Geburt eines Dämons von A. F. Morland
Es geschah in der Hölle – zu einer Zeit, die sehr weit zurückliegt und an die si...
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Geburt eines Dämons von A. F. Morland
Es geschah in der Hölle – zu einer Zeit, die sehr weit zurückliegt und an die sich kein Dämon erinnern will, denn es war eine der schicksalsträchtigsten Nächte, die es im Reich des Bösen und der ewigen Verdammnis je gegeben hat. Eine Geburt stand bevor. Die Geburt eines Dämons, der den Fürst der Hölle stürzen und seinen Thron besteigen sollte. Loxagons Geburt!
Blitze zerfetzten die dunkle Nacht mit blendendem Licht und schlugen in die ausgedehnten Sümpfe. Ihre gewaltige Kraft riß riesige Schlammfontänen hoch, und die freigewordene schwarze Energie ließ schleimige Scheusale entstehen, die das Höllenfirmament durchstießen und in andere Dimensionen vordrangen. Kasha hatte sich bis hierher geschleppt. Sie wußte, daß die Sümpfe gefährlich waren, aber hier gab es eine Kraftkonzentration, wie sie nirgendwo sonst in der Hölle existierte. Deshalb hatte sie den beschwerlichen Weg auf sich genommen, und Massodo, ihr treuer schwarzblütiger Diener, hatte sie begleitet. Immer neue Blitze rasten herab. Der Himmel schien in Flammen zu stehen. Kashas Fell sträubte sich. Jedes Härchen knisterte und nahm die magische Elektrizität wie eine Antenne auf. Sie hatte Schmerzen, konnte sich kaum noch auf ihren vier Beinen halten. Massodo sah sie besorgt an. Er befürchtete, daß sie diese Nacht nicht überleben würde. Krachend trafen neue Blitze die morastige Oberfläche. Schlagartig trocknete der schlammige Boden, und tiefe Risse bildeten sich, aus denen grüne Flammen leckten. Ein dürrer Baum war Kashas Ziel. Ihn mußte sie erreichen, denn er war der Mittelpunkt dieses Gebietes, und dort wollte sie sich niederlassen. Schlamm war in Massodos häßliches Gesicht gespritzt. Schlamm, der von Höllenkraft belebt war. Die Tropfen veränderten sich sofort und wurden zu braunen, glänzenden Egeln, die sich durch die graue Haut des Dämons bissen. Massodo fluchte, griff mit seinen affenartigen Händen nach diesen Biestern und zerdrückte sie zwischen den Fingern. Sie stießen dabei schrille, dünne Laute aus. Er schleuderte sie fort und fuhr sich mit seiner langen, schwarzen Zunge über das ganze Gesicht. Bis zum Haaransatz und zu den Ohren reichte seine Zunge. Er leckte die Verletzungen, die ihm die Egeln beigebracht hatten, und
stampfte mit seinen Klumpfüßen weiter. Seine Gestalt war gedrungen, und er hatte einen gewaltigen Buckel. Beim Gehen baumelten seine Arme hin und her, als wären sie kraftlos, und seine Augen hatten die geschlitzten Pupillen einer Raubkatze. Einem dürren, schwarzen Mahnmal gleich, streckte der tote Baum seine Äste zum Himmel empor. Die Blitze mieden ihn. Ringsherum schlugen sie ein, nur den Baum trafen sie nie, denn in ihm befand sich eine Kraft, mit der sich selbst die Urgewalten nicht messen wollten. Kasha blieb stehen. Ein heftiges Zittern ging durch ihren Körper. »Brauchst du Hilfe?« fragte Massodo. »Soll ich dich tragen?« Sie antwortete nicht, aber er sah ihrem Blick an, wie erschöpft sie war. Dennoch blieb ihr Wille unbeugsam. Vielleicht würde sie ihr Leben verlieren, doch zuvor wollte sie noch das tun, was ihre Pflicht war … Ein heißer Sturm kam auf. Er stemmte sich gegen Kasha und Massodo und erschwerte ihnen jeden weiteren Schritt. Kasha taumelte. Ihre Beine knickten ein, sie stürzte, aber sie blieb liegen. Sie preßte trotzig die Kiefer zusammen, kämpfte sich hoch und schleppte sich weiter. Das dumpfe Knarren des schwarzen Höllenbaums geisterte über die Sümpfe. Die dürren Äste schienen sich Kasha und Massodo entgegenzustrecken. Der Baum war tot, doch zu seinen Füßen sollte neues Leben das Licht dieser schwarzen Welt erblicken. Ein Leben, das Kasha kaum noch in sich halten konnte. Es drängte aus ihr heraus, war voller Ungeduld, konnte den Augenblick der Geburt nicht erwarten. Doch Kasha gab es noch nicht frei. Obwohl es qualvoll für sie war, zögerte sie das große Ereignis noch hinaus. Sie erreichten die schwarze Aura des toten Baums. Die letzten Me-
ter legte Kasha kriechend zurück, und sie winselte dabei kläglich. Ihre Krallen bohrten sich in den weichen Boden, und sie schob sich Zentimeter um Zentimeter näher an den Baum heran, bis sie bei ihm war. Dann fiel sie zur Seite, und Massodo dachte, nun würde sie sterben. Ihr Körper bebte. Das Leben in ihr war rücksichtslos. Es gönnte ihr keine Verschnaufpause, wollte endlich heraus. Massodo sank auf die Knie. Er legte seine Hände auf Kashas Bauch, doch sie stieß ein aggressives Knurren aus und schnappte nach ihm. Er zog rasch die Hände zurück. »Du wirst es allein nicht schaffen«, sagte er. »Du wirst dir von mir helfen lassen. Wir haben einen weiten, beschwerlichen Weg hinter uns. Viele Gefahren mußten wir meistern, harte, kräfteraubende Kämpfe mußten wir bestreiten, um dieses Ziel zu erreichen. Du bist ausgelaugt. Das Leben in dir nimmt sich, was es braucht, um bei Kräften zu bleiben. Es nimmt keine Rücksicht auf dich.« Kasha bleckte die langen Fangzähne und starrte Massodo feindselig an. Sie wollte sich von ihm nicht helfen lassen. Der tote Baum schützte sie vor den Blitzen, die eine unsichtbare Faust bündelweise vom Himmel zu schleudern schien. Kasha fühlte, wie die Magie des Baums auf sie übergriff. Die fremde Kraft drang aus dem Boden, kam von den Wurzeln, sickerte durch die riesige Rinde und schien von den Ästen herabzutropfen. Kasha nahm bereitwillig in sich auf, was der Baum ihr gab, doch viel blieb für sie nicht übrig, denn das Leben in ihr riß gierig alles an sich. Massodo blickte sich beunruhigt um. Er fürchtete nicht die Blitze und auch nicht die Schlammwesen, die hier entstanden. Seine Sorge galt einem großen Feind. Asmodis! Dem Höllenfürsten war zu Ohren gekommen, daß es bald soweit war, und das Orakel des Bösen hatte ihm verraten, daß Kasha einen
starken, gefährlichen Widersacher gebären würde. Ein Sohn sollte in diese Dämonenwelt kommen. Sein Sohn! Denn Asmodis hatte ihn mit Kasha gezeugt. Seit er wußte, daß ihm dieser Sohn eines Tages sogar den Höllenthron streitig machen könnte, hatte er versucht, seine Geburt zu verhindern. Aus diesem Grund war Kasha geflohen. Sie hoffte, daß Asmodis sie hier nicht finden würde. Wenn doch, dann sollte er hier wenigstens erst eintreffen, wenn sie die Geburt hinter sich hatte. Massodo befürchtete Asmodis’ Erscheinen. Er würde Kasha und das Leben, das sie in sich trug, verteidigen, aber ihm war klar, daß er dem Höllenfürsten nicht gewachsen sein würde. Er rechnete mit einem grausamen Ende. Dennoch würde er bis zuletzt zu Kasha halten. Weißer Geifer rann aus Kashas Maul. Ihre Flanken zitterten. Sie heulte Schmerzlich auf, hob kurz den Kopf, aber er sank gleich wieder auf den Boden. »Laß mich helfen«, verlangte Massodo. Als er sie wieder vorsichtig berührte, hatte sie nicht mehr die Kraft, ihn abzuwehren. Sie mußte ihn gewähren lassen. Sie war eine Schakalin. Und sie würde Loxagon, den Sohn des Teufels, gebären!
* Vicky Bonney weinte. Immer wieder putzte sie sich geräuschvoll die Nase. Mr. Silver konnte das schon nicht mehr hören. Er war wütend, aber nicht auf Vicky, sondern auf das verdammte Marbu-Gift, das sich im Körper seines Freundes Tony Ballard befand. Tony war im ceylonesischen Dschungel von einem Pfeil verletzt worden, dessen Spitze mit schwarzer Magie vergiftet gewesen war. Dieses Gift hätte ihn getötet, wenn nicht bereits die Marbu-Kraft in
ihm gewesen wäre. Marbu rettete ihm das Leben, aber der Preis dafür war hoch, denn Marbu hatte plötzlich schneller zu wuchern begonnen, und es war endlich zu dem gekommen, was Tony Ballards Freunde schon lange befürchtet hatten. Tony Ballard war umgekippt! Er hatte sich innerlich verändert, fühlte sich nicht mehr dem Guten verbunden, sondern vom Bösen angezogen. Lange hatte die schwarze Macht darauf warten müssen, doch nun war es endlich dazu gekommen. Tony hatte sich von seinen Freunden getrennt. Er hatte Vicky Bonney verlassen, und niemand wußte, wohin er gegangen war, wo er jetzt lebte. Seit Tagen weinte die blonde Vicky Bonney. Niemand konnte sie trösten. Jubilee saß neben ihr auf dem Ledersofa und streichelte sie liebevoll. »Nicht weinen, Vicky«, sagte sie mit belegter Stimme. Sie war selbst den Tränen nahe. »Es wird alles wieder gut.« Es waren leere Worte. Niemand wußte, wie man Tony helfen konnte. Vielleicht würde man ihn finden, aber das Marbu-Gift in ihm würde man nicht vernichten können. Vicky sah Jubilee mit rotgeweinten Augen an. Jubilee war jung, erst siebzehn. Sie hatte streichholzlanges, braunes Haar, war hübsch und hatte eine schlanke, knabenhafte Figur. Sie sah in Vicky eine schwesterliche Freundin. Mehr noch. Vicky ersetzte ihr auch die Mutter. Vicky hatte ihr viel beigebracht, denn als sie vor etwas mehr als einem Jahr von der Prä-Welt Coor auf die Erde gekommen war, war sie ein wildes Mädchen gewesen, das nicht gewußt hatte, wie man sich in der menschlichen Gesellschaft benimmt. Ohne Vickys Hilfe hätte sie sich hier nur sehr schwer eingelebt. Sie würde ihr das nie vergessen. »Man wird Tony finden«, sagte Jubilee.
»Ja, mag sein«, gab Vicky leise zurück. »Aber was dann? Tony ist nicht mehr der Mann, den ich liebe. Ihn verbindet nichts mehr mit mir. Er haßt uns alle. Ich habe ihn verloren.« Jubilee schüttelte heftig den Kopf. »Das darfst du nicht sagen, Vicky.« »Es ist die Wahrheit.« »Solange Tony lebt, besteht die Hoffnung, daß ihm geholfen werden kann.« »Vielleicht theoretisch«, sagte Vicky Bonney deprimiert. »Die Wirklichkeit sieht leider anders aus. Tony hatte sich vom Guten abgekehrt. Dieses Gift wird ihn immer mehr überwuchern. Es wird schon bald die Farbe seines Blutes verändern. Sein Blut wird nicht mehr rot, sondern schwarz sein. Weißt du, was das heißt? Das bedeutet, daß aus Tony ein Dämon wird!« Roxane, die Hexe aus dem Jenseits, erhob sich. Sie schüttelte ihr pechschwarzes Haar in den Nacken, und ihre meergrünen Augen blitzten. »Soweit ist es noch lange nicht!« warf sie leidenschaftlich ein. »Jubilee hat recht. Du darfst die Hoffnung nicht aufgeben, Vicky. Für jeden Zauber gibt es mindestens einen Gegenzauber. Für jedes Gift gibt es ein Gegengift. Wenn wir das finden …« »Wenn! Wenn! Wenn!« fiel Vicky Bonney der weißen Hexe ins Wort. »Wie lange sucht ihr schon nach diesem Gegengift? Ihr habt es noch nicht gefunden.« »Das kann jeden Tag passieren«, sagte Mr. Silver. »Tut mir leid, ich habe nicht die Kraft, daran zu glauben«, erwiderte Vicky. Sie sah ihre Freunde an, auch Boram, den Nessel-Vampir, der stumm in einer Ecke stand und sich – wie fast immer – nicht an dem Gespräch beteiligte. Der weiße Vampir, eine Dampfgestalt nur, war ein guter Zuhörer. Seine Meinung tat er zumeist nur kund, wenn man ihn direkt danach fragte. »Ihr meint es alle gut mit mir«, sagte Vicky. »Aber wir dürfen den
Sinn für die Realität nicht verlieren. Tony Ballard gehört nicht mehr zu uns!«
* Die Nacht schien aus dickem, schwarzem Glas zu bestehen, das krachend zersplitterte, als die Blitze einschlugen. Die Kraft des toten Höllenbaums floß durch Kashas Körper und ging auf Loxagon über. Nirgendwo hätte Loxagon in der Stunde seiner Geburt mehr Kraft bekommen können. Er würde die Kräfte Asmodis’, der Höllensümpfe und des toten Baums in sich vereinen. Sie würden ihn schnell wachsen lassen und sehr stark machen. Asmodis würde ihn fürchten müssen! Es hatte sich gelohnt, hierherzukommen, all die Strapazen auf sich zu nehmen. Die Stunde von Loxagons Geburt würde in die Höllenannalen eingehen. Ein mächtiger Dämon würde das Licht des Grauens erblicken und zum schrecklichen Herrscher höllischer Heerscharen werden. Er würde von Sieg zu Sieg eilen und immer mächtiger werden, und … eines Tages würde er die Hand nach dem Höllenthron ausstrecken und die Macht an sich reißen. So hatte es das Orakel verkündet. Auch Kasha wußte es. Dafür hatte sie gekämpft. Ihr Sohn würde Asmodis vernichtend schlagen und seinen Platz einnehmen. Sie war die Mutter des künftigen Höllenherrschers. Das erfüllte sie heute schon mit Stolz. Die Geburt verlangte ihr die letzten Kräfte ab. Wenn Massodo nicht bei ihr gewesen wäre, hätte sie es nicht geschafft. Er half mit kundigen Händen, zog das Dämonenkind mehr und mehr aus ihrem Körper. Klagende Laute kamen aus ihrem offenen Maul, dann hechelte die
Schakalin wiederum. Sie glaubte, Loxagon würde ihren Leib sprengen. Sie krallte ihre Pfoten in den Boden und preßte ihren Sohn, rasch schwächer werdend, aus sich heraus. Als es endlich getan war, hielt Massodo ein kleines nacktes Etwas in seinen klobigen Händen. Es glänzte naß, zuckte, strampelte und war noch blind. »Man könnte fast meinen, das Orakel habe sich geirrt«, sagte Massodo. »Er sieht so klein aus, so schwach, so hilflos und schutzbedürftig.« Gleißende Lanzen flogen den Sümpfen entgegen. Manchmal bebte der Boden. Kasha schien nichts davon wahrzunehmen. Sie starrte mit leeren Augen in die Ferne. Der kleine Körper in Massodos Händen begann sich zu verändern. Er war plötzlich nicht mehr nackt. Haare bedeckten ihn, und er wurde dem Aussehen seiner Mutter immer ähnlicher. Einige Augenblicke lang hielt Massodo einen kleinen Schakal in seinen Pranken, doch danach veränderte sich Loxagons Aussehen erneut. Es hatte den Anschein, als würde der Sohn des Teufels alle höllischen Erscheinungsformen durchleben. Jetzt hatte Loxagon zum Beispiel einen Drachenschädel und dünne Lederflügel. Und dann nahm er das Aussehen seines Vaters an. Hörner, ein dreieckiges Gesicht, einen Pferdefuß … »Willst du ihn sehen?« fragte Massodo. Kasha knurrte drohend, als Massodo ihr ihren Sohn entgegenhielt. Sie wollte ihn nicht sehen. Sie hatte ihn geboren, und nun wollte sie sich von ihm trennen. Von nun an mußte er selbst sehen, wie er weiterkam. Er durfte nicht bei ihr bleiben, denn früher oder später würde Asmodis sie finden und töten – und dann sollte Loxagon in Sicherheit sein. Kasha trug Massodo auf, ihren Sohn fortzubringen. Er sollte Loxagon ein treuer Diener und wichtiger Lehrmeister sein. Um sie sollte sich Massodo nicht kümmern. Sie würde allein zurechtkommen.
Massodo wußte, daß das nicht stimmte, aber er gehorchte. Er hüllte Loxagon in groben Stoff und richtete sich langsam auf. Kasha blieb liegen. Sie war zu schwach, um sich zu erheben. Massodo sagte kein Wort mehr. Er verabschiedete sich von der Schakalin mit einem langen, finsteren Blick. Ihm war bewußt, daß er Kasha nicht wiedersehen würde. Langsam wandte er sich um und entfernte sich. Die Magie des toten Höllenbaums schützte ihn nun vor den niedersausenden Blitzen.
* »Irgend etwas Neues?« fragte Mr. Silver. Er telefonierte mit dem reichen Industriellen Tucker Peckinpah. »Leider nein«, gab dieser deprimiert zurück. »Ich habe alle Hebel in Bewegung gesetzt, aber Tony scheint sich in Luft aufgelöst zu haben. Jedermann weiß es: Ich zahle hunderttausend Pfund, dem, der mir sagt, wo sich Tony Ballard befindet. Das gibt’s doch nicht, daß er sich unsichtbar gemacht hat.« »Ausgerechnet jetzt mußte das passieren!« knurrte der Ex-Dämon. »Wieso ausgerechnet jetzt?« »Wir wollten endlich gemeinsam darangehen, das Geheimnis des Höllenschwerts zu lüften.« »Das heißt, Sie und Tony wollten sich nach Grönland begeben«, folgerte Peckinpah. »Genau. Weil sich dort der Plan befindet, der Aufschluß darüber gibt, wo Loxagons Grab ist«, sagte Mr. Silver. »Was werden Sie tun, wenn wir Tony finden?« fragte der Industrielle. »Kann ich noch nicht sagen«, antwortete der Hüne mit den Silberhaaren. »Das hängt in erster Linie von Tony ab, wie er sich benimmt, ob er mich angreift oder sich friedlich gibt.« »Und wenn er Sie attackiert?«
Mr. Silver wiegte den Kopf. »Dann wird es schwierig. Ich darf ihn einerseits nicht töten, andererseits bin ich gezwungen, mich zu schützen. Er weiß, wo meine Schwächen liegen.« »Seien Sie ehrlich, Mr. Silver, glauben Sie, daß Sie Tony helfen können?« »Ich hoffe es«, erwiderte Mr. Silver. Ein Versprechen konnte er leider nicht geben. »Rufen Sie an, sobald sich irgend etwas ergibt?« »Das versteht sich von selbst«, sagte Tucker Peckinpah und legte auf.
* Kasha spürte, wie sie allmählich wieder zu Kräften kam. Noch lag sie auf dem Boden und rührte sich nicht, aber ihr Zustand verbesserte sich mit jeder Minute. Sie hätte nicht geglaubt, daß die Kraft des Höllenbaums so stark wäre. Er verlieh ihr Mut und Zuversicht. Sie nahm sich vor, Loxagon aus der Ferne zu beobachten. Sie würde über ihn wachen, ohne daß er es wußte, würde ihn heranwachsen sehen und alle Gefahren von ihm fernhalten. Bald würde er ihren Schutz nicht mehr brauchen. Massodo wußte, wie er Loxagons Wachstum beschleunigen konnte. Massodo war der beste Diener, den ihm Kasha mit auf den Lebensweg geben konnte. Die Schmerzen verebbten allmählich, und die Leere des Blickes verlor sich. Kashas Augen nahmen einen gefährlichen Glanz an. Hunger erwachte in ihr. Sie gierte nach frischem Fleisch und sprang abrupt auf die Beine. Plötzlich sträubte sich ihr Fell. Sie witterte eine Gefahr! War Asmodis in der Nähe? Argwöhnisch ließ sie ihren Blick schweifen. Ein böses Knurren entrang sich der Kehle der Schakalin. Sie war entschlossen, Asmodis
aufzuhalten, um Massodos Vorsprung zu vergrößern. Feindselig starrte sie in die Dunkelheit, die immer wieder von grellen Blitzen erhellt wurde. Sie sah die Luft flimmern. Eine magische Aura bildete sich, und in ihrem Zentrum entstand Asmodis, der Fürst der Finsternis, der Vater ihres Sohnes! Kasha zog die Lefzen hoch und stieß ein angriffslustiges Fauchen aus.
* Auch sämtliche Mitglieder des »Weißen Kreises«, den Daryl Crenna alias Pakka-dee, ein Mann aus der Welt des Guten, gegründet hatte, suchten seit Tagen verbissen nach Tony Ballard. Ohne Erfolg. »Sollten wir Tony finden«, sagte Crenna am Telefon zu Mr. Silver, »müßt ihr ihm magische Ketten anlegen oder ihn sonst irgendwie auf Eis legen, damit er keinen Schaden anrichten kann.« »Tony ist von der gefährlichen schwarzen Marbu-Kraft vergiftet. Sie wird ihn von innen heraus töten, wenn wir etwas gegen ihn unternehmen.« »Wie stehen seine Chancen?« wollte Daryl Crenna wissen. Der Ex-Dämon atmete schwer aus. »Nicht besonders gut, fürchte ich.« Er hörte Vicky Bonney weinen und drehte sich um. Bedauernd blickte er sie mit seinen perlmuttfarbenen Augen an. Er hätte alles, wirklich alles getan, um Tony Ballard zu retten. Die größte Gefahr hätte er auf sich genommen. Aber er sah keine Möglichkeit, irgend etwas für seinen Freund zu tun. Viele Abenteuer hatten sie Seite an Seite bestritten, doch das schien einer Vergangenheit anzugehören, die keine Fortsetzung mehr finden würde. Jubilee sprach leise mit Vicky. Auch Roxane nahm sich der blonden Schriftstellerin an. Seit Tony verschwunden war, konnte Vicky
nicht mehr arbeiten. Keine Zeile hatte sie mehr geschrieben. Sie war mit ihren Terminen in Verzug, doch das kümmerte sie nicht. Seit Tony nicht mehr bei ihr war, hatte alles in ihrem Leben seinen Sinn verloren. »Vielleicht schaffst du es, ihn vorübergehend mit magischer Hypnose auszuschalten«, sagte Daryl Crenna. »Ich werde es versuchen, aber ich fürchte, die Marbu-Kraft wird sich dagegen zu schützen wissen«, erwiderte Mr. Silver. »Ich hätte nicht gedacht, daß es für Tony mal so schlimm kommen würde«, bemerkte Pakka-dee niedergeschlagen. »Du kannst versichert sein, daß wir alle unser Bestes geben, um ihm zu helfen.« »Ja, ich weiß«, sagte der Hüne. »Was ist mit Yuums Auge?« Dieses große Auge im Keller jenes Hauses, in dem die Mitglieder des »Weißen Kreises« wohnten, zeigte schwarzmagische Aktivitäten auf. »Es wird ständig von einem von uns überwacht«, sagte der Mann aus der Welt des Guten. »Es machte uns auf einen Poltergeist in Clerkenwell aufmerksam. Fystanat kümmert sich darum. Von Tony bekamen wir bis jetzt nichts zu sehen.« »Ihr solltet die Augen dennoch weiter offenhalten«, riet Mr. Silver dem Leiter des »Weißen Kreises«. »Das tun wir, du kannst dich darauf verlassen«, gab Pakka-dee zurück.
* Asmodis! Ein roter Feuermantel umhüllte ihn. Der Blick seiner dunklen Augen war grausam. Er starrte die Schakalin durchdringend an, doch sie fürchtete sich nicht. Sie zog die Lefzen noch höher, knurrte lauter und ließ ihre kräftigen Fangzähne sehen.
Der Höllenfürst grinste. »Was soll das, Kasha? Denkst du, mich damit einschüchtern zu können?« Sie konnte auch seine Sprache sprechen, wenn sie wollte, und sie antwortete mit rauher Stimme: »Ich bin zu allem entschlossen!« »Wo ist mein Sohn?« wollte Asmodis wissen. »Ich sehe, du hast ihn bereits geboren.« »Du wolltest es verhindern, aber du bist zu spät gekommen«, höhnte Kasha. Asmodis kniff die Augen grimmig zusammen. »Wo ist er? Wo hast du Loxagon versteckt?« »Er ist nicht mehr hier!« antwortete die Schakalin triumphierend. »Du kannst ihm nichts antun! Er befindet sich in Sicherheit! Du wirst ihn nicht finden!« »Niemand kennt die Hölle besser als ich«, sagte Asmodis. »Es gibt kein Versteck, das mir verborgen bleibt.« »Und trotzdem wird er sicher aufwachsen, und wenn er stark genug ist, wird er dir gegenübertreten und dir deine Macht streitig machen. Er wird dich töten, weil du die Absicht hattest, ihn zu vernichten. Das wird er dir niemals verzeihen. Er wird sich gegen seinen Vater wenden, wenn die Zeit gekommen ist. So sagt es das Orakel.« »Denkst du, ich weiß mich gegen ihn nicht zu schützen?« fragte Asmodis überheblich. »Vielleicht gelingt es ihm, sich vor mir zu verkriechen, bis er erwachsen ist, aber sobald er mir gegenübertritt, wird er sterben.« Die Schakalin knurrte wieder. Sie war entschlossen, Asmodis anzugreifen. Wenn es ihr gelang, ihm ihre Reißzähne in die Kehle zu schlagen, war er verloren. »Massodo ist bei ihm«, stellte der Höllenfürst fest. »Bisher kroch diese Mißgeburt immer um dich herum.« »Er ist bereit, Loxagon mit seinem Leben zu verteidigen.« »Wenn ich Massodo habe, kenne ich Loxagons Versteck«, behaup-
tete Asmodis. »Er wird Loxagon niemals verraten.« »Ich werde Mittel und Wege finden, ihn zu zwingen, und dann gehe ich hin und töte diesen kleinen Bastard, den du in die Höllenwelt gesetzt hast. In dieser Dimension kann nur einer herrschen, und das bin ich – Asmodis!« »Loxagon ist auch dein Sohn«, sagte die Schakalin. »Warum hast du ihn gezeugt, wenn du …« »Er ist ein Bastard, ein anmaßender Kretin!« unterbrach der Höllenfürst sie scharf. »Ich erkenne ihn nicht als meinen Sohn an. Er hat kein Recht, zu leben. Das Höllenorakel hat mich rechtzeitig auf ihn aufmerksam gemacht. Ich werde es erst gar nicht dazu kommen lassen, daß er stark wird und sich erfreut, meinen Platz einnehmen zu wollen. Ich werde ihn finden und auslöschen. So sehr auslöschen, als hätte es ihn nie gegeben!« »Diese Gelegenheit wirst du nicht haben!« knurrte Kasha und sprang den Höllenfürsten an. Asmodis hatte damit gerechnet. Er wich blitzschnell zur Seite aus. Die zuschnappenden Zähne verfehlten seine Kehle. Der Körper der Schakalin streifte seine Schulter. Er stieß Kasha von sich. In diesem Stoß lag so viel Kraft, daß die Schakalin zu Boden fiel und sich mehrmals überschlug, aber sie schnellte sofort wieder auf die Beine und warf sich herum. »Du Närrin!« fauchte Asmodis. »Denkst du im Ernst, dich mit mir messen zu können?« Sie sauste heran und stieß sich ab. Asmodis’ Faust traf ihren Rücken, und sie jaulte kläglich auf. Hart landete sie auf dem Boden. Ihre Hinterläufe gehorchten ihr nicht mehr. Sie konnte sich nur noch auf die Vorderbeine stellen. Die Hinterbeine schleifte sie über den Boden, als wären sie abgestorben, und sie schnappte fortwährend nach dem verhaßten Höllenfürsten. Immer wieder stieß ihr Kopf vor, doch ihr Gebiß erreich-
te Asmodis nie. Er grinste triumphierend und nahm den Flammenmantel ab. Kasha wußte, was das für sie bedeutete, und sie wollte zurückweichen, doch sie kam nicht rasch genug weg. Asmodis breitete schwungvoll seinen brennenden Mantel aus und warf ihn über die Schakalin. Kasha duckte sich vergebens. Als der Flammenmantel sie zudeckte, heulte sie laut auf. Das aggressive Feuer biß zu. Es fraß sich in Kashas Körper. Ihr Heulen riß jäh ab, und als der Flammenmantel sich wieder hob, lag nur noch ein Schakalskelett auf dem Boden. »Ich denke, daß dein Sohn auf die gleich Weise enden wird«, sagte der Höllenfürst grinsend. Dann machte er eine schnelle Handbewegung, als wollte er einen lästigen Gedanken fortwischen, und das Skelett verschwand.
* Ich saß auf einem Bett, das mit glänzender Seide bezogen war. Pinkfarben. Kitschig, aber es störte mich nicht. Das Haus war luxuriös ausgestattet, bot mir jeden erdenklichen Komfort. Ich hatte alles, was ich brauchte, mußte keinen Schritt vor die Tür gehen. Ich hatte auch nicht den Wunsch, mich draußen zu zeigen. Mit Sicherheit suchten mich meine Freunde. Ich war zur berühmten Stecknadel im Heuhaufen geworden, und ich konnte mir vorstellen, was Tucker Peckinpah unternahm, um meine Spur zu finden. Er war ein Mann mit sagenhaften Verbindungen. Unzählige Steine hatte er mir in der Vergangenheit aus dem Weg geräumt, damit ich mich auf meinen harten Job konzentrieren konnte. Vorbei. Ich würde nie mehr Jagd auf Geister und Dämonen machen. Ich hatte jedes Interesse daran verloren.
Ich wußte, was mit mir los war, hatte mich genau beobachtet. Mir war die Entwicklung egal. Ich befand mich auf einer Einbahnstraße, die vom Guten zum Bösen führte. Es ging bergab, und an einer Umkehr war ich nicht interessiert. Das Marbu-Gift würde dafür sorgen, daß ich den eingeschlagenen Weg weiterging. Im Moment gönnte mir die schwarze Kraft eine Verschnaufpause. Sie hatte es nicht eilig, mich völlig umzukehren. Ich war ihr sicher. Niemand konnte mich ihr entreißen, ohne mich dabei zu töten. Ich würde zum Schwarzblütler werden, zum Dämon, und ich würde mit demselben Eifer für die Interessen der Hölle eintreten, wie ich es bis vor kurzem für das Gute getan hatte. Mir war es egal. Ein neuer Lebensabschnitt hatte für mich begonnen. Ich dachte an Terence Pasquanell, der auch gezwungen gewesen war, die Fronten zu wechseln. Er stand heute voll auf der schwarzen Seite und war innerhalb kürzester Zeit zu einem äußerst gefährlichen Streiter der schwarzen Macht geworden. Ich hatte ihn gejagt und bekämpft, doch nun hatte er nichts mehr von mir zu befürchten. Im Gegenteil. Wenn ich ihm begegnete, würde ich ihm ein Bündnis vorschlagen. Ich klopfte mit der flachen Hand neben mir auf das Seidenlaken. »Komm her!« verlangte ich. Colette stand in der Tür, ein Mädchen wie ein Aufputschmittel. Sie sah umwerfend aus, und sie verschoß ihren Sex-Appeal hemmungslos, Sie war wasserstoffblond und hatte nußbraune Augen. Das Haus gehörte ihr. Sie war reich und recht bekannt. Colette war Schauspielerin, keine besonders begabte, aber sie hatte Charisma. Mit etwas gutem Willen konnte man sie mit Marilyn Monroe vergleichen. Sie hatte die gleiche aufregende Figur, den gleichen aufreizenden Gang, den gleichen verheißungsvollen Schlafzimmerblick. Alle Männer waren verrückt nach ihr, und ich befand mich in ihrem Schlafzimmer und kommandierte sie zu mir.
Sie kam mit wiegenden Hüften auf mich zu. Ich grinste sie an und zog sie mit den Augen aus, obwohl ihr Kleid ohnedies kaum etwas verhüllte. Sie wäre im Film nie so weit gekommen, wenn »gute Freunde« nicht tüchtig nachgeholfen hätten. Die Filmproduzenten waren zwar von ihrem Körper, aber nicht von ihrem schauspielerischen Talent hingerissen gewesen, und die Probeaufnahmen, die man ihr für eine Liebesnacht zugestand, waren nicht eben besonders toll ausgefallen. Aber Colettes Freunde hatten ihr zu helfen verstanden. Nicht ganz legal zwar, aber wer fragte danach? Es würde nie an die Öffentlichkeit dringen. Ein Regisseur, der sich partout geweigert hatte, mit Colette Dooley zu arbeiten, starb an einer Überdosis Schlaftabletten. Angeblich hatte man ihn gezwungen, sie zu schlucken. Ein Produzent, der es ablehnte, Colette unter Vertrag zu, nehmen, hatte einen schweren Autounfall und vegetierte seither in einem Sanatorium dahin, blind und unfähig zu gehen. Mit Colettes Freunden war nicht zu spaßen. Vor allem mit einem nicht. Sein Name war Guy La Cava. Man sagte ihm Beziehungen zum internationalen Syndikat nach, konnte ihm jedoch nichts nachweisen. Es störte mich nicht, daß Colette schon durch viele Männerhände gegangen war. Angeblich war sie auch mit einigen einflußreichen Politikern intim gewesen. Ich betrachtete sie nun als meinen Besitz, und ich würde jeden umlegen, der sie mir streitig machen wollte. Sie hatte Angst vor mir, das sah ich ihr an. Sie fürchtete mich mehr als La Cava und seine Banditen. Das machte mir Spaß. Ich hatte sie vor nicht ganz zwei Wochen in einer Bar kennengelernt. Sie war allein gewesen und betrunken, und ich hatte mich zu ihr gesetzt und mich mit ihr unterhalten. Später hatte ich sie nach Hause gebracht. Sie hatte mich an der Haustür abfertigen wollen, doch damit war
ich nicht einverstanden gewesen. Sie mußte mich auf einen Drink ins Haus lassen, und ich war geblieben – bis heute. Colette setzte sich neben mich, und ich fiel über sie her, als hätte ich eine lange Gefängnisstrafe hinter mir. Ich zerriß ihr dabei das Kleid, und sie beschwerte sich zaghaft, doch ich scherte mich nicht darum. Wenn man mich reizte, sah ich sofort rot. Der sanfte frühere Tony existierte nicht mehr. Das war Jahre her, wie es mir schien. Als ich genug von Colette hatte, befahl ich ihr, mir einen Drink zu bringen. Sie verließ das Schlafzimmer und kam mit einer Flasche Pernod wieder. Ich trank ihn immer noch am liebsten. Daran hatte sich nichts geändert. Nur reichte ein Glas allein jetzt nicht mehr aus. Mir kam Colette nervös vor. Ich musterte sie von Kopf bis Fuß. »Was hast du?« Sie zuckte mit den Schultern, begab sich zum Schrank und nahm ein fliederfarbenes Kleid heraus. »Nichts.« Ich hob warnend den Zeigefinger. »Du solltest mich nie belügen, Baby, denn wenn ich mich ärgere, setzt es was!« Sie schlug vor, mal auszugehen. »Immer in den eigenen vier Wänden, das ist doch nichts«, sagte sie. »Mir genügt es«, erwiderte ich. »Ich gehe nicht aus. Ich möchte nicht gesehen werden, das weißt du.« Colette konnte nirgendwo unerkannt bleiben. Zwangsläufig würde man sich auch für mich, ihren neuen Begleiter, interessieren. Das hätte mir gerade noch gefehlt. Ein Foto von uns in allen Zeitungen! Nein, danke. Ich stand auf, und Colette brachte sofort das Bett in Ordnung. »Was tust du da, verdammt noch mal?« fragte ich sie. »Ich mache Ordnung. Weil es schöner aussieht.« Ich griff nach ihrem Arm, drückte fest zu. Ihr Gesicht verzog sich vor Schmerz. Sie stöhnte. »Du tust mir weh, Tony.« »Du verheimlichst mir irgend etwas«, herrschte ich sie an. »Was ist
es? Heraus mit der Sprache!« Sie konnte nicht anders. Sie mußte es mir sagen. Guy La Cava hatte angerufen und gesagt, daß er kommen würde. Er hatte mal wieder Lust auf Colette. Wenn er mich hier antraf, würde es ein Donnerwetter geben, das stand fest, doch mich störte das nicht. Ich kniff die Augen zusammen und knurrte: »Er soll nur kommen. Ich habe sowieso mit ihm zu reden. Das trifft sich ausgezeichnet.« Es läutete an der Tür. Colette riß erschrocken die Augen auf. »Das ist er.« Ich grinste. »Ich würde ihn an deiner Stelle nicht warten lassen, Baby.«
* Eine Zeit, nicht vergleichbar mit jener, mit der auf Erden gemessen wird, verging. Kasha war tot, daß wußte Massodo. Er hatte es erfahren, als er eine Gruppe von niederen Teufeln belauscht hatte. Nach wie vor suchten Asmodis’ Kundschafter den jungen Loxagon, der prächtig gedieh, doch bislang hatten sie das Versteck nicht gefunden. Der Höllenfürst spornte die Suchenden an, indem er reiche Belohnung versprach. Er setzte sie auch unter Druck, wechselte in immer kürzeren Abständen die Führenden aus und ließ die abgesetzten Teufel hinrichten, doch all diese Maßnahmen brachten keinen Erfolg. Loxagon blieb unauffindbar, und Massodo paßte auf ihn auf wie auf seinen Augapfel. Loxagon machte mehrere Entwicklungsstufen durch. Er war eine Zeitlang ein fliegendes Ungeheuer. Dann wiederum sah er Asmodis ähnlich wie ein Zwilling. Er konnte zahlreiche Gestalten annehmen, und diese Fähigkeit baute Massodo mehr und mehr aus, denn sie würde Loxagon helfen, unerkannt zu bleiben.
Doch in welcher Gestalt er auch immer erschien, das Teufelsmal auf seinem Rücken war immer vorhanden. Es war ein schwarzer Fleck, der die Form eines Teufelskopfes hatte. Daran war zu erkennen, daß Asmodis sein Vater war. Massodo schärfte ihm ein, niemanden seinen entblößten Rücken sehen zu lassen, und Loxagon versprach seinem Diener, Leibwächter und Lehrmeister, darauf zu achten. Manchmal sprach Massodo über die Schakalin Kasha, und er verstand es, mit seinen Worten den Keim des Hasses in Loxagons Herz zu pflanzen. »Eines Tages«, sagte Massodo immer wieder Loxagon, »wirst du deinen Vater töten. Dazu bist du ausersehen. Dafür bist du geboren.« Er schärfte ihm ein, niemandem zu trauen, denn einen wahren Freund würde es in der Hölle nicht geben. »Dämonen sind nur auf ihren eigenen Vorteil bedacht«, behauptete Massodo. »Sie unterstützen dich nur, wenn sie selbst sich etwas davon versprechen. Bringt ein Bündnis keinen Gewinn für sie, fallen sie dir eiskalt in den Rücken.« Loxagon grinste. »Wie ist das mit dir? Auch du bist ein Dämon.« Massodo nickte. »Ich bin wahrscheinlich die einzige Ausnahme in den vielschichtigen Weiten der Verdammnis. Oder ich bin einfach nur verrückt.« »Ich habe Hunger«, sagte Loxagon. »Ich hole dir etwas.« »Laß mich mitkommen.« »Du bist noch nicht soweit. Ich werde dir sagen, wann du mich gefahrlos begleiten kannst«, erwiderte Massodo und verließ das Versteck, eine Erdhöhle, die unter einem großen Feuerteppich verborgen war. Loxagon wurde allmählich ungeduldig. Er wollte sich nicht mehr ständig verstecken. Diese Art von Unfreiheit staute in ihm eine ge-
fährliche Aggression auf. Sie hatten viele Verstecke, nicht nur dieses eine, und sie wechselten in unregelmäßigen Zeitabständen von einem zum anderen. Zweimal wären sie beinahe entdeckt worden. Massodo hatte blitzschnell zugeschlagen und die Gefahr gebannt. Man sah diesem plump wirkenden Dämon nicht an, wie tödlich er angreifen konnte. Massodo begab sich auf die Suche nach etwas Eßbarem. Er schlüpfte zwischen weichen Felsen hindurch und legte sich unter einem von ihnen auf die Lauer, nicht ahnend, daß Feinde in der Nähe waren. Sie köderten ihn mit einem Tier, dessen Fleisch sehr schmackhaft war und dessen Blut dem, der es trank, für kurze Zeit enorme Kräfte verlieh. Genau das Richtige für Loxagon. Massodo richtete sich auf, und als das Tier nahe genug war, flitzte er aus seinem Versteck. Hart landete er auf dem Boden. Er spürte nichts unter sich. Da begriff er, daß er getäuscht worden war. Man hatte ihm das Tier vorgespiegelt, und er war darauf hereingefallen. Jetzt schleuderten die Feinde glühende Lanzen. Die Teufel warfen sie nicht direkt in Massodos Richtung, sondern hoch, und sie beschrieben einen Bogen und bohrten sich ringsherum senkrecht im Kreis in den granitharten Boden. Massodo befand sich urplötzlich in einem kreisrunden Gitterkäfig, dessen Inneres sich mit einer Schwärze füllte, die Massodo niederdrückte. Er brach röchelnd zusammen und sah die Fängen des Höllenfürsten kommen. Die Schwärze legte sich auch auf seine Augen und drang zu seinem Bewußtsein vor. Und dann … war es vorbei.
* »Hallo, Baby!«, sagte Guy La Cava lachend. Er hielt eine Schachtel mit Orchideen in der Hand. »Hier«, tönte er. »Die sind für dich. Ich habe mich in Unkosten gestürzt.« Ein Blinder mit ‘nem Krückstock sah ihm an, daß er ein Verbrecher war. Er entsprach völlig dem Klischee der Filmgangster, hatte leicht angegraute Schläfen und trat in diesem penetrant-aufdringlichen Neureichen-Look auf, damit alle Welt sehen konnte, daß er Geld besaß. Er wirkte protzig und großkotzig. Ich hatte nicht übel Lust, ihn gleich hier zusammenzuschlagen. Colette gegenüber gab er sich gönnerhaft. Er spielte ihr den Mann von Welt vor, aber das war er nicht. Er hatte keinen Stil, war ordinär trotz seiner weißen Gamaschen und dem Maßanzug in Nadelstreifen. Und er hatte auch überhaupt keine Klasse. Er war ein brutaler Flegel, der über Leichen ging – und auch das sah man ihm an. Er gab Colette einen schmatzenden Kuß und legte dabei seine große Hand auf ihren Po. Es war ihr sichtlich unangenehm, aber sie unternahm nichts dagegen. Sie bedankte sich für die Orchideen, und wahrscheinlich wünschte sie sich in diesem Augenblick, im Boden versinken und mich mit La Cava allein lassen zu können. Er rechnete nicht damit, daß noch jemand im Haus war, deshalb schaute er sich auch nicht um. »Ich dachte, ich müßte mal wieder nach dir sehen«, bemerkte er grinsend. »Damit du mir nicht verkümmerst.« Er flüsterte ihr etwas ins Ohr und lachte dreckig. Colettes Gesicht war blaß. Deutlich war die Angst in ihren Augen zu erkennen, aber diesem Gockel, der gekommen war, um mit Colette mal wieder ins Bett zu gehen, fiel das nicht auf. »Erzähl mal«, verlangte er. »Was treibst du so, wenn Guy La Cava keine Zeit für dich hat?«
»Oh, alles mögliche«, antwortete die Schauspielerin ausweichend. »Du langweilst dich«, sagte La Cava. »Gib es zu. Du langweilst dich ohne mich.« »Ja«, sagte sie heiser. »Manchmal.« Er war selbstgefällig und arrogant, aber das würde ich ihm abgewöhnen. Seine Hand tätschelte ihre schöne, runde Kehrseite. »Jetzt machst du dem guten Guy erst mal einen Drink, und dann wird er dich so richtig beglücken. Ich hab’ mir einiges für dich aufgespart, Kleines. Du wirst dich wundern.« Sie mußte mit ihm in den feudalen Livingroom gehen, und da stand ich, mit einem verächtlichen Lächeln um die Lippen und einem Pernod in der Hand. Als er mich sah, blieb er abrupt stehen. Zorn glitzerte in seinen Augen. »Verdammt, Colette«, platzte es aus ihm heraus. »Wer ist dieser Kerl?« »Das ist …«, begann sie mit weinerlicher Stimme. Ich fiel ihr ins Wort. »Ich kann selbst antworten.« »Wer sind Sie?« wollte La Cava wütend wissen. »Tony Ballard, ist mein Name, Bürschlein«, antwortete ich kalt. »Seit ich hier wohne, bist du bei Colette abgemeldet. Soll ich dir verraten, wohin du dir deine Orchideen schieben kannst?«
* Massodo schlug die Augen auf, und das erste, was er sah, war ein Pferdefuß. Er hob den Kopf und blickte in das verhaßte Gesicht des Höllenfürsten, der ihn kalt angrinste. »Endlich habe ich dich!« sagte Asmodis. »Ich wußte, daß ihr euch nicht ewig verkriechen könnt.« »Na schön, du hast mich, aber ich bin es nicht, den du haben willst«, erwiderte Massodo trotzig. Es widerstrebte ihm, sich vor dem Fürsten der Finsternis auf dem Boden zu winden.
Als er sich anschickte, aufzustehen, rückten mehrere Teufel näher, bereit, ihn zu ergreifen, doch Asmodis’ herrische Handbewegung ließ sie innehalten. Massodo starrte Asmodis mit seinen Raubkatzenaugen an. Er zeigte keine Furcht. »Habe ich dich, so habe ich auch Loxagon«, behauptete der Höllenfürst. »Das ist ein großer Irrtum«, entgegnete Massodo. »Ich verrate Loxagon nicht.« »Du hast keine Wahl.« Massodo hob abweisend den Kopf. »Du kannst mich nicht zum Reden zwingen. Du kannst mich nur töten. Ich werde bis zu meinem Ende schweigen.« »Du weißt nicht, was auf dich wartet«, sagte Asmodis. »Ich kann es mir denken.« »Du wirst im Feuer der Qualen schmoren. Ich glaube nicht, daß du stark genug bist, dieser Folter zu widerstehen.« Asmodis wies mit dem Zeigefinger auf den Boden und knurrte etwas in der Dämonensprache. Da, wo Massodo stand, schossen Flammen hoch und hüllten die massige Gestalt des Schwarzblütlers ein. Feuerkrallen bohrten sich in Massodos Leib. Flammenzähne gruben sich in sein Fleisch. Er schrie, schlug mit brennenden Armen um sich, stampfte mit brennenden Beinen im Kreis. Das Feuer haftete an ihm. Er konnte tun, was er wollte, es ließ sich nicht abschütteln, und es peinigte ihn immer aggressiver. »Wo ist Loxagon?« fragte Asmodis mit dröhnender Stimme. Massodo schrie und heulte. »Wo ist Loxagon?« fragte Asmodis wieder. »Wo hält er sich versteckt? Sag es mir!« »Nein!« gurgelte Massodo. »Du mußt es mir sagen!« schrie der Höllenfürst ungeduldig.
»Nie!« röchelte Massodo. »Nie!« Asmodis vergrößerte die Pein, doch der Schwarzblütler verriet nichts. Das Feuer der Qualen attackierte ihn mit einer Kraft, der er kaum noch gewachsen war. Vielleicht würde es ihn töten, aber er würde nicht reden. Er blockierte sich selbst, damit ihm der Schmerz sein Geheimnis nicht entreißen konnte. »Du Narr!« schrie Asmodis zornig. »Ist es Loxagon wert, daß du dich für ihn so quälen läßt?« »Ja«, heulte Massodo. »Das ist er. Er ist mehr wert als du. Eines Tages wird er dich vernichten!« Der Höllenfürst verstärkte die Kraft des Feuers bis aufs äußerste. Massodo brüllte so laut, daß es in weitem Umkreis zu hören war. Aber er wurde nicht zum Verräter. Mit diesem Triumph im Dämonenherzen brach er zusammen.
* Guy La Cava glaubte, sich verhört zu haben. So hatte noch nie jemand mit ihm geredet. Er schaute Colette ungläubig an. »Was sagt der Kerl? Er wohnt bei dir?« Die wasserstoffblonde Schauspielerin zuckte hilflos mit den Schultern. Ihre Augen schwammen in Tränen. Sie wußte nicht, was sie sagen sollte. »Wir unterhalten uns später!« knurrte der Gangsterboß. Dann wandte er sich an mich. »Raus, du Bastard!« »Du scheinst die Situation noch nicht richtig begriffen zu haben«, erwiderte ich kaltschnäuzig. »Wenn hier einer verschwindet, bist du das.« La Cava wandte sich an Colette. »Der Hurensohn muß geistesgestört sein. Wo hast du ihn aufgegabelt, du mieses Flittchen? In ‘ner Irrenanstalt?«
Ich begab mich langsam zu dem Mädchen. Hin und wieder mögen es Frauen, wenn zwei Männer um sie buhlen. Diese Situation war jedoch lebensgefährlich, das wußte Colette Dooley. Ich leerte mein Glas, drückte es Colette in die Hand, nahm ihr die Orchideen, die sich in einer Klarsichtpackung befanden, weg und warf sie La Cava vor die Füße. Er wurde blaß vor Zorn. »Verzieh dich!« befahl ich ihm. Gleich mußte ihm der Kragen platzen. La Cava war gewiß kein Mann, der es vertragen konnte, wenn jemand so mit ihm redete. So schätzte ich ihn ein, und genau darauf legte ich es an. Ich wollte den großen Guy La Cava zur Weißglut bringen. Alle Welt hatte Angst vor diesem Mann. Ich nicht. Seine Lider zuckten. Ich wußte, was das bedeutete. Im nächsten Augenblick zog er seine Kanone, ohne die er nie aus dem Haus ging. Er wollte mich vor Colettes Augen erschießen. Er brauchte ihretwegen keine Gewissensbisse zu haben. Sie würde schweigen. Sie würde ihm sogar helfen, meine Leiche fortzuschaffen, wenn er es von ihr verlangte, aber ich hatte nicht die Absicht, mich von diesem Gangster erschießen zu lassen. Als er zur Waffe griff, drehte sich Colette um und hielt sich zitternd die Ohren zu, doch sie wartete vergeblich auf das Krachen des Schusses, denn ich handelte schneller, als La Cava abdrücken konnte. Marbu machte mich stark, zäh und nahezu schmerzunempfindlich, und unglaublich schnell. La Cava konnte nicht ahnen, daß er es mit einem Gegner zu tun hatte, der im Begriff war, sich allmählich in einen Dämon zu verwandeln. Ich schlug mit der Handkante zu. Der Gangsterboß stöhnte. Ich traf ihn gleich noch einmal, und sein Revolverarm sank kraftlos herab. Mit dem dritten Schlag entwaffnete ich ihn, und dann lernte er die Höllenkraft in mir kennen.
Er war kräftig, und er wehrte sich auch, aber ich ließ ihm keine Chance. Ich schlug ihn, wie er noch nie geschlagen worden war. Es ging dabei auch einiges im Livingroom entzwei: wertvolle Vasen, das Glas einer Vitrine, gegen die ich La Cava schleuderte, ein antiker Tisch mit kunstvoller Intarsienarbeit … La Cava torkelte. Ich machte weiter. Er war groggy, war stehend k.o. aber das genügte mir nicht. Ich wollte ihn auf dem Boden sehen. Er sollte vor meinen Füßen liegen und mich bitten, aufzuhören. Ich schlug ihn nieder. Sein Stolz ließ es nicht zu, auf dem Teppich zu bleiben. Schwer gezeichnet kämpfte er sich hoch. Ich streckte ihn sofort wieder nieder, und nun hatte er nicht mehr die Kraft aufzustehen. Inzwischen hatte sich Colette wieder umgedreht. Sie hatte Mitleid mit dem Gangsterboß, wollte mir in den Arm fallen. »Weg da!« schrie, ich und stieß sie zur Seite. Sie fiel gegen die Wand. »Es ist genug, Tony!« Das war es meiner Ansicht nach nicht. Ich wollte La Cava die größte und beschämendste Niederlage seines Lebens bescheren. Deshalb machte ich so lange weiter, bis er mich anflehte, aufzuhören. Ich kam seiner Bitte nicht sofort nach, ließ aber schließlich doch von ihm ab. Ich bückte mich, krallte meine Finger in seinen Nadelstreifenanzug und zerrte ihn hoch. La Cava war nicht wiederzuerkennen. Ich schleppte ihn aus dem Livingroom, öffnete die Haustür und beförderte ihn mit einem kraftvollen Tritt in den Hintern nach draußen. Mit einem dumpfen Knall fiel die Tür hinter ihm zu, und ich kehrte grinsend zu Colette zurück, die mich entgeistert ansah. »Weißt du, was du getan hast, Tony?« »Ich habe Guy La Cava verprügelt.« »Ja, und ist dir auch klar, was das bedeutet? Guy ist ein mächtiger Mann. Ich bin erledigt – und du bist so gut wie tot!«
* Es gab nichts Schlimmeres als das Feuer der Qualen. Dennoch hatte ihm Massodo bis zuletzt getrotzt. Aber er hatte einen hohen Preis bezahlt. Er fühlte sich ausgebrannt, und sein Geist war verwirrt. Er konnte nicht mehr denken, und das Sprechen machte ihm große Mühe. Asmodis und seine Teufel waren verschwunden. Der Höllenfürst hatte nichts aus Massodo herausbekommen, aber das entmutigte ihn nicht. Er war davon überzeugt, daß er Loxagon früher oder später erwischen würde. Jetzt wachte niemand mehr über den jungen Dämon. Loxagon war auf sich allein gestellt, und da ihm Massodos Erfahrung fehlte, würde er früher als dieser in eine der Fallen tappen, die man für ihn errichtet hatte. Asmodis hätte Massodo töten können, doch er verzichtete darauf. Aus Massodo war eine wertlose Kreatur geworden, die zu nichts mehr nütze war. Es gab zahlreiche Gefahren. Sie lauerten überall. Eine davon würde Massodo wohl bald zum Verhängnis werden. Ab und zu wirbelten Gedankenfetzen durch Massodos Schädel. Er versuchte sie festzuhalten, doch sie lösten sich auf. Der Name Loxagon fiel ihm ein, doch er wußte damit nichts anzufangen. Er hatte keine Ahnung, wer das war. Und Kasha – wer war das? Er kannte das Versteck seines Schützlings nicht mehr, wußte überhaupt nicht, daß er einen Schützling hatte. Er konnte nicht auf seinen Füßen stehen, kroch auf allen vieren in irgendeine Richtung, kam aber nicht weit. Ächzend kippte er zur Seite und wurde wieder ohnmächtig. Lange lag er auf dem harten Boden. Als er die Augen wieder öffnete, kreisten über ihm grauenerregende Monster. Er dachte in Schlagworten.
Gefahr! Muß weg! Diesmal schaffte er es, aufzustehen. Die Monster segelten mit weit ausgespannten Lederflügeln. Ihre langen, spitzen Schnäbel waren mit Zähnen gespickt, aber sie waren feige Kreaturen. Als sie erkannten, daß Massodo noch lebte, verschwanden sie. Loxagon! dachte Massodo. Er blickte sich suchend um. Wer oder was war Loxagon? Dann fiel ihm das Feuer der Qualen ein. Er begann ein Puzzle aus vielen kleinen Teilen zusammenzusetzen. Da ihm das peinigende Feuer so gut wie keinen Verstand gelassen hatte, war das sehr mühsam für ihn. Es dauerte sogar eine Ewigkeit, bis er wußte, wie er hieß. Er befaßte sich mehr mit seiner Person, und er glaubte, sich dunkel erinnern zu können, daß er einmal stark gewesen war. Der Blick seiner geschlitzten Pupillen huschte über den Boden. Er entdeckte ein distelähnliches Gewächs, riß es aus und kaute daran. Die Stacheln bohrten sich in seinen Gaumen, in die schwarze Zunge. Es war schmerzhaft, aber der Instinkt sagte Massodo, daß ihm der Saft dieser Pflanze helfen würde. Er war einfältig wie ein Tier, dachte kaum nach, sondern gehorchte seinem Instinkt, der ihn veranlaßte, das Richtige zu tun. Nachdem er das stachelige Gewächs gegessen hatte, legte er sich unter einen übelriechenden Strauch, dessen Zweige mit häßlichen Käfern übersät waren. Er verdaute die Pflanze und kam allmählich zu Kräften. Aber er war weit davon entfernt, wieder so zu sein, wie er gewesen war, bevor ihn Asmodis dieser Folter, der nur wenige Dämonen standzuhalten vermochten, aussetzte. Es dämmerte ihm, wer Kasha war und was er ihr versprochen hatte, und ihm wurde langsam auch wieder klar, daß er Loxagon beschützt hatte, aber er wußte nicht mehr, wo sich die Verstecke befanden oder wo er Loxagon zurückgelassen hatte.
Er würde Loxagon – selbst wenn es ihm gelang, ihn wiederzufinden – keine Hilfe mehr sein, sondern eher eine Belastung. Selbst Gefahren, über die er früher gelacht hatte, konnten ihm nun zum Verhängnis werden. Asmodis hatte ihm dieses erbärmliche Leben gelassen, damit er langsam zugrunde ging, gejagt von gierigen Höllenräubern und hinterhältigen Aasfressern. Vielleicht würde er einige abwehren können, doch schließlich würden sie ihn kriegen – und töten. Massodo begriff, daß er Hilfe brauchte, doch ihm fiel niemand ein, der ihm helfen würde. Schwache, angeschlagene Schwarzblütler hatten in der Hölle keine Freunde. Hier wurde alles, was schwach war, verabscheut. Niemand würde für Massodo auch nur einen Finger rühren. Er überlegte mit dem bißchen Verstand, der ihm geblieben war, ob es eine Möglichkeit für ihn gab, sich selbst zu helfen. Ja, es gab eine Möglichkeit, aber sie wollte ihm nicht einfallen. Er zermarterte sich sein nahezu leeres Gehirn. Irgend etwas gab es. Irgend etwas … Nicht hier, sondern in einer Zwischenwelt … Wasser, dachte Massodo. Sehr viel Wasser … Eine Insel … Eine Welt für sich … Wie war ihr Name? Massodo schloß die Raubkatzenaugen und dachte angestrengt nach. Er legte seine Pranken aufs häßliche Gesicht und mobilisierte all seine geistigen Kräfte. Wie hieß diese Insel? Haspiran! Da war der Name auf einmal. HASPIRAN! Auf dieser Insel gab es einen Brunnen. Den Brunnen der Umkehr. Wenn Massodo von seinem Wasser trank, würde er wieder so sein wie früher. Aber der Weg dorthin war gefährlich.
* Drei Tage lang bekam niemand Guy La Cava zu sehen. Es hieß, er wäre nach Amerika gereist. In Wirklichkeit befand er sich jedoch in seiner Londoner Villa, und nur sein Arzt durfte zu ihm. Der Doktor mußte ihm schwören, niemandem zu verraten, wie ihn Tony Ballard zugerichtet hatte. »Wenn du deinen Mund nicht halten kannst, lege ich dich um!« sagte La Cava, und der Arzt wußte, daß das keine leere Drohung war. Selbstverständlich hielt er den Mund. Er war schließlich nicht lebensmüde. Er gab sein Bestes, damit La Cava sich nach drei Tagen wieder ähnlich sah. Der Gangsterboß schluckte entzündungshemmende Medikamente und unterzog sich den zahlreichen Kompressen und Spritzen. Seine beschämende Niederlage saß wie ein schmerzhafter Stachel in seinem Fleisch. Er hatte im Leben viele Schläge einstecken müssen, aber noch nie war er so hart geschlagen worden wie von diesem Tony Ballard. Er hätte es nicht zu dieser Größe gebracht, wenn er es nicht stets verstanden hätte, härter zurückzuschlagen, als er getroffen worden war, und so sollte es auch diesmal sein. Nach drei Tagen beorderte Guy La Cava einen Mann zu sich, der vor 48 Stunden in Paris seine Interessen wahrgenommen hatte. Simpel ausgedrückt hieß das: La Cavas Mann hatte in Paris einen Mann liquidiert, der sich so lange quergelegt hatte, bis La Cava die Geduld verlor. Alan Lombard hieß der, Killer. Ein gutaussehender Mann mit jettschwarzem Haar, breiten Schultern und von hoher Intelligenz. Man nannte ihn die »Klapperschlange«, und sein Biß war bisher immer tödlich gewesen. Er hatte seine Erfolgsmeldung per Telefon übermittelt, aber wenn
Guy La Cavas Apparat vom Geheimdienst abgehört worden wäre, hätte niemand etwas mit der Nachricht: »Der Onkel ist abgereist«, anfangen können. La Cava selbst verstand den Code. Lombard wirkte ausgeglichen und nett. Er schien keiner Fliege etwas zuleide tun zu können. Niemand sah ihm seine Gefährlichkeit an. Sein großer Götze war der Mammon. Ihn betete er an. Für Geld tat er alles. Er arbeitete seit Jahren für Guy La Cava, und dieser bezahlte ihn sehr gut. Aber wenn ihm jemand mehr geboten hätte, hätte er ohne mit der Wimper zu zucken auch La Cava erschossen. Er hatte nur einen einzigen Freund auf der Welt, und der hieß Alan Lombard. Guy La Cava empfing ihn in seinem Arbeitszimmer, eine dunkle Brille vor den Augen. »Nimm dir was zu trinken«, sagte der Gangsterboß. Lombard schwenkte zur Hausbar ab und goß französischen Kognak in einen Schwenker. »Wie war’s in Paris?« erkundigte sich La Cava. Lombard grinste. »Oh, die kleinen Mademoiselles wurden ihrem Ruf mehr als gerecht.« Der Killer schloß die Flasche und kam mit dem Glas in der Hand zu La Cavas Schreibtisch. »Was den Auftrag betrifft: Keine Probleme. Kinderspiel.« »Setz dich! Ich habe einen neuen Job für dich!« Damit hatte Lombard gerechnet. Aus welchem anderen Grund hätte ihn La Cava zu sich gerufen? Er nahm Platz, schlug ein Bein über das andere, nahm einen Schluck von dem edlen Getränk und sah den Boß dann erwartungsvoll an. »Da hat sich ein Kerl bei Colette eingenistet«, knurrte Guy La Cava. »Sein Name ist Tony Ballard. Ich möchte, daß du ihn umlegst.« »Kein Problem«, sagte der Killer. »Er ist so gut wie tot.«
* Das Zwischenreich schien eine Dimension des Wassers zu sein, eine Meereswelt, die kein Ende hatte. Ihre Grenzen verflossen in blauem Nichts, das wußte Massodo, und ihm war bekannt, daß sie einen Mittelpunkt hatte: Haspiran! Eine große Insel, fast schon ein Kontinent, umbrandet von tosenden Wellen, die von heftigen Stürmen oftmals zu gigantischer Höhe emporgepeitscht wurden. Diesen Zwischenreich-Kontinent erreichte Massodo durch einen Wellenkorridor. Die Welt, in die er gelangte, war der Hölle vorgelagert, und sie stand selbstverständlich unter dämonischem Einfluß, deshalb mußte Massodo sehr vorsichtig sein, denn wenn Asmodis zu Ohren kam, was er vorhatte, würde er verhindern, daß er den Brunnen der Umkehr erreichte. Massodo gelangte an das Ende des Weltentunnels, der von knisternden Flammen umhüllt war. Er schritt durch das brennende Oval, ohne daß das Feuer ihn verletzte, und setzte seinen Fuß auf Haspiran. Er war noch nie hiergewesen, aber man hatte ihm viel von Haspiran erzählt. Besonders gefährlich sollten die Freibeuter der Hölle sein, die auf Haspiran ihr Unwesen trieben. Wer ihnen in die Hände fiel, dem stand ein grauenvolles Ende bevor. Sie waren Teufel der übelsten Sorte. Es wurde behauptet, sie wären Asmodis unbequem geworden, deshalb habe er sie hierher abgeschoben. Die steile Uferflanke war dicht bewaldet. Massodo hörte ein lautes Kreischen und drehte sich erschrocken um. Auf einem Ast hockte ein gefiedertes Tier mit riesigen gelben Augen und einem lappigen Fischmaul. Massodo hob einen Stein auf und warf ihn nach dem Tier. Er traf,
und das gefiederte Wesen zerplatzte. Massodo war nicht unbewaffnet nach Haspiran gegangen. Er trug einen Dolch und ein Schwert bei sich, da er sich seiner magischen Kräfte nicht bedienen konnte. Erst wenn er vom Wasser des Brunnens der Umkehr getrunken hatte, würde ihm seine Magie wieder zur Verfügung stehen. Er würde dann unverzüglich in die Hölle zurückkehren und Loxagon suchen, doch bis dahin konnte noch sehr viel Zeit vergehen. Der bucklige Schwarzblütler wußte, welchen Weg er einschlagen mußte, um den Brunnen zu erreichen. Manchmal war der Uferhang so steil, daß Massodo klettern mußte. Er erreichte ein Plateau. Hoch über ihm rauschte der Sturm durch die Baumwipfel. Hier unten war es windstill. Massodo schritt weit aus. Er nahm an, daß seine Ankunft nicht unbemerkt geblieben war. Also mußte er sich beeilen. Wenn er Glück hatte, ließ man ihn noch eine Weile unbehelligt. In dieser Zeit konnte er weit kommen. Sollte es ihm gelingen, kampflos den Brunnen zu erreichen, würden seine gewohnten Kräfte in ihn zurückkehren. Wenn man ihn dann attackierte, würde er gewappnet sein. Doch dieser Wunsch erfüllte sich nicht. Mit einem Male begann der Boden unter seinen Klumpfüßen zu beben, und er erkannte, daß er auf einem erdfarbenen Scheusal stand, das sich jäh erhob!
* Seit ich La Cava verdroschen hatte, lebte Colette in ständiger Angst. Sie fürchtete die Rache des Gangsterbosses, die – wenn sie Pech hatte – auch sie treffen konnte. Sie war der Ansicht, es wäre Selbstmord, sich mit La Cava anzule-
gen, hatte mir das auch zaghaft gesagt, aber ich hatte sie angebrüllt, sie solle ihre idiotische Meinung für sich behalten, und sie war sofort verstummt. Sie hatte jetzt auch mehr Angst vor mir. Mir war es recht, denn dadurch konnte ich von ihr verlangen, was ich wollte, sie tat alles sofort und ohne Widerrede. Ich fühlte mich großartig. Dieser großkotzige La Cava war gegen mich ein armseliges Würstchen, das würde ich ihm noch beweisen. Eine erste Lektion hatte ich ihm erteilt. Weitere würden folgen, denn ich hatte Pläne. Ich behandelte Colette schlecht, und ich hatte großen Gefallen daran. Sie sagte alle Termine ab, weil ich es so wollte. Sie hätte ihr Haus gern verlassen, doch mein Befehl lautete, sie müsse bei mir bleiben und mir jederzeit zur Verfügung stehen. Wenn wir Lebensmittel brauchten, ließen wir sie uns liefern. Ich beobachtete mich hin und wieder aufmerksam und stellte fest, daß ich eine eigenartige Beziehung zu dem Gift in mir bekommen hatte. Ich hatte irgendwie das Gefühl, daß das Gift kein Fremdkörper mehr war, sondern daß es zu mir gehörte, daß wir zusammengehörten. Marbu war nicht nur in mir. Ich war Marbu! Colette nahm sich einen Scotch, öffnete den chromblitzenden Thermosbehälter und stellte fest, daß sich keine Eiswürfel mehr darin befanden. Sie erhob sich. Ich blickte zu ihr auf. »Wohin willst du?« »In die Küche, Eiswürfel holen.« »Du hast mich nicht um Erlaubnis gefragt.« »Ich dachte …« »Überlaß das Denken den Pferden, die haben größere Köpfe, Baby«, sagte ich giftig. »Darf ich in die Küche gehen?« fragte sie mit belegter Stimme.
»Erst will ich von dir hören, daß du verrückt nach mir bist, daß du ohne mich nicht leben kannst.« Sie schluckte und nickte schnell. »Ja. Es stimmt. Alles, was du sagst, ist wahr, Tony.« »Sag es. Ich will es hören!« verlangte ich. Sie wiederholte meine Worte und hoffte, daß ich mich damit zufriedengab, doch diesen Gefallen tat ich ihr nicht. »Warum lügst du?« fuhr ich sie an. »Glaubst du, ich weiß nicht, was du wirklich denkst? Ich bin in deinen Augen ein unausstehliches Ekel. Du wünschst mir die Pest an den Hals und würdest Freudentränen vergießen, wenn ich tot umfiele.« Colette schüttelte entsetzt den Kopf. »Das … das ist nicht wahr, Tony. Ehrlich, das stimmt nicht!« Ich kniff die Augen zusammen. »Ich hasse es, wenn man mich anlügt, Colette.« »Aber … ich …« »Verschwinde. Geh in die Küche, aber bleib nicht zu lange weg, hörst du?« Ich grinste diabolisch. »Ich möchte nämlich noch ein bißchen meine Freude mit dir haben.«
* Massodo stockte der Atem. Das erdfarbene Ungeheuer hatte sich so ruckartig erhoben, daß der Schwarzblütler die Balance verlor. Er stieß einen Grunzlaut aus. Fast hätte er geschrien. Er ruderte mit den Armen, fand das Gleichgewicht wieder und sah, wie sich unter dem großen, linsenflachen Scheusal ringsherum rote Köpfe hervorschoben. Es waren Schädel mit nur einem Auge und einem wulstigen Saugnapfmaul. Sie befanden sich auf einem schwarzen, stockdünnen Hals und streckten sich dem schwankenden Opfer entgegen! Massodo zog sein Schwert. Breitbeinig stand er auf dieser unruhi-
gen, erdfarbenen Plattform. Er hielt sein Schwert mit beiden Händen fest und stieß die Klinge mit ganzer Kraft nach unten. Die Spitze traf, vermochte jedoch keinen Millimeter einzudringen. Nicht den geringsten Kratzer bekam das Ungeheuer ab. Von allen Seiten zuckten die roten Schädel auf Massodo zu. Er wehrte sie mit dem Schwert ab. Jeder Treffer war von einem singenden Klirren begleitet. Stahlhart waren die Monsterköpfe, nicht zu verletzen. Massodo versenkte die Schwertklinge in die weit aufgerissenen Saugnapfmäuler, mal hier, mal dort, doch das Ergebnis war unbefriedigend. Erst als sein Schwert einen Hals traf, konnte er einen Erfolg verbuchen. Wie ein Streichholz knickte der dünne Hals, und der rote Feuerkopf rollte davon. Das gab Massodo Auftrieb. Immer ungestümer hackte er zu. Drei, vier Köpfe verlor das Ungeheuer. Es war angeschlagen. Massodo machte weiter. Er schlug dem Scheusal auch die restlichen Schädel ab, und plötzlich wurde der Körper, auf dem er stand, schlammweich. Er rammte sein Schwert abermals nach unten, und diesmal traf es auf keinen Widerstand. Es glitt in den riesigen Linsenkörper und zerstörte ihn. Dieser Sieg machte Massodo zuversichtlich. Wenn ihm sein Kampfglück treu blieb, würde er den Brunnen der Umkehr erreichen. Asmodis’ Feuer der Qualen hatte ihm sehr übel mitgespielt, aber er hatte sich nicht völlig unterkriegen lassen. Der Höllenfürst hatte einen großen Fehler begangen. Er hätte ihm das Leben nehmen sollen, doch er hatte das als unter seiner Würde angesehen. Mehr denn je wollte Massodo in Zukunft dafür sorgen, daß Loxagon stark und mächtig werden würde. Der Tag würde kommen, wo nicht mehr Asmodis auf dem Höllenthron saß, sondern Loxagon, sein Sohn, der ihn vernichtend geschla-
gen haben würde.
* Colette wischte sich die Zornestränen aus den Augen. Sie hatte ein wildbewegtes Leben hinter sich, war mit vielen Männern zusammengewesen, und nicht alle waren charmant gewesen, aber dieser Tony Ballard war der unangenehmste von allen. Colette haßte ihn. Am liebsten hätte sie sich von diesem Alptraum befreit – mit einem Messer … Tony würde nicht annehmen, daß sie den Mut dazu aufbringen würde. Darin lag ihre Chance. Sie konnte das Messer im weiten Ärmel ihres Kleides verstecken und es hervorholen, wenn der Augenblick günstig war. Aber was würde geschehen, wenn Tony das Messer bemerkte? Er ist schlimmer als Guy La Cava, dachte die Schauspielerin. Ich halte ihn für fähig, daß er mir das Messer wegnimmt und mich damit … Sie unterbrach diesen schrecklichen Gedanken. Sie hatte Beziehungen bis hinauf in die allerhöchsten Kreise, doch sie nützten ihr gar nichts. Sie fühlte sich Tony Ballard, diesem Satan, auf Gedeih und Verderb ausgeliefert. Gab es für dieses Problem keine Lösung? Tony war jähzornig und sehr leicht reizbar. Sie brauchte nur ein Wort zu sagen, das ihm mißfiel, und schon konnte eine Katastrophe über sie hereinbrechen. Sie betrat die Küche und machte Licht. Im nächsten Moment traf sie vor Schreck fast der Schlag. Jemand trat von hinten an sie heran, schlang seinen linken Arm um sie und hielt ihr mit der rechten Hand den Mund zu. Ihr Körper versteifte, während sich ihre braunen Augen in panischem Entsetzen weiteten. »Keinen Laut!« raunte ihr der Mann ins Ohr. Colette regte sich nicht. Sie war froh, daß ihr trotz des Schocks der
Thermosbehälter nicht entglitten war, denn das hätte Tony Ballard gehört, und vielleicht wäre er in die Küche gekommen, um zu sehen, was passiert war. »Ich mach’ dich kalt, wenn du versuchst, Ballard zu warnen«, sagte der Mann. »Hast du mich verstanden?« Die Schauspielerin nickte. Sie wußte nicht, wer hinter ihr war, aber er war ihr willkommen, denn er würde das tun, wozu ihr der Mut fehlte. Der Mann ließ vorsichtig die Hand sinken. Colette blieb stumm. Als der Arm sie losließ, drehte sie sich steif um und erkannte Alan Lombard, die Klapperschlange. »Wo ist Ballard?« wollte der Killer wissen. »Im Livingroom«, antwortete Colette Dooley heiser. »Was tut er?« »Nichts«, gab sie Auskunft. »Ist er bewaffnet?« »Ja«, sagte Colette. »Er trägt einen Colt in der Schulterhalfter. Er schläft sogar damit.« »Wie stehst du zu ihm?« wollte die Klapperschlange wissen. »Ich hasse ihn.« »Ich werde ihn töten«, sagte Alan Lombard. »Das habe ich gehofft.« Der Killer grinste. »Tu ich gern. Du kannst dich dafür ja irgendwann mal erkenntlich zeigen, Baby.« »Was wird aus Ballards Leiche?« »Ich nehme sie mit«, sagte Lombard. »Du wirst damit keine Scherereien haben.« Er faßte in seine Jacke und holte eine großkalibrige Waffe heraus, die mit einem klobigen Schalldämpfer versehen war. »Du bleibst in der Küche, rührst dich nicht von der Stelle, bis es vorbei ist, klar?« Colette nickte aufgeregt. Lombard verließ die Küche. Er trug Schu-
he mit weichen Kreppsohlen, deshalb war keiner seiner Schritte zu hören. Lautlos bewegte sich der Todesengel auf die Livingroom-Tür zu. Sie stand halb offen. Alan Lombard rechnete nicht mit Schwierigkeiten. Er würde Tony Ballard ins Jenseits befördern, ohne daß dieser es mitbekam. Wegen Colette brauchte er sich keine Gedanken zu machen. Die würde mit Sicherheit schweigen. Vorsichtig näherte sich die Klapperschlange der Tür. Der Killer erreichte sie und blieb stehen. Er drückte die Tür mit der linken Hand behutsam auf, während er seine Pistole langsam hob. Jetzt war die Tür so weit offen, daß Alan Lombard den gesamten Livingroom überblicken konnte. Der Raum war leer!
* Massodo hatte einen beschwerlichen Weg hinter sich. Mehrmals war sein Leben bedroht gewesen, doch es war ihm gelungen, allen Gefahren zu trotzen. Nun konnte es nicht mehr weit bis zum Brunnen der Umkehr sein. Man hatte ihm von einer tiefen, schmalen Schlucht erzählt, die direkt zum Brunnen der Umkehr führte, und am Beginn dieser Schlucht stand er nun, abgekämpft, aber froh, den Freibeutern der Hölle nicht begegnet zu sein. Während er die Schlucht betrat, sah er sich argwöhnisch um, denn er wollte nicht so kurz vor dem Ziel noch eine unliebsame Überraschung erleben, die ihn unter Umständen das Leben kostete. Sand knirschte unter seinen Klumpfüßen, und er war innerlich sehr angespannt. Mächtige Findlinge versperrten ihm die Sicht. Als er sich ihnen näherte, geisterte ihm ein dünnes Wimmern entgegen. Es schien sich über die Felswände zu bewegen, flog an ihm vorbei und verwehte.
Massodos Spannung wuchs. Er war hier richtig. Das Wimmern bestätigte es ihm. Je näher er den Felsen kam, desto lauter wurde es. Und es war vielstimmig. Der Schwarzblütler zog sein Schwert. Sicherheitshalber nahm er auch den Dolch in die Hand. Seine Schritte wurden langsamer. Er versuchte auf jede Kleinigkeit zu achten. Als er die Findlinge erreichte, blieb er stehen. Er berührte einen der Steine. Die Oberfläche war rauh und warm, als befände sich Leben darin. Der Schwarzblütler ging um den Riesenfindling herum. Es war ihm nicht angenehm, den Stein zu berühren. Irgend etwas ging davon aus. Eine gefährliche Strahlung vielleicht. Etwas, das Massodo das Gefühl verlieh, krank zu sein. Das Wimmern war ihm lästig. Er machte noch einen Schritt und blieb dann abrupt stehen. Vor ihm ragte eine Steinwand auf, an der etwas hing, das auf den ersten Blick aussah wie milchweiße Tücher. Einige davon waren schon transparent. Der Wind bewegte sie, aber nicht nur er. Sie bewegten sich auch selbst, wurden festgehalten von diesem Stein, der ihr Weiß in sich aufnahm. Er würde sie loslassen, wenn keine Farbe mehr in ihnen war. Jetzt fiel Massodo ein, daß er nicht mit leeren Händen hätte hierherkommen dürfen. Was sich an jener Steinwand befand, waren Dämonenseelen. Mit ihnen konnte man sich den Zutritt zum Brunnen der Umkehr erkaufen. Wer das nicht tat, hatte so gut wie keine Möglichkeit, an den Brunnen zu kommen. Das wußte Aterbax, der Brunnenwächter, zu verhindern.
*
Ich hätte sitzenbleiben und mich von Colette Dooley bedienen lassen können. Ich hatte Durst, und wenn ich meiner Sklavin befohlen hätte, mir ein Glas Wasser zu bringen, hätte sie das wortlos getan, aber ich wollte nicht Rost ansetzen, deshalb erhob ich mich und verließ den Livingroom. In dem Augenblick, als ich die Küche betreten wollte, vernahm ich die leisen Stimmen eines Mädchens und eines Mannes. Das Mädchen war Colette. Wer der Mann war, wußte ich nicht, aber ich hörte, was er vorhatte, und dafür konnte nur La Cava verantwortlich sein. Der Gangsterboß hatte mir einen Killer geschickt. Marbu reagierte darauf mit Eiseskälte. Ich hatte plötzlich den Wunsch, mit aller Härte zuzuschlagen. Tod! schrie es in mir. Zuerst diesem Killer und dann La Cava! Ich drehte mich um und zog mich zurück, aber ich begab mich nicht in den Livingroom, sondern legte mich hinter der Treppe, die zum Obergeschoß hinaufführte, auf die Lauer. Ich brauchte nicht lange zu warten. Ein gutaussehender Typ erschien. Ich preßte mich an die holzgetäfelte Wand und ließ ihn vorbei. Ich sah ihm an, daß er sich seiner Sache verdammt sicher war. Aber er machte die Rechnung ohne den Wirt. Wenn ich gewollt hätte, hätte ich ihn spielend abknallen können. Sein breiter Rücken hätte mir ein gutes Ziel geboten, das ich garantiert nicht verfehlt hätte. Er machte auf mich den Eindruck, als wäre ihm noch nie etwas danebengegangen. Nun, diesmal würde er Pech haben. Während er sich der Livingroom-Tür näherte, angelte ich meinen Colt Diamondback aus dem Leder. Der Revolver war noch mit geweihten Silberkugeln geladen, obwohl das nicht mehr nötig gewesen wäre, denn ich hatte nicht die Absicht, meine Waffe noch einmal auf einen Schwarzblütler abzufeuern.
Der Profikiller erreichte die Tür. Ich setzte mich in Bewegung. Ich war genauso lautlos wie er, pirschte mich an ihn heran, während er die Tür vorsichtig zur Seite drückte. Als er sah, daß der Livingroom leer war, befand ich mich hinter ihm. Ich rammte ihm den Lauf meines Colts hart in den Rücken und knurrte: »Nun rat mal, wer hinter dir steht!«
* Massodo riß sich vom Anblick der weißen Dämonenseelen los. Vielleicht schaffte er es, den Brunnen doch zu erreichen. Vielleicht war Aterbax nicht hier. Der Schwarzblütler scherte sich nicht weiter um die sterbenden Seelen, deren Aura der lebende Stein in sich aufnahm. Er kümmerte sich nicht um das dünne Wimmern, sondern rannte um einen weiteren Findling herum – und dann sah er den Brunnen. Ein kreisrundes Loch im Boden, umgeben von schweren Steinen. Ein Schwenkgalgen aus dunkelbraunen Balken ragte auf, und an einem dicken Seil hing ein steinernes Gefäß. Massodo rannte aufgeregt darauf zu. Der Brunnenwächter schien seine Aufgabe nicht besonders genau zu nehmen. Jetzt erreichte Massodo den Balkengalgen. Als er ihn schwenken und das Steingefäß in den Brunnen hinablassen wollte, peitschte eine Stimme, hart wie ein Schlag, gegen seinen Rücken. »Halt!« Es riß Massodo herum. Da stand er … Aterbax! Wie aus dem Boden gewachsen. Massodo preßte die Kiefer zusammen und starrte den Brunnenwächter mit engen Raubkatzenaugen an. Wie hatte ihm Aterbax nur entfallen können? Er hatte sich an so viele Einzelheiten erinnert, das Wichtigste jedoch war ihm nicht in den Sinn gekommen.
»Was hast du hier zu suchen?« fragte Aterbax. Massodo antwortete nicht. Was konnte er hier schon wollen? Alle, die hierher kamen, wollten das Wasser trinken, das sich in diesem Brunnen befand. Von Aterbax’ Gesicht war nichts zu sehen, denn er trug einen Helm, der sein Antlitz bedeckte. Dieser Helm hatte Ähnlichkeit mit einer Wolfsschnauze, und durch zwei Öffnungen starrte ein Augenpaar, das möglicherweise einem Tier gehörte. Hörner ragten aus dem Helm, und von der Metallschnauze bogen sich zwei lange Zähne abwärts. Der Schulterschutz war aus Metall und mit weißen Federn verziert. Er ging über in eine eiserne Hand, während über die linke Schulter ein scharlachrotes Tuch geworfen war. Aterbax wiederholte seine Frage. »Ich muß von diesem Brunnen trinken«, antwortete Massodo. »Du hast den Zoll nicht entrichtet!« sagte Aterbax hart. »Ich weiß, du verlangst eine Dämonenseele«, sagte Massodo. »Ich habe nicht daran gedacht. Ich bringe sie später.« »Niemand trinkt von diesem Brunnen, solange er nicht bezahlt hat«, entgegnete Aterbax unerbittlich. Eine Zornwelle schoß Massodo in den Kopf. Er hatte etliche Gefahren gemeistert, um hierher zu kommen. Vielleicht konnte er sich das Recht, von diesem Brunnen zu trinken, erzwingen. Er richtete grimmig das Schwert auf Aterbax’ Brust. »Ich werde trinken, und du wirst mich nicht daran hindern, sonst töte ich dich!« »Du solltest mich nicht bedrohen!« knurrte der Brunnenwächter ärgerlich. »Zurück!« befahl Massodo. »Zu den Seelen!« Aterbax trat einen Schritt zurück. Massodo dachte, ihn eingeschüchtert zu haben, doch der Brunnenwächter kannte seine Kraft. Er wußte, daß er den Schwarzblütler nicht zu fürchten brauchte. Seine Faust, die bis jetzt geschlossen gewesen war, öffnete sich
nun, und Massodo sah die langen, scharfen, gebogenen Eisenkrallen des Brunnenwächters. »Weg mit dem Schwert!« herrschte Aterbax den Schwarzblütler an, doch Massodo ließ das Schwert nicht sinken, sondern griff den Brunnenwächter an. Er hieb mit dem Schwert zu. Aterbax parierte mit dem Eisenarm. Der Panzer setzte Magie frei. Diese unsichtbare Kraft raste durch das Schwert in Massodos Hand. Dem Schwarzblütler war, als hätte er die Finger in kochendes Öl getaucht. Sie öffneten sich, und das Schwert wirbelte hoch, wobei Aterbax es so beeinflußte, daß es mit der Klinge voran herunterfiel und Massodo durchbohrt hätte, wenn er sich nicht augenblicklich zur Seite geworfen hätte. Knapp neben Massodo stach die Waffe in den Boden. Der Schwarzblütler hätte seine Lehre daraus ziehen sollen, aber er griff nach dem Dolch und attackierte den Brunnenwächter noch einmal. Aterbax’ Tritt warf Massodo auf den Rücken, und fast im selben Augenblick befand sich der Brunnenwächter über ihm und setzte ihm die messerscharfen Krallen an die Kehle.
* Der Killer erlebte die böseste Überraschung seines Lebens, davon war ich überzeugt. Er, der vom Erfolg Verwöhnte, saß plötzlich verdammt tief in der Tinte. »Wenn du auch nur falsch hustest, mache ich dich kalt!« teilte ich ihm mit. »Mann, du bist echt gut!« sagte La Cavas Killer. Ich glaubte, so etwas wie Bewunderung aus seiner Stimme herauszuhören. »Ich bin sogar noch besser!« zischte ich. »Und nun liefere mal artig deine Artillerie ab.« Er ließ die Waffe sinken. Ich griff danach. Er ließ sie los.
Ich schob meinen Colt Diamondback in die Schulterhalfter. Allmählich bekam ich ein Waffenarsenal zusammen. Ich besaß bereits La Cavas Pistole, und nun auch die seines Killers. »Umdrehen!« befahl ich. »Aber langsam. Ich habe einen nervösen Zeigefinger. Der Spruch hat zwar einen Bart, aber er drückt all das aus, was dir blüht, wenn du nicht folgsam bist.« Der Killer gehorchte. Er hob die Hände, ohne daß ich ihn dazu auffordern mußte. Er war nervös und starrte in die Mündung seiner eigenen Kanone. So etwas war ihm vermutlich noch nie passiert. Das brachte ihn ganz schön ins Schwitzen. »Wie ist dein Name?« wollte ich wissen. »Alan Lombard.« »Beruf: Killer«, sagte ich. Er schwieg, schluckte. »La Cava hat dich geschickt!« sagte ich. Ich fragte ihn nicht, sondern stellte es fest. »Ja«, sagte er mit belegter Stimme. »Was bist du? Seine Ein-Mann-Armee?« »So ungefähr«, gab Lombard zu. »Die Schlacht hast du verloren.« »Sieht so aus«, bemerkte Lombard. »Du wolltest mich killen. Dreimal darfst du raten, was ich jetzt tun werde.« Lombard wurde unruhig. »Man kann über alles reden, Ballard«, sagte er krächzend. Seine Kehle mußte ziemlich eng sein. »Hast du vor, mir ein Angebot zu machen?« fragte ich. »Was könntest du schon zu bieten haben? Soll ich sagen, was ich denke? Du möchtest die Geschichte nur hinauszögern. Vielleicht rechnest du dir insgeheim noch eine Chance aus. Wenn du das tust, muß ich dir sagen, daß du ein Idiot bist.« Colette trat aus der Küche. Sie wankte, und ihr Gesicht war weiß
wie ein Laken. Ich grinste sie triumphierend an. »Du hast große Hoffnungen in Lombard gesetzt, wie? Er ist ein böser Junge. Er hat dich enttäuscht.« Alan Lombard war wirklich ein Idiot. Er dachte, wenn ich mit Colette redete, würde ich ihn außer acht lassen. Er war so verrückt, mich anzugreifen. Na schön, es war sein gutes Recht, es zu versuchen, und mein Recht war es, ihm zu zeigen, wie gut ich wirklich war. Marbu ließ mich ungemein schnell reagieren. Als der Killer sich vorwärtswuchtete, schlug ich ihn mit seiner Waffe nieder. Als er vor mir auf dem Boden lag, richtete ich seine Pistole auf ihn. Er riß entsetzt die Augen auf. Und ich drückte ab!
* Schwarzes Blut rann aus den Wunden. Massodo hatte furchtbare Schmerzen. Aterbax war drauf und dran, ihm mit seinen magischen Krallen die Kehle aufzureißen. Massodo brüllte, er möge innehalten, und dann sprudelte aus ihm heraus, was geschehen war, und welches peinigende Ereignis ihn gezwungen hatte, sich nach Haspiran zu begeben. Er erwähnte hastig und verstört Loxagon, der seine Hilfe brauchte, und der eines Tages Asmodis den Höllenthron streitig machen würde. Er sagte, daß Aterbax mit Loxagons Dank rechnen könne, wenn er ihm sein Leben lasse, doch nicht das gab den Ausschlag, sondern die Tatsache, daß Aterbax nicht gut auf Asmodis zu sprechen war. Der Brunnenwächter setzte die magischen Krallen ab. »Ich hasse Asmodis!« knurrte er. »Auch Loxagon haßt ihn, und meine Aufgabe ist es nicht nur, Lo-
xagon zu beschützen, sondern auch, diesen Haß zu schüren. Ich muß Loxagon auf seinen großen Tag vorbereiten.« Aterbax richtete sich auf. Massodo wagte nicht, sich zu rühren. Der bucklige Schwarzblütler beobachtete den Brunnenhüter argwöhnisch. Waren seine Worte auf fruchtbaren Boden gefallen? »Ich brauche die Kraft des Brunnens, um mich von Asmodis’ Folter zu erholen«, sagte Massodo zaghaft. »Ich bin auch bereit, den Preis zu bezahlen. Ich kehre um und komme mit einer Dämonenseele wieder.« Aterbax schüttelte den Kopf. Massodo wußte nicht, wie der Brunnenwächter das meinte. »Asmodis hat die Freibeuter der Hölle nach Haspiran abgeschoben, weil sie ihm lästig waren. Seither machen sie diesen Zwischenreich-Kontinent unsicher«, sagte Aterbax anklagend. »Sie rauben und töten, ziehen eine Spur des Todes hinter sich her. Viele Existenzen auf Haspiran sind bedroht. Das haben wir dem Höllenfürsten zu verdanken. Es gibt einige, die ihm Vergeltung geschworen haben. Unter anderem auch ich, aber mein Platz ist hier. Meine Aufgabe ist es, den Brunnen zu bewachen. Ich kann nicht weg, sonst wäre ich schon in die Hölle aufgebrochen und hätte Asmodis den Kampf angesagt.« Massodo witterte seine Chance. »Du kannst Asmodis bekämpfen, ohne in die Hölle zu gehen. Du brauchst Haspiran nicht zu verlassen. Wenn du mich vom Wasser des Brunnens trinken läßt, kehre ich in die Hölle zurück, und Loxagon wird Asmodis auch für dich vernichten.« Aterbax erklärte, die Seelen wären wichtig, denn von ihnen beziehe der Brunnen seine Kraft. Es gab dünne Adern und Kanäle in seinem Inneren. Sie führten hinunter zum Grundwasser, das zum Brunnenschacht floß. Man trank mit dem Wasser die Kraft der toten Seelen, und das bewirkte die Umkehr. Massodo richtete sich vorsichtig auf. Aterbax hatte nichts dagegen.
Als Massodo auf seinen Klumpfüßen stand, sagte der Brunnenwächter zu ihm: »Ich will mein Teil dazu beitragen, daß sich Asmodis’ Regentschaft dem Ende zuneigt. Trink vom Brunnen der Umkehr. Ich bin bereit, in deinem Fall eine Ausnahme zu machen und keine Dämonenseele dafür zu verlangen. Eigentlich müßte ich dich töten, weil du es gewagt hast, mich anzugreifen, aber ich werde davon absehen, weil wir Verbündete im Geiste sind.« Massodo atmete erleichtert auf. »Loxagon wird dir das ewig danken. Ich natürlich auch.« Aterbax machte mit seiner eisernen Kralle eine wegwerfende Handbewegung. »Ich will keinen Dank. Ich will Asmodis’ Kopf!« »Vielleicht wird ihn dir Loxagon eines Tages bringen«, sagte Massodo. Der Brunnenwächter trat zur Seite und wies auf das Steingefäß. »Trink, soviel du willst. Das ist mein Beitrag zu Asmodis’ Untergang.« Massodo zögerte. Sagte Aterbax die Wahrheit? Durfte er ihm trauen? Oder wollte ihn der Brunnenwächter nur in Sicherheit wiegen? Massodo befürchtete, Aterbax könnte ihm in den Rücken fallen, sobald er sich über den Brunnen beugte. Aber hätte er ihn nicht längst schon töten können? »Warum zögerst du?« wollte der Brunnenwächter wissen. Massodo ging an ihm vorbei. Er wandte ihm nur ungern den Rücken zu, doch anders ging es nicht. Rasch schwenkte er den Balkengalgen und ließ das steinerne Gefäß am Seil in die schwarze Tiefe des Brunnens hinab. Er hörte den Behälter auf die Wasseroberfläche klatschen. Jetzt mußte er sich mit dem kostbaren Zaubernaß füllen. Aterbax unternahm nichts. Massodo holte das Steingefäß hoch. Er war aufgeregt. Seine großen Hände zitterten. In wenigen Augenblicken würde er wieder sein wie früher. Seine
magischen Kräfte würden ihm wieder zur Verfügung stehen. Er würde wieder klar denken, sich erinnern können. Loxagon würde wieder seinen treuen Diener und Beschützer an seiner Seite haben. Sie konnten zusammen weiter an den Vorbereitungen für Asmodis’ Untergang arbeiten. Der Behälter tauchte auf. Massodo leckte sich mit seiner langen, schwarzen Zunge gierig die Lippen. Das Gefäß glänzte. Das kostbare Naß, für dessen Zauberkraft Dämonen ihr Leben lassen mußten, tropfte in den Schacht. Massodo schwenkte den Galgen zu sich und griff mit beiden Händen nach dem Krug. In großer Eile setzte er ihn an seinen Mund, und dann schüttete er das Brunnenwasser hastig in sich hinein. Es war kalt und schmeckte gut. Massodo trank, ohne zu schlucken. Das Wasser rann ihm gurgelnd durch die Kehle und füllte seinen Magen. Er trank das Gefäß bis zum letzten Tropfen leer. Dann ließ er es los, und es baumelte am Galgen hin und her. Als er sich umdrehte, gluckste das Wasser in seinem Bauch. »Zufrieden?« fragte Aterbax. »Wann stellt sich die Wirkung ein?« wollte Massodo wissen. »Sie hat bereits begonnen«, behauptete Aterbax, doch Massodo merkte nichts davon. Aber dann begann es. Es war wie eine Explosion. Massodo erschrak und stieß einen entsetzten Schrei aus. Eine gewaltige Kraft durchraste seinen Körper. Wahrscheinlich hatte er in seiner Gier zuviel vom Wasser getrunken, und nun bekam er die enorme Wirkung vielfach zu spüren. Sie sauste in seine Gliedmaßen, und er vollführte einen grotesken Tanz. Er stolperte über die eigenen Beine, landete auf dem Boden und wälzte sich in kolikartigen Krämpfen. Er keuchte und schrie: »Aterbax, was geschieht mit mir?« »Es ist die Umkehr, die sich vollzieht«, antwortete der Brunnenwächter.
»Ich habe Schmerzen!« »Du hättest nicht soviel vom Wasser trinken sollen, hättest es langsamer trinken müssen – schluckweise.« »Warum hast du mir das nicht gesagt?« »Du warst zu gierig und zu schnell«, erwiderte Aterbax. »Bin ich dein Hüter?« Massodo preßte seine Hände gegen den aufgequollenen Leib, rollte die Raubkatzenaugen und stöhnte. Doch allmählich ebbten die Schmerzen ab. Schweiß glänzte auf Massodos grauem Gesicht. Er wurde ruhig, lag still und wartete, bis die Umkehr ganz vollzogen war. Dann erhob er sich und merkte sehr deutlich, wie er sich verändert hatte. Er war wieder der alte, fühlte sich fast noch stärker als früher, aber das bildete er sich wahrscheinlich ein. Aterbax streckte ihm seine eiserne Krallenhand entgegen. Massodo schlug ein. »Ich wollte, ich könnte dabei sein, wenn Loxagon den Höllenfürsten vernichtet«, sagte der Brunnenwächter. »Ich werde kommen und dir davon in allen Einzelheiten berichten, sobald es vollbracht ist«, versprach Massodo. Dann nahm er sein Schwert auf und ging. Auch der Rückweg würde voller Gefahren sein, doch nun war der bucklige Schwarzblütler zuversichtlich, sie alle zu meistern. Nichts konnte ihn aufhalten. Er würde Haspiran verlassen und in die Hölle zurückkehren. Wo sich die Verstecke befanden, wußte er wieder. In einem davon würde er Loxagon finden, und sie würden sich weiter auf den großen Tag vorbereiten.
* Colette Dooley hatte die Luft scharf eingezogen und die Augen ge-
schlossen, als ich abdrückte. Auch Alan Lombard hatte die Lider zusammengepreßt, als er sah, daß ich den Finger am Abzug krümmte. Die Waffe machte »plopp!« und ruckte in meiner Hand. Die Kugel flog sengend heiß an Lombards Ohr vorbei und bohrte sich in den Boden. Der Killer hatte mit seinem Leben abgeschlossen, und Marbu hatte ihn tatsächlich töten wollen, aber mir war eine bessere Idee gekommen, deshalb hatte ich die Kugel ganz knapp neben Lombards Kopf gesetzt. Jetzt riß der Profikiller die Augen auf. »Nun, Lombard«, sagte ich, »du wolltest doch mit mir reden.« Lombard nickte hastig. »Ja!« stieß er heiser hervor. »Es läßt sich für alles ein Arrangement treffen, wenn man gesprächsbereit ist.« Colette rührte sich nicht von der Stelle. Sie schien mir nicht zu trauen. Anscheinend dachte sie, ich würde mit Lombard nur spielen und ihn schließlich doch erschießen. »Steh auf!« befahl ich dem Killer. Es war eine Freude zu sehen, wie schnell er gehorchte. Da, wo ich ihn mit seiner Kanone getroffen hatte, trug er nun eine rote Beule. Er hatte leichte Gleichgewichtsstörungen, schwankte. Ich stieß ihn gegen die Wand. Er blieb daran lehnen. »Nun siehst du mal, wie das ist, wenn man vor ‘ner Kanone steht«, sagte ich höhnisch. »Bisher hast du ja immer dahinter gestanden. Ist ein verdammt scheußliches Gefühl, nicht wahr?« Lombard nickte. »Nun«, sagte ich. »Was hast du mir für dein erbärmliches Leben anzubieten?« Er musterte mich ratlos. »Willst du Geld? Auf meinem Schweizer Konto …« Ich schüttelte den Kopf. »Nein, an Geld bin ich nicht interessiert. Mach mir ein anderes Angebot.« »Ich weiß nicht …« »Dein Leben muß dir doch irgend etwas wert sein!« herrschte ich
ihn an. Er zuckte erschrocken zusammen. »Natürlich, aber …« »Wie wär’s damit? Dein Leben für das von Guy La Cava. Du legst ihn für mich um.« Alan Lombard nickte sofort. »Einverstanden«, sagte er, und Colette zog wieder die Luft scharf ein.
* Zwei Teufel waren hinter ihm her. Massodo hatte sie zufällig entdeckt. Sie hatten sich sofort zurückgezogen, aber nun wußte er, daß sie sich an seine Fersen geheftet hatten. Auf Haspiran hatte es keine unüberwindbaren Schwierigkeiten für ihn gegeben. Er hatte den Weltentunnel innerhalb kürzester Zeit erreicht und war durch diesen wieder in die Hölle gelangt. Und kurz darauf waren ihm die beiden Verfolger aufgefallen. Das bedeutete für ihn, daß er sich nicht geradewegs in das Gebiet begeben durfte, in dem Loxagon lebte. Er mußte die Teufel in die Irre führen. Das kostete ihn zwar Zeit, aber es wäre ein grober Fehler gewesen, ihnen den Weg zu Loxagon zu weisen. In einem Feuertal legte sich Massodo auf die Lauer. Er verbarg sich hinter bizarren Flammengebilden und wartete auf die Verfolger. Es dauerte nicht lange, bis er sie miteinander reden hörte. Sie waren nicht sehr groß, schmal in den Hüften, und ein dunkelbraunes, zotteliges Fell bedeckte ihren Körper. Massodo kannte diese Rasse. Ihre Gefährlichkeit beruhte auf ihrer Schnelligkeit, und sie konnte sich mit einem starken Abwehrzauber schützen. Das bedeutete für den buckligen Schwarzblütler, daß er sie überrumpeln mußte. Er hatte die Absicht, sie zu töten, denn sie gehörten zu Asmodis’ Spähern, und wenn er sie nicht vernichtete, würden sie dem Höllen-
fürsten berichten, daß er seine Kräfte wiederhatte. Asmodis sollte das nicht wissen. Er sollte denken, daß Loxagon nun auf sich allein gestellt war und keinen Lehrmeister und Beschützer mehr hatte. Massodo duckte sich. Die beiden Teufel wateten durch hüfthohes Feuer, das ihrem Fell nichts anhaben konnte. Der Schwarzblütler legte sein Schwert neben sich bereit und nahm den Dolch in die Hand. Wie eine zusammengepreßte Sprungfeder wirkte Massodo. Seine Attacke mußte schneller erfolgen, als die Teufel ihren Abwehrzauber aktivieren konnten. Mit schmalen Raubkatzenaugen beobachtete Massodo die Näherkommenden. Sie waren nicht besonders vorsichtig, denn sie wähnten ihn viel weiter vorn, schon am Ende des Feuertals. Er nahm den Dolch in die rechte Hand und tastete mit der Linken nach dem Schwert. Die Teufel befanden sich mit ihm schon fast auf gleicher Höhe. Ihm war bekannt, daß sie feine Nasen hatten. Sie hätten ihn gewittert, wenn er sich nicht magisch geschützt hätte. Wieder einmal kam ihm seine reiche Erfahrung zugute, von der auch Loxagon profitierte. Er war weit herumgekommen, hatte die Vielschichtigkeit der Hölle kennengelernt. Sogar in der siebten Hölle, im Zentrum des Bösen, war er schon gewesen. Er hatte schon viel von dem, was er erlebt und gesehen hatte, an Loxagon weitergegeben, und er würde ihm im Laufe der Zeit noch mehr erzählen. Jetzt waren die Teufel mit ihm auf gleicher Höhe. Massodo ließ sie an sich vorbei. Sie waren so nahe, daß er ihnen ein Bein hätte stellen können. Zwei Schritte noch! dachte Massodo. Dann geht es euch an den verdammten Kragen!
Er zählte mit: Eins … zwei … Er flitzte hoch und war mit einem Satz hinter den Teufeln. Magie stärkte seinen Schwertarm. Er hieb einen der beiden Teufel nieder. Als der zweite Teufel das sah, rannte er los. Er war noch schneller, als Massodo angenommen hatte, aber er beging den Fehler, zu glauben, eine überstürzte Flucht würde genügen, um ihn in Sicherheit zu bringen. Er hielt sich nicht damit auf, sich abzuschirmen, sondern setzte seine gesamte Energie in Schnelligkeit um, und das wurde ihm zum Verhängnis, denn er konnte nicht schneller sein als Massodos Dolch. Der bucklige Schwarzblütler schleuderte den Dolch mit ganzer Kraft. Getroffen kreischte der Teufel auf. Dank seiner Schnelligkeit machte er noch einige Schritte, ehe er zusammenbrach, aber Massodo hatte gesehen, daß er den Teufel nicht tödlich verletzt hatte. Diese zotteligen Wesen waren sehr zäh. Manchmal überlebten sie selbst schwerste Verletzungen. Sie kannten Kräuter und Wurzeln, die ihnen halfen, rasch zu genesen. Es gab eine bestimmte Art von Kieselsteinen, die sie schluckten und deren Kraft sie kurierte. Niemand außer ihnen vertrug sie. Aber dieser Teufel sollte nicht noch einmal auf die Beine kommen, dafür wollte Massodo sorgen. Das Schwert wechselte in seine rechte Hand, und seine grauen Züge spannten sich. Er konnte den Teufel nicht sehen, denn das Feuer stand zu hoch, aber er wußte, wo der Gehörnte zusammengebrochen war, und dorthin lief er. Aber er fand den Feind nicht! Das machte ihn zuerst nervös und dann wütend. Er knirschte laut mit den Zähnen. Er mußte den Teufel um jeden Preis finden. Der Gehörnte durfte nicht entkommen. Zornig blickte sich Massodo um. Der zottelige Dämon mußte sich auf allen vieren weitergeschleppt haben. Massodo lauschte. Er hoffte, den Gehörnten stöhnen zu hören, doch der Teufel gab keinen Laut von sich.
Der Boden schien ihn verschluckt zu haben. Aber damit fand sich Massodo nicht ab. Er suchte ihn, rannte immer erregter hin und her, stach in die roten Flammen und tastete mit den Klumpfüßen den Boden ab. »Ich weiß, daß du dich hier irgendwo verkrochen hast!« rief Massodo haßerfüllt. »Du kannst sicher sein, daß ich dich finde!« Der Schwarzblütler hoffte, daß die Verletzung schwer genug war, um den zotteligen Satan daran zu hindern, seine Abwehrkraft zu aktivieren. Er nahm an, daß der Teufel im Moment seine ganze Energie dafür aufwenden mußte, um am Leben zu bleiben. Aber selbst wenn er seinen Abwehrzauber schuf, würde er nicht stark genug sein, um Massodo daran zu hindern, ihn zu vernichten. Der Schwarzblütler streckte seine Geistfühler aus, doch das Feuer störte ihn, so daß es ihm auch auf diese Weise nicht gelang, den zotteligen Teufel ausfindig zu machen. Drei Schritte von Massodo entfernt lag er auf dem brennenden Boden, und er hatte etwas schier Unmögliches geschafft: Es war ihm gelungen, Massodos Dolch aus seinem Rücken zu ziehen. Es stimmte, daß er seine ganze Kraft fürs Überleben brauchte und sich mit keinem Abwehrzauber schützen konnte, aber es gelang ihm, sich mit dem Dolch in der Faust zu erheben. Langsam tauchte er hinter Massodo aus den Flammen auf. Jede Bewegung schmerzte ihn, doch er preßte die Kiefer zusammen und näherte sich dem Todfeind. Jetzt hob er den Dolch. Er brauchte nur noch zuzustoßen, dann war Massodo erledigt. Der bucklige Schwarzblütler schien tatsächlich verloren zu sein, aber da warnte ihn plötzlich sein magisch gestärkter Instinkt. Er fuhr herum, und sein Schwert machte die schnelle Drehung mit. Die scharfe Klinge traf, und diesmal war die Verletzung tödlich. Der Teufel verschwand im Feuer. Massodo bückte sich und entriß
seinen verkrampften Fingern den Dolch. Die Gefahr war gebannt. Niemand würde Asmodis von Massodos Genesung berichten. Nun konnte der Schwarzblütler endlich das Gebiet aufsuchen, in dem er Loxagon finden würde.
* Da Guy La Cava mehr Feinde als Freunde hatte, ließ er seine Villa von zuverlässigen Leuten bewachen. Außerdem gab er überall auf dem Grundstück Videokameras und Selbstschußanlagen. Ich möchte nicht behaupten, daß es unmöglich war, an La Cava heranzukommen, aber es war zumindest sehr schwierig. Dennoch hatte ich mich entschlossen, die Höhle des Löwen zu betreten. Ich wollte ihm zeigen, wie leicht es mir fiel, ihn zu kriegen. Mein Besuch würde ihn an den Rand eines Herzschlags bringen. Ich lag im finsteren Fond von Alan Lombards Wagen. Da er für La Cava arbeitete, wären die Wachen nie auf die Idee gekommen, sein Fahrzeug zu durchsuchen. Wenn sie es heute ausnahmsweise getan hätten, hätten sie diesen Übereifer bitter bereut. Ich hielt meinen Colt Diamondback in der Hand. Lombard wußte, was für ihn auf dem Spiel stand. Bevor wir abfuhren, hatte ich ihm klargemacht, daß ich nicht zögern würde, abzudrücken, falls er mich noch einmal auszutricksen versuchte, und diesmal würde ich nicht danebenschießen. »Wir sind da«, sagte der Killer und bremste vor dem breiten Gittertor, durch das man La Cavas Anwesen erreichte. »Du weißt, was du zu tun hast«, sagte ich. »Ein falsches Wort, und du bist dran.« Ich hatte Colette eingeschlossen und das Telefonkabel zerschnitten. Sie würde La Cava nicht warnen können.
Ich hatte ihr gesagt, ich würde auf jeden Fall zurückkommen und ich schilderte ihr in Einzelheiten, was ich mit ihr anstellen würde, wenn sie eine Möglichkeit finden sollte, La Cava zu warnen. Sie glaubte mir jedes Wort, und daran tat sie gut, denn ich bluffte nicht. Alan Lombard war bereit, La Cava zu töten, und ich wollte das Gesicht des Gangsterbosses sehen, wenn sein eigener Killer die Waffe auf ihn richtete. Das Tor wurde geöffnet. Alan Lombard ließ den Wagen langsam auf das Grundstück rollen. »He, Lombard!« Der Killer stoppte. Ich hörte, wie er schneller atmete. Einer der Wächter näherte sich dem Fahrzeug. »Was gibt’s?« fragte Alan Lombard. »Ich würde kein Wort sagen, wenn ich nicht knapp bei Kasse wäre«, sagte der Mann. Er trug eine kleine, schallgedämpfte MPi. »Du schuldest mir hundert Pfund.« »Mann, ich hab’s eilig. Ich muß zum Boß«, schnauzte Lombard den Wächter an und fuhr weiter, ehe der Mann das Fahrzeug erreichte, denn wenn er einen Blick in den Fußraum des Fonds geworfen hätte, hätte er mich wahrscheinlich entdeckt. »Gut gemacht«, lobte ich den Killer. »Ich hänge eben an meinen Leben«, gab Lombard zurück. Er fuhr auf die Villa zu und blickte sich aufmerksam um. »Ist die Luft rein?« fragte ich. »Augenblick«, antwortete Lombard und stieg aus. Wieder sah er sich um. »Ja, du kannst rauskommen.« Ich verließ den Wagen. Lombard, ein Killer, war mein Komplize. Früher wäre eine solche Verbindung für mich undenkbar gewesen, aber ich hatte mich geändert. Marbu hatte mich verändert. Die magische Kraft stieß sich nicht daran, daß Lombard davon lebte, anderen den Tod zu bringen.
Kaum hatte ich das Auto verlassen, da zuckte der Killer zusammen. »Es kommt jemand!« Ich verschwand hinter dem Wagen und wartete. Ein Mann trat aus der Villa, groß, kräftig, schwarzer Schnauzbart und Sattelnase. Er schien mal geboxt zu haben. Ich sah, wie gelenkig er sich bewegte und erkannte, daß er mit Vorsicht zu genießen war. Hoffentlich machte Lombard jetzt nichts falsch, sonst war hier gleich der Teufel los. »He, Lombard«, sagte der kräftige Kerl. »Charlie«, sagte der Killer und nickte. »Du warst bei Colette. Guy hat mir von deinem Job erzählt. Wie ist es gelaufen?« wollte Charlie wissen. »Problemlos«, antwortete Lombard. »Man ist bei dir nichts anderes gewöhnt«, sagte Charlie grinsend. »Was ist mit Colette?« »Die steckt so tief mit drin, daß sie den Mund halten wird.« »Sie ist ein Prachtmädchen. Mit der würde ich gern mal Händchen halten, aber das würde Guy nicht gefallen.« Ich schlich um den Wagen herum. Charlie hörte mich nicht, denn ich verursachte nicht das geringste Geräusch. Ich würde kräftig zuschlagen müssen, um ihn von den Beinen zu holen. Lombard wurde nervös, als er mich hinter Charlie auftauchen sah. Dem Kerl mit der Sattelnase fiel das auf. »Sag mal, was hast du?« wollte er wissen. Lombard brauchte es ihm nicht mehr zu sagen, denn die »Antwort« bekam er von mir. Hart und kompromißlos schlug ich zu. Charlie knickten die Knie ein, und Lombard half mir, ihn aufzufangen. Ich fragte den Killer, wo wir Charlie unterbringen konnten. »Im Keller«, antwortete Lombard. »Okay. Pack mit an!« sagte ich.
Alan Lombard gehorchte wie ein gut dressierter Hund. Wir schleppten den schweren Brocken zu einer Treppe, die zu einer Kellertür hinunterführte. Im Keller fesselte ich Charlie mit seinem Gürtel. Da ich ihm Arme und Beine zusammenband, war seine Lage unbequem, aber daran würde er sich erst später stören können. Als Knebel verwendete ich Charlies Krawatte. »Fertig«, sagte ich. »Gehen wir. La Cava wartet auf deine Erfolgsmeldung.«
* In dem Versteck, in dem Massodo seinen Schützling zurückgelassen hatte, befand sich Loxagon nicht mehr. Der Schwarzblütler wurde langsam unruhig, als er Loxagon auch im vierten Versteck noch immer nicht gefunden hatte. War der junge Dämon Asmodis in die Hände gefallen? Massodo hatte ihm eingeschärft, vorsichtig zu sein, und er hatte ihm beigebracht, wann man einen Schlupfwinkel verhältnismäßig gefahrlos verlassen konnte. Bedrückt zog der bucklige Schwarzblütler weiter. Unter morschen Bäumen, die ein Höllensturm vor langer Zeit entwurzelt hatte, befand sich ein steil abwärtsführender Schacht – das fünfte Versteck. Massodo hatte wenig Hoffnung, Loxagon hier anzutreffen. Er konnte nirgendwo Spuren entdecken, die darauf schließen ließen, daß Loxagon hier war. Oder verstand sich der junge Dämon schon so gut aufs Beseitigen von Spuren? Massodo legte sich auf den Bauch und robbte unter die mächtigen morschen Stämme. Sein Buckel war ihm dabei ein wenig hinderlich. Nach wenigen Metern begann der Schacht. Der Schwarzblütler streckte den Kopf vor.
Plötzlich vernahm er ein dünnes Pfeifen, und dann steckte er mit dem Hals in einer magischen Schlinge. Massodo wollte zurückzucken, doch die Schlinge zog sich sofort hart zusammen und grub sich in sein Fleisch. Er hatte zu wenig Bewegungsfreiheit, kam weder an sein Schwert noch an seinen Dolch. Die Magie der Schlinge war ungemein stark, stärker als die Kraft, die Massodo ihr entgegenzusetzen hatte. Er röchelte schaurig, und die schwarze Zunge quoll ihm zwischen den Lippen hervor. Jemand hatte dieses Versteck zur Falle umgebaut. War es Asmodis gewesen? Massodos Gesicht wurde schlaff, die Raubkatzenaugen traten ihm weit aus den Höhlen. Er versuchte alles, um sich von der würgenden Schlinge zu befreien, doch es gelang ihm nicht, sie loszuwerden. Die Schlinge würde ihn töten! In der schwarzen Tiefe des Schachts glühte ein Augenpaar, und die feuchten Wände warfen das aggressive Knurren eines Tiers zurück. Es war Loxagon! Er hatte die Gestalt seiner Mutter angenommen, war ein Schakal. Mit hochgezogenen Lefzen und gebleckten Reißzähnen schnellte er vorwärts. Erst jetzt erkannte er seinen Diener und Lehrmeister. Augenblicklich setzte die Verwandlung ein, und im gleichen Moment setzte der junge Dämon die Magie der tödlichen Schlinge außer Kraft. Sie löste sich auf. Massodo war wieder frei. Obwohl ihn sein Hals stark schmerzte, war er sehr stolz auf Loxagon, auf seinen gelehrigen Schüler. »Diese Falle hätte ich nicht besser errichten können«, sagte Massodo anerkennend. »Du lernst schnell und wendest an, was man dir beibringt. Du wirst der beste Kämpfer werden, den die Hölle je hervorbrachte.«
Der Schwarzblütler erzählte dem jungen Dämon, wie es ihm ergangen war, nachdem er das Versteck verlassen hatte. Er sprach auch von seinem Weg nach Haspiran. Anschließend mußte Loxagon ihm erzählen, wie er allein zurechtgekommen war. Zum erstenmal hatte der junge Dämon bewiesen, daß er sich auch allein zurechtfand. Aber er gab zu, daß er seinen Beschützer und Lehrmeister vermißt hatte, denn viele Gefahren wußte Loxagon noch nicht zu meistern, und eigene Erfahrungen zu sammeln konnte manchmal recht gefährlich sein. »Ich bin froh, daß du wieder bei mir bist«, sagte Loxagon. »Ich hatte befürchtet, dich nie wieder zu sehen.« »Asmodis wird es kein zweites Mal gelingen, uns zu trennen«, versicherte ihm Massodo. »Ich werde dich noch eine Weile unterrichten, dann werden wir uns nach Dämonen umsehen, die bereit sind, dich bei deinem großen Kampf zu unterstützen. Du darfst nicht allein bleiben. Du mußt dich mit einer Schar von Gleichgesinnten umgeben und dir in der Hölle einen Namen machen. Wenn deine Feinde deinen Namen hören, müssen sie vor Angst erbeben. Es gibt viele Höllenwesen, die mit Asmodis unzufrieden sind, die ihm nicht dienen wollen. Du wirst sie zu Rebellen machen und sie zwingen, dir zu folgen. Aterbax auf Haspiran ist nur einer von vielen, die Asmodis hassen. Mit solchen Dämonen mußt du dich zusammentun. Du mußt dich zum Führer eines mächtigen Höllenheeres machen. Nur du kannst Asmodis bezwingen. Keinem anderen Dämon würde das jemals gelingen. Bald wird die Zeit für den nächsten Schritt reif sein. Ich werde dir einen Baayl zeigen. Erinnerst du dich? Ich habe dir von diesen Kreaturen erzählt.« Loxagons Augen leuchteten vor Begeisterung. »Bin ich schon so weit, daß ich den Baayl jagen kann?« »Der Baayl wird dein bisher größter Prüfstein sein«, sagte Massodo. »Ich werde den Zeitpunkt bestimmen, wann du ihn jagen wirst.
Er ist ein gefährliches Scheusal, das nur sehr wenige Dämonen besiegen können.« »Würdest du mit ihm fertig werden?« fragte Loxagon. Massodo schüttelte den Kopf. »Nein, ich wäre ihm nicht gewachsen. Aber du, der Sohn des Teufels, wirst ihn bezwingen. In seinen Adern fließt Schwefelblut. Du wirst es trinken, und es wird dich stark und mächtig machen.« Von diesem Tag an dachte Loxagon nur noch an jenen schweren Kampf, den er gewinnen mußte, denn wenn es ihm nicht gelang, den Baayl zu erlegen, würde er sein Leben verlieren. Eine schier endlos lange Zeit verging, bis Massodo sagte: »Laß uns aufbrechen.« Er gab Loxagon ein Schwert. Der Sohn Asmodis’ ergriff es, und er brannte darauf, der Höllenkreatur gegenüberzutreten. »Eines Tages wirst du ein stärkeres Schwert besitzen«, sagte Massodo. »Eine Waffe, die man eigens für dich schmieden wird. Sie wird dich von Sieg zu Sieg führen, und du wirst damit Asmodis vernichten. Aber das alles wird erst in ferner Zukunft geschehen.« An Loxagons Stirn schwoll eine Ader dick an. Er starrte sein Schwert an und ließ seine dämonische Kraft in die Waffe fließen. Sie brachen auf. Das Warten hatte ein Ende. Loxagon stand sein erster schwerer Kampf bevor.
* Ich ließ Alan Lombard vorgehen. Sicherheitshalber sagte ich ihm noch einmal, mit welchen Konsequenzen er zu rechnen hatte, wenn er mich aufs Kreuz zu legen versuchte. Ich schüchterte diesen eiskalten Killer so sehr ein, daß er nicht im Traum daran dachte, falschzuspielen. Der Killer blieb vor der Tür stehen, die in La Cavas Arbeitszimmer
führte. Ich schickte ihn hinein, verlangte aber, daß er die Tür offenließ. Lombard atmete durch, klopfte und öffnete die Tür. »Ah, Alan«, sagte Guy La Cava erfreut. Ich sah ihn. Er trug eine dunkle Brille und saß an einem großen Schreibtisch. Jovial mit der Hand wedelnd, forderte er den Profikiller auf, sich einen Drink zu nehmen. Alan Lombard bediente sich an der Bar und begab sich anschließend zu dem Bilderbuch-Gangster. La Cava grinste ihn erwartungsvoll an. »Du mußt mir alles genau erzählen. Ich bin scharf auf jede Einzelheit. Aber stärk dich erst mal. Nimm einen Schluck auf mein Wohl.« Lombard hob sein Glas. »Cheers«, sagte er. »Ballard guckte bestimmt blöd aus der Wäsche, als er dich sah«, sagte La Cava und lachte schadenfroh. »Niemand reißt sich etwas, das Guy La Cava gehört, ungestraft unter den Nagel. Colette Dooley ist mein Privatbesitz. Na schön, sie hat manchmal was mit Männern aus der Politik, aber das stört mich nicht. Man kann nie wissen, ob man diese Kerle nicht mal einspannen kann. Aber Ballard ist ein dreckiger Bastard. Er kommt von ganz unten und will gleich ganz oben einsteigen, aber das ist bei La Cava nicht drin.« Lombard trank. »So«, sagte der Gangsterboß erwartungsvoll. »Und nun laß mal deine Story hören.« Der Killer schwieg. »Na, was ist?« fragte La Cava ungeduldig. »Wo bleibt dein Bericht?« »Was ich dir zu erzählen habe, wird keine Freude für dich sein, Guy«, sagte Alan Lombard. Der Gangsterboß riß sich die schwarze Brille vom Gesicht und warf sie auf den Schreibtisch. Er sprang auf, stützte sich auf die
Hände und beugte sich gespannt vor. »Was soll das heißen? Was willst du damit sagen?« Lombard trank sein Glas leer und stellte es auf den Schreibtisch. La Cavas Augen wurden zu schmalen Schlitzen. »Es hat doch nicht etwa eine Panne gegeben, Alan«, sagte er lauernd. »Du bist mein bester Mann. Du hast doch hoffentlich keinen Fehler gemacht.« Lombard sagte nichts. La Cava schlug mit der Faust auf den Tisch. »Verdammt noch mal, so erzähl doch endlich!« brüllte er den Killer an. »Hast du Ballard nicht geschafft? Lebt der Kretin noch? Was ist schiefgelaufen?« »Alles«, antwortete ich und betrat nun ebenfalls das Arbeitszimmer des Gangsterbosses. La Cava sah mich entsetzt an. »Und nun guckst du blöd aus der Wäsche«, sagte ich und lachte so schadenfroh, wie er es vorhin getan hatte.
* Sie waren lange unterwegs. Massodo suchte mit seinem Schützling jene Gebiete auf, die von Baayls bevorzugt wurden. Sie waren Allesfresser, doch mit Vorliebe verschlangen sie Dämonen. »Sie sind grausame Mörder«, erzählte Massodo. »Sie sind von einer abscheulichen Gier beseelt, fressen alles Lebende in sich hinein, das sich in ihrer Nähe befindet. Sie werden nie satt. Selbst wenn sie noch so viel gefressen haben, wenn sie ein neues Opfer sehen, greifen sie sofort wieder an. Ihr Atem ist ein Pesthauch des Todes. Damit können sie ihre Opfer lähmen und kampfunfähig machen. Sie sind schlau und schnell. Baayls sind Einzelgänger. Hin und wieder kommt es vor, daß sich ihre Wege kreuzen, dann fallen sie übereinander her und versuchen sich gegenseitig zu zerfleischen.« Massodo schien diese Höllenkreaturen mehr zu fürchten als As-
modis selbst. »Einmal«, sagte er dumpf, »wäre mir die Begegnung mit einem Baayl beinahe zum Verhängnis geworden. Er bannte mich mit seinem durchdringenden Blick, und ich wäre verloren gewesen, wenn ihn das plötzliche Auftauchen eines Drachens nicht abgelenkt hätte. Ich konnte meine Haut gerade noch retten. Seither habe ich nur noch selten einen Baayl gesehen, und wenn, dann nur aus großer Entfernung. Aber du wirst vor ihn hintreten, wirst seinem Blick trotzen und seinem lähmenden Atem widerstehen müssen. Es gibt zum Glück nur wenige Baayls. In ihrer Gier fressen sie sogar ihre eigene Brut.« »Zum Glück?« sagte Loxagon tatendurstig. »Wenn es mehr Baayls gäbe, wären wir bereits auf einen gestoßen.« »Wir werden einen finden«, sagte Massodo. »Sei unbesorgt.« Sie kamen in ein ödes, verwüstetes Gebiet. In glitzernden Tümpeln kochte schwarzes Dämonenblut, und in weitem Umkreis waren bleiche Knochen verstreut. »Die Spur eines Baayls«, bemerkte Massodo und blickte sich gespannt um. »Wir haben sie gefunden. Ich bin mir sicher, daß er uns bereits beobachtet.«
* Guy La Cava trat der Schweiß auf die Stirn, als er meiner ansichtig wurde. Tony Ballard, der Totgeglaubte, stand vor ihm. Er hatte genug Phantasie, um sich ausmalen zu können, was das für Folgen hatte. Er hatte mich abservieren lassen wollen, und nun würde der Schuß nach hinten losgehen. Ich trat neben den Killer und gab dem Gangsterboß einen Faustschlag, der ihn auf den Schreibtischstuhl warf. Blut sickerte aus seiner Nase. Er wischte es nicht weg, blickte mich
nur verstört an. Zum erstenmal hatte sein zuverlässiger Kaltmacher versagt. Dabei wäre es noch nie so wichtig gewesen wie diesmal, daß Alan Lombard seinen Job ordentlich erledigte. Pech für den Gangsterboß. Ich sah, wie er zitterte, und die Schweißtropfen auf seiner Stirn wurden so groß, daß sie zu rinnen begannen. »Dein Sicherheitssystem hat Lücken«, sagte ich grinsend. »Es war ein Kinderspiel, zu dir vorzudringen. Ich würde das immer wieder schaffen.« Er sprach kein Wort, schien die Stimme verloren zu haben. Er starrte nur auf meinen Colt Diamondback und dachte wohl, daß ich ihm damit das Lebenslicht auspusten würde. »Der große Guy La Cava«, höhnte ich. »Zur Abwechslung mal ganz klein. Man wird dich in einem Kindersarg zu Grabe tragen!« Seine Augen weiteten sich. Er hing an seinem Leben und wollte es um jeden Preis behalten. Er sagte mir das, doch ich ging nicht darauf ein. Ich öffnete den Knopf meines Jacketts, das sich wie ein Theatervorhang auseinanderschob und den Blick auf die Pistole freigab, die ich Alan Lombard abgenommen hatte. Totenblaß war La Cava. Ich ergötzte mich an seinem Anblick. Marbu hatte ein großes Vergnügen daran, sich an seiner Angst zu weiden. Der Gangsterboß, der seit Jahren in unserer Stadt das Sagen hatte, nach dessen Pfeife alle tanzten, war geschlagen – von mir! Alan Lombard stand wie ein Zinnsoldat neben mir, steif und reglos. Aber er war eine Marionette. Ich brauchte nur an den entsprechenden Fäden zu ziehen, dann würde er für mich tanzen. La Cava redete sich seine Angst von der Seele. Er wollte das Unvermeidliche von sich abwenden, sagte, er sehe ein, daß er einen Fehler gemacht habe. Er bat mich sogar um Verzeihung. Er, Guy La Cava! Es war zum Totlachen. Ich zog Lombards Pistole aus dem Gürtel.
La Cava machte mir mit zitternder Stimme die größten Versprechungen, doch alles, was er sagte, schien ungehört an mir abzuprallen. Jetzt hatte ich die Waffe des Killers »blankgezogen«. Guy La Cava schnappte fast über vor Angst. Sein unsteter Blick war einmal auf die Pistole, dann auf mich, dann auf Alan Lombard gerichtet. Der Mann schien in Minuten um Jahre gealtert zu sein. Um seine Augen befanden sich auf einmal Falten, die es vorhin noch nicht gegeben hatte. Ich richtete die Schalldämpferwaffe auf ihn. Er stöhnte, riß sich den Krawattenknopf auf und öffnete den Hemdkragen. Sein Atem rasselte. »Ballard, ich …« Sein Gesicht verzog sich zu einer weinerlichen Grimasse. »So sollten dich jene sehen, die vor dir zittern«, sagte ich höhnisch. »Jetzt bist du nur noch ein schwitzendes, stammelndes, zitterndes Bündel Mensch. Kraftlos. Wertlos.« »Das … mit Colette ist okay, Ballard.« »Ach, auf einmal?« »Ich verzichte auf sie.« »Richtig. Aber du wirst heute auf einiges mehr verzichten. Zum Beispiel auf dein Leben«, sagte ich hart. Unvermittelt wandte ich mich an Lombard. Ich drückte dem Killer seine Waffe in die Hand und befahl: »Erschieß ihn!« Alan Lombard schaute zuerst auf die Waffe in seiner Hand, dann auf La Cava. »Alan!« stöhnte der Gangsterboß. Der Killer zuckte mit den Schultern. »Tut mir leid, Guy, aber ich stehe nicht mehr auf deiner Seite. Ich werde tun, was Ballard von mir verlangt.« Die Pistole hob sich noch ein paar Millimeter und war dann auf La Cavas Stirn gerichtet …
* Massodo ließ den jungen, kräftigen Dämon allein. Er konnte ihn im Kampf gegen den Baayl nicht unterstützen. »Du hast dein Schwert und deinen Mut«, sagte der bucklige Schwarzblütler. »Und dir stehen Kräfte zur Verfügung, die du heute erstmals kennenlernen wirst. Sie sind noch in dir verborgen, aber sie werden dir zur Verfügung stehen, wenn du sie brauchst. Du wirst bei diesem Kampf über dich hinauswachsen. Du wirst erkennen, wozu du fähig bist und wo deine Grenzen sind.« Er legte Loxagon die Hand auf die Schulter. »Geh!« »Ich komme wieder!« versprach Loxagon. »Ich werde den Baayl töten und sein Schwefelblut trinken.« »Du wirst dir von ihm das nehmen, was dir noch fehlt.« Massodo nickte. »Davon bin ich überzeugt. Ich habe dich vorbereitet, so gut ich konnte. Wir haben den richtigen Zeitpunkt abgewartet. Nun liegt es an dir, zu beweisen, daß du zu Großem fähig bist.« Loxagons jugendliche Züge strafften sich. Seine Wangenmuskeln zuckten. Er wandte sich um und ging allein weiter, während sich Massodo zurückzog. Der Schwarzblütler kletterte auf einen verkrüppelten Baum, um das Gebiet besser überblicken zu können. Noch zeigte sich der Baayl nicht, aber Massodo rechnete jeden Augenblick mit seinem Erscheinen. Dann brach für Loxagon die Stunde der Wahrheit an. Der junge Dämon übersprang eine Pfütze. Sein Fuß sank in feuchtes Erdreich ein. Der Boden war an manchen Stellen schwammig, so daß Loxagons Schritte hin und wieder laut schmatzten. Der junge Dämon blieb stehen und ließ gespannt den Blick schweifen. Plötzlich wehte ihn ein fauliger Gestank an. Der Pesthauch des Todes! durchzuckte es Loxagon, und er atmete
nicht, um nichts von den Dämpfen der Höllenkreatur in sich aufnehmen zu müssen. Langsam wandte er sich in die Richtung, aus der der Gestank kam, und dann sah er zum erstenmal in seinem Leben einen Baayl.
* »Adios, Guy La Cava!« sagte ich mit hohntriefender Stimme. »Soll ich dir noch schnell verraten, was geschehen wird? Ich werde deinen Platz einnehmen, nachdem du abgetreten bist. Ich werde deine Organisation übernehmen, werde mich an ihre Spitze setzen und sie so groß machen, wie es niemand für möglich halten würde. Ich mache mich zum König der Londoner Unterwelt! Wer mich nicht anerkennt, endet so wie du.« La Cava streckte flehend die Hände vor, als könnte er die Kugel, die für ihn bestimmt war, aufhalten. Lombard schaute mich an. Wenn ich genickt hätte, hätte er abgedrückt, doch ich gab das Zeichen noch nicht. Er bettelte wieder um sein Leben. Marbu hatte kein Mitleid mit ihm. Die Höllenkraft in mir wollte seine Position einnehmen. Seine Organisation sollte zu ihrem Instrument werden. Verbrecher, gelenkt von der Hölle. Das bedeutete Krieg in London. La Cava versprach mir, sich unterzuordnen. Er rief, er könne mir sehr nützlich sein – als Berater, als Verbindungsmann. »Ich trete zurück. Ich überlasse Ihnen den Platz an der Spitze. Ich werde nichts gegen Sie unternehmen, das schwöre ich bei meinem Augenlicht«, sprudelte es aus dem Gangsterboß heraus. »Sie sind der Boß. Was Sie befehlen, wird von nun an geschehen. Ich werde dafür sorgen, daß jeder Ihrer Befehle unverzüglich ausgeführt wird. Meine Männer werden Ihnen genauso gehorchen wie mir.« Ich musterte ihn väterlich. Marbu wollte ihn töten, aber ich ent-
schied mich anders. Ich legte meine Hand auf Lombards Arm und drückte ihn nach unten. Guy La Cava schien noch nicht glauben zu können, daß es ihm gelungen war, mich zu überreden, ihn am Leben zu lassen. Er sah mich unsicher an. »Okay«, sagte ich grinsend. »Ich versucht mal mit dir.« Ich sah ihm an, daß er sich am liebsten vor mir auf den Boden geworfen und mir die Schuhspitzen geküßt hätte. Stammelnd versicherte er mir, daß ich meinen Entschluß nicht bereuen würde. Ich zuckte mit den Schultern. »Abservieren kann ich dich immer noch, wenn ich mit dir nicht zufrieden bin.« Ein unbeschreibliches Triumphgefühl bemächtigte sich meiner. Ich hatte mich soeben an die Spitze seiner Organisation gesetzt, und ich wußte auch schon, was ich als erstes in Angriff nehmen würde.
* Der Baayl war ein büffelähnliches Ungeheuer mit großen, gebogenen Hörnern und dichtem schwarzem Fell, das hinter dem Nacken endete. An das Fell schloß sich eine Haut mit großen grünen Hornschuppen an. Ein hoch und scharf gezackter Schuppenkamm verlief entlang des Rückgrats. Der große, kraftstrotzende Körper des Baayls ging in einen langen Drachenschwanz über, der sich unruhig hin und her bewegte. Ein schabendes, kratzendes Geräusch entstand dabei. Zwischen den Hornspitzen flogen blaue Funken hin und her. Von ihnen ging ein helles Zirpen aus. Der junge Dämon atmete immer noch nicht. Er verzichtete darauf, um vom Atem dieser Höllenkreatur nicht gelähmt zu werden. Graubraune Dämpfe schossen fortwährend aus den großen Nüstern des Ungeheuers. Ein gelbes Feuer loderte in den Augen des Baayls. Loxagon spürte
die bannende Kraft, die davon ausging, aber er war stark genug, um ihr zu trotzen. Hier trafen Gegner aufeinander, die einander ebenbürtig waren. Der Baayl schien das zu spüren, denn er griff Loxagon nicht sofort an, und er würde es auch nicht frontal tun. Eine rote Schlangenzunge, vorne gespalten, flatterte aus dem Baaylmaul. Die Zungenenden tasteten über den Boden und zogen sich wieder zurück. Loxagon wollte nicht warten, bis die Höllenkreatur ihn attackierte. Er besaß genug Mut, den ersten Schritt zu tun, die Initiative an sich zu reißen. Mit Hilfe der ihm zur Verfügung stehenden Magie nahm er dem Blick des Untiers die bannende Kraft, und er fand eine Möglichkeit, die lähmende Wirkung des Baaylatems aufzuheben, so daß er wieder gefahrlos atmen konnte. In der Gestalt eines muskelstrotzenden Kämpfers trat Loxagon der Höllenkreatur, deren Schwefelblut er brauchte, gegenüber. Seine Magie befand sich nicht nur in seinem Körper, sondern erstreckte sich auch auf das Schwert, das seinen Arm verlängerte. Er dachte in diesen Augenblicken nicht an Massodo. Er konzentrierte sich voll auf den bevorstehenden Kampf, der sich jetzt nicht mehr vermeiden ließ, denn wenn der Baayl ein Opfer erspähte, konnte ihn nichts mehr zurückhalten. Breitbeinig baute sich Loxagon vor dem Scheusal auf. Seine Unerschrockenheit irritierte den Baayl. Loxagon starrte der großen Bestie grimmig in die Augen und knurrte: »Ich werde dich töten und dein Blut trinken.« Im nächsten Moment griff er an. Sein Schwert beschrieb einen blitzenden Bogen und sauste auf den massigen Schädel herab. Der Baayl wich zurück. Das Schwert verfehlte ihn. Das Zirpen zwischen seinen gebogenen Hörnern wurde lauter, aggressiver, und das Blau der hin und her fliegenden Funken wurde heller. Loxagon sprang vor und schlug erneut zu. Der Schädel des Baayls
wich nicht wieder aus. Die Schwertklinge mußte ihn treffen! Loxagon sah, wie die Klinge auf die Hörner zuschwang und das Kraftfeld erreichte, das sich zwischen den Spitzen befand. Ein lautes Kreischen war zu hören. Die Funken wurden zu einem blauen Feuer, das an der Klinge hochraste und Loxagons Hand erreichte. Ein unerwartet heftiger Schmerz ließ ihn wütend und überrascht aufschreien. Das Schwert wurde ihm aus der Hand geprellt. Es flog in hohem Bogen davon und klatschte in einen der glitzernden Tümpel. Erstmals hatte der Baayl erkennen lassen, wie gefährlich er war. Seines Schwertes beraubt, wich Loxagon zurück. Er fletschte zornig die Zähne. Sein Mund veränderte sich, wurde zu einer Schnauze. Er ließ sich nach vorn fallen und nahm in Gedankenschnelle die Gestalt eines Schakals an. Blitzartig beschrieb er einen Bogen, stieß sich ab und schlug dem Baayl die Reißzähne in den Hals, doch das Fell des Ungeheuers war so dicht, daß die Zähne des Schakals nur in weiche, nachgiebige Wolle hieben. Die Höllenkreatur schüttelte Loxagon ab. Der Schakal fiel auf den Boden. Sein Gegner stampfte heran und wollte ihn mit den Hörnern aufspießen, doch Loxagon gelang es, sich davor in Sicherheit zu bringen. Er federte hoch und sprang dem Baayl in den Nacken. Wieder biß er zu, doch er konnte das Fleisch des Feindes nicht erreichen. Ein klapperndes Geräusch alarmierte ihn, doch diesmal reagierte er nicht schnell genug. Der Drachenschwanz sauste auf ihn zu und hieb mit unbeschreiblicher Wucht gegen ihn. Dieser Schlag beförderte Loxagon vom Nacken des Baayls herunter. Er überschlug sich in der Luft mehrmals und landete so hart auf dem Boden, daß er benommen liegenblieb. Ein winselnder Laut entrang sich seiner Kehle.
Er war plötzlich nicht mehr sicher, ob er mit dem Baayl fertigwerden würde. Massodo schien ihn überschätzt zu haben. Und Loxagon hatte den Fehler gemacht, seinem Lehrmeister zu glauben. Die Wahrheit war ernüchternd für Loxagon. Der Baayl war stärker als er. Diese Höllenkreaturen schienen unbesiegbar zu sein. Wie hatte ihm Massodo weismachen können, er hätte das Zeug in sich, den Baayl zu vernichten? Der Boden bebte, als das Scheusal sich näherte. Loxagons Körper durchtobten heftige Schmerzen. Er sah die Bestie wie durch einen trüben Schleier, und ihm wurde bewußt, daß er verloren war, wenn er nicht schnellstens aufsprang. Er erhob sich, aber von schnell war keine Rede. Aus dem weit aufgerissenen Maul des Baayl schoß ihm die rote Schlangenzunge entgegen. Sie wand sich um seinen jungen Schakalkörper und riß ihn auf das Maul zu, das sich so weit zu öffnen vermochte, daß es Loxagon mühelos ganz in sich aufnehmen konnte. Der Schakal biß wild um sich. Immer wieder hieben die Kiefer klackend aufeinander, ohne den Baayl zu verletzen. Und das Maul, dieser alles verschlingende Schlund, wurde immer größer! Loxagons Fangzähne trafen die rote Zunge des Ungeheuers. Sofort rollte sie sich auf, und der junge Dämon war wieder frei. Er hetzte zu dem Tümpel, in den sein Schwert gefallen war. Der Baayl drehte sich und versuchte ihn mit einem peitschenden Schwanzhieb zu erwischen, doch der Schakal duckte sich, und der Drachenschwanz fegte knapp über ihn hinweg. Gleich danach schlug Loxagon einen Haken wie ein Hase, und dann stieß er sich kraftvoll ab. Während er durch die Luft flog, streckte sich sein Körper, und seine Gestalt veränderte sich. Er nahm das Aussehen seines Vaters an. Hoch spritzte das glänzende Tümpelwasser auf, als Loxagon hineinfiel. Er tauchte unter, und als er wieder zum Vorschein kam, hielt er – in Asmodis’ Gestalt
– sein Schwert in der Hand. Als sich der Baayl dem Höllenfürsten gegenübersah, stutzte er kurz, aber die Gier ließ ihn die Vorsicht vergessen. Loxagon stand bis zur Hüfte im Wasser des Tümpels. Die Zunge des Baayls schnellte ihm entgegen, und Loxagon wirbelte das Schwert einmal herum. Es traf auf einen Widerstand – und der Baayl hatte keine Zunge mehr! Die gespaltene Zunge fiel ins Wasser und schwamm schlängelnd auf den jungen Dämon zu. Loxagon hieb sie in Stücke, und sie versank. Der Baayl war noch nie zuvor verletzt worden. Dumpfe, grunzende Laute ausstoßend zog sich das Ungeheuer zurück, doch Loxagon stellte es erneut zum Kampf. Er verließ den Tümpel und veränderte abermals sein Aussehen. Riesige Lederflügel wuchsen ihm. Er hatte jetzt ein breites Maul, das mit langen, kräftigen Zähnen gespickt war. Gefährlich spitz waren die Krallen an seinen Fingern, und die Hörner, die er schon in Asmodis’ Gestalt getragen hatte, waren um ein Vielfaches länger geworden. Er bewegte die Flügel mit großer Kraft, schwang sich über den Baayl und stürzte sich auf ihn. Das büffelähnliche Ungeheuer hieb mit den Drachenschwanz zu, doch der Schlag fiel nicht stark genug aus. Loxagon blieb auf dem Baayl. Er richtete sich hoch auf, saß auf dem Baayl wie auf einem Reittier, hielt das Schwert mit beiden Händen und stieß es mit der ganzen Kraft, die ihm zur Verfügung stand, nach unten. Die scharfe Spitze durchdrang das dichte Fell und bohrte sich tief in den Nacken des Scheusals. Die Höllenkreatur brüllte auf und brach wie vom Blitz getroffen zusammen. Ein heftiges Zittern ging durch den massigen Körper des Ungeheuers. Es erhob sich, taumelte einige Schritte weit, brach abermals zusammen. Loxagon roch das Schwefelblut des Feindes. Er riß das Schwert
heraus, um gleich wieder zuzustoßen. Erneut brüllte der Baayl, doch er schaffte es, wieder auf die Beine zu kommen. Aber er war tödlich getroffen. Loxagon ließ von ihm ab, als er das erkannte. Er flog hoch und landete in einiger Entfernung auf dem Boden. Der Baayl kam mit unsicheren Schritten auf ihn zu. Nach wie vor wurde das Untier von seinem grausamen Vernichtungswillen beherrscht, doch Loxagon fürchtete die Höllenkreatur nicht mehr. Für ihn stand fest, daß er diesen schweren, gefährlichen Kampf für sich entschieden hatte. Massodo hatte doch recht behalten. Er war fähig, einen Baayl zur Strecke zu bringen. Das Ungeheuer blieb immer wieder stehen. Sein Kopf hing so tief, daß das Maul fast den Boden berührte. Es kämpfte einen aussichtslosen Kampf gegen seinen Tod. Die Vorderbeine knickten ein, und im nächsten Moment kippte der verendende Baayl zur Seite. Loxagon stach mit dem Schwert in die Luft und stieß einen Jubelschrei aus, dann rannte er zu der Höllenkreatur und gab ihr den Gnadenstoß. Er öffnete eine Ader am Hals des Ungeheuers, ließ das Schwert fallen, sank auf die Knie und hielt beide Hände unter den sprudelnden Quell. Eiskalt war das Schwefelblut des erlegten Scheusals. Loxagon trank davon. Er fühlte, wie es durch seine Kehle rann und sich in seinem Körper verteilte. Er nahm eine Kraft in sich auf, wie sie nur wenigen Dämonen zur Verfügung stand. Wer sich künftighin gegen ihn zu stellen wagte, würde an dieser Kraft zugrunde gehen.
* Es war Nacht, und ein Mann schlich durch die Dunkelheit. Hinter
schützenden Büschen blieb er manchmal kurz stehen. Er blickte sich aufmerksam um und setzte den Weg erst fort, wenn er sicher war, daß niemand ihn bisher entdeckt hatte. Eine Katze duckte sich, als sie ihn bemerkte. Ihr Fell sträubte sich, und sie fauchte, aber nicht aggressiv, sondern ängstlich. Dann schnellte sie herum und jagte davon. Der Mann schlich weiter. Er erreichte eine Mauer, die mit Kletterrosen bewachsen war. Am Tag war hier das dumpfe Summen fleißiger Bienen zu hören. Jetzt war es still, die Bienen schliefen in ihren Waben. Der große Mann ging in die Knie, als er ein Auto die Straße heraufkommen hörte. Er preßte sich gegen die Mauer und wartete. Seine Hände schlossen sich zu klobigen Fäusten. Das Licht der Scheinwerfer schob sich durch die Straße, erreichte auch den Unbekannten, doch da er sich nicht regte, wurde der Autofahrer nicht auf ihn aufmerksam. Sobald der Wagen vorbei war, richtete sich der Mann vorsichtig auf. Das Fahrzeug bog um die nächste Ecke. Das Motorgeräusch verflachte mehr und mehr, bis es schließlich nicht mehr zu hören war. Jetzt streckte sich der große Mann. Er hob die Arme und griff nach der Mauerkrone. Behende überkletterte er die Mauer. In dem Haus, dem er einen Besuch abstatten wollte, brannte Licht. Seine markanten Züge verfinsterten sich. Etwas Unangenehmes stand ihm bevor, eine Begegnung, die er sich lieber erspart hätte. Vielleicht würde er töten müssen. Er setzte seine Schritte nun noch vorsichtiger, um sich nicht zu verraten. Im Schutz der Dunkelheit erreichte er eine Tür, an der er sich kurz zu schaffen machte. Sie ächzte leise, als er sie bewegte, aber das hörte im Haus mit Sicherheit niemand. Gespannt trat er ein und schloß die Tür wieder. Es konnte Durchzug geben, der ihn verriet. Der Mann dachte an alles, um so lange
wie möglich unbemerkt zu bleiben. Sein Erscheinen sollte eine große Überraschung werden. Er näherte sich einer Tür, unter der ein heller Lichtbalken lag. Schritte drangen aus dem dahinterliegenden Raum. Jemand füllte ein Glas. Der Eindringling erreichte die Tür, blieb stehen, wartete. Er hatte es nicht eilig. Er hörte, wie die Flasche abgestellt wurde, und dann vernahm er wieder die Schritte. Seine Hand legte sich auf die Klinke. Er drückte sie nach unten und öffnete sie Zentimeter um Zentimeter – bis sie ganz offen stand. Er sah den anderen, der ihm im Moment den Rücken zukehrte. »Hallo«, sagte er, und seine Stimme klang hart. »Hallo, Tony!« Und seine Haut überzog sich mit einer flirrenden Silberstarre.
* Loxagon wandte sich um, als er Massodos Schritte vernahm. Er hatte sein gewohntes Aussehen angenommen. Schwefelblut klebte in seinem Gesicht, das sich jetzt zu einem breiten, triumphierenden Grinsen verzog. Er hielt Massodo die hohlen Hände entgegen. »Hier! Trink auch! Ich möchte, daß die Kraft des Baayls auch auf dich übergeht!« Massodo schüttelte den Kopf. »Ich würde das Blut dieser Höllenkreatur nicht vertragen. Es würde mir nicht nützen, sondern schaden. Nur dem, der den Baayl erlegt hat, kann es nichts anhaben.« Loxagon trank selbst, was er seinem Lehrmeister geben wollte. »Ich wußte, daß du ihn besiegen würdest«, sagte Massodo stolz. »Kurze Zeit glaubte ich, ihm nicht gewachsen zu sein«, gab Loxagon zurück. »Da hattest du zuviel riskiert und dich noch nicht richtig auf den Baayl eingestellt, aber je länger der Kampf dauerte, desto besser hast du deinen Gegner beherrscht. Vieles von dem, was ich dir beige-
bracht habe, fiel auf fruchtbaren Boden. Genau genommen brauchst du mich nicht mehr. Du kannst von nun an allen Gefahren selbst trotzen. Unaufhaltsam wirst du auch ohne mich deinen Weg gehen.« Loxagon hatte genug getrunken. Er erhob sich und schüttelte den Kopf. »Ich will mich von dir nicht trennen. Du bist immer noch sehr wertvoll für mich. Ich brauche deinen Schutz nicht mehr, aber auf deinen Rat möchte ich auch weiterhin nicht verzichten.« »Ich werde dir so lange zur Verfügung stehen, wie du es möchtest«, sagte Massodo. Er lachte. »Wenn Asmodis erfährt, daß du einen Baayl getötet hast, wird ihm das sehr zu denken geben und ihn beunruhigen.« Der Kadaver der Höllenkreatur bewegte sich. Loxagon griff blitzschnell zum Schwert, doch Massodo beruhigte ihn. »Sei unbesorgt«, sagte der bucklige Schwarzblütler. »Er kann nicht einmal mir mehr gefährlich werden.« »Aber er hat sich bewegt«, warf Loxagon ein. »Das ist der Verfall«, erklärte Massodo. »Er wird sehr schnell fortschreiten. Der Baayl wird sich binnen kurzem auflösen. Es wird nichts von ihm übrigbleiben.« Die großen Schuppen wurden brüchig und fielen ab. Der Körper des Untiers brach auf, und ein furchtbarer Gestank stieg hoch. Dann sank der Kadaver ein, wurde immer flacher, dann transparent, und schließlich war nichts mehr davon zu sehen. Loxagon begab sich zu einem der Tümpel und wusch sich das Gesicht. Als sich die Wasseroberfläche beruhigt hatte, betrachtete er sein Spiegelbild, und er stellte fest, daß der Sieg über den Baayl ihn reifer gemacht hatte. Sein Gesicht war nicht mehr das eines Jünglings. Seine Entwicklung war damit abgeschlossen. Er würde nun bis in alle Ewigkeit so aussehen, würde nie krank werden, nie altern, nie sterben.
Die Oberfläche zeigte ihm auch Massodo. Er erhob sich und wandte sich zu seinem Lehrmeister um. »Du hast den bisher größten Schritt in deinem Leben getan, Loxagon«, sagte der Schwarzblütler. »Kasha wäre sehr stolz auf dich, wenn sie noch leben würde.« Loxagons Augenbrauen zogen sich zusammen. »Ich werde ihren Tod rächen, wenn die Zeit gekommen ist.« »Du mußt deinen Haß gegen Asmodis vertiefen«, sagte Massodo. »Was du auch tust, es muß stets darauf ausgerichtet sein, daß der Höllenfürst durch dich sein Leben verliert.« »Wozu rätst du mir nun?« wollte Loxagon wissen. »Du brauchst eine Gefährtin, jedoch nicht irgendeine, sondern eine ganz bestimmte. Ihr Name ist Shibba.« »Warum muß es ausgerechnet diese Shibba sein?« fragte Loxagon. »Weil sie mit einem einflußreichen Heerführer lebt. Du wirst dir Shibba nehmen, und ihrem Gefährten das Leben. Dann wirst du sein Höllenheer befehligen, und niemand wird es wagen, sich deinen Befehlen zu widersetzen.« »Wie ist der Name meines Gegners?« erkundigte sich Loxagon. »Haggas«, sagte Massodo. »Und wo lebt er?« »Wir werden ein paar Tage unterwegs sein«, antwortete Massodo. »In dieser Zeit wirst du alles über ihn erfahren, was ich weiß. Das ist nicht wenig. Es wird dir helfen, ihn im Zweikampf leichter zu besiegen.« »Haggas!« knurrte Loxagon grausam. »Laß uns aufbrechen, Massodo. Ich brenne darauf, ihm alles zu nehmen, was er besitzt. Sein Leben eingeschlossen.«
* Ich fuhr herum, hätte beinahe den Pernod verschüttet. Als ich Mr.
Silver erkannte, zuckte meine Hand zum Colt Diamondback. Der Ex-Dämon war nicht mehr mein Freund. Marbu haßte ihn! Der Hüne hob rasch die Hand. »Laß die Waffe, wo sie ist, Tony.« »Eine geweihte Silberkugel würdest du nur schwer verdauen, was?« höhnte ich und nahm einen Schluck vom Pernod. In meinem Kopf brannte eine Frage: Wie hat er mich gefunden? Er trat ein, und ich merkte, daß er mich zu hypnotisieren versuchte, aber darüber lachte Marbu nur. Der Ex-Dämon konnte mir mit seiner Hypno-Magie nichts anhaben. Ich entspannte mich, ließ den Revolver vorläufig stecken. Mich amüsierte Mr. Silvers trauriger Gesichtsausdruck. Ich hatte einen klar erkennbaren Trennungsstrich zwischen meinen einstigen Freunden und mir gezogen. Mit ihnen verband mich nichts mehr. Ich hatte jetzt andere Freunde oder, besser gesagt: Komplizen, denn Freundschaft gab es für mich nicht mehr. Ich traute keinem und verließ mich auf niemanden, nur auf mich selbst. Ich war jetzt ein Gangsterboß, hatte Guy La Cava von seinem Platz verdrängt, aber das wußte der Ex-Dämon nicht. Mir war es unverständlich, daß der Silberdämon sich vom Bösen abgewandt hatte. Wie konnte er, ein Schwarzblütler, sich zum Guten hingezogen fühlen? Marbu veranlaßte mich, auf der Hut zu sein. Ich ließ den Hünen mit den Silberhaaren keinen Moment aus den Augen. Reglos standen wir einander gegenüber. Mr. Silver musterte mich argwöhnisch. Er schien herausfinden zu wollen, wie sehr ich schon unter Marbus Einfluß stand. Nun, meine Seele war noch nicht völlig schwarz, aber schon ziemlich dunkelgrau. »Wer hat dir gesagt, daß ich hier bin?« wollte ich wissen. Der Ex-Dämon hob die Schultern. »Tucker Peckinpah hat dich aufgespürt.« »Und von wem weiß er es?« fragte ich.
»Ich habe keine Ahnung, durch welchen Kanal die Information kam«, antwortete Mr. Silver. »Ich weiß nur, daß dieses Haus abgehört wird. Colette Dooley ist mit hochgestellten Politikern … bekannt. Sie weiß eine ganze Menge. Gewisse Leute befürchten, sie könnte etwas ausplaudern, deshalb lassen sie sie überwachen. Heute wurde hier im Haus die Telefonleitung gekappt. Scotland Yard ging der Sache nach, dein Name tauchte auf und erreichte auf verschlungenen Wegen Peckinpah – und er informierte mich, worauf ich mich sofort in Marsch setzte, um dich zu besuchen.« Verdammt! Ich selbst hatte ihn auf meine Spur gebracht! »Ich brauche dir wohl nicht extra zu sagen, daß du hier nicht willkommen bist«, brummte ich unfreundlich. »Das weiß ich natürlich«, sagte Mr. Silver. »Ich hatte aber dennoch den Wunsch, dich zu sehen. Immerhin haben wir sehr lange Seite an Seite für die gleiche Sache gekämpft.« »Das gehört einer Vergangenheit an, an die ich nicht erinnert werden möchte«, sagte ich barsch. »Komm nach Hause, Tony!« sagte Mr. Silver eindringlich. »Wir werden versuchen, dir zu helfen.« »Ich bin jetzt hier zu Hause«, gab ich eisig zurück. »Vicky weint sich die Augen aus dem Kopf. Sie vermißt dich sehr.« »Sie wird sich daran gewöhnen, daß ich für sie nicht mehr da bin«, entgegnete ich gefühlsroh. »Es gibt ‘ne Menge anderer Frauen auf der Welt.« »Tony, du ahnst nicht, wie sehr du Hilfe brauchst«, sagte Mr. Silver leise. Eine tiefe Traurigkeit klang in seiner Stimme mit. »Marbu hat die Weichen gestellt«, sagte ich barsch. »Und ich bin mit dieser Entwicklung einverstanden. Ich will und ich werde nicht umkehren. Du hättest dir den Weg sparen können.« »Oh, du würdest schon umkehren wollen«, widersprach mir der
Hüne. »Marbu läßt es nur nicht zu.« Ich trank mein Glas leer und stellte es auf die Anrichte, neben der ich stand. »Ich habe dir nichts mehr zu sagen, Silver«, bemerkte ich rauh. »Besser für dich, wenn du nun verschwindest.« »Noch besteht Hoffnung«, sagte Mr. Silver. »Noch sind wir nicht Todfeinde, Tony …« »Wir werden es bald sein«, gab ich ungerührt zurück. »Macht dir das wirklich nichts aus?« fragte der Ex-Dämon zweifelnd. Ich grinste. »Du hättest die Möglichkeit, zu verhindern, daß wir zu Todfeinden werden. Du brauchst dich nur deiner Herkunft zu besinnen und so zu leben, wie es eigentlich deine Bestimmung wäre. Laß das ›Ex‹ fallen und werde wieder zum Dämon, Silver. Dann stehen wir wieder auf derselben Seite.« »Du weißt, daß ich dafür nicht zu haben bin«, sagte der Hüne. »Nun, dann stehen wir in Zukunft eben in getrennten Lagern. Das stört mich nicht.« »Hast du alles vergessen, was dein bisheriges Leben prägte?« fragte Mr. Silver. »Dein Kampf für das Gute …« »Ich habe es abgestreift wie die Schlange ihre alte Haut«, antwortete ich. Mr. Silver schüttelte den Kopf. »Das stimmt nicht, Tony. Du bist erst im Begriff, das zu tun.« »Du wirst mich nicht daran hindern können. Du nicht, und all meine einstigen Freunde auch nicht. Ich wäre dir dankbar, wenn du dieses Haus nun verlassen würdest.« »Du bist also nicht bereit, mich heimzubegleiten.« »Nein, und ich würde dir nicht raten, mich zwingen zu wollen«, sagte ich drohend. »Das ging nämlich garantiert schief. Finde dich damit ab, daß ich mich für ein anderes Leben entschieden habe. Euch bleibt nichts anderes übrig, als meine Entscheidung zu akzeptieren.«
»Verdammt, Tony, das kann ich nicht!« brauste der Ex-Dämon auf. »Ich betrachte mich immer noch als dein Freund!« »Dann muß ich dich eines Besseren belehren!« zischte ich und zog blitzschnell meinen Colt Diamondback aus der Schulterhalfter. Mr. Silvers perlmuttfarbene Augen weiteten sich. »Du kannst nicht auf mich schießen, Tony! Du bist noch nicht soweit!« Ich bleckte die Zähne. »Ich würde es an deiner Stelle lieber nicht auf einen Versuch ankommen lassen, Ex-Dämon.« Es zuckte in Mr. Silvers Gesicht. »Raus!« herrschte ich ihn an. Mir war klar, daß das den Bruch zwischen uns bedeutete, und genau darauf legte ich es an. Ich wollte mit diesem abtrünnigen Dämon nichts mehr zu tun haben. Früher hatte ich ihn geliebt wie einen Bruder, doch nun verabscheute und haßte ich ihn. Er zog sich langsam zurück. »Ich weiß noch nicht, wie ich das Vicky beibringen soll.« »Es wird dir schon irgend etwas einfallen«, sagte ich gleichgültig. »Du bist ja ein Meister der barmherzigen Lüge.« In der Tür blieb Mr. Silver stehen. Er starrte mich durchdringend an. »Ich hoffe für dich, daß ich doch noch eine Möglichkeit finde, dich von Marbus Einfluß zu befreien. Sollte es mir nicht gelingen, werde ich alles daransetzen, um dich unschädlich zu machen. Ich würde sogar soweit gehen, dich zu töten, wenn ich keine andere Wahl hätte.« Ich lachte unbekümmert. »Mir schlottern die Knie.« »Sieh dich vor, Tony«, warnte mich Mr. Silver. »Von nun an kannst du nie sicher sein, daß ich nicht urplötzlich hinter dir auftauche und dich angreife!« »Verschwinde endlich!« sagte ich bissig. »Sonst drücke ich ab.«
*
Alle waren noch auf, niemand war zu Bett gegangen. Roxane, Jubilee, Boram und vor allem Vicky Bonney erwarteten Mr. Silver mit großer Ungeduld. Sie hoffte, daß der Ex-Dämon eine Möglichkeit finden würde, Tony nach Hause zu holen, und als ein Taxi vor dem Haus hielt, sprang sie nervös auf und eilte zum Fenster. Sie hätte einen Freudenschrei ausgestoßen, wenn nicht nur Mr. Silver aus dem Wagen gestiegen wäre, aber er war allein, und Vicky war so sehr enttäuscht, daß ihr die Kehle eng wurde. Sollte sie Tony Ballard wirklich verloren haben? Sie begab sich zur Haustür und ließ den Ex-Dämon ein. Das Taxi fuhr weiter. Vickys glänzende Augen hingen an Mr. Silvers ernstem Gesicht. »Hast du ihn gesehen? Hast du mit ihm gesprochen?« wollte sie wissen. Ihre Stimme klang dünn. Der Ex-Dämon legte ihr seinen Arm um die Schultern. Das war sonst nicht seine Art, aber diesmal wollte er mit dieser Geste der Freundin Trost spenden. Er ging auf ihre Frage erst im Livingroom ein, damit er seinen Bericht für die anderen nicht wiederholen mußte. Stille herrschte, als er zu sprechen begann. Roxane warf Vicky immer wieder einen besorgten Blick zu. Als Mr. Silver geendet hatte, wurde die Stille im Raum unerträglich. Vicky Bonney schluchzte unglücklich. »Das war nicht der Tony Ballard, den wir alle schätzen und lieben«, sagte Roxane ernst zu Vicky. »Marbu hat aus ihm gesprochen. Tony würde sich niemals freiwillig gegen uns stellen.« »Er ist dieser schwarzen Kraft verfallen«, sagte Vicky Bonney heiser. »Ihr könnt ihm nicht helfen.« »Er ist dieser Kraft noch nicht ganz verfallen«, sagte Mr. Silver. »Aber es wird dazu kommen«, gab Vicky zurück. »Ihr könnt diese furchtbare Entwicklung nicht aufhalten!«
»Ich gebe die Hoffnung nicht auf, daß Tony doch noch gerettet werden kann«, sagte Jubilee. »Und du solltest dich ebenfalls nicht entmutigen lassen, Vicky. Vielleicht stoßen unsere Freunde durch einen Zufall auf eine Möglichkeit, Tony zu helfen.« »Er ist gegen uns«, sagte Vicky niedergeschlagen. »Er hat keine Gewissensbisse, Mr. Silver zu bekämpfen. Wie sollte man noch etwas für ihn tun können? Es ist zu spät.« Sie wandte sich mit vorwurfsvollem Blick an den Ex-Dämon. »Vielleicht habt ihr zuviel kostbare Zeit ungenützt gelassen, und das rächt sich nun.« »Du darfst uns nichts vorwerfen, Vicky«, sagte Roxane. »Wir haben getan, was wir konnten.« »Es hat nicht gereicht«, sagte Vicky. »Und nun soll ich noch hoffen?« Sie schlug die Hände vors Gesicht. »Vielleicht hätte Tony noch eine Chance, wenn er sich helfen lassen wollte, aber er will nicht. Er ist mit dem, was aus ihm wird, einverstanden. Wenn ihr ihm helfen wollt, wird er sich mit Klauen und Zähnen dagegen wehren. Marbu hat von ihm bereits zu stark Besitz ergriffen. Von dem Tony Ballard, der zu uns gehörte, ist kaum noch etwas vorhanden. Woran soll ich mich klammern? Es gibt nicht einmal mehr einen Strohhalm.« Alle schwiegen. Vicky hatte recht. Es nützte nichts, den Kopf in den Sand zu stecken. Sie war der Ansicht, daß man den Tatsachen ins Auge sehen mußte, selbst wenn dies noch so schmerzlich war. Tucker Peckinpah rief an. Mr. Silver wiederholte seinen Bericht, und der Industrielle reagierte ebenfalls mit Betroffenheit. Es kam nicht oft vor, daß Peckinpah ratlos war, aber in diesem Fall war er es. »Was kann man tun?« fragte er den Ex-Dämon. Der Hüne wußte es nicht. »Wenigstens haben wir Tony gefunden«, sagte der Industrielle. »Wir wissen, wo er sich befindet, können ein Auge auf ihn haben.« »Marbu wird ihn bald aktiv werden lassen«, sagte Mr. Silver.
»Vielleicht sollte ich dafür sorgen, daß man Tony Ballard hinter Schloß und Riegel bringt«, überlegte der Industrielle laut. »Mit welcher Begründung?« fragte Mr. Silver. »Oh, da würde mir schon etwas einfallen«, antwortete Peckinpah. »Im Gefängnis könnte er nichts anstellen. Ich würde ihn gewissermaßen vor sich selbst schützen.« »Das würde er Ihnen nie verzeihen«, sagte Mr. Silver. »Wenn er erfährt, was Sie soeben überlegt haben, sind Sie Ihres Lebens nicht mehr sicher.« »Haben Sie einen besseren Vorschlag?« wollte der Industrielle wissen. Das hatte der Ex-Dämon nicht. Und dabei wäre es wichtig gewesen, daß Mr. Silver freie Bahn gehabt hätte, endlich das Geheimnis um das Höllenschwert zu lüften. Das Schwert war einmal ausgerückt, und es bestand die Gefahr, daß es erneut einen Fluchtversuch unternehmen würde. Es hatte erfahren, wie die Freiheit schmeckte, und nun war der Freiheitsdrang, der Wille zur Unabhängigkeit, mit Sicherheit noch stärker geworden. Wenn Mr. Silver das unterbinden wollte, mußte er herausfinden, wie das Höllenschwert hieß, denn nur demjenigen, der seinen Namen kannte, würde es sich bedingungslos unterwerfen. Der Hüne hätte dringend nach Grönland reisen müssen, denn dort lebte ein Mann namens Yappoo, der sich angeblich im Besitz eines Plans befand, den Mr. Silver unbedingt brauchte. Ersten Informationen zufolge hätte Yappoo ein Eskimo sein sollen. Inzwischen hatte Roxane jedoch herausgefunden, daß das nicht stimmte. Yappoo war ein Dämon, ein Seelensauger, der im ewigen Eis lebte und sich von gefährlichen Kristallwölfen bewachen ließ. Mr. Silver wollte ihm nicht nur den Plan abjagen, sondern ihn und seine Kristallwölfe bei dieser Gelegenheit auch gleich unschädlich machen.
Ursprünglich wollte Mr. Silver diese Reise mit Roxane und Tony Ballard antreten. Inzwischen schien es ihm ratsamer zu sein, allein nach Grönland zu gehen. Roxane sollte lieber hierbleiben und nach dem Rechten sehen. Vielleicht war es nötig, daß sie sich Tony Ballard in den Weg stellte. Ein erstes Gespräch hatte Mr. Silver mit Tucker Peckinpah bereits geführt, und der Industrielle hatte inzwischen seine Fühler in Richtung Grönland ausgestreckt. Das Ergebnis übermittelte er nun dem Ex-Dämon. »Über Yappoo konnte ich nichts erfahren«, sagte der Industrielle. »Aber ich hörte von einem hartnäckigen Gerücht. Auf vorgeschobenem Posten gibt es eine kleine Wetterstation, die nur von ein paar Mann besetzt ist. Einer von ihnen will einen Kristallwolf gesehen haben. Das Tier soll ihn sogar verfolgt haben.« »Wie heißt der Mann?« wollte Mr. Silver wissen. »David Fairbanks«, antwortete Tucker Peckinpah. »Der Leiter der Wetterstation heißt Robert Grable. Ich habe mich mit ihm bereits in Verbindung gesetzt.« »Glaubt er Fairbanks’ Geschichte?« fragte Mr. Silver. »Natürlich nicht«, gab Peckinpah zurück. »Aber ich konnte ihn dazu bringen, sich bereit zu erklären. Sie nach besten Kräften zu unterstützen, falls Sie sich entschließen sollten, die Wetterstation aufzusuchen.« »Wie haben Sie das geschafft?« »Oh, mit Geld läßt sich so ziemlich alles regeln«, erwiderte Tucker Peckinpah. »Wenn Sie wollen, steht Ihnen die Wetterstation als Operationsbasis zur Verfügung, und David Fairbanks wäre bereit, Ihnen zu zeigen, wo er auf den Kristallwolf traf.« Mr. Silver überlegte kurz. »Okay, ich sehe mir die Warte einmal an.« »Ich werde dafür sorgen, daß mein Jet für Sie startklar gemacht wird«, versprach Tucker Peckinpah. »Er wird Sie nach Godthab
bringen. Dort werden Sie in einen bereitstehenden Helikopter umsteigen und direkt zur Wetterstation fliegen.« »Hört sich gut an«, sagte der Ex-Dämon. »Lieber wäre mir allerdings, wenn Tony Ballard mich begleiten würde. Er wird mir fehlen.« »Irgendwann wird Tony wieder zu euch zurückkehren«, sagte Peckinpah. »Nichts kann mich von dieser Hoffnung abbringen.« »Wie heißt das bei euch?« erwiderte Mr. Silver. »Ihr Wort in Gottes Ohr. Morgen früh reise ich ab.« Die Nacht, die Silver mit Roxane verbrachte, war kurz. Er empfahl der weißen Hexe, gut auf Jubilee und Vicky aufzupassen. »Peckinpah wird Tony von nun an auf Schritt und Tritt bewachen lassen«, sagte der Ex-Dämon. »Sollte sich irgend etwas Alarmierendes ereignen, mußt du dich um Tony kümmern. Falls du mit erheblichen Schwierigkeiten rechnest, nimm Boram mit.« »Mach dir meinetwegen keine Gedanken«, sagte Roxane. »Sieh lieber zu, daß du heil aus Grönland zurückkommst, und zwar so bald wie möglich und mit Yappoos Plan.« Am darauffolgenden Morgen war Mr. Silver als erster aus dem Bett. Er packte, holte das Höllenschwert, das in einer Lederscheide steckte, aus dem magisch gesicherten Safe, frühstückte mit Vicky, Jubilee und Roxane und verließ anschließend das Haus. Auf dem Heathrow Airport wartete Peckinpahs Flugzeug auf ihn. Er kannte die Crew, flog nicht zum erstenmal mit ihr. Sie bekamen die Starterlaubnis binnen 15 Minuten. Dann jagte der Jet über die Betonpiste und bohrte sich in den diesigen Himmel.
* Es hatte sich inzwischen herumgesprochen, wer nun der Boß war. Ich kam mit Colettes Wagen, und die Wachen öffneten das Tor sofort, um mich durchzulassen.
Guy La Cava hatte nicht mehr den Mut, etwas gegen mich zu unternehmen. Ich hatte ihn zum duckmäuserischen Befehlsempfänger degradiert, und ich genoß dieses herrliche Gefühl, an der Spitze einer weit verzweigten Gangsterorganisation zu stehen. Für den Vormittag hatte ich eine Besprechung angesetzt. Ich wollte die Leute kennenlernen, mit denen La Cava bisher zusammengearbeitet hatte, jene Verbrecher, die in der Hierarchie unmittelbar unter ihm standen. Ich würde mir die Leute ansehen und nur jene behalten, die bereit waren, mich als den neuen obersten Boß zu akzeptieren. Die anderen würde ich hinauswerfen – wenn sie Glück hatten. Ich fuhr auf La Cavas Villa zu, vor der bereits mehrere Fahrzeuge standen. Ich stieg aus und betrat das Haus. Zielstrebig begab ich mich in La Cavas Arbeitszimmer, das von Rauch und Stimmen erfüllt war. Als ich eintrat, verstummten die Gespräche, und Guy la Cava kam hinter seinem Schreibtisch hervor, um mich zu begrüßen. Er tat dies in einer so devoten Haltung, daß alle erkennen konnten, wie sehr er mich fürchtete. »Es sind bereits alle da, Tony«, beeilte er zu sich zu sagen. Dann machte er mich mit den Männern seines Vertrauens bekannt. Ich kannte keinen einzigen. La Cava nannte ihre Namen und fügte die Ressorts hinzu, für die sie verantwortlich waren. Rauschgift, Entführung, Erpressung, Glücksspiel, Falschgeld, Prostitution … Ich sah mir die Leute sehr genau an. Die meisten akzeptierten mich sofort. Einige begegneten mir mit großer Vorsicht. Das ließ ich ihnen durchgehen. Aber einer von ihnen wirkte furchtlos und unbeugsam, und ich war in seinen Augen ein Niemand, von dem er sich nichts sagen lassen würde. Alle anderen wichen meinem Blick aus, wenn ich ihnen eine Weile scharf in die Augen sah. Er nicht. Trotzig hielt er meinem Blick stand. Er wollte sich von mir nicht einschüchtern lassen, schien es
auf eine Kraftprobe anzulegen. Die konnte er haben. Sein Name war Mike Bewell, und Guy La Cava war seinetwegen sehr besorgt, das sah ich ihm an. Bewell schien immer schon La Cavas Sorgenkind gewesen zu sein. Er wirkte unerschrocken und selbstgefällig. La Cava befürchtete wahrscheinlich, ich würde mich an ihn halten, wenn Bewell nicht spurte, doch das hatte ich nicht vor. Bewells Spezialgebiet waren Entführungen. In letzter Zeit war er nicht besonders rührig gewesen, wie ich von La Cava erfuhr. Ich fragte Mike Bewell, warum er seinen Job nicht ernster nehme. Er blies sich auf und sah mich an, als hätte ich von solchen Dingen keine Ahnung. Da ich ihn geduzt hatte, nahm er sich das gleiche Recht heraus. »Meine Leute haben im vergangenen Jahr zwei Millionen Pfund Sterling abgesahnt«, sagte er. »Ist dir das zuwenig?« »Und wieviel ist es in diesem Jahr?« fragte ich kühl. »Wir haben etwas in Planung.« »Seit wann?« »Seit ungefähr vier Wochen«, antwortete Mike Bewell. »Und die übrige Zeit habt ihr auf der faulen Haut gelegen?« Zorn rötete sein Gesicht, und einen Moment hatte es den Anschein, als wollte er sich auf mich stürzen. Marbu legte es darauf an, ihn zu provozieren. Er konnte sich nur mühsam beherrschen. Mir war klar, daß ich in ihm einen erbitterten Feind hatte, und ich wollte es zum offenen Konflikt kommen lassen. »Du solltest nicht so mit mir reden, Ballard«, sagte er heiser. »Ich habe nur vor Männern Respekt, die mehr zu leisten imstande sind als ich«, erwiderte ich. »Du gehörst gewiß nicht dazu.« »Du hast noch nicht gezeigt, was du kannst. Bisher hast du nur große Sprüche geklopft«, behauptete Mike Bewell. Guy La Cava fühlte sich sichtlich nicht wohl in seiner Haut. Er versuchte schlichtend einzugreifen, doch ich riet ihm, sich aus der Sa-
che herauszuhalten, und er verstummte sogleich. Aber Bewell blieb stur. Er war mit mir als neuem Boß nicht einverstanden, und als ich ihm erklärte, ich hätte die Absicht, auf seine weitere Mitarbeit zu verzichten, ging ihm die Galle über. »Verdammt, Ballard, für wen hältst du dich?« brüllte er mich an. »Für Gott persönlich?« »Ich halte mich eher für das Gegenteil«, erwiderte ich hart, doch er konnte nicht wissen, wie das gemeint war. Meine Faust traf ihn so unerwartet, daß er in einen Sessel stürzte. Jetzt war er blind vor Wut. »Geh mir aus den Augen!« herrschte ich ihn an. Er aber dachte, die Gang von einem lästigen Übel befreien zu müssen. Er griff zur Kanone. Seine Hand stieß ins Jackett, und er riß seine Artillerie heraus, aber er war nicht schneller als ich. Alle hielten den Atem an und wichen zurück, machten Platz, um von keiner Kugel getroffen zu werden. Mike Bewell feuerte. Ich war um einen Sekundenbruchteil schneller als er, und meine Kugel traf seine Schulter. Dadurch verriß er, und sein Geschoß verfehlte mich. La Cava und zwei übereifrige Kerle, die mir beweisen wollten, wie sehr sie zu mir hielten, stürzten sich auf Bewell. Sie rissen ihn hoch und schleiften ihn aus dem Raum. Ich hatte keine Ahnung, wohin sie ihn schafften. Sie kehrten sofort wieder zurück, und La Cava entschuldigte sich in aller Form für Bewells Entgleisung. »Er gehört nicht mehr zu uns«, versicherte er mir. »Er wird sich nicht noch einmal gegen Sie auflehnen, Tony, dafür verbürge ich mich.« Ich nahm das zufrieden zur Kenntnis, steckte den Colt Diamondback weg und sah die Männer der Reihe nach an. »Ist noch jemand mit mir als Boß nicht einverstanden?« wollte ich wissen. Selbst wenn dies der Fall gewesen wäre, hätte sich niemand zu
melden gewagt. »Zwei Millionen Pfund hat Bewell im vergangenen Jahr eingebracht«, sagte ich. »Ich will euch mal zeigen, wie man auf einen Schlag das Fünfzigfache kassiert.« Guy La Cava sah mich perplex an. »Darf ich fragen, was Sie vorhaben, Tony?« »Du darfst«, antwortete ich gönnerhaft. Er wartete gespannt. »Wir werden Tucker Peckinpah kidnappen und für ihn 100 Millionen Pfund Lösegeld kassieren«, sagte ich, und eine fast andächtige Stille breitete sich im Raum aus.
* Haggas macht mit seiner wilden Horde ein großes Höllengebiet unsicher. Er ließ sich von Asmodis nur ungern etwas sagen, entschied sich lieber frei und unabhängig, und wenn es sich vermeiden ließ, griff der Höllenfürst auf Haggas’ Unterstützung nicht zurück. Da dieser Heerführer stark und unberechenbar war, ließ es Asmodis auf keine Kraftprobe ankommen. Solange Haggas’ Treiben nicht mit Asmodis’ Interessen kollidierte, ließ ihn der Fürst der Finsternis gewähren. Es gab so etwas wie ein stillschweigendes Abkommen zwischen den beiden. Solange es Haggas nicht zu bunt trieb, kümmerte sich Asmodis nicht um ihn. Hätte er den Bogen aber einmal überspannt, dann wäre dem Höllenherrscher nichts anderes übriggeblieben, als ihm gegenüberzutreten und ihn zur Rechenschaft zu ziehen. Asmodis hätte diese Auseinandersetzung für sich entschieden, aber sie hätte ihn viel Kraft gekostet, und er wäre hinterher eine Zeitlang so schwach gewesen, daß andere Dämonen ihn hätten absetzen können. Es gab einige, die warteten auf einen solchen Augenblick, deshalb
konnte sich Asmodis keine Schwächephase leisten. Es kam Haggas zu Ohren, was Loxagon vorhatte. Auch Asmodis erfuhr davon. Endlich wußte er, wo Loxagon war, doch er unternahm nichts gegen ihn. Seiner Ansicht nach würde Loxagon im Kampf gegen Haggas unterliegen. Asmodis blieb in Warteposition. Das Problem Loxagon würde sich von selbst erledigen. Wie es Massodo geschafft hatte, wieder zu Kräften zu kommen, nachdem er vom Feuer der Qualen gepeinigt worden war, wußte der Höllenfürst nicht. Er ging der Sache jedoch nicht auf den Grund, denn dafür war sie ihm zu unwichtig. Seine Späher würden ihn auf dem laufenden halten, und sie würden ihm wohl schon sehr bald berichten, daß Loxagon und sein Lehrmeister ein schreckliches Ende gefunden hatten. Haggas war grausam. Der Tod, den er Loxagon und Massodo bereiten würde, würde ganz in Asmodis’ Sinn sein. Nachdem sie tagelang unterwegs gewesen waren und eine weite Strecke zurückgelegt hatten, stießen sie auf Haggas’ Vorhut. Die wilden Dämonen saßen auf feurigen Höllenpferden und griffen schreiend an. Haß verzerrte ihre Gesichter. Sie waren es gewohnt, alles, was sich ihnen entgegenstellte, zu vernichten. Loxagon und Massodo gingen in Abwehrstellung. Rücken an Rücken erwarteten sie die heulenden und brüllenden Reiter, deren Pferde mit trommelnden Hufen über die weite Ebene flogen. Loxagon zählte zehn Gegner. »Bald wird Haggas Heer um zehn Streiter kleiner sein!« behauptete Loxagon. »Vorsicht!« warnte ihn Massodo. »Sie sind falsch und voller Tücke.« »Tot!« knurrte Loxagon. »Das ist es, was sie in wenigen Augenblicken sein werden.«
*
Auf dem Weg nach Godthab gab es einige Turbulenzen, die das Flugzeug heftig schüttelten, doch Mr. Silver störte das nicht. Allmählich wurde der Flug ruhiger. Der Jet ließ die Schlechtwetterfront hinter sich, es klarte auf, und bald kam die Spitze Grönlands in Sicht. Von den rund zwei Millionen Quadratkilometern waren nicht einmal 350.000 Quadratkilometer eisfrei. Aus der Luft konnte man das sehr gut erkennen. Der Kapitän bat Mr. Silver über den Bordlautsprecher, sich anzuschnallen, und Augenblicke später setzte der Jet zum Landeanflug an. Von der 8000-Einwohner-Stadt Godthab, der Hauptstadt Grönlands, bekam der Ex-Dämon nicht viel mit. Sie lag malerisch, und sie hätte mit Sicherheit auch Sehenswürdigkeiten zu bieten gehabt, doch der Hüne kam nicht, um hier als Tourist ein paar beschauliche Tag zu verbringen. Er kam, um einen Dämon und seine Kristallwolfmeute zu vernichten. Die Maschine landete, und wieder einmal zeigte sich, wie weit Tucker Peckinpahs Arm reichte. Man behandelte Mr. Silver wie einen VIP-Passagier und völlig unbürokratisch. Was er bei sich hatte, wurde als Diplomatengepäck angesehen und nicht kontrolliert. Ohne Aufenthalt durfte er sich zum wartenden Hubschrauber begeben. Als der Pilot, ein Eskimo mit Pfannkuchengesicht und freundlichen Zügen, ihn kommen sah, setzte er den Rotor in Gang und öffnete die Kanzeltür. Der Ex-Dämon verstaute sein Gepäck hinter den Sitzen. Der Pilot hieß ihn herzlich willkommen, und sobald Mr. Silver neben ihm saß, hob die Maschine ab. Sie verließen den Flughafen von Godthab in nordwestlicher Richtung. In der Ferne ragte die Disko-Insel aus dem Meer. Der Eskimo behielt den Nordwestkurs nur kurze Zeit bei, dann schwenkte er nach Osten ab und flog ins Landesinnere.
Bald hatten sie ewiges Eis unter sich. Jemand schien ein riesiges weißes Laken über das Land gebreitet zu haben. Irgendwo dort unten in dieser endlosen weißen Weite lebte Yappoo, der Seelensauger, dessen Stunden bereits gezählt waren.
* Loxagon spannte blitzschnell ein unsichtbares magisches Seil, ohne daß er sich von der Stelle rührte. Nicht einmal Massodo bekam es mit. Erst als die Pferde mit dem unsichtbaren Fallstrick in Berührung kamen, glühte er auf. Wiehernd stürzten die Tiere, und die brüllenden Reiter flogen in hohem Bogen durch die Luft. Jetzt schrie Loxagon. Es war ein lauter, grausamer Schrei, den er ausstieß. Er löste sich von Massodo und fiel über die Feinde her. Er verletzte sie schwer, und mancher Schwertstreich war sofort tödlich. Massodo nahm sich der verletzten Feinde an. Eiskalt gab er ihnen den Rest. Angst und Entsetzen waren in den Augen derer, die er tötete, doch das rührte sein Mitleid nicht. Zwei Gegner sprangen Loxagon mit Panthersätzen an. Sie rissen ihn zu Boden und wollten mit ihren Schwertern seinen Leib durchbohren. Er zog die Beine an und rammte sie kraftvoll gegen seine Feinde. Im nächsten Moment stand er wieder, und seine magisch gestärkte Waffe traf einen der beiden. Der Krieger stieß einen letzten Schrei aus und verstummte für immer. Nur einer lebte noch. Er sprang auf, ehe ihn Loxagons Schwert traf und ergriff die Flucht. Er rannte zu seinem Pferd und wollte sich auf den Rücken des Tiers schwingen, doch ehe es dazu kam, schleuderte Massodo seinen Dolch, und der wilde Dämon fiel stöhnend gegen das Pferd. Verzweifelt versuchte er sich daran festzuhalten. Das Tier tänzelte nervös zur Seite. Seines Halts beraubt, sank der Krieger auf den Bo-
den und hauchte seine schwarze Seele aus. Zehn Feinde … Loxagon hatte sie im Handumdrehen erledigt, ohne dabei selbst auch nur die geringste Schramme davongetragen zu haben. Das erfüllte ihn mit Stolz, doch Massodo warnte ihn. »Du darfst jetzt nicht überheblich und unvorsichtig werden«, sagte er. »Haggas ist gefährlicher.« »Hat Haggas einen Baayl erlegt?« wollte Loxagon wissen. »Ja«, antwortete Massodo. »Das hat er.« »Ich werde ihn trotzdem besiegen, denn ich bin stärker als er. Ich wurde von Kasha, der Schakalin, im Zentrum der Höllensümpfe geboren und bin der Sohn Asmodis’.« »Ich zweifle nicht daran, daß du Haggas vernichten wirst«, sagte Massodo. »Ich möchte nur, daß du dich vorsiehst, wenn du ihm begegnest, denn so leicht wie diese zehn Krieger wird er es dir nicht machen.« Der bucklige Schwarzblütler holte sich seinen Dolch. Als er sich aufrichtete, sah er in der Ferne eine Staubwolke, die sich auf sie zubewegte. »Reiter«, sagte Loxagon. »Haggas«, drückte es Massodo präziser aus. Loxagon lachte. »Er wird nicht erfreut sein, wenn er sieht, was wir mit seiner Vorhut gemacht haben. Was meinst du? Ist Shibba bei ihm?« »Mit Sicherheit. Sie begleitet ihn überallhin.« »Das trifft sich gut, dann werde ich Haggas vor ihren Augen töten«, sagte Loxagon. Die wilde, zügellose Horde sprengte heran. Es gab keine Ordnung. Jeder Reiter wollte schneller sein als der andere. Der grauen Staubwolke entstiegen wüstes Geschrei und schrille Pfiffe. »Bald werde ich dieses Höllenheer befehligen«, sagte Loxagon. »Und Shibba wird an meiner Seite reiten.« »Diese Entwicklung wird Asmodis’ Unruhe schüren«, sagte der buck-
lige Schwarzblütler. Er blies seinen breiten Brustkorb auf und starrte den Reitern mit schmal gewordenen Raubkatzenaugen entgegen. Loxagon blickte auf sein Schwert. Das Blut der getöteten Feinde glänzte auf der Klinge. Zehn tote Dämonen lagen um ihn herum. Ihr Anblick würde Haggas blind vor Wut machen. Das hoffte Loxagon jedenfalls, denn Wut war eine Vorgabe an den Gegner. Ungerührt und furchtlos stand Loxagon da, bereit, seinen zweiten großen Sieg zu erringen. Die wilde Horde kam näher. Der Wildeste von allen war Haggas. Er ritt an der Spitze. Jetzt stieg sein Pferd wiehernd hoch. Er blickte auf seine vernichtete Vorhut und brüllte: »Wer hat das gewagt?« Loxagon hob sein blutiges Schwert. »Ich!« antwortete er mit kräftiger Stimme. »Wer bist du?« wollte Haggas wissen. »Mein Name ist Loxagon. Ich will dein Höllenheer, und ich will Shibba.« Haggas lachte rauh. »Da hast du dir viel vorgenommen, Wicht! Meinst du nicht, daß ich diese Entscheidung treffen müßte?« »Nein«, erwiderte Loxagon. »Denn deine Meinung interessiert mich nicht. Du bist soeben zur größten Nebensache der Hölle geworden!« Haggas schüttelte sich vor Lachen. »He, Buckliger!« wandte er sich an Massodo. »Hat dein Freund den Verstand verloren?« »Er wird dich töten, Haggas«, antwortete Massodo ernst. »Zwei Verrückte«, stellte Haggas fest. Loxagon stieß sein Schwert in Haggas’ Richtung. »Ich fordere dich zum Duell! Steig ab und kämpfe mit mir um alles, was du besitzt!« Plötzlich herrschte Totenstille. ENDE des ersten Teils
Die TONY-BALLARD-Crew … Tony Ballard – Londoner Privatdetektiv / kämpft seit Jahren erfolgreich gegen die Geschöpfe der Hölle / wird unterstützt von dem Industriellen Tucker Peckinpah (>) / seine Waffen: Dämonendiskus, magisches Feuerzeug, Colt Diamondback, silberne Wurfsterne Mr. Silver – Freund und Mitstreiter Tonys / ein Dämon von der Silberwelt, der sich dem Guten zuwandte / zwei Meter groß, silbernes Haar, kann vollständig zu Silber erstarren / liebt die Weiße Hexe Roxane (>) / beherrscht die Magie und viele phantastische Fähigkeiten Vicky Bonney – Tonys Freundin / erfolgreiche Autorin von Horror-Büchern / ausgebildet im Nahkampf und mit dem Wurfstern Jubilee – Teenager, den Tony von der Prä-Welt Coor rettete / würde in jungen Jahren durch den Dämon Cantacca von der Erde entführt / die Suche nach ihren wahren Eltern läuft Tucker Peckinpah – Industrieller / seit seine Frau von Dämonen getötet wurde und Tony Peckinpah beistand, unterstützt er finanziell und mit seinen guten Verbindungen den Dämonenjäger Cruv – ein kleiner, häßlicher Gnom von Coor / lebt mit seiner Freundin Tuvanna zusammen / arbeitet als Peckinpahs Leibwächter / Waffe: ein Stock mit eingebautem magischem Dreizack Roxanne – Weiße Hexe / Mr. Silvers Freundin / verfügt über magische Kräfte / wird verfolgt von dem Hexenjäger Stockard Ross und Mago, dem Jäger der abtrünnigen Hexen (>) Lance Selby/Oda – Er ein bekannter Parapsychologe, Sie eine weiße Hexe / bei ihrem Tod verschmolz ihr Geist mit seinem Körper / Selby verfügt seitdem über latente Hexenkräfte Boram – eigentlich von einem Magier geschaffen, um Tony zu vernichten, wechselte Boram zur guten Seite / besteht aus NesselgiftDämpfen, hat also keinen festen Körper/ entzieht durch Berührung
jedem Lebewesen Energie – bevorzugt Dämonen … Anthony Ballard – Tonys Urahn /ein Hexenhenker, der durch die Zeit in unsere Gegenwart kam / Mitglied des Weißen Kreises (>) / Waffe: sein Henkersbeil Professor Hale – Parapsychologe mit Professorentitel / steht hin und wieder Tony Ballard bei Chao Kai – Haies chinesischer Lieblingsschüler / ein Meister mit dem Wurfstern (natürlich silbern und geweiht) Pater Severin – ein Geistlicher, der seine »Schäfchen« nicht nur mit Predigten, sondern auch mit handfesten Taten betreut / ein moderner Don Camillo / streitet mit dem Kreuz gegen die Mächte der Hölle Noel Bannister – Tonys amerikanischer Freund / Agent des CIA / leitet eine Sonderabteilung für »aussichtslose Fälle« / sein ganz privater Erzfeind ist Professor Mortimer Kull(>) Vladek Rodensky – »unser« Mann in Wien / Brillenfabrikant / ein Freund der Ballard-Crew / hat ein Auge auf dämonische Aktivitäten auf dem Kontinent Der Weiße Kreis – besteht aus den Mitgliedern: Daryl Crenna (alias Pakka-dee), Mason Marchand (alias Fystanant) und Brian Colley (alias Thar-pex); drei Männer aus der Welt des Guten / auch Anthony Ballard (>) gehört dem Kreis an / wertvollster Besitz: Yuums Auge; eine Zeichnung, die aktuelle Höllenaktivitäten zeigt
… und ihre Feinde Satan/Teufel/Luzifer – drei Namen für das Böse an sich / Herrscher über die Reiche des Grauens Asmodis – der Fürst der Hölle / Befehlshaber über das Höllenheer: ein gnadenloser Tyrann, der auch unter den Höllengeschöpfen viele Feinde hat Atax – die »Seele des Teufels« / zwar im Rang niederer, doch in seinem Wesen dem Satan ebenbürtig / geschlechtsloser Dämon / sein Machthunger ist unersättlich Phorkys – der »Vater der Ungeheuer« / Dämon aus der griechischen Mythologie Mago – der Jäger der abtrünnigen Hexen / Odas Mörder / kann Schergen mit Höllenpeitschen erschaffen / ehemaliger Besitzer des Höllenschwertes (>) Stockard Ross – ein weiterer menschlicher Hexenjäger, der im Dienste der Hölle steht Metal – ein Silberdämon wie Mr. Silver / steht auf der Seite des Bösen / Erzfeind von Mr. Silver Arma – Metals Freundin / wurde einst getötet, doch ihr Geist übernahm einen neuen Körper Mortimer Kull – ein wahnsinniges Genie / leitet die OdS – die Organisation des Schreckens, die über die ganze Erde verteilt ist / machte sich selbst mit elektronischer Magie zum Halbdämon Yul – ein Cyborg – halb Roboter, halb Humanoid / eine Schöpfung aus Professor Kulls Labors / durch Höllennektar zum dämonischen Wesen aufgestiegen / stellte sich gegen Kull / zeitweise Besitzer des Höllenschwertes Yora – das Mädchen mit dem Seelendolch / kann mit dieser magischen Waffe Körper und Seele trennen / ihr Diener und Gefährte ist
z Zt. Frank Esslin (>) Frank Esslin – ehemaliger WHO-Arzt und bester Freund Tony Ballards / lief zur Hölle über und wurde zum Mordmagier ausgebildet / steht unter Yoras Führung / besitzt Tonys magischen Ring aus Lebensstein Marbu – eine geheimnisvolle afrikanische Kraft / Tony wurde vor einiger Zeit mit ihr infiziert und verändert sich seitdem zum Negativen / bislang konnte noch kein Gegenmittel gefunden werden Die Grausamen Fünf – Dämonen, die in einer Wolkenburg auf Coor (>) leben / ihr Anführer ist Höllenfaust Terence Pasquanell – ehemaliger Werwolfjäger / ihm wurden von der Hölle Herz und Augen geraubt / lebte als Zombie, bis Yora ihn mit magischen Diamanten, die nun seine Augen sind, zum »Dämon auf Zeit« machte Das Höllenschwert – schwarzmagische Waffe / wurde einst für den Dämon Loxagon auf dem Amboß des Grauens geschmiedet / wechselte nach Loxagons Tod mehrfach den Besitzer / z. Zt. in Mr. Silvers Händen / kann nur mit einem übermenschlich starken Willen beherrscht werden / entfaltet seine wahre Macht erst, wenn man die Klinge in Loxagons vergessenes Grab stößt und den Namen der Waffe erfährt
Die Welten des TONY BALLARD Protoc – die Welt der Paviandämonen und Lemuren Coor – die Prä-Welt / eine Parallel-Erde im Ur-Zustand / Reich der Drachen, Gnome, Zauberer und mannigfaltigen Geheimnissen Reich der grünen Schatten – Heimat der grünen Wesen Feuerwelt – hier brennt einfach alles: Wasser, Erde, Stein und Gras Welt des Guten – von dieser Welt stammen die Mitglieder des Weißen Kreises / ein Vorposten gegen die Macht des Bösen
Der Seelensauger von A. F. Morland Der große LOXAGON-Zyklus geht weiter! Viele Rätsel sind noch zu lösen, viele Gefahren zu meistern. Wird Marbu endgültig die Kontrolle über Tony Ballard gewinnen und ihn zum Bösen bekehren? Kann Loxagon, der Sohn des Teufels, den zahllosen Schergen seines mächtigen Vaters entgehen? Wird es Mr. Silver gelingen, das Geheimnis um das Höllenschwert zu enträtseln? Nur drei Fragen von vielen. Auch die zweite Folge des LOXAGONFünfteilers bringt Ihnen wieder atemlose Spannung, überraschende Wendungen und ein unheimliches Lesevergnügen. Ein Grusel-Thriller, den Sie nicht verpassen dürfen! Die Spur des Höllenschwerts führt Mr. Silver in die Eiswüste Grönlands. Dort soll sich der uralte Plan befinden, mit dessen Hilfe man Loxagons Grab aufspüren kann. Doch der Plan wird bewacht. Und Silver ist nicht der einzige, der ihn in seine Hände bekommen will. So sieht sich der Silberdämon plötzlich zwei Feinden gegenüber: dem Seelensauger und Cuca, der Mutter seines verschollenen Sohnes …