Thomas Lang-von Wins Claas Triebel Karriereberatung Coachingmethoden für eine kompetenzorientierte Laufbahnberatung
Thomas Lang-von Wins Claas Triebel
Karriereberatung Coachingmethoden für eine kompetenzorientierte Laufbahnberatung 2., aktualisierte und erweiterte Auflage Mit 7 Tabellen und 3 Abbildungen
1C
Prof. Dr. Thomas Lang-von Wins Universität der Bundeswehr München Fakultät für Sozialwissenschaften Institut für Arbeits- und Organisationspsychologie Werner-Heisenberg-Weg 39, 85577 Neubiberg E-Mail:
[email protected] ISBN
978-3-642-20065-6
Dr. Claas Triebel Fouquéstr. 3, 81241 München E-Mail:
[email protected] Springer-Verlag Berlin Heidelberg
Die 1. Auflage erschien unter dem Titel »Kompetenzorientierte Laufbahnberatung«. Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar. Dieses Werk ist urheberrechtlich geschützt. Die dadurch begründeten Rechte, insbesondere die der Übersetzung, des Nachdrucks, des Vortrags, der Entnahme von Abbildungen und Tabellen, der Funksendung, der Mikroverfilmung oder der Vervielfältigung auf anderen Wegen und der Speicherung in Datenverarbeitungsanlagen, bleiben, auch bei nur auszugsweiser Verwertung, vorbehalten. Eine Vervielfältigung dieses Werkes oder von Teilen dieses Werkes ist auch im Einzelfall nur in den Grenzen der gesetzlichen Bestimmungen des Urheberrechtsgesetzes der Bundesrepublik Deutschland vom 9. September 1965 in der jeweils geltenden Fassung zulässig. Sie ist grundsätzlich vergütungspflichtig. Zuwiderhandlungen unterliegen den Strafbestimmungen des Urheberrechtsgesetzes. SpringerMedizin Springer-Verlag GmbH ein Unternehmen von Springer Science+Business Media springer.de © Springer-Verlag Berlin Heidelberg 2006, 2012 Produkthaftung: Für Angaben über Dosierungsanweisungen und Applikationsformen kann vom Verlag keine Gewähr übernommen werden. Derartige Angaben müssen vom jeweiligen Anwender im Einzelfall anhand anderer Literaturstellen auf ihre Richtigkeit überprüft werden. Die Wiedergabe von Gebrauchsnamen, Warenbezeichnungen usw. in diesem Werk berechtigt auch ohne besondere Kennzeichnung nicht zu der Annahme, dass solche Namen im Sinne der Warenzeichen- und Markenschutzgesetzgebung als frei zu betrachten wären und daher von jedermann benutzt werden dürfen. Planung: Joachim Coch Projektmanagement: Michael Barton, Katrin Meissner Lektorat: Angela Wirsig-Wolf Umschlaggestaltung: deblik Berlin Fotonachweis Umschlag: © luchschen / shutterstock.com Satz: Crest Premedia Solutions (P) Ltd., Pune, India SPIN: 80016984 Gedruckt auf säurefreiem Papier
26/2126 – 5 4 3 2 1 0
V
Geleitwort Die Auseinandersetzung mit der Zukunft von Arbeit und Wirtschaft bringt eine Konfrontation mit Veränderungen mit sich, die sehr schnell verlaufen. Innerhalb weniger Jahre ist die Wirtschaft global geworden; die Welt ist ein großer Marktplatz, neue Technologien und Medien haben völlig neue Arbeits- und Kommunikationsformen ermöglicht. Für viele Menschen wirken diese Veränderungen bedrohlich. Diese Schreckgespenster zu Beginn des dritten Jahrtausends haben Namen, die die Probleme dieser Zeit widerspiegeln: Massenentlassungen, Betriebsabwanderungen, Billiglohnländer, Konkurswellen. In Gesellschaften, in denen Erwerbstätigkeit eine zentrale Rolle im Leben der Menschen spielt, bangen Millionen um ihre Jobs, ganz zu schweigen von jenen, die heute bereits Teil der vielen Arbeitslosen im noch bis vor kurzem blühenden Europa sind. Der Wandel der globalisierten Wirtschaft trifft vor allem den alten Kontinent. Die Abwanderung der produktiven Wirtschaft in den pazifisch-asiatischen Raum scheint zudem momentan unumkehrbar, denn aus den Billiglohnländern sind riesige Märkte geworden. Dazu gehört beispielsweise China mit seinen 1,3 Milliarden potenziellen Konsumenten. Wie aber wird in Europa die Arbeit von morgen aussehen? Flexibilität ist bereits seit Jahren eine Anforderung an alle Erwerbstätigen. Der Job fürs Leben – von der Lehre bis in den Ruhestand und das womöglich noch am selben Arbeitsplatz – ist Geschichte. Die rasante Entwicklung in allen Berufsfeldern bedingt, dass Fachwissen immer schneller veraltet. Doch wenn wir heute die Anforderungen von morgen nicht kennen, wie können wir uns dann auf die Arbeitswelten der Zukunft einstellen? Eine Antwort geben die Ergebnisse einer Untersuchung der Wirtschafts- und Arbeitsforschung West (WAW) am Zukunftszentrum Tirol, die zu Beginn meiner Tätigkeit als Geschäftsführer dort erstellt wurde. Jeder Dritte auf dem Tiroler Arbeitsmarkt, so die Studie, wechselte innerhalb von fünf Jahren den Job, die Branche oder beides. Eine derartige Bewegung am Arbeitsmarkt hat mich überrascht und zugleich innehalten lassen. Was heißt das, wenn ein Tischler bereits morgen zum Verkäufer, die Friseurin zur Krankenpflegerin wird? Für mich lautete die Antwort: Die Menschen können mehr, als sie sich selbst zutrauen, mehr, als in Zeugnissen und Zertifikaten steht. Es ist wissenschaftlich belegt, dass wir 70% von dem, was wir wissen und können, uns außerhalb von Bildungseinrichtungen aneignen. Dazu kommt, dass 30% dessen, was wir am besten können, uns nicht bewusst ist. Für viele gilt aber, wenn sie sich selbst betrachten: Ich kann nichts, ich bin nichts, aus mir wird nichts. Sicher, der Kompetenzengedanke war europaweit bereits seit einigen Jahren ein großes Thema. Der Anerkennung von außerberuflich erworbenen Kompetenzen wurde bereits unter EU-Kommissionspräsident Delors 1995 im Weißbuch zur allgemeinen und beruflichen Bildung breiter Raum gewidmet. Einzelne Staaten wie Frankreich, die Niederlande, Großbritannien, Italien, Spanien oder Portugal hatten bereits Gesetze beschlossen, Kompetenzen anzuerkennen, gleichgültig, wo und wie sie erworben wurden.
VI
Geleitwort
Und doch fehlte für die Umsetzung derartiger Richtlinien Entscheidendes: Es mangelte an einer Methode und der Möglichkeit, informell erworbene Fertigkeiten festzustellen und anzuerkennen. Das vielfältige Vorwissen galt es in meinen Augen zu nutzen, die Theorie musste in die Praxis umgesetzt werden. Die große Schwierigkeit bestand darin, den bereits ausgeprägten psychodiagnostischen Bereich zurückzudrängen. Wie immer das Verfahren aussehen sollte, es durfte kein Test werden. Wir wollten Menschen in Bewegung bringen, anstatt ihnen zu sagen, was sie zu tun hätten. Die Teilnehmenden sollten über ihr eigenes Leben nachdenken, darüber, was sie können, worin sie gut sind, woher sie ihre Werte haben. Die Frage nach den wissenschaftlichen Partnern, mit denen ein solches Verfahren zu realisieren war, stellte sich nicht. Die erste Adresse war Professor Lutz von Rosenstiel und sein Team rund um PD Dr. Thomas Lang von Wins und Claas Triebel. Zu meiner Freude, und zum Glück für die seit Herbst 2003 erfolgreich angewandte Kompetenzenbilanz, war er begeistert und fasziniert von der Idee, eine derartige Methode zu entwickeln. Er wollte den Schritt aus der Diskussion in die Realisierung umsetzen und hat es mit seinem Team auch geschafft. Das Feedback, das wir von mehr als 1300 Absolventen der Kompetenzenbilanz haben, ist der schönste Lohn für die Arbeit und Mühen aller Beteiligten. Von 100 Teilnehmern empfehlen 98 das Verfahren an Verwandte und Bekannte weiter. Ich bin der festen Überzeugung, dass es uns gemeinsam gelungen ist, die Basis für einen weiteren großen Schritt in Richtung auf die Anerkennung von Kompetenzen zu legen. Wir werden alles daransetzen, dass weitere stärkere Schübe folgen. Das Team des Zukunftszentrum Tirol, Dr. Lang-von Wins und Claas Triebel arbeiten intensiv an weiteren Bausteinen der Kompetenzenbilanz. Ein Modul für Betriebsgründer wird bereits seit Herbst 2004 am Zukunftszentrum Tirol eingesetzt. Die alarmierende Situation orientierungsloser Jugendlicher hat uns auch auf diesem Gebiet aktiv werden lassen: Ein Verfahren, das auf die Bedürfnisse von jungen Menschen zugeschnitten ist, befindet sich in der Pilotphase. Und schließlich arbeiten wir mit unseren Partnern auch an Einsatzmöglichkeiten der Kompetenzenbilanz in Betrieben. Dass wir auch dabei erfolgreich sein werden, steht für mich außer Zweifel. Bertram Wolf
Innsbruck, im Frühjahr 2005
VII
Vorwort der Autoren zur 2. Auflage Als die 1. Auflage der »Kompetenzorientierten Laufbahnberatung« im Herbst 2005 erschien, war trotz einer guten argumentativen Grundlage noch nicht abzusehen, dass sich die unserer Argumentation zugrundeliegenden Annahmen als feste Prämissen der Laufbahnberatung etablieren würden. Zahlreiche Veröffentlichungen der vergangenen Jahre, in denen die kompetenzorientierte Laufbahnberatung und ihre Verfahren rezipiert werden, sowie eine sich kontinuierlich verbreiternde Basis von Anwendungsprojekten zeigen, dass unsere Annahmen von einer wachsenden Zahl von Praktikern und Theoretikern geteilt werden. Gleichzeitig verbreitert sich dadurch die zur Verfügung stehende Erfahrungsmenge und ermöglicht uns so, weiter dazuzulernen und die theoretischen Grundlagen weiter auszudifferenzieren und wo nötig anzupassen. So sind in die gründliche Überarbeitung der 1. Auflage die Erfahrungen aus einer Reihe von Anwendungsprojekten eingegangen, die wir wissenschaftlich begleitet haben. Kompetenzorientierte Laufbahnberatung darf durchaus weit gefasst werden: Das Profiling – das Herausarbeiten der Individualität einer Person mit ihren Stärken, Werten und Zielen – ist mittlerweile nicht nur fester Bestandteil von Maßnahmen, die der Erhaltung und Stärkung der Erwerbsfähigkeit dienen sollen, sondern auch Merkmal einer professionellen und modernen Personalarbeit in Unternehmen. Wir arbeiten seit mehreren Jahren verstärkt auch in Richtung einer »kompetenzorientierten Personalarbeit«, die sich als eine stärkenorientierte und die Mitarbeiter aktivierende Alternative zu herkömmlichen Herangehensweisen versteht. Und wir sind fest davon überzeugt, dass dieses »Profiling« nicht nur eine Aufgabe ist, die sich auf Erwachsene beziehen sollte, sondern dass auch bereits Kinder und Jugendliche mit den geeigneten Mitteln dabei unterstützt werden sollten, sich ihrer eigenen Stärken und Werte bewusst zu werden, um die wachsende Verantwortung für die Gestaltung ihres eigenen Weges annehmen zu können. Wir sehen darin eine der wichtigsten Aufgaben einer gesellschaftlich verantworteten Bildungspolitik für die kommenden Jahre. Umso erfreulicher ist es, dass auch die Bestrebungen, die Annahmen der kompetenzorientierten Laufbahnberatung für Jugendliche nutzbar zu machen, in den vergangenen Jahren nicht nur weite Verbreitung gefunden haben, sondern in ihrer Anwendung auch mit dem Vinzenzpreis der Caritas ausgezeichnet wurden. In den vergangenen sechs Jahren haben sich auch die Rahmenbedingungen verändert, die für die Entwicklung unseres Konzepts anfangs so wichtig waren. Bertram Wolf, der kreative und innovative Geschäftsführer des Zukunftszentrums Tirol, mit dem wir über Jahre in idealer Weise zusammengearbeitet haben, hat das Zukunftszentrum Tirol vor einigen Jahren verlassen. Im Zuge der dann folgenden Neuausrichtung erschien es uns nicht sinnvoll, die Kooperation weiter aufrecht zu erhalten, weil sie eine Weiterentwicklung des Konzepts eher behindert als gefördert hätte. Stattdessen haben wir damit begonnen, unser um die Grundannahmen und Anwendungen des Konzepts entstehendes Netzwerk weiter auszubauen und wollen an dieser Stelle die Einladung aussprechen, Teil dieses Netzwerks zu werden. Wir meinen, dass das das Thema »Laufbahnberatung« auf politischer Ebene derzeit vor einem gewissen Durchbruch steht. Zunehmend werden Kompetenzbilanzierung und Laufbahnberatung in Ausschreibungen der Arbeitsagentur und des Arbeitsministeriums gefor-
VIII
Vorwort der Autoren zur 2. Auflage
dert. Auch in der EU gibt es Bestrebungen, Kompetenzbilanzierung und Laufbahnberatung unter dem Schlagwort »Career Guidance« als Grundrecht für alle Bürger zu verankern. Ob dies wirklich so durchgesetzt werden wird, können wir heute noch nicht sagen. Es scheint jedoch, als würde das Thema in den kommenden Jahren an Bedeutung gewinnen, statt auf dem derzeitigen Status quo zu verbleiben oder sich gar zurückzuentwickeln. Was haben wir im Einzelnen überarbeitet? Insbesondere geht es um zwei Themenkomplexe: 1. Im zentralen Verfahren, der Kompetenzenbilanz, hat es zahlreiche kleinere Veränderungen gegeben, die in der Summe viel ausmachen. Die Veränderungen beruhen auf der sehr viel reichhaltigeren Erfahrung, die wir inzwischen mit der Methode und durch die Ausbildung von Coaches gesammelt haben. An den einzelnen Interventionsschritten können zudem psychologische Wirkfaktoren verdeutlicht werden, die Claas Triebel in seinem Dissertationsprojekt analysiert hat. Die darin gewonnenen Erkenntnisse sind auch in die Überarbeitung des Buches eingeflossen. 2. Die Projektbeispiele sind in der vorliegenden Überarbeitung sehr viel reichhaltiger und ausführlicher dargestellt. Insbesondere stellen wir Erfahrungen aus der Arbeit mit Jugendlichen, Existenzgründern, Langzeiterwerbslosen 50+, mit Beratern aus der Arbeit mit Migranten und aus der Personalentwicklung dar. Fazit: Insgesamt konnten wir in der Neuauflage den Schwerpunkt verschieben. Die empirische und theoretische Basis ist weitaus größer als vor sechs Jahren, als die 1. Auflage entstanden ist. Die Kompetenzenbilanz ist zwar noch immer im Zentrum des Buches und gewissermaßen das Flaggschiff kompetenzorientierter Beratung; doch können wir kompetenzorientiertes Beraten inzwischen als Gesamtkonzept vorstellen, das sich nicht nur im Wesentlichen auf ein Verfahren, sondern auf ein ganzes Bündel von Herangehensweisen stützt, die jeweils auf dieselben theoretischen Überlegungen zurückgehen. Noch eine kurze Bemerkung zum Text. Beim Umgang mit Geschlechtsformen gibt es wohl keine wirklich zufriedenstellende Lösung. Wir haben uns dafür entschieden, durchgehend die einfachere, d. h. zumeist die männliche Form zu verwenden. Wo nicht anders vermerkt, sind jeweils beide Geschlechter gemeint. Die Autoren
im Sommer 2011
IX
Vorwort der Autoren zur 1. Auflage Das Wesen der Veränderung liegt darin, Altes aufzugeben, um Neues zu ermöglichen. Das Verschwinden von Altem und das Aufkommen des Neuen lässt sich gegenwärtig auf allen Ebenen unserer Gesellschaft beobachten – vieles von dem, auf das wir uns bisher verlassen konnten, ist unter den Druck geraten, sein bisheriges Bestehen zu rechtfertigen. Eine der am deutlichsten spürbaren Einflussgrößen auf unser Leben ist gegenwärtig die Wirtschaft: Sie verändert sich unter dem Druck verschiedener, und im Einzelfall schwer nachvollziehbarer, abstrakter Prinzipien. Verändert sich die Wirtschaft, so gibt sie die Last weiter an diejenigen, die von ihr abhängig sind. Wir müssen uns zusehends stärker anpassen, was es uns schwer macht, unseren Weg zu sehen oder unsere Handlungen dort, wo wir uns anpassen, als selbstbestimmt zu erleben. Dieses Buch stellt auf anschauliche Art und Weise die theoretischen Grundlagen und die praktische Anwendung eines Beratungsverfahrens dar, das sich bislang in mehr als 1300 Coachings bewährt hat: die Kompetenzenbilanz. Wissenschaftliche Begleituntersuchungen haben zudem beeindruckende Nachweise der Wirksamkeit des Verfahrens erbracht. Uns fiel die dankbare Aufgabe zu, unsere Namen über die Dokumentation zu setzen, die das fertige Produkt beschreibt. Doch an dem Gelingen des Ganzen war eine Vielzahl von Personen beteiligt, denen wir im Folgenden unseren Dank aussprechen wollen. Zunächst ist hier dem Präsidenten der Arbeiterkammer Tirol, Fritz Dinkhauser, zu danken, der mit der Finanzierung des zunächst hochumstrittenen Projekts ein großes politisches Risiko eingegangen ist. Bertram Wolf, der Geschäftsführer des Zukunftszentrums Tirol, ist der Pate des Verfahrens, das wir in diesem Buch vorstellen. Sein unermüdliches Engagement war eine tragende Säule des Erfolgs der kompetenzorientierten Laufbahnberatung. Judith Bergner und Beate Junginger waren gerade zu Beginn des Projekts ein wichtiger Motor für die Entwicklung der Kompetenzenbilanz. Barbara Niederstrasser und Barbara Peyrer, die stets kompetenten und hochmotivierten Projektleiterinnen, sind für eine Vielzahl von Rat- und Hilfesuchenden zur eigentlichen Stimme des Zukunftszentrums Tirol geworden. Othmar Kemetmüller und Dr. Kurt Seipel sorgten aus fachlich-inhaltlicher Perspektive für das hohe Niveau des Beratungsprozesses. Das eigentliche Gesicht der Laufbahnberatung und damit das Herzstück des Prozesses aber sind die Coaches, die mehr als 1300 Klienten in zwei Jahren hohe Wertschätzung entgegengebracht und sie bei der Aufarbeitung ihrer Stärken begleitet haben. Ihnen gebührt unser besonderer Dank. Thomas Lang-von Wins und Claas Triebel
München, im Sommer 2005
XI
Inhaltsverzeichnis 1 1.1 1.2 1.3 1.4 1.5 1.6 1.7
Paradigmenwechsel in der Laufbahnberatung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
2 2.1 2.2 2.3
Voraussetzungen einer gestaltenden Orientierung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
Vorboten des Wandels . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Kennzeichen kritischer Brüche in der beruflichen Entwicklung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Ursachen kritischer Brüche in der beruflichen Entwicklung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Berufsverläufe werden instabil . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Die »protean career« . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Wertewandel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Folgen für die Laufbahnberatung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
Psychologische Verträge . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . »Employability«/Beschäftigungsfähigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Eigene Werte als Orientierungsgrundlage . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
3 3.1 3.2 3.3 3.4
Ansatzpunkte einer kompetenzorientierten Laufbahnberatung . . . . . . . . . . . . .
4
Eine Methode der kompetenzorientierten Laufbahnberatung: Die Kompetenzenbilanz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
4.1 4.2 4.3 4.3.1 4.3.2 4.3.3 4.3.4 4.3.5 4.4 4.5
Der Kompetenzbegriff. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Laufbahnberatung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Prozess der Beratung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Zielkriterien einer kompetenzorientierten Laufbahnberatung. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
1 2 7 8 10 11 13 14 17 18 21 29 35 36 41 47 54
57 Was ist die Kompetenzenbilanz? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 58 Ziele . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 59 Das Verfahren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 60 Rahmenbedingungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 61 Einführungsworkshop bzw. Einführungsgespräch . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 62 1. Coaching. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 67 2. Coaching . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 86 3. Coaching . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 107 Schriftliche Kompetenzdokumentation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 121 Der Coach . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 133
Wirkungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 139
5 5.1 5.2 5.3 5.4 5.5
Beurteilung von Methode und Prozess durch die Klienten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Aktivierung und Wirkungen auf das Selbstkonzept der Teilnehmer . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Umgang mit Stress und Belastungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Ergebnisse einer volkswirtschaftlichen Evaluationsstudie in Tirol . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Claudia, die Notfallschwester. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
6
Wirkfaktoren und Wirkprinzipien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 179
6.1 6.2 6.3 6.4
Wirkprinzipien nach Grawe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Wirkfaktoren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Voraussetzungen auf Seiten der Klienten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Zusammenwirken von Interventionsmaßnahmen, Wirkfaktoren und Wirkprinzipien . .
141 150 156 159 160
180 183 185 185
XII
Inhaltsverzeichnis
6.5 6.6
Entwicklungstypen bei den Teilnehmern der Kompetenzenbilanz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 188 Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 190
7
Anwendungsfelder und Einsatzmöglichkeiten der Kompetenzorientierten Laufbahnberatung. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 193
7.1 7.2 7.2.1 7.2.2 7.2.3
Nutzen und Wert . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 194 Jugendliche . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 195 Problemstellung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 195 Vorgehen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 196 Beispiel für die methodische Vorgehensweise der Kompetenzwerkstatt: »Einen Berg besteigen« (Lang-von Wins et al. 2005b) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 198 Projekte und Erfahrungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 199 Outplacement und Erwerbslosigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 201 Problemstellung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 201 Vorgehen und Erfahrungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 202 Existenzgründung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 204 Problemstellung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 204 Vorgehen und Erfahrungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 205 Personalentwicklung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 207 Problemstellung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 207 Vorgehen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 208 Beratung von Menschen mit Migrationshintergrund . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 211 Problemstellung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 211 Vorgehen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 213 Weitere Möglichkeiten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 214
7.2.4 7.3 7.3.1 7.3.2 7.4 7.4.1 7.4.2 7.5 7.5.1 7.5.2 7.6 7.6.1 7.6.2 7.7
Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 217 Stichwortverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 225
1
Paradigmenwechsel in der Laufbahnberatung 1.1
Vorboten des Wandels – 2
1.2
Kennzeichen kritischer Brüche in der beruflichen Entwicklung – 7
1.3
Ursachen kritischer Brüche in der beruflichen Entwicklung – 8
1.4
Berufsverläufe werden instabil – 10
1.5
Die »protean career« – 11
1.6
Wertewandel – 13
1.7
Folgen für die Laufbahnberatung – 14
T. Lang-von Wins, C. Triebel, Karriereberatung, DOI 10.1007/978-3-642-20066-3_, © Springer-Verlag Berlin Heidelberg 2012
1
2
Kapitel 1 • Paradigmenwechsel in der Laufbahnberatung
1.1
1
Vorboten des Wandels
Beispiel Fallbeispiel Management-Audit Herr T.
Herr T. hat ein Problem. Er ist Angehöriger des mittleren Managements eines mittelständischen Unternehmens, das mit der Veränderung seiner Märkte zu kämpfen hat. Die Produkte des Unternehmens finden immer weniger Käufer und die zur Produktion eingesetzte Technologie ist veraltet. Da die Besitzer selbst die notwendigen Mittel zur Sanierung des Unternehmens nicht aufbringen konnten, haben sie sich dazu entschlossen, einen Kapitalgeber am Unternehmen zu beteiligen. Er fordert im Gegenzug für das von ihm eingebrachte Kapital auch Mitspracherechte bei der künftigen Ausrichtung des Unternehmens. Einer der Punkte, die dem Kapitalgeber wichtig sind, bezieht sich auf die Qualität des Managements, das sich einer Begutachtung durch einen externen Berater stellen soll. Im Zuge des Management-Audit, das nach einigem Hin und Her in dem Unternehmen durchgeführt wird, führt Herr T. ein Beurteilungsinterview mit einem Berater. Dabei werden ihm auch einige Tests vorgelegt, von denen Herr T. nicht weiß, was sie erfassen. Das Gespräch, das er als ausgesprochen unangenehm empfindet, weil es ihn seiner Meinung nach in eine unangemessene Rechtfertigungssituation drängt, bleibt zunächst ohne konkrete Rückmeldung. Etwa eine Woche nach dem Gespräch hat Herr T. einen Termin bei seinem Vorgesetzten, von dem er über die Ergebnisse seiner Auditierung unterrichtet wird. In den Augen von Herrn T. ist das, was er bei dieser Gelegenheit erfährt, eine systematische Entwertung seiner Person und seiner Leistungen für das Unternehmen. Seinem Vorgesetzten nimmt er es persönlich übel, dass er die für Herrn T. kaum nachvollziehbaren Beurteilungen des Beraters offensichtlich unreflektiert übernimmt. Die Erfahrungen, die die Zusammenarbeit der vergangenen Jahre geprägt haben, und die im Rahmen von sporadisch durchgeführten Mitarbeitergesprächen immer wieder zwischen Herrn T. und seinem Vorgesetzten bekräftigt wurden, scheinen in der neuen Situation plötzlich nicht mehr relevant zu sein. Versuche von Herrn T., sich auf das alte Einverständnis zu berufen, das zwischen ihm und seinem Vorgesetzten herrschte, scheitern. Schließlich bricht der Dialog zwischen beiden ab. Herr T. beginnt nun selbst massiv an seinen Fähigkeiten zu zweifeln, erhält aber auch auf wiederholte Nachfragen keine Hilfestellung, wie er sein Wissen produktiv in die erwünschte Richtung weiterentwickeln könnte. Gleichzeitig beginnt er, die Entwicklung des Unternehmens kritischer zu sehen und macht sich Gedanken um die Sicherheit seines Arbeitsplatzes. Er geht davon aus, dass es im Zuge der Sanierung eines Unternehmens, das in eine wirtschaftliche Schieflage geraten ist, wohl auch zu einer Verringerung des Personalstamms kommen wird. Aufgrund der aus seiner Sicht sehr negativen Auditierung meint er, dass er zu den Ersten gehören wird, die zum Verlassen des Unternehmens aufgefordert werden könnten.
1.1 • Vorboten des Wandels
3
1
Herr T. ist ein aktiver Mensch, und deshalb beginnt er bereits damit, sich vorsichtig nach vergleichbaren Positionen in anderen Unternehmen umzuhören. Gleichzeitig beginnt er sich zu fragen, ob eine Fortsetzung des bisherigen Weges für ihn überhaupt tragfähig sei. Er war bisher mit seiner Arbeit ausgesprochen zufrieden und schätzte die damit verbundenen Gestaltungsspielräume, die er meinte produktiv und zum Nutzen des Unternehmens auszufüllen. Der wesentliche Bruch seiner Laufbahn liegt seiner Meinung nach in der Auditierung und dem sich daran anschließenden Prozess, der seine über Jahre anerkannten beruflichen Leistungen aus seiner Sicht nachhaltig entwertet hat. Er ist einerseits verunsichert darüber, was er wirklich kann; andererseits möchte er sich einer ähnlichen Prozedur nicht nochmals unterziehen.
Beispiel Frau M. arbeitet in drei unterschiedlichen Jobs, die sie gleichermaßen beanspruchen. Einen dieser Jobs, die Arbeit als Kosmetikerin, hat sie erlernt, die beiden anderen macht sie, ohne eine explizite Ausbildung dafür absolviert zu haben. Neben ihrer Arbeit als Kosmetikerin, die sie früher selbstständig betrieben hat und nun aushilfsweise in dem Kosmetik- und Fußpflegesalon einer Bekannten ausführt, arbeitet sie als Hundetrainerin und als selbstständige Außendienstmitarbeiterin eines Saunaherstellers. Die Arbeit als Hundetrainerin hat sich über das Hobby von Frau M. ergeben, denn sie betreibt seit einigen Jahren mit großer Leidenschaft Hundesport und ist mit ihren Tieren bei Wettkämpfen auch international erfolgreich. Über Kontakte in ihrem Bekanntenkreis hat sie vor etwa 1,5 Jahren damit begonnen, Hundebesitzer im richtigen Umgang mit ihren Tieren zu schulen. Die selbstständige Tätigkeit im Außendienst des Saunaherstellers hatte Frau M. auf Initiative ihres Mannes aufgenommen, den sie zunächst vertreten hatte, als er wegen Krankheit ausgefallen war. Nach einiger Zeit übernahm sie die Position vollständig. Im Rahmen dieser Tätigkeit ist Frau M. dafür zuständig, in einem ihr zugeteilten Gebiet Baumärkte zu betreuen, über die Saunen verkauft werden. Die Aufgaben von Frau M. reichen von dem Aufbau von Kontakten bis zum Auf- und Abbau von Ausstellungssaunen. Worin liegt nun das Problem von Frau M.? Der Mangel von Arbeit – eines der schwerwiegendsten gesellschaftlichen Probleme unserer Zeit – ist es offensichtlich nicht. Insofern gehört Frau M. zu einer privilegierten Gruppe. Dennoch hat sie ein Problem, unter dem sie leidet. Ihr Auftraggeber, der Saunahersteller, drängt Frau M. dazu, ein größeres regionales Gebiet zu übernehmen. Frau M. will dies nach Möglichkeit nicht tun, da der Fahrtaufwand bisher ohnehin sehr hoch war und sie diese Tätigkeit eher reduzieren als weiter ausbauen möchte. Die Tätigkeit als Kosmetikerin kann und will sie zeitlich nicht weiter ausweiten. Sie überlegt allerdings, ob sie sich als Kosmetikerin nicht wieder selbstständig machen sollte, muss jedoch die mit einem eigenen Salon verbundenen Fixkosten vermeiden. Ihre Tätigkeit als Hunde-
Entscheidungsdilemma Frau M.
4
Kapitel 1 • Paradigmenwechsel in der Laufbahnberatung
1
Mögliche Auswirkungen
Notwendigkeit, die Situation wieder zu stabilisieren
trainerin macht ihr großen Spaß – sie merkt jedoch, dass sie mit ihren Kunden rasch ungeduldig wird, wenn sie sich ihren Tieren gegenüber falsch verhalten. Das Problem von Frau M. wird deutlich: Sie befindet sich in einer Situation, mit der sie bislang gut zurecht gekommen ist, in der sie sich gut eingerichtet und eine stabile Grundlage gefunden hat. Nun wird aber von ihr eine Entscheidung erwartet, die das Gleichgewicht ihrer beruflichen, privaten und familiären Tätigkeiten und Rollen erschüttert. Sich dem Ansinnen des Saunaherstellers zu verschließen, würde aus der Sicht von Frau M. bedeuten, dass sie diese Verdienstquelle nicht weiter zur Grundlage ihrer Zukunftsplanung machen kann. Da der Verkauf von Saunen aber das wichtigste finanzielle Standbein von Frau M. ist, kann sie sich dazu nicht entscheiden. Auch ein Eingehen auf die Pläne ihres Auftraggebers brächte Frau M. in eine schwierige Situation, da sie sich gegen einen der beiden anderen Bereiche entscheiden müsste, von denen jeder für sie eine wichtige persönliche Bedeutung hat; zudem brächten die längeren Abwesenheiten von zu Hause auch absehbare familiäre Probleme mit sich. Die Entscheidungsfreiheit von Frau M. wird zudem dadurch eingeschränkt, dass ihr Mann seit einem halben Jahr erwerbslos ist und bislang keine neue Arbeit in Aussicht hat. Seine bisherige Tätigkeit kann er aufgrund körperlicher Einschränkungen nicht weiter ausüben.
Was ist das Verbindende zwischen beiden Beispielen? Auf den ersten Blick treten vor allem die Besonderheiten beider Fälle hervor, die es schwer machen, überhaupt etwas Gemeinsames zu erkennen. Frau M. steht vor der Entscheidung, eine ihrer beruflichen Tätigkeiten zu Lasten der anderen stärker zu gewichten; Herr T. sieht seine beruflichen Leistungen nachhaltig entwertet und hat das Vertrauen zu seinem Vorgesetzten und der Unternehmensführung verloren. Er will sich beruflich weiter orientieren und möchte nicht darauf warten, gekündigt zu werden. Gemeinsam ist beiden Fällen zunächst, dass die Stabilität des bisherigen (beruflichen) Lebens durch einen äußeren Anlass empfindlich erschüttert wird. Im zweiten Fall ist es das konkrete Drängen eines wichtigen Auftraggebers, ihm mehr Arbeitszeit zur Verfügung zu stellen – Frau M. befürchtet, dass sie mittelfristig ersetzt werden könnte, wenn sie dem Wunsch ihres Auftraggebers nicht nachkommt. Für Herrn T. war die Auditierung sowohl in ihrer Durchführung, aber auch in ihrem Resultat ein Ereignis, das ihm Anlass zu großen Befürchtungen gibt. Herr T. steht wie Frau M. vor der Aufgabe, die eigene Zukunft zu überdenken und weit reichende Entscheidungen zu treffen. In beiden Fällen sind die Protagonisten bei aller Verschiedenheit der individuellen Rahmenbedingungen mit einer Situation konfrontiert, die unvermutet eingetreten ist und die sie unvorbereitet getroffen hat. Beide sehen sich mit der Notwendigkeit konfrontiert, eine Entscheidung von großer Tragweite zu treffen, um die aus dem Gleich-
1.1 • Vorboten des Wandels
5
1
gewicht geratene Situation wieder zu stabilisieren. Beide Personen haben sich zwar eine mögliche Entscheidung überlegt, sind jedoch nicht damit zufrieden, weil sie damit einem äußeren Druck nachgeben und der neue Weg weniger mit ihnen als mit der veränderten Situation zu tun hat. Fazit Sie haben den Eindruck, sich in einer Situation zu befinden, in der sie kaum Handlungsspielräume haben, sondern eine grundsätzliche Entscheidung »dafür« oder »dagegen« treffen müssen. Ein positives und herausforderndes Ziel zu formulieren, das über die Klärung der gegenwärtigen belastenden Umstände hinausreicht, scheint ihnen nicht möglich.
Herr T. spricht davon, ihm würden Alternativen fehlen, die die Entscheidung begünstigen und ihm eine Perspektive aufzeigen könnten; zusätzlich ist sein Selbstwert so erschüttert, dass er eher dazu neigt, sich grüblerischen Gedanken hinzugeben und sich die immer gleiche Frage zu stellen: Was hätte ich anders machen können, um ein besseres Resultat in dem Auditierungsprozess zu erzielen? Frau M. versucht, der Gefahr eines Nullsummenspiels zu entgehen. Sie befindet sich in dem Dilemma, einerseits dem Drängen ihres Auftraggebers auf eine baldige positive Entscheidung nachzugeben und damit dann ihre familiären Aufgaben zu vernachlässigen. Oder sie entscheidet sich dafür, ihre Rolle in der Familie aufrechtzuerhalten und damit ihre berufliche Tätigkeit zu gefährden. In Hinblick auf ihre unterschiedlichen ausgeübten und möglichen Erwerbstätigkeiten sieht sie sich außer Stande, zu entscheiden, welchen der von ihr aktiv verfolgten Bereiche sie stärker professionalisieren soll. Beide Personen befinden sich in einer Situation, in der sie eine Entscheidung über ihre zukünftige berufliche Tätigkeit treffen wollen, aber auch wissen, dass die offensichtlichen Alternativen nicht tragfähig sind. Sie sind zutiefst unzufrieden mit sich und ihrer Situation und suchen deshalb die Unterstützung eines professionellen Beraters. Doch nach welchem Berater sollen sie suchen, wer ist Experte, um ihnen bei der Lösung ihrer Probleme zu helfen? Zu einem Psychologen wollen beide nicht gehen, weil sie ihre Probleme im beruflichen Bereich sehen und ihrer Meinung nach nur kranke Menschen oder Menschen mit einer psychischen Störung zum Therapeuten gehen. Den Arbeits-Beratern bei den Arbeitsagenturen misstrauen sie, denn dort geht es schließlich nur um das Verwalten von freien Stellen und Arbeitslosen, auch zu dieser Klientel gehören beide (noch) nicht. Der Weg zum Headhunter kommt für beide ebenfalls nicht in Frage; für Frau M. nicht, weil sich ein Headhunter nur für Führungskräfte interessiert, und für Herrn T. nicht, weil er sich im Moment nicht so verkaufen kann, wie er es als adäquat empfinden würde und Angst vor einer – wenn auch impliziten – Bewertung durch den Headhunter hat. Bekannte, Freunde und Familienangehörige können ihnen momentan ebenfalls nur begrenzt weiterhelfen und zeigen bereits ers-
Suche nach einem geeigneten Berater
6
1
Kapitel 1 • Paradigmenwechsel in der Laufbahnberatung
te Anzeichen von Ungeduld, wenn das Entscheidungsdilemma zur Sprache kommt. Wir werden im Verlauf der folgenden Kapitel einen möglichen Lösungsweg darstellen. Er bezieht sich im Schwerpunkt auf den Prozess der Lösungssuche und stellt damit die Inhalte in den Vordergrund. Damit wird aber auch die Frage beantwortet, bei wem Herr T. und Frau M. Hilfe und Unterstützung finden. Zunächst jedoch wollen wir ergründen, ob die Beispiele von Frau M. und Herrn T. lediglich Einzelfälle sind, oder ob es sich bei ihnen um mehr oder weniger akzentuierte Darstellungen von Situationen handelt, die im Prinzip jede erwerbsfähige Person treffen könnten. Die Beantwortung dieser Frage ist aus zweierlei Gründen für dieses Buch wichtig: Würde es sich bei Frau M. und Herrn T. um Einzelfälle handeln, wäre der Ansatz, Personen in ähnlichen Situationen zu helfen, nur für einige wenige Spezialisten interessant, die sich mit den Problemen einer kleinen inhomogenen Gruppe befassen. Handelt es sich aber um ein Problem grundsätzlicher Natur, dann ist die Ergründung der Gemeinsamkeiten solcher Situationen wesentlich, um ein wirksames und breit einsetzbares Unterstützungsangebot zu formulieren, wie es im Folgenden geschehen soll. Wir glauben, die oben gestellte Frage eindeutig beantworten zu können: Prinzipiell wird jede erwerbsfähige Person mit Situationen konfrontiert sein, die in wesentlichen Punkten den dargestellten Beispielen ähnlich sind. Wir werden uns in Zukunft vermehrt damit auseinander setzen müssen, in welche Richtung unsere berufliche Entwicklung verlaufen wird und verlaufen soll. Bereits jetzt stehen wir nicht nur an einem einmaligen kritischen Punkt unserer Laufbahn vor Situationen, die denjenigen ähneln, wie wir sie eingangs skizziert haben. Wir müssen fürchten, dass berufliche Brüche vermehrt zum Bestandteil einer beruflichen »Normalbiografie« werden. Diese Entwicklung hat längst eingesetzt. Der Bedarf an wirksamen Unterstützungs- und Beratungsangeboten steigt in dem Maße an, wie die Gefahren zunehmen, die von kritischen beruflichen Situationen ausgehen. Dazu gehören z. B. der Eintritt und der dauerhafte Verbleib in der Erwerbslosigkeit oder gesundheitliche Beeinträchtigungen. Dass die Betroffenen vor diesem Hintergrund ihre Entwicklung selbst stärker in die Hand nehmen sollten, mag wie eine fromme, aber weltfremde Forderung klingen. Dieser Gedanke ist jedoch nichts weniger als unrealistisch. Anderen mag er vorkommen wie ein schaler, aber unverkennbarer Aufguss wirtschaftsliberaler Positionen, die letztlich zynisch fordern, jeder müsse die Verantwortung für sein eigenes Leben bei maximaler Gestaltungsfreiheit der Wirtschaftsunternehmen selbst übernehmen. Auch diese Gedanken entsprechen ganz und gar nicht unserer Position: Wir stellen in diesem Buch einen Leitfaden dar, der dem Einzelnen mit einem Mindestmaß an Hilfe durch einen Berater die Möglichkeit gibt, sich in einer zunehmend dynamischen Welt zu be-
1.2 • Kennzeichen kritischer Brüche in der beruflichen Entwicklung
7
1
haupten und weiterzuentwickeln – und damit ist letztlich eine Stärkung des Individuums verbunden. Wir werden zunächst die bisher aufgeworfenen Fragen in den folgenden Abschnitten dieses Kapitels klären und damit die Grundlage schaffen, um das Konzept der kompetenzorientierten Laufbahnberatung, das den Kern des Buches bildet, darzustellen.
1.2
Kennzeichen kritischer Brüche in der beruflichen Entwicklung
Als kritische Brüche in der beruflichen Entwicklung werden aus wissenschaftlicher Sicht so unterschiedliche Ereignisse wie z. B. Erwerbslosigkeit, Unterbrechung des Berufs aufgrund einer Kinderpause oder auch der Übergang in die nachberufliche Lebensphase betrachtet (vgl. Lang-von Wins, Mohr u. von Rosenstiel 2004). Bezieht man weitere kritische Entwicklungen in diese Betrachtung mit ein, so gehören Laufbahnplateaus, unbefriedigende Beschäftigungsverhältnisse, die Angst vor dem Verlust des Arbeitsplatzes oder Prozesse emotionaler Erschöpfung im Rahmen der Arbeit (Burn-out-Prozesse) ebenfalls zu den Brüchen der beruflichen Entwicklung, auf die die Wissenschaft ihr Augenmerk richtet. Die große Variationsbreite beruflicher Brüche verwirrt zunächst – wie lassen sich bei so unterschiedlichen Ereignissen gemeinsame Kennzeichen finden? Wenn wir auf einer verhältnismäßig abstrakten Ebene ansetzen, fällt es jedoch leicht, Ähnlichkeiten zu identifizieren. Betrachten wir zunächst die Ziele, die mit den entsprechenden Situationen verbunden sind: Das Hauptziel von Erwerbslosen und Wiedereinsteigern ist es, eine angemessene Arbeit zu finden und zu behalten. Der Übergang in die nachberufliche Lebensphase birgt vor allem dann das Potenzial eines kritischen Bruches, wenn eine Fortsetzung der Erwerbstätigkeit gewünscht, aber nicht zugelassen wird. Auf dieser abstrakten Ebene ist es zunächst ein gemeinsames Merkmal von kritischen beruflichen Situationen, dass zwar ein positiv bewertetes Ziel vorhanden ist, dessen Erreichen aber mit so großen Schwierigkeiten verbunden ist, dass in vielen Fällen eine Umorientierung notwendig ist. Im Falle der Erwerbslosigkeit und des damit verbundenen Ziels »Finden einer angemessenen Arbeit« ist eine Neuorientierung sicher am schwierigsten: Wir leben in einer Gesellschaft, die durch die Arbeit geprägt ist. Der individuelle Wert von Personen ist häufig von ihrem Beruf oder ihrer »Funktion« bestimmt. Eine Umorientierung kann grundsätzlich die Art der Arbeit betreffen, die gesucht wird, oder sich auf das allgemeine Ziel »Finden von Arbeit« beziehen. In der Erwerbslosigkeitsforschung wird angenommen, dass beide Umorientierungsprozesse aufeinander folgen, d. h. dass zunächst (in den ersten Jahren der Erwerbslosigkeit) Konzessionen an die Art der Arbeit gemacht werden und bei erfolgloser Suche das Ziel »Finden von Arbeit« neu bewertet wird. Diese Prozesse gehen häufig
Merkmale kritischer Brüche
8
Kapitel 1 • Paradigmenwechsel in der Laufbahnberatung
mit einer deutlichen Verschlechterung der psychischen und physischen Gesundheit sowie der starken Verringerung der Eigeninitiative (Zempel u. Frese 2000) einher. Der erste der beiden dargestellten Umorientierungsprozesse gilt auch für Wiedereinsteiger – sowohl aus der Erwerbslosigkeit heraus als auch nach einer Kinderpause oder einer auf gesundheitliche Probleme zurückgehenden Unterbrechung des bisher ausgeübten Berufs. Bei »zwangsverrenteten« Personen ist das Bestreben zu beobachten, die Berufstätigkeit über die sog. Rentnerjobs zu verlängern.
1
Fazit Grundsätzlich (und stark vereinfachend) sind berufliche Brüche mehr oder weniger gut vorhersehbare Hindernisse auf dem Weg zu Zielen, die häufig in unterschiedlichen Lebensbereichen liegen. Sie stellen die davon betroffenen Personen vor die Aufgabe, ihre Ziele auf neuen Wegen zu erreichen oder neu zu definieren.
1.3
Starke Veränderungsdynamik
Ursachen kritischer Brüche in der beruflichen Entwicklung
Wir bewegen uns von einer industriell geprägten Gesellschaft hinein in ein postmodernes Zeitalter mit veränderten Möglichkeiten, aber auch neuen Gefahren für den Einzelnen. Der amerikanische Managementtheoretiker Drucker (1969) hat die sich abzeichnende Entwicklung schon vor einigen Jahren sehr plastisch zum Zeitalter der Diskontinuität erklärt – er stellt den Wandel in den Mittelpunkt einer Welt, in der unterschiedliche Einflussgrößen sehr eng miteinander verknüpft sind. Aus diesen wechselseitigen Abhängigkeiten ergibt sich einerseits eine hohe Dynamik des Wandels, auf der anderen Seite werden Probleme auf den verschiedenen Ebenen bis hinunter zum einzelnen Menschen zunehmend undurchschaubar und schwer zu steuern. Der brasilianische Soziologe De Masi (2000, zitiert nach Tractenberg, Streumer u. van Zolingen 2002) hat sich die Mühe gemacht, die am weitesten verbreiteten Benennungen der gesellschaftlichen Veränderungen zu sichten, und ist bei dieser Bestandsaufnahme auf eine Zahl von mehr als 300 unterschiedlichen ernst zu nehmenden wissenschaftlichen Ansätzen gestoßen, die sich im Kern auf die Annahme eines tief greifenden gesellschaftlichen Wandels beziehen. Würde man sich die Mühe einer vollständigen Aufarbeitung machen, läge diese Zahl sicher um ein Vielfaches höher. Wichtig erscheint die Tatsache, dass sich niemand findet, der den Annahmen weit reichender Veränderungen widerspricht oder ihre Tragweite anzweifelt. Für diese Entwicklung sind die folgenden Tendenzen charakteristisch (vgl. Lovén 2003):
1.3 • Ursachen kritischer Brüche in der beruflichen Entwicklung
5 Eine zunehmende Dezentralisierung in den Organisationen, die kleineren Einheiten größere Entscheidungsfreiheiten gibt 5 Ein deutlich gestiegener Individualismus bei gleichzeitig drastisch erhöhten Wahlmöglichkeiten für den Einzelnen (in Bezug auf seine Arbeit, die Art, wie er leben möchte usw.) 5 Sich dramatisch verändernde Arbeitsmärkte, die hohen Anpassungsdruck auf die erwerbswilligen Menschen ausüben 5 Wachsende Gruppen von gesellschaftlich marginalisierten Menschen, die am Arbeitsmarkt immer weniger aktiv beteiligt sind 5 Ein wachsendes Bedürfnis der Arbeitgeber nach umfassenden Kompetenzen der Mitarbeiter 5 Eine Tendenz der jungen Generation, die Ausbildungszeiten zu verlängern 5 Die zunehmende Internationalisierung des Arbeitsmarkts, d. h. Konkurrenz um Arbeit auch mit Angehörigen anderer Nationen und Kulturen Einige Folgen sind bereits deutlich spürbar: Der Wandel der Wirtschaft hat schon eingesetzt und dazu geführt, dass die Auswirkungen auf dem Arbeitsmarkt nicht mehr zu übersehen sind und den Alltag vieler arbeitender oder Arbeit suchender Menschen zunehmend beeinflussen. Diesem Druck versuchen unterschiedliche Institutionen durch verschiedene Maßnahmen zu begegnen, die von Gestaltungsbemühungen (virtuelle Teams, flache Hierarchien, Joint Ventures etc.) bis hin zu reaktiven Maßnahmen wie der Stilllegung oder Verkleinerung von Betriebsteilen oder der Verlagerung von Betriebsstätten in das Ausland reichen. Für die arbeitenden oder Arbeit suchenden Menschen bedeutet diese Entwicklung eine Abnahme von Planungssicherheit und eine größere Unsicherheit, da die Bedingungen der eigenen Arbeit zunehmend von Faktoren abhängen, die der eigenen Kontrolle entzogen sind. Als ein Ergebnis des Wandels lässt sich unabhängig von der 2008 einsetzenden Weltwirtschaftskrise seit einigen Jahren ein wachsender Druck auf den Arbeitsmarkt feststellen: Die Globalisierung der Wirtschaft, die damit zusammenhängende Strukturkrise der westlichen Industrienationen, technologische Sprünge – um nur einige wesentliche Einflussfaktoren zu nennen – üben Druck auf Unternehmen und staatliche Institutionen aus. Die Organisationen, die wir heute noch kennen, werden sich zum Teil deutlich verändern müssen, um auch in Zukunft den Herausforderungen der Märkte, in denen sie tätig sind, gewachsen zu sein. Mit ihnen wird sich auch das Bild der Arbeit verändern. Bridges (1994) geht davon aus, dass die berufliche Laufbahn zunehmend zu einer Abfolge von »Arbeitsprojekten« werden wird. Die feste Langzeitbeschäftigung wird – wenn man den Prognosen folgt – bald nur noch das Privileg einer Minderheit sein. Als einen Extremfall dieser Abfolge von Arbeitsprojekten kann man die Zeitarbeit betrachten. Die Branche boomt abgesehen von einem
9
1
Ursachen der Veränderung
»Arbeitsprojekte« ersetzen Langzeitbeschäftigung
10
Kapitel 1 • Paradigmenwechsel in der Laufbahnberatung
kleinen Einbruch im Krisenjahr 2008 und ist in den vergangenen 10 Jahren um mehr als 200% gewachsen (Boost u. Buscher 2009). Die Zeitarbeiter selbst erleben die Aufeinanderfolge unterschiedlicher Einsatzstationen und Aufgaben als belastend und teilweise als entwertend (vgl. Holtrup 2009). Längsschnittstudien legen darüber hinaus nahe, dass Leiharbeit spezifische Risiken mit sich bringt, die von einem Abbau von Kompetenzen über den Verlust sozialer Ressourcen bei der Arbeit bis zur Häufung gesundheitlicher Risiken reichen. Neben den direkt auf die Arbeit einwirkenden Faktoren gibt es auch einige indirekte Einflussgrößen, die das Bild der Arbeit in Zukunft verändern werden oder dies bereits heute tun. Dazu gehören die steigende Lebenserwartung und das sich als Folge der wachsenden Lebenszeitperspektive verschiebende Verhältnis von der Zeit, die der Arbeit oder der Freizeit gewidmet ist (vgl. Mayor 1999). Es wird erwartet, dass sich im Zuge dieser Entwicklung auch die Einstellung zu bzw. die Ansprüche an die eigene Arbeit deutlich verschieben werden. Dies ist bereits in den vergangenen Jahrzehnten zum Teil geschehen.
1
1.4
Berufsverläufe werden instabil
»
The widely disseminated ideas that up is the only way, that one can hold a lifelong job as long as it is well done, and if one works hard in job hunting he/she will not remain unemployed are not longer valid (…) In fact, increased employee responsibility for his/her work and career path is one of the top-ten organisational trends in the forthcoming years according to managers and HRD professionals … (Tractenberg, Streumer u. van Zolingen 2002, S. 90 f )
«
Hohe Anforderungen an die eigene Gestaltungsfähigkeit
Sich in Hinblick auf den eigenen Weg zu orientieren, ist zu einer existenziell wichtigen Notwendigkeit geworden, in einer Zeit, in der die persönlichen Wahlfreiheiten zumindest in den westlich geprägten Industriegesellschaften größer sind, als wir es für frühere Zeiten vermuten können. Die Freiheit der Wahl ist aber zugleich eine Last: Sie erfordert vielfältige und kontinuierliche Orientierungsprozesse, die eine gute Kenntnis der eigenen Stärken und Vorlieben voraussetzen. Die orientierende Auseinandersetzung mit den latenten und manifesten Möglichkeiten sich zu entwickeln ist aus vielerlei Gründen eine Grundvoraussetzung dafür, ein Leben zu führen, das »gelingt«. Arbeit und Beruf sind hierfür wichtige Einflussgrößen, sie sind in den Industrienationen westlicher Prägung zu einem zentralen Bestandteil des Lebens geworden. Doch die Rahmenbedingungen der Berufsarbeit wandeln sich. Die Entwicklung lässt sich etwas vergröbernd auf einen Kernsatz reduzieren: Die Bedingungen der beruflichen Laufbahn entwickeln sich zunehmend chaotisch. In einer globalisierten Arbeitswelt werden Entwicklungen für einzelne Personen schwer nachvollziehbar und kaum vorhersehbar. Diese Bedingungen können bei den
1.5 • Die »protean career«
Betroffenen unter bestimmen Umständen, auf die wir noch zu sprechen kommen werden, zu einem weit reichenden Kontrollverlust führen, der sie in ihrer Handlungsfähigkeit lähmt (vgl. Seligman 1986). Zunehmende Wahlfreiheit setzt aber auch die Fähigkeit voraus, die Bedingungen des eigenen Lebens und der beruflichen Entwicklung gestaltend zu verändern und sich die Optionen zu »erobern«, die zur Verfügung stehen. Im Fall von Herrn T. ist ein Einflussfaktor, der auf einer sehr abstrakten Ebene liegt (die Globalisierung der Wirtschaft), mitverantwortlich für den verschärften Wettbewerb, dem sich sein Unternehmen ausgesetzt sieht. Die Auditierung und ihre Folgen sind kaum direkt auf die Globalisierung zurückzuführen – es ist nur eine von vielen verschiedenen Gestaltungsmöglichkeiten, die das Unternehmen für sich nutzt. Im Fall von Frau M. ist zunächst eine Bedrohung der bisher bestehenden Balance zwischen ihren unterschiedlichen Arbeitsrollen und ihrem privaten Leben festzustellen, die sich nur schwer bewältigen lässt. Das Grundproblem von Frau M. besteht darin, dass sie keine grundsätzliche Umgewichtung ihrer Arbeitsrollen vornehmen will und nicht weiß, welche Arbeit ihr in Zukunft Entwicklungsmöglichkeiten bietet. In keiner ihrer unterschiedlichen Tätigkeiten ist sie mit allen Aspekten so zufrieden, dass sie eine der anderen Tätigkeiten ersetzen könnte. Ein immer wieder diskutiertes Thema in der Wissenschaft betrifft das Verhältnis eines selbstbestimmten Lebens auf der einen Seite und den Forderungen, die sich aus einer abhängigen Arbeit im Unternehmen ergeben, auf der anderen Seite. Dieser latente Konflikt zwischen den Zielen der Individuen und den Forderungen der Organisationen erhält unter bestimmten Umständen eine manifeste Qualität, wie es im Beispiel von Herrn T., aber auch teilweise bei Frau M. aufscheint. Im Exkurs 7 Das Paradox von abhängiger Arbeit und selbstbestimmtem Leben sind die wesentlichen Positionen kurz zusammengefasst.
1.5
Die »protean career«
Besonders in Zusammenhang mit der Flexibilität, die den Erwerbsfähigen heute und in Zukunft vermehrt abverlangt wird, wird gelegentlich bereits von »proteischen Karrieren und Laufbahnen« (Hall 1976, 2004; Hall u. Mirvis 1996; Hall u. Moss 1998) gesprochen. Diese Formulierung geht auf die Sagengestalt Proteus zurück, dem die griechische Mythologie die Gabe des Wahrsagens und – was für unsere Belange interessanter ist – eine nahezu unbegrenzte Wandlungsfähigkeit zusprach. Gemeint ist damit die Fähigkeit der arbeitenden Menschen, sich immer wieder aufs Neue geänderten (Arbeits-)Bedingungen anzupassen und die daraus entstehenden unterschiedlichen beruflichen, aber auch personellen Identitäten zu handhaben.
11
1
12
1
Kapitel 1 • Paradigmenwechsel in der Laufbahnberatung
Das Paradox von abhängiger Arbeit und selbstbestimmtem Leben Vielerorts wurde bereits sachkundig und ausführlich auf das Spannungsverhältnis von selbstbestimmtem Leben und der Einordnung in die Strukturen der abhängigen Arbeit hingewiesen (z. B. Argyris 1957, 1975). Für das tiefere Verständnis der Problematik, die sich daraus ergibt, soll dennoch in der gebotenen Kürze diese Diskussion kurz zusammengefasst werden. Die Bedürfnisse des Menschen sind auf Eigenaktivität (Erikson 1973) und Selbstbestimmtheit (Bronfenbrenner 1989) ausgerichtet. Ein wesentliches Merkmal formaler, arbeitsteiliger und zweckrationaler Organisationen ist es jedoch, Vielfalt zu unterdrücken und die in ihnen arbeitenden Menschen über hierarchische Ebenen und ein mehr oder weniger starres Regelwerk zu »Teilen« der Organisation zu machen. Argyris (1975) vermutet, dass der Widerstand der in Organisationen arbeitenden Menschen daher rührt, dass die Prinzipien der Organisationsgestaltung nicht menschengerecht sind. Diese Grundprinzipien führen dazu, dass formale Organisationen die Entwicklung der Persönlichkeit vernachlässigen: Spezialisierung fordert den einseitigen Einsatz nur eines Teils der Fähigkeiten der Person, die dann eine große Bedeutung für die gesamte Arbeitsleistung erlangen. Aus der Frage, wer die in einer Organisation arbeitende Person eigentlich sei, wird so die Frage, was diese Person eigentlich könne (vgl. Argyris 1975). Sie wird reduziert auf diejenigen Eigenschaften und Fähigkeiten, die im Plan der Organisation festgelegt sind.
Eigene Werte als Grundlage von Laufbahnentscheidungen
Diese generelle Reduktion hängt in ihrer Ausprägung vor allem von dem Qualifikationsniveau der Arbeitnehmer ab. Hoff (1990) spricht von einer faktischen Fremdbestimmung des eigenen Lebenslaufs, die sich vor allem bei un- oder nur niedrig qualifizierten Arbeitskräften ergibt: Ihre beruflichen Tätigkeiten liegen meist in Bereichen hoher Spezialisierung und Aufgabenteilung (vgl. Greif 1978). In dieser Hinsicht erfahren sich arbeitende Menschen zunehmend als austauschbar, was im eigenen Lebenslauf Gefühle von Fremdbestimmtheit, geringer Kontrollmöglichkeit und Zufälligkeit zur Folge hat. Der subjektiv belastende Eindruck der beliebigen Austauschbarkeit ist intensiv bei Leiharbeitern (Holtrup 2009), die gerade durch ihre Austauschbarkeit zu einer interessanten strategischen Reserve für Unternehmen werden. Ein höheres Qualifikationsniveau bedeutet in der Regel auch mehr Verantwortung und größere Freiräume innerhalb der Organisation. Wie Hoff (1990) anmerkt, bieten Freiräume verstärkt Chancen auf eine individuelle Interpretation der Arbeitsrolle – dies macht es möglich, sie individuell zu prägen und damit das Risiko der Austauschbarkeit zu verringern. Hierarchie und Befehlskette sind weitere Bestimmungskriterien der abhängigen Arbeit. Sie sind von ihrer formalen Anlage her auf Unterordnung und Anpassung ausgerichtet; ihr Ziel besteht darin, Individuen abhängig und passiv zu halten. Außerdem soll die Initiative der Mitarbeiter dadurch gefördert
werden, dass sie um die Machtpositionen konkurrieren, die auf der organisationalen Leiter über ihnen liegen. Ziel, Weg zum Ziel und Hindernisse werden durch den Vorgesetzten vorgegeben. Werden die Ziele der Person jedoch nicht einbezogen, »(…) werden ideale Bedingungen für psychologisches Versagen geschaffen. (…) Psychologischer Erfolg wird erreicht, wenn jedes Individuum in der Lage ist, seine eigenen Ziele in Relation zu seinen inneren Bedürfnissen und in Beziehung zu den Hindernissen, die zur Erreichung dieser Ziele überwunden werden müssen, zu definieren« (Argyris 1975, S. 227). Die Reaktionen auf einen Konflikt zwischen den eigenen Zielen und den wahrgenommenen Zielen der Organisation sind so mannigfaltig, dass ihre Dokumentation Bibliotheken füllen könnte. Sie reichen über verschiedene Abstufungen bis zu innerer Kündigung, Burn-outSyndrom sowie psychischer und physischer Krankheit. Diese individuellen Antworten können zu einer Verschärfung des Grundkonflikts führen, da die wahrscheinlichste Reaktion der übergeordneten Instanzen zunächst in einer Erhöhung des ausgeübten Drucks bestehen wird, um die notwendige Anpassung zu erzwingen. Die durch solche Bedingungen charakterisierte Arbeit kann aus der Sicht einer auf menschengerechte Gestaltung von Arbeitsbedingungen abzielenden Wissenschaft als »entfremdete Arbeit« bezeichnet werden, die einen grundsätzlich identitätsbedrohenden Charakter hat.
Der US-amerikanische Forscher Hall sprach bereits 1976 von der proteischen Laufbahn. Er charakterisierte mit diesem Begriff eine Haltung von Personen, die sich aktiv verändern und sich bei wichtigen Laufbahnentscheidungen an ihren persönlichen Werten orientieren. Es ist daher weniger der ökonomische, objektiv messbare Erfolg einer beruflichen Laufbahn, der eine proteische Laufbahn gelingen lässt, sondern vor allem die subjektive psychologische Beurteilung des eigenen Erfolgs vor dem Hintergrund der eigenen Lebensziele und -werte. Hall bezeichnet die proteische Laufbahn als selbstgesteu-
1.6 • Wertewandel
13
1
ert, in weitaus größerem Maß von persönlichen Werten getrieben als von organisationalen Belohnungen und darüber hinaus der ganzen Person dienend. Als eine wesentliche Grundlage der notwendigen Entscheidungen betrachtet er Moratorien und persönliche Audits, die eine starke Verbindung zu den eigenen Werten herstellen. Das Nachdenken über sich selbst, die eigenen Belange und Werte sind für ihn zentrale Voraussetzungen der proteischen Laufbahn.
1.6
Wertewandel
Der gesellschaftliche Wertewandel, der bereits Ende der 1960er-Jahre mit den Studentenunruhen deutlich sichtbar eingesetzt hatte, hat zu einer gewandelten Einstellung auch der Arbeit gegenüber geführt. Die Pflicht- und Akzeptanzwerte, die die Zeit des Wiederaufbaus nach dem 2. Weltkrieg geprägt hatten, haben in weiten Teilen der Bevölkerung Werthaltungen Platz gemacht, die stärker auf Autonomie und Selbstverwirklichung ausgerichtet sind. Auch die Ansprüche der Arbeit gegenüber haben sich damit gewandelt. Von Klipstein u. Strümpel (1985) sprechen in diesem Zusammenhang von gewandelten Werten, die den erstarrten Strukturen der Wirtschaftsunternehmen gegenüberstehen. Weiterführende Analysen haben ergeben, dass vor allem die jungen und gut ausgebildeten Menschen Träger dieser gewandelten Werte und Ansprüche an die Arbeit sind und dass für sie der Berufseinstieg krisenhafter verläuft, da es zu einer Konfrontation der Ansprüche an die Arbeit mit den Erwartungen der Unternehmen kommt (vgl. von Rosenstiel, Nerdinger u. Spieß 1991). Die 1970er-Jahre, in denen Hall sein Konzept der »protean career« zum ersten Mal formulierte, waren eine Zeit des gesellschaftlichen Wandels, was sich vor allem in veränderten Werten zeigte. In Hinblick auf seine eigene Arbeit beschreibt er das Klima dieser Jahre als eine ideale Brutstätte für die wissenschaftliche Beschäftigung mit selbstgesteuerten und selbstverantwortlich gestalteten Laufbahnen und dem Streben nach »psychologischem« Erfolg. Der Wertewandel, der in den 1970er-Jahren besonders sichtbar war, bewirkte eine Abkehr von den bis dahin dominierenden Pflicht- und Akzeptanzwerten sowie eine Hinwendung zu Werten, die sich am eigenen Wachstum und an Selbstverwirklichung orientierten. Als Brutstätten dieses Wertewandels erwiesen sich die informellen Milieus der Universitäten – insofern ist es nicht verwunderlich, dass der Universitätslehrer Hall die gesellschaftlichen Impulse besonders deutlich empfand. Diese Bewegung erfasste nahezu zeitgleich die westlich geprägten Industrienationen und schuf eine neue Realität: einerseits auf einem breiten gesellschaftlichen Konsens beruhende veränderte Werthaltungen, andererseits Arbeitskontexte, die diese Veränderung nicht oder nur zögerlich durchliefen. In diesem Zusammenhang sprach
Selbstverwirklichung wird wichtiger
14
Kapitel 1 • Paradigmenwechsel in der Laufbahnberatung
man bald von geänderten Werten und erstarrten Strukturen in den Unternehmen, die sich den Veränderungen verschlossen.
1
1.7
Voraussetzungen für den Einsatz von Tests
Folgen für die Laufbahnberatung
Angesichts der großen Dynamik, mit der sich die Bedingungen der Berufsarbeit und des täglichen Lebens verändern, wirken die traditionellen Ansätze der Berufs- und Laufbahnberatung verhältnismäßig schwerfällig. Sie gründen in normativen Vorstellungen darüber, wie sich bestimmte Interessen und Persönlichkeitsdispositionen bestimmten Berufs- und Tätigkeitsfeldern zuordnen lassen. Die Hypothese der Person-Umwelt-Passung ist als forschungs- und beratungsleitendes Paradigma weithin anerkannt und vielfach bestätigt worden – theoretisch besteht also ein Grundkonsens über die Voraussetzungen einer gelingenden Anpassung von Personen an die Bedingungen bestimmter Berufs- oder Tätigkeitsfelder. Ein Schwerpunkt der traditionellen Ansätze lag auf einer Beratung, die aufgrund von Daten über Interessen und Neigungsschwerpunkte Aussagen über mögliche künftige Berufsfelder von Personen machte. Traditionelle Ansätze der Laufbahnberatung arbeiten mit Verfahren, die auf einer testtheoretisch gesicherten Grundlage versuchen, die notwendigen Daten zu erfassen und daraus Zuordnungsempfehlungen zu bestimmten Berufsfeldern oder Tätigkeiten abzuleiten. Der Vorteil einer solchen Vorgehensweise liegt unstrittig in seinen verglichen mit anderen Formen der Beratung deutlich geringeren Durchführungskosten, die erst durch die Standardisierung des Verfahrens und den unveränderten Einsatz des Instruments bei zahlenmäßig großen Gruppen möglich werden. Die Normierung von Testverfahren ist einerseits die notwendige Voraussetzung dafür, sie so breit einsetzen zu können, andererseits macht sie das Verfahren aber auch schwerfällig gegenüber sich wandelnden Einsatzbedingungen. Aus testtheoretischer Perspektive müssen Tests immer dann, wenn ernsthafte Anzeichen dafür zu erkennen sind, dass die bisherigen Normen nicht mehr gelten, nachnormiert werden, weil der wesentliche Schritt der Übersetzung von Testdaten in Aussagen sonst zunehmend ungenauer wird und der Test damit an Aussagekraft verliert. Dieses Vorgehen ist einer Nachjustierung bei einem Kameraobjektiv vergleichbar, wenn sich der Fotograf bewegt oder das zu fotografierende Objekt seine Lage ändert und daher durch die Linse unscharf erscheint. > Wichtig Tests setzen voraus, dass das gemessene Merkmal theoretisch eindeutig begründet ist und dass die Beziehung zu dem Zielkriterium im Wesentlichen stabil bleibt.
Möglicherweise befinden wir uns gegenwärtig in einer Phase so raschen und so grundsätzlichen Wandels, dass der Ansatz der diag-
1.7 • Folgen für die Laufbahnberatung
15
1
nostischen Berufsberatung nicht mehr angemessen ist. Wenn wir an die betroffenen Personen denken – und das sind für unsere Belange zunächst die erwerbsfähigen Personen –, dann benötigen sie wahrscheinlich etwas sehr viel Grundlegenderes als den auf fundierten diagnostischen Informationen beruhenden Rat, welche Art von Tätigkeit bzw. welches Berufsfeld sie sich aufgrund ihrer Interessen und bestimmter Persönlichkeitsmerkmale erschließen sollen. Sie stehen vor der Anforderung, dass sie sich im Laufe ihres Erwerbslebens möglicherweise mehrfach umorientieren müssen. In dem Maße, in dem Berufslaufbahnen instabil werden, wird auch das der traditionellen Laufbahnberatung zugrunde liegende Paradigma angreifbar. Fazit Die in der Vergangenheit erfolgten Zuordnungsentscheidungen oder -ratschläge beruhten auf der Annahme relativer Stabilität sowohl der beruflichen Umgebung als auch der erfassten Persönlichkeitsmerkmale und Interessen. Obwohl diese Stabilitätsannahme nach wie vor grundsätzlich gilt, kann ihre Entsprechung im beruflichen Umfeld nicht länger aufrechterhalten werden.
Savickas (1993) – einer der einflussreichsten und modernsten Denker der Laufbahnberatung – betrachtet die bisherigen theoretischen Konzepte der Laufbahnberatung als in dem Sinne überholt, als sie nicht dazu im Stande sind, mit den großen und grundsätzlichen Veränderungen Schritt zu halten, denen die Arbeitswelt gegenwärtig ausgesetzt ist und noch stärker in Zukunft ausgesetzt sein wird. Betrachten wir das Beispiel von Frau M. und Herrn T.: Keiner der beiden würde für seine aktuellen Probleme in einer Beratung eine Lösung finden können, die Interessen und Persönlichkeitsdispositionen diagnostiziert, rückmeldet und darauf aufbauend einen Rat für die zukünftige Entwicklung erarbeitet. Diese Ansätze greifen zu kurz und beleuchten nur einen kleinen Teil der Problematik bzw. einer möglichen Lösung. Frau M. benötigt eine systemisch orientierte Lösung ihrer Probleme, die durch einen den traditionellen Formen der Laufbahnberatung folgenden Ansatz nicht geleistet werden kann. Bei Herrn T. käme der Aspekt hinzu, dass diese Form von Beratung sich ähnlicher Instrumente und Methoden bedient, wie es in dem Auditing der Fall war; er müsste sich aufs Neue Testverfahren aussetzen. Diese Testverfahren sind grundsätzlich intransparent; für Interessen- und Persönlichkeitstests gilt dies in besonderem Maße (Schuler 1990). Wenngleich bei geteilten Zielen – wie sie im Rahmen einer Beratungssituation unterstellt werden können – mit einer grundsätzlich höheren Akzeptanz der Verfahren durch die Klienten gerechnet werden kann, bleibt doch der grundsätzliche Nachteil von Tests bestehen: Die Klienten werden durch ein objektives (d. h. durch sie nicht beeinflussbares) Verfahren in eine Position der Unterlegenheit und Abhängigkeit gebracht, die die Art der Beratung beeinflussen muss. Der Berater wird zum Experten für das Leben und die weitere Entwicklung seiner Klienten. Ganz
Traditionelle Ansätze der Laufbahnberatung entsprechen nicht mehr unserer Zeit
16
Kapitel 1 • Paradigmenwechsel in der Laufbahnberatung
1 Klient steht im Mittelpunkt
abgesehen von der damit verbundenen Verantwortung, mit der sich die wenigsten Berater wohl fühlen dürften, kommt damit ein problematisches Grundverständnis zum Ausdruck, das auf Intransparenz und Nichtpartizipation beruht (vgl. Schuler u. Stehle 1983). Savickas (1993) geht davon aus, dass eine den Herausforderungen der Zeit angemessene Laufbahnberatung sich vor allem anderen auf die autobiografische Konstruktion des eigenen Werdegangs und die individuellen Definitionen einer sinnvollen Entwicklung stützen wird. Damit widerspricht er offen den zentralen Annahmen der arrivierten Ansätze, deren Paradigmen er an anderer Stelle als zu schwerfällig bezeichnet, um den Bedürfnissen der Klienten gerecht zu werden, ja sie überhaupt erkennen zu können. Dieser Auffassung haben sich inzwischen so viele Wissenschaftler und Praktiker angeschlossen, dass Lovén (2003) von einem Paradigmenwechsel spricht, der notwendig geworden ist und auch in weiten Teilen der Fachöffentlichkeit diskutiert wird. Gefordert wird eine Abkehr von dem objektivierenden testdiagnostischen Verständnis von Laufbahnberatung, die sich vor allem auf Interesseninventare und bestimmte Beratungstechniken gestützt hat (Savickas 1993). Gefordert wird eine Hinwendung zu einem konstruktivistisch geprägten Verständnis von Laufbahnberatung, das die Belange der Klienten in den Mittelpunkt stellt und Lösungen gemeinsam mit ihnen erarbeitet. Wenn wir das Bild der Kamera weiterdenken, das die Nachnormierung von Tests illustriert, ergibt sich die Schlussfolgerung, dass die »neue« Form der Laufbahnberatung das objektivierende Instrument (die Kamera) zur Seite legt, mit dem ein Bild von dem Klienten gemacht werden soll. Stattdessen wird der Klient ermutigt, selbst ein Bild seiner Entwicklung zu malen – der Berater folgt ihm und begleitet ihn dabei, ein passendes Bild für seinen weiteren Weg zu entwerfen.
17
Voraussetzungen einer gestaltenden Orientierung 2.1
Psychologische Verträge – 18
2.2
»Employability«/Beschäftigungsfähigkeit – 21
2.3
Eigene Werte als Orientierungsgrundlage – 29
T. Lang-von Wins, C. Triebel, Karriereberatung, DOI 10.1007/978-3-642-20066-3_, © Springer-Verlag Berlin Heidelberg 2012
2
18
Kapitel 2 • Voraussetzungen einer gestaltenden Orientierung
Die Psychologie stellt traditionell gesichertes Wissen über die Voraussetzungen von gelingenden Anpassungsprozessen zur Verfügung. Die folgenden Abschnitte dieses Kapitels geben einen kurzen Überblick über diese Voraussetzungen einer gestaltenden Orientierung und beschreiben darüber hinaus den Prozess der Laufbahngestaltung.
2
2.1 Berufliche Stabilität kann eine Illusion sein
Psychologische Verträge
Frau M. befand sich über einen längeren Zeitraum in einer Situation, von der sie gesagt hätte – wäre sie danach gefragt worden –, sie sei für sie passend, sie habe im Großen und Ganzen den für sie richtigen Weg gefunden, wenn man von kleineren Punkten absieht. Wenn man Herrn T. vor dem Management-Audit und dem sich daran anschließenden Prozess die gleiche Frage gestellt hätte, wäre die Antwort mit hoher Wahrscheinlichkeit ebenfalls gewesen, dass er insgesamt mit seiner beruflichen Situation zufrieden sei, dass er zwar an einigen Punkten Verbesserungsmöglichkeiten sähe, aber daraus Ziele für die künftige Gestaltung seines Berufslebens ableiten würde. Sowohl Herr T. als auch Frau M. hätten die Frage danach bejaht, ob sie ihren Weg gefunden hätten und zumindest die nächsten Schritte klar vor Augen sähen. Frau M. und Herr T. mussten – im Beispiel stellvertretend für viele andere – erfahren, dass der Zustand der Stabilität im Berufsleben nicht von Dauer ist und von den Zielsetzungen ihrer Partner abhängt. Diese Partner sind im beruflichen Bereich zunächst diejenigen, die die Arbeitsleistung nachfragen und die damit wichtige Rahmenbedingungen für das berufliche Tätigsein setzen. Sie sind selbst eingebunden in ein komplexes Bedingungsgefüge von Angebot und Nachfrage, das auch nur die Möglichkeit einer vorübergehenden Stabilität bietet. Diese Situation führte verstärkt zu der Forderung, die erwerbsfähigen Personen sollten ihre »Beschäftigungsfähigkeit« pflegen und ausbauen und sich damit interessant für potenzielle Arbeitgeber bzw. Auftraggeber machen. Diese Forderung ist so nachvollziehbar wie gefährlich: nachvollziehbar wegen der sich verändernden Bedingungen auf den Arbeitsmärkten, die Laufbahnen nach traditionellem Muster als einer vergangenen Zeit zugehörig erscheinen lassen, die vor allem durch Beschäftigungs- und Planungssicherheit gekennzeichnet war; gefährlich wegen des darin enthaltenen Gedankens einer weitgehenden Anpassung der Erwerbsfähigen an die Bedingungen, die durch den Arbeitsmarkt und die Anforderungen der Arbeitgeber vorgegeben werden. Eine wachsende Zahl von Wissenschaftlern und Praktikern macht sich mittlerweile Gedanken darüber, wie diese Anpassungsprozesse gestaltet werden könnten und auf welche Weise die Partnerschaft zwischen Unternehmen und dem Einzelnen neu gestaltet werden kann und muss. Wir werden in den folgenden Abschnitten kurz auf die unserer Ansicht nach wesentlichen Gedanken und Ansätze zu spre-
2.1 • Psychologische Verträge
chen kommen und beginnen mit dem veränderten Verhältnis von Unternehmen und dem Einzelnen, das seit einigen Jahren unter dem Stichwort des »psychologischen Vertrags« untersucht wird. Psychologische Verträge sind subjektive Deutungen der Beziehung zwischen Mitarbeiter und Unternehmen, die sich dynamisch verändern (Nerdinger 1997) und die im Wesentlichen aus 3 Komponenten bestehen: 5 dem Versprechen, jetzt und in Zukunft bestimmte Verhaltensweisen zu zeigen oder zu unterlassen, 5 Belohnungen im Austausch für das Versprechen und 5 der Akzeptanz des Vertrags durch die »Vertragspartner«.
19
2
Implizite Vereinbarungen zwischen Unternehmen und Beschäftigten
Psychologische Verträge bestehen mehrheitlich aus impliziten Bestandteilen, die auf Beobachtungen von Verhaltensweisen in Unternehmen beruhen. Herr T. wird z. B. sehr genau beobachten, wie Kollegen im Verlauf des Management-Audit behandelt wurden und welche Angebote ihnen im Anschluss an ihre Beurteilung gemacht werden. Bereits der Prozess des Management-Audit ist ein wichtiger Bestandteil des psychologischen Vertrags, für den die Schlussfolgerungen in diesem Punkt lauten könnten: das Unternehmen misstraut mir und überprüft meine Leistungsfähigkeit im Rahmen eines intransparenten Vorgehens. Das Unternehmen und seine Stellvertreter (der Vorgesetzte von Herrn T.) verhalten sich im Weiteren so, dass der Vertrauensverlust noch verstärkt wird. Aus Sicht von Herrn T. ist der psychologische Vertrag mit seinem Unternehmen mittlerweile gekündigt. Für ihn erhöht diese Situation die eigene Unsicherheit und lässt Zukunftsängste aufkommen, da er sich in der mittleren Phase seiner beruflichen Laufbahn befindet und sich weiterentwickeln will. Gerade dies aber ist ihm in der gegenwärtigen Situation verwehrt. > Hinweis Eine wesentliche Voraussetzung psychologischer Verträge liegt in der Notwendigkeit begründet, sich an veränderte Bedingungen anzupassen und dem entsprechende neue Regeln zu finden oder bestehende Regeln in einem Maß zu verändern, um eine neue Basis für den gegenseitigen Austausch zu definieren. Wie jeder andere Vertrag können auch psychologische Verträge nicht einseitig verändert werden. Es ist zwar möglich, dass einer der Vertragspartner für sich neu definiert, welche Leistungen er erbringen möchte und welche Belohnungen er dafür erwartet, doch ist das Einverständnis des anderen Partners nötig, um einen Vertrag zu Stande kommen zu lassen. Dies betrifft auch die Unternehmen, in denen sich häufig die Praxis beobachten lässt, neue Bedingungen zu setzen, mit denen sich die Mitarbeiter dann arrangieren müssen. Diese Denkweise verkennt, dass die im psychologischen Vertrag definierte Leistung der Mitarbei-
Wirkweise psychologischer Verträge
20
Kapitel 2 • Voraussetzungen einer gestaltenden Orientierung
ter, ihre Einsatzbereitschaft und Motivation, an ihr grundsätzliches Einverständnis mit den veränderten Vertragsbedingungen gebunden ist. Ein eindrucksvolles Beispiel stammt von Greenberg (1990, 1993), der zeigt, dass Information und Transparenz wesentlich zum Zustandekommen bzw. zur Aufrechterhaltung eines psychologischen Vertrags beitragen. Wird der psychologische Vertrag von dem Unternehmen verletzt, suchen die Mitarbeiter nach informellen und manchmal auch unerlaubten Wegen, um das Verhältnis wieder ausgewogen zu gestalten – was in der Regel zu Lasten des Unternehmens geht.
2
Welcher psychologische Vertrag ist den gegenwärtigen bzw. den bereits vorhersehbaren zukünftigen Bedingungen der Arbeitsmärkte angemessen und erweist sich als tragfähig? Würde man die Forderung, die eigene Beschäftigungsfähigkeit ständig zu aktualisieren, um für die Arbeitgeber interessant zu bleiben, nur einseitig verstehen, dann ließe sich der darauf aufbauende psychologische »Vertrag« auf die Kernforderung reduzieren:
»
Wenn Arbeitnehmer ständig neue Qualifikationen erwerben und auf das jeweils neueste Know-how zurückgreifen können, wenn sie zudem über reichliche Arbeitserfahrung und einen internationalen Hintergrund verfügen, dann bietet ihnen ein Unternehmen einen Arbeitsplatz an – zumindest so lange, wie das, was der Arbeitnehmer dem Unternehmen zu bieten hat, interessant ist und unmittelbar in den Wettbewerb eingespeist werden kann.
«
Ein solcherart formulierter Vertrag wäre kaum tragfähig, da er sich fast ausschließlich auf die Perspektive der Unternehmen bezieht. Die einzige Gegenleistung bestünde in der Zusicherung einer befristeten Verwendung durch das Unternehmen. Jeder Erwerbsfähige, der über die entsprechenden Voraussetzungen verfügt, täte gut daran, sich nach einem anderen Arbeitgeber umzusehen und würde ihn wohl auch in kurzer Zeit finden. Lombriser u. Lehmann (2001) haben sich aus der Perspektive der wissenschaftlichen Disziplin Unternehmensführung Gedanken darüber gemacht, wie die Grundannahmen des traditionellen psychologischen Kontrakts (»lebenslange Beschäftigung für lebenslange Treue«) modernisiert und den veränderten Bedingungen angepasst werden könnten. Im Kern des von ihnen vorgeschlagenen »neuen« psychologischen Vertrags steht der Einsatz der Beschäftigten für Aufgaben oder Projekte, in denen sie beständig eigenverantwortlich weiter lernen und damit ihren Wert für das Unternehmen erhalten (auf das Konstrukt der Eigenverantwortung werden wir zu einem späteren Zeitpunkt noch eingehender zu sprechen kommen). Für das Weiterlernen im Rahmen der Arbeit schaffen die Unternehmen im Gegenzug Be-
2.2 • »Employability«/Beschäftigungsfähigkeit
dingungen, die es den Beschäftigten ermöglichen, ihre Chancen im Unternehmen und außerhalb des Unternehmens zu erhalten. Damit ist ein neues Verständnis von Personalarbeit angedeutet, das wir in 7 Kap. 7 näher beleuchten werden. Zu fragen bleibt nun, ob der Fall von Herrn T. bereits nach dem Schema des »neuen« psychologischen Vertrags abgelaufen ist. Das Unternehmen hat – so könnte man argumentieren – ja lediglich überprüft, ob der Wert von Herrn T. für die Firma seiner gegenwärtigen Position entspricht. Der Hauptgrund dafür, dass dieses Vorgehen nicht dem neuen Verständnis entspricht, liegt in seiner Intransparenz begründet. Denn eine Grundvoraussetzung dafür, dass ein neuer psychologischer Vertrag angenommen wird, ist die wechselseitige Akzeptanz seiner Inhalte. Dies hat wiederum eine entscheidende Vorbedingung: Transparenz. Aus der Sicht von Herrn T. ist es zu einer schleichenden Kündigung des psychologischen Vertrags durch das Unternehmen gekommen.
2.2
21
2
Transparenz als Voraussetzung
»Employability«/Beschäftigungsfähigkeit
Häufig wird der Begriff der Beschäftigungsfähigkeit oder der »Employability« als Kern eines neuen psychologischen Vertrags genannt. Was bedeutet dieser Begriff? Aus der Sicht des Opel-Personalvorstands Norbert Küpper und des Opel-Personalentwicklers Georg Ehlers (Küpper u. Ehlers 2001, S. 127) bedeutet »Employability« zunächst: »Die richtigen Leute mit den richtigen Auswahlkriterien auswählen, sie in das Unternehmen eingliedern und dort permanent weiterentwickeln«. Unschwer lassen sich in dieser Aussage die wesentlichen Punkte des »neuen« psychologischen Vertrags wiederfinden. Letztlich aber wird hier nur die Grundaufgabe einer vorausschauenden Personalarbeit beschrieben, über Employability erfahren wir kaum etwas. Ist das Wort von der Beschäftigungsfähigkeit also nur ein leerer Begriff, ein Synonym für die persönliche Bereitschaft von Menschen, sich weiterzubilden? Wenn das tatsächlich so sein sollte, so lässt sich weiter fragen, woraus ergibt sich dann die persönliche Weiterbildungsbereitschaft? Aus der Sicht von Unternehmen wie General Motors und der lange Zeit zum Unternehmensverbund gehörenden Adam Opel AG sind Grundvoraussetzungen dieser Bereitschaft strukturelle Anreizfaktoren wie z. B. Vergütungskomponenten, die an die eigene Weiterbildung und Weiterentwicklung sowie die Förderung der eigenen Mitarbeiter geknüpft sind, oder das Schaffen von institutionalisierten Gelegenheiten, im Unternehmen zu lernen. Doch wäre ein Verständnis der Beschäftigungsfähigkeit, das sich in der Ableistung von Weiterbildungsveranstaltungen erschöpfen würde, zu kurz gedacht und für die Unternehmen ein teurer Fehlgriff.
Praxologische Begründung der Beschäftigungsfähigkeit
22
Kapitel 2 • Voraussetzungen einer gestaltenden Orientierung
Definition Wenn wir der pragmatischen, aber in manchen Punkten zu kurz greifenden Position der Unternehmen eine psychologische Position entgegenstellen, dann ließe sich Beschäftigungsfähigkeit zunächst als das Produkt derjenigen Fähigkeiten beschreiben, die es Personen ermöglichen, produktiv mit den sich wandelnden Bedingungen ihrer beruflichen Laufbahn umzugehen, um die Verantwortung für die Gestaltung der eigenen Berufslaufbahn zu übernehmen.
2
Wenn man diesem Gedanken folgt, muss man weiter fragen, was denn die Komponenten sind, aus denen die Beschäftigungsfähigkeit besteht. Die US-amerikanischen Wissenschaftler Fugate, Kinicki u. Ashforth (2004) haben versucht, den Begriff der Employability auch theoretisch zu begründen. Definition Aus ihrer Sicht setzt sich die Beschäftigungsfähigkeit im Wesentlichen aus der persönlichen Anpassungsfähigkeit, der Laufbahnidentität und dem sozialen bzw. Humankapital von Menschen zusammen.
Theoretische Begründung von Beschäftigungsfähigkeit
Wir betrachten im Folgenden vor allem die psychologischen Komponenten der Beschäftigungsfähigkeit näher. Zunächst gehen wir kurz auf das soziale Kapital und das Humankapital ein, das Fugate et al. als ebenfalls wichtigen Bestandteil der Employability definieren.
Nutzen sozialer Netzwerke
Unter dem sozialen Kapital verstehen Fugate et al. das Netzwerk sozialer Beziehungen, in dem wir uns bewegen. Die aus der Soziologie stammende Annahme, dass bestimmte Netzwerkeigenschaften die Suche nach Arbeit erleichtern, gehen im Wesentlichen auf die Theorie der strukturellen Handlungsbedingungen des amerikanischen Soziologen Granovetter zurück. Er geht davon aus, dass vor allem weit verzweigte Netzwerke »schwacher« sozialer Beziehungen große Chancen bieten, eine Arbeitsstelle zu finden. Diese Beziehungen sind auf Menschen gerichtet, die nicht im Zentrum unserer sozialen Netzwerke stehen. Sie gehören also in der Regel nicht unserer Familie oder unserem näheren Bekannten- und Freundeskreis an, sondern sind mehr oder weniger entfernte Bekannte. Es erscheint wesentlich selbstverständlicher, sich mit einem näher stehenden Menschen über belastende Themen auszutauschen, als mit Fremden. Es ist nicht nur der nahe liegende Weg, sich an die eigenen Verwandten und andere nahe stehende Personen zu wenden, sondern
z
Soziales Kapital/Humankapital
2.2 • »Employability«/Beschäftigungsfähigkeit
23
2
auch ein Vorgehen, das wesentlich weniger eigene Aktivitäten erfordert als das proaktive Zugehen auf andere. Wären Frau M. und Herr T. gute »Netzwerker«, dann könnten sie sich Unterstützungsquellen erschließen, von denen sie noch gar nicht wissen, dass es sie in ihrem Umfeld gibt. Der Sinn des aktiven Netzwerkens liegt nicht nur darin, diejenigen Personen anzusprechen, von denen man sich direkten Nutzen erwartet. Im Falle von Herrn T. könnte dies z. B. bedeuten, dass er einen Freund in einer vergleichbaren Position danach fragt, ob in seiner Abteilung eine Stelle frei ist. Wäre Herr T. ein guter Netzwerker, würde er darüber hinaus darum bitten, dass sein Freund die Information weiter streut, dass er eine neue Position sucht, und dieser Freund nun gleichfalls darum bittet, die Information weiterzugeben. Es ist leicht nachzuvollziehen, dass auf diese Weise die Wahrscheinlichkeit wächst, dass ein Angehöriger dieses Netzwerks den entscheidenden Tipp geben kann, der zu einer neuen Position führt. Die empirischen Überprüfungen der theoretischen Grundannahmen sind widersprüchlich; als gesichert kann allerdings die Beobachtung gelten, dass in Zeiten sich schließender Arbeitsmärkte die Suche nach neuen Mitarbeitern von den Unternehmen häufig über informelle Wege durchgeführt wird. Unter dem Humankapital verstehen Fugate et al. im Schwerpunkt die Qualifikationen, die wir im Laufe unserer Arbeit und unserer Ausbildung erworben haben. Auch der Humankapitalansatz wird in unterschiedlichen Bezügen und zur Beantwortung unterschiedlicher Fragen eingesetzt; die Argumentation ist jedoch verhältnismäßig schlicht und beschränkt sich auf ein einfaches »je mehr, desto besser«, das man angesichts der hohen Veränderungsdynamik noch ergänzen könnte durch die Formulierung »je neuer, desto besser«. Tatsächlich wird von betrieblicher Seite immer wieder dahingehend argumentiert, die Beschäftigten müssten mit der technischen Entwicklung und den neuen Wissenserfordernissen »Schritt halten«. z
Laufbahnidentität
Die Laufbahnidentität wird im Allgemeinen aufgefasst als die Sicht und Definition der eigenen Person in einem bestimmten beruflichen Kontext. Bestimmend dafür sind die eigenen Werte, die Ziele, Hoffnungen und Befürchtungen, die sich auf den Beruf und die damit verbundenen anderen Lebensbereiche beziehen. Die Laufbahnidentität ist ein dynamisches Konstrukt, das der Vergangenheit und der Gegenwart Sinn gibt, die Entwicklung von Zielen ermöglicht und damit dem zukünftigen Weg eine Richtung gibt. Sie ist nicht die Summe der im Berufsleben gemachten Erfahrungen, sondern deren Eingliederung in subjektiv sinnhafte Strukturen (Meijers 1998). Laufbahnidentität herzustellen ist einerseits das Ziel einer erfolgreichen Anpassung an eine hochdynamische Umwelt und andererseits überhaupt erst die Voraussetzung einer subjektiv sinnvollen Anpassung. Sie hat die Funktion eines »inneren Kompass«, der die Orientierung in schwierigen Entscheidungssituationen ermöglicht.
Beruflichen Erfahrungen Sinn geben
24
Kapitel 2 • Voraussetzungen einer gestaltenden Orientierung
2
Sich über die Zeit hinweg gleich sein
Die Situationen, in denen sich Herr T. und Frau M. befinden, haben deutliche Aspekte einer Herausforderung und Bedrohung ihrer Laufbahnidentität: Sie stehen vor der Notwendigkeit, sich neu zu orientieren und einen Weg zu finden, der auf der Grundlage ihrer bisherigen beruflichen Entwicklung möglicherweise in eine neue Richtung weist. Dieser Prozess birgt wiederum die Chance einer »Kurskorrektur«, die mit einer Rückbesinnung auf tragfähige Werte verbunden sein kann. Diese Rückbesinnung oder Suche nach den ursprünglich wichtigen Antriebskräften des eigenen Lebens bzw. der eigenen Berufstätigkeit ist die eigentliche Begründung der Laufbahnidentität. Identität bedeutet aus psychologischer Sicht das Empfinden eines dauernden »Sich-selbst-Gleichseins« über die Zeit und die unterschiedlichen Stationen des eigenen Lebens hinweg (Erikson 1973; Baitsch u. Schilling 1990). Bezogen auf die Laufbahnidentität steht die Person vor der Frage, ob sie sich vor den aufeinander folgenden Stationen der eigenen Arbeitsbiografie (die auch Phasen der Nichtarbeit einschließen kann) als Person wiedererkennen und sich mit ihnen identifizieren kann (Baitsch u. Schilling 1990). Zahlreiche Untersuchungen und Überlegungen machen deutlich, dass es für Menschen wichtig ist, sich selbst über die Zeit hinweg wiederzuerkennen und als konsistent zu erleben (z. B. Strehmel u. Ulich 1991). Jüngere Untersuchungen zeigen, dass eine Abfolge unterschiedlicher Beschäftigungsverhältnisse ohne inneren Zusammenhang – wie es bei Zeitarbeitsverhältnissen üblicherweise der Fall ist – zu deutlichen gesundheitlichen Beeinträchtigungen und einem subjektiven Sinnverlust führen kann (vgl. Pietrzyk 2004). z
Persönliche Anpassungsfähigkeit
Die traditionell dominierende Sicht betrachtet Anpassung als einen zum größten Teil reaktiven Prozess, als ein Sich-Unterordnen unter vorgefundene äußere Bedingungen. Aus dieser Perspektive wäre Anpassung lediglich eine passive Antwort auf veränderte Bedingungen. Die Ziele der Anpassung würden aus dieser Perspektive vor allem den Notwendigkeiten folgen, die sich aus den Veränderungen ergäben. Ziel der handelnden Personen wäre es letztlich, das Ausmaß an Veränderung so gering wie möglich zu halten, und einen Gleichgewichtszustand wieder herzustellen, der durch äußere Einwirkung gestört wurde. Dieses Bild dominiert vor allem im Bereich der arbeitenden Menschen und der Theorien, die sich mit ihnen befassen – nicht weil es dem Menschenbild der Psychologie entspräche, sondern vielmehr weil die vorherrschenden Managementtheorien Unternehmen als Gebilde betrachten, die optimal kontrolliert werden müssen (für eine kritische Auseinandersetzung vgl. Mintzberg 1995). Gerade in Zeiten der Unsicherheit verstärken sich die planend-kontrollierenden Impulse in Unternehmen. Ihnen entspricht ein Menschenbild, das Planung und Kontrolle verlangt. Das Personal als eine Größe zu betrachten, die nicht lediglich auf den Wandel reagiert, sondern ihn aktiv herbeiführt und ihn nachhaltig macht, ist eine Denkweise, die
2.2 • »Employability«/Beschäftigungsfähigkeit
25
2
sich erst allmählich in den Unternehmen durchzusetzen beginnt und die zu den Impulsen der Planung und Kontrolle in Widerspruch steht. Auf individueller Ebene werden seit Beginn der 90er-Jahre des vergangenen Jahrhunderts vermehrt Konstrukte populär, die die aktive Auseinandersetzung mit der Umwelt und ihre Gestaltung durch den Einzelnen thematisieren. Diese Ansätze teilen die Annahme, dass Menschen nach Verbesserungen ihrer Lebens- und Arbeitssituationen streben und diese Veränderungen aktiv und initiativ betreiben. Die persönliche Anpassungsfähigkeit ist angesiedelt in dem Spannungsfeld von proaktiver Veränderung der Lebens- und Arbeitssituationen und der eigenen Wandlungsfähigkeit, um veränderten Anforderungen der Umwelt zu folgen. Sie gestattet es erwerbsfähigen Personen, Gelegenheiten zur aktiven Gestaltung ihrer eigenen Laufbahn zu identifizieren und zu nutzen.
Es wird angenommen, dass sich diejenigen Menschen, die aktiver die eigenen Belange vertreten, erfolgreicher an veränderte Umweltbedingungen anpassen können. Eine erfolgreiche Anpassung an veränderte Umweltbedingungen hängt jedoch von zumindest 3 entscheidenden Voraussetzungen ab (vgl. Ashford u. Taylor 1990), die erfüllt sein sollten: 1. Es stehen angemessene Informationen über die Umwelt und ihre individuell bedeutsamen Veränderungen bzw. Gelegenheiten zur Verfügung. 2. Die persönlichen Voraussetzungen von Anpassungsfähigkeit sind erfüllt. 3. Die Bereitschaft zur eigenen Veränderung ist gegeben. Innerhalb dieser 3 Voraussetzungen nehmen die persönlichen Bedingungen eine Schlüsselfunktion ein. Aufgrund des bisherigen Forschungsstands kann erwartet werden, dass die aktive Suche nach relevanten Informationen und die Bereitschaft zur eigenen Veränderung den persönlichen Voraussetzungen folgen. Diese für die persönliche Anpassungsfähigkeit wesentlichen Einflussgrößen werden in den nächsten Abschnitten kurz beschrieben. Dabei werden exemplarisch die Konstrukte Proaktivität, Optimismus und Selbstwirksamkeitserwartung dargestellt. z
Proaktivität
Die Proaktivität ist ein Konzept, das inhaltlich der Eigeninitiative und der Eigenverantwortung nahe steht. Bateman u. Crant (1993) fassen die proaktive Persönlichkeit als dispositionelles Merkmal von Personen auf, das auf eine aktiv-gestaltende Veränderung der Umwelt ausgerichtet ist. Damit stehen ihre Annahmen scheinbar Hypothesen gegenüber, die proaktives Verhalten als überwiegend situativ determiniert betrachten (Morrison u. Phelps 1999). Entsprechend beziehen sich die
Voraussetzungen erfolgreicher Anpassung
26
Kapitel 2 • Voraussetzungen einer gestaltenden Orientierung
untersuchten Fragestellungen bei der Grundannahme einer situativen Determiniertheit auf spezifische Kontexte, während der dispositionelle Ansatz eine größere Variationsbreite unterschiedlicher Verhaltensweisen und Situationen einbezieht. Crant (2000) begreift beide Argumentationslinien nicht als einander ausschließend, sondern als unterschiedliche, einander aber im Wesentlichen ergänzende Zugänge zur Erklärung des gleichen Phänomens, des proaktiven Verhaltens. Den theoretischen Modellannahmen entsprechend suchen Menschen mit hoher Proaktivität Handlungsgelegenheiten, zeigen Initiative, um gegebene Situationen zu verändern, und halten ihre Handlungsabsicht so lange aufrecht, bis eine aus ihrer Sicht sinnvolle Veränderung erreicht ist. Crant (2000) definiert proaktives Verhalten als die Übernahme von Initiative mit dem Ziel, die gegenwärtigen Umstände zu verbessern oder neu zu ordnen, wobei der Status quo in Frage gestellt wird und keine passive Anpassung an die gegenwärtigen Verhältnisse stattfindet.
2
Beispiel Aktive Gestaltung der eigenen Lebensbedingungen
Menschen mit stark ausgeprägter Proaktivität suchen nach Informationen und Gelegenheiten, um die Dinge ihrer Umgebung zu verbessern, und warten nicht passiv ab, bis sich Gelegenheiten ergeben und bestimmte Informationen zu ihnen gelangen. Menschen mit gering ausgeprägter Proaktivität zeigen lediglich ein geringes Ausmaß an Initiative und tendieren insgesamt eher dazu, sich passiv an die Bedingungen ihrer Umgebung anzupassen, als sie durch eigene Handlungen zu verändern.
Herr T. und Frau M. sind als gemäßigt proaktiv einzustufen. Wäre Herr T. ein proaktiver Mensch, würde er sehr zügig auf eine Rückmeldung durch seinen Vorgesetzten gedrängt haben und hätte sich nicht mit den wenigen Auskünften zufrieden gegeben, die er von ihm erhalten hat. Möglicherweise hätte er das Unternehmen auch bereits verlassen, weil er aktiv eine neue Position gesucht hätte. Wäre Frau M. ein proaktiver Mensch, wäre sie ihrem Auftraggeber möglicherweise zuvorgekommen und hätte mit ihm über Möglichkeiten der Verringerung ihres Engagements für das Unternehmen gesprochen. z
Optimismus
Die Erforschung des Optimismus und der erlernten Hilflosigkeit ist vor allem mit dem Namen Martin Seligman verbunden. Seligman hatte im Rahmen verschiedener Versuche ein Phänomen entdeckt, aufgrund dessen er davon ausgehen musste, dass Tiere und Menschen unter bestimmten Umständen lernen, dass sie keinen Einfluss auf Situationen oder ihren weiteren Verlauf haben (Seligman 1986). In der Regel sind das Situationen, die durch eigenes Handeln nicht ausreichend beeinflusst werden können. Im Zuge seiner Untersuchungen fand Seligman heraus, dass die meisten Personen dazu neigen, den erfahrenen Kontrollverlust zu generalisieren und auch auf andere Situationen zu übertragen, in denen sie aber tatsächlich Einflussmög-
2.2 • »Employability«/Beschäftigungsfähigkeit
lichkeiten haben. Diese Personen bleiben dann passiv und warten ab, dass sich die Situation auch ohne ihr Zutun ändert. Es gibt jedoch auch eine Reihe von Personen, die immer versuchen, Situationen, die ihnen nicht gefallen, zu verändern, und die die Erfahrung der eigenen Einflusslosigkeit nicht akzeptieren. Diese Personen nennt Seligman »Optimisten«. Er konnte in einer Reihe wissenschaftlicher Studien nachweisen, dass sich für optimistische Menschen neben deutlichen positiven Effekten in Bereichen wie der Gesundheit auch in schwierigen beruflichen Kontexten positivere Entwicklungen ergeben als für weniger optimistische Menschen (vgl. Seligman 2001). Optimistische Menschen haben die Möglichkeit, über gegebene Situationen hinauszublicken. Während Seligman (2001) betont, dass pessimistische Menschen die Realität besser einschätzen können, neigen optimistische Menschen eher dazu, die Realität und ihre Möglichkeiten positiver wahrzunehmen, als sie tatsächlich ist. Offenbar ist es gerade die Orientierung an den positiven Entwicklungsmöglichkeiten, die den Optimismus zu einer zentralen Ressource bei der Bewältigung problematischer Situationen macht.
Wäre Herr T. ein optimistischer Mensch, würde er in seiner Situation vermutlich deutlich weniger Zukunftsängste entwickeln und wäre durch das Management-Audit und seine Ergebnisse weniger aus der Bahn geworfen. Er würde die Haltung seines Vorgesetzten ihm gegenüber nicht unbedingt als negatives Anzeichen eines ihn einbeziehenden kurz bevorstehenden Personalabbaus interpretieren, sondern auch Anzeichen für eine gewisse Distanziertheit des Vorgesetzten gegenüber den Feststellungen des externen Beraters bemerken. Wäre Herr T. ein Optimist, würde er sich vielleicht auch mit der Möglichkeit der Kündigung beschäftigen. Gleichzeitig würde er aber auch bereits damit beginnen, Pläne für die Zeit danach zu machen. Als Pessimist würde Herr T. zunächst grüblerisch in der von ihm wahrgenommenen entwertenden Situation verharren; er würde erst dann damit beginnen, neue Pläne zu machen, wenn ihm die ihn betreffende Entscheidung des Unternehmens eröffnet würde. z
Selbstwirksamkeitserwartung
Die Selbstwirksamkeitserwartung ist eine Einschätzung darüber, wie gut man mit schwierigen Situationen umgehen kann (Bandura 1977). Definition Der zentrale Punkt der Selbstwirksamkeitserwartung ist die Überzeugung, sich auch in einer schwierigen Situation durchsetzen zu können und das gesetzte Ziel zu erreichen. Personen mit höherer Selbstwirksamkeitserwartung entscheiden sich für schwieriger zu erreichende Ziele und geben bei Schwierigkeiten weniger leicht auf.
27
2
Sicht der positiven Entwicklungsmöglichkeiten
28
Kapitel 2 • Voraussetzungen einer gestaltenden Orientierung
Vertrauen in die eigenen Fähigkeiten
Sie wirkt sich steuernd auf das Handeln und auf das Fällen von in die Zukunft weisenden Entscheidungen aus. Im beruflichen Kontext übt die Selbstwirksamkeitserwartung einen direkten Einfluss auf persönliche berufliche Entscheidungen aus, die sowohl den beruflichen Alltag als auch die berufliche Laufbahn betreffen (Lang-von Wins 1997). Die Erwartung der eigenen Selbstwirksamkeit lässt sich gut auf die Wahl von beruflichen Tätigkeiten übertragen. Speier (1994) konnte in einer Analyse von Längsschnittdaten zeigen, dass sich die arbeitsbezogene Selbstwirksamkeitserwartung positiv auf die Komplexität der ausgeübten Tätigkeit auswirkt. Personen mit höherer Selbstwirksamkeitserwartung wählen sich Arbeitskontexte aus, die durch schwierigere Aufgaben gekennzeichnet sind. Die Erwartungen der eigenen Selbstwirksamkeit stellen im Endeffekt einen Kern der beruflichen Selbstselektion dar, da sie einer Einschätzung darüber entsprechen, ob bestimmte Berufe oder Arbeitsstellen aus ihrer eigenen Sicht zu einer Person passen. In der Psychologie wird eine hohe Selbstwirksamkeitserwartung allgemein als ein Anzeichen und eine Voraussetzung gelungener Anpassung gewertet (vgl. Maddux u. Lewis 1995). Verfügte Frau M. über die Erwartung, auch mit schwierigen Situationen gut umgehen zu können, würde sie den Konflikt nicht so deutlich empfinden, den das Ansinnen ihres Auftraggebers bei ihr ausgelöst hat. Sie würde zunächst versuchen, ihre eigenen Ziele trotz der erhöhten Schwierigkeiten offen anzusprechen und daher zügig den Kontakt mit den ihr wichtigen Menschen in den unterschiedlichen Lebensbereichen suchen, um zu einer schnellen Lösung der einander widersprechenden Ansprüche zu kommen. Würde es sich ergeben, dass ihr Auftraggeber ihr keine weiteren Aufträge erteilen würde, wäre sie zuversichtlich, ihre bestehenden Interessen so auszubauen, dass sie sich zu einer tragfähigen Grundlage für ihre weitere Berufstätigkeit entwickeln würden.
Wahrnehmung von Situation und eigenen Möglichkeiten
Diese kurze Darstellung hat gezeigt, dass die persönliche Anpassungsfähigkeit aus einer Reihe unterschiedlicher Dispositionen und Deutungsmuster von Personen besteht, die ineinander greifen. Wichtig erscheint vor allem, dass die Überzeugung, etwas tun zu können, Schwierigkeiten zu bewältigen, oder die Hoffnung auf einen positiven Ausgang einer problematischen Situation unsere Wahrnehmung leitet. Je nachdem, ob wir von unseren Fähigkeiten überzeugt sind, ob wir grundsätzlich an einen guten Ausgang glauben und daran, an Schwierigkeiten zu wachsen, werden wir dieselbe Situation vollkommen anders wahrnehmen, als ein Mensch, der meint, die Situation übersteige seine Möglichkeiten. Er wird vor allem das Bedrohliche sehen, das, was für ihn zu schwierig sein wird, um es produktiv zu bewältigen, und sich der Situation umso eher ausliefern.
2
Fazit
2.3 • Eigene Werte als Orientierungsgrundlage
29
2
Die Erforschung dieses Denkens hat in der Psychologie mittlerweile eine lange Tradition. Lazarus (Lazarus u. Launier, 1981) hat mit seiner Formulierung des transaktionalen Stressmodells die Gedanken der persönlichen Anpassungsfähigkeit insofern vorweggenommen, als er den Prozess formulierte, der einer – aus unserer Sicht – produktiven oder unproduktiven Anpassung zu Grunde liegt. Dabei kommt der Einschätzung der eigenen Fähigkeiten, auf konkrete Situationen oder Bedrohungen adäquat reagieren zu können, eine ausschlaggebende Rolle zu. Wenn sich eine Person in einer Situation befindet, die sie als bedrohlich empfindet, in der sie für sich aber keine Möglichkeiten der aktiven Einflussnahme erkennen kann, bleiben ihr aus Lazarus´ Sicht prinzipiell 2 Möglichkeiten: entweder die Situation umzudeuten und die Bedrohung zu verdrängen (»love it«) oder vor den Bedrohungen der Situation auf andere Weise zu fliehen (»leave it«). Wiederholte Erfahrungen eigenen Unvermögens, Einfluss zu nehmen – freilich unter der verschärfenden Bedingung, dass eine »Flucht« nicht möglich ist –, können zur Ursache von erlernter Hilflosigkeit werden: Die eigene Einflusslosigkeit wird zum beherrschenden Prinzip erklärt, das das (Nicht-)Handeln unter schwierigen Bedingungen bestimmt. Die sich gegenwärtig abzeichnenden Bedingungen der Berufslaufbahn bieten mannigfaltige destabilisierende Elemente, die ein deutlich höheres Maß an eigenen Aktivitäten von den Erwerbsfähigen erfordern, als dies bisher der Fall war. Deren persönliche Anpassungsfähigkeit ist aus dieser Perspektive die ausschlaggebende Variable für ihre weitere aktive Teilhabe am Arbeitsleben. Sie ist gleichzeitig eine wesentliche Zielgröße einer kompetenzorientierten Laufbahnberatung.
2.3
Eigene Werte als Orientierungsgrundlage
In engem Zusammenhang mit der Laufbahnidentität sind die eigenen Werte zu sehen. Besonders in komplexen Entscheidungssituationen sind sie wichtige Orientierungspunkte (Schwartz 1992). Es liegt in der Natur von Werthaltungen, dass sie sich im »normalen« täglichen Leben kaum bemerkbar machen. Sie entfalten ihre Kraft in der Regel dann, wenn Situationen eintreten, durch die das ihnen gemäße Handeln bedroht bzw. eine Bedrohung wahrgenommen wird. Wenn wir unterstellen, dass die berufliche Entwicklung von Herrn T. in den vergangenen 10 Jahren von Kontinuität geprägt war und das Unternehmen sich bis auf das letzte Jahr in einer wirtschaftlich stabilen Position befand, hatte Herr T. keinen Grund, sich über die Sicherheit seines Arbeitsplatzes Gedanken zu machen. Im Gegenteil: Es wäre kontraproduktiv gewesen, in einer stabilen und gesicherten Situation über die mögliche Gefährdung des Status quo nachzugrübeln. Seit Herr T. aber die wirtschaftlichen Schwierigkeiten seines Unternehmens erkannt hat, noch mehr, seit er von der bevorstehenden Audi-
Wegweiser in Ausnahmesituationen
30
2
Kapitel 2 • Voraussetzungen einer gestaltenden Orientierung
tierung der Führungskräfte erfahren hat, und schließlich, seit er das Verfahren durchlaufen und sein Ergebnis erhalten hat, macht er sich große Sorgen um seinen Arbeitsplatz. Die Sicherheit seines Arbeitsplatzes erscheint ihm nun akut bedroht. Diese Situation zeigt Herrn T. allerdings nur insofern die Notwendigkeit einer Orientierung auf, als er sich um einen neuen Arbeitsplatz bemühen sollte. Inwieweit er dieser Aufgabe gerecht wird, hängt wesentlich von den Komponenten seiner persönlichen Anpassungsfähigkeit ab. Das Potenzial, das Werten als Orientierungspunkten zukommt, reicht deutlich darüber hinaus. Es bezieht sich nicht nur darauf, kritische Situationen zu vermeiden, sondern auch darauf, positiv bewertete Situationen herbeizuführen. Aus dieser Perspektive sind Werte »Leuchtfeuer des Handelns«. Sie geben auch dann Orientierung, wenn Situationen mehrdeutig sind und uns vor Probleme stellen. Diese Probleme können einerseits darauf zurückgehen, dass das Ziel, an dem sich eigenes aktives Handeln ausrichten könnte, nicht klar genug ist, um aktiv werden zu können. Situationen können aber auch deswegen problematisch sein, weil sie ein Handeln verlangen, das den eigenen Werten widerspricht. Beispiel Die Wirkung von Werten sei kurz am Beispiel von Frau W. veranschaulicht: Frau W. ist Ende 30 und arbeitet seit einigen Jahren als Designerin in einem weltweit tätigen Großkonzern, in dem sie für das Design neuer Produktreihen verantwortlich ist. Diese Tätigkeit ist die bisher dritte Station ihrer beruflichen Laufbahn, die sie vorher in deutlich kleinere Unternehmen geführt hat. Die ersten beiden Unternehmen, in denen Frau W. tätig war, waren durch einen ausgeprägten patriarchalischen Führungsstil geprägt, boten insgesamt aber eine familiäre Arbeitsatmosphäre, mit der Frau W. zufrieden war. Die Arbeiten und Entwürfe Frau W.s sind vielfach ausgezeichnet, sie hat einige bedeutende internationale Wettbewerbe gewinnen können. Weil sie sich weiterentwickeln wollte und zusehends erkannte, dass dies nur in einem großen und international ausgerichteten Unternehmen möglich wäre, nahm sie das Angebot an, in den Großkonzern zu wechseln und dort eine verantwortliche Position zu übernehmen. Anfangs kam sie gut mit ihrer neuen Tätigkeit, den Kollegen und Vorgesetzten zurecht. Das änderte sich, als ihr Abteilungsleiter wechselte und auch der Posten des in der Konzernleitung für den Designbereich zuständigen Vorstands neu besetzt wurde. Der neue Vorstand praktizierte einen neuen und aus Sicht von Frau W. entwertenden Führungsstil, der das Arbeitsklima nachhaltig veränderte. Der neue Abteilungsleiter ist nach Ansicht von Frau W. ein willfähriges Instrument des Vorstands und mehr an seiner eigenen Karriere als an seiner Abteilung interessiert. Für Frau W. sind Fairness, Kreativität und Zuverlässigkeit zentrale Werte, die sie ihrer eigenen Arbeit und dem Umgang mit anderen Menschen zu Grunde legt – gleichzeitig erwartet sie aber auch von anderen, dass sie sich entsprechend verhalten. Das Klima in ihrem
2.3 • Eigene Werte als Orientierungsgrundlage
31
2
Arbeitsumfeld hat sich seit der Neubesetzung des Vorstandspostens vor 9 Monaten so deutlich verschlechtert, dass Frau W. zusehends unter ihrer Arbeit leidet. Es kostet sie immer mehr Mühe, sich für die Arbeit, die sie eigentlich mit großer Leidenschaft betreibt, zu motivieren: Sie kann zunehmend schwerer abschalten, träumt seit etwa einem halben Jahr auch regelmäßig von den ungelösten Konflikten in ihrem Arbeitsumfeld. Sie bemerkt bei sich den wachsenden Wunsch, sich »einzuigeln« und anderen aus dem Weg zu gehen, zumal ein großer Teil ihrer Bekannten und Freunde gleichzeitig Kollegen sind.
Ein psychologisch geschulter Beobachter würde die Anzeichen einer beginnenden Depression erkennen, gleichzeitig würde er nachforschen, worin der Grund der depressiven Gestimmtheit besteht. In der Psychologie gibt es ein sehr einflussreiches Erklärungsmuster für das Zustandekommen von Depressionen, das den fehlenden Einfluss auf die eigenen Lebensumstände in den Mittelpunkt rückt. Es geht dabei jedoch nicht um die objektiv fehlende Möglichkeit, die eigenen Lebensumstände zu gestalten, sondern in erster Linie um die Wahrnehmung der eigenen Möglichkeiten, Einfluss zu nehmen. Darin liegt ein entscheidender Unterschied: Objektiv können Möglichkeiten vorhanden sein, die eigenen Lebensumstände zu verändern und aktiv zu gestalten – werden sie aber nicht als Handlungsmöglichkeiten erkannt, bleiben sie wirkungslos. Wir haben dieses Prinzip u. a. bei der kurzen Erörterung der erlernten Hilflosigkeit oder ihres Gegenteils, des Optimismus, kennengelernt. Optimistische Menschen glauben daran, dass die Situation eine positive Wendung nehmen wird. Dieser Glauben ermöglicht es ihnen zusammen mit einer positiven Selbstwirksamkeitserwartung und einem hohen Grad an Proaktivität, auch in schwierigen Situationen so lange nach Lösungen zu suchen, bis sie gefunden sind, oder zumindest an der Hoffnung festzuhalten, dass sich die Situation zum Besseren ändern wird. Der Fall bei Frau W. liegt jedoch noch etwas komplizierter und hat mit ihren Werten zu tun. Für sie ist einerseits die Freiheit, kreativ arbeiten zu können, eine wesentliche Bedingung für die Freude an ihrer Arbeit und ihre große Leistungsbereitschaft. Sie ist massiv durch das Handeln des neuen Vorstands beeinträchtigt, da er dazu neigt, bei der Arbeit der Designer inhaltlich mitzureden, und er damit ihren Gestaltungsrahmen erheblich einengt. Darin liegt der eigentliche Anlass für ihre schwierige Situation. Verschärft wird dies durch das große Bedürfnis nach materieller Absicherung, das Frau W. davon abhält, die Unsicherheit einer mehr oder weniger wahrscheinlichen Phase der Erwerbslosigkeit in Kauf zu nehmen. Frau W. sucht zum gegenwärtigen Zeitpunkt zwar aktiv nach einer neuen Stelle in einem anderen Unternehmen und überlegt sich auch, ob sie sich nicht grundsätzlich umorientieren und beruflich einen anderen Weg einschlagen sollte. Doch die anfänglichen Misserfolge bei der Suche nach einer möglichst ähnlichen gut bezahlten und interessanten Stelle haben ihre Aktivität rasch erlahmen lassen.
Bedrohung der Werte
32
Kapitel 2 • Voraussetzungen einer gestaltenden Orientierung
2
Konflikt zwischen Werten
Zentrales Kennzeichen einer wertorientierten Auseinandersetzung mit der eigenen Situation ist das Streben nach Verbesserung bzw. Veränderung spezifischer Punkte. Sofern sich eine individuell unterschiedlich große spürbare und unangenehme Differenz zwischen der eigenen Situation und den Ansprüchen an das eigene Leben und Handeln ergibt, entsteht der Druck, diese Situation zu verändern. Je größer die wahrgenommene Differenz ist, desto wichtiger ist es, die Situation zu verändern und entsprechende Ziele zu erarbeiten. Je wichtiger ein Wert ist, desto entschiedener wollen wir das Ziel erreichen, auf das der Wert gerichtet ist (Boehnke, Fuß u. Rupf 2001). Wenn wir zu dem Schluss gelangen, dass wir einen Zustand nicht erreichen oder aufrechterhalten können, der uns aufgrund unserer Wertorientierungen wichtig ist, dann macht uns das unruhig – wir »machen uns Sorgen«. Boehnke et al. (2001) gehen daher davon aus, dass die Sorgen, die sich Menschen machen, differenzierte Rückschlüsse auf ihre Werte und deren Wichtigkeit zulassen. Dabei kann erschwerend hinzukommen, dass in unserem Wertesystem nicht alle Punkte aufeinander abgestimmt sind. Im Fall von Frau W. ergibt sich ein deutlicher Konflikt zwischen ihrer auf Sicherheit bezogenen Werthaltung und den auf Fairness, Offenheit und das eigene Handeln anderen gegenüber bezogenen Werten, der sie letztlich handlungsunfähig macht. Frau W. brachte der Konflikt der für sie wichtigen Ansprüche an ihr eigenes Leben in eine schwierige Situation, die sie nicht aus eigener Kraft lösen konnte. Das Problem nahm schließlich eine so grundsätzliche Bedeutung an, dass Frau W. zunehmend depressiv und in ihrem Handeln passiv wurde. Ihre gegensätzlichen Werte und Ansprüche an das eigene Handeln ermöglichten es ihr nur, im Rahmen der bestehenden Situation zu handeln. Die situative Ursache ihres Konflikts zu beseitigen, war ihr allerdings nicht möglich. Sie beobachtete sehr genau, wie ihre Kollegen mit der neuen Situation umgingen. Deren Versuche, sich mit den Arbeitsbedingungen zu arrangieren, waren für sie in den meisten Fällen nicht mehr als das Aufgeben der Ansprüche an das eigene Handeln und letztlich eine Korrumpierung der eigenen Person, die für sie nicht in Frage kam. Die eigenen Werte sind kein starres Gebilde, das unbeschadet die unterschiedlichen Anforderungen unseres Alltags übersteht. Allerdings darf man sich Werte auch nicht als das Ergebnis der jeweiligen Situation denken, in der wir uns befinden. Sie sind Festlegungen unseres Verhältnisses zur Welt, abstrakte Regeln und Orientierungspunkte, die wir als ein Ergebnis unserer bisherigen Entwicklung betrachten können. Unsere Werte sind integraler Bestandteil und Ausdruck unseres Selbstkonzepts, und auf eine komplexe Weise auch Antrieb unserer Entwicklung. Allerdings ist es möglich, dass wir in Situationen geraten, in denen uns klar wird, dass einige unserer Werte sich in Widerspruch zueinander befinden. Frau W. ist gegenwärtig in einer solchen Situation. Sie steht vor der Aufgabe, Regeln zu definieren, die die widersprüch-
2.3 • Eigene Werte als Orientierungsgrundlage
33
2
lichen Teile der Werte integrieren. Auf diese Weise entstehen zunehmend differenziertere Werte, aus denen sich immer konkretere Richtlinien für zukünftiges Handeln ableiten lassen. Die eigenen Werte zu kennen, hilft dabei, die eigene Identität zu verteidigen und sich aus sich selbst heraus weiterzuentwickeln und nicht auf Gelegenheiten passiv zu reagieren. Fazit Die Bedingungen der Berufsarbeit verändern sich und stellen den Einzelnen vor Entscheidungen, die er bisher nicht oder nicht in diesem Ausmaß treffen musste. Der Mensch steht vor der Aufgabe, eine zunehmend offenere Laufbahn zu gestalten. Die Charakterisierung »offen« meint nicht in erster Linie, dass sich der handelnden Person »alle« Chancen bieten – es lässt sich derzeit noch nicht sicher sagen, wie diese Chancen aussehen und wo ihre Grenzen liegen werden. Zunächst meint der Begriff von der offenen Laufbahn, dass sich die Zahl der Laufbahnübergänge deutlich erhöhen wird – manche Autoren sprechen sogar davon, dass die Zahl der Übergänge theoretisch unbegrenzt sei (z. B. Arthur u. Rousseau 1996; Fugate et al. 2004). Die Grenzen der bisherigen Laufbahnen lösen sich zunehmend auf: Sie werden einerseits durchlässiger (was Chancen bietet) und andererseits weniger gut planbar (was Risiken in sich birgt). Die Anforderungen an die Erwerbsfähigen steigen nicht nur in Hinblick auf die ständige Weiterqualifikation und die Erhaltung des eigenen »Marktwerts«. In weitaus höherem Maß stehen die arbeitenden und arbeitsfähigen Personen vor der Aufgabe, auf der Grundlage der sich verändernden Bedingungen tragfähige Konzepte der eigenen Identität zu entwickeln und gegenüber vielfältigen destabilisierenden Einflüssen zu behaupten. Mehr oder weniger durchgängige Rollenmodelle, an denen man sich bei der Gestaltung der eigenen Laufbahn orientieren könnte, stehen nicht mehr zur Verfügung. Dass die Laufbahn der Zukunft aber dennoch Grenzen haben wird, ist so banal wie sicher. In weitaus größerem Ausmaß als bisher werden diese Grenzen von den Menschen abhängen, die sich auf den Weg machen. Wesentlich für diesen Weg und seine Grenzen wird die persönliche Anpassungsfähigkeit sein: Sie ermöglicht einerseits ein produktives Wachstum auch unter den veränderten Bedingungen der Berufsarbeit und ist andererseits eine wichtige Voraussetzung, um die Laufbahnidentität gegen vielfache Herausforderungen zu verteidigen. Wie wir gesehen haben, sind der Optimismus, die Selbstwirksamkeitserwartung und die Proaktivität ebenso wie die persönlichen Werte zentrale Bestandteile dieser Anpassungsfähigkeit. Sie sind der »Motor«, der uns auf unserem Weg voranbringt, der uns vor Problemen nicht hilflos verharren lässt, sondern uns nach einem Weg suchen lässt, um sie zu meistern. Ein Ansatz der Laufbahnberatung, der diesen neuen Anforderungen gerecht wird, darf sich nicht damit begnügen, Zuordnungen zu Berufsfeldern zu erleichtern oder grundsätzliche Laufbahnentschei-
Erhöhung der persönlichen Anpassungsfähigkeit
34
2
Kapitel 2 • Voraussetzungen einer gestaltenden Orientierung
dungen zu fördern. Zeitgemäße Laufbahnberatung muss den Klienten die Möglichkeit eröffnen, ihre persönliche Anpassungsfähigkeit zu erhöhen und ihre Laufbahnidentität dynamisch weiterzuentwickeln. Ein Berater, der diesen Ansatz verfolgt, könnte auch Herrn T., Frau M. und Frau W. weiterhelfen. Wir arbeiten im folgenden Kapitel grundsätzliche theoretische Ansatzpunkte heraus, denen eine aus unserer Sicht wirkungsvolle Form von Beratung genügen muss. Anschließend stellen wir ein stringentes Konzept einer kompetenzorientierten Kurzberatung vor, das auf dieser Grundlage entwickelt wurde.
35
Ansatzpunkte einer kompetenzorientierten Laufbahnberatung 3.1
Der Kompetenzbegriff – 36
3.2
Laufbahnberatung – 41
3.3
Prozess der Beratung – 47
3.4
Zielkriterien einer kompetenzorientierten Laufbahnberatung – 54
T. Lang-von Wins, C. Triebel, Karriereberatung, DOI 10.1007/978-3-642-20066-3_, © Springer-Verlag Berlin Heidelberg 2012
3
36
3
Kapitel 3 • Ansatzpunkte einer kompetenzorientierten Laufbahnberatung
In diesem Kapitel arbeiten wir auf der Grundlage der bisherigen Überlegungen konkrete Ansatzpunkte einer kompetenzorientierten Laufbahnberatung heraus. Das Kapitel hat im Wesentlichen 5 Teile: Zunächst erläutern wir den Kompetenzbegriff und unser Verständnis von Kompetenz. Danach wenden wir uns der Laufbahnberatung zu und gehen kurz auf unterschiedliche Denkrichtungen ein. Anschließend betrachten wir den Prozess der Beratung näher und beenden das Kapitel mit der Darstellung von Zielkriterien für eine kompetenzorientierte Laufbahnberatung.
3.1
Der Kompetenzbegriff
Warum Kompetenzen? Wir haben bereits festgestellt: Wir befinden uns in einem Prozess der zunehmenden Dynamisierung der Arbeitswelt. Die Zahl der Normalarbeitsverhältnisse ist in den vergangenen Jahren dramatisch gesunken. Die Anforderung, sich beruflich um- und neuorientieren zu müssen, ist für viele Menschen zu einer allgegenwärtigen Konstante geworden. Davon betroffen sind all diejenigen, die im Rahmen eines befristeten Vertrags arbeiten, die selbstständig sind, die eine Zeitarbeitsstelle haben, Menschen, die von Arbeitslosigkeit bedroht sind oder bereits arbeitslos sind, Frauen (seltener auch Männer), die sich nach einer Elternpause neu orientieren müssen oder wollen und darüber hinaus die große Zahl derer, die sich aus eigenem Interesse beruflich verändern möchte. Der gängige Nachweis darüber, welche Tätigkeiten eine Person ausgeführt hat, ist das Arbeitszeugnis. Das Arbeitszeugnis jedoch bedient sich einer oft recht formelhaften Sprache und unterliegt zahlreichen juristischen Restriktionen, die die Ausgestaltungsmöglichkeiten für den Verfasser erheblich einschränken. In solchen formelhaften Aufzählungen einzelner Projekte wird sich kaum ein Hinweis auf wichtige Lernerfahrungen, auf persönlich bedeutsame Ereignisse, auf Kompetenzen und Werthaltungen einer Person finden. Ganz zu schweigen davon, dass ein Arbeitszeugnis nur Arbeitnehmern ausgestellt wird, aber nur wenigen Projektarbeitern und Selbstständigen, und Müttern ganz bestimmt nicht. Die Erkenntnis hat sich inzwischen zum Common Sense entwickelt, dass für den Einzelnen die Notwendigkeit steigt, die unterschiedlichen Stationen der beruflichen Laufbahn als Lerngelegenheiten zu nutzen und einen Nachweis über die erlernten Kompetenzen zu führen, um die eigene Beschäftigungsfähigkeit zu steigern. Analysen der zukünftigen Anforderungen von Arbeitstätigkeiten machen deutlich, dass der Anteil von nicht routinisierbaren und immer neue Lösungen erfordernden Aufgaben steigen wird (vgl. Tractenberg, Streumer u. van Zolingen 2002). Damit wird es für Unternehmen immer wichtiger, verlässliche Informationen über die Problemlösefähigkeiten ihrer Mitarbeiter einzuholen, um sie entsprechend einsetzen zu können.
3.1 • Der Kompetenzbegriff
Die Anforderungen an die Arbeitnehmer werden sich in Zukunft sehr viel stärker in Richtung der im Folgenden aufgeführten Kriterien bewegen, als dies bisher der Fall war (vgl. Tractenberg et al. 2002): 5 Entscheidungen treffen, Probleme lösen und eigenverantwortlich arbeiten 5 In unscharf definierten Arbeitsumgebungen arbeiten 5 Kreativ denken und neue Wege suchen 5 Sich den Beitrag der eigenen Tätigkeit zum Gesamten bewusst machen 5 Die eigene Arbeit, ihren Beitrag zum sie umgebenden System und ihre Bedingungen reflektieren und ein breiteres Verständnis des eigenen Tuns aufbauen 5 Informationen aktiv suchen, interpretieren und organisieren 5 Aktiv in Gruppen agieren 5 Eigeninitiative, Eigenverantwortung und unternehmerisches Handeln
37
3
Zukünftige Anforderungen an Arbeitnehmer
Wir sehen, dass diese Anforderungen Kompetenzen erfordern, die nicht durch formelle Qualifikationen abgedeckt werden. Es werden Eigenschaften von Personen relevant, die schwerer überprüfbar und zu beobachten sind als Mathematiknoten oder das Wissen um bestimmte Sachverhalte und Daten. z
Implizites Lernen
Aufbauend auf den Erkenntnissen der modernen Lernforschung wurde in den vergangenen Jahrzehnten der Wert des impliziten Lernens erkannt – also des Erlernens von Fertigkeiten und Wissen im Alltag und eben nicht in Kursen, Seminaren oder Ausbildungen. Das implizite Lernen besteht letztlich in der Aneignung von Handlungsregeln, um Aufgaben in neuen Kontexten auszuführen. Seriöse Schätzungen gehen davon aus, dass auf diese Weise zwischen 70% und 80% unserer beruflichen Handlungsfähigkeit entstehen (vgl. Laur-Ernst 1999). Kennzeichnend für diese Art des Lernens ist zudem, dass es meist nicht bewusst geschieht. Als Folge davon ist das so entstandene implizite Wissen einer verbalen Kommunikation oder auch nur einer bewussten Reflexion schwer zugänglich. Es wird zum überwiegenden Teil nur dann aktiviert, wenn wir uns in den entsprechenden Handlungskontexten bewegen, und erscheint der handelnden Person nicht als Ressource, sondern wird als selbstverständlich vorhanden hingenommen. Ohne allzu tief in wissenschaftliche Denkmodelle einzusteigen, sollte klar sein, dass es ein Missverhältnis gibt zwischen dem, was wir können, und dem, von dem wir wissen, dass wir es können. Unterstützt wird dieser Zustand durch die gesellschaftlich gültige und kaum ausreichend hinterfragte Praxis, die formalen Ausbildungsnachweisen großen Wert zubilligt, während implizites Wissen in der gesellschaftlichen Diskussion, in Unternehmensrealitäten und schließlich für das Individuum selbst kaum eine nennenswerte Rolle zu spielen scheint.
Wir können mehr, als uns bewusst ist
38
Kapitel 3 • Ansatzpunkte einer kompetenzorientierten Laufbahnberatung
Kommentar Ein konstruktimmanentes Problem: Wie soll implizites Wissen eine nennenswerte Rolle spielen, wenn dieses selbst nicht oder nur äußerst unscharf benannt werden kann?
3
Ein großer Teil der formal erlernten Kenntnisse ist träges Wissen, das wir zwar erlernt haben, das aber ohne klaren Zusammenhang zu unserem Handeln bleibt. In welcher Weise formal nachweisbare Qualifikation und tatsächliches Arbeitshandeln in Verbindung miteinander stehen, ist eine komplexe Forschungsfrage, die an dieser Stelle nicht weiter vertieft werden soll. Wir halten jedoch fest: Hinweis Erfahrungen nutzbar machen
Das unmittelbar handlungsrelevante Wissen und die damit verknüpften Fähigkeiten werden (noch) nicht in den formalen Ausbildungsnachweisen zertifiziert. Für Individuen und Unternehmen ist jedoch das verfügbare Handlungswissen das weitaus interessantere und wertvollere Know-how. Wichtig ist die Organisation und Struktur des Wissens und der Wissensbausteine desjenigen, der Leistungen erbringt. Entscheidend für die Übertragbarkeit und Tiefe der Verarbeitung von Wissen und Handlungsstrategien ist die Breite der Kontexte, in denen es erworben wurde.
z Unscharfer Begriff
Begriff der Kompetenz
Der Begriff der Kompetenz ist nicht eindeutig definiert. Unter Kompetenz verstehen die damit befassten Forscher und Praktiker verschiedene Sachverhalte (vgl. Shippmann, Ash, Battista et al. 2000). Weinert (2001) kam zu der Feststellung, dass ein negativer Zusammenhang zwischen der Popularität des Kompetenzbegriffs und seiner Genauigkeit bestehe. An dieser Erkenntnis hat sich in den letzten 10 Jahren nicht viel geändert. Der Begriff »Kompetenz« hat sich als ein schillerndes Wort etabliert, das als Ersatzbegriff für das Können von Personen dient; darüber hinaus werden Kompetenzen häufig auch als Befugnis, etwas zu tun oder zu entscheiden, betrachtet. Ausgehend von der begrifflichen Herausstellung besonders wichtiger oder zentraler Kompetenzen ließe sich vermuten, dass eine Einschränkung oder Schärfung des Kompetenzbegriffs vorgenommen werden könnte. Doch die Wirklichkeit sieht anders aus: Allein in der deutschsprachigen Aus- und Weiterbildungsliteratur wurden 2003 zumindest 654 unterschiedliche Schlüsselkompetenzen unterschieden (vgl. Lang-von Wins 2003). k Ein Blick in die Historie des Kompetenzbegriffs
Erstmals führte der US-Amerikaner Michael White (1959) den Kompetenzbegriff in die wissenschaftliche Psychologie ein. Er definierte Kompetenzen als »Entwicklung jener Möglichkeiten einer Person, all
3.1 • Der Kompetenzbegriff
die Transaktionen mit ihrer Umgebung durchzuführen, die sie sich selbst erhalten, aber auch wachsen und sich weiterentwickeln lassen« (White 1960, S. 100). 1973 wurde der Kompetenzbegriff durch Whites Landsmann David McClelland populär gemacht, nachdem sich in den 1960er- und 1970er-Jahren die an Zahlen orientierte, empiristische Psychologie als Mainstream durchgesetzt hatte. McClelland (1973) stellte die in dieser Situation provokante Frage: »Warum versuchen wir, Intelligenz zu testen, wenn wir ebenso gut Kompetenzen messen können?«. Was meinte McClelland damit? Intelligenz ist ein abstraktes Konstrukt, das meist zirkulär definiert wird: »Intelligenz ist das, was der Intelligenztest misst.« Die Ausprägung eines solchen Konstrukts kann nach testtheoretischen Gesichtspunkten erfolgen und doch für die Praxis untauglich bleiben. Denn immer muss aus einer abstrakten Zahl auf konkretes Verhalten geschlossen werden, wodurch sich die Frage stellt, warum man nicht einen direkteren Zugang zum Verhalten erlangen kann als die recht umständliche Vorgehensweise der Testung über ein abstraktes Konstrukt wie das der Intelligenz. Gleichzeitig wurde von McClelland und anderen kritisiert, dass es einerseits kein gemeinsames theoretisches Begriffsgebäude für den überaus populären Intelligenzbegriff gebe und dass andererseits in den Tests eine große Nähe zu der Fähigkeit bestand, schulisch erworbenes Wissen und Fähigkeiten abzurufen. Doch man kann davon ausgehen, dass Intelligenz eine Art von tätiger Anpassungsleistung an eine Vielzahl von Umwelten und eben nicht nur an die schulische Umwelt darstellt. Ebenfalls in den 1970er-Jahren befasste sich Piaget (1975) mit Kompetenz und Kompetenzentwicklung vor dem Hintergrund der kognitiven Entwicklung des Menschen. Piaget unterscheidet 3 Arten von Kompetenzen: 5 Die Fähigkeit, überhaupt Kompetenzen entwickeln zu können – Lernfähigkeit 5 Die Kompetenz des »epistemischen Subjekts«, die die idealisierte Kompetenz der »Gattung Mensch« bezeichnet (Piaget 1975, S. 305) – also der Möglichkeitshorizont menschlicher Kompetenz im Allgemeinen. 5 Die individuelle Kompetenz - die Ausformung der individuellen Kompetenzen, in der auch die Individualität an sich begründet liegt. Kompetenzentwicklung ist nach Piaget außerdem »das Resultat der reflektierenden Abstraktion und der Interaktion zwischen Subjektund Umweltstruktur, die eine Konstruktion neuer Strukturen auf einer jeweils höheren Ebene mit sich bringt« (Gillen 2006, S. 65). Eine andere definitorische Überlegung zum Kompetenzkonstrukt stellt der Psycholinguist Noam Chomsky (1972) an. Chomsky unterscheidet zwischen den Begriffen Kompetenz und Performanz.
39
3
40
Kapitel 3 • Ansatzpunkte einer kompetenzorientierten Laufbahnberatung
3
Voraussetzung für erfolgreiches Handeln
Als Performanz bezeichnet Chomsky beobachtbares Verhalten, das nicht mit der dahinterstehenden Kompetenz identisch ist. Kompetenz bezeichnet hingegen die Voraussetzung für situationsangemessenes Verhalten. Kompetenzen lassen sich also nicht direkt beobachten. Nur aus der Performanz kann man auf die dahinterliegende Kompetenz schließen. Aufsetzend auf diesen Vorüberlegungen hat in der Psychologie in den vergangenen Jahren der Kompetenzbegriff nach Erpenbeck u. von Rosenstiel (2003) weithin Beachtung gefunden, die Kompetenzen als »Selbstorganisationsdispositionen« bezeichnen. Kompetenzen sind demnach Voraussetzungen von Menschen für erfolgreiches Handeln in zieloffenen Situationen. Eine entscheidungsoder zieloffene Situation erfordert eine komplexer ausgeprägte Kompetenz als eine Situation, in der ein automatisiertes Handlungsprogramm aktiviert werden kann. Kompetenzen sind also individuelle, auf das Subjekt bezogene Konstrukte und keine unmittelbar überprüfbaren Größen (Ant 2004, S. 142). Ganz im Sinne Chomskys kann nur aufgrund der Performanz oder aufgrund von Selbstauskünften auf die dahinterliegende Kompetenz rückgeschlossen werden. Die Kompetenz selbst jedoch entzieht sich dem unmittelbaren Zugriff. k Kompetenzdefinitionen: Zwischenstand
Wie bereits festgestellt, ist der Kompetenzbegriff mit zahlreichen Ungenauigkeiten behaftet. Hier eine kurze Zusammenfassung darüber, was Kernmerkmale von Kompetenzen sind: 5 Kompetenzen können bislang – vielleicht auch a priori – nicht verbindlich definiert werden. 5 Kompetenz ist nicht nur ein psychologisches Konstrukt, sondern auch eine gesellschaftliche Größe, denn Aussagen über Kompetenzen bezeichnen immer auch den Wert dieser Kompetenzen oder der jeweiligen Kompetenzinhaber innerhalb einer Gesellschaft. 5 Kompetenzen lassen sich nicht objektivierend messen, da weder Einigkeit über den Kompetenzbegriff noch über die einzelnen Bestandteile von Kompetenz besteht. 5 Objektivierende Kompetenzmessungen messen nach den oben dargestellten Überlegungen zur Beschaffenheit von Kompetenzen etwas, das gar nicht als Kompetenz bezeichnet werden kann. 5 Da Kompetenzmessung immer auch subjektivierend erfolgt, ist die Feststellung von Kompetenzen immer auch eine Intervention beim Kompetenzträger. Als kleinsten gemeinsamen Nenner der angestellten Überlegungen halten wir eine Arbeitsdefinition von Kompetenzen fest:
3.2 • Laufbahnberatung
41
3
Definition Kompetenzen sind Befähigungen, mit neuen Situationen und bisher unbekannten Handlungsanforderungen erfolgreich umgehen zu können (Erpenbeck u. von Rosenstiel 2003). Sie konstituieren sich in einem komplexen Wechselspiel von Wissen, Überzeugungen und Handlungstendenzen (Weinert 2001).
Damit sind Kompetenzen mehr als nur Wissen oder Fertigkeiten, mehr als Qualifikationen oder erlerntes Wissen. 5 Sie sind das, was uns dazu bewegt, in einer neuen oder unbekannten Situation auf bestimmte Weise aktiv zu werden (Metakompetenzen oder Handlungskompetenzen). 5 Sie sind das, was uns dazu befähigt, zu guten Lösungen von neuen Problemen in fachlichen Kontexten zu kommen (Fachkompetenz). 5 Sie befähigen uns dazu, in sozialen Kontexten erfolgreich zu handeln (soziale Kompetenz). 5 Sie ermöglichen uns bei der erfolgreichen Kombination von Methodenwissen und Handlungsstrategien (Methodenkompetenz) zur Lösung von fachübergreifenden Problemen zu gelangen. 5 Kompetenzen sind außerdem Kombinationen aus Merkmalen der kognitiven Leistungsfähigkeit, spezifischen Wissensbausteinen, domänenspezifischen Handlungs- und Problemlösestrategien, motivationalen Tendenzen, volitionalen Kontrollinstanzen – also derjenigen Mechanismen, die für die Aufrechterhaltung einer Handlung sorgen –, persönlichen Werten und sozialen Verhaltensweisen (Weinert 2001), die Menschen dazu befähigen, die Anforderungen bestimmter Rollen, Situationen oder Aufgaben erfolgreich zu erfüllen (personale Kompetenzen). Definition Kompetenzen sind aus dieser Sicht zunächst Kombinationen kognitiver, motivationaler oder sozialer Fähigkeiten oder Potenziale, wobei auch moralisch-ethische Komponenten eine wichtige Rolle spielen. Kompetenzen sind in ihrer jeweiligen Ausprägung in komplexe Handlungssysteme eingebettet und lassen sich daher nicht durch grundlegende kognitive Fähigkeiten oder einfache Fertigkeiten charakterisieren (Lang-von Wins 2003; Weinert 2001).
3.2
Laufbahnberatung
» … the ability to managing one’s career, to choose one’s life career goals, learning and working experiences in order to maintain career sustainability, becomes one of the most crucial strategic skills to be
Fundierung des Kompetenzbegriffs
42
Kapitel 3 • Ansatzpunkte einer kompetenzorientierten Laufbahnberatung
mastered, and a growing number of workers may need orientation and support to develop these skills. (Tractenberg et al. 2002, S. 91)
«
Wir haben uns bisher nur implizit mit einem Begriff auseinander gesetzt, der für unsere Belange grundlegend ist: dem der Laufbahn. Es sollte bereits deutlich geworden sein, dass wir für einen umfangreichen Laufbahnbegriff eintreten, der eine vertikale Karriere nur als eine von vielen Möglichkeiten betrachtet. Im Folgenden werden wir uns nach einem kurzen Überblick über grundsätzliche traditionelle Ansätze der Laufbahnberatung auf neuere Herangehensweisen konzentrieren.
3
z Passung von Person und Beruf
Denkrichtungen
Die systematische Laufbahnberatung beginnt nach Einschätzung der meisten Autoren mit Parsons, der 1908 das Bureau of Vocational Guidance in Boston gründete. Für ihn musste eine Laufbahn- oder Berufsberatung den folgenden Bedingungen genügen (Parsons 1909): Sie musste auf einer klaren Vorstellung der Person von sich selbst, den eigenen Fähigkeiten und Interessen, den zur Verfügung stehenden Ressourcen, den Wünschen und Zielen, aber auch den persönlichen Grenzen aufbauen. Sie beruhte weiter auf einer klaren Kenntnis der Erfolgs- und Misserfolgsbedingungen, der Aussichten und Beschränkungen unterschiedlicher Berufsfelder und sollte schließlich über eine gründliche Reflexion eigener Voraussetzungen und beruflicher Bedingungen zu einer abgewogenen und – wie er es nannte – vernünftigen Entscheidung führen. Auf die Überlegungen von Parsons gehen auch die heute geltenden Paradigmen der Laufbahnberatung im Kern zurück. Die bei ihm bereits aufscheinende Passungshypothese wurde 5 Jahrzehnte später zum Kern der einflussreichen Berufswahltheorie von Holland, die er in späteren Veröffentlichungen weiter entwickelte. Vielen Theorien, die zu wichtigen Impulsgebern für die Laufbahnberatung geworden sind, ist die Grundannahme gemeinsam, dass Menschen aufgrund bestimmter Persönlichkeitsmerkmale oder Interessen bestimmte Berufe wählen, in denen sie dann mehr oder weniger zufrieden werden. Das Ausmaß der Zufriedenheit hängt dabei ab von dem Grad der Übereinstimmung zwischen den Bedingungen der beruflichen Tätigkeit und den eigenen Präferenzen. Der Fokus dieser Ansätze liegt auf der Person; das Ziel des Beratungsprozesses liegt darin, den »richtigen«, also passenden Beruf zu finden. Die implizite Vorstellung einer kontinuierlichen Laufbahn, die diesen Gedanken zu Grunde liegt, ist den Bedingungen heutiger Berufstätigkeit jedoch nicht mehr angemessen. Sie erscheint zu statisch in einer sich mit großer Dynamik verändernden Welt. Diese Thematik wurde bereits in den vorhergehenden Kapiteln kurz angerissen, wegen ihrer grundsätzlichen Bedeutung kommen wir im nächsten Abschnitt nochmals darauf zurück. Zunächst aber stellen wir die Kerngedanken der anderen Ansätze kurz im Überblick vor.
3.2 • Laufbahnberatung
Ein Kernmerkmal des traditionellen Denkens in der Berufsberatung liegt in der Konzentration darauf, warum Menschen bestimmte Berufe wählen. Entsprechend dieser grundsätzlichen Frage wurden zunächst Ansätze entwickelt, die nach Entsprechungen der persönlichen Interessen und Begabungsschwerpunkte von Menschen in Berufen suchten. Der Schwerpunkt der Beratung richtete sich am Befriedigungswert des ausgeübten Berufs aus. Auf der Grundlage der Militäreignungsdiagnostik wurde aber auch nach Entsprechungen von bestimmten Persönlichkeitsmerkmalen mit den Anforderungsdimensionen von Berufen gesucht. Der Schwerpunkt richtete sich in diesem Fall an der Eignung der zu beratenden Personen für einen Beruf aus. Damit ist eine grundsätzlich andere Orientierung im Beratungsprozess verbunden: Im ersten Fall richtet sich der Fokus grundsätzlich auf die Person und ihre Belange, während die Beratung im zweiten Fall auf die Anforderungen der Arbeit zielt und damit einen Außenmaßstab in den Mittelpunkt rückt. Neben diesem grundsätzlichen Unterschied dominierten jedoch die Gemeinsamkeiten: Beide Ansätze richteten sich im Wesentlichen an objektivierten Testergebnissen aus. Dass diese Denkrichtungen den gegenwärtigen Entwicklungen nicht mehr angemessen sind, haben wir in den vorhergehenden Kapiteln dargestellt. Tractenberg et al. (2002) gehen davon aus, dass sich die Lebensrealitäten der Klienten in einem Ausmaß und einer Geschwindigkeit verändern, die die Anpassungsfähigkeit der Berater und Theoretiker bei weitem übersteigt – wobei die Berater ihre Vorgehensweisen und Modelle schneller den sich verändernden Notwendigkeiten anpassen können, als Theoretiker und Wissenschaftler dazu im Stande sind. Die Ursache dafür liegt in der Natur wissenschaftlicher Arbeit begründet: Eine neue Theorie aufzustellen, zu prüfen und gegebenenfalls zu modifizieren, ist wesentlich aufwändiger, als angesichts veränderter Bedarfe neue Methoden für den Beratungsprozess zu entwickeln oder bereits bestehende Methoden neu in die Beratung zu integrieren. Angesichts des vielfach festgestellten Paradigmenwechsels in der Laufbahnberatung stellt sich aber die Frage, ob es überhaupt neue Ansätze gibt, die auf eine zeitgemäßere Vorstellung von Laufbahnberatung zurückgreifen. Im folgenden Abschnitt werden wir einige neuere Konzepte vorstellen, die Klienten heute und in Zukunft dabei unterstützen können, ihren Weg zu finden. Diese Ansätze versuchen, eine ganzheitliche Sicht der Klienten zu ermöglichen, die deutlich über die mit dem Einsatz standardisierter Testwerte verbundene, reduktionistische Sichtweise hinausgeht. Dies ist nur im Rahmen einer Vorgehensweise möglich, die die Person des Klienten in den Mittelpunkt stellt.
43
3
Dynamische Berufsbedingungen verlangen dynamische Beratungsansätze
Entwicklung theoretischer Ansätze hält nicht Schritt
44
Kapitel 3 • Ansatzpunkte einer kompetenzorientierten Laufbahnberatung
z
Die Grundlagen eines ganzheitlichen, personenzentrierten Ansatzes der Laufbahnberatung
»
Among other contents, career interventions must include activities to promote the development of self-esteem and ego-strength, purposefulness, self-management and life-career planning skills, job search skills, and skills to cope with career transitions and unemployment (…) Such interventions will require the application of methods and techniques different from the ones used for assessing interests and personality traits. (Tractenberg et al. 2002, S. 95)
3
«
Biografische Gestaltungsfähigkeit als Ziel
Ganzheitliche Perspektive
Neue Laufbahnberatungsansätze sollten sich entsprechend des einleitenden Zitats verstärkt auf diejenigen Fähigkeiten konzentrieren, die dem lebenslangen Lernen, der Lebens- und Laufbahnplanung und dem Ausbau und der Aufrechterhaltung der Beschäftigungsfähigkeit dienen. Sie sollten darüber hinaus präventiven Charakter haben, d. h. den Klienten dabei helfen, ihre Laufbahn selbst zu gestalten (Tractenberg et al. 2002). Eine Verankerung der beruflichen Planung in der Lebensplanung der Klienten wird dafür als wichtige Voraussetzung betrachtet. Damit verändert sich auch die Rolle des Laufbahnberaters von einem Experten für berufliche Wege und dem dafür notwendigen Weiterbildungskanon hin zu einem Coach, der dem Klienten dabei hilft, für sich Strategien und Pläne zur Gestaltung von Arbeit und Leben zu erarbeiten. Aufgabe des Beraters ist es unter dieser veränderten Zielsetzung vor allem, die persönliche Anpassungs- und Entscheidungsfähigkeit der Klienten zu stärken. Häufiger werden neue Beratungsansätze auch als Interventionen betrachtet, die theoretische Ansätze und methodisch-beraterische Zugänge in Hinblick auf einen optimalen Nutzen des Klienten einsetzen. Auch klientenzentrierte Vorgehensweisen entsprechen manchen traditionellen Ansätzen der Laufbahnberatung; die von Holland formulierte und mit den Jahren angepasste persönliche Laufbahntheorie ist ein Beispiel für eine klientenzentrierte Vorgehensweise in der Laufbahnberatung, die eine starke Schule begründet hat. In den modernisierten Fassungen (Holland 1996) legt er seiner Theorie konstruktivistische Annahmen zu Grunde. Er geht von persönlichen Laufbahntheorien aus, die Überzeugungen und Lernerfahrungen von Menschen repräsentieren. Diese persönlichen Laufbahntheorien beziehen sich sowohl auf die eigene Laufbahn als auch im Sinne generalisierter Überzeugungen auf den Beruf und die Bedingungen beruflichen Erfolgs. Neuere Ansätze der Laufbahnberatung beschränken sich entsprechend eines weiten Laufbahnbegriffs nicht mehr darauf, einen neuen Arbeitsplatz oder ein Berufsfeld zu finden. Der Ruf nach »ganzheitlichen« Beratungskonzepten wird von immer mehr ernst zu nehmenden Wissenschaftlern und Praktikern geäußert (z. B. Hall 2004; Lovén 2003; Savickas 1993). Dies hängt damit zusammen, dass Beratungsansätze, die sich nur auf bestimmte Ausschnitte der Person beziehen,
3.2 • Laufbahnberatung
45
3
aber Empfehlungen zur Gestaltung der beruflichen Laufbahn geben wollen, als nicht mehr sinnvoll empfunden werden. Eine ganzheitliche Perspektive sollte die Laufbahn nicht von psychosozialen Belangen trennen, da die gegenwärtigen Entwicklungen Anpassungen in vielen – nicht nur unmittelbar arbeitsbezogenen – Bereichen notwendig machen. Zunehmend wird auch der familiäre Kontext zu einer Größe, die Laufbahnentscheidungen beeinflusst. Die Unsicherheit der Klienten, die mit der »entgrenzten Laufbahn« und der Notwendigkeit, Entscheidungen zu treffen, verbunden ist, spielt in der Laufbahnberatung möglicherweise eine Schlüsselrolle. Ähnlich wie Fugate et al. führen Lee u. Johnston (2001) den »neuen« Auftrag der Laufbahnberatung auf verschiedene, miteinander in Beziehung stehende, psychosoziale Bereiche zurück, die in der Beratung ihren Platz finden müssen. Es sind im Wesentlichen 3 Kernpunkte, die den Auftrag an die »neue« Laufbahnberatung ausmachen: 1. Die Unterstützung der Anpassungsleistungen, die in der Folge (und in der Antizipation) von größerer Unsicherheit und möglicher Erwerbslosigkeit notwendig werden 2. Der aufgrund einer zunehmend selbst gestalteten Laufbahn notwendige Aufbau der Komponenten der persönlichen Anpassungsfähigkeit (u. a. Optimismus, Offenheit, Selbstwirksamkeitserwartung, internale Kontrollüberzeugungen, Proaktivität) 3. Die Ausrichtung der Beratung auf Aufbau, Wahrung und Stabilität der Identität des Klienten Diese 3 Punkte können nicht voneinander getrennt werden: Sie beeinflussen sich gegenseitig. Eine zeitgemäße Form der Laufbahnberatung muss sich an allen diesen Kriterien orientieren. Die Umsetzung dieser Forderung in die Beratungspraxis führt zu einer fortschreitenden Auflösung der Grenzen zwischen Laufbahn- und Lebensberatung sowie zwischen Beratung und Intervention. Laufbahnberatung lässt sich angesichts der Entwicklungen in beruflich relevanten Bereichen kaum noch als eine isolierte und auf eindeutig berufliche Belange beschränkte Beratungsleistung verstehen. Das liegt daran, dass nicht nur die Wechselwirkungen von Beruf und nichtberuflichem Leben so vielfältig sind, sondern der Klient vor der schwierigen Aufgabe steht, die in den unterschiedlichen Kontexten gemachten Erfahrungen sinnvoll zu integrieren. Um dies zu erreichen, ist eine vertrauensvolle Beziehung zwischen Berater und Klienten notwendig, die es zulässt, dass sowohl der außerberufliche als auch der berufliche Werdegang der Klienten bearbeitet werden kann. Für den Berater ergibt sich daraus der Auftrag, den Klienten möglichst als ganze Person – nicht nur als arbeitenden Menschen – zu betrachten und zu reflektieren. Lee u. Johnston (2001) sprechen in diesem Zusammenhang sehr treffend von der »menschlichen Laufbahn«, die zum Gegenstand der Beratung gemacht werden müsse. »These aspects include the roles a person fills (such as employee, parent, community member), the settings in which they
Grenzen zwischen Laufbahnund Lebensberatung verwischen
46
Kapitel 3 • Ansatzpunkte einer kompetenzorientierten Laufbahnberatung
Stärken der Klienten betonen
3
operate (home, work, school), and the events that impact their life (first job, marriage, illness, retirement)« (Lee u. Johnston 2001, S. 179). In einem richtungweisenden Buch zu den Grundlagen der Laufbahnberatung weisen Gysbers, Heppner u. Johnston (1998) darauf hin, dass ein solcherart ganzheitlicher Ansatz sich vor allem auf die Stärken der Klienten ausrichten müsse. Wie auch der Auftrag an die »neue« Laufbahnberatung deutlich macht, ist der Aufbau des Gestaltungspotenzials der Klienten das Kernziel der Beratungsleistung. Das bedeutet, dass die Laufbahnberatung heute und in Zukunft deutlich über die bloße Feststellung eines momentanen Zustands hinausgehen muss, wie es noch den traditionellen Ansätzen entsprach. Sie muss sich vielmehr auf die Frage konzentrieren, wie das in den Klienten und ihrem Umfeld liegende Potenzial geweckt werden kann, um die Gestaltung einer lebenswerten Zukunft zu fördern. In einer zusammenfassenden Würdigung des ganzheitlichen, personenzentrierten Ansatzes schreiben Lee u. Johnston (2001, S. 179): »This positive approach is particularly important in an environment that demands more flexibility, resilience, and openness to learning than ever before«. Beispiel In den Fällen von Herrn T. und Frau M. würde ein ganzheitlicher Beratungsansatz versuchen, über die gegenwärtig schwierige berufliche Situation hinauszugehen und den weiteren Lebenskontext mit einzubeziehen. Gerade im Fall von Frau M. bietet sich diese Vorgehensweise ohnehin an. Ihr Problem geht zum einen zurück auf das schwierige Verhältnis von Beruf und Familie, zum anderen auf ein Entscheidungsdilemma, welche ihrer Tätigkeiten sie zu Lasten der anderen weiter ausbauen soll. Eine Herausarbeitung der bedeutsamen Ereignisse ihres Lebens und ihrer Stärken kann die notwendige Grundlage der Orientierung bilden. Für Herrn T., dessen Vertrauen in die eigenen Fähigkeiten in der gegenwärtigen Situation empfindlich erschüttert ist, stellt eine Rückbesinnung auf seine Stärken und die wesentlichen Ziele seines bisherigen Lebens eine Möglichkeit dar, wieder festen Boden unter die Füße zu bekommen und sich weiter zu orientieren. Auch für Frau W. könnte ein an der Gesamtsicht der Person orientierter Beratungsansatz die notwendige Unterstützung bieten, um die lähmende Entscheidungsunsicherheit zu überwinden und ihre Ursachen zu erkennen.
z Individuelle Lerngeschichte
Soziale Lerntheorie der Laufbahnentwicklung und die sozial-kognitive Prozesstheorie
Die soziale Lerntheorie der Laufbahnentwicklung (Krumboltz, Mitchell u. Jones 1976) bezieht sich auf die Gedanken der sozial-kognitiven Lerntheorie Banduras und versucht, sie auf den Kontext der beruflichen Laufbahn zu übertragen. Sie geht in ihrem Kern davon aus, dass soziale Lernprozesse Wahlentscheidungen beeinflussen können, die mit der beruflichen Entwicklung zusammenhängen. Es
3.3 • Prozess der Beratung
47
3
wird vermutet, dass im Rahmen sozialer Lernprozesse generalisierte Überzeugungen über das Selbst und die eigenen beruflichen Möglichkeiten erlernt werden. Damit wird die persönliche Entwicklung im Sinne einer individuellen Lerngeschichte bzw. eines Erwerbs von unterschiedlichen Überzeugungen über die eigenen Möglichkeiten zu einem zentralen Bezugsrahmen. Der sozial-kognitive Ansatz der Berufsberatung basiert auf der Laufbahntheorie von Lent, Brown u. Hackett (1994) und ist in seinen Grundannahmen von der sozial-kognitiven Lerntheorie Banduras abgeleitet. Es handelt sich um ein validiertes Prozessmodell, das auf Selbstwirksamkeits- und Ergebniserwartungen fokussiert ist. Zentral ist die Annahme, dass eine positive Ausprägung von Selbstwirksamkeits- und Ergebniserwartungen sich günstig auf die Erarbeitung von Laufbahninteressen auswirken.
3.3
Prozess der Beratung
Traditionell legen Beratungsmaßnahmen im Bereich der beruflichen Förderung einen Fokus auf die Stärkung bestimmter Qualifikationen – dieses Verständnis bezieht sich stärker auf formale als auf persönliche, prozessbezogene Ressourcen. Diese traditionelle Herangehensweise ist, wenn man es vor dem Hintergrund der sich verstärkenden Dynamik auf dem Arbeitsmarkt betrachtet, auf keinen Fall ausreichend, da auch die erworbenen Qualifikationen immer rascher veralten. > Wichtig Es ist nötig, der Dynamik wiederum mit einem dynamischen Ansatz zu begegnen.
Gegenwärtig wird versucht, im Zusammenhang mit nationalen Qualifikationsrahmen, die an die Grundforderungen eines europäischen Qualifikationsrahmens angebunden sind, den statischen Ansatz der vergangenen Jahre zugunsten einer beschreibenden Einordnung von Kompetenzen zurückzunehmen. Dabei steht jedoch kein ganzheitliches, an der Person orientiertes Vorgehen im Vordergrund, sondern eine Darstellung der berufsrelevanten Fähigkeiten (AK DQR, 2010), die durch die kompetenzorientierte Darstellung die Chancen von Arbeitnehmern in prekären Arbeitsverhältnissen verbessern helfen soll. In den vergangenen Jahren ist in der Beratungspraxis eine Vorgehensweise sehr populär geworden, die die skizzierten Kriterien von ressourcenaktivierender und kompetenzorientierter Beratung zu erfüllen beansprucht und die mit dem zum Modewort avancierten Begriff »Coaching« bezeichnet wird. Rauen (2003) bietet eine Definition von Coaching an, die verdeutlicht, dass dieser Ansatz eine klar abgrenzbare Form der Beratung ist, die sich psychologisch begründen lässt:
Qualifikationen veralten rasch
48
Kapitel 3 • Ansatzpunkte einer kompetenzorientierten Laufbahnberatung
»
– Coaching ist ein interaktiver, personenzentrierter Beratungs- und Betreuungsprozess, der berufliche und private Inhalte umfassen kann. Im Vordergrund steht die berufliche Rolle bzw. damit zusammenhängende aktuelle Anliegen des Klienten. – Coaching ist individuelle Beratung auf der Prozessebene, d. h. der Coach liefert keine direkten Lösungsvorschläge, sondern begleitet den Klienten und regt dabei an, wie eigene Lösungen entwickelt werden können. – Coaching findet auf der Basis einer tragfähigen und durch gegenseitige Akzeptanz und Vertrauen gekennzeichneten, freiwillig gewünschten Beratungsbeziehung statt, d. h. der Klient geht das Coaching freiwillig ein und der Coach sichert ihm Diskretion zu. – Coaching zielt immer auf eine (auch präventive) Förderung von Selbstreflexion und -wahrnehmung, Bewusstsein und Verantwortung, um so Hilfe zur Selbsthilfe zu geben. (Rauen 2003, S. 68–69)
3
«
z
Eigene Ressourcen entdecken
Ressourcenaktivierende Beratung
Das Prinzip der Ressourcenaktivierung verfolgt das Ziel, Personen eine realistische, (selbst)wirksame, zielgerichtete und positive Veränderung zu ermöglichen. Der Klient soll dazu angeregt werden, möglichst aktiv zu werden und seine eigenen Belange und Ressourcen zu erforschen. Es mutet zwar wie ein beratungspsychologischer Allgemeinplatz an, dennoch ist es wichtig, festzuhalten, dass der Klient der Experte für die eigenen Lebenszusammenhänge ist. Psychologische Beratungen, welche innerhalb eines relativ kurzen Zeitraumes ressourcenaktivierend wirksam sein wollen, sollten ihren Fokus grundsätzlich auf die Ressourcen des Klienten und nicht auf vorhandene Probleme richten. Dies bedeutet eine klare Abgrenzung zum klassischen, eher konflikt- und damit defizitorientierten Vorgehen psychologischer Beratungen. Das Ziel ressourcenorientierter oder -aktivierender Beratungsprogramme liegt darin, den Klienten ihre persönlichen Ressourcen sichtbar und damit gezielt für die Gestaltung der eigenen Biografie nutzbar zu machen. Die klassischen, im Zusammenhang mit der aktiven und erfolgreichen Gestaltung des eigenen beruflichen Werdegangs genannten psychologisch relevanten Ressourcen sind etwa die Selbstwirksamkeitserwartung oder die Proaktivität. Zu beiden Konstrukten liegt mittlerweile ein großer Fundus an Arbeiten vor, der ihre zentrale Rolle bei Anpassungsprozessen betont.
»
Als Ressource kann jeder Aspekt des seelischen Geschehens und darüber hinaus der gesamten Lebenssituation (…) aufgefasst werden, also z. B. motivationale Bereitschaften, Ziele, Wünsche, Abneigungen,
3.3 • Prozess der Beratung
49
3
Interessen, Überzeugungen, Werthaltungen, Geschmack, Einstellungen, Wissen, Bildung, Fähigkeiten, Gewohnheiten, Interaktionsstile, physische Merkmale (…), finanzielle Möglichkeiten und das ganze Potential der zwischenmenschlichen Beziehungen eines Menschen. Die Gesamtheit all dessen stellt, aus der Ressourcenperspektive betrachtet, den Möglichkeitsraum eines Patienten dar, in dem er sich gegenwärtig bewegen kann, oder, anders ausgedrückt, sein positives Potential, das er in den Veränderungsprozess einbringen kann. (Grawe 2000, S. 34)
«
Überzeugungen, Erwartungen und das Wissen von Menschen können als ein dynamisches System aufgefasst werden, das sich aus den Kompetenzerfahrungen in Leistungssituationen ergibt (vgl. Weinert 2001). Gleichzeitig beeinflussen diese Elemente wiederum Handeln und Leistung dadurch, dass sie einen Bezugsrahmen für die Interpretation von Handlungsanforderungen und -schwierigkeiten zur Verfügung stellen. Grundsätzliche Erwartungen wie z. B. der Optimismus, allgemeine oder domänenspezifische Überzeugungen wie die Selbstwirksamkeitserwartung oder generalisierte motivationale Tendenzen wie die Proaktivität von Menschen nehmen in diesem Prozess eine wichtige Funktion ein, da sie bereits die Wahrnehmung neuer Situationen über die mit eigenem Handeln verbundenen Ergebniserwartungen steuern. > Wichtig Kompetenzen bilden notwendige Voraussetzungen für das Erlernen von effizienten Handlungsregeln und sind damit Grundlage einer aktiven Anpassung an neue Situationen. Kompetenzen können aufgefasst werden als biografische Sinneinheiten und Selbstorganisationspotenzial für Gegenwart und Zukunft.
Zentral für die Erarbeitung von Kompetenzen ist ein idiosynkratischer Ansatz, der die Lebensbiografie in den Mittelpunkt stellt. Im Rahmen der Aufarbeitung biografischen Materials fällt es leichter, die komplexen Sinn- und Deutungseinheiten aufzulösen, in denen Kompetenzen sichtbar werden. Eine ganz wesentliche Rolle sowohl beim Erwerb von Kompetenzen als auch für deren Wirkung als Ressourcen kommt der Selbstreflexion zu, die als Metakompetenz aufgefasst werden kann. > Wichtig Das Generieren produktiver selbstreflexiver Prozesse zählt daher zu den wichtigsten Zielen eines ressourcenaktivierenden Vorgehens. Ein ebenfalls sinnvoller und bedeutsamer Teil der ressourcenaktivierenden Beratung ist es, Ziele zu erarbeiten, die auf den Lebenszielen und Grundmotiven gründen.
Kompetenzen sind erfahrungsbezogen
50
Kapitel 3 • Ansatzpunkte einer kompetenzorientierten Laufbahnberatung
Das Ressourcenkonzept von Hobfoll
3
Hobfoll (1998), ein amerikanischer Psychologe, der sich intensiv mit den Bedingungen und Folgen von Stress und Extremtraumatisierung auseinander setzt, entwickelte ein einflussreiches Konzept von Ressourcen. Aus seiner Sicht sind Ressourcen Objekte, Bedingungen, Persönlichkeitsmerkmale und Energien, die für die individuelle Daseinsvorsorge von zentraler Bedeutung sind. Im Rahmen einer dreistufigen Hierarchie unterscheidet Hobfoll zwischen 4 grundlegenden, unentbehrlichen Ressourcen, 4 sozialen oder sozial bedingten Ressourcen und 4 symbolischen Ressourcen.
Inhaltliche Nähe von Ressourcenund Kompetenzkonzept
Die grundlegenden und unentbehrlichen Ressourcen beziehen sich auf Nahrung, Kleidung und anderen Schutz wie z. B. Unterkunft und auf personaler Ebene auf die Fähigkeiten, diese Ressourcen zu erwerben und zu behalten. Soziale oder sozial bedingte Ressourcen beziehen sich auf alle Formen sozialer Unterstützung (z. B. im Familien- oder Freundeskreis) und auf die Fähigkeiten, sich diese Ressourcen zu erschließen, sie zu nutzen und auszubauen. Symbolische Ressourcen schließlich beziehen sich in Form von symbolisch-abstrakten Bezügen auf die beiden vorgenannten Formen von Ressourcen (z. B. Status im Unternehmen, sozialer Status). Sie sind vom Konzept dem sozialen
Kapital ähnlich, das der französische Philosoph und Soziologe Bourdieu als Teil seiner theoretischen Überlegungen postuliert. Interventionen beziehen sich in Hobfolls Konzept darauf, 4 Ressourcen auf- und auszubauen, 4 das Management der zur Verfügung stehenden Ressourcen zu fördern sowie 4 Ressourcen zu fördern und Ressourcenverlust in kritischen und schwierigen Situationen präventiv zu verhindern. Vor allem der letzte Punkt hat sich in den vergangenen Jahren zum Hauptarbeitsfeld von Hobfoll entwickelt (Gerstenmaier 2003).
Es wird deutlich, dass der Kompetenzbegriff in enger Beziehung zu dem Ressourcenkonzept von Hobfoll (1998) steht (s. Exkurs ▶ Das Ressourcenkonzept von Hobfoll). Kompetenzen können als die in der Person liegenden Ressourcen verstanden werden, die es ihr ermöglichen, neue Handlungsprogramme zu entwickeln und neue, außerhalb der Person liegende Ressourcen zu erschließen. > Wichtig Eine kompetenzorientierte Beratung kann immer auch als eine ressourcenorientierte und im besten Falle als eine ressourcenaktivierende Beratung verstanden werden. z
Narrativ-konstruktivistische Ansätze
Neuere Ansätze der Laufbahnberatung richten ihre Aufmerksamkeit auf die Lebensgeschichte der Klienten und auf die Sinn- und Bedeutungskonstruktionen, die mit bestimmten Ereignissen oder Lebensthemen verbunden sind. Gerstenmaier (2003) führt aus, dass solche als konstruktivistisch bezeichneten Beratungsansätze weitgehend auf der von Rogers begründeten humanistischen Beratungspsychologie fußen, die in ihren Grundzügen bereits als konstruktivistisch verstanden werden kann. Rogers (1959) konzentriert sich in seiner klientenzentrierten Therapie darauf, ob das Selbstkonzept einer Person einen Bezugsrahmen zu bilden vermag, in welchen sich aktuelle Erfahrungen adäquat integrieren lassen. Entsteht Inkongruenz zwischen Selbstkonzept und Erfahrungen, so ist eine Aktualisierung des Selbstkonzepts erforderlich. Der Therapeut unterstützt den Klienten
3.3 • Prozess der Beratung
darin, diese Aktualisierung vorzunehmen. Die Aktualisierung lässt sich als Re- oder auch Neukonstruktionsprozess verstehen. Auch die nondirektive Ausrichtung vor dem Hintergrund einer nicht von Hierarchien geprägten Beziehung zwischen Berater und Klient weist deutliche Merkmale solcher Überlegungen auf, die für zeitgenössische Ansätze konstitutiv sind. Als unterschiedliche Akzentuierungen dieser Richtung lassen sich der radikalkonstruktivistische, der sozialkonstruktivistische und der sozial-kognitive Ansatz unterscheiden. Während sich der radikale Konstruktivismus eher mit erkenntnistheoretischen Fragen nach dem Wahrheits- und Objektivitätsgehalt von Wissen und Erfahrung beschäftigt und somit kaum konkrete Ansatzpunkte für die Beratung geben kann, befassen sich sozialkonstruktivistische Ansätze mit der Identität von Personen, mit deren Erfahrungen und der Zielvorstellung einer »Lebenskohärenz« (Keupp et al. 2002, S 61). »Ausgangspunkt solcher Überlegungen ist die Vorstellung, dass wir alle in einer sozial konstruierten Welt leben und Wissen, Bedeutungen und auch soziale Probleme Ergebnisse solcher gemeinsamer Wirklichkeitskonstruktionen sind« (Gerstenmaier 2003, S. 6; nach Gergen 2001). Die für die Praxis der Beratung inzwischen zum am stärksten verbreiteten Ansatz avancierte sozial-kognitive Sichtweise wurde bereits weiter oben in diesem Kapitel in ihren Kernpunkten umrissen (7 Abschn. 3.2, »Soziale Lerntheorie der Laufbahnentwicklung und die sozial-kognitive Prozesstheorie«). Die sich aus der Theorie ergebenden Beratungsansätze zielen im Wesentlichen auf eine Verbesserung der Selbstwirksamkeitserwartungen, auf die von der Person verwendeten Coping-Stile sowie auf das Hinterfragen bzw. auch Re- und Neukonstruieren mentaler Umweltmodelle. Gerstenmaier hält folgende 3 Merkmale einer konstruktivistischen Perspektive fest (nach Gerstenmaier 2003, S. 7 f): 5 Ausgangspunkt ist die Fähigkeit des Individuums zu aktivem Handeln und Selbststeuerung als Basis für die Konstruktion von Wissen. 5 Wissen wird erfahrungsbasiert konstruiert, Kontexte werden also unterschiedlich wahrgenommen und genutzt. 5 Interventionen und Beratung dienen zur Unterstützung selbstaktiven Handelns, zur Förderung von Selbstorganisation und zur Vertiefung gemeinsam geteilten Wissens in Gruppen. > Wichtig Konstruktivistisch orientierte Laufbahnberatungsansätze arbeiten mit unterschiedlichen Methoden, die Zugänge zur Lebens- und Erlebenswelt der Klienten eröffnen. z
Ansätze einer lösungsorientierten Beratung
Aus einer therapeutischen Bewegung, die sich auf wirkungsvolle Kurztherapien konzentrierte, sind einige Ansätze entstanden, die
51
3
Arten konstruktivistischer Ansätze
Grundannahmen konstruktivistischer Beratung
52
Kapitel 3 • Ansatzpunkte einer kompetenzorientierten Laufbahnberatung
3
Konzentration auf Stärken
für den Prozess der Beratung im Allgemeinen und der Laufbahnberatung, wie wir sie hier verstehen, bedeutende Einsichten bieten. Die verbindende Grundannahme dieser Beratungsansätze liegt in der Betonung positiver Aspekte im Leben der Klienten. Die lösungsorientierte Beratung (z. B. de Shazer 1985; de Shazer et al. 1986), eine zunehmend verbreitete Kurztherapie, begreift sich als Alternative zu einem traditionell problemfokussierten Umgang mit Belastungen und psychischen Problemen. Sie repräsentiert eine Gruppe von Verfahrensweisen, deren Ausrichtung als nichtpathologisch und gesundheitsbezogen charakterisiert werden kann und die die Stärken bzw. Kompetenzen von Personen betont. Die Grundannahme der lösungsorientierten Beratung ist salutogenetisch ausgerichtet. Das bedeutet, dass die lösungsorientierte Beratung auf der Annahme basiert, dass der Mensch über selbstheilende Kräfte verfügt, die aktiviert werden können. Sie geht davon aus, dass die Kompetenzen, die das Individuum besitzt, ihm dabei helfen, positive Veränderungen zu bewirken. Im Zentrum der lösungsorientierten Beratung steht daher das Bestreben, bei den Klienten die Fähigkeit zu stärken, ihre Kompetenzen einzusetzen. Die Rolle des Beraters wird definiert als die eines unterstützenden Begleiters, der dem Klienten die Möglichkeit gibt, den Prozess zu steuern. Er fungiert nicht als der Experte für die Lösung der Probleme des Klienten, sondern lediglich als Experte in Hinblick auf bestimmte Methoden, die er dem Klienten anbieten kann, um individuelle Lösungen zu finden. Im Rahmen des Beratungsprozesses werden die Kompetenzen des Klienten gestärkt, auf ihrer Grundlage werden realistische und erreichbare Verhaltensziele formuliert. Das Ziel der lösungsorientierten Beratung ist es, im Beratungsprozess Lösungen zu formulieren und nicht Probleme zu lösen – damit verbunden ist die Umorientierung von einer Problemfokussierung hin zu einer Ausrichtung auf für die Lösung von Problemen notwendige Voraussetzungen. De Shazer (1988) geht davon aus, dass es zur Lösung eines Problems häufig nicht notwendig ist, viel über die Natur des Problems zu wissen. Er argumentiert, dass die Kenntnis über die Probleme häufig unabhängig vom und irrelevant für den Prozess ihrer Lösung sei. Diese Argumentation zeigt Parallelen zu den Konstrukten der persönlichen Anpassungsfähigkeit und speziell des Optimismus auf. Im Kern dieser Konstrukte stehen Befähigungen von Personen – man könnte sie auch Metakompetenzen nennen –, die sich allgemein auf das Überwinden von Schwierigkeiten und Problemen beziehen. Folgerichtig wird eine Stärkung der persönlichen Anpassungsfähigkeit (Fugate et al. 2004) oder des Optimismus (vgl. Seligman 2001) als ein Ziel von wirkungsvollen Interventionen betrachtet, die sich auf eine Stärkung der beruflichen Gestaltungsfähigkeit der Klienten beziehen. Im Rahmen der lösungsorientierten Beratung werden die Klienten u. a. dazu aufgefordert, für ihre Situation Geschichten mit positivem Ausgang zu finden und zu erzählen, um daraus mögliche Lö-
3.3 • Prozess der Beratung
sungswege abzuleiten (McLeod 2004). Die dahinterstehende Technik wird als »miracle question« bezeichnet (Lewis u. Osborn 2004): Der Klient soll sich eine Zukunft vorstellen und von ihr berichten, in der seine gegenwärtigen Probleme nicht länger existieren. Die lösungsorientierte Beratung ist ein humanistischer Ansatz, der auf gegenseitigem Respekt und der Annahme beruht, dass in jedem Menschen Ressourcen vorhanden sind, die zur Lösung von Problemen aktiviert werden können. Das humanistische Menschenbild der lösungsorientierten Beratung geht darüber hinaus davon aus, dass die Klienten selbst die für sie besten Entscheidungen treffen können (vgl. Lewis u. Osborn 2004). Eine weitere der lösungsorientierten Beratung sehr ähnliche Vorgehensweise ist das »motivational interviewing«. Zu den Schlüsselelementen des »motivational interviewing« gehört das Stärken der Verantwortung der Klienten sowie der Selbstwirksamkeit und des Optimismus durch den Berater. Auch in diesem Beratungsansatz liegt der Schwerpunkt darauf, die Anpassungs- und Gestaltungsfähigkeit der Klienten zu stärken. Das Ziel des Beratungsprozesses ist es, bei den Klienten eine aktive Selbstverantwortung zu wecken, die in die Entscheidung mündet, eine belastende Situation zu verändern. Getragen wird der Prozess von unterschiedlichen Regeln, die sich in ihrem Kern darauf beziehen, möglichst uneingeschränkte Empathie durch den Berater herzustellen. Der Berater soll möglichst alle Handlungen vermeiden, die bei dem Klienten zu Reaktanz oder einer defensiven Haltung führen könnten, und alle Handlungen unternehmen, die mit größerer Offenheit einhergehen. Wenn den Klienten bewusst wird, dass sie ihre Situation verändern wollen, ist es Aufgabe des Beraters, ihre Erwartungen und Hoffnungen zu stärken, durch ihr Handeln erfolgreich zu sein. Im Rahmen des »motivational interviewing« sollen vom Berater keine Diagnosen erstellt oder ausgesprochen werden, da sie das partnerschaftliche Verhältnis zwischen Klient und Berater deutlich erschweren würden. Eine diagnostizierende Benennung eines Problems, das der Klient eigentlich überwinden möchte, stellt zudem ein wesentliches Hindernis für eine in die Zukunft gerichtete Veränderung dar, da sie den gegenwärtigen problematischen Zustand überbetont und damit die Möglichkeit der positiven Veränderung ausklammert. Beide Beratungsansätze konzentrieren sich auf die gut funktionierenden Anteile im Leben der Klienten. Durch diese Ausrichtung an den positiven Möglichkeiten versuchen beide Ansätze, Impulse zu geben, die den Klienten dabei helfen, ihr Leben wieder »in den Griff« zu bekommen. Sie folgen sozial-konstruktionistischen Gedanken, die davon ausgehen, dass soziale Realität durch Kommunikation und die dafür gewählten Worte erzeugt wird. Bei der Methode des »motivational interviewing« wird versucht, im Gespräch mit den Klienten verschiedene positive Alternativen zur gegenwärtigen Situation zu generieren, um so Perspektiven zu schaffen, die über eine Lösung hinausgehen. Der Vorteil dieses Denkens liegt auf der Hand: Eine
53
3
Selbstverantwortung wecken
Ziel ist die Einleitung positiver Veränderungsprozesse
54
3
Kapitel 3 • Ansatzpunkte einer kompetenzorientierten Laufbahnberatung
Lösung für ein Problem schließt automatisch andere Lösungen aus – im Verlauf von komplexen Handlungen wird aber manchmal eine Umorientierung notwendig (weil sich z. B. die Situationen ändern oder weil die Lösungen noch nicht vollständig durchdacht waren). Wem mehrere Alternativen zur Verfügung stehen, der ist in seinem Handeln flexibler und steht weniger vor Schwierigkeiten, die ihn möglicherweise dazu bringen, aufzugeben und wieder in seine alten Denkmuster zurückzufallen. Beide Verfahren zielen auf die Einleitung positiver Veränderungsprozesse, die durch die gezielte Förderung der motivationalen Grundlagen in Gang gebracht werden sollen (Lewis u. Osborne 2004). Auch die Ausrichtung auf die Kompetenzen und Ressourcen der Klienten ist eine wichtige Gemeinsamkeit beider Verfahren. Schließlich betonen beide Methoden, dass die Verantwortung für die Veränderung bei den Klienten liegt und nicht bei den Beratern. Dieser Punkt erscheint auch im Licht neuerer Arbeiten zur Laufbahnberatung (z. B. Lang-von Wins u. Triebel 2005; Lovén 2003) wesentlich für den Prozess der Beratung. Häufig erwarten die Klienten am Anfang oder im Verlauf eines Beratungsprozesses Lösungen, die der Berater für sie entwickelt – diese Vorschläge zeichnen sich aber dadurch aus, dass die Klienten ihnen wesentlich weniger verbunden sind als von ihnen selbst erarbeiteten Lösungen. Gleichzeitig sind die Vorschläge des Beraters deutlich weniger tragfähig, da sie weniger Aspekte der sozialen und psychischen Realität der Klienten mit einbeziehen können.
3.4
Zielkriterien einer kompetenzorientierten Laufbahnberatung
Was sollten psychologische Beratungsangebote bieten? Die verbreitete klassische Berufsberatung hat letztlich statische Annahmen über die Passung bestimmter Personenattribute zu bestimmten beruflichen Umwelten zu ihrer zentralen Argumentationsgrundlage gemacht. Dieses Vorgehen ist so lange sinnvoll, als damit nicht die konkrete Empfehlung für bestimmte Berufe oder Berufsfelder verbunden ist. Denn die entsprechenden Ratschläge gehen weitgehend noch von dem Bild stabiler Berufe aus, die sich spezifischen Neigungen bzw. Begabungen von Personen zuordnen lassen. Der Erfolg von Laufbahnberatung ist von den damit verbundenen Zielen abhängig. Diese Ziele können – gemäß den genannten unterschiedlichen Beratungsansätzen – objektivierender oder subjektivierender Art sein. Hohner (2006, S. 41ff.) unterscheidet 5 Dimensionen, in denen jeweils individuelle Ziele einer erfolgreichen Laufbahnberatung verortet werden können: 1. Beruflicher Aufstieg, hohes Einkommen und Prestige 2. Sinnstiftende und befriedigende Berufstätigkeit 3. Hohe Arbeits- und Lebensqualität
3.4 • Zielkriterien einer kompetenzorientierten Laufbahnberatung
55
3
4. Beschäftigungsfähigkeit 5. Berufliche Autonomie Wenn die Prognosen über die künftige Entwicklung der Arbeitsmärkte und individuellen Berufsverläufe zutreffen und auch die Interpretationen der gegenwärtigen Situation nicht grundsätzlich fehlerhaft sind, dann sollte eine wirksame psychologische Intervention nicht alleine in der Rückmeldung von mehr oder weniger abstrakten Interessen und Begabungen bestehen, die im Rahmen testender Verfahren festgestellt wurden. Vielmehr sollten entsprechende Interventionsmaßnahmen es sich zum Ziel machen, direkt an den persönlichen Ressourcen der Klienten zu arbeiten und sie für notwendige Anpassungsprozesse zu aktivieren. Das Prinzip der Ressourcenaktivierung verfolgt das Ziel, Personen eine realistische, (selbst)wirksame, zielgerichtete und positive Veränderung zu ermöglichen. Der Klient soll dazu angeregt werden, möglichst aktiv zu werden und seine eigenen Belange und Ressourcen zu erforschen. Die Feststellung, dass der Klient der alleinige Experte für die eigenen Lebenszusammenhänge ist, was gelegentliche kritische Rückfragen durch den Berater nicht ausschließen soll, mutet zwar wie ein Allgemeinplatz an, ist aber für den Beratungserfolg wesentlich. Psychologische Beratungen oder Coachingprogramme, welche innerhalb eines relativ kurzen Zeitraums ressourcenaktivierend wirksam sein wollen, sollten ihren Fokus grundsätzlich auf die Ressourcen und nicht auf vorhandene Probleme richten. Dies bedeutet eine klare Abgrenzung zum klassischen eher defizitorientierten Vorgehen psychologischer Beratungen. Das Ziel ressourcenorientierter oder ressourcenaktivierender Beratungsprogramme sollte darin liegen, den Klienten ihre persönlichen Ressourcen sichtbar und damit gezielt für die Gestaltung der eigenen Biografie nutzbar zu machen. Die klassischen in Zusammenhang mit der aktiven und erfolgreichen Gestaltung des eigenen beruflichen Werdegangs genannten psychologisch relevanten Ressourcen sind etwa die Selbstwirksamkeitserwartung oder die Proaktivität – zu beiden Konstrukten liegt mittlerweile ein großer Fundus an Arbeiten vor, der ihre zentrale Rolle bei Anpassungsprozessen betont. Traditionell legen Beratungsmaßnahmen im Bereich der beruflichen Förderung aber einen Fokus auf die Stärkung bestimmter Qualifikationen – das Ressourcenverständnis bezieht sich stärker auf formale Ressourcen als auf eine Stärkung der persönlichen, prozessbezogenen Ressourcen. Dieses traditionelle Verständnis ist, wenn man es vor dem Hintergrund der sich verstärkenden Dynamik auf dem Arbeitsmarkt betrachtet, auf keinen Fall ausreichend, da auch die erworbenen Qualifikationen immer rascher veralten. Es ist nötig, der Dynamik wiederum mit einem dynamischen Ansatz zu begegnen. Fassen wir die dargestellten theoretischen Überlegungen zusammen, so kommen wir auf folgende Thesen, die als die Eckpunkte für
Personen zu positiver Veränderung befähigen
Traditionelle Ansätze sind zu statisch
56
Kapitel 3 • Ansatzpunkte einer kompetenzorientierten Laufbahnberatung
Kernsätze der kompetenzorientierten Laufbahnberatung
3
die Entwicklung einer Methode zur kompetenzorientierten Laufbahnberatung betrachtet werden können: 5 Der Prozess der Reflexion über die eigene Biografie und damit über die eigenen Fertigkeiten, Fähigkeiten und Kompetenzen ist eine Messung, die tief in das zu messende System eingreift und in hohem Maße Interventionscharakter hat. 5 Durch die geleitete Reflexion der eigenen Biografie findet eine Rekonstruktion statt, die in hohem Maße das Bild der Teilnehmer von sich selbst beeinflusst. 5 Divergenz zwischen existierenden Fähigkeiten und dem individuellen Glauben an die eigenen Fähigkeiten kann eine elementare Barriere für die individuelle Laufbahnentwicklung darstellen. 5 Die stärkenorientierte Rekonstruktion der eigenen Biografie wird von den teilnehmenden Personen als positiv erlebt, 5 Kompetenzen sind geeignete Konstrukte, um eine Biografie so zu strukturieren, dass sie als sinnvoll und kohärent verstanden und erlebt wird. 5 Durch eine stärkenorientierte Rekonstruktion des eigenen Lebens werden die Selbstwirksamkeits- und Ergebniserwartungen der Personen gestärkt, 5 Selbstwirksamkeit ist domänenspezifisch – folglich kann die Selbstwirksamkeit nicht als Generalfaktor beeinflusst werden. In der Folge davon muss eine Exploration von Fertigkeiten, Fähigkeiten und Kompetenzen in möglichst vielen Bereichen stattfinden, um möglichst effektiv zu sein. 5 Der Prozess der Kompetenzexplorierung ist im Dialog effektiver als ohne einen Dialogpartner. 5 Eine kompetenzorientierte Laufbahnberatung, die sowohl eine Explorierung der eigenen Vergangenheit als auch eine Zielexplorierung umfasst, hat einen nachhaltigeren Effekt auf die Selbstwirksamkeitserwartungen als eine Laufbahnberatung, die keine Ziele exploriert, 5 Personen, die ihre Kompetenzen benennen und belegen können, können ihre Laufbahninteressen besser formulieren als solche, die nicht dazu in der Lage sind, ihre Kompetenzen darzustellen, 5 Der Ansatz der kompetenzorientierten Laufbahnberatung ist dem Feld sozial-kognitiver Beratungsansätze zuzurechnen und kann somit als konstruktivistisch bezeichnet werden. 5 Kompetenzorientierte Laufbahnberatung ist stets auch ressourcenorientierte und ressourcenaktivierende Beratung.
57
Eine Methode der kompetenzorientierten Laufbahnberatung: Die Kompetenzenbilanz 4.1
Was ist die Kompetenzenbilanz? – 58
4.2
Ziele – 59
4.3
Das Verfahren – 60
4.3.1 4.3.2
Rahmenbedingungen – 61 Einführungsworkshop bzw. Einführungsgespräch – 62 Ziele – 62 Ablauf – 63 1. Coaching – 67 Gesprächsbeginn – 67 Zielklärung – 68 Besprechung des Lebensprofils – 69 Besprechung der Fertigkeiten – 74 Abschluss des Gesprächs – 85 2. Coaching – 86 Begrüßung und Eröffnung des Gesprächs – 86 Besprechung der Fertigkeiten – 86 »Finden« von Kompetenzen und Zuordnen zu den Kompetenzbereichen – 90 Abschluss des Gesprächs – 103 3. Coaching – 107 Gesprächsbeginn und Überblick über das Gespräch – 107 Besprechen der Kompetenzen und der dazu dokumentierten Belege – 109 Besprechen des Lebenslaufs – 110 Ergänzen fehlender Informationen – 110 Erarbeiten von nächsten Schritten und Zielen – 111 Abschluss des Prozesses – 120
4.3.3
4.3.4
4.3.5
4.4
Schriftliche Kompetenzdokumentation – 121
4.5
Der Coach – 133
T. Lang-von Wins, C. Triebel, Karriereberatung, DOI 10.1007/978-3-642-20066-3_, © Springer-Verlag Berlin Heidelberg 2012
4
58
Kapitel 4 • Eine Methode der kompetenzorientierten Laufbahnberatung: Die Kompetenzenbilanz
4.1
Erfahrung aus 10.000 Coachings
4
Bilanzierung oder Intervention?
Was ist die Kompetenzenbilanz?
Die Kompetenzenbilanz bildet als in sich geschlossenes Verfahren mit einer festgelegten Dramaturgie, innerhalb derer ein sehr klar strukturiertes Methodenset bearbeitet wird, den Kern der kompetenzorientierten Laufbahnberatung. Die Kompetenzenbilanz ist ein Coachingverfahren, das in erster Version 2003 im Auftrag des Zukunftszentrums Tirol entwickelt worden ist. Seitdem gab es zahlreiche Weiterentwicklungen der Methode. Es wurden Beratungsprodukte für Existenzgründer, Verfahren für Gruppen und speziell angepasste Vorgehensweisen für Jugendliche und Menschen mit Migrationshintergrund entwickelt. Es wurden Fortbildungen für unterschiedliche Zielgruppen entwickelt und mit hunderten von Coaches durchgeführt, und die Methoden wurden in öffentlich geförderten Einrichtungen wie im privatwirtschaftlichen Bereich bei insgesamt etwa 10.000 Personen angewandt. Auf die Derivate der Kompetenzenbilanz und die unterschiedlichen Zielgruppen werden wir in 7 Kap. 5 noch ausführlicher eingehen. Da die Kompetenzenbilanz die Wurzel der unterschiedlichen Anwendungsformen kompetenzorientierter Laufbahnberatung bildet, wird das Verfahren an dieser Stelle ausführlich dargestellt. Die Kompetenzenbilanz beruht in Theorie und Methode auf den bislang dargestellten Annahmen. Es handelt sich also um eine praktische Umsetzung des Konzepts einer kompetenzorientierten Laufbahnberatung und ist als Weg zu verstehen, in sehr kurzer Zeit (3 Coaching-Sitzungen) eine umfassende Erfassung und Beschreibung der Kompetenzen der Teilnehmer zu ermöglichen und darüber hinaus gemeinsam mit ihnen nächste Schritte und Ziele zu erarbeiten. Dies gelingt, weil das Vorgehen sehr stark strukturiert ist und den Teilnehmern und den Coaches einen verbindlichen Rahmen vorgibt, der Gesprächsinhalte und -themen im Detail gliedert. Wie bereits auch aus der theoretischen Grundlegung klar geworden sein sollte, werden in der Kompetenzbilanzierung weder diagnostische Fragestellungen behandelt, noch werden Kompetenzen lediglich festgestellt. Die Kompetenzenbilanz ist eine psychologische Intervention, die mitunter erhebliche positive Veränderungen bei der beratenen Person hervorrufen kann – wir wollen es an dieser Stelle bei dem allgemeinen und nicht wertenden Begriff der Veränderung belassen und an späterer Stelle darauf eingehen, worin solche Veränderungen bestehen. In welchen Bereichen und in welchem Maße die Kompetenzenbilanz nicht nur als nüchternes Ziehen einer Bilanz (im Sinne einer Aufrechnung von Positiva und Negativa) einer Person zu verstehen ist, sondern auch als Intervention wirksam ist, wird in 7 Kap. 5 erörtert.
4.2 • Ziele
4.2
4
Ziele
Vor dem Hintergrund der in den ersten Kapiteln dargestellten Überlegungen wurde im Jahr 2003 in Kooperation mit dem Zukunftszentrum Tirol ein Verfahren entwickelt, das die zentralen Kompetenzen der Teilnehmer sichtbar machen kann. Im Laufe der Auftragsklärung wurden folgende Ziele für die Entwicklung des Verfahrens zur Kompetenzbilanzierung formuliert: Die Teilnehmer 5 erkennen ihre Stärken und Entwicklungspotenziale, 5 haben größeres Selbstbewusstsein und besseres Selbstwertgefühl, 5 können ihre Arbeitszufriedenheit sowie Motivation und Erfolg steigern, weil sie entsprechend ihrer Fähigkeiten und Präferenzen eingesetzt werden können, 5 können ihre Karrierechancen bzw. ihre Attraktivität auf dem Arbeitsmarkt verbessern, 5 können sich neue Tätigkeitsfelder erschließen. Vor dem Hintergrund der inzwischen langjährigen Erfahrung mit dem Verfahren kann bestätigt werden, dass es gelungen ist, den gesetzten Zielen zu entsprechen, wenngleich selbstverständlich nicht alle Teilnehmer in gleichem Ausmaß vom Verfahren profitieren und auch nicht sämtliche der gesetzten Ziele erreichen. Zudem stellte sich heraus, dass die Förderung der Beschäftigungsfähigkeit (wie sie in 7 Kap. 3 dargestellt wurde) einen wesentlichen Anteil an einer allgemeinen Gestaltungsfähigkeit der beratenen Personen hat. Mehr zu den Wirkungen der Kompetenzenbilanz jedoch in 7 Kap. 5. Das gesamte Vorgehen der Kompetenzenbilanz ist vor dem Hintergrund der hier formulierten Ziele zu verstehen. Das entwickelte Verfahren in seiner ursprünglichen Form konzentriert sich auf das Individuum und dessen Bedürfnisse. Umgebungsvariablen werden nur insofern mit einbezogen, als bestimmte Urteile oder Einschätzungen der Klienten aus einer Außenperspektive gespiegelt werden. Es handelt sich bei der Kompetenzenbilanz um eine individuumszentrierte oder auch subjektorientierte Beratung – ein wesentlicher Aspekt hinsichtlich der unterschiedlichen Kontexte, in denen solche Beratungsformen häufig angeboten werden. Beispielsweise sind Maßnahmen zur Integration in den ersten Arbeitsmarkt häufig ganz und gar nicht subjekt-, sondern ausgeprägt anforderungsorientiert, was wiederum Auswirkungen auf die Vorgehensweise und das Rollenverständnis von Berater und Beratenem hat. z
59
Zielgruppen
Mit der Kompetenzenbilanz soll eine möglichst breite Bevölkerungsschicht angesprochen werden. Es wird darauf Wert gelegt, dass Personen niedrigen Bildungsstands nicht durch ein fachlich-akademisches Vokabular in der Kompetenzenbilanz an der Teilnahme gehindert oder davon abgeschreckt werden.
Ein Verfahren, um verschiedene Ziele zu verfolgen
60
Kapitel 4 • Eine Methode der kompetenzorientierten Laufbahnberatung: Die Kompetenzenbilanz
Tag 0
Tag 8
EinführungsWorkshop
CoachingGespräch I
Eigenarbeit Teilnehmerln
4
Tag 15
Tag 21 Abschlussgespräch
CoachingGespräch II
Eigenarbeit Teilnehmerln
Eigenarbeit Teilnehmerln
Ggf. Nacharbeit Coach
Ggf. Nacharbeit Coach
Schriftliches Gutachten
. Abb. 4.1 Ablauf der Kompetenzenbilanz
Dadurch ergeben sich die in der folgenden Übersicht dargestellten Hauptzielgruppen des Verfahrens. Hauptzielgruppen der Kompetenzenbilanz 5 Bildungsstand – Hauptschulabschluss – Lehrberuf – Hochschule 5 Beschäftigungsverhältnis – Angestellter – Arbeitsloser – Wiedereinsteiger – Jobwechsler
z
Kosten
Die Durchführung einer Kompetenzenbilanz bedeutet für den durchführenden Coach einen Aufwand von etwa 10 Stunden. Aus diesem Richtwert lassen sich die Kosten für unterschiedliche Kontexte der Durchführung (auf dem freien Beratungsmarkt, im Unternehmenskontext, im Rahmen öffentlich geförderter Maßnahmen) entsprechend berechnen.
4.3 Klar geregelter Ablauf
Coaching- und Reflexionsphasen
Das Verfahren
Die Kompetenzenbilanz ist ein strukturiertes Coachingverfahren, das einem klar vorgegebenen Ablauf folgt. Das idealtypische Ablaufschema ist in . Abb. 4.1 wiedergegeben. In Praxis und Evaluation hat sich der dargestellte Ablauf als hocheffizient erwiesen, da angesichts der erzielten Ergebnisse und psychologischen Effekte nur ein verhältnismäßig geringer Aufwand von Sei-
61
4.3 • Das Verfahren
ten des Coaches betrieben werden muss. Aus der obigen Darstellung wird deutlich, dass ein wesentlicher Teil der Kompetenzenbilanz aus der Eigenarbeit der Teilnehmer und aus der Reflexion über die jeweils ca. 2-stündigen Termine besteht. Im Folgenden werden die einzelnen Verfahrensschritte detailliert erläutert.
4.3.1
Rahmenbedingungen
Abhängig vom Arbeitsfeld kann die Anbahnung des Beratungsverhältnisses sehr unterschiedlich verlaufen und auch wesentliche Auswirkungen auf das Verhältnis zwischen Berater und Beratenem haben. So ist es ein wesentlicher Unterschied, ob der Beratene den Coach aufgrund einer persönlichen Empfehlung kontaktiert und das Honorar für die Kompetenzenbilanz aus eigener Tasche bezahlt oder ob die Anbahnung des Prozesses in einer öffentlich geförderten Maßnahme geschieht, innerhalb derer Berater und Beratene einander zugeteilt werden. Es sollen an dieser Stelle nicht jegliche Eventualitäten von Konstellationen aufgeführt und erörtert werden. Vielmehr folgt eine Aufstellung von Rahmenbedingungen, die unabhängig für die formalen Bedingungen des Zustandekommens eines Beratungskontraktes gelten. Diese Rahmenbedingungen sind den »Qualitätsstandards zur Kompetenzfeststellung für Menschen mit Migrationshintergrund« entnommen, die vom Facharbeitskreis Kompetenzfeststellung im Rahmen des bundesweiten Netzwerks IQ – Integration durch Qualifizierung erarbeitet wurden (Facharbeitskreis Kompetenzfeststellung 2009). Zwei der Kriterien können ohne Veränderung für jeden anderen Bereich der kompetenzorientierten Beratung übernommen werden:
» Information und Transparenz für die Teilnehmerinnen und Teilnehmer: Die Ziele, die Abläufe, die verwendeten Begriffe, die Verwertungs(Möglichkeiten) und die Aussagen/Wirkungen der Ergebnisse müssen für die Teilnehmerinnen und Teilnehmer transparent sein. Sind am Kompetenzfeststellungsprozess verschiedene Stellen beteiligt, muss auch dies der Klientin/dem Klienten transparent sein. Eine Weitergabe von Daten an Dritte ist nur mit der Zustimmung der Klientin/ des Klienten möglich. Um eine größtmögliche Verständigung herzustellen, sind entsprechend des Sprachniveaus, des Bildungsgrades und des Alters Unterstützungsleistungen anzubieten (z. B. zusätzliche Visualisierungen, Raum für dialogische Verfahren, zielgruppenspezifische Erläuterungen).
«
4
62
Kapitel 4 • Eine Methode der kompetenzorientierten Laufbahnberatung: Die Kompetenzenbilanz
»
4
Freiwilligkeit: Kompetenzfeststellungsverfahren sollten als Angebot an Teilnehmerinnen und Teilnehmer und nicht als Pflicht verstanden werden. Es sollte die Chance betont werden, dass Kompetenzfeststellung die Basis für selbst bestimmte Entscheidungsprozesse sein kann. Zentrales Ziel der Durchführung und Begleitung sollte sein, dass die Teilnehmerin oder der Teilnehmer das aktive und entscheidende Subjekt ist und das Verfahren für sich als gewinnbringend erfährt. Kompetenzfeststellung sollte somit den Charakter einer begleitenden Selbstüberprüfung haben. Wichtig ist es, stets darauf hinzuweisen, dass alle Auskünfte und Antworten freiwillig erfolgen und die Teilnehmerinnen/die Teilnehmer jederzeit die Freiheit haben, auf eine Frage nicht zu antworten oder später zu antworten.
«
Beide Punkte müssen von Beratern aufmerksam beachtet werden, auch wenn sie sich in einem Kontext bewegen, in dem die Teilnehmer formal freiwillig eine Beratung in Anspruch nehmen. Weder seitens eines Unternehmens darf der Druck, eine Beratung in Anspruch zu nehmen, ausgeübt werden, noch darf ein Berater in die Situation geraten, einen Teilnehmer zu einer Beratung zu drängen und somit die Freiwilligkeit und Autonomie des Klienten in Frage zu stellen. Im Folgenden wird das Vorgehen mit Rahmenbedingungen geschildert, die voraussetzen, dass Beratene und Berater einander in einem institutionellen Rahmen begegnen, sich also nicht unbedingt bereits vor dem ersten Gespräch kennen gelernt haben.
4.3.2
Einführungsworkshop bzw. Einführungsgespräch
Ziele In einem 90-minütigen Einführungsworkshop sollen die Teilnehmer der Kompetenzenbilanz mit den hinter der Methode stehenden Gedanken vertraut werden, einen Ausblick über den Ablauf erhalten, eine erste biografische Übung kennen lernen und auf die in Heimarbeit zu erstellende Aufgabe vorbereitet werden. Der Einführungsworkshop wird von einem Coach durchgeführt. Eine bewährte Größe für die Einführungsworkshops sind 6–12 Personen. Größere Gruppen sind nicht empfehlenswert. Einführungsworkshops können allerdings auch in kleineren Gruppen und auch mit einzelnen Teilnehmern – dann in Form eines Einführungsgesprächs – durchgeführt werden.
4.3 • Das Verfahren
63
4
Ablauf Einstieg Nach einer Kennenlernrunde, in der die Teilnehmer sich vorstellen und den Grund ihres Interesses für die Kompetenzenbilanz kurz ausführen, stößt der Workshopleiter eine Diskussion über das Thema Erfahrungslernen an und erörtert gemeinsam mit den Teilnehmern, in welcher Weise sie in verschiedenen Tätigkeiten Fähigkeiten erworben haben, die sie später in beruflichen Tätigkeiten einsetzen konnten. Vorwiegend soll hier das Augenmerk darauf gerichtet werden, ob die Teilnehmer auch Tätigkeiten ausgeführt haben, für die sie keinen formellen Abschluss erworben haben, in denen sie aber dennoch eine gewisse Expertise besitzen. Gestützt wird diese Diskussion idealerweise durch eine Präsentation, in der Fotos von Personen in verschiedenen Situationen dargestellt werden: 5 Familie und enge Beziehungen, 5 Berufstätigkeit, 5 Aus-, Fort- und Weiterbildung, 5 andere Interessen. Anhand dieser Bilder soll die Lernhaltigkeit der unterschiedlichen dargestellten Tätigkeiten erörtert werden. Insbesondere wird hierbei darauf Wert gelegt, herauszuarbeiten, ob die dargestellten Personen eine Tätigkeit ausführen, die Fähigkeiten voraussetzt, die auch in anderen als den gezeigten Kontexten eingesetzt werden können. Beispiel Viele Menschen neigen dazu, ihre Tätigkeiten lediglich auf ihren Nutzen hinsichtlich ihrer Erwerbstätigkeit zu bewerten. Insbesondere wenn Teilnehmer aktuell keiner Erwerbstätigkeit nachgehen, aber auch wenn sie unzufrieden mit ihrer derzeitigen Position sind, ergibt sich hieraus häufig eine generalisierte Abwertung der eigenen Tätigkeiten und Kompetenzen. Dass auch nicht bezahlte Arbeit überhaupt als Arbeit bezeichnet werden kann, liegt vielen nicht unmittelbar auf der Hand. Anhand von Bildern aus den genannten Tätigkeitsbereichen soll eine Diskussion darüber in Gang kommen, was man in den unterschiedlichen Lebensbereichen möglicherweise lernen kann – auch wenn es sich nicht um eine Erwerbstätigkeit handelt. Zu beachten ist hierbei, dass nicht jede alltäglich ausgeübte Tätigkeit auch zugleich mit einer Kompetenz verknüpft werden kann. Wenn man also ein Bild eines freiwilligen Feuerwehrmanns bespricht und assoziiert, welche Kompetenzen diese Person in ihrem Ehrenamt erwirbt oder einsetzt, kann nicht vorbehaltlos jedem Feuerwehrmann Teamfähigkeit, Mut, Disziplin oder eine andere Eigenschaft zugeordnet werden, die man möglicherweise mit dem Bild eines idealen Feuerwehrmanns verbinden würde. Auch kann man etwa nicht jeder Mutter vorbehaltlos die Eigenschaft, fürsorglich zu sein oder gut mit
Erfahrungslernen als gemeinsame Basis
64
Kapitel 4 • Eine Methode der kompetenzorientierten Laufbahnberatung: Die Kompetenzenbilanz
Zeit umgehen zu können, zuschreiben. In Berufstätigkeiten ist das nicht anders: Nicht jeder Bankvorstand ist Kraft seiner Aufgabe dazu befähigt, verantwortungsvoll mit Geld umzugehen.
Der Einführungsworkshop verfolgt somit ein didaktisches Ziel, das in hohem Maße wertorientiert ist. Die Teilnehmer sollen nicht nur darüber sprechen, dass Erfahrungswissen wertvoll sein könnte, sie sollen nach Möglichkeit auch akzeptieren, dass dies tatsächlich so ist. Nach diesem Einstieg in das ressourcenorientierte Denken wird den Teilnehmern eine erste biografische Übung vorgestellt, die »Biografische Sammlung«.
4
Biografische Sammlung Mindmap persönlich wichtiger Werte
Diese Methode soll zunächst einen eher assoziativen Zugang zur eigenen Biografie ermöglichen. Anhand einer Sammlung von Leitfragen sollen die Teilnehmer in Einzelarbeit eine Mindmap oder eine Stichwortliste erstellen. Im Zentrum steht hier die auf den ersten Blick vielleicht etwas vermessen anmutende Frage: »Wie bin ich die Person geworden, die ich heute bin?« Ausgehend hiervon skizzieren die Teilnehmer stichwortartige Antworten zu folgenden Fragen: Die Leitfragen 5 Wovon habe ich in meiner Kinder- und Jugendzeit geträumt? 5 Welche Dinge haben mich im Laufe meines Lebens ganz besonders interessiert? 5 Welche einschneidenden Erlebnisse gab es in meinem Leben? 5 Welche Aktivitäten mache ich in meiner Freizeit ganz besonders gern, was habe ich dabei gelernt? 5 Welche wichtigen Dinge habe ich in der Schule und Ausbildung gelernt? 5 Was habe ich bei der Ausübung meines Berufs gelernt? 5 Was konnte ich von meinen Freunden lernen? 5 Was hat in meinem Leben im Augenblick große Bedeutung 5 Was bedenke ich, wenn ich Entscheidungen treffe? 5 Für welche Dinge setze ich mich besonders ein? 5 Was war meinen Eltern ganz besonders wichtig? 5 Welche Werte sind mir ganz besonders wichtig?
Logische Zusammenhänge und inhaltliche Nähe können durch Verbindungslinien oder räumlich nahe Anordnung dargestellt werden. Manche Teilnehmer schreiben auch lediglich Stichworte zu den jeweiligen Fragen auf ohne die assoziative Methode des Mindmapping zu nutzen. In der Gestaltung sind die Teilnehmer frei. Sie werden darauf hingewiesen, dass die Ergebnisse weder kontrolliert noch später in der Gruppe präsentiert werden.
4.3 • Das Verfahren
Für die Bearbeitung der Biografischen Sammlung stehen 20– 25 Minuten zur Verfügung. Es ist nicht unbedingt wünschenswert, dass die Teilnehmer in diesem knappen Zeitraum alle Fragen der Biografischen Sammlung erschöpfend beantworten. Angesichts der zentralen Frage »Wie bin ich die Person geworden, die ich heute bin?« wäre es auch vermessen, wenn man davon ausgehen würde, dass durch eine z. B. um 5 Minuten längere Bearbeitungszeit eine geschlossene Antwort gefunden werden könnte. Vielmehr sollen die Teilnehmer an dieser Stelle in das biografische Reflektieren eingeführt werden. Wenn hierbei eine »offene Gestalt« entsteht, so setzt sich idealerweise eine Dynamik in Gang, die zu einem Weiterdenken, zu einem Weiterarbeiten an den gegebenen Fragen oder auch zu einem Gespräch mit dem Partner über die angerissenen Themen führt. Diese Dynamik der offenen Gestalt macht sich die Kompetenzenbilanz an dieser wie an folgenden Stellen zu Nutze. Nach der Übung geben die Teilnehmer eine kurze Rückmeldung darüber, was diese strukturierte Selbstreflexion bei ihnen ausgelöst hat. Häufig berichten sie davon, zunächst wenig einfallsreich und blockiert gegenüber einem Blick in die eigene Vergangenheit gewesen zu sein. Zum Großteil erzählen sie jedoch, dass sich diese Blockade nach wenigen Minuten gelockert habe und ein systematisches Nachdenken über die eigene Biografie und den eigenen Werdegang begonnen habe.
65
4
Erste Erfahrungen mit der eigenen Biografie
Beispiel Die folgende Aussage ist idealtypisch für den Prozess: »Zuerst habe ich gar nicht gewusst, was ich da hinschreiben soll. Aber dann ist mir schon einiges eingefallen. Wenn man da mal anfängt nachzudenken, dann kommt da unglaublich viel wieder hoch. Ich könnte jetzt ewig weiterschreiben.«
> Wichtig Eine Beobachtung, die sich durch das gesamte Verfahren machen lässt, ist, dass sich die meisten Teilnehmer im Laufe der Kompetenzenbilanz erstmals in ihrem Leben Gedanken über die eigene Biografie machen. Was sie in welcher Lebensphase aus welchen Gründen entschieden haben, was sie jeweils gelernt haben und warum sie sich für einen bestimmten Lebensweg entschieden haben, ist den Klienten nicht immer unmittelbar zugänglich. Noch weiter sind sie davon entfernt, diese komplexen Prozesse anderen gegenüber verständlich darzustellen.
Für viele Teilnehmer ist die Biografische Sammlung Gewinn bringend. Einige wenige brechen die Kompetenzenbilanz nach der Biografischen Sammlung mit dem Hinweis ab, sie hätten gerade ein Erlebnis hinter sich, welches sie nun nicht wieder aufarbeiten wollten. Es ist wichtig, diese Personen keinesfalls zu einer Fortsetzung der
Grenzen
66
Kapitel 4 • Eine Methode der kompetenzorientierten Laufbahnberatung: Die Kompetenzenbilanz
Kompetenzenbilanz zu drängen, sondern ihre Entscheidung zu respektieren. Ziel der Biografischen Sammlung ist es, im Sinne eines Trichtermodells einen weiten und zunächst ungeordneten Blick auf die eigene Biografie zu öffnen. Insbesondere vor dem Hintergrund der Erfahrung, dass sich die meisten Teilnehmer noch niemals mit der eigenen Biografie beschäftigt haben, hat sich dieses leicht durchzuführende und einen Reflexionsprozess anstoßende Instrument bewährt. In der zweiten Hälfte des Einführungsworkshops wird den Klienten ihre »Hausaufgabe« erklärt. Sie besteht darin, bis zur 1. CoachingSitzung ein »Lebensprofil« anzufertigen.
4
Lebensprofil
4 Lebensbereiche
Arbeitsblatt zum Download auf 7 www.springer. com/978-3-642-20065-6 Ein »Bild« der eigenen Biografie
Das Lebensprofil ist eine Methode, die es den Klienten erlaubt, ihre Biografie auf einfache Weise in strukturierter Form darzustellen. Ausgehend von den 4 Lebensbereichen Familie und enge Beziehungen, Berufstätigkeit, Aus-, Fort- und Weiterbildung und sonstige Interessen sollen die Teilnehmer bis zur 1. Coaching-Sitzung ein Plakat anfertigen, auf dem sie wichtige Ereignisse, Lebensabschnitte und Erfahrungen chronologisch eintragen. Zusätzlich zu den Informationen über die jeweiligen Lebensereignisse sollen sie in einer Befindenskurve angeben, wie es ihnen in den jeweiligen Lebensabschnitten gegangen ist. Das Schema des Lebensprofils ist in . Tab. 4.1 dargestellt. Hierbei handelt es sich lediglich um einen Vorschlag, der sich in der praktischen Umsetzung bewährt hat. Die genaue Art der Gestaltung bleibt den Teilnehmern überlassen. Sie können sowohl textliche als auch grafische Eintragungen vornehmen. Sie können auch die Struktur der Darstellung verändern, indem sie eine weitere Zeile hinzufügen (so nehmen manche Teilnehmer noch die Kategorie »Reisen« oder »Gesundheit« in ihr Lebensprofil auf). Auch in der Wahl des Formats sind die Klienten frei. So finden sich unter den Lebensprofilen aufwändig gestaltete Plakate in Metaplan-Größe, aber auch dezidiert auf Millimeterpapier ausgeführte Darstellungen, die Monat für Monat genaue Abstufungen über den jeweiligen Stand des eigenen Befindens angeben. Auch wenn nicht alle Informationen eines solchen Lebensprofils ausgewertet und thematisiert werden können, so ist doch der detaillierte Reflexionsprozess, der zu diesem Ergebnis geführt hat, bemerkenswert und kann schon an sich als ein Erfolg der Methode verstanden werden. Manche Klienten lösen sich auch gänzlich vom vorgeschlagenen Schema des Lebensprofils und verfertigen Zeichnungen in Form von Kreisen oder Lebensbäumen, anhand derer sie ihren Werdegang und wichtige Ereignisse aus den verschiedenen Bereichen ihres Lebens darstellen. Die Form ist hierbei nicht das Entscheidende. Wichtig ist die geleitete Reflexion der Teilnehmer und das biografische Material für den 1. Coaching-Termin, anhand dessen die Entwicklung der Person und
67
4.3 • Das Verfahren
4
. Tab. 4.1 Schema für das Lebensprofil Alter
Wichtige Ereignisse, Abschnitte, Erfahrungen
Familie und enge Beziehungen Arbeitstätigkeit Aus-, Fort- und Weiterbildung Andere Interessen und Tätigkeiten Wie ging es mir?
das Zusammenspiel von Ereignissen aus den verschiedenen Lebensbereichen sichtbar gemacht und verstanden werden können.
Abschluss Zum Abschluss des Einführungsworkshops werden den Klienten ihre Arbeitsmaterialien in Form eines Handbuchs1 und den Utensilien für das Anfertigen eines Lebensprofils ausgehändigt.
4.3.3
1. Coaching
Das 1. Coaching-Gespräch findet eine Woche nach dem Einführungsworkshop statt. Es dauert ungefähr 2 Stunden und kann in folgende Abschnitte unterteilt werden: 1. Gesprächsbeginn 2. Zielklärung 3. Besprechung des Lebensprofils 4. Analyse von Fertigkeiten 5. Abschluss des Gesprächs
Gesprächsbeginn Wie bei jedem Beratungsprozess, so müssen auch in diesem Verfahren zu Beginn die Rahmenbedingungen und gewisse Spielregeln vereinbart werden, nach denen in den Coaching-Gesprächen gearbeitet werden soll. Insbesondere in der Kompetenzenbilanz scheint eine solche gemeinsam getroffene Vereinbarung wichtig, da es sich um einen sehr straff strukturierten Prozess handelt, der zwar erweiterbar ist, aber nicht von allen Institutionen oder Teilnehmern beliebig lang weiter finanziert wird.
1
Die Kompetenzenbilanz wird von einer Arbeitsmappe begleitet. Hierin finden sich Hintergrundtexte und Arbeitsblätter, die jeden Schritt der Kompetenzenbilanz begleiten und vertiefen. Die Arbeitsmappe kann nur von ausgebildeten Kompetenzenbilanz-Coaches bezogen werden.
Spielregeln vereinbaren
68
Kapitel 4 • Eine Methode der kompetenzorientierten Laufbahnberatung: Die Kompetenzenbilanz
Zunächst stellt sich der Coach persönlich vor. Vertrauen herstellen Die Kompetenzenbilanz ist klientenzentriert. Wie berichtet bedeutet dies, dass die Klienten in einem solchen Verfahren als Experten für ihre eigenen Bedürfnisse gesehen werden. Der Coach ist lediglich Experte für das Verfahren und die darin enthaltenen Schritte. Insofern können Coaches auch nur ein Vertrauensangebot machen, nicht jedoch von den Teilnehmern verlangen, sie sollten ihnen vertrauen. Sätze wie »Sie können mir vertrauen« oder »Sie können mir alles anvertrauen« sind in diesem Zusammenhang paradox und unbedingt zu vermeiden. Die Basis für ein Vertrauensverhältnis kann lediglich angeboten werden. Ob sie hergestellt worden ist oder ob und in welchem Ausmaß sie angenommen wird, liegt in der Verantwortung der Teilnehmer.
4
Außerdem sollte der Coach zu Beginn des Gesprächs den Ablauf der Sitzung skizzieren, um den Klienten ein Gefühl der Kontrolle über den weiteren Prozess zu geben.
Zielklärung Ziele als Basis für die Zusammenarbeit
Ein weiterer wichtiger Bestandteil der ersten Gesprächsphase ist das Herausarbeiten des Anlasses, aus dem die Teilnehmer die Kompetenzenbilanz beginnen, und welche Erwartungen sie an diese knüpfen. Diese Verfahrensweise hat sich als ausgesprochen fruchtbar für den weiteren Prozess herausgestellt. Auch wenn von einem einmal formulierten Ziel wieder abgewichen werden kann, so wird durch eine anfängliche Vereinbarung eine Verbindlichkeit hergestellt, auf die sich Coach und Klient über den ganzen Prozess hinweg berufen können und der mitunter durch eine fokussierte Vorgehensweise den Prozess effizienter gestalten lässt. Häufig besteht, trotz Vorinformationen und der im Einführungsworkshop vermittelten Informationen, eine Erwartungshaltung, die darauf schließen lässt, dass sich die Teilnehmer unter der Kompetenzenbilanz zunächst einen sehr stark berufsberatenden Prozess vorstellen. In diesem Fall ist es wichtig klarzustellen, dass es sich um einen zieloffenen Prozess handelt, dessen Ergebnis von der Zusammenarbeit und von den, im Gespräch erarbeiteten, Inhalten abhängt. Es ist wichtig, dass die Teilnehmer diese Spielregel akzeptieren. Kann diese Zustimmung nicht erzielt werden, so sollte die Kompetenzenbilanz im Einzelfall an dieser Stelle abgebrochen werden. Ebenso sollte im Verlauf des Gesprächsbeginns klar werden, dass die Kompetenzenbilanz ein Verfahren ist, das von den Klienten ein hohes Maß an Engagement erfordert. So ist zu klären, ob die Teilnehmer bereit sind, zwischen den Terminen an den Materialien weiterzuarbeiten. Darüber hinaus sollte ein Austausch darüber stattfinden, ob die Teilnehmer überhaupt Zeit dafür haben, die notwendigen Systematisie-
4.3 • Das Verfahren
69
4
rungen zu leisten. Gegebenenfalls müssen die Termine noch einmal verlegt werden. > Wichtig Die einzelnen Termine sollten nicht zu weit auseinander liegen, so dass ein Mindestmaß an Kontinuität gewahrt bleibt. Überschreiten die Abstände zwischen den Coachings einen Zeitraum von etwa 2 Wochen, so wird der Prozess zerfahren und die Termine ineffizient, weil jeweils der Stand des vergangenen Gesprächs wieder aufgearbeitet werden muss. Die Kompetenzenbilanz verliert an Intensität.
Besprechung des Lebensprofils Das Lebensprofil wird von den Teilnehmern als einer der wichtigsten Arbeitsschritte empfunden. Die Besprechung des Lebensprofils stellt einen umfassenden Überblick über das Leben des Klienten dar und ermöglicht es dem Coach, in relativ kurzer Zeit ein vertieftes Verständnis für seinen Werdegang zu entwickeln und die »roten Fäden« in der Biografie des Gegenüber aufzuspüren. So wird es für die Teilnehmer möglich, eine Kohärenz in der Entwicklung und in den dahinterstehenden Entscheidungen und Lernerfahrungen zu empfinden. Bereits das Anfertigen des Lebensprofils setzt diesen Prozess bei den Teilnehmern in Gang. Als Coach wird man die Erfahrung machen, dass man diesem Teil der Arbeit gerne viel Zeit widmet und dabei gerade mit den ersten Klienten nicht selten die Zeit für die Coaching-Sitzungen mitunter erheblich überzieht. Einerseits ist es zu wichtig, das Lebensprofil intensiv und in der Tiefe zu verstehen und die »roten Fäden« in der Entwicklungsgeschichte der jeweiligen Person aufzuspüren, andererseits muss sich der Coach des engen Zeitbudgets innerhalb der Kompetenzenbilanz bewusst sein. Selten wird es möglich sein, die Sitzung über den vereinbarten Rahmen auszudehnen. Auch wenn es organisatorisch umzusetzen ist, so handelt es sich dabei langfristig um ein bedenkliches Vorgehen; dies aus mehreren Gründen: Zum einen ist der Coach dem Teilnehmer gegenüber verpflichtet, dessen Zeit nicht über Gebühr zu beanspruchen und auf die Effizienz des Prozesses im angekündigten und intendierten Sinne des Verfahrens zu achten. Zum anderen muss sich auch der Coach vor Selbstausbeutung schützen. Die Erfahrung zeigt, dass die Besprechung des Lebensprofils leicht 2 Stunden in Anspruch nehmen könnte, dass eine angemessene Bearbeitung im Sinne des Prozesses allerdings auch in 50–60 Minuten möglich ist. Nach diesem Zeitraum sollte ein vorläufiger Abschluss in der ersten Thematisierung des Werdegangs gefunden werden. Dies erfordert ein gezieltes Fragen und eine klare Rollenverteilung in der Gesprächsführung. Im Sinne eines effektiven, aber eben auch effizienten Verstehens der Biografie ist es wichtig, immer wieder durch bündelnde, klärende Fragen das Gespräch aktiv zu gestalten und nicht die Struktur des Gesprächs an die Klienten abzugeben.
»Rote Fäden« in der Biografie
Gezielte Fragen
70
Kapitel 4 • Eine Methode der kompetenzorientierten Laufbahnberatung: Die Kompetenzenbilanz
Gespräch durch Fragen strukturieren
4
Wie steuert man nun einen Prozess, der nicht auf ein eindeutiges Ergebnis hinausläuft, sondern verlangt, in einer knappen Zeit ein Leben zu verstehen? Wesentlich für das biografische Arbeiten ist die Leitlinie, dass der Erzählende und dessen Biografie im Zentrum des Gesprächs stehen. Die Struktur des Gesprächs ergibt sich somit nicht zwangsläufig aus der Chronologie und wird nicht ausgehend vom Lebensprofil von links oben nach rechts unten abgearbeitet. Sehr gut eignen sich für den Einstieg Fragen danach, wie lange es eigentlich gebraucht hat, das Lebensprofil anzufertigen, wie es den Teilnehmern dabei gegangen ist, ob ihnen etwas aufgefallen ist o. Ä. In den meisten Fällen ergibt sich hieraus eine Antwort, die für einen Einstieg in den narrativen Prozess geeignet ist. Zumeist beginnen die Teilnehmer im Folgenden ausführlich über ihren Werdegang und die unterschiedlichen dargestellten Ereignisse zu erzählen. Es schließt sich ein Prozess an, der schwerlich verallgemeinert werden kann. Ohne Leitlinien geriete dieser Prozess, der schwer generellen Regeln unterzuordnen ist, allzu leicht in Gefahr, in ein unverbindliches Geplauder über die Lebensgeschichte der Teilnehmer abzugleiten. Folgende Leitlinien helfen dabei, die Besprechung des Lebensprofils im Sinne einer ressourcenorientierten Beratung zu gestalten: 5 Ausblick darauf, dass die Beschäftigung mit dem Lebensprofil ca. 45–60 Minuten dauern wird. 5 Bündeln von Informationen, um ggf. Inhalte zu raffen (z. B.: »Ich sehe, dass sich das dann 5 Jahre später wiederholt«; »Es sieht so aus, als hätten sie diese Tätigkeit dann später zu ihrem Beruf gemacht« o. Ä.). 5 Keine Konflikt-, sondern Lösungsorientierung bei der Besprechung von Lebens- und Entwicklungsproblemen. (Die Frage sollte stets in die Richtung gehen: »Wie haben Sie dann da herausgefunden?«; »Was hat Ihnen dazu verholfen, dieses Ereignis zu bearbeiten?«) Der Coach ist kein Therapeut! Lebensprobleme können im Rahmen der Kompetenzenbilanz nur bedingt thematisiert werden, im Coaching sollte die aufsteigende Befindenskurve nach einem Tal im Zentrum stehen und nicht das Herumwühlen in negativen Erfahrungen. 5 positive Wertschätzung seitens des Coaches. Interesse für die Biografie des Klienten. 5 Ziel für die Teilnehmer ist es, die eigene Biografie zu verstehen und diese als kohärent zu erleben. Wir wollen uns die einzelnen Leitlinien im Detail ansehen. z
Transparenz im Vorgehen
Ausblick
Dieser Hinweis trägt zum einen zur Transparenz des Vorgehens bei. Die Teilnehmer sollten stets wissen, an welchem Punkt des Prozesses
4.3 • Das Verfahren
71
4
und in welchem Schritt sie sich befinden. Wie bereits erwähnt, verstärkt diese Verfahrensweise das subjektive Kontrollempfinden und überträgt einen Teil der Verantwortung vom Coach auf den Klienten. Das Wissen um den weiteren Verlauf ist nicht Herrschaftswissen des Coaches, sondern ein Wissen, das mit dem Teilnehmer geteilt wird, so dass dieser auch die Möglichkeit erhält, eigene Bedürfnisse oder besondere Fragestellungen so in das Gespräch einzubringen, dass eine jeweils angemessene Akzentuierung auf die besondere Frage- oder Problemstellung geschehen kann. z
Bündeln von Informationen
Zu jedem der im Lebensprofil aufgeführten Ereignisse ließen sich sicherlich Episoden, Erlebnisse und Empfindungen erzählen, die allerdings in ihrer Fülle den Rahmen der Kompetenzenbilanz sprengen würden, wenn man sie vollständig ergründen wollte. Andererseits möchte man als Coach auch nicht den Erzählfluss des Teilnehmers unterbrechen oder gar einzelne Inhalte als irrelevant abtun. Die Frage ist, wie man als Coach die Prozessverantwortung wahrnehmen und gleichzeitig einen reichhaltigen narrativen Prozess aufrechterhalten kann. Fängt beispielsweise ein Teilnehmer an, sehr ausführlich über Inhalte einer bestimmten Tätigkeit oder eines Ereignisses zu erzählen, so sollte der Coach in der Lage sein, das Gespräch in angemessener Weise wieder »auf die Spur« zu bringen. Diese Leitlinie enthält jedoch 2 Leerstellen: Was bedeutet »in angemessener Weise« und wo ist die Spur, auf die das Gespräch gebracht werden soll? Generell sollte gelten, dass die Klienten Gelegenheit haben sollten, alle Inhalte des Lebensprofils thematisieren zu können. Diese oberste Prämisse darf nicht verletzt werden. Erfahrenen Coaches werden jedoch nach wenigen Minuten diejenigen Klienten auffallen, bei denen davon auszugehen ist, dass sie das vorgesehene Zeitbudget vermutlich überschreiten werden, wenn der Coach den Prozess einfach laufen lässt. Sofern solche Tendenzen bemerkbar werden, können einzelne Ereignisse vom Coach vorweggenommen und gebündelt werden. Wenn also ein Teilnehmer mehrmals eine bestimmte Berufstätigkeit ausgeübt hat, kann der Coach darauf hinweisen, dass ihm dieser Umstand auffällt. Auf diese Weise kann eine genaue Erzählung dessen, was mehr oder weniger offensichtlich ist, umgangen werden. Die entsprechenden Passagen können sich etwa dadurch verkürzen, dass der Coach gezielt danach fragt, in welcher Weise sich die einzelnen Stationen der Laufbahn unterschieden haben. Wir bewegen uns hier also in einem Graubereich der Angemessenheit. Bei den ersten Coachings mag zunächst eine gewisse Scheu auftreten, die Besprechung des Lebensprofils zu beschleunigen – eben weil es sich um einen sehr interessanten Prozess handelt und man als Coach zuweilen das Gefühl hat, den Teilnehmern Unrecht zu tun, wenn man einzelne Kapitel daraus nicht entsprechend würdigt. Zu diesem Punkt bleibt zu sagen, dass das Lebensprofil eben in der Weise besprochen werden soll, dass im Anschluss genug Raum und Zeit für eine ausführliche Besprechung
Das Wesentliche erkennen
72
Kapitel 4 • Eine Methode der kompetenzorientierten Laufbahnberatung: Die Kompetenzenbilanz
der Fertigkeiten bleibt. Durch das Bündeln von Informationen aus dem Lebensprofil zeigt der Coach an, dass er sich aktiv mit der Biografie auseinander setzt. Dieses Vorgehen eröffnet einen Dialog, der zum besseren Verständnis der Biografie des Teilnehmers führt und nebenbei dabei helfen kann, den Prozess zu beschleunigen. z Blick auf die Ressourcen richten
4
Abgrenzung zu therapeutischem Setting
Was dargestellt ist, darf grundsätzlich auch thematisiert werden
Lösungsorientierung
In beinahe jedem Lebensprofil sind auch Brüche, kritische Ereignisse oder auch persönliche Niederlagen verzeichnet. Solche Ereignisse sind häufig der Tod eines nahen Angehörigen, eine Scheidung, Trennung einer langjährigen Partnerschaft oder der Verlust des Arbeitsplatzes. Wie ist nun mit diesen generalisiert als Konflikten zu bezeichnenden Ereignissen umzugehen? Hier ist immer wieder darauf zu verweisen, dass wir uns in der Kompetenzenbilanz in einem ressourcenorientierten, beratenden, aber eben in keinem therapeutischen Setting befinden. Wesentliche Probleme, die ja vom Teilnehmer im Lebensprofil häufig dargestellt sind, sollten nicht übersprungen, aber doch in bestimmter Weise angesprochen werden. Generelle Fragerichtung für solche Probleme sollte es sein, nach den Ressourcen zu fragen, die der Person geholfen haben, sich aus der Krise herauszuarbeiten. Das Lebensprofil bietet hierfür die Befindenskurve an, die zum Teil von den Klienten mehrfarbig und in mehrfacher Ausführung für die einzelnen Lebensbereiche angegeben wird. Beim Blick auf diese Befindenskurve stellt sich häufig eine banal anmutenden Erkenntnis ein: Nach dem Durchschreiten einer Talsohle folgte meist ein Aufschwung. In der Besprechung des Lebensprofils gilt es nun zu fragen, wie es zu dem jeweiligen Aufschwung gekommen ist. Die Krise sollte dabei benannt, aber nicht in der Tiefe ergründet werden. Das Augenmerk sollte darauf gerichtet werden, welche Fähigkeiten der Person dazu verholfen haben, sich aus diesem Tief wieder herauszuarbeiten (»Warum ging es Ihnen nach einiger Zeit wieder besser?«; »Was haben Sie in dieser Zeit gelernt?«; »Irgendeinen Grund wird es geben, warum Sie sich nach einiger Zeit wieder besser gefühlt haben als zu dem Zeitpunkt, als Sie mitten in dieser Krise waren«). Die Klienten sollen feststellen, welche Ressourcen ihnen innewohnen und durch welche Fähigkeiten sie selbst in der Lage waren, eine heilende Besserung in ihrem Leben zu erwirken. Abgesehen davon, dass die Coaches zum überwiegenden Teil keine psychotherapeutische Ausbildung besitzen, sollte beachtet werden, dass die meisten Teilnehmer sich in dieses Setting begeben, weil sie eine auf berufliche Belange bezogene Fragestellung haben. Es ist nicht angemessen, sie dazu zu drängen, sich im Schwerpunkt mit eigenen Problemen zu beschäftigen. Falsch wäre es allerdings auch, dargestellte konflikthafte Ereignisse zu übergehen oder ihnen auszuweichen. Schließlich sind diese von den Teilnehmern wohl nicht umsonst auf dem Lebensprofil dargestellt worden. Die Probleme sollten also durchaus angesprochen und das zu Grunde liegende Ereignis zum Thema gemacht werden.
4.3 • Das Verfahren
73
4
Der Fokus des Interesses und des Gesprächs muss jedoch unbedingt darauf liegen, zu ergründen, auf welche Weise die Krise bewältigt wurde, statt darauf, wie es dazu gekommen ist. Was jedoch, wenn Teilnehmer sich gerade in einer solchen Talsohle befinden und unter Umständen eine falsche Vorstellung von den Zielen der Kompetenzenbilanz haben und in ihr ein therapeutisches Mittel gegen ihre derzeitigen Probleme sehen? Die Kompetenzenbilanz ist nicht dafür konzipiert, akute Krisensituationen zu bearbeiten. Befindet sich der Teilnehmer jedoch in einer akuten Krise, sollte der Coach noch einmal die Hauptziele der Kompetenzenbilanz erläutern und das Einverständnis darüber herstellen, was die Kompetenzenbilanz leisten kann und wo die Grenzen dieses Prozesses zu sehen sind. Gegebenenfalls kann eine therapeutische Nachbetreuung empfohlen werden. Wenn der Coach seine Zuständigkeit und die Fähigkeit der Kompetenzenbilanz, mit den thematisierten Problemen umzugehen, überschritten sieht, sollte gemeinsam überlegt werden, ob nicht eine andere Art der Intervention oder Betreuung sinnvoller wäre. In einigen wenigen Fällen beenden an dieser Stelle auch die Teilnehmer die Kompetenzenbilanz mit dem Hinweis darauf, dass sie es als zu belastend erleben, sich nun reflexiv mit einem akuten Problem zu beschäftigen, das sie kurz zuvor noch verarbeitet geglaubt haben. Ein solcher Wunsch ist in jedem Fall unbedingt zu respektieren. (Es zeigt sich, dass sich aus den geschilderten Problemfeldern spezifische Anforderungen an Qualifikationen und Kompetenzen der Coaches ergeben.) z
Wertschätzung
Dieser Punkt scheint selbstverständlich, es soll jedoch darauf hingewiesen werden, dass diese wertschätzende Grundhaltung in einer Tradition mit Ansätzen aus der Gesprächstherapie von Carl Rogers steht und somit einige Implikationen aufweist, die sich nicht in naiver Wertschätzung erschöpfen. Die eingehende Beschäftigung mit dem Lebensprofil ist für sich bereits eine Wertschätzung, die nicht noch künstlich überhöht werden sollte, indem der Coach etwa anfängt alle Handlungen und Ereignisse mit Vokabeln wie »großartig«, »toll« und »beeindruckend« zu umranken. Vielmehr soll ein differenziertes Beschreiben, das von positiver Wertschätzung getragen ist, das Ziel eines effektiven Coachings sein. Gleichermaßen sollte der Coach ein echtes Interesse an den geschilderten Biografien nicht nur zeigen, sondern auch empfinden. Hier kommt es vor allem darauf an, dass der Coach eine gewisse Erfahrung in den von den Klienten geschilderten Lebenswelten mitbringen kann. Nicht jeder Coach ist für jeden Teilnehmer geeignet. Coaches, die reichhaltige Erfahrungen im Management-Bereich haben, können nicht unbedingt dasselbe Interesse und dieselbe Expertise für Coachings mit Wiedereinsteigerinnen nach der Kinderphase aufbringen, wie dies anderen Coaches möglich ist, die über Erfahrung in der Familienarbeit verfügen. Belassen wir es bei der Besprechung des Lebensprofils bei diesen Leitlinien
Wertschätzende Grundhaltung der Coaches
74
Kapitel 4 • Eine Methode der kompetenzorientierten Laufbahnberatung: Die Kompetenzenbilanz
für die Gestaltung eines Gesprächs. Weitere Erfahrungen sollten in praktischen Workshops gemacht werden, die für eine Durchführung der Kompetenzenbilanz qualifizieren. Der Umgang mit dem Lebensprofil im Sinne der Kompetenzenbilanz beruht auf Erfahrungen mit verschiedenen Teilnehmern, auf dem Austausch mit Coaching-Kollegen und auf der intensiven Auseinandersetzung mit der Methode und Denkweise der Kompetenzenbilanz. Dies lässt sich nur bedingt theoretisch vermitteln und sollte unter Supervision mehrfach erprobt werden, bevor ein Einsatz unter »ernsten« Bedingungen stattfindet. Eine eingehendere Auseinandersetzung mit den Wirkungen des Lebensprofils findet in 7 Kap. 5 statt. Gegen Ende der Besprechung des Lebensprofils sollte der Coach die wichtigsten Themen noch einmal bündeln und rückspiegeln. Hierbei sollten nicht bereits Kompetenzen rückgespiegelt werden, sondern lediglich die roten Fäden, Werte und wichtigen Erfahrungen, die im Laufe des Gesprächs nach Auskunft des Teilnehmers eine besondere Rolle gespielt haben. Das Lebensprofil ist nicht für die Diagnostik geeignet.
4
Besprechung der Fertigkeiten Vom Allgemeinen zum Speziellen
Auswahl eines wichtigen Tätigkeitsbereichs
Nachdem im Einführungsworkshop und im 1. Coaching-Gespräch zunächst narrative, die Biografie darstellende und rekonstruierende Methoden behandelt wurden, folgt nun eine Vorgehensweise, die sehr viel detaillierter und systematischer nach einzelnen Stationen in der Biografie fragt. Mit der Biografischen Sammlung und dem Lebensprofil wurde zunächst die eigene Biografie einer strukturierten Reflexion zugänglich gemacht. Mit Hilfe kreativer Techniken entsteht ein breiteres Bewusstsein dafür, was sich wann und warum in der Biografie der Teilnehmer ereignet hat. Haben wir uns bislang mit der Person und besonderen Ereignissen in ihrer Biografie beschäftigt, so kommen wir nun auf einzelne Tätigkeiten zu sprechen und hinterfragen diese situativ. Die Kompetenzenbilanz bietet hierfür eine Struktur an, die sich in den Arbeitsblättern zu den Fertigkeiten wiederfindet. Im Gespräch ist es an dieser Stelle Aufgabe des Coaches, mit dem Klienten gemeinsam einen Tätigkeitsbereich aus dem Lebensprofil zu identifizieren, anhand dessen die Fertigkeiten, die für diese Tätigkeit erforderlich waren, besprochen werden. Hierbei handelt es sich zum Teil um einen anstrengenden Prozess, da die Klienten sehr detailgenau Auskunft über ihre jeweiligen Tätigkeiten geben sollen. Sie reflektieren alle Schritte, die zur Bewältigung der jeweiligen Aufgabe oder Tätigkeit notwendig waren, und finden gemeinsam mit dem Coach eine angemessene Formulierung für die jeweilige Fertigkeit. Erfahrungsgemäß handelt es sich hierbei um einen Schritt, der sehr viel Anstrengung und Geduld von beiden Gesprächspartnern erfordert. Häufig wird ein großer Teil des Gesprächs davon in Anspruch genommen, den Sinn und die Ausrichtung der Fragen an die Teilnehmer zu vermitteln.
4.3 • Das Verfahren
Definition Als Fertigkeiten werden in diesem Zusammenhang kleinste, erlernbare Handlungsschritte bezeichnet, aus denen sich eine Arbeitshandlung zusammensetzt (vgl. Kirchhöfer 2004, S. 61). In der Praxis der Kompetenzenbilanz muss diese Definition nicht immer nach strenger Maßgabe berücksichtigt werden. Fertigkeit wird der Einfachheit halber meist mit Tätigkeit gleichgesetzt. Insofern kann man an dieser Stelle auch von einer detaillierten Tätigkeits- oder Arbeitsanalyse der Teilnehmer sprechen. Hinter den verwendeten Begriffen der Fertigkeiten und Tätigkeiten steht die Annahme, dass eine Person, die eine Tätigkeit ausübt, auch über ein gewisses Können verfügt, dass sie zur Ausübung der jeweiligen Tätigkeit befähigt.
Der Coach geht deshalb grundsätzlich nach den folgenden beiden Leitfragen vor: 5 Was tun Sie genau, wenn Sie sich dieser Aufgabe widmen? 5 Was muss jemand können, der diese Tätigkeit ausführt? War es für viele Personen bereits ein ungewohnter Schritt, sich detailliert und strukturiert mit der eigenen Biografie auseinander zu setzen und diese zu erzählen, so ist es noch fremdartiger für viele, sich zu überlegen, zu welchem Zeitpunkt sie welche Tätigkeiten ausgeübt haben, und darüber ausführlich Auskunft zu geben. Häufig werden hier zunächst Globalantworten gegeben wie »da habe ich das Büro organisiert«, »da habe ich nichts Besonderes gemacht, da war ich eben Mutter« oder auch »da habe ich gemacht, was man da so macht«. Meist beschränken sich die Teilnehmer darauf, ihre jeweilige Funktion zu benennen, tun sich aber schwer damit, zu beschreiben, auf welche Weise sie diese Funktion ausgefüllt haben. Ziel der Kompetenzenbilanz ist es jedoch an diesem Punkt, nicht nur genaue Aufklärung darüber zu erlangen, was die Person getan hat, sondern auch auf welche Weise sie der Tätigkeit nachgegangen ist, was ihr spezifisch wichtig war und welche Handlungsschritte sie für die Bewältigung der Aufgaben ausführen musste. Diese Beschreibungen von Handlungsschritten werden vom Coach situativ hinterfragt, nicht jedoch in der Qualität ihrer Ausführung bewertet. Es wird davon ausgegangen, dass eine Person, die der beschriebenen Tätigkeit nachgegangen ist, auch die Fertigkeiten mitbringt, diese Tätigkeit (mehr oder weniger gut) auszuführen. Der Coach nimmt die Rolle eines naiven Fragers ein, der sich genau beschreiben lässt, in welche Einzeltätigkeiten und konkreten Handlungsschritte sich auch alltägliche Aufgaben des Teilnehmers untergliedern lassen. Ziel der Analyse ist es, den Teilnehmer auf die häufig vorhandene Reichhaltigkeit der eigenen Tätigkeit aufmerksam zu machen. Werden manche Tätigkeiten – insbesondere solche, die mit einem negativen Affekt belegt sind – zunächst mit einer Pauschalantwort be-
75
4
76
Kapitel 4 • Eine Methode der kompetenzorientierten Laufbahnberatung: Die Kompetenzenbilanz
schrieben, so stellt sich bei genauem Nachfragen meist eine erstaunliche Komplexität der in einer Aufgabe enthaltenen Einzeltätigkeiten heraus. Der Coach soll diese Analyse mit dem Teilnehmer durchführen bis dieser das Prinzip der Tätigkeitsanalyse verstanden hat und diese selbstständig als Hausaufgabe weiter bearbeiten kann. Die Hausaufgabe besteht im Weiteren darin, für möglichst viele Tätigkeitsbereiche eine Fertigkeitenanalyse durchzuführen. Coach und Teilnehmer können einige Tätigkeitsbereiche vereinbaren, die ergiebig für eine entsprechende Analyse zu sein scheinen. Der Coach soll den Teilnehmer außerdem darauf hinweisen, dass er diese Aufgabe nicht als bürokratische Pflichtübung ausführen muss, sondern vielmehr nur so lange an der Analyse arbeiten soll, wie er selbst dies als interessant empfindet. Der Teilnehmer erhält für die Hausaufgabe auf Wunsch außerdem auf elektronischem Weg eine Datei, die die Bearbeitung der Liste am Computer ermöglicht. Darüber hinaus kommt es bei der Bearbeitung der Fertigkeitenlisten nicht auf die Form an. Manche Teilnehmer oder auch Coaches tun sich leichter, statt der Listen mit einem Mindmap zu arbeiten. Auch dieses Vorgehen ist zulässig, wenn es dazu dient, die detailgenaue Reflexion über das eigene Handeln beim Teilnehmer anzuregen. Das konkrete Vorgehen kann am besten anhand der einzelnen Felder der Arbeitsblätter, die für diesen Schritt hinzugezogen werden, deutlich gemacht werden (. Tab. 4.2). Die Inhalte der Spalten des Arbeitsblatts im Detail:
4
z
Zeitraum
Fragestellung: In welchem Zeitraum oder seit welchem Zeitpunkt wurde diese Tätigkeit ausgeübt? Wenn es sich um ein Ereignis handelt: Wann fand dieses Ereignis statt? z Welche Tätigkeiten wurden ausgeübt?
Tätigkeit/Projekt/Einrichtung
Fragestellung: Wie lässt sich die Tätigkeit benennen? Wie hieß/heißt das Projekt? In welcher Einrichtung fand diese Tätigkeit statt? Die Überschrift schließt alle Einheiten ein, innerhalb derer eine beschreibbare Tätigkeit stattgefunden hat. Dazu gehören auch solche »Einrichtungen« wie Familie und Freundeskreis, die von vielen Teilnehmern zunächst nicht als Tätigkeitsfelder verstanden werden. Auch wenn die Teilnehmer im Lebensprofil das Privatleben thematisiert haben, fällt es ihnen zuweilen schwer, beispielsweise familiäre Tätigkeiten als Aktivitäten zu betrachten, die ihnen zum Teil vielfältige Fertigkeiten abverlangen. Ziel des Coachings ist es, einerseits einen reichhaltigen Einblick in berufliche Tätigkeiten zu gewinnen, aber auch private Tätigkeiten einer Reflexion zugänglich zu machen. Unter der genannten Überschrift kann also jeder Rahmen verstanden werden, innerhalb dessen eine Tätigkeit ausgeführt worden ist, sei es in einem Anstellungsverhältnis in einer Firma, in der Freizeit, mit der Familie, bei einem Ehrenamt, in der Ausbildung oder bei der Durchführung eines einzelnen Projekts (z. B. Familie, Firma, Verein, eigene Firma, Universität, Reise, Hobbys …).
4
77
4.3 • Das Verfahren
. Tab. 4.2 Arbeitsblatt: Fertigkeiten Wann?
Wo?
Was?
Zeitraum
Tätigkeit, Projekt oder Einrichtung
Aufgabenbereiche
Was mache ich genau und worauf achte ich? Fertigkeit(en)
Könnena
Wie gerne mache ich das?
2006–2009
Kronauer GmbH
EDV-Sicherheitsbeauftragter
Fachwissen, genau arbeiten, Mitarbeiter von Sicherheitsmaßnahmen überzeugen, hartnäckig nachfragen, das Unternehmen genau kennen, unter Belastung arbeiten, improvisieren, entscheiden, gegenüber neuen Inhalten offen sein, selbstständig neues Wissen erwerben …
D
Ja, sehr
seit 2009
Linke AG
Leiter Netzwerk-Administration
Fachwissen, geduldig und offen mit den Mitarbeitern sein, verantwortlich mit Geld umgehen, betriebswirtschaftliche Kenntnisse, vorausschauend planen, Konflikte lösen, entscheiden, mit internen und externen Kunden umgehen, transparent arbeiten, selbstständig das eigene Wissen erweitern …
C
Manches davon gerne, manches nicht so
Seit 2009
Linke AG
Projektleitung in verschiedenen Projektgruppen
Planen, organisieren, Ziele mit den Mitarbeitern vereinbaren, mit externen Dienstleistern verhandeln und kooperieren, für eine angenehme Atmosphäre im Team sorgen, Stärken der Mitarbeiter erkennen, Projektteams zusammenstellen, Umgang mit Kunden, betriebswirtschaftliche Kenntnisse, kontrollieren, Termintreue …
C
Nein
Seit 2006
Familie
Häusliche Pflege der Großmutter
Geduldig sein, zusammenhalten, die Zeit einteilen, mit Belastungen umgehen, einfühlen, zuhören, medizinische Grundkenntnisse erwerben, »positive Grundeinstellung« …
B
Mache ich sehr gerne, wenn es auch manchmal zu viel ist
2009
Familie
Hausbau
Planen, betriebswirtschaftliche Kenntnisse, die Zeit einteilen (Kinder, Beruf, Baustelle), alles mit der Frau absprechen, Verhandeln mit Banken und Baufirmen, »Ärmel hochkrempeln«, handwerkliche Fertigkeiten, Ausdauer, Geduld, Durchhaltevermögen
B
Ja, aber so bitte nicht noch einmal!
a
Wie?
A Grundlagenwissen: Sie können eine Tätigkeit unter Anleitung ausführen; B Zusammenhangswissen: Sie können eine Tätigkeit unter ähnlichen Bedingungen selbstständig ausführen; C Detailwissen: Sie können eine Tätigkeit auch unter problematischen Umständen und veränderten Bedingungen ausführen; D Erfahrungswissen, fachsystematisches Wissen: Sie können auch nicht vorhersehbare Aufgaben bewältigen und sind in der Lage, das eigene Wissen systematisch weiterzugeben.
78
Kapitel 4 • Eine Methode der kompetenzorientierten Laufbahnberatung: Die Kompetenzenbilanz
z
Aufgabenbereiche
Fragestellung: In welche Aufgabenbereiche lässt sich die Tätigkeit oder das Projekt aufgliedern? Beispiele (aus unterschiedlichen Bereichen): Organisation von Veranstaltungen, Haushalt, Hausbau, Korrespondenz, Auswertung von Marktdaten, Diplomarbeit, Entwurf eines Marketingkonzepts etc. Es wird deutlich, dass es sich hier im Vergleich zu den nachfolgenden Fertigkeiten um übergeordnete Einheiten handelt, die im Rahmen einer Tätigkeit anfallen, also um Aufgabenbereiche, die auf unterschiedliche Weise gefüllt werden und in denen, je nach Beschaffenheit der Organisation oder des Projekts, verschiedene Fertigkeiten zum Einsatz kommen.
4
z Genauigkeit der Analyse
Hartnäckigkeit im »Knacken« von Worthülsen
Fertigkeiten
Fragestellungen: Was muss der Teilnehmer können, um den Tätigkeitsbereich angemessen auszufüllen, um die Aufgaben zu bearbeiten oder das Projekt abzuwickeln? In welcher Weise hat der Teilnehmer gehandelt, um die jeweilige Aufgabe zu erfüllen? Hier geht es darum, kleine und kleinste Handlungsschritte zu identifizieren und zu formulieren, die Teil der Tätigkeit sind. Diese Analyse ist zeitlich und inhaltlich aufwändig und anstrengend. Ebenso wie sich manche Teilnehmer zunächst nicht vorstellen können, dass sie unter Umständen eine komplexe Tätigkeit ausgeführt haben, kommt es häufig vor, dass sie ihre Fertigkeiten mit verallgemeinernden Begriffen beschreiben. Diese Stichworte klingen zumeist, als wären sie auswendig gelernt worden, und stellen sich bei näherem Hinterfragen als unklare Schlag- oder Modeworte heraus, wie sie in Stellenanzeigen oder firmeninternen Job-Beschreibungen zu finden sind. Es handelt sich um Worthülsen, die weder eine konkrete Anforderung noch eine spezifische Handlung beschreiben. Diese Ungenauigkeit macht diese Begriffe zuweilen sehr beliebt, gerade weil sie grundsätzlich kaum hinterfragbar sind. Einige beliebte und weit verbreitete Beispiele solcher Worthülsen, die es im Verlauf der Kompetenzenbilanz »zu knacken« gilt, sind: Teamfähigkeit, Flexibilität, »Hands-on-Persönlichkeit«, Motivation, soziale Kompetenz, Engagement … Grundsätzlich sollten Fertigkeiten so formuliert sein, dass sie als Handlungen verstanden werden können. Als einfache Faustregel kann man sich als Coach vornehmen, diese Spalte möglichst nur mit Verben zu füllen. Das Wort »Flexibilität« wird in seiner Bedeutung verständlich, wenn es in einen Handlungszusammenhang gebracht wird: »flexibel auf Tendenzen des Marktes reagieren«, »Zeit flexibel planen«. Für »Teamfähigkeit« stehen Handlungszusammenhänge: »sich schnell in einer Gruppe zurecht finden«, »in einer Gruppe verantwortlich Aufgaben übernehmen«, »in einer Gruppe Verantwortung übernehmen«, »andere in eine Gruppe integrieren können«. Generell gilt es Formulierungen zu finden, die nicht eine Eigenschaft einer Person bezeichnen, sondern das Können oder eine Tätigkeit oder eben eine Fertigkeit beschreiben.
4.3 • Das Verfahren
Der Coach sollte in diesem manchmal etwas langwierigen Prozess darauf achten, ob er die beschriebene Tätigkeit tatsächlich detailgenau nachvollziehen kann. Ziel ist es, ein so konkretes Bild von den besprochenen Tätigkeitsbereichen zu erhalten, dass der Coach die jeweilige Tätigkeit Dritten erklären kann. Häufig äußern die Teilnehmer, dass es sich bei den geschilderten Fertigkeiten und Tätigkeiten doch um Selbstverständlichkeiten handele. Gerade darin liegt der Grund, warum diese Fertigkeiten so schwer zugänglich sind: Die betreffende Person beherrscht eine Tätigkeit in der Form, dass sie es gar nicht mehr nötig hat, über den genauen Ablauf ihrer Handlungen nachzudenken. Gerade diese »Selbstverständlichkeiten« gilt es aufzudecken. Folgender Dialog ist bezeichnend und kommt mit großer Regelmäßigkeit im Verlauf des 1. Coachings so oder in ähnlicher Form vor:
79
4
Fertigkeiten scheinen häufig selbstverständlich
Beispiel Teilnehmer: »Das ist so schwierig, das zu beschreiben; das ist doch alles selbstverständlich. Das gehört doch einfach dazu.« Coach: »Dass Sie diese Tätigkeit häufig ausführen, bedeutet ja nicht, dass sie es deswegen nicht können.« Teilnehmer: »Nein.« Coach: »Kennen Sie Kolleginnen oder Kollegen, die das nicht tun könnten, was Sie den ganzen Tag tun?« Teilnehmer: »Ja, natürlich.« Coach: »Und was können Sie deshalb, was die anderen nicht können?« Teilnehmer: »Aber das ist ja ein Wahnsinn, wenn wir das jetzt alles aufschreiben! Das ist ja so viel!«
Meist stellt sich dieser Effekt erst nach der zähen Bearbeitung und Hinterfragung eines oder mehrerer Tätigkeitsbereiche ein. Dieser Aha-Effekt (»Darüber habe ich eigentlich noch nie nachgedacht, was alles dazu gehört, was ich da gemacht habe«) kann ein Signal dafür sein, dass der Coach nun die weitere Bearbeitung dieses Tätigkeitsbereichs in Hausarbeit vollziehen lassen und sich einem neuen Bereich zuwenden kann. Es hat sich zudem bewährt, nicht alle im Coaching behandelten Tätigkeitsbereiche erschöpfend zu analysieren. Der Vorteil einer unvollständigen Bearbeitung ist, dass die Teilnehmer in der Heimarbeit bereits einen Ansatzpunkt haben, von dem aus sie leichter beginnen können, als wenn sie zuerst eine Tätigkeit in Aufgabenbereiche aufgliedern müssten, was für sich genommen schon ein schwieriger Schritt ist. Eine bewährte Vorgehensweise ist es, im Laufe des 1. Coachings sowohl eine berufliche Tätigkeit als auch eine familiäre Tätigkeit zu analysieren. Die Erfahrung zeigt, dass die Teilnehmer in den seltensten Fällen in der Lage sind, private Tätigkeiten als lernhaltig oder Fer-
Aha-Effekt
80
Kapitel 4 • Eine Methode der kompetenzorientierten Laufbahnberatung: Die Kompetenzenbilanz
tigkeiten erfordernd zu betrachten, wenn eine Fokussierung in diese Richtung nicht bereits im Coaching stattgefunden hat. z Selbsteinschätzung
4
Können
Fragestellung: Wie ausgeprägt ist das Können in diesem Bereich? Diese Spalte des Arbeitsblatts soll es den Klienten ermöglichen, ihr eigenes Können auf einer Skala zu verorten, um später in einer Zusammenschau die besonders ausgeprägten Stärken erkennen und beschreiben zu können. Es handelt sich also nicht um objektives Messen, sondern um eine Selbsteinschätzung, die exemplarisch im Coaching vorgenommen werden sollte. Dabei sollte aber eine Überprüfung des Könnens vermieden werden. Dies gilt zumindest dann, wenn die Kompetenzenbilanz für die individuelle Beratung verwendet wird. In anderen Settings kann diese Skala auch vertieft hinterfragt werden. Es hat sich gezeigt, dass manche Teilnehmer sich mit einer eher komparativen Selbsteinschätzung leichter tun, als ihr Können auf einem eher abstrakten Niveau zu beschreiben. Bei anderen Teilnehmern verhält es sich genau umgekehrt. Es existieren also 2 verschiedene Skalen, um eine Selbsteinschätzung des Könnens zu ermöglichen. Zunächst die beiden Skalen: 5 Können-Skala 1: a. Grundlagenwissen: eine Tätigkeit unter Anleitung ausführen können b. Zusammenhangswissen: eine Tätigkeit unter ähnlichen Bedingungen selbstständig ausführen c. Detailwissen: eine Tätigkeit auch unter problematischen Umständen und veränderten Bedingungen ausführen d. Erfahrungswissen, fachsystematisches Wissen: auch nicht vorhersehbare Aufgaben bewältigen können und in der Lage sein, das eigene Wissen systematisch weiterzugeben 5 Können-Skala 2: a. Grundlagenwissen: »die meisten können das besser als ich« b. Zusammenhangswissen: »ich kann das so gut wie andere« c. Detailwissen: »ich kann das besser als manche andere« d. Erfahrungswissen: »ich kann das besser als viele andere«
Es sollte den Teilnehmern überlassen bleiben, ob und welche Skala sie nutzen möchten. Dazu sei gesagt, dass die Skala 1 auf einem in der pädagogischen Psychologie gebräuchlichen Konzept zur Beschreibung von Expertisegraden beruht. Skala 2 erlaubt dagegen nur eine kontrastierende Selbstbeschreibung mit einem geringen Grad an Objektivierung. Im Coaching-Gespräch besteht das Ziel darin, für einige Tätigkeitsbereiche eine Einschätzung vorzunehmen und die weitere Bearbeitung an die Teilnehmer zu delegieren.
4.3 • Das Verfahren
Hinweis Da es ja in der Kompetenzenbilanz nicht um eine objektive Einschätzung des Könnens der Teilnehmer geht, sondern um eine Standortbestimmung, eine Selbstreflexion und die Einschätzung der eigenen Stärken und Schwächen, sollte dieser Punkt von den Teilnehmern als Hinweis genutzt werden können, in der Zusammenschau zu erkennen, wo besondere Stärken und in welchen Bereichen weniger ausgeprägte Stärken zu finden sind.
z
Wie gerne mache ich das?
Während der Besprechung der Fertigkeiten ergeben sich immer wieder Situationen, in denen die Teilnehmer darüber Auskunft geben, welche Tätigkeiten sie gerne ausgeführt haben und welche sie zwar gut, aber nicht oder nicht mehr gerne ausüben. In dieser letzten Spalte können die Teilnehmer kennzeichnen, ob sie eine Tätigkeit gerne oder ungerne ausüben, oder ggf. auch notieren, welcher Aspekt ihnen in dem jeweils beschriebenen Bereich gut bzw. nicht gut gefallen hat. z
Leitlinien für die Erarbeitung der Fertigkeiten im Verlauf des Gesprächs
5 Es ist ratsam, zunächst einen Bereich herauszugreifen, der für die Teilnehmer gut beschreibbar und fassbar ist – häufig bietet sich die aktuell oder zuletzt ausgeübte Arbeitstätigkeit an. Wichtig ist es, das Prinzip zu verdeutlichen, nach dem die Tätigkeit hinterfragt wird. Im nächsten Schritt empfiehlt es sich dann, auch eine komplexere Tätigkeit zu analysieren. 5 Wichtig ist es auch, nicht nur Tätigkeiten aus dem Berufsleben, sondern aus verschiedenen Bereichen heranzuziehen. Meist fällt es den Teilnehmern leichter, Arbeitstätigkeiten zu beschreiben und zu analysieren. Insbesondere die Analyse von Hausarbeit und Tätigkeiten im familiären Bereich werden von den Teilnehmern in den seltensten Fällen als Arbeit und Lernfeld erkannt. Es empfiehlt sich daher, auch aus diesem Bereich ein Tätigkeitsfeld genauer zu untersuchen. 5 Die Tätigkeitsbereiche sollen im Gespräch in möglichst kleine Handlungseinheiten zergliedert werden. Ein Beispiel: Gibt eine Person an, im Sekretariat viel zu kommunizieren, dann gilt es zu hinterfragen, wie viel, auf welche Weise und mit wem die Person spricht. Ein persönlicher Kontakt ist etwas anderes als ein Telefonkontakt, der sich wiederum stark vom Schriftverkehr unterscheidet. 5 Fertigkeit wird in der Kompetenzenbilanz als kleinster Handlungsschritt der Tätigkeit angesehen. Beim vorangegangen Beispiel bedeutet dies: Kommunikation ist noch keine Fertigkeit, sondern sie ist ein Teilbereich der Tätigkeit. Die einzelnen, erlernbaren Elemente der Kommunikation, die in einer Tätigkeit
81
4
82
4
Kapitel 4 • Eine Methode der kompetenzorientierten Laufbahnberatung: Die Kompetenzenbilanz
wichtig sind, können als Fertigkeiten bezeichnet werden. Also in diesem Falle beispielsweise: Geschäftsbriefe verfassen, am Telefon verhandeln, Termine koordinieren, Gruppen moderieren … und was sonst noch zu diesem Bereich gehört. 5 Häufig »springen« die Teilnehmer bei der Analyse der Fertigkeiten zwischen Tätigkeits- und Kompetenzbegrifflichkeiten. Hier gilt es darauf zu achten, sich im Gespräch auf die Handlungsebene zu beziehen und die Voraussetzungen für dieses Handeln (also etwa Kommunikationsfähigkeit oder Belastbarkeit) auszuklammern. »Was tun Sie genau?« sollte die Leitfrage sein, die mit einer Tätigkeit zu beantworten ist. Folglich sind Antworten, die mit der Formulierung »ich bin …« beginnen, bei der Analyse weiter zu hinterfragen. Auch Aussagen »ich bin aufmerksam«, »ich bin freundlich«, »ich bin kommunikativ« lassen sich durch weiteres Hinterfragen auf Handlungen beziehen, die nach außen hin nicht nur wirksam, sondern auch unmittelbar sichtbar und somit auch beschreibbar werden. 5 Um das eigene Verständnis für die Tätigkeit zu hinterfragen, können sich die Coaches selbst immer wieder die Frage stellen, ob sie den Arbeitsprozess der Klienten jeweils so gut verstehen, dass sie ihn Dritten gegenüber erklären könnten. 5 Um »blinde Flecken« in der Wahrnehmung aufzuspüren, empfiehlt es sich immer wieder zu fragen (Beispiel): »Wenn eine Person also Termine vereinbaren, mit den Office-Anwendungen umgehen, Preisverhandlungen führen kann, Marktkenntnisse besitzt […] – dann kann sie diese Tätigkeit ausführen?« Meist lassen sich durch diese Frage noch weitere Bereiche der Tätigkeit und des Könnens erfahren, die von den Teilnehmern bis dahin als selbstverständlich angenommen worden sind. Als Variante davon kann man den Teilnehmern die Aufgabe stellen, für die Urlaubsvertretung eine vollständige Liste von Aufgaben und wie diese zu erfüllen sind zu hinterlassen. Noch eine Variante: »Konnten sie das, was sie an dieser Stelle getan haben, schon immer?« Im Folgenden sind einige Beispielfragen aufgeführt für unterschiedliche Fälle, die sich in der Beratung häufig zunächst als schwierig darstellen. Beispielfragen wenn Tätigkeitsbereiche schwer zu überschauen sind, wenig Regelmäßigkeiten aufweisen und als besonders komplex zu bezeichnen sind: 5 Gemeinsamkeiten zwischen den verschiedenen Tätigkeiten herausarbeiten 5 Typische Projektabläufe hinterfragen 5 Situationen und Beispiele aus den Tätigkeiten beschreiben lassen 5 Inhaltliche Themenschwerpunkte herausarbeiten 5 Nach besonders erfolgreichen Projekten fragen
4.3 • Das Verfahren
5 In welchen Projekten haben Sie besonders viel gelernt? Und was haben Sie da gelernt? Welche Projekte waren besonders lernhaltig? 5 Welche Projekte sind besonders typisch? 5 Was sind Arbeitsschritte in einem Tätigkeitsbereich oder in einem Projekt? 5 Lässt sich ein Projekt in typische Phasen unterteilen? 5 Wie wurden Ergebnisse erzielt? Welche Werte spielten dabei eine Rolle? 5 Warum ist der Job unübersichtlich? 5 Was machen Sie in der Tätigkeit anders als andere? Anregungen für den Fall, dass den Teilnehmern der Sinn des hohen Arbeitsaufwands nicht einleuchtet: 5 Ausblick über den weiteren Verlauf bieten 5 Sinn der Reflexion erklären 5 Mindestmaß, das zu bearbeiten ist, vereinbaren 5 Beispiele aus der Arbeitsmappe erklären 5 Tätigkeiten, die den Teilnehmern wichtig sind, zuerst behandeln 5 Den Teilnehmer dazu anregen, die Tätigkeiten auch mit Angehörigen oder mit Kollegen zu besprechen 5 Prozess nicht im Gespräch abschließen, sondern so offen lassen, dass der Teilnehmer zu Hause genau weiß, wo und wie er weiterarbeiten soll. Beispielfragen für den Fall, dass der Prozess oberflächlich bleibt (die Teilnehmer verwenden hauptsächlich Schlagworte und erweisen sich für die detaillierte Analyse als schwer zugänglich). Dies wird an folgendem Beispiel für Teamfähigkeit deutlich: 5 Was ist Teamfähigkeit? 5 Aus welchen Leuten bestand das Team? 5 Welche Aufgabe hatten Sie in diesem Team? 5 Welche Aufgaben hatten die anderen Teammitglieder? 5 Welche Beiträge haben Sie im Team zur Erreichung des Arbeitsziels geleistet? 5 Gab es Konflikte im Team? 5 Welche Konflikte waren das? 5 Wie wurden diese Konflikte gelöst? 5 Welche Rolle haben Sie dabei gespielt? 5 … Anregungen für den Fall, dass Tätigkeiten und Fertigkeiten von dem Teilnehmer als selbstverständlich und keiner Analyse wert befunden werden: 5 Typischen Arbeitstag schildern lassen 5 Beispiele aus verschiedenen Bereichen geben lassen 5 Problemsituationen und ihre Bewältigung hinterfragen 5 Höhepunkte nennen lassen
83
4
84
Kapitel 4 • Eine Methode der kompetenzorientierten Laufbahnberatung: Die Kompetenzenbilanz
5 Arbeitshandlung verstehen (Könnte ich als Coach das anderen Personen erklären?) 5 Was ist Ihnen in der Tätigkeit besonders wichtig? (Werte, »Stil« der Arbeitsweise hinterfragen) 5 Unterschied zu anderen Mitarbeitern hervorheben Grenzen: In wie kleine Handlungsschritte sollen die Tätigkeiten unterteilt werden? 5 Grundsätzlich gibt es keine Begrenzung für den Detailliertheitsgrad der Analyse. 5 Der Grad der Reflexion sollte dem Teilnehmer überlassen bleiben und ggf. gemeinsam vereinbart werden. 5 Redundanzen, die zu keinen weiteren Erkenntnissen führen, weisen darauf hin, dass eine Grenze in der Analyse erreicht ist. (Es sollte unbedingt vermieden werden, sinnlos Daten zu sammeln.)
4
Ausrichtung der Methoden am Ziel
Die Liste an Anregungen ließe sich an dieser Stelle noch fortsetzen. Zum Teil ist die Vorgehensweise auch von Vorerfahrungen der Coaches und den Vorlieben der Teilnehmer abhängig. Die Kompetenzenbilanz sollte als Verfahren angesehen werden, das für verschiedene Methoden oder Kreativitätstechniken offen ist, um ein Lebensprofil oder Fertigkeiten zu erarbeiten. Dabei sollte jedoch stets auf das Prozessziel geachtet werden, das darin besteht, Material in so strukturierter Form zu sammeln, dass schließlich Fertigkeiten als Grundlagen für Kompetenzen erarbeitet werden. Eine Gefahr, unterschiedliche Methoden zu verwenden, besteht darin, Informationen zu sammeln, die unter Umständen interessante Anregungen für ein persönliches oder auch ein professionelles Gespräch bieten, die aber nicht die Kompetenzenbilanz fokussieren. Unter diese Techniken fallen solche, die beispielsweise Beziehungen der Personen zu ihren Eltern durch Familienaufstellungen, familiäre Stammbäume oder ähnliche Methoden ergründen wollen. Dabei soll an dieser Stelle nicht gegen diese Vorgehensweisen argumentiert werden, die in ihren jeweiligen Settings und darüber hinaus bewährt sind und erfolgreich eingesetzt werden. Die Kompetenzenbilanz bietet jedoch keinen Platz für diese Methoden, die auf psychodynamischen Prozessen basieren und in der Regel hypothesengeleitet bestimmte Wirkzusammenhänge in der Biografie des Gegenübers annehmen. Die Kompetenzenbilanz soll gerade keine Methode sein, in welcher Deutung stattfindet, sondern in der es darum geht, Tätigkeiten von Personen zu analysieren, deren Zusammenhang mit der jeweiligen Lebensgeschichte zu erklären und die so gewachsenen Kompetenzen zu beschreiben.
Analyse der Fertigkeiten als Kernstück des Verfahrens
Für den Coach kann der Übergang vom Lebensprofil zur Tätigkeitsanalyse zunächst als Bruch im Prozess erscheinen. Es mag wirken, als würde man sich nun von einer reichen und bereichernden Geschichte
z
Anmerkung
4.3 • Das Verfahren
85
4
in die Niederungen bürokratischen Erarbeitens von Fertigkeiten begeben, wodurch der Blick auf die Person verstellt und das Lebensprofil entwertet wird. Diesen Bedenken sei an dieser Stelle heftig widersprochen: Denn gerade die detaillierte Analyse der Fertigkeiten bietet eine Grundlage dafür, Kompetenzen der Teilnehmer auch tatsächlich anhand von Handlungen zu belegen. Gerade in der Konkretheit der Beschreibung und in der Detailliertheit der Fertigkeiten liegt die Kraft der Kompetenzenbilanz. In der ausführlichen Besprechung unterschiedlicher Tätigkeiten erleben die Teilnehmer eine positive Wertschätzung ihrer Erfahrungen. Darüber hinaus wird an diesem Punkt konkret, was in der biografischen Arbeit zuvor noch in größeren Abschnitten erzählt wurde. Auch an dieser Stelle sei auf 7 Kap. 5 verwiesen, in dem Nutzeneinschätzungen der Analyse der Fertigkeiten und psychologische Wirkungen aufgeführt sind.
Abschluss des Gesprächs Das Gespräch kann dann zu einem Abschluss gebracht werden, wenn der Teilnehmer eindeutig verstanden hat, worin der Sinn und Zweck einer detaillierten Analyse von Tätigkeiten in Hinblick auf ihre Fertigkeiten liegt. Wie bereits erwähnt, ist dieser Punkt meist dann erreicht, wenn die Teilnehmer bemerken, wie viel Arbeit es eigentlich bedeutet, diese Fertigkeiten aufzulisten, und wie komplex die eigenen Tätigkeiten tatsächlich sind. Es gilt im Folgenden die Aufgaben zu besprechen, die die Teilnehmer bis zum 2. Coaching-Gespräch eigenständig bearbeiten sollen, nämlich die begonnenen Fertigkeiten-Listen möglichst zu vervollständigen. Wichtig ist hierbei, die Teilnehmer nach ihren zeitlichen Ressourcen zu fragen und unter Umständen gemeinsam zu überlegen, wann die Aufgabe erledigt werden kann. Außerdem muss gemeinsam besprochen werden, welches Mindestmaß an Tätigkeiten auf ihre Fertigkeiten hin analysiert werden sollte, damit im nächsten Gespräch effizient und effektiv weitergearbeitet werden kann. Es bietet sich an, gemeinsam einige Tätigkeitsfelder zu identifizieren, die ein möglichst breites Spektrum an Fertigkeiten abdecken. Darüber hinaus kann es von großem Nutzen für den weiteren Prozess sein, mit den Teilnehmern zwischen den Coachings per E-Mail in Kontakt zu bleiben. Es sollte ihnen freigestellt sein, ob sie die Bearbeitung der FertigkeitenListen per Hand oder anhand einer digitalen Version am PC vornehmen. Hier gibt es unterschiedliche Präferenzen, auf die Rücksicht zu nehmen ist. Die digitale Bearbeitung der Fertigkeiten-Listen bietet den Vorteil, dass der Teilnehmer die Ausarbeitungen an den Coach schicken kann, der die Listen als Vorbereitung für das 2. Gespräch durchsehen kann. Häufig bereitet es den Teilnehmern zunächst Schwierigkeiten, die Fertigkeiten-Listen selbstständig zu bearbeiten. Bei einer Bearbeitung per PC und entsprechendem Austausch bietet
Wie wird der Teilnehmer aus dem Gespräch entlassen?
»Hausaufgaben«
86
Kapitel 4 • Eine Methode der kompetenzorientierten Laufbahnberatung: Die Kompetenzenbilanz
sich die Möglichkeit für Rückfragen, die am konkreten Beispiel beantwortet werden können. > Wichtig Je reichhaltiger die Analyse der Fertigkeiten ausfällt, desto ergiebiger werden das 2. Gespräch und schließlich auch die gesamte Kompetenzenbilanz ausfallen.
4
4.3.4
2. Coaching
Das 2. Coaching umfasst folgende Arbeitsschritte: 1. Begrüßung und Eröffnung des Gesprächs 2. Besprechen und Ergänzen der erarbeiteten Fertigkeiten: Hinterfragen, Verstehen und Vervollständigen 3. Finden von Kompetenzen (Akkumulieren von Fertigkeiten zu Kompetenzbegriffen) und Zuordnen der Kompetenzen in die 4 Kompetenzbereiche 4. Abschluss des Gesprächs Die einzelnen Schritte im Detail:
Begrüßung und Eröffnung des Gesprächs Die Eröffnung des 2. Gesprächs kann nach den folgenden Leitfragen gestaltet werden: 5 Wie ist es Ihnen mit der Aufgabe gegangen? 5 Wie lange haben Sie sich mit den Materialien beschäftigt? 5 Gab es dabei irgendwelche Probleme? 5 Was ist Ihnen besonders schwer gefallen? 5 Womit haben Sie sich leicht getan? 5 War es für Sie interessant, sich auf diese Weise mit Ihren Tätigkeiten und Fertigkeiten auseinander zu setzen? 5 Gibt es noch Fragen zum Ablauf, zu den Terminen etc.? Zum Abschluss dieses Gesprächsabschnitts sollte eine Vorschau auf den Verlauf der 2. Coaching-Sitzung gegeben werden.
Besprechung der Fertigkeiten Hinterfragen, Verstehen und Vervollständigen
Dies ist eine unmittelbare Fortsetzung des 1. Coaching-Gesprächs. Nur sollte hier der Teilnehmer bereits in der Lage sein, anhand der Fertigkeiten-Listen die verschiedenen Tätigkeitsbereiche und die darin enthaltenen Fertigkeiten detailliert und strukturiert erklären zu können. Aufgabe des Coaches ist es in dieser Phase, die Aufzeichnungen des Teilnehmers im Dialog zu sichten und ggf. gemeinsam mit ihm soweit zu ergänzen, dass er die Tätigkeiten des Teilnehmers einem außenstehenden Dritten erklären kann. Es ist sicher nicht möglich, alle Fertigkeiten in gleicher Ausführlichkeit zu besprechen. Maßgeblich ist hier nicht, dass der Coach über
4.3 • Das Verfahren
alle Informationen verfügt, sondern dass der Teilnehmer – wie auch beim Lebensprofil – Einblick in die Lernhaltigkeit der eigenen Tätigkeiten und die jeweils genutzten Ressourcen gewinnt. Dieses Vorgehen dient den folgenden Zielen: 5 Es findet eine Kontrolle darüber statt, inwieweit die Inhalte des 1. Coachings vom Teilnehmer verstanden und verinnerlicht worden sind, so dass überprüfbar ist, ob er in der Lage ist, selbstständig eine Analyse der eigenen Tätigkeiten durchzuführen. 5 Der Teilnehmer übt sich im 2. Coaching-Gespräch darin, die Tätigkeiten aus der eigenen Biografie einer anderen Person gegenüber in strukturierter Weise darzustellen. 5 Es entsteht eine Sammlung konkret nachvollziehbarer Begriffe als Grundlage für die Erarbeitung von Kompetenzen. 5 Der Coach erhält Material, aufgrund dessen er die Tätigkeiten des Teilnehmers nachvollziehen kann und auf das er später zurückgreifen kann, um beispielsweise ein schriftliches Gutachten zu erstellen. > Wichtig Hin und wieder tendieren Teilnehmer und Coach dazu, Tätigkeitsbereiche zu überspringen, wenn darin ähnliche Fertigkeiten vorkommen wie in bereits besprochenen Bereichen. Zwar muss man nicht alle Tätigkeitsbereiche mit der gleichen Gründlichkeit besprechen, doch sollte Folgendes beachtet werden: Wenn ähnliche Fertigkeiten in verschiedenen Tätigkeitsbereichen auftreten, kann dies ein Hinweis auf dahinterstehende Kompetenzen sein. Das Besprechen der Fertigkeiten ist also ein Schritt, der für die Akkumulierung von Fertigkeitsbegriffen zu Kompetenzbegrifflichkeiten unbedingt notwendig ist.
Leitlinien für das Besprechen und Vervollständigen der FertigkeitenListen: 5 Tätigkeiten vom Teilnehmer erklären lassen 5 Die einzelnen Begriffe daraufhin hinterfragen, was damit jeweils genau gemeint ist 5 Fehlende Fertigkeiten schriftlich ergänzen und vom Teilnehmer auf dessen Unterlagen selbst ergänzen lassen, so dass dieser sämtliche Informationen auch anhand der eigenen Unterlagen nachvollziehen kann 5 Pauschale Begriffe auf eine Handlungs- und Fertigkeitsebene bringen 5 Redundante Fertigkeiten ggf. farbig anstreichen. (Sich wiederholende oder ähnliche Fertigkeiten bieten Hinweise darauf, dass diese sich zu einem Kompetenzbegriff zusammenfassen lassen.) 5 Darauf achten, dass jede Tätigkeit vollständig erfasst wird, so dass sie einer dritten Person erklärt werden kann
87
4
88
Kapitel 4 • Eine Methode der kompetenzorientierten Laufbahnberatung: Die Kompetenzenbilanz
> Wichtig Der erste Schritt des 2. Coaching-Gesprächs (Besprechung der Fertigkeiten) sollte eine Dauer von ca. 45 Minuten nicht wesentlich überschreiten. Hindernisse
4
In der Praxis stehen den genannten Ansprüchen allerdings 2 mögliche Umstände entgegen: a. Der Teilnehmer bringt zu wenig Material in das 2. Gespräch mit. b. Der Teilnehmer hat so viele verschiedene Tätigkeiten so intensiv bearbeitet, dass ein umfassendes Durchsprechen der einzelnen Fertigkeiten den Rahmen des Gesprächs sprengen würde. z
Termine zu verschieben, lohnt sich selten
a.) Zu wenig Material
Betrachten wir zunächst den Fall, dass der Teilnehmer zu Hause kaum oder gar nicht dazu gekommen ist, weitere Tätigkeiten auf ihre Fertigkeiten hin zu beschreiben. Dabei gehen wir bei der hier dargestellten Variante davon aus, dass für einen Coaching-Prozess idealtypisch 3 Sitzungen zzgl. Einführungsworkshop zur Verfügung stehen. Es kommt gelegentlich vor, dass die Teilnehmer nicht ausreichend vorbereitet zur 2. Sitzung erscheinen. Es sollte nun überlegt werden, wie es trotz des lückenhaften Materials möglich ist, den Prozess der Kompetenzenbilanz befriedigend weiterzuführen. In der Praxis hat es sich selten bewährt, Termine wegen unzureichend vorbereiteter Materialien zu verschieben. Die Erfahrung zeigt, dass Klienten, denen 1 Woche für die Ausarbeitung der Materialien nicht ausreicht, auch nach mehreren Terminverschiebungen nur selten vorbereitet zu einem der Coachings erscheinen. Vielmehr verschleppt sich auf diese Weise der gesamte Prozess und büßt an Intensität und Stringenz ein. Es hat sich bewährt, die Kompetenzenbilanz notfalls mit unzureichenden Materialien fortzusetzen, anstatt den Termin mehrfach zu verschieben. > Wichtig Wenn die Verantwortung für Inhalte des Coachings im Sinne einer klientenzentrierten Beratung beim Teilnehmer liegt, so liegt auch das Fehlen der Inhalte in dessen Verantwortung. Der Coach trägt im Auftrag des Teilnehmers die Verantwortung für die Fortsetzung des Prozesses und muss deshalb notfalls auch bereit sein, kleinere inhaltliche Lücken in Kauf zu nehmen.
Struktur beibehalten
Aus diesen Feststellungen folgt, dass sich der Prozess des 2. Coachings kaum dadurch verändern sollte, dass der Teilnehmer wenige oder keine weiteren Fertigkeiten ausgeführt hat. Vielmehr sollten auch in diesem Fall höchsten 60–75 Minuten darauf verwendet werden, die Fertigkeitsanalyse aus der 1. Sitzung fortzusetzen. Wenn ein Teilnehmer seine »Hausaufgaben« nicht gemacht hat, so sollte der Coach in jedem Fall nachfragen, was die Gründe
4.3 • Das Verfahren
dafür sind. Er sollte ein Verständnis dafür entwickeln, in welcher Situation sich sein Klient befindet: Wenn er schildert, warum er nicht dazu gekommen ist, die Unterlagen zu bearbeiten, kann dies wichtige Hinweise auf die Lebensumstände, zeitliche Ressourcen etc. bieten. Erkenntnisse und Überlegungen hieraus können wiederum beim Abschluss der Kompetenzenbilanz – bei der Entwicklung von nächsten Schritten und eines Aktionsplans – eine entscheidende Rolle spielen. Andererseits hat der Teilnehmer die Fertigkeiten möglicherweise auch deshalb nicht selbstständig ausgearbeitet, weil er den Prozess nicht genau verstanden hat oder den Sinn dieser Detailanalyse nicht nachvollziehen kann. Ganz gleich, aus welchem Grund die Fertigkeiten-Listen nicht vorliegen: Der Coach muss den Grund hierfür herausfinden und in das weitere Vorgehen einbeziehen.
Leitlinien für den Umgang mit unzureichenden Unterlagen im 2. Coaching-Gespräch 5 Nachfragen, woran es lag, dass die Unterlagen nicht bearbeitet werden konnten (Verständnis der Aufgabe, Einsicht in den Sinn der Aufgabe, zeitliche Hinderungsgründe) 5 Ausblick geben, dass eine Bearbeitung der Kompetenzenbilanz dennoch möglich ist und auf welche Weise dies nun stattfinden kann (längere Beschäftigung mit Fertigkeiten als vorgesehen, eventuell Anreicherung der Fertigkeiten per Mail usw.) 5 Die dokumentierten Fertigkeiten nochmals kurz durchsprechen und ggf. ergänzen 5 In angemessenem zeitlichem Rahmen (60–75 Minuten) weitere Tätigkeiten auf Fertigkeiten hin abfragen und analysieren
> Wichtig Ziel sollte es immer sein, im vorgegebenen Zeitrahmen genügend Material zu sammeln, um nach 3 Coachings Argumentationsmaterial für die Kernkompetenzen der Teilnehmer zu haben. Dabei kommt es nicht immer auf die Vollständigkeit der »Argumente« an, sondern auf deren Stichhaltigkeit. Innerhalb des engen Zeitkorsetts macht sich jede zeitliche Verschleppung unmittelbar im nächsten Gespräch bemerkbar, und spätestens im Abschlussgespräch wird dann die Zeit fehlen, gemeinsam mit dem Teilnehmer nächste Schritte, die sich aus der Kompetenzenbilanz ergeben, zu besprechen. Wie wir noch sehen werden, ist jedoch diese Zukunftsaussicht von entscheidender Bedeutung für eine nachhaltige Zufriedenheit mit dem Prozess der Kompetenzenbilanz.
89
4
90
Kapitel 4 • Eine Methode der kompetenzorientierten Laufbahnberatung: Die Kompetenzenbilanz
z Auswählen der wichtigsten Tätigkeiten
4
b.) Zu umfangreiches Material
Einige Worte zu dem Fall, dass der Teilnehmer derart viele Fertigkeiten erarbeitet hat, dass es unrealistisch erscheint, diese vollständig zu sichten: Auch in dieser Situation ist es im Sinne der Kompetenzenbilanz und damit auch im Sinne des Teilnehmers wichtig, die Zeitstruktur der Kompetenzenbilanz im Auge zu behalten und somit dem Teilnehmer zu ermöglichen, alle Teile des Verfahrens zu durchlaufen. Ausarbeitungen des Teilnehmers können in Einzelfällen einen Umfang von bis zu 40 Seiten erreichen. Es stellt sich die Frage, wie dieses Material angemessen gewürdigt und gesichtet werden kann, ohne die Zeit zu sehr zu überschreiten oder auch ohne eine unter Umständen wichtige Tätigkeit zu unterschlagen. Für diesen Fall gibt es kein Patentrezept. Folgende Leitlinien sollten jedoch beachtet werden: 5 Den Teilnehmer für die ausführliche Ausarbeitung der Fertigkeiten loben 5 Ausblick darauf geben, dass eine erschöpfende Besprechung der Fertigkeiten im Rahmen des 2. Coachings nicht möglich sein wird 5 Nachfragen, welche Tätigkeiten der Teilnehmer im Coaching besprechen möchte, welche Tätigkeiten besonders wichtig waren 5 Möglichst mehrere Tätigkeiten aus verschiedenen Bereichen vollständig besprechen – also nicht ausschließlich berufliche oder ausschließlich familiäre Tätigkeiten besprechen, sondern sowohl berufliche als auch familiäre oder andere Tätigkeiten und Interessen im Gespräch behandeln 5 Darauf achten, ob sich u. U. Redundanzen feststellen lassen: Vielleicht ähneln sich verschiedene Tätigkeiten, so dass es sinnvoll ist, den besten Repräsentanten für einen Tätigkeitsbereich eingehend zu besprechen und einen ähnlichen Tätigkeitsbereich überblicksartig zu streifen, um festzustellen, dass hier ggf. ähnliche Fertigkeiten dokumentiert worden sind
»Finden« von Kompetenzen und Zuordnen zu den Kompetenzbereichen z Komplexer Prozess
Vorbemerkung
Beim »Finden« der Kompetenzen handelt es sich um einen Vorgang, der eine eingehendere Kenntnis der Theorie von Kompetenz und Kompetenzentwicklung voraussetzt und in seiner Komplexität nur durch konkrete und supervidierte Übung mit Teilnehmern erlernt werden kann. Letztlich ist für eine der Kompetenzenbilanz entsprechende Vorgehensweise eine Ausbildung zum KompetenzenbilanzCoach erforderlich, in deren Rahmen eine fundierte Grundlegung stattfindet. Das notwendige Prozesswissen lässt sich nur bedingt theo-
4.3 • Das Verfahren
91
4
retisch vermitteln und sollte mehrfach erprobt werden, bevor ein Einsatz unter »ernsten« Bedingungen erfolgt. z
Theoretische Grundlegung
Wir wollen an dieser Stelle noch einmal die Prinzipien und den theoretischen Hintergrund des Verfahrens praxisbezogen darstellen, um Anregungen dafür zu geben, auf welche Weise Kompetenzen im Sinne einer kompetenzorientierten Laufbahnberatung »gefunden« werden können. Führen wir uns hierfür noch einmal vor Augen, welche Arbeitsdefinition von Kompetenzen wir bislang verwendet haben, um Sie beschreiben zu können: Definition Kompetenzen sind Befähigungen einer Person, mit neuen Situationen und bisher unbekannten Handlungsanforderungen erfolgreich umgehen zu können und sich für diese zuständig zu erklären.
Wir haben also eine Gleichung mit 2 Unbekannten vor uns: Die erste Unbekannte ist die Person, deren Eigenschaften oder Kompetenzen wir erfassen wollen, die zweite sind die Kriterien, anhand derer die Person gemessen werden soll. Wir messen also bildlich gesprochen mit einem unbeschriebenen einen unsichtbaren Gegenstand. Wie können wir dennoch rechtfertigen, in der von uns vorgeschlagenen Weise vorzugehen? Kompetenzen sind Hypothesen darüber, über welche Ausstattung Personen verfügen, um mit künftigen, neuen Aufgaben zurechtzukommen (vgl. 7 Kap. 3). Das Wort Kompetenz ist somit als Übergangsbegriff zwischen vergangenem Verhalten und künftigen Anforderungen zu verstehen. Ähnlich ist es mit den Anforderungen: Anforderungen können im Sinne der Kompetenzenbilanz retrospektiv sehr genau erfasst werden. Die situative Frageweise und die CIT (»critical incident technique«) bilden valide Möglichkeiten, zurückliegende Anforderungen der Teilnehmer zu messen. Ausgehend von dieser Erfassung von Anforderungen werden Hypothesen darüber gebildet, wie sich Personen in ähnlichen Situationen mit ähnlichen Anforderungen in der Zukunft verhalten werden. Wie können nun solche Annahmen benannt und systematisiert werden? Sehen wir uns noch einmal die 4 Kompetenzbereiche (. Tab. 4.3) und Beispiele an: z
Gleichung mit 2 Unbekannten
Kompetenzen als Konstrukte
Beispiele
Beispiele für sich wiederholende Aufgaben- und Tätigkeitsmuster
Wie bereits im vorangegangenen Arbeitsschritt zur Analyse der Fertigkeiten beschrieben, geht es beim Feststellen der Kompetenzen vor allen Dingen darum, Redundanzen (im Sinne sich wiederholender
Redundante Fertigkeiten
92
Kapitel 4 • Eine Methode der kompetenzorientierten Laufbahnberatung: Die Kompetenzenbilanz
. Tab. 4.3 Beispiele für Kompetenzen in den verschiedenen Kompetenzbereichen
4
Fachliche Kompetenzen
Methodische Kompetenzen
– Ausbildungen und Abschlüsse – Computerkenntnisse – Handwerke – Markt-Know-how – Betriebswirtschaftliche Kenntnisse – Präsentationen erstellen – Zeichnen – Texte verfassen – Sprachenkenntnisse – …
– Aufgaben und Arbeiten planen – ausgeprägtes Problemlöseverhalten – Methoden zum Wissenserwerb beherrschen – freies Sprechen vor Gruppen – Sitzungen nachvollziehbar protokollieren – Prozesse organisieren – planen – systematische Zeiteinteilung – transparentes Arbeiten – …
Personale Kompetenzen
Soziale Kompetenzen
– Abstraktionsvermögen – Anpassungsbereitschaft – Ausdauer und Belastbarkeit – Begeisterungsfähigkeit – eigenverantwortliches Handeln – Bereitschaft zur Selbstentwicklung – räumliche Flexibilität – eigene Entscheidungen treffen – …
– andere in eine Gruppe integrieren – in der Gruppe Verantwortung übernehmen – Kooperationsfähigkeit – Beziehungen aufbauen – Durchsetzungsvermögen – Einfühlungsvermögen – Gemeinsam eine Aufgabe lösen – …
Aufgaben- und Tätigkeitsmuster) in den Fertigkeiten der Teilnehmer zu finden. Was bedeutet das genau? 5 Hat der Teilnehmer in verschiedenen Zusammenhängen Organisationsaufgaben ausgeführt? (Beispielsweise im beruflichen Bereich verschiedene Tätigkeiten, bei denen die Person organisieren musste, und private Aktivitäten wie in Verein o. Ä., in deren Rahmen die Person Aktivitäten organisiert hat) 5 War der Teilnehmer in verschiedenen Lebensbereichen oder in unterschiedlichen Tätigkeiten in Gruppen tätig? (Beispielsweise Tätigkeiten in verschiedenen Arbeitsgruppen oder gemeinsames Lösen von Aufgaben im privaten Bereich) 5 Fällt es auf, dass der Teilnehmer sich komplexe Wissensinhalte selbstständig angeeignet hat? (Beispielsweise selbstständige Erarbeitung von Wissen, das die Person beruflich einsetzen konnte) 5 War der Teilnehmer besonderen Belastungen ausgesetzt, die er jeweils gut bewältigen konnte? (Beispielsweise Berufstätigkeit und gleichzeitig häusliche Pflege eines kranken Familienmitglieds, Hausfrau) 5 Zeichnet sich der Teilnehmer dadurch aus, mit vielen unterschiedlichen Aufgaben in einem Zeitraum umgegangen zu sein? (Beispielsweise Berufstätigkeit und Tätigkeit als Hausfrau und ehrenamtliche Tätigkeiten)
4.3 • Das Verfahren
z
93
4
Das Vorgehen
Das Übersetzen von Fertigkeiten zu Kompetenzen verläuft üblicherweise in folgenden Schritten: 1. Übersetzungsschritt: von Fertigkeiten zu Kompetenzen 2. Sortieren der Kompetenzen 3. Systematisches Belegen der Kompetenzen 4. Überprüfen auf Vollständigkeit Wir wollen uns ansehen, was während der einzelnen Schritte genau stattfindet. k Übersetzungsschritt: von Fertigkeiten zu Kompetenzen
In der Praxis hat es sich bewährt, bereits während der Analyse und dem Besprechen der Fertigkeiten solche Redundanzen der Teilnehmer zu notieren, so dass für den Schritt zur Akkumulierung dieser ähnlichen Fertigkeiten und Tätigkeiten zumindest der Coach bereits schriftliches Material vorliegen hat, um davon ausgehend erste Vorschläge für die Zusammenfassung des umfangreichen FertigkeitenMaterials anbieten zu können. Im weiteren Verlauf des Gesprächs geht es nun darum, die Kompetenzbegriffe gemeinsam mit dem Teilnehmer angemessen zu formulieren und schriftlich festzuhalten. > Wichtig Der Coach sollte dem Teilnehmer keinesfalls die Formulierungen für die einzelnen Kompetenzen vorgeben. Vielmehr ist es ein wichtiger Bestandteil des Verfahrens, dass die richtigen Begriffe für die Kompetenzen von dem Teilnehmer selbst kommen bzw. im Dialog auf eine Weise entstehen, dass er sich mit dem gefundenen Begriff und der entsprechenden Formulierung voll identifizieren kann.
Im Dialog mit dem Teilnehmer sollen einzelne Fertigkeiten zu vorläufigen Kompetenzbegriffen gebündelt werden. Diese Kompetenzbegriffe kann man als Überbegriffe zu einer Gruppe ähnlicher Fertigkeiten verstehen. Die Begriffe sollten auf Karten geschrieben werden oder auf einen großen, für beide sichtbaren Zettel. Folgende Fragen kann der Coach an den Teilnehmer richten: 5 Welche Fertigkeiten sind Ihnen besonders aufgefallen? Welche waren besonders wichtig, kamen besonders häufig vor? 5 An welche Situationen können Sie sich erinnern, in denen etwas besonders gut gelaufen ist – auch im Vergleich zu anderen Personen, die Sie kennen? 5 Welche Aufgaben wiederholen sich immer wieder? Aus den vorangegangenen Schritten sollten nun etwa 15–20 vorläufige Kompetenzbegriffe hervorgegangen sein, die entweder auf einem Zettel oder auf einzelne Karten niedergeschrieben sind.
Kompetenz-Cluster bilden
94
Kapitel 4 • Eine Methode der kompetenzorientierten Laufbahnberatung: Die Kompetenzenbilanz
k Sortieren der Kompetenzen
Die vorläufigen Kompetenzen sollten nun gemeinsam sortiert werden. Es bietet sich an, die Kompetenzbegriffe an eine Pinnwand zu heften oder auf einem großen Tisch den 4 Bereichen zuzuordnen: 5 Fachliche Kompetenzen 5 Methodische Kompetenzen 5 Soziale Kompetenzen 5 Personale Kompetenzen
4
Außerdem sollte an dieser Stelle die Kategorie »Werte« eröffnet werden. Wir werden weiter unten darauf zu sprechen kommen, wie mit diesen zu verfahren ist. Zur Erinnerung ebenfalls eine kurze Beschreibung der jeweiligen Kategorien: 5 Fachliche Kompetenzen: 5 Häufig sind dies die Kompetenzen, über die die Teilnehmer am leichtesten Auskunft erteilen können. Die fachlichen Kompetenzen lassen sich einerseits durch die fachlichen Qualifikationen, also auch durch ihre Zeugnisse und formellen Abschlüsse, belegen. Allerdings sind fachliche Kompetenzen mehr. Fachliche Kompetenzen können durch Ausbildungen, während der Arbeitstätigkeit, aufgrund privater Interessen oder auch in der Familie erworben werden. 5 Die Leitfrage für die fachlichen Kompetenzen lautet: »Was sind die fachlich gelernten Voraussetzungen, um Aufgaben zu bewältigen?« 5 Einige Beispiele: Ausbildungen und Abschlüsse, Computerkenntnisse, Handwerke, betriebswirtschaftliche Kenntnisse, Zeichnen, Texte verfassen, Sprachenkenntnisse usw. 5 Methodische Kompetenzen: 5 Unter methodischen Kompetenzen verstehen wir die Art und Weise, wie Personen mit Aufgabenstellungen und Problemen umgehen. Ausgeprägte methodische Kompetenzen verhelfen dazu, Ziele umfassend und effektiv bearbeiten zu können. Manche methodischen Kompetenzen können sich auch mit den fachlichen Kompetenzen überschneiden. 5 Die Leitfrage für die methodischen Kompetenzen lautet: »Wie gehe ich an Aufgaben und Herausforderungen heran?« 5 Einige Beispiele: Aufgaben und Arbeiten planen, ausgeprägtes Problemlöseverhalten, systematisch arbeiten, Moderation von Gruppen, Sitzungen nachvollziehbar protokollieren, Prozesse organisieren, Zeiteinteilung, transparentes Arbeiten usw. 5 Soziale Kompetenzen: 5 Soziale Kompetenzen bezeichnen die Fähigkeiten von Personen im Umgang mit anderen Menschen. Soziale Kompetenzen dienen dem Austausch und der Verständigung mit anderen Personen und sind eine Grundlage dafür, Beziehungen (beispielsweise auch in Gruppen) aufzubauen, zu gestalten und erhalten zu können.
4.3 • Das Verfahren
95
4
5 Die Leitfrage für die sozialen Kompetenzen lautet: »Wie gehe ich mit anderen Menschen um?« 5 Einige Beispiele: in der Gruppe Verantwortung übernehmen, Kooperationsfähigkeit, Anpassungsfähigkeit, schnell Beziehungen aufbauen können, Durchsetzungsvermögen, Einfühlungsvermögen, gemeinsam eine Aufgabe lösen, andere in eine Gruppe integrieren usw. 5 Personale Kompetenzen: 5 Personale Kompetenzen sind Fähigkeiten, die es einer Person ermöglichen, ihr eigenes Leben aktiv zu gestalten. Personale Kompetenzen sind sehr stark in der Person verwurzelt und können manchmal auch so etwas wie Persönlichkeitseigenschaften sein. 5 Die Leitfragen für die personalen Kompetenzen lauten: »Wie gehe ich mit mir selbst um?« »Welche Eigenschaften habe ich?« 5 Einige Beispiele: Anpassungsbereitschaft, Ausdauer und Belastbarkeit, Begeisterungsfähigkeit, eigenverantwortliches Handeln, Bereitschaft zur Selbstentwicklung, eigene Entscheidungen treffen usw. Werte Wahrscheinlich können die Teilnehmer im Gespräch nicht alle Begriffe in die 4 Kategorien einsortieren. Manche Kompetenzbegriffe würden die Teilnehmer gerne in alle Bereiche einordnen oder aber keiner Kompetenzklasse unterordnen. Möglicherweise thematisiert der Teilnehmer auch, dass noch ein ganz wichtiger Begriff in der Sammlung fehlt, der aber kein richtiger Kompetenzbegriff ist. Aus diesem Grund sollte eine weitere Rubrik angelegt werden, in der die Werte einsortiert werden. Vielleicht fällt Ihnen auch einer der Begriffe ein, auf den Sie in der Biografischen Sammlung, im Lebensprofil oder bei der Analyse der Fertigkeiten gestoßen sind. Gemeint sind z. B. Begriffe wie Unabhängigkeit, Familie, Hilfsbereitschaft, Gerechtigkeitssinn oder ähnliche. Wie also lassen sich theoretische Erwägungen über Werte und ihre Bedeutung als »Leuchtfeuer für die Zukunft« in den praktischen Beratungsprozess integrieren? Erinnern wir uns zunächst daran, dass wir den Wertvorstellungen der Teilnehmer bereits früher im Prozess begegnet sind, nämlich im Rahmen der »Biografischen Sammlung«, die während des Einführungsworkshops angefertigt wurde. Hier haben die Teilnehmer niedergeschrieben, welche Werte im Elternhaus und in der eigenen Biografie ausschlaggebend waren und in der aktuellen Situation besonders wichtig sind.
> Wichtig Im Rahmen der Kompetenzenbilanz ist es nicht möglich, sich nicht mit den Werten der Personen zu beschäftigen.
Spätestens bei der Erörterung von nächsten Schritten und Zielen der Teilnehmer wird es um die Wertorientierung der Personen gehen.
Werte sind integraler Bestandteil der Kompetenzenbilanz
96
Kapitel 4 • Eine Methode der kompetenzorientierten Laufbahnberatung: Die Kompetenzenbilanz
Meist jedoch treten Wertbegriffe bereits bei der Bildung von Kompetenzbegriffen auf. Aus diesem Grund wollen wir uns an dieser Stelle noch einmal mit den Werten beschäftigen und uns überlegen, in welcher Weise diese sinnvoll und Gewinn bringend im Gespräch Platz finden können. > Wichtig Leitlinie ist hier wie bei allen Teilen der Kompetenzenbilanz, dass keine Daten produziert werden sollen, die nicht später nochmals aufgegriffen werden oder der Erstellung der schriftlichen Kompetenzenbilanz dienen. Gerade diese Stringenz des Ablaufs ist es, die den Prozess der Kompetenzenbilanz auszeichnet.
4
Werte sind schwer hinterfragbar
Werte vervollständigen das Bild
Meist wird sich im 2. Coaching-Gespräch während der Formulierung und Zuordnung der Kompetenzbegriffe herausstellen, dass sich einige Begriffe nicht sinnvoll in die Kategorien soziale, fachliche, methodische oder personale Kompetenzen einordnen lassen. Die Teilnehmer sträuben sich etwa dagegen, Begriffe wie Disziplin, Gerechtigkeit, Ordnung oder Achtung vor anderen in eine der 4 Kompetenzkategorien einzuordnen. Sie bestehen darauf, dass sie diesen Begriff gar nicht recht belegen könnten, sondern dass er ihnen grundsätzlich wichtig ist, und zwar in allem, was sie tun. Häufig finden sich hier Aussagen wie »Das kann ich gar nicht sagen, warum das so ist. Das ist mir eben wichtig. Andere machen das anders. Aber das bin einfach ich!« Solche oder ähnliche Aussagen geben deutliche Hinweise darauf, dass man sich gerade über eine Wertorientierung unterhält, die nur schwer hinterfragbar und tief in der Biografie verankert ist. Nichtsdestotrotz handelt es sich bei einer solchen Aussage kaum um eine Ausnahme, sondern vielmehr um den Regelfall in Bezug auf einige Begriffe, die im Laufe des 2. Coachings formuliert und dann zugeordnet werden. Nachdem meist also die Kompetenzbegriffe in irgendeiner Weise visualisiert und den einzelnen Kompetenzbereichen zugeordnet werden, wird eine weitere, 5. Kategorie »Werte« eröffnet. Hier können die im Laufe des 2. Coachings auftauchenden Wertebegriffe eingeordnet und festgehalten werden. Analog zu den Belegen und Argumenten, die die Teilnehmer für ihre Kompetenzen sammeln, können sie auch anhand von Leitfragen eine Stoffsammlung zu ihren einzelnen Werten anfertigen. > Wichtig Die Teilnehmer sollten darauf hingewiesen werden, dass sich in der »Biografischen Sammlung« aus dem Einführungsworkshop einige Hinweise auf die Herkunft der Werte und ihren Zusammenhang finden können.
4.3 • Das Verfahren
97
4
Leitfragen, die für die selbstständige Heimarbeit der Teilnehmer sinnvoll sind 5 In welchen Situationen ist Ihnen dieser Wert besonders wichtig gewesen? 5 Woher stammt dieser Wert? 5 In welchen Situationen fällt es Ihnen schwer, diesem Wert gemäß zu leben? 5 Wann haben Sie gemerkt, dass Ihnen dieser Wert besonders wichtig ist? 5 Wie können Sie diesen Wert in ihrer derzeitigen Situation verwirklichen (privat und beruflich)?
Zudem sollten die Teilnehmer darauf hingewiesen werden, dass Entscheidungen über die eigene Zukunft – abgesehen von rein praktischen Erwägungen – meist in hohem Maße wertgeleitet getroffen werden. Um die Notwendigkeit der »Wertearbeit« zu unterstreichen, machen wir einen kurzen Exkurs als Vorgriff auf die im letzten Coaching-Gespräch stattfindende Zielarbeit: Wie schon mehrfach erwähnt, ist es nicht vornehmlich das Ziel der Teilnehmer der Kompetenzenbilanz, sich radikal zu verändern. Wenn auch viele Teilnehmer zunächst mit diesem Ziel die Kompetenzenbilanz beginnen, geschieht durch das Verfahren eine derartige Aufwertung des bisherigen Wegs und der derzeitigen Tätigkeit, dass die Teilnehmer zum Teil sehr erleichtert sind festzustellen, dass sie sich gar nicht radikal verändern müssen, sondern bereits einige geringe Veränderungen der derzeitigen Situation zu einer fundamentalen Verbesserung ihres Befindens führen können. Solche Veränderungswünsche sind dann meist wertgeleitet. Wir wollen uns 2 Beispiele ansehen: Beispiel Herr T. ist im Laufe der Kompetenzenbilanz darauf gekommen, dass die Werte Loyalität und Offenheit für ihn besonders wichtig sind. Sein Vater hat sein Leben lang in ein und derselben Firma gearbeitet und Herrn T. ist es wichtig, seine Firma auch in Krisenzeiten loyal zur Seite zu stehen. Er hat selbst in einer schwierigen Phase seines Lebens erfahren, dass auch seine Firma ihm gegenüber loyal gewesen ist. In dieser Zeit wurde er außerdem stark von seinen Freunden unterstützt. Zudem schätzt es Herr T. sehr, wenn Probleme im Team oder auch im privaten Bereich offen angesprochen werden. Er scheut keine Konflikte, wenn er sie auch nicht sucht, sondern sie eher als Begleiterscheinung einer unterschiedlichen Auffassung von Sachverhalten in Kauf nimmt. Durch den Umstand, dass er im Rahmen eines für ihn undurchsichtigen Management-Audits negativ bewertet worden ist, sind nun seine Wertorientierungen in Frage gestellt. Einerseits möchte er seiner Firma gegenüber loyal bleiben und kümmert sich nur zögerlich um eine Alternative bei einer anderen Firma. Andererseits erkennt er, dass
Von den Werten zu den Zielen
98
Kapitel 4 • Eine Methode der kompetenzorientierten Laufbahnberatung: Die Kompetenzenbilanz
die Firma ihm gegenüber nicht offen gewesen ist, und er befürchtet, dass sie ihm gegenüber auch in der Folge nicht mehr loyal sein wird. Unabhängig von den Kompetenzen, die Herr T. im Rahmen der Kompetenzenbilanz erkennen wird und zu beschreiben lernt, wird es wesentliche Aufgabe der Arbeit an den Zielen sein, diesen Wertekonflikt zu thematisieren und darauf einzugehen, dass die Unzufriedenheit Herrn T.s nicht von den beiden genannten Werten getrennt betrachtet werden kann. Möglicherweise ergibt sich aus dem Prozess auch, dass nicht ein Wechsel die erste Lösung der Wahl ist, sondern vielmehr, dass Herr T. die Situation – seinem Wert Offenheit entsprechend – seinem Vorgesetzten gegenüber kommuniziert. Durch dieses Gespräch kann er erkennen, ob die Firma ihm gegenüber weiterhin loyal sein wird und ob seine eigene Loyalität zur Firma geschätzt wird. Das wertorientierte Vorgehen verhilft also Herrn T. dazu, nicht ziellos nach Alternativen suchen zu müssen, sondern sich selbst und seine Umwelt danach zu fragen, ob die jeweiligen Werte miteinander insoweit übereinstimmen, dass eine Grundlage für eine weitere Zusammenarbeit besteht.
4
Beispiel Frau M. nennt als besonders wichtige Werte in ihrem Leben ihre Familie und den Begriff Unabhängigkeit. Sie ist in verschiedenen Bereichen tätig, als Mitarbeiterin in einem Kosmetiksalon, als Hundetrainerin und als selbstständige Außendienstmitarbeiterin eines Saunaherstellers. Gerade die Vielfalt ihrer Tätigkeiten verschafft ihr das Gefühl, unabhängig zu sein. Durch das Angebot des Saunaherstellers, in Vollzeit zu arbeiten, sieht sie diese Unabhängigkeit gefährdet. Sie hatte bislang immer das Gefühl, in einen anderen Bereich wechseln zu können, wenn es in einem ihrer Tätigkeitsfelder nicht so gut läuft oder auch ein finanzieller Engpass bei einem der Auftraggeber entstehen sollte. Sie würde also unter Umständen einen ihrer Werte gefährden, wenn sie auf das Angebot ihres Auftraggebers einginge – auch wenn das Angebot finanziell eigentlich nicht auszuschlagen ist und sie in dem Bereich, in dem sie arbeiten würde, ausgesprochen kompetent ist, alle Qualifikationen mitbringt und die Aufgabe inhaltlich ebenfalls interessant findet. Aber auch ein zweiter zentraler Wert von Frau M. wird bedroht: die Familie. Sollte sie sich in Vollzeit dem neuen Job im Außendienst widmen, so könnte sie sich wesentlich weniger um ihre Familie kümmern, als sie das eigentlich möchte. Sie hat den Begriff Familie als Wert verinnerlicht, weil sie selbst als Kind miterleben musste, wie ihre Kernfamilie wegen der Berufs- und Reisetätigkeit des Vaters zerbrach. Aufgrund dessen hatte sie sich fest vorgenommen, ihre eigene Familie niemals durch eine ähnliche Tätigkeit zu gefährden. Ziele müssen mit den Werten vereinbar sein
An den vorangegangen Beispielen zeigen sich die Vorteile und die Notwendigkeit der Wertorientierung gegenüber einem rein an den Eigenschaften, Eignungen oder auch Kompetenzen einer Person orientierten Vorgehen: Auch wenn sich die Person unter Umständen
4.3 • Das Verfahren
für eine andere Position eignete, auch wenn sie Interesse an einer bestimmten Tätigkeit hätte und hierfür die entsprechenden Kompetenzen mitbrächte, wird es immer von entscheidender Bedeutung sein, dass sich eine Tätigkeit oder ein Arbeitsumfeld mit den in der Biografie gewachsenen Werten vereinbaren lassen. Seien dies nun ethische oder individuelle Werte, die eng mit dem Verständnis der eigenen Person, dem Bild von sich selbst und somit mit der Identität der Person verknüpft sind. Am Ende dieses Arbeitsschritts soll eine vollständige Sammlung von Kompetenzen und Werten vorliegen – an eine Pinnwand geheftet oder auf einem Tisch angeordnet. Diese Sammlung sollte noch einmal als Gesamtbild betrachtet werden. Als Coach sollte man fragen, ob alle Begriffe unmissverständlich sind, ob sich der Teilnehmer mit allen Begriffen identifizieren kann, sich die Person adäquat beschrieben fühlt oder ob noch etwas in dieser Sammlung fehlt. Es handelt sich an diesem Punkt um eine vorläufige Liste von Kompetenzen. Die endgültige Zahl der Kompetenzen und deren exakte Formulierung ergeben sich erst im nächsten Schritt. Hinweis Manche Teilnehmer wünschen sich an dieser Stelle eine Liste mit Kompetenzbegriffen, um sich für das Formulieren inspirieren zu lassen. Es gibt hier unterschiedliche Ansätze, um verschiedene und beliebig lange Listen solcher Kompetenzbegriffe anzufertigen. In der Kompetenzenbilanz wird die Arbeit mit derartigen Listen vermieden. Die Gefahr besteht, dass sich die Teilnehmer sehr schnell an vorgegebenen Begriffen festhalten und nicht mehr mit gleicher Intensität erörtern, welcher individuelle Begriff eigentlich genau für ihre Kompetenzen zutreffen ist.
Es hat sich als fruchtbar herausgestellt, mit den Teilnehmern nicht vor allem eine Vielzahl von Kompetenzen zu erarbeiten, als vielmehr die wesentlichen Kernkompetenzen zu benennen, die anschließend umfangreich belegt und in ihrer Vernetzung zu anderen Kompetenzen, Fertigkeiten und Tätigkeiten erkannt werden können. Aus diesen Kompetenzen soll das wesentliche Kompetenzprofil der Teilnehmern, ihre spezifischen Begabungen, Herangehensweisen und auch Qualifikationen ersichtlich werden, die ihnen dazu verholfen haben, sich so zu entwickeln, wie sie es getan haben. Diese Kernkompetenzen sollen im Gespräch und schließlich auch in der Heimarbeit soweit belegt und beschrieben werden, dass die Teilnehmer auch im Anschluss an den Prozess noch in der Lage sind, die spezifische Qualität der eigenen Kompetenzen klar darzulegen und zu argumentieren. Auf welche Weise dieses Belegen von Kompetenzen geschehen soll, wird im Folgenden erläutert.
99
4
100
Kapitel 4 • Eine Methode der kompetenzorientierten Laufbahnberatung: Die Kompetenzenbilanz
k Systematisches Belegen von Kompetenzen. Kompetenzen belegen
4
Keine Kompetenzen ohne detaillierte Fertigkeiten
Ausgehend von der oben angeführten Definition von Kompetenzen, die diese als Hypothesen für künftiges Verhalten betrachtet, können Kompetenzen als Behauptungen verstanden werden. Coach und Teilnehmer behaupten also, aus dem bisherigen Prozess belegen zu können, dass der Teilnehmer eine bestimmte Kompetenz besitze. In einem diskursiven Prozess sollten Behauptungen stets durch Argumente belegt werden können. Aufgabe der zweiten Hälfte des 2. Coachings ist es also einerseits, Behauptungen über die Kompetenzen aufzustellen (also die entsprechenden Formulierungen für einzelne Kompetenzen zu finden) und andererseits Argumente für diese Behauptungen zusammenzutragen. Als Argumente verstehen wir im Rahmen der Kompetenzenbilanz Tätigkeiten, anhand derer die genannte Kompetenz offenbar und somit nachprüfbar wird. Diese Nachweise speisen sich aus den im 1. Coaching, in der Heimarbeit und im 2. Coaching zusammengetragenen Tätigkeitsbereichen und Fertigkeiten. Es findet also in gewisser Weise ein der Analyse der Fertigkeiten entgegengesetzter Prozess statt: Wurden zuerst Tätigkeitsfelder auf kleinste Handlungsschritte untersucht (Fertigkeiten), so werden nun Überbegriffe für diese Fertigkeiten formuliert und durch Tätigkeiten belegt. Was zuvor in Einzelteile zerlegt wurde, wird nun wieder in anderer Form und in einem anderen Sinnzusammenhang zusammengesetzt. Hier wird auch der Zweck der vorausgegangenen Detailanalyse deutlich: > Wichtig Je detaillierter die Fertigkeitenanalyse ausgefallen ist, desto präziser wird der Teilnehmer nach der Kompetenzenbilanz in der Lage sein, die eigenen Kompetenzen vor anderen und auch vor sich selbst zu belegen.
Was, wann, wo wie?
Arbeitsblatt zum Download auf 7 www.springer. com/978-3-642-20065-6
In der Kompetenzenbilanz sind hier zur Unterstützung Arbeitsblätter vorgesehen, die eine strukturelle Beziehung zwischen Kompetenzen und ihren Belegen stichwortartig zu ermöglichen. Hierzu wird jede Kompetenz nach 4 Leitfragen untersucht, deren Antworten als argumentative Struktur für das Vorhandensein der jeweiligen Kompetenz dienen soll: 5 Was haben Sie genau mit dieser Kompetenz gemacht? Was meinen Sie damit? 5 Wann haben Sie das gemacht? 5 Wo haben Sie diese Kompetenz eingesetzt? 5 Wie haben Sie die Kompetenz eingesetzt? Welche anderen Kompetenzen sind hierbei zum Einsatz gekommen? Für jede Kompetenz sollte ein eigenes Arbeitsblatt angefertigt werden, auf dem ausführliche Notizen zu den einzelnen Fragen aufgeschrieben werden (. Tab. 4.4).
101
4.3 • Das Verfahren
4
. Tab. 4.4 Kompetenzen belegen – Beispiel eines ausgefüllten Arbeitsblatts. (Aus: Triebel u. Lang-von Wins 2007) Name der Kompetenz: Organisationsfähigkeit o fachlich x methodisch o personal o sozial Was verstehen Sie unter dieser Kompetenz genau?
Wo haben Sie diese Kompetenz schon eingesetzt? Wo hat sich gezeigt, dass Sie das besonders gut können?
Ich kann Projekte und Veranstaltungen organisieren, den notwendigen Personal- und Finanzbedarf erkennen und auch unterschiedliche Teams so organisieren, dass sie gemeinsam in einem größeren Projektverbund arbeiten.
– Fa. Niederhuber: stellvertretende Projektleitung und Controlling von 6 jeweils relativ ähnlich abgelaufenen größeren Projekten, von jeweils ca. 6–8 Monate Dauer – Fa. Brammer: Projektleitung, Planung, Controlling, Leitung mehrerer Projektteams – Verein – Schule und Studium
Wann war das? Seit wann haben Sie diese Kompetenz?
Beschreiben Sie, wie Sie vorgegangen sind, als Sie mit dieser Kompetenz eine schwierige Aufgabe gelöst haben.
– Fa. Niederhuber: 2005–2007 – Fa. Brammer: seit 2008 – Privat: bereits in der Jugend, im Verein, in der Schule und auch während des Studiums – ich habe mich immer daran beteiligt, wenn es etwas zu organisieren gab.
Zunächst versuche ich, die Fakten möglichst genau herauszubekommen: Wann muss alles fertig sein? Was sind die genauen Ziele? Welches sind die schwierigsten Fragen? Dann suche ich die Leute, die ich brauche. Dabei ist mir das Persönliche wichtiger als das Fachliche. Fachliches kann man lernen, aber wenn es persönlich nicht passt, ist es schlecht. Außerdem ist es mir besonders wichtig, sehr transparent zu arbeiten.
Im Gespräch werden 2–3 Kompetenzen auf diese Weise argumentativ belegt. In Heimarbeit sollen die Teilnehmer insgesamt etwa 8 Kompetenzen in gleicher Weise ausarbeiten. Sofern die Teilnehmer zu jedem dieser Punkte ausgiebig Auskunft geben können, wird der praktische Nutzen dieses Arbeitsschritts unmittelbar deutlich: Die Teilnehmer 5 verinnerlichen ihre Kompetenzen, 5 können auf diese Weise selbst überprüfen, ob sie die genannten Kompetenzen tatsächlich haben, 5 lernen ihre erarbeiteten Kompetenzen anderen gegenüber darzustellen. Zudem reduziert sich die Zahl der ursprünglich erarbeiteten Kompetenzen, wenn man auf diese Weise vorgeht. Belegt man 8 unterschiedliche Kompetenzen, so fällt im Gespräch auf, dass sich spätestens jetzt ein Wiederholungseffekt einstellt. Die Teilnehmer beginnen Argumente anzuführen, die sie bereits für andere Kompetenzen hinzugezogen haben. Gleichen sich jedoch die biografischen und tätigkeitsbezogenen Kompetenzbelege, so stellt sich die Frage, ob es sich nicht bei gleich belegten Kompetenzen um ein und dieselbe Kompetenz handelt. Abgesehen davon: Ziel der Kompetenzbetrachtung sollte es sein, die Zahl der Kompetenzen auf ein Maß zu beschränken, das von den
102
4
Kapitel 4 • Eine Methode der kompetenzorientierten Laufbahnberatung: Die Kompetenzenbilanz
Teilnehmern auch im Anschluss an die Kompetenzenbilanz aktiv wiedergegeben werden kann. Setzen wir uns dieses Ziel, so können wir die Kernkompetenzen der Teilnehmer realistischerweise auf ca. 5–8, also jeweils höchstens 2 Kompetenzen pro Kompetenzbereich, beschränken. Der Aufwand für jede Kompetenz ist recht groß. Deshalb soll auch diese Aufgabe wieder im Gespräch begonnen und verdeutlicht werden und von den Teilnehmern in Eigenarbeit zu Ende gebracht werden. Halten wir uns dieses Ziel – nicht zu einer Auflistung möglichst vieler Kompetenzen, sondern zu einer genauen Beschreibung von Kernkompetenzen der Person zu kommen – vor Augen, so hat dies wesentliche Einflüsse auf den Prozess der »Übersetzung« der Fertigkeiten hin zu den Kompetenzen. Vor allem gibt uns eine solche Beschränkung die Möglichkeit, die wesentlichen Kompetenzen so intensiv zu hinterfragen, dass sie von den Teilnehmern auch nach Abschluss des Prozesses noch eigenständig vertreten und erklärt werden können. > Wichtig Die Teilnehmer sollen deshalb nicht daran gehindert werden, nach noch weiteren Kompetenzen zu suchen und diese systematisch schriftlich und argumentativ zu belegen. Doch wird nach einer wesentlichen Überschreitung der anvisierten 8 Kernkompetenzen rasch ein Sättigungseffekt eintreten; Kompetenzen und deren Begründungen werden sich so stark wiederholen, dass kein weiterer wesentlicher Erkenntniszugewinn mehr feststellbar sein wird, da die Belege redundant werden.
Folgende Leitlinien gelten für den Prozess des Kompetenzen-Erarbeitens und -Belegens: 5 Kompetenzbegriffe dürfen den Teilnehmern nach Möglichkeit nicht endgültig vorgegeben werden, sondern sollen von diesen – soweit möglich – eigenständig formuliert werden. 5 Kompetenzbegriffe sind stets zu hinterfragen: 5 Möchte der Teilnehmer sich selbst diese Kompetenz auch wirklich zuschreiben? 5 Finden sich ausreichende Belege für die Kompetenz? 5 Passt der Begriff für die Kompetenz? 5 Ist der Begriff ein Allgemeinplatz, ein Schlagwort, ein Modewort? 5 Es sollen alle Tätigkeiten (auch die nichtberuflichen) erfasst und untersucht werden, so dass alle Tätigkeiten eine Chance haben, durch Kompetenzen repräsentiert zu werden. 5 Bei personalen und auch sozialen Kompetenzen ist jeweils darauf zu achten, ob es sich bei den einzelnen Kompetenzen nicht mitunter auch um Werte oder reine Persönlichkeitseigenschaften handeln kann.
4.3 • Das Verfahren
103
4
5 Im Gespräch werden etwa 2 Kompetenzen argumentativ belegt – in Heimarbeit sollen insgesamt etwa 8 Kompetenzen belegt und beim nächsten Mal nochmals besprochen werden.
Abschluss des Gesprächs Im 2. Coaching wird zunächst damit begonnen, die Kompetenzen anhand entsprechender Tätigkeiten zu belegen. Ähnlich wie im 1. Gespräch sollen die Teilnehmer im Gespräch die Methodik und Systematik erkennen, um dann in Heimarbeit diese Aufgabe selbstständig weiterzuführen. Bis zum 3. Gespräch sollten die Teilnehmer nun die erarbeiteten Kompetenzbegriffe nochmals kritisch überprüfen und sich dabei fragen, was sie unter den einzelnen Begriffen genau verstehen oder ob es sinnvoll ist, den ein oder anderen Begriff nochmals umzuformulieren. Möglicherweise stellt sich auch heraus, dass sich manche Begriffe überschneiden und wiederum auf einer höheren begrifflichen Ebene zusammengefasst werden können. Auf diese Weise reduzieren sich die u. U. zunächst unübersichtlich langen Kompetenzlisten auf ein adäquates Maß.
»Hausaufgaben«
Hinweis Häufig werden wir gefragt, ob Teilnehmer sich nicht im Rahmen der Kompetenzenbilanz möglichst positiv darstellen möchten und auf diese Weise ein überzeichnetes Bild von sich selbst gewinnen, das einer Realitätsprüfung nicht standhält. Tatsächlich ist das nur äußerst selten der Fall. Personen, die an der Kompetenzenbilanz teilnehmen, möchten ein realistisches Bild ihrer eigenen Fähigkeiten erhalten. Durch die Zuwendung des Coaches und die, ggf. erstmalige, intensive Beschäftigung mit den eigenen Fähigkeiten findet ein so wertschätzender Prozess statt, dass eine weitere Übersteigerung der eigenen Fähigkeiten den Teilnehmern vollkommen unangemessen erscheint. Zudem findet durch das situative Hinterfragen eine angemessene Überprüfung jeder einzelnen Kompetenz statt. Hier wird den Personen also nicht eine Blende vorgehalten, die sie in schön gefärbtem Licht erscheinen lässt, sondern vielmehr werden einzelne Kompetenzen benannt und durch das Sammeln der Belege hinterfragt. Dies geschieht allerdings mit dem besonderen Akzent, die Stärken hervorzuheben. Anpassungen der Kompetenzenbilanz für den Bereich der Personalauswahl und -entwicklung bedürfen hier einer Ausweitung, die neben den Kompetenzen auch die Schwächen und Entwicklungsbedarfe im Sinne einer Bilanzierung, also sowohl Positiva als auch Negativa, darstellt. Außerdem sollten sich die Teilnehmer bis zum Abschlussgespräch bereits mit ihren Zielen auseinander setzen. Grundlage hierfür bildet wie oben dargestellt die Ausarbeitung der Werte und das Hinterfragen ihrer Herkunft und Bedeutung für private und berufliche Tätigkeiten.
Übertreibungen
104
Kapitel 4 • Eine Methode der kompetenzorientierten Laufbahnberatung: Die Kompetenzenbilanz
Arbeitsblätter zum Download auf 7 www.springer. com/978-3-642-20065-6
4
Lebenslauf als optionaler Bestandteil
Als weiteren Baustein für die Auseinandersetzung mit den Zielen wird den Teilnehmern ein Satz von Fragebögen an die Hand gegeben, mit deren Hilfe sie detailliert ihre derzeitige Situation mit einer Idealsituation abgleichen. Ergänzt wird dieses Vorgehen durch einen Vergleich von Selbst- und Fremdeinschätzung. Das Verfahren für diesen Abgleich lässt sich an dieser Stelle nur grob skizzieren. Eine eingehendere Darstellung ist hier nicht sinnvoll, da ein Umgang mit diesen Instrumenten eine Schulung voraussetzt. Bei den Fragebögen handelt es sich um eine Abwandlung des 16 Persönlichkeits-Adjektiv-Tests von Brandstätter (1988), der sich seinerseits auf den 16 PF von Schneewind und Cattell bezieht (Schneewind, Schröder u. Cattell 1983). In einem Kurztest erhalten die Klienten die Gelegenheit, eigene Eigenschaften auf einer 5-stufigen Skala darzustellen. Desgleichen füllen sie einen Fragebogen aus, auf dem sie Eigenschaften ihrer derzeitigen und einer idealen Tätigkeit eintragen (. Abb. 4.2, . Abb. 4.3). Die Eigenschaften von Person und Situation entsprechen einander inhaltlich, so dass ein einfacher Abgleich zwischen derzeitiger und idealer Situation stattfinden kann, der durch eine Selbst- und eine Fremdeinschätzung ergänzt wird. Aus den sich ergebenden Abweichungen zwischen den einzelnen Fragebögen können Entwicklungs- und Veränderungsbedarfe herausgearbeitet werden. Mehr dazu im folgenden Abschnitt über das 3. Coaching. Zu guter Letzt sei noch darauf hingewiesen, dass sich manche Teilnehmer in einer Bewerbungssituation befinden, die das Anfertigen eines Lebenslaufs erfordert. Bis zum 3. Coaching können die Teilnehmer diesen Lebenslauf anfertigen, der dann besprochen werden kann. Dieser Schritt soll hier nicht weiter vertieft werden, da eine Fülle einschlägiger Fachliteratur zu diesem Thema existiert. In der Kompetenzenbilanz ist dem Schritt ein eigenes Kapitel gewidmet, das sich auf eine, von der EU vorgeschlagene Norm eines kompetenzorientierten Lebenslaufs bezieht. Ob dieser Lebenslauf praxistauglich ist, wird sich in den nächsten Jahren herausstellen und soll an dieser Stelle nicht weiter erörtert werden. (Näheres zum EU-Lebenslauf unter http://www.cedefop.eu.int/transparency/cv.asp.) > Wichtig Wieder bietet es sich an, dem Teilnehmer zwischen den beiden Terminen für Rückfragen zur Verfügung zu stehen, um eine effektive Bearbeitung der ungewohnten Aufgabestellungen zu ermöglichen und das 3. Coaching mit reichhaltigen Arbeitsunterlagen durchführen zu können.
105
4.3 • Das Verfahren
Arbeitsblatt
4
MEINE DERZEITIGE SITUATION 1. Meine derzeitigen Tätigkeiten sind vor allem durch Situationen gekennzeichnet, in denen ich
eher mit sachlichenThemen als mit anderen Menschen zu tun habe.
viel mit Menschen zu tun habe, zu denen ein guter und persönlicher Kontakt besteht.
2. Meine derzeitigen Tätigkeiten bestehen aus Aufgaben, die vor allem anschaulich und praktisch zu lösen sind.
durch intensives Nachdenken zu lösen sind.
3. In meinen derzeitigen Tätigkeiten geht es eher ruhig zu, so dass ich kontinuierlich arbeiten kann.
stressig zu und ich bin sehr auf meine Fähigkeit, mich zu konzentrieren, angewiesen.
4. In meinen derzeitigen Tätigkeiten treten häufig Situationen auf, in denen es besonders wichtig ist, für Harmonie und Kooperation zu sorgen.
mich gegenüber anderen durchzusetzen und meinen Standpunkt zu vertreten.
5. In meinen derzeitigen Tätigkeiten treten viele Situationen auf, in denen vorsichtig, ruhig und zurückhaltend gehandelt werden muss.
lebhaft, lebendig und sehr often diskutiert wird.
6. Strukturiertes Vorgehen ist in meinen derzeitigen Tätigkeiten nicht von außerordentlicher Wichtigkeit.
wichtiger als bei anderen Tätigkeiten.
7. In meinen derzeitigen Tätigkeiten gibt es vor allem Situationen, in denen ruhig, konzentriert und für sich alleine gearbeitet wird.
Trubel mit vielen Leuten herrscht, mit denen kooperiert werden muss.
8. In meinen derzeitigen Tätigkeiten ist es wichtig, sachlich und vor allem am unmittelbaren Nutzen orientiert zu arbeiten.
phantasievoll und kreativ zu arbeiten.
9. Im Rahmen meiner derzeitigen Tätigkeiten ist es wichtig, anderen Menschen viel Vertrauen entgegenzubringen.
anderen Menschen gegenüber besonders vorsichtig zu sein.
10. Im Rahmen meiner derzeitigen Tätigkeiten soil im Rahmen alltäglicher Aufgaben immer an der Lösung und der Durchführbarkeit orientiert gearbeitet werden.
immer an neuen Ideen gearbeitet werden, die auch einmal abgehoben sein dürfen.
11. Meine derzeitigen Tätigkeiten sind dadurch gekennzeichnet, dass überwiegend Routineaufgaben zu bearbeiten sind.
häufig Überraschungen und unvorhergesehene Ereignisse auftreten.
12. In meinen derzeitigen Tätigkeiten wird Kritik jederzeit geradeheraus und als Anregung offen geäußert.
nur in bestimmten Situationen geaußert.
13. Wenn im Rahmen meiner derzeitigen Tätigkeiten neue, ungewohnte Situationen auftreten, muss ich meist nach bewährten Mustern vorgehen.
immer experimentierfreudig sein und stets an neuartige Lösungen denken.
14. Wenn im Rahmen meiner derzeitigen Tätigkeiten große Probleme auftreten, sollen diese möglichst in der Zusammenarbeit mit anderen gelöst werden.
alleine geiöst werden.
15. In schwierigen Situationen haben sich bei meinen derzeitigen Tätigkeiten Losungen bewährt, die aus dem Moment heraus, spontan und improvisiert entstanden sind.
durch die exakte Einhaltung von Regeln entstanden sind.
16. Wenn etwas nicht nach Wunsch weitergeht, bewährt es sich in meinen derzeitigen Tätigkeiten erst mal abzuwarten und dann in Ruhe nach einer Lösung zu suchen.
so schnell wie möglich eine Lösung herbeizufuhren.
. Abb. 4.2 Arbeitsblatt: Meine derzeitige Situation. (Aus: Triebel u. Lang-von Wins 2007)
106
Kapitel 4 • Eine Methode der kompetenzorientierten Laufbahnberatung: Die Kompetenzenbilanz
Arbeitsblatt
MEINE IDEALE TÄTIGKEIT 1. Die Tätigkeit wäre vor allem durch Situationen gekennzeichnet, in denen ich
eher mit sachlichenThemen als mit anderen Menschen zu tun habe.
viel mit Menschen zu tun habe, zu denen ein guter und persönlicher Kontakt besteht.
2. Die Tätigkeit würde Aufgaben beinhalten, die vor allem anschaulich und praktisch zu lösen sind.
4
durch intensives Nachdenken zu lösen sind.
3. In der Tätigkeiten ginge es eher ruhig zu, so dass ich kontinuierlich arbeiten kann.
stressig zu und ich bin sehr auf meine Fähigkeit, mich zu konzentrieren, angewiesen.
4. In der Tätigkeit gäbe es häufig Situationen, in denen es vornehmlich wichtig wäre, für Harmonie und Kooperation zu sorgen.
mich gegenüber anderen durchzusetzen und meinen Standpunkt zu vertreten.
5. In der Tätigkeit gäbe es viele Situationen, in denen vorsichtig, ruhig und zurückhaltend gehandelt werden muss.
lebhaft, lebendig und sehr often diskutiert wird.
6. Strukturiertes Vorgehen wäre in dieser Tätigkeit nicht von außerordentlicher Wichtigkeit.
wichtiger als bei anderen Tätigkeiten.
7. In der Tätigkeit gäbe es vor allem Situationen, in denen ruhig, konzentriert und für sich alleine gearbeitet wird.
Trubel mit vielen Leuten herrscht, mit denen kooperiert werden muss.
8. In der Tätigkeit wäre es wichtig, sachlich und vor allem am unmittelbaren Nutzen orientiert zu arbeiten.
phantasievoll und kreativ zu arbeiten.
9.Im Rahmen der Tätigkeit wäre es wichtig, anderen Menschen viel Vertrauen entgegenzubringen.
anderen Menschen gegenüber besonders vorsichtig zu sein.
10. Im Rahmen der Tätigkeit sollte immer an der Lösung und der Durchführbarkeit orientiert gearbeitet werden.
immer an neuen Ideen gearbeitet werden, die auch einmal abgehoben sein dürfen.
11. Die Tätigkeit wäre dadurch gekennzeichnet, dass überwiegend Routineaufgaben zu bearbeiten sind.
häufig Überraschungen und unvorhergesehene Ereignisse auftreten.
12. In der Tätigkeiten würde Kritik jederzeit gerädeheraus und als Anregung offen geäußert.
nur in bestimmten Situationen geäußert.
13.Wenn im Rahmen der Tätigkeit neue, ungewohnte Situationen auftreten, müsste ich meist nach bewährten Mustern vorgehen.
experimentierfreudig sein und stets an neuartige Lösungen denken
14. Große Probleme sollten in der Tätigkeit vor allem in der Zusammenarbeit mit anderen gelöst werden.
alleine geiöst werden.
15. In schwierigen Situationen sollten sich bei dieser Tätigkeit Lösungen bewähren, die aus dem Moment heraus, spontan und improvisiert entstanden sind.
durch die exakte Einhaltung von Regeln entstanden sind.
16.Wenn etwas nicht nach Wunsch weitergeht, wäre es in dieser Tätigkeit günstig, abzuwarten und nicht gleich nervös zu werden.
so schnell wie möglich eine Lösung herbeizuführen.
. Abb. 4.3 Arbeitsblatt: Meine ideale Tätigkeit. (Aus: Triebel u. Lang-von Wins 2007)
4.3 • Das Verfahren
4.3.5
107
4
3. Coaching
Das 3. Coaching-Gespräch beinhaltet in seinen Grundzügen folgende Schritte: 1. Gesprächsbeginn und Überblick über das Gespräch 2. Besprechen der Kompetenzen und der dazu dokumentierten Belege 3. Ggf. Besprechen des Lebenslaufs 4. Ggf. Ergänzen fehlender Informationen, die zur Erstellung der schriftlichen Kompetenzenbilanz notwendig sind 5. Erarbeiten von nächsten Schritten und eines oder mehrerer Ziele 6. Abschluss des Prozesses Im Folgenden werden die einzelnen Schritte wieder im Detail dargestellt.
Gesprächsbeginn und Überblick über das Gespräch z
Vorbemerkung
Zunächst sollten wir uns noch einmal damit beschäftigen, welche Ziele im Rahmen der Kompetenzenbilanz realistischerweise erreicht werden können. Hierbei sei daran erinnert, dass die Kompetenzenbilanz ein Verfahren ist, in welchem Kompetenzen erfasst und detailliert dargestellt werden. Wie bereits erörtert, hat das Verfahren positive Auswirkungen auf die Selbstwirksamkeitserwartung der teilnehmenden Person (s. hierzu 7 Kap. 2, 7 Kap. 3 und 7 Kap. 5). Ein solcher Prozess kann also nicht als rein objektive Messung von Kompetenzen verstanden werden – auch wenn Kompetenzen freilich durch das vorgeschlagene Vorgehen objektivierbar und auch intersubjektiv überprüfbar werden, vor allem dann, wenn sie anhand von Fertigkeiten und kritischen Situationen detailliert belegt werden können. Wissenschaftstheoretisch gesprochen, handelt es sich bei der kompetenzorientierten Laufbahnberatung um eine in hohem Maße invasive Messung, also um eine Messung, die einerseits einen Zustand zu beschreiben sucht, andererseits diesen Zustand jedoch erheblich verändert. Das Feststellen von Kompetenzen trägt also dazu bei, dass sich die beschriebenen Kompetenzen und somit auch die Personen, die über ihre Kompetenzen nachdenken, verändern. Diese Tatsache bringt Umstände mit sich, die insbesondere für den Abschluss der Kompetenzenbilanz von großer Bedeutung sind. Mit der Rolle des Coaches werden wir uns am Ende dieses Kapitels nochmals beschäftigen. An dieser Stelle halten wir jedoch fest, dass durch die Tiefe der Auseinandersetzung mit der Biografie des Teilnehmers für den Coach eine hohe Verantwortung hinsichtlich des Prozesses entsteht, aus der sich der Coach im Abschlussgespräch in angemessener Weise befreien muss. Zu dieser Verantwortung gehört es vor allem, die festgestellten Kompetenzen zu kanalisieren und ih-
Messung als Intervention
Verantwortung des Coaches
108
Kapitel 4 • Eine Methode der kompetenzorientierten Laufbahnberatung: Die Kompetenzenbilanz
nen eine Richtung zu geben – also an nächsten Schritten zu arbeiten, die sich aus dem Prozess der Kompetenzbilanzierung ergeben haben. Teilnehmer, die im Laufe der Kompetenzenbilanz nächste Schritte erarbeitet haben, beschreiben den gesamten Prozess im Nachhinein als gewinnbringender als solche, die keine Ziele und nächsten Schritte erarbeitet haben. Personen, die diesen Zielklärungsprozess nicht durchlaufen, berichten folglich in Interviews 2 Monate nach der Kompetenzenbilanz davon, dass das Erkennen und Beschreiben der eigenen Kompetenzen eine positive Erfahrung gewesen sei. Allerdings schränken sie den Wert der Beratung in Bezug auf seinen unmittelbaren Nutzen deutlich ein: »Es war schon gut, das alles mal zu sehen, was man alles gemacht hat und was man kann. Aber danach habe ich mich dann gefragt: Was mache ich jetzt damit? Was habe ich jetzt davon?«
4
Die Verantwortung des Coaches bezieht sich also sowohl darauf, an einem Ziel zu arbeiten, als auch darauf, den begonnenen Prozess zu Ende zu führen. Das beinhaltet auch die in der Kompetenzenbilanz begonnenen thematischen Fäden miteinander so zu verflechten, dass die Person mit den gewonnenen Erkenntnissen eigenverantwortlich weiterarbeiten kann. In welchem Maße die Teilnehmer dies tun, liegt freilich nicht mehr im Verantwortungsbereich des Coaches. Fazit Der Coach trägt die Verantwortung für den Prozess, der Teilnehmer die Verantwortung für das Ergebnis. Beginn der Arbeit an den Zielen
Dabei handelt es sich nicht um ein Arbeiten an den Zielen – also an deren Erreichung und Umsetzung –, sondern vornehmlich um einen Zielklärungsprozess. Die eigentliche Zielarbeit findet im Anschluss an die Beratung statt und kann von einem eigenständigen CoachingProzess betreut werden.
Überblick
Wie in den anderen Gesprächen geht es auch hier zunächst wieder darum, einen Überblick über das Coaching-Gespräch zu geben, die »Hausaufgaben« der Teilnehmer zu besprechen und im zweiten Teil an neuen Inhalten zu arbeiten. Für das Gespräch sollten 2 Stunden eingeplant werden. Es sollte sich zudem auf die, mit dem Teilnehmer im 1. Gespräch vereinbarten, Prozessziele bezogen werden. Auf diese Weise wird der Teilnehmer daran erinnert, was er selbst sich für die Kompetenzenbilanz vorgenommen hat. Sowohl für den Coach als auch für den Teilnehmer ist dies eine Möglichkeit, die Qualität der Beratung zu kontrollieren.
z
Durchführung
4.3 • Das Verfahren
109
4
Folgende Leitfragen strukturieren den ersten Gesprächsteil: 5 Wie ist es Ihnen mit dem Belegen der Kompetenzen gegangen? 5 Was ist Ihnen leicht gefallen? 5 Wo gab es Probleme bei der Bearbeitung der Aufgabe? 5 War es interessant, sich noch einmal mit den Belegen für die eigenen Kompetenzen zu beschäftigen? 5 Wie viel Zeit haben Sie für die Aufgabe zu Hause verwendet? 5 Gibt es noch offene Fragen zum 2. Gespräch? 5 Rückbezug auf das im 1. Gespräch gemeinsam vereinbarte Ziel der Kompetenzenbilanz 5 Ausblick auf den Verlauf des Abschlussgesprächs
> Wichtig Falls der Coach nach dem 3. Gespräch eine schriftliche Dokumentation erstellt, sollte er den Teilnehmer nochmals darauf hinweisen, dass es sich bei der Zusammenstellung von Kompetenzen um eine vorläufige Stoffsammlung handelt, die für die schriftliche Kompetenzenbilanz nochmals verändert, verdichtet und umformuliert wird (Näheres dazu in 7 Abschn. 4.4).
Besprechen der Kompetenzen und der dazu dokumentierten Belege Wie auch im 2. Coaching ist es an dieser Stelle wichtig, die gesammelten Belege zu den einzelnen Kompetenzen kritisch zu hinterfragen und gemeinsam zu erörtern, ob die Dokumentation ausreichendes und inhaltlich stichhaltiges Material im Sinne einer Argumentation für die behaupteten Kompetenzen darstellt. Besonders wichtig ist es auch, die einzelnen Kompetenzbegriffe nochmals zu überprüfen. Leitlinien hierzu: 5 Verstehen die Teilnehmer alle Kompetenzbegriffe? 5 Zu welchen Kompetenzen wurden nur wenige Argumente gesammelt? 5 Warum wurden zu manchen Kompetenzen mehr und zu anderen weniger Argumente gesammelt? 5 Lassen sich alle Kompetenzen aufrechterhalten? 5 Sollen manche Kompetenzen zusammengefasst oder gestrichen werden? 5 Fehlen noch Kompetenzbegriffe? 5 Haben die Teilnehmer die Kompetenzen auch mit anderen Personen besprochen?
Kompetenzen kritisch hinterfragen
110
Kapitel 4 • Eine Methode der kompetenzorientierten Laufbahnberatung: Die Kompetenzenbilanz
5 Handelt es sich bei allen Kompetenzen um tatsächlich vorhandene Fähigkeiten oder mitunter eher um »Wunschkompetenzen«? Falls ja, können diese Wünsche im weiteren Verlauf in die Erarbeitung von nächsten Schritten einbezogen werden.
Sinnvoll ist es an dieser Stelle auch, sich alle Kompetenzen nochmals erklären zu lassen. Auch ein Rollenspiel ist hier möglich (»Sie behaupten, die Kompetenz X zu haben; erklären Sie mir, was Sie damit meinen und warum Sie diese Kompetenz haben«). Häufig berichten die Teilnehmer, dass ihnen für die niedergeschriebenen Werte keine Belege eingefallen sind und es ihnen schwer fiel, sie eigenständig und ohne Begleitung durch einen Coach zu hinterfragen. Hier ist es hilfreich, nochmals zu erörtern, aufgrund welcher Tätigkeiten die jeweiligen Werte in die Sammlung aufgenommen worden sind und an welcher Stelle in der Biografie die Klienten die jeweiligen Werte als besonders wichtig und leitend erlebt haben. Wie wir bereits erläutert haben, werden Werte häufig dann besonders wichtig, wenn sie bedroht sind. Also sollte im Gespräch auch danach gefragt werden, wann ein Wert bedroht war oder unter welchen Bedingungen eine Bedrohung der Werte empfunden wird und wie die Teilnehmer in Zukunft mit solchen Situationen umgehen können. Auch dieses Vorgehen kann ergiebig für das Erarbeiten nächster Schritte und Vorhaben sein.
4
Besprechen des Lebenslaufs Wie in 7 Abschn. 4.3.4.4 bereits ausgeführt, sollte dieser Punkt nur dann besprochen werden, wenn er für die Teilnehmer überhaupt relevant ist, und auch dann nur in knapper Form. Es bietet sich auch an, eine Besprechung oder ggf. Korrektur des Lebenslaufs in einer Betreuung per E-Mail vorzunehmen, um nicht die wertvolle Zeit des Coaching-Gesprächs damit zu verbringen. Es gibt nicht »den« Lebenslauf für alle Situationen
> Wichtig Die Teilnehmer sollten an dieser Stelle unbedingt darauf hingewiesen werden, dass es sich bei dem unter Umständen angefertigten Lebenslauf lediglich um eine von vielen Möglichkeiten handelt, einen Lebenslauf zu erstellen. Sie sollten sich bewusst sein, dass ein Lebenslauf stets auf die jeweilige Bewerbungssituation maßgeschneidert werden muss. Gerade in diesem Sinne ist der EU-Vorschlag eines kompetenzorientierten Lebenslaufs vor allem als Stoffsammlung für künftig zu erstellende Lebensläufe zu verstehen und zu verwenden.
Ergänzen fehlender Informationen Sind alle Informationen für das Gutachten verfügbar?
Im Rahmen des letzten Gesprächs sollte Zeit dafür eingeräumt werden, ggf. fehlende Informationen einzuholen, die zur Erstellung einer schriftlichen Dokumentation notwendig sind. Wir werden im Ab-
4.3 • Das Verfahren
111
4
schnitt über die schriftliche Kompetenzenbilanz nochmals inhaltlich auf diesen Punkt eingehen. An dieser Stelle genügt zunächst eine Checkliste, anhand derer die Informationen auf Vollständigkeit hin überprüft werden können. 5 Kann der Werdegang des Teilnehmers lückenlos und mit Jahreszahlen belegt werden? 5 Wie lauten die korrekten Namen der Firmen, in denen der Teilnehmer tätig gewesen ist? 5 Welches waren die genauen Funktionen und Bezeichnungen der Stellen, die der Teilnehmer bekleidet hat? 5 Wurden die Positionen soweit erörtert, dass der Coach Aufgaben und Tätigkeiten Dritten gegenüber lückenlos erklären kann? 5 Welche Anforderungen musste der Teilnehmer für die jeweiligen Aufgaben bewältigen? 5 Welche Abschlüsse und formellen Qualifikationen hat der Teilnehmer genau? 5 An welchen Institutionen wurden diese Abschlüsse und Qualifikationen erworben? 5 Welche Weiterbildungen hat der Teilnehmer absolviert?
Erarbeiten von nächsten Schritten und Zielen Wie bereits erwähnt, handelt sich bei der Kompetenzenbilanz im Kern nicht um ein Zielcoaching. Der wesentliche Unterschied zu einem Zielcoaching ist, dass in der kompetenzorientierten Laufbahnberatung Ziele lediglich benannt und anvisiert sowie erste mögliche Schritte in Bezug auf dieses Ziel skizziert werden. Die eigentliche Arbeit an diesem Ziel kann und muss erst im Anschluss an diesen Beratungsprozess stattfinden. Besinnen wir uns nochmals darauf, was die Kompetenzenbilanz hauptsächlich sein soll: Es handelt sich um eine Möglichkeit, in sehr komprimierter und ungewöhnlich strukturierter Form eigene Kompetenzen erkennen, benennen und belegen und auf diese Weise eine Standortbestimmung vornehmen zu können. Nimmt eine Person einen neuen Standort ein oder wird sich des bereits länger eingenommenen, aber noch nicht bestimmbaren Standorts bewusst, so findet in den meisten Fällen eine Korrektur oder eine Neudefinition des Wegs statt, den sie in Zukunft gehen möchte. Das Definieren und Benennen dieses Ziels ist Aufgabe der Kompetenzenbilanz und ergibt sich – vorausgesetzt der Prozess wurde im hier beschriebenen Sinne durchgeführt – harmonisch aus der bisherigen Arbeit mit dem Teilnehmer. Nicht in jedem Fall muss um jeden Preis eine dezidierte Erarbeitung von Zielen vorgenommen werden. Manchmal kann es auch genügen, die Aufgaben, denen sich die Teilnehmer in den nächsten Monaten stellen werden, zu benennen, zu strukturieren und gemeinsam zu erarbeiten, auf welche Weise sie die Erkenntnisse des zurückliegenden Prozesses als Ressource oder als Rüstzeug nutzen können. Aus diesem Grund sprechen wir vornehmlich von »nächsten Schritte« und vermeiden weitgehend den schillernd klingenden Begriff der »Ziele«. Allzu streng sollte man diese Trennung freilich nicht vornehmen, so dass wir im Folgenden beide Begriffe verwenden.
Zielarbeit ist wichtig
112
Kapitel 4 • Eine Methode der kompetenzorientierten Laufbahnberatung: Die Kompetenzenbilanz
z Was sind Ziele?
4
Ziele formulieren
Um welche nächsten Schritte/Ziele geht es?
Der Begriff des Ziels ist in diesem Zusammenhang recht weit gefasst. Es bietet sich an, im Coaching die Fragebögen zur derzeitigen und zur idealen Situation hinzuzuziehen (. Abb. 4.2 und . Abb. 4.3) und aus den deutlichen Unterschieden zwischen den einzelnen Situationen Ziele und nächste Schritte abzuleiten. Als nächster Schritt kann in der kompetenzorientierten Laufbahnberatung 5 jede Form eines Veränderungswunsches und 5 jede in der nahen Zukunft bevorstehende Veränderung, ob diese nun gewollt oder ungewollt eintritt, verstanden werden. Das bedeutet, dass Vorhaben einerseits darin bestehen können, eine ganz bestimmte berufliche Position zu erreichen, die beruflichen Bedingungen zu verbessern oder sich auch privat zu verändern. Solche Vorhaben (die in diesem Stadium freilich zunächst eher Wünsche sind) können z. B. lauten: »Ich möchte eine weitere Ausbildung absolvieren«, »Ich möchte wieder mehr teamorientiert arbeiten«, »Ich möchte innerhalb der nächsten 2 Jahre einen Arbeitsplatz haben, der näher an meinem Wohnort ist«, »Ich möchte meiner Familie wieder mehr Zeit widmen können«. Andererseits können nächste Schritte auch darin bestehen, dass Personen mit einer neuen Situation umzugehen lernen müssen, also etwa dann, wenn eine berufliche Veränderung (beispielsweise Kündigung) eingetreten ist. Hier sind die Ziele also von außen vorgegeben und es geht vor allem darum, eine Strategie zu finden und Ressourcen aufzuspüren, mit deren Hilfe eine positive Veränderung erzielt werden kann. Nächste Schritte sollten nach den folgenden SMART-Kriterien (Drucker 1998) formuliert werden (damit sie eben tatsächlich zu Zielen werden und nicht nur Wünsche sind): 5 S – spezifisch → genau formulieren, worin das Ziel besteht 5 M – messbar → Kriterien aufstellen, an denen sich Erfolg messen lässt 5 A – attraktiv → das Ziel muss persönlich bedeutsam sein 5 R – realistisch → das Ziel muss erreichbar sein 5 T – terminiert → zeitlicher Horizont bis zum Erreichen des Ziels Zur Annäherung und Spezifizierung der Ziele bieten sich folgende Leitfragen an: 5 Welche familiären nächsten Schritte liegen vor Ihnen? 5 Welche beruflichen Vorhaben möchten Sie verfolgen? 5 Welche persönlichen Ziele haben Sie? 5 Welche Informationen müssen Sie hierfür noch einholen? 5 Auf welche Weise können Sie Ihr Vorhaben umsetzen? 5 Wann möchten Sie das Ziel erreicht haben?
4.3 • Das Verfahren
113
4
5 Welche Ihrer Kompetenzen helfen Ihnen dabei, Ihre nächsten Schritte umzusetzen? 5 Bei wem können Sie sich in nächster Zeit Unterstützung holen? 5 Wo können Sie sich informieren? 5 Was machen Sie, wenn sich herausstellt, dass Ihre Vorhaben zunächst nicht umzusetzen sind? 5 Welche Unterschiede haben Sie in den Arbeitsblättern zur derzeitigen und zur idealen Situation festgestellt?
An diesem Punkt können wir 3 Typen von Teilnehmern unterscheiden. Die Arbeit an nächsten Schritten hängt in hohem Maße davon ab, welchen Teilnehmer-Typ der Coach vor sich hat: 5 Typ A hat die Kompetenzenbilanz begonnen, um eine neue Aufgabe zu finden, weil er mit seiner derzeitigen Tätigkeit sehr unzufrieden ist oder sich aus einem von außen vorgegebenen Grund umorientieren muss oder will. 5 Radikale Veränderung, großer Veränderungsdruck und Veränderungsmotivation 5 Intensive Arbeit an nächsten Schritten und Entwurf unterschiedlicher Zukunftsszenarien 5 Typ B hat zunächst eine Veränderung gesucht und nun festgestellt, dass er sich nicht fundamental, sondern eher mäßig und in wenigen Punkten verändern möchte. 5 Mäßige Veränderung, mäßiger Veränderungsdruck, mäßige bis hohe Veränderungsmotivation 5 Arbeit an nächsten Schritten und an Kriterien und Kontrollmöglichkeiten, anhand derer er in den kommenden Wochen und Monaten überprüfen kann, ob tatsächlich eine Veränderung stattgefunden hat bzw. in welcher Form diese stattfinden soll 5 Typ C hat rein aus Interesse eine Standortbestimmung vorgenommen und kein besonderes Ziel vor sich. 5 Keine bedeutsame Veränderung, kein Veränderungsdruck 5 Erarbeiten nächster Schritte bzgl. der bevorstehenden Aufgaben und im Verlauf der Gespräche entstandener Zukunftsideen
3 unterschiedliche »Ziel-Typen«
Wir wenden uns den einzelnen Typen im Detail zu und erörtern, welche Konsequenzen sich für die konkrete Arbeit ergeben. Dabei werden anhand von Einzelfällen die Besonderheiten der 3 unterschiedlichen Zieltypen unterschieden. Im Anschluss analysieren wir Kriterien, die für eine effektive Erarbeitung von nächsten Schritten sinnvoll und hilfreich sind. k Typ A Beispiel Herr T. hat im Laufe der Kompetenzenbilanz erfahren, dass er sehr wahrscheinlich in den kommenden Monaten eine Kündigung zu erwarten hat. Er möchte diesen Bruch nicht nur für einen Wechsel der Firma, sondern auch für einen Neuanfang nutzen. Durch die Kom-
Umbruchsituation
114
Kapitel 4 • Eine Methode der kompetenzorientierten Laufbahnberatung: Die Kompetenzenbilanz
petenzenbilanz hat er erkannt, dass seine Kompetenzen zwar in der bisherigen Position nicht falsch eingesetzt waren, dass er jedoch in Zukunft seine Fähigkeit zu organisieren stärker einsetzen möchte. In den letzten Jahren ist seine Tätigkeit Routine geworden und er hatte nicht mehr das Gefühl sich substanziell weiterzuentwickeln. Seine Tätigkeit im Management war eher durch Verwaltung gekennzeichnet und weniger durch die, Herrn T. wichtigen, gestaltenden Anteile. Seine Arbeitsergebnisse waren für ihn selbst nicht mehr unmittelbar sichtbar, sondern gingen in der Vielzahl der Abläufe weitgehend unter. Herr T. wäre einerseits bereit, eine Weiterbildung zu absolvieren, andererseits hat er inzwischen von einem anderen Unternehmen ein finanziell attraktives Angebot für eine Stelle erhalten, die sich allerdings nicht wesentlich von der bisherigen Aufgabe unterscheidet. Wenn er in einer anderen Firma tätig würde, dann eher auf einer Position, in der er das Ergebnis seiner Arbeit deutlicher sehen kann. Seiner Meinung nach könnte dies eine Aufgabe im Marketing-Bereich sein, da er hier Kampagnen planen könnte, die ein sichtbares Ergebnis hätten. Zudem hat er seit einigen Jahren die Idee, sich noch einmal ganz neu zu orientieren und unter Umständen eine Ausbildung in einer vollkommen anderen Richtung zu machen, um seinen Jugendtraum, Pilot zu werden, zu verwirklichen. Mit 34 Jahren ist er dafür noch nicht zu alt und in den vergangenen Jahren haben sich seine Frau und er Reserven zurückgelegt, so dass ein Zeitraum, in welchem Herr T. kein Einkommen hat, gut zu überbrücken wäre. Seine Frau ist halbtags beschäftigt, da sie auch Zeit für das gemeinsame Kind haben möchte. Unter Umständen müsste sie ihre Tätigkeit jedoch ausweiten. Zwar kennt sie den Jugendtraum ihres Mannes, doch weiß sie noch nicht, wie deutlich er sich ein mögliches Szenario als Pilot ausmalt.
4
Herr T. befindet sich in einer Umbruchsituation: Die kommenden Entscheidungen werden seine berufliche Laufbahn und sein Privatleben womöglich radikal verändern. Die Aufgabe des Coaches ist in dieser Situation recht eindeutig: Vor allem geht es darum, die Konsequenzen der verschiedenen Entscheidungsmöglichkeiten zu eruieren und möglichst viele Aspekte der unterschiedlichen Zukunftsszenarien in das Gespräch einzubeziehen. > Wichtig Auf keinen Fall darf der Coach in der Erarbeitung von Zielen und nächsten Schritten gestaltend eingreifen. Die Entscheidung und die Verantwortung für die eigenen Vorhaben und das eigene Handeln müssen immer beim Teilnehmer liegen. Der Coach kann nur dabei helfen, die Probleme zu verbalisieren und zu strukturieren. Ziele von Anfang an im Auge haben
Wenn sich so schwerwiegende Entscheidungsalternativen ergeben wie in diesem Beispiel, ist es unwahrscheinlich, dass der Teilnehmer erst im 3. Gespräch beginnt, über seine Überlegungen bzgl. der eigenen Zukunft zu sprechen. Wie bereits in den Ausführungen zum 1. Coaching erwähnt, hat es sich als hilfreich herausgestellt, die Erarbeitung eines
4.3 • Das Verfahren
115
4
Ziels bereits in der 1. Sitzung anzusprechen. Dies eröffnet die Möglichkeit, während des gesamten Prozesses auf das Ziel, auf sich daraus ergebende Anforderungen und dazu passende Kompetenzen einzugehen. Folgende beispielhafte Fragen könnten im Gespräch mit Herrn T. sinnvoll sein: 5 Was aus den in der Kompetenzenbilanz erarbeiteten Inhalten deutet darauf hin, dass Sie die Kompetenz mitbringen, Pilot werden zu können? 5 Welche Argumente gibt es hierfür, abgesehen davon, dass Sie es gerne machen möchten? 5 Was würde die Ausbildung zum Piloten für Ihre Frau bedeuten? 5 Ist Ihre Frau bereit, u. U. in den kommenden 2 Jahren mehr zu arbeiten? 5 Was würde sich innerhalb der Familie ändern? 5 Wenn Sie Pilot sind: Wie viel Zeit würden Sie dann mit der Familie verbringen? 5 Wie lange dauert die Ausbildung zum Piloten? 5 Was machen Sie, wenn sich der Traum, Pilot zu werden, als unrealistisch herausstellt – Sie zum Beispiel die Eignungsprüfung nicht bestehen? 5 Kennen Sie Piloten, die Ihnen eine realistische Vorschau auf Ausbildung und Tätigkeit als Pilot geben können? 5 Wann genau beginnt die Ausbildung? Wann müssen Sie sich bewerben? 5 Welche anderen Tätigkeitsfelder gäbe es noch? 5 Wie lassen sich alternative Tätigkeitsfelder planen und auf diese Weise mehrere unterschiedliche Szenarien für die Zukunft entwerfen? > Wichtig Diese oder ähnliche Fragen dürfen selbstverständlich nicht im Sinne eines Fragenkatalogs abgehandelt werden. Zudem sollen sie nicht dazu dienen, das Vorhaben des Teilnehmers in Frage zu stellen, sondern ihn darin üben, für sein Ziel Argumente zu formulieren und sich auf verschiedene mögliche Hindernisse einzustellen.
Die Fragen des Coaches dienen dazu, das Problem bzw. die bevorstehende Entscheidung zu strukturieren und greifbar zu machen und zu formulieren, welche Hindernisse und Ressourcen sich in den kommenden Wochen und Monaten ergeben können. Die Aufgabe des Coaches besteht darin, gemeinsam mit dem Teilnehmer einen Möglichkeitsraum bzgl. der eigenen Zukunft zu gestalten, so dass dieser sich auf evtl. bevorstehende Hindernisse proaktiv vorbereiten kann. > Wichtig Der Teilnehmer soll lernen, auf Grundlage seiner Kompetenzen und seiner Handlungsmotive sein eigenes Vorhaben besser darstellen und für seine Entscheidungen gut argumentieren zu können.
Erörtern von Ressourcen
116
Kapitel 4 • Eine Methode der kompetenzorientierten Laufbahnberatung: Die Kompetenzenbilanz
Schematische Darstellung Arbeitsblatt zum Download auf 7 www.springer. com/978-3-642-20065-6
Für eine bessere Übersicht und für die Strukturierung der anstehenden Entscheidungen, nächsten Schritte und Ziele empfiehlt sich eine schematische Darstellung. In . Tab. 4.5 ist ein beispielhaftes Arbeitsblatt dargestellt. Hierbei ist zu beachten, dass die vorgegebene Tabelle im Coaching unter Umständen nicht vollständig ausgefüllt werden wird. Der Teilnehmer sollte ermutigt werden, die Vorlage als Hilfsmittel zur Strukturierung seiner Aufgaben heranzuziehen. k Typ B Beispiel
4 Radikale oder gezielte, kleine Veränderungen?
Frau U. nahm die Kompetenzenbilanz in einer Situation in Anspruch, in der sie sich grundsätzlich umorientieren wollte. Ihr erlernter Beruf als Kindergärtnerin gefiel ihr nicht mehr und sie wollte sich Klarheit darüber verschaffen, welche ihrer Interessen eine tragfähige Basis für eine berufliche Umorientierung darstellen könnte. Die Gründe für die große Unzufriedenheit mit ihrer beruflichen Situation sah sie im Wesentlichen in dem immer stärkeren Auseinanderklaffen ihrer hohen Ansprüche einerseits und der Rahmenbedingungen ihrer Arbeit andererseits begründet. In dieser Situation begriff sie das Angebot der Kompetenzenbilanz nach der Lektüre eines kurzen Zeitungsberichts als eine noch unklare Chance, möglichst konkrete Ansätze für eine Veränderung herauszufinden. Bei der Aufarbeitung ihrer gegenwärtigen Situation stellte sie vor allem heraus, dass ihr durch eine fortwährende Verknappung der finanziellen, personellen und räumlichen Ressourcen die Freude an ihrer Arbeit genommen war, da sie eine Nutzen bringende und an den hohen eigenen Ansprüchen ihrer Tätigkeit als Kindergärtnerin orientierte Aktivität in diesem Rahmen nicht weiter aufrecht erhalten könne. Im Laufe der Kompetenzenbilanz stellte sich heraus, dass die Tätigkeit als Kindergärtnerin sowohl den Werten als auch den Stärken von Frau U. entsprach und dass es letztlich nur die erschwerten Umstände waren, die sie zu ihren Plänen zu wechseln geführt hatten. Die Suche nach Alternativen zur bestehenden Tätigkeit führte angesichts der fehlenden regionalen Möglichkeiten sehr schnell wieder zurück zur aktuellen Tätigkeit. In der Woche, die zwischen dem 2. und dem 3. Gespräch lag, hatte sich die Einschätzung von Frau U. verfestigt, dass die gegenwärtige Tätigkeit eigentlich die Arbeit war, die sie sich wünschte. Wie kann sie jedoch ihre Arbeitsbedingungen so ändern, dass ihre Arbeit wieder erfüllend für sie ist?
Radikale Veränderung ist nicht unbedingt notwendig
Im 3. Coaching wurde intensiv damit begonnen, die bestehenden Barrieren zu hinterfragen und auf der Grundlage der gemeinsam erarbeiteten Kompetenzen nach Lösungsmöglichkeiten bzw. Alternativen zu suchen. Dabei stand nicht die Entwicklung konkreter Pläne im Vordergrund, sondern eine kompetenzorientierte Erweiterung der Perspektive, die der Coach beispielhaft mit möglichen Lösungen anreicherte. Neun Monate nach den Coaching-Gesprächen meldet sich
Bis wann?
Entscheidung bis in 6 Wochen
Entscheidung bis in 1 Monat
Entscheidung bis in 2 Wochen
Was will ich erreichen?
Pilotenausbildung
Andere Weiterbildung
Job in anderer Firma
– Welche Aufstiegsmöglichkeiten gibt es dort? – Wie kann ich mich dort entwickeln (evtl. Richtung Marketing)?
– Welche Weiterbildung ist geeignet? – Welche Stellen kann ich damit anstreben?
– Wie lange dauert die Ausbildung? – Wann kann ich damit anfangen? – Wie sind die Aufnahmebedingungen? – Welche finanziellen Unterstützungsmöglichkeiten gibt es? – Wie sind die Jobchancen danach?
Welche Informationen brauche ich dazu noch?
. Tab. 4.5 Nächste Schritte und Aktionsplan
Bis in 1 Woche
Bis in 2 Wochen
Bis in 2 Wochen
Bis wann habe ich das erledigt?
– Mit der Personalabteilung sprechen – Mit evtl. künftigem Vorgesetzten sprechen
– Informationen über Tätigkeiten im Marketing-Bereich einholen – Mit ehemaligen Studienfreunden über dieses Tätigkeitsfeld sprechen – Mit meiner Frau darüber reden
– Informationen bei Ausbildungsstätten einholen – Beim Arbeitsamt und im Internet recherchieren und Beratung einholen, auch darüber, welche Altersgrenze es für die Ausbildung zum Piloten gibt – Mit meiner Frau die finanziellen und sonstigen Folgen durchsprechen
Welche nächsten Schritte muss ich dazu unternehmen?
– Meine Frau – Personalabteilung – Evtl. künftiger Vorgesetzter
– Meine Frau – Ehemalige Studienfreunde anrufen
– Meine Frau – Pilot (über mehrere Ecken bekannt) – Arbeitsamt
Wer kann mich dabei unterstützen?
– Job annehmen, aber evtl. nur 2/3-Stelle, um Raum zu haben, mich in MarketingRichtung fortzubilden – Evtl. weitere Bewerbungen
Eine längerfristige Strategie erarbeiten, auf welche Weise ich mich von der jetzigen Tätigkeit in die gewünschte Richtung entwickeln kann
Möglichkeit suchen, dieser Leidenschaft privat nachgehen zu können
Was mache ich, wenn sich meine Vorhaben so nicht umsetzen lassen?
4.3 • Das Verfahren
117
4
Bis wann?
Nach Ende des aktuellen Projekts (in ca. 3 Monaten)
Mehr Zeit für die Familie
– Wie flexibel kann ich mit meiner Arbeitszeit umgehen?
Welche Informationen brauche ich dazu noch?
Chef fragen bis in ca. 3 Wochen
Bis wann habe ich das erledigt?
– Chef fragen – Kollegen fragen, wie die das handhaben – Nach Möglichkeiten suchen, die Arbeit so zu organisieren, dass ich nicht immer da sein muss
Welche nächsten Schritte muss ich dazu unternehmen?
– Chef – Kollegen – Frau
Wer kann mich dabei unterstützen?
4
Was will ich erreichen?
. Tab. 4.5 (Fortsetzung)
– Stelle reduzieren – Neue Stelle suchen
Was mache ich, wenn sich meine Vorhaben so nicht umsetzen lassen?
118 Kapitel 4 • Eine Methode der kompetenzorientierten Laufbahnberatung: Die Kompetenzenbilanz
4.3 • Das Verfahren
119
4
Frau U. wieder bei ihrem Coach und berichtet davon, wie sich alles zum Guten entwickelt hatte: »Anfänglich brauchte es noch ein wenig Zeit, neue Dinge zu unternehmen. Mittlerweile hat sich aber ganz schön was getan. Wie Sie vielleicht noch wissen, waren mir die Räume viel zu klein und zu eng. Der erste Versuch, den wir heuer erfolgreich gestartet haben, ist, den Spielplatz ‚als zusätzlichen Raum‘ zu nutzen. Wir verbrachten bis jetzt bei jedem Wetter (auch im Winter) entsprechend gekleidet jeden Tag auf dem Spielplatz. Wir haben auch einen Erlebnis- bzw. Entdeckungstag einmal pro Woche eingeführt. An diesem Tag gibt es auch bei jeder Witterung ein tolles Abenteuer im Freien – Wald, Wiese, Bach usw. Das Schönste aber ist, dass wir einen zusätzlichen Raum für das kommende Kindergartenjahr genehmigt bekommen haben! Ist das nicht herrlich? Bei jeder neuen Errungenschaft, die gelingt, denke ich an den vergangenen Sommer, wie ich bei Ihnen im Zukunftszentrum saß und eigentlich die Freude an meiner Arbeit nicht mehr so richtig da war. Aber dank Ihrer Hilfe habe ich neue Möglichkeiten gefunden, den Spaß an meiner Arbeit wiederzufinden. Ich hoffe, es geht in dieser Richtung weiter.« Auch hier führte also ein kompetenzorientiertes Ausloten der Möglichkeiten dazu, dass die Teilnehmerin proaktiv werden konnte, die Hindernisse in ihrer Arbeitsumwelt konkret zu erkennen und zu benennen lernte und durch die Strukturierung der vor ihr liegenden Aufgaben in der Lage war, aus den gewohnten Verhaltensmustern auszubrechen – ohne sich jedoch radikal von ihrer Aufgabe abzuwenden. > Wichtig Der von der Teilnehmerin empfundene Determinismus bzgl. ihrer eigenen Situation und ihrer Zukunft konnte durch das Vorgehen der Kompetenzenbilanz aufgehoben werden. k Typ C Beispiel Herr G. ist zufrieden mit seinem Job und hat nicht die Absicht, an seiner Position als Projektleiter und Systemadministrator in einem mittelständischen Unternehmen mit ca. 200 Mitarbeitern etwas zu ändern. Die Kompetenzenbilanz hat er begonnen, weil sie innerbetrieblich zur individuellen Standortbestimmung und zur Entwicklung weiterer Perspektiven angeboten wurde. Im Laufe der Kompetenzenbilanz hat er für sich bestätigt, dass er seine Kompetenzen in der derzeitigen Position nahezu optimal einsetzen kann. Natürlich gibt es hier und da Verbesserungsmöglichkeiten, dabei handelt es sich aber nur um Kleinigkeiten, die, wie er sagt, dafür sorgen, »dass er nicht einrostet«. Er bezieht ein gutes Einkommen und kann sich aufgrund seiner guten Position im Unternehmen und seiner langen Zugehörigkeit zum Unternehmen vorstellen, in einigen Jahren in den Vorstand berufen zu
Allgemeines Interesse an den eigenen Kompetenzen
120
Kapitel 4 • Eine Methode der kompetenzorientierten Laufbahnberatung: Die Kompetenzenbilanz
werden. Allerdings sieht er auch, dass er hierfür nicht auf seinem derzeitigen Stand stehen bleiben darf, sondern sich langfristig weiterentwickeln muss. Herr G. bildet sich gerne selbstständig fort und möchte die Sicherheit gewinnen, die richtigen Weichen für seine Weiterentwicklung zu stellen. Auch privat geht es Herrn G. sehr gut. Vor wenigen Wochen hat seine Frau das erste Kind zur Welt gebracht. Außerdem haben seine Frau und er geplant, im nächsten Jahr ein Haus zu bauen.
4
Auch diese erfolgreiche und durchgehend positive »Bilanz« bietet einige Ansätze, sich detailliert mit künftigen Entwicklungsfeldern, Zielen und nächsten Schritten auseinander zu setzen. In einem solchen Fall bietet es sich an, die bevorstehenden Monate im Leben des Klienten nach besonderen Aufgaben zu hinterfragen, also nach Unregelmäßigkeiten, auf die er sich mit Hilfe eines strukturierten Vorgehens einstellen kann. Solche Aufgaben und Entwicklungsfelder sind im dargestellten Fall: 5 die durch das Vatersein gewandelte Rolle und die dadurch entstehenden Aufgaben, die zeitlich aufwändig sind, 5 die Verantwortung für eine Familie, 5 die langfristige Perspektive eines Aufstiegs im Unternehmen und die damit verbundenen Anforderungen (Weiterbildungen, Durchsetzen innerhalb des Unternehmens etc.), 5 der bevorstehende Hausbau. Wir sehen auch hier, dass einige Themenfelder berührt werden, die strukturiert und hinsichtlich der enthaltenen Aufgaben und möglicher Schwierigkeiten untersucht werden sollten. Auch hier bieten sich die Leitfragen und das Ordnungsschema an, die weiter oben beispielhaft aufgeführt sind.
Abschluss des Prozesses Die Fäden zu Ende spinnen
Die Kompetenzenbilanz ist für Personen gedacht, die sich in einem strukturierten Verfahren mit ihren eigenen Fähigkeiten auseinander setzen wollen. Es soll den Teilnehmern ermöglicht werden, ihre eigenen Fähigkeiten besser erkennen, benennen und auch für diese argumentieren zu können. Auf dieser Grundlage lernen sich die Teilnehmer bzgl. ihrer derzeitigen Situation besser einzuschätzen. Von dieser verbesserten Sicht auf die eigene Position ausgehend, formulieren die Teilnehmer nächste Schritte und Ziele. In relativ kurzer Zeit haben die Teilnehmer einen mitunter sehr intensiven und auch sehr persönlichen Prozess mit einem Coach durchgeführt, den sie zuvor nicht kannten. Nun gilt es, einen Abschluss für diesen Prozess zu finden, der ein eindeutiges, nicht aber hartes Ende für diese Auseinandersetzung ist. Auf welche Weise dies erreicht werden kann, hängt vor allem von der Beziehung ab, die zwischen Coach und Teilnehmer entstanden ist.
4.4 • Schriftliche Kompetenzdokumentation
121
4
> Wichtig Viele Teilnehmer weisen darauf hin, dass sie sich nach der Kompetenzenbilanz ein weiteres Gespräch wünschen würden, welches ca. 2 Monate nach dem Abschlussgespräch stattfinden sollte und der Motivation für das Bearbeiten der individuellen Ziele dienen könnte. Eine Fortsetzung des Coachings und einer Beratung kann also sehr sinnvoll und angebracht sein, allerdings muss hierfür eine neue Vereinbarung getroffen werden, vor allem darüber, was Gegenstand der weiteren Beratung sein soll und welche Ziele hierfür gesetzt werden.
An dieser Stelle nur einige Punkte, die als Checkliste für den Abschluss des Prozesses dienlich sind: 5 Sind noch Fragen bzgl. eines Punkts zur Kompetenzenbilanz offen? 5 Entsprach der Prozess den Erwartungen des Teilnehmers? 5 Wie könnte man den Prozess noch optimieren? 5 Ggf. einen Termin für das Zuschicken der schriftlichen Dokumentation und die Besprechung derselben vereinbaren. Es kann auch nochmals darauf verwiesen werden, dass die Kompetenzen im schriftlichen Gutachten vermutlich in abgewandelter Form dargestellt und vor allem nur die wichtigsten und »profilbildenden« Kompetenzen genannt werden. 5 Besteht Interesse an anschließenden Modulen? 5 Hier lässt sich außerdem nochmals besprechen, in welcher Weise die Kompetenzenbilanz von den Teilnehmern in Eigenarbeit weitergeführt werden kann. Wichtig ist auch, nochmals darauf hinzuweisen, dass die Kompetenzenbilanz eine Momentaufnahme und »Zwischenstand«, d. h. vorläufig und prozesshaft ist.
4.4
Schriftliche Kompetenzdokumentation
Die Kompetenzenbilanz hat 2 Hauptziele: Intervention und Bilanzierung. Der Großteil des Prozesses (also der unmittelbaren Durchführung der Kompetenzenbilanz) ist darauf ausgerichtet, eine Reflexion bei den Teilnehmern zu begleiten und diesen Prozess der Reflexion so zu leiten, dass sich positive Effekte in Hinblick auf die Wahrnehmung der eigenen Biografie und auf die Erarbeitung neuer Perspektiven und nächster Schritte ergeben. Einen Zusatznutzen können wir allerdings einer kompetenzorientierten Laufbahnberatung verleihen, wenn nicht nur ein psychologischer Effekt eintritt, sondern auch ein vorzeigbares Ergebnis mit Nachweischarakter entsteht. Neben der Repräsentation eines Arbeitsergebnisses, das als Resultat der Kompetenzenbilanz vorweisbar ist, kann das Zertifikat als schriftliche Kompetenzdokumentation folgende Funktionen erfüllen: 5 Teilnehmer können das Zertifikat – bzw. Teile daraus – einer Bewerbungsmappe beilegen.
Warum eine schriftliche Bilanz?
122
Kapitel 4 • Eine Methode der kompetenzorientierten Laufbahnberatung: Die Kompetenzenbilanz
5 Teilnehmer können sich anhand des Zertifikats auf Bewerbungsverfahren vorbereiten, z. B. indem sie Argumentationslinien hinsichtlich bestimmter Kompetenzen »auffrischen«. 5 Teilnehmer können Elemente des Zertifikats in von ihnen erstellte Lebensläufe übernehmen, bzw. sich von ihnen zur Gestaltung des eigenen Lebenslaufs anregen lassen (s. natürlich auch den Lebenslauf innerhalb des Coaching-Prozesses; 7 Abschn. 4.3.5.3). 5 Teilnehmer erhalten angesichts der strukturierten Darstellung die Möglichkeit, den begonnen Zielfindungsprozess fortzusetzen. 5 Teilnehmer werden durch die Lektüre des Zertifikats womöglich darin bestärkt, Tätigkeiten auch künftig reflektierender wahrzunehmen.
4
Es wird deutlich, dass das Zertifikat zu einem beträchtlichen Anteil auch zu dem Zweck erstellt wird, es nach außen hin präsentieren zu können. Diese Aufgabenstellung zieht gewichtige Konsequenzen bzgl. der inhaltlichen und sprachlichen Gestaltung nach sich. Doch zunächst zu den einzelnen Teilen der schriftlichen Kompetenzdokumentation. z Welche Eigenschaften hat die Person?
Wertorientierung
Person
Hier wird die Person anhand ihrer Eigenschaften und der wichtigsten Tätigkeiten beschrieben. Auch einige biografische Fakten können in diesem Abschnitt vorkommen. Neben dem beruflichen Fokus ist auch eine Darstellung des familiären Stands oder besonderer Interessen möglich. Als Leitlinien für diesen Abschnitt mögen folgende Fragen hilfreich sein: 5 Mit welchen Personen arbeitet die Person gerne zusammen? 5 In welchen sozialen Kontexten bewegt sich die Person vornehmlich? 5 In welchen Kontexten arbeitet die Person? 5 Auf welche Weise arbeitet die Person? 5 Wie geht die Person mit Stress um? 5 Wie geht die Person mit Konflikten um? 5 Wie verhält sich die Person in Gruppen? 5 Wie verhält sich die Person gegenüber anderen? Vermieden werden sollte insgesamt ein floskelhafter Stil (häufig beginnend mit der Formulierung: »Herr X. ist sowohl in der Lage, mit anderen Personen zu arbeiten wie auch selbstständig tätig zu sein.«) Einen sinnvollen Abschluss dieses Abschnitts bildet die Aufzählung und kurze Erklärung der handlungsleitenden Werte der Person. Umfang insgesamt: max. 1 Seite. z
Perspektive
Hier nun folgt eine kurze Beschreibung der aktuellen Situation des Klienten. Warum hat er an der Kompetenzenbilanz teilgenommen?
4.4 • Schriftliche Kompetenzdokumentation
123
4
Was sind die Ideen und Pläne für die kommende Zeit? Welche Überlegungen leiten die Person hierbei? Welche nächsten Schritte müssen hierfür in Angriff genommen werden? Nicht hierher gehören negative Abgrenzungen, z. B. »Will nicht im öffentlichen Dienst arbeiten« oder Ähnliches. Umfang: meist ca. ½ Seite – der Teil »Perspektive« muss immer auf einem eigenen Blatt stehen. z
Kernkompetenzen
Hier werden die Kompetenzen für die einzelnen Bereiche (fachliche, methodische, soziale und personale Kompetenz) dargestellt. Folgende Informationen müssen in allen Formen von Kompetenzbeschreibungen enthalten sein, um ein gleichmäßiges Qualitätsniveau von schriftlichen Kompetenzenbilanzen zu ermöglichen: Kompetenzbeschreibungen sollten Informationen darüber enthalten, 1. wie lange die Person in Bereichen tätig war, die als Beleg für die Kompetenz bezeichnet werden können → Erfahrungsmenge, 2. ob die Kompetenz der Person anhand unterschiedlicher Kontexte belegt werden kann → Erfahrungsvielfalt, 3. wie komplex die Anforderungen waren, anhand derer die Person die jeweilige Kompetenz belegt → Komplexität, 4. in welcher Weise die Person in der Lage ist, über die Beschaffenheit und Ausprägung der jeweiligen Kompetenz Auskunft zu geben → Vernetzung. z
Qualitative Kompetenzbeschreibung
In der qualitativen Form der Kompetenzbeschreibung werden Kompetenzen durch die in den Gesprächen und in den »Hausaufgaben« der Teilnehmer gefundenen Argumente belegt. Dabei stellt sich für den Verfasser der Bilanz vor allem das Problem, aus den mitunter sehr umfangreichen Kompetenzen und den dazugehörigen Belegen die besonders profilbildenden Fähigkeiten des Teilnehmers auszuwählen und diese in einer knappen, aber dennoch gut lesbaren und verständlichen Form zu verdichten. Wir wollen uns hierfür ein Beispiel für eine Kompetenzbeschreibung ansehen: Beispiel Selbstständigkeit und Entscheidungsfähigkeit. Frau S. ist seit 15 Jahren selbstständig. Die Selbstständigkeit geht einher mit der Notwendigkeit, Entscheidungen zu treffen. Das fällt Frau S. auf Grund ihrer Sicherheit und ihrer Liebe zur Effizienz insgesamt leicht. Die schwierigsten Entscheidungen waren für Frau S. die Entscheidungen für Ehe, Haus und Schulden. Frau S. ist aber auch in weniger umfassenden Bereichen bereit, Verantwortung zu übernehmen. Sie sagt, »ordentliche Arbeit beginnt bei mir selbst«. Wenn sie Fehler macht, will sie für diese auch gerade stehen.
4 Dimensionen der Kompetenzbeschreibung
124
Kapitel 4 • Eine Methode der kompetenzorientierten Laufbahnberatung: Die Kompetenzenbilanz
Ziehen wir die oben genannten Kriterien für eine umfassende Kompetenzbeschreibung heran, dann lässt sich zu den einzelnen Dimensionen der Beschreibung folgendes sagen: 5 Erfahrungsmenge: Frau S. ist seit 15 Jahren selbstständig; zumindest ein Aspekt, anhand dessen sich Selbstständigkeit (als Kompetenz, nicht als beruflicher Status!) schlüssig belegen lässt. 5 Erfahrungsvielfalt: Frau S. ist nicht nur in Bezug auf ihre berufliche Tätigkeit selbstständig, sondern auch andere Aspekte ihrer Selbstständigkeit und Entscheidungsfähigkeit werden angesprochen: Ehe, Haus, Schulden und weniger spezifisch genannte »weniger umfassende Bereiche«. 5 Komplexität: Hier lässt sich aufgrund der genannten Bereiche, in denen Frau S. ihre Selbstständigkeit und Entscheidungsfähigkeit unter Beweis gestellt hat, abschätzen, ob es sich um komplexe Zusammenhänge handelt. 5 Vernetzung: Frau S. übernimmt gerne Verantwortung auch für eigene Fehler und möglicherweise falsche Entscheidungen. Sie handelt nach dem Grundsatz »ordentliche Arbeit beginnt bei mir selbst«, da sie ein Bedürfnis nach Sicherheit und Effizienz hat. Es finden sich also mehrere Hinweise darauf, dass Frau S. nicht nur entscheidet, sondern auch einen Einblick in die Motive ihres Handelns hat und somit ihr Tun in gewisser Weise durch eine Art Handlungstheorie begründen kann.
4
Konkrete Belege und Beispiele für jede Kompetenz
Wert und Nutzen
Für jede der 4 Dimensionen von Kompetenzen lassen sich also in diesem Beispiel einer Kompetenzbeschreibung Hinweise finden, die insgesamt als Belege für die Kompetenz Selbstständigkeit und Entscheidungsfähigkeit geeignet sind. Es fällt allerdings auch die Länge einer solchen Kompetenzbeschreibung auf. Nehmen wir an, dass in jedem der 4 Bereiche mehrere Kompetenzen beschrieben werden, so entsteht schnell ein sehr umfangreiches Dokument, welches nicht nur in angemessener Zeit geschrieben, sondern auch gelesen werden will. Hier ist einerseits eine genaue Abstimmung mit dem Teilnehmer notwendig: Der Coach sollte dem Teilnehmer eine oder mehrere Vorabversionen per Mail zuschicken, damit dieser die notwendige Reduzierung der Kompetenzen auf diejenigen, die als profilbildend bezeichnet werden können, akzeptiert und sich in der schriftlichen Bilanz auch adäquat beschrieben fühlt. Andererseits muss sich der Coach auch eine gewisse Unabhängigkeit bewahren und stets nur das bestätigen, was aus den Gesprächen mit dem Teilnehmer klar und eindeutig belegbar ist. Der unmittelbare Nutzen einer ausführlichen, qualitativen Beschreibung von Kompetenzen ist zuweilen schwer zu vermitteln, wobei man nicht den Fehler machen darf, Nutzen und Wert solcher Kompetenzbeschreibungen miteinander zu verwechseln: Während der operative Nutzen schwer bestimmbar ist, kann der individuelle Wert einer qualitativen Beschreibung beträchtlich sein.
4.4 • Schriftliche Kompetenzdokumentation
125
4
Hinweis Viele Teilnehmer berichten davon, dass es für sie eine große Bestätigung war, die Kompetenzen, die zuvor im Gespräch analysiert worden sind, nach der Kompetenzenbilanz in schriftlicher Form zu erhalten. Die meisten Teilnehmer fühlen sich durch die Darstellung in der schriftlichen Bilanz als Personen angemessen beschrieben. 90% der Teilnehmer sind mit der Darstellung in der schriftlichen Bilanz zufrieden. Die Personen, die mit der schriftlichen Kompetenzenbilanz unzufrieden sind, würden sich im überwiegenden Teil ein kürzeres Gutachten wünschen, in welchem zudem nicht nur auf Stärken Bezug genommen wird, sondern das auch deutliche Hinweise auf Defizite und Entwicklungspotenziale liefert.
Neben den oben formulierten 4 Dimensionen, auf denen Kompetenzen in schriftlicher Form beschrieben werden können, gelten für qualitative Kompetenzbeschreibungen folgende Leitlinien: 5 Es werden vollständige Sätzen formuliert. 5 Die Kompetenzen können als »Behauptung« und die Erklärung als »Argument« verstanden werden. 5 Es sollten nicht zu viele Kompetenzen aufgeführt werden (als Richtlinie gilt: nicht mehr als 3 Kernkompetenzen in jedem Bereich, in begründbaren Einzelfällen mehr). Dieses Vorgehen wird mit den Teilnehmern im Vorfeld abgesprochen. 5 Es kommt auf die Profil bildenden Kompetenzen an. Beispielsweise mag Autofahren eine Kompetenz sein. Es handelt es sich dabei jedoch um keine Kompetenz, die das besondere Profil der Person in einer Weise erkennen lässt, was sie wesentlich von anderen Personen unterscheidet. Es ist dagegen sinnvoll, wenn die Teilnehmer sämtliche Kompetenzen (dann also auch den Führerschein) in ihren handschriftlichen Unterlagen notiert haben. Nach außen kommunizierbar ist jedoch nur eine Auswahl von wesentlichen Kernkompetenzen (s. oben »Kernkompetenzen«). 5 Was ist die spezifische Qualität, mit der der Teilnehmer den geschilderten Anforderungen gerecht wird? Wie tut er etwas? 5 Können Querverbindungen zwischen den Kompetenzen hergestellt werden? Vgl. etwa das oben genannte Beispiel von Selbstständigkeit und Entscheidungsfähigkeit: Für beide Begriffe lassen sich dieselben Belege anführen; folglich ist es sinnvoll, sie als zusammengehörig zu verstehen und nicht als 2 unterschiedliche oder gar voneinander unabhängige Kompetenzen. Die Vielzahl der Teilkompetenzen lässt sich auf diese Weise reduzieren, ohne wesentliche Informationen über die Person zu
Was sollen Kompetenzbeschreibungen enthalten?
126
Kapitel 4 • Eine Methode der kompetenzorientierten Laufbahnberatung: Die Kompetenzenbilanz
unterschlagen. »Weggekürzte« Kompetenzen können u. U. als Unterpunkt bzw. in der Beschreibung der spezifischen Qualität einer einzelnen Kompetenz berücksichtigt werden. 5 Es müssen Formulierungen, die suggerieren, der Coach sei bei den Handlungen der Person vor Ort gewesen, unbedingt vermieden werden. So kann in der Dokumentation etwa beschrieben werden, dass die Teilnehmer sich darum bemüht haben, für ein angenehmes Arbeitsklima zu sorgen; ob ihnen das jedoch gelungen ist, müsste man die Gruppe vor Ort fragen. Sofern es Indikatoren gibt, die eine solche Beschreibung rechtfertigen, können diese aufgeführt werden. 5 Unzulässig sind Formulierungen wie »Frau/Herr X hat die Fähigkeit Y im Bereich Z bewiesen/nachgewiesen«. Einen »Beweis« kann ein Coach aufgrund dreier Gespräche nicht erbringen. Wie bereits gesagt, ist es hier angebracht, auf das Bemühen oder wenn irgend möglich auf konkrete Handlungsergebnisse zu verweisen. 5 Kompetenzbeschreibungen sind eine Verdichtung der Selbstauskünfte der Teilnehmer. In ihnen soll deutlich werden, welche Anforderungen an die Teilnehmer gestellt wurden und auf welche Kompetenzen daraus geschlossen werden kann.
4
z
Skalierung von Kompetenzen
Quantifizierende Kompetenzbeschreibung
Grundsätzlich lässt sich jede Form einer Beobachtung quantifizieren und somit vergleichbar machen. Jede Transformation einer qualitativen Information auf eine quantitative Skala stellt jedoch eine Reduktion von Inhalten dar. Zudem stellt sich die Frage, inwieweit eine quantifizierende Kompetenzbeschreibung tatsächlich mit den Kompetenzen einer anderen Person vergleichbar ist, wie genau und im messtheoretischen Sinne valide eine solche Messung also ist. Die Genauigkeit einer Messung bedarf jeweils eines Vergleichsmaßstabs. Er existiert bislang nicht in allgemeinverbindlicher Form, sondern ist in hohem Maße kontextabhängig. Betrachten wir das oben angeführte Beispiel der qualitativen Kompetenzbeschreibung und überlegen wir, die darin enthaltene Information bzgl. der Erfahrungsmenge in eine quantitative Skala zu überführen, so wird schnell klar, welche Probleme sich hierbei stellen: Frau S. verfügt über 15 Jahre Erfahrung in selbstständiger Tätigkeit. Intuitiv könnte man vielleicht sagen, sie habe viel Erfahrung darin, selbstständig zu arbeiten. Hat sie deshalb aber wesentlich mehr Erfahrungen gesammelt als eine Person, die 5, 7 oder 10 Jahre selbstständig tätig gewesen ist? Wenn wir diesen Wert nun also beispielsweise auf eine 5-stufige Skala übertragen wollen, stellt sich die Frage, welchen empirischen Daten welche Skalenwerte zuzuordnen sind. Eine solche Zuteilung kann nur willkürlich erfolgen. Ebenso verhält es sich bzgl.
4.4 • Schriftliche Kompetenzdokumentation
127
4
der übrigen 3 Dimensionen zur Beschreibung von Kompetenzen. Bei jeder Dimension stellt sich die Frage, wofür der jeweilige Wert steht: 5 Erfahrungsmenge: Was ist viel Erfahrung? Was ist wenig Erfahrung? 5 Erfahrungsvielfalt: Wie viele verschiedene Stationen belegen, dass eine Person über vielfältige Erfahrungen verfügt? 5 Komplexität: Welchen Vergleichsmaßstab gib es hierfür? Ein Industriemeister hat z. T. sehr komplexe Organisationsaufgaben. Ist es sinnvoll und fair, diese Art der Komplexität mit derjenigen von Organisationsaufgaben eines Vorstandsmitglieds eines international tätigen Konzerns zu vergleichen? 5 Vernetzung: Ein hoher Wert auf der Skala der Vernetzung suggeriert, dass es sich hierbei um eine positive Eigenschaft handelt. Ist dies aber in jedem Fall positiv zu bewerten? Kann es nicht Fälle geben, in denen zu viel Nachdenken über das eigene Handeln eher hinderlich sein kann, beispielsweise in Fällen, in denen vor allem eine schnelle Entscheidung und unverzügliches Handeln erforderlich ist? Wir stellen fest, dass eine quantifizierte Darstellung von Kompetenzen keineswegs gleichzeitig auch höhere Transparenz, Objektivität und Vergleichbarkeit von Kompetenzen sichert. > Wichtig Die Vergleichbarkeit von Kompetenzen kann bislang jeweils nur anforderungsbezogen hergestellt werden. Dies setzt vor der Durchführung einer Kompetenzenbilanz die Erstellung eines Anforderungsprofils für eine Stelle oder eine Abteilung voraus. In einem solchen Anforderungsprofil müssen die jeweiligen Werte der Kompetenzen festgeschrieben sein, um sie zu skalieren. Auf der Grundlage eines solchen Anforderungsprofils können dann Kompetenzenbilanzen durchgeführt werden, deren Ergebnisse tatsächlich vergleichbar sind.
Nehmen wir an, dass diese Festlegung von Skalenwerten (beispielsweise auf einer Skala von 1 bis 4) stattgefunden hat und Frau S. in einer quantifizierenden Kompetenzenbilanz folgendermaßen beschrieben wird: 5 Selbstständigkeit und Entscheidungsfähigkeit 5 Erfahrungsmenge: 4 5 Erfahrungsvielfalt: 2 5 Komplexität: 3 5 Vernetzung: 3 Diese Reduzierung der Kompetenzen auf Skalenwerte hat den ins Auge stechenden Vorteil der Kürze und Überschaubarkeit. Zudem lassen sich die Werte sowohl mit den Werten eines Anforderungsprofils als auch mit Werten anderer Personen vergleichen. Werden
Vergleichbarkeit von Kompetenzen
128
Kapitel 4 • Eine Methode der kompetenzorientierten Laufbahnberatung: Die Kompetenzenbilanz
Informationsverlust
4
die jeweiligen Werte darüber hinaus grafisch dargestellt, ist die Voraussetzung für rasche Profilvergleiche zwischen verschiedenen Absolventen einer Kompetenzenbilanz gegeben. Darin liegt ein nicht zu unterschätzender Vorteil gegenüber qualitativen Kompetenzbeschreibungen, wenn es um ihren Einsatz in betrieblichen Kontexten geht. Gleichzeitig jedoch fehlen viele der Informationen, die in der qualitativen Beschreibung von Kompetenzen zu finden sind. In welchen Kontexten wurde diese Kompetenz erworben (Erfahrungsmenge und Erfahrungsvielfalt)? Worin bestand die Komplexität der Anforderungen, anhand derer sich die Kompetenz erwiesen hat? In welche Aspekte des eigenen Handelns hat die Person besonderen Einblick und worin besteht er (Selbstreflexivität)? Durch den Prozess der kompetenzorientierten Laufbahnberatung sollte der Teilnehmer in der Lage sein, auf solche und weiterführende Fragen zu den eigenen Kompetenzen angemessene Antworten zu finden und so für seine Fähigkeiten argumentieren zu können. Die spezifischen Qualitäten der einzelnen Kompetenzen werden allerdings aus ihrer quantifizierten Darstellung noch nicht offensichtlich. Eine quantitative Kompetenzbeschreibung kann deshalb vor allem Vergleichskriterien an die Hand geben, die dann jedoch im Gespräch weiter vertieft und auf ihren Bedeutungsgehalt hin hinterfragt werden müssen. Fazit In der quantifizierenden Kompetenzbeschreibung sind Kompetenzen besser vergleichbar, aber weniger verständlich.
Engerer Fokus
Allerdings setzt eine quantifizierende Kompetenzbeschreibung ein sehr viel strukturierteres Vorgehen während des Coachings voraus, als dies der Fall ist, wenn auf qualitative Kompetenzbeschreibungen hingearbeitet wird. Darüber hinaus kann der konstruktivistische Charakter der kompetenzorientierten Laufbahnberatung verloren gehen, wenn Kompetenzen nicht im Laufe des Prozesses erkannt, erarbeitet und benannt werden, sondern bereits vor der Beratung eine Reihe von Kompetenzen feststeht, auf die sich das Gespräch konzentriert. Eine solche Festlegung ist jedoch für eine schriftliche Kompetenzenbilanz, die in vollem Maße mit anderen Kompetenzenbilanzen vergleichbar sein soll, unverzichtbar. Dies wiederum erfordert ein identisches Verständnis der zu erfassenden Kompetenzen, da sonst – mangels ausreichender Konstruktvalidität – eine Vergleichbarkeit von Kompetenzenbilanzen nicht gegeben ist. Zudem ergeben sich aus dem Ziel, eine quantifizierende schriftliche Bilanz zu erstellen, einige kritische Punkte innerhalb des Beratungsprozesses: 5 Durch eine Bewertung der Kompetenzen ändert sich u. U. das Verhältnis zwischen Coach und Teilnehmer im Vergleich zu einer Kompetenzenbilanz, die mit dem Ziel einer rein beschreibenden schriftlichen Bilanz erstellt wird.
4.4 • Schriftliche Kompetenzdokumentation
129
4
5 Die Daten und Belege für die einzelnen Kompetenzen müssen noch akribischer gesammelt werden als bei einer Kompetenzenbilanz mit qualitativen Kompetenzbeschreibungen. Vorstellbar und sinnvoll sind Mischformen der beiden oben skizzierten Möglichkeiten schriftlicher Kompetenzenbilanzen. Wir halten noch einmal fest: Durch eine rein quantitative Darstellung von Kompetenzen geht unter Umständen umfangreiches Material, das zum Verständnis der Person und ihrer Kompetenzen beitragen kann, verloren, während eine rein qualitative Beschreibung von Kompetenzen gerade für den betrieblichen Kontext häufig zu umfangreich sein dürfte. Zudem lässt die rein qualitative Kompetenzbeschreibung eine Vergleichbarkeit zwischen Personen nur in begrenztem Maße zu und bedeutet einen beträchtlichen Zeitaufwand für den Verfasser, also den Coach. Aus diesen Gründen scheint es deshalb sinnvoll, eine Mischform aus qualitativer und quantitativer Kompetenzbeschreibung anzufertigen. Hier können quantitative Elemente für eine Übersichtlichkeit und Vergleichbarkeit der Kompetenzen sorgen, während die qualitativen Beschreibungen als ausformulierte »Argumente« für die einzelnen Kompetenzen dienen können. Auch eine solche Form der Kompetenzenbilanz ist allerdings in ihrer Erstellung zeitaufwändig. Denkbar ist darüber hinaus, dass die schriftliche Kompetenzenbilanz modular erstellt wird, also ein Teil des Gutachtens als Rückmeldung an den Teilnehmer vorgesehen ist und ein anderer Teil für die Herausgabe an Personalverantwortliche. Allerdings gilt es hier zu bedenken, wer die Kompetenzenbilanz in Auftrag gegeben hat. Die Entwicklung des »Bilan de Compétence« (7 Kompetenzenbilanzen in Frankreich) wirft die grundsätzliche Frage auf, in wessen Auftrag eine Kompetenzenbilanz erstellt wird. Denkbare Zusammenhänge wie Berufsberatung, Personalentwicklung oder privates Coaching ziehen jeweils unterschiedliche Fragestellungen an den Prozess und an die sich anschließende schriftliche Dokumentation nach sich. > Wichtig Zu bedenken ist in der Gestaltung schriftlicher Gutachten und insbesondere bei deren Weitergabe die für Diplompsychologen geltende gesetzliche Schweigepflicht nach § 203 StGB.
Aus den genannten Überlegungen wird deutlich, dass es bislang noch keine verbindliche und allgemeingültige Form von Kompetenzenbilanzen gibt. Ob es diese überhaupt geben kann, ist fraglich. Sinnvoll erscheint es jedoch, Rahmen- und Qualitätsbedingungen für verschiedene Arten von Kompetenzenbilanzen zu entwickeln und als Coach jeweils mit dem Teilnehmer und/oder dem Auftraggeber zu vereinbaren, welche Form der schriftlichen Bilanz im Anschluss an das Beratungsverfahren erstellt werden soll. Der Coach sollte dabei darauf achten, die jeweiligen Nutzenaspekte der schriftlichen Bilanz deutlich zu machen und darauf hinzuweisen, welche Konsequenzen
Mischformen
Schweigepflicht
130
Kapitel 4 • Eine Methode der kompetenzorientierten Laufbahnberatung: Die Kompetenzenbilanz
Kompetenzenbilanzen in Frankreich
4
In einer Studie zur Wirkung, Verbreitung und Akzeptanz des französischen »Bilan de Compétence« zeigen Thömmes u. Kop (2000), dass es problematisch sein kann, Ergebnisse von Kompetenzenbilanzen nur unter Vorbehalt öffentlich zu machen. In Frankreich haben Arbeitnehmer ein gesetzlich verankertes Recht darauf, in regel-
mäßigen Abständen eine Kompetenzenbilanz durchzuführen. Diese Kompetenzenbilanzen werden von unabhängigen Kompetenzbilanzierungszentren durchgeführt, was zu gleichen Teilen vom Staat und von den Unternehmen finanziert wird. Über die Weitergabe der Ergebnisse der Kompetenzenbilanzen dürfen die Arbeitnehmer frei entscheiden.
Hier hat sich gezeigt, dass Unternehmen langfristig nicht bereit sind, für einen Prozess die Kosten zu tragen, dessen Ergebnisse ihnen nicht zugänglich gemacht werden. Dadurch ließ die anfänglich hohe Akzeptanz des »Bilan de Compétence« deutlich nach.
sich aus der Gestaltung der schriftlichen Bilanz für den Prozess der Beratung ergeben. z Persönliche Rückmeldung
Abschluss
Im Rahmen dieses Teils der schriftlichen Kompetenzdokumentation sind zunächst die während der Coachings erarbeiteten nächsten Schritte aufzuführen. Dies kann dann als Anker dafür dienen, die mehr oder weniger klar herausgearbeiteten Hindernisse und Ressourcen nochmals zu benennen, die für das Erreichen der nächsten Schritte wichtig sind. Dieser Abschlussteil des Schriftstücks ist in seiner Gestaltung frei, da er nicht an Dritte geht, sondern sich persönlich an den Teilnehmer richtet. Insofern ist hier auch Raum für Bemerkungen, die in den anderen Teilen der Dokumentation keinen Raum finden. Der Teil kann in Form eines persönlichen Briefs an den Klienten abgefasst werden, der eine kurze Reflexion der Coachings und der darin identifizierten Hauptthemen enthält. Im Rahmen der persönlichen Empfehlungen des Coaches können hier auch respektvoll Problembereiche und Schwachpunkte des Klienten angesprochen werden – allerdings nur, wenn dies mit einer nützlichen Empfehlung verbunden wird. Das Kriterium der Nützlichkeit für die Teilnehmer ist auch hier von zentraler Bedeutung, da die positive Entwicklung im Sinne des Klienten im Vordergrund steht. Es ist also durchaus angebracht, sich auch in diesem Teil Gedanken darüber zu machen, welche Themen für das Erreichen der Ziele der Teilnehmer bedeutsam sind und welchen Einfluss sie auf die weitere Entwicklung der Teilnehmer haben werden. z
Gestaltungskriterien
Abschließend einige Leitlinien dazu, wie die schriftliche Kompetenzdokumentation gestaltet sein soll: a. Die schriftliche Kompetenzdokumentation sollte inhaltlich so gestaltet sein, dass sie auch Dritten gegenüber (beispielsweise einem potenziellen Arbeitgeber) präsentiert werden kann. Hier ist nicht ausschließlich darauf zu achten, wie die Teilnehmer mit evtl. problematischen Inhalten umgehen möchten. Unter Um-
4.4 • Schriftliche Kompetenzdokumentation
ständen schätzen die Teilnehmer im Einzelfall die Wirkung eines Sachverhalts (beispielsweise zeitweilige Zugehörigkeit zu einer Sekte oder Aufenthalt in einer psychiatrischen Klinik) falsch ein. b. Eng damit zusammen hängt die formale und sprachliche Gestaltung der Dokumentation. Es hat sich herausgestellt, dass eine Dokumentation, deren Inhalte nur stichwortartig aufgeführt sind, schwer lesbar ist und hinsichtlich der Begründungen, warum die Klienten über bestimmte Kompetenzen verfügen, von Dritten, die nicht unmittelbar am Coachingprozess teilgenommen haben, kaum nachvollziehbar ist. Ein zu essayistischer Stil (»Zertifikatsprosa«) wird wiederum vom Leser häufig als kaum brauchbare Eindrucksschilderung wahrgenommen, die zudem sehr schnell den Eindruck erweckt, als wolle sich der Coach bei den Teilnehmern anbiedern. c. Die Formulierungen sollen respektvoll und dabei eindeutig sein. Eigentlich ist das eine Selbstverständlichkeit, die man beim Schreiben aber manchmal vergisst: Wie würde jemand anders den Text verstehen, über welche Formulierungen könnte er stolpern? Wir haben potenziell 2 strukturelle Sicherungsmechanismen, die dabei helfen können, eine möglichst klare und exakte Sprache zu finden. Einerseits ist dies das Feedback der Teilnehmer, ob sie sich in den gewählten Formulierungen und Beispielen wiederfinden. Dieses Feedback ist wichtig, hat aber in der Regel wenig mit dem zu tun, was ein »neutraler Dritter« herauslesen würde, da der Klient ja Teil des Prozesses ist und insofern eine »Binnensicht« auf die Dokumentation hat. Um dieses Feedback weiter anzureichern, ist es prinzipiell sinnvoll, eine Qualitätssicherung als zweite strukturelle Hürde vor der Aushändigung der Dokumentation zu schaffen (wobei die Reihenfolge Qualitätssicherung–Teilnehmer vorgeschlagen wird). In der Qualitätssicherung sollten alle ausgestellten schriftlichen Dokumentationen gegengelesen und ggf. korrigiert werden, bevor sie ausgehändigt und somit auch zum Aushängeschild für die ausstellende Institution werden. Beide Rückmeldeinstanzen sind nicht nur als Qualitätssicherungsmaßnahmen zu verstehen, sie bieten dem aufgeschlossenen Coach gerade am Anfang seiner Tätigkeit wesentliche Lernchancen. d. Wie bereits im ersten Punkt angeklungen ist, sollten die Deutungen der Teilnehmer möglichst kritisch, aber respektvoll hinterfragt werden. Das ist natürlich nicht nur eine Aufgabe, die für das Schreiben der Dokumentationen wichtig ist; die Coaches sollten während des gesamten Prozesses eine respektvoll-mitfühlende, aber auch kritisch-distanzierte Haltung einnehmen. Die weitere Praxis und die anwachsende Menge an Beispieldokumentationen werden zu einem zunehmenden Verständnis davon führen, wie im individuellen Fall eine gute Dokumentation aussehen sollte.
131
4
132
4
Kapitel 4 • Eine Methode der kompetenzorientierten Laufbahnberatung: Die Kompetenzenbilanz
e. Es geht bei der Dokumentation nicht um ein Reklameschreiben für die Teilnehmer. Bereits weiter oben wurde darauf hingewiesen, dass ein von einem unbeteiligten Dritten als anbiedernd empfundener Stil und Inhalt der Dokumentation zu Reaktanz und in der Folge zur Zurückweisung des gesamten Dokuments führen kann. Mit einem dem Klienten über die Maßen schmeichelnden Schreiben täte man ihm keinen Gefallen, da es einerseits unglaubwürdig wirken kann (dem kann eine klare Begründung der gewählten Kompetenzzuschreibungen vorbeugen) und andererseits – sollte der Inhalt nicht der Realität entsprechen – schnell den Ruf bekäme, letztlich nicht brauchbar zu sein. Den besten Dienst erweisen wir dem Klienten, wenn wir ihm gegenüber ehrlich sind und – aus kritischer Distanz uns selbst gegenüber – eine respektvolle Rückmeldung geben. f. Es ist allerdings nicht unbedingt einfach, anderen Menschen gegenüber ein »objektives« Urteil abzugeben – und im Rahmen der Kompetenzenbilanz ist es auch ein kleiner Spagat, das zu wagen. Einerseits verlangt die Kompetenzenbilanz, dass wir uns auf die Welt unserer Teilnehmer einlassen und uns das ansehen, was sie uns zeigen wollen. Andererseits sollten wir auch versuchen, hinter das zu schauen, was uns gezeigt wird. Die Perspektive ist dabei keineswegs therapeutisch – die wenigsten Coaches haben eine entsprechende Ausbildung, und die Kompetenzenbilanz verfolgt grundsätzlich keinen therapeutischen Ansatz –, sondern einerseits an der eigenen Wahrnehmung des Klienten und andererseits an der inhaltlichen Logik des Dargestellten orientiert. Beide Punkte können nicht unabhängig von der Person des Coaches gesehen werden, von seinem Vorwissen und davon, wie der Klient auf ihn wirkt. Ein kritisches Hinterfragen des eigenen Eindrucks ist hier unabdingbar. Auch das ist ein Grund dafür, warum die Aussagen in einer schriftlichen Dokumentation begründet werden sollten – man kann es als »strukturelle Notwendigkeit« sehen, das eigene Urteil zu hinterfragen. g. Unbedingt soll die Dokumentation ressourcenorientiert und an den Stärken ausgerichtet gestaltet werden. Wenn wir über die Stärken unserer Teilnehmer berichten, heißt das gleichzeitig nicht etwa, dass wir die Schwächen aktiv verschweigen würden und damit die Situation schönreden wollten. Der Kernansatz der Kompetenzenbilanz liegt in der Orientierung hin auf die Stärken von Personen. Sie sind es, an denen sich eine Neuorientierung ausrichtet, nicht etwa die Schwächen von Menschen. Im Bereich der Leistungsmotivation wird seit langem eine »Misserfolgsmotivation« beschrieben, die sich überkritisch an den eigenen Schwächen orientiert und die Stärken damit so weit nivelliert, dass herausfordernde Handlungen weitestgehend unterbleiben. Dem entgegengesetzt ist der Glaube an den eigenen Erfolg, der Menschen dazu befähigt, auch schwierige Aufgaben anzugehen und zu bewältigen. Es hat sich in verschiedenen wissenschaft-
4.5 • Der Coach
lichen Arbeiten immer wieder gezeigt, dass diese positive Einstellung (die ja über die Leistungsmotivation hinausreicht, z. B. als Selbstwirksamkeitserwartung oder proaktive Persönlichkeit) eine grundlegende Ressource ist, um sich erfolgreich an neue Situationen anzupassen und auch kritische Veränderungen so zu bestehen, dass sie nicht zu großen Belastungen werden. Darin liegt der wesentliche Grund für die Ausrichtung der schriftlichen Kompetenzdokumentation und der Kompetenzenbilanz im Allgemeinen: Es geht darum, die Teilnehmer zu stützen und ihnen dabei zu helfen, notwendige berufliche und private Veränderungen einzuleiten und zu einem produktiven Ende zu bringen. Die Kompetenzenbilanz ist entwicklungsorientiert und betont damit vor allem die Ressourcen der Teilnehmer, um zu zeigen, wie diese Entwicklung eingeleitet und zu ihrem Ziel geführt werden kann. h. Zusammenfassend soll nochmals festgehalten werden: Bei der schriftlichen Kompetenzdokumentation handelt es sich um eine nüchterne Beschreibung des Werdegangs, der Anforderungen, Eigenschaften und Kompetenzen der Personen. Das Zertifikat muss sprachlich-stilistisch so abgefasst sein, dass es Dritten vorgelegt werden kann. Unbedingt vermieden werden soll hier eine besonders bildhafte und blumige Ausgestaltung der Fähigkeiten einer Person. Auch eine »spannende« Erzählweise ist nicht angebracht. Allein die Beschreibung bedeutet bereits eine große Wertschätzung für die meisten Personen; Übertreibungen und Anstrengungen, die Person »bildhaft vor dem geistigen Auge des Lesers erstehen zu lassen« sind überflüssig.
4.5 z
Der Coach Aufgaben, Rolle und Selbstverständnis
Dem Coach fällt im Rahmen der Kompetenzenbilanz wie auch in jeder anderen Form einer kompetenzorientierten Laufbahnberatung eine zentrale Rolle zu. Wie aus der Schilderung der Methode und aus den theoretischen Vorüberlegungen deutlich geworden ist, handelt es sich bei jeder Art einer kompetenzorientierten Laufbahnberatung um ein klientenzentriertes Verfahren. > Wichtig Nicht der Coach ist Experte für die Themen, die den Teilnehmer betreffen, sondern der Teilnehmer selbst besitzt die Expertise. Der Coach hingegen ist Experte für die Durchführung des Prozesses und für die darin enthaltenen Methoden und Begriffe. Er muss Antwort darauf geben können, was
133
4
134
Kapitel 4 • Eine Methode der kompetenzorientierten Laufbahnberatung: Die Kompetenzenbilanz
Fertigkeiten sind, was man unter Kompetenzen versteht und warum es wichtig ist, das Verfahren auf die von ihm vorgeschlagene Weise durchzuführen. Der Coach ist Experte für den Prozess
4
Teilnehmer ist Experte für die eigenen Probleme
Vertrauen ist die Basis der Zusammenarbeit
Da die Kompetenzenbilanz, wie sie hier vorgestellt wird, ein ungewöhnlich strukturiertes und gleichzeitig hocheffizientes Verfahren ist, wird die Rolle des Coaches besser deutlich, wenn man sie als die eines Prozessbegleiters interpretiert. Aufgabe des Coaches ist es nicht, Lösungen für Probleme des Teilnehmers zu finden, sondern diesem Methoden zur Verfügung zu stellen, um Ergebnisse möglichst selbstständig zu erarbeiten. Die Kompetenzenbilanz gibt dem Coach eine genaue Struktur vor, die einzuhalten die Effektivität des Prozesses fördert. Dennoch kann es Situationen und Personen geben, bei denen es sich als günstig erweist, die Struktur der 3 Coaching-Sitzungen und ihre Inhalte flexibel zu gestalten. Maßgabe dieser Flexibilität ist das gemeinsam mit dem Teilnehmer vereinbarte Ziel des Coaching-Prozesses. Das Selbstverständnis des Coaches sollte demnach von dem Wunsch getragen sein, den Teilnehmern bei ihrer Suche nach Orientierung zu helfen. Der Coach gibt den Teilnehmern keine Lösung vor, sondern hilft ihnen dabei, die für sie passende Lösung selbst zu finden. Das bedeutet, dass der Coach sich bewusst machen muss, dass er die beste Lösung für den Teilnehmer selbst nicht kennt, sondern ihm als kritisch reflektierender Spiegel dabei hilft, die Lösung oder manchmal vielleicht auch nur ihre Konturen selbst zu erkennen. Die Haltung des Coaches sollte geprägt sein von einem grundsätzlichen Wohlwollen und dem Respekt dem Teilnehmer und seiner manchmal fremden Lebenswelt gegenüber. Der Coach sollte sich stets dessen bewusst sein, dass das gegenseitige Vertrauen den gesamten Prozess trägt. Aus dem Vertrauensverhältnis zwischen Coach und Teilnehmer ergibt sich die Verantwortung, den Teilnehmern einerseits die in ihrem Sinn bestmögliche Beratung zukommen zu lassen und ihnen andererseits eine behutsame Rückmeldung über offensichtliche Verzerrungen in ihrer Selbstwahrnehmung zu geben. Dieser Punkt ist insofern heikel, als er von dem Coach erfordert, eine Grenze zu ziehen zwischen dem, was tolerierbar ist, und dem, was der eigenen Verantwortung entsprechend rückgemeldet werden sollte. Vielleicht kann man sich durch das Konstrukt des »offensichtlich und gravierend falschen Selbstbilds, das zu deutlichen negativen Konsequenzen für den Teilnehmer führen kann« behelfen. Zentral ist auch hierbei die Ausrichtung am Wohl des Teilnehmers. Es geht nicht darum, sich selbst zu profilieren als jemanden, der den anderen gründlich »durchschaut« und dessen »rote Knöpfe« aufgespürt hat – das entspricht ganz und gar nicht dem Geist der Kompetenzenbilanz. Es geht vielmehr darum, aus den Informationen, die im Rahmen der 3 Sitzungen zur Verfügung gestellt werden, diejenigen herauszufiltern, die nicht zu dem Bild passen, das der Teilnehmer vermittelt, und diese Punkte dann ggf. behutsam und respektvoll anzusprechen.
4.5 • Der Coach
135
4
Jeder Coach hat die Verantwortung dafür, ein Vertrauensverhältnis zwischen ihm und dem Teilnehmer aufzubauen. Gelingt es nicht, eine tragfähige Beziehung zu schaffen, sollte dies möglichst früh thematisiert werden. Eine genaue Benennung der dafür verantwortlichen Punkte, ohne den Respekt und die Wertschätzung für den Teilnehmer aufzugeben, ist dabei hilfreich. Gelingt es auch dann nicht, eine gemeinsame Basis zu finden, sollte u. U. der Wechsel zu einem anderen Coach in Erwägung gezogen werden. z
Kompetenzbilanzierung in Unternehmen
Wie bereits angesprochen, erfährt ein hierarchiefreies Verhältnis zwischen Coach und Teilnehmer u. U. eine empfindliche Verletzung, sobald die Kompetenzenbilanz nicht mehr als individuelles Beratungsinstrument genutzt, sondern im betrieblichen Kontext als Methode zur Personalentwicklung eingesetzt wird. Hier findet sich der Coach in einem Spannungsfeld zwischen seinem Auftraggeber (dem Unternehmen) und dem Teilnehmer wieder: Einerseits kann der Teilnehmer von der Kompetenzenbilanz nur profitieren, wenn er offen gegenüber sich und dem Coach ist, andererseits kann der Teilnehmer den Coach quasi als Unternehmensvertreter sehen, der gewonnene Informationen auch gegen ihn verwenden könnte. > Wichtig Auch hier gilt als oberstes Gebot, dass der Coach stets im Interesse des Teilnehmers zu handeln hat. Deshalb sei hier nochmals auf die für Psychologen geltende gesetzliche Schweigepflicht nach § 203 StGB hingewiesen.
Wie kann jedoch auch im betrieblichen Kontext ein ausgeglichenes Verhältnis zwischen Coach und Teilnehmer sichergestellt werden? In diesem Zusammenhang entscheidet vor allem die Transparenz des Vorgehens über den Erfolg. Sowohl der monetäre Auftraggeber (also das Unternehmen) als auch der psychologische Auftraggeber (Teilnehmer) muss über den Ablauf der Kompetenzenbilanz informiert sein. Insbesondere muss der Teilnehmer uneingeschränkte Kenntnis darüber haben, aus welchem Grund das Unternehmen eine Kompetenzbilanzierung durchführen möchte, welche Folgen sich daraus ergeben können und wem in welcher Form und zu welcher weiteren Verwendung Ergebnisse oder Erkenntnisse aus dem Kompetenzbilanzierungsverfahren vorgelegt werden. z
Transparenz bzgl. der Konsequenzen
Ausbildung
Die Kompetenzenbilanz wird ausschließlich von Coaches durchgeführt, die eine mehrtägige Schulung absolviert haben, der sich eine Supervision von mehreren durchgeführten Kompetenzenbilanzen anschließt. Im Rahmen der Schulung werden die Coaches mit Grundlagen der Theorie von Kompetenzen und deren Entwicklung vertraut gemacht. Zudem werden die einzelnen Schritte der Kompetenzenbilanz in Übungen ausprobiert und die Ergebnisse und jeweiligen Fra-
Voraussetzungen und Inhalte
136
Kapitel 4 • Eine Methode der kompetenzorientierten Laufbahnberatung: Die Kompetenzenbilanz
gen in der Gruppe diskutiert. Die Ausbildung ist so strukturiert, dass einer Seminarsitzung jeweils eine Supervisionssitzung folgt, so dass in der nächsten Seminarsitzung bereits Erfahrungen aus den Erstgesprächen thematisiert und im Sinne einer Intervision diskutiert werden können. Für eine Ausbildung zum Kompetenzenbilanz-Coach eignen sich Personen, die über Erfahrungen in Coaching- oder Beratungssettings verfügen. Da die Teilnehmer nicht aus einheitlichen Situationen kommen, sondern teilweise aus der Erwerbslosigkeit, aus einer familien- oder krankheitsbedingten Berufsunterbrechung oder sich auch nur umorientieren wollen, ist ein einheitliches Verständnis ihrer Situation nicht zielführend. Nötig ist hier ein zumindest grundsätzliches Wissen um die Situation von Erwerbslosen, Wiedereinsteigern und berufstätigen Umsteigern, das das Verständnis der spezifischen Situation der Teilnehmer erleichtert und damit eine zielführende Beratung innerhalb der recht kurzen Zeit ermöglicht. Zur Durchführung des Coachingprozesses ist darüber hinaus ein hohes Maß an Empathie und sozialer Sensibilität notwendig, das jedoch durch die gleichzeitig vorhandene Fähigkeit, sich zu distanzieren, gebremst wird. Der Coach soll durch sein hohes Einfühlungsvermögen nicht in die Lage kommen, den Standpunkt seines Teilnehmers nicht mehr zu reflektieren; denn von dieser kritisch-einfühlenden Reflexion hängt der Erfolg des Coachingprozesses maßgeblich ab. Da durch die Kompetenzenbilanz die Selbstreflexion der Teilnehmer gefördert werden soll, ergeben sich bezüglich der Fähigkeit, über das eigene Handeln kritisch nachdenken zu können, auch besondere Anforderungen an den Coach. Die Fähigkeit zur Selbstreflexion ist eine Metakompetenz, die für Coaches zu den absolut grundlegenden Voraussetzungen gehört, da jeder Coachingprozess unterschiedlich verläuft und das Verhalten den unterschiedlichen Situationen und Personen flexibel angepasst werden muss. Sie ist eine grundlegende Voraussetzung für die Kompetenzenbilanzcoaches, um Expertise zu gewinnen.
4
z Wo enden die Möglichkeiten?
Grenzen des Coachings
Die Grenzen des Coachings und damit auch der Kompetenzenbilanz liegen auf der Hand, sollen aber dennoch an dieser Stelle nochmals dargestellt werden, da sich auch im Verlauf der Coachings nicht immer eindeutig klare Grenzen ziehen lassen. Zunächst gilt folgender Grundsatz, der die Grenzen der Kompetenzenbilanz aufzeigt: > Wichtig Dort, wo es nicht mehr um die zentralen Stärken und Begabungen von Personen und die damit zusammenhängenden Prozesse und Entwicklungen geht, ist die Grenze des auf die Kompetenzenbilanz bezogenen Coachings erreicht. Therapeutische Fragestellungen können im Rahmen der Kompetenzenbilanz nicht aufgearbeitet werden.
4.5 • Der Coach
Das Bedürfnis nach einer Standortbestimmung fußt allerdings in einigen wenigen Fällen auf depressiven Symptomen oder geht mit akuten Anzeichen eines Burn-out-Syndroms einher. In diesen Fällen kann die Kompetenzenbilanz als Einstieg in eine psychologisch fundierte Beratung dienen und hat in diesem Rahmen auch eine Berechtigung, da schwer einsehbar ist, wie die zu Grunde liegende Herangehensweise zu einer Verschlechterung der oben genannten Krankheitssymptome und der dahinterstehenden Dynamiken führen sollte. Coaches sollten grundsätzlich in der Lage sein, psychische Krankheitsbilder in ihren Grundzügen zu erkennen und zu benennen, um die Teilnehmer ggf. an therapeutische Institutionen oder an einzelne Personen verweisen zu können. Eine Entscheidung darüber, ob ein therapeutisches Setting für den Teilnehmer geeigneter sein könnte als ein Coachingverfahren wie die Kompetenzenbilanz, sollte in der 1. Sitzung erfolgen. Grundlage für diese Entscheidung ist der Abgleich der Erwartungen der Teilnehmer an die Kompetenzenbilanz mit dem, was dieses Beratungsverfahren zu leisten im Stande ist. Weichen diese Erwartungen fundamental von den Möglichkeiten ab, liegt es in der Verantwortung des Coaches, den Prozess abzubrechen und eine andere Vorgehensweise zu empfehlen. Idealerweise sollte eine solche grobe Zielklärung bereits vor Beginn der Kompetenzenbilanz, also in der Phase der Auftragsklärung erfolgen. Dies ist jedoch nicht immer ausreichend, weil Teilnehmer häufig vor Beginn der Kompetenzenbilanz ihre Bedürfnisse noch nicht so klar artikulieren können wie später im Verlauf des 1. Gesprächs. z
137
4
Kenntnis psychopathologischer Krankheitsbilder
Schlussbemerkung
Im Verlauf des Beratungsprozesses kann der Coach auf vielerlei Grenzen stoßen, die sich aus den individuellen Bedürfnissen und Entwicklungen seiner Teilnehmer ergeben. Was sollte man z. B. mit einem Teilnehmer anfangen, der zu wenig Material liefert, um den Prozess zu einem wirklich produktiven Ende zu führen? Wie sehr sollte man ihn dazu drängen, das Material zu vervollständigen? Was, wenn der Teilnehmer eine in den Augen des Coaches ungünstige Entscheidung treffen möchte? Was soll der Coach tun, wenn er eine psychopathologische Symptomatik erkennt, der Teilnehmer jedoch grundsätzlich in keinem Fall therapeutische Hilfe in Anspruch nehmen möchte? > Wichtig Grundsätzlich darf im Rahmen der Coachings kein Druck aufgebaut werden, um den Teilnehmer zu einem bestimmten Ergebnis zu bringen. Dies würde dem Prinzip der Hilfe zur Selbsthilfe grundlegend widersprechen und wäre im Rahmen eines Verfahrens paradox, das im weitesten Sinne dazu dienen soll, auch die Eigenverantwortlichkeit der Teilnehmer zu stärken.
Hier werden zudem grundlegende ethische Fragen angesprochen (wie z. B. die Freiheit des anderen), die wir für die Kompetenzen-
Ethische Fragen
138
4
Kapitel 4 • Eine Methode der kompetenzorientierten Laufbahnberatung: Die Kompetenzenbilanz
bilanz folgendermaßen beantworten: Zunächst betrachten wir jeden Teilnehmer als mündig in dem Sinne, dass er oder sie dazu fähig ist, für sich selbst Verantwortung zu übernehmen. Diese Fähigkeit ist bei den meisten Menschen in dem einen oder anderen Bereich eingeschränkt, in dem sie hinter ihren theoretischen Möglichkeiten zurückbleiben – das kann z. B. bei einem sehr stark von der Realität (begriffen als gemeinsam geteiltes Konstrukt dessen, was wir erleben und erfahren) abweichenden Selbstbild oder einer deutlich »fehlerhaften« Einschätzung der Realität der Fall sein. Selbstverantwortung ist kein theoretisch gedachtes Konstrukt, sondern ein in der tätigen Übernahme ständig aktualisiertes Handlungsprinzip. Das bedeutet konkret: Menschen sind in unterschiedlichem Maße dazu befähigt, die Verantwortung für sich selbst zu übernehmen. Dort, wo wir begründete und auch gegenüber Dritten begründbare Zweifel daran haben, dass der Teilnehmer in einem bestimmten Bereich diese Fähigkeit in angemessenem Maße hat, liegt es wiederum in unserer Verantwortung als Coach und Berater, den Teilnehmer durch kluges Fragen dazu zu bringen, sein Bild von der Realität zu überdenken und ggf. zu modifizieren. Inwieweit der Teilnehmer auf dieses Angebot eingeht, liegt wiederum in dessen Verantwortung, die ihm niemand abnehmen kann.
139
Wirkungen 5.1
Beurteilung von Methode und Prozess durch die Klienten – 141
5.2
Aktivierung und Wirkungen auf das Selbstkonzept der Teilnehmer – 150
5.3
Umgang mit Stress und Belastungen – 156
5.4
Ergebnisse einer volkswirtschaftlichen Evaluationsstudie in Tirol – 159
5.5
Claudia, die Notfallschwester – 160
T. Lang-von Wins, C. Triebel, Karriereberatung, DOI 10.1007/978-3-642-20066-3_, © Springer-Verlag Berlin Heidelberg 2012
5
140
Kapitel 5 • Wirkungen
5 Längsschnittstudien mit unterschiedlichen Gruppen
Die Kompetenzenbilanz als eine Form der kompetenzorientierten Laufbahnberatung wurde zunächst am Zukunftszentrum Tirol im Rahmen eines Pilotprojekts mit 30 Teilnehmern erprobt und im weiteren Verlauf an die erkannten Bedarfe angepasst. In den folgenden Jahren haben in Österreich und Deutschland bei unterschiedlichen Projekten und in der Einzelberatung bisher mehr als 4000 erwerbsfähige Personen teilgenommen. Die Kompetenzenbilanz wird nach den Kriterien wissenschaftlicher Studien projektbezogen evaluiert. Das Evaluationsdesign folgt einem »Mixed-Method-Ansatz« , in dem üblicherweise quantitative und qualitative Methoden miteinander kombiniert werden, um zu validen Aussagen zu gelangen. Darüber hinaus erfolgt die Evaluation im Rahmen eines längsschnittlichen Vorgehens, mit dem es möglich wird, Aussagen zu treffen, die sich auf Entwicklungsverläufe beziehen. Die erste Evaluationsstudie umfasste 4 Befragungszeitpunkte, wobei die erste Befragung vor Beginn des Verfahrens durchgeführt wurde. Sie wurde gefolgt von einer Befragung direkt nach Abschluss des Verfahrens, einer weiteren Befragung 2 Monate später und einer letzten Befragung ein halbes Jahr nach Abschluss der Kompetenzenbilanz. Eine weitere wissenschaftliche Studie begleitete das 2007 und 2008 vom Ministerium für Arbeit, Soziales, Gesundheit, Familien und Frauen des Landes Rheinland-Pfalz geförderte Modellprojekt »Kompetenzenbilanz 50+«, in dem der Nutzen der Methode speziell für die Gruppe der ALGII-Empfänger geprüft werden sollte. Dieses Projekt wurde in Kooperation mit 12 regionalen Vermittlungszentren (RVZ) in Rheinland-Pfalz durchgeführt, deren an dem Projekt beteiligte Berater in der Anwendung der Kompetenzenbilanz geschult wurden. Die Teilnahme der zu beratenden ALGII-Empfänger war freiwillig und nicht Teil einer verpflichtenden Maßnahme. Die Evaluationsstudie umfasste in diesem Fall 3 Befragungszeitpunkte: Die erste Befragung wurde vor Beginn des Beratungsprozesses durchgeführt, die zweite nach Abschluss der Kompetenzenbilanz und die dritte 3 Monate später. Hier ergab sich allerdings die Schwierigkeit, dass ein großer Teil der Klienten aus organisatorischen Gründen nicht mehr befragt werden konnte, so dass die Ergebnisse im Wesentlichen auf den ersten beiden Befragungszeitpunkten beruhen. Befragt wurden auch die Coaches, die wichtige Erkenntnisse zur kompetenzorientierten Arbeit mit der Klientel von ALGII-Empfängern liefern konnten. Beide Evaluationsprojekte folgen dem Mixed-Method-Ansatz, in beiden Projekten wurde zur Vermeidung von Überschätzungen eine Kontrollgruppe befragt (vgl. auch 7 Abschn. 7.3). Weniger aufwändige Evaluationen wurden in kleineren Projekten durchgeführt, die hier nicht gesondert dargestellt werden. In den folgenden Abschnitten stehen die Befunde zu den Wirkungen der Kompetenzenbilanz im Mittelpunkt, so wie sie sich nach heutigem Stand der Arbeiten darstellen. Dabei werden sowohl Ergebnisse der quantitativen Befragungen (Fragebogenstudie) als auch Befunde und Zitate aus den qualitativen Befragungen (Interviewstu-
5.1 • Beurteilung von Methode und Prozess durch die Klienten
141
5
die) dargestellt und erläutert. In einem eigenen Kapitel stellen wir Befunde zu den Wirkprinzipien der Kompetenzenbilanz dar, die auf die Auswertung der Daten der Interviewstudie zurückgehen (7 Kap. 6; Triebel 2010). Aus Platzgründen verzichten wir an dieser Stelle auf eine ausführliche Darstellung anderer Verfahren der kompetenzorientierten Laufbahnberatung. Sie fließen bei der Darstellung der entsprechenden Methoden mit ein.
5.1
Beurteilung von Methode und Prozess durch die Klienten
Zunächst kommen die Klienten in Hinblick auf die Beurteilung der konkreten Vorgehensweise zu Wort. Wir gehen im Folgenden insbesondere auf die einzelnen methodischen Bestandteile des Verfahrens und auf die wahrgenommene Qualität der Zusammenarbeit zwischen Coach und Klienten ein. Dabei konzentrieren wir uns in der Darstellung auf die statistischen Auswertungen, denen wir Aussagen von Klienten illustrierend zur Seite stellen. z
Biografische Methoden: biografische Sammlung und Lebensprofil
Der durch die biografische Sammlung und die Arbeit mit dem Lebensprofil angestoßene Reflexionsprozess wird von vielen Teilnehmern als Schlüssel der Kompetenzenbilanz erlebt. Hervorgehoben wird vor allem die strukturierte und intensive Auseinandersetzung mit dem eigenen bisherigen Leben. Die bereits während der Erstellung des Lebensprofils einsetzende Beschäftigung mit dem eigenen Werdegang führt aus Sicht der Klienten häufig bereits dazu, dass biografische Sinnzusammenhänge hervortreten, die ihnen vorher nicht bewusst waren. Vermutlich trägt gerade die Anforderung, einem Außenstehenden ein mehr oder weniger schlüssiges Bild der eigenen Entwicklung zu präsentieren, viel dazu bei, das eigene Nachdenken zu intensivieren. Besonders wird von den Teilnehmern hervorgehoben, dass sich die Aufarbeitung nicht nur auf den beruflichen, sondern auch auf den privaten Bereich bezieht. Eine Teilnehmerin formuliert dies folgendermaßen: »Was mir gefallen hat? Über alles nachdenken, dass das ganzheitlich war. Dass es nicht nur um den Beruf gegangen ist, sondern auch um Familie, Freunde, Hobbys. Und die Kurve, … das alles ganzheitlich zu sehen, das hat mir gut gefallen.« Wesentlich neben diesem analytischen Aspekt der Auseinandersetzung mit der eigenen Biografie ist die erlebensbezogene, aktivierende Komponente des Lebensprofils. Ein Teilnehmer formuliert den Nutzen der biografisch orientierten Methoden folgendermaßen: »Und das hat auch total Spaß gemacht. Ich war sogar ein bisschen stolz danach, wo das dann irgendwie fertig war. Das war positiv. Und
Hervortreten biografischer Sinnzusammenhänge
142
Kapitel 5 • Wirkungen
von dem her, glaube ich, hat es mir selber einiges gebracht. (…) und es hat auch ein paar so Aha-Momente gegeben, wo manche Dinge plötzlich einen Zusammenhang bekommen haben, der mir vorher nicht bewusst war.« Auch in den Daten der quantitativen Befragung lässt sich ein breiter zustimmender Konsens zu den biografischen Methoden feststellen. Der Kern der Zufriedenheit bezieht sich auf die Möglichkeit, sich systematisch mit dem eigenen Leben auseinander zu setzen und sich der in der Biografie verborgenen Entwicklungslogiken bewusst zu werden. Beispielhaft verdeutlicht sei diese Haltung anhand des folgenden Zitats eines Teilnehmers:
5
Beispiel Möglichkeit, eine Zwischenbilanz zu ziehen
Klient: »Für mich war es sehr hilfreich, einfach weil du erst mal durch diese Hausaufgabe Lebensprofil, dass du das zeichnen musst, du wirst erst mal gezwungen, jetzt positiv, dich mit dir selbst zu beschäftigen. Und das ist eine Sache, wo ich sage: Gut, ich meine, ich beschäftige mich mit mir selber auch. Aber nie so intensiv wie durch das Lebensprofil, (…) an dieser roten Leitlinie, anhand dieses roten Fadens, privat, berufsmäßig, wie ging es dir? Gut/schlecht usw. Es ist wirklich für mich Erstaunliches rausgekommen. Nicht unbedingt das, dass ich gesagt hätte, ich habe was Neues dazugelernt. Einfach noch mal, dass man sich so sein Leben wirklich übersichtlich auf einer Seite darstellen kann. Und dass man sieht: Hoppla, das hast du da gemacht … praktisch so ähnlich wie die Fernsehsendungen: Das war Ihr Leben. Wo man das Ganze nochmal aufrollt, um dann sich bewusst zu machen, was hast du alles getan. Was hast du dafür gebraucht, grade an Fähigkeiten, Kompetenzen, an Wissen etc., und als Einstieg war das Lebensprofil sehr gut, damit du nachher weitermachen kannst, um auf deine Kompetenzen zu kommen. Ich glaube nicht, dass ohne dieses Lebensprofil man wirklich so drauf gekommen wäre. Und ich glaube, da geht es nicht nur mir so, sondern auch anderen, die einfach schon ein paar Jahre beruflich oder wie auch immer hinter sich haben, die nicht mehr die Jüngsten sind, und wo man sagen kann: Das war mein Leben, was habe ich in der Zwischenzeit alles gemacht. Weil viele Sachen vergisst du einfach. Was in der Vergangenheit gelaufen ist, ob das positiv oder negativ ist. Und sich daran zu erinnern, fand ich sehr gut.« Interviewer: »Nur der Vollständigkeit halber, vor der Erstellung des Lebensprofils ist der erste Arbeitsschritt, den man im Einführungsworkshop macht, diese biografische Sammlung, diese Fragen: Was hat mich zu dem Menschen gemacht? Haben Sie das noch in Erinnerung? Das ist wiederum der Einstieg zum Lebensprofil. Wie haben Sie das in Erinnerung?« Klient: »Das habe ich so in Erinnerung, als Einstieg, schon als Hilfe für das Lebensprofil und für später. Natürlich, dass man dann sagt, warum bin ich so geworden, wie ich heute bin, und was habe ich da und dort gelernt. Das war für mich der Einstieg, um mich mit mir zu beschäftigen. Und das ist wirklich der grobe Rahmen, fand ich. Das wa-
5.1 • Beurteilung von Methode und Prozess durch die Klienten
143
5
ren so die groben Inhalte erstmal. Wer hat mich zu dem gemacht, der ich bin? Die meiste Zeit, am Anfang habe ich gedacht, es waren meine Eltern, durch die Erziehung und das Ganze, und dann nachher im Lebensprofil kamen noch Sachen, wo ich gesagt habe, da habe ich durch meine Erziehung was gelernt, aber da sind z. B. Teile dazugekommen, die ich mir selber erarbeiten musste. Weil meine Eltern nicht mehr da waren. Oder in anderen Bereichen, genau, wo man sagen könnte, habe ich auf dem aufgebaut, was ich von früher mitbekommen habe. Und insofern war es ein guter Einstieg. Um dann zum Lebensprofil zu kommen oder nachher auch für die Fähigkeiten und Kompetenzen, einfach, wo man gesagt hat: Was haben mir die Eltern mitgegeben, was habe ich selber draus gemacht? Habe ich das weiter benutzt? Genauso wie nachher bei den Kompetenzen, bei den Werten, habe ich die Werte von meinen Eltern übernommen oder so. Im Prinzip, es zieht sich wie ein roter Faden durch und insofern war es vom Einstieg her, war es sehr gut. Einfach um in die Materie reinzukommen. Sich mit sich selber zu beschäftigen.«
z
Arbeit mit dem Handbuch
Bei der Arbeit mit dem Handbuch, in dem die Methoden der Kompetenzenbilanz erläutert sind und das die Anleitungen bzw. Arbeitsblätter zur eigenständigen Weiterbearbeitung nach den innerhalb der Coachings begonnenen Instruktionen enthält, lassen sich 3 Personengruppen unterscheiden: 5 Intensive Nutzer des Handbuchs, die das Handbuch auch unabhängig von den Empfehlungen der Coaches nutzen und sich mit den dargestellten Hintergründen beschäftigen. Die intensiven Nutzer nehmen auch die optional in das Handbuch integrierten Angebote wie z. B. den EU-Lebenslauf stärker wahr. Zu beobachten ist in dieser Gruppe ein verstärktes Interesse an der Kompetenzenbilanz und ihrem Vorgehen auch im Umfeld der Teilnehmer. Eine beispielhafte Äußerung für einen intensiven Nutzer aus der Interviewstudie ist die folgende Antwort auf die Frage, wie die Arbeitsmappe benutzt wurde: »Ja, mit meinem Partner natürlich. Der hat die Mappe gut, sehr schön gefunden und die Mappe war sehr hilfreich für seinen Sohn.« 5 Mäßige Nutzer, die das Handbuch nur vom Coach angeleitet und als Quelle der in Heimarbeit zu erstellenden Materialien nutzen, auf denen die nächste Sitzung aufbaut. Eine beispielhafte Äußerung für einen mäßigen Nutzer ist die folgende Ausführung zum Einsatz des Handbuchs: »Außerdem sind in der Mappe, die man bekommt, Beispiele drinnen. Das war schon einfacher zu lösen.« Deutlich wird, dass die Akzente der mäßigen Nutzer auf den Coaching-Sitzungen liegen und das Handbuch nur als unterstützendes Instrument wahrgenommen wird. 5 Eine kleine Gruppe bilden die Nicht- oder Wenignutzer, bei denen ein deutlich geringeres Interesse an der Kompetenzenbi-
Typen von Handbuchnutzern
144
Kapitel 5 • Wirkungen
lanz zu beobachten ist. Aus dieser Gruppe kommen die Klienten, bei denen das höchste Risiko für einen Abbruch des Coachings besteht, da sie nicht oder nur in eingeschränktem Maß dazu bereit sind, sich für den Fortgang des Prozesses zu engagieren. Diese Einstellung zur Nutzung des Handbuchs illustriert die Äußerung eines Teilnehmers: »Ich glaube nicht, dass ich mich hinsetze und sage: Ich schaue jetzt in die Mappe. Das glaube ich nicht.« z
5
Bilanzierungslisten werden als unterstützend erlebt
Listen zur Bilanzierung von Fertigkeiten und Kompetenzen
Die Analyse von Fertigkeiten wird als sinnvoll und Gewinn bringend erlebt. Die Teilnehmer berichten in der Mehrzahl, dass ihnen Dinge bewusst geworden sind, die ihnen vorher zu »selbstverständlich« erschienen, als dass sie diese eigens als Können bezeichnen würden. Knapp 95% der befragten Teilnehmer äußern eine hohe Zufriedenheit mit diesem Teil der Methode. Grundsätzlich wird es aber als schwierig empfunden, die Fertigkeitenanalyse ohne Anleitung durch den Coach selbstständig zu verstehen oder gar durchzuführen. Deshalb hängt die Qualität der Kompetenzenbilanz zum wesentlichen Teil von der Zusammenarbeit mit den Coaches ab, die die Teilnehmer so instruieren sollten, dass eine Bearbeitung ohne Hilfe und Interpretationen durch den Coach möglich wird. Auch der Überblick über die Kompetenzen wird als ausgesprochen positiv erlebt. Die Teilnehmer empfinden diesen Schritt als gute Bestätigung und als adäquate Beschreibung ihrer Person. Die Zufriedenheit mit der Vorgehensweise und den dadurch erzielten Ergebnissen liegt ähnlich hoch wie bei den Fertigkeitslisten (93%). Teilweise wurden die eher bürokratischen Schritte bei der Bilanzierung der eigenen Kompetenzen aber als anstrengend erlebt; der Sinn des Vorgehens und die inhaltliche Struktur ist aber für den weit überwiegenden Anteil der Teilnehmer nachvollziehbar. z
Belegen von Kompetenzen
Das Belegen der eigenen Kompetenzen mit Hilfe des 4-gliedrigen Schemas wird von den Teilnehmern als anspruchsvoller Teil des Beratungsprozesses erlebt. Hinweise darauf ergeben sich aus den Rückmeldungen der Teilnehmer an der Studie zur »Kompetenzenbilanz 50+«. 82% der Teilnehmer sind mit diesem Verfahrensschritt zufrieden. Das Ausmaß der Zustimmung liegt damit etwas niedriger als bei den anderen Verfahrensschritten. Der Gewinn dieses Schritts liegt eindeutig darin, dass die herausgearbeiteten Kompetenzen nochmals weiter differenziert werden und dass dies den Klienten dabei hilft, sich von den eigenen Fähigkeiten zu überzeugen. Aus Sicht der Coaches nimmt dieser Schritt bestehende Vorbehalte den eigenen Stärken gegenüber und ermöglicht damit eine optimale Selbstdarstellung bei späteren Bewerbungsgesprächen. Dies ist vor allem dann wesentlich, wenn die Klienten Erfahrungen gemacht haben, die sie von der Wert-
5.1 • Beurteilung von Methode und Prozess durch die Klienten
145
5
losigkeit der eigenen Kompetenzen überzeugt haben – wie dies etwa bei älteren Langzeiterwerbslosen der Fall ist. z
Folienfragebögen
Entgegen den Empfindungen der Coaches wird auch dieser Teil von den Teilnehmern als positiv empfunden. Die Werte aus den Fragebögen unterstreichen dies deutlich: Zwischen 83% und 93% der Teilnehmer äußern ihre Zufriedenheit mit den eingesetzten Fragebögen und dem dadurch angeregten Prozess. Bezogen auf den Gesamtablauf der Kompetenzenbilanz mag diese positive Einschätzung auch daran liegen, dass nach dem eher nüchternen Erarbeiten der Fertigkeiten und Kompetenzen mit den Fragebögen wieder ein spielerisches Element in den Prozess kommt. Wie sich aus den Rückmeldungen der Teilnehmer erkennen lässt, werden die Fragebögen entsprechend ihrer Stellung im Gesamtprozess nicht als Test oder testähnlich wahrgenommen, sondern im Sinne einer Hypothesen generierenden Rückmeldung und Systematisierung verstanden. Die durch Übereinanderlegen der Folienfragebögen deutlich werdenden Überschneidungen und Unterschiede werden von den Teilnehmern als willkommene Anregung aufgenommen, bestimmte Punkte stärker zu reflektieren. Das oben angeführte geringere Maß an Zustimmung (83%) ergibt sich aus der Studie mit Langzeiterwerbslosen und geht möglicherweise auf ein grundsätzlich negativeres Selbstbild zurück. In dieser Studie wurde auf den Einsatz des Folienfragebogens zur gegenwärtigen und idealen Tätigkeit verzichtet, die Zufriedenheit bezieht sich also ausschließlich auf die Arbeit mit Selbst- und Fremdbild . Wir gehen davon aus, dass die möglicherweise dahinterstehende Angst vor einer Fremdeinschätzung aus Sicht mancher Teilnehmer vor dem Hintergrund entwertender Erfahrungen durch die Situation der Langzeiterwerbslosigkeit zu sehen ist. Möglicherweise interpretieren sie die Fremdbeurteilung als Gefährdung der eigenen erarbeiteten Kompetenzen, was dann wieder zu Zweifeln und einem Entwertungserleben führen würde. Wenngleich der Anteil an mit diesem Verfahrensschritt unzufriedenen Teilnehmern mit 7,5% gering ausfällt (9,4% hatten keine Bewertung abgegeben), erfordert dieser Verfahrensschritt bei der Arbeit mit Langzeiterwerbslosen aus unserer Sicht besondere Aufmerksamkeit. Im Folgenden sind 2 typische Rückmeldungen von Teilnehmern zu den Folienfragebögen aufgeführt. Beispiel »Die waren ganz interessant. Mein Partner hat mich sehr gut eingeschätzt. Manche Dinge haben sich sehr widersprochen. Aber das ist eben in mir. Was ich mir wünsche und was ich tue. Das war oft konträr. Um auch zu sehen, wie konträr das in einem selber ist.« »Ja. Die waren ganz lustig. Ich wollte zuerst eine Arbeitskollegin haben, die meine Fremdeinschätzung macht, die das ausfüllt. Aber die hat sich dann nicht mehr gemeldet, die ist selber so unter Zeitdruck.
Anregung zur vertieften Reflexion
146
Kapitel 5 • Wirkungen
Jetzt ist es meine Mutter und mein Ehepartner, und das ist natürlich ganz lustig, was da rauskommt. Zum Teil sehr gegensätzlich. Mir ist aufgefallen, dass mich meine Mutter inzwischen gar nicht mehr so gut kennt, weil ich doch schon eine Weile von zuhause weg bin. Und mein Ehepartner sieht das dann wirklich als Ehepartner und im Berufsleben schaut es auch wieder ganz anders aus. Und das habe ich versucht zu kommentieren und eigentlich war es lustig.«
z
5
Zeitaufwand
Verantwortungszuweisung für das Ergebnis
Erwartungen an den Prozess
Da es sich bei der Kompetenzenbilanz um ein Verfahren handelt, das einen Großteil der zu leistenden Arbeit an die Klienten delegiert, ist die Einschätzung der Teilnehmer interessant, wie viel Zeit sie im Laufe des Prozesses voraussichtlich für die systematisierenden und reflektierenden Arbeiten zu leisten bereit sind. Der Mittelwert dieser vor Beginn des Verfahrens erfragten Einschätzung beträgt 3,29 Stunden, die Standardabweichung liegt bei 2 Stunden, was die große Streuung der Werte deutlich macht, die von 1 Stunde bis 7 Stunden reicht. Diese Werte sind insofern beachtenswert, als sie die Einschätzungen des voraussichtlich mit der Arbeit an der Kompetenzenbilanz verbundenen Zeitaufwands darstellen. Sie können auch als Bereitschaft interpretiert werden, sich mehr oder weniger intensiv mit dem Verfahren auseinander zu setzen. Wenn man diese Werte mit dem nach Abschluss des Verfahrens erfragten tatsächlichen Zeitaufwand vergleicht, so zeigt sich eine deutliche Korrektur der Zeitangaben nach oben: Die tatsächlich im Durchschnitt der befragten Teilnehmer für die Kompetenzenbilanz aufgewendete Zeit lag bei rund 10 Stunden (M = 9.8; sd = 6.5), wobei sich wiederum eine ähnlich große Streuung der Angaben feststellen lässt, wie bereits vor Beginn der Kompetenzenbilanz. Eine wichtige Einflussgröße auf den Prozess ist die Zuweisung der Ergebnisverantwortung durch die Klienten. Wenn sie der Meinung sind, dass vor allem der Coach dafür zuständig ist, wie brauchbar das im Verlauf der Kompetenzenbilanz erzielte Ergebnis sein wird, werden sie dazu neigen, während der Coachings eher eine passive Rolle einzunehmen. Die Mehrzahl der Teilnehmer geht zu Beginn der Coachings davon aus, dass sie und ihr Coach in etwa zu gleichen Teilen für Ergebnis und Wirkung der Kompetenzenbilanz zuständig seien. Damit entsprechen die Erwartungen der Klienten zum großen Teil dem Vorgehen in der Kompetenzenbilanz. Dennoch sollte bereits im Einführungsgespräch oder im Einführungsworkshop darauf geachtet werden, dass die Rolle des Coaches und die Verantwortung der Klienten klar kommuniziert werden. Die Interviews weisen darauf hin, dass die Kompetenzenbilanz bei der überwiegenden Mehrheit der Klienten den Erwartungen entspricht, d. h. dass die meisten Klienten das Verfahren mit realistischen Erwartungen an die Methode, die Durchführung und die erzielten
5.1 • Beurteilung von Methode und Prozess durch die Klienten
Ergebnisse beginnen. Vereinzelt lässt sich beobachten, dass Personen Ratschläge mit stärker berufsberatendem Charakter erwarten. Generell lassen sich bislang 3 Gruppen hinsichtlich ihrer mit dem Verfahren verbundenen Erwartungen unterscheiden: 5 Eine offene/naive Erwartungshaltung , für die die folgende Äußerung kennzeichnend ist: »Ich bin eigentlich relativ blauäugig da reingegangen. Ich habe nicht wirklich viele Erwartungen gehabt. Ich habe gedacht, ich schaue mir das an.« 5 Eine realistische Erwartungshaltung, die durch die Aussage eines Klienten folgendermaßen illustriert wird: »Die Erwartungen haben sich insofern erfüllt, weil ich glaube, dass ich mich gut kenne. Das habe ich angenommen und das habe ich bestätigt gefunden.« 5 Eine reflektiert/kritische Erwartungshaltung wird in der folgenden Äußerung eines Klienten beispielhaft deutlich: »Ich bin drauf gekommen, wir sind drauf gekommen mit meinem Coach, dass ich eigentlich nicht so der ganz klassische Klient bin. Die Problematik liegt, glaube ich, woanders. Ich habe grundsätzlich nichts Neues erfahren.«
147
5
Erwartungshaltungen
Die Aussagen machen deutlich, dass die Erwartungen an das Verfahren nur zum Teil durch die Darstellung von Vorgehen und Methode beeinflusst werden. Es liegt nahe, zu vermuten, dass die Erwartungen stark in der aktuellen Lebenssituation der Klienten begründet sind. Die Kompetenzenbilanz ist jedoch ein Verfahren, das es dem Coach durch die starke Strukturiertheit von Methode und Ablauf nur in begrenztem Maß erlaubt, auf die aktuelle Situation der Klienten einzugehen. Dieser für ein Coachingverfahren eigentlich kritische Punkt befindet sich in einem scheinbaren deutlichen Widerspruch zur ausgeprägten Zufriedenheit der Teilnehmer mit dem Verfahren und seinen Ergebnissen. Betrachtet man die Zufriedenheit und die aus der quantitativen Evaluation stammenden Daten als Bestätigung des Verfahrens und seiner Ansätze, so erfährt indirekt auch die dem Verfahren zugrunde liegende Haltung eine deutliche Bestätigung: Das Coaching muss die Probleme der Klienten nicht lösen, aber es soll sie dazu befähigen, durch die Kenntnis ihrer Ressourcen selbst Lösungen zu finden. z
Ziele
In engem Zusammenhang mit der Fähigkeit der Klienten, Problemlöser in eigener Sache zu sein, stehen die im 3. Coaching erarbeiteten Ziele. Die Nachhaltigkeit des Beratungsprozesses hängt davon ab, wie sich die formulierten Ziele in den Alltag der Klienten einfügen und wie realistisch ihre Umsetzung in einem Rahmen ist, der nicht mehr die Unterstützung durch den Coach bietet. Nicht jeder Klient hat jedoch den Anspruch bzw. die Bereitschaft, im Rahmen des Beratungsprozesses konkrete Ziele zu formulieren – einige Klienten kommen mit dem Anspruch zur Kompetenzenbilanz, sich eine eher allgemeine
Umgang mit Zielen
148
5
Kapitel 5 • Wirkungen
Orientierung hinsichtlich der eigenen Stärken zu verschaffen, und betrachten die Formulierung von Zielen als etwas, das nicht ihren eigenen Wünschen entspricht. In diesen Fällen ist es anzuraten, die Klienten deutlich darauf hinzuweisen, dass die Erarbeitung und Formulierung von konkret umsetzbaren Zielen dazu beitragen kann, für die Nachhaltigkeit des Prozesses, der im Rahmen der Kompetenzenbilanz angestoßen wird, zu sorgen und damit den Prozess in ihrem Leben zu »etablieren«. Es sollte jedoch darauf verzichtet werden, die Bearbeitung von Zielen zu einem obligatorischen Bestandteil des Coachings zu machen, da dies dem Bild eines selbstgesteuerten und selbstverantwortlichen Teilnehmers widerspräche. Eine Lösung dieses scheinbaren Dilemmas liegt in der Struktur der Kompetenzenbilanz begründet. Es ist möglich, das Lebensprofil auch auf die Zukunft hin weiterzudenken und damit bereits in der 1. Coachingsitzung den Prozess auf die Formulierung von Zielen hin zu entwickeln. Dass die formulierten Ziele tatsächlich eine kritische Rolle in Hinblick auf die Verankerung des Prozesses im Leben der Klienten haben, deuten erste Hinweise aus der qualitativen Längsschnittevaluation an. Vor allem die Konkretheit, mit der eine Zielformulierung möglich ist, scheint ausschlaggebend dafür zu sein, dass die Kompetenzenbilanz erkennbare Auswirkungen auf die Lebenswelt der Klienten hat. Die Kompetenzenbilanz hat bei manchen Klienten, die bereits vor dem Beratungsprozess ein Ziel formuliert haben, aber davor zurückschrecken, es umzusetzen, bestätigende Wirkungen. In diesen Fällen scheinen durch die Ressourcenorientierung der Kompetenzenbilanz die Barrieren bedeutungsloser zu werden, die die Klienten bisher davon abgehalten haben, ihre Ziele zu verwirklichen. Die Besinnung auf die eigenen Stärken wirkt wie ein Aufzug, der die Klienten auf eine günstigere Ausgangsposition hievt, um die Schwierigkeiten, die zwischen ihnen und ihrem Ziel liegen, bewältigen zu können. Die folgende Interviewpassage gibt Hinweise auf diesen Prozess. Beispiel Interviewer: »Welche Ziele wurden genau erarbeitet?« Klient: »Eines der wichtigsten Ziele für mich persönlich und beruflich ist, auf selbstständiger Basis zu arbeiten. Ob das jetzt definitiv eine selbstständige Arbeit mit einer eigenen Firma, mit einer Beteiligung oder auf einem Arbeitsplatz ist, wo man rein selbstständig arbeitet, dass man trotzdem in diese Richtung tendieren soll und darin weitergehen soll. Das ist sicher ein Ziel. Ich habe 12 Jahre lang großteils selbstständig gearbeitet. Aber nicht als selbstständiger Unternehmer. Habe jetzt gemeint, eine Arbeit zu nehmen, wo maximale Sicherheit gegeben ist von einer großen Firma. Habe dann 4 Monate bis jetzt alles vorgegeben bekommen, was ich zu tun habe. Also selber ideenlos einfach in einer Spur zu gehen und seine Arbeit zu erledigen. Und mit dem bin ich absolut nicht zufrieden. Und daraus habe ich jetzt schon eine neue Arbeit gesucht und gefunden. Habe da direkt nach den 4 Monaten letzten Montag angefangen. Aber das richtige Ziel für diese Arbeit ist,
5.1 • Beurteilung von Methode und Prozess durch die Klienten
149
5
ob man da nicht bei dieser Firma sich dementsprechend selbstständig macht. Oder überhaupt auf selbstständiger Basis ein Unternehmen für sich selbst zu gründen. Das ist ein konkretes Ziel (…).« Interviewer: »Und jetzt im Zusammenhang mit der Kompetenzenbilanz, glauben Sie, dass es auch möglich ist, diese Ziele ohne Unterstützung von außen oder vom Coach zu erreichen?« Klient: »Im Endeffekt für mich persönlich ja. Weil es lässt einen nicht los. Aber ich halte es für sehr wichtig, das jetzt auch bestätigt zu sehen, einfach klar auf Papier zu sehen, die Wörter, die ich ausspreche, dass die nur immer in diese Richtung tendieren. Dass die Kompetenzen, die man hat, darauf anschließen, das eben bestätigt. Es bestätigt mir einfach, diesen Weg zu gehen. Und einfach das zu tun. Dafür ist der Coach sehr wichtig.«
z
Zusammenarbeit mit dem Coach
Während das Lebensprofil als sehr öffnend erlebt wird und insofern in doppeltem Sinne als Schlüssel zu verstehen ist, ist der zweite zentrale Anker für die Zufriedenheit der Klienten die Zusammenarbeit mit den Coaches. Insgesamt 97% der befragten Teilnehmer geben an, mit den Gesprächen, die sie mit ihrem Coach geführt hatten, besonders zufrieden (87%) bzw. zufrieden (10%) zu sein. In der folgenden Übersicht sind einige Rückmeldungen der Teilnehmer wiedergegeben, die unterschiedliche Aspekte der Beziehung zwischen Klient und Coach beispielhaft herausgreifen. 5 »Ich habe mich sehr gut wahrgenommen und gehört gefühlt. Ich habe das Gefühl gehabt, dass da jemand ist, der sich auf mich einlässt und nicht in fixen Schienen dasitzt und arbeitet. Das war sehr positiv für mich.« 5 »War sehr gut. Wir haben uns sehr gut verstanden. Es war auch Sympathie da, und ich glaube, das ist auch wichtig. Spielt eine Rolle. So ganz neutral und unbeleckt setzt man sich doch nicht einem Menschen gegenüber, dem man eigentlich sein Innerstes offenbart. Also, das war eine sehr gewissenhaft arbeitende und kompetente junge Frau.« 5 »… wir haben uns beide wohl gefühlt, von Beginn an. Dadurch war das ein sehr offenes Gespräch und eine gute Zusammenarbeit.« 5 »Da finde ich die Aufgabe des Coaches ganz wichtig. Weil einige Kompetenzen, die man hat, die sind für einen selber logisch. Für andere aber nicht. Genau das war für mich wichtig, dass die Frau X nachgefragt hat oder auch von einer anderen Sichtweise gekommen ist. Um mich wieder auf neue Gedanken zu bringen.« Wesentlich erscheinen in den Äußerungen der Klienten vor allem 2 Punkte: Aspekte der Beziehung zwischen Coach und Klient, die durch gegenseitigen Respekt und Achtung voreinander geprägt ist, und Aspekte, die sich auf das Darstellen der eigenen Stärken einer
Beziehung zu dem Coach
150
Kapitel 5 • Wirkungen
fremden Person gegenüber beziehen, die genau nachfragt und die Klienten damit zur weiteren Reflexion anregt. Auch in diesem Zusammenhang ist ein Blick auf die Ergebnisse der Studie »Kompetenzenbilanz 50+« aufschlussreich. Hier hatten sich (mit Ausnahme von 5,7%, die keine Angabe gemacht hatten) alle Teilnehmer positiv über die Gespräche mit ihren Coaches geäußert. In den Rückmeldungen werden vor allem die Aspekte der vertrauensvollen, positiv geprägten Zusammenarbeit mit dem Coach hervorgehoben. Interessanterweise steht dies auch im Zentrum der Äußerungen der Berater an den RVZ: Sie heben hervor, dass zwar einerseits die vorgegebene Struktur der üblichen Beratung von Langzeiterwerbslosen ein Hindernis für die Arbeit mit der Kompetenzenbilanz darstelle. Andererseits machen sie sehr deutlich, dass sie die kompetenzorientierte Beratung als eine stärker zielführende und sinnstiftende Bereicherung ihrer Arbeit empfinden, die zu besseren Beratungsergebnissen führt.
5
5.2
Psychometrische Überprüfung der Wirkungen
Aktivierung und Wirkungen auf das Selbstkonzept der Teilnehmer
Die Aktivierung der Teilnehmer durch den Prozess der Kompetenzenbilanz können wir anhand der uns verfügbaren Daten auf unterschiedliche Weise beurteilen. Aus der quantitativen Befragung stehen uns Daten zu verschiedenen Konstrukten zur Verfügung, die sich als aktivierende Teile des Selbstkonzepts verstehen lassen. Dabei handelt es sich um 5 das Selbstkonzept eigener Fähigkeiten, 5 Kontrollüberzeugungen, 5 Selbstwirksamkeitserwartungen, 5 Proaktivität. Diese Konstrukte – auf die bereits in 7 Kap. 3 verwiesen wurde – gehören zum thematischen Kern der zeitgenössischen Psychologie. Sie sind als Bestandteil der persönlichen Anpassungsfähigkeit ein wichtiger Faktor im Konzept der Beschäftigungsfähigkeit von Fugate et al. (2005), auf das bereits in 7 Kap. 4 verwiesen worden war, und beziehen sich auf Überzeugungen und Einstellungen darüber, wie sich durch eigenes Handeln die Umwelt und das eigene Leben in erwünschter Weise verändern lässt. Sie können als indirekter Vorläufer von tatsächlichem Handeln aufgefasst werden. Entsprechend der Annahmen der »theory of planned behavior« (Ajzen u. Fishbein 1980) handelt es sich dabei um Überzeugungen, die sich auf die wahrgenommene Durchführbarkeit von Handlungen beziehen und auf deren Grundlage konkretere Ziele und Handlungsabsichten formuliert und umgesetzt werden. Die Umsetzung und Aktivierung der Teilnehmer lässt sich aus den qualitativen Daten ablesen. Sie geben Aufschluss darüber, ob und in welcher Weise die Teilnehmer nach Abschluss des
5.2 • Aktivierung und Wirkungen auf das Selbstkonzept der Teilnehmer
151
5
kompetenzorientierten Coachings ihr Selbstkonzept verändert haben und aktiv geworden sind, um Situationen und Lebensumstände zu verändern, die sie unzufrieden machen. z
Das Selbstkonzept eigener Fähigkeiten
Das Konstrukt des Selbstkonzepts eigener Fähigkeiten bezieht sich auf die generelle Einschätzung der eigenen Fähigkeiten und steht damit für das Selbstvertrauen von Personen. Menschen, die über ein positives Selbstkonzept verfügen, haben grundsätzlich auch ein stärkeres Vertrauen darin, dass es ihnen aufgrund ihrer Fähigkeiten gelingen wird, mit Problemen und schwierigen Situationen zurecht zu kommen. Es liegt auf der Hand, dass eine positive Einschätzung eigener Fähigkeiten mit dem Bewusstsein der eigenen Stärken in Zusammenhang steht. Dieses Konstrukt wird aus wissenschaftlicher Sicht als sich im Lauf der persönlichen Entwicklung stärker ausdifferenzierende und zunehmend realistischere Sicht des eigenen Könnens betrachtet, die mit zunehmender Erfahrungsmenge immer stabiler wird. Dementsprechend ist nicht grundsätzlich zu vermuten, dass die Beschäftigung mit den eigenen Stärken zu einer deutlichen, d. h. messbaren Veränderung der Ausprägungen führen könnte. Dennoch konnten wir im Rahmen der statistischen Auswertung der Fragebogendaten nachweisen, dass im Zuge der kompetenzorientierten Beratung eine messbare, statistisch signifikante und dauerhafte Erhöhung des Vertrauens in die eigenen Fähigkeiten eintritt (vgl. Lang-von Wins 2007). Es bleibt festzuhalten, dass eine systematische Aufarbeitung der eigenen Stärken, wie sie Kennzeichen der kompetenzorientierten Laufbahnberatung ist, zu einer positiveren Sicht der eigenen Fähigkeiten und damit zu einer Erhöhung des eigenen Selbstvertrauens führen kann. Wesentlich dafür ist vermutlich das Ausmaß an Glaubwürdigkeit der eigenen Stärken, die im Beratungsprozess erarbeitet werden: Durch die intensive Arbeit an den eigenen Stärken, die durch den Coach und die Struktur des Verfahrens unterstützt wird, gelingt es den Klienten, sich selbst davon zu überzeugen, dass diese Stärken tatsächlich vorhanden sind und nicht nur auf Wünsche und Behauptungen zurückgehen. Der Aspekt der Glaubwürdigkeit erscheint insbesondere deswegen wichtig, weil zahlreiche Einflüsse bekannt sind, die das Urteil über die eigenen Fähigkeiten oder die Fähigkeiten anderer Personen verzerren. Die Rückmeldungen anderer Menschen – vorzugsweise derjenigen Menschen, die für uns bedeutsam sind – und auch die Umstände, in denen wir handeln – hier ist es vor allem die Möglichkeit, die eigenen Fähigkeiten zum Einsatz bringen zu können –, sind von ausschlaggebender Bedeutung für unser Selbstkonzept: Es kann daran wachsen oder darunter leiden. Interessant ist auch, dass diese Art der Überzeugtheit nicht auf das Resultat von objektiven Testverfahren zurückgeht (denen man in der Regel aufgrund ihrer Wissenschaftlichkeit ein hohes Maß an Vertrauen entgegenbringt, deren Aussagen aber aufgrund der zugrundeliegenden abstrahierenden Konstrukte häufig ein wenig unhandlich
Positive Sicht auf die eigenen Fähigkeiten und Stärkung des Selbstvertrauens
152
Kapitel 5 • Wirkungen
sind), sondern auf einen individuellen, systematischen Konstruktionsprozess, der an der eigenen Biografie ansetzt. z
5
Zeitstabile Zunahme der internalen Kontrollüberzeugungen
Kontrollüberzeugungen
Das von Bandura (1977) entwickelte Konzept der internalen und externalen Kontrollüberzeugungen bezieht sich auf eine tiefgreifende Überzeugung, durch eigene Handlungen in der Welt wirksam zu werden. Die Überzeugung, durch eigenes Tun die Umgebung beeinflussen und kontrollieren zu können, steht für die Ausprägung der internalen Kontrollüberzeugung. Der Glaube, dass der Ausgang eigener Handlungen vom Zufall oder einflussreichen Personen abhängt, bezeichnet die 2 Faktoren der externalen Kontrollüberzeugung. Es liegt auf der Hand, dass die Kombination einer stark ausgeprägten internalen und einer schwach ausgeprägten externalen Kontrollüberzeugung aktivierend wirkt. Eine hohe Ausprägung externaler Überzeugungen steht dagegen in Zusammenhang mit einem resignierten und passiven Zustand. In den Kontrollüberzeugungen kommen Haltungen zum Ausdruck, die auf das »Sich Einfügen in die Welt« bezogen sind. Sie sind Ausdruck einer Lerngeschichte, die eigene Erfahrungen, beobachtete Situationen und die Zuschreibungen anderer Personen zu allgemeinen und spezifischen Bildern verdichtet, die festhalten, wo der eigene Platz in der Welt ist und auf welche Weise er sich weiter entwickeln wird. Es liegt in der Natur von Kontrollüberzeugungen, dass sie zwar eine gewisse Dynamik zulassen, aber insgesamt eher träge und damit veränderungsresistent sind. Kurzfristige Veränderungen aufgrund von Seminaren oder Trainings, die auf eine Stärkung internaler Kontrollüberzeugungen ausgerichtet sind, dürften daher eher die Ausnahme sein. Allerdings setzt der stärkenorientierte Ansatz der kompetenzorientierten Beratung an einem Punkt an, von dem sich eine Wirkung auf die eigenen Kontrollüberzeugungen erwarten ließe: Gerade das Reflektieren eigener Stärken könnte die Überzeugung stärken, durch eigene Handlungen zu erwünschten Ergebnissen zu gelangen. Im Rahmen der Fragebogenstudie wurden die Kontrollüberzeugungen der Teilnehmer im Zeitverlauf untersucht. Es konnte ein auch ein halbes Jahr nach Ende der Beratung unverändert stabiler Anstieg der internalen Kontrollüberzeugung nachgewiesen werden. Dies bezieht sich auf die Teilnehmer der Evaluationsstudie, die am Zukunftszentrum Tirol durchgeführt wurde. In der Studie mit Langzeiterwerbslosen konnte dieser Effekt nicht nachgewiesen werden. Die Langzeiterwerbslosigkeit, die vor allem durch die Antizipation geringer Chancen für eine Rückkehr in den ersten Arbeitsmarkt und damit auf ein »normales« Leben gekennzeichnet ist (vgl. Lang-von Wins, Mohr u. von Rosenstiel, 2004), dürfte sich in den meisten Fällen auf die Stabilisierung externaler Deutungsmuster auswirken. Maßnahmen, die auch in diesen Fällen zu einer höheren Ausprägung der internalen Kontrollüberzeugungen führen könnten, benötigen offenbar einen deutlich längeren Zeitraum, in dem den negativen Erfahrungen
5.2 • Aktivierung und Wirkungen auf das Selbstkonzept der Teilnehmer
der Erwerbslosigkeit gezielt positive Impulse entgegengesetzt werden können, und müssen differenzierter angelegt sein und das Erzielen positiver Ergebnisse ermöglichen. z
Selbstwirksamkeitserwartung
Das ebenfalls auf Bandura zurückgehende Konstrukt der Selbstwirksamkeitserwartung bezieht sich auf die Überzeugung, Probleme und Hindernisse aus eigener Kraft (also unter Einsatz der eigenen Fähigkeiten) bewältigen zu können. Ist diese Erwartung stark ausgeprägt, erscheinen Hindernisse eher als zu bewältigende Herausforderungen; ist sie dagegen schwach ausgeprägt, nehmen Hindernisse schnell den Charakter von unüberwindbaren Verhinderungen an, deren faktischer Charakter das Erreichen eines gesetzten Zieles unmöglich macht. Bei den Klienten lässt sich eine in diese Richtung gehende Konstellation immer wieder feststellen: Sie haben ein Ziel, das sie eigentlich erreichen wollen, aber sie trauen sich nicht zu, die Hindernisse, die sich tatsächlich oder vermeintlich auf dem Weg zum Ziel befinden, selbst zu bewältigen. Die Schwierigkeiten türmen sich vor ihnen auf und verstellen allmählich den Blick auf das dahinterliegende Ziel, das es zu erreichen gälte. Auch die Selbstwirksamkeitserwartung ist erlernt; sie ist das Resultat früherer Erfahrungen und Wirksamkeitserlebnisse, die sich zu einer grundsätzlichen Überzeugung über den Umgang mit Schwierigkeiten und Problemen verdichten. Ebenso wie die anderen genannten Konstrukte ist sie aber nicht lediglich rückwärtsgewandt, sondern sie beeinflusst auch unser zukünftiges Handeln. Menschen mit einer geringen Selbstwirksamkeitserwartung fühlen sich den Umständen in weitaus höherem Maß ausgeliefert und neigen dazu, beim Auftreten von Schwierigkeiten passiv zu werden und ihre Ziele nicht länger aktiv zu verfolgen. Bei der Wahl von Zielen geben sie sich zunehmend mit weniger fordernden Aufgaben zufrieden – und verlernen mit sinkender Schwierigkeit immer mehr das Vertrauen in die eigenen Fähigkeiten. Das sinkende Selbstvertrauen kann im Weiteren dazu führen, dass bestehende Kompetenzen verlernt werden: Man lernt, Probleme nicht lösen zu können – nicht kompetent zu sein. Für die Selbstwirksamkeitserwartung gilt ebenfalls die Annahme einer weitgehenden Stabilität im Erwachsenenalter; diese Annahme ergibt sich u. a. aus der Natur der Selbstwirksamkeitserwartungen, die die Menge möglicher Erfolg versprechender Handlungsalternativen aus Sicht der handelnden Person filtert. Vorausgesetzt wird ein lernfähiges Individuum, das nicht sinnlos herumexperimentiert, sondern Alternativen aufgrund vorhergehender Erfahrungen und der damit verbundenen Erfolgsaussichten wählt. Auf diese Weise werden den Erwartungen widersprechende Erfahrungen auf ein nicht repräsentatives Maß von Ausnahmen limitiert, die nicht zu einer grundsätzlichen Neubewertung der eigenen Selbstwirksamkeitserwartung führen.
153
5
154
Kapitel 5 • Wirkungen
Zeitstabile Zunahme der Selbstwirksamkeitserwartung
Im Rahmen der Längsschnittevaluation können wir auch in diesem Bereich eine deutliche positive Veränderung beobachten. Die Selbstwirksamkeitserwartungen steigen im Verlauf der intensiven stärkenorientierten Auseinandersetzung mit der eigenen Biografie deutlich und statistisch signifikant an und bleiben stabil auf dem dann erreichten Niveau (vgl. Lang-von Wins 2007). Dieser Befund bezieht sich wiederum nicht auf die Gruppe der Langzeiterwerbslosen, für die keine Veränderung im Verlauf der Beratung nachweisbar ist. z
5
Proaktivität
Die Proaktivität ist ein Konzept, das inhaltlich der Eigeninitiative und der Eigenverantwortung nahe steht. Bateman und Crant (1993) fassen die proaktive Persönlichkeit als dispositionelles Merkmal von Personen auf, das auf eine aktiv-gestaltende Veränderung der Umwelt ausgerichtet ist. Damit stehen ihre Annahmen scheinbar Hypothesen gegenüber, die proaktives Verhalten als überwiegend situativ determiniert betrachten (Morrison u. Phelps 1999). Entsprechend beziehen sich die untersuchten Fragestellungen bei der Grundannahme einer situativen Determiniertheit auf spezifische Kontexte, während der dispositionelle Ansatz eine größere Variationsbreite unterschiedlicher Verhaltensweisen und Situationen einbezieht. Crant (2000) begreift beide Argumentationslinien nicht als einander ausschließend, sondern als unterschiedliche, einander aber im Wesentlichen ergänzende Zugänge zur Erklärung des gleichen Phänomens: des proaktiven Verhaltens. Den theoretischen Modellannahmen entsprechend suchen Menschen mit hoher Proaktivität Handlungsgelegenheiten, zeigen Initiative, um gegebene Situationen zu verändern, und halten ihre Handlungsabsicht solange aufrecht, bis eine aus ihrer Sicht sinnvolle Veränderung erreicht ist (vgl. Crant u. Bateman 2000). Crant (2000, S. 436) definiert proaktives Verhalten als die Übernahme von Initiative mit dem Ziel, die gegenwärtigen Umstände zu verbessern oder neu zu ordnen, wobei der Status quo in Frage gestellt wird und keine passive Anpassung an die gegenwärtigen Verhältnisse stattfindet. Menschen mit stark ausgeprägter Proaktivität suchen nach Informationen und Gelegenheiten, um die Dinge ihrer Umgebung zu verbessern, und warten nicht passiv ab, bis sich Gelegenheiten ergeben und bestimmte Informationen zu ihnen gelangen (Crant 2000, S. 437). Bei Personen, die lediglich über geringere Ausprägungen der Proaktivität verfügen, fallen die Handlungsimpulse dagegen deutlich schwächer aus – sie neigen dazu, sich mit den Umständen zu arrangieren. In diesem Fall kann es jedoch ebenfalls dazu kommen, dass die Unzufriedenheit verschwindet oder sich abschwächt. Die Alternative zum tätigen Handeln besteht dann in einer Umdeutung der unzufrieden machenden Situation, wie es im transaktionalen Stressmodell postuliert wird (Lazarus 1990): Man passt nicht die Situation an die eigenen Bedürfnisse an, sondern passt sich den Anforderungen der Situation an nach dem Motto: Ich bin zufrieden, weil ich sowieso nichts ändern kann. Diese
5.2 • Aktivierung und Wirkungen auf das Selbstkonzept der Teilnehmer
Deutung wird in der Theorie der Arbeitszufriedenheit (Bruggemann, Groskurth u. Ulich 1975) als resignative Form der Arbeitszufriedenheit bezeichnet. Dieses resignative Deutungsmuster trägt ebenfalls die Tendenz zur Ausweitung in sich, die auch den anderen Konstrukten innewohnt, die in den vorhergehenden Abschnitten bereits dargestellt wurden. Bei den Klienten der kompetenzorientierten Laufbahnberatung zeigt sich immer wieder das Muster einer Entfremdung von den eigenen Bedürfnissen im Rahmen der Arbeitstätigkeit, die eine Fülle von kleinen und manchmal auch größeren Kompromissen fordert. Das Eingehen dieser Kompromisse – die für sich genommen nicht relevant und sonderlich schmerzhaft sein müssen – führt in der Menge dazu, dass zunächst eine diffuse Unzufriedenheit entsteht und in der Folge das zugrundeliegende Problem als kaum lösbar eingeschätzt wird. Bei der Untersuchung von Laufbahnfortschritten (Seibert, Crant u. Kraimer 1999) konnte der Wert der Proaktivität sowohl objektive (Gehalt, Zahl der Beförderungen) als auch subjektive (Laufbahnzufriedenheit) Laufbahnfortschritte erklären. Personen mit einer stark ausgeprägten proaktiven Persönlichkeit haben zudem in deutlich stärkerem Maß die Neigung, sich beruflich selbstständig zu machen (vgl. Lang-von Wins, 2004). Im organisationalen Bereich konnten weitere Zusammenhänge zum Führungserfolg, der Teilhabe an organisationalen Veränderungsmaßnahmen und der Produktivität in Teams nachgewiesen werden (vgl. Lang-von Wins u. Kaschube, in Vorber.). Im Rahmen der Evaluationsstudie der Kompetenzenbilanz konnte im Einklang mit den in den vorhergehenden Abschnitten berichteten Befunden ein deutlicher und zeitstabiler Anstieg der Proaktivität der Teilnehmer nachgewiesen werden. Veränderungen in der Ausprägung einer proaktiven Handlungsneigung wurden zuvor bereits nach der Teilnahme an einem Training zum strategischen Denken berichtet (Kirby, Kirby u. Lewis 2002). In dem Training wurden das Erkennen kritischer Ereignisse, die Analyse ihrer Auswirkungen und Entstehungsbedingungen und das Entwickeln von Strategien zum Umgang mit den veränderten Anforderungen vermittelt. Im Rahmen dieser Studie blieb jedoch offen, ob es sich um einen zeitstabilen Anstieg oder lediglich um einen kurzzeitig anhaltenden Effekt handelte. z
155
5
Proaktivität steigt an
Spezifische Veränderungen in der Gruppe der Langzeiterwerbslosen
Für die Gruppe der Langzeiterwerbslosen lassen sich die oben dargestellten Effekte in der quantitativen Untersuchung nicht nachweisen. Dies dürfte zunächst daran liegen, dass die Wahrnehmung der Situation als grundsätzlich schwer veränderbar eine positivere Einschätzung dominiert. Eine entsprechende Einschätzung kann tatsächlich funktional für die Erwerbslosen sein: Die wiederholt enttäuschte Hoffnung darauf, wieder eine angemessene Arbeit zu finden, gilt in der Erwerbslosigkeitsforschung als eine der Hauptursachen für die
Langzeiterwerbslose benötigen intensivere Maßnahmen
156
Kapitel 5 • Wirkungen
Entwicklung depressiver Erkrankungen. Man kann also davon ausgehen, dass in dieser Gruppe stärkere und realistisch an die Situation angebundene Maßnahmen erforderlich sind, um die Teilnehmer in einem vergleichbaren Ausmaß zu aktivieren. Dennoch lassen sich auch in dieser Gruppe Veränderungen nachweisen, die auf eine allmähliche Aktivierung hindeuten (vgl. Triebel u. Lang-von Wins 2008). Diese Veränderungen liegen in einem verbesserten Umgang mit Stress und Belastungen nach Abschluss der kompetenzorientierten Beratung. Sie sind Gegenstand von 7 Abschn. 5.3.
5
Fazit Die statistische Evaluierung der kompetenzorientierten Laufbahnberatung weist eine deutliche Aktivierung der Teilnehmer in unterschiedlichen Bereichen nach, die für die Entwicklung einer aktiv-gestaltenden Haltung in Hinblick auf die eigene berufliche Laufbahn und das eigene Leben von zentraler Bedeutung sind. Die gemessenen Veränderungen können als zeitstabil betrachtet werden, da sie auch über einen Zeitraum von einem halben Jahr nach Abschluss des Beratungsprozesses unverändert fortbestehen.
5.3
Umgang mit Stress und Belastungen
Die Interviews, die im Rahmen der qualitativen Evaluation des Pilotprojekts mit Langzeiterwerbslosen durchgeführt wurden, geben weitere differenzierte Hinweise auf die Wirkungen des Verfahrens der Kompetenzenbilanz und die spezifischen Bedarfe der Gruppe der ALGII-Empfänger. Sie erleichtern darüber hinaus die Einordnung der quantitativen Befunde in ein stimmiges Gesamtbild. Grundsätzlich wird in den Interviews deutlich, dass es sich bei den Teilnehmern um eine in sich nichthomogene Gruppe handelt. Die feststellbaren biografischen Brüche reichen von abgebrochener Lehre, Drogensucht und Straffälligkeit über Hausfrauen, denen die Pflege des kranken Mannes wenig Möglichkeiten zur Rückkehr in den Beruf lässt, bis zu Akademikern mit geringen Beschäftigungsaussichten in dem von ihnen erlernten Beruf. z
Vermeidungstendenzen
Innerhalb einer (länger dauernden) Episode der Erwerbslosigkeit tragen diejenigen Erlebnisse am stärksten zu den negativen psychosozialen Folgen bei, die zunächst Hoffnung machen (z. B. eine Qualifizierungsmaßnahme), im Nachhinein dann aber diese Hoffnung wieder enttäuschen. Als mögliche Reaktion entwickelt sich eine passive Haltung, die darauf ausgerichtet ist, sich dieser oder einer ähnlichen Situation nicht wieder auszusetzen. Im Bereich der Stressverarbeitung fasst man solche Tendenzen als Vermeidungstendenzen auf. Im Rahmen der Erwerbslosigkeitsforschung findet sich eine Entsprechung in einer passiv-mutlosen Haltung vor allem bei Langzeiterwerbslosen.
5.3 • Umgang mit Stress und Belastungen
In den Interviews finden sich einige Hinweise darauf, dass die Teilnehmer durch das Verfahren aktiviert werden. Diese Aktivierung sollte dem Verfahren gemäß auf der Grundlage der eigenen Biografie und der eigenen Fertigkeiten und Kompetenzen stattfinden und zusätzlich durch die Reflektion eigener Werte und Ziele angereichert sein. Bei etwa der Hälfte der befragten Teilnehmer finden sich Äußerungen, die sich in Richtung einer deutlichen Aktivierung durch das Bewusstsein eigener Kompetenzen und Fertigkeiten interpretieren lassen. Mehr als die Hälfte der Befragten gaben als Resultat der Beratung an, konkrete Aktivitäten zu unternehmen bzw. bereits unternommen zu haben, um ihre Ziele zu erreichen. Ein markantes Beispiel stammt von einem Teilnehmer, der angab, zum Bürgermeister seines Orts gegangen zu sein und auch bei dem Personalleiter des Unternehmens, das ihn im Rahmen eines 1-Euro-Jobs beschäftigte, vorstellig geworden zu sein, um die Chancen einer möglichen Festanstellung aktiv nachzufragen. z
157
5
Aktivierung von Langszeiterwerbslosen
Gedankliche Weiterbeschäftigung
Im Rahmen der Auseinandersetzung mit belastenden Ereignissen ist das gedankliche Kreisen um die immer gleiche Problematik ein charakteristisches Muster, das dann mit traumatischen Belastungen einhergeht, wenn es über längere Zeit aufrechterhalten wird. Die gedankliche Weiterbeschäftigung steht in Zusammenhang mit einem gesteigerten Stresserleben, das dann bei Erwerbslosen in psychosomatische Syndrome münden kann, wenn sich die Situation nicht ändern lässt oder die Betroffenen bei fortgesetzten und in der Intensität nicht wesentlich veränderten Gedanken an die belastende Situation eine zunehmend passive Haltung einnehmen. In Hinblick auf die Bewältigung des Erlebens von Erwerbslosigkeit wird auch der Sinn sog. »Distanzierungsstrategien« diskutiert: Man geht davon aus, dass das Ausmaß an Distanzierung (nicht über den Arbeitsplatzverlust nachdenken) grundsätzlich in positiver Beziehung zum Finden einer neuen Arbeitsstelle steht (vgl. Lang-von Wins et al. 2004). Eine negative Rolle der Distanzierungsstrategien wird dann vermutet, wenn die Erwerbslosen gleichzeitig davon überzeugt sind, ihre Situation nicht aus eigener Kraft verändern zu können – eine Kombination, die vor allem bei älteren Erwerbslosen festgestellt wurde. Eine Reihe der befragten Langzeiterwerbslosen gibt an, durch den strukturierten Prozess der Kompetenzenbilanz selbst wieder Struktur für ihr Leben und für den Umgang mit sich selbst gewonnen zu haben. Die Mehrzahl der Teilnehmer gibt nach der Kompetenzenbilanz an, durch das Bewusstsein der eigenen Stärken und das Nachdenken über die im eigenen Leben wichtigen Dinge aktiviert worden zu sein. Eine Reihe von Teilnehmern gibt zudem an, dass sie nach Abschluss des Beratungsprozesses unter völlig neuen Voraussetzungen über sich und ihre Situation nachdächten, oder, wie es ein Teilnehmer formuliert: »Ich denke jetzt positiv über mich und meine Situation«. Ein anderer Teilnehmer formuliert es berufsbezogen: »Ich habe mir
Nachdenken über die im eigenen Leben wichtigen Dinge
158
Kapitel 5 • Wirkungen
genauer überlegt, was ich beruflich machen möchte und wie ich das umsetzen kann«. Diese Aussagen können als Hinweis darauf gewertet werden, dass die Teilnehmer neue und aktivierende Deutungsmuster erworben haben, die einen Ausweg aus der gedanklichen Weiterbeschäftigung darstellen. z
5
Zentrale Rolle des Coaches
Einholen sozialer Unterstützung
Es ist eine Grundproblematik, die zur Verschärfung der psychosozialen Situation der Langzeiterwerbslosen beiträgt, dass sich ihre sozialen Netzwerke mit zunehmender Dauer der Erwerbslosigkeit deutlich einengen und dass sich das aktive Nutzen der noch zur Verfügung stehenden Kontakte immer mehr verringert. In einem Fall berichtet eine Teilnehmerin, dass die Nachbarn und Freunde nichts von ihrer Erwerbslosigkeit wüssten und sie nur mit Familienmitgliedern darüber spreche. Einige weitere Teilnehmer geben auf die Frage, ob sie mit anderen über die Kompetenzenbilanz und ihre Teilnahme an dem Pilotversuch gesprochen hätten, zur Antwort, dass sie mit niemandem über ihre Situation sprechen wollten. Etwa ähnlich viele Teilnehmer geben jedoch an, dass sie mit Familienangehörigen, guten Freunden, der Lebenspartnerin oder anderen engen Bezugspersonen gesprochen hätten. In Hinblick auf die Beurteilung des Beratungsprozesses durch die Teilnehmer fällt auf, dass der Coach hierbei eine zentrale und ausgesprochen positiv bewertete Position einnimmt. Dieser Befund wird in den unterschiedlichen Einsatzgebieten der Kompetenzenbilanz regelmäßig repliziert; die zentrale Rolle des Coaches oder Beraters wird auch in Wirksamkeitsstudien aus dem Bereich der klinischen Psychologie hervorgehoben (vgl. Grawe 2002). Bei der Frage danach, ob die Teilnehmer den mit der Kompetenzenbilanz begonnenen Prozess der Zielbearbeitung und Zielumsetzung auch ohne den Coach weiter verfolgen würden, wurde die wichtige Rolle des Coaches von den Teilnehmern stark betont. Äußerungen wie »Ich bin mir nicht sicher, ob ich das auch alleine schaffe, ich brauche viel Hilfe und Unterstützung bei der Arbeitssuche« oder »Es wird nicht leicht sein, denn der Coach gibt viele gute Anregungen« unterstreichen die zentrale kooperative Rolle, die der Coach im Zuge der Beratung einnimmt. Die Äußerung eines Teilnehmers führt zu einer Hypothese, die sich auf das Einholen sozialer Unterstützung bezieht: »Unterstützung wäre schon hilfreich, das muss aber nicht der Coach sein«. Wenn die Unterstützung durch den Coach wegfällt, weil der Beratungsprozess beendet ist, die im Rahmen des Coachings erarbeiteten Zielvorstellungen einerseits aber nicht aufgegeben werden sollen und andererseits alleine nicht oder nur schwer erreicht werden können, wird mit zunehmender Wahrscheinlichkeit versucht werden, soziale Unterstützung einzuholen, um die eigenen Ziele zu erreichen. Ein weiteres Indiz, das auf eine Stärkung der sozialen Perspektive der Teilnehmer hindeutet, bezieht sich auf Vorhaben, die sich auf eine für andere angenehmere Gestaltung des eigenen Äußeren richten.
5.4 • Ergebnisse einer volkswirtschaftlichen Evaluationsstudie in Tirol
z
5
Berufliche Belastetheit
Die Langzeiterwerbslosigkeit – in der wissenschaftlichen Bearbeitung dieser Fragestellung wird darunter die länger als 1 Jahr andauernde Erwerbslosigkeit verstanden – birgt starke Risiken, die sich auf eine Verschlechterung der psychischen Befindlichkeit beziehen. Die am häufigsten auftretende Problematik ist die Entwicklung einer Depression als Folge einer länger dauernden Erwerbslosigkeit und des Erlebens von enttäuschter Kontrollhoffnung (konkrete Hoffnungen auf das Finden einer adäquaten Arbeit, die sich wiederholt zerschlagen). Für Langzeiterwerbslose konnte man dann keine Verschlechterung der Befundlage mehr nachweisen, wenn sie sich vom Arbeitsmarkt zurückzogen und nicht mehr weiter aktiv nach der Möglichkeit eines Wiedereinstiegs suchten (vgl. Lang-von Wins et al. 2004). Vor diesem Hintergrund müssen aktivierende Maßnahmen durchaus ambivalent gesehen werden: Sie können zu einem verstärkten Suchverhalten führen und damit die Chancen auf einen Wiedereinstieg in den Beruf erhöhen oder doch zumindest erhalten, bei andauerndem Misserfolg aber auch zu einer Verschärfung der depressiven Problematik führen. Die Teilnehmer des dargestellten Pilotprojekts geben mehrheitlich an, durch die Arbeit im Rahmen der Kompetenzenbilanz aktiviert und zur Wiederaufnahme der Suchbemühungen bewegt worden zu sein. Sie empfinden den Prozess überwiegend als »große Hilfe« oder »Mut machend« und nennen konkrete Ziele, die sie in den folgenden Monaten umsetzen wollen. Einige Teilnehmer berichten bereits unmittelbar nach Abschluss des Coachingprozesses über bereits begonnene Suchbemühungen wie z. B. Vorstellungsgespräche, neue Aktivitäten bei Bewerbungen oder neu begonnene Weiterbildungen. In Hinblick auf eine generelle und länger dauernde Abnahme der beruflichen Belastetheit ist es jedoch sicher von zentraler Bedeutung, wie sich die Situation der Teilnehmer weiter entwickelt. Nachhaltige Effekte ließen sich aller Voraussicht nach vor allem dann erwarten, wenn die Teilnehmer auch nach dem Abschluss des Beratungsprozesses weiter betreut würden und negative Entwicklungen damit abgefangen werden könnten.
5.4
159
Der Prozess wird als Ermutigung und Hilfe empfunden
Ergebnisse einer volkswirtschaftlichen Evaluationsstudie in Tirol
Im Jahr 2007 wurde von dem in Wien ansässigen Forschungsinstitut Synthesis eine Evaluierung der Kompetenzenbilanz auf der Grundlage volkswirtschaftlicher Kriterien und Daten durchgeführt (vgl. Kernbeiß u. Wagner-Pinter 2007, Wolf 2007). Die Ergebnisse geben Hinweise auf weitere Wirkungen und sollen hier kurz dargestellt werden. Für die Studie wurden zunächst arbeitsmarktbezogene Daten von 866 Teilnehmern der Kompetenzenbilanz analysiert, um die Entwicklung 1 Jahr nach der Teilnahme beschreiben zu können. Dabei wurde
Jahreseinkommen steigt
160
Kapitel 5 • Wirkungen
deutlich, dass jeder zweite Teilnehmer nach der Kompetenzenbilanz sein Einkommen deutlich steigern konnte, bei etwa 20% der Teilnehmer konnten in diesem Bereich keine Veränderungen festgestellt werden und die restlichen 30% verdienten weniger als vorher (was durch verschiedene Entscheidungen erklärt werden kann, die sich im Verlauf der kompetenzorientierten Beratung ergeben, z. B. die Aufnahme eines Studiums oder die Verringerung der wöchentlichen Arbeitszeit). In der weiteren Analyse wurde die Entwicklung der Teilnehmer mit der anderer Menschen verglichen, die ihnen in den wesentlichen Merkmalen ähnelten. »Diese Gegenüberstellung zeigt, dass die Chance auf eine und das Ausmaß der Einkommenssteigerung für ‚Bilanzierende‘ in der Regel höher ist als für die Vergleichspersonen« (Kernbeiss u. Wagner-Pinter 2007, S. 3). Sie liegt im Vergleich zu den Referenzpersonen um einen Betrag von etwa 2000 € in Hinblick auf das erzielte Jahreseinkommen höher. Die Autoren der Studie folgern daraus, dass die untersuchte Form der kompetenzorientierten Beratung auch aus volkswirtschaftlicher Sicht sinnvoll ist und sowohl für das Gemeinwesen als auch für die Teilnehmer einen erkennbaren »return of investment« bietet.
5
5.5
Claudia, die Notfallschwester
Das folgende authentische Fallbeispiel gibt einen tiefen Einblick in die Natur der Wirkungen der Kompetenzenbilanz und untermalt die These der durchbrochenen Berufsverläufe. Die Namen von Personen und Institutionen wurden verändert. z
Ausgangssituation
Claudia erfährt über eine Freundin von der Kompetenzenbilanz und entschließt sich dazu, selbst teilzunehmen. Die Situation, die sie zur Teilnahme an der Kompetenzenbilanz geführt hat, charakterisiert sie als Stagnation in Hinblick auf ihre berufliche und persönliche Weiterentwicklung, wobei sie keine konkreten Zielvorstellungen verfolgt. Beispiel Tiefe Unzufriedenheit mit der gegenwärtigen beruflichen Situation
»Der Wunsch war schon lange Zeit da und der Gedanke, etwas ändern zu wollen an meiner Berufssituation. Die mir zwar sehr Spaß macht, aber irgendwie ist es ausgeschöpft. Irgendwie habe ich das Gefühl, es muss was Neues sein. Was auch ein bisschen in meinem Leben liegt. Was Neues, das ist mir wichtig, neue Aufgaben, neue Herausforderungen. Ich bin so … eigentlich dümple ich schon eine Zeit dahin und suche. Ja, konkret zu suchen ist schwierig. Ich habe das Gefühl, ich stagniere in meinem beruflichen Weiterkommen. Bin auch nicht abgeneigt, möglicherweise auch ganz was anderes zu tun. Ja, schon auch mit ein bisschen Traurigkeit, da ich so viel Zeit in das investiert habe. Und schon auch mit Herz noch arbeite. Aber trotzdem, es ist so.«
5.5 • Claudia, die Notfallschwester
Ein wesentlicher in ihrer Arbeit begründeter aktueller Anlass, das Angebot der Kompetenzenbilanz wahrzunehmen, liegt für Claudia darin, dass sie aufgrund ihrer Arbeitszeiten sehr beansprucht wird. Zum 1. Gespräch erscheint sie sichtbar erschöpft nach einer 24-stündigen Schicht und entschuldigt sich bei ihrem Coach für ihre roten Augen. Claudia hat bereits aktiv versucht, eine andere, verträglichere Regelung der Dienstzeiten zu erreichen, fühlt sich dabei jedoch als Einzelkämpferin, da ihre Kolleginnen nicht mitziehen.
161
5
Belastungen durch die berufliche Situation
Beispiel »Wir haben in unserem Bereich, ja, es bestünde die Möglichkeit, unser Arbeitsmodell zu ändern, was meine Kolleginnen nicht möchten, und ich fühle mich da so als alleiniger Kämpfer und habe so das Gefühl, wenn ich das ändere oder wenn ich da mehr Intention dahinter setze, dann mache ich 3 andere unglücklich. Weil, die sind zufrieden mit dieser Arbeitsweise. Und da geht es halt so irgendwie … die Mehrheit siegt.« Nun sucht sie nach Möglichkeiten, auf der Grundlage ihrer eigenen Stärken berufliche Alternativen zu finden. Ihre Erwartungen an den Prozess charakterisiert sie folgendermaßen: »Also, ich hoffe, dass ich da auf allerhand draufkomme. Auch diesen wirklichen letzten Kick, Ansporn kriege, jetzt mache ich etwas anderes. Ich habe schon das Gefühl, dass ich sehr vielseitig bin. Viele Dinge weiß ich auch schon, viele Dinge werde ich dann auch wissen. Aber, mir ist der Druck … ich dümple so dahin. Ich weiß nicht, wie ich da anfangen soll, was zu ändern. Ich habe das Gefühl, ich bin einfach schon zu alt. Bin so eine alte Schachtel. Und … früher war das für mich nie ein Kriterium. Da hätte ich einfach gewechselt, von null anfangen. Und da bin ich jetzt schon ein bisschen müde, immer wieder von vorne anfangen. Und immer wieder von vorn anfangen. Also, das macht mich etwas müde und das hemmt mich natürlich auch, wieder großartig neu zu starten.«
Bisher war Claudia immer im medizinischen Bereich tätig, als Intensiv- und Notfallschwester. Rückblickend hat sie jedoch den Eindruck, dass sie durch viele Stationswechsel immer wieder von unten anfangen musste und ihren »Karriereweg nicht sehr verfolgt« habe. Beispiel »Ich habe immer gedacht, ich arbeite an vorderster Front, ist wichtig, und das fachliche auch. Und man kommt halt drauf, dass das heute in dem heutigen System nicht zählt. Es geht mehr um Managerkurse und Stationsleitungskurse und da jetzt in Positionen zu kommen, wo man ein paar Sachen ändern kann und sonst ist man halt wirklich an vorderster Front. Und arbeitet so brav und fleißig, aber kommt keinen Schritt weiter.«
Unzufriedenheit mit den Gestaltungsmöglichkeiten
162
Kapitel 5 • Wirkungen
Claudia charakterisiert sich als eine Frau, die »die Dinge mit sich selbst ausmacht«. Sie denkt viel über sich nach und hat früher sehr viel Tagebuch geschrieben und Erlebnisse teilweise in Form von selbst verfassten Märchen aufgearbeitet – wofür sie allerdings seit einigen Jahren keine Zeit mehr findet. Sie ist zu müde, »die Dinge fließen nicht mehr«. Und so leidet sie in ihrer gegenwärtigen Situation vor allem unter dem hohen Einsatz, den ihr Beruf von ihr verlangt. Beispiel »Ich meine, wenn um 2 oder 3 in der Nacht das Telefon scheppert, und dann kann ich erst mal schauen, dass ich mit dem Auto schnell in einer Viertelstunde an Ort und Stelle bin … Dieser exklusive Zugriff auf mich, diese Macht, die einfach … so, jetzt habe ich einfach da zu sein. Da fühle ich mich gefangen, ausgeliefert, ob ich will oder nicht. Und ich will eigentlich überhaupt nicht. Aber ich muss trotzdem und das kostet mich sehr viel Kraft. Und das nachhaltig. Also, solche Dienste, da brauche ich schon wesentlich länger, um mich halbwegs wieder zu erholen. Und auch wieder psychisch belastbar zu sein. Das merke ich schon.«
5
Einbindung in die Hierarchie
Verschärft wird die Situation aus der Sicht von Claudia durch die inhaltlich-formalen Arbeitsbedingungen, die sie belasten. Zentral ist aus ihrer Sicht der Umstand, dass sie in eine Hierarchie eingebunden ist, die ihre Erfahrungen nicht respektiert. Beispiel »Wenn man hierarchisch … man hat sehr viel Erfahrung und man muss dann so vielen Jungen, die so viel Blödsinn machen, gehorchen und das geht nicht mehr und das ist auch meine Persönlichkeitsstruktur. Da bin ich sehr stur und sehr, sehr stolz. Das schlucke ich nicht mehr. Das kann ich nicht mehr schlucken. Das geht nicht mehr. Da ist so viel Widerstand und Aufstand und Ärger, dass ich dadurch, immer schon, das ist immer ein Problem von mir gewesen. Dass ich den Mund nie halten kann, aber je älter ich werde, desto schwieriger ist es. Und dadurch hat das Weiterkommen natürlich eine andere Bedeutung als es früher gehabt hat. Irgendwo in einen Bereich zu kommen, wo mir keiner mehr wirklich … irgendwie einen selbstständigen Bereich, den ich selber bestimmen kann. Das hat sicher eine andere Bedeutung als früher. Das empfinde ich mehr mit dem Älterwerden. (…) das muss jetzt nicht Karriere oder auch finanziell, ja natürlich ist es schön, wenn es finanziell auch gekoppelt ist. Aber es waren nie die wichtigen, elementaren Dinge, dass ich gesagt habe, ich brauche jetzt einen Job, wo ich möglichst viel verdiene. Mir war schon die Sache wichtig. Und das Wie. Beruflich war es immer wichtig, insofern, dadurch, dass ich alleine gelebt habe und nicht in Partnerschaft und mit Kindern mich ausleben oder verwirklichen kann oder so, war logischerweise der Beruf ein wesentlicher Teil meines Lebens. Und, wie gesagt, ich habe lange Zeit auf der Intensiv gearbeitet, da ist es sowieso so, das macht man,
5.5 • Claudia, die Notfallschwester
163
5
wenn man relativ jung ist, mit Leib und Seele. So habe ich das eigentlich schon gemacht. Ich habe immer gedacht: Habe ich ein Glück, mein Beruf ist mein Hobby. Es ist fast immer noch so, aber es ist sehr beschwerlich, mittlerweile.«
Claudias Erwartungen an die Kompetenzenbilanz ergeben sich aus dieser Situation. Sie umschreibt mit ihren Worten, dass sie sich ausgebrannt fühlt und dass sie hofft, im Verlauf des Coachings »das Feuer wieder entzünden zu können«: Beispiel »… Ich weiß nicht mehr, was mich interessiert. Ich würde gerne, aber ich weiß nicht mehr, wo ich Feuer fangen kann. (…) war früher nie der Fall. Habe immer genau gewusst, was ich will. (…) Ich hoffe, Feuer zu fangen. Ich hoffe, dass irgendwo in einem Bereich eine Lebendigkeit hinkommt und ich das wieder spüren kann. Da sind die Entscheidungen schon viel leichter, dann weiß ich ja, was. Das stelle ich mir vor oder wünsche ich mir.«
z
Rückschau auf das Coaching
Claudia ist direkt nach dem Ende der Kompetenzenbilanz unsicher darüber, was die konkreten Ergebnisse des Verfahrens für sie sein könnten. Die eingangs formulierten Erwartungen, die in deutlichem Zusammenhang zu ihrer Lebenssituation standen, glaubt sie nicht erreicht zu haben. Sie konnte keine Ziele formulieren, die die wesentlichen Kriterien ihrer Situation verändert hätten, und meint, keine ihr bisher nicht ohnehin offenkundigen Kompetenzen herausgearbeitet zu haben. Dabei, den Funken wieder zu entzünden – das eingangs von ihr formulierte Ziel –, hat ihr die Kompetenzenbilanz nicht geholfen. Sie hat auch darüber mit ihrem Coach gesprochen und dieses Ziel thematisiert: Beispiel »… Mein Beruf ist mein Hobby. Und das ist es seit 6 Jahren absolut nicht. Ein Alptraum für mich. Wir haben sehr gut ein Bild gefunden, wie eine Maus im Rad, die immer schneller läuft und aus diesem Rad nicht mehr herauskommt. Das trifft eigentlich meine Situation, so wie ich mich im Moment fühle, bildlich. Ich hätte gehofft, aus dem Rad raus und diese Tür, die aus dem rausführt, zu finden. Das habe ich bislang nicht.«
Den Prozess der Kompetenzenbilanz empfand sie teilweise als ermüdend, vor allem, was die Auflistung und Ausarbeitung der Kompetenzen und Fertigkeiten anging. Insofern empfindet sie sich nicht als die »klassische Klientin« und die Ergebnisse der Kompetenzenbilanz nicht als die zu erwartenden Ergebnisse im Sinne von klaren Zielen oder einem Handlungsplan, der ihr den Weg in die Zukunft eindeutig
Direkt nach dem letzten Coaching dominiert Unsicherheit
164
Kapitel 5 • Wirkungen
erschließen könnte. Dennoch ist sie der Meinung, dass das Verfahren bei ihr etwas in Bewegung gebracht habe: Beispiel Probleme sind noch nicht gelöst
5
»Ich habe mir oft gedacht, jetzt gehen mir diese Zettel auf die Nerven. Weil, das war einfach nur viel Arbeit, ohne dass ich wirklich gesagt habe: Echt? Wahnsinn! Was natürlich anschaulich war, war das Lebensprofil für mich. Das einmal so grafisch zu sehen, zu sagen, ich habe eigentlich schon viel gemacht. Das waren schon so Eindrücke. Natürlich, wenn man es aufschreibt, seine Fähigkeiten und in welchen Tätigkeiten man die findet, es wird natürlich dadurch sehr intensiv vor Augen gehalten, was man alles kann. Und was man alles gemacht hat. Und woher man das alles hat. Das ist natürlich schon für das Selbstwertgefühl toll. Tolle Erfahrung. An dem hat es bei mir nicht gemangelt. Das habe ich alles gewusst. Es hat ganz andere Dinge in Aufruhr gebracht und ich glaube, in Bewegung gebracht. Was sehr stagniert hat, was sehr eingefahren war, das ist jetzt total in Bewegung. Und im Moment irgendwo bin ich frustriert, dass es natürlich nicht diese klassische Lösung für mich gebracht hat. Die ich natürlich schon gehofft hatte, dass ich sie da finde. Auf der anderen Seite ist es eine neue Qualität, diese Bewegung. Dass etwas in Fluss kommt, das schon ewig stagniert hat.«
Diese Empfindungen verdeutlichen sehr gut den Ansatz der Kompetenzenbilanz: Lösungen sollen nicht innerhalb der Coachings erarbeitet werden – dafür wäre die zur Verfügung stehende Zeit ohnehin zu kurz. Vielmehr sollen im Sinne einer Ressourcenaktivierung oder eines »Empowerment« für die Klienten günstige Ausgangsbedingungen geschaffen werden, um selbst Lösungen für die Probleme zu finden. Konkrete und direkte Ergebnisse sind daher nur im Ausnahmefall zu erwarten. Im Fall von Claudia setzte dieser Prozess bereits während der Coachings ein; er wurde aus ihrer Sicht einerseits durch die Reflexion und andererseits durch die Arbeit des Coaches ermöglicht. Der Beginn dieses Prozesses stellt sich – übrigens auch im Fall von Monika – als eine Zunahme an subjektiver Belastung und eine emotionale Verunsicherung dar, den Claudia folgendermaßen beschreibt: Beispiel Emotionale Anspannung
»Das Problem, so nicht die totale Lösung gefunden zu haben, liegt nicht daran, dass ich nicht Kompetenzen weiß, das liegt viel tiefer im eigenen Verhalten oder Muster oder Konditionierung, die eine Kompetenzenbilanz nicht lösen kann, so schnell. Was sie sicher … mein Coach war sehr sensibel und hat manche Dinge sehr punktgenau angesprochen. Wo man natürlich zuerst sagt: Nein, das glaube ich jetzt nicht. Und dann geht man heim und denkt und das wühlt und werkelt und man denkt: Irgendwo ist das nicht so daneben. Und damit ist ganz viel … es ist mir insgesamt in diesen Tagen und danach nicht gut gegan-
5.5 • Claudia, die Notfallschwester
165
5
gen. So emotional. Überhaupt nicht. Ich bin da nicht beschwingt nach den Gesprächen heim und auch mit dem Aufarbeiten … es ist mir in dieser Zeit nicht gut gegangen. (…) Ich war nicht leicht unterwegs, mit einem leichten Herzen oder optimistisch oder auch nicht fröhlich.«
Am Ende des Coachings fühlt sich Claudia zunächst allein gelassen, sie ist ratlos, wie es nun weitergehen soll. Die folgende Interviewpassage unterstreicht diese Stimmung deutlich: Beispiel »Die Kompetenzenbilanz, die Fähigkeiten, wie ich das mache, es ist mir vorgekommen, als wenn ich wer anderer wäre, wo ich mir gedacht habe: So, jetzt habe ich diese Mappe durch, habe die ganzen Kompetenzen und Fähigkeiten erarbeitet und da komme ich jetzt drauf: Wahnsinn, das kann ich alles. Und dann kommen diese nächsten Schritte. Dann weiß ich nicht, wie das weiter läuft. (…) Das ist für mich ein bisschen ein frustrierender Punkt. Jetzt werde ich entlassen und stehe wieder alleine da. (…) So in diesen klassischen Dingen, wo ich sage: Ah, jetzt habe ich einen neuen Beruf entdeckt. Wenn ich das weiß, dann weiß ich auch, wonach ich fragen kann. Aber wenn man nicht genau weiß, (…) in diesen klassischen Berufen findet man dann verhältnismäßig leicht weiter. Oder findet jemand, der einem weiter hilft. Irgendeine Stelle, aber wenn man das jetzt noch nicht so klar definiert hat, wenn das so in Richtung einer gewissen Selbstständigkeit geht, wo man nicht sagt: Ich bin selbstständig als Taxiunternehmer oder selbstständig als das, wo man das so klar definiert hat, seinen Beruf. Wenn das so noch diffus ist, aber es geht in Richtung Selbstständigkeit, Eigenständigkeit. Aber es ist kein Konzept, es gibt keine Vorlage, es gibt keinen Beruf dazu, sondern das ist einfach was, das ich mir selber aufbauen sollte, dann stehe ich schon wieder alleine da. Wo ich schon wieder nicht weiß, wer hilft mir jetzt da weiter. Weil da kann man sich auch wieder von 100 Sachen was zusammensuchen und dümpelt so dahin, wie man es eh schon gemacht hat.«
Dennoch hat Claudia nicht das Gefühl, dass der Prozess bereits abgeschlossen wäre. Ihre Verunsicherung hängt zu einem großen Teil damit zusammen, dass sie sich in einem Veränderungsprozess bewegt, der bereits in ihrer Charakterisierung der Ausgangssituation deutlich erkennbar ist und von ihrer gegenwärtigen Tätigkeit wegführt. Durch die Kompetenzenbilanz wurde diese Bewegung für Claudia noch deutlicher erfahrbar, ohne allerdings eine konkrete Richtung einzuschlagen. Dem Fehlen einer konkreten Lösung steht der stärker gewordene Wunsch gegenüber, sich zu verändern. Dieser Konflikt, den Claudia mit großer Macht erfährt, macht das Dilemma des Coaches deutlich: Eine von ihm erarbeitete Lösung könnte kurzfristig zu mehr emotionaler Stabilität bei Claudia führen, wenn sie diese Lösung akzeptieren würde – mittel- und langfristig könnte sich diese von außen kommende Lösung als wenig tragfähig
Dilemma des Coaches
166
Kapitel 5 • Wirkungen
erweisen und damit die Orientierungslosigkeit von Claudia noch verstärken. z
Bewegung
Die Rückschau von Claudia ist geprägt durch die Enttäuschung, keine pragmatische Lösung der eigenen Situation gefunden zu haben und nun nach dem Ende der Kompetenzenbilanz »wieder alleine dazustehen«. Andererseits thematisiert sie auch eine Bewegung, die die Beschäftigung mit ihr selbst und die Reflexionen ihres Coaches in ihr ausgelöst haben. Bereits vor Abschluss des Verfahrens wird die emotionale Verfassung Claudias instabiler, sie wird sich ihrer eigenen Belastungen immer deutlicher bewusst. Im Rückblick beschreibt sie diesen Aspekt des Prozesses folgendermaßen:
5
Beispiel »Was es sicher gebracht hat, ist, dass mein Leiden mir sehr bewusst geworden ist. Das ist auch ein Grund, warum ich mich nicht gut gefühlt habe die ganze Zeit. Weil das ist schon sehr, wenn man es so anspricht oder so auf den Tisch legt oder hingelegt bekommt oder damit Fragen, warum man sich das antut … Das habe ich schon extrem vor, das raschest zu beenden. Ganz, ganz schnell. So schnell es geht. So für einen Stellenwechsel, das ist heute schon … es ist in Bewegung und es hat eine andere Qualität. Und es ist wohltuend. Ich weiß zwar nicht, was dabei herauskommt, aber es ist zumindest Aussicht auf Hoffnung, dass ich eine Situation, die mir nicht gut tut, beenden kann.«
Im Rahmen der Rückmeldungen ihres Coaches und der eigenen Reflexion erkennt Claudia Aspekte ihres Leidens, die ihr vorher weitaus weniger bewusst waren und die sie daher vielleicht auch leichter in Kauf genommen hat. Beispiel Burnout
»Weil, wie gesagt, es ist auch dieses Wort Burnout gefallen. Ja, wer gibt das schon gerne zu. Natürlich habe ich die Nase voll vom Pflegen, an Kranken, die mich anjammern. Ich kann es nicht mehr hören. Ich habe auch diesen psychiatrischen Pflegedienst gemacht. Ich könnte es nicht mehr, weil ich habe die Nerven nicht mehr, das anzuhören. Ich kann nicht mehr. Natürlich ist das Burnout. Wie man immer sagt: Das ist ein Zustand, irgendwo, das kann bis zu einer Krankheit weitergehen. Ich denke, wenn ich nicht aufpasse, dann schon. Ich habe auch Burnout unterrichtet. Umso geschockter war ich, mir zuzugeben: Ein bisschen symptomatisch bist du jetzt schon, ehrlich. Wenn ich die ganze Palette durchgehe, da finde ich einiges bei mir, mittlerweile. Aber wer gibt schon gerne Burnout zu? Oder wer gibt schon gerne zu, das nicht unter Kontrolle zu haben. Es ist so. Ich muss es zugeben. Wenn ich das so reflektiert habe, ist das auch ein Grund, warum es mir nicht gut ge-
5.5 • Claudia, die Notfallschwester
167
5
gangen ist. Ich bin ausgebrannt, ich mag diese Pflege nicht mehr. Ich mag die Leute nicht mehr, die mich so anjammern und die wegen Gott und der Welt jammern. Die haben mir den Nerv gezogen.«
Die Wünsche von Claudia weisen in die Selbstständigkeit und diese Alternative zur bestehenden Festanstellung im Notdienst wurde im Rahmen der Coachings auch bearbeitet. Nach Abschluss der Kompetenzenbilanz berichtet Claudia von einem Stellenangebot, das es ihr ermöglichen würde, ihre zeitliche Belastung etwas zu verringern und damit einen Schritt weiter in Richtung auf den Aufbau ihrer Selbstständigkeit zu machen.
Berufliche Selbstständigkeit als Alternative
Beispiel »Um mehr Zeit zu schaffen für all diese Projekte, die in die Selbstständigkeit … die wir da gefunden haben, die ein bisschen wirklicher geworden sind. Und was mir schon klar ist, wenn ich nicht die Zeit schaffe, dann habe ich nicht den Geist, diese Ideen zu verwirklichen, weil ich ja gar nicht dazu komme. Entweder ich schaffe mir die Zeit, oder sonst wird das nie sein können oder nur im Kopf und theoretisch. Wenn ich nicht den Raum schaffe, dann kann das nicht sein. So ganz krass kann ich das nicht machen, dass ich sage, von 100% Arbeitstätigkeit auf 0 und jetzt bin ich nur mehr freischaffend. Das macht mir natürlich schon existenziell das Bedenken, weil ich ja, wie gesagt, ich weiß jetzt ja nur, was ich machen will, ich habe nicht jemanden, der mich bei der Hand nimmt und sagt: Tolle Ideen hast du da, jetzt sage ich dir, wie man die möglichst ideal verwirklichen kann. Diese Person oder diese Institution habe ich noch nicht gefunden. Das wäre noch z. B. eine Riesenhilfe. Wo ich gleich weit bin wie davor. Aber ich denke, jetzt mache ich mal 50% und habe mehr Zeit. Dann habe ich auch mehr Zeit, mir Gedanken zu machen, wie ich das umsetzen kann. Und so habe ich sehr wenig Zeit und dann ist alles unter Druck und Stress und belastend. Und ich habe sehr viele verschiedene Sachen ständig, die ich machen will. Das ist jetzt etwas, was ich hoffe, heute schon regeln zu können. Wäre toll, ich würde es mir wünschen.«
z
Wirkungen: 2 Monate später
In dem 2 Monate nach Abschluss der Kompetenzenbilanz stattfindenden Interview berichtet Claudia von einigen wesentlichen Veränderungen, die sich in ihrem Leben ergeben haben. Beispiel »Ich habe gekündigt. Bin dann, irgendwann Mitte April, irgendwas ist vorgekommen, es war genug. Ich habe zusammengepackt und habe zu meinem Mann gesagt: Heute kündige ich. Er hat gesagt: Überlege es dir noch. Aus, Schluss. Habe meine Kollegin angerufen, habe gesagt: Ich brauche ein Gespräch, ich habe gekündigt. Bin am selben Tag noch zu unserem Boss in die Verwaltung und habe gesagt: Schluss, es reicht. Ich habe genug. Dann ist mir das Himalaya-Gebirge vom Herzen ge-
Claudia nimmt die Dinge in die eigenen Hände
168
Kapitel 5 • Wirkungen
fallen. Ich war so was von erleichtert. Vorausschickend muss ich sagen, ich habe ein Gespräch gehabt in der Klinik und hätte schon eine recht interessante Aufgabe gefunden. 50% Stelle, für mich extra war es 100% ausgeschrieben. Aber weil ich eine so tolle Arbeiterin bin und sie mich schon kennen, das hat mir ganz gut getan. Also meiner Seele hat das sehr gut getan. Ich hätte dort auch gerne angefangen. Habe ich aber nicht. Weil in der Klinik, das Management eigentlich hat mich gefragt, ob ich das Haus verlassen möchte. Habe ich gesagt: Nein. Das Haus nicht, aber ich mag nicht mehr (…) am Patienten arbeiten, ich bin so erschöpft. Bin so müde. Ich kann das nicht mehr. Und jetzt bin ich die Managerin des ganzen Bereichs. Es ist alles ganz anders geworden. Es sind alle Bereiche zusammengelegt worden, die ich jetzt leite, inhaltlich in der Stationsleitung. Bin eine Schnittstelle für die Belegärzte. Habe sämtliche Projekte praktisch schon schriftlich, bin am Umsetzen. Das Programm für unser Seminar ist schon gedruckt und verschickt worden.«
5
Die Veränderung der Tätigkeit bringt Claudia den eigenen Bedürfnissen und Wünschen wieder näher – sie hat den Eindruck, sie habe in kurzer Zeit einen Entwicklungssprung gemacht. Sie beschreibt diesen nicht in allen Punkten positiven, aber sehr konsequent durchgehaltenen Prozess folgendermaßen: Beispiel Aufbruchstimmung
»Mit der Kündigung ist eine totale Wendung gekommen. (…) Habe ganz andere Aufgaben jetzt. Es ist vitalisierend, belebend. Ich habe das Gefühl, … ich könnte noch viel mehr … es ist so viel brach gelegen. Ich bin so gierig nach Denken. Es tut wohl. Es ist auch nicht ganz so leicht. Weil natürlich in der Kollegenschaft ist auch ein bisschen Neid dabei. Das sind Sachen, denen man sich stellen muss. (…) Um ehrlich zu sagen. Ich bin froh und dankbar (…). Und ich denke, ich muss sagen, ich habe mich sehr über die schriftliche Kompetenzenbilanz gefreut, die ich bekommen habe (…). Das zu lesen über sich selber, tut gut (…), das hat mir total gut getan. Ich bin schon gekommen, mit meinem Selbstwertgefühl am Boden. Das hat gut getan, mich gestärkt, insofern, dass ich sage: Ich verdiene diese Stelle. Ich bin so froh, dass ich das bin und nicht wer anderer. So egoistisch. Nicht egoistisch, ich stehe dazu, komplett, endlich (…).«
Im Gegensatz zu ihren Äußerungen direkt nach Abschluss der Kompetenzenbilanz meint Claudia nun einen klaren Nutzen aus der systematischen Aufarbeitung ihrer Stärken zu ziehen. Vor allem die schriftliche Kompetenzenbilanz, die etwa 3 Wochen nach Ende der Coachings zugesandt wurde, konnte ihre Stärken so bestätigen, dass sie ausreichend Selbstbewusstsein für die vor ihr liegenden Aufgaben entwickelt hat. Ein Kernmerkmal ihrer neuen Tätigkeit im Krankenhaus ist die Umgestaltung der bestehenden Struktur in der Notauf-
5.5 • Claudia, die Notfallschwester
169
5
nahme und diese Aufgabe kann geradezu zwangsläufig zu Schwierigkeiten im Kollegenkreis führen, wovon Claudia im Weiteren berichtet: Beispiel »Es kommt allerhand in Kollegenkreisen. Das habe ich einfach noch zu knacken. Aber ich fühle mich sehr unterstützt durch die Kompetenzenbilanz. Durch meine Stärken, es sind Dinge, die ich im Rücken habe. Diese Zusammenfassung. Ich fürchte mich nicht. Es ist unangenehm. Natürlich mag man nichts Unangenehmes. Aber ich fürchte mich nicht. Ich kann mich konfrontieren damit. (…) natürlich wird mir vorgeworfen, alles Mögliche. Das ist klar, immer solche Intrigenspiele und Geschichten, das war immer so, wenn solche Dinge passieren. Es ist mir so egal. Das ist schön. Weil man ganz hinter sich stehen kann. Und hinter dem, was man geleistet hat bisher. Es ist egal, weil man das aushalten kann. Weil man einfach weiß. Ich weiß, wer ich bin, jetzt (…). Ich habe mich die Stunden gefragt und abgeschlossen habe ich mit Ihrer Kollegin, wo sie gesagt hat: Ich kann jetzt nicht mehr viel helfen. Und ich war ziemlich frustriert. Nach jeder Stunde bin ich rausgegangen, es ist mir schlecht gegangen. Es ist mir daheim in dieser Zeit eigentlich nur schlecht gegangen. (…) weil ich mich so konfrontiert habe damit. Das passt so nicht mehr. Und ich glaube, das war, diesen Leidensdruck so intensivierend, und damit bin ich schneller auf diesen Punkt gekommen: Jetzt reicht es. Mein Mann hat gesagt: Überlege es dir noch. Nein, ich gehe jetzt, ich fahre. Zusammengepackt, hingesetzt. Schluss, aus, fertig, ich mag nicht mehr. Das durchgezogen und richtig. Selbst vor dem Angebot noch, ich war nur froh, dass ich endlich gekündigt habe.«
Zum Zeitpunkt des Interviews befindet sich Claudia erst seit etwa 6 Wochen in der veränderten Situation. Die Erleichterung, die sie mit ihrer Entscheidung verbindet, ist ihr deutlich anzumerken und, wie sie im Weiteren ausführt, ist es vor allem die Tatsache, dass sie die Entscheidung getroffen hat und dass sie damit einen Schritt gemacht hat, der ihr die Kontrolle über ihr eigenes Leben zurückgegeben hat. Beispiel »Aber ich bin unendlich froh, diesen Schritt gemacht zu haben. Es ist wirklich ganz gleich, ob das so kommt, wie ich mir das vorstelle oder wünsche, das spielt eigentlich nicht die Rolle. Natürlich wünsche ich es mir, aber es ist schon genug, wie es jetzt ist, jetzt kann ich wieder weiter. (…) es war vielleicht nicht so unmittelbar, weil ich so unmittelbar die Lösung bekommen habe, aber ich denke doch, dass es die Lösung war, die Kompetenzenbilanz. Ich habe nicht so klar den nächsten Schritt, aber es hat mir so viel Not gemacht, mich damit zu konfrontieren, das so im Detail, das war ja viel Arbeit. Ich habe mir schon viel Arbeit gemacht, ich habe das sehr (…) ich bin in Not gekommen, ich habe gehofft, Hilfe zu finden. Habe mir auch die Mühe gemacht, das wirklich zu erarbeiten. Und habe viele Stunden daheim verbracht, das
Erleichterung über den großen Schritt
170
Kapitel 5 • Wirkungen
zu tun. Und damit habe ich mich sehr viel konfrontiert. Wirklich schon in Details geschaut und das hat mir viel Not gemacht. Und die Zusammenfassung, die war wirklich echt (…) Es stimmt alles, was drin steht (…) Das ist schön, es ist ein tolles Erlebnis, wenn eine dritte Person, die nicht von der Familie stammt, die ganz neutral ist, wo man nicht befreundet ist, wirklich eine neutrale Person, man so einen schönen Spiegel bekommt. Der so positiv ist. Das war wirklich eine Stärkung sonders gleichen.«
Claudia denkt im weiteren Verlauf des Interviews darüber nach, was diese Veränderungen bewirkt und damit die Grundlage für ihre Entscheidung zu kündigen gelegt hat. Sie identifiziert 2 unterschiedliche Mechanismen: Einerseits der Leidensdruck, der sich für sie durch die Beschäftigung damit, was ihre Wünsche und Werte sind, weiter erhöht hat, und andererseits die Stärkung durch die Erarbeitung und Rückmeldung ihrer Kompetenzen.
5
Beispiel »… Einmal dass es mir schlecht gegangen ist und das Konfrontieren, dieses Erarbeiten, das Hinschauen, diese Not zu haben, dass man endlich diesen Entschluss treffen kann. Und jetzt eine Stelle angeboten zu bekommen, wo ein anderer sagt: Das ist mir zu heiß. Da ist momentan zu viel im Umbruch, da ist viel Widerstand. Es ist nicht ganz rosig. Nur – ich habe überhaupt keine Angst und das ist irgendwo diese Mappe, die ich im Kopf habe. Wo ich sage, das geht locker, das weiß ich, dass ich das kann. Ich habe wirklich nicht Angst und ich kann mich ganz gut mit den Dingen konfrontieren. Ganz ruhend in mir. (…) Schau, du hast so viel gearbeitet, du hast so viel Erfahrung. Du verdienst es jetzt, das umzusetzen. Und das ist nicht Eitelkeit, nicht egoistisch, das ist nicht jemand ausgebremst haben, sondern ganz gut, ich finde das wahnsinnig gerecht vom Leben. Und ich bin dankbar.«
z Schwierige Bewährungsprobe
Wirkungen: 6 Monate später
In dem Gespräch, das die Interviewerin weitere 4 Monate später mit Claudia führte, stellte sich wieder eine gänzlich neue Situation dar. Die Klinik, in der Claudia gerade damit begonnen hatte, Neuerungen einzuführen und neue Konzepte zu entwickeln, musste Konkurs anmelden und wurde in der Folge aufgelöst bzw. in andere Institutionen überführt. Claudia erhielt ein Angebot, wieder als Schwester in der Intensivmedizin tätig zu werden, doch sie entschloss sich dagegen mit der Begründung: »Ich kann es mir eigentlich nicht leisten, aber ich sehe für mich keine andere Möglichkeit.« Die Entscheidungen, die sie in den vergangenen Monaten getroffen hatte, machten ihr eine Rückkehr in die Tätigkeit als Intensivschwester kaum mehr möglich – sie hatte damit abgeschlossen. Doch die mit dieser Entscheidung verbundene Unsicherheit belastete Claudia erheblich. In der folgenden Interviewpassage beschreibt sie die Situation.
5.5 • Claudia, die Notfallschwester
171
5
Beispiel »Ich habe einfach keine Wahl. Innerlich, ich hätte mich nicht anders entscheiden können. Es war jetzt natürlich nicht leicht auszuhalten. Die Zeit ist lang, von dem her verhältnismäßig lang gewesen. Und ich habe immer erlebt, jetzt ist die Kollegin untergekommen und die hat ihren Job und die hat ihren Job und die weiß schon wohin und da hat man Gespräche geführt. Die hat sich arrangiert und ich bin dann übrig geblieben. Und dann fragt jeder: Was machst du? Keine Ahnung. Und da ein Gespräch und da. So viele Gespräche habe ich gar nicht geführt. Weil ich eigentlich bei vielen im Vorhinein schon gesagt habe, brauche ich gar nicht kommen, passt nicht. Dann bin ich dann angerufen worden von der Geschäftsleitung für ein Gespräch in einer Krankenhausträgergesellschaft. Und da war das erste Jobangebot, wo man gesagt hat, das kann man wirklich andenken. (…) Das war ein nettes Gespräch. Natürlich bin ich gefragt worden, was ich mache, was ich kann, Referenzen, und halt meine Dinge, die ich in meinem Leben an Ausbildung gemacht habe. Und das ist natürlich alles sehr praktisch. Es ist sicher nicht ein Managementkurs oder so, was in einer ärztlichen Direktion im Grunde schon sehr wichtig wäre, für diese Aufgaben, sehr viel Administration, sehr viel EDV, wo ich eine Oberpflaume bin. Und dann habe ich gesagt, (…) habe mich eigentlich sehr gut verkaufen können, um es mal ganz blöd so zu nennen. Oder eben darstellen können. Auch in einer Ehrlichkeit, EDV-mäßig leider, wenn das so wichtig ist … ich kann es zwar lernen, habe bisher alles gelernt, was zu lernen war, aber das kann ich jetzt im Moment sicher nicht anbieten. Und scheinbar hat der Eindruck dann doch gepasst und ich habe sehr schnell nach dem Gespräch die Zusage gehabt. Dass sie sich freuen würden, wenn ich kommen würde. Und ich habe eigentlich vom Gefühl her, vom Bauch heraus auch sagen können, das passt.«
Der Abschied von der alten Position, in der sich Claudia so viele Möglichkeiten boten, ihre Erfahrungen einzubringen und die Strukturen sinnvoll umzugestalten, fällt schwer. Claudia schildert die Zeit, in der die Klinik buchstäblich leer geräumt wurde und die Mitarbeiter auf andere Institutionen verteilt wurden, als eine besonders belastende Erfahrung. Sie hatte in ihrer neuen Aufgabe eine starke Bindung an die Klinik entwickelt und beschreibt das erzwungene Versanden ihrer Veränderungskonzepte, die Entfernung von Instrumenten, Mobiliar und Mitarbeitern und den in diesem Zuge auch vorkommenden Diebstahl von Klinikinventar durch die Mitarbeiter als Phase der »Leichenfledderei«. Der Beginn ihrer neuen Tätigkeit stellt für sie daher weniger einen Neubeginn dar – das war ihre Tätigkeit in der Leitung der Notaufnahme in der alten Klinik –, sondern einen erzwungenen Bruch in ihrer Biografie, mit dem sie versuchen muss, auf die eine oder andere Weise produktiv zurecht zu kommen. Der aus ihrer Sicht wesentliche Gegensatz zwischen der neuen Stelle und ihrer vorhergehenden Tätigkeit liegt in dem Ausmaß, in dem sie ihre Erfahrungen in die Tätigkeit einbringen kann. Die Umgestaltung der
Nicht zurück in den alten Job
Neues Arbeitsfeld
172
Kapitel 5 • Wirkungen
Notaufnahme war eine Tätigkeit, in die sie ihren Erfahrungsschatz produktiv einbringen und Innovationen gestalten konnte. Ihre neue Tätigkeit verlangt von ihr wieder einmal, vor allem in Hinblick auf die geforderten EDV-Fertigkeiten, von Anfang an neu zu beginnen. Die ersten Wochen sind für Claudia mit einer hohen emotionalen Belastung verbunden. Beispiel »Der Januar hat mich wahnsinnig viel Kraft gekostet, moralisch und (…) war mit sehr viel Angst behaftet. Speziell am Morgen, bis man warm wird und in die Gänge kommt. Der Morgen war grauenvoll. Beim Aufstehen habe ich gedacht: Oh Gott, kraftlos, frustriert – nein, frustriert nicht, aber irgendwo ohnmächtig. So irgendwo … wie gesagt, seit einer Woche habe ich das Gefühl, ich kriege wieder Boden.«
5
Die neue Stelle – eine Tätigkeit, für die Claudia noch nicht die Begeisterung spürt, wie dies bei ihrer vorhergehenden Aufgabe der Fall war – hält eine Reihe von Schwierigkeiten bereit, auf die Claudia nach und nach stößt. Insbesondere muss sie sich den Versuchen ihrer Kollegen widersetzen, die unattraktiven Dienstzeiten an sie weiterzugeben. Sie bemerkt bei sich eine größere Selbstsicherheit, wenn es darum geht, sich abzugrenzen. Beispiel Neues Selbstbewusstsein
»Und es sind schon ganz klare Aussagen, die ich vorher auch nicht so treffen können habe, auch auf die Gefahr hin, sehr klar, das ist für mich schon sehr neu, dass ich die Dinge ganz klar ausspreche und auch für mich fordere. Ich möchte meinen Platz. Das Recht habe ich und den möchte ich. (…) Und das ist halt neu. Früher hätte ich gesagt: Ja, ja. Und dann ewig gemacht und wäre frustriert gewesen. Und dann einmal hätte ich mich getraut und gefragt: Könnte ich auch mal einen Freitag frei haben? Und so habe ich einfach von vorn herein gesagt: Nein.«
Diese für sie neue Haltung führt Claudia auf die systematische Aufarbeitung ihrer Stärken im Rahmen der Kompetenzenbilanz zurück. In dem folgenden Rückblick zieht sie ein Resümee der Zeit nach den Coachings. Beispiel Wirkungen aus Sicht der Teilnehmerin
»Oft genügen 3 Wochen Kompetenzenbilanz, um alles Grundsätzliche zu klären, aber es muss ein Prozess sein, man muss hineinwachsen und dann nach und nach sagen: OK, es ist gut so. Weil es viel um finanzielle Dinge geht (…) Sonst könnte man sich leichter entscheiden, aber man muss überleben können, es soll Sinn machen und man soll sich auch nicht ruinieren, sondern etwas aufbauen. So blauäugig rennt man nicht durch die Gegend, wenn man sieht, die anderen Kollegen, die irrsinnig raufen miteinander. Und das ist ein unheimlicher Konkur-
5.5 • Claudia, die Notfallschwester
173
5
renzkampf und im Moment habe ich das Gefühl, ich bin Gott sei Dank noch in der Lage, ich kann mein Leben noch selber gestalten und bestimmen, ich bin noch nicht in der Abhängigkeit. Wo ich sehe, andere sind in einer ganz anderen Abhängigkeit … Und dafür ist der Moment noch nicht reif, das ist nicht die richtige Zeit. Daher sehe ich auch: Es ist gut so. Ich habe nicht den Höhenflug mit meinen Projekten. Das wären natürlich schon tolle Sachen gewesen (…) Ich habe eine tolle Chance bekommen, wenn ich ein Resümee ziehen soll. Über das denke ich natürlich schon pausenlos nach (…) Ich habe eine Riesenchance bekommen. Durch diese Kompetenzenbilanz hat sich grundlegend sehr viel verändert von meiner Arbeitssituation, und dass ich mich sehr verändert habe. Im Bewusstsein (…) Ich habe eine sehr lange Durstzeit hinter mir gehabt, wo ich sehr lange und sehr viel gearbeitet habe, ohne dass das jemals irgendwie in irgendeiner Form gewürdigt worden ist. Und das habe ich in diesem halben Jahr sehr stark erlebt. Das war ganz was Tolles. Das hat sehr viel in mir verändert an Stolz, und an Anspruch, den ich an meine Umwelt stelle, an meinen Arbeitgeber stelle und sage: Ich bin halt so viel Wert. Und Schluss. Was mir auch die Kraft und das Durchhaltevermögen gegeben hat, dieses Bewusstsein, dem Druck standzuhalten. Nicht irgendwo schnell untergebracht zu werden, was das einfachste und billigste natürlich ist. Bin an einen Platz gelangt, der von der Reputation natürlich schon sehr toll ist, was für mein Ego auch nicht schlecht ist. Es ist so. Ich meine, noch brauche ich das offensichtlich und das ist für mich wichtig. Weil ich das einfach noch nie gehabt habe. Ich wollte auch die Menschen nicht entlasten von ihrer Verantwortung, die sie mir gegenüber haben. Das habe ich … und ich bin immer noch dabei, das einzufordern. Was auch gelingt.«
Wenn Claudia in die Zukunft weiterdenkt, ist sie zuversichtlich, dass sich Gelegenheiten finden werden, die Situation zu verbessern und einen Weg zu finden, der ihr wieder mehr entspricht. Sie beginnt, die gegenwärtige Tätigkeit nicht mehr nur mit ihrer vorhergehenden Position zu vergleichen, die in Hinblick auf die Inhalte und das Gehalt deutlich besser war, sondern auch die Vorteile zu erkennen. Dabei sind es vor allem die Weiterbildungsmöglichkeiten, die sie als Chancen erkennt, selbst dazuzulernen und sich weiter in die Richtung zu entwickeln, die ihr wichtig ist. Beispiel »Und so langsam sehe ich da ein Licht am Horizont. Und das ist wieder was, was mir wieder einen Boden gibt, wo ich denke, so geht es weiter. Und so ist es auch OK, wenn es weitergeht. Dann ist die Umstellung gut, sie wird wahrscheinlich auch viel Positives bringen. Aber man muss es tun, es wird nicht von alleine erledigt. Diese Zeit dazwischen muss man aushalten. Aber es liegt schon sehr stark an mir, was ich draus mache. Und da ist, glaube ich, sehr, sehr viel möglich an verschiedenen Projektentwicklungen und was so anfällt. Und ich sehe es als Chance, als Prozess,
Zuversicht beim Blick in die Zukunft
174
Kapitel 5 • Wirkungen
diese Dinge abzuschließen. Es ist alles neu im Moment (…) und es ist sehr viel, was gestartet werden muss, was ein bisschen Angst macht, weil es große Entscheidungen sind. Und es ist auch etwas sehr Belebendes. Was einerseits Angst macht, andererseits stark macht. Ich glaube, es ist trotzdem gut. Ich bin auf einem guten Weg, auf einem viel besseren Weg als jemals zuvor. (…) Ich fühle mich, im Vergleich zu meinen Kollegen von der gesamten Klinik, als Gewinner. Ich habe mich sehr exponiert, ich bin sehr angegriffen worden, ich habe sehr viel einstecken müssen. (…) Aber ich war sehr authentisch. Mit meinen Grundsätzen und den Dingen, wie ich sie sehe, die habe ich sehr gelebt. Fast ohne irgendwo Kompromisse zu machen, nicht viel. Und ich fühle mich, wenn ich mit meinen Kollegen in der Gruppe sitze, fühle ich mich als einzige Gewinnerin. Weil ich war einfach sehr loyal und sehr korrekt. Jetzt im Nachhinein. Und ich bin froh, dass ich es so gemacht habe und nicht anders.«
5
z
Die Einflüsse auf das Privatleben
Die zahlreichen Umbrüche, die sich im Leben von Claudia nach der Kompetenzenbilanz ereignet haben, sind nicht ohne Auswirkungen auf ihren außerberuflichen Bereich geblieben. Ihr Mann ist beruflich selbstständig und hat wiederholt ihr gegenüber deutlich gemacht, dass er sich freuen würde, wenn sie bei ihm mitarbeiten würde. Für Claudia kommt das allerdings nicht in Frage, weil sie befürchtet, damit in eine Abhängigkeit zu geraten, aus der sie sich nur schwer lösen könnte. Darüber hinaus empfindet Claudia ihren Mann aber als große Unterstützung, mit ihm tauscht sie sich über ihre Ängste und Zukunftspläne aus. Auch die Teilnahme an der Kompetenzenbilanz hat in ihrer Einschätzung Auswirkungen auf ihr Privatleben gehabt. In der folgenden Interviewpassage erläutert sie diese Folgen: Beispiel Veränderung der privaten Rollen
»Nicht negativ. Ein bisschen konfliktreicher. Ich werde natürlich stärker. Ich war immer relativ stark. Dadurch, dass ich einen Großteil meines Lebens allein gelebt habe (…) Der Jürgen würde mich lieber mehr in seiner Firma sehen. Habe ich gesagt: nein, sicher noch nicht in dem Ausmaß. Aus wirtschaftlichen Gründen nicht und für mich aus persönlichen Gründen nicht. Ich habe jetzt wirklich das erste Mal die Möglichkeit, dass man mich unterstützt, dass man mir Kurse zugesteht und sagt, machen sie das. Das habe ich noch nie gehabt. Ich habe jeden Kurs selber zahlen müssen, jede Ausbildung selber zahlen müssen, abarbeiten müssen. Ich habe kein Stipendium gehabt und das ist das erste Mal, dass das so ist, und ich denke, das möchte ich einfach erleben und Kurse machen, die ich noch nie gemacht habe. Und mich fortbilden auf den Bereichen, die notwendig sind heute. Und die ich halt nicht erfüllen kann. Das ist einmal die EDV und dann wird das halt weitergehen, was immer meine Aufgaben sein sollen. Und das möchte ich mir schon angedeihen lassen. Und meinen Bereich, meinen persönlichen Bereich mit mir aufbauen. Nicht mit dem anderen Namen,
5.5 • Claudia, die Notfallschwester
175
5
sondern mit meinem. Möchte schon meinen authentischen Platz im Leben haben, der ganz ich bin. Da bin ich nicht wirklich diskussionsbereit. Im Moment sicher nicht. Gerne mit voller Kraft und für die andere Hälfte, aber meine Hälfte hat das gleiche Recht. Hat das gleiche Recht, so würde ich das sehen. Und die gleiche Zeit, und wenn der Bedarf da ist an Besprechungen und Sitzungen, muss halt auch die Firma einmal zurückstehen. Weil dann haben meine Dinge Priorität. Und anderes Mal werde schauen, dass ich was anderes arrangieren kann. Aber wirklich gleichwertig. Ja, sonst natürlich, es war eine harte Zeit, ich habe schon erlebt die Unterstützung vom Jürgen, auch die Geduld. Ich war zum Teil sehr gereizt. Ein Blick war schon der verkehrte, prinzipiell. Natürlich der Ansatz einer Kritik war von meiner Seite fast nicht zum Aushalten. Dann tu´ es doch selber, such dir jemand, der es besser kann … sehr konfliktreich, aber er hat das abgefangen. Es ist nie wirklich in einem großen Streit … hat das nie geendet. Er hat das sehr gut verstehen können. Ich habe es im Nachhinein gesagt: Ich bin so unter Druck, ich fühle mich irgendwo so bedroht und es ist beängstigend, diese Bedrohung, und da ist man sehr empfindlich und sehr gereizt. Jedes Tier würde da angreifen. Es war auch zu erleben, sich so zu analysieren und so zu sehen und zu sagen, ich bin irrsinnig unter Druck und ich bin brutal gereizt. Und es kostet mich sehr viel Kraft, mich im Zaum zu halten, und dann ist natürlich, kommt mein Temperament in dem Moment auch noch mit. (…) wusch (…) und dann explodiere ich. Es ist zwar im nächsten Moment vorbei, aber es ist insofern schon belastend für die Partnerschaft. Aber unter dem Druck ist man gezwungen, wirklich ganz konkret und ganz dezidiert und genau zu überlegen und zu entscheiden, machen wir, machen wir nicht, streichen, weg, und das auf das Wesentliche zu bringen und diese ganzen Dinge, die viel Zeit und Kraft kosten, die einen vom Wesentlichen abhalten, einfach zu streichen. Zu sagen, hat im Moment nicht Platz. Geht nicht. Und es war auch gut, mal zu entrümpeln. Mal zu schauen, um was geht es, was wollen wir, das sind die Grundsatzdinge, und den Luxus kann man dann vielleicht später mit mehr Zeit und wenn sich wieder alles ein bisschen normalisiert, kann man den Luxus … aber im Moment sicher nicht. Streichen, weg. Und das war auch gut. (…) Es war brutal.«
z
Fazit
An diesem authentischen Fallbeispiel lassen sich einige Mechanismen gut veranschaulichen, die zentral mit den Wirkungen der Kompetenzenbilanz zusammenhängen und die wir kurz zusammenfassen. Claudia geht mit einem eher indifferenten Gefühl aus dem letzten Coaching hinaus; die Aussicht, jetzt wieder alleine und ohne die Unterstützung des Coaches weiterzumachen, bereitet ihr Sorgen. Für sie reißt der Prozess zu einem Zeitpunkt ab, an dem er gerade beginnt, Früchte zu tragen. Die Daten und Feedbacks anderer Klienten lassen den Schluss zu, dass diese Einschätzung von der Mehrzahl der Klienten geteilt wird. Einer der am häufigsten wiederholten Vorschläge bezieht sich darauf, den Beratungsprozess durch ein 4. Coaching
Ergänzung durch ein 4. Coaching-Gespräch?
176
Kapitel 5 • Wirkungen
5
Gewachsener Leidensdruck als Auslöser der Veränderung
zu ergänzen, das je nach Bedarf der Klienten in einem Zeitraum von 2–4 Monaten nach dem 3. Beratungsgespräch durchgeführt wird. Betrachtet man die Entwicklung bei Claudia, so würde eine solche Ergänzung durchaus Sinn machen: Sie befindet sich in einer neuerlichen Umbruchsituation, in der eine unterstützende Beratung sinnvoll wäre. Der Eintritt einer Umbruchsituation – u. U. noch dazu einer Situation, die die eigenen Kontrollmöglichkeiten deutlich einschränkt – ist jedoch keine zwingende Voraussetzung für ein 4. Beratungsgespräch. Die Hinweise, die darauf hindeuten, dass die Kompetenzenbilanz Einfluss auf wesentliche Anpassungsparameter nimmt, sind nicht zu übersehen. Aus im Folgenden noch darzulegenden Erwägungen heraus ist es sinnvoll, einen weiteren, inhaltlich anders gelagerten Beratungsprozess anzuschließen, der sich auf die Unterstützung von Veränderungsmaßnahmen richtet. Das Beispiel von Claudia ist auch in weiterer Hinsicht lehrreich. Das 2 Monate nach Abschluss der Kompetenzenbilanz stattfindende Interview zeigte zunächst, dass sie vor allem aus der Zusendung der schriftlichen Bilanz die Bestätigung und Kraft zog, für sie notwendige Veränderungen zu initiieren. Zu dieser Zeit ist sie voller Energie und hätte ihre ehrgeizigen Ziele vermutlich auch erreicht, wenn sich die Situation nicht ohne ihr Zutun dramatisch verschlechtert hätte. Wir finden in den übrigen Interviews vielfältige Hinweise darauf, dass in den 2 Monaten nach der Kompetenzenbilanz Veränderungen initiiert werden – oder eben, wenn das nicht der Fall ist, auch in den folgenden 4 Monaten nicht mehr. Das deutet darauf hin, dass der »Schwung«, der die Klienten nach den Coachings trägt, deutlich an Kraft verliert, wenn er nicht die Möglichkeit hat, sich in konkreten Handlungen zu manifestieren. Im genannten Fall wurde deutlich, dass die Aufarbeitung der eigenen Stärken zu einem erheblichen Leidensdruck geführt hat, der sich auf eine, in den Augen der Klientin, entwertende Arbeitssituation bezog. Dieser Leidensdruck, der bei ihr latent bereits zu Beginn der Kompetenzenbilanz spürbar ist, war ursächlich dafür verantwortlich, dass sie die notwendigen Veränderungen einleitete. Ohne eine weitere Komponente wäre die Veränderung allerdings nicht plausibel: das Vertrauen in die eigenen Fähigkeiten und die zur Verfügung stehenden Ressourcen. Bei Claudia gehört wesentlich ihr Mann Jürgen zu diesen Ressourcen, der ihr den notwendigen Rückhalt bietet, um die Veränderungen auch umzusetzen. Er selbst steht dem Entschluss von Claudia zwar zurückhaltend gegenüber und würde vorsichtiger agieren, aber er respektiert ihre Entscheidung und trägt sie mit. Bei anderen Klienten, bei denen der Schwung der Kompetenzenbilanz versandet oder zu erlöschen droht, lassen sich teilweise Hinweise auf ein entwertendes familiäres Milieu finden, das Veränderungen nicht zulässt oder zumindest deutlich erschwert. Aus diesem Grund ist ein systemisch angelegtes Coaching zur Umsetzung der vorgenommenen Ziele im Nachgang der Kompetenzenbilanz anzuraten.
5.5 • Claudia, die Notfallschwester
Grundsätzlich lassen sich auf der Grundlage der bisher erhobenen Daten folgende Vermutungen über die Wirkungen der Kompetenzenbilanz in Abhängigkeit von den Erwartungen an das Verfahren anstellen: 5 Teilnehmer, die sich über die eigenen Stärken klar werden wollen und sich mit der Kompetenzenbilanz »etwas Gutes« tun möchten. Langfristig ist in diesen Fällen keine besondere Veränderung zu erwarten, abgesehen von psychologischen Effekten. 5 Klienten erarbeiten in der Kompetenzenbilanz Entwicklungsziele. Von ihnen sind gute Effekte zu erhoffen, wenn sich die erarbeiteten Ziele als realistisch erwiesen haben. 5 Teilnehmer nutzen die Kompetenzenbilanz, um sich auf Bewerbungsgespräche vorzubereiten und ihre Kompetenzen anderen gegenüber fundierter und strukturierter darstellen zu können. Darüber hinaus scheint eine weitere Unterteilung der Nutzen- und Wirkungsaspekte in folgende Gruppierungen sinnvoll: 5 Veränderung in der Wahrnehmung des Alltags: Einige Teilnehmer berichten davon, dass sie ihre Tätigkeit nun anders wahrnehmen und sich dessen bewusst werden, wie viel sie eigentlich geleistet haben oder täglich leisten. Sie berichten zum Teil von einer wesentlich höheren Zufriedenheit mit ihrer Tätigkeit als zuvor. Statt sie in ihrem Veränderungswunsch zu bestärken hat die Kompetenzenbilanz diese Personen dazu gebracht, nicht mehr mit der eigenen Situation zu »hadern«, sondern die derzeitige Tätigkeit als passend und zum bisherigen Lebensweg kohärent wahrzunehmen. 5 Entwicklung der Teilnehmer zu »Coaches« im eigenen Umfeld: Einige Teilnehmer berichten davon, dass sie in ihrem Bekannten- und Kollegenkreis darauf aufmerksam machen, welche Fähigkeiten und Kompetenzen die Personen um sie herum eigentlich haben. Dies wirkt sich u. U. sehr motivierend auch auf das Umfeld aus. Auch wird von regem Interesse der Kollegen, des Umfelds und zum Teil auch der Vorgesetzten an der Kompetenzenbilanz berichtet.
177
5
Teilnehmergruppen
Auswirkungen
179
Wirkfaktoren und Wirkprinzipien 6.1
Wirkprinzipien nach Grawe – 180
6.2
Wirkfaktoren – 183
6.3
Voraussetzungen auf Seiten der Klienten – 185
6.4
Zusammenwirken von Interventionsmaßnahmen, Wirkfaktoren und Wirkprinzipien – 185
6.5
Entwicklungstypen bei den Teilnehmern der Kompetenzenbilanz – 188
6.6
Zusammenfassung – 190
T. Lang-von Wins, C. Triebel, Karriereberatung, DOI 10.1007/978-3-642-20066-3_, © Springer-Verlag Berlin Heidelberg 2012
6
180
Kapitel 6 • Wirkfaktoren und Wirkprinzipien
6 Warum wirkt Beratung?
Wir haben nun erfahren, welche Wirkungen die kompetenzorientierte Laufbahnberatung bei Teilnehmerinnen und Teilnehmern hervorzurufen im Stande ist. Allerdings können wir auf Grundlage dieser Erkenntnisse lediglich relativ ungenaue Annahmen darüber treffen, worauf diese Wirkungen beruhen. Für eine nachhaltige Qualitätssicherung kompetenzorientierter Laufbahnberatung und für ihre Weiterentwicklung hinsichtlich unterschiedlicher Anwendungskontexte ist es jedoch unerlässlich, sich auch mit dem Warum zu beschäftigen. Warum bewirkt kompetenzorientierte Laufbahnberatung eine Steigerung der Kriterien von Anpassungsfähigkeit? Warum ist die Kompetenzenbilanz als sehr kurze Intervention dazu in der Lage, Menschen darin zu unterstützen, proaktiver, optimistischer und mit einem gestärkten Selbstwertgefühl in der eigenen Umgebung wirksam handeln zu können? Bei der Beschäftigung mit den Wirkungen von psychologischen Beratungsprozessen stellt sich vor dem Hintergrund der bisher dazu geleisteten Arbeiten die Frage nach den zugrunde liegenden Wirkungsweisen der unterschiedlichen Ansätze. Ebenfalls weitgehend unbearbeitet ist bisher die Aufgabe, eine theoretische Basis für psychologisch begründete und wirksame Coaching- und somit auch Laufbahnberatungs-Interventionen zu schaffen. Die von dem Therapieforscher Grawe herausgearbeiteten Wirkprinzipien psychologischer Intervention können als Grundfunktionsweisen eines Beratungsprozesses betrachtet werden, an dessen Ende eine motivationale Klärung bzw. die faktische Bewältigung eines Problems steht.
6.1
Wirkprinzipien nach Grawe
Der Psychologe Klaus Grawe entwirft in seinem Werk Psychologische Therapie (Grawe 2000) das Konzept einer Therapie, die nicht einzelnen Therapieschulen, wie etwa der Psychoanalyse, der Verhaltenstherapie, der kognitiven oder der systemischen Therapie verpflichtet ist, sondern versucht, aus der schulenübergreifenden Analyse von Therapieverläufen Wirkprinzipien zu identifizieren, die psychologisch und empirisch begründet innerhalb eines therapeutischen Prozesses wirksam werden. Als zentrale Wirkprinzipien der Psychotherapie und psychologisch orientierter Beratungen beschreibt Grawe die psychischen Funktionsweisen 5 der Intentionsrealisierung, 5 der Intentionsveränderung, 5 der Ressourcenaktivierung und 5 der prozessualen Aktivierung.
Bei diesem Kapitel handelt es sich um eine gekürzte Fassung der bei Triebel (2009, 2010) ausführlich dargestellten Wirkfaktoren und Wirkprinzipien.
6.1 • Wirkprinzipien nach Grawe
z
Selbstbezug
Ressourcenaktivierung
Grawe bezieht sich in der Beschreibung des Wirkprinzips auf die gängige Unterscheidung zwischen der Ressourcen- und der Problemperspektive, von der aus Menschen und deren Symptome und auch Pathologien betrachtet werden können. Grawe geht davon aus, dass eine Problemperspektive mitunter für die Analyse von Sachverhalten und Veränderungszielen sinnvoll und wichtig sein kann, nicht jedoch für die Erarbeitung von Veränderungsmöglichkeiten. Orlinsky, Grawe u. Parks (1994) weisen nach, dass insbesondere die Verantwortungsübernahme für das Erarbeiten von Lösungsmöglichkeiten durch die Klienten eine wichtige Einflussgröße für den therapeutischen Erfolg ist. Unter Ressourcen können in diesem Zusammenhang alle Quellen verstanden werden, »aus denen ein Mensch sein Selbstwertgefühl bezieht« (Orlinsky et al. 1994, S. 34). Darunter können zahlreiche Aspekte der seelischen Gesamtsituation verstanden werden, aber auch Konstellationen, die die Gesamtsituation einer Person betreffen. Eine ressourcenaktivierende Intervention begünstigt den Aufbau einer positiven Bindung zwischen Klient und Therapeut. Sie zielt grundsätzlich darauf ab, die Möglichkeiten eines Patienten oder Klienten aufzuzeigen und diese zu erarbeiten. Wir können in diesem Zusammenhang von einer Veränderung der generalisierten Selbstwirksamkeitserwartungen sprechen, die wiederum als Indikator einer erfolgreichen und wirksamen Intervention verstanden werden können. z
6
Prozessuale Aktivierung
Das Wirkprinzip der prozessualen Aktivierung findet sich in nahezu allen Formen von wirksamen Therapien bzw. psychologischen Interventionen. Interventionen setzen in den meisten Fällen auf den Wert der unmittelbaren Erfahrung. Eine psychologische Intervention ist nicht oder kaum vorstellbar, ohne dass die beratene Person in irgendeiner Weise emotional aktiviert wird. Grawe stellt fest, dass die prozessuale Aktivierung eine wichtige Voraussetzung für Realisierungs- und Klärungsprozesse darstellt, an denen die Klienten eine emotionale Beteiligung verspüren müssen. Zu Beginn eines Beratungsverfahrens sollte somit das Erleben stehen: »Was hier geschieht, hat ganz unmittelbar mit mir zu tun«. Auf dieser Grundlage scheiden testpsychologische Verfahren als Initialmoment einer Beratung a priori aus. Denn in derartigen Verfahren geschieht gerade nichts Emotionales, Aktivierendes, Erlebnishaftes. Ganz im Gegenteil – Tests schaffen Distanz und verhindern derartige Prozesse sogar. z
181
Intentionsveränderung
Grawe bezeichnet dieses Wirkprinzip auch als »motivationale Klärung« (Grawe 2000, S. 90). Er beruft sich in der Ausführung dieses Prinzips auf die Wirksamkeit klärungsorientierter Ansätze, wie sie beispielsweise aus der Individualpsychologie Adlers und der Ge-
Selbstwertgefühl stärken
182
Kapitel 6 • Wirkfaktoren und Wirkprinzipien
sprächspsychotherapie nach Rogers (1959) bekannt sind. Aber auch andere Interventionsansätze, wie beispielsweise die Kurzzeittherapie nach de Shazer (1985), können als Beispiel für wirksame klärungsorientierte Ansätze genannt werden. Im Sinne des hier vorgestellten Wirkprinzips soll die motivationale Klärung die Klienten dazu befähigen, selbstständig Intentionen und Vorhaben für deren Umsetzung zu entwickeln. Somit können Klärung und Realisierung als 2 Phasen eines Prozesses bezeichnet werden. z
Intentionsrealisierung/Problembewältigung
Echte Veränderung anstreben
Nach Grawe ist insbesondere die beraterisch-therapeutische Unterstützung bei der Umsetzung der gesetzten Ziele ein wesentliches Wirkprinzip psychologischer Intervention. Das Wirkprinzip der Intentionsrealisierung wird von Grawe selbst auch als Prinzip der »Problembewältigung« bezeichnet. Gemeint ist im etwas weiteren Sinne ein generell lösungsorientiertes Vorgehen, das einem problem- oder auch defizitorientierten Vorgehen vorzuziehen ist. Somit ist mit dem Prinzip der Intentionsrealisierung ein Aspekt der Intervention gemeint, der die Stärke, die inhaltliche Ausrichtung, die Umsetzbarkeit und damit verbundene Selbstwirksamkeitserwartungen miteinander vereint.
Grundlage: Beziehung
Für Grawe (2000, S. 127ff ) ist eine positive und intakte Beziehung zwischen Berater und Beratenem die Grundlage für die Wirksamkeit der von ihm aufgestellten Wirkprinzipien. Wichtig ist jedoch, dass diese positive Beziehung nicht als eigenständiger Wirkfaktor angenommen werden kann, sondern vielmehr die Grundlage und den Rahmen für eine wirksame Intervention bildet. Insbesondere für die prozessuale Aktivierung ist ein positives Berater-Klient-Verhältnis eine Grundvoraussetzung: 5 Aus der Wahrnehmung des Therapeuten als kompetentem Experten ergeben sich Erwartungen des Klienten hinsichtlich einer Verbesserung seiner Problematik. 5 Wichtig ist, dass der Klient die Wertschätzung des Beraters wahrnimmt und ihn als Verbündeten erkennt, mit dem er gemeinsam seine Ziele verfolgen kann. 5 Zugleich ist von Bedeutung, dass der Berater nicht über den Klienten verfügt, sondern dieser das Gefühl hat, die im Verlauf der Therapie oder der Beratung entstehenden Intentionen selbstbestimmt erreichen zu können.
6
z
Beziehung zwischen Berater und Beratenem
Um einen nachhaltig wirksamen und begründbaren Beratungsprozess zu etablieren, sollten folgende Bedingungen erfüllt sein: 5 Der Berater muss den Beratungsprozess so steuern, dass sich eine Abfolge der Wirkprinzipien prozessuale Aktivierung, Res-
6.2 • Wirkfaktoren
183
6
sourcenaktivierung, Intentionsveränderung und Intentionsrealisierung ergibt. 5 Hierfür stehen dem Berater unterschiedliche Interventionstechniken zur Verfügung. In der Kompetenzenbilanz heißen diese Techniken: Biografische Sammlung, Lebensprofil, Fertigkeiten, Kompetenzen, Nächste Schritte etc. 5 Diese Techniken folgen jedoch keinem Selbstzweck. Sie dienen dazu, bestimmte psychologische Prozesse bei den Teilnehmern auszulösen. Diese Prozesse nennen wir Wirkfaktoren.
6.2 z
Wirkfaktoren Lernen am Erfolg
Das Prinzip des »Lernens am Erfolg« geht auf Skinner (1953) und dessen Feststellung zurück, dass Aufmerksamkeit generell ein positiver Verstärker sei. In psychologischen Interventionen stellen Aufmerksamkeit und positive Rückmeldungen Belohnungen und somit Erfolgserlebnisse des Klienten dar. Diese Rückmeldung kann sowohl in verbaler wie auch in nonverbaler Form erfolgen: Sie kann auch durch die Situation des Zuhörens, des Nachfragens (aktives Zuhören) oder wenigstens durch das Nichtunterbrechen geschehen. Die positive Verstärkung kann bei den Klienten Selbstwirksamkeitserleben fördern. Wesentlich für die Sicherung dieses Wirkprinzips ist die Nachhaltigkeit des Lernens am Erfolg. So kann der positive Verstärkungseffekt sehr bald nach der Intervention ins Negative umschlagen, falls der Klient nicht auch außerhalb der geschützten therapeutischen oder Beratungssituation in der Lage ist, Erfolge zu erleben. z
Förderung des Selbstwirksamkeitserlebens
Selbstwirksamkeitserleben kann nur dann nachhaltig in einer Person verankert werden, wenn dieses sich auch antizipierend auf Situationen außerhalb des therapeutischen Rahmens beziehen lässt. Krapp und Ryan (2002) betonen den Unterschied zwischen Selbstwirksamkeitserleben und Selbstwirksamkeitserwartungen. So kann eine Person sich selbst als wirksam erleben, indem sie der realistischen Auffassung ist, ein bestimmtes Ziel erreichen zu können. Allerdings bedeutet dies nicht notwendigerweise, dass dieselbe Person auch der Überzeugung ist, das Erreichen dieses Ziels sei auch mit positiven Folgen für sie selbst verbunden. Im Hinblick auf die Praxis der Laufbahnberatung ist diese Unterscheidung ganz wesentlich: Ein Klient kann der realistischen Überzeugung sein, ein bestimmtes berufliches Ziel erreichen zu können, will es allerdings nicht wirklich erreichen, weil er in den vergangenen Jahren festgestellt hat, dass seine Neigungen in einer ganz anderen Richtung liegen.
Grundlegende psychologische Prozesse
184
Kapitel 6 • Wirkfaktoren und Wirkprinzipien
z
6
Biografisches Erzählen
Das biografische Erzählen nimmt eine Sonderstellung in der Darstellung von Wirkfaktoren ein. In nahezu jeder psychologischen Intervention findet ein biografischer Bezug im Sinne einer Bezugnahme auf Erlebtes statt. Der Begriff der »narrativen Therapie« wurde von den australischen Psychologen Epston und White (1990) begründet. Insbesondere im Rahmen von Kurzzeittherapien, in der psychologischen Beratung, in der Laufbahnberatungspraxis und in systemischen Interventionsrichtungen hält Biografiearbeit vermehrt Einzug (von Schlippe 2003, S. 39ff ). In der Beschreibung narrativer Therapieansätze (Epston u. White 1990) finden sich allerdings lediglich praktische Hinweise für den Umgang mit Erzählungen (Externalisierung des Problems und ähnliche Techniken) und außerdem Grundlagengedanken über die Beschaffenheit von Erzählungen und deren innere Logik. Hinsichtlich der psychologischen Wirkung bzw. zumindest einer Beschreibung des psychologischen Geschehens wird wenig ausgesagt. Rosenthal (2002) hat auf die mangelnde psychologische Verankerung narrativer Ansätze hingewiesen und aus einer empirischen Studie Schlussfolgerungen über psychologische Wirkfaktoren biografisch-narrativen Erzählens gezogen: 5 Es findet ein Prozess des Selbstverstehens statt. 5 Über die Kognitionen, Emotionen und Motive erfahren nicht nur die Zuhörer, sondern auch die Erzählenden während des Erzählens etwas. 5 Die Argumentation wird aus der Gegenwartsperspektive vorgebracht, während das Erzählen nicht so sehr auf einen Adressaten gerichtet ist, sondern eine Art Dialog mit sich selbst darstellt. 5 Die biografische Erzählung löst eine Art Sog bei den Klienten aus, innerhalb dessen diese in einen »Fluss der Erinnerungen« geraten. Somit wird mehr erzählt, als sich die Person mitunter vorgenommen hat. 5 Durch den Prozess des Erzählens können »schon während der Haupterzählung bei den Biographen bestimmte Einsichten über ihr Leben auftauchen, und dies kann zur Modifikation bzw. Reorganisation ihrer Sicht auf ihr Leben führen« (Fischer-Rosenthal u. Rosenthal 2007, S. 216). 5 Es findet eine »Reorganisation der bisherigen, meist latenten biographischen Gesamtsicht« statt. »Die Lebensgeschichte kann sich nun z. B. stärker in der Gestalt eines aktiven und autonomen Lebens oder einer Kindheit mit unangenehmen, aber auch angenehmen Erlebnissen darbieten« (S. 216). 5 In Anlehnung an Schütze (1984, S. 108) sieht Rosenthal die therapeutische Wirkung biografischen Erzählens darin, »dass mit der Reflexion ‚narrativ explizit gemachter traumatischer Erfahrungen, Erfahrungszusammenhänge und -passagen‘ diese wieder für eine ‚konsistente Identitätskonzeption‘ zurückgewonnen werden« (Fischer-Rosenthal u. Rosenthal 2007, S. 216).
6.4 • Zusammenwirken von Interventionsmaßnahmen, Wirkfaktoren
185
6
5 Bei den Klienten entsteht durch das Erzählen ein »Gefühl von Kontinuität«. Was zuvor als erratisch oder willkürlich wahrgenommen wurde, erhält durch die Erzählung einen Platz in der Entwicklung und wird als unverzichtbarer Teil der individuellen Biografie wahrgenommen.
6.3
Voraussetzungen auf Seiten der Klienten
Aus der Psychotherapieforschung ergeben sich Ressourcen und Voraussetzungen, über die ein Klient verfügen muss, um unabhängig von der therapeutischen Richtung einen erfolgreichen Verlauf der Intervention zu ermöglichen (vgl. Riedel 2003). Dazu zählen: 5 Die Bereitschaft und Fähigkeit zur Veränderung. 5 Die Möglichkeit, an Erfolgen und Positivem im Leben teilnehmen zu können. 5 Die grundsätzliche Voraussetzung, Erfolge auch internal attribuieren zu können. Versucht man, Therapie und Coaching auch klientenseitig voneinander abzugrenzen, so kann man versuchen, neben den Kriterien der grundsätzlichen Eignung auch Ausschlusskriterien zu formulieren, die einen Coachingerfolg verhindern (Kilburg 2000, S. 66, nach Riedel 2003, S. 30): 5 Gravierende Psychopathologie 5 Gravierende interpersonelle Probleme, z. B. Unfähigkeit, Arbeitsbeziehungen zu unterhalten 5 Motivationsmangel: kein Veränderungsdruck 5 Unrealistische Erwartungen an den Coach oder den Coachingprozess 5 Mangelnde Unterstützung von gestellten Hausaufgaben oder Umsetzungsplänen
6.4
Zusammenwirken von Interventionsmaßnahmen, Wirkfaktoren und Wirkprinzipien
Zur Evaluation der Wirkungen der Kompetenzenbilanz und im Weiteren zur Erforschung des Warum ihrer positiven Wirkung wurde eine umfangreiche Interviewstudie durchgeführt (vgl. 7 Kap. 5). Neben der wissenschaftlichen Erkenntnis war eine für die Praxis besonders wesentliche Frage hierbei: Durch welche Interventionsmaßnahme wird welcher psychologische Prozess (Wirkfaktor) in Gang gesetzt, der wiederum zu einer insgesamt erfolgreichen Abfolge der 4 genannten Wirkprinzipien führt? Zu Beginn des Prozesses der kompetenzorientierten Laufbahnberatung wirkt insbesondere die Selbstreflexion der Teilnehmer prozessual aktivierend. Im Folgenden begründet die intensive Beschäftigung
Welche Klienten eignen sich?
186
Kapitel 6 • Wirkfaktoren und Wirkprinzipien
6 Erkennen und Belegen der Kompetenzen sind von zentraler Bedeutung
mit den Kompetenzen eine Ressourcenaktivierung und im Anschluss daran führen das gedankliche Fassen, die sprachliche Formulierung und die schriftliche Niederlegung von Ergebnissen auf eine Intentionsveränderung bzw. eine Intentionsbildung hin. Das Erarbeiten der eigenen Biografie, der Fertigkeiten und Kompetenzen bildet offenbar für die Teilnehmer die inhaltliche Grundlage für das Formulieren ihrer Vorhaben. Die Intentionen werden von den Teilnehmern nicht im Sinne einer Kosten-Nutzen-Rechnung oder einer Erwartung-mal-Wert-Abschätzung gebildet. Sie stellen vielmehr eine von den Teilnehmern als stimmig erlebte Fortsetzung als auf den eigenen Kompetenzen aufbauendes Fortschreiben der eigenen Biografie dar. Das Zusammenwirken der einzelnen Elemente der Kompetenzenbilanz ist in . Tab. 6.1 dargestellt. Sofern man diese Erkenntnis auf andere Beratungsprozesse verallgemeinern will, müssen die Wirkprinzipien und die dazugehörigen Wirkfaktoren in Beziehung zueinander gesetzt werden; dies ist Gegenstand von . Tab. 6.2. Es wird Folgendes deutlich: Das Wirkprinzip der Ressourcenaktivierung wird vor allem durch das Erkennen der Kompetenzen, das Belegen und das Erkennen von Einsatzmöglichkeiten für die eigenen Kompetenzen ausgelöst. Dieser »Auslöser« ist keiner der zuvor genannten psychologischen Wirkfaktoren und kann auch aufgrund der qualitativen Analyse nicht einfach als ein anderer Wirkfaktor bezeichnet werden. Zwar kann angenommen werden, dass zwischen dem Erarbeiten von Kompetenzen und dem Wirkfaktor »Lernen am Erfolg« inhaltlich Ähnlichkeiten erkennbar sind, doch würde uns diese Interpretation von den Äußerungen der Teilnehmer wegführen. Diese äußerten sich eben vor allem über den Wert des Kompetenzenerkennens an sich, weshalb dieses Themenfeld in der Übersicht auch den Rang eines eigenen Wirkfaktors einnimmt. Darüber hinaus fällt zudem auf, dass die Wirkprinzipien insbesondere durch ein Zusammenspiel von Selbstreflexion und kognitiver bzw. schriftlicher Fixierung in Gang gesetzt werden. Nicht die Interaktion mit dem Coach oder eine ganz bestimmte Herangehensweise oder Technik wird von den Teilnehmern als besonders wertvoll und wirksam beschrieben, sondern das strukturierte Nachdenken und das genaue Festhalten der erarbeiteten Ergebnisse. Im Hinblick auf die Intentionsbildung bzw. die inhaltliche Füllung der entstandenen Intentionen wird aus dem zuvor Dargestellten folgendes deutlich: Die Teilnehmer bilden die Intentionen aufgrund der von ihnen erarbeiteten Kompetenzen und im Abgleich mit diesen. Die erarbeiteten Kompetenzen bzw. Ressourcen bilden somit eine Art kategoriales Bewertungssystem, anhand dessen künftige Vorhaben beurteilt werden können. Passen die Intentionen zu den Kompetenzen, so werden sie als Ziele weiterverfolgt, passen sie nicht, wird der Rubikon nicht überschritten.
Biografische Sammlung
Selbstreflexion, Werte, Struktur, kognitive Fixierung
Prozessuale Aktivierung
Prozess- / Interventionsschritt
Wirkfaktoren
Wirkprinzip
Prozessuale Aktivierung, Ressourcenaktivierung
Selbstreflexion, kognitive Fixierung, narrative Beschäftigung mit der eigenen Biografie
Lebensprofil
Ressourcenaktivierung
Selbstreflexion, Lernen am Erfolg, Belohnung durch Aufmerksamkeit, kognitive/ schriftliche Fixierung
Fertigkeiten/ Tätigkeiten
Ressourcenaktivierung
Kognitive Fixierung, Struktur
Kompetenzen herausarbeiten
Intentionsveränderung/ Intentionsbildung
Selbstreflexion, Perspektivwechsel, kognitive Fixierung von Unterschieden zwischen Ist und Soll
Folienfragebögen
Ressourcenaktivierung
Kognitive/ schriftliche Fixierung
Lebenslauf
. Tab. 6.1 Zusammenhang zwischen Interventionsschritten, Wirkfaktoren und Wirkprinzipien. (Nach Triebel 2009, 2010)
Intentionsveränderung/ Intentionsbildung
Kognitive Fixierung
Aktionsplan
Ressourcenaktivierung (Ergebnissicherung)
Belohnung, verstärkt durch Außenperspektive, kognitive/ schriftliche Fixierung
Schriftliche Bilanz
Intentionsrealisierung
Lernen am Erfolg
Umsetzung von Zielen
6.4 • Zusammenwirken von Interventionsmaßnahmen, Wirkfaktoren
187
6
188
Kapitel 6 • Wirkfaktoren und Wirkprinzipien
. Tab. 6.2 Wirkprinzipien und Wirkfaktoren in der Kompetenzenbilanz (Triebel 2009, 2010) Wirkprinzip
Prozessuale Aktivierung
Ressourcenaktivierung
Intentionsveränderung/Intentionsbildung
Intentionsrealisierung
Ausgelöst durch die Wirkfaktoren …
Selbstreflexion, »Emotionale Berührtheit«, Verständnis des Prozesses, Transparenz
Kompetenzen erkennen, Kompetenzen bestätigen, Möglichkeiten für den Einsatz der Kompetenzen finden, Kompetenzen einsetzen, Kompetenzen darstellen können
Selbstreflexion, sprachliche und kognitive Fixierung, Ausrichtung der Intentionen an den eigenen Kompetenzen als kategorialem Bewertungssystem
Keine eigenen Wirkfaktoren, Hindernisse: keine Intentionsveränderung/ Intentionsbildung, keine Planung, Geldund Zeitmangel, Arbeitsmarktsituation
6 6.5
Wer entwickelt sich wie?
Entwicklungstypen bei den Teilnehmern der Kompetenzenbilanz
Ausgehend von einer längsschnittlichen Betrachtung der Interviews lassen sich 4 Entwicklungstypen unterscheiden, die im Folgenden skizziert werden. Drei Beschreibungskategorien haben sich für die Typenbildung als sinnvoll erwiesen:
z
Zufriedenheit
Personen, die zum 4. Interview mit ihrer Situation zufrieden waren. z
Entschlossenheit
Hier wurde bewertet, ob die Teilnehmer im Laufe der Kompetenzenbilanz oder in der Folge zu einem Entschluss gekommen sind, den sie im Weiteren verfolgen wollen. z
Umsetzung
Hierunter wird beschrieben, ob Personen ihr jeweiliges Vorhaben überwiegend umgesetzt haben oder tatenlos geblieben sind. Aus einer Kombination dieser Beschreibungskategorien ergeben sich die folgenden Typisierungen von Teilnehmern der Kompetenzenbilanz. k Zufrieden entschlossene Umsetzer … Wirkung mitunter mit Zeitversatz
… beginnen die Kompetenzenbilanz teils mit Leidensdruck, teils mit positiver Veränderungserwartung. Sie erleben einen intensiven Prozess, zum Teil mit dem Erlebnis der Bereicherung, zum Teil aber auch Irritation durch den Prozess und zeitweilige Unzufriedenheit und Unrast. Im Verlauf der Kompetenzenbilanz bilden sie Intentionen und treffen eine Entscheidung (nicht immer während des Prozesses, manchmal auch im Anschluss). Bis 2 Monate nach dem Prozess werden sie tätig und setzen die während des Coachings entwickelten
6.5 • Entwicklungstypen bei den Teilnehmern der Kompetenzenbilanz
nächsten Schritte um. Sie setzen mindestens eines ihrer Vorhaben um und verbessern dadurch ihr Selbstwertgefühl und ihre Proaktivität. Sie erweitern ihr Stressverarbeitungsinventar. Zuweilen sind sie jedoch durch die Veränderungen sehr in Anspruch genommen. Diese Beanspruchung mindert allerdings nicht die generell gestiegene Zufriedenheit mit ihrer Situation. Für diese Teilnehmer typische Äußerungen sind z. B.: »Die Kompetenzenbilanz war der Startschuss für Veränderungen« oder »Die Kompetenzenbilanz hat mir dabei geholfen, bestimmte Dinge endlich in Angriff zu nehmen«. Zuweilen gibt es auch Personen, die bis zum letzten Interview noch kein Ziel umgesetzt haben, aber sich noch immer vom Verfahren aktiviert fühlen und angeben, diese »kreative Unruhe« zum Zeitpunkt des Interviews in die Umsetzung und konkrete Formulierung ihrer Vorhaben münden zu lassen. k Zufrieden unentschlossen Tatenlose …
… beginnen die Kompetenzenbilanz aus Interesse an der Selbstreflexion und Standortbestimmung, mehrfach beispielsweise während der letzten Zeit eines Studiums oder während sich Veränderungsereignisse abzeichnen, die mit großer Sicherheit eintreten werden. Sie machen im Zuge der Kompetenzenbilanz häufig interessante Erfahrungen, häufig – aber nicht immer – erleben sie Aha-Effekte. Häufig erleben sie die Kompetenzenbilanz als intensiven Prozess. Sie bilden keine oder kaum Intentionen, erfahren häufig eine Stärkung des Selbstwertgefühls und eine Erhöhung des Kompetenzerlebens. Im Anschluss an den Prozess äußern sie sich typischerweise folgendermaßen: »Zufrieden mit sich und der Welt«, »Kompetenzenbilanz war interessant, aber geändert hat sich nichts – muss auch nicht sein«, »Innerlich hat sich viel geändert, äußerlich jetzt nicht so«. k Unzufrieden entschlossene Umsetzer …
… wie glücklich entschlossene Umsetzer – allerdings ist die Umsetzung nur von kurzer Dauer, da äußere oder innere Umstände das weitere Verfolgen des Ziels verhindern. So wird etwa eine neu angetretene Stelle gekürzt oder gekündigt, ohne dass die Person einen Einfluss auf dieses Geschehen hat oder erkennen kann. Im Anschluss sind diese Teilnehmer besonders frustriert; sie berichten von einem Stagnationsgefühl oder der Verschlechterung von Selbstwertgefühl und Selbstwirksamkeitserwartungen. Als dazu kontrastierende Darstellung vgl. die Schilderung von Claudia, der Notfallschwester, in 7 Abschn. 5.5. k Unzufrieden unentschlossen Tatenlose/Resignierte …
… beginnen die Kompetenzenbilanz hoffnungsvoll, sehen sie zum Teil als Rettungsanker; erleben einen intensiven Prozess, erleben AhaErlebnisse und Begeisterung. Sie bilden Intentionen, treffen eine Entscheidung und versuchen im Anschluss an die Kompetenzenbilanz tätig zu werden, erreichen aber bis 2 Monate nach der Kompetenzen-
189
6
190
Kapitel 6 • Wirkfaktoren und Wirkprinzipien
bilanz keine Umsetzung. Zuweilen werden sie auch gar nicht tätig, weil frühzeitig Hindernisse auftauchen, die in der Planung zu wenig berücksichtigt worden sind (Zeit, Geld, Familie). Im Anschluss sind diese Teilnehmer besonders frustriert; sie berichten ein Gefühl der Stagnation, die Verschlechterung von Selbstwertgefühl und Selbstwirksamkeitserwartungen. Eine beispielhafte Äußerung lautet: »Die Kompetenzenbilanz ist zwar toll, hilft aber doch nichts.« z
Indifferent
Abgesehen von der Systematik der 3 oben vorgestellten Kategorien und ihrer Kombinationsmöglichkeiten gibt es noch eine Gruppe von Personen, die weder als glücklich noch als unglücklich bezeichnet werden können, die kein Vorhaben geplant haben und nicht erkennbar etwas umgesetzt haben. Diese Personen haben die Kompetenzenbilanz ohne bestimmten Anlass begonnen, empfanden diese als interessant, haben jedoch kein Ziel erarbeitet. Häufig rationalisieren diese Personen den Prozess der Kompetenzenbilanz. Sie beschreiben ihn als interessant, lassen sich davon jedoch nicht emotional bewegen. Es ist zu vermuten, dass der Aspekt der prozessualen Aktivierung in diesen Fällen nicht stattgefunden und in der Regel von den jeweiligen Teilnehmern vermieden worden ist. Zum Teil haben die betreffenden Teilnehmer die Kompetenzenbilanz auch zu einem Zeitpunkt gemacht, an dem keine besondere Veränderung möglich war, weil beispielsweise noch eine Prüfung bevorsteht und erst nach dem 4. Interview abgelegt wird. Die Typen verteilen sich folgendermaßen auf die zugrunde liegende Stichprobe von Teilnehmern der Interviewstudie zur Evaluation der Kompetenzenbilanz: 5 Zufrieden entschlossene Umsetzer: Jeder zweite Teilnehmer der Interviewstudie ist dieser Gruppe zuzuordnen (50%). 5 Zufrieden unentschlossen Tatenlose: Jeder vierte Teilnehmer kann dieser Gruppe zugeordnet werden (25%). 5 Unzufrieden entschlossene Umsetzer: 6% der Teilnehmer lassen sich dieser Kategorie zuordnen. 5 Unzufrieden unentschlossene Tatenlose: ebenfalls 6% der Teilnehmer lassen sich dieser Kategorie zuordnen. 5 Indifferente: Diese Kategorie umfasst 12% der Teilnehmer.
6
6.6 Besondere Bedeutung von Selbstreflexion und kognitivem Fixieren
Zusammenfassung
Insbesondere die Wirkfaktoren »Selbstreflexion« und »Kognitives/ schriftliches Fixieren« haben für die Teilnehmer im Verlauf der Kompetenzenbilanz immer wieder besondere Bedeutung. Die Selbstreflexion geschieht zuweilen auf dem Wege der narrativen Beschäftigung mit der eigenen Biografie im Sinne Rosenthals (Rosenthal 2002; Fischer-Rosenthal u. Rosenthal 2007). Wesentlich bei dieser Beschäftigung ist die grundsätzlich ressourcenorientierte Herangehenswei-
6.6 • Zusammenfassung
se, durch die die Teilnehmer immer wieder Erfolgserlebnisse in der Beschäftigung mit den eigenen Tätigkeiten erleben und diese wertzuschätzen lernen. Insbesondere schildern es die Teilnehmer als Erfolgserlebnis, die Reichhaltigkeit der eigenen Biografie zu entdecken, weshalb dieser Vorgang als »Lernen am Erfolg« (oder auch »Positive Verstärkung«) eingeordnet werden kann. Der Begriff »Lernen am Erfolg« trifft die Beratungswirklichkeit innerhalb der Kompetenzenbilanz besser als »Positive Verstärkung«, denn das Individuum wird innerhalb der Kompetenzenbilanz als aktiv lernend verstanden und nicht als passiv verstärkter Gesprächspartner. Diese Haltung sollte zumindest von den Coaches eingenommen werden. Es wird deutlich, dass die Kompetenzenbilanz auch ein wertorientiertes Verfahren ist. Wichtig ist es für die Coaches, sich dieser Werteorientierung, die sich vor allem auf die positive Wertschätzung der Erfahrungen der Teilnehmer bezieht, in der Umsetzung des Verfahrens bewusst zu sein und zugleich den psychologisch begründeten Interventionsschritten der Kompetenzenbilanz zu folgen. Auch sollte die Kompetenzenbilanz nicht als allgemein gültiges Vorgehen für alle Lebens- und Problemlagen genutzt werden. Ziel des Verfahrens bleibt die Laufbahnberatung, die Beschäftigung mit Anlässen also, die vorwiegend beruflich motiviert sind. Dass sich hierbei auch Effekte ergeben, die deutlich über das berufliche Umfeld hinausreichen, soll jedoch nicht bestritten oder vermieden, sondern vielmehr begrüßt werden. So berichten die Teilnehmer von einem vertieften Verständnis für die eigene Lebensgeschichte, das sie durch die Kompetenzenbilanz erlangt haben. Immer wieder ist von »roten Fäden« die Rede oder auch davon, dass sie Stolz empfinden angesichts der Erfahrungen, die sie bereits gemacht, und der Leistungen, die sie in ihrem Leben vollbracht haben. Sie berichten außerdem mit Überraschtheit und Freude von der Erkenntnis, dass auch private Erfahrungen von wichtiger Bedeutung für ihren weiteren Lebensweg sind. All diese Aspekte sind für die Teilnehmer nicht immer neu. In der Kompetenzenbilanz erhalten sie jedoch offenbar die Gelegenheit, sich intensiv und detailliert mit den eigenen Erfahrungen zu befassen. Diese Selbstreflexion in Verbindung mit der jeweils erfolgenden Fixierung (schriftlich, mündlich, kognitiv) ist als besonderer Nutzen und Wirkfaktor der Kompetenzenbilanz zu sehen. Stets wird betont, das Nachdenken und das »Auf-den-Punkt-Bringen« der reflektierten Inhalte seien für die Teilnehmer besonders wichtig gewesen. Wesentlich ist es außerdem, dass es die Teilnehmer als sehr wichtig empfanden, die Kompetenzenbilanz gemeinsam mit einem Coach zu durchlaufen. Allerdings kann aus dieser Wertschätzung der Zusammenarbeit kein eigener Wirkfaktor abgeleitet werden. Vielmehr kann die Arbeitsallianz mit dem Coach als Basis für den gesamten Prozess bezeichnet werden. Als Wirkfaktoren können aus der Arbeit mit dem Coach insbesondere solche Faktoren wie »Lernen am Modell« und »Aufmerksamkeit als Verstärker« als wirksam abgeleitet
191
6
Wertorientiertes Verfahren
192
6
Kapitel 6 • Wirkfaktoren und Wirkprinzipien
werden. Die Teilnehmer lernen mit dem Coach ein Modell kennen, das der eigenen Biografie wertschätzend gegenübersteht und sich dieser mit großer Aufmerksamkeit widmet. Diese Erfahrung wird von den Teilnehmern als ausgesprochen angenehm empfunden. Sie lernen durch diese Auseinandersetzung mit einem interessierten Gegenüber, auch selbst der eigenen Biografie, den eigenen Tätigkeiten und Lernerfahrungen wertschätzend gegenüberzustehen. Insgesamt muss die Kompetenzenbilanz als interpersonelles Geschehen betrachtet werden; sie kann nicht auf die einzelnen Schritte innerhalb der Arbeitsmaterialien reduziert werden. Im Zusammenwirken der Methoden und dem Geschehen zwischen Teilnehmer und Coach liegt ihre besondere Qualität begründet, die keinesfalls in ähnlicher Weise zu erwarten wäre, wenn Teilnehmer einer Laufbahnberatungsmaßnahme an einem Test oder einer standardisierten Berufsinformationsveranstaltung teilnehmen würden.
193
Anwendungsfelder und Einsatzmöglichkeiten der Kompetenzorientierten Laufbahnberatung 7.1
Nutzen und Wert – 194
7.2
Jugendliche – 195
7.2.1 7.2.2 7.2.3
7.2.4
Problemstellung – 195 Vorgehen – 196 Beispiel für die methodische Vorgehensweise der Kompetenzwerkstatt: »Einen Berg besteigen« (Lang-von Wins et al. 2005b) – 198 Projekte und Erfahrungen – 199
7.3
Outplacement und Erwerbslosigkeit – 201
7.3.1 7.3.2
Problemstellung – 201 Vorgehen und Erfahrungen – 202
7.4
Existenzgründung – 204
7.4.1 7.4.2
Problemstellung – 204 Vorgehen und Erfahrungen – 205
7.5
Personalentwicklung – 207
7.5.1 7.5.2
Problemstellung – 207 Vorgehen – 208
7.6
Beratung von Menschen mit Migrationshintergrund – 211
7.6.1 7.6.2
Problemstellung – 211 Vorgehen – 213
7.7
Weitere Möglichkeiten – 214
T. Lang-von Wins, C. Triebel, Karriereberatung, DOI 10.1007/978-3-642-20066-3_, © Springer-Verlag Berlin Heidelberg 2012
7
194
Kapitel 7 • Anwendungsfelder und Einsatzmöglichkeiten der Kompetenzorientierten
7.1 Subjektiver Wert und objektiver Nutzen
7
Nutzen und Wert
Die Kompetenzenbilanz wurde als eine Methode entwickelt, die sich intensiv mit dem Individuum beschäftigt. Es handelt sich um einen Prozess, der eine vertiefte Reflexion anregen soll. Der Nutzen einer kompetenzorientierten Laufbahnberatung ist in diesem Sinne erfüllt, wenn die teilnehmende Person einen Wert in dem Vorgehen der Beratung erkennen kann, wenn sie also zufrieden ist. Bei der Kompetenzenbilanz handelt es sich jedoch nur um eine von mehreren Möglichkeiten, auf der Grundlage einer Kompetenzbetrachtung eine Interventionsmaßnahme durchzuführen. Dieser spezielle Weg legt ein sehr strukturiertes Vorgehen fest, das sich für die Beratung von Einzelpersonen mit einer bestimmten Fragestellung (Standortbestimmung) als äußerst effizient und effektiv erwiesen hat (vgl. Lang-von Wins u. Triebel 2005). In diesem Abschnitt stellen wir dar, in welcher Weise sich der hinter der Methode stehende Ansatz einer kompetenzorientierten Laufbahnberatung auf verschiedene Kontexte übertragen lässt. Während für das Individuum der Wert oder der Sinn einer Laufbahnberatung als Erfolgskriterium genügen mag, so ist in anderen Kontexten auch der Nachweis eines unmittelbaren unternehmerischen oder gesellschaftlichen Nutzens unabdingbar. Eine kompetenzorientierte Vorgehensweise kann auch dann einen Wert haben, wenn sie keinen unmittelbaren Nutzen nach sich zieht. Umgekehrt kann auch ein unmittelbarer Nutzen entstehen, der aber nicht für alle an einem Prozess beteiligten Personen einen gleich hohen Wert hat. Wert und Nutzen sind also Begriffe, die auf unterschiedlichen Ebenen operieren. Während der Wert einer Beratung eher an das Empfinden des Individuums gebunden ist, bezieht sich der Nutzen stets auf operative Prozesse, für die – dies jeweils auch perspektivgebunden – ein messbarer Gewinn entsteht.
Verschiedene Rahmenbedingungen ziehen unterschiedliche Vorgehensweisen nach sich
Die Unterscheidung von Nutzen und Wert ist grundlegend, wenn wir uns im Folgenden mit unterschiedlichen Einsatzmöglichkeiten kompetenzorientierter Beratung beschäftigen. Darüber hinaus wenden wir uns den besonderen Rahmenbedingungen zu, die sich aus einer Einbettung kompetenzorientierter Laufbahnberatung in unterschiedliche Kontexte ergeben. Diese Rahmenbedingungen und Anforderungen können erheblichen Einfluss auf die Struktur des Prozesses und auch auf das Verhältnis zwischen Coach und Teilnehmer haben. Die Kompetenzenbilanz ist ein auf die Bedürfnisse von Individuen zugeschnittenes Coachingverfahren. Im Mittelpunkt stehen zunächst immer das Bedürfnis des Individuums, seine Zufriedenheit und sein Schutz. Es besteht eine Übereinkunft darüber, dass die Beratung in einem geschützten Rahmen stattfindet, dass der Coach
7.2 • Jugendliche
»Anwalt« des Teilnehmers ist, dass er über die besprochenen Inhalte Dritten gegenüber keine Auskunft erteilen wird etc. Eine kompetenzorientierte Laufbahnberatung, an deren Ergebnis nicht nur der Teilnehmer interessiert ist, sondern auch ein nicht unmittelbar in den Beratungsprozess involvierter Dritter, verändert zwangsläufig das Beziehungsgefüge zwischen Coach und Teilnehmer. Der u. U. nicht leicht vermittelbare Wert der Beratung wird dann auf seinen Nutzenaspekt hin überprüft. Um einem solchen Nutzen zu genügen, werden sich sowohl Coach als auch Teilnehmer »anders« verhalten, als wenn sie in einem gleichberechtigten und nicht auf einen Nutzenaspekt hin ausgerichteten Setting aufeinander treffen. Dennoch können wir Grundprämissen der kompetenzorientierten Laufbahnberatung festhalten, die einen Transfer des Denkens in Kompetenzen in unterschiedliche Kontexte erlaubt. Diese Grundprämissen lassen sich wie folgt zusammenfassen: 5 Menschen lernen lebenslang. 5 Menschen erwerben Kompetenzen zu einem wesentlichen Teil durch Erfahrung. 5 Kompetenzen sind Selbstorganisationsdispositionen. 5 Kompetenzen sind auf unterschiedliche Kontexte übertragbar. 5 Kompetenzen sind Konstrukte, die in besonderer Weise dazu geeignet sind, aus vergangenem Verhalten Hypothesen darüber abzuleiten, wie Personen in der Lage sind, mit neuen und noch weithin unbekannten Anforderungen zurechtzukommen. 5 Kompetenzen sind Personen nicht unmittelbar zugänglich; es erfordert eine gerichtete Auseinandersetzung mit den eigenen Fertigkeiten und Fähigkeiten, um Kompetenzen identifizieren und beschreiben zu können. 5 Personen erleben es als bereichernd, sich mit den eigenen Kompetenzen auseinander zu setzen. 5 Das Erkennen der eigenen Kompetenzen hat einen positiven Einfluss auf das eigenverantwortliche Handeln von Personen. 5 Die Kenntnis der eigenen Kompetenzen begünstigt den gezielten Einsatz dieser Kompetenzen.
195
7
Konstante Grundprämissen
In den folgenden Abschnitten dieses Kapitels gehen wir auf Anwendungsmöglichkeiten der Kompetenzenbilanz in unterschiedlichen Kontexten ein.
7.2
Jugendliche
7.2.1
Problemstellung
Schüler und Lehrlinge gehören einer Altersgruppe an, in der ein biografischer Rückblick für die Teilnehmer nicht hilfreich und zielführend zu sein scheint. Es haben sich zu wenige biografische Erfahrungen angesammelt, die einen reichhaltigen und bereichernden Prozess in der
Rückblick unergiebig
196
Kapitel 7 • Anwendungsfelder und Einsatzmöglichkeiten der Kompetenzorientierten
Bilanzierung versprechen würden. Schüler und Lehrlinge benötigen einerseits eine Unterstützung in dem Prozess der Berufswahl, andererseits können sie mit Hilfe einer kompetenzorientierten Vorgehensweise in gewissem Maße lernen, ihre eigene Zukunft als durch eigenes Entscheiden und Handeln formbar wahrzunehmen. Es interessiert Jugendliche also meist nicht so sehr, welche Entwicklungen in der eigenen Biografie zu der aktuellen Situation geführt haben, vielmehr geht es darum, normative Entwicklungsaufgaben möglichst gut zu bewältigen. Aufgabe kompetenzorientierter Laufbahnberatung ist es insbesondere bei Jugendlichen, die biografische Gestaltungsfähigkeit zu fördern, sie also darin zu unterstützen, die eigene Zukunft nicht passiv hinzunehmen, sondern sie den eigenen Interessen und Stärken gemäß zu formen. Ein rein methodisches Argument dafür, im Umgang mit Jugendlichen den biografischen Aspekt nicht in den Mittelpunkt des Verfahrens zu rücken, beruht auch auf der Tatsache, dass sich typische biografische Muster in der relativ kurzen Biografie von Lehrlingen und Schülern noch nicht herausgebildet haben. Gerade durch die bevorstehenden Entscheidungen werden sich die roten Fäden, nach denen im ersten Schritt der Kompetenzenbilanz gesucht wird, erst herausbilden.
7
7.2.2 Kompetenzwerkstatt
Inhalte
Vorgehen
Die »Kompetenzwerkstatt« ist eine methodische und inhaltliche Adaptierung der Grundannahmen der kompetenzorientierten Laufbahnberatung auf die Lebenswelt von Jugendlichen (vgl. Lang-von Wins, Thelen u. Triebel 2007). Ausgehend von einem am Zukunftszentrum Tirol im Jahr 2005 initiierten Pilotprojekt und den dort gemachten positiven Erfahrungen hat das Verfahren mittlerweile große Verbreitung an Schulen gefunden. Nach der oben geschilderten Fragestellung sollte kompetenzorientierte Laufbahnberatung für Jugendliche mehrere Einheiten umfassen, die aufeinander abgestimmt sind und inhaltlich ineinander greifen: 5 Ergründen und beschreiben der eigenen Interessen 5 Erkennen der eigenen Stärken 5 Formulieren von nahen und fern liegenden Zielen 5 Ableiten eines konkreten Projekts, in welchem die Jugendlichen einem ihrer Ziele näher kommen können 5 Projektarbeit, in der Erfahrungen gemacht werden, die für die weitere Entscheidungsfindung ausgewertet werden können 5 Auswertung der Erfahrungen im Projekt und ggf. Korrektur der zuvor gesetzten Ziele 5 Information über mögliche Berufsfelder 5 Abgleich eigener Stärken mit den Anforderungen des angestrebten Berufsfelds
7.2 • Jugendliche
197
7
5 Abgleich eigener Interessen mit der Beschaffenheit des angestrebten Berufsfelds 5 Förderung der biografischen Gestaltungsfähigkeit der Jugendlichen Jugendliche sollen also nach der Teilnahme an der Kompetenzwerkstatt in der Lage sein, berufliche Entscheidungen bewusst zu treffen und zu wissen, warum sie ein bestimmtes Berufsfeld anstreben und was sie dazu in die Lage versetzt, in dieser Branche tätig zu werden. Sie sollen lernen, für ihr Ziel zu argumentieren, indem sie gegenüber sich selbst, aber auch anderen gegenüber belegen können, warum sie eine bestimmte Entscheidung treffen. Wesentlich hierfür ist die Zielorientierung eines solchen Verfahrens. Aus dieser Zielsetzung, die sich nur graduell von den Zielen der Kompetenzenbilanz unterscheidet, folgt, dass es in der Kompetenzwerkstatt eher um einen Blick nach vorn gehen muss, als um einen Rückblick in die eigene Biografie. Insofern unterscheidet sich die Kompetenzwerkstatt erheblich von herkömmlichen Berufsberatungsprozessen. Den Jugendlichen soll nicht ein Angebot verschiedener Berufsmöglichkeiten unterbreitet werden, vielmehr sollen sie in diesem Prozess die Möglichkeit haben, ihre Erfahrungen im Umgang mit der Arbeitswelt für sich selbst besser zugänglich und damit hinterfragbar zu machen. Im Gegensatz zur Kompetenzenbilanz, die innerhalb von 4 Wochen durchführbar ist, kann eine solche Interventionsmaßnahme bei Jugendlichen nur wirksam werden, wenn sie über einen längeren Zeitraum stattfindet. So sollte die Kompetenzwerkstatt im Idealfall mit wöchentlichen Terminen über einen Zeitraum von ca. 4 Monaten durchgeführt werden. Aber auch eine kürzere Durchführungszeit ist möglich, wenn die einzelnen Inhalte beispielsweise im Block stattfinden können und der Ablauf die im Folgenden beschriebenen Phasen enthält. Die Vorbereitungsphase beinhaltet biografisches Arbeiten, eine Darstellung der eigenen Stärken und das Erarbeiten der nahen und fernen beruflichen und privaten Ziele. Aus diesen Zielen erarbeiten die Jugendlichen ein Projekt, welches sie in Bezug auf ein Ziel oder einen Aspekt eines Ziels weiterbringt. Die Projektphase ist ein Praxisteil, in dem Jugendliche ein für sie persönlich wichtiges, interessantes und nicht leicht durchzuführendes Projekt planen und durchführen. Projekte können einzeln oder in der Gruppe entworfen und durchgeführt werden. Die Nachbereitungsphase dient der Auswertung und Bewertung des durchgeführten Projekts. Im Mittelpunkt stehen dabei die Fragen, was die Jugendlichen im Projekt in Bezug auf ihre eigenen Ziele gelernt haben, welche eigenen Stärken sie erkannt haben, aus welchen Fehlern sie lernen konnten, in welcher Weise sich die Ziele verändert haben, welche neuen Projektideen sie haben und welche Schlüsse sie aus diesem Prozess für ihre weitere Ausbildungs- und Berufswahl ziehen.
Ziel: biografische Gestaltungsfähigkeit
Zeitaufwand
Phasen der Kompetenzwerkstatt
198
Kapitel 7 • Anwendungsfelder und Einsatzmöglichkeiten der Kompetenzorientierten
Kompetenzbilanzierung in der Gruppe
Darüber hinaus beinhaltet die Kompetenzwerkstatt noch weitere interessante Aspekte: So ist das entwickelte Verfahren nicht nur für Jugendliche und für den unmittelbaren Berufsfindungsprozess sinnvoll, sondern adaptiert die Kompetenzenbilanz als niederschwelliges Verfahren, das auch in der Gruppe durchgeführt werden kann. Dabei bedarf es nur geringfügiger Anpassungen, um die Vorgehensweise des gegenseitigen Coachings bzw. des geleiteten gegenseitigen Interviewens so anzupassen, dass auch Erwachsene in einem Gruppenprozess, beispielsweise im Rahmen eines Intensiv-Workshops, dieses kompetenzorientierte Verfahren durchlaufen können (s. hierzu auch 7 Abschn. 7.5, »Personalentwicklung«).
7.2.3
7
Spielerische Projektplanung
Beispiel für die methodische Vorgehensweise der Kompetenzwerkstatt: »Einen Berg besteigen« (Lang-von Wins et al. 2005b)
Die Möglichkeiten, die Bearbeitung von Zielen auf der Grundlage eigener Ressourcen zu systematisieren, sind ausgesprochen vielfältig. Die Bearbeitung von Zielen ist andererseits auch ein besonders wichtiger Bestandteil der Beratung. Die folgende Übung wird im Rahmen der Kompetenzwerkstatt eingesetzt, um auf spielerische Art und Weise eine Projektplanung anzustoßen. Darüber hinaus ist eine Anwendung in anderen Kontexten grundsätzlich möglich. Das Ziel bzw. das Projekt wird als Berg aufgefasst, dessen Höhe und Schwierigkeit die Jugendlichen selbst festlegen (als Maßstab können sowohl »objektive« Vergleichsmaßstäbe ausgehend von einem kleinen Hügel bis zum Mount Everest als auch »subjektive« Einordnungen, wie die Schwierigkeit bisher bewältigter Probleme und Aufgaben, dienen). In der Regel wird der Berg zweidimensional dargestellt, eine dreidimensionale Darstellung wäre der Metapher angemessener, würde aber als Aufgabe durch die damit verbundenen Anforderungen selbst zu sehr in den Vordergrund treten. Erfahrungsgemäß wird der Berg das Blatt füllen, häufig ist es nur eine Flanke des Berges, der die Aufmerksamkeit der Jugendlichen gilt und die sie entsprechend gestalten. Die Einordnung in den größeren Maßstab bereits bewältigter Probleme (anderer Berge) ist als abschließender Schritt der Übung sinnvoll; sie kann z. B. in Form einer Bergkette erfolgen, in die bisher bewältigte Probleme bzw. durchgeführte Projekte Eingang als unterschiedlich gestaltete Gipfel finden, denen zum Schluss dann der aktuelle Berggipfel hinzugefügt wird. Die Jugendlichen können ihren Berg aus unterschiedlichen Materialien erstellen (z. B. aus verschiedenfarbigem Bastelpapier, wobei unterschiedliche Farben Schwierigkeitsgrade symbolisieren können) oder die Flanke des Berges zeichnen, an der ihr Weg hinauf führt. Der Berg symbolisiert die Anforderungen, die mit der zu bewältigenden Aufgabe verbunden sind; die gewählte Aufstiegsroute den Weg ihrer Bewältigung.
7.2 • Jugendliche
Im zweiten Schritt packen die Jugendlichen ihren Rucksack mit denjenigen persönlichen Ressourcen, die ihnen am wichtigsten für den Aufstieg und damit die Bewältigung der vor ihnen liegenden Aufgabe erscheinen. Danach werden sie dazu aufgefordert, sich Gedanken darüber zu machen, ob sie die Aufgabe nicht auch mit Unterstützung anderer Menschen lösen können; sie sollen ein Team zusammenstellen, das mit ihnen den Berg gemeinsam besteigt. Dabei müssen sie darauf achten, wer ihnen auf welcher Etappe hilfreich sein kann. An diesem Punkt sollten die Jugendlichen dazu ermuntert werden, über ihr bestehendes Netzwerk hinauszudenken und sich zunächst zu überlegen, über welche Eigenschaften ihre Begleiter idealerweise verfügen sollten. Im nächsten Schritt werden Zwischenziele festgelegt, die durch Hütten symbolisiert werden. Auch hier sind Variationen möglich, die über eine Beschränkung der Hüttenzahl bis zu besonderen Ausstattungsmerkmalen reichen. Die Hütten haben auch den Charakter von Raststationen, die z. B. nach besonders schwierigen Etappen angesteuert werden können. Gleichzeitig stehen sie für Orientierungspunkte, die eine Rückschau auf den zurückgelegten Weg anregen und die Möglichkeit einer Aktivierung von Ressourcen für die bevorstehende nächste Etappe ermöglichen. Im Sinne eines guten Selbstmanagements werden die Jugendlichen dazu ermuntert, das Erreichen einer Hütte als Metapher für das Erreichen eines bedeutsamen Zwischenziels zu betrachten und sich Möglichkeiten zu überlegen, in welcher Form sie sich dafür belohnen können. Nach der Gestaltung ihres Bergs stellen die Jugendlichen die Besonderheiten des Aufbaus, ihres Rucksacks, ihres Teams und der durch die Hütten symbolisierten Etappenziele argumentativ dar. Mit diesem Schritt erfolgt die argumentative Verstärkung des gewählten bildhaften Vorgehens. Auf diese Weise lernen alle Teilnehmer die Vorgehensweisen und Ziele der anderen kennen und regen sich gegenseitig zum Weiterdenken an.
7.2.4
199
7
Ressourcen festlegen
Projekte und Erfahrungen
Die »Kompetenzwerkstatt« hat als stärkenorientiertes Curriculum an Schulen unterschiedlichen Typs Verbreitung gefunden und wird auch außerhalb der Institution Schule angeboten (z. B. am Zukunftszentrum Tirol oder an Volkshochschulen, für aktuelle Informationen s. http://www.unibw.de/studiumplus/zi/personen/lvw/lvw/arbeitsgruppe-kompetenzentwicklung-fuer-jugendliche). Bei der Durchführung an Schulen sind die Rückmeldungen der durchführenden Lehrer nach anfänglicher Skepsis den vermeintlich altbekannten Ideen gegenüber in der Regel ausgesprochen positiv. Die Kompetenzwerkstatt fordert von den Lehrern einen Rollenwechsel im Sinne des Coachingprinzips, dass der Coach Experte für den Prozess, nicht aber für dessen Lösung ist. Die Erfahrung dieses zunächst mit Misstrauen
Sehr positive Erfahrungen
200
Kapitel 7 • Anwendungsfelder und Einsatzmöglichkeiten der Kompetenzorientierten
7
Wirkungen bei den Teilnehmern
betrachteten Prinzips scheint für die Lehrer eine entlastende Wirkung zu haben. Winkelmann (2009) konnte in einem an der TU Dresden durchgeführten Forschungsprojekt nachweisen, dass dieser Rollenwechsel in Hinblick auf das Belastungserleben von Lehrern eine präventive Funktion hat. Denn aus einem systemischen Blickwinkel ändert sich nicht nur die Rolle der Lehrer, sondern auch die der Schüler: Sie werden durch die Struktur und die Methoden der Kompetenzwerkstatt dazu angeregt, eigenverantwortlich zu handeln und sich in Zweiergruppen intensiv miteinander auszutauschen. Wie die Kompetenzenbilanz wird die Kompetenzwerkstatt in ihrer Anwendung wissenschaftlich begleitet und evaluiert. Die Ergebnisse der gesammelten Evaluationsstudien zeigen, dass die teilnehmenden Jugendlichen von den Übungen in Hinblick auf die Formulierung ihrer Berufswahl deutlich profitieren. Die Ergebnisse zeigen, dass die Methoden der Kompetenzwerkstatt zum großen Teil gut nutzbar sind; in Abhängigkeit von der Nutzergruppe wurden allerdings sprachliche Anpassungen vorgenommen (so wurde z. B. das Handbuch von Hauptschullehrern überarbeitet). Die betreuenden Lehrer äußern nach Durchführung der Kompetenzwerkstatt häufig ihre Überraschung darüber, wie selbstständig die Schüler im Rahmen der vorgegebenen Struktur arbeiten. Auch in sog. Brennpunktklassen äußern sich die Lehrer über das unvermutet große Interesse der Jugendlichen überrascht. Die Jugendlichen heben besonders die Beschäftigung mit den eigenen Stärken und die eigenverantwortliche Arbeit an einem persönlich sinnvollen Projekt hervor. Sie geben nach der Kompetenzwerkstatt an, 5 mehr über ihre Stärken zu wissen, als zuvor; 5 aus dem Projekt etwas gelernt zu haben, was ihnen auch später noch nützt; 5 sich im Verlauf der Kompetenzwerkstatt konkrete Ziele gesetzt zu haben; 5 genauer zu wissen, welchen Beruf sie ergreifen möchten; 5 durch die (beruflichen) Zukunftsaussichten weniger belastet zu sein und weniger Angst vor der Zukunft zu haben; 5 und rund 90% der teilnehmenden Jugendlichen würden die Kompetenzwerkstatt anderen Jugendlichen weiterempfehlen. Im Herbst 2007 startete die Industrie- und Handelskammer für München und Oberbayern eine Initiative, in der 12 Lehrkräfte aus 6 Münchner Hauptschulen für die Arbeit mit der Kompetenzwerkstatt ausgebildet wurden. Seit dem Start des Pilotprojekts wurden mehr als 60 Lehrkräfte an Münchner Hauptschulen ausgebildet. Der Erfolg in der Anwendung der Kompetenzwerkstatt hat mittlerweile zu einer Ausweitung des Projekts über Hauptschulen hinaus geführt. Seit dem Jahr 2011 fördert die IHK auch die Ausbildung von Lehrern an Realschulen und die Anwendung bei leistungsschwächeren Schülern (www.muenchen.ihk.de/mike/WirUeberUns/Publikationen/Maga-
7.3 • Outplacement und Erwerbslosigkeit
201
7
zin-wirtschaft-/Aktuelle-Ausgabe-und-Archiv2/Magazin-06-2011/ Betriebliche-Praxis/Kompetenzwerkstatt-Klarheit-gewinnen.html). Im gleichen Zeitraum wurde an den Berufsförderschulen in Rheinland-Pfalz die Kompetenzwerkstatt im Rahmen eines Pilotversuchs durchgeführt. Die umfangreichen Evaluationsdaten werden derzeit noch ausgewertet; erste Ergebnisse weisen aber in die bereits oben dargestellte positive Richtung. Unter den Schulen, die die Kompetenzwerkstatt einsetzen, ist besonders die Johannes-de-la-Salle-Schule in Aschaffenburg hervorzuheben. Die Schule für lernbehinderte Kinder und Jugendliche arbeitet seit mehreren Jahren mit der Kompetenzwerkstatt; vereinzelte unsystematische Rückmeldungen von durchführenden Lehrern gehen sogar so weit, dass sie eine Verbesserung der Schulnoten bei teilnehmenden Jugendlichen erkennen wollen. Für ihr beispielhaftes Engagement in der Anwendung der Kompetenzwerkstatt wurde die Schule vom Caritasverband der Diözese Würzburg 2008 mit dem Vinzenz-Preis ausgezeichnet. In der Begründung der Preisverleihung heißt es: »Die Kompetenzwerkstatt der Johannes de la Salle-Schule geht weit über den normalen Schulauftrag hinaus. Die Schule und ihre Lehrkräfte engagieren sich hierfür in hohem Maße. Das Projekt hat sich bewährt und verspricht Langlebigkeit.«
7.3
Outplacement und Erwerbslosigkeit
7.3.1
Problemstellung11
Der Verlust des Arbeitsplatzes kann – je nachdem, wie die Entscheidung den Betroffenen mitgeteilt wird – zu einer großen Belastung werden. Die Zukunft und die Möglichkeiten, die sie bisher bot, sind mit dem Verlust des bisherigen Arbeitsplatzes und der damit verbundenen Sicherheit in hohem Maße bedroht. Wichtig ist es, verschiedene Stadien der psychosozialen Verarbeitung der Erwerbslosigkeit zu unterscheiden (für eine ausführliche Darstellung vgl. Lang-von Wins, Mohr u. von Rosenstiel 2004). Bereits der aus Sicht des Betroffenen drohende Arbeitsplatzverlust kann zu einem Gefühl führen, die Kontrolle über das eigene Leben zu verlieren, da man sich als der Entscheidung hilflos ausgeliefert erlebt. Die existenzielle Beschränkung der eigenen Handlungsmöglichkeiten bildet im Grundsatz den Kern des Belastungserlebens bei Arbeitsplatzverlust. Dem folgt nicht selten das Bewusstsein, überflüssig zu sein, d. h. keine Fertigkeiten oder Befähigungen zu besitzen, die gesellschaftlich, sozial und vor allem auf dem Arbeitsmarkt von Bedeutung sind. Solche Einschätzungen werden in der Psychologie als selbstwert- und identitätsbedrohend eingestuft; sie können zu einem grundsätzlichen Entwertungserleben führen, das die Betroffenen nur mehr ihren eigenen Un-Wert erkennen lässt, 1
Vgl. dazu die Ausführungen in 7 Kap. 5.2 und 7 Kap. 5.3.
Notsituation
202
Kapitel 7 • Anwendungsfelder und Einsatzmöglichkeiten der Kompetenzorientierten
Positives Selbstbild
7
ihnen aber den Blick dafür verstellt, was sie eigentlich können, über welche Kompetenzen sie also verfügen. Die Kompetenzenbilanz kann für Erwerbslose zunächst die wichtige Funktion erfüllen, sich wieder einem realistischeren Selbstbild anzunähern, da sie strikt auf die Stärken der Klienten fokussiert ist. Somit ergibt sich ein individueller Wert des Vorgehens, der gesellschaftlich nutzbar gemacht werden kann: Ein unverstellter und realistischerer Blick auf die eigene Person wird eröffnet, der neben der Qualifikation als eine Grundvoraussetzung erfolgreicher Wiedervermittlung betrachtet werden kann. Doch würde die Kompetenzenbilanz zu kurz greifen und geradezu Schönfärberei betreiben, wenn sie es bei der Klientel der Erwerbslosen dabei bewenden ließe, deren Stärken herauszuarbeiten. In der kompetenzorientierten Laufbahnberatung ist eine Erarbeitung von konkreten Zielen und nächsten Schritten unerlässlich. Dies gilt vor allem für das Coaching von Erwerbslosen, die häufig durch den Verlust des Arbeitsplatzes auch einen Verlust an stützender sozialer und auch zeitlicher Struktur erfahren. Die intensive Erarbeitung nächster Schritte, das Recherchieren sozialer Unterstützungssysteme sowie eine Terminierung der nächsten Handlungsschritte können Elemente sein, die der Person helfen, sich und die bevorstehende Zeit sinnhaft und zielgerichtet zu strukturieren. Zudem sollten die Teilnehmer in einer solchen Situation darauf vorbereitet werden, die Erkenntnisse aus dem Prozess der Kompetenzbilanzierung auch anderen gegenüber darzustellen, also die gesammelten Kompetenzen beispielsweise im Setting eines Bewerbungsgesprächs strukturiert und transparent verdeutlichen zu können.
7.3.2 Erweiterung der Methoden
Vorgehen und Erfahrungen
Der Ablauf der in 7 Kap. 4 dargestellten Kompetenzenbilanz bleibt in wichtigen Punkten unvollständig und schöpft in der dargestellten Form das Nutzungspotenzial für die Klienten noch nicht voll aus. Auch die Erfahrungen, die wir im Rahmen des in 7 Kap. 5 dargestellten Pilotprojekts in Rheinland-Pfalz sammeln konnten, zeigen, dass für die Klientel der Erwerbslosen eine kürzere Taktung der Coachingeinheiten und eine intensive Betreuung im Nachgang der eigentlichen Kompetenzenbilanz bei der Umsetzung der während des Coachings formulierten Ziele sinnvoll ist. Der Ablauf einer Kompetenzenbilanz für Erwerbslose bzw. im Outplacementbereich sollte zumindest die folgenden Schritte umfassen: 5 Bearbeiten der emotionalen Reaktionen auf den Verlust des Arbeitsplatzes (dieser Schritt muss zunächst durchgeführt werden, um den Blick für die Zukunft zu öffnen) 5 Erarbeiten der Fertigkeiten und Fähigkeiten entsprechend dem bisherigen Muster der Kompetenzenbilanz
7.3 • Outplacement und Erwerbslosigkeit
203
7
5 Im Vergleich zum bisherigen Vorgehen eine vertiefte Bearbeitung der zur Verfügung stehenden persönlichen und sozialen Ressourcen und der möglichen bzw. manifesten Hindernisse bei der Suche nach einer neuen Stelle 5 Erarbeiten von Entscheidungshilfen für den weiteren eigenen Weg, Erkennen von kontraproduktiven Zielen und Einstellungen (z. B. überhöhte Zielvorstellungen) und Formulierung realistischer Ziele 5 Erarbeiten von Strategien zur Suche nach einem Arbeitsplatz (mit dem Coach und ggf. im Rahmen von Intervisionsgruppen) Es wird ersichtlich, dass ein solches Verfahren zeitintensiver ist als eine Kompetenzenbilanz mit Personen, die sich »nur« umorientieren oder »ohne Not« eine Standortbestimmung vornehmen möchten. Inwieweit eine Ausdehnung des Verfahrens möglich ist, hängt letztlich von den zur Verfügung stehenden Ressourcen ab. Als ideal könnte ein Vorgehen bezeichnet werden, in dem sich Phasen des Intensiv-Coachings mit Reflexionsphasen abwechseln – dies, wenn möglich, über den gesamten Zeitraum der Erwerbslosigkeit hinweg. Weitere Ergänzungen sind denkbar und sinnvoll. Grundsätzlich eignet sich die Kompetenzenbilanz für Erwerbslose als das inhaltliche Kernstück einer Outplacement-Maßnahme sehr gut. Ein solches Projekt hat bereits stattgefunden. Beispiel Im Frühjahr 2004 wurde die Kompetenzenbilanz als OutplacementVerfahren für ein Biotechnologieunternehmen adaptiert. Das Unternehmen musste aufgrund des Rückzugs eines der Hauptinvestoren seine Belegschaft um etwa ein Drittel verringern, um weiterhin bestehen zu können. Da sich die Unternehmensleitung den gekündigten Mitarbeitern gegenüber verpflichtet fühlte und sich gleichzeitig darüber im Klaren war, dass der Umgang mit ihnen von den im Unternehmen verbleibenden Mitarbeitern sehr genau beobachtet werden würde, entschloss sich der Personalleiter im Einvernehmen mit der Unternehmensleitung dazu, die Kompetenzenbilanz als Outplacementinstrument einzusetzen. Um der Anforderung zu genügen, mit geringem Aufwand das Verfahren für dieses Einsatzfeld nutzbar zu machen und mit möglichst vielen Personen rasch in einem kurzen Zeitraum durchzuführen, wurde die Kompetenzenbilanz um ein 4. Gespräch erweitert. Es konzentrierte sich vor dem Hintergrund der erarbeiteten Stärken auf eine intensive Vorbereitung auf die Bewerbungssituation. Zudem wurde das 1. Coaching-Gespräch verlängert, so dass vor der biografischen Betrachtungsweise Raum für die emotionalen Reaktionen auf die Kündigung sowie die Bedeutung der Kündigung für die Person und ihre derzeitige Lebenssituation bestand. In vielen Fällen wurde die Kündigung nach einer kurzen Phase der Abwehr als Möglichkeit begriffen, den eigenen Weg zu korrigieren. Alle Teilnehmer fanden innerhalb von 2 Monaten eine neue, den Qualifikationen und
Kompetenzenbilanz als Kernstück
204
Kapitel 7 • Anwendungsfelder und Einsatzmöglichkeiten der Kompetenzorientierten
Kompetenzen adäquate Beschäftigung. Viele konnten sich beruflich verbessern. Zwei Teilnehmer entschlossen sich, anstelle einer neuen Beschäftigung eine Ausbildung zu beginnen.2
Unsichere Entscheidungsgrundlage
7
Kompetenzen als Orientierungshilfe
7.4
Existenzgründung
7.4.1
Problemstellung
Die bisher verfügbaren wissenschaftlichen Erkenntnisse belegen, dass es häufig sehr schwer ist, sich für eine Existenzgründung zu entscheiden (Lang-von Wins 2004a). Neben der eher auf emotionaler Ebene anzusiedelnden Problematik, eine sehr weit reichende Entscheidung auf unsicherer Grundlage treffen zu müssen, gibt es einen weiteren Faktor, der die Qualität der Entscheidung erheblich beeinflussen kann: Der Entschluss, eine Firma zu gründen, wird in der Regel aufgrund eines stark eingeschränkten Satzes an zur Verfügung stehenden Informationen getroffen – sie kann also nicht als eine rationale Entscheidung im Sinne einer »reifen« und gut abgewogenen Entscheidung betrachtet werden. Damit steigen wiederum die damit verbundene Unsicherheit und das damit verknüpfte Risiko an. Betrachtet man die Gründung eines Unternehmens in einer mittel- bis längerfristigen Perspektive, dann wird deutlich, dass die Entscheidungen, die zu Beginn der Selbstständigkeit getroffen werden, gravierende Auswirkungen auf die weitere Entwicklung des Unternehmens haben können (z. B. die falsche Standortwahl, die Entscheidung, mit dem falschen Partner zu gründen etc.). Damit entstehen Fehlerketten, die zu Situationen führen können, die den weiteren Bestand des Unternehmens existenziell bedrohen können. Eignungsdiagnostische Ansätze bieten hierbei kaum Hilfe, da die erfolgskritischen Bedingungen einer Gründung eher das Trennende als die Gemeinsamkeiten mit anderen Fällen betonen. Viele Aufgaben, die auf Gründer zukommen, sind nicht oder nur unscharf vorhersehbar. Wenn wir von der Definition von Kompetenzen ausgehen, die sie als die Befähigungen betrachtet, mit neuartigen Situationen umgehen zu können, dann liegt es nahe, eine kompetenzorientierte Gründungsberatung zu formulieren. Die Kompetenzenbilanz bietet durch ihre Struktur einer angeleiteten und punktuell vertieften Auseinandersetzung mit den eigenen unternehmerischen Kernkompetenzen und Wünschen die Möglichkeit einer ausgesprochen erfolgversprechenden Unterstützung bei der Unternehmensgründung. Sie ist dabei nicht auf die unmittelbare Entscheidungs- oder Vorentscheidungsphase beschränkt, sondern kann auch während bzw. nach der Gründung zum Nutzen des Unter2
Zu dieser Maßnahme ist in Wirtschaft – Das IHK Magazin für München und Oberbayern, Ausgabe 11/2004 ein Bericht erschienen, der unter www.performmuenchen.de als PDF-Datei heruntergeladen werden kann.
7.4 • Existenzgründung
205
7
nehmens bzw. Unternehmers eingesetzt werden, wenngleich dies eine unterschiedliche Fokussierung notwendig macht.
7.4.2
Vorgehen und Erfahrungen
Im Jahr 2004 wurde ein Verfahren entwickelt, das den oben formulierten Anforderungen auf der Grundlage einer kompetenzorientierten Betrachtungsweise entspricht: »Kick off – Auftakt mit Durchblick« (Lang-von Wins 2004b). Im Mittelpunkt der Entscheidung über eine Gründung sollte ein kritisches Abwägen eigener Stärken und Schwächen stehen, aber auch der Ressourcen, die das soziale Umfeld der Personen zur Verfügung stellt. Die Grundstruktur der Basisversion der Kompetenzenbilanz konnte weitgehend erhalten bleiben. Notwendig wurde eine deutliche Fokussierung auf die Anforderungen der Gründung und auf Projekte im Rahmen der eigenen Biografie, in denen Anforderungen bewältigt wurden, die denen einer selbstständigen Tätigkeit ähneln. Der im Rahmen des Verfahrens einsetzende Selbstreflexionsprozess soll zu einer qualitativen Verbesserung der zu treffenden Entscheidung führen. Durch das Herausarbeiten gründungsbezogener Fertigkeiten und unternehmerischer Kernkompetenzen (Proaktivität, Leistungsmotivation, soziale Kompetenzen, Selbstmanagement, Lernfähigkeit und Kreativität) wird zusätzlich die Identifikation von fehlenden und ggf. noch zu erlernenden Fertigkeiten für eine zielgerichtete Vorbereitung der Gründung ermöglicht. Dadurch wird der rein auf Stärken ausgerichtete Prozess der Kompetenzenbilanz um eine Komponente erweitert, in der auch Schwächen identifiziert und als Entwicklungsfelder thematisiert werden. Einschlägige Forschungsprojekte zeigen aus Sicht der Gründer einen klaren Bedarf an Unterstützungsmaßnahmen, die eine zielgerichtete Auseinandersetzung mit den Anforderungen und den eigenen Fähigkeiten ermöglichen (vgl. Lang-von Wins 2004). Im Vergleich zu den bisher existierenden, recht globalen Unterstützungsmaßnahmen ist »Kick off« eine auf die individuellen Bedürfnisse ausgerichtete Vorgehensweise, die nicht versucht, allgemeine, aber unscharfe Lösungen zu formulieren. Im Vergleich zu teuren Einzelcoachings durch erfahrene Berater bietet dieses Verfahren eine straffe Struktur und einen hohen Lerngewinn in einem überschaubaren Zeitraum, der zudem für die Gründungsinteressierten in einem bezahlbaren Rahmen bleibt. Der durch die Kompetenzenbilanz angeregte Prozess sollte idealerweise in eine Fortführung der Auseinandersetzung mit den eigenen Fertigkeiten und Fähigkeiten auch nach der Gründung münden, was z. B. mit thematisch fokussierten Leitfragen unterstützt wird. Die Erfahrung aus verschiedenen Forschungsprojekten zeigt darüber hinaus, dass die reflektierende Auseinandersetzung mit dem eigenen unternehmerischen Alltag eine wesentliche Ressource von
»Kick off – Auftakt mit Durchblick«
Selbstreflexion als Grundlage für Entscheidungen
Reflexion als zentrale Ressource
206
Kapitel 7 • Anwendungsfelder und Einsatzmöglichkeiten der Kompetenzorientierten
erfolgreichen Unternehmern ist, die von erfolglosen Unternehmern kaum genutzt wird (Lang-von Wins 2004a). In diesem Zusammenhang ist darauf hinzuweisen, dass es auch möglich ist, die Kompetenzenbilanz in der ursprünglichen und in dem vorliegenden Buch vorgestellten Form zur Beratung von Gründern einzusetzen. Dies gilt vor allem dann, wenn unterschiedliche Formen der Erwerbstätigkeit als Optionen für die Teilnehmer gegeneinander abgewogen werden sollen. In dem Kooperationsprojekt »SHE!«, das unter Leitung der HWK Rheinhessen durchgeführt wird, wird versucht, werdenden Gründerinnen in diesem Sinne durch Kompetenzbilanzierung und Profiling Unterstützung zu geben. > Wichtig Erfolgreichen Unternehmern gelingt es, aus der aktuellen Situation Anhaltspunkte für ihr zukünftiges Handeln abzuleiten, die durch die reflektierende Auseinandersetzung wesentlich differenzierter und treffsicherer sind, als wenn sie sich nicht dieser Strategie bedienen würden. Reflektieren Gründer ihr Handeln nur in geringem Maß, dominiert das Prinzip »der Überwertigkeit des aktuellen Motivs«, d. h. sie tendieren dazu, den Folgen momentaner Probleme hinterherzulaufen, ohne strategisch zu planen.
7
Einsatz
Es ist geplant, die Methode ähnlich der in 7 Abschn. 7.2 vorgestellten Kompetenzwerkstatt auch an die Arbeit mit Gruppen anzupassen. Der Einsatz im Rahmen universitärer Gründungscurricula ist geplant. Aber nicht nur der privilegierte Bereich der Hochschulen kann sich ein solches Verfahren zu Nutze machen, sondern letztlich jede Anlaufstelle für Existenzgründer könnte neben den bestehenden Angeboten eine kompetenzorientierte Beratung Gründern zugänglich machen, die zwar nicht in der Lage ist, betriebswirtschaftliche Beratungsansätze zu ergänzen (das ist auch in keiner Weise beabsichtigt), jedoch sehr wohl einen weiteren Beitrag zur Orientierung in einer Phase besonderer Unsicherheit bezüglich der eigenen Zukunft zu bieten. Im Rahmen des vom BMWi verantworteten Programms zur Unterstützung von Gründern aus dem Hochschulbereich (exist Gründerstipendium) führen wir regelmäßig Workshops durch, in denen ebenfalls Methoden der kompetenzorientierten Laufbahnberatung zum Einsatz kommen. Der Fokus liegt hierbei auf der Teamentwicklung und der Reflexion und Definition der eigenen Rolle als Unternehmer, die im Rahmen der universitären Ausbildung keinen Platz finden.
207
7.5 • Personalentwicklung
7.5
Personalentwicklung
7.5.1
Problemstellung
7
Es gibt einige Faktoren, die die Rahmenbedingungen der Arbeit erheblich beeinflussen, so z. B. die Globalisierung und Innovationssprünge in den für die Industrien wichtigen Technologien. Wissen, Flexibilität und Veränderungsfähigkeit werden so zur Notwendigkeit für Unternehmen und Mitarbeiter. Für die betriebliche Personalarbeit bedeutet dies eine grundsätzliche Herausforderung, in deren Mittelpunkt die Gestaltung der Beziehung zwischen Unternehmen und Mitarbeitern steht (Civelli 1998).
» Zu den Hauptaufgaben einer professionell mit diesen Herausforderungen umgehenden Personalarbeit wird es gehören, einerseits zuverlässiges Wissen um die Kompetenzen der Mitarbeiter zu erheben, und gleichzeitig die proaktive individuelle Weiterentwicklung dieser Kompetenzen zu fördern. Damit wird einerseits die Flexibilität der Unternehmen gefördert, die Mitarbeiter entsprechend ihrer Kompetenzen einsetzen zu können. Andererseits wird damit auch die Flexibilität der Mitarbeiter erhöht, da sie über ein aktualisiertes Wissen der eigenen Kompetenzen verfügen und im Sinne der Erhöhung ihrer Beschäftigungsfähigkeit (…) lernen, sich proaktiv weiterzuentwickeln. (Lang-von Wins 2009, S. 270).
«
Festzustellen ist, dass die Dynamik in der Veränderung der gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Grundlagen von Arbeit bisher keine Resonanz in der betrieblichen Personalarbeit ausgelöst hat. Hier wird weitgehend noch immer ein mechanistisches Grundverständnis kultiviert, das darauf setzt, dass Lernen in klar definierten Kontexten wie z. B. Seminaren stattfindet, in denen der Lernende damit konfrontiert wird, dass ihm Inhalte vermittelt werden, die er erlernen soll. Die betriebliche Personalentwicklung setzt in ihrer herkömmlichen Form in der Regel die Perspektive des Unternehmens über die der in ihm arbeitenden Menschen. Für die Ausrichtung der Personalentwicklung bedeutet dies eine Defizitorientierung: Im Unternehmen oder bei den Mitarbeitern vorhandene Defizite sollen »nachqualifiziert« werden. Maßnahmen, die auf den Stärken der Mitarbeiter aufsetzen, kennt die Personalentwicklung kaum. In den Betrieben herrscht also, ähnlich wie im Weiterbildungsbereich, eine Philosophie des »normativen Qualifizierens« vor, die ihre Bedarfe an den Anforderungen einer vordefinierten Norm ausrichtet. Diese Vorgehensweise bleibt implizit erhalten – auch wenn Weiterbildungsbedarfe konkret mit dem Vorgesetzten besprochen werden. Die bisherige Erfahrung zeigt, dass im Tagesgeschäft kaum Zeit für eine sorgfältige Ableitung von individuellen Weiterbildungswünschen der Mitarbeiter bleibt, die z. B. im Rahmen der regelmäßigen Zielvereinbarungsgespräche besprochen werden könnte. Die meisten Vorgesetzten dürften von die-
Perspektive des Unternehmens
208
Kapitel 7 • Anwendungsfelder und Einsatzmöglichkeiten der Kompetenzorientierten
Orientierung am Individuum
Nutzenaspekte
7
sem Teil ihrer Führungsaufgaben überfordert sein, wie eine aktuelle Studie der PerformPartner vermuten lässt (Lang-von Wins et al. 2005). Grundsätzlich ist festzustellen, dass sich auch in diesem Bereich die Kompetenzenbilanz strikt am Individuum orientiert. Sie stellt die Perspektive desjenigen Menschen, der sie durchläuft, in den Mittelpunkt. Ein direkter Schnittpunkt zur Personalentwicklung liegt somit noch nicht unmittelbar auf der Hand, da sich im Verlauf der Arbeit mit der Kompetenzenbilanz in ihrer gegenwärtigen Form auch Ziele ergeben könnten, die denen des Unternehmens widersprechen, und diese Offenheit von den Unternehmen häufig nicht gewünscht ist. So ist es z. B. möglich, dass am Ende der Kompetenzenbilanz der Teilnehmer kündigt oder angesichts der eigenen Kompetenzen und der wahrgenommenen Möglichkeiten zu ihrer Entfaltung im Rahmen der bisherigen Tätigkeit Unzufriedenheit entsteht. Neben dem für die einzelne Person gleichbleibenden Wert, der sich aus der stärkenorientierten Auseinandersetzung mit der eigenen Biografie ergibt, lassen sich auch konkrete Nutzenaspekte für das Unternehmen erwarten, das in seiner Personalarbeit kompetenzorientiert vorgeht. 5 Eine kompetenzorientierte Bestimmung der Stellenanforderungen ermöglicht eine adäquate Auswahl von geeigneten Personen für das Unternehmen. 5 Aufgrund eines an Kompetenzen orientierten Sollprofils werden Entwicklungspotenziale unmittelbar transparent. Personen können gezielt bezüglich ihres Könnens gefördert und eingesetzt werden. 5 Mitarbeiter sind nach einer kompetenzorientierten Laufbahnberatung besser als zuvor in der Lage, eigenverantwortlich zu handeln. Ein Nutzen, der sowohl für das Individuum als auch für das Unternehmen hohen Wert hat. 5 Durch eine Feststellung der Kompetenzen der Mitarbeiter gewinnt das Unternehmen Planungssicherheit bezüglich mittelfristiger personeller und strategischer Entscheidungen. Kompetenzbilanzierung wird künftig einen wichtigen Beitrag zur Feststellung des Humankapitals leisten (Triebel u. Lang-von Wins 2009). Dieser Aspekt wird in den kommenden Jahren europaweit an Bedeutung gewinnen, insbesondere in solchen Unternehmen, bei denen eine erhebliche Differenz zwischen Markt- und Buchwert festzustellen ist.
7.5.2
Lern- und Entwicklungsassessment
Vorgehen
Grundsätzlich sind mehrere unterschiedliche Richtungen denkbar, die die Anwendung der Kompetenzenbilanz in den Unternehmen nehmen kann. Sie werden im folgenden Abschnitt kurz dargestellt. Eine Möglichkeit, eine kompetenzorientierte Vorgehensweise nutzenbringend für die Entwicklung und Orientierung von bestimm-
7.5 • Personalentwicklung
ten Mitarbeitergruppen einzusetzen, besteht darin, das Angebot von Lern- und Entwicklungsassessment-Centern abzurunden. In Entwicklungsassessment-Centern werden aufgrund ihrer bisherigen Entwicklung vielversprechende Mitarbeiter auf die Übernahme von Führungsaufgaben vorbereitet. Dabei werden durch eine interaktive Rückmeldung von Stärken und Schwächen Lern- und Entwicklungsprozesse angestoßen und letztlich ein Entwicklungsprogramm erarbeitet. Das Ziel von Entwicklungsassessment-Centern liegt im Gegensatz zu den auswahlbezogenen Assessment-Centern nicht in der punktuellen Feststellung von vorgegebenen Eignungsmerkmalen, sondern darin, Kompetenzen zu erkennen und Entwicklungsempfehlungen zu erarbeiten. Bei der Fragestellung der Entwicklungsassessment-Center liegt eine klare Verwandtschaft zu dem Ansatz der Kompetenzenbilanz auf der Hand: Sie ist von ihrer Ausrichtung her eine ideale Ergänzung der Entwicklungsassessment-Center, da sie durch die intensive Einbeziehung des Klienten eine hohe Verbindlichkeit bezüglich des Ergebnisses erzeugt. Außerdem sind von einer kompetenzorientierten Laufbahnberatung Prozesse zu erwarten, die durch die bewusste Reflexion des eigenen Lebens- und Arbeitskontextes deutliche positive Wirkungen auf die Produktivität und die weitere Entwicklung der Teilnehmer haben. Die Verbreitung von Lern- und Entwicklungsassessment-Centern hat in den vergangenen 25 Jahren deutlich zugenommen. Damit gewinnt die betriebliche Personalentwicklung eine Richtung, die im Sinne des Mitarbeiters eine konstruktive Auseinandersetzung mit seinen Entwicklungsbedarfen und -potenzialen in den Mittelpunkt stellt. Ein kompetenzorientiertes Vorgehen in der Personalentwicklung ist die ideale Herangehensweise, um diese Richtung weiter zu verstärken. Darüber hinaus stellt sie eine hervorragende Ergänzung der herkömmlichen Lern- und Entwicklungsassessment-Center dar. Eine weitere Möglichkeit, wie die Kompetenzorientierung die Praxis der betrieblichen Personalentwicklung nachhaltig bereichern kann, betrifft die individuelle Weiterbildungsplanung. Gerade vor dem Hintergrund, dass Verfahren zur arbeitsplatznahen Personalentwicklung in den kommenden Jahren weiter an Bedeutung gewinnen werden, bietet sich eine Verwendung der Kompetenzenbilanz an. Im Rahmen der »Personalentwicklung-on-the-job« gewinnt die Arbeit in kleinen Projekten an Bedeutung, die für die Mitarbeiter die Möglichkeit bietet, Verantwortung zu übernehmen und sich in kleineren Kontexten weiterzuentwickeln. Der Gedanke dieser in den Arbeitsprozess einbezogenen Formen beruflicher Weiterqualifizierung folgt den Konzepten der modernen pädagogischen Psychologie, die individuelle Lernprozesse in den Mittelpunkt stellt. Eine Kompetenzenbilanz kann bei den Mitarbeitern zu einer Öffnung für eine Weiterentwicklung im Rahmen kleiner Projekte führen, die die Mitarbeiter evtl. auch selbst vorschlagen und initiieren. Daneben nimmt ein kompetenzorientiertes Vorgehen im Prozess der individuellen Weiterbildungs- und Entwicklungsplanung einen wichtigen Platz ein und bereichert den häufig unbefriedigenden
209
7
Zunahme von Lern- und EntwicklungsassessmentCentern
Individuelle Weiterbildungsplanung
Effiziente Weiterbildungsplanung durch Kompetenzorientierung
210
Kapitel 7 • Anwendungsfelder und Einsatzmöglichkeiten der Kompetenzorientierten
7
Organisations- und Teamentwicklung
Geteiltes Verständnis der eigenen Aufgaben und Kompetenzen
Ablauf bzw. das schwache Ergebnis wesentlich. Die Durchführung einer Kompetenzenbilanz regt – so viel lässt sich mit den heutigen Erfahrungen bereits sagen – einen Prozess der bewussten und aktiven Planung der weiteren eigenen Entwicklung (im Rahmen der eigenen Möglichkeiten) an. Dieser Prozess kann, wenn er auf die eigene berufliche Entwicklung und die sich aus der Standortbestimmung ergebenden Entwicklungslinien fokussiert ist, die Effizienz der gemeinsam mit dem Vorgesetzten erarbeiteten Entwicklungspläne um ein Vielfaches steigern. Denkbar ist als Abschluss einer Kompetenzenbilanz (entsprechend der jetzigen »nächsten Schritte«) auch ein Vorgehen, in dem der Klient eigene Entwicklungslinien herausarbeitet, belegt und Anknüpfungspunkte für die gemeinsame Planung mit dem Vorgesetzten erarbeitet. Für den Vorgesetzten dürfte – wenn er vorab eine schriftliche Ausarbeitung erhält, deren Inhalte und Form noch festzulegen sind – das Gespräch eine klare und nachvollziehbare Struktur erhalten; die Grundlage für die gemeinsame Planung würde so gestärkt. Eine Kompetenzenbilanz kann als »Initialzündung« betrachtet werden, da sie einen Prozess der Selbstreflexion anstößt, der systematisch von den Mitarbeitern weitergeführt werden kann. Das Ziel ist es dabei, dass die Mitarbeiter, ohne oder mit gelegentlichen Coachings, fortführen, was in der Kompetenzenbilanz begonnen wurde. Sie werden »kompetent« in Bezug auf die eigene Weiterentwicklung und Weiterbildung und stärken damit die Rationalität und Effektivität der betrieblichen Personalentwicklung. Grundsätzlich ist die Kompetenzenbilanz in ihrer betrieblichen Verwendung nicht auf die Personalentwicklung beschränkt. Es ist durchaus denkbar, sie auch im Rahmen einer Organisationsentwicklungsmaßnahme einzusetzen. Hier sei darauf hingewiesen, dass sich derzeit Methoden in Entwicklung befinden, aufgrund derer die Kompetenzenbilanz auch in Gruppen durchgeführt werden kann, wodurch die Kosten pro Mitarbeiter erheblich gesenkt werden. Ein solches Vorgehen eignet sich insbesondere für Teambildungs- oder Entwicklungsmaßnahmen und ist im Gegensatz zu vielen herkömmlichen Maßnahmen ausgesprochen anforderungs- und arbeitsplatzbezogen durchführbar, was den Nutzen derartiger Interventionen nachweislich erheblich steigern kann. Ein solches teambildendes Vorgehen lässt sich wie folgt skizzieren: Wesentlich für die Formierung eines Teams ist es, dass es neben der gemeinsamen Aufgabe auch ein geteiltes Verständnis davon entwickelt, wie und auf welche Weise jeder dazu beitragen kann, das gemeinsame Ziel zu erreichen. Wenn sich nicht alle Mitarbeiter bisher von der direkten Zusammenarbeit her kennen, kann das intensive gegenseitige Kennenlernen einen Schwerpunkt eines kompetenzorientierten Seminars bilden. Dabei sollte stets der Aufgabenbezug im Vordergrund stehen. Aus der Klärung der gemeinsamen Aufgabe heraus ergeben sich individuelle Rollenklärungen, die zur Festigung der Teamstruktur führen. Grundlage dafür ist eine kompetenzorien-
7.6 • Beratung von Menschen mit Migrationshintergrund
tierte Vorgehensweise, die darauf aufbaut, eigene Stärken und die Stärken der anderen Teammitglieder zu erkennen. Auf dieser Grundlage differenzieren sich die sozialen Rollen der Mitarbeiter auch in größeren Gruppen erfahrungsgemäß schnell heraus und lassen sich in die Struktur der gemeinsamen Aufgabe integrieren. Darüber hinaus können die Mitarbeiter durch dieses Vorgehen die eigenen Kompetenzen in Relation zu den künftigen Anforderungen sehen und ihre Fähigkeiten auf dieser Grundlage optimal einsetzen. Schließlich ist noch auf eine weitere Einsatzmöglichkeit hinzuweisen, die zwischen den beiden grob skizzierten Linien (Teil einer aktiv betriebenen Entwicklungsplanung von Seiten des Unternehmens z. B. im Rahmen von Entwicklungsassessment-Centern und wichtiger Baustein einer aktiv betriebenen Entwicklungsplanung von Seiten des Mitarbeiters) anzusiedeln ist. Wie im bisherigen Einsatz der Kompetenzenbilanz deutlich wurde, liegt ein wesentlicher Effekt in der schrittweise vertieften Auseinandersetzung mit der eigenen Biografie, wodurch die Selbstreflexion der Klienten angeregt wird. Gerade die Selbstreflexionsfähigkeit gilt als ein wesentliches Kriterium für Führungserfolg, da Führungskräfte ihr Verhalten flexibel an sich verändernde Umgebungsbedingungen (in sozialer und fachlicher Hinsicht) anpassen müssen. Systematische Maßnahmen zur Stärkung der Selbstreflexionsfähigkeit gibt es derzeit nicht – die Kompetenzenbilanz kann in dieser Hinsicht, wenn man sie als ein Instrument zur Stärkung der Selbstreflexionsfähigkeit versteht und diese Ausrichtung entsprechend im Prozess stützt – einen Schritt auf einen bislang kaum erschlossenen Markt tun. In den vergangenen Jahren wurden von PerformPartner neue Module der Kompetenzenbilanz entwickelt, die sich auf den guten Umgang mit Stress und auf die Werte als Führungskraft beziehen. Ziel dieser Neuentwicklungen ist es, den Führungsprozess in Hinblick auf den kompetenten Umgang mit sich selbst und eine an den eigenen Werten orientierte Führung zu gestalten.
7.6
Beratung von Menschen mit Migrationshintergrund
7.6.1
Problemstellung
Menschen mit Migrationshintergrund haben einen besonderen Bedarf an Laufbahnberatung. Der biografische Bruch der Migration bedeutet für viele Menschen einen Verlust zahlreicher Bezugssysteme. Hierunter fallen neben dem Verlust der Muttersprache als primärem Ausdrucksmittel in der neuen Umgebung auch die familiären, sozialen und beruflichen Bezüge. Je nach Herkunftsland und Anlass der Migration kann dieser Verlust unterschiedlich schwer wiegen. Klar ist jedoch, dass die strukturellen Veränderungen in der Arbeitswelt
211
7
Führungskräfte-Coaching
Erhöhter Beratungsbedarf von Menschen mit Migrationshintergrund
212
Kapitel 7 • Anwendungsfelder und Einsatzmöglichkeiten der Kompetenzorientierten
7
Vielfältige Beratungslandschaft
für Menschen mit Migrationshintergrund in besonderem Maße zutreffen. Diese Gruppe ist besonders stark darin gefordert, mit sich ändernden Rahmenbedingungen zurechtzukommen und vor dem Hintergrund dieser veränderten Umwelt die eigenen Kompetenzen zu erkennen und darzustellen. Erschwert wird diese Aufgabe noch dadurch, dass es insbesondere in Deutschland einen sehr großen Anerkennungsstau hinsichtlich ausländischer Abschlüsse gibt (Englmann u. Müller 2007). So fallen zuweilen neben den informell erworbenen Kompetenzen, zu denen der Zugang vielen Menschen ohnehin schwer fällt, auch die formal erworbenen Kompetenzen weg. Die formalen Kompetenzen, die fachlichen Abschlüsse also, sind jedoch in Bewerbungssituationen die Schlüsselqualifikationen, um überhaupt die erste Schwelle der Selektion überspringen zu können. Als Folge ergibt sich für viele Menschen mit Migrationshintergrund eine lang Karriere der beruflichen Orientierung, die sehr häufig in einer unterqualifizierten Beschäftigung endet. So werden aus russischen Ärztinnen in Deutschland Krankenpflegerinnen oder Putzfrauen und indische Ingenieure arbeiten als Parkhausaufsicht oder in der Kommissionierung eines Großhandelsbetriebs. Diese Beschäftigung unter Qualifikation ist sowohl für die Menschen als auch für die Wirtschaft ein Problem. Zum Zeitpunkt der Fertigstellung des vorliegenden Buchs sind Schätzungen zufolge 1 Mio. Arbeitsplätze aufgrund des auf dem demographischen Wandel beruhenden Fachkräftemangels unbesetzt. Maßnahmen zur Beschleunigung der Anerkennung ausländischer Abschlüsse sind von der Bundesregierung projektiert, harren jedoch der Umsetzung. Doch auch bei einer verbesserten Anerkennungslage bestehen weitere Probleme in der beruflichen Orientierung, die sich eben auf den oben angesprochenen Verlust zahlreicher kultureller und somit auch kompetenzbezogener Zusammenhänge beziehen. In der Beratung von Menschen mit Migrationshintergrund bzw. der Entwicklung von Methoden stellt sich neben den genannten Herausforderungen noch folgendes Problem: Die beratenden Institutionen verfügen über äußerst unterschiedliche Zeitbudgets und unterschiedlich gut qualifiziertes Personal für die Beratung ihrer Klienten. Zudem können die Fragestellungen der Klienten aufgrund ihrer Herkunft und auch ihres kulturellen Hintergrunds zum Teil äußerst unterschiedlich ausfallen. Vor dem Hintergrund der Kompetenzenbilanz und der im vorliegenden Buch dargestellten Wirkungsforschung wurden wir im Rahmen des IQ-Netzwerks (Integration durch Qualifizierung) vom regionalen Netzwerk migraNet beauftragt, in Kooperation mit 3 weiteren Trägern (GAB – Gesellschaft für Ausbildungsforschung und Berufsentwicklung, Tür an Tür Integrationsprojekte und dem Verein für Interkulturelle Arbeit Bayern – VIA e.V.) ein Vorgehen zu entwickeln, das diesen Problemen Rechnung trägt. Finanziert wird dieses Projekt, das 2011 in den Transfer geht, vom Bundesministerium für Arbeit und Soziales.
7.6 • Beratung von Menschen mit Migrationshintergrund
213
7
Ergebnis der 1. Phase dieses Projekts ist die »KomBI-Laufbahnberatung – Kompetenzorientiert, Biografisch, Interkulturell«. Ausführlich werden die Ergebnisse in einem gleichnamigen Buch (Bauer u. Triebel 2011) dargestellt. Eine stark verkürzte Darstellung folgt in 7 Abschn. 7.6.2).
7.6.2
Vorgehen
Die KomBI-Laufbahnberatung stellt eine modularisierte Form der kompetenzorientierten Laufbahnberatung dar. Vor dem Hintergrund der sehr unterschiedlichen Rahmenbedingungen, in denen Menschen arbeiten, die Migrantinnen und Migranten beraten, schien es nicht sinnvoll, ein einheitliches Vorgehen zu entwickeln, das als verhältnismäßig starres Korsett über eine Institution und die darin arbeitenden Menschen gelegt werden muss. Wer mit seinen Klienten 6–8 Stunden Zeit hat, kann auch mit Menschen mit Migrationshintergrund eine Kompetenzenbilanz machen – obgleich die Sprachlastigkeit des Verfahrens hier einige Einschränkungen mit sich bringen kann. Die meisten Beraterinnen und Berater arbeiten jedoch in Institutionen, in denen ihnen für jede Beratung weniger Zeitbudget zur Verfügung steht. Es gilt innerhalb dieser kürzeren Zeit einen kompetenzorientierten Prozess durchzuführen, der mit hoher Wahrscheinlichkeit einen Nutzen bei den Klienten hervorruft. Aus diesem Grund haben wir die feste Dramaturgie der Kompetenzenbilanz, die zugleich deren Stärke und in diesem Zusammenhang eben auch eine Schwäche ist, aufgebrochen und einen Beratungsprozess entworfen, der auf dem hinter der Kompetenzenbilanz liegenden Wirkverlauf kompetenzorientierter Beratung beruht. Die zentrale Referenz hierbei war das in 7 Kap. 6 (Wirkfaktoren) dargestellte Modell von Klaus Grawe. Dieses therapeutische Modell haben wir auf die Beratungssituation umgelegt. Als Folge sollte eine Beratung im 1. Schritt die Teilnehmer »prozessual aktivieren«, anschließend »ressourcenaktivierend« wirken, dann sollte die »Intentionsbildung« gefördert werden, bevor eine konkrete Umsetzung dieser Intentionen erfolgt. Wirkprinzipien also, die eine Dramaturgie für jeden Beratungsverlauf bilden sollen. Diesen 4 Wirkprinzipien lassen sich bestimmte Beratungstools zuordnen, die jeweils aktivierend, willensbildend etc. wirksam sind. So eignet sich etwa die biografische Arbeit für die prozessuale Aktivierung, das Erarbeiten von Fertigkeiten ist ressourcenaktivierend, das Aufstellen eines Aktionsplans ist hilfreich für Intentionsbildung und Umsetzung der eigenen Vorhaben usw. Wichtig ist, dass es ja auch noch andere Beratungstools gibt als die in der Kompetenzenbilanz zusammengestellten Methoden. Auch diese Methoden lassen sich jedoch jeweils einem der 4 Wirkprinzipien zuordnen. Da der Umgang mit den Begriffen der Wirkprinzipien sich als unhandlich und sperrig erwies, haben wir nach handlungs- und beratungsorientierteren Begriffen gesucht, die den Prozess der Beratung
Modularer Beratungsbaukasten zur flexiblen Anwendung
KomBI-Kernelemente zur Strukturierung und Qualitätssicherung
214
Kapitel 7 • Anwendungsfelder und Einsatzmöglichkeiten der Kompetenzorientierten
besser abbilden. Ergebnis sind 4 KomBI-Kernelemente, die in jeder KomBI-Laufbahnberatung durchlaufen werden müssen: 1. Biografisches Arbeiten 2. Tätigkeiten ermitteln, sammeln, analysieren 3. Kompetenzen belegen 4. Ziele und nächste Schritte Zu jedem dieser Kernelemente lassen sich nun zahlreiche Tools finden und auch konstruieren, die in einer Art Baukastensystem miteinander vereint werden. Je nach Zeitbudget und Beratungsanlass können sich Beraterinnen und Berater vor diesem Hintergrund aus dem KomBIBaukasten bedienen und ihre Beratungstools zusammenstellen und für den jeweiligen Klienten anwenden. Da dieser flexible Umgang mit zahlreichen Tools eine hohe Expertise verlangt, haben wir eine 10-tägige Fortbildung konzipiert, die im Rahmen des Projekts KomBI-Laufbahnberatung (www.kombi-laufbahnberatung.de) angeboten wird.
7
7.7 Zielvereinbarungs- und Entwicklungsgespräche
Weitere Möglichkeiten
Neben dem eben skizzierten Einsatz der Kompetenzenbilanz wird die Kompetenzbilanzierung auch im Prozess von Zielvereinbarungsgesprächen oder anderen Entwicklungsgesprächen sowie im allgemeinen Kontext der Personalentwicklung ihren Platz finden. > Wichtig Kompetenzbilanzierung ist eine ideale Methode, um die Eigenverantwortung der Mitarbeiter zu stärken, ein Ziel, das immer bedeutender für die strategische Personalarbeit wird. Dieser Aspekt belässt die Fachleute vor Ort bislang aber in einem Zustand weitgehender Ratlosigkeit, da sie nicht wissen, wie sie die Vorgaben im gegenwärtigen gelebten Kontext der Abhängigkeit von der hierarchisch geprägten Organisation erreichen können. Gewisse Modifikationen der bisher bestehenden Kompetenzenbilanz machen sie zu einem Instrument, mit dem die betriebliche Personalarbeit ihrem abstrakten Ziel der eigenverantwortlichen Mitarbeiter deutlich näher kommen wird. z
Die Organisation
Rahmenbedingungen für die Durchführung
Der Ablauf kompetenzorientierter Laufbahnberatung lässt sich im Unternehmenskontext nicht in gleicher Weise standardisieren, wie dies in der Anwendung für Einzelpersonen weitgehend der Fall ist. Je nach Bedarf des Unternehmens sind mehr oder weniger große Anpassungsleistungen zu vollbringen, die einerseits inhaltlich bedingt sind und auf der anderen Seite meist auch durch monetäre Rahmenbedingungen vorgegeben werden.
7.7 • Weitere Möglichkeiten
Mehrere Einsätze der kompetenzorientierten Vorgehensweise in kleinen und mittelständischen Unternehmen in Österreich und in Deutschland haben jedoch folgende Eckpunkte ergeben, die als Elemente einer kompetenzorientierten Vorgehensweise in der Personalentwicklung modular miteinander kombiniert werden können. Ein typischer Ablauf könnte wie im Folgenden dargestellt aussehen, wobei zu beachten ist, dass die einzelnen Schritte und deren Inhalte sich aus genannten Gründen von Unternehmen zu Unternehmen zum Teil erheblich unterscheiden können. Ziele kompetenzorientierter Beratung von Unternehmen: 5 Erarbeiten zukünftiger Ziele und Entwicklungsaufgaben für das Unternehmen 5 Ableiten von Anforderungen, die sich aus diesen Zielen und Entwicklungsaufgaben ergeben 5 Erstellen kompetenzorientierter Soll-Profile 5 Erstellen kompetenzorientierter Ist-Profile der Mitarbeiter 5 Abgleich der Profile 5 Erstellen individueller Entwicklungspläne 5 Ggf. Erweiterung oder Veränderung der personellen Ressourcen Die Ausarbeitung der Kompetenzenbilanz muss zielgruppenspezifisch erfolgen, so dass nur hilfsweise von einer einheitlichen Form ausgegangen werden kann. Kompetenzorientiertes Vorgehen soll nicht statisch stattfinden, sondern jeweils an die Bedürfnisse des Gegenübers anpassbar sein. Im Sinne einer klientenzentrierten Beratung müssen wir die Rolle der Prozessverantwortlichen übernehmen, deren Aufgabe es vor allem ist, auf die Fragestellungen der Klienten, ob es sich dabei um Unternehmen oder Einzelpersonen handelt, einzugehen. Im organisationalen Kontext wirft dies die Frage auf, wem gegenüber sich der Coach verantwortlich fühlt: dem Teilnehmer oder dem geldgebenden Unternehmen, von dem der Coach möglicherweise finanziell in hohem Maße abhängig ist. Die Antwort hierauf muss immer und ohne Einschränkung lauten:
215
7
Eckpunkte für kompetenzorientiertes Arbeiten in Unternehmen
Individuum steht im Mittelpunkt
> Wichtig In der kompetenzorientierten Laufbahnberatung ist das Recht auf die Verschwiegenheit des Coaches ohne Einschränkung zu wahren.
Ohne ein Vertrauensverhältnis ist eine kompetenzorientierte Laufbahnberatung nicht durchführbar. Diese Voraussetzung verlangt auch vom Unternehmen ein hohes Maß an Vertrauen gegenüber dem Coach und den eigenen Mitarbeitern. Coach, Mitarbeiter und Unternehmen können nur auf einer ähnlichen Wertebasis konstruktiv zusammenarbeiten, so dass für alle Beteiligten eine Wachstumsmöglichkeit geschaffen werden kann. Wir sind der Überzeugung und haben einige empirische Hinweise darauf, dass ein solches gemeinsames
Vertrauensverhältnis
216
Kapitel 7 • Anwendungsfelder und Einsatzmöglichkeiten der Kompetenzorientierten
Kompetenzorientierung ist wertgeleitet
7
Wachstum möglich ist und eine kompetenzorientierte Beschäftigung mit Personen und Organisationen ein Baustein dafür sein kann. Wir haben an einigen Stellen über Werte gesprochen. Kompetenzorientierte Laufbahnberatung und kompetenzorientiertes Vorgehen an sich sind in hohem Maße in der Lage, individuellen, unternehmerischen und gesellschaftlichen Nutzen zu schaffen. Dies allerdings immer vor dem Hintergrund eines wertegeleiteten, humanistischen Menschenbilds, welches die Bedürfnisse des Individuums in den Mittelpunkt des Interesses stellt. Mehr denn je sollten Arbeitsprozesse an den Menschen und seine Kompetenzen angepasst werden, statt Personen darauf zu trainieren, sich in ihrem fachlichen, methodischen, personalen und sozialen Vorgehen scheinbar unabänderlichen Zwängen zu unterwerfen. Denn eine Unterwerfung des Individuums bedeutet das Ende von Kreativität und Entwicklungsfähigkeit – sowohl für den Einzelnen als auch für die Gemeinschaft. Und ein solcher Stillstand ist weder für das Individuum noch für die Gemeinschaft, in der es lebt und handelt, wünschenswert.
217
Literatur
T. Lang-von Wins, C. Triebel, Karriereberatung, DOI 10.1007/978-3-642-20066-3, © Springer-Verlag Berlin Heidelberg 2012
218
Literatur
[1] Ant, M. (2004). Die Auswirkungen von Kompetenzenbilanzen auf das Selbstwertgefühl von Arbeitslosen. Luxemburg: Editions d’Letzebuerger Land. [2] Argyris, C. (1957). Personality and organization: The conflict between system and the individual. New York: Harper & Row. [3] Ajzen, I. & Fishbein, M. (1980). Understanding attitudes and predicting social behavior. Englewood-Cliffs: Prentice-Hall. [4] Argyris, C. (1975). Das Individuum und die Organisation: Einige Probleme gegenseitiger Anpassung. In: K. Türk (Hrsg.) Organisationstheorie (S. 215–233). Hamburg: Hoffmann & Campe. [5] Arthur, M. B. & Rousseau, D. M. (1996). The boundaryless career: A new employment principle for a new organizational era. New York: Oxford University Press. [6] Ashford, S. J. & Taylor, M. S. (1990). Adaptation to work transitions: An integrative approach. In: G. R. Ferris & K. M. Rowland (Eds.), Research in personnel and human resources management (Vol. 8, pp 1–39). Greenwich: JAI Press. [7] Baitsch, C. & Schilling, A. (1990). Zum Umgang mit identitätsbedrohender Arbeit. Psychosozial, 13, S. 26–39. [8] Bandura, A. C. (1977). Toward a unifying theory of behavioral change. Psychological Review, 84, pp 191–215. [9] Bateman, T.S. & Crant, J.M. (1993). The proactive component of organizational behavior. Journal of Organizational Behavior, 14, pp 103–118. [10] Bauer, H. & Triebel, C. (2011). KomBI-Laufbahnberatung – Kompetenzorientiert, biografisch, interkulturell. Augsburg: Tür an Tür Integrationsprojekte gGmbH. [11] Boehnke, K., Fuß, D. & Rupf, M. (2001). Values and well-being: The mediating role of worries. In: P. Schmuck & K. M. Sheldon (eds). Life goals and well-being. Seattle: Hogrefe & Huber. [12] Boost, C. & Buscher, H.S. (2009). Zeitarbeit in Deutschland und Europa. Wirtschaft im Wandel, 15, 74–80. [13] Brandstätter, H. (1988). Sechzehn Persönlichkeits-Adjektivskalen (16 PA) als Forschungsinstrument anstelle des 16PF. Zeitschrift für Experimentelle und Angewandte Psychologie, 35, S. 370–391. [14] Bridges, W. (1994). JobShift: how to prosper in a workplace without jobs. Reading, MA: Addison Wesley. [15] Bronfenbrenner, U. (1989). Die Ökologie der menschlichen Entwicklung. Frankfurt am Main: Fischer. [16] Brott, P. E. (2004). Constructivist assessment in career counseling. Journal of career development, 30, pp 189–200. [17] Bruggemann, A., Groskurth, P. & Ulich, E. (1975). Arbeitszufriedenheit. Bern: Huber. [18] Chomsky, N. (1972). Aspekte der Syntax-Theorie. Frankfurt a. Main: Suhrkamp. [19] Civelli, F. (1998). Personal competencies, organizational competencies, and employability. Industrial and Commercial Training, 30, pp 48–52. [20] Crant, J.M. (2000). Proactive behavior in organizations. Journal of Management, 26, pp 435–462. [21] Crant, J. M. & Bateman, T. S. (2000). Charismatic leadership viewed from above: The impact of proactive personality. Journal of Organizational Behavior, 21, pp 63–75. [22] De Masi, D. (2000). A sociedade pós-industrial. Sao Paulo: SENAC-SP. [23] Drucker, P. (1969). The age of discontinuity: Guidelines to our changing society. New York: Harper & Row. [24] Drucker, P. (1998). Die Praxis des Managements. Düsseldorf: Econ. [25] Englmann B. & Müller, M. (2007). Brain Waste. Die Anerkennung von ausländischen Qualifikationen in Deutschland. Augsburg. URL: www.berufliche-anerkennung.de/brain-waste.html (Stand: 13.07.2011) [26] Epston, D. & White, M. (1990). Narrative means to therapeutic ends. New York: Norton. [27] Erikson, E. S. (1973). Das Problem der Ich-Identität. In: E. S. Erikson, Identität und Lebenszyklus (S. 123–212). Frankfurt am Main: Suhrkamp.
Literatur
[28] Erpenbeck, J. & von Rosenstiel, L. (2003). Einführung. In: J. Erpenbeck & L. v. Rosenstiel (Hrsg.), Handbuch Kompetenzmessung (S. IX–XL). Stuttgart: Schäffer Poeschel. [29] Facharbeitskreis Kompetenzfeststellung (Hrsg.). (2009). Praxishandreichung – Qualitätsstandards und migrationsspezifische Instrumente zu Kompetenzfeststellung und Profiling, 2. Aufl. Augsburg: Tür an Tür Integrationsprojekte gGmbH. [30] Fischer-Rosenthal, W. & Rosenthal, G. (2007). Analyse narrativ-biographischer Interviews. In: U. Flick, E. von Kardorff & I. Steinke (Hrsg.), Qualitative Forschung. Ein Handbuch (5. Aufl., S. 456–468). Reinbek: Rowohlt. [31] Fugate, M., Kinicki, A. J. & Ashforth, B. E. (2004). Employability: A psycho-social construct, its dimensions, and applications. Journal of Vocational Behavior, 65, pp 14–38 [32] Gergen, K. J. (2001). Psychological science in a postmodern context. American Psychologist, 56, 10, pp 803–813. [33] Gerstenmeier, J. (2003). Konstruktivistisch orientierte Beratung. Beratung Aktuell, 1, S. 4–22. [34] Gillen, J. (2006). Kompetenzanalysen als berufliche Entwicklungschance. Bielefeld: Bertelsmann. [35] Grawe, K. (2000). Psychologische Therapie, 2. Aufl. Göttingen: Hogrefe. [36] Greenberg, J. (1990). Employee theft as a reaction to underpayment inequity: the hidden costs of pay cuts. Journal of Applied Psychology, 75, pp 561–568. [37] Greenberg, J. (1993). Stealing in the name of justice: informational and interpersonal moderators of theft reactions to underpayment inequity. Organizational Behavior & Human Decision Processes, 54, pp 81–103. [38] Greif, S. (1978). Intelligenzabbau und Dequalifizierung durch Industriearbeit? In: M. Frese, S. Greif & N. Semmer (Hrsg.), Industrielle Psychopathologie (S. 232–256). Bern: Huber. [39] Gysbers, N., Heppner, M. & Johnston, J. (1998). Career counseling: Process, issues, and techniques. Needham Heights: Allyn & Bacon. [40] Hall, D. T. (1976). Careers in organizations. Glenview, IL: Scott Foresman. [41] Hall, D. T. (2004). The protean career: A quarter-century journey. Journal of Vocational Behavior, 65, pp 1–13. [42] Hall, D. T. & Mirvis, P.H. (1996). The new protean career: Psychological success and the path with a heart. In: D.T. Hall et al. (eds), The career is dead – long life the career: A relational approach to careers (pp 15–45). San Francisco: JosseyBass. [43] Hall, D. T. & Moss, J. E. (1998). The new protean career contract: Helping organizations and employees adapt. Organizational dynamics, 26, pp 22–37. [44] Hobfoll, S.E. (1998). Stress, culture and community. New York: Plenum Press. [45] Hoff, E.-H. (1990). Identität und Arbeit - Zum Verständnis der Bezüge in Wissenschaft und Alltag. Psychosozial, 13, S.7–25. [46] Hohner, H.-U. (2006). Laufbahnberatung. Bern: Huber. [47] Holland, J. L. (1996). Exploring careers with a typology: What we have learned and some new directions. American Psychologist, 51, pp 397–406. [48] Holtrup, A. (2009). Subjektives Erleben von Zeitarbeit. In: Arbeitnehmerkammer Bremen (Hrsg.), Zeitarbeit in Bremen (S. 141–227). Bremen: Arbeitnehmerkammer Bremen. [49] Kernbeiß, G. & Wagner-Pinter, M. (2007). Die eigenen Kompetenzen bilanzieren: Mit welchen Erfolgen ist zu rechnen? Fokusbericht 2007/10. Wien: Synthesis Forschung GmbH. [50] Keupp, H. et al. (2002). Identitätskonstruktionen. Das Patchwork der Identitäten in der Spätmoderne. Reinbek: Rowohlt. [51] Kilburg, R. (2000). Executive Coaching. Washington, D.C.: APA. [52] Kirby, E. G., Kirby, S. L. & Lewis, M. A. (2002). A study of the effectiveness of training proactive thinking. Journal of Applied Social Psychology, 32, pp 1538–1549.
219
220
Literatur
[53] Kirchhöfer, D. (2004). Lernkultur Kompetenzentwicklung. Begriffliche Grundlagen. Berlin: Arbeitsgemeinschaft Betriebliche Weiterbildungsforschung e.V., Projekte QUEM. [54] Klipstein, M. von & Strümpel, B. (Hrsg.). (1985). Gewandelte Werte – erstarrte Strukturen. Wie die Bürger Wirtschaft und Arbeit erleben. Bonn: Neue Gesellschaft. [55] Krapp, A. & Ryan, R. M. (2002). Selbstwirksamkeit und Lernmotivation. Zeitschrift für Pädagogik, 44, S. 54–82. [56] Krumboltz, J., Mitchell, A. & Jones, G. (1976). A social learning theory of career selection. Counseling Psychologist, 6, pp 71–81. [57] Küpper, N. & Ehlers, G. (2001). Employability aus Sicht der Adam Opel AG. In: R. Lombriser & H. Uepping (Hrsg.), Employability statt Jobsicherheit (S. 127–146). Neuwied: Luchterhand. [58] Lang-von Wins, T. (1997). Zum Einfluss von Selbstwirksamkeitserwartungen auf die berufliche Karriere. In: L. v. Rosenstiel, T. Lang-von Wins & E. Sigl (Hrsg.), Perspektiven der Karriere (S. 101–117). Stuttgart: Schäffer-Poeschel. [59] Lang-von Wins, T. (2003). Die Kompetenzhaltigkeit von Methoden moderner psychologischer Diagnostik-, Personalauswahl- und Arbeitsanalyseverfahren sowie aktueller Management-Diagnostik-Ansätze. In: J. Erpenbeck & L. von Rosenstiel (Hrsg.), Handbuch Kompetenzmessung (S. 585–618). Stuttgart: Schäffer-Poeschel. [60] Lang-von Wins, T. (2004a). Der Unternehmer. Arbeits- und organisationspsychologische Grundlagen. Berlin: Springer. [61] Lang-von Wins, T. (2004b). Kick Off – Ein kompetenzbasiertes Coaching für Unternehmensgründer. Innsbruck: Zukunftszentrum Tirol. [62] Lang-von Wins, T. (2007). Employability coaching: Results from a longitudinal evaluation-study. Paper presented at the XIIIth European Congress of Work and Organizational Psychology, Stockholm. [63] Lang-von Wins, T. (2009). Biografiegestützte Kompetenzdiagnose. In W. G. Faix & M. Auer (Hrsg.), Talent. Kompetenz. Management (S. 265–284). Stuttgart: Steinbeis. [64] Lang-von Wins, T. & Kaschube, J. (i.V.). Eine deutsche Version der proactive personality scale. [65] Lang-von Wins, T. & Triebel, C. (2005). Kompetenzenbilanz – Ein Verfahren zur Förderung eigenverantwortlichen Handelns? Gruppendynamik und Organisationsentwicklung, 36, S. 175–190. [66] Lang-von Wins, T., Mohr, G. & von Rosenstiel, L. (2004). Kritische Laufbahnübergänge: Erwerbslosigkeit, Wiedereingliederung und Eintritt in den Ruhestand. In: H. Schuler (Hrsg.), Enzyklopädie der Psychologie, Serie III Wirtschafts-, Organisations- und Arbeitspsychologie, Band 3 Organisationspsychologie – Grundlagen der Personalpsychologie (S. 1113–1189). Göttingen: Hogrefe. [67] Lang-von Wins, T., Gruber-Hatteier, M, Niederstrasser, B., Passer, C., Thelen, N., Triebel, C. & Vogelsberger, P. (2005b). Die Kompetenzenwerkstatt – Eine Orientierungshilfe für Jugendliche. Innsbruck: Zukunftszentrum Tirol. [68] Lang-von Wins, T., Thelen, N. & Triebel, C. (2007). Kompetenzwerkstatt für Schüler und Jugendliche. In J. Erpenbeck & L. von Rosenstiel (Hrsg.), Handbuch Kompetenzmessung (S. 422–427). Stuttgart: Schäffer-Poeschel. [69] Laur-Ernst, U. (1999). Informelles Lernen: individuelle Alternative beruflicher Komptenzentwicklung. In: P. Dehnbostel, W. Markert & H. Novak (Hrsg.), Workshop Erfahrungslernen in der beruflichen Bildung. Beiträge zu einem kontroversen Konzept (S. 71–83). Neusäß: Kieser. [70] Lazarus, R. S. (1990). Streß und Streßbewältigung – ein Paradigma. In S.-H. Filipp (Hrsg.), Kritische Lebensereignisse (S. 198–232). München: PVU. [71] Lazarus, R. S. & Launier, R. (1981). Streßbezogene Transaktionen zwischen Person und Umwelt. In J. Nitsch (Hrsg.), Streß. Theorien, Untersuchungen, Maßnahmen (S. 213–259). Bern: Huber.
Literatur
[72] Lee, F. K. & Johnston, J. A. (2001). Innovations in career counseling. Journal of career development, 27, pp 177–186. [73] Lent, R. W., Brown, S. D. & Hackett, G. (1994). Toward a unifying social cognitive theory of career and academic interest, choice, and performance. Journal of Vocational Behavior, 45, pp 79–122. [74] Lewis, T. F. & Osborn, C. J. (2004). Solution-focused counseling and motivational interviewing: A consideration of confluence. Journal of Counseling & Development, 82, pp 38–48. [75] Lombriser, R. & Lehmann, J. A. (2001). Wandel der Wirtschaft. In: R. Lombriser & H. Uepping (Hrsg.), Employability statt Jobsicherheit (S. 1–60). Neuwied: Luchterhand. [76] Lovén, A. (2003). The paradigm shift – rhetoric or reality? International Journal for Educational and Vocational Guidance, 3, pp 123–135. [77] Maddux, J. E. & Lewis, J. (1995). Self-efficacy and adjustment: Basic principles and issues. In: J. E. Maddux (Ed.), Self-efficacy, adaptation, and adjustment (pp 37–68). New York: Plenum.. [78] Mayor, F. (1999). Un monde nouveau. Paris: Éditions Odile Jacob/Unesco. [79] McClelland, D. C. (1973). Testing for competence rather than for »intelligence«. American Psychologist, 28, pp 1–14. [80] McLeod, J. (2004). Counselling – eine Einführung in Beratung. Tübingen: dgvt. [81] Meijers, F. (1998). The development of a career identity. International Journal for the Advancement of Counseling, 20, pp 191–207. [82] Mintzberg, H. (1995). Die strategische Planung: Aufstieg, Niedergang und Neubestimmung. München: Hanser. [83] Morrison, E.W. & Phelps, C.C. (1999). Taking charge at work: Extra-role efforts to initiate workplace change. Academy of Management Journal, 42, pp 403–419. [84] Nerdinger, F. W. (1997). Integration des Fach- und Führungsnachwuchses in flexible Organisationen. In: L. von Rosenstiel, T. Lang-von Wins & E. Sigl (Hrsg.), Perspektiven der Karriere (S. 43–62). Stuttgart: Schäffer-Poeschel. [85] Orlinsky, D. E., Grawe, K. & Parks, B. K. (1994). Process and outcome in psychotherapy. In: A. E. Bergin & S. L. Garfield (Hrsg.), Handbook of psychotherapy and behavior change, 4th ed. (pp 270376). Oxford: Wiley. [86] Parsons, F. (1909). Choosing a vocation. Boston: Houghton Mifflin. [87] Piaget, J. (1975). Die Psychologie des Erkennens. Bd. 3. Das biologische Denken. Das psychologische Denken. Das soziologische Denken. Stuttgart: Klett. [88] Pietrzyk, U. (2004). Evaluation unterschiedlicher Beschäftigungsformen unter dem Aspekt der Entwicklung beruflicher Handlungskompetenz und Gesundheit. In: B. Bergmann et al. (Hrsg.), Arbeiten und Lernen (edition QUEM, Band 17). Münster: Waxmann. [89] Rauen, C. (Hrsg.). (2003). Handbuch Coaching. Göttingen: Hogrefe. [90] Riedel, J. (2003). Coaching für Führungskräfte. Erklärungsmodell und Fallstudien. Wiesbaden: Deutscher Universitäts-Verlag. [91] Rogers, C. R. (1959). A theory of therapy, personality and interpersonal relationship as developed in the client-centered framework. In: S. Koch (Ed.), Psychology: A study of science (vol. III, pp. 184–256). New York/London/Toronto: McGraw Hill. [92] Rosenstiel, L. von & Lang-von Wins, T. (Hrsg.) (2000). Perspektiven der Potentialbeurteilung. Göttingen: Verlag für Angewandte Psychologie. [93] Rosenstiel, L. von, Nerdinger, F. W. & Spieß, E. (1991). Was morgen alles anders läuft. Die neuen Spielregeln für Manager. Düsseldorf: Econ. [94] Rosenthal, G. (2002). Biographisch-narrative Gesprächsführung: Zu den Bedingungen heilsamen Erzählens im Forschungs- und Beratungskontext. Psychotherapie und Sozialwissenschaften, 4, S. 204–227. [95] Savickas, M. (1993). Career counseling in the postmodern era. Journal of Cognitive Psychotherapy, 7, pp 205–215.
221
222
Literatur
[96] Schlippe, A. von (2003). Lehrbuch der systemischen Therapie und Beratung, 10. Aufl. Göttingen: Vandenhoek & Ruprecht. [97] Schneewind, K. A., Schröder, G. & Cattell, R. B. (1983). Der 16-PersönlichkeitsFaktoren-Test (16 PF). Bern: Huber. [98] Schuler, H. (1990). Personalauswahl aus der Sicht der Bewerber: Zum Erleben eignungsdiagnostischer Situationen. Zeitschrift für Arbeits- und Organisationspsychologie, 34, 184–191. [99] Schuler, H. & Stehle, W. (1983). Neuere Entwicklungen des Assessment-Center-Ansatzes – beurteilt unter dem Aspekt der sozialen Validität. Psychologie und Praxis: Zeitschrift für Arbeits- und Organisationspsychologie, 27, S. 33–44. [100] Schütze, F. (1984). Kognitive Figuren autobiographischen Stegreiferzählens. In: M. Kohli & G. Robert (Hrsg.), Biografie und soziale Wirklichkeit. Neue Beiträge und Forschungsperspektiven (S. 78–117). Stuttgart: Metzler. [101] Schwartz, S. H. (1992). Universals in the content and structure of values: Theoretical advances and empirical tests in 20 countries. Advances in Experimental Social Psychology, 25, pp 1–65. [102] Seibert, S. E., Crant, J. M. & Kraimer, M. L. (1999). Proactive personality and career success. Journal of Applied Psychology, 84, pp 416–427. [103] Seligman, M. E. P. (1986). Erlernte Hilflosigkeit (3. Auflage). München: PVU/ Urban & Schwarzenberg. [104] Seligman, M. E. P. (2001). Pessimisten küsst man nicht – Optimismus kann man lernen. München: Knaur. [105] Shazer, S. de (1985). Keys to solution in brief therapy. New York: Norton. [106] Shazer, S. de (1988). Clues. Investigating solutions in brief therapy. New York: Norton. [107] Shazer, S. de et al. (1986). Brief therapy: Focused solution development. Family Process, 25, pp 207–221. [108] Shippmann, J. S., Ash, R. A., Battista, M., Carr, L., Eyde, L. D., Hesketh, B., Kehoe, J., Pearlman, K., Prien, E. P. & Sanchez, J. I. (2000). The practice of competency modeling. Personnel Psychology, 53, pp 703–740. [109] Skinner, B. F. (1953). Science and human behavior. New York: Macmillan. [110] Speier, C. (1994). Selbstwirksamkeit als Einflußfaktor im Selbstselektionsprozess von Hochschulabsolventen in Ost- und Westdeutschland. In: L. von Rosenstiel, T. Lang & E. Sigl (Hrsg.), Fach- und Führungsnachwuchs finden und fördern (S. 179–187). Stuttgart: Schäffer-Poeschel. [111] Strehmel, P. & Ulich, D. (1991). Belastende Lebensveränderungen und Entwicklung: Eine Follow-Up Studie über Auswirkungen von Arbeitslosigkeit. Schweizerische Zeitschrift für Psychologie, 50, S. 64–76. [112] Thömmes, J. & Kop, J. L. (2000). Der »bilan de compétence« in Frankreich: ein eigenständiges eignungsdiagnostisches Instrument der Potentialbeurteilung. In: L. v. Rosenstiel & T. Lang-von Wins (Hrsg.), Perspektiven der Potentialbeurteilung (S. 201–223). Göttingen: Verlag für Angewandte Psychologie. [113] Tractenberg, L., Streumer, J. & van Zolingen, S. (2002). Career counselling in the emerging post-industrial society. International Journal for Educational and Vocational Guidance, 2, pp 85–99. [114] Triebel, C. (2009). Kompetenzbilanzierung als psychologische Intervention – Wirkfaktoren und Wirkprinzipien in Laufbahnberatung und Coaching. Dissertation an der Universität der Bundeswehr München. Verfügbar unter http://137.193.200.7:8081/doc/86279/86279.pdf [115] Triebel, C. (2010). Kompetenzbilanzierung als psychologische Intervention – Wirkfaktoren und Wirkprinzipien in Laufbahnberatung und Coaching. Saarbrücken: Südwestdeutscher Verlag für Hochschulschriften. [116] Triebel, C. & Lang-von Wins, T. (2007). Die Kompetenzenbilanz – Ein Verfahren der kompetenzorientierten Laufbahnberatung. Moosinning: PerformPartner. [117] Triebel, C. & Lang-von Wins, T. (2008). Ergebnisbericht zum Modellprojekt Kompetenzenbilanz 50+ in Rheinland-Pfalz. München: PerformPartner.
Literatur
[118] Triebel, C. & Lang-von Wins, T. (2009). Paradigmenwechsel – Die Zukunft liegt in kompetenzorientierter Personalarbeit. Wirtschaftspsychologie aktuell, 1, S. 19–22. [119] Weinert, F.E. (2001). Concept of competence: A conceptual clarification. In: D. Rychen & L. Salganik (Eds.), Defining and selecting key competencies (pp 45–65). Kirkland: Huber-Hogrefe Publishers. [120] White, R. (1959). Motivation reconsidered. The concept of competence. Psychological Review, 66, pp 297–333. [121] Winkelmann, C. (2009). Möglichkeiten der Integration primärpräventiver Inhalte in die Lehrerbildung: Entwicklung und Erprobung eines Ressourcentrainings für angehende und berufstätige Lehrkräfte an berufsbildenden Schulen sowie eines Kompetenztrainings für das Berufsvorbereitungsjahr. Göttingen: Sierke. [122] Wolf, B. (2007). Was löst die Kompetenzenbilanz bei den TeilnehmerInnen aus? Unveröffentlichtes Vortragsmanuskript. Innsbruck: Zukunftszentrum Tirol. [123] Zempel, J. & Frese, M. (2000). Prädiktoren der Erwerbslosigkeit und Wiederbeschäftigung. Verhaltenstherapie und psychosoziale Praxis, 32, S. 379–390.
223
225
Stichwortverzeichnis
T. Lang-von Wins, C. Triebel, Karriereberatung, DOI 10.1007/978-3-642-20066-3, © Springer-Verlag Berlin Heidelberg 2012
226
Stichwortverzeichnis
A Aktivierung 150 ALGII-Empfänger 156 Anpassungsfähigkeit 22 Arbeitsprojekte 9 Arbeitszufriedenheit 155 Ausbildung 135
B Belegen von Kompetenzen 100, 144 Beratungsverhältnis 61 Berufliche Belastetheit 159 berufliche Gestaltungsfähigkeit 52 Berufsberatung 54, 197 Berufswahl 200 Beziehung zwischen Berater und Beratenem 182 Biografie 64, 66, 69, 152 biografische Brüche 156 biografische Sammlung 141 biografisches Erzählen 184 Burnout 166
Erfahrungsvielfalt 124 Ergebniserwartungen 49 Ergebnisverantwortung 146 Erwartungshaltung 147 EU-Lebenslauf 143 Evaluation 140 Existenzgründung 204
Kompetenzen 36, 144 Kompetenzenbilanz 58, 59 Kompetenzenbilanz 50+ 150 Kompetenzenwerkstatt 196 Komplexität 124 Können-Skala 80 Kontrollüberzeugungen 150
F
L
Fachkompetenz 41 Fertigkeiten 75, 144 Folienfragebögen 145 Freiwilligkeit 62 Fremdbild 145
Langzeitbeschäftigung 9 Langzeiterwerbslosigkeit 145 Laufbahnentwicklung 56 Laufbahnfortschritte 155 Laufbahnidentität 22 Lebensprofil 141 Lebenssituation 147 Lebensziele 12 Leidensdruck 170 Lernen am Erfolg 183 Lerngelegenheiten 36 Lerngeschichte 47 lösungsorientierte Beratung 52 Lösungsorientierung 70, 72
G Gestaltungsfähigkeit 10 Gestaltungskriterien 130 Grawe 180 Grenzen des Coachings 136
H C CIT (\critical incident technique\ 91 Coaching 47
D Determinismus 119 Deutungsmuster 158 Distanzierungsstrategien 157
E Eigeninitiative 37 Eigenverantwortung 37, 214 Empathie 53 Employability 21 Empowerment 164 enttäuschte Kontrollhoffnung 159 Entwertungserleben 201 Entwicklungsassessment-Center 209 Erfahrungslernen 63 Erfahrungsmenge 124
Handlungskompetenzen 41 Humankapital 22
I Identität 24, 45 implizites Lernen 37 Intentionsrealisierung/Problembewältigung 182 Intentionsveränderung 181 Interessen 43 internale Kontrollüberzeugung 45 invasive Messung 107
M Metakompetenzen 41 Methodenkompetenz 41 Migration 211 miracle question 53 Mixed-Method-Ansatz 140 motivational interviewing 53
N nächste Schritte/Ziele 112
O K Klientenzentrierung 68 KomBI-Laufbahnberatung 213 Kompetenzbegriffe überprüfen 109 Kompetenzbeschreibung 125 – Dimensionen der 123 – quantifizierende 126 Kompetenzbilanzierung in Unternehmen 135
Offenheit 45 Optimismus 25, 45 Outplacement 201
P Passung 42 Performanz 40 personale Kompetenz 41 Personalentwicklung 207
227
Stichwortverzeichnis
Persönlichkeitsmerkmale 15 Person-Umwelt-Passung 14 Proaktivität 26, 45, 150 Projektplanung 198 proteische Karriere 11 Prozessbegleiter 134 Prozessverantwortung 71 psychologische Intervention 180 psychologischer Vertrag 20
Q Qualifikationsrahmen 47 Qualitätsstandard zur Kompetenzfeststellung 61
T Tätigkeit – gegenwärtige 145 – ideale 145 Tätigkeitsanalyse 84 Teamentwicklung 210 Testverfahren 14 theory of planned behaviour 150 Transparenz 61, 70
U Umorientierungsprozesse 7 unternehmerisches Handeln 37
R
V
Reaktanz 53 Reflexionsprozess 66 Ressourcen 50 ressourcenaktivierende Beratung 50 Ressourcenaktivierung 48, 164, 181 Ressourcenorientierung 148
Vermeidungstendenzen 156 Verschwiegenheit 215
S salutogenetische Ausrichtung 52 schriftliche Dokumentation 110 schriftliche Kompetenzdokumentation 121 Selbstbild 145, 202 Selbstkonzept 50, 150 Selbstkonzept eigener Fähigkeiten 150 Selbstorganisationsdispositionen 40 Selbstreflexion 49 Selbstreflexionsfähigkeit 211 Selbstreflexivität 124 Selbstständigkeit 165 Selbstverantwortung 53 Selbstverwirklichung 13 Selbstwirksamkeitserleben 183 Selbstwirksamkeitserwartung 25, 45 Selbstwirksamkeitserwartungen 150 SMART-Kriterien 112 soziale Kompetenz 41 soziales Kapital 22
W Weiterbildungsplanung 209 Werte 31 Wertewandel 13 Wertorientierung 98 Wertschätzung 73 Wirkfaktoren 213 Wirkprinzipien 213 Worthülsen 78
Z Zeitarbeit 9 Zeitaufwand 146 Zeitrahmen 89 Ziel-Typen 113 Ziele 147 Zukunftszentrum Tirol 58
A–Z