Atlan - Der Held von Arkon Nr. 192
Experimente auf Skrantasquor Flug zum Stützpunkt der Maahks Atlan auf der Spur des ...
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Atlan - Der Held von Arkon Nr. 192
Experimente auf Skrantasquor Flug zum Stützpunkt der Maahks Atlan auf der Spur des Molekularverdichters von H. G. Ewers Im Großen Imperium der Arkoniden schreibt man eine Zeit, die auf Terra dem 9. Jahrtausend v. Chr. entspricht. Imperator des Reiches ist Orbanaschol III. ein brutaler und listiger Mann, der seinen Bruder Gonozal VII. töten ließ, um selbst die Herrschaft antreten zu können. Gegen den Usurpator kämpft Gonozals Sohn Atlan, Kristallprinz und rechtmäßiger Thronerbe des Reiches, mit einer stetig wachsenden Zahl von Getreuen, die Orbanaschols Helfershelfern schon manche Schlappe beibringen konnten. Mit dem Tage jedoch, da der Kristallprinz Ischtar begegnet, der schönen Varganin, die man die Goldene Göttin nennt, scheint das Kriegsglück Atlan im Stich gelassen und eine Serie von empfindlichen Rückschlägen begonnen zu haben. Gleiches gilt aber auch für Atlans Gegenspieler, den Imperator. Denn Orbanaschols Streitkräfte haben gerade eine schwere Niederlage im Trantagossa-Sektor erlitten – infolge eines Überraschungsangriffs der Maahks und des Einsatzes einer neuen Waffe. Um den Besitz dieser neuen Waffe, des Molekularverdichters, mit dem auch Atlan schon unliebsame Bekanntschaft gemacht hat, geht es dem Kristallprinzen, als er Ischtar bittet, einen bestimmten Maahk-Stützpunkt anzufliegen. Dabei wird Atlan zum Objekt der EXPERIMENTE AUF SKRANTASQUOR …
Experimente auf Skrantasquor
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Die Hautpersonen des Romans: Grek-1 und Grek-3 - Ein Kommandant und ein Wissenschaftler der Maahks. Crysalglra - Eine Prinzessin von Arkon in Gefangenschaft. Atlan - Der Kristallprinz geht nach Skrantasquor. Ischtar - Die Varganin kämpft gegen die Maahks. Ra - Die Eifersucht treibt den Barbaren zur Sabotage.
1. »Landung eingeleitet, Grek-1!« meldete der Kommandant meines Führungsschiffs. Ich drehte mich nicht um, sondern hob nur die Lider der vier nach hinten gerichteten Augenhälften auf meinem Kopfgrat. Deutlich konnte ich auf dem vorderen Bildschirm der Rundsichtgalerie die dichten Wolkenschleier des Planeten Skrantasquor sehen. Heftige Turbulenzen tobten wie immer in den oberen Bereichen seiner Atmosphäre. Doch unterhalb der Wolkenzone würde es klar sein. Mein Raumschiff war das größte der auf Skrantasquor stationierten Kampfschiffe und war auch von allen am schwersten bewaffnet. Dennoch hatte es bei den Kämpfen im Trantagossa-System zwei schwere Treffer abbekommen. Dabei war ein Drittel der Besatzung gefallen. Das war auch der Grund für meine Entscheidung gewesen, vorzeitig zu unserem Stützpunkt auf Skrantasquor zurückzufliegen. Nachdem unsere Flotte den Planeten Enorketron, den vierten des Trantagossa-Systems, verwüstet und die aus rund dreißigtausend Einheiten bestehende Raumflotte der Arkoniden dezimiert hatte, war für mein weiteres Verbleiben kein logischer Grund mehr gegeben gewesen. Unsere aus siebzehntausend schweren Einheiten bestehende Flotte hatte nicht mehr als die vorausberechneten Verluste gehabt und würde nur noch so viele Raumplattformen im Trantagossa-System wie möglich zerstören, bevor sie sich geordnet zurückzog. Ich durfte zufrieden sein. Der Planet Enorketron war eine positronische Schaltwelt des sogenannten Großen
Imperiums der Arkoniden gewesen. Von dort war ein Drittel der Imperiumsflotte gesteuert worden. Dieses Drittel der arkonidischen Flotte würde für längere Zeit zu keinen schlagkräftigen Aktionen mehr fähig sein. Unser Plan war sogfältig ausgearbeitet und ebenso sorgfältig ausgeführt worden. Mit dem Ausfall von Enorketron war unsere Stellung auf Skrantasquor, weit im Herrschaftsgebiet der Arkoniden gelegen, für lange Zeit unerschütterlich. Die Arkoniden würden viel Zeit brauchen, um sich in diesem Sektor neu zu organisieren – und von Skrantasquor aus konnten wir ihre diesbezüglichen Bemühungen nachhaltig stören. Ich beendete meine Gedanken über dieses Thema und ging hinüber zum Grek-4 meines Schiffes. Grek-4 hatte sich zur Zeit der Raumschlacht von Trantagossa in dem Sektor des Schiffes befunden, in dem sich der zweite Treffer ausgewirkt hatte. Im Unterschied zu den anderen Besatzungsmitgliedern dort war es ihm noch gelungen, seinen Druckhelm zu schließen. Dadurch war er mit dem Leben davongekommen und wenig später von Medorobotern gerettet worden. Aber er hatte den rechten Arm verloren, und die normalerweise blaßgrauen Hautschuppen waren fast schwarz. Selbstverständlich war er nach der Behandlung im Bordhospital wieder eingesetzt worden. Da wir ein Drittel unserer Besatzungsmitglieder verloren hatten, wurde jeder Raumfahrer dringend benötigt. Grek-4 arbeitete am Schaltpult für Triebwerkskorrekturen. Sein Gehirn war nicht geschädigt, und eine Hand reichte aus, um die Schaltungen zu bedienen. Ich verfolgte seine Tätigkeit eine Weile,
4 dann erkundigte ich mich, ob er bis zur Landung durchhalten würde. Als Grek-4 meine Frage bejahte, kehrte ich an die Seite des Schiffskommandanten zurück, ließ mich in einem Kontursessel nieder und verfolgte das Landemanöver. Skrantasquor stellte im Kampf gegen die Arkoniden eine ideale Stützpunktwelt dar. Der Planet war einer der größten Himmelskörper, die sich wegen ihrer Wasserstoffhaltigen Atmosphäre, ihrer Klimabedingungen und des Luftdrucks für eine Besiedlung durch Angehörige meines Volkes eigneten. Wie die meisten dieser Welten war die feste Oberfläche mit rein optischen Mitteln vom Weltraum aus nicht einzusehen. Doch sogar mit hochwertigen, auf hyperschneller Basis arbeitenden Ortungsgeräten war ein Abtasten des Grundes sehr zeitraubend und lieferte keine klaren Ergebnisse. Es erschien mir unwahrscheinlich, daß arkonidische Raumschiffe in absehbarer Zeit entdecken würden, daß Skrantasquor ein wichtiger Stützpunkt unseres Volkes war. Und selbst dann, wenn die Arkoniden hinter unser Geheimnis kamen, würden sie nicht viel unternehmen können. Unsere getarnten Raumstationen würden die Annäherung feindlicher Schiffe rechtzeitig melden, so daß die Schutzflotte sich entsprechend formieren und Vernichtungstorpedos weit vor Skrantasquor abfangen konnte. Die Gefahr, daß die Arkoniden Landungskommandos auf Skrantasquor absetzten, bestand erfahrungsgemäß nicht. Arkonidische Landungsschiffe waren zu leicht gebaut, um die von Stürmen, heftigen chemischen Reaktionen und energetischen Entladungen durchsetzte Wolkenzone heil durchstoßen zu können, und auf dem Grunde des Planeten konnten sich die körperlich schwachen Gefühlsdenker nur mit Hilfe von schweren Druckpanzern bewegen, deren Hilfsaggregate den meisten Strom verbrauchen würden, den die Fusionsmeiler der Panzer erzeugten. Nein, um die Sicherheit unseres Stützpunkts brauchte ich mich nicht zu sorgen. Die Natur selbst war in diesem uns aufge-
H. G. Ewers zwungenen Krieg auf der Seite meines Volkes. Der Kommandant erteilte mit ruhiger Stimme einige Befehle, als mein Schiff in die Wolkenschicht eintauchte und beinahe sofort in eine Zone starker energetischer Entladungen geriet. Die Schiffszelle vibrierte, und der walzenförmige Rumpf geriet ins Schlingern, da wegen der ausgefallenen Aggregate nicht alle äußeren Einwirkungen kompensiert werden konnten. Interessiert beobachtete ich die Reaktionen der Zentrale-Besatzung, Anerkennend stellte ich fest, daß niemand mehr als das wissenschaftlich vertretbare Maß an Gefühlen zeigte, obwohl sie alle wissen mußten, daß das Schiff wegen der starken Beschädigungen durchaus außer Kontrolle geraten und auf dem Grund zerschellen konnte. Einmal wurde es kritisch, als das Schiff sich bei einem besonders starken Aufprall energetischer Turbulenzen überschlug. Doch kurz darauf wurde die Wolkenzone durchstoßen, und in der ruhigeren Klarsichtzone konnte die Besatzung das Schiff wieder unter Kontrolle bringen. Wenig später setzten wir auf dem Areal des Raumhafens auf. Ich meldete mich über Funk beim Hauptquartier zurück und erhielt die Bitte übermittelt, mich im Besprechungsraum des Kommandostabes einzufinden.
* Als ich den Besprechungsraum betrat, erhoben sich die mir unterstellten Greks und drückten durch ihre Begrüßung den Respekt aus, den sie vor meiner Leistung im Trantagossa-System empfanden. Leicht erstaunt registrierte ich, daß in der Versammlung der ersten zehn Rangordnungen Grek-3 fehlte. Ich enthielt mich jedoch einer entsprechenden Frage, denn die anderen würden mir sicher zu gegebener Zeit mitteilen, warum Grek-3 unserer Versammlung ferngeblieben war.
Experimente auf Skrantasquor »Enorketron wurde verwüstet, wie der Plan es vorsah«, berichtete ich, nachdem wir alle uns gesetzt hatten. »Damit ist ein Drittel der arkonidischen Kampfflotte, die gegen uns eingesetzt ist, für längere Zeit ohne zentrale Steuerung.« »Vielleicht veranlaßt das die Arkoniden, einmal streng logisch zu denken und einzusehen, daß sie diesen Krieg nicht gewinnen können«, sagte Grek-5. »Das erscheint mir unwahrscheinlich«, entgegnete Grek-2, mein direkter Stellvertreter. »Diese schwachen und häßlichen Lebewesen halten sich für die am höchsten entwickelte Lebensform dieser Sterneninsel. Dabei zeugen ihre chaotischen und beinahe alles beherrschenden Emotionen gerade, daß sie sich noch auf einer sehr niedrigen Stufe der Evolution befinden. Es ist bedauerlich, daß solche unfertigen Intelligenzen wie die Gefühlsdenker schon die interstellare Raumfahrt entwickelt haben.« »Unsere Historiker haben Anhaltspunkte dafür gefunden, daß die Arkoniden aus Kolonisten eines weit höher entwickelten Urvolks hervorgingen«, warf Grek-8 ein. »Offenbar haben sie sich während der ersten Phase der Kolonisation zurückentwickelt, ohne das technische und wissenschaftliche Erbe ihres Urvolks ganz zu verlieren.« Diese Hypothese hatte ich schon mehrfach gehört. Sie war, meiner Meinung nach, nichts als eine Hypothese, denn wenn die Arkoniden von einem viel höher entwickelten Urvolk abstammten, warum sorgte dieses Urvolk dann nicht dafür, daß ihre entarteten Abkömmlinge in die Schranken gewiesen wurden? »Es ist sehr bedauerlich, daß wir die besten Kräfte unseres Volkes daran verschwenden müssen, uns gegen die Arkoniden zu verteidigen«, meinte Grek-7. »Infolge ihrer emotionsgeladenen Mentalität haben diese Wesen das negativste Gefühl entwickelt, das es überhaupt gibt: den Haß.« »Sie beschuldigen ihrerseits uns des Hasses auf alle Arkoniden«, erklärte Grek-10. »Die Arkoniden können ihrer starken
5 Emotionen wegen eben nicht klar denken«, warf ich in die Diskussion ein. »Sie halten unsere konsequenten militärischen Maßnahmen für den Ausdruck eines Haßgefühls, das uns völlig fremd ist. Aber wir müssen schließlich konsequent handeln. Immerhin waren es die Arkoniden, die durch ihre emotionsgeladenen Reaktionen den Krieg zwischen unseren Völkern verschuldeten. Sie denken nur nicht logisch genug, um sich den Sachverhalt einzugestehen.« »Folglich müssen wir den Krieg mit mehr Härte weiterführen, bis die Raumflotten der Arkoniden zerschlagen sind und ihr Volk so dezimiert ist, daß es uns nicht mehr bekämpfen kann«, stellte Grek-2 fest. Seine vier nach vorn gerichteten Augenhälften blickten mich auffordernd an. Ich wußte, worauf Grek-2 wartete. Deshalb sagte ich: »Wie Grek-3 uns dringend empfohlen hatte, wurde die unter seiner Leitung entwickelte neue Waffe gegen die im Trantagossa-System kämpfenden arkonidischen Raumschiffe versuchsweise eingesetzt. Ich habe selbst beobachten können, daß der Molekularverdichter funktioniert. Nicht direkt allerdings, denn die neue Waffe verkleinert nur organische Dinge, nicht aber Raumschiffe. Doch wenn die Besatzung eines Raumschiffs verkleinert wird, gerät das Schiff außer Kontrolle, und diesen Vorgang habe ich dreimal selbst beobachten können.« »Nur dreimal?« fragte Grek-2. »Das ist richtig«, gab ich zu. »Der Molekularverdichter scheint noch nicht genügend ausgereift zu sein. Er versagte mehrmals. Vielleicht tritt der gewünschte Effekt manchmal mit großer Verzögerung ein. Völlige Gewißheit darüber gibt es jedoch nicht. Ich halte es, nachträglich betrachtet, für einen Fehler, daß wir unsere neue Waffe so früh eingesetzt haben.« »Sie meinen, die Arkoniden könnten anhand der Wirkung das Prinzip analysieren, nach dem der Molekularverdichter arbeitet, und wären durch den verfrühten Einsatz gewarnt, Grek-1?« erkundigte sich mein Stell-
6 vertreter respektvoll. »Das denke ich, Grek-2«, antwortete ich. »Wir hätten mehr Versuche mit dem Gerät anstellen sollen, um seine Wirkung genau zu studieren und es zu vervollkommnen. Grek3 wird uns erklären müssen, warum er darauf bestanden hat, den Molekularverdichter jetzt schon einzusetzen.« »Diese Erklärung wird Grek-3 uns schuldig bleiben«, sagte Grek-2. »Nach einer wissenschaftlichen Diskussion wollte er uns demonstrieren, daß die Waffe ausgereift ist. Er setzte sich selbst ihrer Strahlung aus.« »Und?« fragte ich, obwohl ich mir denken konnte, was geschehen sein mußte. »Die Demonstration war ein voller Erfolg«, berichtete mein Stellvertreter sachlich. »Grek-3 wurde zusehends kleiner und kleiner und verschwand schließlich, ohne daß wir eine Möglichkeit fanden, den Verkleinerungsprozeß aufzuhalten. Niemand weiß, was mit ihm geschehen ist beziehungsweise noch geschehen wird.« Leicht verstimmt erwiderte ich: »Ihre letzte Erklärung kann ich nicht widerspruchslos hinnehmen, Grek-2. Wir wissen alle, daß der Molekularverdichter organische Körper zwar schrumpfen läßt, daß ihre Masse sich dabei jedoch nicht verringert. Sogar ein bis auf mikroskopische Winzigkeit geschrumpfter Körper muß sich wegen seiner erhalten gebliebenen Masse mühelos mit einem Massedetektor lokalisieren lassen.« Eine Weile herrschte Schweigen. Als mein Stellvertreter endlich das Schweigen brach, glaubte ich, so etwas wie leise Verlegenheit bei ihm zu bemerken. Die Angelegenheit mußte ihn sehr stark beschäftigen, wenn er es nicht fertigbrachte, die Andeutung eines unangebrachten Gefühls zu unterdrücken. »Das kann nicht abgestritten werden, Grek-1«, sagte er. »Aber entgegen aller wissenschaftlich bewiesenen Gesetze ließ sich Grek-3 von einem bestimmten Zeitpunkt an nicht mehr mit Massedetektoren lokalisieren.«
H. G. Ewers »Die Detektoren zeigten von einem Augenblick zum anderen die Masse von Grek-3 nicht mehr an«, warf Grek-5 ein. »Es war ungefähr so, als wäre Grek-3 plötzlich aus unserem Kontinuum verschwunden.« »Keine unhaltbaren Hypothesen!« warnte ich. »Wir müssen weiter mit dem Molekularverdichter experimentieren, damit wir alle Nebeneffekte seiner Wirkungsweise feststellen und ergründen können.« »Bedauerlicherweise ist mit Grek-3 der größte Teil unseres Wissens um das Wirkungsprinzip des Molekularverdichters verlorengegangen«, sagte Grek-4. »Grek-3 war der Erfinder der neuen Waffe, und er hatte versäumt, alle Daten in unsere Große Positronik einzuspeisen. Aus diesem Grund verfügen wir nur über einen Bruchteil seines Wissens.« »Für dieses Versäumnis wird Grek-3 sich verantworten müssen, wenn er eines Tages zurückkehren sollte«, erklärte ich. »Er hat uns damit schweren Schaden zugefügt. Uns bleibt nichts weiter übrig, als auf dem aufzubauen, was wir wissen und besitzen, und weiterzumachen.«
* Wir besprachen die Einzelheiten unseres Vorgehens und wechselten dann das Thema, denn es gab noch viele andere Dinge zu besprechen. Vor allem war es wichtig, daß die Reparaturwerften angewiesen wurden, sich auf das Eintreffen beschädigter Einheiten vorzubereiten. Nach den Berechnungen mußten zirka achthundert unserer Schiffe beim Angriff auf das Trantagossa-System beschädigt worden sein. Diejenigen Schiffe, die weder aus eigener Kraft ins Kratakh-System, zu dem Skrantasquor gehörte, zurückfliegen noch abgeschleppt werden konnten, würden von ihren Besatzungen logischerweise vernichtet werden, damit sie nicht dem Gegner in die Hände fielen. Die übrigen aber mußten in den Reparaturwerften so schnell wie möglich
Experimente auf Skrantasquor wieder instand gesetzt werden. Nicht, daß wir in naher Zukunft einen Angriff der Arkoniden auf Skrantasquor befürchteten, aber wir mußten den Umstand maximal nutzen, daß die Gefühlsdenker wegen der Verwüstung von Enorketron in einem ausgedehnten Raumsektor keine zentral gelenkten Aktionen durchführen konnten. Skrantasquor war der am weitesten ins Herrschaftsgebiet der Arkoniden vorgeschobene Stützpunkt. Folglich hatten wir den Umstand der Lähmung eines Drittels der arkonidischen Flotte durch gezielte Blitzaktionen gegen weitere arkonidische Sonnensysteme zu nutzen. Wir hatten unsere Besprechung soeben beendet, und ich wollte mich für die Dauer von dreieinhalb Zeiteinheiten in mein Quartier zurückziehen, als uns die Funknachricht des Grek-1 eines kleinen Verbandes erreichte, in der der Kommandeur mitteilte, seine neun Einheiten hätten mit Traktorstrahlen ein kleines Arkonidenschiff eingefangen. Die Nachricht enthielt außerdem die Information, daß sich an Bord des Arkonidenschiffs ein lebender Passagier befand, und zwar ein weiblicher Vertreter des arkonidischen Volkes. Der Kommandeur fragte an, was er mit dem erbeuteten Raumschiff und der Gefangenen anfangen sollte. Ich brauchte nicht lange nachzudenken, um zu einem Entschluß zu kommen. Das arkonidische Raumschiff war sicher nicht besonders interessant, aber es mußte dennoch genau untersucht werden, damit wir feststellen konnten, ob es irgendwelche Neuerungen enthielt. Danach konnten wir es vernichten, zumal es sowieso beschädigt war. Der weibliche Passagier erschien mir erheblich interessanter. Wir Maahks wußten zwar weitgehend über die Art und Weise der Vermehrung der Arkoniden Bescheid. So beispielsweise, daß die weiblichen Vertreter dieser Gattung meist nur ein Junges warfen, selten zwei oder drei, und daß die Tragzeit relativ lang war. Doch wir hatten kaum Ge-
7 legenheit gehabt, die Organe eines weiblichen Wesens der Arkoniden zu untersuchen beziehungsweise die Mentalität eines weiblichen Wesens der Gefühlsdenker mit der Mentalität seiner männlichen Artgenossen zu vergleichen. Auf unserem gut ausgebauten und eingerichteten Stützpunkt Skrantasquor verfügten wir über alle Möglichkeiten, Physiologie, Psyche und Funktion eines Gefangenen zu untersuchen. Folglich hatten wir die Pflicht, jede sich uns bietende Gelegenheit wahrzunehmen. Ich befahl dem Kommandeur des Verbandes deshalb, sowohl das erbeutete Raumschiff als auch die Gefangene nach Skrantasquor zu bringen.
2. Prinzessin Crysalgira war trotz ihres attraktiven Äußeren kein verwöhntes Luxusgeschöpf, sondern eine tatkräftige Raumfahrerin, die genau wußte, was sie wollte. Zur Zeit, völlig erschöpft vom Löschen der Schwelbrände im Schiff, wirkte sie jedoch alles andere als tatkräftig. Seit ihr kleines Raumschiff von neun großen Walzenraumern der Maahks aufgebracht worden war, hatte sie wie ein Häufchen Elend in ihrem Kontursessel gehockt und war nur einmal aufgeschreckt, als die maahkschen Walzenschiffe in Transition gegangen waren und ihr Schiff mitgenommen hatten. Ihr kam alles vor wie ein böser Traum, und manchmal ertappte sie sich tatsächlich bei dem Gedanken, daß sie auf das Erwachen aus diesem Traum wartete. Dennoch wußte sie, daß sie nicht träumte, sondern in einer grauenhaften Realität lebte. Sie hatte nicht nur ihren Geliebten, den Sonnenträger Chergost, verloren – beziehungsweise wußte nicht, was aus ihm geworden war, sondern befand sich außerdem völlig allein in einem Raumschiff, das in die Gewalt der verhaßten Wasserstoffatmer geraten war.
8 Sie wußte nicht, was die Maahks mit ihr vorhatten. Doch sie hatte schon so viel über diese grausamen Intelligenzen gehört, daß sie mit dem Schlimmsten rechnete. Bisher war allerdings noch kein Maahk an Bord gekommen. Die Wasserstoffatmer schienen mit Spionstrahlen festgestellt zu haben, daß sie die einzige lebende Person an Bord des sechzig Meter durchmessenden Kugelraumschiffs war. Die Männer, die mit ihr in der CERVAX von dem Asteroiden der Verbrecher geflohen waren, waren tot, ihren Verletzungen erlegen, die sie erlitten hatten, als das Schiff kurz nach seiner Flucht beschossen und schwer getroffen worden war. Crysalgira wußte, daß sie allein nichts gegen die Maahks ausrichten konnte. Allein war sie weder in der Lage, das beschädigte Schiff zu steuern – was wegen der Traktorstrahlen ohnehin mißlungen wäre –, noch die Bordgeschütze zu bedienen und wenigstens kämpfend unterzugehen. Sie war den Maahks auf Gedeih und Verderb ausgeliefert. Als ihr Schiff abermals beschleunigte, starrte die Prinzessin angstvoll auf die Bildschirme der Rundsichtgalerie. Doch sie erkannte außer den neun riesigen Walzenraumern, die die CERVAX kokonförmig einhüllten, nur winzige Ausschnitte des sternenübersäten Weltraums. Nicht genug, um ihr eine Orientierung zu ermöglichen. Crysalgira zog die Knie an den Leib, legte die Arme darum und nagte an ihrer Unterlippe. Erstmals seit der Aufbringung ihres Schiffes konnte sie sich zu klarer Überlegung zwingen. Sie fragte sich, ob ihr Raumschiff den Maahks wichtige Hinweise auf die arkonidische Technik geben könnte. Wahrscheinlich nicht, denn die CERVAX war nicht das erste arkonidische Raumschiff, das von den Wasserstoffatmern erbeutet worden war. Dennoch hätte die Prinzessin die Vernichtungsschaltung aktiviert, wenn ihr Raumschiff mit einer ausgestattet gewesen wäre.
H. G. Ewers Sie war zwar erst neunzehn Arkonjahre alt und viel zu jung, um zu sterben, aber sie hätte freiwillig den Tod gewählt, wenn sie damit den verhaßten Feinden ihres Volkes schaden könnte. Sie stieß einen leichten Schrei aus, als der Verband in die nächste Transition ging und der Verzerrungsschmerz ihren Körper durchraste. Bei der Rematerialisierung fiel Crysalgira in Ohnmacht, denn es war eine harte Transition gewesen, ausgelöst bei viel zu geringer Anlaufgeschwindigkeit. Nach einiger Zeit kam die Prinzessin wieder zu sich. Erneut blickte sie auf die Bildschirme. Sie sah etwas schemenhaft über einen der Steuerbordschirme huschen, vermochte aber nicht zu erkennen, worum es sich handelte, denn im nächsten Augenblick war es verschwunden. Immerhin glaubte sie zu erkennen, daß der Verband mit nur geringer Eigengeschwindigkeit durch den Weltraum trieb. Dann tauchte zwischen zwei Walzenschiffen urplötzlich ein gleißender Sonnenball auf. Eine Sonne, die als glühende Scheibe zu sehen war, bedeutete, daß zwischen ihr und dem Schiff keine interstellare Entfernung lag, sondern eine interplanetarische. Folglich mußte der Verband in einem Sonnensystem rematerialisiert sein. Prinzessin Crysalgira erschauderte. Waren die Maahks am Ziel ihrer Reise? Würden sie ihre Gefangene in ein Lager bringen? Oder würden sie sie bei lebendigem Leibe sezieren, um die Funktion ihrer Organe zu ergründen? Als sich das Panzerschott der Hauptzentrale öffnete, fuhr Crysalgira herum. Sie wollte nach ihrem kleinen Handstrahler greifen, doch der Anblick der drei monströsen Lebewesen, die die Zentrale betraten, lähmte sie. Die drei Ungeheuer trugen schwere Schutzanzüge mit durchsichtigen Druckhelmen, hinter denen ihre von jeweils vier grünschillernden Augen besetzten Sichelköpfe deutlich zu erkennen waren.
Experimente auf Skrantasquor Diese Augen strahlten für Crysalgira kalte Mordlust aus. Sie schlug die Hände vors Gesicht und schrie. Als sie verstummte und merkte, daß sie noch immer lebte, nahm sie vorsichtig die Hände vom Gesicht. Die drei Maahks standen wenige Schritte vor ihr, riesige, breite Gestalten, die trotz ihrer teilweise humanoiden Körperfomen an belebte Felsen erinnerten – oder an die Eisriesen der Häthora-Sage. Eine Weile starrten die Arkonidin und die Maahks sich nur an, dann hob einer der Wasserstoffatmer einen seiner bis zu den Knien reichenden Tentakelarme, klopfte mit den sechs Fingern, die an einer Art Trichter saßen, an seinen Druckhelm und deutete danach auf Crysalgira. Die Prinzessin blickte das Monstrum verständnislos an. Sie begriff nicht, was es wollte, begriff es auch dann nicht, als der Maahk seine Geste wiederholte. Aber als er auf sie zutrat, schrie sie abermals auf und sprang aus ihrem Kontursessel, um zu fliehen. Doch der Maahk streckte seinen Arm wieder aus. Seine Finger schlossen sich um den Waffengurt von Crysalgiras Schutzanzug und holten die Frau mühelos zu sich heran. Crysalgira war so entsetzt, daß sie nicht einmal mehr schreien konnte. Sie vermochte nicht einen klaren Gedanken mehr zu fassen und schloß mit ihrem Leben ab. Aber der Maahk schloß lediglich ihren Druckhelm und nahm ihr den Handstrahler ab, dann ließ er sie wieder los. Prinzessin Crysalgira sank zu Boden und blieb lange wie leblos liegen. Als sie den Schock überwunden hatte, dachte sie nach und kam zu dem Schluß, daß der Maahk ihr mit seiner Geste nur hatte bedeuten wollen, sie sollte ihren Druckhelm schließen. Erst, als sie ihn nicht verstand, hatte er es selbst getan. Doch warum? Warum sollte sie ihren Druckhelm schließen? Wollten die Maahks sie auf eines ihrer
9 Raumschiffe verschleppen, die mit einer unter hohem Druck stehenden heißen Wasserstoff-Methan-Ammoniak-Atmosphäre angefüllt waren? Die Prinzessin rappelte sich auf und sah sich um. Noch immer standen die Maahks reglos in ihrer Nähe. Nur ihre Münder an den faltigen Übergangsstellen zwischen den sichelförmigen Schädelwülsten und den plumpen Rümpfen bewegten sich. Offenbar standen die drei Wasserstoffatmer durch Helmfunk untereinander oder mit den Maahks auf den anderen Schiffen in ständiger Verbindung. Langsam ging Crysalgira zu ihrem Kontursessel. Die grünschillernden Augen der Giganten verfolgten sie, doch die Maahks selbst rührten sich nicht von der Stelle. Crysalgira blieb stehen, als sie mit der Hüfte gegen die linke Armlehne des Sessels stieß. Sie seufzte, dann blickte sie auf die Bildschirme der Rundsichtgalerie. Von der großen grellen Sonnenscheibe war nichts mehr zu sehen. Dafür erkannte die Prinzessin voraus die schwach elliptisch verformte Scheibe eines Planeten, dessen Atmosphäre streifenförmige Wolkenstrukturen zeigte. Über einen der Streifen wanderte langsam ein kreisrunder dunkler Fleck. Zwischen zwei anderen Wolkenstreifen schob sich etwas hindurch, das zuerst wie eine riesige Knospe aussah und dann wie eine gigantische blutrote Blume, die sich mit der Schnelligkeit explosiv ausdehnenden Gases öffnete. Plötzlich begriff Prinzessin Crysalgira. Sie begriff, daß ihr kleines Raumschiff, gezogen von den Traktorstrahlen der maahkschen Walzenraumer, auf einen jener von Giftgasen umhüllten Riesenplaneten zuflog, den die Maahks zur Besiedlung oder zur Installierung ihrer Stützpunkte benutzten. Wahrscheinlich wollten sie dort landen. Darum also waren die drei Maahks herübergekommen und hatten dafür gesorgt,
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daß ihr Druckhelm geschlossen war. Sie wußten offenbar, daß das kleine Arkonidenschiff durch die Turbulenzen und Entladungsstürme der Giftgasatmosphäre äußerst gefährdet war. Crysalgira schloß mit ihrem Leben ab – aber diesmal empfand sie weder Grauen noch Furcht. Ihr war es lieber, in der aufgewühlten Atmosphäre eines Riesenplaneten umzukommen, als von den Maahks langsam zu Tode gequält zu werden.
* Lautes Stampfen riß Crysalgira aus ihrem Grübeln. Sie blickte sich um und sah, daß einer der Maahks sich ihr näherte. Als sie furchtsam zurückwich, blieb der Maahk stehen, deutete mit einem seiner langen Tentakelarme auf Crysalgiras Kontursessel und bewegte dann seine beiden Arme um seinen Rumpf herum. Die Prinzessin verstand. Sie sollte sich in ihren Kontursessel setzen und anschnallen. Dennoch zögerte sie. Erst, als der Maahk einen weiteren Schritt in ihre Richtung tat, gehorchte sie, weil sie sich vor einer Berührung durch den Wasserstoffatmer fürchtete, auch wenn alle drei Maahks wegen der für sie giftigen Sauerstoffatmosphäre vollständig von ihren Schutzanzügen umhüllt waren. Als sie festgeschnallt war, überlegte sie, ob sie mit einer schnellen Handbewegung die Impulstriebwerke ihres Schiffes einschalten sollte. Sie würde zwar wegen der Traktorstrahlen nicht entkommen können, aber zumindest würde es einen harten Ruck geben. Vielleicht riß der Ruck die drei Maahks von den Füßen, während sie in ihrem Sessel von den breiten Anschnallgurten gesichert wurde. Doch die Maahks schienen ihre Absicht zu erraten. Der ihr am nächsten stehende Wasserstoffatmer trat zwischen die Prinzes-
sin und das Hauptsteuerpult und schaltete die Unterbrecher ein, die die Triebwerke von der Energieversorgung trennten. Anschließend aktivierte er den energetischen Prallfeldschirm. Er mußte sich recht gut mit den Kontrollen arkonidischer Raumschiffe auskennen, denn er arbeitete zielsicher, ohne zu suchen. Prinzessin Crysalgira verharrte in steifer Abwehrhaltung, bis der Maahk sich wieder aus ihrer unmittelbaren Nähe entfernt hatte. Danach versuchte sie, sich zu entspannen. Allmählich verdrängte sie die Schockwirkung, die das Auftauchen der gefürchteten Giganten hervorgerufen hatte. Dennoch war die Arkonidin sich ständig der Nähe der Maahks bewußt. Inzwischen hatte sich der Verband der Walzenschiffe, mit der CERVAX im Schlepp, dem Riesenplaneten weiter genähert. Die fremdartige Welt füllte den vorderen Bildschirm der Rundsichtgalerie beinahe völlig aus und schwoll zusehends an. Bei Crysalgira erwachte das wissenschaftliche Interesse und ließ die Furcht vor dem ihr drohenden Schicksal weitgehend in den Hintergrund treten. Sie beobachtete fasziniert und sah, daß der kreisrunde dunkle Fleck, der zuvor über einen der Wolkenstreifen gewandert war, verschwunden war. Dafür waren zwei andere, unterschiedlich große, ebenfalls kreisrunde Flecken zu sehen, die über die Wolkenoberfläche des Riesenplaneten wanderten. Die Schatten von Monden, von kleineren Himmelskörpern, die den Giganten umkreisten. Crysalgira versuchte, nach der vermeintlichen Größe der Schatten die Größe der Monde zu schätzen. Das wäre glatt unmöglich gewesen, hätte die Prinzessin nicht über fundamentale Kenntnisse der Astronomie verfügt. Sie kam zu dem Ergebnis, daß die Monde eine durchschnittliche Größe haben mußten, die etwa dem halben Durchmesser eines Arkon-Planeten entsprach. Als sie diesen Wert mit der sich optisch
Experimente auf Skrantasquor darbietenden Größe des blutroten Flecks verglich, der gleich einer sich öffnenden Blüte aus den Tiefen des Wolkenmeers emporgestiegen war, dann mußte diese Erscheinung dem Durchmesser von mindestens fünfzig Arkonwelten entsprechen. An dieser alptraumhaften Welt schien alles riesengroß zu sein – und dorthin wollten die Maahks sie verschleppen. Crysalgira fröstelte. Als sie daran dachte, daß die Maahks auf der Oberfläche dieses furchtbaren Planeten sicher ebenso lebten wie die Arkoniden auf ihren drei Arkon-Welten, ging ihr erst voll auf, wie verschieden Arkoniden und Maahks doch im Grunde genommen waren. Unwillkürlich hielt sie den Atem an, als die CERVAX von den neun großen Walzenschiffen in die Atmosphäre des Riesenplaneten geschleppt wurde. Ein schwaches Rütteln durchlief das kleine Kugelschiff. Stärker wirkte sich die Hochatmosphäre noch nicht aus. Das änderte sich beinahe schlagartig, als die zehn Raumschiffe in die obere Wolkenzone eintauchten. Crysalgira war heilfroh, daß sie fest angeschnallt in ihrem Kontursessel saß, denn die erste Sturmbö erschütterte das kleine Raumschiff trotz des Prallfeldes und der haltenden Traktorstrahlen so stark, daß die Schiffszelle in ihren Verbänden ächzte und stöhnte und die Prinzessin das Gefühl hatte, in einer außer Kontrolle geratenen Zentrifuge zu sitzen. Als das Schiff wieder halbwegs ruhig lag, wandte sie den Kopf und blickte zu den Maahks. Die drei Wasserstoffatmer standen unerschütterlich wie Felsklötze da, obwohl die künstliche Schwerkraft an Bord der CERVAX doch erheblich geringer sein mußte als die von ihnen gewohnte. Auf den Bildschirmen der Rundsichtgalerie waren nur noch dunkle Wolkenfetzen zu sehen, dazwischen tauchten immer wieder hellere Gasgeiser auf. Kugelblitze – oder Erscheinungen, die großen Kugelblitzen ähnelten – schwebten oder rasten vorüber und er-
11 hellten die düstere Szenerie immer wieder. Als eines der hell leuchtenden Gebilde mit dem Prallfeldschirm des Kugelschiffs kollidierte, kam es zu einer so grellen Entladung, daß Crysalgira geblendet die Augen schloß. Zu ihrem Erstaunen gab es weiter keine Wirkung. Das Schiff vibrierte nicht stärker als zuvor. Wenig später sah sie, daß die drei Maahks zu drei freien Kontursitzen eilten und die Rückenlehnen mit ihren starken Tentakelarmen umklammerten. Setzen konnten sie sich nicht; dazu waren sie viel zu groß und zu breit. Kurz darauf wußte die Prinzessin, warum die Maahks sich festklammerten. Die CERVAX wurde von mehreren energetischen Entladungen gleichzeitig getroffen. Der Prallfeldschirm verwandelte sich in eine blauweiß strahlende Aureole, die sich ständig verformte. Das Schiff wurde so stark erschüttert, daß verschiedene bislang intakt gebliebene Instrumente und Bildschirme barsten. Ein Kontursessel löste sich aus seiner Bodenverankerung und flog quer durch die Zentrale – mitsamt dem Maahk, der sich an die Rückenlehne klammerte. Aus den Augenwinkeln sah Crysalgira, wie der Maahk den Sessel losließ und mit Hilfe seines Flugaggregats durchstartete. In halber Höhe zwischen Boden und Decke hielt er an und feuerte mit einem Desintegrator auf den Sessel, der von der Wand abgeprallt war und in Crysalgiras Richtung flog. Der Kontursessel wurde völlig aufgelöst. Aber die grünlich schimmernde Gaswolke erreichte die Prinzessin noch und hüllte sie kurz ein. Sie wurde sich mit einem Gefühl der Verwunderung bewußt, daß der in der Luft schwebende Maahk ihr wahrscheinlich das Leben gerettet hatte. Dennoch empfand sie keine Dankbarkeit für das Wesen. Auch die beiden anderen Maahks ließen ihre Kontursessel los, schwebten zu ihrem Artgenossen empor und verharrten mitten in der Luft.
12 Crysalgira kam zu dem Schluß, daß die Maahks nicht so sehr um die Erhaltung des Mobiliars besorgt waren, sondern befürchteten, bei einem Aufprall an die Wand oder einer Kollision mit einem losgerissenen Sessel ihre Schutzanzüge zu beschädigen. Wahrscheinlich würde der Sauerstoff in der Bordatmosphäre sie augenblicklich töten. Doch vor der Höllenwelt, durch deren Wolkenschichten sie flogen, schienen sie keine Furcht zu empfinden. Glücklicherweise durchstieß der Schiffsverband die Gewitterzone relativ schnell. Darunter erkannte Prinzessin Crysalgira eine in bleifarbenes Licht getauchte Gasatmosphäre, in der es fortlaufend zu kleinen Lichtausbrüchen kam. Aus der oberen Wolkenzone rieselte beständig ein Regen von tropfenförmigen, grün und stahlblau schimmernden Gebilden. Worum es sich dabei handelte, konnte Crysalgira nicht feststellen. Die Raumschiffe sanken tiefer. Crysalgira wartete begierig darauf, endlich die Oberfläche des Riesenplaneten zu sehen. Doch ihre Geduld wurde auf eine harte Probe gestellt. Es schien, als ginge es endlos tiefer und tiefer, durch einen grundlosen Ozean aus Gasen und undefinierbaren Substanzen. Als die Prinzessin bereits versuchte, sich mit dem Gedanken vertraut zu machen, daß der Riesenplanet überhaupt keinen festen Kern besäße – was ihren wissenschaftlichen Kenntnissen total widersprochen hätte –, kam tief unten endlich etwas in Sicht, das wie ein riesiger Ozean aussah. Es mußte eine Flüssigkeit sein, die dort unten schwappte, rollte und gischtete, aber die Prinzessin hielt es für unwahrscheinlich, daß es sich um Wasser handelte. Auf jeden Fall hatte der Ozean eine riesige Ausdehnung – wie alles an diesem Planeten. Der Schiffsverband ging zum Horizontalflug über und glitt mit relativ geringer Geschwindigkeit in zirka tausend Metern Höhe über der Meeresoberfläche dahin. Einmal entdeckte Crysalgira drei giganti-
H. G. Ewers sche graue, torpedoförmige Gebilde, die aus der Tiefe des Ozeans auftauchten, eine Weile an der Oberfläche verharrten und dann wieder verschwanden. Zuerst hielt die Prinzessin sie für Tauchboote, bis sie sah, daß die Gebilde sich geschmeidig bewegten und krümmten. Es verschlug ihr fast den Atem, als ihr klar wurde, daß diese Gebilde, von denen jedes mindestens tausend Meter lang sein mußte, Lebewesen waren. Sie erschauderte. Welche anderen gigantischen Lebensformen mochte es auf diesem Riesenplaneten noch geben? Und auf einem solchen oder ähnlichen Planeten mußten die Maahks sich einst aus tierhaften Vorläuferarten entwickelt haben. Kein Wunder, daß ihre Mentalität sich grundlegend von der arkonidischen unterschied. Crysalgira machte sich klar, daß sie von solchen Wesen wie den Maahks kein Mitleid und keine Gnade erwarten konnte, und als weit voraus die stumpfgrauen Wölbungen des Festlands auftauchten, hatte sie sich in Panik gesteigert.
* Crysalgiras Panik wuchs weiter an, je mehr sich der Schiffsverband dem Festland näherte. Sie brachte es jedoch fertig, sich nichts anmerken zu lassen. Das Festland erwies sich aus der Nähe nicht als die öde Anhäufung von Felsenhügeln, als die es aus großer Entfernung gewirkt hatte. Prinzessin Crysalgira entdeckte bizarre Wälder aus glasartigen kristallinen Pflanzen, die sich, wie sie bei längerem Hinschauen bemerkte, allerdings ständig veränderten. Diese Veränderungen liefen so schnell ab, daß es sich nicht um stoffwechselgesteuerte Lebensvorgänge handeln konnte. Daneben aber gab es noch andere vegetationsähnliche Gebilde, riesige, leuchtendblaue Schnüre, die mit einem Ende im Bo-
Experimente auf Skrantasquor den verankert waren und sich in den Luftströmungen gleich bewegtem Meerestang wiegten. Diese Schnurpflanzen waren durchschnittlich etwa hundert Meter lang und so dick wie ein normaler Arkonide. Die Wunder dieser fremdartigen Welt ließen Crysalgiras Panik wieder etwas abklingen, doch sie schwoll sofort wieder an, als voraus eine Gruppe von Gebilden auftauchten, die nicht natürlichen Ursprungs sein konnten. Es handelte sich um drei spiegelglatte zylindrische Türme von imposanter Größe sowie um neun riesige Kuppelbauten, von denen hauchdünne Kristallschleier aufstiegen und sich in der Atmosphäre auflösten. Die Bauwerke hatten etwas Besitzergreifendes an sich, etwas, das Crysalgira sofort das Gefühl vermittelte, daß die Erbauer der Türme und Kuppeln sich für alle Zeiten auf dem Riesenplaneten festgesetzt hatten und ihn in seiner ganzen furchterregenden Schönheit als ihr Eigentum beanspruchten. Einer der drei Maahks, die inzwischen längst wieder auf dem Boden der Zentrale standen, trat zum Hauptsteuerpult und desaktivierte den Prallfeldschirm. Das Kugelschiff schwankte kurz, als die Gasmassen der Hochdruckatmosphäre gegen die Außenwandung stießen, dann stabilisierte sich seine Lage wieder. Der Schiffsverband schwenkte nach Backbord ab, flog um die Bauwerke herum – und plötzlich war für Crysalgira der Blick auf das Areal eines Raumhafens frei. Es war kein provisorischer Raumhafen mit geebneter und glattgeschmolzener Felsdecke, sondern ein hochmoderner Raumhafen für Kampfschiffe – mit einer molekularverdichteten Deckplatte aus bestem Metallplastik, mit den lamellenartigen Verschlüssen für Lande- und Startschächte und einem dichten Kranz von kleinen Kuppeln, die offenbar Zug- und Druckstrahler und Energiegeschütze bargen. Den Durchmesser des Raumhafens schätzte Crysalgira auf dreißig Kilometer. Das war nicht besonders viel, doch wenn die
13 Start- und Landeanlagen vollautomatisiert, die unter der Decke liegenden Wartungs-, Reparatur- und Beladeeinrichtungen vollrobotisiert waren, dann mußte die Leistungsfähigkeit sehr groß sein. Außerdem nahm die Prinzessin an, daß sich auf dem Planeten noch andere Raumhäfen befanden. Sie war jedenfalls sehr beeindruckt von dem, was sie bisher gesehen hatte. Der Schiffsverband flog mit geringer Fahrt über den Raumhafen, hielt in der Luft an und fächerte auseinander. Es gab einen schwachen Ruck, als die CERVAX aus den Traktorstrahlen der neun Walzenraumschiffe entlassen und in die Obhut der bodengebundenen Traktorstrahler genommen wurde. Langsam sank das Kugelraumschiff tiefer, setzte gleichzeitig mit den neun Walzenraumschiffen auf einem Lamellenverschluß auf und schwebte schon kurz darauf durch einen Landeschacht in die Unterwelt des Riesenplaneten. Die Bildschirme der Rundsichtgalerie zeigten, soweit sie nicht in dem furchtbaren Gewitter der Wolkenzone zerstört oder anderweitig ausgefallen waren, zuerst nur die glatte Stahlplastikwandung des Schachtes. In zirka tausend Metern Tiefe weitete sich der Schacht plötzlich zu einer großen hell erleuchteten Halle, in deren Wänden sich unmittelbar nach dem Aufsetzen der CERVAX Öffnungen bildeten und unterschiedlich gebaute Roboter ausspien. Crysalgira beobachtete, wie die maahkschen Roboter daran gingen, ihr Raumschiff gründlich zu untersuchen, wozu sie die Außenhülle an einigen Stellen aufschnitten, als wäre sie aus gewöhnlichem Stahlblech. Sie war so in diese Tätigkeit vertieft, daß sie nicht merkte, wie sich einer der drei Maahks ihr näherte. Sie schrak erst auf, als der Maahk sie leicht berührte. Crysalgira zuckte zusammen und schrie. Der Maahk zeigte sich nicht davon berührt. Er deutete erst auf die Prinzessin,
14 dann auf seine Gefährten und sich und danach auf das Panzerschott der Zentrale. Crysalgira brauchte nicht viel Phantasie dazu, um die Zeichen des Wasserstoff atmers richtig zu deuten. Er wollte, daß sie zusammen mit den drei Maahks ihr Raumschiff verließ. Wieder stieg Panik in der Arkonidin auf. Sie versuchte wegzulaufen. Doch der Maahk holte sie rasch ein, packte sie am Waffengürtel ihres Schutzanzugs und zog. Crysalgira wurde zu den beiden anderen Maahks geschleudert, von ihnen aufgefangen und festgehalten. Die Griffe der jeweils sechs Finger, von denen zwei Daumen waren, schmerzten Crysalgira. Sie vermutete, daß die Maahks sich ihrer physischen Überlegenheit gar nicht voll bewußt waren und wahrscheinlich annahmen, sie packten leicht und rücksichtsvoll zu. Doch das war nur eine flüchtige Überlegung am Rande der anhaltenden Panik. Die Nähe der Giganten, die schmerzhafte Berührung ihrer Hände, das alles vermittelte der Prinzessin das Gefühl, von gräßlichen Ungeheuern umgeben zu sein, von denen sie nichts als grausame Quälereien zu erwarten hatte. Sie schrie, bis ihr die Luft knapp wurde. Inzwischen hatten die drei Maahks sie durch den Achslift und die Hauptschleuse aus ihrem Raumschiff geführt. Da ihr Schutzanzug geschlossen war, konnte ihr die ungeheuer dichte und heiße Wasserstoff-Methan-Ammoniak-Atmosphäre, die draußen herrschte, nichts anhaben. Aber sie sah an den Anzeigen ihrer Außendetektoren, durch welche Hölle sie sich bewegte, und sie wäre unter der Einwirkung der höheren Schwerkraft – genau 3,1 Gravos – zusammengebrochen, wenn die Maahks sie nicht gestützt hätten. Allmählich aber machte sich die hohe Dichte der Atmosphäre unangenehm bemerkbar, denn da ihr Schutzanzug kein starrer Panzer war, mußte das Überlebenssystem den Innendruck erhöhen, um dem Außendruck Widerstand entgegensetzen zu kön-
H. G. Ewers nen. Dadurch fiel Crysalgira das Atmen immer schwerer. Ihr wurde schwindlig, und sie brauchte einige Zeit, bis sie wieder freier atmen und klar sehen konnte. Da befand sie sich allerdings nicht mehr in der Halle, sondern im Innern einer zylindrisch geformten durchsichtigen Druckkammer, in der eine SauerstoffNiederdruckatmosphäre und eine für sie normale Schwerkraft herrschten. Prinzessin Crysalgira atmete einige Male tief durch. Plötzlich weiteten sich ihre Augen. Zuerst war ein einzelner Maahk an die Außenwand ihrer Druckkammer getreten, dann waren weitere Wasserstoffatmer hinzugekommen, und wenig später umringte eine lückenlose Mauer dieser riesigen monströsen Lebewesen Crysalgiras Gefängnis. Die Prinzessin wurde von Entsetzen geschüttelt. Das Leben inmitten dieser blaßgrauen Ungeheuer erschien ihr unerträglich. Crysalgira beschloß, ihr Leben freiwillig zu beenden, bevor sie den Verstand verlor. Unauffällig tastete sie nach dem kleinen Vibratormesser, das in einer Beinscheide ihres Schutzanzugs steckte. Als sie den kühlen Griff in ihrer Hand spürte, riß sie den Magnetsaum ihres Schutzanzugs auf, zog das Messer und holte weit aus, um es sich ins Herz zu stoßen …
3. Der Grek-1 des Verbandes, der das kleine Kugelraumschiff der Arkoniden aufgebracht hatte, meldete sich über Funk bei mir, nachdem sein Verband durch die obere Wolkenzone gestoßen war. Er teilte mir mit, daß das weibliche Wesen aus dem Volk der Arkoniden sich in der Obhut von drei Raumsoldaten befand, die an Bord des Arkonidenschiff es übergesetzt waren. Er berichtete ferner, daß die Inneneinrichtung des Beuteschiffs weiterhin beschädigt worden war, als der Verband ein mittelstar-
Experimente auf Skrantasquor kes Gewitter durchflogen hatte. Ich befahl ihm, den Raumhafen des Hauptstützpunkts anzusteuern, zu landen und alle seine Schiffe sowie das Beuteschiff durch die Landeschächte in die Tiefhangars zu bringen. Nachdem er den Befehl bestätigt hatte, setzte ich mich mit der Positronik der Raumhafenanlagen in Verbindung und veranlaßte, daß das Arkonidenschiff sofort nach Ankunft in einem Hangar von Spezialrobotern untersucht werden sollte. Die Gefangene sollte so schnell wie möglich in einer Unterdruckkammer untergebracht werden, in der die gleichen gravitatorischen und atmosphärischen Bedingungen simuliert werden sollten, wie sie in dem Arkonidenschiff angetroffen worden waren. Anschließend unterrichtete ich die anderen neun Mitglieder des Kommandostabs – für den verschwundenen Grek-3 war ein anderer Wissenschaftsoffizier eingesetzt worden, der selbstverständlich auch die Rangbezeichnung Grek-3 trug – über die von mir veranlaßten Vorbereitungen und forderte sie auf, sich in einer Viertelzeiteinheit bei dem für die Gefangene vorgesehenen Unterdruckbehälter einzufinden. Während ich in einer Transportkapsel zum Raumhafenkomplex fuhr, überlegte ich, wie ich zwischen der Gefangenen und mir eine möglichst ergiebige Kommunikation zustande bringen konnte. Ich nahm an, daß die Erfahrungen, die ich bei den Verhören von Arkoniden männlichen Geschlechts gesammelt hatte, sich nicht ohne weiteres auf das Verhör eines Arkoniden weiblichen Geschlechts anwenden ließen. Meine Annahme stützte sich auf die Tatsache, daß es auch zwischen den männlichen und weiblichen Vertretern meines Volkes Unterschiede gab, die sich nicht nur auf Körperbau und -funktionen beschränkten, sondern auch die Psyche einschlossen. Soviel ich aus Informationen wußte, die unseren Stützpunkt aus dem Zentralarchiv erreicht hatten, fand die Befruchtung der
15 weiblichen Arkoniden so ähnlich wie bei uns Maahks statt. Allerdings gab es einen bedeutsamen Unterschied: In dem Körper eines weiblichen Arkoniden wurde meist nur ein einziges Ei befruchtet – anstatt wie durchschnittlich neun bei weiblichen Maahks. Und die weiblichen Arkoniden stießen das befruchtete Ei nicht etwa aus, sondern brüteten es in einer Körperhöhle aus. Das war eine äußerst unrationelle Methode der Fortpflanzung, denn es bedeutete nicht nur, daß schon aus Platzmangel die Zahl der auszubrütenden Eier in der Körperhöhle beschränkt war, sondern außerdem, daß weibliche Arkoniden für sehr lange Zeit von der Vermehrung der Art ausgeschlossen waren. Für den Krieg mit den Gefühlsdenkern verschaffte uns das allerdings einen unschätzbaren Vorteil, der sich um so stärker auswirken mußte, je länger der Krieg andauerte. Während mein Volk seine Verluste durch die starke Vermehrungsrate mehr als ausgleichen konnte, würden die Arkoniden schon bald unter Nachwuchsmangel für ihr Raumschiffspersonal leiden. Darum war es nur logisch, daß wir bei unseren Aktionen vorrangig darauf abzielten, dem Feind große Personalverluste zuzufügen beziehungsweise die Bevölkerung feindlicher Planeten zu dezimieren. Die Arkoniden hatten allerdings auf diese Maßnahme, die der Verkürzung des Krieges diente, mit unverständlichem Haß reagiert. Sie konnten eben nicht logisch denken, weil ihre Gefühlsaufwallungen ihren Blick für die Realitäten verschleierten. Es war allerdings nicht gesagt, ob die weiblichen Vertreter des arkonidischen Volkes ebenso emotionsgeladen waren wie die männlichen. Ich hoffte darauf, in der Gefangenen ein Individuum zu finden, das logisch begründeten Argumenten gegenüber aufgeschlossen war. Mit diesen Überlegungen beschäftigt, kam ich am Ziel an. Ich verließ die Transportkapsel, programmierte sie auf WAR-
16 TEN und legte die letzte Strecke zu Fuß zurück. Als ich bei dem Unterdruckbehälter ankam, erwachte die Gefangene gerade aus einer leichten Ohnmacht. Sie war noch benommen, deshalb hatte ich Zeit, sie mir genau anzusehen. Ich war ein wenig enttäuscht, denn ich hatte angenommen, der weibliche Arkonide wäre größer und kräftiger gebaut als männliche Arkoniden. Das Gegenteil war der Fall. Die Gefangene war schmaler und zartgliedriger als männliche Arkoniden und für den maahkschen Geschmack noch häßlicher. Die Häßlichkeit strahlte vom ganzen Körperbau aus: die Schultern schmaler als die Hüften, die Säugeorgane deutlich abgehoben, obwohl sich kein Junges in der Begleitung der Gefangenen befand. Haut und Augen wirkten so verletzlich, daß ich mir kaum vorstellen konnte, wie ein solches Wesen in einer natürlichen Umwelt leben konnte. Das Häßlichste aber war das silberfarbene Gespinst aus Hornzellen, das die Arkoniden Haar zu nennen pflegten und das bei diesem Exemplar mit Schmucknadeln hochgesteckt war. Nacheinander traten die anderen Greks des Kommandostabs neben mich, bis der Unterdrückzylinder mit der Gefangenen vollständig umringt war. »Mit der Weisheit der Natur kann es nicht weit her sein, wenn sie solche Geschöpfe entwickelt, die derart empfindlich sind und dann auch noch weitgehend von Emotionen geleitet werden, obwohl sie ihrer Empfindlichkeit wegen gerade eine besonders gefühlsarme Logik benötigten«, sagte Grek-2. Er hatte das ausgesprochen, was auch ich dachte – und was die anderen Mitglieder des Kommandostabs wahrscheinlich ebenfalls dachten. Als die Gefangene sich aufrichtete und uns anstarrte, die Beine leicht gespreizt, den Oberkörper nach vorn geneigt, unterstrich ihre Haltung den Eindruck von Hilflosigkeit noch. Ich fragte mich, was in ihrem Zentral-
H. G. Ewers nervensystem vorgehen mochte. Mit der Mimik der Arkoniden ließ sich für uns Maahks nicht viel anfangen. Nach einiger Zeit beugte sich die Gefangene weiter vor und tat etwas mit dem rechten Beinkleid ihres Schutzanzugs. Danach öffnete sie den vorderen Magnetsaum ihres Anzugs. Plötzlich kam ihre Hand von ihrem rechten Beinkleid hoch – und ich sah, daß die dünnen Finger ein kleines Vibratormesser umklammerten. Wollte die Gefangene uns damit anzugreifen versuchen, obwohl sie sich darüber klar sein mußte, daß sie ihre Unterdruckkammer nicht verlassenkonnte? Im nächsten Tausendstel einer Zeiteinheit begriff ich, was die Gefangene wirklich vorhatte. Sie wollte sich selbst töten – ein sehr ehrenwertes Vorhaben, das aber nicht in unserem Sinne liegen konnte. »Antigravaggregat desaktivieren!« rief ich Grek-7 zu, der bei den Schaltungen der Unterdruckkammer stand. Grek-7 begriff und reagierte sofort. Während die Klinge des Vibratormessers zur Brust der Gefangenen zuckte, schaltete Grek-7 das Antigravaggregat der Unterdruckkammer aus. Die jähe Wirkung der normalen planetarischen Schwerkraft auf den weiblichen Arkoniden glich der von Narkosegas. Der erhobene Arm wurde nach unten gerissen; das Messer entfiel den sich öffnenden Fingern. Die Gefangene erschlaffte und brach zusammen. »Grek-9 und 10!« sagte ich »Schließen Sie Ihre Schutzanzüge, betreten Sie die Unterdruckkammer und entkleiden Sie die Gefangene! Sie darf nichts behalten, mit dem sie sich irgendwie das Leben nehmen könnte. Aber beeilen Sie sich, damit wir die Gefangene nicht zu lange der normalen Schwerkraft aussetzen müssen!«
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Experimente auf Skrantasquor Grek-9 und Grek-10 entledigten sich ihrer Aufgabe mit der Schnelligkeit und Präzision, wie ich sie von ihnen erwartet hatte. Die Gefangene stieß schrille Schreie aus, als sie entkleidet wurde, und die Außenlautsprecher übertrugen sie, so daß wir sie auch außerhalb der Unterdruckkammer hörten. Sie versuchte auch, sich zu wehren, doch ihre Bewegungen waren unter der für sie zu hohen Schwerkraft langsam und kraftlos. Als Grek-9 und Grek-10 die Unterdruckkammer verlassen hatten, schaltete Grek-4 wieder das Antigravaggregat der Kammer ein. Der weibliche Arkonide erhob sich jedoch nicht sofort, sondern blieb noch längere Zeit beinahe reglos liegen. In ihrer Nacktheit wirkte sie noch hilfloser. Wenn die Haut wenigstens durch Hornschuppen geschützt gewesen wäre oder durch ein dichtes Fell, wie manche tierischen Arten von Sauerstoffatmern es besitzen. So aber lag die weiche dünne Haut fast völlig bloß. Endlich regte sich der weibliche Arkonide. Er bewegte sich unruhig, dann richtete er sich knieend auf, bedeckte die beiden Säugeorgane mit den Händen und blickte starr geradeaus. Ich schaltete die in der Kammerwand installierte Kommunikationseinheit, die mit einem Translator verbunden war, ein, zog das Mikrophon näher heran und sagte: »Hier spricht Grek-1. Bitte, nennen Sie Ihre Personaldaten!« Die Gefangene blickte in meine Richtung, woraus ich schließen konnte, daß sie die Kommunikationseinheit als solche erkannte. Langsam erhob sie sich. »Ich protestiere gegen diese Behandlung!« sagte sie unangemessen laut. »Ihre Leute haben mir Schmerzen verursacht, als sie mir meine Kleidung brutal vom Leibe rissen. Geben Sie die Kleidung zurück!« »Es lag nicht in der Absicht von Grek-9 und Grek-10, Ihnen Schmerzen zu bereiten«, erwiderte ich. »Es lag einfach daran, daß Ihr Körper außerordentlich empfindlich ist. Nennen Sie mir Ihre Personaldaten!«
17 »Nicht, solange ich nackt bin und von Ungeheuern angestarrt werde, die mich wahrscheinlich am liebsten vergewaltigen würden!« erklärte die Gefangene. Da ich nicht verstand, was mit dem Begriff »vergewaltigen« gemeint war, schickte ich den gespeicherten letzten Satz in die Stützpunktpositronik und forderte seine Umwandlung in eine sinnvolle und verständliche Vergleichsform an. Als die Antwort eintraf, wollte ich sie zuerst nicht glauben. Es erschien mir undenkbar, daß die Gefangene uns der Absicht bezichtigt haben könnte, gewaltsam etwas zu vollziehen, was bei den grundlegenden physischen, chemobiologischen und physiologischen Unterschieden zwischen Maahks und Arkoniden schlechterdings unmöglich war. Doch ich mußte mich vergewissern, da sich auf Ungewißheiten keine effektive Kommunikation aufbauen ließ. Ich konstruierte den entsprechenden Fragesatz mit Hilfe der Positronik, um sicherzugehen, daß die Gefangene mich nicht mißverstand. Zu meinem Erstaunen bestätigte sie, genau das gemeint zu haben. »Ihre Unterstellung hat nicht die kleinste logische Basis«, sagte ich daraufhin. »Was Sie meinen, läßt sich nur im Zustand teilweiser oder vollständiger Nacktheit beider Beteiligten durchführen. Jeder Maahk aber, der Ihre Unterdruckkammer ohne absolut dicht verschlossenen Schutzanzug betreten würde, müßte innerhalb einer Hundertstel Zeiteinheit sterben. Außerdem darf ich Ihnen versichern, daß Sie nicht die geringste sexuelle Anziehungskraft auf einen Maahk ausüben, sondern im Gegenteil äußerst abstoßend wirken.« Das hätte die Gefangene meiner Meinung nach beruhigen müssen. Statt dessen warf sie sich auf den Boden, schrie und schlug mit den Fäusten um sich. Ich übermittelte ihr Geschrei der Positronik, da es vom Translator nicht übersetzt werden konnte, und forderte eine logische Deutung des Verhaltens der Gefangenen an.
18 Als das Ergebnis durchkam, fühlte ich einen eisigen Schauer, den Ausdruck einer Emotion, wie er bei einem Maahk nur in ausgesprochenen Ausnahmesituationen vorkam. Aber genau das war es, was die Gefangene hervorgerufen hatte: eine Ausnahmesituation. Die Positronik hatte das Gebaren der Gefangenen nämlich dahingehend ausgelegt, daß sie empört war darüber, daß wir das nicht mit ihr vornehmen wollten, dessen sie uns gerade bezichtigt hatte. Ein solches Maß von Unlogik und irregeleiteten Emotionen hatte ich noch nie erlebt. Offenbar waren die weiblichen Vertreter des arkonidischen Volkes total unfähig, logisch zu denken und ließen sich noch stärker als die männlichen Vertreter von chaotischen Gefühlen leiten. Es war mir rätselhaft, wie eine solche Gattung die natürliche Auslese überstanden hatte, die einer der wichtigsten Faktoren der Evolution ist. Ich schaltete die Kommunikationseinheit aus, wandte mich an die Mitglieder meines Kommandostabs und sagte: »Der Versuch einer Kommunikation mit dem weiblichen Arkoniden ist meiner Ansicht nach fehlgeschlagen. Ich ersuche Sie, mir Vorschläge zu unterbreiten, wie wir das Vorhandensein dieses Gefangenen wenigstens minimal nutzen können.« »Ich habe bereits einen Vorschlag, Grek1«, sagte der neue Grek-3, der wie der alte Grek-3 eine wissenschaftliche Spezialausbildung erhalten hatte, die ihn zu einer Führungsrolle bei der Entwicklung neuartiger Waffensysteme befähigte. »Darf ich ihn vortragen?« »Tragen Sie ihn vor, Grek-3«, antwortete ich. »Sie haben selbst erklärt, die Gefangene ist für uns nutzlos, was eine Kommunikation angeht«, sagte Grek-3. »Ich bin der gleichen Meinung. Aber es gibt ein anderes Problem, bei dessen Lösung die Gefangene uns vielleicht helfen kann, da ihre Hilfe nur in passi-
H. G. Ewers ver Mitwirkung bestehen würde. Wir stehen vor der Notwendigkeit, viele Versuchsreihen mit dem Molekularverdichter in möglichst kurzer Zeit durchzuziehen. Unsere Hauptschwierigkeit dabei besteht darin, daß wir zu wenig über die Wirkungsweise der neuen Waffe wissen und von dem alten Grek-3 keine Informationen mehr erhalten können. Ich schlage deshalb vor, den Molekularverdichter an der Gefangenen zu erproben. Dabei könnten wir nicht nur die Verkleinerungsabläufe genau beobachten und mit Meßinstrumenten analysieren, sondern erfahren vielleicht sogar, welches Schicksal der alte Grek-3 erlitten hat.« Als Grek-3 schwieg, ging ich nicht sofort auf seinen Vorschlag ein, sondern durchdachte das, was er gesagt hatte, genau. Doch ich fand keine schwache Stelle. Wenn die Gefangene uns schon nicht anderweitig Nutzen brachte, dann wahrscheinlich als Versuchsperson bei einem Experiment, das uns Aufschluß über die genaue Wirkungsweise des Molekularverdichters geben konnte. »Einverstanden, Grek-3«, sagte ich schließlich. »Ich stelle allerdings die Vorbedingung, daß der Versuch so intensiv beobachtet wird, daß uns auch nicht der geringste Nebeneffekt der Verkleinerung entgeht. Vor allem muß durch Verwendung entsprechender Meßgeräte sichergestellt werden, daß die Gefangene nicht, wie Grek-3, außer Kontrolle gerät, sondern daß ihre Position jederzeit genau bestimmt werden kann. Nur dann besteht die Aussicht, zu erfahren, was wirklich mit Grek-3 geschehen ist.« »Ich übernehme die volle Verantwortung dafür, daß alle diese Bedingungen genau eingehalten werden, Grek-1«, versicherte der neue Grek-3. Damit war die Angelegenheit vorerst erledigt. Nachdem ich angeordnet hatte, daß die Gefangene ausreichend mit Nahrungsmitteln und Trinkflüssigkeit aus ihrem eigenen Raumschiff versorgt werden sollte, kehrte ich zu meiner Transportkapsel zurück und
Experimente auf Skrantasquor programmierte sie auf die Versorgungshalle.
* Nach und nach kehrten die im Trantagossa-System eingesetzten Verbände ins Kratakh-System zurück. Die einzelnen Raumschiffe legten entweder an den getarnten Raumstationen an, reihten sich in die zurückgebliebene Schutzflotte ein oder landeten auf den Raumhäfen von Skrantasquor, um in den Hangarschächten zu verschwinden. Die anderen Greks des Kommandostabs organisierten auf meine Anordnung hin die Reparaturen an beschädigten Einheiten, den Abtransport von Verwundeten, die Versorgung der Schiffe mit Ersatzteilen, Verpflegung und Raumtorpedos sowie die Betankung mit Deuterium. Damit hatte ich direkt ebenso wenig zu tun wie Grek-3, der sich ausschließlich den Vorbereitungen zu seinem Experiment widmen mußte. Ich nahm indessen die Kampfberichte der Schiffskommandanten und Verbandskommandeure entgegen, ließ sie durch die Positronik laufen und hinsichtlich strategischer und taktischer Fehler analysieren. Diese Auswertung war notwendig, damit jeder Fehler nachträglich erkannt wurde und wir die Gründe ermitteln konnten, die zu ihm geführt hatten. Nur dadurch vermieden wir, daß jeder Fehler mehr als einmal begangen werden konnte. Das Ergebnis der Analysen war gut. Es wies nur eine geringe Fehlerquote aus, die lediglich auf Mißverständnissen bei der taktischen Realisierung der strategischen Planung beruhte. Immerhin beanspruchte mich diese Tätigkeit einige Tage lang. Als sie abgeschlossen war, erfuhr ich, daß Grek-3 bereits mit der neuen Erprobung des Molekularverdichters begonnen hatte. So schnell wie möglich begab ich mich in die Laborhalle, in der die Erprobung durchgeführt wurde.
19 Die Gefangene befand sich selbstverständlich noch in ihrer Unterdruckkammer, denn wir wollten sie ja nicht töten. Sie war inzwischen auf die Hälfte ihrer ursprünglichen Körpergröße verkleinert. Die Messungen bewiesen jedoch, daß der verkleinerte Körper die ursprüngliche Masse behalten hatte. Als ich vor der Unterdruckkammer stand, erhob sich die Gefangene, die bisher apathisch auf dem Boden gehockt hatte. Sie trat dicht an die Innenwand der Kammer heran und blickte zu mir auf. Ich hatte den Eindruck, daß sie mir etwas mitteilen wollte, darum schaltete ich trotz der früheren negativen Erfahrung die Kommunikationseinheit ein und sagte: »Hier spricht Grek-1. Wenn Sie mir etwas mitzuteilen haben, nennen Sie zuvor Ihre Personaldaten!« Die Gefangene legte die Handflächen an die Innenwandung der Unterdruckkammer und sagte leise: »Ich bin Prinzessin Crysalgira aus der Familie derer von Quertamagin, die eine sehr einflußreiche arkonidische Adelsfamilie ist. Der Imperator des Großen Imperiums schätzt mich sehr. Ich weiß, daß er mich rächen wird, wenn er erfährt, welches grausame Experiment Sie mit mir durchführen. Seine Rache würde furchtbar sein. Sie können ihr nur entgehen, wenn Sie das Experiment sofort abbrechen und mir meine normale Körpergröße zurückgeben.« Ich wunderte mich darüber, daß die Gefangene diesmal ohne emotionsgeladenes Gehabe sprach und noch dazu, wenigstens teilweise, logisch sinnvoll. Weibliche Arkoniden waren offenbar sehr wechselhafte Wesen. Aber natürlich konnte ich auf ihre Forderung nicht eingehen. »Eine Drohung vermag meine Entscheidungen nicht zu beeinflussen, Prinzessin«, erwiderte ich. »Außerdem läßt sich das Experiment nicht mehr rückgängig machen, da Sie Ihre Verkleinerungsstrahlungsdosis bereits erhalten haben und die Wirkung sich
20 nicht mehr aufhalten läßt.« Die Gefangene gab einige seltsame Laute von sich, die nicht an artikulierte Sprache erinnerten. Plötzlich sah ich, daß aus ihren Augen eine wäßrige Flüssigkeit rann. »Haben Sie sich verletzt, Prinzessin?« erkundigte ich mich. »Ich weiß nicht, was Ihre Frage bedeuten soll, Grek-1«, sagte die Gefangene. »Ich habe mich nicht verletzt.« »Aber die Flüssigkeit, die aus Ihren Augen rinnt …« »Das sind Tränen!« schrie die Gefangene hysterisch. »Begreifen Sie nicht: Tränen! Oder wollen Sie mir sogar das Weinen verbieten, Sie Ungeheuer?« »Sie müßten eigentlich wissen, daß wir Maahks keine Ungeheuer sind, sondern zivilisierte Intelligenzen«, entgegnete ich. »Die Tatsache, daß wir auf Vertreter Ihrer Gattung fremdartig wirken, dürfte für ein in kosmischem Rahmen denkendes Wesen ohne jede Bedeutung sein.« »Sie wirken nicht nur fremdartig!« sagte die Gefangene heftig. »Sie sind tatsächlich fremdartig, völlig kalt, ohne jedes Gefühl.« Ich war etwas verwirrt. Der weibliche Arkonide schien tatsächlich Gefühle als Wertmaßstab zu verwenden, das heißt, er beurteilte ein nach streng logischen Grundsätzen ausgerichtetes Verhalten als negativ, weil es die Ausrichtung nach Emotionen ausschloß. »Wir Maahks handeln stets auf logischer Basis«, erklärte ich. »Das aber gerade ist das Kriterium für vernünftiges Verhalten. Die Arkoniden verfügen über ein gewisses Maß an Intelligenz, das beweisen viele ihrer Raumoperationen, bei denen unseren Flotten Verluste zugefügt wurden, die die Verluste der Arkoniden übertrafen. Aber ihre Intelligenz befähigt die Arkoniden nicht zu vernünftigem Handeln, und daran sind die unkontrollierten, ungezügelten Gefühle schuld. Warum wollen Sie nicht begreifen, daß das emotionsgeladene Gehabe Ihres Volkes diesen Krieg verursachte!« Die Gefangene starrte mich lange unver-
H. G. Ewers wandt an, dann erwiderte sie, diesmal wieder leise: »Warum können Sie nicht begreifen, daß das Leben erst durch Gefühle lebenswert wird, Grek-1? Ohne Gefühle können Sie doch bestenfalls das Leben von organischen Robotern führen, die ebenfalls nicht fähig sind, sich über die Tatsache, daß sie leben, zu freuen, die nicht lieben und nicht hassen, nicht im Überschwang der Gefühle jauchzen und nicht vor Leid weinen.« »Ich weiß nicht, welche Folgen Liebe bewirken kann«, sagte ich beharrlich. »Aber ich weiß, was der Haß bewirkt, den die Arkoniden uns entgegenbringen. Die Auswirkungen dieses Hasses sind so einschneidend im negativen Sinn, daß sie durch keine positiven Auswirkungen irgendwelcher anderer Gefühle rechtfertigt werden könnten.« »Für uns ist der Haß in diesem Krieg positiv, weil nur er uns in die Lage versetzt, ohne Rücksicht auf das eigene Leben und mit ganzem Einsatz um das Überleben unseres Volkes zu kämpfen«, hielt mir die Gefangene entgegen. »Ohne meinen Haß auf Ihr Volk würde ich Sie vielleicht verstehen können. Doch das wäre schlecht, denn dann wäre ich vielleicht nicht in der Lage, Sie zu töten, sobald sich eine Gelegenheit dazu ergibt.« »Ich denke, wir reden aneinander vorbei, Prinzessin«, erklärte ich. »Unsere Mentalität ist so grundverschieden, daß es wahrscheinlich niemals eine Einigung zwischen unseren Völkern geben wird. Logischerweise bedeutet das für mein Volk, daß wir noch intensiver kämpfen müssen als bisher.« »Aber es bedeutet nicht, daß Sie eine Gefangene teuflischen Quälereien aussetzen müssen!« rief der weibliche Arkonide. »Da Sie keine Schmerzen verspüren, handelt es sich bei unserem Experiment nicht um Quälerei«, erwiderte ich geduldig. »Sie werden zwar kleiner, aber Sie behalten die ursprüngliche Masse Ihres Körpers. Sollten Sie irgendwann einem stark verkleinerten Maahk begegnen, richten Sie ihm aus, daß ich Sie ihm nachgeschickt habe und daß er
Experimente auf Skrantasquor Sie nicht zu töten braucht.« »Ein Maahk?« fragte die Gefangene. »Ich sehe in meiner Nähe keinen Maahk.« »Er wurde so klein, daß er sich jeder optischen Beobachtung entzog«, erläuterte ich. »Leider entzog er sich auch jeder meßtechnischen Kontrolle. Durch Sie können wir vielleicht erfahren, was mit ihm geschah, nachdem er für uns spurlos verschwunden war.« »So klein wollen Sie mich machen?« schrie die Gefangene mit überschnappender Stimme. »So winzig, daß ich nicht einmal mehr mit Mikroskopen gesehen werden kann und jedes Bakterium mich als seine Beute ansieht? Das kann nicht Ihr Ernst sein! Das dürfen Sie mit einer arkonidischen Prinzessin nicht machen, Grek-1. Ich flehe Sie an: Helfen Sie mir!« »Ich verstehe Sie nicht«, sagte ich. »Warum sollte der Mikrokosmos größere Schwierigkeiten bereithalten als unser normaler Lebensraum? Versuchen Sie nur, Ihre Emotionen zu unterdrücken, Prinzessin. Wenn Sie sich angewöhnen, streng logisch zu denken und danach zu handeln, werden Sie alle Schwierigkeiten meistern.« Ich schaltete die Kommunikationseinheit ab, da ich schon zuviel Zeit mit einem Gespräch verschwendet hatte, aus dem keine neuen Erkenntnisse hervorgegangen waren. Nachdem ich noch kurz mit Grek-3 gesprochen hatte, kehrte ich ins Hauptquartier zurück.
4. Ich erwachte durch eine Veränderung in der Geräuschkulisse, die das Varganenschiff beständig erfüllte. Es waren keine lauten Geräusche, kein dumpfes Grollen oder Dröhnen, sondern eher ein maschinenhaftes Raunen, das stärker gefühlt als gehört wurde. Langsam schwang ich mich von dem wassergefüllten Bett meiner Schlafzelle, reckte mich und zog mich aus. Die Veränderung der Geräuschkulisse war
21 deutlich wahrzunehmen, doch es war nichts Bedrohliches dabei. Das Doppelpyramidenschiff war lediglich in den Normalraum zurückgekehrt, und die Geräusche des Hyperantriebs wurden durch die Geräusche des Normalantriebs ersetzt. Während ich mich unter die automatisch funktionierende Dusche stellte, fragte ich mich, ob wir je wieder etwas von Magantilliken hören würden. Der letzte Körper des varganischen Henkers war zwar getötet worden, aber sein Bewußtsein besaß die Fähigkeit, den Tod des Körpers zu überdauern. Allerdings hatte es diesmal für Magantilliken keine Möglichkeit der Rückkehr in die Eisige Sphäre gegeben, so daß sein Bewußtsein vielleicht ziellos umherirrte und eines Tages erlosch. Nachdem ich abwechselnd von heißen und kalten Wasserstrahlen abgespritzt worden war, stellte ich mich unter die Warmluftdusche und ließ meine Haut trocknen. Anschließend wurde ich von Massageautomaten durchgeknetet und eingeölt. Ich hatte gerade meine Bordkombination übergestreift, als das Visiphon in meiner Wohnzelle summte. Ich ging zu dem Gerät und schaltete es ein. Ischtar's Gesicht erschien auf dem Bildschirm. Die Goldene Göttin war, wie immer, von atemberaubender Schönheit. »Ischtar?« sagte ich. Das Gesicht der Varganin blieb unbewegt, als sie antwortete: »Atlan, wir nähern uns jenem Stützpunkt der Maahks, in dem der Molekularverdichter entwickelt wurde.« Zahllose Gedanken wirbelten durch meinen Kopf, doch ich sagte nur: »Danke, Ischtar. Ich komme in die Zentrale.« Ich schnallte den Waffengurt um und verließ meine Räumlichkeiten. Draußen glitten die gegenläufigen Transportbänder lautlos durch die Korridore. Sie waren anders als die Transportbänder auf arkonidischen Raumschiffen, keine Plastikbänder, die auf
22 Rollen liefen, sondern fließende stabilisierte Energie. Doch ich hatte mich schon seit langem daran gewöhnt, die Produkte der überlegenen varganischen Technik wie selbstverständlich zu benutzen. Niemand begegnete mir auf dem Weg in die Zentrale. Das wäre auch unwahrscheinlich gewesen, denn die Besatzung des Doppelpyramidenschiffs bestand nur aus Ischtar, mir und Ra, einem Barbaren von einem unbekannten Planeten. Ich wußte nicht viel von der Heimatwelt Ras, nur, daß sie der dritte Planet einer gelbweißen Sonne war und daß es auf ihr keine technische Zivilisation gab. Ich war noch nie dort gewesen, kannte nicht einmal die galaktonautische Position jenes Sonnensystems. Ra war von einem unbekannten Arkoniden entführt und auf einem der zahlreichen Sklavenmärkte des Imperiums verkauft worden. Als ich erfuhr, daß Imperator Orbanaschol den dunkelhäutigen Barbaren für sich beanspruchte, entführte ich ihn von dem Planeten, auf dem er vorübergehend untergebracht worden war. Durch Ra hörte ich zum erstenmal von Ischtar, die früher auf seinem Heimatplaneten gelandet und dort für kurze Zeit seine Geliebte gewesen war. Doch seit Ischtar mich kannte, hatte sie von Ra nichts mehr wissen wollen, was dem Barbaren natürlich mißfiel. Als ich die Zentrale betrat, fand ich außer Ischtar auch Ra vor. Der Barbar stand reglos neben einem Kontrollpult und starrte mich aus seinen dunklen Augen an. Er war eifersüchtig auf mich, weil ich ihm die Goldene Göttin ausgespannt hatte. Allerdings war nicht ich es gewesen, der die Initiative ergriffen hatte. Beim erstenmal hatte Ischtar mich praktisch zur Liebe gezwungen, indem sie mich hypnosuggestiv beeinflußte. Ischtar schien die Spannung zwischen Ra und mir nicht zu bemerken. Sie schwang bei meinem Eintritt mit ihrem Sessel herum und blickte mich ausdruckslos an. Ich warf einen Blick auf die Bildschirme. Doch sie zeigten nur die Sterne, die in der
H. G. Ewers Dunkelheit des Alls leuchteten, aber keinen Planeten. »Wo ist der maahksche Stützpunkt?« fragte ich ungeduldig. Die Goldene Göttin lächelte nachsichtig. »Du mußt noch viel lernen, mein ungestümer Kristallprinz«, erklärte sie. »Wir dürfen nicht zu dicht an das Sonnensystem herangehen, in dem sich der maahksche Stützpunktplanet befindet. Ich habe vor, nur so nahe heranzufliegen, bis wir unsere weitreichenden Fernortungssysteme einsetzen können, ohne daß wir für die Ortungsgeräte der Maahks zu erreichen wären.« »Du weißt, daß die Waffen der Maahks deinem Schiff nichts anhaben können, Ischtar«, entgegnete ich. Selbstverständlich spielte ich mit dem Gedanken, die Maahks zu einem Angriff auf das Varganenschiff zu verleiten. Ich haßte die Wasserstoffatmer, wenn auch nicht mit jenem besinnungslosen Haß, der die meisten Arkoniden gegen die Maahks erfüllte. Immerhin wußte ich, daß der Haß im Überlebenskampf des Großen Imperiums seine Berechtigung hatte, und wenn ich den Maahks Schaden zufügen konnte, würde ich nicht zögern, entsprechend zu handeln. »Warum sollte ich die Maahks zu einem Angriff auf mein Schiff verleiten?« fragte Ischtar, die meine Gedanken erraten hatte. »Sie sind mir genauso gleichgültig wie die Arkoniden. Ich habe nicht vor, in den Krieg zwischen den beiden Völkern einzugreifen.« »Aber du hast versprochen, mir zu helfen!« erwiderte ich heftig. »Aus rein persönlichen Gründen«, erklärte die Varganin. »Ich werde mein Versprechen halten und dir dabei helfen, die Konstruktionsunterlagen des maahkschen Molekularverdichters zu beschaffen. Aber ich werde das auf meine Weise tun und mir keine Vorschriften machen lassen.« Ich sah aus den Augenwinkeln, daß Ra schadenfroh lächelte. Der Barbar gönnte mir die Abfuhr, die Ischtar mir erteilt hatte. Vielleicht hoffte er, bei ihr wieder zum Zuge zu kommen, wenn sich Ischtar genügend
Experimente auf Skrantasquor über mich ärgerte. Aber mich interessierte das nicht. Mich interessierte nur der Molekularverdichter, der sogenannte Zwergenmacher, mit dem die Maahks meinem Volk unvorstellbaren Schaden zufügen konnten, wenn sie ihn in großem Maßstab einsetzten. Nur das war wichtig, und es zählte nur das, was mein Volk vor einer Niederlage bewahrte. Deshalb blickte ich der Varganin fest in die Augen und erwiderte: »Du wirst noch lernen, mich zu verstehen, Ischtar, und zu begreifen, daß nicht alles nach deinem Kopf gehen kann.«
* Ich setzte mich in einen freien Sessel und beobachtete die Kontrollen. Ischtar schwieg. Die Atmosphäre zwischen uns beiden war merklich abgekühlt. Ra versuchte wieder einmal, die Spannungen zwischen Ischtar und mir zu seinem Vorteil zu nutzen. Er verschwand für kurze Zeit aus der Zentrale. Als er zurückkehrte, trug er eine der seltsamen Singenden Blumen, die wir auf Magantillikens Raumschiff gefunden hatten. Es war eine Pflanze, die aus kristallinem Material zu bestehen schien und irisierend leuchtete. Ihre Wurzeln, wenn man die seltsamen Gebilde Wurzeln nennen durfte, steckten in einem Metallplastikbehälter, in dem sich eine Mischung aus gasförmigem Ammoniak und einer unbekannten chemischen Verbindung befand. Das stellte die Nahrung der Pflanze dar. Entzog man ihr diese Nahrung, verbrauchte sie allmählich ihre eigene Substanz, bis sie vollkommen verschwunden war. Ihren Namen aber hatte die Pflanze von dem eigentümlichen Gesang, der von ihr ausging, ein wunderbares Raunen, Wispern und Klingen, das sich nicht einmal mit elektronischen Instrumenten nachahmen ließ. Ra stellte die Singende Pflanze neben Ischtars Sessel, kniete vor der Varganin nie-
23 der und küßte ihre Stiefel. »Meine Göttin!« flüsterte er. Ra war eben kein Psychologe, sonst hätte er sich still in einen Winkel zurückgezogen. Ischtar verzog unwillig das Gesicht und stieß den Barbaren unsanft zurück. »Verschwinde, Wilder!« fuhr sie ihn an. »Laß dir nie wieder einfallen, meine Füße zu küssen, wenn ich es nicht verlangt habe!« Bestürzt und in seinem tiefsten Innern verletzt, zog der Barbar sich zurück. In seinen Augen entdeckte ich den Ausdruck von Unglauben. Er konnte es offenbar nicht fassen, daß seine demütige Annäherung und sein Geschenk genau das Gegenteil von dem bewirkt hatten, was er sich erhoffte. Fast empfand ich Mitleid mit Ra. Er liebte Ischtar mit jeder Faser seines Körpers und mit seiner ganzen primitiven Seele. Das war allerdings nicht verwunderlich, wenn man bedachte, was es für ihn, einen Barbaren bedeuten mußte, daß Ischtar, diese Goldene Göttin mit dem makellosen Körper, ihm gestattet hatte, sie in seinen Armen zu halten. Meine Gedanken wurden von diesem leidigen Thema abgelenkt, als ein schwaches Zirpen ertönte und gleich darauf Kolonnen von Symbolen und Zahlen über den Bildschirm der Ortungsauswertung huschten. »Skrantasquor befindet sich im Erfassungsbereich der Ortung«, stellte die Varganin fest. »Skrantasquor?« fragte ich. »Ist das der Name des maahkschen Stützpunktes?« »Ja, und zugleich der Name des Planeten, auf dem sich der Stützpunkt befindet«, antwortete Ischtar. »Skrantasquor ist ein Wort aus der Sprache der Maahks. Es handelt sich um einen Riesenplaneten mit einer heißen Wasserstoff-Methan-Ammoniak-Atmosphäre über dem Grund.« »Du meinst, über der Oberfläche des Planeten«, warf ich ein. »Die Maahks sagen statt Oberfläche Grund, was für die von ihnen bevorzugten Riesenplaneten tatsächlich der treffende Ausdruck ist, vor allem aus unserer Sicht.
24 Im Grunde genommen müßte die obere Grenze der Atmosphäre solcher Planeten als Planetenoberfläche bezeichnet werden, denn diese Atmosphäre nimmt ein sehr großes Volumen des Gesamtplaneten ein und ist in den tieferen Regionen dichter als Wasser.« Ich dachte darüber nach und kam zu dem Schluß, daß Ischtars Argumentation sich wissenschaftlich nicht widerlegen ließ. Die von den Maahks bevorzugten Riesenplaneten waren tatsächlich ganz anders als die von Arkoniden bevorzugten Planeten, bei denen die Atmosphäre nur einen geringen Teil des Gesamtvolumens ausmachte und praktisch nur ein dünner Film war, der sich um die Planetenkugel legte. Sie bestand nur aus Ausdünstungen seiner festen Materie, während die Gasmassen maahkscher Riesenplaneten von Anfang an dagewesen waren. »Ist Skrantasquor ein sehr großer Stützpunkt?« erkundigte ich mich. Ischtar lächelte. »Von Skrantasquor kamen die Schiffe, die das Trantagossa-System angriffen«, antwortete sie. Ich hielt unwillkürlich den Atem an. Rund siebzehntausend Großkampfschiffe der Maahks hatten das Trantagossa-System angegriffen. Wenn sie alle auf Skrantasquor stationiert gewesen waren, mußte es sich um einen ungewöhnlich großen Stützpunkt der Maahks handeln. Aber woher wußte Ischtar das alles? Woher wußte sie, woher die siebzehntausend maahkschen Großkampfschiffe gekommen waren? Woher kannte sie die genaue galaktonautische Position von Skrantasquor? Und schließlich: Woher wollte sie wissen, daß die neue Superwaffe der Maahks auf Skrantasquor entwickelt worden war? Ich fragte sie danach, doch die Goldene Göttin antwortete mir lediglich mit einem vieldeutigen Lächeln. Manchmal kam sie mir schon unheimlich vor. Verfügte sie über seherische Kräfte? Oder existierte in der Galaxis ein Medium, durch das sich alle vorhandenen und auftauchen-
H. G. Ewers den Informationen ohne Zeitverzögerung fortpflanzten und das nur von Varganen angezapft werden konnte? Ich wußte es nicht. Ich wußte nur, daß das Universum noch ungezählte Geheimnisse für den bereithielt, der alles daransetzte, sie aufzuspüren.
* »Kannst du ein Bild des Planeten einblenden lassen?« fragte ich die Varganin. Ischtar nahm einige Schaltungen vor, und wenig später bildete sich auf einem der Wandlerschirme ein scharfes dreidimensionales Abbild eines Planeten ab. Ich erkannte auf den ersten Blick, daß es sich um einen jener Riesenplaneten handelte, die von einer dichten, wolkenreichen und turbulenten Gasatmosphäre umgeben waren. Von dem maahkschen Stützpunkt war nichts zu sehen. Die streifigen Wolkenzonen verbargen ihn nicht nur den Blicken, sondern ließen auch keine Ortungsstrahlen durch. Das lag an den heftigen energetischen Turbulenzen, die dort zu toben pflegten und für eine vorzeitige Ausblendung von Hyperimpulsen ins normale Kontinuum und ihre wirkungslose Zerstreuung sorgten. Die überragenden Ortungsgeräte des Varganenschiffs jedoch hätten bis auf den festen Grund des Planeten vordringen müssen. Sie konnten von energetischen Turbulenzen nicht beeinträchtigt werden. Als hätte Ischtar nur auf meine diesbezüglichen Überlegungen gewartet, nahm sie weitere Schaltungen vor. Plötzlich zeigte der Bildschirm den Grund des Riesenplaneten – beziehungsweise einen Ausschnitt von ihm. Während der Ortungskegel wanderte, erblickte ich ein gigantisches Meer aus undefinierbarer Flüssigkeit, eine gezackte Felseninsel mit den Ruinen uralter Bauwerke und später die schwer und massiv wirkende Landmasse eines Kontinents. Dann kamen die Bauwerke in Sicht. Es waren eindeutig Bauwerke jüngeren
Experimente auf Skrantasquor Datums, viele tausend Jahre nach dem Zeitpunkt errichtet, da die Bauwerke auf der einsamen Insel zu Ruinen zerfallen waren. Drei spiegelglatte zylindrische Türme reckten sich hoch in die unteren Schichten der Atmosphäre, reichten aber längst nicht bis in die Wolkenzone hinein. Daneben standen neun riesige Kuppelbauten, von denen regelmäßig hauchdünne Kristallschleier aufstiegen und sich in der Atmosphäre auflösten. »Was sind das für Schleier?« fragte ich. »Abscheidungen der Klima- und Gaserneuerungsanlagen des Stützpunkts«, antwortete Ischtar bereitwillig. »Können deine Ortungsgeräte in den Stützpunkt eindringen?« erkundigte ich mich. »Ja, aber nur kurz«, sagte Ischtar. »Sonst würden die Impulse von automatischen Überwachungsanlagen erfaßt und analysiert werden, was einen Alarm auslösen würde.« Der Ortungskegel wanderte weiter. Seine Reflexionszone hielt sich noch an der Oberfläche beziehungsweise am Grund des Planeten. Nach einer Weile wurde auf dem Schirm ein Raumhafen abgebildet, der von zahlreichen kleineren Kuppeln umringt war. Kein einziges Schiff stand auf dem Raumhafen. Kurz darauf machte ich die feinen Linien aus, die sich in der Oberflächenbeschichtung befanden und mir verrieten, daß das Hafenareal von vielen Start- und Landeschächten, Hangars und Reparaturhallen unterwühlt war. Endlich ließ Ischtar die Reflexionszone des Ortungskegels durch die Oberflächenbeschichtung dringen. Wie ich vermutet hatte, gab es zahlreiche Schächte und Hallen. Und in einer dieser Hallen stand ein Raumschiff, dessen Anblick mir einen Ruf der Überraschung entlockte. »Ein Kugelraumschiff!« rief ich erregt. »Es muß sich um ein erbeutetes arkonidisches Raumschiff handeln! Wie groß ist es?« »Durchmesser sechzig Meter«, teilte die
25 Varganin mir mit. »Ich muß die Reflexionszone wieder zurückziehen.« Das Abbild des kleinen Kugelraumschiffs verschwand vom Bildschirm und machte wieder dem düsteren Grund des Planeten Platz. Doch mir ließ das, was ich für kurze Zeit gesehen hatte, keine Ruhe mehr. »Die Maahks haben ein Raumschiff meines Volkes aufgebracht«, sagte ich. »Vielleicht halten sie die Besatzung gefangen. Ischtar, wenn dort unten Arkoniden sind, werde ich ihnen helfen!« »Ich habe dir schon mehrfach erklärt, daß ich mich in euren Krieg nicht einmische«, erklärte die Varganin kalt. »Außerdem wissen wir nicht, ob die Besatzung des Arkonidenschiffs noch lebt. Vielleicht wurde sie längst getötet.« Das war natürlich möglich, denn die Maahks machten nur selten Gefangene. Für sie war es offenbar wichtiger, so viele Arkoniden wie möglich zu töten, als Gefangene zu machen und bei eventuellen Verhandlungen als zusätzliches Druckmittel zu benutzen. Die Erklärung ist viel einfacher! meldete sich der Logiksektor meines Extrahirns. Es ist den Maahks einfach zu aufwendig, eine große Zahl arkonidischer Gefangener in Unterdruckkammern unterzubringen und mit Atemluft, Wasser und Nahrung zu versorgen, die sie erst von weither herbeischaffen müssen. Das leuchtete mir ein. Dennoch wurde ich den Gedanken nicht los, daß sich auf Skrantasquor vielleicht Arkoniden befanden, bedroht von Hunger, Durst und physischen wie psychischen Folterungen. »Immerhin ist die Möglichkeit, daß die Besatzung des Kugelraumschiffs noch lebt, nicht ganz von der Hand zu weisen«, erklärte ich. »Ischtar, ich bitte dich, mir die Mittel zu geben, mit denen ich die Gefangenen befreien kann. Ich weiß, daß du über diese Mittel verfügst.« »Entscheide dich, was du suchst, Atlan!«
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forderte Ischtar. »Was ist dir wichtiger: die Beschaffung der Konstruktionsunterlagen des Molekularverdichters oder die Befreiung hypothetischer Gefangener?« Beschämt senkte ich den Kopf. Ich hatte jetzt tatsächlich nicht mehr daran gedacht, weshalb ich in diesen Raumsektor gekommen war. »Der Molekularverdichter geht vor«, sagte ich.
5. Grek-3 hatte mich benachrichtigt, daß die Verkleinerung der Gefangenen in ein entscheidendes Stadium getreten war. Ich begab mich mit einer Transportkapsel in die Laborhalle, in der noch immer die Unterdruckkammer stand. Von der arkonidischen Gefangenen konnte ich allerdings im ersten Tausendstel einer Zeiteinheit nichts sehen. »Haben Sie die Gefangene umquartiert?« wandte ich mich an Grek-3, der sich zusammen mit zwölf anderen Wissenschaftsoffizieren in der Laborhalle aufhielt. »Nein, Grek-1«, erwiderte Grek-3. »Schauen Sie genau hin. Die arkonidische Prinzessin ist noch da. Sie ist nur schon so stark geschrumpft, daß man sie mit bloßem Auge kaum noch sehen kann.« Ich befolgte seinen Rat, trat dicht an die Unterdruckkammer und schaute hinein. Und dann entdeckte ich Prinzessin Crysalgira! Sie war noch immer nackt, denn da Kleidungs- und Ausrüstungsteile den Schrumpfungsprozeß nicht mitmachten, wäre es sinnlos gewesen, ihr ihre Kleidung zurückzugeben. Es war ein faszinierender Anblick, denn die Gefangene hatte bestenfalls noch die Größe eines Zahns, und doch hatten sich ihre Körperformen überhaupt nicht verändert. Auch die Proportionen stimmten. »Wir haben eine starke Panzerplatte unter den Behälter schieben müssen«, teilte Grek3 mir mit. »Sonst wäre die Gefangene we-
gen der starken Massenkonzentration durch den Boden gebrochen.« »Wird die Masse noch genau angezeigt?« erkundigte ich mich. »Die Massetaster zeigen eine unveränderte Masse an«, antwortete Grek-3. »Es besteht meiner Ansicht nach keine Gefahr, daß die Gefangene aus unserer Kontrolle gerät, sobald sie zu klein geworden ist, als daß unsere Augen sie noch sehen könnten.« Dieses Argument war stichhaltig. Dennoch fragte ich mich immer wieder, warum der alte Grek-3 sich anhand seiner unveränderten Körpermasse nicht mehr lokalisieren ließ. »Ist dafür gesorgt, daß die Gefangene später mit Hochleistungsmikroskopen beobachtet werden kann?« fragte ich. Grek-3 deutete auf drei vor der Unterdruckkammer aufgestellte Geräte. »Damit müßten wir die Gefangene noch lange nach dem Zeitpunkt sehen können, an dem sie für unsere Augen unsichtbar wird, Grek-1«, erklärte er. »Gut!« sagte ich. »Informieren Sie mich, sobald die Gefangene für Ihre Augen unsichtbar geworden ist!« »Ich schlage vor, Sie erwarten das Eintreten dieses Ereignisses hier, Grek-1«, sagte Grek-3. »Es kann nicht länger als drei Hundertstel Zeiteinheiten dauern, denn zum Ende zu verläuft der Verkleinerungsprozeß immer schneller.« »Einverstanden«, erwiderte ich. Nachdem ich einen Blick auf die Anzeigen des Massetasters geworfen hatte, widmete ich meine Aufmerksamkeit wieder der Gefangenen. Sie war inzwischen weiter geschrumpft, und während ich sie beobachtete, schritt der Verkleinerungsprozeß noch schneller voran. Bald darauf war Prinzessin Crysalgira kaum noch zu sehen – und dann kam der Zeitpunkt, zu dem sie für meine Augen vollständig unsichtbar wurde. Ich wandte mich nach Grek-3 um und fragte: »Ist die Gefangene noch unter Kontrol-
Experimente auf Skrantasquor le?« »Der Massetaster zeigt ihre Position unverändert an, Grek-1«, antwortete der Wissenschaftsoffizier. »Sie bewegt sich sehr langsam von links nach rechts über den Boden der Kammer.« »Ich möchte sie durch ein Hochleistungsmikroskop beobachten!« sagte ich. Grek-3 führte mich zu einem der Geräte, schaltete es ein und richtete den Erfassungskegel auf die Stelle des Bodens, die vom Massetaster als Position der Gefangenen ausgewiesen wurde. Ich blickte auf den kleinen Bildschirm des Geräts und war zuerst etwas verwirrt, denn er zeigte keine glatte Bodenfläche, sondern ein Gewirr von Schrunden, Kratern und schroffen Erhebungen. Aber schnell machte ich mir klar, daß das nur natürlich war. Die Bodenfläche der Unterdruckkammer sah für unsere Augen glatt aus, aber bei sehr starker Vergrößerung mußten die Unregelmäßigkeiten zum Vorschein kommen, die dem Material anhafteten. Etwas später entdeckte ich die Gefangene. Die arkonidische Prinzessin lief gerade durch eine Schlucht, dann versuchte sie, eine Erhebung zu erklettern. Ihr Versuch mißlang jedoch, da unter ihren Händen das massiv erscheinende Material zerbröckelte. »Das liegt an ihrer unverändert großen Masse, Grek-1«, erklärte Grek-3, der neben mir stand und die Vorgänge auf dem Bildschirm des Hochleistungsmikroskops ebenfalls verfolgte. »Wenn eine große Masse sich auf ein sehr kleines Volumen konzentriert, verstärkt sich die entsprechende physikalische Auswirkung in gleichem Maße.« »Was soll das werden, wenn die Gefangene noch kleiner wird?« fragte ich. Die Prinzessin hatte es aufgegeben, die Erhebung zu erklettern. Sie lief in entgegengesetzter Richtung durch die Schlucht zurück und betrat ebenes Gelände. In der nächsten Tausendstel Zeiteinheit verschwand sie völlig. Ich hatte allerdings gesehen, daß das nicht etwa auf einer ruckhaften weiteren Verkleinerung beruhte, son-
27 dern darauf, daß sie durch die morsche Materialblase der Oberfläche gebrochen war. »Wie ist ihre Masse?« erkundigte ich mich. »Unverändert!« berichtete Grek-3. »Die Massekonzentration sinkt allerdings allmählich tiefer. Wahrscheinlich ist die Gefangene in ein mikroskopisch kleines Höhlensystem geraten.« Ich versuchte, mir vorzustellen, wie die arkonidische Prinzessin durch ein Höhlenlabyrinth wanderte, das ihr riesig vorkommen mußte, sich aber nur in der hauchdünnen Oberschicht der Kammergrundplatte befand. Genauso mußte es dem alten Grek-3 ergangen sein. Doch warum war er spurlos verschwunden, obwohl sich die Massekonzentration der Gefangenen mit dem Detektor mühelos lokalisieren ließ? »Massekonzentration sinkt plötzlich schneller«, teilte Grek-3 mir mit. »Die Gefangene erreicht das Material der Panzerplatte unter der Kammer.« »Was wird, wenn sie so geschrumpft ist, daß sie zwischen den Molekülen des Materials hindurchrutscht?« erkundigte ich mich. »Ich weiß es nicht, Grek-1«, antwortete Grek-3. »Wir hatten nicht erwartet, daß der Verkleinerungsprozeß unendlich lange weitergeht, sondern irgendwann zum Stillstand kommt.« »Irgendwann kommt er sicher zum Stillstand«, erwiderte ich. »Auch der Mikrokosmos hat seine Grenzen.« Ein überraschter Ausruf eines der Wissenschaftsoffiziere beim Massedetektor ließ Grek-3 und mich herumfahren. »Was ist los?« fragte Grek-3. »Die Gefangene hat sich der Kontrolle des Massedetektors entzogen«, antwortete der Offizier. »Das ist unmöglich!« sagte Grek-3 und eilte zu dem Gerät. Ich folgte ihm langsam und in der Ahnung, daß unser Experiment gescheitert war. »Vielleicht hat die Gefangene ihre Masse verloren«, meinte Grek-3. »So plötzlich?« erwiderte ich. »Das klingt
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nicht logisch genug, Grek-3.« »Eine logisch fundierte Antwort darauf gibt es vorläufig nicht, Grek-1«, gab Grek-3 zu. »Es scheint, als wäre die Gefangene aus unserem Kontinuum verschwunden. Doch auch das ist nur eine Hypothese, die sich wahrscheinlich nicht beweisen läßt.« »Wir wissen also nicht, was mit der Gefangenen geschehen ist, als ihre Verkleinerung eine bestimmte Stufe erreichte«, stellte ich fest. »Damit können wir auch nichts über das Schicksal aussagen, das den alten Grek3 betroffen hat. Das Experiment ist beendet. Grek-3, fertigen Sie einen genauen Bericht über den Verlauf an und speichern Sie alle Daten in der Großen Positronik.« Ich wandte mich um und verließ die Laborhalle. Das Experiment mit der Gefangenen war ein Fehlschlag gewesen, gestand ich mir ein. Doch wir durften nicht aufgeben, mußten das Problem von einer anderen Seite angreifen. Die Weiterentwicklung des Molekularverdichters war zu wichtig für uns, als daß wir irgendwann resignieren durften.
* Wir hatten uns dem maahkschen Stützpunktplaneten nicht weiter genähert, sondern warteten in einer Entfernung ab, die von den Ortungssystemen der Maahks nicht überbrückt werden konnte. Nachdem Ra sich schweigend in seine Kabine zurückgezogen hatte, war auch das Gespräch zwischen Ischtar und mir verstummt. Hin und wieder warf ich der Varganin einen prüfenden Blick zu, doch ihr unbewegtes Gesicht verriet nichts von den Gedanken, die sich hinter der hohen Stirn abspielten. Ich fühlte mich hilflos, denn ich wußte genau, daß ich ohne Ischtars Einwilligung nichts unternehmen konnte. Das Doppelpyramidenschiff wurde von ihr beherrscht. Schließlich überwand ich meinen Groll und beschloß, mein Glück mit Charme zu
versuchen. Ich schwang meinen Sessel so herum, daß ich Ischtar von der Seite her ansehen konnte, lächelte und sagte: »Eine so schöne Frau wie du sollte nicht ein so finsteres Gesicht machen, Ischtar. Ich kann mir zahllose erfreuliche Gedanken vorstellen, die durch deinen Kopf gehen – von den Gefühlen ganz zu schweigen.« Die Varganin wandte den Kopf und blickte mich an. »Was willst du, Atlan?« fragte sie. »Ich möchte, daß du an die schönen Dinge des Lebens denkst und nicht die Zeit mit dunklen Gedanken vertust«, antwortete ich. »Wollen wir im Freizeitgarten schwimmen?« Ischtar seufzte und meinte: »Ich weiß genau, daß dir der Sinn nicht danach steht, mit mir zu schwimmen, mein Kristallprinz. Du versuchst, mich dir gewogen zu machen, damit ich deine Wünsche hinsichtlich eines Vorstoßes nach Skrantasquor erfülle.« Es wäre ein Fehler gewesen, das abzustreiten. Ischtar hatte mich durchschaut. Dennoch behielt ich mein Lächeln bei, als ich antwortete: »Vor dir kann niemand seine geheimsten Gedanken verbergen, schöne Göttin. Es stimmt, ich denke daran, wie ich die Aktion gegen die Maahks am schnellsten durchführen kann. Aber ich denke auch daran, daß wir danach wieder mehr Zeit für uns und unsere Liebe haben werden.« Endlich erschien auch auf Ischtars Gesicht ein gelöstes Lächeln. »Du setzt alle deine Waffen ein, um dein Ziel zu erreichen, Atlan«, erklärte sie. »Ich gebe allerdings zu, daß ich mich danach sehne, wieder in deinen Armen zu liegen.« »Gehen wir zu dir oder zu mir?« fragte ich. Die Varganin stand auf. »Weder noch, Atlan. Du könntest dich nicht auf die Liebe konzentrieren, weil deine Gedanken unablässig um die Maahks, das arkonidische Raumschiff auf Skrantasquor
Experimente auf Skrantasquor und den Molekularverdichter kreisen. Und ich mag es nicht, wenn mein Geliebter an etwas anderes denkt, wenn er mit mir zusammen ist.« »Dann wirst du mir eine Ausrüstung geben, mit der ich ungesehen und ungefährdet nach Skrantasquor gelange?« fragte ich hoffnungsvoll. Ischtars Gesicht verdüsterte sich, und ich fürchtete schon, alles verdorben zu haben. Doch sie sagte, wenn auch mit ärgerlicher Stimme: »Ja, damit du endlich tun darfst, was du doch nicht lassen kannst, Atlan. Ich wollte die Angelegenheit auf meine Art und Weise erledigen, aber ich habe eingesehen, daß du nicht die Geduld aufbringst, so lange zu warten.« »Danke, meine geliebte Göttin!« sagte ich erleichtert. »Komm mit!« sagte Ischtar kurz angebunden. Sie ging in eine der Nischen in den Wänden der Zentrale, in denen die Transportkapseln standen, kleine, zweisitzige Hohlkugeln, die lediglich ein kleines Programmierpult enthielten. Wir nahmen auf der Sitzbank Platz, und die Varganin ließ ihre schlanken Finger über die Sensorflecken des Programmierpults fliegen. Als sie die Hände zurücknahm, ertönte ein schwaches Summen. Eine rosa Lampe glühte an der Innenwandung über uns auf. Die Transportkapsel setzte sich in Bewegung. Da die Kapsel keine transparenten Stellen und auch keine Bildschirme besaß, konnte ich unsere Fahrt nicht verfolgen. Doch ich wußte, daß die Kapsel von der Zentralen Positronik des Doppelpyramidenschiffs gemäß der Programmierung durch Magnetröhren gesteuert wurde, die das gesamte Schiff durchzogen und teilweise in hohlen Wänden entlangführten. Dadurch war gesichert, daß immer der kürzeste Weg zu einem Zielpunkt eingeschlagen wurde. Als die Kapsel anhielt, klappte die Öffnung automatisch auf. Dahinter war eine
29 schwarze Metallplastikwand zu erkennen. Ischtar stieg zuerst aus, stellte sich vor die Wand und sprach ein Kodewort. Innerhalb weniger Augenblicke löste sich ein Teil der Wand in grauen Nebel auf, der wie unter einem Windstoß zerflatterte und den Blick auf eine in grünem Licht liegende Kammer freigab. Wieder einmal kam ich mir an Bord des Varganenschiffs vor, als erlebte ich eine magische Handlung. Aber durch den Umgang mit Ischtar und den technischen Errungenschaften der Varganen hatte ich längst erfahren, daß eine wirklich hochentwickelte Technik immer irgendwie wie Magie wirkt, weil ihr Funktionieren nicht mehr an Hebel und Schalter gebunden war. Ischtar betrat die Kammer, und ich folgte ihr und sah mich neugierig um. Die hintere Wand der Kammer war gewellt und von hellblauer Färbung. Ihre beiden Seiten wurden von schwarzen Sensorleisten begrenzt, die wie lackiert glänzten. In der Mitte der gewellten Wand befand sich eine Ausbuchtung, die an einen gewölbten länglichen Schildbuckel erinnerte. Ischtar deutete auf den Buckel und sagte: »Das ist die Ausrüstung, mit der du nach Skrantasquor gehen wirst, Atlan.« Ich blickte das Gebilde zweifelnd an, dann sagte ich mir, daß die Varganin schließlich wissen mußte, was sie sagte. »Und wie komme ich nach Skrantasquor?« erkundigte ich mich. »Soll ich ein Beiboot nehmen?« Ischtar lachte hell. »Du brauchst kein Beiboot, Atlan«, antwortete sie. »Das varganische Keruhm genügt vollkommen. Aber zur doppelten Sicherheit brauchst du natürlich noch einen Schutzanzug.« Sie trat zur linken Wand der Kammer und fuhr mit dem Zeigefinger unsichtbare Linien entlang. In der Wand bildete sich eine Öffnung, und dahinter hing ein varganischer Schutzanzug. Durch lange Raumfahrerpraxis geübt, erfaßte ich mit dem ersten Blick, daß der
30 Schutzanzug mir passen würde. Ich nahm ihn aus seiner Magnethalterung. Das Material war von goldener Farbe und fühlte sich so weich an wie Handschuhleder. Doch ich wußte, daß varganische Schutzanzüge unglaublich widerstandsfähig waren, viel widerstandsfähiger als die schwersten arkonidischen Raumschutzanzüge. »Leg ihn an!« sagte Ischtar. Ich folgte ihrer Aufforderung und streifte mir den Schutzanzug über. Er paßte wirklich genau, als wäre es eine eigens für mich hergestellte Maßanfertigung. Den im Kragenwulst verborgenen Helm ließ ich noch unberührt. Als ich mich umdrehte, sah ich, daß Ischtar das schildbuckelähnliche Gebilde von der gewellten Wand abgehoben hatte. Sie drehte es mit der Innenseite zu mir. Ich erkannte, daß diese Seite nach innen gewölbt war, so daß sie sich meinem Rücken anpassen würde. Außerdem hingen an ihr mehrere Haltegurte sowie ein breiter Riemen mit einer linsenförmigen Schnalle. »Ein Flugaggregat?« entfuhr es mir. »Mehr als das«, antwortete Ischtar. »Dreh dich um!« Ich drehte mich um, und die Varganin drückte das Aggregat gegen meinen Rücken. Die Haltegurte hingen an den Seiten herab. Es fiel mir nicht schwer, sie kreuzweise über meiner Brust zu befestigen und einen kürzeren Gurt zwischen den Beinen nach oben zu ziehen. Die Funktion des breiten Riemens war ebenfalls leicht zu erraten. Er ließ sich als Gürtel umschnallen. »Dieses Aggregat enthält ein komplettes Überlebenssystem, wie Klimaanlage, Luftversorgung und -reinigung und Flugsteuerungsanlage«, erklärte Ischtar. »Sein wichtigstes Gerät aber ist ein Projektor, der eine variable Energieblase aufbauen kann. Diese Energieblase kann so geschaltet werden, daß sie hauteng anliegt und daß der Träger des Keruhms sich frei bewegt und Gegenstände umfassen kann. Sie kann aber auch bis auf die Größe einer
H. G. Ewers fünf Meter durchmessenden Überlebenskugel ausgedehnt werden und stellt dann eine Art Raumschiff und Schutzschirm zugleich dar. Außerdem macht sie das Keruhm unsichtbar.« »Das ist phantastisch!« sagte ich enthusiastisch. »Du meinst also, ich kann mich mit Hilfe des Keruhms ungesehen im Stützpunkt der Maahks bewegen?« »Ja«, antwortete die Goldene Göttin. »Die Energie für das Keruhm wird allerdings nicht in dem Aggregatetornister erzeugt, sondern hinter dieser Wand.« Sie deutete auf die gewellte Wand, dann glitten ihre Fingerspitzen über die Sensorleisten. »Damit wäre die Energieübertragung gesichert«, erklärte sie. Ich zögerte etwas, dann fragte ich: »Aber erst einmal muß ich auf dem Planeten Skrantasquor landen, Ischtar.« »Du wirst mit dem Keruhm landen«, sagte Ischtar. »Mit einer kleinen Energieblase?« fragte ich zweifelnd. »Sie wird in den Stürmen und Entladungsgewittern der Wolkenzone des Riesenplaneten zerflattern. Es ist schon ein Risiko, mit einem normalen Raumschiff dort landen zu wollen.« Ischtar blickte mich ironisch an und fragte: »Willst du nun nach Skrantasquor oder nicht, Atlan?« Ich schluckte, dann straffte ich die Schultern und antwortete: »Natürlich will ich – notfalls sogar zu Fuß.«
6. Obwohl ich fest entschlossen war, mich dem Keruhm auf Gedeih und Verderb anzuvertrauen, beschlich mich doch eine dumpfe Vorahnung kommenden Unheils, als ich aus einer Schleuse des Doppelpyramidenschiffs startete. Sobald ich das Varganenschiff verlassen hatte, befand ich mich im freien Raum – und
Experimente auf Skrantasquor das war wörtlich im Sinne der modernen Kosmologie gemeint, die als freien Raum erst den Raum außerhalb von Sonnensystemen definierte. Es war schon ein seltsames Gefühl, zu wissen, daß zwischen mir und der Unendlichkeit nur eine dünne Haut aus Energie lag. Ich fühlte mich versucht, den Druckhelm zu schließen. Doch ich ließ es sein, denn damit hätte ich vor mir eingestanden, daß ich dem Schutz des Keruhms nicht vertraute. Von meinem Zielgebiet war vorläufig nur ein besonders heller blauweißer Stern zu erkennen. Ischtar hatte mir gesagt, daß die Maahks diese Sonne Kratakh nannten und daß der Planet Skrantasquor der sechste Planet des Kratakh-Systems war. Da ich keine überlichtschnell arbeitenden Ortungsgeräte bei mir hatte, steuerte ich nach den Daten, die Ischtar mir an Bord des Varganenschiffs gegeben hatte. Es würde noch Stunden dauern, bis ich Skrantasquor als hellen Lichtpunkt erkannte. Bis dahin mußte ich darauf vertrauen, daß die Daten stimmten und ich den maahkschen Stützpunktplaneten auf dem kürzesten Wege anflog. Während des langes Fluges ließ ich mir wieder einmal alles durch den Kopf gehen, was mich bewegte, was ich aber wegen unaufschiebbarer Aktionen immer wieder zurückgestellt hatte. Vor allem beschäftigte mich der Gedanke daran, wie Orbanaschol abgesetzt werden konnte, damit ich an seiner Stelle das Imperium leiten und den Kampf gegen die Maahks straff organisieren konnte. Beim Angriff der Maahks auf das Trantagossa-System hatte das Große Imperium eine sehr empfindliche Schlappe erlitten, die durchaus eine Wende des Kriegsglücks zugunsten der Maahks bedeuten konnte, wenn es nicht gelang, die Imperiumsflotte zu reorganisieren und alle Sektorflotten unter ein leistungsfähiges, schnell reagierendes Zentralkommando zu stellen. Danach mußte die Imperiumsflotte eigene
31 Vorstöße planen und durchführen und vor allem den Krieg in größerem Maßstab als bisher auch in das Herrschaftsgebiet der Maahks tragen. Das System des Mörders und Diktators Orbanaschol war dazu nicht in der Lage; es war innerlich verfault und korrupt, von Intrigen geschüttelt, von Furcht regiert und vom Karrieredenken beherrscht. Es hatte bisher wohl nur deshalb keinen groß angelegten Umsturzversuch gegeben, weil der Haß auf die Maahks ein Faktor war, der ein Bindeglied zwischen Unterdrückern und Unterdrückten darstellte. Mit solchen und ähnlichen Gedanken verging die Zeit. Ich verdrängte sie alle, als ich den Zielplaneten durch die Energiesphäre des Keruhms deutlich ausmachen konnte, ein wahrer Gigant, der bei etwas größerer Masse sicher zu einer Zwergsonne geworden wäre. Ischtar hatte mir geraten, zuerst auf einem der Monde Skrantasquors zu landen und mit ihm um den Planeten zu kreisen, bis ich einen großen roten Fleck entdeckte, einen stark strahlenden Energievulkan, der die Wolkenschicht durchbrach. Rund dreitausend Kilometer westlich des Energievulkans sollte ich in die Wolkenzone eindringen und in der Nähe des maahkschen Stützpunkts niedergehen. Das hörte sich einfach an, doch ich war noch immer skeptisch. Ich wußte, wie gefahrvoll es war, eine mehrere tausend Kilometer dicke Hochdruckatmosphäre mit ihren wahnwitzigen Stürmen und Entladungsgewittern zu durchfliegen. Die Entladungsblitze waren oft stärker als eine volle Breitseite aus den schweren Energiegeschützen eines Schlachtschiffs, und die Stürme erreichten die Stärke von Druckwellen, wie sie bei der Explosion einer Fusionsbombe entstanden, die einen ganzen Mond zerreißen konnte. Und das alles sollte die dünne Energiehülle des varganischen Keruhms aushalten! Wenn Ischtar es sagte, dann stimmt es auch! meldete sich mein Logiksektor. Die Varganin hat kein Interesse daran, dich in
32 den Tod zu schicken. Das war mir ebenfalls klar, sonst hätte ich mich auf das Abenteuer gar nicht erst eingelassen. Aber messerscharfe Logik war eine Sache, das, was man angesichts anscheinend übermächtiger Gefahren fühlte, eine andere. Ich entdeckte zuerst den Schatten des nächsten Mondes auf der Wolkenoberfläche Skrantasquors und erst etwas später den Mond selbst. Mit Hilfe der linsenförmigen, glasartig schimmernden Gürtelschnalle des Keruhms steuerte ich meine Energiesphäre in eine Bahn, die dann die Mondumlaufbahn kreuzen würde, wenn der Mond genau an der gleichen Stelle war. Der Flug war nicht weiter aufregend. Nur einmal fühlte ich mich gefährdet, das war, als drei große Walzenraumschiffe der Maahks etwa zweihundert Kilometer vor mir meinen Kurs kreuzten. Wenn sie die Energieblase orteten … Doch die Energie der Sphäre konnte offenbar von maahkschen Ortungsgeräten nicht erfaßt werden, denn die drei Großkampfschiffe änderten ihren Kurs nicht, sondern hielten unverändert auf Skrantasquor zu. Bald verlor ich sie wieder aus den Augen. Wenig später tauchte der angesteuerte Mond direkt vor mir auf. Ich setzte mich hinter ihn, dann überholte ich ihn und landete auf der dem Riesenplaneten zugewandten Seite. Obwohl es die der Sonne Kratakh abgewandte Seite war, herrschte keine Dunkelheit. Die Rückstrahlung Skrantasquors war so stark, daß die Landschaft in ein rötliches Dämmerlicht getaucht wurde, in dem es kaum Schatten gab. Ich blickte mich um und sah, daß der Planet durchaus nicht so lebensfeindlich war, wie es vom Raum ausgesehen hatte. Es gab eine dünne Vegetation mit dunkelblauen ledrigen Blättern, und die Atmosphäre enthielt genügend Sauerstoff, so daß ein Arkonide wahrscheinlich einen Tag oder länger ohne Raumanzug überlebt hätte.
H. G. Ewers Allerdings mußte es tagsüber sehr heiß sein, denn die blaue Riesensonne Kratakh spendete dem sechsten Planeten mehr Energie als die Arkonsonne den drei Arkonplaneten. Andernfalls wäre die Atmosphäre auf Skrantasquor für die Maahks zu kalt und nicht atembar gewesen. Ein Blick auf Skrantasquor überzeugte mich davon, daß der Energievulkan noch nicht in Sicht gekommen war. Ich beschloß, die Wartezeit dazu zu nutzen, mich ein wenig auf dem Mond des Riesenplaneten umzusehen. Ich schaltete das Keruhm so, daß es eng an meinem Schutzanzug anlag, dann bewegte ich mich mit weiten flachen Sprüngen über das Gelände. Der Mond hatte ungefähr die halbe Schwerkraft eines Arkonplaneten, so daß ich schnell voran kam. Mein erstes Ziel war ein zirka zweihundert Meter hoher Hügel, von dem aus ich mir einen größeren Überblick zu verschaffen gedachte. Als ich nur noch zwei weite Sprünge von der Hügelkuppe entfernt war, stutzte ich. Schon von weitem hatte ich gesehen, daß sie nicht bewachsen war wie der übrige Teil des Hügels, aber erst aus relativ geringer Entfernung fiel mir auf, daß die Kuppe viel zu ebenmäßig und glatt für eine natürlich entstandene Hügelkuppe war. Ich ließ den letzten Sprung aus und ging die restliche Strecke langsam, ständig nach Gefahren ausschauend. Auf einem fremden Himmelskörper war erst einmal alles verdächtig, was nach dem Werk intelligenter Lebewesen aussah. Dicht vor der glatten Hügelkuppe blieb ich stehen. Der erste Eindruck hatte mich nicht getäuscht. Es handelte sich tatsächlich um das Werk intelligenter Lebewesen – und zwar solcher Intelligenzen, deren Zentralnervensystem etwa gleich weit entwickelt sein mußte wie das von uns Arkoniden. Das Material, aus dem die Hügelkuppe bestand, konnte dem Augenschein nach nämlich nur hochwertiges Metallplastik sein
Experimente auf Skrantasquor – und das wurde erfahrungsgemäß erst auf einer sehr hohen Stufe technischer Zivilisationen entwickelt. Hatte ich es hier etwa mit einem getarnten Vorposten der auf Skrantasquor sitzenden Maahks zu tun? Erst, nachdem ich mir klargemacht hatte, daß Maahks, falls es hier welche gab, mich meines Keruhms wegen nicht sehen konnten, wagte ich, die Kuppe zu betreten. Die Energiehaut unter meinen Stiefelsohlen wirkte wie ein federndes Polster, deshalb konnte ich völlig lautlos auftreten. Die metallene Kuppe war glatt. An der Wölbung erkannte ich, daß sie unter dem pflanzenbewachsenen Boden der Hügelhänge weiterging. Ich musterte von oben die weitere Umgebung, verglich das, was ich sah, mit meinem kosmologischen Wissen und kam zu dem Schluß, daß die Metallplastikkuppel einst frei auf einer Ebene gestanden hatte. Diese Ebene war später von einem flachen Meer bedeckt worden, dessen Ablagerungen die Kuppel und ihre Umgebung zugeschüttet hatten. Noch später war das Meer verschwunden. Regen und Wind hatten die leichten Sedimente fortgespült und fortgeweht. Nur dort, wo der Boden an festerem Untergrundmaterial Halt fand, hatte er sich mit Hilfe der Vegetation festklammern können. Wie an »meiner« Kuppel – und wie an noch acht weiteren Kuppeln, die ich sehen konnte. Da geologische Vorgänge überall große Zeiträume beanspruchen, schätzte ich die Zeitspanne, die zwischen dem Bau der Kuppeln und meiner Landung verstrichen war, auf mindestens hunderttausend Jahre. Es waren demnach zweifellos nicht die Maahks gewesen, die diese Kuppeln bauten, sondern andere Intelligenzen. Vielleicht sogar einheimische Intelligenzen. Aber warum hatten sie nichts anderes hinterlassen als diese zugewachsenen Metallplastikkuppeln? Waren sie irgendwann ausgestorben?
33 Oder waren sie zu einem anderen Himmelskörper ausgewandert? Ich bedauerte, daß ich diesen Fragen nicht mehr auf den Grund gehen konnte. Aber der rotleuchtende riesige Energievulkan, der soeben über den östlichen Horizont Skrantasquors kroch, erinnerte mich an meine Aufgabe. Ich schaltete mein Keruhm wieder auf seine größte Ausdehnung von fünf Metern, dann startete ich.
* Als meine Energiesphäre in die obere Wolkenzone des Riesenplaneten eintauchte, hielt ich unwillkürlich den Atem an. Das, was hier als ein reißender Mahlstrom von Wolken durch eine Atmosphäre raste, die selbst in dieser unerhört großen Höhe dichter war als auf den Arkonwelten das Wasser in einigen hundert Metern Tiefe, war alles andere als das, was ich normalerweise als Wolken bezeichnet hätte. Da ich keine Analysatoren mitführte, die die Sphäre durchdringen konnten, wußte ich nicht genau, woraus diese Wolken bestanden. Ich wußte nur, daß es weder Wasserdampf noch Eiskristalle waren. Und die Geschwindigkeit der Wolken übertraf die Geschwindigkeit, die der Schall auf den Arkonwelten hatte, um ein Mehrfaches. Bald hatte ich die Orientierung fast völlig verloren. Ich wußte nur noch, was oben und unten war, weil meine Instrumente es anzeigten. Dadurch konnte ich das Keruhm wenigstens immer tiefer drücken, obwohl es ansonsten gleich einer Seifenblase im Wirbelsturm herumgeschleudert wurde. Vorsichtshalber schloß ich meinen Druckhelm. Manchmal schossen stark erhitzte Gasmassen geiserartig nach oben und rissen die Sphäre einige Kilometer weit mit sich, dann wieder tauchten riesige Kugelblitze auf, geballte Ladungen von Energie, bei deren Entladung wahrscheinlich die gleichen Kräfte frei wurden wie bei der Explosion kleiner
34 Atombomben. Einmal wurde die Sphäre von einem Kugelblitz getroffen. Ich glaubte im ersten Augenblick, in dem grellen Inferno der Entladung zu verbrennen. Doch die Energiehülle des Keruhms hielt den Gewalten stand. Sie verformte sich nicht einmal. Von da an wurde ich optimistischer. Doch da wußte ich noch nicht, daß mir das Schlimmste noch bevorstand. Etwa eine Stunde später und tausend Kilometer tiefer – ich sank noch immer durch die Wolkenzone – flammte tief unter mir ein filigranartig wirkendes Muster von vielfältig verzweigten und verästelten Leuchtbahnen auf. Ich wußte, womit ich es zu tun hatte. Es war die Kernzone eines Hochenergiegewitters, wie es nur auf derart riesigen Extremwelten wie Skrantasquor auftritt. In solchen Hochenergiegewittern waren schon Raumkreuzer zerstört worden, die es gewagt hatten, auf Wasserstoff-Methan-Ammoniak-Riesen einen Landeversuch zu unternehmen. Gegen die Kernzone eines Hochenergiegewitters war die Entladung eines riesigen Kugelblitzes relativ harmlos, was ich nur wenige Minuten später am eigenen Leibe zu spüren bekam. Ich war vielleicht bis auf einen halben Kilometer an die filigranartig wirkenden Energiebahnen herangekommen, als ein Blitz von dort unten zu mir emporraste und in meine Sphäre schlug. Schon dieser erste Einschlag betäubte mich halb, dabei war es nur einer von vielleicht hundert Einschlägen, die danach unaufhörlich gegen die Sphäre krachten. Ich verlor den Sinn für Raum und Zeit und beinahe auch für meine eigene Existenz. Das Universum verwandelte sich in ein lichterfülltes, brausendes und donnerndes Chaos. Meine Nervenbahnen schienen aus kochendem Metall zu bestehen, und mein Gehirn fühlte sich an wie heißer Schlamm. Irgendwann in diesem Inferno verlor ich das Bewußtsein.
H. G. Ewers Als ich wieder zu mir kam, sank die Sphäre so ruhig und sicher tiefer, als wäre überhaupt nichts geschehen. Hoch über mir rasten strahlende Wolken und tanzten bläuliche Flammen, aber rings um mich und das Keruhm schien die Atmosphäre ruhig zu sein. Sie war von einem bleifarbenen Licht angefüllt, und von oben rieselten beständig grün und stahlblau schimmernde, tropfenförmige Gebilde herab, die ich nicht zu definieren vermochte. Vom Grund des Planeten war noch nichts zu sehen, doch das hatte ich auch nicht erwartet. Bei solchen Riesenplaneten war die Atmosphäre – falls man so vermessen war, alles Nichtfeste als Atmosphäre zu bezeichnen – erheblich voluminöser als der feste Kern des Planeten. Dennoch war ich froh, als ich nach längerer Zeit unter mir eine rollende und wogende Masse erspähte, etwas, das man mit viel Phantasie als einen Ozean bezeichnen konnte. Natürlich enthielt dieser Ozean keinen Tropfen Wasser, aber immerhin befand er sich in einer Art flüssig-zähem Aggregatzustand. Meine Seitenorientierung war durch das Hochenergiegewitter völlig verlorengegangen, so daß mir nichts weiter übrigblieb, als willkürlich in eine bestimmte Richtung zu steuern. Die Sphäre glitt in ungefähr tausend Metern Höhe über dem stumpf grauen Ozean dahin, während ich Ausschau nach festem Land hielt. Einmal glaubte ich, das Festland entdeckt zu haben. Doch es war nur eine kleine Felseninsel, die ungefähr dreihundert Meter hoch steil aus dem Meer ragte und von einer Ruine gekrönt wurde. Obwohl ich es nicht erwarten konnte, den Stützpunkt der Maahks zu finden, ging ich tiefer und umkreiste die Ruine. Einst mußte es ein kuppelförmiger Bau gewesen sein, aber nicht von der flachen Art, wie ich sie auf dem kleinen Begleiter Skrantasquors entdeckt hatte und auch nicht von der Art, wie die Maahks sie bauten, sondern etwa von der Form eines auf der leicht
Experimente auf Skrantasquor eingedellten stumpfen Seite stehenden Eies. Die »Schale« dieses zirka zweihundert Meter hohen und in der Mitte etwa achtzig Meter durchmessenden Eies war von klaffenden, vertikal verlaufenden Spalten durchzogen; die verbleibenden Fragmente wiesen zahllose feine Risse und durchscheinende Punkte auf. Ich vermochte nicht zu erkennen, ob die Zerstörungen durch Naturgewalten oder durch Waffeneinwirkung hervorgerufen worden waren. Offenbar lag das Ereignis so lange zurück, daß sich die genaue Ursache nie mehr würde feststellen lassen. Mindestens einige Jahrzehntausende – vielleicht hunderttausend Arkonjahre … Ich hielt es für möglich, daß zwischen dieser Ruine und den verlassenen Kuppelbauten auf dem Mond des Riesenplaneten eine Verbindung bestand. Entweder hatten die Ureinwohner des Riesenplaneten irgendwann einen Forschungsstützpunkt auf dem Mond errichtet – oder die Ureinwohner des Mondes waren bis zum Grund des Riesenplaneten vorgedrungen. Vielleicht war die Ruine des eiförmigen Bauwerks eines ihrer Raumschiffe gewesen. Doch wo waren dann die Ureinwohner des Riesenplaneten beziehungsweise die Ureinwohner seines Mondes geblieben? Meine Gedanken wurden durch das Auftauchen eines großen Walzenraumschiffs unterbrochen, das schräg von oben herabstieß, etwa tausend Meter über der Ruine seine Richtung änderte und beschleunigte. Wahrscheinlich flog es zum Stützpunkt der Maahks. Ich beschloß, die günstige Gelegenheit zu nutzen und mich sozusagen anzuhängen. Auf diese Weise fand ich den maahkschen Stützpunkt am schnellsten.
* Das Walzenschiff flog schnell, aber nicht so schnell, daß ich ihm mit dem Keruhm nicht folgen konnte. Ich hielt konstant eine Entfernung von
35 zweitausend Metern. Das war für maahksche Ortungsgeräte selbstverständlich keine bedeutende Entfernung, weshalb ich anfangs etwas nervös war. Doch das Keruhm schien nicht nur unsichtbar zu machen, sondern sogar bei der geringen Entfernung gegen Ortung zu schützen. Jedenfalls reagierten die Maahks nicht auf meine Anwesenheit. Bald kam die massiv wirkende Landmasse eines Kontinents in Sicht. Das Felsgestein war hart und glänzend; wahrscheinlich besaß es die Festigkeit von Arkonstahl. Dennoch gab es auch hier neben Ebenen Hügel und Berge, Täler und Klippen. Hin und wieder erblickte ich seltsame Wälder aus glasartig wirkenden Gebilden, die sich ständig verformten. Die Verformungen konnten keine Folgeerscheinungen des Stoffwechsels sein, denn so schnell liefen Stoffwechselvorgänge nicht einmal bei Lebewesen einer Sauerstoffatmosphärewelt ab, und die Stoffwechselvorgänge von Lebewesen einer Wasserstoff-Methan-Ammoniak-Atmosphäre liefen wegen der trägeren chemischen Reaktionen meist viel langsamer ab. Es gab allerdings Ausnahmen, so beispielsweise die Maahks. Die Maahks aber waren Lebewesen auf einer hohen Stufe der Evolution, bei denen komplizierte Enzyme dafür sorgten, daß die chemischen Reaktionen innerhalb des Körpers um ein Vielfaches schneller abliefen als außerhalb. Übrigens traf das auch für uns Arkoniden zu – und auch für die meisten anderen Intelligenzen der bekannten Galaxis. Eine Höherentwicklung von Lebewesen war nur möglich, wenn die chemischen Reaktionen ihrer Körper erheblich schneller abliefen als die chemischen Reaktionen ihrer Umwelt. Bei diesen »Pflanzen« aber traten die Verformungen so schnell und massiv auf, daß sie sich nicht auf Stoffwechselvorgänge zurückführen ließen, es sei denn, man wollte annehmen, daß solche Stoffwechselvorgänge mit Lichtgeschwindigkeit abliefen. Wahrscheinlich verfügten die glasartigen
36 Gebilde über keinen eigenen Stoffwechsel, sondern wuchsen und veränderten sich durch heftige chemische Reaktionen mit ihrer Umwelt. Ich erspähte aber auch andere »Pflanzen«, die schon mehr Ähnlichkeit mit den Pflanzen von Sauerstoffwelten hatten. Es handelte sich um große Wälder tangähnlicher Schnüre, die im Wind hin und her wogten. In so einem »Tangwald« glaubte ich einmal, ein Tier zu sehen, ein viergliedriges dunkelblaues Lebewesen, das zwischen den Tangschnüren herumkletterte. Doch als ich tief erging, um mir das Tier genauer zu betrachten, war es plötzlich verschwunden. Wieder bedauerte ich, daß ich keine Zeit hatte, der Sache auf den Grund zu gehen. Wenn es keinen Krieg zwischen uns und den Maahks gäbe …! Dann wärst du nie nach Skrantasquor gekommen, meldete sich mein Logiksektor. Das stimmte zwar, aber irgendwie befriedigte mich das nicht. Warum bedurfte es erst eines furchtbaren Krieges mit Milliarden von Opfern, um das kosmische Gesichtsfeld zu vergrößern und zu erkennen, daß es so viele friedliche Ziele gab, daß man sich eigentlich keine Zeit für kriegerische Auseinandersetzungen nehmen durfte? Ich verwarf diesen Gedankengang wieder, da ich merkte, daß er mich auf einen Irrweg führte. Angesichts der Vernichtungsabsichten der Maahks war jeder einseitige Gedanke an einen Frieden gefährlich für das eigene Volk. Solange der Feind keinen Gedanken an Frieden verschwendete, konnten wir Arkoniden uns das auch nicht leisten. Wieder folgte ich dem maahkschen Walzenraumschiff. Wie ich gehofft hatte, führte es mich zu der Gruppe von drei Türmen und neun Kuppelbauten, die ich bereits auf dem Ortungsschirm des Varganenschiffs gesehen hatte. In direkter Konfrontation wirkten die Bauwerke größer und bedrohlicher als auf dem Ortungsschirm. Vor allem die spiegelglatten zylindrischen Türme schienen mit ih-
H. G. Ewers rer Höhe als Herausforderung an die wilde Natur des Riesenplaneten gedacht zu sein. Das Walzenschiff schwenkte vor den Bauwerken nach Backbord ab, und ich folgte ihm. Nach kurzer Zeit erreichten wir den Raumhafen. Ich stoppte ab und beobachtete, wie das Walzenraumschiff landete, wie sich unter ihm ein Schacht öffnete und wie es darin versank. Über ihm schloß sich der Schacht wieder. Ich überlegte, wie ich ebenfalls in die Anlagen unter der Oberflächenschicht des Raumhafens gelangen konnte. Du hättest mit dem Walzenschiff eindringen sollen! erklärte der Logiksektor meines Extrahirns. Jetzt mußt du warten, bis sich wieder ein Schacht öffnet. Ich ärgerte mich darüber, daß mein Logiksektor mich nicht rechtzeitig darauf aufmerksam gemacht hatte, sondern erst, als mir seine Bemerkung nichts mehr nützte. Doch mein Ärger verflog schnell wieder. Es hatte keinen Zweck, sich über etwas aufzuregen, was sich nicht ändern ließ. Ich landete am Rand des Raumhafens und sah mich aufmerksam um, während ich auf eine Gelegenheit wartete, in die subplanetarischen Anlagen einzudringen. Während ich gerade überlegte, daß es auf dem Grund von Skrantasquor eigentlich relativ ruhig war, von unregelmäßigen Windstößen abgesehen, zog am südöstlichen Horizont eine dunkelrote Wolke auf. Zuerst schenkte ich der Wolke keine große Beachtung. Doch dann tauchte plötzlich ein Schwarm seltsamer Lebewesen aus Südosten auf. Es handelte sich um Kreaturen, die wie Kreuzungen aus Plattfischen und Flugsauriern aussahen, aber die Größe von dreißig Meter durchmessenden Beibooten hatten. Die Tatsache, daß diese Giganten anscheinend vor der dunkelroten Wolke flohen, gab mir zu denken. Ich richtete meine Aufmerksamkeit fast ausnahmslos auf diese Wolke und sah, daß
Experimente auf Skrantasquor sie sich schnell vergrößerte und dabei näher kam. Sie bestand offensichtlich nicht aus Gasen, sondern einer schweren Flüssigkeit, die nur deshalb nicht zu Boden stürzte, weil die Atmosphäre über dem Grund des Planeten noch viel dichter war. Diese Wolke kroch näher und näher, verschlang Felsklippen und Wälder ebenso wie einige Flugkreaturen, die so leichtfertig gewesen waren, nicht schnell genug zu fliehen. Gefahr! signalisierte mir mein Logiksektor. Bring dich in Sicherheit! Ich startete. Meine Absicht war, den Raumhafen zu überfliegen und dabei nach einer Personenschleuse auszuschauen, die ich notfalls aufbrechen konnte, um in die Anlagen darunter zu gelangen. Doch bevor ich den Rand des Raumhafens überflogen hatte, entstand vor mir und auch über dem gesamten Areal des Raumhafens ein Gewirr grell leuchtender Linien, die sich unter zahllosen Entladungen zu einem geschlossenen Energieschirm vereinigten. Ich konnte das Keruhm gerade noch herumschwenken, sonst wäre ich in den Energieschirm gerast. Mir war klar, was der Aufbau des Energieschirms bedeutete. Die Maahks kannten die Gefahr, die mit der dunkelroten Wolke heranzog, und sie wollten sich und ihre Einrichtungen vor ihr schützen. Ich überlegte, ob ich mich auf den Schutz des varganischen Keruhms verlassen durfte und entschied, daß ich das Risiko nicht eingehen konnte. Mir blieben nur zwei Möglichkeiten: Entweder gelang es mir, in einen der Türme oder in eine der Kuppeln des maahkschen Stützpunktes einzudringen, oder ich mußte der dunkelroten Wolke in weitem Bogen ausweichen. Ich entschied mich dafür, es zuerst bei dem Stützpunkt zu versuchen.
7. Ra öffnete die Tür zu seiner Kabine und
37 spähte in den Gang mit den Transportbändern hinaus. Es war alles ruhig. Lautlos huschte der Barbar auf den Gang hinaus und betrat eines der Transportbänder. Hinter seiner Stirn kreisten finstere Gedanken. Er hatte beobachtet, wie der Arkonide mit Hilfe eines varganischen Keruhms gestartet war. Sein Ziel konnte nur der maahksche Stützpunkt auf Skrantasquor sein. Atlan haßte die Maahks so sehr, daß er alles riskieren würde, um ihnen Schaden zuzufügen. Ras Gesicht verzerrte sich. Auch er haßte. Er haßte den Arkoniden, dem die Gunst der Goldenen Göttin mühelos zugefallen war. Während er, Ra, einst darum gekämpft und dabei sein Leben riskiert hatte, war es diesem Arkoniden nicht eingefallen, um Ischtars Gunst zu werben. Im Gegenteil, er hatte sich umwerben lassen. Doch das änderte nichts daran, daß Atlan letzten Endes dafür verantwortlich war, daß er, Ra, bei Ischtar keine Chancen mehr hatte. Seit Atlan aufgetaucht war, war er aus dem Rennen gewesen. Aber Ra hoffte, daß Ischtar sich wieder ihm zuwenden würde, wenn es keinen Atlan mehr gab. Immerhin hatte sie ihn früher einmal, als sie den Arkoniden noch nicht kannte, geliebt. Bestimmt würde diese Liebe wieder erwachen, und es würde so schön wie früher werden. Der Barbar vom dritten Planeten einer weißgelben Sonne hatte seinen Plan gefaßt, als er sah, wie Atlan mit Hilfe des varganischen Keruhms startete. Er mußte nur dafür sorgen, daß Ischtar nichts merkte, wenn er seinen Plan durchführte. Da er schon früher, als Ischtar mit ihrem eigenen Doppelpyramidenschiff auf seiner Heimatwelt gelandet war, Zeit gehabt hatte, sich in diesem Raumschiff umzusehen, kannte er sich in den Räumlichkeiten aus. Später hatte er auch gelernt, was ein Keruhm war und wie es funktionierte. Und er kannte auch den schwachen Punkt
38 des Keruhms! Dieser schwache Punkt bestand darin, daß das Keruhm vom Gegenaggregat an Bord des Schiffes ab und zu automatisch aufgeladen werden mußte, weil die großen Energiemengen, die es besonders auf einer lebensfeindlichen Riesenwelt benötigte, nicht von einem tragbaren Aggregat erzeugt werden konnten. Ra sprang vom Transportband und stand eine Weile lauschend still, bevor er sich zu Fuß auf den Weg zu jener Kammer machte, in der das Gegengerät des Keruhms stand. Er hoffte, daß Ischtar ihn nicht über die Fernsehaugen beobachtete, die es überall im Schiff gab. Wenn sie merkte, was er vorhatte, würde sie es sicher zu verhindern suchen. Der Barbar eilte in eine Wandnische und legte die Hand auf ein verborgenes Vibrationsschloß. Eine Öffnung bildete sich. Dahinter lag der dunkle Schacht einer Magnetröhre, die normalerweise nur von Transportkapseln benutzt wurde. Ra wollte jedoch keine Transportkapsel anfordern, denn das wäre sofort an die Zentrale gemeldet worden, und Ischtar hätte von der Positronik erfahren, auf welches Ziel die Kapsel programmiert worden war. Deshalb wollte der Barbar lieber zu Fuß durch den Magnetschacht gehen. Er trat ein – und schrie im nächsten Augenblick vor Überraschung und Schmerz laut auf, während ein Stromstoß durch seinen Körper jagte. Hätte Ra sich durch einen Muskelreflex nicht aus dem Schacht hinauskatapultiert, wäre er verbrannt. So aber fand er sich zwar angesengt, geprellt und mit leicht verstauchten Hand- und Fußgelenken draußen im Gang wieder – aber wenigstens lebend. Nachdem er sich von Schmerz und Schreck einigermaßen erholt hatte, überlegte er, was passiert war. Er hatte schon mehrfach Magnetschächte benutzt, und noch nie hatte er dabei einen Schlag bekommen, nur manchmal ein leichtes Kribbeln gespürt.
H. G. Ewers Ra kam zu dem Schluß, daß sein Mißgeschick damit zu tun haben mußte, daß dieser Magnetschacht erst kurz vorher von einer Transportkapsel befahren worden war. Wahrscheinlich hatte sich die Schachtwandung dabei mit Energie aufgeladen, und es dauerte einige Zeit, bis sich diese Energie verflüchtigte. Mißmutig musterte der Barbar die Brandflecken an seinen Stiefeln und Händen. Er verspürte nicht die geringste Lust, in den Magnetschacht zurückzukehren. Doch sein Haß auf den Nebenbuhler war größer als seine Furcht. Immerhin hatte der elektrische Stromstoß wenigstens bewirkt, daß sein Haß ihn nicht mehr gänzlich beherrschte. So konnte er daran denken, eine Vorsichtsmaßnahme zu ergreifen, die er schon beim ersten Versuch hätte ergreifen sollen. Er kehrte in seine Kabine zurück, zog seinen Raumanzug an und betrat danach an der gleichen Stelle zum zweitenmal den Magnetschacht. Diesmal spürte er nichts, denn der Raumanzug isolierte hervorragend. Ra grinste triumphierend und eilte in die Richtung, in der, soweit ihm bekannt war, sein Ziel lag. Ungefähr zehn Minuten später stand er vor einer schwarzen Metallplastikwand. Er wußte, was dahinter lag, und er kannte auch das Kodewort, mit dem sich der Zauber herbeirufen ließ, der die Wand an einer Stelle durchlässig machte. Der Barbar sagte das Kodewort und murmelte eine Geisterbeschwörung, als ein Teil der Wand sich in grauen Nebel verwandelte, der wie unter einem Windstoß zerflatterte. Hinter der Öffnung wurde eine in grünem Licht liegende Kammer sichtbar. Ra trat mutig hinein und musterte die hintere Wand, die gewellt und von hellblauer Färbung war. Ras Augen glitzerten, als er sah, daß die schildbuckelartige Ausbuchtung verschwunden war, die sonst an der gewellten Wand gehaftet hatte. Das Keruhm, mit dem Atlan das Varga-
Experimente auf Skrantasquor nenschiff verlassen hatte! Der Barbar wußte genau, daß hinter der gewellten Wand das Gegenaggregat des Kerruhms lag, mit dem das Keruhm hin und wieder neu aufgeladen wurde. Er wußte allerdings nicht, wann die nächste Aufladung fällig war. Das konnte in zwei oder drei Stunden sein – oder auch schon in fünf Minuten. Ras Finger glitten über die beiden Sensorleisten zu beiden Seiten der gewellten Wand. Danach grinste der Barbar verzerrt. Er wußte, daß, wann immer die nächste Aufladung fällig würde, sie nicht erfolgte – und daß Atlan kurz darauf ohne den Schutz des Keruhms sein würde, ganz gleich, wo er sich dann befand.
* Obwohl ich mit Maximalwerten beschleunigte, hatte die dunkelrote Wolke mich beinahe eingeholt, als ich den maahkschen Stützpunkt erreichte. Glücklicherweise hatte* sich der Stützpunkt nicht in einen Energieschirm gehüllt wie der Raumhafen. Ich steuerte den nächsten der drei gigantischen Türme an. landete an seinem Fuß und suchte nach einem Schott, durch das ich ins Innere des Bauwerks gelangen konnte. Als ich nichts dergleichen fand, flog ich zu den neun Kuppeln weiter – und das war mein Glück. Inzwischen füllte die dunkelrote Wolke im Süden und Osten alles aus und ragte gleich einer gigantischen Mauer nach oben, fast bis an die Untergrenze der Wolkenzone. Der gesamte Planet schien den Atem anzuhalten. Sogar die Atmosphäre stand still. Dann rasten die Flanken der Wolke heran, während sie oben überkippte. Die Atmosphäre geriet in turbulente Bewegung. In der Nähe wurde ein Kristallwald in winzige Splitter zertrümmert und davongefegt. Ich kroch in den Schutz einer Schleusenmündung, die allerdings von innen verriegelt
39 war. Ich ahnte, daß die Gewalten, die sich demnächst hier entladen würden, selbst für ein varganisches Keruhm zu stark waren. Deshalb bemühte ich mich verzweifelt mit einem Kodetaster, den Öffnungskode für das Schleusenschott zu ermitteln. Ich hatte es gerade geschafft und stellte den ermittelten Kode in meinen Kodegeber ein, als die dunkelrote Wolke über den drei Türmen zusammenbrach. Sie schien magisch von den Türmen angezogen zu werden. Der Anblick faszinierte mich so, daß ich noch wartete, obwohl ich inzwischen den Kodegeber fertig programmiert hatte und ihn bloß noch zu aktivieren brauchte, um mich in dem maahkschen Stützpunkt endgültig in Sicherheit zu bringen. Die Masse der Wolken raste von allen Seiten heran und verdichtete sich im Raum der drei Türme. Dabei verdunkelte sie sich, bis sie sich zu einem schwarzblauen Klumpen zusammengeballt hatte. Im nächsten Moment sandte der schwarzblaue Klumpen, der etwa dreitausend Meter Durchmesser hatte, eine so grelle Strahlungsflut aus, daß ich geblendet die Augen schloß. Als ich meine Augen wieder öffnete, sah ich, daß die Wolke verschwunden war. Aber die drei Türme glühten in einem ultrahellen Schein, der die nähere Atmosphäre wabern ließ. Der Boden war im Umkreis von zirka zehn Kilometern zu einer hellgrauen bröckligen Masse zerfallen. Ich zweifelte nicht daran, daß ich umgekommen wäre, wenn ich das Inferno direkt bei den Türmen erwartet hätte. Hier hatten sich Kräfte ausgetobt, die wahrscheinlich auch nicht vom Keruhm kompensiert werden konnten. Aber ich lebte noch und mußte eine Aufgabe erledigen. Ich schaltete meinen Kodegeber ein, wartete, bis das Außenschott der Schleuse sich geöffnet hatte, und ging hinein. In der Schleusenkammer wartete ich, bis
40 das Außenschott geschlossen war und das Innenschott sich öffnete, dann schwebte ich in das Gangsystem des maahkschen Stützpunkts hinein. Als ich um die erste Ecke bog, stieß ich beinahe mit zwei schwerbewaffneten Maahks zusammen, die mir entgegenkamen. Im ersten Schreck griff ich nach meinem Handstrahler, dann merkte ich, daß die Maahks mich nicht sahen. Glücklicherweise hatte ich das Keruhm auf minimale Ausdehnung geschaltet, so daß es gleich einer zusätzlichen Haut über meinem varganischen Raumanzug lag, sonst wären die Maahks vielleicht mit der Energiesphäre zusammengestoßen. Vorsichtshalber bewegte ich mich nicht, bis die beiden Maahks hinter mir um die Biegung verschwunden waren. Erst danach setzte ich meinen Weg fort. Ich war sicher, daß es von hier eine direkte Verbindung zum Raumhafen gab. Notfalls mußten stündlich die Besatzungen vieler Großkampfschiffe vom Stützpunkt zum Raumhafen transportiert werden, also zirka hunderttausend Raumfahrer und Soldaten. Wahrscheinlich wurden dazu Expreßzüge benutzt, die in Vakuumtunnels auf Magnetschienen dahinjagten. Da ich nicht einen ganzen Expreßzug in Marsch setzen durfte, wenn ich nicht Verdacht erregen wollte, mußte ich für mich allerdings ein anderes Beförderungsmittel suchen. Sicher gab es auch Transportkapseln. Aber die Aktivitäten von Transportkapseln mußten schon zur Vermeidung von Kollisionen von einer Positronik koordiniert werden und ließen sich daher auch von den Maahks leicht kontrollieren. Ideal für meine Zwecke wäre ein ständig aktiviertes Transportband gewesen, und nach einigem Suchen fand ich einen geräumigen Tunnel, in dem zwei breite gegenläufige Transportbänder verkehrten. Ich stellte mich einfach auf das Band, das aus dem Stützpunkt hinausführte. In einiger Entfernung vor mir standen zwei Maahks
H. G. Ewers auf dem Band. Nach rund zehn Minuten kam mir auf dem anderen Band eine Gruppe von fünf Maahks entgegen. Zwei waren bewaffnet, drei trugen irgendwelche Geräte bei sich. Alle aber blickten an mir vorbei oder durch mich hindurch, ohne etwas von meiner Anwesenheit zu ahnen. Ich passierte eine Beschleunigungszone des Transportbandsystems. Danach ging es erheblich schneller vorwärts. Nach rund einer Stunde merkte ich, daß ich den Raumhafensektor erreicht hatte. Zahlreiche Abzweigungen und. Verteilerkreisel boten ebenso viele Möglichkeiten. Ich versuchte, mich daran zu erinnern, welche Tunnel, Räume und Anlagen in der Nähe des arkonidischen Kugelschiffs gewesen waren, damit ich mich besser orientieren konnte, denn dieses Kugelschiff war mein erstes Ziel. Nach einigem Hin und Her gelangte ich endlich in die Halle, in der das Kugelraumschiff stand. Spezialroboter der Maahks hatten Teile der Außenhaut entfernt, doch ich konnte noch die Beschriftung mit dem Namen des Schiffes erkennen. CERVAX – las ich. Es fiel mir nicht schwer, in das Schiff einzudringen, denn die wenigen Roboter, die ein und aus gingen, nahmen mich ebensowenig wahr wie die Maahks, die mir unterwegs begegnet waren. Systematisch durchsuchte ich das Kugelraumschiff von unten nach oben, doch nirgends waren Arkoniden zu finden – weder lebende noch tote. Wenn die Maahks auch die Besatzung gefangengenommen hatten, dann mußten sie sie außerhalb des Schiffes eingesperrt haben. Das würde meine Suche nach ihnen natürlich erschweren, aber es konnte mich nicht veranlassen, aufzugeben.
* Auf meiner Suche nach der Besatzung des
Experimente auf Skrantasquor arkonidischen Raumschiffs gelangte ich nach einiger Zeit in eine Schaltstation. Hier standen rund zwanzig Maahks auf ihren starken Säulenbeinen vor Kontrollund Schaltpulten. Ich ging langsam zwischen ihnen hindurch und versuchte, die Funktionen der verschiedenen Schaltungen zu ergründen. Da das Keruhm sich auch zwischen den Sohlen meiner Stiefel und dem Boden befand, konnte ich völlig geräuschlos gehen. Deshalb wunderte ich mich, als die vier Augen eines Maahks sich auch nach hinten öffneten und die halbkreisförmigen Schlitzpupillen sich anscheinend in meine Richtung wandten. Vorsichtshalber blieb ich stehen. Da bemerkte ich, daß sich auch die grünschillernden Augen anderer Maahks in meine Richtung wandten. Verwundert sah ich an mir herab. Gab es irgend etwas, das mich verraten konnte? Aber ich konnte nichts entdecken. Nur die Kontrollinse des Keruhms leuchtete nicht mehr. Mir stockte der Atem. Das Keruhm? Wenn es nicht mehr funktionierte, dann mußten die Maahks mich nicht nur sehen. Dann war ich auch nicht mehr unangreifbar für sie. Ich hatte den Gedanken kaum zu Ende gedacht, da vernahm ich das Summen schwerer Lähmstrahler. Meine Glieder wurden steif, als mir die Muskeln nicht mehr gehorchten. Ich brach zusammen. Während mehrere Maahks mich anhoben und wegtrugen, überlegte ich, warum das varganische Keruhm ausgefallen war. Ich kannte die Technik der alten Varganen inzwischen aus vielen Erfahrungen so gut, daß ich wußte, es war mehr als unwahrscheinlich, daß bei einem so wichtigen Gerät plötzlich ein so gravierender Defekt auftrat. Es war ebenfalls undenkbar, daß die Kraftstation des Keruhms wegen zu großer
41 Belastung – während des Hochenergiegewitters beispielsweise – einen Schaden davongetragen hatte, denn die Kraftstation befand sich an Bord des Doppelpyramidenschiffs und war demnach nicht überlastet worden. Es sei denn, jemand hätte das Gegenaggregat abgeschaltet beziehungsweise die Energieübertragung unterbunden. Ischtar? Ich verneinte die Frage, kaum, daß ich sie gestellt hatte. Ischtar würde so etwas nie tun. Aber außer ihr befand sich nur noch Ra an Bord. Ihm traute ich zu, daß er aus Eifersucht versuchen würde, mir die Energiezufuhr abzuschneiden. Aber besaß der Barbar überhaupt genug technisches Wissen, um die richtigen Schaltungen vorzunehmen, ohne daß ein Alarm ausgelöst wurde? Soviel ich wußte, konnte die Keruhm-Kammer nur mit Hilfe einer Transportkapsel erreicht werden, und die Aktivität von Transportkapseln wurde, da sie nur über die Hauptpositronik lief, sofort in der Hauptzentrale angezeigt. Eigentlich waren die Schwierigkeiten für einen Barbaren viel zu groß, entschied ich. Dennoch mußte er es irgendwie geschafft haben, sonst wäre ich nicht plötzlich sichtbar geworden und in die Gefangenschaft der Maahks geraten. Natürlich schnallten mir die Maahks meinen Aggregate-Tornister ab. Wahrscheinlich vermuteten sie, darin befände sich ein völlig neues Gerät, das es einer einzelnen Person erlaubte, durch den Weltraum zu fliegen, auf einem Riesenplaneten zu landen und sich ungesehen in einem fremden Stützpunkt zu bewegen. Sie konnten nicht ahnen, daß sie nur das Steuergerät mit dem Lebenserhaltungssystem erbeutet hatten. Das wirkliche Keruhm befand sich an Bord des Doppelpyramidenschiffs und war damit ihrem Zugriff entzogen. Ich wurde in eine Unterdruckkammer gebracht, bis auf die Bordkombination entkleidet und solange in Ruhe gelassen, bis meine
42 Lähmung abklang. Danach erschienen mehrere Maahks vor meiner Unterdruckkammer, schalteten ein Kommunikationsgerät sowie einen Translator ein und fingen mit dem Verhör an. »Ich bin Grek-1!« stellte sich der erste Sprecher der Maahks vor. »Wie ist Ihr Name, Arkonide?« Ich sah keinen Sinn darin, meinen Namen zu verschweigen. Die Maahks konnten nicht wissen, daß der Kristallprinz, der Anspruch auf den arkonidischen Thron besaß, nebenbei den Namen Atlan trug. »Atlan«, antwortete ich. »Wie sind Sie nach Skrantasquor gekommen, Atlan?« forschte der Grek-1 der hiesigen Maahks weiter. »Zu Fuß«, erklärte ich ironisch. »Ihre Lüge ist nicht einmal logisch untermauert«, stellte Grek-1 fest. »Es gibt keine Möglichkeit, zu Fuß auf einen fremden Planeten zu gelangen. Wahrscheinlich bedienten Sie sich des seltsamen Geräts, das wir Ihnen abgenommen haben. Doch Sie müssen von irgendwoher gekommen sein, mit großer Wahrscheinlichkeit von einem Raumschiff. Wo befindet sich dieses Raumschiff?« »Im Raum – wie der Name schon sagt«, antwortete ich. Ich wählte ganz bewußt eine provozierende Formulierung. Damit wollte ich erreichen, daß die Maahks mich durch massiven Druck dazu »zwangen«, ihnen die Position des Raumschiffs preiszugeben, mit dem ich bis in die Nähe von Skrantasquor gekommen war. Das durfte ich tun, denn ich wußte, daß kein maahksches Raumschiff gegen die weit überlegene Defensivbewaffnung eines Varganenschiffs ankommen würde. Im Gegenteil, die Maahks würden einen eventuellen Angriff mit hohen eigenen Verlusten bezahlen. Deshalb wollte ich, daß sie Ischtars Schiff angriffen – aber nicht allein deshalb. Durch den Angriff der Maahks würde Ischtar auch merken, daß ich in Gefangen-
H. G. Ewers schaft geraten war, und wenn sie nachforschte, mußte sie feststellen, daß das Gegenaggregat des Keruhms ausgeschaltet war. So war garantiert, daß Ras Anschlag aufgedeckt wurde. »Ich warne Sie, Atlan!« sagte Grek-1. »Wir haben keinen Sinn für Ihre Hinhaltetaktik. Da Sie zweifellos zu ihrem Ausgangspunkt zurückkehren wollten, müssen Sie die genaue Position kennen. Sie können wählen, ob Sie uns diese Position freiwillig mitteilen wollen oder erst, nachdem wir Sie einer Beugebehandlung unterzogen haben.« »Wollen Sie mich etwa foltern?« fragte ich, scheinbar entsetzt. »Wir werden Ihnen selbstverständlich nicht mehr zusetzen, als im Interesse einer wahrheitsgemäßen Aussage erforderlich ist«, erwiderte der Maahk. »Sehr freundlich«, sagte ich. »Da spreche ich lieber gleich. Aber ich warne Sie. Die Besatzung meines Raumschiffs besteht aus den besten Kämpfern der Galaxis, und das Schiff ist hervorragend bewaffnet. Es kann sich recht gut verteidigen.« »Das ist nicht mehr Ihr Problem, Atlan«, sagte Grek-1. »Nennen Sie mir nur die Positionsdaten.« Ich gehorchte. Warum ich die Maahks gewarnt hatte, begriff ich hinterher selber nicht. Sicher, es würde mich vor der Anschuldigung schützen, die Raumschiffe der Maahks in eine Falle geschickt zu haben, aber es würde die Maahks auch etwas vorsichtiger machen, so daß ihre Verluste ein wenig niedriger blieben. Wo bleibt dein Haß gegen die Maahks! sagte ich zu mir selbst, als Grek-1 mit seinen Begleitern mich längst verlassen hatte.
8. Ischtar hatte gerade in der Zentrale geschlafen, als die Alarmanlage ansprach. Ungläubig blickte die Varganin auf die Ortungsschirme. »Dreißig Großkampfschiffe der Maahks
Experimente auf Skrantasquor als Angriffsspitze – und dahinter dreihundert weitere Schiffe!« sagte sie staunend zu sich selbst. »Was soll das – und woher kennen die Maahks meine Position?« Sie aktivierte die Interkomanlage und befahl Ra, in die Zentrale zu kommen. Als der Barbar wenig später erschien und sich unterwürfig vor Ischtar verbeugte, deutete sie auf die Ortungsschirme und sagte: »Sieh dir das an – und dann sage mir, was das zu bedeuten hat!« Ra starrte die Goldene Göttin verwirrt an, dann stammelte er: »Das sind anfliegende Raumschiffe, meine Göttin. Ich weiß nicht, was sie wollen.« »Aber ich weiß es«, erklärte Ischtar. »Sie wollen uns entweder vernichten oder als Beute aufbringen. Die Frage ist nur, wie konnten sie mein Schiff so zielsicher anfliegen, als hätten sie die Position vorher gekannt.« »Sie werden dein Schiff geortet haben, Ischtar«, sagte Ra. »Nein, du Narr!« fuhr Ischtar ihn so heftig an, daß er zusammenzuckte. »Die Ortungsgeräte der Maahks reichen nicht so weit, daß sie uns von Skrantasquor aus anmessen konnten – und die auftreffenden Ortungsimpulse eines herumstreunenden Patrouillenschiffs hätten meine Alarmanlage sofort aktiviert. Jemand muß den Maahks die genaue Position meines Schiffes mitgeteilt haben. Wer könnte das wohl gewesen sein, Ra?« »Ich habe keine Ahnung, meine Göttin und Herrin!« versicherte der Barbar. »Deine Antwort hat dich verraten!« erklärte Ischtar kalt. »Ich weiß genau, daß du nur zu gern Atlan beschuldigen würdest, meine Position verraten zu haben. Dennoch tust du es nicht. Das kann nur einen Grund haben: Du hast ihn in eine Lage gebracht, wo er gezwungen war, meine Position zu verraten.« Sie deutete mit ausgestrecktem Arm auf Ra und rief mit donnernder Stimme: »Gestehe, Elender! Gestehe, daß du die Energieversorgung zu Atlans Keruhm unterbrochen hast!«
43 Ra fiel vor ihr auf die Knie. »Gnade, meine Göttin!« jammerte er. »Es war nur meine übergroße Liebe zu dir, die mich veranlaßte, dich von dem Arkoniden zu befreien, der dich doch nur als sein Werkzeug betrachtet.« »Jeder denkt, er könnte mich als sein Werkzeug mißbrauchen«, erwiderte Ischtar wütend. »Du auch, du hinterhältiger Barbar. Geh in deine Kabine und bete zu deinen Göttern, daß es mir gelingt, Atlan zu retten. Andernfalls werde ich dich vernichten. Verschwinde aus meinen Augen!« Sie blickte Ra nach, der zerknirscht aus der Zentrale schlich, dann wandte sie sich den Bildschirmen, Kontrollen und Schaltungen zu. Ihr Zorn über Ras Verrat war noch nicht verraucht, als die Maahks angriffen. Die Angriffsspitze sollte, soviel erkannte Ischtar sehr schnell, die Kampfkraft ihres Raumschiffs testen und dem Hauptverband die Möglichkeit geben, sich darauf einzustellen. Die Varganin wehrte den Angriff der dreißig Großkampfschiffe deshalb nur mit den starken Schutzschirmen ihres Doppelpyramidenschiffs ab, ohne selbst einen Schuß abzufeuern. Zweimal flog die Angriffsspitze an, zweimal feuerte sie eine Breitseite ab, die das größte arkonidische Schlachtschiff in eine Gaswolke verwandelt hätte. Bei dem Varganenschiff war der Erfolg gleich Null. Als die Angriffsspitze zum zweitenmal abdrehte, erkannte Ischtar, daß die Hauptstreitmacht sich zum Angriff formierte. Ihr Kommandeur ließ sie so angreifen, daß sie ihre ganze Feuerkraft im Salventakt entfalten konnte. Er dachte sich, und normalerweise wäre das völlig richtig gewesen, daß jeder Schutzschirm zerstört werden konnte, wenn man ihn nur lange und intensiv genug beschoß. Ischtar wartete, bis die dreihundert Großkampfschiffe die zehnte Salve abgefeuert hatten, dann aktivierte sie die Offensivverteidigung ihres Raumschiffs.
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Wenig später hatte der Angreifer zwei Drittel seiner Schiffe verloren, und der Rest bemühte sich, so schnell wie möglich aus der Wirkungszone der feindlichen Waffen herauszukommen. Ischtar überlegte, ob sie die Walzenschiffe der Maahks verfolgen und restlos vernichten sollte. Aber ihr Zorn, der von Ras Verhalten ausgelöst worden war, war bereits verraucht. Deshalb verzichtete die Varganin darauf, dem geschlagenen Gegner unnötigerweise weitere Verluste zuzufügen. Sie beobachtete, wie die Walzenschiffe sich in sicherer Entfernung sammelten und warteten. Offenbar sprach ihr Kommandeur über Hyperkom mit dem Chef des Stützpunkts auf Skrantasquor und forderte neue Instruktionen an. Ischtar wußte genau, wie ein maahkscher Stützpunktleiter in diesem Falle entscheiden würde, denn die Logik ließ ihm nicht viele Möglichkeiten – und eine andere als eine logische Entscheidung konnte ein Maahk nun einmal nicht treffen. Sie lächelte zufrieden, als die Restflotte der Maahks sich so weit zurückzog, daß ihre Ortungsgeräte das Doppelpyramidenschiff gerade noch erfaßten. Danach formierten sich die Walzenraumschiffe zu einer weit auseinander gezogenen Kette und beschränkten sich auf die Beobachtung des gefährlichen Gegners. Ischtar wurde wieder ernst. Sie überlegte, wie sie Atlan aus der Gefangenschaft befreien konnte. Hätte sie ein zweites Keruhm an Bord gehabt, sie wäre persönlich nach Skrantasquor aufgebrochen, um den Arkoniden herauszuholen. Doch das einzige Gerät dieser Art war das, das sie Atlan mitgegeben hatte. Aber Ischtar war überzeugt, daß sie eine Möglichkeit finden würde, ihren Geliebten zu retten …
* Ich hatte vielleicht fünf Stunden in meiner
Unterdruckzelle gelegen und mir den Kopf darüber zerbrochen, wie ich entkommen könnte, als ich in einer Ecke der Kammer etwas glitzern sah. Ich schaute mich um, ob ich etwa beobachtet würde, konnte aber keinen Maahk entdecken. Dennoch war es möglich, daß verborgene Fernsehaugen auf mich gerichtet waren. Deshalb ging ich auch nicht sofort in die betreffende Ecke, sondern tat so, als wollte ich mir die Beine vertreten. Zwischendurch absolvierte ich einige gymnastische Übungen wie Knie- und Rumpfbeugen und so weiter. Auf diese Art und Weise konnte ich mich in der bewußten Ecke unauffällig bücken und das glitzernde Ding an mich nehmen. Ich steckte es in eine Außentasche meiner Bordkombination, führte meine Übungen noch eine Weile fort und hockte mich dann wieder auf den Boden. Behutsam steckte ich eine Hand in die Außentasche, umfaßte den Gegenstand und zog die Hand wieder heraus. Erst nach einem neuerlichen Rundblick öffnete ich die Hand und schaute mir das Fundstück an. Es handelte sich um das Bruchstück einer Edelsteinbrosche, und zwar einer besonders wertvollen Brosche, denn die Fassung bestand aus einer teuren exotischen Legierung, und die Steine des Bruchstücks waren echte Kushulun-Diamanten, die nur der allerhöchsten Adelskaste des Großen Imperiums vorbehalten waren. Also mußte vor mir bereits ein arkonidischer Gefangener in dieser Unterdruckkammer eingesperrt gewesen sein – vielmehr, eine arkonidische Gefangene, denn die Brosche war ein typisch weibliches Schmuckstück gewesen. Was war mit dieser Adligen, wahrscheinlich einer Prinzessin, geschehen? Hatten die Maahks sie umgebracht? Ich konnte mich nur noch mühsam beherrschen. Unauffällig schob ich das Bruchstück der Brosche in die Außentasche mei-
Experimente auf Skrantasquor ner Bordkombination zurück, dann trat ich an die Innenmikrophone der Kammer. Eine Weile zögerte ich noch, dann rief ich: »Ich verlange den Grek-1 dieses Stützpunktes zu sprechen! Wenn jemand mich hört, soll er das dem Grek-1 ausrichten!« Ob mich jemand gehört hatte, wußte ich nicht, denn ich konnte keinen Maahk sehen. Ich wußte nicht einmal, ob das Kommunikationsgerät eingeschaltet war – und wenn, ob der Translator ebenfalls aktiviert war. Ruhelos ging ich in der Unterdruckkammer auf und ab. Zu meinem eigenen Erstaunen verspürte ich nicht die geringste Furcht, obwohl ich mich doch in der Gewalt der Todfeinde meines Volkes befand. Meine einzige Sorge galt der adligen arkonidischen Gefangenen und ihrem Schicksal. Für eine Frau mußte es sehr viel schlimmer sein als für einen Mann, von monströs aussehenden Wasserstoffatmern eingesperrt, verhört und vielleicht gefoltert zu werden. Bei dem Gedanken an Folter blieb ich ruckartig stehen. Wie hatte doch der Grek-1 von Skrantasquor zu mir gesagt? Wir werden Ihnen selbstverständlich nicht mehr zusetzen, als im Interesse einer wahrheitsgemäßen Aussage erforderlich ist. Wie vereinbarte sich das mit meiner Vorstellung von grausamen Folterungen, die die Gefangene bei den Maahks erleiden mußte? Überhaupt nicht! meldete sich der Logiksektor meines Extrahirns. Streng logisch denkende Lebewesen quälen ihre Gefangenen nicht. Sie können zwar körperliche Mißhandlungen zur Brechung des geistigen Widerstands anwenden, aber einzig und allein zu diesem Zweck und nicht über das erforderliche Maß hinaus, denn gefühlskalte Lebewesen wie die Maahks empfinden keine Befriedigung bei der Mißhandlung von Gefangenen. Ich wurde sehr nachdenklich. Wenn die Maahks von ihrer Mentalität her gar nicht in der Lage waren, jemanden zur Befriedigung eigener perverser Gelüste
45 zu foltern und zu quälen, waren sie dann nicht viel humaner als wir Arkoniden? Wenn ich an den Blinden Sofgart, einen Arkoniden, dachte, der Tausende aus purer Lust hatte zu Tode quälen lassen, dann mußte ich notgedrungen meinem eigenen Volk eine schlechtere Zensur in Moral und Ethik erteilen als dem Volke der Maahks. Andererseits war ich ein Arkonide und hatte die Pflicht, die Interessen meines Volkes wahrzunehmen – und als Kristallprinz und künftiger Imperator des Reiches durfte ich mich nicht von moralischen Wertungen leiten lassen, sondern einzig und allein davon, daß die Maahks die Todfeinde des Großen Imperiums waren und deshalb mit allen Mitteln bekämpft werden mußten. Ich holte tief Luft und nahm eine stolze Haltung ein, als ich eine kleine Gruppe Maahks aus einem Schott treten sah. Die Maahks kamen auf meine Unterdruckkammer zu, und obwohl ich bisher gedacht hatte, ich könnte keine zwei Maahks voneinander unterscheiden, war ich mir plötzlich sicher, daß der eine Maahk der Grek-1 Skrantasquors war, der mich zuerst verhört hatte. Vor meiner Kammer blieben die Maahks stehen. Derjenige, den ich für den Grek-1 des Stützpunkts hielt, trat zur Kommunikationseinheit und schaltete sie ein. »Hallo, Grek-1!« sagte ich, um den Maahk zu verblüffen. »Woher wissen Sie, daß ich Grek-1 bin, Atlan?« erkundigte sich der Maahk. »Ich dachte immer, Arkoniden könnten keinen Maahk vom anderen unterscheiden.« »Das dachte ich bis vor kurzem auch«, antwortete ich. »Aber als Sie in die Halle kamen, erkannte ich Sie. Ich hoffe, Ihre Verluste waren nicht zu hoch.« »Wir haben zweihundert schwere Kampfschiffe verloren und nichts gegen Ihr Schiff erreicht«, gab der Maahk zu meinem Erstaunen offen zu. »Ich hatte Sie gewarnt«, erklärte ich. »Ja, aber Sie wußten, daß ich nicht auf Ihre Warnung hören, sondern sie für einen
46 Versuch halten würde, uns vom Angriff auf Ihr Schiff abzuhalten«, erwiderte Grek-1. »Sie sind zweifellos Arkonide, aber Ihr Schiff ist völlig anders gebaut als alle arkonidischen Raumschiffe, die wir kennen. Ich nehme an, daß es sich demnach nicht um ein arkonidisches Raumschiff handelt, sondern um das Schiff eines uns noch unbekannten Volkes. Wie heißt dieses Volk?« Ich überlegte, ob ich den Maahks den Namen von Ischtars Volk verschweigen sollte, kam aber zu dem Schluß, daß es dafür keinen zwingenden logischen Grund gab. Es würde den Maahks nichts nützen, wenn sie wußten, gegen wen sie eine Raumschlacht verloren hatten. Aber wenn ich schwieg, handelte ich mir nur Nachteile ein. »Nennen Sie mir den Namen der arkonidischen Gefangenen, die vor mir diese Unterdruckkammer bewohnte«, erklärte ich. »Dann verrate ich Ihnen den Namen des Volkes, das das Doppelpyramidenschiff erbaute.« »Das ist ein arrogantes Ansinnen, das Sie zurückweisen sollten, Grek-1!« warf ein anderer Maahk ein. »Wollen Sie mir Vorschriften machen, Grek-4?« entgegnete der Grek-1 des Stützpunkts. Er wandte sich wieder an mich. »Ich hätte es nicht nötig, Ihnen irgendwelche Auskünfte zu geben, Atlan«, erklärte er. »Dennoch will ich Ihnen verraten, daß die Gefangene sich Prinzessin Crysalgira nannte.« Ich schloß für einen Moment die Augen. Der Name war mir nicht unbekannt. Prinzessin Crysalgira gehörte zur Familie derer von Quertamagin, die neben den Familien derer von Gonozal und Orbanaschol eine der reichsten und einflußreichsten des Großen Imperiums war. Aber wie war Prinzessin Crysalgira in die Gefangenschaft der Maahks geraten? Die Vertreter der höchsten Adelsfamilien sorgten dafür, daß ihre Söhne und Töchter sich nicht unnötig in Gefahr begaben. Zwar dienten viele ihrer erwachsenen Söhne aktiv
H. G. Ewers in der Raumflotte des Imperiums und kämpften in diesen Rollen auch gegen die Maahks, aber die Töchter wurden gerade deshalb besonders gut behütet. »Befand sich Prinzessin Crysalgira in dem kleinen Kugelraumschiff, das in einem Ihrer Hangars steht?« erkundigte ich mich. »Ich habe Ihnen den Namen der Gefangenen genannt, Atlan«, entgegnete Grek-1. »Nennen Sie mir nun den Namen des Volkes, das das Doppelpyramidenschiff erbaute!« Ich mußte lächeln. Der Maahk verstand sein Geschäft. Er ließ sich nicht mehr Informationen entlocken, sondern bestand auf der Erfüllung meiner Verpflichtung. Doch das war nur gerecht. »Es handelt sich um das Volk der Varganen«, antwortete ich. »Ihre Königin Ischtar ist mit mir befreundet.« Diese Antwort mußte den Maahks zu denken geben, wenn sie noch nie etwas vom Volk der Varganen gehört hatten – und das war kaum möglich, da dieses Volk schon lange nicht mehr existierte, von Ausnahmen wie Ischtar abgesehen. Grek-1 reagierte tatsächlich so, wie ich es vorausgesehen hatte. Er schaltete die Kommunikationseinheit ab, damit er sich mit den anderen Greks besprechen konnte, ohne daß ich mithörte. Ich wartete geduldig – und ich war optimistisch, was meine eigene Zukunft anging. Zumindest würden die Maahks mich nicht töten, da ich über Informationen verfügte, die sie brennend interessieren mußten.
* Als die Maahks ihr Gespräch beendet hatten, schaltete Grek-1 die Kommunikationseinheit wieder ein und sagte: »Verstehen Sie unter der Freundschaft zwischen Ihnen und der Königin der Varganen eine Liierung zum Zwecke der Fortpflanzung, Atlan?« Zuerst wollte ich über die gestelzte Aus-
Experimente auf Skrantasquor drucksweise des Maahks lachen, doch wurde mir im nächsten Moment klar, daß sich ein Maahk gar nicht anders ausdrücken konnte. Diese gefühlsarmen Logiker wußten wahrscheinlich nicht einmal, was sexuelle Lust war. Folglich konnten sie die Vereinigung von Wesen verschiedenen Geschlechts nur unter dem Gesichtspunkt der Fortpflanzung betrachten. »Nein«, antwortete ich – und hatte damit nicht einmal gelogen, denn was immer Ischtar auch von sich aus wollte, für mich war der Sinn unserer Verbindung nicht der, mich fortzupflanzen. Das verwirrte den Maahk offensichtlich, denn er suchte lange nach den richtigen Worten. »Ich nehme an, Sie haben bewußt die Unwahrheit gesagt«, meinte er schließlich. »Das wird sich herausstellen, sobald wir Ischtar auffordern, sich uns zu ergeben, damit wir Sie nicht töten.« Ich lachte, obwohl mir nicht zum Lachen zumute war. »Ischtar wird sich nicht erpressen lassen«, erklärte ich. »Sie kann Ihren Stützpunkt vernichten, wenn sie will, und sie wird auf mich keine Rücksicht nehmen, weil ihre Rache ihr wichtiger sein wird als mein Leben.« Ich war nicht sicher, ob das zutraf. Es konnte durchaus sein, daß Ischtar alle Forderungen der Maahks erfüllte, um mein Leben zu retten. Doch das brauchten die Maahks nicht zu wissen. Aber ich wollte unbedingt noch erfahren, was aus Prinzessin Crysalgira geworden war. Ich stellte eine entsprechende Frage. Grek-1 zögerte, und ich fürchtete schon, die Maahks hätten die Prinzessin umgebracht. Doch da erklärte der Maahk: »Wir haben mit der Gefangenen ein Experiment durchgeführt, Atlan. Leider darf ich Ihnen nicht verraten, welcher Art dieses Experiment war und was das für ein Gerät ist, das wir benutzten.« Mir ging plötzlich ein Licht auf.
47 »Etwa Ihr Molekularverdichter?« fragte ich. Die Maahks wurden unruhig. Sie zeigten tatsächlich Ansätze von Gefühlen, ein Zeichen dafür, daß ich mit meiner Vermutung ins Schwarze getroffen hatte und daß sie erschüttert darüber waren, daß ich ihr Geheimnis kannte. »Es wäre sinnlos, es abstreiten zu wollen«, erklärte ich. »Ich weiß, daß Ihre neueste Waffe, der Molekularverdichter, hier auf Skrantasquor entwickelt wurde. Haben Sie etwa die Prinzessin verkleinert?« Wieder schaltete Grek-1 die Kommunikationseinheit aus, damit sich die Maahks besprechen konnten, ohne daß ich mithörte. Nach einiger Zeit aktivierte er das Kommunikationsgerät wieder. »Sie wissen sehr viel, Atlan«, sagte er. »Es handelte sich tatsächlich um den Molekularverdichter, den wir an Prinzessin Crysalgira erprobten. Wir versuchten, mit diesem Experiment herauszufinden, wohin unser Wissenschaftler Grek-3 verschwunden war, der sich einem Selbstversuch mit dem Molekularverdichter unterzogen hatte. Leider erfüllten sich unsere Erwartungen nicht. Die Gefangene konnte zwar noch einige Zeit, nachdem sie optisch nicht mehr wahrnehmbar war, mit Hilfe von Massedetektoren angemessen werden, doch dann verschwand ihre Masse so spurlos wie die von Grek-3.« »Das hätte ich Ihnen vorher sagen können, wenn Sie mich gefragt hätten, Grek-1«, erklärte ich mit dem stillen Triumph des Wissenden dem Unwissenden gegenüber. »Warum?« fragte der Maahk. »Aus welchem Grund glauben Sie, Bescheid zu wissen, was mit Personen geschieht, die mit dem Molekularverdichter bestrahlt werden?« Ich lächelte. Wahrscheinlich wurde ich vom Teufel geritten, aber ich fühlte den Drang, den Maahks mein Wissen in die ausdruckslosen Gesichter zu schleudern. »Darum, weil ich im Trantagossa-System unter den Einfluß Ihres Molekularverdich-
48 ters geraten war«, antwortete ich wahrheitsgemäß. »Ich kenne die Wirkung Ihrer neuesten Waffe also aus eigener Erfahrung. Sie konnten weder die Masse Ihres Grek-3 noch die von Prinzessin Crysalgira im Meßbereich der Massetaster behalten, weil die verkleinerten Körper von einem bestimmten Augenblick an in einen Mikrokosmos fallen, der nicht zu unserem Kontinuum gehört.« Die Haltung der Maahks versteifte sich. Es war mir völlig klar, daß sie mir meine Geschichte nicht abnahmen. Ich hätte sie ebenfalls niemandem abgenommen, wenn ich sie nicht selbst erlebt hätte. »Es gibt Lügen, die sich selbst entlarven, Atlan«, erklärte Grek-1 schließlich. »Ihre Lüge war eine solche. Sie würden nicht hier stehen, wenn Sie unter dem Einfluß eines Molekularverdichters gestanden und in ein anderes Kontinuum geraten wären.« »Sie glauben mir also nicht?« fragte ich lauernd. »Wenn Sie logisch denken können – und ich weiß, Sie können es –, dann wissen Sie selbst, daß ich Ihnen nicht glauben kann, Atlan«, erwiderte der Maahk. »Die Tatsache, daß Sie völlig normal hier stehen, beweist allein schon, daß Sie hinsichtlich Ihres Verschwindens in ein anderes Kontinuum gelogen haben. Ich gestehe Ihnen zu, daß diese Lüge nicht eines gewissen intellektuellen Reizes entbehrt, aber sie kann natürlich nicht Gegenstand einer wissenschaftlichen Diskussion sein.« »Und wenn ich den Beweis für meine Behauptung antrete?« erkundigte ich mich. »Das können Sie nicht, Atlan«, entgegnete Grek-1. »Und ob ich das kann!« trumpfte ich auf. »Versprechen Sie, mir und Prinzessin Crysalgira die Freiheit zu geben, wenn es mir gelingt, sie und Grek-3 aus dem Mikrokosmos zurückzuholen?« Grek-1 überlegte nicht lange. Seiner Meinung nach konnte ich meine Ankündigung niemals wahrmachen, also gab es für ihn keinen Grund, nicht auf mein Spiel einzugehen.
H. G. Ewers »Ich verspreche es, Atlan«, antwortete er. »Sind Sie bereit, sich mit dem Molekularverdichter bestrahlen zu lassen? Aber, bevor Sie zustimmen, bedenken Sie, daß es von ›dort‹ kein Zurück gibt!« »Ich bin schon einmal zurückgekehrt«, erwiderte ich. »Es ist zwar nicht leicht, aber es ist auch nicht unmöglich. Sie können mich mit dem Molekularverdichter bestrahlen.« Diesmal schien Grek-1 in seiner Überzeugung, ich hätte ihn angelogen, schwankend zu werden. Wieder beriet er sich mit seinen Artgenossen, bevor er sich erneut an mich wandte. »Der Handel gilt«, erklärte er. »Wenn es Ihnen gelingt, die Prinzessin und Grek-3 zurückzuholen, wo immer sie sich befinden, erhalten Sie und die Prinzessin die Freiheit. Sind Sie damit einverstanden, daß wir bei Ihnen eine stärkere Bestrahlung vornehmen als bei Prinzessin Crysalgira?« »Aus welchem Grund?« erkundigte ich mich. »Der Schrumpfungsvorgang würde sonst Tage dauern, Atlan«, erklärte Grek-1. »Wir wollen ihn möglichst stark beschleunigen.« Nun, auch ich war nicht daran interessiert, tagelang allmählich vor mich hinzuschrumpfen. Deshalb sagte ich: »Einverstanden, Grek-1. Bis bald!« Der Maahk erwiderte nichts darauf. Dafür salutierte er unverhofft nach der Art arkonidischer Raumsoldaten. Damit wollte er mir offenbar seinen Respekt bekunden – vielleicht sogar seine Sympathie. Kurz darauf zogen er und seine Artgenossen sich zurück. Eine Maschine rollte in den Saal. Ich spürte ein starkes Prickeln auf der Haut. Und schon wenige Minuten später merkte ich, daß meine Sachen mir zu weit wurden …
* Ich wollte es eigentlich nicht, doch ich konnte nicht anders. Ich mußte dem Mut dieses Arkoniden, der sich Atlan nannte,
Experimente auf Skrantasquor meinen Respekt bezeigen. Es war nicht nur, daß er nicht die geringste Furcht gezeigt hatte, als er sich als unser Gefangener sah. Ich konnte das beurteilen, denn die meisten der Arkoniden, die ich als Gefangene gesehen hatte, waren von jenem unvernünftigen Gefühl befallen gewesen, das sie Furcht nannten. Atlan hatte sogar eine geistige Überlegenheit uns gegenüber herausgespielt, was anfangs von den anderen Greks als typisch arkonidische Arroganz beurteilt worden war. Doch meine Einschätzung war richtig gewesen. Nicht Arroganz, sondern sein Wissen hatte Atlan dazu veranlaßt, mit uns eine Art intellektuelles Spiel zu treiben, um sein Ziel zu erreichen. Er hatte sein Ziel tatsächlich erreicht, weil er darauf gebaut hatte, daß wir seine Erklärungen als unglaubhaft ansehen mußten und deshalb niemals damit rechneten, daß wir unser Versprechen einzuhalten brauchten. Schließlich erschien es bei logischer Überlegung völlig unwahrscheinlich, daß jemand, der durch den Molekularverdichter zu mikroskopischer Kleinheit schrumpfte, diesen Prozeß aktiv umkehren könnte und noch dazu andere geschrumpfte Lebewesen zurück in die Normalität brachte. Die anderen Greks wollten noch immer nicht daran glauben. Ich jedoch ahnte, daß dieser Arkonide genau gewußt hatte, wovon er redete, als er behauptete, schon einmal verkleinert worden und in einen Mikrokosmos gestürzt zu sein und sich daraus gerettet zu haben. Atlan war anders als alle anderen Arkoniden, die ich bisher kennengelernt hatte. Ich mußte mir eingestehen, daß diese Bewertung nichts mit Logik zu tun hatte, sondern daß sie etwas war, das man entweder spürte oder nicht. Obwohl das meinem Hauptprinzip – und dem aller Maahks – widersprach, hielt ich daran fest. Vielleicht deshalb, weil Atlan uns davor gewarnt hatte, sein Schiff anzugreifen, und weil sich diese Warnung als gerechtfertigt herausgestellt hatte.
49 Schließlich war es einmalig in der langen Geschichte meines Volkes, daß von dreihundert unserer schwersten Kampfschiffe beim ersten Angriff auf ein kleineres fremdes Raumschiff gleich zweihundert Einheiten vernichtet worden waren. Wie weit mußte die Technologie der Varganen, denen dieses Raumschiff nach Atlans Aussage gehörte, unserer Technologie und der der Arkoniden voraus sein! Ich warf einen Blick in die Unterdruckkammer und sah, daß der Arkonide sich seiner Kleidung entledigte, die ihm, weil er zusehends schrumpfte, bald mehr als hinderlich geworden wäre. Bei ihm war nichts von der Panik zu bemerken, die Prinzessin Crysalgira angesichts ihrer Verkleinerung befallen hatte. Ein Beweis dafür, daß seine Behauptungen stimmten? »Ein Hyperfunkanruf für Sie, Grek-1!« ertönte eine Stimme aus einem der Hallenlautsprecher. »Ein weiblicher Humanoide namens Ischtar.« Ich hatte das Gefühl, von einem starken Stromstoß durchfahren zu werden, als ich den Namen Ischtar hörte. Ischtar, so hatte Atlan seine Freundin, die angebliche Königin der geheimnisvollen Varganen, genannt! Ich rannte los und erreichte die Hyperfunkzentrale noch weit vor den anderen Greks, die mir gefolgt waren. Der große Bildwürfel inmitten der Zentrale war hell und zeigte das Abbild eines weiblichen Humanoiden mit goldfarbener Haut. Ansonsten sah dieses Wesen wie eine Arkonidin aus, was mich ein wenig enttäuschte. Dennoch zögerte ich nicht, die Kommunikation aufzunehmen. »Ich bin Grek-1!« sagte ich. »Der Grek-1 von Skrantasquor?« fragte Ischtar. Der zwischengeschaltete Translator übersetzte. »Das ist richtig«, bestätigte ich. »Sie sind Ischtar, die Königin des Volkes der Varganen?«
50 »Das ist ebenfalls richtig«, antwortete Ischtar. »Und nun hören Sie mir genau zu, denn ich werde nichts wiederholen, Grek-1! Der Krieg zwischen Ihrem Volk und dem Volk der Arkoniden geht mich nichts an. Ich beabsichtige nicht, zugunsten einer der beiden Seiten einzugreifen. Zwar helfe ich Atlan, doch das hat rein persönliche Gründe. Sie haben vor kurzem beim Angriff auf mein Raumschiff dreihundert Einheiten eingesetzt und zweihundert verloren. Das dürfte Ihnen gezeigt haben, daß meine Waffen den Ihren hoch überlegen sind. Ich werde diese überlegenen Waffen einsetzen und Skrantasquor vernichten, wenn Sie den Arkoniden Atlan nicht innerhalb einer Frist, die zehn arkonidischen Stunden entspricht, herausgegeben haben. Schicken Sie ihn mit einem unbewaffneten Beiboot zu mir. Ich garantiere dem Boot und seiner Besatzung freies Geleit. Sobald Atlan sich unversehrt bei mir befindet, haben Sie nichts mehr von mir zu befürchten. Antworten Sie!« Ich glaubte der varganischen Königin jedes Wort – und ich war sicher, daß sie die Möglichkeit besaß, ihre Drohung wahrzumachen, Skrantasquor zu vernichten. Das mußte ich verhindern, denn dieser Stützpunkt war zu wichtig für unseren Kampf gegen die Arkoniden, als daß ich ihn leichtfertig der Vernichtung preisgeben durfte. Doch wie sollte ich Ischtars Bedingung erfüllen, wenn der Gefangene, dessen Auslieferung sie forderte, schneller schrumpfte, als wir ihn zu ihr transportieren konnten? »Ich kann Ihre Forderung nicht erfüllen, Ischtar«, erwiderte ich. »Zwar ist Atlan unser Gefangener, aber er hat sich freiwillig einem Experiment unterzogen, das ich nicht rückgängig machen kann.« »Sie haben ihn mit dem Molekularverdichter bestrahlt?« fragte die Varganin außergewöhnlich heftig. »Das werden Sie mir büßen!« »Er hat mich darum gebeten«, erklärte ich. »Es war ein Geschäft. Atlan erhält von
H. G. Ewers uns seine Freiheit zurück, wenn es ihm gelingt, die arkonidische Prinzessin Crysalgira und unseren Wissenschaftler Grek-3 aus dem Mikrokosmos zurückzubringen. Er hat behauptet, er könnte das schaffen.« »Wenn das stimmt, hat ihn wieder einmal der Teufel geritten!« entgegnete Ischtar. »Aber erst einmal müssen Sie mir beweisen, daß es stimmt, Grek-1!« »Warten Sie etwas, Ischtar«, sagte ich. »Ich sorge für eine Überspielung der Geschehnisse. Wenn Atlan noch nicht zu klein dazu ist, können Sie sogar mit ihm sprechen. Würde Ihnen das als Beweis genügen?« »Ja!« erklärte die Varganin. »Ich warte, aber nicht lange!« Ich wußte, daß wir nicht mehr viel Zeit hatten. Deshalb gab ich den anderen Greks gegenüber keine Erklärungen ab, sondern erteilte lediglich Befehle, über deren Dringlichkeit ich allerdings keine Zweifel aufkommen ließ. Vielleicht gelang es uns, die Varganin Ischtar davon zu überzeugen, daß ich die Wahrheit gesagt hatte. Endlich hatte ich die letzten, viel zu weiten Kleidungsstücke abgestreift. Die Strahlungsdosis aus dem Molekularverdichter mußte wirklich sehr hoch gewesen sein, denn ich war innerhalb einer Stunde schon auf die Hälfte meiner Normalgröße geschrumpft, was bei meinem Abenteuer an Bord des Skorgons Tage gedauert hatte. Damit ich nicht völlig nackt im Mikrokosmos ankam, nahm ich mein Halstuch, riß es auseinander und zog einen Faden heraus, den ich mit bloßem Auge kaum sehen konnte. Vielleicht war er dünn genug, daß ich ihn, sobald ich mikroskopisch klein war, noch mehr zerreißen und mir eine Art Lendenschurz daraus fertigen konnte. Ich blickte auf, als draußen in der Halle plötzlich viele Maahks durcheinanderliefen. Sie schienen durch etwas aufgestört zu sein. Plötzlich kam Grek-1 bei meiner Unterdruckkammer an. Infolge meiner Kleinheit wirkte der ohnehin große Maahk gigantisch. Er schaltete die Kommunikationseinheit
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an und betätigte einen Manipulator. Die Innenmikrophone senkten sich an ihren Kabelsträngen so weit herab, daß ich bequem hineinsprechen konnte. Andere Maahks stellten ein Hyperfunkgerät vor der Kammer auf und auf dem Bildschirm erschien Ischtars Gesicht. »Auf was hast du dich eingelassen, Atlan?« ertönte die Stimme der Varganin. Ich winkte lächelnd und antwortete: »Keine Sorge, Geliebte! Ich werde dem Mikrokosmos einen weiteren Besuch abstatten. Dafür erhalte ich von den Maahks die Freiheit zurück. Ich brauche ihnen nur ihren Wissenschaftler Grek-3 zurückzubringen.« »Und wie ist es mit Prinzessin Crysalgira?« fragte Ischtar kalt, aber innerlich kochend. Ich unterdrückte ein Grinsen. Meine Goldene Göttin wurde von Eifersucht geplagt. Das konnte mir nur recht sein. Es würde mir helfen, wenn ich wieder etwas von ihr brauchte. »Ich kenne die Prinzessin nicht«, erklärte ich. »Aber ich werde sie selbstverständlich retten, wenn ich sie ›drüben‹ finde. Immerhin ist sie eine hochgestellte arkonidische Adlige aus angesehener und einflußreicher Familie.« »Ich traue dir nicht«, erwiderte Ischtar.
»Es wird besser sein, wenn ich mich ebenfalls verkleinern lasse und dir folge.« »Das wäre zu riskant, Ischtar«, sagte ich und blickte an mir herab. Dabei stellte ich fest, daß der Schrumpfungsprozeß sich immer mehr beschleunigte. Als ich wieder aufblickte, hingen die Mikrophone hoch über mir. »Ich warte auf dich, Atlan!« hallte es laut. »Bis bald!« rief ich mit aller Stimmkraft zurück. Ich bezweifelte jedoch, daß Ischtar mich noch hörte, denn ich war inzwischen so klein geworden, daß der Boden der Unterdruckkammer mir wie eine Geröllwüste vorkam. Berge wölbten sich empor, tiefe Täler taten sich auf. Inzwischen mußte ich mit bloßem Auge schon nicht mehr sichtbar sein. Ich marschierte in ein langgestrecktes Felsental hinein, dessen Wände zusehends höher wurden. Nicht mehr lange, und ich würde wieder in den Mikrokosmos stürzen. Wo würde ich wohl diesmal herauskommen – was würde ich erleben …?
ENDE
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