Arbeits- und organisationspsychologische Techniken
Thomas Lang-von Wins Claas Triebel
Kompetenzorientierte Laufbahnberatung Mit 7 Tabellen
13
Dr. Thomas Lang-von Wins
Dipl. Psych. Claas Triebel
Ludwig-Maximilians-Universität München Organisations- und Wirtschaftspsychologie Leopoldstr. 13 80802 München
[email protected] ...Perform Arbeitsgruppe für Angewandte Personalforschung Gräfstr. 28 81241 München
[email protected] ISBN-10: 3-540-23716-X ISBN-13: 978-3-540-23716-7 Springer Medizin Verlag Heidelberg Bibliografische Informationen der Deutschen Bibliothek Die Deutsche Bibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über (http://dnb.ddb.de) abrufbar. Dieses Werk ist urheberrechtlich geschützt. Die dadurch begründeten Rechte, insbesondere die der Übersetzung, des Nachdrucks, des Vortrags, der Entnahme von Abbildungen und Tabellen, der Funksendung, der Mikroverfilmung oder der Vervielfältigung auf anderen Wegen und der Speicherung in Datenverarbeitungsanlagen, bleiben, auch bei nur auszugsweiser Verwertung, vorbehalten. Eine Vervielfältigung dieses Werkes oder von Teilen dieses Werkes ist auch im Einzelfall nur in den Grenzen der gesetzlichen Bestimmungen des Urheberrechtsgesetzes der Bundesrepublik Deutschland vom 9. September 1965 in der jeweils geltenden Fassung zulässig. Sie ist grundsätzlich vergütungspflichtig. Zuwiderhandlungen unterliegen den Strafbestimmungen des Urheberrechtsgesetzes. Springer Medizin Verlag. Ein Unternehmen von Springer Science+Business Media springer.de © Springer Medizin Verlag Heidelberg 2006 Printed in Germany Die Wiedergabe von Gebrauchsnamen, Handelsnamen, Warenbezeichnungen usw. in diesem Werk berechtigt auch ohne besondere Kennzeichnung nicht zu der Annahme, dass solche Namen im Sinne der Warenzeichen- und MarkenschutzGesetzgebung als frei zu betrachten wären und daher von jedermann benutzt werden dürften. Produkthaftung: Für Angaben über Dosierungsanweisungen und Applikationsformen kann vom Verlag keine Gewähr übernommen werden. Derartige Angaben müssen vom jeweiligen Anwender im Einzelfall anhand anderer Literaturstellen auf ihre Richtigkeit geprüft werden. Planung: Dr. Svenja Wahl Projektmanagement: Michael Barton Lektorat: Friederike Moldenhauer, Hamburg Umschlaggestaltung: deblik, Berlin SPIN 11325062 Satz und Druck: Stürtz GmbH, Würzburg Gedruckt auf säurefreiem Papier 2126 – 5 4 3 2 1 0
V
Geleitwort Die Auseinandersetzung mit der Zukunft von Arbeit und Wirtschaft bringt eine Konfrontation mit Veränderungen mit sich, die sehr schnell verlaufen. Innerhalb weniger Jahre ist die Wirtschaft global geworden; die Welt ist ein großer Marktplatz, neue Technologien und Medien haben völlig neue Arbeits- und Kommunikationsformen ermöglicht. Für viele Menschen wirken diese Veränderungen bedrohlich. Diese Schreckgespenster zu Beginn des dritten Jahrtausends haben Namen, die die Probleme dieser Zeit widerspiegeln: Massenentlassungen, Betriebsabwanderungen, Billiglohnländer, Konkurswellen. In Gesellschaften, in denen Erwerbstätigkeit eine zentrale Rolle im Leben der Menschen spielt, bangen Millionen um ihre Jobs, ganz zu schweigen von jenen, die heute bereits Teil der vielen Arbeitslosen im noch bis vor kurzem blühenden Europa sind. Der Wandel der globalisierten Wirtschaft trifft vor allem den alten Kontinent. Die Abwanderung der produktiven Wirtschaft in den pazifisch-asiatischen Raum scheint zudem momentan unumkehrbar, denn aus den Billiglohnländern sind riesige Märkte geworden. Dazu gehört bspw. China mit seinen 1,3 Milliarden potenziellen Konsumenten. Wie aber wird in Europa die Arbeit von morgen aussehen? Flexibilität ist bereits seit Jahren eine Anforderung an alle Erwerbstätigen. Der Job für’s Leben – von der Lehre bis in den Ruhestand und das womöglich noch am selben Arbeitsplatz – ist Geschichte. Die rasante Entwicklung in allen Berufsfeldern bedingt, dass Fachwissen immer schneller veraltet. Doch wenn wir heute die Anforderungen von morgen nicht kennen, wie können wir uns dann auf die Arbeitswelten der Zukunft einstellen? Eine Antwort geben die Ergebnisse einer Untersuchung der Wirtschafts- und Arbeitsforschung West (WAW) am Zukunftszentrum Tirol, die zu Beginn meiner Tätigkeit als Geschäftsführer dort erstellt wurde. Jeder Dritte auf dem Tiroler Arbeitsmarkt, so die Studie, wechselte innerhalb von fünf Jahren den Job, die Branche oder beides. Eine derartige Bewegung am Arbeitsmarkt hat mich überrascht und zugleich innehalten lassen. Was heißt das, wenn ein Tischler bereits morgen zum Verkäufer, die Friseurin zur Krankenpflegerin wird? Für mich lautete die Antwort: Die Menschen können mehr, als sie sich selbst zutrauen, mehr, als in Zeugnissen und Zertifikaten steht. Es ist wissenschaftlich belegt, dass wir 70% von dem, was wir wissen und können, uns außerhalb von Bildungseinrichtungen aneignen. Dazu kommt, dass 30% dessen, was wir am besten können, uns nicht bewusst ist. Für viele gilt aber wenn sie sich selbst betrachten: ich kann nichts, ich bin nichts, aus mir wird nichts. Sicher, der Kompetenzengedanke war europaweit bereits seit einigen Jahren ein großes Thema. Der Anerkennung von außerberuflich erworbenen Kompetenzen wurde bereits unter EU-Kommissionspräsident Delors 1995 im Weißbuch zur allgemeinen und beruflichen Bildung breiter Raum gewidmet. Einzelne Staaten wie Frankreich, die Niederlande, Großbritannien, Italien, Spanien oder Portugal hatten bereits Gesetze beschlossen, Kompetenzen anzuerkennen, gleichgültig, wo und wie sie erworben wurden. Und doch fehlte für die Umsetzung derartiger Richtlinien Entscheidendes: Es mangelte an einer Methode und der Möglichkeit, informell erworbene Fertigkeiten festzustellen und anzuerkennen. Das vielfältige Vorwissen galt es in meinen Augen zu nutzen, die Theorie musste in die Praxis umgesetzt werden. Die große Schwierigkeit bestand darin, den bereits ausgeprägten psychodiagnostischen Bereich zurückzudrängen. Wie immer das Verfahren aussehen sollte, es durfte kein Test werden. Wir wollten Menschen in Bewegung bringen, anstatt ihnen zu sagen, was sie
zu tun hätten. Die Teilnehmenden sollten über ihr eigenes Leben nachdenken, darüber, was sie können, worin sie gut sind, woher sie ihre Werte haben. Die Frage nach den wissenschaftlichen Partnern, mit denen ein solches Verfahren zu realisieren war, stellte sich nicht. Die erste Adresse war Professor Lutz von Rosenstiel und sein Team rund um PD Dr. Thomas Lang von Wins und Claas Triebel. Zu meiner Freude, und zum Glück für die seit Herbst 2003 erfolgreich angewandte Kompetenzenbilanz, war er begeistert und fasziniert von der Idee, eine derartige Methode zu entwickeln. Er wollte den Schritt aus der Diskussion in die Realisierung umsetzen und hat es mit seinem Team auch geschafft. Das Feed-back, das wir von mehr als 1.300 Absolventen der Kompetenzenbilanz haben, ist der schönste Lohn für die Arbeit und Mühen aller Beteiligten. Von 100 Teilnehmern empfehlen 98 das Verfahren an Verwandte und Bekannte weiter. Ich bin der festen Überzeugung, dass es uns gemeinsam gelungen ist, die Basis für einen weiteren großen Schritt in Richtung auf die Anerkennung von Kompetenzen , zu legen. Wir werden alles daran setzen, dass weitere stärkere Schübe folgen. Das Team des Zukunftszentrum Tirol, Dr. Lang-von Wins und Claas Triebel arbeiten intensiv an weiteren Bausteinen der Kompetenzenbilanz. Ein Modul für Betriebsgründer wird bereits seit Herbst 2004 am Zukunftszentrum Tirol eingesetzt. Die alarmierende Situation orientierungsloser Jugendlicher hat uns auch auf diesem Gebiet aktiv werden lassen: Ein Verfahren, das auf die Bedürfnisse von jungen Menschen zugeschnitten ist, befindet sich in der Pilotphase. Und schließlich arbeiten wir mit unseren Partnern auch an Einsatzmöglichkeiten der Kompetenzenbilanz in Betrieben. Dass wir auch dabei erfolgreich sein werden, steht für mich außer Zweifel.
Innsbruck, im Frühjahr 2005
Bertram Wolf
VII
Vorwort der Autoren Das Wesen der Veränderung liegt darin, Altes aufzugeben, um Neues zu ermöglichen. Das Verschwinden von Altem und das Aufkommen des Neuen lässt sich gegenwärtig auf allen Ebenen unserer Gesellschaft beobachten – vieles von dem, auf das wir uns bisher verlassen konnten, ist unter den Druck geraten, sein bisheriges Bestehen zu rechtfertigen. Eine der am deutlichsten spürbaren Einflussgrößen auf unser Leben ist gegenwärtig die Wirtschaft: Sie verändert sich unter dem Druck verschiedener, und im Einzelfall schwer nachvollziehbarer, abstrakter Prinzipien. Verändert sich die Wirtschaft, so gibt sie die Last weiter an diejenigen, die von ihr abhängig sind. Wir müssen uns zusehends stärker anpassen, was es uns schwer macht, unseren Weg zu sehen oder unsere Handlungen, dort, wo wir uns anpassen, als selbstbestimmt zu erleben. Dieses Buch stellt auf anschauliche Art und Weise die theoretischen Grundlagen und die praktische Anwendung eines Beratungsverfahrens dar, das sich bislang in mehr als 1.300 Coachings bewährt hat: die Kompetenzenbilanz. Wissenschaftliche Begleituntersuchungen haben zudem beeindruckende Nachweise der Wirksamkeit des Verfahrens erbracht. Uns fiel die dankbare Aufgabe zu, unsere Namen über die Dokumentation zu setzen, die das fertige Produkt beschreibt. Doch an dem Gelingen des Ganzen war eine Vielzahl von Personen beteiligt, denen wir im Folgenden unseren Dank aussprechen wollen. Zunächst ist hier dem Präsidenten der Arbeiterkammer Tirol, Fritz Dinkhauser, zu danken, der mit der Finanzierung des zunächst hochumstrittenen Projektes ein großes politisches Risiko eingegangen ist. Bertram Wolf, der Geschäftsführer des Zukunftszentrums Tirol, ist der Pate des Verfahrens, das wir in diesem Buch vorstellen. Sein unermüdliches Engagement war eine tragende Säule des Erfolges der kompetenzorientierten Laufbahnberatung. Judith Bergner und Beate Junginger waren gerade zu Beginn des Projektes ein wichtiger Motor für die Entwicklung der Kompetenzenbilanz. Barbara Niederstrasser und Barbara Peyrer, die stets kompetenten und hochmotivierten Projektleiterinnen, sind für eine Vielzahl von Rat- und Hilfesuchenden zur eigentlichen Stimme des Zukunftszentrums Tirol geworden. Othmar Kemetmüller und Dr. Kurt Seipel sorgten aus fachlich-inhaltlicher Perspektive für das hohe Niveau des Beratungsprozesses. Das eigentliche Gesicht der Laufbahnberatung und damit das Herzstück des Prozesses aber sind die Coaches, die mehr als 1.300 Klienten in zwei Jahren hohe Wertschätzung entgegengebracht und sie bei der Aufarbeitung ihrer Stärken begleitet haben. Ihnen gebührt unser besonderer Dank. München, im Sommer 2005
Thomas Lang-von Wins und Claas Triebel
IX
Inhaltsverzeichnis 1
Paradigmenwechsel in der Laufbahnberatung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
1
1.1 1.2 1.3 1.4 1.5 1.6 1.7
Vorboten des Wandels . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Kennzeichen kritischer Brüche in der beruflichen Entwicklung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Ursachen kritischer Brüche in der beruflichen Entwicklung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Berufsverläufe werden instabil . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Konzept der »protean career« . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Wertewandel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Folgen für die Laufbahnberatung. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
2 6 7 9 11 12 13
2
Voraussetzungen einer gestaltenden Orientierung. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
17
2.1 2.2 2.3
Psychologische Verträge . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . »Employability« / Beschäftigungsfähigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Eigene Werte als Orientierungsgrundlage. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
18 21 28
3
Ansatzpunkte einer kompetenzorientierten Laufbahnberatung . . . . . . . . . . . . .
33
3.1 3.2 3.3 3.4
Der Kompetenzbegriff . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Laufbahnberatung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Prozess der Beratung. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Zielkritierien einer kompetenzorientierten Laufbahnberatung. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
34 39 44 57
4
Eine Methode der kompetenzorientierten Laufbahnberatung: Die Kompetenzenbilanz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
61
4.1 4.1.1 4.1.2 4.1.3 4.1.4 4.2 4.2.1 4.2.2 4.2.3 4.2.4 4.3 4.4
Rahmenbedingungen. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 62 Arbeiterkammer und Zukunftszentrum Tirol . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 62 Hintergrund . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 63 Ziele. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 64 Entwicklung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 66 Verfahren. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 66 Einführungsworkshop . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 67 1. Coaching . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 71 2. Coaching . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 87 3. Coaching . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 103 Schriftliche Kompetenzenbilanzen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 115 Der Coach . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 128
5
Wirkungen. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 133
5.1 5.2 5.3 5.4
Methodische Anlage der Evaluation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Beurteilung von Methode und Prozess durch die Klienten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Quantitative Längsschnittevaluation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Claudia, die Notfallschwester . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
6
Anwendungsfelder und Einsatzmöglichkeiten der kompetenzorientierten Laufbahnberatung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 161
6.1 6.2
Nutzen und Wert. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 162 Jugendliche . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 163
134 136 143 144
6.2.1 6.2.2 6.3 6.3.1 6.3.2 6.4 6.4.1 6.4.2 6.5 6.5.1 6.5.2 6.5.3 6.6
Problemstellung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Vorgehen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Outplacement und Erwerbslosigkeit. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Problemstellung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Vorgehen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Existenzgründung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Problemstellung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Vorgehen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Personalentwicklung. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Problemstellung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Vorgehen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Vorgehen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Weitere Möglichkeiten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
163 164 165 165 166 168 168 169 170 170 171 173 174
Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 177 Stichwortverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 181
1 Paradigmenwechsel in der Laufbahnberatung 1.1
Vorboten des Wandels – 2
1.2
Kennzeichen kritischer Brüche in der beruflichen Entwicklung – 6
1.3
Ursachen kritischer Brüche in der beruflichen Entwicklung – 7
1.4
Berufsverläufe werden instabil – 9
1.5
Konzept der »protean career« – 11
1.6
Wertewandel – 12
1.7
Folgen für die Laufbahnberatung – 13
2
Kapitel 1 · Paradigmenwechsel in der Laufbahnberatung
1.1
1
Vorboten des Wandels Beispiel
Fallbeispiel ManagementAudit Herr T.
Herr T. hat ein Problem. Er ist Angehöriger des mittleren Managements eines mittelständischen Unternehmens, das mit der Veränderung seiner Märkte zu kämpfen hat. Die Produkte des Unternehmens finden immer weniger Käufer und die zur Produktion eingesetzte Technologie ist veraltet. Da die Besitzer selbst die notwendigen Mittel zur Sanierung des Unternehmens nicht aufbringen konnten, haben sie sich dazu entschlossen, einen Kapitalgeber am Unternehmen zu beteiligen. Er fordert im Gegenzug für das von ihm eingebrachte Kapital auch Mitspracherechte bei der künftigen Ausrichtung des Unternehmens. Einer der Punkte, die dem Kapitalgeber wichtig sind, bezieht sich auf die Qualität des Managements, das sich einer Begutachtung durch einen externen Berater stellen soll. Im Zuge des Management-Audit, das nach einigem Hin und Her in dem Unternehmen durchgeführt wird, führt Herr T. ein Beurteilungsinterview mit einem Berater. Dabei werden ihm auch einige Tests vorgelegt, von denen Herr T. nicht weiß, was sie erfassen. Das Gespräch, das er als ausgesprochen unangenehm empfindet, weil es ihn seiner Meinung nach in eine unangemessene Rechtfertigungssituation drängt, bleibt zunächst ohne konkrete Rückmeldung. Etwa eine Woche nach dem Gespräch hat Herr T. einen Termin bei seinem Vorgesetzten, von dem er über die Ergebnisse seiner Auditierung unterrichtet wird. In den Augen von Herrn T. ist das, was er bei dieser Gelegenheit erfährt, eine systematische Entwertung seiner Person und seiner Leistungen für das Unternehmen. Seinem Vorgesetzten nimmt er es persönlich übel, dass er die für Herrn T. kaum nachvollziehbaren Beurteilungen des Beraters offensichtlich unreflektiert übernimmt. Die Erfahrungen, die die Zusammenarbeit der vergangenen Jahre geprägt haben, und die im Rahmen von sporadisch durchgeführten Mitarbeitergesprächen immer wieder zwischen Herrn T. und seinem Vorgesetzten bekräftigt wurden, scheinen in der neuen Situation plötzlich nicht mehr relevant zu sein. Versuche von Herrn T., sich auf das alte Einverständnis zu berufen, das zwischen ihm und seinem Vorgesetzten herrschte, scheitern. Schließlich bricht der Dialog zwischen beiden ab. Herr T. beginnt nun selbst massiv an seinen Fähigkeiten zu zweifeln, erhält aber auch auf wiederholte Nachfragen keine Hilfestellung, wie er sein Wissen produktiv in die erwünschte Richtung weiter entwickeln könnte. Gleichzeitig beginnt er, die Entwicklung des Unternehmens kritischer zu sehen und macht sich Gedanken um die Sicherheit seines Arbeitsplatzes. Er geht davon aus, dass es im Zuge der Sanierung eines Unternehmens, das in eine wirtschaftliche Schieflage geraten ist, wohl auch zu einer Verringerung des Personalstammes kommen wird. Aufgrund der aus seiner Sicht sehr negativen Auditierung meint er, dass er zu den Ersten gehören wird, die zum Verlassen des Unternehmens aufgefordert werden könnten. Herr T. ist ein aktiver Mensch, und deshalb beginnt er bereits damit, sich vorsichtig nach vergleichbaren Positionen in anderen Unternehmen umzuhören. Gleichzeitig beginnt er sich zu fragen, ob eine Fortsetzung des 6
3 1.1 · Vorboten des Wandels
bisherigen Weges für ihn überhaupt tragfähig sei. Er war bisher mit seiner Arbeit ausgesprochen zufrieden und schätzte die damit verbundenen Gestaltungsspielräume, die er meinte produktiv und zum Wohl des Unternehmens auszufüllen. Der wesentliche Bruch seiner Laufbahn liegt seiner Meinung nach in der Auditierung und dem sich daran anschließenden Prozess, der seine über Jahre anerkannten beruflichen Leistungen aus seiner Sicht nachhaltig entwertet hat. Er ist einerseits verunsichert darüber, was er wirklich kann; andererseits möchte er sich einer ähnlichen Prozedur nicht nochmals unterziehen.
Beispiel
Frau M. arbeitet in drei unterschiedlichen Jobs, die sie gleichermaßen beanspruchen. Einen dieser Jobs, die Arbeit als Kosmetikerin, hat sie erlernt, die beiden anderen macht sie, ohne eine explizite Ausbildung dafür absolviert zu haben. Neben ihrer Arbeit als Kosmetikerin, die sie früher selbstständig betrieben hat und nun aushilfsweise in dem Kosmetik- und Fußpflegesalon einer Bekannten ausführt, arbeitet sie als Hundetrainerin und als selbstständige Außendienstmitarbeiterin eines Saunaherstellers. Die Arbeit als Hundetrainerin hat sich über das Hobby von Frau M. ergeben, denn sie betreibt seit einigen Jahren mit großer Leidenschaft Hundesport und ist mit ihren Tieren bei Wettkämpfen auch international erfolgreich. Über Kontakte in ihrem Bekanntenkreis hat sie vor etwa eineinhalb Jahren damit begonnen, Hundebesitzer im richtigen Umgang mit ihren Tieren zu schulen. Die selbstständige Tätigkeit im Außendienst des Saunaherstellers hatte Frau M. auf Initiative ihres Mannes aufgenommen, den sie zunächst vertreten hatte, als er wegen Krankheit ausgefallen war. Nach einiger Zeit übernahm sie die Position vollständig. Im Rahmen dieser Tätigkeit ist Frau M. dafür zuständig, in einem ihr zugeteilten Gebiet Baumärkte zu betreuen, über die Saunen verkauft werden. Die Aufgaben von Frau M. reichen von dem Aufbau von Kontakten bis zum Auf- und Abbau von Ausstellungssaunen.
Worin liegt nun das Problem von Frau M.? Der Mangel von Arbeit,– eines der schwerwiegendsten gesellschaftlichen Probleme unserer Zeit, – ist es offensichtlich nicht. Insofern gehört Frau M. zu einer privilegierten Gruppe. Dennoch hat sie ein Problem, unter dem sie leidet. Ihr Auftraggeber, der Saunahersteller, drängt Frau M. dazu, ein größeres regionales Gebiet zu übernehmen. Frau M. will dies nach Möglichkeit nicht tun, da der Fahrtaufwand bisher ohnehin sehr hoch war und sie diese Tätigkeit eher reduzieren als weiter ausbauen möchte. Die Tätigkeit als Kosmetikerin kann und will sie zeitlich nicht weiter ausweiten. Sie überlegt allerdings, ob sie sich als Kosmetikerin nicht wieder selbstständig machen sollte, muss jedoch die, mit einem eigenen Salon verbundenen, Fixkosten vermeiden. Ihre Tätigkeit als Hundetrainerin macht ihr großen Spaß – sie merkt jedoch, dass sie ihren Kunden gegenüber rasch ungeduldig wird, wenn sie sich ihren Tieren gegenüber falsch verhalten. Das Problem von Frau M. leidet wird deutlich: Sie befindet sich in einer Situation, mit der sie bislang gut zu Recht gekommen ist, in der sie sich gut einge-
Entscheidungsdilemma Frau M.
Mögliche Auswirkungen
1
4
Kapitel 1 · Paradigmenwechsel in der Laufbahnberatung
1
Notwendigkeit, die Situation wieder zu stabilisieren
richtet und eine stabile Grundlage gefunden hat. Nun wird aber von ihr eine Entscheidung erwartet, die das Gleichgewicht ihrer beruflichen, privaten und familiären Tätigkeiten und Rollen erschüttert. Sich dem Ansinnen des Saunaherstellers zu verschließen, würde aus der Sicht von Frau M. bedeuten, dass sie diese Verdienstquelle nicht weiter zur Grundlage ihrer Zukunftsplanung machen kann. Da der Verkauf von Saunen aber das wichtigste finanzielle Standbein von Frau M. ist, kann sie sich dazu nicht entscheiden. Auch ein Eingehen auf die Pläne ihres Auftraggebers brächte Frau M. in eine schwierige Situation, da sie sich gegen einen der beiden anderen Bereiche entscheiden müsste, von denen jeder für sie eine wichtige persönliche Bedeutung hat; zudem brächten die längeren Abwesenheiten von zu Hause auch absehbare familiäre Probleme mit sich. Die Entscheidungsfreiheit von Frau M. wird zudem dadurch eingeschränkt, dass ihr Mann seit einem halben Jahr erwerbslos ist und bislang keine neue Arbeit in Aussicht hat.Seine bisherige Tätigkeit kann er aufgrund körperlicher Einschränkungen nicht weiter ausüben. Was ist das Verbindende zwischen beiden Beispielen? Auf den ersten Blick treten vor allem die Besonderheiten beider Fälle hervor, die es schwer machen, überhaupt etwas Gemeinsames zu erkennen. Frau M. steht vor der Entscheidung, eine ihrer beruflichen Tätigkeiten zu Lasten der anderen stärker zu gewichten; Herr T. sieht seine beruflichen Leistungen nachhaltig entwertet und hat das Vertrauen zu seinem Vorgesetzten und der Unternehmensführung verloren. Er will sich beruflich weiter orientieren und möchte nicht darauf warten, gekündigt zu werden. Gemeinsam ist beiden Fällen zunächst, dass die Stabilität des bisherigen (beruflichen) Lebens durch einen äußeren Anlass empfindlich erschüttert wird. Im zweiten Fall ist es das konkrete Drängen eines wichtigen Auftraggebers, ihm mehr Arbeitszeit zur Verfügung zu stellen – Frau M. befürchtet, dass sie, wenn sie dem Wunsch ihres Auftraggebers nicht nachkommt, mittelfristig ersetzt werden könnte. Für Herrn T. war die Auditierung sowohl in ihrer Durchführung aber auch in ihrem Resultat ein Ereignis, das ihm Anlass zu großen Befürchtungen gibt. Herr T. steht wie Frau M. vor der Aufgabe, die eigene Zukunft zu überdenken und weit reichende Entscheidungen zu treffen. In beiden Fällen sind die Protagonisten bei aller Verschiedenheit der individuellen Rahmenbedingungen mit einer Situation konfrontiert, die unvermutet eingetreten ist und die sie unvorbereitet getroffen hat. Beide sehen sich mit der Notwendigkeit konfrontiert, eine Entscheidung von großer Tragweite zu treffen, um die aus dem Gleichgewicht geratene Situation wieder zu stabilisieren. Beide Personen haben sich zwar eine mögliche Entscheidung überlegt, sind jedoch nicht damit zufrieden, weil sie damit einem äußeren Druck nachgeben und der neue Weg weniger mit ihnen als mit der veränderten Situation zu tun hat. Fazit Sie haben den Eindruck, sich in einer Situation zu befinden, in der sie kaum Handlungsspielräume haben, sondern eine grundsätzliche Entscheidung »dafür« oder »dagegen« treffen müssen. Ein positives und herausforderndes Ziel zu formulieren, das über die Klärung der gegenwärtigen belastenden Umstände hinaus reicht, scheint ihnen nicht möglich.
5 1.1 · Vorboten des Wandels
Herr T. spricht davon, ihm würden Alternativen fehlen, die die Entscheidung begünstigen und ihm eine Perspektive aufzeigen könnten; zusätzlich ist sein Selbstwert so erschüttert, dass er eher dazu neigt, sich grüblerischen Gedanken hinzugeben, und sich die immer gleiche Frage zu stellen: Was hätte ich anders machen können, um ein besseres Resultat in dem Auditierungsprozess zu erzielen? Frau M. versucht, der Gefahr eines Nullsummenspiels zu entgehen. Sie befindet sich in dem Dilemma, einerseits dem Drängen ihres Auftraggebers auf eine baldige positive Entscheidung nachzugeben und damit dann ihre familiären Aufgaben zu vernachlässigen. Oder sie entscheidet sich dafür, ihre Rolle in der Familie aufrecht zu halten und damit ihre berufliche Tätigkeit zu gefährden. In Hinblick auf ihre unterschiedlichen ausgeübten und möglichen Erwerbstätigkeiten sieht sie sich außer Stande, zu entscheiden, einen der von ihr aktiv verfolgten Bereiche stärker zu professionalisieren. Beide Personen befinden sich in einer Situation, in der sie eine Entscheidung über ihre zukünftige berufliche Tätigkeit treffen wollen aber auch wissen, dass die offensichtlichen Alternativen nicht tragfähig sind. Sie sind zutiefst unzufrieden mit sich und ihrer Situation und suchen deshalb Unterstützung von einem professionellen Berater. Doch nach welchem Berater sollen sie suchen, wer ist Experte, um ihnen bei der Lösung ihrer Probleme zu helfen? Zu einem Psychologen wollen beide nicht gehen, weil sie ihre Probleme im beruflichen Bereich sehen und ihrer Meinung nach nur kranke Menschen oder Menschen mit einer psychischen Störung zum Therapeuten gehen. Den Arbeitsberatern bei den Arbeitsagenturen misstrauen sie, denn dort geht es schließlich nur um das Verwalten von freien Stellen und Arbeitslosen, auch zu dieser Klientel gehören beide (noch) nicht. Der Weg zum Headhunter kommt für beide ebenfalls nicht in Frage; für Frau M. nicht, weil sich ein Headhunter nur für Führungskräfte interessiert und für Herrn T. nicht, weil er sich im Moment nicht so verkaufen kann, wie er es als adäquat empfinden würde und Angst vor einer – wenn auch impliziten – Bewertung durch den Headhunter hat. Bekannte, Freunde und Familienangehörige können ihnen momentan ebenfalls nur begrenzt weiter helfen und zeigen bereits erste Anzeichen von Ungeduld, wenn das Entscheidungsdilemma zur Sprache kommen. Wir werden im Verlauf der folgenden Kapitel einen möglichen Lösungsweg darstellen. Er bezieht sich im Schwerpunkt auf den Prozess der Lösungssuche und stellt damit die Inhalte in den Vordergrund. Damit wird aber auch die Frage beantwortet, bei wem Herr T. und Frau M. Hilfe und Unterstützung finden. Zunächst jedoch wollen wir ergründen, ob die Beispiele von Frau M. und Herrn T. lediglich Einzelfälle sind, oder ob es sich bei ihnen um mehr oder weniger akzentuierte Darstellungen von Situationen handelt, die im Prinzip jede erwerbsfähige Person treffen könnten. Die Beantwortung dieser Frage ist aus zweierlei Gründen für dieses Buch wichtig: würde es sich bei Frau M. und Herrn T. um Einzelfälle handeln, wäre der Ansatz, Personen in ähnlichen Situationen zu helfen, nur für einige wenige Spezialisten interessant, die sich mit den Problemen einer kleinen inhomogenen Gruppe befassen. Handelt es sich aber um ein Problem grundsätzlicher Natur, dann ist die Ergründung der Gemeinsamkeiten solcher Situationen wesentlich, um ein wirksames und breit einsetzbares Unterstützungsangebot zu formulieren, wie es im Folgenden geschehen soll.
1
Suche nach einem geeigneten Berater
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1
Kapitel 1 · Paradigmenwechsel in der Laufbahnberatung
Berufliche Brüche nehmen zu
Wir glauben, die oben gestellte Frage eindeutig beantworten zu können: Prinzipiell wird jede erwerbsfähige Person mit Situationen konfrontiert sein, die in wesentlichen Punkten den dargestellten Beispielen ähnlich sind. Wir werden uns in Zukunft vermehrt damit auseinander setzen müssen, in welche Richtung unsere berufliche Entwicklung verlaufen wird und verlaufen soll. Bereits jetzt stehen wir nicht nur an einem einmaligen kritischen Punkt unserer Laufbahn vor Situationen, die denjenigen ähneln, wie wir sie eingangs skizziert haben. Wir müssen fürchten, dass berufliche Brüche vermehrt zum Bestandteil einer beruflichen »Normalbiografie« werden. Diese Entwicklung hat längst eingesetzt (Bridges 1994). Der Bedarf an wirksamen Unterstützungs- und Beratungsangeboten wird ebenso deutlich ansteigen, wie die Gefahren, die von kritischen beruflichen Situationen ausgehen. Dazu gehören z. B. der Eintritt und der dauerhafte Verbleib in der Erwerbslosigkeit oder gesundheitliche Beeinträchtigungen. Dass die Betroffenen vor diesem Hintergrund ihre Entwicklung selbst stärker in die Hand nehmen sollten, mag wie eine fromme aber weltfremde Forderung klingen. Dieser Gedanke ist jedoch nichts weniger als unrealistisch. Anderen mag er vorkommen, wie ein schaler aber unverkennbarer Aufguss wirtschaftsliberaler Positionen, die letztlich zynisch fordern, jeder müsse die Verantwortung für sein eigenes Leben bei maximaler Gestaltungsfreiheit der Wirtschaftsunternehmen selbst übernehmen. Auch diese Gedanken entsprechen ganz und gar nicht unserer Position: Wir stellen in diesem Buch einen Leitfaden dar, der dem Einzelnen die Möglichkeit gibt, sich in einer zunehmend dynamischen Welt zu behaupten und weiter zu entwickeln und damit ist letztlich eine Stärkung des Individuums verbunden. Wir werden zunächst die bisher aufgeworfenen Fragen in den folgenden Abschnitten dieses Kapitels klären und damit die Grundlage schaffen, um das Konzept der kompetenzorientierten Laufbahnberatung, das den Kern des Buches bildet, darzustellen.
1.2
Merkmale kritischer Brüche
Kennzeichen kritischer Brüche in der beruflichen Entwicklung
Als kritische Brüche in der beruflichen Entwicklung werden aus wissenschaftlicher Sicht so unterschiedliche Ereignisse wie Erwerbslosigkeit, Unterbrechung des Berufes aufgrund einer Kinderpause oder auch der Übergang in die nachberufliche Lebensphase betrachtet (7 vgl. Lang-von Wins, Mohr u. von Rosenstiel 2004). Bezieht man weitere kritische Entwicklungen in diese Betrachtung mit ein, so gehören Laufbahnplateaus, unbefriedigende Beschäftigungsverhältnisse oder Prozesse emotionaler Erschöpfung im Rahmen der Arbeit (Burn-out-Prozesse) ebenfalls zu den Brüchen der beruflichen Entwicklung, auf die die Wissenschaft ihr Augenmerk richtet. Die große Variationsbreite beruflicher Brüche verwirrt zunächst – wie lassen sich bei so unterschiedlichen Ereignissen gemeinsame Kennzeichen finden? Wenn wir auf einer verhältnismäßig abstrakten Ebene ansetzen, fällt es jedoch leicht, Ähnlichkeiten zu identifizieren. Betrachten wir zunächst die Ziele, die mit den entsprechenden Situationen verbunden sind: Das Hauptziel von Erwerbslosen und Wiedereinsteigern ist es, eine angemessene Arbeit
7 1.3 · Ursachen kritischer Brüche in der beruflichen Entwicklung
zu finden und zu behalten. Der Übergang in die nachberufliche Lebensphase birgt vor allem dann das Potenzial eines kritischen Bruches, wenn eine Fortsetzung der Erwerbstätigkeit gewünscht, aber nicht zugelassen wird. Auf dieser abstrakten Ebene ist es zunächst ein gemeinsames Merkmal von kritischen beruflichen Situationen, dass zwar ein positiv bewertetes Ziel vorhanden ist, dessen Erreichen aber mit so großen Schwierigkeiten verbunden ist, dass in vielen Fällen eine Umorientierung notwendig ist. Im Falle der Erwerbslosigkeit und des damit verbundenen Zieles »Finden einer angemessenen Arbeit« ist eine Neuorientierung sicher am schwierigsten: Wir leben in einer Gesellschaft, die durch die Arbeit geprägt ist. Der individuelle Wert von Personen ist häufig von ihrem Beruf oder ihrer »Funktion« bestimmt. Eine Umorientierung kann grundsätzlich die Art der Arbeit betreffen, die gesucht wird, oder sich auf das allgemeine Ziel »Finden von Arbeit« beziehen. In der Erwerbslosigkeitsforschung wird angenommen, dass beide Umorientierungsprozesse aufeinander folgen, d. h. dass zunächst (in den ersten Jahren der Erwerbslosigkeit) Konzessionen an die Art der Arbeit gemacht werden, und bei erfolgloser Suche das Ziel »Finden von Arbeit« neu bewertet wird. Diese Prozesse gehen häufig mit einer deutlichen Verschlechterung der psychischen und physischen Gesundheit sowie der starken Verringerung der Eigeninitiative (Zempel u. Frese 2000) einher. Der erste der beiden dargestellten Umorientierungsprozesse gilt auch für Wiedereinsteiger –sowohl aus der Erwerbslosigkeit heraus, als auch nach einer Kinderpause oder einer auf gesundheitliche Probleme zurückgehenden Unterbrechung des bisher ausgeübten Berufes. Bei »zwangsverrenteten« Personen ist das Bestreben zu beobachten, die Berufstätigkeit über die sog. Rentnerjobs zu verlängern. Fazit Grundsätzlich (und stark vereinfachend) sind berufliche Brüche mehr oder weniger gut vorhersehbare Hindernisse auf dem Weg zu Zielen, die häufig in unterschiedlichen Lebensbereichen liegen. Sie stellen die davon betroffenen Personen vor die Aufgabe, ihre Ziele auf neuen Wegen zu erreichen oder neu zu definieren.
1.3
Ursachen kritischer Brüche in der beruflichen Entwicklung
Wir bewegen uns von einer industriell geprägten Gesellschaft hinein in ein postmodernes Zeitalter mit veränderten Möglichkeiten aber auch neuen Gefahren für den Einzelnen. Der amerikanische Managementtheoretiker Drucker hat die sich abzeichnende Entwicklung sehr plastisch zum Zeitalter der Diskontinuität erklärt1 – er stellt den Wandel in den Mittelpunkt einer Welt, in der unterschiedliche Einflussgrößen sehr eng miteinander verknüpft sind. Aus diesen wechselseitigen Abhängigkeiten ergibt sich einerseits eine hohe Dynamik des Wandels, auf der anderen Seite werden Probleme auf den 1
Wenngleich Mintzberg (1995, S. 246) betont, dass es auch früher bereits ein Zeitalter der Diskontinuität gegeben habe und Autoren dazu neigen, die gegenwärtige Zeit als besonders turbulent einzuschätzen, die gerade vergangene aber als stabil.
Starke Veränderungsdynamik
1
8
Kapitel 1 · Paradigmenwechsel in der Laufbahnberatung
1 Ursachen der Veränderung
»Arbeits-Projekte« ersetzen Langzeitbeschäftigung
verschiedenen Ebenen bis hinunter zum einzelnen Menschen zunehmend undurchschaubar und schwer zu steuern. Der brasilianische Soziologe De Masi (zitiert nach Tractenberg et al. 2002) hat sich die Mühe gemacht, die verbreitetsten Benennungen der gesellschaftlichen Veränderungen zu sichten und ist bei dieser Bestandsaufnahme auf eine Zahl von mehr als 300 unterschiedlichen, Ernst zu nehmenden, wissenschaftlichen Ansätzen gestoßen, die sich im Kern auf die Annahme eines tief greifenden gesellschaftlichen Wandels beziehen. Würde man sich die Mühe einer vollständigen Aufarbeitung machen, läge diese Zahl sicher um ein Vielfaches höher. Wichtig erscheint die Tatsache, dass sich niemand findet, der den Annahmen weit reichender Veränderungen widerspricht oder ihre Tragweite anzweifelt. Für diese Entwicklung sind die folgenden Tendenzen charakteristisch (7 vgl. Lovén 2003): 4 eine zunehmende Dezentralisierung in den Organisationen, die kleineren Einheiten größere Entscheidungsfreiheiten gibt, 4 ein deutlich gestiegener Individualismus bei gleichzeitig drastisch erhöhten Wahlmöglichkeiten für den Einzelnen (in Bezug auf seine Arbeit; die Art, wie er leben möchte usw.), 4 sich dramatisch verändernde Arbeitsmärkte, die hohen Anpassungsdruck auf die erwerbswilligen Menschen ausüben, 4 wachsende Gruppen von gesellschaftlich marginalisierten Menschen, die am Arbeitsmarkt immer weniger aktiv beteiligt sind, 4 ein wachsendes Bedürfnis der Arbeitgeber nach umfassenden Kompetenzen der Mitarbeiter, 4 eine Tendenz der jungen Generation, die Ausbildungszeiten zu verlängern, 4 die zunehmende Internationalisierung des Arbeitsmarktes, d. h. Konkurrenz um Arbeit auch mit Angehörigen anderer Nationen und Kulturen. Einige Folgen sind bereits deutlich spürbar: Der Wandel der Wirtschaft hat schon eingesetzt und dazu geführt, dass die Auswirkungen auf dem Arbeitsmarkt nicht mehr zu übersehen sind und den Alltag vieler arbeitender oder Arbeit suchender Menschen zunehmend beeinflussen. Diesem Druck versuchen unterschiedliche Institutionen durch verschiedene Maßnahmen zu begegnen, die von Gestaltungsbemühungen (virtuelle Teams, flache Hierarchien, Joint Ventures etc.) bis hin zu reaktiven Maßnahmen wie der Stilllegung oder Verkleinerung von Betriebsteilen oder der Verlagerung von Betriebsstätten in das Ausland reichen. Für die arbeitenden oder Arbeit suchenden Menschen bedeutet diese Entwicklung eine Abnahme von Planungssicherheit und eine größere Unsicherheit, da die Bedingungen der eigenen Arbeit zunehmend von Faktoren abhängen, die der eigenen Kontrolle entzogen sind. Als ein Ergebnis des Wandels lässt sich seit einigen Jahren ein wachsender Druck auf den Arbeitsmarkt feststellen: Die Globalisierung der Wirtschaft, die damit zusammenhängende Strukturkrise der westlichen Industrienationen, technologische Sprünge – um nur einige wesentliche Einflussfaktoren zu nennen – üben Druck auf Unternehmen und staatliche Institutionen aus. Die Organisationen, die wir heute noch kennen,
9 1.4 · Berufsverläufe werden instabil
1
werden sich zum Teil deutlich verändern müssen, um auch in Zukunft den Herausforderungen der Märkte, in denen sie tätig sind, gewachsen zu sein. Mit ihnen wird sich auch das Bild der Arbeit verändern. Bridges (1994) geht davon aus, dass die berufliche Laufbahn zunehmend zu einer Abfolge von »Arbeits-Projekten« werden wird. Die feste Langzeitbeschäftigung wird – wenn man den Prognosen folgt bald nur noch das Privileg einer Minderheit sein. Neben den direkt auf die Arbeit einwirkenden Faktoren gibt es auch einige indirekte Einflussgrößen, die das Bild der Arbeit in Zukunft verändern werden oder dies bereits heute tun. Dazu gehört die aktuell und auch zukünftig steigende Lebenserwartung und das, sich als Folge der wachsenden Zeitperspektive verschiebende Verhältnis von der Zeit, die der Arbeit oder der Freizeit gewidmet ist (7 vgl. Mayor 1999). Es wird erwartet, dass sich im Zuge dieser Entwicklung auch die Einstellung bzw. die Ansprüche an die eigene Arbeit deutlich verschieben werden. Dies ist bereits in den vergangenen Jahrzehnten zum Teil geschehen.
1.4
Berufsverläufe werden instabil »The widely disseminated ideas that up is the only way, that one can hold a lifelong job as long as it is well done, and if one works hard in job hunting he/she will not remain unemployed are not longer valid (…) In fact, increased employee responsibility for his/her work and career path is one of the top-ten organisational trends in the forthcoming years according to managers and HRD professionals …” (Tractenberg, Streumer u.& van Zolingen, 2002, 7 S. 90 f)
Sich in Hinblick auf den eigenen Weg zu orientieren, ist zu einer existenziell wichtigen Notwendigkeit geworden, in einer Zeit, in der die persönlichen Wahlfreiheiten zumindest in den westlich geprägten Industriegesellschaften größer sind, als wir es für frühere Zeiten vermuten können,. Die Freiheit der Wahl ist aber zugleich eine Last: Sie erfordert vielfältige und kontinuierliche Orientierungsprozesse, die eine gute Kenntnis der eigenen Stärken und Vorlieben voraussetzen. Die orientierende Auseinandersetzung mit den latenten und manifesten Möglichkeiten sich zu entwickeln ist aus vielerlei Gründen eine Grundvoraussetzung dafür, ein Leben zu führen, das »gelingt«. Arbeit und Beruf sind hierfür wichtige Einflussgrößen, sie sind in den Industrienationen westlicher Prägung zu einem zentralen Bestandteil des Lebens geworden. Doch die Rahmenbedingungen der Berufsarbeit wandeln sich. Die Entwicklung lässt sich etwas vergröbernd auf einen Kernsatz reduzieren: Die Bedingungen der beruflichen Laufbahn entwickeln sich zunehmend chaotisch. In einer globalisierten Arbeitswelt werden Entwicklungen für einzelne Personen schwer nachvollziehbar und kaum vorhersehbar. Diese Bedingungen können bei den Betroffenen unter bestimmen Umständen, auf die wir noch zu sprechen kommen werden, zu einem weit reichenden Kontrollverlust führen, der sie in ihrer Handlungsfähigkeit lähmt (7 vgl. Seligman 1986). Zunehmende Wahlfreiheit setzt aber auch die Fähigkeit voraus, die Bedingungen des eigenen Lebens und der beruflichen Entwicklung gestaltend zu verändern und sich die Optionen zu »erobern«, die zur Verfügung stehen.
Hohe Anforderungen an die eigene Gestaltungsfähigkeit
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Kapitel 1 · Paradigmenwechsel in der Laufbahnberatung
Im Fall von Herrn T. ist ein Einflussfaktor, der auf einer so abstrakten Ebene liegt, wie die Globalisierung der Wirtschaft, mitverantwortlich für den verschärften Wettbewerb, dem sich sein Unternehmen ausgesetzt sieht. Die Auditierung und ihre Folgen sind kaum direkt auf die Globalisierung zurückzuführen – es ist eine von vielen verschiedenen Gestaltungsmöglichkeiten, die das Unternehmen für sich nutzt. Im Fall von Frau M. ist zunächst eine Bedrohung der bisher bestehenden Balance zwischen ihren unterschiedlichen Arbeitsrollen und ihrem privaten Leben festzustellen, die sich nur schwer bewältigen lässt. Das Grundproblem von Frau M. besteht darin, dass sie keine grundsätzliche Umgewichtung ihrer Arbeitsrollen vornehmen will und nicht weiß, welche Arbeit ihr in Zukunft Entwicklungsmöglichkeiten bietet. In keiner ihrer unterschiedlichen Tätigkeiten ist sie mit allen Aspekten so zufrieden, dass sie eine der anderen Tätigkeiten ersetzen könnte.
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Exkurs
Personen wollen selbstbestimmt handeln, Unternehmen fordern Unterordnung
Das Paradox von abhängiger Arbeit und selbstbestimmtem Leben Vielerorts wurde bereits sachkundig und ausführlich auf das Spannungsverhältnis hingewiesen, in dem ein selbstbestimmtes Leben und die mit der Arbeit notwendige Unterordnung zueinander stehen (z. B. Argyris 1957, 1975). Für das tiefere Verständnis der Problematik, die sich daraus ergibt, soll dennoch in der gebotenen Kürze diese Diskussion kurz zusammengefasst werden (7 vgl. Lang-von Wins 1996). Die Bedürfnisse des Menschen sind auf Eigenaktivität (Erikson 1973) und Selbstbestimmtheit (Bronfenbrenner 1989) ausgerichtet. Ein wesentliches Merkmal formaler, arbeitsteiliger und zweckrationaler Organisationen ist es jedoch, Vielfalt zu unterdrücken und die in ihnen arbeitenden Menschen über hierarchische Ebenen und ein mehr oder weniger starres Regelwerk zu »Teilen« der Organisation zu machen. Argyris (1975) vermutet, dass der Widerstand der in Organisationen arbeitenden Menschen daher rührt, dass die Prinzipien der Organisationsgestaltung nicht menschengerecht sind. Diese Grundprinzipien führen dazu, dass formale Organisationen die Entwicklung der Persönlichkeit vernachlässigen: Spezialisierung fordert den einseitigen Einsatz nur eines Teils der Fähigkeiten der Person, die dann eine große Bedeutung für die gesamte Arbeitsleistung erlangen. Aus der Frage, wer die in einer Organisation arbeitende Person eigentlich sei, wird so die Frage, was diese Person eigentlich könne (7 vgl. Argyris 1975). Sie wird reduziert auf diejenigen Eigenschaften und Fähigkeiten, die im Plan der Organisation festgelegt sind. Diese generelle Reduktion hängt in ihrer Ausprägung vor allem von dem Qualifikationsniveau der Arbeitnehmer ab. Hoff (1990) spricht von einer faktischen Fremdbestimmung des eigenen Lebenslaufes, die sich vor allem bei un- oder nur niedrig qualifizierten Arbeitskräften ergibt: Ihre beruflichen Tätigkeiten liegen meist in Bereichen hoher Spezialisierung und Aufgabenteilung (7 vgl. Greif 1978). In dieser Hinsicht erfahren sich arbeitende Menschen zunehmend als austauschbar, was im eigenen Lebenslauf Gefühle von Fremdbestimmtheit, geringer Kontrollmöglichkeiten und 6
11 1.5 · Konzept der »protean career«
Zufälligkeit zur Folge hat. Ein höheres Qualifikationsniveau bedeutet in der Regel auch mehr Verantwortung und größere Freiräume innerhalb der Organisation. Wie Hoff (1990) anmerkt, bieten Freiräume verstärkt Chancen auf eine individuelle Interpretation der Arbeitsrolle – dies macht es möglich, sie individuell zu prägen und damit das Risiko der Austauschbarkeit zu verringern. Hierarchie und Befehlskette sind weitere Bestimmungskriterien der abhängigen Arbeit. Sie sind von ihrer formalen Anlage auf Unterordnung und Anpassung ausgerichtet; ihr Ziel besteht darin, Individuen abhängig und passiv zu halten. Außerdem soll die Initiative der Mitarbeiter dadurch gefördert werden, dass sie um die Machtpositionen konkurrieren, die auf der organisationalen Leiter über ihnen liegen. Ziel, Weg zum Ziel und Hindernisse werden durch den Vorgesetzten vorgegeben. Werden die Ziele der Person jedoch nicht einbezogen, »(…) werden ideale Bedingungen für psychologisches Versagen geschaffen. (…) Psychologischer Erfolg wird erreicht, wenn jedes Individuum in der Lage ist, seine eigenen Ziele in Relation zu seinen inneren Bedürfnissen und in Beziehung zu den Hindernissen, die zur Erreichung dieser Ziele überwunden werden müssen, zu definieren« (Argyris 1975, 7 S. 227). Die Reaktionen auf einen Konflikt zwischen den eigenen Zielen und den wahrgenommenen Zielen der Organisation sind so mannigfaltig, dass ihre Dokumentation Bibliotheken füllen könnte. Sie reichen über verschiedene Abstufungen bis zu innerer Kündigung, Burn-out-Syndrom sowie psychischer und physischer Krankheit. Diese individuellen Antworten können zu einer Verschärfung des Grundkonfliktes führen, da die wahrscheinlichste Reaktion der übergeordneten Instanzen zunächst in einer Erhöhung des ausgeübten Druckes bestehen wird, um die notwendige Anpassung zu erzwingen. Die durch solche Bedingungen charakterisierte Arbeit kann aus der Sicht einer auf menschengerechte Gestaltung von Arbeitsbedingungen abzielenden Wissenschaft als »entfremdete Arbeit« bezeichnet werden, die einen grundsätzlich identitätsbedrohenden Charakter hat.
1.5
Konzept der »protean career«
Besonders in Zusammenhang mit der Flexibilität, die den Erwerbsfähigen heute und in Zukunft vermehrt abverlangt wird, wird gelegentlich bereits von »proteutischen Karrieren und Laufbahnen« (Hall 1976, 2004; Hall u. Mirvis 1996; Hall u. Moss 1998) gesprochen. Diese Formulierung geht auf die Sagengestalt Proteus zurück, dem die griechische Mythologie die Gabe des Wahrsagens und – was für unsere Belange interessanter ist – eine nahezu unbegrenzte Wandlungsfähigkeit zusprach. Gemeint ist damit die Fähigkeit der arbeitenden Menschen, sich immer wieder aufs Neue geänderten (Arbeits-) Bedingungen anzupassen und die daraus entstehenden unterschiedlichen beruflichen aber auch personellen Identitäten zu handhaben.
Ziele der Arbeitnehmer müssen berücksichtigt werden
1
12
1
Kapitel 1 · Paradigmenwechsel in der Laufbahnberatung
Eigenen Werte als Grundlage von Laufbahnentscheidungen
Der US-amerikanische Forscher Hall sprach bereits 1976 von der proteutischen Laufbahn. Er charakterisierte mit diesem Begriff eine Haltung von Personen, die sich aktiv verändern und wichtige Laufbahnentscheidungen an ihren persönlichen Werten orientieren. Es ist daher weniger der ökonomische, objektiv messbare Erfolg einer beruflichen Laufbahn, der eine proteutische Laufbahn gelingen lässt, sondern vor allem die subjektive psychologische Beurteilung des eigenen Erfolges vor dem Hintergrund der eigenen Lebensziele und -werte. Hall bezeichnet die proteutische Laufbahn als selbstgesteuert, in weitaus größerem Maß von persönlichen Werten getrieben, als von organisationalen Belohnungen und der ganzen Person dienend. Als eine wesentliche Grundlage der notwendigen Entscheidungen betrachtet er Moratorien und persönliche Audits, die eine starke Verbindung zu den eigenen Werten herstellen. Das Nachdenken über sich selbst, die eigenen Belange und Werte sind für ihn zentrale Voraussetzungen der proteutischen Laufbahn.
1.6
Selbstverwirklichung wird wichtiger
Wertewandel
Der gesellschaftliche Wertewandel, der bereits Ende der 1960er-Jahre mit den Studentenunruhen deutlich sichtbar eingesetzt hatte, hat zu einer gewandelten Einstellung auch der Arbeit gegenüber geführt. Die Pflicht- und Akzeptanzwerte, die die Zeit des Wiederaufbaus nach dem zweiten Weltkrieg geprägt hatten, haben in weiten Teilen der Bevölkerung Werthaltungen Platz gemacht, die stärker auf Autonomie und Selbstverwirklichung ausgerichtet sind. Auch die Ansprüche der Arbeit gegenüber haben sich damit gewandelt. Von Klipstein u. Strümpel (1985) sprechen in diesem Zusammenhang von gewandelten Werten, die den erstarrten Strukturen der Wirtschaftsunternehmen gegenüberstehen. Weiterführende Analysen haben ergeben, dass vor allem die jungen und gut ausgebildeten Menschen Träger dieser gewandelten Werte und Ansprüche an die Arbeit sind, und dass für sie der Berufseinstieg krisenhafter verläuft, da es zu einer Konfrontation der Ansprüche an die Arbeit mit den Erwartungen der Unternehmen kommt (7 vgl. von Rosenstiel, Nerdinger u. Spieß 1991). Die 1970er-Jahre, in denen Hall sein Konzept der »protean career« zum ersten Mal formulierte, waren eine Zeit des gesellschaftlichen Wandels, was sich vor allem in veränderten Werten zeigte. In Hinblick auf seine eigene Arbeit beschreibt er das Klima dieser Jahre als eine ideale Brutstätte für die wissenschaftliche Beschäftigung mit selbst gesteuerten und selbstverantwortlich gestalteten Laufbahnen und dem Streben nach »psychologischem« Erfolg. Der Wertewandel, der in den 1970er-Jahren besonders sichtbar war, bewirkte eine Abkehr von den, bis dahin dominierenden, Pflicht- und Akzeptanzwerten sowie eine Hinwendung zu Werten, die sich am eigenen Wachstum und an Selbstverwirklichung orientierten. Als Brutstätten dieses Wertewandels erwiesen sich die informellen Milieus der Universitäten insofern ist es nicht verwunderlich, dass Hall die gesellschaftlichen Impulse besonders deutlich empfand. Diese Bewegung erfasste nahezu zeitgleich die westlich geprägten Industrienationen und schuf eine neue Realität: einerseits auf einem breiten gesellschaftlichen Konsens beruhende veränderte Werthaltungen, andererseits Arbeitskon-
13 1.7 · Folgen für die Laufbahnberatung
texte, die diese Veränderung nicht oder nur zögerlich durchliefen. In diesem Zusammenhang sprach man bald von geänderten Werten und erstarrten Strukturen in den Unternehmen, die sich den Veränderungen verschlossen.
1.7
Folgen für die Laufbahnberatung
Angesichts der großen Dynamik, mit der sich die Bedingungen der Berufsarbeit und des täglichen Lebens verändern, wirken die traditionellen Ansätze der Berufs- und Laufbahnberatung verhältnismäßig schwerfällig. Sie gründen in normativen Vorstellungen darüber, wie sich bestimmte Interessen und Persönlichkeitsdispositionen bestimmten Berufs- und Tätigkeitsfeldern zuordnen lassen. Die Hypothese der Person-Umwelt-Passung ist als forschungs- und beratungsleitendes Paradigma weithin anerkannt und vielfach bestätigt worden – theoretisch besteht also ein Grundkonsens über die Voraussetzungen einer gelingenden Anpassung von Personen an die Bedingungen bestimmter Berufs- oder Tätigkeitsfelder. Ein Schwerpunkt der traditionellen Ansätze lag auf einer Beratung, die aufgrund von Daten über Interessen und Neigungsschwerpunkte Aussagen über mögliche künftige Berufsfelder von Personen machte. Traditionelle Ansätze der Laufbahnberatung arbeiten mit Verfahren, die auf einer testtheoretisch gesicherten Grundlage versuchen, die notwendigen Daten zu erfassen und daraus Zuordnungsempfehlungen zu bestimmten Berufsfeldern oder Tätigkeiten abzuleiten. Der Vorteil einer solchen Vorgehensweise liegt unstrittig in seinen, verglichen mit anderen Formen der Beratung, deutlich geringeren Durchführungskosten, die erst durch die Standardisierung des Verfahrens und den unveränderten Einsatz des Instrumentes bei zahlenmäßig großen Gruppen möglich werden. Die Normierung von Testverfahren ist einerseits die notwendige Voraussetzung darfür, sie so breit einsetzen zu können, andererseits macht sie das Verfahren aber auch schwerfällig gegenüber sich wandelnden Einsatzbedingungen. Aus testtheoretischer Perspektive müssen Tests immer dann, wenn ernsthafte Anzeichen dafür zu erkennen sind, dass die bisherigen Normen nicht mehr gelten, nachnormiert werden, weil der wesentliche Schritt der Übersetzung von Testdaten in Aussagen sonst zunehmend ungenauer wird und der Test damit an Aussagekraft verliert. Dieses Vorgehen ist einer Nachjustierung bei einem Kameraobjektiv vergleichbar, wenn sich der Fotografen bewegt oder das zu fotografierende Objekt seine Lage ändert und daher durch die Linse unscharf erscheint. ! Wichtig Tests setzen voraus, dass das gemessene Merkmal theoretisch eindeutig begründet ist, und dass die Beziehung zu dem Zielkriterium im Wesentlichen stabil bleibt.
Möglicherweise befinden wir uns gegenwärtig in einer Phase so raschen und so grundsätzlichen Wandels, dass der Ansatz der diagnostischen Berufsberatung nicht mehr angemessen ist. Wenn wir an die betroffenen Personen denken und das sind für unsere Belange zunächst die erwerbsfähigen Personen – dann benötigen sie wahrscheinlich etwas sehr viel grundlegenderes als
Voraussetzungen für den Einsatz von Tests
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14
Kapitel 1 · Paradigmenwechsel in der Laufbahnberatung
den auf fundierten diagnostischen Informationen beruhenden Rat, welche Art von Tätigkeit bzw. welches Berufsfeld sie sich aufgrund ihrer Interessen und bestimmter Persönlichkeitsmerkmale erschließen sollen. Sie stehen vor der Anforderung, dass sie sich im Laufe ihres Erwerbslebens möglicherweise mehrfach umorientieren müssen. In dem Maße, in dem Berufslaufbahnen instabil werden, wird auch das der traditionellen Laufbahnberatung zugrunde liegende Paradigma angreifbar.
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Fazit Die in der Vergangenheit erfolgten Zuordnungsentscheidungen oder -ratschläge beruhten auf der Annahme relativer Stabilität sowohl der beruflichen Umgebung als auch der erfassten Persönlichkeitsmerkmale und Interessen. Obwohl diese Stabilitätsannahme nach wie vor grundsätzlich gilt, kann ihre Entsprechung im beruflichen Umfeld nicht länger aufrecht erhalten werden.
Traditionelle Ansätze der Laufbahnberatung entsprechen nicht mehr unserer Zeit
Savickas (1993) – einer der einflussreichsten und modernsten Denker der Laufbahnberatung – betrachtet die bisherigen theoretischen Konzepte der Laufbahnberatung als in dem Sinne überholt, dass sie nicht dazu im Stande sind, mit den großen und grundsätzlichen Veränderungen Schritt zu halten, denen die Arbeitswelt gegenwärtig ausgesetzt ist und noch stärker in Zukunft sein wird. Betrachten wir das Beispiel von Frau M. und Herrn T.: Keiner der beiden würde für seine aktuellen Probleme in einer Beratung eine Lösung finden können, die Interessen und Persönlichkeitsdispositionen diagnostiziert, rückmeldet und darauf aufbauend einen Rat für die zukünftige Entwicklung erarbeitet. Frau M. benötigt eine systemisch orientierte Lösung ihrer Probleme, die durch einen den traditionellen Formen der Laufbahnberatung folgenden Ansatz nicht geleistet werden kann. Bei Herrn T. käme der Aspekt hinzu, dass diese Form von Beratung sich ähnlicher Instrumente und Methoden bedient, wie es in dem Auditing der Fall war; er müsste sich aufs Neue Testverfahren aussetzen. Diese Testverfahren sind grundsätzlich intransparent, für Interessen- und Persönlichkeitstests gilt dies in besonderem Maße (Schuler 1990). Wenngleich bei geteilten Zielen – wie sie im Rahmen einer Beratungssituation unterstellt werden können – mit einer grundsätzlich höheren Akzeptanz der Verfahren durch die Klienten gerechnet werden kann, bleibt doch der grundsätzliche Nachteil von Tests bestehen: Die Klienten werden durch ein objektives (d. h. durch sie nicht beeinflussbares) Verfahren in eine Position der Unterlegenheit und Abhängigkeit gebracht, die die Art der Beratung beeinflussen muss: Der Berater wird zum Experten für das Leben und die weitere Entwicklung seiner Klienten. Ganz abgesehen von der damit verbundenen Verantwortung, mit der sich die wenigsten Berater wohl fühlen dürften, kommt damit ein problematisches Grundverständnis zum Ausdruck, das auf Intransparenz und Nichtpartizipation beruht (7 vgl. Schuler u. Stehle 1983). Savickas (7 S. 14) geht davon aus, dass eine den Herausforderungen der Zeit angemessene Laufbahnberatung sich vor allem anderen auf die autobiografische Konstruktion des eigenen Werdeganges und die individuellen Definitionen einer sinnvollen Entwicklung stützen wird. Damit widerspricht er offen den zentralen Annahmen der arrivierten Ansätze, deren Paradigmen
15 1.7 · Folgen für die Laufbahnberatung
er an anderer Stelle als zu schwerfällig bezeichnet, um den Bedürfnissen der Klienten gerecht zu werden, ja sie überhaupt erkennen zu können. Dieser Auffassung haben sich inzwischen so viele Wissenschaftler und Praktiker angeschlossen, dass Lovén (2003) von einem Paradigmenwechsel spricht, der notwendig geworden ist und auch in weiten Teilen der Fachöffentlichkeit diskutiert wird. Gefordert wird eine Abkehr von dem objektivierenden testdiagnostischen Verständnis von Laufbahnberatung, die sich vor allem auf Interesseninventare und bestimmte Beratungstechniken gestützt hat (Savickas 1993). Gefordert wird eine Hinwendung zu einem konstruktivistisch geprägten Verständnis von Laufbahnberatung, das die Belange der Klienten in den Mittelpunkt stellt und Lösungen gemeinsam mit ihnen erarbeitet. Wenn wir das Bild der Kamera weiter denken, das die Nachnormierung von Tests illustriert, ergibt sich die Schlussfolgerung, dass die »neue« Form der Laufbahnberatung das objektivierende Instrument (die Kamera) zur Seite legt, mit dem ein Bild von dem Klienten gemacht werden soll. Stattdessen wird der Klient ermutigt, selbst ein Bild seiner Entwicklung zu malen – der Berater folgt ihm und begleitet ihn dabei, ein passendes Bild für seinen weiteren Weg zu entwerfen.
Klient steht im Mittelpunkt
1
2 Voraussetzungen einer gestaltenden Orientierung 2.1
Psychologische Verträge – 18
2.2
»Employability« / Beschäftigungsfähigkeit – 21
2.3
Eigene Werte als Orientierungsgrundlage – 28
18
Kapitel 2 · Voraussetzungen einer gestaltenden Orientierung
Die Psychologie stellt traditionell gesichertes Wissen über die Voraussetzungen von gelingenden Anpassungsprozessen zur Verfügung. Die folgenden Abschnitte dieses Kapitels geben einen kurzen Überblick über diese Voraussetzungen einer gestaltenden Orientierung und beschreiben darüber hinaus den Prozess der Laufbahngestaltung.
2
2.1 Berufliche Stabilität kann eine Illusion sein
Implizite Vereinbarungen zwischen Unternehmen und Beschäftigten
Psychologische Verträge
Frau M. befand sich über einen längeren Zeitraum in einer Situation, von der sie gesagt hätte – wäre sie danach gefragt worden – sie sei für sie passend, sie habe im Großen und Ganzen den für sie richtigen Weg gefunden, wenn man von kleineren Punkten absieht. Wenn man Herrn T. vor dem ManagementAudit und dem sich daran anschließenden Prozess die gleiche Frage gestellt hätte, wäre die Antwort mit hoher Wahrscheinlichkeit ebenfalls gewesen, dass er insgesamt mit seiner beruflichen Situation zufrieden sei, dass er zwar an einigen Punkten Verbesserungsmöglichkeiten sähe, aber daraus Ziele für die künftige Gestaltung seines Berufslebens ableiten würde. Sowohl Herr T. als auch Frau M. hätten die Frage danach bejaht, ob sie ihren Weg gefunden hätten und zumindest die nächsten Schritte klar vor Augen sähen. Frau M. und Herr T. mussten – im Beispiel stellvertretend für viele andere – erfahren, dass der Zustand der Stabilität im Berufsleben nicht von Dauer ist und von den Zielsetzungen ihrer Partner abhängt. Diese Partner sind im beruflichen Bereich zunächst diejenigen, die die Arbeitsleistung nachfragen und die damit wichtige Rahmenbedingungen für das berufliche Tätigsein setzen. Sie sind selbst eingebunden in ein komplexes Bedingungsgefüge von Angebot und Nachfrage, das auch nur die Möglichkeit einer vorübergehenden Stabilität bietet. Diese Situation führte verstärkt zu der Forderung, die erwerbsfähigen Personen sollten ihre »Beschäftigungsfähigkeit« pflegen und ausbauen und sich damit interessant für potenzielle Arbeitgeber bzw. Auftraggeber machen. Diese Forderung ist so nachvollziehbar wie gefährlich: nachvollziehbar wegen der sich verändernden Bedingungen auf den Arbeitsmärkten, die Laufbahnen nach traditionellem Muster als einer vergangenen Zeit zugehörig erscheinen lassen, die vor allem durch Beschäftigungs- und Planungssicherheit gekennzeichnet war; gefährlich wegen des darin enthaltenen Gedankens einer weitgehenden Anpassung der Erwerbsfähigen an die Bedingungen, die durch den Arbeitsmarkt und die Anforderungen der Arbeitgeber vorgegeben werden. Eine wachsende Zahl von Wissenschaftlern und Praktikern macht sich mittlerweile Gedanken darüber, wie diese Anpassungsprozesse gestaltet werden könnten und auf welche Weise die Partnerschaft zwischen Unternehmen und dem Einzelnen neu gestaltet werden kann und muss. Wir werden in den folgenden Abschnitten kurz auf die unserer Ansicht nach wesentlichen Gedanken und Ansätze zu sprechen kommen, und beginnen mit dem veränderten Verhältnis von Unternehmen und dem Einzelnen, das seit einigen Jahren unter dem Stichwort des »psychologischen Vertrages« untersucht wird. Psychologische Verträge sind subjektive Deutungen der Beziehung zwischen Mitarbeiter und Unternehmen, die sich dynamisch verändern (Nerdinger 1997) und die im Wesentlichen aus drei Komponenten bestehen:
19 2.1 · Psychologische Verträge
2
4 dem Versprechen, in Zukunft bestimmte Verhaltensweisen zu zeigen oder zu unterlassen, 4 Belohnungen im Austausch für das Versprechen 4 und der Akzeptanz des Vertrages durch die »Vertragspartner«. Psychologische Verträge bestehen mehrheitlich aus impliziten Bestandteilen, die auf Beobachtungen von Verhaltensweisen in Unternehmen beruhen. Herr T. wird z. B. sehr genau beobachten, wie Kollegen im Verlauf des Management-Audit behandelt wurden, und welche Angebote ihnen im Anschluss an ihre Beurteilung gemacht werden. Bereits der Prozess des Management-Audit ist ein wichtiger Bestandteil des psychologischen Vertrages, für den die Schlussfolgerungen in diesem Punkt lauten könnten: das Unternehmen misstraut mir und überprüft meine Leistungsfähigkeit im Rahmen eines intransparenten Vorgehens. Das Unternehmen und seine Stellvertreter (der Vorgesetzte von Herrn T.) verhalten sich im Weiteren so, dass der Vertrauensverlust noch verstärkt wird. Aus Sicht von Herrn T. ist der psychologische Vertrag mit seinem Unternehmen mittlerweile gekündigt. Für ihn erhöht diese Situation die eigene Unsicherheit und lässt Zukunftsängste aufkommen, da er sich in der mittleren Phase seiner beruflichen Laufbahn befindet und sich weiter entwickeln will. Gerade dies aber ist ihm in der gegenwärtigen Situation verwehrt. 0 i Hinweis Eine wesentliche Voraussetzung psychologischer Verträge liegt in der Notwendigkeit begründet, sich an veränderte Bedingungen anzupassen und dem entsprechende neue Regeln zu finden oder bestehende Regeln in einem Maß zu verändern, um eine neue Basis für den gegenseitigen Austausch zu definieren. Wie jeder andere Vertrag können auch psychologische Verträge nicht einseitig verändert werden. Es ist zwar möglich, dass einer der Vertragspartner für sich neu definiert, welche Leistungen er erbringen möchte und welche Belohnungen er dafür erwartet, doch ist das Einverständnis des anderen Partners nötig, um einen Vertrag zu Stande kommen zu lassen. Dies betrifft auch die Unternehmen, in denen sich häufig die Praxis beobachten lässt, neue Bedingungen zu setzen, mit denen sich die Mitarbeiter dann arrangieren müssen. Diese Denkweise verkennt, dass die im psychologischen Vertrag definierte Leistung der Mitarbeiter, ihre Einsatzbereitschaft und Motivation, an ihr grundsätzliches Einverständnis mit den veränderten Vertragsbedingungen gebunden ist. Ein eindrucksvolles Beispiel stammt von Greenberg (1990, 1993), der zeigt, dass Information und Transparenz wesentlich zum Zustandekommen bzw. zur Aufrechterhaltung eines psychologischen Vertrages beitragen. Wird der psychologische Vertrag von dem Unternehmen verletzt, suchen die Mitarbeiter nach informellen und manchmal auch unerlaubten Wegen, um das Verhältnis wieder ausgewogen zu gestalten – was in der Regel zu Lasten des Unternehmens geht.
Wirkweise psychologischer Verträge
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Kapitel 2 · Voraussetzungen einer gestaltenden Orientierung
Welcher psychologische Vertrag ist den gegenwärtigen bzw. den bereits vorhersehbaren zukünftigen Bedingungen der Arbeitsmärkte angemessen und erweist sich als tragfähig? Würde man die Forderung, die eigene Beschäftigungsfähigkeit ständig zu aktualisieren, um für die Arbeitgeber interessant zu bleiben, nur einseitig verstehen, dann ließe sich der darauf aufbauende psychologische »Vertrag« auf die Kernforderung reduzieren:
2
»Wenn Arbeitnehmer ständig neue Qualifikationen erwerben und auf das jeweils neueste Know-how zurückgreifen können, wenn sie zudem über reichliche Arbeitserfahrung und einen internationalen Hintergrund verfügen, dann bietet ihnen ein Unternehmen einen Arbeitsplatz an – zumindest so lange, wie das, was der Arbeitnehmer dem Unternehmen zu bieten hat, interessant ist und unmittelbar in den Wettbewerb eingespeist werden kann.«
Transparenz als Voraussetzung
Ein solcherart formulierter Vertrag wäre kaum tragfähig, da er sich fast ausschließlich auf die Perspektive der Unternehmen bezieht. Die einzige Gegenleistung bestünde in der Zusicherung einer befristeten Verwendung durch das Unternehmen. Jeder Erwerbsfähige, der über die entsprechenden Voraussetzungen verfügt, täte gut daran, sich nach einem anderen Arbeitgeber umzusehen und würde ihn wohl auch in kurzer Zeit finden. Lombriser und Lehmann (2001) haben sich aus der Perspektive der wissenschaftlichen Disziplin Unternehmensführung Gedanken darüber gemacht, wie die Grundannahmen des traditionellen psychologischen Kontraktes (»lebenslange Beschäftigung für lebenslange Treue«) modernisiert und den veränderten Bedingungen angepasst werden könnten. Im Kern des von ihnen vorgeschlagenen »neuen« psychologischen Vertrages steht der Einsatz der Beschäftigten für Aufgaben oder Projekte, in denen sie beständig eigenverantwortlich weiter lernen und damit ihren Wert für das Unternehmen erhalten (auf das Konstrukt der Eigenverantwortung werden wir zu einem späteren Zeitpunkt noch eingehender zu sprechen kommen). Für das Weiterlernen im Rahmen der Arbeit schaffen die Unternehmen im Gegenzug Bedingungen, die es den Beschäftigten ermöglichen, ihre Chancen im Unternehmen und außerhalb des Unternehmens zu erhalten. Damit ist ein neues Verständnis von Personalarbeit angedeutet, das wir in 7 Kap. 6 näher beleuchten werden. Zu fragen bleibt nun, ob der Fall von Herrn T. bereits nach dem Schema des »neuen« psychologischen Vertrages abgelaufen ist. Das Unternehmen hat – so könnte man argumentieren ja lediglich überprüft, ob der Wert von Herrn T. für die Firma seiner gegenwärtigen Position entspricht. Der Hauptgrund dafür, dass dieses Vorgehen nicht dem neuen Verständnis entspricht, liegt in seiner Intransparenz begründet. Denn eine Grundvoraussetzung dafür, dass ein neuer psychologischer Vertrag angenommen wird, ist die wechselseitige Akzeptanz seiner Inhalte. Dies hat wiederum eine entscheidende Vorbedingung: Transparenz. Aus der Sicht von Herrn T. ist es zu einer schleichenden Kündigung des psychologischen Vertrages durch das Unternehmen gekommen.
21 2.2 · »Employability« / Beschäftigungsfähigkeit
2.2
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»Employability« / Beschäftigungsfähigkeit
Häufig wird der Begriff der Beschäftigungsfähigkeit oder der »Employability« als Kern eines neuen psychologischen Vertrages genannt. Was bedeutet dieser Begriff? Aus der Sicht des Opel Personalvorstandes Norbert Küpper und des OpelPersonalentwicklers Georg Ehlers (2001 7 S. 127) bedeutet »Employability« zunächst: »Die richtigen Leute mit den richtigen Auswahlkriterien auswählen, sie in das Unternehmen eingliedern und dort permanent weiterentwickeln.« Unschwer lassen sich in dieser Aussage die wesentlichen Punkte des »neuen« psychologischen Vertrages wieder finden. Letztlich aber wird hier nur die Grundaufgabe einer vorausschauenden Personalarbeit beschrieben, über Employability erfahren wir kaum etwas. Ist das Wort von der Beschäftigungsfähigkeit also letztlich nur ein leerer Begriff, ein Synonym für die persönliche Bereitschaft von Menschen, sich weiterzubilden? Wenn das tatsächlich so sein sollte, so lässt sich weiter fragen, woraus ergibt sich dann die persönliche Weiterbildungsbereitschaft? Aus der Sicht von Unternehmen wie General Motors und der zum Unternehmensverbund gehörenden Adam Opel AG sind Grundvoraussetzungen dieser Bereitschaft strukturelle Anreizfaktoren wie z. B. Vergütungskomponenten, die an die eigene Weiterbildung und Weiterentwicklung sowie die Förderung der eigenen Mitarbeiter geknüpft sind oder das Schaffen von institutionalisierten Gelegenheiten, im Unternehmen zu lernen. Doch wäre ein Verständnis der Beschäftigungsfähigkeit, das sich in der Ableistung von Weiterbildungsveranstaltungen erschöpfen würde, zu kurz gedacht und für die Unternehmen ein teurer Fehlgriff.
Praxologische Begründung der Beschäftigungsfähigkeit
Definition Wenn wir der pragmatischen aber in manchen Punkten zu kurz greifenden Position der Unternehmen eine psychologische Position entgegenstellen, dann ließe sich Beschäftigungsfähigkeit zunächst als das Produkt derjenigen Fähigkeiten beschreiben, die es Personen ermöglichen, produktiv mit den sich wandelnden Bedingungen ihrer beruflichen Laufbahn umzugehen, die zu einer wachsenden Verantwortung für die Gestaltung der eigenen Berufslaufbahn führen.
Wenn man diesem Gedanken folgt, muss man weiter fragen, was denn die Komponenten sind, aus denen die Beschäftigungsfähigkeit besteht. Die US-amerikanischen Wissenschaftler Fugate, Kinicki u. Ashforth (2004) haben versucht, den Begriff der Employability auch theoretisch zu begründen. Definition Aus ihrer Sicht setzt sich die Beschäftigungsfähigkeit im Wesentlichen aus der Kombination der persönlichen Anpassungsfähigkeit, der Laufbahnidentität und dem sozialen bzw. Humankapital von Menschen zusammen.
Wir betrachten im Folgenden vor allem die psychologischen Komponenten der Beschäftigungsfähigkeit näher. Zunächst gehen wir kurz auf das
Theoretische Begründung von Beschäftigungsfähigkeit
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Kapitel 2 · Voraussetzungen einer gestaltenden Orientierung
soziale Kapital und das Humankapital ein, das Fugate et al. als ebenfalls wichtigen Bestandteil der Employability definieren. Soziales Kapital / Humankapital
2 Nutzen sozialer Netzwerke
Unter dem sozialen Kapital verstehen Fugate et al. das Netzwerk sozialer Beziehungen, in dem wir uns bewegen. Die aus der Soziologie stammende Annahme, dass bestimmte Netzwerkeigenschaften die Suche nach Arbeit erleichtern, gehen im Wesentlichen auf die Theorie der strukturellen Handlungsbedingungen des amerikanischen Soziologen Granovetter zurück. Er geht davon aus, dass vor allem weit verzweigte Netzwerke »schwacher« sozialer Beziehungen große Chancen bieten, eine Arbeitsstelle zu finden. Diese Beziehungen sind auf Menschen gerichtet, die nicht im Zentrum unserer sozialen Netzwerke stehen. Sie gehören also in der Regel nicht unserer Familie oder unserem näheren Bekannten- und Freundeskreis an, sondern sind mehr oder weniger entfernte Bekannte. Es erscheint wesentlich selbstverständlicher, sich mit einem näher stehenden Menschen über belastende Themen auszutauschen, als mit Fremden. Es ist nicht nur der naheliegendere Weg, sich an die eigenen Verwandten und andere nahe stehende Personen zu wenden, sondern auch ein Vorgehen, das wesentlich weniger eigene Aktivitäten erfordert, als das proaktive Zugehen auf andere. Wären Frau M. und Herr T. gute »Netzwerker«, dann könnten sie sich Unterstützungsquellen erschließen, von denen sie nicht wissen, dass es sie in ihrem Umfeld gibt. Der Sinn des aktiven Netzwerkens liegt nicht nur darin, diejenigen Personen anzusprechen, von denen man sich direkten Nutzen erwartet. Im Falle von Herrn T. könnte dies z. B. bedeuten, dass er einen Freund in einer vergleichbaren Position danach fragt, ob in seiner Abteilung eine Stelle frei ist. Wäre Herr T. ein guter Netzwerker, würde er darüber hinaus darum bitten, dass sein Freund die Information weiter streut, dass er eine neue Position sucht, und dieser Freund nun gleichfalls darum bittet, die Information weiter zu geben. Es ist leicht nachzuvollziehen, dass auf diese Weise die Wahrscheinlichkeit wächst, dass ein Angehöriger dieses Netzwerkes den entscheidenden Tipp geben kann, der zu einer neuen Position führt. Die empirischen Überprüfungen der theoretischen Grundannahmen sind widersprüchlich (7 vgl. Lang-von Wins 1997a), als gesichert kann allerdings die Beobachtung gelten, dass in Zeiten sich schließender Arbeitsmärkte die Suche nach neuen Mitarbeitern von den Unternehmen häufig über informelle Wege durchgeführt wird. Unter dem Humankapital verstehen Fugate et al. im Schwerpunkt die Qualifikationen, die wir im Laufe unserer Arbeit und unserer Ausbildung erworben haben. Auch der Humankapitalansatz wird in unterschiedlichen Bezügen und zur Beantwortung unterschiedlicher Fragen eingesetzt; die Argumentation ist jedoch verhältnismäßig schlicht und beschränkt sich auf ein einfaches »je mehr, desto besser«, das man angesichts der hohen Veränderungsdynamik noch ergänzen könnte durch die Formulierung »je neuer, desto besser«. Tatsächlich wird von betrieblicher Seite immer wieder dahingehend argumentiert, die Beschäftigten müssten mit der technischen Entwicklung und den neuen Wissenserfordernissen »Schritt halten«.
23 2.2 · »Employability« / Beschäftigungsfähigkeit
Laufbahnidentität
Die Laufbahnidentität wird im Allgemeinen aufgefasst als die Sicht und Definition der eigenen Person in einem bestimmten beruflichen Kontext. Bestimmend dafür sind die eigenen Werte, die Ziele, Hoffnungen und Befürchtungen, die sich auf den Beruf und die damit verbundenen anderen Lebensbereiche beziehen. Die Laufbahnidentität ist ein dynamisches Konstrukt, das der Vergangenheit und der Gegenwart Sinn gibt, die Entwicklung von Zielen ermöglicht und damit dem zukünftigen Weg eine Richtung gibt. Sie ist nicht die Summe der im Berufsleben gemachten Erfahrungen, sondern deren Eingliederung in subjektiv sinnhafte Strukturen (Meijers 1998). Laufbahnidentität herzustellen ist einerseits das Ziel einer erfolgreichen Anpassung an eine hochdynamische Umwelt und andererseits überhaupt erst die Voraussetzung einer subjektiv sinnvollen Anpassung. Sie hat die Funktion eines »inneren Kompass«, der die Orientierung in schwierigen Entscheidungssituationen ermöglicht. Die Situationen, in denen sich Herr T. und Frau M. befinden, haben deutliche Aspekte einer Herausforderung und Bedrohung ihrer Laufbahnidentität: Sie stehen vor der Notwendigkeit, sich neu zu orientieren und einen Weg zu finden, der auf der Grundlage ihrer bisherigen beruflichen Entwicklung möglicherweise in eine neue Richtung weist. Dieser Prozess birgt wiederum die Chance einer »Kurskorrektur«, die mit einer Rückbesinnung auf tragfähige Werte verbunden sein kann. Diese Rückbesinnung oder Suche nach den ursprünglich wichtigen Antriebskräften des eigenen Lebens bzw. der eigenen Berufstätigkeit ist die eigentliche Begründung der Laufbahnidentität. Identität bedeutet aus psychologischer Sicht ein »dauerndes Sich-SelbstGleichsein« über die Zeit und die unterschiedlichen Stationen des eigenen Lebens hinweg (Erikson 1973; Baitsch u. Schilling 1990). Bezogen auf die Laufbahnidentität steht die Person vor der Frage, ob sie sich vor den aufeinander folgenden Stationen der eigenen Arbeitsbiografie (die auch Phasen der Nichtarbeit einschließen kann) als Person wieder erkennen und sich mit ihnen identifizieren kann (Baitsch u. Schilling 1990). Zahlreiche Untersuchungen und Überlegungen machen deutlich, dass es für Menschen wichtig ist, sich selbst über die Zeit hinweg wieder zu erkennen und als konsistent zu erleben (z. B. Strehmel u. Ulich 1991). Jüngere Untersuchungen zeigen, dass eine Abfolge unterschiedlicher Beschäftigungsverhältnisse ohne inneren Zusammenhang – wie es bei Zeitarbeitsverhältnissen üblicherweise der Fall ist – zu deutlichen gesundheitlichen Beeinträchtigungen und einem subjektiven Sinnverlust führen können (7 vgl. Pietrzyk 2004). Persönliche Anpassungsfähigkeit
Die traditionell dominierende Sicht betrachtet Anpassung als einen zum größten Teil reaktiven Prozess, als ein Sich-Unterordnen unter vorgefundene äußere Bedingungen. Aus dieser Perspektive wäre Anpassung lediglich eine passive Antwort auf veränderte Bedingungen. Die Ziele der Anpassung würden aus dieser Perspektive vor allem den Notwendigkeiten folgen, die sich aus den Veränderungen ergäben. Ziel der handelnden Personen wäre es letztlich, das Ausmaß an Veränderung so gering wie möglich zu halten, und einen Gleichgewichtszustand wieder herzustellen, der durch äußere Einwirkung gestört wurde. Dieses Bild dominiert vor allem im Bereich der
Beruflichen Erfahrungen Sinn geben
Sich über die Zeit hinweg gleich sein
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Kapitel 2 · Voraussetzungen einer gestaltenden Orientierung
arbeitenden Menschen und der Theorien, die sich mit ihnen befassen – nicht weil es dem Menschenbild der Psychologie entspräche, sondern vielmehr, weil die vorherrschenden Managementtheorien Unternehmen als Gebilde betrachten, die optimal kontrolliert werden müssen (für eine kritische Auseinandersetzung 7 vgl. Mintzberg 1995). Gerade in Zeiten der Unsicherheit verstärken sich die planend-kontrollierenden Impulse in Unternehmen. Ihnen entspricht ein Menschenbild, das Planung und Kontrolle verlangt. Das Personal als eine Größe zu betrachten, die nicht lediglich auf den Wandel reagiert, sondern ihn aktiv herbeiführt und ihn nachhaltig macht, ist eine Denkweise, die sich erst allmählich in den Unternehmen durchzusetzen beginnt, und die zu den Impulsen der Planung und Kontrolle in Widerspruch steht. Auf individueller Ebene werden seit Beginn der Neunzigerjahre des vergangenen Jahrhunderts vermehrt Konstrukte populär, die die aktive Auseinandersetzung mit der Umwelt und ihre Gestaltung durch den Einzelnen thematisieren. Diese Ansätze teilen die Annahme, dass Menschen nach Verbesserungen ihrer Lebens- und Arbeitssituationen streben und diese Veränderungen aktiv und initiativ betreiben.
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Die persönliche Anpassungsfähigkeit ist angesiedelt in dem Spannungsfeld von proaktiver Veränderung der Lebens- und Arbeitssituationen und der eigenen Wandlungsfähigkeit, um veränderten Anforderungen der Umwelt zu folgen. Sie gestattet es erwerbsfähigen Personen, Gelegenheiten zur aktiven Gestaltung ihrer eigenen Laufbahn zu identifizieren und zu nutzen. Voraussetzungen erfolgreicher Anpassung
Es wird angenommen, dass sich diejenigen Menschen, die aktiver die eigenen Belange vertreten, erfolgreicher an veränderte Umweltbedingungen anpassen können. Eine erfolgreiche Anpassung an veränderte Umweltbedingungen hängt jedoch von zumindest drei entscheidenden Voraussetzungen ab (7 vgl. Ashford u. Taylor 1990), die erfüllt sein sollten: 1. Es stehen angemessene Informationen über die Umwelt und ihre individuell bedeutsamen Veränderungen bzw. Gelegenheiten zur Verfügung. 2. Die persönlichen Voraussetzungen von Anpassungsfähigkeit sind erfüllt. 3. Die Bereitschaft zur eigenen Veränderung ist gegeben. Innerhalb dieser drei Voraussetzungen nehmen die persönlichen Bedingungen eine Schlüsselfunktion ein. Aufgrund des bisherigen Forschungsstandes kann erwartet werden, dass die aktive Suche nach relevanten Informationen und die Bereitschaft zur eigenen Veränderung den persönlichen Voraussetzungen folgen. Diese für die persönliche Anpassungsfähigkeit wesentlichen Einflussgrößen werden in den nächsten Abschnitten kurz beschrieben. Dabei werden exemplarisch die Konstrukte Proaktivität, Optimismus und Selbstwirksamkeitserwartung dargestellt. Proaktivität
Die Proaktivität ist ein Konzept, das inhaltlich der Eigeninitiative und der Eigenverantwortung nahe steht. Bateman u. Crant (1993) fassen die proaktive Persönlichkeit als dispositionelles Merkmal von Personen auf, das auf
25 2.2 · »Employability« / Beschäftigungsfähigkeit
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eine aktiv-gestaltende Veränderung der Umwelt ausgerichtet ist. Damit stehen ihre Annahmen scheinbar Hypothesen gegenüber, die proaktives Verhalten als überwiegend situativ determiniert betrachten (Morrison u. Phelps 1999). Entsprechend beziehen sich die untersuchten Fragestellungen bei der Grundannahme einer situativen Determiniertheit auf spezifische Kontexte, während der dispositionelle Ansatz eine größere Variationsbreite unterschiedlicher Verhaltensweisen und Situationen einbezieht. Crant (2000) begreift beide Argumentationslinien nicht als einander ausschließend, sondern als unterschiedliche, einander aber im Wesentlichen ergänzende Zugänge zur Erklärung des gleichen Phänomens, des proaktiven Verhaltens. Den theoretischen Modellannahmen entsprechend suchen Menschen mit hoher Proaktivität Handlungsgelegenheiten, zeigen Initiative um gegebene Situationen zu verändern und halten ihre Handlungsabsicht solange aufrecht, bis eine aus ihrer Sicht sinnvolle Veränderung erreicht ist. Crant (2000) definiert proaktives Verhalten als die Übernahme von Initiative mit dem Ziel, die gegenwärtigen Umstände zu verbessern oder neu zu ordnen, wobei der Status quo in Frage gestellt wird und keine passive Anpassung an die gegenwärtigen Verhältnisse stattfindet. Beispiel
Menschen mit stark ausgeprägter Proaktivität suchen nach Informationen und Gelegenheiten, um die Dinge ihrer Umgebung zu verbessern und warten nicht passiv ab, bis sich Gelegenheiten ergeben und bestimmte Informationen zu ihnen gelangen. Menschen mit gering ausgeprägter Proaktivität zeigen lediglich ein geringes Ausmaß an Initiative und tendieren insgesamt eher dazu, sich passiv an die Bedingungen ihrer Umgebung anzupassen als sie durch eigene Handlungen zu verändern.
Herr T. und Frau M. sind als gemäßigt proaktiv einzustufen. Wäre Herr T. ein proaktiver Mensch, würde er sehr zügig auf eine Rückmeldung durch seinen Vorgesetzten gedrängt haben, und hätte sich nicht mit den wenigen Auskünften zufrieden gegeben, die er von ihm erhalten hat. Möglicherweise hätte er das Unternehmen auch bereits verlassen, weil er aktiv eine neue Position gesucht hätte. Wäre Frau M. ein proaktiver Mensch, wäre sie ihrem Auftraggeber möglicherweise zuvorgekommen und hätte mit ihm über Möglichkeiten der Verringerung ihres Engagements für das Unternehmen gesprochen. Optimismus
Die Erforschung des Optimismus und der erlernten Hilflosigkeit gehen auf denselben Wissenschaftler zurück. Seligman hatte im Rahmen verschiedener Versuche ein Phänomen entdeckt, aufgrund dessen er davon ausgehen musste, dass Tiere und Menschen unter bestimmten Umständen lernen, dass sie keinen Einfluss auf Situationen oder ihren Ausgang haben (Seligman 1986). In der Regel sind das Situationen, die durch eigenes Handeln nicht beeinflusst werden können. Im Zuge seiner Untersuchungen fand Seligman heraus, dass die meisten Personen dazu neigen, den erfahrenen Kontrollverlust zu generalisieren und auch auf andere Situationen zu übertragen, in denen sie tatsächlich Einflussmöglichkeiten haben. Diese Personen bleiben dann
Aktive Gestaltung der eigenen Lebensbedingungen
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Kapitel 2 · Voraussetzungen einer gestaltenden Orientierung
2 Sicht der positiven Entwicklungsmöglichkeiten
passiv und warten ab, dass sich die Situation auch ohne ihr Zutun ändert. Es gibt jedoch auch eine Reihe von Personen, die immer versuchen, Situationen, die ihnen nicht gefallen, zu verändern und die die Erfahrung der eigenen Einflusslosigkeit nicht akzeptieren. Diese Personen nennt Seligman »Optimisten«. Er konnte in einer Reihe wissenschaftlicher Studien nachweisen, dass sich für optimistische Menschen neben deutlichen positiven Effekten in Bereichen wie der Gesundheit auch in schwierigen beruflichen Kontexten positivere Entwicklungen ergeben als für weniger optimistische Menschen (7 vgl. Seligman 2001). Optimistische Menschen haben die Möglichkeit, über gegebene Situationen hinauszublicken. Während Seligman (2001) betont, dass pessimistische Men-schen die Realität besser einschätzen können, neigen optimistische Menschen eher dazu, die Realität und ihre Möglichkeiten positiver wahrzunehmen, als sie tatsächlich ist. Offenbar ist es gerade die Orientierung an den positiven Entwicklungsmöglichkeiten, die den Optimismus zu einer zentralen Ressource bei der Bewältigung problematischer Situationen macht.
Wäre Herr T. ein optimistischer Mensch, würde er in seiner Situation vermutlich deutlich weniger Zukunftsängste entwickeln, und wäre durch das Management-Audit und seine Ergebnisse weniger aus der Bahn geworfen. Er würde die Haltung seines Vorgesetzten ihm gegenüber nicht unbedingt als negatives Anzeichen eines ihn einbeziehenden kurz bevorstehenden Personalabbaus interpretieren, sondern auch Anzeichen für eine gewisse Distanziertheit des Vorgesetzten gegenüber den Feststellungen des externen Beraters bemerken. Wäre Herr T. ein Optimist, würde er sich vielleicht auch mit der Möglichkeit der Ausstellung beschäftigen. Gleichzeitig würde er aber auch bereits damit beginnen, Pläne für die Zeit danach zu machen. Als Pessimist würde Herr T. zunächst grüblerisch in der von ihm wahrgenommenen entwertenden Situation verharren; er würde erst dann damit beginnen, neue Pläne zu machen, wenn ihm die ihn betreffende Entscheidung des Unternehmens eröffnet würde. Selbstwirksamkeitserwartung
Die Selbstwirksamkeitserwartung ist eine Einschätzung darüber, wie gut man mit schwierigen Situationen umgehen kann (Bandura 1977). Definition Der zentrale Punkt der Selbstwirksamkeitserwartung ist die Überzeugung, sich auch in einer schwierigen Situation durchsetzen zu können und das gesetzte Ziel zu erreichen. Personen mit höherer Selbstwirksamkeitserwartung entscheiden sich für schwieriger zu erreichende Ziele und geben bei Schwierigkeiten weniger leicht auf. Vertrauen in die eigenen Fähigkeiten
Sie wirkt sich steuernd auf das Handeln und auf das Fällen von in die Zukunft weisenden Entscheidungen aus. Im beruflichen Kontext übt die Selbstwirksamkeitserwartung einen direkten Einfluss auf persönliche berufliche Entscheidungen aus, die sowohl den beruflichen Alltag als auch die berufli-
27 2.2 · »Employability« / Beschäftigungsfähigkeit
che Laufbahn betreffen (Lang-von Wins 1997). Die Erwartung der eigenen Selbstwirksamkeit lässt sich gut auf die Wahl von beruflichen Tätigkeiten übertragen. Speier (1994) konnte in einer Analyse von Längsschnittdaten zeigen, dass sich die arbeitsbezogene Selbstwirksamkeitserwartung positiv auf die Komplexität der ausgeübten Tätigkeit auswirkt. Personen mit höherer Selbstwirksamkeitserwartung wählen sich Arbeitskontexte aus, die durch schwierigere Aufgaben gekennzeichnet sind. Die Erwartungen der eigenen Selbstwirksamkeit stellen im Endeffekt einen Kern der beruflichen Selbstselektion dar, da sie einer Einschätzung darüber entsprechen, ob bestimmte Berufe oder Arbeitsstellen aus ihrer eigenen Sicht zu einer Person passen. In der Psychologie wird eine hohe Selbstwirksamkeitserwartung allgemein als ein Anzeichen und eine Voraussetzung gelungener Anpassung gewertet (7 vgl. Maddux u. Lewis 1995). Verfügte Frau M. über die Erwartung, auch mit schwierigen Situationen gut umgehen zu können, würde sie den Konflikt nicht so deutlich empfinden, den das Ansinnen ihres Auftraggebers bei ihr auslöste. Sie würde zunächst versuchen, ihre eigenen Ziele trotz der erhöhten Schwierigkeiten offen anzusprechen und daher zügig den Kontakt mit den ihr wichtigen Menschen in den unterschiedlichen Lebensbereichen suchen, um zu einer schnellen Lösung der einander widersprechenden Ansprüche zu kommen. Würde es sich ergeben, dass ihr Auftraggeber ihr keine weiteren Aufträge erteilen würde, wäre sie zuversichtlich, ihre bestehenden Interessen so auszubauen, dass sie sich zu einer tragfähigen Grundlage für ihre weitere Berufstätigkeit entwickeln würden. Fazit Diese kurze Darstellung hat gezeigt, dass die persönliche Anpassungsfähigkeit aus einer Reihe unterschiedlicher Dispositionen und Deutungsmuster von Personen besteht, die ineinander greifen. Wichtig erscheint vor allem, dass die Überzeugung, etwas tun zu können, Schwierigkeiten zu bewältigen, oder die Hoffnung auf einen positiven Ausgang einer problematischen Situation unsere Wahrnehmung leitet. Je nachdem, ob wir von unseren Fähigkeiten überzeugt sind, ob wir grundsätzlich an einen guten Ausgang glauben und daran, an Schwierigkeiten zu wachsen, werden wir dieselbe Situation vollkommen anders wahrnehmen, als ein Mensch, der meint, die Situation übersteige seine Möglichkeiten. Er wird vor allem das Bedrohliche sehen, das, was für ihn zu schwierig sein wird, um es produktiv zu bewältigen und sich der Situation umso eher ausliefern. Die Erforschung dieses Denken hat in der Psychologie mittlerweile eine lange Tradition. Lazarus (1978) hat mit seiner Formulierung des transaktionalen Stressmodells die Gedanken der persönlichen Anpassungsfähigkeit insofern vorweggenommen, als er den Prozess formulierte, der einer – aus unserer Sicht – produktiven oder unproduktiven Anpassung zu Grunde liegt. Dabei kommt der Einschätzung der eigenen Fähigkeiten, auf konkrete Situationen oder Bedrohungen adäquat reagieren zu können, eine ausschlaggebende Rolle zu. Wenn sich eine Person in einer Situation befindet, die sie als bedrohlich empfindet, in der sie für sich aber keine Möglichkeiten der aktiven Einflussnahme erkennen kann, 6
Wahrnehmung von Situation und eigenen Möglichkeiten
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Kapitel 2 · Voraussetzungen einer gestaltenden Orientierung
bleiben ihr aus Lazarus´ Sicht prinzipiell zwei Möglichkeiten: entweder, die Situation umzudeuten und die Bedrohung zu verdrängen (»love it«) oder vor den Bedrohungen der Situation auf andere Weise zu fliehen (»leave it«). Wiederholte Erfahrungen eigenen Unvermögens, Einfluß zu nehmen – freilich unter der verschärfenden Bedingung, dass eine »Flucht« nicht möglich ist – können zur Ursache von erlernter Hilflosigkeit werden: die eigene Einflusslosigkeit wird zum beherrschenden Prinzip erklärt, das das (Nicht)Handeln unter schwierigen Bedingungen bestimmt. Die sich gegenwärtig abzeichnenden Bedingungen der Berufslaufbahn bieten mannigfaltige destabilisierende Elemente, die ein deutlich höheres Maß an eigenen Aktivitäten von den Erwerbsfähigen erfordern, als dies bisher der Fall war. Deren persönliche Anpassungsfähigkeit ist aus dieser Perspektive die ausschlaggebende Variable für ihre weitere aktive Teilhabe am Arbeitsleben. Sie ist gleichzeitig eine wesentliche Zielgröße einer kompetenzorientierten Laufbahnberatung.
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2.3 Wegweiser in Ausnahmesituationen
Eigene Werte als Orientierungsgrundlage
In engem Zusammenhang zur Laufbahnidentität sind die eigenen Werte zu sehen. Besonders in komplexen Entscheidungssituationen sind sie wichtige Orientierungspunkte (Schwartz 1992). Es liegt in der Natur von Werthaltungen, dass sie sich im »normalen« täglichen Leben kaum bemerkbar machen. Sie entfalten ihre Kraft in der Regel dann, wenn Situationen eintreten, durch die das ihnen gemäße Handeln bedroht bzw. eine Bedrohung wahrgenommen wird. Wenn wir unterstellen, dass die berufliche Entwicklung von Herrn T. in den vergangenen zehn Jahren von Kontinuität geprägt war und das Unternehmen sich bis auf das letzte Jahr in einer wirtschaftlich stabilen Position befand, hatte Herr T. keinen Grund, sich über die Sicherheit seines Arbeitsplatzes Gedanken zu machen. Im Gegenteil: Es wäre kontraproduktiv gewesen, in einer stabilen und gesicherten Situation über die mögliche Gefährdung der Situation nachzugrübeln. Seit Herr T. aber die wirtschaftlichen Schwierigkeiten seines Unternehmens erkannt hat, noch mehr, seit er von der bevorstehenden Auditierung der Führungskräfte erfahren hat und schließlich, seit er das Verfahren durchlaufen und sein Ergebnis erhalten hat, macht er sich große Sorgen um seinen Arbeitsplatz. Die Sicherheit seines Arbeitsplatzes erscheint ihm akut bedroht. Diese Situation zeigt Herrn T. allerdings nur insofern die Notwendigkeit einer Orientierung auf, als er sich um einen neuen Arbeitsplatz bemühen sollte. Inwieweit er dieser Aufgabe gerecht wird, hängt wesentlich von den Komponenten seiner persönlichen Anpassungsfähigkeit ab. Das Potenzial, das Werten als Orientierungspunkten zukommt, reicht deutlich darüber hinaus. Es bezieht sich nicht nur darauf, kritische Situationen zu vermeiden, sondern auch darauf, positiv bewertete Situationen herbeizuführen. Aus dieser Perspektive sind Werte »Leuchtfeuer des Handelns«. Sie geben auch dann Orientierung, wenn Situationen mehrdeutig sind und uns vor Probleme stellen. Diese Probleme können einerseits darauf zurückgehen, dass das Ziel, an dem sich eigenes aktives Handeln ausrichten könnte,
29 2.3 · Eigene Werte als Orientierungsgrundlage
nicht klar genug ist, um aktiv werden zu können. Situationen können aber auch deswegen problematisch sein, weil sie ein Handeln verlangen, das den eigenen Werten widerspricht. Beispiel
Die Wirkung von Werten sei kurz am Beispiel von Frau W. veranschaulicht: Frau W. ist Ende Dreißig und arbeitet seit einigen Jahren als Designerin in einem weltweit tätigen Großkonzern, in dem sie für das Design neuer Produktreihen verantwortlich ist. Diese Tätigkeit ist die bisher dritte Station ihrer beruflichen Laufbahn, die sie vorher in deutlich kleinere Unternehmen geführt hat. Die ersten beiden Unternehmen, in denen Frau W. tätig war, waren durch einen ausgeprägten patriarchalischen Führungsstil geprägt, boten insgesamt aber eine familiäre Arbeitsatmosphäre, mit der Frau W. zufrieden war. Die Arbeiten und Entwürfe Frau W.s sind vielfach ausgezeichnet, sie hat einige bedeutende internationale Wettbewerbe gewinnen können. Weil sie sich weiter entwickeln wollte und zusehends erkannte, dass dies nur in einem großen und international ausgerichteten Unternehmen möglich wäre, nahm sie das Angebot an, in den Großkonzern zu wechseln und dort eine verantwortliche Position zu übernehmen. Anfangs kam sie gut mit ihrer neuen Tätigkeit, den Kollegen und Vorgesetzten zurecht. Das änderte sich, als ihr Abteilungsleiter wechselte und auch der Posten des in der Konzernleitung für den Designbereich zuständigen Vorstandes neu besetzt wurde. Der neue Vorstand praktizierte einen neuen und aus Sicht von Frau W. entwertenden Führungsstil, der das Arbeitsklima nachhaltig veränderte. Der neue Abteilungsleiter ist nach Ansicht von Frau W. ein willfähriges Instrument des Vorstandes und mehr an seiner eigenen Karriere als an seiner Abteilung interessiert. Für Frau W. sind Fairness, Kreativität und Zuverlässigkeit zentrale Werte, die sie ihrer eigenen Arbeit und dem Umgang mit anderen Menschen zu Grunde legt – gleichzeitig erwartet sie aber auch von anderen, dass sie sich entsprechend verhalten. Das Klima in ihrem Arbeitsumfeld hat sich seit der Neubesetzung des Vorstandspostens vor neun Monaten so deutlich verschlechtert, dass Frau W. zusehends unter ihrer Arbeit leidet. Es kostet sie immer mehr Mühe, sich für die Arbeit, die sie eigentlich mit großer Leidenschaft betreibt, zu motivieren: Sie kann zunehmend schwerer abschalten, träumt seit etwa einem halben Jahr auch regelmäßig von den ungelösten Konflikten in ihrem Arbeitsumfeld. Sie bemerkt bei sich den wachsenden Wunsch, sich »einzuigeln« und anderen aus dem Weg zu gehen, zumal ein großer Teil ihrer Bekannten und Freunde gleichzeitig Kollegen sind.
Ein psychologisch geschulter Beobachter würde die Anzeichen einer beginnenden Depression erkennen, gleichzeitig würde er nachforschen, worin der Grund der depressiven Gestimmtheit besteht. In der Psychologie gibt es ein sehr einflussreiches Erklärungsmuster für das Zustandekommen von Depressionen, das den fehlenden Einfluss auf die eigenen Lebensumstände in den Mittelpunkt rückt. Es geht dabei jedoch nicht um die objektiv fehlende Möglichkeit, die eigenen Lebensumstände zu gestalten, sondern in erster Linie um die Wahrnehmung der eigenen Möglichkeiten, Einfluss zu nehmen.
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Kapitel 2 · Voraussetzungen einer gestaltenden Orientierung
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Bedrohung der Werte
Konflikt zwischen Werten
Darin liegt ein entscheidender Unterschied: Objektiv können Möglichkeiten vorhanden sein, die eigenen Lebensumstände zu verändern und aktiv zu gestalten – werden sie aber nicht als Handlungsmöglichkeiten erkannt, bleiben sie wirkungslos. Wir haben dieses Prinzip u. a. bei der kurzen Erörterung der erlernten Hilflosigkeit oder ihres Gegenteils, des Optimismus kennengelernt. Optimistische Menschen glauben daran, dass die Situation eine positive Wendung nehmen wird. Dieser Glauben ermöglicht es ihnen zusammen mit einer positiven Selbstwirksamkeitserwartung und einem hohen Grad an Proaktivität, auch in schwierigen Situationen so lange nach Lösungen zu suchen, bis sie gefunden sind oder zumindest an der Hoffnung festzuhalten, dass sich die Situation zum Besseren ändern wird. Der Fall bei Frau W. liegt jedoch noch etwas komplizierter und hat mit ihren Werten zu tun. Für sie ist einerseits die Freiheit, kreativ arbeiten zu können, eine wesentliche Bedingung für die Freude an ihrer Arbeit und ihre große Leistungsbereitschaft. Sie ist massiv durch das Handeln des neuen Vorstandes beeinträchtigt, da er dazu neigt, bei der Arbeit der Designer inhaltlich mitzureden und der damit ihren Gestaltungsrahmen erheblich einengt. Darin liegt der eigentliche Anlass für ihre schwierige Situation. Verschärft wird dies durch das große Bedürfnis nach materieller Absicherung, das Frau W. davon abhält, die Unsicherheit einer mehr oder weniger wahrscheinlichen Phase der Erwerbslosigkeit in Kauf zu nehmen. Frau W. sucht zum gegenwärtigen Zeitpunkt zwar aktiv nach einer neuen Stelle in einem anderen Unternehmen und überlegt sich auch, ob sie sich nicht grundsätzlich umorientieren und beruflich einen anderen Weg einschlagen sollte. Doch die anfänglichen Misserfolge bei der Suche nach einer möglichst ähnlichen gut bezahlten und interessanten Stelle haben ihre Aktivität rasch erlahmen lassen. Zentrales Kennzeichen einer wertorientierten Auseinandersetzung mit der eigenen Situation ist das Streben nach Verbesserung bzw. Veränderung spezifischer Punkte. Sofern sich eine individuell unterschiedlich große spürbare und unangenehme – Differenz zwischen der eigenen Situation und den Ansprüchen an das eigene Leben und Handeln ergibt, entsteht der Druck, diese Situation zu verändern. Je größer die wahrgenommene Differenz ist, desto wichtiger ist es, die Situation zu verändern und entsprechende Ziele zu erarbeiten. Je wichtiger ein Wert ist, desto entschiedener wollen wir das Ziel erreichen, auf das der Wert gerichtet ist (Boehnke, Fuß u. Rupf 2001). Wenn wir zu dem Schluss gelangen, dass wir einen Zustand nicht erreichen oder aufrecht erhalten können, der uns aufgrund unserer Wertorientierungen wichtig ist, dann macht uns das unruhig – wir »machen uns Sorgen«. Boehnke et al. (2001) gehen daher davon aus, dass die Sorgen, die sich Menschen machen, differenzierte Rückschlüsse auf ihre Werte und deren Wichtigkeit zulassen. Dabei kann erschwerend hinzukommen, dass unser Wertesystem nicht in allen Punkten aufeinander abgestimmt ist. Im Fall von Frau W. ergibt sich ein deutlicher Konflikt zwischen ihrer auf Sicherheit bezogenen Werthaltung und den auf Fairness, Offenheit und das eigene Handeln anderen gegenüber bezogenen Werten, der sie letztlich handlungsunfähig macht. Frau W. brachte der Konflikt der für sie wichtigen Ansprüche an ihr eigenes Leben in eine schwierige Situation, die sie nicht aus eigener Kraft lösen konnte. Das Problem nahm schließlich eine so grundsätzliche Bedeutung an, dass Frau
31 2.3 · Eigene Werte als Orientierungsgrundlage
W. zunehmend depressiv und in ihrem Handeln passiv wurde. Ihre gegensätzlichen Werte und Ansprüche an das eigene Handeln ermöglichten es ihr nur, im Rahmen der bestehenden Situation zu handeln. Die situative Ursache ihres Konfliktes zu beseitigen war ihr allerdings nicht möglich. Sie beobachtete sehr genau, wie ihre Kollegen mit der neuen Situation umgingen. Deren Versuche, sich mit den Arbeitsbedingungen zu arrangieren, waren für sie in den meisten Fällen nicht mehr als das Aufgeben der Ansprüche an das eigene Handeln und letztlich eine Korrumpierung der eigenen Person, die für sie nicht in Frage kam. Die eigenen Werte sind kein starres Gebilde, das unbeschadet die unterschiedlichen Anforderungen unseres Alltages übersteht. Allerdings darf man sich Werte auch nicht als das Ergebnis der jeweiligen Situation denken, in der wir uns befinden. Sie sind Festlegungen unseres Verhältnisses zur Welt, abstrakte Regeln und Orientierungspunkte, die wir als ein Ergebnis unserer bisherigen Entwicklung betrachten können. Unsere Werte sind integraler Bestandteil und Ausdruck unseres Selbstkonzeptes, und auf eine komplexe Weise auch Antrieb unserer Entwicklung. Allerdings ist es möglich, dass wir in Situationen geraten, in denen uns klar wird, dass einige unserer Werte sich in Widerspruch zueinander befinden. Frau W. ist gegenwärtig in einer solchen Situation. Sie steht vor der Aufgabe, Regeln zu definieren, die die widersprüchlichen Teile der Werte integrieren. Auf diese Weise entstehen zunehmend differenziertere Werte, aus denen sich immer konkretere Richtlinien für zukünftiges Handeln ableiten lassen. Die eigenen Werte zu kennen, hilft dabei, die eigene Identität zu verteidigen, und sich aus sich selbst heraus weiter zu entwickeln und nicht auf Gelegenheiten passiv zu reagieren. Fazit Die Bedingungen der Berufsarbeit verändern sich und stellen den Einzelnen vor Entscheidungen, die er bisher nicht oder nicht in diesem Ausmaß treffen musste. Der Mensch steht vor der Aufgabe, eine zunehmend offenere Laufbahn zu gestalten. Die Charakterisierung »offen« meint nicht in erster Linie, dass sich der handelnden Person »alle« Chancen bieten – es lässt sich derzeit noch nicht sicher sagen, wie diese Chancen aussehen und wo ihre Grenzen liegen werden. Zunächst meint der Begriff von der offenen Laufbahn, dass sich die Zahl der Laufbahnübergänge deutlich erhöhen wird – manche Autoren sprechen sogar davon, dass die Zahl der Übergänge theoretisch unbegrenzt sei (z. B. Arthur u. Rousseau 1996; Fugate et al. 2004). Die Grenzen der bisherigen Laufbahnen lösen sich zunehmend auf: Sie werden einerseits durchlässiger (was Chancen bietet) und andererseits weniger gut planbar (was Risiken in sich birgt). Die Anforderungen an die Erwerbsfähigen steigen nicht nur in Hinblick auf die ständige Weiterqualifikation und die Erhaltung des eigenen »Marktwertes«. In weitaus höherem Maß stehen die arbeitenden und arbeitsfähigen Personen vor der Aufgabe, auf der Grundlage der sich verändernden Bedingungen tragfähige Konzepte der eigenen Identität zu entwickeln und gegenüber vielfältigen destabilisierenden Einflüssen zu behaupten. Mehr oder weniger durchgängige Rollenmodelle, an denen man sich bei der 6
Werte in ein stimmiges System integrieren lernen
2
32
Kapitel 2 · Voraussetzungen einer gestaltenden Orientierung
2
Erhöhung der persönlichen Anpassungsfähigkeit
Gestaltung der eignen Laufbahn orientieren könnte, stehen nicht mehr zur Verfügung. Dass die Laufbahn der Zukunft aber dennoch Grenzen haben wird, ist so banal wie sicher. In weitaus größerem Ausmaß als bisher werden diese Grenzen von den Menschen abhängen, die sich auf den Weg machen. Wesentlich für diesen Weg und seine Grenzen wird die persönliche Anpassungsfähigkeit sein: Sie ermöglicht einerseits ein produktives Wachstum auch unter den veränderten Bedingungen der Berufsarbeit und ist andererseits eine wichtige Voraussetzung, um die Laufbahnidentität gegen vielfache Herausforderungen zu verteidigen. Wie wir gesehen haben, sind der Optimismus, die Selbstwirksamkeitserwartung und die Proaktivität ebenso wie die persönlichen Werte zentrale Bestandteile dieser Anpassungsfähigkeit. Sie sind der »Motor«, der uns auf unserem Weg voran bringt, der uns vor Problemen nicht hilflos verharren lässt, sondern uns nach einem Weg suchen lässt, um sie zu meistern. Ein Ansatz der Laufbahnberatung, der diesen neuen Anforderungen gerecht wird, darf sich nicht damit begnügen, Zuordnungen zu Berufsfeldern zu erleichtern oder grundsätzliche Laufbahnentscheidungen zu fördern. Zeitgemäße Laufbahnberatung muss den Klienten die Möglichkeit eröffnen, ihre persönliche Anpassungsfähigkeit zu erhöhen und ihre Laufbahnidentität dynamisch weiter zu entwickeln. Ein Berater, der diesen Ansatz verfolgt, könnte auch Herrn T., Frau M. und Frau W. weiter helfen. Wir arbeiten im folgenden Kapitel grundsätzliche theoretische Ansatzpunkte heraus, denen eine aus unserer Sicht wirkungsvolle Form von Beratung genügen muss. Anschließend stellen wir ein stringentes Konzept einer Kompetenzorientierten Kurzberatung vor, das auf dieser Grundlage entwickelt wurde.
3 Ansatzpunkte einer kompetenzorientierten Laufbahnberatung 3.1
Der Kompetenzbegriff – 34
3.2
Laufbahnberatung – 39
3.3
Prozess der Beratung – 44
3.4
Zielkritierien einer kompetenzorientierten Laufbahnberatung – 57
34
Kapitel 3 · Ansatzpunkte einer kompetenzorientierten Laufbahnberatung
In diesem Kapitel arbeiten wir auf der Grundlage der bisherigen Überlegungen konkrete Ansatzpunkte einer kompetenzorientierten Laufbahnberatung heraus. Das Kapitel hat im Wesentlichen vier Teile: Zunächst erläutern wir den Kompetenzbegriff und unser Verständnis von Kompetenz. Danach wenden wir uns der Laufbahnberatung zu und gehen kurz auf unterschiedliche Denkrichtungen ein. Anschließend betrachten wir den Prozess der Beratung näher und beenden das Kapitel mit der Darstellung von Zielkriterien für eine kompetenzorientierte Laufbahnberatung.
3
3.1
Zukünftige Anforderungen an Arbeitnehmer
Der Kompetenzbegriff
Warum Kompetenzen? In Zukunft wird vermutlich für die Mehrzahl der Erwerbsfähigen die Dynamisierung der Arbeitswelt zu wiederholten Prozessen der Um- und Neuorientierung führen.Diese Prozesse sind ein wichtiger Bestandteil der aktiven Teilhabe an Arbeit. Zunehmend wird es notwendig sein, die unterschiedlichen Stationen der beruflichen Laufbahn als Lerngelegenheiten zu nutzen, um damit die eigene Beschäftigungsfähigkeit zu steigern. Analysen der zukünftigen Anforderungen von Arbeitstätigkeiten machen deutlich, dass der Anteil von nicht routinisierbaren und immer neue Lösungen erfordernden Aufgaben steigen wird (7 vgl. Tractenberg, Streumer u. van Zolingen 2002). Die Anforderungen an die Arbeitnehmer werden sich in Zukunft sehr viel stärker in Richtung der im Folgenden aufgeführten Kriterien bewegen, als dies bisher der Fall war (7 vgl. Tractenberg et al. 2002): 4 Entscheidungen treffen, Probleme lösen und eigenverantwortlicher arbeiten, 4 in unscharf definierten Arbeitsumgebungen arbeiten, 4 kreativ denken und neue Wege suchen, 4 einen guten Überblick über die Systeme haben, innerhalb derer man arbeitet, 4 die eigene Arbeit, ihren Beitrag zum sie umgebenden System und ihre Bedingungen reflektieren und ein breiteres Verständnis des eigenen Tuns aufbauen, 4 Informationen aktiv suchen, interpretieren und organisieren, 4 aktiv in Gruppen agieren. Wir sehen, dass diese Anforderungen Kompetenzen erfordern, die nicht durch formelle Qualifikationen abgedeckt werden. Es werden Eigenschaften von Personen relevant, die schwerer überprüfbar und zu beobachten sind als Mathematiknoten oder das Wissen um bestimmte Sachverhalte und Daten. Lerngelegenheiten
Die Abfolge unterschiedlicher und nicht immer selbst gewählter Stationen in der eigenen beruflichen Laufbahn bietet einerseits durch den Wechsel der Erfahrungskontexte große Lernmöglichkeiten, andererseits sind sie aus der Sicht des betroffenen Einzelnen auch bedrohlich, weil sie Planungssicherheit verringern und Unsicherheit erhöhen. Darüber hinaus können die notwendigen Umorientierungen und die Anpassung an sich verändernde Bedingun-
35 3.1 · Der Kompetenzbegriff
gen des Arbeitsmarktes zu einer ernsthaften Bedrohung für die Identität werden, wenn über der Verschiedenartigkeit der beruflichen Stationen der rote Faden einer nachvollziehbaren und sinnvollen Entwicklung verloren geht. Aus der Erforschung von Zeitarbeitsverhältnissen wissen wir bereits heute um das gesundheitsgefährdende Potenzial einer Abfolge unterschiedlicher beruflicher Stationen ohne offensichtlichen Zusammenhang (z. B. Pietrzyk 2004). Damit sind die Gefahren einer Entwicklung der Arbeitsverhältnisse zu inhaltlich und zeitlich befristeten Projekten angedeutet. Die Lernchancen, die sich aus den unterschiedlichen Aufgaben und der Möglichkeit ergeben, sich in wechselnden Kontexten zu erleben, stehen dem als Entwicklungsmöglichkeiten gegenüber – sie ergeben sich jedoch nicht per se und benötigen aktive Unterstützung bzw. die entsprechenden Rahmenbedingungen.
Nutzung unterschiedlicher Stationen als Lernchancen benötigt Unterstützung
Implizites Lernen
Aufbauend auf den Erkenntnissen der modernen Lernforschung wurde in den vergangenen Jahrzehnten der Wert des impliziten Lernens erkannt – also des Erlernens von Fertigkeiten und Wissen im Alltag und eben nicht in Kursen, Seminaren oder Ausbildungen. Das implizite Lernen besteht letztlich in der Aneignung von Handlungsregeln, um Aufgaben in neuen Kontexten auszuführen. Seriöse Schätzungen gehen davon aus, dass auf diese Weise zwischen 70% und 80% unserer beruflichen Handlungsfähigkeit entstehen (7 vgl. Laur-Ernst 1999). Kennzeichnend für diese Art des Lernens ist zudem, dass es meist nicht bewusst geschieht. Als Folge davon ist das so entstandene implizite Wissen einer verbalen Kommunikation oder auch nur einer bewussten Reflexion schwer zugänglich. Es wird zum überwiegenden Teil nur dann aktiviert, wenn wir uns in den entsprechenden Handlungskontexten bewegen und erscheint dann der handelnden Person nicht als Ressource, sondern wird als selbstverständlich vorhanden hingenommen. Ohne allzu tief in wissenschaftliche Denkmodelle einzusteigen, sollte klar sein, dass es ein Missverhältnis gibt zwischen dem, was wir können und dem, von dem wir wissen, dass wir es können. Unterstützt wird dieser Zustand durch die gesellschaftlich gültige und kaum ausreichend hinterfragte Praxis, die formalen Ausbildungsnachweisen großen Wert zubilligt, während implizites Wissen in der gesellschaftlichen Diskussion, in Unternehmensrealitäten und schließlich für das Individuum selbst kaum eine nennenswerte Rolle zu spielen scheint. Kommentar Ein konstruktimmanentes Problem: Wie soll implizites Wissen eine nennenswerte Rolle spielen, wenn dieses selbst nicht oder nur äußerst unscharf benannt werden kann?
Tut sich bereits das Individuum schwer, die eigenen Fähigkeiten mit den Herausforderungen aufgrund einer komplexer werdenden Arbeitswelt zu aktualisieren, so ist dies für Unternehmen fast unmöglich: Aus Bewerbern internationaler Herkunft gilt es die Personen auszuwählen, die für die aktuell spezifischen Anforderungen des Unternehmens am besten geeignet sind und die mit der Veränderungsdynamik umgehen können und somit auch
Wir können mehr, als uns bewusst ist
3
36
Kapitel 3 · Ansatzpunkte einer kompetenzorientierten Laufbahnberatung
3
Erfahrungen nutzbar machen
Fähigkeiten mitbringen, die zum Zeitpunkt der Anstellung noch gar nicht abgerufen werden müssen. Zwar spielt die Frage nach der Qualifikation von Mitarbeitern hier nach wie vor eine wichtige Rolle, hinzu tritt jedoch die Frage, was sie tatsächlich können. Die Zertifikate und Abschlüsse betonen lediglich das Wissen, über das Personen eigentlich verfügen müssten. In einem Auswahlverfahren kann jedoch nur ein verschwindend geringer Teil der laut Plan vermittelten Kenntnisse überprüft werden. Das tatsächlich vorhandene Vermögen kann nur stichprobenartig und damit unvollständig beurteilt werden. Formale Ausbildungszertifikate bleiben damit ein unscharfes Abbild gelernten Wissens. Ein großer Teil der formal erlernten Kenntnisse ist – auch das ist seit längerer Zeit bekannt – »träges« Wissen, das wir zwar erlernt haben, das aber ohne klaren Zusammenhang zu unserem Handeln bleibt. In welcher Weise institutionell vermittelte Bildungsinhalte und tatsächliches Arbeitshandeln in Verbindung miteinander stehen ist eine komplexe Forschungsfrage, die an dieser Stelle nicht weiter vertieft werden soll. Wir halten jedoch fest: 0 i Hinweis Das unmittelbar handlungsrelevante Wissen und die damit verknüpften Fähigkeiten werden (noch) nicht in den formalen Ausbildungsnachweisen zertifiziert. Für Unternehmen ist jedoch das verfügbare Handlungswissen das weitaus interessantere und wertvollere Know-how. Wichtig ist die Organisation und Struktur des Wissens und der Wissensbausteine desjenigen, der Leistungen erbringt. Entscheidend für die Übertragbarkeit und Tiefe der Verarbeitung von Wissen und Handlungsstrategien ist die Breite der Kontexte, in denen es erworben wurde. Eine Mehrzahl von Handlungsstrategien und eine Breite von Kontexten kann jedoch nur dann erfahren werden, wenn Wissen nicht rein theoretisch, sondern handlungsbezogen erworben wird, bzw. wenn eine Person handelnd lernt und lernend handelt. Begriff der Kompetenz
Der Begriff der Kompetenz ist nicht eindeutig definiert. Unter Kompetenz verstehen die damit befassten Forscher und Praktiker verschiedene Sachverhalte (7 vgl. Shippmann et al. 2000). Weinert (2001) kommt zu der zusammenfassenden Feststellung, dass ein negativer Zusammenhang zwischen der Popularität des Kompetenzbegriffes und seiner Genauigkeit bestehe. Der Begriff »Kompetenz« hat sich als ein schillerndes Wort etabliert, das als Ersatzbegriff für das Können von Personen dient; darüber hinaus werden Kompetenzen häufig auch als Befugnis etwas zu tun oder zu entscheiden betrachtet. Ausgehend von der begrifflichen Herausstellung besonders wichtiger oder zentraler Kompetenzen ließe sich vermuten, dass eine Einschränkung oder Schärfung des Kompetenzbegriffes vorgenommen werden könnte. Doch die Wirklichkeit sieht anders aus: Allein in der deutschsprachigen Aus- und Weiterbildungsliteratur werden zumindest 654 unterschiedliche Schlüsselkompetenzen unterschieden (7 vgl. Lang-von Wins 2003).
37 3.1 · Der Kompetenzbegriff
Offensichtlich sollte man, bevor man von Kompetenz spricht, deutlich machen, was man darunter versteht. Definition Ein Ansatz, der in der Psychologie zunehmend Verbreitung findet, betrachtet Kompetenzen als Befähigungen, mit neuen Situationen und bisher unbekannten Handlungsanforderungen erfolgreich umgehen zu können (Erpenbeck u. von Rosenstiel 2003). Den Überlegungen zufolge konstituieren sich Kompetenzen in einem komplexen Wechselspiel von Wissen, Überzeugungen und Handlungstendenzen (Weinert 2001).
Damit sind Kompetenzen mehr als nur Wissen oder Fertigkeiten, mehr als Qualifikationen oder erlerntes Wissen. Sie sind das, was uns dazu bewegt, in einer neuen oder unbekannten Situation auf bestimmte Weise aktiv zu werden (Metakompetenzen oder Handlungskompetenzen), sie sind das, was uns dazu befähigt, zu guten Lösungen von neuen Problemen in fachlichen Kontexten (Fachkompetenz) oder in sozialen Kontexten (soziale Kompetenz) zu kommen oder bei der erfolgreichen Kombination von Methodenwissen und Handlungsstrategien (Methodenkompetenz) zur Lösung von fachübergreifenden Problemen zu gelangen. Kompetenzen sind Kombinationen aus Merkmalen der kognitiven Leistungsfähigkeit, spezifischen Wissensbausteinen, domänenspezifischen Handlungs- und Problemlösestrategien, motivationalen Tendenzen, volitionalen Kontrollinstanzen – also derjenigen Mechanismen, die für die Aufrechterhaltung einer Handlung sorgen – persönlichen Werten und sozialen Verhaltensweisen (Weinert 2001), die Menschen dazu befähigen, die Anforderungen bestimmter Rollen, Situationen oder Aufgaben erfolgreich zu erfüllen. Die von Fugate et al. (2004) dargestellte persönliche Anpassungsfähigkeit kann ebenso wie Teile der Laufbahnidentität als Komponente der Kompetenzen einer Person aufgefasst werden. Definition Kompetenzen sind aus dieser Sicht zunächst Kombinationen kognitiver, motivationaler oder sozialer Fähigkeiten oder Potenziale, wobei auch moralisch-ethische Komponenten eine wichtige Rolle spielen. Kompetenzen sind in ihrer jeweiligen Ausprägung in komplexe Handlungssysteme eingebettet und lassen sich daher nicht durch grundlegende kognitive Fähigkeiten oder einfache Fertigkeiten charakterisieren (Lang-von Wins 2003; Weinert 2001).
Es wird deutlich, dass das »Können« von Personen sich auf komplexe Weise aus unterschiedlichen Facetten zusammensetzt, die nur teilweise einer offenen Beobachtung und Bewertung zugänglich sind. Entscheidend für das Sichtbarwerden von Kompetenzen sind biografische Bedeutungszusammenhänge, die das Zusammenwirken der verschiedenen Kompetenzbereiche in realen Situationen deutlich machen. Qualifikation und Kompetenz
Thömmes (2001) vergleicht den Qualifikationsbegriff von ca. 1980 mit dem Kompetenzverständnis um das Jahr 2000. Strukturell lassen sich die beiden
Fundierung des Kompetenzbegriffs
3
38
Kapitel 3 · Ansatzpunkte einer kompetenzorientierten Laufbahnberatung
Begriffe auf den Ebenen »Wissensform«, »Arbeitsorganisation« und »ökonomisches Umfeld« vergleichen. . Tab. 3.1 bietet hierüber einen Überblick:
3
Unterschiede zwischen Qualifikation und Kompetenz
. Tab. 3.1. Qualifikation vs. Kompetenz (nach einer Darstellung von Thömmes (2001) 1980: »Qualifikation«
2000: »Kompetenz«
Wissensform
5 Anforderungsbezug auf Stellen 5 Wissenserwerb 5 Prüfung/Abschluss/Titel 5 zentraler Wert: Wissen 5 Weiterbildung curricular 5 statischer Begriff
5 Anforderungsbezug auf Prozesse 5 Biografie/Anforderungs-Lernschleifen 5 zentraler Wert: Potenzial 5 dynamischer Begriff
Arbeitsorganisation
5 Taylorismus, Post-Taylorismus 5 Beruf ⇒ hohe Arbeitsteilung 5 Posten/Arbeitsplatz 5 Weiterbildung durch Einzelmaßnahmen 5 Hierarchie- und Funktionsorientierung
5 Informations-/ Wissensgesellschaft 5 Job/Mission ⇒ weniger Arbeitsteilung 5 Projektarbeit/komplexe Aufgabenfülle 5 »lifelong learning«/Biografie wird berücksichtigt 5 flache Hierarchien und Prozessorientierung
Ökonomisches Umfeld
5 kollektive Vertragsgestaltung und Flächentarife 5 Sicherheit/Besitzstände/ Dauer 5 klassische Aufbau- und Ablauforganisationen (feste Arbeitsplätze im Unternehmen) 5 Arbeitsmärkte lokal
5 Wettbewerb global 5 prekäre Beschäftigungsbedingungen 5 geringerer Organisationsgrad 5 höhere Flexibilität und Selbstverantwortung (Teilzeit, Telearbeit, Werkverträge) 5 Arbeitsmärkte überregional
Auffällig an diesem Vergleich ist, dass es sich beim Kompetenzbegriff um einen dynamischen Ansatz handelt, während Qualifikationen von der Anlage her als eher statisch gekennzeichnet werden können. Qualifikation orientiert sich an einem Maßstab, an Voraussetzungen, die eine Person erfüllen muß, um einer Tätigkeit nachzugehen, um für eine Ausbildung, für eine Anstellung oder für einen Aufstieg geeignet zu sein. Qualifikation schafft also stets Bedingungen: Was passiert jedoch, wenn sich in der Kausalität von Bedingungen eine Verschiebung ergibt? Wenn also ein Abschluss zwar formal für eine Stelle qualifiziert, sich aber herausstellt, dass sich die Anforderungen der Stelle soweit geändert haben, dass die qualifikatorische Bedingung nicht mehr passend oder ausreichend erscheint? Dann stellen sich Qualifikationen rasch als Konstrukte heraus, die nur noch Aussagen über denjenigen zu treffen vermögen, der sie als Maßstab verwendet, nicht unbedingt jedoch über den, an den das Maß angelegt wird. Kommentar Qualifikationen veralten rasch – Kompetenzen aktualisieren sich permanent.
39 3.2 · Laufbahnberatung
Natürlich ist es unabdingbar, Grundvoraussetzungen als Richtlinien für bestimmte Tätigkeiten zu definieren. Qualifikatorische Konstrukte sollten deshalb nicht durch Kompetenzkonstrukte ersetzt werden. Der Blick sollte jedoch erweitert werden und den Menschen mit seinen Qualifikationen und seinen Kompetenzen zu erfassen suchen. Ein Begriff, der in dieser Diskussion zu Recht häufig genannt wird, ist der der Schlüsselqualifikationen und die Frage ist berechtigt, ob es in der Diskussion um Kompetenzen nicht eigentlich um Schlüsselqualifikationen geht, ob also Kompetenz nur ein neues Modewort für eine Debatte ist, die bereits seit Mitte der 1970er-Jahre geführt wurde. Warum ist es nun sinnvoll, einen neuen Begriff einzuführen? Kompetenz als Selbstorganisationsdisposition ist ein psychologisches Konstrukt, das das Individuum in den Fokus der Betrachtung stellt. Somit ist im Konzept von Kompetenzen auch gleichzeitig die Untersuchungsebene enthalten: Der Mensch steht im Mittelpunkt, aufgrund seiner Fertigkeiten und Fähigkeiten werden Aussagen darüber aufgestellt, wie erfolgreich er sich in Zukunft verhalten wird. Schlüsselqualifikationen gehen dagegen von Anforderungen einer Position oder eines Jobs aus, die zu einem Set von Eigenschaften einer Person passen. Hier gibt es nach diesem Ansatz besonders häufig vorkommende Eigenschaften, die für eine Vielzahl von Berufen vorteilhaft sind und somit als »Schlüssel« für diese Tätigkeiten verstanden werden können. Das Konzept der Schlüsselqualifikationen unterstellt also eine genaue Kenntnis darüber, über welche Qualifikationen, Fertigkeiten und auch Kompetenzen eine Person verfügen muß, um für möglichst viele Tätigkeiten geeignet zu sein. Kompetenzkonzepte treffen keine derartigen Aussagen, sondern versuchen meist, das derzeitige Können einer Person möglichst genau zu beschreiben. Manche Autoren winden sich um dieses begriffliche Problem, in dem sie weder von Kompetenzen noch von Schlüsselqualifikationen sprechen, sondern den Begriff der »Schlüsselkompetenzen« einführen. Inwieweit dieser Ansatz zu einer begrifflichen Klärung beitragen kann, mag dahingestellt sein. Halten wir jedoch fest: ! Wichtig Auch der Ansatz der Schlüsselqualifikationen geht davon aus, dass es für alle Bereiche des Arbeitshandelns einen Maßstab geben kann, anhand dessen Leistungen (oder eben Qualifikationen) gemessen werden können. Der Kompetenzansatz dagegen geht nicht von einem starren Maßstab aus, sondern von den Fähigkeiten des Einzelnen und wie entwicklungsfähig diese sind.
3.2
Laufbahnberatung »… the ability to managing one’s career, to choose one’s life career goals, learning and working experiences in order to maintain career sustainability, becomes one of the most crucial strategic skills to be mastered, and a growing number of workers may need orientation and support to develop these skills.« (Tractenberg et al. 2002, 7 S. 91)
3
Kompetenz als psychologisches Konstrukt
Kompetenzen sind personenbezogen
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Kapitel 3 · Ansatzpunkte einer kompetenzorientierten Laufbahnberatung
Wir haben uns bisher nur implizit mit einem Begriff auseinander gesetzt, der für unsere Belange geradezu konstituierend ist: dem der Laufbahn. Doch sollte bereits klar geworden sein, dass wir für einen umfangreichen Laufbahnbegriff eintreten, der eine vertikale Karriere im Unternehmen nur als eine von vielen Möglichkeiten betrachtet. Im Folgenden werden wir uns nach einem kurzen Überblick über grundsätzliche traditionelle Ansätze der Laufbahnberatung auf neuere Herangehensweisen konzentrieren.
3
Denkrichtungen Passung von Person und Beruf
Dynamische Berufsbedingungen verlangen dynamische Beratungsansätze
Die systematische Laufbahnberatung beginnt nach Einschätzung der meisten Autoren mit Parsons, der 1908 das Vocation Bureau in Boston gründete. Für ihn musste eine Laufbahn- oder Berufsberatung drei Bedingungen genügen (Parsons 1909): Sie musste auf einer klaren Vorstellung von sich selbst, den eigenen Fähigkeiten und Interessen, den zur Verfügung stehenden Ressourcen, den Wünschen und Zielen aber auch den persönlichen Grenzen aufbauen. Sie beruhte weiter auf einer klaren Kenntnis der Erfolgs- und Misserfolgsbedingungen, der Aussichten und Beschränkungen unterschiedlicher Berufsfelder und sollte schließlich über eine gründliche Reflexion eigener Voraussetzungen und beruflicher Bedingungen zu einer abgewogenen und – wie er es nannte – vernünftigen Entscheidung führen. Auf die Überlegungen von Parsons gehen auch die heute geltenden Paradigmen der Laufbahnberatung im Kern zurück. Die bei ihm bereits aufscheinende Passungshypothese wurde fünf Jahrzehnte später zum Kern der einflussreichen Berufswahltheorie von Holland, die er in späteren Veröffentlichungen weiter entwickelte. Vielen Theorien, die zu wichtigen Impulsgebern für die Laufbahnberatung geworden sind, ist die Grundannahme gemeinsam, dass Menschen aufgrund bestimmter Persönlichkeitsmerkmale oder Interessen bestimmte Berufe wählen, in denen sie dann mehr oder weniger zufrieden werden. Das Ausmaß der Zufriedenheit hängt dabei ab von dem Grad der Übereinstimmung zwischen den Bedingungen der beruflichen Tätigkeit und den eigenen Präferenzen. Der Fokus dieser Ansätze liegt auf der Person; das Ziel des Beratungsprozesses liegt darin, den »richtigen«, also, passenden Beruf zu finden. Die implizite Vorstellung einer kontinuierlichen Laufbahn, die diesen Gedanken zu Grunde liegt, ist den Bedingungen heutiger Berufstätigkeit jedoch nicht mehr angemessen. Sie erscheint zu statisch in einer sich mit großer Dynamik verändernden Welt. Diese Thematik wurde bereits in den vorhergehenden Kapiteln kurz angerissen, wegen ihrer grundsätzlichen Bedeutung kommen wir im nächsten Abschnitt nochmals darauf zurück. Zunächst aber stellen wir die Kerngedanken der anderen Ansätze kurz im Überblick vor. Ein Kernmerkmal des traditionellen Denkens in der Berufsberatung liegt in der Konzentration darauf, warum Menschen bestimmte Berufe wählen. Entsprechend dieser grundsätzlichen Frage wurden zunächst Ansätze entwickelt, die nach Entsprechungen der persönlichen Interessen und Begabungsschwerpunkten von Menschen in Berufen suchten. Der Schwerpunkt der Beratung richtete sich am Befriedigungswert des ausgeübten Berufes aus. Auf der Grundlage der Militäreignungsdiagnostik wurde aber auch nach Entsprechungen von bestimmten Persönlichkeitsmerkmalen mit den Anforderungsdimensionen von Berufen gesucht. Der Schwerpunkt richtete sich
41 3.2 · Laufbahnberatung
in diesem Fall an der Eignung der zu beratenden Personen für einen Beruf aus. Damit ist eine grundsätzlich andere Orientierung im Beratungsprozess verbunden: Im ersten Fall richtet sich der Fokus grundsätzlich auf die Person und ihre Belange, während die Beratung im zweiten Fall auf die Anforderungen der Arbeit und damit einen Außenmaßstab in den Mittelpunkt rückt. Neben diesem grundsätzlichen Unterschied dominierten jedoch die Gemeinsamkeiten: Beide Ansätze richteten sich im Wesentlichen an objektivierten Testergebnissen aus. Dass diese Denkrichtungen den gegenwärtigen Entwicklungen nicht mehr angemessen sind, haben wir in den vorhergehenden Kapiteln dargestellt. Tractenberg et al. (2002) gehen davon aus, dass sich die Lebensrealitäten der Klienten in einem Ausmaß und einer Geschwindigkeit verändern, die die Anpassungsfähigkeit der Berater und Theoretiker bei weitem übersteigt – wobei die Berater ihre Vorgehensweisen und Modelle schneller den sich verändernden Notwendigkeiten anpassen können, als Theoretiker und Wissenschaftler dazu im Stande sind. Die Ursache dafür liegt in der Natur wissenschaftlicher Arbeit begründet: Eine neue Theorie aufzustellen, zu prüfen und gegebenenfalls zu modifizieren ist wesentlich aufwändiger, als neue Methoden für den Beratungsprozess zu entwickeln oder bereits bestehende Methoden neu in die Beratung zu integrieren. Angesichts des vielfach festgestellten Paradigmenwechsels in der Laufbahnberatung stellt sich aber die Frage, ob es überhaupt neue Ansätze gibt, die auf eine zeitgemäßere Vorstellung von Laufbahnberatung zurückgreifen, die kompatibel mit den veränderten Realitäten ist. Im folgenden Abschnitt werden wir einige neuere Konzepte vorstellen, die Klienten heute und in Zukunft dabei unterstützen können, ihren Weg zu finden. Diese Ansätze versuchen, eine ganzheitliche Sicht der Klienten zu ermöglichen, die deutlich über die, mit dem Einsatz standardisierter Testwerte verbundene, reduktionistische Sichtweise hinausgeht. Dies ist nur im Rahmen einer Vorgehensweise möglich, die die Person des Klienten in den Mittelpunkt stellt.
Entwicklung theoretischer Ansätze hält nicht Schritt
Die Grundlagen eines ganzheitlichen, personzentrierten Ansatzes der Laufbahnberatung »Among other contents, career interventions must include activities to promote the development of self-esteem and ego-strength, purposefulness, self-management and life-career planning skills, job search skills, and skills to cope with career transitions and unemployment (…) Such interventions will require the application of methods and techniques different from the ones used for assessing interests and personality traits.« (Tractenberg et al. 2002, 7 S. 95)
Neue Laufbahnberatungsansätze sollten sich entsprechend des einleitenden Zitates verstärkt auf diejenigen Fähigkeiten konzentrieren, die dem lebenslangen Lernen, der Lebens- und Laufbahnplanung und dem Ausbau und der Aufrechterhaltung der Beschäftigungsfähigkeit dienen. Sie sollten darüber hinaus präventiven Charakter haben, d. h. den Klienten dabei helfen, ihre Laufbahn selbst zu gestalten (Tractenberg et al. 2002). Eine Verankerung der beruflichen Planung in der Lebensplanung der Klienten wird dafür als wichtige Voraussetzung betrachtet. Damit verändert sich auch die Rolle des
Biografische Gestaltungsfähigkeit als Ziel
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Kapitel 3 · Ansatzpunkte einer kompetenzorientierten Laufbahnberatung
3 Ganzheitliche Perspektive
Laufbahnberaters von einem Experten für berufliche Wege und dem dafür notwendigen Weiterbildungskanon hin zu einem Coach, der dem Klienten dabei hilft, für sich Strategien und Pläne zur Gestaltung von Arbeit und Leben zu erarbeiten. Aufgabe des Beraters ist es unter dieser veränderten Zielsetzung vor allem, die persönliche Anpassungs- und Entscheidungsfähigkeit der Klienten zu stärken. Häufiger werden neue Beratungsansätze auch als Interventionen betrachtet, die theoretische Ansätze und methodisch-beraterische Zugänge in Hinblick auf einen optimalen Nutzen des Klienten einsetzen. Auch klientenzentrierte Vorgehensweisen entsprechen manchen traditionellen Ansätzen der Laufbahnberatung; die von Holland formulierte und mit den Jahren angepasste persönliche Laufbahntheorie ist ein Beispiel für eine klientenzentrierte Vorgehensweise in der Laufbahnberatung, die eine starke Schule begründet hat. In den modernisierten Fassungen (Holland 1997) legt er seiner Theorie konstruktivistische Annahmen zu Grunde. Er geht von persönlichen Laufbahntheorien aus, die Überzeugungen und Lernerfahrungen von Menschen repräsentieren. Diese persönlichen Laufbahntheorien beziehen sich sowohl auf die eigene Laufbahn als auch im Sinne generalisierter Überzeugungen auf den Beruf und die Bedingungen beruflichen Erfolges. Neuere Ansätze der Laufbahnberatung beschränken sich entsprechend eines weiten Laufbahnbegriffes nicht mehr darauf, einen neuen Arbeitsplatz oder ein Berufsfeld zu finden. Der Ruf nach »ganzheitlichen« Beratungskonzepten wird von immer mehr ernst zu nehmenden Wissenschaftlern und Praktikern geäußert (z. B. Hall 2004; Lovén 2003; Savickas 1993). Dies hängt damit zusammen, dass Beratungsansätze, die sich nur auf bestimmte Ausschnitte der Person beziehen, aber Empfehlungen zur Gestaltung der beruflichen Laufbahn geben wollen, als nicht mehr sinnvoll empfunden werden. Eine ganzheitliche Perspektive sollte die Laufbahn nicht von psychosozialen Belangen trennen, da die gegenwärtigen Entwicklungen Anpassungen in vielen – nicht nur unmittelbar arbeitsbezogenen – Bereichen notwendig machen. Zunehmend wird auch der familiäre Kontext zu einer Größe, die Laufbahnentscheidungen beeinflußt. Die Unsicherheit der Klienten, die mit der »grenzenlosen Laufbahn« und der Notwendigkeit, Entscheidungen zu treffen verbunden ist, spielt in der Laufbahnberatung möglicherweise eine Schlüsselrolle. Ähnlich wie Fugate et al. führen Lee u. Johnston (2001) den »neuen« Auftrag der Laufbahnberatung auf verschiedene, miteinander in Beziehung stehende, psychosoziale Bereiche zurück, die in der Beratung ihren Platz finden müssen. Es sind im Wesentlichen drei Kernpunkte, die den Auftrag an die »neue« Laufbahnberatung ausmachen: 4 die Unterstützung der Anpassungsleistungen, die in der Folge (und in der Antizipation) von größerer Unsicherheit und möglicher Erwerbslosigkeit notwendig werden, 4 der aufgrund einer zunehmend selbst gestalteten Laufbahn notwendige Aufbau der Komponenten der persönlichen Anpassungsfähigkeit (u. a. Optimismus, Offenheit, Selbstwirksamkeitserwartung, internale Kontrollüberzeugungen, Proaktivität), 4 die Ausrichtung der Beratung auf Aufbau, Wahrung und Stabilität der Identität des Klienten.
43 3.2 · Laufbahnberatung
Diese drei Punkte können nicht voneinander getrennt werden: Sie beeinflussen sich gegenseitig. Eine zeitgemäße Form der Laufbahnberatung muss sich an allen diesen Kriterien orientieren. Die Umsetzung dieser Forderung in die Beratungspraxis führt zu einer fortschreitenden Auflösung der Grenzen zwischen Laufbahn- und Lebensberatung sowie zwischen Beratung und Intervention. Laufbahnberatung lässt sich angesichts der Entwicklungen in beruflich relevanten Bereichen kaum noch als eine isolierte und auf eindeutig berufliche Belange beschränkte Beratungsleistung verstehen. Das liegt daran, dass nicht nur die Wechselwirkungen von Beruf und nichtberuflichem Leben so vielfältig sind, sondernder Klient vor der schwierigen Aufgabe steht, die in den unterschiedlichen Kontexten gemachten Erfahrungen sinnvoll zu integrieren. Um dies zu erreichen, ist eine vertrauensvolle Beziehung zwischen Berater und Klienten notwendig, die es zulässt, dass sowohl der außerberufliche als auch der berufliche Werdegang der Klienten bearbeitet werden kann. Für den Berater ergibt sich daraus der Auftrag, den Klienten möglichst als ganze Person – nicht nur als arbeitenden Menschen – zu betrachten und zu reflektieren. Lee u. Johnston sprechen in diesem Zusammenhang sehr treffend von der »menschlichen Laufbahn« die zum Gegenstand der Beratung gemacht werden müsse. »These aspects include the roles a person fills (such as employee, parent, community member), the settings in which they operate (home, work, school), and the events that impact their life (first job, marriage, illness, retirement)« (Lee u. Johnston 2001, 7 S. 179). In einem Richtung weisenden Buch zu den Grundlagen der Laufbahnberatung weisen Gysbers, Heppner u. Johnston (1998) darauf hin, dass ein solcherart ganzheitlicher Ansatz sich vor allem auf die Stärken der Klienten ausrichten müsse. Wie auch der Auftrag an die »neue« Laufbahnberatung deutlich macht, ist der Aufbau des Gestaltungspotenzials der Klienten das Kernziel der Beratungsleistung. Das bedeutet, dass die Laufbahnberatung heute und in Zukunft deutlich über die bloße Feststellung eines momentanen Zustandes hinausgehen muss, wie es noch den traditionellen Ansätzen entsprach. Sie muss sich vielmehr auf die Frage konzentrieren, wie das in den Klienten und ihrem Umfeld liegende Potenzial geweckt werden kann, um die Gestaltung einer lebenswerten Zukunft zu fördern. In einer zusammenfassenden Würdigung des ganzheitlichen, personenzentrierten Ansatzes schreiben Lee u. Johnston (2001, 7 S. 179): »This positive approach is particulary important in an environment that demands more flexibility, resilience, and openness to learning than ever before.« Beispiel
In den Fällen von Herrn T. und Frau M. würde ein ganzheitlicher Beratungsansatz versuchen, über die gegenwärtig schwierige berufliche Situation hinaus zu gehen und den weiteren Lebenskontext miteinzubeziehen. Gerade im Fall von Frau M. bietet sich diese Vorgehenweise ohnehin an ihr Problem geht zum einen zurück auf das schwierige Verhältnis von Beruf und Familie; zum anderen auf ein Entscheidungsdilemma, welche ihrer Tätigkeiten sie zu Lasten der anderen weiter ausbauen soll. Eine Herausar6
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Grenzen zwischen Laufbahn- und Lebensberatung verwischen
Stärken der Klienten betonen
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Kapitel 3 · Ansatzpunkte einer kompetenzorientierten Laufbahnberatung
beitung der bedeutsamen Ereignisse ihres Lebens und ihrer Stärken kann die notwendige Grundlage der Orientierung bilden. Für Herrn T., dessen Vertrauen in die eigenen Fähigkeiten in der gegenwärtigen Situation empfindlich erschüttert ist, stellt eine Rückbesinnung auf seine Stärken und die wesentlichen Ziele seines bisherigen Lebens eine Möglichkeit dar, wieder festen Boden unter die Füße zu bekommen und sich weiter zu orientieren. Auch für Frau W. könnte ein an der Gesamtsicht der Person orientierter Beratungsansatz die notwendige Unterstützung bieten, um die lähmende Entscheidungsunsicherheit zu überwinden und ihre Ursachen zu erkennen.
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Soziale Lerntheorie der Laufbahnentwicklung und die sozio-kognitive Prozesstheorie Individuelle Lerngeschichte
Die soziale Lerntheorie der Laufbahnentwicklung (Krumboltz, Mitchell u. Jones 1977) bezieht sich auf die Gedanken der sozialkognitiven Lerntheorie Banduras und versucht, sie auf den Kontext der beruflichen Laufbahn zu übertragen. Sie geht in ihrem Kern davon aus, dass soziale Lernprozesse Wahlentscheidungen beeinflussen können, die mit der beruflichen Entwicklung zusammen hängen. Es wird vermutet, dass im Rahmen sozialer Lernprozesse generalisierte Überzeugungen über das Selbst und die eigenen beruflichen Möglichkeiten erlernt werden. Damit wird die persönliche Entwicklung im Sinne einer individuellen Lerngeschichte bzw. eines Erwerbs von unterschiedlichen Überzeugungen über die eigenen Möglichkeiten zu einem zentralen Bezugsrahmen. Der sozial-kognitive Ansatz der Berufsberatung basiert auf der Laufbahntheorie von Lent, Brown u. Hackett (1994) und ist in seinen Grundannahmen von der sozialkognitiven Lerntheorie Banduras abgeleitet. Es handelt sich um ein validiertes Prozessmodell, das auf Selbstwirksamkeits- und Ergebniserwartungen fokussiert ist. Zentral ist die Annahme, dass eine positive Ausprägung von Selbstwirksamkeits- und Ergebniserwartungen sich günstig auf die Erarbeitung von Laufbahninteressen auswirken.
3.3
Verhältnis Klient – Berater
Prozess der Beratung
Wenn die Prognosen über die künftige Entwicklung der Arbeitsmärkte und individuellen Berufsverläufe zutreffen und auch die Interpretationen der gegenwärtigen Situation nicht grundsätzlich fehlerhaft sind, dann sollte eine wirksame psychologische Intervention nicht alleine in der Rückmeldung von mehr oder weniger abstrakten Interessen und Begabungen bestehen, die im Rahmen testender Verfahren festgestellt wurden. Vielmehr sollten entsprechende Interventionsmaßnahmen darauf abzielen, direkt an den persönlichen Ressourcen zu arbeiten und sie für notwendige Anpassungsprozesse zu aktivieren. Ein weiterer Punkt ist in diesem Zusammenhang von grundlegender Bedeutung: Solange Beratung Herrschaftswissen kultiviert, verfehlt sie das Ziel,
45 3.3 · Prozess der Beratung
die Selbstverantwortung der Klienten zu fördern. Dieses Herrschaftswissen kommt zentral in dem Verhältnis zwischen Klient und Berater zum Ausdruck. Diese Beziehung ist aus unserer Sicht und für den hier diskutierten Zusammenhang dann nicht produktiv, wenn der Klient die Rolle eines Schülers einnimmt und der Berater die des Experten für die Lebenszusammenhänge des Klienten. Auch bei einer auf der Grundlage von Testergebnissen arbeitenden Beratung dominiert ein intransparentes Vorgehen, das auf der Durchführung und Auswertung von Tests basiert, und das dem Klienten eine künstlich naive Rolle zumutet. Traditionell legen Beratungsmaßnahmen im Bereich der beruflichen Förderung einen Fokus auf die Stärkung bestimmter Qualifikationen – dieses Verständnis bezieht sich stärker auf formale, als auf persönliche, prozessbezogene Ressourcen. Diese traditionelle Herangehensweise ist, wenn man es vor dem Hintergrund der sich verstärkenden Dynamik auf dem Arbeitsmarkt betrachtet, auf keinen Fall ausreichend, da auch die erworbenen Qualifikationen immer rascher veralten.
Qualifikationen veralten rasch
! Wichtig Es ist nötig, der Dynamik wiederum mit einem dynamischen Ansatz zu begegnen.
In den vergangenen Jahren ist in der Beratungspraxis eine Vorgehensweise sehr populär geworden, die die skizzierten Kriterien von ressourcenaktivierender und kompetenzorientierter Beratung zu erfüllen beansprucht und die mit dem zum Modewort avancierten Begriff »Coaching« bezeichnet wird. Rauen (2003) bietet eine Definition von Coaching an, die verdeutlicht, dass dieser Ansatz eine klar abgrenzbare Form der Beratung ist, die sich psychologisch begründen lässt: – »Coaching ist ein interaktiver, personenzentrierter Beratungs- und Betreuungsprozess, der berufliche und private Inhalte umfassen kann. Im Vordergrund steht die berufliche Rolle bzw. damit zusammenhängende aktuelle Anliegen des Klienten. – Coaching ist individuelle Beratung auf der Prozessebene, d. h. der Coach liefert keine direkten Lösungsvorschläge, sondern begleitet den Klienten und regt dabei an, wie eigene Lösungen entwickelt werden können. – Coaching findet auf der Basis einer tragfähigen und durch gegenseitige Akzeptanz und Vertrauen gekennzeichneten, freiwillig gewünschten Beratungsbeziehung statt, d. h. der Klient geht das Coaching freiwillig ein und der Coach sichert ihm Diskretion zu. – Coaching zielt immer auf eine (auch präventive) Förderung von Selbstreflexion und -wahrnehmung, Bewusstsein und Verantwortung, um so Hilfe zur Selbsthilfe zu geben.« (Rauen 2002, 7 S. 68–69)
Ressourcenaktivierende Beratung
Das Prinzip der Ressourcenaktivierung verfolgt das Ziel, Personen eine realistische, (selbst)wirksame, zielgerichtete und positive Veränderung zu ermöglichen. Der Klient soll dazu angeregt werden, möglichst aktiv zu werden und seine eigenen Belange und Ressourcen zu erforschen. Es mutet zwar wie ein beratungspsychologischer Allgemeinplatz an, dennoch ist es wichtig, fest-
Eigene Ressourcen entdecken
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Kapitel 3 · Ansatzpunkte einer kompetenzorientierten Laufbahnberatung
zuhalten, dass der Klient der Experte für die eigenen Lebenszusammenhänge ist. Psychologische Beratungen, welche innerhalb eines relativ kurzen Zeitraumes ressourcenaktvierend wirksam sein wollen, sollten ihren Fokus grundsätzlich auf die Ressourcen des Klienten und nicht auf vorhandene Probleme richten. Dies bedeutet eine klare Abgrenzung zum klassischen, eher konflikt- und damit defizitorientierten Vorgehen psychologischer Beratungen. Das Ziel ressourcenorientierter oder -aktivierender Beratungsprogramme liegt darin, den Klienten ihre persönlichen Ressourcen sichtbar und damit gezielt für die Gestaltung der eigenen Biografie nutzbar zu machen. Die klassischen, im Zusammenhang mit der aktiven und erfolgreichen Gestaltung des eigenen beruflichen Werdeganges genannten psychologisch relevanten Ressourcen sind etwa die Selbstwirksamkeitserwartung oder die Proaktivität. Zu beiden Konstrukten liegt mittlerweile ein großer Fundus an Arbeiten vor, der ihre zentrale Rolle bei Anpassungsprozessen betont.
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»Als Ressource kann jeder Aspekt des seelischen Geschehens und darüber hinaus der gesamten Lebenssituation (…) aufgefasst werden, also z. B. motivationale Bereitschaften, Ziele, Wünsche, Abneigungen, Interessen, Überzeugungen, Werthaltungen, Geschmack, Einstellungen, Wissen, Bildung, Fähigkeiten, Gewohnheiten, Interaktionsstile, physische Merkmale (…) finanzielle Möglichkeiten und das ganze Potential der zwischenmenschlichen Beziehungen eines Menschen. Die Gesamtheit all dessen stellt, aus der Ressourcenperspektive betrachtet, den Möglichkeitsraum eines Patienten dar, in dem er sich gegenwärtig bewegen kann oder, anders ausgedrückt, sein positives Potential, das er in den Veränderungsprozess einbringen kann.« (Grawe 2000, 7 S. 34) Kompetenzen sind erfahrungsbezogen
Überzeugungen, Erwartungen und das Wissen von Menschen können als ein dynamisches System aufgefasst werden, das sich aus den Kompetenzerfahrungen in Leistungssituationen ergibt (7 vgl. Weinert 2001). Gleichzeitig beeinflussen diese Elemente wiederum Handeln und Leistung dadurch, dass sie einen Bezugsrahmen für die Interpretation von Handlungsanforderungen und -schwierigkeiten zur Verfügung stellen. Grundsätzliche Erwartungen wie z. B. der Optimismus, allgemeine oder domänenspezifische Überzeugungen wie die Selbstwirksamkeitserwartung oder generalisierte motivationale Tendenzen wie die Proaktivität von Menschen nehmen in diesem Prozess eine wichtige Funktion ein, da sie bereits die Wahrnehmung neuer Situationen über die, mit eigenem Handeln verbundenen, Ergebniserwartungen steuern. ! Wichtig Kompetenzen bilden notwendige Voraussetzungen für das Erlernen von effizienten Handlungsregeln und sind damit Grundlage einer aktiven Anpassung an neue Situationen. Kompetenzen können aufgefasst werden als biografische Sinneinheiten und Selbstorganisationspotenzial für Gegenwart und Zukunft.
Zentral für die Erarbeitung von Kompetenzen ist ein idiosynkratischer Ansatz, der die Lebensbiografie in den Mittelpunkt stellt. Im Rahmen der Aufarbeitung biografischen Materials fällt es leichter, die komplexen Sinn-
47 3.3 · Prozess der Beratung
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und Deutungseinheiten aufzulösen, in denen Kompetenzen sichtbar werden. Eine ganz wesentliche Rolle sowohl beim Erwerb von Kompetenzen als auch für deren Wirkung als Ressourcen kommt der Selbstreflexion zu, die als Metakompetenz aufgefasst werden kann. ! Wichtig Das Generieren produktiver selbstreflexiver Prozesse zählt daher zu den wichtigsten Zielen eines ressourcenaktivierenden Vorgehens. Ein ebenfalls sinnvoller und bedeutsamer Teil der ressourcenaktivierenden Beratung ist es, Ziele zu erarbeiten, die auf den Lebenszielen und Grundmotiven gründen. Exkurs
Das Ressourcenkonzept von Hobfoll 5 Hobfoll (1998), ein amerikanischer Psychologe, der sich intensiv mit den Bedingungen und Folgen von Stress und Extremtraumatisierung auseinandersetzt, entwickelte ein einflussreiches Konzept von Ressourcen. Aus seiner Sicht sind Ressourcen Objekte, Bedingungen, Persönlichkeitsmerkmale und Energien, die für die individuelle Daseinsvorsorge von zentraler Bedeutung sind. Im Rahmen einer dreistufigen Hierarchie unterscheidet Hobfoll zwischen 5 grundlegenden, unentbehrlichen Ressourcen, 5 sozialen oder sozial bedingten Ressourcen, 5 und symbolischen Ressourcen. Die grundlegenden und unentbehrlichen Ressourcen beziehen sich auf Nahrung, Kleidung und anderen Schutz wie z. B. Unterkunft und auf personaler Ebene auf die Fähigkeiten, diese Ressourcen zu erwerben und zu behalten. Soziale oder sozial bedingte Ressourcen beziehen sich auf alle Formen sozialer Unterstützung (z. B. im Familien- oder Freundeskreis) und auf die Fähigkeiten, sich diese Ressourcen zu erschließen, sie zu nutzen und auszubauen. Symbolische Ressourcen schließlich beziehen sich in Form von symbolisch-abstrakten Bezügen auf die beiden vorgenannten Formen von Ressourcen (z. B. Status im Unternehmen, sozialer Status). Sie sind vom Konzept dem sozialen Kapital ähnlich, das der französische Philosoph und Soziologe Bourdieu als Teil seiner theoretischen Überlegungen postuliert. 5 Interventionen beziehen sich in Hobfolls Konzept darauf, Ressourcen auf- und auszubauen, 5 das Management der zur Verfügung stehenden Ressourcen zu fördern sowie auf Ressourcenförderung und das präventive Verhindern von Ressourcenverlust in kritischen und schwierigen Situationen. 5 Vor allem der letzte Punkt hat sich in den vergangenen Jahren zum Hauptarbeitsfeld von Hobfoll entwickelt (Gerstenmaier 2004).
Es wird deutlich, dass der Kompetenzbegriff in enger Beziehung zu dem Ressourcenkonzept von Hobfoll (1998) steht. Kompetenzen können als die in der Person liegenden Ressourcen verstanden werden, die es ihr ermöglichen, neue Handlungsprogramme zu entwickeln und neue, außerhalb der Person liegende, Ressourcen zu erschließen.
Unterscheidung verschiedener Arten von Ressourcen
Inhaltliche Nähe von Ressourcen- und Kompetenzkonzept
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Kapitel 3 · Ansatzpunkte einer kompetenzorientierten Laufbahnberatung
! Wichtig Eine kompetenzorientierte Beratung kann immer auch als eine ressourcenorientierte und im besten Falle als eine ressourcenaktivierende Beratung verstanden werden. Narrativ-konstruktivistische Ansätze
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Arten konstruktivistischer Ansätze
Grundannahmen konstruktivistischer Beratung
Neuere Ansätze der Laufbahnberatung richten ihre Aufmerksamkeit auf die Lebensgeschichte der Klienten und auf die Sinn- und Bedeutungskonstruktionen, die mit bestimmten Ereignissen oder Lebensthemen verbunden sind. Gerstenmaier (2003) führt aus, dass solche, als konstruktivistisch bezeichneten Beratungsansätze, weitgehend auf der von Rogers begründeten humanistischen Beratungspsychologie fußen, die in ihren Grundzügen bereits als konstruktivistisch verstanden werden kann. Rogers (1963) konzentriert sich in seiner klientenzentrierten Therapie darauf, ob das Selbstkonzept einer Person einen Bezugsrahmen zu bilden vermag, in welchen sich aktuelle Erfahrungen adäquat integrieren lassen. Entsteht Inkongruenz zwischen Selbstkonzept und Erfahrungen, so ist eine Aktualisierung des Selbstkonzeptes erforderlich. Der Therapeut unterstützt den Klienten darin diese Aktualisierung vorzunehmen. Die Aktualisierung lässt sich als Re- oder auch Neukonstruktionsprozess verstehen. Auch die non-direktive Ausrichtung vor dem Hintergrund einer nicht von Hierarchien geprägten Beziehung zwischen Berater und Klient weist deutliche Merkmale solcher Überlegungen auf, die für zeitgenössische Ansätze konstitutiv sind. Als unterschiedliche Akzentuierungen dieser Richtung lassen sich der radikal konstruktivistische, der sozialkonstruktivistische und der sozialkognitive Ansatz unterscheiden. Während sich der radikale Konstruktivismus eher mit erkenntnistheoretischen Fragen nach dem Wahrheits- und Objektivitätsgehalt von Wissen und Erfahrung beschäftigt und somit kaum konkrete Ansatzpunkte für die Beratung geben kann, befassen sich sozialkonstruktivistische Ansätze mit der Identität von Personen, mit deren Erfahrungen und der Zielvorstellung einer »Lebenskohärenz« (Keupp 2002, S 61). »Ausgangspunkt solcher Überlegungen ist die Vorstellung, dass wir alle in einer sozial konstruierten Welt leben und Wissen, Bedeutungen und auch soziale Probleme Ergebnisse solcher gemeinsamer Wirklichkeitskonstruktionen sind« (Gerstenmaier 2003, 7 S. 6; nach Gergen 2001)). Die für die Praxis der Beratung inzwischen zum am stärksten verbreiteten Ansatz avancierte sozial-kognitive Sichtweise wurde bereits weiter oben in diesem Kapitel in ihren Kernpunkten umrissen. Die sich aus der Theorie ergebenden Beratungsansätze zielen im Wesentlichen auf eine Verbesserung der Selbstwirksamkeitserwartungen, auf die von der Person verwendeten Coping-Stile sowie auf das Hinterfragen, bzw. auch Re- und Neukonstruieren mentaler Umweltmodelle. Gerstenmaier hält folgende drei Merkmale einer konstruktivistischen Perspektive fest: 1. Ausgangspunkt ist die Fähigkeit des Individuums zu aktivem Handeln und Selbststeuerung als Basis für die Konstruktion von Wissen. 2. Wissen wird erfahrungsbasiert konstruiert, Kontexte werden also unterschiedlich wahrgenommen und genutzt.
49 3.3 · Prozess der Beratung
3. Interventionen und Beratung dienen zur Unterstützung selbstaktiven Handelns. Zur Förderung von Selbstorganisation und zur Vertiefung gemeinsam geteilten Wissens in Gruppen (zitiert nach Gerstenmaier 2003, 7 S. 7 f) Exkurs
Der Philosoph Störig bezeichnet den Konstruktivismus als »Wirklichkeitsforschung« (Störig 2000) und beschreibt die dahinter stehende Art zu denken mit einer Parabel: »Der Mensch, vor der Aufgabe stehend, die auf ihn einstürmenden Sinneseindrücke und daraus zu ziehenden Schlüsse zu ordnen, gleicht einem Kapitän, dem die Aufgabe gestellt ist, bei dunkler und stürmischer Nacht eine Meerenge zu durchfahren, von der es keine Seekarte gibt, die keinerlei Navigationshilfen (etwa Leuchtfeuer) aufweist, ja von der nicht einmal sicher ist, ob überhaupt eine für sein Schiff befahrbare Route hindurchführt. Gelingt ihm nun die Passage, ohne dass sein Schiff strandet oder untergeht: kann man dann sagen, er kenne nun die wahre Beschaffenheit dieses Seegebiets? Gewiss nicht! Es ist möglich, ja wahrscheinlich, dass es andere, auch bessere, Durchfahrtmöglichkeiten gibt. In einer Ausdrucksweise Ernst von Glaserfelds kann man das so sagen: Der gewählte Kurs »passt« auf dieses Seegebiet in dem Sinne, wie etwa ein Schlüssel – oder Nachschlüssel – in ein Schloss passt. Wir wissen dann nur, dass der Schlüssel den von uns gewünschten Dienst leistet. Wir wissen nicht, wie das Schloss beschaffen ist. Der vom Kapitän gewählte Kurs passt, aber er stimmt nicht in dem Sinne, dass er angesichts der Beschaffenheit der Meerenge der kürzeste, sicherste, beste Weg wäre. Auf diesem Wege gelangen wir zu der – zuerst paradox klingenden – Einsicht: Von der Wirklichkeit können wir im günstigsten Fall gerade nur wissen, was sie nicht ist.« (Störig 2000, 7 S. 786). Dieses Bild beschreibt die Rahmenbedingungen kompetenzorientierter Beratung und die Situation, in welcher der Klient an den Coach herantritt: Der Klient als Kapitän, der seine Route durch ein unsicheres Gebiet mit unklaren Anforderungen sucht, der hierfür alle seine Kompetenzen kennen muss, der sich an Leuchtfeuern orientiert. Die unklaren Anforderungen der See sind die sich wandelnden Bedingungen in einer komplexer werdenden Arbeitswelt. Die Kompetenzen verhelfen ihm, die Meerenge zu durchschiffen. Die Leuchtfeuer des eigenen Handelns sind die Werte der Person, die gerade in Situationen mit unsicherem Ausgang handlungsleitend wirksam werden und dieses als sinnvoll erleben lassen. Ob der Coach in dieser Situation in der Lage ist, die Wahrheit herauszufinden spielt keine Rolle. Er muss den Klienten darin unterstützen, seinen eigenen Weg zu finden. Beide müssen sich dabei darauf konzentrieren, die Kompetenzen zu identifizieren, die für diese Aufgabe dienlich sind.
Neben der in diesem Buch vorgestellten Methode der Kompetenzenbilanz werden nun einige Beispiele aufgeführt, die verdeutlichen, auf welche Weise der Berater konstruktivistische Annahmen in die Praxis integrieren kann. Brotts Ansatz des »storied approach« (2001) verkörpert eine solche konstruktivistische Perspektive der Laufbahnberatung. Brott be-
Kompetenzen sichern die Handlungsfähigkeit in schwierigen Situationen
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Kapitel 3 · Ansatzpunkte einer kompetenzorientierten Laufbahnberatung
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Beispielhafter Ablauf
tont, dass es dabei um einen Wechsel der grundsätzlichen Perspektive des Beratungsansatzes gehe – weg von dem Ziel, eine neue Stelle zu finden und hin zum Entdecken der persönlichen Grundlagen von Laufbahnentscheidungen. Sie charakterisiert diesen Prozess als »(…) from the psychometric self to the storied self; from getting information to generating experiences; from objectivity to subjectivity« (Brott 2004, 7 S. 190). Der Schwerpunkt ihres Ansatzes liegt darin, die Klienten im Zusammenhang ihres Lebens zu belassen und die lebenslange Entwicklung zum Maßstab der Beratung zu machen. Sie unterscheidet drei Phasen des konstruktivistischen Beratungsprozesses: »co-construction« , «de-construction« und «construction”. 4 in der Phase der »co-construction« versucht der Berater, die Geschichte des Klienten nachzuvollziehen und zu verstehen; 4 in der Phase der »de-construction« wird versucht, diese Geschichte bzw. bestimmte Aspekte zu objektivieren, was bereits durch die Rückspiegelung durch den Berater geleistet werden kann, 4 in der Phase der »construction« wird schließlich gemeinsam versucht, Ziele und Zukunftspläne zu entwickeln. Bruner (1990) geht davon aus, dass das Erzählen über die Welt und ihre Teilaspekte Realität schafft – eine gerade für die Beratung wesentliche Annahme. In der Praxis der Beratung hat in den vergangenen Jahren diese Grundannahme vehement an Bedeutung gewonnen. Die »narrative Wende« wird im Kern darauf zurückgeführt, dass in einem beginnenden postmodernen Zeitalter und dem damit verbundenen Bedeutungsverlust großer Glaubenssysteme die Konstruktion von Realität und damit das Erzählen von Geschichten immer wichtiger werden (7 vgl. McLeod 2004) Einige Methoden und Techniken konstruktivistischer Beratung
Methoden der konstruktivistisch ausgerichteten Beratung haben das Ziel, den Klienten in eine aktive Rolle zu bringen, die es ihm ermöglicht, seinen Lebenszusammenhang und seine persönlichen Deutungsmuster einem interessierten und unterstützenden Berater gegenüber darzustellen. Wie dieses Ziel erreicht werden kann, wird im Folgenden anhand einer kurzen Darstellung einiger wichtiger Methoden verdeutlicht, die im Rahmen konstruktivistisch orientierter Beratungsansätze zum Einsatz kommen. Technik »Lebenslinien«
»Lebenslinien« (nach Brott 2004, 7 S. 191 ff). Der Klient erhält von dem Berater ein großes Stück Papier – etwa im Format von Packpapier – und eine Auswahl farbiger Stifte oder Farbkreiden (auch andere Gestaltungsmittel sind denkbar). Der Berater leitet die Übung folgendermaßen ein: »Um mir dabei zu helfen, Ihr Leben besser zu verstehen, bitte ich Sie nun, eine Lebenslinie zu zeichnen, die von Ihrer Geburt bis zum heutigen Tag reicht. Bitte zeichnen Sie in der Mitte dieses Papiers eine Linie auf und schreiben Sie an das linke Ende ihr Geburtsdatum und an das rechte Ende das Datum des heutigen Tages.« Im nächsten Schritt bittet der Berater den Klienten, für ihn wichtige Daten einzuzeichnen, das kann etwa das Ende der Schule, Heirat, die Geburt des ersten Kindes oder ein anderes Ereignis sein, das dem Klienten wichtig ist. Diese Daten werden als markante Übergänge be-
51 3.3 · Prozess der Beratung
trachtet und bilden das Gerüst für die »Kapitel« in der Lebensgeschichte des Klienten. Der Berater bittet den Klienten im weiteren Verlauf darum, eine frühe Erinnerung zu aktivieren und den Zeitpunkt, auf den sich diese Erinnerung bezieht, in der Lebenslinie zu markieren. Das wird so lange fortgesetzt, bis jedes Kapitel mit zumindest einer Erinnerung assoziiert ist. Der Prozess der Co-Konstruktion ist ganz wesentlich an diese Erinnerungen gebunden, weil das Ziel – die inhaltliche Benennung der Lebenskapitel des Klienten – aufgrund intensiver Nachfragen des Beraters erreicht wird. Zu diesem Zeitpunkt ist es wichtig, die Erinnerungen mit möglichst vielen Details anzureichern, die sich auf Personen und die Umstände von Handlungen beziehen. Brott (2001) empfiehlt, sich vor allem auf Erinnerungen zu konzentrieren, die sich auf besonders herausragende Momente beziehen oder die als besonders kennzeichnend für das jeweilige Lebenskapitel angesehen werden. Ein wesentliches Ziel der Nachfragen des Beraters liegt darin, einen Selbstreflexionsprozeß anzustoßen, der beim Klienten Bewusstsein über den Sinn seiner Lebenskapitel schafft. Entsprechende Nachfragen sollten daher direkt dazu anregen, über den Sinn bestimmter Lebensereignisse nachzudenken: Was ist daran wichtig? Was wurde daraus gelernt? Was macht die besondere Bedeutung dieses Ereignisses in Ihrem Leben aus? Der Klient soll erst dann einen Titel für das jeweilige Lebenskapitel finden, wenn er die entsprechenden Charakteristika, Rollen und Inhalte detailliert ausgeführt hat. Die Einordnung der Lebenskapitel des Klienten in einen größeren Zusammenhang ist Gegenstand des De-Konstruktionsprozesses. Dabei steht die Suche nach den Ursprüngen von Überzeugungen und Einstellungen sowie die Betrachtung der Kapitel aus den vorgestellten Perspektiven wichtiger Mitakteure im Mittelpunkt. Bei wichtigen Entscheidungen, vor denen der Klient im Verlauf seines bisherigen Werdeganges gestanden hat, kann es sinnvoll sein nachzufragen, ob und wie sich die gegenwärtige Lebenssituation verändern würde, wenn damals eine andere Entscheidung getroffen worden wäre. Brott (2004) weist darauf hin, dass es auch notwendig sein kann, die unterschiedlichen Lebensrollen des Klienten zu hinterfragen, um die individuelle Perspektive von der gesellschaftlich positiv bewerteten Rollenvorgabe zu trennen. Im Konstruktionsprozess wird die Lebenslinie in die Zukunft weitergedacht und auf einem neuen Stück Papier aufgezeichnet, wobei das aktuelle Datum links am Anfang der Linie aufgetragen wird. In die Zukunft gerichtete Reflexionsprozesse fallen häufig schwer, daher muss der Berater hier besonders konzentriert und unterstützend arbeiten, um dem Klienten die Aufgabe zu erleichtern, schrittweise über die Kapitel seiner möglichen Zukunft nachzudenken. Um diesen Prozess anzustoßen, empfiehlt Brott möglichst öffnende Fragen zu stellen (»Geht Ihre gegenwärtige Entwicklung in die von Ihnen gewünschte Richtung?«) oder den Klienten vor Präferenzentscheidungen zu stellen. Die Kapitel werden durch diejenigen Punkte auf der Lebenslinie markiert, an denen ein Ziel erreicht sein soll. Verfeinert wird das Kapitel durch Informationen zur Rolle wichtiger Bezugspersonen in Hinblick darauf, auf das Verfolgen und Erreichen des Zieles, durch bevorzugte Lebensumstände und den Rückbezug auf die persönlichen Sinnvorstellungen des Klienten. Auch in dieser Phase des Beratungsprozesses kann es sinnvoll sein, einen
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Lebenskapitel identifizieren und reflektieren
Lebenslinien in die Zukunft weiter denken
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Kapitel 3 · Ansatzpunkte einer kompetenzorientierten Laufbahnberatung
Perspektivwechsel bei dem Klienten anzustoßen. Im weiteren Verlauf des Beratungsprozesses werden die beiden Lebenslinien der Vergangenheit und der Zukunft zusammengeklebt. In der nun anschließenden Gesamtsicht kann nach Anknüpfungspunkten und Widersprüchen gesucht werden, die bisher möglicherweise übersehen oder zu wenig herausgearbeitet wurden. Wesentlich dabei ist, dass der Klient seine zukünftigen Ziele und seinen weiteren Weg als eine Fortsetzung des bisherigen Weges erlebt Brott (2004, 7 S. 193 f) charakterisiert die Lebenslinien als interaktiven Ansatz, der es dem Berater ermöglicht, die Geschichten des Klienten zu hören und der dem Klienten die Möglichkeit bietet, ihre Geschichten auf neue Art zu hören. Sie betrachtet die Übung als »Türöffner« für die Laufbahnberatung , die sich nicht in dem Ziel erschöpft, eine neue Arbeitstätigkeit zu finden, sondern auf der Grundlage der Kenntnis des eigenen Selbst fundierte Entscheidungen zu treffen, die auch die außerberuflichen Lebensbereiche der Klienten miteinbeziehen.
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! Wichtig Konstruktivistisch orientierte Laufbahnberatungsansätze arbeiten mit unterschiedlichen Methoden, die Zugänge zur Lebens- und Erlebenswelt der Klienten eröffnen. Ziele, Hindernisse und Ressourcen identifizieren
»Ziellandkarte” (nach Brott 2004). Als Hilfe, die zukünftigen Vorhaben des Klienten zu erarbeiten, kann eine Ziellandkarte wie sie von Brott (2004 7 S. 196 f) dargestellt wird, eingesetzt werden. Konstruktionselemente der Ziellandkarte sind neben den Vorhaben und Plänen die Ressourcen des Klienten, mögliche Hindernisse bei der Bearbeitung und die Festlegung der zeitlichen Ressourcen. Brott empfiehlt dafür ein Formblatt in dem die genannten Elemente aufgeführt sind (7 vgl. Brott 2004, 7 S. 197). Aufbauend auf den Lebenslinien des Klienten werden die Ressourcen und Hindernisse exploriert, die bereits in der Vergangenheit eingesetzt werden konnten, um Ziele zu erreichen und Hindernisse zu bewältigen.
Einen Weg finden, um schwierige Ziele zu erreichen
»Einen Berg besteigen« (Lang-von Wins et al. 2005). Die Möglichkeiten, die Bearbeitung von Zielen auf der Grundlage eigener Ressourcen zu systematisieren sind ausgesprochen vielfältig. Die Bearbeitung von Zielen ist andererseits auch ein besonders wichtiger Bestandteil der Beratung. Um die Bandbreite darzustellen, stellen wir kurz eine weitere Vorgehensweise vor, die im Rahmen einer konstruktivistisch ausgerichteten Orientierungsmethode für Jugendliche eingesetzt wird. Darüber hinaus ist eine Anwendung in anderen Kontexten ist grundsätzlich möglich. Das Ziel wird als Berg aufgefasst, dessen Höhe und Schwierigkeit die Klienten festlegen (als Maßstab können sowohl »objektive« Vergleichsmaßstäbe ausgehend von einem kleinen Hügel bis zum Mount Everest als auch »subjektive« Einordnungen, wie die Schwierigkeit bisher bewältigter Probleme und Aufgaben, dienen). Die Klienten können aus bestimmten Materialien selbst ihren Berg erstellen (z. B. aus verschiedenfarbigem Bastelpapier, wobei die unterschiedlichen Farben Schwierigkeitsgrade symbolisieren) oder die Flanke des Berges zeichnen, an der ihr Weg hinauf führt. Sie packen im zweiten Schritt ihren Rucksack und legen dort diejenigen persönlichen Ressourcen hinein, die ihnen am wichtigsten für den Aufstieg erscheinen. Danach stellen sie ein Team zusammen, das mit ihnen den Berg besteigt. Dabei
53 3.3 · Prozess der Beratung
müssen sie darauf achten, wer ihnen auf welcher Etappe hilfreich sein kann. An diesem Punkt sollten die Klienten dazu ermuntert werden, über ihr bestehendes Netzwerk hinauszudenken und sich zunächst zu überlegen, über welche Eigenschaften ihre Begleiter idealerweise verfügen sollte. Im nächsten Schritt werden Zwischenziele festgelegt, die durch Hütten symbolisiert werden. Auch hier sind Variationen möglich, die über eine Beschränkung der Hüttenzahl bis zu besonderen Ausstattungsmerkmalen reichen. Die Hütten haben den Charakter von Raststationen, die z. B. nach besonders schwierigen Etappen angesteuert werden können. Gleichzeitig stehen sie für Orientierungspunkte, die eine Rückschau auf den zurückgelegten Weg anregen und die Möglichkeit einer Aktivierung von Ressourcen für die bevorstehende nächste Etappe ermöglichen. Nach der Gestaltung ihres Berges stellen die Klienten die Besonderheiten des Aufbaus, ihres Rucksackes, ihres Teams und der durch die Hütten symbolisierten Etappenziele argumentativ dar. Dieser Schritt ist grundsätzlich auch nach jedem Einzelschritt möglich. »Lebensrollenkreise« (nach Brott 2004, 7 S. 195 f) Der Klient erhält ein großes Blatt Papier, das nicht größer als ein Flipchartpapier ist. Er wird gebeten, auf dem Papier mehrere Kreise zu zeichnen, die die Rollen darstellen, die er in seinem Leben innehat. Man kann sowohl Zahl und Benennung der Lebensrollen vorgeben, als auch dem Klienten die Freiheit geben, seine wichtigen Rollen selbst zu benennen und deren Zahl festzulegen. Am praktikabelsten dürfte es sein, dem Klienten durch geeignete Nachfragen dabei zu helfen, seine Rollen zu finden und sie entsprechend zu füllen. Die Größe der aufgezeichneten Kreise richtet sich nach der gegenwärtigen Bedeutung der Lebensrolle für den Klienten. Brott (2004) empfiehlt darüber hinaus, die Kreise in Relation zueinander zu setzen und überlappende Lebensrollen durch gemeinsame Schnittmengen anzudeuten. Wenn der Klient die Bearbeitung der Kreise ohne den Berater vornimmt, sollte er neben den jeweiligen Kreisen die dargestellte Lebensrolle kurz charakterisieren. Besondere Beachtung sollten dabei die Aktivitäten finden, die im Rahmen dieser Lebensrollen ausgeführt werden. Je nach dem Schwerpunkt der Beratung kann hier auch eine weitere Struktur vorgegeben werden, etwa die Differenzierung zwischen gerne, weniger gerne und widerwillig ausgeführten Tätigkeiten. Entsprechende Fragen können aber auch im Rahmen der Beratung zur weitergehenden Reflektion gestellt werden. Im nächsten Schritt erhält der Klient ein weiteres leeres Papier, auf dem er wiederum seine wesentlichen Lebensrollen aufzeichnet. Der Unterschied zum ersten liegt darin, dass sich diese Zeichnung auf die Zukunft und den erwarteten oder erwünschten Stellenwert der Lebensrollen bezieht. Der Klient wird dann darum gebeten, sich spezifische Aktivitäten zu überlegen, die es ihm in den jeweiligen Lebensrollen ermöglichen, seine Ziele zu erreichen und die Lebensrolle entsprechend zu gestalten. Beide Bögen werden dann nebeneinander gelegt und miteinander verglichen. So hat der Klient die Möglichkeit, Kontinuität und Diskontinuität festzustellen und darauf aufbauend nächste Schritte zu identifizieren. Leitfragen dafür beziehen sich auf die Unterschiede zwischen dem Ist-Zustand und dem angestrebten Soll-Zustand und den Möglichkeiten des Klienten, diese Unterschiede zu überwinden.
Bedeutung der Lebensrollen erschließen
Bewusstsein schaffen
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54
Kapitel 3 · Ansatzpunkte einer kompetenzorientierten Laufbahnberatung
Brott (2004) bezeichnet die Lebensrollenkreise als eine Technik, um einerseits Bewusstsein für die unterschiedlichen Lebensrollen, ihre Anforderungen und ihre Überlappungen zu schaffen, und andererseits als eine wirksame Intervention im Beratungsprozess. With a better understanding of the «reality« within each role, the client can find either an acceptance of the way it is or the motivation to change the way it will be in the future. Life role circles can also take the counseling process from talking about one´s life to making changes in one´s life (Brott 2004, 7 S. 196).
3
»Kartensortieren«. In weiter Anlehnung an die von Kelly (1955) im Rahmen seiner Theorie der persönlichen Konstrukte entwickelten »repertory grid«-Technik kommen z. B. verhältnismäßig häufig Karten zum Einsatz, die entweder standardisiert und fertig beschriftet sind oder während der Beratungsgespräche angefertigt werden. In den USA gibt es sog. »occupational card sets« zu kaufen, auf deren einer Seite ein Beruf benannt ist. Die Klienten werden gebeten, den umfangreichen ursprünglichen Stapel zunächst in drei Teile zu unterteilen: 4 Berufe, die nicht in Frage kommen (Stapel 1), 4 Berufe, die eigentlich in Frage kommen, die aber nicht erste Wahl sind (Stapel 2), 4 und Berufe, die besonders positiv besetzt sind (Stapel 3).
Vorgehen bei der Arbeit mit Karten
Mit diesen Stapeln kann unterschiedlich verfahren werden. Die häufigste Variante besteht darin, dass Stapel 1 und Stapel 2 zur Seite gelegt werden und Stapel 3 nochmals unterteilt wird bis schließlich eine vorher festgelegte Zahl von besonders positiv bewerteten Karten übrigbleibt. Diese Karten können dann weiter bearbeitet werden, indem Klient und Berater sich die entsprechenden Rückseiten ansehen, auf denen die Zugangsvoraussetzungen für den Beruf aufgeführt sind. Diese Information kann z. B. die Formulierung von Zielen unterstützen. Für erfahrene und im Umgang mit der Methode geübte Berater kann es dagegen wesentlich interessanter sein, sich der »repertory grid«-Technik zu bedienen. In ihrer klassischen Form werden jeweils drei Elemente eines Realitätsausschnittes miteinander verglichen, wobei der Klient die Relationen der drei auf den Kärtchen notierten Elemente herausarbeiten soll. Die Regel, der dabei zu folgen ist lautet: »Bitte sage mir, welche zwei der drei Karten sich ähnlich sind und warum. Bitte sage mir auch, wieso die dritte Karte den beiden anderen unähnlich ist.« Der Gegenstandsbereich der Elemente kann frei bestimmt und entsprechend der Bedürfnisse des Klienten oder der Beratungssituation gewählt werden. Im Rahmen der konstruktivistischen Laufbahnberatung bietet es sich z. B. an, bestimmte Lebensthemen oder Lebensziele des Klienten auf Kärtchen zu notieren und hinsichtlich ihrer Wichtigkeit und ihrer Relationen untereinander zu bearbeiten. Eine weitere Möglichkeit besteht bspw. darin, Stärken bzw. Kompetenzen der Klienten oder mögliche Hindernisse auf den Kärtchen zu notieren und entsprechend dem oben dargestellten Muster zu bearbeiten. Der interessierte Leser sei zur weiteren Vertiefung auf die sehr gute Darstellung von Methode und Anwendungen von Scheer u. Catina (1993) verwiesen. Die »repertory grid«-Technik bietet mannigfaltige Einsatzmöglichkeiten, stellt allerdings auch gewisse Anforderungen an die Klienten, die teilweise
55 3.3 · Prozess der Beratung
komplexe Relationen und Abstraktionen herstellen müssen. Die Anwendung der Methode eignet sich nach unserer Erfahrung vor allem bei in der Reflexion geübten Klienten, wobei für eine entspannte Atmosphäre gesorgt sein sollte. Bei Klienten, die der Methode offen gegenüber stehen, kann die »repertory grid«Technik zu einer raschen Intensivierung von Reflexionsprozessen führen. »Tagträumen«. Aus dem therapeutischen Kontext kommt die Methode, Tagträume zu analysieren; die Besonderheit der konstruktivistischen Beratung liegt jedoch darin, dass der Klient selbst von seinem Berater dazu angeleitet wird, die Tagträume zu deuten. Sowohl das Setting der Beratung als auch der zwischen den Beratungsterminen liegende Zeitraum kann dafür genutzt werden, Tagträume zu produzieren und gegebenenfalls aufzuzeichnen. Werden die Tagträume im Rahmen einer Beratungssitzung produziert, sollte der Berater die Aufzeichnung wesentlicher Punkte übernehmen, die im Folgenden reflektiert werden. Manche Berater leiten die Klienten durch Fragen ad hoc auf wiederkehrende Tagträume hin. Diese wiederkehrenden Themen können besonders interessant sein, weil sie auf notwendige Entwicklungen hinweisen können.
Diese nur beispielhaft herausgegriffenen Methoden dienen dazu, Ziele oder Erwartungshaltungen der Klienten offen zu legen und damit einer Reflexion und Veränderung zugänglich zu machen. Natürlich ist es auch möglich, die entsprechenden Erwartungen oder Handlungsstile mehr oder weniger direkt zu erfragen und damit hinterfragbar zu machen. Ansätze einer lösungsorientierten Beratung
Aus einer therapeutischen Bewegung, die sich auf wirkungsvolle Kurztherapien konzentrierte, sind einige Ansätze entstanden, die für den Prozess der Beratung im Allgemeinen und der Laufbahnberatung, wie wir sie hier verstehen, bedeutende Einsichten bieten. Die verbindende Grundannahme dieser Beratungsansätze liegt in der Betonung positiver Aspekte im Leben der Klienten. Die lösungsorientierte Beratung (z. B. de Shazer 1985; de Shazer et al. 1986), einer zunehmend verbreiteten Kurztherapie, begreift sich als Alternative zu einem traditionell problemfokussierten Umgang mit Belastungen und psychischen Problemen. Sie repräsentiert eine Gruppe von Verfahrensweisen, deren Ausrichtung als nichtpathologisch und gesundheitsbezogen charakterisiert werden kann und die die Stärken bzw. Kompetenzen von Personen betont. Die Grundannahme der lösungsorientierten Beratung ist salutogenetisch ausgerichtet. Das bedeutet, dass die lösungsorientierte Beratung auf der Annahme basiert, dass der Mensch über selbstheilende Kräfte verfügt, die aktiviert werden können. Sie geht davon aus, dass die Kompetenzen, die das Individuum besitzt, ihm dabei helfen, positive Veränderungen zu bewirken. Im Zentrum der lösungsorientierten Beratung steht daher das Bestreben, bei den Klienten die Fähigkeit zu stärken, ihre Kompetenzen einzusetzen. Die Rolle des Beraters wird definiert als die eines unterstützenden Begleiters, der dem Klienten die Möglichkeit gibt, den Prozess zu steuern. Er fungiert nicht als der Experte für die Lösung der Probleme des Klienten, sondern lediglich als Experte in Hinblick auf bestimmte Methoden, die er dem Klienten anbieten kann, um individuelle Lösungen zu finden.
Reflektieren »geträumter« Realität
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56
Kapitel 3 · Ansatzpunkte einer kompetenzorientierten Laufbahnberatung
Konzentration auf Stärken
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Selbstverantwortung wecken
Im Rahmen des Beratungsprozesses werden die Kompetenzen des Klienten gestärkt, auf ihrer Grundlage werden realistische und erreichbare Verhaltensziele formuliert. Das Ziel der lösungsorientierten Beratung ist es, im Beratungsprozess Lösungen zu formulieren und nicht Probleme zu lösen – damit verbunden ist die Umorientierung von einer Problemfokussierung hin zu einer Ausrichtung auf für die Lösung von Problemen notwendigen Voraussetzungen. De Shazer (1988) geht davon aus, dass es zur Lösung eines Problems häufig nicht notwendig sei, viel über die Natur des Problems zu wissen. Er argumentiert, dass Probleme häufig unabhängig von und irrelevant für den Prozess ihrer Lösung seien. Diese Argumentation zeigt Paralellen zu den Konstrukten der persönlichen Anpassungsfähigkeit und speziell des Optimismus auf. Im Kern dieser Konstrukte stehen Befähigungen von Personen – man könnte sie auch Metakompetenzen nennen – die sich allgemein auf das Überwinden von Schwierigkeiten und Problemen beziehen. Folgerichtig wird eine Stärkung der persönlichen Anpassungsfähigkeit (Fugate et al. 2004) oder des Optimismus (7 vgl. Seligman 2000) als ein Ziel von wirkungsvollen Interventionen betrachtet, die sich auf eine Stärkung der beruflichen Gestaltungsfähigkeit der Klienten beziehen. Im Rahmen der lösungsorientierten Beratung werden die Klienten u. a. dazu aufgefordert, für ihre Situation Geschichten mit positivem Ausgang zu finden und zu erzählen, um daraus mögliche Lösungswege abzuleiten (McLeod 2004). Die dahinter stehende Technik wird als »miracle question« bezeichnet (Lewis u. Osborn 2004): der Klient soll sich eine Zukunft vorstellen und von ihr berichten, in der seine gegenwärtigen Probleme nicht länger existieren. Die lösungsorientierte Beratung ist ein humanistischer Ansatz, der auf gegenseitigem Respekt und der Annahme beruht, dass in jedem Menschen Ressourcen vorhanden sind, die zur Lösung von Problemen aktiviert werden können. Das humanistische Menschenbild der lösungsorientierten Beratung geht darüber hinaus davon aus, dass die Klienten selbst die für sie besten Entscheidungen treffen können (7 vgl. Lewis u. Osborn 2004). Eine weitere der lösungsorientierten Beratung sehr ähnliche Vorgehensweise ist das »motivational interviewing«. Zu den Schlüsselelementen des »motivational interviewing« gehört das Stärken der Verantwortung der Klienten sowie der Selbstwirksamkeit und des Optimismus durch den Berater. Auch in diesem Beratungsansatz liegt der Schwerpunkt darauf, die Anpassungs- und Gestaltungsfähigkeit der Klienten zu stärken. Das Ziel des Beratungsprozesses ist es, bei den Klienten eine aktive Selbstverantwortung zu wecken, die in die Entscheidung mündet, eine belastende Situation zu verändern. Getragen wird der Prozess von unterschiedlichen Regeln, die sich in ihrem Kern darauf beziehen, möglichst uneingeschränkte Empathie durch den Berater herzustellen. Der Berater soll möglichst alle Handlungen vermeiden, die bei dem Klienten zu Reaktanz oder einer defensiven Haltung führen könnten und alle Handlungen unternehmen, die mit größerer Offenheit einhergehen. Wenn den Klienten bewusst wird, dass sie ihre Situation verändern wollen, ist es Aufgabe des Beraters, ihre Erwartungen und Hoffnungen zu stärken, durch ihr Handeln erfolgreich zu sein. Im Rahmen des »motivational interviewing« sollen vom Berater keine Diagnosen erstellt oder ausgespro-
57 3.4 · Zielkritierien einer kompetenzorientierten Laufbahnberatung
chen werden, da sie das partnerschaftliche Verhältnis zwischen Klient und Berater deutlich erschweren würden. Eine diagnostizierende Benennung eines Problems, das der Klient eigentlich überwinden möchte, stellt zudem ein wesentliches Hindernis für eine in die Zukunft gerichtete Veränderung dar, da sie den gegenwärtigen problematischen Zustand überbetont und damit die Möglichkeit der positiven Veränderung aber ausklammert. Beide Beratungsansätze konzentrieren sich auf die gut funktionierenden Anteile im Leben der Klienten. Durch diese Ausrichtung an den positiven Möglichkeiten versuchen beide Ansätze Impulse zu geben, die den Klienten dabei helfen, ihr Leben wieder »in den Griff« zu bekommen. Sie folgen sozial-konstruktionistischen Gedanken, die davon ausgehen, dass soziale Realität durch Kommunikation und die dafür gewählten Worte erzeugt wird. Bei der Methode des »motivational interviewing« wird versucht, im Gespräch mit den Klienten verschiedene positive Alternativen zur gegenwärtigen Situation zu generieren, um so Perspektiven zu schaffen, die über eine Lösung hinausgehen. Der Vorteil dieses Denkens liegt auf der Hand: Eine Lösung für ein Problem schließt automatisch andere Lösungen aus – im Verlauf von komplexen Handlungen wird aber manchmal eine Umorientierung notwendig, (weil sich z. B. die Situationen ändern oder weil die Lösungen noch nicht vollständig durchdacht waren). Wem mehrere Alternativen zur Verfügung stehen, der ist in seinem Handeln flexibler und steht weniger vor Schwierigkeiten, die ihn möglicherweise dazu bringen, aufzugeben und wieder in seine alten Denkmuster zurückzufallen. Beide Verfahren zielen auf die Einleitung positiver Veränderungsprozesse, die durch die gezielte Förderung der motivationalen Grundlagen in Gang gebracht werden sollen (Lewis u. Osborne 2004). Auch die Ausrichtung auf die Kompetenzen und Ressourcen der Klienten ist eine wichtige Gemeinsamkeit beider Verfahren. Schließlich betonen beide Methoden, dass die Verantwortung für die Veränderung bei den Klienten liegt und nicht bei den Beratern. Dieser Punkt erscheint auch im Licht neuerer Arbeiten zur Laufbahnberatung (z. B. Lang-von Wins u. Triebel 2005; Lovén 2003) wesentlich für den Prozess der Beratung. Häufig erwarten die Klienten am Anfang oder im Verlauf eines Beratungsprozesses Lösungen, die der Berater für sie entwickelt – diese Vorschläge zeichnen sich aber dadurch aus, dass die Klienten ihnen wesentlich weniger verbunden sind als von ihnen selbst erarbeiteten Lösungen und dass sie, was damit zusammenhängt, deutlich weniger tragfähig sind, da sie weniger Aspekte der sozialen und psychischen Realität der Klienten miteinbeziehen können.
3.4
Zielkritierien einer kompetenzorientierten Laufbahnberatung
Was sollten psychologische Beratungsangebote bieten? Die verbreitete klassische Berufsberatung hat letztlich statische Annahmen über die Passung bestimmter Personattribute zu bestimmten beruflichen Umwelten zu ihrer zentralen Argumentationsgrundlage gemacht. Dieses Vorgehen ist so lange sinnvoll, als damit nicht die konkrete Empfehlung für bestimmte Berufe oder Berufsfelder verbunden ist. Denn die entsprechenden Ratschläge gehen weit-
3
Ziel ist die Einleitung positiver Veränderungsprozesse
58
Kapitel 3 · Ansatzpunkte einer kompetenzorientierten Laufbahnberatung
3
Personen zu positiver Veränderung befähigen
Traditionelle Ansätze sind zu statisch
gehend noch von dem Bild stabiler Berufe aus, die sich spezifischen Neigungen bzw. Begabungen von Personen zuordnen lassen. Wenn die Prognosen über die künftige Entwicklung der Arbeitsmärkte und individuellen Berufsverläufe zutreffen und auch die Interpretationen der gegenwärtigen Situation nicht grundsätzlich fehlerhaft sind, dann sollte eine wirksame psychologische Intervention nicht alleine in der Rückmeldung von mehr oder weniger abstrakten Interessen und Begabungen bestehen, die im Rahmen testender Verfahren festgestellt wurden. Vielmehr sollten entsprechende Interventionsmaßnahmen es sich zum Ziel machen, direkt an den persönlichen Ressourcen der Klienten zu arbeiten und sie für notwendige Anpassungsprozesse zu aktivieren. Ein weiterer Punkt ist in diesem Zusammenhang von grundlegender Bedeutung: Solange Beratung Herrschaftswissen kultiviert, verfehlt sie das Ziel, die Selbstverantwortung der Klienten zu fördern. Dieses Herrschaftswissen kommt zentral in dem Verhältnis von Klient und Berater zum Ausdruck. Das Verhältnis ist aus unserer Sicht und für den hier diskutierten Zusammenhang dann nicht produktiv, wenn der Klient die Rolle eines Schülers einnimmt und der Berater die des Experten für die Lebenszusammenhänge des Klienten. Auch bei einer, auf der Grundlage von Testergebnissen arbeitenden, Beratung dominiert ein über die Durchführung und Auswertung von Tests intransparentes Vorgehen, das dem Klienten eine künstlich naive Rolle zumutet. Das Prinzip der Ressourcenaktivierung verfolgt das Ziel, Personen eine realistische, (selbst)wirksame, zielgerichtete und positive Veränderung zu ermöglichen. Der Klient soll dazu angeregt werden, möglichst aktiv zu werden und seine eigenen Belange und Ressourcen zu erforschen. Die Feststellung, dass der Klient der alleinige Experte für die eigenen Lebenszusammenhänge ist, was gelegentliche kritische Rückfragen durch den Berater nicht ausschließen soll, mutet zwar wie ein Allgemeinplatz an, ist aber für den Beratungserfolg wesentlich. Psychologische Beratungen oder Coachingprogramme, welche innerhalb eines relativ kurzen Zeitraumes ressourcenaktvierend wirksam sein wollen, sollten ihren Fokus grundsätzlich auf die Ressourcen und nicht auf vorhandene Probleme richten. Dies bedeutet eine klare Abgrenzung zum klassischen, eher defizitorientierten Vorgehen psychologischer Beratungen. Das Ziel ressourcenorientierter oder ressourcenaktivierender Beratungsprogramme sollte darin liegen, den Klienten ihre persönlichen Ressourcen sichtbar und damit gezielt für die Gestaltung der eigenen Biografie nutzbar zu machen. Die klassischen in Zusammenhang mit der aktiven und erfolgreichen Gestaltung des eigenen beruflichen Werdeganges genannten psychologisch relevanten Ressourcen sind etwa die Selbstwirksamkeitserwartung oder die Proaktivität – zu beiden Konstrukten liegt mittlerweile ein großer Fundus an Arbeiten vor, der ihre zentrale Rolle bei Anpassungsprozessen betont. Traditionell legen Beratungsmaßnahmen im Bereich der beruflichen Förderung aber einen Fokus auf die Stärkung bestimmter Qualifikationen – das Ressourcenverständnis bezieht sich stärker auf formale Ressourcen, als auf eine Stärkung der persönlichen, prozessbezogenen Ressourcen. Dieses traditionelle Verständnis ist, wenn man es vor dem Hintergrund der sich verstärkenden Dynamik auf dem Arbeitsmarkt betrachtet, auf keinen Fall
59 3.4 · Zielkritierien einer kompetenzorientierten Laufbahnberatung
ausreichend, da auch die erworbenen Qualifikationen immer rascher veralten. Es ist nötig, der Dynamik wiederum mit einem dynamischen Ansatz zu begegnen. Fassen wir die dargestellten theoretischen Überlegungen zusammen, so kommen wir auf folgende Thesen, die als die Eckpunkte für die Entwicklung einer Methode zur kompetenzorientierten Laufbahnberatung betrachtet werden können: 4 Kompetenzen sind Hypothesen darüber, welche Ausstattung Personen mitbringen, um mit künftigen Aufgaben zurecht zu kommen. Das Wort Kompetenz ist somit als Übergangsbegriff zwischen vergangenem Verhalten und künftigen Anforderungen zu verstehen. Kompetenzen sind also sprachliche Konstrukte, die uns dabei helfen sollen, die Beziehung zwischen vergangenen Handlungen und ihrer Vorhersagekraft in Bezug auf künftige Anforderungen beschreiben zu können. 4 Mit dem Konstrukt der Kompetenzen werden Eigenschaften von Personen beschrieben, die weder als Fertigkeiten noch als Fähigkeiten zu bezeichnen sind. Während Fertigkeiten erlernte »skills« bezeichnen, bezeichnen Fähigkeiten weitgehend angeborene oder durch Reifung erworbene Dispositionen des Handelns, 4 Der Prozess der Reflexion über die eigene Biografie und damit über die eigenen Fertigkeiten, Fähigkeiten und Kompetenzen ist eine Messung, die tief in das zu messende System eingreift und in hohem Maße Interventionscharakter hat. 4 Durch die geleitete Reflexion der eigenen Biografie findet eine Rekonstruktion statt, die in hohem Maße das Bild der Teilnehmer von sich selbst beeinflusst. 4 Divergenz zwischen existierenden Fähigkeiten und dem individuellen Glauben an die eigenen Fähigkeiten kann eine elementare Barriere für die individuelle Laufbahnentwicklung darstellen. 4 Die stärkenorientierte Rekonstruktion der eigenen Biografie wird von den teilnehmenden Personen als positiv erlebt, 4 Kompetenzen sind geeignete Konstrukte, um eine Biografie so zu strukturieren, dass sie als sinnvoll und kohärent verstanden und erlebt wird. 4 Durch eine stärkenorientierte Rekonstruktion des eigenen Lebens werde die Selbstwirksamkeits- und Ergebniserwartungen der Personen gestärkt, 4 Selbstwirksamkeit ist domänenspezifisch – folglich kann die Selbstwirksamkeit nicht als Generalfaktor beeinflusst werden In der Folge davon muss eine Exploration von Fertigkeiten, Fähigkeiten und Kompetenzen in möglichst vielen Bereichen stattfinden, um möglichst effektiv zu sein, 4 Der Prozess der Kompetenzexplorierung ist im Dialog effektiver als ohne einen Dialogpartner, 4 Eine kompetenzorientierte Laufbahnberatung, die sowohl eine Explorierung der eigenen Vergangenheit als auch eine Zielexplorierung umfasst hat, einen nachhaltigeren Effekt auf die Selbstwirksamkeitserwartungen als eine Laufbahnberatung, die keine Ziele exploriert, 4 Personen, die ihre Kompetenzen benennen und belegen können, können ihre Laufbahninteressen besser formulieren als solche, die nicht dazu in der Lage sind, ihre Kompetenzen darzustellen,
Kernsätze der kompetenzorientierten Laufbahnberatung
3
60
Kapitel 3 · Ansatzpunkte einer kompetenzorientierten Laufbahnberatung
4 Der Ansatz der kompetenzorientierten Laufbahnberatung ist dem Feld sozialkognitiver Beratungsansätze zuzurechnen und dann somit als konstruktivistisch bezeichnet werden, 4 Kompetenzorientierte Laufbahnberatung ist stets auch ressourcenorientierte und ressourcenaktivierende Beratung.
3
4 Eine Methode der kompetenzorientierten Laufbahnberatung: Die Kompetenzenbilanz 4.1
Rahmenbedingungen – 62
4.1.1 4.1.2 4.1.3 4.1.4
Arbeiterkammer und Zukunftszentrum Tirol – 62 Hintergrund – 63 Ziele – 64 Entwicklung – 66
4.2
Verfahren – 66
4.2.1 4.2.2 4.2.3 4.2.4
Einführungsworkshop – 67 1. Coaching – 71 2. Coaching – 87 3. Coaching – 103
4.3
Schriftliche Kompetenzenbilanzen – 115
4.4
Der Coach – 128
62
Kapitel 4 · Eine Methode der kompetenzorientierten Laufbahnberatung: Die Kompetenzenbilanz
Erfahrung aus weit über 1.000 Coachings
4
Bilanzierung oder Intervention?
Die Kompetenzenbilanz ist ein Coachingverfahren, das im Jahr 2003 im Auftrag des Zukunftszentrum Tirol entwickelt worden ist und seit Herbst desselben Jahres in Tirol und in Deutschland bislang mit ca. 1.300 Personen durchgeführt wurde. Weitere 500 Personen werden das Verfahren im Jahr 2006 absolvieren. Die Kompetenzenbilanz ist eine Methode, die theoretisch und methodisch auf den bislang dargestellten Annahmen aufbaut. Es handelt sich also um eine praktische Umsetzung des Konzeptes einer kompetenzorientierten Laufbahnberatung und ist als Weg zu verstehen, in sehr kurzer Zeit (3 Coaching-Sitzungen) eine umfassende Erfassung und Beschreibung der Kompetenzen der Teilnehmer zu ermöglichen und darüber hinaus gemeinsam mit ihnen nächste Schritte und Ziele zu bearbeiten. Dies gelingt, weil das Vorgehen sehr stark strukturiert ist und den Teilnehmern und den Coaches einen verbindlichen Rahmen vorgibt, der Gesprächsinhalte und -themen im Detail gliedert. Wie bereits auch aus der theoretischen Grundlegung klar geworden ist, handelt es sich bei der Kompetenzbilanzierung weder um diagnostische Fragestellungen, noch um ein rein feststellendes Vorgehen. Es wird bereits durch die Darstellung des Verfahrens deutlich werden, dass eine Erhebung der Kompetenzen einer Person nicht von dem Gedanken zu trennen ist, damit in hohem Maße intervenierend tätig zu sein, also eine mitunter sogar erhebliche Veränderung bei der Person hervorzurufen – wir wollen es an dieser Stelle bei dem allgemeinen und nicht wertenden Begriff der Veränderung belassen. In welchen Bereichen und in welchem Maße die Kompetenzenbilanz nicht nur als nüchterne Bilanzierung (im Sinne einer Aufrechnung von Positiva und Negativa) einer Person zu verstehen ist, sondern auch als Intervention wirksam ist, wird in 7 Kap. 5 erörtert.
4.1
Rahmenbedingungen
4.1.1 Arbeiterkammer und Zukunftszentrum Tirol Ausgangslage
Das in Innsbruck ansässige Zukunftszentrum Tirol ist eine Einrichtung der Tiroler Arbeiterkammer, einer Arbeitnehmervertretung, in die jeder Arbeitnehmer in Österreich einen Pflichtbeitrag seines monatlichen Bruttoeinkommens einzahlt. Alle österreichischen Arbeitnehmer sind zwangsläufig Mitglieder der Arbeiterkammer. Sie betrachtet es als ihre Aufgabe, Arbeitnehmer einerseits bezüglich ihrer Rechte gegenüber den Arbeitgebern zu unterstützen (Rechtsberatung in Kündigungsfällen, etc.), andererseits bietet sie auch Fortbildungen an, durch die sich Arbeitnehmer weiterqualifizieren können. Arbeiterkammer-Beiträge können die Mitglieder bspw. zu einer »Zukunftsaktie« ansparen, mit deren Guthaben die Angebote der Kammer genutzt bzw. bezahlt werden können. Das Zukunftszentrum Tirol ist eine in Innsbruck ansässige Tochtergesellschaft der Arbeiterkammer Tirol. Träger des Zukunftszentrums Tirol sind neben der Arbeiterkammer auch die Stadt Innsbruck und das Land Tirol. Das Zukunftszentrum Tirol kann als »Denkfabrik« der Arbeiterkammer Tirol verstanden werden. Die Aufgabe des Zukunftszentrums besteht darin,
63 4.1 · Rahmenbedingungen
Entwicklungen und Trends auf dem Arbeitsmarkt zu erforschen und praktische Maßnahmen einzuleiten und umzusetzen, um gestaltend auf diese Trends einzugehen.
4.1.2 Hintergrund Das Zukunftszentrum trat im Jahr 2003 an den Lehrstuhl für Organisations- und Wirtschaftspsychologie der Ludwig-Maxilians-Universität München bzw. die Perform-Arbeitsgruppe für Angewandte Personalforschung München mit dem Auftrag heran, eine Methode zur Standortbestimmung für Personen zu entwickeln, die sich beruflich orientieren möchten. Die Methode sollte sich deutlich von bestehenden eignungsdiagnostischen Verfahren unterscheiden und ausdrücklich stärkenorientiert ausgerichtet sein; sie sollte damit den Vorgaben einer dynamischen und ressourcenorientierten Vorgehensweise entsprechen. Den Ausschlag für diesen Auftrag gab eine Studie des Zukunftszentrums, die ergeben hatte, dass in den vorangegangenen fünf Jahren etwa ein Drittel der erwerbstätigen Bevölkerung Tirols den Job, die Branche oder beides gewechselt hatte. Das Zukunftszentrum konnte somit die dramatischen Veränderungen auf dem Arbeitsmarkt und die damit verbundenen Wandlungen in der Beschaffenheit individueller Biografien, unmittelbar auf die Region bezogen, belegen. Dieser direkte Beleg stellte sich als starkes Argument dafür heraus ein Verfahren zu entwickeln, das eine Orientierungshilfe für einen wesentlichen Teil der Bevölkerung bieten kann. Ein Grund für diese besonders hohen Fluktuationswerte mag darin liegen, dass ein hoher Prozentsatz der Tiroler Bevölkerung im Fremdenverkehrsbereich tätig ist. Häufig arbeiten diese Personen also saisongebunden, im Winter als Hilfskraft in einem Hotel oder etwa als Skilehrer, im Sommer in ihrem erlernten Beruf oder in einem anderen, mit dem Fremdenverkehr verwandten, Feld. Kennzeichnend für dieses Saisongeschäft ist allerdings eine phasenweise extrem hohe Arbeitsbelastung in Zeiträumen von mehreren Monaten mit zum Teil über 80 Wochenarbeitsstunden. Zahlreiche Teilnehmer berichteten im Laufe der Kompetenzenbilanz von Symptomen, die auf eine weite Verbreitung des Burn-out-Syndroms in diesem Bereich schließen lassen. Das ist nicht verwunderlich: Viele der Tätigkeiten im Fremdenverkehrsbereich sind sehr auf sozialen Kontakt ausgerichtet, der in einer kurzen Zeit sehr viel persönliches Engagement abverlangt. Die Tätigkeiten in dieser Branche sind unterdurchschnittlich bezahlt, bieten keine sichere und perspektivenreiche Beschäftigung und können den Arbeitenden kaum ein Gefühl internaler Kontrolle vermitteln, da hier sehr häufig nach dem »hire-and-fire«-Prinzip ein- und ausgestellt wird. Zudem verfügen viele der in diesem Bereich Arbeitenden nicht über weiterführende Bildungsabschlüsse, so dass häufig von einem Gefühl der Abhängigkeit von den jeweiligen Arbeitgebern berichtet wird. 6
Job-Wechsel werden zum Regelfall
4
64
Kapitel 4 · Eine Methode der kompetenzorientierten Laufbahnberatung: Die Kompetenzenbilanz
Handelt es sich bei den im Fremdenverkehr Beschäftigten bspw. um allein erziehende Mütter, so kann sich zuweilen die Verstrickung in überlastende, mäßig entlohnte Arbeit und monetäre Notwendigkeiten in ein scheinbar unauflösliches Geflecht wandeln, das Symptomen gelernter Hilflosigkeit (Seligman 1982) und des Burn-out-Syndroms (Maslach 1982) vorausgeht. Diese Schilderung soll jedoch keinesfalls als repräsentativ für die Bevölkerung Tirols gelten, sondern lediglich einen Erklärungsversuch für die erstaunlich hohen Fluktuationszahlen liefern und einen Einblick in eine Teil der Klientel der Kompetenzenbilanz bieten.
4
Persönliche Motivation
Eine ausgesprochen wichtige Rolle bei der Entwicklung der Kompetenzenbilanz spielte auch die Person des Geschäftsführers des Zukunftszentrums, Bertram Wolf, der die Entwicklung der Methode gegen zum Teil erheblichen politischen und öffentlichen Druck durchsetzen konnte. Den Motor für dieses Engagement zu erklären, fällt nicht schwer: Herr Wolf kann selbst auf eine extrem vielseitige Karriere zurückblicken. In bäuerlichen Verhältnissen aufgewachsen, absolvierte er zunächst zwei Lehren als Tischler und Zimmerer. Es schließen sich Ausbildungen als Skilehrer und Bergführer an. Als Skilehrer ist er bald für einen exklusiven Kundenkreis tätig, der ihn auf Reisen bis nach Australien führt. Bergsteigerisch entwickelt er sich zum Extrembergsteiger und ergreift die Chance, als Filmemacher für den Österreichischen Rundfunk (ORF) tätig zu werden. Mit einem selbstfinanzierten Film bewirbt sich Bertram Wolf und wird vom ORF nicht in gewünschter Funktion, jedoch als Journalist, angestellt. Es schließt sich ein Audit an, in Folge dessen Wolf in die Management-Ebene des ORF wechselt. Nach zehn Jahren journalistischer Tätigkeit wird er Anfang des Jahres 2003 zum Geschäftsführer des Zukunftszentrum Tirol berufen. Dies ist eine kurze aber eindrucksvolle Patchwork-Biografie und ein beeindruckendes Beispiel zudem dafür, welche schwindende prognostische Kraft den Bildungsabschlüssen zuzuschreiben ist, wobei auch hier darauf hingewiesen werden soll, dass ressourcenorientierte Laufbahnberatung sich ausdrücklich nicht gegen den Sinn formaler Abschlüsse und Ausbildungen wendet.
4.1.3 Ziele Ein Verfahren, um verschiedene Ziele zu verfolgen
In Anlehnung an die sich seit einigen Jahren entwickelnde Kompetenzdebatte sollte ein Verfahren entwickelt werden, das die zentralen Kompetenzen der Teilnehmer sichtbar machen kann. Ziele des Verfahrens
Im Laufe der Auftragsklärung entstanden folgende Ziele für die Entwicklung einer Kompetenzbilanzierung: Die Teilnehmer 4 erkennen ihre Stärken und Entwicklungspotenziale, 4 haben größeres Selbstbewusstsein und besseres Selbstwertgefühl,
65 4.1 · Rahmenbedingungen
4 können Ihre Arbeitszufriedenheit sowie Motivation und Erfolg steigern, weil sie entsprechend ihrer Fähigkeiten und Präferenzen eingesetzt werden können, 4 können ihre Karrierechancen bzw. ihre Attraktivität auf dem Arbeitsmarkt verbessern, 4 können sich neue Tätigkeitsfelder erschließen. Das gesamte Vorgehen der Kompetenzenbilanz ist vor dem Hintergrund der hier formulierten Ziele zu verstehen. Das entwickelte Verfahren in seiner ursprünglichen Form konzentriert sich auf das Individuum und dessen Bedürfnisse. Umgebungsvariablen werden nur insofern mit einbezogen, als bestimmte Urteile oder Einschätzungen der Klienten aus einer Außenperspektive gespiegelt werden. In 7 Kap. 6 wird ausgeführt, in welcher Weise die Kompetenzenbilanz und deren Ergebnisse auch für Organisationen, für Unternehmen und für die Gesellschaft nutzbar gemacht werden können und welche Modifikationen bzw. welche Anschlussmodule hierfür erforderlich sind. Zielgruppen
Mit der Kompetenzenbilanz sollte eine möglichst breite Bevölkerungsschicht angesprochen werden. Es wurde darauf wert gelegt, dass Personen niedrigen Bildungsstandes nicht durch ein fachlich-akademisches Vokabular in der Kompetenzenbilanz an der Teilnahme gehindert oder davon abgeschreckt werden. Personen aus allen Bildungsstufen und Beschäftigungsverhältnissen sollten angesprochen werden. Dadurch ergaben sich die in der folgenden Übersicht dargestellten Hauptzielgruppen des Verfahrens. Hauptzielgruppen der Kompetenzenbilanz Bildungsstand 5 Pflichtschulabschluß 4 Lehrberuf 4 Hochschule Beschäftigungsverhältnis 4 Angestellter 4 Arbeitsloser 4 Wiedereinsteiger 4 Jobwechsler
Kosten
Die Kompetenzenbilanz kostet zum gegenwärtigen Zeitpunkt pro Person EUR 800. In Tirol werden EUR 700 dieser Summe aus Mitteln der Arbeiterkammer und des Landes Tirol subventioniert. Die Teilnehmer zahlen die verbleibenden EUR 100 in Form eines Selbstbehaltes. Diese Kosten gelten für die Durchführung der Kompetenzenbilanz am Zukunftszentrum Tirol und sind somit mitunter wesentlich niedriger als vergleichbare Prozesse, die in der freien Wirtschaft und damit ohne die infrastrukturelle Unterstützung
4
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Kapitel 4 · Eine Methode der kompetenzorientierten Laufbahnberatung: Die Kompetenzenbilanz
einer öffentlichen Institution durchgeführt werden. In Deutschland fehlt eine vergleichbare Subventionierung bis heute; Teilnehmer müssen hier den vollen Betrag selbst bezahlen.
4.1.4 Entwicklung
4
Von der Pilotphase zum Regelbetrieb
Nach der Auftragsklärung im Juni 2003 wurden innerhalb von vier Wochen der Prototyp eines Leitfadens zur Durchführung der Kompetenzenbilanz und ein begleitendes Handbuch für die Teilnehmer entwickelt. In einer ersten Tranche absolvierten 30 Personen die Kompetenzenbilanz. Nach dieser Pilotphase wurden kleinere Ablaufmängel und erkennbare Fehler korrigiert, bevor die Methode am 19.09.2003 einer breiten Öffentlichkeit vorgestellt wurde. In den anschließenden Wochen wurden zunächst 30 Coaches ausgewählt, ausgebildet und supervidiert, so dass die Kompetenzenbilanz im Laufe des Herbstes in den Regelbetrieb übergehen konnte. Seitdem haben 1.300 Teilnehmer allein in Tirol die Kompetenzenbilanz abgeschlossen. Im Jahr 2006 ist zum Zeitpunkt der Drucklegung dieses Buches die Durchführung weiterer 500 Kompetenzenbilanzen geplant.
4.2 Klar geregelter Ablauf
Verfahren
Die Kompetenzenbilanz ist ein strukturiertes Coachingverfahren, das einem klar vorgegebenen Ablauf folgt. Das idealtypische Ablaufschema stellt sich wie folgt dar:
. Abb. 4.1 Ablauf der Kompetenzenbilanz
Coaching- und Reflexionsphasen
In Praxis und Evaluation hat sich der dargestellte Ablauf als hocheffizient erwiesen, da angesichts der erzielten Ergebnisse und psychologischen Effekte nur ein sehr geringer Aufwand von Seiten des Coaches betrieben werden muss. Aus der obigen Darstellung wird deutlich, dass ein wesentlicher Teil der Kompetenzenbilanz aus der Eigenarbeit der Teilnehmer und aus der Reflexion über die jeweils ca. 2-stündigen Termine besteht. Das Vorgehen bietet zudem gegenüber einer Einzelmaßnahme mit kürzerer Dauer einen anderen entscheidenden Vorteil: Die Erarbeitung der eigenen Biografie, der Fertigkeiten und Kompetenzen verändert die Selbstwahrnehmung der Teilnehmer und zumeist auch die Wahrnehmung der eigenen Tätigkeit und stößt da-
67 4.2 · Verfahren
mit einen Lernprozess an. Seminarveranstaltungen haftet stets das Problem der Praxisferne an. Teilnehmer von Wochenendeseminaren sind nicht selten sonntagabends noch euphorisiert davon, welche nie gesehenen Fähigkeiten in ihnen schlummern, werden jedoch montagmorgens von der Realität zuweilen böse überrascht. Durch die Verteilung der Coaching-Termine über drei Wochen kann ein ständiger Realitätsabgleich zwischen den erarbeiteten Inhalten und den tatsächlichen Gegebenheiten erfolgen. Auch die nächsten Schritte und Ziele, die gegen Ende der Kompetenzenbilanz erarbeitet werden, entwickeln sich so in einem geschützten, doch dem Alltag nicht gänzlich fernen Raum und profitieren dadurch in Hinblick auf ihre Erreichbarkeit und ihren Realitätsbezug. Im Folgenden werden die einzelnen Verfahrensschritte detailliert erläutert.
4.2.1 Einführungsworkshop
Ziele
In einem 90-minütigen Einführungsworkshop sollen die Teilnehmer der Kompetenzenbilanz mit den hinter der Methode stehenden Gedanken vertraut werden, einen Ausblick über den Ablauf erhalten, eine erste biografische Übung kennenlernen und auf die in Heimarbeit zu erstellende Aufgabe vorbereitet werden. Der Einführungsworkshop wird von einem Coach durchgeführt. Eine bewährte Größe für die Einführungsworkshops sind 15–25 Personen. Größere Gruppen sind nicht empfehlenswert. Einführungsworkshops können allerdings auch in kleineren Gruppen und auch mit einzelnen Teilnehmern durchgeführt werden. Ablauf
Nach einer Kennenlernrunde, in der die Teilnehmer sich vorstellen und den Grund ihres Interesses für die Kompetenzenbilanz kurz ausführen, initiiert der Workshopleiter eine Diskussion über das Thema Erfahrungslernen und erörtert gemeinsam mit den Teilnehmern in welcher Weise sie in verschiedenen Tätigkeiten Fähigkeiten erworben haben, die sie später in beruflichen Tätigkeiten einsetzen konnten. Vorwiegend soll hier das Augenmerk darauf gerichtet werden, ob die Teilnehmer auch Tätigkeiten ausgeführt haben, für die sie keinen formellen Abschluss erworben haben, in denen sie aber dennoch eine gewisse Expertise besitzen. Gestützt wird diese Diskussion durch eine Präsentation, in der Fotos von Personen in verschiedenen Situationen dargestellt werden: 4 Familie und enge Beziehungen, 4 Berufstätigkeit, 4 Aus-, Fort- und Weiterbildung, 4 andere Interessen. Anhand dieser Bilder soll die Lernhaltigkeit der unterschiedlichen dargestellten Tätigkeiten erörtert werden. Insbesondere wird hierbei darauf Wert gelegt, herauszuarbeiten, ob die dargestellten Personen eine Tätigkeit ausführen, die Fähigkeiten voraussetzt, die auch in anderen als den gezeigten Kontexten eingesetzt werden kann.
Erfahrungslernen als gemeinsame Basis
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Kapitel 4 · Eine Methode der kompetenzorientierten Laufbahnberatung: Die Kompetenzenbilanz
Beispiel
In Tirol sind viele Personen ehrenamtlich tätig. Gerade Tätigkeiten aus diesem Bereich bieten sich zur Verdeutlichung der Diskussion an, weil sie der Lebenswelt vieler Teilnehmer nahe ist. So kann leicht generalisiert werden, in welcher Weise Lernerfahrungen aus diesem Bereich beruflich eingesetzt werden können. Es ergibt sich anhand von Bildern von Feuerwehrleuten z. B. die Diskussion darüber, dass in dieser Tätigkeit bestimmte Teamfähigkeiten gelernt werden können, die in beruflichen Zusammenhängen relevant sein können. Teilnehmer berichten davon, dass sie zunächst in einem Verein Kassenwart waren und später eine solche oder ähnliche Aufgabe in ihrer beruflichen Tätigkeit übernommen haben. Besonderes Augenmerk wird auch auf familiäre Tätigkeiten gelegt, deren Lernhaltigkeit nur sehr wenigen Personen bewusst ist. Die dort beschriebenen Tätigkeiten reichen von der Organisation eines Hausbaus (unterschiedliche organisatorische Fähigkeiten) und dessen Finanzierung (betriebswirtschaftliche Grundkenntnisse) über die häusliche Pflege eines Familienmitglieds (medizinisch-pflegerisches Fachwissen) bis zum teilweise hochkomplexen Zeitmanagement alleinerziehender, berufstätiger Mütter. Insbesondere Tätigkeiten im letztgenannten Bereich werden von Angehörigen wie auch von den Betroffenen selbst als nicht lernhaltig und in anderen Kontexten verwendbar als in eben der konkreten Familientätigkeit, angesehen.
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Bereits das didaktische Ziel des Einführungsworkshops ist also sehr wertorientiert. Die Teilnehmer sollen nicht nur darüber sprechen, dass Erfahrungswissen wertvoll sein könnte, sie sollen auch verstehen, dass dies tatsächlich so ist. Nach diesem Einstieg in das »Denken in Kompetenzen« wird den Klienten eine erste biografische Übung vorgestellt, die »Biografische Sammlung«. Biografische Sammlung Mindmap persönlich wichtiger Werte
Diese Methode soll zunächst einen eher assoziativen Zugang zur eigenen Biografie ermöglichen. Anhand einer Sammlung von Leitfragen sollen die Teilnehmer in Einzelarbeit eine Mindmap erstellen. Im Zentrum steht hier die zunächst recht global anmutende Frage: »Wie bin ich die Person geworden, die ich heute bin?« Ausgehend davon skizzieren die Teilnehmer nun stichwortartige Antworten zu folgenden Fragen. Logische Zusammenhänge und inhaltliche Nähe können durch Verbindungslinien oder räumlich nahe Anordnung dargestellt werden. Manche Teilnehmer schreiben auch lediglich Stichworte zu den jeweiligen Fragen auf ohne die assoziative Methode des Mindmapping zu nutzen. In der Gestaltung sind die Teilnehmer frei. Sie werden darauf hingewiesen, dass die Ergebnisse weder kontrolliert noch später in der Gruppe präsentiert werden. In der folgenden Übersicht sind die Leitfragen aufgeführt, die den Klienten dabei helfen sollen, ihre biografische Sammlung zu erarbeiten.
69 4.2 · Verfahren
Die Leitfragen 5 4 4 4 4 4 4 4 4 4
Was war meinen Eltern ganz besonders wichtig? Welche Werte sind mir ganz besonders wichtig? Wovon habe ich in meiner Kinder- und Jugendzeit geträumt? Welche Dinge haben mich im Laufe meines Lebens ganz besonders interessiert? Welche einschneidenden Erlebnisse gab es in meinem Leben? Was habe ich von meiner Familie gelernt? Welche Aktivitäten mache ich in meiner Freizeit ganz besonders gern, was habe ich dabei gelernt? Welche wichtigen Dinge habe ich in der Schule und Ausbildung gelernt? Was habe ich bei der Ausübung meines Berufs gelernt? Was konnte ich von meinen Freunden lernen?
Nach dieser Übung geben die Teilnehmer eine kurze Rückmeldung über die Wirkung dieser ersten Übung. Häufig berichten sie davon, zunächst wenig einfallsreich und blockiert gegenüber einem Blick in die eigene Vergangenheit gewesen zu sein. Zum Großteil erzählen sie jedoch, dass sich diese Blockade nach wenigen Minuten gelockert habe und ein systematisches Nachdenken über die eigene Biografie und den eigenen Werdegang begonnen habe.
Erste Erfahrungen mit der eigenen Biografie
Beispiel
Die folgenden Sätze sind idealtypisch für den Prozess: »Zuerst habe ich gar nicht gewusst, was ich da hinschreiben soll. Aber dann ist mir schon einiges eingefallen. Wenn man da mal anfängt nachzudenken dann kommt da unglaublich viel wieder hoch.«
! Wichtig Eine Beobachtung, die sich durch das gesamte Verfahren machen lässt ist, dass sich die meisten Teilnehmer im Laufe der Kompetenzenbilanz erstmals in ihrem Leben Gedanken über die eigene Biografie machen. Was sie in welcher Lebensphase aus welchen Gründen entschieden haben, was sie jeweils gelernt haben und warum sie sich für einen bestimmten Lebensweg entschieden haben, ist den Klienten in den seltensten Fällen unmittelbar zugänglich. Noch weiter sind sie davon entfernt, diese komplexen Prozesse anderen gegenüber verständlich darzustellen. Wir werden auf diesen Punkt noch mehrfach zurückkommen.
Für viele, wenn auch nicht für alle Teilnehmer ist die Biografische Sammlung Gewinn bringend. Einige wenige brechen die Kompetenzenbilanz nach der Biografischen Sammlung mit dem Hinweis ab, sie hätten gerade ein Erlebnis hinter sich, welches sie nun nicht wieder aufarbeiten wollten. Es ist wichtig, diese Personen nicht zu einer Fortsetzung der Kompetenzenbilanz zu drängen, sondern ihre Entscheidung zu respektieren. Ziel der Biografischen
Grenzen
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Kapitel 4 · Eine Methode der kompetenzorientierten Laufbahnberatung: Die Kompetenzenbilanz
Sammlung ist es, im Sinne eines Trichtermodells einen weiten und zunächst ungeordneten Blick auf die eigene Biographie zu öffnen. Insbesondere vor der Erfahrung, dass sich die meisten Teilnehmer noch niemals mit der eigenen Biografie beschäftigt haben, hat sich dieses leicht durchzuführende und einen Reflexionsprozess anstoßende Instrument bewährt.In der zweiten Hälfte des Einführungsworkshops wird den Klienten ihre »Hausaufgabe« erklärt. Sie besteht darin, bis zur ersten Coaching-Sitzung ein »Lebensprofil« anzufertigen.
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Lebensprofil Vier Lebensbereiche
Ein »Bild« der eigenen Biografie
Das Lebensprofil ist eine Methode, die es den Klienten erlaubt, ihre Biografie in einfacher aber strukturierter Form darzustellen. Ausgehend von den vier Lebensbereichen Familie und enge Beziehungen, Berufstätigkeit, Aus- Fort- und Weiterbildung und sonstige Interessen sollen die Teilnehmer bis zur ersten Coaching-Sitzung ein Plakat anfertigen, auf welchem sie wichtige Ereignisse, Lebensabschnitte und Erfahrungen chronologisch eintragen. Zusätzlich zu den Informationen über die jeweiligen Lebensereignisse sollen sie in einer Befindenskurve angeben, wie es ihnen in den jeweiligen Lebensabschnitten gegangen ist. Das Schema des Lebensprofils ist in der . Tab. 4.1 dargestellt. Hierbei handelt es sich lediglich um einen Vorschlag, der sich in der praktischen Umsetzung bewährt hat. Die genaue Art der Gestaltung bleibt den Teilnehmern überlassen. Sie können sowohl textliche als auch grafische Eintragungen vornehmen. Häufig wird das Lebensprofil sehr kreativ und liebevoll mit Fotos und anderen Repräsentanten eines bestimmten Lebensabschnitts ausgestaltet. Auch in der Wahl des Formats sind die Klienten frei. So finden sich unter den Lebensprofilen aufwändig gestaltete Plakate in Metaplan-Größe aber auch dezidiert auf Millimeterpapier ausgeführte Darstellungen, die Monat für Monat genaue Abstufungen über den jeweiligen Stand des eigenen Befindens abgeben. Auch wenn nicht alle Informationen eines solchen Lebensprofils ausgewertet und thematisiert werden können, so ist doch der detaillierte Reflexionsprozess, der zu diesem Ergebnis geführt hat bemerkenswert und kann schon an sich als ein Erfolg der Methode verstanden werden. Manche Klienten lösen sich auch gänzlich vom vorgeschlagenen Schema des Lebensprofils und verfertigen Zeichnungen in Form von Kreisen oder Lebensbäumen, anhand derer sie ihren Werdegang und wichtige Ereignisse aus den verschiedenen Bereichen ihres Lebens darstellen. Die Form ist
. Tab. 4.1. Schema für das Lebensprofil Alter Familie und enge Beziehungen Arbeitstätigkeit Aus-/Fort- und Weiterbildung Andere Interessen und Tätigkeiten Wie ging es mir?
71 4.2 · Verfahren
hierbei nicht das Entscheidende. Wichtig ist die Reflexion der Teilnehmer und das biografische Material für den ersten Coaching-Termin, anhand dessen die Entwicklung der Person und das Zusammenspiel von Ereignissen aus den verschiedenen Lebensbereichen sichtbar gemacht und verstanden werden kann. Abschluss
Zum Abschluss des Einführungsworkshops werden den Klienten ihre Arbeitsmaterialien in Form eines Handbuches und den Utensilien für das Anfertigen eines Lebensprofils ausgehändigt.
4.2.2 1. Coaching Das erste Coaching-Gespräch findet eine Woche nach dem Einführungsworkshop statt. Es dauert ungefähr zwei Stunden und kann in folgende Abschnitte unterteilt werden: 1. Gesprächsbeginn 2. Zielklärung 3. Besprechung des Lebensprofils 4. Analyse von Fertigkeiten 5. Abschluss des Gespräches Wir wollen uns die Schritte des ersten Coachings im Detail ansehen. Gesprächsbeginn
Wie bei jedem Beratungsprozess, so müssen auch in diesem Verfahren zu Beginn die Rahmenbedingungen und gewisse Spielregeln vereinbart werden, nach denen in den Coaching-Gesprächen gearbeitet werden soll. Insbesondere in der Kompetenzenbilanz scheint eine solche gemeinsam getroffene Vereinbarung wichtig, da es sich um einen sehr straff strukturierten Prozess handelt, der zwar erweiterbar ist, aber nicht von allen Institutionen oder Teilnehmern beliebig lang weiter finanziert wird. Zunächst erfolgt eine persönliche Vorstellung des Coaches, der dem Klienten bei diesem Treffen zum ersten Mal begegnet. Man bedenke: Der Klient soll in wenigen Minuten beginnen, sein Leben vor einem wildfremden Menschen auszubreiten. Entsprechend sollte der Coach eine Atmosphäre schaffen, die einen solch öffnenden Schritt ermöglichen kann.
Vertrauen herstellen. Die Kompetenzenbilanz ist klientenzentriert. Wie berichtet bedeutet dies, dass die Klienten in einem solchen Verfahren als Experten für ihre eigenen Bedürfnisse gesehen werden. Der Coach ist lediglich Experte für das Verfahren und die darin enthaltenen Schritte. Insofern können Coaches auch nur ein Vertrauensangebot machen, nicht jedoch von den Teilnehmern verlangen, sie sollten ihnen vertrauen. Sätze wie »Sie können mir vertrauen.« oder »Sie können mir alles anvertrauen.« sind in diesem Zusammenhang paradox und unbedingt zu vermeiden. Die Basis für ein Vertrauensverhältnis kann lediglich angeboten werden. Ob sie hergestellt worden ist oder ob und in welchem Ausmaß sie angenommen wird, liegt in der Verantwortung der Teilnehmer.
Spielregeln vereinbaren
4
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Kapitel 4 · Eine Methode der kompetenzorientierten Laufbahnberatung: Die Kompetenzenbilanz
Außerdem sollte der Coach zu Beginn des Gespräches den Ablauf der Sitzung skizzieren um den Klienten ein Gefühl der Kontrolle über den weiteren Prozess zu geben. Zielklärung Ziele als Basis für die Zusammenarbeit
4
Ein weiterer wichtiger Bestandteil der ersten Gesprächsphase ist die Erarbeitung des Ziels und der Erwartungen, die die Teilnehmer mit dem Prozess der Kompetenzenbilanz verknüpfen. Diese Verfahrensweise hat sich als ausgesprochen fruchtbar für den weiteren Prozess herausgestellt. Auch wenn von einem einmal formulierten Ziel wieder abgewichen werden kann, so wird durch eine anfängliche Vereinbarung eine Verbindlichkeit hergestellt, auf die sich Coach und Klient über den ganzen Prozess hinweg berufen können und der mitunter durch eine fokussierte Vorgehensweise den Prozess effizienter gestalten lässt. Häufig besteht, trotz Vorinformationen und der im Einführungsworkshop vermittelten Informationen eine Erwartungshaltung, die darauf schließen lässt, dass sich die Teilnehmer unter der Kompetenzenbilanz zunächst einen sehr stark berufsberatenden Prozess vorstellen. In diesem Fall ist es klarzustellen, dass es sich um einen zieloffenen Prozess handelt, dessen Ergebnis von der Zusammenarbeit und von den, im Gespräch erarbeiteten, Inhalten abhängt. Dies kann als »Spielregel« betrachtet werden, die normativ für den Prozess ist und über die ein klares Einverständnis mit den Teilnehmern erzielt werden muss. Kann diese Zustimmung nicht erzielt werden, so sollte die Kompetenzenbilanz im Einzelfall an dieser Stelle abgebrochen werden. Ebenso sollte im Verlauf des Gesprächsbeginns klar werden, dass die Kompetenzenbilanz ein Verfahren ist, das von den Klienten ein hohes Maß an Engagement erfordert. So ist zu klären, ob die Teilnehmer bereit sind, zwischen den Terminen an den Materialien weiterzuarbeiten. Darüber hinaus sollte ein Austausch darüber stattfinden, ob die Teilnehmer überhaupt Zeit dafür haben, die notwendigen Systematisierungen zu leisten. Gegebenenfalls müssen die Termine noch einmal verlegt werden. Allerdings sollten die einzelnen Termine nicht zu weit auseinander liegen, so dass ein Mindestmaß an Kontinuität gewahrt bleibt. Überschreiten die Abstände zwischen den Coachings einen Zeitraum von etwa zwei Wochen, so wird der Prozess zerfahren und die Termine ineffizient, weil jeweils der Stand des vergangenen Gespräches wieder aufgearbeitet werden muss. Die Kompetenzenbilanz verliert an Intensität. Besprechung des Lebensprofils
»Rote Fäden« in der Biografie
Das Lebensprofil wird von den Teilnehmern als einer der wichtigsten Arbeitsschritte betrachtet. Die Besprechung des Lebensprofils stellt einen umfassenden Überblick über das Leben des Klienten dar und ermöglicht es dem Coach in relativ kurzer Zeit ein vertieftes Verständnis für seinen Werdegang zu entwickeln und die »roten Fäden« in der Biografie des Gegenüber aufzuspüren. So ist es möglich, eine gewisse Logik in der Entwicklung und in den dahinter stehenden Entscheidungen und Lernerfahrungen zu entdecken und zu besprechen. Auch das Anfertigen des Lebensprofils setzt diesen Prozess bei den Teilnehmern bereits in Gang. Dieser Abschnitt des ersten CoachingGesprächs wird sowohl von den Coaches als auch von den Teilnehmern als
73 4.2 · Verfahren
besonders bereichernd erlebt. Als Coach wird man die Erfahrung machen, dass man diesem Teil der Arbeit gerne viel Zeit widmet und dabei gerade mit den ersten Klienten nicht selten die Zeit für die Coaching-Sitzungen z. T. erheblich überzieht. Einerseits ist es zu wichtig, das Lebensprofil intensiv und in der Tiefe zu verstehen und die »roten Fäden« in der Entwicklungsgeschichte der jeweiligen Person aufzuspüren, andererseits muss sich der Coach des engen Zeitbudgets innerhalb der Kompetenzenbilanz bewusst sein. Selten wird es möglich sein, die Sitzung über den vereinbarten Rahmen auszudehnen. Auch wenn es organisatorisch umzusetzen ist, so handelt es sich dabei langfristig um ein bedenkliches Vorgehen, dies aus mehreren Gründen: Zum einen ist der Coach dem Teilnehmer gegenüber verpflichtet, dessen Zeit nicht über Gebühr zu beanspruchen und auf die Effizienz des Prozesses im angekündigten und intendierten Sinne des Verfahrens zu achten. Zum anderen muss sich auch der Coach vor Selbstausbeutung schützen. Die Erfahrung zeigt, dass die Besprechung des Lebensprofils leicht 2 Stunden in Anspruch nehmen könnte, dass eine angemessene Bearbeitung im Sinne des Prozesses allerdings auch in 45–60 Minuten möglich ist. Nach diesem Zeitraum sollte ein vorläufiger Abschluss in der ersten Thematisierung des Werdeganges gefunden werden. Dies erfordert ein gezieltes Fragen und eine klare Rollenverteilung in der Gesprächsführung. Im Sinne eines effektiven aber eben auch effizienten Verstehens der Biographie ist es wichtig, immer wieder durch bündelnde, klärende Fragen das Gespräch aktiv zu gestalten und nicht die Struktur des Gespräches an die Klienten abzugeben. Wie fragen die Coaches und auf welche Weise können sie den Prozess effektiv steuern? Zunächst beginnt die Besprechung des Lebensprofils in der Regel mit einer recht profan anmutenden Frage oder Bitte: »Was sehe ich da?« Zumeist beginnen die Teilnehmer im Folgenden ausführlich über ihren Werdegang und die unterschiedlichen dargestellten Ereignisse zu erzählen. Es schließt sich ein Prozess an, der schwerlich verallgemeinert werden kann. Wir wollen uns im 7 Kap. 5 einige Beispiele ansehen, in welcher Weise dieser Prozess von den Klienten erlebt wird und welchen Gewinn er ihnen bringen kann. Zunächst setzen wir uns aber mit Handlungsleitlinien für die Coaches auseinander, die für ein gezieltes Arbeiten mit diesem Instrument kennzeichnend sind und die seine Zielgerichtetheit deutlich machen. Ohne solche Leitlinien geriete dieser Prozeß, der schwer generellen Regeln unterzuordnen ist, allzu leicht in Gefahr, in ein unverbindliches Geplauder über die Lebensgeschichte der Teilnehmer abzugleiten. Manche Klienten verweisen im Rahmen der Besprechung des Lebensprofils auch auf die Biografische Sammlung, die sie während des Einführungsworkshops angefertigt haben. Es sollte darauf hingewiesen werden, dass die Biografische Sammlung zunächst eine private Stoffsammlung für die Teilnehmer ist. Sie sollte nur optional und auf ausdrücklichen Wunsch der Teilnehmer besprochen werden, sofern die Auseinandersetzung damit dem Verständnis des Lebensprofils dient. Ansonsten kann darauf verwiesen werden, dass in der Biografischen Sammlung Werte festgehalten sind, auf die im Rahmen des zweiten Gesprächs und insbesondere im dritten Gespräch, in dem es um die Ziele der Teilnehmer geht, wieder eingegangen werden wird.
Gezielte Fragen
Gespräch durch Fragen strukturieren
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Kapitel 4 · Eine Methode der kompetenzorientierten Laufbahnberatung: Die Kompetenzenbilanz
Folgende Leitlinien gelten, um die Besprechung des Lebensprofils im Sinne einer ressourcenorientierten Beratung zu gewährleisten. 4 Ausblick darauf, dass die Beschäftigung mit dem Lebensprofil ca. 45–60 Minuten dauern wird, 4 Bündeln von Informationen, um ggf. Inhalte zu raffen (z. B.: »Ich sehe, dass sich das dann fünf Jahre später wiederholt.«; »Es sieht so aus, als hätten sie diese Tätigkeit dann später zu ihrem Beruf gemacht.«, o. ä.), 4 keine Konflikt- sondern Lösungsorientierung bei der Besprechung von Lebens- und Entwicklungsproblemen (Die Frage sollte stets in die Richtung gehen: »Wie haben Sie dann da herausgefunden?«; »Was hat Ihnen dazu verholfen, dieses Ereignis zu bearbeiten?«). Der Coach ist kein Therapeut! Lebensprobleme können im Rahmen der Kompetenzenbilanz nur bedingt thematisiert werden, im Coaching sollte die aufsteigende Befindenskurve nach einem Tal im Zentrum stehen, 4 positive Wertschätzung seitens des Coaches. Interesse für die Biografie des Klienten. Wir wollen uns die einzelnen Leitlinien im Detail ansehen.
4
Transparenz im Vorgehen
Ausblick: Dieser Hinweis trägt zum einen zur Transparenz des Vorgehens bei. Die Teilnehmer sollten stets wissen, an welchem Punkt des Prozesses und in welchem Schritt sie sich befinden. Wie bereits erwähnt, verstärkt diese Verfahrensweise das subjektive Kontrollempfinden und überträgt einen Teil der Verantwortung vom Coach auf den Klienten. Der Prozess wird auf diese Weise transparent. Das Wissen um den weiteren Verlauf ist nicht Herrschaftswissen des Coaches, sondern ein Wissen, das mit dem Teilnehmer geteilt wird, so dass dieser auch die Möglichkeit erhält, eigene Bedürfnisse oder besondere Fragestellungen so in das Gespräch einzubringen, dass eine jeweils angemessene Akzentuierung auf die besondere Frage- oder Problemstellung geschehen kann.
Das Wesentliche erkennen
Bündeln von Informationen: Zu jedem der aufgeführten der Ereignisse lie-
ßen sich sicherlich Episoden, Erlebnisse und Empfindungen erzählen, die allerdings in ihrer Fülle den Rahmen der Kompetenzenbilanz bei weitem sprengen würden, wenn man sie auch nur ansatzweise vollständig ergründen würde. Fängt bspw. ein Teilnehmer an, sehr ausführlich über Inhalte einer bestimmten Tätigkeit oder eines Ereignisses zu erzählen, so sollte der Coach in der Lage sein, das Gespräch in angemessener Weise wieder »auf die Spur« zu bringen. Diese Leitlinie enthält jedoch zwei Leerstellen: Was bedeutet »in angemessener Weise« und wo ist die Spur, auf die das Gespräch gebracht werden soll? Generell sollte gelten, dass die Klienten Gelegenheit haben sollten, alle Inhalte des Lebensprofils thematisieren zu können. Diese oberste Prämisse darf nicht verletzt werden. Erfahrenen Coaches werden jedoch nach wenigen Minuten diejenigen Klienten auffallen, bei denen davon auszugehen ist, dass sie das vorgesehene Zeitbudget vermutlich überschreiten werden, wenn der Coach den Prozess laufen lässt. Sofern solche Tendenzen bemerkbar werden, können einzelne Ereignisse vom Coach vorweggenommen werden. Wenn also ein Klient mehrmals eine bestimmte Berufstätigkeit ausgeübt hat, kann der Coach darauf hinweisen, dass ihm dieser Umstand auffällt, auf diese Wei-
75 4.2 · Verfahren
4
se kann eine genaue Erzählung dessen, was mehr oder weniger offensichtlich ist, umgangen werden. Die entsprechenden Passagen können sich etwa dadurch verkürzen, dass der Coach gezielt danach fragt, in welcher Weise sich die einzelnen Stationen der Laufbahn unterschieden haben. Wir bewegen uns hier also in einem Graubereich der Angemessenheit. Bei den ersten Coachings mag zunächst eine gewisse Scheu auftreten, die Besprechung des Lebensprofils zu beschleunigen – eben weil es sich um einen sehr interessanten Prozess handelt und man als Coach zuweilen das Gefühl hat, den Teilnehmern Unrecht zu tun, wenn man einzelne Kapitel daraus nicht entsprechend würdigt. Zu diesem Punkt bleibt zu sagen, dass das Lebensprofil eben in der Weise besprochen werden soll, dass im Anschluss genug Raum und Zeit für eine ausführliche Besprechung der Fertigkeiten bleibt. Durch das Bündeln von Informationen aus dem Lebensprofil zeigt der Coach an, dass er sich aktiv mit der Biografie auseinandersetzt. Dieses Vorgehen eröffnet einen Dialog, der zum besseren Verständnis der Biografie des Teilnehmers führt und nebenbei dabei helfen kann, den Prozess zu beschleunigen. Lösungsorientierung: In beinahe jedem Lebensprofil sind auch Brüche, kritische Ereignisse oder auch persönliche Niederlagen verzeichnet. Solche Ereignisse sind häufig der Tod eines nahen Angehörigen, eine Scheidung, Trennung einer langjährigen Partnerschaft oder der Verlust des Arbeitsplatzes. Wie ist nun mit diesen generalisiert als Konflikten zu bezeichnenden Ereignissen umzugehen?Hier ist immer wieder darauf zu verweisen, dass wir uns in der Kompetenzenbilanz in einem ressourcenorientierten, beratenden, aber eben in keinem therapeutischen Setting befinden. Wesentliche Probleme, die ja vom Teilnehmer im Lebensprofil häufig dargestellt sind, sollten nicht übersprungen, aber doch in bestimmter Weise behandelt werden. Generelle Fragerichtung für solche Probleme sollte es sein, nach den Ressourcen zu fragen, die der Person geholfen haben, sich aus der Krise herauszuarbeiten. Das Lebensprofil bietet hierfür die Befindenskurve an, die zum Teil von den Klienten mehrfarbig und in mehrfacher Ausführung für die einzelnen Lebensbereiche angegeben wird. Beim Blick auf diese Befindenskurve fällt immer wieder auf, dass nach dem Durchschreiten einer Talsohle ein Aufschwung erfolgt. Für das Coaching-Setting bedeutet dies, dass der Coach sich zwar in begrenztem Maß mit der Krise beschäftigen kann, bald jedoch das Augenmerk darauf richten sollte, welche Fähigkeiten der Person dazu verholfen haben, sich aus diesem Tief wieder herauszuarbeiten (»Warum ging es Ihnen nach einiger Zeit wieder besser?«, »Was haben in Sie in dieser Zeit gelernt?« »Irgendeinen Grund wird es geben, warum sie sich nach einiger Zeit wieder besser gefühlt haben als zu dem Zeitpunkt, als Sie mitten in dieser Krise waren.«). Zum einen ist der Raum für die umfassende Behandlung der Probleme nicht gegeben, zum anderen widerspräche dies dem Grundsatz der ressourcenorientierten Beratung, sich vor allem an den Stärken des Klienten zu orientieren. Die Klienten sollen feststellen, welche Ressourcen ihnen innewohnen und durch welche Fähigkeiten sie selbst in der Lage waren, eine heilende Besserung in ihrem Leben zu erwirken. Darüber hinaus kann ein psychotherapeutisch motiviertes Vorgehen, das eher die Konflikte und deren Zustandekommen thematisiert, als gefährdend für den Prozess und aber vor
Blick auf die Ressourcen richten
Abgrenzung zu therapeutischem Setting
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Kapitel 4 · Eine Methode der kompetenzorientierten Laufbahnberatung: Die Kompetenzenbilanz
4 Was dargestellt ist, darf grundsätzlich auch thematisiert werden
Wertschätzende Grundhaltung der Coaches
allem auch für den Teilnehmer betrachtet werden. Abgesehen davon, dass die Coaches zum überwiegenden Teil keine psychotherapeutische Ausbildung besitzen, sollte beachtet werden, dass die meisten Teilnehmer sich in dieses Setting begeben weil sie eine zumeist auf berufliche Belange bezogene Fragestellung haben. Es ist nicht angemessen, sie dazu zu drängen, sich im Schwerpunkt mit eigenen Problemen zu beschäftigen. Ketzerisch sei hier die Frage gestellt, was eine Erörterung der Probleme in dieser Situation überhaupt für einen Sinn haben soll. Es geht schließlich darum, die Stärken und Kompetenzen der Personen herauszuarbeiten, und nicht, sie zu einer tieferen Einsicht in zurückliegende Lebensprobleme zu zwingen. Ein falsches Vorgehen wäre es allerdings auch, dargestellte konflikthafte Ereignisse zu umgehen. Schließlich sind diese von den Teilnehmern wohl nicht umsonst dargestellt worden. Die Probleme sollten also durchaus angesprochen und das zu Grunde liegende Ereignis zum Thema gemacht werden. Der Fokus des Interesses und des Gespräches muss jedoch unbedingt darauf liegen, zu ergründen, auf welche Weise die Krise bewältigt wurde, statt darauf, wie es dazu gekommen war. Bildlich gesprochen konzentriert sich das Gespräch eher auf den Aufwärtstrend der Kurve als auf das Abgleiten in ein Tal. Was jedoch, wenn Teilnehmer sich gerade in einer solchen Talsohle befinden und unter Umständen eine falsche Vorstellung von den Zielen der Kompetenzenbilanz haben und in ihr ein therapeutisches Mittel gegen ihre derzeitigen Probleme sehen? In diesem Fall sollte der Coach noch einmal die Hauptziele der Kompetenzenbilanz erläutern und das Einverständnis darüber herstellen, was die Kompetenzenbilanz leisten kann und wo die Grenzen dieses Prozesses zu sehen sind. Ggf. kann eine therapeutische Nachbetreuung empfohlen werden. Wenn der Coach seine Zuständigkeit und die Fähigkeit der Kompetenzenbilanz, mit den thematisierten Problemen umzugehen, überschritten sieht, sollte er das Coaching mit Verweis auf ein angemesseneres Verfahren abbrechen. In einigen wenigen Fällen brechen an dieser Stelle auch die Teilnehmer die Kompetenzenbilanz mit dem Hinweis darauf ab, dass sie es als zu belastend erleben, sich nun reflexiv mit einem akuten Problem zu beschäftigen, das sie kurz zuvor noch verarbeitet geglaubt haben. Ein solcher Wunsch ist in jedem Fall unbedingt zu respektieren. (Es zeigt sich, dass sich aus den geschilderten Problemfeldern spezifische Anforderungen an Qualifikationen und Kompetenzen der Coaches ergeben.) Wir werden diesem Problemfeld noch einmal begegnen, wenn es um das schriftliche Gutachten geht. Hier stellt sich die Frage, inwieweit Lebensprobleme, aus denen die Teilnehmer unter Umständen langfristig gestärkt hervorgegangen sind, in einem Schriftwerk festgehalten werden soll, das womöglich auch von Dritten, wie dem Arbeitgeber, gelesen werden wird. Wertschätzung: Dieser Punkt scheint selbstverständlich, es soll jedoch darauf hingewiesen werden, dass diese wertschätzende Grundhaltung in einer Tradition mit Ansätzen aus der Gesprächstherapie von Rogers steht und somit einige Implikationen aufweist, die sich nicht in naiver Wertschätzung erschöpfen. Eine umfassende Wertschätzung für den Klienten soll also nicht bedeuten, dass alles »großartig«, »toll« und »beeindruckend« ist, was er Teilnehmer zu erzählen hat – vielmehr soll ein differenziertes Urteil, das von
77 4.2 · Verfahren
positiver Wertschätzung getragen ist, das Ziel eines effektiven Coachings sein. Gleichermaßen sollte der Coach ein echtes Interesse an den geschilderten Biografien nicht nur zeigen, sondern auch empfinden. Hier kommt es vor allem darauf an, dass der Coach eine gewisse Erfahrung in den von den Klienten geschilderten Lebenswelten mitbringen kann. Nicht jeder Coach ist für jeden Teilnehmer geeignet. Coaches, die reichhaltige Erfahrungen im Management-Bereich haben, können nicht unbedingt dasselbe Interesse und dieselbe Expertise für Coachings mit Wiedereinsteigerinnen nach der Kinderphase aufbringen, wie dies andern Coaches unter Umständen möglich ist, die über Erfahrung in der Familienarbeit verfügen. Umgekehrt verhält es sich natürlich genauso, wobei hier keine allgemeingültige Regel festgelegt werden kann. Belassen wir es bei der Besprechung des Lebensprofils bei diesen Leitlinien für die Gestaltung eines Gespräches. Weitere Erfahrungen sollten in praktischen Workshops gemacht werden, die für eine Durchführung der Kompetenzenbilanz qualifizieren. Der Umgang mit dem Lebensprofil im Sinne der Kompetenzenbilanz beruht auf Erfahrungen mit verschiedenen Teilnehmern, auf dem Austausch mit Coaching-Kollegen und auf der intensiven Auseinandersetzung mit der Methode und Denkweise der Kompetenzenbilanz. Dies lässt sich nur bedingt theoretisch vermitteln und sollte unter Supervision mehrfach erprobt werden, bevor ein Einsatz unter »ernsten« Bedingungen stattfindet. Eine eingehendere Auseinandersetzung mit den Wirkungen des Lebensprofils findet in 7 Kap. 5 statt. Besprechung der Fertigkeiten
Nachdem im Einführungsworkshop und im ersten Coaching-Gespräch zunächst allgemeine, die Biografie darstellende und hinterfragende Methoden behandelt worden sind, folgt nun eine Vorgehensweise, die sehr viel detaillierter und systematischer nach einzelnen Stationen in der Biografie fragt. Mit der biografischen Sammlung und dem Lebensprofil wurde also zunächst die eigene Biografie zugänglich gemacht. Mit Hilfe kreativer Techniken entsteht ein breiteres Bewusstsein dafür, was sich wann und warum in der Biografie der Teilnehmer ereignet hat. Haben wir uns bislang mit der Person und besonderen Ereignissen in ihrer Biografie beschäftigt, so kommen wir nun auf einzelne Tätigkeiten zu sprechen und hinterfragen diese situativ.Die Kompetenzenbilanz bietet hierfür eine Struktur an, die sich in den Arbeitsblättern zu den Fertigkeiten wiederfindet. Im Gespräch ist es nun Aufgabe des Coaches, mit dem Klienten gemeinsam einen Tätigkeitsbereich aus dem Lebensprofil zu identifizieren, anhand dessen die Fertigkeiten, die für diese Tätigkeit erforderlich waren, besprochen werden. Hierbei handelt es sich zum Teil um einen anstrengenden Prozess, da die Klienten sehr detailgenau Auskunft über ihre jeweiligen Tätigkeiten geben sollen. Sie reflektieren alle Schritte, die zur Bewältigung der jeweiligen Aufgabe oder Tätigkeit notwendig waren, und finden gemeinsam mit dem Coach eine angemessene Formulierung für die jeweilige Fertigkeit. Erfahrungsgemäß handelt es sich hierbei um einen Schritt, der sehr viel Anstrengung und Geduld von beiden Gesprächspartnern erfordert. Häufig wird ein großer Teil des Gespräches davon in Anspruch genommen, den Sinn und die Ausrichtung der Fragen an die Teilnehmer zu vermitteln.
Vom Allgemeinen zum Speziellen
Auswahl eines wichtigen Tätigkeitsbereichs
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Kapitel 4 · Eine Methode der kompetenzorientierten Laufbahnberatung: Die Kompetenzenbilanz
Definition Analyse Fertigkeiten War es für viele Personen bereits ein schwieriger Schritt, sich erstmals detailliert und strukturiert mit der eigenen Biografie auseinander zu setzen, so ist es noch ungewöhnlicher, zu überlegen, zu welchem Zeitpunkt welche Tätigkeiten ausgeübt wurden. Häufig werden hier zunächst Globalantworten gegeben wie »da habe ich das Büro organisiert«, »da habe ich nichts Besonderes gemacht, da war ich eben Mutter«, oder auch »da habe ich gemacht, was man da so macht«. Die Komplexität ihrer jeweiligen Tätigkeiten ist kaum einem Menschen spontan auf eine Weise bewusst, dass er ohne vorhergehende Anleitung strukturiert darüber Auskunft geben könnte. So beginnt das Gespräch entweder mit einer affektiven Äußerung über die Tätigkeit (»das war langweilig«, »das war furchtbar«, »das war interessant«) und würde ohne das intensive Gespräch in einer Beschreibung der Aufgaben einer Position verharren. Ziel der Kompetenzenbilanz ist es jedoch an diesem Punkt, nicht nur genaue Aufklärung darüber zu erlangen, was die Person getan hat, sondern auch auf welche Weise sie der Tätigkeit nachgegangen ist: Was ihr spezifisch wichtig war und welche Handlungsschritte sie für die Bewältigung der Aufgaben ausführen musste. Diese Beschreibungen von Handlungsschritten werden vom Coach situativ hinterfragt, nicht jedoch in der Qualität ihrer Ausführung bewertet. Es wird davon ausgegangen, dass eine Person, die der beschriebenen Tätigkeit nachgegangen ist, auch die Fertigkeiten mitbringt, diese Tätigkeit (mehr oder weniger gut) auszuführen.
4
Das Vorgehen wird am besten anhand der einzelnen Felder dieser Arbeitsblätter deutlich. Damit können später Fragetechnik und Leitlinien für ein Vorgehen im Sinne der Kompetenzenbilanz erläutert werden. Folgendes Beispiel der Fertigkeiten eines 35-jährigen Mannes macht dies deutlich: . Tab. 4.2. Arbeitsblatt Fertigkeiten1 Wann?
Wo?
Was?
Zeitraum
Tätigkeit, Projekt oder Einrichtung
Aufgabenbereiche
Was mache ich genau und worauf achte ich? Fertigkeit(en)
Können2
Beleg Nachweis
2000– 2003
Kronauer GmbH
EDV-Sicherheitsbeauftragter
Fachwissen, genau arbeiten, Mitarbeiter von Sicherheitsmaßnahmen überzeugen, genaue Kenntnis der Unternehmensstruktur, genaue Kenntnis der Datenbankstrukturen, belastbar sein, improvisieren, Verantwortung übernehmen, Offenheit gegenüber neuen Inhalten, selbstständig neues Wissen erwerben …
D
Ja, Kurs- und Arbeitszeugnis
6
Wie?
4
79 4.2 · Verfahren
. Tab. 4.2. (Fortsetzung) Wann?
Wo?
Was?
Wie?
Zeitraum
Tätigkeit, Projekt oder Einrichtung
Aufgabenbereiche
Was mache ich genau und worauf achte ich? Fertigkeit(en)
Können2
Beleg Nachweis
seit 2003
Linke AG
Leiter Netzwerk-Administration
Fachwissen, geduldig und offen mit den Mitarbeitern sein, Budgetverantwortung, betriebswirtschaftliche Kenntnisse, vorausschauend planen, Konflikte lösen, entscheiden, mit internen und externen Kunden umgehen, transparent arbeiten, selbstständig das eigene Wissen erweitern …
C
Nein
Seit 2003
Linke AG
Projektleitung in verschiedenen Projektgruppen
Planen, organisieren, Ziele mit den Mitarbeitern vereinbaren, mit externen Dienstleistern verhandeln und kooperieren, für eine angenehme Atmosphäre im Team sorgen, Stärken der Mitarbeitern erkennen, Projektteams zusammenstellen, Umgang mit Kunden, betriebswirtschaftliche Kenntnisse, kontrollieren, Termintreue …
C
nein
1998– 1999
Familie
häusliche Pflege der Großmutter
Geduld, Zusammenhalt in der Familie, Zeiteinteilung, Belastbarkeit, Einfühlungsvermögen, medizinische Grundkenntnisse erwerben, »positive Grundeinstellung« …
B
nein
2002
Familie
Hausbau
Planung, betriebswirtschaftliche Kenntnisse, effiziente Zeiteinteilung (Kinder, Beruf, Baustelle), Absprache mit Ehefrau, Verhandeln mit Banken und Baufirmen, »Ärmel hochkrempeln«, handwerkliche Fertigkeiten, Ausdauer, Geduld, Durchhaltevermögen.
B
nein
1 Diese Version für eine tabellarische Gliederung der Fertigkeiten-Listen beruht auf einem Vorschlag von Mag. Cornelia Passer 2 A = Grundlagenwissen: Sie können eine Tätigkeit unter Anleitung ausführen. B = Zusammenhangswissen: Sie können eine Tätigkeit unter ähnlichen Bedingungen selbstständig ausführen. C = Detailwissen: Sie können eine Tätigkeit auch unter problematischen Umständen und veränderten Bedingungen ausführen. D = Erfahrungswissen, fachsystematisches Wissen: Sie können auch nicht vorhersehbare Aufgaben bewältigen und sind in der Lage, das eigene Wissen systematisch weiterzugeben.
Die Inhalte der Spalten des Arbeitblattes im Detail: Zeitraum
Fragestellung: In welchem Zeitraum oder seit welchem Zeitpunkt wurde diese Tätigkeit ausgeübt? Wenn es sich um ein Ereignis handelt: Wann fand dieses Ereignis statt? Tätigkeit/Projekt/Einrichtung
Fragestellung: Wie lässt sich die Tätigkeit benennen? Wie hieß/heißt das Projekt? In welcher Einrichtung fand diese Tätigkeit statt?
Welche Tätigkeiten wurden ausgeübt?
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Kapitel 4 · Eine Methode der kompetenzorientierten Laufbahnberatung: Die Kompetenzenbilanz
Die Überschrift schließt alle Einheiten ein, innerhalb derer eine beschreibbare Tätigkeit stattgefunden hat. Dazu gehören also solche »Einrichtungen« wie Familie und Freundeskreis, die von vielen Teilnehmern zunächst nicht als Tätigkeitsfelder im üblichen Sinne verstanden werden. Auch wenn die Teilnehmer im Lebensprofil das Privatleben thematisiert haben, fällt es ihnen zuweilen schwer bspw. familiäre Tätigkeiten als Aktivitäten zu betrachten, die zum Teil ein komplexes Wissen und vielfältige Fertigkeiten voraussetzen. Ziel des Coachings ist es, auch solche Tätigkeiten, die eher dem privaten Bereich zuzuordnen sind, zu thematisieren. Die Erfahrung zeigt, dass die Teilnehmer diesen Schritt in Heimarbeit nicht tun, wenn sie nicht vorher dazu angeleitet worden sind. Unter der genannten Überschrift kann also jeder Rahmen verstanden werden, innerhalb dessen eine Tätigkeit ausgeführt worden ist, sei es in einem Anstellungsverhältnis in einer Firma, in der Freizeit, mit der Familie, bei einem Ehrenamt, in der Ausbildung oder bei der Durchführung eines einzelnen Projektes (z. B. Familie, Firma, Sparkasse, »eigene Firma«, Universität, Caritas, Reisen, Hobbys …)
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Aufgabenbereiche
Fragestellung: In welche Aufgabenbereiche lässt sich die Tätigkeit oder das Projekt aufgliedern?Beispiele (aus unterschiedlichen Bereichen): Organisation von Veranstaltungen, Haushalt, Hausbau, Korrespondenz, Auswertung von Marktdaten, Diplomarbeit, Entwurf eines Marketingkonzeptes etc.Es wird deutlich, dass es sich hier im Vergleich zu den nachfolgenden Fertigkeiten um übergeordnete Einheiten handelt, die im Rahmen einer Tätigkeit anfallen, also um Aufgabenbereiche, die auf unterschiedliche Weise gefüllt werden und in denen, je nach Beschaffenheit der Organisation oder des Projektes, verschiedene Fertigkeiten zum Einsatz kommen. Fertigkeiten Genauigkeit der Analyse
Hartnäckigkeit im »Knacken« von Worthülsen
Fragestellungen: Was muss der Teilnehmer können, um den Tätigkeitsbereich angemessen auszufüllen, um die Aufgaben zu bearbeiten oder das Projekt abzuwickeln? In welcher Weise hat der Teilnehmer gehandelt, um die jeweilige Aufgabe zu erfüllen? Hier geht es darum, kleine und kleinste Handlungsschritte zu identifizieren und zu formulieren, die Teil der Tätigkeit sind. Diese Analyse ist zeitlich und inhaltlich aufwändig und anstrengend. Ebenso, wie sich manche Teilnehmer zunächst nicht vorstellen können, dass sie unter Umständen eine komplexe Tätigkeit ausgeführt haben, kommt es häufig vor, dass sie ihre Fertigkeiten mit verallgemeinernden Begriffen beschreiben. Diese Stichworte klingen zumeist, als wären sie auswendig gelernt worden und stellen sich bei näherem Hinterfragen als unklare Schlag- oder Modeworte heraus, wie sie in Stellenanzeigen oder firmeninternen Job-Beschreibungen zu finden sind. Es handelt sich um Worthülsen, die weder eine konkrete Anforderung noch eine spezifische Handlung beschreiben. Diese Ungenauigkeit macht diese Begriffe zuweilen sehr beliebt, gerade weil sie grundsätzlich kaum hinterfragbar sind. Einige beliebte und weit verbreitet Beispiele solcher Worthülsen, die es im Verlauf der Kompetenzenbilanz »zu knacken« gilt, sind: Teamfähigkeit,
81 4.2 · Verfahren
Flexibilität, »hands-on«-Persönlichkeit, Motivation, soziale Kompetenz, Engagement … . Grundsätzlich sollten Fertigkeiten so formuliert sein, dass sie als Handlungen verstanden werden können. Das Wort »Flexibilität« wird in seiner Bedeutung verständlich, wenn es in einen Handlungszusammenhang gebracht wird: »flexibel auf Tendenzen des Marktes reagieren«, »Zeit flexibel planen«. Für »Teamfähigkeit« stehen Handlungszusammenhänge: »sich schnell in einer Gruppe zurecht finden«, »in einer Gruppe verantwortlich Aufgaben übernehmen«, »in einer Gruppe Verantwortung übernehmen«, »andere in eine Gruppe integrieren können«. Generell gilt es Formulierungen zu finden, die nicht eine Eigenschaft einer Person bezeichnen, sondern das Können oder eine Tätigkeit oder eben eine Fertigkeit verstehen lassen. Der Coach sollte in diesem komplizierten und manchmal langwierigen Prozess darauf achten, ob er die beschriebene Tätigkeit tatsächlich detailgenau nachvollziehen kann. Ziel ist es, ein so konkretes Bild von den besprochenen Tätigkeitsbereichen zu erhalten, dass der Coach die jeweilige Tätigkeit Dritten erklären kann. Häufig äußern die Teilnehmer, dass es sich bei den geschilderten Fertigkeiten und Tätigkeiten doch um Selbstverständlichkeiten handele. Gerade darin liegt der Grund, warum diese Fertigkeiten so schwer zugänglich sind: Die betreffende Person beherrscht eine Tätigkeit in der Form, dass sie es gar nicht mehr nötig hat, über den genauen Ablauf ihrer Handlungen nachzudenken. Gerade diese »Selbstverständlichkeiten« gilt es aufzudecken und zu erkennen, dass es sich nicht um wertloses Handlungswissen handelt, bloß weil es dem Teilnehmer leicht und selbstverständlich von der Hand geht. Folgender Dialog ist bezeichnend und kommt mit großer Regelmäßigkeit im Verlauf des ersten Coachings so oder in ähnlicher Form vor:
Fertigkeiten scheinen häufig selbstverständlich
Beispiel
Teilnehmer: Das ist so schwierig, das zu beschreiben; das ist doch alles selbstverständlich. Das gehört doch einfach dazu. Coach: Dass Sie diese Tätigkeit häufig ausführen, bedeutet ja nicht, dass sie es deswegen nicht können. Teilnehmer: Nein. Coach: Kennen Sie Kolleginnen oder Kollegen, die das nicht tun könnten, was Sie den ganzen Tag tun? Teilnehmer: Ja, natürlich. Coach: Und was können Sie deshalb, was die anderen nicht können? Teilnehmer: Aber das ist ja ein Wahnsinn wenn wir das jetzt alles aufschreiben! Das ist ja so viel!
Meist stellt sich dieser Effekt erst nach der zähen Bearbeitung und Hinterfragung eines oder mehrerer Tätigkeitsbereiche ein. Dieser Aha-Effekt (»Darüber habe ich eigentlich noch nie nachgedacht, was alles dazu gehört, was ich da gemacht habe.«) kann ein Signal dafür sein, dass der Coach nun die weitere Bearbeitung dieses Tätigkeitsbereiches in Hausarbeit vollziehen lassen und sich einem neuen Bereich zuwenden kann.
Aha-Effekt
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Kapitel 4 · Eine Methode der kompetenzorientierten Laufbahnberatung: Die Kompetenzenbilanz
Es hat sich zudem bewährt, nicht alle im Coaching behandelten, Tätigkeitsbereiche erschöpfend zu analysieren. Der Vorteil einer unvollständigen Bearbeitung ist, dass die Teilnehmer in der Heimarbeit bereits einen Ansatzpunkt haben, von dem aus sie leichter beginnen können, als wenn sie zuerst eine Tätigkeit in Aufgabenbereiche aufgliedern müssten, was für sich genommen schon ein schwieriger Schritt ist. Eine weitere bewährte Vorgehensweise ist es, im Laufe des ersten Coachings sowohl eine berufliche Tätigkeit als auch eine familiäre Tätigkeit zu analysieren. Die Erfahrung zeigt, dass die Teilnehmer in den seltensten Fällen in der Lage sind, private Tätigkeiten als lernhaltig oder Fertigkeiten erfordernd zu betrachten, wenn eine Fokussierung in diese Richtung nicht bereits im Coaching stattgefunden hat.
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Können Selbsteinschätzung
Wie ausgeprägt ist das Können in diesem Bereich? Diese Spalte des Arbeitsblattes soll es den Klienten ermöglichen, ihr eigenes Können auf einer Skala zu verorten um später in einer Zusammenschau die besonders ausgeprägten Stärken erkennen und beschreiben zu können. Es handelt sich also nicht um objektives Messen, sondern um eine Selbsteinschätzung, die exemplarisch im Coaching vorgenommen werden sollte. Dabei sollte aber eine Überprüfung des Könnens vermieden werden. Dies gilt zumindest dann, wenn die Kompetenzenbilanz für die individuelle Beratung verwendet wird. In anderen Settings kann diese Skala auch vertieft hinterfragt werden. Es hat sich gezeigt, dass manche Teilnehmer sich mit einer eher komparativen Selbsteinschätzung leichter tun, als ihr Können auf einem eher abstrakten Niveau zu beschreiben. Bei anderen Teilnehmern verhält es sich genau umgekehrt. Es existieren also zwei verschiedene Skalen, um eine Selbsteinschätzung des Könnens zu ermöglichen. Zunächst die beiden Skalen: Können-Skala 1: 5 a) Grundlagenwissen: eine Tätigkeit unter Anleitung ausführen können 4 b) Zusammenhangswissen: eine Tätigkeit unter ähnlichen Bedingungen selbstständig ausführen 4 c) Detailwissen: eine Tätigkeit auch unter problematischen Umständen und veränderten Bedingungen ausführen 4 d) Erfahrungswissen, fachsystematisches Wissen: auch nicht vorhersehbare Aufgaben bewältigen können und in der Lage sein, das eigene Wissen systematisch weiterzugeben
Können-Skala 2: 4 4 4 4
a) b) c) d)
Grundlagenwissen: »die meisten können das besser als ich« Zusammenhangswissen: »ich kann das so gut wie andere« Detailwissen: »ich kann das besser als manche andere« Erfahrungswissen: »ich kann das besser als viele andere«
Es sollte den Teilnehmern überlassen bleiben, ob und welche Skala sie nutzen möchten. Dazu sei gesagt, dass die Skala 1 auf einem in der pädagogi-
83 4.2 · Verfahren
schen Psychologie gebräuchlichen, Konzept zur Beschreibung von Expertisegraden beruht. Skala 2 erlaubt dagegen nur eine kontrastierende Selbstbeschreibung mit einem geringen Grad an Objektivierung. Im Coaching-Gespräch besteht das Ziel darin, für einige Tätigkeitsbereiche eine Einschätzung vorzunehmen und die weitere Bearbeitung an die Teilnehmer zu delegieren. 0 i Hinweis Da es ja in der Kompetenzenbilanz nicht um eine objektive Einschätzung des Könnens der Teilnehmer geht, sondern um eine Standortbestimmung, eine Selbstreflexion und die Einschätzung der eigenen Stärken und Schwächen, sollte dieser Punkt von den Teilnehmer als Hinweis genutzt werden können, in der Zusammenschau zu erkennen, wo besondere Stärken und in welchen Bereichen weniger ausgeprägte Stärken zu finden sind. Beleg/Nachweis
Fragestellung: Gibt es ein Zeugnis, einen Beleg oder einen Nachweis für diese Tätigkeit oder auch für die nötigen Fertigkeiten? Auch diese Spalte sollte optional in Heimarbeit von den Teilnehmern ausgefüllt und im Coaching lediglich in Ansätzen bearbeitet und erklärt werden. Ähnlich wie die vorangegangene Spalte handelt es sich auch hier um einen Hinweis für die Teilnehmer, wie viele Tätigkeiten sie unter Umständen ausführen oder ausgeführt haben, ohne ein Zeugnis darüber zu besitzen und dass sie auch tatsächlich das für diese Aufgaben nötige Können besitzen. Außerdem wird dadurch angeregt, sich Arbeitszeugnisse ggf. nachträglich ausstellen zu lassen. Leitlinien für die Erarbeitung der Fertigkeiten im Verlauf des Gespräches 4 Es ist ratsam, zunächst einen Bereich herauszugreifen, der für die Teilnehmer gut beschreibbar und fassbar ist. Wichtig ist es, das Prinzip zu verdeutlichen, nach dem die Tätigkeit hinterfragt wird. Im nächsten Schritt empfiehlt es sich dann, auch eine komplexere Tätigkeit zu analysieren, da die Gefahr besteht, dass der Teilnehmer mit der selbstständigen Bearbeitung einer schlecht definierten Tätigkeit überfordert wäre. 4 Günstig ist es auch, nicht nur Tätigkeiten aus dem Berufsleben, sondern aus verschiedenen Bereichen heranzuziehen. Meist fällt es den Teilnehmern leichter, Arbeitstätigkeiten zu beschreiben und zu analysieren. Insbesondere die Analyse von Hausarbeit und Tätigkeiten im familiären Bereich werden von den Teilnehmern in den seltensten Fällen als Arbeit und Lernfeld erkannt. Es empfiehlt sich daher, auch aus diesem Bereich ein Tätigkeitsfeld genauer zu untersuchen. 4 Die Tätigkeitsbereiche sollen im Gespräch in möglichst kleine Handlungseinheiten zergliedert werden. Ein Beispiel: Gibt eine Person an, im Sekretariat viel zu kommunizieren, dann gilt es zu hinterfragen, wie viel, auf welche Weise und mit wem die Person spricht. Ein persönlicher Kontakt ist etwas anderes als ein Telefonkontakt, der sich wiederum stark vom Schriftverkehr unterscheidet. 4 Fertigkeit wird in der Kompetenzenbilanz als kleinster Handlungsschritt der Tätigkeit angesehen. Am vorangegangen Beispiel bedeutet dies: Kom-
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Kapitel 4 · Eine Methode der kompetenzorientierten Laufbahnberatung: Die Kompetenzenbilanz
munikation ist noch keine Fertigkeit, sondern sie ist ein Teilbereich der Tätigkeit. Die einzelnen, erlernbaren Elemente der Kommunikation, die in einer Tätigkeit wichtig sind, können als Fertigkeiten bezeichnet werden. Also in diesem Falle bspw.: Geschäftsbriefe verfassen, am Telefon verhandeln, Termine koordinieren, Gruppen moderieren … und was sonst noch zu diesem Bereich gehört. 4 Häufig »springen« die Teilnehmer bei der Analyse der Fertigkeiten zwischen Tätigkeits- und Kompetenzbegrifflichkeiten. Hier gilt es darauf zu achten sich im Gespräch auf die Handlungsebene zu beziehen und die Voraussetzungen für dieses Handeln (also etwa Kommunikationsfähigkeit oder Belastbarkeit) auszuklammern. »Was tun Sie genau?« sollte die Leitfrage sein, die mit einer Tätigkeit zu beantworten ist. Folglich sind Antworten, die mit der Formulierung »ich bin …« beginnen, bei der Analyse weiter zu hinterfragen. Auch Aussagen »ich bin aufmerksam«, »ich bin freundlich«, »ich bin kommunikativ« lassen sich durch weiteres Hinterfragen auf Handlungen beziehen, die nach außen hin nicht nur wirksam sondern auch unmittelbar sichtbar und somit auch beschreibbar werden. 4 Um das eigene Verständnis für die Tätigkeit zu hinterfragen, können sich die Coaches selbst immer wieder die Frage stellen, ob sie den Arbeitsprozess der Klienten jeweils so gut verstehen, dass sie ihn Dritten gegenüber erklären könnten. 4 Um »blinde Flecken« in der Wahrnehmung aufzuspüren, empfiehlt es sich immer wieder zu fragen (Beispiel): »Wenn eine Person also Termine vereinbaren, mit den Office-Anwendungen umgehen, Preisverhandlungen führen kann, Marktkenntnisse besitzt […] – dann kann sie diese Tätigkeit ausführen?« Meist lassen sich durch diese Frage noch weitere Bereiche der Tätigkeit und des Könnens erfahren, die von den Teilnehmern bis dahin als selbstverständlich angenommen worden sind. Anregungen für »problematische Fälle«, bspw. wenn Tätigkeitsbereiche schwer zu überschauen sind, wenig Regelmäßigkeiten aufweisen und als besonders komplex zu bezeichnen sind: 4 Gemeinsamkeiten zwischen den verschiedenen Tätigkeiten herausarbeiten, 4 typische Projektabläufe hinterfragen, 4 Situationen und Beispiele aus den Tätigkeiten hinterfragen, 4 inhaltliche Themenschwerpunkte herausarbeiten, 4 nach besonders erfolgreichen Projekten fragen, 4 Technik der kritischen Ereignisse (CIT), 4 Welche Projekte waren besonders lernhaltig? 4 Welche Projekte sind besonders typisch? 4 Was sind Arbeitsschritte in einem Tätigkeitsbereich oder in einem Projekt? 4 Lässt sich ein Projekt in typische Phasen unterteilen? 4 Wie wurden Ergebnisse erzielt? Welche Werte spielten dabei eine Rolle? 4 Warum ist der Job unübersichtlich? 4 »Was machen Sie in der Tätigkeit anders als andere?«
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Anregungen für den Fall, dass den Teilnehmern der Sinn des hohen Arbeitsaufwands nicht einleuchtet: 4 Ausblick über den weiteren Verlauf bieten, 4 Sinn der Reflexion erklären, 4 Mindestmaß, das zu bearbeiten ist, vereinbaren, 4 Beispiele aus der Arbeitsmappe erklären, 4 Tätigkeiten, die den Teilnehmern wichtig sind, zuerst behandeln, 4 den Teilnehmer dazu anregen, die Tätigkeiten auch mit Angehörigen oder mit Kollegen zu besprechen, 4 Prozess nicht im Gespräch abschließen, sondern so offen lassen, dass der Teilnehmer zu Hause genau weiß, wo und wie er weiterarbeiten soll. Anregungen für den Fall, dass der Prozess oberflächlich bleibt (die Teilnehmer verwenden hauptsächlich Schlagworte und erweisen sich für die detaillierte Analyse als schwer zugänglich). Dies wird an folgendem Beispiel für Teamfähigkeit deutlich: 4 Was ist Teamfähigkeit? 4 Aus welchen Leuten bestand das Team? 4 Welche Aufgabe hatten Sie in diesem Team? 4 Welche Aufgaben hatten die anderen Teammitglieder? 4 Welche Beiträge haben Sie im Team zur Erreichung des Arbeitsziels geleistet? 4 Gab es Konflikte im Team? 4 Welche Konflikte waren das? 4 Wie wurden diese Konflikte gelöst? 4 Welche Rolle haben Sie dabei gespielt? 4 … Anregungen für den Fall, dass Tätigkeiten und Fertigkeiten von dem Teilnehmer als selbstverständlich und keiner Analyse wert befunden werden: 4 typischen Arbeitstag schildern lassen, 4 Beispiele aus verschiedenen Bereichen geben lassen, 4 Problemsituationen und ihre Bewältigung hinterfragen, 4 Höhepunkte nennen lassen, 4 Arbeitshandlung verstehen → könnte ich als Coach das anderen Personen erklären? 4 »Was ist Ihnen in der Tätigkeit besonders wichtig?« (Werte, »Stil« der Arbeitsweise hinterfragen), 4 Unterschied zu anderen Mitarbeitern hervorheben. Grenzen: In wie kleine Handlungsschritte sollen die Tätigkeiten hinterfragt werden? 4 Grundsätzlich gibt es keine Begrenzung für die Detailliertheit der Analyse, 4 Grad der Reflexion sollte dem Teilnehmer überlassen bleiben und ggf. gemeinsam vereinbart werden. 4 Redundanzen, die zu keinen weiteren Erkenntnissen mehr führen, weisen darauf hin, dass eine Grenze in der Analyse erreicht ist. → Es sollte unbedingt vermieden werden, sinnlos Daten zu sammeln.
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Kapitel 4 · Eine Methode der kompetenzorientierten Laufbahnberatung: Die Kompetenzenbilanz
Ausrichtung der Methoden am Ziel
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Die Liste an Anregungen ließe sich an dieser Stelle noch fortsetzen. Zum Teil ist die Vorgehensweise auch von Vorerfahrungen der Coaches abhängig und die Kompetenzenbilanz sollte als Verfahren angesehen werden, das für verschiedene Methoden oder Kreativitätstechniken offen ist, um ein Lebensprofil oder Fertigkeiten zu erarbeiten. Dabei sollte jedoch stets auf das Prozessziel geachtet werden, das darin besteht, Material in so strukturierter Form zu sammeln, dass schließlich Fertigkeiten als Grundlagen für Kompetenzen erarbeitet werden. Eine Gefahr, unterschiedliche Methoden zu verwenden, besteht darin, Informationen zu sammeln, die unter Umständen interessante Anregungen für ein persönliches oder auch ein professionelles Gespräch bieten, die aber nicht die Kompetenzenbilanz fokussieren. Unter diese Techniken fallen solche, die bspw. Beziehungen der Personen zu ihren Eltern durch Familienaufstellungen, familiäre Stammbäumen oder ähnliche Methoden ergründen wollen. Dabei soll an dieser Stelle nicht gegen diese Vorgehensweisen argumentiert werden, die in ihren jeweiligen Settings und darüber hinaus bewährt sind und erfolgreich eingesetzt werden. Die Kompetenzenbilanz bietet jedoch keinen Platz für diese Methoden, die auf psychodynamischen Prozessen basieren und in der Regel hypothesengeleitet bestimmte Wirkzusammenhänge in der Biografie des Gegenübers annehmen. Die Kompetenzenbilanz soll aber gerade keine Methode sein, in welcher Deutung stattfindet, sondern in der es darum geht, Tätigkeiten von Personen zu analysieren, deren Zusammenhang mit der jeweiligen Lebensgeschichte zu erklären und die so gewachsenen Kompetenzen zu beschreiben. Anmerkung
Analyse der Fertigkeiten als Kernstück des Verfahrens
Als Coach mag die Beschränkung einer »ganzheitlichen« Sicht auf die Biografie des Teilnehmers als Bruch im Prozess erscheinen. Es mag wirken, als würde man sich nun von einer reichen und bereichernden Geschichte in die Niederungen bürokratischen Erarbeitens von Fertigkeiten begeben, wodurch der Blick auf die Person verstellt und das Lebensprofil entwertet wird. Diesen verständlichen Bedenken (verständlich vor allem, weil jeder Coach früher oder später einmal diese Erfahrung machen wird) sei an dieser Stelle heftig widersprochen: Denn gerade die detaillierte Analyse der Fertigkeiten bietet eine Grundlage dafür, Kompetenzen der Teilnehmer auch tatsächlich anhand von Handlungen zu belegen. Gerade in der Konkretheit der Beschreibung und in der Detailliertheit der Fertigkeiten liegt die Kraft der Kompetenzenbilanz. ! Wichtig Ohne eine solch detaillierte Analyse der Fertigkeiten wird eine Kompetenzenbilanz stets spekulativ und oberflächlich bleiben. Auch wenn man als Coach das gegenteilige Gefühl haben mag: nämlich, dass die Beschäftigung mit der Biografie eine Tiefenanalyse sei und die Besprechung der Fertigkeiten sich lediglich mit der Oberfläche beschäftige.
Auch an dieser Stelle sei auf das 7 Kapitel 5 verwiesen, in dem Nutzeneinschätzungen der Analyse der Fertigkeiten durch die Teilnehmer aufgeführt sind.
87 4.2 · Verfahren
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Abschluss des Gesprächs
Das Gespräch kann dann zu einem Abschluss kommen, wenn der Teilnehmer eindeutig verstanden hat, worin der Sinn und Zweck einer detaillierten Analyse von Tätigkeiten in Hinblick auf ihre Fertigkeiten liegt. Wie bereits erwähnt, ist dieser Punkt meist dann erreicht, wenn die Teilnehmer bemerken, wie viel Arbeit es eigentlich bedeutet, diese Fertigkeiten aufzulisten und wie komplex die eigenen Tätigkeiten tatsächlich sind. Es gilt im Folgenden die Aufgaben zu besprechen, die die Teilnehmer bis zum zweiten Coaching-Gespräch eigenständig ausarbeiten sollen, nämlich die begonnen Fertigkeiten-Listen möglichst zu vervollständigen. Wichtig ist hierbei, die Teilnehmer nach ihren zeitlichen Ressourcen zu fragen und unter Umständen gemeinsam zu überlegen, wann die Aufgabe erledigt werden kann. Außerdem muss gemeinsam besprochen werden, welches »Mindestmaß« an Tätigkeiten auf ihre Fertigkeiten hin analysiert werden sollten, damit im nächsten Gespräch effizient und effektiv weitergearbeitet werden kann. Es bietet sich an, gemeinsam einige Tätigkeitsfelder zu identifizieren, die ein möglichst breites Spektrum an Fertigkeiten abdecken. Darüber hinaus kann es von großem Nutzen für den weiteren Prozess sein, mit den Teilnehmern zwischen den Coachings per E-Mail in Kontakt zu bleiben. Es sollte ihnen freigestellt sein, ob sie die Bearbeitung der FertigkeitenListen per Hand oder anhand einer digitalen Version am PC vornehmen. Hier gibt es unterschiedliche Präferenzen, auf die Rücksicht zu nehmen ist. Die digitale Bearbeitung der Fertigkeiten-Listen bietet den Vorteil, dass der Teilnehmer die Ausarbeitungen an den Coach schicken kann, der die Listen als Vorbereitung für das zweite Gespräch durchsehen kann. Häufig bereitet es den Teilnehmern zunächst Schwierigkeiten, die Fertigkeiten-Listen selbstständig zu bearbeiten. Bei einer Bearbeitung per PC und entsprechendem Austausch bietet sich die Möglichkeit für Rückfragen, die am konkreten Beispiel beantwortet werden können. ! Wichtig Je reichhaltiger die Analyse der Fertigkeiten ausfällt, desto ergiebiger wird schließlich das zweite Gespräch und schließlich auch die gesamte Kompetenzenbilanz ausfallen.
4.2.3 2. Coaching Das 2. Coaching beinhaltet im Wesentlichen folgende Arbeitsschritte: 1. Begrüßung und Eröffnung des Gesprächs, 2. Besprechung der Fertigkeiten: Hinterfragen, Verstehen und Vervollständigen 3. »Finden« von Kompetenzen: Akkumulieren von Fertigkeiten zu Kompetenzbegriffen 4. Zuordnen der Kompetenzen in die vier Kompetenzbereiche, 5. Abschluss des Gespräches. Wie bereits für das erste Coaching-Gespräch, stellen wir auch für das zweite Gespräch die einzelnen Schritte im Detail dar.
Wie wird der Teilnehmer aus dem Gespräch entlassen?
»Hausaufgaben«
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Kapitel 4 · Eine Methode der kompetenzorientierten Laufbahnberatung: Die Kompetenzenbilanz
Begrüßung und Eröffnung des Gesprächs
Die Eröffnung des zweiten Gespräches kann nach den folgenden Leitfragen gestaltet werden: 4 Wie ist es Ihnen mit der Aufgabe gegangen? 4 Wie lange haben Sie sich mit den Materialien beschäftigt? 4 Gibt es noch Fragen zum ersten Gespräch? 4 Gab es dabei irgendwelche Probleme? 4 Was ist Ihnen besonders schwer gefallen? 4 Womit haben Sie sich leicht getan? 4 War es für Sie interessant, sich auf diese Weise mit Ihren Tätigkeiten und Fertigkeiten auseinander zu setzen? 4 Zum Abschluss dieses Gesprächsabschnittes sollte eine Vorschau auf den Verlauf der zweiten Coaching-Sitzung erfolgen.
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Besprechung der Fertigkeiten Hinterfragen, Verstehen und Vervollständigen
Nach der Gesprächseröffnung ist es zunächst wichtig, einen Überblick darüber zu erlangen, wie der Teilnehmer mit der Aufgabe selbst, weitere Tätigkeiten in Bezug auf die darin enthaltenen Fertigkeiten zu analysieren, weiter gekommen ist. Auch hier gilt die Devise, dass der Coach die Fertigkeiten soweit verstehen sollte, dass er die dokumentierten Tätigkeiten einer dritten Person gegenüber erklären kann. Dies ist eine unmittelbare Fortsetzung des ersten Gespräches. Nur sollte hier der Teilnehmer bereits in der Lage sein, anhand der Fertigkeiten-Listen die verschiedenen Tätigkeitsbereiche und die darin enthaltenen Fertigkeiten detailliert und strukturiert erklären zu können. Aufgabe des Coaches ist es in dieser Phase, die Aufzeichnungen des Teilnehmers (möglichst anhand von Kopien) durchzusehen und ggf. soweit zu ergänzen, dass er die Tätigkeiten des Teilnehmers einem außenstehenden Dritten erklären kann. Dieses Vorgehen dient den folgenden Zielen: 4 Es findet eine Kontrolle darüber statt, inwieweit die Inhalte des ersten Coachings vom Teilnehmer verstanden und verinnerlicht worden sind, so dass überprüfbar ist, ob er in der Lage ist selbstständig eine Analyse der eigenen Tätigkeiten durchzuführen, 4 Der Teilnehmer übt sich im zweiten Coaching-Gespräch darin, die Tätigkeiten aus der eigenen Biografie einer anderen Person gegenüber in strukturierter Weise darzustellen, 4 Der Coach erhält Material, aufgrund dessen er die Tätigkeiten des Teilnehmers nachvollziehen kann und auf das er später zurückgreifen kann, um das schriftliche Gutachten zu erstellen. ! Wichtig Wenn ähnliche Fertigkeiten in verschiedenen Tätigkeitsbereichen auftreten, kann dies ein Hinweis auf dahinter stehende Kompetenzen sein. Das Besprechen der Fertigkeiten ist also ein Schritt, der für die Akkumulierung von Fertigkeitsbegriffen zu Kompetenzbegrifflichkeiten unbedingt notwendig ist.
4 Leitlinien für das Besprechen und Vervollständigen der Fertigkeiten-Listen: 4 Tätigkeiten vom Teilnehmer erklären lassen
89 4.2 · Verfahren
4 Die einzelnen Fertigkeiten daraufhin hinterfragen, was mit den Begriffen genau gemeint ist 4 Fehlende Fertigkeiten schriftlich ergänzen und vom Teilnehmer auf dessen Unterlagen selbst ergänzen lassen, so dass dieser sämtliche Informationen auch anhand der eigenen Unterlagen nachvollziehen kann 4 Pauschale Begriffe auf eine Handlungs- und Fertigkeitsebene bringen 4 Redundante Fertigkeiten ggf. farbig anstreichen. (Sich wiederholende oder ähnliche Fertigkeiten bieten Hinweise darauf, dass diese sich zu einem Kompetenzbegriff zusammenfassen lassen) 4 Darauf achten, dass jede Tätigkeit vollständig erfasst wird, so dass sie einer dritten Person erklärt werden kann ! Wichtig Der erste Schritt des zweiten Coaching-Gespräches (Besprechung der Fertigkeiten) sollte eine Dauer von ca. 45 Minuten nicht überschreiten.
Aus der Praxis stehen allerdings den genannten Ansprüchen zwei mögliche Umstände entgegen: a) der Teilnehmer bringt zu wenig Material in das zweite Gespräch mit b) der Teilnehmer hat so viele verschiedene Tätigkeiten so intensiv bearbeitet, dass ein umfassendes Durchsprechen der einzelnen Fertigkeiten den Rahmen des Gesprächs sprengen würde.
Hindernisse
a.) Betrachten wir zunächst den Fall, dass der Teilnehmer zu Hause kaum oder
gar nicht dazu gekommen ist, weitere Tätigkeiten auf ihre Fertigkeiten hin zu beschreiben. Dabei gehen wir bei der hier dargestellten Variante davon aus, dass für einen Coaching-Prozess lediglich 3 Sitzungen zzgl. Einführungsworkshop zur Verfügung stehen. Es kommt gelegentlich vor, dass die Teilnehmer nicht ausreichend vorbereitet zur zweiten Sitzung erscheinen. Es darf in diesem Fall nicht genug sein, den Coach von jeglicher Verantwortung freizusprechen. Es sollte also nun überlegt werden, wie es trotz des lückenhaften Materials möglich ist, den Prozess der Kompetenzenbilanz befriedigend weiterzuführen. In der Praxis 1.000 durchgeführter Kompetenzenbilanzen hat es sich selten bewährt, Termine wegen unzureichend vorbereiteter Materialien zu verschieben. Die Erfahrung zeigt, dass Klienten, denen eine Woche für die Ausarbeitung der Materialien nicht ausreicht, auch nach mehreren Terminverschiebungen nur selten vorbereitet zu einem der Coachings erscheinen. Vielmehr verschleppt sich auf diese Weise der gesamte Prozess und büßt an Intensität und Stringenz ein. Es sich bewährt die Kompetenzenbilanz notfalls mit unzureichenden Materialien fortzusetzen, anstatt den Termin mehrfach zu verschieben. ! Wichtig Wenn die Verantwortung für Inhalte des Coachings im Sinne einer klientenzentrierten Beratung beim Teilnehmer liegt, so liegt auch das Fehlen der Inhalte in dessen Verantwortung. Der Coach, dem die Zuständigkeit für den Prozess zufällt, muss auf die Fortsetzung der Kompetenzenbilanz achten. Er trägt im Auftrag des Teilnehmers die Verantwortung hierfür und muss deshalb notfalls auch bereit sein, inhaltliche Lücken in Kauf zu nehmen.
Termine zu verschieben lohnt sich selten
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Kapitel 4 · Eine Methode der kompetenzorientierten Laufbahnberatung: Die Kompetenzenbilanz
Struktur beibehalten
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Aus diesen Feststellungen folgt, dass sich der Prozess des zweiten Coachings kaum dadurch verändern sollte, dass der Teilnehmer kaum oder keine weiteren Fertigkeiten ausgeführt hat. Vielmehr sollten auch in diesem Fall höchsten 60–75 Minuten darauf verwendet werden, die Fertigkeitsanalyse aus der ersten Sitzung fortzusetzen. Wenn ein Teilnehmer seine »Hausaufgaben« nicht gemacht hat, so sollte der Coach im Detail nachfragen, was die Gründe dafür sind. Er sollte ein Verständnis dafür entwickeln, in welcher Situation sich sein Klient befindet: Wenn er schildert, warum er nicht dazu gekommen ist, die Unterlagen zu bearbeiten, kann dies wichtige Hinweise über die Lebensumstände, zeitliche Ressourcen etc. bieten. Erkenntnisse und Überlegungen diesbezüglich können wiederum beim Abschluss der Kompetenzenbilanz – bei der Entwicklung von nächsten Schritten und eines Aktionsplanes – eine entscheidende Rolle spielen. Andererseits hat der Teilnehmer die Fertigkeiten möglicherweise auch deshalb nicht selbstständig ausgearbeitet, weil der den Prozess nicht genau verstanden hat oder den Sinn dieser Detailanalyse nicht nachvollziehen kann. Ganz gleich, aus welchem Grund die Fertigkeiten-Listen nicht vorliegen: Der Coach muss den Grund hierfür herausfinden und in das weitere Vorgehen einbeziehen. Sonst wird der Erfolg des gesamten weiteren Prozesses abgeschwächt oder das Coaching muss sogar abgebrochen werden.
Leitlinien für den Umgang mit unzureichenden Unterlagen im zweiten Coaching-Gespräch: 5 Nachfragen woran es lag, dass die Unterlagen nicht bearbeitet werden konnten (Verständnis der Aufgabe, Einsicht in den Sinn der Aufgabe, zeitliche Hinderungsgründe) 4 Ausblick geben, dass eine Bearbeitung der Kompetenzenbilanz dennoch möglich ist und auf welche Weise dies nun stattfinden kann (längere Beschäftigung mit Fertigkeiten als vorgesehen, eventuell Anreicherung der Fertigkeiten per Mail usw.) 4 Die dokumentierten Fertigkeiten nochmals kurz durchsprechen und ggf. ergänzen 4 In angemessenem zeitlichem Rahmen (60–75 Minuten) weitere Tätigkeiten auf Fertigkeiten hin abfragen und analysieren
! Wichtig Ziel sollte es immer sein, im vorgegebenen Zeitrahmen genügend Material zu sammeln, um nach drei Coachings ein schriftliches Gutachten erstellen zu können. Innerhalb dieses engen Zeitkorsetts macht sich jede zeitliche Verschleppung unmittelbar im nächsten Gespräch bemerkbar und spätestens im Abschlussgespräch wird dann die Zeit fehlen, gemeinsam mit dem Teilnehmer nächste Schritte, die sich aus der Kompetenzenbilanz ergeben, zu besprechen. Wie wir noch sehen werden, ist jedoch diese Zukunftsaussicht von entscheidender Bedeutung für eine nachhaltige Zufriedenheit mit dem Prozess der Kompetenzenbilanz.
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b.) Auch in diesem Fall ist es im Sinne der Kompetenzenbilanz und damit
auch im Sinne des Teilnehmers zunächst vor allem wichtig, die Zeitstruktur der Kompetenzenbilanz im Auge zu behalten und somit dem Teilnehmer zu ermöglichen, alle Teile des Verfahrens zu durchlaufen. Dies erweist sich jedoch dann als schwierig, wenn der Teilnehmer statt einiger weniger ausgearbeiteter Tätigkeiten (oder, wie eben besprochen, gar keiner ausgearbeiteten Fertigkeiten) eine geradezu erdrückende Anzahl von ausgefüllten Arbeitsblättern vorlegt. Ausarbeitungen des Teilnehmers können einen Umfang von bis zu 40 Seiten erreichen. Es stellt sich die Frage, wie dieses Material angemessen gewürdigt und gesichtet werden kann, ohne die Zeit zu sehr zu überschreiten oder auch ohne eine unter Umständen wichtige Tätigkeit zu unterschlagen. Für diesen Fall gibt es kein Patentrezept.
Auswählen der wichtigsten Tätigkeiten
Folgende Leitlinien sollten jedoch beachtet werden: 5 Den Teilnehmer für die ausführliche Ausarbeitung der Fertigkeiten loben 4 Ausblick darüber geben, dass eine erschöpfende Besprechung der Fertigkeiten im Rahmen des zweiten Coachings nicht möglich sein wird 4 Nachfragen, welche Tätigkeiten der Teilnehmer im Coaching besprechen möchte, welche Tätigkeiten besonders wichtig waren 4 Möglichst mehrere Tätigkeiten aus verschiedenen Bereichen vollständig besprechen – also nicht ausschließlich berufliche oder ausschließlich familiäre Tätigkeiten besprechen, sondern sowohl berufliche als auch familiäre oder andere Tätigkeiten und Interessen im Gespräch behandeln 4 Darauf achten, ob sich u. U. Redundanzen feststellen lassen: vielleicht ähneln sich verschiedene Tätigkeiten, so dass es sinnvoll ist, den besten Repräsentanten für einen Tätigkeitsbereich eingehend zu besprechen und einen ähnlichen Tätigkeitsbereich überblicksartig zu streifen um festzustellen, dass hier ggf. ähnliche Fertigkeiten dokumentiert worden sind
»Finden« von Kompetenzen und Werten – Akkumulieren von Fertigkeiten zu Kompetenzbegriffen Vorbemerkung
Beim »Finden« der Kompetenzen handelt es sich um einen abstrakten Vorgang, der eine eingehendere Kenntnis der Theorie von Kompetenz und Kompetenzentwicklung voraussetzt und in seiner Komplexität nur durch konkrete und supervidierte Übung mit Teilnehmern erlernt werden kann. Letztlich ist für eine der Kompetenzenbilanz entsprechende Vorgehensweise eine Ausbildung zum Kompetenzenbilanz-Coach erforderlich, in deren Rahmen eine fundierte Grundsteinlegung stattfindet. Das zu Grunde liegende Prozesswissen lässt sich nur bedingt theoretisch vermitteln und sollte mehrfach erprobt werden, bevor ein Einsatz unter »ernsten« Bedingungen erfolgt.
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Komplexer Prozess
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Kapitel 4 · Eine Methode der kompetenzorientierten Laufbahnberatung: Die Kompetenzenbilanz
Theoretische Grundlegung Gleichung mit zwei Unbekannten
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Wir wollen an dieser Stelle noch einmal die Prinzipien und den theoretischen Hintergrund des Verfahrens praxisbezogen darstellen, um Anregungen dafür zu geben, auf welche Weise Kompetenzen im Sinne einer kompetenzorientierten Laufbahnberatung »gefunden« werden können. Führen wir uns hierfür noch einmal vor Augen, welche Arbeitsdefinition von Kompetenzen wir bislang verwendet haben um Sie beschreiben zu können: Definition Kompetenzen sind Befähigungen einer Person, mit neuen Situationen und bisher unbekannten Handlungsanforderungen erfolgreich umgehen zu können und sich für diese zuständig zu erklären.
Kompetenzen als Konstrukte
Wir haben also eine Gleichung mit zwei Unbekannten vor uns: Die erste Unbekannte ist die Person, deren Eigenschaften oder Kompetenzen wir erfassen wollen, die zweite sind die Kriterien, anhand derer die Person gemessen werden soll. Ein zynischer Kritiker könnte aus Sicht der Testtheorie vorwerfen, hier fände eine Messung mit einem unbeschriebenen Maßband an einem unsichtbaren Gegenstand statt. Wie können wir dennoch rechtfertigen, in der von uns vorgeschlagenen Weise vorzugehen? Kompetenzen sind Hypothesen darüber, welche Ausstattung Personen mitbringen, um mit künftigen Aufgaben zurecht zu kommen (7 vgl. Kap. 3). Das Wort Kompetenz ist somit als Übergangsbegriff zwischen vergangenem Verhalten und künftigen Anforderungen zu verstehen. Ähnlich ist es mit den Anforderungen: Anforderungen können im Sinne der Kompetenzenbilanz retrospektiv sehr genau erfasst werden. Die situative Frageweise und die CIT (»critical incident technique«) bilden valide Möglichkeiten, zurückliegende Anforderungen der Teilnehmer zu messen. Ausgehend von dieser Erfassung von Anforderungen werden Hypothesen darüber gebildet, wie sich Personen in ähnlichen Situationen mit ähnlichen Anforderungen in der Zukunft verhalten werden, bzw. ob sie die Kompetenzen mitbringen, diesen möglichen Anforderungen gerecht zu werden. Aber noch einmal zurück zu den Kompetenzen – ist dies doch der in diesem Zusammenhang wesentlich kompliziertere und vor allem neuere und weniger geklärte der Begriffe. Versuchen wir, die oben angeführte Definition von Kompetenzen und die eben geschilderten konstruktivistischen Implikationen in einem Sinne umzuformulieren, damit ihr Sinn und Nutzen für die praktische Arbeit im Rahmen des Beratungsprozesses deutlich wird: Definition Kompetenzen sind Konstrukte, die uns dabei helfen sollen, die Beziehung zwischen vergangenen Handlungen und ihrer Vorhersagekraft in Bezug auf künftige Anforderungen beschreiben zu können.
Wie können nun solche Konstrukte benannt und systematisiert werden? Sehen wir uns noch einmal die vier Kompetenzbereiche und Beispiele
Beispiele
an:
93 4.2 · Verfahren
. Tab. 4.3. Beispiele für Kompetenzen in den verschiedenen Kompetenzbereichen: Fachliche Kompetenzen
Methodische Kompetenzen
Ausbildungen und Abschlüsse
Aufgaben und Arbeiten planen
Computerkenntnisse
ausgeprägtes Problemlöseverhalten
Handwerke
Methoden zum Wissenserwerb beherrschen
Markt-Know-how
freies Sprechen vor Gruppen
Betriebswirtschaftliche Kenntnisse
Sitzungen nachvollziehbar protokollieren
Präsentationen erstellen
Prozesse organisieren
Zeichnen
planen
Texte verfassen
systematische Zeiteinteilung
Sprachenkenntnisse
transparentes Arbeiten
…
…
Personale Kompetenzen
Soziale Kompetenzen
Abstraktionsvermögen
andere in eine Gruppe integrieren
Anpassungsbereitschaft
in der Gruppe Verantwortung übernehmen
Ausdauer und Belastbarkeit
Kooperationsfähigkeit
Begeisterungsfähigkeit
Anpassungsfähigkeit
eigenverantwortliches Handeln
Beziehungen aufbauen
Bereitschaft zur Selbstentwicklung
Durchsetzungsvermögen
räumliche Flexibilität
Einfühlungsvermögen
eigene Entscheidungen treffen
Gemeinsam eine Aufgabe lösen
…
…
Für die Teilnehmer ist es mitunter hilfreich sich eine Liste von Kompetenzbegriffen vor Augen zu führen, in der Beispiele für enthalten sind. Es gibt hier unterschiedliche Ansätze, um verschiedene und beliebig lange Listen solcher Kompetenzbegriffe anzufertigen. Es besteht auch die Möglichkeit, einen »Atlas« feststehender Kompetenzbegriffe vorzulegen, in welchem genau umschriebene Kompetenzen und deren inhaltliche Bedeutung definiert ist (wie es etwa im Verfahren KODE® geschieht). Um den Teilnehmern die inhaltliche Bedeutung abstrakter Begriffe wie »personale Kompetenz« oder »methodische Kompetenz« zu vermitteln, bieten sich folgende Leitfragen an: 4 Soziale Kompetenzen: Wie gehe ich mit anderen Personen um? 4 Methodische Kompetenzen: Wie gehe ich mit Problemen um? Wie gehe ich an Probleme heran?
Kompetenzlisten als Hilfestellung
4
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Kapitel 4 · Eine Methode der kompetenzorientierten Laufbahnberatung: Die Kompetenzenbilanz
4 Personale Kompetenzen: Wie gehe ich mit mir selbst um? Was habe ich für Eigenschaften? 4 Fachliche Kompetenzen: Was sind meine fachlich gelernten Voraussetzungen, um mit Aufgaben umzugehen? Beispiele Redundante Fertigkeiten
4
Wie bereits im vorangegangenen Arbeitsschritt zur Analyse der Fertigkeiten beschrieben, geht es beim Feststellen der Kompetenzen vor allen Dingen darum, Redundanzen (im Sinne sich wiederholender Aufgaben- und Tätigkeitsmuster)in den Fertigkeiten der Teilnehmer zu finden. Was bedeutet das genau? 5 Hat der Teilnehmer in verschiedenen Zusammenhängen Organisationsaufgaben ausgeführt? (Bspw. im beruflichen Bereich verschiedene Tätigkeiten, in denen die Person organisieren musste und private Aktivitäten wie in Verein o. ä., in deren Rahmen die Person Aktivitäten organisiert hat.) 4 War der Teilnehmer in verschiedenen Lebensbereichen oder in unterschiedlichen Tätigkeiten in Gruppen tätig? (Bspw. Tätigkeiten in verschiedenen Arbeitsgruppen oder gemeinsames Lösen von Aufgaben im privaten Bereich) 4 Fällt es auf, dass der Teilnehmer sich komplexe Wissensinhalte selbstständig angeeignet hat? (Bspw. selbstständige Erarbeitung von Wissen, das die Person beruflich einsetzen konnte) 4 War der Teilnehmer besonderen Belastungen ausgesetzt, die er jeweils gut bewältigen konnte? (Bspw. Berufstätigkeit und gleichzeitig häusliche Pflege eines kranken Familienmitglieds, Hausfrau) 4 Zeichnet sich der Teilnehmer dadurch aus, mit vielen unterschiedlichen Aufgaben in einem Zeitraum umgegangen zu sein? (Bspw. Berufstätigkeit und Tätigkeit als Hausfrau und ehrenamtliche Tätigkeiten) 4 …
Das Vorgehen Sortieren ähnlicher Fertigkeiten
In der Praxis hat es sich bewährt, bereits während der Analyse und dem Besprechen der Fertigkeiten solche Redundanzen der Teilnehmer zu notieren, so dass für den Schritt zur Akkumulierung dieser ähnlichen Fertigkeiten und Tätigkeiten zumindest der Coach bereits schriftliches Material vorliegen hat, um davon ausgehend erste Vorschläge für die Zusammenfassung des umfangreichen Fertigkeiten-Materials anbieten zu können. Im weiteren Verlauf des Gespräches geht es nun darum, die Kompetenzbegriffe gemeinsam mit dem Teilnehmer angemessen zu formulieren und schriftlich festzuhalten. ! Wichtig Der Coach sollte dem Teilnehmer keinesfalls die Formulierungen für die einzelnen Kompetenzen vorgeben. Vielmehr ist es ein wichtiger Bestandteil des Verfahrens, dass die richtigen Begriffe für die 6
95 4.2 · Verfahren
4
Kompetenzen von dem Teilnehmer selbst kommen bzw. im Dialog auf eine Weise entstehen, dass er sich mit dem gefundenen Begriff und der entsprechenden Formulierung voll identifizieren kann.
Je nach Entwicklung der Gespräche ergeben sich unterschiedliche Modelle, nach denen im zweiten Gespräch Kompetenzen identifiziert werden können. Im Wesentlichen werden dies folgende zwei Möglichkeiten sein, wobei – je nach Erfahrung des Coaches und auch nach Einfallsreichtum des Teilnehmers – sicher noch weitere Vorgehensweisen möglich sind, um Kompetenzen zu systematisieren:
Zwei Wege, Kompetenzen zu entdecken
5 Formulierung aus der Besprechung der Tätigkeiten. In diesem Fall schreiben die Coaches Kompetenzbegriffe auf Kärtchen oder auf einen Zettel, während sie zusammen mit dem Teilnehmer die Tätigkeiten besprechen. Diese Begriffe können bereits während des Gespräches gemeinsam hinterfragt werden. Im Wesentlichen sollte die Analyse und genauere Ausformulierung jedoch anschließend an die Besprechung der Tätigkeit erfolgen. Auf diese Weise greifen der erste und der zweite Teil des Gespräches ineinander. Die Begriffe werden dann im zweiten Teil des Gespräches diskutiert und abgewandelt. Außerdem ist es reizvoll, die notierten Begriffe im Dialog mit den Teilnehmern an einer Pinnwand den vier Kompetenzbereichen zuzuordnen. Die Teilnehmer sollten hier selbst möglichst aktiv werden können, um eine tiefere Einsicht in die spezifischen Qualitäten der unterschiedlichen Kompetenzbereiche zu gewinnen. Zusätzlich kann ein Raum an der Pinnwand für den Bereich »Werte« genutzt werden. Ähnliche Begriffe können auf diese Weise auch nahe zueinander gehängt werden, wodurch unter Umständen ein neuer Überbegriff entstehen kann. 4 Redundanzen von Fertigkeiten. Es ist auch möglich, nach der Besprechung der Fertigkeiten, also im zweiten Teil des Gespräches, den Teilnehmer zu fragen, welche der identifizierten und ausformulierten Fertigkeiten er als zusammengehörig empfindet. Diese Fertigkeiten werden nun (auch farbig) angestrichen. Im nächsten Schritt werden für diese Fertigkeiten übergeordnete Kompetenzbegriffe gesucht. Wichtig ist hierbei, wie bei allen anderen Schritten, dass der Coach nicht suggestiv vorgeht und dem Teilnehmer Begriffe vorformuliert, die nicht voll von Seiten des Teilnehmers verstanden und gestützt werden. Die Passung zur Person sollte bei der Begriffsfindung oberste Priorität besitzen. Unbedingt zu vermeiden sind natürlich außerdem Übertreibungen (7 Kap. zur Gestaltung des Zertifikates). Anschließend oder begleitend erfolgt die Einordnung der Kompetenzen in die unterschiedlichen Bereiche.
Das Sammeln und Formulieren von Kompetenzbegriffen ist ein Prozess, der für die Teilnehmer sehr bereichend sein kann. Viele Teilnehmer sind sehr zufrieden, wenn sie während des Gespräches feststellen, dass sie sich durch die Kompetenzbegriffe als Person adäquat beschrieben fühlen.
Beschreibung der Persönlichkeit durch Kompetenzen
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Kapitel 4 · Eine Methode der kompetenzorientierten Laufbahnberatung: Die Kompetenzenbilanz
! Wichtig Der Coach sollte darauf hinweisen, dass es sich hierbei um eine vorläufige Sammlung der Kompetenzen handelt, die insbesondere für die Erstellung der schriftlichen Bilanz begrifflich und inhaltlich abgewandelt werden kann.
Folgende Leitfragen sollen dazu dienen, zu überprüfen, ob der Prozess des Formulierens von Kompetenzen abgeschlossen ist: 4 Was versteht der Teilnehmer genau unter dem jeweiligen Kompetenzbegriff? 4 Möchte der Teilnehmer sich selbst diese Kompetenz zuschreiben? 4 Finden sich ausreichende Belege für die Kompetenz? 4 Passt der Begriff für die Kompetenz? 4 Ist der Begriff ein Allgemeinplatz, ein Schlagwort oder ein Modewort? 4 Ist die Liste der Kompetenzen vollständig? 4 Sind alle Tätigkeiten (insbesondere auch die nicht-beruflichen) erfasst und untersucht worden? 4 Fehlt noch eine wichtige Kompetenz?
4
Systematisieren von Kompetenzbegriffen Kompetenzen belegen
Keine Kompetenzen ohne detaillierte Fertigkeiten
Unabhängig davon, welche Vorgehensweise sich im Verlauf des Gespräches für das Formulieren und Sammeln der Kompetenzbegriffe ergeben hat, werden Teilnehmer und Coach schließlich zu einer mehr oder weniger langen Liste von Kompetenzen gelangt sein, die es im Folgenden zu systematisieren gilt. Ausgehend von der oben angeführten Definition von Kompetenzen, die diese als Hypothesen für künftiges Verhalten betrachtet, können Kompetenzen als Behauptungen verstanden werden. Coach und Teilnehmer behaupten also, aus dem bisherigen Prozess belegen zu können, dass der Teilnehmer eine bestimmte Kompetenz besitze. In einem diskursiven Prozess sollten Behauptungen stets durch Argumente belegt werden können. Aufgabe der zweiten Hälfte des zweiten Coachings ist es also einerseits, Behauptungen über die Kompetenzen aufzustellen (also die entsprechenden Formulierungen für einzelne Kompetenzen zu finden) und außerdem Argumente für diese Behauptungen zusammenzutragen. Als Argumente verstehen wir im Rahmen der Kompetenzenbilanz Tätigkeiten, anhand derer die genannte Kompetenz offenbar und somit nachprüfbar wird. Diese Nachweise speisen sich aus den im ersten Coaching, in der Heimarbeit und im zweiten Coaching zusammengetragenen Tätigkeitsbereichen und Fertigkeiten. Es findet also in gewisser Weise ein, der Analyse der Fertigkeiten entgegengesetzter, Prozess statt: Wurden zuerst Tätigkeitsfelder auf kleinste Handlungsschritte untersucht (Fertigkeiten), so werden nun Überbegriffe für diese Fertigkeiten formuliert und durch Tätigkeiten belegt. Was zuvor in Einzelheiten zerlegt wurde wird nun wieder in anderer Form und in einem anderen Sinnzusammenhang zusammengesetzt. Hier wird auch der Zweck der vorausgegangenen Detailanalyse deutlich: ! Wichtig Je detaillierter die Fertigkeitenanalyse ausgefallen ist, desto präziser wird der Teilnehmer nach der Kompetenzenbilanz in der Lage sein, die eigenen Kompetenzen vor anderen und auch vor sich selbst zu belegen.
97 4.2 · Verfahren
4
In der Kompetenzenbilanz sind hier zur Unterstützung Arbeitsblätter vorgesehen, die eine strukturelle Beziehung zwischen Kompetenzen und ihren Belegen stichwortartig zu ermöglichen. Für jeden Kompetenzbereich existiert ein gesondertes Arbeitsblatt: . Tab. 4.4. Arbeitsblatt für das Sammeln und Belegen von Kompetenzen Soziale/fachliche/personale/methodische Kompetenzen Kompetenz
An welchen Tätigkeiten und Fertigkeiten lässt sich die Kompetenz belegen?
Einfühlungsvermögen
Pflege der Schwiegermutter; familiäre Tätigkeiten; reittherapeutische Bewegungstherapie
Organisationsfähigkeit
Aufbau der »Initiative für Bewegungstherapie mit Pferden«; Bau des Eigenheimes; Doppelbelastung: Familie und Beruf; Zimmereinteilung erstellen; Einrichten des Partyservice der Metzgerei; Feste organisieren
kundenorientiert arbeiten
Gäste der Pension betreuen; Kundenbetreuung im Restaurant; Gäste an der Rezeption betreuen; in der Metzgerei auf Kundenwünsche eingehen.
betriebswirtschaftliche Kenntnisse anwenden
Belege sortieren und zuordnen; Finanzplanung des Eigenheims; Aufbau der »Initiative für Bewegungstherapie mit Pferden«
Offenheit
In der Familie war Offenheit ganz besonders wichtig. Deshalb ist es mir auch im Freundeskreis und im Beruf extrem wichtig, Probleme sofort und offen anzusprechen. Wenn das nicht geht, fühle ich mich nicht wohl.
Werte
Wir haben uns schon an anderer Stelle um die theoretische Grundlegung von Werten und Werthaltungen im Zusammenhang mit der kompetenzorientierten Laufbahnberatung beschäftigt. An dieser Stelle beziehen wir die dargestellten Inhalte noch einmal auf den Prozess der Kompetenzenbilanz. Wie also lassen sich theoretische Erwägungen über Werte und ihre Bedeutung als »Leuchtfeuer für die Zukunft« in den praktischen Beratungsprozess integrieren? Welchen Platz nehmen die Werte in der Kompetenzenbilanz ein und auf welche Weise können sie nutzbringend für den weiteren Prozess thematisiert werden? Erinnern wir uns zunächst daran, dass wir den Wertvorstellungen der Teilnehmer bereits früher im Prozess begegnet sind, nämlich im Rahmen der »Biografischen Sammlung«, die während des Einführungsworkshops angefertigt wurde. Hier haben die Teilnehmer niedergeschrieben, welche Werte im Elternhaus und in der eigenen Biografie ausschlaggebend waren und in der aktuellen Situation besonders wichtig sind.
Werte sind integraler Bestandteil der Kompetenzenbilanz
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Kapitel 4 · Eine Methode der kompetenzorientierten Laufbahnberatung: Die Kompetenzenbilanz
! Wichtig Im Rahmen der Kompetenzenbilanz ist es nicht möglich, sich nicht mit den Werten der Personen zu beschäftigen.
Spätestens bei der Erörterung von nächsten Schritten und Zielen der Teilnehmer, wird es um die Wertorientierung der Personen gehen. Meist jedoch treten Wertbegriffe bereits bei der Bildung von Kompetenzbegriffen auf. Aus diesem Grund wollen wir uns an dieser Stelle noch einmal mit den Werten beschäftigen und uns überlegen, in welcher Weise diese sinnvoll und gewinnbringend im Gespräch Platz finden können.
4
! Wichtig Leitlinie ist hier wie bei allen Teilen der Kompetenzenbilanz, dass keine Daten produziert werden sollen, die nicht später nochmals aufgegriffen werden oder der Erstellung der schriftlichen Kompetenzenbilanz dienen. Gerade diese Stringenz des Ablaufes ist es, die den Prozess der Kompetenzenbilanz auszeichnet. Werte sind schwer hinterfragbar
Werte vervollständigen das Bild
Meist wird sich im zweiten Coaching-Gespräch während der Formulierung und Zuordnung der Kompetenzbegriffe herausstellen, dass sich einige Begriffe nicht sinnvoll in die Kategorien soziale, fachliche, methodische oder personale Kompetenzen einordnen lassen. Die Teilnehmer sträuben sich etwa dagegen, Begriffe wie Disziplin, Gerechtigkeit, Ordnung oder Achtung vor anderen in eine der vier Kompetenzkategorien einzuordnen. Sie bestehen darauf, dass sie diesen Begriff gar nicht recht belegen könnten, sondern dass er ihnen grundsätzlich wichtig ist und zwar in allem, was sie tun. Häufig finden sich hier Aussagen wie »Das kann ich gar nicht sagen, warum das so ist. Das ist mir eben wichtig. Andere machen das anders. Aber das bin einfach ich!« Das kann ein deutlicher Hinweis darauf sein, dass man sich gerade über eine Wertorientierung unterhält, die nur schwer hinterfragbar und tief in der Biografie verankert ist. Nichtsdestotrotz handelt es sich bei einer solchen Aussage kaum um eine Ausnahme, sondern vielmehr um den Regelfall in Bezug auf einige Begriffe, die im Laufe des zweiten Coachings formuliert und dann zugeordnet werden. Nachdem meist also die Kompetenzbegriffe in irgendeiner Weise visualisiert und den einzelnen Kompetenzbereichen zugeordnet werden, wird eine weitere, fünfte Kategorie »Werte« eröffnet. Hier können die im Laufe des zweiten Coachings auftauchenden Wertebegriffe eingeordnet und festgehalten werden.Analog zu den Belegen und Argumenten, die die Teilnehmer für ihre Kompetenzen sammeln, können sie auch anhand von Leitfragen eine Stoffsammlung zu ihren einzelnen Werten anfertigen. Zudem bietet es sich an, den Teilnehmern ein Blatt zur strukturierten Auflistung von Werten zur Verfügung zu stellen, das den Arbeitsblättern zur Dokumentation der Kompetenzen entspricht. ! Wichtig Die Teilnehmer sollten darauf hingewiesen werden, dass sich in der »Biografischen Sammlung« aus dem Einführungsworkshop einige Hinweise für die Herkunft der Werte und ihren Zusammenhang finden können.
99 4.2 · Verfahren
. Tab. 4.5. Beispiel für eine ausgefüllte Werteliste Wert
In welchen Situationen ist mir dieser Wert besonders wichtig? Woher stammt dieser Wert?
Fleiß
Im Beruf und privat besonders wichtig. Ich möchte meine Aufgaben gut machen und dafür auch Anerkennung von anderen erfahren. Nicht um besser zu sein als andere, sondern um zu sehen, dass ich meine Sache gut mache. Meinen Eltern war dies auch schon wichtig.
Achtung vor anderen Menschen
Aus der Zeit im Zivildienst im Altenheim. Mit allen Menschen muss man so umgehen, dass man ihnen das Leben möglichst lebenswert macht und ihnen zeigen, dass sie gleich viel Wert sind.
Gerechtigkeit
…
Folgende Leitfragen sind für die selbständige Heimarbeit der Teilnehmer sinnvoll: 5 In welchen Situationen ist Ihnen dieser Wert besonders wichtig gewesen? 4 Woher stammt dieser Wert? 4 In welchen Situationen fällt es Ihnen schwer, diesem Wert gemäß zu leben? 4 Wann haben Sie gemerkt, dass Ihnen dieser Wert besonders wichtig ist? 4 Wie können Sie diesen Wert in ihrer derzeitigen Situation verwirklichen (privat und beruflich)?
Zudem sollten die Teilnehmer darauf hingewiesen werden, dass Entscheidungen über die eigene Zukunft – abgesehen von rein praktischen Erwägungen – meist in hohem Maße wertgeleitet getroffen werden. Um die Notwendigkeit der »Wertarbeit« zu unterstreichen, machen wir einen kurzen Exkurs als Vorgriff auf die im letzten Coaching-Gespräch stattfindende Zielarbeit: Wie schon mehrfach erwähnt ist es nicht vornehmlich das Ziel der Teilnehmer der Kompetenzenbilanz, sich radikal zu verändern. Wenn auch viele Teilnehmer zunächst mit diesem Ziel die Kompetenzenbilanz beginnen, geschieht durch das Verfahren eine derartige Aufwertung des bisherigen Weges und der derzeitigen Tätigkeit, dass die Teilnehmer zum Teil sehr erleichtert sind festzustellen, dass sie sich gar nicht radikal verändern müssen, sondern bereits einige geringe Veränderungen der derzeitigen Situation zu einer fundamentalen Verbesserung ihres Befindens führen können. Solche Veränderungswünsche sind dann meist wertgeleitet. Wir wollen uns zwei Beispiele ansehen: Beispiel
Herr T. ist im Laufe der Kompetenzenbilanz darauf gekommen, dass die Werte Loyalität und Offenheit für ihn besonders wichtig sind. Sein Vater hat 6
Von den Werten zu den Zielen
4
100
4
Kapitel 4 · Eine Methode der kompetenzorientierten Laufbahnberatung: Die Kompetenzenbilanz
sein Leben lang in ein und derselben Firma gearbeitet und Herrn T. ist es wichtig seine Firma auch in Krisenzeiten loyal zur Seite zu stehen. Er hat selbst in einer schwierigen Phase seines Lebens erfahren, dass auch seine Firma ihm gegenüber loyal gewesen ist. In dieser Zeit wurde er außerdem stark von seinen Freunden unterstützt. Zudem schätzt es Herr T. sehr, wenn Probleme im Team oder auch im privaten Bereich offen angesprochen werden. Er scheut keine Konflikte wenn er sie auch nicht sucht, sondern sie eher als Begleiterscheinung einer unterschiedlichen Auffassung von Sachverhalten in Kauf nimmt. Durch den Umstand, dass er im Rahmen eines für ihn undurchsichtigen Management-Audits negativ bewertet worden ist, sind nun seine Wertorientierungen in Frage gestellt. Einerseits möchte er seiner Firma gegenüber loyal bleiben und kümmert sich nur zögerlich um eine Alternative bei einer anderen Firma. Andererseits erkennt er, dass die Firma ihm gegenüber nicht offen gewesen ist, und er befürchtet, dass sie ihm gegenüber auch in der Folge nicht mehr loyal sein wird. Unabhängig von den Kompetenzen, die Herr T. im Rahmen der Kompetenzenbilanz erkennen wird und zu beschreiben lernt, wird es wesentliche Aufgabe der Arbeit an den Zielen sein, diesen Wertkonflikt zu thematisieren und darauf einzugehen, dass die Unzufriedenheit Herrn T.s nicht von den beiden genannten Werten getrennt betrachtet werden kann. Möglicherweise ergibt sich aus dem Prozess auch, dass nicht ein Wechsel die erste Lösung der Wahl ist, sondern vielmehr, dass Herr T. die Situationen – seinem Wert Offenheit entsprechend – seinem Vorgesetzten gegenüber kommuniziert. Durch dieses Gespräch kann er erkennen , ob die Firma weiterhin loyal zu ihm sein wird und ob seine eigene Loyalität zur Firma geschätzt wird. Das wertorientierte Vorgehen verhilft also Herrn T. dazu, nicht ziellos nach Alternativen suchen zu müssen, sondern sich selbst und seine Umwelt danach zu fragen, ob die jeweiligen Werte miteinander insoweit übereinstimmen, dass eine Grundlage für eine weitere Zusammenarbeit besteht.
Beispiel
Frau M. nennt als besonders wichtige Werte in ihrem Leben ihre Familie und den Begriff Unabhängigkeit. Sie ist in verschiedenen Bereichen tätig, als Mitarbeiterin in einem Kosmetiksalon, als Hundetrainerin und als selbstständige Außendienstmitarbeiterin eines Saunaherstellers. Gerade die Vielfalt ihrer Tätigkeiten verschafft ihr das Gefühl unabhängig zu sein. Durch das Angebot des Saunaherstellers in Vollzeit zu arbeiten sieht sie diese Unabhängigkeit gefährdet. Sie hatte bislang immer das Gefühl, in einen anderen Bereich wechseln zu können, wenn es in einem ihrer Tätigkeitsfelder nicht so gut läuft oder auch ein finanzieller Engpass bei einem der Auftraggeber entstehen sollte. Sie würde also unter Umständen einen ihrer Werte gefährden, wenn sie auf das Angebot ihres Auftraggebers einginge – auch wenn das Angebot finanziell eigentlich nicht auszuschlagen ist und sie in dem Bereich, in dem sie arbeiten würde, ausgesprochen kompetent ist, alle Qualifikationen mitbringt und die Aufgabe inhaltlich ebenfalls interessant findet. Aber auch ein zweiter zentraler Wert von Frau M. wird 6
101 4.2 · Verfahren
bedroht: die Familie. Sollte sie sich in Vollzeit dem neuen Job im Außendienst widmen, so könnte sie sich wesentlich weniger um ihre Familie kümmern als sie das eigentlich möchte. Sie hat den Begriff Familie als Wert verinnerlicht, weil sie selbst als Kind miterleben musste wie ihre Kernfamilie wegen der Berufs- und Reisetätigkeit des Vaters zerbrach. Aufgrund dessen hatte sie sich fest vorgenommen, ihre eigene Familie niemals durch eine ähnliche Tätigkeit zu gefährden.
An den vorangegangen Beispielen zeigen sich die Vorteile und die Notwendigkeit der Wertorientierung gegenüber einem rein an den Eigenschaften, Eignungen oder auch Kompetenzen einer Person orientierten Vorgehen: Auch wenn sich die Person unter Umständen für eine andere Position eignete, auch wenn sie Interesse an einer bestimmten Tätigkeit hätte und hierfür die entsprechenden Kompetenzen mitbrächte, wird es immer von entscheidender Bedeutung sein, dass sich eine Tätigkeit oder ein Arbeitsumfeld mit den in der Biografie gewachsenen Werten vereinbaren lassen. Seien dies nun ethische oder individuelle Werte, die eng mit dem Verständnis der eigenen Person, dem Bild von sich selbst und somit mit der Identität der Person verknüpft sind.
Ziele müssen mit den Werten vereinbar sein
Abschluss des Gesprächs
Im zweiten Coaching wird zunächst damit begonnen, die Kompetenzen anhand entsprechender Tätigkeiten zu belegen. Ähnlich wie im ersten Gespräch sollen die Teilnehmer im Gespräch die Methodik und Systematik erkennen, um dann in Heimarbeit diese Aufgabe selbstständig weiterzuführen. Bis zum dritten Gespräch sollten die Teilnehmer nun die erarbeiteten Kompetenzbegriffe nochmals kritisch überprüfen und sich dabei fragen, was sie unter den einzelnen Begriffen genau verstehen oder ob es sinnvoll ist, den ein oder anderen Begriff nochmals umzuformulieren. Möglicherweise stellt sich auch heraus, dass sich manche Begriffe überschneiden und wiederum auf einer höheren begrifflichen Ebene zusammengefasst werden können. Auf diese Weise reduzieren sich die u. U. zunächst unübersichtlich langen Kompetenzlisten auf ein adäquates Maß.
»Hausaufgaben«
Exkurs
Häufig werden wir gefragt, ob Teilnehmer sich nicht im Rahmen der Kompetenzenbilanz möglichst positiv darstellen möchten und auf diese Weise ein überzeichnetes Bild von sich selbst gewinnen, das einer Realitätsprüfung nicht standhält. Tatsächlich ist das nur äußerst selten der Fall. Personen, die an der Kompetenzenbilanz teilnehmen, möchten ein realistisches Bild ihrer eigenen Fähigkeiten erhalten. Durch die Zuwendung des Coaches und die, ggf. erstmalige intensive Beschäftigung mit den eigenen Fähigkeiten, findet ein so wertschätzender Prozess statt, dass eine weitere Übersteigerung der eigenen Fähigkeiten den Teilnehmern vollkommen unangemessen erscheint. 6
Übertreibungen
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Kapitel 4 · Eine Methode der kompetenzorientierten Laufbahnberatung: Die Kompetenzenbilanz
Zudem findet durch das situative Hinterfragen eine angemessene Überprüfung der einzelnen Kompetenz statt. Hier wird den Personen also nicht eine Blende vorgehalten, die sie in schön gefärbtem Licht erscheinen lässt, sondern vielmehr werden einzelne Kompetenzen benannt und durch das Sammeln der Belege hinterfragt. Dies geschieht allerdings mit dem besonderen Akzent, die Stärken hervorzuheben. Anpassungen der Kompetenzenbilanz für den Bereich der Personalauswahl und -entwicklung bedürfen hier einer Ausweitung, die neben den Kompetenzen auch die Schwächen und Entwicklungsbedarfe im Sinne einer Bilanzierung, also sowohl Positiva als auch Negativa darstellt.
4
Folienfragebögen
Lebenslauf als optionaler Bestandteil
Zudem sollten sich die Teilnehmer bis zum Abschlussgespräch bereits mit ihren Zielen auseinandersetzen. Grundlage hierfür bildet wie oben dargestellt die Ausarbeitung der Werte und das Hinterfragen ihrer Herkunft und Bedeutung für private und berufliche Tätigkeiten. Als weiteren Baustein für die Auseinandersetzung mit den Zielen wird den Teilnehmern ein Satz von Fragebögen an die Hand gegeben, mit deren Hilfe sie detailliert ihre derzeitige Situation mit einer Idealsituation abgleichen. Ergänzt wird dieses Vorgehen durch einen Vergleich von Selbst- und Fremdeinschätzung. Das Verfahren für diesen Abgleich lässt sich an dieser Stelle nur grob skizzieren. Eine eingehendere Darstellung ist hier nicht sinnvoll, da ein Umgang mit diesen Instrumenten eine Schulung voraussetzt. Bei den Fragebögen handelt es sich um eine Abwandlung des 16 Persönlichkeits-Adjektiv-Tests von Brandstätter (1987), der sich seinerseits auf den 16 PF von Catell u. Schneewind bezieht. In einem Kurztest erhalten die Klienten die Gelegenheit, eigene Eigenschaften auf einer fünfstufigen Skala darzustellen. Desgleichen füllen sie einen Fragebogen aus, auf dem sie Eigenschaften ihrer derzeitigen und einer idealen Tätigkeit eintragen. Die Eigenschaften von Person und Situation entsprechen einander inhaltlich, so dass ein einfacher Abgleich zwischen derzeitiger und idealer Situation stattfinden kann, der durch eine Selbst- und eine Fremdeinschätzung ergänzt wird. Aus den sich ergebenden Abweichungen zwischen den einzelnen Fragebögen können Entwicklungs- und Veränderungsbedarfe herausgearbeitet werden. Mehr dazu im folgenden Abschnitt über das dritte Coaching. Zu guter letzt sei noch darauf hingewiesen, dass sich manche Teilnehmer in einer Bewerbungssituation befinden, die das Anfertigen eines Lebenslaufes erfordert. Bis zum dritten Coaching können die Teilnehmer diesen Lebenslauf anfertigen, der dann besprochen werden kann. Dieser Schritt soll hier nicht weiter vertieft werden, da eine Fülle einschlägiger Fachliteratur zu diesem Thema existiert. In der Kompetenzenbilanz ist dem Schritt ein eigenes Kapitel gewidmet, das sich auf eine, von der EU vorgeschlagene, Norm eines kompetenzorientierten Lebenslaufes bezieht. Ob dieser Lebenslauf praxistauglich ist, wird sich in den nächsten Jahren herausstellen und soll an dieser Stelle nicht weiter erörtert werden. (Näheres zum EU-Lebenslauf unter http://www.cedefop.eu.int/transparency/cv.asp). ! Wichtig Wieder bietet es sich an, mit dem Teilnehmer zwischen den beiden Terminen für Rückfragen zur Verfügung zu stehen, um eine effektive 6
103 4.2 · Verfahren
4
Bearbeitung der ungewohnten Aufgabestellungen zu ermöglichen und das dritte Coaching mit reichhaltigem Arbeitsunterlagen durchführen zu können.
4.2.4 3. Coaching Das dritte Coaching-Gespräch beinhaltet in seinen Grundzügen folgende Schritte: 5 1. Gesprächsbeginn und Überblick über das Gespräch 4 2. Besprechen der Kompetenzen und der dazu dokumentierten Belege 4 3. Ggf. Besprechen des Lebenslaufes 4 4. Ggf. Ergänzen fehlender Informationen, die zur Erstellung der schriftlichen Kompetenzenbilanz notwendig sind 4 5. Erarbeiten von nächsten Schritten und einem oder mehrerer Ziele 4 6. Abschluss des Prozesses
Im Folgenden werden die einzelnen Schritte wieder im Detail dargestellt. Gesprächsbeginn und Überblick über das Gespräch Vorbemerkung
Zunächst sollten wir uns noch einmal damit beschäftigen, welche Ziele im Rahmen der Kompetenzenbilanz realistischerweise erreicht werden können. Hierbei sei daran erinnert, dass die Kompetenzenbilanz ein Verfahren ist, in welchem Kompetenzen erfasst und detailliert dargestellt werden. Wie bereits erörtert, hat eine solche oder ähnliche Rückschau mit hoher Wahrscheinlichkeit Auswirkungen auf die Selbstwirksamkeitserwartung der teilnehmenden Person. Ein solcher Prozess kann also nicht als rein objektive »Messung« von Kompetenzen verstanden werden – auch wenn Kompetenzen freilich durch das vorgeschlagene Vorgehen objektivierbar und auch intersubjektiv überprüfbar werden; vor allem dann, wenn sie anhand von Fertigkeiten und kritischen Situationen detailliert belegt werden können. Jedoch muss eine Erfassung von Kompetenzen stets auch berücksichtigen, dass sie zugleich eine Intervention ist, die weitreichende Auswirkungen auf die Selbstwirksamkeitserwartungen der Teilnehmer hat (siehe hierzu die 7 Kap. 2, 3 und 5). Wissenschaftstheoretisch gesprochen, handelt es sich bei der kompetenzorientierten Laufbahnberatung um eine in hohem Maße invasive Messung, also um eine Messung, die einerseits einen Zustand zu beschreiben sucht, andererseits diesen Zustand jedoch erheblich verändert. Das Feststellen von Kompetenzen trägt also dazu bei, dass sich die beschriebenen Kompetenzen und somit auch die Personen, die über ihre Kompetenzen nachdenken, verändern. Diese Tatsache bringt Umstände mit sich, die insbesondere für den Abschluss der Kompetenzenbilanz von großer Bedeutung sind. Über die Rolle des Coaches werden wir am Ende dieses Kapitels nochmals sprechen. An dieser Stelle halten wir jedoch fest, dass durch die Tiefe der Auseinandersetzung mit der Biografie des Teilnehmers eine hohe Ver-
Messung als Intervention
Verantwortung des Coaches
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Kapitel 4 · Eine Methode der kompetenzorientierten Laufbahnberatung: Die Kompetenzenbilanz
antwortung, was den Prozeß betrifft, für den Coach entsteht, aus der sich der Coach im Abschlussgespräch in angemessener Weise befreien muss. Zu dieser Verantwortung gehört es vor allem, die festgestellten Kompetenzen zu kanalisieren und ihnen eine Richtung zu geben – also an Zielen zu arbeiten, die sich aus dem Prozess der Kompetenzbilanzierung ergeben haben. Wir werden im 7 Kap. 5 über die Wirkung und Wirkweisen der Kompetenzenbilanz nochmals auf diesen Aspekt zu sprechen kommen.
4
Teilnehmer, die im Laufe der Kompetenzenbilanz ein Ziel erarbeitet haben, beschreiben den gesamten Prozess im Nachhinein als gewinnbringender als solche, die keine Ziele und nächsten Schritte erarbeitet haben.
Die Verantwortung des Coaches bezieht sich also sowohl darauf, an einem Ziel zu arbeiten als auch darauf, den begonnenen Prozess zu Ende zu führen. Das beinhaltet auch die in der Kompetenzenbilanz begonnenen, thematischen Fäden miteinander so zu verflechten, dass die Person mit den gewonnenen Erkenntnissen eigenverantwortlich weiterarbeiten kann. In welchem Maße die Klienten dies tun liegt freilich nicht mehr im Verantwortungsbereich des Coaches. Fazit Der Coach trägt die Verantwortung für den Prozess, der Teilnehmer die Verantwortung für die eigene Person.
Teil dieser Verantwortung ist es, den Teilnehmern alle Schritte, die zu einer Kompetenzenbilanz gehören, zur Verfügung zu stellen. Häufig kommt es vor, dass im Abschlussgespräch kaum mehr Zeit dafür ist, Ziele zu erarbeiten und die Beratung deshalb unvollständig bleibt. ! Wichtig Ziel einer kompetenzorientierten Laufbahnberatung muss sowohl eine Erfassung von Kompetenzen als auch eine Besprechung von Zielen und nächsten Schritten sein, mit denen aufgrund der festgestellten Kompetenzen begonnen werden kann. Beginn der Arbeit an den Zielen
Dabei handelt es sich nicht um ein Arbeiten an den Zielen – also an deren Erreichung und Umsetzung, sondern vornehmlich um einen Zielklärungsprozess. Die eigentliche Zielarbeit findet im Anschluss an die Beratung statt und kann von einem eigenständigen Coaching-Prozess betreut werden.
Personen, die diesen Zielklärungsprozess nicht durchlaufen, berichten in Interviews zwei Monate nach der Kompetenzenbilanz davon, dass das Erkennen und Beschreiben der eigenen Kompetenzen eine positive Erfahrung gewesen sei. Allerdings schränken sie den Wert der Beratung in Bezug auf seinen unmittelbaren Nutzen deutlich ein: »Es war schon gut das alles mal zu sehen, was man alles gemacht hat und was man kann. Aber danach habe ich mich dann gefragt: was mache ich jetzt damit? Was habe ich jetzt davon?«
105 4.2 · Verfahren
Durchführung
Wie in den anderen Gesprächen geht es auch hier zunächst wieder darum, einen Überblick über das Coaching-Gespräch zu geben, die »Hausaufgaben« der Teilnehmer zu besprechen und im zweiten Teil an neuen Inhalten zu arbeiten. Für das Gespräch sollten zwei Stunden eingeplant werden. Es sollte sich zudem auf die, mit dem Teilnehmer im ersten Gespräch vereinbarten, Prozessziele bezogen werden. Auf diese Weise wird der Teilnehmer daran erinnert, was er selbst sich für die Kompetenzenbilanz vorgenommen hat. Sowohl für den Coach als auch für den Teilnehmer ist dies eine Möglichkeit, die Qualität der Beratung zu kontrollieren.
Überblick
Folgende Leitfragen strukturieren den ersten Gesprächsteil: 5 4 4 4
Wie ist es Ihnen mit der Aufgabe gegangen? Was ist Ihnen leicht gefallen? Wo gab es Probleme bei der Bearbeitung der Aufgabe? War es interessant, sich noch einmal mit den Belegen für die eigenen Kompetenzen zu beschäftigen? 4 Wie viel Zeit haben Sie für die Aufgabe zu Hause verwendet? 4 Gibt es noch offene Fragen zum zweiten Gespräch? → Rückbezug auf das im ersten Gespräch gemeinsam vereinbarte Ziel der Kompetenzenbilanz → Ausblick auf den Verlauf des Abschlussgesprächs
! Wichtig Auch hier sollte der Coach den Teilnehmer nochmals darauf hinweisen, dass es sich bei der Zusammenstellung von Kompetenzen um eine vorläufige Stoffsammlung handelt, die für die schriftliche Kompetenzenbilanz nochmals verändert, verdichtet und umformuliert wird. (Näheres dazu in 7 Kap. 4.3) Besprechen der Kompetenzen und der dazu dokumentierten Belege
Wie auch im zweiten Coaching ist es an dieser Stelle wichtig, die gesammelten Belege zu den einzelnen Kompetenzen kritisch zu hinterfragen und gemeinsam zu erörtern, ob die Dokumentation ausreichendes und inhaltlich stichhaltiges Material im Sinne einer Argumentation für die behaupteten Kompetenzen darstellt. Besonders wichtig ist es auch, die einzelnen Kompetenzbegriffe nochmals zu überprüfen. Leitlinien hierzu: 5 Verstehen die Teilnehmer alle Kompetenzbegriffe? 4 Zu welchen Kompetenzen wurden nur wenige Argumente gesammelt? 4 Warum wurden zu manchen Kompetenzen mehr und zu anderen weniger Argumente gesammelt? 6
Kompetenzen kritisch hinterfragen
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Kapitel 4 · Eine Methode der kompetenzorientierten Laufbahnberatung: Die Kompetenzenbilanz
4 Lassen sich alle Kompetenzen aufrechterhalten? 4 Sollen manche Kompetenzen zusammengefasst oder gestrichen werden? 4 Fehlen noch Kompetenzbegriffe? 4 Haben die Teilnehmer die Kompetenzen auch mit anderen Personen besprochen?
4 Häufig berichten die Teilnehmer auch, dass ihnen für die niedergeschriebenen Werte keine Belege eingefallen sind und es ihnen schwer fiel, sie eigenständig und ohne Begleitung durch einen Coach zu hinterfragen. Hier ist es hilfreich, nochmals zu erörtern, aufgrund welcher Tätigkeiten die jeweiligen Werte in die Sammlung aufgenommen worden sind und an welcher Stelle in der Biografie die Klienten die jeweiligen Werte als besonders wichtig und leitend erlebt haben. Wie wir bereits erläutert haben, werden Werte häufig dann besonders wichtig, wenn sie bedroht sind. Also sollte im Gespräch auch danach gefragt werden, wann ein Wert bedroht war oder unter welchen Bedingungen eine Bedrohung der Werte empfunden wird. Besprechen des Lebenslaufs Es gibt nicht »den« Lebenslauf für alle Situationen
Wie bereits weiter oben ausgeführt, sollte dieser Punkt nur knapp besprochen werden. Es bietet sich auch an, eine Besprechung oder ggf. Korrektur des Lebenslaufes in einer Betreuung per E-Mail vorzunehmen, um nicht die wertvolle Zeit des Coaching-Gespräches damit zu verbringen. ! Wichtig Die Teilnehmer sollten an dieser Stelle unbedingt darauf hingewiesen werden, dass es sich bei dem unter Umständen angefertigten Lebenslauf lediglich um eine von vielen Möglichkeiten handelt, einen Lebenslauf zu erstellen. Sie sollten sich bewusst sein, dass ein Lebenslauf optimalerweise stets auf die jeweilige Bewerbungssituation maßgeschneidert werden sollte. Gerade in diesem Sinne ist der EU-Vorschlag eines kompetenzorientierten Lebenslaufes vor allem als Stoffsammlung für künftig zu erstellende Lebensläufe zu verstehen und zu verwenden. Ergänzen fehlender Informationen
Sind alle Informationen für das Gutachten verfügbar?
Da die Kompetenzenbilanz mit einem schriftlichen Gutachten abgeschlossen wird, sollte im Rahmen des letzten Gesprächs Zeit dafür eingeräumt werden, gegebenenfalls fehlende Informationen einzuholen, die zur Erstellung der Bilanz notwendig sind. Wir werden im Abschnitt über die schriftliche Kompetenzenbilanz nochmals inhaltlich auf diesen Punkt eingehen. An dieser Stelle genügt zunächst eine Checkliste, anhand derer die Informationen auf Vollständigkeit hin überprüft werden können. 4 Kann der Werdegang des Teilnehmers lückenlos und mit Jahreszahlen belegt werden? 4 Wie lauten die korrekten Namen der Firmen, in denen der Teilnehmer tätig gewesen ist?
107 4.2 · Verfahren
4 Welches waren die genauen Funktionen und Stellenbezeichnungen, die der Teilnehmer bekleidet hat? 4 Wurden die Positionen soweit erörtert, dass der Coach Aufgaben und Tätigkeiten Dritten gegenüber lückenlos erklären kann? 4 Welche Anforderungen musste der Teilnehmer für die jeweiligen Aufgaben bewältigen? 4 Welche Abschlüsse und formellen Qualifikationen hat der Teilnehmer genau? 4 An welchen Institutionen wurden diese Abschlüsse und Qualifikationen erworben? 4 Welche Weiterbildungen hat der Teilnehmer absolviert? Erarbeiten von nächsten Schritten und Zielen
Wie bereits erwähnt, kann es sich bei der Kompetenzenbilanz nicht im Kern um Zielarbeit handeln. Dies ist ein anderes Gebiet, auf welchem erfahrene Coaches mit ganz eigenen Instrumenten und Methoden tätig sind. Der wesentliche Unterschied zu einem Zielcoaching ist, dass in der kompetenzorientierten Laufbahnberatung Ziele lediglich benannt und anvisiert sowie erste mögliche Schritte in Bezug auf dieses Ziel skizziert werden. Die eigentliche Arbeit an diesem Ziel kann und muss erst im Anschluss an diesen Beratungsprozess stattfinden. Besinnen wir uns nochmals darauf, was die Kompetenzenbilanz hauptsächlich sein soll: Es handelt sich um eine Möglichkeit, in sehr komprimierter und ungewöhnlich strukturierter Form eigene Kompetenzen erkennen, benennen und belegen und auf diese Weise eine Standortbestimmung vornehmen zu können. Nimmt eine Person einen neuen Standort ein oder sie wird sich des bereits länger eingenommenen aber noch nicht bestimmbaren Standortes bewusst, so findet in den meisten Fällen eine Korrektur oder eine Neudefinition des Weges statt, den sie in Zukunft gehen möchte. Das Definieren und Benennen dieses Ziels ist Aufgabe der Kompetenzenbilanz und ergibt sich – vorausgesetzt der Prozess wurde im hier beschriebenen Sinne durchgeführt – harmonisch aus der bisherigen Arbeit mit dem Teilnehmer. Aber nicht in jedem Fall muss um jeden Preis eine dezidierte Erarbeitung von Zielen vorgenommen werden. Manchmal kann es auch genügen, die Aufgaben, denen sich die Teilnehmer in den nächsten Monaten stellen werden, zu benennen, zu strukturieren und gemeinsam zu erarbeiten, auf welche Weise sie die Erkenntnisse des zurückliegenden Prozesses als Ressource oder als Rüstzeug nutzen können.
Zielarbeit ist wichtig
Um welche Ziele geht es?
Der Begriff des Ziels ist in diesem Zusammenhang recht weit gefaßt. Als Ziel kann in der kompetenzorientierten Laufbahnberatung 4 jede Form eines Veränderungswunsches und 4 jede in der nahen Zukunft bevorstehende Veränderung, ob diese nun gewollt oder ungewollt eintritt, verstanden werden Das bedeutet, dass Ziele einerseits darin bestehen können, eine ganz bestimmte berufliche Position zu erreichen, die beruflichen Bedingungen zu
Was sind Ziele?
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Kapitel 4 · Eine Methode der kompetenzorientierten Laufbahnberatung: Die Kompetenzenbilanz
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Ziele formulieren
verbessern oder sich auch privat zu verändern. Solche Ziele (die in diesem Stadium freilich zunächst eher Wünsche sind) können zum Beispiel lauten: »Ich möchte eine weitere Ausbildung absolvieren«, »Ich möchte wieder mehr teamorientiert arbeiten«, »Ich möchte innerhalb der nächsten zwei Jahre einen Arbeitsplatz haben, der näher an meinem Wohnort ist«, »Ich möchte meiner Familie wieder mehr Zeit widmen können«. Andererseits können Ziele auch darin bestehen, dass Personen mit einer neuen Situation umzugehen lernen müssen, also etwa dann, wenn eine berufliche Veränderung (bspw. Kündigung) eingetreten ist. Hier sind die Ziele also von außen vorgegeben und es geht vor allem darum, eine Strategie zu finden und Ressourcen aufzuspüren, mit deren Hilfe eine positive Veränderung erzielt werden kann. Ziele sollten nach den folgenden SMART-Kriterien formuliert werden (damit sie eben tatsächlich zu Zielen werden und nicht nur Wünsche sind): 4 S – spezifisch → genau formulieren, worin das Ziel besteht 4 M – messbar → Kriterien aufstellen, an denen sich Erfolg messen lässt 4 A – attraktiv → das Ziel muss persönlich bedeutsam sein 4 R – realistisch → das Ziel muss erreichbar sein 4 T – terminiert → zeitlicher Horizont bis zum Erreichen des Ziels Zur Annäherung und Spezifizierung der Ziele bieten sich folgende Leitfragen an: 5 4 4 4 4 4 4 4 4 4 4 4
Drei unterschiedliche »ZielTypen«
Welche familiären Ziele wollen Sie erreichen? Welche beruflichen Ziele wollen Sie erreichen? Welche persönlichen Ziele wollen Sie erreichen? Welche Informationen müssen Sie hierfür noch einholen? Auf welche Weise können Sie das Ziel erreichen? Wann möchten Sie das Ziel erreicht haben? Welche Ihrer Kompetenzen helfen Ihnen dabei, Ihr Ziel zu erreichen? Welche Kompetenzen müssen Sie noch entwickeln, um Ihr Ziel zu erreichen? Was sind erste Schritte, um die Ziele zu erreichen? Wer kann Ihnen dabei helfen, Ihre Ziele zu erreichen? Wo können Sie sich informieren? Was machen Sie, wenn sich herausstellt, dass das Ziel zunächst nicht zu erreichen ist?
An diesem Punkt können wir drei Typen von Teilnehmern unterscheiden. Die Arbeit an den Zielen hängt in hohem Maße davon ab, welchen Teilnehmer-Typ der Coach vor sich hat: 4 Typ A hat die Kompetenzenbilanz begonnen um eine neue Aufgabe zu finden weil er mit seiner derzeitigen Tätigkeit sehr unzufrieden ist oder sich aus einem von außen vorgegeben Grund umorientieren muss oder will → radikale Veränderung, großer Veränderungsdruck und Veränderungsmotivation → intensive Zielarbeit und Entwurf unterschiedlicher Zukunftsszenarien
109 4.2 · Verfahren
4 Typ B hat zunächst eine radikale Veränderung gesucht und nun festgestellt, dass er sich nicht fundamental, sondern eher mäßig und in wenigen Punkten verändern möchte. → mäßige Veränderung, mäßiger Veränderungsdruck, mäßige bis hohe Veränderungsmotivation → Arbeit an nächsten Schritten und an Kriterien und Kontrollmöglichkeiten, anhand derer er in den kommenden Wochen und Monaten überprüfen kann, ob tatsächlich eine Veränderung stattgefunden hat 4 Typ C hat rein aus Interesse eine Standortbestimmung vorgenommen und kein besonderes Ziel vor sich → keine bedeutsame Veränderung, kein Veränderungsdruck → Erarbeiten nächster Schritte bzgl. der bevorstehenden Aufgaben Wir wenden uns den einzelnen Typen im Detail zu und erörtern, welche Konsequenzen sich für die konkrete Arbeit an Zielen ergeben. Dabei werden anhand von Einzelfällen die Besonderheiten der drei unterschiedlichen Zieltypen unterschieden. Im Anschluss analysieren wir Kriterien, die für eine effektive Erarbeitung von Zielen und nächsten Schritten sinnvoll und hilfreich sind. Typ A Beispiel
Herr T. hat im Laufe der Kompetenzenbilanz erfahren, dass er sehr wahrscheinlich in den kommenden Monaten eine Kündigung zu erwarten hat. Er möchte diesen Bruch nicht nur für einen Wechsel der Firma, sondern auch für einen Neuanfang nutzen. Durch die Kompetenzenbilanz hat er erkannt, dass seine Kompetenzen zwar in der bisherigen Position nicht falsch eingesetzt waren, dass er jedoch in Zukunft seine Fähigkeit zu organisieren stärker einsetzen möchte. In den letzten Jahren ist seine Tätigkeit Routine geworden und er hatte nicht mehr das Gefühl sich substantiell weiterzuentwickeln. Seine Tätigkeit im Management war eher durch Verwaltung gekennzeichnet und weniger durch die, Herrn T. wichtigen, gestaltenden Anteile. Seine Arbeitsergebnisse waren für ihn selbst nicht mehr unmittelbar sichtbar, sondern gingen in der Vielzahl der Abläufe weitgehend unter. Herr T. wäre einerseits bereit, eine Weiterbildung zu absolvieren, andererseits hat er inzwischen von einem anderen Unternehmen ein finanziell attraktives Angebot für eine Stelle erhalten, die sich allerdings nicht wesentlich von der bisherigen Aufgabe unterscheidet. Wenn er in einer anderen Firma tätig würde, dann eher auf einer Position, in der er das Ergebnis seiner Arbeit deutlicher sehen kann. Seiner Meinung nach könnte dies eine Aufgabe im Marketing-Bereich sein, da er hier Kampagnen planen könnte, die ein sichtbares Ergebnis hätten. Zudem hat er seit einigen Jahren die Idee, sich noch einmal ganz neu zu orientieren und unter Umständen eine Ausbildung in einer vollkommen anderen Richtung zu machen, um seinen Jugendtraum, Pilot zu werden, zu verwirklichen. Mit 34 Jahren ist er dafür noch nicht zu alt und in den vergangenen Jahren haben sich seine Frau und er Reserven zurückgelegt, so dass ein Zeitraum, in welchem Herr T. 6
Umbruchsituation
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Kapitel 4 · Eine Methode der kompetenzorientierten Laufbahnberatung: Die Kompetenzenbilanz
kein Einkommen hat, gut zu überbrücken wäre. Seine Frau ist halbtags beschäftigt, da sie auch Zeit für das gemeinsame Kind haben möchte. Unter Umständen müsste sie ihre Tätigkeit jedoch ausweiten. Zwar kennt sie den Jugendtraum ihres Mannes, doch weiß sie noch nicht, wie deutlicher sich ein mögliches Szenario als Pilot ausmalt.
Herr T. befindet sich in einer Umbruchsituation: Die kommenden Entscheidungen werden seine berufliche Laufbahn und sein Privatleben womöglich radikal verändern. Die Aufgabe des Coaches ist in dieser Situation recht eindeutig: Vor allem geht es darum, die Konsequenzen der verschiedenen Entscheidungsmöglichkeiten zu eruieren. Dabei kommt es vor allem darauf an, möglichst viele Aspekte der unterschiedlichen Zukunftsszenarien in das Gespräch einzubeziehen.
4
! Wichtig Auf keinen Fall darf der Coach den Teilnehmer in der Erarbeitung von Zielen und nächsten Schritten in eine bestimmte Richtung lenken. Die Entscheidung und die Verantwortung für das eigene Handeln müssen immer beim Teilnehmer liegen. Der Coach kann nur dabei helfen, die Probleme zu verbalisieren und zu strukturieren. Ziele von Anfang an im Auge haben
Wenn sich so schwerwiegende Entscheidungsalternativen ergeben wie in diesem Beispiel, ist es unwahrscheinlich, dass der Teilnehmer erst im dritten Gespräch beginnt, über seine Überlegungen bzgl. der eigenen Zukunft zu sprechen. Wie bereits in den Ausführungen zum ersten Coaching erwähnt, hat es sich als hilfreich herausgestellt, die Erarbeitung eines Ziels bereits in der ersten Sitzung anzusprechen. Dies eröffnet die Möglichkeit, während des gesamten Prozesses auf das Ziel, auf sich daraus ergebende Anforderungen und dazu passende Kompetenzen einzugehen. Folgende beispielhafte Fragen könnten im Gespräch mit Herrn T. sinnvoll sein: 4 Was aus den in der Kompetenzenbilanz erarbeiteten Inhalten deutet darauf hin, dass Sie die Kompetenz mitbringen, Pilot werden zu können? 4 Welche Argumente gibt es hierfür, abgesehen davon, dass Sie es gerne machen möchten? 4 Was würde die Ausbildung zum Piloten für Ihre Frau bedeuten? 4 Ist Ihre Frau bereit, u. U. in den kommenden zwei Jahren mehr zu arbeiten? 4 Was würde sich innerhalb der Familie ändern? 4 Wenn Sie Pilot sind: Wie viel Zeit würden Sie dann mit der Familie verbringen? 4 Wie lange dauert die Ausbildung zum Piloten? 4 Was machen Sie, wenn sich der Traum Pilot zu werden als unrealistisch herausstellt – Sie zum Beispiel die Eignungsprüfung nicht bestehen? 4 Kennen Sie Piloten, die Ihnen eine realistische Vorschau auf Ausbildung und Tätigkeit als Pilot geben können? 4 Wann genau beginnt die Ausbildung? Wann müssen Sie sich bewerben? 4 Was machen Sie, wenn sich die Idee Pilot zu werden nicht verwirklichen lässt? 4 Welche anderen Tätigkeitsfelder gäbe es noch?
4
111 4.2 · Verfahren
4 Wie lassen sich alternative Tätigkeitsfelder planen und auf diese Weise mehrere unterschiedliche Szenarien für die Zukunft entwerfen? ! Wichtig Diese oder ähnliche Fragen dürfen nicht im Sinne eines Fragenkatalogs abgehandelt werden. Zudem sollen sie nicht dazu dienen, das Vorhaben des Teilnehmers in Frage zu stellen, sondern ihn darin üben, für sein Ziel Argumente zu formulieren und sich auf verschiedene mögliche Hindernisse einzustellen.
Die Fragen des Coaches dienen dazu, das Problem bzw. die bevorstehende Entscheidung zu strukturieren und greifbar zu machen und zu formulieren, welche Hindernisse und Ressourcen sich in den kommenden Wochen und Monaten ergeben können. Die Aufgabe des Coaches besteht darin, gemeinsam mit dem Teilnehmer einen Möglichkeitsraum bzgl. der eigenen Zukunft zu gestalten, so dass dieser sich auf evtl. bevorstehende Hindernisse proaktiv vorbereiten kann.
Erörtern von Ressourcen
! Wichtig Der Teilnehmer soll lernen, auf Grundlage seiner Kompetenzen und seiner Motive des eigenen Handelns sein eigenes Vorhaben besser darstellen und für seine Entscheidungen gut argumentieren zu können.
Für eine bessere Übersicht und für die Strukturierung der anstehenden Entscheidungen, nächsten Schritte und Ziele empfiehlt sich eine schematische Darstellung. Im Folgenden ist ein beispielhaftes Schema dargestellt. Hierbei ist zu beachten, dass die vorgegebene Tabelle im Coaching unter Umständen nicht vollständig ausgefüllt werden wird. Der Teilnehmer sollte ermutigt werden, die Vorlage als Hilfsmittel zur Strukturierung seiner Aufgaben heranzuziehen.
Schematische Darstellung
. Tab. 4.6. Nächste Schritte und Aktionsplan Was will ich erreichen?
Bis wann?
Welche Informationen brauche ich dazu noch?
Bis wann habe ich das erledigt?
Welche nächsten Schritte muss ich dazu unternehmen?
Wer kann mich dabei unterstützen?
Was mache ich, wenn sich meine Vorhaben so nicht umsetzen lassen?
Pilotenausbildung
Entscheidung bis in 6 Wochen
Wie lange dauert die Ausbildung? Wann kann ich damit anfangen? Wie sind die Aufnahmebedingungen? Welche finanziellen Unterstützungsmöglichkeiten gibt es? Wie sind die Jobchancen danach?
bis in 2 Wochen
Informationen bei Ausbildungsstätten einholen, beim Arbeitsamt und im Internet recherchieren und Beratung einholen; auch darüber, welche Altersgrenze es für die Ausbildung zum Piloten gibt, mit meiner Frau die finanziellen und sonstigen Folgen durchsprechen
meine Frau Pilot (über mehrere Ecken bekannt) Arbeitsamt
Möglichkeit suchen dieser Leidenschaft privat nachgehen zu können.
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Kapitel 4 · Eine Methode der kompetenzorientierten Laufbahnberatung: Die Kompetenzenbilanz
. Tab. 4.6. (Fortsetzung)
4
Was will ich erreichen?
Bis wann?
Welche Informationen brauche ich dazu noch?
Bis wann habe ich das erledigt?
Welche nächsten Schritte muss ich dazu unternehmen?
Wer kann mich dabei unterstützen?
Was mache ich, wenn sich meine Vorhaben so nicht umsetzen lassen?
andere Weiterbildung
Entscheidung bis in 1 Monat
Welche Weiterbildung ist geeignet? Welche Stellen kann ich damit anstreben?
bis in 2 Wochen
Informationen über Tätigkeiten im Marketing-Bereich einholen. Mit ehemaligen Studienfreunden über dieses Tätigkeitsfeld sprechen. Mit meiner Frau darüber reden.
meine Frau ehemalige Studienfreunde anrufen
Eine längerfristige Strategie erarbeiten, auf welche Weise ich mich von der jetzigen Tätigkeit in die gewünschte Richtung entwickeln kann
Job in anderer Firma
Entscheidung bis in 2 Wochen
Welche Aufstiegsmöglichkeiten gibt es dort? Wie kann ich mich dort entwickeln (evtl. Richtung Marketing)?
bis in 1 Woche
mit der Personalabteilung sprechen, mit evtl. künftigem Vorgesetzten sprechen
meine Frau Personalabteilung evtl. künftiger Vorgesetzter
Job annehmen, aber evtl. nur 2/3-Stelle, um Raum zu haben, mich in Marketing-Richtung fortzubilden.evtl. weitere Bewerbungen
Typ B Beispiel
Radikale oder gezielte, kleine Veränderungen?
Frau U. nahm die Kompetenzenbilanz in einer Situation in Anspruch, in der sie sich grundsätzlich umorientieren wollte. Ihr erlernter Beruf als Kindergärtnerin gefiel ihr nicht mehr und sie wollte sich Klarheit darüber verschaffen, welche ihrer Interessen eine tragfähige Basis für eine berufliche Umorientierung darstellen könnte. Die Gründe für die große Unzufriedenheit mit ihrer beruflichen Situation sah sie im Wesentlichen in dem immer stärkeren Auseinanderklaffen ihrer hohen Ansprüche einerseits und der Rahmenbedingungen ihrer Arbeit andererseits begründet. In dieser Situation begriff sie das Angebot der Kompetenzenbilanz nach der Lektüre eines kurzen Zeitungsberichtes als eine noch unklare Chance, möglichst konkrete Ansätze für eine Veränderung herauszufinden. Bei der Aufarbeitung ihrer gegenwärtigen Situation stellte sie vor allem heraus, dass ihr durch eine fortwährende Verknappung der finanziellen, personellen und räumlichen Ressourcen die Freude an ihrer Arbeit genommen war, da sie eine Nutzen bringende und an den hohen eigenen Ansprüchen ihrer Tätigkeit als Kindergärtnerin orientierte Aktivität in diesem Rahmen nicht weiter aufrecht erhalten könne. Im Laufe der Kompetenz6
113 4.2 · Verfahren
4
enbilanz stellte sich heraus, dass die Tätigkeit als Kindergärtnerin sowohl den Werten als auch den Stärken von Frau U. entsprach und dass es letztlich nur die erschwerten Umstände waren, die sie zu ihren Plänen zu wechseln geführt hatten. Die Suche nach Alternativen zur bestehenden Tätigkeit führte angesichts der fehlenden regionalen Möglichkeiten sehr schnell wieder zurück zur aktuellen Tätigkeit. In einer Woche, die zwischen dem zweiten und dem dritten Gespräch lag, hatte sich die Einschätzung von Frau U. verfestigt, dass die gegenwärtige Tätigkeit eigentlich die Arbeit war, die sie sich wünschte. Wie kann sie jedoch ihre Arbeitsbedingungen so ändern, dass ihre Arbeit wieder erfüllend für sie ist?
Im dritten Coaching wurde intensiv damit begonnen, die bestehenden Barrieren zu hinterfragen und auf der Grundlage der gemeinsam erarbeiteten Kompetenzen nach Lösungsmöglichkeiten bzw. Alternativen zu suchen. Dabei stand nicht die Entwicklung konkreter Pläne im Vordergrund, sondern eine kompetenzorientierte Erweiterung der Perspektive, die der Coach beispielhaft mit möglichen Lösungen anreicherte. Neun Monate nach den Coaching-Gesprächen meldet sich Frau U. wieder bei ihrem Coach und berichtet davon, wie sich alles zum Guten entwickelt hatte: »Anfänglich brauchte es noch ein wenig Zeit, neue Dinge zu unternehmen. Mittlerweile hat sich aber ganz schön was getan. Wie Sie vielleicht noch wissen, waren mir die Räume viel zu klein und zu eng. Der erste Versuch, den wir heuer erfolgreich gestartet haben, ist, den Spielplatz ›als zusätzlichen Raum‹ zu nutzen. Wir verbrachten bis jetzt, bei jedem Wetter (auch im Winter) entsprechend gekleidet jeden Tag auf dem Spielplatz. Wir haben auch einen Erlebnis- bzw. Entdeckungstag einmal pro Woche eingeführt. An diesem Tag gibt es auch bei jeder Witterung ein tolles Abenteuer im Freien – Wald, Wiese, Bach, usw. Das Schönste aber ist, dass wir einen zusätzlichen Raum für das kommende Kindergartenjahr genehmigt bekommen haben! Ist das nicht herrlich? Bei jeder neuen Errungenschaft die gelingt, denke ich an den vergangenen Sommer, wie ich bei Ihnen im Zukunftszentrum saß und eigentlich die Freude an meiner Arbeit nicht mehr so richtig da war. Aber Dank Ihrer Hilfe habe ich neue Möglichkeiten gefunden, den Spaß an meiner Arbeit zurückzufinden. Ich hoffe, es geht in dieser Richtung weiter.«
Auch hier führte also ein kompetenzorientiertes Ausloten der Möglichkeiten dazu, dass die Teilnehmerin proaktiv werden konnte, die Hindernisse in ihrer Arbeitsumwelt konkret zu erkennen und zu benennen lernte und durch die Strukturierung der vor ihr liegenden Aufgaben in der Lage war aus den gewohnten Verhaltensmustern auszubrechen – ohne sich jedoch radikal von ihrer Aufgabe abzuwenden. ! Wichtig Der von der Teilnehmerin empfundene Determinismus bzgl. ihrer eigenen Situation und ihrer Zukunft konnte durch das Vorgehen der Kompetenzenbilanz aufgehoben werden.
Radikale Veränderung ist nicht unbedingt notwendig
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Kapitel 4 · Eine Methode der kompetenzorientierten Laufbahnberatung: Die Kompetenzenbilanz
Typ C Beispiel
Allgemeines Interesse an den eigenen Kompetenzen
4
Herr G. ist zufrieden mit seinem Job und hat nicht die Absicht an seiner Position als Projektleiter und Systemadministrator in einem mittelständischen Unternehmen mit ca. 200 Mitarbeitern etwas zu ändern. Die Kompetenzenbilanz hat er begonnen, weil er von einem Freund gehört hat, dass »das eine interessante Sache« sei. Im Laufe der Kompetenzenbilanz hat er für sich bestätigt, dass er seine Kompetenzen in der derzeitigen Position nahezu optimal einsetzen kann. Natürlich gibt es hier und da Verbesserungsmöglichkeiten, dabei handelt es sich aber nur um Kleinigkeiten, die, wie er sagt, dafür sorgen, »dass er nicht einrostet«. Er bezieht ein gutes Einkommen und kann sich aufgrund seiner guten Position im Unternehmen und seiner langen Zugehörigkeit zum Unternehmen vorstellen, in einigen Jahren in den Vorstand berufen berufen zu werden. Allerdings sieht er auch, dass er hierfür nicht auf seinem derzeitigen Stand stehen bleiben darf, sondern sich langfristig weiterentwickeln muss. Herr G. bildet sich gerne selbstständig fort und möchte die Sicherheit gewinnen, die richtigen Weichen für seine Weiterentwicklung zu stellen. Auch privat geht es Herrn G. sehr gut. Vor wenigen Wochen hat seine Frau das erste Kind zur Welt gebracht. Außerdem haben seine Frau und er geplant, im nächsten Jahr ein Haus zu bauen.
Auch diese erfolgreiche und durchgehend positive »Bilanz« bietet einige Ansätze, sich detailliert mit künftigen Entwicklungsfeldern, Zielen und nächsten Schritten auseinander zu setzen. In einem solchen Fall bietet es sich an, die bevorstehenden Monate im Leben des Klienten nach besonderen Aufgaben zu hinterfragen, also nach Unregelmäßigkeiten, auf die er sich mit Hilfe eines strukturierten Vorgehens einstellen kann. Solche Aufgaben und Entwicklungsfelder sind im dargestellten Fall: 4 die durch das Vatersein gewandelte Rolle und die dadurch entstehenden Aufgaben, die zeitlich aufwändig sind, 4 die Verantwortung für eine Familie, 4 die langfristige Perspektive eines Aufstiegs im Unternehmen und die damit verbundenen Anforderungen (Weiterbildungen, Durchsetzen innerhalb des Unternehmens, etc.), 4 der bevorstehende Hausbau. Wir sehen auch hier, dass einige Themenfelder auftreten, die strukturiert und hinsichtlich der enthaltenen Aufgaben und möglicher Schwierigkeiten untersucht werden sollten. Auch hier bieten sich die Leitfragen und das Ordnungsschema an, die weiter oben beispielhaft aufgeführt sind. Abschluss des Prozesses Die Fäden zu Ende spinnen
Die Kompetenzenbilanz ist für Personen gedacht, die sich in einem strukturierten Verfahren mit ihren eigenen Fähigkeiten auseinandersetzen wollen. Es soll den Teilnehmern ermöglicht werden, ihre eigenen Fähigkeiten besser erkennen, benennen und auch für diese argumentieren zu können. Auf dieser Grundlage lernen sich die Teilnehmer bzgl. ihrer derzeitigen Si-
115 4.3 · Schriftliche Kompetenzenbilanzen
tuation besser einzuschätzen. Von dieser verbesserten Sicht auf die eigene Position ausgehend, formulieren die Teilnehmer nächste Schritte und Ziele. In relativ kurzer Zeit haben die Teilnehmer einen mitunter sehr intensiven und auch sehr persönlichen Prozess mit einem Coach durchgeführt, den sie zuvor nicht kannten. Nun gilt es, einen Abschluss für diesen Prozess zu finden, der ein eindeutiges, nicht aber hartes Ende für diese Auseinandersetzung ist. Auf welche Weise dies erreicht werden kann, hängt vor allem von der Beziehung ab, die zwischen Coach und Teilnehmer entstanden ist. ! Wichtig Viele Teilnehmer weisen darauf hin, dass sie sich nach der Kompetenzenbilanz ein weiteres Gespräch wünschen würden, welches ca. 2 Monate nach dem Abschlussgespräch stattfinden sollte und der Motivation für das Bearbeiten der individuellen Ziele dienen könnte. Eine Fortsetzung des Coachings und einer Beratung kann also sehr sinnvoll und angebracht sein, allerdings muss hierfür eine neue Vereinbarung getroffen werden, vor allem darüber, was Gegenstand der weiteren Beratung sein soll und welche Ziele hierfür gesetzt werden
An dieser Stelle nur einige Punkte, die als Checkliste für den Abschluss des Prozesses dienlich sind: 4 Sind noch Fragen bzgl. eines Punktes zur Kompetenzenbilanz offen? 4 Entsprach der Prozess den Erwartungen des Teilnehmers? 4 Wie könnte man den Prozess noch optimieren? 4 Einen Termin für das Zuschicken der schriftlichen Kompetenzenbilanz vereinbaren. 4 Wird die schriftliche Bilanz persönlich übergeben oder postalisch zugestellt? 4 Besteht Interesse an anschließenden Modulen und an der Teilnahme an Gruppentreffen, um Erfahrungen auszutauschen? 4 Hier lässt sich außerdem nochmals besprechen, in welcher Weise die Kompetenzenbilanz von den Teilnehmern in Eigenarbeit weitergeführt werden kann. Wichtig ist auch, nochmals darauf hinzuweisen, dass die Kompetenzenbilanz eine Momentaufnahme und »Zwischenstand« ist, d. h. vorläufig und prozesshaft ist. 4 Es kann auch nochmals darauf verwiesen werden, dass die Kompetenzen im schriftlichen Gutachten vermutlich in abgewandelter Form dargestellt werden und vor allem nur die wichtigsten und »profilbildenden« Kompetenzen auftreten werden.
4.3
Schriftliche Kompetenzenbilanzen
Die Kompetenzenbilanz hat zwei Hauptziele: Intervention und Bilanzierung. Der Großteil des Prozesses (also der unmittelbaren Durchführung der Kompetenzenbilanz) ist darauf ausgerichtet, eine Reflexion bei den Teilnehmern in Gang zu setzen und diese so zu leiten, dass sich bestimmte Effekte in Hinblick auf die Wahrnehmung der eigenen Biografie und auf die Erarbeitung
Warum eine schriftliche Bilanz?
4
116
Kapitel 4 · Eine Methode der kompetenzorientierten Laufbahnberatung: Die Kompetenzenbilanz
neuer Perspektiven und Ziele ergeben. Dieser Effekt wird – stark vereinfacht gesagt – im Wesentlichen durch ein kritisches Hinterfragen verschiedener Laufbahnstationen erreicht. Der Interventionseffekt ergibt sich also aus der Bestandsaufnahme, die somit bereits einen Eigenwert hat. Einen Zusatznutzen können wir allerdings einer kompetenzorientierten Laufbahnberatung verleihen, wenn nicht nur ein psychologischer Effekt eintritt, sondern auch ein vorzeigbares Ergebnis mit Nachweischarakter entsteht. Folgende Nutzenaspekte einer schriftlichen Kompetenzenbilanz sind zu bedenken: Die schriftliche Kompetenzenbilanz dient als 4 Wissensspeicher, in dem die einzelnen Kompetenzen beschrieben, erklärt und belegt werden. Dieser Wissensspeicher kann bspw. in der Vorbereitung auf Bewerbungsgespräche oder bei der Anfertigung von Bewerbungsunterlagen genutzt werden 4 Nachweis für Kompetenzen, die der Teilnehmer gegenüber anderen (bspw. Vorgesetzten oder im Bewerbungsprozess) vorweisen kann 4 Ziel innerhalb des Beratungsprozesses; das Ziel, den Beratungsprozess so zu gestalten, dass auch alle Teile verschriftet werden können, verleiht dem Prozess eine klare Kontur und beschleunigt ihn 4 Abrundender Abschluss des Beratungsprozesses
4
Verschiedene Formen von schriftlichen Bilanzen
Wir sehen, dass es ein breites mögliches Einsatzfeld für schriftliche Kompetenzenbilanzen gibt, und dass es als Folge daraus nicht eine einheitliche Standardform eines schriftlichen Gutachtens gibt, die für alle Einsatzbereiche gleich gut geeignet ist. So wird ein schriftliches Gutachten, das nur für den Teilnehmer bestimmt ist, breiter und ausführlicher angelegt sein und die Inhalte anders akzentuieren, als eine schriftliche Bilanz, die im Rahmen eines Bewerbungsprozesses eingesetzt werden soll. Wird eine Beratung durchgeführt, in welcher Kompetenzen möglichst qualifikationsanalog zertifiziert werden sollen, so ergibt sich eine Darstellung der Kompetenzen, die vor allem Nachweischarakter hat. Es ist augenfällig, dass durch unterschiedliche Anforderungen an eine schriftliche Bilanz auch der gesamte Beratungsprozess beeinflusst wird. Um so wichtiger ist es, bereits zu Beginn des ersten Gespräches zu klären, welche genauen Ziele die Person mit der kompetenzorientierten Laufbahnberatung verfolgt. Soll die schriftliche Kompetenzenbilanz Nachweischarakter haben und einem Arbeitgeber vorgelegt werden, so müssen die Kompetenzen präziser hinterfragt werden, als wenn der Teilnehmer nur aus allgemeinem Interesse eine Kompetenzenbilanz durchführen möchte. Auch vom Umfang her unterscheiden sich schriftliche Bilanzen je nach dem späteren Einsatzfeld: ein Gutachten, das für den Einsatz in der Personalentwicklung oder bei der Bewerbung geschrieben wird, sollte einen Umfang von zwei Seiten kaum überschreiten, während ein »persönliches« Gutachten leicht das Fünffache dieses Umfangs oder noch mehr erreichen kann. Bevor wir uns den unterschiedlichen Anpassungsmöglichkeiten für verschiedene Einsatzbereiche einer schriftlichen Kompetenzenbilanz zuwenden, betrachten wir die Grundbestandteile einer Langform einer Kompetenzenbilanz. Eine schriftliche Kompetenzenbilanz beinhaltet im Wesentlichen folgende Teile:
117 4.3 · Schriftliche Kompetenzenbilanzen
4 4 4 4 4
Werdegang Anforderungen Person, Werte, Zukunftsperspektive Kompetenzen Persönlicher Eindruck des Coaches
Die einzelnen Teile können je nach beabsichtigtem Einsatz unterschiedlich ausführlich ausgestaltet und miteinander kombiniert werden. Unabhängig davon, in welchem Bereich die schriftliche Bilanz eingesetzt werden soll, gilt folgender Grundsatz: ! Wichtig Die schriftliche Kompetenzenbilanz muss ohne zu beschönigen stets dem Prinzip der Stärkenorientierung folgen.
Gerade für den Einsatz von biografiebezogenen Kompetenzenbilanzen in der Personalentwicklung ist dieser Grundsatz besonders wichtig, sowohl in Bezug auf das Vertrauensverhältnis zwischen Coach und Teilnehmer als auch unter Umständen in rechtlicher Hinsicht bezüglich der Schweigepflicht, die eingehalten werden muss, wenn es sich beim Coach um einen Psychologen handelt. Werdegang
Im Werdegang sollten biografische Fakten des Teilnehmers aufgeführt werden, die für die Entwicklung seines individuellen Kompetenzmusters wesentlich sind. Deutungen und Interpretationen darüber, welches Ereignis welchen Lernprozess bewirkt hat, gehören nicht unter diesen Punkt. Denkbar ist es hingegen, Beweggründe für besondere Brüche oder Entscheidungen innerhalb der Biografie zu beschreiben. Neben den beruflichen Stationen und Abschlüssen ist auch eine Darstellung des familiären Standes oder besonderer Interessen möglich, um das Bild von der Person abzurunden. Im Wesentlichen handelt es sich bei der Schilderung des Werdegangs also um einen »Lebenslauf in Prosa«. Im Gegensatz zu einem tabellarischen Lebenslauf bietet diese Form die Möglichkeit, Brüche in der Biografie erklärend zu beschreiben. Dies stellt eine besondere Herausforderung bei der Abfassung des Werdegangs dar. Wie sind eventuelle Lebens- oder Laufbahnbrüche so zu erklären, dass sie wahrheitsgemäß und objektiv beschrieben werden? Gleichzeitig aber auch so, dass der Teilnehmer keine Nachteile durch die Art der Darstellung in der schriftlichen Bilanz hat? Grundsätzlich gilt hier das Gebot, dass die Inhalte bzw. die eventuelle Nennung kritischer, meist persönlicher Ereignisse einer Klärung mit dem Teilnehmer bedürfen. Soll etwa eine überstandene Krankheit oder eine Scheidung in der schriftlichen Bilanz bzw. im Werdegang Erwähnung finden oder möchte die Person diese Themen, was – aus unterschiedlichen Gründen durchaus verständlich wäre – nicht an andere weitergeben? Hierzu sei jedoch gesagt, dass natürlich gerade die Lebensbrüche kennzeichnend für die individuelle Entwicklung der Person sind. Brüche und Wendungen in einer Biografie werden erst durch die zu Grunde liegenden Ursachen verstehbar. Lebensbrüche sind wie bereits erwähnt zudem nicht
Lebenslauf in Prosa
4
118
Kapitel 4 · Eine Methode der kompetenzorientierten Laufbahnberatung: Die Kompetenzenbilanz
selten Zeiträume, anhand derer Personen eigene Kompetenzen in besonderer Weise entwickeln und deshalb auch darstellen können. Hier ist also einerseits eine Absprache mit dem Teilnehmer notwendig, andererseits sollte genau hinterfragt werden, zu welchem Zweck das schriftliche Gutachten eingesetzt wird. Anforderungen
4
Wichtige Lernerfahrungen
Hier sollten die wichtigsten Anforderungen geschildert werden, die der Teilnehmer im beruflichen und außerberuflichen Leben bewältigen musste. Aus psychodiagnostischer Sicht ist dieser Punkt besonders wesentlich zur Begründung von Kompetenzen einer Person. Für die Beschreibung von Anforderungen können besonders wichtige Stationen aus dem Werdegang herausgegriffen werden, die nun näher erklärt werden und den Leser verstehen lassen, welche Anforderungen die Person im Rahmen dieser Tätigkeiten zu bewältigen hatte. ! Wichtig Zur Klärung: Anforderungen sind Merkmale der Situation, mit der sich die Teilnehmer konfrontiert sehen. Fertigkeiten und Kompetenzen sind das, was die Teilnehmer dazu befähigt, mit diesen Anforderungen zu Recht zu kommen. In der schriftlichen Bilanz geschieht also ein Dreischritt: vom Werdegang über die Aufgaben der Person zu den Kompetenzen, die ihr dazu verholfen haben, sich so zu entwickeln wie sie es getan hat.
Daraus folgt, dass unter den Anforderungen im Wesentlichen eine JobBeschreibung verstanden werden kann. Wobei unter Job im Rahmen der Kompetenzenbilanz jede Tätigkeit verstanden werden sollte, die den besonderen Einsatz von Kompetenzen erforderlich gemacht hat – sei es nun ein beruflicher Job oder eine Tätigkeit bzw. ein Ereignis, das eher im privaten Bereich angesiedelt ist. Auf keinen Fall dürfen in diesem, noch in einem anderen Teil einer schriftlichen Kompetenzenbilanz, Aussagen stehen, die vom Coach objektiv gar nicht getroffen werden können. Dies wäre der Fall, wenn in schriftlicher Form bestimmte Arbeitsleistungen bestätigt werden, die ein Coach gar nicht bestätigen kann. Eine schriftliche Kompetenzenbilanz würde auf diese Weise zu einer Art Arbeitszeugnis und mindestens ebenso unglaubhaft werden wie es die meisten Arbeitszeugnisse sind. Person, Werte und Perspektive Welche Eigenschaften hat die Person?
Hier folgt eine kurze Beschreibung der Persönlichkeit des Teilnehmers, wie sie aufgrund der drei Gespräche gegeben werden kann. Als Leitlinien für diesen Abschnitt sind folgende Fragen hilfreich, wobei darauf zu achten ist, nicht alle diese Fragen in einer schriftlichen Bilanz zu beantworten, sondern nur diejenigen, die durch die Gespräche tatsächlich gut belegt werden können und die in besonderem Maße profilbildend für die Person sind. 4 Arbeitet die Person gerne mit anderen Menschen zusammen oder lieber alleine? 4 Wie geht die Person mit Stress um?
119 4.3 · Schriftliche Kompetenzenbilanzen
4 Wie geht die Person mit Konflikten um? 4 Löst die Person schwierige Aufgaben eher alleine oder im Team? 4 Versucht die Person beim Lösen von Problemen auch ungewöhnliche und neue Ideen auszuprobieren oder hält sie sich lieber an bewährte Konventionen? 4 Wie geht die Person mit Kritik um? 4 Ist die Person dominant gegenüber anderen Menschen und Meinungen? 4 Ist die Person eher extro- oder introvertiert? 4 Entscheidet die Person eher sachlich oder »aus dem Bauch heraus«? 4 Ist die Person andern Personen gegenüber vertrauensvoll oder eher skeptisch? 4 Ist die Person bzgl. eigener Aufgaben besonders gewissenhaft oder legt sie auf Korrektheit keinen besonderen Wert? 4 Arbeitet die Person gerne in Kontexten, die sich beständig verändern oder liegt ihr eher eine gleichbleibende Umgebung? Es sollten auch hier nur belegbare Schlussfolgerungen Platz finden, die von den Teilnehmern geteilt werden. Auch hier ist das Prinzip der Stärkenorientierung einzuhalten. Dieser Abschnitt bietet neben einer Vorstellung der Person auch die Möglichkeit, die zentralen Werte der Person und ihre Bedeutung in der Biografie zu nennen und zu erklären. Wie wir schon erörtert haben, bilden die Werte eine wichtige Grundlage für Entscheidungen von Personen. Unabhängig vom späteren Einsatz der schriftlichen Kompetenzenbilanz sollten die Werte also angeführt werden. Für den Teilnehmer ist dies wichtig, weil die Werte auch im Rahmen der Kompetenzenbilanz eine Rolle gespielt haben. Für einen Außenstehenden ist das interessant, weil durch die Wertorientierung das Bild der Person wesentlich abgerundet wird. Aus dieser Darstellung der Werte ergibt sich die Beschäftigung mit den weiteren Perspektiven und Plänen des Teilnehmers: welche mittel- und langfristigen Ziele hat er? Wo will er hin? etc. Nicht hierher gehören negative Abgrenzungen wie z. B. will nicht im öffentlichen Dienst arbeiten oder ähnliches. Nach unseren Erfahrungen wird insbesondere der Punkt »Person« unterschiedlich ausführlich und nach verschiedenen Gesichtpunkten beschrieben. Dies gibt einen Hinweis darauf, dass es von Vorteil sein kann, sich bereits während des Prozesses anhand der oben genannten Leitfragen Notizen zum Teilnehmer zu machen.
Wertorientierung
Kompetenzbereiche
In diesem Abschnitt kommen wir nun zum Herzstück der schriftlichen Kompetenzenbilanz, ohne das das Gutachten seinem Namen nicht gerecht werden würde. In diesem Teil der Bilanz werden die Kompetenzen für die einzelnen Bereiche (personale, soziale, fachliche, methodische Kompetenzen) gesondert dargestellt. Je nach Anwendung bzw. geplantem Einsatz der schriftlichen Bilanz gibt es auch hier mehrere Darstellungsformen, die sich voneinander erheblich unterscheiden.Grundsätzlich unterscheiden wir zwischen den im Schwerpunkt qualitativen Beschreibungen von Kompetenzen und solchen, die quantitativen Charakter haben. Wie die einzelnen Formen
Kriterien für Kompetenzbeschreibungen
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Kapitel 4 · Eine Methode der kompetenzorientierten Laufbahnberatung: Die Kompetenzenbilanz
4
Welche Form der Bilanz für welchen Zweck?
der Kompetenzbeschreibungen aussehen, werden wir im nächsten 7 Kap. behandeln. Die Entscheidung darüber, ob eine beschreibende oder eine wertende Bilanz anzufertigen ist, hat weitreichende Folgen für die Gliederung der Kompetenzenbilanz, aber unter Umständen auch für die Beziehung zwischen Coach und Teilnehmer. Wenn der Teilnehmer weiß, dass am Ende der Kompetenzenbilanz eine Wertung seiner Kompetenzen stattfinden wird, so wird er sich – neutral gesprochen – sehr wahrscheinlich anders verhalten und andere Auskünfte über sich geben, als wenn die schriftliche Kompetenzenbilanz einen rein beschreibenden Charakter haben soll. Dem entsprechend werden diese verschiedenen Arten einer Bilanzierung meist auch unter sehr unterschiedlichen Rahmenbedingungen stattfinden. In welchen Kontexten ist welche Art von Kompetenzbilanzierung angemessen? In einer kompetenzorientierten Laufbahnberatung, die vor allem der Standortbestimmung des Teilnehmers dient, ist meist die qualitativ ausgerichtete schriftliche Bilanz sinnvoll, da auf diese Weise die Beschaffenheit von Kompetenzen am besten verständlich gemacht wird. Findet eine Kompetenzbilanzierung im betrieblichen Kontext, etwa im Rahmen einer Personal- oder Organisationsentwicklungsmaßnahme statt, so ist es wichtig vergleichbare Ergebnisse zu produzieren, was für eine Bilanz mit eher quantitativ ausgerichteten Kompetenzbeschreibungen spricht. Eine Kompetenzbilanzierung im Verlauf eines Outplacement-Prozesses verlangt dagegen nicht unbedingt nach einer quantitativen Ausrichtung, während eine quantitativ ausgerichtete Kompetenzbeschreibung eher dazu ist, einen Ansatz für eine qualifikationsanaloge Zertifizierung von Kompetenzen zu bilden. ! Wichtig Ob die Kompetenzbeschreibung in der schriftlichen Bilanz quantitativ oder qualitativ sein soll, ist eine Frage, die nicht allgemeingültig beantwortet werden kann, sondern letztlich von einer Vereinbarung mit dem Auftraggeber bzw. mit dem Teilnehmer abhängig ist.
Vier Dimensionen der Kompetenzbeschreibung
Folgende Informationen müssen in allen Formen von Kompetenzbeschreibungen enthalten sein, um ein gleichmäßiges Qualitätsniveau von schriftlichen Kompetenzenbilanzen zu ermöglichen: 4 Kompetenzbeschreibungen sollten Informationen darüber enthalten 4 wie lange die Person in Bereichen tätig war, die als Beleg für die Kompetenz bezeichnet werden können → Erfahrungsmenge, 4 ob die Kompetenz der Person anhand unterschiedlicher Kontexte belegt werden kann → Erfahrungsvielfalt, 4 wie komplex die Anforderungen waren, anhand derer die Person die jeweilige Kompetenz belegt → Komplexität, 4 in welcher Weise die Person in der Lage ist, über die Beschaffenheit und Ausprägung der jeweiligen Kompetenz Auskunft zu geben → Selbstreflexivität.
Qualitative Kompetenzbeschreibungen
In der qualitativen Form der Kompetenzbeschreibungen werden Kompetenzen durch die, in den Gesprächen und in den »Hausaufgaben« der Teilnehmer gefundenen, Argumente belegt. Dabei stellt sich für den Verfas-
121 4.3 · Schriftliche Kompetenzenbilanzen
ser der Bilanz vor allem das Problem, aus den mitunter sehr umfangreichen Kompetenzen und den dazugehörigen Belegen die besonders profilbildenden Fähigkeiten des Teilnehmers auszuwählen und diese in einer knappen aber dennoch gut lesbaren und verständlichen Form zu verdichten. Wir wollen uns hierfür ein Beispiel für eineKompetenzbeschreibung ansehen: Beispiel
Selbständigkeit und Entscheidungsfähigkeit. Frau S. ist seit 15 Jahren selbstständig. Die Selbstständigkeit geht einher mit der Notwendigkeit Entscheidungen zu treffen. Das fällt Frau S. auf Grund ihrer Sicherheit und ihrer Liebe zur Effizienz insgesamt leicht. Die schwierigsten Entscheidungen waren für Frau S. die Entscheidungen für Ehe, Haus und Schulden. Frau S. ist aber auch in weniger umfassenden Bereichen bereit, Verantwortung zu übernehmen. Sie sagt, »ordentliche Arbeit beginnt bei mir selbst«. Wenn sie Fehler macht, will sie für diese auch gerade stehen.
Ziehen wir die oben genannten Kriterien für eine umfassende Kompetenzbeschreibung heran, dann lässt sich zu den einzelnen Dimensionen der Beschreibung folgendes sagen: 4 Erfahrungsmenge. Frau S. ist seit 15 Jahren selbstständig. Zumindest ein Aspekt, anhand dessen sich Selbstständigkeit (als Kompetenz, nicht als beruflicher Status!) schlüssig belegen lässt. 4 Erfahrungsvielfalt. Frau S. ist nicht nur in Bezug auf ihre berufliche Tätigkeit selbstständig, sondern auch andere Aspekte ihrer Selbstständigkeit und Entscheidungsfähigkeit werden angesprochen: Ehe, Haus, Schulden und weniger spezifisch genannte »weniger umfassende Bereiche«. 4 Komplexität. Hier lässt sich aufgrund der genannten Bereiche, in denen Frau S. ihre Selbstständigkeit und Entscheidungsfähigkeit unter Beweis gestellt hat, abschätzen, ob es sich um komplexe Zusammenhänge handelt. 4 Selbstreflexivität. Frau S. übernimmt gerne Verantwortung auch für eigene Fehler und möglicherweise falsche Entscheidungen. Sie handelt nach dem Grundsatz »ordentliche Arbeit beginnt bei mir selbst«, da sie ein Bedürfnis nach Sicherheit und Effizienz hat. Es finden sich also mehrere Hinweise darauf, dass Frau S. nicht nur entscheidet, sondern auch einen Einblick in die Motive ihres Handelns hat und somit ihr Tun in gewisser Weise durch eine Art Handlungstheorie begründen kann. Für jede der vier Dimensionen von Kompetenzen lassen sich also in diesem Beispiel einer Kompetenzbeschreibung Hinweise finden, die insgesamt als Belege für die Kompetenz Selbständigkeit und Entscheidungsfähigkeit geeignet sind. Es fällt allerdings auch die Länge einer solchen Kompetenzbeschreibung auf. Nehmen wir an, dass in jedem der vier Bereiche mehrere Kompetenzen beschrieben werden, so entsteht schnell ein sehr umfangreiches Dokument, welches nicht nur in angemessener Zeit geschrieben, sondern auch gelesen werden will. Hier ist einerseits eine genaue Abstimmung mit dem Teilnehmer notwendig: Der Coach sollte dem Teilnehmer eine oder
Konkrete Belege und Beispiele für jede Kompetenz
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Kapitel 4 · Eine Methode der kompetenzorientierten Laufbahnberatung: Die Kompetenzenbilanz
Wert und Nutzen
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mehrere Vorabversionen per Mail zuschicken, damit dieser die notwendige Reduzierung der Kompetenzen auf diejenigen, die als profilbildend bezeichnet werden können, akzeptiert und sich in der schriftlichen Bilanz auch adäquat beschrieben fühlt. Andererseits muss sich der Coach auch eine gewisse Unabhängigkeit bewahren und stets nur das bestätigen, was aus den Gesprächen mit dem Teilnehmer klar und eindeutig belegbar ist. Der unmittelbare Nutzen einer ausführlichen, qualitativen Beschreibung von Kompetenzen ist zuweilen schwer zu vermitteln, wobei man nicht den Fehler machen darf, Nutzen und Wert solcher Kompetenzbeschreibungen miteinander zu verwechseln: während der operative Nutzen schwer bestimmbar ist, kann der individuelle Wert einer qualitativen Beschreibung beträchtlich sein. 0 i Hinweis Viele Teilnehmer berichten davon, dass es für sie eine große Bestätigung war, die Kompetenzen, die zuvor im Gespräch analysiert worden sind, nach der Kompetenzenbilanz in schriftlicher Form zu erhalten. Die meisten Teilnehmer fühlen sich durch die Darstellung in der schriftlichen Bilanz als Personen angemessen beschrieben. 90% der Teilnehmer sind mit der Darstellung in der schriftlichen Bilanz zufrieden. Die Personen, die mit der schriftlichen Kompetenzenbilanz unzufrieden sind, würden sich im überwiegenden Teil ein kürzeres Gutachten wünschen, in welchem zudem nicht nur auf Stärken Bezug genommen wird, sondern das auch deutliche Hinweise auf Defizite und Entwicklungspotenziale liefert.
Was sollen Kompetenzbeschreibungen enthalten?
Neben den oben formulierten vier Dimensionen, auf denen Kompetenzen in schriftlicher Form beschrieben werden können, gelten für qualitative Kompetenzbeschreibungen folgende Leitlinien:
5 Es werden vollständige Sätzen formuliert. 5 Die Kompetenzen können als »Behauptung« und die Erklärung als »Argument« verstanden werden. 5 Es sollten nicht zu viele Kompetenzen aufgeführt werden (Als Richtlinie gilt: nicht mehr als 3 Kernkompetenzen in jedem Bereich; in begründbaren Einzelfällen mehr.). Dieses Vorgehen wird mit den Teilnehmern im Vorfeld abgesprochen. 5 Es kommt auf die Profil bildenden Kompetenzen an. Z. B. mag Autofahren eine Kompetenz sein. Es handelt es sich dabei jedoch um keine Kompetenz, die das besondere Profil der Person in einer Weise erkennen lässt, was sie wesentlich von anderen Personen unterscheidet. Es ist dagegen sinnvoll, wenn die Teilnehmer sämtliche Kompetenzen (dann also auch den Führerschein) in ihren handschriftlichen Unterlagen notiert haben. Nach außen kommunizierbar ist jedoch nur eine Auswahl von wesentlichen Kernkompetenzen (7 s. o.). 5 Was ist die spezifische Qualität, mit der der Teilnehmer den geschilderten Anforderungen gerecht wird? Wie tut er etwas? 6
123 4.3 · Schriftliche Kompetenzenbilanzen
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5 Können Querverbindungen zwischen den Kompetenzen hergestellt werden? Vgl. etwa das oben genannte Beispiel von Selbständigkeit und Entscheidungsfähigkeit: Für beide Begriffe lassen sich dieselben Belege anführen; folglich ist es sinnvoll, sie als zusammengehörig zu verstehen und nicht als zwei unterschiedliche oder gar voneinander unabhängige Kompetenzen. Die Vielzahl der Teilkompetenzen lässt sich auf diese Weise reduzieren ohne wesentliche Informationen über die Person zu unterschlagen. »Weggekürzte« Kompetenzen können u. U. als Unterpunkt bzw. in der Beschreibung der spezifischen Qualität einer einzelnen Kompetenz berücksichtigt werden. 5 Es müssen Formulierungen, die suggerieren, der Coach sei bei den Handlungen der Person vor Ort gewesen, unbedingt vermieden werden. So kann im Zertifikat etwa beschrieben werden, dass die Teilnehmer sich darum bemüht haben, für ein angenehmes Arbeitsklima zu sorgen; ob ihnen das jedoch gelungen ist, müsste man die Gruppe vor Ort fragen. Sofern es Indikatoren gibt, die eine solche Beschreibung rechtfertigen, können diese aufgeführt werden. 5 Unzulässig sind Formulierungen wie »Frau/Herr X hat die Fähigkeit Y im Bereich Z bewiesen/nachgewiesen«. Einen »Beweis« kann ein Coach aufgrund dreier Gespräche nicht erbringen. Wie bereits gesagt, ist es hier angebracht,, auf das Bemühen oder wenn irgend möglich auf konkrete Handlungsergebnisse zu verweisen. → Kompetenzbeschreibungen sind eine Verdichtung der Selbstauskünfte der Teilnehmer. In ihnen soll deutlich werden, welche Anforderungen an die Teilnehmer gestellt wurden und auf welche Kompetenzen daraus geschlossen werden kann.
Grundsätzlich lässt sich jede Form einer Beobachtung quantifizieren und somit vergleichbar machen. Jede Transformation einer qualitativen Information auf eine quantitative Skala stellt jedoch eine Reduktion von Inhalten dar. Zudem stellt sich die Frage, inwieweit eine quantifizierte Kompetenzbeschreibung tatsächlich mit den Kompetenzen einer anderen Person vergleichbar ist, wie genau und im messtheoretischen Sinne valide eine solche Messung also ist. Die Genauigkeit einer Messung bedarf jeweils eines Vergleichsmaßstabes. Er existiert bislang nicht in allgemeinverbindlicher Form, sondern ist in hohem Maße kontextabhängig. Betrachten wir das oben angeführte Beispiel der qualitativen Kompetenzbeschreibung und überlegen wir, die darin enthaltene Information bzgl. der Erfahrungsmenge in eine quantitative Skala zu überführen, so wird schnell klar, welche Probleme sich hierbei stellen: Frau S. verfügt über 15 Jahre Erfahrung in selbstständiger Tätigkeit. Intuitiv könnte man vielleicht sagen sie habe viel Erfahrung darin, selbstständig zu arbeiten. Hat sie deshalb aber wesentlich mehr Erfahrungen gesammelt als eine Person, die 5, 7 oder 10 Jahre selbstständig tätig gewesen ist? Wenn wir diesen Wert nun also bspw. auf eine fünfstufige Skala übertragen wollen, stellt sich die Frage, welchen empirischen Daten welche Skalenwerte zuzuordnen sind. Eine solche Zuteilung kann nur willkürlich erfolgen. Ebenso verhält es sich bzgl. der übrigen
Quantitative Kompetenzbeschreibungen
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Kapitel 4 · Eine Methode der kompetenzorientierten Laufbahnberatung: Die Kompetenzenbilanz
Skalierung von Kompetenzen
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drei Dimensionen zur Beschreibung von Kompetenzen. Bei jeder Dimension stellt sich die Frage, wofür der jeweilige Wert steht: 4 Erfahrungsmenge. Was ist viel Erfahrung? Was ist wenig Erfahrung? 4 Erfahrungsvielfalt. Wie viele verschiedene Stationen belegen, dass eine Person über vielfältige Erfahrungen verfügt? 4 Komplexität. Welchen Vergleichsmaßstab gib es hierfür? Ein Industriemeister hat z. T. sehr komplexe Organisationsaufgaben. Ist es sinnvoll und fair diese Art der Komplexität mit derjenigen von Organisationsaufgaben eines Vorstandsmitglieds eines international tätigen Konzerns zu vergleichen? 4 Selbstreflexivität. Ein hoher Wert auf der Skala der Selbstreflexivität suggeriert, dass es sich hierbei um eine positive Eigenschaft handelt. Ist dies aber in jedem Fall positiv zu bewerten? Kann es nicht Fälle geben, in denen zu viel Nachdenken über das eigene Handeln eher hinderlich sein kann, bspw. in Fällen, in denen vor allem eine schnelle Entscheidung und unverzügliches Handeln erforderlich ist? Wir stellen fest, dass eine quantifizierte Darstellung von Kompetenzen keineswegs gleichzeitig auch höhere Transparenz, Objektivität und Vergleichbarkeit von Kompetenzen sichert.
Vergleichbarkeit von Kompetenzen
! Wichtig Die Vergleichbarkeit von Kompetenzen kann bislang jeweils nur anforderungsbezogen hergestellt werden. Dies setzt vor der Durchführung einer Kompetenzenbilanz die Erstellung eines Anforderungsprofils für eine Stelle oder eine Abteilung voraus. In einem solchen Anforderungsprofil müssen die jeweiligen Werte der Kompetenzen festgeschrieben sein, um sie zu skalieren. Auf der Grundlage eines solchen Anforderungsprofils können dann Kompetenzenbilanzen durchgeführt werden, deren Ergebnisse tatsächlich vergleichbar sind.
Nehmen wir an, dass diese Festlegung von Skalenwerten (bspw. auf einer Skala von 1–4) stattgefunden hat und Frau S. in einer quantifizierten Kompetenzenbilanz folgendermaßen beschreiben wird: Selbständigkeit und Entscheidungsfähigkeit 4 Erfahrungsmenge: 4 4 Erfahrungsvielfalt: 2 4 Komplexität: 3 4 Selbstreflexivität: 3 Diese Reduzierung der Kompetenzen auf Skalenwerte hat den ins Auge stechenden Vorteil der Kürze und Überschaubarkeit. Zudem lassen sich die Werte sowohl mit den Werten eines Anforderungsprofils als auch mit Werten anderer Personen vergleichen. Werden die jeweiligen Werte darüber hinaus grafisch dargestellt, ist die Voraussetzung für rasche Profilvergleiche zwischen verschiedenen Absolventen einer Kompetenzenbilanz gegeben. Darin liegt ein nicht zu unterschätzender Vorteil gegenüber qualitativen Kompetenzbeschreibungen, wenn es um ihren Einsatz in betrieblichen Kontexten geht.
125 4.3 · Schriftliche Kompetenzenbilanzen
Gleichzeitig jedoch fehlen viele der Informationen, die in der qualitativen Beschreibung von Kompetenzen zu finden sind. In welchen Kontexten wurde diese Kompetenz erworben (Erfahrungsmenge und Erfahrungsvielfalt)? Worin bestand die Komplexität der Anforderungen, anhand derer sich die Kompetenz erwiesen hat? In welche Aspekte des eigenen Handelns hat die Person besonderen Einblick und worin besteht er (Selbstreflexivität)? Durch den Prozess der kompetenzorientierten Laufbahnberatung sollte der Teilnehmer in der Lage sein, auf solche und weiterführende Fragen zu den eigenen Kompetenzen angemessene Antworten zu finden und so für seine Fähigkeiten argumentieren zu können. Die spezifischen Qualitäten der einzelnen Kompetenzen werden allerdings aus ihrer quantifizierten Darstellung noch nicht offensichtlich. Eine quantitative Kompetenzbeschreibung kann deshalb vor allem Vergleichskriterien an die Hand geben, die dann jedoch im Gespräch weiter vertieft und auf ihren Bedeutungsgehalt hin hinterfragt werden müssen.
Informationsverlust
Fazit In der quantifizierten Kompetenzbeschreibung sind Kompetenzen besser vergleichbar aber weniger verständlich.
Allerdings setzt eine quantifizierende Kompetenzbeschreibung ein sehr viel strukturierteres Vorgehen während des Coachings voraus als dies der Fall ist, wenn auf qualitative Kompetenzbeschreibungen hingearbeitet wird. Darüber hinaus kann der konstruktivistische Charakter der kompetenzorientierten Laufbahnberatung verloren gehen, wenn Kompetenzen nicht im Laufe des Prozesses erkannt, erarbeitet und benannt werden, sondern bereits vor der Beratung eine Reihe von Kompetenzen feststeht, auf die sich das Gespräch konzentriert. Eine solche Festlegung ist jedoch für eine schriftliche Kompetenzenbilanz, die in vollem Maße mit anderen Kompetenzenbilanzen vergleichbar sein soll, unverzichtbar. Dies wiederum erfordert ein identisches Verständnis der zu erfassenden Kompetenzen da sonst – mangels ausreichender Konstruktvalidität – eine Vergleichbarkeit von Kompetenzenbilanzen nicht gegeben ist. Zudem ergeben sich aus dem Ziel, eine quantifizierte schriftliche Bilanz zu erstellen, einige kritische Punkte innerhalb des Beratungsprozesses: 4 Durch eine Bewertung der Kompetenzen ändert sich unter Umständen das Verhältnis zwischen Coach und Teilnehmer im Vergleich zu einer Kompetenzenbilanz, die mit dem Ziel einer rein beschreibenden schriftlichen Bilanz erstellt wird. 4 Die Daten und Belege für die einzelnen Kompetenzen müssen noch akribischer gesammelt werden, als bei einer Kompetenzenbilanz mit qualitativen Kompetenzbeschreibungen
Engerer Fokus
Vorstellbar und sinnvoll sind Mischformen der beiden oben skizzierten Möglichkeiten schriftlicher Kompetenzenbilanzen. Wir halten noch einmal fest: Durch eine rein quantitative Darstellung von Kompetenzen geht unter Umständen umfangreiches Material, das zum Verständnis der Person und ihrer Kompetenzen beitragen kann, verloren, während eine rein qualitative Beschreibung von Kompetenzen gerade für den betrieblichen
Mischformen
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Kapitel 4 · Eine Methode der kompetenzorientierten Laufbahnberatung: Die Kompetenzenbilanz
Kontext häufig zu umfangreich sein dürfte. Zudem lässt die rein qualitative Kompetenzbeschreibung eine Vergleichbarkeit zwischen Personen nur in begrenztem Maße zu und bedeutet einen beträchtlichen Zeitaufwand für den Verfasser, also den Coach. Aus diesen Gründen scheint es deshalb sinnvoll, eine Mischform aus qualitativer und quantitativer Kompetenzbeschreibung anzufertigen. Hier können quantitative Elemente für eine Übersichtlichkeit und Vergleichbarkeit der Kompetenzen sorgen, während die qualitativen Beschreibungen als ausformulierte »Argumente« für die einzelnen Kompetenzen dienen können. Auch eine solche Form der Kompetenzenbilanz ist allerdings in ihrer Erstellung zeitaufwändig. Denkbar ist darüber hinaus, dass die schriftliche Kompetenzenbilanz modular erstellt wird; also ein Teil des Gutachtens als Rückmeldung an den Teilnehmer vorgesehen ist und ein anderer Teil für die Herausgabe an Personalverantwortliche. Allerdings gilt es hier zu bedenken, wer die Kompetenzenbilanz in Auftrag gegeben hat.
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Exkurs
Kompetenzenbilanzen in Frankreich
In einer Studie zur Wirkung, Verbreitung und Akzeptanz des französischen »Bilan de Compétence« zeigt Thömmes (2000), dass es problematisch sein kann Ergebnisse von Kompetenzenbilanzen nur unter Vorbehalt öffentlich zu machen. In Frankreich haben Arbeitnehmer ein gesetzlich verankertes Recht darauf in regelmäßigen Abständen eine Kompetenzenbilanz durchzuführen. Diese Kompetenzenbilanzen werden von unabhängigen Kompetenzbilanzierungszentren durchgeführt, was zu gleichen Teilen vom Staat und von den Unternehmen finanziert wird. Über die Weitergabe der Ergebnisse der Kompetenzenbilanzen dürfen die Arbeitnehmer frei entscheiden. Hier hat sich gezeigt, dass Unternehmen langfristig nicht bereit sind, für einen Prozess die Kosten zu tragen, dessen Ergebnisse ihnen nicht zugänglich gemacht werden. Dadurch ließ die anfänglich hohe Akzeptanz des »Bilan de Compétence« deutlich nach.
Die Entwicklung des »Bilan de Compétence« wirft die grundsätzliche Frage auf, in wessen Auftrag eine Kompetenzenbilanz erstellt wird. Denkbare Zusammenhänge wie Berufsberatung, Personalentwicklung oder privates Coaching ziehen jeweils unterschiedliche Fragestellungen an den Prozess und an die sich anschließende schriftliche Dokumentation nach sich.
Schweigepflicht
! Wichtig Zu bedenken ist in der Gestaltung schriftlicher Gutachten und insbesondere bei deren Weitergabe, die für Diplompsychologen geltende gesetzliche Schweigepflicht nach § 203 StGB.
Aus den genannten Überlegungen wird deutlich, dass es bislang noch keine verbindliche und allgemeingültige Form von Kompetenzenbilanzen gibt. Ob es das geben kann, ist fraglich. Sinnvoll erscheint es jedoch, Rahmen- und Qualitätsbedingungen für verschiedene Arten von Kompetenzenbilanzen zu entwickeln und als Coach jeweils mit dem Teilnehmer und/oder dem Auftraggeber zu vereinbaren, welche Form der schriftlichen Bilanz im
127 4.3 · Schriftliche Kompetenzenbilanzen
Anschluss an das Beratungsverfahren erstellt werden soll. Der Coach sollte dabei darauf achten, die jeweiligen Nutzenaspekte des schriftlichen Bilanz deutlich zu machen und darauf aufmerksam machen, welche Konsequenzen sich aus der Gestaltung der schriftlichen Bilanz für den Prozess der Beratung ergeben. Abschluss und Ausblick
Nächste Schritte, Empfehlungen
Nachdem die bislang beschriebenen Teile der schriftlichen Bilanz eher der objektiven Schilderung und intersubjektiv verstehbaren Verschriftlichung von Werdegang und Kompetenzen des Teilnehmers dienten, sollte am Ende des gesamten Prozesses noch Raum für eine persönliche Stellungnahme des Coaches sein. In der vorangegangenen Beratung ist mitunter eine zwar vorübergehende, aber dennoch intensive Bindung zwischen Coach und Teilnehmer entstanden, die durch ein rein dokumentarisches Gutachten recht abrupt beendet werden würde. Aus diesem Grund empfiehlt es sich, die schriftliche Kompetenzenbilanz einerseits mit den im Coaching erarbeiteten nächsten Schritten und zudem mit einer persönlichen Stellungnahme des Coaches abzuschließen. Zum Einen sollten also die nächsten Maßnahmen und der Aktionsplan hier nochmals in schriftlicher Form (und im Gegensatz zu den ausgefüllten Arbeitsblättern in ganzen Sätzen) festgehalten werden. Dies dient sowohl als weiterer Anstoß für die Teilnehmer, über die formulierten Ziele nochmals zu reflektieren, als auch dazu, eine Bindung der Teilnehmer an das im Coaching erarbeitete Ziel herzustellen. Außerdem hat der Coach hier die Möglichkeit, das Ziel und die Kompetenzen und Ressourcen in Beziehung zueinander zu setzen und eine persönliche Einschätzung darüber abzugeben, welche Möglichkeiten, aber auch welche Hindernisse sich daraus unter Umständen ergeben können. ! Wichtig Dieser Abschlussteil der schriftlichen Kompetenzenbilanz bietet Raum für eine freiere Gestaltung, da er als persönliches Resümee des Beratungsprozesses und individuelle Rückmeldung zu betrachten ist und nicht als ein Dokument, das an Dritte herausgegeben wird.
Das letzte Kapitel der schriftlichen Bilanz kann bspw. auch in Form eines persönlichen Briefes an den Teilnehmer abgefasst sein, der eine kurze Reflexion der Coachings und der darin identifizierten Kompetenzen betrifft. Im Rahmen einer persönlichen Empfehlung können hier auch Problembereiche und Schwachpunkte des Teilnehmers angesprochen werden – dies allerdings nur, falls sie tatsächlich mit einer nützlichen Empfehlung verbunden sind und wenn diese Aspekte grundsätzlich bereits im Rahmen der Coachings besprochen wurden. Auf keinen Fall darf der Schluss des Gutachtens Punkte enthalten, die der Coach dem Teilnehmer »schon länger sagen wollte«, dies jedoch nicht in den Gesprächen untergebracht hat. Das Kriterium der Nützlichkeit für die Teilnehmer ist auch im Abschlusskapitel von zentraler Bedeutung, da die positive Entwicklung im Sinne des Teilnehmers im Vordergrund steht.
Persönliche Rückmeldung
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Kapitel 4 · Eine Methode der kompetenzorientierten Laufbahnberatung: Die Kompetenzenbilanz
4.4
Der Coach
Aufgaben, Rolle und Selbstverständnis Der Coach ist Experte für den Prozess
4
Dem Coach fällt im Rahmen der Kompetenzenbilanz wie auch in jeder anderen Form einer kompetenzorientierten Laufbahnberatung eine zentrale Rolle zu. Wie aus der Schilderung der Methode und aus den theoretischen Vorüberlegungen deutlich geworden ist, handelt es sich bei jeder Art einer kompetenzorientierten Laufbahnberatung um ein klientenzentriertes Verfahren. ! Wichtig Nicht der Coach ist Experte für die Themen, die den Teilnehmer betreffen, sondern der Teilnehmer selbst besitzt die Expertise. Der Coach hingegen ist Experte für die Durchführung des Prozesses und für die darin enthaltenen Methoden und Begriffe. Er muss Antwort darauf geben können, was Fertigkeiten sind, was man unter Kompetenzen versteht und warum es wichtig ist, das Verfahren auf die von ihm vorgeschlagene Weise durchzuführen.
Teilnehmer ist Experte für die eigenen Probleme
Vertrauen ist die Basis der Zusammenarbeit
Da die Kompetenzenbilanz, wie sie hier vorgestellt wird, ein ungewöhnlich strukturiertes und gleichzeitig hocheffizientes Verfahren ist, wird die Rolle des Coaches besser deutlich, wenn man sie als die eines Prozessbegleiters interpretiert. Aufgabe des Coaches ist es nicht, Lösungen für Probleme des Teilnehmers zu finden, sondern diesem Methoden zur Verfügung zu stellen, um Ergebnisse möglichst selbstständig zu erarbeiten. Die Kompetenzenbilanz gibt dem Coach eine genaue Struktur vor, die einzuhalten die Effektivität des Prozesses fördert. Dennoch kann es Situationen und Personen geben, bei denen es sich als günstig erweist, die Struktur der drei Coaching-Sitzungen und ihre Inhalte flexibel zu gestalten. Maßgabe dieser Flexibilität ist das gemeinsam mit dem Teilnehmer vereinbarte Ziel des Coachingprozesses. Das Selbstverständnis des Coaches sollte demnach von dem Wunsch getragen sein, den Teilnehmern bei ihrer Suche nach Orientierung zu helfen. Der Coach gibt den Teilnehmern keine Lösung vor, sondern hilft ihnen dabei, die für sie passende Lösung selbst zu finden. Das bedeutet, dass der Coach sich bewusst machen muss, dass er die beste Lösung für den Teilnehmer selbst nicht kennt, sondern ihnen als kritisch reflektierender Spiegel dabei hilft, die Lösung oder manchmal vielleicht auch nur ihre Konturen selbst zu erkennen. Die Haltung des Coaches sollte geprägt sein von einem grundsätzlichen Wohlwollen und dem Respekt dem Teilnehmer und seiner manchmal fremden Lebenswelt gegenüber. Der Coach sollte sich stets dessen bewusst sein, dass das gegenseitige Vertrauen den gesamten Prozess trägt.Aus dem Vertrauensverhältnis zwischen Coach und Teilnehmer ergibt sich die Verantwortung, den Teilnehmern einerseits die in ihrem Sinn bestmögliche Beratung zukommen zu lassen, und ihnen andererseits eine behutsame Rückmeldung über offensichtliche Verzerrungen in ihrer Selbstwahrnehmung zu geben. Dieser Punkt ist insofern heikel, als er von dem Coach erfordert, eine Grenze zu ziehen zwischen dem, was tolerierbar ist und dem, was der eigenen Verantwortung entsprechend
129 4.4 · Der Coach
rückgemeldet werden sollte. Vielleicht kann man sich durch das Konstrukt des »offensichtlich und gravierend falschen Selbstbildes, das zu deutlichen negativen Konsequenzen für den Teilnehmer führen kann« behelfen. Zentral ist auch hierbei die Ausrichtung am Wohl des Teilnehmers. Es geht nicht darum, sich selbst zu profilieren als jemanden, der den anderen gründlich »durchschaut« und dessen »rote Knöpfe« aufgespürt hat – das entspricht ganz und gar nicht dem Geist der Kompetenzenbilanz. Es geht vielmehr darum, aus den Informationen, die im Rahmen der drei Sitzungen zur Verfügung gestellt werden, diejenigen herauszufiltern, die nicht zu dem Bild passen, das der Teilnehmer vermittelt und diese Punkte dann ggf. behutsam und respektvoll anzusprechen. Jeder Coach hat die Verantwortung dafür, ein Vertrauensverhältnis zwischen ihm und dem Teilnehmer aufzubauen. Gelingt es nicht, eine tragfähige Beziehung zu schaffen, sollte dies möglichst früh thematisiert werden. Eine genaue Benennung der dafür verantwortlichen Punkte, ohne den Respekt und die Wertschätzung für den Teilnehmer dabei aufzugeben, ist dabei hilfreich. Gelingt es auch dann nicht, eine gemeinsame Basis zu finden, sollte u. U. der Wechsel zu einem anderen Coach in Erwägung gezogen werden. Kompetenzbilanzierung in Unternehmen
Wie bereits angesprochen, erfährt ein hierarchiefreies Verhältnis zwischen Coach und Teilnehmer u. U. eine empfindliche Verletzung, sobald die Kompetenzenbilanz nicht mehr als individuelles Beratungsinstrument genutzt, sondern im betrieblichen Kontext als Methode zur Personalentwicklung eingesetzt wird. Hier findet sich der Coach in einem Spannungsfeld zwischen seinem Auftraggeber (dem Unternehmen) und dem Teilnehmer wieder: Einerseits kann der Teilnehmer von der Kompetenzenbilanz nur profitieren, wenn er offen gegenüber sich und dem Coach ist, andererseits kann der Teilnehmer den Coach quasi als Unternehmensvertreter sehen, der gewonnene Informationen auch gegen ihn verwenden könnte. ! Wichtig Auch hier gilt als oberstes Gebot, dass der Coach stets im Interesse des Teilnehmers zu handeln hat. Deshalb sei hier nochmals auf die für Psychologen geltende gesetzliche Schweigepflicht nach § 203 StGB hingewiesen.
Wie kann jedoch auch im betrieblichen Kontext ein ausgeglichenes Verhältnis zwischen Coach und Teilnehmer sichergestellt werden? In diesem Zusammenhang entscheidet vor allem die Transparenz des Vorgehens über den Erfolg. Sowohl der monetäre Auftraggeber (also das Unternehmen) als auch der psychologische Auftraggeber (Teilnehmer) muss über den Ablauf der Kompetenzenbilanz informiert sein. Insbesondere muss der Teilnehmer uneingeschränkte Kenntnis darüber haben, aus welchem Grund das Unternehmen eine Kompetenzbilanzierung durchführen möchte, welche Folgen sich daraus ergeben können und wem in welcher Form und zu welcher weiteren Verwendung Ergebnisse oder Erkenntnisse aus dem Kompetenzbilanzierungsverfahren vorgelegt werden.
Transparenz bzgl. der Konsequenzen
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130
Kapitel 4 · Eine Methode der kompetenzorientierten Laufbahnberatung: Die Kompetenzenbilanz
Ausbildung Voraussetzungen und Inhalte
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Die Kompetenzenbilanz wird ausschließlich von Coaches durchgeführt, die eine mehrtägige Schulung absolviert haben, der sich eine Supervision von mindestens zwei durchgeführten Kompetenzenbilanzen anschließt. Im Rahmen der Schulung werden die Coaches mit Grundlagen der Theorie von Kompetenzen und deren Entwicklung vertraut gemacht. Zudem werden die einzelnen Schritte der Kompetenzenbilanz in Übungen ausprobiert und die Ergebnisse und jeweiligen Fragen in der Gruppe diskutiert. Die Ausbildung ist so strukturiert, dass einer Seminarsitzung jeweils eine Supervisionssitzung folgt, so dass in der nächsten Seminarsitzung bereits Erfahrungen aus den Erstgesprächen thematisiert und im Sinne einer Intervision diskutiert werden können. Für eine Ausbildung zum Kompetenzenbilanz-Coach eignen sich Personen, die zum einen über Erfahrungen in Coaching- oder Beratungssettings verfügen. Da die Teilnehmer nicht aus einheitlichen Situationen kommen, sondern teilweise aus der Erwerbslosigkeit, aus einer familien- oder krankheitsbedingten Berufsunterbrechung oder sich auch nur umorientieren wollen, ist ein einheitliches Verständnis ihrer Situation nicht zielführend. Nötig ist hier ein zumindest grundsätzliches Wissen um die Situation von Erwerbslosen, Wiedereinsteigern und berufstätigen Umsteigern, das das Verständnis der spezifischen Situation der Teilnehmer erleichtert und damit eine zielführende Beratung innerhalb der recht kurzen Zeit ermöglicht. Zur Durchführung des Coachingprozesses ist darüber hinaus ein hohes Maß an Empathie und sozialer Sensibilität notwendig, das jedoch durch die gleichzeitig vorhandene Fähigkeit, sich zu distanzieren, gebremst wird. Der Coach soll durch sein hohes Einfühlungsvermögen nicht in die Lage kommen, den Standpunkt seines Teilnehmers nicht mehr zu reflektieren; denn von dieser kritisch-einfühlenden Reflexion hängt der Erfolg des Coachingprozesses maßgeblich ab. Da durch die Kompetenzenbilanz die Selbstreflexion der Teilnehmer gefördert werden soll, ergeben sich bezüglich der Fähigkeit, über das eigene Handeln kritisch nachdenken zu können, auch besondere Anforderungen an den Coach. Die Fähigkeit zur Selbstreflexion ist eine Metakompetenz, die für Coaches zu den absolut grundlegenden Voraussetzungen gehört, da jeder Coachingprozess unterschiedlich verläuft und das Verhalten den unterschiedlichen Situationen und Personen flexibel angepasst werden muss. Sie ist eine grundlegende Voraussetzung für die Kompetenzenbilanzcoaches, um Expertise zu gewinnen. Grenzen des Coachings
Wo enden die Möglichkeiten?
Die Grenzen des Coachings und damit auch der Kompetenzenbilanz liegen auf der Hand, sollen aber dennoch an dieser Stelle nochmals dargestellt werden, da sich auch im Verlauf der Coachings nicht immer klare Grenzen eindeutig ziehen lassen. Zunächst gilt folgender Grundsatz, der die Grenzen der Kompetenzenbilanz aufzeigt: ! Wichtig Dort, wo es nicht mehr um die zentralen Stärken und Begabungen von Personen und die damit zusammenhängenden Prozesse und 6
131 4.4 · Der Coach
4
Entwicklungen geht, ist die Grenze des auf die Kompetenzenbilanz bezogenen Coachings erreicht. Therapeutische Fragestellungen können im Rahmen der Kompetenzenbilanz nicht aufgearbeitet werden.
Aus den Erfahrungen mit bislang mehr als 1.300 Teilnehmern lässt sich sagen, dass für eher wenige Teilnehmer ein therapeutisches Setting angemessen wäre. Das Bedürfnis nach einer Standortbestimmung fußt allerdings in diesen Fällen häufig auf depressiven Symptomen oder geht mit akuten Anzeichen eines Burn-out-Syndroms einher. In diesen Fällen kann die Kompetenzenbilanz als Einstieg in eine psychologisch fundierte Beratung dienen und hat in diesem Rahmen auch eine Berechtigung, da schwer einsehbar ist, wie die zu Grunde liegende Herangehensweise zu einer Verschlechterung der oben genannten Krankheitssymptome und der dahinter stehenden Dynamiken führen sollte. Coaches sollten grundsätzlich in der Lage sein, psychische Krankheitsbilder in ihren Grundzügen erkennen und benennen zu können, um die Teilnehmer gegebenenfalls an therapeutische Institutionen oder an einzelne Personen verweisen. Eine Entscheidung darüber, ob ein therapeutisches Setting für den Teilnehmer geeigneter sein könnte als ein Coachingverfahren wie die Kompetenzenbilanz, sollte in der ersten Sitzung erfolgen. Grundlage für diese Entscheidung ist der Abgleich der Erwartungen der Teilnehmer an die Kompetenzenbilanz mit dem, was dieses Beratungsverfahren zu leisten im Stande ist. Weichen diese Erwartungen fundamental voneinander ab, liegt es in der Verantwortung des Coaches, den Prozess abzubrechen und eine andere Vorgehensweise zu empfehlen. Idealerweise sollte eine solche grobe Zielklärung bereits vor Beginn der Kompetenzenbilanz, also in der Phase der Auftragsklärung erfolgen. Dies ist jedoch nicht immer ausreichend, weil Teilnehmer häufig vor Beginn der Kompetenzenbilanz ihre Bedürfnisse noch nicht so klar artikulieren können wie später im Verlauf des ersten Gesprächs.
Kenntnis psychopathologischer Krankheitsbilder
Schlussbemerkung
Im Verlauf des Beratungsprozesses kann der Coach auf vielerlei Grenzen stoßen, die sich aus den individuellen Bedürfnissen und Entwicklungen seiner Teilnehmer ergeben. Was sollte man z. B. mit einem Teilnehmer anfangen, der zu wenig Material liefert, um den Prozess zu einem wirklich produktiven Ende zu führen? Wie sehr sollte man ihn dazu drängen, das Material zu vervollständigen? Was, wenn der Teilnehmer eine in den Augen des Coaches ungünstige Entscheidung treffen möchte? Was soll der Coach tun, wenn er eine psychopathologische Symptomatik erkennt, der Teilnehmer jedoch grundsätzlich und in keinem Fall therapeutische Hilfe in Anspruch nehmen möchte? ! Wichtig Grundsätzlich darf im Rahmen der Coachings kein Druck aufgebaut werden, um den Teilnehmer zu einem bestimmten Ergebnis zu bringen. Dies würde dem Prinzip der Hilfe zur Selbsthilfe grundlegend widersprechen und wäre im Rahmen eines Verfahrens paradox, das im weitesten Sinne dazu dienen soll, auch die Eigenverantwortlichkeit der Teilnehmer zu stärken.
Ethische Fragen
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Kapitel 4 · Eine Methode der kompetenzorientierten Laufbahnberatung: Die Kompetenzenbilanz
Freiheit und Freiwilligkeit
4
Hier werden zudem grundlegende ethische Fragen angesprochen (wie z. B. die Freiheit des Anderen), die wir für die Kompetenzenbilanz folgendermaßen beantworten: Zunächst betrachten wir jeden Teilnehmer als mündig in dem Sinne, dass er oder sie dazu fähig ist, für sich selbst Verantwortung zu übernehmen. Diese Fähigkeit ist bei den meisten Menschen in dem einen oder anderen Bereich eingeschränkt, in dem sie hinter ihren theoretischen Möglichkeiten zurückbleiben – das kann z. B. bei einem sehr stark von der Realität (begriffen als gemeinsam geteiltes Konstrukt dessen, was wir erleben und erfahren) abweichenden Selbstbild oder einer deutlich »fehlerhaften« Einschätzung der Realität der Fall sein. Selbstverantwortung ist kein theoretisch gedachtes Konstrukt, sondern ein in der tätigen Übernahme ständig aktualisiertes Handlungsprinzip. Das bedeutet konkret: Menschen sind in unterschiedlichem Maße dazu befähigt, die Verantwortung für sich selbst zu übernehmen. Dort, wo wir begründete und auch gegenüber Dritten begründbare Zweifel daran haben, dass der Teilnehmer in einem bestimmten Bereich diese Fähigkeit in angemessenem Maße hat, liegt es wiederum in unserer Verantwortung als Coach und Berater, den Teilnehmer durch kluges Fragen dazu zu bringen, sein Bild von der Realität zu überdenken und gegebenenfalls – aber das liegt wiederum in der Verantwortung des Teilnehmers, die ihm niemand abnehmen kann, – zu modifizieren.
5 Wirkungen 5.1
Methodische Anlage der Evaluation – 134
5.2
Beurteilung von Methode und Prozess durch die Klienten – 136
5.3
Quantitative Längsschnittevaluation – 143
5.4
Claudia, die Notfallschwester – 144
134
Kapitel 5 · Wirkungen
Die Kompetenzenbilanz wurde zunächst im Rahmen eines Pilotprojektes mit 30 Teilnehmern erprobt und im weiteren Verlauf angepasst. Seit September 2003 wurde sie im Zukunftszentrum Tirol bislang zur Beratung von über 1.400 erwerbsfähigen Personen eingesetzt, die Durchführung wird großzügig mit öffentlichen Mitteln subventioniert. In Deutschland kam die Kompetenzenbilanz im Bereich Outplacement zum Einsatz, darüber hinaus wird sie im Rahmen von Einzelcoachings im Auftrag der Klienten durchgeführt. In den folgenden Abschnitten werden die Wirkungen der Kompetenzenbilanz dargestellt, so wie sie sich nach heutigem Stand der Arbeiten darstellen.
5 5.1 Prototyp als Grundlage
Feedback von Teilnehmern
Methodische Anlage der Evaluation
Um eine Einschätzung zu erhalten, wie der Beratungsansatz von den Teilnehmern angenommen wird, wurden zunächst die Teilnehmer des Pilotprojektes um eine Rückmeldung zur Methode und dem Ablauf der Beratung gebeten. Aus diesen Rückmeldungen und den Erfahrungen der vier Coaches, die den Entwurf der Kompetenzenbilanz erstmalig umsetzten, wurden Verbesserungsvorschläge entwickelt, die in die bestehende erste Fassung eingearbeitet wurden. Die überarbeitete Fassung wurde im September 2003 mit öffentlichen Zuschüssen für zunächst 200 Kompetenzenbilanzen bis zum Jahresende begonnen. An die Teilnehmer wurden bei der letzten Coachingsitzung Feedback-Bögen ausgeteilt, in denen sie um Rückmeldung zu verschiedenen Bereichen gebeten wurden: Erfasst wurden: 4 Erwartungen und Zielsetzungen an das Verfahren, 4 Themenschwerpunkte und Methoden, 4 die Zusammenarbeit mit dem Coach, 4 Aussagen zum persönlichen Nutzen einzelner Aspekte des Verfahrens, 4 eine Einschätzung der erarbeiteten Ziele, 4 Verbesserungsvorschläge, 4 die Weiterempfehlung des Verfahrens an Freunde und Kollegen. Die Rückmeldungen der Teilnehmer waren so positiv, dass man – obwohl dafür keine konkreten Anhaltspunkte vorlagen – kritisch überprüfen musste, ob das Ergebnis nicht zum Teil auf die Art der Fragen oder den Befragungszeitpunkt direkt nach dem Abschlussgespräch zurückzuführen war. In der folgenden Übersicht sind einige Rückmeldungen von Klienten auf das Verfahren aufgeführt. »Im Gesamten gesagt, war die Kompetenzenbilanz für mich sehr positiv. Und ich glaube, sie hat mir vorwiegend persönlich viel gebracht.« »Ich habe viele Kompetenzen oder Fähigkeiten schon gewusst, weil sie sich so breit durch mein Arbeitsleben ziehen. Aber ich glaube, dass ich jetzt selbstsicherer dahinterstehen kann.« »Bin einfach zufrieden und bin froh, dass ich es gemacht habe. Ich muss sagen, es hat mir total gut gefallen. Im Moment habe ich für mich eine stressige Zeit, aber das hat gerade noch dazu gepasst.«
135 5.1 · Methodische Anlage der Evaluation
5
»Und im Prinzip ist es eher so, dass ich weiß, die und die Jobs kommen in Frage, weil ich die und die Kompetenzen habe und die Vorstellungen. Es ist irgendwie wieder ein bisschen flexibler geworden. Ohne dass ich Angst davor habe.«
Nachdem die öffentlichen Mittel für weitere 1.000 Beratungszyklen im Folgejahr genehmigt waren, wurde damit begonnen, eine an wissenschaftlichen Qualitätskriterien orientierte Evaluation der Wirkungen des Beratungsansatzes und der Nutzenwahrnehmungen durchzuführen, die im Sommer 2004 in das Beratungsangebot integriert wurde. Der Evaluationsansatz der Kompetenzenbilanz ist im Wesentlichen durch zwei Merkmale bestimmt: Es handelt sich einerseits um eine Längsschnittevaluation, da wir davon ausgehen, dass sich die Wirkungen der Kompetenzenbilanz am besten im Zeitverlauf zeigen und bestimmen lassen. Die Befragungszeitpunkte liegen 4 vor Beginn der Kompetenzenbilanz, 4 nach Abschluss der Kompetenzenbilanz, 4 zwei Monate nach Abschluss der Kompetenzenbilanz, 4 sechs Monate nach Abschluss der Kompetenzenbilanz.
Evaluation im Längsschnitt
Das zweite wesentliche Bestimmungsmerkmal des Evaluationsansatzes liegt in der Kombination quantitativer und qualitativer Daten. Einem Teil der Klienten wurden Fragebögen mit überwiegend geschlossenen Fragen bzw. erprobten Skalen ausgehändigt, um eine zusammenfassende Bewertung der von der Kompetenzenbilanz ausgehenden Impulse zu ermöglichen. Etwa sechzig andere Klienten wurden um Teilnahme an einer Interviewstudie gebeten, in der die Wirkverläufe und Beurteilungen des Nutzens im individuellen Kontext betrachtet werden konnten. Zum Zeitpunkt der Drucklegung dieses Buches liegen die Daten aus den beiden Längsschnittuntersuchungen noch nicht vollständig vor. Auf der Grundlage der bisherigen Auswertungen der Fragebogenstudie lässt sich jedoch von deutlichen positiven und nachhaltigen Impulsen ausgehen, deren eingehende Dokumentation Gegenstand wissenschaftlicher Veröffentlichungen ist (z. B. Langvon Wins u. Triebel 2005). Auch das umfangreiche Material der Interviewstudie ist gegenwärtig noch nicht abschließend ausgewertet. Die bisher vorliegenden Auswertungen unterstreichen die in den quantitativen Daten zum Ausdruck kommenden Wirkrichtungen jedoch auf z. T. eindrucksvolle Weise. In den folgenden Abschnitten dieses Kapitels werden die Ergebnisse der Feed-back- und Evaluationsbefragungen zusammenfassend dargestellt. Dabei stellen wir zunächst die Rückmeldungen der Klienten zu den verschiedenen Teilen der Kompetenzenbilanz in den Vordergrund. Auf diese Eindrücke von Prozess und Methode von den Klienten folgt eine kurze Darstellung der bisher vorliegenden statistisch gesicherten Evaluationsergebnisse, in der wir auch versuchen, einige grundsätzliche Hypothesen über die Wirkung des Verfahrens aufzustellen. Im letzten Abschnitt schließlich werden mögliche Wirkungen bildhaft in einer Falldarstellung verdeutlicht.
Wissenschaftliche Veröffentlichungen werden verfasst
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Kapitel 5 · Wirkungen
5.2
Beurteilung von Methode und Prozess durch die Klienten
Zunächst kommen nun die Klienten in Hinblick auf die Beurteilung der konkreten Vorgehensweise zu Wort. Die hier berichteten Daten beruhen auf einer Teilstichprobe von 100 Klienten, die zum Zeitpunkt der Drucklegung dieses Buches ausgewertet werden konnte. Wir gehen im Folgenden insbesondere auf die einzelnen methodischen Bestandteile des Verfahrens und auf die wahrgenommene Qualität der Zusammenarbeit zwischen Coach und Klienten ein. Dabei konzentrieren wir uns in der Darstellung auf die statistischen Auswertungen, denen wir Aussagen von Klienten illustrierend zur Seite stellen.
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Biografische Methoden: biografische Sammlung und Lebensprofil Hervortreten biografischer Sinnzusammenhänge
Der durch die biografische Sammlung und die Arbeit mit dem Lebensprofil angestoßene Reflexionsprozess wird von vielen Teilnehmern als Schlüssel der Kompetenzenbilanz erlebt. Hervorgehoben wird vor allem die strukturierte und in die Tiefe gehende Auseinandersetzung mit dem eigenen bisherigen Leben, die ohne Anleitung, Struktur und Nachfragen durch den Coach sonst kaum in dieser Art stattfinden dürfte. Die bereits während der Erstellung des Lebensprofils einsetzende Beschäftigung mit dem eigenen Werdegang führt häufig aus Sicht der Klienten bereits dazu, dass biografische Sinnzusammenhänge hervortreten, die ihnen vorher nicht bewusst waren. Vermutlich trägt gerade die Anforderung, einem Außenstehenden ein mehr oder weniger schlüssiges Bild der eigenen Entwicklung zu präsentieren, viel dazu bei, das eigene Nachdenken zu intensivieren. Besonders wird von den Teilnehmern hervorgehoben, dass sich die Aufarbeitung nicht nur auf den beruflichen, sondern auch auf den privaten Bereich bezieht. Eine Teilnehmerin formuliert dies folgendermaßen: »Was mir gefallen hat? Über alles nachdenken, dass das ganzheitlich war. Dass es nicht nur um den Beruf gegangen ist, sondern auch um Familie, Freunde, Hobbys. Und die Kurve, … das alles ganzheitlich zu sehen, das hat mir gut gefallen.« Ein anderer Teilnehmer formuliert den Nutzen der biografisch orientierten Methoden folgendermaßen: »Und das hat auch total Spaß gemacht. Ich war sogar ein bisschen stolz danach, wo das dann irgendwie fertig war. Das war positiv. Und von dem her, glaube ich, hat es mir selber einiges gebracht. Wo ich in der Selbstreflexion und es hat auch ein paar so Aha-Momente gegeben, wo manche Dinge plötzlich einen Zusammenhang bekommen haben, der mir vorher nicht bewusst war.« Auch in den Daten der quantitativen Befragung lässt sich ein breiter zustimmender Konsens zu den biografischen Methoden feststellen. Der Kern der Zufriedenheit bezieht sich auf die Möglichkeit, sich systematisch mit dem eigenen Leben auseinander zu setzen und sich der in der Biografie verborgenen Entwicklungslogiken bewusst zu werden. Beispielhaft verdeutlicht sei diese Haltung anhand des folgenden Zitates eines Teilnehmers: Beispiel
Möglichkeit, eine Zwischenbilanz zu ziehen
Klient: Für mich war es sehr hilfreich, einfach weil du erst mal durch diese Hausaufgabe Lebensprofil, dass du das zeichnen musst, du wirst erst mal gezwun-« 6
137 5.2 ·Beurteilung von Methode und Prozess durch die Klienten
gen, jetzt positiv, dich mit dir selbst zu beschäftigen. Und das ist eine Sache, wo ich sage: Gut, ich meine ich beschäftige mich mit mir selber auch. Aber nie so intensiv wie durch das Lebensprofil, (…) an dieser roten Leitlinie, anhand dieses roten Fadens, privat, berufsmäßig, wie ging es dir? Gut/schlecht usw. Es ist wirklich für mich Erstaunliches raus gekommen. Nicht unbedingt das, dass ich gesagt hätte, ich habe was Neues dazu gelernt. Einfach noch mal, dass man sich so sein Leben wirklich übersichtlich auf einer Seite darstellen kann. Und dass man sieht: hoppla, das hast du da gemacht … praktisch so ähnlich wie die Fernsehsendungen: Das war Ihr Leben. Wo man das Ganze noch mal aufrollt, um dann sich bewusst zu machen, was hast du alles getan. Was hast du dafür gebraucht, grade an Fähigkeiten, Kompetenzen, an Wissen etc. und als Einstieg war das Lebensprofil sehr gut, damit du nachher weiter machen kannst, um auf deine Kompetenzen zu kommen. Ich glaube nicht, dass ohne dieses Lebensprofil man wirklich so drauf gekommen wäre. Und ich glaube, da geht es nicht nur mir so, sondern auch anderen, die einfach schon ein paar Jahre beruflich oder wie auch immer, hinter sich haben, die nicht mehr die Jüngsten sind, und wo man sagen kann: Das war mein Leben, was habe ich in der Zwischenzeit alles gemacht. Weil viele Sachen vergisst du einfach. Was in der Vergangenheit gelaufen ist, ob das positiv oder negativ ist. Und sich daran zu erinnern, fand ich sehr gut. Interviewer: Nur der Vollständigkeit halber, vor der Erstellung des Lebensprofils ist der erste Arbeitsschritt, den man im Einführungsworkshop macht. Diese biografische Sammlung, diese Fragen: Was hat mich zu dem Menschen gemacht? Haben Sie das noch in Erinnerung? Das ist wiederum der Einstieg zum Lebensprofil. Wie haben Sie das in Erinnerung? Klient: Das habe ich so in Erinnerung, als Einstieg, schon als Hilfe für das Lebensprofil und für später. Natürlich, dass man dann sagt, warum bin ich so geworden, wie ich heute bin, und was habe ich da und dort gelernt. Das war für mich der Einstieg, um mich mit mir zu beschäftigen. Und das ist wirklich der grobe Rahmen, fand ich. Das waren so die groben Inhalte erst mal. Wer hat mich zu dem gemacht, der ich bin? Die meiste Zeit, am Anfang habe ich gedacht, es waren meine Eltern, durch die Erziehung und das Ganze, und dann nachher im Lebensprofil kamen noch Sachen, wo ich gesagt habe, da habe ich durch meine Erziehung was gelernt, aber da sind z. B. Teile dazu gekommen, die ich mir selber erarbeiten musste. Weil meine Eltern nicht mehr da waren. Oder in anderen Bereichen, genau, wo man sagen könnte, habe ich auf dem aufgebaut, was ich von früher mitbekommen habe. Und insofern war es ein guter Einstieg. Um dann zum Lebensprofil zu kommen oder nachher auch für die Fähigkeiten und Kompetenzen, einfach, wo man gesagt hat: Was haben mir die Eltern mitgegeben, was habe ich selber draus gemacht? Habe ich das weiter benutzt? Genauso wie nachher bei den Kompetenzen, bei den Werten, habe ich die Werte von meinen Eltern übernommen oder so. Im Prinzip, es zieht sich wie ein roter Faden durch und insofern war es vom Einstieg her, war es sehr gut. Einfach um in die Materie rein zu kommen. Sich mit sich selber zu beschäftigen.
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Kapitel 5 · Wirkungen
Arbeit mit dem Handbuch
Typen von HandbuchNutzern
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Bei der Arbeit mit dem Handbuch, in dem die Methoden der Kompetenzenbilanz erläutert sind und das die Anleitungen bzw. Arbeitsblätter zur eigenständigen Weiterbearbeitung nach den innerhalb der Coachings begonnenen Instruktionen enthält, lassen sich drei Personengruppen unterscheiden: Intensive Nutzer des Handbuches, die das Handbuch auch unabhängig von den Empfehlungen der Coaches nutzen und sich mit den dargestellten Hintergründen beschäftigen. Die intensiven Nutzer nehmen auch die optional in das Handbuch integrierten Angebote wie z. B. den EU-Lebenslauf stärker wahr. Zu beobachten ist in dieser Gruppe ein verstärktes Interesse an der Kompetenzenbilanz und ihrem Vorgehen auch im Umfeld der Teilnehmer. Eine beispielhafte Äußerung für einen intensiven Nutzer aus der Interviewstudie ist die folgende Antwort auf die Frage, wie die Arbeitsmappe benutzt wurde: »Ja, mit meinem Partner natürlich. Der hat die Mappe gut, sehr schön gefunden und die Mappe war sehr hilfreich für seinen Sohn.« Mäßige Nutzer, die das Handbuch nur soweit vom Coach angeleitet und als Quelle der in Heimarbeit zu erstellenden Materialien nutzen, auf denen die nächste Sitzung aufbaut. Eine beispielhafte Äußerung für einen mäßigen Nutzer ist die folgende Ausführung zum Einsatz des Handbuches: »Außerdem sind in der Mappe, die man bekommt, Beispiele drinnen. Das war schon einfacher zu lösen.« Deutlich wird, dass die Akzente der mäßigen Nutzer auf den Coaching-Sitzungen liegen und das Handbuch nur als unterstützendes Instrument wahrgenommen wird. Eine kleine Gruppe von Nicht- oder Wenignutzern, bei denen ein deutlich geringeres Interesse an der Kompetenzenbilanz zu beobachten ist. Aus dieser Gruppe kommen die Klienten, bei denen das höchste Risiko für einen Abbruch des Coachings besteht, da sie nicht oder nur in eingeschränktem Maß dazu bereit sind, sich für den Fortgang des Prozesses zu engagieren. Diese Einstellung zur Nutzung des Handbuches illustriert die Äußerung eines Teilnehmers: »Ich glaube nicht, dass ich mich hinsetze und sage: ich schaue jetzt in die Mappe. Das glaube ich nicht.« Listen zur Bilanzierung von Fertigkeiten und Kompetenzen
Bilanzierungslisten werden als unterstützend erlebt
Die Analyse von Fertigkeiten wird als sinnvoll und gewinnbringend erlebt. Die Teilnehmer berichten in der Mehrzahl, dass ihnen Dinge bewusst geworden sind, die Ihnen vorher zu »selbstverständlich« erschienen, als dass sie diese eigens als Können bezeichnen würden. Knapp 95% der befragten Teilnehmer äußern eine hohe Zufriedenheit mit diesem Teil der Methode. Grundsätzlich wird es aber als schwierig empfunden, die Fertigkeiten-Analyse ohne Anleitung durch den Coach selbstständig zu verstehen oder gar durchzuführen. Deshalb hängt die Qualität der Kompetenzenbilanz zum wesentlichen Teil von der Zusammenarbeit mit den Coaches ab, die die Teilnehmer so instruieren sollten, dass eine Bearbeitung ohne Hilfe und Interpretationen durch den Coach möglich wird. Auch der Überblick über die Kompetenzen wird als ausgesprochen positiv erlebt. Die Teilnehmer empfinden diesen Schritt als gute Bestätigung und als adäquate Beschreibung ihrer Person. Die Zufriedenheit mit der Vorgehensweise und den dadurch erzielten Ergebnissen liegt ähnlich hoch wie
139 5.2 ·Beurteilung von Methode und Prozess durch die Klienten
bei den Fertigkeitslisten (93%). Teilweise wurden die eher bürokratischen Schritte bei der Bilanzierung der eigenen Kompetenzen aber als anstrengend erlebt; der Sinn des Vorgehens und die inhaltliche Struktur ist aber für den weit überwiegenden Anteil der Teilnehmer nachvollziehbar. Folienfragebögen
Entgegen den Empfindungen der Coaches wird auch dieser Teil von den Teilnehmern als positiv empfunden. Die Werte aus den Fragebögen unterstreichen dies deutlich: Zwischen 85% und 93% der Teilnehmer äußern ihre Zufriedenheit mit den eingesetzten Fragebögen und dem dadurch angeregten Prozess. Bezogen auf den Gesamtablauf der Kompetenzenbilanz mag diese positive Einschätzung auch daran liegen, dass nach dem eher nüchternen Erarbeiten der Fertigkeiten und Kompetenzen mit den Fragebögen wieder ein spielerisches Element in den Prozess kommt. Wie sich aus den Rückmeldungen der Teilnehmer erkennen lässt, werden die Fragebögen entsprechend ihrer Stellung im Gesamtprozess nicht als Test oder testähnlich wahrgenommen, sondern im Sinne einer Hypothesen generierenden Rückmeldung und Systematisierung verstanden. Die durch Übereinanderlegen der Folienfragebögen deutlich werdenden Überschneidungen und Unterschiede werden von den Teilnehmern als willkommene Anregung aufgenommen, bestimmte Punkte stärker zu reflektieren. Im Folgenden sind zwei typische Rückmeldungen von Teilnehmern zu den Folienfragebögen aufgeführt.
Anregung zur vertieften Reflexion
Beispiel
»Die waren ganz interessant. Mein Partner hat mich sehr gut eingeschätzt. Manche Dinge haben sich sehr widersprochen. Aber das ist eben in mir. Was ich mir wünsche und was ich tue. Das war oft konträr. Um auch zu sehen, wie konträr das in einem selber ist.« »Ja. Die waren ganz lustig. Ich wollte zuerst eine Arbeitskollegin haben, die meine Fremdeinschätzung macht, die das ausfüllt. Aber die hat sich dann nicht mehr gemeldet, die ist selber so unter Zeitdruck. Jetzt ist es meine Mutter und mein Ehepartner, und das ist natürlich ganz lustig, was da rauskommt. Zum Teil sehr gegensätzlich. Mir ist aufgefallen, dass mich meine Mutter inzwischen gar nicht mehr so gut kennt, weil ich doch schon eine Weile von zuhause weg bin. Und mein Ehepartner sieht das dann wirklich als Ehepartner und im Berufsleben schaut es auch wieder ganz anders aus. Und das habe ich versucht zu kommentieren und eigentlich war es lustig.«
Erwartungen an den Prozess
Da es sich bei der Kompetenzenbilanz um ein Verfahren handelt, das einen Großteil der zu leistenden Arbeit an die Klienten »delegiert« ist die Einschätzung der Teilnehmer interessant, wie viel Zeit sie im Laufe des Prozesses voraussichtlich für die systematisierenden und reflektierenden Arbeiten zu leisten bereit sind. Der Mittelwert dieser vor Beginn des Verfahrens erfragten Einschätzung beträgt 3,29 Stunden, die Standardabweichung liegt bei 2 Stunden, was die große Streuung der Werte deutlich macht, die von einer Stunde bis sieben Stunden reicht. Diese Werte sind insofern beachtenswert, als sie die
Zeitaufwand
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5
Kapitel 5 · Wirkungen
Verantwortungszuweisung für das Ergebnis
Erwartungshaltungen
Einschätzungen des voraussichtlich mit der Arbeit an der Kompetenzenbilanz verbundenen Zeitaufwandes darstellen. Sie können auch als Bereitschaft interpretiert werden, sich mehr oder weniger intensiv mit dem Verfahren auseinander zu setzen. Wenn man diese Werte mit dem nach Abschluss des Verfahrens erfragten tatsächlichen Zeitaufwand vergleicht, so zeigt sich eine deutliche Korrektur der Zeitangaben nach oben: Die tatsächlich im Durchschnitt der befragten Teilnehmer für die Kompetenzenbilanz aufgewendete Zeit lag bei rund zehn Stunden (M=9.8; sd=6.5), wobei sich wiederum eine ähnlich große Streuung der Angaben feststellen lässt, wie bereits vor Beginn der Kompetenzenbilanz. Eine wichtige Einflussgröße auf den Prozess ist die Zuweisung der Ergebnisverantwortung durch die Klienten. Wenn sie der Meinung sind, dass vor allem der Coach dafür zuständig ist, wie brauchbar das im Verlauf der Kompetenzenbilanz erzielte Ergebnis sein wird, werden sie dazu neigen, während der Coachings eher eine passive Rolle einzunehmen. Die Mehrzahl der Teilnehmer geht zu Beginn der Coachings davon aus, dass sie und ihr Coach in etwa zu gleichen Teilen für Ergebnis und Wirkung der Kompetenzenbilanz zuständig seien. Damit entsprechen die Erwartungen der Klienten zum großen Teil dem Vorgehen in der Kompetenzenbilanz. Dennoch sollte bereits im Einführungsgespräch oder im Einführungsworkshop darauf geachtet werden, dass die Rolle des Coaches und die Verantwortung der Klienten klar kommuniziert wird. Die Sichtung der bisher ausgewerteten Interviews weist darauf hin, dass die Kompetenzenbilanz bei der überwiegenden Mehrheit der Klienten den Erwartungen entspricht, d. h. dass die meisten Klienten das Verfahren mit realistischen Erwartungen an die Methode, die Durchführung und die erzielten Ergebnisse beginnen. Vereinzelt lässt sich beobachten, dass Personen Ratschläge mit stärker berufsberatendem Charakter erwarten. Generell lassen sich bislang drei Gruppen hinsichtlich ihrer mit dem Verfahren verbundenen Erwartungen unterscheiden: 4 Eine offene/naive Erwartungshaltung, für die die folgende Äußerung kennzeichnend ist: »Ich bin eigentlich relativ blauäugig da rein gegangen. Ich habe nicht wirklich viele Erwartungen gehabt. Ich habe gedacht, ich schaue mir das an.« 4 Eine realistische Erwartungshaltung, die durch die Aussage eines Klienten folgendermaßen illustriert wird: »Die Erwartungen haben sich insofern erfüllt, weil ich glaube, dass ich mich gut kenne. Das habe ich angenommen und das habe ich bestätigt gefunden.« 4 Eine reflektiert/kritische Erwartungshaltung wird in der folgenden Äußerung eines Klienten beispielhaft deutlich: »Ich bin drauf gekommen, wir sind drauf gekommen mit meinem Coach, dass ich eigentlich nicht so der ganz klassische Klient bin. Die Problematik liegt, glaube ich, woanders. Ich habe grundsätzlich nichts Neues erfahren.« Die Aussagen machen deutlich, dass die Erwartungen an das Verfahren nur zum Teil durch die Darstellung von Vorgehen und Methode im Einführungsworkshop beeinflusst werden. Es liegt nahe, zu vermuten, dass die Erwartungen stark in der aktuellen Lebenssituation der Klienten begründet sind. Die Kompetenzenbilanz ist jedoch ein Verfahren, das es dem Coach durch
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die starke Strukturiertheit von Methode und Ablauf nur in begrenztem Maß erlaubt, auf die aktuelle Situation der Klienten einzugehen. Dieser für ein Coachingverfahren eigentlich kritische Punkt befindet sich in einem scheinbaren deutlichen Widerspruch zur ausgeprägten Zufriedenheit der Teilnehmer mit dem Verfahren und seinen Ergebnissen. Betrachtet man die Zufriedenheit und die aus der quantitativen Evaluation stammenden Daten als Bestätigung des Verfahrens und seiner Ansätze, so erfährt indirekt auch die dem Verfahren zugrunde liegende Haltung eine deutliche Bestätigung: Das Coaching muss die Probleme der Klienten nicht lösen, aber es soll sie dazu befähigen, durch die Kenntnis ihrer Ressourcen selbst Lösungen zu finden. Ziele
In engem Zusammenhang mit der Fähigkeit der Klienten, Problemlöser in eigener Sache zu sein, stehen die im dritten Coaching erarbeiteten Ziele. Die Nachhaltigkeit des Beratungsprozesses hängt davon ab, wie sich die formulierten Ziele in den Alltag der Klienten einfügen und wie realistisch ihre Umsetzung in einem Rahmen ist, der nicht mehr die Unterstützung durch den Coach bietet. Nicht jeder Klient hat jedoch den Anspruch bzw. die Bereitschaft, im Rahmen des Beratungsprozesses konkrete Ziele zu formulieren – einige Klienten kommen mit dem Anspruch zur Kompetenzenbilanz, sich eine eher allgemeine Orientierung hinsichtlich der eigenen Stärken zu verschaffen und betrachten die Formulierung von Zielen als etwas, das nicht ihren eigenen Wünschen entspricht. In diesen Fällen ist es anzuraten, die Klienten deutlich darauf hinzuweisen, dass die Erarbeitung und Formulierung von konkret umsetzbaren Zielen dazu beitragen kann, für die Nachhaltigkeit des Prozesses, der im Rahmen der Kompetenzenbilanz angestoßen wird, zu sorgen und damit den Prozeß in seinem Leben zu »etablieren«. Es sollte jedoch darauf verzichtet werden, die Bearbeitung von Zielen zu einem obligatorischen Bestandteil des Coachings zu machen, da dies dem Bild eines selbstgesteuerten und selbstverantwortlichen Teilnehmers widerspräche. Eine Lösung dieses scheinbaren Dilemmas liegt in der Struktur der Kompetenzenbilanz begründet. Es ist möglich, das Lebensprofil auch auf die Zukunft hin weiter zu denken und damit bereits in der ersten Coachingsitzung den Prozess auf die Formulierung von Zielen hin zu entwickeln. Dass die formulierten Ziele tatsächlich eine kritische Rolle in Hinblick auf die Verankerung des Prozesses im Leben der Klienten haben, deuten erste Hinweise aus der qualitativen Längsschnittevaluation an. Vor allem die Konkretheit, mit der eine Zielformulierung möglich ist, scheint ausschlaggebend dafür zu sein, dass die Kompetenzenbilanz erkennbare Auswirkungen auf die Lebenswelt der Klienten hat. Die Kompetenzenbilanz hat bei manchen Klienten, die bereits vor dem Beratungsprozess ein Ziel formuliert haben, aber davor zurückschrecken, es umzusetzen, bestätigende Wirkungen. In diesen Fällen scheinen durch die Ressourcenorientierung der Kompetenzenbilanz die Barrieren bedeutungsloser zu werden, die die Klienten bisher davon abgehalten haben, ihre Ziele zu verwirklichen. Die Besinnung auf die eigenen Stärken wirkt wie ein Aufzug, der die Klienten auf eine günstigere Ausgangsposition hievt, um die Schwierigkeiten, die zwischen ihnen und ihrem Ziel liegen, bewältigen zu können. Die folgende Interviewpassage gibt Hinweise auf diesen Prozess.
Umgang mit Zielen
Erarbeitung der eigenen Stärken gibt Kraft
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Kapitel 5 · Wirkungen
Beispiel
Interviewer: Welche Ziele wurden genau erarbeitet? Klient: Eines der wichtigsten Ziele für mich persönlich und beruflich ist auf selbstständiger Basis zu arbeiten. Ob das jetzt definitiv eine selbstständige Arbeit mit einer eigenen Firma, mit einer Beteiligung oder auf einem Arbeitsplatz ist, wo man rein selbstständig arbeitet, dass man trotzdem in diese Richtung tendieren soll und darin weiter gehen soll. Das ist sicher ein Ziel. Ich habe zwölf Jahre lang großteils selbstständig gearbeitet. Aber nicht als selbstständiger Unternehmer. Habe jetzt gemeint, eine Arbeit zu nehmen, wo maximale Sicherheit gegeben ist von einer großen Firma. Habe dann vier Monate bis jetzt alles vorgegeben bekommen, was ich zu tun habe. Also selber ideenlos einfach in einer Spur zu gehen und seine Arbeit zu erledigen. Und mit dem bin ich absolut nicht zufrieden. Und daraus habe ich jetzt schon eine neue Arbeit gesucht und gefunden. Habe da direkt nach den vier Monaten letzten Montag angefangen. Aber das richtige Ziel für diese Arbeit ist, ob man da nicht bei dieser Firma sich dementsprechend selbstständig macht. Oder überhaupt auf selbstständiger Basis ein Unternehmen für sich selbst zu gründen. Das ist ein konkretes Ziel (…). Interviewer: Und jetzt im Zusammenhang mit der Kompetenzenbilanz, glauben Sie, dass es auch möglich ist, diese Ziele ohne Unterstützung von außen oder vom Coach zu erreichen? Klient: Im Endeffekt für mich persönlich ja. Weil es lässt einen nicht los. Aber ich halte es für sehr wichtig, das jetzt auch bestätigt zu sehen, einfach klar auf Papier zu sehen, die Wörter, die ich ausspreche, dass die nur immer in diese Richtung tendieren. Dass die Kompetenzen, die man hat, darauf anschließen, das eben bestätigt. Es bestätigt mir einfach, diesen Weg zu gehen. Und einfach das zu tun. Dafür ist der Coach sehr wichtig.
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Zusammenarbeit mit dem Coach Beziehung zu dem Coach
Während das Lebensprofil als sehr öffnend erlebt wird und insofern in doppeltem Sinne als Schlüssel zu verstehen ist, ist der zweite zentrale Anker für die Zufriedenheit der Klienten die Zusammenarbeit mit den Coaches. Insgesamt 97% der befragten Teilnehmer geben an, mit den Gesprächen, die sie mit ihrem Coach geführt hatten, besonders zufrieden (87%) bzw. zufrieden (10%) zu sein. In der folgenden Übersicht sind einige Rückmeldungen der Teilnehmer wiedergegeben, die unterschiedliche Aspekte der Beziehung zwischen Klient und Coach beispielhaft herausgreifen. – »Ich habe mich sehr gut wahrgenommen und gehört gefühlt. Ich habe das Gefühl gehabt, dass da jemand ist, der sich auf mich einlässt und nicht in fixen Schienen dasitzt und arbeitet. Das war sehr positiv für mich.« – »War sehr gut. Wir haben uns sehr gut verstanden. Es war auch Sympathie da, und ich glaube, das ist auch wichtig. Spielt eine Rolle. So ganz neutral und unbeleckt setzt man sich doch nicht einem Menschen gegenüber, dem man eigentlich sein Innerstes offenbart. Also, das war eine sehr gewissenhaft arbeitende und kompetente junge Frau.« – »… wir haben uns beide wohl gefühlt, von Beginn an. Dadurch war das ein sehr offenes Gespräch und eine gute Zusammenarbeit«
143 5.3 · Quantitative Längsschnittevaluation
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– »Da finde ich die Aufgabe des Coaches ganz wichtig. Weil einige Kompetenzen, die man hat, die sind für einen selber logisch. Für andere aber nicht. Genau das war für mich wichtig, dass die Frau X nachgefragt hat oder auch von einer anderen Sichtweise gekommen ist. Um mich wieder auf neue Gedanken zu bringen.«
Wesentlich erscheinen in den Äußerungen der Klienten vor allem zwei Punkte: Aspekte der Beziehung zwischen Coach und Klient, die durch gegenseitigen Respekt und Achtung voreinander geprägt ist, und Aspekte, die sich auf das Darstellen der eigenen Stärken einer fremden Person gegenüber beziehen, die genau nachfragt und die Klienten damit zur weiteren Reflexion anregt.
5.3
Quantitative Längsschnittevaluation
Im Rahmen der quantitativen Längsschnittevaluation wurde zunächst eine Teilstichprobe von 100 Klienten analysiert, deren Angaben vom ersten und zweiten Befragungszeitpunkt miteinander verglichen wurden. Hier sind speziell die psychologischen Konstrukte interessant, die sich auf die persönliche Anpassungsfähigkeit bzw. die Ergebniserwartungen in Hinblick auf eigene Handlungen beziehen. In der Analyse wurde die generelle Hypothese eines Niveauunterschiedes zwischen den beiden Befragungszeitpunkten untersucht. Wenn wir von der Kompetenzenbilanz als einer Intervention im Sinne einer psychologisch günstigen Anpassung ausgehen, dann müsste sich das bei den erfassten Konstrukten in einem entsprechenden Niveauunterschied zeigen. Die Mittelwerte der im Fragebogen erfassten Konstrukte 4 Proaktivität, 4 Selbstkonzept eigener Fähigkeiten, 4 internale Kontrollüberzeugung und 4 externale Kontrollüberzeugung wurden mit den entsprechenden statistischen Prozeduren in Hinblick auf die beiden Befragungszeitpunkte miteinander verglichen.
Psychometrische Überprüfung der Wirkungen
Definition Im Allgemeinen wird die Proaktivität als die Motivation beschrieben, Situationen gestaltend zu verändern. Bateman u. Crant (1993) definieren eine stark ausgeprägte Proaktivität als das von situativen Einschränkungen losgelöste Bestreben, die eigene Umwelt zu verändern. Eine internale Kontrollüberzeugung liegt vor, wenn Personen Ereignisse als das Ergebnis eigener Handlungen interpretieren. Damit verbunden ist die Grundüberzeugung, die Umwelt durch eigenes Tun zu beeinflussen, was wiederum als Vorbedingung eigenverantwortlichen Handelns und als Korrelat des Kompetenzerlebens betrachtet werden kann.
Die Ergebnisse der Überprüfung (im Detail nachzulesen in Lang-von Wins u. Triebel 2005; weitere Veröffentlichungen befinden sich in Vorbereitung) bestätigen die Wirksamkeit der Kompetenzenbilanz in allen Punkten. Für jede der anpassungserleichternden Skalen (Proaktivität, internale Kon-
Persönliche Anpassungsfähigkeit erhöht sich deutlich
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Kapitel 5 · Wirkungen
trollwahrnehmung und Selbstkonzept eigener Fähigkeiten) lässt sich im Vergleich zu den Eingangswerten eine deutliche Niveauerhöhung feststellen. Die externale Kontrollüberzeugung wird dann positiv beeinflusst, wenn die Verantwortungszuweisung für das Ergebnis der Kompetenzenbilanz durch den Klienten statistisch kontrolliert wird. Das bedeutet, dass die Coaches den Auftrag, für ihre Lebenssituation die Rolle des Problemlösers zu übernehmen, im Interesse ihrer Klienten nicht annehmen sollten. Aus der Sicht der ressourcenaktivierenden Beratung ist dies eine Grundvoraussetzung für einen gelingenden Beratungsprozess. Die Daten zeigen, dass die Annahme dieser Aufträge durch die Coaches nicht nur dazu führt, dass die Passivität, die in einer externalen Kontrollüberzeugung begründet ist, stabilisiert wird, sondern in ihrem Niveau sogar leicht (statistisch allerdings unauffällig) ansteigt. Wenngleich sich diese Daten bislang nur auf die beiden ersten Befragungszeitpunkte beziehen, lassen sich klare Hinweise darauf erkennen, dass die Methode und der Prozess der Kompetenzenbilanz einen richtigen Ansatz verfolgen und die Grundüberlegungen zutreffen. Die Wirksamkeit der Kompetenzenbilanz als einer Interventionsmaßnahme im Sinne einer Erhöhung der persönlichen Beschäftigungsfähigkeit und der Bereitschaft proaktiv und somit auch eigenverantwortlicher zu handeln wird unterstrichen durch die Materialien der qualitativen Längsschnittevaluation, aus denen das im folgenden 7 Kap. dargestellte Fallbeispiel stammt.
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5.4
Claudia, die Notfallschwester
Das folgende authentische Fallbeispiel gibt einen tiefen Einblick in die Natur der Wirkungen der Kompetenzenbilanz und untermalt die These der durchbrochenen Berufsverläufe. Die Namen von Personen und Institutionen wurden verändert. Ausgangssituation
Claudia erfährt über eine Freundin von der Kompetenzenbilanz und entschließt sich dazu, selbst teilzunehmen. Die Situation, die sie zur Teilnahme an der Kompetenzenbilanz geführt hat, charakterisiert sie als Stagnation in Hinblick auf ihre berufliche und persönliche Weiterentwicklung, wobei sie keine konkreten Zielvorstellungen verfolgt. Beispiel
Tiefe Unzufriedenheit mit der gegenwärtigen beruflichen Situation
Der Wunsch war schon lange Zeit da und der Gedanke, etwas ändern zu wollen an meiner Berufssituation. Die mir zwar sehr Spaß macht, aber irgendwie ist es ausgeschöpft. Irgendwie habe ich das Gefühl, es muss was Neues sein. Was auch ein bisschen in meinem Leben liegt. Was Neues, das ist mir wichtig, neue Aufgaben, neue Herausforderungen. Ich bin so … eigentlich dümple ich schon eine Zeit dahin und suche. Ja, konkret zu suchen ist schwierig. Ich habe das Gefühl, ich stagniere in meinem beruflichen Weiterkommen. Bin auch nicht abgeneigt, möglicherweise auch ganz was anderes zu tun. Ja, schon auch mit ein bisschen Traurigkeit, da ich so viel Zeit in das investiert habe. Und schon auch mit Herz noch arbeite. Aber trotzdem, es ist so.
145 5.4 ·Claudia, die Notfallschwester
Ein wesentlicher in ihrer Arbeit begründeter aktueller Anlass, das Angebot der Kompetenzenbilanz wahrzunehmen, liegt für Claudia darin, dass sie aufgrund ihrer Arbeitszeiten sehr beansprucht wird. Zum ersten Gespräch erscheint sie sichtbar erschöpft nach einer 24-stündigen Schicht und entschuldigt sich bei ihrem Coach für ihre roten Augen. Claudia hat bereits aktiv versucht, eine andere, verträglichere Regelung der Dienstzeiten zu erreichen, fühlt sich dabei jedoch als Einzelkämpferin, da ihre Kolleginnen nicht mitziehen.
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Belastungen durch die berufliche Situation
Beispiel
»Wir haben in unserem Bereich, ja, es bestünde die Möglichkeit, unser Arbeitsmodell zu ändern, was meine Kolleginnen nicht möchten und ich fühle mich da so als alleiniger Kämpfer und habe so das Gefühl, wenn ich das ändere oder wenn ich da mehr Intention dahinter setze, dann mache ich drei andere unglücklich. Weil, die sind zufrieden mit dieser Arbeitsweise. Und da geht es halt so irgendwie … die Mehrheit siegt.« Nun sucht sie nach Möglichkeiten, auf der Grundlage ihrer eigenen Stärken berufliche Alternativen zu finden. Ihre Erwartungen an den Prozess charakterisiert sie folgendermaßen: »Also, ich hoffe, dass ich da auf allerhand draufkomme. Auch diesen wirklichen letzten Kick, Ansporn kriege, jetzt mache ich etwas anderes. Ich habe schon das Gefühl, dass ich sehr vielseitig bin. Viele Dinge weiß ich auch schon, viele Dinge werde ich dann auch wissen. Aber, mir ist der Druck … ich dümple so dahin. Ich weiß nicht, wie ich da anfangen soll, was zu ändern. Ich habe das Gefühl, ich bin einfach schon zu alt. Bin so eine alte Schachtel. Und … früher war das für mich nie ein Kriterium. Da hätte ich einfach gewechselt, von null anfangen. Und da bin ich jetzt schon ein bisschen müde, immer wieder von vorne anfangen. Und immer wieder von vorn anfangen. Also, das macht mich etwas müde und das hemmt mich natürlich auch, wieder großartig neu zu starten.«
Bisher war Claudia immer im medizinischen Bereich tätig, als Intensivund Notfallschwester. Rückblickend hat sie jedoch den Eindruck, dass sie durch viele Stationswechsel immer wieder von unten anfangen musste und ihren »Karriereweg nicht sehr verfolgt« habe. Beispiel
»Ich habe immer gedacht, ich arbeite an vorderster Front, ist wichtig, und das fachliche auch. Und man kommt halt drauf, dass das heute in dem heutigen System nicht zählt. Es geht mehr um Managerkurse und Stationsleitungskurse und da jetzt in Positionen zu kommen, wo man ein paar Sachen ändern kann und sonst ist man halt wirklich an vorderster Front. Und arbeitet so brav und fleißig, aber kommt keinen Schritt weiter.«
Claudia charakterisiert sich als eine Frau, die »die Dinge mit sich selbst ausmacht«. Sie denkt viel über sich nach und hat früher sehr viel Tagebuch
Unzufriedenheit mit den Gestaltungsmöglichkeiten
Tradition der Selbstreflexion
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Kapitel 5 · Wirkungen
geschrieben und Erlebnisse teilweise in Form von selbst verfassten Märchen aufgearbeitet – wofür sie allerdings seit einigen Jahren keine Zeit mehr findet. Sie ist zu müde, »die Dinge fließen nicht mehr«. Und so leidet sie in ihrer gegenwärtigen Situation vor allem unter dem hohen Einsatz, den ihr Beruf von ihr verlangt. Beispiel
»Ich meine, wenn um 2 oder 3 in der Nacht das Telefon scheppert, und dann kann ich erst mal schauen, dass ich mit dem Auto schnell in einer Viertelstunde an Ort und Stelle bin … Dieser exklusive Zugriff auf mich, diese Macht, die einfach … so, jetzt habe ich einfach da zu sein. Da fühle ich mich gefangen, ausgeliefert, ob ich will oder nicht. Und ich will eigentlich überhaupt nicht. Aber ich muss trotzdem und das kostet mich sehr viel Kraft. Und das nachhaltig. Also, solche Dienste, da brauche ich schon wesentlich länger, um mich halbwegs wieder zu erholen. Und auch wieder psychisch belastbar zu sein. Das merke ich schon.«
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Einbindung in die Hierarchie
Verschärft wird die Situation aus der Sicht von Claudia durch die inhaltlich-formalen Arbeitsbedingungen, die sie belasten. Zentral ist aus ihrer Sicht der Umstand, dass sie in eine Hierarchie eingebunden ist, die ihre Erfahrungen nicht respektiert. Beispiel
Wenn man hierarchisch … man hat sehr viel Erfahrung und man muss dann so vielen Jungen, die soviel Blödsinn machen, gehorchen und das geht nicht mehr und das ist auch meine Persönlichkeitsstruktur. Da bin ich sehr stur und sehr, sehr stolz. Das schlucke ich nicht mehr. Das kann ich nicht mehr schlucken. Das geht nicht mehr. Da ist soviel Widerstand und Aufstand und Ärger, dass ich dadurch, immer schon, das ist immer ein Problem von mir gewesen. Dass ich den Mund nie halten kann, aber je älter ich werde, desto schwieriger ist es. Und dadurch hat das Weiterkommen natürlich eine andere Bedeutung als es früher gehabt hat. Irgendwo in einen Bereich zu kommen, wo mir keiner mehr wirklich … irgendwie einen selbstständigen Bereich, den ich selber bestimmen kann. Das hat sicher eine andere Bedeutung als früher. Das empfinde ich mehr mit dem Älterwerden. (…) das muss jetzt nicht Karriere oder auch finanziell, ja natürlich ist es schön, wenn es finanziell auch gekoppelt ist. Aber es waren nie die wichtigen, elementaren Dinge, dass ich gesagt habe, ich brauche jetzt einen Job, wo ich möglichst viel verdiene. Mir war schon die Sache wichtig. Und das Wie. Beruflich war es immer wichtig, insofern, dadurch, dass ich alleine gelebt habe und nicht in Partnerschaft und mit Kindern mich ausleben oder verwirklichen kann oder so, war logischerweise der Beruf ein wesentlicher Teil meines Lebens. Und, wie gesagt, ich habe lange Zeit auf der Intensiv gearbeitet, da ist es sowieso so, das macht man, wenn man relativ jung ist mit Leib und Seele. So habe ich das eigentlich schon gemacht. Ich habe immer gedacht: Habe ich ein Glück, mein Beruf ist mein Hobby. Es ist fast immer noch so, aber es ist sehr beschwerlich, mittlerweile.
147 5.4 ·Claudia, die Notfallschwester
Claudias Erwartungen an die Kompetenzenbilanz ergeben sich aus dieser Situation. Sie umschreibt mit ihren Worten, dass sie sich ausgebrannt fühlt, und dass sie hofft, im Verlauf des Coachings »das Feuer wieder entzünden zu können«: Beispiel
»… Ich weiß nicht mehr, was mich interessiert. Ich würde gerne, aber ich weiß nicht mehr, wo ich Feuer fangen kann. (…) war früher nie der Fall. Habe immer genau gewusst, was ich will. (…) Ich hoffe, Feuer zu fangen. Ich hoffe, dass irgendwo in einem Bereich eine Lebendigkeit hinkommt und ich das wieder spüren kann. Da sind die Entscheidungen schon viel leichter, dann weiß ich ja, was. Das stelle ich mir vor oder wünsche ich mir.«
Rückschau auf das Coaching
Claudia ist direkt nach dem Ende der Kompetenzenbilanz unsicher darüber, was die konkreten Ergebnisse des Verfahrens für sie sein könnten. Die eingangs formulierten Erwartungen, die in deutlichem Zusammenhang zu ihrer Lebenssituation standen, glaubt sie nicht erreicht zu haben. Sie konnte keine Ziele formulieren, die die wesentlichen Kriterien ihrer Situation verändert hätten und meint keine ihr bisher nicht ohnehin offenkundigen Kompetenzen herausgearbeitet zu haben. Dabei, den Funken wieder zu entzünden – das eingangs von ihr formulierte Ziel – hat ihr die Kompetenzenbilanz nicht geholfen. Sie hat auch darüber mit ihrem Coach gesprochen und dieses Ziel thematisiert:
Direkt nach dem letzten Coaching dominiert Unsicherheit
Beispiel
»… Mein Beruf ist mein Hobby. Und das ist es seit sechs Jahren absolut nicht. Ein Alptraum für mich. Wir haben sehr gut ein Bild gefunden, wie eine Maus im Rad, die immer schneller läuft und aus diesem Rad nicht mehr herauskommt. Das trifft eigentlich meine Situation, so wie ich mich im Moment fühle, bildlich. Ich hätte gehofft, aus dem Rad raus und diese Tür, die aus dem rausführt, zu finden. Das habe ich bislang nicht.«
Den Prozess der Kompetenzenbilanz empfand sie teilweise als ermüdend, vor allem, was die Auflistung und Ausarbeitung der Kompetenzen und Fertigkeiten anging. Insofern empfindet sie sich nicht als die »klassische Klientin« und die Ergebnisse der Kompetenzenbilanz nicht als die zu erwartenden Ergebnisse im Sinne von klaren Zielen oder einem Handlungsplan, der ihr den Weg in die Zukunft eindeutig erschließen könnte. Dennoch ist sie der Meinung, dass das Verfahren bei ihr etwas in Bewegung gebracht habe: Beispiel
»Ich habe mir oft gedacht, jetzt gehen mir diese Zettel auf die Nerven. Weil, das war einfach nur viel Arbeit, ohne dass ich wirklich gesagt habe: Echt? Wahnsinn! Was natürlich anschaulich war, war das Lebensprofil für mich. Das 6
Probleme sind noch nicht gelöst
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Kapitel 5 · Wirkungen
einmal so grafisch zu sehen, zu sagen, ich habe eigentlich schon viel gemacht. Das waren schon so Eindrücke. Natürlich, wenn man es aufschreibt, seine Fähigkeiten und in welchen Tätigkeiten man die findet, es wird natürlich dadurch sehr intensiv vor Augen gehalten, was man alles kann. Und was man alles gemacht hat. Und woher man das alles hat. Das ist natürlich schon für das Selbstwertgefühl toll. Tolle Erfahrung. An dem hat es bei mir nicht gemangelt. Das habe ich alles gewusst. Es hat ganz andere Dinge in Aufruhr gebracht und ich glaube, in Bewegung gebracht. Was sehr stagniert hat, was sehr eingefahren war, das ist jetzt total in Bewegung. Und im Moment irgendwo bin ich frustriert, dass es natürlich nicht diese klassische Lösung für mich gebracht hat. Die ich natürlich schon gehofft hatte, dass ich sie da finde. Auf der anderen Seite ist es eine neue Qualität, diese Bewegung. Dass etwas in Fluss kommt, das schon ewig stagniert hat.«
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Diese Empfindungen verdeutlichen sehr gut den Ansatz der Kompetenzenbilanz: Lösungen sollen nicht innerhalb der Coachings erarbeitet werden – dafür wäre die zur Verfügung stehende Zeit ohnehin zu kurz. Vielmehr sollen im Sinne einer Ressourcenaktivierung oder eines »empowerment« für die Klienten günstige Ausgangsbedingungen geschaffen werden, um selbst Lösungen für die Probleme zu finden. Konkrete und direkte Ergebnisse sind daher nur im Ausnahmefall zu erwarten. Im Fall von Claudia setzte dieser Prozess bereits während der Coachings ein; er wurde aus ihrer Sicht einerseits durch die Reflexion und andererseits durch die Arbeit des Coaches ermöglicht. Der Beginn dieses Prozesses stellt sich – übrigens auch im Fall von Monika – als eine Zunahme an subjektiver Belastung und eine emotionale Verunsicherung dar, den Claudia folgendermaßen beschreibt: Beispiel
Emotionale Anspannung
»Das Problem, so nicht die totale Lösung gefunden zu haben, liegt nicht daran, dass ich nicht Kompetenzen weiß, das liegt viel tiefer im eigenen Verhalten oder Muster oder Konditionierung, die eine Kompetenzenbilanz nicht lösen kann, so schnell. Was sie sicher … mein Coach war sehr sensibel und hat manche Dinge sehr punktgenau angesprochen. Wo man natürlich zuerst sagt: Nein, das glaube ich jetzt nicht. Und dann geht man heim und denkt und das wühlt und werkelt und man denkt: Irgendwo ist das nicht so daneben. Und damit ist ganz viel … es ist mir insgesamt in diesen Tagen und danach nicht gut gegangen. So emotional. Überhaupt nicht. Ich bin da nicht beschwingt nach den Gesprächen heim und auch mit dem Aufarbeiten … es ist mir in dieser Zeit nicht gut gegangen. (…) Ich war nicht leicht unterwegs, mit einem leichten Herzen oder optimistisch oder auch nicht fröhlich.«
Am Ende des Coachings fühlt sich Claudia zunächst allein gelassen, sie ist ratlos, wie es nun weiter gehen soll. Die folgende Interviewpassage unterstreicht diese Stimmung deutlich:
149 5.4 ·Claudia, die Notfallschwester
Beispiel
»Die Kompetenzenbilanz, die Fähigkeiten, wie ich das mache, es ist mir vorgekommen, als wenn ich wer anderer wäre, wo ich mir gedacht habe: So, jetzt habe ich diese Mappe durch, habe die ganzen Kompetenzen und Fähigkeiten erarbeitet und da komme ich jetzt drauf: Wahnsinn, das kann ich alles. Und dann kommen diese nächsten Schritte. Dann weiß ich nicht, wie das weiter läuft. (…) Das ist für mich ein bisschen ein frustrierender Punkt. Jetzt werde ich entlassen und stehe wieder alleine da. (…) So in diesen klassischen Dingen, wo ich sage: Ah, jetzt habe ich einen neuen Beruf entdeckt. Wenn ich das weiß, dann weiß ich auch, wonach ich fragen kann. Aber wenn man nicht genau weiß, (…) in diesen klassischen Berufen findet man dann verhältnismäßig leicht weiter. Oder findet jemand, der einem weiter hilft. Irgendeine Stelle, aber wenn man das jetzt noch nicht so klar definiert hat, wenn das so in Richtung einer gewissen Selbstständigkeit geht, wo man nicht sagt: Ich bin selbstständig als Taxiunternehmer oder selbstständig als das, wo man das so klar definiert hat, seinen Beruf. Wenn das so noch diffus ist, aber es geht in Richtung Selbständigkeit, Eigenständigkeit. Aber es ist kein Konzept, es gibt keine Vorlage, es gibt keinen Beruf dazu, sondern das ist einfach was, das ich mir selber aufbauen sollte, dann stehe ich schon wieder alleine da. Wo ich schon wieder nicht weiß, wer hilft mir jetzt da weiter. Weil da kann man sich auch wieder von 100 Sachen was zusammensuchen und dümpelt so dahin, wie man es eh schon gemacht hat.«
Dennoch hat Claudia nicht das Gefühl, dass der Prozess bereits abgeschlossen wäre. Ihre Verunsicherung hängt zu einem großen Teil damit zusammen, dass sie sich in einem Veränderungsprozess bewegt, der bereits in ihrer Charakterisierung der Ausgangssituation deutlich erkennbar ist und von ihrer gegenwärtigen Tätigkeit wegführt. Durch die Kompetenzenbilanz wurde diese Bewegung für Claudia noch deutlicher erfahrbar ohne allerdings eine konkrete Richtung einzuschlagen. Dem Fehlen einer konkreten Lösung steht der stärker gewordene Wunsch gegenüber, sich zu verändern. Dieser Konflikt, den Claudia mit großer Macht erfährt, macht das Dilemma des Coaches deutlich: Eine von ihm erarbeitete Lösung könnte kurzfristig zu mehr emotionaler Stabilität bei Claudia führen, wenn sie diese Lösung akzeptieren würde, – mittel- und langfristig könnte sich diese von außen kommende Lösung als wenig tragfähig erweisen und damit die Orientierungslosigkeit von Claudia noch verstärken. Bewegung
Die Rückschau von Claudia ist geprägt durch die Enttäuschung, keine pragmatische Lösung der eigenen Situation gefunden zu haben und nun nach dem Ende der Kompetenzenbilanz »wieder alleine da zu stehen«. Andererseits thematisiert sie auch eine Bewegung, die die Beschäftigung mit ihr selbst und die Reflexionen ihres Coaches in ihr ausgelöst haben. Bereits vor Abschluss des Verfahrens wird die emotionale Verfassung Claudias instabiler, sie wird sich ihrer eigenen Belastungen immer deutlicher bewusst. Im Rückblick beschreibt sie diesen Aspekt des Prozesses folgendermaßen:
Dilemma des Coaches
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Kapitel 5 · Wirkungen
Beispiel
»Was es sicher gebracht hat ist, dass mein Leiden mir sehr bewusst geworden ist. Das ist auch ein Grund, warum ich mich nicht gut gefühlt habe die ganze Zeit. Weil das ist schon sehr wenn man es so anspricht oder so auf den Tisch legt oder hingelegt bekommt oder damit Fragen, warum man sich das antut … Das habe ich schon extrem vor, das raschest zu beenden. Ganz, ganz schnell. So schnell es geht. So für einen Stellenwechsel, das ist heute schon … es ist in Bewegung und es hat eine andere Qualität. Und es ist wohltuend. Ich weiß zwar nicht, was dabei herauskommt, aber es ist zumindest Aussicht auf Hoffnung, dass ich eine Situation, die mir nicht gut tut, beenden kann.«
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Im Rahmen der Rückmeldungen ihres Coaches und der eigenen Reflektion erkennt Claudia Aspekte ihres Leidens, die ihr vorher weitaus weniger bewusst waren und die sie daher vielleicht auch leichter in Kauf genommen hat. Beispiel
Burnout
Berufliche Selbstständigkeit als Alternative
»Weil, wie gesagt, es ist auch dieses Wort Burnout gefallen. Ja, wer gibt das schon gerne zu. Natürlich habe ich die Nase voll vom Pflegen, an Kranken, die mich anjammern. Ich kann es nicht mehr hören. Ich habe auch diesen psychiatrischen Pflegedienst gemacht. Ich könnte es nicht mehr, weil ich habe die Nerven nicht mehr, das anzuhören. Ich kann nicht mehr. Natürlich ist das Burnout. Wie man immer sagt: Das ist ein Zustand, irgendwo, das kann bis zu einer Krankheit weiter gehen. Ich denke, wenn ich nicht aufpasse, dann schon. Ich habe auch Burnout unterrichtet. Um so geschockter war ich, mir zuzugeben: Ein bisschen symptomatisch bist du jetzt schon, ehrlich. Wenn ich die ganze Palette durchgehe, da finde ich einiges bei mir, mittlerweile. Aber wer gibt schon gerne Burnout zu? Oder wer gibt schon gerne zu, das nicht unter Kontrolle zu haben. Es ist so. Ich muss es zugeben. Wenn ich das so reflektiert habe, ist das auch ein Grund, warum es mir nicht gut gegangen ist. Ich bin ausgebrannt, ich mag diese Pflege nicht mehr. Ich mag die Leute nicht mehr, die mich so anjammern und die wegen Gott und der Welt jammern. Die haben mir den Nerv gezogen.«
Die Wünsche von Claudia weisen in die Selbstständigkeit und diese Alternative zur bestehenden Festanstellung im Notdienst wurde im Rahmen der Coachings auch bearbeitet. Nach Abschluss der Kompetenzenbilanz berichtet Claudia von einem Stellenangebot, das es ihr ermöglichen würde, ihre zeitliche Belastung etwas zu verringern und damit einen Schritt weiter in Richtung auf den Aufbau ihrer Selbstständigkeit zu machen. Beispiel
»Um mehr Zeit zu schaffen für all diese Projekte, die in die Selbständigkeit … die wir da gefunden haben, die ein bisschen wirklicher geworden sind. Und was mir schon klar ist, wenn ich nicht die Zeit schaffe, dann habe ich nicht den Geist, diese Ideen zu verwirklichen, weil ich ja gar nicht dazu komme. Entweder 6
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ich schaffe mir die Zeit, oder sonst wird das nie sein können oder nur im Kopf und theoretisch. Wenn ich nicht den Raum schaffe, dann kann das nicht sein. So ganz krass kann ich das nicht machen, dass ich sage, von 100% Arbeitstätigkeit auf 0 und jetzt bin ich nur mehr freischaffend. Das macht mir natürlich schon existentiell das Bedenken, weil ich ja, wie gesagt, ich weiß jetzt ja nur, was ich machen will, ich habe nicht jemanden, der mich bei der Hand nimmt und sagt: Tolle Ideen hast du da, jetzt sage ich dir, wie man die möglichst ideal verwirklichen kann. Diese Person oder diese Institution habe ich noch nicht gefunden. Das wäre noch z. B. eine Riesenhilfe. Wo ich gleich weit bin wie davor. Aber ich denke, jetzt mache ich mal 50% und habe mehr Zeit. Dann habe ich auch mehr Zeit, mir Gedanken zu machen, wie ich das umsetzen kann. Und so habe ich sehr wenig Zeit und dann ist alles unter Druck und Stress und belastend. Und ich habe sehr viele verschiedene Sachen ständig, die ich machen will. Das ist jetzt etwas, was ich hoffe, heute schon regeln zu können. Wäre toll, ich würde es mir wünschen.«
Wirkungen: Zwei Monate später
In dem zwei Monate nach Abschluss der Kompetenzenbilanz stattfindenden Interview berichtet Claudia von einigen wesentlichen Veränderungen, die sich in ihrem Leben ergeben haben. Beispiel
»Ich habe gekündigt. Bin dann, irgendwann Mitte April, irgendwas ist vorgekommen, es war genug. Ich habe zusammen gepackt und habe zu meinem Mann gesagt: Heute kündige ich. Er hat gesagt: Überlege es dir noch. Aus Schluss. Habe meine Kollegin angerufen, habe gesagt: Ich brauche ein Gespräch, ich habe gekündigt. Bin am selben Tag noch zu unserem Boss in die Verwaltung und habe gesagt: Schluss, es reicht. Ich habe genug. Dann ist mir das Himalaya-Gebirge vom Herzen gefallen. Ich war so was von erleichtert. Vorausschickend muss ich sagen, ich habe ein Gespräch gehabt in der Klinik und hätte schon eine recht interessante Aufgabe gefunden. 50% Stelle, für mich extra war es 100% ausgeschrieben. Aber weil ich eine so tolle Arbeiterin bin und sie mich schon kennen, das hat mir ganz gut getan. Also meiner Seele hat das sehr gut getan. Ich hätte dort auch gerne angefangen. Habe ich aber nicht. Weil in der Klinik, das Management eigentlich hat mich gefragt, ob ich das Haus verlassen möchte. Habe ich gesagt: Nein. Das Haus nicht, aber ich mag nicht mehr (…) am Patienten arbeiten, ich bin so erschöpft. Bin so müde. Ich kann das nicht mehr. Und jetzt bin ich die Managerin des ganzen Bereichs. Es ist alles ganz anders geworden. Es sind alle Bereiche zusammengelegt worden, die ich jetzt leite, inhaltlich in der Stationsleitung. Bin eine Schnittstelle für die Belegärzte. Habe sämtliche Projekte praktisch schon schriftlich, bin am Umsetzen. Das Programm für unser Seminar ist schon gedruckt und verschickt worden.«
Die Veränderung der Tätigkeit bringt Claudia den eigenen Bedürfnissen und Wünschen wieder näher – sie hat den Eindruck, sie habe sie in kurzer Zeit
Claudia nimmt die Dinge in die eigenen Hände
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Kapitel 5 · Wirkungen
einen Entwicklungssprung gemacht. Sie beschreibt diesen, nicht in allen Punkten positiven, aber sehr konsequent durchgehaltenen Prozess folgendermaßen: Beispiel
Aufbruchsstimmung
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»Mit der Kündigung ist eine totale Wendung gekommen. (…) Habe ganz andere Aufgaben jetzt. Es ist vitalisierend, belebend. Ich habe das Gefühl, … ich könnte noch viel mehr .. es ist soviel brach gelegen. Ich bin so gierig nach Denken. Es tut wohl. Es ist auch nicht ganz so leicht. Weil natürlich in der Kollegenschaft ist auch ein bisschen Neid dabei. Das sind Sachen, denen man sich stellen muss. (…) Um ehrlich zu sagen. Ich bin froh und dankbar, dass ich das bin. Und ich denke, ich muss sagen, ich habe mich sehr über die schriftliche Kompetenzenbilanz gefreut, die ich bekommen habe … Das zu lesen über sich selber, tut gut … das hat mir total gut getan. Ich bin schon gekommen, mit meinem Selbstwertgefühl am Boden. Das hat gut getan, mich gestärkt, insofern, dass ich sage: Ich verdiene diese Stelle. Ich bin so froh, dass ich das bin und nicht wer anderer. So egoistisch. Nicht egoistisch, ich stehe dazu, komplett, endlich …«
Im Gegensatz zu ihren Äußerungen direkt nach Abschluss der Kompetenzenbilanz meint Claudia nun einen klaren Nutzen aus der systematischen Aufarbeitung ihrer Stärken zu ziehen. Vor allem die schriftliche Kompetenzenbilanz, die etwa drei Wochen nach Ende der Coachings zugesandt wurde, konnte ihre Stärken so bestätigen, dass sie ausreichend Selbstbewusstsein für die vor ihr liegenden Aufgaben entwickelt hat. Ein Kernmerkmal ihrer neuen Tätigkeit im Krankenhaus ist die Umgestaltung der bestehenden Struktur in der Notaufnahme und diese Aufgabe kann geradezu zwangsläufig zu Schwierigkeiten im Kollegenkreis führen, wovon Claudia im Weiteren berichtet: Beispiel
»Es kommt allerhand in Kollegenkreisen. Das habe ich einfach noch zu knacken. Aber ich fühle mich sehr unterstützt durch die Kompetenzenbilanz. Durch meine Stärken, es sind Dinge, die ich im Rücken habe. Diese Zusammenfassung. Ich fürchte mich nicht. Es ist unangenehm. Natürlich mag man nichts Unangenehmes. Aber ich fürchte mich nicht. Ich kann mich konfrontieren damit. Überhaupt keine … natürlich wird mir vorgeworfen, alles mögliche. Das ist klar, immer solche Intrigenspiele und Geschichten, das war immer so, wenn solche Dinge passieren. Es ist mir so egal. Das ist schön. Weil man ganz hinter sich stehen kann. Und hinter dem, was man geleistet hat bisher. Es ist egal, weil man das aushalten kann. Weil man einfach weiß. Ich weiß, wer ich bin, jetzt … Ich habe mich die Stunden gefragt und abgeschlossen habe ich mit Ihrer Kollegin, wo sie gesagt hat: Ich kann jetzt nicht mehr viel helfen. Und ich war ziemlich frustriert. Nach jeder Stunde bin ich raus gegangen, es ist mir schlecht gegangen. Es ist mir daheim in dieser Zeit eigentlich nur schlecht gegangen. Es hat … weil ich mich so konfrontiert habe damit. Das passt so nicht mehr. Und ich glaube, das war, diesen Leidensdruck so intensivierend, und damit bin ich schneller auf diesen Punkt gekommen: Jetzt reicht es. Mein Mann hat gesagt: Überlege es dir noch. Nein, ich gehe jetzt, ich fahre. Zusammengepackt, hingesetzt. Schluss, aus, fertig, ich mag nicht mehr. Das durchgezogen und richtig. Selbst vor dem Angebot noch, ich war nur froh, dass ich endlich gekündigt habe.«
153 5.4 ·Claudia, die Notfallschwester
Zum Zeitpunkt des Interviews befindet sich Claudia erst seit etwa sechs Wochen in der veränderten Situation. Die Erleichterung, die sie mit ihrer Entscheidung verbindet, ist ihr deutlich anzumerken und, wie sie im Weiteren ausführt, ist es vor allem die Tatsache, dass sie die Entscheidung getroffen hat und dass sie damit einen Schritt gemacht hat, der ihr die Kontrolle über ihr eigenes Leben zurückgegeben hat. Beispiel
»Aber ich bin unendlich froh, diesen Schritt gemacht zu haben. es ist wirklich ganz gleich, ob das so kommt, wie ich mir das vorstelle oder wünsche, das spielt eigentlich nicht die Rolle. Natürlich wünsche ich es mir, aber es ist schon genug, wie es jetzt ist, jetzt kann ich wieder weiter. Und das … es war vielleicht nicht so unmittelbar, weil ich so unmittelbar die Lösung bekommen habe, aber ich denke doch, dass es die Lösung war, die Kompetenzenbilanz. Ich habe nicht so klar den nächsten Schritt, aber es hat mir soviel Not gemacht, mich damit zu konfrontieren, das so im Detail, das war ja viel Arbeit. Ich habe mir schon viel Arbeit gemacht, ich habe das sehr … ich bin in Not gekommen, ich habe gehofft, Hilfe zu finden. Habe mir auch die Mühe gemacht, das wirklich zu erarbeiten. Und habe viele Stunden daheim verbracht, das zu tun. Und damit habe ich mich sehr viel konfrontiert. Wirklich schon in Details geschaut und das hat mir viel Not gemacht. Und die Zusammenfassung, die war wirklich echt (…) Es stimmt alles, was drin steht (…) Das ist schön, es ist ein tolles Erlebnis, wenn eine dritte Person, die nicht von der Familie stammt, die ganz neutral ist, wo man nicht befreundet ist, wirklich eine neutrale Person, man so einen schönen Spiegel bekommt. Der so positiv ist. Das war wirklich eine Stärkung sonders gleichen.«
Claudia denkt im weiteren Verlauf des Interviews darüber nach, was diese Veränderungen bewirkt und damit die Grundlage für ihre Entscheidung zu kündigen gelegt hat. Sie identifiziert zwei unterschiedliche Mechanismen: Einerseits der Leidensdruck, der sich für sie durch die Beschäftigung damit, was ihre Wünsche und Werte sind, weiter erhöht hat, und andererseits die Stärkung durch die Erarbeitung und Rückmeldung ihrer Kompetenzen. Beispiel
»… Einmal dass es mir schlecht gegangen ist und das Konfrontieren, dieses Erarbeiten, das Hinschauen, diese Not zu haben, dass man endlich diesen Entschluss treffen kann. Und jetzt eine Stelle angeboten zu bekommen, wo ein anderer sagt: Das ist mir zu heiß. Da ist momentan zuviel im Umbruch, da ist viel Widerstand. Es ist nicht ganz rosig. Nur – ich habe überhaupt keine Angst und das ist irgendwo diese Mappe, die ich im Kopf habe. Wo ich sage, das geht locker, das weiß ich, dass ich das kann. Ich habe wirklich nicht Angst und ich kann mich ganz gut mit den Dingen konfrontieren. Ganz ruhend in mir. Weil ich das (…) Schau, du hast soviel gearbeitet, du hast soviel Erfahrung. Du verdienst es jetzt, das umzusetzen. Und das ist nicht Eitelkeit, nicht egoistisch, das ist nicht jemand ausgebremst haben sondern ganz gut, ich finde das wahnsinnig gerecht vom Leben. Und ich bin dankbar.«
Erleichterung über den großen Schritt
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Kapitel 5 · Wirkungen
Wirkungen: Sechs Monate später Schwierige Bewährungsprobe
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In dem Gespräch, das die Interviewerin weitere vier Monate später mit Claudia führte, stellte sich wieder eine gänzlich neue Situation dar. Die Klinik, in der Claudia gerade damit begonnen hatte, Neuerungen einzuführen und neue Konzepte zu entwickeln, musste Konkurs anmelden und wurde in der Folge aufgelöst bzw. in andere Institutionen überführt. Claudia erhielt ein Angebot, wieder als Schwester in der Intensivmedizin tätig zu werden, doch sie entschloss sich dagegen mit der Begründung: »Ich kann es mir eigentlich nicht leisten, aber ich sehe für mich keine andere Möglichkeit.« Die Entscheidungen, die sie in den vergangenen Monaten getroffen hatte, machten ihr eine Rückkehr in die Tätigkeit als Intensivschwester kaum mehr möglich – sie hatte damit abgeschlossen. Doch die mit dieser Entscheidung verbundene Unsicherheit belastete Claudia erheblich. In der folgenden Interviewpassage beschreibt sie die Situation. Beispiel
Nicht zurück in den alten Job
Neues Arbeitsfeld
»Ich habe einfach keine Wahl. Innerlich, ich hätte mich nicht anders entscheiden können. Es war jetzt natürlich nicht leicht auszuhalten. Die Zeit ist lang, von dem her verhältnismäßig lang gewesen. Und ich habe immer erlebt, jetzt ist die Kollegin untergekommen und die hat ihren Job und die hat ihren Job und die weiß schon wohin und da hat man Gespräche geführt. Die hat sich arrangiert und ich bin dann übrig geblieben. Und dann fragt jeder: Was machst du? Keine Ahnung. Und da ein Gespräch und da. So viele Gespräche habe ich gar nicht geführt. Weil ich eigentlich bei vielen im Vorhinein schon gesagt habe, brauche ich gar nicht kommen, passt nicht. Dann bin ich dann angerufen worden von der Geschäftsleitung für ein Gespräch in einer Krankenhausträgergesellschaft. Und da war das erste Jobangebot, wo man gesagt hat, das kann man wirklich andenken. (…) Das war ein nettes Gespräch. Natürlich bin ich gefragt worden, was ich mache, was ich kann, Referenzen, und halt meine Dinge, die ich in meinem Leben an Ausbildung gemacht habe. Und das ist natürlich alles sehr praktisch. Es ist sicher nicht ein Managementkurs oder so, was in einer ärztlichen Direktion im Grunde schon sehr wichtig wäre, für diese Aufgaben, sehr viel Administration, sehr viel EDV, wo ich eine Oberpflaume bin. Und dann habe ich gesagt, (…) habe mich eigentlich sehr gut verkaufen können, um es mal ganz blöd so zu nennen. Oder eben darstellen können. Auch in einer Ehrlichkeit, EDV-mäßig leider, wenn das so wichtig ist … ich kann es zwar lernen, habe bisher alles gelernt, was zu lernen war, aber das kann ich jetzt im Moment sicher nicht anbieten. Und scheinbar hat der Eindruck dann doch gepasst und ich habe sehr schnell nach dem Gespräch die Zusage gehabt. Dass sie sich freuen würden, wenn ich kommen würde. Und ich habe eigentlich vom Gefühl her, vom Bauch heraus auch sagen können, das passt.«
Der Abschied von der alten Position, in der sich Claudia so viele Möglichkeiten boten, ihre Erfahrungen einzubringen und die Strukturen sinnvoll umzugestalten, fällt schwer. Claudia schildert die Zeit, in der die Klinik buchstäblich leer geräumt wurde, und die Mitarbeiter auf andere Institutionen verteilt wurden, als eine besonders belastende Erfahrung. Sie hatte in ihrer neuen Aufgabe eine starke Bindung an die Klinik entwickelt und beschreibt
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das erzwungene Versanden ihrer Veränderungskonzepte, die Entfernung von Instrumenten, Mobiliar und Mitarbeitern und den in diesem Zuge auch vorkommenden Diebstahl von Klinikinventar durch die Mitarbeiter als Phase der »Leichenfledderei«. Der Beginn ihrer neuen Tätigkeit stellt für sie daher weniger einen Neubeginn dar – das war ihre Tätigkeit in der Leitung der Notaufnahme in der alten Klinik – sondern einen erzwungenen Bruch in ihrer Biografie, mit dem sie versuchen muss, auf die eine oder andere Weise produktiv zurecht zu kommen. Der aus ihrer Sicht wesentliche Gegensatz zwischen der neuen Stelle und ihrer vorhergehenden Tätigkeit liegt in dem Ausmaß, in dem sie ihre Erfahrungen in die Tätigkeit einbringen kann. Die Umgestaltung der Notaufnahme war eine Tätigkeit, in die sie ihren Erfahrungsschatz produktiv einbringen und Innovationen gestalten konnte. Ihre neue Tätigkeit verlangt von ihr wieder einmal, vor allem in Hinblick auf die geforderten EDV-Fertigkeiten von Anfang an neu zu beginnen. Die ersten Wochen sind für Claudia mit einer hohen emotionalen Belastung verbunden. Beispiel
»Der Januar hat mich wahnsinnig viel Kraft gekostet, moralisch und (…) war mit sehr viel Angst behaftet. Speziell am Morgen, bis man warm wird und in die Gänge kommt. Der Morgen war grauenvoll. Beim Aufstehen habe ich gedacht: Oh Gott, kraftlos, frustriert – nein, frustriert nicht, aber irgendwo ohnmächtig. So irgendwo … wie gesagt, seit einer Woche habe ich das Gefühl, ich kriege wieder Boden.«
Die neue Stelle – eine Tätigkeit, für die Claudia noch nicht die Begeisterung spürt, wie dies bei ihrer vorhergehenden Aufgabe der Fall war – hält eine Reihe von Schwierigkeiten bereit, auf die Claudia nach und nach stößt. Insbesondere muss sie sich den Versuchen ihrer Kollegen widersetzen, die unattraktiven Dienstzeiten an sie weiterzugeben. Sie bemerkt bei sich eine größere Selbstsicherheit, wenn es darum geht, sich abzugrenzen. Beispiel
»Und es sind schon ganz klare Aussagen, die ich vorher auch nicht so treffen können habe, auch auf die Gefahr hin, sehr klar, das ist für mich schon sehr neu, dass ich die Dinge ganz klar ausspreche und auch für mich fordere. Ich möchte meinen Platz. Das Recht habe ich und den möchte ich. (…) Und das ist halt neu. Früher hätte ich gesagt: Ja, ja. Und dann ewig gemacht und wäre frustriert gewesen. Und dann einmal hätte ich mich getraut und gefragt: Könnte ich auch mal einen Freitag frei haben? Und so habe ich einfach von vorn herein gesagt: Nein.«
Diese für sie neue Haltung führt Claudia auf die systematische Aufarbeitung ihrer Stärken im Rahmen der Kompetenzenbilanz zurück. In dem folgenden Rückblick zieht sie ein Resümee der Zeit nach den Coachings.
Neues Selbstbewusstsein
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Kapitel 5 · Wirkungen
Beispiel
Wirkungen aus Sicht der Teilnehmerin
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»Oft genügen drei Wochen Kompetenzenbilanz, um alles Grundsätzliche zu klären, aber es muss ein Prozess sein, man muss hinein wachsen und dann nach und nach sagen: OK, es ist gut so. Weil es viel um finanzielle Dinge geht (…) Sonst könnte man sich leichter entscheiden, aber man muss überleben können, es soll Sinn machen und man soll sich auch nicht ruinieren, sondern etwas aufbauen. So blauäugig rennt man nicht durch die Gegend, wenn man sieht, die anderen Kollegen, die irrsinnig raufen miteinander. Und das ist ein unheimlicher Konkurrenzkampf und im Moment habe ich das Gefühl, ich bin Gott sei Dank noch in der Lage, ich kann mein Leben noch selber gestalten und bestimmen, ich bin noch nicht in der Abhängigkeit. Wo ich sehe, andere sind in einer ganz anderen Abhängigkeit … Und dafür ist der Moment noch nicht reif, das ist nicht die richtige Zeit. Daher sehe ich auch: Es ist gut so. Ich habe nicht den Höhenflug mit meinen Projekten. Das wären natürlich schon tolle Sachen gewesen (…) Ich habe eine tolle Chance bekommen, wenn ich ein Resümee ziehen soll. Über das denke ich natürlich schon pausenlos nach (…) Ich habe eine Riesenchance bekommen. Durch diese Kompetenzenbilanz hat sich grundlegend sehr viel verändert von meiner Arbeitssituation, und dass ich mich sehr verändert habe. Im Bewusstsein (…) Ich habe eine sehr lange Durstzeit hinter mir gehabt, wo ich sehr lange und sehr viel gearbeitet habe, ohne dass das jemals irgendwie in irgendeiner Form gewürdigt worden ist. Und das habe ich in diesem halben Jahr sehr stark erlebt. Das war ganz was Tolles. Das hat sehr viel in mir verändert an Stolz, und an Anspruch, den ich an meine Umwelt stelle, an meinen Arbeitgeber stelle und sage: Ich bin halt soviel Wert. Und Schluss. Was mir auch die Kraft und das Durchhaltevermögen gegeben hat, dieses Bewusstsein, dem Druck standzuhalten. Nicht irgendwo schnell untergebracht zu werden, was das einfachste und billigste natürlich ist. Bin an einen Platz gelangt, der von der Reputation natürlich schon sehr toll ist, was für mein Ego auch nicht schlecht ist. Es ist so. Ich meine, noch brauche ich das offensichtlich und das ist für mich wichtig. Weil ich das einfach noch nie gehabt habe. Ich wollte auch die Menschen nicht entlasten von ihrer Verantwortung, die sie mir gegenüber haben. Das habe ich … und ich bin immer noch dabei, das einzufordern. Was auch gelingt.«
Wenn Claudia in die Zukunft weiterdenkt, ist sie zuversichtlich, dass sich Gelegenheiten finden werden, die Situation zu verbessern und einen Weg zu finden, der ihr wieder mehr entspricht. Sie beginnt, die gegenwärtige Tätigkeit nicht mehr nur mit ihrer vorhergehenden Position zu vergleichen, die in Hinblick auf die Inhalte und das Gehalt deutlich besser war, sondern auch die Vorteile zu erkennen. Dabei sind es vor allem die Weiterbildungsmöglichkeiten, die sie als Chancen erkennt, selbst dazuzulernen und sich weiter in die Richtung zu entwickeln, die ihr wichtig ist. Beispiel
Zuversicht beim Blick in die Zukunft
»Und so langsam sehe ich da ein Licht am Horizont. Und das ist wieder was, was mir wieder einen Boden gibt, wo ich denke, so geht es weiter. Und so ist es auch 6
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OK, wenn es weiter geht. Dann ist die Umstellung gut, sie wird wahrscheinlich auch viel Positives bringen. Aber man muss es tun, es wird nicht von alleine erledigt. Diese Zeit dazwischen muss man aushalten. Aber es liegt schon sehr stark an mir, was ich draus mache. Und da ist, glaube ich, sehr sehr viel möglich an verschiedenen Projektentwicklungen und was so anfällt. Und ich sehe es als Chance, als Prozess, diese Dinge abzuschließen. Es ist alles neu im Moment (…) und es ist sehr viel, was gestartet werden muss, was ein bisschen Angst macht, weil es große Entscheidungen sind. Und es ist auch etwas sehr Belebendes. Was einerseits Angst macht, andererseits stark macht. Ich glaube, es ist trotzdem gut. Ich bin auf einem guten Weg, auf einem viel besseren Weg als jemals zuvor. (…) Ich fühle mich, im Vergleich zu meinen Kollegen von der gesamten Klinik, als Gewinner. Ich habe mich sehr exponiert, ich bin sehr angegriffen worden, ich habe sehr viel einstecken müssen. (…) Aber ich war sehr authentisch. Mit meinen Grundsätzen und den Dingen, wie ich sie sehe, die habe ich sehr gelebt. Fast ohne irgendwo Kompromisse zu machen, nicht viel. Und ich fühle mich, wenn ich mit meinen Kollegen in der Gruppe sitze, fühle ich mich als einzige Gewinnerin. Weil ich war einfach sehr loyal und sehr korrekt. Jetzt im Nachhinein. Und ich bin froh, dass ich es so gemacht habe und nicht anders.«
Die Einflüsse auf das Privatleben
Die zahlreichen Umbrüche, die sich im Leben von Claudia nach der Kompetenzenbilanz ereignet haben, sind nicht ohne Auswirkungen auf ihren außerberuflichen Bereich geblieben. Ihr Mann ist beruflich selbstständig und hat wiederholt ihr gegenüber deutlich gemacht, dass er sich freuen würde, wenn sie bei ihm mitarbeiten würde. Für Claudia kommt das allerdings nicht in Frage, weil sie befürchtet, damit in eine Abhängigkeit zu geraten, aus der sie sich nur schwer lösen könnte. Darüber hinaus empfindet Claudia ihren Mann aber als große Unterstützung, mit ihm tauscht sie sich über ihre Ängste und Zukunftspläne aus. Auch die Teilnahme an der Kompetenzenbilanz hat in ihrer Einschätzung Auswirkungen auf ihr Privatleben gehabt. In der folgenden Interviewpassage erläutert sie diese Folgen: Beispiel
»Nicht negativ. Ein bisschen konfliktreicher. Ich werde natürlich stärker. Ich war immer relativ stark. Dadurch, dass ich einen Großteil meines Lebens allein gelebt habe (…) Der Jürgen würde mich lieber mehr in seiner Firma sehen. Habe ich gesagt: nein, sicher noch nicht in dem Ausmaß. Aus wirtschaftlichen Gründen nicht und für mich aus persönlichen Gründen nicht. Ich habe jetzt wirklich das erste Mal die Möglichkeit, dass man mich unterstützt, dass man mir Kurse zugesteht und sagt, machen sie das. Das habe ich noch nie gehabt. Ich habe jeden Kurs selber zahlen müssen, jede Ausbildung selber zahlen müssen, abarbeiten müssen. Ich habe kein Stipendium gehabt und das ist das erste Mal, dass das so ist und ich denke, das möchte ich einfach erleben und Kurse machen, die ich noch nie gemacht habe. Und mich fortbilden auf den 6
Veränderung der privaten Rollen
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Kapitel 5 · Wirkungen
Bereichen, die notwendig sind heute. Und die ich halt nicht erfüllen kann. Das ist einmal die EDV und dann wird das halt weiter gehen, was immer meine Aufgaben sein sollen. Und das möchte ich mir schon angedeihen lassen. Und meinen Bereich, meinen persönlichen Bereich mit mir aufbauen. Nicht mit dem anderen Namen, sondern mit meinem. Möchte schon meinen authentischen Platz im Leben haben, der ganz ich bin. Da bin ich nicht wirklich diskussionsbereit. Im Moment sicher nicht. Gerne mit voller Kraft und für die andere Hälfte, aber meine Hälfte hat das gleiche Recht. Hat das gleiche Recht, so würde ich das sehen. Und die gleiche Zeit, und wenn der Bedarf da ist an Besprechungen und Sitzungen, muss halt auch die Firma einmal zurückstehen. Weil dann haben meine Dinge Priorität. Und anderes Mal werde schauen, dass ich was anderes arrangieren kann. Aber wirklich gleichwertig. Ja, sonst natürlich, es war eine harte Zeit, ich habe schon erlebt die Unterstützung vom Jürgen, auch die Geduld. Ich war zum Teil sehr gereizt. Ein Blick war schon der verkehrte, prinzipiell. Natürlich der Ansatz einer Kritik war von meiner Seite fast nicht zum Aushalten. Dann tu´ es doch selber, such dir jemand, der es besser kann … sehr konfliktreich, aber er hat das abgefangen. Es ist nie wirklich in einem großen Streit … hat das nie geendet. Er hat das sehr gut verstehen können. Ich habe es im Nachhinein gesagt: Ich bin so unter Druck, ich fühle mich irgendwo so bedroht und es ist beängstigend, diese Bedrohung und da ist man sehr empfindlich und sehr gereizt. Jedes Tier würde da angreifen. Es war auch zu erleben, sich so zu analysieren und so zu sehen und zu sagen, ich bin irrsinnig unter Druck und ich bin brutal gereizt. Und es kostet mich sehr viel Kraft, mich im Zaum zu halten und dann ist natürlich, kommt mein Temperament in dem Moment auch noch mit. Was natürlich wusch … und dann explodiere ich. Es ist zwar im nächsten Moment vorbei, aber es ist insofern schon belastend für die Partnerschaft. Aber unter dem Druck ist man gezwungen, wirklich ganz konkret und ganz dezidiert und genau zu überlegen und zu entscheiden, machen wir, machen wir nicht, streichen, weg, und das auf das Wesentliche zu bringen und diese ganzen Dinge, die viel Zeit und Kraft kosten, die einen vom Wesentlichen abhalten, einfach zu streichen. Zu sagen, hat im Moment nicht Platz. Geht nicht. Und es war auch gut, mal zu entrümpeln. Mal zu schauen, um was geht es, was wollen wir, das sind die Grundsatzdinge und den Luxus kann man dann vielleicht später mit mehr Zeit und wenn sich wieder alles ein bisschen normalisiert, kann man den Luxus … aber im Moment sicher nicht. Streichen, weg. Und das war auch gut. Es hat wirklich nichts auslassen. Es war brutal.«
5
Fazit Ergänzung durch ein 4. Coaching-Gespräch?
An diesem authentischen Fallbeispiel lassen sich einige Mechanismen gut veranschaulichen, die zentral mit den Wirkungen der Kompetenzenbilanz zusammenhängen und die wir kurz zusammenfassen. Claudia geht mit einem eher indifferenten Gefühl aus dem letzten Coaching hinaus; die Aussicht, jetzt wieder alleine und ohne die Unterstützung des Coaches weiter zu machen, bereitet ihr Sorgen. Für sie reißt der Prozess zu einem Zeitpunkt ab, an dem er gerade beginnt, Früchte zu tragen. Die Daten und Feed-backs anderer Klienten lassen den Schluss zu, dass diese
159 5.4 ·Claudia, die Notfallschwester
Einschätzung von der Mehrzahl der Klienten geteilt wird. Einer der am häufigsten wiederholten Vorschläge bezieht sich darauf, den Beratungsprozess durch ein viertes Coaching zu ergänzen, das je nach Bedarf der Klienten in einem Zeitraum von zwei bis vier Monaten nach dem dritten Beratungsgespräch durchgeführt wird. Betrachtet man die Entwicklung bei Claudia, so würde eine solche Ergänzung durchaus Sinn machen: sie befindet sich in einer neuerlichen Umbruchsituation, in der eine unterstützende Beratung sinnvoll wäre. Der Eintritt einer Umbruchsituation – u. U. noch dazu einer Situation, die die eigenen Kontrollmöglichkeiten deutlich einschränkt – ist jedoch keine zwingende Voraussetzung für ein viertes Beratungsgespräch. Die Hinweise, die darauf hindeuten, dass die Kompetenzenbilanz Einfluss auf wesentliche Anpassungsparameter nimmt, sind nicht zu übersehen. Aus im Folgenden noch darzulegenden Erwägungen heraus ist es sinnvoll, einen weiteren, inhaltlich anders gelagerten Beratungsprozess anzuschließen, der sich auf die Unterstützung von Veränderungsmaßnahmen richtet. Das Beispiel von Claudia ist auch in weiterer Hinsicht lehrreich. Das zwei Monate nach Abschluss der Kompetenzenbilanz stattfindende Interview zeigte zunächst, dass sie vor allem aus der Zusendung der schriftlichen Bilanz die Bestätigung und Kraft zog, für sie notwendige Veränderungen zu initiieren. Zu dieser Zeit ist sie voller Energie und hätte ihre ehrgeizigen Ziele vermutlich auch erreicht, wenn sich die Situation nicht ohne ihr Zutun dramatisch verschlechtert hätte. Wir finden in den übrigen Interviews vielfältige Hinweise darauf, dass in den zwei Monaten nach der Kompetenzenbilanz Veränderungen initiiert werden – oder eben, wenn das nicht der Fall ist, auch in den folgenden vier Monaten nicht mehr. Das deutet darauf hin, dass der »Schwung«, der die Klienten nach den Coachings trägt, deutlich an Kraft verliert, wenn er nicht die Möglichkeit hat, sich in konkreten Handlungen zu manifestieren. Im genannten Fall wurde deutlich, dass die Aufarbeitung der eigenen Stärken zu einem deutlichen Leidensdruck geführt hat, der sich auf eine, in den Augen der Klientin entwertende Arbeitssituation bezog. Dieser Leidensdruck, der bei ihr latent bereits zu Beginn der Kompetenzenbilanz spürbar ist, war ursächlich dafür verantwortlich, dass sie die notwendigen Veränderungen einleitete. Ohne eine weitere Komponente wäre die Veränderung allerdings nicht plausibel: das Zutrauen in die eigenen Fähigkeiten und die zur Verfügung stehenden Ressourcen. Bei Claudia gehört wesentlich ihr Mann Jürgen zu diesen Ressourcen, der ihr den notwendigen Rückhalt bietet, um die Veränderungen auch umzusetzen. Er selbst steht dem Entschluss von Claudia zwar zurückhaltend gegenüber und würde vorsichtiger agieren, aber er respektiert ihre Entscheidung und trägt sie mit. Bei anderen Klienten, bei denen der Schwung der Kompetenzenbilanz versandet oder zu erlöschen droht, lassen sich teilweise Hinweise auf ein entwertendes familiäres Milieu finden, das Veränderungen nicht zulässt oder zumindest deutlich erschwert. Aus diesem Grund ist ein systemisch angelegtes Coaching zur Umsetzung der vorgenommenen Ziele im Nachgang der Kompetenzenbilanz anzuraten. Grundsätzlich lassen sich auf der Grundlage der bisher erhobenen Daten folgende Vermutungen über die Wirkungen der Kompetenzenbilanz in Abhängigkeit von den Erwartungen an das Verfahren anstellen:
5
Gewachsener Leidensdruck als Auslöser der Veränderung
160
Kapitel 5 · Wirkungen
Teilnehmergruppen
5 Auswirkungen
4 Teilnehmer, die sich über die eigenen Stärken bewusst werden wollen und sich mit der Kompetenzenbilanz »etwas Gutes« tun möchten. Langfristig ist in diesen Fällen keine besondere Veränderung zu erwarten, abgesehen von psychologischen Effekten. 4 Klienten erarbeiten in der Kompetenzenbilanz Entwicklungsziele. Von ihnen sind gute Effekte zu erhoffen, wenn sich die erarbeiteten Ziele als realistisch erwiesen haben. 4 Teilnehmer nutzen die Kompetenzenbilanz, um sich auf Bewerbungsgespräche vorzubereiten und ihre Kompetenzen anderen gegenüber fundierter und strukturierter darstellen zu können. Darüber hinaus scheint eine weitere Unterteilung der Nutzen- und Wirkungsaspekte in folgende Gruppierungen sinnvoll: 4 Veränderung in der Wahrnehmung des Alltags: Einige Teilnehmer berichten davon, dass sie ihre Tätigkeit nun anders wahrnehmen und sich dessen bewusst werden, wie viel sie eigentlich geleistet haben oder täglich leisten. Sie berichten zum Teil von einer wesentlich höheren Zufriedenheit mit ihrer Tätigkeit als zuvor. Statt sie in ihrem Veränderungswunsch zu bestärken hat die Kompetenzenbilanz diese Personen dazu gebracht, nicht mehr mit der eigenen Situation zu »hadern«, sondern die derzeitige Tätigkeit als passend und zum bisherigen Lebensweg kohärent wahrzunehmen. 4 Entwicklung der Teilnehmer zu »Coaches« im eigenen Umfeld: Einige Teilnehmer berichten davon, dass sie in ihrem Bekannten- und Kollegenkreis darauf aufmerksam machen, welche Fähigkeiten und Kompetenzen die Personen um sie herum eigentlich haben. Dies wirkt sich u. U. sehr motivierend auch auf das Umfeld aus. Auch wird von regem Interesse der Kollegen, des Umfeldes und zum Teil auch der Vorgesetzten an der Kompetenzenbilanz berichtet.
6 Anwendungsfelder und Einsatzmöglichkeiten der kompetenzorientierten Laufbahnberatung 6.1
Nutzen und Wert – 162
6.2
Jugendliche – 163
6.2.1 Problemstellung – 163 6.2.2 Vorgehen – 164
6.3
Outplacement und Erwerbslosigkeit – 165
6.3.1 Problemstellung – 165 6.3.2 Vorgehen – 166
6.4
Existenzgründung – 168
6.4.1 Problemstellung – 168 6.4.2 Vorgehen – 169
6.5
Personalentwicklung – 170
6.5.1 Problemstellung – 170 6.5.2 Vorgehen – 171 6.5.3 Vorgehen – 173
6.6
Weitere Möglichkeiten – 174
162
Kapitel 6 · Anwendungsfelder und Einsatzmöglichkeiten der kompetenzorientierten Laufbahnberatung
6.1 Subjektiver Wert und objektiver Nutzen
6
Nutzen und Wert
Die Kompetenzenbilanz wurde als eine Methode entwickelt, die sich intensiv mit dem Individuum beschäftigt. Es handelt sich um einen Prozeß, der eine vertiefte Reflexion anregen soll. Der Nutzen einer kompetenzorientierten Laufbahnberatung ist in diesem Sinne erfüllt, wenn die teilnehmende Person einen Wert in dem Vorgehen der Beratung erkennen kann, wenn sie also zufrieden ist. Bei der Kompetenzenbilanz handelt es sich jedoch nur um eine einzige von mehreren Möglichkeiten, auf der Grundlage einer Kompetenzbetrachtung eine Interventionsmaßnahme durchzuführen. Dieser spezielle Weg legt ein sehr strukturiertes Vorgehen fest, das sich für die Beratung von Einzelpersonen mit einer bestimmten Fragestellung (Standortbestimmung) als äußerst effizient und effektiv erwiesen hat (7 vgl. Lang-von Wins u. Triebel, 2005). In diesem Abschnitt stellen wir vor allem dar, in welcher Weise sich der hinter der Methode stehende Ansatz einer kompetenzorientierten Laufbahnberatung auf verschiedene Kontexte übertragen lässt. Während für das Individuum der Wert oder der Sinn einer Laufbahnberatung als Erfolgskriterium genügen mag, so ist in anderen Kontexten auch der Nachweis eines unmittelbaren unternehmerischen oder gesellschaftlichen Nutzens unabdingbar. Eine kompetenzorientierte Vorgehensweise kann sehr wohl einen Wert haben, wenn sie auch keinen unmittelbaren Nutzen nach sich zieht. Umgekehrt kann auch ein unmittelbarer Nutzen entstehen, der aber nicht für alle an einem Prozess beteiligten Personen einen gleich hohen Wert hat. Wert und Nutzen sind also Begriffe, die auf unterschiedlichen Ebenen operieren. Während der Wert einer Beratung eher an das Empfinden des Individuums gebunden ist, bezieht sich der Nutzen stets auf operative Prozesse, für die – dies jeweils auch perspektivgebunden – ein messbarer Gewinn entsteht.
Verschiedene Rahmenbedingungen ziehen unterschiedliche Vorgehensweisen nach sich
Die Unterscheidung von Nutzen und Wert ist grundlegend, wenn wir uns im Folgenden mit unterschiedlichen Einsatzmöglichkeiten kompetenzorientierter Beratung beschäftigen. Darüber hinaus wenden wir uns den besonderen Rahmenbedingungen zu, die sich aus einer Einbettung kompetenzorientierter Laufbahnberatung in unterschiedliche Kontexte ergeben. Diese Rahmenbedingungen und Anforderungen können mitunter erheblichen Einfluss auf die Struktur des Prozesses und auch auf das Verhältnis zwischen Coach und Teilnehmer haben. Die Kompetenzenbilanz ist ein auf die Bedürfnisse von Individuen zugeschnittenes Coachingverfahren. Im Mittelpunkt stehen zunächst immer das Bedürfnis des Individuums, seine Zufriedenheit und sein Schutz. Es besteht eine Übereinkunft darüber, dass die Beratung in einem geschützten Rahmen stattfindet, dass der Coach »Anwalt« des Teilnehmers ist, dass der Coach über die besprochenen Inhalte Dritten gegenüber keine Auskunft erteilen wird etc. Eine kompetenzorientierte Laufbahnberatung, an deren Ergebnis nicht nur der Teilnehmer interessiert ist, sondern auch ein öffentlicher Geld-
163 6.2 · Jugendliche
geber oder ein Unternehmen, verändert zwangsläufig das Beziehungsgefüge zwischen Coach und Teilnehmer. Der u. U. nicht leicht vermittelbare Wert der Beratung wird auf seinen Nutzenaspekt hin überprüft. Um einem solchen Nutzen zu genügen, werden sich sowohl Coach als auch Teilnehmer »anders« verhalten, als wenn sie in einem gleichberechtigten und nicht auf einen Nutzenaspekt hin ausgerichteten Setting aufeinandertreffen. Dennoch können wir Grundprinzipien der kompetenzorientierten Laufbahnberatung festhalten, die einen Transfer des Denkens in Kompetenzen in unterschiedliche Kontexte erlaubt. Diese Grundprinzipien lassen sich wie folgt zusammenfassen: 4 Menschen lernen lebenslang 4 Menschen erwerben Kompetenzen zu einem wesentlichen Teil durch Erfahrung 4 Kompetenzen sind Selbstorganisationsdispositionen 4 Kompetenzen sind auf unterschiedliche Kontexte übertragbar 4 Kompetenzen sind Konstrukte, die in besonderer Weise dazu geeignet sind, aus vergangenem Verhalten Hypothesen darüber abzuleiten, wie Personen in der Lage sind mit unbekannten Anforderungen zurecht zu kommen 4 Kompetenzen sind Personen nicht unmittelbar zugänglich; es erfordert einer gerichteten Auseinandersetzung mit den eigenen Fertigkeiten und Fähigkeiten, um Kompetenzen identifizieren und beschreiben zu können 4 Personen erleben es als bereichernd, sich mit den eigenen Kompetenzen auseinander zu setzen 4 Das Erkennen der eigenen Kompetenzen hat einen positiven Einfluss auf das eigenverantwortliche Handeln von Personen 4 Die Kenntnis der eigenen Kompetenzen begünstigt den gezielten Einsatz dieser Kompetenzen
Konstante Grundprinzipien
In den folgenden Abschnitten dieses Kapitels gehen wir auf Anwendungsmöglichkeiten der Kompetenzenbilanz in unterschiedlichen Kontexten ein.
6.2
Jugendliche
6.2.1 Problemstellung Schüler und Lehrlinge gehören einer Altersgruppe an, in der ein biografischer Rückblick für die Teilnehmer nicht hilfreich und zielführend zu sein scheint. Zum einen haben sich zu wenige biografische Erfahrungen angesammelt, die einen reichhaltigen und bereichernden Prozess in der Bilanzierung versprechen würden. Schüler und Lehrlinge benötigen einerseits eine Unterstützung in dem Prozess der Berufswahl, andererseits können sie mit Hilfe einer kompetenzorientierten Vorgehensweise in gewissem Maße lernen, ihre eigene Zukunft als durch eigenes Entscheiden und Handeln formbar wahrzunehmen. Es interessiert Jugendliche also meist nicht so sehr, welche Entwicklungen in der eigenen Biografie zu der aktuellen Situation geführt haben, vielmehr geht
6
Rückblick unergiebig
164
Kapitel 6 · Anwendungsfelder und Einsatzmöglichkeiten der kompetenzorientierten Laufbahnberatung
es Ihnen darum, normative Entwicklungsaufgaben möglichst gut zu bewältigen. Aufgabe kompetenzorientierter Laufbahnberatung ist es insbesondere bei Jugendlichen, die biografische Gestaltungsfähigkeit zu fördern, sie also darin zu unterstützen, die eigene Zukunft nicht passiv hinzunehmen, sondern sie den eigenen Interessen und Stärken gemäß zu formen. Ein rein methodisches Argument dafür, im Umgang mit Jugendlichen den biografischen Aspekt nicht in den Mittelpunkt des Verfahrens zu rücken, beruht auch auf der Tatsache, dass sich typische biografische Muster in der relativ kurzen Biografie von Lehrlingen und Schülern noch nicht herausgebildet haben. Gerade durch die bevorstehenden Entscheidungen werden sich die roten Fäden, nach denen im ersten Schritt der Kompetenzenbilanz gesucht wird, erst knüpfen.
6
6.2.2 Vorgehen Kompetenzwerkstatt
Inhalte
Ziel: biografische Gestaltungsfähigkeit
Derzeit findet im Zukunftszentrum Tirol ein Pilotprojekt statt, das eine Adaptierung kompetenzorientierter Laufbahnberatung für Jugendliche zum Ziel hat: die Kompetenzwerkstatt. Die folgenden Ausführungen beziehen sich weitgehend aus den aktuellen Erfahrungen aus diesem Projekt. Veröffentlichungen hierüber sind für das Jahr 2006 zu erwarten. Nach der oben geschilderten Fragestellung sollte kompetenzorientierte Laufbahnberatung für Jugendliche mehrere Einheiten umfassen, die idealerweise aufeinander abgestimmt sind und inhaltlich ineinander greifen: 4 Ergründen und beschreiben der eigenen Interessen 4 Erkennen der eigenen Stärken 4 Formulieren von nahen und fern liegenden Zielen 4 Ableiten eines konkreten Projekts, in welchem die Jugendlichen einem ihrer Ziele näher kommen können 4 Projektarbeit, in der Erfahrungen gemacht werden, die für die weiteren Entscheidungsfindung ausgewertet werden können 4 Auswertung der Erfahrungen im Projekt und ggf. Korrektur der zuvor gesetzten Ziele 4 Information über mögliche Berufsfelder 4 Abgleich eigener Stärken mit den Anforderungen des angestrebten Berufsfeldes 4 Abgleich eigener Interessen mit der Beschaffenheit des angestrebten Berufsfeldes 4 → Förderung der biografischen Gestaltungsfähigkeit der Jugendlichen Jugendliche sollen also nach einer solchen Maßnahme in der Lage sein, berufliche Entscheidungen bewusst zu treffen und zu wissen, warum sie ein bestimmtes Berufsfeld anstreben und was sie dazu in die Lage versetzt, in dieser Branche tätig zu werden. Sie sollen also lernen, für ihr Ziel zu argumentieren, indem sie gegenüber sich selbst aber auch anderen gegenüber belegen können, warum sie eine bestimmte Entscheidung treffen. Wesentlich hierfür ist die Zielorientierung eines solchen Verfahrens. Aus dieser Zielsetzung, die nur akzentuiert anders ist als diejenige der Kompetenzenbilanz, folgt, dass es in der Kompetenzwerkstatt eher um einen Blick nach vorn, anstatt um einen Blick in die Biografie gehen muss.
165 6.3 · Outplacement und Erwerbslosigkeit
Insofern unterscheidet sich die Kompetenzwerkstatt erheblich von herkömmlichen Berufsberatungsprozessen. Den Jugendlichen soll nicht ein Angebot verschiedener Berufsmöglichkeiten unterbreitet werden, vielmehr sollen sie in diesem Prozess die Möglichkeit haben, ihre Erfahrungen im Umgang mit der Arbeitswelt für sich selbst besser zugänglich und damit hinterfragbar zu machen. Im Gegensatz zur Kompetenzenbilanz, die innerhalb von vier Wochen durchführbar ist, kann eine solche Interventionsmaßnahme bei Jugendlichen nur wirksam werden, wenn sie über einen längeren Zeitraum stattfindet. So sollte die Kompetenzwerkstatt im Idealfall über ca. vier Monaten durchgeführt werden. Aber auch eine kürzere Durchführungszeit ist möglich, wenn die einzelnen Inhalte bspw. im Block stattfinden können und der Ablauf die im Folgenden beschriebenen Phasen enthält. Die Vorbereitungsphase beinhaltet biografisches Arbeiten, eine Darstellung der eigenen Stärken und das Erarbeiten der nahen und fernen beruflichen und privaten Ziele. Aus diesen Zielen erarbeiten die Jugendlichen ein Projekt, welches sie in Bezug auf ein Ziel oder einen Aspekt eines Ziels weiterbringt. Die Projektphase ist ein Praxisteil, in dem Jugendliche ein für sie persönlich wichtiges, interessantes und nicht leicht durchzuführendes Projekt planen und durchführen. Projekte können einzeln oder in der Gruppe entworfen und durchgeführt werden. Die Nachbereitungsphase dient der Auswertung und Bewertung des durchgeführten Projektes. Im Mittelpunkt stehen dabei die Fragen, was die Jugendlichen im Projekt in Bezug auf ihre eigenen Ziele gelernt haben, welche eigenen Stärken sie erkannt haben, aus welchen Fehlern sie lernen konnten, in welcher Weise sich die Ziele verändert haben, welche neuen Projektideen sie haben und welche Schlüsse sie aus diesem Prozess für ihre weiteren Ausbildungs- und Berufswahl ziehen. Darüber hinaus beinhaltet die Kompetenzwerkstatt noch weitere interessante Aspekte: So ist das entwickelte Verfahren nicht nur für Jugendliche und für den unmittelbaren Berufsfindungsprozess sinnvoll, sondern adaptiert die Kompetenzenbilanz als Verfahren, das auch in der Gruppe durchgeführt werden kann. Dabei bedarf es nur geringfügiger Anpassungen, um die Vorgehensweise des gegenseitigen Coachings, bzw. des geleiteten gegenseitigen Interviewens so anzupassen, dass auch Erwachsene in einem Gruppenprozess, bspw. im Rahmen eines Intensiv-Workshops dieses kompetenzorientiertes Verfahren durchlaufen (7 hierzu auch den Abschnitt »Personalentwicklung« weiter unten).
6.3
Zeitaufwand
Phasen der Kompetenzwerkstatt
Kompetenzbilanzierung in der Gruppe
Outplacement und Erwerbslosigkeit
6.3.1 Problemstellung Der Verlust des Arbeitsplatzes kann – je nachdem, wie die Entscheidung den Betroffenen mitgeteilt wird – zu einer großen Belastung werden. Die Zukunft und die Möglichkeiten, die sie bisher bot, sind den Erwerbslosen
Notsituation
6
166
Kapitel 6 · Anwendungsfelder und Einsatzmöglichkeiten der kompetenzorientierten Laufbahnberatung
6 Positives Selbstbild
aus der Hand genommen. Wichtig ist jedoch, verschiedene Stadien der psychosozialen Verarbeitung der Erwerbslosigkeit zu unterscheiden. Bereits der aus Sicht des Betroffenen drohende Arbeitsplatzverlust kann zu einem Gefühl führen, die Kontrolle über das eigene Leben zu verlieren, da man sich als der Entscheidung hilflos ausgeliefert erlebt. Die existenzielle Beschränkung der eigenen Handlungsmöglichkeiten bildet im Grundsatz den Kern des Belastungserlebens bei Arbeitsplatzverlust. Dem folgt nicht selten das Bewusstsein, überflüssig zu sein, d. h. keine Fertigkeiten oder Befähigungen zu besitzen, die gesellschaftlich, sozial und vor allem auf dem Arbeitsmarkt von Bedeutung sind. Solche Einschätzungen werden in der Psychologie als selbstwert- und identitätsbedrohend eingestuft; sie können zu einem grundsätzlichen Entwertungserleben führen, das sie nur mehr ihren eigenen UnWert erkennen lässt, ihnen aber den Blick dafür verstellt, was sie eigentlich können, über welche Kompetenzen sie also verfügen. Die Kompetenzenbilanz kann für Erwerbslose zunächst die wichtige Funktion erfüllen, sich wieder einem realistischeren Selbstbild anzunähern, da sie strikt auf die Stärken der Klienten fokussiert ist. Somit ergibt sich ein individueller Wert des Vorgehens, der gesellschaftlich nutzbar gemacht werden kann: Ein unverstellter und realistischerer Blick auf die eigene Person wird eröffnet, der neben der Qualifikation als eine Grundvoraussetzung erfolgreicher Wiedervermittlung betrachtet werden kann. Doch würde die Kompetenzenbilanz zu kurz greifen und geradezu Schönfärberei betreiben, wenn sie es bei der Klientel der Erwerbslosen dabei bewenden ließe, deren Stärken herauszuarbeiten. In der kompetenzorientierten Laufbahnberatung ist eine Erarbeitung von konkreten Zielen und nächsten Schritten unerlässlich. Dies gilt vor allem für das Coaching von Erwerbslosen, die häufig durch den Verlust des Arbeitsplatzes auch einen Verlust an stützender sozialer und auch zeitlicher Struktur erfahren. Die intensive Erarbeitung nächster Schritte, das Recherchieren sozialer Unterstützungssysteme sowie eine Terminierung der nächsten Handlungsschritte können Elemente sein, die der Person helfen, sich und die bevorstehende Zeit sinnhaft und zielgerichtet zu strukturieren. Zudem sollten die Teilnehmer in einer solchen Situation darauf vorbereitet werden, die Erkenntnisse aus dem Prozess der Kompetenzbilanzierung auch anderen gegenüber darzustellen, also die gesammelten Kompetenzen bspw. im Setting eines Bewerbungsgespräches strukturiert und transparent verdeutlichen zu können.
6.3.2 Vorgehen Erweiterung der Methoden
Der Ablauf der im Kapitel »Methoden« dargestellten Kompetenzenbilanz bleibt in wichtigen Punkten unvollständig und schöpft in der dargestellten Form das Nutzungspotenzial für die Klienten noch nicht voll aus. Der Ablauf einer Kompetenzenbilanz für Erwerbslose bzw. im Outplacementbereich sollte zumindest die folgenden Schritte umfassen: 4 Bearbeiten der emotionalen Reaktionen auf den Verlust des Arbeitsplatzes (dieser Schritt muss zunächst gemacht werden, um den Blick für die Zukunft zu öffnen) 4 Erarbeiten der Fertigkeiten und Fähigkeiten entsprechend dem bisherigen Muster der Kompetenzenbilanz
167 6.3 · Outplacement und Erwerbslosigkeit
4 Im Vergleich zum bisherigen Vorgehen eine vertiefte Bearbeitung der zur Verfügung stehenden persönlichen und sozialen Ressourcen und der möglichen bzw. manifesten Hindernisse bei der Suche nach einer neuen Stelle 4 Erarbeiten von Entscheidungshilfen für den weiteren eigenen Weg, Erkennen von kontraproduktiven Zielen und Einstellungen (z. B. überhöhte Zielvorstellungen) und Formulierung realistischer Ziele 4 Erarbeiten von Strategien zur Suche nach einem Arbeitsplatz (mit dem Coach und ggf. im Rahmen von Intervisionsgruppen) Es wird ersichtlich, dass ein solches Verfahren zeitintensiver ist, als eine Kompetenzenbilanz mit Personen, die sich »nur« umorientieren oder »ohne Not« eine Standortbestimmung vornehmen möchten. Inwieweit eine Ausdehnung des Verfahrens möglich ist, hängt letztlich von den zur Verfügung stehenden finanziellen Ressourcen ab. Als ideal könnte ein Vorgehen bezeichnet werden, in dem sich Phasen des Intensiv-Coachings mit Reflexionsphasen abwechseln – dies, wenn möglich, über den gesamten Zeitraum der Erwerbslosigkeit hinweg. Es stellt sich nur die Frage, ob Unternehmen, öffentliche Hand oder Privatpersonen sich ein solch aufwändiges Verfahren leisten können oder wollen. Weitere Ergänzungen sind denkbar und sinnvoll. Grundsätzlich eignet sich die Kompetenzenbilanz für Erwerbslose als das inhaltliche Kernstück einer Outplacement-Maßnahme sehr gut. Ein solches Projekt hat bereits stattgefunden. Beispiel
Im Frühjahr 2004 wurde die Kompetenzenbilanz als Outplacement-Verfahren für ein Biotechnologieunternehmen adaptiert. Das Unternehmen musste aufgrund des Rückzugs eines der Hauptinvestoren seine Belegschaft um etwa ein Drittel verringern, um weiterhin bestehen zu können. Da sich die Unternehmensleitung den gekündigten Mitarbeitern gegenüber verpflichtet fühlte und sich gleichzeitig darüber im Klaren war, dass der Umgang mit ihnen von den im Unternehmen verbleibenden Mitarbeitern sehr genau beobachtet werden würde, entschloss sich der Personalleiter im Einvernehmen mit der Unternehmensleitung dazu, die Kompetenzenbilanz als Outplacementinstrument einzusetzen. Um der Anforderung zu genügen, mit geringem Aufwand das Verfahren für dieses Einsatzfeld nutzbar zu machen und mit möglichst vielen Personen rasch in einem kurzen Zeitraum durchzuführen, wurde die Kompetenzenbilanz um ein viertes Gespräch erweitert. Es konzentrierte sich vor dem Hintergrund der erarbeiteten Stärken auf eine intensive Vorbereitung der Bewerbungssituation. Zudem wurde das erste Coaching-Gespräch verlängert, so dass vor der biografischen Betrachtungsweise Zeit dafür war, die emotionalen Reaktionen auf die Kündigung sowie die Bedeutung der Kündigung für die Person und ihre derzeitige Lebenssituation zu erfassen. In vielen Fällen wurde die Kündigung nach einer kurzen Phase der Abwehr als Möglichkeit begriffen, den eigenen Weg zu korrigieren. Alle Teilnehmer fanden 6
Kompetenzenbilanz als Kernstück
6
168
Kapitel 6 · Anwendungsfelder und Einsatzmöglichkeiten der kompetenzorientierten Laufbahnberatung
innerhalb von zwei Monaten eine neue, den Qualifikationen und Kompetenzen adäquate Beschäftigung. Viele konnten sich beruflich verbessern. Zwei Teilnehmer entschlossen sich, statt eine neue Beschäftigung eine Ausbildung zu beginnen.1
6.4
Existenzgründung
6.4.1 Problemstellung
6
Unsichere Entscheidungsgrundlage
Kompetenzen als Orientierungshilfe
Die bisher verfügbaren wissenschaftlichen Erkenntnisse belegen, dass es für die betreffenden Personen sehr schwer ist, sich für eine Existenzgründung zu entscheiden (Lang-von Wins 2004). Neben der eher auf emotionaler Ebene anzusiedelnden Problematik eine sehr weit reichende Entscheidung auf unsicherer Grundlage treffen zu müssen, gibt es einen weiteren Faktor, der die Qualität der Entscheidung erheblich beeinflussen kann: Der Entschluss, eine Firma zu gründen, wird in der Regel aufgrund eines stark eingeschränkten Satzes an zur Verfügung stehenden Informationen getroffen – sie kann also nicht als eine rationale Entscheidung betrachtet werden. Damit steigt wiederum die mit der Entscheidung verbundene Unsicherheit und das damit verknüpfte Risiko an. Betrachtet man die Gründung eines Unternehmens in einer mittel- bis längerfristigen Perspektive, dann wird deutlich, dass die Entscheidungen, die zu Beginn der Selbstständigkeit getroffen werden, gravierende Auswirkungen auf die weitere Entwicklung des Unternehmens haben können (z. B. die falsche Standortwahl, die Entscheidung, mit dem falschen Partner zu gründen etc.). Damit entstehen Fehlerketten, die zu Situationen führen können, die den weiteren Bestand des Unternehmens existenziell bedrohen können. Eignungsdiagnostische Ansätze bieten hierbei kaum Hilfe, da die erfolgskritischen Bedingungen einer Gründung eher das Trennende als die Gemeinsamkeiten mit anderen Fällen betonen. Viele Aufgaben, die auf Gründer zukommen, sind nicht oder nur unscharf vorhersehbar. Wenn wir von der Definition von Kompetenzen ausgehen, die sie als die Befähigungen betrachtet, mit neuartigen Situationen umgehen zu können, dann liegt es nahe, eine kompetenzorientierte Gründungsberatung zu formulieren. Die Kompetenzenbilanz bietet durch ihre Struktur einer angeleiteten und punktuell vertieften Auseinandersetzung mit den eigenen unternehmerischen Kernkompetenzen und Wünschen die Möglichkeit einer ausgesprochen erfolgversprechenden Unterstützung bei der Unternehmensgründung. Sie ist dabei nicht auf die unmittelbare Entscheidungs- oder Vorentscheidungsphase beschränkt, sondern kann auch während bzw. nach der Grün-
1
Zu dieser Maßnahme ist in Wirtschaft – Das IHK Magazin für München und Oberbayern, Ausgabe 11/2004 ein Bericht erschienen, der unter www.perform-muenchen.de als PDF-Datei heruntergeladen werden kann.
169 6.4 · Existenzgründung
dung zum Nutzen des Unternehmens bzw. Unternehmers eingesetzt werden, wenngleich dies eine unterschiedliche Fokussierung notwendig macht.
6.4.2 Vorgehen Im Jahr 2004 wurde ein Verfahren entwickelt, das den oben formulierten Anforderungen auf der Grundlage einer kompetenzorientierten Betrachtungsweise entspricht: »Kick off – Auftakt mit Durchblick« (Lang-von Wins 2004). Im Rahmen der Entscheidung über eine Gründung sollte ein kritisches Abwägen eigener Stärken und Schwächen stehen, aber auch der Ressourcen, die das soziale Umfeld der Personen zur Verfügung stellt. Die Grundstruktur der Basisversion der Kompetenzenbilanz konnte weitgehend erhalten bleiben. Notwendig wurde eine deutliche Fokussierung auf die Anforderungen der Gründung und auf Projekte im Rahmen der eigenen Biografie, in denen Anforderungen bewältigt wurden, die denen einer selbstständigen Tätigkeit ähneln. Der im Rahmen des Verfahrens einsetzende Selbstreflexionsprozess soll zu einer qualitativen Verbesserung der zu treffenden Entscheidung führen. Durch das Herausarbeiten gründungsbezogener Fertigkeiten und unternehmerischer Kernkompetenzen (Proaktivität, Leistungsmotivation, soziale Kompetenzen, Selbstmanagement, Lernfähigkeit und Kreativität) wird zusätzlich die Identifikation von fehlenden und ggf. noch zu erlernenden Fertigkeiten für einen guten Start zu einer zielgerichteten Vorbereitung der Gründung ermöglicht. Dadurch wird der rein auf Stärken ausgerichtete Prozess der Kompetenzenbilanz um eine Komponente erweitert, in der auch Schwächen identifiziert und als Entwicklungsfelder thematisiert werden. Einschlägige Forschungsprojekte zeigen aus Sicht der Gründer einen klaren Bedarf an Unterstützungsmaßnahmen, die eine zielgerichtete Auseinandersetzung mit den Anforderungen und den eigenen Fähigkeiten ermöglichen (7 vgl. Lang-von Wins 2004). Im Vergleich zu den bisher existierenden, recht globalen Unterstützungsmaßnahmen ist »Kick off« eine auf die individuellen Bedürfnisse ausgerichtete Vorgehensweise, die nicht versucht, allgemeine aber unscharfe Lösungen zu formulieren. Im Vergleich zu teuren Einzelcoachings durch erfahrene Berater bietet dieses Verfahren eine straffe Struktur und einen hohen Lerngewinn in einem überschaubaren Zeitraum, der zudem für die Gründungsinteressierten in einem bezahlbaren Rahmen bleibt. Der durch die Kompetenzenbilanz angeregte Prozess sollte idealerweise in eine Fortführung der Auseinandersetzung mit den eigenen Fertigkeiten und Fähigkeiten auch nach der Gründung münden, was z. B. mit thematisch fokussierten Leitfragen unterstützt wird. Die Erfahrung aus verschiedenen Forschungsprojekten zeigt darüber hinaus, dass die reflektierende Auseinandersetzung mit dem eigenen unternehmerischen Alltag eine wesentliche Ressource von erfolgreichen Unternehmern ist, die von erfolglosen Unternehmern kaum genutzt wird (Lang-von Wins 2004). ! Wichtig Erfolgreichen Unternehmern gelingt es, aus der aktuellen Situation Anhaltspunkte für ihr zukünftiges Handeln abzuleiten, die durch die reflektierende Auseinandersetzung wesentlich differenzierter und 6
»Kick off – Auftakt mit Durchblick«
Selbstreflexion als Grundlage für Entscheidungen
Reflexion als zentrale Ressource
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Kapitel 6 · Anwendungsfelder und Einsatzmöglichkeiten der kompetenzorientierten Laufbahnberatung
treffsicherer sind, als wenn sie sich nicht dieser Strategie bedienen würden. Reflektieren Gründer ihr Handeln nur in geringem Maß, dominiert das Prinzip »der Überwertigkeit des aktuellen Motivs«, d. h. sie tendieren dazu, den Folgen momentaner Probleme hinterherzulaufen, ohne strategisch zu planen. Einsatz
6
Seit der Pilotphase im Sommer 2004 ist Kick off in den Regelbetrieb übergegangen und wurde bislang mit ca. 50 Personen durchgeführt. Es ist geplant, die Methode ähnlich der oben vorgestellten Kompetenzwerkstatt auch an die Arbeit mit Gruppen anzupassen. Der Einsatz im Rahmen universitärer Gründungscurricula ist geplant. Aber nicht nur der privilegierte Bereich der Hochschulen sich kann ein solches Verfahren zu Nutze machen, sondern letztlich jede Anlaufstelle für Existenzgründer könnte neben den bestehenden Angeboten eine kompetenzorientierte Beratung Gründern zugänglich machen, die zwar nicht in der Lage ist, betriebswirtschaftliche Beratungsansätze zu ergänzen (das ist auch in keiner Weise beabsichtigt), jedoch sehr wohl einen weiteren Beitrag zur Orientierung in einer Phase besonderer Unsicherheit bzgl. der eigenen Zukunft zu bieten.
6.5
Personalentwicklung
6.5.1 Problemstellung Perspektive des Unternehmens
Orientierung am Individuum
Die betriebliche Personalentwicklung setzt in ihrer herkömmlichen Form in der Regel die Perspektive des Unternehmens über die der in ihm arbeitenden Menschen. Für die Ausrichtung der Personalentwicklung bedeutet dies eine Defizitorientierung: Im Unternehmen oder bei den Mitarbeitern vorhandene Defizite sollen »nachqualifiziert« werden. Maßnahmen, die auf den Stärken der Mitarbeiter aufsetzen, kennt die Personalentwicklung kaum. In den Betrieben herrscht also, ähnlich wie im Weiterbildungsbereich, eine Philosophie des »normativen Qualifizierens« vor, die ihre Bedarfe an den Anforderungen einer Norm ausrichtet. Diese Vorgehensweise bleibt implizit erhalten – auch wenn Weiterbildungsbedarfe konkret mit dem Vorgesetzten besprochen werden. Die bisherige Erfahrung zeigt, dass im Tagesgeschäft kaum Zeit für eine sorgfältige Ableitung von individuellen Weiterbildungswünschen der Mitarbeiter bleibt, die z. B. im Rahmen der regelmäßigen Zielvereinbarungsgespräche besprochen werden könnte. Die meisten Vorgesetzten dürften von diesem Teil ihrer Führungsaufgaben überfordert sein, wie eine aktuelle Studie der Perform – Arbeitsgruppe für Angewandte Personalforschung vermuten lässt (Lang-von Wins et al. 2005). Grundsätzlich ist festzustellen, dass sich die Kompetenzenbilanz strikt am Individuum orientiert. Sie stellt die Perspektive desjenigen Menschen, der sie durchläuft, in den Mittelpunkt. Ein direkter Schnittpunkt zur Personalentwicklung liegt somit noch nicht unmittelbar auf der Hand, da sich im Verlauf der Arbeit mit der Kompetenzenbilanz in ihrer gegenwärtigen Form auch Ziele ergeben könnten, die denen des Unternehmens widersprechen und diese Offenheit von den Unternehmen häufig nicht gewünscht ist. So
171 6.5 · Personalentwicklung
ist es z. B. möglich, dass am Ende der Kompetenzenbilanz der Teilnehmer kündigt oder angesichts der eigenen Kompetenzen und der wahrgenommenen Möglichkeiten zu ihrer Entfaltung im Rahmen der bisherigen Tätigkeit Unzufriedenheit entsteht. Neben dem für die einzelne Person gleichbleibenden Wert, der sich aus der stärkenorientierten Auseinandersetzung mit der eigenen Biografie ergibt, lassen sich auch konkrete Nutzenaspekte für das Unternehmen erwarten, das in seiner Personalarbeit kompetenzorientiert vorgeht. 4 Eine kompetenzorientierte Bestimmung der Stellenanforderungen ermöglicht eine adäquate Auswahl von geeigneten Personen für das Unternehmen. 4 Aufgrund eines an Kompetenzen orientierten Sollprofils werden Entwicklungspotenziale unmittelbar transparent. Personen können gezielt bzgl. ihres Könnens gefördert und eingesetzt werden. 4 Mitarbeiter sind nach einer kompetenzorientierten Laufbahnberatung besser als zuvor in der Lage, eigenverantwortlich zu handeln. Ein Nutzen, der sowohl für das Individuum als auch für das Unternehmen hohen Wert haben kann. 4 Durch eine Feststellung der Kompetenzen der Mitarbeiter gewinnt das Unternehmen Planungssicherheit bzgl. mittelfristiger personeller und strategischer Entscheidungen. 4 Kompetenzbilanzierung wird künftig einen wichtigen Beitrag zur Feststellung des Humankapitals leisten. Dieser Aspekt wird in den kommenden Jahren europaweit an Bedeutung gewinnen, insbesondere in solchen Unternehmen, bei denen eine erhebliche Differenz zwischen Markt- und Buchwert festzustellen ist.
Nutzenaspekte
6.5.2 Vorgehen Die Antwort auf diese zentrale Frage ist von den Bedürfnissen der Unternehmen abhängig. Grundsätzlich sind mehrere unterschiedliche Richtungen denkbar, die die Anwendung der Kompetenzenbilanz in den Unternehmen nehmen kann. Sie werden in folgendem Abschnitt kurz dargestellt. Eine Möglichkeit eine kompetenzorientierte Vorgehensweise nutzenbringend für die Entwicklung und Orientierung von bestimmten Mitarbeitergruppen einzusetzen, besteht darin, das Angebot von Lern- und Entwicklungsassessment-Centern abzurunden. In Entwicklungsassessment-Centern werden aufgrund ihrer bisherigen Entwicklung vielversprechende Mitarbeiter auf die Übernahme von Führungsaufgaben vorbereitet. Dabei werden durch eine interaktive Rückmeldung von Stärken und Schwächen Lern- und Entwicklungsprozesse angestoßen und letztlich ein Entwicklungsprogramm erarbeitet. Das Ziel von Entwicklungsassessment-Centern liegt im Gegensatz zu den auswahlbezogenen Assessment-Centern nicht in der punktuellen Feststellung von vorgegebenen Eignungsmerkmalen, sondern darin, Kompetenzen zu erkennen und Entwicklungsempfehlungen zu erarbeiten. Bei der Fragestellung der Entwicklungsassessment-Center liegt eine klare Verwandtschaft zu dem Ansatz der Kompetenzenbilanz auf der Hand: Sie ist von ihrer Ausrichtung her eine ideale Ergänzung der Entwicklungsassessment-Center, da sie durch die intensive Einbeziehung des Klienten eine hohe
Lern- und Entwicklungsassessment
6
172
Kapitel 6 · Anwendungsfelder und Einsatzmöglichkeiten der kompetenzorientierten Laufbahnberatung
Zunahme von Lern- und EntwicklungsassessmentCentern
6 Individuelle Weiterbildungsplanung
Effiziente Weiterbildungsplanung durch Kompetenzorientierung
Verbindlichkeit bezüglich des Ergebnisses erzeugt. Außerdem sind von einer kompetenzorientierten Laufbahnberatung Prozesse zu erwarten, die durch die bewusste Reflexion des eigenen Lebens- und Arbeitskontextes deutliche positive Wirkungen auf die Produktivität und die weitere Entwicklung der Teilnehmer haben. Die Verbreitung von Lern- und Entwicklungsassessment-Centern haben in den vergangenen 25 Jahren deutlich zugenommen. Damit gewinnt die betriebliche Personalentwicklung eine Richtung, die im Sinne des Mitarbeiters eine konstruktive Auseinandersetzung mit seinen Entwicklungsbedarfen und -potenzialen in den Mittelpunkt stellt. Ein kompetenzorientiertes Vorgehen in der Personalentwicklung ist die ideale Herangehensweise, um diese Richtung weiter zu verstärken. Darüber hinaus stellt sie eine hervorragende Ergänzung der herkömmlichen Lern- und Entwicklungsassessment-Center dar. Eine weitere Möglichkeit, wie die Kompetenzorientierung die Praxis der betrieblichen Personalentwicklung nachhaltig bereichern kann, betrifft die individuelle Weiterbildungsplanung. Gerade vor dem Hintergrund, dass Verfahren zur arbeitsplatznahen Personalentwicklung in den kommenden Jahren klar weiter an Bedeutung gewinnen werden, bietet sich eine Verwendung der Kompetenzenbilanz an. Im Rahmen der »Personalentwicklungon-the-job« gewinnt die Arbeit in kleinen Projekten an Bedeutung, die für die Mitarbeiter die Möglichkeit bietet, Verantwortung zu übernehmen und sich in kleineren Kontexten weiterzuentwickeln. Der Gedanke dieser, in den Arbeitsprozess einbezogenen, Formen beruflicher Weiterqualifizierung folgt den Konzepten der modernen pädagogischen Psychologie, die individuelle Lernprozesse in den Mittelpunkt stellt. Eine Kompetenzenbilanz kann bei den Mitarbeitern zu einer Öffnung für eine Weiterentwicklung im Rahmen kleiner Projekte führen, die die Mitarbeiter evtl. auch selbst vorschlagen und initiieren. Daneben nimmt ein kompetenzorientiertes Vorgehen im Prozess der individuellen Weiterbildungs- und Entwicklungsplanung einen wichtigen Platz ein und bereichert den häufig unbefriedigenden Ablauf bzw. das schwache Ergebnis wesentlich. Die Durchführung einer Kompetenzenbilanz regt – soviel lässt sich mit den heutigen Erfahrungen bereits sagen – einen Prozess der bewussten und aktiven Planung der weiteren eigenen Entwicklung (im Rahmen der eigenen Möglichkeiten) an. Dieser Prozess kann, wenn er auf die eigene berufliche Entwicklung und die sich aus der Standortbestimmung ergebenden Entwicklungslinien fokussiert ist, die Effizienz der gemeinsam mit dem Vorgesetzten erarbeiteten Entwicklungspläne um ein Vielfaches steigern. Denkbar ist als Abschluss einer Kompetenzenbilanz (entsprechend der jetzigen »nächsten Schritte«) auch ein Vorgehen, in dem der Klient eigene Entwicklungslinien herausarbeitet, belegt und Anknüpfungspunkte für die gemeinsame Planung mit dem Vorgesetzten erarbeitet. Für den Vorgesetzten dürfte – wenn er vorab eine schriftliche Ausarbeitung erhält, deren Inhalte und Form noch festzulegen sind – das Gespräch eine klare und nachvollziehbare Struktur erhalten; die Grundlage für die gemeinsame Planung würde so gestärkt. Eine Kompetenzenbilanz kann als »Initialzündung« betrachtet werden, da sie einen Prozess der Selbstreflexion anstößt, der systematisch von den Mitarbeitern weitergeführt werden kann. Das Ziel ist es dabei, dass
173 6.5 · Personalentwicklung
die Mitarbeiter, ohne oder mit gelegentlichen Coachings, fortführen, was in der Kompetenzenbilanz begonnen wurde. Sie werden »kompetent« in Bezug auf die eigene Weiterentwicklung und Weiterbildung und stärken damit die Rationalität und Effektivität der betrieblichen Personalentwicklung. Grundsätzlich ist die Kompetenzenbilanz in ihrer betrieblichen Verwendung nicht auf die Personalentwicklung beschränkt. Es ist durchaus denkbar, sie auch im Rahmen einer Organisationsentwicklungsmaßnahme einzusetzen. Hier sei darauf hingewiesen, dass sich derzeit Methoden in Entwicklung befinden, aufgrund derer die Kompetenzenbilanz auch in Gruppen durchgeführt werden kann, wodurch die Kosten pro Mitarbeiter erheblich gesenkt werden. Ein solches Vorgehen eignet sich insbesondere für Teambildungsoder Entwicklungsmaßnahmen und ist im Gegensatz vieler herkömmlicher Maßnahmen ausgesprochen anforderungs- und arbeitsplatzbezogen durchführbar, was den Nutzen derartiger Interventionen nachweislich erheblich steigern kann.
Organisations- und Teamentwicklung
6.5.3 Vorgehen Ein solches teambildendes Vorgehen lässt sich wie folgt skizzieren: Wesentlich für die Formierung eines Teams ist es, dass es neben der gemeinsamen Aufgabe auch ein geteiltes Verständnis davon entwickelt, wie und auf welche Weise jeder dazu beitragen kann, das gemeinsame Ziel zu erreichen. Wenn sich nicht alle Mitarbeiter bisher von der direkten Zusammenarbeit her kennen, kann das intensive gegenseitige Kennenlernen einen Schwerpunkt eines kompetenzorientierten Seminars bilden. Dabei sollte stets der Aufgabenbezug im Vordergrund stehen. Aus der Klärung der gemeinsamen Aufgabe heraus ergeben sich individuelle Rollenklärungen, die zur Festigung der Teamstruktur führen. Grundlage dafür ist eine kompetenzorientierte Vorgehensweise, die darauf aufbaut, eigene Stärken und die Stärken der anderen Teammitglieder zu erkennen. Auf dieser Grundlage differenzieren sich die sozialen Rollen der Mitarbeiter auch in größeren Gruppen erfahrungsgemäß schnell heraus und lassen sich in die Struktur der gemeinsamen Aufgabe integrieren. Darüber hinaus können die Mitarbeiter durch dieses Vorgehen die eigenen Kompetenzen in Relation zu den künftigen Anforderungen sehen und ihre Fähigkeiten auf dieser Grundlage optimal einsetzen. Schließlich ist noch auf eine weitere Einsatzmöglichkeit hinzuweisen, die zwischen den beiden grob skizzierten Linien (Teil einer aktiv betriebenen Entwicklungsplanung von Seiten des Unternehmens z. B. im Rahmen von Entwicklungsassessment-Centern und wichtiger Baustein einer aktiv betriebenen Entwicklungsplanung von Seiten des Mitarbeiters) anzusiedeln ist. Wie im bisherigen Einsatz der Kompetenzenbilanz deutlich wurde, liegt ein wesentlicher Effekt in der schrittweise vertieften Auseinandersetzung mit der eigenen Biografie, wodurch die Selbstreflexion der Klienten angeregt wird. Gerade die Selbstreflexionsfähigkeit gilt als ein wesentliches Kriterium für Führungserfolg, da Führungskräfte ihr Verhalten flexibel an sich verändernde Umgebungsbedingungen (in sozialer und fachlicher Hinsicht) anpassen müssen. Systematische Maßnahmen zur Stärkung der Selbstreflexionsfähigkeit gibt es derzeit nicht – die Kompetenzenbilanz kann in dieser
Geteiltes Verständnis der eigenen Aufgaben und Kompetenzen
Führungskräfte-Coaching
6
174
Kapitel 6 · Anwendungsfelder und Einsatzmöglichkeiten der kompetenzorientierten Laufbahnberatung
Hinsicht, wenn man sie als ein Instrument zur Stärkung der Selbstreflexionsfähigkeit versteht und diese Ausrichtung entsprechend im Prozess stützt – einen Schritt auf einen bislang kaum erschlossenen Markt tun.
6.6 Zielvereinbarungs- und Entwicklungsgespräche
Weitere Möglichkeiten
Neben den eben skizzierten Einsatz der Kompetenzenbilanz wird die Kompetenzbilanzierung auch im Prozess von Zielvereinbarungsgesprächen oder anderen Entwicklungsgesprächen sowie im allgemeinen Kontext der Personalentwicklung ihren Platz finden. ! Wichtig Kompetenzbilanzierung ist eine ideale Methode, um die Eigenverantwortung der Mitarbeiter zu stärken, ein Ziel, das immer bedeutender für die strategische Personalarbeit wird. Dieser Aspekt belässt die Fachleute vor Ort bislang aber in einem Zustand weitgehender Ratlosigkeit, da sie nicht wissen, wie sie die Vorgaben im gegenwärtigen gelebten Kontext der Abhängigkeit von der hierarchisch geprägten Organisation erreichen können. Gewisse Modifikationen der bisher bestehenden Kompetenzenbilanz machen sie zu einem Instrument, mit dem die betriebliche Personalarbeit ihrem abstrakten Ziel der eigenverantwortlichen Mitarbeiter deutlich näher kommen wird.
6
Rahmenbedingungen für die Durchführung Die Organisation
Eckpunkte für kompetenzorientiertes Arbeiten in Unternehmen
Der Ablauf kompetenzorientierter Laufbahnberatung lässt sich im Unternehmenskontext nicht in gleicher Weise standardisieren, wie dies in der Anwendung für Einzelpersonen weitgehend der Fall ist. Je nach Bedarf des Unternehmens sind mehr oder weniger große Anpassungsleistungen zu vollbringen, die einerseits inhaltlich bedingt sind und auf der anderen Seite meist auch durch monetäre Rahmenbedingungen vorgegeben werden. Mehrere Einsätze der kompetenzorientierten Vorgehensweise in kleinen und mittelständischen Unternehmen in Österreich und in Deutschland haben jedoch folgende Eckpunkte ergeben, die als Elemente einer kompetenzorientierten Vorgehensweise in der Personalentwicklung modular miteinander kombiniert werden können. Ein typischer Ablauf könnte wie folgt aussehen, wobei zu beachten ist, dass die einzelnen Schritte und deren Inhalte sich aus genannten Gründen von Unternehmen zu Unternehmen zum Teil erheblich unterscheiden können. Ziele kompetenzorientierter Beratung von Unternehmen: 4 Erarbeiten zukünftiger Ziele und Entwicklungsaufgaben für das Unternehmen 4 Ableiten von Anforderungen, die sich aus diesen Zielen und Entwicklungsaufgaben ergeben 4 Erstellen kompetenzorientierter Soll-Profile 4 Erstellen kompetenzorientierter Ist-Profile der Mitarbeiter 4 Abgleich der Profile 4 Erstellen individueller Entwicklungspläne
175 6.6 · Weitere Möglichkeiten
6
4 Ggf. Erweiterung oder Veränderung der personellen Ressourcen 4 Die Ausarbeitung der Kompetenzenbilanz muss zielgruppenspezifisch erfolgen, so dass nur hilfsweise von einer einheitlichen Form ausgegangen werden kann. Kompetenzorientiertes Vorgehen soll nicht statisch stattfinden, sondern jeweils an die Bedürfnisse des Gegenüber anpassbar sein. Im Sinne einer klientenzentrierten Beratung müssen wir die Rolle der Prozessverantwortlichen übernehmen, deren Aufgabe es vor allem ist, auf die Fragestellungen der Klienten, ob es sich dabei um Unternehmen oder Einzelpersonen handelt, einzugehen. Im organisationalen Kontext wirft dies die Frage auf, wem gegenüber sich der Coach verantwortlich fühlt: dem Teilnehmer oder dem geldgebenden Unternehmen, von dem der Coach möglicherweise finanziell in hohem Maße abhängig ist. Die Antwort hierauf muss immer und ohne Einschränkung lauten:
Individuum steht im Mittelpunkt
! Wichtig In der kompetenzorientierten Laufbahnberatung ist das Recht auf die Verschwiegenheit des Coaches ohne Einschränkung zu wahren.
Ohne ein Vertrauensverhältnis ist eine kompetenzorientierte Laufbahnberatung nicht durchführbar. Diese Voraussetzung verlangt auch vom Unternehmen ein hohes Maß an Vertrauen gegenüber dem Coach und den eigenen Mitarbeitern. Coach, Mitarbeiter und Unternehmen können nur auf einer ähnlichen Wertebasis konstruktiv zusammenarbeiten, so dass für alle Beteiligten eine Wachstumsmöglichkeit geschaffen werden kann. Wir sind der Überzeugung und haben einige empirische Hinweise darauf, dass ein solches gemeinsames Wachstum möglich ist und eine kompetenzorientierte Beschäftigung mit Personen und Organisationen ein Baustein dafür sein kann. Wir haben an einigen Stellen über Werte gesprochen. Kompetenzorientierte Laufbahnberatung und kompetenzorientertes Vorgehen an sich ist in hohem Maße in der Lage individuellen, unternehmerischen und gesellschaftlichen Nutzen zu schaffen. Dies allerdings immer vor dem Hintergrund eines wertgeleiteten, humanistischen Menschenbildes, welches die Bedürfnisse des Individuums in den Mittelpunkt des Interesses stellt. Mehr denn je sollten Arbeitsprozesse an den Menschen und seine Kompetenzen angepasst werden, statt Personen darauf zu trainieren, sich in ihrem fachlichen, methodischen, personalen und sozialen Vorgehen scheinbar unabänderlichen Zwängen zu unterwerfen. Denn eine Unterwerfung des Individuums bedeutet das Ende von Kreativität und Entwicklungsfähigkeit – sowohl für den Einzelnen als auch für die Gemeinschaft. Und ein solcher Stillstand ist weder für das Individuum noch für die Gemeinschaft, in der lebt und handelt, wünschenswert.
Vertrauensverhältnis
Kompetenzorientierung ist wertgeleitet
Literatur
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Stichwortverzeichnis A Abschlussgespräch 104 Anpassungsdruck 8 Anreizfaktoren 21 Arbeiterkammer 62 Arbeitsbiografie 23 Arbeitsmarkt 8 – Internationalisierung des 8 – sich schließender 22 Aufgabenbereiche 80 Ausbildung zum Kompetenzenbilanz-Coach 130 Ausbildungszertifikate 35 f
B Befindenskurve 70, 75 Befürchtungen 23 Begriffsfindung 95 Berater 5 Berufsfeld 14 Berufswahl 163 Beschäftigungsfähigkeit 18 Bewerbungssituation 167 Bilan de Compétence 126 Bild der Arbeit 9 Biografie 66 – Rekonstruktion der eigenen 59 biografische Gestaltungsfähigkeit 164 Biografische Sammlung 68 biografische Sinnzusammenhänge 136 Brüche – berufliche 6 – kritische 6 – Laufbahn- 117 – Lebens- 117 Burnout 150
– -Prozesse 6 – -Syndrom 10, 63
C Coach 66, 71 ff, 104, 128 ff – Ausbildung 130 – Beziehung zu 142 f – Dilemma 149 – Rolle 128 f – Zusammenarbeit mit 142 f Coaching 45, 71 ff, 87 ff, 103 – Führungskräfte- 173 – Grenzen 130 f construction 50 – co-construction 50 – de-construction 50 Coping-Stile 48 critical incident technique 92
D Depression 29 Detailwissen 79 Deutungsmuster 27
E Effizienz 73 Eigenaktivität 10 Eigeninitiative 7 Eigenverantwortung 20 Einen Berg besteigen 52 Einflussmöglichkeiten 25 Einführungsworkshop 67 Einsatzbereitschaft 19
empowerment (s. auch Ressourcenaktivierung) 148 Entscheidungsfähigkeit 42 Entwertungserleben 166 EntwicklungsassessmentCenter 171 Entwicklungsfelder 114 Entwicklungsgeschichte 73 Entwicklungsgespräche 174 Entwicklungspotenziale 64, 122 Entwicklungsprobleme 74 Erfahrungslernen 67 Erfahrungsmenge 120 Erfahrungsvielfalt 120 Erfahrungswissen 79 Erfolg, psychologischer 12 Ergebniserwartungen 44, 46 Ergebnisverantwortung 140 erlernte Hilflosigkeit 25 Erwartungshaltungen 140 Erwerbslosigkeit 6 Evaluationsansatz 135 Evaluationsergebnisse 135 Expertise 67 Expertisegrade 83
F Fachkompetenz 37 fachsystematisches Wissen Fähigkeiten, Vertrauen in die eigenen 26 Feedback 134 Fertigkeiten 77 Fertigkeitenanalyse 96 Fertigkeiten-Listen 88 Folienfragebögen 139 Fremdbestimmtheit 10 Fremdeinschätzung 102 Führungskräfte-Coaching 173
79
G Gesprächsbeginn 71 Gestaltungsfähigkeit 9, 56 gesundheitliche Beeinträchtigungen 6 Globalisierung 8 Grundlagenwissen 79 Grundmotive 47 Gutachten, schriftliches 116
H Handbuch 138 Handlungsabsicht 25 Handlungsanforderungen 37 Handlungsfähigkeit 9 Handlungsgelegenheiten 25 Handlungsmöglichkeiten 30 Handlungsspielräume 4 Handlungsstile 55 Handlungstendenzen 37 Hoffnungen 23 Humankapital 22
Kick-off – Auftakt mit Durchblick 169 Kinderpause kognitive Leistungsfähigkeit 37 Kompetenzbeschreibung 119 ff Kompetenzbeschreibung – qualitative 120 – quantitative 120 Kompetenzbilanz 49, 64 ff Kompetenzbilanzierung 62 ff – in Unternehmen 129 Kompetenzen 36, 49, 92 ff, 105 f Kompetenzexplorierung 59 Kompetenzlisten 93 kompetenzorientierte Gründungsberatung 168 Kompetenzwerkstatt 164 Komplexität 120 Konstruktivismus 48 f Kontrollüberzeugung – externale 143 – internale 143 Kontrollverlust 9, 25 Krankheitssymptome 131 Kreativität 29, 175
L I Idealsituation 102 Identität 101 implizites Lernen 35 Individualismus 8 Initiative 25 innere Kündigung 10 Interessen 13 ff Interesseninventare 15 Intervention 43
K Karrierechancen 65 Kartensortieren 54
Laufbahnberatung für Jugendliche 164 Laufbahnberatungsansätze 41 Laufbahnbrüche 117 Laufbahnentscheidungen 12, 42 Laufbahnentwicklung 44, 59 Laufbahngestaltung 18 Laufbahnidentität 23 Laufbahninteressen 44 Laufbahnplateaus 6 Laufbahnübergänge 31 Lebensabschnitte 70 Lebensberatung 43 Lebensbrüche 117 Lebenserfahrungen 72 Lebensgeschichte 48 Lebenskohärenz 48
Lebenskontext 43 Lebenslauf, kompetenzorientierter 102, 106 Lebenslinien 50 Lebensplanung 41 Lebensprobleme 74 Lebensprofil 70 Lebensrealitäten 41 Lebensrollenkreise 53 Lebensthemen 48 Lebenswerte 12 Lebensziele 12, 47 Leidensdruck 159 Leistungsmotivation 169 Leitlinien 74 Lernfähigkeit 169 Lerngelegenheiten 34 lifelong learning 38 lösungsorientierte Beratung 55 Lösungsorientierung 74 Lösungssuche 5
M Management-Audit 2 Metakompetenzen 37 Methodenkompetenz 37 Mindmap 68 miracle question 56 Motivation 19 motivational interviewing 56
N Nachbetreuung 76 Nachhaltigkeit des Beratungsprozesses 141 narrative Wende 50 narrativ-konstruktivistische Ansätze 48 Netzwerk sozialer Beziehungen 22 Neuorientierung 7 Nützlichkeit 127
183 Stichwortverzeichnis
O
R
occupational card sets 54 Optimismus 24 Orientierung an positiven Entwicklungsmöglichkeiten 26 Orientierungshilfe 63 Orientierungspunkte 28 Outplacement 120, 165 f
P 16 Persönlichkeits-Adjektiv-Test 102 Paradigmenwechsel 41 Passungshypothese 40 Patchwork-Biografie 64 Perform-Arbeitsgruppe für Angewandte Personalforschung 63 Personalarbeit 20 – strategische 174 Personalauswahl 102 Personalentwicklung 102 Personalentwicklung-on-thejob 172 persönliche Anpassungsfähigkeit 23 – Voraussetzungen 24 persönliche Sinnvorstellungen 51 Persönlichkeit 118 Persönlichkeitsdispositionen 13 Person-Umwelt-Passung 13 Perspektivwechsel 52 Proaktivität 24 Problemfokussierung 56 Problemlösestrategien 37 proteutische Laufbahn 12 psycho-pathologische Symptomatik 131
Q Qualifikation 20 Qualifikationsniveau
10
Realitätsabgleich 67 Realitätsbezug 67 Reflexionsphasen 66 Rekonstruktion der eigenen Biografie 59 repertory grid 54 Ressourcen 26, 45 ff – -aktivierung 45, 148 – -förderung 47 – -konzept 47 – -verlust 47 – -verständnis 58 Rollenmodelle 31
S Schlüsselkompetenzen 36 Schlüsselqualifikationen 39 Schweigepflicht 117 Selbstausbeutung 73 Selbstbeschreibung 83 Selbstbestimmtheit 10 Selbstbild, positives 166 Selbsteinschätzung 82, 102 selbstheilende Kräfte 55 Selbstkonzept 31 Selbstkonzept eigener Fähigkeiten 143 Selbstmanagement 169 Selbstorganisationsdisposition 39 Selbstreflexion 45, 145 Selbstreflexionsfähigkeit 173 f Selbstreflexivität 120 Selbstverantwortung 38, 45 Selbstverwirklichung 12 Selbstwahrnehmung 66, 128 Selbstwert 5 Selbstwirksamkeitserwartung 24 Sinnverlust 23 SMART-Kriterien 108 soziale Kompetenz 37 soziales Kapital 22
Stabilitätsannahme 14 Stellenanforderungen 171 storied approach 49 strategische Personalarbeit 174 Supervision 77
T Tagträumen 55 Tätigkeitsbereiche 77 Teamentwicklung 173 Technik der kritischen Ereignisse 84 Tests 13 – Interessentests 14 – Persönlichkeitstests 14 transaktionales Stressmodell 27 Transparenz 20
U Übergang in die berufliche Lebensphase 6 Umorientierungsprozesse 7 unbefriedigte Beschäftigungsverhältnisse 6 Unternehmensgründung 168 unternehmerische Kernkompetenzen 168 Unterstützungsquellen 22
V Veränderungsdruck 108 Veränderungsmotivation 108 Veränderungsprozesse 57 Veränderungswünsche 99 Verhaltensmuster 113 Vertrauensverhältnis 71, 117, 129 Vertrauensverlust 19
184
W Wahlfreiheit 9 Wahlmöglichkeiten 8 Wandlungsfähigkeit 24 Weiterbildungsbedarfe 170 Weiterbildungsbereitschaft 21 Weiterbildungsplanung, individuelle 172 Werdegang 73 Wertarbeit 99 Werte 28 ff, 97 ff, 118 f – Bedrohung der 30 – Konflikt zwischen 30 Wertkonflikt 100 Wertschätzung 76 Wissen – handlungsrelevantes 36 – träges 36 Worthülsen 80
Z Zeitarbeitsverhältnis 35 Zeitaufwand 139 Zeitbudget 73 Zertifikat 123 Ziele 107 ff, 141 f – berufliche 108 – familiäre 108 – herausfordernde 4 – persönliche 108 – positive 4 Zielexplorierung 59 Zielklärung 71 f Zielklärungsprozess 104 Ziellandkarte 52 Zielvereinbarungsgespräche 174 Zukunftsaktie 62 Zukunftsängste 26 Zukunftsplanung 4 Zukunftszenarien 110 Zukunftszentrum Tirol 62 Zusammenhangswissen 79