Bei seinem ersten Besuch auf dem Planeten Mongo hat Flash Gordon den grausamen Tyrannen Ming vom Thron gestoßen und ist...
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Bei seinem ersten Besuch auf dem Planeten Mongo hat Flash Gordon den grausamen Tyrannen Ming vom Thron gestoßen und ist damit zu einem legendären Helden geworden. Jetzt greift Mings Sohn nach der Macht. Er verbündet sich mit der Hexenkönigin Azura. Den Völkern von Mongo bleibt nur noch eine Hoffnung – Flash Gordon! Seit seinem ersten Erscheinen als Comic-Held ist Flash Gordon zu einer klassischen Figur der Science Fiction geworden. Seine Abenteuer inspirierten George Lucas zu seinem grandiosen KRIEG DER STERNE. Deutsche Erstveröffentlichung
Flash-Gordon-Romane bei Bastei-Lübbe: FLASH GORDON UND DIE LÖWENMENSCHEN (Bastei-Lübbe-Taschenbuch 21103) FLASH GORDON UND DIE HARMONIE DES TODES (Bastei-Lübbe-Taschenbuch 21108) FLASH GORDON UND DER WELTRAUM-ZIRKUS (Bastei-Lübbe-Taschenbuch 21112) FLASH GORDON UND DIE ZEITFALLE (Bastei-Lübbe-Taschenbuch 21119).
Alex Raymond/Carson Bingham
Flash Gordon und die Hexe von Mongo Science Fiction-Roman
Non-profit-ebook by tigger März 2004 Kein Verkauf!
BASTEI-LÜBBE-TASCHENBUCH Science Fiction Action Band 21 125
© Copyright 1974 by King Features Syndicate, Inc., Bulls Pressedienst, Frankfurt/Main All rights reserved Deutsche Lizenzausgabe 1980 Bastei-Verlag Gustav H. Lübbe, Bergisch Gladbach Originaltitel: THE WITCH QUEEN OF MONGO Ins Deutsche übertragen von Marcel Bieger Titelillustration: Melvyn Umschlaggestaltung: Bastei-Grafik (W) Druck und Verarbeitung: Mohndruck Graphische Betriebe GmbH, Gütersloh Printed in Western Germany ISBN 3-404-01469-3
I Ein Blitz zuckte über dem Black Hat Mountain und ließ kurz die Konturen der Labor Ranch von Dr. Hans Zarkow erkennen, die in einiger Entfernung in der Wüste lag. Zwanzig Meilen entfernt, in der flachen, menschenleeren Wüste, sah Flash Gordon die Ranch. Er wandte sich Dale Arden zu. Beide saßen in einem X-905-WM-Sportwagen. »Wir sind bald da, Dale«, sagte Flash mit einem Lächeln. »Ich hoffe, dann machst du dir keine Sorgen mehr um unsere Sicherheit.« Flash war ein stämmiger junger Mann mit lockigem blonden Haar, blauen Augen und einem gewinnenden Lächeln. Er trug bequeme Sportkleidung. Der Hemdkragen stand offen, und die Hose saß ausgezeichnet. »Mach nur so weiter«, sagte Dale traurig. »Sag mir, daß ich ein dummes Mädchen bin. Aber du kannst nichts daran ändern, daß mich während der Fahrt ein ungutes Gefühl beschlichen hat.« Dale war ein schlankes, dunkelhaariges Mädchen in den Zwanziger. Für eine Frau war sie ziemlich groß geraten, aber dennoch hatte sie ein aufregend weibliches Flair. Bekleidet mit einem kurzen Rock und einer Bluse, wirkte sie sehr anziehend. »Na, was soll das denn?« sagte Flash. Er versuchte seine Freundin wegen dieses seltsamen Gefühls aufzuziehen. »In fünf Minuten sind wir da. Dr. Zarkow wird uns erklären, warum er uns so dringend herbestellte. Und dann können wir drei uns einen gemütlichen Abend machen und herzlich über deine Befürchtungen lachen.« »Ich hoffe es«, sagte Dale wenig überzeugt. Sie starrte wieder hinaus in die dunkle Wüste, die sich um sie herum in alle Himmelsrichtungen erstreckte. Hinter ihnen zeichnete sich am Horizont die Silhouette von Megalopolis West ab. Vor gut zwei Stunden hatten sie die Stadt verlassen. 5
Flash seufzte. »Also heraus damit. Was bedrückt dich?« »Ich glaube, jemand beobachtet uns, Flash«, sagte Dale. »Ich weiß auch nicht, aber ich kann mir da nicht helfen.« Flash streckte seinen Arm aus und beschrieb einen Halbkreis. »Also wer sollte uns hier beobachten? Man kann meilenweit jede Richtung überblicken.« »Das weiß ich auch«, sagte Dale aufgebracht. »Ich kann ja auch nichts dafür. Es sitzt einfach in meinem Kopf drin und will nicht weg.« Der X-905-WM schoß auf der ebenen Straße entlang, die pfeilgerade durch die Wüste führte. »Wenn Dr. Zarkow sich nur nicht so zimperlich mit seinem vollgestopften alten Labor anstellen würde«, beklagte sich Dale schnaubend. »Wir könnten mit einem Luftwagen ganz einfach auf seiner Ranch landen. Aber nein – er muß erst seinen ganzen Sicherheitszirkus abrollen lassen: Radarfallen, antimagnetische Netze und die sonstigen Verteidigungsanlagen.« »Aber du kennst doch Doc«, sagte Flash beschwichtigend. »Er könnte seine ganzen Überwachungsschirme einfach abstellen, bis wir sicher gelandet wären«, sagte sie brummig. »Aber nein, wir müssen mit so einem furchtbaren Bodenwagen zu ihm hinkriechen!« »Ich habe Doc seit sechs Monaten nicht mehr gesehen, Dale. Ich freue mich richtig darauf, ihn wiederzusehen. Was ist bloß in dich gefahren, Dale?« Dale zuckte die Achseln. »Ach, ich weiß es auch nicht.« Wieder sah sie sich mißtrauisch nach allen Seiten um. »Hier draußen ist irgend etwas, Flash.« Es war pechschwarz in der Wüste. Flash fuhr die direkte Verbindung zwischen Megalopolis West und Zarkows berühmter ZZZ-Ranch, die sich mitten in der Mojave-Wüste, USA, Erde, befand. Jetzt war es dreiundzwanzig Uhr dreißig. Gegen einundzwanzig Uhr hatte Flash den Anruf über Vidphone von Zarkow bekommen. Er hatte Dale vom Weltrats-Gebäude ab6
geholt. Dort arbeiteten sie beide im Moment. Flash war in seinem X-905 Sportwagen durch das Tal auf die Berge zugefahren. Der X-905 war das neueste Bodenfahrzeugmodell der World Motors. »Hat er dir irgendeinen Hinweis gegeben, was er eigentlich von uns will?« fragte Dale. »Nein.« Dale saß steif wie ein Brett auf ihrem Sitz und hatte die Hände in den Schoß gelegt. »Ich hoffe, es ist nicht wieder einer seiner lästigen Laborwitze.« Flash blieb keine Zeit, ihr zu antworten. Der Wechsel trat so urplötzlich auf, daß er noch nicht einmal die Veränderung der Landschaft und Beleuchtung bemerkte. Die Nacht und die Wüste hatten eigentlich nicht aufgehört, ebenso, wie diese hell erleuchtete, fremdartige und unbeschreibliche Landschaft eigentlich nicht begonnen hatte, die sie gerade durchführen. »Flash!« keuchte Dale mit weit aufgerissenen Augen. Flash wandte sich ihr stirnrunzelnd zu. »Was ist geschehen?« »Ich-ich habe keine Ahnung!« Instinktiv verringerte Flash die Geschwindigkeit des X-905 und starrte auf die fremdartige Umgebung. Sie glich in keiner Weise der Erde. Weder ähnelte sie einem wilden, unberührten Land noch einer steinigen Mondlandschaft. Eine wirklich befremdliche und unglaubliche Aussicht bot sich ihm. Verwirrt dachte sich Flash, daß es ihm so vorkam, als würden sie durch einen Eiscremewall fahren, auf dessen Spitze sich Schokoladensoße mit roten Maraschino-Kirschen befand. Der Wagen hielt an, und Flash stellte den Motor ab. Er starrte aus dem Wagen. »Ich könnte schwören, daß ich einer Halluzination erliege«, sagte er halb zu sich selbst. »Das geht mir auch so«, sagte Dale. »Es – es sieht aus – wie –« Beide sprachen es gleichzeitig aus: »Wie ein Eisbecher!« Dale straffte ihre Gestalt. »Das ist bestimmt einer von Zar7
kows witzigen Tricks, darauf kannst du wetten. Vielleicht etwas in Richtung Massenhypnose.« Flash nickte. »Ich glaube, du hast recht.« Er starrte wieder hinaus, und die fremde Landschaft schien völlig unverändert zu sein. Das Eiscreme-Gelände wuchs vom Rand der Straße, auf dem der X-905 stand, zu beiden Seiten zu einem abgerundeten Wall hoch. Eine dicke Schicht von etwas, das wie Schokoladensoße aussah, bildete die Spitze dieser Dämme. Flash öffnete die Tür des Wagens. »Ich will doch mal sehen, was das zu bedeuten hat«, sagte er kurz angebunden. Dale antwortete nicht. Sie starrte nur ungläubig aus dem Wagenfenster auf die bizarren Gebilde. Draußen war helles Tageslicht. Aber als Flash nach oben sah, konnte er keine Sonne entdecken. Eine indirekte Beleuchtung, die überall herkam, schien hier für die Helligkeit zu sorgen. Waren sie auf einer fremdartigen Welt, die weder eine Sonne noch einen Mond benötigte? »Was ist denn das?« murmelte Flash und starrte auf die Füße. Er war aus dem Wagen auf die Fahrbahn gestiegen und glaubte sich immer noch auf demselben Schotterbelag wie vorhin zu befinden. Aber dem war nicht so. Der Belag ähnelte jetzt mehr Lakritze. Flash bückte sich und berührte das Material mit den Fingern. Der Boden war klebrig und gab seinem Druck nach. Als Flash sich die Finger unter die Nase hielt und dran roch, wußte er, daß er recht gehabt hatte – er roch den unverwechselbaren Geruch von Lakritze. Er leckte mit der Zunge über die Finger. »Es ist Lakritze, Dale!« »Was hast du gesagt?« »Die Straße – sie ist zu Lakritze geworden.« »Lakritze?« wiederholte sie. Erst jetzt wurde ihr klar, was Flash gesagt hatte. 8
»Lakritze.« Ungläubig öffnete Dale die Tür und stieg aus. Verwirrt runzelte sie die Stirn. Auch sie bückte sich, um den Straßenbelag zu berühren. »Das ist ja verrückt!« flüsterte sie. Flash hatte sich inzwischen von der Lakritzen-Straße abgewandt. Er wollte die Eiscreme-Wälle studieren. Flash ging auf einen zu und berührte ihn. Dann drehte er sich um und starrte Dale an. »Du wirst es nicht für möglich halten, Dale. Es ist Vanilleeis.« Dales Gesicht war kalkweiß. »Ich habe befürchtet, daß du das sagen würdest.« Plötzlich entdeckten Flashs Augen eine Veränderung in der Eiscrememauer. Er folgte der Straße bis dorthin. Dale folgte und holte ihn ein. »Wie sieht das denn aus?« »Das will ich ja gerade herausfinden«, sagte Flash. Als sie die betreffende Stelle erreichten, entdeckten sie, daß sie einem milchigen Kristall ähnelte. Die Form des Kristalls erinnerte an eine Gesteinsformation. Aber als sie näher traten, bemerkten beide, daß es sich hier keineswegs um einen Stein handelte. Es ähnelte in seiner Form nur einem Felsbrocken. Eine ganze Weile standen sie vor dem Brocken, der in Hüfthöhe vor ihnen lag. Dann erst traute Flash sich, die Hand auszustrecken und das Gebilde zu berühren. »Dale«, flüsterte er, »weißt du, was das ist?« Sie schüttelte den Kopf und machte einen furchtsamen Eindruck. »Hast du jemals eine Zuckerstange gegessen?« Dale zuckte mit den Wimpern. »Klar, als ich noch ein Kind war, haben wir gelegentlich eine geschenkt bekommen. Sie werden doch aus gekochtem Zucker gemacht, nicht wahr? Flüssiger Zucker, der getrocknet wird, bis er kristallisiert?« »Das stimmt«, sagte Flash. Er berührte den felsartigen Vorsprung und steckte dann erneut den Finger in den Mund. »Eine 9
Zuckerstange, Dale.« Sie trat neben ihn, berührte ebenfalls das Gebilde und kostete an ihrem Finger. Beide starrten sich an. Dann sagte Flash: »Das ist es! Jetzt hab ich’s.« »Was?« »Wir befinden uns mittendrin, mitten im großen Zuckerstangenberg!« Dale starrte ihn an, als wäre er nicht mehr Herr seiner Sinne. »Der große Zuckerstangenberg? Bist du verrückt geworden?« »Vielleicht«, sagte Flash lachend. »Aber genau da sind wir im Moment. Es gibt ein altes Lied: ›Der große Zuckerstangenberg.‹ Jedes Kind hat diese Wunschvorstellung, wenn es noch jünger ist. Den Wunsch nämlich, einmal das Land zu finden, wo anstatt Bäumen Dauerlutscher wachsen, wo es Limonadenflüsse, Kakaoseen und Häuser aus Eiscreme gibt.« »Aber das ist doch nur eine Wunschvorstellung, Flash«, hauchte Dale. Flash nickte. Er wandte sich von ihr ab und sah auf das wellige Gelände des Eiscremewalls. »Aber wie sind wir hierhergekommen?« fragte er sich. »Und wie kommen wir hier wieder heraus?« fragte Dale und schüttelte sich. »Es ist ja so, als ob man sich im Alptraum eines Verrückten befände.« Flash blickte sie an. »Eines Verrückten? Der Verstand eines Erwachsenen, der sich das hier ausdenkt, muß wohl krank sein. Aber wenn ein Kind sich das vorstellt, Dale, dann ist das nicht verrückt. Wenn ein Kind sich das hier ausgedacht hat, kann es sich um ein geistig sehr gesundes Kind handeln.« Eine von Dales Augenbrauen zuckte hoch. »Doc Zarkow? Meinst du, er hat sich diesen Anschlag ausgedacht und uns in die Phantasie eines Fremden versetzt?« »Ich habe keine Ahnung«, sagte Flash kopfschüttelnd. »Das ist mir zu hoch.« Er zog Dale an der Hand mit sich. »Komm 10
wir gehen zum Wagen zurück.« »Aber was hast du denn vor?« »Die Straße entlangfahren und nachsehen, wohin sie führt«, sagte er. Dale dachte einen Moment nach. »Ich glaube, das ist das einzige, was wir tun können.« »Und dann werde ich Proben von dem Zeugs einsammeln, um festzustellen, ob es echt ist, oder ob es sich nur um eine Halluzination handelt.« Dale stellte sich neben ihn. »Ich möchte auch mal probieren.« Flash bückte sich und scharrte mit der Hand etwas von der Eiscreme-Substanz zusammen. Dann leckte er daran. »Vanille«, sagte er. »Und es schmeckt ausgezeichnet.« Auch Dale probierte. »Hhhm, ich habe noch nie ein so köstliches Vanilleeis gegessen.« Flash seufzte. »Komm schon. Wir wollen in den Wagen zurück. Mal sehen, was uns bei dieser Vorstellung als nächstes erwartet?« Dale starrte ihn an. »Du glaubst –?« »Es ist sicher Dr. Zarkow. Ich wüßte nur zu gern, was er damit bezwecken will?« Sie stiegen in den Wagen, und Flash startete. Nach einer halben Meile auf der Lakritze-Straße konnten sie leuchtend bemalte Dauerlutscher zu beiden Seiten der Straße ausmachen. Eine Art Zuckerwald. Dann überquerten sie eine Brücke. Die war von Rohren aus Zucker und Platten aus Schokolade gebaut. Unter der Brücke plätscherte vergnügt ein Bach, der offensichtlich aus perlender Limonade bestand, durch Zuckerfelsen. Große Kaugummifelsen wuchsen aus einem Hügel heraus, der offensichtlich aus Apfeltorte bestand. Plötzlich hing ein Lachen in der Luft – ein brüllendes, vertraut klingendes Gelächter. »Dr. Zarkow, Sie Teufel!« schrie Flash scherzhaft. »Was 11
wollen Sie mit ihrem neuesten Trick erreichen?« Dale schrie auf. Flash fühlte, wie sich unter seiner Hand das Steuerrad in eine Lakritzstange verwandelte. Dann entdeckte er, daß auch das Auto sich verändert hatte – in harte weiße Schokolade, überzogen mit Schlagsahne. Trotzdem fuhr das Gefährt unverändert weiter. Plötzlich hörte er, wie Dale Arden in Todesangst aufkreischte. »Der Verstand hat uns im Stich gelassen, Flash, wir sind verrückt geworden!« Ohne Ankündigung begann der Himmel über ihnen zu schmelzen, und der Wagen löste sich während der Fahrt auf. Die schmelzenden Eiscremedämme drohten auf sie niederzustürzen. Dann fühlten beide, wie sie tiefer und tiefer in einem Morast aus Zucker, Eiscreme und Schokolade versanken. Urplötzlich fanden sie sich auf Sesseln in einem Wohnzimmer wieder. »Na«, sagte Dr. Zarkow und grinste beide an. »Wie hat euch mein Experiment gefallen?« Damit warf er den Kopf in den Nacken und lachte schallend.
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II Dr. Hans Zarkow war ein großer, kräftiger Mann mit einem langen schwarzen Bart und intelligenten dunklen Augen. Er verschränkte die Arme vor der Brust und lächelte leutselig. »Schaut doch nicht so verdutzt drein, meine Freunde«, erklärte er Flash und Dale. Flash erhob sich aus dem Sessel, in dem er sich gerade eben wiedergefunden hatte. Er trat auf Zarkow zu. »Doc, war das wieder einer Ihrer verrückten Tricks? Wie hat das denn überhaupt funktioniert?« Zarkow blickte auf Flash und brach in tosendes Gelächter aus. »Ganz schön geheimnisvoll, nicht wahr?« Das dunkelhaarige Mädchen rutschte unruhig auf ihrem Stuhl hin und her und sagte schnippisch: »Doc, Sie sind ein Kindskopf. Wissen Sie das? Sie werden wohl nie erwachsen.« Zarkows Augen weiteten sich unschuldig. »Was ist denn los, Dale? Sie scheinen aufgebracht zu sein.« Er lachte wieder dröhnend und fuhr sich mit den Fingern durch den schwarzen Bart. »Was war es?« fragte Flash. Er stand jetzt unmittelbar vor Zarkow und nahm eine bedrohliche Haltung ein. »War es TeleHypnose?« Zarkow beruhigte Flash mit einer Handbewegung. Die Augen des Doktors verrieten seine Furcht, daß Flash in seinem großen Ärger ihm gegenüber handgreiflich werden könnte. »Setzen Sie sich wieder hin, Flash, und beruhigen Sie sich.« Flash sah ihn wütend an, kehrte dann aber zu seinem Sessel zurück. Zarkow durchschritt das riesige Wohnzimmer seines Wüstenlabors. Einmal spähte er hinaus in die dunkle Nacht. Dann wandte er sich Flash und Dale zu. Die muskulösen Arme hatte er über der Brust verschränkt. Er trug ein helles Sporthemd und sich verjüngende Hosen, die in Wüsten-Lederstiefeln ver13
schwanden. »Also«, begann er, »ich hätte euch beiden auch den posthypnotischen Befehl geben können, die letzten zehn Minuten eurer Fahrt durch die Wüste zu vergessen, als ihr hier angekommen seid. Ich habe euch nämlich auch die Vorstellung eingegeben, als ihr durch das merkwürdige Land aus Eiscreme und Zucker gefahren seid, wißt ihr das?« »Vorsicht, Doktor«, knurrte Flash. Er hatte sich schon wieder halb aus dem Sessel erhoben. »Wenn Sie wieder einen Trick an uns ausprobieren wollen –« »Keine Tricks«, erwiderte Zarkow eilig. »Ich habe gesagt, ich könnte euch posthypnotisch eine Vorstellung eingeben.« »Natürlich«, sagte Dale ruhig. »Aber das haben Sie nicht getan.« »Stimmt, das habe ich nicht getan.« Zarkow marschierte durch den halben Raum und blickte auf seine beiden Freunde. »Habt ihr je etwas von Psychokinese gehört?« »Klar«, sagte Flash. »Das ist die Fähigkeit, mittels Geisteskraft Gegenstände zu bewegen.« »Richtig. Es ist eine Art übersinnlicher Fähigkeit. Bis jetzt weiß man noch nicht allzuviel darüber. Aber die Wissenschaft bezweifelt nicht ihre Existenz.« Flash runzelte die Stirn. »Aber ich verstehe noch immer nicht, wie –« »Lassen Sie mich fortfahren«, sagte Zarkow lächelnd. »Den außersinnlichen Wahrnehmungen sehr verwandt ist das Zweite Gesicht. Die Fähigkeit also, etwas zu sehen, das weit von einem entfernt und mit bloßem Auge nicht zu entdecken ist.« »Das weiß doch jeder«, schnaubte Flash. »Seien Sie nicht so ungeduldig, mein Freund«, sagte Zarkow. »Das Zweite Gesicht ist die Fähigkeit, etwas zu sehen, das sich außerhalb des Blickfeldes befindet. Wir wissen zuwenig über die außersinnlichen Wahrnehmungen, um sie erklären zu können, wie ich schon erwähnte. Und eigentlich wissen wir noch 14
nicht einmal, wie sie funktionieren.« Dale nickte dazu. »Und wir wissen zuwenig über außersinnliche Wahrnehmungen, um die Übermittlung einer Botschaft zwischen zwei Personen mittels Telepathie als unmöglich abzutun, oder?« »Okay, Doc«, sagte Flash. »Wollen Sie mir etwa sagen, Sie hätten uns die Botschaft ins Gehirn gepflanzt, durch den großen Zuckerstangenberg zu fahren?« Zarkow strich sich gedankenverloren über den Bart. »Nicht ganz«, sagte er. »Aber wenn man alles zusammenrechnet, was wir über die außersinnlichen Wahrnehmungen wissen, kann man doch sagen, daß das möglich wäre. Nicht wahr?« »Nun gut«, brummte Flash, »ich gebe zu, es wäre möglich.« Zarkow kicherte vergnügt. Dale richtete sich kerzengerade in ihrem Sessel auf. Ihre Augen waren weit geöffnet. »Aber Sie haben uns diese Botschaft nicht eingegeben!« »Ich nicht«, sagte Zarkow sanft. »Aber jemand anderes.« »Wer?« fragte Flash mit einem finsteren Blick. Zarkow ging auf Flash zu, bis er direkt vor ihm stand. »Zuerst möchte ich, daß Sie zugeben, daß Sie einer Art telepathischer Täuschung erlegen sein könnten.« Flash runzelte die Stirn. »Oh, na gut, ich gebe das zu.« »Ferner möchte ich, daß Sie mir versprechen, nicht über mein Medium zu lachen.« »Wer ist denn das?« fragte Dale. Zarkow wandte sich zu einer entfernten Tür. Diese, so wußte Flash, führte zu einem der drei Schlafzimmer in diesem Haus. »Willie!« rief Zarkow. Einen Moment lang herrschte Stille. Dann öffnete sich langsam die Tür. Flash und Dale starrten sie intensiv an. Durch die Tür trat eine hochaufgeschossene, dünne jugendliche Gestalt. Der junge Mann schien fünfzehn Jahre alt zu sein. 15
Einen Moment blieb er verlegen dort stehen. Das Gesicht färbte sich rot, und er starrte schüchtern auf den Boden. Der Junge schien nur aus Haut und Knochen zu bestehen. Arme und Beine waren zu lang geraten, und auch der Hals war lang und dürr. Der Kopf schien für den schmächtigen Körper zu groß zu sein, und die Ohren wiederum zu groß für den Kopf. Er hatte lockige rote Haare, die wirr vom Kopf abstanden. In seinem blassen Gesicht fielen vor allem die Sommersprossen auf. Die Augen waren grün, aber ihr Ausdruck war leer, so als ob der junge Mann nie einen klaren Gedanken fassen könnte. Er trug ein T-Shirt und eine bunte Hose. Der Gürtel der Hose war zu groß für die Taille des Jungen. Um ihm einen besseren Halt zu geben, waren an der Hose Extraschlaufen angebracht worden. »Willie«, sagte Zarkow, »ich möchte dir zwei meiner besten Freunde vorstellen.« Flash war überrascht, wie Zarkow sich dem Jungen gegenüber verhielt – ganz im Gegensatz zu seiner sonstigen überschwenglichen, unbeherrschten Art. Jetzt schien Zarkow eher beherrscht und höflich zu sein. Der Junge hob den Kopf und sah auf Zarkow, dann auf Flash und schließlich auf Dale. Als sein Blick auf Dale fiel, errötete er wieder und blickte rasch woanders hin. »Das ist Flash Gordon«, sagte Zarkow, »und das Dale Arden.« Willie sah wieder hoch und ging quer durch den Raum auf die beiden zu. »Wie geht es Ihnen?« brachte er unbeholfen heraus. Seine Stimme befand sich noch im Stimmbruch, und so klangen manche Worte schrill. Flash stand auf und reichte ihm die Hand. »Hallo, Willie.« »Hallo, Mr. Gordon«, sagte Willie. Die Hand, die Flash ergriff, war kräftig, aber auf schmerzhafte Weise knöchern. Dann wandte Willie sich Dale zu. Er brachte sogar so etwas 16
wie eine höfliche Verbeugung zustande. »Miß Arden«, sagte er. Dale lachte und streckte ihm die Hand entgegen. »Hallo, Willie.« Willie griff nach der Hand und errötete ein weiteres Mal. »Mit richtigem Namen heißt er William Edgar Casey«, verkündete Zarkow. »Aber sein Rufname ist Willie, Willie der Sorgenlose.« Willie war das unangenehm, und er trat einen Schritt zurück, aus dem Blickfeld heraus. »Der Sorgenlose?« fragte Flash. »Er hat halt keine Sorgen«, sagte Zarkow mit einem freundlichen Kichern. »Er ist ein Träumer«, fuhr Zarkow mit einem Blick auf Willie fort. Der Junge starrte wieder auf den Boden. »Das ist auch der Grund, weshalb man ihn zu mir geschickt hat. Man nimmt an, ich könnte etwas mit ihm anfangen.« »Sie sind ein Astrophysiker, Doc, ein Nuklearwissenschaftler und ein Raumspezialist«, sagte Dale gelassen. »Seit wann interessieren Sie sich für Menschen?« Zarkows Blick verdüsterte sich. »Aber das hängt doch damit zusammen, Dale, Willie meine ich. Er hat eines der am besten funktionierenden Gehirne auf der ganzen Welt. Ich soll ihm alles beibringen, was ich weiß. Erst hier im Labor habe ich herausgefunden, daß er –« »Wo kommst du her, Willie?« fragte Flash und unterbrach damit Zarkow. »Ich bin ein Waisenkind«, sagte Willie mit einem matten Lächeln. »Ich bin im Welt-Wissenschafts-Zentrum in Megalopolis West zur Schule gegangen. Dort hat Dr. Zarkow mich auch gefunden.« Wieder senkte der Junge den Kopf. »Das war so«, dröhnte Zarkow, »sie hielten Willie dort für einen Versager, weil er nie seine Hausaufgaben machte und im Unterricht nicht aufpaßte. Aber als er einem Intelligenztest unterzogen wurde, hat er von zweitausend Fragen nur zwei 17
falsch beantwortet. Deshalb hat man sich dann an mich gewandt.« Zarkow strahlte. »Man hält mich für den größten Astrophysiker der Nation. So war es nur natürlich, daß man ihn mir zum Unterricht überließ.« Dale verzog das Gesicht zu einer Grimasse. »Natürlich.« »Als Willie hierherkam, habe ich herausgefunden, warum man ihn für einen Versager hält.« »Und warum, bitteschön?« fragte Flash und sah zu Willie. Der Junge grinste. »Er ist ein Träumer«, sagte Zarkow. »Weil er alle Probleme mit Leichtigkeit lösen kann, verbringt er die meiste Zeit mit Träumereien.« »Aber ich verstehe noch immer nicht, warum Sie in seinem Zusammenhang Psychokinese und außersinnliche Fähigkeiten erwähnten«, fragte Flash verwirrt. Zarkow setzte sich und lehnte sich in seinem Sessel zurück. Er forderte Willie auf, sich neben ihn zu setzen. »Willie weiß auch nicht, woher er diese Fähigkeit hat«, erklärte Zarkow. »Aber eines Tages, als Willie gerade wieder seinen Träumen nachging, hat er plötzlich –« Doc hielt inne. »Warum erzählst du es ihnen nicht selber, Willie?« Willie nickte, sah aber verwirrt aus. »Zum ersten Mal passierte es nur in der Schule, im Welt-Wissenschafts-Zentrum. Gerade war eine Stunde zu Ende gegangen und ich sah, in Träume versunken, aus dem Fenster. Da sah ich in der Ferne den Gipfel eines Berges. Ich glaube, es war der Old Baldy. Ich fragte mich wie es wohl dort auf dem Berggipfel sein würde. Irgendwie wünschte ich mir, dort zu sein«, sagte Willie langsam. »Und plötzlich befand ich mich auf dem Berg.« Flash zuckte in seinem Sessel zusammen. »Du meinst, du hast es dir nur gewünscht, und plötzlich hast du auf dem Berggipfel gestanden?« »Genau so«, sagte Willie mit einem wenig intelligenten Lächeln. »Ich war wirklich auf dem Berg«, fügte er kichernd hin18
zu. »Ich spazierte zwischen Bäumen und durch das Unterholz. Auch den Boden habe ich angefaßt und solche Sachen. Ich habe mich sogar selber gekniffen.« Jetzt kicherte er richtig los. »Doch, ich war wirklich da.« »Und wie bist du wieder zurückgekommen?« »Auf einmal hatte ich genug von dem Berg, und dann habe ich einfach – nun, ich habe einfach meine Gedanken treiben lassen, verstehen Sie. Und dann saß ich wieder im Klassenzimmer.« Flash sah Zarkow an, und Zarkow lachte. »Verstehen Sie jetzt?« fragte Doc. »Und was war im Klassenzimmer? Hat niemand deine Abwesenheit bemerkt?« »Ich glaube nicht. Ich nehme an, ich war die ganze Zeit immer noch im Klassenzimmer anwesend, als ich auf dem Berg weilte«, sagte Willie bedächtig. »Oder vielleicht hat mein ganzer Bergaufenthalt auch nur den Bruchteil einer Sekunde gedauert. Können Sie mir folgen?« Flash nickte. »So etwa.« »Von da an habe ich mehrere Ausflüge unternommen«, sagte Willie. »Hast du jemandem davon erzählt?« fragte Dale. »Nein«, antwortete Willie und senkte tief in Gedanken versunken den Kopf. »Halten Sie mich für verrückt? Man hätte behauptet, ich habe den Verstand verloren.« »Das wäre auch nicht verwunderlich«, lachte Flash. »Dann gelangte ich hierher in die Wüste. Eines Tages stellte ich mir vor, ich säße auf dem Black Hat, und schon war ich da. Dr. Zarkow hat davon nichts bemerkt«, er gluckste schelmisch. »Aber wie haben Sie Willies Fähigkeit entdeckt, Doc?« fragte Flash. Zarkow lächelte schüchtern. »Eines Tages arbeiteten Willie und ich am großen Labor-Teleskop. Wir notierten unsere Beobachtungen über ein Gebilde im Raum, das wir für einen 19
Quasar hielten. Und plötzlich – Peng! – standen wir beide auf einem anderen Planeten.« Flash sprang fast vom Sessel auf. »Das stimmt«, bestätigte Willie. »Ich wünschte mir lediglich, mit Doc auf diesem Planeten zu sein.« »Das ist ja nicht zu fassen«, sagte Dale verwundert. »Aber wie sind Sie denn wieder zurückgekommen?« fragte Flash Zarkow. »Willie hatte schließlich genug von seinem Wunsch – so drückte er es jedenfalls aus –, und dann befanden wir uns wieder im Labor.« Zarkow schüttelte, immer noch verwundert, den Kopf und zupfte sich am Bart. »Nur ein oder zwei furchtbare Augenblicke hat es gedauert, mehr nicht. Ich habe daraufhin Willie das Versprechen abgenommen, so etwas nie wieder zu tun.« Willie lächelte. Dale sah ihn an. »Was ist daran so komisch, Willie?« »Ich kann so viel versprechen wie ich will und es auch ehrlich meinen. Aber wenn meine Vorstellungskraft mich übermannt, kann ich für nichts mehr garantieren. Ich werde einfach an mein Wunschziel versetzt – und mittlerweile muß Doc immer mit.« Zarkow zupfte erneut am Bart. » Aus diesem Grund habe ich nach euch geschickt. Ihr solltet Willie nicht nur kennenlernen, sondern auch mit mir zusammen versuchen, seine Fähigkeiten unter Kontrolle zu bekommen.« »Sie meinen, wir sollen so lange mit Willies Talent experimentieren, bis der Junge genau aufklären kann, wie er es fertigbringt sich und andere von einem Platz zu einem anderen zu versetzen?« »Genau«, sagte Zarkow. Flash wandte sich an Willie. »Was hast du da draußen mit uns gemacht, Willie, als wir im Wagen hierhergefahren sind?« Willies Gesicht rötete sich erneut, und er starrte schüchtern 20
zu Boden. »Wissen Sie, ich hatte noch Appetit, aber Doc ließ mich heute keinen zweiten Nachtisch haben. Deshalb war ich auf ihn sauer. Als ich dann aus dem Fenster sah, entdeckte ich die Scheinwerfer Ihres Wagens, die durch die Wüste schienen, und über die Sandhügel der Wüste assoziierte ich Eiscremeberge. So wünschte ich mich an einen Platz, wo ich all das Eis oder die sonstigen Süßigkeiten bekommen könnte. Wie eben den großen Zuckerstangenberg. Schlagartig befand ich mich am Ziel meiner Wünsche und versetzte Sie beide auch dorthin. Denn ich hatte gerade entdeckt, daß Ihr Wagen in das Laborgelände einbog. Und dann steckten Sie auch in meinem Wunschland und fuhren mit mir durch Eiscremewälle und Dauerlutscherbäume.« »Aber wir haben dich nicht entdeckt«, sagte Dale. »Nein, natürlich nicht. Ich wollte ja unentdeckt bleiben.« Flash schüttelte den Kopf. »Das ist ja eine erstaunliche Begabung, Willie. Ich kann sie mir nicht erklären, aber sie scheint mir sehr gefährlich zu sein.« »Nicht, wenn sie nur für gute Zwecke eingesetzt wird, Flash«, sagte Zarkow bestimmt. »Haben Sie bereits mit dem Jungen experimentiert?« fragte Flash Professor Zarkow. »Ein paar Tests, aber richtig begonnen haben wir noch nicht. Deshalb habe ich euch beide doch kommen lassen, damit wir uns zusammen etwas überlegen, Flash.« Flash nickte. »Verstehe.« Er wandte sich an den Jungen. »Willie, darf ich dir eine Frage stellen?« Aber Willie war nicht mehr da. Auch das Zimmer, Dale und Zarkow waren verschwunden. Flash rieb sich die Augen: Er stand auf einer sehr hoch und einsam gelegenen Fläche, einer Art Plattform, die freischwebend in der Luft hing. Plötzlich entdeckte Flash den Sorglosen Willie, der ihn keine drei Meter entfernt ansah. »Einen Moment bitte, Mr. Gordon.« 21
Der Junge grinste. Er beugte sich hinunter und nahm sich eine Handvoll Schlagsahne von einem Gebilde, das wie ein riesiger Eisbecher aussah. Dann aß er. »Wie schmeckt’s, Willie?« »Wunderbar!« wieder grinste der Junge. »Du hast dir wieder einmal etwas gewünscht, nicht wahr?« »Ja –« antwortete Willie ernst. »Ich hatte den Eindruck, als glaubten Sie mir nicht.« »Ich glaube dir ja«, entgegnete Flash beschwichtigend. »Wie kommen wir denn in Docs Labor zurück?« »Ich fürchte, da werden Sie sich schon auf mich einstellen müssen«, sagte Willie. Er grinste wieder. »Sollten Sie versuchen, von hier herabzusteigen, erwartet Sie ein nicht unbeträchtlicher Sturz.« Flash spähte über den Rand der Plattform und sah unter sich nur endlosen leeren Raum. »Okay, Willie«, sagte er und bemühte sich, seiner Stimme einen festen Klang zu geben. »Es dauert nicht mehr lange«, sagte Willie und wischte sich Schlagsahnereste aus dem Gesicht. Flash seufzte. Er konnte nur warten. Also wartete er.
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III Zarkows schallendes Gelächter begrüßte Flash. »Jetzt wissen Sie, wie ich mich fühlte, als ich plötzlich mit dem Jungen auf diesem verdammten Planeten stand. Ich hatte keine Ahnung, wie ich dorthin gelangt oder was geschehen war.« Flash und Willie waren endlich von dem merkwürdigen Ort zurückgekehrt, an den der Junge mit seiner Vorstellung nach einem Eiscremebecher sei beide hingewünscht hatte. Zarkow und Dale saßen da, als sei nichts geschehen. »Habt ihr nicht bemerkt, daß wir verschwunden waren?« fragte Flash Dale erstaunt. »Nein, tut mir leid«, sagte Dale lächelnd. »Also, wir sind aber fortgewesen«, entgegnete Flash scharf. »Der Gedanke ist mir gar nicht gekommen«, gab Dale zu. »Ihnen etwa, Doc?« Zarkow runzelte die Stirn und schloß die Augen, um sich besser konzentrieren zu können. »Nein, ich kann mich wirklich nicht erinnern. Sind Sie denn wirklich mit Willie verschwunden?« »Natürlich«, antwortete Flash. Es irritierte ihn, daß niemand ihn vermißt hatte. Willie grinste. »Okay, ich werde es nicht noch einmal tun. Ich wollte Mr. Gordon nur beweisen, daß ich es kann.« »Und du wolltest deinen dämlichen Eiscremebecher haben«, schnappte Zarkow. »Es ist mir ein Rätsel, wieso du überhaupt wächst, so falsch wie du dich ernährst.« Die drei Erwachsenen diskutierten das Willie-Phänomen. Aber sie kamen zu keinem Schluß, wie man dieser Macht begegnen oder sie nutzen konnte. Dann erinnerte sich Zarkow daran, wie er und Willie sich auf dem Mount Palomar wiedergefunden hatten. Zarkow hatte das dortige berühmte Observatorium nur flüchtig erwähnt. »Wie sind Sie denn zurückgekommen?« fragte Dale. 23
»Das weiß ich auch nicht so genau«, gestand Zarkow ein. »Wir waren ungefähr eine Minute auf dem Palomar, dann hatte das Labor uns wieder.« Willie meldete sich. »Ich wünschte mir bloß zurückzukehren, und schon waren wir wieder zu Hause, Dr. Zarkow.« »Einen Moment dachte ich, ich sei wieder auf Mongo«, sagte Zarkow düster. »Damals, als der Junge uns auf diesen verdammten Planeten wünschte. Ich kann Ihnen sagen, das hat mich vielleicht geschockt.« »Mongo?« fragte Willie, dessen grüne Augen aufblitzten. »Ja«, sagte Zarkow. »Da sind Dale, Flash und ich vor Jahren mit einer Rakete hingeflogen.« »Wo ist denn Mongo?« wollte Willie wissen. »Alle zweieinsiebtel Jahre trifft der Planet mit der Erde zusammen. Zum ersten Mal war das –« »Nein, nein«, sagte Willie. »Ich möchte wissen, wo er sich im Moment befindet?« Flash runzelte die Stirn. »In neun Monaten müßte es wieder soweit sein. Nicht wahr, Doc?« Zarkow nickte. »Das könnte stimmen. Du erinnerst dich doch, Willie, als Flash und ich zusammentrafen, stürzte Mongo direkt auf die Erde zu. Er befand sich auf einem Kollisionskurs, wie man das in der Luftwaffe und der Marine nennt.« Willies Augen waren weit aufgerissen. »Und was ist geschehen?« Flash grinste. »Es war ganz schön gefährlich, Willie. Aber du hast doch sicher davon gelesen.« »Geschichte war nie meine Stärke. Sind Sie denn dort gewesen? Erzählen Sie mir doch bitte, wie es war. Das möchte ich gerne hören.« Flash kratzte sich am Kopf. »Also, ich hatte gerade das College hinter mir, und Dale und ich –« »Flash«, schimpfte Dale, »du stellst dich hin, als wärst du ein ganz normaler Student gewesen! – Willie, hör zu: Flash war 24
ein Starathlet während seiner Studentenzeit in der YaleUniversität. Er war der unumstrittene Box-Champion und ein ausgezeichneter Polo-Spieler. Die ganze Welt kannte ihn. Zum ersten Mal traf ich ihn in England während einer PoloMeisterschaft. Ich war dort gerade zufällig bei meiner Tante zu Besuch. Als ich nach Megalopolis West zurückkehrte, entdeckte ich, daß Flash in derselben Firma, Electronics Universal, arbeitete wie ich. Von der Zeit an haben wir uns öfters getroffen.« »Oh«, sagte Willie, »das ist ja interessant. Aber was war denn mit diesem seltsamen Planeten? Mit Mongo, der auf die Erde zustürzte?« »Ja, die Wissenschaftler von Mount Palomar hatten einige Tage zuvor einen Planeten entdeckt, der in das Sonnensystem gelangt war.« »So war es«, sagte Flash. »Der Planet hatte irgendwie sein Sonnensystem verlassen, und wurde von unserem angezogen. Es sah zunächst ganz so aus, als würde er direkt auf die Erde stürzen.« »Die Lage war sehr unangenehm«, fuhr Dale fort. »Electronics Universal sandte Flash und mich nach Washington, um einer wichtigen Konferenz zwischen unserem Außenminister und den Botschaftern mehrerer europäischer Staaten beizuwohnen. Wir flogen gerade mit einer Transkontinentalmaschine, als es passierte.« »Was passierte?« fragte Willie atemlos. »Ein brennender Meteor war in die Erdatmosphäre eingetreten«, erklärte Flash. »Er war offenbar von Mongo abgebrochen, als Mongo aus seinem eigenen System in unseres gerissen wurde. Während der Meteor aus dem Raum in die dichte Atmosphäre stürzte, fing er Feuer und wurde von der Erde angezogen. Der Pilot unserer Maschine versuchte auszuweichen, aber der Meteor erwischte die Spitze einer Tragfläche und riß sie ab.« 25
»Lieber Himmel!« entfuhr es Willie. »Und was haben Sie dann gemacht?« »Das Flugzeug war irreparabel beschädigt und trudelte ohne Kontrolle ab«, erklärte Flash. »Zu dieser Zeit führte jedes Flugzeug Fallschirme in der Kajütentreppe mit sich und war so auf Notfälle vorbereitet. Wir alle sprangen mit dem Fallschirm ab. Ich schnappte mir Dale, und wir beiden waren die letzten, die das Flugzeug verließen. Wenige Augenblicke später schlug die Maschine auf dem Boden auf und explodierte in einem wahren Feuerorkan.« »Puh!« sagte Willie. »Und was geschah mit Ihnen?« »Wir wurden von einem heißen Aufwind aus der Wüste erfaßt und mehrere Meilen vom Wrack fortgetragen. Nicht weit von dem Ort, an dem wir uns gerade befinden, kamen wir schließlich herunter.« »Das hält man ja nicht aus!« stöhnte Willie. »Hier in Dr. Zarkows Labor?« »Genau«, sagte Flash. »Und Zarkow war der erste Mensch, auf den wir trafen, nachdem die Erde uns wiederhatte.« »Hat er Ihnen Hilfe angeboten?« fragte Willie. Flash schnaubte. »Ganz und gar nicht. Er stürzte aus seinem Labor hervor und hielt uns ein Gewehr unter die Nase. Er drohte damit, uns umzubringen.« »Ist nicht wahr!« Zarkow räusperte sich. »So, wie Sie es darstellen, muß der Junge mich ja für einen gefährlichen Irren halten«, sagte er irritiert. »Das waren Sie ja auch«, mischte Dale sich ein. »Schon möglich. Aber schließlich hatte ich ja meine Gründe.« Flash grinste. »Aber natürlich, Doc. Na los, erklären Sie es schon dem Jungen.« »Tja Willie, ich arbeitete damals Tag und Nacht, seit dem Moment, da die Wissenschaftler von Mount Palomar diesen 26
Irrläufer-Planeten entdeckt hatten, um in meinem unterirdischen Labor eine Rakete zu bauen. Übrigens wurde die Arbeit von einer bedeutenden Gesellschaft mit Sitz in Megalopolis West finanziert.« Willies Augen waren weit aufgerissen. »Das muß vor der Einführung des Raketenverkehrs gewesen sein, nicht wahr?« »Das kannst du wohl annehmen. Ich hatte mich schon jahrelang damit beschäftigt. Aber der Krieg hatte mich gezwungen, meine Versuche unterirdisch – im Verborgenen – fortzuführen. Ich fürchtete, der Feind würde Spione auf mich ansetzen, die mir meine Unterlagen stehlen sollten. Mit den Formeln stand und fiel das ganze Projekt.« »Oh, Mann!« sagte Willie atemlos. »Und da waren Sie gerade dabei, Ihre Rakete fertigzustellen, als –« »Ich war bereits fertig«, sagte Zarkow stolz. »Aber ich war so aufgeregt, was die Sicherheit meines Projekts anging, daß ich bei Dales und Flashs Ankunft hysterisch wurde. Sie waren ja direkt vom Himmel gefallen. Ich hielt sie für Feinde Amerikas und für Spione, die ausgesandt waren, mich zu töten und mit der Rakete zu verschwinden. Zumindest aber für Saboteure, die mein Werk vernichten wollten.« »Doc hat vielleicht einen Zirkus um seine Rakete gemacht«, sagte Flash, und ein Lächeln spielte um seinen Mund: »Bei ihm war mehr als eine Schraube locker«, ergänzte Dale, und schüttelte den Kopf bei der Erinnerung an den zerzausten, grimmigen Wüstling, der ihnen in jener dunklen, furchtbaren Nacht begegnet war. »Ich erklärte den beiden, daß sie mit mir kommen sollten«, fuhr Zarkow fort, »und daß ich sie nicht töten würde, wenn sie meinen Anordnungen Folge leisteten. Ich wollte schließlich meine Patronen nicht verschwenden. Die beiden sollten mir helfen. Und sie leisteten keinen Widerstand.« Flash schüttelte widersprechend den Kopf. »Docs Version entspricht nicht ganz den Tatsachen. Er zwang uns an Bord der 27
Rakete, die er mit den explosivsten Sprengstoffen beladen hatte, die damals bekannt waren. Nach Zarkows Plan sollten wir mit der Rakete den näher kommenden Planeten – der, wie wir später herausfanden, Mongo hieß – anfliegen und ihn einfach so aus seinem Kurs sprengen, indem er mit seinen Explosivstoffen dort aufprallen wollte.« »Das ist stark«, rief Willie bewundernd. »Sie meinen, Sie wollten den Planeten abfangen und ihn von seinem KollisionsKurs abbringen?« »Genauso war’s«, sagte Dale. »Und wie ist es ausgegangen?« fragte Willie. »Dale und ich fügten uns in unser Schicksal und begleiteten Zarkow auf seinem Flug. Wir wollten ihm helfen, obwohl er nicht mehr zurechnungsfähig war. Es würde ein ehrenwertes Opfer sein, auf diese Weise die heißgeliebte Erde zu retten.« Willie nickte. »Prima«, flüsterte er, »das ist wirklich heldenhaft!« »Wir halfen ihm, die Rakete startklar zu machen, stiegen ein, verschlossen die Luken, und ab ging die Post.« »Aber wie haben Sie die Explosion überlebt, als die Rakete auf Mongo aufprallte?« fragte Willie irritiert. Flash lächelte. »Nun, Docs Rakete war zwar sehr gut durchkonstruiert, aber als sie in die Mongo-Atmosphäre eintrat, mußte Doc feststellen, daß er sie nicht mehr steuern konnte. Die Schwerkraft war nicht ganz so hoch wie die auf der Erde. Docs Steuersystem war so beschränkt, daß dieser Faktor unüberwindlich war.« Zarkow nickte voller Kummer. »Das Steuersystem war zu perfekt konstruiert worden. Wenn es nicht so gewesen wäre, hätte auf Mongo alles geklappt.« Flash lachte. »Nun geben Sie es schon zu, Doc. Sie haben schon mehr Bruchlandungen hinter sich als jeder andere im Weltraum. Und das war nur Ihre erste gewesen.« Zarkow zuckte die Achseln. »Dann erzählen Sie die Ge28
schichte weiter, Flash.« »Also gut. Die Rakete machte eine Bruchlandung, weil Doc sie in der andersartigen Schwerkraft nicht richtig steuern konnte.« »Und dann?« wollte Willie aufgeregt wissen. »Wir landeten im See der Geheimnisse, der direkt neben Mingo City liegt. Die Sprengstoffe explodierten übrigens nicht.« »Mingo City? Wo liegt das denn?« »Es liegt im bewohnten Teil Mongos, Willie.« »Was bedeutete das denn? Und, Mr. Gordon – was ist aus dem Planeten geworden?« »Aus Mongo?« »Ja. Wenn die Sprengstoffe nicht zündeten, warum hat dann Mongo nicht die Erde getroffen? Und warum sind Sie im See der Geheimnisse ertrunken?« »Die Sprengstoffe spielten da schon keine Rolle mehr. Wir wußten das auch nicht, haben es erst später erfahren. Jedenfalls ist die Wissenschaft auf Mongo viel weiter fortgeschritten als auf der Erde. Mittels Elektrokraft hatten sie eine Art Antischwerkraft-Schild um ihren Planeten aufgebaut. So rauschte Mongo zwar ziemlich nahe an der Erde vorbei, hat sie aber nie auch nur berührt.« »Is’ ja toll.« »Als wir das allerdings entdeckten, waren die Erde und Mongo schon weit voneinander entfernt. Und wir standen da, gestrandet auf einer fremden Welt.« »Aber was ist denn mit diesem See der Geheimnisse? Wieso sind Sie nicht ertrunken?« Flash lächelte. »Wir konnten die Rakete verlassen, bevor sie zu tief eingesunken war, und sind zum Ufer geschwommen. Wir konnten noch von Glück sagen, daß wir nicht zu weit draußen im See gelandet waren. Und am Strand begegneten wir auch bald der Küstenwache von Ming dem Gnadenlosen. Das 29
war vielleicht ein Abenteuer.« »Au Backe! Das müssen Sie mir erzählen, Mr. Gordon.« Flash warf einen flüchtigen Blick auf Zarkow. »Vielleicht können Sie ihm etwas mehr von Mongo erzählen, Doc, von den Löwenmenschen, den Falkenmenschen und Mings Truppen. Vielleicht auch von Königin Azura, der Hexenkönigin von Mongo.« »Besonders von ihr«, warf Dale sarkastisch ein. »Ich habe diese Frau immer gemocht«, sagte Zarkow gutgläubig. »Nicht nur Sie«, schnappte Dale, und ihr Gesicht verzog sich. »Ich mochte sie nicht«, entgegnete Flash. »Dale, du wirst diese Affäre wohl nie in ihrer eigentlichen Bedeutung verstehen, oder?« »Oh, bitte, Mr. Gordon, erzählen Sie mir doch, worum es bei diesem Gespräch geht, ja?« Flash blickte erst zu Dale hinüber und dann zu Zarkow. Er seufzte. »Okay, Willie. Aber nur ein paar Augenblicke lang, dann mußt du ins Bett.«
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IV Fünfundvierzig Minuten später hielt Flash in seinem Bericht inne. Willie starrte ihn an. Seine Augen waren weit aufgerissen und verschlangen den Erzähler geradezu. So sehr hatten ihn die Abenteuer beeindruckt. »Mr. Gordon«, sagte er atemlos. »War der Planet denn immer noch ein Irrläufer nachdem Sie auf Mongo gelandet waren?« »Nein«, antwortete Flash. »Warum nicht?« »Der Planet hatte an Triebkraft verloren. Letztendlich hat unsere Sonne ihn angezogen und seinen unkontrollierten Flug durchs All gestoppt. Mongo wurde in eine Kreisbahn um unsere Sonne gezwungen.« »Ich glaube, davon habe ich irgendwo gelesen«, sagte Willie. »Mongo läuft jetzt auf einer merkwürdigen Bahn: Einerseits dreht er sich um Sol, anderseits zieht er auch um seine eigene Sonne.« »Verstehe.« »Einige Jahre nach unserer Bruchlandung«, sagte Flash, »zog Mongo am Steroidengürtel vorbei. So konnten Dale, Doc und ich mit einer Rakete zur Erde zurückfliegen.« »Ist ja super!« sagte Willie. Dale meldete sich zu Wort: »Sechs Jahre waren wir auf Mongo, ehe wir zur Erde zurückkehren konnten, nicht wahr, Flash?« Flash nickte. Willie sah nachdenklich aus und legte den Kopf schief. »Heh, Dr. Zarkow, kommt da nicht ein Geräusch aus Ihrem Labor?« Zarkows Kopf ruckte hoch. »Du hast recht, Willie. Da brummt irgend etwas. Hört sich an wie ein Signal vom Raumschirm.« 31
Flash stand auf. »Lassen Sie uns nachsehen, ja?« Zarkow war schon auf halbem Wege zur Labortür. Auch Dale erhob sich, und jetzt waren sie alle vier zum Observatorium unterwegs, das sich neben dem Labor befand. Der Raum wurde im wesentlichen von einem riesigen elektronischen Teleskop eingenommen, das sich in der Mitte befand. Grüne Radarschirme aller Größen und Formen waren um den großen Spiegel gruppiert. Zarkow zeigte auf seine Geräte. »Diese Empfänger sind mit einem Satelliten in der oberen Atmosphäre verbunden. Die Meßgeräte im Satelliten senden ein Signal zu den Empfängern hier unten aus, sobald sie etwas Ungewöhnliches entdeckt haben.« »Junge, Junge!« sagte Willie und beobachtete intensiv einen der Schirme. »Können Sie feststellen, worum es sich handelt?« »Manchmal kann ich das.« Zarkow konzentrierte sich auf einen großen Schirm und legte auf der Schalttafel einige Hebel um. Das grünschimmernde Gebilde auf dem Schirm wurde plötzlich klarer, und auf einmal stand da ein deutliches Bild. »Dort!« rief Willie. Flash spähte nach vorne. »Es ist ein Planet, Doc.« Er runzelte die Stirn. »Er sieht nicht wie einer aus dem Sonnensystem aus. Heh –« Zarkow war sichtlich überrascht. »Na, was sagt man dazu – es ist Mongo. Seltsam, wir sprachen doch gerade von dieser Welt. Wahrscheinlich hat der Planet wiederum seinen Kurs geändert und erscheint jetzt öfter als alle zweieinsiebtel Jahre.« »Mensch, seht mal da!« rief Willie. »Er scheint wieder auf die Erde zustürzen zu wollen.« »Es ist eine Sinnestäuschung«, sagte Flash. »Aber Mongo hat seinen erdnächsten Punkt für die nächsten zweieinsiebtel Jahre erreicht.« Willie gestikulierte aufgeregt. »Mann, Mr. Gordon, das ist unsere Chance. Wir könnten nach Mongo fliegen und die Lö32
wenmenschen sehen, und die Falkenmenschen und das BaumKönigreich von Arboria.« »Nun halt mal die Luft an, Willie«, sagte Flash lachend. »Sicher, auf Mongo habe ich ein paar Freunde, die ich gerne wiedersehen würde. Aber ein Planet bewegt sich unglaublich schnell. Wenn Mongo noch etwas näher kommt, könnten wir in ein paar Tagen dort sein. Aber eine Woche, nachdem er die Erde passiert hat, würden wir Monate brauchen, um zurückzukehren.« »Wirklich?« fragte Willie und wurde plötzlich sehr still. Zarkow drehte sich blitzartig von seinem Schirm herum und blickte den Jungen streng an. »Willie!« rief er. »Du wirst doch nicht –« »Willie«, schrie auch Flash. »Du weißt nicht, was du da anrichtest.« »Doch, ich weiß, was ich tue«, sagte Willie. Und das tat er auch.
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V Sie fanden sich auf einer schieferartigen Felsenfläche in einer fremdartigen und exotischen Umgebung wieder: das war der Planet Mongo. Purpurfarbene Berge ragten in einiger Entfernung in den Himmel und waren in der leicht gelbbraunen Atmosphäre von Mongo nur als Silhouetten zu sehen. Nicht weit von den Neuankömmlingen entfernt zog sich eine abgeflachte zitronengelbe Hügelkette durch die Prärie. Die Ebene war mit dem knöchelhohen Mongotorf bedeckt, einer Grasart, die auf diesem Planeten vorherrschend war. Etliche knorrige Bäume, der irdischen Eiche nicht unähnlich, waren im Gelände verstreut. Viele dieser »Eichen« waren abgestorben. Zwischen den Hügeln und dem Punkt, an dem sie standen, schlängelte sich ein Fluß mit schmutzigbraunem Wasser durch die grünscheinenden Felsen. »Ozeanit«, murmelte Zarkow. Er ärgerte sich immer noch über die Unbeherrschtheit des Sorglosen Willie. »Was ist Ozeanit?« fragte Flash erstaunt. »Eine Gesteinsart«, sagte Zarkow und zupfte sich am Bart. »Mich interessieren jetzt keine Gesteinsarten«, sagte Dale barsch. »Wie sind wir hierhergekommen? Und wie kommen wir hier wieder weg?« Flash wandte sich an Willie. »Also, wie wär’s, wenn wir mal wieder auf die Erde zurückkehren würden?« Willie lächelte schüchtern und starrte auf den Boden. Dann scharrten seine Füße unentschlossen in der Erde. Endlich sah er auf und lächelte Flash schelmisch an. »Ich glaube nicht, Mr. Gordon. Jetzt, wo wir schon hier sind, kann es doch nicht schaden, wenn wir uns ein wenig umsehen, oder? Nur mal ein bißchen diese historische Stätte betrachten.« Flashs Augen verengten sich. »Das habe ich mir gedacht. Du willst also damit sagen, daß dein Wunsch-Trick nur funktio34
niert, wenn du das willst. Stimmt doch, oder?« »Stimmt genau«, sagte Willie. »Und im Moment willst du nicht, nicht wahr?« »Nein«, gab Willie zu. Dale griff nach Willies Schultern und schüttelte den Jungen durch. »Willie, dieser Platz ist nicht für uns geschaffen. Er ist gefährlich. Flash, Dr. Zarkow und ich sind auf diesem Planeten beinahe getötet worden, als wir das erste Mal hier gelandet sind. Es gibt hier wilde Tiere und –« »Ich seh’ keine«, antwortete Willie lächelnd und sah sich mit gespieltem Interesse um. Flash schüttelte den Kopf. »Vergiß es, Dale. Wenn Willie sich weigert, werden wir wohl noch etwas hierbleiben müssen, fürchte ich. Aber nur für eine kurze Weile, wie er sagte.« Zarkow hatte unterdessen die purpurfarbenen Berge beobachtet. »Hhm, ich kann nicht genau feststellen, wo wir uns gerade befinden, Flash. Aber diese Berge kommen mir irgendwie bekannt vor.« »Bekannt?« wiederholte Dale fragend. »Ich weiß nicht, wo ich sie hinstecken soll. Immerhin sind sechs Jahre vergangen, seit ich das letzte Mal hier war.« Zarkow zog an seinem Bart. »Verdammt, ich wünschte, wir hätten irgendein Fluggerät. Wir könnten herumfliegen und uns vergewissern, wo wir uns befinden.« Willie grinste. »Dann laßt uns doch zu Fuß herumstreifen. Na, wie wär’s?« Flash legte eine Hand auf Willies Schulter. »Hör mir mal gut zu, Willie. Ich werde dich nicht ausschimpfen für das, was du angerichtet hast. Das nützt ja jetzt sowieso nichts mehr. Davon abgesehen, wärest du auf mich stocksauer. Aber eines will ich dir doch sagen.« »Was denn, Mr. Gordon?« »Wir können im Moment nicht feststellen, in welche Ecke des Planeten Mongo du uns hingewünscht hast. Wir könnten 35
uns auf befreundetem, aber auch auf feindlichem Gebiet befinden. Du verstehst, daß wir das herausfinden müssen, und zwar jetzt – oder wir müssen sofort wieder auf die Erde zurückkehren. Verstehst du mich, Willie?« Lange Zeit sagte der Junge nichts. »Nein«, sagte Willie endlich, nachdem er seine Gedanken geordnet hatte. »Ich möchte gerne noch etwas hierbleiben. Hören Sie, Mr. Gordon, ich habe nie solche Abenteuer erlebt wie Sie. Ich war noch nie in einem fremden Land. Auch stand ich noch nie vor so unheimlichen Steinen, merkwürdigen Bäumen, grünschimmernden Felsen und so weiter.« Flash zuckte die Achseln. »Deshalb möchte ich noch bleiben. Und wenn wir uns hier auf feindlichem Gebiet befinden, hoffe ich, daß dir und Dr. Zarkow etwas zu unserer Verteidigung einfällt, oder?« Zarkow reckte die Fäuste gegen den Himmel und schüttelte sie verzweifelt. »Du wirst mir nicht meine Zeit mit deinem Wunschträumen stehlen, Willie«, rief er. »Ist dir das klar?« Willie nickte. »Das verstehe ich, Dr. Zarkow, aber ich möchte doch so gerne. Das ist mein größter Wunsch. Sie haben mir immer gesagt, ich solle ehrlich sein, und jetzt bin ich ehrlich. Ich möchte wenigstens einen Teil von Mongo kennenlernen, wie gefährlich das auch immer sein mag. Ein Mann muß sich doch einer Gefahr stellen, oder?« »Nun, Willie«, sagte Zarkow bedächtig. »Das haben Sie selbst gesagt, Dr. Zarkow.« Zarkow warf den Kopf in den Nacken, schloß die Augen und sagte ganz leise: »Ich zähle bis zehn, Willie. Wenn ich damit fertig bin, möchte ich uns im Wüstenlabor unweit von Megalopolis West sehen, ist das klar?« Einen Moment herrschte Ruhe. Zarkow öffnete wieder die Augen. »Willie?!« »Nein, Dr. Zarkow«, sagte Willie sanft. Zarkows Hände schlugen resigniert gegen seine Hüften. »Al36
so gut, dann soll es so sein. Wir wollen keine Zeit verlieren – wir müssen herausfinden, wo wir sind.« Flash sah auf Willie, dann blickte er zu Dale hinüber. Schließlich wandte er sich wieder von ihnen ab. »Nirgends scheint eine Stadt zu sein. Am besten ersteigen wir einen Hügel und sehen uns dort um.« »Richtig«, sagte Dale. »Dann mal los.« »Ich glaube, wir sind irgendwo im Vulkanland«, dachte Zarkow laut, während sie über die Schieferebene auf die Hügel zugingen. »Damit befänden wir uns östlich vom Großen MongoDschungel und auch von Arboria«, sagte Flash bestimmt. Dale runzelte die Stirn. »Aber das hieße doch, die Große Mongo-Wüste zu durchqueren, um nach Arboria zu gelangen?« »Das befürchte ich auch«, sagte Flash. Er zögerte. »Vielleicht befinden wir uns auch nördlich von der Großen MongoWüste und bereits auf Arboria-Territorium. In dem Fall brauchten wir uns keine Sorgen zu machen. Hier würde uns niemand angreifen.« »Das können wir nur von einem dieser Hügel aus herausfinden«, sagte Zarkow müde. »Willie, willst du immer noch nicht auf die Erde zurück?« »Ich stehe immer noch zu meinem Entschluß, Dr. Zarkow.« Doc seufzte. »Ich konnte Jugendliche noch nie begreifen.« Die vier marschierten weiter durch die klare Luft von Mongo. »Mensch«, sagte Willie, »habt ihr es schon bemerkt, die Luft ist hier viel angenehmer als auf der Erde.« »Hier gibt es keine Luftverschmutzung«, sagte Zarkow. »Wenn wir auf der Erde vernünftig wären, hätten wir die Atmosphäre nicht so verpestet.« »Aber warum unternimmt denn auf der Erde niemand etwas dagegen?« wunderte sich Willie. »Du könntest sie ja sauber wünschen«, warf Dale kichernd 37
ein. »Ich fürchte, das klappt nicht«, entgegnete der Junge ernst. Zarkow brüllte vor Lachen. »Man könnte es immerhin versuchen. Natürlich erst, wenn wir wieder auf der Erde sind.« Er machte eine Kunstpause. »Falls wir jemals zurückkehren.« Willie machte einen unglücklichen Eindruck. »Dr. Zarkow, Sie jagen mir einen richtigen Schuldkomplex ein. Ich möchte mich doch nur noch ein bißchen umschauen. Sie alle waren doch schon einmal hier. Ich aber befinde mich zum ersten Mal auf dieser Welt. Und ich habe noch nicht einmal einen Einwohner von Mongo gesehen.« »Gott sei Dank sind wir nicht mitten unter den Gefolgsleuten von Ming dem Gnadenlosen gelandet.« »Lebt dieser gnadenlose Ming denn noch?« fragte Willie aufgeregt. »Nein«, sagte Flash. »Als Prinz Barin Ming eroberte, kam Ming um. Der Prinz hat dann die Regierung des ganzen Planeten im Freien Rat von Mongo stabilisiert.« »Warum sollen wir uns denn vor Mings Gefolgsleuten in acht nehmen?« fragte Willie verwundert. »Eigentlich ist das auch nicht nötig«, gab Flash zu. »Es war damals nur so, daß wir auf Schritt und Tritt damit rechnen mußten, gegen die Soldaten von Ming dem Gnadenlosen auf Leben oder Tod kämpfen zu müssen.« Zarkow war stehengeblieben. »Hier gabelt sich der Weg«, sagte er. Flash verfolgte den Weg mit den Augen. Die Strecke teilte sich nach links und rechts. Der linke Teil schlängelte sich bis zur Spitze eines orangefarbenen Hügels hinauf. Der rechte Teil führte auf einen blaufarbenen Hügel. »Wir müssen uns teilen, Doc«, sagte Flash. »Sie nehmen den linken und ich den rechten Weg.« »Gut«, sagte Zarkow. »Komm mit, Willie.« Willie zögerte. »Ich möchte lieber mit Mr. Gordon nach 38
rechts gehen.« Flash schüttelte den Kopf. »Ich lasse mich besser von Dale begleiten, Willie. Warum willst du denn nicht mit Doc gehen?« Dale legte eine Hand auf Flashs Arm. »Ist schon gut, Flash. Geh du mit Willie. Doc und ich werden schon aufeinander aufpassen.« »Das weiß ich auch«, sagte Flash. »Aber –« dann seufzte er. »Nun gut. Komm, Willie, dann gehen wir eben zusammen.« Zarkow und Dale verabschiedeten sich kurz und marschierten nach links davon. Nach einer kurzen Pause machten sich auch Flash und Willie auf den Weg. Innerhalb einer halben Stunde hatten sich beide Gruppen aus den Augen verloren. Die Hügel verbargen sie, und die Ebene, die sie verlassen hatten, verlor sich zwischen blauem Kristallgestein. Diese Kristallstalagmiten waren so hoch und massig, daß der gelbbraune Himmel fast von ihnen verschluckt wurde. Das Sonnenlicht wurde von ihnen reflektiert. Der Pfad führte immer steiler zum Gipfel hinauf. »Wir sind bald oben«, sagte Flash. »Dann können wir richtig Ausschau halten, wo wir uns eigentlich befinden. Ich hoffe, wir haben uns nicht geirrt und befinden uns wirklich in Prinz Barins Gebiet.« Willie lächelte. »Das ist großartig, so durch ein fremdartiges Land zu wandern, Mr. Gordon.« Flash lächelte dünn zurück. »Freut mich, daß es dir gefällt. Ich, für meinen Teil, versuche gerade zu vergessen, daß du der Grund bist, warum wir uns hier aufhalten.« »Das werde ich Ihnen auch nie vergessen, Mr. Gordon«, sagte Willie. »Sie haben mir einen wirklichen Gefallen damit getan, mich mitzunehmen.« Flash umrundete einen hohen blauen Stalagmiten und gelangte zu einem schmalen Wegstück zwischen zwei großen dunkelblauen Felsbrocken. Jetzt lagen nur noch dreihundert Meter bis zur Spitze vor ihnen. Ein ganzes Stück verlief der 39
Pfad geradeaus, bis er einen scharfen Bogen nach rechts machte. Ein Stein fiel plötzlich von oben, kaum drei Meter von ihnen entfernt, herunter. Flash starrte nach oben, die Felsen hinauf. Aber er konnte nichts entdecken. »Was war das?« fragte Willie. Seine Stimme klang verängstigt. »Nichts. Nur ein Stein. Er muß sich oben gelöst haben und ist dann vor uns aufgeschlagen.« Willie sah sich verstohlen um. »Vielleicht. Wissen Sie was, Mr. Gordon, hier ist es unheimlich.« Flash sah ihn belustigt an. »Sollen wir wieder nach Hause zurück, Willie?« Willie schüttelte energisch den Kopf und sah sich noch einmal um. »Jetzt noch nicht, Mr. Gordon.« Flash lachte verhalten. »Was ist denn mit dir los? Glaubst du, wir werden beobachtet?« Der Junge nickte. »Das glaube ich wirklich, Mr. Gordon.« »Ich auch«, stimmte Flash zu. Seine Schritte wurden schneller. »Nun, wer immer das auch sein mag, ich hoffe, er beläßt es beim Beobachten.« Sie durchquerten das schmale Wegstück, wandten sich nach rechts und gelangten an eine keilförmige Felskante, die von einer steilen Felswand absprang. Der Boden darunter war nicht zu erkennen. In einiger Entfernung entdeckte Flash eine riesige blauschimmernde Dunstwolke, die die ganze Landschaft wie mit einem Leichentuch bedeckte. Flash wußte augenblicklich, wo er war. Im gleichen Moment schrie Willie auf. »Mr. Gordon! Sehen Sie!« Flash wirbelte herum. Willie zeigte auf eine Felsansammlung am Wegrand, auf der gerade drei Gestalten erschienen. Die Gestalten trugen Kapuzen und stahlblaue Kutten, die von goldenen Ketten um die Hüften zusammengehalten wurden. Ihre 40
Gesichter waren durch die dunklen Kapuzen nicht zu erkennen. Aber es schien, als seien sie in blaue Gaze eingehüllt. Trotzdem konnte Flash glänzende Augen und scharfe Zähne hinter zurückgezogenen Lippen erkennen. »Ein Hinterhalt«, keuchte Flash. »Und wir sind unbewaffnet.« Die erste Kapuzengestalt fuhr mit der rechten Hand in den Mantel und zog eine lange Axt hervor. Die Schneide bestand aus blauem Stahl. Sie war gebogen, hatte scharfkantige Enden und steckte auf einem Holzgriff. Die andere Seite der Schneide endete in einem spitzen Pickel. Die Waffe ähnelte einer altmodischen, hochentwickelten Krummaxt. »Lauf um dein Leben!« schrie Flash. »Ich versuche, sie aufzuhalten.« Eine zweite Kapuzengestalt trat hervor, sprang über den Felsen, der Flash am nächsten war, und griff sich Willie, noch bevor er sich rühren konnte. Der Junge wurde fest an einen Felsen gepreßt. Die erste Gestalt sprang auf Flash zu und schwang dabei die Axt in der Hand. Die dritte Gestalt stand auf der Spitze der Felsen und beobachtete die Szene mit einem hämischen Lächeln. Flash spannte die Muskeln, um seinem Gegner ausweichen zu können. »Au!« schrie Willie. »Du tust mir weh.« Flash fuhr blitzartig herum. Die zweite Gestalt würgte den Jungen. Willies Gesicht war bereits rot angelaufen. Er konnte kaum noch atmen. Flash änderte seine Taktik und sprang auf die Kapuzengestalt zu, die Willie bedrängte. Der Anführer erhob eine Hand, und eine Axt flog durch die Luft auf Flashs Hals zu.
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VI Der sorgenlose Willie träumte den lieben langen Tag ganz ungeniert vor sich hin. Sein Geist liebte es umherzustreifen und sich um das, was um ihn herum vorging, nicht zu kümmern. In der Schule hatten die Lehrer Willie oft wegen seiner Tagträumereien ermahnt. Aber die Lehrer waren im Unrecht. Willie hatte lediglich eine lebhafte Phantasie. Er malte sich in Gedanken gern schöne Dinge aus und stellte sich dann vor, dort, an jenen Wunschorten, zu sein. Zumindest war es am Anfang schwer gewesen. Er hatte sich aufregende Sachen vorgestellt und sich dann gewünscht, in seine Wunschwelt versetzt zu werden. Dann, so ungefähr vor zwei Jahren, hatte er zu seiner Freude und Überraschung festgestellt, daß wenn er sich wieder einen schönen Ort vorstellte, er plötzlich die Fähigkeit besaß, ohne Zeitverlust dorthin zu gelangen. Und das alles machte sein Geist ihm möglich. So war aus Willie etwas anderes als ein bloßer Tagträumer geworden. Er war zu einer ungewöhnlichen Person geworden, zu einem Objekt des Erstaunens und Verwunderns für seine Lehrer und die Kinder im Waisenhaus. Aber etwas stimmte ihn doch befremdlich an der ganzen Angelegenheit. Wie es schien, bedrängte jedermann Willie, daß er sich und ihn auf andere Welten und an andere Orte versetzen sollte, um darüber einen Bericht in einem Magazin zu veröffentlichen oder gar eine wissenschaftliche Monographie daraus zu machen. Bis Willie schließlich die Nase gestrichen voll hatte. Wenn sie wieder auf der Erde wären, wollte Willie darüber mit Dr. Zarkow reden. Keine Experimente mehr. Der Junge wollte zu seinen Freunden zurück und wieder genauso Leben und sein wie früher, als er noch kein wissenschaftliches »Wandertier« war. 42
Es traf Willie wie ein Schock, als ihm bewußt wurde, daß er ja schon wieder in Träumereien versunken war. Ja, er träumte, wie man es ihm in der Schule immer vorgeworfen hatte. Und dabei geschah direkt neben ihm etwas, das wirklich furchterregend war. Er mußte von hier verschwinden, und zwar unverzüglich. Er war in Todesgefahr! Willie öffnete die Augen und merkte, daß ihm die Beine ihren Dienst zu versagen drohten. Erst jetzt fiel ihm mit aller Deutlichkeit auf, wo er sich befand und was gerade geschah. Es war ein grausames Erwachen für den Jungen, der aus einer wunderschönen Traumwelt auftauchte und eine Realität vorfand, die sich grausam, kalt und furchtbar direkt vor seinen Augen abspielte. Die Kapuzengestalt hatte Willie an der Kehle gepackt, preßte sie zu und schnürte dem Jungen damit die Luft ab. Vor Willies Augen tanzten Sterne, und ein roter Schleier legte sich davor. Er wußte, daß er nahe daran war, sein Bewußtsein zu verlieren. Willie war vorher schon einmal ohnmächtig geworden, nachdem sie diesen Pfad hinaufgestiegen waren. Der Junge hatte ja nichts im Magen. Willie wußte also, was Ohnmacht bedeutete. Er fühlte schon, wie schwarze Wogen über ihm, der wie in einem Wellental lag, hereinbrechen wollten. Willie wußte, was zu tun war. Er mußte sich nur in Dr. Zarkows Labor zurückwünschen. Und das tat er. Dann war er da – im Labor – und sah hinaus in die in Dunkelheit getauchte Wüste. Willie drehte sich nach allen Seiten um. Wo waren die anderen? Plötzlich fiel ihm ein, daß er ganz alleine zurückgekehrt war. Irgendwie war ihm gar nicht der Gedanke gekommen, daß er seine Freunde mitnehmen mußte. Er hatte in unentschuldbarer und unvorstellbarer Weise nur an sich gedacht, nur sich aus der Gefahrenzone heraus gewünscht. 43
Davon abgesehen, war Dr. Zarkow ja gar nicht bei ihnen gewesen, als er und Mr. Gordon von den Kapuzenleuten angegriffen worden waren. Er konnte sich nicht einfach den Doktor und Miß Arden zurückwünschen. Aber wie konnte er Dr. Zarkow und Miß Arden in dieser Situation auf Mongo zurücklassen? Und auch Mr. Gordon? Andererseits hegte er auch nicht den Wunsch, sich wieder in die Umklammerung durch die Kapuzengestalt zurückzuwünschen. Aber er wußte, daß ihm nichts anderes übrigblieb. Es war nicht mehr und nicht weniger seine Pflicht. Immerhin saßen Dr. Zarkow, Miß Arden und Mr. Gordon ja nur wegen ihm auf dem Planeten. Und er, Willie, hatte ja gesagt, er wollte sich nur etwas umschauen und eine fremde Welt entdecken. Die anderen wollten wieder nach Hause. Willie rang sich zu einem Entschluß durch. Er konnte jetzt nicht so tun, als wäre nichts geschehen, und die Freunde dort hilflos zurücklassen – vor allem, wo Mr. Gordon im Begriff stand, von der Kapuzengestalt den Schädel gespalten zu bekommen. Also, er mußte wohl oder übel zurückkehren und nachsehen, ob er nicht irgendwie helfen konnte. Plötzlich war er wieder am selben Ort auf Mongo. Die Luft wurde ihm aus den Lungen gepreßt, seine Sicht verschwamm, und in den Ohren klingelte es. Aufhören! dachte er. Stop! Unversehens erstarrte die Kapuzengestalt, die ihn strangulierte. Willie öffnete die Augen, um nachzusehen, was eigentlich los war. Er hatte nur »Stop!« gedacht, aber er hatte keine Ahnung, was dieser Wunsch bewirkt hatte. Der Junge entdeckte, daß auch Flash Gordon in erstarrter Position darauf wartete, von der Axt getroffen zu werden. Ebenso verharrten die beiden anderen Kapuzengestalten in der jeweiligen Geste, die sie gerade hatten ausführen wollen, bevor er 44
»Stop!« gedacht hatte. Willie befreite sich aus dem Würgegriff seines Gegners und fiel erst einmal zu Boden. Endlich rappelte er sich wieder auf und sah sich noch einmal gründlich um. Wie ein Blitz durchfuhr es den Jungen: Er hatte die Zeit angehalten. Er hatte alles und alle in der Zeit erstarren lassen: die Leute, die Landschaft, ja, den ganzen Planeten Mongo. Es mußte eine weitere seiner unglaublichen Fähigkeiten sein. Willie grinste breit. »Ich habe das getan«, rief er der erstarrten Welt vergnügt zu. »Ich, nur ich, habe das getan!« Aber das allein half Mr. Gordon auch nicht sehr. Willie sah zu Flash Gordon und fragte sich, wie er ihm wohl helfen konnte. Dann kam ihm die Erleuchtung. Willie wünschte sich einfach, Flash Gordon solle damit fortfahren, womit er bis zum Zeitstopp beschäftigt gewesen war. Flash duckte sich plötzlich instinktiv, wie er es vorgehabt hatte, um der Axt zu entgehen. Dann staunte er die im Flug erstarrte Waffe an. Flashs Augen blickten sehr ungläubig, als er sie auf Willie richtete. »Willie, wie hast du das bloß gemacht?« Der Junge senkte schüchtern den Kopf. »Eigentlich habe ich es mir nur vorgestellt und gewünscht, Mr. Gordon.« Flash lächelte matt. »Immerhin hast du mir das Leben gerettet.« »Nicht nur Ihres«, grinste Willie, »mein eigenes auch.« »Wenn ich das hier so sehe, glaube ich, du kannst tatsächlich die Zeit anhalten, Willie.« »Das glaube ich auch, Mr. Gordon.« »Das war sehr mutig von dir, mein Junge, auf solche Weise mein Leben retten zu wollen.« Willie dachte beschämt daran, was er wirklich zuerst vorgehabt hatte, nämlich nur sich in Dr. Zarkows Labor zurückzuwünschen. 45
»Also, eigentlich war ich gar nicht so mutig, Mr. Gordon.« Flash sah ihn verständnislos an. »Ich habe mich zuallererst einfach nach Hause gewünscht. Dabei habe ich die anderen ganz vergessen.« Flash legte dem Jungen eine Hand auf die Schulter. »Aber du bist zurückgekommen, um mir zu helfen, Willie«, sagte er in freundlichem Ton. Willie errötete. »Jawohl, Sir.« »Und das ist es doch, worauf es ankommt.« Willie fühlte eine innere Wärme und ein Glücksgefühl in sich aufsteigen. Dann drehte er sich zu dem Würger um. »Was sollen wir denn jetzt machen, Mr. Gordon?« Flash besah sich die drei Kapuzentypen und ging dann auf den zu, der immer noch eine Axt in der Hand hielt. Flash nahm sie ihm aus der Hand und betrachtete sie. »Sie sieht aus wie eine altertümliche Krummaxt«, meinte er nachdenklich. »Stammt wohl aus einer Epoche, die der irdischen Eisenzeit entspricht.« Flash runzelte die Stirn. »Aber die Kapuzen und Kutten kommen mir irgendwie bekannt vor.« »Kennen Sie denn diese Leute?« fragte Willie. Flash schüttelte gedankenverloren den Kopf. »Ich weiß es wirklich nicht, mein Junge. Es ist schwer zu sagen. Aber, sie könnten …« Flash schüttelte energisch den Kopf. Er griff die zweite Axt aus der Luft. Dann half er Willie, der dritten Gestalt die Waffe abzunehmen. Beide gingen dann mit den Äxten zum Felsrand und warfen die Waffen in die Tiefe. Flash wandte sich an Willie. »So, das müßte ihre Überlegenheit etwas zu unseren Gunsten ausgleichen.« Willie sah ihn an. »Sie wollen sie also nicht hier ihrer Überraschung überlassen, Mr. Gordon?« Flash grinste. »Man läßt keine Arbeit liegen, mein Junge. Merk dir das für’s Leben.« Er lockerte seine Muskeln und wartete darauf, daß Willie den Zeitstopp auflösen würde. Der Junge schloß die Augen, konzentrierte sich, und wünsch46
te sich. Ab die Post! Der Kapuzentyp, der Willie würgte, sah sich überrascht um, als seine Finger ins Leere krallten. Er entdeckte den Jungen und sprang auf ihn zu. Aber Willie war gewarnt und wich ihm aus. Als die Kapuzengestalt an ihm vorbeischoß, packte der Junge ein Bein seines Gegners und riß kräftig daran. Der Fremde verlor sein Gleichgewicht, krachte schwer gegen die Felsen und sank regungslos zu Boden. Flash seinerseits sprang denjenigen an, der die Axt nach ihm geworfen hatte. Dieser stand einen Moment zu lange regungslos da, als er entdecken mußte, daß die Axt sich vor seinen Augen in der Luft aufgelöst hatte. Flash packte ihn mit einem Rugby-Griff und schob ihn so an den Felsrand. Die Kapuzengestalt schrie in Todesangst auf, als sie hinter sich die bodenlose Tiefe sah. Beide Kämpfer stürzten ineinander verwickelt zu Boden. Aber Flash war schneller und renkte seinem Gegner den Arm aus. »Vorsicht!« rief Willie. Flash wandte sich gerade in dem Moment um, als der dritte Angreifer über ihm auftauchte. Er holte gerade aus, um einen Stein auf Flashs Schädel niederkrachen zu lassen. Flash reagierte blitzschnell und trat dem Kerl vors Schienbein. Der stöhnte auf und brach zusammen. Der Stein, den er gehalten hatte, fiel, ohne jemandem Schaden zuzufügen, zu Boden. Sofort war Flash über dem Mann und zwang ihn mit dem Gesicht auf die Erde. Die Kapuzengestalt bemühte sich, den Mann abzuwerfen, aber Flash war schneller und versetzte ihm einen Karateschlag. Damit war auch der dritte vorübergehend ausgeschaltet. Flash stand auf und grinste Willie an. »Mann, das war einsame Spitze, Mr. Gordon! Aber was machen wir jetzt?« Der Angesprochene dachte nach. »Ich habe so eine Ahnung, 47
wo diese Kapuzenleute herkommen.« »Woher denn, Mr. Gordon?« fragte Willie. Er war sichtlich aufgeregt. »Das ist jetzt egal«, sagte Flash. »Auf jeden Fall haben wir Ärger zu erwarten. Wär’ wohl besser, Dale und den Doc zu suchen.« Willie war inzwischen bis zum Felsrand gegangen und sah nach unten. Der Boden schien meilenweit entfernt. Willie blinzelte. Flash sah ihm nicht ohne Sorge zu. »Der Fall hat es aber in sich.« Flash trat neben Willie. »Das stimmt, Willie.« »He, Mr. Gordon«, sagte Willie plötzlich. »Sehen Sie, dort.« Er zeigte an der Felsgruppe vorbei, wo die drei Kapuzenleute sie angegriffen hatten, auf eine Felswand, wo sich eine Öffnung befand, die wie eine Höhle aussah. Flash spähte in die angegebene Richtung. »Es ist eine Höhle.« »Ja«, sagte Willie und holte tief Luft. »Sie sieht ziemlich unheimlich aus, nicht wahr?« Der Junge betrachtete den blauen Fels am Höhleneingang und entdeckte den Schimmer von Stalaktiten und Stalagmiten, der trübe im blauen Leuchten des Höhleninneren zu erkennen war. Flash nickte grimmig. »Da hast du nicht unrecht, Willie. Jetzt weiß ich auch, wo wir sind. Wir müssen sofort zu Dale und dem Doc zurück, bevor es zu spät ist.« »Zu spät? Wofür?« »Wenn ich mich nicht irre, führt der Eingang dieser Höhle in das Königreich der Blauen Magie.« »Oh, Mann«, sagte Willie. »Das Königreich der Blauen Magie. Hört sich aufregend an. Warum gehen wir nicht dorthin? Warum gehen wir nicht in die Höhle und sehen uns da einmal gründlich um?« »Nein, Willie. Am besten verschwinden wir ganz schnell wieder von hier und suchen Dale und den Doc.« 48
»Sehen Sie nur!« rief Willie. »Da kommt etwas aus der Höhle. Sieht aus wie eine Nebelwolke.« Flash starrte erschrocken auf den Höhleneingang. Langsam und majestätisch kroch die Wolke aus der Höhle über das Land, bis sie ihre Augen erreicht hatte. Willie gelangte ein Duft in die Nase, der wie ein Parfüm roch. Der Duft war nicht unangenehm, wie ein herbes Rasierwasser. Flash redete hastig auf den Jungen ein: »Willie, wir müssen raus aus dieser Wolke. Sie ist –« Willie drehte sich zu Flash um. Der starrte ihn nur an. Der Mund Flashs stand auf, unfähig einen Laut von sich zu geben. Da bemerkte Willie, daß auch er kein Körperteil mehr bewegen konnte. Er war wie erstarrt. Die blaue Nebelwolke hüllte die beiden ein, langsam schlossen sich die Lücken, bis sie endlich, wie in einem Leichentuch, eingepackt waren. Willie konnte sich nicht fortwünschen, denn alle seine Kräfte und seine ganze Macht waren von ihm genommen.
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VII Tief im Innern des Planeten Mongo befanden sich die unterirdischen Anlagen einer fremdartigen, sonnenlosen Welt – Azuria, das Königreich der Blauen Magie. Als dieser Planet vor vielen Millionen Jahren seine Kruste bekommen hatte, waren unterirdische Gasmassen aktiv geworden und hatten Berge und Hügel aus dem Urmeer herausgedrückt. So war die endgültige Oberfläche des Planeten entstanden. Das innere Mongos war von petroleumartigen Massen, dem irdischen Erdöl nicht unähnlich, ausgeformt worden. Die gigantischen Lagerstätten dieser Masse hatten während der Gasbewegungen Feuer gefangen und waren durch Löcher und Spalten, die in der Oberfläche entstanden waren, herausgebrannt. So hatte diese gigantische, innere Feuersbrunst ihren Weg nach draußen gefunden. Eine nicht unbeträchtliche Fläche blieb im Bauch des Planeten zurück. Diese unterirdische Welt war absolut leer, sie trug weder Vegetation noch sonstiges Leben. Durch die Löcher und Spalten konnte diese Welt betreten werden; die Löcher, die von entwichenen Gasmassen geschaffen worden waren. Die Wissenschaftler nannten diese vom Feuer geformte innere Welt bei ihrer Entdeckung die Caverna Gigantea. Sonnenlicht erreichte die unterirdische Landschaft nur nach mehrmaliger Berechnung und verfügte dann lediglich über einen Bruchteil seiner Leuchtkraft. So herrschte in Azuria ein seltsames blaues Licht, das eher an das ersterbende Leuchten auf einem gerade eben ausgeschalteten Bildschirm erinnerte als an gebrochenes Sonnenlicht. Das Gestein, das die Caverna Gigantea umschloß, war eine Felsart, die man nur auf Mongo finden konnte, und wurde wegen seiner blauen Farbe Ozeanit genannt. Das Vorkommen des Ozeanit erstreckte sich vom Mittelpunkt des Planeten bis zu der schmalen Bergkette, die aus der Mitte der Großen Mongo50
Wüste herauswuchs. Die Wüste trennte Arboria, das Königreich des Prinzen Barin, und die Vulkanwelt mit dem Borboran-Dschungel voneinander. In der Mitte der Caverna Gigantea, im Zentrum des Planeten Mongo, war eine Stadt wie ein Juwel von den ersten Azurianern gebaut worden. Die Azurianer hießen so wegen ihrer indigopigmentierten Haut. Das rührte von den einzigartigen wissenschaftlichen Experimenten her, die der Wissenschaftler-Rat des Wüstenvolks, so nannte man die Azurianer vor ihrer Mutation, durchgeführt hatte, um eine Rasse zu züchten, die die Große Mongo-Wüste wieder zum Leben erwecken konnte. Die Versuche waren von einer Gruppe machthungriger Wissenschaftler zunichte gemacht worden. Sie standen im Dienst eines Möchtegern-Diktators, dessen Name im Lauf der Zeit auf Mongo vergessen worden war. Diese Wissenschaftler hatten das ursprüngliche Experiment abgesetzt und alles in eine Anlage zur Entwicklung von Nervengas und anderen biologischen Kampfmitteln umgewandelt. Das war im Verborgenen geschehen. Die Regenten des Planeten waren ahnungslos. Die Verschwörer hatten Erfolg und erfanden das perfekte Nervengas nebst dem dazugehörigen Gegenmittel. Doch auf einmal wurde das Vorhaben entdeckt. Die Verschwörer setzten das neuerfundene, perfekte Nervengas gegen die sie bedrängenden Sicherheitskräfte ein. Das ganze Volk wurde von dieser Waffe heimgesucht und fiel in einen tiefen Schlaf. Als das Gas seine Wirkung verloren hatte, wachte das Wüstenvolk wieder auf. Sie entdeckten, daß ihre Hautfarbe sich von einem kupferfarbigen, sonnenbestrahlten Braun zu einem blassen Indigo verändert hatte. Auch konnten sie direkte Sonnenstrahlen nicht mehr vertragen. Man kam zu dem Schluß, daß die neue Hautfarbe vom Ozeanit stammte, das in geringen Mengen im Nervengas enthalten war. 51
Nachdem man die Verschwörer hingerichtet hatte, hatte das Wüstenvolk, das sich jetzt nach seiner Hautfarbe Azurianer nannte, sich vor der Sonne versteckt und jahrelang in unterirdischen Städten unter der Großen Mongo-Wüste gelebt. Dann hatte eine ihrer Expeditionen die Welt unter der Oberfläche von Mongo entdeckt, die Caverna Gigantea. Das Volk war dorthin ausgewandert und hatte im Zentrum eine gigantische Stadt errichtet. Aber die Wissenschaften blieben die Lieblingsbeschäftigung der Azurianer. Im Innern des Planeten Mongo setzten die fähigsten Köpfe ihre Experimente fort und erfanden Drogen und Arzneien aller Art. Und sie entwickelten immer mehr Luxus für ihre Juwelenstadt. Die Azurianer lernten aus Wüstenmineralen wunderschöne Edelsteine zu machen; sie entwickelten Pillen, die alle Nährstoffe enthielten und die normale Nahrung überflüssig machten. Und sie erfanden Wässerchen und Duftstoffe, die die Menschen jung und gesund hielten. Aus diesem Grund nannte man das Land Azuria bald das Königreich der Blauen Magie. Und das Eindringen in dieses Land war für jeden Fremden gleichbedeutend mit dem sofortigen Tod. In den gewundenen Gängen des phantastischen und wunderschönen Palastes Azuria streifte eine würdevolle, mit allen Reichtümern versehene schwarzhaarige Frau von außergewöhnlicher äußerer Schönheit. Im Haar trug sie einen Reif aus reinem Platin, in den Berylle, Türkise und Saphire eingelassen waren. Der Reifen strahlte im blauen Dämmerlicht, das hier in Caverna Gigantea herrschte. Um ihre nackten Schultern hing ein hauchdünnes, lavendelblaues Cape, das an ihrem Hals mit Kettchen aus feinstem Gold und Silber zusammengehalten wurde. Ihr Kleid lag eng am Oberkörper an und betonte ihre Formen. Es endete über den Hüften in einem leuchtenden Saum. Dreiviertellange Handschuhe aus demselben Material bedeckten ihre wunderschönen 52
Arme. Die Füße steckten in winzigen meerblauen Sandalen. Königin Azura hing ihren Gedanken nach. Sorgenfalten kerbten ihre Stirn, konnten aber ihre Schönheit nur unwesentlich beeinträchtigen. Sie grübelte über die neuesten Nachrichten nach, die sie gerade von ihren Geheimagenten in Arboria erhalten hatte. »So«, sprach sie mehr zu sich selbst, »Prinz Barin ist also der Meinung, er könne die Xanthillium-Bergwerke schließen und die Tunnel versiegeln, was? Dem werde ich es zeigen. Er und der Freie Rat von Mongo werden noch den Tag bereuen, an dem sie mich zwangen, die Waffen gegen sie zu erheben.« Königin Azura bemerkte gar nicht, daß sie lauter als gewollt sprach. Die Xanthillium-Versorgung hatte ihr schon während der vergangenen Monate Kopfschmerzen bereitet. Sie wußte schon lange, daß Prinz Barin möglicherweise die XanthilliumBeschaffung Azurias unterbinden wollte. Es handelte sich dabei um ein gelbliches Element, das nur auf Mongo vorkam. Vermischt mit Ozeanit entstand daraus Duraplast, ein nahezu unzerstörbarer Stoff, ähnlich dem Stahl, aber mit nur einem Zehntel von dessen Gewicht. Leider befanden sich alle Xanthillium-Vorkommen auf Mongo in einer riesigen unterirdischen Anlage unter dem Wald von Arboria – auf Prinz Barins Territorium. Jahrelang hatten Arbeiter der Königin Azura von unten durch alte Schächte und Stollen die Bestände abgebaut und so Xanthillium nach Azuria, dem Königreich der Blauen Magie, geschafft. Aber Prinz Barin hatte die Raubzüge schließlich entdeckt und die Sache vor den Freien Rat von Mongo gebracht. Der Freie Rat hatte den Fall mit einem Repräsentanten von Azuria, einem Halbblut, der Sonnenstrahlen ertragen konnte, beraten. Natürlich hatte der Rat beschlossen, den Bergarbeitern von Königin Azura den weiteren Raubbau von Xanthillium zu verbieten. Prinz Barin hatte seine ganze Macht eingesetzt, um diesen Beschluß zu erzwingen. 53
Azuria und Arboria waren benachbart. Ihr Verhältnis zueinander war nicht das beste. Durch den Beschluß des Rates verstärkten sich die Spannungen. Die Geheimagenten Königin Azuras hatten nächtliche Plünderzüge in die Hauptstadt des Waldkönigreiches unternommen. Das wiederum behagte Prinz Barin überhaupt nicht. Eigentlich waren die Zwistigkeiten um das Xanthillium nur die Spitze des Eisbergs – zumindest, was Königin Azura anging. Seit Jahren schon verfolgte sie den Plan, den Freien Rat von Mongo zu stürzen, indem sie ihre Truppen gegen Arboria und die mit ihm verbündeten Nationen aussenden wollte. Um den Plan in die Tat umzusetzen, fehlte nur noch ein zündender Funke. Azura freute sich, daß die Vorbereitungen bereits so weit gediehen waren. Ihr Kriegsminister wartete nur noch auf den auslösenden Katalysator, um zur großen Entscheidungsschlacht zwischen den Soldaten von Azuria und Arboria zu blasen. Gerade heute hatte die Königin von einem ihrer Geheimagenten erfahren, daß Prinz Barin eine Spezialtruppe ausrüstet, um den Raubbau von Xanthillium durch die Azurianer zu verhindern. Diese Truppe sollte genau an den Erdspalten agieren, durch die die Azurianer zu dem Element vorstießen. Das könnte der gewünschte Katalysator sein, dachte Azura. Aber die Entwicklung der Dinge befriedigte sie nicht. Das moralische Recht sollte auf ihrer Seite stehen und so die Azurianer bestärken, und nicht auf der Seite der Gegner. Das Problem war nicht einfach. Aber, so sagte sich die Königin, vielleicht kam der richtige Zeitpunkt nie. Daher gab es für sie nur eines: Jetzt oder nie! »Nun denn«, sagte Azura sich schließlich, »ich bin bereit. Ich werde es tun. Ich werde Ihn einsetzen und Prinz Barin damit vernichten.« »Er« war eine verbannte Persönlichkeit, die Azura seit Jahren in ihrem Reich versteckt hielt – nur für diesen Zweck. »Er« 54
war ein unberechenbares Wesen, das sie in all den Jahren nie wirklich beherrscht oder durchschaut hatte. Nur widerwillig dachte Azura daran, ihn einzusetzen, aber … Sie machte auf dem Absatz kehrt und beeilte sich, zum leuchtenden Eingang des Palastes zurückzukehren. Überrascht stellte sie fest, daß sie auf dem felsbehauenen Weg, der durch den Garten mit den Mineralien führte, nicht allein war. »Qilp!« rief sie verwirrt. »Was tust du auf diesem verbotenen Weg?« Die Gänge und Wege um den Palast herum waren für gewöhnliche Azurianer tabu. Qilp war zwar der Minister des Geistes, aber er war nicht von königlichem Geblüt. Sein Vorgehen schien ihn jedoch nicht in Verlegenheit zu bringen. Er machte einen erregten Eindruck. »Eure Majestät!« rief er. Seine quietschende Stimme war zu hoch und hallte in seiner Kehle wider. »Wir haben etwas Interessantes auf dem Schirm entdeckt.« Königin Azura starrte auf Qilp hinunter. Er war nur einen Meter zwanzig groß. Sein Kopf reichte ihr gerade bis an die Taille. Seine Haut war bläulich getönt, die Augen strahlten tiefblau, und im Mund besaß er sonderbare Zähne, die von innen zu leuchten schienen. Der Hals war viel zu dünn und Arme und Beine zierlich und knochig. Von den Knien bis zum Hals steckte er in einem indigofarbenen hautengen Einteiler. Die unproportional großen Füße steckten in flachen Sandalen aus einer Plastiklegierung. »Geh in den Palast zurück«, sagte Königin Azura. Der Schirm! Qilp redete wieder von den wissenschaftlichen Dingen. Azuras Schirm stammte noch aus alter Zeit, aus den Anfangstagen Azurias. Die neuen Schirmgeräte, die auf der Oberfläche des Planeten Mongo benutzt wurden, bestanden aus einer Vakuumröhre und waren nicht wie die alten aus Kristallscheiben zusammengesetzt. Aber die Kristallschirme zeichneten auch Bioimpulse auf und waren nicht so störanfällig. Den55
noch hatte die Vakuumröhre sich durchgesetzt und den Kristallschirm in nahezu allen Bereichen verdrängt. Königin Azura mochte die nüchterne Wissenschaft nicht. Für sie entstammten alle Kräfte und Mächte der Magie. Und so hieß ja auch ihr Land »Königreich der Blauen Magie«. Azura haßte es, wenn Qilp oder sonst jemand wissenschaftliche statt der magischen Begriffe benutzte, obwohl alle Geräte im Königreich nach wissenschaftlichen Prinzipien arbeiteten. Dennoch, die Königin bevorzugte es, wenn vom Kristallschirm als einer Kristallkugel gesprochen wurde. Qilp hetzte zur Tür. Seine riesigen Füße standen ab und schleuderten beim Laufen kleine blaue Steinchen hoch. Azura setzte ihren Rückweg zum Palast fort. Sie kam an dem Springbrunnen vorbei, der blaues Wasser auf orange-, grünund gelbfarbene Stalagmiten versprühte. Endlich stand sie vor dem Palasteingang. Wenige Augenblicke später befand sie sich im »G«-Zimmer des Palastes. Allgemein glaubte man, »G« stände für »Guckraum«. Aber in Wahrheit war »G« die Abkürzung für »Geist«. Der Kristallschirm war auf einem Ständer in einer Ecke des Raumes aufgebaut. Als Azura eintrat, fand sie nur Qilp vor. Gebieterisch dirigierte sie ihn mit einer Handbewegung auf eine Couch am anderen Ende des Raumes. Er hetzte untertänig davon und ließ sich mit einem breiten Grinsen nieder. Schwere Stoffe in Türkis und Aquamarin hingen an den Wänden des fensterlosen Raums. Indirektes Licht strömte aus Anlagen, die zwischen Wänden und Decke angebracht waren. Das Licht wurde von photosensitiven Platten an der Planetenoberfläche eingefangen und durch Drähte sehr kostengünstig in die Caverna Gigantea gebracht, und von dort durch Rheostaten auf die verschiedenen fotoelektrischen Zellen des Palastes und aller Häuser im Königreich verteilt. Da die Beleuchtung indirekt war, machte es den Azurianern nichts aus, daß es sich dabei eigentlich um transformiertes Sonnenlicht handelte. Mehr 56
noch, die indirekten Lichtstrahlen machten der blauen Pigmentierung der Azurianer nichts aus. Der Kristallschirm zeigte klar und deutlich eine Szene auf der Oberfläche des Planeten. Azura stand davor und starrte fasziniert auf das Bild. Die Königin erkannte die Kapuzengestalten – es waren ihre eigenen Geheimagenten, die sich in Kapuzen, Roben und Gesichtsmasken eingehüllt hatten, um sich vor dem Sonnenlicht zu schützen. Dann war da noch ein merkwürdiger blonder Mann und neben ihm ein Teenager. »Was bedeutet das?« fragte sie laut. »Da sind ja meine Leute. Und wer ist dieser junge Mann?« Im gleichen Augenblick hielt Willie draußen die Zeit an und befreite Flash aus seiner Erstarrung. »Oho«, rief Azura. »Das ist ja Flash Gordon. Er ist also wieder auf Mongo. Wie interessant.« Qilp kicherte auf der Couch und hüpfte wie ein Kind auf und nieder. Azura achtete nicht auf ihn. Ihre Gedanken waren längst in die Vergangenheit geeilt. Die Erinnerung ließ ihr Herz in der Brust so schnell schlagen, daß es schmerzte. Der Anblick Flash Gordons versetzte sie in eine unbeherrschte Erregung. Vor Jahren war sie ihm zum ersten Mal begegnet, als er an der Seite Prinz Barins kämpfte. »Ich habe dich geliebt, Flash Gordon, obwohl du mein Feind warst«, sagte sie sanft. »Ich fürchte, es ist mein Schicksal, dich immer lieben zu müssen. Und jetzt bist du endlich zurückgekehrt.« Sie lächelte verträumt. Jawohl, sie liebte ihn, hatte ihn seit der ersten Begegnung geliebt. Aber er hatte sie verschmäht. Sie war bereit gewesen, ihm alles zu geben: das Königreich der Blauen Magie, sich selbst gar, um neben ihm die Königin zu sein, alle Reichtümer ihrer Welt. Ja, sie wollte ihm damals alles geben, wenn er nur ihr Gemahl und König geworden wäre. 57
Aber er hatte sie verschmäht. Da gab es nämlich noch so ein dummes Ding, ein Mädchen von der Erde, Dale Arden, wie Azura sich erinnerte. Wegen ihr hatte Flash Gordon sie, Azura, zurückgewiesen. Aber es war jetzt geschehen. Die Ursache für Flashs Ablehnung spielte jetzt keine Rolle mehr. Entscheidend war allein die Tatsache, daß er sie verschmäht hatte. Daran wäre ihr fast das Herz gebrochen. Und Azura hatte ihm Rache geschworen. Damals hatte er sich durch einen Trick befreit, in jener Nacht, da sie sich mit ihm vermählen wollte. Er hatte sie sitzengelassen und sie damit zum Gespött des ganzen Palastes gemacht – obwohl damals niemand gewagt hatte, ihr offen ins Gesicht zu lachen, wußte Azura nur zu genau, was man dachte. Sie hatte alle, die Zeuge dieser Schmach geworden waren, hinrichten lassen, damit niemand mehr über sie spotten konnte. Und Azura hatte ihnen keinen schnellen Tod gegönnt. Sie hatte sie langsam und schmerzvoll dahinscheiden lassen: Sie waren in einen Raum gesperrt worden, in den ein Paralysegas strömte. Sie waren dadurch bewegungslos geworden, obwohl ihre Sinne noch funktionierten und sie bei vollem Bewußtsein waren. Mehr noch, sie konnten jeden Schmerz spüren, der ihnen zugefügt wurde. Dann hatte die Königin sie abwechselnd in eisiger Luft und heißem Dampf gebadet, bis sie Stunden später ihre Seele ausgehaucht hatten. Niemand würde jemals wieder über Königin Azura lachen! Aber jetzt war Flash Gordon zurückgekehrt. Flash Gordon, den sie liebte. Flash Gordon, den sie haßte. Sie wandte sich vom Kristallschirm ab. »Qilp, was ist los, schläfst du?« »Aber, Eure Majestät«, sagte Qilp, sprang auf die Füße und trottete in seiner watschelnden Art auf sie zu. »Los, mach die Düsen bereit, aber ein bißchen plötzlich!« »Jawohl, o Königin Azura«, sagte Qilp und hastete quer 58
durch den Raum auf einen Vorhang zu. Er zog ihn beiseite und enthüllte damit eine Konsole in der Wand, auf der sich viele Meßskalen und Schalter befanden. »Mach die Düsen bereit«, schnappte Azura und stellte sich hinter ihn. »Nun mach schon!« Azura kehrte zum Kristallschirm zurück. Sie beobachtete, wie Flash und Willie die Äxte nahmen und über den Felsrand nach unten warfen. Dann erwachten die Kapuzengestalten wieder zum Leben, und Azura verfolgte den Kampf zwischen ihnen und den Terranern. Sie schrie Qilp an: »So, jetzt! Laß den Paralysenebel ausströmen.« »Jawohl, meine Königin«, sagte Qilp kichernd. Der Nebel formte sich am Eingang der Höhle zu einer Wolke und schwebte dicht über dem Boden auf Flash Gordon und den sorgenlosen Willie zu, die wie gebannt auf die Erscheinung starrten. Königin Azura konnte sich ein kurzes Lächeln nicht verkneifen, als sie beobachtete, was geschah. Sie wußte genau, daß ihre Opfer die wahre Gefahr der Wolke nicht sofort erkennen würden. Die Wolke bestand aus einem Gas, das die beiden in Sekundenschnelle in seelenlose Automaten verwandelte. Azura lachte laut auf, als die Wolke die Terraner erreichte. »Blaue Magie!« flüsterte sie verzückt. Azura rieb sich die Hände und starrte voller Vergnügen auf den Kristallschirm. Sie beobachtete, wie zuerst Flash und dann der Junge erstarrte. Ein irrer Zug strahlte aus ihren Augen, als sie zu Qilp hinübersah. »Jetzt gehören sie uns, Qilp. Uns!«
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VIII Dr. Zarkow tobte. Gleichzeitig kochte, schnaubte und redete er. Endlich schien er sich zu beruhigen und holte tief Luft. »Dieser verdammte Junge«, murmelte er immer wieder und trat wütend einen Stein fort, der ihm im Weg lag. Dale lachte. »Nun, Doc, das haben Sie sich selbst zuzuschreiben. Sie haben ja auch Tricks angewandt, um uns in ihr Labor zu locken. Nur weil auch einmal einer an Ihnen einen Trick ausprobiert, wie Willie, haben Sie eigentlich noch lange keinen Grund, auf den Jungen böse zu sein.« Zarkow reckte eine Faust in den Himmel und schüttelte sie wild. »Vielleicht haben Sie recht«, brummte er plötzlich. »Aber er hindert mich daran, meine Experimente fortzuführen.« »Meinen Sie damit etwa Ihre Versuche mit Willie?« fragte Dale anzüglich. »Stimmt. Denn ohne Willie könnte ich keine Versuche machen.« Dann starrte er Dale an und brach urplötzlich in sein schallendes Gelächter aus. »Das Ganze hier ist doch eigentlich ein einziges großes Experiment, nicht wahr?« Dale nickte. »Sehen Sie, Doc, so ist es. Also entspannen Sie sich und genießen Sie es.« Zarkow klatschte einmal in die Hände und sah sich um. »Dale, dieser Weg scheint nirgends hinzuführen. Wahrscheinlich haben Flash und Willie den richtigen erwischt.« Er starrte auf die Felsen, die vor ihnen lagen. »Das Zeugs da scheint lediglich gewöhnlicher Schiefer zu sein und ist wohl kaum von Interesse für einen Geologen. Das Gestein, auf das wir stießen, als wir hier ankamen, war weitaus interessanter.« »Das Ozeanit?« »Ja.« »Was ist Ozeanit eigentlich?« 60
»Es ist eine Art Lavagestein«, antwortete Zarkow. Seine Augen leuchteten plötzlich. »Heh!« brüllte er. »Das ist es doch, was mir dauernd im Kopf herumspukte. Jetzt hab’ ich’s. Es ist das gleiche Material wie in der Caverna Gigantea.« »Das sagt mir im Moment nichts«, sagte Dale. »Das Königreich der Blauen Magie.« Dale machte große Augen. »Meinen Sie das Gebiet von Königin Azura?« »Ich weiß nicht, ob es nur ein Gebiet ist«, sagte Zarkow lächelnd. »Aber Königin Azuras Land ist es ganz sicherlich.« »Sie machte Flash die ganze Zeit schöne Augen«, meinte Dale finster. »Sicher.« Zarkow grinste. »Ich beide wart nicht gerade das, was man gute Freundinnen nennt, nicht wahr?« »Sie wollte mir die Augen auskratzen.« »Und Sie? Was wollten Sie ihr antun?« fragte Zarkow. »Kein Kommentar.« Zarkow schüttelte den Kopf. »Dale, ich wäre dafür, umzukehren und Flash und Willie wiederzutreffen. Eher können wir vier zusammen den richtigen Weg finden. Jetzt, da wir wissen, wo wir sind –« »Was war das?« fragte Dale, legte den Kopf auf die Seite und lauschte. »Das sind Flash und Willie«, keuchte Zarkow. Er riß Dale am Arm mit sich. »Kommen Sie schon. Die beiden stecken in Schwierigkeiten.« Dale und Zarkow rasten den Weg zurück, den sie gekommen waren. Der Pfad schlängelte sich auf und ab durch die Schieferformation den Hügel hinunter. Dale verringerte vor jeder Biegung ihre Geschwindigkeit oder stolperte über Felsen, die auf dem schmalen Pfad lagen. Zarkow hatte wieder schlechte Laune und verfluchte den Staub, den ihre Stiefel aufwirbelten. Der Weg verbreiterte sich, und bald hatten sie den Punkt erreicht, an dem sie sich von Flash und Willie getrennt hatten. 61
»Warten Sie mal!« rief Zarkow. Dale hielt im Laufen inne. »Hören Sie.« Aber es war nichts zu hören. Zarkow brummte: »Ich höre gar nichts. Was ist wohl aus Flash und Willie geworden?« Dale schüttelte den Kopf. Sorgen beschlichen sie. »Lassen Sie uns schnell machen, Doc. Vielleicht sind sie überfallen worden.« »Ich habe leider keine Waffen«, sagte Zarkow verärgert. »Und Flash auch nicht.« »Das können wir jetzt auch nicht ändern. Kommen Sie.« »Dieser verdammte Willie«, rief Zarkow. »Ich würde ihm am liebsten –« Aber Dale war schon losgerannt. Sie war schon ein ganzes Stück auf dem Weg zu den blauen Felsen vorangekommen, als das Zarkow erst bewußt wurde, und er sich daranmachte, zu ihr aufzuschließen. Der Weg erwies sich als steil ansteigend. Aber schon bald befanden sie sich an der Stelle, wo Flash und Willie von den Kapuzengestalten angegriffen worden waren. Der Platz war verlassen. »Heh, Doc!« sagte Dale. Sie kniete sich hin und deutete in den Staub. »Sehen sie mal, hier.« Zarkow beugte sich über ihre Schulter. »Was denn? Ich sehe nichts.« »Diese Spur. Es ist ein Fußabdruck von Flash.« »Woher wissen Sie das?« »Weil ich ihm diese Stiefel gekauft habe, komisch, nicht wahr? Sehen Sie den Kreis und das Viereck? Diese Marke mag Flash besonders.« Zarkow richtete sich gerade auf und sah sich um. Er sah aber nur die wilde Felslandschaft. »Nun, wenn er hier gewesen ist, dann weiß ich aber nicht, wo er anschließend hingegangen ist.« Dale rieb sich gedankenverloren das Kinn. Auch sie beäugte 62
die Felsen und den Pfad. »Doc«, sagte sie langsam, »wenn irgend jemand uns eine Falle stellen wollte, dann wäre das doch hier der ideale Platz dafür, nicht wahr?« Zarkow wurde unruhig. »Ja, das glaube ich auch.« »Vielleicht sind Flash und Willie in einen Hinterhalt geraten?« »Daran ist wohl kaum zu zweifeln«, sagte Zarkow besorgt. »Aber wo hat man sie hingebracht? Der Pfad scheint hier zu enden.« Dale sah sorgenvoll auf die Felsen. Plötzlich hatte sie etwas entdeckt und machte Zarkow darauf aufmerksam. »Doc, dort!« Sie hatte den Höhleneingang bemerkt. Zarkow kam zu ihr und stellte sich neben sie. Auch er entdeckte das Höhlenloch zwischen den Felsen. »Halt mich fest«, sagte Zarkow. »Das ist ja eine Höhle.« Er wurde blaß. »Dale!« Zarkow packte sie am Arm. »Hören Sie, wir sollten so rasch wie möglich von hier verschwinden!« »Was ist denn los, Doc?« fragte Dale verwundert. »Ich würde mir gerne die Höhle von innen ansehen. Vielleicht sind Flash und Willie da drinnen.« »Ich weiß ganz bestimmt, daß sie dort drinnen sind«, flüsterte Zarkow. Er zog Dale mit sich fort, den Weg hinunter. »Aber die Höhle –« Dann verstand das Mädchen. »Die Höhle ist ein Eingang zum Königreich der Blauen Magie.« »Genau«, flüsterte Zarkow. Mittlerweile ging er nicht mehr, er rannte den Hügel hinunter. »Wir müssen auf dem schnellsten Wege weg von hier. Sonst schickt uns dieses Weibsbild ihre Kapuzenkrieger hinterher, um auch uns zu fangen.« »Aber, Doc, wir müssen Flash helfen. Wir sind uns doch so gut wie sicher, daß er mit Königin Azuras Männern gekämpft hat. Und wir müssen jetzt zu ihm.« »Nichts da«, schnappte Zarkow. »Wir brauchen eine ganze Menge Hilfe, wenn wir uns unseren Weg in die Caverna Gigantea erzwingen wollen. Das wissen Sie genausogut wie ich. 63
Ich schlage vor, wir hauen ab und laufen nach Arboria zum Prinzen Barin. Der soll uns helfen, in die Höhle einzudringen.« »Doc, bis zum Prinzen ist es noch sehr weit. Wir müssen Flash schon jetzt helfen. Aber wie?« Zarkow hielt an und ließ sich auf einen Felsen niedersinken, um auszuruhen. Dale stellte sich neben ihn. »Wir befinden uns ziemlich genau zwei Tage von Arboria entfernt, wenn das dort wirklich der Eingang zum Königreich der Blauen Magie war«, sagte Zarkow. »Ich erinnere mich, das einmal auf einer Karte von Prinz Barin gesehen zu haben. Uns steht ein langer Marsch bevor.« »Und was wird inzwischen aus Flash und Willie? Sie schweben wahrscheinlich in größter Gefahr. Sollen wir sie denn einfach solange ihrem Schicksal überlassen?« »Was wollen Sie denn sonst unternehmen?« fragte Zarkow dickköpfig. »Wenn wir dort eindringen, nehmen sie uns auch gefangen.« »Höchstwahrscheinlich«, gab Dale widerwillig zu. »Ich hoffe nur, daß wir nicht zu spät bei Prinz Barin ankommen, um Flash zu retten.« »Das hoffe ich auch«, sagte Zarkow düster. »Aber ich weiß mir im Moment auch keinen besseren Rat.« »Ich auch nicht«, sagte Dale traurig. Zarkow führte Dale in nordwestlicher Richtung vom Höhleneingang fort. Noch herrschte Tageslicht. Als die Nacht hereinbrach, hatten sie schon etliche MongoMeilen hinter sich. Aber sie hatten noch keine bewohnbare Gegend erreicht. »Hier ist alles Wüste«, sagte Zarkow. »Wir stehen hier am westlichen Rand der Großen Mongo-Wüste. Und wir können noch froh sein, daß wir uns nicht am südlichen oder östlichen Rand befinden. Die Sonne brennt dort gnadenlos, und es gibt nirgends Wasser.« »Gibt es denn hier Wasser?« fragte Dale erschöpft. »Ich habe 64
Durst.« Zarkow lachte wild. »Hören Sie denn nicht das Bächlein rauschen, Dale?« Dale lauschte angestrengt. Ein fröhlicher Zug bedeckte ihr Gesicht. »Ja doch! Oh, Doc, Sie wollten mir wohl vorhin Angst einjagen.« »Ich höre das Bächlein schon seit einigen Minuten. Wir wollen dort unser Nachtlager aufschlagen, Dale, und morgen früh weiterziehen.« »Ich wünschte, ich wäre besser ausgerüstet«, sagte Dale zerknirscht. »Nun, wer hat das auch ahnen können«, sagte Zarkow mit einem Stirnrunzeln. »Zum Henker mit Willie!« Sie erreichten die Spitze eines Hügels. Unter ihnen breitete sich eine Oase mit Palmen und grünem Gras aus, ein ruhiges, stilles Plätzchen unter einem sternenbedeckten Himmel. Der siebte Mongo-Mond war noch nicht aufgegangen, aber die Sterne erstrahlten und wurden vom silbernen Wasser der Oase reflektiert. Dale und Zarkow gelangten in die Oase und gingen sofort zum Wasser weiter. Langsam tranken sie und genossen es. Dann legte Dale sich ins Gras und betrachtete die Sterne, während Zarkow Unverständliches vor sich hin murmelte. »Was ist los, Doc?« »Ich stelle Berechnungen an, sonst nichts.« »Berechnungen?« »Ich berechne unseren weiteren Weg«, erklärte er. »Es ist gar nicht so schwer, sich an den Sternen zu orientieren, wissen Sie. Morgen werden wir in dieser Richtung weitergehen«, sagte er und deutete in eine bestimmte Himmelsrichtung. »Wir müssen weiter über die Ebene, direkt auf die Wälder von Arboria zu.« »Zumindest wird es erfrischend und kühler sein, wenn wir im Schatten der Bäume marschieren«, sagte Dale. »Wir müssen früh aufstehen und aufbrechen, ehe die Sonne 65
allzu hoch am Himmel steht«, sagte Zarkow und legte sich hin. »Schlafen Sie. Ich werde Sie vorm Morgengrauen wecken.« * Zarkow rüttelte Dale wach. Der Mond stand noch am Himmel. Sie standen auf. Bald darauf marschierten sie schon los. Nach kurzer Zeit betraten sie eine angenehme grüne Ebene, die den Neuankömmlingen Trost von der Sandwüste zuzusprechen schien, die sie gestern nachmittag durchquert hatten. »Was halten Sie von Azura, der Hexenkönigin, Doc?« fragte Dale. Zarkow grinste. »Nun, sie ist eine ausgesprochen hübsche, aber gefährliche Lady.« »Männer!« schnaubte Dale. »Ihr orientiert euch nur an Äußerlichkeiten!« »Ihr Frauen denn nicht?« fragte Zarkow mit geheuchelter Neugierde, um Dale zu ärgern. »Ich halte sie für eine teuflische Person«, schnappte Dale. »Sicher, eine teuflische Person, die Flash in ihren Armen hält.« Dale errötete vor Zorn. »Hören Sie auf, Doc. Das finde ich nicht komisch.« »Natürlich ist es nicht komisch. Sie haben mich gefragt, was ich von Königin Azura halte. Sie ist eine Schönheit – aber sie ist eine Gefahr.« »Und unberechenbar«, fügte Dale hinzu. »Und unberechenbar, das stimmt. Aber jetzt machen Sie sich keine Sorgen, Dale. Wir sind bald in Arboria, und Prinz Barin wird uns helfen, Flash zu befreien.« »Sie scheinen nicht viel von der Möglichkeit zu halten, daß Flash sich aus eigener Kraft aus dem Hexenreich befreien kann, nicht wahr?« Zarkow geriet ins Grübeln. »Man darf Königin Azura nicht 66
unterschätzen, Dale. Vergessen Sie nicht, daß die besten Wissenschaftler von Mongo für sie arbeiten. Und die kennen sicher jede Droge, die man sich vorstellen kann. Sie sind die Meister in allen Wissenschaftsbereichen. Darum ist Azuras Macht auch so gefährlich. Und aus demselben Grund muß ihrem Treiben Einhalt geboten werden. – Ich frage mich ohnehin, warum der Freie Rat von Mongo unter Prinz Barin sie noch nicht vernichtet und diesen Azurianer-Haufen aus dem Innern Mongos vertrieben hat.« »Vielleicht hatte er nicht die Mittel dazu«, überlegte Dale. »Seitdem Ming der Gnadenlose sein verdientes Ende fand, gab es keinen Grund mehr für einen Kampf«, sagte Zarkow. »Die letzte Botschaft, die ich von Prinz Barin erhielt, besagte, daß Mongo im Moment die glücklichste und reichste Epoche durchmache, die je auf diesem Planeten stattgefunden habe.« »Wir sind uns ja noch nicht einmal sicher, ob Flash wirklich nach Azuria verschleppt wurde«, sagte Dale besorgt. »Wir haben Schreie und Rufe gehört«, fuhr Zarkow dazwischen. Dale nickte. »Und wir konnten sie nicht mehr finden.« »Alles spricht dafür, daß er und Willie verschleppt wurden.« Zarkow schüttelte den Kopf zum Zeichen, daß er keinen Widerspruch zuließ. »Doc«, sagte Dale unruhig nach einer Weile. Zarkow runzelte die Stirn. »Ja, was gibt’s?« Sie kam ganz nahe zu ihm heran und flüsterte ihm zu. »Ich habe das ungute Gefühl, daß wir verfolgt werden.« »Wer sollte das wohl tun?« spottete Zarkow. »Wir befinden uns hier mitten in der Großen Mongo-Wüste!« »Ich habe trotzdem das Gefühl, daß uns jemand beobachtet, oder gar verfolgt.« Zarkow starrte in den Himmel. Ein großer Vogel zog dort seine Kreise über der Oase, die sie verlassen hatten. Er wandte sich an Dale. »Da oben ist ein Vogel. Ist er es, der Sie so beun67
ruhigt?« Auch Dale sah hinauf in den Himmel, der jetzt mehr und mehr orange wurde, je höher die Sonne stieg. »Nein«, sagte sie und schüttelte sich. »Es ist mehr ein Gefühl, Doc.« Zarkow verlangsamte seine Schritte. »Auch mir kommt es so vor, als sei dort hinter uns irgend etwas.« Er richtete sich gerade auf. »Aber falls wirklich jemand dort sein sollte, warum hat er oder haben sie uns nicht schon im Schlaf überfallen? Das ergibt für mich keinen Sinn, daß er oder sie darauf gewartet haben, uns bei Tageslicht anzugreifen.« »Nein«, stimmte Dale leise zu. Sie marschierten schweigend weiter, während der Himmel über ihnen immer heller wurde. »Doc!« kreischte Dale und preßte sich an Zarkows Arm. Der Angesprochene erstarrte und spähte dann über die Schulter des Mädchens. Mit weit aufgerissenen Augen starrten beide in den Himmel, wo ein großer menschenähnlicher Vogel langsam zu ihnen herunterkreiste. Es war ein Vogel mit einer enormen Flügelspannweite und Klauen, die an menschliche Hände mit Krallen an den Enden der Finger erinnerten. Dann, als sie noch furchtsam in den Himmel starrten, erschien ein weiterer dieser riesigen Vögel aus einer anderen Richtung. »Dale! Rennen Sie! Rennen Sie um ihr Leben!« schrie Zarkow, während er eilig zu einer Felsengruppe rannte. Keuchend tat Dale es ihm gleich. Dann, als sie die Felsen erreicht hatten und die großen Vögel ihnen immer näher kamen, wurden sie aufs neue in Panik versetzt. Zwei weitere Riesenvögel, größer noch als die beiden am Himmel, erwarteten sie dort und starrten sie an. Sie waren einen Meter achtzig hoch, und ihre Flügelspannweite maß im 68
ausgebreiteten Zustand fast fünf Meter. An ihren kahlen Schädeln befanden sich gewaltige Schnäbel. »Ihre Gesichter«, flüsterte Dale, »sie sind – sie sind – Menschen!« »Nein, Vogelwesen«, flüsterte Zarkow zurück, »keine Menschen.« Die Vogelwesen falteten ihre Schwingen zusammen und verschränkten die krallenbewehrten Arme vor der Brust. Sie warteten. Dale sah ihre seltsamen Augen, die von einer Art Lidern geschützt wurden, die an Rennfahrer-Schutzbrillen erinnerten. Durch diese Lider schienen sie die Menschen sorgfältig zu beobachten. »Was mögen sie bloß wollen?« fragte Dale mit erstickter Stimme. »Uns wollen sie«, sagte Zarkow mit einem leichten Zittern in der Stimme.
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IX Flash Gordon kam wieder zu Bewußtsein. Aber er konnte sich nicht bewegen. Beim erstenmal, als er das Bewußtsein auf dem Felsenpfad zum Königreich der Blauen Magie verloren hatte, hatte er wenigstens noch stehen können. Jetzt aber lag er flach und bis zu den Hüften gefesselt auf einem Wagen. Um ihn herum herrschte geschäftiges Treiben. Sein junger Freund, der Sorgenlose Willie, lag neben ihm. Das Gefährt war ein einfacher, nach allen Seiten offener Wagen. Kapuzengestalten hasteten an ihnen vorbei. Und plötzlich setzte sich der Wagen wieder in Bewegung. Erst schien er in den Himmel steigen zu wollen, dann drehte er, und jetzt ging es abwärts weiter. Endlich standen sie in der Höhle. Flash wußte genau, daß Willie und er von einer Art Nervengas paralysiert worden waren. Die Nebelwolke, die aus dem Höhleneingang auf sie zukroch, war in Wirklichkeit Gas gewesen. Flash ärgerte sich jetzt, daß er zu langsam reagiert hatte. Er hätte besser sich und Willie schnell genug aus dem Gefahrenbereich bringen sollen. Sieh mal einer an, dachte Flash, da hat Königin Azura also ein hochwirksames Nervengas entwickelt, und sie scheut sich auch nicht, es für ihre Zwecke einzusetzen. Wahrscheinlich hat sie mich und Willie auf ihrem Kristallschirm gesehen. Magie soll das sein, dachte Flash weiter, Pah! Das ist nichts als ein rein technisches Überwachungssystem. Der Wagen, auf dem die beiden lagen, rollte weiter durch das erleuchtete Gelände, dem die Wissenschaftler von Mongo den Namen Caverna Gigantea gegeben hatten. Flash erinnerte sich daran, daß die Ingenieure der Azurianer für die unterirdische Welt ein Gravomobil entwickelt hatten. Dieses hatte sich als Hauptreise- und -transportfahrzeug in Azuria durchgesetzt. Die gigantische unterirdische Anlage mit ihren Höhlen, Grotten und Nebenschächten breitete sich vor Flashs Augen aus 70
und beeindruckte ihn in ihrer wilden Schönheit. Die indirekte Beleuchtung – Sonnenstrahlen wurden auf der Oberfläche des Planeten eingefangen und hier in Azuria in Sonnenzellen gespeichert – formte gespenstische Schatten an den grün-orangen Decken der Höhlen, die sie durchführen. Eine beklemmende Stille herrschte in dieser Welt. Wassertümpel, auf deren Oberfläche sich kaum etwas bewegte, lagen zu beiden Seiten des Fahrwegs. Winzige, augenlose Fische schossen durch die Tümpel. Flash hatte keine Ahnung, wie diese Spezies genannt wurde; sicher aber hätte Doc Zarkow ohne nachzusehen ihren Gattungsnamen gewußt. Amphibien aus einer früheren Epoche des Lebens huschten über die Felsen. Ihre überdimensionalen Augen glühten in der schlecht beleuchteten Landschaft. Sie starrten auf die Menschen, die da die Ruhe ihres eigenen Reiches störten. Das Gravomobil fuhr an einem gigantischen Wasserfall vorbei. Wahre Sturzbäche klaren Wassers schossen herunter. Das war die Hauptwasserversorgung für die Bevölkerung des Königreichs der Blauen Magie. Eine Gruppe Ingenieure, im traditionellen indigoblauen Einheitsanzug, den alle Azurianer im Königreich tragen mußten, hielt in ihrer Arbeit inne und starrte auf das Gravomobil mit den beiden Neuankömmlingen. Flash erinnerte sich, welche Reichtümer an Mineralien und Bodenschätzen in den Wänden stecken, die die Caverna Gigantea umgaben. Aus purer Eitelkeit beanspruchte Königin Azura alle diese Reichtümer für sich. Und ebenso entsprach es ihrer Hoffärtigkeit, sich übermäßig mit Schmuck zu behängen und damit vor allen Besuchern zu protzen. Auch vor ihrem Volk spielte sie gern die große Dame und stellte ihren Reichtum zur Schau. Das Gravomobil bog um eine Ecke und fuhr in einen Lift, der es bedächtig mehrere hundert Meter nach unten beförderte. Wenige Augenblicke später war der Wagen unten. Dort, in den unteren Etagen Azurias, wurden die einzelnen Höhlen größer 71
und mündeten in ein riesiges unterirdisches Tal. Überall im Tal fanden sich kleine Seen und Grünflächen, auf denen Algen, Seetang und andere Pflanzen wuchsen, die nicht auf Sonnenlicht angewiesen waren. Am Ende des Tals konnte Flash die juwelenbesetzten Spitzen der Stadt Azuria entdecken. Überragt und beherrscht wurde dieser Anblick vom spiralenförmigen Turm des Azuria-Palastes. Das Gravomobil rauschte durch das Tal und erreichte die Grenzbezirke der Stadt. Über den Dächern der Stadt konnte Flash vielfältige Geräusche hören. Aber seine Lage erlaubte ihm nicht vom Fahrzeug herunterzusehen. Durch eine ovale Öffnung gelangten sie in den Palast. Drinnen ließ sich das Gravomobil auf dem Steinboden nieder. Die Kapuzenmänner, die das Fahrzeug gesteuert hatten, zogen Kutten und Kapuzen aus und schlüpften erst einmal in die schillernden Indigo-Einheitsanzüge. Ein Luftzug umwehte das Fahrzeug, seine Fahrer und die beiden Gefangenen und hob sie mit mäßiger Geschwindigkeit in die Räume der Königin im Turm empor. Dann wurden sie plötzlich in einem geräumigen Zimmer abgesetzt, das von indirekten, aus Sonnenstrahlen umgewandelten, Lichtstrahlen beleuchtet wurde. Das Zimmer schien früher aus mehreren Räumen bestanden zu haben, aus denen man ein großes Apartment gemacht hatte, das abseits vom Palast gelegen war. Flash vermutete, daß es sich hier um die Privatgemächer der Königin Azura handelte. Am anderen Ende des Zimmers befand sich eine Wendeltreppe, die zu einem zweiten Stockwerk führte. Dort oben konnte Flash mehrere Türen in einem langen Gang erkennen. Schwere Stoffe hingen an den Wänden, und es gab keine Fenster. Sofas, Tische und Schreibtische unterschiedlichster Machart füllten individuell angeordnet das Zimmer. Der Steinboden war 72
von einem kostbaren Brokat-Teppich bedeckt, der die typische exotische Machart von Mongo aufwies. Die Fahrer kontrollierten die Fesseln bei Flash und Willie. Dann beeilten sie sich, vom Gravomobil fort und hin zu einem Antigrav-Tunnel zu kommen, durch den sie auch schon bald verschwunden waren. Eine majestätische Ruhe herrschte in dem großen Apartment. Flash konnte keine lebende Seele entdecken. An einer Wand standen fünf Schränke, die wie Holzsärge wirkten. Sie waren an einer Seite offen – und leer. Flash schloß die Augen, ließ seine Gedanken treiben und verlor jedes Gefühl für die Zeit. Flash kam es vor, als läge er bereits mehrere Stunden hier und wartete – oder waren erst wenige Minuten vergangen. Plötzlich öffnete sich am anderen Ende des Zimmers eine Tür, und eine groteske, hüpfende Gestalt von höchstens ein Meter zwanzig Größe betrat den Raum. Sie lachte, feixte und deutete damit an, daß jemand ihr folgte. Dann bemerkte Flash Königin Azura. Ruhig, majestätisch, befehlsgewohnt und mit der Spur eines Lächelns auf den Lippen – aber so satanisch wirkend wie kein zweites Wesen auf dieser Welt – betrat sie hinter dem faxenmachenden Zwerg den Raum, Azura schwebte wie eine Königin herein, was im totalen Gegensatz zu den Verrenkungen ihres Hofnarren stand. Der Zwerg hüpfte auf und nieder und starrte dabei auf die Gefangenen, die auf dem Rücken im Gravomobil lagen. Er schnitt ihnen Grimassen und grinste hämisch. Bald hatte Königin Azura ihn eingeholt und stellte sich neben ihn. Ihre Augen leuchteten aufgeregt. Sie war noch immer so schön, wie beim ersten Mal, als Flash sie gesehen hatte. Ja, sie schien noch begehrenswerter geworden zu sein, wie Flash in Gedanken zugeben mußte. In diesem Land, wo das Altern von der Wissenschaft kontrolliert wurde 73
und die Gesundheit durch eine tägliche Pilleneinannahme garantiert war, spielte die äußere Schönheit natürlich eine besondere Rolle. Ganz im Gegensatz zur schönen Königin stand der Zwerg. Flash fragte sich, wer das wohl war. »Endlich«, sagte die Königin Azura. Sie seufzte, beugte sich über Flash und sah ihm tief in die Augen. »Wir haben uns wiedergetroffen, mein Freund«, sagte sie zischend. »Ich weiß, daß du mich sehen kannst, denn du bist wieder wach. Ich möchte, daß du weißt, daß ich dich jetzt völlig unter meiner Kontrolle habe, Flash Gordon. Du hast einen großen Fehler gemacht, indem du es zuließest, gefangengenommen und in das Königreich der Blauen Magie geschafft zu werden.« Flash wollte den Mund öffnen, um der Königin die gebührende Antwort zukommen zu lassen. Aber es ging nicht. Er lag dort, unfähig, auch nur einen Muskel zu bewegen. »Ja, mein Liebster. Es war ein Nervengas. Wir nennen es hier Paralyse-NG. Es strömte aus versteckten Düsen in den Felsen auf der Oberfläche am Höhleneingang. Das Gas hat dich paralysiert und als wehrlose Beute für meine Oberflächen-Agenten zurückgelassen.« Sie lachte. »Oh, früher hätte ich alle Juwelen meines Königreichs dafür hergegeben, um dich in dieser Lage zu sehen. Und jetzt bist du hier, wie begehrenswert du doch bist. Ich muß dich einfach behalten.« Sie beugte sich wieder über Flash und strich ihm mit einem Finger über die Lippen. »Oh, Flash Gordon, wie oft habe ich daran gedacht, wie du mich beim letztenmal abgewiesen hast.« Azuras Augen blitzten vor Zorn. »Mich abgewiesen!« Dann herrschte wieder Stille. Nur der Zwerg hüpfte auf und nieder und kicherte. Azura wandte sich ihm mit einer blitzschnellen Bewegung zu und hieb dem Zwerg auf den Mund, so daß der, sich rückwärts überschlagend, gegen eine Wand geschleudert wurde. »Heh!« heulte er. Er rappelte sich wieder auf und berührte 74
vorsichtig das Gesicht. Dort, wo sie ihn getroffen hatte, war er stark gerötet. »Ihr solltet so etwas nicht mit mir machen, Eure Unermeßlichkeit«, sagte er mit weinerlicher Stimme. »Mit meinen Untergebenen mache ich, was ich will«, sagte die Königin barsch. »Du kannst dich noch glücklich schätzen, Qilp, daß ich dich nicht in den Säurebottich geworfen habe. Mit mir treibt keiner ungestraft seine Scherze.« »Ich wollte mir keineswegs einen Scherz erlauben, oh, Königin Azura«, winselte der Zwerg. »Immerhin bin ich Euer verdienter Minister des Geistes. Und mir bereitet die Hilflosigkeit dieses irdischen Riesen Vergnügen.« Aber Azura wandte sich gelangweilt von dem geschwätzigen Zwerg ab. Ihre Augen wanderten mit Wohlgefallen über den Körper von Flash. Flash dachte daran, wie aufregend schön sie doch war – aber auch teuflisch und gefährlich. »Nun, wir müssen dich aus deiner Erstarrung befreien, mein wunderbarer Flash«, schnurrte die Königin. Wieder strich sie über Flashs Gesicht. »Mal sehen, was unser braver Erdbesucher dann tut.« Sie drehte sich um und klatschte in die Hände. Eine Wand öffnete sich an einer Stelle, und vier bebrillte Personen betraten den Raum. Sie gruppierten sich um das Gravomobil und warteten auf weitere Anweisungen. »Erlöst den Großen aus seiner Starre«, befahl Azura kurz angebunden. »Und was ist mit dem Kleinen, oh, Königin Azura?« fragte einer der Männer. »Legt ihn in eine der Wandkammern. Dort soll er einige Zeit bleiben«, sagte die Königin, nachdem sie kurz darüber nachgedacht hatte. Mit einer flüchtigen Handbewegung deutete sie auf die Wand mit den fünf merkwürdigen Schränken. »Jawohl, Eure Majestät«, sagte einer der Männer. Die vier Männer traten näher an das Gravomobil. Einer von ihnen starrte durch seine Linsen Flashs Gesicht an. Dann griff 75
er in eine Tasche seines Einheitsanzuges und holte ein blaues Kistchen heraus. Es war mit Kapseln gefüllt. Der Mann nahm eine heraus und hielt sie Flash vors Gesicht. »Das reicht, Dr. Kluf«, sagte Azura. »Bringt den Kleinen weg und laßt mich allein.« Dr. Kluf winkte mit einer Hand, und die drei anderen hoben Willie aus dem Gravomobil. Sie trugen ihn zu einer der Wandkammern. Vorsichtig richteten sie ihn auf und stellten ihn dann in das Sarggebilde. Dort verharrte der Junge bewegungslos und starrte in das Zimmer. »Weckt ihn ja nicht auf«, befahl Azura leise. »Jawohl, oh, Königin Azura«, sagte Dr. Kluf. Er verbeugte sich. Seine Augen verengten sich hinter den Linsen zu schmalen Schlitzen. Was müssen diese Leute für Augen haben, dachte Flash, daß sie in diesem Halbdunkel überhaupt etwas erkennen können? Azura klatschte in die Hände und stampfte sogar mit dem Fuß auf. »Hinaus mit euch«, befahl sie. »Ich auch?« fragte Qilp mit einem scheelen Seitenblick. »Nein«, antwortete die Königin langsam. »Du bleibst. Vielleicht brauche ich dich noch.« Beide beobachteten Flash auf dem Gravomobil. »Er müßte jetzt bald wieder auf dem Damm sein«, sagte Azura leise, wie in Gedanken. »Vielleicht wird das hier den Prozeß beschleunigen.« Sie beugte sich über Flash und küßte ihn lang und innig. Der Zwerg kicherte. Blitzschnell packte Flash die Königin am Handgelenk und hielt sie so fest, daß sie ihm nicht entweichen konnte. »Laß mich los«, keuchte die Königin. »Du möchtest deinen Spaß mit mir haben, was?« grunzte Flash rauh. »Aber wir machen auf meine Art Späße.« Azura errötete. »Flash, ich habe dir doch nichts Böses getan. Ich habe dir doch auch das Gegenmittel zum Nervengas geben lassen. Also, nun sei auch lieb zu mir.« 76
Flash setzte sich im Gravomobil langsam aufrecht hin und preßte die Königin an sich. »Versuche bloß nicht, mich hinters Licht zu führen. Du hast noch nichts für mich getan. Im Gegenteil, ich bin ja immer noch dein Gefangener.« Flash lächelte sie kurz an. »Oder vielleicht bist du jetzt meine Gefangene.« Azura machte große Augen. »Du tust mir weh, Flash. Ich werde das nicht vergessen, wenn –« Azura brach mitten im Satz ab und schwieg. »Wenn was?« Sie schüttelte abwehrend den Kopf. »Na gut«, sagte Flash. Er packte Azuras Handgelenke noch fester und drehte sie langsam herum. »Gib Willie das Gegengift.« Azura brachte es trotz der Schmerzen fertig, überrascht zu wirken. »Wer ist Willie?« Flash zeigte mit einer Kopfbewegung zu der Wandkammer, in die Willie gestellt worden war. »Der da, den du in den Sarg dort hast sperren lassen.« »Oh, du meinst den dummen kleinen Jungen.« »Gib ihm das Gegengift«, befahl Flash barsch. »Und beeil dich gefälligst etwas.« »Ist er dein Sohn, Flash?« fragte Azura hintergründig. »Er ist ein guter Freund«, gab Flash zurück. »Du hast es mir immer so schwergemacht, Flash«, gurrte Azura. »Wir zwei sind hier und jetzt zusammen. Warum sollten wir es uns nicht etwas bequem machen und uns dabei näherkommen? Wir könnten eine schöne Zeit miteinander verbringen, bevor ich dich gehen lasse. Du bist ein Mann, und ich –« Flash starrte sie an. »Ich glaube nicht, daß du mich freiwillig gehen läßt, Azura.« Das Gesicht der Königin verzog sich wieder vor Schmerz. »Du bringst uns beide nicht eben weiter, wenn du mir so weh tust«, sagte Azura. 77
»Ich lasse dich sofort los, wenn du deinem Zwerg sagst, er soll Willie aus der Paralyse befreien.« »Ich bin kein Zwerg«, kreischte Qilp empört. »Er kann es ohnehin nicht«, versicherte Azura Flash. »Nur ich kann das, und meine Wissenschaftler.« »Dann tu du’s«. »Wie kann ich etwas unternehmen, wenn du mich so festhältst?« fragte Azura mit unschuldigem Augenaufschlag. »Sag mir, was ich tun muß, und ich werde den Jungen befreien.« Azura wurde ärgerlich, ihre Augen verengten sich zu schmalen Schlitzen. »In der Schnalle meines Capes befindet sich ein Medaillon«, erklärte sie ihm. Flash sah auf die Schnalle hinunter, die ihr Cape um den Hals zusammenhielt. Er entdeckte ein kleines, juwelenbesetztes Medaillon. »Öffne es«, befahl Azura. »Wenn du mich hereinlegen willst, Azura …« In Flashs Stimme schwang unüberhörbar eine Drohung mit. »Und wenn ich es dir schwöre?« fragte Azura sanft wie ein Lamm. Flash öffnete das Medaillon. Innen lag eine kleine Kapsel. »Brich sie auf«, sagte Azura. Flash warf einen flüchtigen Blick über die Schulter nach Qilp. Aber der Zwerg starrte ihn ausdruckslos an. In einer plötzlichen Aufwallung zerbrach Flash die Kapsel. Augenblicklich bemächtigte sich seiner eine innere Schwäche. Aus einem unerfindlichen Grund hatte er auf einmal Angst, schreckliche Angst, wie noch nie zuvor in seinem Leben. »Was hat du, Flash?« fragte Azura in gespieltem Interesse. »Du siehst ja so merkwürdig aus.« »Ja, Erdling«, sagte Qilp und grinste satanisch. »Was ist los mit dir?« 78
Flash schüttelte den Kopf. »Nichts. Gar nichts.« Er schloß die Augen und atmete tief durch, um sich wieder unter Kontrolle zu bringen. Er fühlte, wie er vor Furcht eine Gänsehaut bekam. Azura stand vor Flash, der noch, immer auf dem Gravomobil saß, jetzt mehr kauerte, und beugte sich über ihn. Dann berührte sie ihn mit der Hand. »Ist doch schon gut, Flash. Habe ich dich belogen?« Instinktiv wich Flash vor der Berührung ihrer Hand zurück. Er zog sich auf dem Wagen immer mehr von ihr zurück. Sein ganzer Körper zitterte, und Flash fühlte eine tiefe, kreatürliche Furcht, die er nicht bezwingen konnte. »Geh weg!« schrie er. Flash selbst von seiner Stimme überrascht, wie schrill, fast schon hysterisch, sie geklungen hatte. Azura warf den Kopf in den Nacken und lachte laut auf. Flash fühlte, wie ihm auf der Stirn der Schweiß ausbrach. »Warum lachst du?« »Du hast ein neues Präparat eingenommen, das wir hier im Königreich der Blauen Magie entwickelt haben«, sagte sie, während sie ihrer Freude freien Lauf ließ. »Es macht aus den tapfersten Männern Feiglinge.« »F-F-Feiglinge?« stotterte Flash unfähig, das Wort korrekt auszusprechen. »Ich bin kein Feigling.« »Vielleicht warst du nie einer, Flash, aber jetzt bist du ein Feigling.« Qilp kicherte. Flash runzelte die Stirn. Erst jetzt hatte er begriffen. »Du hast mich hereingelegt. Du hast mich dazu überredet die Kapsel mit diesem neuen Präparat zu öffnen, das deine satanischen Wissenschaftler erfunden haben.« »Du hast es erfaßt«, gab Königin Azura gutgelaunt zurück. »Aber warum ist bei dir nicht dieselbe Wirkung aufgetreten, als ich die Kapsel öffnete?« »Ich bin aus der Gefahrenzone geblieben«, sagte Azura. »Wir 79
nennen das Gas den ›Pazifistendunst‹, Flash Gordon. Aber es wird auch denjenigen ins Essen beigemengt, die willenlos gemacht werden sollen.« »Und wenn ich mich weigere das Zeugs zu essen?« fragte Flash. »Dann mußt du verhungern, Erdling!« kreischte Qilp. Flash stutzte, etwas von seinem alten Mut kehrte zurück. »Aber bei mir funktioniert es nicht richtig. Meine Willenskraft ist stärker als die anderer Leute. Ich kann die Angst aus meinen Gedanken verbannen.« Azura wandte sich an Qilp. »Schnell, lauf!« befahl sie ihm. »Hol deinen Vetter. Ich fürchte, das Zeugs wirkt nicht.« Qilp schoß quer durch das Zimmer, durch eine Tür und schlug sie heftig hinter sich zu. »So«, sagte Flash und sprang vom Gravomobil. Er bewegte sich auf Azura zu. »Es wirkt nicht bei mir. Damit kannst du aus einem gewöhnlichen Mann einen Feigling machen, aber nicht aus mir, Azura.« Die Königin wich vor ihm zurück, ihre Augen waren ängstlich auf ihn gerichtet. »Wahrscheinlich bist du die Ausnahme«, murmelte sie, während sie sich blitzschnell an den Gürtel faßte. Flash bemerkte die Bewegung. »Was machst du da?« Aber sie hatte schon ein weiteres Medaillon hervorgeholt daraus eine Kapsel entnommen und zerbrochen. Noch ehe Flash zurückfahren konnte, hatte der Inhalt der zweiten Kapsel seine Nase erreicht. Ihn befiel schreckliche Angst. Plötzlich tauchten vor ihm die Schatten alptraumhafter Gestalten auf – Schatten von Wesen, die nur dem Hirn eines Wahnsinnigen entsprungen sein konnten. Mißförmige Tiere mit spitzen Zähnen, von denen eine schleimige Flüssigkeit troff. Ausgemergelte alte Weiber grapschten mit Krallenhänden nach ihm. Ein verfaulter Körper flog auf ihn zu, schrie hysterisch und reckte ihm schleimige Finger entgegen. 80
»Aufhören! Aufhören!« schrie Flash. Er fiel zu Boden und kroch von den ihn bedrängenden Phantomen fort. Aber sie folgten ihm. Bald berührte seine Schultern eine Wand. Er konnte nicht weiter. »Befreie mich von diesen Monstern«, bat er Azura inständig. Aber die Königin lachte nur. »Ich habe Angst, schreckliche Angst!« Durch die Alptraumarmee erkannte Azura, die sich über ihn beugte. »Du dummer Kerl«, knurrte sie. »Du dummer, einfältiger Mann. Du hättest mein König sein können, du hättest mich haben können. Aber du weigerst dich ja lieber. Du willst mich bekämpfen. Hah! Du wirst noch früh genug merken, was du davon hast, gegen mich zu sein!« »Nein! Nein!« heulte Flash und drängte sich noch näher an die Wand. »Geh weg!« Azura lachte wieder. Ihr Lachen war teuflisch und finster und ließ Flash das Blut in den Adern gefrieren.
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X Königin Azura befand sich in gehobener Stimmung. Hier war ihr Katalysator, der ihr durch ihre Macht in Verbindung mit dem Paralyse-NG und dem »Pazifistendunst« in die Hände gefallen war. Sie schalt sich jetzt eine Närrin, weil sie sich Sorgen darum gemacht hatte, wie ihr Großer Plan zu Ende geführt werden konnte. Irgendwie ereignete sich doch in letzter Sekunde immer noch etwas, um eine Sache funktionieren zu lassen. Phase Eins des Großen Plans lief schon seit einiger Zeit auf Hochtouren. Es handelte sich dabei um die Entwicklung neuer Waffen und Kriegsmaschinen – das »Gerüst«, wie ihr Kriegsminister es nannte. Weiterhin wurde die Bevölkerung fortwährend mit Propaganda behämmert, welche die gleichgeschalteten Medien unter Leitung des Propagandaministers verbreiteten. Auch Phase Zwei war schon angelaufen. Aber die Sache wurde so geheimgehalten und so gesichert, daß selbst engste Mitarbeiter nicht die ganze Wahrheit kannten. Nur Qilp wußte, worum alles ging. Natürlich gab es Gerüchte, und die sprachen den gefürchteten Namen von Ming dem Gnadenlosen aus, obwohl der ja seit sechs Jahren tot war. Königin Azura lächelte in sich hinein, als sie an Phase Zwei dachte. Jetzt endlich war es auch für Phase Drei soweit. Die plötzliche und unerwartete Ankunft von Flash Gordon auf Mongo, verbunden mit dem unglaublich großen Glück, ihn in ihre Hände zu bekommen, ließ sie ernsthaft daran denken, Phase Drei schon jetzt einzuleiten. Und der Phase Drei folgte die letzte Phase: der totale Krieg. Der Gedanke an Phase Zwei machte die Königin nervös. Aber sie wußte, daß sie all den unerfreulichen Faktoren, die mit der Hauptperson von Phase Zwei verbunden waren, gegenübertreten mußte. 82
Qilp würde bald zurückkehren. Sie verbannte all ihre Befürchtungen aus ihrem Bewußtsein. Ja, Königin Azura war zufrieden. Und gleichzeitig fühlte sie so etwas wie grimmige Freude. Paralyse-NG, das Nervengas, welches ihre Experten aus dem Rat der Wissenschaftler für sie erfunden hatten, war eine Sache. Aber dieses neue Präparat – der »Pazifistendunst« war eine andere. Ursprünglich hatte Azura, als Teil ihres Großen Plans, um den Planeten Mongo sowohl politisch als auch wissenschaftlich zu beherrschen, das gesamte Wissenschaftsministerium – auch Geist-Ministerium genannt – darauf getrimmt, nur noch militärisch verwertbare Experimente durchzuführen. Trotzdem, aus Genialität oder aus Dummheit, hatten die azurianischen Wissenschaftler mehr und mehr Gase und Präparate erfunden, deren Zweck nicht in erster Linie militärische Aggression war. Der »Pazifistendunst« zum Beispiel war ein Abfallprodukt aus den Labors, das noch nie eingesetzt worden war. Jetzt, da sie Flash Gordon beobachtete, wie er da in einer Ecke kauerte, entdeckte sie, daß einige dieser neuen Erfindungen nicht nur zu ihrem persönlichen Vergnügen sondern auch für eine planetenweite Auseinandersetzung eingesetzt werden konnten. Natürlich, das war Azura nur zu bewußt, würde keines dieser Mittel allein ihr eigentliches Ziel, die Hexenkönigin von Mongo zu werden, bewirken. Mittlerweile konnte sie es sich auch erlauben, Gnade bei Flash Gordon walten zu lassen – Gnade für den Mann, dem sie noch vor einiger Zeit ewige Rache geschworen hatte, weil er sie vor Jahren bei seiner ersten Landung auf Mongo, zurückgewiesen und blamiert hatte. Sie kannte seine Stärke, seine Willenskraft und seinen Stolz genau. Nun hatte sie ihn mit einem so simplen Mittel wie dem »Pazifistendunst« bezwungen. Aus Flash Gordon war ein Mann ohne Mut, ein Hasenfuß, eine Null geworden, die von 83
Angst und Schrecken beherrscht wurde. »Pazifistendunst« konnte aus einem gewöhnlichen Mann einen armen, furchtsamen Tropf machen, wie ihr die Laborwissenschaftler versprochen hatten. Aber bei Flash Gordon hatte es mehr bedurft, er war davon nur angeschlagen, nicht aber besiegt worden. Zum Glück hatten die Wissenschaftler jedoch ein stärkeres Gas entwickelt, den »Pazifistendunst Plus« der kombiniert mit dem normalen »Pazifistendunst« zur vollen Wirkung gelangte. Das »Plus«-Gas verstärkte die Furcht, die der normale »Pazifistendunst« hervorrief, indem es im Verstand Halluzinationen hervorrief, die Angst und Schrecken verbreiteten. Das normale Gas hatte zwar Flash Gordon einen Moment lang in einen Feigling verwandelt, aber mit seiner Willenskraft und Selbstbeherrschung war es ihm gelungen, das Gas zu besiegen. Aber das stärkere, das »Plus«-Gas hatte sich in seinem Verstand festgesetzt und ihm nicht existierende Dämonen und Monster vorgegaukelt. Gleichzeitig hatte es aus Flash Gordon einen furchtsamen, in einer Welt des Schreckens lebenden und von Teufeln geplagten Menschen gemacht. Königin Azura konnte ihre Genugtuung darüber nicht verbergen und lachte laut auf. »Sieh an, das ist also aus dem berühmten Flash Gordon geworden«, sagte sie triumphierend. Sie stand über ihn gebeugt und hatte die Fäuste in die Hüfte gestemmt. »Ich kann ja gar nicht glauben, daß das hier der stolze, allgewaltige Mann sein soll, den ich einmal kannte. Was hat man dir denn angetan?« »Laß mich in Ruhe«, murmelte Flash. Sein Gesicht war kalkweiß, und die Augen waren tief in ihre Höhlen zurückgesunken. »Bitte.« »Nein«, antwortete Azura lächelnd. »Ich kann dich jetzt nicht allein lassen, Flash. Ich brauche dich doch noch.« »Geh weg«, flüsterte Flash. Ängstlich preßte er das Gesicht gegen die Wand. 84
Azura wurde jetzt langsam ärgerlich. »Du Jammerlappen, jetzt versuch bloß nicht, mir aus dem Weg zu gehen.« Sie beugte sich zu ihm hinunter, packte ihn an der Schulter und zog ihn zu sich heran. »Los, steh schon auf.« »Steh auf oder ich hau dir eine!« sagte Azura barsch. Drohend erhob sie die Hand zum Zeichen, daß es ihr ernst war. Flash riß die Augen auf, und sein Mund zuckte. Behende sprang er auf. Dann stand er neben ihr. Und obwohl er sie an Wuchs überragte, wirkte er doch in seiner Furcht erbärmlich neben ihr. »Bitte nicht schlagen, Königin Azura. Bitte nicht.« Azura wirkte ungemein befriedigt. »Jetzt wollen wir das Gejammere aber mal unterlassen, Flash.« Sie nahm ihn an der Hand. Ängstlich fuhr er vor dieser Bewegung zurück. Aber als sie ihn beruhigend anlächelte, ließ er sich willig von ihr durch das Zimmer bis zu einem Schreibtisch führen. Dort lagen Bleistifte, Füllfederhalter, ein Tintenfaß und etliche Stöße Papier. »Bitte, Königin Azura«, heulte Flash auf, als sie ihn heftiger hinter sich herzog. »Bitte nicht schlagen.« »Wenn du brav bist und das tust, was ich dir sage, bekommst du keine Hiebe«, versicherte sie ihm mit einem Lächeln. »Danke, Königin Azura. Vielen Dank.« »Nun setz dich mal hin«, sagte sie in gebieterischem Ton. Flash sah sie verzweifelt an. Seine Augen verrieten tiefe Furcht. »Wo denn?« fragte er verängstigt. Sie zeigte auf einen Stuhl am Schreibtisch. »Dort.« »Was soll ich tun?« fragte er. Azura trat an eine Seite des Schreibtisches und nahm ein Blatt Papier. Dann zog sie auch einen Federhalter aus einem Ständer heraus, tauchte ihn in das Tintenfaß und reichte alles an Flash. »Schreib«, befahl sie. »Jawohl«, sagte Flash. »Aber was soll ich schreiben?« 85
Königin Azura starrte an die Decke, während sie im Kopf ihre Gedanken zu ordnen versuchte. »Hhm. Schreib folgendes: ›Mein lieber Prinz Barin‹.« Flash blickte Azura lächelnd an. »Ich kenne Prinz Barin. Soll ich ihm eine Nachricht zukommen lassen?« »Ja«, sagte Azura. Flash schrieb die Anrede auf das Papier. Dann sah er wieder zu Azura hoch. Sein Gesicht drückte freudige Erwartung aus. »Und jetzt?« Sie lachte einen Moment nach. »Schreib: ›Ich bin wieder auf Mongo. Königin Azura hat mich gefangennehmen lassen.‹« Flashs Hand zitterte. »Nun?« drohte Azura. »Schreib!« »Aber –« Flash zuckte die Achseln und begann zu schreiben. »Weiter«, sagte Azura. »Jetzt das: ›In meiner Begleitung befindet sich ein junger Mann von der Erde. Man hat uns beide zum Tode verurteilt.‹« Flashs Gesicht erstarrte. Die Augen füllten sich mit Tränen. »Königin Azura, wollt ihr Willie und mich umbringen? Wirklich?« »Jetzt hör auf zu jammern und schreib endlich«, befahl Azura. »Oder möchtest du einen Satz heiße Ohren?« Flash zitterte, aber er gehorchte und schrieb. Azura runzelte die Stirn. »Dann schreibst du: ›Du allein kannst uns von unserem schrecklichen Schicksal erretten, indem du dich bedingungslos Königin Azura von Azuria, dem Königreich der Blauen Magie, in die Hand gibst.‹« Auf Flashs Gesicht bildeten sich Schweißtropfen. »Aber Königin Azura, so hört doch. Prinz Barin wird niemals kommen. Er weiß genau, daß Ihr ihn tötet, sobald er hier ist.« »Er wird kommen«, antwortete Azura barsch. »Und dann habe ich ihn dort, wo ich ihn haben will. Was geht das dich schon an, Flash? Dir wird nichts geschehen, dir und dem Teenager. Ihr seid hier in Sicherheit; denn es ist der Prinz Barin, den ich 86
haben will.« »Ich dachte, Ihr wolltet mich?« sagte Flash irritiert. Er spielte mit dem Füllfederhalter. »Was soll ich schon mit einem Jammerlappen?« höhnte Azura. »Und was willst du von Prinz Barin?« Azura beugte sich über den Tisch und legte Flashs Hand auf das Papier zurück. »Du hast nur zu schreiben, was ich dir sage«, bellte sie, »und keine Fragen zu stellen.« Eingeschüchtert schrieb Flash das nieder, was sie ihm aufgetragen hatte. Dann nahm Azura das Blatt Papier und las es durch. Sie nickte zufrieden. »Jetzt schreibe: ›Sobald du vor Königin Azura erscheinst, werden der Junge und ich freigelassen. Aber du mußt alleine kommen.‹« Weinend beendete Flash den Brief. Wieder nahm Azura ihm das Blatt ab. Sie las den Text und reichte ihn dann zur Unterschrift an Flash zurück. »Du bist ein braver Junge«, sagte sie. »Ein ganz braver.« Flash lächelte trotz seiner Tränen. »Prinz Barin in meiner Hand! Ich werde ihn in Ketten legen lassen. Ohne ihn wird der ganze Freie Rat von Mongo auseinanderbrechen. Dann sind Ming und ich die Herren von Mongo!« Azura zuckte zusammen und starrte auf Flash Gordon. Die Erregung ließ ihr Herz schneller schlagen. Das Blut schoß ihr ins Gesicht. Sie war unvorsichtig gewesen, hatte vor Flash die Phase Zwei und den Mann erwähnt, der ihr größter Trumpf war. Aber eigentlich machte das jetzt nicht mehr viel aus. Denn nun hatte sie die Nachricht, die der Katalysator ihres Großen Plans war. »Ming?« fragte Flash Gordon. »Aber Ming wurde doch im Krieg zwischen Mingo und Arboria vor sechs Jahren getötet!« »O ja«, sagte Azura. »Ming der Gnadenlose wurde tatsäch87
lich getötet.« »Und Nachwuchs hatte er doch auch keinen?« fragte Flash vorsichtig. »Niemand auf Mongo kennt dieses Geheimnis«, sagte Azura selbstgefällig. Sie verschränkte die Arme vor der Brust und blickte Flash verächtlich an. »Mings Sohn ist hier?« fragte Flash erregt. »Vergiß es«, befahl Azura. »Mich ermüdet diese Fragerei.« »Was bringt die Zerschlagung von Prinz Barins Freiem Rat von Mongo für Vorteile?« »Macht, Flash«, schrie Azura. »Jahrhundertelang ist mein Volk in die unterirdischen Regionen dieses Planeten verbannt gewesen. Die Völker über der Erde haben uns verachtet und als Freunde abgelehnt. Uns wurde nie ein Vertreter mit Sitz und Stimme im Rat von Mongo zuerkannt. Wir mußten uns immer wie Aussätzige hier in der Dunkelheit verbergen. Ich habe genug von dieser Unterwürfigkeit. Ich will auf diesem Planeten so frei und unabhängig wie alle Menschen leben, gehen, wohin ich will, und tun, was ich will. Ich will mich nicht mehr in dieser dunklen Unterwelt verstecken müssen.« Aufgeregt lief Azura auf und ab. Sie spürte, wie der Ärger sie zu übermannen drohte. »Aber warum arbeitet ihr nicht mit Prinz Barin zusammen?« fragte Flash. »Er ist doch ein vernünftiger Mann. Ihr erhaltet sicher einen Sitz im Freien Rat, Königin Azura.« »Barin ist ein Tyrann«, rief Azura aus. »Er hat uns nichts als Ärger bereitet, er und sein Rat. Deshalb werden wir sie beide vernichten!« »Wir?« wiederholte Flash verdutzt. »Etwa ihr und der Sohn von Ming?« Azura drehte sich um und blickte ihm fest ins Gesicht. »Wir«, sagte sie ganz ruhig. Ein Geräusch an der Tür ließ die Königin herumfahren und ärgerlich rufen: »Wer ist da?« 88
»Qilp«, rief der Zwerg zurück. »Ich habe ihn.« Azura fiel ein, daß sie Qilp ausgesandt hatte, seinen Vetter zu holen. Aus dem Konzept gebracht starrte sie erst auf Flash und wandte sich dann wieder der Tür zu. »Herein mit euch«, sagte sie laut. Dann sah sie wieder Flash an und lächelte listig. Die Tür ging auf, und Qilp stürmte herein. Sein Glatzkopf glänzte im indirekten Licht. Hinter ihm trat ein großer Mann mit einem enormen Brustumfang und ebensolchem Körperbau in die Gemächer der Königin. Azura beobachtete Flashs Gesicht genau. Flash hatte zuerst auf Qilp gesehen, doch jetzt wurden seine Augen wie magisch von dem zweiten Mann angezogen. »Unglaublich«, keuchte Flash. Er wurde blaß. »Ming, wie er leibt und lebt!« Azura nickte. Sie wußte, wie sehr Ming II. seinem Vater in allem glich, bis auf den Körperbau, der beim Sohn noch imposanter ausgefallen war. Aber das schmale Gesicht, der Mandarin-Schnurrbart, die dunklen, wäßrigen Augen, das dichte schwarze Haar – unzweifelbar stand hier eine wiederverjüngte Ausgabe von Ming dem Gnadenlosen. Der neue Ming steckte in einer ärmellosen Ledertunika, ledernen Hosen und Fellstiefeln. Einen Moment blieb er im Türeingang stehen und betrachtete Azura. Dann fielen seine Augen auf Flash Gordon. Beide Männer musterten sich. Azura bemerkte froh, daß Flash nach einiger Zeit erblaßte und seinen Blick abwandte. »Das ist also der große Erdenheld«, sagte Ming II. mit einer tiefen Stimme, die das ganze Apartment der Königin ausfüllte. Qilp kicherte und rannte zur Königin. »Und wir haben dich genau da, wo wir dich haben wollen«, fuhr Ming fort. Er durchquerte das Zimmer bis zum Schreibtisch und baute sich direkt vor Flash auf. »Ich kannte Ihren Vater«, sagte Flash zögernd. »Das ist es, was uns beide voneinander unterscheidet«, 89
raunzte Ming, während sein Gesicht sich im Zorn rötete. »Ich habe ihn nie kennengelernt.« »Ich – ich wollte sie nicht beleidigen«, versuchte Flash ängstlich zu beschwichtigen. Ming hieb mit der Faust so fest auf den Schreibtisch, daß das Tintenfaß überschwappte. »Erwähne hier nicht seinen Namen. Ich hasse ihn.« Ming trat einen Schritt zurück, ballte die Fäuste und beobachtete Flash genau. »Kein Mann haßt seinen Vater«, sagte Flash erhobenen Hauptes. Seine Augen verrieten kurz so etwas wie Trotz. »Meiner war ein Verräter – er hat mich verraten«, schrie Ming II. »Warum sollte ich ihn da nicht hassen.« »Das allein ist kein Grund«, sagte Flash ruhig und versuchte, das Zittern seiner Hände zu verbergen. Unruhig lief Ming um den Schreibtisch herum, während er sprach. Es schien ihm unmöglich zu sein, stillzustehen oder sich sogar hinzusetzen. Er schien zu der Sorte Mensch zu gehören, die immer in Bewegung ist, immer bereit zum Angriff, wehrlos einer inneren Unruhe ausgeliefert. »Er zeugte mich mit einer Sklavin im Königreich der Blauen Magie. Niemals durfte ich in den Palast von Mingo, um dort aufzuwachsen«, klagte Ming. Sein dröhnender Baß hallte von den Wänden des Apartments zurück. »Wie ein Gefangener wuchs ich hier in diesem unterirdischen Königreich der Dunkelheit auf – mit so einem als Vetter!« Verächtlich ruckte Mings Hand hoch und deutete auf Qilp. Qilp hüpfte von einem Bein auf das andere, kicherte und sprang wieder auf und ab. Er streckte Ming die Zunge heraus und verbarg sich dann eilig hinter Azuras Rücken. »Ming der Große! Ming der Große!« spottete Qilp mit der Stimme eines Papageien. Ming machte einen Schritt auf den Zwerg zu und hob bedrohlich eine Faust. 90
Azura klopfte Ming auf die Faust. »Beherrsche dich, Ming«, sagte sie beruhigend. »Du darfst niemals vergessen, daß ich hier die Herrscherin bin und du die Befehle von mir empfängst.« Ming starrte sie leer an. Der Ärger in ihm ließ seinen Adamsapfel auf- und nieder tanzen. Endlich schien er sich wieder unter Kontrolle zu haben. »Jawohl, Eure Majestät«, sagte er nicht ohne sarkastischen Unterton. Er wandte sich wieder an Flash. »Ich bin Mings Sohn und fern vom Hofe Mings des Gnadenlosen aufgewachsen. Im Exil erzogen, mit einem verkrüppelten Monstrum als nächsten Verwandten. Heimlich wurde ich großgezogen. Nur Sklavinnen und meine Sklavenmutter waren in meiner Nähe. Pah! Der Sohn eines Kaisers – aufgewachsen wie ein Straßenjunge in einem fremden Land. Fragst du dich immer noch, warum ich Vater hasse?« Flash zuckte die Achseln. »Aber er ist trotzdem dein Vater.« »Er war«, korrigierte ihn Ming II. »Ja, das war er, und jetzt bin ich so gut, wie er war. Aber ich regiere kein Reich, oder?« »Wessen Schuld ist das?« fragte Flash. »Nicht meine, Erdling. Und auch nicht die von Vater. Der elende Prinz Barin, der alle Einwohner von Mongo zu Sklaven gemacht hat, trägt die ganze Schuld. Er ist es, der das Land besetzt hält, das mir zusteht.« »Prinz Barin hat Mongo den Frieden gebracht«, behauptete Flash stur. »Frieden?« fragte Ming. »Was ist das für ein Frieden, der alle Völker knechtet, ihnen den Rücken beugt und sie zwingt, sich vor Arboria in den Staub zu werfen – und vor dem Weichling, der Mongo regiert?« Ming zog rastlos durch Arzuras Apartment. Er schwieg. Nur seine Augen blitzten. »Es wird nicht lange so bleiben«, sagte die Königin leise. »So?« begehrte Ming auf. Er wandte sich ihr zu und sah sie provozierend an. »Das verspreche ich dir«, sagte Azura. Vor Ärger saß ihr ein 91
Kloß in der Kehle. »Ich verspreche dir, daß wir siegen werden.« Ming schwang die Fäuste und warf einen höhnischen Blick auf Flash. »Frauen schwatzen, und Männer handeln. Alles, was hier passiert, seit ich Gefangener dieses erbärmlichen Königreichs bin, ist Geschwätz. Und«, seine Augen verengten sich zu schmalen Schlitzen, »Liebe und Geturtel – die überflüssigen Dinge eben, die das Herz einer Frau schwach machen. Pah! Gordon, du bist doch aus einem ganz anderen Holz geschnitzt. Weißt du, warum ich hier eigentlich meine Zeit vergeude? Weil ich, immer zu hören bekomme, daß einmal die Zeit –« »Der Zeitpunkt ist gekommen!« unterbrach ihn Azura. Ming straffte seine Gestalt und drehte sich langsam zur Königin um. »Majestät«, sagte er, »Ich glaube Euch nicht. Ich habe Euch in den vergangenen sechs Jahren nicht geglaubt. Ihr mit Euren ewigen Versprechungen!« Azura eilte erzürnt an den Schreibtisch und riß den Brief hoch, den Flash geschrieben hatte. »Prinz Barin sitzt in meiner Falle, Ming. Er muß hierherkommen, um Flash Gordon zu befreien. Sobald er hier ist, werden wir ihn töten!« Ming blickte ihr ungläubig ins Gesicht. Seine Mundwinkel zuckten. Dann ergriff er das Stück Papier. Langsam las er, was darauf stand. Lautlos bewegten sich die Lippen mit. Als er fertig war, ließ er das Blatt achtlos auf den Schreibtisch fallen. Sein Gesichtsausdruck veränderte sich. Haß und Zorn verschwanden daraus und machten einer schwachen Erregung Platz. Wieder stapfte er unruhig durch das Zimmer, wie er es im erregten Zustand immer tat. Pausenlos ließ er die Faust in die andere Hand krachen. »Ja!«, sagte er. »Sie haben recht. Auf diese Weise locken wir ihn hierher. Das bedeutet sein Ende. Das Ende überhaupt!« Azura lächelte überlegen und faltete vorsichtig das Blatt Papier zusammen. Plötzlich wirbelte Ming herum und lief auf 92
Flash Gordon zu. »Und dich!« schrie er, während er wie wahnsinnig auf den Schreibtisch hieb, »dich werden wir auch töten!« »Aber« keuchte Flash, »Königin Azura hat gesagt, daß, wenn Prinz Barin kommt, sie mich und Willie freiläßt.« »Warum sollten wir dich gehen lassen?« fragte Ming mit ungeheucheltem Erstaunen. »Ich will den Brief haben«, sagte Flash und bemühte sich, Azuras Hand zu fassen. »Ich muß ihn vernichten.« Ming boxte mit einem Schlag Flashs Hand von Azuras Arm. »Nimm deine Pfoten von ihr!« Flash zuckte erschrocken zusammen und wäre beinahe mit dem Stuhl umgekippt. »Bitte, tun Sie mir nicht weh, Ming«, kreischte er. »Ich hab’ Ihnen doch nichts getan!« Ming trat verblüfft einen Schritt zurück und sah Flash erstaunt an. »Man sagte mir, du seist ein Mann, Gordon. Aber ich sehe nur einen Feigling. Kannst du dich nicht wehren?« Azura faßte Ming an den Arm. »Er steht unter dem Einfluß des ›Pazifistendunst‹«, flüsterte sie ihm zu. »Auf diese Weise wagt er es nicht, zu kämpfen.« »Was sollte er tun?« brummte Ming. »Wissen Sie, ich glaube, daß alles, was sie mir über Flash Gordon erzählt haben, gelogen war. Dieser Kerl hat doch keinen Mumm in den Knochen. Er will ja noch nicht einmal kämpfen. Sie scheinen Witze zu machen.« Azura ärgerte sich über Mings Dickfelligkeit. »Du Dummkopf die Droge hat ihn so willenlos gemacht.« Ming winkte ab. »Na, was ist, Gordon. Wir werden unseren Spaß haben. Mann gegen Mann. Ein Duell? Wie wär’s mit einem Duell?« Flash stand auf und maß Ming. »Was für ein Duell?« »Kein gewöhnliches, eines, das mit dem Tod endet, Gordon.« Ming lachte schallend. Azura schoß auf Ming zu und hielt ihn zurück. »Hör mit dem 93
Unsinn auf, du Idiot!« Ming schüttelte sie ohne Anstrengung ab und drehte sich zu ihr um, das Gesicht tief vom Ärger gerötet. »Stören Sie mich ja nicht.« Azura erstarrte. Urplötzlich wurde ihr klar, daß sie Angst vor ihm hatte. Sie befürchtete, sich nicht gegen ihn wehren zu können, auch wenn sein unsinniges Vorhaben den ganzen Plan zunichte machte. Ming warf ihr noch einen höhnischen Blick zu und wandte sich dann von ihr ab. »Also Gordon, treten wir gegeneinander an.« »In Ordnung«, sagte Flash und bemühte sich, seine Furcht zu verbergen. Mings Augen blitzten triumphierend auf.
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XI Ming fieberte dem Kampf entgegen. Er war immer stolz auf seine guten Reflexe gewesen. Die Aussicht auf einen Kampf mit Flash Gordon machte ihn aufgeregt. Der berühmte Flash Gordon – der Mann, der schon zu Lebzeiten auf Mongo zu einer Legende geworden war. Ming wollte unbedingt seine Kräfte mit diesem vielgerühmten Helden messen. Einen Augenblick studierte Ming seinen Gegner. Seine Lippen verzogen sich höhnisch und gaben damit dem Gefühl Ausdruck, das er für Flash hegte. Dieser sogenannte Held war nicht mehr als ein jammernder Hasenfuß. Auch, wenn Azura behauptet hatte, der »Pazifistendunst« sei dafür verantwortlich zu machen, dieser Gordon mußte über eine gehörige Portion latenter Feigheit verfügen, wenn eine Droge ausreichte, ihn verabscheuungswürdig feige werden zu lassen. Die Wahrheit lag wahrscheinlich in der Mitte, schloß Ming. Die Droge konnte durchaus ihre Auswirkungen auf Flash Gordon haben. Aber ebenso wahrscheinlich war es, daß Gordon weniger war, als er schien, sich bloß nach außen so gab, um seiner Legende gerecht zu werden. Ming schätzte seine eigene Tapferkeit und Erfahrung im Kampf realistisch ein. Er wußte, daß er gut war. Er liebte es, wenn seine Muskeln sich spannten, sobald sie mit denen des Gegners wetteiferten. Und er liebte es genauso, seine Reflexe an denen des Feindes zu messen. »Wir kämpfen also«, rief er strahlend, als Flash endlich zustimmte. Ming richtete sich auf und durchquerte das Zimmer bis zu einem großen Waffenschrank, der an einer Wand hing. »Ming«, rief Azura verzweifelt. Er ignorierte sie. Ming öffnete den Schrank und entnahm ihm einen schweren reich dekorierten Degen. Dann drehte er sich um und lachte Flash an. »Gordon«, sagte er, »ich bin fertig, wenn du es bist.« 95
Flash erblaßte. »Ich – ich weiß nicht, ob so ein Kampf mir gefallen würde. Außerdem bemerke ich ein plötzliches Unwohlsein.« »Du fühlst dich nicht besser oder schlechter als sonst auch, Gordon«, schnappte Ming. Er trat auf Flash zu und hielt ihm den Degen entgegen. »Da, nimm ihn, oder ich stoße ihn dir in den Bauch.« Flash ging ihm zögernd entgegen und nahm von Ming den Degen entgegen. Ming ließ ihn nehmen und beobachtete dabei scharf seine Augen. Flash packte die Waffe am Heft und hielt sie fest in der Hand. Sein Blick war starr und ängstlich auf Mings Gesicht gerichtet. Lachend trat Ming an den Wandschrank und entnahm ihm den zweiten Degen. Er sah genauso aus wie der erste, stammten doch beide aus derselben, längst vergangenen Epoche Mongos. Ming stellte sich vor Flash in Positur auf und konzentrierte sich auf seinen Gegner. Dann murmelte er sarkastisch: »Das ist also die lebende Legende, der furchtlose Volksheld, der unverwundbare Gegner von Kaiser Ming, meinem Vater.« Flash wischte sich den Schweiß von der Stirn. »Hah!« grollte Ming, »ich glaube; mir gelingt das, was die Armeen meines Vaters nie schafften. En garde, Gordon!« rief er aus. »Ming«, rief Azura und rannte auf ihn zu. Sie fiel Ming in den Arm. »Hör auf. Er steht unter Drogeneinfluß. Und wir brauchen ihn doch noch.« Ming wandte sich der schönen Königin zu und hob spöttisch eine Braue. »Keine Angst, Azura. Etwas Leben wird noch in ihm sein, wenn ich mit ihm fertig bin. Ein bißchen jedenfalls.« Ming warf den Kopf zurück und lachte über seinen Witz. »Nein«, antwortete die Herrscherin erzürnt. »Laß ihn in Ruhe.« »Komm schon, Gordon«, sagte Ming heiser und schob Azura 96
achtlos beiseite. Mit ausgestrecktem Degen marschierte er auf Flash zu. »Man sagt, du hättest die Klinge mit denen von einem Dutzend Männern gleichzeitig gekreuzt. Zeig mir doch mal deine Künste.« »Er kann jetzt nicht kämpfen«, rief Azura dazwischen. »Sogar eine feige Ratte wehrt sich, wenn ihr Leben bedroht ist«, war Mings Kommentar. Dann griff er Flash an. Sein Degen war genau auf die nackte Brust des Erdenmanns gerichtet. »Nein, nein!« schrie Flash auf. »Tun Sie’s nicht!« Er stolperte zurück, um sich vor Mings Degen in Sicherheit zubringen. Er verbarg sich hinter einer der Säulen, die die Decke der Gemächer der Königin trugen. Ming schüttelte das Haupt und amüsierte sich. »Ich – ich will nicht kämpfen«, winselte Flash. Er stand hinter der Säule und spähte vorsichtig dahinter hervor. »Ich bin noch zu jung zum Sterben.« »Sieh dir den an«, grollte Ming fröhlich. »Der großartige Flash Gordon. Er wimmert wie eine Frau, wie die Frau Azura.« »Ming, ich warne dich«, bellte Azura. Sie trat in den Schatten und verzog ärgerlich das Gesicht. »Ich möchte mal hören, was er sagt, wenn er erst den Stich meines Degens gekostet hat«, rief Ming und ließ ihn über Flashs Kopf wirbeln. Sofort zog Flash sich wieder hinter die Säule zurück, was einen erneuten Heiterkeitsausbruch Mings zur Folge hatte. »Ming«, sagte Azura beschwichtigend, während sie zu ihm rannte und sich neben ihn stellte. »Die Droge macht Flash so feige, Ming, und nicht dein Degen oder deine Kraft.« Ming packte ihre Schulter und preßte sie, bis Azura aufheulte. »Macht gar nichts, edle Azura. Denn in jedem Fall ist seine Qual für Sie ein Gewinn.« Die Königin schob seine Hand fort und entfernte sich aus seiner Reichweite. Sie bedachte ihn mit einem bösen Blick, als sie ihre Schulter dort massierte, wo er sie gekniffen hatte. »Du 97
hast mir weh getan, du dummer Tölpel.« Ming beugte sich so weit herunter, daß er ihr ins Gesicht blicken konnte. »Sollte etwa ein dummes, kleines Gefühl Ihnen das Vergnügen an diesem Schauspiel verderben, Allergnädigste?« »Vergnügen!« entrüstete sich Azura mit blitzenden Augen. »Nun, Ihre alte Liebesaffäre mit diesem Erdling, schönste Königin«, höhnte Ming. »Man könnte ja fast glauben, Sie empfinden immer noch etwas für ihn. Selbst jetzt noch, da er sich wie ein Wurm verkriecht.« Mings Stimme triefte vor Verachtung. Azura richtete sich kerzengerade auf. »Was zwischen mir und Flash Gordon ist, geht dich einen Dreck an, mein Bester. Sollte ich noch ein Wort darüber hören müssen, dann –« »Dann was?« Ming trat bedrohlich auf sie zu. Azura wich ihm nicht aus. Die Lippen waren zu schmalen Strichen geworden, als sie ihm antwortete: »Für mich liegt kein Vergnügen darin, meinen Kaiser in spe dabei zu beobachten, wie er versucht, mit einem tölpelhaften Feigling fertig zu werden«, herrschte sie ihn an. »Trotz seiner jetzigen Furcht könnte Flash Gordon dich an jedem beliebigen Tag besiegen.« Ming war verblüfft. Offensichtlich wollte die Königin ihn nicht verärgern. Sie meinte jedes Wort so, wie sie es sagte. Mings Nacken verkrampfte sich, und sein Herz schlug schneller. Sein Magen zog sich zusammen, und der Degen rutschte unruhig in der Hand hin und her. »Azura«, sagte er gefährlich leise. »Sie haben es immer verstanden, mich zu erregen – in jeder Hinsicht. Aber jetzt treiben Sie es zu weit. Meine Geduld ist am Ende, und nur Flash Gordons Blut kann mir Befriedigung verschaffen.« »Du Wahnsinniger!« schrie sie. »Wenn du ihn auch nur anrührst –« Mit den Fingernägeln kratzte sie ihn an der nackten Schulter. Der unerwartete Schmerz traf Ming wie ein Schock. Die Wut 98
darüber überschattete seinen Verstand. In einer plötzlichen Aufwallung warf er sich herum, packte dabei Azura am Nakken und schleuderte sie von sich. Sein Weg war frei, um mit Gordon abzurechnen. Drohungen ausstoßend richtete die Königin sich wieder auf. Ihr Cape war beschmutzt und zerrissen. »So!« brüllte Ming, rannte auf Flash zu und wirbelte dabei seinen Degen über dem Kopf. Er kannte nur ein Ziel: die Säule, hinter der Flash sich verbarg. »Meine Königin zwingt mich, deine Tapferkeit zu erproben, Flash Gordon. En garde, Erdling, en garde!« Er konnte Gordons Schatten in der Dunkelheit hinter der Säule ausmachen und stürmte mit dem Degen auf den muskulösen Körper zu. Aber als er dort zustach, wo er Flash Gordon vermutete, mußte er feststellen, daß der Erdling ihn überlistet hatte. Stolpernd hielt Ming in seinem Angriff inne. Er sah sich um. Dann entdeckte er den verdammten Kerl, wie er die Stufen zu den Privatgemächern der Königin hinaufhastete – auf dem Weg zu ihrem Schlafzimmer! »Jetzt renn um dein Leben!« kreischte Ming. Er setzte dem Gegner nach und drohte ihm mit dem Degen. »Hört auf, alle beide!« rief Azura, die wieder auf den Beinen stand und sich bemühte, ihr Äußeres in Ordnung zu bringen. Flash drehte sich um und entdeckte, daß Ming ihn verfolgte. »Zu spät, Teuerste!« rief Ming und stürmte die Treppe hinauf. Mit einem furchtsamen Aufschrei zog Flash seinen Degen hoch und erwartete den athletischen Gegner. Ming indes nahm zwei Stufen auf einmal, um Gordon schneller zu erreichen. »Bereite dich auf deinen Tod vor, Erdling!« brüllte Ming. Aber statt sich in sein Schicksal zu ergeben, sprang Flash behende auf das marmorne Geländer der Wendeltreppe und rutschte daran schnell nach unten. Als er an Ming vorbeikam 99
hieb der zwar mit dem Degen nach ihm, aber Flash sauste zu schnell vorbei. Ming fuchtelte mit seinem Degen in der Luft herum, als wolle er imaginäre Gegner verwunden. »Du erbärmlicher Wurm«, preßte er zwischen den Zähnen hervor, während sein Gesicht nahezu glühte. »Dich kriege ich. Wenn du lieber Katz und Maus mit mir spielen willst, das kannst du haben. Das kann ich auch.« Damit stürzte er die Treppe hinunter, Flash hinterher. Sein Opfer hatte bereits den Steinboden erreicht und rannte jetzt auf die Wandbehänge an einer Seite des Zimmers zu. Azura war der Verzweiflung nahe. »Aufhören! Sofort aufhören!« kreischte sie hysterisch. »Qilp, kannst du sie denn nicht auseinanderbringen?« Qilp, der das ganze Schauspiel aus dem sicheren Schutz eines schweren Sessels beobachtet hatte, kicherte dümmlich. »Ich nicht, ich kann das nicht.« Azura lief auf Ming zu und klammerte sich an einen seiner Arme, als er hinter Flash Gordon losstürmte. Ming starrte auf sie herab; wie sie sich ihm da in den Weg stellte. Etwas in ihrem Aussehen ließ es ihm ratsam erscheinen, erst einmal innezuhalten. Aber, obwohl sie ihn unsicher machte, zauberte er sich dennoch ein gehässiges Lächeln auf die Lippen. »Nun, Königin Azura«, nagelte er, »was haben wir denn diesmal auf dem Herzen?« »Du hast dein Gehirn wohl im Hintern«, schleuderte sie ihm entgegen. Ming trat die Zornesader auf die Stirn. »Wie bitte? Das hat mir noch niemand zu sagen gewagt, nicht einmal Sie, Königin, dürfen das!« »Wenn einem das Hirn im Hintern steckt, dann muß man es ihm auch einmal sagen«, gab Azura scharf zurück. »Jetzt pack mal deinen Degen und deinen sonstigen Kram zusammen und mach, daß du hier herauskommst. Ich habe schließlich heute 100
noch einiges zu erledigen.« »Nicht nur Sie, Frau«, sagte Ming und machte Anstalten, sie beiseite zu schieben. »Ich habe wichtige Arbeit zu erledigen, du Einfaltspinsel«, rief die Königin. »Ich habe vor, Prinz Barin hierherzulocken und den Planeten Mongo ein für allemal zu erobern. Bist du denn so dämlich, daß du das nicht erkennen kannst?« Ming stand da, unschlüssig wie eine Marionette. Dann entdeckte er bei einem Blick über die wunderbaren Schultern der Königin Flash Gordon. Sofort stiegen Wut und Haß wieder in ihm hoch und überdeckten jeden anderen Gedanken. »Aus dem Weg, Weibsstück«, brüllte er und stieß sie rauh beiseite. Sie starrte ihm nach, ohnmächtig vor Zorn. »Ming –!« Sie gab es auf. »Was hat das noch für einen Sinn?« sagte sie leise zu sich selbst und schüttelte den Kopf. Dann verschränkte die Königin die Arme vor der Brust und beobachtete die Szene. Ming rannte schnell auf Flash Gordon zu. Er hielt den Degen wie eine Lanze vor sich ausgestreckt, um ihn Flash ins Herz zu stoßen. Der Erdenmann unternahm nichts zu seiner Verteidigung. Er hatte sogar seine Waffe fallen lassen und stand da, als könne er dem Unvermeidlichen nicht mehr ausweichen. »Touché!« schrie Ming und stach zu. Aber Flashs Herz befand sich nicht mehr dort, wo der Angreifer es vermutete. Ming konnte, von der Wucht seines Stoßes mitgerissen, sein Gleichgewicht nicht mehr halten und stürzte zu Boden. Er rappelte sich auf und wirbelte herum, um den Erdling zu entdecken. »Verdammter Wurm«, heulte er. Flash indes hatte sich von der Tragfähigkeit der Wandteppiche überzeugt und war an ihnen hinaufgeklettert. Er hielt an und spähte furchtsam nach unten. Ming rannte auf dem Boden wie ein wildgewordener Stier hin und her, fuchtelte mit dem Degen herum und stieß Ver101
wünschungen aus, weil er Flash nicht mehr erreichen konnte. »Verflucht seist du, du elender Zirkus-Clown!« kreischte er. »Komm sofort herunter und kämpfe wie ein Mann!« Azura nickte grimmig. »Bravo, du kühner Ming! Dreimal Bravo! Das Schauspiel erheitert mich. Aber, und dessen sei versichert, es ist nicht Flash Gordon, der hier den Hanswurst abgibt.« Mit blutunterlaufenen Augen stürmte Ming auf den Wandteppich zu und versuchte ihn mit einer Hand zu ersteigen. Aber dieses Unterfangen war aussichtslos, und Ming fiel wieder herunter. Dabei entglitt ihm auch der Degen. Ming mühte sich wieder auf, fand seine Waffe und starrte zu Flash Gordon hinauf. Der klammerte sich in sechs Metern Höhe wie ein Rhesusaffe an den Teppich. Ming packte seinen Degen fester und sagte zu Flash: »Du willst mich wohl verarschen, was?« Dann hatte Ming eine Idee. Er rannte die Wendeltreppe hoch, bis er oben die Galerie erreichte, an der die Wandteppiche aufgehängt waren. Flash beobachtete dieses Treiben mit gemischten Gefühlen. Als er zwischendurch einmal nach unten sah, und sich dabei der Sturztiefe von sechs Metern bewußt wurde, wurde es ihm fast schlecht. Dann wandte er seine Aufmerksamkeit wieder Ming zu und entdeckte, daß der sein Ziel so gut wie erreicht hatte. Flashs Zähne begannen zu klappern. »Versuch doch wegzulaufen«, schrie Ming und gelangte an die Brüstung der Galerie. »Du Kletter-Clown.« Ming lehnte sich über die Brüstung und hieb mit seinem Degen auf den Wandteppich ein – nur wenige Zentimeter von Flashs Kopf entfernt. »Nein!« rief Azura von ihrem Standort aus. Der Teppich wirkte schon reichlich zerfetzt an der Stelle, wo Mings Degen unermüdlich aufschlug. »Du kannst dich nicht ewig vor mir verkriechen!« rief Ming und hieb weiter nach Flash Gordon. 102
Der letzte Hieb trennte den Wandbehang endgültig von seiner Halterung. »Hilfe, ich falle!« gellte Flash. – Und das tat er schneller, als ihm lieb war. Ming beobachtete erheitert, wie Teppich und Flash Gordon auf dem Steinboden aufschlugen. Er hastete die Wendeltreppe hinunter und ließ triumphierend seinen Degen kreisen. Dort lag Flash Gordon bewußtlos, halb bedeckt von Teppichfetzen. Ming sprang die letzten Stufen hinunter und erreichte Flash. Er blieb unschlüssig vor ihm stehen. Dann hob er seinen Degen. »So, du Komiker, hier ist dein Ende.« Azura fiel ihm mit aller Kraft in den Arm. »Du Blödmann, steck sofort den Degen weg. Du zerstörst alle unsere Pläne für das zukünftige Kaiserreich mit deiner irrsinnigen Mißgunst!« Ming geriet ins Grübeln. Vielleicht hatte sie recht. Vielleicht aber … Flash Gordon sah so dämlich aus, wie er da am Boden lag. Ming gab sich einen innerlichen Ruck. Gordon war doch nur ein dummer Tölpel. Ming lachte auf. »Wenn er uns genützt hat«, flüsterte Azura in Mings Ohr, »dann kannst du mit ihm machen, was du willst. Das verspreche ich dir. Aber hüte dich dann, großer Ming, er wird zu diesem Zeitpunkt nicht mehr unter Drogeneinfluß stehen.« Ming warf seine Waffe zu Boden, wo sie scheppernd aufschlug. »Keine Angst, geliebte Königin«, gab Ming selbstsicher zurück. »Mit oder ohne Drogen werde ich ihn vernichten. Das gebietet mir schon mein Stolz. Wenn es soweit ist, werde ich beweisen, daß ich besser bin als er.« »Natürlich, großartiger Ming«, sagte Azura sanft. Er drehte sich zu ihr um. Ohne Warnung packte er sie an den Handgelenken, die sich kalt anfühlten. Er riß sie zu sich heran. Es nützte Azura nichts, daß sie sich dagegen wehrte, sein Griff war stärker. »Sie haben mir nichts zu befehlen«, sagte Ming gefährlich leise. »Merken Sie sich das!« 103
Sie befreite sich aus seinem Griff, als er nicht mehr so fest zupackte, und rieb sich die schmerzenden Handgelenke. »Verschwinde. Qilp und ich werden uns um Flash Gordon kümmern.« Sie drehte sich um und rief Qilp. Der Zwerg hüpfte heran. »Ach, der Herr Vetter«, brummte Ming unwirsch. »Ich vergesse immer, daß du ja hier im Palast etwas zu sagen hast – Minister des Geistes oder so ähnlich.« Ming lachte. Aber Qilp hörte ihm gar nicht zu. Er stand neben Azura, die ihm etwas ins Ohr flüsterte. Ming beobachtete sie, wie sie langsam weggingen. Qilp hatte ihm hier im Palast schon sehr genützt. Welche geheime Macht er über die Königin hatte, das wußten nur die Götter. Aber sobald er, Ming, Kaiser sein würde, brauchte er Qilp nicht mehr. Qilp nicht und auch nicht Minister des Geistes oder Azura. Oder Azura … Im Moment war es ganz nützlich, daß Qilp mit der Königin auf so vertrautem Fuß stand. Und wenn es hart auf hart käme, war Blut noch immer dicker als Wasser. Allerdings begehrte er Azura – wenn sie ihm nur gefügig sein wollte.
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XII Doktor Zarkow fühlte sich unbehaglich und stellte sogar mit Befremden fest, daß ihn Angst beschlich. Schuld daran waren die riesigen Vogelmenschen, die sich bedrohlich im Kreis um die beiden Erdmenschen aufgebaut hatten. »Was sollen wir bloß machen, Doc?« fragte Dale und drängte sich näher an ihn heran. Zarkow starrte auf die fremdartigen Wesen. Dann richtete er sich gerade auf und schielte in die schon hochstehende Sonne. Er begann zu grübeln. Hatten die Augen ihm einen Streich gespielt? Waren das wirklich Mordwesen? Oder waren sie nicht vielmehr Wesen – »Dale«, murmelte er. »Erkennst du sie denn nicht? Das sind doch Falkenmenschen.« »Falkenmenschen?« wiederholte sie verwirrt. Dann erschien ein Lächeln auf ihrem Antlitz. »Aber die Falkenmenschen waren doch immer freundschaftlich mit Prinz Barin verbunden oder?« »Aber natürlich!« rief Zarkow lauter, als er es eigentlich vorgehabt hatte. »Jetzt müssen wir ihnen nur noch erklären, wer wir sind.« »Moment«, sagte Dale vorsichtig. »Sind Sie sicher, daß Sie sie von unserer Identität überzeugen können? Niemand weiß doch, daß wir wieder auf Mongo sind.« »Außer Königin Azura«, murmelte Zarkow finster. »Nun«, sagte er, »es gibt keinen anderen Weg, als uns diesen, äh, Herrschaften vorzustellen.« »Und wie?« fragte Dale. Zarkow zappelte nervös. Eigentlich wußte er sich keinen anderen Rat, als auf den Falkenmenschen zuzugehen, den er für den Anführer hielt, und sich ihm zu erklären. Aber als er da so stand und auf den bedrohlichen Kreis der Flügelmenschen sah, fühlte er, daß die Sache bei weitem nicht so einfach war, wie er 105
es sich vorgestellt hatte. Endlich holt er tief Luft und hob die rechte Hand mit der Innenfläche nach außen, um zu zeigen, daß er in friedlicher Absicht hier stand. Dann trat er über die Sandfläche auf die Vogelwesen zu. »Freunde!« sagte er laut und nicht ohne Hoffnung. Als er näher kam, konnte er erkennen, daß es sich bei diesen Wesen wirklich um Falkenmenschen handelte. Falkenmenschen auf Patrouille trugen enganliegende Anzüge, die Füße steckten in weichen Lederschuhen. Armlange Handschuhe, in der Machart wie Kettenhemden, mit eisernen Klauen an den Fingerspitzen, komplettierten ihre Kluft. Mit diesen Klauen kämpften die Falkenmenschen. Auf ihren Köpfen entdeckte Zarkow die vertrauten glänzenden Helme mit den Flügelsymbolen und den Rangabzeichen auf der Stirnplatte. Der Anführer bekleidete den Rang eines Hauptmanns. Der aufgemalte Doppelwinkel auf der Stirnplatte wies ihn als solchen aus. Das eigentümliche an den Falkenmenschen aber war das Flügelpaar, das ihnen aus den Schulterblättern herauswuchs. Diese Flügel waren genau wie die eines großen Vogels, mit derselben Muskulatur und demselben Knochenbau. Auch trugen sie an den Flügeln ein Federkleid. Irgendwann einmal in der Entwicklungsgeschichte Mongos hatten sich die Reptilien und die Säugetiere miteinander gekreuzt. Daraus hatten sich nach einigen Zwischenphasen die Falkenmenschen entwickelt. Allerdings besaßen die Falkenmenschen nicht die den Vögeln eigenen, ausgezeichneten Augen. Deshalb trugen sie auch extrem dicke Antihelio-Linsen, die die durchschnittliche Sehkraft eines Falkenmenschen auf das Vier- bis Fünffache steigerten. Das bestimmte die Falkenmenschen, die außerdem über eine außerordentliche Wendigkeit verfügten, zu natürlichen Aufklä106
rern, Scouts und Spähern für den Freien Rat von Mongo. »Ich heiße Zarkow«, sprach der Doc den Hauptmann an. Er war drei Meter vor dem Anführer stehengeblieben. Der Falkenmensch lächelte, aber er hielt seine Klauenhandschuhe bedrohlich ausgestreckt, falls Zarkow eine falsche Bewegung machen sollte. »Wirklich?« sagte der Hauptmann dann. »Ich bin Dr. Zarkow«, wiederholte Doc und runzelte die Stirn. »Ich war jahrelang auf Mongo. Ich komme von der Erde. Erwähnt Prinz Barin denn niemals meinen Namen?« Der Hauptmann wandte sich an den nächsten Falkenmenschen, einem Unteroffizier: »Was meinen Sie?« Der Angesprochene betrachtete Zarkow. »Ich weiß es auch nicht, Hauptmann Vogl«, erklärte er seinem Vorgesetzten. Vogl sah Zarkow ins Gesicht. »Natürlich ist mir der Name Zarkow nicht unbekannt. Jedermann auf diesem Planeten kennt ihn. Bücher über deine Talente finden sich in allen Bibliotheken des Freien Rates von Mongo.« Zarkow wandte sich seiner Begleiterin zu. »Hast du das gehört, Dale? Ich stehe in den Bibliotheken!« platzte es aus ihm heraus. Vogl trat einen Schritt auf Zarkow zu. »Aber woher weiß ich, daß Sie wirklich Dr. Zarkow sind und nicht ein Betrüger?« »Sehe ich nicht aus wie Zarkow?« rief Doc. »Klingt meine Stimme nicht wie die von Zarkow? Es gibt nur einen Zarkow, Gott verdammt noch mal!« Hauptmann Vogl wandte sich wieder an seinen Unteroffizier. »Ich glaube, er ist es«, murmelte er. Der Unteroffizier hatte aber noch Bedenken. »Ich werde über Vidphon beim Freien Rat nachfragen.« »Sie machen es aber spannend«, brummte Zarkow. Der Unteroffizier holte ein kleines schwarzes Kästchen aus seiner Tasche und schaltete einen Bildschirm ein. »Bleiben Sie genau dort stehen, Sie, der Sie sich Dr. Zarkow nennen. Ich 107
übermittle Ihr Bild an das FRM-Identifizierungszentrum.« Der Hauptmann lächelte gehässig. »Sagen Sie ›Cheese‹, Dr. Zarkow. ›Cheese.‹« Zarkow tat wie ihm geheißen und hob auch den Kopf. »Na, richtig so?« fragte er. Der Unteroffizier hielt das Vidphon ans Ohr. »Was machen Sie eigentlich in dieser erbärmlichen Gegend?« fragte Zarkow, um etwas Konversation zu treiben. »Dies ist unser Patrouillensektor«, erklärte Vogl und beschrieb mit dem Arm einen Kreis. »Unser Gebiet liegt in der Großen Mongo Wüste.« »Wann haben Sie unsere Spur entdeckt?« fragte Zarkow. »Letzte Nacht«, sagte Vogl mit einem Lächeln. »Aber Sie haben sich nicht zu erkennen gegeben –« »Wir wollten auch zunächst unerkannt bleiben«, unterbrach Vogl ihn. »Uns interessierte, was Sie vorhatten. Als Sie dann im Begriff standen, die Grenze nach Arboria zu überschreiten, beschlossen wir, Sie anzuhalten und Ihr Ziel ausfindig zu machen.« »Wir sind in friedlicher Mission unterwegs«, sagte Zarkow. »Das bleibt noch abzuwarten«, sagte Vogl lächelnd. »Flash Gordon war auch bei uns«, fuhr Zarkow fort. »Aber er wurde von Königin Azuras Schergen gefangengenommen.« Plötzlich verhärtete sich Vogls Gesicht. »Flash Gordon?« »Glauben Sie mir jetzt?« »Vielleicht«, sagte Vogl und beobachtete Zarkow scharf durch seine riesige Brille. »Wir untersuchen Grenzverletzungen, die Azuras Soldaten begangen haben.« »Aha!« rief Zarkow. »Hast du das gehört, Dale?« Dale war näher gekommen und stand jetzt neben Zarkow. »Natürlich, Doc. Sie brauchen nicht zu brüllen.« »Also ist Flash nicht ohne Grund gefangengenommen worden«, murmelte Zarkow. »Und jetzt, da er in ihrer Hand ist –« 108
Der Unteroffizier trat auf den Hauptmann zu. »Es stimmt«, sagte er. »Es ist Dr. Zarkow.« »Wurde auch Zeit«, sagte Zarkow frech. »Kommen Sie, machen Sie schon. Wir müssen auf dem schnellsten Weg nach Arboria und Prinz Barin sprechen.« Vogl erhob abwehrend die Hand. »Nicht so hastig, Dr. Zarkow. Wir können Sie nicht so einfach auf die Schultern setzen und mit Ihnen davonfliegen.« »Wir sind Ihnen zu schwer, was?« fragte Doc. »Nein, das ist es nicht«, antwortete Vogl gelassen. Zarkow hob die Hände in einer hilflosen Geste. »Was ist es dann?« Vogl wandte sich an den Unteroffizier. »Geben Sie nach Arboria durch, daß wir ein Heliocab brauchen.« »Sofort, Hauptmann.« Innerhalb weniger Minuten erschien ein bequemes, viersitziges Fluggerät mit Raketenantrieb am Himmel. Leise setzte es zur Landung an. Eine glockenförmige Kuppel aus dunkelblauem Glas hing über der Fahrgastzelle. »Prima«, sagte Zarkow, als er die Geschicklichkeit des Piloten beobachtete. »Was hat das blaue Glas zu bedeuten?« »Es dient zwei Zwecken«, erläuterte Vogl, während er dem Piloten bedeutete, im Heliocab zu bleiben. »Es schützt die Passagiere vor zu harter Sonnenbestrahlung.« »Verstehe«, sagte Zarkow. »Allerdings ist das der zweite Zweck. Der Hauptgrund für das Glas ist, die Sonnenstrahlen einzufangen und zu sammeln.« Zarkow spitzte die Lippen zu einem Pfiff. »Sie meinen, so werden die Raketen angetrieben? Mit Sonnenstrahlen?« »Ja«, sagte Vogl. »Davon haben unsere Wissenschaftler früher immer geträumt.« »Aber diese Sonne liefert nicht genug Energie, um eine Rakete anzutreiben«, warf Zarkow ein. »Das stimmt«, gab Vogl zu. 109
»Ja, was erzählen Sie uns denn?« fragte Zarkow. »Ja«, stimmte Dale zu. »Ich verstehe das auch nicht. Was wollen Sie damit sagen?« Zarkow wandte sich ihr zu. »Man kann Solarenergie dazu benutzen, einen Haushalt mit Energie zu versorgen, wie du sicher weißt, Dale. Aber es gibt einfach keinen Weg, genügend Solarenergie zu sammeln, um damit eine Rakete anzutreiben.« »Jetzt verstehe ich«, sagte Dale, obwohl es offensichtlich war, daß sie immer noch nicht wußte, was Vogl gemeint hatte. Der Hauptmann deutete auf das Heliocab. »Die Sonnenstrahlen werden im blauen Glas eingefangen und in Kondensatoren gespeichert. Im Prinzip ist das ein ganz einfacher Prozeß.« »Ja, klar«, sagte Zarkow ungeduldig, »aber –« »Von den Kondensatoren gelangt die Energie in einen Transformer, um umgewandelt zu werden.« »Weiter«, drängte Zarkow. »Der Energiestrom fließt ständig, da das blaue Glas ja immerzu einfängt. Die vorhandene Energie wird zu einer Halte gespeichert und zur anderen Hälfte dem Raketenantrieb zugeführt. Durch den ständigen Zustrom wird eine dermaßen gewaltige Energiemenge angesammelt, daß damit eine Rakete angetrieben werden kann. Die dabei entstehende Hitze wird wieder in die Kondensatoren und Akkumulatoren zurückgeführt und verbindet sich erneut mit der einfallenden Solarenergie. Somit haben wir es hier mit einer multiplen, regenerativen, sonnenbetriebenen Rakete zu tun, wie Ihre Ingenieure das nennen würden«, schloß Vogl. Zarkow schüttelte den Kopf. »Sie reden eher wie ein Wissenschaftler, Vogl, als wie ein Offizier.« »Ich war früher Wissenschaftler«, erläuterte Vogl. »Und, hat das nicht geklappt?« »Das Fliegen gefiel mir besser«, sagte Vogl. »Das liegt in der Familie.« Lächelnd bewegte er die Flügel. Zarkow nickte. Als der Pilot die Kuppel öffnete, stiegen Dale und Doc in das 110
Heliocab. Sie ließen sich auf die erstaunlich kühlen Sitze in der Fahrgastzelle nieder. Der Pilot schloß hinter ihnen die Kuppel. Durch das blaue Glas entdeckten die beiden Erdmenschen Vogl, der ihnen zuwinkte und nordwärts zeigte. In diese Richtung stieg das Heliocab leicht und ohne Beschwerden für die Insassen auf. »Man spürt ja überhaupt keine Vibration«, bemerkte Zarkow erstaunt. »Auf Mongo ist man ja wissenschaftlich schön fortgeschritten, seit wir das letzte Mal hier waren.« Dale unterdrückte ein Lächeln. »Was ist daran so merkwürdig, Doc?« Zarkow dachte einen Moment nach. Dann wandte er sich an Dale. »Du willst mich wohl auf den Arm nehmen, was? Das mag ich nicht.« Jetzt konnte Dale sich nicht mehr zurückhalten und lachte. Zarkow zog die Nase hoch und lehnte sich im Sitz zurück. Unter der Rakete waren die gigantischen Ausmaße der Großen Mongo-Wüste zu erkennen. Eine Stimme ertönte im Innern der Maschine. »Wir nähern uns dem Großen Nordwest-Sektor«, sagte Hauptmann Vogl. Zarkow schaute nach draußen. Vogl flog neben dem Heliocab her und sprach in ein kleines Mikrophon, das er um den Hals trug. Er deutete nach unten. Der Doc beugte sich vor und spähte hinab in die Wüste. Unter sich entdeckte er eine merkwürdige unregelmäßige Vulkanlandschaft. »Wir nennen diese Gegend auch die Lavaebene«, bemerkte Vogl. »Einige Vulkane sind immer noch aktiv, aber seit drei Jahren ist es zu keinem Ausbruch mehr gekommen.« Zarkow nickte. »Hört sich an wie ein Reiseleiter in einem Jumbo-Jet auf der Erde, der den Reisenden die Sehenswürdigkeiten erklärt«, meinte er grinsend zu Dale. Sie lächelte. »Irgendwie ist das eine beklemmend schöne Landschaft dort unten«, sagte sie und zeigte auf die Vulkanlandschaft. 111
»Jetzt erreichen wir den Rand des Großen MongoDschungels«, sagte Vogl und deutete nach vorn. Zarkow entdeckte den dünnen Vegetationsstreifen, der am Horizont auftauchte. Bislang waren unter ihnen nur Sand- und Lavaflächen zu sehen gewesen. Beim Näherkommen wurde der Boden immer grüner, bis sie den Dschungelrand überflogen, wo die Sonne einen erstaunlichen Schatten warf. Dann befanden sie sich über einer dichten und verschlungenen Grünfläche. Kein Fleckchen Erde und keine Wasserfläche unterbrach den Vegetationsteppich. »Wir werden einige Zeit den Dschungel überfliegen«, sagte Vogl. »Dann erreichen wir Arboria.« Die Grünfläche wurde plötzlich von sumpfigen, unregelmäßig verlaufenden Kanälen unterbrochen, die in einen großen See mündeten. Aus diesem floß ein Strom heraus. Dann verwandelte sich das Dschungelwirrwarr in einen Wald aus kräftigen Nadelbäumen. »Arboria«, sagte Vogl lediglich. Nach weiteren fünfzehn Minuten Flug verlor die Maschine langsam an Höhe. »Wir erreichen bald die Stadt«, erläuterte Vogl. »Arboria«, sagte Zarkow verträumt. »Daran kann ich mich gut erinnern.« Die Rakete verlor immer mehr an Höhe, bis sie die Wipfel der Bäume erreicht hatte. Der Boden des Heliocab streifte hörbar die obersten Zweige. Plötzlich tat sich im dichten Nadelwald ein Loch auf. Eine breite Landebahn, die an den Rändern von Bäumen begrenzt wurde, wurde sichtbar. Das Heliocab setzte mittels Plyoschaum auf der Rollbahn auf. Die Reise durch die Luft war zu Ende, die Maschine rollte jetzt auf gewöhnlichen Rädern nach Arboria. Hauptmann Vogl stieg mit seiner Falkenmenschen-Abteilung nach oben auf. Zum Abschied winkte er Dale und Zarkow zu. »Wir müssen in unseren Sektor zurück. Viel Erfolg, Miß Ar112
den, Dr. Zarkow.« Das Heliocab rauschte die Rollbahn entlang, die sich allmählich zu einer regulären Straße veränderte. Bald war die Hauptstadt von Arboria zu sehen, eine leuchtende Ansammlung von Wohn- und Kirchtürmen mitten im Wald. Die Maschine verlangsamte ihre Geschwindigkeit. Sie fuhren an einigen verwinkelten Türmen vorbei, bis sie in einen Tunnel gelangten, der durch einen gigantischen Baum gebohrt worden war. Endlich befanden sie sich auf dem Palastgelände. Vor ihnen wuchs der Palast in den Himmel. Das Heliocab verschwand in einer Schleuse, die ihm als Parkplatz zugeteilt war. Der Pilot drehte sich zu seinen Gästen um. »Wir sind im Palast, Dr. Zarkow«, sagte er. »Danke«, antwortete der Doc. »Können wir nun aussteigen?« Der Pilot erhob sich, öffnete die Kuppel und ließ die beiden hinaus. In einiger Entfernung tauchten Palastwachen auf. Einer von ihnen trat näher. »Dr. Zarkow?« fragte er atemlos. »Sehr gut! Wir haben Sie bereits erwartet.« Zarkow nahm Dales Hand und half ihr beim Aussteigen. »Man hat uns bereits erwartet«, erklärte er ihr grinsend. Die Wächter eilten ihnen voraus und öffneten eine Tür. Dale und Zarkow betraten den äußeren Garten des Palastes. Vor ihnen erhob sich eine breit angelegte Treppe. Am oberen Ende erwartete sie Prinz Barin mit einem freundlichen Lächeln. »Prinz Barin!« rief Zarkow aus. »Wie lange haben wir uns nicht mehr gesehen?« Zarkow stürmte die Stufen hinauf, dicht gefolgt von Dale. Prinz Barin trat auf Doc zu und umarmte ihn mit einem breiten, strahlenden Lachen. Sein kurzgeschnittenes schwarzes Haar zeigte nicht eine einzige graue Stelle. »Und da ist ja auch Dale«, rief Prinz Barin. Auch sie umarmte er und küßte sie auf die Wange. »Aber wo ist Flash?« 113
Zarkow stutzte. »Hat man Ihnen nichts berichtet?« »Was soll mir berichtet werden? Per Vidphon wurde ich davon unterrichtet, daß Sie sich in der Großen Mongo-Wüste befanden. Ich nahm an, daß Ihre Rakete – wie üblich – eine Bruchlandung gemacht habe. Daraufhin sandte ich das Heliocab aus, um Sie hierherzubringen.« Zarkow sah Dale mit großen Augen an. Sein Gesicht zuckte. »Ich hätte es den Falkenmenschen besser erklären müssen. Wir fürchten, daß Flash von Königin Azuras Schergen gefangengenommen wurde«, sagte Zarkow. »Wir sind direkt neben der Caverna Gigantea angekommen.« »Aber warum haben Sie nicht die Arboria-Fluglinie benutzt?« »Das ist eine lange Geschichte«, brummte Zarkow. »Jetzt müssen wir erst einmal Flash aus den Händen Azuras befreien.« Prinz Barin holte tief Luft. »Das wird nicht einfach sein.« »Aber natürlich. Wir müssen nur eine Streitmacht aufstellen und die Azurianer verjagen. Sie haben doch enormen Einfluß im Freien Rat. Falls Sie wollen, führe ich sogar –« »So geht es nicht!« sagte Prinz Barin grimmig. »Aber woher sollten Sie das auch wissen? Uns liegen Berichte vor, daß Azura heimlich eine Armee aufstellt, um den ganzen Freien Rat zu zerschmettern. Und im Moment können wir nichts dagegen unternehmen.« Zarkow starrte ihn verblüfft an. Dale trat einen Schritt vor. »Aber Sie müssen Flash retten.« Prinz Barin sah plötzlich sehr unglücklich aus. »Ich wünschte, ich könnte das«, flüsterte er. »Aber ich fürchte, es ist unmöglich.«
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XIII In einem abseits gelegenen Zimmer des Nachrichtenturms in Königin Azuras Palast saß ein junger, bärtiger Mann. Er starrte erschrocken auf den Bildschirm vor ihm. Ihm gegenüber zeigte sich das Bild von Azura, der Königin des Reiches der Blauen Magie. Er hatte die Königin erst einmal während einer Parade leibhaftig gesehen. Aber noch nie zuvor hatte sie ihn angesprochen. »Du bist Jado?« fuhr die Königin ihn barsch an. »Jawohl, Eure Majestät.« Sie war so schön, wie man es sich über sie erzählte, sagte er sich. Aber sie schien älter zu sein, als er vermutet hatte. Vielleicht übertrieben die Gerüchte, was ihre Jugend anging. »Ich habe einen Auftrag für dich«, sagte sie bestimmt. »Der Informationsminister hat dich dafür empfohlen.« Jado beugte sich vor dem Bildschirm. »Vielen Dank für Ihr Vertrauen, Eure Majestät.« »Es ist ein wichtiger Auftrag, Jado – und ein gefährlicher dazu. Meinst du, du schaffst es?« Jado starrte das Bild der Königin an. Gefährlich? Das hieß wohl nichts anderes als ein Selbstmordkommando. Jado fühlte ein Kribbeln im Nacken. Aber er wollte seine Furcht nicht zeigen. Und er konnte sich in dieser Hinsicht beherrschen. Als Kurier war er schon auf einige gefährliche Missionen geschickt worden, bei denen nur Tricks und eine schnelle Reaktionsfähigkeit sein Überleben garantiert hatten. »Ganz sicher, Eure Erhabenheit«, antwortete er. »Dann komm unverzüglich in mein Apartment. Ich habe hier eine Botschaft, die überbracht werden muß.« »Jawohl, Eure Majestät«, sagte Jado und verbeugte sich ein weiteres Mal vor dem Bildschirm. Als er sich wieder aufrichtete, sah er, daß die Königin bereits verschwunden war. An ihre Stelle war jetzt der Informations115
minister getreten. Er war ein älterer Mann namens Fraj, der Jado für einen Karrieretyp und Idioten hielt. Jado seinerseits sah in Fraj einen unnützen senilen Alten, der den Jüngeren den Weg nach oben versperrte. »Ich habe Sie für einen Spezialauftrag empfohlen«, schnauzte Fraj Jado an. »Ich nehme an, die Königin hat sich bereits über Vidphon mit Ihnen in Verbindung gesetzt?« »Jawohl, Sire«, sagte Jado. Sein Gesicht drückte Wut und Hohn aus. »Vielen Dank, Sire.« »Bei mir brauchen Sie sich nicht zu bedanken«, sagte der Minister kurz angebunden. »Es ist eine Mission, die Fingerspitzengefühl erfordert. Ich, äh, wünsche Ihnen alles Gute.« »Davon bin ich überzeugt«, sagte Jado sarkastisch, doch gleichzeitig bemüht, seine wahren Gefühle zu verbergen. Minister Fraj schien den Unterton gar nicht mitbekommen zu haben. Er nickte. »Ich werde für Sie einen Ersatzmann besorgen. Sobald er da ist, machen Sie, daß Sie zur Königin kommen.« »Danke, Sire«, sagte Jado mit einem verzerrten Lächeln. Der Minister verschwand vom Bildschirm. Jado erhob sich und strich sich gedankenvoll durch den Bart. Er war jung und hatte das Leben noch vor sich. Jetzt aber war er zu einer Mission abkommandiert worden, die sein Leben offensichtlich vorzeitig beenden konnte. Er fragte sich, wie seine Aufgabe wohl aussähe. Dann schalt er sich selbst wegen seiner Zweifel und sagte laut: »Vielleicht muß ich eine Botschaft an den Freien Rat von Mongo überbringen. In diesem Fall werde ich unantastbar sein. Das kann ja nicht so schlimm werden.« Er beschloß seine Frau anzurufen und ihr zu erklären, daß er zu einer Spezialmission ausgesandt werden sollte. Aber dann entschied er sich dagegen. Das war nämlich strengstens verboten, obwohl alle Kuriere ihren Frauen gewöhnlich erklärten, wohin sie geschickt wurden. 116
Jado erhob sich und starrte in den Spiegel. Er strich sich den Bart und die Augenbrauen glatt. Er war ein hübscher junger Mann. Eine große Zukunft im Informationsministerium erwartete ihn. Diese Mission konnte vielleicht die Chance sein, den entscheidenden Sprung in der Hierarchie aufwärts zu tun. Jado stolzierte im Zimmer herum und wartete auf seine Vertretung. Energisch klopfte Jado an die Tür zum Apartment der Königin. »Wer ist da?« rief eine schrille Stimme. Jado erkannte sie. Sie gehörte diesem Zwerg – Qilp hieß er doch? »Jado vom Informationsministerium.« »Der Kurier«, schnappte Qilp. Sofort öffnete sich die Tür. »Mach schon, komm rein!« Jado nickte und betrat die Räume der Königin. Verschüchtert sah er sich um. Er entdeckte die langen Tische, die Wendeltreppe, die zu den oberen Räumen führte, die zerfetzten Überreste des Wandteppichs an einer Wand und endlich Königin Azura selbst. Jado verbeugte sich tief. »Eure Majestät«, sage er mit der nötigen Ehrerbietung. Qilp warf die Tür zu und schob Jado näher an die Königin heran, die in einem prächtigen Sessel unweit der Tür saß. Sie sah ihn durchdringend an. »Komm hierher, Jado«, sagte sie und winkte ihn mit einem behandschuhten Arm heran. Jado trat näher. Ein gefährliches Leuchten trat in seine Augen, als er den hautengen Anzug betrachtete, den sie trug. Dann stand Jado unmittelbar vor ihr. Jetzt erkannte er auch, daß sich zwei weitere Männer im Raum befanden. Einer saß auf einem thronähnlichen Stuhl an einer Seite des Raumes und sah mit einem Lächeln auf den zweiten Mann hinab, der gefesselt dalag. Er schien dem ersten die Füße zu küssen. Eine merkwürdige Szene, dachte Jado. »Ich habe hier eine Botschaft, die du überbringen sollst, wie 117
ich schon am Vidphon erwähnte«, erklärte sie ihm. Azura beobachtete Jado sehr intensiv. »Keine schlechte Wahl von Fraj.« »Vielen Dank, Eure Majestät«, sagte er. »Qilp«, herrschte die Königin den Zwerg an. »Hol den Umschlag.« »Sehr wohl«, sagte Qilp und verfiel wieder in sein obligatorisches Kichern. Er hüpfte eilig zu einem nahestehenden Schreibtisch. Schnell war er wieder zurück und überreichte der Königin einen versiegelten Umschlag. Azura nahm ihn an und klopfte sich damit auf die Fingernägel, während sie Jado weiterhin musterte; »Diese Botschaft ist von außerordentlicher Wichtigkeit«, erklärte sie Jado langsam und mit Bedacht. »Sie muß dem Adressaten persönlich übergeben werden.« »Ich verstehe«, sagte Jado. »Noch nicht ganz«, widersprach die Königin ihm. Jado wartete. »Die Botschaft muß vom Adressaten auch gelesen werden.« »Das ist mir klar. Und wer ist der Betreffende?« »Die Botschaft ist an Prinz Barin gerichtet«, sagte Azura ruhig, »den Kopf des Freien Rates von Mongo. Er ist der Herrscher von Arboria.« Ein Lächeln erschien in den Mundwinkeln der schönen Königin. »Es wird nicht einfach sein, die Botschaft zu überbringen. Aber die Mission muß erfüllt werden.« Jado starrte die Königin an. »Wir unterhalten keine diplomatischen Beziehungen zu Arboria.« »Nein«, sagte die Königin. »Man wird mich gefangennehmen.« Die Königin nickte. »Vielleicht ja. Aber dann werden wir nichts unversucht lassen, dich zu befreien, Jado!« Jado seufzte. Kein Wunder, daß der Informationsminister ihn ausgesucht hatte, es war in der Tat ein Selbstmordkommando. »Ich bin Ihnen dafür sehr dankbar, Eure Majestät«, sagte Jado säuerlich. 118
»Das weiß ich, Jado«, antwortete die Königin gnädig. »Aber wie soll ich es anstellen, überhaupt in Prinz Barins Palast zu gelangen?« fragte Jado. »Da mußt du dir schon selbst etwas einfallen lassen«, sagte Azura nicht mehr gnädig. »Wie du es anstellst, bleibt völlig dir überlassen.« Jado nickte. Azura reichte ihm den Umschlag. »Da nimm’s. Keiner darf ihn zu Gesicht bekommen, außer Prinz Barin.« Jado verbeugte sich. »Vielen Dank, Eure Majestät.« »Ich vertraue auf dich«, antwortete die Königin amüsiert. »Du darfst dich zurückziehen.« Jado wandte sich um und beeilte sich, das Zimmer zu verlassen. Qilp war vor ihm an der Tür und öffnete sie. Dabei sahen seine kleinen Augen Jado belustigt an. Als der Kurier herantrat, drehte er sich noch einmal um. Er sah, wie der kräftige Mann auf dem Thron, der stark an Ming den Gnadenlosen erinnerte, sich vorbeugte und seinem blonden, muskulösen Füßeküsser eine runterhaute. Die Szene machte Jado Angst, und er begann auf dem Korridor zu laufen, als die Tür zuschlug. Was war das bloß für eine Mission? In seinen eigenen Räumen löste Jado eilig das Siegel mit einer Spezialchemikalie, die er im Kleiderschrank versteckt hielt. Er entfaltete den Brief – und er wurde blaß. Prinz Barin würde ihn sofort hinrichten lassen, sobald er diese Botschaft gelesen hatte. Der Brief enthielt eine Lösegeldforderung für Flash Gordon. Und das Lösegeld war Prinz Barin! Jado zählte zwei und zwei zusammen, und plötzlich war ihm alles klar. Der blonde Mann zu Füßen des anderen, war Flash Gordon, der legendäre Erdenmann, der Prinz Barin dabei geholfen hatte, die Völker von Mongo gegen das Königreich der Blauen Magie zu vereinen. 119
Prinz Barin würde Jado mindestens einkerkern – oder gleich umbringen lassen. Es mußte einen Weg geben, die Botschaft zu überbringen, ohne sein eigenes Leben in solche Gefahr zubringen. Er starrte aus dem Fenster und suchte nach der Lösung. Das Gravomobil führte Jado rasch durch die unterirdische Welt, die seine Heimat war. Jado lehnte sich bequem zurück und überließ es dem Fahrzeug, den Weg durch die Gänge und Tunnel zu finden, die in das Ozeanit gegraben waren. Es erreichte bald die Stollen in den Xanthillium-Minen und überquerte die Grenze vom Königreich der Blauen Magie zum Königreich Arboria. Jado betrachtete seinen Anzug. Er hatte sich in die Uniform eines Forstwächters gekleidet. So würde es ihm möglich sein, unbehelligt an den Truppen vorbeizukommen, die Prinz Barins Palast bewachten. Jado berührte das scharfklingige, lange Messer, das an seiner Seite steckte. Er kannte sich mit dieser Waffe aus. In seiner Militärzeit war er damit ausgebildet worden. Es paßte zur Königin, daß sie ihm bis auf eine knappe Andeutung nichts von den Gefahren seiner Mission gesagt hatte. Sie hatte ihm keine genauen Anweisungen geben wollen. Azura verlangte von ihm, daß er sich selbst half. Und Jado hatte sich einen Plan ausgearbeitet. Azura erwartete, daß er sich opferte. Aber Jado weigerte sich, sein Leben zu opfern. Und er würde diese Sache lebend hinter sich bringen. Schließlich war er Jado, einer der cleversten Burschen im ganzen Informationsministerium. Er lächelte in sich hinein. Die Bergleute von Azuria waren etliche hundert Meilen unter die Große Mongo-Wüste und das Reich Arboria vorgedrungen. Stunden nach seinem Start erreichte Jado den letzten Stollen. Er hielt das Gravomobil an und stieg aus. Jado mußte sich zu Fuß durch einen engen Gang bewegen, der ihn an die Oberflä120
che führen sollte. Mattes Licht aus Solarenergie herrschte hier. Als Jado das Ende des Ganges erreicht hatte, stand er vor einer Wendeltreppe, die direkt an die Oberfläche des Planeten führte. Nach einigen Minuten hatte er die Stufen hinter sich gelassen. Aber er war noch nicht draußen. Die Bergarbeiter hatten in die Riesenbäume der Wälder von Arboria versteckte Ausgänge gebohrt. Eine Holzleiter war an der Innenseite eines solchen ausgehöhlten Baumes angebracht. Jado stieg hinauf und erreichte eine Holzbrettertür. Er stieß sie auf. Die Öffnung war vorsichtig mit Ästen und Nadelhaufen getarnt worden. Der Kurier betrat den dunklen Wald und sah sich um. Nach der Karte, die er sich vom Bergbau-Ministerium beschafft hatte, mußte er nur ein paar Meter gehen, bis er auf einen ArboriaWachposten traf. Leise schritt Jado über den Waldboden. Bald sah er schon die Türme der Stadt vor sich. Dann trat eine Gestalt aus dem Schatten. Sie hielt ein Strahlengewehr auf Jado gerichtet und starrte ihn an. »Halt! Was haben Sie hier zu suchen?« Jado lächelte. »Ich bin vom Weg abgekommen, Wächter. Ich gehöre zu Prinz Barins Forstwächtern. Ich habe den Auftrag, Holzvorräte für den Winter aufzulisten.« Der Wächter sah Jado mißtrauisch an und faßte ihn genauer ins Auge. »Zeigen Sie mir ihre ID-Karte.« Jado seufzte und griff in sein Gewand. Er zückte sein Messer, sprang auf den Wächter zu und stach ihm in den Hals, bevor dieser die Waffe abdrücken konnte. Jado sah sich aufmerksam um. Er entdeckte den Baum wieder, durch den er hinaufgestiegen war. Der Kurier zerrte die Leiche dorthin und ließ sie hinabstürzen. Die Stadt lag jetzt vor ihm. 121
Im Palast, genauer im Garten unter Prinz Barins Gemächern, wurde Jado erneut angehalten. Der Wächter wollte auch Jados ID-Karte sehen. Der Kurier antwortete auch diesmal mit seinem Messer. Jado stürmte durch den Eingang und eilte die Stufen zu den Räumen hinauf, wo sich nach der Karte Prinz Barins Gemächer befinden mußten. Glücklicherweise hielt sich hier niemand auf. Jado gelangte in den Flur, der die Räume des Prinzen miteinander verband. Bis jetzt hatte er noch keine Aufmerksamkeit erregt. Dann hörte Jado Stimmen. Er hielt an und lauschte. »Und ich sage Ihnen, Prinz Barin, es muß einen Weg geben, eine Streitmacht zusammenzustellen und in die unterirdische Festung einzudringen. Falls Flash dort weiterhin festgehalten wird, kann ich mir gut vorstellen, daß sie ihn umbringt.« Ist ja interessant, dachte Jado. Er hatte mit seiner Vermutung recht gehabt; der blonde Muskelmann war Flash Gordon gewesen, der berühmte Erdenmann und Held von Mongo. Eine andere Stimme antwortete: »Wir haben keinen wirklichen Beweis, Zarkow. Sie haben es schließlich nicht mit eigenen Augen gesehen, wie ihre Leute Flash gefangennahmen. Und wenn ich jetzt eine Armee gegen Azuria aussende, fällt der ganze Freie Rat über mich her, weil ich einen planetenweiten Krieg vom Zaun gebrochen habe.« »Sie sind zu übervorsichtig, Barin«, schnaubte Zarkow. »Also, wie ich die Sache sehe –« Die beiden Männer begannen zu flüstern. Jado entdeckte sie durch einen offenen Türspalt. Sie befanden sich an einem Tisch, auf dem Tassen und Unterteller standen. Jado warf einen schnellen Blick durch das ganze Zimmer. Der eine mußte Prinz Barin sein, weil Zarkow ihn so anredete. Jetzt mußte Jado ihm nur noch die Nachricht aushändigen. Schnell zückte der Kurier seinen Dolch, stach ihn durch den Brief und zog sich in eine günstige Position zurück. Aus dem 122
Schatten warf er das Messer mit der daranhängenden Botschaft auf die Wand hinter dem Tisch, an dem die beiden sich unterhielten. Mit einem dumpfen Laut blieb das Messer im Ziel stecken. »Vorsicht!« schrie der bärtige Mann am Tisch. »Wer ist da?« rief Prinz Barin und blickte über die Schulter in den Korridor. Jado lächelte und rannte davon. Urplötzlich befand sich der ganze Palast in Aufruhr. Aber der Kurier hatte schon längst wieder den unbewachten Eingang erreicht, wo der ermordete Wächter noch immer in seinem Blut lag.
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XIV Nur langsam konnte Prinz Barin die Augen von der Botschaft in seiner Hand lösen. Zarkow bemerkte, daß sein Gegenüber blaß geworden war. »Was ist los, Barin?« fragte er unruhig. »Eine Nachricht von Flash.« Zarkow riß Mund und Augen auf. »Flash?« »Königin Azura hält ihn fest und verlangt ein Lösegeld«, sagte der Prinz langsam. Zarkows Gesicht glühte. »Was für ein Lösegeld?« »Mich«, sagte Barin fast tonlos und reichte Zarkow den Brief. »Sie!« kreischte Zarkow. »Aber das ist doch unmöglich!« Er warf einen flüchtigen Blick auf das Schreiben und las es ungläubig. »Das hört sich gar nicht nach Flash an, dieser weinerliche, jammernde Ton.« Prinz Barin eilte in ein kleines Zimmer hinter dem Raum und schaltete ungeduldig das Vidphon ein. Ein Gesicht erschien – das schmale Gesicht von einem Offizier mit einem Schnurrbart. »Hauptmann Solas«, bellte der Prinz. »Rot-Alarm!« »Jawohl, Prinz Barin«, antwortete Solas im typischen Arboria-Akzent. »Alarm an alle Wachen«, sagte Prinz Barin. »Ein Spion aus Azuria ist in der Stadt.« »Das ist schlimm«, sagte der Hauptmann ernst. »Lassen Sie alle Ausgänge der Stadt sperren. Jeder Fremde soll festgehalten werden. Finden Sie ihn!« Solas nickte. »Jawohl, Sire …« Sein Gesicht verschwand vom Bildschirm. Prinz Barin wandte sich wieder an Zarkow. Im gleichen Moment betrat Dale Arden ziemlich verschlafen den Raum. »Was ist denn hier los?« fragte sie. »Ich habe gerade ein Nik124
kerchen gemacht, als hier ein entsetzliches Tohuwabohu ausbrach.« Prinz Barin starrte sie an, unfähig einen Ton herauszubekommen. Zarkow blickte mit einem ernsten Gesicht vom Brief auf. »Ja, was ist denn?« rief Dale. Mit wenigen Schritten hatte sie den Doc erreicht und riß ihm die Nachricht aus der Hand. Die beiden Männer beobachteten sie, während sie las. »Das hört sich nicht nach Flash an«, sagte sie leise. Ihre Augen verengten sich. »Das war diese Person«, erklärte sie wütend und gab dem Prinzen die Botschaft zurück. »Sie hat etwas mit ihm angestellt.« Dale grübelte. »Drogen?« Zarkow schüttelte den Kopf. »Schwer zu sagen, aber es ist Flashs Handschrift. Auch die Unterschrift stammt von ihm.« Er begann auf und ab zu gehen. »Nun, wir erreichen nichts, wenn wir hier nur herumstehen. Was wollen wir also unternehmen?« brach es aus ihm heraus. Prinz Barin wehrte ab. »Wir können nicht viel tun, Doc.« »Aber Flash wird getötet, wenn wir ihn nicht retten!« rief Dale. »Ich habe nicht gesagt, daß wir gar nichts tun sollen, Dale. Ich meine nur, daß uns nicht sehr viele Möglichkeiten offenstehen.« »Waren es denn vorher mehr?« fragte Zarkow. »Was wollen Sie damit sagen?«, warf Dale ein. Zarkow sah sie an. »Prinz Barin hielt gerade eine Sitzung des Freien Rates ab, als wir nach Mongo kamen, Dale. Er hatte erfolglos versucht, die Ratsmitglieder zu einer gemeinsamen Aktion gegen Königin Azura zu bewegen. Es ist in letzter Zeit häufiger zu Grenzprovokationen von Seiten Azurias gekommen.« »Aber jetzt –« begann Dale. »– hat sich nichts verändert«, fuhr Barin düster dazwischen. »Der Rat hat recht. Jede kriegerische Aktion würde den ganzen 125
Planeten Mongo in einen tödlichen Strudel stürzen. Wahrscheinlich würde alles Leben auf dieser Welt ausgerottet. Nein, diese Sache muß anders bereinigt werden.« Dale verschränkte die Arme vor der Brust. »Aber was wird inzwischen aus Flash?« fragte sie schneidend. »Muß er in Königin Azuras Gemächern bleiben – in Ketten?« »Ich kann sofort beginnen«, sagte der Prinz. »Womit?« fragte Zarkow. Prinz Barin blickte nicht eben glücklich drein. »In der Botschaft heißt es: falls ich nicht alleine und unbewaffnet in Azuria erscheine, wird Flash getötet.« »Aber Sie haben doch nicht etwa vor –« »Wenn Azura Sie jemals in die Hände bekommt, Prinz, wird sie Sie beide töten.« »Aber ich kann Flash doch nicht seinem Schicksal überlassen, ohne einen Finger gerührt zu haben.« Auf dem Bildschirm erschien das Bild von Hauptmann Solas. Ein Forstwächter außerhalb der Stadt hörte Solas’ Stimme. »An alle Wachen!« rief Solas. »Alarm! Achtet auf alle Fremden. Niemand darf die Stadt verlassen. Haben Sie mich verstanden?« »Fremde«, grübelte der Wächter. Er hatte gerade seinen Rundgang durch seinen Waldsektor beendet. Und da hatte er etwas entdeckt … Er rannte wieder in den Wald zurück und entdeckte den Baum wieder, der ihm vorhin aufgefallen war. Im Baum war ein Loch, und innen bewegte sich etwas. Der Wächter kam näher und konnte jetzt einen Mann erkennen, der, genauso wie er, die Uniform eines Forstwächters trug, aber er – »Stehenbleiben!« rief der Wächter dem Mann im Baum zu. Doch der Angesprochene lief nur noch schneller. Der Wächter hob sein Strahlengewehr, schaltete den Betäubungsstrahl ein und drückte ab. Sofort rannte er auf den Mann zu. Der Strahl hatte sein Ziel 126
gefunden. Der Mann lag dort, unfähig, sich zu rühren. Der Wächter zerrte ihn aus dem Baumloch heraus und schleppte ihn dann bis zu seinem Wachhäuschen, wo ein Vidphon installiert war. »Hauptmann Solas«, rief er in das Gerät. »Hier Posten vierzehn. Ich glaube, ich habe den Mann, den Sie suchen.« Das Gesicht des Hauptmanns erschien auf dem Bildschirm. »Ja? Wo ist er denn jetzt?« »Direkt neben mir, Sir«, sagte der Wächter. Er hob den schlaffen Körper hoch, damit Solas das Gesicht sehen konnte. »Bringen Sie ihn her«, befahl der Hauptmann. »Jawohl, Sir.« Prinz Barin durchmaß sein Zimmer mit langen schritten. Dale und Zarkow beobachteten ihn besorgt. »Wir lassen es nicht zu, daß Sie ihr Leben aufs Spiel setzen«, kündigte der Doc an. »Lassen Sie mich gehen.« Prinz Barin fuhr zu Zarkow herum. »Na und? Was bringt uns das weiter? Man will mich und nicht Sie!« Zarkow schmollte. »Ich könnte doch versuchen, mit ihnen zu verhandeln, oder?« »Mich wollen sie haben«, beharrte Barin. »Und darum werde ich gehen.« »Aber was wird denn aus dem Freien Rat von Mongo?« fragte Dale. »Und was wird dann aus dem ganzen Planeten? Sie dürfen einfach nicht gehen.« »Wollen Sie vielleicht lieber Flash Gordon tot sehen?« warf Prinz Barin ein. Seine Augen starrten Dale durchdringend an. Dale fühlte die Tränen in den Augen aufsteigen. »Ach, es ist alles so furchtbar«, murmelte sie und wandte das Gesicht ab, damit die anderen ihren Schmerz nicht sehen konnten. Das Vidphon meldete sich im Nebenraum. Der Prinz lief hinaus, um eine Antwort zu geben. Wenig später kehrte er zurück. »Sie haben den Mann gefunden«, sagte er. Sein Gesicht trug einen erregten Ausdruck. »Sie bringen ihn hierher.« 127
»Vielleicht erfahren wir jetzt, was hier gespielt wird«, brummte Zarkow. »Das wissen wir doch längst«, widersprach Barin. »Aber vielleicht bekommen wir jetzt einen kleinen Trumpf in die Hand.« Dale sah den Prinzen erstaunt an, und auch Zarkow zeigte Verwunderung. Einige Zeit später erschien Hauptmann Solas. Mit sich führte er einen geschwächten, trotzig dreinblickenden Mann, der in der Uniform eines Forstwächters steckte. »Wer sind Sie?« fragte der Prinz den Gefangenen. »Ein loyaler Untertan, ehrwürdiger Prinz Barin«, sagte der Mann und verbeugte sich tief. Prinz Barin zog die Nase kraus und sah Zarkow lächelnd an. »Nun, Doc?« »Offensichtlich ein Täuscher«, sagte Zarkow bestimmt. »Sein Akzent verrät ihn. Davon abgesehen verbeugt er sich wie der Untertan eines Tyrannen. Kein Arborier tat so etwas. Hier herrscht Demokratie.« Das Gesicht des Gefangenen wurde blaß. »Also, Herr Gefangener«, sagte Prinz Barin und setzte sich an einen Schreibtisch am anderen Ende des Zimmers, »was haben Sie dazu zu sagen?« »Ich bin ein treuer Untertan, Prinz Barin«, sagte er wieder. Die Augen verrieten seine innere Anspannung. Da hielt es Hauptmann Solas nicht mehr aus und drängte sich nach vorne. »Prinz Barin«, rief er, »dieser Mann hat zwei Wächter ermordet. Wenn Sie es wünschen, werde ich mich seiner annehmen –« »Das wird nicht nötig sein«, sagte der Prinz und erhob abwehrend eine Hand. »Ich glaube, ich kann selbst auf ihn aufpassen. Ich benötige Sie nicht dafür, Hauptmann. Lassen Sie uns jetzt bitte allein.« »Jawohl, Sire«, sagte Solas gehorsam und wandte sich ab, 128
um das Zimmer zu verlassen. Prinz Barin lächelte sarkastisch. »Sehen Sie, Herr, so wird das bei uns in Arboria gehandhabt. Ihre Verkleidung ist gut ausgewählt, aber mit unseren demokratischen Spielregeln kennen Sie sich nicht aus.« Der Gefangene fuhr sich nervös über die Lippen. Schlagartig wurde Barins Gesicht ernst. »Sie haben zwei meiner Männer ermordet. Eine halbe Stunde nach dem Verhör wird das Erschießungskommando Sie erwarten. Man hat Sie auf frischer Tat gestellt.« Der Gefangene stand äußerlich ungerührt da und starrte eine Wand an. »Wie heißen Sie?« fragte der Prinz plötzlich mit veränderter Stimme. »Jado«, sagte der Gefangene nach einem Moment des Zögerns. »Jado«, wiederholte Barin. »Doc?« Zarkow grinste. »Es klingt ganz eindeutig nicht nach dem hiesigen Akzent«, sagte Zarkow. »Ich vermute, aus dem Königreich der Blauen Magie. Aus Königin Azuras Unterwelt.« Der Prinz nickte. »Das vermute ich auch, Doc.« Seine Augen wanderten zu Jado zurück. »Also, Jado?« Das Gesicht des Gefangenen blieb hart. »Ich bin ein loyaler –« »Sie machen Bücklinge wie ein Azurianer«, fiel Zarkow ihm ins Wort. »Was sagen Sie denn dazu?« Durch Jados Körper ging ein Ruck. »Ich weise das strikt von mir.« Barin rieb sich das Kinn. »Sie sind ein Untertan einer fremden Macht. Sie haben sich als Arborier verkleidet, Sie schleichen auf verbotenem Gebiet herum, und Sie stehen unter dem dringenden Verdacht, zwei arborische Wächter ermordet zu haben. Ich muß es wohl nicht besonders betonen, Jado, aber Sie stecken bis zum Hals in Schwierigkeiten.« Jados Augen suchten Zarkow und blieben dann an Dale Ar129
den hängen. Seine Lippen zuckten. »Also gut«, sagte er endlich. »Ich bin Kurier von Königin Azura. Und als solcher verlange ich diplomatische Immunität.« »Aha, also doch ein Azurianer«, meinte Zarkow grimmig. »Ich stehe hier als offizieller Vertreter des Königreichs der Blauen Magie. Ich hatte eine Botschaft an Prinz Barin zu überbringen. Ich verlange nochmals volle Immunität.« »Aber Sie haben zwei Menschen ermordet«, sagte der Prinz hart. »Oder wollen Sie das auch abstreiten?« Jado verschluckte sich. »Sire«, flüsterte er. »Meine Königin hat mir eine verantwortungsvolle Aufgabe übertragen. Ich mußte meine Pflicht erfüllen.« Seine Augen leuchteten auf. »Sie wissen, daß einer ihrer Leute in unserer Haft sitzt – ein persönlicher Gefangener der Königin. Sie verstehen, wie wichtig es war, die Botschaft unbeschadet zu überbringen.« Zarkow lächelte säuerlich. »Mir scheint, unser tapferer Kurier hat sich das Vergnügen gegönnt, die Botschaft vorher zu lesen.« Der Prinz nickte. »Er weiß, daß sein Leben verwirkt ist, egal, was noch kommt.« »Ich verlange Immunität«, sagte Jado. Aber seine Selbstsicherheit war verflogen und hatte der nackten Angst Platz gemacht. »Nichts da!« schnaubte der Prinz. »Wo ist Flash Gordon?« »Ich verweigere jede Aussage betreffs militärischer Informationen!« rief Jado. Prinz Barin ließ die Hände sinken. »Lassen Sie ihn fortschaffen, Doc. Ich unterzeichne gleich den Exekutionsbefehl.« »Aber Sie wollten mich doch vorher verhören!« schrie Jado. Prinz Barin winkte ab. »Nein. Warum sollten wir jemanden verhören, der nicht mit uns zusammenarbeiten will?« Jado war verblüfft. »Zusammenarbeiten?« »Ja«, sagte Barin. »Wir wollen wissen, wo Flash Gordon sich aufhält.« 130
»In Königin Azuras Palast«, sagte Jado zögernd. »Aha«, sagte der Prinz. Dann schüttelte er den Kopf. »Aber das wußten wir bereits. Hm, ich fürchte, wir werden uns nicht einig –« Jado trat erregt einen Schritt vor. »Ich weiß noch mehr. Ich habe Flash Gordon gesehen. Die Königin hat ihn unter Drogen gesetzt und hält ihn so unter Kontrolle. Er ist zu einem furchtsamen, unfähigen Feigling geworden.« Der Prinz hörte interessiert zu und blickte zu Zarkow. Der Doc starrte Jado an. Und Dale verbarg das Gesicht in den Händen. Barin seufzte. »Ich weiß nicht, ob das schon reicht, Jado …« »Ich weiß noch etwas«, beeilte sich der Angesprochene zu sagen. »Ich kenne den großen Trumpf der Königin. Den kennen Sie bestimmt nicht.« »Jetzt erzählen Sie uns bloß nichts über Azuras PropagandaKampagne, daß nur sie die Rettung wäre, und Mongo von Tyrannen geknechtet würde.« »Sie arbeitet mit Ming dem Gnadenlosen, junior, zusammen.« Trotz der Ungeheuerlichkeit dieser Nachricht, konnte der Prinz seine äußere Fassung wahren. »Ming der Gnadenlose ist tot«, sagte er halb in Gedanken. »Und er hatte keinen Nachwuchs.« »Sie irren sich, Eure Hoheit«, beharrte Jado. »Ich habe Ming II. mit eigenen Augen im Palast gesehen. Schon seit langer Zeit halten sich hartnäckig die Gerüchte, daß Ming I. einen Sohn haben soll. Und ich – das schwöre ich – habe ihn in den Gemächern der Königin gesehen. Er quält den Fremden.« »Welchen Fremden?« »Flash Gordon!« »Er hat ihn gequält?« fragte Zarkow. »Das reicht.« Jado faßte sich wieder. Der Prinz wies Zarkow an zu schweigen. »Auch hier kennt man die Gerüchte von einem im Exil lebenden Sohn Mings. 131
Wissen Sie definitiv, daß diese Person, die Sie gesehen haben, wirklich Ming war?« »Ganz sicher, Sire.« »Falls Sie lügen, werden Sie hingerichtet, das ist Ihnen wohl klar.« »Ich lüge nicht.« Der Prinz nickte und drückte auf einen Knopf am Schreibtisch. Wenig später öffnete sich eine Tür, und Hauptmann Solas trat herein. »Bringen Sie diesen Mann in die Gegenspionage-Abteilung, Hauptmann«, befahl Barin. Solas nickte. »Jawohl, Sire … Na, nun kommen Sie mal schön mit. Los, eins, zwei und weiter, eins, zwei.« Sie verschwanden durch die Tür. Zarkow trat an Barins Schreibtisch und sah den Prinzen neugierig an. »Nun?« fragte er. »Ming II.«, flüsterte Barin. »Dann stimmt es also doch. Das bedeutet Ärger. Mings Nachwuchs wird uns vor eine Reihe Probleme stellen. Es gibt auf diesem Planeten genug Idioten, die jedem Mythos folgen. Wenn ich nichts dagegen unternehme, werden Azura und Ming II. ihre Völker vereinen. Der folgende Krieg wird den Freien Rat zerschmettern.« Der Prinz sprang erregt auf und gestikulierte mit den Händen. »Auch die Nachricht, daß Flash unter Drogen gesetzt wurde, ist erschreckend. Diese Wissenschaftler von Azuria sind uns sehr voraus, auch wenn ich das nicht gerne zugebe. Man hat aus ihm mittels einer Droge einen Feigling gemacht. Wahrscheinlich ein Pazifierungsmittel. Unsere Wissenschaftler arbeiten auch daran, haben aber bis jetzt nicht mehr als Tranquilizer zustande gebracht.« Zarkow verfiel ins Grübeln und bearbeitete mit den Händen seinen Bart. »Wahrscheinlich vegetiert Flash nur noch vor sich hin«, fuhr Barin fort. »Das bedeutet, daß wir uns nicht darauf verlassen 132
können, daß er sich aus eigener Kraft befreien kann.« »Wir müssen ihn befreien«, rief Zarkow. »Ich will, daß jetzt endlich einmal etwas passiert. Wie lange wollen wir denn hier noch herumstehen und quatschen?« Prinz Barin fuhr ärgerlich herum. »Sie sollen ihre Taten haben, Doc. Man will mich, also hängt alles an mir.« »Sie wollen immer noch zu Königin Azura?« fragte Zarkow vorsichtig. »Ja«, sagte Barin entschlossen. Dann zwinkerte er dem Doc zu. »Aber nicht ganz so, wie es in dem Brief stand.« Dale erwachte aus ihrer Trauer. »Was haben Sie vor, Prinz?« Doch der Angesprochene lächelte nur.
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XV Jado wurde von Hauptmann Solas in einen großen Raum mit niedriger Decke geführt. Computer standen dort in Reih und Glied, elektronische Anlagen, Sitzgelegenheiten und Meßapparaturen. Solas wies Jado an, sich auf eine Bank zu setzen. »Ist das hier die Gegenspionage-Abteilung?« fragte der Kurier verwundert. »Sieht eher wie ein Forschungslabor aus.« »Das braucht Sie nicht zu kümmern«, sagte der Hauptmann bestimmt. Trotz der Dinge, die ihm noch bevorstanden, lehnte Jado sich auf der Bank zurück und entspannte sich. Er glaubte, daß er bei der Befragung vorhin keinen allzu schlechten Eindruck gemacht hatte. Indem er zunächst die Aussage verweigerte, hatte er sich in eine Position gebracht, die ihm einen Handel erlaubte. Als der Prinz ihn dann unter Druck setzte, hatte er einige Informationen preisgegeben und damit wahrscheinlich sein Leben gerettet. Als er dann von Ming sprach, war die Hinrichtung so gut wie abgewendet. Dennoch bemächtigte sich seiner allmählich eine innere Anspannung. Er wußte ja nicht, was ihm in diesem Raum erwartete. Königin Azura verfügte über die besten Wissenschaftler von Mongo – aber diese Abteilung hier konnte jeden Vergleich mit Azuria aushalten. »Wissen Sie, was man mit mir anstellen wird?« fragte Jado. »Falls man mir ein Wahrheitsserum eingibt, ich habe schon alles gesagt.« »Ich habe keine Ahnung, was Sie erwartet, Jado. Aber wenn ich sie wäre, würde ich mich glücklich schätzen, bis jetzt mit einem ›blauen Auge‹ davongekommen zu sein. Sie haben zwei Menschen umgebracht, und leben immer noch.« Jado nickte. »Da haben Sie wohl recht.« Er lehnte sich wieder zurück. Bald betraten Barin und Zarkow den Raum. Der Prinz winkte 134
Solas zu sich. Die drei Männer flüsterten eine ganze Zeit lang miteinander. Dann kehrte der Hauptmann zu Jado zurück und hieß ihn aufstehen. »Kommen Sie, wir gehen zu dem Stuhl dort.« Auf Jados Stirn brach der Schweiß aus. Er hatte in der Schule gelernt, daß es auf der Erde eine Methode gab, einen Menschen mittels elektrischem Stuhl hinzurichten. Hieß so ein Gerät nicht »Elektrischer Stuhl«? »Wollen Sie mich dort umbringen?« flüsterte Jado ängstlich. »Nein«, lächelte Solas grimmig. »Das werden wir nicht. Obwohl ich meine, daß eine einfache Hinrichtung für Sie noch viel zu gut wäre.« »Was haben Sie denn vor?« krächzte Jado. Der Hauptmann führte ihn zu einem großen Metallstuhl. Jado erkannte, daß dort zwei Stühle nebeneinander standen, ähnlich einem Doppelthron für König und Königin. »Setzen Sie sich«, befahl Solas. Jado versteifte sich. »Ich – ich will nicht.« »Auf den Stuhl«, befahl der Hauptmann etwas lauter. Er schob den Kurier auf die Sitzfläche. Ein Wächter kam ihm zu Hilfe. »Ich gehe freiwillig«, versprach Jado und setzte sich hin. Der Hauptmann und der Wächter legten Bänder um Jados Brust, Beine und Arme und befestigten sie an dem Metallstuhl. Eine weitere Person tauchte auf, ein dickleibiger Mann mit einem gütigen Gesichtsausdruck. »Major Grof«, wurde der Neuankömmling vom Prinzen angesprochen. »Sie sind soweit?« »Ich kann sofort beginnen«, antwortete Grof. Er lächelte Barin an und blickte fragend auf den Doc. »Das ist Dr. Zarkow«, stellte der Prinz vor. Grofs Augen wurden groß. »Ich habe schon sehr viel von Ihnen gehört, Dr. Zarkow.« »Freut mich«, sagte Doc. Die beiden Männer reichten sich 135
die Hand. Zarkow aber ließ Jado keine Sekunde aus den Augen. Dem Kurier lief es heiß und kalt über den Rücken. Zum erstenmal empfand er Angst. »Sie sind gekommen, um dem Vorgang beizuwohnen, nicht wahr«, sagte Grof einladend. »Ja«, antwortete Zarkow. »Aber mir ist noch nicht ganz klar –« »Sie werden es gleich verstehen«, sagte der Major und rieb sich die Hände. Der Prinz wandte sich an den Major. »Was ist mit dem Gefangenen? Ist er gesichert?« Grof nickte und sah Jado ins Gesicht. Dem Kurier brach erneut der Schweiß aus. »Den Helm, bitte«, befahl der Major dem Wächter. »Jawohl, Sir«, antwortete der Mann und verschwand. Jado blickte ihm nach, bis er aus seinem Blickfeld verschwunden war. »Helm?« fragte Zarkow. »Wozu einen Helm?« Der Prinz lächelte. »Warten Sie ab, Doc.« Der Wächter kehrte mit einem großen Metallhelm zurück, aus dem Dutzende von Drähten hervortraten. Alle diese Verbindungen endeten in einer Metallplatte. Jados Herz hämmerte. »Was ist das?« Der Wächter lächelte. Grof nahm den Helm und setzte ihn dem Kurier auf. »Es ist ganz einfach und tut gar nicht weh. Bleiben Sie nur ruhig sitzen und überlassen Sie alles andere uns. Sie werden nichts spüren.« Zarkow zupfte am Bart. »Wozu, großer Himmel, soll das gut sein, Prinz?« »Fragen Sie doch den Major.« Zarkow wandte sich an Grof. »Wollen Sie es mir jetzt erklären?« »Ich bin ziemlich beschäftigt«, antwortete Grof freundlich. Er wandte sich an den Wächter. »Holen Sie bitte den zweiten 136
Helm.« Der Angesprochene tat wie ihm geheißen. »Zweiter Helm?« fragte Zarkow noch verwirrter. »Würden Sie bitte, Prinz«, bat Grof respektvoll und deutete auf den zweiten Metallstuhl. Barin nickte und setzte sich. Zarkows Augen fielen ihm bald aus dem Kopf. »Barin! Was hat das zu bedeuten? Warum setzen Sie sich auf den zweiten Stuhl?« Der Prinz lächelte. »Es ist alles in Ordnung. Der Major wird Ihnen alles erklären, sobald die Psychoskope eingeschaltet sind.« Zarkow war aus dem Häuschen. »Psychoskope?« Er deutete auf die Computerreihe. »Die gehören auch dazu?« Barin nickte. »Richtig, Doc.« Der Wächter eilte mit dem zweiten Helm heran und setzte ihn vorsichtig dem Prinzen auf. »Geht es so?« fragte er besorgt. »Ja«, antwortete Barin. »Sitzt prima.« »Sehr gut«, sagte der Major. Er eilte zu der Computerreihe und schaltete die Metallplatten mit den Computern zusammen. Zarkow folgte Grof. Jado beobachtete die beiden so lange, bis er sie nicht mehr sehen konnte. Seine Hände zitterten. Daß der Prinz sich in der gleichen Lage wie er befand, beruhigte ihn etwas, reichte aber nicht aus, ihm alle Angst zu nehmen. Was hatte man mit ihm vor? Und was hatte der Prinz damit zu tun? Grof erschien wieder und sah Jado an. »Sitzen Sie bequem?« Jado nickte. »Wollen Sie mich bitte aufklären, was hier vorgeht?« »Nichts Schlimmes. Sie werden sich nicht zu beklagen haben und sich wahrscheinlich später an nichts mehr erinnern können.« »Aber –« »Prinz Barin?« fragte der Major und eilte zum zweiten Stuhl. »Alles in Ordnung«, sagte der Prinz. 137
»Gut.« Grof gab jemandem ein Zeichen, der hinter Jado stand. Der Kurier vermutete, daß es Hauptmann Solas war, weil er ihn nirgends entdecken konnte. Die Maschine hinter dem Gefangenen begann zu brummen. Jados Kopf rutschte unruhig unter dem Helm hin und her. Aber der Eindruck war leicht und nicht unangenehm. Er bemerkte eine beruhigende Vibration im Kopf, sonst nichts. Bald schon verlor er seine Angst. Er konnte noch alles um sich herum erkennen: den Raum, die Elektronik, Zarkow und Grof, die miteinander flüsterten. Wärme strömte durch seinen ganzen Körper, als ob er ein Schlafmittel eingenommen hätte. Langsam verschwanden alle eine Gedanken. Kurz tauchte das Bild von Königin Azura noch einmal vor ihm auf, dann das seiner Mutter, seines Vaters und seiner Wohnung. Endlich lebte er noch einmal seine Kindheit durch. Vor ihm floß ein breiter Strom, an dessen Ufer ein hübsches Haus stand. Blumen und Sträucher wuchsen dort, und im Hintergrund war ein Wald zu erkennen. Er schien ihm vertraut und doch auch wieder fremd. Seine Eltern tauchten auf: die wunderschöne Mutter und der große, kräftige Vater. Dann stand da der Palast. Jado befand sich im Thronraum. Er wurde zum Kriegsherrn und ritt seinen Armeen voran, nachdem die Feierlichkeiten seiner Ernennung beendet waren. Jado wurde der Helm abgenommen. »Nun?« fragte Grof und sah ihn interessiert an. »Nun was?« gab Jado unwirsch zurück. »Irgendwelche Beschwerden?« »Überhaupt keine. Ich hätte mich schon gemeldet.« »Fein«, lächelte der Major. »Erstaunlich«, meinte Zarkow, der hinzugetreten war. »Was ist erstaunlich, Doc«, fragte Grof. »Ich kann einfach nicht glauben was ich gesehen habe.« »Und was ist geschehen?« »Was haben Sie gesehen?« 138
»Mir kommt das alles so seltsam vor.« »Aber wir kennen uns doch, Doc, seit Sie vor sechs Jahren zum ersten Mal auf Mongo landeten. Was ist denn mit Ihnen los?« »Nichts«, sagte Zarkow und zupfte seinen Bart. »Gar nichts.« »Also«, sagte Grof zum Gefangenen, »Sie dürfen aufstehen.« Der Wächter hatte inzwischen die Bänder gelöst. Der Mann stand auf und reckte sich. Nach einem Moment wandte er sich dem zweiten Stuhl zu. »Wie geht es dem anderen?« »Sehr gut«, sagte der Major. »Prima, dann befreien Sie ihn aus dem Helm.« »Jawohl«, sagte Grof. Der Mann erhob eine Hand. »Warten Sie – wann kann Jado ins Königreich der Blauen Magie aufbrechen?« »Sofort«, schmunzelte Grof. »Dann lassen Sie uns keine Zeit verlieren.« Zarkow hatte soeben eines der erstaunlichsten Experimente miterlebt. Jado und Prinz Barin hatten beide einen Helm aufgesetzt bekommen, der an die Computer angeschlossen war. Grof hatte etliche Schalter bewegt. Als Grof fertig war, fand Zarkow endlich Gelegenheit ihn zu befragen. »Es handelt sich um einen Persönlichkeitsaustausch«, flüsterte der Major ihm zu, »und hat etwas mit übersinnlicher Wahrnehmung zu tun. Die Computer laufen auf Hochtouren. Dann wird Jados Persönlichkeit durch das Psychoskop langsam aus ihm entfernt.« »Eine Art Schocktherapie?« fragte Zarkow begierig. »So ähnlich. Aber hierbei ist die Gefahr einer psychischen Störung oder Amnesie aufgehoben. Die ganze Erinnerung wird innerhalb weniger Augenblicke aufgesaugt, mit allen Aspekten, von der Vergangenheit bis zur Gegenwart. Das gleiche widerfährt der zweiten Person. Das Psychoskop tauscht nun die beiden Persönlichkeiten aus.« 139
»Sie meinen, daß in Prinz Barins Körper Jados Persönlichkeit sitzt?« »Genau«, strahlte Grof. »Und im Körper von Jado befindet sich jetzt Barins Persönlichkeit?« »Exakt, mit einer Ausnahme: die Persönlichkeit Jados übernimmt zwar Barins Körper, beherrscht ihn aber nicht. Der Prinz bleibt Herr seines Körpers, sitzt aber gleichzeitig in Jados Körper. Aber er besitzt nun alle Erinnerungen des Kuriers.« »Faszinierend«, murmelte Zarkow. »Experimentell hergestellte Schizophrenie. Und das funktioniert?« »Natürlich.« Grof hatte recht. Jado erhob sich aus dem Sessel und hielt sich für Barin. »Hauptmann«, befahl Grof, »bringen Sie den – äh Prinz zur Kosmetik.« Solas führte den Mann fort. »Nun, der Test ist gelungen«, gab Zarkow zu. »Wo führt er ihn hin?« »In den Kosmetik-Raum.« »Das verstehe ich nicht ganz.« Zarkow grübelte. »Doch, um sein Äußeres umzuwandeln, damit es der neuen Persönlichkeit entspricht.« »Genau, Jado sieht danach wie der Prinz aus.« »Und Barin?« Grof deutete auf den anderen Stuhl. »Fragen Sie ihn doch selbst.« Zarkow wartete, bis Grof den zweiten Mann vom Helm befreit hatte. »Wie war’s Prinz?« Barin lachte. »Alles in Ordnung. Sie machen doch ihre Sache immer gut, Grof.« »Wo wurden Sie geboren, Jado?« fragte der Major. »In Azuria«, antwortete der Mann mit Jados Stimme. 140
Zarkow stutzte. »Unglaublich!« »Wer hat Sie hierhergeschickt?« »Königin Azura.« »War Flash Gordon wirklich mit Ming II. im Palast?« »Ja, ich habe beide gesehen.« Grof nickte. »Gut.« »Was jetzt, Barin?« fragte Zarkow. »In die Kosmetik, nicht wahr, Grof?« lachte der Prinz. »Natürlich.« Zarkow strahlte. »Damit Sie wie Jado aussehen.« »Sie sind ein schlauer Bursche, Doc. Sie sollten Wissenschaftler werden.« »Hören Sie auf, Prinz. Ich finde das nicht komisch.« Aber Barin wurde von einem Lachanfall durchgeschüttelt.
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XVI Königin Azura lehnte sich in den seidenbezogenen Sessel am Speisetisch zurück und beobachtete Ming. Ihr Gegenüber war betrunken und hatte so viel gegessen, daß er ohne Rülpser kein Wort herausbrachte. »Bald schon«, rief er, »werden wir den ganzen Planeten beherrschen, Sie und ich, Azura.« Er warf den Kopf in den Nakken und lachte. Er griff sich eine weitere Kanne Wein und setzte sie an den Mund. Azura unterdrückte ein Gähnen. »Jawohl, Ming. Aber jetzt, mein Bester, wenn du gegessen hast, gehst du wohl besser ins Bett. Du mußt Kräfte sammeln. Prinz Barin wird bald erscheinen. Ich möchte nicht, daß er dich so – äh – nicht ganz auf der Höhe sieht, mein Lieber.« Ming blickte Azura mit stumpfen Augen an. »Ach, zur Hölle mit Barin, Liebste. Wir werden schon mit ihm fertig. Und überhaupt, sobald er in unserer Hand ist«, er lachte und fuhr sich mit dem Zeigefinger um den Hals, »werden zwei Köpfe rollen.« Er lachte auf. »Du betrunkenes Schwein«, preßte Azura hervor. »Wie konnte ich bloß auf dich als Verbündeten kommen?« »Was haben Sie gesagt, Königin?« lallte Ming mit schwerem Kopf, »wass hamm Sie gesaat?« »Mach dir darüber mal keine Kopfschmerzen, mein Bester«, sagte Azura und wedelte mit der Hand. »Ich glaube, du ziehst dich jetzt besser zurück, mein Lieber. Ein harter Tag steht uns noch bevor.« »Und erst die Nacht«, röhrte Ming. Dann kicherte er und stolperte um den Tisch herum auf Azura zu. Die Königin sprang wie von der Tarantel gestochen auf und sah Ming strafend an. »Raus mit dir, oder ich rufe Qilp.« Ming griff nach ihrem Arm. »Was kann der Blödmann Qilp mir schon anhaben, ‘Zura?« 142
Sie konnte sich aus seinem Griff befreien und haute ihm eine runter. »Hau ab, Ming«, zischte sie. »Du bist total besoffen. Geh ins Bett und schlaf erst einmal deinen Rausch aus.« Verblüfft belastete Ming seine getroffene Wange. Mit leeren Augen suchte und fand er die Königin schließlich. »Heh, du kleine Wildkatze, was glaubst du denn, mit wem du es hier zu tun hast? Ich bin Ming, Schätzchen. Nicht irgendein Lümmel der Palastwache, den du gerade favorisierst.« Azura klatschte in die Hände und schob vorsorglich einen Stuhl zwischen sich und ihrem »Liebhaber«. Aber der ließ sich von solchen Hindernissen nicht aufhalten und griff nach dem Cape, das sie über den Schultern trug. Es zerriß unter seinem harten Zugriff und fiel zu Boden. Eine Tür öffnete sich. Qilp stürzte mit einer Lederpeitsche herein. Azura sagte nichts. Sie deutete nur auf Ming, der gerade versuchte, sie anzufassen. Qilps Augen glühten. Er holte blitzschnell aus, und die Spitze der Peitsche klatschte auf Mings Nacken. Der Sohn des ehemaligen Kaisers brüllte vor Schmerz. Er fuhr herum und sah, wie der Zwerg ein zweites Mal die peitsche hob. Ming stieß seinen Kampfruf aus und stürzte sich auf den Gegner. Aber Qilp war so flink wie ein Kaninchen. Er sprang beiseite, hüpfte hin und her und hielt die ganze Zeit über die Peitsche zum Schlag erhoben. »Dich krieg ich, du verkrüppeltes Monstrum!« schrie Ming und griff vergeblich nach ihm. »Ob du mein Vetter bist oder nicht.« Azura zupfte ihr verrutschtes Kleid gerade und verließ leise den Raum in Richtung Schlafzimmer. Dort ließ sie die Tür schwer zukrachen und verschloß sie. Ein weiteres tierisches Gebrüll Mings ließ sich vernehmen. Sie betrachtete sich im Spiegel und lächelte kurz geschmei143
chelt, als schwere Fäuste an die Tür hämmerten. »Laß mich rein«, bat Ming eindringlich. »Was machst du mit mir? Komm, Baby, das war doch eben nur ein Ausrutscher.« »Du hast einen schweren Tag hinter dir, Männlein«, antwortete Azura schnippisch. »Du legst dich jetzt besser hin. Morgen erwartet uns Prinz Barin.« Azura wandte sich wieder dem Spiegel zu. Sie hatte diesen Ming im Moment über, diesen Kindskopf, der sich nur für seine Muskeln und Lenden interessierte. Sie fragte sich, ob es nicht ein großer Fehler gewesen war, Ming heimlich bei sich aufwachsen zu lassen, um ihn später als Herrscher des Planeten einzusetzen. Sollte sie sich besser einen anderen Mann suchen? Sie zuckte die Achseln. Jetzt war es ohnehin zu spät. Wenn Ming doch bloß so ein Mann wie Flash Gordon wäre. Aber das war diese Flasche natürlich nicht. Einige Zeit später klopfte es diskret an der Tür. »Wer ist da?« fragte Azura vom Bett aus, auf dem sie lag. »Jado, Eure Majestät.« »Oh, mein Kurier.« Sie sprang auf und öffnete die Tür. Vor ihr stand der Mann, den sie zu Barin geschickt hatte, und sah sie an. »Komm herein«, sagte sie, und Jado folgte. Sie schloß die Tür. »Nun?« fragte sie. Jado trat näher. »Die Botschaft wurde übergeben, Eure Majestät.« »Beweise es mir.« Jado lächelte. Seine Augen ruhten offensichtlich mit Wohlgefallen auf ihr. »Sie können es glauben, Eure Majestät, weil ich es sage, oder halten Sie mich für einen Idioten?« »Warum sollte ich?« »Ich überbrachte die Botschaft an den Richtigen und floh dann, Eure Majestät.« Jado verbeugte sich. »Du amüsierst mich. Vielleicht bist du doch kein Idiot.« 144
»Ganz sicher nicht.« »Und was ist mit dem Prinzen?« »Er hat die Botschaft empfangen und wird kommen.« »Bist du dir da sicher?« »Majestät, da ich mir den Inhalt der Botschaft in etwa denken konnte und wußte, was Sie wollen, lauschte ich der Diskussion, die nach dem Empfang der Botschaft ablief.« »Du bist ja ein ausgefuchstes Bürschchen, Jado.« »Er kommt morgen früh – er zieht durch die Große MongoWüste.« »Exzellent, Jado, ganz exzellent. Kommt er allein?« »Er beriet sich mit seinen Ministern. Sie gaben ihm den Rat, dem Brief Folge zu leisten, damit Flash Gordon gerettet werden könne.« »Aha. Und was hat er hier vor?« »Das weiß ich leider nicht.« »Dann werde ich ihn sofort bei Erscheinen festnehmen lassen.« Jado verbeugte sich nochmals. »Jado, wie bist du denn entkommen?« »Von Arboria?« »Ja.« »Auf dem gleichen Weg, den ich gekommen bin.« »Durch die Große Mongo-Wüste?« »Nein. Durch die Bergwerke.« »Oh, das war aber schlau.« »Ja, Majestät.« »Bist du auf Arborier gestoßen?« »Einer hielt mich an, und ich habe ihn erledigt.« Jado lächelte kurz. »Nein, ich meine im Palast.« »Niemand hat mich dort gesehen.« »Wie heißt unser Informationsminister?« fragte Azura plötzlich. 145
»Fraj, Eure Majestät«, sagte Jado amüsiert. Die Königin lachte. »Ich bin in allem mißtrauisch, was mit den Arboriern zu tun hat, Jado. Ich wollte dich testen, um festzustellen, daß man dich nicht umgedreht hat – oder gar getötet, und einen anderen an deiner Stelle geschickt hat.« »Diese Vorstellung belustigt mich, Eure Majestät.« »Ist es denn so undenkbar?« »Habe ich den Test bestanden?« »Du hast«, sagte die Königin. »Du darfst dich zurückziehen.« Jado nickte und verbeugte sich. »Du gefällst mir, Jado«, sagte die Königin plötzlich. »Ich werde dich für deine Tat belohnen. Halte dich immer in meiner Nähe auf.« »Jawohl, Eure Majestät«, strahlte der Kurier. Azura strich ihm über die Wange. »Geh jetzt, Jado.« Er verbeugte sich ein letztes Mal und zog sich zurück. Die Königin legte sich wieder aufs Bett und dachte nach. Jado war ganz sicher ein intelligenter Mann. Er hatte sich bei seiner Aufgabe sehr geschickt angestellt. Vielleicht war er auch für andere Gelegenheiten nützlich. Vielleicht war er aber auch zu schlau. Möglicherweise hatte er sich nur so clever angestellt, um befördert zu werden und dann aus einer besseren Position heraus gegen die Königin zu intrigieren. Es gab ständig Männer, die sich gegen sie verschworen. – Und Ming, was würde er von Jado denken? Nicht ohne Belustigung stellte sie sich vor, wie diese beiden Männer um sie kämpfen würden, denn es war der Königin nicht entgangen, daß sie Jado in ihrer Eigenschaft als Frau nicht gleichgültig war. Azura wollte Jado im Auge behalten. Vielleicht ließ sich mit ihm etwas anstellen, wenn sie sich mit Ming überwarf. – Und wenn er doch von Prinz Barin bestochen war. Wenn man Jado umgedreht hatte. Die Wissenschaftler Arborias waren nicht viel schlechter als ihre eigenen. Sie mußte Jado ganz genau im Au146
ge behalten. Azura stand auf und schaltete das Vidphon ein. »Ming!« rief sie und wartete, bis sein Gesicht erschien. »Heh«, brummte er. »Was ist los, warum haben Sie mich geweckt?« »Wach auf, du Idiot, Prinz Barin ist auf dem Weg zu uns, durch die Große Mongo-Wüste.« »Sie spinnen. Lassen Sie mich schlafen.« »Zieh deine Soldaten zusammen und fang ihn ab. Oder du landest im Kerker.« »Mein Gott, rutschen Sie mir doch den Buckel runter.« »Mach schon, los, oder du wirst in Eisen gelegt.« »Jawohl, Eure Majestät«, murrte Ming mit haßerfüllten Augen.
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XVII Am Eingang zur Caverna Gigantea wartete im Morgengrauen Ming II. mit etlichen Soldaten. Das Vidphon meldete sich. Trotz seiner Kopfschmerzen konzentrierte Ming sich auf den Bildschirm. Königin Azuras Gesicht erschien. »Ming!« herrschte sie ihn barsch an. »Wo steckst du?« »Hier, Königin, am Höhleneingang«, brummte der Angesprochene. »Wir erwarten Prinz Barin noch vor Sonnenaufgang. Könnt Ihr ihn schon ausmachen?« »Nein, aber wir halten Augen und Ohren offen.« »Gut, mach weiter so.« Ming verzog ärgerlich das Gesicht, als die Königin sich ausgeschaltet hatte. Aufdringliche Person, schimpfte er in Gedanken. Es war ein Fehler, sie die ganze Zeit alles leiten zu lassen. Er hätte schon vor Jahren aus Azuria fliehen und nach Mingo zurückkehren sollen. Dort hätte er eine Armee aufstellen und die Regierung des Freien Rates verjagen können. Dann wäre er schon längst Kaiser. Er hätte schon genug Gefolgsleute gefunden. Aber Ming hatte sich von Azura bevormunden und für ihre Pläne benutzen lassen. Das ganze Übel konzentrierte sich in der Person der Königin. Sie war egoistisch, eitel und dumm. Sie hielt sich für schlauer, als sie war. Und sie liebte es, ihre Macht zu zeigen, vor allem, wenn sie einen Mann als Dummkopf hinstellen konnte. Trotz all ihrer Abweisungen wußte Ming, daß er ein weitaus annehmbarer Bewerber war als die Tölpel, die sie sonst umschwärmten. Wie zum Beispiel dieser Zwerg, sein Vetter. Aber vor Qilp mußte er auf der Hut sein. Er war ein wahrer Teufel. Ein Agent des Bösen, ein Mann, dem alles zuzutrauen war. Aber eines Tages … 148
Ming zitterte, eine Nachwirkung seines enormen Alkoholkonsums in der vergangenen Nacht. Wieder so ein scheußlicher Tag, dachte er voll düsterer Vorahnungen. »Ming!« Ein Soldat nähert sich und deutete aus der Höhle heraus. Der Kaisersohn sprang auf und spähte in die angegebene Richtung. In einiger Entfernung ließ sich ein Mann auf dem Felsenweg zur Höhle ausmachen. »Prinz Barin«, flüsterte Ming. Er konnte den Mann zwar nicht genau erkennen, aber es konnte ja nur der Betreffende sein. »Er trägt eine weiße Flagge«, rief ein anderer Soldat. »Gut«, sagte Ming. »Er befolgt also die Anweisungen. Wir warten noch.« »Warten?« »Ja. So lange, bis wir sicher sind, daß er allein ist.« »Jawohl, Ming.« »Wenn wir uns vergewissert haben, schnappen wir ihn.« Die Wächter verharrten in ihrem Hinterhalt, während Ming unruhig in der Höhle auf und ab ging. Nach einigen Minuten stand Prinz Barin vorm Höhleneingang und schwenkte die weiße Flagge. »Azurianer, ich bin Prinz Barin und begebe mich in Eure Obhut.« Ming stand auf und sah in das gerade einsetzende Tageslicht hinaus. »Sind Sie allein?« »Das bin ich.« »Treten Sie näher, Prinz Barin«, sagte Ming und unterdrückte ein Lächeln. Der Mann trat durch den Höhleneingang. Als er drinnen war, sprangen die Soldaten auf und ergriffen ihn. »Was soll das bedeuten?« fragte der Prinz. »Seht nach ob er bewaffnet ist«, befahl Ming. 149
Die Wächter filzten Barin. »Keine Waffen, Ming.« »Oh«, sagte Prinz Barin, »das ist ja Ming, Mings Sohn. Dann stimmen die Gerüchte also doch. Sie arbeiten mit Königin Azura zusammen?« »Das ist richtig, und ich bin Mings Sohn.« »Also hier bin ich. Jetzt sind Sie dran. Lassen Sie sofort Gordon frei.« Ming prustete los. »Wir sind dran? Sie Idiot. Glauben Sie ein Kaisersohn läßt mit sich handeln?« »Irrtum!« grollte Barin. »Sie sind der Sohn eines Kaisers, aber noch lange kein Herrscher!« »Nein? Dann passen Sie mal auf: ich werde Sie und Flash Gordon als Entschädigung für den geraubten Thron umbringen!« »Ihr Vater verlor den Thron, Ming, nicht Sie.« Barin versuchte sich von den Soldaten zu befreien. »Lassen Sie mich frei und erfüllen Sie ihren Teil des Abkommens.« »Ein Kaiser trifft kein Abkommen mit einem Fliegenschiß.« Prinz Barin konnte sich befreien und schoß auf Ming los, um seine Faust in dessen Gesicht landen zu lassen. Aber Ming hob sein Strahlengewehr und hieb Barin den Kolben auf die Nase. Aufstöhnend fiel der Prinz zurück, den Soldaten direkt in die Hände. »Das wird dich lehren, die Hand gegen einen Kaiser zu erheben«, sagte Ming. Dann wandte er sich an die Soldaten. »Bindet ihn und schafft ihn fort. Aber paßt auf, ich traue ihm nicht. Vielleicht lauern draußen seine Truppen. Macht schon, ihr lahmen Säcke.« Ming schaltete das Vidphon ein. »Königin Azura«, rief er hinein. Ihr Gesicht erschien. »Ja, Ming?« »Wir haben ihn«, grinste Ming. »Er lief uns direkt in die Falle.« »Sehr schön. Bringt ihn in den Palast, damit wir weiterma150
chen können.« »Jawohl, Eure Majestät«, sagte Ming und verbeugte sich zum Abschied. Er geriet wieder ins Grübeln. Konnte er der Königin trauen? Sie hatte zwar gesagt, sie wolle Flash Gordon töten, aber Ming wußte, daß sie diesen Erdling einmal geliebt hatte. Ob sie ihn immer noch liebte? Plante sie etwa einen schmutzigen Trick mit Ming? Wollte sie gar Flash Gordon zum Gemahl nehmen und Ming töten? Diese Schlampe, dachte Ming, er würde gewarnt sein, aber er mußte es erst einmal auf sich zukommen lassen. Er beobachtete die Wachen, wie sie den Prinzen fortschleppten. Der Kerker befand sich direkt unter den Gemächern der Königin. Die Mauern waren so breit wie ein ausgewachsener Mann und enthielten nur kleine Fenster, die mit unzerstörbaren Duroplast-Gittern gesichert waren. Die Folterkammern lagen nicht weit vom Kerker entfernt. Von den Wänden hingen dort Eisenketten herunter, an die die Gefangenen gefesselt wurden. An einer Wand war ein Gestell aufgebaut, das an einen Computer angeschlossen war. Auch von der Decke hingen Stricke und Ketten, an denen Gefangene aufgehängt werden konnten, ohne daß ihre Füße den Boden berührten. Einige »eiserne Jungfrauen« standen dort neben einem Tisch, auf dem Daumenschrauben, Gelenkpressen und ElektroschockApparate lagen. Ming folgte den Wachen, die Barin an eine Deckenkette hängten. Die Arme des Prinzen wurden lang, aus den Händen verschwand das Blut. Ming lächelte zufrieden. Er schlenderte auf die baumelnde Gestalt zu. »Prinz«, höhnte Ming. »Jetzt wissen Sie auch, was es heißt, ohne Reich zu sein. Jetzt wissen Sie, was in mir vorgeht – was mich in all den vergangenen Jahren schmerzte.« Barin verzog das Gesicht. »Lassen Sie mich runter. Das ver151
stößt gegen das Abkommen. Es ist nicht fair.« »Fair? Unfair? Nichts als Worte, Prinz«, philosophierte Ming spöttisch. »Das Gesetz besteht zu neun Zehntel aus der Macht des Herrschers. Wir haben Sie und Flash Gordon in unserer Gewalt. Und kein Lösegeld dieser Welt kann Sie daraus befreien. Der Freie Rat ist ohne Sie kopflos. Er wird wie ein Kartenhaus zusammenbrechen, wenn wir angreifen. Dann werde ich der Kaiser des Reiches sein, das meinem Vater gestohlen wurde.« Prinz Barin ächzte. »Es wurde nicht gestohlen. Das Volk rebellierte gegen die Tyrannei Ihres Vaters. Es schüttelte sein Joch ab, um die Freiheit zu erlangen. Sehen Sie doch den Tatsachen ins Auge, Ming. Wenn Sie das Volk genauso knechten wollen wir Ihr Vater, wird man auch Sie stürzen.« »Mich nicht«, sagte Ming. »Ich habe die Geschichtsbücher studiert. Mein Vater war ein Dummkopf, von Idioten und Blendern beraten. Feiglinge kommandierten seine Armeen. Ich werde sie in Zukunft anführen. Ich werde der größte Kaiser sein, den Mongo je sah.« »Sie sind ein gefährlicher Irrer, Ming«, sagte der Prinz und verzog das Gesicht, als er wegen dieser Antwort gepeinigt wurde. »Idiot!« brüllte Ming und sagte zu den Wachen: »Paßt auf ihn auf. Ich kümmere mich inzwischen um Flash Gordon.« Urplötzlich wurde es still im Raum. Eine Tür hatte sich geöffnet. Ming wirbelte herum. Azura und Qilp standen dort, und die Königin sah böse aus. »Na, hat dich der Hafer gestochen, Ming?« zischte sie. »Ich habe befohlen, ihn einzusperren. Von Folter war keine Rede.« Ming straffte seine Gestalt und trat einen Schritt auf die Königin zu. »Was macht das für einen Unterschied, weise Herrscherin? Ich habe es satt, immer nach Ihrer Pfeife zu tanzen. Dieser Mann hier, Barin, ist dafür verantwortlich, daß ich im Exil leben muß und um mein Erbe betrogen wurde.« 152
»Dein Vater trägt selbst die Schuld daran, nicht Prinz Barin.« Ming konnte sich nur noch mühsam beherrschen. »Was streiten wir uns überhaupt? Wir haben Flash Gordon und Prinz Barin. Ob wir sie gleich töten oder vorher noch etwas foltern, was spielt das schon für eine Rolle? Alles, was wir jetzt tun, kann uns egal sein, uns steht ja nichts mehr im Wege. Wir brauchen nur dem Freien Rat zu sagen, daß wir den Prinzen haben und sie sich ergeben sollen. Dafür brauchen wir nicht einmal Soldaten.« Azura starrte ihn an. »Du läßt beide in Ruhe, verstanden!« »Sie begehren den Erdling immer noch, nicht wahr, Eure Majestät? Deshalb darf ich ihm auch kein Härchen krümmen. Ich könnte ja einige wichtige Teile bei ihm beschädigen.« Ming brüllte vor Lachen. Azura betrachtete ihn nur angeekelt. »Schon gut«, lenkte Ming ein. »Ich verspreche, daß ich Ihren Liebling nicht berühren werde. Sie können ihn haben und mit ihm treiben, was Ihnen beliebt. Sie können ihn sogar als Schoßhündchen halten, wenn wir zusammen Mongo beherrschen.« »Halt die Klappe, du Scheusal!« schrie Azura. »Ich rede hier von Politik. Aber davon hast du Armleuchter ja keine Ahnung. Hau jetzt ab und laß die Gefangenen in Ruhe. Ich habe andere Pläne mit ihnen.« Ming verzog den Mund. »Das glaube ich, daß Sie andere Pläne haben. Besonders mit einem von beiden, was?« Azura holte aus, um Ming ins Gesicht zu schlagen, überlegte es sich aber wieder anders. »Raus mit dir«, sagte sie gefährlich leise. »Wachen, verlaßt mit eurem Anführer den Raum.« Ming sah die Königin von oben bis unten an. »Geh’n wir Leute. Die Königin mag uns nicht.« Er ging zur Tür und drehte sich dort noch einmal zu Barin um. »Sie gehört Ihnen, Prinz.« Noch eine ganze Zeit hörte man auf dem Gang Mings Gelächter. 153
Die Königin starrte auf Barin und verbarg dann ihr Gesicht, weil sie ihren Zorn kaum noch beherrschen konnte. »Eure Majestät«, krächzte der hängende Prinz. Sie sah ihn an. »Ja?« »Sie müssen Flash Gordon freilassen. So sagt es das Abkommen.« Azura starrte erst ihn an und sah dann zur Tür. »Abkommen sind dazu da, um nicht eingehalten zu werden.« Sie lächelte, als sie nochmals zur Tür sah. »Bei allen Abkommen ist das so …«
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XVIII Prinz Barin betrachtete sich in einem Spiegel. Er staunte erneut darüber, welche hervorragende Arbeit die Kosmetik-Abteilung seines Königreiches geleistet hatte. Er sah wirklich aus wie Jado. Er hatte wirklich Glück gehabt, daß die Königin an ihm interessiert war. Zumindest sollte er sich in ihrer Nähe aufhalten. Er hatte Fraj, den Informationsminister, angerufen und sich unauffällig im Palast umgesehen. Aber er wußte nicht, wo er suchen sollte. Er hatte herausbekommen, daß Flash irgendwo in einem wissenschaftlichen Labor untergebracht war. Also konzentrierte der Prinz seine Nachforschungen auf diesen Teil des Palastes. Die Wissenschaftler bewohnten vier Etagen in der Nähe der königlichen Gemächer. Sie wurden von allen sehr geachtet. Barin hatte die erste Etage bereits hinter sich. Sie war mit Militärtransportern angefüllt gewesen. In der zweiten Etage stieß der Prinz auf einen Wachposten. Er zückte Jados ID-Karte und konnte passieren. Dieses Stockwerk enthielt Tische mit Reagenzgläsern und anderen Versuchsanordnungen. Barin jubelte innerlich auf: hier mußte Flash irgendwo sein. Zwei Wissenschaftler sahen von ihrer Arbeit auf, als er an ihnen freundlich grüßend vorbeiging. Er erreichte einen Raum, der nur Schränke enthielt. Der Prinz blieb stehen und studierte die Schildchen auf den Schubladen. NC 17 G NER CN5 PAZ KE 98 RAK PRO FM 116 EXP JG34 NER
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Barin stutzte. »NER«, stand das für Nervengas? Wahrscheinlich. »PAZ«, hm. »RAC PRO«, sicher ein Raketenantriebsstoff. »EXP« bedeutet wohl Explosivstoffe. »PAZ«. – »Pazifistendunst«? Prinz Barin ging an den Schränken entlang. Niemand sah ihn. Er zog eine Schublade auf. Sie enthielt Schalen und Flaschen mit der Aufschrift CN5, CN6? CN13. Barin nahm ein Fläschchen heraus. Was mochte »CN« bedeuten. Er legte es wieder zurück, verschloß die Schublade und ging weiter. Am Ende des Zimmers stieß er auf das Schildchen ZAP 5 NC. Plötzlich wurde ihm alles klar. Er öffnete die betreffende Schublade und nahm eine Flasche heraus. ZAP 5 NC, rückwärts gelesen hieß es: CN 5 PAZ. Bedeutete das, daß es sich hier um das Gegenmittel handelte? Barin ließ die kleine Flasche in einer Tasche verschwinden und bemühte sich, schnell den Raum zu verlassen. Ein Wissenschaftler kam den Gang herunter. Der Prinz lächelte und drehte sich herum, um in den Raum zurückzukehren. Aber die Tür öffnete sich von allein, und zu Barins größter Überraschung stand er der Königin gegenüber. »Jado«, sagte sie. »Was treibst du hier?« »Sie befahlen, ich solle immer in Ihrer Nähe sein, Hoheit«, sagte Barin. »Ja, das befahl ich. Aber du sollst den Befehl nicht so wörtlich nehmen. Ich meinte, du sollst dich zu meiner Verfügung halten. Interessierst du dich für Forschungsarbeiten?« »Etwas schon, Majestät«, sagte der Prinz und umfaßte die Flasche in seiner Tasche. »Faszinierend ist es schon«, sagte sie sanft. »Da du schon einmal da bist, kannst du mir vielleicht helfen.« »Zu Ihrer Verfügung, Majestät«, sagte der Prinz, obwohl er am liebsten davongelaufen wäre. »Folge mir«, sagte die Königin und führte ihn an den Schränken vorbei bis zu dem der das »CN 5 PAZ« enthielt. Sie 156
nahm ein Fläschchen heraus. »Zeit zum Mittagessen für unsere Gefangenen«, schmunzelte sie. »Du könntest mir bei der Fütterung helfen.« »Wie Sie befehlen.« »Weißt du, was du tun mußt?« »Ich kann es nur vermuten.« »Also, das hier ist die Droge, die aus einem Mann einen Feigling macht. Gibt man das Zeug seinem Essen bei, bemerkt er nichts. Es ist geschmack- und geruchlos. Aber wenn er aufgegessen hat, ist aus ihm ein Angsthase geworden.« Azura lachte. »Aha«, sagte Barin mit Jados Stimme. »Deshalb ist der Erdling so hilflos geworden. Ich hörte, daß Ming II. mit ihm seine Späße treibt.« Azuras Blick wurde finster. »Ja, Ming peinigt ihn. Ich mag es nicht, auch wenn Ming ihn bis jetzt noch nicht ernstlich verletzt hat. – Glaubst du, du kannst Flash Gordon füttern?« »Natürlich, Majestät, ich werde seine Mahlzeit zubereiten.« »Tu’s aber nicht in der Zelle selber. Das könnte gefährlich werden.« »Ich passe schon auf.« Die Königin führte Jado zurück auf den Gang. »Diene mir treu, und ich werde dich nicht vergessen.« »Ich stehe immer zu Ihren Diensten, Hoheit.« Azura lächelte und verschwand. Barin verschwand in der anderen Richtung, hinab in den Kerker. Vor dem Kerker traf der Prinz auf einen Wachposten. »Wächter, die Königin hat mich beauftragt, dem Gefangenen Flash Gordon das Essen zu bringen. Führen Sie mich zur Zelle, bitte.« »Sehr wohl«, sagte der Wächter und kontrollierte Jados IDKarte. »Hier entlang, bitte.« Barin folgte dem Wächter bis zu einer größeren Zelle. Ein winziges Türfenster war verschlossen. 157
»In Ordnung, Wächter«, sagte der Prinz. »Lassen Sie mich allein.« »Jawohl«, murmelte der Mann und zog sich zurück, nicht ohne eine Verbeugung gemacht zu haben. Barin sah sich blitzschnell um und holte das Fläschchen mit dem ZAP 5 NC hervor. Er goß etwas von dem Inhalt auf den Teller, schob die Zellentür auf und trat ein. Dunkelheit herrschte in der Zelle, nur ein schwaches Licht brannte an der Decke. Erst nach einigen Sekunden hatten sich Barins Augen an die schlechten Lichtverhältnisse gewöhnt. »Wer ist da?« fragte eine jämmerliche Stimme aus einer Ekke. Der Prinz erschrak über den Tonfall. Sicher, es war unverwechselbar Flashs Stimme, aber dieses Jammern darin … Barin entdeckte den Gefangenen, gefesselt und mit schmutzigem nacktem Oberkörper. Der große Mann verbarg sich in einer Ecke und hatte offensichtlich Angst vor dem Prinzen. »Was wollen Sie?« winselte Flash. Oh, könnte ich mich dir zu erkennen geben, dachte Barin. Das würde alles viel einfacher machen. Aber jetzt noch nicht, mein Freund. Die Zeit ist noch nicht reif. »Ich bring’ dir was zu essen, Erdling. Hier, stärke dich. Vielleicht macht es einen Mann aus dir.« »Ich mag nicht«, flüsterte Flash. »Ich hab’ keinen Hunger.« Der Prinz beugte sich über Flash. »Iß, du Idiot, oder ich stopfe es dir rein.« Flash ließ den Kopf sinken. »Nein, bitte.« »Willst du nun essen? Oder soll ich es dir vorkauen?« »Gut, gut, ich esse. Bitte beruhigen Sie sich.« Barin reichte Flash das Essen und murmelte zu sich selbst: »Tut mir leid, alter Freund. Ich wünschte, ich könnte dir sagen, daß ich Barin bin und daß ich dir helfen will. Aber ich weiß nicht, ob das Gegenmittel wirkt.« »Na, wie schmeckt’s, Feigling?« sagte Barin laut mit Jados 158
Stimme. »Gut, sehr gut.« »Die Königin wird sich darüber freuen«, sagte der Prinz sarkastisch. »Königin Azura?« fragte Flash verwirrt. »Ja«, lachte Barin, »ist sie nicht eine schöne Frau?« »Oh, ja«, sagte Flash und stellte den leeren Teller auf den Boden. »Da, Sie können ihn wieder mitnehmen. Ich bin fertig.« »Sehr schön, bist ein braver Junge.« »Ja«, lächelte Flash. Der Prinz nahm das Geschirr, verließ die Zelle und öffnete die Tür. Jemand kam auf ihn zu – Königin Azura! Sie starrte Jado mißtrauisch an. »Du bist ja immer noch da, Jado. Ich habe dir nicht befohlen, ihm jeden Löffel voll in den Mund zu schieben. Ich sagte bloß, du sollst ihm das Essen bringen. Du arbeitest nicht sehr schnell.« Der Prinz versuchte in den Augen der Königin zu lesen. Sie war verärgert, daß er noch hier war, und mißtraute ihm wieder. Er hatte sich hier zu lange aufgehalten. Aber warum wollte sie zu Flash? Was steckte hinter diesem Besuch. Es lag etwas in der Luft. Barin fühlte sich unbehaglich. »Ich möchte mit dem Gefangenen allein sein«, sagte die Königin. »Sorge dafür, daß niemand den Kerker betritt, Jado. Auch Ming darf nicht herein.« »Der große Ming?« fragte Barin verwundert. »Ja, jetzt geh und bewache den Flur. Hast du mich verstanden?« »Jawohl, Majestät, Ihr getreuer Diener.« Der Prinz eilte davon und tat, wie ihm geheißen. Er hörte, wie die Zellentür sich öffnete, als Azura zu Flash Gordon ging. »Allein mit dem Gefangenen«, dachte Barin. Das konnte gefährlich werden. Was, wenn die Wirkung des Gegenmittels jetzt schon einsetzte? Sie würde sofort Jado verdächtigen. Ba159
rin mußte sofort etwas unternehmen, sonst war sein Leben keinen Mongo-Pfifferling mehr wert. Barin zuckte die Achseln. Was sollte er bloß tun? Der Prinz verschränkte die Arme vor der Brust und überlegte. Wollte Azura Flash Gordon umbringen? War das ein Teil ihres Plans? Um Ming zufriedenzustellen? Aber Ming durfte ja das Gefängnis nicht betreten. Der Prinz wußte sich keinen Rat mehr. »Ich kann nur hoffen, daß das Gegenmittel noch nicht wirkt«, sagte er laut. Plötzlich fröstelte Barin. Er wünschte, er wüßte, was in der Zelle vor sich ging.
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XIX Königin Azura starrte Jado nach. Zu dumm, dachte sie. Niemand durfte von ihrem Besuch bei Flash Gordon erfahren. Vor allem durfte Ming davon nichts wissen. Sie seufzte. Jado würde sterben müssen, damit das Geheimnis nicht verraten werden konnte. Was mochte er so lange bei Flash Gordon gemacht haben? Sie betrat Flashs Zelle. Der Gefangene hatte sich in eine Ekke verkrochen und war noch ganz verwirrt von Jados Besuch. »Nun lauf nicht gleich wieder weg«, sagte sie im Befehlston, als sie auf ihn zutrat. Aber Flash preßte sich noch mehr in die Ecke. Sie berührte seine Schulter. »Hab keine Angst vor mir. Ich bin dein Freund«, flüsterte sie ihm zu. Und Flash wandte tatsächlich das Gesicht ihr zu. »Sie sind die Königin.« »Ja, und niemand soll von diesem Besuch erfahren. Ich möchte mit dir reden.« »Ich mag aber nicht reden.« »Bitte, versuch es doch.« Flash schien nachzusinnen. Dann sagte er: »Also gut.« »Das hört sich schon besser an, Flash.« Sie betrachtete voller Bewunderung seinen muskulösen Oberkörper. Sie verglich ihn mit Ming. Und der Vergleich fiel nicht zu Mings Gunsten aus. »Wir kennen uns doch schon lange, Flash«, sagte Azura eindringlich. »Ja«, stimmte Flash unterwürfig zu. »Wir sind doch die alten Freunde geblieben, was?« »Was meinen Sie damit?« »Ich wußte immer, daß du mich magst, auch wenn du das abstreitest.« »Vielleicht.« 161
»Und ich glaube, es ist mehr als ein ›Mögen‹, Flash. Als wir und das erste Mal trafen, dachte ich, es wäre eine Begegnung für immer.« »Oh.« Azura wurde ungeduldig, da er sich so hartnäckig weigerte, über Gefühle zu sprechen. Aber sie wehrte den aufkommenden Ärger ab. »Die Zeiten haben sich geändert, aber ich empfinde noch immer dasselbe für dich, Flash.« »Das ist interessant«, gab er zurück. »Interessant! Was bist du bloß für ein Mann? Ich spreche von Liebe – von meiner Liebe zu dir. Bist du normal, oder vielleicht andersherum veranlagt?« Flash schüttelte den Kopf. Er beobachtete sie. Er schien ihr verändert, aber sie wußte nicht wieso oder warum. »Ich bin die Königin der fortgeschrittenen Kultur auf Mongo, von Azuria.« Flash nickte. »Seit einiger Zeit habe ich vor, einen Gemahl zu erwählen.« Keine Reaktion bei Flash. »Aber der Mann, den ich aussuchte, ist es nicht wert, König von Azuria zu werden.« Azura bewegte sich näher an Flash heran. »Ich will lieber dich.« Flash starrte sie unbewegt an. »Sie waren immer ein Feind meiner Freunde auf Mongo.« »Aber das läßt sich doch wieder einrenken.« Seine Kühnheit erschreckte sie. »Dann lassen Sie Prinz Barin frei.« Azura war zunächst sprachlos. Dann sagte sie: »Ich lasse ihn gehen, wenn du dafür mein wirst und König dieses Reiches.« Flash sah sie an. Er schien nicht mehr so viel Angst zu haben. Azura fragte sich, ob die Wirkung der Droge nachließ. Aber nein, nach so kurzer Zeit konnte sie noch nicht abgeklungen 162
sein. »Wenn Sie ihn freilassen und ich das mit eigenen Augen sehe, dann vielleicht«, sagte Flash langsam. »Nein! Erst heiraten wir, dann kann der Prinz gehen«, sie beherrschte sich nur mühsam. »Dann eben nicht!« Sie sprang auf die Füße. »Du Dummkopf, warum bist du so dickköpfig? Stimmt etwas nicht mit mir? Bin ich häßlich oder verwachsen? Weißt du nicht, daß ich die schönste Frau auf Mongo bin?« Flash lächelte nur. »Ich töte dich, wenn du dich weiterhin weigerst.« »Du bist schön, und ich nicht blind. Aber ich kann dich nicht heiraten, Azura, weil ich dich nicht liebe.« »Liebe«, kreischte die Königin. »Liebe gibt es nur in Büchern. Aber wir zwei passen einfach zusammen. Du bist ein Idiot, wenn du das nicht siehst!« »Ich bin lediglich ehrlich. Wir würden uns nur andauernd streiten.« »Nein, ich kann auch sehr lieb sein.« »Was ist zwischen Ihnen und Ming vorgefallen, Königin?« Sie starrte ihn aufgebracht an, dann sagte sie: »Er ist ein Kerl ohne Hirn. Es war ein großer Fehler von mir mich mit ihm einzulassen. Er kann kämpfen und so weiter, aber er benimmt sich wie ein Elefant im Porzellanladen.« Flash lächelte immer noch. »Mach dich nicht über mich lustig. Vielleicht wird er doch König, und dann ist dein Leben verwirkt.« Flash trat auf sie zu. »Du würdest mich töten, wenn ich nicht will, nicht wahr?« »Ja«, schrie sie. »Du wärst nutzlos für mich. Prinz Barin erwartet in Ketten seinen Tod. Wenn Ihr beide beseitigt seid, gehört erst Arboria und dann Mongo uns.« »Dein Abkommen mit dem Prinzen war Betrug!« 163
»Natürlich«, sagte die Königin ruhig. »Ein Spatz in der Hand –« Blitzartig packte Flash Azura mit den Händen und lachte: »– ist besser als zwei auf dem Dach! – Bring mich zu Prinz Barin. Wir werden ihn jetzt aus der Gefangenschaft entlassen.« »Laß mich los, du Scheusal!« schrie die Königin. »Wie kannst du es wagen –?« Plötzlich stutzte Azura. Was war mit Flash Gordon geschehen? Was war mit dem »Pazifistendunst«? Er machte gar nicht den Eindruck eines Feiglings. »Ich wiederhole mich nicht gern«, sagte Flash mit schneidender Stimme. »Bring mich zum Prinzen, oder ich breche dir den Arm.« Die Königin bekam Angst. »Was, was ist los mit dir?« »Ich fühle mich wie neugeboren. Deine Droge hat versagt.« Azura kreischte laut um Hilfe, und Flash brachte sie mit einem Schlag zum Schweigen. »Ruhig, Majestät. Wenn jemand kommt –« Aber Azuras Ruf wurde nicht beantwortet. »Also, jetzt gehen wir zu Barin.« »Nein, ich weigere mich. Ich werde Wachen rufen, und die töten dich.« »Nicht wenn sie sehen, daß du in meiner Gewalt bist und ich dich töte, falls sie mir zu nahe treten.« Azura verlor ihren Mut. »Also gut, wir gehen.« »Das werden wir.« Flash schob sie zur Zellentür. »Den Schlüssel, und keine Tricks.« »Ich mache keine Tricks«, sagte sie. Sie wühlte in einer kleinen Handtasche, die sie mit sich führte. Tränen traten in ihre Augen und rannen die Wange herunter. »Du tust mir weh, Flash«, weinte sie. Aber Flash ließ sie nicht los. Plötzlich hatte sie ein kleines Messer in der Hand und stach auf seine Brust ein. Flash ließ sie los und trat einen Schritt zurück, um sich in Sicherheit zu bringen. Das nutzte Azura, um aus der Zelle zu entweichen und blitzschnell die Tür abzu164
schließen. Wütend ballte Flash die Fäuste. »Für diesen Ungehorsam wirst du mit dem Leben bezahlen, mein Liebling.« Flash ließ alle Hoffnung fahren. »Jado«, rief sie. »Komm her, ich habe eine Aufgabe für dich.« Der Kurier antwortete und eilte zu ihr. »Jado«, sagte sie, »die Pläne haben sich geändert. Der Erdling wird sofort hingerichtet. Laß sofort ein Exekutionskommando aufstellen.« »Jawohl, Majestät.« Jado spähte in die Zelle und entdeckte Flash Gordon. »Mach schon, Jado«, befahl Azura, »beeil dich ein bißchen.« Sie wandte sich von ihm ab. »Jawohl, Majestät«, wiederholte der Kurier, doch mit fremder Stimme. Azura verwirrte der fremde Klang. Sie überlegte noch, als sie Jados Arm um ihren Hals fühlte. Ein Knebel wurde ihr in den Mund geschoben. Sie wollte um Hilfe schreien, konnte sich aber nicht verständlich machen. »Majestät müssen verzeihen«, sagte Jado lächelnd. Die Königin versuchte, sich aus seinem Griff zu befreien. Sie trat ihm ans Scheinbein und versuchte, ihn mit ihren hochhackigen Schuhen zu treffen.
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XX Flash starrte erstaunt aus dem winzigen Zellenfenster. Was trieb der Mann dort, der ihm eben noch das Essen gebracht hatte? Flash konnte sich keinen Reim darauf machen. Als Jado der Königin den Knebel in den Mund stopfte, begriff Flash, daß hier etwas vorging, das ein tiefliegendes Geheimnis war. Der Mann zerrte Azura vor das Zellenfenster. »Flash«, rief er. Ein Ruck ging durch Flash. Die Stimme kannte er doch. Es war die von Prinz Barin. Flash erkannte sie sofort wieder, obwohl er sie vor sechs Jahren zum letzten Mal gehört hatte. Aber was bedeutet das? »Ich bin’s«, sagte der Mann. »Prinz Barin. Ich habe mein Gesicht kosmetisch verändern lassen. Ich wollte eigentlich meine Maske noch nicht fallen lassen, aber die Ereignisse haben sich so überschlagen, daß mir keine andere Wahl bleibt. Wir müssen so schnell wie möglich hier raus!« »Ich verstehe«, sagte Flash. »Man hat dich unter Drogen gesetzt«, erklärte der Prinz. »Ich habe dir das Gegenmittel gegeben.« Flash begriff allmählich. Dann sagte er: »Wir können die Königin als Geisel benutzen. Aber erst müssen wir Willie befreien.« Vom Kerkereingang ließ sich eine laute Stimme vernehmen. »Was ist das?« fragte der Prinz erschrocken. Flash spitzte die Ohren und hörte: »Den Schlüssel zu Flash Gordons Zelle, Wächter. Aber schnell!« »Das ist Ming II.« flüsterte Flash Barin zu. »Nimm du die Königin und versteck dich. Ming weiß nicht, daß die Droge nicht mehr wirkt. Auf diese Gelegenheit habe ich schon lange gewartet. Laß mich aus der Zelle raus.« Barin öffnete die Tür. »Wo soll ich die Königin hinbringen?« »Geh mit ihr in eine andere Zelle. Sie sind alle leer. Dieser 166
Trakt ist für mich allein reserviert.« »Gut.« Der Prinz zerrte Azura in eine Zelle unweit der von Flash. Der Erdenmann eilte den Korridor zum Waffenschrank entlang und entnahm ihm einen Degen. Dann huschte er in die Zelle zurück, verbarg den Degen unter einer Decke und kauerte sich wieder mit ängstlichem Gesichtsausdruck in seine Ecke. Bald schon hörte er Ming näher kommen. »Öffne die Tür, Wächter!« befahl er. »Jawohl, Sir.« Die Tür öffnete sich, und Ming trat ein. »Hah!« rief er. »Da ist ja mein Lieblingsclown. Los, Mann steh auf! Zeig dich von deiner besten Seite. Dein Kaiser möchte ein bißchen Spaß haben.« Flash zuckte ängstlich zusammen. Ming sah Flash eindringlich an. »Na, Flash Gordon, du lebende Legende. Dein Zimmer ist nicht sehr groß. Ich fürchte, diesmal kannst du nicht weglaufen. Hier kannst du dich nicht unter Azuras Röcke flüchten. Du wirst nach meiner Peitschenmelodie tanzen.« »Bitte nicht weh tun«, jammerte Flash. Ming brüllte vor Lachen. »Jetzt können wir unsere Kräfte messen, Erdling.« »Ja«, murmelte Flash, »jetzt ist es soweit.« »Sprich deutlich, Wurm. Was hast du gesagt?« Flash erhob sich langsam. Ming trat lachend zurück und ließ die Peitsche auf Flashs Füße klatschen. »Tanze, Erdenmann. Der Kaiser will dich hüpfen sehen.« Flash sprang hoch, als die Peitsche auf seinen Beinen landete. Lach du nur, Ming, dachte er grimmig. Der Kaisersohn holte wieder aus. »Und noch einmal, weil’s so schön ist«, kicherte er. »Ich möchte noch einen deiner ausgezeichneten Tanzschritte kennenlernen. Die Königin erzählte 167
mir nie, was für ein Meister du auf diesem Gebiet bist. Du hättest in ein Ballett eintreten sollen, Flash, statt im All herumzufahren.« Die Peitsche sauste herunter, und Flash sprang hoch. »Das geht mir nicht schnell genug, Flash Gordon. Schneller. Los!« Er hieb wieder zu. Mings Gesicht war vor Eifer gerötet. Wieder und wieder ließ er Flash hüpfen. Flash beobachtete ihn genau. Jetzt, dachte er. Das war dein letzter Taktschlag, Ming. Jetzt tanzt du nach meiner Melodie. Als Ming wieder zuschlug, ergriff Flash das Ende der Peitsche und hielt es fest. »Na, wie wär’s mit einem Tänzchen, Ming«, rief Flash und ruckte an der Peitsche. Ming, der sie immer noch festhielt, wurde von den Füßen gerissen. »Na, trau dich, Dickwanst«, knurrte Flash. Ming rappelte sich wieder auf und starrte Flash erschrocken an. »Die Droge«, keuchte er. »Sie hat ihre Wirkung verloren. – Wache!« An der Zellentür entstand ein Geräusch. Dann hörte Flash die Stimme Barins. »Das läßt du schön.« Der Wächter arbeitete an der Tür. »Ich komme, Sir.« »Nein, das wirst du nicht«, sagte der Prinz. »Das da drinnen ist eine reine Privatangelegenheit. Da haben wir beide nichts verloren.« Draußen schien es zu einem Kampf zu kommen. Ming versuchte, sich in der Zelle vor Flash in Sicherheit zu bringen. »Wächter, dieser Ungehorsam wird dich das Leben kosten«, kreischte er. Flash trat auf Ming zu. »Er kann dir nicht helfen.« »Aber –« »Du wolltest einen Kampf, warum also nicht jetzt gleich?« Ming riß sich zusammen und zückte den verborgenen Degen, den er mit sich führte. »Du bist immer noch der Dumme, Flash. Ob mit oder ohne 168
Droge, ich bestimme hier die Regeln. Mein Degen steht gegen deine Peitsche!« Er lachte und näherte sich Flash. Flash seinerseits wickelte schnell seinen Degen aus der Dekke. »Aha!« rief Ming. »Der schlaue Flash hat vorgesorgt, was?« »Ich bin bereit, Ming, und du?« »Ich warte schon lange auf diesen Moment.« »Worauf warten wir dann noch?« »Dann mach dich auf den Tod gefaßt, Flash!« »Also Ming junior, du wolltest die Entscheidung, du sollst sie haben.« »Du wirst gleich genauso wimmern wie in den Gemächern der Königin.« Ming attackierte, aber Flash sprang beiseite. »Spar dir deinen Atem für den Kampf, Ming«, lachte er. Ming griff von einer anderen Seite an. Flash parierte und schlug dem Gegner die Waffe aus der Hand. Ming wurde von Panik ergriffen. »Mein Degen!« schrie er. Flash hob Mings Degen auf und sagte: »Dein ganzes Leben willst du für diesen Kampf geübt haben, du Würstchen?« »Du nennst mich kein Würstchen, du Erdenschwein«, kreischte Ming. Flash warf Mings Degen in eine Ecke. »Du würdest auch keinen unbewaffneten Mann angreifen«, sagte Flash und warf seinen Degen ebenfalls fort. »Aber –« fragte Ming erstaunt. »Das regeln wir besser mit den Fäusten«, grollte Flash und brachte sich in Position. Ming lächelte. »Soll mir nur recht sein, Erdling.« Er hob ebenfalls die Fäuste. Beide Kämpfer umtänzelten sich und suchten eine Blöße beim Gegner. Flash täuschte mit der Linken. Ming wollte sich darauf einstellen, aber er erkannte rechtzeitig den Ausdruck in Flashs 169
Augen und fuhr zurück. »Deine Tricks ziehen nicht. Du mußt als Faustkämpfer noch üben«, höhnte Ming. »Deinen Kampfstil konnte ich noch nie bewundern«, lachte Flash. Auch Ming täuschte mit der Linken und ließ die Rechte vorpreschen. Flash parierte. Ming griff noch einmal an und traf diesmal Flashs Schulter. Ming tänzelte erregt um seinen Gegner. Flash grinste. Er sprang vor und fuhr Ming in die Parade. Flash bewegte sich nach rechts, täuschte, dann nach links, landete einen rechten Haken, dann einen linken und traf Ming dann ans Kinn. Der Kaisersohn taumelte. Flash setzte sofort mit einer schnellen Links-RechtsKombination nach. Ming geriet immer mehr in die Defensive und wich zurück, bis er nur noch die Wand hinter sich hatte. Als Flash zum entscheidenden Schlag ausholte, duckte Ming weg und ließ dreimal seine Fäuste auf Flashs unbedeckter Brust treffen. Flash fiel zurück. Verdammt, ich war zu leichtsinnig, dachte er. Kaum war er zu Boden gegangen, da sprang Flash auch schon wieder auf. Ming, der seinen Gegner erledigt wähnte, kam näher und wollte ihm den K.-o.-Schlag geben. Aber Flash war schneller, befand sich plötzlich hinter Ming und versetzte ihm einen Karateschlag in den Nacken. Ming krachte schwer zu Boden. Flash rief nach draußen. »Barin, hörst du mich?« »Ja.« »Die Königin soll Willie aus der Kiste befreien.« »In Ordnung.« »Ich hab’ Ming gleich soweit und komm dann nach.« »Sehr gut.« Auf dem Korridor entfernten sich Schritte. Ming lag schwer angeschlagen auf dem Boden und schüttelte 170
benommen den Kopf. »Los, hoch, Ming«, sagte Flash. »Steh auf! Ich schicke dich sofort ins Land der Träume.« »Flash«, wimmerte Ming. »Hör auf, bitte. Ich habe genug.« Der Erdenmann lachte und half dem Besiegten beim Aufstehen. »Die Hände auf den Kopf, Ming«, befahl er. Langsam legte Ming die Hände auf den Helm. »Na, jetzt sind dir wohl die Tricks ausgegangen«, höhnte Flash. »Du kannst froh sein, daß ich nicht so grausam bin wie du. – Komm mit.« »Du bist ein Ehrenmann, Flash«, sagte Ming. Flash lächelte. »Nun komm.« Plötzlich riß Ming sich den Helm vom Kopf und schleuderte ihn Flash ins Gesicht. Genauso schnell stürzte er auf die Degen in der Ecke zu. Flash wurde zurückgestoßen und krachte an die Wand. Der Helm hatte ihm die Wange aufgerissen und ihn fast betäubt. Flash rutschte langsam die Wand herab. Ming stürmte mit ausgestrecktem Degen auf ihn zu.
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XXI Der Prinz fesselte den Wächter so, daß er sich nicht mehr rühren konnte, und schob ihn in eine leere Zelle. »Also, Mann«, drohte er, »da gehst du nicht rein und bleibst schön hier. Und du hältst die Klappe, wenn dir dein Leben lieb ist.« »Ja, Sir«, sagte der Wächter verschüchtert. »Aber warum wendet sich ein treuer Kurier der Königin gegen sie und ihre Untergebenen?« Barin lachte. Er wandte sich an die Königin, die teilnahmslos in ihrer Zelle saß. »Eine gute Frage, was, Königin?« »Wie bitte?« Barin trat auf Azura zu und runzelte die Stirn. »Du scheinst unter Drogeneinfluß zu stehen, Königin.« Azura hob den Kopf und sah Barin ängstlich an. »Was hast du gesagt, Jado?« Der Prinz stutzte, dann lächelte er. »Mit wem hast du zu Abend gegessen?« »Mit Ming, natürlich. Und Qilp hat uns bedient –« »Qilp!« rief Barin. Plötzlich ging ihm ein Licht auf. »Aber klar. Eigentlich hast du es nicht besser verdient. Begreifst du nicht, was geschehen ist, Azura?« »Ich habe keine Ahnung, worauf du nun hinauswillst?« »Du stehst unter Drogeneinfluß. Sie macht dich ängstlich und teilnahmslos. Irgendwie hat Ming Qilp dazu gebracht, dir die Droge ins Essen zu tun, damit er, Ming, das Königreich der Blauen Magie übernehmen, Flash Gordon und Prinz Barin töten und sich selbst zum Kaiser ausrufen kann. Dann würde er deine Armeen nach Arboria aussenden, den Freien Rat stürzen und Herrscher des ganzen Planeten werden.« In Azuras Gesicht mischten sich Verständnis, aber auch Wut, Angst und schrecken. »Er, er würde nie. – Nein, Qilp würde das nie tun.« »Ich fürchte doch, Majestät. Du weißt es, aber die Droge hat 172
dich wehrlos gemacht.« Tränen rannen ihr über das Gesicht. »Ich – ich glaube dir, Jado.« Der Prinz begann damit, die künstlichen, kosmetischen Teile aus seinem Gesicht zu entfernen. Langsam wurde vor Azuras Augen aus dem vertrauten Gesicht Jados das ihres Erzfeindes, Prinz Barin. Die Königin wurde von Entsetzen gepackt. »Nein! Das gibt es nicht! Prinz Barin!« Der Prinz lächelte. »Genau der, Königin. Und jetzt werden wir den jungen Mann aus seiner Wandkiste befreien.« Azura erschauderte. Barin griff nach ihrer Hand und zog sie mit sich. Zitternd folgte sie ihm. »Kerl«, wandte sich der Prinz dem Wächter zu, »wenn ich nur einen Piepser von dir höre, bringe ich dich eigenhändig um.« Er verschwand mit Azura. Außerhalb des Kerkers sah er ihr tief in die Augen. »Also, Königin, wo steckt Willie?« Die von Furcht befallene Königin konnte sich gegen Barin nicht wehren und gelangte mit ihm in ihre Privatgemächer. Kein Wächter hielt die beiden auf. Der Prinz paßte genau auf, daß sie keinem ihrer Untergebenen ein geheimes Zeichen gab. Aber das schien sie – völlig von der Droge beherrscht – ohnehin nicht vorzuhaben. »Es müßte doch eigentlich interessant für dich sein«, flüsterte der Prinz ihr zu, »mitzuerleben, wie diese Droge wirkt und was Flash Gordon durchgemacht hat.« Die Königin reagierte gar nicht darauf. Statt dessen mußte sie feststellen, daß es ihr nicht gelang, Furcht und Schrecken zu besiegten. Sie zitterte, ohne etwas dagegen tun zu können auf dem ganzen Weg. Endlich erreichten sie ihr Ziel. Willie stand noch immer in seinem Kasten. »Wache!« rief der Prinz. »Die Königin wünscht, daß der 173
Junge hier aus seiner Starre befreit wird.« Ein Wächter erschien und ließ sich von Azura den Befehl bestätigen. »Ja«, antwortete sie teilnahmslos. »Tu, was der Mann dir sagt.« »Lös den Jungen aus seiner Starre«, fügte Barin hinzu. Der Wächter nickte und holte ein Fläschchen aus einer Schublade. Er öffnete es und hielt es dem Jungen unter die Nase. Innerhalb weniger Sekunden bewegte Willie die Lider und lächelte den Prinzen an. »Wer sind Sie?« fragte er. Barin betrachtete ihn. »Ich bin Prinz Barin. Und du bist sicher der Junge, der Flash Gordon hierhergebracht hat.« »Ja, Sir«, antwortete Willie. »Toll, Sie sind also Prinz Barin. Ich habe schon ‘ne Menge von Ihnen gehört.« »Ich von dir auch.« »Wo ist Flash Gordon?« »Im Kerker.« »Oh, ich wünschte, wir wären bei ihm.« Der Prinz sah Willie erstaunt an. Keine Sekunde war vergangen, da befanden sie sich schon in Flashs Zelle. Als Flash am Boden lag, wurde ihm die ganze Hinterlist Mings bewußt. Aber er fühlte sich zu matt, um die Ereignisse aufzuhalten. Ming richtete seinen Degen auf Flashs Brust. Der Erdenmann rollte sich behende weg. Ming grölte. »Du hättest mich umbringen sollen, als du die Gelegenheit dazu hattest, du gutgläubiger Dummkopf.« Flash versuchte im Liegen den zweiten Degen zu erreichen. Aber Ming trat ihm auf die Hand und drehte den Absatz herum. »Nein«, rief er. »Ich werde dir Wurm keine zweite Chance geben.« Mings Degen berührte Flashs Schulter. 174
»So einfach geht es aber nicht«, ächzte Flash, rollte sich herum und trat Ming gegen die Knie. Ming stürzte zurück. Der Degen flog ihm aus der Hand. »Ich bin nicht am Ende, Fettkloß«, rief Flash. Ming fand seinen Degen wieder und bereitete sich auf einen neuen Angriff vor. »Nein, das läßt du schön bleiben. Wir werden die Sache mit den Fäusten ausmachen«, sagte Flash und stürzte sich auf Ming. »Mit den Händen?« schnauzte Ming, als Flash ihm den Arm herumdrehte, um ihn in die Knie zu zwingen. »Warum nicht mit den Füßen? Ihr habt da auf der Erde so eine besondere Kampfart.« Mit diesen Worten trat er Flash in den Solarplexus. Der Erdenmann brach zusammen und krümmte sich am Boden vor Schmerzen. »Jetzt habe ich dich. Das ist dein Ende!« triumphierte Ming. Er hob seinen Degen auf und richtete ihn auf Flashs Brust. Willie starrte entsetzt auf das, was sich seinen Augen bot: Flash Gordon am Boden, und ein bärtiger Mann, der ihn mit einem Degen bedrohte. Ich wünschte, du würdest das sein lassen, dachte Willie. Übergangslos hielt der Mann inne – erstarrte in der Zeit. Flash Gordon sah auf, erkannte den Jungen und lächelte »Willie«, seufzte er. »Du hast mir schon wieder das Leben gerettet.« Azura starrte verwundert auf den Jungen. »Magie«, murmelte sie. »Wirkliche Zauberei.« Flash stand auf, nahm Ming den Degen aus der Hand, und warf ihn weg. »Ming«, sagte er, »es sieht aus, als müßtest du in die Verbannung gehen – der Sicherheit dieses Planeten zuliebe.« »Meinen Segen dazu«, sagte Barin. »Willie«, sagte Flash, »hol mir einen Strick.« 175
»Jawohl, Mr. Gordon«, sagte der Junge und rannte davon. Flash sah zu Barin und starrte dann die Königin an. »Prinz, was ist los mit der Königin? Sie scheint high zu sein.« »Ganz richtig, und zwar so sehr, daß sie keine Schwierigkeiten machte, als ich Willie befreite.« »Ich verstehe nicht ganz«, sagte Flash und sah auf die Königin. Barin lachte. »Ming II. hatte herausgefunden, welche Droge man dir eingab, Flash. Er hat sie sich dann verschafft. Als Azura begann, ihm Vorhaltungen darüber zu machen, wie er dich behandelte, hat Ming ihr die Droge wohl ins Essen gemischt. Er wollte erst Prinz Barin töten«, Barin lächelte, »den falschen Barin in der Folterkammer, und dann dich. Danach könnte er Azuria, Arboria und den Freien Rat beherrschen und der Kaiser von ganz Mongo sein.« »Jemand muß ihm geholfen haben«, vermutete Flash. »Qilp, der Zwerg – sein eigener Vetter.« »Woher weißt du das?« fragte Flash verwirrt. »Ganz einfach: ich habe Jados Persönlichkeit übernommen. Alle seine Erinnerungen liegen offen wie ein Buch vor mir.« Flash grinste. »Toll, du Teufelsbraten. Jetzt kennst du wohl alle Palastintrigen.« »Ich weiß auch, daß Jado selbst die Königin stürzen wollte. Aber er wollte dabei nicht Mings Pläne stören.« »Anscheinend kannst du niemandem trauen«, sagte Flash und sah Azura an. »Hast du alles mitbekommen?« »Ja, Flash«, sagte sie leise. »Was habt ihr mit mir vor?« »Darüber habe ich noch nicht nachgedacht«, antwortete er. Willie kam mit einem Strick herein und fesselte den erstarrten Ming. *
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An einem sonnigen Nachmittag saßen alle fünf auf dem Balkon im Palast von Arboria zusammen: Flash Gordon, Dr. Zarkow, Prinz Barin, Dale Arden und Willie. »Junge, Eiscreme!« rief der Sorgenlose Willie verzückt. »Alles für dich«, sagte Barin. »Der Doc erzählte mir, was du für ein Leckermaul bist.« »Hhm«, machte Willie. »Die beste Eiscreme, die ich je gegessen habe.« »Nun«, sagte Zarkow zu dem Prinzen, »wie steht es jetzt mit dem Königreich Arboria?« »Der Freie Rat ist davon überzeugt, daß wir in Zukunft keinen Ärger mehr mit Azurias Armeen haben werden.« »Und was macht die Königin?« »Die Drogenwirkung ist abgeklungen. Sie ist wieder so gemein wie früher – das entspricht wohl ihrer Natur. Aber die nächste Zeit wird sie sich auf keine Abenteuer mehr einlassen. Immerhin haben wir ihr eine ordentliche Schlappe beigebracht.« Zarkow grübelte: »Was mich beunruhigt, ist die Existenz von Ming II. Es ist nicht zu glauben. Wußten Sie vorher, daß Ming einen Sohn hatte?« »Hm, es gab seit Jahren Gerüchte darüber. Aber wir haben sie nicht beachtet. Wir hätten es besser tun sollen.« »Man müßte Ming II hinrichten«, schnaufte Zarkow. »Nein«, sagte der Prinz. »Der Freie Rat hat bereits sein Urteil über ihn gefällt. Er wird in ein besonderes Gefängnis gesteckt. – Selbst wenn er getötet würde, was hätte das für einen Wert? Andere Leute würden auftauchen und sich als Mings Sohn ausgeben. Nein, es ist besser, der richtige Mingsohn ist in Haft und wir haben ein Auge auf ihn.« »Vielleicht«, gab Zarkow zögernd zu. »Ich habe diesen Persönlichkeitsaustausch nie richtig verstanden«, bemerkte Dale. »Was ist denn aus dem richtigen Kurier geworden?« 177
»Jado?« lächelte der Prinz. »Nun den haben wir aus der Folterkammer befreit, und ihn hierher nach Arboria gebracht und den Persönlichkeitsaustausch rückgängig gemacht. Er ist wieder er selbst und steht in den Diensten der Königin.« »Den hätte man auch hinrichten sollen«, brummte Zarkow. »Sie sind ja richtiggehend blutrünstig, Doktor«, sagte der Prinz. »Sicher, auch Jado träumt davon, der Herrscher von Azuria zu werden und die Königin zu heiraten. Aber das ist ja illusorisch. Niemand glaubt daran.« Zarkow schüttelte den Kopf. »Die Justiz und ihre Urteile, also, ich weiß nicht. Das ist mir zu lasch.« »Was ist denn aus diesem Giftzwerg Qilp geworden?« fragte Flash nach einer kleinen Pause. »Er ist immer noch die rechte Hand der Königin. Aber man sagt, die Königin hielte ihn an der kurzen Leine, damit er nicht wieder auf dumme Ideen kommt, wie etwa eine Palastrevolution.« »Ich hätte ihm diesen ›Pazifistendunst‹ eingeben und ihn so zum treuen Untertan gemacht«, warf Zarkow ein. Der Prinz winkte ab. »Seien Sie nicht kindisch, Doc. Wir haben alle Formeln, Pillen, Drogen etc. zusammengetragen und in der Großen Mongo-Wüste vergraben. Was also die Wissenschaftler angeht, so steht Azura wieder ganz am Anfang.« »Ich würde ihr nicht zu sehr trauen«, warnte Flash. »Was sie einmal angestellt hat, wird sie immer wieder tun.« »Bis dahin vergeht noch eine Menge Zeit«, sagte Barin. Dale wandte sich an Willie: »Na, ist die Eiscreme richtig so?« »Großartig«, brachte der Junge unter Schmatzen hervor. »Willie, wann kehren wir denn nach Hause zurück?« fragte Dale sanft. »Ich habe eine Menge zu erledigen, weißt du?« Der Junge wirkte verblüfft. »Oh, ich dachte wir wollten noch eine Weile hierbleiben, Miß Arden.« Dale wurde ärgerlich. »Na hör mal, Willie! Du hast aber nun 178
wirklich genug Abenteuer erlebt, oder?« Willies Gesicht verklärte sich. Alle wußten, daß er jetzt wieder träumte. »He!« sagte er plötzlich. »Es ist doch richtig super hier auf Mongo.« »Was ist super, Willie«, fragte der Prinz besorgt. »Aufregungen«, sagte der Junge. »Gefährliche Abenteuer. Weit weg von Arboria. Ich wünschte, wir –« ENDE
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