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STUDIEN ZUR GESCHICHTE UND KULTUR DES ALTERTUMS Neue Folge t. Reihe: Monographien
Im Auftrag der Görres-Gcsel...
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STUDIEN ZUR GESCHICHTE UND KULTUR DES ALTERTUMS Neue Folge t. Reihe: Monographien
Im Auftrag der Görres-Gcsellschaft herausgegeben von HEINRICH CHANTRAINE, Tom HACKENS, HANS JORGEN TSCHlEDEL U. ÜTIO ZWIERLEIN
17. Band
2001
Ferdinand Schäningh Paderborn . München' Wien' Zürich
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BERNHARD GEORG
Exegetische und schmückende Eindichtungen im ersten Properzbuch
2001
Ferdinand Schäningh Paderborn' München' Wien' Zürich
PVA
2001. 2708
TiuLrbbilJlmg: Hylas und die Nymphen Marmor-Puteal aus Ostia, litte 2. Jh. n. ehr., Gipsabguß, Kopcnhagen Thorvaldsens Museum L 298. Phow: Jooals
Die Deutsche Bibliotllek - CI P-Einheitsaufnahme
Georg. Bernhard: Exegetisch.: \.on
194 195 195 196 196 197 198 198
Schluß
199
Bibliographie
20 1
Stellenindex
204
OOO~5~53
Einleitung
I. Der Zustand des Properztextes und der echtheitskritische Ansatz "Properzens Elegien sind uns in einem Zustand überliefert, dessen überaus starke Verdorbenheit eine längst erkannte und lAngst allgemein anerkannte Tatsache ist. Ebenso hat seit den Tagen Scaligers die Einsicht weitestgehende Billigung gefun· den, daß die Verderbnis nicht nur den Wortlaut ergriffen hat, sondern auch den Versbestand und die Versfolge, kurz, den Context. Bei dieser Lage sah sich die philologische Kritik, sogar die konservative Kritik, von jeher gezwungen, hier mit einschneidenden Mitteln Wandel zu schafTen: zahlreiche LOcken hat man angesetzt, zahllose Versversetzungen hat man vorgenommen, an irrtOmlich in den Text gedrungene Doppelfassungen von des Dichters eigener Hand hat man gedacht." Mit diesen Worten hat Knoche 1936 in einem rur die Properzkritik bahnbrechen· den Artikel l treffend den desolaten Zustand des Properztextes und die verzweifelten Versuche charakterisiert, der Probleme Herr zu werden. Angesichts dieser Lage erscheint es ihm merkwürdig, daß "bisher nur wenige der sorgfältigen Interpreten mit Versinterpolationen im Properztext gerechnet" haben. Sonst sei die Annahme von Interpolationen in fast allen umfangreicheren Texten der griechischen oder lateinischen Literatur eine Selbstverständlichkeit. Von dieser Festslellung ausgehend hat Knoche den bis heute allgemein anerkannlen Nachweis erbracht, daß Prop. 4, 5, 55f. interpoliert ist 2 , Damit hat er "der Propcrzinterpretation das methodische Recht" wiedergegeben, "Stellen, die sonst durch keines der anerkannten kritischen Minel befriedigend herzustellen sind, durch Ausmerzung des hybriden Gewächses zu heilen"l, Bereits ein Jahr vor Knoche hat Jachmann einen Vorstoß in die gleiche Richtung unternommen. In einer Abhandlung, die vornehmlich mit Interpolationen in Prop. 2, 15 befaßt ist, erklärt er, man tue dem Properz Unrecht, wenn man ihm Ausdrucksweisen zutraue, "die an Unbeholfenheit, Verschrobenheit, Dunkelheit Die hier zilienen Ausschnitte S. Sr. 1 Selbsl Goold. einer der bezüglich der Echtheitsrrage konservalivsten Properzkriliker, übemimml in seiner Ausgabe die Tilgung dieses Distichons. } Knoche, S. 11, I
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Exegetische und schmückende Eindichtungen im ersten Propcrzbuch
das Erdenklichste leisten". Wo immer die Erklärer zu Geständnissen genötigt seien wie ",die Worte lassen sich rur uns nicht mit voller Sicherheit erklären' oder ,die Worte sind kaum noch verständlich' (Rothstein zu 3, 7, 22. 49)", da dürfe man überzeugt sein, "nicht Properz, sondern einen Interpolator zu vernehmen',4. In der bisherigen Forschung sind diese Äußerungen von Jachmann und Knoche auf wenig Resonanz gestoßen. Die Gründe fur die mangelnde Popularität der Intcrpolationshypothese hat in jüngerer Zeit TarTant, auf dessen Ausfllhrungen ich im folgenden zurückgreife~, dargelegt. "For several decades in the mid-nineteenth century being a ,scientific' critic meant being a skeptical one, quick to doubt the reliabiliry of our transmitted texts both in details of wording aod in larger malters of form aod authorship ... Editors produced texts in wh ich literally thousands of lines of Greek and Latin poetry were deleted, secluded, damned, or otherwise branded as spurious. Then, in the 1880s and 1890s, the tide of scholarly opinion abruplly turned, and a reverence for the transmitted text ... became the mark of a (rue critic (11, S. 121f.)... In CUrTent editorial scholarship as a whole... interpolationist criticism even in modified fonn is distinctly a minority pursuit... (Il, S. 123)." Ursache für die massive konservative Gegenbewegung seit dem Ende des 19. Jahrhunderts ist nach Tarrant der mangelhafte wissenschaftliche Anspruch, mit dem die Verfechter der Interpolationshypothese im 19. Jahrhundert auftraten: "For the most part they were content to denounce the lines they excised as inept, illogical, unworthy ofthe author, or, in extreme cases, merely inessential (11, S. 124)." Der einzige feste Zug, den sie dem Interpolator hätten zuschreiben können, sei "a mischievous or malevolent urge to deceive" (I, S. 283). Tarrant ist sich der Gründe, weshalb der echtheitskritische Ansatz in Mißkredit geraten ist, sowie auch der denkbaren Vorbehalte gegenüber demselben wohl bewußt, stellt seine Berechtigung aber gleichwohl nicht in Frage: Die Athetese könne einem Spiel ohne Regeln gleichen oder bestenfalls einem, in dem die Regeln nur dem Kritiker bekannt seien. Dieser Eindruck von Willkür sei zu einem gewissen Umfang zutreffend, da Echtheitskritik, wie Textkritik im allgemeinen, nicht nach Anwendung von Regeln vorgehe, sondern nach persönlichem Urteil. Jedoch: "When carried out with knowledge and tact it can resemble connoisseurship (1, S. 281 r.)." Bevor ich diesen von Tarrant hier gewiesenen Weg weiterverfolge, will ich kurz darlegen, weshalb mir der echtheitskritische Ansatz geeigneter erscheint, eine Rei· he von Schwierigkeiten im Properztext zu lösen, als die heute üblichen, eher ,tradilionellen' Methoden der Textkritik. Vertreter dieser herkömmlichen Methoden sind meist bemüht, den Text in seiner Grundsubstanz zu erhalten. Goold etwa, dessen Properz, wie zu Recht geäußert ~ J
Jachm:mn, S. 204. Die Seilenangaben zu den Zitaten aus Tarrnnt (I) und (11) finden sich in Klammem im Haupttcxt.
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Einleitung
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wird 6 , zur Zeit immerhin der beste ist, hält nur zwei Distichen rur interpolien'; er nimmt dafür allerdings um der Lesbarkeit seines Textes willen eine große Zahl von Einzelkonjekturen und Umstellungen von Versen - mitunter sogar über Buchgrenzen hinweg - in Kauf1 Auch Heyworth, der eine neue Properzausgabe vorbereitet, läßt eine ähnliche Haltung erkennen, wenn er bemerkt: "We mayaiso suspect that non-Propenian matcrial has entered the corpus; but though there are clearly couplcts Propenius cannot have written in their present position or condition, there scems linie that he could not have written at all.,>3 Angesichts seiner Zuruckhahung gegenüber der Athetese als Heilmittel ist es höchst bemerkenswen, daß Hcyworth sich andererseits leicht vorstellen kann, daß das zweite Propcrzbuch eine Verschmelzung von ursprünglich zwei Büchern ist, und daß einige hunden Verse aus diesen beiden Büchern verlorengegangen sind9 ! Das beständige Ansetzen von Lücken, das in extremer Weise von Richmond betrieben wurde und mit dem auch in Heywonhs bevorstehender Properzausgabe zu rechnen ist, sowie die zahlreichen Versetzungen ganzer Versblöcke, für die Goold eintritt, sind nicht nur ähnlich schwerwiegende Eingriffe in den ilberlieferten Text wie die Annahme von Eindichtungen, sondern scheinen vor allem sehr viel willkürlicher und weniger leicht einsichtig zu machen als diese. Denn für jene ,mechanischen' Fehlcrtypen läßt sich in der Regel keine Ursache benennen, noch kann der Inhalt des in einer Lücke verlorenen Versgutes einigermaßen sicher bestimmt werden. Wer hingegen nach Eindichtungen Ausschau hält, ist bereits durch die Natur seines Ansatzes gehalten, seine Hypothesen wohldurchdacht und überzeugend darzutun. Er wird stets einen möglichen Grund fur die Eindichtung anzuruhren sowie nachzuweisen versuchen, daß der um die angenommenen Zusätze verkürzte Text der ursprüngliche zu sein scheint. Weil er nicht von einer schicksalsbedingten, sondern von einer intendienen, also nach gewissen Regeln erfolgten, Abänderung des Originals ausgeht, wird er auch imstande sein, die Eindichtungen zu systematisieren, damit zugleich die Konturen ihres Autors deutlich herauszustellen und SO schließlich erreichen, daß sich die einzelnen Interpolationshypothesen gegenseitig stülZen. Bis Jetzt ist von denjenigen, die einzelne Stellen in Properz für unecht erklän haben I , eine solche systematische Erfassung der Eindichtungen nicht geleistet 6 1
• ,
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Vgl. J. L. Butrica, Phoenix 46, 1992,273-276. Außer den von Knoche getilgten Versen 4, 5, 55f. sieht er nur noch (mit Jaeob) die Verse 3,7, 23f. als unecht an. In der soeben erschienen Arbeit von Zwierlein wird dagegen das ganze vierte Elegienbuch nach dem Vorgang von C. Heimreich dem Propcrz abgesprochen; siehe Zwierlein, S. 7, Anm. I und das Stellenregister. Heyworth (11), S. 171. Heyworth (11), S. 165. Daß der überlieferte Properztext gegenüber dem Original möglicherweise Lücken enthalt, soll nicht gnmdslitzlich bestritten werden. Im asten Ploperzbuch etwa ließe sich gegebenenfalls vor dem abrupten Beginn der 17. Elegie mit er merita Textausfall vermuten. Aus jOngster Zeit ist hier Günther zu nennen. In seinen Quaestiones Propertiantu beabsichtigt er nach seinen eigenen Worten ..to revive the most infamous approaches to Propertian textual eriticism ... wholesale verse transposition and the search for interpolations" (S. VII). Mit Recht erklart er: ,,'Interpolationsforschung' still waits to become a major trend in Propertian scholarship" (S. VII, Anm. I). Er hält indes das Ausmaß von lnll:erpola-
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Exegetische und schmOckende Eindichtungen im ersten Properzbuch
worden. Wie ich im nächsten Abschnitt deutlich machen will, steht ihr nach Tarrants wichtigen Untersuchungen zu den Ursachen rur das Entstehen von Interpola· tionen nunmehr nichts mehr im Weg.
11. Methodische Grundlagen einer echtheitskritischen Untersuchung Die frOhere Interpolationsforschung war wenig darum bemüht, Ursache und Verlauf der Interpolationsgenese zu erhellen. So kann man nach Jachmann "gewisse wiederkehrende Typen von Interpolationen erkennen und ordnend unterscheiden. Andererseits ist eine bestimmte Triebfeder nicht in allen Fällen ersichtlich." Jachmann ist der Ansicht, "daß die Interpolatoren mitunter ganz aus freien Stücken und aus reiner Spielerei ihr Wesen in den Texten trieben: sie erweiterten, sie putzten auf, sie verschönten nach ihren Begriffen von Schönheit"ll. Erst Tarranl hat begonnen, die Komplexität der Interpolationsgenese gründlicher zu untersuchen. Er distanziert sich mit aller Deutlichkeit von den früheren, oberflächlichen Versuchen, die Entstehung von Interpolationen zu erklären, und vertritt vorsichtig einen neuen Ansatz, indem er betont, wichtig rur das Verständnis der Interpolationsgenese sei das Studium des besonderen Verhältnisses zwischen Text und Leser in der Antike, das sich wesentlich von allem unterscheidet, was in unserem Erfahrungsbereich liegt: "Tbe Qverwhelming majority of evident and probable interpolations in Latin poetry can be accounted for without recourse to fraudulent motives (I, S. 284)... Tbe origins of interpolation are not primarily to be 100ked for in the operations of a few unscrupulous deceivers but rather in the ways ancient and medieval readers in general encountered and responded to texts."u Tarrant klassifiziert die Interpolationen entsprechend ihren offensichtlichen Funktionen (11, S. 126, Anm. 16) und unterscheidet drei Kategorien, denen er die Bezeichnungen emendation, annotation und imitation oder collabora/ion gibt (I, S. 284). Emendation und annotation charakterisiert er als
means of dealing with defects or obscurities in a text... the reader who employs it for this end may be said to perfoml the task of an editor or cOlumentator (11, S. 126}". In Ermangelung zuverlässiger Texte sahen sich einzelne Leser dazu veranlaßt, rur sich selbst die Texte zu korrigieren. Wenn möglich, zogen sie zu diesem Zwecke andere Exemplare zum Vergleich heran; oft jedoch mußten sie Abschreibefehler durch eigenhändige Konjektur verbessern. Da, wo der in Frage stehende Fehler in der Auslassung eines oder mehrerer Verse bestand, stellt die Konjektur, vom Standpunkt der modemen Kritik gesehen, eine Interpolation dar (11, S. 127). ,,8
tionen in Propen für begrenzt und glaubt nicht, daß sie der HauplgNnd filr die Textproblerne in Properz sind (5. VIII). 11 Jachmann, 5. 207. n Tarnnt (11), 5. 126. Tanant erwlhnt (11, 5. 130) "the ancienl and medieval (ondness (or casting mnemonic tags, headings, captions, and other periphel1l1 mauer in metrical (orm··.
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Einleitung
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Für die Entstehung von Interpolationen der Kategorie annotation gibt es nach Tarrant auch noch eine andere mögliche Ursache: Die antiken Leser waren nicht nur gehalten, selbst als Herausgeber zu agieren; meist waren sie auch auf ihr eigenes KOnnen angewiesen, wenn es um die Interpretation des Textes ging, den sie lasen. Nur zu wenigen Dichtem, wie etwa zu Vergil und Terenz, gab es vollständige Kommentare, und selbst dann, wenn Scholien existierten, besteht kein Grund zu der Annahme, daß diese Hilfsmittel allen Lesern zur Verfilgung standen. Die Mehrheit der privaten Exemplare enthielt daher wahrscheinlich ein gewisses Ausmaß an Anmerkungen, die hinzugefUgt waren, um Unklarheiten zu erhellen oder einen Bezug zu einer bestimmten früheren Passage herzustellen (11, S. 130). Drei Typen von Interpolationen gehören nach Tarrant zur Kategorie annotation: Glosse, Kommen/ar und Zita/ oder Parallele. Eine Glosse in ihrer einfachsten Fonn erklärt, so Tarrant, die Bedeutung eines ungebräuchlichen Begriffes. Einen Kommen/ar charakterisiert er als eine Notiz, die entweder eine Passage auf ihr Wesentliches reduziert ("a kind of capsu1e summary") oder sonst eine Information liefert, die als nötig oder hilfreich rur das Verständnis einer Passage empfunden wird l }. Zu den Fonnen der dritten Variante, dem Zitat oder der Parallele, erläutert er, sie seien schwierig zu identifizieren, da sie rur gewöhnlich irgendeinen Bezug zu dem Kontext hätten, in dem sie sich fänden, zudem oft vollkommen klassisch in ihrer Diktion und in ihrem Stil seien und da es sehen ein offensichtliches Motiv fUr ihre Eindichrung gebe (11, S. 134f.).
Tarrants AusfUhrungen zur Interpolationskategorie der annotation bilden eine wichtige Grundlage rur eine Typologie det Eindichtungen im ersten Properzbuch. Von noch größerer Bedeutung allerdings ist seine Beschreibung der Kategorie imitation oder co//aboration. lnterpolationen dieser Art zeichnen sich nach seinen Worten aus durch "a desire to prolong, to elaborate, or even to surpass the text whieh inspires it (I, S. 295)". Der Leser habe in diesen Fällen anscheinend die Rolle eines Ko-Autors inne, der den Text revidiere, erweitere oder variiere, und zwar nicht etwa, weil dieser mangelhaft oder unklar erscheine, sondern weil er eine weitere Ausarbeitung gestatte (li, S. 137). Wie bei den Eindichtungen der Kategorie annotation, so unterscheidet Tarrant auch bei denen der Kategorie imitation oder collaboration drei Typen: "Those which smooth a transition or fill an apparent ellipse in the argument or narrative; those which extend, amplify, or heighten a point; and those wh ich add emphasis or weight to a conclusion (11, S. 137)". Vor allem der zweite dieser drei Typen, auch nach Tarrant "by far the most prolifie (U, S. 139r.)", ist im Hinblick auf eine Typologie der Eindichtungen im ersten Properzbuch von Bedeutung.
LU. Ziel und Aufbau der Arbeit Tarrants Überlegungen bilden für die folgende Untersuchung eine wichtige GnmdJage. Denn in ihr wird sich zeigen, daß der Verfasser der Eindichrungen im l)
Für die vOl1lngegangenen Ausftlhrungen zur Kategorie annotation vg1. Tarrant (1), S. 290f.
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Exegetische und schmückende Eindichtungcn im ersten Propcrzbuch
ersten Properzbuch die von Tarrant beschriebenen Wesenszüge eines Editors oder Kommentators sowie eines Ko-Autors aufweist. Daß diese bei den Züge manches gemeinsam haben, liegt auf der Hand. Auf jeder Stufe ihrer Entwicklung dienen exegetische Schriften zur "schönen Literatur" nicht nur der Problemdiskussion und -lösung, sondern auch als Forum rur die Präsentation von erodirio, indem ctwa neu entdeckte Zusammenhänge innerhalb des jeweiligen Werkes oder Parallelen angeflihrt werden. Wenn darum in der Typologie im zweiten Teil dieser Untersuchung die Eindichtungen im ersten Properzbuch in exegetische und solche unterschieden werden, die vorwiegend eine schmückende Funktion besitzen, so sind sie gleichwohl als Erzeugnisse ein und desselben poetisch ambitionierten Exegeten aufzufassen, der den ihm vorliegenden Text teilweise verdeutlichen und erklären, teilweise aber auch ausschmückend erweitern wollte. Die Herauslösung und Klassifizierung der Eindichtungen im ersten Properzbuch ist eines der Ziele dieser Arbeit. Vor allem aber soll gezeigt werden, daß mit der Entfernung der Eindichrungen nicht nur die einzelne Elegie von zahlreichen bislang ungelösten Problemen und Widersprtichlichkeiten frei wird und ihre wirkliche Ausdrucksstärke zurückerhält, sondern auch der geniale Bauplan des gesamten Buches mit seinem komplexen Geflecht von inneren Bezügen erst richtig zum Vorschein kommt. Überlegungen, die die Konzeption der Monobiblos als ganzer betreffen, werden darum ebenfalls einen nicht unbeträchtlichen Platz in der folgenden Untersuchung einnehmen. Die Arbeit ist folgendermaßen gegliedert: Den Anfang des ersten Teils bildet die Besprechung der von Zwierlein getilgten unechten Elegien I, 19 - 21. Anschließend erfolgt die Untersuchung der echten Elegien der Monobiblos, beginnend mit einigen knappen AusfUhrungen zum Bauplan des Buches. Bei der Behandlung der einzelnen Elegien fasse ich diejenigen, die durch ein Geflecht von Bezügen besonders eng miteinander verbunden sind, zu Gruppen oder Paaren zusammen und erläutere im Anschluß an ihre Besprechung das jeweilige Beziehungsgeflecht. Am Schluß des ersten Teils führe ich auf der Grundlage der Besprechung der echten Elegien weitere Argumentc fur die Unechtheit der Elegien I, 19 und 21 an. Im zweiten Teil der Arbeit werden dann die nachgewiesenen Eindichtungen in Foml einer Typologie klassifiziert. Die Untersuchung der echten Elegien erfolgt in der Weise, daß unter Berucksich· tung ihrer Stellung und Funktion im Gesamtzusammenhang der Monobiblos ihr Gedankcngang skizziert wird und jeweils an den Stellen, an denen eine Eindichtung angenommen wird, eine detaillierte Begründung dieser Annahme erfolgt. Dabei gilt es, nachzuweisen, daß sich die angezweifelte Passage nicht in das Gesamtkonzept und den gedanklichen Verlauf der Elegie fugt, sondern vielmehr Gedankensprunge, innere Widersprüche, gedankliche Dopplungen und Ungereimtheiten bestehen. Sodann sind, soweit vorhanden, inhaltliche Probleme, Besonderheiten im Sprachgebrauch und in der Metrik sowie stilistische Schwächen anzuftlhren. Die GewiChtung der Argumente für die Unechtheit ist von Stelle zu Stelle unterschiedlich.
Einleitung
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In Anmerkungen werden auch mögliche Vorbilder für die Eindichtungen angeführt und erOrtert l ... Bereits Knoche geht davon aus, daß sich die "verschwommene Unklarheit des Gedankens und Ausdrucks" in Interpolationen dadurch erklän, "daß dem Fälscher ganz vag irgendein literarisches Vorbild vorschwebte, dessen Formulierung er mit wenig Geschick benutzte, dessen Gedanken er aber nur von ungefähr und nicht scharf wiederzugeben vennochte"u. In manchen Fällen ist der Nachweis solcher Vorbilder relativ leicht. Allerdings enthalten unsere Texte, wie Tarrant zu bedenken gibt, zumindest einige Zitate aus verlorengegangenen Werken (1, S. 293). So erklärt Jachmann zutreffend, man dOrfe ,,nicht erwarten, den lnterpolatoren in allen Fällen ihre Bezugsquellen nachweisen zu kOnnen"l6. Haupt'vorlage rur den Bearbeiter der Monobiblos sind offenbar Properz und Ovid. In geringerem Maße haben auch Vergil, Tibull und Horaz als Vorbilder rur die Eindichtungen gedient. Der Vollständigkeit halber ruhre ich unter den Parallelen auch Stellen aus denjenigen Schriften der augusteischen Zeit an, deren Autorschaft ungeklärt ist, sowie solche Stellen aus Ovid, deren Echtheit umstritten ist. Griechische Vorbilder rur unechte Partien habe ich nur bei der Besprechung VOll [Prop.}I, 20 namhaft gemacht. Die Frage nach der Datierung der Eindiehtungen im ersten Properzbuch wird in dieser Untersuchung nicht behandelt. Ich nehme an, daß sie innerhalb des ersten Jahrhunderts nach Abfassung der Monobiblos ihren Weg in den Text fanden. Die älteste wichtige Vorlage scheinen mir die Gedichte des Catull zu sein, die jüngsten die Tragödien Senecas l7 . Ein derartiger Eingriff in den Propcrztext, wie er in der folgenden Untersuchung vorgenommen wird, ist neu. Da jedoch die bisher angewandten Methoden der Pro· pcrzkritik zu kaum befriedigenden Ergebnissen geführt haben, erscheint es an der Zeit, eine solche via intacta zu beschreiten.
Die übereinstimmungen zu den angenommenen VorbildSIelIen mache ich dabei wie folgt kenntlich: Ein identischer oder stammverwandter Begriff ist dureh Fettdruck ausgewiesen. Sieht dieser Begriff zudem an der selben Stelle im Vers, ist er zusätzlich unterstrichen. Enthäll die mögliche VorbildsteIle neben einem identischen oder stammverwandten Begriff einen lediglich sinnverwandten, so ist di~r durch UnIerstreichung gekennzeichnet. l~ Knoche, S. 47. 16 Jachmann. S. 202. 17 Wenn ich in Anmerlcungen Aussagen mit Ausschließlichkeitseharakter mache (etwa, daß ein Begriff, eine Klausel oder eine Junktur sonst nich1 belegt ist), beziehe ich mich allein auf die DWlleogte des eenannlen ZduBumes und nicht auf die lateinische Literatur insge-
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samt.
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DIE ELEGIEN DES ERSTEN PROPERZBUCHES
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I. Die unechten Elegien des ersten Properzbuches (1. Teil)
Der Schluß des ersten Properzbuches läßt sich, wie schon von mehreren bemerkt worden ist, nicht ohne Schwierigkeiten in dessen Gesamtkonzept einordneni!. So endet Camps' Bauplan der Monobiblos mit I, 19, dem "natural counterpart" von 1,1 19 . Skutsch läßt die Elegien 21 und 22 (zusammen mit 1,20) zwar "part ofthe Monobiblos" sein, erklärt aber gleichwohl: "The coda or superstructure of three poems, 20 to 22, stands entirely apart.,,20 Courtney schließt sich Skutsch an und erklärt die Elegien 20 - 22 fl.ir "carly poems, which Propertius did not wish to discard,·21. Otis, der die Elegien 1 - 19 als "the Monobiblos in the strict sense" bezeichnet 22 , behandelt die letzten Elegien nicht einmal. In dieser Untersuchung soll gezeigt werden, daß in der Tat drei Elegien am Schluß der Monobiblos Probleme bereiten. Dies sind allerdings nicht, wie bislang angenommen, die Elegien 20 - 22, sondern die von Zwierlein getilgten Elegien 19 - 21 23 . Ohne diese drei Elegien besitzt das erste Properzbuch einen Umfang von zwanzig Elegien 24 . Ähnliche Zahlen finden sich in Gedichtbüchern derselben Epo· che: Vergils Bucolica bestehen aus zehn Eklogen, das erste Tibullbuch umfaßt zehn Elegien, die Anzahl der Oden von Horazens zweitem Odenbuch ist zwanzig, die des dritten dreißig. Das erste Satirenbuch des Horaz besteht aus zehn Satiren, sein erstes Epistelbuch aus zwanzig Briefen. Vor allem aber bilden die nach Zwierleins Athetese der Gedichte I, 19 - 21 verbleibenden zwanzig Elegien des ersten Properzbuches, wie im Verlauf dieser Arbeit darzulegen sein wird, eine sorg faltig durchdachte, in sich geschlossene und abgerundete Struktur, in die sich die Elegien 19 - 21 nicht einordnen lassen. Um den Nachweis zu fuhren, daß es sich bei den Elegien 19,20 und 21 um Fremdkörper innerhalb des ersten Properzbuches handelt, ist der Schwerpunkt jeweils unterschiedlich zu setzen. Aufschlußreich ist zweifelsohne in allen drei Fällen die Untersuchung der Disposition des Gedankengangs und des Sprachgebrauchs, welche markante Unterschiede zum echten Properz zutage fördert. Die Gründe, die darüber hinaus dafl.ir sprechen, die Elegien dem Propen.: abzuerken· nen, sind jedoch verschieden. Im Fall der Elegie I, 19 ist die Problematik der gedanklichen Eingliederung in die Entwicklung der Cynthia-Thematik in der MonoDen folgenden handlichen überblick habe ich Stahl (S. 122) entnommen. 19 Camps, S. 10. 20 Skutseh, S. 239. 21 Courtney, S. 254. 22 Otis,S.7. 2l Vgl. Zwierlcin, S. 7 Anm. I und das Stellcnregister. 24 Ich betrachte, wie weiter unten zu Beginn der Untersuchung von I, 8B dargelegt, I, 8A und I, 8B als zwei gesonderte Elegien. 18
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Die Elegien des ersten Properzbuches
biblos entscheidend für den Nachweis ihrer Unechtheit. Bei der Elegie I, 20 gilt es, den grundlegend fremdartigen Charakter darzulegen sowie zu zeigen, inwiefern auch der Versuch der Anverwandlung griechischer und lateinischer Vorbilder Ursache tUr diese Fremdartigkeit ist. Was schließlich die Elegie I, 21 angeht, so ist nachzuweisen, inwiefern die Art ihrer Beziehung zur nachfolgenden Schlußelegie der Monobiblos, I, 22, ein Indiz für ihre Unechtheit darstellt. Ein Teil dieser Untersuchungen hat seinen Platz sinnvollerweise nak.h der Be· handlung der echten Elegien des ersten Properzbuches. Erst später erfolgen soll darum die Erörterung der problematischen Eingliederung von I, 19 in den gedank. lichen Aufbau des ersten Properzbuches sowie die Untersuchung der Art der Beziehung von 1,21 zur Schlußelegie 1,22.
Die Elegie I, 19 Hodge und Buttimore bezeichnen die Elegie I, 19 als "curiously unspecific about its ostensible cause... irrational, objectless". Auf der anderen Seite vennag Boyle überzeugend nachzuweisen, daß ihr eine klare, beinahe mathematisch gen aue, Struktur zugrunde liegt. Ich gebe in Übersetzung sein Strukturschema von I, 19.
vv.
1-4
Properzens Furcht
4 Verse
VV.
5-6
Übergangsdistichon: Properzens Liebe zu Cynthia
2 Verse
VV.
7·12 2S
Mythologisches Zitat A: Phy/acides heros und Properzens Liebe
6 Verse
vv.
13-18
Mythologisches Zitat B: formosae heroinae und Properzens Liebe
6 Verse
vv.
19-20
Übergangsdistichon: Cynthias Liebe zu Properz
2 Verse
vv.
21-24
Properzens Furcht
4 Verse
vv.
25-26
Schlußfolgerung:
2 Verse
inter nos /aelemur amanles 26
Ohne Zweifel ist Boyle's Schema recht vereinfachend 27 . Gleichwohl läßt sich nicht bestreiten, daß die Elegie eine spiegelsymmetrische Struktur aufweist, bei der die korrespondierenden Abschnitte jeweils gleich lang sind. Unterteilt man die Elegie " Streng genommen bilden die 16
"
Verse 11 f. eine gedankliche Einheit für sich.
Boylc, S. 897. Dies ist jedoch auch seinem Autor bewußt; vgl. Boyle, S. 898.
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Die unechten Elegien des ersten Properzbuches (I. Teil)
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gemäß ihren gedanklichen Hauptzäsuren, so besteht sie, in leichter Abwandlung des obigen Schemas, aus vier Abschnitten von je sechs Versen und einer Schlußcoda von zwei Versen. Abschnitte derselben Länge zu bilden, ist nicht nur hier, sondern auch in etlichen weiteren Elegien des ersten Properzbuches eine offenkundige Vorliebe des Bearbeiters28 . Die mathematisch genaue Struktur einer Elegie ist ebensowenig ein Beweis von Echtheit wie die Häufung von Figuren und Stilmitteln wie Anapher und Alliteration, die sich an manchen Stellen im Properzcorpus beobachten läßt. Seide Phänomene können durchaus fur die Urheberschaft eines rhetorisch geschulten Bearbeiters sprechen 29 . Ich gehe nun im folgenden die einzelnen Abschnitte der Elegie I, 19 der Reihe nach durch und lege jeweils nach einer knappen Inhaltsangabe die Gründe dar, die mir fur ihre Unechtheit zu sprechen scheinen. 1,19,
I
Non JO ego nune Iristis vereo?l, mea Cynthia, MalJis, nee moro?2 extremo debita fatal) rogo}4:
1S Ich erwähne einige besonders markante Fälle, die im folgenden noch eingehend behandelt werden: Der Elegie I, 3 hat der Bearbeiter durch seine Zusätze eine Struktur von vier Abschnitten zu je zehn Versen und einer Coda von sechs Versen gegeben. Dabei stammen der dritte Abschnitt sowie die Coda komplelt von ihm. Die Elegie I, 6 besteht durch seine Zusätze aus sechs Abschnitten von je sechs Versen. Aus 1,9 hat er eine Elegie von viermal acht Versen mit einer Coda von zwei Versen gemacht, aus I, 10 eine Elegie mit drei Abschnitten von je zehn Versen. Eine völlig andere Auffassung venritt in diesem Punkt Günther, der davon überzeugt ist, "that numerical structure plays a larger role in Latin poetry than is normally reeognized·'. Nach ihm existiert ..a kind of stanza composition for many if not most of Propertius' poems", die er rur einen .,important check for hath transpositions and deletions" hält (alle Zitate S. VIII). Günther widmet ein ganzes der vier Kapitel seines Buches Untersuchungen über die Buch- und Gcdichtsstruktur bei Properz (das Kapitel 3, das ich in der Einleitung mit Skepsis erwähnt habe). 19 Für eine andere Bewertung der symmetrischen Struktur von I, 19 vgJ. Boyle, S. 898: "The linear design of the poem... rand) the poem's concentric structure... in combination sueeced in imbuing the elegy with a tightness of noetic organization which undoubtedly conveys to the responsive reader the impression of lirm control being exerted over the eomplex amalgam of thinking and feeling which the elegy contains." Boyle räumt allerdings ein, daß ohne eine gute gedankliche Verbindung dcr einzelnen Abschnitte miteinander ,,8 concentric, symmetrical structure might weIl appear ,rigged' and highly artilicial". Wie jedoch im folgenden zu zeigen sein wird, ist das Fehlen eben solcher guten gedanklichen Verbindungen der Abschnitte mit einander einer der Hauptmllngel dieses Gedichtes. )(I Der in dieser Untersuchung abgedruckte lateinische Text entspricht im Wesentlichen dem in Fedelis Properzausgabe. Gelegentlich habe ieh die Lesart aus Goolds Ausgabe übernommen, ohne allerdings jedes einzelne Mal damufhinzuweisen. JI Der Anfang von V. I ist dem von 1,6, I nachgebildet: non flO nune Hadriae vereor mare noseere teeum. Vgl. auch 1,2,25 non '10 nune vereor ne sis tibi vilior istis. )2 Nee moror am Versanfang lindet sich nur noch in Ov. epist. 12, 188. Zur Unechtheit der HerOldes s. Zwierlein, Kap. 111 7, Die Einflilsehung der Epislulae Heroidum und der Medi· eamina faciei femineae in das Ovidcorpus. .lJ Die lunkturdebitafato ist vorher sonst nicht belegt. Sie kommt erst wieder in Val. FI. 5, 21 vor.
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Die Elegien des erslen Properzbuches
5
sed ne forle IUO careaf mihi)) funus amore. hic timor esl ipsis durior exsequiis. non adeo leviter nostris puer hauit ocel/is16, ut meus oblilo pulvis amOTe vacet)1.
Die Elegie I, 19 beginnt mit der Beteuerung des Dichters gegenüber Cynthia, er fUrchte nicht die traurige Unterwelt, noch zögere er sein Schicksal binaus (VV. 1f.); die Furcht hingegen, daß seine Bestallung ihrer Liebe entbehre. sei härter als die Bestattung selbst (VV. 3f.). In den Versen 5f. gibt der Dichter eine Begründung rur die Äußerung in den Versen 1-4: Seine Liebe sei tiefer, als daß sie mit dem Tod aufhöre. In diesem Abschnitt lassen sich mehrere Auffalligkeiten feststellen: Erstens be· steht zwischen non ego nUlle vereor... Manis \'I. I) und hic timor es! ;psis durior exseqlliis (V. 4) ein gedanklicher Bruch: Der Komparativ dllr;or in V. 4 untergräbt die Beteuerung des Dichters im Anfangsvers, er fUrchte ni.c.h1 die Unterwelt. Zweitens ist der gedankliche Übergang von den Versen 1·4 zu den Versen 5f. unvermittelt: Auf eine Äußerung von Furcht folgt übergangslos eine Beteuerung von LiebeJ8 . Was die Sprache der Verse betriffi, so nult das/orte in V. 3 auf, das innerhalb der eindringlichen Aussage der Verse 3f. banal wirkt. FOr den passivischen Ge· brauch von oblilus \'I. 6) gibt es nach Thes. IX 2, 111, 79ff. nur einen Beleg vor Properz, nämlich Verg. ecl. 9, 53; nachfolgend scheint dieser Gebrauch bis zu den christlichen Autoren aufdr("i Stellen bei Val("rius Flaccus beschränkt Z'J seinJ'. 1,19,
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10
iflic Phylacides iucundae coniugu heros non potuit caecis imrnemor use meis. Sodann ist ossa in V. 18 nicht nur sprachlich gesehen eine "Überraschung"; der Begriff wirkt auch unpassend makaber nach dem unmittelbar vorausgehenden Lob von Cynthias Schönheit. Schließlich sehen Hodge und Buuimore in lacrimis meis in V. 18 ,,8 complex interweaving of present and future, living and dead"; anders als sie werte ich diese Verwobenheit als Beweis rlir die mangelnde Fähigkeit des Dichters, einen in sich schlüssigen Gedankengang zuwege zu bringen61 • 1,19,
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quae IU viva mea possis sentirefavilla! Ium mihi non ul/o mors sil amara loco 6J • quam vereor. ne te COniemplO, Cynlhia 6J , buslo ab stra hat a" nostro pli / Yere ImqllUS " Amor ". cogal et invitam lacrimas siccare cadentis! flectitur assiduis certa puel/a minis.
Nachdem der Dichter in den Versen 5-18 ausfilhrlich beteuert hat, daß seine Liebe zu Cynthia über den Tod hinaus fortdauern werde, verleiht er in V. 19 in einem emphatischen Ausruf dem Wunsch AusdruCk, sie möchte dies (qlloe~ filhlen, und tugt in V. 20 an, dann sei der Tod tur ihn nicht bitter. In den Versen 21-24 äußert er, einen im vorausgehenden Distichon offenbar unterschwellig mitschwingenden ebengedanken weiterentwickelnd, die Befürchtung, der grausame Amor könne Cynthia von seinen Überresten wegreißen und sie gegen ihren Willen zwingen, ihre hemiederfaJlenden Tränen zu trocknen; bei fortwährenden Drohungen gebe selbst das beständigste Mädchen nach. Die Verse 19-24 lassen sich weder leicht an das Vorhergehende anschließen, noch sind sie in sich schlüssig. Was die Anbindung nach oben betrim, so stell! sich zunächst die Frage, worauf qllae zu beziehen ist. Fedeli bezieht das Pronomen auf die gesamten vorausgehenden Ausftlhrungen des Dichters über seine fortdauernde Loyalität gegenüber Cynthia. Dabei ergibt sich jedoch ein innerer Widerspruch zum Beginn der Elegie: In V. 3 hatte der Dichter die Befurchtung geäußert, ne Boylc, S. 904f. 61 Für die Verse 11·18 vgl. Typologiekapitcl, Abschn. 11. A. 2. 62 Die Klausel amara loco findet sich nur noch in Ov. Pont. 3, 1,24. Der Vers 20 gleicht (Prop.) I, I, 33f. in me nOSlra Venus nQCtes exercelllmarllS / el nullo YaCIlUS lempore defit Amor. Für die Junktur non... ullo loco vgl. Prop. 2, 12, 8 nostraque non uWs permanet aura lJIris., &J Vgl. V. I non ego nunc lrislis ).'f!reor. mea O·"thig, Manis. ~ Die überlieferte Prnposition e ist sprachlich inakzeptabel. Der einzige weitere Beleg für die JunkIUr abstrahere a/ ab ist Ov. epist. 14,83. " Vgl. V. 6 ul meu.s oblito pulvis amore YaCet. " Über die genaue Beziehung des quae s. u. 60
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Die unechten Elegien des ersten Properzbuches (1. Teil)
3\
forle lUO careat mihi funus amore. Sollte er sich nun damit begnügen, daß Cynthia wahrnimmt, daß seine Gefühle rür sie fortdauern? Daß die Erwartung des Dichters größer sein muß, als es in V. 19 den Anschein erweckt, wird in den Versen 21-23 deutlich, in denen er die zu Beginn der Elegie ausgesprochene Befürchtung aufgreift. Mit Recht bezeichnen also Butler und Barber quae als ..a vague neuter with no definitive antecedent" und halten das Distichon fiir "obscure aod strange in its expression. But 00 even plausible remedy has been suggested". Weitere Schwierigkeiten in den Versen 19f. sind die Ausdrücke tu viva und non ullo loco. Dem tu viva kommt wegen der kontrastierenden FomlUlierung mea favilla im selben Vers eine besondere Betonung zu, ohne daß allerdings ein Grund hierfür erkennbar wäre. Desgleichen ist non ullo loco besonders betont, jedoch ebenfalls ohne erkennbaren Grund. Was V. 21 betrim, so fragt man sich, wer als das Subjekt von contempto busto zu denken ist: "The ablative construction contempto bUSIO leaves it unstated who is doing the despising, though it is obvious that it must be Cynthia". schreiben Hodge und Buuimore, lassen dabei allerdings außer Acht, daß diese Interpretation im Wi· derspruch zu abstrahat (V. 22), cagat und invitam (V. 23) steht: Diese Ausdrücke zeigen, daß der Dichter annimmt, Cynthia werde sich bei seinem Begräbnis zu· mindest anfangs ihm gegenüber loyal zeigen. Wieder einmal ist es dem Dichter nicht gelungen, einen in sich widerspruchsfreien Gedankengang herzustellen67 . 1,19,
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quare. dum licet. imer nos laetemur amanres 6l : non salis esf ullo lempore 10llgus amor69 .
Die Verse 25f. sind ihrer Form nach eine Schlußfolgerung aus dem Vorhergehenden mit anschließender Begründung: "Laß uns darum, solange es möglich ist, uns lieben und fröhlich sein. Die Liebe hält nie lange genug an.',70 "The actual conneclion is not at all clear....., merken Hodge und Buttimore zutreffend zu den bei den Versen an. Nicht nur aber ist die Schlußfolgerung in V. 25 gedanklich schlecht angebunden: ihre Begründung in V. 26 ist gleichermaßen obskur7l ; insbesondere der Ausdruck non ullo tempore läßt sich kaum deuten.
67
6t 69
70 71
Boyle (S. 908) versucht den Gedankengang zu glätten, indem er die Ausdrücke abslrahaf. iniquus. cogat. invitam und certa ironisch aufTaßt. Eine derartige Ironie stünde allerdings im Widerspruch zu der Ernsthaftigkeit, mit der Properz, wie im Verlauf dieser Unler· suchung deutlich wird, überall sonst im ersten Buch seine Gedanken und Gefilhle gegenüber Cynlhia zum Ausdruck bringt. Vgl. Prop. 2, 5, l3f. quamfacile irati verba mutanturamanW: / dum licef... Die Klauscl/ongus amor gleicht der von V. 12, magnus amor. Der Vers als ganzer gleicht, wie bereits V. 20, [Prop.] I, 1,34: et nuJlo vacuus temooredefit Amor. Diesen Vers hat der Dichter womöglich mit OV. ars I, 38 kontaminiert: lertius. ul tango kmoore duref amor. Das gesamte Distichon schließlich weist eine deutliche Ähnlichkeit zu Tib. I, I, 69fT. auf: interea, dum fata sinunl. ilmgamus amom: / iam velliet fenebris Mors adoperfa capllf. / iam subrepet iners aetas... vgl. außerdem Lucan. 3, 25r. dum non securos liceat mihi nltllpere somnos / ef nullum vesfro vacllum sit tempus amor;. Die Verse 25f. sind im Typologiekapitel in Abschn. I. B. I. erfaßt. Hodge und Buttimore bezeichnen diesen Vers als "enigmatic".
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Die Elegien des ersten Properzbuches
Offenbar sind die Verse 25f. ein - wenig gelungener - Versuch, den Grundgedanken von Catull. 5 einzuarbeiten 72 • Das Wortmaterial zur Komposition der Verse stimmt dabei, wie bereits in den Anmerkungen erwähnt, teilweise mit dem des ebenfalls unechten Verses I, 1,34 Uberein, mit dem bereits die Verse I, 19, Ilf. Ähnlichkeiten aufweisen 7l . Wie bereits eingangs erwähnt, gehört zum Nachweis der Unechtheit von I, 19 nicht nur die Besprechung der Elegie an sich, sondern auch die der Problematik ihrer Eingliederung in den gedanklichen Aufbau des ersten Properzbuches. Letztere wird im Anschluß an die Behandlung der echten Elegien des ersten Properzbuches erfolgen. Die Elegie I, 20 Hodge und Bultimore beschreiben die Elegie I, 20 als "the langest, but the least controlled, sometimes needlessly obscure, over-luxuriant, awkward"74. Die Elegie I, 20 stellt im Wesentlichen die Untennauerung einer zu ihrem Beginn geäußerten Warnung an Gallus dar. Diese erfolgt mit Hilfe eines mythologischen Exemplums, welches mit einem Umfang von 36 Versen den bei weitem größten Teil der Elegie ausmacht. Ein mythologisches Exemplum von einem solchen Umfang ist ohne Parallele im ersten Properzbuch, und es spricht einiges dafUr, daß von den langen Exempla in den übrigen Büchern ebenfalls manche unecht sind 7'. Was die Einarbeitung des Exempels in I, 20 angeht, so ist nach Hodge und Buttimore "the relation between the mythic narrative and the dramatic situation involving GaJlus... not weil worked out... We are not always sure what Gallus's situation is, nor when it is relevant". Hodge und Buttimore nehmen deshalb an, daß I, 20 eines der frühesten Gedichte des ersten Properzbuches sei: .,Tbe interest of this poem comes from its immature extravagance... h is e10se to a poetic exercise, almost a parody of his distinctive style, an interesting, revealing poem rather than a successful one." Diese und andere Fragen, die die Elegie als ganze betreffen, werden uns erst später beschäftigen. Zunächst soll die Elegie abschnittweise untersucht werden.
12 Der Bearbeiter unternimmt diesen Versuch auch in den Versen IProp.} 2, 15. 23f. (die Verse 23-28 der Elegie 2, 15 hat Jachmann getilgt). 7J FÜr die Verse 25f. vgl. Typologiekapitel, Abschn. 1. B. I. 74 In meintr Behandlung der Elegie I, 20 kann ich vieles von den wertvollen Ausführungen von Hodge und BUl1imorc übernehmen, die ebenfalls eine sehr kritische Haltung gegenüber dem Gedicht einnehmen, ohne gleichwohl seine Echtheit anzufechten. 7J HOChst verdAchtig scheinen mir zum Beispiel auch die Verse 2, 9, 9-16 zu sein. Für die bereits von Frijheren gellußerten Bedenken beZOglich einzelner Teile dieser Passage vgl. Smyth, Thes. Cril ad loc; vgl. auch Whitaker, S. 124[ In 3, 12 sind zumindest die Verse 23-38, die den mythologischen Exkurs enthalten, zu tilgen. Nach Smyth, Thes. Crit. ad loc. spricht sich Damon gegen die Verse 24-37 aus, andere sogar gegen die Verse 23-38. Mit großer Wahrscheinlichkeit ist die ganze Elegie unecht. Dasselbe gilt für das Exemplum in 3,15.11-42, bzw. die Elegie 3,15. Aueh bei dieser Elegie bestehen Zweifel, ob sie Oberhaupt von Properz verfaßt wurde.
Die unechten Elegien des erslen Properzbuches (I. Teil)
1,20,
1
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Hoc pro conlinuo le. Galle. monemus amore1t (id libi ne l'llCUO dejIual u n animo 1l): sai!pe imprudenlifortuna occurrit amanti: crudelis }'{inyis dixedt Ascanius79•
Das erste Distichon der Elegie I, 20 dient zu deren Einleitung. In ihm kündigt der Dichter dem Adressaten Gallus an, er gebe ihm eine Warnung, die er nicht vergessen solle. Die Warnung selbst fonnuliert er in V. 3: saepe imprudenti fortuna occurrit amami; in V. 4 verweist er zu ihrer Bekräftigung auf ein Beispiel aus dem Mythos. Der Vers 3 entspricht inhaltlich nicht dem, was man nach der eindringlichen Ankündigung einer Warnung in den Versen I f. erwartete, sondern wirkt vergleichsweise banalso. Was den Vers 4 angeht, so ist die Anspielung auf den HylasMythos durch die Begriffe Minyis und Ascanius sehr undeutlich'l, Hodge und Buttimorc bezeichnen diesen Vers als "unsatisfactory and unclear" und wenden ferner gegen ihn ein, daß in ihm "Ascanius has no particular role to play". Neben den in den Anmerkungen aufgeruhrten VorbildsteIlen fur die Verse 1-4 sei noch auf die wörtlichen Entsprechungen innerhalb der Elegie selbst hingewiesen, die ich als ein Zeichen von "Interpolatorenökonomie" werte. Der erste Vers ist deutlich Vorbild filr den vorletzten: V. I: V. 5 I:
pro conlinuo u. Galle. MoneMUS gMau IW. 0 Galle. lilaS manitus servabis amom
~
In ähnlicher Weise ist V. 16 dem vierten Vers nachgebildet: V.4: V. 16:
crudelis Minyis dixtritA,wm;Hf Herculis indomitojIewrat ASC'lln;oIJ
1.20, 5
est tibi non infra speciem. non nomine dispar. Theiot!amameo lJ proximus ardor Hylae: hunc lu. sive leges umbrosaejIumina silvae. sive Aniena tuos tinxerit unda pedes.
Vgl. 1,22,2 quaeris pro lIostra semper aMidlia. Der Bearbeiter hat möglicherweise auch an CalulL 68. 149f. gedacht: ~ tibi. qllod polui. confeclUm carmine munus / pro multis. AIIi. redditur Q,fficijs. n Die Konstruktion von dejIuere mit eI ex ist in der Dichtung sonst nicht belegt. 71 Die Klausel ex animo ist aus CalUll. 109,4 geholt. Sie ist sonst nicht belegt FOt den Vers als ganzen ist CalUlI. 65. 17f. die Vorlage: Ife lua dicla vagis nequiquam credita ventis / rffluxUse meoforte pules gn;ma. 79 V. 16 der Elegie ist der einzige weilere Beleg filr eine Form des Eigennamens Ascaniw am Versende. 10 Hodge und Buttimore: ..The advice. when it comes in line 3, is banal yet vague in its appli. calion to both Gallus and the myth." I' Erst damit, daß in V. 16 Herakles und Ascanius mit einander in Verbindung gebracht werden, wird die Anspielung Ascanius in V. 4 richtig verständlich. IJ Auf die Ähnlichkeit der Verse I und 5 I sowie 4 und 16 weisl Curran (I, S. 285) hin. IJ Das Adjektiv Theiot!amanleus ist sonst nicht belegt. 76
Die Elegien des ersten Properzbuches
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10
sive Giganreo sporiabere Iitorisa. orau, sive ubicumque vago fluminis hospitio14. Nympharum semper eupidas de/ende rapinas (non minor Ausoniis esl amor Adr)'asin); ne tibi sit duras montuV et frigida saxa, Galle. neque expertos semper adire laeus":
Die Verse 5-14 sollen eine Verbindung zwischen GaJlus' Situation und dem rnylhologischen Exemplum herstellen"; Gallus habe, so heißt es in den Versen 5f., einen Geliebten, der dem Hylas an Schönheit nicht nachstehe und ihm auch dem Namen nach ähnlich sei. Wo auch immer er, GaIlus, unterwegs sei, möge er die stets begierigen Nymphen von jenem femhahen (VV. 7-12), damit nicht harte Berge und eisige Felsen zu seinem Aufenthaltsort würden (VV. 13f.). Nach Hodge und Buuimorc sind die Verse Sf. ..an extremely strained way of saying that Gallus's boyfriend is almost as good as Hylas. The language is so tor· tured that it may even be a kind of joke at Gallus's expensc,,90. Dieser Eindruck entsteht deshalb, weil in dem Distichon zwei Aussagen kontaminiert sind, nämlich zum einen die Aussage, daß Gallus einen Geliebten hai, und zum anderen die Aussage, daß dieser Geliebte dem I-Iylas ähnlich ist. Es fehlt ein gedankliches Zwischenglied, in dem entweder Hylas oder GaJlus' Geliebter bereits erwähnt würde'1. Es bestehen weitere Schwierigkeiten in den Versen 5-14. Zunächst sei auf den rur properzische Verhältnisse außergewöhnlich langen Begriff Theiodamanteo in V. 6 verwiesen. Im Properzcorpus gibt es nur noch zwei weitere Belege für einen .. Vgl. Ov. fast. 3, 469 jlebat amans coniufU waljataque li1JH:.e C1Jf'\IO. lS Die Klausel liroris ora ist v~rgitisch. Eine ähnliehe Klausel findet sieh auch in dem von Zwi~rlein getilgten Vers [geerg.] 2, 44 sowie in Aen. 3, 396 (beide Male liroris oram); vgl. auch die Klausel litoris ora in Culex 313. Wahrend an d~r unechten Geergicaslell~ ein~ Ihnlieh kunstlose Tautologie vorliegt wie in dem Propel'2vers. handel! es sich an der Aeneis- sowie der Culexst~ll~ bei liroris um einen Genitivus definitivus; vgl. Aen. 3, 396 ...Italique hane litoris oram und Culex 313 ... Rhoetei liroris ora. I' FOr die Formulierungjluminis hospitio vgl. Aetna 129 +hospitium jluvium aut+ semita nulla profecto. Die Verse 7·10 erinnern an Verg. ed. 8, M. tu miM. UM. magnis Sllperas iam saxa Timavi / Hu. oram lI/yrici legis aequoris. ... sowie an Prop. I, 6, 31 fT. at 111 sm
1II0llis qua tend;, lonia. seu qua / ... // seu pedibus terras se" poil/um carpere remis / ... ., Vgl. ITib.) 3, 9, 2f. seil colis Ulllbrosi devia mOllt;s aper, / ure ab; sit t/uros acuisse in proelia demes. U Für die Klausel adire lacllS vgl. den umstrittenen Vers 3, 12, 34 Sirenum surdo remige
llJIiIH...lJI.. (gegen die Verse 24·37 der Elegie 3, 12 hat sich Damon ausgesprochen); die Junktur adire (Inf.) laeus findet sich nur noch ein weiteres Mal, nämlich in ClJlex 373. Die zweite HIlfte von V. 14 ist auch dem Vers Eleg. in Maecen. 1.6 ähnlich: it recJit in vaslOS Srmp" onusta laCHS. 19 90 91
Hodge und Buttimore ad lot. Hodge und Buuimore ad loe. Auch Fedeli beobachtet in den Versen Sr. und den folgenden Versen "una eerta durezza espressiva", die nach seiner Meinung "dipenderä da tentalivi di sperimentalismo, in pane anche dalla difficoltä di restare aderente alla fonte ellenisliea dei mito"...Sperimentalismo" ist k~ine akzeptable Erklärung. Inwieweit die Benutzung der griechischen Vorlage die QualilIlI d~r Elegie beeinflußt haI und welche Folgerungen sich hieraus ergeben, wird uns später beschäfligen.
Die uneO Vorbild rar den Propcrzvcrs ist wahrscheinlich Ov. ars 2, 572 plena verecundi cu/Pa pudom (NIl. Einen ähnlichen Versschluß hat nur noch Ov. Ponl. I, 1,64 poena potest demi, cHipa perennis uU.. Vgi. außerdem die Ähnlichkeit von Ov. episl. I, 16 mit V. 20: AmiJochus nostri cousa amocjs URt.
Das Binnengef1echt der Elegien 6 - 14
91
1I,II,19f.) In den Versen 19f. äußert der Dichter Cynthia gegenüber, sie werde es ihm nacbsehen, wenn seine Bücber ihr irgend Trauer beschert hätten: Schuld daran sei seine Furcht. Diese Verse sind nichts als eine Wiederholung des Gedankens der Verse 17f. Der Teil von ignosces igilur bis nostri dient zur Verdeutlichung des bereits in V. 17 subtil mitschwingenden Aspekts der Entschuldigung, während die Begründung cu/pa timoris erit in V. 20 nahezu exakt der in V. 18, quod... timetur, entspricht. Für diesen Zusatz gilt dasselbe wie rur den in den Versen) 5f. Er ist, gemessen an der Leidenschaftlichkeit der umliegenden Verse, unpassend nüchtern und in der Ausdrucksweise geradezu sachlich distanziert (vg!. die Fonnulierungen ignosces igitur, quid... triste, culpa timoris er;t). Vor allem der gedankliche Übergang zu den leidenschafilichen Versen 21 f. stellt darum nicht zufrieden m ,
• Als Begründung der in V. 18 zugegebenen Furcht gibt Properz ab V. 21 passend eine Beteuerung seiner Liebe zu Cynthia, indem er ausruft, weder möge seine Sorge um seine Mutter größer sein (als die um Cynthia, so ist zu ergänzen), noch möge es ohne die Geliebte irgendetwas in seinem Leben geben, das ihm wichtig wäre (VV. 21 f.). Im Anschluß an diese Beteuerung versichert Propen, Cynthia allein sei rur ihn Zuhause, Eltern und jede Zeit der Freude (VV. 23f.) Ob er traurig oder fröhlich zu den Freunden kommen werde - stets werde er Cynthia als Grund seiner Gemütsverfassun, angeben (W. 25f.). Der letzte Abschnitt von ), 11 läuft also, wie der von I, 8A 51, auf eine Huldigung Cynthias und ein Treuegelöbnis des Propen hinaus1S464. Der Dichter der Verse 5f. hat sich hauptsächlich an den heiden Vergleichen in den Versen 1-4 und an den nachfolgenden Versen 7f. orientiert; darum entbehrt der dritte Vergleich auch der Hintergrundigkeit, welche, wie sich im Nachhinein zeigt, die beiden Verglei· che in den Versen 1-4 besitzen. Hannon bemerkt treffend zu den Versen 1·6: ,.Ari. adne's sleep deserlis... liloribus and Andromeda's duris cotibus are ,soft' only in a metaphorical sense. But the Maenad's resting place in herboso... Apidano is, like Cynthia 's, literally 11I0//is..46S • Was die Sprache der Verse 5f. angeht, so fällt zunächst auf, daß qlla/is ungewöhnlicherweise im Pentameter, also an siebier anstatt, wie in den beiden vorigen Distichen, an erster Stelle im Satz steht. In der fonnal den Versen 1·7 sehr ähnlichen Passage Ov. am. I, 10, 1·7, die von Fedeli fur eine Imitation der Properzstelle gehalten wird, die jedoch vielmehr umgekehrt der Anlaß rur die Hinzufugung des Vgl. Catull. 64. 46J Housman yerselzt die Verse 2, 2, 9-12 hinter V. 6. ~ Harmon, S. 155f. Harmon versucht indes auf umständliche und wenig plausible Weise, diese Anomalie als besonders kunslVoll herauszustellen. 46j Hannon, S. 158. Die Inlerpretation yon Wlosok (S. 340), die den entscheidenden Aspekl des drillen Vergleichs darin sieht, daß, wie bei der Bacchanlin, SO auch bei Cynthia die "Erregung durch den Schlaf nur Oberdeckl ist und beim Erwachen wieder losbrechen kann", halte ich deshalb tur yerfehlt, weil die Erregung bei dem primum und dem secundum comparalionis jeweils völlig unterschiedlicher NaNr ist
462
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Die Elegien des ersten Properzbuches
126
dritten mythologischen Vergleiches in den Versen Sr. ist, steht qualis jeweils am Hexameterbeginn; vgl. Ov. am. I, 10, 1-7: fl.#lJl& ab Eurota Phrygiis avecta eadn.is. (V. I)... qualls erot Lede... (V. 3)... fl.#lJl& Amymone... (V. 5)... lJIli:i eros... (V. 7). Neben der ungewöhnlichen Position von qualis ist eine weitere Auffalligkeil der umgangssprachliche Gebrauch von minus (V. 5) im Sinne von non 466 sowie der ungewöhnliche Gebrauch von in in der Formulierung in herboso concidit Apidano (V. 6t 67 .
• Im Anschluß an die Beispiele eines tiefen Schlafes nach vorherigem Leid (VV. 1-4) folgt die Beschreibung von Cynthias tiefem Schlaf (VV. 7f.). Erst im Verlauf der Elegie wird die volle Tragweite der beiden mythologischen Vergleiche, insbesondere die Funktion der Formulierungen desertis Iitoribus (V. 2) und libero iam duris cotibus (V. 4) als subtile Anspielungen auf Cynthias Leid in der Zeit vor dem Einschlafen deutlich 468 . Nachdem Properz davon berichtet hat, wie er die schlafende Cynthia vorfand (VV. 1-8), als er spät in der Nacht betrunken heimkam (VV. 9f.), fahrt er ab V. 11 mit der Erzählung fort: Noch nicht ganz von Sinnen, versuchte er, sich behutsam auf dem Bett abstützend, Cynthia nahezukommen (VV. I If.). Jedoch wie sehr ihn auch Amor und Libcr dazu drängten, den Arm um sie zu legen und sie zu küssen (VV. 13-16), wagte er es aus Furcht vor ilm:n wohlbekannten Wutausbrüchen nicht, ihre Ruhe zu stören (W. 17f.). Die FomlUlierung conor adire in V. 12 erzeugt eine gespannte Erwartung des Ausganges von Properzens Annäherungsversuch, die jedoch erst in V. 17 (noll tarnen ausus eram) gegeben wird. Slatt dem in den Versen 11-16 beschriebenen Drang nachzugeben, sich Cynthia körperlich zu nähern, den Arm unter sie zu legen und sie zu küssen, beschränkt Propen sich darauf, aufmerksam seinen Blick auf die Schlafende zu heften (W.19f.). 1,3,
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sed sie intentis haerebllm JIXUS oeelJis, Argus ut ignotis eornibus Inaehidos. let modo solvebam nOslra defronle eorolJas469 ponebamque luis. Cynlhia, lemporibus; et modo gaudebam lapsos formare eapjffos: nuncfurtiva cavis poma dabam manibus; omnia quae ingralo·1O largibar munera samno·'I ,
Fedeli bemerkt hierzu: "Properzio ha intenzionalmenle distinto l'esempio della baccante dalle precedenli citazioni miliche, servendosi d'una espressione propria deI sermo communis edella variatio della posizione di qllolis... .. 461 VgL Camps: ..Here in muSI (unusually) mean ,bcside (the river)'." Die Verse 5f. sind im Typologiekapitel in Abschn. 11. B. 2 erfaß!. 46& S. unten. 469 Die Klausel defronle corallas slamml aus Ov. met. 8, 178, wo der in 1,3, If. berOhr1e Zusammenhang vorliegt: ... sumplam Ih (ronle coro",,-m. Eine ähnliche Klausel ist nur noch Gv. epist. 21, 167 belegt: proicit ipse sua deductas (nmle COCOnlU.. 410 Für den Versanfang vg1. den von CalUll. 76, 9 omn;a quae ;neratae... sowie den von Prop. I, 17, 4 omnjQque ineauQ. .. 466
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Die rahmenden Elegien I - 5 und 15 - 18. 22
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munera de prono saepe voluta sinti: et quoriens raro duxti suspiria motIIm, obstupui vano credulus auspicio, ne qua tibi insolitos partarent visa rimores, nelle quis inviram cogeret esse suam:] donee diversas praecurrens luna fenestras, luna moraturis sedula /uminibus, compositos /evibus radiis pate/eeil oce//os.
(1,3,21_30)473
Die Schilderung von Properzens im Ansatz steckengebliebenem Versuch, sich der schlafenden Cynlhia zu nähern (VV. 11-18), hat den Bearbeiter dazu veranlaßt, eine Passage einzufllgen, in der er dem Properz die Annäherung an Cynthia nun doch noch gelingen läßt. Indem er dabei Inhalt und Charakter der Verse 19f. vollkommen ignoriert, berichtet er, die Erzählfiktion, so Petersmann, durchbrechend 414 , wie er die Girlanden von seiner Stirn löste und sie auf Cynthias Schläfen legte (VV. 21f.) und wie er ihre Haare ordnete und ihr Fruchte hinlegte (VV. 23f.). Die Verse 25f. sind ein umständlicher Kommentar zu eben diesen Fruchten, der besagt, daß jene oft von ihrem Schoß herunterrollten. Das SprachgefUhl stößt sich an dieser Erweiterung der in sich geschlossenen Aufzählung in den Versen 21-24. Die Vcrse 27-30 knüpfen an die Schilderung in den Versen 21-24 an; es tritt allerdings ein jäher Stimmungswechsel ein: Bei jedem Seufzer der Schlafenden sei er, so berichtet der Dichter, erschrocken, in dem Glauben, daß sie von schlimmen Träumen geplagt werde, in denen sie jemand wider ihren Willen sich gefllgig mache. Die friedvolle Atmosphäre in den Versen 21-24 wird durch diese in den Versen 27-30 zum Ausdruck gebrachte Sorge nicht nur unterbrochen, sondern sogar nachträglich untergraben 475. Wlosok bezeichnet die Sprache der Verse 21-6 als "aufTallend schlicht und innig. Gleichmäßig gebaute, kurze Hauptsätze, die nie über den Vers hinausgreifen, sind in geduldiger Aufzählung aneinandergereihL. die sparsam verwendeten Stilfiguren einfach und ungekünstelt ... AfTektische Sprachelemente, wie Wortwiederholung und breite Apposition, drängen sich vor." Was sie als Kunst ansieht, halte ich fUf dichterisches Unvermögen. Wlosok erwähnt des weiteren die auffällige "rhythmische, klangliche und weitgehend auch syntaktische Gleichfömügkeit der Verse 21 und 23:
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Die Junktur ingratus somllllS ist nur noch in [Prop.) 3, 10,25 belegt: du/ciaque inergtps adimant convivia samoas; die Verse 3, 10,23-26 hat Heimreich getilgt. Die Klausel munera somno ist aus Ov. fast. 3, 185 geholl: in stipu/a p/acidi capiehat munera somnj. Die Klausel suspiria motu stammt aus Ov. met. 2, 753 t1 tanto penitus traxit suspjrja 11JJJ1H.. D. C. L. Struve spricht sich gegen V. 25 aus, unter Vorbehalt auch gegen V. 26. Petersmann, S. 35. Diese Sorge indes wird vom Dichter selbst durch die Fonnulierung VOM... auspicio (V. 28) wieder entkräftigl.
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Die Elegien des ersten Propcrlbuches
et modo solvebam 1/nostra 1de fronte corollas et modo gaudebam II/apsos 1formare capi/los
(V. 21)
(V. 23)"
und weist auch auf die Parallelität der zugehörigen Pentameter 22 und 24 hin: "gleiche Verteilung von Längen und Kürzen in der ersten Vershälfte, korrespon· dierende Homoioteleuta am Ende bei der Hälften (tu;sl cav;s, tempor;busl man;· bIlS)"476. Ähnliche oder gleiche metrische Struktur zweier benachbarter Distichen ist an sich noch kein Verdachtsmoment; sie kann sich zunillig ergeben haben oder durch Ähnlichkeit im lnhalt oder in der Stimmung der beiden Distichen begünstigt werden. So hängt etwa die identische metrische Struktur der Verse 19f. und 31f., wie weiter unten ausfUhrlieher dargelegt ist, damit zusammen, daß in bei den Distichen ein und dieselbe ruhige Stimmung herrscht. Die identische metrische Struktur der Verse 21 f. und 23f. hingegen resultiert hauptsächlich daraus, daß das eine Dis· lichon als Vorlage fur das andere gedient hat. Sie iSI ein Zeichen von Interpolatorenökonomie. V. 22 ist laut Shackleton Bailey der erste Beleg fUr einen bloßen Ablativ in Ab· 477 hängigkeit von ponere . Die "direkle, namentliche Anrede Cynthias" im selben Vers, "zu der Properz in der gesamten Eleßie nur hier vorslößt", ist nach Wlosok "sichtbarstes Zeichen der erreichten Nähe'>'! s. Mir scheint das plötzliche Auftreten und ebenso plötzliche Verschwinden der direkten Anrede Cynthias vielmehr ein 479 Indiz fUr den mangelhaften Einbau der Interpolation zu sein . Zu formare in V. 23 bemerkt Lyne: "This is no usual word to describe the arranging ofhair.,,4&t> In den Versen 25f. befremdet die doppelte Apposition omn;a qllae... munera... 1 nlfmera. In diesem Distichon besteht außerdem, was den Gedankenverlauf angeht, eine ungute Spannung zwischen dem Vers 25, der das Vorhergehende abschließend zusammenfaßt, und dem Vers 26, der gleichwohl noch ein Kommentar zu mllnera aus V. 25 ist. V. 26 dient ebenso auch zur Erläuterung von ;ngrato in V.25. Dadurch aber erhält dieser Aspekt ein unangemessen starkes Gewicht. Schließlich ist auch der Charakter der Epanalepse in V. 26 ungewöhnlich. Während eine Epanalepse sonst lediglich zusätzliche Informationen liefert, wird hier in 481 ungewohnter Weise ein eigener erzählender Satz durch sie eingefUhrt . ln V. 27 nillt die ungewöhnliche Synkope dllXtt· S2 auf. Die FOffil duxti kommt sonst nur noch in Calull. 91, 9 vor. An weiteren synkopierten Verbfonnen gibt es im Properzcorpus lediglich consumpst; in [prop.} I, 3, 37 und ;mposta esl in 4,2,29 483 . Zu ausp;cium in V. 28 bemerkt Lyne: "Propertius is attribuling 10 Cynthia and her actions an obviously absurdly in.f1ated importance, and the element of self.mocking humour is c1early very near the surface." Lyne weisl auch auf die Die verschiedenen Zitate aus Wlosok, S. 344ff. m Shackleton Bailey, S. 269. m Wlosok, S. 344. 479 Weitere Stellen im ersten Properzbuch, an denen der unvennittelte Wechsel der Anrede ein Intcrpolationsindiz ist, sind die Verse [Prop.) I, 17, Sf. und 9·12. 480 Lyne (I), S. 73. 411 Ein weiteres Beispiel einer solchen Epanalepse ist [Prop.} I, IS, 19f. 411 Diese notwendige Verbesserung der überlieferten Form dweil findet sich in den deteriores. 41} Zu diesen und weiteren synkopierten Verbformen vgl. Zwierlein 1999, S. 426f. 476
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Die rahmenden Elegien I - Sund IS - 18. 22
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problematische Anbindung der Verse 29f. hin, indem er zu ne (V. 29) anmerkt: "The syntax thus develops along an unexpected route, and the information we awaited is unexpectedly conveyed.'..484 In der Tat fehlt ein Verb des Fürchtens, das die Konstruktion formal einleitete48s . In V. 29 ist schließlich auch das Attribut in· 50lillls, gemessen an dem dramatischen Ton der Verse 27-30, unpassend gewählt. Die Verse 21·30 stehen nicht nur in einem klaren inhaltlichen Widerspruch zu den Versen 19f. 486 ; auch die Anbindung der Verse 31fT. bereit'et Schwierigkeiten: Erstens paßt das friedvolle Bild vom vorbeiziehenden Mond, der mit seinen Strahlen sanft die Schlafende aufweckt, nicht im Anschluß an die in den Versen 27-30 beschriebene Unruhe. Zweitens wird mit dieser Unruhe ungeschickt schon der nächste Abschnitt der Elegie vorweggenommen, in dem die bis dahin herrschende Ruhe tatsächlich durchbrochen wird 487 .
• Auf die Verse 19f. folgen passend die Verse 31 f. Indem davon die Rede ist, daß Properz sich in den Anblick der Schlafenden vertieft (VV. 19f.), wird, im Bilde gesprochen, die Kamera gleichsam für einen längeren Zeitraum fixiert. Während dieses Zeitraumes ist die einzige Bewegung die des Mondes, dessen Licht, durch die Fenster hereindringend, im Zimmer umherwandert (VV. 31 f.). Die ruhige Stimmung der Verse 19f. kommt, wie Wlosok anmerkt, auch im Metrum zum Ausdruck: "Die abfallende innere Bewegung wird vom Versrhythmus aufgefangen: Der Hexameter des letzten Distichons (sc. VV. 19f.) besteht mit Ausnahme des obligatorischen Daktylos im 5. Fuß aus reinen Spondeen.'>488 Auch nach V. 30 setzt, wie ebenfalls Wlosok erkannt hat, "eine schwache, auch metrisch spürbare Retardierung"489 ein. Dies ist nicht unwichtig; denn bei genauerer Betrachtung erweist sich die metrische Struktur der Verse 19f. und 31f. hinsichtlich der Verteilung von Längen und Kürzen nicht nur als ähnlich, sondern sogar als identisch. Dies steht im Einklang mit der ähnlich ruhigen Stimmung, die in beiden Distichen herrscht, und ist somit ein weiteres wichtiges Anzeichen dafür, daß sie in der ursprünglichen Fassung der Elegie sehr gut unmittelbar nebeneinander gestanden haben können. Das im Zimmer umherwandernde Licht des Mondes (VV. 31 f.) weckt schließlich Cynthia auf, die sich aufrichtet und zu sprechen beginnt (VV. 33f.). Bis zu diesem Moment dauert die friedliche Atmosphäre der Elegie an. Was jedoch be· reits durch visa in V. 7 angedeutet wurde, bewahrheitet sich nun tatsächlich: Der traute Friede war nur Schein. Die Verse 35f. bringen nämlich eine plötzliche Wen-
4&4
48! 486
417 4U 419
Die verschiedenen Zitate aus Lyne (I), S. 73f. Hodge und Buttimore ad loc. Vgl. HamlOn's Kommentar. S. 161: ..There is linie in 21·30 to eneourage the interpretation that the lover is somehow purified of his passion in the encounter with his ,otherworldly mistress· ... Otis (S. 22) versucht abzumildern, wenn er zu den Versen 21·30 bemerkt: "only a temporary lapse from the objeclivity ofthe poem as a whole." Die Verse 21·30 sind im Typologiekapitel in Abschn. 11. B. 3 erraßt. Wlosok, S. 343. Wlosok, S. 346.
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130
Die Elegien des ersten Properzbuches
de: Mitten in die zuvor beschriebene Ruhe 490 bricht nun ein Gewitter von Cynthias Unmut auf den ahnungslosen Properz hernieder: Endlich komme er, da eine andere ihn ausgeschlossen habe, zurück, so fragt sie ihn vorwurfsvoll (VV. 35f.). 1,3,
34
sie air in mo/lifIXa loro eubilum: 'Iandem te noMro referens ilriuria lecto allerius cJausis expulil e foribus?
37
(namqlle llbi tanga meae conswnpsti lempora noclis491 , languidus exacfis, ei mihi, sideribus?]
38
o utinam talis perducas, improbe, nocfes, me miseram quaJis semper habere iubes!
11,3,37f·1 Der Ton der rhetorischen Frage in den Versen 35f. ist vorwurfsvoll und empört. Diese Empörung will der Bearbeiter verdeutlichen, indem er Cynthia in den Versen 37f. eine weitere rhetorische Frage in den Mund legt: Wo Propen dcnn die lange Zeit ihrer Nacht zugebracht habe, er, der jetzt, da beinahe schon der Morgen anbreche, erschöpft heimkomme. Die in dieser Frage implizierte Unterstellung steht im Widerspruch zu den Versen 35f., in denen Cynthia die Vermutung geäußert hatte, eine Andere habe Properz ausgeschlossen. . .Für V. 37 hat V. 39, die eigentliche Fortsetzung von V. 36, als Vorlage gedient: Noclis am Schluß von V. 37 geht auf "oc/es in V. 39 zurück - wodurch V. 39 teilweise um seine Wirkung gebracht wird. V. 38 hingegen ist stark an V. 2 derselben Elegie angelehnt. Die metrische Struktur der beiden Verse ist sogar identisch: V.2:
v. [38]:
languida deserti.f Cnosia tiloribus laa~uidus exacw, ei mihi, sideWlIl.l'2.
Ansonsten gleicht die Sprache der Verse, wie Curran anmerkt, derjenigen der zen· tralen Abschnitte der Elegie: "Some of the language... continues the naturalness of the central sections of the poem: there are e1isions (37, 44), the syncopated verb form consllmpsli (37), and the colloquial expressions namqlle ubi (37) and ei milJj
(38).'""
• 490 491
492
49J
Vgl. die Verse 7f., 17f., 3 I f. Vorlage ftir den ProperzvcT'ii ist offenbar Tib. I, 9, 63 Wa nulla queat meNus consumere Melem. Die zwcite Vershälfte ist mit der von [Ov.] am. 2, 10.27 identisch: saepe ego las· cil'e ronsumps; kmooCQ aoctis. Die Verse 13f. und 21-28 in am. 2,10 sind von Zwierlein getilgt. Lyne (I, S. 77) verdanke ich den Hinweis auf die wönliche Entsprechung von languidus (V. 38) zu languida (V. 2). Curran, S. 205; zu der ungewöhnlichen synkopiertcn Fonn consllmpsli vg!. die Ausftihrun· gen zu duxti in [V. 27}. Die Verse 37f. sind im Typologickapitcl in Abschn. I. A. I. c cr· faßt.
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Die rahmenden Elegien I - 5 und 15 - 18.22
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Nach dem Umschwung von der scheinbar friedvollen nächtlichen Atmosphäre in eine erbitterte Scheltrede Cynthias an Properz in den Versen 35f. gelangt die Elegie mit den anschließenden Versen 39r., in denen Cynthia dem Properz solche Nächte wünscht, wie er sie ihr durch sein treuloses Fernbleiben beschere, zu einem Ende, dessen vorwurfsvoller Ton wirkungsvoll nachhallt. 1, J,
39
o ulinam la/is pertluCIIS, improbe, noctes, me miseram qualu semfWr Irabere iubes!
41
[nam modo purpureo fallebam sramine somnum, rursus et Orpheae carmine./essa, Iyrae: interdum fevirer mecum deserta querebar exlema fangos saepe in amare"" maros495: dum me iucundis fapsam Sopor impulir aUs. ilIafuil facrimis ultima euro meis496.1
46 (1,3,41-461
Die Verse 41-46 sind eine Erläuterung der taUs noctes in V. 39. Dcr Dichter läßt Cynthia berichten, wie sie sich mit unterschiedlichen Mitteln wachhielt und wie sie von Zeit zu Zeit klagte, bis sie schließlich der Schlaf mit seinen sanften Schwingen umfing. Mitunter werden gerade diese sechs Verse herangezogen, um das Bestehen von subtilen Bezügen innerhalb der Elegie nachzuweisen. Es existieren in der Tat Anklänge an die Eingangsverse der Elegie: Somnum in V. 41 entspricht dem samno in V. 3,Jessa in V. 42 dem /essa in V. 5, deserta in V. 43 dem desertis in V. 249'7. Die Deutungen dieser Entsprechungen gleichen einander: Nach Wlosok ist Cynthia "am Schluß wieder allein. Anfang und Ende des Gedichts sind also sorgfaltig aufeinander hin komponiert"491. Laut Hering bildet "der Schlaf Cynthias Anfang und Ende des Ganzen"499. Was Zweifel an der Echtheit der Verse 41-46 aufkommen läßt, sind ihr Ton, ihre Gedankenfolge und ihre sprachliche Form. Zum einen ist, so Petcrsmann, "der aggressive Ton vollkommen verschwunden"soo. Sodann besteht die Beschreibung Es existieren zwei sehr enge Parallelen für die Junktur saepe in amore: (Prop.J I, 9, 34 ... sacoc in omou fevat und [Prop.) 3, 8, 18 ... sl,,:oe in amou natlU.; die Verse 3, 8, 13-18 hat Housman getilgt Die andere Stelle im Properzcorpus, an der die Junktur externus amor vorkommt, 2, 32, 31, hat deutlich Prioritat vor der in Frage stehenden: Tyndaris externo patriam mutavit amore. Der einzige weitere Beleg fUr diese Junktur ist Ov. episl. 17,98 quam cadat e:derno noster amoupudor, wo die Junktur ähnlich verwendet ist wie in unserem Vers. 495 Eine llhnliehe Klausel wie amore moros findet sich sonst nur noch in Prop. I, 13, 6 certus el in nulla quaeris "mou mOi'Qm. .,.. Für eine Ihnliehe Klausel gibt es nur noch zwei Belege: Ov. ars 2. 746 ... proximtl CNi'Q auae und trist. 3, 11,70 maxim, cui'Q mW. Für V. 46 insgesamt vgl. Ov. cpisl. 12,34 iJJM filit mentu prima ruina auae. .., Vgl. Petersmann, S. 35, lyne (I), S. 77. * Wlosok, S. 351 . .,. Hering (11), S. 57. lOG Petersmann, S. 36.
4901
n.
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Die Elegien des ersten Properzbuehes
von Cynthias Handlungen vor dem Einschlafen, wie Wlosok zu bedenken gibt. "aus einer unchronologischen Aufzählung der Tätigkeiten... die Sätze sind auffallend unregelmäßig eingeführt... <Es> wechseln hier in rascher Folge die Konjunktionen: flom modo, mrsus, interdum. Unstetigkeit und innere Unruhe der Wartenden treten so hervor... ~OI Was schließlich die sprachliche Form der Verse angeht, so ist die Wiederaufnahme von modo - modo et quotiens (VV. 21 ff.) durch nam modo - rurslls - imerdllm (W. 41 ff.), die Petersmann, ebenso wie die Entsprechung der Imperfektfonnen soll/ebam, ponebam, gaudebam (VV. 21 ff.) undfallebam, querebar (VV. 41 ff.)S02 fur eine gewollte Korrespondenz hält, ein Indiz für die gleiche Autorschaft der beiden Partien. Weitere Anzeichen flir die ökonomische Arbeitsweise des Bearbeiters bei der Komposition der Verse 41-46 sind das Adverb leviter (V. 43), das an derselben Versstelle bereits in V. [15] gebraucht ist, sowie das Partizip lapsam (V. 45), das an derselben Versstelle steht wie lapsos in V. [23]. Mit der Scheltrede der Cynthia in den Versen 35f. und 39f. gelangt die Elegie zu einem wirkungsvollen Abschluß. Die vorwurfsvolle Frage in den Versen 35f. und der erbitterte Wunsch in den Versen 39f. stehen zu dem Rest der Elegie in einem beabsichtigten krassen Gegensatz, der durch jegliche Art der Fortsetzung nicht verschärft, sondern bloß in seiner Wirkung geschmälert werden kann. Durch die Erläuterung von taUs noetes aus V. 39 in den Versen 41-46 wird der prägnante Schluß der Elegie allerdings nicht nur verwässert, sondern geradezu widerrufen. Schon die Verse 41-44 in ihrem wehleidigen Ton sind eine schlechte Entfaltung der taUs nDetes, die Cynthia dem Properz in den Versen 39f. wünscht. So bemerkt etwa Lyne zu der Passage: "At line 41, Cynthia in a change of tactics sinks to a tone of whining reproach full of self_pity"S03; Hering spricht von einer "liebenswerten Übertreibung bzw. Verallgemeinerung in den Versen 43_44"504. Das letzte Distichon (VV. 45f.) hingegen steht sogar im Widerspruch zu dem Charakter der taUs noetes in V. 39: In ihm entsteht der Eindruck, als sei in dem Augenblick, wo der Schlaf Cynthia mit seinen sanften Schwingen umfing, das vorangegangene Leid überstanden gewesen. Offensichtlich hat der Dichter in diesen Versen nicht mehr die taUs floeles aus V. 39, sondern nur noch das Bild der wartenden Cynthia vor Augen50~.
• Die Elegie 1, 3 ist, wie ich zum Abschluß darlegen will, ringkompositorisch aufgebaut. Der Nachweis dieses ringkompositorischen Aufbaus bekräftigt zusätzlich die getätigten Tilgungen. Die ersten vier Verse der Elegie handeln von Heroinen des Mythos, denen Cynthia in ihrem ruhigen Schlaf ähnlich zu sein ~; in den vier Schlußversen wird in Cynthias Scheltrede an Properz ihr ~ Gesicht offenbar.
Wlosok, S. 349. )02 Petersmann, S. 38. )0) Lyne (0, S. 76. 5001 Hering (11), S. 71. )Os Die Verse 41-46 sind im Typologiekapitel in Abschn. 11. C. I erfaßt. )01
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Anfangs. und Schlußvers der Elegie sind durch den Begriff qllalis miteinander verklammert S06 . Einen ersten ..inneren Ring" bilden das dritte und das drittletzte Distichon der Elegie, also die Verse 7[ und 33f. Im ersteren Distichon ist die Haltung der.s..c.hl.a.:. ~, im letzteren die der ~ Cynthia dargestellt. Eine wörtliche Ent· sprechung besteht zwischen maUem (V. 7; dies ist der filnfte Vers der Elegie) und molli (V. 34; dies ist der flinftletzte Vers der Elegie). Auch die Fonnulierungen, mit denen Properz jeweils Cynthias Haltung beschreibt, gleichen einander: Vgl. nua cap"t manibus in V. 8 mit{Lxa taro cubitum in V. 34. Die Verse 7f. und 33f., die den ersten "inneren Ring" bilden, sind ihrerseits durch wörtliche Anklänge mit einem weileren "inneren Ring" verbunden, der aus dem fiinftcn und dem ftlnftletzten Distichon besteht, also den Versen 11 f. und 19[, die den Rahmen des zentralen Abschnines der Elegie bilden: Molliter in V. 12 klingt an moUem in V. 7 an. Ocellis am Schluß von V. 19 hingegen wird durch oceUos am Schluß von V. 33 aufgegriffcn 507 ; demfuus in V. 19 entsprichtluG in V. 34 508 . Die einander entsprechenden Begriffe beziehen sich in dem jeweils äußeren Distichon aufCynthia, in dem jeweils zentraleren auf Properz.
Die Elegie I, 16 Die Elegie I, 16, ein abgewandeltes ,Paraklausithyron', hat die Fonn des klagen. den Monologes einer Tür. Die Tür beginnt ihre Klage damit, daß sie sich zunächst ihre ruhmvolle Vergangenheit vergegenwärtigt (VV. 1·4) und dieser anschließend ihre schmachvollen derl.eiligen Verhältnisse gegenüberstelh. Als erstes nennt sie nächtliche Slreitereien Betrunkener, die mit ihren unwürdigen Händen auf sie ein· schlagen (VV. Sf.). In den Versen 9f. erwähnt sie, daß sie nicht in der Lage sei, ihre Herrin vor Beschimpfungen zu schUlzen. 1,16,
5
7
8
nune ego, noelurnis potorum SOUdil r;xis, PUISiltO indignis soepe queror manibus let mihi nonYJ9 desunllUrpes pendere corollae semper et exdus; signa iacere faces. ] nec possum infamis dominae defendere voces 5lO,
Das Schlußdistichon als ganzes klingt mit den Begriffen taUs (V. 39) und qualis (V. 40) an den ersten Abschnitt der Elegie an. Dies haben auch Curran (S. 205) und Lyne (I, S. 77) festgestellt. Auch die im folgenden von mir genannten wönlichen Entsprechungen inner· halb der Elegie sind zum Teil bei Lyne (I, S. 77) aufgeführt. ~ Lyne (I, S. 75) merkt zu ocellos in V. 33 an: "Our attentions are turned not forward, but back, to the idealistic moment of line 19, when Propertius had referred to his own eyes thus." 50lI Aufdiese Entsprechung weisen Lyne (I, S. 77) und Hannon (S. 161) hin. YJ9 Ocr Versanfang el miM non ist in dem relevanten ~,eitraum sonst Dicht mehr belegt. Er ist womöglich an den Anfang des Verses Prop. 1,4, 18 et tibj non angelehnt, den der Bearbeiter auch in [Prop.) I, 6, 23 übernommen hat und der ebenfalls sonst nicht mehr belegt ist.
506
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Die Elegien des ersten Properzbuches
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nobi/is obsunis tradi/II carminibus,' 11
(nec tarnen i//a suae revocotur parcerefomae511 ,
12
turpior et saec/i vivere /uxuria.] hss inter gravius cogor deflere quere/as supp/icis 11 /ongis tristior ucubiis.
(1,16,7f·l m Den beiden Distichen, in denen Propen die Tür ihre gegenwärtige schmachvolle Lage schildern läßt (VV. Sr. und 9r.), hat der Bearbeiter jeweils noch ein Distichon angehängt, in dem er zum Zwecke der Steigerung die Not der TOr weiter ausmalt. In den Versen 7f. werden als weitere Schmach, die die Tür ertragen muß, lurpes coroflae genannt, die von ihr herabhängen, sowie Fackeln eines exclusus, die ständig vor ihr liegen. Was diese beiden Verse verdächtig macht, ist die verfrühte Anspielung auf den ausgeschlossenen Liebhaber durch exclusus in V. 8. Ganz deutlich wird jener nämlich, wie die gedankliche Zäsur vor V. 13 und die Komparative gravius in V. 13 und Iristior in V. 14 nahelegen, erst in diesen Versen eingeführt. Hinzu kommen sprachliche Auffillligkeiten: Die Junktur el... non... el ist laut Fedeli prosaisch. Zu non desunl... pendere bemerkt Fedeli: "La costruzione personale di desum + infinito e rara ed estranea alla lingoa dei I sec. a. C., dove comparc solo in Properzio." Diese Ungewöhnlichkeit wird dadurch gesteigert, daß von non a'esunt neben pendere auch der Infinitiv iacere in V. 8 abhänft. Schließlich ist semper in V. 8 nach non desunt in V. 7 eine unschöne Tautologie 13. 1I,16,lIf.)
Die Verse I1 f. enthalten eine Beschwerde darüber, daß die domina, ihren Ruf nicht schonend, ein ZOgeIlases Leben filhre. Um die Schwierigkeiten, die diese beiden Verse dem Versländnis bereiten, deutlich zu machen, seien zunächst einige Kommentare zitien. Butler und Barber bemerken zu den Versen: "The couplet is difficult and obscure, but it can be translated and made to yield fair sense." Nicht zufriedener äußern sich Hodge und Buttimore über den Verlauf des Gedankenganges: "Nec tarnen probably relates particularly to the vile verses of the previous line... Turpior al the beginning of line 12 seems roeant to attach the whole line loosely to i/la ... Line 13 is also loosely attached to what preeedes, through has inler."
Am Schluß von V. 9 ist noctes überliefert. Housman konjiziert voces. Noctes steht mit dem Inhalt der Verse llr. in einem besseren Einklang als voces; allerdings sind diese beiden Verse ebenfalls unecht. Für die Konjektur voces spricht kJar die Fonnulierung obscenis tradita carmirribus in V. 10. die eine geeignete Spezifikation von infamis voces ist. nach rroctes hingegen keinen rechten Sinn ergibt. 511 Die Junktur parcere famae findet sich nur noch in Ov. am. 3, 14, 36 si dubilas famae pararr, par« mihi. 51! Die Probleme in dieser Passage sind schon früher erkannt worden. Phillimore vcrsettt die Verse 7r. hinter V. 10, Richrnond hinter V. 12. lachmann hat die Verse Ilr. anfangs getilgt und sie dann hinter V. 48 versetzt. E. Baehrens versetzt sie hinter V. 8. m Die Verse 7r. sind im Typologiekapilel in Abschn. I. A. I. b erfaßt.
510
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ll5
Auch hinsichtlich ihrer sprachlichen Form geben die Verse Ilf. zu ernsten Bedenken Anlaß: Die Konstruktion nec... revocarur parcere /amae... er... vivere läßt sich nicht zufriedenstellend erklären'l.: ..Tbe double infinitive is c1umsy and the change of construction renders the line obscure. But there is no plausible remedy", bemerken Butler und Barber. Die Verse 11 f. sind ein oberflächlich angebundener, moralisierender Kommentar zu in/amis voces in V. 9. Der Bearbeiter hat sie mit dem Ziel hinzugefiigt, die Entrüstung der Tür zu steigern. Zum Ausdruck von EntrOstung dient der Komparativ turpior in V. [12], wie in V. [7] turpes. Diese Verwendung ein und desselben Begriffes in zwei so eng benachbarten Interpolationen ist wieder ein Beispiel von ..Interpolatorenökonomie""s.
• Nachdem die Tür, wie in den Versen 1-4 ihre glorreiche Vergangenheit, in ebenfalls vier Versen ihre schmachvolle derzeitige Lage dargestellt hat (VV. Sr. und 9f.), kommt sie ab V. 13 auf ein noch größeres Leid zu sprechen: Auf das Leid, welches ihr das Los des exc/usus amator beschert, von dessen Klagen sie Zeugc ist. Nach dieser eleganten Überleitung zu dem exclusus amotor in den Versen 13f. berichtet die Tür im nächsten Distichon, jener lasse ihre Pfosten mit seinen ausdrucksvollen Schmeicheleien nie zur Ruhe kommen (VV. 15f.). Ab V. 17 gibt sie die Äußerungen des e.xclusus in wörtlicher Rede wieder. Diese beginnen mit dem Vorwurf, die Tür sei sogar grausamer als ihre Herrin (V. 17), an den sich die empörte Frage anschließt, warum sie ihm gegenüber verschlossen sei und schweige (V. 18). Es folgen weitere empörte Fragen: ..Warum öffnest du dich nie und gewährst meiner Liebe Zutritt, und warum leitest du meine verstohlenen Bitten nicht weiter (VV. 19f.)? Wird meinem Schmerz kein Ende gewahrt werden und wird der schmachvolle Schlaf auf einer lauwarmen Türschwelle mein Teil sein (VV. 21f.)?'" In den Versen 23-26 macht der Liebhaber der Tür zum Vorwurf, daß sie, während die Sterne, die Mitternächte und die kalte Luft des Morgengrauens ihn schmerzten, erbarmungslos mit dem Schweigen ihrer Angeln antworte. Anschließend äußert er den wehmütigen Wunsch, seine Worte möchten durch einen Spalt in ihr an die Ohren der domina gelangen (VV. 27f.), und fügt in den Versen 29·32, die Berechtigung dieses Wunsches beteuernd, hinzu, daß seine domina, möge sie auch noch so hart sein, ihre Augen nicht werde unter Kontrolle halten können, wenn ein Wort von ihm an ihr Ohr dringe, sondern unter unfreiwilligen Tränen zu seufzen beginnen werde; nun aber liege sie im glücklichen Arm eines anderen, während seine Worte im nächtlichen Wind ungehört verhallten (VV. 33f.). Der Schluß der Elegie I, 16 ist um mehrere Zusätze erweitert. Für echt halte ich nach den Versen 33f. noch die Verse 37f., 41f. und 47f. Im Anschluß an die Verse 33f. beteuert der e.xc/usus amator, er habe niemals die Tür durch freche Worte verletzt (VV. 37f.), sondern oft Gedichte für sie verfaßt und ihre Stufen geküßt SI~ Zu einer ausführlichen Diskussion verschiedener Erklärungsversuche vgl. Fcdeli ad loe. SI'
Die Verse 11 r. sind im Typologiekapitel in Abschn. I. A. I. b crfaßt.
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Die Elegien des ersten Properzbuches
136
(VV. 41 f.), Mit diesen Worten enden seine Klagen. Es folgt das letzte Distichon, in dem die TOr abschließend nochmals zusammenfaßt, welche Dinge ihr Schmerzen bereiten (VV. 47f.). 1,16, 33 35
36
39 40 43
46
nunc ;IIC~t a/urius fdici nlxll Jauno, 111 m~1I flocturflo ~'~rba cllduflt Z~phyro. [sed tu SO/li mei tu maxima causa do/oris. \';cta meis numquam, ;anua. mUfleribus'l'.] t~ non U//Il "'~Il~ Jllesit pnu/llfltilllingull~; qua~ soln ;rato d;ur~ tllnta iDCO, . quereI'" a Iut me tom Ionga raucum pol/are solJicitas trivia pervigi/are moras.] IIt tibi sa~pe nova deduxi carm;na v~f'su, osculaqu~ innixus pressa d~di gradibus. [an/e tuos quotiens \'f!rti me. perfidaSll , po.ftis debitaque occultis vota luli maniblls!" haec Ule et si quae miseri novistis amomes, et matutinis obs/repil alilibus.) sie ~go nune dominae vitiis el semper amantis fletibus a~terna differor in\·idia.'
[t, 16, 3sr.)Sl9 ach der wehmOtigen Aussage in den Versen 33f., nun liege seine domina in den Armen eines Anderen, während seine Worte im nächtlichen Wind ungehört ver hallten, beteuert der exclusus omalar in V. 37, er habe niemals die Tür durch freche Worte verletzt. Dieser Beteuerung ist ein Distichon vorangestellt, in dem der Dichter der Tür vorwirft, sie, die einzige und größte Ursache seines Schmerzes, sei nie von seinen Gaben besiegt worden (VV. 35f.). Die Verse 35f. sind in mehrfacher Hinsicht problematisch. In V. 35 erscheint die Verbindung von ma;cimo und sola ungereimt. Was mit muneribus in V. 36 gemeint ist, bleibt unklar. Zwar wirken die Verse 37f. formal wie eine Erklärung von V. 36 und somit von muneribus; inhaltlich gesehen sind sie es allerdings nicht. Der Dichter der Verse 35f. hat bei mllneribus womöglich an die CQrminQ aus V. 41 gedacht, dabei aber nicht beachtet, daß diese in einen Kontrast zupellllantia in V. 37 eingebunden sind und sich darum über die Verse 37f. hinweg gedanklich nicht mit V. 36 verbinden lassen. Schließlich bereitet auch der gedankliche Übergang von 4
Sehr auffällig ist die starke Anlehnung des Distichons an V. 25 der Elegie: tu sola humaflOS flumquam miserata dolow. Der Vers I, 16,25 erinnert an ein Distichon im zweiten Properzbuch; vgl. die Verse 2, I, 57f.: omnis humanos sanal medicina l/iJJ.ilw. I solus amor... m Vgl. [Prop.) I, 8A, 15 ul Me defuum WJCUQ ud,tur in ara; der einzige Beleg tur eine Ihnliche Klausel wie potiare querela iSI V. 123 der pseudoovidischen Nux: ... domini /1Jl.:. lienda fuerda esr. s•• Vgl. Ov. episl. 20, 115: inde fil. ut f"gcims exsistue ocrfitia templas. m Daß diese Sielle bereits frOher als problematisch empfunden wurde, zeigen verschiedene Eingriffe: Richmond versetzt die Verse 15f. hinter V. 36 und die Verse Hf. hinler V. 16. 51.
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V. 36 nach V. 37 Probleme: Das le zu Beginn von V. 37 ist nach dem zweifachen tu in V. 35 verwirrend520 .
(1,16,39f.) Die Verse 39f. enthalten einen Konsekutivsatz, der gedanklich auf höchst ungewöhnliche Weise an das vorausgehende Distichon angebunden ist. Man muß verstehen: "leh habe dich niemals mit frechen Worten beleidigt (V. 37),... so daß du ein Recht darauf hättest, zuzulassen, daß ich, heiser vom langen Klagen, kummervoll auf dem Weg wache (VV. 39f.)." Dieser Konsekutivsatz wirkt nicht nur "nachgeschoben"m, sondern bringt außerdem die inhaltlich eng zusammengehörigen Verse 37f. und 41 f. auseinander. Problematisch ist des weiteren die Erwähnung des trivium in V. 40, die sich gedanklich mit dem Aufenthalt des exc/usus vor der verschlossenen Tür (vgl. V. 22: turpis et in lepido /imine sonmus eriI?) nicht vereinbaren läßt. Es erweist sich als nützlich, zwei weitere Elegien, in denen das Paraklausithyron-Motiv variiert wird, zum Vergleich heranzuziehen: Tib. 1,2 und Ov. am. 1,6. In Tib. 1, 2 stehen Motive, die denen in den Versen 37f. und 41 f. bei Properz ähnlich sind, in unmittelbar benachbarten Distichen; vgl. Tib. I, 2, II fl: VV.IIf.: VV. 13f.:
et mofa si qua tibi duil dementia nostra, / ignoscas... te meminisse decet quoe plrlrima voce peregi / supplice...
Das Adjektiv raucus in V. 39 hat der Bearbeiter möglicherweise aus Ov. am. I, 6, 50 geholt. Er bezieht es in einer recht eigenartigen Übertreibung auf den exc/usus amalor'22. Ovid hat es sinnvollerweise als Attribut für die Tür gebraucht, indem er sie als knarrend darstelltm.
11,16,43-46)524 Die Verse 37f. und 41 f. bilden eine gedankliche Einheit: ..[ch habe dich nicht durch freche Worte verletzt (VV. 37f.), sondern ich habe oft Lieder für dich gedichtet (VV. 41 f.)." Es folgen zwei unechte Distichen, die ich getrennt voneinander untersuche. Die Verse 43f. enthalten eine weitere Beteuerung nach Art derjenigen in den Versen 41f., die sich allerdings gedanklich nicht in die Einheit einfügen läßt, welche die Verse 37f. und 41 f. bilden: Der Dichter weist in ihnen daraufhin, wie oft er sich vor der Tür gedreht und ihr debita vota gebracht habe. no Die Verse 35f. sind im Typologiekapitel in Abschn. I. B. 4 erfaßt. S21 Denselben redundanten Charakter hat Obrigens auch der Konsekutivsatz in [Prop.] I, 8A, 15f., auf dessen fonna1e Ähnlichkeit mit V. 39 ich bereits in der Anmerkung zu letzterem Vers hingewiesen habe. m Zu der lihnlich mißlungenen Junktur rauci... cycni in [Verg.] Aen. 11,458 vgl. Zwierlein 1999, S. 195. Zwierlein tilgt die Verse Aen. 11,451-458. sn Die Verse 39f. sind im Typologiekapitel in Abschn. I. B. 3 erfaßt. m Die Verse 45f. tilgte als erster Quo Zwierlein.
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Nicht nur lassen sich diese beiden Aussagen nicht an das Vorhergehende anbin· den - sie sind auch in sich kryptisch: Richtig merken Hodge und Buttimore zu V. 43 an: "The final couplet ofthe lover's speech is very strangc". Butler und Barber weisen die Interpretation von verli me als einer religiösen Handlung mit Recht als "ingen.ious, but too far-fetched to be probable" zurück. Bei der Komposition von V. 44 hat deutlich der vorige Pentameter, V. 42, als Vorlage gedient: V.42:
oscul8JlJH
V·I«]'
debitaJUU
impressis. occultu..
mx,,val,,-
dedi luli
gradÜl.ll..S. maniJuts.
Die Verse 45f. sind dem echten Schlußdistichon von I, 16, den Verscn 47f., nachgebildet. Sic haben ebenfalls einen summarischen Charakter: "So spricht der Licbhaber und wetteifert mit dem morgendlichcn Gesang der VögeL" Dic Verse 45f. lassen dic Verse 47f. redundant crscheinen. Bcide Distichen haben jeweils den Charakter eines Abschlusses der wörtlichen Rede des exclUSllS und zugleich der Elegie. In den Versen selbst steht der Ton, in dem die Apostrophe et si quae miseri 110vis[is amantes gehalten ist, im Widerspruch zu dem der vorausgehenden KJagen. Schließlich besteht zwischen den Begriffen amanles 3m Schluß von V. 45 und amantis am Schluß von V. 47 eine ungute Reibungm .
Entsprechungen zwischen den Elegien 3 und 16 Wie im Falle von 1,2 und I, 15, so verbirgt sich auch hinter den Entsprechungen zwischen den Elegien 1,3 und 1, 16 ihr markanter inhaltlicher Gegensatz.. In beiden Elegien wird jeweils eine unterschiedliche nächtliche Szene beschrieben. In 1,3 kommt Properz spät in der Nacht betrunken heim. Er will sich zunächst der schlafenden Cynthia nähern, verharrt dann allerdings bis zu ihrem Erwachen still an ihrem Lager. Als sie erwacht ist, wirft sie ihm sein spätes Heimkommen vor und wünscht, er möge solche Nächte erleben, wie er sie ihr stets beschere. Die Eie· gie I, 16 ist ein abgewandeltes Paraklausithyron. Sie handelt vor allem von den nächtlichen Klagen eines ausgeschlossenen Liebhabers. Bereits in den ersten Abschnitten der beiden Elegien, die jeweils acht Verse um· fassen, wird die gegenseitige Bezogenheit deutlich signalisiert. Die ersten vier Verse beider Elegien handeln von Vergangenem: In 1,3, 1-4 sind dies mythologische Vergleiche, mit denen Properz die friedvolle Ruhe der Cynthia beschreibt; in I, 16, 1-4 sind dies die Ausfilhrungen der Tür über ihre früheren ruhmreichen Zei· ten. Nennenswert ist die Entsprechung von libero am Anfang von I, 3, 4 und cop[orum am Anfang von I, 16, 4. In ihr deutet sich bereits der unterschiedliche Grundtenor der bei den Elegien an. Am Ende des sechsten Verses der beiden Elegien steht der Begriff manibus, mit dem in I, 3, 8 die Hände bezeichnet werden, auf die die schlafende Cynthia ihr su Die Verse 43(. sind im Typologiekapitel in Abschn. 11. A. 1 maßt, die Verse 45f. in I. B. 3.
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Haupt stützt, in I, 16, 8 hingegen die rohen Hände von Betrunkenen, die auf die Tür einschlagen. Auch das Motiv der Trunkenheit kommt beide Male vor: in I, 16 in negativer Weise (vgl. V. 5: lloc/urnis po/Drum saucia rixis), in 1,3 dagegen ohne jegliche negative Färbung: Die weinselige Stimmung, in der der Dichter des nachts heimkommt (vgl. V. 9: ebria cum mul/o traherem vestigia Baccho) entspricht dem relativ unbeschwerten Stadium, in dem sich die Beziehung zwischen Propen und Cynthia, anders als in I, 16, zu diesem Zeitpunkt noch befindet. Auch der Beginn der Klage der Cynthia in I, 3 weist deutliche Entsprechungen zu dem der Klage des ausgeschlossenen Liebhabers in I, 16 auf: Das jeweils erste Distichon (1, 3, 35f.; I, 16, 17f.) ist eine empörte Frage, die mit dem Begriffjoribus endet. In 1,3 kommt diese Frage aus Cynthias Mund, in I, 16 aus dem Mund des ausgeschlossenen Liebhabers. Hinter den Entsprechungen zwischen den beiden Elegien I, 3 und I, 16 verbirgt sich ihr entscheidender inhaltlicher Unterschied. Das Blan hat sich von I, 3 nach 1,16 klar gewendet: In 1,3 wird aus der Sicht des Propen die Beziehung zu Cynthia als sicher beschrieben; er kann sich einiges herausnehmen. ohne damit Cynthias Anhänglichkeit aufs Spiel zu setzen. In I, 16 ist, wie in 1,3 Cynthia, nunmehr der Liebhaber in der Position des Benachteiligten.
3. Die Elegien 4 und 5
Die Elegie I, 4 In 1,4 wendet sich Propen an Bassus, der ihn durch das Lob anderer Mädchen von Cynthia abzuwenden sucht. Er fragt den Adressaten, warum er dies tue und ihn nicht die restliche Zeit seines Lebens in dem gewohnten servitium amaris zubringen lasse (VV. 1-4). Anschließend gibt er ihm jedoch zu verstehen, daß seine Angriffe keinen Erfolg haben werden: Selbst wenn er eine Antiope oder eine Hermione oder jede andere beliebige schöne Frau aus dem Mythos vor ihm ruhme, bringe Cynthia ihren Ruhm zum Verblassen (VV. 5-8). Die Aufeinanderfolge einer Protasis, bestehend aus zwei spezifischen (W. 5f.) und einer allgemeinen Aussage (V. 7), und einer markanten Apodosis (V. 8) stellt ein wirkungsvoll in sich geschlossenes Ganzes dar. 1,4,
5
9 10
tu licet Antiopoeformom Nycteidos, et tu Sportonae referas loudibus Hermionae, • et quascumque tulit formosi temporl.s ados,. Cynthia non iIIas nomen habere sinat: {nedum, si ievibusfuerit collatafi~ris526, inferior duro iud/ce turp/s 17 eat.] haec sedforma mei pars est extrema furoris,. sunt maiora, quibus. Basse, perire iuvat:
Die Junktur levis figura ist sons! nicht belegt. m Vorbild ist Ov. am. 2, 17,2 iIIo cOllvincar ilH/icc turois ego. 526
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(1,4,91.)
Die Verse 9-10 sind zum Zwecke einer weiteren Steigerung der Klimax in den Versen 5-8 interpoliert worden: "Wenn du Cynthia mit mittelmäßigen Schönheiten verglichest, würde sie erst recht nicht für minderwertig erklärt in Schande davongehen, selbst wenn der Schiedsrichter hart wäre." Diese Ausweitung der KJimax in den Versen 5-8 läßt zum einen unberücksichtigt, daß jene bereits abgeschlossen ist und keine Fortsetzung zuläßt. Zum anderen steht sie in einem gedanklichen Widerspruch zu den Versen 1-8: Bassus versucht, Properz durch das Lob anderer Mäd· chen von Cynt.hia abzubringen (VV. 1-4); Properz versichert ihm, er werde .s.t1.b.s.1 dann keinen Erfolg haben, wenn er mythische Schönheiten rühmte (VV. 5-8). Die· ser gelungene klimaktische Gedankengang der Verse 1·8 m wird durch die Verse 9f. untergraben. Denn man muß die Verse 5·8 losgelöst von dem, was vorausgeht, betrachten, damit sie mit den Versen 9f. einen vernünftigen Gedankengang ergeben. Aufgrund des fledum in V. 9 lassen sie sich nicht mehr steigernd im Sinne von "Du hättest s..e.lbs..L..cI keinen Erfolg, wenn..... auffassen, sondern erhalten eine neue Bedeutung: "Du hättest ~ keinen Erfolg... (VV. 5-8); erst recht nicht, wenn ... (VV. 9f.)" Die gedankliche Anbindung der Verse 11 f. ist nach den Versen 9f. ebenfalls problematisch. Haec forma in V. II läßt sich nur sehr indirekt auf die Verse 9f. beziehen. Die Verse 9f. sind auch an sich überladen. In dem Bestreben, eine größtmögliche Steigerung zu erreichen, hai der Dichter in ihnen zwei Gedanken kontaminiert: nedum si levibus fuerit collata figuris und duro iudice S29 • Der zweite Gedanke ist überhaupt abwegig, da sich Propen im Vorhergehenden lediglich auf sein eiienes, subjektives Urteil beruft5Jo .
• Die Verse Ilf. schließen sich sehr schön an die Verse 5-8 an. Nachdem Properz dort bekräftigt hat, daß Bassus ihn selbst durch das Lob herausragend schöner Frauen (vgl.formam in V. 5 undformosi temporis in V. 7) nicht irritieren könne, überbietet er in den Versen Ilf. diese Aussage, indem er versichert, Cynlhias Schönheit (vgl. forma in V. 11) sei das Geringste, was ihn an sie fessele; sie habe größere Vorzüge, die ihm noch weitaus mehr bedeutcten SJl •
Zum einen stellt tu lieet Antiopaeformam... re/eras laudibus... (VV. 5f.) eine Steigerung gegenüber tam multas lalldando... puellas (V. I) dar; zum anderen ergibt sich durch die Verallgemeinerung quaseumque in V. 7 innerhalb der Verse 5·8 noch eine zusätzliche Steigerung, welche die erstere verstärkt. 'Z9 Camps' Interpretation, daß duro "is said here rrom the loser's point orview", der sich auch Fedeli anschließt, halte ich rur wenig plausibel, da sie von einer noch komplizieneren als der hier angenommenen Gedankenkontamination ausgeht. HO Die Verse 9r. sind im Typologiekapitel in Abschn. I. A. 2 erfaßI. '31 Man kann sogar so weit gehen, zu sagen, daß V. 11 nach V. 8 stehen.lIl1lß: Der Sinn von V. 8 wird durch haee/orma in V. 1I ersl richlig erhellt. 521
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1,4,
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hau sedfo,ma mei pars esl ext,ema furons; sunt mllio,a, quibus, Basse, pe,;,e ;Ul'tJt: [;ngenuus COlD, el multis decus artibus. et quae gaudia sub tadta discere \'t'Ste libetll2 .] quo magis et nostras contendis soll'e,e amo,es, hoc magis accepta fallit uterque fide.
(1,4, Br.I!..)) Die Vel!ie 13f. sind eine Erläuterung der Andeutung maiara in V. 12. In einer Aufzählung weiterer Qualitäten Cynthias nennt der Dichter als erstes ihren ingenuus color. Wie auch immer dieser Ausdruck genau zu verstehen ist - eine scharfe Abgrenzung vonJorma (V. 11), die wegen sunt maiora (V. 12) notwendig wäre, ist j nicht gcgeben ).4. Die anschließend genannten Vorzüge Cynthias bereiten nicht geringere Probleme: Nach maiora in V. 12 sind allenfalls spezifische Angaben angemessen, nicht aber eine allgemeine und darum wenig aussagekräftige wie multis decus artibus und quae gaudia sub tadta ducere veste libet. Auch im Falle der Verse 13f. ist die problematische Anbindung der folgenden Verse ein Interpolationsindiz. Das et in V. 15 suggeriert nach den Versen 13f., daß die dortige Aufzählung fortgesetzt wird. Dies ist jedoch nicht der Fall. Sprachlich gesehen ist zumindest die Verbindung muflis decus arlibus bedenklich. Butler und Barber bezeichnen sie als "a hold descriptive ablative", Fedeli, der sich Shackleton Bailey anschließt, als "un ablative d'origine, un uso raro in dipendenza da sostantivi". Was den Inhalt der Verse 13f. betriffi. so hat sich ihr Dichter an der Partie 1,2, 27ff. orientiert. Der gedankliche Kontext dort ist dem in 1,4 ähnlich. In 1,2 versichert Properz Cynthia in den Versen vor V. 27, ihre Schönheit komme in naturbelassenem Zustand am meisten zur Geltung. Ab V. 27 zählt er dann die mullOe ortes auf, die ihm Cynthia besonders teuer machen (vgl. cum proesertim in V. 27), i.e. mehr als ihre Schönheit dies tue. Sprachlich sind die Verse 13f. zum Teil an die voraufgehende Passage angelehnt: fibet am Schluß von V. 14 ist dem iUVOI am Schluß von V. 12 sehr ähnlich, während et quae am Schluß von V. 13 stark an el lu am Schluß von V. 5 erinnert SH •
• In gelungener Anknüpfung an seine Erklärung in den Versen 11 f., er sei Cynthia nur zum geringsten Teil wegen ihrer Schönheit verfallen, folgert Properz in den Das Distichon ist deutlich an Prop. 2. 6, ) If. angelehnt: ... qui prorulit arte / turpia m.b. wa'q condita laelitia. m Richmond nimmt hinter V. 14 eine LOcke von vier Versen an. Die Verse I3f. tilgte als erster Ollo Zwierlein. ')01 Butler und Barber fassen forma im Sinne von ..,figure' nol ,beauty'" auf. Dem ImBt sich entgegenhalten, daB forma aufgrund der in V. 7 vorausgehenden Formulierung (QrmoU temporis aettu keineswegs so eng aufgefaBI werden kann. ns Die Verse I)f. sind im Typologiekapitel in Abschn. 11. B. I erfaßt. ll2
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Versen 15f. triumphierend, daß, je mehr Bassus sich bemühe, ihre Liebe aufzulö~ sen. desto mehr jeder von ihnen heiden aufgrund des gegenseitigen Treueverspreehens sein Vorhaben vereiteleS36 • Nachdem er mit diesen Wonen den sicheren Mißerfolg des Bassus prognostiziert hat, geht er noch weiter, indem er dem Freund selbst künftige Strafe fiir seine Versuche, ihn und Cynthia zu entzweien, androht: Cynlhia werde von Bassus' Versuchen erfahren und sicb mit lauten Worten feindlich gegen ihn wenden (VV.17f.). t,4,
11
11011 '-"'PUlle. fe.res: sein hllec ;"santl puella
19 20
el ,ibi non Illci/U \'OCibus hostis ui/; [nee üb; mem post hQ« commiuet Cymhia nee te quaercr}l: erit fant; criminis iIIa mcmo,'19, J er le eir'cum omll;$ alitU irata pueflas differet: heu nul/o /imine (llrus eris!
11,4,19f.)
Während sowohl in den Versen 17f. als auch in den Versen 21 f. von Cynthias un· mittelbarer Reaktion auf Bassus' EnlZweiungsversuche die Rede ist, wird in den Versen 19f. die fernere Zukunft ins Auge gefaßt (vgl. post haec. erit iIIa memor): In ihnen heißt es, Cynthia werde de!1 Kontakt zwischen Bassus und dem Dichter unterbinden und ihn auch selbst nicht mehr aufsuchen. Diese beiden Drohungen geben zu einiger Verwunderung Anlaß: Zum einen klingt die Drohung, daß Cynthia den Kontakt zwischen Properz und Bassus unterbinden werde. recht ausgefallen, urn es gelinde auszudrücken. Des weiteren kann die Fonnulierung nec te quae· ret kaum anders als im erotischen Sinne verstanden werden; sie steht damit in einem krassen Widerspruch zu den Versen 15f., die jegliches Interesse von Cynthia an Bassus vollkommen ausschließen. Schließlich stößt man sich auch an dem Aus· druck tanti criminis, der nur im Sinne eines Erfolges von Bassus' Bemühungen gedeutet werden kann und damit in dem gleichen inakzeptablen Gegensatz zu den Versen 15f. steht wie die Verse 23fT.• die ebenfalls einen solchen Erfolg voraussetzen. Was die Sprache der Verse betrim, so stört, daß in V. 17 von der puella die Re· de ist und erst zwei Verse später der Name Cynthias rulh~o .
• Sehr gut fUgen sich an die Verse 17f., in denen Properz dem Bassus tur seine Versuche, ihn und Cynthia zu entzweien, eine Strafe androht, die Verse 21 f.; in ihnen Dem er in V. 15 kommt also ein konsekutiver ebensinn zu. m Der Versanrang nec tibi me ist aus Ov. trist. 3, 6, 4 geholt. 'li Vgl. CatulJ. S, 13 nec te requird nec rogabit invitam. ')IJ Die Klausel i/Ia memor findet sich nur noch in dem ebenfalls verdachtigen Properz\'crs 3, 12,20 ... non erit j//a "(IIIoe. Sonst steht iIld..Q memor stets am Versanfang. S<eO Vgl. dagegen 1, SB, 27·30. Oon gehl der ennuns von Cynthias Namen lediglich ein Pronomen voraus. Die Verse 19f. sind im Typologiekapitel in Abschn. J. A. 1. a. erfaßt. 'J'
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setzt Properz die in den Versen 17f. begonnene Darstellung der unmittelbaren Y.tC:. b..a.ltn Reaktion Cynthias fort: "Und sie wird dich bei allen anderen Mädchen ringsum diffamieren." Den Schluß dieses Distichons, und damit zugleich der Elegie, bildet ein mitleidsvoller Ausruf: Bassus werde, wenn das Angedrohte eintreffe, keiner Türschwelle mehr willkommen sein. Dieser Schluß steht gedanklich ganz im Einklang mit den Versen 15f.: Die Beziehung zwischen Properz und Cynthia hat sich gegen die Entzweiungsversuche behauptet; Bassus ist kläglich gescheitert. 1,4,
21 23
25
I, 5,
1
et te eircum omnis alias irata puellas differet: heu nullo Jimine carus eris! [n/lllas iIIa suis cOlllemlletflelibUJ aras, er quicumque saeer qualis ubique lapis. /lall ullo gravius temptalur eyn/Ma damno quam sibi eum raplo eessat amore deUJ S41 : . • praeelpue nosr,.,·S42 . manear sIe semper, ad ara, nee quiequam &\ i/la quod quera~) inveniam! invide S44 , tu tandem voees eompesee molestas S4 ) er sine nos eursu, quo SUnlUJ, ire pures!]
(1,4,23_5,2)5046 Die FornlUlierungen nu//as... contemnet in V. 23 und non !lllo in V. 25 lassen im Anschluß an lW//O in V. 22 die Erwähnung weiterer Maßnahmen Cynthias gegenüber Bassus nach Art der zuvor geschilderten erwarten. Ganz im Gegenteil enthalten die Verse 23-26 jedoch eine Beschreibung von Cynthias Reaktion für den Fall, daß Properz sie aufgibt. Sie haben wider Erwarten die Funktion, die Schwere der Konsequenzen von Bassus Verhalten für Cynthia als Leidtragende, und nicht mehr für ihn selbst, zu unterstreichen, und stehen somit in einem inhaltlichen Widerspruch zu dem Vorhergehenden, in dem kein Zweifel daran gelassen wird, daß Bassus mit seinen Attacken scheitern werde54'. S41
Dic Klausel arnore deus iSI aus Tib. 2, 3, 32 geholt jabula sir mavull quam sine «more dna. Sie findel sieh ansonsten nur noch in [Prop.]I, 13,22 Taenariusjaci/i pressit «more
rWH. Für dcn Versanfang hat Oy. ars 3, 770 als Vorlage gedient: praecipue oOSlcum est...; ein ähnlicher Versanfang isl sonst nur noch in der eiris, V. 99 belegt: praec;oue 0oslro... S4J Die Wendung quod querar ist noch an zwei weiteren Stellen belegt. In Oy. trist. 5, 1,37 Slehl sie am Versanfang, in Oy. episl. 14, 110 an der selben Versstelle wie in unserem Vers. S44 Mit invide beginnt [Oy.] Pont. 4,16, I (s. Zwierlein 1999, S. 38911). S4' Hat womöglich Oy. ars 1,464 eiJugiant VQces verba moJe$la tuae als Vorlage gedienl? S46 Riehmond versetzt die Verse 25f. der inkriminierten Passage hinter V. 14. )41 Enk faßt eogis in V. 2 richtig als de eonatu auf. Ihm schließen sieh auch Pasoli (S. 28) und Fedeli an. Ebenso haben Hodge und Butlimore recht mil ihrem Kommentar zu den Anfangsversen der Elegie: ,,At this stage h~'(propertius) seerns to bc making no claims for Ihc relationship." Sie merken auch zu den Versen 23-6 zutreffend an: "The... two coupleis iI.lr:. prisio~~ deseribe her (Cynthia 's) reaClions if Propcnius were to rejcx:t her." Nicht nur die Verse 1-4, sondern die Verse 5-16 sind als Darstellung der wirklichen Verhältnisse aufzufassen: Bassus' Entzweiungsversuche sind aussichtslos. Dies kommt vor allem in der zu· S41
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Was die Sprache der Verse 23-6 angeht, so wird in V. 24 auf ungewöhnliche Weise an zwei negative Aussagen eine positive durch et angeknüpft, ähnlich wie z. B. in [Prop.] I, 16, 12. Die starke Betonung, die auf der Verallgemeinerung quicumque qua/is ubique liegt, hat keinerlei ersichtliche FunktionS48 ; das gesamte Distichon wirkt übertrieben S49 • In V. 26 ist als sprachliche Auffalligkeit außerdem der Gebrauch des ReOexivpronomens anstelle des Personalpronomens zu verzeichnen. Die Verse 27f. sind ein Nachtrag zu rapto amore: "Besonders der Verlust meiner Liebe verletzt Cynthia..." Suits hält dieses Distichon rur besonders künstlerisch: "The unusual enjambement of the beginning of the last hexameter lends the words praeeipue nostri special emphasis, while the consequent beginning of thc final sentence in midline gives an almost breathless intensity to the prayer it contains."sso Bei kritischerer Betrachtung ergibt sich ein anderes Bild: Nicht nur ist das Enjambement praeeiplle nOSIr; gewagt und untypisch rur Properz; das praecipue ergibt keinen Sinn - geht es doch auch vorher um die Beziehung von Cynthia zu Properz. Auch die Fonnulierung maneal sie semper, rur die Suits die Beschreibung "breathless intensity" findet, ist problematisch, weil sie sich nur ganz allgemein mit dem im Vorhergehenden mitschwingenden Aspekt von Cynthias Treue verbinden läßt. Was die Sprache der Verse angeht, so ist der Ausdruck adoro bedenklich. Adorare wird nach Camps sonst stets mit dem Akkusativ der Person, an die das Gebet gerichtet ist, konstruiert. Die ebenfalls interpolierten Verse 1,5, 1-2 sind schon von Enk, in jüngster Zeit von Heyworth mit gutem Grund zu 1,4 gezogen wordens~,. Sie sind mit dem Ziel interpoliert worden, der Elegie einen neuen Schluß zu geben, dessen sie nach der Hinzudichtung der Verse 23-8 bedarf. Properz hat der Elegie mit der knappen Prophezeiung heu nullo /imine earus er;s (V. 22) einen verhaltenen, aber wirkungsvollen Abschluß gegeben. Der Bearbeiter hingegen zieht mit der Aufforderung an Bassus, tandem voees eompesce moles/os (I, 5, I) eine Art Schlußfolgerung aus der vorausgehenden, von ihm selbst hinzugedichteten Passage. Indem er so der Elegie eine auf Bassus zurücklaufende schärfere Wendung gibt, bemilht er sich, einen Bezug nicht nur zum echten Schlußdislichon der Elegie, sondern auch zu ihrem Anfang herzustellen S52 • Die Aufforderung an Bassus in den Versen 1,5, If. versichtlichen Aussage der Verse l5f. zum Ausdruck: quo magis... /"oe magis accepta fallit uterquefide. 548 Hodge und Buuimore: "Line 23... could be serious hyperboie, but line 24 goes beyond that possibility, with its scaUer of words designed to inc1ude every conceivable recipient of this indiscriminate weeper's tears. Quicumque makes both qua/is and ubique redundant, except to make trebly sure that no possible stone has been left dry." Auch Pasoli (S. 31), gesteht zu, daß die Verbindung qua/is ubique in der hier vorliegenden Bedeutung sonst nicht belegt iSI. Andererseits meinl er jedoch: "In abundanti quidem sermone, nihil tarnen invenias quod tollete velis; nihil enirn inane aut supervacaneum esl." 549 Fcdeli: "Cinzia... non esita 8 ri'Orrere alle fomle pio primitive di eusebeia." Hodge und Buuimore: "The extravagance ofher response moves into burlesque." ~)() Suits, S. 91. ~" Zu den Versen selbst Enk: "Hoc distichon, de quo commentatores silent, magnas interprctanti praebet difTicu[tates." m Voces mo/estas verweist zurück auf /audando puellas (V. I), ire pares auf domina cogis abjre mea (V. 2).
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Die rahmenden Elegien 1 - 5 und 15 - 18. 22
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ergibt jedoch, nachdem seine Niederlage schon klar prognostiziert wurde, keinerlei Sinn. Sprachlich fallt in I, 5, 1 die kolloquiale Verwendung des Personalpronomens beim Imperativ Präsens auP5J.
Die Elegie I, 5 Die Elegie I, 5 ist aus einem ähnlichen Anlaß entstanden wie 1,4. Sie ist an Gallus gerichtet, der allerdings nicht wie Bassus darum bemilht ist, Properz von Cynthia abzubringen, sondern sich selbst ihr zu nähern suchtu .(. "Wie I, 4 trägt das Gedicht 1,5 unbestritten Warnungscharakter.',m Im Unterschied zu 1,4 wird in 1,5 der genaue Anlaß der Elegie erst am Schluß deutlich. Die Elegie beginnt, wie 1,4, mit einer durch quid eingeleiteten Frage: "Was willst du, Wahnsinniger?" Diese und die anschließende Frage: ,,(Willst du) die furores meines Mädchens kennenlernen?" geben zu erkennen, daß der Adressat der Elegie sich anschickt, Cynthia näherzukommen (V. 3}55{j. Es folgen drei Verse, in denen in warnendem Ton m unheilvolle Konsequenzen dieses Vorhabens angekündigt werden (VV. 4-6). I, S,
3
7
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Quid tibi ."is, insane? meos sentirefurores? infelix, properas ullima nosse mala, el miser ignotos vestig;a feTTe per ;gn;s, eI b;bere e tota lox;ca The!u·alia. {noll est iIIa vagis similis collata 551 puellis: molliter irasci non soler S9 iIIa tibi. quod si forte tuis!J60 non es! contraria votiS)61, at tibi curarum milia quanta daM!] non tibi iam somnos, non illa relinquet ocellos; illa feros animis alligal uno ."iro5.
m Die Verse I, 4, 23 - S, 2 sind im Typologiekapitel in Abschn. 11. C. I erfaßt, die Verse 1,5, If. zusätzlich in I. B. 1. .s~ Pctersmann, S. 48: "Einmal also soll Properz Cynthia, das andere Mal Cynthia Properz genommen werden." m Petersmann, S. 51. 556 Zur Tilgung der Verse 1,5, If., die nach dem unechten Ex.kurs in den Versen 1,4,23-28 hinzugefilgt worden sind, um der Elegie I, 4 nach der VerwäSserung des echten Abschlusses einen neuen zu geben, vgl. meine Behandlung der Elegie I, 4 .sn Vgl. infela, ultima mala, V. 4; miser, ignotosper ignes, V. .5; toxica, V. 6. .sn Vgl. {Prop.} 1,4,9 nedum, si levibusfuerit collgl!ljiguris. Daß die Elegien 1,4 und 1,5 in einem engen Bezug zu einander stehen, ist also offenbar auch dem Bearbeiter nicht entgangen. 159 Vgl. Ov. trist. 1,9,25 nec solei jrasci neque enim moderatior alter. .s6O Vgl. {Prop.} 2, 26, 13 quod si (orte luOS vidisset Glaucus ocellos. Karl Weber hält die Verse 2, 26, 13-16, Heimreich die Verse 2, 26,13-18 filr interpoliert. S61 Vgl. [Tib.] 3, 4, 83 nec tibi crediderim votis CQnlrtlria VOI!I.
000454bJ
146
Die Elegien des ersten Propcrzbuches
(1,5,7-101'" Auf die warnenden Andeutungen in den Versen 3·6 folgen zwei Distichen mit weiteren Ausflihrungen über Cynthia: Die Verse 7f. enthalten Angaben über ihr Wesen: Sie sei nicht mit den losen Mädchen zu vergleichen; sie werde nicht ver· stehen, ihm sanft zu zürnen. Nach den unheilvollen Andeutungen in den Versen 3·6 stellen diese Aussagen, insbesondere die von V. 8, eine unpassende Antiklimax dar. Hinsichtlich der Gedankenfolge noch problematischer sind allerdings die Verse 9f., in denen die Möglichkeit in Betracht gezogen wird, Cynthia könne dem Werben des Gallus vielleicht nicht abgeneigt sein (V. 9), werde ihm aber selbst dann viele tausend Sorgen bereiten (V. 10). Mit der letzteren Einschränkung in V. 10 bemüht sich der Bearbeiter allem Anschein nach, eine gedankliche Anbindung sowohl an die warnende Zukunftsprognose der Verse 4·8 als auch an die echte Fortsetzung in V. 1I herzustellen. Aus diesem Grund wirkt die Formulierung curarum milia quanta in V. 8 sehr künstlich und gezwungen. An sprachlichen AufThlligkeiten in den Versen 5·8 ist zunächst der ungewöhnli· ehe Pleonasmus similis collata in V. 7 zu ncnnen S6J , sichtlich eine Erweiterung des einfachen collara in [Prop.] 1,4,9. Der Begriff collata steht in 1,4,9 an derselben Versstelle wie hier. Auch der Zusammenhang, in dem er veJVolendet wird, ist ein sehr ähnlicher: nedum si levibus fl.lerit collata jiguris. Des weiteren scheint, so Fedeli, der Gebrauch von quantus (V. 8) in der Bedeutung von quot hier zum er· sten Mal sicher belegt zu sein. Bei der Komposition der vier Verse hat sich der Bearbeiter nicht zuletzt auch an den Kontext angelehnt. Er beginnt seinen Zusatz so, wie die echte Fortsetzung in V. II anHingt: mit non. Im letzten Vers seines Zusatzes hat er sich ebenfalls an V. 11 orientiert: tibi steht in V. [10] an identischer Versstelle wie in V. 11 564 •
• In den Versen 11 f., die sowohl inhaltlich als auch fonnal gesehen die passende Fortsetzung nach den warnenden Andeutungen unheilvoller Konsequenzen von Gallus' Annäherungsversuchen an Cynthia in den Versen 3·6 sind, folgt nun die Konkrelisierung dieser warnenden Andeutungen: Cynthia werde Gallus keinen ruhigen Schlaf noch das Recht auf seine Augen lassen: Sie sei in der Lage, mit ih· rem Willen Männer zu beherrschen. Nach der unheilvollen Prophezeiung in den Versen 11 f. malt Properz in den nächsten vier Versen sehr lebendig und detailliert die voraussichtlichen Folgen von GalIus' Annäherungsversuchen an Cynthia weiler aus: Er werde oft, von Cynthia verschmäht, zu Properz gelaufen kommen, vor Schluchzen außerstande, zu reden; er werde unter kummervollen Tränen zittern und die Furcht werde sein Gesicht entstellen (VV. 13-6).
562 56.l $601
Postgate versetzt hinter V. 10 unter Vorbehalt die Verse 1,9, 23r. Camps nennt als Parallele Varro, ling. 9, 28: non bos ad bovern co/lalus similis. Die Verse 7r. sind im Typologiekapitel in Absehn. 11. B. 1 erraßt, die Verse 9r. in I. A. 2.
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Die rahmenden Elegien 1-5 und 15 - 18.22
1,5,
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17 18
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a] mea contemptus quotiens ad timina curres, cum tibi singultu fortia verba cadent et tremulus maestis orieturfletibus horror et timor informem ducet in ore notam {et quaecumque voles~s fugient tibi verba querentiWi, nec pOieris. qui sis aut ubi. nosse miser!] tum grave servitium nostrae eogere puellae discere et ac/urum quid sit abire domum;
11,5,17[·1 Die detaillierte Beschreibung der schlimmen Folgen von Gallus' Annäherungsver· suchen an Cynthia fur ihn selbst (VV. 13-16) bietet sich rur eine Fortsetzung fdrmlich an. Der Dichter der Verse 17f. hat sich jedoch nicht die Mühe gemacht, nur neue Details hinzuzufugen: In V. 17 wiederholt er das Motiv aus V. 14: Dem klagenden Gallus werden die Worte, die er sagen will, entfallen. In V. 18 schließ· lich fugt er steigernd an, Gallus werde nicht wissen können, wer und wo er sei. Neben der Motivwiederholung aus V. 14 in V. 17 gibt es weitere Anstöße in den Versen 17f.: qui sis auf ubi ist laut Fedeli "un espressione proverbiale, tipica dei linguaggio colloquiale'<S67. Auf einem ähnlich niedrigen sprachlichen Niveau be· findet sich auch der Rest des Distichons: Eine Ellipse des verbum dicendi, wie sie bei el quaecumque va/es (V. 17) vorliegt, ist laut Fedeli häufig in der Komödie zu finden. Den Dativ nachfiigio bezeichnet Fedeli als "un uso propria dellinguaggio familiare"S68.
• Nach den Versen 13·16 haben die Verse 19f. ihren natürlichen Platz: In ihnen er· klärt Properz dem Gallus, die vorausgehende Beschreibung der Symptome eines exclusus amator (VV. 13-16) zum Anlaß fur eine moralisierende Schlußfolgerung nehmend: Wenn dies alles eintrete, werde er das harte servilium unter seinem Mädchen lernen sowie, was es bedeute, als ein Ausgeschlossener nach Hause ge· hen zu müssen (VV. 19f.). Die in den Versen 19f. beginnende moralisierende Schlußfolgerung wird in den Versen 21f. fortgesetzt: Nicht nur werde Gallus lernen, was es bedeute, als Ausge· schlossener nach Hause zu gehen (V. 20); er werde sich auch nicht mehr über seine, Properzens, Blässe wundem oder fragen, weshalb er so abgemagert sei (VV. 2If.). Hier knüpft Properz an einen Gedanken an, der bereits in meae senlire fiirares in V. 3 angeklungen war. 1,5,
S6$
566
21
nec iam pallorem tOliens mirabere nO.ftrum, aut cur sim toto corpore nullus ego.
Vorbild ist I, 13, 36, der Schlußvers von I, 13: e.LilJJ.otcumque yaks. una sit ista tibi. Die Klausel verba querenti ist aus Ov. fast. 3, 507 geholt: ... audibat iamdudum yerba
querentir. ~7 Pelcrsmann (S. 50) spricht bei )61
v.
18 von "epigrammatischer Kürze". Die Verse 17f. sind im Typologiekapilel in Abschn. I. A. I. a. erfaßt.
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Die Elegien des ersten Propcrzbuches
148 23
26
30
[nec tibi nobilitas poterit suceurrere amantl"'; nescil Amor priscis cedere imaginibus'70. quod si parva luae dederis vesrigia culpat!. quam cito de tanto"" nomine rumor eris!] non '/:0 tum potero so/acia fe"e rogllnti. cum mih; null. me; sit mediein. moli; sed pariler miseri soc;o cogemur amore alter;rr alterius mutua flere s;n""
(1,5,2J-jj)
Die Ausftlhrungen über die Liebesleiden des Propen in den Versen 21 f. werden erst in den Versen 27f. fortgesetzt. Die Verse 23f. gehen in eine andere Richtung. Sie enthalten einen "anerthought", durch den die Prognose künftiger Leiden des Gallus (VV. 13-20) erweitert und verdeutlicht werden soll: Dem Adressaten werde in der Liebe, so heißt es. auch seine vornehme Abstammung nichts nützen: Amor wisse alten Ahnenbildem nicht zu weichen. Die Verse 23f. verlassen jedoch nicht nur die mit den Verscn 21f. eingeschlagene gedankliche Richtung - sie brechen auch die einheitliche Struktur der Verse 19-22 von vier Aussagen in vier Versen auf, indem sie eine weitere Aussage vom Umfang eines ganzen Distichons anfUgen. Die Verse 25f. handeln, an den nobililas-Gedanken des vorigen Distichons anknüpfend, von der Gefahr, die dem guten amen des Adressaten droht. Aus der Falle der Versuche, dieses Distichon zu interpretierenm, ist der von Lyr.e m , dem sich auch Hodge und Buttimore anschließen, am ehesten mit den Worten des Distichons zu vereinbaren: Propen überlege nun, wie Cynthia reagierte, wenn Gallus bei irgendeiner cu/pa ihr gegenüber enappt würde, i.e. sie betrOge. Nachdruck liege, so Lyne, auf luae, und parva sei ebenfalls wichtig: ."But if yOll evcr show any tiny trace ofinfidelity, you will...· The point ofthe couplet is that the degradation ofGallus at the hands ofCynthia if he is unfaith.ful will happen much more quickly (lhis is the effect of qllam cito) than in 11_18.'.514 Dieser Gedanke, der assoziativ aus dem vorausgehenden Distichon entwickelt wird, läßt sich nicht mit dem Rest der Elegie vereinbaren. Wenn Gallus von der Liebe zu Cynthia ergriffen wird, ist S69 Vorlage tur die Klausel paterit succurrere amant; ist ofTenbar I, 13, 25 lma dies omnis ,nQtu;t praecurrru ama"tjs. Aueh die Klausel von [Prop.] 1,20,3, ... fortuna ocau:c.it amqntj, ist allem Anschein nach der von I, 13, 25 nachgebildet. Eine ähnliche Klausel ist sonst nicht belegt. Der zweiten Haine von V. 23 eng verwandt ist auch die von Prop. 2, 26, 33 et tabula una duos poteOt componere amqntis. Die ersle Imitation ist offenbar luv. 6, 443 una laboranti pIlcerit SU""rrtU Lunae. HO Man beachte die aufTallende Ähnlichkeit der Verse 1, 14, 7f. aaa tarnen ista meo yakant rontenduc amori: / nadl Amor magnis udcu divitiis. Die Junktur nesdl Amor ist am Versanfang sonst nicht mehr belegt. mEin Ihnlicher Versanfang ist nur in [Ov. am.) 2, 18,27 belegt: guqm cilQ dr tOIQ... Zur Tilgung von am. 2,18 vgl. Zwierlein, S. 354fT. sn FOr einen Überblick vgl. Camps ad loe. sn Lyne (11), S. 262fT. 'l' Lyne (11), S. 269.
00045450
Die rahmenden Elegien I - 5 und 15 - 18. 22
149
er wohl kaum in einer Position, in der er mit dem Gedanken an eine derartige cu/pa spielen könnte (vgl. die Verse 11-22)1 Nicht nur bringen die Verse 23-6 die eng zusammengehörigen Verse 21f. und 27f. auseinander; sie lassen sich auch an sich mit den Versen 27f gedanklich nicht verbinden: Die Formulierung so/aciajerre roganti in V. 27 steht in keinem angemessenen Verhältnis zu der in den Versen 25f erwogenen Möglichkeit, daß Gallus zum Gerede werden könnte. Sie paßt vielmehr nach der Prophezeiung wirklich sch.limmen Unglückes in den Versen 13-22. V. 23 ist, wie dies bei dem ersten Vers einer interpolierten Passage oft der Fall ist, eng an V. 27, die ursprüngliche Fortsetzung nach V. 22, angelehnt: V.(23],
v.n
an:. tibi nobilitas pot~rjt succurrere amll.D1i. lUU1
ega film potero solacia ferre rogll.D1i.S1S
• Die Verse 27-30 bilden mit den Versen 19-22 eine organische Einheit: Durch die eigenen Liebesleiden werde Gallus ein Verständnis fUr die bei Properz sichtbaren Folgen von dessen Liebesleiden zu entwickeln beginnen (VV. 19-22). Er, Properz, werde dem Freund allerdings keinen Trost spenden können, da er ja selbst kein Heilmittel fUr seine Krankheit besitze; vielmehr werden sie beide, als Leidensgenossen, einer in des anderen Schoß weinen (W. 27-30). Ein deutlicher inhaltlicher Bezug besteht zwischen V. 22 und dem Ausdruck mei mali in V. 28; sprachlich gesehen spricht fUr die enge Zusammengehörigkeit der beiden Blöcke VV. 19-22 und VV. 27-30, daß das tum zu Beginn des letzteren (V. 27) das tum zu Beginn des ersteren (V.19) fortfuhrt. Im letzten Distichon zicht Properz die Schlußfolgerung aus der vorausgegangenen Zukunftsprognose, sie werden beide, als Leidensgenossen, einer in des anderen Schoß weinen (VV. 29f.): Gallus solle aufhören, zu ergründen, wozu Cynthia in der Lage sei. Er werde dies nicht ungestraft tun (VV. 3If). Hiermit ist der Gedankengang zum Ausgangspunkt zurückgekehrt (vgl. die Verse 3-6) und die Elegie abgerundet. Entsprechungen zwischen den Elegien 4 und 5 Die Elegie I, 4 hat eine besonders gleichmäßige Struktur. Sie besteht aus zwei Hälften von je acht Versen. In der ersten Elegiehälfte beschwert sich Properz bei Bassus, weil dieser versucht, ihn durch das Lob anderer Mädchen von Cynthia abzubringen (VV. 1-4), erklärt aber gleich darauf eben diese Versuche fUr vergeblich, indem er beteuert, Cynthia übertreffe selbst die Heroinen des Mythos an Schönheit (VV. 5-8). Die zweite Hälfte der Elegie besteht, ebenso wie die erste, aus zwei Abschnitten von je vier Versen: Im ersten Abschnitt versichert Properz dem Adressaten, Cynthias Schönheit sei nur der geringere Teil dessen, was ihn an sie fessele; je m
Die Verse 23f. sind im Typologiekapitel in Abschn. I. A. 1. a. erfaßt, die Verse 25f. in I. A. 2.
Die Elegien des ersten Properzbuches
150
mehr Bassus sich bemühe, ihn und eynthia zu trennen, um so mehr werde darum das feste Band der Treue zwischen ihnen heiden sein Bemühen zunichte machen (VV. llf. 15f.). 1m zweiten Abschnitt der zweiten Elegiehälfte prophezeit Properz dem Bassus schließlich schlimme Konsequenzen seiner EnlZweiungsversuche für ihnselbSl(VV.17f. 21f.). Die Elegie I, 5 besteht aus zwei Hälften mit einem Umfang vonje zehn Versen. Oie erste Hälfte der Elegie handelt von Properzens Reaktion auf Gallus' Annähe· rungsversuche an Cynthia; ähnlich wie in 1,4 dem Bassus, so sagt Properz in 1,5 dem Gallus schlimme Konsequenzen seiner Bemühungen tur ihn selbst voraus
(VV.3-6. 11-16). In der zweiten Elegiehälfte, die mit V. 19 beginnt, gibt er dem Adressaten zu verstehen, daß und inwiefern er durch diese schlimmen Konsequenzen sein, des Propen, trauriges Schicksal besser verstehen werde (VV. 19-22. 27-32). Nicht von ungefähr sind die beiden Elegien I, 4 und I, 5 durch Entsprechungen gerade zwischen Distichen oder Versen in markanter Stellung verbunden, nämlich zwischen den beiden ersten Distichen der ersten und den jeweils ersten Versen der heiden Abschnitte der zweiten Hälfte von 1,4 auf der einen und dem ersten Distichon von I, 5, dem letzten sowie dem ersten Distichon der zweiten Hälfte dieser Elegie auf der anderen Seite. Ich drucke die einschlägigen Verse ab: 1,4,
1,5,
1-4:
Q u i d milli tom mu/tas laudanda. Baue, p u ~ //11 s mutlltum domina cogis 11 b ire m~u? q u i d me non patern vitae quodcumque sequetur "oe magis assueto ducere suvitio?
11:
"aec sed[orma
17:
non
3f.:
Q u i d I.ibi vis.
19f.:
tum gra~'l! servitium nostrae cog~r~ p u ~ /1 0 e discere et e:cclusum quid sit ab;,. e dom um:
31 f.:
quare, quid passit meo Cynthia, desine. Galle, quaerere: non impune iIIa rogalo Yenit.
m~i pars
impun~ Jeres:
est extrema J u r 0 r i s :
seiet "aec insllnu puella
insan~?
meos sentire J u r 0 res? infeli~, properas ultima nasse mola.
Es bestehen folgende Entsprechungen: I. Das erste Distichon von I, 5 klingt an das von 1,4 und die jeweils ersten Verse der heiden Abschnitte der zweiten Hälfte von 1,4 an. 2. Das erste Distichon der zweiten Hälfte von 1,5 klingt an die ersten beiden Distichen von I, 4 an. 3. Das Schlußdistichon von I, 5 klingt an den Anfangsvers des letzten Abschnittes von 1,4 an.
Die f'd.hmenden Elegien 1- 5 und 15 - 18. 22
151
Zu den Entsprechungen zwischen den Elegien I, 4 und I, 5 hat sich bereits CaimsH6 austuhrlich geäußert. Ich gebe seine Ergebnisse, so weit ich ihnen beipflichten kann, in aller Kürze wieder. Die Entsprechungen zwischen den jeweils ersten Distichen von 1, 4 und I, 5 signalisieren, daß die heiden Elegien ein Paar bilden'". Der enUiistete Auftakt mit dem Fragepronomen quid sowie der Gebrauch von Personalpronomina und -ad· jektiven unterstreichen die Emotionalität der beiden Elegieanfänge s7I. Zu den Entsprechungen zwischen den jeweils ersten Versen der beiden Abschnitte der zweiten Hälfte von 1,4 und dem ersten Distichon von 1,5 bemerkt Caims: "Tbe reproduction at an eariier stage in I, 5 of words and concepts which appeared at a later point in I, 4... creates the impression of a progression of events between the two elegies..s19 • Eine solche "progression of events" ist vor allem die Verschlechterung der Beziehung zwischen Propen und Cynthias80 : Furoris in 1,4, 11 ist eine positive Bezeichnung tur die Liebesleidenschaft des Properz; die furores in I, 5, 3 hingegen sind die der Cynthia, vor denen Properz den Adressaten warnt. In gleicher Weise ist die iflsanitas der Cynthia, die Properz dem Bassus in I, 4, 17 prophezeit, ein Beweis ihrer Loyalität ihm selbst gegenüber. In I, 5, 3 hin· gegen redet Properz den Adressaten GalJus mit insane an, weil er es wagen will, sich mit Cynthia einzulassen. Zu den Entsprechungen zwischen den beiden ersten Distichen von I, 4 und dem ersten Distichon der zweiten Hälfte von 1,5 bemerkt Caims: "Tbe picking up at a later point in 1,5 ofitems which appeared at an eariier point in 1,4... balances the converse pattern noted above and so contributes towards a sense of artistic symmetry as weil as giving the end of I, 5 the appearance of being the final summing· ·up of a situation."SlI In I, 4, 4 spricht Properz von seinem assuetum servitium, dessen ungestörte Fortdauer Bassus attackiert. In 1,5, 19 ist es das grave servitium puellae, vor dem er den Adressaten Gallus warnt. Desgleichen bezeichnet Propen mit cogis abire in 1,4, 2 die unwillkommene Störung seiner fest etablierten Beziehung zu Cynthia, während die Begriffe cogere in 1,5, 19 und abire in 1,5,20 zu der Schilderung des dem Gallus drohenden grave servitium puellae gehören. Die Entsprechung von puellas in I, 4, I und pue/lae in I, 5, 19 (seihe Versstelle) hat keine tiefere Bedeutung. Wie die zuvor genannten Entsprechungen, so ist auch die Wiederholung der Fonnulicrung non impune aus I, 4, 17 in I, 5, 32 auf kunstvolle Weise mit dem entscheidenden inhaltlichen Unterschied zwischen den heiden Elegien verwoben. In I, 4 ist die Fonnulierung nOll impuffe Teil der Androhung von Cynthias feindli· chem Verhalten gegenüber Bassus, das auf der anderen Seite ein Beweis ihrer Loyalität gegenüber Properz ist; in I, 5 gehört sie zu der Warnung vor Cynthias
Caims (111). sn Caims (111), S. 73. S7I Caims (III), S. 74. SN Caims (III), S. 78; für eine ausfilhrlichere Erörterung der Funktion der einzelnen Bezüge )'/6
"gi. S. 70ff. 510 SlI
Caims (lIJ), S. 78. Caims (lIJ), S. 79.
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IS2
Die Elegien des ersten Properzbuches
feindlichem Verhalten gegenüber Gallus. Diese Warnung spricht Properz aufgrund eigener schlechter Erfahrungen aus.
4. Die Elegien 17und 18
Die Elegie I, 17
Im ersten Distichon von ), 17m berichtet Properz, daß er sich in einer einsamen Umgebung befindetm und dies als gerechte Strafe dafür ansieht, daß cr es übers Herz gebracht hat, sein Mädchen zu verlassen. In den Versen 3f. beschreibt er seine Lage genauer: Er werde den Hafen von Cassiope nicht wohlbehalten erreichen, und alle seine Gelübde verhallten ungehöJ1 (cadunt, V. 4) an dem unbarmherzigen Ufer. 1,17,
1
S
6
Er merito, quoniam potuifugisse pud/11m, nune ~go dese"as al109llor a/C:YOrlllS, 'lee mihi Cassiope sa/vo vjsura earinam omniaqul! jffgrato litore vota cadunt. (quin etiam absemi prosum tibi, Cynthia, vemi; aspice, quam saevas increpat aura millasJ.... J nullane p/acatae venjet fortuna procellae~ haecine parva meumfunus hllrena I'get?
11,17, sr.) Die Verse 5f. sind eine unvermittelte Apostrophe an Cynthia, von der zuvor nur in der dritten Person die Rede warM. Inhaltlich besagen die Verse, daß die Winde, die dem Dichter drohen, Cynthia dadurch nützen. Dieses Bild von einer Cynthia, der die Schwierigkeiten, in denen sich Properz befindet, willkommen sind, ist mit den Versen 19ff. unvereinbar, in denen Properz sich ausmalt, wie Cynthia an seinem Grab weinte, wenn er zuhause stürbe.
Der abrupte Gedichtsbeginn mil et medto scheinlohne Parallele zu sein, so daß gege· benenfalls die Möglichkeit von Texl3usfall vor I, 17, I in Bel13cht zu ziehen wäre. Vgl. jedoch weiter unten meine Ausfllhrungen zu den Entsprechungen zwischen den Elegien 17 und 18. ~ Die Frage, ob Propen sich in der Tal oder nur in seiner Vorstellung an diesem Ort befin· det, soll uns hier nicht besch.li.ftigen. weil sie im Rahmen dieser Untersuchung irrelevant ist. FOr eine detailliene ErOnerung dieser Fragestellung vgl. Solmsen (I). bes. S. 80. ~ Die saevae mina~ findet man sonst nur in Ov. rem. 664 horrebant sanis omflia verba m;n;s. Für eine Ahnlieh klingende Klausel wie aura miflas vgl. Prop. 2. 2S, 18: restat et immen"ta sustinet QHre m;nql. YS Vgl. puel/am in V. 1. Exakt dieselbe unvermittelte Apostrophe findet sich ein weileres Mal im crslen Propcrzbuch. nllmlich in 1. 3. 21·30. einem ebenfalls unechten Passus.
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Die rahmenden Elegien I - 5 und 15 - 18. 22
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Auch dem Ton nach passen die Verse 5f. nicht in den Kontext. Die nüchterne Feststellung, die Winde mit ihrem wilden Drohen nützten Cynthia sogar in ihrer Abwesenheit, stellt nach der verzweifelten Lagebeschreibung in den Versen 1-4 einen abrupten Stimmungswechsel dar. Auf der anderen Seite ist die emphatische Frage in V. 7, ob denn kein Ende des Sturmes kommen werde, nach der nüchternen Feststellung in den Versen 5f., daß die Winde Cynthia sogar in ihrer Abwesenheit nützten, genauso fehl am Platze. Eine Ungereimtheit innerhalb des Distichons selbst stellt die Kombination von absenti und aspice darM. Während Hodge und Buttimore der Ansicht sind, daß "by a nice irony this sense of her presence comes through a statement of her absence", scheint mir diese Ungereimtheit wie die bereits erwähnte Apostrophe ein Indiz dafllr zu sein, wie wenig sorgfältig die Verse von ihrem Dichter durchdacht worden sind. Motiviert ist die Eindichtung durch den im ersten Distichon der Elegie angedeuteten Zusammenhang zwischen den Schwierigkeiten, in denen sich Properz befindet, und seinem Verhalten gegenüber Cynthia (vgl. et merito zu Beginn von V. 1). Die Verse 5f.lassen das Bestreben erkennen, diesen in typisch properzischer Manier lediglich angedeuteten Zusammenhang zwischen den Schwierigkeiten und Cynthia deutlich zu machen 587 •
• Die erregten Fragen in den Versen 7f., ob denn kein Ende des Sturmes kommen, und ob der wenige Sand seinen, des Properz, Leichnam bedecken werde, sind die passende Reaktion auf die in den Versen 1-4 beschriebenen Schwierigkeiten, in denen er sich befindet. 1,17, 7 9
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nullane ptaeatae veniel fonuna procellae? haecine parva meumfunus harena teget? [tu tamen in 518 melius saevas converte S19 querelas: sallibi si,s'Nl poenae nox el iniqua vada. an poteris siccis meafata reposcereS 91 ocellis ossaque nulla tuo nostra lenere sinu?) apereat, quicumque ratis el vela paraviI primus el in ",ilo gurgilefecil iter!
Wenig hilfreich hier Solmsen (I, S. 78), demzufolge Cynthia in V. 5 nicht "in a literal or realistic sense of the word" präsenl sein kann, sowie Leach (S. 223): ..Here Ihe image involves a confusion of the senses. Absent or prescnt, Cynthia cannot very weil look upon such threalS." SI1 Die Verse 5f. sind im Typologiekapitel in Abschn. 1. A. 2 crfaßt SM Der Versanfang tu lamen in... isl aus Prop. I, 15,4 geholt. Er ist sonSI nicht belegt sn Vgl. Sen. Phae 408 con",~rfe lristes ominum in meNus m;nas. S90 Der einzige Beleg für einen ähnlichen Versanfang ist 4,11,81 - ein Vers, der auch sonst dem unsrigen ähnlich ist: rot abi sial noctes. quas de me. Paulle. fatiges. 591 Ähnlich isl Prop. 2, 1,71 quandocumque igilur vifam meafata reposc~nt.
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00045453
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Die Elegien des ersten Properzbuches
11,17,9-121
Die Verse 9-12 enthahen eine unverminehe Apostrophe, ähnlich der in den Versen Sf. Überhaupt sind die beiden SteUen gedanklich eng verwandt: Die Verse 9-12 sind geradezu die Fortsetzung der Verse Sf. Die Verse 9f. enthalten in einem gleichmütigen Ton, der in einem starken Kontrast zu den aufgeregten Fragen in den vorausgehenden Versen 7f. steht, die Bitte an Cynthia, ihre heftigen Klagen zum Besseren zu wenden. Die Verse 11 f. sollen dieser Bitte zusätzliches Gewicht verleihen: Der Dichter fragt in ihnen Cynthia, ob sie es über sich brächte, mit trockenen Augen sich nach seinem Tod zu erkundigen und nie seine Knochen im Schoß zu halten - ein makabrer Gedanke, der überdies, wie der in den Versen 5f., wiederum gänzlich unvereinbar ist mit dem in den Versen 19fT. entworfenen Bild einer loyalen und hingebungsvollen Cynthia! Auch in dcn unmittelbaren Kontext sind die Verse 1l f. schlecht eingebunden: Die Kombination der mit tu tarnen eingeleiteten Bitte in V. 9 und der gleichsam rechtfertigenden Begründung in V. 10 bildet einen markanten Schluß, der ein anschließendes Wiederauffiammen der empörten Fragen nicht gestattet. Vollkommen obskur ist der gedankliche Übergang von V. 12 zu der Verwünschung des Erfinders der Schiffahrt in den Versen 13f.! Die Verse 9-12 stellen auch sprachlich nicht zufrieden: Saevas quere/os in V. 9 ist eine Kopie von saevas minas in V. 6. Die Formulierung nox el iniqua vada in V. 10 scheint ohne viel Überlegung improvisiert zu sein. Insbesondere nox ist nichtssagend und als Spezifikation des poenae im selben Vers ungeeignet. Fala ist in V. 11 in anderer Bedeutung gebraucht als in V. 19m . Warum hat der Bearbeiter die Verse 9-12 hinzugedichtet? Die Tendenz der Fragen in den Versen 7f. ist ähnlich vage wie die Aussage der Verse 1-4: Sie sind zugleich vorwurfsvoll, hoffnungsvoll, fordernd und verzweifelt. Wie der Bearbeiter mit den Versen Sf. die in den Versen 1-4 implizierte Aussage deutlicher ans Licht bringen wollte, so hat er in den Versen 9-12 den Charakter der Fragen in den Versen 7f. im Nachhinein als fordernd festlegrS9) .
• Nach der Lagebeschreibung in den Versen 1-4 und den darauf bezogenen erregten und zugleich sehnsuchtsvollen Fragen in den Versen 7f. folgt in den Versen 13f. eine Verwünschung des Erfinders der SchifTahrt. Dieser Ausbruch von Unmut setzt die Stimmungskurve der Verse 1-4 und 7f. passend fort: Er bildet den Höhepunkt und Abschluß des in V. I beginnenden Spannungsbogens und damit eine Hauptzäsur in der ElegieS9-4. m Zu fluUa in V. 12 bemerken Butler und Barber: "To take flullo - ,that amount to naught'... is extremely harsh here." !tJ Die Verse 9-12 sind im Typologiekapitel in Abschn.1. B. 2 erfaßI. ,.. So Enk ad IIx.: "Versus 13114... aplissime c1audunl priorcm elegiae partem:- Eine interessante Deutung bietet weh, S. 226f.: ..With the inletjection ah pereot... Propertius makes an abrupt change in the narralive progress of the poem... The transitional value of the dislieh lies in its conspicuous irrelevance to the situation al hand. By adopting an aphorislie fonn and tone. Propenius draws our alteniion momentarily away from the situation he bas
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Nach der Verwünschung des Erfinders der Schiffahrt in den Versen 13f. flammen die Selbstvorwürfe, die in den beiden Eingangsdistichen der Elegie schon an· geklungen waren, erneut auf: In einer an sich selbst gerichteten Frage gibt Properz zunächst zu, daß es besser gewesen wäre, sich mit den Eigenheiten seiner domina ZU arrangieren, als sich in die jetzige Situation zu bringen (VV. 15-18). Anschließend malt er sich, hieran anknOpfend, aus, wie gut es auch gewesen wäre, zuhause zu sterben (VV. 19ff). Die Vorstellung des eigenen Begräbnisses ist als BedingungsgefUge aufgebaut: Die Protasis (VV. 19f.) handelt von den äußeren Bedingungen des Begräbnisses: Tod, Grab und Grabstein; die Apodosis (VV. 23f.) handelt von Cynthias Verhalten: wie sie an seinem Grab weint und betet, daß die Erde nicht auf ihm laste. 1,1', 19 21 22
ilfic si qua ml!um sl!pt!lissl!nt fata dolort!m, ultimus I!t pos;to staret amort! lapis, [mo meo coros donosset funere crinisY*5, mo//iter el tenera ponerel osso roso:] ;//a meum extremo c/amasset pulvere nomen, ut miM non u//o pondere terra forel.
11,17,21f.) Die Verse 21f. sind vom Bearbeiter hinzugefilgt worden, um die angenehme Vorstellung von einem Begräbnis in Rom und von Cynthias hingebungsvoller Trauer weiter auszumalen. Allerdings wird die chronologische Ordnung des vorgestellten Begräbnisses in V. 22 durchbrochen. In den Versen 19-21 ist Properz als bereits bestattet gedacht; in V. 22 dagegen ist davon die Rede, wie Cynthia seine Knochen auf weiche Rosen legt! An den Knochen ist dem Interpolator offenbar besonders gelegen - er hat sie ja bereits in V. 12 eingedichtet. Die Sprache der Verse bietet ebenfalls zu Bedenken Anlaß: "Both the imperfect subjunctive and the ablative in this construction are strange:J96 llIa meo am Hexameterbeginn hat der Bearbeiter aus dem folgenden Hexameter (V. 23) übernommen, meo fimere aus V. 8 (meumi,unus), wo der Ausdruck allerdings in einer ganz anderen Bedeutung gebraucht ist 97.
• Nach der Vision des eigenen Begräbnisses in der Heimat kehrt Properz in den beiden Schlußdistichen von I, 17 in die Realität zurück und bittet die Nereiden um ihre Gunst: Wenn Amor je ihre Wogen berührt habe, so möchten sie sich seiner erbarmen (VV. 25-28). created and from his own fearful doom. placing the responsibilily for his danger upon the !lead of Lhe mythical first voyager." m FOr die Klausel funere cn'nis vgl. Sen. Tro 99 funere O'inem. Y*6 Camps ad loc. Die Erkllrung zu ponvet bei Hodge und Bultimore iSI nicht überzeugend: JLs effcct is 10 extend this loving action indefinilely... even though in reality this would be nearly as single an action as the offering ofhair.'· m Die Verse 21f. sind im Typologiekapilcl in Abschn.1. A. I. b erfaßt.
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Die Elegie I, 18 Aus den ersten vier Versen der Elegie 1, 18 erfährt man, daß Properz eine einsame Gegend aufgesucht hat, um dort seinen verborgenen Schmerzen freien Lauf zu lassen. Im nächsten Distichon beginnt er dann auch, sein Leid auszudrücken, indem er fragt, an welchem Punkt er mit dem Bericht von Cynthias fastus anfangen solle (V. 5). und was die ursprüngliche Ursache für seine Tränen gewesen sei (V. 6). 1,18, 5 7
8
unde luOS pr;mu". rep6l1m, ",ea Cynthia./llstus'! quod Milr; dasfltnd;, Cynthill, principium' [qui modo felices inter numerabar amantis'", nune in ornore lUD cogor habere"4 r.Ofom fl1O ,] quid lanlu," muui'! quae te mihj crimina ,"II/ont! an notIQ trist;';"t CIIUSII puello tUlle!
(1,18,7f.)
Die Verse 7-8 sind vom Bearbeiter hinzugefügt worden, um den Grund der vorangegangenen Fragen und damit der Trauer des Properz zu erhellen. Sie stehen allerdings in zweifacher Hinsicht in einem gedanklichen Widerspruch zu den Versen Sr. Zum einen erwecke~ diese den Eindruck, daß Properz sich ein~ langwierige Leidensgeschichte ins Gedächtnis rufen und sie beklagen will; das 11Iodo in V. 7 hingegen, das hier nur die Bedeutung "eben erst" haben kann, besagt, daß Properz noch kurz zuvor glücklich war. Zum anderen steht die Aussage nunc... cogor habere nolam in V. 8 in keinem angemessenen Verhältnis zu den emphatischen Fragen in den Versen Sf. und vor allem zu der Frage quid lantum merui? in V. 9601 •
• Auf die Fragen in den Versen Sf. folgen in den Versen 9f. weitere Fragen desselben empörten Charakters: womit er etwas so Schlimmes verdient habe, welche Vergehen seinerseits Cynthias Hailung ihm gegenüber verändert hätten und ob ein neues Mädchen Grund tur ihre Traurigkeit sei. In den Versen 11 f. geht Properz auf die in V. 10 geäußerte Vennutung ein, Cynlhia sei vielleicht deshalb traurig, weil sie glaube, es gebe eine nova plIelJa in seinem Leben. Er beteuert, daß keine andere Frau seine Schwelle überschritten habe.
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601
FGr die erste Halfte von V. 7 vgl. Prop. 2, 17, I t. Dieser und der nlichste Vers weisen Ähnlichkeiten zu dem gesamten Distichon fProp.) I, 18, 7r. auf; vgl. 2, 17, 11 f. pem mudo (w«m imidia... I nUll'... Vorbild tur die zweite l-llifte von V. 7 ist Ov. Pont. 4,9,35 hic ego praesenla jnw n"mUll'" amicos. Vorlage ist I, I, 8 cum lamM ad\'ersos coror babuc deos. Für die Klausel habere nOlam vgl. Ov. am. I, 7, 42 und 3, 14, 34. Die Verse 7f. sind im Typologiekapitel in Abschn. I. B. 2 trraßt.
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1,18, 9
I)
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quid tantu", "'erui? quae le "'ihi cri",ina ",utanl? an nova lrisli/iae causa puel/a luae? sie ",ihi te re/eras, levist02 , ut non a/tera noslra li"';ne [o,,"osos intillilill/a Mdes.. (quam\'js multa tibi da/ar hic meus aspera debet, non ita sa~'O tamen venerit ira mea, ut tibi sim merita semperfuror et tua j1endo lumina deiectjs turpia sint lacrimis.) an quia paT1la damus mulalo signa colore et non ul/a meo cJamat in oreftdes? VQS eritis testes, si quos habn arbor amora, lagus d Arcadio pinus amica deo.
11,18,13-16)'" Die Verse 13·16 sind eine Erweiterung der Beteuerung des Properz in den Versen 11 f., keine andere Frau habe seine Schwelle überschritten. Obwohl sein Schmerz ihn eigentlich dazu bringen müsse, Cynthia viel Hartes anzutun, werde sein Zorn dennoch nicht so sehr aufwallen (VV. 13f.), daß er immer wütend auf sie sein werde, und daß ihre Augen (darum immer, so ist zu ergänzen,) vom Weinen entstellt sein werden (VV. 15f.). Die Versuche, diese Stelle zu erklären, gehen bei furor in V. 15 auseinander. Mehrere fassen furor in der Bedeutung ..an object to furt' auf'lM. Diese Deutung steht allerdings im Widerspruch sowohl zu den Versen I3f., in denen der Dichter sich zwar ein Recht auf Rache an Cynthia zubilligt, jedoch verspricht, sich zu mäßigen, als auch zu den Versen 15b/16, in denen Cynthia ganz offensichtlich als verletzt und gedemOtigt dargestellt wird; in V. 15a kann also keineswegs von ih· rem furor die Rede sein. Hodge und Buttimore haben also Recht, wenn sie zufuror anmerken: "This is his own rage... In the next c1ause she (Cynthia) is a weeping victim, not a righteous avenger.,,605 Ihr Argument, furor im Sinne von causafuraris "would be a near-unique usage", ist gewichtig: Die von den Kommentaren zu· gunsten einer Auffassung vonfuror im Sinne von causa/uroris angefUhrten Analogien von discordia im Sinne von causa discordiae in I, 2, 17 und ardor im Sinne von causa ardoris in I, 20, 6 besitzen kein Gewicht, da die heiden Verse unecht sind. Wie auch immer man/uror auffaßt - eine andere Schwierigkeit in V. 15 bleibt bestehen: Der Ausdruck merj(o macht den gedanklichen Zusammenhang der Verse 14 und 15 zu einem Rätsel. Bereitet das Verständnis der Verse 13-16 auch im Detail Probleme, so sind sie gleichwohl deutlich am ehesten im Sinne einer großzügigen Geste von seiten des Ich schließe mich hier der Lesart von Goold an, indem ich nach ltvis ein Komma setze und diesen Ausdruck so als Vokativ auffasse. 60) Auch Heimrtich hat die Verse 1)·16 als in ihrem Kontext problematisch empfunden. Er hat sie hinter V. 24 versetzt. Postgate hat hinter V. 16 unter Vorbehalt die Verse 29-32 der Elegie t, 15 versetzt. 601 So Butler und Barber, Camps, Fedeli. lOS Hodge und Buttimort ad loe. 6lU
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Dichters aufzufassen, der zwar glaubt, ein Recht auf Rache zu haben, aber von diesem Recht keinen vollen Gebrauch zu machen verspricht. Haben sie jedoch diese Bedeutung, dann lassen sie sich unmöglich mit dem Rest der Elegie in Einklang bringen. Dort ist Propen nicht nur frei von jeglicher jrQ und jeglichem furor, sondern vielmehr sogar der gedemütigte Liebhaber in bittender Haltung; Cynthia hingegen hat mit ihrenfastus (V. 5) eine überlegene Position inne606 . Als eine weitere Schwierigkeit im Zusammenhang mit den Versen 13-16 ist die gedankliche Anbindung der Verse 17f. zu nennen. Diese beiden Verse sind nur dann verständlich, wenn die Fragen aus den Versen 9f. noch deutlich im Ohr klingen: V. 17 knüpft gedanklich an V. 10 an: Seide Verse enthalten eine mit an beginnende Frage und stellen somit zwei Seiten einer Alternative dar. Durch die Ausweitung der Beteuerung in den Versen 11 f. um .Y.i.I:r weitere Verse ist ein Nachhallen der Verse 9f. nicht mehr gegeben; die Verse 17f. entbehren somit nach den Versen 13-16 einer vernünftigen gedanklichen Anbindung607 •
• Unmittelbar auf die Verse 9-12 folgen die vier Verse 17-20, die dasselbe Muster aufweisen: Im ersten der beiden Distichen wird, ebenfalls in Form von aufgeregten Fragen, ein weiterer möglicher Grund für Cynthiasjaslus erörtert; im zweiten Distichon wird dieser mögliche Grund durch eine Beteuerung der eigenen Treue entkräftet: Properz wirft die Frage auf, ob cr zu wenig Zeichen für seine Liebe gegeben und es versäumt habe, seine Loyalität laut kundzutun (VV. 17f.), und versichert dann in Fonn einer Apostrophe an die ihn umgebenden Bäume, diese werden Zeugen seiner Treuebekundungen sein (VV. 19f.)608. Nachdem Properz in den Versen 19f. die ihn umgebenden Bäume als Zeugen seiner Treuebekundungen benannt hat, fUgt er in den Versen 21 f. einen emphatischen Ausruf an: Oft erhaUten seine Wone unter ihrem Schatten und werde Cynthias ame in ihre zarte Rinde eingeritzt! J,18,
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23
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Qquori~ns r~n~rQS resonQnr ,"~Q v~rlul sub umbrQs, scribirur d )'e$rns CynrlriQ corticibus! (air tua qual peperit nobis iniuria curas, quae so/um tacilis cognita sunl foribus~! amnia cansuevi timidus perJerre superbae610 iussa neque arglltoJacta dalare qlleri.]
Gram, S. 55: "The transilion in lhoughl al 13ff. is somewhat abrupt.. This hypolhetical situation reverses lhe ,,real" situation of the poem, where it is Propertius who is weeping (cf.j1endi, 6)and Cynthia who is angry (cf. trUririae, 10). How does lhe first part ofline 15 fit in wilh lhis?" 607 Die Verse 1).16 sind im Typologiekapitel in Abschn. 11. A. 2 maßt lliOI Inleressant ist hier die Anmerkung von Granl (S. 56), der einerseits bemerkt: ..The logical strocture of 17-22 is following lhal of lines 1().16", andererseits aber die von mir getilgten Verse 13-16 ausläßt, wenn er fonflhn: ,,First appealS lhe alleged reason (10"17·18), then there follows the denial of the charge (11-12" 19·22):' 609 Dieser Vers klingt ähnlich wie Tib. I, 6, 12 cardin~ rune IIIdco vertere posse (ortS. 610 Hat der Bearbeiter womöglich an den inhaltlich Ahnlichen Vers Ov. trist. 5, 11,4 qui iam CQOSufvi/ortiter ess~ mis~r gedacht? 606
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p'o quo continui montes611 etf,igida ,upes et datu, inculto t,amile dura quies; et quodcumque meae possunt narra,e querelae, cogo, ad argutos dice,e solus avis. sed qualiscumque es, 'esonent mihi 'Cynthia' si/vae, nec desena tuo nomine sua vacent.
11, 18,23_6)611 Die Verse 23f., zu deren Beginn sinnvollerweise mit den deleriores ,ah tua quOI' gelesen werden muß 613 , bringen einen scharfen Kurswechsel im Gedankengang: ..Propertius now turns ... to bringing in counlercharges against her (Cynthia),,614: "Wie viele Sorgen hat mir deine Ungerechligkeit bereitet, Sorgen, die allein der verschwiegenen Tür bekannt sind!" Die Verse 25f. setzen den Gedanken der Verse 23f. fort. Der Dichter zeigt sich in ihnen bemüht, die in V. 24 gegebene Bekräftigung seiner eigenen Verschwiegenheit durch den Hinweis, er habe sich daran gewöhnt, alle Befehle seiner tyrannischen Gelieblen zu ertragen und ihre Taten nicht in schrillem Schmerz zu beklagen, dramatisch übersteigernd abzurunden (vgl. omlIia zu Beginn von V. 25). Die Verse 23-26 stehen in einem ähnlichen gedanklichen Mißverhältnis zum Rest der Elegie wie die Verse 13-16, nur daß hier die Abweichung in eine andere Richtung erfolgt: In der Elegie I, 18 beschreibt Propen sein demütiges Bemühen, die Ursache rur Cynthias Verstimmung herauszufinden. In einem solchen Rahmen ist weder ein gnädiges Versprechen, nicht zu hart zu reagieren (VV. 13-6), angebracht, noch eine erbitterte Anklage Cynthias61s (VV. 23-26). Auch die Art und Weise, wie der Dichter sich selbst in den Versen 23-26 darstellt, stimmt nicht mit dem Rest der Elegie überein. Vor allem steht die Formulierung consuevi timidus perferre... lIeque... queri in den Versen 25f., die den Eindruck erweckt, als habe er sich als ein guter servus amoris bereits vollständig in sein Schicksal ergeben, im Widerspruch zu der Tatsache, daß er sonst in I, 18 in einem recht verständnislosen Ton den Grund für Cynthias fastus herauszufinden sucht. Wie der gedankliche Übergang von den eingedichteten Versen 13-16 zu den Versen 17f., so bereitet auch der von den Versen 23-26 zu den Versen 27ff. besonders große Schwierigkeiten: Der Vorwurf des Properz in den Versen 27-30, er werde rur seine Treue mit den kalten Felsen, die ihn umgeben, sowie dem Schlaf 611 Conrinui monres ist eine Konjektur von Heinsius. Die überlieferte Lesart divini fontes er611
(1)
614
6U
gibt auch dann keinen Sinn, wenn man sie mit Fedeli als Vokativ auffaßt. Housman versetzt die Verse 23f. hinter V. 6. Prien hält die vorangehenden Verse 21f. filr interpoliert. Mit der besser überlieferten Lesart an lua quod wären die Verse formal die Angabe einer weiteren möglichen Ursache für Cynthias Verstimmung. Als solche ergäben sie aber keinen Sinn. Außerdem ließe sich bei der Lesart an lua quod in V. 23 der nachfolgende Vers 24 schlecht anbinden. Die Interpunktion des abgedruckten Textes entspricht der in Goolds Properzausgabe. Grant, S. 57. VgJ. insbesondere die Formulierungen tua iniuria in V. 23 und supe,bae in V. 25!
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auf dem banen Weg entlohnt und müsse in der Einsamkeit den Vögeln seine Klagen vorbringen, büßt viel von seiner Wirkung dadurch ein, daß bereits vorher von der ;niuria (V. 23) und superbia (V. 25) der Cynthia die Rede ist. Oder, anders fonnulicl1: Die fassungslose Enttäuschung, mit der Propen in den Versen 27-30 beschreibt, welchen Dank er von Cynthia für seine Treue bekommt, verliert ihre Kraft, wenn bereits unmittelbar.YSUb,g: negative Anspielungen gemacht werden.
Schließlich stellt auch die Sprache der Verse 23-26 nicht zufrieden: Der häufige Wechsel der Anrede wirkt ungelenk: Die Verse 17f. sind an Cynthia gerichtet, die Verse 19-22 eine Apostrophe an die Bäume. In den Versen 23f. ist wieder Cynthia die Angeredete. Gleich im folgenden Distichon allerdings (VV. 25f.) ist in der
dritten Person von ihr die Rede. Auffilllig ist des weiteren, daß, während Propen Verbalsubstantive selten gebraucht, V. 26 gleich deren zwei enthält, nämlich iussa und/acta. Das Adjektiv argutus (V. 26) kommt bei Propen sonst nur noch einmal vor, nämlich vier Verse weiter an derselben Stelle im Vers'1'.
• Die Verse 27-30 bilden die passende Fortsetzung nach V. 22: Nachdem Propen in dem Abschnitt bis v. 22 seine Loyalität mehrfach bewiesen hat, gibt er nun, sichtlich enttäuscht, zu verstehen, daß er rur seine Treue mit den kalten Felsen, die ihn umgeben, sowie dem Schlaf auf dem harten Weg entlohnt werde und in der Einsamkeit den Vögeln seine Klagen vorbringen müsse. Hieran anschließend mildert Properz jedoch im Schlußdistichon, den Versen 31 f., die vehement zum Ausdruck gebrachte Enttäuschung wieder ein wenig ab: Wie auch immer Cynthia sich verhalte - die Wälder und Felsen mögen vom Echo ihres Namens widerhallen. Gut haben Hodge und Buttimore die ringkompositorischen Entsprechungen zwischen den Schlußversen und den vier Anfangsversen der Elegie erkannt: SoJus in V. 30 klingt an solo in V. 4 an, deserta in V. 32 an deserla in V. 1, saxa im selben Vers an saxo in V. 4 sowie l'Qcenl an vacuum in V. 2. Die Haltung gegenüber der Umgebung hat sich jedoch, wie Solmsen richtig beobachtet hat, im Vergleich zum Anfang der Elegie verändert: Die deserla saxa des letzten Verses rufen die deserta loca des ersten Verses in Erinnerung. Es steht aber außer Frage, daß Properz nun unter der Einsamkeit leidet6l7 . Entsprechungen zwischen den Elegien 17 und 18 In I, 17 befindet sich Propen gemäß seiner Schilderung in der äbe einer verlassenen, unbekannten Küste. Er erklärt, ihm geschehe dies zu Recht, da er seine puella verlassen habe. Anschließend fUhrt er sich vor Augen, wieviel besser es gewesen wäre, seine domino zu gewinnen, als in eine solche Lage zu geraten; wäre er bei ihr in Rom geblieben und, anstan in dieser verlassenen Gegend, dort gestorben, dann häne Cynthia gebührend um ihn getrauert. Den Schluß der Elegie bildet eine Anrufung der Nereiden um Beistand. 616 611
Dic Vcrse 23·26 sind im Typologickapilcl in Abschn. I. A. I. c crraßt. Solmsen (1), S. 74.
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In I, 18 beschreibt Properz, wie er einen einsamen Ort aufgesucht hat, um dort seinen Klagen über Cynthia freien Lauf zu lassen. Er beginnt seine Klagen mit der Frage, warum sie ihn so schlecht behandle, und spielt anschließend verschiedene denkbare Vorwürfe Cynthias ihm gegenüber durch, die er jeweils mit Hinweisen auf seine Loyalität ihr gegenüber für njchtig erklärt. Für diese Loyalität, so klagt cr, werde er nun mit der ungastlichen Einsamkeit belohnt, in der er sich befinde. Gleichwohl beendet er die Elegie mit einer Beteuerung seiner fortdauernden Treue. Folgende wichtigen Entsprechungen bestehen zwischen den beiden Elegien I, 17 und I, 18: An das erste Distichon von I, 17 klingen sowohl das erste als auch die beiden letzten Distichen von I, 18 an. 1,17.
Ir.:
1.18,
Ir.:
I, 18,
29-32:
Et merito. quon;am potu; fugisse pue/lam, nunc ego dt:SfCtas a/Ioquor alQ'Onas Haec certe deserta {oca et faciturna queremi. ef yocuum Zephyri possider aura nemus. ef quodcumque meae possunr na"ore quere/oe. cogor ad areutas meere salm avjs. sed qllaliscwnque es, resonenl mihi 'Cynrh;a' si/vae. nec deserta luO nomine saxa vacenl.
Die Entsprechung zwischen den jeweils ersten Distichen der beiden Elegien 1, 17 und I, 18 signalisiert, ganz wie die zwischen denen der Elegien I, 4 und I, 5, daß die beiden Elegien als Paar anzusehen sind6lB • Aber auch hier ist die wörtliche Entsprechung wieder auf kunstvolle Weise mit dem entscheidenden inhaltlichen Unterschied zwischen den beiden Elegien verwoben: In I, 17 befindet sich Properz in einer einsamen Gegend und bereut, daß er seine pue/la verlassen hat; in I, 18 sucht er aufgrund von Cynthias ungerechtem Verhalten ihm gegenüber freiwillig die Einsamkeit auf. Hinter der formalen Entsprechung der beiden Formulierungen desertas alJoquor afcyonas in I, 17,2 und ad argutas dicere solus aves in I, 18,32 steht derselbe inhaltliche Unterschied wie hinter der von desertas in I, 17,2 und deserta in 1,18,1: Selbstverschuldeter Einsamkeit des Properz auf der einen Seite (I, 17) steht eine freiwillig gewählte Einsamkeit des Properz auf der anderen Seite (I, 18) gegenüber.
611
Daß es, wie im Falle der Elegien 1, 4 und I, 5, so auch bei den Elegien I, 17 und I, 18 gerade die Anfangsdislichen sind, die markante Entsprechungen zu einander aufweisen. hat mich weiler oben die Aussage, es sei vor I, 17, 1 gegebenenfalls Texlausfall denkbar, unter starkem Vorbehalt formulieren lassen.
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Die Elegien des ersten Properzbuehes
5. Die Elegien I und 12
Die Elegie I, 1 Im ersten Abschnitt der Einleitungselegie des ersten Properzbuches, den Versen I, I, 1-8, berichtet Properz von der Entstehung und der Entwicklung seiner Bindung an Cynthia: Cynthia habe ihn, der zuvor von Leidenschaft unberührt gewesen sei, als erste'19 mit ihren Augen gefangengenommen (VV. I f.). Damals habe Amor seine, des Properz, hochmütigen Augen zu Boden gesenkt und die Füße auf sein Haupt gedrückt (VV. 3f.), bis er gelernt habe, anständige Mädchen zu hassen, und ohne Plan zu leben (VV. 5f.). Dieser Wahn dauere nun schon ein Jahr an, während er die Götter gegen sich habe (VV. 7f.). Die Verse 1-4 von I, I sind den ersten vier Versen eines Epigramms von Meleager (AP 12, 101, 1-4) nachgebildet, in dem der Philosoph davon berichtet, wie er dem Knaben Myiskos verfiel. Die zahlreichen wörtlichen Entsprechungen sind in Fedelis Kommentar aufgefUhrt. Fedeli betont, daß es sich nicht um eine reine und einfache Paraphrase der griechischen Vorlage handelt: "Properzio prende 10 spunto dall' imagine di Meleagro..., per riadauarla aHa propria esperienza di vita attraverso un processo di amplificazione e di approfondimento psicologico:,620 Auch Stahl weist auf Properzens Eigenständigkeit be.i der Benutzung der griechischen "Vorlage" hin: ,.from the very beginning he pursues his own train of thought, into which he incorporates only such wording from the Greek epigram as suits his purpose.,,621 Insbesondere anhand des vierten Verses bei Properz vennag er diese Eigenständigkeit gegenüber der griechischen Vorlage überzeugend vorzufilhren 621 • In den Versen 9-16 beschreibt Properz als positives mythologisches Gegenbcispiel zu seinem eigenen Geschick das des Milanion: Jener habe keine Mühen gescheut und so die saevitia der Atalante besiegt (VV. 9f.). Mit diesen Worten leitet er das Exemplum ein. In den nächsten vier Versen werden die labores (V. 9) geschildert, die Milanion auf sich genommen hat (VV. 11_14)62). Anschließend wird 619
620
6J1 6D
W
Stahl faßt prima in V. I im Sinne von primum auf, indem er cs als dem /Um in V. 3 einfach zeitlich vorgeordnet versteht. Gegen diese Auffassung spricht allerdings V. 2; in diesem Vers wird deutlich, daß prima prädikativ zu verstehen ist. Ist jedoch prima prädikativ aufzufassen, so erweisen sich die Verse 3,15, 5f. als problematisch, in denen es heißt, Lyeinna sei Properzens erste Geliebte gewesen: i/Ia rudis animos per nocles conscia primas I imbu"'. heu nulfis capta Lycinna datis. Die Elegie 3, 15 ist mOglicherweise kompleu unecht. Fedeli beruft sich in diesem Punkt aufLeo, Kl. Sehr. 11 208. Stahl, S. 27f. Vgl. Stahl, S. 32f. Der Text dieser Verse ist zweifellos konupt. Trtnkle (11, S. 168f.) hingegen zeigt sich froh darüber, daß sieh ..bei dem vielfach erOrterten modo - ~l- ~ljam ... nunmehr doch deutlich die Meinung durchzusetzen" scheint. ..daß hier der vom Dichter gewollte Wortlaut erhalten ist". Er gibt zu. "dass genau vergleichbare Stellen nicht vorliegen" sowie daß der überlieferte Wortlaut ,,hart" und "am Rande zum Anakoluth" sei. halt ihn aber gleichwohl rur
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das Ergebnis seiner Bemühungen genannt lIelocem potuit domuisse puellam (V. 15); es folgt die allgemeine Feststellung. daß in der Liebe Bitten und gute Ta· ten viel auszurichten vennOChten (V. 16). In den Versen 17f. hebt Propen von dem Erfolg, den Milanion bei AtaJante erzielt hat, sein eigenes Mißgeschick ab: Bei ihm mache Amor, anders als 5Onst62", keine Anstalten, zu helfen. In den Versen 19-30 ruft er zwei unterschiedlicbe Personengruppen um Hilfe an, wobei er allerdings deutlich macht, daß er seine Lage filr verzweifelt hält. Als erstes wendet er sich an die, die sich auf magische Künste verstehen, und bittet sie, den Sinn seiner domina zu ändern und zu bewirken, daß sie mehr erbleiche als er selbst (VV. 19-22). 1,1,
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al ~'OS, deduclae quibus eSI/a//acia Junae el Jabor in magicis sacra piareIods, en agedum dominae mentem convertire nOSlrae, el/adte ilJa meo palleat Qre magisl [rune ego erediderim vobis el sidero et omnis . ·~'d lleere eonmm ··buso J posse Cytllloeu
(I, I, m.)
In den Versen 23f. erklärt der Dichter, unter der Bedingung, daß die zuvor geäußerte Bitte erfüllt werde. sei er bereit, an die magiscben Fähigkeiten derer, die in dieser Passage angesprochen sind, zu glauben626• Die Eindringlichkeit, mit der eben diese Bitte in den Versen 19·22 vorgebracht wurde, ist nun allerdings mit einem Mal vollkommen verschwunden. Die Verse 23f. erwecken den Eindruck, als ob nicht ein Hilferuf, sondern die provozierende Aussage ..Erbringt erst einmal den Beweis, daß ihr mit euren Zaubereien etwas tur mich ausrichten könnt'" vorausge· gangen wäre. Sowohl ihrem Ton, der eher kühl und fordernd ist, als auch ihrem Inhalt nach haben die heiden Verse mit dem zuvor fonnulierten Anliegen des Properz nichts mehr zu tun 627 • "eigentümlich lebendig, eben - properzisch:' Unter den Belegen fUr ähnliche Konstruktionen ncnnt er auch eine Stelle aus Propen, I, 3, 41 ff.; diese Verse sind jedoch unecht. U4 Vgl. nOlOS vias in V. 18. Allen (I, S. 134) merkt an: "ln the opening elegy of Propertius' book ... (the) mythological example is adduccd to prove, by contrast, the uniqueness of the poet's experience." 6n Die Handschriften bieten hier verschiedene Lesarten. Die Haupthandschrift hat Cy'halinis. Der umstrittene Begriff hängt wohl mit Kytaia in Kolchis, dem Geburtsort der Medea, zusammen. Henzbergs Konjektur Cytaeines wird im Allgemeinen akzeptiert. Hertzberg hat auch Cylinaeis i.e. Thessalieis vorgeschlagen. Beide Begriffe sind sonSI nichl belegt. Ich übernehme die Konjektur Cytinoeis, weil Cytaeines nichl nur ein hopax legomenon wäre, sondern auch eine bei Properz sonst nicht belegte griechische Genitivfonn. 616 Stahl, S. 43. Stahl drückt sich vorsichtig aus, wenn er anschließend meint, dies sei filr Properz ,.a new \lo'3Y of stating the hopelessness of his love". 611 Otis (5. 10) bezeichnel die Verse 23f. als ironisch. Hering (I, S. 111) spricht von einem "vordergründigen Zweifel des Dichters an der Wirlcsamkeit solchen Zaubers", der, so ur· !eilt er allerdings unzutreffend, "funktionell den Eindruck von der schier aussichtslosen Lage, in der er sich befindet", verstlrkt. Dieser Auffassung entsprechend wendet er sich a.
164
Die Elegien des ersten Properzbuches
Die Formulierung sidera ducere in den Versen 23f. ist an dedlJclae lunae aus V. 19 angelehnt. Jedoch "this time the phrase is made much more diflicult by the insertion of ,amnes', which creates an extremely harsh zeugma. ,(De)ducere sidera' could have remained a dead metaphor without this, but ,dueere amnes' must employ the normal sense of ,dueere'... the strain on language involved... may feit 10 be excessive...628 Eine weilere sprachliche Härte besteht in der Ellipse von vos in V. 23, "for which, however, there seerns to bc 00 e10se parallel,,629. Die Eindichlung der Verse 23f. ist offenbar durch die in dem Begriff [al/acia (V. 19) implizierte Andeutung von Skepsis auf Seiten des Properz630 motiviert. Ocr Bearbeiter holt diesen Aspekt, der bei Properz lediglich eine untergeordnete Rolle spielt, ungeschickt in den Vordergrund611 •
• Nach denen, die sich auf magische Künste verstehen, wendet sich Properz mit seiner Bitte um Hilfe als nächstes an seine Freunde, indem er sie auffordert, Hilfsmittel (auxi/ia) für sein krankes Herz zu suchen (VV. 25f.) I, t,
2S
27 28
aut vos, qui s~ro tapsum revocatis, amici, quaerite non sani pectoris auxilia. VOl'titer et ferrum soeVQs pa/iemur et ignis 612 , sir modo liberros qual! velir ira /oqui.] Jen~ per extremos genris etJene per undas, qua non u/la meum f~mina norit iter:
[I, I, 27f.I'"
In den Versen 27f. fUgt der Dichter Properzens Bitte an seine Freunde die Beteuerung an, er sei bereit, tapfer Eisen und wOtendes Feuer zu ertragen, wenn er nur seinem Zorn verbal freien Lauf Jassen könne. In den Versen 29f. fUhn Properz mit der Bitte an seine Freunde, ihn aus den Augen der Geliebten fonzuschaffen, offenkundig quaerire ollxilia aus V. 26 näher aus. Diese Bitte wird darum durch die Verse 27f. von ihrem inhaltlichen Bezugs0., Anm. 47 gegen Housmans Hinweis auf einen "angeblichen logischen Widerspruch" zwischen dem Hilferuf des Dichters und seinem Zweifel an der Magie, indem er folgendewenig überzeugende - Erklärung gibt: "Das Nebeneinander von Hoffnung und Verzweiflung in der Brust des Dichters läßt sich nicht mit logischen Überlegungen auf einen gemeinsamen Nenner bringen." 621 Hodge und Bunimore ad loe. 629 Shackleton Bailey, S. 5. 6)0 Vgl. z. B. Hodge und Buuimore, S. 68, Anm. 14: ,,,Fallacia' implies a deceplion, and so Proper1ius does nOI suggest thatthe witches can in fact draw down the moon." 6)1 Die Verse 23f. sind im Typologiekapitel in Abschn. I. B. 3 erfaßt. 612 Vorbild ist Ov. rcm. 229 ut corpus redimos. ferrum /lillieris Cl ienes. Vgl. auch Ov. episl. 20, 185: ut va/eant, aUae ferrum /lilliuntur ft irnes. Das Motiv vom Eisen und Feuer kommt auch in Prop. 3, 24, I1 f. vor: hoc ego non ((eco. "on ign~ eoaetus, et ipsa / naufragus Aegaeo (verafatebor) aqua. &)) Die Tilgung dieser Verse erfolgt nach einem Hinweis O. Zwierleins.
Die rahmenden Elegien I - 5 und 15 - 18. 22
165
punkt getrennt. Sie paßt aber auch sonst nicht im Anschluß an die Versicherung in V. 27, tapfer Eisen und wütendes Feuer ertragen zu können; logischer wäre eine umgekehrte Reihenfolge. Jedoch auch eine Umstellung der beiden Distichen führte zu keinem zufriedenstelIenden Ergebnis, da eine gravierende inhaltliche Schwie· rigkeit bestehen bliebe: Die Formulienmgferrom... et ignes in V. 27 läßt sich, un· geachtet ihrer genauen Bedeutung, die offenbar schwer zu bestimmen ist6J4 , in keinem Fall mit den in den Versen 29r. aufgefiihrten auxilia vereinbarenm. An Vers 28, der auch Hodge und Bunimore Schwierigkeiten bereitet636, läßt sich ein besonders typisches Charakteristikum aufzeigen. Die Verse 27f. sind eingefUgt worden, um zu betonen, daß um jeden Preis Hilfe elWOnscht ist. Weil diesen Zweck bereits der Hexameter erfiUh, enthält der folgende Pentameter nur noch belangloses Füllmaterial. In ihm verfälscht der Bearbeiter zudem den übergeordneten Gedankengang, indem er alles Vorhergehende auf ein vergleichsweise triviales Ziel bezieht: ,,Hauptsache, ich kann meinem Zorn verbal freien Lauf lassen." Der Ton dieses Verses ist gleich dem der interpolierten Verse 23r. wiederum eher fordernd als, dem Kontext entsprechend, verzweifelt631 .
• Die Verse 29f. schließen gedanklich sehr gut an die Verse 25f. an. In ihnen führt Properz die dort geäußerte Bitte um auxilia aus, indem er die Freunde bittet, ihn aus den Augen seiner domina fOrlZuschaffen. Die enge Zusammengehörigkeit der heiden Distichen wird auch durch die Verwendung von Imperativen jeweils am Anfang der Verse 26 und 29 deutlich signalisiert. Im Schlußdistichon von I, 1 fordert Properz, an seinen Wunsch einer räumli· ehen Trennung von Cynthia (VV. 29f.) anknüpfend, diejenigen, denen Amor zu· getan ist, auf, zurückzubleiben und ihre Liebesbeziehung in trauter Zweisamkeit zu genießen (VV. 31 f.). Dieser Schluß ist sehr wirkungsvoll. Durch die adhortatio an die glücklich Liebenden ruft Properz im Leser unwillkürlich die Erinnerung an sein eigenes, zuvor geschildertes, Unglück in der Liebe wach, ~ es noch einmal eigens zu erwähnen. Das Bild, das er vorher von seinem Unglück gemalt hatte, prägt sich dadurch um so tiefer ein. Auch Hering (I) gibt zu, daß ..nur aus dem Zusammenhang heraus... die schwierigen Verse 27-28 zu verstehen" sind (S. 112, Anm. 49); er hält neben dem Wunsch in den Versen 29f., der meiner Meinung nach allerdings völlig einwandfrei ist, "das Verlangen, alle denkbaren Qualen wie ferrum und ignes zu ertragen", fiir ,,aus der Verzweiflung geboren und im Grunde genommen sinn- und zwecklos" (5. 112). es Von dem Versuch, sich durch riumliche Trennung von der Geliebten zu lösen, beriehtet Properz auch in 3, 21. Vgl. dort die Eingangsverse Magnum iter ad doclas proficisci cogor Athenas. / ut me tonga grav; soh'Ol amore via. Das Motiv ist recht gängig. Vgl. die Verse: Ov. rem. 213f., die offenbar das Anfangsdistichon von Prop. 3, 21 zum Vorbild haben, wie die wörtlichen Anklänge nahelegen: Tu lanlum. quamvis firmis reliaebere viadis. / i proeuJ. et lonras carpere perge liIu.. 6.)6 Hodge und Buttimore ad loc.: ...Line 28 is even more equivocal and obscure... He (sc. Pro~ius) seems 10 wanl 10 express anger, an emotion that has not beeil mentioned previ-
6}4
ous Iy.....
07
Die Verse 27C. sind im Typologiekapitel in Abschn. 11. A. 2 erfaßt.
00045~53
166
I, I,
Die Elegien des ersten Properzbuches
31 33
3S 38
vo.s r~mll'U!t4!, q"iblls!acili d~us annuil allre. si/is el in 11110 semper lI,"or~ pilres. (in mew nOSlra YenILJ nocles uercet amaros'" et nu//o vaeuILJ tempore defi' Amor.6o'O hoc. moneo. vitate malum: sua quemque moretur euro""'. neque assuetofÖ mutet amore locum. 6Iol quod .si quis monitis tanlas adverterit auris"", heu releret quanta verba dolore6lo5 mea!)
11,1,33-8)646
Dem Bearbeiter hat, wie man im ersten Properzbuch des öfteren feststellt, ein prägnanter Elegieschluß ein solches Unbehagen bereitet, daß er einen eigenen Schluß angefilgt hat, in dem ,,alles klar wird". Ein solcher vom Bearbeiter hinzugefUgter Elegieschluß sind auch die Verse I, 1,33·38. In den Versen I, I, 33f. charakterisiert der Bearbeiter, provoziert durch Properzens Appell an diejenigen, die eine glückliche Liebesbeziehung genießen ('IV. 31 f.), ,.noch einmal seine eigene Lage ähnlich wie" Properz "in den Versen 8 und 17118,,647: "In meinem Falle setzt Venus bittere Nächte ins Werk, und nie läßt Amor mich in Ruhe", so klagt er in diesem Distichon. Anschließend mahnt er, dieses Übel zu meiden: Jeden möge seine eigene Geliebte (cura) beschöftigen, und er mög(' nicht nach einer Anderen Ausschau halten (VV. 35f.). An das Ende seines Zusatzes stellt er eine dUstere Prophezeiung, deren Schwere jedoch in keinem vernünftigen Verhältnis zu der Aussage des vorausgehenden Distichons steht, auf die sie sich bezieht: Wenn jemand seine Mahnung nicht ernst nehme, werde er sich mit großem Schmerz an seine Worte erinnern (VV. 37f.).
6)1
6Jf
60'0
Der Versanfang in me ist aus V. 17 geholl Überhaupt ist die erste Hälfte von V. 33. wie ich im folgenden austuhre, der von V. 17 angeglichen. Die Junktur noctes amara.s findet sich sonst noch in Prop_ 2.17. 3f. und 4, 3, 29. Qv. epist. 12, 171 hat nocte.s amarae. Dem Vers 34 ähnlich sind folgende zwei Ovidverse: am. I, I, 26 uror. et in mt.:I(O pu/au. regnat dm..al; rem. 752 dum bene de mt.:I(O pectQU ceda' amor; vergleichbar nahe Parallelen existieren sonst nicht Die zweite Hälfte von V. 34 gleicht der von Ov. ars 1,38 ... ItmJlOU duret amor und Pont. 4, 6, 24 ... tempou crevit amor (letztere Pentamcterhälfte ist mit dem Anfang von met 4, 60 und fast. I, 195 identisch). Ansonsten finden sich rur eine ähnliche zweite Pentametemälfte im ersten Properzbuch zwei Belege; vgl. (Prop.) I, 12 .12 ... wrrportjUgit g,"orund {Prop.] I. 19.26 ... temDOu longus g,"or. Vorbild tur das gesamte Distichon ist Tib. 2, 4, 11 f. nunc et IImllrtJ dies e, noctis lImario, 11m-
bra est: lomnia nam tristi lUJPOetI!eJle maden'. 6Co1 Vgl. 1,8, I Tune igi,u, demens. nec'e mea CUNI m0etl'Mr. ..2 Assueto steht an derselben Stelle in I, 4, 4. Ml Eine ähnliche Klausel wie amare locum ist nur noch in Prop. I. 11,6 belegt. Die Verse I, 11, 5f. sind eindeutig die Vorlage von V. 36: nostn' cura subit memores a! ducere noctes? I ecquis in atrernO restat 1UIfJlU...1Jl&J? "" Die KJausel stammt aus Qv. fast. I, 179 ad primam \.IOCem ,imidas fU/l'tnÜjs gHW. 6Co' Vgl. Ov. mel 13, 2g0 me miserum. fuanto cogor meminisse dola,e. "'" Die Athetese stammt von 6011 Hering (I), S. 113.
o. Zwierlein.
Die rahmenden Elegien I - 5 und 15 - 18. 22
167
Inhaltlich gesehen sind die Verse 33f. ein Echo der Verse 17f., in denen Properz, ebenfalls mit den Worten ln me beginnend, sein trauriges Geschick bereits von dem des Milanion abgehoben hatte. Stahl weist darauf hin, daß weitere Parallelen zwischen den Versen 17 und 33 bestehen: "Line 33 recalls the beginning ln me tardus Amor of line 17 by metrical panern (4 words of equal prosody)... and even by its contenls (Amor, 17 - Venus, 33)." Er folgert aus dieser Ähnlichkeit: "Thus distich 33/34 completes the second circle of self-definition (19-34), which, like the first (\-18), separates Propertius from other happier lovers.,,648 Diese "Regelmäßigkeit" verrät den Properzbearbeiter! Wie Vers 33 dem Vers 17, so ist Vers 34 dem Vers 32, dem echten Schlußvers der Elegie, nachgebildet: Dem semper in V. 32 entspricht nullo... tempore in V. 34, dem wohlmeinenden süls... pares entspricht defit, der Formulierung in tfllO... amore die Formulierung vacuus... Amor649 • Das gesamte Distichon (VV. 33f.) ist demnach ein gutes Beispiel für .. Interpolatorenökonomie" . Die in den Versen 35f. enthaltene Warnung ist nach den Worten von Hodge und Buuimore "obscure and hard to profit by"·MO. Die Aufforderung hoc. moneo. vüare malum, gefolgt von der Anweisung, jeder möge bei seiner Geliebten verweilen, ergäbe nur dann einen Sinn, wenn Properz zuvor dargelegt hätte, daß er selbst in diesem Punkt versagt habe. Dies ist jedoch nicht der Fall! Stahl bemerkt zu den Versen 35-38: "Were the poem about his unhappiness only, we would not desire anything more after line 34." Daß die Verse 35-38 den Charakter eines Zusatzes haben, deutet er unfreiwillig noch ein weiteres Mal an, wenn er erklärt, daß ..the final four lines give the whole poem a new twist and make all the foregoing (1-34) appear precursory.,,6S1 Was die Sprache der Verse 33-38 betriffi, so ist nostra Venus (V. 33~ schwierigm , weil es auch die zuvor erwähnten glücklich Liebenden mit umfaßt H. Vacuus defit (V. 34) ist eine seltene Form des Pleonasmus6S4 • 10 defitliegt womöglich eine Reminiszenz an deficü in V. 7 vo~s .
... Stahl, S. 44. 6f9 Stahl, S. 45. 6iQ Auch Hering (I, S. 113) warnt davor, die Mahnung der vier Schlußverse "mit rein rationalen Argumenten zu beurteilen. Wenn nämlich der Dichter", so erklll.rt er, .....durch Cynlhia erstmalig von einer Liebesleidenschaft ergriffen wurde... wäre er - streng gcnommenniehl berechtigt, die glücklich Liebenden zu mahnen, ihr Glück nicht leichtfertig aufs Spiel zu setzen. Aber welche Lehre könnte er dann geben?" "I Seide Zilate Stahl, S. 46. M2 Connor, S. 52, bezeichnet nostra Yenus als ,,paradoxical". W Hodge und Buttimore haben zwar richtig erkannt., daß ..lhe obvious contrasi underlined by the position of the words is between \lOS and in me" (5. 70, Anm. 22). Sie sind sich aber anscheinend der Ungenauigkeit., die in ihrer weiteren ErkJlrung enthalten ist, nicht bewußt: .JIOSlra generalizes this Venus to include the lovers of line 31 (\lOs), but in me distinguishcs his unhappy experience from their success". Gleich ihnen meint auch Heyworth (I, S. 396): ,JIosrra hcre refers to vos er ego". 6Sl Fedeli ad loc. ,,} So Hodge und Buuimore ad Joc. Die Verse 33-38 sind im Typologiekapitel in Abschn. 11. C. 1 erfaßt, die Verse 37r. außerdem in I. A. 2.
00045~53
168
Oie Elegien des ersten Properzbuches
Die Elegie 1. 22 I, 22 ist im ersten Properzbuch die einzige Elegie. die frei von unechten Zusätzen ist. Sie braucht deshalb nicht Gegenstand einer so eingehenden Untersuchung wie die übrigen Elegien zu sein. sondern nur insoweit behandelt zu werden. als es rur das Verständnis der Komposition des ersten Properzbuches notwendig ist. Gleich der Einleitungs· ist auch die Schlußelegie der Monobiblos an Tullus gerichtet, ebenso wie die Elegien 1.6 und I, 14, die erste und die letzte der mittleren zehn Elegien. Sie enthält nach Art eines Schlußgedichles biographische Angaben zu Properz, ist aber keine typische SphragisM6. Das erste Distichon erhellt den Anlaß der Elegie: Im Namen seiner Freundschaft zu Properz hat Tullus ihm einige Fragen zu seiner Abkunft gestellt (VV. 1f.). Diese Fragen zeugen, so Stahl, von einem recht einseitigen Interesse an Properzens fami· Iilirem Hintergrund. Den Grund hierfUr sieht Stahl darin, daß Tul1us als Mann von wichtigen politischen Verbindungen (vgl. 1. 6) und von großem Vermögen (vgl. 1,14) natürlicherweise insbesondere an solchen Details interessiert ist 6S1 • Anstan auf die Fragen des Tullus eine direkte Antwort zu geben, holt Properz weit aus: ..Falls dir Perusia. das Grab des Vaterlandes, bekannt sein sollte..." hebt er in V. 3 an. Schon die Tatsache, daß er mit einem Bedingungssatz beginnt. daneben aber auch der Inhalt desselben, zeigen. daß es ihm nicht nur um die traditions· gemäß in einer Sphragis zu liefernden Angaben zur eigenen Person geht. In V. 3 ist von den PenLSina patriae sepulcra. also den schlimmen Ereignissen des perusinischen Krieges, die Rede. desgleichen auch in den Versen 4 und 5. Nach V. 5, also genau in der Mine der Elegie, erfolgt ein unerwarteter Richtungswechsel im Gedankengang: Properz apostrophiert, ..overcome by a new intensity of emotion", wie es Hodge und Buttimore ausdrucken, in parenthetischer Form die Erde Etruriens: Insbesondere ihm bereite sie Schmerzen, da sie die zerstreuten Glieder seines Verwandten getragen und die Knochen des Unglücklichen nicht bedeckt habe (VV. 5·8). Die Verse 9f. bilden die Apodosis zu dem in V. 3 beginnenden Bedingungssatz. In ihnen erklän Properz. das nahe bei Perusia gelegene Umbrien habe ihn hervorgebracht. Das Schlußdistichon enthält somit die Antwor· ten ZU den im Anfangsdistichon refericnen Fragen. Die Elegie ist also fonnal wie inhaltlich betrachtet symmetrisch m . Die Tatsache, daß Properz in seiner Antwort auf TuBus' Fragen Perusia erwähnt, wertet Stahl als Bestätigung daftir. daß diesmal der Kontrast zwischen den beiden Freunden darin bestehe, daß ihre Familien im BOrgerkrieg entgegengesetzten politischen Paneien angehörten: ..Tullus, the counter-Propertius already in 1. I, 1. 6 and I. 14, once more helps to further the difficult process of definitio sui per negationem."M'ln der Tat sind die vier Elegien 1,6, 14 und 22 des ersten Properz· ü6 6J7
W
6j9
Vgl. etwa Hodge und Bultimore, S. 215. Stahl, S. t 00. Stahl bielel in seinem Properzbuch, S. 99fT., einige feinsinnige BeobachlUngen zur Elegie 1, 22, auf die ich mehnnals Bezug nehmen werde. Stahl, S. 107: ..The poem's fonn as read loday can be proved 10 be intentionally designed and final." Stahl, S. I02f.
Die rahmenden Elegien I - 5 und 15 - 18. 22
169
buches nicht nur an einunddenselben Adressaten, nämlich TuBus, gerichtet, sondern gleichen einander in dem von Stahl aufgezeigten Sinne auch in ihrer Thematik. Was die Einleitungselegie I, I und die Schlußelegie 1,22 anbelangt, so lassen sich, anders als zwischen den Rahmenelegien des Mitteheils der Monobiblos, den Elegien 1,6 und I, 14, keine nennenswerten wönlichen Entsprechungen zwischen ihnen nachweisen. Gleichwohl besitzen sie manche Gemeinsamkeiten: "Tbe avoidance of any name (aulhor, family, birthplace) in the sphragis and the emphasis on personal experience move I. 22 e10se to the account of his (sc. Propertius') inner development given in I. I." Seide Elegien nehmen auf ein weit zurückliegendes Ereignis bezug, das anscheinend einen großen formenden Einfluß im Leben ihres Autors gehabt haben muß. So kommt Stahl, der auf diese Gemeinsamkeiten hinweist, zu folgendem Schluß: "Prologue and epilogue completc each other, giving a firm setting to the contents in between.,,660
Entsprechungen zwischen der ersten Elegie und den Elegien 17 und) 8 Die Sphragis I, 22 steht thematisch isoliert von dem Drama, das sich in I, I - 18 zwischen dcm Dichter und Cynlhia abspielt, hat aber mit der Einleitungselegie der Monobiblos den Adressaten gemein. Zwischen der ersten Elegie und den beiden thematischen Schlußgedichten I, 17 und insbesondere I, 18 hingegen bestehen enge Verbindungen. Ich drucke im folgenden die jeweils einander entsprechenden Verse ab und gebe anschließend eine Erl!uterung. I, I,
3:
tum milri constantis dei«:il lumina •faslus
1,18,
S,
unde tuos primum repetom. meo Cynthia. (avus?
Während Propen in der Einleitungselegie schildert, wie Amor seine eigenen hochmütigen Augen (lumina faslUS) zu Boden gesenkt habe, stellt er in I, 18 die Frage, an welchem Punkt er mit dem Bericht von Cynthiasfaslus beginnen solle. Auffii.llig sind des weiteren die Entsprechungen zwischen den Distichen I, I, 21 f. und ), 18, 17f., insbesondere zwischen den jeweiligen Pentametern. I, I,
2If.,
en agedum dominae mentem convertire nostrae, tl/acite iUa mfO Jl/l1kJU l1U. magis!
1,18.
17f.:
an quia parva damus mura(Q signa CQ/are tl non ul/Q mlO clamal in flUfides?
Ln I, I, 21f. biltet Propen diejenigen, die sich auf magische Künste verstehen, den Sinn seiner domina zu ändern und zu bewirken, daß sie mehr erbleiche als er selbst. In I, 18, 17f. fragt Propen, ob er zu wenig Zeichen filr seine Liebe gegeben
und es versäumt habe, seine Loyalit!t laut kundzutun. 66f
Die ve~hiedenen Zitate stammen aus Slahl, S. 125.
0004S4S3
Die Elegien des ersten Properzbuches
170
Eine weitere Entsprechung besteht zwischen den Versen I, I, 29f. und den Eie· gien I, 17 und 18: I, I,
29f.:
ferte per extremas gentis et ferte per undas. qua non u/la meumfemina nori' i/er:
In den Elegien I, 17 und 18 ist die in I, I, 29f. ins Auge gefaßte räumliche Distanz erreicht, freilich nicht im Sinne von I, 1 als remedium; vielmehr wird Properz Cynthia weiter lieben (vgl. I, 18,31 f.); dies ist Voraussetzung filr Buch 2. Wie im Falle der Elegien 1,2 und 15 sowie der Elegien 1,3 und 16, so verbirgt sich auch hinter den wörtlichen und gedanklichen Entsprechungen zwischen der Einleitungselegie und den Elegien I, 17 und 18 ihr entscheidender inhaltlicher Unterschied. Wie zwischen I, 2 und I, 15 oder zwischen I, 3 und I, 16, so hat sich auch zwischen der Einleitungselegie und den Elegien I, 17 und 18 das Blatt klar zuungunsten des Properz gewendet. In I, I berichtet er davon, wie er seinenfastu.... verlor, in I, 18 hingegen klagt er über Cynthiasfastus. In I, I wUnscht er, Cynlhia möge erbleichen, während er in I, 18 fragt, ob er selbst zu wenig durch den Wech· sei seiner Gesichtsfarbe seine Liebe kundgetan habe. Die räumliche Trennung von Cynthia schließlich, um die er als Heilmittel rur seine Liebe in der ersten Elegie in forderndem Ton bittet, ist in den Elegien I, 17 und 18 Realität, ohne daß sich je· doch der erwünschte Effekt irgend eingestellt hat.
IJI. Die unechten Elegien des ersten Properzbuches (2. Teil)
An den Beginn meiner Arbeit habe ich den Nachweis der Unechtheit der Elegien I, 19 - 21 gestellt, den ich dort nach vorwiegend immanenten Kriterien gefiihrt habe. Diejenigen Argumente für die Unechtheit der betreffenden Elegien, die die Kenntnis der echten Elegien der Monobiblos und die des übergreifenden Gedankenganges voraussetzen, habe ich auf später verschoben. Nunmehr kann die Erörterung der Probleme erfolgen, die sich bei der Eingliederung von 1, 19 in den gedanklichen Aufbau des ersten Properzbuches ergeben, sowie die Untersuchung der Art der Beziehung von I, 21 zur Schlußelegie I, 22. In den Elegien 2 - 18 des ersten Propcrzbuches ist eine deutliche Entwicklungsiinie in der Beziehung zwischen Propen und Cynthia erkennbar: Die Elegien 2 - 5 handeln von einzelnen Schwierigkeiten innerhalb der Beziehung (I, 2 und 1,3) oder von Gefahren, die ihr von außen drohen (I, 4 und I, 5), spiegeln jedoch insge· samt eine vergleichsweise unkomplizierte und gesunde frühe Phase derselben wider. Diese Leichtigkeit ist im Miuelteil, den Elegien 6 - 14, nicht mehr gegeben. Die Probleme haben hier mitunter ein solches Ausmaß, daß sie sogar das Weiterbestehen der Beziehung stark gefährden. In I, 14, der letzten dieser zehn Elegien, scheint der Friede noch einmal hergestellt. Properz vergegenwärtigt sich in dieser Elegie auf der einen Seite den Wert der Beziehung, auf der anderen Seite aber auch, welche heftigen Schwierigkeiten möglich sind. Die Elegien 15 - 18 beschreiben ein spätes Stadium der Beziehung zwischen Properz und Cynthia: Herbe Enttäuschung und beginnende Resignation (I, 15), verzweifelte Versuche, an den Umständen entweder noch etwas zu ändern (I, 16) oder ihnen zu entfliehen (1, 17), zeugen davon, daß die Beziehung ihrem Ende zu· geht. In I, 18 ist die Trennung zwischen Properz und Cynthia vollzogen. Properz gibt in dieser Elegie ein Resümee der Beziehung, das heißt von seiner hingebungs· vollen Treue und von Cynthiasfastus. Die Elegie endet mit folgendem Distichon: 1,18,31f.,
sed qualiscumque es. resonent mihi 'Cynthia' si/vae. nec deserta tuo nomine saxa mcenr.
Mit diesen Worten bekundet Propen. daß er Cynthia gegenüber loyal bleiben will, aber keinerlei Erwartungen mehr an sie hat. Die Elegie I, 19 ist in dem Bemühen hinzugedicbtet worden, an dieses kunstvolle, aber vom Bearbeiter als unbefriedigend empfundene Ende ein Finale anzu.hängen, das die Verhältnisse ,,klarstellt". Die Tiefgründigkeit, die der vorläufige Abschluß
0004545~
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Die Elegien des ersten Properzbuches
der Cynthia-Geschichte mit den Versen I, 18,31 f. erhält, kann jedoch nicht weiter gesteigert werden: Die Kombination von unendJicher Treue und Trauer, die in diesem Distichon mitschwingt, büßt vielmehr mit jedem weiteren Wort an Wirkung ein. ichtsdestoweniger läßt der Dichter der Elegie I, 19 den Properz in Gedanken an seinen Tod nochmals das Wort an Cynthia richten. Dabei dient jedoch der Todesgedanke nicht einmal, wie zu erwarten wäre, zur dramatischen Steigerung, sondern ist lediglich Bestandteil der vergleichsweise unspektakulären Erklärung des Dichters, er fürchte weder Tod noch Unterwelt, sondern allein, daß sein Begräbnis Cynthias Liebe entbehre. Der Ton, in dem diese Erklärung abgegeben wird, läßt, wie Oberhaupt der Ton der gesamten Elegie, die Resignation, die am Ende von 1, 18 deutlich spürbar ist, gänzlich vermissen66l • Daß die Cynthia-Geschichte mit I, 18 bereits abgeschlossen ist, wirkt sich vor allem auf das letzte Distichon der Elegie I, 19 aus. In ihm bemüht sich der Dichter vergeblich, durch eine gewichtige, aber mangelhaft angebundene Schlußfolgerung die fehlende Eingliederung der Elegie in den gedanklichen Aufbau des ersten Propcrzbuches zu überdecken. Die Elegie 1,21 hat, wie bereits dargelegt 662 , weder mit der das erste Properzbuch bestimmenden Cynthia-Thematik, noch überhaupt mit Properz selbst etwas zu tun, sondern weist vielmehr ausschließlich zur Schlußclegie der Monobiblos, I, 22, eine enge Verbindung auf. Diese einzige Verbindung ist dafür um SO enger. ethercut66J weist auf weitere eindeutige Parallelen hin: Dem propinquus in 1,22,7 entspricht in 1,21,7 Gal/us. Sie steht, wie in 1,22,6, so in 1,21,5. Ossa findet sich in 1,22,8 und in 1,21,9. Schließlich wird das Adjektiv Etroscus sowohl in 1,22,6, als auch im Anfangs- und im Schlußdistichon von 1,21, nämlich in den Versen 2 und 10 der Elegie, gebraucht. Die Untersuchung dieser Parallelen zwischen den beiden Elegien hilft, das Motiv rur die Interpolation von I, 21 zu erkennen. Ohne Zweifel an der Echtheit dieser Elegie zu hegen, erkJärt Stahl: .. I. 21 not only provides us wilh the name and political affiliation of the poet's deceased relative mentioned in the epilogue, but also deals with the tragic details of his death and Ihe efTect of the sad evcnt on his beloved - details directly conductive to understanding the outcry of grief thai fonns the emotional c1imax of I. 22." Mit anderen Worten: Die Elegie I, 21 enthält Infannationen, die das Verständnis der Schlußelegie erleichtern sollen 664 • Jedoch Vgl. auch Boyle (S. 898) zum Beginn der Elegie: "The poem opens in a casual. conversa· tional manner... nunc... indicates with subtlety and c1arity that the dialogue bctween Pro-penius and Cynthia has been going on for some time..:' ~ Vgl. die Untersuchung der Elegie zu Beginn dieser Arbeit, dort insbesondere das Zitat aus Stahl. S. 112. "J etherc:ut, S. 464. 66C Stahl, S. 113: .,The reader of 1. 21 gains more infonnation for understanding I. 22 than he who reads the epilogue for itself as merely representing the traditionsl sphragis." Stahl spricht im selben Zusammenhang von der "infonnation which I. 21 supplies for understanding 1. 22". Vgl. des weiteren S. 118r.: •.Definitely the reader's mind is prepared to panicipate in the outburst of grief in I. 22. 6-8. For, wben IUming to 1. 22. the reader has impressed in his mind both the sad result ... and the tragic circumstances ... of Gal!us' death." S. 120: ..1. 21 puts the politically infonned contemporary reader in a better position 661
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Die unechten Elegien des ersten Properzbuches (2. Teil)
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gerade die Tatsache, daß, und die Art und Weise, wie die Elegie I, 21 zur Vorbe· reitung der Schlußelegie dient, erweist sich als verdächtig. Denn in I, 21 verläßt der Dichter, so Stahl, "the neutrality observed in the final poem and does identify the Earty his deceased relative (me;... propinqui, 22. 7) had fought against: Octavi· an" 5. Im Unterschied zu 1,22 wird Octavian in 1,21 namentlich genannt666, allerdings in einer Weise, die eindeutig eine oppositionelle Haltung zeigt667 . Die Elegie I, 22 bezeichnet Stahl zutrefTend als "in the first place... a personal, not a political poem,,668. Er gibt zu, daß sich allein auf der Grundlage von I, 22 schwer nachweisen läßt, daß diese Elegie eine politische Aussage enthäh669 . Wenn nun aber Properz so sehr bemüht ist, eine womöglich riskante eindeutige politische Stellungnahme in der Schlußelegie des ersten Buches zu venneiden, warum sollte er in der vorausgehenden Elegie den Schlüssel tUr das Verständnis der in der Schlußelegie implizierten Andeutungen mitgeben? In I, 21 nämlich "Propertius makes no attempt to conceal the identity of lhe aggressor."670 Solche eindeutigen politischen Stellungnahmen sind flir Properz nicht üblich; sie gehen auf das Konto des Bearbeiters.
to understand Propertius' intense lament in 1. 22." S. 121: "His reader may, thus wcll-prcpared, be much more eertain ahow the characler of the c10sing poem." Vgl. auch Hodge und Buttimore, S. 213: "The two poems rcad as glosses on each olher, and it is diflieult to bclieve Ihis is not intended." 665 Stahl, S. 111. 666 Stahl, S. 113. 661 Vgl. Stahl, S. 117: "We have leamed ahout Ihe family's party affiliation: anli-Octavian, pro-Republican." 668 Stahl, S. 121. 669 Stahl, S. 108. 610 Nethereut, S. 469. Nethercut (5. 466) stellt fest, daß in 1,21 Oclavian als derjenige dargestellt wird, der seine eigenen Leute verfolgt, und rugt (Anm. 7) hinzu: "This same emphasis is preserved in Propertius 11, I, 19-34." Bereits Heimreich hat die Verse 2, I, 17-38 getilgt.
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TYPOLOGIE DER EINDICHTUNGEN IM ERSTEN PROPERZBUCH
Einleitung Für eine Typologie der Eindichtungen im ersten Properzbuch sind die Ausführungen von Tarrant, auf die ich in der Einleitung meiner Arbeit bezuggenommen habe,
eine wichtige Grundlage. Allerdings scheint es mir angesichts des Charakters dieser Eindichtungen nötig zu sein, Tarrants Typologie zu modifizieren. Der Grund darllr ist vor allem, daß Tarrant eine Klassifizierung der Interpolationen in lateinischen Dichtertexten im allgemeinen vornimmt, die nicht die Unterschiede im Charakter der Interpolationen in verschiedenen Dichtungsgattungen oder auch bei den einzelnen Dichtem berücksichtigt und daher fiif eine gattungs- oder autorenspezifisehe Typologie nur die Basis sein kann. Gleich Tarrant teile ich die Eindichtungen im ersten Properzbuch entsprechend ihrer Funktion in Kategorien ein. Wenn sich auch die meisten von ihnen klar einer dieser Kategorien zuweisen lassen, so kommen rur einige mehr als eine Kategorie in Frage. Diese Trennunschärfe besteht deshalb, weil die einzelnen Kategorien lediglich verschiedene Aspekte ein und desselben Phänomens, nämlich der Eindich· tung, beschreiben. Es versteht sich, daß bei einer einzelnen Eindichtung mehrere dieser Aspekte sichtbar werden können. Indem ich jedoch die einzelnen Kategorien ihrerseits wiederum in mehrere Typen unterteile, kann ich die mehrfache Zuordnung ein und derselben Eindjchtung fast immer vermeiden. Bei der Einteilung in Kategorien gehe ich teils von den Ausruhrungen Tarrants zu den Interpolationen aus, die er unter dem Oberbegriff der onn%/;on sammelt, vor allem aber von seinen Ausruhrungen zu denjenigen Interpolationen, die er als imila/ion oder collabora/ion bezeichnet. Bei Interpolationen der Kategorie annota/ion führt der Leser nach Tarrant die Aufgabe eines Editors oder Kommentators aus. Vor allem der zweite und der dritte Typ, den Tarrant in dieser Kategorie unterscheidet, der des Kommen/ars und der des Zilats oder der Parallele, sind filr die Typologie der Eindichtungen im ersten Properzbuch von Bedeutung. Ein Kommentar reduziert nach Tarrant entweder eine Passage auf ihr Wesentliches, oder er liefert sonst eine rur das Verständnis einer Passage als nötig oder hilfreich empfundene Information671 • Die Bedeutung des Typs Zilat oder Parallele versteht sich von selbst. Bei Interpolationen der Kategorie imila/ion oder collabora/ion betätigt sich der Leser nach Tarrant als Ko-Autor. Solche Interpolationen sind motiviert von dem Verlangen "to prolong, to elaborate or even to surpass the text which inspires it·06n . Als verschiedene Typen dieser Kategorie von Interpolationen nennt Tarrant ..those which smooth a transition or fill an apparent ellipse in the argument or narrative;
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