Chicago Band 22
Mit harten Bandagen
Pat Connor ist Privatdetektiv im Chicago der zwanziger Jahre. Kein leichter Job...
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Chicago Band 22
Mit harten Bandagen
Pat Connor ist Privatdetektiv im Chicago der zwanziger Jahre. Kein leichter Job und keine gesunde Gegend, um diesem Job nachzugehen. Besonders, wenn die Stadt zwischen dem italienischen Syndikat von ›Il Cardinale‹ Rigobello und dem irischen von ›The Jar‹ O'Malley aufgeteilt ist. Seine Sekretärin Betty Meyer, meist damit beschäftigt, ihre Fin gernägel zu lackieren, ist ihm auch keine große Hilfe. Verlassen kann er sich aber auf seinen väterlichen Freund Bren don Smith, Reporter bei der Chicago Tribune, der ihm wichtige Infor mationen besorgt. Und auf Dunky, den Wirt seiner Stammkneipe, in der er sich regelmäßig mit illegalem Bourbon den Frust hinunterspült. Anlass dazu gibt es genug, nicht zuletzt in Person von Lieutenant Quirrer vom Police Departement und dessen Chef Captain Hollyfield. Jedes Mal, wenn eine Leiche auftaucht, ist für Quirrer zuerst Pat der Hauptverdächtige. * Der Tag näherte sich bereits seinem gemütlichen Teil, wie ich an den Stimmen auf dem Flur bemerkte. Die Angestellten machten sich auf den Heimweg in den wohlverdienten Feierabend. Diese Woche hatte offenbar beschlossen, ohne meine Dienste als Privatdetektiv auszu kommen. Bis zu meiner Verabredung mit Brendon bei Henry's Steak Diner hatte ich noch Zeit genug, also zog ich die Schublade mit der Flasche auf und wollte mir einen Whiskey einschenken. Kurzes, zag haftes Klopfen an der Bürotür stoppte meine Bewegung. »Herein!«, rief ich. Langsam öffnete sich die Tür und zwei braune Augen unter einem frechen Pagenschnitt spähten durch den Spalt. Ich winkte die zierliche Lady heran, die mit vorsichtigen Schritten auf meinen Schreibtisch zukam. Sowohl auf den Haaren als auch auf dem Mantel hingen Re gentropfen. Angesichts des ungemütlichen Wetters konnte meine Be sucherin nicht lange unterwegs gewesen sein. »Sind Sie Mister Connor? Der Privatdetektiv?« 4
Ihre Stimme ließ mich aufhorchen. Sie hatte ein angenehmes Timbre. Ich nickte bestätigend und deutete einladend auf den Stuhl vor meinem Schreibtisch. Sie zögerte unsicher, doch dann setzte sie sich auf die Kante des Stuhles. »Sie brauchen einen Detektiv, Miss...?« Ich zog die Anrede absichtlich in die Länge. »Lizzy Silver. Ich bin Tänzerin und Sängerin in einem Musical, aber das hat eigentlich gar nichts mit meinem Problem zu tun. Es geht um Michael. Jane hat Sie mir empfohlen.« »Schön, Miss Silver. Wer ist dieser Michael und welche Jane mei nen Sie?« Sie sah einen Moment verwirrt aus und ich stellte mich auf ein kompliziertes Gespräch ein. Dann ging unvermittelt ein Lächeln über ihr Gesicht und sie lehnte sich zurück. »Verzeihung, Mister Connor. Sie müssen mich für ziemlich dumm halten. Also Jane Bolder ist eine Freundin von mir und sie arbeitet hier in der Nähe. Daher kennt sie Ihr Büro. Als ich ihr von meinen Problemen mit Michael Spade, meinem Verlobten, erzählte, nannte sie mir Ihren Namen!« Das klang schon besser und ließ mich hoffen. »Welche Probleme hat Ihr Verlobter denn?« Bei meinem Glück ging es wahrscheinlich um eine Eifersuchtsge schichte, die ich einfach hasse. »Nun, Michael wurde brutal zusammengeschlagen und ich möchte wissen von wem!« In ihren braunen Augen glomm Ärger auf. »Am besten fragen Sie ihn oder spricht er nicht mit Ihnen?« Sie schüttelte den Kopf, dann nickte sie. Eine typische Frauengeste, es wurde wohl noch komplizierter. »Ich habe ihn doch gefragt! Er will nicht darüber reden, aber ich glaube, sein Vater steckt dahinter!« Empörung ließ ihre Wangen in einem tiefen Rot aufleuchten. Ein Vater, der seinen Sohn verprügelt? Das klang nicht nach einem Auftrag für mich. Ich wollte es ihr schonend beibringen. 5
»Hören Sie, Miss Silver. Wenn Ihr Verlobter Schwierigkeiten mit seinem Vater hat, muss er die ganz alleine klären. Da kann ich Ihnen nicht helfen!« Ich erhob mich halb aus dem Stuhl, wollte Lizzy zum Gehen auf fordern. Ihr nächster Satz ließ mich allerdings vor Überraschung in den Stuhl zurückfallen. »Mit Stadtrat Spade kann man sich nicht so einfach aussprechen! Er will Michael davon abbringen, mich zu heiraten. Ihm ist dabei jedes Mittel recht, auch zwei Schläger auf seinen Sohn zu hetzen!« Alle Achtung! Die kleine Lady hatte sich ausgerechnet den Sohn des mächtigen Stadtrats Spade ausgesucht, um mit ihm die Laken zu zerwühlen. Klar, dass der damit ein Problem hatte. Eine nette kleine Affäre wäre vermutlich noch ganz in Ordnung, aber das Wort heiraten passte nicht dazu. »Sie glauben, dass Stadtrat Spade seinen eigenen Sohn verprü geln lässt? Damit er die Finger von Ihnen lässt? Normalerweise gehen diese Leute eher auf die unerwünschte Person zu!« Aufmerksam verfolgte ich ihre Reaktion. Sie erbleichte ein wenig und senkte den Blick. »Das hat der Stadtrat schon probiert, oder?« Ihr Pagenkopf wippte einige Male, was ich als Bestätigung auf nahm. Langsam bewegten wir uns in gewohntem Fahrwasser, aber diese Lady hatte noch mehr Überraschungen auf Lager. »Er hat Ihnen vermutlich eine Stange Geld geboten, wenn Sie sich von seinem Sohn fernhalten! Als kleine Ermahnung hat er dann ver mutlich auf Ihre schlechten Berufsaussichten angespielt, sollten Sie sich nicht kooperativ verhalten. Richtig?« Als sie wieder hochsah, lag ein sehr trauriger Ausdruck in ihren Augen. »Es ist leider ein wenig komplizierter, Mister Connor.« Ein unangenehmes Ziehen setzte sich in meinem Magen fest. Es roch auf einmal förmlich nach Schwierigkeiten, denen ich lieber aus dem Weg gehen sollte. »Spucken Sie es endlich aus, Lizzy! Dann haben wir es hinter uns!« 6
»Michaels Vater und ich, also, wir waren eine Weile zusammen!« Es musste an der schlechten Woche liegen, dass mein Hirn einen Moment benötigte, um den Zusammenhang zu kapieren. »Soll das heißen, Sie sind erst mit dem Vater und dann mit dem Sohn unter die Bettdecke geschlüpft?« Als sich eine tiefe Röte über das Gesicht von Lizzy ergoss, dachte ich tatsächlich an Scham. »Unterlassen Sie diese schlüpfrigen Bemerkungen! Es geschah aus Liebe!«, fauchte sie mich wütend an. »Beim Vater oder beim Sohn?«, konterte ich. Aus der Röte wurde Blässe, Lizzy sprang auf und rannte aus mei nem Büro. So viel zu einer möglichen Klientin. Für einen Schluck Whis key blieb mir jetzt keine Zeit mehr, wenn ich pünktlich in Henry's Steak Diner sein wollte. Ich griff nach Mantel und Hut, schloss das Büro ab und wagte mich in das nasse, windige Wetter. * Brendon Smith, seines Zeichens Sportredakteur bei der Chicago Tri bune, saß bereits am Tisch und hatte zwei Tassen vor sich stehen. »Dachte, du könntest einen Schluck vertragen!«, polterte er in gewohnt gut gelaunter Art. Er war schon ein Freund meines Vaters gewesen und nahm seine Rolle als Patenonkel sehr ernst. Ich trank einen Schluck aus der Tasse, deren brauner Inhalt zum Glück kalt war. Warmer Whiskey war nicht mein Fall! Wir bestellten beim Kellner unsere Steaks mit Bratkartoffeln. »Was kannst du mir aus dem Stegreif über Stadtrat Spade erzählen? Kennst du seinen Sohn?« Brendon schluckte genüsslich runter und spülte mit einem großen Schluck aus der Tasse nach. »Spade ist eine undurchsichtige Nummer im großen Spiel! Er hält definitiv die Hand auf, möglicherweise nach beiden Seiten. Sein Sohn heißt Michael, wird bald dreißig und hält sich für einen Künstler. Ir gendwas mit Bühnenstücken oder so. Warum willst du das wissen?« 7
Neugierig sah er mich an. Ich konnte die kleinen Rädchen in sei nem Gehirn förmlich arbeiten sehen. »Nur so. Da ist vorhin eine süße Maus in mein Büro reingeschneit und wollte mich auf den Vater ansetzen. Angeblich soll er ein paar Schläger auf seinen Filius gehetzt haben!« Brendon zog leicht die Augenbrauen hoch. »Könnte ich mir schon vorstellen. Der alte Spade ist wirklich 'ne harte Nummer. Wer war die Kleine?« »Lizzy Silver nannte sie sich.« Ein amüsiertes Grinsen spaltete Brendons Lippen. »Schau einer an! Die kleine Tanzmaus hat sich schon beim Vater gewärmt. Das hat sie sicherlich vergessen zu erwähnen, oder?« Ich schüttelte den Kopf und ein überraschter Ausdruck trat in sei ne Augen. »Das klingt spannend. Wieso soll der Vater denn die Schläger auf seinen Sohn angesetzt haben?« »Er will damit angeblich die Hochzeit zwischen Sohnemann und der Tanzfee verhindern.« Brendon ließ einen scharfen Pfiff hören. »Das könnte allerdings ein Motiv sein! Und, hast du den Auftrag angenommen?« Ich schüttelte den Kopf und schilderte den Abgang von Lizzy. Brendon grinste in sich hinein und wir spülten das Thema mit weiteren Whiskys herunter. * Am nächsten Tag hatte ich die Sache schon vergessen und saß mür risch an meinem Schreibtisch. Vor einer Stunde war Betty gegangen und nun fiel mir wieder al leine die Decke auf den Kopf. Da half nur eine geistige Stärkung. Ich zog die Schublade mit dem Flachmann auf und genehmigte mir einen dreistöckigen Whiskey. Als die Bürotür ohne vorheriges Anklopfen auf flog, zog ich alarmiert die zweite Schublade auf. Beim Anblick von Lie utenant James Quirrer von der Mordkommission schob ich die Schub 8
lade knurrend wieder zu. Es wäre reinste Verschwendung, diesem Trottel ein Stück Blei ins Hirn zu blasen. »Mitkommen, Connor! Sie stecken ordentlich in der Scheiße!« Ein zufriedenes Funkeln flackerte in seinen stumpfsinnigen Augen. »Quirrer, hauen Sie ab! Sie können mich mal, außer Sie haben ei nen Haftbefehl dabei!« Das Funkeln ließ ein wenig nach und daher wusste ich, dass er keinen Haftbefehl hatte. »Captain Hollyfield will Sie unverzüglich im Präsidium sehen!«, knurrte er böse. Das war schon etwas anderes, wenn der Leiter der Mordkommis sion nach mir fragte. Doch warum wollte er mich sehen? »Warum?« Quirrer schüttelte nur den Kopf und wies mit dem Daumen auf die Tür. Für einen Augenblick erwog ich den Gedanken, ihn aus meinem Büro zu werfen. Andererseits langweilte ich mich und daher beschloss ich, Hollyfield diesen Besuch abzustatten. Ich weigerte mich, in Quir rers Dienstwagen einzusteigen und brauste einfach mit meinem Ply mouth los. Der fluchende Lieutenant verschwand im Rückspiegel. Eine halbe Stunde später saß ich dem hünenhaften Leiter der Mordkommis sion gegenüber und wartete gespannt auf seine Eröffnung. Die hatte es dann auch in sich! »Was wollte Lizzy Silver von Ihnen, Connor?« Meine Alarmglocke schlug an und so stellte ich mich vorsichtshal ber unwissend. »Wer?« Morgan Hollyfield warf mir einen bösen Blick zu. »Sparen Sie sich das! Jane Bolder hat uns von dem Besuch er zählt. Also, raus mit der Sprache!« Was zum Teufel ging hier vor? Der Captain war ein ganz anderes Kaliber als Quirrer. Er hatte einen Kopf zum Denken und daher musste ich meine Antworten gut überlegen. Ich entschied mich für eine Teil wahrheit. »Ach, die Tanzmaus meinen Sie. Die war nur kurz bei mir. Ich glaube, ihr gefiel meine Art nicht! Warum fragen Sie nach ihr?« 9
»So, so. Lizzy Silver wurde heute Morgen tot aufgefunden. Er schlagen!« Verdammt! So dringend hatte ihr Anliegen gar nicht geklungen. Außerdem hatte sich die Lady doch viel mehr Sorgen um den Sohn vom Stadtrat gemacht. Was war da passiert? »Wer hat die kleine Lady denn ins Jenseits befördert?« Der Captain stieß einen ärgerlichen Seufzer aus. »Das versuchen wir ja gerade herauszufinden! Sind Sie sicher, dass sie nicht doch mehr erzählt hat?« Ich schüttelte den Kopf und wurde vom Läuten des Telefons er löst. Hollyfield meldete sich, hörte zu und knurrte einige Male in den Hörer. Offenbar setzte man ihn schon unter Druck. Als er den Hörer auf die Gabel schmetterte, wagte ich einen Vorstoß. »Druck von oben?« »War doch klar, wenn die Tote in der Wohnung von dem Sohn ei nes Stadtrats gefunden wird!« »Ja, mit Spade soll nicht gut Kirschen essen sein!«, rutschte es mir heraus. Hollyfield stürzte sich darauf wie ein Karpfen auf den Wurm. »Woher wissen Sie, dass es der Sohn von Spade ist?« »Nur so geraten. Eine Tanzfee, ein als Theaterschreiber lebender Sohn, da erschien es mir logisch!« Er musterte mich eingehend, doch dann nickte er nur. Glück ge habt. Als ich wieder in meinem Wagen saß, beschlich mich ein ungutes Gefühl. Ich hielt bei Henry's Steak Diner, in der Hoffnung, auf Brendon zu treffen. Doch er war scheinbar noch in der Redaktion der Tribune. Also machte ich mich auf den Weg dorthin. Da das Tribune Building ganz in der Nähe war, ging ich die paar Meter zu Fuß. Ich fand aber auch seinen Schreibtisch verwaist vor. Ich schrieb ihm eine Notiz und fuhr nach Hause. Im Büro wartete ja doch keiner auf mich. * 10
Der nächste Tag hielt die erste Überraschung bereits beim Aufwachen bereit: Die Sonne hatte sich nach Chicago verirrt. Mit offenen Fenstern und einer Lucky im Mundwinkel ließ ich meinen betagten Plymouth langsam Richtung Monroe Street rollen. Ich war ausgesprochen guter Laune, als ich die Bürotür aufstieß. Der ärgerliche Gesichtsausdruck von Betty konnte auch nichts daran ändern. »Ihnen auch einen schönen guten Morgen!«, rief ich ihr zu und erlebte das erste Echo in meinem Büro. Betty stieß ihre Antwort zwar verärgert hervor, doch das Echo war wesentlich freundlicher. Verblüfft drehte ich mich zur Couch um und wurde dafür belohnt. Eine Blondine lächelte mich aus hellblauen Augen an, die ich allerdings erst nach einer Rundfahrt über den ausgespro chen gelungenen Körper erreichte. »Sie wollen zu mir, Miss?« »Jane Bolder, Mister Connor.« Brav streckte sie mir eine schmale Hand hin, die ich vorsichtig schüttelte. Ich wies auf den Stuhl vor meinem Schreibtisch und hängte meinen Hut auf. Als ich hinter meinem Schreibtisch saß, schlug die Erkenntnis mit voller Wucht zu. »Sie sind die Freundin von Lizzy Silver?« Gut, ich war ein wenig laut mit der Frage herausgekommen. Doch deswegen hätte Jane nicht gleich einen Weinkrampf bekommen müs sen. Mit einem Satz war Betty an ihrer Seite, drückte ihre Schultern und warf mir vernichtende Blicke zu. Ich schielte in Richtung Schubla de mit dem Flachmann, schnipste mir stattdessen lieber eine Lucky in den Mund. Jane brauchte eine halbe Zigarettenlänge, dann hatte sie sich wieder in der Gewalt. »Tut mir Leid, Mister Connor. Aber Lizzy war wirklich eine gute Freundin und diesen brutalen Mord kann ich einfach nicht begreifen!« »Ja, solche Morde können einem ganz schön auf den Magen schlagen«, stimmte ich ihr zu. Die erneuten bösen Blicke von Betty ignorierte ich standhaft. »Was führt Sie nun zu mir, Jane?« Sie steckte energisch das Taschentuch weg und legte drei Scheine auf den Schreibtisch, zwei Hamiltons und einen Lincoln. 11
»Stimmt doch, dass Ihre Arbeit 25 Dollar kostet?« Ihre blauen Au gen schauten mich fragend an. »Stimmt. Für einen Tag!« Sie runzelte die hübschen Augenbrauen, dann nickte sie entschie den. »Gut, Mister Connor. Dann möchte ich Ihre Dienste für einen Tag in Anspruch nehmen. Finden Sie heraus, wer der Mörder von Lizzy ist!« Allright! Bei der Figur würde ich hundert Punkte vergeben, beim Hirn keine zehn. »Behalten Sie Ihr Geld lieber, Jane. An einem Tag kann niemand einen Mordfall lösen!« Da setzte sich Jane kerzengerade auf, was meinen Blick kurz ei nen besorgten Blick auf die Mantelknöpfe werfen ließ. »Aber ich weiß doch, wer der Mörder ist! Sie müssen ihn nur noch der Polizei übergeben, Mister Connor!« Auch Lizzys Freundinnen hatten ein Gefühl für gelungene Überra schungen. »Sie kennen den Mörder?«, fragte ich ungläubig nach. »Michael ist es natürlich nicht! Es kann nur Luca gewesen sein, dieser eifersüchtige Bandit!« Wer zum Teufel war dieser Makkaroni? Neugierig geworden hakte ich nach. »Wer soll dieser Luca sein? Ein ehemaliger Liebhaber von Lizzy?« Einen Moment zögerte das schlichte Gemüt, doch dann setzte sich scheinbar eine ordentliche Erziehung durch. »Nicht ganz. Also, Luca ist so etwas wie ein Dauerfreund von Lizzy. Verstehen Sie?« Dauerfreund? Ich warf einen fragenden Blick zu Betty, doch die bearbeitete sehr angestrengt einige Papiere. Mein Blick ging zurück zu den hellblauen Augen von Jane. »Was meinen Sie mit einem Dauerfreund? Hatte Lizzy immer noch was laufen mit diesem Luca?« Sie nickte, nur um gleich wieder den Kopf zu schütteln. Frauen! »Was denn nun? Hatte sie oder hatte sie nicht?« 12
Jane seufzte und erklärte mir dann die ganze Geschichte. »Also, Lizzy hat es mit den Männern nicht ganz so genau genommen. Bis sie Michael kennen lernte, hatte sie wechselnde Bekanntschaften. Doch in den Zeiten zwischen den Bekanntschaften ist sie mit Luca zusammen gewesen!« Donnerwetter! Das hätte ich der zierlichen Brünetten nicht unbedingt zugetraut. Sollte hier möglicherweise das Motiv für den Mord liegen? Simple Eifersucht? Ich zog die drei Scheine zu mir rüber und stopfte sie in die Tasche. »Wie heißt dieser Luca mit Nachnamen und wo kann ich ihn fin den?« Verblüfft schaute Jane mich an. »Na, Musella. Wo er wohnt, weiß ich nicht.« Immerhin hatte ich seinen Namen, die Adresse würde ich schon irgendwie herausbekommen. »Gut, Jane. Ich werde diesen Luca Musella ausfindig machen und ihm einige Fragen stellen. Warum gehen Sie nicht einfach zur Polizei?« Sie schüttelte entschieden den Kopf. »Das würde Vater nie erlauben. Der will keinen Ärger haben!« Sollte mir recht sein. Ich bestellte Jane für den nächsten Nachmit tag wieder ins Büro und machte mich an die Arbeit. Zuerst ließ ich mir von Betty eine Verbindung mit Brendon herstellen. Es ging nur ein Kollege an den Apparat. Ich hinterließ eine weitere Nachricht und bat um Rückruf. Dann nahm ich meinen Hut und machte mich auf den Weg zu Dunky in die North Clark Street. * Eine halbe Stunde später saß ich an seinem Tresen und studierte die anderen Gäste. Dunky war durchschnittlich mürrisch und hatte mir wortlos das Glas hingeknallt. Mit mir waren gerade einmal eine Hand voll Gäste in der Kneipe. Erst als Dunky den dritten Whiskey vor mir abstellte, wagte ich einen Vorstoß. »Hast du den Namen Luca Musella schon mal gehört?« Ohne das geringste Zögern nickte er. Bevor er sich wieder an das andere Ende des Tresens verziehen konnte, legte ich nach. 13
»Kennst du die Adresse des Makkaroni?« Er musterte mich kurz, bediente einen durstigen Kunden. Ich ließ mir Zeit mit dem dritten Whiskey. Endlich hatte der Kunde sich ent schieden und Dunky kam wieder rüber. »Für einen Hamilton kriegst du die Adresse und die Orte, an de nen er sich meistens aufhält.« Zehn Dollar bedeuteten bei Dunky Informationen der besseren Ka tegorie. Ich schob den Schein rüber und er nannte mir eine Adresse in der West 21st Street, eine heruntergekommene Gegend mit Bruchbu den. Doch seine Lieblingsorte gefielen mir schon besser. Das Star Blush war die Stammkneipe aller italienischen Ganoven und damit au tomatisch kein guter Ort für mich. Blieb die Randolph Street, auch als Theaterstraße bekannt. Hier hatte Lizzy auch ihren Job ausgeübt und das konnte kein Zufall sein. * In der Randolph Street parkte ich meinen Wagen und ging über eine Seitengasse zum Bühneneingang von Lizzys Theater. Als die Tür hinter mir ins Schloss fiel, umfing mich zunächst undurchdringliche Dunkel heit. Meine Augen benötigten einen Moment, bis sich Gegenstände und Menschen herausschälten. Dann schlenderte ich den Gang hinab und kam schließlich in den Saal mit den Tischen und der Bühne. Ein Mann am Klavier spielte eine schnelle Melodie und fünf Hupfdohlen versuchten, ihre Beine einheitlich dazu zu bewegen. Kein schlechter Anblick, doch dazu war ich nicht hier. Mir fiel ein älterer Mann auf, der Kisten hinter den Tresen schleppte. Ich stiefelte zum Tresen und lehn te mich dagegen. Er schuftete weiter und schenkte mir keine Beach tung. Erst als ich ihm die Packung Lucky Strike hinhielt, blieb er stehen und zog sich eine aus der Packung. Ich riss ein Streichholz an und hielt es an seine Zigarette, bevor ich meine Lucky in Brand setzte. »He, Mann. Hast du Luca heute schön gesehen?« Ein billiger Trick, doch heute war echt mein Glückstag. »Geh mal zu Freddy rüber. Luca hilft ihm heute mit den Lampen.« 14
Er drehte sich um und verschwand durch eine Tür, vermutlich die nächste Kiste Flüssiges ranschaffen. Mir reichte ein schneller Blick, dann hatte ich den Weg zu der Beleuchterbühne entdeckt. Ich durch querte den Saal und warf dabei noch einen Blick auf die Tänzerinnen. Ein schmächtiges Kerlchen stand bei ihnen und redete heftig auf sie ein. Wahrscheinlich versuchte er, ihnen die Geheimnisse von Takt und Rhythmus näher zu bringen. Dann stand ich in einem Seitengang di rekt unter der Leiter, die zur Beleuchterbühne hinaufführte. Ich über legte gerade, ob ich mich auf den Weg nach oben machen sollte, da erschienen Sohlen im Halbdunkel über mir. Vorsichtshalber machte ich einen Schritt zur Seite und wartete auf die Gestalt. Endlich konnte ich den Mann erkennen und war mir sofort sicher, einen Volltreffer gelan det zu haben. Die schmale Gestalt, die dunkle Hautfarbe und das ölige Haar ließen keine Zweifel aufkommen. »Hallo, Luca.« Er schaute mich an, versuchte offenbar mein Gesicht unterzubrin gen. »Kennen wir uns?« Ich setzte mein bestes hartes Gesicht auf. »Noch nicht. Ich suche den Mörder von Lizzy Silver!« Meine Worte trafen ihn wie Faustschläge. Er taumelte kreidebleich gegen die Wand. Ein besseres Schuldeingeständnis hätte ich mir gar nicht wün schen können! Jane lag offenbar goldrichtig mit ihrer Anschuldigung. Ich hätte al lerdings noch ein wenig mit dem Feiern warten sollen. Aus dem er schütterten Mann wurde urplötzlich eine menschliche Kanonenkugel. Mit gesenktem Kopf sprang das Bürschchen mich an und ließ mich zurückstolpern. Ich fand in letzter Sekunde Halt und stellte mich be reits auf eine wilde Verfolgungsjagd ein. Doch Luca dachte überhaupt nicht daran! Er sprang mich wie eine Wildkatze an und trommelte mit seinen Fäusten auf mir herum. Er war weder sehr stark, noch hatte er die dreckigen Tricks der Straße drauf. Kaum hatte ich die erste Überra schung verdaut, konnte ich ihn schnell zu Boden schicken. Als er den 15
noch wieder auf die Beine taumelte, packte ich ihn kurzerhand am Hemdkragen und drehte ihm die Luft ab. Sein Gesicht wurde knallrot, die Augäpfel quollen auf. Verzweifelt wehrte er sich gegen meinen Griff, doch dann erlahmte sein Widerstand und er sackte an der Wand herab. Heftig nach Atem ringend lag er gegen die Wand gelehnt am Bo den. Ich steckte mir eine weitere Zigarette an und gönnte ihm einige Sekunden zum Luftholen. Nicht zu lange, sonst hätte er die Lektion eventuell schon wieder vergessen. Ich zog ihn auf die Beine und stieß ihn gegen die Wand. »Nachdem wir das geklärt hätten, erzählst du mir lieber, warum du die kleine Tanzmaus aus dem Weg geräumt hast! Reine Eifersucht, oder was?« Allein die Erwähnung von Lizzys Namen reichte aus, schon wurde Luca wieder aufsässig. Ich knallte ihm die Rechte ins Zwerchfell und musste erneut einige Sekunden warten, bis er wieder einigermaßen Luft bekam. Dann überschüttete er mich mit einer Reihe von italieni schen Flüchen, spuckte sogar auf den Boden. Widerwillig empfand ich Respekt für diese kämpferische Einstellung, immerhin hatte ich den Burschen bereits zweimal zu Boden geschickt. »Halt den Rand! Erzähl endlich deine Geschichte, Luca!«, fuhr ich ihn an. Tatsächlich beruhigte er sich ein wenig, doch nur um in Tränen auszubrechen. Verdammt, diese Italiener konnten einem wirklich auf den Sack gehen. Ich wollte schon meine Rechte wieder in den Einsatz schicken, da verstand ich immer wieder einige Brocken. Mein Italie nisch bestand vor allem aus der Kenntnis der meisten Schimpfwörter, aber einige einfache Wörter verstand ich auch darüber hinaus. Wenn ich Luca richtig verstand, betrauerte er seine Schwester Lisa. Was hatte die denn mit der Sache zu tun? »Hör auf zu heulen und erklär mir endlich, was deine Schwester mit der Sache zu tun hat! War Lizzy eine Freundin von ihr?« Luca hob das verweinte Gesicht und trotz der Tränen konnte ich auch Wut in den dunklen Augen erkennen. »Lizzy war meine Schwes ter, du Idiot!« 16
Die Nachricht brachte mich so sehr aus dem Konzept, dass ich Lu ca die Beleidigung glatt durchgehen ließ. »Wie kann eine Lizzy Silver deine Schwester sein?« Ungläubig schüttelte er seinen Kopf, wischte sich mit dem Ärmel übers Gesicht. »Lizzy Silver war doch nur ihr Künstlername. In Wirklichkeit hieß sie Lisa Musella!« Selbst nach ihrem Tod hatte die Tanzmaus noch Überraschungen auf Lager. Ich schob den angeschlagenen Hilfsbeleuchter aus dem Theater und ging mit ihm in ein Speakeasy. Wir suchten uns einen Tisch in der hintersten Ecke und bestellten Whiskey. »Na, schön. Dann erzähl mal der Reihe nach, Luca.« Es folgte die rührselige Story von der ehrenwerten Familie, deren Tochter auf keinen Fall am Theater landen durfte. Der hilfreiche Bru der besorgte ihr dennoch den heiß begehrten Job und offiziell arbeite te Lisa als Garderobenfrau. »Zur Sicherheit hat sie sich den Künstlernamen Lizzy Silver zuge legt. Wir dachten, dann könnte ihr nichts passieren!« »Gut, so weit kann ich folgen. Wie passen aber Vater und Sohn Spade in diese Geschichte?« Er ließ eine neue Serie von Flüchen vom Stapel und spuckte auch wieder auf den Boden. Schien sich um ein italienisches Ritual zu han deln. »Der Stadtrat Spade ist sehr oft in die Vorstellung gekommen und hat Lisa umworben. Leider hat sie diesem Mistkerl geglaubt. Doch dann lernte sie Michael kennen und ab da gab es nur noch ihn für meine Schwester!« Daraus ließ sich wahrlich kein gutes Motiv für einen Mord ableiten. Aber erzählte der Makkaroni mir auch die ganze Wahr heit? »Wer hat deine Schwester auf dem Gewissen?« Ich sah in seine tränenfeuchten Augen und so entging mir nicht das tückische Aufflackern von Hass. »Einer der Spades und die werden es bitter bereuen! Die mach ich kalt!« Bei einem echten Mann hätte ich diese Drohung wahrscheinlich sogar ernst genommen, doch Luca war zu feige dafür. 17
»Keine tolle Idee! Bei dem Sohn könntest du noch Glück haben, aber der alte Spade ist einige Nummern zu groß für dich!« Resigniert ließ er den Kopf hängen, doch dann zuckte er hoch und lächelte mich strahlend an. Ich war geneigt mich umzudrehen, in der Erwartung, eine rasante Schönheit zu entdecken. »Du wirst es herausfinden! Du wirst den Mörder von Lisa finden und kaltmachen!« Ich nahm einen vorsichtigen Schluck von dem billigen Fusel, aber der konnte an dem plötzlichen Wahnsinn von Luca denn doch nicht schuld sein. »Langsam, Freundchen. Ich koste pro Tag 25 Dollar und Spesen kommen extra! Kannst du dir das überhaupt leisten?« Seine Hand ver schwand unter der Jacke und gleich darauf blätterte der Kerl zwei Jackson und einen Hamilton auf den Tisch. »Das ist die Anzahlung für die ersten beiden Tage. Wenn es län ger dauert, bekommst du mehr! Übernimmst du nun den Auftrag?« Zwei weitere Tage in Lohn und Brot, wobei ich davon gleich 30 Mäuse an Betty abdrücken musste. Die drei Scheine fanden ihren Weg in meine Tasche. »Gut. Ich suche den Mörder, aber wenn ich ihn habe, dann über gebe ich ihn der Polizei! Ist das klar?« Er machte zuerst ein trauriges Gesicht, doch dann nickte er zu stimmend. Ich trank noch einen Whiskey mit Luca und quetschte ihn nach Lisas Leben aus. Mittlerweile hatte ich mir angewöhnt, sie mit dem richtigen Namen anzusprechen, was Luca offensichtlich gefiel. Als wir uns vor der Tür des Speakeasy trennten, hatte ich einen neuen Freund gefunden und einen Makkaroni noch dazu. Etwas, was ich so gut gebrauchen konnte wie eine leere Whiskeyflasche. * Ich fuhr zurück ins Büro und staunte nicht schlecht, als ich Betty noch hinter ihrem Schreibtisch antraf. 18
»Hallo, Chef. Brendon hat sich gemeldet und einige interessante Sachen über Stadtrat Spade erzählt. Ich habe gleich mal einige Freun dinnen angerufen und einige spannende Geschichten erfahren!« Sie überraschte mich neuerdings mit echten Qualitäten und diese Freundinnen schienen eine wertvolle Informationsquelle zu werden. Ich warf meinen Hut auf die Garderobe, zog die Schublade mit dem Flachmann auf und fand sogar noch einen sauberen Kaffeebecher. Betty verfolgte misstrauisch, wie ich zwei Finger hoch Whiskey in den Becher einschenkte. Als ich ihr den Becher hinstellte und dann noch ihren Wochenlohn daneben legte, erschien ein zufriedenes Leuchten in ihren Augen. »Cheers, Betty. Fangen Sie mit dem Anruf von Brendon an und erzählen dann die Neuigkeiten von Ihren Freundinnen!« Ich setzte mich auf das Sofa und nahm einen kräftigen Schluck aus dem Flach mann. Betty tat es mir mit dem Kaffeebecher nach, nachdem blitz schnell die drei Scheine in ihrer Handtasche verschwunden waren. »Brendon schätzt den Stadtrat nicht besonders. Der hält wohl in beide Richtungen die Hände auf und soll mit Carpese und O'Malley gleichermaßen Geschäfte machen. Auf seinen Posten ist er durch den überraschenden Tod seines Vorgängers gekommen. Brendon weiß allein von drei Leuten, die kurz nach einer Auseinandersetzung mit Spade das Zeitliche gesegnet haben. Kein netter Mann, oder?« »Nein, eher ein gefährlicher Mann. Hat Brendon auch über Michael Spade Informationen gehabt?« Betty warf einen Blick auf ihren Notizblock und nickte. »Ja. Der Sohn hat nicht viel vom Vater, wie es aussieht. Er ist ein Stückeschreiber am Theater und lebt im Streit mit seinem alten Herrn. Die arme Lizzy war nur ein weiterer Anlass für das Zerwürfnis zwischen den beiden. Michael hat eine Wohnung in der North Franklin.« Das hätte ich früher wissen sollen, dann hätte ich mich gleich dort mit umsehen können. Die North Franklin war eine Querstraße zur Ran dolph Street. »Da gibt es aber eine Seltsamkeit bei dieser Lizzy Silver, Chef!« Ihre Augen funkelten vor Begeisterung über die Sensation. »Ach, ja? Erzählen Sie!« 19
Sie holte tief Luft und legte los. »Also, dass sie Tänzerin und Sän gerin am Theater war, wissen Sie ja. Doch sobald sie das Theater ver lassen hat, verschwindet sie spurlos und taucht aus dem Nichts wieder auf. Keine Adresse, keine Familie, einfach kein Hinweis! Ist doch merkwürdig, oder, Chef?« Erwartungsvoll schaute sie mich an und so tat ich ihr den Gefallen. »Nein, dafür gibt es eine ganz einfache Erklärung!« Neugierig beugte sich Betty vor und gewährte mir einen tiefen Einblick in ihren beachtlichen Ausschnitt. »Die gute Lizzy Silver heißt in Wirklichkeit Lisa Musella und der ita lienische Liebhaber ist ihr Bruder!« Betty lehnte sich so schwungvoll zurück, dass die Stuhllehne ge fährlich knirschte. »Ich beschaffe Ihnen erstklassige Informationen und Sie nehmen mich nur auf den Arm! Sie sind ein hinterhältiger Mistkerl!« Ihr Busen wogte vor Wut und sie verschränkte demonstrativ die Arme darüber. Ich hob abwehrend die Hände und redete schnell wei ter. »Nein, ganz ehrlich! Luca Musella ist tatsächlich ihr Bruder und die ganze Tarnung ist nur wegen der Familie. Ehrenwort!« Skeptisch mus terte sie mich, doch dann schenkte sie mir Glauben. »Donnerwetter! Das wird ja immer verwickelter. Dabei wissen Sie ja noch gar nicht, was meine Freundinnen zu berichten hatten!« Sie grinste mich schelmisch an und ergötzte sich an meiner Neu gier. »Na, los. Ich kann Ihr Gehalt jederzeit wieder kürzen!« »Pah! Ohne meine Freundinnen würden Sie gar nicht erfahren, dass die liebe Lizzy oder wie immer die Dame heißt eine kleine Neben einkunft zu haben schien!« »Was genau meinen Sie damit, Betty?« »Sie hat ein Konto bei einer Bank, dessen Einzahlungen nichts mit ihren Einkünften von dem Theater zu tun hatten!« »Woher stammen diese Einzahlungen?« Betty zog ärgerlich die Augenbrauen hoch. 20
»Also wirklich, Chef! Meine Kollegin bei der Bank verrät doch keine Bankgeheimnisse! Schließlich sind Sie doch der Detektiv, da werden Sie den Rest wohl allein herausfinden können!« Sie hatte zu ihrer schnippischen Art zurückgefunden. Innerlich gab ich ihr allerdings Recht. Ich setzte mich hinter meinen Schreibtisch und malte verschiedene Namen auf ein Blatt Papier. Stadtrat Spade, Micha el Spade und damit hatte es sich dann auch schon. Irgendwie hing scheinbar alles mit dieser Familie zusammen. Konnte es sein, dass die hübsche Lisa den guten Stadtrat erpresst hatte? Kannte sie ein paar schmutzige Geheimnisse, die sie zu Geld gemacht hatte? War die Tän zerin deswegen ins Jenseits befördert worden? Eine Menge Fragen und keine Antworten. Sollte Lizzy wirklich den Stadtrat erpresst haben, dann könnte man daraus zwei wichtige Schlüsse ziehen. Es musste schon etwas sehr Großes sein, denn für die üblichen Schweinereien spuckte der alte Spade mit Sicherheit keinen lausigen Dollar aus. Hatte er ein solch großes Geheimnis, hatte er au tomatisch auch das beste Motiv, die Tanzmaus zum letzten Walzer zu bitten. Mir fehlten eindeutig Hintergrundinformationen zu dem lieben Stadtrat Spade! Das laute Klingeln des Telefons unterbrach meine Grübeleien und ich lauschte dem Gespräch von Betty. »Pat Connor, Private Ermittlungen. Betty Meyer am Apparat. Ja, er ist da. Ich verbinde Sie!« Betty hatte eindeutig einen ihrer besseren Tage. Sie hatte es ge schafft, den Namen meines ehemaligen Partners wegzulassen, darum hatte ich sie bisher vergeblich gebeten! »Brendon für Sie, Chef!«, flö tete Betty und stellte das Gespräch auf meinen Apparat. Während ich mich mit Brendon unterhielt, packte Betty ihre Hand tasche und winkte mir im Gehen zu. »Gut, Brendon. Du beschaffst die Informationen und wir treffen uns in einer Stunde am üblichen Treffpunkt!« * Nachdem ich den Hörer aufgelegt hatte, zog ich die Schublade mit dem Flachmann auf. Ich genehmigte mir einen Denkbeschleuniger und 21
steckte mir eine Lucky zwischen die Lippen. Nach einer Weile begann ich im Büro auf und ab zu wandern, da mir dabei manchmal gute I deen kamen. Doch heute wollte auch diese Methode nicht zu Ergeb nissen führen, es fehlten mir einfach Hinweise. Ich blieb am Fenster stehen und schaute den Leuten auf der Straße zu, als mir eine wohl bekannte Gestalt auffiel. Jane Bolder trat aus einem Geschäft auf die Straße und schloss die letzten Knöpfe ihres Mantels. Ohne lange zu überlegen, eilte ich aus dem Büro und suchte ihre schlanke Gestalt auf der anderen Straßenseite. Sie schlenderte auf eine Treppe zur Hoch bahn zu, vermutlich hatte sie noch Zeit, bis ihre Bahn kam. Ich be schleunigte den Schritt und war bald nur noch wenige Meter hinter ihr. Der eng gegürtete Mantel unterstrich ihre rasanten Formen und ließ meine Fantasie Purzelbäume schlagen. »Hallo, Jane!«, sprach ich die Freundin von Lizzy an, die über rascht zu mir herumfuhr. »Tut mir Leid. Ich wollte Sie nicht erschrecken! Haben Sie Zeit, mit mir einen Kaffee zu trinken? Dann könnte ich Ihnen noch einige Fragen zu Lisa stellen.« Es war ein Schuss ins Blaue und er ging daneben. »Welche Lisa?« Sie war stehen geblieben und ihre blauen Augen blickten mich nachdenklich an. Bevor sie vor lauter Denkarbeit das Atmen vergaß, erlöste ich sie. »Das ist der richtige Name Ihrer Freundin Lizzy! Haben Sie Zeit?« Ihre Verwirrung wurde noch größer, daher fasste ich sie am Arm und schob sie sanft durch die Tür eines Restaurants. Es war ein tro ckenes Restaurant und ich bestellte zwei Tassen echten Kaffee für uns. Sie ließ sich widerstandslos aus dem Mantel helfen und so konnte ich den atemberaubenden Blick auf die sehr enge Bluse genießen. »Wieso sagen Sie, dass Lizzy in Wirklichkeit Lisa hieße?« Immerhin hatte diese Erkenntnis doch noch ihren Weg in ihr klei nes Gehirn gefunden. »Weil es stimmt! Lizzy Silver war nur ihr Künstlername. Sie war I talienerin und trug den schönen Namen Lisa Musella!« Vor Überra 22
schung blieb Jane der Mund offen stehen und entblößte zwei Reihen weißer Zähne. »Sie war Italienerin? War dieser Luca etwa ihr Mann?« Immerhin hatte sie soeben eine eigenständige Denkleistung vollbracht, die ei gentlich gar nicht einmal so schlecht ausgefallen war. »Nein. Luca Musella ist ihr Bruder und kommt daher für den Mord wohl kaum in Frage!« Diese Tatsache ließ Jane die Stirn runzeln und ich schlürfte den dünnen Kaffee, bis sie zu einem Ergebnis gekommen war. »Na, wer weiß! Wenn er Italiener ist? Man weiß ja, wie heißblütig die sein können.« Vor Verblüffung hätte ich mich fast an meinem Kaffee verschluckt. Donnerwetter, die Kleine hatte da einen wunden Punkt erwischt! Wenn Luca zufällig mitbekommen hätte, dass seine ach so liebe Schwester in Wirklichkeit eine üble Erpresserin war, was hätte er dann wohl ge macht? »Da haben Sie allerdings Recht, Jane. Ich werde dem mal auf den Grund gehen. Können Sie sich vorstellen, dass Lizzy möglicherweise Leute erpresst haben könnte?« Klirrend stellte sie ihre Kaffeetasse ab. »Lizzy? Niemals! Wir hatten keine Geheimnisse voreinander und für so etwas Schäbiges hätte sie sich nie hergegeben!« »Keine Geheimnisse? Wie würden Sie denn die Sache mit dem echten Namen und der italienischen Herkunft bezeichnen?« Sie klappte den Mund zum Protest auf, doch genauso schnell schloss sie ihren hübschen Mund wieder. Ein Blick auf die Uhr zeigte, dass ich mich zum Treffen mit Brendon auf den Weg machen musste. Doch das Gespräch mit dem blonden Busenwunder hatte sich gelohnt. Ich zahlte unseren Kaffee und verabschiedete mich von einer sehr nachdenklichen Jane. Fünf Minuten später saß ich in meinem Plymouth und rollte in Richtung Henry's Steak Diner. * Der nächste Morgen hatte es in sich. Brendon und ich hatten uns zu erst über den Stadtrat unterhalten und mir wurde dabei noch mal die 23
komplizierte Verstrickung der Verwaltung mit der dunklen Seite der Stadt klar vor Augen geführt. Wer es in Chicago zu etwas bringen woll te, entdeckte früher oder später die helfende Hand eines Gangsterbos ses! Spade machte da keine Ausnahme, ganz im Gegenteil. Danach drehte sich unser Gespräch um Theater und Tänzerinnen. Der zweite Themenkomplex beschäftigte uns ein wenig länger und erforderte reichlich geistige Anregung. Daher brummte mir der Schädel ganz schön. Kein Tag für langweilige Schreibtischarbeit, also hatte ich Betty über umfassende Ermittlungen informiert und ihr den Telefon dienst überlassen. Ihr Kommentar wurde durch die zufallende Tür gnädig verschluckt. Jetzt steuerte ich meinen Plymouth durch den lebhaften Berufs verkehr in Richtung der North Franklin. Dort lebt Michael Spade und es war an der Zeit, dem Ex-Verlobten von Lizzy auf den Zahn zu fühlen. Ich rauchte eine Lucky und ließ den Wagen rollen, beobachtete wenig interessiert das Armballett von Verkehrspolizisten. Ich fand in der North Franklin einen Parkplatz, der nur einen hal ben Block von Michael Spades Adresse entfernt war. Es war keine fei ne Adresse, aber auch keine der schlechteren Gegenden. Passend für einen wenig erfolgreichen Bühnenautor, weniger passend für den Sohn eines Stadtrats. Ich stieg die Außentreppe hinauf und wäre an der Eingangstür fast mit zwei schnatternden Frauen zusammengestoßen. »Michael Spade?«, fragte ich gedankenschnell. »Zweiter Stock, linke Tür«, schob die eine Frau die gewünschte Information in ihren Redefluss mit ein. Eine Minute später klopfte ich gegen die Wohnungstür, die natür lich kein Namensschild trug. Nach dem ersten Klopfen passierte nichts, also trommelte ich energischer und lauter gegen das Holz. Ich war mir sicher, dass ein Bühnenautor um diese Tageszeit in seiner Wohnung sein musste. Schlurfende Schritte hinter der Tür ließen leichte Zweifel über ih ren Bewohner aufkommen. Hämmerte ich vielleicht gerade gegen die Tür einer harmlosen, älteren Dame? Leise knarrend öffnete sich die Tür einen Spalt und ich erblickte ein wunderschönes, abklingendes 24
Veilchen. In der gelblich-bräunlichen Verfärbung schwamm ein brau nes Auge, das mich fragend und leicht ängstlich ansah. »Keine Angst, Michael. Ich will Ihnen nur einige Fragen zu Lizzy Silver stellen! Ich darf doch?« Bevor er die falsche Antwort geben konnte, schob ich die Tür ein fach weiter auf. Michael Spade wich erwartungsgemäß zurück und ich trat in das spärlich eingerichtete Wohnzimmer. Michael ging bis zu einem durchgesessenen Sofa zurück und ließ sich darauf fallen. Dabei ließ er mich keine Sekunde aus den Augen, während ich mich gegen das Fensterbrett lehnte. »Lizzy wollte mich beauftragen herauszufinden, wer Ihnen die Schläger auf den Hals gehetzt hat. Dummerweise hat ihr jemand den Schädel eingeschlagen, bevor ich richtig loslegen konnte! Irgendeine Idee, wer dafür verantwortlich sein könnte?« Michaels Gesichtsausdruck wechselte gleich mehrfach bei meinem kurzen Vortrag. Aus der anfänglichen Verblüffung wurde traurige Erin nerung und am Ende sprang sogar Wut in die braunen Augen. »Sind Sie vollkommen verrückt geworden? Ich habe Lizzy geliebt und würde ihr niemals etwas antun! Wir wollten doch heiraten.« Der letzte Satz kam kläglich heraus und wirkte überzeugend. Doch darauf gab ich nicht allzu viel, ich hatte schon ganz andere Unschulds bezeugungen gehört. Als Privatdetektiv lehrte einen das Leben, nicht zu sehr auf die Schauspielerei der Menschen hereinzufallen. »Wer weiß? Vielleicht störte Sie die Tatsache, dass Lizzy immer noch Gefühle für Ihren Vater hegte. Oder war es mehr die Erkenntnis, dass die Tanzmaus einfach nur auf das Luxusleben als Ihre Frau aus war?« Bleich vor Wut sprang Michael hoch und ging mit erhobenen Fäus ten auf mich los. Es wirkte nicht bedrohlich in meinen Augen, aber we nigstens ehrlich. Ich ließ ihn nur zwei Schritte weit kommen, dann ver setzte ich dem Jungen einen leichten Schlag vor die Brust. Er taumelte zum Sofa zurück. * 25
Im gleichen Moment ging die Wohnungstür auf und ein blonder Hüne trat ein. Als er mich und den zurücktaumelnden Michael erblickte, ließ er die Tüte mit den Einkäufen fallen und stürmte los. Der Mann war ein völlig anderes Kaliber und setzte mich zunächst erheblich unter Druck. Er konnte boxen und brachte gut trainierte Muskeln ins Spiel. Während ich dem ersten Schlag noch ausweichen konnte, erwischte mich seine Linke schmerzhaft an der Schulter. Da durch brachte er mich aus der Seitwärtsbewegung und so konnte ich dem Schwinger auf meinem Kinn nur halbwegs entgehen. Die harten Knöchel seiner Rechten streiften mein Gesicht und hinterließen ein scharfes Brennen. Da holte ich meine Tricks von der Straße raus und zeigte dem Athleten den Unterschied zwischen einem Boxkampf und einem Straßenfight. Zunächst bohrte ich zwei gestreckte Finger in seinen Solarplexus und zog dann sofort mein rechtes Knie hoch. Als er sich durch den schmerzhaften Stoß auf sein Zwerchfell vornüber beugte, krachte sein Kinn mit voller Wucht auf meine Kniescheibe. Ich spürte einen ste chenden Schmerz in der Kniescheibe, doch der Hüne krachte ohn mächtig zu Boden. »Scheiße! Was haben Sie mit Adam gemacht?« Ungläubig starrte Michael auf den nun friedlich schlummernden Hünen zu meinen Füßen. »Ihr Freund sollte sich angewöhnen, nicht jeden Mann sofort aus den Schuhen schlagen zu wollen! Wer ist der Bursche?« Michael sah mich mit neuem Respekt an, scheinbar hatte er noch nicht mit ansehen müssen, wie dieser Hüne auf die Bretter geschickt wurde. »Das ist Adam Logg. Er ist ein guter Freund und wollte mich nur beschützen! Er dachte, Sie wären einer der Schläger, deshalb hat er Sie angegriffen!« Netter Vorsatz, schlecht ausgeführt! »Während Adam seinen Gesundheitsschlaf nimmt, beantworten Sie mir meine Frage.« Ich versuchte die schmerzenden Stellen am Kinn und am Knie zu verdrängen und steckte mir eine Lucky zwischen die Lippen. Michael 26
sah mich angestrengt an, hatte offenbar den Faden verloren. Ich half ihm auf die Sprünge. »Lizzy. Wieso sollte ich Ihnen glauben? Vielleicht wollte sie ja nur den Sohn heiraten, weil es mit dem Vater nicht geklappt hat!« Erneut sprang der Wutfunke in seine Augen, doch dieses Mal blieb er brav sitzen. Ein Fortschritt! »Nein, verdammt noch mal! So war Lizzy nicht. Wir haben uns in einander verliebt und wollten heiraten. Ich habe schließlich sie gefragt, obwohl sie große Bedenken hatte!« Bedenken? »Was für Bedenken hatte Lizzy denn?« Er warf mir einen schrägen Blick zu. »Genau wegen dieser blöden Gedanken über sie und meinen Va ter. Sie wollte lieber noch warten, bis die Geschichte mit ihr und mei nem Vater vergessen wäre. Aber ich sah das nicht ein und habe sie überredet!« Während er mir antwortete, hatte er auf den sich regen den Adam geschaut. Doch dann hob er den Kopf und in seinen Augen stand ein lauernder Ausdruck. »Meinen Sie etwa, mein Vater hätte sie auf dem Gewissen?« »Glauben Sie es?«, gab ich den Ball zurück. Einen Moment schien er ernsthaft zu überlegen, dann schüttelte er den Kopf. »Nein, dafür war sie ihm nicht wichtig genug!« Adam setzte sich stöhnend auf, hielt sich den Kopf. Als er mich sah, wollte er auf die Beine kommen. Michael sprang hinzu und zog ihn auf das Sofa. »Beruhige dich. Das ist ein Privatdetektiv, der den Tod von Lizzy klären will!« »Wieso sprechen Sie eigentlich immer von Lizzy? Warum nennen Sie Ihre Verlobte eigentlich nie bei ihrem richtigen Namen?« Michael und Adam tauschten einen verwunderten Blick aus, dann sah Michael mich an. »Was soll das heißen? Ich kannte sie nur unter dem Namen Lizzy Silver! Wie alle anderen auch!« 27
Adam nickte und es überzeugte mich. Sieh mal einer an, nicht ein mal ihrem Verlobten hatte sie die ganze Wahrheit erzählt! Wann hätte sie es wohl machen wollen? »In Wirklichkeit hieß sie Lisa Musella und war Italienerin!« »Was?«, riefen beide Männer wie aus einem Mund. Die Überraschung war gelungen. »Bedeutet das etwa, dass dieser Luca ihr Mann war?« Adam hatte als Erster seinen Kopf zum Denken entdeckt. Michael starrte ihn ent setzt an. »Nein. Luca ist ihr Bruder und in seinem Auftrag ermittle ich auch!« Die Erleichterung stand dem Ex-Verlobten nur zu deutlich ins Ge sicht geschrieben. »Wieso hat sie es mir nicht erzählt? Hatte sie denn gar kein Ver trauen zu mir?« Meine nächste Frage würde ihm vermutlich auch nicht schmecken, aber darauf konnte ich wenig Rücksicht nehmen. »Woher hatte Lizzy die Extraeinnahmen auf ihrem Konto?« Ver wirrt sahen beide Männer zu mir rüber. »Von was für Extraeinnahmen und welchem Konto reden Sie da?« Michael sah völlig überfordert aus. Entweder war der Junge ein erstklassiger Schauspieler oder er war wirklich total ahnungslos. »Hatte sie möglicherweise einen lukrativen Nebenverdienst als Er presserin?« Michael kam wie der berühmte Kastenteufel aus dem Sofa hoch, doch Adam stoppte ihn mit einer Hand. »Lass ihn, Mike. Der Kerl klopft doch nur auf den Busch! Er hat Lizzy doch gar nicht gekannt, also stochert er ein wenig im Dunklen!« Mit einem vernichtenden Blick auf mich ließ Michael sich wieder aufs Sofa fallen. »Mensch, Lizzy war viel zu gut für krumme Geschäfte! Niemals würde sie einen Menschen erpressen!« Auf dieser Baustelle gab es im Augenblick kein Weiterkommen, al so änderte ich meine Taktik. 28
»Wieso glaubte Ihre Verlobte eigentlich, dass Ihr Vater die Schlä ger auf Sie gehetzt hätte?« »Weil seinem Alten so eine Schweinerei zuzutrauen gewesen wä re! Der hat doch mit allen Mitteln versucht. Michael und Lizzy ausein ander zu bringen!«, knurrte Adam wütend. »Sehen Sie das genauso, Michael?« Ein tief trauriger Blick aus braunen Augen zeigte seine Betroffen heit. »Sehen Sie, Vater hat es nicht wahrhaben wollen, dass Lizzy und ich glücklich waren. Er hatte Verständnis für eine kleine Affäre mit ei ner Tänzerin, aber sie zu heiraten kam für ihn natürlich nie im Leben in Frage!« »Wie haben Sie Lizzy eigentlich kennen gelernt? Durch Ihren Va ter?« Er lachte bitter auf. »Ja, so kann man sagen. Vater macht kein großes Geheimnis aus seinen Affären, er führt die Frauen sogar gerne vor. Bei einer Garten party war ich auch einmal dabei und da lernte ich sie kennen. Vater war betrunken und hatte sie gedemütigt, wollte sie mit Gewalt in sein Schlafzimmer zerren. Ich ging dazwischen und nahm sie mit hierher. Ab da blieb sie bei mir und wir haben uns ineinander verliebt.« Seine Stimme drohte zu brechen, offenbar nahm ihn der Tod der Tänzerin immer noch sehr mit. Ich glaubte immer weniger an seine Schuld und dennoch blieben reichlich Fragen offen. »Wie nahm Ihr Vater das auf? War er nicht stocksauer?« »Doch, natürlich! Keiner nimmt ihm seine Spielzeuge weg, auch nicht sein Sohn! Der Typ hat getobt und Lizzy am Theater aufgelauert, doch ich habe ihn vertrieben!« Adam ließ wenig Zweifel an seiner Ab neigung gegen Stadtrat Spade. »Daher glaubte Lizzy also an einen Auftrag des Vaters, als Sie zu sammengeschlagen wurden?« Michael nickte zustimmend. »Und? Waren es Schläger von Ihrem Vater?« Michael und Adam tauschten einen Blick, dann zuckten sie beide die Schultern. 29
»Was? Sie wollen mir weismachen, Sie wüssten es nicht?« Michael stieß einen ärgerlichen Ton aus, stand auf und ging im Raum umher. »Ich kann es weder mit Bestimmtheit sagen, noch kann ich es ausschließen! Vater greift hart durch, sonst hätte er es an den Docks nicht leicht.« An den Docks? »Was meinen Sie mit den Docks?« Er machte eine wegwerfende Handbewegung. »Ach, da laufen doch irgendwelche Geschäfte. Vater steckt da mit drin, aber so genau weiß ich es nicht! Will ich auch gar nicht! Das ist nicht meine Sache.« Mir ging eine andere Sache immer noch im Kopf herum. »Wenn wir einfach mal davon ausgehen, dass Lizzy doch mit Erpressung zu tun gehabt hätte, dann könnten diese Schläger doch auch deswegen aufgetaucht sein, oder?« Michael schüttelte nur heftig den Kopf. »Wo steckt denn da der Sinn drin? Warum sollten die Michael zu sammenschlagen?« »Vielleicht dachte jemand, er steckt mit drin?« Doch Adam schüttelte nur den Kopf. »Keine Spur! Dann hätten diese Typen doch etwas gesagt und ihn nicht nur verdroschen!« Da hatte der Hüne leider Recht. »Dennoch bleibt die Frage offen, woher Lizzy die Gelder für die Einzahlungen auf dem Sonderkonto genommen hat. Irgendwelche Vorschläge?« Eine Minute schwiegen wir, sodass nur gedämpftes Hupen von der Straße die Stille störte. Dann wagte Michael einen Vorstoß. »Könnte es nicht etwas mit dem Bruder von Lizzy zu tun haben? Diesem Luca?« »Wie kommen Sie darauf? Haben Sie etwas beobachtet?« Michael setzte sich wieder auf das Sofa. »Das nicht. Aber als Italiener könnte er doch in krumme Sachen verwickelt sein. Vielleicht schmuggelt er ja Schnaps?« 30
Toller Einfall! Nahezu jeder kleine Ganove hatte seine Finger in der Schwarzbrennerei, den Transport von illegal gebranntem Schnaps oder dem Absatz davon. »Durchaus möglich! Wer kann schon sagen, woher Dave seine Ware bezieht!«, ergänzte Adam. »Wer ist Dave?« Michael wies ungefähr in Richtung des Theaters, an dem Lizzy en gagiert gewesen war. »Das ist der Besitzer des Theaters. Er schenkt Schnaps aus und hat so seine Quellen.« Immerhin war es ein Ansatz, den ich ein wenig weiterverfolgen sollte. »Was wissen Sie noch über die Geschäfte Ihres Vaters?« Michael machte ein genervtes Gesicht. »Was soll diese Fragerei? Er hat Lizzy bestimmt nicht auf dem Gewissen oder verfolgen Sie gar nicht den Mörder von ihr?« »Ganz ruhig, Michael! Ich muss alle Wege ablaufen und es gibt möglicherweise einen Zusammenhang zwischen den krummen Ge schäften Ihres Vaters und dem Tod von Lizzy!« Michael machte weiterhin ein skeptisches Gesicht. »Kann ich mir nicht vorstellen, aber ich weiß zu wenig über seine Geschäfte. Tut mir Leid, aber da müssen Sie sich mit anderen Leuten unterhalten!« Auch das klang in meinen Ohren glaubwürdig. »Haben Sie einen Vorschlag, mit wem ich über die Geschäfte Ihres Vaters reden sollte?« Er grübelte eine Weile, dann nickte er langsam. »Da gibt es eine Art langjährige Vertraute meines Vaters, Wilma Hacket. Sprechen Sie mit ihr!« Er kannte leider keine Adresse dieser Vertrauten, aber der Name half mir schon weiter. Ich verabschiedete mich von den beiden Män nern und steckte mir auf der Treppe die nächste Lucky Strike an. Meine Kehle war zu trocken für konstruktive Gedanken, also machte ich mich auf den Weg zu geistigen Getränken. Ich ging zu meinem Wagen und beschloss, mein Glück zunächst in der Tribune zu versuchen. Vielleicht erwischte ich Brendon noch vor seiner Mittags 31
pause. Wir könnten dann gemeinsam bei Henry's einkehren und neben einer ordentlichen Mahlzeit auch einige Tassen guten Whiskeys durch die Kehle fließen lassen. Gleichzeitig könnte ich ihn über Wilma Hacket ausfragen oder ihn auf diese Dame ansetzen. Ich fand den Sportredakteur der Tribune weder an seinem Schreibtisch, noch speiste er in Henry's Steak Diner. Also konnte ich meinen Gedanken freien Lauf lassen, während in der Küche ein safti ges Steak für mich zubereitet wurde. Unterdessen trank ich meinen Whiskey. Als mein Steak mit einer Riesenportion Bratkartoffeln serviert wur de, widmete ich ihm meine völlige Aufmerksamkeit. Anschließend run dete ich das Mahl noch mit einem weiteren Whiskey und einer Lucky ab. * Die Tasse war gerade wieder leer, da erschien Brendon auf der Bildflä che. Sein Gesicht war gerötet und in den nächsten Minuten erzählte er voller Begeisterung von einem Interview mit einem neuen Spieler. Ich hörte ihm geduldig zu und trank dabei die dritte Tasse Whiskey, rauch te einen weiteren Glimmstängel. »Was macht dein Fall?« Das war mein Stichwort. Ich setzte ihn ins Bild und fragte nach neuen Informationen über Stadtrat Spade, Michael Spade, den Thea terbesitzer und natürlich Wilma Hacket. »Der Stadtrat hat eine Menge Einfluss auf das Bauamt und ver schafft für genügend Geld alle Genehmigungen. Er ist allerdings so teuer, dass ihn nur die Topleute bezahlen können. Der Hinweis auf die Docks hat es allerdings in sich. Es gibt einige Gerüchte, dass es eine Neuordnung bei den Schauerleuten geben soll. Vielleicht streckt Spade seine Fühler da gerade aus. Das wäre allerdings ein echt heißes Ei sen!« Sollte an dieser Sache doch mehr dran sein? »Wer macht für ihn eigentlich die Drecksarbeit?« 32
Brendon spülte den letzten Schluck Whiskey herunter und kam wieder auf die Beine. »Sorry, aber ich muss in die Redaktion. Bei den Geschäften mit den Genehmigungen übernehmen die harten Jungs des jeweiligen Bosses die Drecksarbeit! Was mit den sonstigen Sachen ist, kann ich nicht sagen. Über Michael Spade gibt es nicht viel zu sagen. Er ist ein mittelmäßiger Bühnenautor und das war es auch schon!« Wir gingen noch einige Meter zusammen, bis wir bei meinem Ply mouth ankamen. »Melde dich, sobald du mehr Informationen über diese Wilma und den Theaterbesitzer hast« Brendon winkte mir leutselig zu und verschwand. * Mein nächster Weg führte mich direkt zu Dunky. Es war erstaunlich voll in seinem Speakeasy und ich brauchte eine Weile, bis er sich Zeit nahm für meine Fragen. Ich wollte von ihm vor allem mehr über die Geschichte mit den Docks und dem Stadtrat erfahren. »Ich hör mich um.« Damit verschwand er und kümmerte sich zunächst um die Bestel lungen der anderen Gäste. Ich wollte nicht unnötig lange warten, also verließ ich seine Kneipe wieder und fuhr zurück ins Büro. Betty hatte bereits Feierabend gemacht und so setzte ich mich an meinen Schreib tisch. Ich stand zwar nicht mehr völlig im Dunkeln, doch eine konkrete Spur hatte ich ebenfalls noch nicht. Wenigstens hatte sich die Woche doch noch für meine Arbeit als Privatdetektiv entschieden. Mitten in meine Überlegungen läutete das Telefon. Ein angespannter Brendon meldete sich. »Ich habe wenig Zeit, Pat! Notiere dir die folgende Nummer, dar unter kannst du Wilma Hacket erreichen.« Er spulte eine Telefonnummer herunter und legte sofort wieder auf. Na, also! Ich bat bei der Vermittlung um eine Verbindung mit der angegebenen Telefonnummer, ohne viel Hoffnung, die gute Wilma um 33
diese Tageszeit zu Hause zu erwischen. Zu meiner Überraschung mel dete sich eine Agentur für Künstler. Als ich nach Wilma Hacket fragte, hieß es, die Chefin sei nicht zu sprechen. Ich ließ mir die Adresse der Agentur geben und beendete das Gespräch. Sie lag am oberen Ende der Randolph Street, also ganz in der Nähe der verschiedenen Theater und so machte ich mich erneut auf den Weg in diese Ecke von Chica go. Langsam kannte mein Wagen die Strecke besser als ein Taxi und ich konnte mir meine Fragen an Wilma während der Fahrt überlegen. Dass sie jetzt eine Künstleragentur leitete, machte mir Hoffnung. Mög licherweise war sie dadurch redseliger, als wenn sie immer noch in den Diensten des Stadtrats stünde. Ich war gespannt auf die langjährige Mitarbeiterin von Spade und rechnete mit einigen brauchbaren Er kenntnissen aus dem Gespräch. Ich musste den Wagen über einen Block von der Adresse entfernt abstellen und marschierte zu dem vier stöckigen Bürohaus zurück. * Wilma hatte ihre Agentur im ersten Stock und es herrschte reichlich Betrieb. Hinter einem Schreibtisch thronte eine blondierte Mittfünfzi gerin, deren Stimme ich gleich wieder erkannte. Sie hatte mich erfolg reich am Telefon abgewimmelt und führte auch mit den vielen Künst lern ein strenges Regiment. Durch den ganzen Rummel nahm sie mich nicht weiter zur Kenntnis, kommandierte die Arbeit suchenden Künstler herum. Bald hatte ich die Tür ausgemacht, hinter der Wilma offen sichtlich ihr Büro hatte. Durch die straffe Steuerung des Vorzimmer drachens blieben die Besucher meist keine fünfzehn Minuten bei ihr. Also passte ich diese Zeitspanne ab und baute mich unauffällig in der Nähe der Bürotür auf. Als sich ein schmächtiges Kerlchen in der Tür blicken ließ, drängte ich mich kurzerhand an ihm vorbei. Eine verblüffte attraktive rothaarige Frau etwa Ende zwanzig wich zurück. Ich ignorierte die aufgebrachte Stimme in meinem Rücken und knallte die Tür zu. »Ein ganz schlechter Anfang, wenn Sie über meine Agentur an Aufträge kommen möchten!« 34
Wilma hatte ihre Selbstbeherrschung wiedererlangt. »Keine Sorge. Ich habe einige Fragen zu Ihrer Beziehung zu Stadtrat Spade. Es geht um den Mord an Lizzy Silver!« Beim ersten Namen zogen sich ihre Pupillen ärgerlich zusammen, bei Lizzys Namen verflog der Ärger sofort wieder. Sie machte einen Schritt an mir vorbei und verließ ihr Büro. Wollte sie mich einfach stehen lassen? Ich sah, dass Wilma einige Worte mit ihrem Vorzimmerdrachen wechselte und dessen Protest erstickte. Dann kam sie wieder ins Büro und bot mir einen Platz an. Wir setzten uns an einen runden Tisch mit drei Stühlen, der vor einer Wand mit lauter Plakaten und Fotografien stand. Einige der Gesichter kannte sogar ich. »Das ist Jo Oliver im Lincoln Gardens«, erklärte Wilma mir, als ich das Plakat von King Oliver oder auch Papa Jo betrachtete. »Ich weiß. Ich war schon öfter im Lincoln Gardens. Gehört er zu Ihren Kunden?« Sie nickte lächelnd und ich verstand die Botschaft. Wilma hatte gute Kunden und entsprechenden Einfluss. »Hatten Sie die Agentur schon vor Ihrer Zeit mit Spade?« Das Aufflackern von Wut in ihren Augen zeigte mir, dass sie auch meine Botschaft verstanden hatte. »Allerdings! Wer sind Sie und was haben Sie mit dem Tod der ar men Lizzy zu tun?« Jetzt waren die Fronten geklärt und sie kam zur Sache. »Mein Name ist Pat Connor. Der Bruder der Ermordeten hat mich beauftragt, den Mörder zu finden!« Einen Augenblick musterten wir uns schweigend. »Erzählen Sie mir etwas über Spade.« »Warum interessieren Sie sich für den Stadtrat? Der Sohn war doch mit Lizzy zusammen!« Ganz schön sperrig, die Lady. »Können Sie sich vorstellen, dass der Vater etwas gegen die an stehende Hochzeit seines Sohnes mit Lizzy hatte?« Endlich eine Reak tion. Wilma zuckte deutlich zusammen bei der Frage. 35
»Michael wollte Lizzy heiraten?«, fragte sie sichtlich erschüttert. »Hätte das dem Vater missfallen?« Langsam wurde mir das Spiel zu blöd! Ich wollte Antworten und keine Gegenfragen. »Wollen oder können Sie nicht reden, Wilma?« Sie schoss einen bösen Blick aus den flaschengrünen Augen ab. »Sparen Sie sich diese Anspielungen! Ich bin dem Stadtrat nichts schuldig und ich traue ihm jede Schweinerei zu!«, fauchte sie erregt. Vor Zorn hatte sich ihr Gesicht leicht gerötet. »Kommen Sie, Wilma! Erzählen Sie mir mehr über Spade.« Sie senkte einen Augenblick den Blick. »Na, schön. Ich erzähle Ihnen etwas über Spade. Er ist der abso lute Machtmensch und kennt kein Erbarmen. Er kassiert Schmiergelder für Genehmigungen, damit Clubs aufgemacht werden können. Er hält sich Liebhaberinnen und demütigt seine Frau und seinen Sohn, wo er nur kann. Michael kommt mehr nach seiner Mutter und liebt das Thea ter, doch sein Vater will ihn unbedingt in die Stadtverwaltung brin gen!« Sie spuckte die Sätze geradezu aus und musste jetzt erst einmal Luft holen. »Hat er Michael die Schläger geschickt?« Sie zuckte mit den schmalen Schultern. »Durchaus möglich. Er lässt sich nun einmal nicht gerne etwas wegnehmen! Schon gar nicht vom eigenen Sohn!« Ein spöttisches Lä cheln umspielte ihre vollen Lippen. »Also stimmt es, dass Lizzy ein Verhältnis mit dem Stadtrat hat te?« »Allerdings! Sie wurde am Theater vom Vater entdeckt. Er hat sie mit Geschenken überhäuft und ihr von seinem großen Einfluss erzählt. Natürlich hat sie die Chance ihres Lebens gewittert und ist willig unter seine Bettdecke geschlüpft, die dumme Gans!« Sie konnte die Verbitterung nicht völlig aus ihrer Stimme verban nen. »Was passierte dann?« Sie lachte leise auf. 36
»Na, ja. Michael sah sie und verliebte sich. Er gefiel ihr auch und Lizzy beendete ihr Verhältnis mit dem Vater. Wo die Liebe eben hin fällt!« Ihre Stimme wurde spröde, als sie weiterredete. »Der Stadtrat soll getobt haben, als sie wegging. Er hat ihr ge droht, ihre Karriere zu zerstören. Doch sie ist dennoch bei Michael geblieben!« Mir kam ein neuer Gedanke. »Wollte sich Michael eventuell nur am Vater rächen?« Wilma sah mich nachdenklich an, dann schüttelte sie den Kopf. »Nein. So ein Verhalten passt zum Stadtrat, aber nicht zu Michael! Dass er Lizzy heiraten würde, hätte ich aber auch nicht erwartet.« Immer noch schien sie diese Tatsache zu beschäftigen. »Kann der Vater darüber so wütend geworden sein, dass er Lizzy hat ermorden lassen?« Ich wollte endlich eine Antwort auf diese Frage. »Ja, Mister Connor. Ich glaube schon, dass er es veranlasst haben könnte. Aber Sie werden es nie beweisen können, dafür ist er viel zu clever!« Sie sagte es voller Überzeugung. »Das überlassen Sie nur mir, Wilma! Was wissen Sie über die Ak tivitäten des Stadtrats in den Docks?« Ihre Augenbrauen rutschten hoch und die Augen veränderten sich von Flaschengrün in Smaragdgrün. »Sie bewegen sich auf gefährlichem Gebiet! An den Docks weht ein sehr rauer Wind und damit will ich nichts zu tun haben! Ich kann Ihnen keine weiteren Informationen geben, Mister Connor!« Sie stand auf und öffnete einfach die Bürotür. Fürs Erste reichten mir die Antworten und so nahm ich den Rauswurf gelassen hin. Als ich an ihr vorbeiging, raunte sie mir noch eine Warnung zu. »Bleiben Sie von den Docks weg!« Ich schenkte ihr mein bestes Grinsen und verließ unter den giftigen Blicken der Sekretärin die Agen tur. * 37
Nach diesem trockenen Gespräch verlangte meine Kehle nach einem oder mehreren kräftigen Drinks. Da Dunky mir noch Antworten schul dete, fuhr ich direkt zu seiner Flüsterkneipe. Schon beim Eintreten sah ich neue Gesichter. Ich setzte mich ans Ende des Tresens und machte Dunky ein Zeichen. Sekunden später benetzte ordentlicher Whiskey meine ausgedörrte Kehle und meine Stimmung stieg um einige Nuan cen. Nach dem zweiten Glas hob ich nur den Blick und schon stand Dunky mit der Flasche wieder vor mir. Er schenkte das Glas wieder voll und bevor ich fragen konnte, murmelte er nur: »Hamilton.« Da die Höhe seiner Forderungen immer im Einklang mit dem Wert seiner Informationen stand, legte ich widerspruchslos zwei Lincolns auf den Tresen. Die beiden Fünfer waren schneller verschwunden als ein Wassertropfen auf einem heißen Stein. »Die Hallen an den Docks werden neu aufgeteilt und Spade hängt da voll mit drin! Um Mitternacht soll es ein Treffen der verschiedenen Leute geben. Man hört da so einiges und dabei ist nichts Gutes. Lass die Finger davon, das ist eine Nummer zu groß für dich!« Die Informationen waren ihr Geld wert, aber der Rat überraschte mich. Dunky zählte mit Sicherheit nicht zu den Menschen, die sich allzu sehr um das Wohlergehen anderer kümmerten. Bisher hatte er noch nie eine derartige Warnung ausgesprochen und das machte mich doch nachdenklich. Nach dem dritten Glas verließ ich das Speakeasy wieder und fuhr ins Büro. Betty hatte natürlich längst Feierabend gemacht, aber eine Notiz lag auf meinem Schreibtisch. Brendon bat um Rückruf wegen meiner Nachfrage. Ich ließ mich gleich mit dem Sportredakteur der Tribune verbinden und lauschte auf das Läuten. Endlich meldete Brendon sich mit gehetzter Stimme. »Ich habe wenig Zeit, Pat. Die Sache mit den Docks scheint zu stimmen, denn es gibt da heftige Verteilungskämpfe. Immerhin kommt eine Menge Stoff über den Michigan und da sind die Hallen im Hafen sehr wichtig! Einer meiner Kollegen hat da was läuten hören, dass 38
Spade sich neuerdings mit einigen harten Jungs umgibt. Achte also auf deinen Rücken!« Er rief etwas zu einem Kollegen, dann verabschiedete er sich ab rupt. Über den Theaterbesitzer hatte ich immer noch keine brauchbaren Informationen. Ich steckte mir eine Lucky an und dachte über meine nächsten Schritte nach. Es war schon Abend und es gab nur eine kon krete Spur. Ich zog die Schublade mit dem Smith & Wesson auf und band mir das Schulterhalfter um. * Der Plymouth trug mich zehn Minuten später auf die North-Side. Der Verkehr war sehr zähflüssig und einsetzender Regen machte die Fahrt auch nicht angenehmer. Schließlich erreichte ich die Villa des Stadtra tes und fuhr langsam daran vorbei. Eine hohe Mauer mit zusätzlichen Gitterstäben schirmte das Grundstück vor Blicken ab. Das zweiflüglige Tor war dicht, nur ein Gärtner arbeitete in einem Beet. Ich stellte mei nen Wagen in einer Nebenstraße ab, damit er nicht auffiel. Die alte Kiste passte nicht gut in diese Gegend und ich wollte keine unnötige Aufmerksamkeit erregen. Mit Hut und Mantel gegen den Nieselregen geschützt, umkreiste ich das Grundstück zu Fuß. Es gab eine Seitentür, die allerdings fest verschlossen war. Schließlich stand ich vor dem gro ßen Eingangstor und versuchte dort mein Glück. Doch auch hier war alles fest verschlossen und ich musste mehrfach laut rufen, bevor der Gärtner sich zum Tor bequemte. »Was wollen Sie«, knurrte er unfreundlich. »Zu Mistress Spade!«, startete ich einen Versuchsballon. Der Ballon platzte mir mitten ins Gesicht. »Verpiss dich, du Penner!«, knurrte er böse und ging wieder an seine Arbeit. Die Frau des Hauses schien nicht für mich zu sprechen zu sein! Ich hakte den Versuch leise fluchend ab und ging zu meinem Wagen zurück. Ich musste eine Viertelstunde fahren, bis ich ein Speakeasy entdeckte. Dort genehmigte ich mir zwei Bier. Anschließend trank ich 39
noch einen Whiskey, der allerdings kaum den Namen verdiente. Da nach machte ich mich wieder auf den Weg zu Stadtrat Spades Villa. Regen und Dunkelheit sorgten für eine vorzügliche Deckung. Ich musste gar nicht lange warten, dann schob ein schwarzer Lincoln seine breite Schnauze vom Grundstück auf die Straße. Ich gab der Limousi ne ein wenig Vorsprung, dann rollte ich hinterher. Das Ziel war mir klar und bald wurde meine Annahme bestätigt. Es ging zum Calumet Harbor, wo die vielen Frachthallen waren. Hier wurden Waren in Millionen-Dollar-Höhe umgeschlagen und ent sprechend begehrt waren die Hallen. Die späte Stunde sorgte für we nige Leute im Hafen, aber ganz kam der Betrieb hier nie zum Ruhen. Der Lincoln rollte tief in das Gebiet hinein und bald musste ich mir eine dunkle Ecke für meinen Wagen suchen. Ich stellte ihn neben einen Stapel mit Kisten und rannte im Schatten einer Halle dorthin, wo ich den schwarzen Wagen von Spade zuletzt gesehen hatte. Ich blieb an der Ecke der Halle stehen und zog den Hut tiefer in die Stirn. Wieder einmal machte die Windy City ihrem Namen alle Ehre und trieb mir den Nieselregen ins Gesicht. Ich suchte mit den Augen die nächsten Hallen ab und brauchte eine Weile, bis ich den Lincoln ent decke. Er parkte zwischen zwei Hallen knapp zwanzig Meter vor mir. Da ich keine Aufpasser erblickte, rannte ich in langen Sätzen zu dem Wagen. Er war verlassen und so konzentrierte ich mich auf die ersten Halle. Aus einigen Kästen baute ich mir eine Rampe und erreichte so ein Fenster in drei Meter Höhe. Ich sah allerdings nur eine undurch dringliche Finsternis und hörte außer dem Wind keine Geräusche. Schnell stieg ich wieder vom Stapel herunter. Den letzten Meter über wand ich mit einem Sprung, federte in die Knie ab und dann explo dierte mein Kopf! * Als ich meine Augen wieder aufmachte, blendete mich helles Licht. »Nehmt die Scheißlampe weg!«, forderte ich, wobei mir fast der Schädel platzte. 40
Hämmernde Kopfschmerzen waren die Nachwirkungen der üblen Behandlung. »Schau an, der Schnüffler ist wieder unter uns!«, knurrte eine raue Stimme. Ich versuchte an der grellen Lampe vorbeizuschauen, ohne Erfolg. Dafür kassierte ich einen Schlag von schräg hinten, der sofort wieder Sterne vor meine Augen zauberte. »Versuch das mal, wenn ich nicht gefesselt bin!«, bellte ich wütend ins Dunkle. Sie hatten mich fachmännisch an einen Stuhl gebunden, sodass ich nur meinen Kopf bewegen konnte. Brüllendes Gelächter quittierte meine Worte und dann schob sich endlich das Licht zur Seite. Ich sah eine schemenhafte Gestalt, die neben einem Stapel Kisten zum Vor schein kam. Erst als sie am Rande des Lichtkegels auftauchte, konnte ich sie vernünftig erkennen. Der Bursche hatte etwa meine Größe, trug einen eleganten Nadel streifenanzug und statt einer Krawatte ein Seidentuch. Seine Haare hatte er mit Öl glatt an den Kopf geklatscht und seine Gamaschen ver ursachten leise klackende Geräusche. Kalte, graue Augen musterten mich. Es lag keinerlei Gefühl in diesen Augen, während er mit einer Zigarette spielte. Unentwegt ließ er sie durch die Finger seiner linken Hand wandern, ohne sich die Finger zu verbrennen. Die rechte Hand stützte sich auf einen Gehstock mit einem silbernen Löwenkopf. Der Bursche strahlte die typische Eleganz eines Gangsters aus, der sich bereits ein Stück die Karriereleiter hinaufgearbeitet hatte. »Was willst du hier, Schnüffler?«, fragte er mit leiser Stimme, die mir einen kalten Schauer über den Rücken jagte. Sie war nahezu tonlos, wie bei einem Mann, der schon einmal fast erwürgt worden wäre. »Nur einen kleinen Spaziergang machen. Das Wetter ist so schön und die Aussicht hier im Hafen besonders reizvoll!« Das kalte Lächeln verhieß nichts Gutes. Der Schlag erwischte mich von der linken Seite, wenigstens in dieser Hinsicht eine Abwechslung. Mein Kopf ruckte hart zur Seite und eine Minute schwebte ich zwischen Ohnmacht und Bewusstsein. Zum Glück hatte ich einen irischen Schä 41
del, der viel einstecken konnte. Ich blieb bei Bewusstsein und langsam ebbte der dröhnende Schmerz ein wenig ab. »Sag deinem Schläger, er soll aufhören, meinen Kopf mit einem Punchingball zu verwechseln!«, knurrte ich den Dandy an. »Versuchen wir es noch mal. Was suchst du hier?« Eins musste man ihm lassen, viele Worte machte der Bursche nicht. Mit der Wahrheit konnte ich hier keinen Blumentopf gewinnen, also zauberte ich eine Geschichte aus dem Hut. »Na, gut. Ich beschatte einen Typen, der sich zu gerne mit seiner Sekretärin vergnügt. Der Mann der Sekretärin möchte gerne Details!« Während ich den Dandy gut im Auge behielt, suchten meine Oh ren die Umgebung ab. Vielleicht konnte ich den nächsten Schlag recht zeitig erahnen und ihm somit einen Teil der Wirkung nehmen. Der Dandy sah mich forschend an, dann nickte er und drehte sich um. Der Schläger verursachte leider kein verdächtiges Geräusch und schon gingen bei mir die Lichter aus. * Feuchte Kälte weckte mich auf. Ich lag nicht weit von einem Poller entfernt am Hafenbecken. Möwen kreischten laut über meinem Kopf und die ersten Anzeichen der beginnenden Dämmerung setzten sich durch. Es würde nicht mehr lange dauern, dann strömten die Schauer leute zur Frühschicht. Mühsam zog ich mich bis zum Poller und lehnte mich stöhnend dagegen. Mein Magen fuhr Fahrstuhl und meine Augen waren ver klebt. Als ich mit der Hand über das Gesicht fuhr, spürte ich eine dicke Flüssigkeit. Mit einer bösen Ahnung hielt ich die Hand vor meine Au gen und konnte im grauen Dunst Blut darauf erkennen. Mit dem letz ten Schlag hatte der Schläger mir eine wild schmerzende Platzwunde am Kopf verpasst. Mühsam kämpfte ich die Übelkeit hinunter, dann zog ich mich auf den Poller. Als ich so weit gekommen war, drehte sich der Pier vor meinen Augen. »Solide Gehirnerschütterung, mein Alter!«, klärte ich mich selbst auf. 42
Aber immerhin war ich nicht mit Betonschuhen in den See ge schickt worden. Entweder hatte der Dandy mir meine Geschichte ab gekauft oder sie wollten kein unnötiges Aufsehen auf diesen Teil der Hallen ziehen. Ich tippte auf die zweite Begründung für mein schmerz haftes Leben. Nach fünf Minuten tiefen Durchatmens wagte ich mich an den nächsten Schritt. Vorsichtig kam ich auf die Beine und taumelte langsam in Richtung meines Wagens. Erst ging es schlecht, doch nach und nach kehrten meine Lebensgeister zurück. Einige Hafenarbeiter grinsten breit bei meinem Anblick, bis ihnen das Blut auffiel. Dann ver schwand das Grinsen und sie sahen sich misstrauisch um. Hilfe konnte ich von diesen Kerlen nicht erwarten. Ich schaffte den Weg bis zum Plymouth in rekordverdächtiger Zeit. Ein Lahmer auf Krücken hätte mich spielend abgehängt. Erleich tert rutschte ich hinter das Lenkrad und lehnte mich eine Weile zurück. Ich wartete, bis sich die ärgste Übelkeit beruhigt hatte, dann startete ich den Wagen und fuhr ins Büro. Die Fahrt wurde zur reinen Tortur und mein Schutzengel musste Überstunden eingelegt haben, damit ich ohne Unfall mein Büro erreichte. Ich taumelte mich an der Wand ab stützend die Treppe hinauf und schaffte es mit Mühe bis zur Couch. Dort kippte ich einfach um. * Aufgeregte Stimmen holten mich ins Bewusstsein zurück und als ich mich aufrichten wollte, drückte mich jemand zurück. Betty stand hinter dem Sanitäter, dessen Hand auf meiner Schulter lag. »Mensch, Chef! Sie haben mir aber einen ordentlichen Schreck eingejagt! Ich dachte, Sie wären tot!« »Tut mir Leid, Betty. Der Fall ist noch nicht abgeschlossen, so lan ge muss ich noch, unter den Lebenden bleiben!« Betty schüttelte nur den Kopf und machte einem zweiten Sanitäter mit einer Trage Platz. »Nicht so schnell, Männer! Ein einfacher Verband reicht völlig!«, legte ich unverzüglich Protest ein. 43
Hinter dem zweiten Sanitäter erschien ein Mann im Anzug, der die typische Arzttasche in der Hand hielt. »Nein, Mister Connor! Sie kommen ins Krankenhaus, da Sie eine schwere Gehirnerschütterung haben. Die Kopfwunde muss außerdem genäht werden!« Er gab den beiden Männern ein Zeichen und sie bugsierten mich gekonnt auf die Liege. Seltsamerweise ließ mein Kopfschmerz nach und auch mein Widerspruchsgeist wollte sich nicht mehr richtig entfal ten. Da wurde mir schlagartig klar, dass der Doc mir irgendetwas ge spritzt haben musste. Es blieb mir nichts weiter übrig, als mich in mein Schicksal zu fügen. »Brendon«, konnte ich Betty noch zuflüstern, bevor die kräftigen Sanitäter mich aus dem Haus trugen. Betty blieb bis zum Sanitätswagen an meiner Seite und nickte mehrfach. Die Türen des Wagens hatten sich noch nicht ganz ge schlossen, da dämmerte ich bereits wieder weg. Es fühlte sich so gut an, dass ich mich einfach fallen ließ. Das Zeug vom Arzt war wirklich klasse. Den restlichen Tag verbrachte ich mehr oder weniger im Däm merschlaf. * Irgendwann wurde ich allerdings richtig wach. Mein Schädel dröhnte erbärmlich, meine Kehle war ausgedörrt und mein Magen knurrte. Als endlich eine diensteifrige Krankenschwester ins Zimmer schaute, rekla mierte ich den schlechten Service. »Bekommen die Patienten erst zu essen und zu trinken, wenn die Rechnung bezahlt ist? Seien Sie ein Schatz und beschaffen Sie mir eine Kanne Kaffee und ein Steak mit Bratkartoffeln, Schwester!« Ich versuchte mein bestes Grinsen bei der eindeutig irischen Schwester, doch sie prüfte nur umständlich meinen Puls. »Sie verhungern schon nicht, Mister Connor! Wenn der Arzt Sie untersucht hat und einverstanden ist, können Sie eine Kleinigkeit es sen. Wasser oder Tee können Sie sofort bekommen!« 44
Sie versuchte erst gar kein Lächeln und meins gelang auch nicht richtig. Wasser oder Tee? »Wollen Sie einen Landsmann umbringen, Schwester? Mischen Sie wenigstens einen ordentlichen Schluck ins Wasser, dann dreht sich mein Magen vielleicht nicht gleich um!« Kommentarlos rauschte sie davon. Zehn Minuten später betrat ein Arzt mein Zimmer und lächelte mir zu, als ich tapfer pures Wasser in mich hineingoss. »Schön, Sie wieder unter den Lebenden anzutreffen. Wie fühlt sich Ihr Kopf an?« Er hielt mir eine Taschenlampe vor die Augen und suchte schein bar mein Hirn. »Meinem Kopf würde es weit besser gehen, wenn man mich nicht auf Wasser und Brot gesetzt hätte!«, knurrte ich den Mann missmutig an. Er lachte über den schlechten Witz, offenbar ein Mann mit einfa chem Humor. »Keine Angst, Mister Connor. Freunden vom Stadtrat Spade haben wir bisher immer den besten Service geboten!« Freunden vom Stadtrat Spade? Hier lief was schief! Scheinbar be fand ich mich immer noch im Reich der Träume, ansonsten gäbe diese Bemerkung des Arztes keinen Sinn! »Schade, Doktor. Für einen Moment habe ich tatsächlich ange nommen, Sie wären echt. Leider sind Sie nur eine Traumfigur!« Der Arzt hob erstaunt den Kopf, unterbrach die Untersuchung des Oberkörpers. »Wie kommen Sie denn darauf? Natürlich bin ich echt!« Ein merkwürdiges Gefühl beschlich mich, doch dann fiel mir erst mals das komfortable Zimmer auf. »Sie meinen es völlig ernst mit dem Stadtrat Spade, oder?« »Natürlich! Er hat uns ausdrücklich angewiesen, Ihnen die best mögliche Versorgung zukommen zu lassen. Er bestand auf Unterbrin gung in einem Einzelzimmer. Ich bin Doktor Fitzgerald!« Den Namen hatte ich längst auf dem Schildchen an seinem Kittel gelesen, doch der Rest haute mich aus den Schuhen. Wieso gehörte 45
ich auf einmal zu den Freunden von Stadtrat Spade? Ich hätte tausend Dollar darauf gewettet, dass seine Jungs mir die Gehirnerschütterung verpasst hatten. Zu wem gehörte dann dieser Dandy und wieso küm merte Spade sich um mich? Lauter Fragen, auf die ich so einfach keine Antwort fand. »Wenn das so ist, Doc, dann hätte ich jetzt gerne mein Steak mit Bratkartof feln und einen ordentlichen Schluck zu trinken! Wenigstens einen ver nünftigen Kaffee!« Fitzgerald hob ärgerlich die Augenbrauen hoch. »Hören Sie, Mister Connor. Sie haben eine schwere Gehirnerschüt terung und die sollten Sie keinesfalls auf die leichte Schulter nehmen! Zu schweres Essen und Kaffee wären jetzt pures Gift für Ihren Orga nismus, daher bekommen Sie die nächsten zwei oder drei Tage Schonkost!« Der Mann hatte Nerven! Niemals würde ich eine solche Folter zu lassen, so viel stand fest! »Wenn der Kerl Ihnen Probleme macht, verhafte ich ihn!« Mit ei nem breiten Grinsen schob Hollyfield seine massige Figur in den Raum. Der Arzt schüttelte leicht entnervt den Kopf und verschwand. »Soso, der Schnüffler Connor zählt jetzt zu den wichtigen Leuten in der Stadt! Ein Freund von Stadtrat Spade?« Sein Gesicht war ein einziges Fragezeichen, was ich ihm nicht ver denken konnte. »Quatsch! Keinen blassen Schimmer, wie das zusammenhängt. Die Abreibung im Hafen ging meiner Ansicht nach auf sein Konto! Wer hätte sonst den Dandy auf mich hetzen sollen?« Hollyfield wuchtete seine 110 Kilo in den Besucherstuhl und drehte nachdenklich seinen Hut in der Hand. »Beschreiben Sie diesen Dan dy!«, forderte er mich auf. Ich kam seiner Bitte nur zu gerne nach, hoffte ich doch auf einen Tipp vom Leiter der Mordkommission. Erhörte sich die Beschreibung an, dann nickte er bedächtig. »Die Beschreibung passt auf einen Typen, der eine Hand voll har ter Burschen um sich gesammelt hat. Er gehört scheinbar weder zum Kardinal noch zu O'Malley!« 46
Ein freiberuflicher Gangster? »Dann könnte der Dandy also doch für Spade arbeiten?« Mir woll te einfach kein anderer Auftraggeber einleuchten. Ganz weit hinten in meinem lädierten Hirn tauchte kurz der Name Dave auf, doch dazu fehlten mir eindeutig mehr Informationen. »Durchaus möglich, was man so hört. Die Docks sind zurzeit ein schlechtes Gebiet für ungebetene Gäste und eingeladen hatte Sie ja wohl niemand, oder?« »Nein, aber das werde ich bei meinen Ermittlungen auch eher sel ten. Für wen könnte dieser Dandy denn sonst die Kohlen aus dem Feuer holen?« Hollyfield zuckte die breiten Schultern. »Da kann ich Ihnen auch keine Namen nennen, Connor. Aber Sie sollten sich in nächster Zeit vom Hafen fernhalten. Das nächste Mal haben Sie vermutlich weniger Glück!« Er erhob sich, winkte mir zu und beendete seinen Krankenbesuch. Glück? Ich konnte mir nicht vorstellen, dass ich es meinem Glück zu verdanken hatte, dass ich noch lebte. Vielmehr hielt ich es für wahrscheinlich, dass die Jungs nur den Auftrag für eine handfeste Be fragung gehabt hatten. Die Betonschuhe konnten jedoch jederzeit noch angepasst werden! * Als die Schwester mir später einen Teller mit Brei brachte, stand ich kurz davor, die Lady aus dem Fenster zu werfen. Ich löffelte lustlos etwas von dem Zeug in mich hinein, als ein gut gelaunter Brendon hereinschneite. »Haben die White Socks vorzeitig die Series erreicht?«, fragte ich. »Ich freue mich nur über die Tatsache, dass du jetzt zu einer erst klassigen Informationsquelle geworden bist. Freunde des Stadtrats Spade zählen doch dazu, oder?« Mit einem zufriedenen Grinsen setzte er sich in den Besucherstuhl. 47
Langsam ging mir diese Leier auf den Keks! »Hör auf mit dem Quatsch, Brendon! Ich bin kein Freund von Spade und werde es be stimmt auch nie werden!« Überrascht zog er die Augenbrauen hoch, breitete dann fragend die Arme aus. »Und wieso bezahlt er dir dann diesen Luxus?« »Vermutlich, weil er ein schlechtes Gewissen hat. Ich glaube nach wie vor, dass es seine Jungs im Hafen waren!« Ich schilderte Brendon den wenig erfolgreichen Ausflug zu den Hallen. Am Schluss fügte ich noch das Gespräch mit Hollyfield an, das mir aber auch keine wirkli chen Neuigkeiten eingebracht hatte. Der Sportredakteur der Tribune nickte nachdenklich. »Gut! Ich stimme dir zu, was die Vermutung mit den Jungs im Ha fen angeht. Dass der Stadtrat dir deswegen den Krankenhausaufent halt bezahlt, glaube ich trotzdem nicht!« Normalerweise konnte ich mich auf meine Ahnungen ganz gut ver lassen, aber andererseits verfügte Brendon über einen wachen Verstand und lag selten daneben. »Ich werde mich bei den Kollegen umhören. Es gibt bestimmt noch brauchbare Informationen über die Geschichten an den Docks und diesen Dandy!« Bevor er mein Krankenzimmer endgültig verlassen konnte, rief ich ihm hinterher: »Was ist mit dem Theaterbesitzer? Diesem Dave wie auch immer?« Brendon drehte seinen Kopf zu mir und meinte: »Dave Brubaker heißt der Mann und ist eine völlig unbekannte Nummer. Er hat vor der Übernahme des Theaters hier in Chicago eine kleine Wanderbühne geleitet, die aber Pleite ging.« »Und wie konnte er sich dann das Theater hier leisten? Ist er viel leicht nur ein Strohmann?« »Wer weiß! Mehr habe ich jedenfalls nicht erfahren können. Bis morgen, dann schau ich noch einmal nach dem neuen Freund von Stadtrat Spade!« Ich dachte eine Weile über diesen Dave Brubaker nach. Es war durchaus üblich, einen Strohmann in einen Club zu setzen. So man 48
cher ehrenhafte Bürger unserer Stadt ging diesen Weg, um unauffällig ein Stück vom Kuchen abzubekommen. Aber warum sollte jemand einen Strohmann für ein Theater einsetzen? Das machte für mich kei nen Sinn, außer da war mehr dran. Es wurde Zeit, dass ich aus dem Bett kam und endlich meiner Ar beit nachging. * Der nächste Besucher ließ nicht lange auf sich warten. Mein neuer Freund und Gönner höchstpersönlich gab sich die Ehre! Stadtrat Spade trat in das Krankenzimmer. Seine füllige Gestalt hatte er in einen Kamelhaarmantel gehüllt und ein weicher weißer Hut ergänzte den weißen Seidenschal. Als er den Hut abnahm, kamen eine Reihe dünner Haarsträhnen zum Vorschein, die er kunstvoll quer über den rundlichen Schädel drapiert hatte. Seine kleinen, braunen Augen lagen tief im Schädel und gaben ihm etwas Lauerndes. In diesen Mann wollte sich Lizzy ernsthaft verliebt haben? »Sieh an, Mister Connor. Wie ich höre, geht es Ihnen wieder we sentlich besser. Sie verlangen Sachen, die den armen Dr. Fitzgerald in Schwierigkeiten bringen!« Er verfügte über eine kultivierte, angenehme Stimme. Die Stimme eines erfahrenen, aalglatten Politikers. »Stadtrat Spade. Sie verschaffen mir auch einige Kopfschmerzen und damit meine ich nicht nur Ihre Schläger!« Amüsiertes Lachen ließ zwei Reihen makelloser Zähne aufblitzen. »Was kann ich gegen Ihre Kopfschmerzen ausrichten? Soll ich den Arzt rufen?« Er hatte den Mantel geöffnet und den Hut auf den Tisch gelegt. »Bloß nicht! Der Typ lässt mir nur wieder so einen ekligen Tee bringen!«, knurrte ich abweisend. Was wollte der Kerl von mir? Ich zuckte leicht zusammen, als er seine Hand unter dem Mantel verschwinden ließ. Doch er zog keine Kanone heraus und verschaffte mir auch kein drittes Nasenloch. Der silberne Gegenstand ließ mein 49
Herz aus einem viel angenehmeren Grund höher schlagen. Mit einem feinen Lächeln drehte er den Verschluss der Taschenflasche ab und reichte sie mir. Ich schnüffelte daran und zog das herrliche Aroma eines ausgezeichneten Bourbons tief ein. Dann setzte ich den Flach mann an und ließ einen warmen Schluck durch meine Kehle rinnen. Gleich darauf breitete sich ein entspannendes Feuer in meinem Magen aus und ich trank gleich noch einen großen Schluck hinterher. Erst dann gab ich die silberne Taschenflasche an Spade zurück. Der säuberte den Flaschenhals mit einem Taschentuch, bevor er sich ebenfalls einen ordentlichen Schluck gönnte. »Guter Stoff, Spade. Verraten Sie mir nun endlich, womit ich Ihre Großzügigkeit verdiene? Sie kennen mich doch gar nicht!« Sorgsam verstaute er die Flasche wieder im Mantel, dann fixierte er mich mit den tief liegenden Augen. »Weil Sie meinen Sohn vom Vorwurf, ein Mörder zu sein, entlas ten werden! Schwingen Sie also Ihre Knochen aus dem Bett und schleifen Sie den wirklichen Mörder der kleinen Tanzmaus zur Polizei. Tot oder lebendig, wobei mir Ersteres lieber wäre!« Eine deutliche Ansage, die in ihrer Klarheit mein Herz erfreute. Wenn da nicht noch eine Sache gewesen wäre. »Bisher weiß ich ja noch nicht einmal, ob Sie nicht den Mord an Lizzy Silver in Auftrag gegeben haben!« Sein Gesichtsausdruck veränderte sich und die Maske des höfli chen Politikers fiel herunter. »Ich sage Ihnen, dass ich nichts mit dem Mord zu tun habe. Das sollten Sie lieber gleich als Tatsache hinnehmen. Wenn nicht, finden Sie sich nach dem nächsten Zusammentreffen mit Dandy Dan im Fluss wieder! Kopfschmerzen haben Sie dann allerdings keine mehr!« Damit hatte er meinen Verdacht bestätigt, was die Sache im Hafen anging. Seltsamerweise glaubte ich ihm damit auch die Geschichte mit Lizzy. Es wurde verdammt Zeit, dass ich aus dem Bett kam! Bei dieser vermurksten Mordgeschichte gingen mir so nach und nach die Ver dächtigen aus. Ich setzte meinen Vorsatz gleich in die Tat um und stand auf. Wi der Erwarten ging es ganz gut. Nur ein leichter Schwindel befiel mich, 50
doch den führte ich auf die mangelnde Nahrungszufuhr zurück. Spade machte ein zufriedenes Gesicht, als ich in meine Sachen schlüpfte. Als ich fertig war, baute er sich dicht vor mir auf und schaute mich grimmig an. »Halten Sie es für denkbar, dass Michael seine Verlobte umgelegt hat?« »Nein. Ihren Sohn habe ich schon lange von der Liste der Ver dächtigen gestrichen!« Auf seinem Gesicht erschien wieder der höfliche Politiker und non chalant hielt er mir die Tür auf. Dr. Fitzgerald fiel aus allen Wolken, als Spade und ich an ihm vor beigingen. Er wollte den Mund zum Protest öffnen, doch ich kam ihm zuvor. »Würden Sie mehr auf die Wünsche Ihrer Patienten eingehen, blieben sie auch länger auf Ihrer Station!« Spade nickte dem Arzt lediglich zu und fünf Minuten später kurvte der schwere Lincoln mit mir im Fond los. Die Fahrt zur Ecke South Franklin/Monroe Street verlief schweigend. Erst als ich schon auf dem Bürgersteig stand, fiel mir noch eine Frage ein. »Kennen Sie einen Dave Brubaker?« Spade runzelte die Stirn, dann schüttelte er den runden Kopf. »Nein. Wer soll das sein?« Statt einer Antwort warf ich die Autotür zu und ging in mein Büro. * Eigentlich hatte ich nicht mit Betty gerechnet. Aber ihr Diensteifer war scheinbar doch größer, als ich oft annahm. Ihr Unterkiefer klappte vor Überraschung nach unten und sie starrte mich wie einen bösen Geist an. »Chef? Was machen Sie denn hier?«, rief sie entsetzt aus. Ich öff nete die Bürotür so weit, dass Betty die Schrift auf dem Glas lesen konnte. »Pat Connor. Das ist doch mein Büro, oder?« 51
Grinsend knallte ich die Tür zu, warf Hut und Mantel auf die Gar derobe und stiefelte zu meinem Schreibtisch. »Verbinden Sie mich mit Brendon Smith, Betty.« Während ich auf die Verbindung wartete, wurden mir zwei Sachen klar. Ich musste dringend etwas Anständiges zwischen die Kiemen bekommen und ich brauchte einen Denkbeschleuniger. Ich zog die Schublade mit meinem Flachmann auf und nahm zu Bettys Entsetzen einen kräftigen Schluck. Sie stellte die Verbindung mit der Tribune her und kurz darauf verblüffte ich meinen Freund. »Wo bist du? Verdammt, du solltest lieber auf den Arzt hören! Na, schön. In einer Stunde am üblichen Treffpunkt und ich hake wegen dieses Brubaker noch mal nach!« Zufrieden legte ich auf und verkürzte mir die Wartezeit mit einem weiteren Schluck aus der Flasche und der ersten Zigarette seit zwei Tagen. Bei der zweiten Lucky klingelte lärmend das Telefon. Betty hatte sich in ihren Feierabend verabschiedet und so ging ich selbst ran. »Pat Connor, Private Ermittlungen«, meldete ich mich und wurde von einem Wortschwall zugeschüttet. Mit einiger Mühe gelang es mir, eine Lücke in den Schwall zu bre chen. Es war ein extrem aufgeregter Luca, der immer wieder in seine Muttersprache verfiel und mir damit das Verstehen unmöglich machte. »Stopp, Luca! Halt die Luft an, Mann! Ich verstehe kein Wort!«, bellte ich schließlich entnervt in den Hörer und donnerte ihn zur Unter stützung mehrfach hart auf die Tischplatte. Das zeigte Wirkung. »Verdammt! Mein armes Ohr!«, stöhnte Luca. »Beruhige dich und fang noch mal von vorne an. Und in einer Sprache, die ein zivilisierter Mensch versteht!«, ermahnte ich Lizzys Bruder. Er hatte sich bei seinen Landsleuten umgehört und war auf eine Sache gestoßen, die er mir unbedingt erzählen musste. Doch schon nach den ersten Sätzen sprudelte wieder die italienische Wortquelle. »Schnauze!«, donnerte ich mit aller Macht in den Hörer und selbst mir klingelten die Ohren. 52
Leider dröhnte mein Schädel gleich wieder heftig mit. So kamen wir nicht weiter. Ich sah auf meine Armbanduhr und traf eine schnelle Entscheidung. »Wir treffen uns in einer halben Stunde im Theater! Verstanden?« Er stimmte zu und ich prüfte den Sitz meines Revolvers, steckte eine zweite Packung Zigaretten in die Jackentasche. Ich musste mich auf eine lange Nacht einstellen. * Ich schaffte die Strecke in 25 Minuten und fand einen Parkplatz ganz in der Nähe des Theaters. Ich benutzte den Bühneneingang. Der Gang wurde nur durch eine Glühbirne in diffuses Licht getaucht. Überall standen Kisten herum, blockierten Ständer mit Kleidern den Gang. Ich schlängelte mich durch und rief nach Luca. Wahrscheinlich war ich zu früh dran, denn von dem Makkaroni war weit und breit keine Spur zu sehen. Ich ging bis zum Saal und fand auch diesen völlig verlassen vor. Das war einigermaßen seltsam, immerhin sollte in knapp einer Stunde hier die Vorstellung beginnen. Müssten dann nicht haufenweise Leute hier rumlaufen? Ich ging langsam zum Tresen, warf einen Blick dahinter. Zwei Kis ten standen auf dem Boden, wovon eine angebrochen war. Eine Fla sche mit billigem Fusel lag neben der offenen Kiste. Hier stimmte eindeutig etwas nicht! Ich zog den 38er und suchte den spärlich beleuchteten Raum ab. Ganze zwei Lampen waren eingeschaltet und erzeugten mehr Schatten als Licht. Ich begann im Halbkreis den Zuschauerraum zu umrunden, rechnete jederzeit mit einem Angriff. Erst als ich schon fast an der Bühne vorbei war, meldeten sich meine Instinkte. Mein Kopf flog her um und dann war ich mit einem Satz bei der zusammen gekrümmten Gestalt. Luca würde nie wieder aufgeregt auf mich einreden können, dafür hatte jemand gesorgt. Seine Augen starrten blicklos zur Decke und als ich ihn vorsichtig umdrehte, klaffte die Jacke auf und entblößte eine 53
Reihe gezackter Löcher. Kein Wunder, dass alle Leute das Weite ge sucht hatten. Der Melodie einer Tommy-Gun wollte man auch in einem Theater nicht unnötig lauschen! Polizeisirenen näherten sich dem Theater und ich durchsuchte schnell Lucas Taschen. Außer einer zerknüllten Packung Pall Mall, einer Packung Streichhölzer und einem Schlagring gab es nichts zu entde cken. Ich sprang auf und rannte durch den Seitengang, öffnete die Tür einen Spalt, versicherte mich, dass die Luft rein war und machte mich davon. * Die Sirenen wurden lauter, sodass ich meinen Plymouth schnell auf einen Hinterhof lenkte und den Motor wieder ausmachte. Keine Ah nung warum, aber irgendetwas riet mir in der Nähe zu bleiben. Die nächste Stunde konnte ich das übliche Polizeiballett bewun dern. Zuerst kamen die Streifenbullen und stürmten ins Theater, dann rannte einer von ihnen zum Kasten an der Straße. Er schloss ihn auf und erstattete Meldung auf dem Revier. Eine Weile später hielt ein Wagen und spuckte Lieutenant Quirrer aus. Der stapfte wichtigtuerisch ins Theater und würde alles daransetzen, den Fall garantiert nicht auf zuklären. Mir war es im Moment völlig gleichgültig, aber ich hatte et was dagegen, wenn meine Auftraggeber vor dem Zahltag abserviert wurden. Ein Leichenwagen sammelte Luca ein und bald darauf waren auch die Bullen samt Quirrer verschwunden. Bei leicht geöffneter Seitenscheibe qualmte ich eine Lucky nach der anderen, während meine Denkmaschine Sonderschichten fuhr. Was hatte Luca am Telefon ausgespuckt? Ich verfluchte den kleinen Kerl wegen seiner Aufgeregtheit und auch dafür, dass er der Maschinenpistole nicht aus dem Weg gegan gen war. Er hatte irgendetwas von Brubaker, Whiskey und einer Scheune gefaselt. 54
Konnte er damit Leuten so auf die Füße getreten sein? Ich ging davon aus und damit stand Dave Brubaker ganz oben auf meiner Liste von Verdächtigen. Ich stieg aus dem Wagen und trat an die Hauswand. Ein Lkw roll te langsam die Straße herab und erinnerte mich an meine Verabre dung mit Brendon. Die Jungs im Lkw transportierten garantiert keine Obstkisten. In ihren Kisten befand sich vermutlich flüssige Nahrung, möglicherweise standen auch Fässer mit Bier unter der Plane. Mein Freund würde sich schon seinen Reim auf mein Fernbleiben machen. Mein Gedankengang stoppte mit dem haltenden Lkw. Er setzte zurück in die Seitengasse neben dem Theater. Keine Menschenseele zu sehen, was mich reichlich irritierte. Nor malerweise würde das Theater doch bald seine Pforten öffnen. Wieso kam kein Mensch? Mit schnellen Schritten überquerte ich die Straße und schob mich an den Hauswänden näher ans Theatergebäude heran. Im Glaskasten neben der Eingangstür leuchtete mir ein Schild entgegen. Dieser Kran kenhausaufenthalt hatte mein Zeitgefüge durcheinander gewirbelt, sonst wäre mir schon früher der Wochentag eingefallen. Montags hat ten viele Theater geschlossen und daher ließ sich kein Besucher bli cken! Vorsichtig lugte ich in die Seitengasse und konnte drei kräftige Burschen beim Entladen beobachten. Einer rollte Fässer ins Theater, einer packte Kisten auf eine Sackkarre, der Dritte behielt die Umge bung im Auge. Besser gesagt, drückte er sich mit einer Zigarette im Mund in eine Ecke. Als die Sackkarre auf die Ladefläche befördert wurde, zog ich mich schnell zurück. Ich rannte zum Wagen und startete schon den Motor. Mal sehen, wohin der Lkw fahren würde! Mit ein wenig Glück traf ich Dave Brubaker heute doch noch und könnte ihm einige Fragen stellen. * Ratternd bog der Lastwagen in die Straße ein. Mein Plymouth rollte weit hinter ihm, damit die Burschen mich bei dem geringen Verkehr 55
nicht bemerkten. Die Tour führte durch die Vororte und bald rollte der Lkw in Richtung Elmhurst. Das würde wohl eine lange Nacht werden. Unvermittelt leuchtete ein Bremslicht vor mir auf und schon war der Lastwagen von der Landstraße verschwunden. Ich fuhr schon eine geraume Weile ohne Licht, sonst hätten die Kerle ihren Verfolger ga rantiert ausgemacht. So rollte ich zunächst an dem kleinen Waldweg vorbei, entdeckte gerade noch das winzige, rote Rücklicht des Lkw. Möglicherweise würde es noch ein ganzes Stück in den Wald hinein führen, trotzdem lenkte ich den Plymouth auf die andere Straßenseite. Ich stellte den Wagen an den Rand hinter einen Busch und lief zu Fuß weiter. Ich baute darauf, dass diese Brennerei wie üblich nur ein kleines Stück im Wald versteckt lag. Diese lag gut versteckt hinter den Bäu men. Der Weg machte nach zweihundert Metern einen Knick und führ te dann durch eine Baumreihe auf eine Lichtung. Das einstöckige Holzhaus hatte zwei Fenster zur Straße hin und in beiden brannte Licht. Möglicherweise holten die drei Typen schon die nächste Fuhre ab! Ich lehnte mich an einen Baum und musterte die Umgebung aufmerksam. Auf keinen Fall wollte ich ein ähnliches Loch muster wie Luca erhalten oder auch nur weitere Schläge auf meinen Schädel! Es gab offensichtlich keine Wachen, daher schlich ich mich näher an das Haus heran. Eng an die Wand gepresst, schaute ich ins erleuchtete Fenster. Fünf Männer befanden sich in dem Raum, der mit Flaschen und Kisten voll gestellt war. Während vier der Männer jeweils zwölf Fla schen in eine Kiste packten und dann verschlossen, saß der fünfte Typ an einem Tisch und führte Buch. Das nannte ich mal eine ordentliche Schwarzbrennerei! Wenn die Bullen ihnen einen Besuch abstatten würden, könnten sie auch gleich die Abnehmer hochnehmen. Ganz schön dämlich! Mein Gefühl sagte mir, dass der rundliche Kerl mit Halbglatze am Tisch Dave Brubaker sein müsste. Er hatte sein braunes Sakko über die Stuhllehne gehängt und saß nur mit Hemd und Fliege am Tisch. Der Anzug war bestenfalls Durchschnitt und damit legte er Zeugnis 56
über seinen Besitzer ab. Entweder machte Brubaker sich nichts aus schicken Anzügen, was bei Gangstern sehr ungewöhnlich war, oder er hatte nicht genügend Kohle für bessere Klamotten. Ich ging von der zweiten Annahme aus. Das würde zur Vermutung passen, dass er nur ein Strohmann war und nicht selbst die große Kohle scheffelte. Da alle Anzeichen für einen baldigen Aufbruch des Lkw mit neuer Ladung sprachen, zog ich mich wieder in den Wald zurück. Mit Brubaker und dem fünften Burschen würde ich schon fertig werden, wenn die anderen drei auf Tour waren. Lange würde ich si cherlich nicht warten müssen. Tatsächlich fingen sie schon zehn Minu ten später mit dem Beladen des Lkw an und keine halbe Stunde nach ihrer Ankunft fuhren die drei Typen auch schon wieder weg. Ich warte te, bis die Lichter verschwunden und das Motorengeräusch verklungen waren. Dann schlich ich mich wieder zum Fenster und spähte in den Raum. * Der hemdsärmelige Mann saß immer noch am Tisch und hatte jetzt eine Flasche und ein Glas vor sich stehen. Doch wo war der fünfte Kerl? Vorsichtig wechselte ich zum anderen Fenster und spähte auch dort hinein. Der Raum beherbergte die Brennerei, aber es war kein Mensch im Raum. Ich zog den Smith & Wesson, umkreiste leise die Hütte und nahm die Rückseite unter die Lupe. Dann erblickte ich den stämmigen Rücken des fünften Ganoven. Er stand neben einem Ge büsch und ließ einen dampfenden Strahl auf den Waldboden klat schen! Es ist sicherlich nicht der netteste Moment, einem dabei den Revolver über die Birne zu ziehen. Auf der anderen Seite gehörte ich auch nicht zu den netten Typen, die sich so eine Gelegenheit entgehen ließen! Es knirschte laut, als der 38er auf seinen Schädel traf. Ohne einen Laut sackte er zu Boden, nässte sich dabei leider ein. »Sorry, Kumpel. Du hättest früher rausgehen sollen!«, entschul digte ich mich freundlich und ging dann durch die Hintertür ins Haus. 57
Der Mann am Tisch hob nicht den Kopf von seinen Papieren, als er knurrte: »Na, endlich. Mach dich an die restlichen Kisten! Wir haben noch eine Fuhre heute Nacht!« Als er keine Antwort erhielt, schaute er ärgerlich hoch und erblass te. Kein Wunder, denn er sah genau in den Lauf meines Revolvers. »Was soll das? Weißt du überhaupt, mit wem du dich hier an legst?«, fand er endlich seine Sprache wieder. »Noch nicht, Dave. Aber du wirst es mir gleich verraten!« Das er schrockene Zusammenzucken bei seinem Vornamen reichte mir völlig aus. Es war tatsächlich Dave Brubaker, der verwirrt in die Mündung meiner Waffe starrte. Jetzt wollte ich Antworten! Er schielte an mir vorbei zur Tür. »Dein Kumpel hatte leider einen Schwächeanfall und wird noch ein wenig schlafen! Erwarte also keine Hilfe von ihm!« Giftig schaute er mir wieder in die Augen. »Meine Jungs kommen jeden Moment zurück und mit denen ist nicht gut Kirschen essen, Mister! Besser, Sie verschwinden schleu nigst!«, versuchte er einen Bluff. Ich grinste ihn an. »Deine Kistenschlepper sind genau vor fünf Minuten mit dem Lkw in Richtung Chicago verduftet! Spar dir deine Lügenmärchen! Ab jetzt will ich bessere Antworten hören, Brubaker!« Böse starrte er mich an, schien sich neue Lügenmärchen auszu denken. »Warum hast du Lizzy umgelegt? Ist sie deinen krummen Ge schäften auf die Schliche gekommen?« Verwirrung sprang in Brubakers Augen. »Was soll das? Ich habe keinen blassen Schimmer, wer die kleine Tanzfee aus dem Weg haben wollte!« Es gab Menschen, die logen sehr überzeugend. Brubaker zählte eindeutig nicht dazu, aber jetzt hatte er meiner Ansicht nach ehrlich überrascht reagiert. »Was ist mit Luca?« Sein Blick wurde starr, dann setzte er ein hämisches Grinsen auf. 58
»Du stocherst total im Nebel, was, Kumpel? Das kann sehr gefähr lich werden, so ganz ohne Rückendeckung!« Der Bursche wurde eindeutig zu aufsässig. Ich machte einen schnellen Schritt auf ihn zu und knallte ihm den Lauf meines 38er auf die Nase. Es knirschte vernehmlich und ein Schwall Blut schoss aus der gebrochenen Nase. »Du hast mir meine Nase zertrümmert, Mann! Der kleine Makkaroni hat seine Nase in Sachen gesteckt, die ihn nichts angehen«, heulte Brubaker und hielt sich ein riesiges Taschentuch wimmernd unter die Nase. »Für wen arbeitest du?«, schnauzte ich. Er stand noch unter dem Schock der gebrochenen Nase und woll te antworten. Doch die einsetzende Chicago-Melodie stopfte dem Theatermann auf brutale Weise den Mund. Schon bei den ersten Schüssen warf ich mich zur Seite, eine Reaktion, die jeder in Chicago besser schnell lern te. Ich robbte durch die Hintertür und setzte in langen Sätzen in den dunklen Wald. Der ausgeknockte Mitarbeiter von Brubaker kam gerade taumelnd auf die Beine, als eine weitere Salve aus der Tommy-Gun ihn gegen den Strauch stieß. Ich hielt mich nicht lange mit dem Zuschau en auf, sondern rannte möglichst weit von der Hütte weg. * Erst nach fünf Minuten wilder Jagd durch den dichten Wald ging ich hinter einem dichten Gestrüpp in Deckung und lauschte. Zunächst konnte ich nur meinen rasselnden Atem hören, rauchen und rennen vertragen sich nicht sonderlich gut. Langsam beruhigte sich mein Atem und ich konnte die Geräusche der Nacht auseinander halten. Bei den ratternden Maschinenpistolen hatten sich die meisten Tiere still verhalten, jetzt kehrten ihre Rufe nach und nach zurück. Sogar ein mutiges Eichhörnchen konnte ich auf einem Baum aus machen, wie es in Richtung der Hütte starrte. Es gab keine Stimmen oder das Brechen von Zweigen, woraus ich auf etwaige Verfolger hätte schließen können. Ich wartete weitere zehn Minuten, dann pirschte ich mich zur Hütte zurück. 59
Zunächst bemerkte ich das Feuer gar nicht, doch dann platzte ei ne Scheibe unter dem Druck und eine Feuerlanze schoss ins Freie. Ich machte einen weiten Bogen um die Hütte und rannte den Weg zur Landstraße zurück. Von den Angreifern war keine Spur mehr zu entde cken und ich war nicht wesentlich schlauer als vor meinem Gespräch mit Dave Brubaker. Blieb die Frage, wer ihn zum Schweigen gebracht hatte. Hatte sein Boss zufällig den passenden Moment erwischt und ihm das Maul gestopft oder hatte sich die Konkurrenz mit Blei zu Wort ge meldet? Meinen Plymouth fand ich unbeschädigt vor, vermutlich hatten die Ganoven den Wagen überhaupt nicht gesehen in der Dunkelheit. Ich steckte mir eine Lucky zwischen die Lippen und fuhr zurück in die Stadt. Die Strecke war lang genug, um mir viel Zeit zum Grübeln zu lassen. Ich wollte mich nicht nur darauf verlassen, was Brendon mögli cherweise ausgraben würde. Blieben mir die schöne Agenturinhaberin, Wilma Hacket und natürlich Dunky. Doch die Nachtzeit zwang mich, meine weiteren Nachforschungen auf den kommenden Tag zu ver schieben. Also steuerte ich den Wagen auf die North-Side in die Clark Street. Als ich mein Apartment im dritten Stock aufschloss, freute ich mich vor allem auf einen ordentlichen Whiskey und mein Bett. Ich ge nehmigte mir zwei Dreistöckige und fiel dann in einen traumlosen Schlaf. * Am nächsten Morgen betrat ich mein Büro in dem Moment, als Holly field seinen Hut aufsetzen wollte. Bei meinem Anblick hielt er mitten in der Bewegung inne und grinste mich an. »Sie sehen scheiße aus, Con nor! Haben Sie sich letzte Nacht in der Randolph Street herumgetrie ben oder zog es Sie mehr in die Wälder?«, brummte er mich gutmütig an. Ich ließ mich vorsichtig hinter meinem Schreibtisch nieder. »Sehe ich so aus?«, knurrte ich bissig zurück. 60
»Allerdings!«, riefen Hollyfield und Betty wie aus einem Mund. So viel zur Loyalität seiner Mitarbeiter. Ich warf meiner Sekretärin einen bösen Blick zu. »Sind Ihre Nägel denn schon trocken?«, wollte ich anzüglich wis sen. »Das hat man nun davon, dass man jeden Tag pünktlich zur Ar beit erscheint. Der Chef kommt und geht, wie er lustig ist!«, meinte sie schnippisch. Ich beschloss, sie zunächst einfach zu ignorieren. »Was war denn los in der Randolph Street?«, fragte ich den Cap tain scheinheilig. Er blickte aus fast zwei Metern zu mir herab und schüttelte leicht den Kopf. »Wir haben Luca Musella tot im Theater aufgefunden! Können Sie sich das erklären?« Ich hatte nicht vor, ihn über meine nächtlichen Aktivitäten ins Bild zu setzen. »Möglicherweise hatte er einen Herzinfarkt«, mimte ich den Un wissenden. »Mit acht Kugeln im Bauch erscheint mir das eher unwahrschein lich!« Ich zuckte mit den Schultern. »Ich weiß nicht, was der Auslöser für einen Herzinfarkt ist«, meinte ich scheinheilig. »Was ist mit der Geschichte in den Wäldern? Ist Ihnen zufällig ei ne brennende Hütte aufgefallen?« Ich schüttelte betrübt den Kopf. »Nein. Bei Feuer rufen die Leute zuerst die Feuerwehr und dann die Versicherung. Als Privatdetektiv ist da wenig zu holen, leider!« Hollyfield ließ mir auch diese Frechheit durchgehen. »Also werden Sie fürchterlich überrascht sein, wenn Sie vom Tod eines gewissen Dave Brubaker hören! Richtig?«, versuchte der Leiter der Mordkommission etwas aus mir herauszuquetschen. Ich stieß einen leisen Pfiff aus. »Schade! Brubaker wollte ich gerne noch einige Fragen zum Tod von Lizzy Silver stellen. Ist er verbrannt?« 61
»Nein. Ihm sind vorher einige neue Knopflöcher verpasst worden, vermutlich hat der Schneider eine Tommy-Gun dazu benutzt! Seltsa mer Zufall, erst Luca Musella, dann Dave Brubaker. Bei beiden Toten stolpere ich über Ihren Namen!« Er nickte Betty grüßend zu und verschwand, wobei er die Bürotür einen Tick zu laut zuschlug. In meinem Kopf klang es mehr wie ein Revolverschuss. »Himmel, Chef. Soll das etwa heißen, dass Sie die ganze Nacht auf den Beinen waren?«, fragte Betty entsetzt. »Einer muss ja Ihr Gehalt verdienen! Machen Sie mir mal eine Verbindung mit Brendon.« Während ich auf die Verbindung wartete, strich ich Lucas und Da ves Namen auf dem Papier mit einem dicken Kreuz durch. Dann hatte ich Brendon in der Leitung. »Tut mir Leid wegen gestern Abend, Brendon. Aber ich bin über ein paar Leichen gestolpert. Zuerst hat es Luca Musella erwischt und später dann auch Dave Brubaker!« Brendon sog scharf die Luft am anderen Ende des Hörers ein. »Das klingt nach einer schweren Nacht. Alles in Ordnung bei dir?« Da kam der besorgte Freund durch. »Ja, so weit schon. Nur meine Ermittlungen kommen nicht wirklich voran! Hast du noch Neuigkeiten über Brubaker erfahren?« »Nicht viel. Er war definitiv nur der Strohmann im Theater, wo üb rigens eine erstaunliche Menge Whiskey und Bier umgesetzt wird. Man munkelt, er bedient auch andere Leute mit dem Stoff! Da könnte die Quelle für Lizzys Reichtum herkommen. Vielleicht hat sie zufällig etwas mitbekommen und Brubaker erpresst!« Nachdenklich malte ich Dollarzeichen auf das Blatt. Immerhin eine Theorie, aber sie brachte mich kaum weiter. Ich dankte Brendon für die Informationen und legte auf. Es half nichts, ich musste wieder auf die Straße. Als ich aufstand und meinen Mantel anzog, schaute Betty mich mit großen Augen an. »Sie wollen schon wieder los?« Ich grinste und versuchte, die hämmernden Kopfschmerzen zu verdrängen. 62
»Klar. Da gibt es eine rassige Rothaarige mit einer tollen Stimme. Dieser Stimme möchte ich jetzt ein wenig lauschen!« Ihr genervtes Aufstöhnen verfolgte mich bis in den Flur. * Auf eine vorherige Anfrage verzichtete ich bei meinem zweiten Besuch von vorneherein. Als ich die Tür zur Agentur aufmachte, entdeckte mich der blondierte Vorzimmerwachhund sofort. Mit erstaunlicher Geschwindigkeit flitzte die rundliche Matrone um ihren Schreibtisch herum und baute sich vor mir auf. »Sie haben ja Nerven, hier noch mal aufzutauchen! Die arme Wil ma hat sich bis heute nicht von Ihrem Besuch erholt, sogar der Stadt rat Spade war deswegen schon hier!« In ihren zu stark geschminkten Augen funkelte heroische Ent schlossenheit, ihre Chefin vor einem erneuten Übergriff durch meine Person zu bewahren. Wäre sie ein Kerl gewesen, hätte ich sie kurzer hand aus dem Weg geräumt. Für diese Matrone verwendete ich lieber die Überraschungstaktik. Ich nahm meinen Hut ab, senkte meinen Kopf und murmelte mit scheinbar zerknirschter Stimme: »Sie haben ja so Recht. Ich bin auch nur hier, um mich in aller Form bei Wilma für diesen Auftritt zu ent schuldigen!« Ich warf ihr meinen schönsten Dackelblick zu und spürte die zu sammenbrechende Verteidigung. »Ja, wenn das so ist. Warten Sie, dann sehe ich mal, ob Wilma ei ne Minute Zeit für Sie hat!« Ich nickte dankbar und kämpfte um meine Beherrschung. Die Mat rone klopfte an die Bürotür und verschwand. Keine halbe Minute spä ter öffnete sie triumphierend die Tür und winkte mich herein, wobei sie in der Tür stehen bleiben wollte. Wilma saß hinter ihrem Schreibtisch und sah mich hoheitsvoll an. Ihr Gesichtsausdruck entgleiste, als ich die Matrone zusammen mit der Tür ausschloss. Blitzschnell drückte ich einen Stuhl unter die Klinke und setzte mich auf die Kante von Wilmas Schreibtisch. 63
In ihren Augen wechselten sich Zorn und Verunsicherung ab. »Schöne Grüße von Dave Brubaker! Bevor die Salve aus der Tommy-Gun ihn durchsieben konnte, hat er mir noch einige pikante Details über Lizzys Nebeneinkünfte und Ihre Agentur erzählt!« Volltreffer! Ihre Augen weiteten sich vor Schreck und ein leiser Schrei des Entsetzens entwich ihrem hübschen Mund. Das nachhaltige Rufen und Hämmern an der Tür brachte Wilma endgültig aus der Fas sung. »Was wollen Sie von mir? Ich habe nichts mit der Erpressung zu tun! Ich kannte Dave doch nur beruflich!« »Dann überzeugen Sie mich und reden Sie endlich auch über Ihr Verhältnis zu Spade!«, riet ich ihr. Verzweifelt rang sie mit den Händen. »Lizzy ist hinter Daves Geschäfte mit dem Stoff gekommen und er hat ihr sofort einen Anteil monatlich in die Hand gedrückt! Sie wollte das Geld doch gar nicht! Aber er muss eine Höllenangst vor seinem Boss gehabt haben und wenn der ihm auf die Schliche gekommen wäre, dann hätte er kurzen Prozess gemacht!« Moment, das klang anders als erwartet. »Sie behaupten also, Brubaker hätte seinen Boss betrogen?« Verwirrt sah sie mich an. »Darüber reden wir doch die ganze Zeit! Dave hat den Stoff nicht nur im Theater ausgeschenkt, sondern ihn weiterverkauft!« Ganz schön geschäftstüchtig und ziemlich tödlich, wie er mittler weile bemerkt hatte. Das Hämmern wurde lauter und tiefe Männerstimmen mischten sich in die hektischen Gespräche vor der Tür ein. Sollte die Sekretärin die Bullen geholt haben? Oder ein paar kräftige Schläger? Ich beschleunigte die Fragestunde lieber ein wenig! »Schön! Wie war das nun mit Spade und Ihnen?« Ihre Lust zum Plaudern ließ erkennbar nach, immer öfter flog ihr Blick zur Tür. Da ich meinen Freund vermutlich sowieso gleich gut brauchen konnte, zog ich meinen Smith & Wesson hervor. Schlagartig entwich alles Blut aus Wilmas Gesicht und sie starrte ungläubig auf die Waffe. »Sind Sie komplett wahnsinnig? Der Stadtrat lässt Sie zu Fisch 64
futter verarbeiten, wenn Sie mir nur ein Haar krümmen!«, schrie sie völlig fassungslos. »Der Stadtrat hat mich beauftragt, den Mörder von Lizzy zu fin den! Reden Sie endlich!« Statt einer Antwort sprang sie aus dem Stuhl und wich bis an die Wand zurück, denn in diesem Moment polterte der Stuhl zur Seite und zwei bullige Typen stürmten ins Büro. Wie zwei Nashörner in freier Wildbahn kamen sie auf mich zu, doch ein leichter Wink mit meinem Freund stoppte sie. Ihre kleinen Augen funkelten böse, doch ihr Hirn erfasste die Lage vorzüglich. »Mit der Stirn gegen die Wand und Hände in die Jackentasche! Wird's bald!« Offenbar kannten die Schläger das Spiel und hassten es jetzt schon. Angesichts des 38er blieb ihnen jedoch keine Wahl und so lehn ten sie sich mit der Stirn gegen die Wand und stopften ihre Pranken in die Jackentaschen. Ich trat schnell hinter sie und zog jeweils die Jacke bis über die Handgelenke runter. Damit würden sie eine Weile beschäftigt sein. Ich winkte Wilma und den zurückweichenden Zuschauern zu und verließ seelenruhig die Agentur. * Da ich schon mal in der Gegend war, steuerte ich den Wagen in die North Franklin Street und parkte in der Nähe von Michaels Wohnung. Ich klopfte brav an und gleich darauf sah ich in die braunen Augen von Michael, der einen Moment bei meinem Anblick stutzte und dann die Tür schnell wieder zuschlagen wollte. Es blieb beim Wollen, denn ich stellte meinen Fuß in den Spalt und versetzte der Tür einen Stoß. Mi chael taumelte zurück und ich trat ein, warf die Tür wieder zu. »He, Michael. Was ist denn das für eine Begrüßung? Ich will den Mörder Ihrer Verlobten finden und Sie?« Leise fluchend zog er sich auf die Couch zurück, während ich mei nen Stammplatz an der Fensterbank wieder einnahm. »Was wollen Sie hier?« 65
Wieso verhielt der Bengel sich so abweisend? »Das sagte ich bereits! Ich will den Mord an Lizzy und Luca auf klären! Sie nicht?« »Luca ist tot?«, ächzte er. »Allerdings und der Boss von Lizzy hat seit gestern Nacht auch ei nige Löcher zu viel in seinem Hemd!« »Dave ist auch tot? Mein Gott, was ist hier nur los?« Seine Schultern sackten zusammen und er schlug die Hände vors Gesicht. »Das passiert schon mal, wenn man mit Schnaps handelt, seinen Boss bescheißt und sich dann auch noch von einer Tänzerin dabei er wischen lässt!« Sein Kopf ruckte hoch. Die Augen waren ein einziges Fragezeichen und mir wurde klar, dass ich bei Michael auf den falschen Busch klopf te. Bei Michael schien das ganze Leben in festen Bahnen abzulaufen, denn in diesem Augenblick ging die Wohnungstür auf und Adam trat ein. Er nickte mir zu, so als wenn er mich bereits erwartet hätte. »Hi, Connor. Hat der alte Herr Sie also auch gekauft!« Er sagte es ohne Wut. Es klang vielmehr nach Resignation. Jetzt verstand ich auch Michaels Ablehnung. »Er bezahlt mich ausschließlich dafür, dass ich den Mörder von Lizzy finde!«, stellte ich unmissver ständlich klar. Die beiden Männer tauschen einen Blick, dann nickte Michael. A dam machte eine entschuldigende Geste und setzte sich in einen Ses sel. »Luca ist tot!«, unterrichtete Michael seinen Freund. »Wie ist das passiert?«, wollte der Hüne wissen. Ich erzählte ihnen die ganze Geschichte, auch über meine Verfol gungsjagd durch die Vororte bis in den Wald. Immer wieder schüttel ten sie ungläubig die Köpfe, waren ehrlich erschüttert über Dave Bru bakers Rolle. Dann kam ich zum Gespräch mit Wilma Hacket. Ich spar te mir die Einzelheiten über den Verlauf und erzählte nur das Wesentli che. 66
»Lizzy hat Dave also doch erpresst! Unfassbar! Das hätte ich ihr nie im Leben zugetraut!«, rief Michael entgeistert aus. Adam sah es etwas anders. »So habe ich das nicht verstanden, Michael! Offenbar hat sie mehr zufällig über Daves Nebengeschäfte Kenntnis erhalten und er hat ihr das Geld aufgezwungen. Scheinbar hat sie keinen Cent davon ausge geben. Überleg mal warum nicht?« Schön, so konnte man es auch sehen. Mir war es ehrlich völlig schnuppe, nur eine Sache lag für mich noch im Dunkeln. »Hat einer von euch eine Idee, wer der Boss von Dave sein könnte?«, stellte ich die Quizfrage in die Runde. Adam sah mich an, äußerte sich aber nicht. Michael ging umso eindeutiger aufs Ziel los. »Sie denken an meinen Vater, nicht wahr? Ich weiß es nicht, aber es wäre möglich. Das wäre eine andere Erklärung, warum Lizzy das Geld nicht angerührt hat!« Gar nicht übel, der Junge. Er benutzte seinen Kopf zum Denken und scheute auch harte Erkenntnisse nicht. Natürlich dachte ich zual lererst an den Stadtrat als Daves Boss. Nachdem ich Dave als ihren Mörder ausgeschlossen hatte, würde mit dieser Überlegung der Stadt rat wieder auf Nummer eins meiner Verdächtigenliste rutschen. Aber warum sollte er mich dann mit der Aufklärung des Mordes beauftragen? Hielt er mich für so schlecht, dass ich ihm nicht auf die Schliche kommen würde? Glaubte er vielleicht, ich wäre käuflich? * Der nächste Halt führte mich in Dunkys Speakeasy. Es war so ruhig, dass der dicke Glatzkopf den Sportteil der Tribune vor sich auf dem Tresen hatte und darin las. Ein seltener Anblick, der mir aber Hoffnung machte. Wenn so wenig Kundschaft sich heute in seine Kneipe verirr te, wäre er vielleicht ein wenig zugänglicher. Weit gefehlt! Er brummte nur einsilbig oder schwieg völlig. Als er zum dritten Mal mit der Flasche vor meinem leeren Glas auftauchte, 67
legte ich einen Lincoln neben das Glas. Gleichzeitig deutete ich auffor dernd auf die Flasche. Dunky füllte mein Glas und knurrte: »Was willst du wissen?« Der Mann kam immer schnell auf den Punkt. »Alles, was du über Dave Brubaker und seine Geschäfte weißt! Vor allem möchte ich den Namen seines Bosses wissen!« Er nickte verstehend und starrte ausgiebig auf die Stelle, an der vorhin der Fünfer gelegen hatte. Ich legte seufzend einen Hamilton neben mein Glas. »Mehr ist nicht drin, Dunky«, ermahnte ich den Dicken. Das reichte ihm offenbar und er legte los. »Brubaker war immer nur der Strohmann. Er hat noch nie eine ei gene Geschichte aufgezogen, aber auch nie in die Kasse gegriffen. Da sein letzter Boss eine der kleineren Nummern im Alkoholgeschäft ist, dachte er dieses Mal wohl anders darüber!« Seine Kunstpause war mir zu lang. »Spuck schon den Namen aus, Dunky!« »Er wird allgemein Dandy Dan genannt. Wegen seiner besonderen Vorliebe für schicke Klamotten und so einem Spazierstock mit Silber kopf!« Ich deutete überrascht auf mein leeres Glas, was Dunky mit einem zufriedenen Grinsen quittierte. Es machte ihn sogar so gesprächig, dass er mir freiwillig noch eine Warnung mit auf den Weg gab. »Der Spazierstock soll es in sich haben. Wortwörtlich! Wenn man am silbernen Kopf zieht, hat man eine Klinge in der Hand!« Gut zu wissen, wenn man Dandy Dan nochmals begegnen sollte. * Mit diesen neuen Informationen machte ich mich auf den Weg ins Bü ro. Betty schloss gerade die Bürotür ab, als ich die Treppe hinaufkam. »Na, sind denn die Nägel schon fertig?«, fragte ich boshaft. »Captain Hollyfield hat bereits mehrfach nach Ihnen gefragt! Sie sollen sich schleunigst bei ihm melden, sonst lässt er Sie abholen!«, schnappte sie mit vor Wut bebendem Busen und drängte sich dann 68
grußlos an mir vorbei. »Morgen ist mein Lohn fällig!«, rief sie noch von der Haustür aus und verschwand. Die unverblümte Aufforderung von Hollyfield ließ mich den Mantel gleich anbehalten. Es war sehr ungewöhnlich, wenn der Captain so eindringlich auf meiner Anwesenheit bestand und dann sogar noch mit der Abholung durch eine Streife drohte. Ihm musste schon eine gehö rige Laus über die Leber gelaufen sein. Vermutlich machte jemand von ganz oben heftig Druck auf den Leiter der Mordkommission. Auf der Fahrt wappnete ich mich für ein hartes Gespräch mit Hollyfield. Mit ein wenig Glück fiel dabei auch noch eine Information für mich ab. Hollyfield machte einen wütenden Eindruck, als ich in sein Büro stiefelte. »Eine Stunde später und ich hätte Sie abholen lassen, Connor!«, knurrte er mich gleich beim Eintreten an. Oha, das Gespräch könnte noch schwieriger werden. »Ich freue mich auch, Sie zu sehen, Captain Hollyfield! Leider muss ich meistens arbeiten, daher bleibt mir nicht so viel Zeit für Höf lichkeitsbesuche«, spielte ich den Ball genauso hart zurück. Quirrer lief rot an. »Reservieren Sie für Mr. Connor eine Zelle, Lieutenant Quirrer!« Das brachte mich dann doch ein wenig aus dem Konzept. Hämisch grinsend telefonierte Quirrer mit dem verantwortlichen Beamten. Ich war viel zu perplex, um ihn zu unterbrechen. »He, mal ganz langsam! Was soll dieser Blödsinn? Was werfen Sie mir eigentlich vor?« Hollyfield sah mich aus rot geränderten Augen an, offensichtlich litt er unter Schlafmangel. »Ihnen werden die Morde an Luca Musella, Dave Brubaker und Sid Spencer zur Last gelegt! Es gibt einen Zeugen, der Sie sowohl im The ater als auch bei der Hütte im Wald gesehen hat!« Ich überlegte kurz, wer dieser Sid Spencer sein könnte, doch dann fiel mir der Mann am Busch hinter der Hütte ein. Sofort war mir klar, wer dieser ominöse Zeuge nur sein konnte. Vermutlich anonym, sonst hätte Hollyfield mich längst verhaften lassen. 69
Mein Hirn arbeitete fieberhaft, welche Antwort in dieser Lage die beste wäre. Ich kramte mein bestes spöttisches Grinsen hervor und versuchte mein Heil im Leugnen. »Was für ein uralter Trick! Da fallen Sie natürlich nicht drauf rein, oder? Wer auch immer Ihnen diese Märchen aufgetischt hat, verfolgt nur ein Ziel! Er will mich aus dem Verkehr ziehen.« Bisher musste ich nicht einmal lügen. Vielleicht schluckte Hollyfield diese Erklärung und ließ mich wieder laufen. »Sie bezeichnen einen Polizisten als Lügner? Reden Sie doch kei nen Stuss, Connor! Dieses Mal haben wir Sie!«, triumphierte Quirrer. Ein Polizist wollte mich gesehen haben? Dafür gab es nur eine Erklärung und die gefiel mir gar nicht! Hol lyfield schoss einen vernichtenden Blick auf seinen Mitarbeiter ab, hat te der doch soeben den einzigen Trumpf im Verhör ordentlich ver spielt. Ausnahmsweise kam mir Quirrers Dummheit zugute! »Stimmt lei der, Pat. Es ist ein Kollege, wenn auch von der Streife!« Er behielt mich scharf im Auge, verfolgte jede meiner Reaktionen mit Argusaugen. »Hören Sie, Hollyfield. Wir wissen doch beide, was wir von diesem Kollegen halten! Der Mistkerl verdient sich seine Brötchen als Auftrags killer und hat die Frechheit, es auch noch während der Dienstzeit zu erledigen! Vermutlich mit Streifenwagen und in voller Uniform!« Quirrer lief erneut rot an, schluckte vorsichtshalber aber seine Bemerkung herunter. Seine Blicke sprachen auch so Bände. »Wollen Sie damit sagen, Sie waren weder im Theater, als Musella erschossen wurde, noch in der Waldhütte, als es Brubaker und seinen Mann erwischte?« Hollyfield stellte die richtigen Fragen für seine Ermittlungen und die falschen für mich. »He, langsam. Dazu musste ich erst einmal wissen, wann es die beiden Herren erwischt hat!« Hollyfield runzelte die Stirn, ließ aber nicht locker. »Beide wurden letzte Nacht ins Jenseits befördert!« 70
Ich blieb meiner Linie treu und deutete auf den Verband an mei nem Kopf. »Glauben Sie ernsthaft, ich würde mit dieser Gehirnerschütterung durch die Gegend laufen und Leute umlegen? Das ist schon an sich lachhaft, aber besonders, da Sie mich gut genug kennen! Seit wann lege ich wichtige Zeugen in meinen Ermittlungen um?« Quirrer konnte sich ein erbostes Schnaufen nicht verkneifen, aber ich sah die Zweifel in Hollyfields Augen. Eine Minute zog sich das Schweigen lähmend in die Länge, dann nickte Hollyfield. »Sie können gehen, Pat! Ich will Ihnen Glauben schenken, aber Sie auch gleichzeitig ein letztes Mal warnen. Legen Sie sich nicht mit den falschen Leuten an!« Er machte eine Handbewegung, die den aufgesprungenen Quirrer wutschnaubend in den Stuhl zurücksinken ließ. Ich sparte mir eine Bemerkung und sah zu, dass ich aus dem Präsidium kam. * Im Plymouth steckte ich mir eine Lucky an. Es wurde Zeit, mit dem Stadtrat einige Takte zu reden. Ich war gespannt, was er über diesen Dandy Dan zu sagen hatte. Ich startete den Wagen, wendete ihn und steuerte die North-Side mit den Villen der Mächtigen und Korrupten an. Am Tor von Spades Villa hupte ich so lange, bis der knurrige Gärtner auftauchte. Als er mich erkannte, machte er eine obszöne Geste und wollte sich wieder entfernen. Ich hatte seine Reaktion einkalkuliert und das Seitenfenster bereits heruntergekurbelt. »Mach das verdammte Tor auf, wenn du deinen Job behalten willst! Stadtrat Spade erwartet mich und wird es nicht gerne hören, dass du seine Gäste abwimmelst!« Der Gärtner hielt an, schielte unsicher zwischen meinem Wagen und dem Haus hin und her. Schließlich zuckte er die Achseln und öff nete das Tor. »Wenn du hier nur rumbrüllst, wirst du es schnell bereuen!«, maulte er mich beim Durchfahren an. 71
Ich zog den Wagen leicht nach links, sodass der Reifen seinen Fü ßen gefährlich nahe kam. Fluchend machte er einen Satz zurück und stolperte erwartungsgemäß über die Beeteinfassung. Im Seitenspiegel sah ich noch, wie er wütend die Faust schüttelte. Grinsend parkte ich den Plymouth neben dem schwarzen Lincoln. Zugegeben, die beiden Wagen gaben ein seltsames Bild ab. Immerhin war meine Karre ehrlich erworben und verrostet. Ich stieg die breite Treppe zum Eingang hinauf und drückte auf den Klingelknopf. Eine Weile passierte nichts und ich wollte erneut klingeln, da öffnete sich die Tür. Ein Butler schaute mich an, musterte den alten Plymouth, dann sah er wieder zu mir. »Der Lieferanteneingang ist dort an der Seite! Sollten Sie Arbeit suchen, können Sie gleich wieder verschwinden!«, gab er mir hochnä sig zu verstehen. Ein pampiger Angestellter pro Tag reichte mir und ich hatte noch genug Frust vom Gespräch mit Hollyfield in mir. Kommentarlos drückte ich die Hühnerbrust im Frack zur Seite und marschierte in die Ein gangshalle. Dort blieb ich stehen und bestaunte die unfassbare Pracht. Mar morfliesen bedeckten den Boden, Skulpturen standen auf Sockeln, riesige Grünpflanzen, etliche Tische und Stühle bevölkerten die große Halle. Ein harter Druck auf meiner Niere brachte mich unverzüglich zu rück in die Gegenwart. »Pfoten hoch! Ganz vorsichtig, Penner, sonst ist das heute dein letzter ungebetener Besuch!« Ich ließ meine Hände, wo sie waren. »Schalt lieber dein Hirn ein, Kumpel! Stadtrat Spade erwartet mich, also steck dein Spielzeug wieder weg und trab ab!« Der Druck blieb unverändert, doch am Schweigen erkannte ich die schwere Denkarbeit des Revolverschwingers. »Was ist? Willst du warten, bis dein Brötchengeber den Blödsinn hier bemerkt?« »He, Raven!«, brüllte der Typ urplötzlich los und verschaffte mir ein unangenehmes Klingeln im Ohr. 72
Die Hühnerbrust lugte vorsichtig um eine Türzarge, sah uns und kam dann mit einem hochmütigen Gesicht näher. »Sag dem Boss Bescheid! Der Typ hier behauptet, er wäre mit dem Boss verabredet!« Der Butler mit dem beknackten Namen blickte mich herablassend an. »Wen darf ich melden?«, säuselte er und ich musste unwillkürlich lachen. »Pat Connor!«, unterrichtete ich ihn, worauf er umdrehte und die Treppe zum ersten Stock hinauf stolzierte. Dann machte ich zwei Schritte nach vorne und drehte mich um. Der Aufpasser des Stadtrates stand immer noch auf dem gleichen Fleck und schaute mich verblüfft an. In seiner Pranke verschwand sein Revolver fast völlig. »Steck die Kanone weg! Da ich mit dem Stadtrat sprechen muss, werde ich wohl kaum weglaufen, oder?« Diese Denksportaufgabe beschäftigte ihn die nächste Minute, in der er mich dumpf anstarrte. »Stadtrat Spade erwartet Sie. Wenn Sie mir bitte folgen wollen?« Irgendwie hatte der Butler sich unbemerkt die Treppe hinunter geschlichen, sodass er mich kalt erwischte. Ich schoss herum und hät te ihm fast die Faust in seine arrogante Visage gefeuert. Im letzten Augenblick stoppte ich den Schlag, während Raven bleich wie Wachs papier wurde. Er sammelte sich erstaunlich schnell wieder und ging vor mir die Treppe hinauf. »Nicht bewegen, Larry! Ich komme bestimmt wieder, dann kön nen wir unser Spiel fortsetzen!« »Ich heiße doch Mike!«, hörte ich den Kleiderschrank murmeln und musste erneut lachen. Spade saß in seinem Arbeitszimmer hinter einem riesigen Schreib tisch und blickte erst auf, als der Butler den Raum verlassen hatte. »Reden Sie schon, Connor. Was haben Sie herausgefunden?« Ich erzählte ihm von der vergangenen Nacht. Als ich ihm mitteilte, dass Dave Brubaker nicht an dem Mord an Lizzy schuld sei, schaute er überrascht auf. 73
»Was macht Sie da so sicher?« Ich hatte mich mittlerweile auf den nicht angebotenen Stuhl ge setzt und lächelte bei der Frage. »Berufserfahrung, Stadtrat. Er hat mit Sicherheit nicht gelogen und hätte mir auch noch mehr erzählt, wenn da nicht jemand seine Tommy-Gun hätte sprechen lassen!« Spade nickte und spielte nach denklich mit einem Füllfederhalter. Offenbar beschäftigte ihn etwas. »Wer steckt hinter dem Anschlag auf Brubaker? Sein Boss oder einer seiner Abnehmer?« Ich wagte einen Vorstoß. »Schätze sein Boss. Die Abnehmer interessiert nur der Stoff, der Rest ist ihnen egal!« Er nickte, offenbar sah er es genauso. »Haben Sie eine Ahnung, wer dieser Boss sein könnte?« Während seine Finger weiter den Federhalter kreisen ließen, fixierten mich die braunen Augen scharf. »Nach meiner Ansicht ist es Dandy Dan! Sie kennen den Burschen ja!« Abrupt hörte das Spiel mit dem Füllfederhalter auf und er beugte sich vor, wobei seine Pupillen sich stark verengten. Das war ein Treffer gewesen! »Keine Ahnung, worauf Sie anspielen! Ich will nur von Ihnen wis sen, ob dieser Dandy Dan etwas mit dem Mord an Lizzy zu tun hat!« Eine eisige Kälte hatte sich in seine Stimme geschlichen und zeigte das andere Gesicht des Stadtrats. Das Gesicht des Machtmenschen Spade! Der Besuch hatte mir ge nug verraten, also stand ich auf. »Das werde ich herausfinden, Stadtrat! Oder wollen Sie den Auf trag beenden?« Spade zog eine Schublade auf und meine Hand schob sich vor sichtshalber näher an mein Schulterhalfter. Spades Hand kam jedoch nur mit einer Rolle Dollarnoten hoch. Er zog sechs Zwanziger aus dem Bündel und blätterte sie auf den Schreibtisch. Dann deutete er mit seinem fleischigen Zeigefinger darauf. 74
»Da haben Sie Ihr Geld für die nächsten Tage! Sehen Sie zu, dass Sie endlich den wahren Mörder finden. Mir gefällt es nicht, dass man meinen Sohn damit in Verbindung bringt!« Ich schnappte mir die Kohle und verließ die Villa. Für heute hatte ich genug Aufregung gehabt und zog es vor, mir ein gutes Steak mit einigen Tassen kalten Kaffees aus kanadischem Anbau zu genehmigen. Mit ein wenig Glück würde ich Brendon in Hen ry's Steak Diner treffen, dann könnten wir die Ereignisse in Ruhe durchkauen. Ab und an half mir der schnelle Verstand des Sportredak teurs der Tribune auf die Sprünge. Es dauerte eine Weile, bis ich einen Parkplatz in der North Rush ergatterte. Ich hatte kaum beide Füße auf der Straße, da stoppte ein Dodge neben mir und zwei dunkle Typen packten mich. Mit gekonn tem Griff drehten sie mir die Arme auf den Rücken und stießen mich auf die Rückbank. Alles ging so schnell, dass ich keine Chance zur Ge genwehr hatte. Der Wagen sauste los, dann knallte mir jemand eins über den Schädel. Schlagartig gingen die Lichter aus. * Eine Ladung eiskalten Wassers brachte mich blitzartig zu Bewusstsein. Ich musste mehrfach heftig husten und spuckte Wasser, wie ein Nicht schwimmer nach der Rettung aus tiefem Wasser. Blinzelnd versuchte ich meine Optik auf Vordermann zu bekom men, da ich nur Schemen erkennen konnte. Als es mir endlich gelang, erkannte ich eine Sporthalle. Ich saß auf einem Stuhl mittendrin und war an Händen und Füßen straff gefesselt! Irgendwie kam mir diese unbequeme Lage merkwürdig vertraut vor. Dieser Eindruck wurde noch durch den äußerst sorgfältig gekleide ten Mann vor mir verstärkt. Auch ohne seinen obligatorischen Geh stock mit dem silbernen Kopf hätte ich Dandy Dan sofort wieder er kannt. »Du störst meine Kreise, Connor! Einmal zu viel, dabei hatte ich dich doch gewarnt!« 75
Sollte er auf Anzeichen von Angst oder Verzweiflung warten, konnte er lange warten. Nicht, dass ich keine Angst gehabt hätte. Aber sie diesem Gangster zu zeigen fiel mir im Traum nicht ein! »Das liegt mir zwar fern, aber leider bin ich Stadtrat Spade die Ab lieferung eines Mörders schuldig!« Der Mann zeigte keine nennenswerte Reaktion, seine kalten Au gen starrten mich unverwandt an. »Willst du mir einen Mord anhängen, Schnüffler?« Er sprach betont leise und trotzdem konnte ich ihn hervorragend verstehen. »Aber, aber. Ich ermittle und hänge niemandem etwas an!«, pro testierte ich. Ein Schatten näherte sich von links und schon missbrauchte der Schläger meinen Kopf als Punchingball. »Verdammt, das hatten wir doch schon! Was soll das bringen?«, stöhnte ich genervt auf. »Ich habe keine Lust mehr, über dich zu stolpern. Der Stadtrat wird sich einen neuen Schnüffler suchen müssen, der den Mörder fin det! Schafft ihn weg!« »Willst du allen Ernstes behaupten, du hast mit dem Mord an Lizzy Silver nichts zu tun?«, brüllte ich hinter Dan her. Der zögerte, dann kam er doch noch einmal zurück. »Lizzy Silver? So ein Pech, Schnüffler. Da stirbst du, weil du den falschen Mann verfolgst! Nie von der Dame gehört!« Damit war die Audienz endgültig beendet und er verschwand, während flinke Finger mich von den Fesseln befreiten. Zwei Galgenvögel stießen mich vor sich her und trieben mich aus der Sporthalle. Im Freien erkannte ich den Campus der Universität und ahnte mein weiteres Schicksal. Unweit bahnte sich der Fluss seinen Weg durch die Stadt und dort würde ich nach Vorstellung meiner Begleiter in Kürze abtauchen! Sie trieben mich wortlos quer über das Gelände und schon konnte ich das Wasser durch eine Reihe von Bäumen er kennen. Mir lief die Zeit davon und dann stolperte ich aus Unachtsam keit über eine Baumwurzel. Ich prallte auf die linke Schulter und ein Hoffnungsfunke sprang mich an, als ich das Gewicht meines Revolvers 76
unter der Achsel spürte. Die Idioten hatten mich nicht gefilzt, bevor sie mich gefesselt hatten! »Hoch mit ihm! Ich will keine Zeugen bei seinem Bad!«, knurrte das eine Galgengesicht. Sie bückten sich und ich rollte mich mit dem 38er in der Hand auf den Rücken. Ich schoss dem größeren der beiden eine Kugel in den Kopf und rollte einfach weiter. Der zweite Mann hatte mittlerweile auch seine Kanone gezogen und feuerte wild auf meine rollende Figur. Sandfontänen und Grasbüschel flogen mir ins Gesicht und ich drückte drei Mal blind auf den Mann ab. Ein lang gezogener Schmerzensschrei zeigte mir das Ergebnis! Ich sprang auf die Beine, warf nur einen flüchtigen Blick auf die beiden reglosen Gestalten unter den Bäumen und hastete davon. Jeden Augenblick konnten weitere Galgenvögel von Dandy Dan auftau chen, darauf wollte ich nicht warten. * Ich hetzte in einem weiten Bogen über den Campus der Universität, bis ich die Michigan Avenue erreichte. Hier bewegte ich mich in norma lem Tempo, den Revolver längst wieder unter der Achsel. Ich wählte den kürzeren Weg zum Tribune Tower und ging schnurstracks in die Sportredaktion. Mein Glück war mir hold, Brendon reichte einem Boten einige Korrekturfahnen. Als er mich erblickte, erschien ein breites Grin sen auf seinem runden Gesicht. »Gutes Timing, Pat! Ich wollte mich gerade auf den Weg zu Henry's machen. He, was ist passiert?« Seine Augen starrten auf meine Jacke, die durchnässt und von Grasflecken übersät war. Ich zuckte lakonisch die Achseln. »Kleines Missgeschick, nicht weiter wichtig! Ich brauche einen or dentlichen Schluck und ein Steak, dann ist die Welt wieder in Ord nung!« Wir gingen die kurze Strecke zum Diner zu Fuß und ich erzählte Brendon die ganze Geschichte. Als wir am Tisch Platz nahmen, schüt telte er immer noch entsetzt den Kopf. »Du willst wirklich nicht mit Hollyfield reden?« 77
Ich schüttelte energisch den Kopf. »Nein! Dann muss ich nur Rechenschaft über die beiden Männer von Dan ablegen und dazu habe ich einfach keine Lust.« Wir gönnten uns zunächst eine Tasse kanadischen Kaffees, bevor wir über meinen Fall sprachen. »Du schließt also jetzt nicht mehr nur Vater und Sohn Spade aus, sondern auch den Theatermann und die sen Dandy Dan. Wer bleibt dir dann noch?« Ich konnte nur resigniert den Kopf schütteln. Als der Kellner unse re Steaks servierte, ließen wir auch gleich die Tassen nachfüllen. Wäh rend des ausgezeichneten Essens sprachen wir über Baseball. »Ich muss in die Redaktion zurück. Die gefräßigen Druckmaschi nen wollen Stoff haben!« Vor der Tür von Henry's trennten sich unsere Wege und ich stieg in den Plymouth. Mir fiel nichts Besseres ein, als dem Theater einen Besuch abzu statten. Ich war bisher immer nur da gewesen, wenn keine Vorstellung war. Heute wollte ich es mir endlich einmal mit Tänzerinnen und Publi kum ansehen. * Die Parkplätze in der Randolph Street waren natürlich alle belegt und so musste ich in der North Franklin parken. Ich brauchte knapp zwan zig Minuten bis zum Theater und betrat es zum ersten Mal durch den Haupteingang. Laute Musik, Stimmengewirr und dichte Tabakwolken empfingen mich im Saal. Ich quetschte mich zu zwei Pärchen an den Tisch. Es dauerte eine Weile, bis eine Kellnerin mich wahrnahm. Ich bestellte Whiskey und konzentrierte mich auf die Darbietung auf der Bühne. Ich konnte die Fortschritte der fünf Tanzdohlen überprüfen, denen ich bereits beim Üben zugesehen hatte. Es sah nicht viel besser aus! Also ließ ich meinen Blick über die Gäste wandern. Der rote Schöpf von Wilma Hacket erregte meine Aufmerksamkeit. Sie saß an einem Zweiertisch mit Michael! Sie redete auf den Sohn des Stadtrats 78
ein und ich hätte zu gerne Mäuschen dabei gespielt. Eine durchaus begabte Sängerin zog meine Aufmerksamkeit von dem Pärchen zur Bühne. Was der Brünetten an Stimme fehlte, machte sie mit aufregen den Kurven mehr als wett. Spielend zog sie die versammelten männli chen Gäste in ihren Bann und erhielt entsprechenden Applaus. Als ich mich nach Michael und Wilma umschaute, saßen bereits andere Leute an dem Tisch. Sie mussten während des letzten Auftritts das Theater verlassen haben. Ich bestellte einen weiteren Whiskey, steckte mir eine Lucky zwischen die Lippen und verfolgte das weitere Programm. Meine bisherigen Ermittlungen hatten zwar eine Menge Sachen ans Tageslicht gefördert, aber keine brauchbare Spur zum Mörder von Lizzy. Da meine Überlegungen nicht weiter von Erfolg gekrönt wurden, trank ich mein Glas aus und fuhr in die North Clark. In meinem Apart ment fiel ich dankbar in mein Bett und schlief sofort ein. * Betty staunte nicht schlecht, als sie ins Büro kam. Ich saß bereits an meinem Schreibtisch und malte Namen auf ein Blatt Papier. Nicht, dass mich das wirklich weiterbrachte. Ich hoffte auf eine Eingebung. »Guten Morgen, Chef. Ist was passiert, oder wieso sind Sie so früh im Büro?« Ich knurrte nur ablehnend. Sie setzte frischen Kaffee auf und als zehn Minuten später der aromatische Duft das Büro erfüllte, besserte sich meine Laune. Betty stellte eine Tasse vor mir ab und ich bot ihr im Gegenzug eine Zigarette an. Überrascht nahm sie die Lucky an und dann saß jeder hinter seinem Schreibtisch, schlürfte den heißen Kaffee und stieß Rauchkringel aus. »Sie stecken fest, richtig?« Ich nickte nur und versuchte, einen besonders schönen Ring aus dem Zigarettenqualm zu konstruieren. Betty sah mich herausfordernd an und schließlich gab ich auf. Ich erzählte ihr die Ergebnisse meiner erfolglosen Ermittlungen. »Damit stehe ich wieder am Anfang!«, schloss ich meine Zusam menfassung. 79
Meine stille Hoffnung, beim Erzählen möglicherweise auf die zün dende Idee zu kommen, erfüllte sich leider auch nicht. Betty drückte energisch die Zigarette aus und griff zum Telefon. Während sie mit ihren Kolleginnen sprach, vertiefte ich mich wieder in die Liste der Namen. Bettys Freundinnen hatten früher schon erstaunliche Informa tionen geliefert. Schaden konnte es nicht und es hielt sie immerhin davon ab, ihre Nägel zu lackieren. Mit triumphierender Stimme unterbrach Betty meine nutzlosen Grübeleien. »Es gibt tolle Neuigkeiten, Chef! Stadtrat Spade und sein Sohn haben bei Frauen den gleichen Geschmack. Nicht nur bei Lizzy Silver!« Sie genoss ihren Auftritt sichtlich, denn ich hatte mich wie elektri siert aufgerichtet. »Spucken Sie es schon aus, Betty! Welche Frau meinen Sie?« »Meine Quelle ist eine Kollegin aus der Stadtverwaltung. Sie ist wiederum mit der Sekretärin vom Stadtrat eng befreundet, die ihr im mer wieder tolle Geschichten erzählt. Eben auch über das nicht gerade langweilige Liebesleben der Spades!« Meine Beherrschung wurde auf eine harte Probe gestellt und Betty musste meinen Blick richtig gedeutet haben. Hastig fuhr sie fort. »Dabei kam eben nicht nur die Geschichte mit der jungen Tänze rin heraus, sondern auch eine Dreiecksgeschichte mit einer langjähri gen Freundin des Stadtrates. Sie heißt Wilma und soll Michael auch in ihr Bett gelockt haben!« Betty grinste zufrieden, als ich einen bewundernden Pfiff ausstieß. Die schöne Wilma hatte sich in den Sohn des Stadtrats verguckt! Nur eine Affäre oder vielleicht doch mehr? Nichts ist gefährlicher als eine verschmähte Frau! »Spitze, Betty! Hängen Sie sich an diese Sekretärin aus der Stadtverwaltung und quetschen Sie sie ordentlich aus!« In Bettys Augen ging ein Leuchten an, als ich sie so überschwäng lich lobte. »Sie meinen, ich soll bei der Kollegin Ermittlungen anstellen?«, fragte sie begeistert. Überrascht entdeckte ich einen ganz neuen Zug an meiner Halb tagskraft. Scheinbar reizte es sie tatsächlich, als Detektivin zu arbeiten. 80
»Ganz genau! Hier haben Sie fünf Mäuse. Laden Sie die Kollegin zum Essen ein und holen Sie alle Informationen über diese Dreiecksge schichte aus ihr raus!« Ich hatte meinen Hut schon in der Hand und legte den Schein in ihre Hand. »Und was machen Sie?«, wollte meine neugierige Sekretärin wis sen. »Ich befrage eine andere Quelle!« Bevor sie weiter nachfragen konnte, war ich schon durch die Tür und lief die Treppe hinab. Ich brauchte ein wenig Überzeugungskraft, um Jane Bolder zu ei ner verfrühten Mittagspause zu überreden. Wir gingen zu einem nahe gelegenen Restaurant, das von den Angestellten der umliegenden Ge schäfte bevorzugt aufgesucht wurde. Hier gab es keinen Kaffee aus kanadischem Anbau, dafür aber anständiges Essen zu kleinen Preisen. Ich spendierte Jane das Essen und erntete dafür einen aufregen den Blick aus den himmelblauen Augen. Sie hatte ihre tollen Kurven in ein hellbraunes Kostüm gezwängt. So mancher Mann hatte bei dem Anblick große Mühe, sich auf sein Essen zu konzentrieren. Es war gut zu wissen, dass dieses aufregende Wesen in meiner Nähe arbeitete. Doch im Augenblick wollte ich etwas anderes. »Gab es jemals Ärger mit einer rothaarigen Frau, seitdem Lizzy mit Michael zusammen war?« Jane nickte eifrig. »Allerdings! Diese rothaarige Hexe ist wie eine Furie auf die arme Lizzy losgegangen. Sie hat ihr regelrecht nachgestellt! Einmal hat sie Lizzy am Seiteneingang nach einer Probe aufgelauert und ihr gedroht, dass sie den Vater von Michael auf Lizzy hetzen würde!« Das erklärte schon einmal Lizzys Verdacht gegen den Stadtrat. »Welchen Grund hatte Wilma, so auf Lizzy loszugehen?« »Die war doch völlig verknallt in Michael! Sie ist ständig bei ihm aufgekreuzt und hat ihn angeschmachtet, dabei ist sie doch viel zu alt für ihn!«, empörte sich Jane ganz reizend. »Warum hat sie Lizzy dann später in Ruhe gelassen?« Wieder nickte Jane eifrig. Sie war begierig darauf, die ganze Ge schichte auszuplaudern. 81
»Das war vielleicht eine Szene! Ich wollte Michael und Adam ins Theater begleiten, wo Lizzy an dem Abend eine neue Nummer singen sollte. Schon, als ich die Treppe zu seiner Wohnung hochkam, hörte ich ihn brüllen. Adam schloss gerade die Wohnungstür auf und dann sahen wir die beiden!« Sie machte eine dramatische Pause und trank einen Schluck Kaf fee. Es juckte mir in den Fingern, sie zu schütteln. Angesichts der win zigen Menge an Hirn beherrschte ich mich lieber. Nachher zerstörte ich ausgerechnet die Zelle, die für die Erinnerungen zuständig war! »Michael stand mit rotem Kopf neben dem einen Sessel, während die rote Hexe seine Beine umklammert hielt. Wie im Theater! Als sie uns bemerkte, sprang sie hoch und rannte wie verrückt an uns vorbei. Das ganze Gesicht war verheult und eine Wange ganz geschwollen. Michael hatte ihr vor lauter Wut eine gelangt, aber das hatte sie nicht abgehalten, ihn weiter anzuflehen. Schlimm, wenn Frauen sich so er niedrigen! Finden Sie nicht auch?« Ich hätte sie küssen können, nicht nur wegen des aufregenden Schmollmundes! * Zurück in meinem Büro gönnte ich mir einen kräftigen Schluck aus dem Flachmann. Kurz darauf schneite Betty aufgekratzt ins Büro. Sie hängte Hut und Mantel an die Garderobe und bereitete sich einen Kaffee zu. Immer wieder warf sie mir auffordernde Blicke zu, doch ich blieb die Ruhe selbst und machte auf beschäftigt. Schließlich wurde es ihr zu bunt! »Interessiert es Sie denn überhaupt nicht, was ich erfahren ha be?«, fragte sie fast beleidigt. Sie stand mit der dampfenden Tasse vor meinem Schreibtisch und klopfte nervös mit einem Finger gegen die Tasse. Betont gelassen hob ich den Blick. »Sie haben erfahren, dass die reizende Wilma sich völlig zur När rin gemacht hat! Michael hat ihr Liebesflehen nicht erhört und sich lieber an die süße Tanzfee gekuschelt!«, klärte ich sie auf. 82
Der Fingernagel hörte auf, die Tasse zu malträtieren und Betty stolzierte an ihren Platz. »Das natürlich auch! Aber das ist nur ein kleiner Teil der Peinlich keiten für Wilma Hacket!«, ließ sie mich wissen. Ich tat ihr den Gefal len und kroch zu Kreuze, immerhin kam endlich Bewegung in den Fall. »Na, schön. Dann erzählen Sie mir bitte von Ihren Ermittlungen!« Zur Stärkung nahm ich einen weiteren Schluck aus dem Flach mann, dessen Inhalt bedenklich zur Neige ging. Ich notierte daher das Wort Nachschub und setzte drei Ausrufezeichen dahinter. An den wichtigen Sachen im Leben darf es nicht scheitern. Betty quittierte den Griff zur Flasche mit einem Kopfschütteln, leg te dann aber los. »Die Sekretärin vom Stadtrat wusste einiges über Wilma Hacket zu erzählen. Sie hatte schon zwei Jahre den Stadtrat beglückt, bevor sie sich dann in den Sohn verguckt hat. Es muss heftig bei der Dame gefunkt haben, denn der Stadtrat soll die beiden sogar in flagranti er wischt haben. Wilma hat dem Junior wohl Nachhilfestunden erteilt, die nicht nach dem Geschmack des Stadtrats waren!« Besser hätte ich es auch nicht formulieren können und der Junior hatte in Wilma sicherlich eine begnadete Lehrerin gefunden. »Was ist passiert, als der Stadtrat die beiden Turteltäubchen er wischt hat?«, fragte ich neugierig, obwohl ich eine Ahnung hatte. »Er hat seinen Sohn vor die Tür gesetzt und soll Wilma ordentlich den Hintern versohlt haben!«, berichtete Betty mit funkelnden Augen. »Was? Wilma blieb bei dem Stadtrat?« Sie grinste frech. »Vermutlich waren ihre Dienste zu wertvoll, als dass er sie loswer den wollte!« Alle Achtung! Wilma hatte es faustdick hinter den Ohren. »Da kommt doch noch mehr, Betty!« Sie nickte fröhlich und fuhr fort: »Allerdings! Vor knapp einem Jahr trat Lizzy Silver auf den Plan und schon setzte der Stadtrat die reizende Wilma vor die Tür!« 83
Donnerwetter, da baute sich ein handfestes Motiv auf. »Sehr gut, Betty! Für diese tolle Arbeit dürfen Sie dann auch schon Feierabend für heute machen!« Betty ließ sich nicht lange bitten und schon war ich wieder allein im Büro. * Langsam zeichnete sich ein Bild ab, wobei mir noch einige Teilchen des Puzzles fehlten. Doch die würde mir vermutlich Michael liefern können und daher machte ich mich auf den Weg in die North Franklin Street. Ich hatte geklopft und gehämmert, doch die Tür zu Michaels Wohnung blieb verschlossen. Missmutig schlenderte ich die Eingangs stufen herab, als ich eine vertraute Gestalt auf das Haus zukommen sah. »Wollen Sie zu Michael?«, begrüßte Adam mich aufgekratzt. »Ja, aber er ist nicht da. Wissen Sie, wo er ist?« Er holte einen Schlüssel aus der Tasche und machte mir ein Zei chen, ihm zu folgen. »Er ist bei einer Besprechung. Er wollte in etwa einer halben Stunde wieder zu Hause sein. Kommen Sie mit, dann mach ich uns einen Kaffee!« Also stiefelte ich die Treppen wieder hinauf. Adam schloss die Tür auf und bot mir einen Platz an. Ich nahm einen Sessel in Beschlag und er kam mit zwei Gläsern und einer Flasche ohne Etikett. Die braune Flüssigkeit war nicht erste Wahl, aber durchaus trinkbar. »Was wollen Sie schon wieder von Michael? Haben Sie den Mörder gefunden?« »Ich bin nahe dran und brauche noch einige Hinweise von Micha el!«, wich ich aus. Doch Adam hatte ein gutes Gespür und hakte nach. »Was genau wollen Sie wissen?« 84
Ich zögerte, dann ergriff ich die Chance. Möglicherweise würde er offener über die merkwürdige Beziehung zu Wilma Hacket reden als Michael. »Was lief da zwischen Michael und Wilma Hacket?« Adam zog die Augenbrauen hoch und machte einen verblüfften Eindruck. »Donnerwetter. Sie haben da eine empfindliche Sache ausgegra ben, Pat!« Er trank einen Schluck und ich hatte das Gefühl, ihn lieber nicht zu drängen. Tatsächlich sprach er nach einer Denkpause weiter. »Wilma hat Michael im Haus seines Vaters kennen gelernt. Als Mi chael einmal zu viel getrunken hatte, ist es passiert. Dummerweise haben Wilma und er sich dann öfter getroffen und irgendwann hat sein Vater die beiden erwischt. Saublöde Sache, das können Sie mir glauben!« Er schenkte die Gläser nach und erzählte ohne Aufforderung wei ter. »Der Alte ist natürlich stink wütend geworden und hat Michael vor die Tür gesetzt. Sie hatten schon viele kleinere Auseinandersetzungen gehabt, doch diese Geschichte brachte das Fass zum Überlaufen. Wil ma blieb beim Stadtrat.« Damit bestätigte er die Informationen der Sekretärin. Ich ließ ihm wieder Zeit, doch jetzt wollte er nicht freiwillig weiterreden. »Wie ging es weiter?« Er warf mir einen skeptischen Blick zu. »Glaube nicht, dass ich Ihnen das erzählen sollte! Fragen Sie Mi chael, obwohl er es vermutlich auch nicht will!« Für unnötige Rücksichtnahme hatte ich jetzt keine Zeit mehr. »Reden Sie weiter, wenn es mit der Szene zwischen Wilma und Micha el zu tun hat. Da, wo Sie vor ihm kniete und er sie hinauswarf!« Adam verschluckte sich am Whiskey und hustete einige Male. Dann sah er mich völlig konsterniert an. »Wie haben Sie das denn herausbekommen?«, fragte er ungläu big. »Das ist mein Job! Nun erzählen Sie schon!«, forderte ich ihn auf. 85
»Damals kamen Lizzy und ich fast zur gleichen Zeit hier an. Ei gentlich sollte Michael gar nicht zu Hause sein, daher hatte ich die Tür aufgeschlossen. Er stand da neben dem Sessel und Wilma kniete vor ihm. Er brüllte sie an und sie heulte und flehte! Er hatte sich gerade mit Lizzy verlobt und sie wollte, dass er es wieder rückgängig machte. Sie würde ihn lieben und könnte ohne ihn nicht leben und so weiter. Mann, das war echt bühnenreif!« Selbst in der Erinnerung schien ihn die Szene noch zu beeindru cken. »Doch Michael blieb hart und was geschah dann?« Adam schüttelte leicht den Kopf. »Als Wilma uns an der Tür bemerkte, rannte sie völlig kopflos da von. Danach versuchte sie, Lizzy bei Michael schlecht zu machen, aber das machte ihn nur wütend. Irgendwann hat sie es dann wohl einge sehen, jedenfalls hat sie Michael seitdem nicht mehr gesehen!« Die Tür ging auf und Michael schaute mich genervt an. »Was wollen Sie denn schon wieder hier?« »Ich habe mich mit Adam ein wenig über Wilma und Sie unterhal ten! Ihr schmeckte die Verlobung mit Lizzy nicht besonders, oder?« Er sah von mir zu Adam. »Hast du ihm was erzählt?«, wollte er von seinem Freund wissen. Der hob nur abwehrend die Hände. »Keine Spur, Michael. Pat wusste schon Bescheid. Er wusste sogar von der Szene mit Wilma und dir!« »Hören Sie, Connor! Das geht Sie alles nichts an, oder wollen Sie jetzt etwa behaupten, dass Wilma Lizzy getötet hat?« Adam sog scharf die Luft ein und starrte mich auf einmal verste hend an. Ich stand auf, setzte den Hut auf und ging an Michael vorbei zur Tür. Dort drehte ich mich noch einmal um. »Können Sie das ausschließen?«, fragte ich und wartete nicht auf eine Antwort. * 86
Es wurde Zeit, mit der schönen Agenturchefin ein paar Takte Klartext zu reden. Ich wollte sie aber nicht wieder in ihrer Agentur überrum peln, sondern bei sich zu Hause. Die Zeit war günstig, also lenkte ich den Plymouth zu dem Haus mit der Agentur. Es dauerte drei Zigaretten, dann kamen zuerst der blonde Vor zimmerdrachen und kurz danach die hübsche Agenturchefin die Stufen herab. Während die Sekretärin in Richtung der Hochbahn ging, setzte Wilma sich in einen Marmon. Zügig lenkte sie den Wagen zu einem dreistöckigen Apartmenthaus in der East Huron Street. Sie parkte den Wagen und stieg die Stufen zu Haus Nr. 83 hinauf. Ich wartete, bis sie in der Haustür verschwunden war und sprintete dann die Stufen hin auf. Ich sah ihre schlanke Figur auf der Treppe und folgte ihr bis in den zweiten Stock. Dort betrat sie das Apartment genau gegenüber der Treppe. Sie war kaum hinter der Wohnungstür verschwunden, da drückte ich den Klingelknopf neben ihrem Namensschild. Sie öffnete unverzüg lich mit einem fragenden Gesichtsausdruck, da sie wohl nicht mit Be such rechnete. Umso besser für unser Gespräch! Als sie mich erkannte, wollte sie die Tür schnell wieder ins Schloss werfen. Doch mein Fuß verhinderte das Vorhaben und dann drückte ich sie einfach zurück ins Apartment. »Verschwinden Sie sofort aus meiner Wohnung, Sie Mistkerl! Sonst schreie ich das ganze Haus zu sammen, dann kommt garantiert die Polizei und verhaftet Sie!«, gifte te sie los. »Machen Sie nur, Wilma. Mal sehen, wen die Polizei wirklich ver haftet. Die suchen noch immer noch den Mörder oder sollte ich lieber sagen die Mörderin von Lizzy Silver!« Erschrocken legte sie ihre zierli che Hand an den Hals und taumelte zurück. Ich schloss die Woh nungstür und registrierte befriedigt, dass sie offenbar kein Schreikon zert veranstalten wollte. Sie lief ins Wohnzimmer und füllte eine bern steinfarbene Flüssigkeit in ein Glas. Mit zwei langen Schritten war ich bei ihr und nahm ihr das Glas aus der Hand. Sie zuckte zurück und ich schob sie unsanft auf die Couch. Dann trank ich einen Schluck von dem ausgezeichneten Whis key, der bei der Qualität nur aus Kanada stammen konnte. 87
»Was wollen Sie von mir?«, hauchte sie mit Tränen in den Augen. »Erzählen Sie mir einfach, warum Sie die arme Lizzy umgelegt ha ben! Wollten Sie die jüngere Konkurrentin aus dem Weg räumen?« Sie sackte in sich zusammen. »Könnte ich auch einen Schluck ha ben? Dann erzähl ich Ihnen alles.« Ihre Stimme klang so resigniert, dass ich ihr den Wünsch erfüllen wollte. Ich drehte mich zur Anrichte mit den Flaschen um und entkork te den guten Whiskey. Als ich Glas und Flasche in den Händen hielt, sprang Wilma blitz schnell auf, versetzte mir einen kräftigen Stoß und rannte aus der Wohnung. Ich krachte kopfüber in die Flaschenbatterie und kam erst wieder auf die Beine, als ich die Haustür knallen hörte. Ich setzte dem hinterhältigen Biest nach. Als ich die Straße er reichte, brauste der Marmon schlitternd in die North Wabash Street. Fluchend rannte ich zu meinem Wagen und setzte dem Marmon nach. Jetzt konnte ich nur noch auf mein Glück hoffen. Schaffte Wilma es auf die Michigan Avenue, dürfte es schwer für mich werden. Aber auch so hatte sie gute Karten. Dem stärker motorisierten Marmon hatte mein Plymouth wenig entgegenzusetzen. »Das Luder hat dich ganz schön eingeseift! Selbst schuld, Pat Connor!«, verfluchte ich mich selbst. Mein Glück machte heute Überstunden und so entdeckte ich die Rücklichter von Wilmas Wagen wieder. Einholen konnte ich sie nicht, aber immerhin konnte ich ihr folgen. Ich hatte so eine Ahnung, zu wem die schöne Wilma wollte. Nach zwanzig Minuten rasender Fahrt sah ich meine Vermutung bestätigt. Sie fuhr direkt zur Villa von Stadt rat Spade. * Ich lauerte mit abgeschalteten Lichtern, bis der müde Gärtner das Tor für Wilmas Wagen geöffnet hatte. Sie war zur Hälfte durch, da trat ich heftig das Gaspedal durch und schoss hinter ihr auf das Grundstück. 88
Im Vorbeifahren konnte ich den weit aufgerissenen Mund des Gärtners bewundern. Wilma gab ihr Bestes. Sie hielt den Marmon vor der Treppe an und ließ den Motor einfach laufen. Während sie hektisch an der Tür klingelte und klopfte, stellte ich seelenruhig den Plymouth ab. Sie schlüpfte durch die Tür, vorbei an dem verwirrten Butler. Bei meinem Anblick stieß er einen Warnruf aus und flüchtete ins Innere. Der hirnlose Aufpasser stürmte aus einer der vielen Türen und kam zum Stehen. Der Anblick eines 38er stoppte die meisten Typen, auch die mit weniger Hirn! »Bleib einfach stehen, Larry! Jede Bewegung könnte sonst deine letzte sein, verstanden?« Er nickte eifrig und erstarrte zur Salzsäule. »Was soll dieser Blödsinn, Connor? Stecken Sie die Kanone weg und erteilen Sie meinen Leuten keine Befehle!«, donnerte Stadtrat Spade von der Empore. Wilma hatte sich ängstlich in seinen Arm gedrückt und er genoss es, den starken Mann zu markieren. Ich überhörte geflissentlich seine Befehle und behielt den 38er in der Hand. »Wollten Sie nicht den Mörder von Lizzy kennen lernen, Spade?«, fragte ich kalt. Er schaute verblüfft drein. »Nun, Sie halten die Mörderin im Arm!« Er zuckte zusammen und sein Blick ging in Wilmas Gesicht, die sich kreidebleich löste. Er folgte jedem ihrer Schritte, schüttelte benommen den Kopf. »Wilma? Du?«, brüllte er fast. Dann schaute er zu mir. Ich nickte bestätigend. »Ja, Ihre Ex-Geliebte hat Lizzy Silver erschlagen. Aber nicht Ihret wegen, Spade! Aus zurückgewiesener Liebe zu Michael hat sie es ge tan, nicht wahr, Wilma?« Spade wandte sich wieder Wilma zu, deren Gesicht noch immer weiß wie ein Leichentuch war. Doch die Tränen waren versiegt. Statt dessen funkelte eine wilde Wut in den grünen Augen. 89
»Du bist schuld! Hättest du deinen Sohn besser behandelt, wäre er nie in die Fänge dieser Tänzerin gefallen! Mich hat er geliebt und ich ihn, doch Lizzy hat ihm den Kopf verdreht und alles kaputt gemacht. Auf Knien habe ich ihn angefleht, aber er sah nur diese Schlampe. Die Schlampe, die du abgelegt hattest! Dein Sohn wollte sie heiraten. Das konnte ich doch nicht zulassen, verstehst du?« Mal fauchte sie wie eine Wildkatze, dann murmelte sie gedanken verloren und zum Schluss wurde ihre Stimme weinerlich. Sie machte einen Schritt auf den Stadtrat zu, streckte bittend die Hände aus. Dann bemerkte sie den harten Ausdruck in seinen Augen und blieb abrupt stehen. Ich hatte mich auf das Schauspiel oben auf der Empore kon zentriert. Die Stimme in meinem Rücken und der harte Druck über raschten mich. »Gute Arbeit, Schnüffler. Lass die Kanone fallen und heb die Flos sen hoch!« Dandy Dan war ein anderes Kaliber als der hirnlose Gorilla von Spade. Gehorsam ließ ich den Revolver fallen, der hart auf die Fliesen knallte. Dann hob ich meine Arme und gab mit Larry sicherlich ein be eindruckendes Paar ab, denn der Idiot blieb brav in seiner Haltung. Dandy Dan hob meinen Revolver auf und drückte ihn seufzend dem Gorilla in die Hand. »Behalt den Schnüffler gut im Auge! Mach ihn kalt, wenn er auch nur mit der Wimper zuckt oder sein dämliches Maul aufreißt! Kapiert?« Eifrig nickte Larry und baute sich mit dem Revolver vor mir auf. Ein leiser Aufschrei ließ mich zur Empore hinaufblicken. Spade hatte Wilma gepackt und stieß sie brutal die Treppe herab. Dort griff Dandy Dan zu und zerrte die schluchzende Frau aus der Villa. Spade sprach mich an. »Wirklich gute Arbeit, Connor. Den Rest übernehmen jetzt andere, Ihr Auftrag ist erledigt!« Er nickte Larry zu und ging gelassen die Treppe wieder hinauf. »Beweg deinen Arsch nach draußen, Schnüffler! Hast ja gehört, was der Boss gesagt hat!« Er winkte hämisch grinsend mit dem Revolver und ich trabte los. Auf dem Weg zur Eingangstür kam ich an einem der kleinen Tische 90
vorbei und machte unauffällig einen Bogen, sodass ich eine Vase grei fen konnte. Blitzschnell warf ich sie in eine Ecke der Halle, wo sie in tausend Stücke zersplitterte. Larry reagierte wie erwartet und fuhr erschrocken herum, schaute verwirrt zur kaputten Vase. Ich versetzte ihm einen brutalen Tritt in den Unterleib, entriss ihm meinen Revolver und don nerte ihm die Waffe an den Schädel. Sein Aufschrei erstickte und er sackte ohnmächtig zu Boden. * Mit zwei langen Sätzen war ich die Außentreppe herunter und sah die Rücklichter eines Wagens das Grundstück verlassen. Ich sprang in meinen Plymouth und raste hinterher. Schön, Wilma war eine Mörderin. Dennoch würde ich nicht einfach zusehen, wie der Gangster sie ebenfalls umbrachte! Dandy Dan hatte sich den Marmon von Wilma für die Fahrt ausge sucht. Vermutlich zwang er sie, den Wagen selbst zu steuern. Die Fahrt dauerte lange, denn Dandy hatte sich die Docks als Ziel ausge sucht. Als der Marmon anhielt, erkannte ich die Ecke sofort wieder. In einer dieser Hallen hatte ich vor gar nicht allzu langer Zeit gefesselt auf einem Stuhl gesessen und diesen Gangster zum ersten Mal gese hen! Als Wilma aus dem Wagen stieg, bestätigte sich meine Vermu tung. Dandy Dan hatte sie fahren lassen und sie war mit den Nerven so am Ende, dass er sie an der langen Leine führen konnte. Er hatte zwar die Waffe noch in der Hand, aber ihr Lauf zeigte auf den Boden. Eine bessere Chance würde ich nie erhalten! »Waffe fallen lassen oder ich blas dir eine Kugel in deinen schö nen Kopf!« Wilma lief einfach weiter, offenbar hatte sie unsere Wirklichkeit hinter sich gelassen. Dandy Dan riss den Revolver hoch und gab ungezielt zwei Schüsse in meine Richtung ab. Doch ich stand auf der anderen Seite meines 91
Wagens und so knallte eine Kugel ins Blech, während die andere als Querschläger laut heulend in der Dunkelheit verschwand. Mehr Schüsse gewährte ich dem Gangster nicht! Mein 38er zuckte ebenfalls zwei Mal, dann brach Dandy Dan ge troffen zusammen. Seine Waffe polterte zu Boden und rutschte aus seiner Reichweite. Ich rannte zu ihm hin, doch ich erreichte nur noch einen sterbenden Mann. Ein dünner Blutstrahl sickerte aus seinem Mund. »Ich hätte dich schon beim ersten Mal kaltmachen sollen, Schnüff ler. Der Stadtrat war leider dagegen. Mein Pech!« Dann fiel sein Kopf zurück und seine Augen starrten blicklos in den dunklen Himmel. Ich suchte nach Wilma und entdeckte ihre zierliche Gestalt, wie sie langsam und gleichmäßig in Richtung Wasser taumelte. Fluchend setz te ich ihr nach und erreichte sie nur einen Meter vor dem Ende des Docks. * Am nächsten Tag traf ich mich mit Brendon Smith in Henry's Steak Di ner und musste ihm haarklein den Abend schildern. »Was passiert jetzt mit Wilma?«, fragte er kopfschüttelnd. »Hollyfield hat sie einweisen lassen. Sie ist geistig verwirrt und wird wohl den Rest ihres Lebens in der geschlossenen Anstalt verbrin gen!« Ich winkte dem Kellner und ließ unsere Tassen mit kaltem Kaffee aus kanadischem Anbau auffüllen. »Und Stadtrat Spade?«, wollte Brendon noch wissen. Ich zuckte gleichmütig mit den Achseln. »Bleibt Stadtrat!« Ende
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