Auge behalten, daß Origenes im 2. Buch desselben Johannes Kommentars (Kap. 17, 123) gesagt hatte: "Nicht einmal der Christus besaß die Unsterblichkeit des Vaters; er hat nämlich für alle den Tod gekostet." Nattirlich kann nur vom inkarnierten Sohn gesagt werden, daß er den Tod gekostet hat. •
n
Hier wäre als Vergleich Jo. 6,57, 295 heranzuziehen, weil da aueh wie im oben behandelten Tex! von der Abbildliehkeit auf der Ebene des Willens die Rede ist. Origenes legt da im größeren Zusammenhang das Won des Täufers (Joh 1 , 29): .. Sehl das Lamm Gones. das die Sünde der Weil binwcgnimrnt," aus und erklärt untcr andcrcm: "Er stieg herab bis zum Tod für die Gonlosen ... indcm er dies alles aber erfüllt, erfüllt er mehr den Willen des Vaters, der ihn für die Goltlosen hingibt. als seinen eigenen Willen: denn der Vater ist gut, der Heiland aber Bild seiner Gutheit."
Beobachtungen
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Johannes·Kommemar des Origenes
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Deswegen gilt auch nur vom Inkarnierten, daß er nicht die Unsterblichkeit des Vaters besitzt. Durch solche Unterscheidung befreit sich die chalkedonische Christologie sehr schnell und einfach von dieser Schwierigkeit, indem sie erklärt, daß der Christus als Mensch nicht unsterblich war, wohl aber als Gott. Diese chalkedo· nische Christologie. die ja auf der nizänischen Trinitätstheologie beruht, läuft aber immer Gefahr, sich die Trinität als drei Individuen von göttlicher Art vorzustellen, die vollständig gleich wären. Dies ist aber nun gerade nicht der Sinn der nizänischen Trinitätstheologie. nicht einmal der kappadozischen und noch viel weniger der augustinisch·thomistischen Theologie, für welche die drei göttlichen Personen subsistierende Relationen sind. Die Relationalität ist aber nicht im Sinne der rationes individuantes zu verstehen; die Menschen z. B. besitzen alle ihr menschliches Wesen in der gleichen Weise, obwohl das Wesen durch die Individuationsmerkmale konkretisiert ist. Für die drei göttlichen Personen dagegen ist der tropos tes hyparxeos, der modus subsistendi also die Existenzweise. vollständig verschieden, so daß auch ihr Gousein in dem einen und einzigen göttlichen Wesen ganz verschieden ist. Der Sohn, der all sein Leben, all seine Gottheit, all seine Macht als vom Vater her empfangen besitzt, verdankt sich gänzlich dem Vater, hängt ohne jede Einschränkung von ihm ab, was so von keinem menschlichen Sohn dem Vater gegenüber gesagt werden kann. Wenn aber die göttliche Seinsweise des Sohnes sich von der des Vaters unterscheidet, dann sind alle seine Eigenschaften von dieser Seinsweise geprägt, also auch sein Unsterblichsein. Anders ausgedrückt: Das Sohnsein des Gottes· sohnes ist die Voraussetzung für sein Menschwerdenkönnen, also auch für sein Sterblichwerden und Sterbenkönnen. Aber dies ist hier nur ein gewisser Aus blick; es gilt zur Reihe der Zitationen von Kol 1 , 1 5 im Johannes·Kommentar zurückzukehren. (7) Im 32., also dem letzten uns erhaltenen Buch des Johannes-Kommentars (Kap. 29,359) untersucht Origenes das Wort Jesu: "Und Gott ist in ihm verherr licht" und erklärt. man könne dieses Wort mit jenem anderen Ausspruch Jesu aus dem Johannes·Evangelium in Beziehung selzen. welcher lautet: "Wer mich gesehen hat. hat den Vater gesehen, der mich gesandt hat" (Joh 14,9; 4, 34), und fahrt dann fort: "Tatächlich sieht man im Logos. der Gott ist und Bild des unsichtbaren Gottes, den Vater, der ihn erzeugt hat, denn wer das Bild des unsichtbaren Gottes schaut, ist sofort auch imstande, das Urbild des Bildes zu sehen. d. h. den Vater." Dies ist eine jener reinen Texterweiterungen, wie sie sich bei Origenes häufig finden, und trägt zunächst so gut wie nichts zum Fortgang des Gedankens bei. Es ist aber bemerkenswert, daß Origenes nur wenige Zeilen weiter. nämlich in 363 desselben Kapitels, das Jesuswort: "Der Vater, der mich gesandt hat, ist größer als ich" (wobei auch hier Joh 14,28 durch 4,34 erweitert ist) so erklärt: "Wenn Gott in ihm verherrlicht ist. gibt der Vater ihm dafür etwas, was viel größer ist als das, was der Menschensohn getan hat . . . Die Herrlichkeit, die im Sohn ist, wenn der Vater ihn verherrlicht, ist viel größer (hyperechousa) als jene, die im Vater ist, wenn er im Sohn verherrlicht ist . . . Und es war
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Beobachtungen zum Johannes Kommentar des Origenes -
angemessen, daß der Größere die Herrlichkeit zurückgibt, mit welcher der Sohn ihn verherrlicht haue, und dem Sohn zugesteht, ihn in sich selbst zu verherrli chen, damit der Sohn in Gott verherrlicht sei." Aber es sieht nicht so aus, als ob hier der Gedanke an das Bild des unsicht baren Goues (Weish 7,26) mit Joh 14,28 (der Vater ist größer als ich) in Zusammenhang gebracht würde. Man könnte eher daran denken. daß Origenes so etwas wie eine dynamische Trinitätstheologie entfaltet, indem er vom Geben und Empfangen zwischen den Personen des Vaters und des Sohnes spricht. Aber Origenes spricht dann sofort vom Menschensohn, also nicht von innertrinitari sehen Beziehungen, sondern von den Beziehungen zwischen dem himmlischen Vater und dem irdischen Jesus. Was man i m Falle einer Aussage über innertri nitarische Beziehungen als Subordinatianismus zu bezeichnen geneigt wäre, das ist in der soteriologischen Blickrichtung, also im Blick auf den menschgewor denen Sohn, auch für nizänisch-chalkedonische Christologie, von der ja eben schon die Rede war, tadelsfrei. Und da Origenes hier dieselben biblischen Aussagen und Ausdrücke verwendet wie an anderen von uns untersuchten Stellen. muß man wenigstens mit der Möglichkeit rechnen, daß Origenes auch dort nicht oder jedenfalls nicht ausschließlich vom ewigen Gottessohn spricht. sondern immer auch die Inkarnation mit im Blick hat, sei es nun so. daß er an den Inkarnierten denkt, oder doch wenigstens daran, daß der Sohn Gottes eben durch sein Sohnsein fähig ist, Mensch zu werden. So würde auch an diesen anderen Stellen nach chalkedonischer Theologie jeder Beanstandungsgrund genommen. Aber mit solcher Verteidigung des Origenes wäre noch wenig gewonnen. Vielmehr gilt es, den Gedanken einer dynamischen Trinitätstheolo gie, der sich bei der Lektüre aufgedrängt hat, weiter zu verfolgen.
3. Dynamische Trinitätstheologie Schon im I . Buch des Johannes-Kommentars (Kap. 27, (87) stellt Origenes die Frage, die er vielleicht in einem fremden Werk. etwa im Iohannes-Kommentar des Gnostikers Herakleon, mit dem er sich dann berichtigend und widerlegend befaßt, gefunden hat, ob unser Heiland alles das begreift, was vom Vater gewußt wird. ,,Man könnte ja meinen, man verherrliche den Vater. wenn man sagt, daß manche Dinge zur Kenntnis des Vaters gehören. aber nicht des Sohnes"; die Fortsetzung bereitet besondere Schwierigkeiten und muß deshalb zunächst griechisch zitiert werden:
tou theou.
diarlwUlltos exisOlhenai tais katalepsesi tOll age""e
Dies bezieht z.B. C. Blancll auf die Person des Vaters und übersetzt
etwa so: "welcher nicht zuläßt. daß sich jemand ihm angleicht durch geistiges Erfassen, welches den ungezeugten Gott begreifen will". Dabei wird also der letzte Genetiv als Objektsgenetiv verstanden. Mir scheint aber, daß der erste Genetiv sich auf den Sohn bezieht, nicht auf den Vater, und daß der zweite ein Subjektsgenetiv ist. Ich stimme also eher der Übersetzung von Corsini zu, die sich im Deutschen so wiedergeben läßt: ..welcher [nur] dahin gelangt. sich
BeobachlUngen zum Johannes-Kommentar des Origenes
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anzugleichen den umfassenden Einsichten des ungezeugten Gottes". Er fügt aber ein "nur" ein und erklärt das so: Diekatalepseis seien noch nicht die höchste Form der Erkenntnis, sondern erst die episleme; dieses ganze Problem sei also auf dem Hintergrund der stoischen Erkenntnislehre zu verstehen; hier werde daher dem Sohn nur die Angleichung an eine geringere Art der göttlichen Erkenntnis zugeschrieben. Daß Origenes so etwas nicht gesagt haben würde, weil es bedeutet, dem ungezeugten Gott selbst auch eine unvollkommene Weise des Erkennens zuzuschreiben, ist Corsini wohl bewußt. Er hält nämlich diesen Satz nicht für eine Aussage des Origenes. sondern für ein Zitat aus einem Gegner. mit dem Origenes sich befaßt. Mir scheint aber, daß Origenes. wenn er eine fremde, nicht von ihm geteilte Meinung hätte wiedergeben wollen, wenig stens ein hos eingeschoben häue, es also nicht einfach hieße diarkountos, sondern hos diarkountos. Außerdem hätte er dann doch wohl selbst das von Corsini eingeschobene "nur" in den Satz einsetzen müssen. Darüber hinaus läßt sich feststellen, daß die episreme keineswegs eine höherrangige Erkenntnis ist als die kalalepsis, denn beide werden traditonell der doxa als der bloßen Meinung, die aus Sinnenerkenntnis entspringt, entgegengestellt. Allenfalls ließe sich die episteme als das Gesamtwissen von einer einzelnen katalepsis abheben. Da hier aber von den kalalepseis, d. h. vom Gesamt der komprehensiven Er kenntnis des ungezeugten Goues die Rede ist, ist eine Überbietung nicht mehr möglich. Origenes will - nur so kann ich den Satz verstehen - also sagen: "Der Sohn ist fähig, sich völlig [das ist der Sinn des dia in diarkoufltos) der umfassenden Erkenntnis des ungezeugten Gottes anzugleichen". Das ist wieder um die dynamische Redeweise, die uns schon begegnet ist. Diese Deutung bestätigt sich, wenn man zum Vergleich eine andere Stelle des Johannes-Kommentars heranzieht. nämlich 13. 36, 23 1 : "Nur der Sohn tut den ganzen Willen des Vaters. weil er [ihn in sichl erfaßt; deswegen ist er auch sein Bild. Man muß auch [dies] bezüglich des heiligen Geistes [soJ anschauen. Die übrigen heiligen Wesen tun zwar nichts gegen den Willen Goues. ou mentoi ge diarkei pros (0 kata 10 pan thelema rypothenai, was man wohl so übersetzen muß: ..sind aber nicht imstande (oder: gelangen nicht dahin), im Sinne des ganzen Willens [Goues natürlich) gestaltet zu werden". Hier ist also das Verb djarkeifl verwendet im Sinne eines Prozesses. der bis zur letzten Vollkommen heit voranschreitet, nicht eines Fortschrittes, der bei einem mittleren Vollkorn menheitsgrad endet. Deswegen kann Origenes auch in Jo. 1 , 27,187 nicht eine unvollkommene göttliche Erkenntnisweise im Sinn gehabt haben, bis zu welcher der Sohn nur gelangen wUrde. Mir scheint, daß dies erst recht von einem hypothetischen Gegner gelten müßte, denn der wird ja von Origenes eingeführt als jemand, der den Vater erhöhen will und deshalb den Sohn herabsetzt; wer
"Orig�ne, Commentaire sur Saint Jean. T. I . Livres I-V. Texte Grec, Avanl-Propos. Traductions et Notes par C. ßlanc; SC 120 (1966) 153 mit Anm. 2, die diese übersetzung rechtfertigen soll.
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Beobachtungen zum Johannes-Kommentar des Origenes
aber den Vater erhöhen will, kann ihm doch wohl nicht auch mindere Erkennt nisformen zuschreiben. So gelangen wir zum entscheidenden Punkt: Im 2. Buch des Johannes-Kom mentars (Kap. 2. 1 3 ff) erörtert Origenes Joh I, Ib: "Und der Logos war pros ton theon, und der Logos war theos" und erklärt dann den Unterschied zwischen 110 theos und theos. Nur der Vater ist ho theos oder auch autorheos oder Gou selbst. Alle übrigen Wesen, die den Namen "Gou" tragen - die Bibel spricht ja von solchen, sogar der johanneische Christus bestätigt diese Bezeichnung (Joh 10,34; vgl. Ps 82,6) -, haben das Gottsein nur durch Teilhabe, der Sohn Gottes durch unmittelbare Teilhabe, die übrigen durch Teilhabe, die durch den Sohn vermittelt ist. Dieser hat ..kraft seines Bei-Gett-Seins als erster das Gott-Sein auf sich gezogen und ist so Diener (Vermittler) der Vergöttlichung für die übrigen geworden". Vom Sohn sagt Origenes nicht, daß er vergöttlicht wurde, sondern spricht in aktiv-dynamischer Weise von ihm; er hat das Gottsein auf sich gezogen; er hat also das Gottsein in der Weise der Teilhabe in dynamischer Annahme vom Vater her. Aber in ihm kommt die Dynamik nicht zum Stillstand, sondern setzt sich durch Teilgabe auf die anderen Wesen hin fort. "Urbild (archetyp) der vielen anderen B i lder ist der Logos. welcher bei Gott ist (pros ton theon)." Aber dieses "bei Gou" bedeutet nicht, daß der Logos neben Gott. an der Seite Gottes sei, wie etwa zwei Personen, die nebeneinander herwandem und in die gleiche Richtung schauen, ohne sich gegenseitig anzublicken. Für Origenes bedeutet das Bei-Gott-Sein des Logos vielmehr, daß er zum Vater hingewendet ist. von dem er sein ganzes Gottsein empfangt. Sein Blick löst sich nicht vom Vater; "er bleibt immer Gott, weil er zu Gott hingewendet ist (so übersetze ich hier das pros IOn theon), und er würde nicht Gott bleiben, wenn er nicht verharrte in der ewigen Betrachtung der Tiefe des Vaters". Dieser Irrealis will natürlich nicht sagen, daß der Sohn sich auch vom Vater entfernen, anders wohin schauen und so seine Gottheit verlieren könnte. sondern bringt in plato nisch-plotinischen AusdrUcken. die hier aber personalisiert sind. das völlige Vom-Vater-Hersein des Sohnes zum Ausdruck. Vielleicht könnte man so sagen: Das Empfangen des Sohnes ist nicht nur ein Empfangen des göttlichen Wesens, sondern selbst auch ein göttliches Empfangen, welches Uber jedes Maß des Denkens hinausgeht. So könnte man erklären, daß Origenes sagt, der Vater Uberrage den Sohn mehr, als dieser die Ubrigen Wesen überragt; denn deren Empfangen - auch sie empfangen ja ihr ganzes Wesen von Gott - ist nur ein geschöpfliches. also begrenztes Empfangen, das des Gottessohnes aber ein göttliches, also unbegrenztes Empfangen; dieses göttliche Empfangen ist ein so radikales, daß es den Unterschied oder Gegensatz zwischen dem, der empfangt, und dem, von dem er empfängt, auf eine Weise ausprägt, wie sie im geschöpfli ehen Empfangen nur entfernt nachgeahmt, aber nicht eingeholt werden kann. Andererseits empfangt der Sohn nicht ein geschaffenes Dasein, das ihn vom Vater entfernen wUrde. sondern das Gottsein. durch das er dem Vater näher ist, als es Geschöpfe untereinander oder auch Gott gegenUber sein können; des halb überragt der Sohn die Geschöpfe weit mehr, als der Vater ihn über...
Beobachtungen
zum
Johannes-Komrnentar des Origenes
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ragt, der ihn aber eben doch überragt, weil der Sohn alles vom Vater her emp fängt. So möchte ich bei Origenes zwischen den Trinitätsaussagen des Johannes Kommentars und denen des Matthäus-Kommentars. von denen diese Überlegun gen ausgegangen sind, keinen Gegensatz, auch nicht eine theologische Entwick lung annehmen. sondern in ihnen unterschiedliche B lickrichtungen sehen, die sich aber ergänzen, die also zusammengehalten werden müssen. von denen man ohne Schaden für Glaube und Theologie keine vernachlässigen darf.
Ein-Geist-Sein ( 1 Kor 6, 1 7 b) in der Christologie des Origenes
Prälat Professor Dr. Karl Baus zur Vollendung des 80. Lebensjahres
Origenes sieht Gen 2,24 "Sie werden ein Fleisch sein" überboten durch lKor 6, 17 b "Wer dem Herrn anhängt, ist (mit ihm) ein Geist" und kann diese Linie noch weiterführen zu einer dritten Stufe. In der Schrift, die sein Gespräch mit dem Bischof Herakleides und dessen Kollegen wiedergibt, geht es um die Frage nach der Einheit Gottes: Ob es denn möglich sei, Christus als Gott zu bezeich nen, und trotzdem an der Einheit Gottes festzuhalten. Origenes antwortet: Die göttlichen Schriften lehren, daß viele zweie eins sind (polla dyo ... einai hen), nämlich: Der Mann und die Frau sind nicht mehr zwei, sondern ein Fleisch (sarx mia); der gerechte Mensch und Christus sind ein Geist (pneuma hen); so ist auch unser Herr und Heiland mit Gott dem Vater, dem Gott des Alls. nicht etwa ein Fleisch, auch nicht etwa ein Geist, sondern das, was höher ist als Fleisch und Geist, nämlich heis theos, ein Gott (dial. 2 und 3). Damit ist aber wohl nicht etwa, wie B . Studer' das auslegt. gesagt, daß die Einheit Gottes von der Art sei wie die Fleischeseinheit von Mann und Frau und die Geisteseinheit von Christus und dem Gerechten; dieses "so" (houtos) weist vielmehr nur zurück auf die Tatsache, daß die Schrift ja verschiedene Beispiele dafür gibt. daß zweie eins sind. Die Einheit Gottes ist nicht so zu denken wie die beiden anderen Einheiten, sondern sie ist ebenso schriftgemäß wie diese. Wenn die Einheit des Sohnes mit dem Vater so zu denken wäre wie die Einheit von Mann und Frau im Fleisch und die Einheit des Gerechten mit dem Heiland im Geist, dann wäre es schwer, an der göttlichen Wesenseinheit festzuhalten. Diese Frage sei aber für den Augen� blick zurückgestellt.
In der Grundlagenschrift Das Seltsame an der Verwendung des Satzes 1 Kor 16,17 b ,.Der dem Herrn Anhängende ist (mit ihm) ein Geist" ist nun dies, daß Origenes in den allermei� sten Fällen damit gerade nicht das Verhältnis zwischen dem Heiland und denen, die ihm anhangen und folgen, beschreibt, sondern ihn christologisch verwendet, Studer, Zur Frage der dogmatischen Terminologie in der lateinischen Übersetzung von Origenes: de principiis. in: Epcklasis (Festschrift rur Kardinal leaD Dani�lou), 1 972, 403-4 14, bes. 412. Anm. 77.
1 D.
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Ein-Geist-Sein in der Christologie des Origenes
nämlich um das Verhältnis von Menschlichem und Göttlichem in Christus zu beschreiben, und zwar immer unter Beifügung eines Wortes wie mallon (mehr) oder kyrioreron (im höheren Maße, im eigentlichen Sinne). mit einem Genetivus comparationis oder einem para. So wird schon im Frühwerk des Origenes über die Grundlehren oder über die Grundtatsachen (de principiis: per; archon 11. 6,3) sowohl Gen 2,24, als auch I Kor 6, 17 christologisch ausgelegt; da heißt es nämlich: Der Sohn Gottes ist mit seiner Seele in einem Fleisch (in una carne). In der Genesis,jedenfalls wie der Vers in Mt 19.5 zitiert wird, heißt es: eis sarka mian, also eis mit dem Akkusativ; das übersetzen wir dann mit: "Sie werden zu einem Fleisch." Aber die Koine hat häufig keinen Unterschied gemacht zwi· schen eis mit Akkusativ und en mit Dativ; beruhmtestes Beispiel ist das Ende des Philipperhymnus: Der Herr Jesus Christus ist eis ten domn tou PalTOs, was wir neuerdings übersetzen mit: "zur Ehre Gottes des Vaters". was aber Hierony· mus, wie Klaus Gamber1 mit Recht betont hat, übersetzt mit: in gloria dei patris. Es ist also durchaus möglich, daß das in una carne, das ja vom Übersetzer Rufin stammt, das eis sarka mian korrekt wiedergibt, daß also der Vers so verwendet werden kann. Origenes sagt dann: In dem einen Fleisch, in dem einen mensch· lichen Leib sind der Sohn Gottes und seine menschliche Seele (princ. II, 6.3). Man könnte denken, das sei ja selbstverständlich; dies ist aber für Origenes insofern nicht selbstverständlich, als für ihn die Seele auf ähnliche Weise in das Fleisch hineinkommt wie der präexistente Gottessohn; davon wird gleich noch zu reden sein. I Kor 6, 17 dagegen - aJso das Ein·Geist· Werden - wird von Origenes herangezogen fUr die Vereinigung des Logos mit seiner menschlichen Seele. Origenes findet in De prilldpiis 11, 6,3. obwohl er sich offenbar Mühe gegeben hat, keine Schriftstelle als Beweis für seine Überzeugung, daß die uranfänglich alle gleich würdig und gleichrangig geschaffenen Geistwesen, zu denen auch die Menschenseele und die Dämonen gehören, ihren unterschiedli· chen Rang empfangen nach dem Maß ihrer unterschiedlichen Liebe zum Schöp· fer oder ihrer Abkehr von ihm, in der Weise also am Sohn Gottes. am Logos. an der Vernunft, Anteil gewinnen, wie sie ihn lieben. Die Seinshöhe der geistigen Geschöpfe ist da also Ergebnis ihres eigenen Verdienstes, oder wenn man so will: Die Metaphysik wird hier zur Funktion der Moral. Origenes findet aber einen Beweis dafür. daß die Seele Christi die einzige Seele ist, die unter allen präexistierenden Geistwesen auf Grund eigenen Verdienstes der Weisheit, dem Logos, der Wahrheit und dem Licht - alle vier Wörter kommen vor - anhängt, und ihm inseperabiliter inhaerens tota totum redpiens, ihn als ganzen ganz in sich aufnimmt. Das wird von Karpp und Görgemanns in ihrer an sich sehr verdienstvollen Übersetzung der Prinzipienschrift leider völlig falsch übersetzt mit: "Die Seele nimmt den Logos in ihr ganzes Ich auf." Von einem Ich ist an I
Gamber in einem vor einigen Jahren im Herderschen Bedarfsanzeiger erschienenen Beitrag. der mir leider nicht mehr vorliegt: der Titel mag gewesen sein: ," gloria dti potris. J Origenes. Vier BUcher von den Prinzipien. Hrsg., Ubers., mit bit. LI. efläul. Anm. versehen von H. Görgemanos und H. Karpp '" Texte zur Forschung 24, DarmSladt 1976, 363.
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209
dieser Stelle aber gerade nicht die Rede; wenn die Seele, die neben dem Logos zu denken ist, als ein Ich erschiene, wäre der Nestorianismus perfekt. Schließ lich: in eius lucem ipsa cedens (selbst in seine Lichtnatur Ubergehend)facta cum ipso principaliter unus spiritus (ist sie mit ihm ein Geist geworden) und zwar in vorrangiger erstgültiger Weise'. Daß dies verdienstlich war, wird dann in princ. lI, 6,4 so dargestellt: Non Jortuita fuit assumprio; die Annahme dieser Men schenseeles, oder sagen wir genauer, dieser geistigen Potenz, die später zur Seele Jesu wird, geschah nicht zufällig, aul cum personae acceplione (unter Ansehen der Person; vgl. 1 Petr. 17)6, sondern diese Seele verdiente es, die Seele des Mensch werden wollenden Gottessohnes zu werden, denn von ihr gilt Psalm 44,8 bzw. 45,8: .Gerechtigkeit hast du geliebt, Unrecht hast du gehaßt, deswe gen hat dich Gott mit dem Öl der Freude gesalbt vor all deinen Genossen." Das Öl der Freude ist das Wesen des Gottessohnes selbst; dieses ist, so wird später .
•
Dies. übersetzen (ebd.) principalifer mit "von Anfang an". 5 Dies. S. 365: ..... daß Gott diese Seele annahm". Zwar spricht Origenes unmittelbar davor von der "Einheit der Seele mit Gott", aber bei der assumptio nennt er kein handelndes Subjekt. • GOrgemanns und Karpp drucken (S. 272) einen Abschnitt aus Pseudo-Leontius von Byzanz. d� sUfis 10,5 ab, in welchem dem Origene5 folgende Lettre unterstellt wird: "Denn Gou ist ja nicht einer, der auf die Person schaut (Apg 10,34), so daß er alle diese Wesen. die von einer Natur sind (denn alle vernunftbegabten Wesen sind auch unsterblich), die einen als Dämonen, die anderen als (Menschen)�eJeo. die andercn als Engel schaffen würde; vielmehr Ist orfenkundig. daß er einen jeden bestraft im Verhältnis zu dem. was er gesündigt hat, und deswegen den einen zum Dämon, den anderen zur Seele, den anderen zum Engel gemacht " hat (S. 96, 1 1-15). Wenn dies zwar nicht die wörtliche Aussage des Origenes darstellt. aber doch seine Grundüberzeugung trifft, dann ist, was er princ. 11, 6.4 über die Verbindung des Gottessohnes mit einer menschlichen Seele sagt, auf dem Hintergrund dieser seincr allgemei nen Überzeugung von dcr absoluten Gerechtigkeit Gottes zu sehen. Er wltre dann von Bibelstellen wie Apg 10,34; ROm 2, 1 1 ; Eph 6,9; Kol 3,25 und Petr I , 1 7 so beeindruckt. daß er jedes Schauen auf die Person bei Gott ausschließen würde. Pseudo-Leontius behauptet weiter: "Wenn dies nämlich nicht wäre und die Seelen (nicht) vorausexistieren. wC5wegen finden wir dann, daß manche der Neugeborenen blind sind, wenn sie noch nicht gesUndigt haben. andere aber geboren werden, ohne irgendein Übel (an sieh) zu haben'? Es ist offenkun· dig, daß manche Sünden an den Seelen vorausexistieren, auf Grund deren eine jede nach Gebühr Vergeltung empfltngt." Dem Zitat voraus geht der Satz: "Gott hat also die gegenwlrtige Welt geschaffen und die Seele an den Leib gebunden zum Zweck der Strafe." Dies seheint aber im Widerspruch zu stehen zur Aussage Jesu (Joh 9,3): "Weder dieser (nämlich der Blindgeborene) noch seine Eltern haben gesündigt," Leider ist uns aus dem Johanneskom· mentar des Origenes zur Stelle nur ein kurzes Fragment erhalten, das so lautet; "Eine Überlieferung und ein Glaube dieser Art waren bei den Juden verbreitet. Deshalb stellten auch die Jünger Jesus die Frage: Wer bat gesündigt, er oder seiDe Eltern? Aber Jesus bewies in seiner Antwort, daß weder er noch seiDe Eltern gesündigt haben; Worte, über die wir schon gesprochen haben" (Frg".. Nr. 72 zu Joh 9. I . 2). Aber diese Stel.lcn sind uns nicht erhahen. Aus dem Gesamtzusammenhang der Prinzipienschrift, der uns nut in der lateioischen Über setzung des Rufinus erhalten ist, der nach eigener Angabe (prae/. 2) geglättet hat, geht hervor, daß Origenes hier io erster Linie Front macht gegen die Gnostiker, die "verschiedene. von verschiedenen Schöpfern eingesetzte geistige NlturenM (prim:. I, 8.2) behaupten, daß er aber auch die Welt gegen den Verdacht purer ZuBlligkeil und den Schöpfer gegen den Vorwurf ungleicher Behandlung seiner GeSChöpfe in Schutz nehmen will (princ. l, 8, 1 . 2.4).
Ein·Geist·Sein in der Christologie des Origenes
210
deutlich gemacht, ganz in Jesus; die anderen aber, die Anhänger und Nachfolger Jesu, nehmen in abgeschwächtem Maß daran teil.
Im lohanneskommentar De principiis, eines der frOhesten Werke des Origenes, gehört noch in seine alexandrinische Schaffensperiode. also vor 230; das Werk gegen Kelsos ist eines seiner spätesten. Wenn wir also von dem einen zu dem anderen Werk den Bogen schlagen. haben wir den jungen und den alten Origenes beieinander; wir können tatsächlich in den allermeisten Punkten Übereinstimmung feststellen. also die Kontinuität des origenischen Gedankens konstatieren. Die Brücke bildet der lohanneskommentar, der zwar erst in Cäsarea zu Ende gebracht, aber schon bis zum fünften Buch in Alexandrien geschrieben wurde; so wundert es nicht, daß im Jo.
1, 32,236 Joh 1 , 30 - da sagt der Täufer: ..Der Mann, der vor mir war und
jetzt kommt" - so ausgelegt wird: "Der Mann, der nach Johannes kommt, war vor ihm (pro autou on); das ist deswegen gesagt, damit wir wissen, daß auch der Mensch des Gottessohnes"
(ho anthropos tau h)'iou tou theau) - wir wUrden
heute vorsichtiger sagen: das Menschliche des Gottessohnes - "der mit seiner Gottheit ganz durchmischt
(anakekramenos), (von ihr total durchdrungen) ist"
- das wäre auch noch nach Chalkedon durchaus möglich -, daß also der Mensch des Gottessohnes "älter ist als die Geburt aus Maria". Der Mensch des Sohnes Gottes; lateinisch heißt das später homo domini, oder homo
dominicus.
auch noch in mittelalterlichen theologischen Werken, etwa bei Rupert von Deutz. Origenes bleibt bei diesen Anschauungen im Laufe des Johanneskom· mentars; so lesen wir etwa im Buch XIX
(2,6), das wenigstens ein Jahrzehnt
später geschrieben ist: "Der Heiland kann gelegentlich tiber sich selbst sprechen wie über einen Menschen, gelegentlich aber wie über eine göttlichere Natur"
(Ja.
XIX,
2, 6). Diese theio/era physis ist natUrlich nicht eine Natur, die
göttlicher wäre als Gou, sondern eine Natur, die, von der menschlichen Natur aus betrachtet. höheren Rang hat, also in die göttliche Sphäre gehön und die vereinigt ist mit der ungezeugten Natur des Vaters. Wenn Jesus sagt: "Ihr wißt. woher ich bin" (Joh
7,28), spricht er peri tau anthropou "eau/ou, über seinen
eigenen Menschen, über seine Menschennatur1 • Wenn er aber sagt: "Ihr kennt
weder mich noch meinen Vater" (Joh
8,19), dann spricht er über seine Gottheit
(peri tes theoletos). Also sind "sein eigener Mensch" und seine "Gottheit" Gegenstände, über die er sprechen kann. oder Seinsweisen. die ihm gehören, in denen er sich selbst je darstellen kann. Interessant aber ist, daß Origenes erklärt. Jesus sage: ,Jch weiß. woher ich komme und wohin ich gehe" te theoreia physei
1 E. Corsini übersetzt in seiner schönen Ausgabe "Commento al Vangelo di Giovanni di Origene", Turin 1968. .565, diesen Ausdruck mit: ,.über sich. insofern er Mensch ist". Das ist
zwar sachlich nicht falsch. liSt aber die exakte Ausdrucksweise des OrigeDes nicht mehr erkennen. Man wunden sich. daS Corsini diesem Ausdruck keine Anmerkung gewidmet hat.
Ein-Geist-Sein in der Christologie des Origenes
211
dialegomenos (sprechend durch seine göttlichere Natur - dativus instrumenta lis: Ja. XIX,2, 10). Das ist nichts anderes als dies: Die Gottnatur ist für Origenes ein principium
qua; man wird nicht fehlgehen, auch in der Menschennatur ein
principium qua zu sehen. so daß also der eine, der spricht, der über sich mal wie über einen Menschen, mal wie über eine höhere Natur spricht, das einzige principium quod wäre; das wäre - und mir scheint, das ist die Überzeugung des Origenes - eine Christologie, die wenigstens für diesen Ausschnitt auch noch nach Chalkedon einwandfrei ist. Origenes ist sich bewußt, daß hier ein großes Problem liegt; es könnte nämlich jemand meinen, sagt er, daß der Joh 7,28 sagt: ..Ihr wißt, woher ich bin", ein anderer ist
(heteros on) als der, der Joh 8, 19 sagt: ..Ihr kennt weder mich noch
meinen Vater"; aber dies wäre eine falsche Vorstellung, es ist dies nicht ein anderer, sondern er ist derselbe (Ja. XIX, 2, 10). Gegen Ende des Johanneskom mentars, nämlich in XXXII, 25,325, sagt Origenes zu Joh 1 3 , 3 1 : ,,Jetzt ist der Menschensohn verherrlicht", indem er sich auf den Philipperhymnus beruft, wo ja PhiI 2,9 von der Erhöhung, ganz genau von der hyperhyposis (von der Obererhöhung) des Erniedrigten die Rede ist, folgendes: ,.Die Erhöhung des Menschensohnes bestand aber darin, daß er nicht mehr ein anderer ist als der Logos (alla ton auton auto), sondern derselbe mit ihm" (identisch mit ihm), und verweist dann auf I Kor 6, 17. Was uns hier stutzig macht, ist natürlich, daß er nicht mehr
(ouketi) von ihm unterschieden sei; das klingt doch so, als ob er's
einmal gewesen sei. als ob also eine Nichtidentität hier in die Identität überge führt worden wäre. Origenes erklärt weiter: "Wenn nämlich der dem Herrn Anhängende ein Geist ist (I Kor 6. 17), so daß von ihm und dem Geist nicht mehr gesagt wird: Sie sind zwei, wie sollten wir nicht sagen, daß noch mehr das Menschliche Jesu mit dem Logos eins geworden ist, da ja der erhöht wurde, der das Gottgleichsein nicht fUr einen Raub ansah, da aber in seiner Höhe blieb oder dorthin zurückkehrte der Logos. als er wieder Gott-Logos, bei Gott war. Mensch seiend"
(Jo. xxxn, 25. 326). Dieser Satz ist wahrhaftig kompliziert, entschei
dend ist dies: Mehr - als irgendein anderer, ist wohl zu ergänzen - wird das Menschliche Jesu eins mit dem Gou-Logos. Erhöht wurde der, der das Gott gleichsein nicht für einen Raub ansah; nicht der Logos wird erhöht, denn der blieb in seiner Höhe. An dieser Stelle wenigstens ist also das Subjekt des ganzen Philipperhymnus, also der, der sich erniedrigt und dann erhöht wird, nicht der Logos. sondern der, der schlußendlich ganz mit dem Logos identisch ist. also der Mensch Jesu, insofern er seiner irdischen Existenz vorausexistiert - wir könnten also ganz einfach sagen: die Seele Jesu.
1m Werk gegen den heidnischen Philosophen Kelsos In der Schrift gegen Kelsos zitiert Origenes wieder Psalm 44.8: ,.Du hast Gerechtigkeit geliebt. Unrecht gehaßt", ohne jedoch daraus eine ähnliche Fol gerung zu ziehen wie in
De principiis; allerdings spricht er sich nun auch nicht
212
Ein-Geist-Sein in der Cttristologie des Origenes
gegen diese Deutung aus. Gegen Kelsos
(6.79) dient der Psalmvers als Beweis.
daß viele echte Lehrer die Lehre Christi in der Weh verbreitet haben. Kelsos hatte nämlich gesagt: Wenn wirklich Gott hinter diesem Christus stünde. dann hätte er nicht nur einen von dieser Art. sondern viele in die Welt schicken müssen. Origenes sagt: Er hat's ja getan, nur mit dem Unterschied. daß dieser eine nicht nur den Anfang der Salbung besitzt. sondern die ganze Salbung des Öls der Freude; die anderen aber haben auch echt Antei l daran. Auch hinter dieser Aussage steckt also die Vorstellung. daß die Vereinigung, wie sie in
1 Kor
6.17 beschrieben wird. in Jesus ihre uneingeschränkte Fülle findet - Origenes kann von der aha henosis (der ..Spitzenvereinigung": Cels. 5, 39) sprechen-. die aber die Anteilnahme der andern daran nicht etwa unmöglich macht, sondern überhaupt erst ermöglicht. Origenes begegnet dem Vorwurf. daß die Christen ja jemanden Gott nennen, der das gar nicht verdient, mit der Erklärung, es sei doch nichts Verkehrtes daran, wenn wir dem, den wir von Anfang für Gott und Gottes Sohn halten (so sehr. daß er die Vernunft in Person und die Weisheit in Person und die Wahrheit in Person ist) und der nun einen sterblichen Leib und in ihm eine sterbliche Seele angenommen hat. so daß diese menschliche Seele das Größte hinzugewonnen hat und in Gott übergegangen ist, göttliche Ehre erwei sen
(Cels. 3, 41).
Das ist nichts anderes als der Gedanke, der schon in der
Prinzipienschrift (11,
6,3) ausgedrUckt war, die Seele Jesu sei ganz in sein Licht
übergegangen. So kann Origenes dann noch erklären, daß der Sohn Gottes mit Recht zweiter Gott genannt wird. insofern er nichts anderes ist als die arete mit ..Tugend" ist das Wort natürlich nur schlecht wiedergegeben -, die Tugend. die alle Tugenden umfaßt. und der Logos. der alle Vernunft, allen Logos aller gewordenen Wesen in sich einschließt. Er hat sich, mehr als mit jeder anderen Menschenseele, mit der Seele Jesu vertraut gemacht und vereinigt. weil nur Jesus die höchste Teilhabe an der Vernunft. Weisheit und Gerechtigkeit in Person zu fassen vermochte
(Cels. 5, 39).
Das bedeutet dann aber im Blick auf die
anderen Menschen ganz allgemein: Diese göttliche Kraft
(dynamis) ist in die menschliche Natur und in die menschlichen Umstände (anthropinai perislaseis)
gekommen, hat Seele und Leib angenommen und den Jüngern gezeigt, daß von ihm ab die göttliche Natur mit der menschlichen Natur zusammengewoben zu werden begann, damit die menschliche göttlich wird. und zwar nicht nur in dem Jesus allein, sondern auch in allen, die, nachdem sie gläubig geworden sind, die Lebensweise annehmen, die Christus lehrt
(Cels. 3. 28).
Und schließlich kann
Origenes erklären. daß die Propheten ja schon vorausgesagt haben. es werde ein gewisser Abglanz und ein gewisses Bild der göttlichen Natur - vgl. Hebr.
1 . 3;
dort aber: ..Hypostase" - unter die Menschen kommen und mit der heiligen Seele Jesu zusammen in dieses Leben kommen
(synepidemesQI),
oder anders
gewendet: Scbon die Propheten sprachen von dem Logos, der sein wird in menschlicher Seele und in menschlichem Leib (ebd.).
Ein-Geist-Sein in der Christologie des Origenes
213
Im Matthäuskommentar Besonders interessant ist die Verwendung von I Kor 6, 1 7 im MaUhäuskommen tar, der ja zu den letzten Werken des Origenes gehört. Es lohnt sich, diese Stellen genau anzuschauen, hier also eine Übersetzung zu bieten'. Zu Mt 19,6 "Und die beiden werden ein Fleisch sein, so daß sie nicht mehr zwei sind, sondern ein Fleisch" sagt Origenes: ,.Da für den, der dem Herrn anhängt, aufbewahrt werden mußte. daß er mit ihm ,ein Geist' wird, ist über die, die von Gott verbunden sind, nach dem Wort: ,so daß sie nicht mehr zwei sind' noch gesagt: ,sondern ein Fleisch'" (comm in Mt. XIV, 16; S. 323,24f). Hier läßt sich erkennen, daß für Origenes nicht nur das Handeln Gottes von Anfang an ein einziges Heilshandeln ist, sondern daß auch die Bibel ein einziger Text ist: Gott. der von Anfang an Mann und Frau verbunden hat, und zwar nicht nur rein körperlich - denn das Verbundenwerden durch Gott setzt Gleichgesinntheit und Übereinstimmung , hat doch so noch nicht die Einheit eines Geistes voraus (ebd., Z. 1 1 ff) bewerkstelligen wollen, diese vielmehr fUr das Verhältnis des Gläubigen zu Christus aufbewahrt; dieser Wirklichkeit des göttlichen Handeins folgt die Aussage des inspirierten Textes. Weder in Gen 2,24 noch in Mt 1 9 , 6 wird den durchaus nicht nur fleischlich verbundenen Ehegatten die Einheit des Geistes zugeschrieben; diese Aussage wird vielmehr aufbewahrt für den Brief des Paulus an die Korinther ( l Kor 6, 17). Derselbe Urheber steht also hinter allen drei Texten: Altes Testament, Evangelium und Paulusbriefe sind Äußerungen ein und desselben (Heiligen Geistes). Auf diesem Hintergrund läßt sich die christologische Verwendung des Korin ther-Zitates verslehen. zur Auslegung des Gleichnisses vom König, der mit seinen Knechten Abrechnung halten wollte (Mt 18,23-24), sagt Origenes: "Wenn aber das Himmelreich einem König ähnlich geworden ist, der so geartet war und solches getan hat, wen muß man dann darunter verstehen. wenn nicht den Sohn Gottes? Er ist nämlich der König der Himmel; und wie er die Weisheit in Person und die Gerechtigkeit in Person und die Wahrheit in Person ist, so vieHeicht auch das Reich in Person (oder: das Reich selbst, oder vielleicht auch: die Königsherrschaft in Person) ". Dieses Himmelreich (oder: diese Himmels herrschaft) wurde also, ,als es in die Ähnlichkeit des SOndenfleisches' kam, um .betreffs der SOnde die Sünde' (Röm 8,3) zu verurteilen. als cr ihn, ,der die Sünde nicht kannte, zur Sünde machte unseretwegen' (2Kor 5,21), die wir unseren ,Sündenleib' (Röm 6,6) tragen, einem Menschen, einem König ähnlich, dem, der als Jesus zu verstehen ist, indem es [das Reich nämlich]. mit ihm vereinigt wurde. der (wenn man dies so kOhn sagen soll) mehr dazu geeignet war [oder: vielleicht besser mehr darauf hielt]. vereinigt und ganz eins zu werden mit dem Erstgeborenen .der ganzen Schöpfung' als der, der ,dem Herrn anhängt', mit ihm ,ein Geist' wird. Dieses Himmelreich aber, welches dem Menschen, dem König, -
, Meine Übersetzung. die erste deutschc libcrhaupt (Origcoes. Der KommeDlar zum Evangelium BGL 1 8). ist mittlerweile erscheinen. nach Mallhäus. Stullgart 1983 ..
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Ein-Geist-Sein in der Chrislologie des Origcnes
der als der Heiland verstanden wird, ähnlich geworden ist und mit ihm vereinigt ist. wollte. wie es vorwegnehmend heißt, mit seinen Knechten Abrechnung halten" (comm. in MI. XIV. 7; GCS X, S. 289, 9-20; 290, 16-29 1. 3). Der ganze Gedankengang ist offenbar vom ersten Wort des Gleichnisses ausgelöst, nämlich durch das homoiothe (wurde ähnlich). Origcnes scheint gefragt zu haben, wer denn ähnlich wurde, zuvor also nicht ähnlich war. Da im Neuen Testament die Inkarnation wenigstens an zwei Stellen mit Hilfe des Wortes homoioma ausge sagt wird. nämlich außer in dem von Origenes zilierten Vers Rörn 8.3. auch Phi! 2.7. verstand Origenes offensichtlich das Anfangswort dieses Gleichnisses. mit dem er auch einen neuen Abschnitt seines Kommentars beginnt (Kap. 7-9 in Buch XIV). als Inkarnationsaussage. Dann muß mit dem Subjekt des Satzes ..Himmelreich" der präexistente Gottessohn gemeint sein, mit der prädikativen Bestimmung "einem Menschen. einem König" dagegen der Menschgewordene in seiner irdischen Existenz. Dabei versteht Origenes die Bezeichnung ,.Erstge borener der ganzen Schöpfung" (Kol 1 , 15) als einen Titel des präexistenten Gottessohnes. Origenes hält auch im Matthäuskommentar an seiner Lehre von der Präexistenz aller Seelen. also auch der menschlichen Seele Jesu fest; dann besteht die Inkarnation eigentlich nur in der Annahme eines menschlichen Leibes. Dies schimmert mindestens durch, wenn Origenes nach Röm 6,6 von "unserem Sündenleib" spricht. Er scheint 2 Kor 5.21 Er hat ihn zur Sünde gemacht" so zu verstehen: Er hat ihn einen Sündenleib annehmen lassen, also auch in diesem Vers nicht das Kreuzesleiden, sondern die Inkarnation zu finden. Origenes will aber den menschlichen König. dem das Himmelreich in Person - der Christus also - durch die Inkarnation ähnlich geworden ist - wobei das deutsche Wort .,ähnlich" sicher zu schwach ist -. nicht nur als den Leib Jesu verstehen, sondern als den ganzen Menschen Jesus, zu dem dann auch eine menschlich-aktive Seele gehört. Diese aber hat. daran besteht für Origenes kein Zweifel. alJe anderen Menschen. die sich dem Herrn anschließen. von vornher ein weit Uberlroffen. Das wird in dem zentralen Satz ausgesagt. dessen Gewagt heit dem Origenes sehr wohl bewußt ist. Daß er nicht unter der Hand in eine - später als nestorianisch bezeichnete - Auffassung von zwei Personen oder zwei Subjekten in Christus abgeglitten ist, macht er mit dem letzten hier zitierten Satz deutlich: Das Himmelreich in Person, der GOllessohn also. der nunmehr dem Menschen ähnlich geworden ist. hält Abrechnung mit seinen Knechten. Die Antwort Jesu an Petrus: "Auch ihr werdet auf zwölf Thronen sitzen ..... (Mt 19,28) gibt dem Origenes Gelegenheit zu folgender Überlegung: "Wenn du verstehen kannst. wie der Logos. nachdem er Fleisch geworden war und. was er alles fUr die Geschöpfe geworden ist, als er filr sie das wurde. als was ein jeder ihn brauchte. um alle zu gewinnen (vgJ. I Kor 9. 19), in seinen früheren Zustand zurückgekehrt ist, um. wie er ,am Anfang bei Gott war' (Joh 1 , 2) (da er Gott Logos ist), in seine Herrlichkeit zu kommen. nämlich die Herrlichkeit eines solchen Logos. dann wirst du ihn auf dem Thron seiner Herrlichkeit silzen sehen und den Menschensohn, den als Jesus verstandenen Menschen. als nicht von ihm unterschieden; eins nämlich wird dieser mit dem Logos, mehr als jeder von •.
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denen. die, weil sie dem Herrn anhangen, mit ihm ein Geist werden. Dann, wenn dies bei der Wiederherstellung des Heilands geschieht, werden auch die, die alles verlassen haben und ihm gefolgt sind, weil sie mit dem Leib und dem Thron der Herrlichkeit des Christus gleichgestaltet sind, auf zwölf Thronen sitzen .. ." (comm. in Mt. XV, 24; S. 419,30-420,25), Die zentrale Aussage ist hier diese: Der Menschensohn, der Mensch lesu, ist mit dem Logos identisch, ist nicht etwa ein anderer als er. Wundern möchte man sich freilich, wenn Origenes sagt: ,,Er wird eins mit dem Logos", zumal es in I Kor 6, 1 7 nicht etwa heißt: "wird" (ginetai), sondern: "ist". Sollte Origenes etwa das ganze Erdenleben lesu als einen Identifikationsprozeß mit dem Logos verstanden haben? Das Werden, das vom Menschen lesus ausgesagt wird, ist aber wohl nur die Kehrseite des Werdens, das zuvor vom Logos ausgesagt wird. Origenes mag die Parallelität von Göttlichem und Menschlichem überbetont haben; einen der Vereinigung und für sich vorausexistierenden Menschensohn wollte er sicher nicht einführen; das macht der Paralleltext comm. in Mt. XIV, 8 deutlich, wo nicht vom Einswerden, sondern vom Einssein die Rede ist. Das Wort, mit dem Jesus die Auseinandersetzung wegen der Bitte der beiden Zebedäussöhne abschließt, nämlich: "Der Menschensohn ist nicht gekommen, um sich bedienen zu lassen, sondern um zu dienen und seine Seele (psyche Leben) als Lösepreis für die vielen zu geben" (Mt 20, 28), nimmt Origenes zum Anlaß einer grundsätzlichen Erörterung (comm. in Mt. XIV, 8): ,.Da ich nun einmal an diese Stelle gekommen bin, möchte ich daran erinnern, daß diejeni gen, die, in der falschen Meinung, Christus so zu verherrlichen, das. was sich auf den Erstgeborenen der ganzen Schöpfung (Kol 1 , 15) bezieht, mit dem vermengen. was sich auf die Seele und den Leib lesu. vielleicht auch auf seinen Geist bezieht. und meinen, es sei ein einziges ganz Unzusammengesetztes. was da gesehen wurde und ins [irdische] Leben kam, keine gesunde Meinung haben. Wir wollen sie nämlich fragen. ob die Göttlichkeit des Bildes des unsichtbaren Gottes und die überragende [Wesenheit] des Erstgeborenen der ganzen SChöp fung, ob also jener. in dem alles im Himmel und auf Erden geschaffen ist. sei es sichtbar oder unsichtbar, seien es Throne oder Herrschaften oder Kräfte oder Mächte (Kol I . 16). als Lösepreis für die vielen gegeben wurde; und welchem Feind, der uns als Gefangene festhält, bis er den Lösepreis bekommt, jene [Wesenheit] als Lösegeld gegeben wurde; und ob jener imstande war, einen solchen und so großen Lösepreis für die Gefangenen anzunehmen. Und dies sage ich nicht etwa, als ob ich von der Seele lesu gering dächte und sie verkleinern wollte, sondern weil ich [behaupten) will, daß sie, soweit dies möglich war, von dem ganzen Heiland als Lösepreis gegeben wurde. daß aber jene überragende [Wesenheit) und Gottheit überhaupt nicht als Lösepreis gegeben werden konnte. Im übrigen löse ich heute Jesus nicht von dem Christus, sondern ich weiß, daß lesus, der Christus, und seine Seele viel mehr eins sind mit dem Erstgeborenen aller Schöpfung, aber auch sein Leib, so daß dieses Ganze mehr (wenn man das so nennen soll) eins ist als der, der dem Herrn anhängt. [mit ihm] ein Geist ist" ( I Kor 6 , 1 7).
=
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Origenes beginnt dann die Auslegung des nächsten Evangelienabschnittcs. drückt sich hier also genauso knapp aus wie an den anderen Stellen. Man fragt sich natürlich, was das "heute" im letzten Satz zu bedeuten haI. Sollte Origenes bei anderer Gelegenheit Jesus von dem Christus gelöst haben? Weil er dies aber sonst auch nicht tut. wird man das semerorl einfach mit ,jetzt" oder .,hier" oder "dabei" wiedergeben, darin also keinen Unterschied zu Ausführungen an ande fCf Stelle erblicken. Hier jedenfalls bekämpft Origenes eine Art frommen. aber unerleuchteten Monophysismus, der im Heiland jede Zusammensetzung be stritt. Da Origenes ausdrücklich von der Seele und dem Leib Jesu spricht, erweckt er den Eindruck, daß diese "Monophysilen" auch zwischen Seele und Leib, wohl ganz allgemein bei allen Menschen, keinen Unterschied machten. Da es sich um fromme Christen handelte, wird man wohl am ehesten an Menschen denken mUssen, die nicht vom griechisch-platonischen Denken mit seiner schar fen Unterscheidung zwischen Leiblichem und Geistigem, sondern von biblisch semitischer Gedankenwelt geprägt waren; aber mehr als eine Vermutung läßt sich hier nicht aussprechen. Bedeutsam ist, daß Origenes diesen seinen Gegnern vorwirft, sie "vermengten" (wörtlich: sYTlcheo) die Aussage über den Präexisten ten mit den Aussagen über Seele und Leib Jesu. Origenes lehnt also solche Vermengung (synchysis) ab, genau wie das später Gregor von Nyssa und schließlich das Konzil von Chalkedon tun werden�. Die Bekämpfung dieses offenbar naiven, sozusagen vortheologischen Monophysismus scheint also ein Grund dafür zu sein, daß Origenes in seinen christologischen Aussagen I Kor 6, 17 heranzieht; wenn man sich die Vereinigung von Göttlichem und Mensch lichem in Christus auf eine zwar alles überbietende Weise, aber doch in der Linie der Vereinigung des Christen mit Christus denkt. ist Wesensvermengung ausge schlossen. Der andere Grund dafür, daß Origenes I Kor 6, 17 so gern christolo gisch verwendet, liegt nalÜrlich in seiner Überzeugung von der Präexistenz aller Seelen, also auch der menschlichen Seele Jesu. Man wird zugeben müssen, daß sich eine solche Christologie gegen Nestorianismus nicht ebenso leicht absi chern kann wie gegen Monophysismus, wenn Origenes dies auch durch die Versicherung versucht, Jesus nicht von dem Christus zu lösen. Dieses Stichwort kennzeichnet auch die letzte christologische Verwendung von I Kor 6. 17 im Matthäuskommentar. Während die alte lateinische Ü berset zung unsere erste Stelle (XIV, 7) falsch wiedergibt und die beiden anderen (XV, 24 und XVI, 8) einfach überspringt, scheint sie in der Commenlariorum Series 55 (GCS XI. S. 152.27ff) den Sinn getroffen zu haben, insofern sie die von Origenes ausgesprochene Überbietung. die via em;lIefiliae in der Christologie, richtig erfaßt hat. Bei der Auslegung von Ml25, 14 "wie ein Mensch, der in die
9 Das Konzil von Chalkedon erklärt. "daß ein und derselbe Christus, Sohn. Herr, Einziger, in zwei Naturen, unvermischt (a.�Y1l8chytQS), unverwandelt. ungetrennt und ungeschieden er· kannt wird" (Denzinger Schönmetzcr Nr. 302).
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Feme reiste", fragt Origenes sich, wie die Gleichnisse vom Femsein des Herrn sprechen könnten, wo er doch versprochen hat, immer bei den Jüngern zu sein. Der Herr sei, so antwortet er, gemäß der Natur seiner Göttlichkeit nicht fern; fern sei er nur entsprechend der leiblichen Ökonomie (d. h. entsprechend seinem Heilshandeln i m angenommenen Leibe), auf der Ebene also. auf der auch Erschütterung und Traurigkeit seiner Seele zu verstehen sind (Joh 12,27 und Mt
26,38). Dann erklärt Origenes, offenbar als Verteidigung gegen einen vielleicht nur befürchteten Vorwurf: ,,Indem wir dies sagen, lösen wir aber nicht den Menschen des angenommenen Leibes. daja bei Johannes geschrieben ist: ,Jeder Geist. der Jesus aunöst, ist nicht aus Gott' ( I Joh 4,3), sondern wir bewahren einer jeden Substanz ihre Eigenart. Wenn nämlich jeder gläubige Mensch, der dem Herrn anhängt, ein Geist ist ( I Kor 6,17), um wieviel mehr darf dann jener Mensch. den Christus gemäß dem Heilshandeln im Fleische angenommen hat, von ihm nicht gelöst, noch als ein anderer als er bezeichnet werden?"
(comm.
ser. in Mt. 55; GCS Xl, S. 152,27 ff). Man kann sich fragen, ob im ersten Satz das solvere mit "auflösen" wiederzugeben ist oder ob zu ergänzen wäre: von Christus, oder: von der Gottheit. Auch die Bedeutung von suscepti corporis homo ist keineswegs sofort deutlich. Wenn dies ein Genetivus qualitatis ist, müßte man wohl so übersetzen: der Mensch, der durch einen angenommenen Leib gekennzeichnet ist; dann wäre der ganze Christus gemeint, der nach der fast nur bei den beiden Alexandrinern Clemens und Origenes bezeugten Lesart von IJoh
4,3 nicht aufgelöst werden darf. Da Origene� aber gleich darauf von dem Menschen spricht, den Christus angenommen hat, wird man den Genetiv eher epexegetisch verstehen und so übersetzen: Wir lösen den Menschen, d.h. den angenommenen Leib, nicht (von dem Christus). Auch wenn Origenes hier IJoh
4,3 anführt, wird man doch annehmen dürfen, daß er sich nicht nur sozusagen vor dieser Bibelstelle rechtfertigt, sondern mit Kritik, mit dem Vorwurf rechnete, er trenne in Christus, später würde man sagen, er sei ein Nestorianer. Origenes hätte also in der Anwendung von 1 Kor 6, 17 auf die Christologie nicht nur einen Schutz gegen Vermischungs-, sondern auch gegen Trennungschristologie gesehen, aber das wäre wohl noch zu wenig; vielmehr wird auf diese Weise die volle Menschen naturdes Heilands auch in ihrer menschlichen Aktivität deutlich. Man wird gewiß zugeben müssen, daß Origenes mit seiner Christologie nicht schon vorweg alle im 4. und 5. Jahrhundert aufgeworfenen Fragen beantwortet hat. Andererseits wird man sagen dUrfen, daß er die ganze Fülle des Christusgeheimnisses unge schmälert im Blick behält, was den großen Theologen des 5. Jahrhunderts keineswegs immer so gelang. Der späte Alexandriner Cyrill, der sich nicht als SchUler des Origenes verstand, ist in seiner Christologie, so rechtgläubig sie war und so verbindlich sie durch das Konzil von Ephesus geworden ist, doch deutlich einseitig. Ein Zurückgehen auf die Fragestellung des Origenes, ein neues Beden ken seiner, von ihm selbst ja nicht als endgültig empfundenen Antwortversuche, könnte auch fur ganz rechtgläubige nachephesinische Christologie hilfreich und neu belebend sein, weil sie den Blick auf das menschliche Sein, Leben. Handeln und Erfahren des Heilands neu eröffnen wUrde. Während Cyrill und das Ephesi-
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Dum betonen, daß der Gottessohn selbst ins menschliche Leben und Leiden herabsteigt. in ihm sich also unmittelbarste Nähe Gottes zum Menschen ereig net, war bei Origenes deutlich. daß der Heiland selbst auch die höchste Nähe des Menschen zu Gott ist. die die Gottesnähe der Christen erst begründet. Zwar betont Origenes das Überragende der Gottesbeziehung des Heilands. aber schon durch seine Fonnulierungen - der Komperativ mallon ist dafür besonders aufschlußreich - macht er deutlich, daß dieses Gottesverhältnis nicht völlig unvergleichbar ist; es überbietet zwar alle andere menschliche Heiligkeit. macht diese aber von innen her verständlich. Solche christologische Deutung aller menschlichen Gottesnähe wäre neu von Origenes zu lernen.
Trinitätstheologischer Hintergrund Deshalb sei noch ein Blick auf das Verhältnis des Gottessohnes zum Vater geworfen, zumal wir ja von der mißverständlichen Stelle im Gespräch mit Herakleides ausgingen, wo Origenes spricht von der Einheit von Mann und Frau im Fleisch, von der Einheit des Gerechten und des Heilands im Geist und von der Einheit des Sohnes mit dem Vater in Gott (dia I. 2.3). Schon im Buch I des lohanneskommentars (I, 29. 204) findet Origenes in Ps 2, 7 : "Mein Sohn bist du. heute habe ich dich gezeugt", die eugelleia (die Wohlgeburt, den Adel) des Gottessohnes ausgesprochen, insofern dies Gau sagt, für den das Heutesein immer ist (ho aei estin to semeron). So gibt es also für ihn weder Anfang noch Ende des Erzeugens. d. h. die eugeneia, (der Adel, die Besonderheit) des Sohnes Gottes besteht darin, daß sein Heutegezeugtsein oder Heutegezeugtwerden sein Immergezeugtsein oder Immergezeugtwerden ist. So kann Origenes auch in der 9. leremiashomilie den Vers Sprüche 8.25 auslegen. Dort heißt es ja im Septua gintatext: .Die Weisheit sagt: vor allen Hügeln zeugt mich Gott." Origenes sagt: Nicht steht da: hat er mich gezeugt, sondern: zeugt er mich: Präsens. Gott zeugt den Sohn in seinem ewigen Präsens. Und zuvor heißt es wörtlich: "Nicht etwa hat der Vater den Sohn irgendwann einmal gezeugt und ihn dann abgelöst von seinem Gezeugtwerden, sondern immerfort zeugt er ihn" (hom. in JeT. 9,4). Insofern ist die physis theiotera, die über menschliches Maß hinausgehende göttliche Natur des Heilands, "der ungezeugten Natur des Vaters vereinigt"lo. Wenn das Bild von dem Gerechten. der mit dem Heiland ein Geist ist, korrekt - wir haben ja Zweifel - ausgelegt, angewendet werden könnte auf das Verhältnis von Gottheit und Menschheit in Christus, dann müßte man sich ja fragen. wie es sich. wenn das eine Parallele sein soll. mit dem Verhältnis von Vater und Sohn in Gott verhält? Grob gesprochen: entweder haben wir hier in der Christologie Nestorianismus oder wir haben, wenn in der Christologie kein Nestorianismus herauskommt, in der Gotteslehre Sabellianismus. So würden wir nach Chalkedon katalogisieren - bei Origenes trifft das sicher nicht zu. Wir •
10 Johanneskommeclar XIX.2.6.
Ein-Geist-Sein in der Christologie des Origenes
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haben ja schon gesehen, daß er zunächst einmal nur an der gleichen formalen Struktur biblischer Aussagen, wo aus zweien eins gemacht wird, interessiert war. Vor allen Dingen aber erklärt Origenes Ober den Christus und seine Menschen natur ausdrücklich immer wieder, daß er nicht heleros par' auton, oder heteros autou, nicht ein anderer neben ihm, sondern mit ihm identisch istU, und er erklärt tiber Gott nachdrücklich genug, daß Vater und Sohn te hypostasei (in der Wirklichkeit, in der Realität) nicht nur epinoia (in unsere Betrachtungsweise) zwei sindu. Bedeutsamer aber als die Aussagen über das Sein, über die physis des Sohnes sind wohl die Aussagen über das göttliche oder innergöuliche Tun des Sohnes. Wir sahen schon, daß er als die arete, als der Wille, als das moralische Sein Gottes beschrieben werden kann und ebenso natürlich als der Logos, wie uns ja geläufig ist. Der Logos aber ist die Vernunft, hat es also mit Erkenntnis zu tun, und so erhebt sich die Frage: Wie verhält sich die Erkenntnis des Sohnes zu der des Vaters? Im lohanneskommentar (I, 27, 186) heißt es schon: "Weil der Einzige (monogenes) die Wahrheit ist, umfaßt er den ganzen Logos aller Dinge, und zwar gemäß dem Willen des Vaters meta pases tranotetos (mit aller Deutlichkeit oder Klarheit). Weil der Sohn Wahrheit ist - Origenes kann ihn immer wieder di e aUloaletheia, die Selbstwahrheit,die Wahrheit in Person (z. B. comm. in MI. XIV, 17. S. 289, 19) nennen -, deswegen kann ihm nichts verborgen bleiben, muß er alles erkennen. Und wenn einer meint. er ehre den Vater dadurch, daß er behauptet, bestimmte Dinge, die dem Vater erkannt werden, die würden vom Sohn nicht gewußt, der soll sich deutlich machen, daß er damit Gott keine Ehre antut; dann fahrt Origenes nach dem Genetiv hypo tou hyiou fort: diarkounlos exiso/ltenai tais katalepsesi lou agenfletou tlleou (Jo. 1 , 27, 186). Diese Stelle wird sehr verschieden übersetzt; von C. Blanc, der Herausgeberin und Überset zerin des 10hanneskommentars in den Sources Chreliennes, z.B. so, daß sie arkounlOS auf den Vater bezieht und ihm eine Art Abwehr zuschreibt: .,Ie Dieu inengendre refusant de se laisser egaler par les perceptions qui cherchent � le saisir"u. Ich habe den Verdachl, daß hier das lateinische Wort "arceo" das griechische "arkeo" überdeckt; "arcere" heißt ja .,abwehren"; man denke nur an das od; profallum vulgus et arceo. Das griechische diarkein heißt aber "durch und durch ausreichend sein"; so muß wohl dieses diakoulltos sich auf den Sohn beziehen. Und wo \/on den kalalepseis die Rede ist, möChte ich agemletou Ilreou als Genetivus subjectivus verslehen und unterscheide mich daher von der sonst höChst schätzenswerten Übersetzung von Ralf Gögler, der hier übersetzt: "der doch durch sein Begreifen des ungezeugten Gottes diesem gleichgesetzt zu
11
Vgl. die beiden oben diskutierten Stellen im MaUhIluskommentar XV, 24, S. 420, 10 und Comm('nlariorum Sui('s S. 153. J .
Il Gegcn Kclsos VIII. 12. Il Orig(l:ne. Commentaire sur Saint Jean. Tome I (Livres I-V). Tcxte Grce, avanl-propos. traduCLiOD CI Dotes par Cccile Blanc '" SC 120 ( 1 966) 153.
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werden vermag"'·. Dabei wird kalalepseis als Instrumentalis verstanden, und der Infinitiv ist ohne Bezugsworl. Ich möchte Obersetzen: ..der sich doch durchaus den Erkenntnissen des ungezeugten Gottes anzugleichen vermag" und komme damit der Übersetzung von H. Crouzell' nahe: "a10rs qu'il a une comprehension egale a celle du Dieu inengendrc". Dabei wählt Crouzel freilich einen Singular, um den Plural katalepseü wiederzugeben. Es macht ja in der Tat nicht nur fOr spätere systematische Theologie. sondern auch im Sinne des Origenes Schwie rigkeiten, von Erkenntnissen Goues im Plural zu sprechen, wo doch bei Gott weder von verschiedenen Erkenntnisakten noch Erkenntnisschritten die Rede sein kann. So würde der Hinweis von C. Blanc auf die Gnosis einleuchten, wo ja in der Tat die BemUhungen untergeordneter Aionen, den Urgrund des Seins zu erkennen, zu erfassen (lcalalambanein), von diesem abgewehrt werdenl6• Hier bei Origenes wUrde der Plural dann also die ErkenntnisbemUhungen des unter geordneten Wesens bedeuten. Aber abgesehen davon, daß auch nach der Ü ber setzung von C. Blanc die griechische Konstruktion nicht ganz überzeugt, er scheint es nicht ausgeschlossen, von Erkenntnissen des ungezeugten Gottes im Plural zu reden. Im Zusammenhang spricht Origenes ja von allen Dingen, die der Vater erkennt, und bezeichnet die Erkenntnis des Sohnes als gleich ausge dehnt; der gewissermaßen quantifizierende Blickwinkel ist ihm von denen aufgedrängt worden, die zwischen der Erkenntnis des Vaters und der Erkenntnis des Sohnes einen quantitativen Unterschied machen. Der Sohn vermag sich den Erkenntnisgegenständen des ungezeugten Gottes aber in vollem Umfang anzu gleichen. C. Blanc rechnet denn auch selbst damit, daß Origenes dem Sohn die Erkenntnis aller Dinge zuschreibt, die auch der Vater erkennt (Sources Chreti ennes 120, S. 153, Anm. 3), mit der einen Ausnahme, nämlich den Vater selbst. Sie verweist dafür auf einen sehr viel später verfaSten Abschnitt des Johannes kommentars. nämlich XXXII, 28,350: "Ich frage aber, ob es möglich ist, daß Gott verherrlicht wird über das Verherrlichtwerden im Sohn hinaus ... wenn er in der Rundumsicht auf sich selbst sich befindet und sich über die Erkenntnis seiner selbst und die Schau (lneoria) seiner selbst, die größer ist als die Schau I' Origenes, Das Evangelium nach Johannes. Übersetzt und cingeleitet von Rolf Gögler MKZU.NF 41 (1959) 129. u H . Crouzel, Theologie de I'image de Dieu chez Orig�ne :: Theol(P) 34 ( 1 956) 1 1 5. llO Vgl. Irenäus, Adllusus hau�sts I. 4, 1 : Die Sophia kann das Licht nicht erfassen, weil sie vom Horos daran gehindert wird. Dies geschieht aber nicht aus irgendeiner Mißgunst des oberslen Wesens. Irenäus berichtet schon in I . 2,2 ausfUhrlichcr über diesen Zug im gnosti schen System: Die Sophia wurde von leidenschaftlichem Verlangen nach dem Vater erfaßt und wollte seine Größe erfassen (l:atalamban�in). Aber der Vater ist unaufspUrbar; daher wäre die Sophia, von Liebe immer weiter vorangetrieben, schließlich verschlungen und in die Gtundsubslallz aufgelösl worden, wenn sie nicht auf die befestigende und bewahrende Kraft, nämlich den Horos (die Grenze), gestoßen wäre, die ihr k.lat macht, daß der Vater unerfaßbar ist. Selbst in diesem gnostischen System ist also deutlich, daß der Vater die Erfassungsversu che untergeordneter Wesen zu deren eigenem Heil abweisen läßt. Etwas dcrartiges, daß der Sohn etwa sich i m Vater auflösen könnte, findet sieh aber bei Origenes an keiner Stelle. =
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im Sohn ... in einem unaussprechlichen WOhlgefallen und unaussprechlicher Heiterkeit und Freude freut". Es handelt sich um eine Auslegung von Joh 1 3 , 3 1 : ,Jetzt wurde der Menschensohn verherrlicht, und Gott wurde in ihm verherr licht." Man könnte zunächst ja darauf hinweisen, daß die Herrlichkeit, die Gott in sich selber hat, größer ist als die Verherrlichung, die ihm in der (Heils)ge schichte erwiesen wird; aber Origenes scheint nicht diese Geschichte der Ewig keit. den inkarnierten Sohn dem Vater gebenUberzustellen, sondern überzeitlich an das innertrinitarische Verhältnis des Sohnes zum Vater zu denken. Er bleibt dabei seinen Grundüberzeugungen treu, daß der Sohn nicht nur vom Vater her ist, sondern ihm auch untergeordnet ist, nicht nur im Gehorsam, sondern in seinem Sein. Die Herrlichkeit des Vaters in sich selbst ist aber nicht einfach ein Widerschein des Seins. sie liegt auf der Ebene des Bewußtseins, ist also Folge des Erkennens. Weil der Sohn den Vater offenbar nur in geringerem Maße schaut, als der Vater sich selbst schaut, deshalb ist die Herrlichkeit des Vaters in sich selbst größer als seine Herrlichkeit im Sohn. Dabei wird man nicht quantitativ denken dUrfen; solcher Gedanke läßt sich auch nicht einfach als vomizänischer Subordinatianismus abtun. Auch konsequent nachnizänische Trinitätstheologie muß daran festhalten, daß der Sohn sich in seinem ganzen Sein. seinem ganzen Erkennen und also auch seiner ganzen Herrlichkeit dem Vater verdankt. dieser also vor ihm den Vorrang hat. Daß das göttliche Erkennen nicht nur sozusagen nachträglich zum göttlichen Sein hinzukommt, sondern dieses und auch das innergöttliche, personale Sein mitkonstituiert, macht Origenes schon in einem frUheren Text des Johanneskom mentars (11, 2, 18) deutlich, wo er Joh 1 , 1 b und c "Und der Logos war bei Gott, und der Logos war Gou" auslegt. Während der Logos die "Selbstwahrheit" (Jo. VI. 6,38) oder auch die "Selbstkraft" (autodynamis, ebd. I, 33,241) genannt werden kann. ist Gott der Vater. der "Selbstgou"; alle Wesen, die in irgendeiner Weise als Gott oder göttlich bezeichnet werden (z. B. in Ps 49, 1), haben dies aus Teilhabe am Selbstgott; dies gilt ebenso, wenn auch in überragender Weise vom Sohn: "Wahrer Gott also ist Gott, die aber nach ihm gestalteten Götter sind wie Bilder des Originals (Prototyp); wiederum aber ist Urbild (Archetyp) der vielen Bilder der Logos bei Gou, welcher am Anfang war und dadurch immer Gott bleibt, daß er bei Gott ist und dies nicht besäße, wenn er nicht bei Gott wäre, und nicht Gott bliebe, wenn er nicht verbliebe bei der unablässigen Schau (/hia) der Tiefe des Vaters" (Jo. U, 2, 1 8). Es macht im Deutschen Schwierigkeiten. zwischen Prototyp und Archetyp zu unterscheiden; auch im Griechischen ist kaum ein Unterschied wahrzunehmen. FUr Origenes ist also auch der Sohn Bild, weil er vom Vater abkUnftig ist, aber in ganz anderer Weise als die übrigen Bilder; diese geben eigentlich nicht den Vater selbst, den Selbstgott. sondern den Sohn. das Urabbild. wieder. Der Sohn, der Logos seinerseits, ist entsprechend dem JOhannesprolog, in welchem ja nichts über den Ursprung des Logos gesagt wird, für Origenes, der sich immer ganz auf die Perspektive des kommentierten Textes einstellt, deswegen Gott, weil er bei Gott oder vielleicht besser: auf Gott hin (pros) ist. Das von-Gou-her-Sein des Logos. das an anderer Stelle so
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Ein-Geist·Sein in der Christologie des Origenes
bedeutsam ist, wird hier nicht bestritten, sondern einfach vorausgesetzt; hjer wird das Gousein des Sohnes durch sein Auf-Gott-hin-Sein begründet und dieses aktiv, nämlich im Sinne von Erkenntnis verstanden. So ergänzt sich der Gedanke des Origenes selbst: Die Göttlichkeit des Sohnes erklärt sich nicht nur aus seiner Herkunft. sondern auch durch seine ihr entsprechende Rückwendung zum Vater. Hier wird also nicht von einem sozusagen beliebigen Betrachten Gottes gesprochen, sondern das Gousein des Sohnes gründet sich auf seine auf den Vater gerichtete Schau, so wie es andererseits auch der Grund ist.
Folgerungen Natürlich ist die Trinitätstheologie des Origenes vornizänisch und einer deutli chen Unterordnung des Sohnes unter den Vater nicht nur verdächtig. Es ist aber doch wohl zu fragen, ob die nizänische Wesensgleichheit von Vater und Sohn so verstanden werden muß, daß jetzt nur noch das gesehen wird. worin der Sohn dem Vater gleich ist. Daß diese Seite des Gottesbildes vor allem in der Ausein andersetzung mit den Arianern (im Westen wieder im 5 . und 6. Jahrhundert) betont wurde, ist verständlich; wenn aber die leoninisch-chalkedonische Chri stologie im göttlichen Wesen nur noch das Herrscherliche sieht und alles Gehorchen und Ausführen ins Menschliche des Heilands verlagert, dann ist das Glaubensgeheimnis verkürzt und das Christusbild so vereinseitigt, daß ihm die innere Stimmigkeit verlorenzugehen droht. Die johanneischen Aussagen. wo nach der Sohn nur sagt, was er vom Vater hört. und nur tut. was er am Vater sieht. dürfen wohl nicht auf das menschliche Handeln Christi eingeschränkt werden. Zwar nennt der Hymnus im Philipperbrief (2,8) erst die übernahme des Kreu zestodes ausdrücklich Gehorsam, aber die Selbstentäußerung oder Selbstentlee rung (die kenosis). die dem in der Wesensgestalt Gottes Existierenden zuge schrieben wird (ebd. Vers 6f). gilt als das nachzuahmende Höchstmaß von Demut und von Bedachtsein auf fremdes. nicht auf eigenes Interesse. Und wenn der erste Johannesbrief (4. 9, 10. 14) sagt. daß Gott seinen Sohn in die Welt gesandt hat. daß er ihn als Sühne und als Heiland der Welt gesandt hat, dann muß doch dem, der sich so senden läßt, also dem präexistenten Sohn Gottes. Gehorsam zugeschrieben werden. Dann ist nicht erst der Kreuzestod menschli cher Gehorsam, sondern schon die Fleischwerdung des Wortes (Joh 1 , 14) ist göttlicher Gehorsam. Dann gibt es in Gott selbst nicht nur Souveränität, sondern auch ein Gehorchen, ein volles Ausgerichtetsein auf den Willen des Vaters, welches die Göttlichkeit des Sohnes keineswegs mindert. sondern charakteri siert,ja als eigene Personalität konstituiert. Der Christus ist also nicht zu denken als Gegensatzeinheit von befehlendem göttlichem und gehorchendem mensch lichem Wesen (dies wäre eigentlich Nestorianismus), sondern als Entspre chungseinheit. in der das Menschliche die angemessene Offenbarung nicht einer Gottheit gewissermaßen im allgemeinen. sondern der göttlichen Person des vom Vater gezeugten und ganz auf den Vater zurückgewendeten Sohnes ist. Nur so
Ein-Geist-Sein in der Christologie des Origenes
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ist wohl Personeinheit zwischen Gottessohn und Menschensohn denkbar. Wenn dem aber so ist. behalten nicht nur, wie oben schon betont. die christologischen, sondern auch die trinitätstheologischen Aussagen des Origenes ihre Bedeutung; ja. sie werden geradezu notwendig. wenn es ernsthaft darum geht. nicht nur in der Theologie. sondern auch in der Verkündigung, deren christologisches und trinitätstheologisches Defizit ja mit Händen zu greifen ist, das ganze Christus geheimnis zur Geltung zu bringen. Sogar für die christliche Lebensgestaltung und auch für christliche Erziehung macht es doch wohl einen Unterschied, ob Gehorsam nur als Eigenschaft des Erniedrigten oder als Kennzeichen des Gottessohnes selbst verstanden wird. Zu solchem (heils-)notwendigen Verständ nis könnte Origenes helfen.
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Die Juden beim späten Origenes
Wenn ich vom späten Origenes spreche, dann meine ich den Origenes des Matthäus-Kommentars und des Werkes ..Gegen Kelsos". Ich möchte annehmen, daß die beiden Werke parallel entstanden sind. Zwar hat Origenes höchstwahr scheinlich später noch den Lukas-Kommentar verfaBt. aber der ist uns ja weitgehend nicht erhalten. Die Arbeit am Matthäus-Kommentar hat sich sicher eine Weile hingezogen; an einigen Stellen. wo man nicht darauf warten würde. taucht plötzlich das Wort alethes logos auf'. Ich möchte vennuten, daß das daher kommt. daß Origenes zur seiben Zeit schon mit der Widerlegung des alethes logos des Kelsos befaßt war. Ich werde zunächst also den Mauhäus-Kommentar anschauen und dann einen eher kurzen Blick auf die Widerlegung des Kelsos werfen. Vom Matthäus·Kommentar sind uns griechisch nur die Bücher X-XVII erhalten; vorher haben wir nur knappe Fragmente, die aus den Katenen zu retten waren, und danach haben wir eine spätantike lateinische Übersetzung, die gesondert überliefert ist und sich im Mittelalter den Namen Commentariorum Series zugezogen hat; sie war in Abschnitte eingeteilt worden, wird also nach den Abschnittsnummem zitiert. Natürlich ist das Problem der Übersetzungen für die Commentariorum Series das übliche, trotzdem kann man an manchen Stellen erkennen, daß der Text dem Gedanken des Origenes sehr nahe ist; mir scheint, daß in der Frage, mit der wir hier befaßt sind, nämlich wie Origenes das Verhältnis von Israel und Kirche darstellt, der Übersetzer vom Gedanken des Origenes nicht abgewichen ist; das allein schon deshalb nicht, weil er dazu sozusagen keinen Anlaß hatte. Er hat im wesentlichen zwei Gründe, Stellen aus Origenes auszulassen, nämlich erstens, wenn er sie nicht verstanden hat, und zweitens. wenn sie ihm für seine asketisch-monastischen Zwecke nutzlos er schienen. Selber hinzugefügt hat er eigentlich nur solche Überlegungen.
I . Der Matthäus-Komrnentar: Übergang des Wortes Gottes
von den Juden z u den Heiden Also fange ich an mit dem. was wir von Origenes zu Matthäus haben; im 10. Buch schon im 4. Kapitel erklärt Origenes das Gleichnis vom im Acker verbor genen Schatz. also Mt 13,44f, und verbindet dann in 10,6 damit das Gleichnis vom Weinberg aus Mt 21,33f mit der Begründung, heide bedeuteten ja das Himmelreich. Nun - Himmelreich ist eine schlechte Übersetzung; höchstwahr-
' Nlmlich im Mauhll.us-Kommentar 14,5 (GCS Origenes X 282,25) und ebd. 1 6 , 1 0 (505 , 1 1 ) und in der Commerllariorum Seriel 47 (GCS Origenes XI 97,3).
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Die Juden beim späten Origenes
scheinlieh müßte man, um die Gedanken des Origencs zu treffen, sagen: Kö nigsherrschaft über die Himmel, wobei dann der Genitiv ein Objekt-Genitiv wäre. Das ist aber nur an den meisten SteUen der FaH, nicht immer. Ich sage aber der Einfachheit halber, weil es uns so vertraut ist, Himmelreich. Origenes sagt also, sowohl der im Acker verborgene Schatz als auch der Weinberg bedeuten das Himmelreich; deswegen sei es berechtigt, die heiden Gleichnisse miteinan der zu verbinden. Wenn einer den Acker kauft. sagt Origenes, dann bedeutet dies. daß er von den Leuten Gottes die Aussprüche Gottes bekommt, mit denen zuerst die Juden betraut waren. Dieses ist natürlich Zitat aus dem Römerbrief 3.2. Origenes fahrt fort: "Wenn der, der zum Jünger Christi wird, den Acker kauft, bedeutet dies, daß den Juden das Himmelreich weggenommen und einem Volk gegeben wird, das zur rechten Zeit Frucht bringt". Das ist natürlich Zitat aus der im Matthäus-Text von Jesus selbst gelieferten Erklärung des Gleichnisses vom Acker. Juden kommen dem Origenes also hier, wo er den verborgenen Schatz auslegt, deswegen in den Blick, weil er davon überzeugt ist, daß jeder einzelne Neuchrist, also jeder Käufer des Ackers, in seiner Person den großen Übergang des Wortes Gottes von den Juden zu den Heiden wiederholt und gewissennaßen neu vollzieht. Man kann sich natürlich fragen, ob Origenes hier mit Recht Röm 3,2 zitiert. Paulus will ja dort den Vorzug der Juden herausstellen, Gottes Treue zu ihnen. Er sagt wörtlich: "Was ist ihr Vorzug oder was ist der Nutzen der Beschneidung? Viel in jeder Hinsicht! Erstens nämlich, daß sie mit den Aussprü chen Gottes betraut wurden." Diesem prOlO" mell müßte natürlich eigentlich ein deuteron de folgen, also diesem "erstens" ein "zweitens". Aber es folgt bei Paulus kein ..zweitens". Da wundert es einen nicht allzu sehr, wenn Origenes. der jedes Wort im Bibeltext ernst nimmt, dieses proIon. das eigentlich nur eine logische Gliederung bedeuten sollte, im Sinne der heilsgeschichtlichen Periodi sierung mißversteht. Aber die Verantwortung dafür fällt auf den Verfasser des Römerbriefes, der wie manch einer, im Eifer des Wort- und Gedankengefechts, ein "erstens" sagt und bis zu einem ..zweitens" dann gar nicht mehr kommt. So liest Origenes also dieses verhältnismäßig harmlose proto" de von Röm 3,2 im Sinne von Mt 2 1 ,43, also im Sinne des ..Euch wird das Reich genommen werden" . 'n der 24. Nestle-Ausgabe des Neuen Testaments von 1962 wurde zu dieser Stelle als Teillesart des Origenes (Origenes pt partim) angegeben: prolO; also: "die Juden als erste". Die 26. Ausgabe von Nestle-Aland hat den gar Hinweis auf Origenes nicht mehr. obwohl es sehr gerechtfertigt wäre. denn Origenes hat aufjeden Fall an dieser Stelle das gar, das "nämlich" , welches wohl nicht in den Text hineingehört. Was sich aus dieser AusfOhrung im Matthäus-Kommentar vermuten läßt, daß nämlich Origenes die Römerbrief-Stelle so verstanden hat, bestätigt sich uns, wenn wir das 1 1 . Fragment zum Römerbrief. nämlich zu Röm 3. 1-3 anschauen, wie es im Journal of Theological Studies herausgegeben wurde. Ich übersetze den Origenestext so: ..Mit den AussprUchen Gottes betraut zu werden, ist nichl =
-
I JThS 13 ( 1 9 1 2 ) 2 1 8 cd. Rambotharn.
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dadurch gekennzeichnet, daß man mit BUchern und Schriften betraut wird. sondern dadurch, daß man ihren Sinn und die darin liegenden Geheimnisse kennt. Entsprechend der gesunden Lehre nämlich wird der Weise kennen, was aus seinem Mund hervorgeht. auf seinen Lippen aber wird er Klugheit tragen (das ist Zitat aus Spr 16,23). Von dieser Art waren Moses und die Propheten, welche Juden waren und betraut mit den AussprUchen Gottes. und wenn noch jemand bei ihnen diesen ähnlich war. Die Apostel unseres Herrn Jesus Christus aber hatten vor denen, die von ihnen das Christentum gelernt haben, den Vorzug des Juden und den Nutzen der Beschneidung. Es gibt aber für die aus den Heidenvölkern einen großen Vorzug gegenüber denen aus der Beschneidung. Von denen nämlich wurde das Reich Gottes weggenommen, um einem Volk gegeben zu werden, welches seine FrUchte bringt (Mt 2 1 . 42). Wenn aber als erste jene mit dem Ausspruch Goues betraut wurden. gibt es auch die, die an zweiter Stelle betraut wurden." (Origenes liest also aus dem vergleichsweise harmlosen proton die ganze Periodisierung der Heilsgeschichte heraus) . .,Was nämlich erstes ist, ist erstes im Vergleich zu einem anderen oder zu mehreren anderen. Wer also die sind, die an zweiter Stelle belraut wurden, kann man aus dem Wort ersehen: Dem einen nämlich wird durch den Geist Weisheitsrede gegeben usw." ( 1 Kor 12.8.9; ich führe das Zitat weiter: ..einem anderen aber Erkenntnisrede gemäß dem Geist" usw.) . .,Wenn aber einer in Verwirrung meint, die Aussprüche Gottes seien dasselbe wie die Schriften Gottes. soll er auf den Psalm achten (nämlich Psalm 12,7), welcher sagt: .Die Aussprüche des Herrn sind reine Aussprüche; - im Feuer erprobtes Silber ,durch Erde siebenfach gereinigt.' Ich meine nämlich nicht. daß die reinen Aussprüche dasselbe sind wie der tötende Buchstabe." (Das ist natürlich typisch fUr Origenes, nämlich der Hinweis auf 2 Kor 3.6). Origenes fährt fort: ,.Wie aber die vorerwähnten Juden als erste mit den AussprUchen Gottes betraut wurden. so wurden einige auch ungläubig. Aber deren Unglaube. sei es Gott, sei es seinen Aussprüchen gegen über. wird nicht (und nun kommt das Problem, daß man pislis nicht übersetzen kann) die pislis Gottes zunichte machen. Aber welche (ich Ubersetze jetzt: Treue) Treue Gottes? Vielleicht die. mit der Gott einigen die Aussprüche anvertraut? Oder die. mit der die Gott glauben, die mit den Aussprüchen betraut wurden, wie ja (wieder Zitat) Abraham GOII glaubte, und ihm dies zur Gerechtigkeit angerechnet wurde (Röm 4 , 3 Gen 1 5 , 6). Beides hat, meine ich. Sinn. Es muß nämlich sowohl der, der Gott glaubt, als auch der. der mit seinen Aussprüchen betraut ist. vor allem zur Zeit des Spottes der Ungläubigen, mit dem sie die verspotten. die gläubig geworden sind. sich daran erinnern, daß die Treue Gottes (pistis theoll - oder vielleicht auch: der Glaube an Gou) - nicht von der Lehre derer, die nicht glauben, zunichte gemacht wird. " Immer wenn Origenes an diese Polarität denkt. spricht er von Auseinandersetzung; ob die nun theologischer Art war. muß man offenlassen. Zu Mt 13.57b ..Nicht ist ein Prophet ehrlos, es sei denn. in seiner patris, in seiner Heimat", sagt Origenes in com",. i" MI. 10, 1 8 folgendes: , , 1 . Das ist ganz allgemein gesprochen. 2. Das stimmt historisch nicht. Denn weder wurde Elias =
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in Thispe noch Jeremias in Anatot entehrt." (Origenes nimmt patris ganz eng im Sinne von Heimatdorf oder Heimatstadt). "Übertragen aber ist der Satz sehr wahr, denn übertragen ist die palris dieser Propheten Judäa und jenes Israel." (Nebenbei bemerkt: Da wird deutlich, was mit
tropologia
gemeint ist; einfach
die Entgrenzung des Begriffes palris vom bloßen Heimatort zum Heimatland ist für Origenes schon
lTOpologia) .
. Alle wurden nämlich entehrt von dem Israel .
kala sarluJ.. Kein Prophet ist nämlich ohne Ehre bei den Heiden, denn die Heiden kennen die Propheten ja gar nicht, können sie also deswegen auch gar nicht entehren. Wenn sie ihn aber kennenlernen und annehmen, dann ehren sie ihn als Prophet." (Hier wird ein ganz kleiner Trick i m Gedankengang angewandt. denn es könnte auch sein. daß Heiden einen Propheten kennenlernen und ablehnen. Und dann wäre er doch bei den Heiden ohne Ehren. Diesen Fall scheint Origenes gar nicht ins Auge zu fassen)
.
.Entehrt wurden die Propheten erstens nach der
•
Geschichte (im wörtlichen Sinn, oder: in der Geschichte des Volkes) und zweitens. weil das Volk Gottes ihren Verheißungen zur Zeit Christi nicht ge glaubt hat. Denn wer den Propheten nicht glaubt, der entehrt sie." Dann macht Origenes sozusagen einen Durchgang durch die Geschichte der Propheten, erinnert z. B . an das Zersägtwerden des Jeremias und findet dies natürlich in den Apokryphen ausgesagt, weist aber auch hin auf Hebr 1 1 ,37. Origenes erklärt: ..Da der Prophet keine Ehre in seiner
porris
hat. weil die Juden das Wort nicht
annahmen. deswegen gingen die Apostel zu den Heiden." Der allgemeine Satz ist also tropologisch gerechtfertigt und dann doch auf die historischen Fakten, nämlich auf das einmalige. freilich sozusagen bleibend gewordene große Fak tum angewendet, daß das Wort zu den Heiden Ubergegangen ist, d . h . also. auch bei solchen sprichwörtlichen Reden hat Origenes diesen großen heilsgeschicht lichen Einschnitt im B lick.
2. Übergang der Prophetengabe von den Juden zu den Heiden Zu Mt 14,3, wo es heißt: .Herodes hatte nämlich den Johannes festnehmen und •
ihn einkerkern lassen", fällt Origenes in
comm. in Mt. 10.21
der Satz aus MI
1 1 , 1 3 ein, wonach das Gesetz und die Propheten bis Johannes gingen, und er sagt: "Nach Johannes hörte die Prophelengabe bei den Juden auf'. Nebenbei bemerkt: Das war gestern so interessant zu hören, daß die Rabbinen selber schon das Ende des prophetischen Geistes mit dem Tode des Maleachi ansetzten, so daß also das, was Origenes hier sagt, gar nichts besonders Neues wäre. Origenes f ahrt fort: "So ging die Vollmacht derer, die im Vo lk als König herrschten. bis zu Johannes. Diese Vollmacht gestattete ihnen. die zu töten, die sie für todes wUrdig hielten. Nachdem aber der letzte der Propheten gesetzeswidrig von Herodes getötet worden war. wurde der König der Juden der Tötungsvollmacht beraubt. Denn tatsächlich wurde Jesus ja von Pilalus verurteilt und nicht vom Judenkönig." Um der Durchsichtigkeit der Konstruktion willen tut Origenes so. als sei Hemdes der ganz und gar rec htmäßige König der Juden gewesen.
Die Juden beim späten Origenes
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Leider ist kein Kommentar zu Mt 1 1 , 1 3 erhalten, auch die Fragmente kommen auf diesen Punkt, nämlich daß die Prophetengabe bis zu Johannes geht, nicht zu sprechen. Origenes erklärt weiter: ,,Damals erfüllte sich die Jakobsweissagung über Juda, nämlich: Nicht wird fehlen ein Herrscher aus Juda oder ein Führer aus Israel, bis der kommt. dem es hinterlegt ist, wie in der Septuaginta zu lesen ist" (Gen 49, 10). Dazu ist natürlich folgendes zu bemerken. Diese Verheißung hat ja nicht das Ende der Herrschaft in Juda im Sinn, sondern die endgültige Vollendung der Herrschaft der Eigenstaatlichkeit und Souveränität Israels. Origenes aber sieht in diesem "Nicht ... bis" sozusagen den Endpunkt angegeben, versteht es also im Sinne von "dann wird aufhören", um SO das Ende der politischen Herrschaft Israels schon in diesem Jakobssegen ausgedrückt zu finden. Origenes fährt fort: .Dies ist wohl prophetisch (bzw. providentiell) geschehen. Den Juden wurde die Tötungsvollmacht weggenommen zum Schutz derer, die an Christus glauben. Gott wollte den Lehren Jesu in Israel Raum schaffen. Hätten die Juden noch die Hochgerichtsbarkeit besessen, dann hätten sie ja die neubekehrten Christen töten und gleichzeitig meinen können, dabei das Gesetz und die Prophe· ten zu erfüllen. Was Herodes tut, bedeutet. daß die prophetische Rede jetzt nicht mehr freies Zeugnis ablegen kann. also wiederum, daß die Prophetengnade aufbört." Hier sei die Zwischenbemerkung gestattet: In der Genesis·Homilie 17.6 wird Gen 49. 10 allerdings anders verstanden. Dort werden Christus, ja sogar die Führer der Christen in die Kontinuität der Herrscher Judas gestellt. Freilich, die Genesis·Homilie ist nur in lateinischer Übersetzung erhalten, und man weiß nicht. ob dies nicht doch ein Gedanke des Rufin ist. Andererseits wissen wir, daß Origenes keineswegs je ein Gefangener seines eigenen Systems war und sich sehr schnell auf einen anderen Text neu einstellen konnte. In comlli. itl MI. 10,23 wird der Satz Mt 14, 13, daß Jesus auswich an einen einsamen Ort. nachdem Johannes getötet war, von Origenes so ausgelegt: .Jesus geht an den Ort, der von Gott leer ist (eremos), d. h. zu den Heiden, weil nämlich die Juden die Prophetie verfolgten." Und nun kommt ein ganz seltsamer Gedan· ke. in dem wiederum Herodes als Zusammenfassung der damaligen jüdischen Haltung betrachtet wird, wenn Origenes - was sachlich sicher falsch ist folgendes erklärt: "Weil sie (die Juden nämlich) die Fortpflanzung ehren. und weil sie an den inhaltslosen Tanzbewegungen (nämlich der Tochter der Hero dias) ihre Freude haben, deswegen verlieren sie die prophetische Gabe." Tat sächlich hat ja Herodes Geburtstag gefeiert und sich erfreut an dem Tanz seiner Stieftochter. Übrigens hat schon Philo erklärt. Geburtstagsfeiern seien nur von schlechten Menschen überliefert. z. B. von Pharaonen u. a. (De ebrielale § 208) . ..Nur wer das liebt, was mit Genesis, mit Fortpflanzung zu tun hat. der feiert Geburtstag" so Origenes im comltJ. in Mt. 10,22 . .,Man muß Gott danken", sagt Origenes . ..daß. wenn die Prophetengabe vom Volk Israel gewichen ist, eine viel größere durch den Heiland auf die Völker ausgegossen wurde." So in 10.22 des COItJItJ. in MI. Also: [rnrner wieder wird dieser Übergang des Prophetischen vom Volk auf die Heidenvölker herausge stellt. Im 14. Buch des comm. itl MI. Kap. 12 zieht Origenes Lk 19. 14 bei, wo •
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Die Juden beim späten Origenes
es heißt. daß die Mitbilrger dem in die Feme Gereisten eine Gesandschaft nachschicken und sagen ließen, sie wollten nicht. daß er über sie König würde. Dazu sagt Origenes: .Diese Mitbürger, die eine Gesandtschaft nachschicken, sind entweder das nicht an ihn glaubende Israel oder aber die nicht an ihn glaubenden Heidenvölker," Also stehen hier nichtglaubende Juden und nicht glaubende Heidenvölker für Origenes auf gleicher Stufe. Da ihm natürlich die Abwesenheit Christi auch rUr die Dauer der ganzen Weltzeit gilt. ist dies heilsgeschichtlich bedeutsam. Da wäre also nach dieser Auslegung kein Unter schied zu machen zwischen den ungläubigen Heidenvölkern und denen aus Israel, die nicht an Christus glauben.
3. Die endgültige Rettung Israels Das Streitgespräch über den Scheidebrief (Mt 19,7 f) nützt Origenes unter Hinweis auf Eph 5 , 3 1 f, wo ja das Ein-Fleisch-Werden von Gen 2,24 auf Christus und die Kirche bezogen wird, dazu, nun über den Abfall der Synagoge, welche er als die erste Frau des Logos bezeichnet, zu sprechen. Er erklärt comm. ill Mt. 14, 17 folgendes: "Nicht der Logos hat ihr einen Scheidebrief ausgestellt. vielmehr hat sie sich von ihm geschieden damals. als sie ihn dem Tod überlie ferte. und dieser sein Tode war dann umgekehrt sozusagen der Scheidebrief. den er ihr ausstellte. Die Folge davon ist, daß die Juden nun das Gesetz nicht mehr erfüllen können. weder den Tempelgouesdienst können sie einhalten - es gibt ja keinen Tempel mehr - noch die Steinigung vollziehen, aber auch Propheten gabe gibt es nicht mehr bei ihnen." Aber schon zwei Kapitel weiter ( 14, 19 f) erinnert sich Origenes an Röm 1 1 , 2 b (wenn die Fülle der Heidenvölker einge gangen sein wird. dann wird auch ganz Israel gerettet) und legt die Scheidung nun so aus. daß der erste Mann. der Logos. Israel doch wieder annehmen wird. ganz gegen die Anweisungen von Dtn 24. 1-4. wo ja ausdrücklich die Rückkehr einer zum zweiten Mal geschiedenen Frau zum ersten Mann verboten wird. Origenes erweist sich hier also ganz und gar souverän in seiner Auslegung. um - und das ist so wichtig - auch mit Hilfe dieses Theologumenons vom Scheidebrief die endgültige Rettung Israels aussagen zu können. Und zwar erklärt er. Gott selber werde die Dinge so lenken. Anschließend betrachtet Origenes dann die Einzelseele und ihr Verhä.ltnis zum Logos. Auch da kann es sein, daß die. die mit Christus verbunden war. sich von ihm trennt und nun zum Teufel übergeht. Bemerkenswert ist. daß Origenes bei dieser - wenn man will - individualistischen Auslegung der Scheidebriefanweisungen keinerlei An strengungen macht. die Rückkehr der Seele zum Logos beweisen zu können. Daß er sie fUr Israel macht. hat also ganz besonderes Gewicht. Im comm. in Mt. 1 5 . 26 legt Origenes das Wort Mt 19.30 (Viele erste werden letzte und letzte werden erste sein) in drei Ebenen aus: ..zu allererst". sagt er ..muß man diesen Satz den eingebildeten Christen vorhalten, die sich rUhmen. schon von christlichen Vorfahren abzustammen und gar in ihrer Ahnentafel •
Die Juden beim sp:Ucn Origenes
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Bischöfe oder Presbyter zu haben." Als historischer Ertrag der exegetischen Schriften des Origenes wäre also der Hochmut von Bischofsahnen und Priester nachkommen festzuhalten. "Dem muß man", sagt Origenes, "entschieden ent gegentreten mit dem Wort: Gewiß. Erste seid Ihr. aber Ihr werdet Letzte sein. Und Letzte. d. h. Menschen, die jetzt erst Christen werden oder zumindest nicht von Bischöfen abstammen, haben die Aussicht, Erste zu sein." Das ist also das erste. was Origenes bei den Ersten und Letzten einfallt. Ich halte das für höchst bemerkenswert, denn Origenes war ja auch kein Priestersohn. Zweitens wird dieser Satz auf das Verhältnis von Juden und Christen angewendet und erklärt, daß die Juden, welche die Ersten waren. durch Unglaube und Verrat Letzte geworden sind. wohingegen die Christen, die einst Letzte waren, jetzt Erste geworden sind. Und drittens wird dieses Wort dann auf das Verhältnis von Engeln und Menschen angewendet. An sich sind die Engel Erste, die Menschen Letzte, aber es können Menschen. die Letzte waren, sogar die Engel übertreffen. Der Satz von den Ersten und Letzten macht auch nicht alle ehemaligen Letzten zu Ersten. Dem brauchen wir hier nicht nachzugehen; das schreibt sich dem großen Bild ein. das Origenes von der Präexistenz und zwar von der völlig gleichwertigen, gleichrangigen Präexistenz aller geistigen Geschöpfe hat. Inter essant ist also, daß das Verhältnis von Juden und Christen hier gewissermaßen eingebettet ist in das Bild von den Engeln und den Menschen und die Ermahnung an die hochmütigen Klerikersprößlinge, Auch hier kommt Origenes im nächsten Kapitel, indem er die zweite Deutung des Wortes von den Ersten und den Letzten aufgreift. schon wieder auf die FOlie der Völker von Röm 1 1 , 25 zu sprechen; er hat also dieses Wort immer präsent. Die Juden. die Erste waren. sind zwar Letzte geworden; aber das ist nicht endgültig. sondern das Verheißungs wort aus dem Römerbrief zeigt eine endgUltige Veränderung an.
4. Gottes Heilsratschluß für die Völker In comm. in Mt. 16,3 benUtzt Origenes die dritte Leidensweissagung, nämlich Mt 20. 8 f dazu, um das Schicksal der Schriftgelehrten und Hohenpriester selber, also derer, denen Jesus ausgeliefert wird, zu kennzeichnen. "Nachdem sie Jesus all das angetan hatten. wurden sie im Stich gelassen", sagt Origenes. ,,Die Hohenpriester hörten auf. Hohepriester zu sein. alle, dieJesus zum Tod verurteilt hatten, wurden dem Tod, dem Feind Christi, ausgeliefert. die, die Jesus gegeißelt hatten (das ist wiederum eine historische Ungenauigkeit), werden nun selbst gegeißelt, bis die Fillie der Völker ins Himmelreich hineingeht. Dies alles ist geschehen, damit die episkope, die Aufsicht, (das Wort wird nur hier absolut verwendet; es findet sich in der Verbindung mit dem Genitiv /heou oder mit dem Adjektiv theia zuvor schon bei Clemens Alexandrinus und bei Philo, aber nie in diesem absoluten Gebrauch), von den Juden weggeht zu den anderen Völkern, welche zugleich mit dem auserwählten Rest (nach Röm 1 1 ,5) gerettet werden," Röm 1 1 , 5 kommt übrigens selten vor bei Origenes, viel seltener jedenfalls als
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Die Juden beim spälen Origenes
Rörn 1 1 ,25. nämlich die Rede von der endgültigen Rettung Israels, nachdem die Völker eingegangen sind. Bemerkenswert ist, daß Origenes hier, wo man meinen könnte, er spräche in diesem Schema. das es spätestens seit dem Adversus Judaeos des Tertullian gibt, wonach der Tod Jesu bzw. die Mitwirkung der Juden am Tod Jesu die Zerstörung JerusaJems zur Folge gehabt hat, dann doch in einer viel größeren Perspektive denkt, wenn er allgemein erklärt: .Die symbolischen Opfer mußten nämlich aufbören, als das wahre Opfer begann. Der irdische Altar mußte zerstört werden, als der himmlische Altar in Tätigkeit trat." Also wird die Heilsgeschichte nicht durch die Schuld der Juden periodisiert, sondern durch den großen Fortschritt in der Realisierung des göttlichen Heilswillens. Freilich wird anschließend in diesem Zusammenhang wieder von der Blindheit der Juden gesprochen, was aber nur umso deutlicher macht, daß - das ist hier im comm. in Mt. zu erkennen und im Kala Kelsou auch - die Überlegung Uber Schuld der Juden und Vergeltung in den sehr viel größeren Rahmen hineingehört, daß nämlich nach Gottes Heilsplan insgesamt das Heil von dem einen Volk zu den vielen Völkern übergehen muß. Ich mache einen Sprung zu dem nur lateinisch erhaltenen Teil des comm. in MI., zur Nummer 16 der Commenlariorum Series. Da sagt Origenes zu dem Vowurf von M1 23 , 1 5 : ,.Ihr durchzieht Meer und Land, um einen Proselyten zu machen, dann macht ihr ihn zu einem Sohn der Hölle, doppelt so schlimm als ihr selber seid" folgendes: ,,Jeder Mensch, der aus heidnischem Lebenswandel ein Proselyt der Juden wurde, der war schon zuvor ein Sohn der Hölle, bevor er Proselyt wurde, denn auch schon ein dem Götzendienst unterworfenes Leben genügt. um einen Menschen zu einem Sohn der Hölle zu machen. Einen solchen rettet durch die Taufe die Lehre Christi und gibt ihm die Vollmacht, Kind Gottes zu werden. Die Lehre der Juden aber, die nicht an Christus glauben, löst den Heiden nicht aus seiner Verhaftung an die Hölle, sondern fügt noch eine zweite Verdammung hinzu." Das klingt. wenn man so will, sehr hart. Man muß es aber auf dem Hintergrund dessen sehen, was Origenes dann Uberhaupt Uber Israel und seine endgUltige Rettung sagt. Eine ganz ausgefallene Position nimmt Origenes an zwei Stellen, nämlich sowohl hier in der CommelJlariorum Series 92 als auch einmal im Kala Kelsou zu Mt 26, 39 b ein, nämlich zu dem Wort Jesu: "Wenn es möglich ist, gehe dieser Kelch an mir vorüber!" Da sagt Origenes: ,Jch kenne auch noch eine zweite Deutung." Er macht sie sich also nicht völlig zu eigen. Diese zweite Deutung, die er nicht ablehnt, die er aber auch nicht ausdrucklieh als die seine erklärt, sagt folgendes: ,.Die Juden aber als den Samen heiliger Väter liebt er (Christus), da sie ja die Zweige des guten Ölbaums sind. Er wußte aber, was sie dafür erleiden sollten, daß sie fUr Barabbas das Leben. für ihn aber den Tod fordern wUrden. Deshalb wollte er nicht. daß die Juden ihm das antäten. was ihr eigenes Verderben wird. Aber im Blick auf dje Heidenvölker. zu denen das Heil offenbar nicht kommen kann, wenn Israel nicht zuvor verworfen wird, ist er doch bereit. den Willen des Vaters zu erfüllen. Er sagt also: Nicht wie ich will. sondern wie du willst." Das bedeutet: "Wenn es möglich ist. daß ohne mein Leiden das Heil •
Die Juden bei m späten Origenes
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ut et mundus salvetur et kommt, dann soll der Kelch an mir vorübergehen judaei in passione mea non pereant , daß sowohl die Welt gerettet wird aJs auch nicht das Unheil durch mein Leiden über die Juden kommt. Wenn aber nach deiner Gerechtigkeit das Heil der Vielen nicht anders herbeigeführt werden kann als durch den Untergang einiger, dann geschehe dein Wille." Auch die Katene hat diesen Gedanken erhalten und schreibt ihn einfach dem Origenes zu, überspringt also diese gewisse Distanz. die Origenes da erkennen läßt. In der Tat ist das ja wirklich ein seltsamer Gedanke, daß Christus von sich aus barmherziger wäre und sich dann aber der allgemeinen göttlichen Gerech tigkeit unterwarf. -
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5. Die nachbiblische Geschichte Israels Ein bißchen pittoresk ist das nächste Beispiel; diesen Satz aus comm. sero in MI. 101 kann man kaum zitieren, ohne ein bißehen darüber zu lachen, vor allem, wenn man die vielen Darstellungen kennt, wo Petrus manchmal mit einem vergleichsweise kleinen Messer geradezu mit Sorgfalt dem Knecht des Hohen priesters das Ohr abschneidet. Origenes sagt dazu folgendes: "Mir scheint, daß alle, die bei den Heidenvölkern zum Glauben kamen, in Christus zu einem Volk wurden und einfach durch ihren Glauben an Christus zur Ursache dafür wurden. daß den Juden das rechte Gehör abgeschnitten wurde, wie ja über sie vorausge sagt ist." Und nun zitiert er Jes 6, 10: "Mach die Ohren dieses Volkes schwer und decke ihre Augen nieder, damit sie nicht hören. nicht sehen und nicht verstehen und sich nicht bekehren und ich sie nicht heile!" Das soll nichts anderes heißen. als daß die Juden jetzt die Schrift falsch verstehen; das schreibt sich also einfach der theologischen Auseinandersetzung ein. wo der christliche Lehrer das rechte Verständnis der Bibel für sich und die Seinen reklamiert und es den Juden abspricht. Festzuhalten ist, daß Origenes keineswegs jede Gelegenheit benutzt, Texte anti-judaistisch auszulegen. Zwischen Commentariorum Series 101 und 1 19 findet sich nichts in diesem Sinne, obwohl etwa das Verhör vor Kaiphas und den Ältesten und der Verrat des Judas dazu einige Anlässe geboten hätten. Dagegen wird zu Mt 27, 1 2 (Jesus antwortet nicht auf die Anschuldigung seitens der Hohenpriester und Ältesten des Volkes) in comm. sero in Mt. 1 19 folgendes gesagt: "Die Diener des tötenden jüdischen Buchstabens und die jetzt wirkenden Ältesten sind die Söhne jener Priester und Ältesten, die Jesus anklagten, weil sie nämlich ihrerseits die Anklagen ihrer Vorfahren heute übel nehmen undjetzt ihrerseits Jesus anklagen." Also nicht einfach durch die Nachfolge. die sie angetreten haben, werden sie in dieselbe Position gestellt, sondern Origenes sieht jetzt bei den Juden Bekämpfung und Anklage des Christus und seiner Lehte. ..Deshalb", so sagt er, ..bleibt ihnen ihre SUnde (Joh 9.4 1) und kommt über sie der Zorn bis zum Ende ( I Thess 2, 16), und deswegen erleiden sie dieselben Taten und sind verlassen wie eine Hütte im Weinberg (Jes 1. 18).
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Andererseits aber antwortet Jesus. der angeklagt wird. auch jetzt genauso wie damals nicht, d. h. er verschweigt ihnen das Wort GOltes. sie hören es nicht mehr so, wie es früher zu den Propheten kam", Auch in diesem Matthäus-Vers findet Origenes also wieder ausgesagt. daß die Juden jetzt ohne lebendige Prophetie sind. Das in Mt 27.21 f ausgesprochene Verlangen, Barabbas sollte freigelassen, Christus aber gekreuzigt werden, deutet Origenes in comm. ser. in Mt. 1 2 1 so: Deshalb hat dieses Volk immerfort Aufstände. Morde und Raubüberfalle. im äußeren Sinn bei einigen ihres Volkes, innen in der Seele aber bei allen Juden, die nicht an Jesus glauben. Denn wo Jesus nicht ist, da ist Aufruhr. Streit und Kampf." Man kann allerdings nicht erkennen, ob dies eine theologische Aussa· ge, eine Schlußfolgerung des Exegeten ist, oder aber eine geschichtliche Erfah· rung oder wenigstens eine vermeintliche Erfahrung. Zwei Kapitel weiter aber, nämlich in comm. ser. in Mt. 123, läßt Origenes erkennen, daß er sich hier auf eigene Erfahrung beruft. Zu dem Bericht des Matthäus (27,20), die Hohenpriester und die Ältesten häuen das Volk überredet. Barabbas freizubiuen. Jesus aber kreuzigen zu lassen. sagt er: "Und man kann bis heute sehen, wie das Volk der Juden von seinen Ältesten und von den Lehrern der jüdischen Kultur gegen Jesus beeinflußt und aufgehetzt wird, damit sie ihn. soviel an ihnen liegt, vernichten." Hier ist also das alte Urteil über die Juden durch Erfahrung begründel. Trotzdem wird man sagen dürfen, daß Origenes selbst sehr zurückhaltend bleibt. Das wird besonders deudich, wo er jenen Matthäus· Vers behandelt, der eine so verhängnisvolle Wirkung im Verhältnis zwischen Israel und Kirche gehabt hat und der heute wieder im Mittelpunkt des Interesses steht, nämlich Mt 27,25: .,Sein Blut komme tiber uns und unsere Kinder!" Dazu sagt Origenes (comm. ser. in Mt. 124): ..So wurden sie schuldig nicht nur am Blute der Propheten. sondern, indem sie das Maß ihrer Väter vollmachten. auch am Blute Christi, so daß sie hörten. wie Gott zu ihnen sagt: .Wenn ihr eure Hände zu mir ausbreitet werde ich meine Augen von euch abwenden, denn eure Hände sind voll Blut' (Jes 1, 15. aber verkürzt): Deshalb kam das Blut Jesu nicht nur Ober die. die damals lebten. sondern auch Ober alle Generationen der Juden. die nachher kommen. bis zum Weitende." Höchst bemerkenswert aber ist, daß die einzige Folgerung. die Origenes daraus zieht. diese ist: "Deswegen ist ihnen ihr Haus bis jetzt öde geJassen worden." Er wandelt also nur die Voraussage von Mt 23.28 in eine geschichtliche Feststel lung um. Mit dem Haus ist ja der Tempel gemeint; da es verödet ist. wird es endgültig als ihr. d. h. der Juden. und nicht Gottes Haus erwiesen. Von daher kann man verstehen. was fOr einen Schock bei den Christen die Ankündigung des Julian Apostata auslöste, er wolle den Tempel in Jerusalcm wieder aufbauen. Hier verdient festgehalten zu werden. daß Origenes keine weiteren Folgerungen zieht, vor allem nicht im mindesten christliche Vergeltungsmaßnahmen gegen die Juden reChtfertigt. In comm. ser. in MI. 134 wird erneut klar. wie sehr Origenes das endgUltig fOr Israel verheißene Heil (Röm 1 1 . 25 f) nie aus dem Blick verliert. Die Erzählung •.
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des Matthäus (27,45): lenebrae jacrae Slllll super ulliversam terram, versteht Origenes so: Die utliversa terra ist nicht die ganze Erde, sondern das ganze Land Israel und Jerusalem. Ein Katenenfragment (cl Nr. 320), das natürlich grie chisch erhalten ist, faßt den Text aus dem Matthäus-Kommentar des Origenes wohl richtig so zusammen: "Bild aber (ist) die Finsternis (dafür), daß verfinstert werden, die Hand anlegen an das Licht. Wie nämlich für die Ägypter Finsternis (war) und für die Kinder Israels Licht, so (ist) nun für die Kirche Licht, für die Juden aber Finsternis." Im ganzen Mauhäus-Evangelium kommt das Wort "Juden" nur in dem Kreuzes-Titel "König der Juden" (Mt 27.37) vor. Origenes aber spricht in seinem Mauhäus-Kommentar von den Juden in dem Sinn. wie das Johannes Evangelium von ihnen spricht. nämlich als von den Feinden Jesu und seiner Kirche. Man wird darin einen Hinweis sehen dürfen, daß Origenes das Matt häus-Evangelium vom Johannes-Evangelium her liest, dessen Auslegungja auch zeitlich seine früheste Arbeit zu einem Evangelium war. Origenes hat aber im Matthäus-Kommentar nicht nur die jOhanneische Judenpolemik im Blick, son dern orienliert sich auch an der paulinischen Einstellung zu Israel, wie sie sich im Römerbrief findet. Diese Haltung freilich scheint den Katenisten nicht so Uberlieferungswert gewesen zu sein; jedenfalls hat das eben genannte Fragment folgenden Text aus comm. ser. ill MI. 134 nicht aufgenommen: .,Wenn bis zur neunten Stunde Finsternis war über allem Land Judäa, dann ist offenkundig, daß ihnen ,danach' das Licht wieder schien, denn ,wenn die Fülle der Heiden eingetreten ist, dann wird ganz Israel gerettet' (Röm 1 1 , 25 f). Daß aber für drei Stunden Finsternis über das ganze Land Judäa kam, das zeigt, daß sie wegen ihrer Sünden des Lichtes der (?) drei Stunden beraubt wurden. des Lichtes Gottes des Vaters. des Glanzes Christi und der Erleuchtung des Heiligen Geistes." Auffallig ist die Begründungsstruktur: Daß Israel am Ende gerettet werden wird, gibt sozusagen den Grund dafür an, daß die Finsternis auf drei Stunden befristet war und danach das Licht wieder schien. Damit ist nalilrlich nicht ganz eindeutig gesagt, daß schon das Ereignis der Finsternis von dem die Geschichte lenkenden Gott so begrenzt wurde, um Israels Rettung am Ende erkennen zu lassen, sicher aber. daß der Text, der Bericht über die Finsternis, in dieser Absicht formuliert ist. Anders ausgedrückt: Die Absicht (Goltes), Israel am Ende zu reiten, geht der Absicht des erzählenden Evangelisten zeitlich und logisch voraus. Es ist nicht leicht zu sagen. was Origenes hier als die Strafe der Juden versteht. Man könnte zunächst sagen, daß ihnen das Licht Gottes nicht mehr scheint; da aber ausdrücklich die drei göttlichen Peronen genannt werden, wird man daran denken dürfen, daß den Juden der Dreifaltigkeitsglaube versagt ist. Diese vergleichsweise moderate, jedenfalls rein konstalierende Aussage ist das lewe Wort des Origenes zu den Juden in dem uns erhaltenen Malthäus-Kom mentar. Es verdient aber noch hervorgehoben zu werden, daß Origenes keineswegs jedes Gegensatzpaar aus dem Evangelium dazu benutzt, den Gegensatz von Kirche und Judentum darzustellen. Von den heiden Räubern. die mit Jesus
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gekreuzigt waren, versteht er zwar den einen als bekehrt. so daß er nun im geistlich-heilswirksamen Sinn "mit Christus gekreuzigt ist" (vgI. Ga1 2. 19 und Phil 3, 10), aber weder in den comm. sero in MI. noch in den erhaltenen Fragmenten macht Origenes einen Versuch, den lästernden Schächer auf die der Kirche feindlichen Juden zu beziehen.
6. Das Werk gegen Kelsos Nach diesem Überblick Uber die Aussagen des Origenes zur JudenprobJematik in comm. in MI. sei noch, wie angekündigt, ein kurzer Blick auf das Werk ..Gegen Kelsos" geworfen. Schon im ersten Buch ( 1 , 26) verteidigt Origenes die Juden gegen den Vorwurf von seiten des Kelsos, sie beteten die Engel an und betrieben Magie. Ongenes macht deutlich, daß er die Juden deshalb verteidigen muß, weil der Angriff des Kelsos im Grunde schon dem Christentum galt. Origenes bietet aber zur Verteidigung der Juden an dieser Stelle offenbar keine religionsge· schichtliehe Kenntnis auf, sondern veweist auf das Gesetz, d. h. auf den Text des Alten Testaments, nach welchem Magie und Engelsanbetung verboten sind. Auf die Behauptung des Kelsos, die Juden seien aus Mangel an Bildung in irrtümer verfallen, antwortet Origenes: "Wenn Kelsos die Unkenntnis der Juden über Christus herausgefunden hätte, die davon kommt, daß sie nicht auf die Propheten hören, dann hätte er richtig zeigen können, wie die Juden in die ure gegangen sind." Origenes verteidigt die Juden also sozusagen nur deswegen gegen falsche Anschuldigungen. um die begründeten Vowürfe deutlich herauszustellen.
7. Die Schuld der Juden im H eils p lan Gottes Sehr interessant ist, wie Origenes in Cels. I 47 die Zerstörung Jerusalems mit der Verurteilung und Kreuzigung Jesu in Verbindung bringt. Kelsos läßt einen Juden auftreten, der gegen die Christen und gegen Jesus polemisiert'; deshalb zitiert Origenes einen anderen Juden, nämlich Flavius Josephus. Dabei ist Origenes überzeugt, einen echten Josephus·Text vor sich zu haben, wie sich auch aus Ce/so 1.1 1 3 und comm. in MI. 10, 17 erkennen läßt, wobei letztere Stelle älter sein dürfte. Origenes spriCht von der Zerstörung Jerusalems, von der Flavius Josephus ja ausführlich berichtet. und fährt fort. .,Wenn er sagt. dies sei wegen Jakobus geschehen, wieso ist es nicht verünftiger zu sagen, es sei wegen Jesus geschehen?" Der heute wohl allgemein als christlicher Einschub betrachtete Satz in den Amiquitares XX,9, 1 sieht ja in der Zerstörung Jerusalems die göttliche Strafe fUr die Ermordung des gerechten und auch bei den Juden anerkannten Jakobus.
'Vgl. E. Bammel, Origeniana IV, Innsbruek 1987. 2-6.
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Bemerkenswert ist. wie aus der Frage von Cels. I 47 in Cels. II 1 3 eine nachdrückliche Behauptung wird: "Josephus schreibt zwar, wegen des gerechten Jakobus, des Bruders Jesu, der Christus genannt wird (sei dies geschehen), die Wahrheit aber zeigt, daß es wegen Jesus des Christus Gottes geschah." Trotz dieses Nachdrucks wird man sagen dürfen, daß der Gedanke von der Bestrafung der Juden durch die Zerstörung Jerusalems dem Origenes kein dauerndes Anliegen war. Im comm. in MI. ( 1 0, 17) referien er nämlich auch den (von ihm für echt gehaltenen) Tex.t aus Flavius Josephus, spricht dann aber nur seine Verwunderung darüber aus. daß Josephus Jakobus so hoch schätzt, ohne doch selber an Christus zu glauben; über die Strafe der Juden findet sich da kein Won. Origenes teilt durchaus die schon von Tertullian (Adversus Judaeos 13) und dann in der ganzen Adversus·Judaeos·Literatur geäußene Überzeugung, daß die Prophetie, die göttliche Gnade, der Heilige Geist. die Juden verlassen haben und zur Kirche aus den Heidenvölkern übergegangen sind, weil die Juden dem Heiland nicht geglaubt haben, sondern ihn hinrichten ließen. Trotzdem ist dieser Wandel in der Heilsgeschichte nicht nur,ja nicht einmal in erster Linie Reaktion Gottes auf den Ungehorsam der Juden; Gott hat diesen nicht nur vorausgesehen und in seinen Heilsplan aufgenommen, sondern dieser Heilsplan ist so umfas send, daß er sich verstehen und verwirklichen ließe, auch wenn die Juden gehorsam gewesen wären. So kann Origenes sagen: ,,(Jesus) ist nicht gekommen in der Absicht, die Juden in den Unglauben zu führen; vielmehr wußte er voraus und hatte vorausgesagt, daß dies so geschehen würde, und er benutzte den Unglauben der Juden, um die Heiden zu berufen" (Cels. II 78). Ähnlich äußen sich Origenes auch in Cels. ß 20 und in Cels. VI 80. Die Berufung der Heidenvölker ist also nur per accidens mit der Verwerfung der Juden verbunden. In der Tat kann Origenes sich, was den großen Wandel in der Heilsgeschichte angeht, wie schon de Lange" festgestellt hat, in zwei fast voneinander unabhän gigen Gedankenreihen bewegen. Nach der ersten entfaltet sich die Heilsge schichte ohne Blick auf die Schuld der Juden: Die Offenbarung, die zunächst den Juden gegeben war, mußte verallgemeinert werden, sie durfte nicht Eigen tum nur eines einzigen Volkes bleiben; das Gesetz. welches zuerst durchaus wörtlich zu nehmen war, mußte vergeistigt und vervollkommnet werden; dies alles geschah durch Christus und durch die frühkirchliche Mission, die sich ja tatsächlich von der wörtlichen Erfüllung des Gesetzes weitgehend freimachte. Diese Gedanken des Origenes finden sich hauptsä.chlich in Cels. IV 22 (Ende), IV 32 und VII 26. Die andere Gedankenlinie sieht als Grund fur den Übergang der Prophetie. der Offenbarung und des Heilsangebotes vom Judentum zu den Heidenvölkern die Absicht Gottes, die Juden fUr denVerrat an Jesus zu bestrafen, der den Gipfel einer langen Verrats- und Ungehorsamsgeschichte darstellt (so Ce/so 11 8; IV 22. 32; V 43; VII 8; vm 42. 69) .
•
N . R. M. de Lange, Ongen and the lews, Cambridgc 1975,78.
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Von dieser Grundeinsicht des Origenes her ließe sich die auf den ersten Blick eher befremdliche Erklärung des Gebets Jesu im Öl garten verstehen. die Orige nes weitgehend übereinstimmend in wurde, in
Cels. n 25 und. wie oben schon gezeigt
comm. ser:. in MI. 92 bietet. Im Werk ..Gegen Kelsos" lesen wir als
Auslegung des Gebets Jesu, ihm selbst in den Mund gelegt, folgendes: "Wenn aufgrund dessen, daß ich diesen Kelch der Züchtigung getrunken habe. ein ganzes Vol k von Dir verlassen wird, dann bitte ich. daß. wenn es möglich ist, der Kelch an mir vorübergeht, damit nicht Dein Erbteil wegen ihres Unrechts gegen mich ganz von Dir verlassen wird." Da ist auffällig, daß Origenes dem Volk der Juden hier nicht den auszeichnenden Titel
laos gibt, sondern es ethnos nennt; andererseits wird es doch ausdrücklich als "Gottes Erbteil" (meris nach Ps 27,9; 32, 12; 73,2; 78, I) bezeichnet und dadurch von denen, die gegen Jesus Unrecht tun werden, unterschieden. In diesem Zusammenhang ist Origenes eigentlich damit beschäftigt, mit Hilfe der tatsächlich einen Gegensatz in sich enthaltenden Bitte Jesu, in ihm zwischen dem Menschlichen
(to anthropinon)
und dem Göttlichen zu unterscheiden; im Menschlichen wird dann noch einmal unterschieden zwischen der Schwäche des Fleisches (10 asthenes les sarlws) und der Bereitwilligkeit des Geistes (10 prothymofl lou pfleumatos). Es geht Origenes hier also um Christologie, nicht um Heilsgeschichte. Außerdem ist hervorzuhe ben, daß die Auslegung des Jesusgebetes von Origenes eingeleitet wird mit: "Ich kenne aber noch eine Erklärung der Stelle, die etwa so lautet
(toiaulen)"; er
macht sie sich offenbar nicht voll zu eigen; sie ist eher als ein Einsprengsel zu betrachten. Ähnliches gilt ja, wie schon gezeigt. von der Erldärung in comm. ser.
in Mt. 92, wo Origenes sagt: Allera aulem illierprelolio lod huius eSl lolis; auch hier macht er sie sich nicht zu eigen. erweitert sie nur um den Gedanken an Judas. der in ähnlicher Weise. wenn es möglich wäre. vor Schuld und Verderben bewahrt werden sollte.
8.
Wiederherstellung Israels?
Zum Schluß möchte ich im Blick darauf. daß der heutige Staat "Israel" manch mal als ein Zeichen in der Heilsgeschichte verstanden wird. auf eine Äußerung des Origenes zu sprechen kommen, in der er ein Wiedererstehen jüdischer Eigenstaatlichkeit für alle Zukunft auszuschließen scheint. Im Buch ..Gegen Kelsos" (IV 22) unterstreicht er die lange Dauer der Folgen der 42 Jahre nach der Kreuzigung Jesu eingetretenen Zerstörung Jerusalems; zwar seien die Juden in ihrer früheren Geschichte wegen ihrer Sünden manchmal von Gott verlassen worden, aber Gottes Obhut habe sich ihnen wieder zugewendet. so daß sie ungehindert ihr Gesetz erfUlien konnten. Noch nie waren sie so lange von ihrem Kultort vertrieben wie jetzt. Größe. Art und Dauer des Unheils, das den Juden nun zugestoßen sei. sei einer der Beweise für die Göttlichkeit und Heiligkeit Jesu. Dann erklärt Origenes: ..Mit Zuversicht werden wir sagen, daß sie auch nicht wiederhergestellt werden" (opokatoslolhesontai). Da Origenes das Thema
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der Apokatastasis so vertraut und so teuer ist, muß dieses Urteil über die Juden als sehr hart bezeichnet werden. Außerdem erklärt er im unmittelbaren Anschluß daran. es sei notwendig gewesen, daß das Judenvolk aus seinem Wohnsitz verjagt (anastaton) wurde, weil es die schlimmste (anosiOlaton) Untat gegen Christus begangen habe. Da könnte man meinen, die nun neu wiedererrichtete Eigenstaatlichkeit Israels wäre sozusagen eine Widerlegung des Origenes. Aber seine Aussage muß in ihrem Zusammenhang verstanden werden; Origenes führt nämlich im selben Satz durch ein einfaches "und" oder vielleicht auch "und zwar" den Gedanken so fort: (es war also notwendig), ..daß die Berufung zur Seligkeit von Gott her auf andere übergegangen ist, auf die Christen nämlich; zu ihnen ist die Lehre über die reine und heilige Gottesverehrung gelangt; sie haben neue Gesetze empfangen, die einem Uberall eingerichteten Lebenswandel (oder: Lebensgemeinschaft. politeia) angemessen sind; denn die früheren Ge· setze waren, da sie nur einem Volk gegeben waren, ... nicht geeignet, alle auch jetzt noch erfüllt zu werden." Auch hier geht es Origenes nicht um den Gedanken der Bestrafung der Juden, sondern um die Ausdehnung des göttlichen Heilsangebotes auf die Kirche überall (pantac},ou); der Blick ist auf die Katholizität gerichtet; hinter diese führt kein Weg zurück. Also bedeutet, daß Israel nicht mehr erstehen wird, nichts anders als dies: Israel wird nie mehr das ein, was es einmal war, nämlich einziger Adressat der Offenbarung, einziger Heilsträger. Auch wenn Israel gerettet wird, auch wenn Israel eingehen wird in Gottes Herrlichkeit. wird es diese mit den Völkern oder mit den Berufenen aus den Völkern, mit der Kirche also teilen. Über einen neuen Staat der Juden in der Geschichte ist damit also nichts gesagt. Zugespitzt könnte man behaupten, der Staat "Israel" habe mit der Heilsgeschich· te nicht mehr zu tun als der Ein·Glaube·ein·Gesetz·ein·König·Staat des 14. Ludwig.
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Warum wurde Origenes zum Häretiker erklärt?
Kirchliche Vergangenheitsbewältigung in der Vergangenheit
Unser Thema fragt nach den objektiven GrUnden und vielleicht auch nach den subjektiven Motiven, die dazu führten, daß man Origenes zum Häretiker erklärt hat; daß dies geschehen ist. wird dabei vorausgesetzt. Wie es geschah, wird nicht ausdrücklich gefragt; das soll aber doch geschehen, denn es gibt ja viele Weisen, wie ein Theologe verketzert werden kann, angefangen damit, daß ein einzelner theologischer Gegner ihn als Häretiker bezeichnet, bis hin zw Verurteilung durch ein allgemeines Konzil. Bei Origenes treffen alle diese Weisen zu; daß ihn einzelne Gegner als Häretiker bezeichneten. wobei sich manche. die uns hier begegnen werden. besonders hervortaten, ist allgemein bekannt. Bis ins letzte Jahrhundert hinein wurde angenommen, auch die feierlichste und verbindlichste Form einer Verurteilung habe den Origenes getroffen. nämlich durch das 5. allgemeine Konzil, das zweite von Konstantinopel, das auf Veranlassung von Kaiser Justinian im Jahre 553 stattgefunden hat. I Man darf aber mit Diekampl und Chrysosl daran zweifeln. daß wirklich dieses Konzil die Verurteilung des Origenes ausgesprochen hat, und wegen der von ihnen vorgebrachten GrUnde annehmen, das Urteil sei schon vor Eröffnung des eigentlichen Konzils im Frühjahr 553 durch die einheimische, die sogenannte endemische Synode von Konstantinopel gefällt worden, an der freilich zahlreiche Bischöfe teilgenom· men haben mögen. die schon sehr frühzeitig für das Konzil nach Konstantinopel gekommen waren. Kaiser Justinian hatte schon 10 Jahre zuvor durch seinen Brief an den Patriarchen Menas, der auch als Edikt gegen Origenes bezeichnet I
So halle nämlich Cyrill von Skythopolis in seiner Lebensbeschreibung des heiligcn Sabbas Kap. 90 ausdrücklich berichtet. und auch sein Zeitgenosse. der Kirehcnhistoriker Evagrius. äußert sich (IV 38) so über das Konzil von 553. C.J. Hdele. Conciliengeschichte 11. 855ff (Freiburg 1875) erörterte aber schon ausführlich die Auseinandersetzung über diese Frage zwischen dem Kardinal Nons und dem Jcsuiten Garnie, und kommt angesichts der wohl doch als voUSllndig erhalten anzusehenden Akten des Konril zu dem Ergebnis, die 5. Synode habe "auch den Drigencs anathematisiert. aber nicht ia einer besonderen Sitzung und nicht in Folge von besonderen Verhandlungen. sondern nur nanseundo und in cumulo . (861). So konnte Peters in Wetzer und Weites KircheoleJtikon Bd. IX, Freiburg i. Br. 1 1 895. 1077 schreiben: ..... und es wird jetzt meistens als Irrtum anerkannt, daß die Verurteilung des Origenes auf dem 5. allgemeinen Coozil stallge(unden habe." 1 F. Diebmp, Die origenistischen Streitigkeitcn im 6. Jahrhundcrt und das fUnfte allgemeine Concil, Münster 1 899. E. Scbwartz, Kyrillos von Skytbopolis, Leipzig 1939. 407 (widersprach allerdings noch dieser Dictampschen These. ) E. Chrysos, Die BisehofsliSICn des 5. ökumenischen Kon-z.ils (553) (Anliquitas I). 800n 1966. 1 1 und 128 mit Anm. 1 1 . ....
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Warum wurde Origenes zum Häretiker erklärt?
wird und der die HauptankJagepunkte und auch schon Gegenargumente enthält, eine konstantinopolitanische Lokalsynode veranlaßt. deren Beispiel auch die Patriarchen von Rom, Alexandrien und Jerusalem hä.tten folgen sollen.� Origenes ist wohl im Jahre 253 gestorben; die Synode von 553 hat also eine reichlich vergangene kirchliche Vergangenheit bewältigt. Freilich kam die An� weisung lustinians nicht aus heiterem Himmel; die Bekämpfung des Origenes hatte schon Geschichte, ja, sie hatte eineinhalb Jahrhunderte früher, um das Jahr 400. schon einen Höhepunkt erlebt, als sich nicht nur Theologen wie Hierony mus' gegen ihn aussprachen, sondern auch der alexandrinische Patriarch Theo philos ihn in drei Osterfestbriefen und in einem Schreiben an die Bischöfe Zyperns bekämpfte·. Aber auch dieser Origenistenstreit, der fUr einige Beteilig te, ganz besonders tur Hieronymus, eine persönliche Vergangenheitsbewälti gung darstellte, die noch klarer zu beleuchten ist. war nicht der Anfang des Kampfes gegen Origenes; der begann vielmehr schon zu dessen Lebzeiten. Obwohl Origenes um 230 in Alexandrien und weit darüber hinaus im ganzen Orient als Exeget und Theologe größtes Ansehen besaß - Euseb, der Kirchen historiker, meint sogar, gerade deswegen' -, hielt der Bischof Demetrius von Alexandrien damals zwei Synoden gegen Origenes ab, die ihm die Priesterwür de, die er in Palästina empfangen hatte. aberkannten und ihn aus der alexandri nischen Gemeinde ausschlossen.' So sah er sich gezwungen, dort Zuflucht zu suchen, wo er das meiste Ansehen besaß und wo er ordiniert worden war, nämlich in Palästina, und zwar in Cäsarea. An einer der heiden Synoden gegen Origenes nahm auch der Presbyter Heraklas teil, der schon vor Origenes ein Hörer des Philosophen Ammonius gewesen war und den Origenes als Kollegen in die theologische Schule hineingenommen hatte.' Er ist nicht nur nicht für Origenes eingetreten. er scheint ihn auch, wenn die über Theophilos und den Literarhistoriker Gennadius vermittelten Nachrichten zutreffenlo, selbst noch einmal verurteilt zu haben, als er Nachfolger des Demetrius und Bischof von Alexandrien geworden war; er soll sogar einen Bischof allein deswegen abge setzt haben. weil dieser Origenes bei sich hatte predigen lassen. Heraklas hätte also im Kampf gegen Origenes auch eine ganz persönliche Weise der Vergan genheitsbewältigung betrieben. •
Vgl. Acta Conciliorunr Ouumenicoruln 1 1 1 , cd. E. Schwartz, Berlin 1940, 189-214. , Hieronymus kJmpft gegen Origenes hauptsächlich in seinem Werk Conlro Joannem Hieroso lymitanum, Pl 23, 371-412, und in den drei Büchern seiner A.p% gia ad"usus libros Ruft"i. ebd. 41 6-SI4. 6 Unter den Brieren des Hieronymus die Nrn. 92, 96, 98 und 100. CSEl 55. 147-155. 159-18 1 . 185-2 1 1 . 2 1 3-232. 7 So wird man die Andeutung des Euseb in h.�. VI 23,4 "erstehen dürfen, die ausdrUeklieb nur davon spriebt. daß auf die Priesterweihe des Origenes hin Dinge in be�ug auf ihn in Bewegung gebracht wurden und die Kitcbenvorsteher diesbe�uglieb Bescblüsse faßlen. • Vgl. die sorgflUtige Untersucbung von J. A. Fischet. Die alexandrinischen Synoden gegen Origenes: OSIKSt 28 (1979) 3-16. ' Euseb, h.e. VI 19, 1 3 und VI 15. IOVg!. A. Harnack. Chronologie der iI.ltchristlicben literatur bis Eusebius, 11958. 11 2. S. 24f.
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Kaiser Justinian, den wir zuerst ins Auge gefaßt haben, hatte 529 die Philo sophenschule von Athen geschlossen, weil er in ihr das letzte Bollwerk des Heidentums sah. Gegen die Manichäer, die nach ihrem aus Persien gekommenen Lehrer Mani an zwei Urkräfte, das Licht und die Finsternis, den Geist und die Materie, das Gute und das Böse glaubten und den Menschen auf diese beiden Welten aufgeteilt sahen, ging Justinian mit strengen Strafen vor. In demselben Jahr 543, in dem er das Edikt gegen Origenes erließ, verurtei lte er in einem eigenen Schreiben die sogenannten drei Kapitel, d. h. drei Bischöfe, die im 5. Jahrhundert an Kyrill von Alexandrien oder dem Konzil von Ephesus Kritik geübt hauen. oder als Verteidiger des dort verurteilten Nestorius galten. I I Diesen Bemühungen auf dem Gebiet des Geistes. der Lehre, des Glaubens, entsprachen die politischen und militärischen Anstrengungen; tatsächlich gelang es lusti nian, die Ostgotenherrschaft in Italien und das Wandalenreich in Nordafrika zu vernichten, die von Norden eindringenden Slawen zurtlckzudrängen und die Perser in vielen verlustreichen Kämpfen zu schlagen. Zwar blieben Spanien und Gallien außerhalb des Zugriffs des Kaisers, nämlich fest in der Hand der Westgoten und der Franken. aber von Konstantinopel aus gesehen, schien das Reich des großen Konstantin wieder hergestellt, ja überboten. weil es nun ein christliches Reich war. So versteht man, daß lustinian auf die reChtgläubige Tradition bedacht war und besonders die unter Konstantin bekämpften Irrlehren untcr keinen Umständen wieder aufleben lassen wollte. Wir wissen natürlich nicht, ob er sich selbst ein Urteil über den Origenismus seiner Tage gebildet hat, oder ob ihm dies von den Gegnern des Origenes angedient wurde. In diesem Fall haben die Berichterstatter oder Ankläger die Vorlieben und politischen Prioritä ten des Kaisers genau gekannt und ihn am wirksamsten dadurch gegen Origenes und seine späten Anhänger eingenommen, daß sie ihm Origenes als Verteidiger des Heidentums, des Manichäismus und des Arianismus vorstellten . Man wird dem theologisch zwar nur dilettierenden Kaiser. der aber immerhin so gut Bescheid wußte. daß er vor keinem Theologen seiner Zeit zurückzustecken brauchte, nicht unterstellen, er habe die historische Reihenfolge nicht gekannt, Origenes also zeitlich später angesetzt als Mani und Arius.l! Auch wenn er ihn in der ersten Hälfte des dritten Jahrhunderts ließ. konnte er Manichäismus, der gegen Ende des 3. Jahrhunderts aufgetreten war, und Arianismus. der an den Anfang des 4. Jahrhunderts gehört, schon bei ihm zu finden meinen. Schon CUr
I I Dieses Schreiben des Kaisers gegen Theodor von Mopsueslia, Ibas von Edessa und Theodorel v. Kyrrhos iSI zwar verlorengegangen, hai aber durch Auslösung des Dreikapilelstreiles und schließlich durch das 5. allgemeine Konzil und seine Nachwehen lide Spuren in der Geschieh te hinlerlasscn. II Freilich wären solch chronologische Irrlümer keineswegs ausgeschlossen; Epiphanius z. B. lä81 (hau: 63. I , I ) den Origenes noch zur Zeit des Decius in Alexandrien weilen und sogar darl in der decischen Verfolgung ein GÖlzcnopfer darbringen; aus Scham darüber sei er dann von Alexandrien nach Paläslina Ubergesiedell.
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Warum wurde Origcncs zum Häretiker erklärt?
den Bischof und Ketzerbekämpfer Epiphanius von Salamis oder Konstantia auf Cypem war Origenes im 4. Jahrhundert der Vater aller Arianer und Anhomoier gewesenll, also all derer. die die Wesensgleichheit des Sohnes Gottes mit dem Vater leugneten. So wundert es nicht, daß lustinian dem Origenes zuallererst trinitätslheolo gische Irrtümer vorwirft: Er habe behauptet, der Vater sei größer als der Sohn und der Sohn größer als der Geist; der Sohn könne den Vater nicht sehen und der Heilige Geist nicht den Sohn; Sohn und Heiliger Geist seien Geschöpfe
(krismara); was wir im Bezug zum Sohn sind. das sei der Sohn im Bezug auf den Vater; am Anfang habe Gott so viele Vemunftwesen geschaffen, wie er konnte, denn seine Macht sei begrenzt. Dann kommen andere Themen: Diejeni gen von den Vemunftwesen, die gesündigt häuen und desbalb aus ihrem Zustand herausfielen. seien in Leiber gebannt worden. würden sich aber reinigen und wieder zu ihrem früheren Zustand zurückkehren und dabei die Leiber wieder ablegen, könnten aber ein weiteres und ein driues Mal und häufiger zur Strafe in Leiber verbannt werden; so gäbe es verschiedene Welten, frUher vergangene und zukünftige." Nach vielen theologischen Argumenten und einschlägigen, diesen Meinungen widersprechenden Väterzitaten, werden noch zwei Lehren des Origenes nachgeschoben, nämlich daß auch die Gestirne beseelt seien und daß die Auferstehungsleiber Kugelgestalt haben würden.ls Der Kaiser schlägt im Anhang an seinen Brief neun Verdammungsurteile über Lehren des Origenes vor, bei denen es seltsamerweise gar nicht mehr um die Trinität. sondern nur noch um die Anthropologie und die Soteriologie geht. Aber man versteht diesen Wechsel der Stoßrichtung: Arianer gab es ja nicht mehr ernsthaft zu bekämpfen, wohl aber Leute. die eine origenistische Auffassung vom Menschen und seinem Heil hanen. In den fünfzehn Anathematismen. die das Konzil - welches auch
immer - von 553 aufgestellt hat I', geht es nur noch um die Heilsgeschichte und
offensichtlich gegen Zeitgenossen. So brauchen wir uns damit nicht zu befassen; aber wir können auch nicht allen VorwUrfen Juslinians gegen Origenes selbst nachgehen, einigen aber wohl! An den Brief von 543 angehängt sind 24 Kun texte, die sich als Zitate aus der Grundlagenschrift
(peri archon, de princpiis) i
des Origenes geben und die im Brief erhobenen VorwUrfe belegen sollen. Der Kaiser wird kaum selbst das umfängliche Werk des Origenes studiert haben; die aus Palästina gekommene" Ankläger der dort ansässigen wohl wirklich origeni stisch beeinflußten Mönche werden ihm die 24 Zitate vorgelegt und zugleich interpretiert haben, so daß vielleicht auch die jeweiligen knappen Überschriften von ihnen und nicht von lustinian stammen.
U
Epiphanius, hau. 63, 4,2. "ACO (vgl. Anm. 4) 111 190, 1-24. u Ebd. 203. 1 4 ff und 204, 1 0 f. 16 Am Icichtcstcn z.uglnglich in: Origcncs. Vier Bücbcr von den Prinz.ipicn. Hrsg., übers. von H. GOrgemanns und H. Karpp (_ TCllic z.ur Forschung 24). DarmSladl 1976. 824-830.
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Der erste Text klingt so, daß man sich fragen muß, ob der erste Teil als Zitat oder als den lnhalt angebende Überschrift zu verstehen ist. Im zweiten Fall bleibt als Zitat so wenig übrig, daß man geneigt ist, darin allenfalls noch eine Zusam menfassung zu erblicken. Zum besseren Verständnis sei zuerst der zweite Text angeführt; da lautet die Überschrift: "Daß die Kraft Gottes des Vaters begrenzt ist, aus dem zweiten Buch." Als Zitat wird dann geboten: "Man muß nämlich sagen, daß die Kraft Gottes begrenzt ist, und darf nicht etwa aus Frömmigkeit ihre Begrenzung aufheben. Und nach einigen Worten: Er hat also so viele geschaffen, wie er umfassen und unter seiner Hand halten und unter seiner Vorsehung ausrüsten konnte, wie er auch so viel Materie hergestellt hat. wie er ausgestalten konnte." Da ist die Gliederung deutlich. Daß für Origenes als für einen echten Hellenen nur das Umschriebene, also begrenzte Gestalt, Wesen und somit Wirklichkeit hat. sei nur nebenbei bemerkt; erst Gregor von Nyssa hat die Unendlichkeit und Unbegrenztheit als eine positive Eigenschaft, ja als das Wesensmerkmal Gottes entdeckt. H Das Fragment n hat also alle Aussichten, wenigstens dem Inhalt nach echt zu sein; wir wollen seiner genauen Form aber hier nicht nachgehen. Vielmehr soll jetzt das erste im Anhang des lustinianbrie fes von 543 gebotene Beweisstück zitiert werden. Es lautet: ,.Daß Gott der Vater, da er ja alles zusammenhält, bis zu jedem der Seienden heranreicht und jedem von seinem eigenen das Sein gibt, das er ist. während der Sohn dem Vater gegenüber geringer ist und nur bis zu den Vernunftwesen reicht, denn er ist zweiter nach dem Vater, während der Heilige Geist, noch schwächer. nur die Heiligen erreicht. So ist also dementsprechend die Kraft des Vaters größer als der Sohn und der Heilige Geist, größer aber die des Sohnes als der Heilige Geist und wiederum die Kraft des Heiligen Geistes überragend alles. was sonst heilig ist." Der Zitatensammler war überzeugt, daß dieser Satz so, wie er dasteht. hinlänglich gotteslästerlich klingt. also keine weiteren trinitätstheologischen Schlußfolgerungen daraus gezogen zu werden brauchen, um die Irrgläubigkeit des Origenes zu beweisen. Nun war aber die Gleichheit auch des Geistes mit dem Vater (und dem Sohn) vor der Mitte des 4. Jahrhunderts niemandem ein Anliegen; aber auch die ausdrückliche Erkllirung, der Geist sei geringer als der Sohn und dieser als der Vater. ist nicht etwa charakteristisch für die vornizäni-
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Vgl. E. Müblcnberg. Dic Uncndlichkcit GOllcS bei Grcgor v. Nyssa. Grcgors Kritik am Gottcsbegriff d. klass. Mctaphysik, GÖllingcn t966. Das Origcncszitat bei Justinian: ACO (vgl. Anm. 4) 111 209.1-6. 11 Das Nidnum sagt ja über dcn Hl. Gcist nur, daß an ihn geglaubt wird; Athanasius verlangtc noch 362 im Tomus ad Anliochenos von dcn als rechtgläubig Anzuerkenncnden nur das Bekenntnis, daß der Gcist kei.n Gcschöpf sei. In der Mille dcs 3. Jh.s haltc Novatian. rur dcn dcr Geist zwar zum ordo ralionis und zur aucroriras jidei. aber nicht zur regulo veritaris zu gehörcn scheint (De Trinilatt I I , I ; IX 1,46 und XXIX 1.163), nicht nur durch dic Knappheit seiner pneumuologischcn Aussagen sondern auch durch das dcutlichc ZurUckbleiben hinter den vergleichbaren Aussagen Tertullians einen Rangunlcrschied zwischen Geist und Sohn erkennen lassen. ohne dies aber ausdrücklich zu sagen.
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sehe Theologiei', wenn sich da auch gelegentlich Äußerungen in diesem Sinne finden, sondern auch typisch für die zweite Hälfte des 4. Jahrhunderts. nämlich fOr die Arianer der zweiten, bzw. dritten Generation. fUr die Anhomoier und Pneumatomachen. deren systematisch-trinitätstheologisches Inleresse nicht ge ringer war als das der Nizäner. Das angebliche Zitat verrät also in seinen beiden Teilen - sei der erste nun Überschrift oder nicht - eine trinitätstheologische Sensibilisierung. die vor Nizäa schwer vorstellbar ist, sich also kaum schon bei Origenes selbst gefunden haben kann. Gewiß haben Äußerungen des Origenes Ober das unterschiedliche Verhältnis der drei göttlichen Personen zu den Geschöpfen den Anlaß zu solch systematischer Zusammenfassung gegeben, aber sein Gedankengang ist ein anderer. In Buch I Kap. 3, wo auch noch Karpp und Görgemanns in ihrer verdienstvollen Ausgabe der Grundlagenschrift das angebliche Zitat einfügen wollen", paßt es meiner Ansicht überhaupt nicht hin. Da geht es um den Heiligen Geist; in 5 fragt Origenes sich, warum man nicht des Vaters und des Sohnes teilhaftig werden könne ohne den Geist, und erklärt, daß der Vater und der Sohn in Heiligen und Sündern wirken, in vernünftigen Menschen und unvernünftigen Wesen, überhaupt in allem, was ist, daß aber der Geist nur in denen wirkt, die schon auf dem Wege Jesu Christi sind. Zwischen diese Frage und diese Antwort haben Karpp und Görgemanns das erste Juslinianfragment eingeschoben. zwar Gott sei Dank nicht im Text, wohl aber in ihrer deutschen Übersetzung, und so den Gedankengang verdorben. Zu Beginn von 6 spricht Origenes noch einmal per modum unius von der offenbar gemeinsamen und gleich weit reichenden Wirksamkeit des Vaters und des Sohnes und beginnt erst im Verlauf dieses Paragraphen zu unterscheiden zwischen der Teilhabe am Vater, die bis zu allen Dingen reicht, und der Teilhabe am Sohn. am Logos, durch die die Menschen vernOnftig sind. Erst danach wäre ein Text wie das erste lustinianfragment möglich. Im Osterfestbrief des alexandrinischen Patriarchen Theophilos vom Jahre 402. der, weil von Hieronymus übersetzt. als Nr. 98 unterdessen Korrespondenz gezählt wird, scheint die richtige Reihenfolge gewahrt zu sein; da ist zuerst vom Heiligen Geist, dann vom Sohn die Rede: ..Er (Origenes) behauptet nämlich, der HI. Geist wirke nicht. was unbeseelt ist, und gelange nicht bis zu den vernunft· losen Wesen."l0 Theophilos bringt als Gegenbeweis die Heiligung des Taufwas· sers durch den Heiligen Geist und dann die Konsekration der eucharistischen Gaben durch die Anrufung und das Kommen des Heiligen Geistes. Das ist nebenbei bemerkt die älteste Bezeugung fOr die Konsekrationsepiklese, die mir bisher begegnet ist. Theophilos fahn dann nach einigen Schriftbeweisen für die
" Auf S. 169/171 ihrer Ausgabe (vgl. Anm. 16). P. Koetschau GCS. Origenes V ( 1 9 1 3 ) 55f. haue dieses angebliche griechische Fragment an dersc.lben Stelle sogar in den lateinischen Text eingese llI. Crouzel und Simont:ui tun gut daran, das Fragment nur in den Anmerkungen zu erörtern. llITheophilus, Epistula pascllalis Hieronymus ep. 98.13, eSEL 55. 196.24f. '"
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Allwirksamkeit des Heiligen Geistes so fort: ,,Aber er (natUriich Origenes) ist mit dieser äußersten Gotteslästerung nicht zufrieden, ... sondern rülpst noch einmal" - damals wurde, so würden wir heute sagen, mit harten Bandagen geboxt - "und behauptet, der Sohn Gottes, d. h. seine Vernunft, sein Wort seine Kraft" - griechisch stand da sicher nur logos und dynamis - .reiche nur bis zu den Wesen. die vernunftbegabt sind." Theophilos mag Origenes selber gelesen haben; er scheint jedenfalls eindeutig zu bezeugen, daß Origenes zuerst von der eingeschränkten, nämlich im soteriologischen Sinn bestimmten Wirk samkeit des Heiligen Geistes, und danach erst von der eingeschränkten Wirkung des Sohnes gesprochen hat, freilich nur in dem Sinn. daß er den vernunfbegabten Wesen eben diese Vernunft durch Teilgabe an sich selbst gewährt. Daß er als Gesamtplan der Schöpfung und als Machtwort Gottes alles umfaßt, sagt Orige nes im 2. Kapitel des I. Buches deutlich genug.ll Nun wird aber jemand darauf hinweisen, daß Hieronymus in seinem Brief an Avitus (Nr. 124 seiner Korrespondenz), der erst im Jahr 408 geschrieben ist. einen Text bietet, der weitgehend mit dem 1. Justinianzitat übereinstimmt. nämlich erklärt. Origenes behaupte, "der Sohn sei auch geringer als der Vater, weil er nach ihm der zweite sei, und der Heilige Geist, geringer als der Sohn, weile (nur) in den Heiligen; und in dieser Ordnung sei die Kraft des Vaters größer als die des Sohnes und des Heiligen Geistes und wiederum sei die Kraft des Sohnes größer als die des Heiligen Geistes und folgerichtig gehöre dem Heiligen Geist selbst eine größere Macht als allen übrigen, die heilig genannt werden" . Die Übereinstimmung ist, wenn bei Hieronymus auch die Aussage über den Vater am Anfang fehlt, beeindruckend und kann nicht Zufall sein. Ich kann aber keine Stelle finden, wo der Hieronymuswortlaut oder gar der des Justinian in den Text der Grundlagenschrift hineinpassen würde. Bedenkenswert ist auch, daß der Satz bei Hieronymus der letzte. nämlich der 7. Vorwurf gegen Origenes in diesem Brief zu sein scheint, der nicht wörtlich angeführt wird; von da ab bietet Hieronymus lange Zitate, die er offensichtlich als wörtlich verstanden wissen will. Hat ihm für Kapitel 2 seines Avitusbriefes schon jemand vorgear beitet? Hatte er also eine noch griechische Sammlung von angreifbaren Lehren aus der Grundlagenschrift vor Augen, die er dann ins Lateinische übersetzte? Hat sich diese unechte Zitatensammlung erhalten bis in die Zeiten Justinians. so daß sie dem antiorigenistischen palästinensischen Mönch vorlag, der dem Kaiser die Munition für das Edikt gegen Origenes lieferte? Wenn man weiß. wie beliebt in der Spätantike Zusammenfassungen, epitomai, waren, so daß manchmal Autoren ihre eigenen Werke so zusammengefaßt haben, z. B. Epiphanius sein •
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Z.B. prim:. I 2 , 2 GCS IV 30,7 f: Die Weisheit sagt durch Salomo von sich selbst. sie sei geschaffen als Anfang der Wege GOlles. da sie nämlich in sich selbst die Urspruoge, Pläne und Abbilder der gesamtcn Schöpfung enthält vgl. dazu den Aufsatz von H. Görgemanns. "Die Schöpfung" der " Weisheit" bei Origenes. Eine telltkritische Untersuchung zu princ. frgm. 32: StPatT 7 TU 92 ( 1 966) 194-209. Man könnte also zwar die Wirkung des Logos als Logos auf die fogikoi eingeschrinkt sehen, aber als Weisheit wirkt der Sohn uoeingeschrlnkl auf alle Geschöpfe. =
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großes Werk gegen die Häresien in der Anakephalaiosis. der RecapituJario, wird man diese Überlegung nicht für so abwegig halten; durch eine solche hypothe tische, origenesfeindliche Epitome ließen sich manche Übereinstimmungen zwischen den verschiedenen Fragmentüberlieferungen erklären. Doch dies mag zunächst als Angabe der Grunde genügen, die den Justinian zum Kampf gegen Origenes bewogen. Wenn man sie verstehen und recht einschätzen will, muß man in die Vorgeschichte zurückgehen, am besten bis zum Anfang des Origeni stenstreites. Wir wissen nicht, ob Origenes schon die alexandrinischen Kirchenhäupter, die ihn bekämpften, durch seine Lehren gegen sich aufgebracht hat oder nur durch seine ihnen unkanonisch erscheinende Priesterweihe; das erste aber wird von vielen Autoren wenigstens vermutet. Den literarischen Kampf gegen Ori· genes hat Methodius eröffnet, der im Altertum als Bischof und Märtyrer, nämlich in der diokletianisehen Verfolgung, galt.D Er hat um 300 ein großes Werk in drei Büchern über die Auferstehung geschrieben, in dem er längere Zitate aus Origenes einschaltet, seltsamerweise aber nicht aus dessen für uns verlorenen Werk über die Auferstehung, sondern aus der Erklärung zum ersten Psalm. Außerdem läßt er in diesem streckenweise als Dialog gestalteten Werk einen Arzt und Naturwissenschaftler namens Aglaophon auftreten, der sich gegen die Auferstehung des Fleisches ausspricht und den er mit den ..beweis· kräftigen Worten des Origenes bewaffnet"D sieht. Was Aglaophon vorträgt, wird zwar nicht ausdrücklich als Lehre des Origenes bezeichnet, soll aber wohl so verstanden werden; jedenfalls scheinen spätere Origenesbekämpfer ihn so ver· standen zu haben. Es wäre zwar nicht ausgeschlossen, daß sie die angeführten Gedanken bei Origenes selbst gelesen hätten, aber die Ähnlichkeit mit den Ausführungen des Aglaophon bei Methodius ist so groß, daß man eher an Übernahme von dorther denken mag. Bei einer Auseinandersetzung über die Auferstehung würde man heute wohl zuerst die neutestamentlichen Ostererzählungen diskutieren. So wundert man sich, wenn die erste grundsätzliche Erörterung einer Bibelstelle in der Schrift des Methodius über die Auferstehung sich keineswegs um Ostererzählungen dreht, sondern um jene Fellröcke. die Gott nach dem Bericht der Genesis (3,21) für Adam und seine Frau machte, bevor er sie aus dem Paradies hinauswies. Der Anfang des Auferstebungsbuches ist nicht griechisch, sondern nur altslawisch überliefert; so sind wir auf die wörtliche, aber holprige Übersetzung von Bonwetsch angewiesen. Aglaophon argumentiert nach längeren physiologi· sehen AusfUhrungen so: "Wenn es nach eurer Meinung eine Auferstehung dieser toten Leiber und deren Verwandlung in die Unsterblichkeit gibt, wozu hat Gott dann den Menschen von Anbeginn ohne den Lappen des Leibes geschaffen, wie die Schrift selbst lehrt? Denn die Kleider von Fellen, welche er nach der Übertretung für Adam und Eva machte, sind deutlich die Leiber, mit denen wir II
Vgt. Hicronymus, vir: ill. 83 und Sokratcs, h.�. VI 13. UMcthodius, rts. 1 27, I GCS S. 255.4.
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bekleidet worden sind. nachdem wir das Gebot übertreten haben," Und als Begründung heißt es gleich darauf: .Denn nicht von toten Leibern, nachdem er Vierfüßler geschlachtet hätte, wie ein Lederarbeiter machte Gott den Erstge schaffenen Kleider, sondern schwere irdische Leiber machte er uns als Kleider von Fellen,"u Daß er die schweren Fellkleider außerdem als Fessel und Buße fUr die Seele versteht, sei noch angemerkt, aber nicht weiter verfolgt. Die Stoßrichtung des Arguments erkennt man sofort: Die Auferstehung sollja nicht etwa den derzeitigen Lebenszustand des Menschen wiederherstellen, sondern jenen uranfänglichen Zustand, für den Gott den Menschen geschaffen hat. Hätte Gott den Menschen am Anfang ohne Leib geschaffen, dann wäre eine Auferste hung des Leibes heilsgeschichtlich sinnlos; erst recht dann, wenn die Leiber nur Folge der SUnde sind, So versteht man, daß Methodius mit aller Entschlossenheit gegen dieses Argument angeht. freilich erst im 29. Kapitel des 1 . Buches, nachdem von Kap. 20 ab ein längeres Origeneszitat eingeschaltet worden war und im Dialog noch ein Origenesanhänger namens Proklos zu Wort gekommen war. Das Hauptargument des Methodius gegen die vorgetragene Deutung der Fellröcke ist das Wort Adams, das er über Eva spricht: "Dies ist nun Bein von meinem Bein und Fleisch von meinem Fleisch" (Gen 2,23). Aber auch. daß Gott Staub genommen habe, um den Menschen zu schaffen (Gen 2,7), dient als Gegenargument: aus Staub sei nicht die Seele, sondern der Leib geschaffen. Daraus folgert Methodius: ,.Also ist der Mensch schon, bevor er das FellkJeid erhielt, körperlich gebildet worden (somatopoieo)." Man sollte denken, daß das Problem damit fUr Methodius erledigt wäre und er die Fellröcke einfach wörtlich genommen hätte; aber offenbar war die BegrUndung, die Aglaophon für seine Deutung vorgetragen hatte, so Uberzeu gend, daß eine einfache Auffassung der Fellkleider nicht mehr in Frage kam. Gott ist nun einmal kein Gerber oder Lederarbeiter. So muß auf jeden Fall eine bildliehe Erklärung der Fellröcke her: Sie bedeuten nichts anderes als die Sterblichkeit oder Todesverfallenheit, in die Gott nun zur Strafe, freilich mit der Absicht zu bessern, den Leib des sündig gewordenen Menschen hüllt. Diese Deutung ist dem Methodius so wichtig, daß er sie noch zweimal wiederholt, insgesamt also dreimal vorträgt. An der letzten Stelle wird Gottes Heilsabsicht bei dieser Maßnahme betont: .Damit das Übel im Menschen nicht unsterblich ist. hat Gott den Menschen in Sterblichkeit gehüllt." Daß diese Auslegung nicht unwidersprochen blieb, wird sich zeigen, wenn wir auf Origenes selbst zu sprechen kommen. Hier sei zunächst nur vermerkt, daß Methodius selbst früher wohl einer anderen Deutung zugeneigt hat; jedenfalls läßt er in seinem Sympo sion über die Jungfräulichkeit die Jungfrau Theophila den Leib als den "fleisch lichen Rock der Seele" bezeichnen.16 Diese Benennung ist doch wohl ohne Blick aur die Genesiserzählung kaum zu verstehen. In der Deutung des Aglaophon •
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1UOl.V "toD E;W 'IoQaTJA aber und sollte ihn hier wohl auch mit ..die Natur des Menschen außerhalb von Israel" wiedergeben. Wenn ich richtig sehe, spriCht Origenes nämlich. natürlich im Anschluß an Paulus, zwar vom inneren und äußeren Menschen und vom Israel dem Fleische nach und dem Israel dem Geiste nach. aber nie vom inneren oder äußeren Israel. So wäre hier eine Aussage über den ..bloß natürlichen" Menschen gemacht, der von keinem ..Gewand" (des Heiles) bekleidet ist. In frgm . 63 (2. Abschnitt, S. 448 Z. 29f) bietet der Text wörtlich übersetzt : ..daß wir im Vergleich mit den Gewandsäumen (xQa01tEÖwv) an ihm (nur) einen •
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Forschungsbcrichte
Gewandsaum berührt haben"; das kann SO nicht stimmen. S. übersetzt sicher richtig und sehr elegant: "daß wir vergleichsweise nur ein Stück vom Saum seines Gewandes berührt haben" (S. 449). Offensichtlich ist der Plural xgoonEÖwv. der unmittelbar vor xQaonEöou steht, zu streichen; er ist wohl durch Doppelschreibung zustande gekommen und hat entweder ein dorthin gehörendes aya8Ü>v verdrängt oder sich in den Tex.t eingeschoben. Es ist also zu übersetzen: "daß wir im Vergleich zu dem, was in ihm ist (oder: den GUtem in ihm), nur einen Gewandsaum berührt haben". In /rgm. 72 wird der gute Teil erklärt. den Mafia erwählt hat (Lk 10,42); Jesus sagt dort ja. nur weniges oder nur eines sei nötig; bei dem 6)"i.ywv tativ ist also das XQElO zu ergänzen und nicht zu übersetzen ,Er gibt nur weniges' (S. 461), sondern: ..Weniges nur ist nötig". In der Übersetzung des bei den Markion-Anhängem gebräuchlichen Vaterun ser-Textes ('tÜV aQtov aou ... bi.öou Ti�tv) läßt die deutsche Übersetzung das Possesivpronomen "dein" weg (S. 465. frgm. 75); aber so geht der Anknilp fungspunkt rur die Polemik des Origenes verloren; er argumentiert j a damit, daß sie um das ,.Brot Gottes", also ihres noch über dem Schöpfer stehenden Gottes bitten. Dann müssen sie entweder ihre Ablehnung der Allegorese aufgeben oder zugeben, daß ..leibliches Brot" (aro�onx6c; agtoc;), also etwas Materielles, vom guten Gott stammt. In beiden Fällen ist ihre Ablehnung des Gottes des Alten Testamentes als unberechtigt entlarvt. In frgm. 77 ist das Satzglied .,und findet sie nicht", nämlich die Ruhestätte, die der unreine Geist sucht (Lk 1 1 , 24 ft), in der Übersetzung (5. 467) verloren gegangen; ebenso das "für sie" in der Aussage, die letzten Dinge seien schlim mer als die ersten. Beifrgm. 79 möchte man eine Textkorrektur anbringen; in Z. 1 1 steht AUXVql h q,wnt;oucrn aatQonfj. in Z. 1 3 f aber: AUXVq> h am:Qonfj q,w'ut;oucrn; eine Leuchte, die durch (ihren) Glanz erleuchtet. ist eher verständlich als eine Lampe im erleuchtenden Glanz; voll verständlich wird mir das Fragment aber auch dann noch nicht. Der letzte Satz von Jrgm. 85 richtet sich gegen die Lehren "derer draußen", also derer. die außerhalb der Kirche stehen. nicht nur gegen ,,Lehren von draußen" (S. 485). Diese Lehren sind nicht nahrhaft (atQom) und können nicht 'to XWQT)'tl.XOV xai. ava.öouxOv tOOV AOytXOOV 'tQooov fOlien. Das hatte die französische Ausgabe so wiedergegeben: ..ne peuvent pas rem pi ir J'estomac et ne sont pas digestibles, comme les nourritures spirituelles" (S. 543). S. folgt ihr und übersetzt: ..... füllen, anders als die geistlichen Speisen, nicht den Magen und sind unverdaulich" (S. 485). Gemeint ist aber offenbar ein geistiges Organ. welches "die geistigen Speisen aufnimmt (xwQT)tlxov) und wieder hervorbringt (oder wiedergibt: ava.öOtlxOV)"; dieses Organ des Menschen wird nur von der Lehre der Kirche gefUllt; der Gedanke, daß dieses Organ auch dazu bestimmt ist, dieselbe kirchliche Lehre wiederzugeben (avaÖOtlxoV) und sei es nur in der schlichten Fonn der sicher auch schon dem Origenes vertrauten redditio symboli scheint mir wichtig, geht aber bei S. so unter wie bei den Franzosen. -
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Forschungsberichte
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Frgm. 87 wird unterschieden zwischen dem Glauben, der aus dem Ecf �f.1tv kommt, und der Gnadengabe (XO:QLOIlU) des Glaubens, welche Gott den Men· sehen dazugibt, so daß nur dem, der hat, gegeben wird (vgl. Lk 19, 26). Das E<J>' tillLv ist, wie sich vor allem im Mattäus·Kommentar ( 1 3 , 26 [GCS X, 250, 25 ff) zeigt, das innere geistige Entscheidungsvermögen des Menschen, das sich mit dem �YE�o..x6v (ebd. 13, 18 und 14, 5. 1 1 [226, 27; 282, 29; 302, 22]), wohl auch mit dem XWQTt'tu