Atlan - Der Held von
Arkon
Nr. 192
Experimente auf
Skrantasquor
Flug zum Stützpunkt der Maahks -
Atlan auf der Sp...
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Atlan - Der Held von
Arkon
Nr. 192
Experimente auf
Skrantasquor
Flug zum Stützpunkt der Maahks -
Atlan auf der Spur des
Molekularverdichters
von H. G. Ewers
Im Großen Imperium der Arkoniden schreibt man eine Zeit, die auf Terra dem 9. Jahrtausend v. Chr. entspricht. Imperator des Reiches ist Orbanaschol III. ein bruta ler und listiger Mann, der seinen Bruder Gonozal VII. töten ließ, um selbst die Herr schaft antreten zu können. Gegen den Usurpator kämpft Gonozals Sohn Atlan, Kristallprinz und rechtmäßiger Thronerbe des Reiches, mit einer stetig wachsenden Zahl von Getreuen, die Orbana schols Helfershelfern schon manche Schlappe beibringen konnten. Mit dem Tage jedoch, da der Kristallprinz Ischtar begegnet, der schönen Varganin, die man die Goldene Göttin nennt, scheint das Kriegsglück Atlan im Stich gelassen und eine Serie von empfindlichen Rückschlägen begonnen zu haben. Gleiches gilt aber auch für Atlans Gegenspieler, den Imperator. Denn Orbana schols Streitkräfte haben gerade eine schwere Niederlage im Trantagossa-Sektor er litten – infolge eines Überraschungsangriffs der Maahks und des Einsatzes einer neuen Waffe. Um den Besitz dieser neuen Waffe, des Molekularverdichters, mit dem auch Atlan schon unliebsame Bekanntschaft gemacht hat, geht es dem Kristallprinzen, als er Ischtar bittet, einen bestimmten Maahk-Stützpunkt anzufliegen. Dabei wird Atlan zum Objekt der EXPERIMENTE AUF SKRANTASQUOR …
Experimente auf Skrantasquor
3
Die Hautpersonen des Romans:
Grek-1 und Grek-3 - Ein Kommandant und ein Wissenschaftler der Maahks.
Crysalglra - Eine Prinzessin von Arkon in Gefangenschaft.
Atlan - Der Kristallprinz geht nach Skrantasquor.
Ischtar - Die Varganin kämpft gegen die Maahks.
Ra - Die Eifersucht treibt den Barbaren zur Sabotage.
1. »Landung eingeleitet, Grek-1!« meldete der Kommandant meines Führungsschiffs. Ich drehte mich nicht um, sondern hob nur die Lider der vier nach hinten gerichte ten Augenhälften auf meinem Kopfgrat. Deutlich konnte ich auf dem vorderen Bildschirm der Rundsichtgalerie die dichten Wolkenschleier des Planeten Skrantasquor sehen. Heftige Turbulenzen tobten wie im mer in den oberen Bereichen seiner Atmo sphäre. Doch unterhalb der Wolkenzone würde es klar sein. Mein Raumschiff war das größte der auf Skrantasquor stationierten Kampfschiffe und war auch von allen am schwersten bewaffnet. Dennoch hatte es bei den Kämpfen im Trantagossa-System zwei schwere Treffer abbekommen. Dabei war ein Drittel der Besatzung gefallen. Das war auch der Grund für meine Ent scheidung gewesen, vorzeitig zu unserem Stützpunkt auf Skrantasquor zurückzuflie gen. Nachdem unsere Flotte den Planeten Enorketron, den vierten des Trantagossa-Sy stems, verwüstet und die aus rund dreißig tausend Einheiten bestehende Raumflotte der Arkoniden dezimiert hatte, war für mein weiteres Verbleiben kein logischer Grund mehr gegeben gewesen. Unsere aus siebzehntausend schweren Einheiten bestehende Flotte hatte nicht mehr als die vorausberechneten Verluste gehabt und würde nur noch so viele Raumplattfor men im Trantagossa-System wie möglich zerstören, bevor sie sich geordnet zurück zog. Ich durfte zufrieden sein. Der Planet Enorketron war eine positroni sche Schaltwelt des sogenannten Großen
Imperiums der Arkoniden gewesen. Von dort war ein Drittel der Imperiumsflotte ge steuert worden. Dieses Drittel der arkonidi schen Flotte würde für längere Zeit zu kei nen schlagkräftigen Aktionen mehr fähig sein. Unser Plan war sogfältig ausgearbeitet und ebenso sorgfältig ausgeführt worden. Mit dem Ausfall von Enorketron war unsere Stellung auf Skrantasquor, weit im Herr schaftsgebiet der Arkoniden gelegen, für lange Zeit unerschütterlich. Die Arkoniden würden viel Zeit brauchen, um sich in die sem Sektor neu zu organisieren – und von Skrantasquor aus konnten wir ihre diesbe züglichen Bemühungen nachhaltig stören. Ich beendete meine Gedanken über dieses Thema und ging hinüber zum Grek-4 meines Schiffes. Grek-4 hatte sich zur Zeit der Raum schlacht von Trantagossa in dem Sektor des Schiffes befunden, in dem sich der zweite Treffer ausgewirkt hatte. Im Unterschied zu den anderen Besatzungsmitgliedern dort war es ihm noch gelungen, seinen Druckhelm zu schließen. Dadurch war er mit dem Leben davongekommen und wenig später von Me dorobotern gerettet worden. Aber er hatte den rechten Arm verloren, und die normaler weise blaßgrauen Hautschuppen waren fast schwarz. Selbstverständlich war er nach der Be handlung im Bordhospital wieder eingesetzt worden. Da wir ein Drittel unserer Besat zungsmitglieder verloren hatten, wurde jeder Raumfahrer dringend benötigt. Grek-4 arbeitete am Schaltpult für Trieb werkskorrekturen. Sein Gehirn war nicht ge schädigt, und eine Hand reichte aus, um die Schaltungen zu bedienen. Ich verfolgte seine Tätigkeit eine Weile,
4 dann erkundigte ich mich, ob er bis zur Lan dung durchhalten würde. Als Grek-4 meine Frage bejahte, kehrte ich an die Seite des Schiffskommandanten zurück, ließ mich in einem Kontursessel nie der und verfolgte das Landemanöver. Skrantasquor stellte im Kampf gegen die Arkoniden eine ideale Stützpunktwelt dar. Der Planet war einer der größten Himmels körper, die sich wegen ihrer Wasserstoffhal tigen Atmosphäre, ihrer Klimabedingungen und des Luftdrucks für eine Besiedlung durch Angehörige meines Volkes eigneten. Wie die meisten dieser Welten war die fe ste Oberfläche mit rein optischen Mitteln vom Weltraum aus nicht einzusehen. Doch sogar mit hochwertigen, auf hyperschneller Basis arbeitenden Ortungsgeräten war ein Abtasten des Grundes sehr zeitraubend und lieferte keine klaren Ergebnisse. Es erschien mir unwahrscheinlich, daß ar konidische Raumschiffe in absehbarer Zeit entdecken würden, daß Skrantasquor ein wichtiger Stützpunkt unseres Volkes war. Und selbst dann, wenn die Arkoniden hin ter unser Geheimnis kamen, würden sie nicht viel unternehmen können. Unsere ge tarnten Raumstationen würden die Annähe rung feindlicher Schiffe rechtzeitig melden, so daß die Schutzflotte sich entsprechend formieren und Vernichtungstorpedos weit vor Skrantasquor abfangen konnte. Die Gefahr, daß die Arkoniden Landungs kommandos auf Skrantasquor absetzten, be stand erfahrungsgemäß nicht. Arkonidische Landungsschiffe waren zu leicht gebaut, um die von Stürmen, heftigen chemischen Reak tionen und energetischen Entladungen durchsetzte Wolkenzone heil durchstoßen zu können, und auf dem Grunde des Planeten konnten sich die körperlich schwachen Ge fühlsdenker nur mit Hilfe von schweren Druckpanzern bewegen, deren Hilfsaggrega te den meisten Strom verbrauchen würden, den die Fusionsmeiler der Panzer erzeugten. Nein, um die Sicherheit unseres Stütz punkts brauchte ich mich nicht zu sorgen. Die Natur selbst war in diesem uns aufge-
H. G. Ewers zwungenen Krieg auf der Seite meines Vol kes. Der Kommandant erteilte mit ruhiger Stimme einige Befehle, als mein Schiff in die Wolkenschicht eintauchte und beinahe sofort in eine Zone starker energetischer Entladungen geriet. Die Schiffszelle vibrierte, und der walzen förmige Rumpf geriet ins Schlingern, da we gen der ausgefallenen Aggregate nicht alle äußeren Einwirkungen kompensiert werden konnten. Interessiert beobachtete ich die Reaktio nen der Zentrale-Besatzung, Anerkennend stellte ich fest, daß niemand mehr als das wissenschaftlich vertretbare Maß an Gefüh len zeigte, obwohl sie alle wissen mußten, daß das Schiff wegen der starken Beschädi gungen durchaus außer Kontrolle geraten und auf dem Grund zerschellen konnte. Einmal wurde es kritisch, als das Schiff sich bei einem besonders starken Aufprall energetischer Turbulenzen überschlug. Doch kurz darauf wurde die Wolkenzone durch stoßen, und in der ruhigeren Klarsichtzone konnte die Besatzung das Schiff wieder un ter Kontrolle bringen. Wenig später setzten wir auf dem Areal des Raumhafens auf. Ich meldete mich über Funk beim Haupt quartier zurück und erhielt die Bitte übermit telt, mich im Besprechungsraum des Kom mandostabes einzufinden.
* Als ich den Besprechungsraum betrat, er hoben sich die mir unterstellten Greks und drückten durch ihre Begrüßung den Respekt aus, den sie vor meiner Leistung im Trant agossa-System empfanden. Leicht erstaunt registrierte ich, daß in der Versammlung der ersten zehn Rangordnun gen Grek-3 fehlte. Ich enthielt mich jedoch einer entsprechenden Frage, denn die ande ren würden mir sicher zu gegebener Zeit mitteilen, warum Grek-3 unserer Versamm lung ferngeblieben war.
Experimente auf Skrantasquor »Enorketron wurde verwüstet, wie der Plan es vorsah«, berichtete ich, nachdem wir alle uns gesetzt hatten. »Damit ist ein Drittel der arkonidischen Kampfflotte, die gegen uns eingesetzt ist, für längere Zeit ohne zen trale Steuerung.« »Vielleicht veranlaßt das die Arkoniden, einmal streng logisch zu denken und einzu sehen, daß sie diesen Krieg nicht gewinnen können«, sagte Grek-5. »Das erscheint mir unwahrscheinlich«, entgegnete Grek-2, mein direkter Stellver treter. »Diese schwachen und häßlichen Le bewesen halten sich für die am höchsten ent wickelte Lebensform dieser Sterneninsel. Dabei zeugen ihre chaotischen und beinahe alles beherrschenden Emotionen gerade, daß sie sich noch auf einer sehr niedrigen Stufe der Evolution befinden. Es ist bedauerlich, daß solche unfertigen Intelligenzen wie die Gefühlsdenker schon die interstellare Raum fahrt entwickelt haben.« »Unsere Historiker haben Anhaltspunkte dafür gefunden, daß die Arkoniden aus Ko lonisten eines weit höher entwickelten Ur volks hervorgingen«, warf Grek-8 ein. »Offenbar haben sie sich während der ersten Phase der Kolonisation zurückentwickelt, ohne das technische und wissenschaftliche Erbe ihres Urvolks ganz zu verlieren.« Diese Hypothese hatte ich schon mehr fach gehört. Sie war, meiner Meinung nach, nichts als eine Hypothese, denn wenn die Arkoniden von einem viel höher entwickel ten Urvolk abstammten, warum sorgte die ses Urvolk dann nicht dafür, daß ihre entar teten Abkömmlinge in die Schranken gewie sen wurden? »Es ist sehr bedauerlich, daß wir die be sten Kräfte unseres Volkes daran ver schwenden müssen, uns gegen die Arkoni den zu verteidigen«, meinte Grek-7. »Infolge ihrer emotionsgeladenen Mentalität haben diese Wesen das negativste Gefühl entwickelt, das es überhaupt gibt: den Haß.« »Sie beschuldigen ihrerseits uns des Has ses auf alle Arkoniden«, erklärte Grek-10. »Die Arkoniden können ihrer starken
5 Emotionen wegen eben nicht klar denken«, warf ich in die Diskussion ein. »Sie halten unsere konsequenten militärischen Maßnah men für den Ausdruck eines Haßgefühls, das uns völlig fremd ist. Aber wir müssen schließlich konsequent handeln. Immerhin waren es die Arkoniden, die durch ihre emo tionsgeladenen Reaktionen den Krieg zwi schen unseren Völkern verschuldeten. Sie denken nur nicht logisch genug, um sich den Sachverhalt einzugestehen.« »Folglich müssen wir den Krieg mit mehr Härte weiterführen, bis die Raumflotten der Arkoniden zerschlagen sind und ihr Volk so dezimiert ist, daß es uns nicht mehr bekämp fen kann«, stellte Grek-2 fest. Seine vier nach vorn gerichteten Augen hälften blickten mich auffordernd an. Ich wußte, worauf Grek-2 wartete. Des halb sagte ich: »Wie Grek-3 uns dringend empfohlen hatte, wurde die unter seiner Leitung ent wickelte neue Waffe gegen die im Trant agossa-System kämpfenden arkonidischen Raumschiffe versuchsweise eingesetzt. Ich habe selbst beobachten können, daß der Mo lekularverdichter funktioniert. Nicht direkt allerdings, denn die neue Waffe verkleinert nur organische Dinge, nicht aber Raumschif fe. Doch wenn die Besatzung eines Raum schiffs verkleinert wird, gerät das Schiff au ßer Kontrolle, und diesen Vorgang habe ich dreimal selbst beobachten können.« »Nur dreimal?« fragte Grek-2. »Das ist richtig«, gab ich zu. »Der Mole kularverdichter scheint noch nicht genügend ausgereift zu sein. Er versagte mehrmals. Vielleicht tritt der gewünschte Effekt manchmal mit großer Verzögerung ein. Völ lige Gewißheit darüber gibt es jedoch nicht. Ich halte es, nachträglich betrachtet, für einen Fehler, daß wir unsere neue Waffe so früh eingesetzt haben.« »Sie meinen, die Arkoniden könnten an hand der Wirkung das Prinzip analysieren, nach dem der Molekularverdichter arbeitet, und wären durch den verfrühten Einsatz ge warnt, Grek-1?« erkundigte sich mein Stell
6 vertreter respektvoll. »Das denke ich, Grek-2«, antwortete ich. »Wir hätten mehr Versuche mit dem Gerät anstellen sollen, um seine Wirkung genau zu studieren und es zu vervollkommnen. Grek 3 wird uns erklären müssen, warum er dar auf bestanden hat, den Molekularverdichter jetzt schon einzusetzen.« »Diese Erklärung wird Grek-3 uns schul dig bleiben«, sagte Grek-2. »Nach einer wis senschaftlichen Diskussion wollte er uns de monstrieren, daß die Waffe ausgereift ist. Er setzte sich selbst ihrer Strahlung aus.« »Und?« fragte ich, obwohl ich mir denken konnte, was geschehen sein mußte. »Die Demonstration war ein voller Er folg«, berichtete mein Stellvertreter sach lich. »Grek-3 wurde zusehends kleiner und kleiner und verschwand schließlich, ohne daß wir eine Möglichkeit fanden, den Ver kleinerungsprozeß aufzuhalten. Niemand weiß, was mit ihm geschehen ist bezie hungsweise noch geschehen wird.« Leicht verstimmt erwiderte ich: »Ihre letzte Erklärung kann ich nicht wi derspruchslos hinnehmen, Grek-2. Wir wis sen alle, daß der Molekularverdichter orga nische Körper zwar schrumpfen läßt, daß ih re Masse sich dabei jedoch nicht verringert. Sogar ein bis auf mikroskopische Winzig keit geschrumpfter Körper muß sich wegen seiner erhalten gebliebenen Masse mühelos mit einem Massedetektor lokalisieren las sen.« Eine Weile herrschte Schweigen. Als mein Stellvertreter endlich das Schweigen brach, glaubte ich, so etwas wie leise Verlegenheit bei ihm zu bemerken. Die Angelegenheit mußte ihn sehr stark beschäf tigen, wenn er es nicht fertigbrachte, die An deutung eines unangebrachten Gefühls zu unterdrücken. »Das kann nicht abgestritten werden, Grek-1«, sagte er. »Aber entgegen aller wis senschaftlich bewiesenen Gesetze ließ sich Grek-3 von einem bestimmten Zeitpunkt an nicht mehr mit Massedetektoren lokalisie ren.«
H. G. Ewers »Die Detektoren zeigten von einem Au genblick zum anderen die Masse von Grek-3 nicht mehr an«, warf Grek-5 ein. »Es war ungefähr so, als wäre Grek-3 plötzlich aus unserem Kontinuum verschwunden.« »Keine unhaltbaren Hypothesen!« warnte ich. »Wir müssen weiter mit dem Moleku larverdichter experimentieren, damit wir alle Nebeneffekte seiner Wirkungsweise feststel len und ergründen können.« »Bedauerlicherweise ist mit Grek-3 der größte Teil unseres Wissens um das Wir kungsprinzip des Molekularverdichters ver lorengegangen«, sagte Grek-4. »Grek-3 war der Erfinder der neuen Waffe, und er hatte versäumt, alle Daten in unsere Große Po sitronik einzuspeisen. Aus diesem Grund verfügen wir nur über einen Bruchteil seines Wissens.« »Für dieses Versäumnis wird Grek-3 sich verantworten müssen, wenn er eines Tages zurückkehren sollte«, erklärte ich. »Er hat uns damit schweren Schaden zugefügt. Uns bleibt nichts weiter übrig, als auf dem aufzu bauen, was wir wissen und besitzen, und weiterzumachen.«
* Wir besprachen die Einzelheiten unseres Vorgehens und wechselten dann das Thema, denn es gab noch viele andere Dinge zu be sprechen. Vor allem war es wichtig, daß die Repara turwerften angewiesen wurden, sich auf das Eintreffen beschädigter Einheiten vorzube reiten. Nach den Berechnungen mußten zir ka achthundert unserer Schiffe beim Angriff auf das Trantagossa-System beschädigt wor den sein. Diejenigen Schiffe, die weder aus eigener Kraft ins Kratakh-System, zu dem Skrantas quor gehörte, zurückfliegen noch abge schleppt werden konnten, würden von ihren Besatzungen logischerweise vernichtet wer den, damit sie nicht dem Gegner in die Hän de fielen. Die übrigen aber mußten in den Reparaturwerften so schnell wie möglich
Experimente auf Skrantasquor wieder instand gesetzt werden. Nicht, daß wir in naher Zukunft einen An griff der Arkoniden auf Skrantasquor be fürchteten, aber wir mußten den Umstand maximal nutzen, daß die Gefühlsdenker we gen der Verwüstung von Enorketron in ei nem ausgedehnten Raumsektor keine zentral gelenkten Aktionen durchführen konnten. Skrantasquor war der am weitesten ins Herrschaftsgebiet der Arkoniden vorgescho bene Stützpunkt. Folglich hatten wir den Umstand der Lähmung eines Drittels der ar konidischen Flotte durch gezielte Blitzaktio nen gegen weitere arkonidische Sonnensy steme zu nutzen. Wir hatten unsere Besprechung soeben beendet, und ich wollte mich für die Dauer von dreieinhalb Zeiteinheiten in mein Quar tier zurückziehen, als uns die Funknachricht des Grek-1 eines kleinen Verbandes erreich te, in der der Kommandeur mitteilte, seine neun Einheiten hätten mit Traktorstrahlen ein kleines Arkonidenschiff eingefangen. Die Nachricht enthielt außerdem die In formation, daß sich an Bord des Arkoniden schiffs ein lebender Passagier befand, und zwar ein weiblicher Vertreter des arkonidi schen Volkes. Der Kommandeur fragte an, was er mit dem erbeuteten Raumschiff und der Gefan genen anfangen sollte. Ich brauchte nicht lange nachzudenken, um zu einem Entschluß zu kommen. Das arkonidische Raumschiff war sicher nicht besonders interessant, aber es mußte dennoch genau untersucht werden, damit wir feststellen konnten, ob es irgendwelche Neuerungen enthielt. Danach konnten wir es vernichten, zumal es sowieso beschädigt war. Der weibliche Passagier erschien mir er heblich interessanter. Wir Maahks wußten zwar weitgehend über die Art und Weise der Vermehrung der Arkoniden Bescheid. So beispielsweise, daß die weiblichen Vertreter dieser Gattung meist nur ein Junges warfen, selten zwei oder drei, und daß die Tragzeit relativ lang war. Doch wir hatten kaum Ge
7 legenheit gehabt, die Organe eines weibli chen Wesens der Arkoniden zu untersuchen beziehungsweise die Mentalität eines weibli chen Wesens der Gefühlsdenker mit der Mentalität seiner männlichen Artgenossen zu vergleichen. Auf unserem gut ausgebauten und einge richteten Stützpunkt Skrantasquor verfügten wir über alle Möglichkeiten, Physiologie, Psyche und Funktion eines Gefangenen zu untersuchen. Folglich hatten wir die Pflicht, jede sich uns bietende Gelegenheit wahrzu nehmen. Ich befahl dem Kommandeur des Verban des deshalb, sowohl das erbeutete Raum schiff als auch die Gefangene nach Skrantas quor zu bringen.
2. Prinzessin Crysalgira war trotz ihres at traktiven Äußeren kein verwöhntes Luxus geschöpf, sondern eine tatkräftige Raumfah rerin, die genau wußte, was sie wollte. Zur Zeit, völlig erschöpft vom Löschen der Schwelbrände im Schiff, wirkte sie je doch alles andere als tatkräftig. Seit ihr kleines Raumschiff von neun großen Walzenraumern der Maahks aufge bracht worden war, hatte sie wie ein Häuf chen Elend in ihrem Kontursessel gehockt und war nur einmal aufgeschreckt, als die maahkschen Walzenschiffe in Transition ge gangen waren und ihr Schiff mitgenommen hatten. Ihr kam alles vor wie ein böser Traum, und manchmal ertappte sie sich tatsächlich bei dem Gedanken, daß sie auf das Erwa chen aus diesem Traum wartete. Dennoch wußte sie, daß sie nicht träumte, sondern in einer grauenhaften Realität lebte. Sie hatte nicht nur ihren Geliebten, den Sonnenträger Chergost, verloren – bezie hungsweise wußte nicht, was aus ihm ge worden war, sondern befand sich außerdem völlig allein in einem Raumschiff, das in die Gewalt der verhaßten Wasserstoffatmer ge raten war.
8 Sie wußte nicht, was die Maahks mit ihr vorhatten. Doch sie hatte schon so viel über diese grausamen Intelligenzen gehört, daß sie mit dem Schlimmsten rechnete. Bisher war allerdings noch kein Maahk an Bord gekommen. Die Wasserstoffatmer schienen mit Spionstrahlen festgestellt zu haben, daß sie die einzige lebende Person an Bord des sechzig Meter durchmessenden Kugelraumschiffs war. Die Männer, die mit ihr in der CERVAX von dem Asteroiden der Verbrecher geflo hen waren, waren tot, ihren Verletzungen er legen, die sie erlitten hatten, als das Schiff kurz nach seiner Flucht beschossen und schwer getroffen worden war. Crysalgira wußte, daß sie allein nichts ge gen die Maahks ausrichten konnte. Allein war sie weder in der Lage, das beschädigte Schiff zu steuern – was wegen der Traktor strahlen ohnehin mißlungen wäre –, noch die Bordgeschütze zu bedienen und wenig stens kämpfend unterzugehen. Sie war den Maahks auf Gedeih und Ver derb ausgeliefert. Als ihr Schiff abermals beschleunigte, starrte die Prinzessin angstvoll auf die Bild schirme der Rundsichtgalerie. Doch sie er kannte außer den neun riesigen Walzenrau mern, die die CERVAX kokonförmig ein hüllten, nur winzige Ausschnitte des ster nenübersäten Weltraums. Nicht genug, um ihr eine Orientierung zu ermöglichen. Crysalgira zog die Knie an den Leib, legte die Arme darum und nagte an ih rer Unterlippe. Erstmals seit der Aufbringung ihres Schif fes konnte sie sich zu klarer Überlegung zwingen. Sie fragte sich, ob ihr Raumschiff den Maahks wichtige Hinweise auf die arkonidi sche Technik geben könnte. Wahrscheinlich nicht, denn die CERVAX war nicht das erste arkonidische Raumschiff, das von den Was serstoffatmern erbeutet worden war. Dennoch hätte die Prinzessin die Vernich tungsschaltung aktiviert, wenn ihr Raum schiff mit einer ausgestattet gewesen wäre.
H. G. Ewers Sie war zwar erst neunzehn Arkonjahre alt und viel zu jung, um zu sterben, aber sie hät te freiwillig den Tod gewählt, wenn sie da mit den verhaßten Feinden ihres Volkes schaden könnte. Sie stieß einen leichten Schrei aus, als der Verband in die nächste Transition ging und der Verzerrungsschmerz ihren Körper durchraste. Bei der Rematerialisierung fiel Crysalgira in Ohnmacht, denn es war eine harte Transi tion gewesen, ausgelöst bei viel zu geringer Anlaufgeschwindigkeit. Nach einiger Zeit kam die Prinzessin wie der zu sich. Erneut blickte sie auf die Bild schirme. Sie sah etwas schemenhaft über einen der Steuerbordschirme huschen, ver mochte aber nicht zu erkennen, worum es sich handelte, denn im nächsten Augenblick war es verschwunden. Immerhin glaubte sie zu erkennen, daß der Verband mit nur geringer Eigenge schwindigkeit durch den Weltraum trieb. Dann tauchte zwischen zwei Walzenschiffen urplötzlich ein gleißender Sonnenball auf. Eine Sonne, die als glühende Scheibe zu sehen war, bedeutete, daß zwischen ihr und dem Schiff keine interstellare Entfernung lag, sondern eine interplanetarische. Folglich mußte der Verband in einem Sonnensystem rematerialisiert sein. Prinzessin Crysalgira erschauderte. Waren die Maahks am Ziel ihrer Reise? Würden sie ihre Gefangene in ein Lager bringen? Oder würden sie sie bei lebendi gem Leibe sezieren, um die Funktion ihrer Organe zu ergründen? Als sich das Panzerschott der Hauptzen trale öffnete, fuhr Crysalgira herum. Sie wollte nach ihrem kleinen Handstrah ler greifen, doch der Anblick der drei mon strösen Lebewesen, die die Zentrale betra ten, lähmte sie. Die drei Ungeheuer trugen schwere Schutzanzüge mit durchsichtigen Druckhel men, hinter denen ihre von jeweils vier grünschillernden Augen besetzten Sichel köpfe deutlich zu erkennen waren.
Experimente auf Skrantasquor Diese Augen strahlten für Crysalgira kalte Mordlust aus. Sie schlug die Hände vors Ge sicht und schrie. Als sie verstummte und merkte, daß sie noch immer lebte, nahm sie vorsichtig die Hände vom Gesicht. Die drei Maahks standen wenige Schritte vor ihr, riesige, breite Gestalten, die trotz ih rer teilweise humanoiden Körperfomen an belebte Felsen erinnerten – oder an die Eis riesen der Häthora-Sage. Eine Weile starrten die Arkonidin und die Maahks sich nur an, dann hob einer der Wasserstoffatmer einen seiner bis zu den Knien reichenden Tentakelarme, klopfte mit den sechs Fingern, die an einer Art Trichter saßen, an seinen Druckhelm und deutete da nach auf Crysalgira. Die Prinzessin blickte das Monstrum ver ständnislos an. Sie begriff nicht, was es wollte, begriff es auch dann nicht, als der Maahk seine Geste wiederholte. Aber als er auf sie zutrat, schrie sie aber mals auf und sprang aus ihrem Kontursessel, um zu fliehen. Doch der Maahk streckte seinen Arm wie der aus. Seine Finger schlossen sich um den Waffengurt von Crysalgiras Schutzanzug und holten die Frau mühelos zu sich heran. Crysalgira war so entsetzt, daß sie nicht einmal mehr schreien konnte. Sie vermochte nicht einen klaren Gedanken mehr zu fassen und schloß mit ihrem Leben ab. Aber der Maahk schloß lediglich ihren Druckhelm und nahm ihr den Handstrahler ab, dann ließ er sie wieder los. Prinzessin Crysalgira sank zu Boden und blieb lange wie leblos liegen. Als sie den Schock überwunden hatte, dachte sie nach und kam zu dem Schluß, daß der Maahk ihr mit seiner Geste nur hatte be deuten wollen, sie sollte ihren Druckhelm schließen. Erst, als sie ihn nicht verstand, hatte er es selbst getan. Doch warum? Warum sollte sie ihren Druckhelm schlie ßen? Wollten die Maahks sie auf eines ihrer
9 Raumschiffe verschleppen, die mit einer un ter hohem Druck stehenden heißen Wasser stoff-Methan-Ammoniak-Atmosphäre ange füllt waren? Die Prinzessin rappelte sich auf und sah sich um. Noch immer standen die Maahks reglos in ihrer Nähe. Nur ihre Münder an den faltigen Übergangsstellen zwischen den sichelförmi gen Schädelwülsten und den plumpen Rümpfen bewegten sich. Offenbar standen die drei Wasserstoffatmer durch Helmfunk untereinander oder mit den Maahks auf den anderen Schiffen in ständiger Verbindung. Langsam ging Crysalgira zu ihrem Kon tursessel. Die grünschillernden Augen der Giganten verfolgten sie, doch die Maahks selbst rühr ten sich nicht von der Stelle. Crysalgira blieb stehen, als sie mit der Hüfte gegen die linke Armlehne des Sessels stieß. Sie seufzte, dann blickte sie auf die Bildschirme der Rundsichtgalerie. Von der großen grellen Sonnenscheibe war nichts mehr zu sehen. Dafür erkannte die Prinzessin voraus die schwach elliptisch verformte Scheibe eines Planeten, dessen Atmosphäre streifenförmige Wolkenstruktu ren zeigte. Über einen der Streifen wanderte langsam ein kreisrunder dunkler Fleck. Zwischen zwei anderen Wolkenstreifen schob sich et was hindurch, das zuerst wie eine riesige Knospe aussah und dann wie eine giganti sche blutrote Blume, die sich mit der Schnelligkeit explosiv ausdehnenden Gases öffnete. Plötzlich begriff Prinzessin Crysalgira. Sie begriff, daß ihr kleines Raumschiff, gezogen von den Traktorstrahlen der maahkschen Walzenraumer, auf einen jener von Giftgasen umhüllten Riesenplaneten zu flog, den die Maahks zur Besiedlung oder zur Installierung ihrer Stützpunkte benutz ten. Wahrscheinlich wollten sie dort landen. Darum also waren die drei Maahks her übergekommen und hatten dafür gesorgt,
10
H. G. Ewers
daß ihr Druckhelm geschlossen war. Sie wußten offenbar, daß das kleine Arkoniden schiff durch die Turbulenzen und Entla dungsstürme der Giftgasatmosphäre äußerst gefährdet war. Crysalgira schloß mit ihrem Leben ab – aber diesmal empfand sie weder Grauen noch Furcht. Ihr war es lieber, in der aufgewühlten At mosphäre eines Riesenplaneten umzukom men, als von den Maahks langsam zu Tode gequält zu werden.
* Lautes Stampfen riß Crysalgira aus ihrem Grübeln. Sie blickte sich um und sah, daß einer der Maahks sich ihr näherte. Als sie furchtsam zurückwich, blieb der Maahk stehen, deutete mit einem seiner lan gen Tentakelarme auf Crysalgiras Kontur sessel und bewegte dann seine beiden Arme um seinen Rumpf herum. Die Prinzessin verstand. Sie sollte sich in ihren Kontursessel set zen und anschnallen. Dennoch zögerte sie. Erst, als der Maahk einen weiteren Schritt in ihre Richtung tat, gehorchte sie, weil sie sich vor einer Berührung durch den Wasserstof fatmer fürchtete, auch wenn alle drei Maahks wegen der für sie giftigen Sauer stoffatmosphäre vollständig von ihren Schutzanzügen umhüllt waren. Als sie festgeschnallt war, überlegte sie, ob sie mit einer schnellen Handbewegung die Impulstriebwerke ihres Schiffes ein schalten sollte. Sie würde zwar wegen der Traktorstrah len nicht entkommen können, aber zumin dest würde es einen harten Ruck geben. Vielleicht riß der Ruck die drei Maahks von den Füßen, während sie in ihrem Sessel von den breiten Anschnallgurten gesichert wur de. Doch die Maahks schienen ihre Absicht zu erraten. Der ihr am nächsten stehende Wasserstoffatmer trat zwischen die Prinzes-
sin und das Hauptsteuerpult und schaltete die Unterbrecher ein, die die Triebwerke von der Energieversorgung trennten. An schließend aktivierte er den energetischen Prallfeldschirm. Er mußte sich recht gut mit den Kontrol len arkonidischer Raumschiffe auskennen, denn er arbeitete zielsicher, ohne zu suchen. Prinzessin Crysalgira verharrte in steifer Abwehrhaltung, bis der Maahk sich wieder aus ihrer unmittelbaren Nähe entfernt hatte. Danach versuchte sie, sich zu entspannen. Allmählich verdrängte sie die Schockwir kung, die das Auftauchen der gefürchteten Giganten hervorgerufen hatte. Dennoch war die Arkonidin sich ständig der Nähe der Maahks bewußt. Inzwischen hatte sich der Verband der Walzenschiffe, mit der CERVAX im Schlepp, dem Riesenplaneten weiter genä hert. Die fremdartige Welt füllte den vorde ren Bildschirm der Rundsichtgalerie beinahe völlig aus und schwoll zusehends an. Bei Crysalgira erwachte das wissenschaft liche Interesse und ließ die Furcht vor dem ihr drohenden Schicksal weitgehend in den Hintergrund treten. Sie beobachtete fasziniert und sah, daß der kreisrunde dunkle Fleck, der zuvor über einen der Wolkenstreifen gewandert war, verschwunden war. Dafür waren zwei ande re, unterschiedlich große, ebenfalls kreisrun de Flecken zu sehen, die über die Wolkeno berfläche des Riesenplaneten wanderten. Die Schatten von Monden, von kleineren Himmelskörpern, die den Giganten umkrei sten. Crysalgira versuchte, nach der vermeintli chen Größe der Schatten die Größe der Monde zu schätzen. Das wäre glatt unmög lich gewesen, hätte die Prinzessin nicht über fundamentale Kenntnisse der Astronomie verfügt. Sie kam zu dem Ergebnis, daß die Monde eine durchschnittliche Größe haben mußten, die etwa dem halben Durchmesser eines Ar kon-Planeten entsprach. Als sie diesen Wert mit der sich optisch
Experimente auf Skrantasquor darbietenden Größe des blutroten Flecks verglich, der gleich einer sich öffnenden Blüte aus den Tiefen des Wolkenmeers em porgestiegen war, dann mußte diese Erschei nung dem Durchmesser von mindestens fünfzig Arkonwelten entsprechen. An dieser alptraumhaften Welt schien al les riesengroß zu sein – und dorthin wollten die Maahks sie verschleppen. Crysalgira fröstelte. Als sie daran dachte, daß die Maahks auf der Oberfläche dieses furchtbaren Planeten sicher ebenso lebten wie die Arkoniden auf ihren drei Arkon-Welten, ging ihr erst voll auf, wie verschieden Arkoniden und Maahks doch im Grunde genommen waren. Unwillkürlich hielt sie den Atem an, als die CERVAX von den neun großen Walzen schiffen in die Atmosphäre des Riesenplane ten geschleppt wurde. Ein schwaches Rütteln durchlief das klei ne Kugelschiff. Stärker wirkte sich die Hochatmosphäre noch nicht aus. Das änder te sich beinahe schlagartig, als die zehn Raumschiffe in die obere Wolkenzone ein tauchten. Crysalgira war heilfroh, daß sie fest ange schnallt in ihrem Kontursessel saß, denn die erste Sturmbö erschütterte das kleine Raum schiff trotz des Prallfeldes und der haltenden Traktorstrahlen so stark, daß die Schiffszelle in ihren Verbänden ächzte und stöhnte und die Prinzessin das Gefühl hatte, in einer au ßer Kontrolle geratenen Zentrifuge zu sitzen. Als das Schiff wieder halbwegs ruhig lag, wandte sie den Kopf und blickte zu den Maahks. Die drei Wasserstoffatmer standen uner schütterlich wie Felsklötze da, obwohl die künstliche Schwerkraft an Bord der CER VAX doch erheblich geringer sein mußte als die von ihnen gewohnte. Auf den Bildschirmen der Rundsichtgale rie waren nur noch dunkle Wolkenfetzen zu sehen, dazwischen tauchten immer wieder hellere Gasgeiser auf. Kugelblitze – oder Er scheinungen, die großen Kugelblitzen ähnel ten – schwebten oder rasten vorüber und er
11 hellten die düstere Szenerie immer wieder. Als eines der hell leuchtenden Gebilde mit dem Prallfeldschirm des Kugelschiffs kollidierte, kam es zu einer so grellen Entla dung, daß Crysalgira geblendet die Augen schloß. Zu ihrem Erstaunen gab es weiter keine Wirkung. Das Schiff vibrierte nicht stärker als zuvor. Wenig später sah sie, daß die drei Maahks zu drei freien Kontursitzen eilten und die Rückenlehnen mit ihren starken Tentakelar men umklammerten. Setzen konnten sie sich nicht; dazu waren sie viel zu groß und zu breit. Kurz darauf wußte die Prinzessin, warum die Maahks sich festklammerten. Die CERVAX wurde von mehreren ener getischen Entladungen gleichzeitig getrof fen. Der Prallfeldschirm verwandelte sich in eine blauweiß strahlende Aureole, die sich ständig verformte. Das Schiff wurde so stark erschüttert, daß verschiedene bislang intakt gebliebene In strumente und Bildschirme barsten. Ein Kontursessel löste sich aus seiner Bodenver ankerung und flog quer durch die Zentrale – mitsamt dem Maahk, der sich an die Rückenlehne klammerte. Aus den Augenwinkeln sah Crysalgira, wie der Maahk den Sessel losließ und mit Hilfe seines Flugaggregats durchstartete. In halber Höhe zwischen Boden und Decke hielt er an und feuerte mit einem Desintegra tor auf den Sessel, der von der Wand abge prallt war und in Crysalgiras Richtung flog. Der Kontursessel wurde völlig aufgelöst. Aber die grünlich schimmernde Gaswolke erreichte die Prinzessin noch und hüllte sie kurz ein. Sie wurde sich mit einem Gefühl der Ver wunderung bewußt, daß der in der Luft schwebende Maahk ihr wahrscheinlich das Leben gerettet hatte. Dennoch empfand sie keine Dankbarkeit für das Wesen. Auch die beiden anderen Maahks ließen ihre Kontursessel los, schwebten zu ihrem Artgenossen empor und verharrten mitten in der Luft.
12 Crysalgira kam zu dem Schluß, daß die Maahks nicht so sehr um die Erhaltung des Mobiliars besorgt waren, sondern befürchte ten, bei einem Aufprall an die Wand oder ei ner Kollision mit einem losgerissenen Sessel ihre Schutzanzüge zu beschädigen. Wahr scheinlich würde der Sauerstoff in der Bor datmosphäre sie augenblicklich töten. Doch vor der Höllenwelt, durch deren Wolkenschichten sie flogen, schienen sie keine Furcht zu empfinden. Glücklicherweise durchstieß der Schiffs verband die Gewitterzone relativ schnell. Darunter erkannte Prinzessin Crysalgira eine in bleifarbenes Licht getauchte Gasatmo sphäre, in der es fortlaufend zu kleinen Lichtausbrüchen kam. Aus der oberen Wol kenzone rieselte beständig ein Regen von tropfenförmigen, grün und stahlblau schim mernden Gebilden. Worum es sich dabei handelte, konnte Crysalgira nicht feststellen. Die Raumschiffe sanken tiefer. Crysalgira wartete begierig darauf, end lich die Oberfläche des Riesenplaneten zu sehen. Doch ihre Geduld wurde auf eine har te Probe gestellt. Es schien, als ginge es end los tiefer und tiefer, durch einen grundlosen Ozean aus Gasen und undefinierbaren Sub stanzen. Als die Prinzessin bereits versuchte, sich mit dem Gedanken vertraut zu machen, daß der Riesenplanet überhaupt keinen festen Kern besäße – was ihren wissenschaftlichen Kenntnissen total widersprochen hätte –, kam tief unten endlich etwas in Sicht, das wie ein riesiger Ozean aussah. Es mußte eine Flüssigkeit sein, die dort unten schwappte, rollte und gischtete, aber die Prinzessin hielt es für unwahrscheinlich, daß es sich um Wasser handelte. Auf jeden Fall hatte der Ozean eine riesi ge Ausdehnung – wie alles an diesem Plane ten. Der Schiffsverband ging zum Horizontal flug über und glitt mit relativ geringer Ge schwindigkeit in zirka tausend Metern Höhe über der Meeresoberfläche dahin. Einmal entdeckte Crysalgira drei giganti-
H. G. Ewers sche graue, torpedoförmige Gebilde, die aus der Tiefe des Ozeans auftauchten, eine Wei le an der Oberfläche verharrten und dann wieder verschwanden. Zuerst hielt die Prinzessin sie für Tauch boote, bis sie sah, daß die Gebilde sich ge schmeidig bewegten und krümmten. Es verschlug ihr fast den Atem, als ihr klar wurde, daß diese Gebilde, von denen je des mindestens tausend Meter lang sein mußte, Lebewesen waren. Sie erschauderte. Welche anderen gigantischen Lebensfor men mochte es auf diesem Riesenplaneten noch geben? Und auf einem solchen oder ähnlichen Planeten mußten die Maahks sich einst aus tierhaften Vorläuferarten entwickelt haben. Kein Wunder, daß ihre Mentalität sich grundlegend von der arkonidischen unter schied. Crysalgira machte sich klar, daß sie von solchen Wesen wie den Maahks kein Mitleid und keine Gnade erwarten konnte, und als weit voraus die stumpfgrauen Wölbungen des Festlands auftauchten, hatte sie sich in Panik gesteigert.
* Crysalgiras Panik wuchs weiter an, je mehr sich der Schiffsverband dem Festland näherte. Sie brachte es jedoch fertig, sich nichts anmerken zu lassen. Das Festland erwies sich aus der Nähe nicht als die öde Anhäufung von Felsenhü geln, als die es aus großer Entfernung ge wirkt hatte. Prinzessin Crysalgira entdeckte bizarre Wälder aus glasartigen kristallinen Pflanzen, die sich, wie sie bei längerem Hinschauen bemerkte, allerdings ständig veränderten. Diese Veränderungen liefen so schnell ab, daß es sich nicht um stoffwechselgesteuerte Lebensvorgänge handeln konnte. Daneben aber gab es noch andere vegeta tionsähnliche Gebilde, riesige, leuchtend blaue Schnüre, die mit einem Ende im Bo
Experimente auf Skrantasquor den verankert waren und sich in den Luft strömungen gleich bewegtem Meerestang wiegten. Diese Schnurpflanzen waren durchschnittlich etwa hundert Meter lang und so dick wie ein normaler Arkonide. Die Wunder dieser fremdartigen Welt lie ßen Crysalgiras Panik wieder etwas abklin gen, doch sie schwoll sofort wieder an, als voraus eine Gruppe von Gebilden auftauch ten, die nicht natürlichen Ursprungs sein konnten. Es handelte sich um drei spiegelglatte zy lindrische Türme von imposanter Größe so wie um neun riesige Kuppelbauten, von de nen hauchdünne Kristallschleier aufstiegen und sich in der Atmosphäre auflösten. Die Bauwerke hatten etwas Besitzergrei fendes an sich, etwas, das Crysalgira sofort das Gefühl vermittelte, daß die Erbauer der Türme und Kuppeln sich für alle Zeiten auf dem Riesenplaneten festgesetzt hatten und ihn in seiner ganzen furchterregenden Schönheit als ihr Eigentum beanspruchten. Einer der drei Maahks, die inzwischen längst wieder auf dem Boden der Zentrale standen, trat zum Hauptsteuerpult und des aktivierte den Prallfeldschirm. Das Kugel schiff schwankte kurz, als die Gasmassen der Hochdruckatmosphäre gegen die Außen wandung stießen, dann stabilisierte sich sei ne Lage wieder. Der Schiffsverband schwenkte nach Backbord ab, flog um die Bauwerke herum – und plötzlich war für Crysalgira der Blick auf das Areal eines Raumhafens frei. Es war kein provisorischer Raumhafen mit geebneter und glattgeschmolzener Fels decke, sondern ein hochmoderner Raumha fen für Kampfschiffe – mit einer molekular verdichteten Deckplatte aus bestem Metall plastik, mit den lamellenartigen Verschlüs sen für Lande- und Startschächte und einem dichten Kranz von kleinen Kuppeln, die of fenbar Zug- und Druckstrahler und Energie geschütze bargen. Den Durchmesser des Raumhafens schätzte Crysalgira auf dreißig Kilometer. Das war nicht besonders viel, doch wenn die
13 Start- und Landeanlagen vollautomatisiert, die unter der Decke liegenden Wartungs-, Reparatur- und Beladeeinrichtungen vollro botisiert waren, dann mußte die Leistungsfä higkeit sehr groß sein. Außerdem nahm die Prinzessin an, daß sich auf dem Planeten noch andere Raumhä fen befanden. Sie war jedenfalls sehr beein druckt von dem, was sie bisher gesehen hat te. Der Schiffsverband flog mit geringer Fahrt über den Raumhafen, hielt in der Luft an und fächerte auseinander. Es gab einen schwachen Ruck, als die CERVAX aus den Traktorstrahlen der neun Walzenraumschiffe entlassen und in die Obhut der bodengebun denen Traktorstrahler genommen wurde. Langsam sank das Kugelraumschiff tiefer, setzte gleichzeitig mit den neun Walzen raumschiffen auf einem Lamellenverschluß auf und schwebte schon kurz darauf durch einen Landeschacht in die Unterwelt des Riesenplaneten. Die Bildschirme der Rundsichtgalerie zeigten, soweit sie nicht in dem furchtbaren Gewitter der Wolkenzone zerstört oder an derweitig ausgefallen waren, zuerst nur die glatte Stahlplastikwandung des Schachtes. In zirka tausend Metern Tiefe weitete sich der Schacht plötzlich zu einer großen hell erleuchteten Halle, in deren Wänden sich unmittelbar nach dem Aufsetzen der CER VAX Öffnungen bildeten und unterschied lich gebaute Roboter ausspien. Crysalgira beobachtete, wie die maahkschen Roboter daran gingen, ihr Raumschiff gründlich zu untersuchen, wozu sie die Außenhülle an einigen Stellen auf schnitten, als wäre sie aus gewöhnlichem Stahlblech. Sie war so in diese Tätigkeit vertieft, daß sie nicht merkte, wie sich einer der drei Maahks ihr näherte. Sie schrak erst auf, als der Maahk sie leicht berührte. Crysalgira zuckte zusammen und schrie. Der Maahk zeigte sich nicht davon be rührt. Er deutete erst auf die Prinzessin,
14 dann auf seine Gefährten und sich und da nach auf das Panzerschott der Zentrale. Crysalgira brauchte nicht viel Phantasie dazu, um die Zeichen des Wasserstoff at mers richtig zu deuten. Er wollte, daß sie zu sammen mit den drei Maahks ihr Raum schiff verließ. Wieder stieg Panik in der Arkonidin auf. Sie versuchte wegzulaufen. Doch der Maahk holte sie rasch ein, packte sie am Waffen gürtel ihres Schutzanzugs und zog. Crysalgira wurde zu den beiden anderen Maahks geschleudert, von ihnen aufgefan gen und festgehalten. Die Griffe der jeweils sechs Finger, von denen zwei Daumen wa ren, schmerzten Crysalgira. Sie vermutete, daß die Maahks sich ihrer physischen Über legenheit gar nicht voll bewußt waren und wahrscheinlich annahmen, sie packten leicht und rücksichtsvoll zu. Doch das war nur eine flüchtige Überle gung am Rande der anhaltenden Panik. Die Nähe der Giganten, die schmerzhafte Berüh rung ihrer Hände, das alles vermittelte der Prinzessin das Gefühl, von gräßlichen Unge heuern umgeben zu sein, von denen sie nichts als grausame Quälereien zu erwarten hatte. Sie schrie, bis ihr die Luft knapp wurde. Inzwischen hatten die drei Maahks sie durch den Achslift und die Hauptschleuse aus ihrem Raumschiff geführt. Da ihr Schutzanzug geschlossen war, konnte ihr die ungeheuer dichte und heiße Wasserstoff-Me than-Ammoniak-Atmosphäre, die draußen herrschte, nichts anhaben. Aber sie sah an den Anzeigen ihrer Au ßendetektoren, durch welche Hölle sie sich bewegte, und sie wäre unter der Einwirkung der höheren Schwerkraft – genau 3,1 Gravos – zusammengebrochen, wenn die Maahks sie nicht gestützt hätten. Allmählich aber machte sich die hohe Dichte der Atmosphäre unangenehm be merkbar, denn da ihr Schutzanzug kein star rer Panzer war, mußte das Überlebenssystem den Innendruck erhöhen, um dem Außen druck Widerstand entgegensetzen zu kön-
H. G. Ewers nen. Dadurch fiel Crysalgira das Atmen immer schwerer. Ihr wurde schwindlig, und sie brauchte einige Zeit, bis sie wieder freier at men und klar sehen konnte. Da befand sie sich allerdings nicht mehr in der Halle, sondern im Innern einer zylin drisch geformten durchsichtigen Druckkam mer, in der eine SauerstoffNiederdruckatmosphäre und eine für sie nor male Schwerkraft herrschten. Prinzessin Crysalgira atmete einige Male tief durch. Plötzlich weiteten sich ihre Augen. Zuerst war ein einzelner Maahk an die Außenwand ihrer Druckkammer getreten, dann waren weitere Wasserstoffatmer hinzu gekommen, und wenig später umringte eine lückenlose Mauer dieser riesigen monströ sen Lebewesen Crysalgiras Gefängnis. Die Prinzessin wurde von Entsetzen ge schüttelt. Das Leben inmitten dieser blaß grauen Ungeheuer erschien ihr unerträglich. Crysalgira beschloß, ihr Leben freiwillig zu beenden, bevor sie den Verstand verlor. Unauffällig tastete sie nach dem kleinen Vibratormesser, das in einer Beinscheide ih res Schutzanzugs steckte. Als sie den kühlen Griff in ihrer Hand spürte, riß sie den Magnetsaum ihres Schutzanzugs auf, zog das Messer und holte weit aus, um es sich ins Herz zu stoßen …
3. Der Grek-1 des Verbandes, der das kleine Kugelraumschiff der Arkoniden aufgebracht hatte, meldete sich über Funk bei mir, nach dem sein Verband durch die obere Wolken zone gestoßen war. Er teilte mir mit, daß das weibliche We sen aus dem Volk der Arkoniden sich in der Obhut von drei Raumsoldaten befand, die an Bord des Arkonidenschiff es übergesetzt waren. Er berichtete ferner, daß die Inneneinrich tung des Beuteschiffs weiterhin beschädigt worden war, als der Verband ein mittelstar
Experimente auf Skrantasquor kes Gewitter durchflogen hatte. Ich befahl ihm, den Raumhafen des Hauptstützpunkts anzusteuern, zu landen und alle seine Schiffe sowie das Beuteschiff durch die Landeschächte in die Tiefhangars zu bringen. Nachdem er den Befehl bestätigt hatte, setzte ich mich mit der Positronik der Raum hafenanlagen in Verbindung und veranlaßte, daß das Arkonidenschiff sofort nach An kunft in einem Hangar von Spezialrobotern untersucht werden sollte. Die Gefangene sollte so schnell wie möglich in einer Unter druckkammer untergebracht werden, in der die gleichen gravitatorischen und atmosphä rischen Bedingungen simuliert werden soll ten, wie sie in dem Arkonidenschiff ange troffen worden waren. Anschließend unterrichtete ich die ande ren neun Mitglieder des Kommandostabs – für den verschwundenen Grek-3 war ein an derer Wissenschaftsoffizier eingesetzt wor den, der selbstverständlich auch die Rangbe zeichnung Grek-3 trug – über die von mir veranlaßten Vorbereitungen und forderte sie auf, sich in einer Viertelzeiteinheit bei dem für die Gefangene vorgesehenen Unter druckbehälter einzufinden. Während ich in einer Transportkapsel zum Raumhafenkomplex fuhr, überlegte ich, wie ich zwischen der Gefangenen und mir eine möglichst ergiebige Kommunikation zustande bringen konnte. Ich nahm an, daß die Erfahrungen, die ich bei den Verhören von Arkoniden männli chen Geschlechts gesammelt hatte, sich nicht ohne weiteres auf das Verhör eines Ar koniden weiblichen Geschlechts anwenden ließen. Meine Annahme stützte sich auf die Tat sache, daß es auch zwischen den männlichen und weiblichen Vertretern meines Volkes Unterschiede gab, die sich nicht nur auf Körperbau und -funktionen beschränkten, sondern auch die Psyche einschlossen. Soviel ich aus Informationen wußte, die unseren Stützpunkt aus dem Zentralarchiv erreicht hatten, fand die Befruchtung der
15 weiblichen Arkoniden so ähnlich wie bei uns Maahks statt. Allerdings gab es einen bedeutsamen Unterschied: In dem Körper eines weiblichen Arkoniden wurde meist nur ein einziges Ei befruchtet – anstatt wie durchschnittlich neun bei weiblichen Maahks. Und die weiblichen Arkoniden stie ßen das befruchtete Ei nicht etwa aus, son dern brüteten es in einer Körperhöhle aus. Das war eine äußerst unrationelle Metho de der Fortpflanzung, denn es bedeutete nicht nur, daß schon aus Platzmangel die Zahl der auszubrütenden Eier in der Körper höhle beschränkt war, sondern außerdem, daß weibliche Arkoniden für sehr lange Zeit von der Vermehrung der Art ausgeschlossen waren. Für den Krieg mit den Gefühlsdenkern verschaffte uns das allerdings einen un schätzbaren Vorteil, der sich um so stärker auswirken mußte, je länger der Krieg andau erte. Während mein Volk seine Verluste durch die starke Vermehrungsrate mehr als aus gleichen konnte, würden die Arkoniden schon bald unter Nachwuchsmangel für ihr Raumschiffspersonal leiden. Darum war es nur logisch, daß wir bei unseren Aktionen vorrangig darauf abzielten, dem Feind große Personalverluste zuzufügen beziehungswei se die Bevölkerung feindlicher Planeten zu dezimieren. Die Arkoniden hatten allerdings auf diese Maßnahme, die der Verkürzung des Krieges diente, mit unverständlichem Haß reagiert. Sie konnten eben nicht logisch denken, weil ihre Gefühlsaufwallungen ihren Blick für die Realitäten verschleierten. Es war allerdings nicht gesagt, ob die weiblichen Vertreter des arkonidischen Vol kes ebenso emotionsgeladen waren wie die männlichen. Ich hoffte darauf, in der Gefan genen ein Individuum zu finden, das logisch begründeten Argumenten gegenüber aufge schlossen war. Mit diesen Überlegungen beschäftigt, kam ich am Ziel an. Ich verließ die Trans portkapsel, programmierte sie auf WAR
16 TEN und legte die letzte Strecke zu Fuß zu rück. Als ich bei dem Unterdruckbehälter an kam, erwachte die Gefangene gerade aus ei ner leichten Ohnmacht. Sie war noch be nommen, deshalb hatte ich Zeit, sie mir ge nau anzusehen. Ich war ein wenig enttäuscht, denn ich hatte angenommen, der weibliche Arkonide wäre größer und kräftiger gebaut als männli che Arkoniden. Das Gegenteil war der Fall. Die Gefangene war schmaler und zart gliedriger als männliche Arkoniden und für den maahkschen Geschmack noch häßlicher. Die Häßlichkeit strahlte vom ganzen Kör perbau aus: die Schultern schmaler als die Hüften, die Säugeorgane deutlich abgeho ben, obwohl sich kein Junges in der Beglei tung der Gefangenen befand. Haut und Au gen wirkten so verletzlich, daß ich mir kaum vorstellen konnte, wie ein solches Wesen in einer natürlichen Umwelt leben konnte. Das Häßlichste aber war das silberfarbene Ge spinst aus Hornzellen, das die Arkoniden Haar zu nennen pflegten und das bei diesem Exemplar mit Schmucknadeln hochgesteckt war. Nacheinander traten die anderen Greks des Kommandostabs neben mich, bis der Unterdrückzylinder mit der Gefangenen vollständig umringt war. »Mit der Weisheit der Natur kann es nicht weit her sein, wenn sie solche Geschöpfe entwickelt, die derart empfindlich sind und dann auch noch weitgehend von Emotionen geleitet werden, obwohl sie ihrer Empfind lichkeit wegen gerade eine besonders ge fühlsarme Logik benötigten«, sagte Grek-2. Er hatte das ausgesprochen, was auch ich dachte – und was die anderen Mitglieder des Kommandostabs wahrscheinlich ebenfalls dachten. Als die Gefangene sich aufrichtete und uns anstarrte, die Beine leicht gespreizt, den Oberkörper nach vorn geneigt, unterstrich ihre Haltung den Eindruck von Hilflosigkeit noch. Ich fragte mich, was in ihrem Zentral-
H. G. Ewers nervensystem vorgehen mochte. Mit der Mi mik der Arkoniden ließ sich für uns Maahks nicht viel anfangen. Nach einiger Zeit beugte sich die Gefan gene weiter vor und tat etwas mit dem rech ten Beinkleid ihres Schutzanzugs. Danach öffnete sie den vorderen Magnetsaum ihres Anzugs. Plötzlich kam ihre Hand von ihrem rech ten Beinkleid hoch – und ich sah, daß die dünnen Finger ein kleines Vibratormesser umklammerten. Wollte die Gefangene uns damit anzugrei fen versuchen, obwohl sie sich darüber klar sein mußte, daß sie ihre Unterdruckkammer nicht verlassenkonnte? Im nächsten Tausendstel einer Zeiteinheit begriff ich, was die Gefangene wirklich vor hatte. Sie wollte sich selbst töten – ein sehr eh renwertes Vorhaben, das aber nicht in unse rem Sinne liegen konnte. »Antigravaggregat desaktivieren!« rief ich Grek-7 zu, der bei den Schaltungen der Unterdruckkammer stand. Grek-7 begriff und reagierte sofort. Während die Klinge des Vibratormessers zur Brust der Gefangenen zuckte, schaltete Grek-7 das Antigravaggregat der Unter druckkammer aus. Die jähe Wirkung der normalen planetari schen Schwerkraft auf den weiblichen Arko niden glich der von Narkosegas. Der erhobe ne Arm wurde nach unten gerissen; das Messer entfiel den sich öffnenden Fingern. Die Gefangene erschlaffte und brach zusam men. »Grek-9 und 10!« sagte ich »Schließen Sie Ihre Schutzanzüge, betreten Sie die Un terdruckkammer und entkleiden Sie die Ge fangene! Sie darf nichts behalten, mit dem sie sich irgendwie das Leben nehmen könn te. Aber beeilen Sie sich, damit wir die Ge fangene nicht zu lange der normalen Schwerkraft aussetzen müssen!«
*
Experimente auf Skrantasquor Grek-9 und Grek-10 entledigten sich ihrer Aufgabe mit der Schnelligkeit und Präzisi on, wie ich sie von ihnen erwartet hatte. Die Gefangene stieß schrille Schreie aus, als sie entkleidet wurde, und die Außenlaut sprecher übertrugen sie, so daß wir sie auch außerhalb der Unterdruckkammer hörten. Sie versuchte auch, sich zu wehren, doch ih re Bewegungen waren unter der für sie zu hohen Schwerkraft langsam und kraftlos. Als Grek-9 und Grek-10 die Unterdruck kammer verlassen hatten, schaltete Grek-4 wieder das Antigravaggregat der Kammer ein. Der weibliche Arkonide erhob sich jedoch nicht sofort, sondern blieb noch längere Zeit beinahe reglos liegen. In ihrer Nacktheit wirkte sie noch hilfloser. Wenn die Haut we nigstens durch Hornschuppen geschützt ge wesen wäre oder durch ein dichtes Fell, wie manche tierischen Arten von Sauerstoffat mern es besitzen. So aber lag die weiche dünne Haut fast völlig bloß. Endlich regte sich der weibliche Arkoni de. Er bewegte sich unruhig, dann richtete er sich knieend auf, bedeckte die beiden Säu georgane mit den Händen und blickte starr geradeaus. Ich schaltete die in der Kammerwand in stallierte Kommunikationseinheit, die mit ei nem Translator verbunden war, ein, zog das Mikrophon näher heran und sagte: »Hier spricht Grek-1. Bitte, nennen Sie Ihre Personaldaten!« Die Gefangene blickte in meine Richtung, woraus ich schließen konnte, daß sie die Kommunikationseinheit als solche erkannte. Langsam erhob sie sich. »Ich protestiere gegen diese Behand lung!« sagte sie unangemessen laut. »Ihre Leute haben mir Schmerzen verursacht, als sie mir meine Kleidung brutal vom Leibe rissen. Geben Sie die Kleidung zurück!« »Es lag nicht in der Absicht von Grek-9 und Grek-10, Ihnen Schmerzen zu bereiten«, erwiderte ich. »Es lag einfach daran, daß Ihr Körper außerordentlich empfindlich ist. Nennen Sie mir Ihre Personaldaten!«
17 »Nicht, solange ich nackt bin und von Un geheuern angestarrt werde, die mich wahr scheinlich am liebsten vergewaltigen wür den!« erklärte die Gefangene. Da ich nicht verstand, was mit dem Be griff »vergewaltigen« gemeint war, schickte ich den gespeicherten letzten Satz in die Stützpunktpositronik und forderte seine Um wandlung in eine sinnvolle und verständli che Vergleichsform an. Als die Antwort eintraf, wollte ich sie zu erst nicht glauben. Es erschien mir undenk bar, daß die Gefangene uns der Absicht be zichtigt haben könnte, gewaltsam etwas zu vollziehen, was bei den grundlegenden phy sischen, chemobiologischen und physiologi schen Unterschieden zwischen Maahks und Arkoniden schlechterdings unmöglich war. Doch ich mußte mich vergewissern, da sich auf Ungewißheiten keine effektive Kommunikation aufbauen ließ. Ich konstruierte den entsprechenden Fra gesatz mit Hilfe der Positronik, um sicherzu gehen, daß die Gefangene mich nicht miß verstand. Zu meinem Erstaunen bestätigte sie, ge nau das gemeint zu haben. »Ihre Unterstellung hat nicht die kleinste logische Basis«, sagte ich daraufhin. »Was Sie meinen, läßt sich nur im Zustand teilwei ser oder vollständiger Nacktheit beider Be teiligten durchführen. Jeder Maahk aber, der Ihre Unterdruckkammer ohne absolut dicht verschlossenen Schutzanzug betreten würde, müßte innerhalb einer Hundertstel Zeitein heit sterben. Außerdem darf ich Ihnen versi chern, daß Sie nicht die geringste sexuelle Anziehungskraft auf einen Maahk ausüben, sondern im Gegenteil äußerst abstoßend wir ken.« Das hätte die Gefangene meiner Meinung nach beruhigen müssen. Statt dessen warf sie sich auf den Boden, schrie und schlug mit den Fäusten um sich. Ich übermittelte ihr Geschrei der Positro nik, da es vom Translator nicht übersetzt werden konnte, und forderte eine logische Deutung des Verhaltens der Gefangenen an.
18 Als das Ergebnis durchkam, fühlte ich einen eisigen Schauer, den Ausdruck einer Emotion, wie er bei einem Maahk nur in ausgesprochenen Ausnahmesituationen vor kam. Aber genau das war es, was die Gefange ne hervorgerufen hatte: eine Ausnahmesitua tion. Die Positronik hatte das Gebaren der Ge fangenen nämlich dahingehend ausgelegt, daß sie empört war darüber, daß wir das nicht mit ihr vornehmen wollten, dessen sie uns gerade bezichtigt hatte. Ein solches Maß von Unlogik und irrege leiteten Emotionen hatte ich noch nie erlebt. Offenbar waren die weiblichen Vertreter des arkonidischen Volkes total unfähig, lo gisch zu denken und ließen sich noch stärker als die männlichen Vertreter von chaoti schen Gefühlen leiten. Es war mir rätselhaft, wie eine solche Gattung die natürliche Auslese überstanden hatte, die einer der wichtigsten Faktoren der Evolution ist. Ich schaltete die Kommunikationseinheit aus, wandte mich an die Mitglieder meines Kommandostabs und sagte: »Der Versuch einer Kommunikation mit dem weiblichen Arkoniden ist meiner An sicht nach fehlgeschlagen. Ich ersuche Sie, mir Vorschläge zu unterbreiten, wie wir das Vorhandensein dieses Gefangenen wenig stens minimal nutzen können.« »Ich habe bereits einen Vorschlag, Grek 1«, sagte der neue Grek-3, der wie der alte Grek-3 eine wissenschaftliche Spezialausbil dung erhalten hatte, die ihn zu einer Füh rungsrolle bei der Entwicklung neuartiger Waffensysteme befähigte. »Darf ich ihn vor tragen?« »Tragen Sie ihn vor, Grek-3«, antwortete ich. »Sie haben selbst erklärt, die Gefangene ist für uns nutzlos, was eine Kommunikation angeht«, sagte Grek-3. »Ich bin der gleichen Meinung. Aber es gibt ein anderes Problem, bei dessen Lösung die Gefangene uns viel leicht helfen kann, da ihre Hilfe nur in passi-
H. G. Ewers ver Mitwirkung bestehen würde. Wir stehen vor der Notwendigkeit, viele Versuchsreihen mit dem Molekularverdich ter in möglichst kurzer Zeit durchzuziehen. Unsere Hauptschwierigkeit dabei besteht darin, daß wir zu wenig über die Wirkungs weise der neuen Waffe wissen und von dem alten Grek-3 keine Informationen mehr er halten können. Ich schlage deshalb vor, den Molekular verdichter an der Gefangenen zu erproben. Dabei könnten wir nicht nur die Verkleine rungsabläufe genau beobachten und mit Me ßinstrumenten analysieren, sondern erfahren vielleicht sogar, welches Schicksal der alte Grek-3 erlitten hat.« Als Grek-3 schwieg, ging ich nicht sofort auf seinen Vorschlag ein, sondern durch dachte das, was er gesagt hatte, genau. Doch ich fand keine schwache Stelle. Wenn die Gefangene uns schon nicht anderweitig Nut zen brachte, dann wahrscheinlich als Ver suchsperson bei einem Experiment, das uns Aufschluß über die genaue Wirkungsweise des Molekularverdichters geben konnte. »Einverstanden, Grek-3«, sagte ich schließlich. »Ich stelle allerdings die Vorbe dingung, daß der Versuch so intensiv beob achtet wird, daß uns auch nicht der geringste Nebeneffekt der Verkleinerung entgeht. Vor allem muß durch Verwendung entsprechen der Meßgeräte sichergestellt werden, daß die Gefangene nicht, wie Grek-3, außer Kon trolle gerät, sondern daß ihre Position jeder zeit genau bestimmt werden kann. Nur dann besteht die Aussicht, zu erfahren, was wirk lich mit Grek-3 geschehen ist.« »Ich übernehme die volle Verantwortung dafür, daß alle diese Bedingungen genau eingehalten werden, Grek-1«, versicherte der neue Grek-3. Damit war die Angelegenheit vorerst erle digt. Nachdem ich angeordnet hatte, daß die Gefangene ausreichend mit Nahrungsmitteln und Trinkflüssigkeit aus ihrem eigenen Raumschiff versorgt werden sollte, kehrte ich zu meiner Transportkapsel zurück und
Experimente auf Skrantasquor programmierte sie auf die Versorgungshalle.
* Nach und nach kehrten die im Trantagos sa-System eingesetzten Verbände ins Kra takh-System zurück. Die einzelnen Raumschiffe legten entwe der an den getarnten Raumstationen an, reih ten sich in die zurückgebliebene Schutzflotte ein oder landeten auf den Raumhäfen von Skrantasquor, um in den Hangarschächten zu verschwinden. Die anderen Greks des Kommandostabs organisierten auf meine Anordnung hin die Reparaturen an beschädigten Einheiten, den Abtransport von Verwundeten, die Versor gung der Schiffe mit Ersatzteilen, Verpfle gung und Raumtorpedos sowie die Betan kung mit Deuterium. Damit hatte ich direkt ebenso wenig zu tun wie Grek-3, der sich ausschließlich den Vorbereitungen zu seinem Experiment wid men mußte. Ich nahm indessen die Kampfberichte der Schiffskommandanten und Verbandskom mandeure entgegen, ließ sie durch die Po sitronik laufen und hinsichtlich strategischer und taktischer Fehler analysieren. Diese Auswertung war notwendig, damit jeder Fehler nachträglich erkannt wurde und wir die Gründe ermitteln konnten, die zu ihm geführt hatten. Nur dadurch vermieden wir, daß jeder Fehler mehr als einmal begangen werden konnte. Das Ergebnis der Analysen war gut. Es wies nur eine geringe Fehlerquote aus, die lediglich auf Mißverständnissen bei der tak tischen Realisierung der strategischen Pla nung beruhte. Immerhin beanspruchte mich diese Tätig keit einige Tage lang. Als sie abgeschlossen war, erfuhr ich, daß Grek-3 bereits mit der neuen Erprobung des Molekularverdichters begonnen hatte. So schnell wie möglich begab ich mich in die Laborhalle, in der die Erprobung durch geführt wurde.
19 Die Gefangene befand sich selbstver ständlich noch in ihrer Unterdruckkammer, denn wir wollten sie ja nicht töten. Sie war inzwischen auf die Hälfte ihrer ursprüngli chen Körpergröße verkleinert. Die Messun gen bewiesen jedoch, daß der verkleinerte Körper die ursprüngliche Masse behalten hatte. Als ich vor der Unterdruckkammer stand, erhob sich die Gefangene, die bisher apa thisch auf dem Boden gehockt hatte. Sie trat dicht an die Innenwand der Kammer heran und blickte zu mir auf. Ich hatte den Eindruck, daß sie mir etwas mitteilen wollte, darum schaltete ich trotz der früheren negativen Erfahrung die Kom munikationseinheit ein und sagte: »Hier spricht Grek-1. Wenn Sie mir etwas mitzuteilen haben, nennen Sie zuvor Ihre Personaldaten!« Die Gefangene legte die Handflächen an die Innenwandung der Unterdruckkammer und sagte leise: »Ich bin Prinzessin Crysalgira aus der Fa milie derer von Quertamagin, die eine sehr einflußreiche arkonidische Adelsfamilie ist. Der Imperator des Großen Imperiums schätzt mich sehr. Ich weiß, daß er mich rä chen wird, wenn er erfährt, welches grausa me Experiment Sie mit mir durchführen. Seine Rache würde furchtbar sein. Sie kön nen ihr nur entgehen, wenn Sie das Experi ment sofort abbrechen und mir meine nor male Körpergröße zurückgeben.« Ich wunderte mich darüber, daß die Ge fangene diesmal ohne emotionsgeladenes Gehabe sprach und noch dazu, wenigstens teilweise, logisch sinnvoll. Weibliche Arko niden waren offenbar sehr wechselhafte We sen. Aber natürlich konnte ich auf ihre Forde rung nicht eingehen. »Eine Drohung vermag meine Entschei dungen nicht zu beeinflussen, Prinzessin«, erwiderte ich. »Außerdem läßt sich das Ex periment nicht mehr rückgängig machen, da Sie Ihre Verkleinerungsstrahlungsdosis be reits erhalten haben und die Wirkung sich
20 nicht mehr aufhalten läßt.« Die Gefangene gab einige seltsame Laute von sich, die nicht an artikulierte Sprache er innerten. Plötzlich sah ich, daß aus ihren Augen eine wäßrige Flüssigkeit rann. »Haben Sie sich verletzt, Prinzessin?« er kundigte ich mich. »Ich weiß nicht, was Ihre Frage bedeuten soll, Grek-1«, sagte die Gefangene. »Ich ha be mich nicht verletzt.« »Aber die Flüssigkeit, die aus Ihren Au gen rinnt …« »Das sind Tränen!« schrie die Gefangene hysterisch. »Begreifen Sie nicht: Tränen! Oder wollen Sie mir sogar das Weinen ver bieten, Sie Ungeheuer?« »Sie müßten eigentlich wissen, daß wir Maahks keine Ungeheuer sind, sondern zivi lisierte Intelligenzen«, entgegnete ich. »Die Tatsache, daß wir auf Vertreter Ihrer Gat tung fremdartig wirken, dürfte für ein in kosmischem Rahmen denkendes Wesen oh ne jede Bedeutung sein.« »Sie wirken nicht nur fremdartig!« sagte die Gefangene heftig. »Sie sind tatsächlich fremdartig, völlig kalt, ohne jedes Gefühl.« Ich war etwas verwirrt. Der weibliche Arkonide schien tatsächlich Gefühle als Wertmaßstab zu verwenden, das heißt, er beurteilte ein nach streng logischen Grundsätzen ausgerichtetes Verhalten als negativ, weil es die Ausrichtung nach Emo tionen ausschloß. »Wir Maahks handeln stets auf logischer Basis«, erklärte ich. »Das aber gerade ist das Kriterium für vernünftiges Verhalten. Die Arkoniden verfügen über ein gewisses Maß an Intelligenz, das beweisen viele ihrer Raumoperationen, bei denen unseren Flotten Verluste zugefügt wurden, die die Verluste der Arkoniden übertrafen. Aber ihre Intelli genz befähigt die Arkoniden nicht zu ver nünftigem Handeln, und daran sind die un kontrollierten, ungezügelten Gefühle schuld. Warum wollen Sie nicht begreifen, daß das emotionsgeladene Gehabe Ihres Volkes die sen Krieg verursachte!« Die Gefangene starrte mich lange unver-
H. G. Ewers wandt an, dann erwiderte sie, diesmal wie der leise: »Warum können Sie nicht begreifen, daß das Leben erst durch Gefühle lebenswert wird, Grek-1? Ohne Gefühle können Sie doch bestenfalls das Leben von organischen Robotern führen, die ebenfalls nicht fähig sind, sich über die Tatsache, daß sie leben, zu freuen, die nicht lieben und nicht hassen, nicht im Überschwang der Gefühle jauchzen und nicht vor Leid weinen.« »Ich weiß nicht, welche Folgen Liebe be wirken kann«, sagte ich beharrlich. »Aber ich weiß, was der Haß bewirkt, den die Ar koniden uns entgegenbringen. Die Auswir kungen dieses Hasses sind so einschneidend im negativen Sinn, daß sie durch keine posi tiven Auswirkungen irgendwelcher anderer Gefühle rechtfertigt werden könnten.« »Für uns ist der Haß in diesem Krieg po sitiv, weil nur er uns in die Lage versetzt, ohne Rücksicht auf das eigene Leben und mit ganzem Einsatz um das Überleben unse res Volkes zu kämpfen«, hielt mir die Ge fangene entgegen. »Ohne meinen Haß auf Ihr Volk würde ich Sie vielleicht verstehen können. Doch das wäre schlecht, denn dann wäre ich vielleicht nicht in der Lage, Sie zu töten, sobald sich eine Gelegenheit dazu er gibt.« »Ich denke, wir reden aneinander vorbei, Prinzessin«, erklärte ich. »Unsere Mentalität ist so grundverschieden, daß es wahrschein lich niemals eine Einigung zwischen unse ren Völkern geben wird. Logischerweise be deutet das für mein Volk, daß wir noch in tensiver kämpfen müssen als bisher.« »Aber es bedeutet nicht, daß Sie eine Ge fangene teuflischen Quälereien aussetzen müssen!« rief der weibliche Arkonide. »Da Sie keine Schmerzen verspüren, han delt es sich bei unserem Experiment nicht um Quälerei«, erwiderte ich geduldig. »Sie werden zwar kleiner, aber Sie behalten die ursprüngliche Masse Ihres Körpers. Sollten Sie irgendwann einem stark verkleinerten Maahk begegnen, richten Sie ihm aus, daß ich Sie ihm nachgeschickt habe und daß er
Experimente auf Skrantasquor Sie nicht zu töten braucht.« »Ein Maahk?« fragte die Gefangene. »Ich sehe in meiner Nähe keinen Maahk.« »Er wurde so klein, daß er sich jeder opti schen Beobachtung entzog«, erläuterte ich. »Leider entzog er sich auch jeder meßtech nischen Kontrolle. Durch Sie können wir vielleicht erfahren, was mit ihm geschah, nachdem er für uns spurlos verschwunden war.« »So klein wollen Sie mich machen?« schrie die Gefangene mit überschnappender Stimme. »So winzig, daß ich nicht einmal mehr mit Mikroskopen gesehen werden kann und jedes Bakterium mich als seine Beute ansieht? Das kann nicht Ihr Ernst sein! Das dürfen Sie mit einer arkonidischen Prinzessin nicht machen, Grek-1. Ich flehe Sie an: Helfen Sie mir!« »Ich verstehe Sie nicht«, sagte ich. »Warum sollte der Mikrokosmos größere Schwierigkeiten bereithalten als unser nor maler Lebensraum? Versuchen Sie nur, Ihre Emotionen zu unterdrücken, Prinzessin. Wenn Sie sich angewöhnen, streng logisch zu denken und danach zu handeln, werden Sie alle Schwierigkeiten meistern.« Ich schaltete die Kommunikationseinheit ab, da ich schon zuviel Zeit mit einem Ge spräch verschwendet hatte, aus dem keine neuen Erkenntnisse hervorgegangen waren. Nachdem ich noch kurz mit Grek-3 ge sprochen hatte, kehrte ich ins Hauptquartier zurück.
4. Ich erwachte durch eine Veränderung in der Geräuschkulisse, die das Varganenschiff beständig erfüllte. Es waren keine lauten Geräusche, kein dumpfes Grollen oder Dröhnen, sondern eher ein maschinenhaftes Raunen, das stärker gefühlt als gehört wur de. Langsam schwang ich mich von dem was sergefüllten Bett meiner Schlafzelle, reckte mich und zog mich aus. Die Veränderung der Geräuschkulisse war
21 deutlich wahrzunehmen, doch es war nichts Bedrohliches dabei. Das Doppelpyramiden schiff war lediglich in den Normalraum zu rückgekehrt, und die Geräusche des Hype rantriebs wurden durch die Geräusche des Normalantriebs ersetzt. Während ich mich unter die automatisch funktionierende Dusche stellte, fragte ich mich, ob wir je wieder etwas von Magantil liken hören würden. Der letzte Körper des varganischen Henkers war zwar getötet wor den, aber sein Bewußtsein besaß die Fähig keit, den Tod des Körpers zu überdauern. Allerdings hatte es diesmal für Magantilli ken keine Möglichkeit der Rückkehr in die Eisige Sphäre gegeben, so daß sein Bewußt sein vielleicht ziellos umherirrte und eines Tages erlosch. Nachdem ich abwechselnd von heißen und kalten Wasserstrahlen abgespritzt wor den war, stellte ich mich unter die Warm luftdusche und ließ meine Haut trocknen. Anschließend wurde ich von Massageauto maten durchgeknetet und eingeölt. Ich hatte gerade meine Bordkombination übergestreift, als das Visiphon in meiner Wohnzelle summte. Ich ging zu dem Gerät und schaltete es ein. Ischtar's Gesicht erschien auf dem Bild schirm. Die Goldene Göttin war, wie immer, von atemberaubender Schönheit. »Ischtar?« sagte ich. Das Gesicht der Varganin blieb unbewegt, als sie antwortete: »Atlan, wir nähern uns jenem Stützpunkt der Maahks, in dem der Molekularverdichter entwickelt wurde.« Zahllose Gedanken wirbelten durch mei nen Kopf, doch ich sagte nur: »Danke, Ischtar. Ich komme in die Zen trale.« Ich schnallte den Waffengurt um und ver ließ meine Räumlichkeiten. Draußen glitten die gegenläufigen Transportbänder lautlos durch die Korridore. Sie waren anders als die Transportbänder auf arkonidischen Raumschiffen, keine Plastikbänder, die auf
22 Rollen liefen, sondern fließende stabilisierte Energie. Doch ich hatte mich schon seit lan gem daran gewöhnt, die Produkte der über legenen varganischen Technik wie selbstver ständlich zu benutzen. Niemand begegnete mir auf dem Weg in die Zentrale. Das wäre auch unwahrschein lich gewesen, denn die Besatzung des Dop pelpyramidenschiffs bestand nur aus Ischtar, mir und Ra, einem Barbaren von einem un bekannten Planeten. Ich wußte nicht viel von der Heimatwelt Ras, nur, daß sie der dritte Planet einer gelb weißen Sonne war und daß es auf ihr keine technische Zivilisation gab. Ich war noch nie dort gewesen, kannte nicht einmal die galaktonautische Position jenes Sonnensystems. Ra war von einem un bekannten Arkoniden entführt und auf ei nem der zahlreichen Sklavenmärkte des Im periums verkauft worden. Als ich erfuhr, daß Imperator Orbanaschol den dunkelhäutigen Barbaren für sich bean spruchte, entführte ich ihn von dem Plane ten, auf dem er vorübergehend untergebracht worden war. Durch Ra hörte ich zum ersten mal von Ischtar, die früher auf seinem Hei matplaneten gelandet und dort für kurze Zeit seine Geliebte gewesen war. Doch seit Ischtar mich kannte, hatte sie von Ra nichts mehr wissen wollen, was dem Barbaren natürlich mißfiel. Als ich die Zentrale betrat, fand ich außer Ischtar auch Ra vor. Der Barbar stand reglos neben einem Kontrollpult und starrte mich aus seinen dunklen Augen an. Er war eifersüchtig auf mich, weil ich ihm die Goldene Göttin ausgespannt hatte. Aller dings war nicht ich es gewesen, der die In itiative ergriffen hatte. Beim erstenmal hatte Ischtar mich praktisch zur Liebe gezwungen, indem sie mich hypnosuggestiv beeinflußte. Ischtar schien die Spannung zwischen Ra und mir nicht zu bemerken. Sie schwang bei meinem Eintritt mit ihrem Sessel herum und blickte mich ausdruckslos an. Ich warf einen Blick auf die Bildschirme. Doch sie zeigten nur die Sterne, die in der
H. G. Ewers Dunkelheit des Alls leuchteten, aber keinen Planeten. »Wo ist der maahksche Stützpunkt?« fragte ich ungeduldig. Die Goldene Göttin lächelte nachsichtig. »Du mußt noch viel lernen, mein ungestü mer Kristallprinz«, erklärte sie. »Wir dürfen nicht zu dicht an das Sonnensystem herange hen, in dem sich der maahksche Stützpunkt planet befindet. Ich habe vor, nur so nahe heranzufliegen, bis wir unsere weitreichen den Fernortungssysteme einsetzen können, ohne daß wir für die Ortungsgeräte der Maahks zu erreichen wären.« »Du weißt, daß die Waffen der Maahks deinem Schiff nichts anhaben können, Ischt ar«, entgegnete ich. Selbstverständlich spielte ich mit dem Ge danken, die Maahks zu einem Angriff auf das Varganenschiff zu verleiten. Ich haßte die Wasserstoffatmer, wenn auch nicht mit jenem besinnungslosen Haß, der die meisten Arkoniden gegen die Maahks erfüllte. Im merhin wußte ich, daß der Haß im Überle benskampf des Großen Imperiums seine Be rechtigung hatte, und wenn ich den Maahks Schaden zufügen konnte, würde ich nicht zögern, entsprechend zu handeln. »Warum sollte ich die Maahks zu einem Angriff auf mein Schiff verleiten?« fragte Ischtar, die meine Gedanken erraten hatte. »Sie sind mir genauso gleichgültig wie die Arkoniden. Ich habe nicht vor, in den Krieg zwischen den beiden Völkern einzugreifen.« »Aber du hast versprochen, mir zu hel fen!« erwiderte ich heftig. »Aus rein persönlichen Gründen«, erklär te die Varganin. »Ich werde mein Verspre chen halten und dir dabei helfen, die Kon struktionsunterlagen des maahkschen Mole kularverdichters zu beschaffen. Aber ich werde das auf meine Weise tun und mir kei ne Vorschriften machen lassen.« Ich sah aus den Augenwinkeln, daß Ra schadenfroh lächelte. Der Barbar gönnte mir die Abfuhr, die Ischtar mir erteilt hatte. Vielleicht hoffte er, bei ihr wieder zum Zuge zu kommen, wenn sich Ischtar genügend
Experimente auf Skrantasquor über mich ärgerte. Aber mich interessierte das nicht. Mich interessierte nur der Molekularver dichter, der sogenannte Zwergenmacher, mit dem die Maahks meinem Volk unvorstellba ren Schaden zufügen konnten, wenn sie ihn in großem Maßstab einsetzten. Nur das war wichtig, und es zählte nur das, was mein Volk vor einer Niederlage be wahrte. Deshalb blickte ich der Varganin fest in die Augen und erwiderte: »Du wirst noch lernen, mich zu verstehen, Ischtar, und zu begreifen, daß nicht alles nach deinem Kopf gehen kann.«
* Ich setzte mich in einen freien Sessel und beobachtete die Kontrollen. Ischtar schwieg. Die Atmosphäre zwi schen uns beiden war merklich abgekühlt. Ra versuchte wieder einmal, die Spannun gen zwischen Ischtar und mir zu seinem Vorteil zu nutzen. Er verschwand für kurze Zeit aus der Zentrale. Als er zurückkehrte, trug er eine der seltsamen Singenden Blu men, die wir auf Magantillikens Raumschiff gefunden hatten. Es war eine Pflanze, die aus kristallinem Material zu bestehen schien und irisierend leuchtete. Ihre Wurzeln, wenn man die selt samen Gebilde Wurzeln nennen durfte, steckten in einem Metallplastikbehälter, in dem sich eine Mischung aus gasförmigem Ammoniak und einer unbekannten chemi schen Verbindung befand. Das stellte die Nahrung der Pflanze dar. Entzog man ihr diese Nahrung, verbrauchte sie allmählich ihre eigene Substanz, bis sie vollkommen verschwunden war. Ihren Namen aber hatte die Pflanze von dem eigentümlichen Gesang, der von ihr ausging, ein wunderbares Raunen, Wispern und Klingen, das sich nicht einmal mit elek tronischen Instrumenten nachahmen ließ. Ra stellte die Singende Pflanze neben Ischtars Sessel, kniete vor der Varganin nie
23 der und küßte ihre Stiefel. »Meine Göttin!« flüsterte er. Ra war eben kein Psychologe, sonst hätte er sich still in einen Winkel zurückgezogen. Ischtar verzog unwillig das Gesicht und stieß den Barbaren unsanft zurück. »Verschwinde, Wilder!« fuhr sie ihn an. »Laß dir nie wieder einfallen, meine Füße zu küssen, wenn ich es nicht verlangt habe!« Bestürzt und in seinem tiefsten Innern verletzt, zog der Barbar sich zurück. In sei nen Augen entdeckte ich den Ausdruck von Unglauben. Er konnte es offenbar nicht fas sen, daß seine demütige Annäherung und sein Geschenk genau das Gegenteil von dem bewirkt hatten, was er sich erhoffte. Fast empfand ich Mitleid mit Ra. Er liebte Ischtar mit jeder Faser seines Körpers und mit seiner ganzen primitiven Seele. Das war allerdings nicht verwunderlich, wenn man bedachte, was es für ihn, einen Barbaren be deuten mußte, daß Ischtar, diese Goldene Göttin mit dem makellosen Körper, ihm ge stattet hatte, sie in seinen Armen zu halten. Meine Gedanken wurden von diesem lei digen Thema abgelenkt, als ein schwaches Zirpen ertönte und gleich darauf Kolonnen von Symbolen und Zahlen über den Bild schirm der Ortungsauswertung huschten. »Skrantasquor befindet sich im Erfas sungsbereich der Ortung«, stellte die Varga nin fest. »Skrantasquor?« fragte ich. »Ist das der Name des maahkschen Stützpunktes?« »Ja, und zugleich der Name des Planeten, auf dem sich der Stützpunkt befindet«, ant wortete Ischtar. »Skrantasquor ist ein Wort aus der Sprache der Maahks. Es handelt sich um einen Riesenplaneten mit einer heißen Wasserstoff-Me than-Ammoniak-Atmosphäre über dem Grund.« »Du meinst, über der Oberfläche des Pla neten«, warf ich ein. »Die Maahks sagen statt Oberfläche Grund, was für die von ihnen bevorzugten Riesenplaneten tatsächlich der treffende Ausdruck ist, vor allem aus unserer Sicht.
24 Im Grunde genommen müßte die obere Grenze der Atmosphäre solcher Planeten als Planetenoberfläche bezeichnet werden, denn diese Atmosphäre nimmt ein sehr großes Volumen des Gesamtplaneten ein und ist in den tieferen Regionen dichter als Wasser.« Ich dachte darüber nach und kam zu dem Schluß, daß Ischtars Argumentation sich wissenschaftlich nicht widerlegen ließ. Die von den Maahks bevorzugten Riesenplane ten waren tatsächlich ganz anders als die von Arkoniden bevorzugten Planeten, bei denen die Atmosphäre nur einen geringen Teil des Gesamtvolumens ausmachte und praktisch nur ein dünner Film war, der sich um die Planetenkugel legte. Sie bestand nur aus Ausdünstungen seiner festen Materie, während die Gasmassen maahkscher Riesen planeten von Anfang an dagewesen waren. »Ist Skrantasquor ein sehr großer Stütz punkt?« erkundigte ich mich. Ischtar lächelte. »Von Skrantasquor kamen die Schiffe, die das Trantagossa-System angriffen«, antwor tete sie. Ich hielt unwillkürlich den Atem an. Rund siebzehntausend Großkampfschiffe der Maahks hatten das Trantagossa-System angegriffen. Wenn sie alle auf Skrantasquor stationiert gewesen waren, mußte es sich um einen ungewöhnlich großen Stützpunkt der Maahks handeln. Aber woher wußte Ischtar das alles? Woher wußte sie, woher die siebzehntau send maahkschen Großkampfschiffe gekom men waren? Woher kannte sie die genaue galaktonautische Position von Skrantasquor? Und schließlich: Woher wollte sie wissen, daß die neue Superwaffe der Maahks auf Skrantasquor entwickelt worden war? Ich fragte sie danach, doch die Goldene Göttin antwortete mir lediglich mit einem vieldeutigen Lächeln. Manchmal kam sie mir schon unheimlich vor. Verfügte sie über seherische Kräfte? Oder existierte in der Galaxis ein Medium, durch das sich alle vorhandenen und auftauchen-
H. G. Ewers den Informationen ohne Zeitverzögerung fortpflanzten und das nur von Varganen an gezapft werden konnte? Ich wußte es nicht. Ich wußte nur, daß das Universum noch ungezählte Geheimnisse für den bereithielt, der alles daransetzte, sie aufzuspüren.
* »Kannst du ein Bild des Planeten einblen den lassen?« fragte ich die Varganin. Ischtar nahm einige Schaltungen vor, und wenig später bildete sich auf einem der Wandlerschirme ein scharfes dreidimensio nales Abbild eines Planeten ab. Ich erkannte auf den ersten Blick, daß es sich um einen jener Riesenplaneten handel te, die von einer dichten, wolkenreichen und turbulenten Gasatmosphäre umgeben waren. Von dem maahkschen Stützpunkt war nichts zu sehen. Die streifigen Wolkenzonen verbargen ihn nicht nur den Blicken, son dern ließen auch keine Ortungsstrahlen durch. Das lag an den heftigen energetischen Turbulenzen, die dort zu toben pflegten und für eine vorzeitige Ausblendung von Hype rimpulsen ins normale Kontinuum und ihre wirkungslose Zerstreuung sorgten. Die überragenden Ortungsgeräte des Var ganenschiffs jedoch hätten bis auf den festen Grund des Planeten vordringen müssen. Sie konnten von energetischen Turbulenzen nicht beeinträchtigt werden. Als hätte Ischtar nur auf meine diesbezüg lichen Überlegungen gewartet, nahm sie weitere Schaltungen vor. Plötzlich zeigte der Bildschirm den Grund des Riesenplaneten – beziehungsweise einen Ausschnitt von ihm. Während der Ortungskegel wanderte, er blickte ich ein gigantisches Meer aus undefi nierbarer Flüssigkeit, eine gezackte Felsen insel mit den Ruinen uralter Bauwerke und später die schwer und massiv wirkende Landmasse eines Kontinents. Dann kamen die Bauwerke in Sicht. Es waren eindeutig Bauwerke jüngeren
Experimente auf Skrantasquor Datums, viele tausend Jahre nach dem Zeit punkt errichtet, da die Bauwerke auf der ein samen Insel zu Ruinen zerfallen waren. Drei spiegelglatte zylindrische Türme reckten sich hoch in die unteren Schichten der Atmosphäre, reichten aber längst nicht bis in die Wolkenzone hinein. Daneben stan den neun riesige Kuppelbauten, von denen regelmäßig hauchdünne Kristallschleier auf stiegen und sich in der Atmosphäre auflö sten. »Was sind das für Schleier?« fragte ich. »Abscheidungen der Klima- und Gaser neuerungsanlagen des Stützpunkts«, antwor tete Ischtar bereitwillig. »Können deine Ortungsgeräte in den Stützpunkt eindringen?« erkundigte ich mich. »Ja, aber nur kurz«, sagte Ischtar. »Sonst würden die Impulse von automatischen Überwachungsanlagen erfaßt und analysiert werden, was einen Alarm auslösen würde.« Der Ortungskegel wanderte weiter. Seine Reflexionszone hielt sich noch an der Ober fläche beziehungsweise am Grund des Pla neten. Nach einer Weile wurde auf dem Schirm ein Raumhafen abgebildet, der von zahlrei chen kleineren Kuppeln umringt war. Kein einziges Schiff stand auf dem Raumhafen. Kurz darauf machte ich die feinen Linien aus, die sich in der Oberflächenbeschichtung befanden und mir verrieten, daß das Hafena real von vielen Start- und Landeschächten, Hangars und Reparaturhallen unterwühlt war. Endlich ließ Ischtar die Reflexionszone des Ortungskegels durch die Oberflächenbe schichtung dringen. Wie ich vermutet hatte, gab es zahlreiche Schächte und Hallen. Und in einer dieser Hallen stand ein Raumschiff, dessen Anblick mir einen Ruf der Überraschung entlockte. »Ein Kugelraumschiff!« rief ich erregt. »Es muß sich um ein erbeutetes arkonidi sches Raumschiff handeln! Wie groß ist es?« »Durchmesser sechzig Meter«, teilte die
25 Varganin mir mit. »Ich muß die Reflexions zone wieder zurückziehen.« Das Abbild des kleinen Kugelraumschiffs verschwand vom Bildschirm und machte wieder dem düsteren Grund des Planeten Platz. Doch mir ließ das, was ich für kurze Zeit gesehen hatte, keine Ruhe mehr. »Die Maahks haben ein Raumschiff mei nes Volkes aufgebracht«, sagte ich. »Vielleicht halten sie die Besatzung gefan gen. Ischtar, wenn dort unten Arkoniden sind, werde ich ihnen helfen!« »Ich habe dir schon mehrfach erklärt, daß ich mich in euren Krieg nicht einmische«, erklärte die Varganin kalt. »Außerdem wis sen wir nicht, ob die Besatzung des Arkoni denschiffs noch lebt. Vielleicht wurde sie längst getötet.« Das war natürlich möglich, denn die Maahks machten nur selten Gefangene. Für sie war es offenbar wichtiger, so viele Arko niden wie möglich zu töten, als Gefangene zu machen und bei eventuellen Verhandlun gen als zusätzliches Druckmittel zu benut zen. Die Erklärung ist viel einfacher! meldete sich der Logiksektor meines Extrahirns. Es ist den Maahks einfach zu aufwendig, eine große Zahl arkonidischer Gefangener in Unterdruckkammern unterzubringen und mit Atemluft, Wasser und Nahrung zu versor gen, die sie erst von weither herbeischaffen müssen. Das leuchtete mir ein. Dennoch wurde ich den Gedanken nicht los, daß sich auf Skrantasquor vielleicht Ar koniden befanden, bedroht von Hunger, Durst und physischen wie psychischen Fol terungen. »Immerhin ist die Möglichkeit, daß die Besatzung des Kugelraumschiffs noch lebt, nicht ganz von der Hand zu weisen«, erklär te ich. »Ischtar, ich bitte dich, mir die Mittel zu geben, mit denen ich die Gefangenen be freien kann. Ich weiß, daß du über diese Mittel verfügst.« »Entscheide dich, was du suchst, Atlan!«
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H. G. Ewers
forderte Ischtar. »Was ist dir wichtiger: die Beschaffung der Konstruktionsunterlagen des Molekularverdichters oder die Befreiung hypothetischer Gefangener?« Beschämt senkte ich den Kopf. Ich hatte jetzt tatsächlich nicht mehr daran gedacht, weshalb ich in diesen Raumsektor gekommen war. »Der Molekularverdichter geht vor«, sag te ich.
5. Grek-3 hatte mich benachrichtigt, daß die Verkleinerung der Gefangenen in ein ent scheidendes Stadium getreten war. Ich begab mich mit einer Transportkapsel in die Laborhalle, in der noch immer die Un terdruckkammer stand. Von der arkonidischen Gefangenen konn te ich allerdings im ersten Tausendstel einer Zeiteinheit nichts sehen. »Haben Sie die Gefangene umquartiert?« wandte ich mich an Grek-3, der sich zusam men mit zwölf anderen Wissenschaftsoffi zieren in der Laborhalle aufhielt. »Nein, Grek-1«, erwiderte Grek-3. »Schauen Sie genau hin. Die arkonidische Prinzessin ist noch da. Sie ist nur schon so stark geschrumpft, daß man sie mit bloßem Auge kaum noch sehen kann.« Ich befolgte seinen Rat, trat dicht an die Unterdruckkammer und schaute hinein. Und dann entdeckte ich Prinzessin Crys algira! Sie war noch immer nackt, denn da Klei dungs- und Ausrüstungsteile den Schrump fungsprozeß nicht mitmachten, wäre es sinn los gewesen, ihr ihre Kleidung zurückzuge ben. Es war ein faszinierender Anblick, denn die Gefangene hatte bestenfalls noch die Größe eines Zahns, und doch hatten sich ih re Körperformen überhaupt nicht verändert. Auch die Proportionen stimmten. »Wir haben eine starke Panzerplatte unter den Behälter schieben müssen«, teilte Grek 3 mir mit. »Sonst wäre die Gefangene we-
gen der starken Massenkonzentration durch den Boden gebrochen.« »Wird die Masse noch genau angezeigt?« erkundigte ich mich. »Die Massetaster zeigen eine unveränder te Masse an«, antwortete Grek-3. »Es be steht meiner Ansicht nach keine Gefahr, daß die Gefangene aus unserer Kontrolle gerät, sobald sie zu klein geworden ist, als daß un sere Augen sie noch sehen könnten.« Dieses Argument war stichhaltig. Den noch fragte ich mich immer wieder, warum der alte Grek-3 sich anhand seiner unverän derten Körpermasse nicht mehr lokalisieren ließ. »Ist dafür gesorgt, daß die Gefangene spä ter mit Hochleistungsmikroskopen beobach tet werden kann?« fragte ich. Grek-3 deutete auf drei vor der Unter druckkammer aufgestellte Geräte. »Damit müßten wir die Gefangene noch lange nach dem Zeitpunkt sehen können, an dem sie für unsere Augen unsichtbar wird, Grek-1«, erklärte er. »Gut!« sagte ich. »Informieren Sie mich, sobald die Gefangene für Ihre Augen un sichtbar geworden ist!« »Ich schlage vor, Sie erwarten das Eintre ten dieses Ereignisses hier, Grek-1«, sagte Grek-3. »Es kann nicht länger als drei Hun dertstel Zeiteinheiten dauern, denn zum En de zu verläuft der Verkleinerungsprozeß im mer schneller.« »Einverstanden«, erwiderte ich. Nachdem ich einen Blick auf die Anzei gen des Massetasters geworfen hatte, wid mete ich meine Aufmerksamkeit wieder der Gefangenen. Sie war inzwischen weiter geschrumpft, und während ich sie beobachtete, schritt der Verkleinerungsprozeß noch schneller voran. Bald darauf war Prinzessin Crysalgira kaum noch zu sehen – und dann kam der Zeit punkt, zu dem sie für meine Augen vollstän dig unsichtbar wurde. Ich wandte mich nach Grek-3 um und fragte: »Ist die Gefangene noch unter Kontrol
Experimente auf Skrantasquor le?« »Der Massetaster zeigt ihre Position un verändert an, Grek-1«, antwortete der Wis senschaftsoffizier. »Sie bewegt sich sehr langsam von links nach rechts über den Bo den der Kammer.« »Ich möchte sie durch ein Hochleistungs mikroskop beobachten!« sagte ich. Grek-3 führte mich zu einem der Geräte, schaltete es ein und richtete den Erfassungs kegel auf die Stelle des Bodens, die vom Massetaster als Position der Gefangenen ausgewiesen wurde. Ich blickte auf den kleinen Bildschirm des Geräts und war zuerst etwas verwirrt, denn er zeigte keine glatte Bodenfläche, sondern ein Gewirr von Schrunden, Kratern und schroffen Erhebungen. Aber schnell machte ich mir klar, daß das nur natürlich war. Die Bodenfläche der Unterdruckkammer sah für unsere Augen glatt aus, aber bei sehr starker Vergrößerung mußten die Unregelmäßigkei ten zum Vorschein kommen, die dem Mate rial anhafteten. Etwas später entdeckte ich die Gefangene. Die arkonidische Prinzessin lief gerade durch eine Schlucht, dann versuchte sie, eine Erhebung zu erklettern. Ihr Versuch mißlang jedoch, da unter ihren Händen das massiv erscheinende Material zerbröckelte. »Das liegt an ihrer unverändert großen Masse, Grek-1«, erklärte Grek-3, der neben mir stand und die Vorgänge auf dem Bild schirm des Hochleistungsmikroskops eben falls verfolgte. »Wenn eine große Masse sich auf ein sehr kleines Volumen konzen triert, verstärkt sich die entsprechende physi kalische Auswirkung in gleichem Maße.« »Was soll das werden, wenn die Gefange ne noch kleiner wird?« fragte ich. Die Prinzessin hatte es aufgegeben, die Erhebung zu erklettern. Sie lief in entgegen gesetzter Richtung durch die Schlucht zu rück und betrat ebenes Gelände. In der nächsten Tausendstel Zeiteinheit verschwand sie völlig. Ich hatte allerdings gesehen, daß das nicht etwa auf einer ruck haften weiteren Verkleinerung beruhte, son
27 dern darauf, daß sie durch die morsche Ma terialblase der Oberfläche gebrochen war. »Wie ist ihre Masse?« erkundigte ich mich. »Unverändert!« berichtete Grek-3. »Die Massekonzentration sinkt allerdings allmäh lich tiefer. Wahrscheinlich ist die Gefangene in ein mikroskopisch kleines Höhlensystem geraten.« Ich versuchte, mir vorzustellen, wie die arkonidische Prinzessin durch ein Höhlenla byrinth wanderte, das ihr riesig vorkommen mußte, sich aber nur in der hauchdünnen Oberschicht der Kammergrundplatte befand. Genauso mußte es dem alten Grek-3 er gangen sein. Doch warum war er spurlos verschwunden, obwohl sich die Massekon zentration der Gefangenen mit dem Detektor mühelos lokalisieren ließ? »Massekonzentration sinkt plötzlich schneller«, teilte Grek-3 mir mit. »Die Ge fangene erreicht das Material der Panzer platte unter der Kammer.« »Was wird, wenn sie so geschrumpft ist, daß sie zwischen den Molekülen des Materi als hindurchrutscht?« erkundigte ich mich. »Ich weiß es nicht, Grek-1«, antwortete Grek-3. »Wir hatten nicht erwartet, daß der Verkleinerungsprozeß unendlich lange wei tergeht, sondern irgendwann zum Stillstand kommt.« »Irgendwann kommt er sicher zum Still stand«, erwiderte ich. »Auch der Mikrokos mos hat seine Grenzen.« Ein überraschter Ausruf eines der Wissen schaftsoffiziere beim Massedetektor ließ Grek-3 und mich herumfahren. »Was ist los?« fragte Grek-3. »Die Gefangene hat sich der Kontrolle des Massedetektors entzogen«, antwortete der Offizier. »Das ist unmöglich!« sagte Grek-3 und eilte zu dem Gerät. Ich folgte ihm langsam und in der Ah nung, daß unser Experiment gescheitert war. »Vielleicht hat die Gefangene ihre Masse verloren«, meinte Grek-3. »So plötzlich?« erwiderte ich. »Das klingt
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nicht logisch genug, Grek-3.« »Eine logisch fundierte Antwort darauf gibt es vorläufig nicht, Grek-1«, gab Grek-3 zu. »Es scheint, als wäre die Gefangene aus unserem Kontinuum verschwunden. Doch auch das ist nur eine Hypothese, die sich wahrscheinlich nicht beweisen läßt.« »Wir wissen also nicht, was mit der Ge fangenen geschehen ist, als ihre Verkleine rung eine bestimmte Stufe erreichte«, stellte ich fest. »Damit können wir auch nichts über das Schicksal aussagen, das den alten Grek 3 betroffen hat. Das Experiment ist beendet. Grek-3, fertigen Sie einen genauen Bericht über den Verlauf an und speichern Sie alle Daten in der Großen Positronik.« Ich wandte mich um und verließ die La borhalle. Das Experiment mit der Gefangenen war ein Fehlschlag gewesen, gestand ich mir ein. Doch wir durften nicht aufgeben, mußten das Problem von einer anderen Seite angrei fen. Die Weiterentwicklung des Molekularver dichters war zu wichtig für uns, als daß wir irgendwann resignieren durften.
* Wir hatten uns dem maahkschen Stütz punktplaneten nicht weiter genähert, son dern warteten in einer Entfernung ab, die von den Ortungssystemen der Maahks nicht überbrückt werden konnte. Nachdem Ra sich schweigend in seine Kabine zurückgezogen hatte, war auch das Gespräch zwischen Ischtar und mir ver stummt. Hin und wieder warf ich der Varga nin einen prüfenden Blick zu, doch ihr unbe wegtes Gesicht verriet nichts von den Ge danken, die sich hinter der hohen Stirn ab spielten. Ich fühlte mich hilflos, denn ich wußte genau, daß ich ohne Ischtars Einwilligung nichts unternehmen konnte. Das Doppelpy ramidenschiff wurde von ihr beherrscht. Schließlich überwand ich meinen Groll und beschloß, mein Glück mit Charme zu
versuchen. Ich schwang meinen Sessel so herum, daß ich Ischtar von der Seite her ansehen konnte, lächelte und sagte: »Eine so schöne Frau wie du sollte nicht ein so finsteres Gesicht machen, Ischtar. Ich kann mir zahllose erfreuliche Gedanken vor stellen, die durch deinen Kopf gehen – von den Gefühlen ganz zu schweigen.« Die Varganin wandte den Kopf und blick te mich an. »Was willst du, Atlan?« fragte sie. »Ich möchte, daß du an die schönen Din ge des Lebens denkst und nicht die Zeit mit dunklen Gedanken vertust«, antwortete ich. »Wollen wir im Freizeitgarten schwim men?« Ischtar seufzte und meinte: »Ich weiß genau, daß dir der Sinn nicht danach steht, mit mir zu schwimmen, mein Kristallprinz. Du versuchst, mich dir gewo gen zu machen, damit ich deine Wünsche hinsichtlich eines Vorstoßes nach Skrantas quor erfülle.« Es wäre ein Fehler gewesen, das abzu streiten. Ischtar hatte mich durchschaut. Dennoch behielt ich mein Lächeln bei, als ich antwortete: »Vor dir kann niemand seine geheimsten Gedanken verbergen, schöne Göttin. Es stimmt, ich denke daran, wie ich die Aktion gegen die Maahks am schnellsten durchfüh ren kann. Aber ich denke auch daran, daß wir danach wieder mehr Zeit für uns und un sere Liebe haben werden.« Endlich erschien auch auf Ischtars Ge sicht ein gelöstes Lächeln. »Du setzt alle deine Waffen ein, um dein Ziel zu erreichen, Atlan«, erklärte sie. »Ich gebe allerdings zu, daß ich mich danach seh ne, wieder in deinen Armen zu liegen.« »Gehen wir zu dir oder zu mir?« fragte ich. Die Varganin stand auf. »Weder noch, Atlan. Du könntest dich nicht auf die Liebe konzentrieren, weil deine Gedanken unablässig um die Maahks, das arkonidische Raumschiff auf Skrantasquor
Experimente auf Skrantasquor und den Molekularverdichter kreisen. Und ich mag es nicht, wenn mein Geliebter an et was anderes denkt, wenn er mit mir zusam men ist.« »Dann wirst du mir eine Ausrüstung ge ben, mit der ich ungesehen und ungefährdet nach Skrantasquor gelange?« fragte ich hoffnungsvoll. Ischtars Gesicht verdüsterte sich, und ich fürchtete schon, alles verdorben zu haben. Doch sie sagte, wenn auch mit ärgerlicher Stimme: »Ja, damit du endlich tun darfst, was du doch nicht lassen kannst, Atlan. Ich wollte die Angelegenheit auf meine Art und Weise erledigen, aber ich habe eingesehen, daß du nicht die Geduld aufbringst, so lange zu warten.« »Danke, meine geliebte Göttin!« sagte ich erleichtert. »Komm mit!« sagte Ischtar kurz angebun den. Sie ging in eine der Nischen in den Wän den der Zentrale, in denen die Transportkap seln standen, kleine, zweisitzige Hohlku geln, die lediglich ein kleines Programmier pult enthielten. Wir nahmen auf der Sitzbank Platz, und die Varganin ließ ihre schlanken Finger über die Sensorflecken des Programmierpults fliegen. Als sie die Hände zurücknahm, er tönte ein schwaches Summen. Eine rosa Lampe glühte an der Innenwandung über uns auf. Die Transportkapsel setzte sich in Bewe gung. Da die Kapsel keine transparenten Stellen und auch keine Bildschirme besaß, konnte ich unsere Fahrt nicht verfolgen. Doch ich wußte, daß die Kapsel von der Zentralen Positronik des Doppelpyramiden schiffs gemäß der Programmierung durch Magnetröhren gesteuert wurde, die das ge samte Schiff durchzogen und teilweise in hohlen Wänden entlangführten. Dadurch war gesichert, daß immer der kürzeste Weg zu einem Zielpunkt eingeschlagen wurde. Als die Kapsel anhielt, klappte die Öff nung automatisch auf. Dahinter war eine
29 schwarze Metallplastikwand zu erkennen. Ischtar stieg zuerst aus, stellte sich vor die Wand und sprach ein Kodewort. Innerhalb weniger Augenblicke löste sich ein Teil der Wand in grauen Nebel auf, der wie unter ei nem Windstoß zerflatterte und den Blick auf eine in grünem Licht liegende Kammer frei gab. Wieder einmal kam ich mir an Bord des Varganenschiffs vor, als erlebte ich eine ma gische Handlung. Aber durch den Umgang mit Ischtar und den technischen Errungen schaften der Varganen hatte ich längst erfah ren, daß eine wirklich hochentwickelte Technik immer irgendwie wie Magie wirkt, weil ihr Funktionieren nicht mehr an Hebel und Schalter gebunden war. Ischtar betrat die Kammer, und ich folgte ihr und sah mich neugierig um. Die hintere Wand der Kammer war ge wellt und von hellblauer Färbung. Ihre bei den Seiten wurden von schwarzen Sensorlei sten begrenzt, die wie lackiert glänzten. In der Mitte der gewellten Wand befand sich eine Ausbuchtung, die an einen gewölbten länglichen Schildbuckel erinnerte. Ischtar deutete auf den Buckel und sagte: »Das ist die Ausrüstung, mit der du nach Skrantasquor gehen wirst, Atlan.« Ich blickte das Gebilde zweifelnd an, dann sagte ich mir, daß die Varganin schließlich wissen mußte, was sie sagte. »Und wie komme ich nach Skrantas quor?« erkundigte ich mich. »Soll ich ein Beiboot nehmen?« Ischtar lachte hell. »Du brauchst kein Beiboot, Atlan«, ant wortete sie. »Das varganische Keruhm ge nügt vollkommen. Aber zur doppelten Si cherheit brauchst du natürlich noch einen Schutzanzug.« Sie trat zur linken Wand der Kammer und fuhr mit dem Zeigefinger unsichtbare Linien entlang. In der Wand bildete sich eine Öffnung, und dahinter hing ein varganischer Schutz anzug. Durch lange Raumfahrerpraxis geübt, erfaßte ich mit dem ersten Blick, daß der
30 Schutzanzug mir passen würde. Ich nahm ihn aus seiner Magnethalterung. Das Material war von goldener Farbe und fühlte sich so weich an wie Handschuhleder. Doch ich wußte, daß varganische Schutzan züge unglaublich widerstandsfähig waren, viel widerstandsfähiger als die schwersten arkonidischen Raumschutzanzüge. »Leg ihn an!« sagte Ischtar. Ich folgte ihrer Aufforderung und streifte mir den Schutzanzug über. Er paßte wirklich genau, als wäre es eine eigens für mich hergestellte Maßanferti gung. Den im Kragenwulst verborgenen Helm ließ ich noch unberührt. Als ich mich umdrehte, sah ich, daß Ischt ar das schildbuckelähnliche Gebilde von der gewellten Wand abgehoben hatte. Sie drehte es mit der Innenseite zu mir. Ich erkannte, daß diese Seite nach innen gewölbt war, so daß sie sich meinem Rücken anpassen wür de. Außerdem hingen an ihr mehrere Halte gurte sowie ein breiter Riemen mit einer lin senförmigen Schnalle. »Ein Flugaggregat?« entfuhr es mir. »Mehr als das«, antwortete Ischtar. »Dreh dich um!« Ich drehte mich um, und die Varganin drückte das Aggregat gegen meinen Rücken. Die Haltegurte hingen an den Seiten herab. Es fiel mir nicht schwer, sie kreuzweise über meiner Brust zu befestigen und einen kürze ren Gurt zwischen den Beinen nach oben zu ziehen. Die Funktion des breiten Riemens war ebenfalls leicht zu erraten. Er ließ sich als Gürtel umschnallen. »Dieses Aggregat enthält ein komplettes Überlebenssystem, wie Klimaanlage, Luft versorgung und -reinigung und Flugsteue rungsanlage«, erklärte Ischtar. »Sein wich tigstes Gerät aber ist ein Projektor, der eine variable Energieblase aufbauen kann. Diese Energieblase kann so geschaltet werden, daß sie hauteng anliegt und daß der Träger des Keruhms sich frei bewegt und Gegenstände umfassen kann. Sie kann aber auch bis auf die Größe einer
H. G. Ewers fünf Meter durchmessenden Überlebensku gel ausgedehnt werden und stellt dann eine Art Raumschiff und Schutzschirm zugleich dar. Außerdem macht sie das Keruhm un sichtbar.« »Das ist phantastisch!« sagte ich enthusia stisch. »Du meinst also, ich kann mich mit Hilfe des Keruhms ungesehen im Stützpunkt der Maahks bewegen?« »Ja«, antwortete die Goldene Göttin. »Die Energie für das Keruhm wird allerdings nicht in dem Aggregatetornister erzeugt, sondern hinter dieser Wand.« Sie deutete auf die gewellte Wand, dann glitten ihre Fingerspitzen über die Sensorlei sten. »Damit wäre die Energieübertragung ge sichert«, erklärte sie. Ich zögerte etwas, dann fragte ich: »Aber erst einmal muß ich auf dem Plane ten Skrantasquor landen, Ischtar.« »Du wirst mit dem Keruhm landen«, sag te Ischtar. »Mit einer kleinen Energieblase?« fragte ich zweifelnd. »Sie wird in den Stürmen und Entladungsgewittern der Wolkenzone des Riesenplaneten zerflattern. Es ist schon ein Risiko, mit einem normalen Raumschiff dort landen zu wollen.« Ischtar blickte mich ironisch an und frag te: »Willst du nun nach Skrantasquor oder nicht, Atlan?« Ich schluckte, dann straffte ich die Schul tern und antwortete: »Natürlich will ich – notfalls sogar zu Fuß.«
6. Obwohl ich fest entschlossen war, mich dem Keruhm auf Gedeih und Verderb anzu vertrauen, beschlich mich doch eine dumpfe Vorahnung kommenden Unheils, als ich aus einer Schleuse des Doppelpyramidenschiffs startete. Sobald ich das Varganenschiff verlassen hatte, befand ich mich im freien Raum – und
Experimente auf Skrantasquor das war wörtlich im Sinne der modernen Kosmologie gemeint, die als freien Raum erst den Raum außerhalb von Sonnensyste men definierte. Es war schon ein seltsames Gefühl, zu wissen, daß zwischen mir und der Unend lichkeit nur eine dünne Haut aus Energie lag. Ich fühlte mich versucht, den Druck helm zu schließen. Doch ich ließ es sein, denn damit hätte ich vor mir eingestanden, daß ich dem Schutz des Keruhms nicht vertraute. Von meinem Zielgebiet war vorläufig nur ein besonders heller blauweißer Stern zu er kennen. Ischtar hatte mir gesagt, daß die Maahks diese Sonne Kratakh nannten und daß der Planet Skrantasquor der sechste Pla net des Kratakh-Systems war. Da ich keine überlichtschnell arbeitenden Ortungsgeräte bei mir hatte, steuerte ich nach den Daten, die Ischtar mir an Bord des Varganenschiffs gegeben hatte. Es würde noch Stunden dauern, bis ich Skrantasquor als hellen Lichtpunkt erkannte. Bis dahin mußte ich darauf vertrauen, daß die Daten stimmten und ich den maahkschen Stütz punktplaneten auf dem kürzesten Wege an flog. Während des langes Fluges ließ ich mir wieder einmal alles durch den Kopf gehen, was mich bewegte, was ich aber wegen un aufschiebbarer Aktionen immer wieder zu rückgestellt hatte. Vor allem beschäftigte mich der Gedanke daran, wie Orbanaschol abgesetzt werden konnte, damit ich an seiner Stelle das Impe rium leiten und den Kampf gegen die Maahks straff organisieren konnte. Beim Angriff der Maahks auf das Trant agossa-System hatte das Große Imperium ei ne sehr empfindliche Schlappe erlitten, die durchaus eine Wende des Kriegsglücks zu gunsten der Maahks bedeuten konnte, wenn es nicht gelang, die Imperiumsflotte zu reor ganisieren und alle Sektorflotten unter ein leistungsfähiges, schnell reagierendes Zen tralkommando zu stellen. Danach mußte die Imperiumsflotte eigene
31 Vorstöße planen und durchführen und vor allem den Krieg in größerem Maßstab als bisher auch in das Herrschaftsgebiet der Maahks tragen. Das System des Mörders und Diktators Orbanaschol war dazu nicht in der Lage; es war innerlich verfault und korrupt, von Intri gen geschüttelt, von Furcht regiert und vom Karrieredenken beherrscht. Es hatte bisher wohl nur deshalb keinen groß angelegten Umsturzversuch gegeben, weil der Haß auf die Maahks ein Faktor war, der ein Binde glied zwischen Unterdrückern und Unter drückten darstellte. Mit solchen und ähnlichen Gedanken ver ging die Zeit. Ich verdrängte sie alle, als ich den Ziel planeten durch die Energiesphäre des Ke ruhms deutlich ausmachen konnte, ein wah rer Gigant, der bei etwas größerer Masse si cher zu einer Zwergsonne geworden wäre. Ischtar hatte mir geraten, zuerst auf einem der Monde Skrantasquors zu landen und mit ihm um den Planeten zu kreisen, bis ich einen großen roten Fleck entdeckte, einen stark strahlenden Energievulkan, der die Wolkenschicht durchbrach. Rund dreitau send Kilometer westlich des Energievulkans sollte ich in die Wolkenzone eindringen und in der Nähe des maahkschen Stützpunkts niedergehen. Das hörte sich einfach an, doch ich war noch immer skeptisch. Ich wußte, wie ge fahrvoll es war, eine mehrere tausend Kilo meter dicke Hochdruckatmosphäre mit ihren wahnwitzigen Stürmen und Entladungsge wittern zu durchfliegen. Die Entladungsblit ze waren oft stärker als eine volle Breitseite aus den schweren Energiegeschützen eines Schlachtschiffs, und die Stürme erreichten die Stärke von Druckwellen, wie sie bei der Explosion einer Fusionsbombe entstanden, die einen ganzen Mond zerreißen konnte. Und das alles sollte die dünne Energiehül le des varganischen Keruhms aushalten! Wenn Ischtar es sagte, dann stimmt es auch! meldete sich mein Logiksektor. Die Varganin hat kein Interesse daran, dich in
32 den Tod zu schicken. Das war mir ebenfalls klar, sonst hätte ich mich auf das Abenteuer gar nicht erst einge lassen. Aber messerscharfe Logik war eine Sache, das, was man angesichts anscheinend übermächtiger Gefahren fühlte, eine andere. Ich entdeckte zuerst den Schatten des nächsten Mondes auf der Wolkenoberfläche Skrantasquors und erst etwas später den Mond selbst. Mit Hilfe der linsenförmigen, glasartig schimmernden Gürtelschnalle des Keruhms steuerte ich meine Energiesphäre in eine Bahn, die dann die Mondumlaufbahn kreu zen würde, wenn der Mond genau an der gleichen Stelle war. Der Flug war nicht weiter aufregend. Nur einmal fühlte ich mich gefährdet, das war, als drei große Walzenraumschiffe der Maahks etwa zweihundert Kilometer vor mir meinen Kurs kreuzten. Wenn sie die Energieblase orteten … Doch die Energie der Sphäre konnte of fenbar von maahkschen Ortungsgeräten nicht erfaßt werden, denn die drei Groß kampfschiffe änderten ihren Kurs nicht, son dern hielten unverändert auf Skrantasquor zu. Bald verlor ich sie wieder aus den Au gen. Wenig später tauchte der angesteuerte Mond direkt vor mir auf. Ich setzte mich hinter ihn, dann überholte ich ihn und lande te auf der dem Riesenplaneten zugewandten Seite. Obwohl es die der Sonne Kratakh abge wandte Seite war, herrschte keine Dunkel heit. Die Rückstrahlung Skrantasquors war so stark, daß die Landschaft in ein rötliches Dämmerlicht getaucht wurde, in dem es kaum Schatten gab. Ich blickte mich um und sah, daß der Pla net durchaus nicht so lebensfeindlich war, wie es vom Raum ausgesehen hatte. Es gab eine dünne Vegetation mit dunkelblauen le drigen Blättern, und die Atmosphäre enthielt genügend Sauerstoff, so daß ein Arkonide wahrscheinlich einen Tag oder länger ohne Raumanzug überlebt hätte.
H. G. Ewers Allerdings mußte es tagsüber sehr heiß sein, denn die blaue Riesensonne Kratakh spendete dem sechsten Planeten mehr Ener gie als die Arkonsonne den drei Arkonplane ten. Andernfalls wäre die Atmosphäre auf Skrantasquor für die Maahks zu kalt und nicht atembar gewesen. Ein Blick auf Skrantasquor überzeugte mich davon, daß der Energievulkan noch nicht in Sicht gekommen war. Ich beschloß, die Wartezeit dazu zu nutzen, mich ein we nig auf dem Mond des Riesenplaneten um zusehen. Ich schaltete das Keruhm so, daß es eng an meinem Schutzanzug anlag, dann beweg te ich mich mit weiten flachen Sprüngen über das Gelände. Der Mond hatte ungefähr die halbe Schwerkraft eines Arkonplaneten, so daß ich schnell voran kam. Mein erstes Ziel war ein zirka zweihundert Meter hoher Hügel, von dem aus ich mir einen größeren Überblick zu verschaffen gedachte. Als ich nur noch zwei weite Sprünge von der Hügelkuppe entfernt war, stutzte ich. Schon von weitem hatte ich gesehen, daß sie nicht bewachsen war wie der übrige Teil des Hügels, aber erst aus relativ geringer Entfer nung fiel mir auf, daß die Kuppe viel zu ebenmäßig und glatt für eine natürlich ent standene Hügelkuppe war. Ich ließ den letzten Sprung aus und ging die restliche Strecke langsam, ständig nach Gefahren ausschauend. Auf einem fremden Himmelskörper war erst einmal alles ver dächtig, was nach dem Werk intelligenter Lebewesen aussah. Dicht vor der glatten Hügelkuppe blieb ich stehen. Der erste Eindruck hatte mich nicht ge täuscht. Es handelte sich tatsächlich um das Werk intelligenter Lebewesen – und zwar solcher Intelligenzen, deren Zentralnerven system etwa gleich weit entwickelt sein mußte wie das von uns Arkoniden. Das Material, aus dem die Hügelkuppe bestand, konnte dem Augenschein nach nämlich nur hochwertiges Metallplastik sein
Experimente auf Skrantasquor – und das wurde erfahrungsgemäß erst auf einer sehr hohen Stufe technischer Zivilisa tionen entwickelt. Hatte ich es hier etwa mit einem getarnten Vorposten der auf Skrantasquor sitzenden Maahks zu tun? Erst, nachdem ich mir klargemacht hatte, daß Maahks, falls es hier welche gab, mich meines Keruhms wegen nicht sehen konn ten, wagte ich, die Kuppe zu betreten. Die Energiehaut unter meinen Stiefelsoh len wirkte wie ein federndes Polster, deshalb konnte ich völlig lautlos auftreten. Die me tallene Kuppe war glatt. An der Wölbung er kannte ich, daß sie unter dem pflanzenbe wachsenen Boden der Hügelhänge weiter ging. Ich musterte von oben die weitere Umge bung, verglich das, was ich sah, mit meinem kosmologischen Wissen und kam zu dem Schluß, daß die Metallplastikkuppel einst frei auf einer Ebene gestanden hatte. Diese Ebene war später von einem flachen Meer bedeckt worden, dessen Ablagerungen die Kuppel und ihre Umgebung zugeschüttet hatten. Noch später war das Meer verschwunden. Regen und Wind hatten die leichten Sedi mente fortgespült und fortgeweht. Nur dort, wo der Boden an festerem Untergrundmate rial Halt fand, hatte er sich mit Hilfe der Ve getation festklammern können. Wie an »meiner« Kuppel – und wie an noch acht weiteren Kuppeln, die ich sehen konnte. Da geologische Vorgänge überall große Zeiträume beanspruchen, schätzte ich die Zeitspanne, die zwischen dem Bau der Kup peln und meiner Landung verstrichen war, auf mindestens hunderttausend Jahre. Es waren demnach zweifellos nicht die Maahks gewesen, die diese Kuppeln bauten, sondern andere Intelligenzen. Vielleicht so gar einheimische Intelligenzen. Aber warum hatten sie nichts anderes hin terlassen als diese zugewachsenen Metall plastikkuppeln? Waren sie irgendwann ausgestorben?
33 Oder waren sie zu einem anderen Himmels körper ausgewandert? Ich bedauerte, daß ich diesen Fragen nicht mehr auf den Grund gehen konnte. Aber der rotleuchtende riesige Energievulkan, der so eben über den östlichen Horizont Skrantas quors kroch, erinnerte mich an meine Auf gabe. Ich schaltete mein Keruhm wieder auf sei ne größte Ausdehnung von fünf Metern, dann startete ich.
* Als meine Energiesphäre in die obere Wolkenzone des Riesenplaneten eintauchte, hielt ich unwillkürlich den Atem an. Das, was hier als ein reißender Mahlstrom von Wolken durch eine Atmosphäre raste, die selbst in dieser unerhört großen Höhe dichter war als auf den Arkonwelten das Wasser in einigen hundert Metern Tiefe, war alles andere als das, was ich normalerweise als Wolken bezeichnet hätte. Da ich keine Analysatoren mitführte, die die Sphäre durchdringen konnten, wußte ich nicht genau, woraus diese Wolken bestan den. Ich wußte nur, daß es weder Wasser dampf noch Eiskristalle waren. Und die Geschwindigkeit der Wolken übertraf die Geschwindigkeit, die der Schall auf den Arkonwelten hatte, um ein Mehrfa ches. Bald hatte ich die Orientierung fast völlig verloren. Ich wußte nur noch, was oben und unten war, weil meine Instrumente es an zeigten. Dadurch konnte ich das Keruhm wenigstens immer tiefer drücken, obwohl es ansonsten gleich einer Seifenblase im Wir belsturm herumgeschleudert wurde. Vor sichtshalber schloß ich meinen Druckhelm. Manchmal schossen stark erhitzte Gas massen geiserartig nach oben und rissen die Sphäre einige Kilometer weit mit sich, dann wieder tauchten riesige Kugelblitze auf, ge ballte Ladungen von Energie, bei deren Ent ladung wahrscheinlich die gleichen Kräfte frei wurden wie bei der Explosion kleiner
34 Atombomben. Einmal wurde die Sphäre von einem Ku gelblitz getroffen. Ich glaubte im ersten Au genblick, in dem grellen Inferno der Entla dung zu verbrennen. Doch die Energiehülle des Keruhms hielt den Gewalten stand. Sie verformte sich nicht einmal. Von da an wurde ich optimistischer. Doch da wußte ich noch nicht, daß mir das Schlimmste noch bevorstand. Etwa eine Stunde später und tausend Ki lometer tiefer – ich sank noch immer durch die Wolkenzone – flammte tief unter mir ein filigranartig wirkendes Muster von vielfältig verzweigten und verästelten Leuchtbahnen auf. Ich wußte, womit ich es zu tun hatte. Es war die Kernzone eines Hochenergiegewit ters, wie es nur auf derart riesigen Extrem welten wie Skrantasquor auftritt. In solchen Hochenergiegewittern waren schon Raum kreuzer zerstört worden, die es gewagt hat ten, auf Wasserstoff-Me than-Ammoniak-Riesen einen Landeversuch zu unternehmen. Gegen die Kernzone eines Hochenergie gewitters war die Entladung eines riesigen Kugelblitzes relativ harmlos, was ich nur wenige Minuten später am eigenen Leibe zu spüren bekam. Ich war vielleicht bis auf einen halben Ki lometer an die filigranartig wirkenden Ener giebahnen herangekommen, als ein Blitz von dort unten zu mir emporraste und in meine Sphäre schlug. Schon dieser erste Einschlag betäubte mich halb, dabei war es nur einer von viel leicht hundert Einschlägen, die danach un aufhörlich gegen die Sphäre krachten. Ich verlor den Sinn für Raum und Zeit und beinahe auch für meine eigene Existenz. Das Universum verwandelte sich in ein lichterfülltes, brausendes und donnerndes Chaos. Meine Nervenbahnen schienen aus kochendem Metall zu bestehen, und mein Gehirn fühlte sich an wie heißer Schlamm. Irgendwann in diesem Inferno verlor ich das Bewußtsein.
H. G. Ewers Als ich wieder zu mir kam, sank die Sphäre so ruhig und sicher tiefer, als wäre überhaupt nichts geschehen. Hoch über mir rasten strahlende Wolken und tanzten bläuli che Flammen, aber rings um mich und das Keruhm schien die Atmosphäre ruhig zu sein. Sie war von einem bleifarbenen Licht angefüllt, und von oben rieselten beständig grün und stahlblau schimmernde, tropfenför mige Gebilde herab, die ich nicht zu definie ren vermochte. Vom Grund des Planeten war noch nichts zu sehen, doch das hatte ich auch nicht er wartet. Bei solchen Riesenplaneten war die Atmosphäre – falls man so vermessen war, alles Nichtfeste als Atmosphäre zu bezeich nen – erheblich voluminöser als der feste Kern des Planeten. Dennoch war ich froh, als ich nach länge rer Zeit unter mir eine rollende und wogende Masse erspähte, etwas, das man mit viel Phantasie als einen Ozean bezeichnen konn te. Natürlich enthielt dieser Ozean keinen Tropfen Wasser, aber immerhin befand er sich in einer Art flüssig-zähem Aggregatzu stand. Meine Seitenorientierung war durch das Hochenergiegewitter völlig verlorengegan gen, so daß mir nichts weiter übrigblieb, als willkürlich in eine bestimmte Richtung zu steuern. Die Sphäre glitt in ungefähr tausend Me tern Höhe über dem stumpf grauen Ozean dahin, während ich Ausschau nach festem Land hielt. Einmal glaubte ich, das Festland entdeckt zu haben. Doch es war nur eine kleine Felseninsel, die ungefähr dreihundert Meter hoch steil aus dem Meer ragte und von einer Ruine gekrönt wurde. Obwohl ich es nicht erwarten konnte, den Stützpunkt der Maahks zu finden, ging ich tiefer und umkreiste die Ruine. Einst mußte es ein kuppelförmiger Bau gewesen sein, aber nicht von der flachen Art, wie ich sie auf dem kleinen Begleiter Skrantasquors entdeckt hatte und auch nicht von der Art, wie die Maahks sie bauten, son dern etwa von der Form eines auf der leicht
Experimente auf Skrantasquor eingedellten stumpfen Seite stehenden Eies. Die »Schale« dieses zirka zweihundert Meter hohen und in der Mitte etwa achtzig Meter durchmessenden Eies war von klaf fenden, vertikal verlaufenden Spalten durch zogen; die verbleibenden Fragmente wiesen zahllose feine Risse und durchscheinende Punkte auf. Ich vermochte nicht zu erkennen, ob die Zerstörungen durch Naturgewalten oder durch Waffeneinwirkung hervorgerufen worden waren. Offenbar lag das Ereignis so lange zurück, daß sich die genaue Ursache nie mehr würde feststellen lassen. Mindestens einige Jahrzehntausende – vielleicht hunderttausend Arkonjahre … Ich hielt es für möglich, daß zwischen dieser Ruine und den verlassenen Kuppel bauten auf dem Mond des Riesenplaneten eine Verbindung bestand. Entweder hatten die Ureinwohner des Riesenplaneten irgendwann einen Forschungsstützpunkt auf dem Mond errichtet – oder die Ureinwohner des Mondes waren bis zum Grund des Riesen planeten vorgedrungen. Vielleicht war die Ruine des eiförmigen Bauwerks eines ihrer Raumschiffe gewesen. Doch wo waren dann die Ureinwohner des Riesenplaneten beziehungsweise die Ureinwohner seines Mondes geblieben? Meine Gedanken wurden durch das Auf tauchen eines großen Walzenraumschiffs unterbrochen, das schräg von oben herab stieß, etwa tausend Meter über der Ruine seine Richtung änderte und beschleunigte. Wahrscheinlich flog es zum Stützpunkt der Maahks. Ich beschloß, die günstige Gelegenheit zu nutzen und mich sozusagen anzuhängen. Auf diese Weise fand ich den maahkschen Stützpunkt am schnellsten.
* Das Walzenschiff flog schnell, aber nicht so schnell, daß ich ihm mit dem Keruhm nicht folgen konnte. Ich hielt konstant eine Entfernung von
35 zweitausend Metern. Das war für maahksche Ortungsgeräte selbstverständlich keine be deutende Entfernung, weshalb ich anfangs etwas nervös war. Doch das Keruhm schien nicht nur un sichtbar zu machen, sondern sogar bei der geringen Entfernung gegen Ortung zu schüt zen. Jedenfalls reagierten die Maahks nicht auf meine Anwesenheit. Bald kam die massiv wirkende Landmas se eines Kontinents in Sicht. Das Felsgestein war hart und glänzend; wahrscheinlich be saß es die Festigkeit von Arkonstahl. Den noch gab es auch hier neben Ebenen Hügel und Berge, Täler und Klippen. Hin und wieder erblickte ich seltsame Wälder aus glasartig wirkenden Gebilden, die sich ständig verformten. Die Verformun gen konnten keine Folgeerscheinungen des Stoffwechsels sein, denn so schnell liefen Stoffwechselvorgänge nicht einmal bei Le bewesen einer Sauerstoffatmosphärewelt ab, und die Stoffwechselvorgänge von Lebewe sen einer Wasserstoff-Me than-Ammoniak-Atmosphäre liefen wegen der trägeren chemischen Reaktionen meist viel langsamer ab. Es gab allerdings Ausnahmen, so bei spielsweise die Maahks. Die Maahks aber waren Lebewesen auf einer hohen Stufe der Evolution, bei denen komplizierte Enzyme dafür sorgten, daß die chemischen Reaktio nen innerhalb des Körpers um ein Vielfa ches schneller abliefen als außerhalb. Übrigens traf das auch für uns Arkoniden zu – und auch für die meisten anderen Intel ligenzen der bekannten Galaxis. Eine Höher entwicklung von Lebewesen war nur mög lich, wenn die chemischen Reaktionen ihrer Körper erheblich schneller abliefen als die chemischen Reaktionen ihrer Umwelt. Bei diesen »Pflanzen« aber traten die Ver formungen so schnell und massiv auf, daß sie sich nicht auf Stoffwechselvorgänge zu rückführen ließen, es sei denn, man wollte annehmen, daß solche Stoffwechselvorgän ge mit Lichtgeschwindigkeit abliefen. Wahrscheinlich verfügten die glasartigen
36 Gebilde über keinen eigenen Stoffwechsel, sondern wuchsen und veränderten sich durch heftige chemische Reaktionen mit ih rer Umwelt. Ich erspähte aber auch andere »Pflanzen«, die schon mehr Ähnlichkeit mit den Pflan zen von Sauerstoffwelten hatten. Es handelte sich um große Wälder tangähnlicher Schnü re, die im Wind hin und her wogten. In so einem »Tangwald« glaubte ich ein mal, ein Tier zu sehen, ein viergliedriges dunkelblaues Lebewesen, das zwischen den Tangschnüren herumkletterte. Doch als ich tief erging, um mir das Tier genauer zu betrachten, war es plötzlich ver schwunden. Wieder bedauerte ich, daß ich keine Zeit hatte, der Sache auf den Grund zu gehen. Wenn es keinen Krieg zwischen uns und den Maahks gäbe …! Dann wärst du nie nach Skrantasquor ge kommen, meldete sich mein Logiksektor. Das stimmte zwar, aber irgendwie befrie digte mich das nicht. Warum bedurfte es erst eines furchtbaren Krieges mit Milliarden von Opfern, um das kosmische Gesichtsfeld zu vergrößern und zu erkennen, daß es so viele friedliche Ziele gab, daß man sich ei gentlich keine Zeit für kriegerische Ausein andersetzungen nehmen durfte? Ich verwarf diesen Gedankengang wieder, da ich merkte, daß er mich auf einen Irrweg führte. Angesichts der Vernichtungsabsich ten der Maahks war jeder einseitige Gedan ke an einen Frieden gefährlich für das eige ne Volk. Solange der Feind keinen Gedan ken an Frieden verschwendete, konnten wir Arkoniden uns das auch nicht leisten. Wieder folgte ich dem maahkschen Wal zenraumschiff. Wie ich gehofft hatte, führte es mich zu der Gruppe von drei Türmen und neun Kup pelbauten, die ich bereits auf dem Ortungs schirm des Varganenschiffs gesehen hatte. In direkter Konfrontation wirkten die Bauwerke größer und bedrohlicher als auf dem Ortungsschirm. Vor allem die spiegel glatten zylindrischen Türme schienen mit ih-
H. G. Ewers rer Höhe als Herausforderung an die wilde Natur des Riesenplaneten gedacht zu sein. Das Walzenschiff schwenkte vor den Bauwerken nach Backbord ab, und ich folg te ihm. Nach kurzer Zeit erreichten wir den Raumhafen. Ich stoppte ab und beobachtete, wie das Walzenraumschiff landete, wie sich unter ihm ein Schacht öffnete und wie es darin versank. Über ihm schloß sich der Schacht wieder. Ich überlegte, wie ich ebenfalls in die An lagen unter der Oberflächenschicht des Raumhafens gelangen konnte. Du hättest mit dem Walzenschiff eindrin gen sollen! erklärte der Logiksektor meines Extrahirns. Jetzt mußt du warten, bis sich wieder ein Schacht öffnet. Ich ärgerte mich darüber, daß mein Lo giksektor mich nicht rechtzeitig darauf auf merksam gemacht hatte, sondern erst, als mir seine Bemerkung nichts mehr nützte. Doch mein Ärger verflog schnell wieder. Es hatte keinen Zweck, sich über etwas auf zuregen, was sich nicht ändern ließ. Ich landete am Rand des Raumhafens und sah mich aufmerksam um, während ich auf eine Gelegenheit wartete, in die subplaneta rischen Anlagen einzudringen. Während ich gerade überlegte, daß es auf dem Grund von Skrantasquor eigentlich re lativ ruhig war, von unregelmäßigen Wind stößen abgesehen, zog am südöstlichen Ho rizont eine dunkelrote Wolke auf. Zuerst schenkte ich der Wolke keine große Beachtung. Doch dann tauchte plötz lich ein Schwarm seltsamer Lebewesen aus Südosten auf. Es handelte sich um Kreatu ren, die wie Kreuzungen aus Plattfischen und Flugsauriern aussahen, aber die Größe von dreißig Meter durchmessenden Beiboo ten hatten. Die Tatsache, daß diese Giganten anschei nend vor der dunkelroten Wolke flohen, gab mir zu denken. Ich richtete meine Aufmerksamkeit fast ausnahmslos auf diese Wolke und sah, daß
Experimente auf Skrantasquor sie sich schnell vergrößerte und dabei näher kam. Sie bestand offensichtlich nicht aus Gasen, sondern einer schweren Flüssigkeit, die nur deshalb nicht zu Boden stürzte, weil die Atmosphäre über dem Grund des Plane ten noch viel dichter war. Diese Wolke kroch näher und näher, ver schlang Felsklippen und Wälder ebenso wie einige Flugkreaturen, die so leichtfertig ge wesen waren, nicht schnell genug zu fliehen. Gefahr! signalisierte mir mein Logiksek tor. Bring dich in Sicherheit! Ich startete. Meine Absicht war, den Raumhafen zu überfliegen und dabei nach einer Personen schleuse auszuschauen, die ich notfalls auf brechen konnte, um in die Anlagen darunter zu gelangen. Doch bevor ich den Rand des Raumha fens überflogen hatte, entstand vor mir und auch über dem gesamten Areal des Raumha fens ein Gewirr grell leuchtender Linien, die sich unter zahllosen Entladungen zu einem geschlossenen Energieschirm vereinigten. Ich konnte das Keruhm gerade noch her umschwenken, sonst wäre ich in den Ener gieschirm gerast. Mir war klar, was der Aufbau des Ener gieschirms bedeutete. Die Maahks kannten die Gefahr, die mit der dunkelroten Wolke heranzog, und sie wollten sich und ihre Ein richtungen vor ihr schützen. Ich überlegte, ob ich mich auf den Schutz des varganischen Keruhms verlassen durfte und entschied, daß ich das Risiko nicht ein gehen konnte. Mir blieben nur zwei Möglichkeiten: Ent weder gelang es mir, in einen der Türme oder in eine der Kuppeln des maahkschen Stützpunktes einzudringen, oder ich mußte der dunkelroten Wolke in weitem Bogen ausweichen. Ich entschied mich dafür, es zuerst bei dem Stützpunkt zu versuchen.
7. Ra öffnete die Tür zu seiner Kabine und
37 spähte in den Gang mit den Transportbän dern hinaus. Es war alles ruhig. Lautlos huschte der Barbar auf den Gang hinaus und betrat eines der Transportbänder. Hinter seiner Stirn kreisten finstere Gedan ken. Er hatte beobachtet, wie der Arkonide mit Hilfe eines varganischen Keruhms gestartet war. Sein Ziel konnte nur der maahksche Stützpunkt auf Skrantasquor sein. Atlan haß te die Maahks so sehr, daß er alles riskieren würde, um ihnen Schaden zuzufügen. Ras Gesicht verzerrte sich. Auch er haßte. Er haßte den Arkoniden, dem die Gunst der Goldenen Göttin mühelos zugefallen war. Während er, Ra, einst darum gekämpft und dabei sein Leben riskiert hat te, war es diesem Arkoniden nicht eingefal len, um Ischtars Gunst zu werben. Im Ge genteil, er hatte sich umwerben lassen. Doch das änderte nichts daran, daß Atlan letzten Endes dafür verantwortlich war, daß er, Ra, bei Ischtar keine Chancen mehr hatte. Seit Atlan aufgetaucht war, war er aus dem Rennen gewesen. Aber Ra hoffte, daß Ischtar sich wieder ihm zuwenden würde, wenn es keinen Atlan mehr gab. Immerhin hatte sie ihn früher ein mal, als sie den Arkoniden noch nicht kann te, geliebt. Bestimmt würde diese Liebe wie der erwachen, und es würde so schön wie früher werden. Der Barbar vom dritten Planeten einer weißgelben Sonne hatte seinen Plan gefaßt, als er sah, wie Atlan mit Hilfe des vargani schen Keruhms startete. Er mußte nur dafür sorgen, daß Ischtar nichts merkte, wenn er seinen Plan durch führte. Da er schon früher, als Ischtar mit ihrem eigenen Doppelpyramidenschiff auf seiner Heimatwelt gelandet war, Zeit gehabt hatte, sich in diesem Raumschiff umzusehen, kannte er sich in den Räumlichkeiten aus. Später hatte er auch gelernt, was ein Keruhm war und wie es funktionierte. Und er kannte auch den schwachen Punkt
38 des Keruhms! Dieser schwache Punkt bestand darin, daß das Keruhm vom Gegenaggregat an Bord des Schiffes ab und zu automatisch aufgela den werden mußte, weil die großen Energie mengen, die es besonders auf einer lebens feindlichen Riesenwelt benötigte, nicht von einem tragbaren Aggregat erzeugt werden konnten. Ra sprang vom Transportband und stand eine Weile lauschend still, bevor er sich zu Fuß auf den Weg zu jener Kammer machte, in der das Gegengerät des Keruhms stand. Er hoffte, daß Ischtar ihn nicht über die Fernsehaugen beobachtete, die es überall im Schiff gab. Wenn sie merkte, was er vorhat te, würde sie es sicher zu verhindern suchen. Der Barbar eilte in eine Wandnische und legte die Hand auf ein verborgenes Vibrati onsschloß. Eine Öffnung bildete sich. Dahinter lag der dunkle Schacht einer Magnetröhre, die normalerweise nur von Transportkapseln benutzt wurde. Ra wollte jedoch keine Transportkapsel anfordern, denn das wäre sofort an die Zentrale gemel det worden, und Ischtar hätte von der Po sitronik erfahren, auf welches Ziel die Kap sel programmiert worden war. Deshalb wollte der Barbar lieber zu Fuß durch den Magnetschacht gehen. Er trat ein – und schrie im nächsten Au genblick vor Überraschung und Schmerz laut auf, während ein Stromstoß durch sei nen Körper jagte. Hätte Ra sich durch einen Muskelreflex nicht aus dem Schacht hinauskatapultiert, wäre er verbrannt. So aber fand er sich zwar angesengt, geprellt und mit leicht verstauch ten Hand- und Fußgelenken draußen im Gang wieder – aber wenigstens lebend. Nachdem er sich von Schmerz und Schreck einigermaßen erholt hatte, überlegte er, was passiert war. Er hatte schon mehrfach Magnetschächte benutzt, und noch nie hatte er dabei einen Schlag bekommen, nur manchmal ein leich tes Kribbeln gespürt.
H. G. Ewers Ra kam zu dem Schluß, daß sein Mißge schick damit zu tun haben mußte, daß dieser Magnetschacht erst kurz vorher von einer Transportkapsel befahren worden war. Wahrscheinlich hatte sich die Schachtwan dung dabei mit Energie aufgeladen, und es dauerte einige Zeit, bis sich diese Energie verflüchtigte. Mißmutig musterte der Barbar die Brand flecken an seinen Stiefeln und Händen. Er verspürte nicht die geringste Lust, in den Magnetschacht zurückzukehren. Doch sein Haß auf den Nebenbuhler war größer als seine Furcht. Immerhin hatte der elektrische Stromstoß wenigstens bewirkt, daß sein Haß ihn nicht mehr gänzlich be herrschte. So konnte er daran denken, eine Vorsichtsmaßnahme zu ergreifen, die er schon beim ersten Versuch hätte ergreifen sollen. Er kehrte in seine Kabine zurück, zog sei nen Raumanzug an und betrat danach an der gleichen Stelle zum zweitenmal den Ma gnetschacht. Diesmal spürte er nichts, denn der Raum anzug isolierte hervorragend. Ra grinste triumphierend und eilte in die Richtung, in der, soweit ihm bekannt war, sein Ziel lag. Ungefähr zehn Minuten später stand er vor einer schwarzen Metallplastikwand. Er wußte, was dahinter lag, und er kannte auch das Kodewort, mit dem sich der Zauber herbeirufen ließ, der die Wand an einer Stel le durchlässig machte. Der Barbar sagte das Kodewort und mur melte eine Geisterbeschwörung, als ein Teil der Wand sich in grauen Nebel verwandelte, der wie unter einem Windstoß zerflatterte. Hinter der Öffnung wurde eine in grünem Licht liegende Kammer sichtbar. Ra trat mu tig hinein und musterte die hintere Wand, die gewellt und von hellblauer Färbung war. Ras Augen glitzerten, als er sah, daß die schildbuckelartige Ausbuchtung verschwun den war, die sonst an der gewellten Wand gehaftet hatte. Das Keruhm, mit dem Atlan das Varga
Experimente auf Skrantasquor nenschiff verlassen hatte! Der Barbar wußte genau, daß hinter der gewellten Wand das Gegenaggregat des Kerruhms lag, mit dem das Keruhm hin und wieder neu aufgeladen wurde. Er wußte allerdings nicht, wann die näch ste Aufladung fällig war. Das konnte in zwei oder drei Stunden sein – oder auch schon in fünf Minuten. Ras Finger glitten über die beiden Sensor leisten zu beiden Seiten der gewellten Wand. Danach grinste der Barbar verzerrt. Er wußte, daß, wann immer die nächste Aufladung fällig würde, sie nicht erfolgte – und daß Atlan kurz darauf ohne den Schutz des Keruhms sein würde, ganz gleich, wo er sich dann befand.
* Obwohl ich mit Maximalwerten beschleu nigte, hatte die dunkelrote Wolke mich bei nahe eingeholt, als ich den maahkschen Stützpunkt erreichte. Glücklicherweise hatte* sich der Stütz punkt nicht in einen Energieschirm gehüllt wie der Raumhafen. Ich steuerte den nächsten der drei giganti schen Türme an. landete an seinem Fuß und suchte nach einem Schott, durch das ich ins Innere des Bauwerks gelangen konnte. Als ich nichts dergleichen fand, flog ich zu den neun Kuppeln weiter – und das war mein Glück. Inzwischen füllte die dunkelrote Wolke im Süden und Osten alles aus und ragte gleich einer gigantischen Mauer nach oben, fast bis an die Untergrenze der Wolkenzone. Der gesamte Planet schien den Atem an zuhalten. Sogar die Atmosphäre stand still. Dann rasten die Flanken der Wolke heran, während sie oben überkippte. Die Atmo sphäre geriet in turbulente Bewegung. In der Nähe wurde ein Kristallwald in winzige Splitter zertrümmert und davongefegt. Ich kroch in den Schutz einer Schleusenmün dung, die allerdings von innen verriegelt
39 war. Ich ahnte, daß die Gewalten, die sich demnächst hier entladen würden, selbst für ein varganisches Keruhm zu stark waren. Deshalb bemühte ich mich verzweifelt mit einem Kodetaster, den Öffnungskode für das Schleusenschott zu ermitteln. Ich hatte es gerade geschafft und stellte den ermittelten Kode in meinen Kodegeber ein, als die dunkelrote Wolke über den drei Türmen zusammenbrach. Sie schien ma gisch von den Türmen angezogen zu wer den. Der Anblick faszinierte mich so, daß ich noch wartete, obwohl ich inzwischen den Kodegeber fertig programmiert hatte und ihn bloß noch zu aktivieren brauchte, um mich in dem maahkschen Stützpunkt end gültig in Sicherheit zu bringen. Die Masse der Wolken raste von allen Seiten heran und verdichtete sich im Raum der drei Türme. Dabei verdunkelte sie sich, bis sie sich zu einem schwarzblauen Klum pen zusammengeballt hatte. Im nächsten Moment sandte der schwarz blaue Klumpen, der etwa dreitausend Meter Durchmesser hatte, eine so grelle Strah lungsflut aus, daß ich geblendet die Augen schloß. Als ich meine Augen wieder öffnete, sah ich, daß die Wolke verschwunden war. Aber die drei Türme glühten in einem ultrahellen Schein, der die nähere Atmosphäre wabern ließ. Der Boden war im Umkreis von zirka zehn Kilometern zu einer hellgrauen bröck ligen Masse zerfallen. Ich zweifelte nicht daran, daß ich umge kommen wäre, wenn ich das Inferno direkt bei den Türmen erwartet hätte. Hier hatten sich Kräfte ausgetobt, die wahrscheinlich auch nicht vom Keruhm kompensiert wer den konnten. Aber ich lebte noch und mußte eine Auf gabe erledigen. Ich schaltete meinen Kodegeber ein, war tete, bis das Außenschott der Schleuse sich geöffnet hatte, und ging hinein. In der Schleusenkammer wartete ich, bis
40 das Außenschott geschlossen war und das Innenschott sich öffnete, dann schwebte ich in das Gangsystem des maahkschen Stütz punkts hinein. Als ich um die erste Ecke bog, stieß ich beinahe mit zwei schwerbewaffneten Maahks zusammen, die mir entgegenkamen. Im ersten Schreck griff ich nach meinem Handstrahler, dann merkte ich, daß die Maahks mich nicht sahen. Glücklicherweise hatte ich das Keruhm auf minimale Ausdehnung geschaltet, so daß es gleich einer zusätzlichen Haut über mei nem varganischen Raumanzug lag, sonst wären die Maahks vielleicht mit der Ener giesphäre zusammengestoßen. Vorsichtshalber bewegte ich mich nicht, bis die beiden Maahks hinter mir um die Biegung verschwunden waren. Erst danach setzte ich meinen Weg fort. Ich war sicher, daß es von hier eine direk te Verbindung zum Raumhafen gab. Notfalls mußten stündlich die Besatzungen vieler Großkampfschiffe vom Stützpunkt zum Raumhafen transportiert werden, also zirka hunderttausend Raumfahrer und Soldaten. Wahrscheinlich wurden dazu Expreßzüge benutzt, die in Vakuumtunnels auf Magnet schienen dahinjagten. Da ich nicht einen ganzen Expreßzug in Marsch setzen durfte, wenn ich nicht Ver dacht erregen wollte, mußte ich für mich al lerdings ein anderes Beförderungsmittel su chen. Sicher gab es auch Transportkapseln. Aber die Aktivitäten von Transportkapseln mußten schon zur Vermeidung von Kollisio nen von einer Positronik koordiniert werden und ließen sich daher auch von den Maahks leicht kontrollieren. Ideal für meine Zwecke wäre ein ständig aktiviertes Transportband gewesen, und nach einigem Suchen fand ich einen geräu migen Tunnel, in dem zwei breite gegenläu fige Transportbänder verkehrten. Ich stellte mich einfach auf das Band, das aus dem Stützpunkt hinausführte. In einiger Entfernung vor mir standen zwei Maahks
H. G. Ewers auf dem Band. Nach rund zehn Minuten kam mir auf dem anderen Band eine Gruppe von fünf Maahks entgegen. Zwei waren bewaffnet, drei trugen irgendwelche Geräte bei sich. Alle aber blickten an mir vorbei oder durch mich hindurch, ohne etwas von meiner An wesenheit zu ahnen. Ich passierte eine Beschleunigungszone des Transportbandsystems. Danach ging es erheblich schneller vorwärts. Nach rund ei ner Stunde merkte ich, daß ich den Raumha fensektor erreicht hatte. Zahlreiche Abzwei gungen und. Verteilerkreisel boten ebenso viele Möglichkeiten. Ich versuchte, mich daran zu erinnern, welche Tunnel, Räume und Anlagen in der Nähe des arkonidischen Kugelschiffs gewe sen waren, damit ich mich besser orientieren konnte, denn dieses Kugelschiff war mein erstes Ziel. Nach einigem Hin und Her gelangte ich endlich in die Halle, in der das Kugelraum schiff stand. Spezialroboter der Maahks hatten Teile der Außenhaut entfernt, doch ich konnte noch die Beschriftung mit dem Namen des Schiffes erkennen. CERVAX – las ich. Es fiel mir nicht schwer, in das Schiff ein zudringen, denn die wenigen Roboter, die ein und aus gingen, nahmen mich ebensowe nig wahr wie die Maahks, die mir unterwegs begegnet waren. Systematisch durchsuchte ich das Kugel raumschiff von unten nach oben, doch nir gends waren Arkoniden zu finden – weder lebende noch tote. Wenn die Maahks auch die Besatzung ge fangengenommen hatten, dann mußten sie sie außerhalb des Schiffes eingesperrt haben. Das würde meine Suche nach ihnen natür lich erschweren, aber es konnte mich nicht veranlassen, aufzugeben.
* Auf meiner Suche nach der Besatzung des
Experimente auf Skrantasquor arkonidischen Raumschiffs gelangte ich nach einiger Zeit in eine Schaltstation. Hier standen rund zwanzig Maahks auf ihren starken Säulenbeinen vor Kontroll und Schaltpulten. Ich ging langsam zwischen ihnen hin durch und versuchte, die Funktionen der verschiedenen Schaltungen zu ergründen. Da das Keruhm sich auch zwischen den Sohlen meiner Stiefel und dem Boden be fand, konnte ich völlig geräuschlos gehen. Deshalb wunderte ich mich, als die vier Augen eines Maahks sich auch nach hinten öffneten und die halbkreisförmigen Schlitz pupillen sich anscheinend in meine Richtung wandten. Vorsichtshalber blieb ich stehen. Da bemerkte ich, daß sich auch die grün schillernden Augen anderer Maahks in mei ne Richtung wandten. Verwundert sah ich an mir herab. Gab es irgend etwas, das mich verraten konnte? Aber ich konnte nichts entdecken. Nur die Kontrollinse des Keruhms leuchtete nicht mehr. Mir stockte der Atem. Das Keruhm? Wenn es nicht mehr funktionierte, dann mußten die Maahks mich nicht nur sehen. Dann war ich auch nicht mehr unangreifbar für sie. Ich hatte den Gedanken kaum zu Ende ge dacht, da vernahm ich das Summen schwe rer Lähmstrahler. Meine Glieder wurden steif, als mir die Muskeln nicht mehr ge horchten. Ich brach zusammen. Während mehrere Maahks mich anhoben und wegtrugen, überlegte ich, warum das varganische Keruhm ausgefallen war. Ich kannte die Technik der alten Varganen in zwischen aus vielen Erfahrungen so gut, daß ich wußte, es war mehr als unwahrschein lich, daß bei einem so wichtigen Gerät plötz lich ein so gravierender Defekt auftrat. Es war ebenfalls undenkbar, daß die Kraftstation des Keruhms wegen zu großer
41 Belastung – während des Hochenergiegewit ters beispielsweise – einen Schaden davon getragen hatte, denn die Kraftstation befand sich an Bord des Doppelpyramidenschiffs und war demnach nicht überlastet worden. Es sei denn, jemand hätte das Gegenag gregat abgeschaltet beziehungsweise die Energieübertragung unterbunden. Ischtar? Ich verneinte die Frage, kaum, daß ich sie gestellt hatte. Ischtar würde so etwas nie tun. Aber außer ihr befand sich nur noch Ra an Bord. Ihm traute ich zu, daß er aus Eifersucht versuchen würde, mir die Energiezufuhr ab zuschneiden. Aber besaß der Barbar über haupt genug technisches Wissen, um die richtigen Schaltungen vorzunehmen, ohne daß ein Alarm ausgelöst wurde? Soviel ich wußte, konnte die Keruhm-Kammer nur mit Hilfe einer Transportkapsel erreicht werden, und die Aktivität von Transportkapseln wur de, da sie nur über die Hauptpositronik lief, sofort in der Hauptzentrale angezeigt. Eigentlich waren die Schwierigkeiten für einen Barbaren viel zu groß, entschied ich. Dennoch mußte er es irgendwie geschafft haben, sonst wäre ich nicht plötzlich sicht bar geworden und in die Gefangenschaft der Maahks geraten. Natürlich schnallten mir die Maahks mei nen Aggregate-Tornister ab. Wahrscheinlich vermuteten sie, darin befände sich ein völlig neues Gerät, das es einer einzelnen Person erlaubte, durch den Weltraum zu fliegen, auf einem Riesenplaneten zu landen und sich ungesehen in einem fremden Stützpunkt zu bewegen. Sie konnten nicht ahnen, daß sie nur das Steuergerät mit dem Lebenserhaltungssy stem erbeutet hatten. Das wirkliche Keruhm befand sich an Bord des Doppelpyramiden schiffs und war damit ihrem Zugriff entzo gen. Ich wurde in eine Unterdruckkammer ge bracht, bis auf die Bordkombination entklei det und solange in Ruhe gelassen, bis meine
42 Lähmung abklang. Danach erschienen mehrere Maahks vor meiner Unterdruckkammer, schalteten ein Kommunikationsgerät sowie einen Transla tor ein und fingen mit dem Verhör an. »Ich bin Grek-1!« stellte sich der erste Sprecher der Maahks vor. »Wie ist Ihr Na me, Arkonide?« Ich sah keinen Sinn darin, meinen Namen zu verschweigen. Die Maahks konnten nicht wissen, daß der Kristallprinz, der Anspruch auf den arkonidischen Thron besaß, neben bei den Namen Atlan trug. »Atlan«, antwortete ich. »Wie sind Sie nach Skrantasquor gekom men, Atlan?« forschte der Grek-1 der hiesi gen Maahks weiter. »Zu Fuß«, erklärte ich ironisch. »Ihre Lüge ist nicht einmal logisch unter mauert«, stellte Grek-1 fest. »Es gibt keine Möglichkeit, zu Fuß auf einen fremden Pla neten zu gelangen. Wahrscheinlich bedien ten Sie sich des seltsamen Geräts, das wir Ihnen abgenommen haben. Doch Sie müssen von irgendwoher gekommen sein, mit großer Wahrscheinlichkeit von einem Raumschiff. Wo befindet sich dieses Raum schiff?« »Im Raum – wie der Name schon sagt«, antwortete ich. Ich wählte ganz bewußt eine provozieren de Formulierung. Damit wollte ich errei chen, daß die Maahks mich durch massiven Druck dazu »zwangen«, ihnen die Position des Raumschiffs preiszugeben, mit dem ich bis in die Nähe von Skrantasquor gekommen war. Das durfte ich tun, denn ich wußte, daß kein maahksches Raumschiff gegen die weit überlegene Defensivbewaffnung eines Var ganenschiffs ankommen würde. Im Gegen teil, die Maahks würden einen eventuellen Angriff mit hohen eigenen Verlusten bezah len. Deshalb wollte ich, daß sie Ischtars Schiff angriffen – aber nicht allein deshalb. Durch den Angriff der Maahks würde Ischtar auch merken, daß ich in Gefangen-
H. G. Ewers schaft geraten war, und wenn sie nach forschte, mußte sie feststellen, daß das Ge genaggregat des Keruhms ausgeschaltet war. So war garantiert, daß Ras Anschlag auf gedeckt wurde. »Ich warne Sie, Atlan!« sagte Grek-1. »Wir haben keinen Sinn für Ihre Hinhalte taktik. Da Sie zweifellos zu ihrem Aus gangspunkt zurückkehren wollten, müssen Sie die genaue Position kennen. Sie können wählen, ob Sie uns diese Position freiwillig mitteilen wollen oder erst, nachdem wir Sie einer Beugebehandlung unterzogen haben.« »Wollen Sie mich etwa foltern?« fragte ich, scheinbar entsetzt. »Wir werden Ihnen selbstverständlich nicht mehr zusetzen, als im Interesse einer wahrheitsgemäßen Aussage erforderlich ist«, erwiderte der Maahk. »Sehr freundlich«, sagte ich. »Da spreche ich lieber gleich. Aber ich warne Sie. Die Besatzung meines Raumschiffs besteht aus den besten Kämpfern der Galaxis, und das Schiff ist hervorragend bewaffnet. Es kann sich recht gut verteidigen.« »Das ist nicht mehr Ihr Problem, Atlan«, sagte Grek-1. »Nennen Sie mir nur die Posi tionsdaten.« Ich gehorchte. Warum ich die Maahks gewarnt hatte, be griff ich hinterher selber nicht. Sicher, es würde mich vor der Anschuldi gung schützen, die Raumschiffe der Maahks in eine Falle geschickt zu haben, aber es würde die Maahks auch etwas vorsichtiger machen, so daß ihre Verluste ein wenig niedriger blieben. Wo bleibt dein Haß gegen die Maahks! sagte ich zu mir selbst, als Grek-1 mit seinen Begleitern mich längst verlassen hatte.
8. Ischtar hatte gerade in der Zentrale ge schlafen, als die Alarmanlage ansprach. Ungläubig blickte die Varganin auf die Ortungsschirme. »Dreißig Großkampfschiffe der Maahks
Experimente auf Skrantasquor als Angriffsspitze – und dahinter dreihundert weitere Schiffe!« sagte sie staunend zu sich selbst. »Was soll das – und woher kennen die Maahks meine Position?« Sie aktivierte die Interkomanlage und be fahl Ra, in die Zentrale zu kommen. Als der Barbar wenig später erschien und sich unterwürfig vor Ischtar verbeugte, deu tete sie auf die Ortungsschirme und sagte: »Sieh dir das an – und dann sage mir, was das zu bedeuten hat!« Ra starrte die Goldene Göttin verwirrt an, dann stammelte er: »Das sind anfliegende Raumschiffe, mei ne Göttin. Ich weiß nicht, was sie wollen.« »Aber ich weiß es«, erklärte Ischtar. »Sie wollen uns entweder vernichten oder als Beute aufbringen. Die Frage ist nur, wie konnten sie mein Schiff so zielsicher anflie gen, als hätten sie die Position vorher ge kannt.« »Sie werden dein Schiff geortet haben, Ischtar«, sagte Ra. »Nein, du Narr!« fuhr Ischtar ihn so heftig an, daß er zusammenzuckte. »Die Ortungs geräte der Maahks reichen nicht so weit, daß sie uns von Skrantasquor aus anmessen konnten – und die auftreffenden Ortungsim pulse eines herumstreunenden Patrouillen schiffs hätten meine Alarmanlage sofort ak tiviert. Jemand muß den Maahks die genaue Position meines Schiffes mitgeteilt haben. Wer könnte das wohl gewesen sein, Ra?« »Ich habe keine Ahnung, meine Göttin und Herrin!« versicherte der Barbar. »Deine Antwort hat dich verraten!« er klärte Ischtar kalt. »Ich weiß genau, daß du nur zu gern Atlan beschuldigen würdest, meine Position verraten zu haben. Dennoch tust du es nicht. Das kann nur einen Grund haben: Du hast ihn in eine Lage gebracht, wo er gezwungen war, meine Position zu verraten.« Sie deutete mit ausgestrecktem Arm auf Ra und rief mit donnernder Stimme: »Gestehe, Elender! Gestehe, daß du die Energieversorgung zu Atlans Keruhm unter brochen hast!«
43 Ra fiel vor ihr auf die Knie. »Gnade, meine Göttin!« jammerte er. »Es war nur meine übergroße Liebe zu dir, die mich veranlaßte, dich von dem Arkoniden zu befreien, der dich doch nur als sein Werkzeug betrachtet.« »Jeder denkt, er könnte mich als sein Werkzeug mißbrauchen«, erwiderte Ischtar wütend. »Du auch, du hinterhältiger Barbar. Geh in deine Kabine und bete zu deinen Göttern, daß es mir gelingt, Atlan zu retten. Andernfalls werde ich dich vernichten. Ver schwinde aus meinen Augen!« Sie blickte Ra nach, der zerknirscht aus der Zentrale schlich, dann wandte sie sich den Bildschirmen, Kontrollen und Schaltun gen zu. Ihr Zorn über Ras Verrat war noch nicht verraucht, als die Maahks angriffen. Die Angriffsspitze sollte, soviel erkannte Ischtar sehr schnell, die Kampfkraft ihres Raumschiffs testen und dem Hauptverband die Möglichkeit geben, sich darauf einzu stellen. Die Varganin wehrte den Angriff der drei ßig Großkampfschiffe deshalb nur mit den starken Schutzschirmen ihres Doppelpyra midenschiffs ab, ohne selbst einen Schuß abzufeuern. Zweimal flog die Angriffsspitze an, zwei mal feuerte sie eine Breitseite ab, die das größte arkonidische Schlachtschiff in eine Gaswolke verwandelt hätte. Bei dem Varga nenschiff war der Erfolg gleich Null. Als die Angriffsspitze zum zweitenmal abdrehte, erkannte Ischtar, daß die Haupt streitmacht sich zum Angriff formierte. Ihr Kommandeur ließ sie so angreifen, daß sie ihre ganze Feuerkraft im Salventakt entfal ten konnte. Er dachte sich, und normalerwei se wäre das völlig richtig gewesen, daß jeder Schutzschirm zerstört werden konnte, wenn man ihn nur lange und intensiv genug be schoß. Ischtar wartete, bis die dreihundert Groß kampfschiffe die zehnte Salve abgefeuert hatten, dann aktivierte sie die Offensivver teidigung ihres Raumschiffs.
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H. G. Ewers
Wenig später hatte der Angreifer zwei Drittel seiner Schiffe verloren, und der Rest bemühte sich, so schnell wie möglich aus der Wirkungszone der feindlichen Waffen herauszukommen. Ischtar überlegte, ob sie die Walzenschif fe der Maahks verfolgen und restlos vernich ten sollte. Aber ihr Zorn, der von Ras Verhalten aus gelöst worden war, war bereits verraucht. Deshalb verzichtete die Varganin darauf, dem geschlagenen Gegner unnötigerweise weitere Verluste zuzufügen. Sie beobachtete, wie die Walzenschiffe sich in sicherer Entfernung sammelten und warteten. Offenbar sprach ihr Kommandeur über Hyperkom mit dem Chef des Stütz punkts auf Skrantasquor und forderte neue Instruktionen an. Ischtar wußte genau, wie ein maahkscher Stützpunktleiter in diesem Falle entscheiden würde, denn die Logik ließ ihm nicht viele Möglichkeiten – und eine andere als eine lo gische Entscheidung konnte ein Maahk nun einmal nicht treffen. Sie lächelte zufrieden, als die Restflotte der Maahks sich so weit zurückzog, daß ihre Ortungsgeräte das Doppelpyramidenschiff gerade noch erfaßten. Danach formierten sich die Walzenraumschiffe zu einer weit auseinander gezogenen Kette und be schränkten sich auf die Beobachtung des ge fährlichen Gegners. Ischtar wurde wieder ernst. Sie überlegte, wie sie Atlan aus der Ge fangenschaft befreien konnte. Hätte sie ein zweites Keruhm an Bord ge habt, sie wäre persönlich nach Skrantasquor aufgebrochen, um den Arkoniden herauszu holen. Doch das einzige Gerät dieser Art war das, das sie Atlan mitgegeben hatte. Aber Ischtar war überzeugt, daß sie eine Möglichkeit finden würde, ihren Geliebten zu retten …
* Ich hatte vielleicht fünf Stunden in meiner
Unterdruckzelle gelegen und mir den Kopf darüber zerbrochen, wie ich entkommen könnte, als ich in einer Ecke der Kammer et was glitzern sah. Ich schaute mich um, ob ich etwa beob achtet würde, konnte aber keinen Maahk entdecken. Dennoch war es möglich, daß verborgene Fernsehaugen auf mich gerichtet waren. Deshalb ging ich auch nicht sofort in die betreffende Ecke, sondern tat so, als wollte ich mir die Beine vertreten. Zwischendurch absolvierte ich einige gymnastische Übun gen wie Knie- und Rumpfbeugen und so weiter. Auf diese Art und Weise konnte ich mich in der bewußten Ecke unauffällig bücken und das glitzernde Ding an mich nehmen. Ich steckte es in eine Außentasche meiner Bordkombination, führte meine Übungen noch eine Weile fort und hockte mich dann wieder auf den Boden. Behutsam steckte ich eine Hand in die Außentasche, umfaßte den Gegenstand und zog die Hand wieder heraus. Erst nach einem neuerlichen Rundblick öffnete ich die Hand und schaute mir das Fundstück an. Es handelte sich um das Bruchstück einer Edelsteinbrosche, und zwar einer besonders wertvollen Brosche, denn die Fassung be stand aus einer teuren exotischen Legierung, und die Steine des Bruchstücks waren echte Kushulun-Diamanten, die nur der allerhöch sten Adelskaste des Großen Imperiums vor behalten waren. Also mußte vor mir bereits ein arkonidi scher Gefangener in dieser Unterdruckkam mer eingesperrt gewesen sein – vielmehr, ei ne arkonidische Gefangene, denn die Bro sche war ein typisch weibliches Schmuck stück gewesen. Was war mit dieser Adligen, wahrschein lich einer Prinzessin, geschehen? Hatten die Maahks sie umgebracht? Ich konnte mich nur noch mühsam be herrschen. Unauffällig schob ich das Bruch stück der Brosche in die Außentasche mei
Experimente auf Skrantasquor ner Bordkombination zurück, dann trat ich an die Innenmikrophone der Kammer. Eine Weile zögerte ich noch, dann rief ich: »Ich verlange den Grek-1 dieses Stütz punktes zu sprechen! Wenn jemand mich hört, soll er das dem Grek-1 ausrichten!« Ob mich jemand gehört hatte, wußte ich nicht, denn ich konnte keinen Maahk sehen. Ich wußte nicht einmal, ob das Kommunika tionsgerät eingeschaltet war – und wenn, ob der Translator ebenfalls aktiviert war. Ruhelos ging ich in der Unterdruckkam mer auf und ab. Zu meinem eigenen Erstau nen verspürte ich nicht die geringste Furcht, obwohl ich mich doch in der Gewalt der Todfeinde meines Volkes befand. Meine einzige Sorge galt der adligen arkonidischen Gefangenen und ihrem Schicksal. Für eine Frau mußte es sehr viel schlimmer sein als für einen Mann, von monströs aussehenden Wasserstoffatmern eingesperrt, verhört und vielleicht gefoltert zu werden. Bei dem Gedanken an Folter blieb ich ruckartig stehen. Wie hatte doch der Grek-1 von Skrantas quor zu mir gesagt? Wir werden Ihnen selbstverständlich nicht mehr zusetzen, als im Interesse einer wahrheitsgemäßen Aussage erforderlich ist. Wie vereinbarte sich das mit meiner Vor stellung von grausamen Folterungen, die die Gefangene bei den Maahks erleiden mußte? Überhaupt nicht! meldete sich der Logik sektor meines Extrahirns. Streng logisch denkende Lebewesen quälen ihre Gefange nen nicht. Sie können zwar körperliche Miß handlungen zur Brechung des geistigen Wi derstands anwenden, aber einzig und allein zu diesem Zweck und nicht über das erfor derliche Maß hinaus, denn gefühlskalte Le bewesen wie die Maahks empfinden keine Befriedigung bei der Mißhandlung von Ge fangenen. Ich wurde sehr nachdenklich. Wenn die Maahks von ihrer Mentalität her gar nicht in der Lage waren, jemanden zur Befriedigung eigener perverser Gelüste
45 zu foltern und zu quälen, waren sie dann nicht viel humaner als wir Arkoniden? Wenn ich an den Blinden Sofgart, einen Arkoniden, dachte, der Tausende aus purer Lust hatte zu Tode quälen lassen, dann muß te ich notgedrungen meinem eigenen Volk eine schlechtere Zensur in Moral und Ethik erteilen als dem Volke der Maahks. Andererseits war ich ein Arkonide und hatte die Pflicht, die Interessen meines Vol kes wahrzunehmen – und als Kristallprinz und künftiger Imperator des Reiches durfte ich mich nicht von moralischen Wertungen leiten lassen, sondern einzig und allein da von, daß die Maahks die Todfeinde des Großen Imperiums waren und deshalb mit allen Mitteln bekämpft werden mußten. Ich holte tief Luft und nahm eine stolze Haltung ein, als ich eine kleine Gruppe Maahks aus einem Schott treten sah. Die Maahks kamen auf meine Unter druckkammer zu, und obwohl ich bisher ge dacht hatte, ich könnte keine zwei Maahks voneinander unterscheiden, war ich mir plötzlich sicher, daß der eine Maahk der Grek-1 Skrantasquors war, der mich zuerst verhört hatte. Vor meiner Kammer blieben die Maahks stehen. Derjenige, den ich für den Grek-1 des Stützpunkts hielt, trat zur Kommunikati onseinheit und schaltete sie ein. »Hallo, Grek-1!« sagte ich, um den Maahk zu verblüffen. »Woher wissen Sie, daß ich Grek-1 bin, Atlan?« erkundigte sich der Maahk. »Ich dachte immer, Arkoniden könnten keinen Maahk vom anderen unterscheiden.« »Das dachte ich bis vor kurzem auch«, antwortete ich. »Aber als Sie in die Halle kamen, erkannte ich Sie. Ich hoffe, Ihre Ver luste waren nicht zu hoch.« »Wir haben zweihundert schwere Kampf schiffe verloren und nichts gegen Ihr Schiff erreicht«, gab der Maahk zu meinem Erstau nen offen zu. »Ich hatte Sie gewarnt«, erklärte ich. »Ja, aber Sie wußten, daß ich nicht auf Ih re Warnung hören, sondern sie für einen
46 Versuch halten würde, uns vom Angriff auf Ihr Schiff abzuhalten«, erwiderte Grek-1. »Sie sind zweifellos Arkonide, aber Ihr Schiff ist völlig anders gebaut als alle arko nidischen Raumschiffe, die wir kennen. Ich nehme an, daß es sich demnach nicht um ein arkonidisches Raumschiff handelt, sondern um das Schiff eines uns noch unbekannten Volkes. Wie heißt dieses Volk?« Ich überlegte, ob ich den Maahks den Na men von Ischtars Volk verschweigen sollte, kam aber zu dem Schluß, daß es dafür kei nen zwingenden logischen Grund gab. Es würde den Maahks nichts nützen, wenn sie wußten, gegen wen sie eine Raumschlacht verloren hatten. Aber wenn ich schwieg, handelte ich mir nur Nachteile ein. »Nennen Sie mir den Namen der arkoni dischen Gefangenen, die vor mir diese Un terdruckkammer bewohnte«, erklärte ich. »Dann verrate ich Ihnen den Namen des Volkes, das das Doppelpyramidenschiff er baute.« »Das ist ein arrogantes Ansinnen, das Sie zurückweisen sollten, Grek-1!« warf ein an derer Maahk ein. »Wollen Sie mir Vorschriften machen, Grek-4?« entgegnete der Grek-1 des Stütz punkts. Er wandte sich wieder an mich. »Ich hätte es nicht nötig, Ihnen irgendwel che Auskünfte zu geben, Atlan«, erklärte er. »Dennoch will ich Ihnen verraten, daß die Gefangene sich Prinzessin Crysalgira nann te.« Ich schloß für einen Moment die Augen. Der Name war mir nicht unbekannt. Prin zessin Crysalgira gehörte zur Familie derer von Quertamagin, die neben den Familien derer von Gonozal und Orbanaschol eine der reichsten und einflußreichsten des Großen Imperiums war. Aber wie war Prinzessin Crysalgira in die Gefangenschaft der Maahks geraten? Die Vertreter der höchsten Adelsfamilien sorgten dafür, daß ihre Söhne und Töchter sich nicht unnötig in Gefahr begaben. Zwar dienten viele ihrer erwachsenen Söhne aktiv
H. G. Ewers in der Raumflotte des Imperiums und kämpften in diesen Rollen auch gegen die Maahks, aber die Töchter wurden gerade deshalb besonders gut behütet. »Befand sich Prinzessin Crysalgira in dem kleinen Kugelraumschiff, das in einem Ihrer Hangars steht?« erkundigte ich mich. »Ich habe Ihnen den Namen der Gefange nen genannt, Atlan«, entgegnete Grek-1. »Nennen Sie mir nun den Namen des Vol kes, das das Doppelpyramidenschiff erbau te!« Ich mußte lächeln. Der Maahk verstand sein Geschäft. Er ließ sich nicht mehr Informationen ent locken, sondern bestand auf der Erfüllung meiner Verpflichtung. Doch das war nur ge recht. »Es handelt sich um das Volk der Varga nen«, antwortete ich. »Ihre Königin Ischtar ist mit mir befreundet.« Diese Antwort mußte den Maahks zu den ken geben, wenn sie noch nie etwas vom Volk der Varganen gehört hatten – und das war kaum möglich, da dieses Volk schon lange nicht mehr existierte, von Ausnahmen wie Ischtar abgesehen. Grek-1 reagierte tatsächlich so, wie ich es vorausgesehen hatte. Er schaltete die Kom munikationseinheit ab, damit er sich mit den anderen Greks besprechen konnte, ohne daß ich mithörte. Ich wartete geduldig – und ich war opti mistisch, was meine eigene Zukunft anging. Zumindest würden die Maahks mich nicht töten, da ich über Informationen verfügte, die sie brennend interessieren mußten.
* Als die Maahks ihr Gespräch beendet hat ten, schaltete Grek-1 die Kommunikations einheit wieder ein und sagte: »Verstehen Sie unter der Freundschaft zwischen Ihnen und der Königin der Varga nen eine Liierung zum Zwecke der Fort pflanzung, Atlan?« Zuerst wollte ich über die gestelzte Aus
Experimente auf Skrantasquor drucksweise des Maahks lachen, doch wurde mir im nächsten Moment klar, daß sich ein Maahk gar nicht anders ausdrücken konnte. Diese gefühlsarmen Logiker wußten wahr scheinlich nicht einmal, was sexuelle Lust war. Folglich konnten sie die Vereinigung von Wesen verschiedenen Geschlechts nur unter dem Gesichtspunkt der Fortpflanzung betrachten. »Nein«, antwortete ich – und hatte damit nicht einmal gelogen, denn was immer Isch tar auch von sich aus wollte, für mich war der Sinn unserer Verbindung nicht der, mich fortzupflanzen. Das verwirrte den Maahk offensichtlich, denn er suchte lange nach den richtigen Worten. »Ich nehme an, Sie haben bewußt die Un wahrheit gesagt«, meinte er schließlich. »Das wird sich herausstellen, sobald wir Ischtar auffordern, sich uns zu ergeben, da mit wir Sie nicht töten.« Ich lachte, obwohl mir nicht zum Lachen zumute war. »Ischtar wird sich nicht erpressen lassen«, erklärte ich. »Sie kann Ihren Stützpunkt ver nichten, wenn sie will, und sie wird auf mich keine Rücksicht nehmen, weil ihre Rache ihr wichtiger sein wird als mein Leben.« Ich war nicht sicher, ob das zutraf. Es konnte durchaus sein, daß Ischtar alle Forderungen der Maahks erfüllte, um mein Leben zu retten. Doch das brauchten die Maahks nicht zu wissen. Aber ich wollte unbedingt noch erfahren, was aus Prinzessin Crysalgira geworden war. Ich stellte eine entsprechende Frage. Grek-1 zögerte, und ich fürchtete schon, die Maahks hätten die Prinzessin umge bracht. Doch da erklärte der Maahk: »Wir haben mit der Gefangenen ein Expe riment durchgeführt, Atlan. Leider darf ich Ihnen nicht verraten, welcher Art dieses Ex periment war und was das für ein Gerät ist, das wir benutzten.« Mir ging plötzlich ein Licht auf.
47 »Etwa Ihr Molekularverdichter?« fragte ich. Die Maahks wurden unruhig. Sie zeigten tatsächlich Ansätze von Gefühlen, ein Zei chen dafür, daß ich mit meiner Vermutung ins Schwarze getroffen hatte und daß sie er schüttert darüber waren, daß ich ihr Geheim nis kannte. »Es wäre sinnlos, es abstreiten zu wol len«, erklärte ich. »Ich weiß, daß Ihre neue ste Waffe, der Molekularverdichter, hier auf Skrantasquor entwickelt wurde. Haben Sie etwa die Prinzessin verkleinert?« Wieder schaltete Grek-1 die Kommunika tionseinheit aus, damit sich die Maahks be sprechen konnten, ohne daß ich mithörte. Nach einiger Zeit aktivierte er das Kommu nikationsgerät wieder. »Sie wissen sehr viel, Atlan«, sagte er. »Es handelte sich tatsächlich um den Mole kularverdichter, den wir an Prinzessin Crys algira erprobten. Wir versuchten, mit diesem Experiment herauszufinden, wohin unser Wissenschaftler Grek-3 verschwunden war, der sich einem Selbstversuch mit dem Mole kularverdichter unterzogen hatte. Leider er füllten sich unsere Erwartungen nicht. Die Gefangene konnte zwar noch einige Zeit, nachdem sie optisch nicht mehr wahrnehm bar war, mit Hilfe von Massedetektoren an gemessen werden, doch dann verschwand ihre Masse so spurlos wie die von Grek-3.« »Das hätte ich Ihnen vorher sagen kön nen, wenn Sie mich gefragt hätten, Grek-1«, erklärte ich mit dem stillen Triumph des Wissenden dem Unwissenden gegenüber. »Warum?« fragte der Maahk. »Aus wel chem Grund glauben Sie, Bescheid zu wis sen, was mit Personen geschieht, die mit dem Molekularverdichter bestrahlt wer den?« Ich lächelte. Wahrscheinlich wurde ich vom Teufel ge ritten, aber ich fühlte den Drang, den Maahks mein Wissen in die ausdruckslosen Gesichter zu schleudern. »Darum, weil ich im Trantagossa-System unter den Einfluß Ihres Molekularverdich
48 ters geraten war«, antwortete ich wahrheits gemäß. »Ich kenne die Wirkung Ihrer neue sten Waffe also aus eigener Erfahrung. Sie konnten weder die Masse Ihres Grek-3 noch die von Prinzessin Crysalgira im Meßbe reich der Massetaster behalten, weil die ver kleinerten Körper von einem bestimmten Augenblick an in einen Mikrokosmos fallen, der nicht zu unserem Kontinuum gehört.« Die Haltung der Maahks versteifte sich. Es war mir völlig klar, daß sie mir meine Geschichte nicht abnahmen. Ich hätte sie ebenfalls niemandem abgenommen, wenn ich sie nicht selbst erlebt hätte. »Es gibt Lügen, die sich selbst entlarven, Atlan«, erklärte Grek-1 schließlich. »Ihre Lüge war eine solche. Sie würden nicht hier stehen, wenn Sie unter dem Einfluß eines Molekularverdichters gestanden und in ein anderes Kontinuum geraten wären.« »Sie glauben mir also nicht?« fragte ich lauernd. »Wenn Sie logisch denken können – und ich weiß, Sie können es –, dann wissen Sie selbst, daß ich Ihnen nicht glauben kann, At lan«, erwiderte der Maahk. »Die Tatsache, daß Sie völlig normal hier stehen, beweist allein schon, daß Sie hinsichtlich Ihres Ver schwindens in ein anderes Kontinuum gelo gen haben. Ich gestehe Ihnen zu, daß diese Lüge nicht eines gewissen intellektuellen Reizes entbehrt, aber sie kann natürlich nicht Gegenstand einer wissenschaftlichen Diskussion sein.« »Und wenn ich den Beweis für meine Be hauptung antrete?« erkundigte ich mich. »Das können Sie nicht, Atlan«, entgegne te Grek-1. »Und ob ich das kann!« trumpfte ich auf. »Versprechen Sie, mir und Prinzessin Crys algira die Freiheit zu geben, wenn es mir ge lingt, sie und Grek-3 aus dem Mikrokosmos zurückzuholen?« Grek-1 überlegte nicht lange. Seiner Mei nung nach konnte ich meine Ankündigung niemals wahrmachen, also gab es für ihn keinen Grund, nicht auf mein Spiel einzuge hen.
H. G. Ewers »Ich verspreche es, Atlan«, antwortete er. »Sind Sie bereit, sich mit dem Molekular verdichter bestrahlen zu lassen? Aber, bevor Sie zustimmen, bedenken Sie, daß es von ›dort‹ kein Zurück gibt!« »Ich bin schon einmal zurückgekehrt«, er widerte ich. »Es ist zwar nicht leicht, aber es ist auch nicht unmöglich. Sie können mich mit dem Molekularverdichter bestrahlen.« Diesmal schien Grek-1 in seiner Überzeu gung, ich hätte ihn angelogen, schwankend zu werden. Wieder beriet er sich mit seinen Artgenossen, bevor er sich erneut an mich wandte. »Der Handel gilt«, erklärte er. »Wenn es Ihnen gelingt, die Prinzessin und Grek-3 zu rückzuholen, wo immer sie sich befinden, erhalten Sie und die Prinzessin die Freiheit. Sind Sie damit einverstanden, daß wir bei Ihnen eine stärkere Bestrahlung vornehmen als bei Prinzessin Crysalgira?« »Aus welchem Grund?« erkundigte ich mich. »Der Schrumpfungsvorgang würde sonst Tage dauern, Atlan«, erklärte Grek-1. »Wir wollen ihn möglichst stark beschleunigen.« Nun, auch ich war nicht daran interessiert, tagelang allmählich vor mich hinzuschrump fen. Deshalb sagte ich: »Einverstanden, Grek-1. Bis bald!« Der Maahk erwiderte nichts darauf. Dafür salutierte er unverhofft nach der Art arkoni discher Raumsoldaten. Damit wollte er mir offenbar seinen Respekt bekunden – viel leicht sogar seine Sympathie. Kurz darauf zogen er und seine Artgenos sen sich zurück. Eine Maschine rollte in den Saal. Ich spürte ein starkes Prickeln auf der Haut. Und schon wenige Minuten später merkte ich, daß meine Sachen mir zu weit wurden …
* Ich wollte es eigentlich nicht, doch ich konnte nicht anders. Ich mußte dem Mut dieses Arkoniden, der sich Atlan nannte,
Experimente auf Skrantasquor meinen Respekt bezeigen. Es war nicht nur, daß er nicht die gering ste Furcht gezeigt hatte, als er sich als unser Gefangener sah. Ich konnte das beurteilen, denn die meisten der Arkoniden, die ich als Gefangene gesehen hatte, waren von jenem unvernünftigen Gefühl befallen gewesen, das sie Furcht nannten. Atlan hatte sogar eine geistige Überlegen heit uns gegenüber herausgespielt, was an fangs von den anderen Greks als typisch ar konidische Arroganz beurteilt worden war. Doch meine Einschätzung war richtig ge wesen. Nicht Arroganz, sondern sein Wissen hatte Atlan dazu veranlaßt, mit uns eine Art intellektuelles Spiel zu treiben, um sein Ziel zu erreichen. Er hatte sein Ziel tatsächlich erreicht, weil er darauf gebaut hatte, daß wir seine Erklä rungen als unglaubhaft ansehen mußten und deshalb niemals damit rechneten, daß wir unser Versprechen einzuhalten brauchten. Schließlich erschien es bei logischer Überlegung völlig unwahrscheinlich, daß je mand, der durch den Molekularverdichter zu mikroskopischer Kleinheit schrumpfte, die sen Prozeß aktiv umkehren könnte und noch dazu andere geschrumpfte Lebewesen zu rück in die Normalität brachte. Die anderen Greks wollten noch immer nicht daran glauben. Ich jedoch ahnte, daß dieser Arkonide ge nau gewußt hatte, wovon er redete, als er be hauptete, schon einmal verkleinert worden und in einen Mikrokosmos gestürzt zu sein und sich daraus gerettet zu haben. Atlan war anders als alle anderen Arkoni den, die ich bisher kennengelernt hatte. Ich mußte mir eingestehen, daß diese Bewertung nichts mit Logik zu tun hatte, sondern daß sie etwas war, das man entweder spürte oder nicht. Obwohl das meinem Hauptprinzip – und dem aller Maahks – widersprach, hielt ich daran fest. Vielleicht deshalb, weil Atlan uns davor gewarnt hatte, sein Schiff anzugreifen, und weil sich diese Warnung als gerechtfer tigt herausgestellt hatte.
49 Schließlich war es einmalig in der langen Geschichte meines Volkes, daß von dreihun dert unserer schwersten Kampfschiffe beim ersten Angriff auf ein kleineres fremdes Raumschiff gleich zweihundert Einheiten vernichtet worden waren. Wie weit mußte die Technologie der Var ganen, denen dieses Raumschiff nach Atlans Aussage gehörte, unserer Technologie und der der Arkoniden voraus sein! Ich warf einen Blick in die Unterdruck kammer und sah, daß der Arkonide sich sei ner Kleidung entledigte, die ihm, weil er zu sehends schrumpfte, bald mehr als hinder lich geworden wäre. Bei ihm war nichts von der Panik zu bemerken, die Prinzessin Crys algira angesichts ihrer Verkleinerung befal len hatte. Ein Beweis dafür, daß seine Behauptun gen stimmten? »Ein Hyperfunkanruf für Sie, Grek-1!« ertönte eine Stimme aus einem der Hallen lautsprecher. »Ein weiblicher Humanoide namens Ischtar.« Ich hatte das Gefühl, von einem starken Stromstoß durchfahren zu werden, als ich den Namen Ischtar hörte. Ischtar, so hatte Atlan seine Freundin, die angebliche Königin der geheimnisvollen Varganen, genannt! Ich rannte los und erreichte die Hyper funkzentrale noch weit vor den anderen Greks, die mir gefolgt waren. Der große Bildwürfel inmitten der Zentra le war hell und zeigte das Abbild eines weiblichen Humanoiden mit goldfarbener Haut. Ansonsten sah dieses Wesen wie eine Arkonidin aus, was mich ein wenig ent täuschte. Dennoch zögerte ich nicht, die Kommuni kation aufzunehmen. »Ich bin Grek-1!« sagte ich. »Der Grek-1 von Skrantasquor?« fragte Ischtar. Der zwischengeschaltete Translator übersetzte. »Das ist richtig«, bestätigte ich. »Sie sind Ischtar, die Königin des Volkes der Varga nen?«
50 »Das ist ebenfalls richtig«, antwortete Ischtar. »Und nun hören Sie mir genau zu, denn ich werde nichts wiederholen, Grek-1! Der Krieg zwischen Ihrem Volk und dem Volk der Arkoniden geht mich nichts an. Ich beabsichtige nicht, zugunsten einer der bei den Seiten einzugreifen. Zwar helfe ich At lan, doch das hat rein persönliche Gründe. Sie haben vor kurzem beim Angriff auf mein Raumschiff dreihundert Einheiten ein gesetzt und zweihundert verloren. Das dürfte Ihnen gezeigt haben, daß meine Waffen den Ihren hoch überlegen sind. Ich werde diese überlegenen Waffen ein setzen und Skrantasquor vernichten, wenn Sie den Arkoniden Atlan nicht innerhalb ei ner Frist, die zehn arkonidischen Stunden entspricht, herausgegeben haben. Schicken Sie ihn mit einem unbewaffneten Beiboot zu mir. Ich garantiere dem Boot und seiner Be satzung freies Geleit. Sobald Atlan sich un versehrt bei mir befindet, haben Sie nichts mehr von mir zu befürchten. Antworten Sie!« Ich glaubte der varganischen Königin je des Wort – und ich war sicher, daß sie die Möglichkeit besaß, ihre Drohung wahrzu machen, Skrantasquor zu vernichten. Das mußte ich verhindern, denn dieser Stützpunkt war zu wichtig für unseren Kampf gegen die Arkoniden, als daß ich ihn leichtfertig der Vernichtung preisgeben durf te. Doch wie sollte ich Ischtars Bedingung erfüllen, wenn der Gefangene, dessen Aus lieferung sie forderte, schneller schrumpfte, als wir ihn zu ihr transportieren konnten? »Ich kann Ihre Forderung nicht erfüllen, Ischtar«, erwiderte ich. »Zwar ist Atlan un ser Gefangener, aber er hat sich freiwillig ei nem Experiment unterzogen, das ich nicht rückgängig machen kann.« »Sie haben ihn mit dem Molekularver dichter bestrahlt?« fragte die Varganin au ßergewöhnlich heftig. »Das werden Sie mir büßen!« »Er hat mich darum gebeten«, erklärte ich. »Es war ein Geschäft. Atlan erhält von
H. G. Ewers uns seine Freiheit zurück, wenn es ihm ge lingt, die arkonidische Prinzessin Crysalgira und unseren Wissenschaftler Grek-3 aus dem Mikrokosmos zurückzubringen. Er hat behauptet, er könnte das schaffen.« »Wenn das stimmt, hat ihn wieder einmal der Teufel geritten!« entgegnete Ischtar. »Aber erst einmal müssen Sie mir beweisen, daß es stimmt, Grek-1!« »Warten Sie etwas, Ischtar«, sagte ich. »Ich sorge für eine Überspielung der Ge schehnisse. Wenn Atlan noch nicht zu klein dazu ist, können Sie sogar mit ihm sprechen. Würde Ihnen das als Beweis genügen?« »Ja!« erklärte die Varganin. »Ich warte, aber nicht lange!« Ich wußte, daß wir nicht mehr viel Zeit hatten. Deshalb gab ich den anderen Greks gegenüber keine Erklärungen ab, sondern er teilte lediglich Befehle, über deren Dring lichkeit ich allerdings keine Zweifel auf kommen ließ. Vielleicht gelang es uns, die Varganin Ischtar davon zu überzeugen, daß ich die Wahrheit gesagt hatte. Endlich hatte ich die letzten, viel zu wei ten Kleidungsstücke abgestreift. Die Strahlungsdosis aus dem Molekular verdichter mußte wirklich sehr hoch gewe sen sein, denn ich war innerhalb einer Stun de schon auf die Hälfte meiner Normalgröße geschrumpft, was bei meinem Abenteuer an Bord des Skorgons Tage gedauert hatte. Damit ich nicht völlig nackt im Mikrokos mos ankam, nahm ich mein Halstuch, riß es auseinander und zog einen Faden heraus, den ich mit bloßem Auge kaum sehen konn te. Vielleicht war er dünn genug, daß ich ihn, sobald ich mikroskopisch klein war, noch mehr zerreißen und mir eine Art Len denschurz daraus fertigen konnte. Ich blickte auf, als draußen in der Halle plötzlich viele Maahks durcheinanderliefen. Sie schienen durch etwas aufgestört zu sein. Plötzlich kam Grek-1 bei meiner Unter druckkammer an. Infolge meiner Kleinheit wirkte der ohnehin große Maahk gigantisch. Er schaltete die Kommunikationseinheit
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an und betätigte einen Manipulator. Die In nenmikrophone senkten sich an ihren Kabel strängen so weit herab, daß ich bequem hin einsprechen konnte. Andere Maahks stellten ein Hyperfunkge rät vor der Kammer auf und auf dem Bild schirm erschien Ischtars Gesicht. »Auf was hast du dich eingelassen, At lan?« ertönte die Stimme der Varganin. Ich winkte lächelnd und antwortete: »Keine Sorge, Geliebte! Ich werde dem Mikrokosmos einen weiteren Besuch abstat ten. Dafür erhalte ich von den Maahks die Freiheit zurück. Ich brauche ihnen nur ihren Wissenschaftler Grek-3 zurückzubringen.« »Und wie ist es mit Prinzessin Crysalgi ra?« fragte Ischtar kalt, aber innerlich ko chend. Ich unterdrückte ein Grinsen. Meine Goldene Göttin wurde von Eifer sucht geplagt. Das konnte mir nur recht sein. Es würde mir helfen, wenn ich wieder etwas von ihr brauchte. »Ich kenne die Prinzessin nicht«, erklärte ich. »Aber ich werde sie selbstverständlich retten, wenn ich sie ›drüben‹ finde. Immer hin ist sie eine hochgestellte arkonidische Adlige aus angesehener und einflußreicher Familie.« »Ich traue dir nicht«, erwiderte Ischtar.
»Es wird besser sein, wenn ich mich eben falls verkleinern lasse und dir folge.« »Das wäre zu riskant, Ischtar«, sagte ich und blickte an mir herab. Dabei stellte ich fest, daß der Schrumpfungsprozeß sich im mer mehr beschleunigte. Als ich wieder aufblickte, hingen die Mi krophone hoch über mir. »Ich warte auf dich, Atlan!« hallte es laut. »Bis bald!« rief ich mit aller Stimmkraft zurück. Ich bezweifelte jedoch, daß Ischtar mich noch hörte, denn ich war inzwischen so klein geworden, daß der Boden der Unter druckkammer mir wie eine Geröllwüste vor kam. Berge wölbten sich empor, tiefe Täler taten sich auf. Inzwischen mußte ich mit bloßem Auge schon nicht mehr sichtbar sein. Ich marschierte in ein langgestrecktes Fel sental hinein, dessen Wände zusehends hö her wurden. Nicht mehr lange, und ich wür de wieder in den Mikrokosmos stürzen. Wo würde ich wohl diesmal herauskom men – was würde ich erleben …?
E N D E
ENDE