KLEINE
B I B L I O T H E K DES WISSENS
LUX-LESEBOGEN NATUR-
UND
KULTURKUNDLICHE
HEFTE
H.TAZIEFF
GEBURT EINES VUL...
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KLEINE
B I B L I O T H E K DES WISSENS
LUX-LESEBOGEN NATUR-
UND
KULTURKUNDLICHE
HEFTE
H.TAZIEFF
GEBURT EINES VULKANS AFRIKANISCHES
VERLAG
ABENTEUER
SEBASTIAN
LUX
MURNAU•MÜNCHEN•INNSBRUCK•BASEL
Über dem Kituro-Krater
Aufbruch zum Kiwu-See Seit mehr als zwei Jahren schon bilden wir, Paya und ich, eine Sc bewährte Mannschaft. Wir vertrauen uns gegenseitig, sind, wie er sagt, „Manaume va Manaume", ,Mann und Mann'. Als ich damals von Katanga im südlichen Kongo zum Kiwu-See aufbrach, fragte ich ihn, ob es ihn locke, mit mir loszuziehen, fort von den Seinen. Die Schwarzen sind ihrer Familie stark verbunden, doch das Reisen ist ihre Leidenschaft. Für Paya gab es kein Zögern. „Ndio, Bwana", antwortete er mit seinem pfiffigen Lächeln. Und umgehend hatte er seine junge Frau mit den Kindern in das Stammesdorf an den heißen Ufern des breiten, schlammigen Lualabaflusses zurückgeschickt. Unterwegs zum Kiwu-See, waren wir einige Tage später durch dieses Dorf aus strohbedeckten Lehmhütten gekommen, um Abschied zu nehmen, denn über ein Jahr würde bis zur Rückkehr meines schwarzen Begleiters vergehen.
„Kwenda muzuri!" riefen uns Negerin und Negerlein winkend nach: „Guten Aufbruch!" „Bakia muzuri!" gab Paya einfach zurück: „Gutes Bleiben!" So ist mein Paya, breites, dunkles Gesicht und weißes Lächeln, wortkarg und zuverlässig.
* Auch jetzt spricht Paya, der vorn in dem Transportwagen neben dem langen, hageren Kaniepala sitzt, kein Wort. Doch ich fühle ihn wach und aufmerksam in seiner gelassenen Schweigsamkeit. Aus der nächtlichen Welt, in die wir vordringen, beleuchtet das Licht der Scheinwerfer hohe Wände blasser Halme und die glänzenden, hellen Augen am Boden hingekauerter, erst in letzter Sekunde auffliegender Nachtvögel. Manchmal quert flüchtig ein Tier den Strählenkegel: eine kleine Antilope, eine Ginsterkatze, ein Steinmarder.
* Ich bin mit der Aufgabe betraut, irgendwo hinter dem Tanganjika- und dem Kiwu-See eine geologische Karte aufzunehmen. Das umgrenzte Gebiet, das ich erkunden soll, ist das dort aufragende Virungagebirge mit der Masse seiner acht Vulkane. Ich weiß, daß sechs der acht 3300 bis 4500 Meter hohen Riesen, die aus dem von Lava bedeckten, vom Urwald überwucherten weiten Flachland am See aufstreben, als endgültig erloschen gelten, während die beiden übrigen, am westlichen Ende der Gebirgskette gelegen, seit langem schlummern. Nach Tagen erreidien wir Bukavu, das ganz am Südende des zaubervollen Kiwu-Sees gelegen ist, an einer hübschen, von Eukalyptusbäumen eingerahmten Bucht. Bis nach Goma am Nordufer, sind es etwas über zweihundertzwanzig Kilometer schlechter und kurvenreicher Gebirgsstraße. Wir brauchen sieben Stunden für diese Strecke (vgl. zu den folgenden Erlebnissen die Kartenzeichnungen auf den Seiten 4, 5 und 11). Wir halten uns nicht lange in Goma auf, sondern kurven bald schon die erste Steigung der Virungaberge entlang. Kaum haben wir die Höhe erreicht, als durch den Lärm des Motors und 3
Lage des Virungagebirges in Afrika das Geklapper der Karosserie der Donner eines fernen Gewitters hörbar wird. Zu dieser Jahreszeit sind Unwetter im Kiwugebiet keine Seltenheit. „Wenn es dort, wo wir hinfahren, bloß nicht regnet", sage ich zu Paya. „Sonst wird aus unserem Biwak im Freien nichts, und wir werden im Wagen schlafen müssen." 4
„Ndio, Bwana! — Ja, Herr", erwidert Paya, stets einverstanden, stets guter Laune. Während wir Kehre um Kehre die nächste steinige Steigung nehmen, schauen wir uns plötzlich an, stutzig geworden. Das Donnerrollen hat ja gar nicht mehr ausgesetzt, seit es an unsere Ohren gedrungen ist. Es scheint mir, als ob in Payas Augen eine Frage stände, die er mir, die er vielleicht aber auch sich selber stellt. Ich stoppe den Wagen. In der plötzlichen Stille hält das Grollen an, lauter und eigentümlich deutlich, mit einer Stetigkeit zudem, die überrascht und nach einiger Zeit beklemmend wirkt. Es ist unausgesetzt, fern, dumpfdröhnend. Erinnerungen an Artillerie-
Das Ziel unserer Expedition von Katanga zum Kiwu-See 5
Sperrfeuer erwachen in mir. Doch hier ist etwas noch Machtvolleres im Gange. Ein Erdbeben? Gleichzeitig haben wir beide Klarheit gewonnen, daß es nur ein Vulkanausbruch sein kann. Der Eindruck ist gewaltig. Dabei erreicht uns das Grollen augenblicklich noch gedämpft durch eine Entfernung von rund zwölf Kilometern. Nach einer stummen Pause, während der Paya und ich vielleicht erstmals bis in die tiefsten Tiefen von denselben Empfindungen durchschauert werden, setze ich den Motor wieder in Gang.
Geburt des Vulkans Einige Minuten später, als wir um eine Kurve kommen und freiere Sicht haben, zerreißt eine mächtige Feuergarbe die Nacht, dreimal höher als breit, unten gleißend gelb. Durch den Feldstecher nimmt sich das Schauspiel geradezu phantastisch aus. Ich vermag das stetige Fluten der Garbe zu erkennen, die aus einem Gewimmel unablässig glühend ausgestoßener und im Aufstieg nach und nach erlöschender Pünktchen besteht. Auswürflinge, die wegen ihres größeren Umfangs weniger hoch gelangen, fallen noch glimmend herab und überschütten die dunklen Flanken des Kegels mit einem feurigen Hagel. Über den linken Rand hinweg fließt ein Strom von glühendem Gelb, zuckt ab und zu auf. Allenthalben um den Vulkan steht der Busch in Flammen, und riesige, purpurne Schlangen dehnen sich nach allen Seiten. Es ist vorerst nicht zu erkennen, welcher der Riesen nun wohl plötzlich wieder in Raserei verfallen sein könnte. Der Namlagiri, 3052 Meter hoch, der seit dem Jahre 1940, nach einer zweijährigen Ausbruchszeit, geschlafen hat? Oder der Niragongo, dieser mächtige Kegelstumpf, der um beinahe 3500 Meter das blaue Gekräusel des Kiwu-Sees überragt und ebenfalls vor einiger Zeit zur Ruhe gekommen ist? Bei näherer Betrachtung ergibt sich, daß es keiner der beiden Vulkane sein kann. Das, was wir hier erleben, ist, davon sollte ich mich bald überzeugen können, der erste Ausbruch, die Geburt eines neuen Vulkans. Doch diese Gewißheit ergab sich erst später, nachdem ich mir die Sache aus der Nähe angeschaut hatte. 6
Wir befinden uns jetzt auf der Hochstraße, die von Sake nach Goma führt. Sie ist an den Stellen, wo sich vor Jahren die Lavaströme des Namlagiri hinüberwälzten und eine Missionsstation unter sich begruben, neu angelegt. Auf der Höhe von Kilometer 184 machen wir gegen zwei Uhr morgens halt. Der Himmel ist blutrot und der nördliche Horizont eine gewaltige Feuersbrunst, die gegen Westen mit der unermeßlichen Flammensäule des neuen Vulkans endet. Das von scharfen Explosionen durchbrochene, wuchtige und unablässige Rollen verstärkt den schauerlichen Eindruck des Schauspiels. Wir stehen neben dem Wagen und spähen hinüber, ohne uns sattsehen zu können. Kaniepala, endlich wach geworden, aber noch in seine Decke gehüllt, tritt zu uns wie ein Geist, der eben nachdenklich sein zauberisches Werk betrachtet.
Wie eine Industrielandschaft „Los!" sage ich schließlich. „Gehen wir an die Arbeit." Gleich am Straßenrand stellen wir ein Zelt auf, das unser Stützpunkt sein soll (vgl. die Karte Seite 11, Lager 1). Dann machen wir uns in der nächtlichen Kühle nach der zwischen unserem Lager und der Ausbruchszone liegenden Rumoka-Höhe auf, die meiner Meinung nach eine vorzügliche Aussichtsterrasse bilden muß. Der Rumoka ist einer jener zahlreichen Kegel toter Schlacken, die überall hier zu finden sind. Ungefähr hundert Meter hoch, wurde er 1912 mit Ungestüm geboren und erlosch nach sechs Wochen eines tobsüchtigen Lebens. Wir haben erstarrte Felder von Limburgit-Gestein zu überqueren, einer höchst seltenen Lavaform. Doch warum muß sich diese Seltenheit ausgerechnet auf unserem Weg finden? Ihre Oberfläche besteht aus einem unbeschreiblichen Durcheinander wackeliger Platten, die ebenso spröde und brüchig sind wie Glas und von denen jedes Stück mit feinen Nadeln gespickt ist. Jämmerlich stolpern wir dahin. Paya ist barfuß losgezogen, und trotz der hornigen Sohlen, mit denen ihn die Natur ausgestattet hat, findet der arme Bursche das Abenteuer ziemlich unerfreulich. Immer häufiger muß er anhalten und, auf einem Bein stehend, sich die niederträchtigen Stacheln aus den Füßen zupfen, was ihm in der Dunkelheit nicht 7
immer gelingt. Dann eilt er mir humpelnd nach und bittet mit Nachsicht heischender Stimme: „Das Licht, Herr!" Ich begnüge mich jeweils zunächst damit, die Lampe zu halten, doch mehr als einmal muß ich das Taschenmesser hervorholen und dem Unglücklichen helfen, die bösartigen kleinen Spitzen zu entfernen. „Geh zum Lager zurück", fordere ich ihn wiederholt auf, „ich brauche dich nicht!" „Wapi, Bwana! — Nicht doch, Herr!" erwidert er bloß, lächelnd wie immer. Nun, es sind keineswegs nur Payas Füße, die als Stecknadelkissen dienen, sondern ebensosehr auch unsere Handflächen und Knie, denn wir verlieren oft das Gleichgewicht und fallen ab und zu auf alle viere. Anfangs schimpfe ich leise vor mich hin, mit zusammengebissenen Zähnen. Im Verlauf der zweiten Stunde nimmt die Lautstärke bei jedem Sturz etwas zu. Endlich stoße ich einen heftigen Schmerzensschrei aus, mit einer Stimme, die beinahe ebenso dröhnt wie die des Vulkans. Im selben Augenblick bricht Paya durch eine der gläsern-spröden Platten ein, deren Kanten rasiermesserscharf sind. So bleiben wir, der eine auf allen vieren, der andere bis zum Gürtel versunken, zerschunden und atemlos, beide vom Lachkrampf geschüttelt. Wir sind so fertig und empfinden die unzähligen, an unserem Wege aufgestellten Fallen dermaßen als Ungerechtigkeit des Schicksals, daß wir schließlich bei der einzigen heilsamen Lösung anlangen, der Komik. „Na, Paya, lustiger als im Büro in Katanga ist's hier doch, meinst du nicht?" Die Antwort ist eindeutig. Paya liebt nur den Busch, wie wenig einladend er auch sein mag; er verachtet all die „Zivilisierten", die ihr Leben als papierne Taglöhner verbringen. Und geradezu großartig ist seine Geringschätzung gegenüber weißen Beamten, die, nur weil sie Vorgesetzte sind, buscherfahrenen Europäern Befehle erteilen können. Das findet er einfach unbegreiflich. Allein schon der Gedanke, all diesen Ärgernissen der Stadt entronnen zu sein, beseligt ihn so sehr, daß er sich, statt sich mit der nötigen Behutsamkeit aus seinem Loch zu befreien, mit beiden Hän8
den auf den Rand der Platte stützt, die natürlich nachgibt, worauf er gänzlich verschwindet. Nach dieser seltsamen Schnaufpause gehen wir vorsichtiger weiter, doch unser Pech scheint im gleichen Maß zuzunehmen wie unsere Umsicht. Scharfe Kanten zerschrammen unsere Beine; die brüchigen Platten vervielfältigen sich unter unseren Schritten; schmerzhaft oft sacken wir irgendwo durch . . . Ich habe die Hand mit meinem Taschentuch umwickelt, die andere mit einem Fetzen, den ich von meinem den Umständen geopferten Hemd abgerissen habe. Drei Stunden brauchen wir, um die sechshundert Meter zerrissener, stacheliger Lava zu überschreiten, die uns vom Fuß des RumokaKegels trennen. Die Besteigung erscheint uns im Vergleich dazu als köstliches Vergnügen. Die Hänge und Rinnen aus Lapilli — Lavakörnern — und vulkanischem Sand, in die wir bei jedem Schritt einsinken, besitzen für uns die weiche Sanftheit von Stranddünen. All unsere Mühsal erweist sich jedoch als vergeblich: Die Aussichtsterrasse enthüllt uns nicht viel mehr als zwei deutlich getrennte Vulkanmünder: einer im Osten, aus dem brüllend eine phantastische Feuergarbe emporschießt; gegen Westen, unserem Beobachtungsposten näher, der andere, dem ein mächtiger Lavastrom entquillt. Auch dort klatschen vereinzelt ein paar Detonationen, ähnlich dem Abschuß einer Panzerabwehrkanone. Vor dem östlichen Mund des Vulkans zieht sich ein gewaltiger Glutfluß in Richtung auf den Kiwu-See hin, mindestens fünftausend Meter lang und über tausend Meter breit; er wird ununterbrochen durch das zu- und abnehmende, aber pausenlose Überfließen des Kraters gespeist. Der Schmelzfluß, ursprünglich leuchtend gelb, geht in immer dunkleres Rot über, je weiter er sich von seiner Austrittsstelle entfernt. Bald erscheinen in der Nacht nur noch Flecken und Streifen glühender Lava, die durch Risse in der erloschenen Kruste schimmern. Während ich über diese weite Fläche blicke, auf der Taus.ende von Lichtpunkten beben, habe ich plötzlich den merkwürdigen Eindruck, daß ich mich nicht im Herzen des afrikanischen Kontinents befinde, sondern auf einem Hügel unweit eines der großen Industriegebiete Europas. Es kommt mir vor, als ob ich von einer An9
höhe im Ruhrgebiet eine nächtliche Stadt betrachte, ihre leuchtenden Fenster, ihre Hüttenwerke mit den flammenden Hochöfen und ihre Netze von verstreuten Straßenlaternen.
Über 1000 Grad Mehrere Wagen haben sich inzwischen am Rande der Straße versammelt, ein Kunterbunt von Luxus-Sportwagen und kleinen, mit Draht zusammengeflickten Jeeps. Schaulustige sind da, von weit her gekommen. Es geht lebhaft und laut zu; Freunde begrüßen sich; das Ganze bekommt nachgerade einen Anstrich von munterem Sonntagsausflug. Die Lavafront soll jetzt, wie uns jemand sagt, nur noch hundert oder hundertfünfzig Meter von uns entfernt sein. Wir folgen, um dorthin zu kommen, einer kleinen, von Tieren durch den Busch gezogenen Piste. Durch das Dornengestrüpp und das Gewirr der Zweige und Lianen ist bereits die helle Fackel eines brennenden Baumes wahrzunehmen. Noch ein paar Haken heißt es um stachelige Dickichte zu schlagen, und plötzlich stehen wir einem riesigen Wall gegenüber, der sich, acht Meter hoch und bedeckt von einer dünnen, grauen Schicht glühenden Kokses, langsam vorwärts schiebt. Von Zeit zu Zeit löst sich unter dem stetigen Druck der nachdrängenden Massen ein ganzes Stück, stürzt nieder und zerfällt in feurige Klumpen. Sekundenlang ist dann das blendend gelbe Innere des Ergusses zu sehen, doch die Oberflächenkühlung bricht den Glanz sogleich. Die Ergußfront, hier beinahe einen Kilometer breit, verlagert sich gewissermaßen abschnittweise, indem sie eine Zunge nach der anderen vorschiebt. Manchmal kommt ein solcher Abschnitt während langer Minuten zum Stillstand, weil die Bodenbeschaflfenheit ihm ein Hindernis entgegenstellt oder weil der Nachschub von oben zeitweise verlangsamt ist. Es kommt auch vor, daß da oder dort ein Frontteil sich schneller zu bewegen beginnt und bis zu hundert Meter in der Minute zurücklegt, als wolle das Ungeheuer, ärgerlich geworden, uns Neugierige verscheuchen. Beim Nahen der glühenden Wand verdorrt der Pflanzen wuchs. Die Blätter verschrumpeln, die Stämme spalten sich krachend, un10
Manni Hesse
Digital unterschrieben von Manni Hesse DN: cn=Manni Hesse, c=DE Datum: 2007.01.07 15:19:25 +01'00'
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vermittelt schlägt eine helle Flamme über das Holz, und im nächsten Augenblick brennt der ganze Baum, fauchend und prasselnd. Größere Bäume aber haben nicht Zeit auszutrocknen, ehe das todbringende Magma sie erfaßt. Ein tomatenfarbenes Rinnsal sickert unter dem Schlackenwall hervor, erreicht den Stamm, umschließt ihn, verkohlt seinen Fuß und läßt ihn schließlich auf das Lavabett stürzen. Der Baum treibt davon. „Paya, Tala-tala". „Tala-tala" -t- das Fernglas — bedeutet hier einfach: das Pyrometer. Dieses Gerät beruht auf dem Prinzip, daß jeder Körper, wenn man ihn zum Glühen bringt, jene Farbe annimmt, die seiner Temperatur entspricht. Durch das Sichtfeld des fernrohrähnlichen Instruments zieht sich ein Glühfaden, der über einen Widerstand mit einer Batterie verbunden ist. Man kann also einen mehr oder minder starken Strom durch den Faden fließen lassen, der dementsprechend gelb oder rot aufglüht. Das Instrument ist ein für allemal auf einen glühenden Körper geeicht worden, dessen Temperatur bekannt ist. Demnach brauche ich bloß die Lava anzuvisieren, den Strom einzuschalten und den Widerstand so lange zu verändern, bis die Farbe des Glühfadens genau mit der der Lava übereinstimmt, um deren Temperatur festzustellen. Eine Reihe derartiger Messungen ergibt für die heißesten Teile der schmelzflüssigen Masse eine Durchschnittstemperatur von 1030 Grad Celsius. Die hereinbrechende Nacht vertreibt uns. Am nächsten Morgen ist die Straße durch den vorrückenden Lavastrom weithin abgeriegelt.
Wart-ein-Weilchen Ich fiebere vor Verlangen, den Kratern auf den Leib zu rücken. Das westliche Tätigkeitszentrum, viel weniger explosiv als das andere, scheint mir für eine erste Annäherung günstiger. Im Morgengrauen brechen wir vom Lager 1 auf. Wir umgehen den Rumoka-Kegel nördlich und marschieren dann in der Richtung, aus der das mächtige Brüllen erklingt. Hat nicht Napoleon gesagt, daß man stets dorthin gehen soll, wo die Kanonen donnern? „Nun, Paya, keine Angst vor dem Feuerberg?" „Wapi, Bwana! Bin kein Banyabongo!" 12
Die Banyabongo sind die hiesigen Eingeborenen. Sie sind Abkömmlinge von Stämmen, die einst vor den arabischen Sklavenhändlern in dieser gebirgigen, für Neger kalten und kargen Gegend Zuflucht gesucht haben, und machen einen ziemlich jämmerlichen Eindruck. Die anderen Eingeborenen behandeln sie etwas geringschätzig. „Wenn Teufel aufwachen, Männer von hier nicht mehr in Busch gehen", erklärt mir Paya. „Was haben sie dir erzählt?" „Sie sagen: Teufel aufwachen, weil ungläubige Männer nicht Opfer machen. Zornige Teufel brennende Steine auf Männer werfen. Sie dann Ziegen opfern. Wenn Teufel sehr, sehr zornig, sie Kühe opfern und lebend in Lava werfen." Eine Weile gehen wir schweigend weiter, worauf Paya fortfährt: „Sie auch sagen: Manchmal ein Opfer nicht genug, weil, wenn Teufel sehr zornig, noch etwas anderes los sein." „Ach! Was denn?" „Gestorbener früherer großer Häuptling in anderer Welt krank sein. Dann er viel springen in sein Bett, sich umdrehen! Und Erde sich öffnen . . ." „Dann gibt's wohl noch mehr Opfer?" „Ja, Bwana, Opfer nicht immer nützen, aber nie schaden!" Wir kommen sehr langsam vorwärts, denn das Feld alter, erstarrter Lava, das wir jetzt überqueren, ist mit Spalten und Löchern durchsetzt, die dichtes Gestrüpp verbirgt. Den ganzen Tag verbringen wir im Kampf gegen diesen dornigen Dschungel. Am späteren Nachmittag sehen wir uns dann plötzlich vor einer beinahe zehn Meter hoch aufgeschichteten Lavamauer. Die Masse rückt mit äußerster Trägheit kaum merklich vor. Einzig das ständige Herabkollern von Schlackenbrocken verrät den unablässigen Schub. Dieser heiße, dumpf brummende Wall, dessen Flanken andauernd kleine Dunstwolken und Rauchwirbel aushauchen, versperren uns als unüberwindliches Hindernis den Weg zum eigentlichen Krater, und es bleibt uns nichts anderes übrig, als den Rückzug anzutreten. 13
Das Ziegenragout, das Kaniepala uns im Lager vorsetzt und auf dessen liebevolle Zubereitung er während unserer Abwesenheit alle Zeit verwandt hat, tröstet uns ein bißchen. Am nächsten Morgen unternehmen wir zu dritt einen neuen Vorstoß. Ich fühle mich ganz aufgeräumt, denn ich habe eben eine Filmkamera aus Bukavu bekommen und bin nun höchst begierig, mit dem Filmen zu beginnen und, wenn irgend möglich, die sensationellsten Vorgänge des Vulkanausbruchs festzuhalten. Der Bursche, der mir den Apparat gebracht hat, ist ein Warega, mager, geschmeidig und unerschrocken. Ohne weiteres findet er sich bereit, uns zu begleiten. Wir lassen Kaniepala wieder als Lagerwache zurück, machen uns auf und schlagen einen weit nach Westen und Norden ausholenden Bogen. Ich hoffe, über den Fuß des Shoves, eines ausgebrannten Schlackenkegels, der mir unserm Ziel ziemlich nahe zu liegen scheint, zu den Ausbruchsstellen zu gelangen. Der ungemein feine Staub, den die heftigen Explosionen des östlichen Kraters in große Höhen befördern, verursacht eine Verdichtung der in Äquatornähe stets reichlich vorhandenen Luftfeuchtigkeit, und dicke, düstere Wolken, die sich ständig neu bilden, überschütten uns mit prasselnden Regenschauern. Kaum aufgebrochen, sind wir schon völlig durchnäßt. Mit Hilfe des Kompasses ziehen wir durch den triefenden Dschungel. Ab und zu läßt uns ein breiter, gut ausgetretener Elefantenwechsel rascher vorwärtskommen. Ein Stück weiter aber mag seine Richtung uns nicht mehr passen oder die schöne Allee sich in auseinanderlaufende schmale Pisten auflösen, die sich mehr und mehr verlieren. Dann treten die scharfen Macheten wieder in Tätigkeit und hacken sich durch stachelbewehrtes Gestrüpp, durch Lianen und das Zweiggegitter umgestürzter Bäume. Schritt um Schritt, Stunde um Stunde öffnen uns die Buschmesser einen engen, beschwerlichen Durchlaß, durch den wir uns hintereinander schieben, über Stämme kletternd und über Basaltblöcke stolpernd. Dornensträucher aller Art stechen und kratzen uns die Arme und Beine blutig. Eine besonders aufreizende Sorte dieses Gesträuchs, „Wart-einWeilchen" genannt, ist mit starken, gekrümmten Krallen ausge14
stattet, die sich in die Kleider oder ins Fleisch haken und einen unerbittlich festhalten. Es bleibt tatsächlich nichts anderes übrig, als stehenzubleiben und sich behutsam — denn jegliche Ungeduld würde unweigerlich zum gegenteiligen Ergebnis führen — zu befreien, um dann vorsichtig weiterzugehen. Das „Wart-ein-Weilchen" ist ein großer pflanzlicher Erzieher zu Geduld und Weisheit im afrikanischen Busch.
„Mäfi ya Bongo" Langsam nur dringen wir in dem feindseligen und nassen Dschungel weiter vor, schweigend, mit einer durch den Vorhang von Zweigen und Blättern auf wenige Schritte beschränkten Sicht. Wasser rinnt mir über Kopf und Antlitz. Wie beneide ich euch, Paya und dich, Warega-Mann, um euer dichtes Kraushaar, auf dem die Tropfen sich ansammeln, bis ihr sie mit einer raschen Kopfbewegung abschüttelt, wie ein Hund das tut, wenn er aus einem Bach kommt. Die Stunden vergehen. Nur Busch, Busch und Regen . . . Gegen Mittag, unterwegs seit dem frühen Morgen, sind wir noch nirgends angelangt. Unvermittelt hört der Wald auf, und die tiefhängende, graue Wolkendecke wird wieder sichtbar. Fast wären wir gegen eine gewaltige, mit Gesteinsbrocken gespickte Böschung geprallt: den Rand eines großen Lavastroms. Der bräunliche Wall ragt vor uns empor, hoch wie ein dreistöckiges Haus. Ununterbrochen kollert Schlackengeröll mit dem scherbelnden Geräusch zerbrochenen Porzellans von der riesigen Anhäufung herab. Der feine Regen verdampft, sobald er mit den glühendheißen Blöcken in Berührung kommt. Und dieser lauwarme Nebel, den die hartnäckigen Niederschläge nähren, fügt seine feuchte Hitze der des äquatorialen Klimas hinzu. Von links her, ziemlich nahe, wie mir scheint, sind scharfe Explosionen zu hören. Dort muß die Austrittsstelle sein . . . Dann und wann vernimmt man eine Art gereiztes Fauchen, das zweifellos durch unter hohem Druck entweichende Gase verursacht wird. Ein Stück der dünnen Schlackenwand stürzt ein, und dahinter drängt die schreckliche Masse nach. 15
„Mäfi ya Bongo" —, „Kot der Götter", murmelt Paya. Vorsichtig gehen wir am Rand des Ergusses entlang, stromaufwärts der Austrittsstelle entgegen. Von der dunklen Mauer überragt, rücken wir in der Richtung vor, aus der die Geräusche erklingen. Die Lava hat hier den Busch verkohlen lassen und unseren "Weg von den tausend stacheligen Hemmnissen befreit, die uns bisher behindert haben. Es gibt nichts mehr wegzuschlagen; wir brauchen bloß zu schauen, wohin wir unsere Füße setzen, um nicht über Stämme und umherliegende Brocken zu straucheln. Einige Minuten raschen, wenn auch achtsamen Vordringens sind uns vergönnt, dann aber hält uns ein unbeschreibliches Gewirr auf: Von der Lava gekappt, sind drei große Bäume so umgestürzt, daß sich ihre Kronen ineinander verheddert haben. Ich versuche, diesen Wirrwarr links zu umgehen; doch das macht mir ein tiefer, mit Dornenranken üppig garnierter Graben unmöglich, eine jener Schrunden, wie sie in alten Laven häufig auftreten. Zur Rechten aber verhindert die schwelende Wand jedes Ausweichen. Wir müssen uns also geradeaus durchschlagen. „Fang an, Boy!" Unser Warega-Mann macht sich daran, eine Gasse auszuhauen, während ich die Kamera hervorhole und eine Fläche scharlachroten Magmas zu filmen beginne, eine glühende Wunde, die ein Stück abbrechender Kruste eben in dem Schlackenwall bloßgelegt hat. Zum erstenmal habe ich Gelegenheit, „einen Streifen zu drehen", und dieses Rot lockt mich für einen Farbfilm.
Auf der Flucht Erst seit ein paar Sekunden surrt der Apparat, da sehe ich im Sucher, wie die gleißende Fläche sich unter dem Andrang neuen Lavanachschubs zu wölben beginnt. Plötzlich treibt sie einen 'massigen Auswuchs vor, der sich zu einer zähflüssigen Feuerzunge dehnt. Sie wird länger, schwillt an, kommt geradewegs auf uns z u . . . Nach einer Sekunde der Verblüffung erfasse ich, was eigentlich vor sich geht. Paya und ich beherrschen unsere Nerven und nehmen uns die 7.eit. die Kamera wieder sorgfältig in ihrem Etui zu verstauen. 16
Kituro: Ein Bombenhagel von Lavabrocken
„Jetzt aber nichts wie los! Toka! Haut ab!" Ihre Macheten schwingend, stürzen sich die beiden Schwarzen auf den Busch, der uns den Weg versperrt. Doch die stumpf gewordenen Klingen vermögen die elastischen Ranken und Zweige, die unter den Schlägen zurückfedern, nicht mehr zu durchtrennen. Meine zwei Gefährten halten inne; ihre Arme erschlaffen; ihre Augen sind weit aufgerissen und ihre Gesichter merkwürdig grau geworden. Auch ich fühle ein Grauen, das mich schmerzhaft würgt. „Leta Kisu!" Ich reiße Paya das Buschmesser aus der Hand und beginne aus 17
Leibeskräften auf die Dornenzweige und Lianen einzuhauen, die ich mit der Linken festhalte. Ich ächze und keuche und fürchte mich. Aber ich schlage, schlage.. . Und die Klinge schneidet. Es geht, wir kommen vorwärts, vorwärts .. . Doch auch die Lava rückt vor. Ihr glühender Atem versengt unsere nackten Waden. An meiner Seite hackt auch der Warega wieder auf das Gestrüpp los. Daß wir soeben nicht auf der Stelle verschlungen worden sind, hat meinen Männern neue Hoffnungen gegeben. Nebeneinander, verbissen, wortlos, kämpfen wir gegen den Dschungel. Die Hände bluten, die Schultern schmerzen. Es geht langsam, qualvoll langsam, ein wahrer Alptraum. Näher und näher schiebt sich die feurige Lava, das Brennen der Beine, des Rückens, des Nackens wird unerträglich. „Ha!" Ein Stöhnen der Erleichterung: Eine weniger dicht bewachsene Fläche erlaubt uns, etwas Vorsprung zu bekommen. Doch das angrenzende Dickicht, das nicht zu umgehen ist, scheint sozusagen undurchdringlich. Paya hat mir seine Machete wieder abgenommen und schwingt sie mit aller Kraft. Der derbe Warega seinerseits unterbricht das so enttäuschende Hacken keinen Augenblick. Die Furcht hält uns wieder in ihren Krallen. Fußbreit um Fußbreit muß dem Busch abgerungen werden, während die Hitze von Sekunde zu Sekunde zunimmt. Allenthalben um uns verdorren die Blätter und zucken knisternd zusammen. Welch marternde Langsamkeit . . . Abermals fühle ich das Brennen der Waden einsetzen und sich verstärken. Was ist mir bloß eingefallen, in dieser irrsinnigen Gegend herumzustrolchen? Mit dem Bauch dränge ich den Warega vorwärts, den Rücken höhlend, um mich, selbst wenn nur um Daumenbreite, von der Glut zu entfernen, deren Hauch mich bereits röstet. Jetzt, da ich nichts mehr tue, da ich von den beiden änderen abhängig bin, habe ich reichlich Zeit zu Selbstbetrachtungen und muß wohl oder übel erkennen, daß ich mich grotesk ausnehme mit meinen Händen, die im Bestreben, die Kehrseite meines Körpers möglichst weitgehend gegen die unbarmherzige Strahlung abzuschirmen, unablässig von den Waden hinauf zum Allerwertesten fahren, vom Nacken hinab zu den Schenkeln. Die Härchen an der Rückseite mei18
ner Beine sind bereits versengt; das sagt mir der Geruch, und ich merke es auch beim Berühren. Ich klebe am Rücken des Negers und schiebe ihn vorwärts. Endlich! Wir brechen aus dem unentwirrbaren Stacheldrahtverhau hervor, hasten durch einen lichteren Buschwald, springen über Hindernisse und werfen uns völlig außer Atem auf dem Gipfel eines Hügels hin, ausgepumpt, ebenso vom Schweiß durchtränkt wie vom Regen. Dreißig Schritte hinter uns ist das ganze Dickicht mit prasselndem Brausen auf einen Schlag in Flammen aufgegangen, gleich einer riesigen Strohfackel. Die Nacht ist längst hereingebrochen, als wir nach vierzehnstündigem, ununterbrochenem Marsch ins Lager (1) zurückkehren. In welchem Zustand! Meine Uhr, bis dahin zuverlässig, ist mit Wasser gefüllt und streikt. Auch in meinen Feldstecher ist Wasser eingedrungen, das nun zwischen den Okularen und den Objektiven gluckst. Das trockene Innere des Zeltes beglückt mich wie ein wiedergefundenes Heim. Im gemütlichen Licht der Kerzen überlasse ich mich der Lust tiefen Wohlbehagens. Ich nehme mir reichlich Zeit, mich mit trockenen Handtüchern abzureiben und trockene Kleider anzuziehen. So viel Trockenheit erscheint geradezu als Wunder. Nach einer tüchtigen Mahlzeit trinken wir alle drei ein paar Gläser steifen Grogs, und Kaniepala, der den ganzen Tag über in Deckung bleiben konnte, läßt sich nicht bitten, uns dabei zu helfen.
Abgeschnitten Die Auswirkung des Grogs zwingt mich, um drei Uhr morgens aufzustehen . .. Kaum aus dem Zelt gekrodien, noch halb im Schlaf, werde ich von dem verschwommenen Gefühl erfaßt, daß irgend etwas nicht geheuer ist. Plötzlich taucht mein Gehirn aus den Nebeln des Halbschlafes auf: Während das rote Leuchten des Himmels sidi in den vorhergehenden Nächten von Nordwesten bis Nordosten erstreckt hat, in einem Winkel von ungefähr achtzig Grad, breitet 19
sich der feurige Widerschein nun unvermittelt über den ganzen Westen a u s . . . Donnerwetter, eine schöne Bescherung! Ein Lavastrom aus einem der Kratermäuler, denen wir am Vortag so nahegekommen waren, droht die Straße nach Sake abzuschneiden, unsere einzige Rückzugsmöglichkeit, da uns die Richtung Goma schon verschlossen ist (s. Abb. Seite 11). Mit hallender Stimme wecke ich die Boys: „Paya, Kaniepala! Mbio! — Rasch! —" In Rekordzeit wird das Zelt abgebrochen und das Material auf dem Transportwagen verstaut. Die Schwarzen springen hinten auf, während ich bereits losfahre. Der Himmel vor uns ist blutrot. Als verliehen ihm unsere vier Willenskräfte zusätzlichen Schwung, rast der Wagen auf der Piste dahin, ein irrwitziges Wettrennen mit dem Ungeheuer. Es wird nicht lange fortgesetzt. . . Bald stellen wir am Ende • einer Geraden fest, daß die Feuermauer jede Durchfahrt verwehrt. Ich nehme den Fuß vom Gaspedal, lasse den Wagen auslaufen und stoppe zehn Meter vor einem Damm rotglühender, Funken sprühender Lava, der wie ein ferner Katarakt brüllt. Beidseits der Straße brausen die Flammen des lichterloh brennenden Buschs. Stumm schauen wir auf die überwältigende Feuersbrunst. Dieser Lavastrom ist viel rascher vorgedrungen als der erste, der die Straße in der ersten Phase des Ausbruchs weiter östlich unterbrochen hat. In den letzten zehn Stunden muß er beinahe anderthalb Kilometer zurückgelegt haben, und das Flackern des Himmels verrät uns, daß er sich gegen den See schiebt. Ich überdenke unsere Lage. Es gibt eine einzige Hoffnung, anders als schwimmend zu entrinnen, nämlich die, daß der östliche Lavastrom, der uns in drei Kilometern Entfernung von Goma abgeschnitten hat und seit drei Tagen immer langsamer zu werden scheint, noch nicht bis ans Ufer des Sees gelangt ist. In diesem Fall können wir versuchen, seine Zunge südlich zu umgehen, um die sicheren Hänge und den „Grünsee" zu erreichen. Wir kehren der glühenden Mauer den Rücken, preschen zurück nach Osten und halten erst vor der hohen, erloschenen und dunklen Böschung des ersten Ergusses an. Dann lädt sich jeder von uns soviel Gepäck wie möglich auf. Die Instrumente, die Filme 20
und Bücher nehmen wir allesamt mit, doch das schwere Material und den Lastwagen müssen wir notgedrungen zurücklassen. Längs der Lavabarriere schlagen wir uns mit den Buschmessern beinahe ununterbrochen eine Piste frei und versuchen, einer hinter dem andern, die Lavazunge südlich zu umrunden. Ständig verfolgt uns — oder zumindest mich — bange Angst, daß wir zu spät kommen und den Rückzug bereits versperrt finden könnten. Lange Stunden werden es unter dem wieder herabrieselnden Regen. Kurz nach Eintritt der Morgendämmerung können wir anfangen, nach Osten abzubiegen. Die Lava, wann immer wir sie auf Lichtungen des Busches entdecken, scheint erstarrt, erloschen. Die Zuversicht steigt. Endlich kommen wir aus dem an jener Stelle weniger dichten Wald und ziehen quer durch Maisfelder und ausgedehnten Pisangpflanzungen, die sich vom See herauf über die steilen Hänge breiten.
Wir dringen zum Ostkrater vor Gleich einem jungen, unerfahrenen Boxer, der sich mit einem alten Fuchs des Ringes mißt, bin ich bei diesem Auftakt meines Kampfes mit Vulkanen beträchtlich mitgenommen worden. Außer Atem, habe ich mich in meine Ecke zurückgezogen und sammle neue Kräfte für einen neuen Angriff. ,,Meine Ecke", das ist die nicht weit vom „Grünsee" gelegene Plantage Buheno meiner Freunde de Munck, wo wir nach den Aufregungen jener Nacht ein großartiges Asyl gefunden haben. Gastlichkeit gilt bei den Pflanzern im afrikanischen Busch als Regel und Tradition. Adrien und Alyette de Munck üben sie jedoch in so großzügigem Maß, daß ihre Gastlichkeit hierzulande geradezu sprichwörtlich geworden ist. Seit mehr als zwanzig Jahren sind sie in der Gegend ansässig und wissen ausgezeichnet über die Art und Weise Bescheid, wie man die Eingeborenen gewinnen kann. Mit ihrer Hilfe bekomme ich endlich die Träger, die bereit sind, den Feuerteufeln zu trotzen. Meine Gastgeber sind auch keine Hasenfüße: Der stämmige, ruhige 21
Lava: Aus 1000 Grad Hitze zu kaltem Gestein erstarrt. Adrien und seine beherzte Gattin beschließen, mich bei meinem nächsten Versuch zu begleiten. Beide Lavaströme verlaufen zwischen ihrer Plantage und dem westlichen Tätigkeitszentrum, das ich vergebens zu erreichen gesucht habe. Ganz selbstverständlich schlägt daher unsere Karawane diesmal die Richtung nach dem anderen Vulkanmund ein, der wilder und viel eindrucksvoller ist. Eine gute Piste, die durch die nackten Füße der Schwarzen und die Hufe der Kühe festgestampft ist, führt zu dem Dorf 22
Lusayo, das inmitten seiner Pisangpflanzungen auf dem Gipfel des kleinen Schlackenkegels Rushayo liegt (s. Abb. Seite 11). Von dort aus bringt uns ein weniger ausgeprägter Pfad, der bald nur noch ein Elefantenwechsel ist, an einen Regenwasser-Teich. In diesem Land poröser Laven, das jeden Tropfen augenblicklich verschluckt, so daß sich nie ein Fluß bilden kann, stellt dieser Teich solch ein unverhofftes Geschenk der Natur dar, daß wir unser Lager (2) in seiner Nähe auf einer schönen, grasbewachsenen Lichtung errichten. Ich habe kostbare Tage mit vergeblichen Anstrengungen verloren. Heute hat uns ein dreistündiger Spaziergang in die unmittelbare Umgebung des neuen Vulkans gebracht. Er ist da, ganz n a h e . . . Mit fürchterlichem Getöse steigt sein gigantischer Lavastrahl über hundert Meter hoch empor, erlischt nach und nach, löst sich auf und fällt als dichter, schwärzlicher Hagel nieder. T)ie Schlacken und anderen Lockerstoffe prasseln in derartigen Mengen herab, daß in nicht einmal zehn Tagen ein neuer, mehr als fünfzig Meter hoher Kegel entstanden ist, wo zuvor nur eine bewaldete Senke gelegen hat (vgl. Abb. Seite 17). Auf dem Rand dieser Senke halten wir, ein Dutzend Meter oberhalb der Sohle. Zwischen uns und dem Vulkan dehnen sich einige Hektar entblätterter, wie abgetöteter Bäume, an deren Zweigen da und dort noch ein paar vereinzelte dürre Blätter hängen. Da wir von unserem Standort aus weder den Fuß des Kegels noch die Ergüsse sehen können, marschieren wir in nördlicher Richtung weiter, zunächst durch eine kleine Savanne, dann durch einen Waldstreifen, schließlich treten wir auf eine lange Schneise hinaus, die der Ausbruch erst vor kurzem aufgerissen hat. Sämtliche Bäume liegen hier durcheinander, entwurzelt oder geknickt, auf einem Bett leichter Schlacken. Der Einschnitt, etwa zwanzig Schritt breit, zieht sich in der Weite schräg nach links. In ein paar hundert Metern Entfernung, genau in seiner Achse, taucht in seiner brausenden Majestät der charakteristische Stumpfkegel auf, von einem gewaltigen purpurroten Helmbusch überragt. Von Zeit zu Zeit tritt eine verhältnismäßige Beruhigung ein, und diese unerwartete Friedlichkeit ist beinahe noch unheimlicher. Man hat den Eindruck, irgendein schreckliches Untier schöpfe da Atem, ehe es, hemmungsloser denn je, wieder in Raserei ausbricht. 23
Wir gehen noch etwas näher, bis in die Zone des Körner-Niederschlags. Bewegungslos, ohne uns der vergehenden Zeit bewußt zu werden, sehen wir den erregenden Vorgängen zu.
Klaffende Erde Das sich stetig wiederholende Emporschießen der Lava läßt über dem Krater eine dicke Säule aus Glut entstehen. Auf der ganzen Länge dieses schmelzflüssigen schlanken Gebildes scheiden die am Ende ihrer Bahn angelangten Geschosse aus und sinken träge abwärts, so daß man dauernd eine Art dunklen Schnee vor dem roten Hintergrund der aufsteigenden Masse niedergehen sieht. Nach und nach üben diese ununterbrochen steigenden und fallenden Bahnen, die sich überlagernden Bewegungen und ihr donnerndes Getöse, dessen mächtiges und eintöniges Rollen manchmal von unerwarteten Explosionen unterbrochen wird, eine, geradezu hypnotische Wirkung auf uns aus. Über diesem Feuerspiel ballt sich der Rauch zu schwarzen Wolken mit fahlen Lichtblitzen zusammen, die sich oberhalb des Kraters bläulich rot färben. Wir stehen vor einer langen, mit entwurzelten Bäumen übersäten Spalte. Sie muß im Augenblick des allerersten Vulkanausbruchs entstanden sein. Wir folgen ihr mehrere hundert Meter weit nach Westen. Bald klaffen ihre Ränder meterweit auseinander, bald finden wir die Spalte durch den Einsturz der Wände halb ausgefüllt, bald verschließt sie ein bereits völlig erkalteter Erguß, den sie selbst hatte austreten lassen. Über den engen Abgrund gebeugt, suche ich vergeblich ihre Tiefe zu ermitteln. Die Sonne erhellt die ersten Meter und die Schichtung der im Laufe der Jahrhunderte aufgehäuften Lagen von Lava: die einen schwärzlich, andere durch das Regenwasser angegriffen oder durch frühere Aushauchungen hell gefärbt: gelb oder rot, stellenweise beinahe weiß. Doch alles verliert sich rasch in absolutem Schwarz. Aus den stockfinsteren Tiefen steigt einzig der betäubende Dunst des Kohlenoxyds auf. Ich hole aus Payas Rucksack ein fünfzig Meter langes Seil hervor, das ich als alterfahrener Alpinist für alle Fälle mitgenommen habe, befestige am einen Ende einen großen Stein und lasse den Hanf dann durch meine Hände gleiten . .. Die ganze Seillänge 24
geht hinab, ohne irgendeinem Hindernis zu begegnen. Wir holen unser Senklot wieder empor und verlängern es mit einer Schnur, die der vorsorgliche Paya immer bei sich hat. Achtzig Meter werden auf diese Weise erreicht, aber weder der Grund noch der kleinste Vorsprung ist zu spüren. Möglicherweise liegt die Sohle dieses seltsamen Erdrisses hundertfünfzig oder dreihundert Meter unter uns. Doch ebensogut könnte er sich bis in sehr viel eindrucksvollere Tiefen absenken . .. Große Steine, die wir hineinwerfen, wobei wir darauf achten, sie genau in der Senklinie loszulassen, sausen leise pfeifend hinab. Aufmerksam, uns gespannt vorneigend, zählen wir die Sekunden: zwanzig, einundzwanzig, zweiundzwanzig . . . Wir lauschen noch immer, in der Hoffnung, das Geräusch des endlichen Aufschlags zu vernehmen. N i c h t s . . . Einer nach dem anderen lösen sich die stürzenden Brocken im Unermeßlichen auf. Ich beschließe, unserer Neugier eine alte Taschenlampe zu opfern. Nachdem ich sie mit mehreren Schichten Papier und Taschentüchern gepolstert habe, die mit Bindfaden befestigt werden, während ein enges Netz aus Schnur das Glas schützen soll, schalte ich sie ein. Mit aller Sorgfalt lassen wir das Ding schließlich ins Leere fallen. Rasch ist die leuchtende Birne nur noch ein mit den Drehungen der Taschenlampe erlöschendes und aufblitzendes Lichtchen, dann ein immer kleiner werdender, sich immer weiter entfernender Funke. „Vierunddreißig, fünfunddreißig, sechsunddreißig!" Der schimmernde Punkt wird winzig. Jetzt verlieren wir ihn aus den Augen . . . Auch dieser Versuch ist also ergebnislos.
2000 bis 3000 Erderschütterungen im Jahr „Alle Wetter, es muß einen tollen Ruck gegeben haben, als die Spalte platzte." „Allerdings!" ruft Alyette mit ihrer eigentümlichen Kopfstimme aus. „In Buheno ist alles von den Regalen heruntergekommen." Adrien lacht breit: „Es war vier Uhr morgens. So früh stehen wir ja sonst nicht auf! Wir waren wie der Blitz aus den Betten und aus dem Haus! Sämtliche Schwarze der Umgebung standen bereits vor ihren Hütten." 25
Die wichtigsten vulkanischen Gebiete der Erde „Und dann?" „Dann? Nichts mehr. Alyette hat dafür gesorgt, daß die von den Regalen gepurzelten Sachen wieder an ihren Platz kamen und die Scherben zusammengefegt wurden. Ich bin wieder ins Bett gekrochen." Dieser kurze und heftige Erdbebenstoß ist lediglich in einem Umkreis von zwanzig bis dreißig Kilometern wahrgenommen worden. In größerer Entfernung hat niemand etwas davon gemerkt. Bei zwei- bis dreitausend Erderschütterungen im Jahr bringt in dieser Gegend ein Gerüttel der Erdkruste keine bleibende Aufregung. Nun, da hätten wir eines der charakteristischen Merkmale von Erdbeben vulkanischen Ursprungs, die man Ausbruchsbeben nennt. Da ihr Herd der Erdoberfläche ganz nahe liegt, kann sich die Erschütterung, wie stark sie auch sein mag, nicht besonders weit fortpflanzen. Der in Buheno wahrgenommene Stoß rührte von dem brutalen Aufbrechen dieser Spalte her, auf deren Rändern wir heute in aller Seelenruhe herumspazicren. Als die obere Schicht der Erd26
kruste dem Druck des aufsteigenden Magmas nicht mehr standzuhalten vermochte, war sie gerissen, oder besser gesagt, gebrochen, und der plötzliche Ruck hatte in fünfzehn Kilometer Entfernung die Krüge am Boden zerschellen und die Leute aufwachen lassen. Nach diesem Beben hatte in Buheno bis spät in die folgende Nacht hinein der übliche Frieden geherrscht. Dann aber waren die Bewohner durch ein fürchterliches Aufbrüllen abermals aus den Federn geholt worden. Und von ihren Türschwellen aus hatten Weiße und Schwarze die mit donnerndem Getöse emporstrebende Feuersäulen des neugeborenen Vulkans ragen sehen, die die Nacht ganz hell werden ließen. Über vieiundzwanzig Stunden hatte das Magma also gebraucht, um in den beiden Mäulern und in der Spalte, die es sich geöffnet, bis zur Oberfläche zu steigen. Welche während vieler Jahre ständig zunehmenden Spannungen, welch brüske Neuanpassung an das mit der Zeit mehr und mehr gefährdete Gleichgewicht im Erdinnern müssen nötig gewesen sein, um einen solchen Bruch der Erdkruste herbeizuführen! Während in beiden Kratern immer noch Gase und Lava heulend und drohend entweichen, haben sich die unterirdischen Kräfte im Bereich der Spalte längst beruhigt. Nichts regt sich mehr. Von der Gewalt, die hier noch vor kurzem gewirkt hat, zeugen nur die unzähligen, brutal entwurzelten Bäume und die knirschende Schicht leichter Schlacken, über die wir schreiten. In Form von Zerplatzungen flüssiger Lava und durch die Explosion der Gase emporgeschleuderten Blasen sind sie zu dieser spröden, mit Poren übersäten Masse erstarrt, die, blauschwarz, manchmal schimmernd den Boden gut dreißig Zentimeter hoch und bis zu hundert Meter Entfernung von den Lippen der Spalte bedeckt. Am Rande des Waldes hängen gleich Lumpen an den verdorrten Ästen der vordersten Bäume Fetzen der erkalteten Lava, die aber im Fallen noch die Weichheit eines Teiges gehabt haben müssen. Die überraschende Schnelligkeit, mit der die Oberflächenkühlung der Lava vor sich geht, wird dadurch ausgezeichnet illustriert. In teigigem Zustand herabfallend, muß sie eine Temperatur von über 900° C gehabt haben. Diese hohe Temperatur aber hat sie nicht einmal so lange behalten, daß die oft kaum fingerstarken Zweige, 27
an denen sie jetzt klebt, in Brand geraten wären. Das Holz ist zwei Millimeter tief verkohlt; aber der Rest, das Innere der Ästchen, hat keinerlei Veränderungen erfahren, außer der völligen Austrocknung.
Im Flugzeug über dem Krater Einige Tage danach bietet sich mir zweimal Gelegenheit, den Vulkan im Flugzeug zu überfliegen. Das erlaubt mir, ein Bild von der gesamten Spaltenlandschaft zu gewinnen und auch den ersten Blick in die feuerspeienden Krater zu werfen. Die ersten Durchbrüche aus dem Erdinnern sind tatsächlich an den beiden Endabschnitten der großen, den Busch auf mehrere Kilometer Länge furchenden Spalte erfolgt, die man von dort oben deutlich erkennt. Am fesselndsten ist jedoch der Anblick der Lava, die die Krater füllt. Sie ist nahezu weißglühend — „white-hot", wie der englische Pilot sagt, der das Schauspiel aus den Augenwinkeln verfolgt. Beim zweiten Flug sehen wir die eindrucksvollen Glutströme aus den Rissen am Vulkanfuß quellen und flammend weiterrinnen. Alles, was man vom Flugzeug aus sehen kann — die aus dem Vulkan hervorbrechenden Feuerzungen, das Brodeln in den weiten Kratern — all das ist, verglichen mit den Erlebnissen vom Boden aus, nicht mehr als eine vom Auto aus betrachtete Gebirgslandschaft. Immerhin erlaubt uns das Überfliegen festzustellen, daß die von den beiden Vulkanmündern ausgegangenen Ergüsse sich nicht berühren; sie blieben durch einige Kilometer Wald und Savanne getrennt. Sehr gut läßt sich auch die geradlinige Rille längs der großen Spalte wahrnehmen, eine lange, aller Bäume entblößte Allee, die die beiden Austrittsherde verbindet, die östliche, die uns bereits vertraut ist, und die westliche, die zweimal unsere Annäherungsversuche abgewiesen hat. Diese westliche Ausbruchsstelle ist nur durch ein paar Kegel gekennzeichnet, von denen mandie untätig scheinen, während Explosionen, die sich aus hundert Meter Höhe ziemlich schwächlich ausnehmen, Brandkugeln aus dem Feuerschlund benachbarter Vulkankegel aufschnellen lassen. Die beiden Haupt-Lavaströme, jeder von einem der Vulkanmäuler ausgehend, dehnen sich wie riesige schwarze Farnblätter 28
in dem dunkelgrünen Busch. Der erste ist nicht über den Punkt hinausgekommen, an dem er — nach einwöchigem Vordringen — anhielt, als wir ihn umgangen hatten, um der drohenden Einkreisung zu entgehen. Der andere bewegt sich immer noch beharrlich auf das Ufer des Kiwu-Sees zu.
Die Lava heizt den See auf Als dieser fast zwei Kilometer breite Lavastrom in den See einzudringen beginnt und sich, eine gewaltige Dampfwolke wirbelnd, bis in große Höhen auftürmt, kehren wir ans Seeufer zurück, springen in ein Motorboot und fahren eiligst los, um uns auch dieses erregende Schauspiel näher anzuschauen. Das Wasser verdampft im Augenblick, sprüht in brüllenden Strahlen auf, die mit großer Geschwindigkeit emporschießen, sich dann vereinigen, mischen, um einen mächtigen, wallenden, gärenden „Pfeiler" zu bilden, der Wülste und weiße Knollen gegen die Decke von grauen Wolken vorstößt. Schon ist die breite Front des Ergusses unter Wasser erstarrt. Das weiterhin nachgeschobene Magma muß sich Ausgänge durch die Scharten und Risse der bereits verfestigten Kruste bahnen. Sobald eine dieser roten Zungen die Wasseroberfläche berührt, steigt ein neuer Dampfstrahl mit wütendem Zischen auf und schließt sich dem Dunststurm an, der die ganze Szene beherrscht. Wir sind mehr als hundertfünfzig Meter vom Ufer entfernt. Jemand taucht die Hand ins Wasser; es ist brühheiß. Das Thermometer zeigt 80° C. „Ich glaube, es ist ratsam, von nun an zu rudern", meint Adrien. „Der Versuch, einen Motor mit derart heißem Wasser zu kühlen, dürfte aussichtslos sein." Vorsichtig paddelnd schieben wir uns vorwärts, ständig darauf gefaßt, durch die Hitze zum Rückzug gezwungen zu werden. Aber nein. .. Wir kommen auf diese Weise zu unserer großen Überraschung bis in die unmittelbare Nähe der feurigen Zungen und der Dampfstrahlen, deren Pfeifen unsere Ohren kaum mehr ertragen. Erstaunen über Erstaunen: Dicht am Erguß beträgt die Wassertemperatur nur noch 20°. . . Bei näherer Überlegung läßt sich dieser merkwürdige Wärme29
Schwund ohne weiteres erklären. Die großen Temperaturunterschiede, die durch das Sieden der in direkte Berührung mit der glühenden Masse kommenden Wasserschicht hervorgerufen sind, haben starke Strömungen in der ganzen Bucht entstehen lassen, und dieser Umlauf treibt die kochende Flut nach außen, während er andere von normaler Temperatur heranholt. „Mit etwas Schneid könnte man hier in der Nähe der schmelzflüssigen Lava baden", bemerkt Adrien, „und dreihundert Meter weiter würde man sich verbrühen." Es findet sich aber niemand, der einen Kopfsprung riskiert hätte. Ab und zu durchstoßen wir Schwaden heißen Nebels und gondeln in wenigen Metern Entfernung die Lavafront entlang, einer Folge schwarzer Vorsprünge und von schartigem Basalt umrahmter Einbuchtungen. Da und dort rühren heftige Strudel das Wasser auf, und dicke Blasen zerplatzen an der Oberfläche. Es sind Gase, die irgendeiner Magmazunge entweichen und die sich, durch die erstarrte Kruste sinternd, noch träge über den Seegrund schieben. Diese unvermittelt austretenden Dünste wehen Schwefelgeruch zu uns herüber. Adrien neigt sich über Bord, packt einen zwanzig Zentimeter langen „Telapia"-Fisch und wirft ihn ins Boot. Der Fisch zappelt noch schwach und patscht ein paarmal mit dem Schwanz auf die Bodenplanken. Bald erblicken wir Fische in großer Zahl, die mit dem Bauch nach oben treiben, manche davon schon teilweise gesotten, vor allem die kleineren. Die meisten großen, kräftigen sind vermutlich nach kühleren Zonen geflohen. Aus früheren Vulkanausbrüchen ist den Eingeborenen dieser Gegend diese Tatsache zweifellos bekannt; denn im gleichen Augenblick sehen wir ihre Boote nahen. Von allen Seiten kommen sie heran, einen Paddler an jedem Ende des schmalen Bootes. Der wunderbare Fischzug wird mehrere Wochen dauern.
Der Vulkan erhält einen Namen Dieser neue Vulkan muß unbedingt getauft werden, sage ich mir an einem der nächsten Tage. Und ich rufe Voiture, einen der eingeborenen Träger heran, der aufgeweckter ist als seine Kameraden. 30
„He, Voiture! Wie nennst du diesen Feuerberg?" „Singiro, Bwana . . ." Singiro bedeutet im Dialekt der Gegend einfach Vulkan. Logisch, g e w i ß . . . Aber möglicherweise ungenügend für die geographischen Anforderungen von uns Weißen. „Nun, Voiture, wie nennst du diesen Ort hier im Busch?" Ich weiß, daß der Busch, der den Weißen völlig einförmig erscheint, in den Augen der Neger bedeutend vielgestaltiger aussieht. Dieser dichte Dschungel, in normalen Zeiten nur von einer geringen Zahl Pygmäen bewohnt und von Jägern und Honigsammlern durchstreift, ist für sie keineswegs namenlos. Allenthalben gibt es örtlich bestimmte Punkte. Die Aufmerksamkeit der Schwarzen unterscheidet tausend Abstufungen und findet einen Namen für jede Stelle. „Hier kein Name", erwidert der Mann und streckt den Zeigefinger energisch abwärts. Er glaubt offenbar, daß ich mich nach dem Namen der Böschung erkundige, auf der ich sitze. „Nein, nicht hier. Dort, beim Vulkan." „Dort kein Name." Die Sache ist ziemlich entmutigend . . . „Aber dort", fährt er fort und zeigt nach dem Regenteich hundert Meter hinter sich, in dessen Nähe die Träger ihre Laubhütten errichtet haben, „dort Kineza." Endlich ein Name. Aber Voiture ist nun in Schwung gekommen: „Und dort Kituro." Er zeigt nach einem ungefähr hundert Meter nordöstlich des Vulkans liegenden Punkt, der dem Ostkrater viel näher liegt als der Teich. „Und dort Nyefunzi." Diesmal ist es in etwas größerer Entfernung gegen Süden. „Und dort" — er weist mit der Hand nach dem großen Erguß schwarzen Basalts, dem dünne Rauchschwaden entsteigen — „dort weither Kot der Götter kommen, Wasserteich da sein. M'vovo ya Biti. Und d o r t . . ." „Genug, genug, Voiture! Es tut's!" 31
Obschon mir Kineza lieber wäre, das sich leichter aussprechen läßt, entschließe ich mich für Kituro, den Namen der dem Vulkan zunächst liegende Stelle. „Didjina ya kilima ya moto ni Kituro", verkünde ich also. So wird die Taufe vorgenommen. Dem westlichen Vulkanmund, zu dem wir uns einige Tage nachher unter Umgehung des Kituro vorkämpfen, gebe ich den Namen Muhuboli, wieder nach der Bezeichnung d e s zunächst liegenden von den Eingeborenen benannten Landschaftspunktes. Hier am Muhuboli finde ich auch die Erklärung für den vor mehreren Tagen plötzlich und unerwartet einsetzenden Lavaschub, der unserm Lastwagen so plötzlich den Rückzug abgeschnitten hatte. Zwischen den beiden die Basaltfelder etwa hundert Meter überragenden Schlackenkegeln Shove und Rumoka (vgl. die Karte) senkt sich eine mehr oder weniger kreisrunde Mulde ein, eine Art riesigen, über einen Kilometer breiten und einige Meter tiefen Tellers. Die Lava, die der Muhuboli vom ersten Tag der Eruption an reichlich austreten ließ, sammelte sich in dieser Mulde und füllte sie nach und nach aus wie in einem Stausee. Mehrere Millionen Kubikmeter Magma sammelten sich auf diese Weise an, bis der Teller, endlich voll, überlief und der Erguß sich zum Kiwu-See wälzte. Er erreichte ihn in weniger als vierzig Stunden und bedeckte eine Fläche von nahezu sieben Kilometer Länge auf zwei bis drei Kilometer Breite. Diese im ungeeigneten Augenblick losbrechende Flut war es gewesen, die uns beinahe in einer Falle gefangen hätte und uns nur die knappste Zeit zur Flucht gelassen hat.
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