Monographien aus dem Gesamtgebiete der Psychiatrie Band 114
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Monographien aus dem Gesamtgebiete der Psychiatrie Band 114
Monographien aus dem Gesamtgebiete der Psychiatrie Herausgegeben von H. Saß, Aachen · H. Sauer, Jena · F. Müller-Spahn, Basel Band 94: Elektrokrampftherapie Untersuchungen zum Monitoring, zur Effektivität und zum pathischen Aspekt Von H. W. Folkerts (ISBN 3-7985-1204-3) Band 95: Der Nerve Growth Factor bei neuropsychiatrischen Erkrankungen Ein pleiotroper Modulator mit peripherer und zentralnervöser Wirkung Von R. Hellweg (ISBN 3-7985-1205-1) Band 96: Aufklärung und Einwilligung in der Psychiatrie Ein Beitrag zur Ethik in der Medizin Von J. Vollmann (ISBN 3-7985-1206-X) Band 97: Tabakabhängigkeit Biologische und psychosoziale Entstehungsbedingungen und Therapiemöglichkeiten Von A. Batra (ISBN 3-7985-1212-4) Band 98: Die psychosozialen Folgen schwerer Unfälle Von U. Schnyder (ISBN 3-7985-1213-2) Band 99: Körperliche Aktivität und psychische Gesundheit Psychische und neurobiologische Effekte von Ausdauertraining bei Patienten mit Panikstörung und Agoraphobie Von A. Brooks (ISBN 3-7985-1240-X) Band 100: Das dopaminerge Verstärkungssystem Funktion, Interaktion mit anderen Neurotransmittersystemen und psychopathologische Korrelate Von A. Heinz (ISBN 3-7985-1248-5) Band 101: Versorgungsbedarf und subjektive Sichtweisen schizophrener Patienten in gemeindepsychiatrischer Betreuung Evaluationsstudie im Jahr nach Klinikentlassung in der Region Dresden Von Th. Kallert (ISBN 3-7985-1263-9) Band 102: Psychopathologie von Leib und Raum Phänomenologisch-empirische Untersuchungen zu depressiven und paranoiden Erkrankungen Von Th. Fuchs (ISBN 3-7985-1281-7) Band 103: Wahrnehmung der frühen Psychose Untersuchungen zur Eigen- und Fremdanamnese der beginnenden Schizophrenie Von M. Hambrecht (ISBN 3-7985-1292-2) Band 104: Schizophrenien prälingual Gehörloser Eine Untersuchung im lautlosen Kompartiment des „menschengemeinsamen Raums“ Von K. Schonauer (ISBN 3-7985-1348-1)
Band 105: Zur Emotions/Kognitions-Kopplung bei Störungen des Affekts Neurophysiologische Untersuchungen unter Verwendung ereigniskorrelierter Potentiale Von D. E. Dietrich (ISBN 3-7985-1347-3) Band 106: Neuronale Korrelate psychopathologischer Symptome Denk- und Sprachprozesse bei Gesunden und Patienten mit Schizophrenie Von T. Kircher (ISBN 3-7985-1377-5) Band 107: Familienbefunde bei zykloiden Psychosen und manisch-depressiver Erkrankung Ein Beitrag zur Nosologie bipolarer phasischer Psychosen Von B. Pfuhlmann (ISBN 3-7985-1420-8) Band 108: Geschlechtsspezifische Unterschiede der schlafendokrinen Regulation und deren Bedeutung für die Pathophysiologie der Major Depression Von I. A. Antonijevic (ISBN 3-7985-1487-9) Band 109: Serotonin und akustisch evozierte Potentiale Auf der Suche nach einem verläßlichen Indikator für das zentrale 5-HT-System Von G. Juckel (ISBN 3-7985-1513-1) Band 110: Psychiatrie der Brandstiftung Eine psychopathologische Studie anhand von Gutachten Von W. Barnett (ISBN 3-7985-1519-0) Band 111: Zerebrale Korrelate klinischer und neuropsychologischer Veränderungen in den Verlaufsstadien der Alzheimer-Demenz Untersuchungen mit der quantitativen Magnetresonanztomographie Von J. Pantel und J. Schröder (ISBN 3-7985-1603-0) Band 112: Effektivität der Ergotherapie im psychiatrischen Krankenhaus Mit einer Synopse zu Geschichte, Stand und aktueller Entwicklung der psychiatrischen Ergotherapie Von T. Reuster (ISBN 3-7985-1641-3) Band 113: Gefährlichkeitsprognosen Eine empirische Untersuchung über Patienten des psychiatrischen Maßregelvollzugs Von D. Seifert (ISBN 978-3-7985-1755-4) Band 114: Psychoimmunologische Forschung bei Alzheimer-Demenz Die Hypothese vorzeitiger Immunalterung als pathogenetischer Faktor Von E. Richartz-Salzburger (ISBN 978-3-7985-1786-8)
Elke Richartz-Salzburger
Psychoimmunologische Forschung bei Alzheimer-Demenz Die Hypothese vorzeitiger Immunalterung als pathogenetischer Faktor
Priv.-Doz. Dr. med. Elke Richartz-Salzburger Universitätsklinik für Psychiatrie und Psychotherapie Osianderstraße 24 72076 Tübingen
ISBN 978-3-7985-1786-8 Steinkopff Verlag Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar. Dieses Werk ist urheberrechtlich geschützt. Die dadurch begründeten Rechte, insbesondere die der Übersetzung, des Nachdrucks, des Vortrags, der Entnahme von Abbildungen und Tabellen, der Funksendung, der Mikroverfilmung oder der Vervielfältigung auf anderen Wegen und der Speicherung in Datenverarbeitungsanlagen, bleiben, auch bei nur auszugsweiser Verwertung, vorbehalten. Eine Vervielfältigung dieses Werkes oder von Teilen dieses Werkes ist auch im Einzelfall nur in den Grenzen der gesetzlichen Bestimmungen des Urheberrechtsgesetzes der Bundesrepublik Deutschland vom 9. September 1965 in der jeweils geltenden Fassung zulässig. Sie ist grundsätzlich vergütungspflichtig. Zuwiderhandlungen unterliegen den Strafbestimmungen des Urheberrechtsgesetzes. Steinkopff Verlag ein Unternehmen von Springer Science+Business Media www.steinkopff.com © Steinkopff Verlag 2008 Die Wiedergabe von Gebrauchsnamen, Handelsnamen, Warenbezeichnungen usw. in diesem Werk berechtigt auch ohne besondere Kennzeichnung nicht zu der Annahme, dass solche Namen im Sinne der Warenzeichen- und Markenschutz-Gesetzgebung als frei zu betrachten wären und daher von jedermann benutzt werden dürften. Verlagsredaktion: Dr. Maria Magdalene Nabbe Umschlaggestaltung: Erich Kirchner, Heidelberg SPIN 12070138
80/7231 – 5 4 3 2 1 0 – Gedruckt auf säurefreiem Papier
In morbo pretium valetudinis cognoscitur Heraklit
Vorwort „Am Samstagnachmittag begannen im Hörsaale der hiesigen Psychiatrischen Klinik die Verhandlungen der 27. Versammlung der Südwestdeutschen Irrenärzte . . . Über einen eigenartigen schweren Krankheitsprozeß, der einen bedeutenden Schwund der Nervenzellen innerhalb von 4 1/2 Jahren verursachte, berichtete Priv. Doz. Dr. Alois Alzheimer aus München.“ Tübinger Chronik, 5. November 1906 Dieser Vortrag blieb laut Sitzungsprotokoll ohne Diskussion und „zu kurzem Referat nicht geeignet“. 100 Jahre später durchdringt die Bedeutung der 1911 nach ihrem Erstbeschreiber benannten Erkrankung das gesamte öffentliche Bewusstsein. Immer noch sind die Ursachen dieser Neurodegeneration nicht endgültig aufgeklärt, und die Erkrankung ist nicht heilbar. Die aufgrund der steigenden Lebenserwartung zunehmende Prävalenz der Alzheimerschen Krankheit als häufigste Demenzursache erfordert mit wachsender Dringlichkeit die Weiterentwicklung diagnostischer, therapeutischer und präventiver Maßnahmen. Neben dieser allgemeinen Herausforderung waren es die persönlichen Begegnungen mit den Patienten und Angehörigen, die mich zu der vorliegenden Arbeit anregten und motivierten. „. . . Ein Mensch besteht nicht nur aus dem Gedächtnis. Er verfügt auch über Gefühle und Empfindungen, über einen Willen und moralische Grundsätze – Dinge, über die die Neurophysiologie kein Urteil fällen kann. Und in diesem Bereich, jenseits der unpersönlichen Psychologie, finden Sie vielleicht eine Möglichkeit, den Patienten zu erreichen und eine Veränderung herbeizuführen . . .“ schreibt Alexander Lurija 1975 an Oliver Sacks angesichts eines vermeintlich hoffnungslosen Falls eines an globaler Amnesie erkrankten Patienten. Auch umgekehrt ist zu erleben, wie die Patienten in ihrer nicht-kognitiven Sprache von Leid und Hoffnung erzählen und menschliche Wärme und Dankbarkeit zurückgeben können. So wurden wir nicht nur durch naturwissenschaftlichen Forschergeist, sondern stets auch durch zutiefst menschliche Erfahrungen beflügelt. Ich möchte mich bei allen Patienten und ihren Angehörigen sowie den gesunden Studienteilnehmern bedanken, die an den Untersuchungen mitwirk-
VIII
ten. Die Arbeit wurde stets von der Hoffnung getragen, dass die Erkenntnisse der Alzheimer-Forschung uns auf dem Weg zu besserem Verständnis und zur Entwicklung wirksamer Therapien weiterbringen und damit allen Betroffenen dienen mögen. Persönlich danken möchte ich Herrn Professor Dr. Gerhard Buchkremer, Ärztlicher Direktor der Universitätsklinik Tübingen für Psychiatrie und Psychotherapie, für die Möglichkeit, Klinik, Wissenschaft und Familie zu verbinden und für seine Förderung meiner Habilitation. Der größte Dank geht an meine Familie, die mit großer Geduld und liebevoller Anteilnahme diese Arbeit mittrug. Hanna und Jakob ermöglichten durch ihr friedliches Säuglingsdasein den Fortgang der Arbeit und machten sie schließlich durch unvorhergesehene Manuskriptverschönerungen und Computertastenspiele sehr lebendig. Besonders danken möchte ich den Herausgebern der Monographien aus dem Gesamtgebiete der Psychiatrie, namentlich Prof. Dr. H. Saß sowie dem Steinkopff-Verlag, insbesondere Frau Dr. M. Nabbe, die die vorliegende Veröffentlichung ermöglichten und mich auf freundliche und erfrischende Weise unterstützten. Schließlich gedenke ich in tiefer Dankbarkeit meines allzu früh verstorbenen psychoimmunologischen Lehrers und Freundes, Professor Dr. Klaus Schott, ohne dessen Forderung und Förderung diese Arbeit nicht zustande gekommen wäre. Tübingen, München, im August 2007
Elke Richartz-Salzburger
Inhaltsverzeichnis 1 1.1 1.2 1.3 1.4
Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Bidirektionale Beziehung zwischen Immunsystem und Gehirn Epidemiologische Bedeutung von Demenzerkrankungen . . . . Psychoimmunologische Forschung bei Alzheimer-Demenz . . . Anmerkung zur Terminologie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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1 1 5 6 8
2 2.1 2.2 2.3 2.3.1 2.3.2 2.3.3 2.3.4
Hypothesen zur Ätiopathogenese der Alzheimer-Demenz Amyloid-Hypothese . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Genetische Faktoren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Immunologische Faktoren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Epidemiologische Faktoren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Zerebrale immunologische Befunde . . . . . . . . . . . . . . . . Entzündungshypothesen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Beteiligung des peripheren Immunsystems . . . . . . . . . . .
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9 9 12 13 13 13 15 16
3 3.1 3.2 3.3 3.4 3.5
Methodik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Vorbemerkung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Periphere Immunzellen als Modell für Neuronen und Mikroglia Rekrutierung von Patienten und Kontrollpersonen . . . . . . . . . Untersuchungsmethoden . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Statistische Methoden . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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20 20 21 22 23 24
4 4.1 4.2
Ergebnisse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Antikörper bei Alzheimer-Demenz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Veränderungen der Cytokinexpression in Liquor und Serum bei Alzheimer-Demenz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Veränderungen des zellulären Immunsystems bei Alzheimer-Demenz CD95 im Liquor und Serum von Alzheimer-Patienten . . . . . . . . . .
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25 25
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36 62 72
..... .....
82 82
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83 84 84 85 86 91
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92 94 94 96
4.3 4.4 5 5.1 5.2 5.3 5.3.1 5.3.2 5.4 5.5 5.6 5.7 5.7.1 5.7.2
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Schlussfolgerungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Methodenkritik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Zusammenfassendes Ergebnis: Abnahme der immunologischen Reaktivität bei Alzheimer-Demenz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Weitere immunologische Veränderungen bei Alzheimer-Demenz Verminderte periphere Lymphozytenaktivität . . . . . . . . . . . . . Erhöhte periphere Lymphozytenaktivität . . . . . . . . . . . . . . . . Alzheimer-Demenz: Eine entzündliche Erkrankung? . . . . . . . . Immundefizit bei Alzheimer-Demenz . . . . . . . . . . . . . . . . . . Zur Bedeutung antiinflammatorischer Substanzen in der Alzheimer-Therapie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Alzheimer-Demenz: Eine systemische Erkrankung? . . . . . . . . Beteiligung des gesamten Immunsystems . . . . . . . . . . . . . . . Systemische Amyloidablagerung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
X
5.8 5.8.1 5.8.2 5.8.3 5.8.4 5.8.5
Hinweise für einen Kausalzusammenhang zwischen Immunschwäche und Alzheimer-Demenz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Mikrogliale Dysfunktion bei Alzheimer-Demenz . . . . . . . . . . . . . Reduktion von Amyloid durch Immunstimulation . . . . . . . . . . . . . Alter und Alzheimer-Demenz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Molekulargenetische Befunde . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Alzheimer-Pathologie und M. Down . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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98 98 101 103 105 106
6
Zusammenfassung und Ausblick . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
108
7
Literaturverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
113
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Abkürzungsverzeichnis Ab AD APP BHS COX EDTA ELISA FACS FAD HPA-Achse ICAM IFL IQR LPS MAC MHC MMS NFT NK-Zellen NSAR PBMC PCR PHA TH-Zellen UKPP VD ZNS
Amyloid-b-Protein, b-Amyloid Alzheimer-Demenz amyloid-precursor-protein Blut-Hirn-Schranke Cyclooxygenase Ethylen-Diamin-Tetra-Acetat enzyme linked immune absorbent assay fluorescence-activated cell sorter Familiäre Form der Alzheimer-Demenz Hypothalamus-Hypophysen-Nebennierenrinde-Achse intercellular adhesion molecule Immunfluoreszenz-Test interquartile ranges, Quantilen-Ränge Lipopolysaccharid membrane attack complex major histocompatibility complex Mini Mental Status neurofibrillar tangles, neurofibrilläre Bündel Natürliche Killer-Zellen Nicht-steroidale Antirheumatika peripheral blood mononuclear cells, Mononukleäre Blutzellen polymerase chain reaction, Polymerase-Ketten-Reaktion Phythämagglutinin T-Helfer-Zellen Universitätsklinik für Psychiatrie und Psychotherapie Vaskuläre Demenz Zentrales Nervensystem
1
1
Einleitung: Psychoimmunologie und Alzheimer-Demenz
1.1
Bidirektionale Beziehung zwischen Immunsystem und Gehirn
Ein intuitives Wissen über funktionelle Zusammenhänge zwischen Psyche und Immunsystem ist in der Allgemeinbevölkerung fest verankert. Bereits in der Antike wussten viele Gelehrte, dass die geistige Haltung des Patienten eine deutliche Auswirkung auf die Prognose des Individuums hat, und die Begriffe „Geist; Verstand“ [ȞȠȣȢ] sowie „Seele; Leben“ [ȥȣȤȘ] wurde mit Suszeptibilität und Resistenz gegenüber Krankheit verbunden (Kollesch u. Nickel 1979). Wissenschaftliche Belege für diese Zusammenhänge zu liefern, ist genuiner Gegenstand psychoimmunologischer Forschung. Im Jahre 1925 demonstrierte Metalnikow experimentell die Verbindungen zwischen Immunsystem und Hirnrinde, ein Jahr später beschrieb er die klassische Konditionierung der Immunantwort (Metalnikow u. Chorine 1926). Klinische Beobachtungen zeigten wenig später, dass Stress mit einer relativen Mononukleose (Menkin 1928) und Angst mit Leukozytose einhergehen (Farris 1938). Dem gegenüber stand die bis vor wenigen Jahrzehnten gültige Auffassung, dass das zentrale Nervensystem einen „immunologisch privilegierten Raum“ darstellt ohne funktionelle Verbindungen mit dem als autonom betrachteten Immunsystem. Diese Annahme beruhte unter anderem auf der Beobachtung des Fehlens von lymphoidem Gewebe im ZNS sowie der Existenz der Blut-Hirn-Schranke, die als undurchlässig für immunkompetente Zellen galt. Dass die Vorstellung von unabhängig nebeneinander bestehenden Funktionssystemen des Organismus ein methodologisch bedingtes Artefakt darstellt, konnte in den letzten Jahrzehnten dank der Erkenntnisse aus neurobiologischen Nachbardisziplinen vielfach belegt werden. Die bidirektionale Kommunikation zwischen Immunsystem und ZNS erfolgt über verschiedene Mechanismen. Zum einen beeinflusst das ZNS über
2 Hormone der Hypophysen-Hypothalamus-Achse das Immunsystem. Zudem befinden sich Fasern des sympathischen Nervensystems in lymphatischem Gewebe, was eine direkte neuronale Übertragung von zentralnervösen Impulsen auf Immunzellen ermöglicht. So wirkt sich Stress sowohl über Efferenzen des sympathischen Nervensystems negativ auf die immunologische Kompetenz aus als auch über Freisetzung des immunsuppressiven Cortisols. Die individuelle Fähigkeit zur Stressbewältigung bzw. Entwicklung von Copingstrategien wirkt sich unter anderem auf die Infektanfälligkeit, den Verlauf von Autoimmunkrankheiten sowie auf die Überlebenszeit bei malignen Erkrankungen aus (Vuitton et al 1999). Umgekehrt können Immunmediatoren wie Cytokine, aber auch Immunzellen die Blut-HirnSchranke überwinden, die bei weitem nicht so undurchlässig ist wie ursprünglich angenommen (Wekerle et al. 1986). Nervenzellen verfügen über Cytokinrezeptoren, so dass Cytokine direkten Einfluss auf Neuronen ausüben können. Darüber hinaus werden Impulse aus dem Immunsystem über den N. Vagus dem ZNS vermittelt, wo sie u.a. die Bildung von „second messengern“ anregen (Quam u. Herkenham 2002). Des Weiteren verfügt das Gehirn über eigene Immunzellen, die sich im Wesentlichen aus Mikroglia-Zellen und Astrozyten zusammensetzen. Mikroglia-Zellen gehören dem Monozyten-Makrophagen-System an und sind in der Lage, verschiedene immunologisch relevante Rezeptoren zu exprimieren wie Fc sowie MHC der Klasse I und Klasse II. Darüber hinaus sezernieren sie in aktiviertem Zustand eine Reihe von Immunmediatoren wie Cytokine und Komplementfaktoren. Nicht zuletzt sind sie die mageblichen phagozytären Zellen, die an Abräumvorgängen im Gehirn in zentraler Weise beteiligt sind. Abgesehen von diesen Verbindungswegen zwischen ZNS und Immunsystem finden sich zahlreiche Parallelen zwischen Nerven- und Immunzellen bezüglich ihres Metabolismus, aber auch ihrer Rezeptorexpression. Aufgrund dieser Beobachtungen werden Immunzellen als in vivo zugängliches Modell für neuronale Prozesse verwendet und für die Erforschung psychiatrischer Erkrankungen herangezogen (Eckert et al 1996, Gladkevich et al. 2004).
3 Schließlich ist ohne die Untersuchungstechniken und Erkenntnisse aus den Nachbardisziplinen wie Elektrophysiologie, Neuroendokrinologie, der Genetik sowie den radiologischen und nuklearmedizinischen Verfahren psychiatrische Forschung heute nicht mehr denkbar. Dank der Weiterentwicklung immunologischer Techniken wie FACS, Immunhistochemie, Zellkulturen und der Entwicklung von Tiermodellen wird psychoneuroimmunologischen Aspekten zunehmend Beachtung geschenkt. Ausgefeilte und zugleich praktikable immunologische Methoden erlauben neue Erkenntnisse über die komplexe Kommunikation zwischen Gehirn und Immunsystem. Dies ermöglicht neue Einsichten in die Pathomechanismen psychiatrischer Erkrankungen und gibt Anstöße zur Entwicklung neuartiger Therapiestrategien. Zugleich versteht sich Psychoimmunologie als psychiatrische Disziplin, die naturwissenschaftliche Befunde und klinische Erfahrung verbinden möchte. Dieser integrative Ansatz orientiert sich dabei stets an der praktischen Arbeit mit den Patienten. Klinisch-phänomenologische Beobachtungen, diagnostische Fragestellungen und therapeutische Überlegungen fließen in die psychoimmunologischen Hypothesen ebenso mit ein wie die immunologischen Befunde.
4
Psychische St örungen Veränderungen von Metabolismus, Hormonen, Neurotransmittern im ZNS Hypothalam us Epiphyse Hypophyse
Blut-H irn-Schranke
N erven-Endigungen des autonomen N S
N eurotransmitter und –Peptide
ACT H
Melatonin, Serotonin, Dopamin, GABA, BDNF
Cytokine
Gewebslymphozyten
NNR Glucocorticoide Katecholamine Mineralocorticoide
Blut -Lym phozyt en
Abb.1.1 Bidirektionale Immunsystem
Kommunikationswege
zwischen
Nerven-
und
5 1.2
Epidemiologische Bedeutung von Demenzerkankungen
Aufgrund der steigenden Lebenserwartung und der Verschiebung der Altersstruktur in Deutschland hat die Zahl der Demenzpatienten in den vergangenen Jahrzehnten beträchtlich zugenommen. Demenzerkrankungen häufen sich nach dem 65. Lebensjahr, das Erkrankungsrisiko steigt mit zunehmendem Alter - fast 70% der Erkrankten sind über 80 Jahre alt (Abb. 1.2; Bickel 2000).
300 250 200
40 35
Anzahl Demenzkranke (in 100)
30 25 20
150
PrävalenzRate (%)
15
100
10 50 0
5 65–69
70–74
75–79
80–84
85–89
90+
0
Altersgruppe Abb. 1.2 Geschätzte durchschnittliche Altersprävalenzraten der Demenz in Deutschland (nach Bickel 2000)
Durchschnittswerte der Schätzungen zur Indzidenz ergeben altersspezifischen Inzidenzraten, die in der Altersgrupper der 65-69jährigen bei 0,43%, bei den über 90-jährigen bei 10,1% liegen. Allerdings liegt diesen Durchschnittswerten eine große Streuung zugrunde, so dass die Zuverlässigkeit der genannten Schätzungen begrenzt ist. Zweifelsohne gehört jedoch die weitere Zunahme der demenziellen Erkrankungen zu den bedeutendsten Herausforderungen unserer heutigen Gesellschaft, die mit
6 den ökonomischen Folgen umzugehen und die Voraussetzungen für eine adäquate Versorgung der Betroffenen zu gewährleisten hat. Die Definition der Demenz wird nach den diagnostischen Kriterien des ICD 10 und DSM IV syndromatologisch vorgenommen und beinhaltet damit weder eine spezifische Ursache noch eine Prognose. Die häufigste Ursache demenzieller Entwicklungen stellt mit 60-70% die Alzheimer Demenz, gefolgt von Mischformen mit Alzheimerscher und vaskulärer Pathologie. Rein vaskulär bedingte Demenzen machen wahrscheinlich lediglich etwa 10% aus, wobei die Angaben in der Literatur außerordentlich stark schwanken (Bowler et al 1998a). Neben den genuinen Hirnerkrankungen mit kognitivem Defizit als Leitsymptom kann eine Demenz sekundär bei einer Vielzahl von Krankheiten auftreten, so im Rahmen von Stoffwechselerkrankungen oder als Folge medikamentöser Nebenwirkungen. Aufgrund der möglichen Reversibiltät dieser Störungen ist eine frühzeitige differenzialdiagnostische Abklärung demenzieller Entwicklungen von groer Bedeutung.
1.3
Psychoimmunologische Forschung bei Alzheimer-Demenz
Die Alzheimer-Demenz (AD) ist die häufigste neurodegenerative Erkrankung des ZNS, deren Ursachen nicht endgültig geklärt und therapeutischen Möglichkeiten unverändert begrenzt sind. Die Diagnostik schließt neurologische, internistische und psychiatrische Untersuchungen einschließlich ausführlicher Testpsychologie ein, desgleichen erfolgt die Behandlung interdisziplinär. Neben einer antidementiven Pharmakotherapie erfordern psychische Auffälligkeiten wie depressive Symptome im Frühstadium oder psychotischen Episoden im weiteren Verlauf eine psychiatrische Therapie, die sich aus pharmako- und psychotherapeutischen Maßnahmen zusammensetzt. So steigt der Anteil an Demenzpatienten in psychiatrischen Einrichtungen, und es widmen sich zunehmend auch psychiatrische Forschergruppen der Erkrankung. Die Erkenntnis, dass es sich bei der sporadischen Form der AD um eine multifaktorielle Erkrankung handelt, bei der immunologische Faktoren eine wesentliche Rolle spielen, ließ das Interesse der Psychoimmunologie
7 an der Erkrankung wachsen. Mittlerweile tragen klinische Beobachtungen, systemische immunologische Befunde und ihre Interpretation im Wissen um die reziproken Wechselwirkungen zwischen Immunsystem und ZNS wesentlich zur Bildung ätiopathogenetischer Hypothesen bei, auch wenn der Kausalzusammenhang der Befunde im Einzelnen zu prüfen bleibt. Bis heute kann die endgültige Diagnose eines M. Alzheimer nur durch den Pathologen festgestellt werden. Dennoch ist der Versuch der differenzialdiagnostischen Abgrenzung von behandelbaren Demenzsyndromen gerade in Frühstadien von groer Bedeutung. Zudem sind die heute verfügbaren modernen Antidementiva am effektivsten, je früher sie zum Einsatz kommen. Die Suche nach einer frühzeitigen Diagnosemöglichkeit mit Hilfe praktikabler und ökonomisch sinnvoller Methoden, die in der psychiatrischen Praxis durchgeführt werden können, ist daher vorrangige Motivation bei der Erforschung von Biomarkern für die Erkrankung. Hierzu können psychoimmunologische Erkenntnisse einen wesentlichen Beitrag leisten. Die in der vorliegenden Arbeit zusammengetragenen Befunde bei AD betreffen verschiedene Bereiche des humoralen sowie des zellulären Immunsystems. Ihre Einordnung erfolgt unter der Prämisse der bidirektionalen Beziehung zwischen systemischen immunologischen Veränderungen und der cerebralen Pathologie. Die wachsende Literatur zu immunologischen Veränderungen bei AD unterstützt die Hypothese, dass eine veränderte, dysfunktionale Immunantwort nicht allein ein Epiphänomen lokaler entzündlicher Prozesse darstellt, sondern wesentlich zur Pathogenese der sporadischen Form der Alzheimer-Demenz beitragen kann.
8 1.4
Anmerkung zur Terminologie
Die Diagnose eines M. Alzheimer kann gemäß dem klassischen klinischneuropathologischen Paradigma allein durch die neuropathologische, in der Regel postmortale Untersuchung verifiziert werden (Förstl u. Jablenski 1999). Im klinischen Alltag ist also lediglich von einer Wahrscheinlichkeitsdiagnose zu sprechen, wie sie auch in den wissenschaftlichen Diagnosekriterien der NINCDS-ADRDA (McKhann et al.1984) als solche bezeichnet wird. Da zudem sorgfältige neuropathologische Untersuchungen häufig das gleichzeitige Vorkommen weiterer Pathologien ergeben (Bowler et al. 1998), ist die Frage nach der Relevanz des sicheren Vorliegens ausschließlich Alzheimer-typischer histopathologischer Veränderungen berechtigt. Vielmehr erscheint es sinnvoll, die verschiedenen in Frage kommenden pathogenetisch relevanten Faktoren möglichst frühzeitig zu identifizieren und einen Behandlungsversuch zu unternehmen. Damit schließen wir uns dem Vorschlag von Förstl (1999) an, den Begriff „Morbus Alzheimer“ bzw. „Alzheimer-Krankheit“, der der gesicherten reinen Alzheimer-Pathologie vorbehalten ist, im Zusammenhang mit der klinischen Arbeit und daraus hervorgehenden Studien zu vermeiden und stattdessen dem syndromalen Begriff der Alzheimer-Demenz (AD) den Vorzug zu geben.
9
2
Hypothesen zur Ätiopathogenese der Alzheimer-Demenz
Die Ursache der Alzheimer-Demenz (AD) ist nach wie vor nicht eindeutig geklärt. Der heutige Stand der Erkenntnis macht mehrere Faktoren für die Erkrankung verantwortlich. Es handelt sich bei der AD um ein Syndrom verschiedener Untergruppen. In erster Linie sind die familiären Formen der Erkrankung, die rein genetisch bedingt sind, von den sporadisch auftretenden Erkrankungen abzugrenzen. Letztere treten in der Regel im Senium auf und sind multifaktorieller Genese.
2.1
Amyloid-Hypothese
Inmitten der Faktorenvielfalt kommt bei allen Formen der Erkrankung der pathologischen Akkumulation von Amyloid-beta-Protein (Beta-Amyloid, Aβ) in Form von Amyloidplaques eine zentrale Position in der pathogenetischen Kette zu, wofür Untersuchungen an transgenen Mausmodellen und genetische Befunde sprechen (Amyloid-KaskadenHypothese, Selkoe 2001; Hardy u. Selkoe 2002; Abb. 2.1). Das Vorkommen seniler Plaques wurde von Alois Alzheimer bereits in seinem Vortrag in Tübingen (1906) beschrieben und mehrfach von ihm und seinen Mitarbeitern publiziert (1906; 1911; Perusini 1911). Es handelt sich um extrazellulär gelegene Proteinablagerungen, die im Wesentlichen das 4,2 kD fibrilläre Peptid β-Amyloid (Aβ) enthalten. Es besteht aus 29-43 Aminosäuren und liegt in einer β-Faltblattstruktur vor. Das Peptid entsteht durch proteolytische Spaltung des größeren Amyloid Precursor Proteins (APP), eines Transmembranproteins, mit Hilfe von β-und γ-Sekretasen. Das APP liegt in mehreren Isoformen vor. Der Anteil der nicht-neuronalen Isoformen nimmt gegenüber der primär neuronalen Form (APP695) im Rahmen des normalen Alterungsprozesses zu, woraus sich die Hypothese zur Veränderungen der APP-Prozessierung mit zunehmendem Lebensalter ergibt (Haass u. Selkoe 1993). Das APP und seine physiologischen, durch α-Sekretase entstehenden löslichen Spaltprodukte dienen dem Erhalt der Nervenzellfunktion, während das unlösliche Aβ1-42 und die daraus
10 entstehenden Oligomere und Amyloidfibrillen für die neurotoxische Wirkung des Amyloids verantwortlich sind. Interessanterweise ergaben PCR-Untersuchungen Hinweise dafür, dass βAmyloid nicht nur im Gehirn, sondern peripher, z.B in der Leber gebildet wird. Das zerebral akkumulierende Amyloid könnte somit systemischen Ursprungs sein und durch die durchlässige Blut-Hirn-Schranke oder aber durch transcytotische Prozesse in das Hirnparenchym gelangen (Kalaria 1992). Im Rahmen der Diskussion um AD als mögliche systemische Erkrankung wird hierauf genauer einzugehen sein (S.96). Bei der AD finden sich in den senilen Plaques vorwiegend die βAmyloidfragmente 1-42. Die neurotoxischen Wirkung von β-Amyloid ist bereits seit einiger Zeit bekannt. In vitro sowie an transgenen Mäusen wurde die Aktivierung von Mikroglia durch β-Amyloid mit Freisetzung inflammatorischer Faktoren gezeigt (Frautschy et al. 1998), was zur Neurotoxizität des fibrillären β-Amyloids beitragen könnte. Die durch die Amyloidanhäufung im Gehirn ausgelöste Entzündungsreaktion ist ein sich selbstunterhaltender Prozess, der zu einer chronischen, von der systemischen Immunantwort abgekoppelten Entzündung im Gehirn führen kann (Popovic et al. 1998). Die Frage, inwieweit diese hirnlokale Entzündung periphere immunologische Veränderungen herbeiführt, oder ob umgekehrt das Immunsystem zur intracerebralen Entzündung bei AD beiträgt, ist unverändert Gegenstand der Diskussion und ein Thema dieser Arbeit. Die Amyloidhypothese geht von einer mit zunehmendem Alter fortschreitenden Ablagerung von Amyloid im ZNS aus mit konsekutiver Schädigung und Desintegration neuronaler Regelkreise. Die Ablagerung von Amyloid im Gehirn allein jedoch stellt noch keine hinreichende Ursache für die Entstehung einer Demenz dar. Auch bei gesunden Alten finden sich sowohl diffuse als auch kompakte Amyloid-Plaques sowie diffuse Neurofibrillen. Offensichtlich führt erst die Akkumulation der Plaques unter dem Hinzutreten einer Entzündungsreaktion zur Neurodegeneration (Cummings et al. 1998). Übermäßige Amyloidablagerungen bleiben jedoch die Grundlage für die sich anschließenden Pathomechanismen. Der autodestruktive Prozess bei AD
11 kann sowohl durch die direkte neurotoxische Wirkung von Amyloid als auch durch sekundäre Entzündungsreaktionen auf das dysfunktionale Protein ausgelöst werden.
Fehlerhafte Spaltung des APP ß-Amyloid Vermehrte Bildung/ verminderter Abbau
Monomere, Oligomere Fibrillation, Aggregation Diffuse Plaques Neuritische Plaques
Tau-Protein Gepaarte helikale Filamente Bildung von NFT
Sekundäre Entzündungsreaktion: 1. Akutphasereaktion zur AmyloidAbräumung 2. Chronifizierung aufgrund kontinuierlicher Amyloidbelastung N euronale Dysfunktion, Kognitiver Abbau
Abb. 2.1 Amyloid-Hypothese: Ausgehend von der pathologischen Akkumulation von Aβ wird die Auslösung einer Kaskade angenommen, die zum Neuronenuntergang führt. Die entzündlichen Veränderungen werden als sekundär aufgefasst, tragen jedoch wesentlich zur Pathologie bei. Die Amyloid-Hypothese wurde zunächst für FAD beschrieben, gilt mittlerweile aber auch als zentraler Bestandteil der multifaktoriellen Genese der sporadischen Form der AD.
12 2.2
Genetische Faktoren
Etwa 5 bis 10% aller Alzheimer-Patienten haben weitere erstgradig Verwandte, die an einer Alzheimer-Demenz erkrankt sind. Bei dieser familiären, erblichen Form der Erkrankung handelt es sich um eine genetisch heterogene Gruppe, für die mehrere autosomal dominant vererbte Genmutationen identifiziert werden konnten. Sie wurden auf den Chromosomen 1, 14 und 21 lokalisiert und betreffen die Genorte für die Präseniline 1 und 2 sowie für das Amyloid-Precursor-Protein (APP). In Gegensatz zu der durch Mutationen hervorgerufenen seltenen Formen der familiären AD sind bei den zu 90-95% sporadisch auftretenden Alzheimer-Erkrankungen multifaktoriell bedingt. An ihrer Auslösung können Suszeptibilitäts- bzw. Risikogene beteiligt sein. Das bekannteste ist das APO-E-Gen auf Chromosom 19, dessen Allelvarianten zu Erkrankungsalter und -Verlauf beitragen können. Weitere Suszeptibilitätsgene werden auf den Chromosomen 4, 16, 12 und 20 vermutet (Sandbrink et al. 1996). Auslösend für die Erkrankung ist letztlich das Zusammentreffen einer genetischen Disposition mit erworbenen Risikofaktoren, die im Einzelnen noch nicht endgültig erforscht sind. Die kaskadenartige ablaufende Akkumulation von β-Amyloid-Peptid (Aβ1-42) und amyloiden Plaques ist bei den familiären Formen auf eine genetisch bedingte Überproduktion, u.a. durch pathologische Spaltungsprozesse des Amyloidvorläuferproteins, zurückzuführen. An dieser Stelle setzen Therapieentwicklungen wie Sekretasehemmer an. Hingegen beruht die Amyloidakkumulation der sporadischen Form der Alzheimer-Demenz möglicherweise auf ein Ungleichgewicht von Amyloidbildung und –Amyloidabbau, was von einer Vielzahl endo- und exogener Faktoren beeinflusst wird. Insbesondere altersassoziierte biologische Veränderungen erhöhen das Risiko für die Entstehung der sporadischen Form der Erkrankung. Dazu zählen u.a. Einschränkungen des cerebralen Glucose- und Energiestoffwechsels, vermehrtes Auftreten von freien Sauerstoffradikalen, Ablagerung von „advanced glycation endproducts“ (AGE) sowie immunologische Veränderungen. Somit könnte die Amyloidbildung als unspezifische Endstrecke neuronaler Schädigung
13 verstanden werden, insbesondere da oxidativer Stress die intrazelluläre Ansammlung von β-Amyloid begünstigt (Misonou et al. 2000). Bei der sporadischen Alzheimer-Demenz tritt eine Verzögerung bzw. Beeinträchtigung des Amyloidabbaus als wesentlicher Faktor hinzu.
2.3
Immunologische Faktoren
Von pathogenetischer Bedeutung sind weiterhin Störungen der zellulären und humoralen Immunregulation, wobei sowohl überschießende Immunreaktionen im Sinne von Autoimmunphänomenen als auch Immundefekte diskutiert werden. 2.3.1 Epidemiologische Beobachtungen Mehrere Untersuchungen hatten gezeigt, dass Patienten, die aufgrund einer rheumatischen Erkrankung über mehrere Jahre nichtsteroidale Antirheumatika (NSAR) eingenommen hatten, ein signifikant geringeres Erkrankungsrisiko für AD aufwiesen (Breitner et al. 1994; McGeer et al. 1996). Weitere epidemiologische Studien unterstützten die Annahme eines protektiven Effekts von Antirheumatika, während Glucocortcoide keinen derartigen Effekt zeigten. Die Wirkmechanismen werden ebenso wie die tatsächliche therapeutische Wirksamkeit von NSAR bei der AlzheimerDemenz kontrovers diskutiert (Quinn et al. 2003; vgl. S. 92). 2.3.2 Zerebrale immunologische Befunde Bereits Alois Alzheimer beschrieb 1906 entzündliche Veränderungen in der Hirnrinde, als er Anfang des 20. Jahrhunderts die klinischen und pathologischen Charakteristika des später nach ihm benannten Krankheitsbildes erstmals zusammenfasste. Die Verfügbarkeit immer besserer immunhistochemischer Methoden führte in den letzten Jahrzehnten zu zahlreichen Befunden über entzündliche Veränderungen im Gehirn bei AD, die sich vorwiegend in der Nachbarschaft der Plaqueformationen finden. Ihre pathogenetische Bedeutung, insbesondere die Frage, ob sie für die weitere Amyloidakkumulation mit verantwortlich sind oder ob sie als Folge der Amyloidanhäufung auftreten, ist unverändert Gegenstand der Diskussion.
14 Eines der wesentlichsten Merkmale der lokalen Entzündungsreaktion ist das Vorhandensein von Komplement in den cerebralen Amyloidablagerungen. In den Amyloidplaques finden sich unter anderem die Komplementfaktoren C1q, C3d, C4d und C5 (Mc Geer et al, 1989). Diese sind in der Lage, C5b – C9 zu aktivieren, die über die Ausbildung des MAC (membrane attack complex) den neuronalen Zelltod herbeiführen (Itagaki et al. 1994). Außerdem bindet C1b an β-Amyloid und induziert dessen Aggregation, was dessen Cytotoxizität erhöht. Komplementfaktoren können im Sinne eines „intrinsic factor“ eine „cerebrale Amyloidose“ auslösen, die typische Ausdrucksform einer chronischen Entzündung (Kalaria 1993). Andererseits kann β-Amyloid selbst wiederum die Sekretion von Komplementfaktoren sowie weiterer Immunmediatoren, z.B. von Cytokinen, bewirken. Darüber hinaus sind die Amyloidplaques von zahlreichen aktivierten Mikroglia-Zellen umgeben (Paresce et al. 1996). Sie exprimieren vermehrt Fc-Rezeptoren sowie MHC-Moleküle der Klasse I und II (Eikelenboom u. van Gool, 1994) und produzieren die proinflammatorischen Cytokine IL-1, IL-6 und TNF-Į, die ihrerseits die Amyloidakkumulation fördern können (Hüll et al. 1996; Meda et al. 2001). Die Auswirkungen der Cytokinexpression sind jedoch komplex und nicht eindeutig vorhersagbar. Sie können sowohl neuroprotektive als auch neurotoxische Wirkungen zeigen, was unter anderem vom Wirkort, der Konzentration sowie Wirkdauer abhängt (Benveniste 1992). Zudem erfolgt in der Regel gleichzeitig eine Gegenregulation durch vermehrte Freisetzung antiinflammatorischer Cytokine wie IL-10 oder TGF-β (Meda et al. 2001). Als gesichert gilt, dass β-Amyloid selbst eine kontinuierliche Entzündungsreaktion auslöst. Die Zunahme von Amyloidplaques und die chronischen Entzündungsreaktionen bedingen sich im Sinne eines Circulus vitiosus gegenseitig und führen zu einem sich selbst unterhaltendem autodestruktivem Prozess als einen wesentlichen Pathomechanismus der Erkrankung (Akiyama et al. 2000). Zudem lösen die geschädigten Neuronen bzw. deren Überreste selbst wiederum die Aktivierung von Mikroglia und Astrozyten aus und verstärken die neurotoxischen Folgen
15 (Griffin et al. 1998), die schließlich zu ausgedehnter Neurodegeneration und Alzheimer-Demenz führen. 2.3.3 Entzündungshypothesen Das Konzept, dass erworbene Autoimmunprozesse von zentraler Bedeutung für die Entstehung der Alzheimer-Pathologie sein könnten, wurde in den späten 80 er Jahren dank der Pionierarbeiten von der Arbeitsgruppe um McGeer formuliert, nachdem neue immuncytochemische Methoden die Erforschung von MHC-Komplexen bei AD und den Nachweis weiterer immunaktiven Moleküle ermöglicht hatten (McGeer et al. 1987, 1989). Die Annahme einer klassischen Autoimmunpathogenese für AD führte zur Formulierung der Autoimmunhypothese (Aisen et al. 1994) bzw. eines „Neuroautoimmunitätsmodells“ (Singh 1997). Demzufolge beruht die Alzheimer-Demenz auf einer systemischen Entzündung, die mit Aktivierung sowohl der humoralen Immunität mit Bildung von Autoantikörpern als auch der zellulären Immunität, v.a. einer Aktivierung der cytotoxischen CD8+-Lymphozyten, einhergeht. Sowohl Antikörper als auch CD8+-Lymphozyten können die BHS passieren (Wekerle et al. 1986; Hampel et al. 1995). Im Gehirn könnte eine chronische Entzündung in Gang gesetzt werden, an der sowohl unspezifische Immunreaktionen der Gliazellen als auch spezifische, Antikörper-vermittelte Entzündungsreaktionen beteiligt wären. Verstärkte Amyloidablagerung und Neurodegeneration vom Alzheimer-Typ könnten daraus resultieren. Eine Ablagerung von Amyloidproteinen als Folge chronischer Entzündungen ist von rheumatischen Erkrankungen bzw. Kollagenosen bekannt. Die später formulierte „bystander damage hypothesis“ (Akiyama et al. 2000; McGeer u. Mc Geer, 2001) geht ebenfalls davon aus, dass immunologische Faktoren an der Pathogenese von Alzheimer-typischen Veränderungen im Gehirn ursächlich beteiligt sind. Hiernach tragen sowohl angeborene unspezifische als auch erworbene spezifische Immunmechanismen zu den lokalen entzündlichen Veränderungen bei, was auf die besonderen immunogenen Eigenschaften des Amyloidproteins
16 zurückgeführt wird. Möglicherweise führt die anhaltende Exposition mit nicht abbaubarem, potenziell toxischem Amyloidprotein (McGeer u. McGeer 1998) zu einer unmerklich beginnenden, schleichenden Immunantwort. Zunächst geringradige Veränderungen nehmen im Laufe der Zeit die Form einer chronischen, granulomatösen Entzündung an (Kalaria 1993), die zu weiterer Zellschädigung und fortschreitender Neurodegeneration führt. Lokale Akutphaseantworten gehen Hand in Hand mit Abräumreaktionen und Reparationsvorgängen. Gemäß der „bystander damage hypothesis“ werden die neurodegenerativen Veränderungen durch autotoxische Mikroglia-Zellen ausgelöst, die auf die Amyloidakkumulation mit einer überschießenden, neurotoxischen Entzündungsreaktion antworten. Die in den darauf folgenden Jahren gewonnenen umfassenden Erkenntnisse zu entzündlichen Veränderungen in Gehirn von AlzheimerPatienten wurden in einer ausführlichen Übersicht von der „Neuroinflammation Working Group in AD“ zusammengefasst (Akiyama et al. 2000). Die Tatsache, dass Entzündungsreaktionen jedoch auch wesentlich an regenerativen Prozessen beteiligt sind, ist bei den Überlegungen zu den Pathomechanismen der AD zu berücksichtigen und wird in der Diskussion zu protektiver Autoimmunität aufgegriffen (S. 87). 2.3.4 Beteiligung des peripheren Immunsystems Interessanterweise wurden bei AD, bei der es sich bekanntermaßen um eine „Eigenartige Erkrankung der Hirnrinde“ handelt, immer wieder Untersuchungen des peripheren Immunsystems vorgenommen. Die Hypothese, dass die Erkrankung nicht nur auf das Gehirn beschränkt ist, fasziniert und beschäftigt die Forschergemeinschaft seit vielen Jahrzehnten. Das Auftreten von Amyloidablagerungen bei chronischen, unspezifischen Entzündungsprozessen im Organismus ist Klinikern und Pathologen gleichermaßen vertraut, so dass auch für AD ein Zusammenhang zwischen der – wenn auch zunächst nur lokal beschriebenen – Amyloidpathologie und allgemeinen Entzündungsreaktionen angenommen wird.
17 Die Erkenntnisse der Neuro- bzw. Psychoimmunologie über die vielfältigen reziproken Beziehungen zwischen Gehirn und Immunsystem bzw. endokrinem System lassen darüber hinaus vermuten, dass es sich bei AD nicht um eine allein auf das Gehirn beschränkte Erkrankung handelt, sondern dass sie mit systemischen immunologischen Veränderungen einhergehen könnte. Ob diese lediglich Epiphänomen einer zugrunde liegenden cerebralen Pathologie darstellen oder aber eine kausale Bedeutung in der Pathogenese der Erkrankung besitzen, ist zu diskutieren. In der Literatur finden sich zahlreiche Untersuchungen zu peripheren immunologischen Veränderungen bei AD, wobei die Befunde ebenso vielfältig wie uneinheitlich und die Ergebnisse methodenbedingt nur schwer vergleichbar sind. Gleichwohl besteht darin Übereinstimmung, dass die peripheren Befunde nicht allein Spiegel der zentralnervösen immunologischen, nämlich entzündlichen Veränderungen sind, was ursprünglich im Rahmen der „Entzündungshypothese“ angenommen wurde. Bei AD finden sich weder Zeichen einer systemischen Entzündung noch eine unspezifische Erhöhung von Immunglobulinen. Die klinische Beobachtung zeigt darüber hinaus, dass Alzheimer-Patienten nicht mehr als andere unter Autoimmunphänomenen leiden. Hingegen fallen sie durch eine größere Infektanfälligkeit auf (Volicier 2001). Die zahlreichen Arbeiten zu peripheren immunologischen Parametern beinhalten sowohl Hinweise für eine Erhöhung einzelner Entzündungsparameter als auch für eine Beeinträchtigung der humoralen und zellulären Immunantwort. Die jeweiligen Befunde werden in den entsprechenden Kapiteln referiert. Die pathogenetischen Implikationen der beschriebenen Veränderungen sind schwer zu beurteilen. So kann eine Beeinträchtigung der Immunantwort z.B. über eine verminderte Ausschüttung auch antiinflammatorischer Cytokine andernorts zu überschießenden Immunreaktionen im Sinne von Autoimmunphänomenen führen. Umgekehrt können Autoimmunreaktionen auch Beeinträchtigungen der Immunzellen zur Folge haben. Schlielich stellen Entzündungsreaktionen möglicherweise Reparationsvorgänge dar und können einen weiteren Nervenzellverlust vorübergehend aufhalten, wie auch proinflammatorische
18 Cytokine neuroprotektive Wirkungen entfalten können (Popovic et al. 1998; Marx et al. 1999). Bei AD stehen systemische und cerebrale immunologische Veränderungen in einem komplexen pathogenetischen Zusammenhang, wobei die jeweiligen Veränderungen sich möglicherweise wechselseitig bedingen. So können nicht nur entzündliche Veränderungen im Gehirn zum Beispiel über die HPA-Achse systemische immunologische Reaktionen hervorrufen (Woiciechowsky et al. 1999), sondern auch periphere immunologische Vorgänge das Gehirn einbeziehen. Die Blut-Hirn-Schranke ist bei AD auch ohne akut-entzündliche Veränderung für immunaktive Moleküle und Zellen durchlässig (Kalaria 1992; Abb. 2.2).
Blutbahn
Gehirn Aktivierung
IL-6
IL-6 IFN-γ
IL-6
IFN-γ
T-Zellen TNF-α go pha
TN F-α
phagozytiert
B-Zellen Blut-HirnSchranke
ert z yt i
IFN-γ
Makrophage
Mikroglia
Am yloid O psonierung von Am yloidPlaques
Abb. 2.2 Mögliche pathogenetische Zusammenhänge zwischen Immunsystem und Amyloidpathologie
19 Zusammenfassend ist von einer multifaktoriellen Genese der sporadisch auftretenden Form der Alzheimer-Demenz auszugehen. Diese Gruppe scheint hinsichtlich des Ausmaßes der Beteiligung unterschiedlicher Faktoren heterogen zusammengesetzt. Der bisherige Kenntnisstand rechtfertigt, von unterschiedlichen Typen mit sich überlappender Pathogenese zu sprechen. Das klinische Bild der AD stellt somit am ehesten die gemeinsame Endstrecke einer Gruppe von amyloidassoziierten Demenzsyndromen dar. Die unterschiedlichen Akzente in der jeweiligen Pathophysiologie rechtfertigen gezielte differenzialtherapeutische Überlegungen bezüglich Entwicklung und Einsatzes neuer Therapiestrategien. Die vorliegende Arbeit befasst sich mit systemischen immunologischen Veränderungen, die im Rahmen einer multifaktoriellen Genese zur Entwicklung der sporadischen Form der AD beitragen können (vgl. Abb. 2.3).
Alt er Som atische Risikofaktoren
Im m unologische Faktoren
Genetische Faktoren Positive Familienanamnese APO-E4-Allele
Hypertonie Cholesterin Vaskuläre Komorbidität
AmyloidAkkumulat ion
N euronale Apopt ose
„Kognitive Reserve“ Prämorbider IQ Leichte kognitive Bildung Störung Mentale Aktivität Depressionen
Abb. 2.3 Polyätiologie der Alzheimer-Demenz
Schädel-HirnTrauma ÖstrogenMangel
U nspezifische N oxen Glucose-, Energiedefizit Oxidativer Stress, Toxine
Psychosoziale U m weltfaktoren Lebensumstände ? Persönlichkeitsfaktoren?
20
3
Methodik
3.1
Vorbemerkung
Bei der vorliegenden Arbeit handelt es sich um die Zusammenfassung eines mehrjährigen Projektes, das sich der Bestimmung peripherer immunologischer Parameter bei Alzheimer-Demenz widmete. Als psychoimmunologische Untersuchung ist die Arbeit sowohl von praktischklinischen Fragen geleitet wie die nach im Alltag anwendbaren diagnostischen Biomarkern als auch von dem Interesse für pathogenetische Zusammenhänge. Im günstigen Fall können die gewonnenen Einsichten dem Verständnis und der weiteren Entwicklung therapeutischer Strategien dienen. Unsere Untersuchungen gehen von der Frage aus, ob sich bei AD systemische immunologische Veränderungen finden, die möglicherweise nicht nur ein Epiphänomen der cerebralen Pathologie darstellen, sondern u.U. von ätiopathogenetischer Bedeutung sind. Die Arbeitsgruppe „Psychoimmunologie“ (Leiter: Prof. Dr. K.-J. Schott) an der Universitätsklinik für Psychiatrie und Psychotherapie (UKPP) Tübingen befasst sich seit 1996 mit der Untersuchung peripherer Immunparameter bei AD, wobei wir uns sowohl für humorale als auch für zelluläre Komponenten des Immunsystems interessieren. Die Erkenntnisse der letzen Jahre führten zu einem kaum mehr überblickbarem Wissen über die Komplexität und Dynamik des immunologischen Netzwerkes unseres Organismus. Die Wechselwirkungen untereinander und mögliche Einflussfaktoren sind derart vielfältig, dass einzelne Befunde keine eindeutigen Schlussfolgerungen zulassen. Man gewinnt allenfalls einen kurzen Blick durch ein kleines, methodisch begrenztes Fenster in die Welt des Immunsystems, das unserem Überleben inmitten kontinuierlicher Angriffe von auen und innen dient. Die Zuordnung der gewonnen Einsichten muss vorläufig bleiben, vermeintliches Wissen wird rasch aufgrund der Verfügbarkeit neuer Methoden überholt. Dennoch bleiben systematisierte Beobachtungen die Basis unsere Erkenntnis über den gesunden und
21 kranken Organismus, und die Bildung von Hypothesen ermöglicht eine einstweilige Einordnung von Befunden und Formulierung weiterführender Fragestellungen. Ohne den Mut zu neuen Ideen, die nicht nur rational, sondern auch intuitiv entstehen können, und die Bereitschaft, Irrtum zu ertragen und eines Besseren belehrt zu werden, wäre Forschung wenig fruchtbar.
3.2
Periphere Immunzellen als Modell für Neuronen und Mikroglia
Immunzellen wie Lymphozyten und Makrophagen sind wesentliche Kommunikationsträger zwischen dem Immun- und Nervensystem. Über diese „Neuroimmune Achse“ (Singh 1994) stehen Gehirn und Immunsystem in reziproker Wechselbeziehung zueinander. Darüber hinaus dienen Immunzellen als peripheres Modell für Neuronen, da sie Eigenschaften ausweisen, die charakteristisch für Neuronen sind. Zahlreiche Befunde belegen Parallelen zwischen Blutlymphozyten und Nervenzellen (Singh 1994; Eckert et al. 1996; 1998a). So exprimieren sie eine Vielzahl von Rezeptoren, die auch auf Nervenzellen vorkommen (Maslinski et al. 1989). Darüber hinaus sind sie in der Lage, ähnliche Proteine zu synthetisieren (Gladkevich 2004). Auch Veränderungen der intrazellulären Elektrolythomöostase scheinen mit neuronalen Prozessen vergleichbar zu sein (Eckert et al. 1996). Neben immunologischen Eigenschaften können an ihnen weitere Funktionen wie das Neurotransmitter-Rezeptor-System (Giubilei et al. 2004) oder Apoptosemarker (Eckert et al. 1998a; 1998b; Lombardi et al. 1999; Richartz et al. 2002) bei neurodegenerativen Erkrankungen erforscht werden. Aufgrund der Ähnlichkeit zwischen dem lymphozytären und zentralnervösen Stoffwechsel (Shalit et al. 1995) dienen Lymphozyten zunehmend der Untersuchung von Charakteristika neuropsychiatrischer Erkrankungen. Die Forschung zu Alzheimer-Demenz liefert zunehmend Befunde zu extraneuronalen Auffälligkeiten auerhalb des ZNS. So weisen AlzheimerPatienten nicht nur im Gehirn, sondern auch peripher Ablagerungen von βAmyloid auf (Joachim et al. 1989). Ferner wurden an Lymphozyten und
22 Thrombozyten von Alzheimer-Patienten verschiedene Besonderheiten beobachtet (vgl. Tab. 4.3.1, S. 63). Bei AD finden sich Veränderungen der Zellmembran und der zellulären Signaltransduktion (Eckert et al. 1996), wovon offensichtlich Immunzellen besonders betroffen sind (Tayebati et al. 1991). Einige dieser Befunde sind auch im Gehirn von AD zu beobachten (Singh 1994). Somit häufen sich Hinweise, dass es sich bei AD nicht um eine lokal begrenzte, sondern um eine systemische Problematik handeln könnte, deren klinische Manifestation jedoch durch die cerebralen Veränderungen bestimmt wird (Scott 1993). Bei einer Untergruppe der Patienten mit spontaner AD ist das Immunsystem möglicherweise wesentlich an der Erkrankung beteiligt.
3.3
Rekrutierung von Patienten und Kontrollpersonen
Die Patientengruppe für unsere Untersuchungen Studie setzt sich aus stationären Patienten der UKPP Tübingen sowie aus ambulanten Patienten der Memory Clinic an der UKPP Tübingen zusammen. Altersgleiche Kontrollpersonen ohne kognitive Einschränkungen wurden über eine Zeitungsannonce in der Lokalpresse rekrutiert. Die Kontrollpersonen für die Liquoruntersuchungen (Bestimmung von Antikörpern und Cytokinen) stammten von der Universität Göttingen1. Die Lumbalpunktionen erfolgten entweder zur radiologischen Ausschlussdiagnostik von lumbalen Bandscheibenvorfällen oder zum Ausschluss entzündlicher ZNSErkrankungen. Von allen Personen wurde eine umfassende Krankheitsund Familienanamnese einschlielich sozialmedizinischer Aspekte erhoben. Alle Studienteilnehmer wurden ausführlich körperlich und psychiatrisch untersucht, bei den Patienten erfolgte eine EEG-Ableitung sowie eine kraniale Bildgebung (CT oder NMR). Die Laboruntersuchungen umfassten rotes und weies Blutbild mit Differenzialblutbild, neben den Routineparametern im Serum wurden CRP, Schilddrüsenhormone,
1
In Zusammenarbeit mit Prof. Dr. Piotr Lewczuk, jetzt Abteilung für Psychiatrie und Psychotherapie an der Universität Erlangen-Nürnberg
23 Vitamin B12-Spiegel, Folsäure, Borrelien- und Lues-Serologie bestimmt. Die Diagnose eines „wahrscheinlichen M. Alzheimer“, Einschlusskriterium für die Patientengruppe, erfolgte gemä der NINCDSADRDA-Kriterien (McKhann et al. 1984). Der Schweregrad der Demenz wurde mit Hilfe des MMS (Folstein et al. 1974) bestimmt. Patienten oder Kontrollpersonen mit psychiatrischen, neurologischen oder entzündlichen bzw. Infektions-Krankheiten oder mit einer immunologischen oder malignen Erkrankung in der Vorgeschichte wurden ausgeschlossen. Weitere Ausschlusskriterien waren die Einnahme von immunologisch relevanten Medikamenten oder psychotroper Substanzen einschließlich Antidementiva sowie eine positive Familienanamnese für demenzielle Erkrankungen. Die Einwilligung in die Studienteilnahme erfolgte über einen schriftlichen „Informed Consent“, den entweder die Patienten oder ein Angehöriger unterzeichneten. Die Studie erfolgte nach Genehmigung durch die Ethikkommission der Medizinischen Fakultät Tübingen.
3.4
Untersuchungsmethoden
Den Rahmen für unsere Untersuchungen geben die verfügbaren Methoden vor. Dabei handelt es sich im Wesentlichen um Immunfluoreszenzverfahren, ELISA-Test-Verfahren, Duchflusszytometrie und Untersuchung an Zellkulturen. Mit Hilfe dieser Verfahren untersuchten wir Antikörper, Lymphozytensubgruppen, Cytokinkonzentrationen und den Apoptosemarker CD95 in Liquor und Serum bzw. Cytokine in Zellkulturüberständen. Genaue Beschreibungen der verwendeten Untersuchungsmethoden wie ELISA, FACS und Vollblutkulturen erfolgen in den Kapiteln zu den jeweiligen Befunden.
24 3.5
Statistische Methoden
Unsere Arbeit möchte prüfen, ob systemische immunologische Veränderungen bei Alzheimer-Demenz vorliegen und ob diese in einer Zunahme der entzündlichen Reaktionsbereitschaft mit entsprechender Erhöhung inflammatorischer Parameter bestehen oder in einer abgeschwächten Immunantwort mit erniedrigten Entzündungszeichen. Damit sind die Fragestellungen der vorliegenden Arbeit grundsätzlich explorativen Charakters und dienen der Hypothesengenerierung. Die Durchführung der statistischen Auswertungen erfolgte unter Verwendung der Statistik-Software JMPTM, Version 5.1 (SAS Institute, Cary, NC). Zum statistischen Nachweis von Unterschieden zwischen der Patientenund der Kontrollgruppe wurde bei stetigen Merkmalen der U-Test (MannWhitney-Wilcoxon) als nichtparametrischer Zwei-Stichproben-Test für unverbundene Stichproben durchgeführt; Symmetrie bzw. Normalverteilung werden hierbei nicht vorausgesetzt. Als Signifikanzniveau wurde Į = 0,05 festgelegt (5%-Niveau). Wenn der p-Wert als Ergebnis der angewandten statistischen Testverfahren kleiner als 0,05 war, lag demnach statistische Signifikanz zum 5%-Niveau vor. Das Streuungsmaß wurde aus Gründen der Anschaulichkeit mit den jeweiligen Medianen und Rängen bzw. “interquartile ranges“ (IQR) angegeben. Mögliche Einflüsse von Alter und Geschlecht wurden mit Hilfe der Kendall tau b- bzw. der Pearson-Korrelation untersucht. Gegebenenfalls vorgenommene Ergänzungen werden im jeweiligen Kapitel genannt. Die Berechnungen wurden mit Unterstützung von Prof. Dr. Anil Batra, UKPP Tübingen durchgeführt. Die statistische Beratung erfolgte durch Dr. Gunnar Blumenstock, Institut für Medizinische Biometrie Tübingen (Leiter: Prof. Dr. K. Dietz).
25
4
Ergebnisse
4.1
Antikörper bei Alzheimer-Demenz
Stand der Forschung Dass Autoimmunphänomene zur Pathogenese der AD beitragen könnten, wurde bereits vor vielen Jahren vermutet. Die ersten klinischen Untersuchungen zu Veränderungen des humoralen Immunsystems bei Alzheimer-Patienten zeigten erhöhte Spiegel von Gammaglobulinen bei gleichzeitiger Verminderung der Serumalbuminspiegel (Behan u. Feldman 1970), spätere Arbeiten konnten jedoch keine Unterschiede feststellen (Araga et al. 1991). In den 70er und 80er Jahren wurden zunehmend Befunde über das Auftreten von Autoantikörpern im Blut und Liquor von Alzheimer-Patienten veröffentlicht, wobei sowohl erhöhte Titer gegen peripheres Gewebe als auch gegen hirneigene Proteine beschrieben wurden (Übersicht bei Schott et al. 1996). Shinitzky et al. (1991) entdeckten im Serum von Demenzpatienten Autoantikörper gegen Thrombozyten. Da Thrombozyten das Amyloid-Vorläuferprotein APP enthalten, wurde vermutet, dass diese ein Ursprungsort systemischen AβProteins sein könnten (Rosenberg et al. 1997), wie es auch für die Leber angenommen wird (Kalaria et al. 1991). Das Vorkommen von β-Amyloid im peripheren Blut kann die Bildung natürlicher Antikörpern gegen βAmyloid induzieren, die sowohl bei gesunden Altern als auch bei Alzheimer-Patienten zu beobachten sind (Moenning et al. 1991; Gaskin et al. 1993, Du et al. 2001). Bei AD wurden schließlich Autoantikörper gegen cholinerge Neurone nachgewiesen, was mit dem Gedächtnisverlust in direkten Zusammenhang gebracht wurde (Chapman et al. 1991). Die Frage, ob die bei AD zu beobachtenden Autoantikörper mit möglicher Kreuzreaktivität gegen Hirngewebe von pathogener Bedeutung für die Entwicklung der Neurodegeneration sind, wurde bereits in den 80er Jahren kontrovers diskutiert (Baldinger u. Blumenthal 1982).
26 Eigene Untersuchungen Ausgehend von der oben beschriebenen „Autoimmunhypothese“ wurden in einer ersten Pilot-Untersuchung der Arbeitsgruppe (Schott et al. 1996) 22 Patienten mit Demenzerkrankungen unterschiedlicher Ätiologie sowie 50 Kontrollpersonen auf verschiedene, im wesentlichen bei Kollagenosen auftretende Autoantikörper im Serum untersucht. Zusätzlich wurden Antikörper gegen aus der Ratte stammendes hirnspezifisches Gewebe bestimmt sowie gegen den Neurotransmitter Serotonin. Antikörper gegen Kernantigen, glatte Muskulatur, Mitochondrien, Endothel, Sarkolemm, Schilddrüse und Parietalzellen wurden unter Verwendung von Immunfluoreszenz-Assays (IFL) mit Kryopräparaten aus Leber, Gehirn, Niere und Magen der Ratte sowie aus humanem Schilddrüsengewebe nachgewiesen, die Bestimmung von organspezifischen Antikörpern gegen Hirngewebe, Serotonin, Gm1-Ganglioside und Phospholipide (Thromboplastin) sowie gegen Laminin und Keratin erfolgte mit Enzyme linked immune absorbent Assays (ELISA) (Klein et al. 1991, 1992). Der Gruppenvergleich zwischen der Gesamtheit der Demenzpatienten und gesunden Kontrollen zeigte, dass die Gruppe aller Demenzpatienten vermehrt antinukleäre Antikörper (ANA, p < 0.05) sowie Antikörper gegen gastrische Parietalzellen (PCA, p < 0,001) aufwiesen. Hinsichtlich hirnspezifischer Antikörper wiesen die Alzheimer-Patienten, nicht aber andere Demenzpatienten ein statistisch signifikant vermehrtes Auftreten von Antikörpern gegen ZNS-Antigen im Vergleich zu der gesunden Kontrollgruppe auf. Andere hirnspezifische Antikörper waren gegenüber den Kontrollen nicht signifikant erhöht. Diese Untersuchung ließ aufgrund der niedrigen Fallzahl, der heterogenen Zusammensetzung des untersuchten Klientels sowie der fehlenden Alterskorrelation zwischen Demenzpatienten und Kontrollpersonen nur sehr begrenzt Interpretationen zu. Aufgrund der methodischen Einschränkungen der dargestellten Untersuchung schlossen wir eine weitere Studie an, bei der eine größerer Fallzahl von ausschließlich Alzheimer-Patienten auf Autoantikörper untersucht wurden (Richartz et al. 2004). Der Vergleich erfolgte sowohl mit der in der ersten Studie verwendeten Kontrollgruppe sowie mit einer alterskorrelierten Gruppe
27 gesunder Kontrollpersonen. Die Antikörper wurden in Untersuchung sowohl im Serum als auch im Liquor bestimmt.
dieser
Patienten 29 Alzheimer-Patienten, die entsprechend den NINCDS-ADRDAKriterien diagnostiziert wurden, wurden in die Studie aufgenommen. Es handelte sich um 20 Frauen und 9 Männer mit einem Altersdurchschnitt von 74,1 +/– 7,65 Jahren. Der durchschnittliche MMS-Wert betrug 14,9 +/– 4,76 Punkte. Die Kontrollgruppe setzte sich aus 20 älteren, gesunden Probanden zusammen, 13 Frauen und 7 Männern, die im Durchschnitt 69,4 +/– 7,96 Jahre alt waren. Die Liquorpunktion der Gesunden erfolgte anlässlich einer radiologischen Diagnostik zum Ausschluss eines Bandscheibenvorfalls. Der verwendete Liquor war jeweils frei von jeglichen Entzündungs- oder anderen pathologischen Zeichen. Zusätzlich wurden die Seren einer Kontrollgruppe von 50 jüngeren gesunden Personen untersucht (Altersdurchschnitt 36,3 Jahre bei einer Streuung von 19-57 Jahren). Eine Liquorpunktion wurde bei den jüngeren Kontrollpersonen nicht durchgeführt. Vorgehen Die Blutentnahme erfolgte im Rahmen der Routineuntersuchungen zur Demenzabklärung, die Liquorgewinnung im Rahmen von Bandscheibendiagnostik bzw. zum Ausschluss entzündlicher Erkrankungen. IFL- und ELISA-Untersuchungen entsprachen dem jeweiligen Standardprotokoll des Herstellers. Serum wurde mit IFL auf Antikörper gegen Kernantigen, glatte Muskulatur, Mitochondrien, Endothel, Sarkolemm, Schilddrüse und Parietalzellen untersucht, wobei wie in der vorangegangenen Studie Kryopräparate aus Leber, Gehirn, Niere und Magen der Ratte sowie aus humanem Schilddrüsengewebe verwendet wurden. In Serum und Liquor wurden Autoantikörper gegen Hirngewebe, Serotonin, Gm1-Ganglioside und Phospholipide (Thromboplastin) unter Verwendung von ELISA, wie oben beschrieben, bestimmt.
28 Ergebnisse In den Tabellen 4.1 und 4.2 sind die Ergebnisse zusammengefasst. Bei einem Signifikanzniveau von p < 0,05 zeigen Alzheimer-Patienten eine signifikante Erhöhung von Antikörper gegen ANA (p < 0,0017), SMA (p < 0,0087) und TGA (p < 0,0087) im Vergleich zu gesunden jüngeren Kontrollen. Nach Bonferroni-Korrektur (Signifikanz ab p < 0,0045 aufgrund multipler Testung) bleibt lediglich der Anstieg von Antikörpern gegen ANA (p < 0,0017) signifikant. Die Erhöhung von Antikörper gegen SMA (p < 0,0003) und TGA (p < 0,0062) bei den älteren Gesunden im Vergleich zu den jüngeren Kontrollen bleibt nach ĮAdjustierung nur für die SMA-Antikörper signifikant. Zwischen Alzheimer-Patienten und der Gruppe der älteren Gesunden finden sich keinerlei signifikante Unterschiede der Serum-Antikörper gegen o.a. Antigene.
Tabelle 4.1 Serum-Antikörper bei Alzheimer-Patienten und Kontrollpersonen
ANA SMA AEA ASA PCA TGA TPO AD (n=29)
6 (*)
7 (*)
1
5
3
6 (*)
4
Gesunde Ältere (n=20)
1
9 (*)
2
6
3
5 (*)
3
Gesunde Jüngere (n=50)
0
3
2
4
1
1
-
Angegeben ist die Zahl positiver Serumproben. ANA anti-nuclear antibodies, SMA smooth muscle cell antibodies, AMA antimitochondrial antibodies, AEA anti-endothelial antibodies, ASA Anti-sarcolemma antibodies, PCA parietal cell antibodies, TGA thyroid gland antibodies, TPO thyreoperoxidase antibodies
29 (*)statistisch signifikante Unterschiede (p < 0.05) zwischen Alzheimer-Patienten bzw. zwischen gesunden Älteren und gesunder jüngerer Kontrollgruppe
Der Vergleich zwischen der Alzheimergruppe und der Gruppe gesunder älterer Personen lässt erkennen, dass Alzheimer-Patienten im Liquor weniger IgG-Antikörper gegen Gm1-Ganglioside aufweisen als alterskorrelierte Gesunde (p < 0,0376). Nach Bonferroni-Korrektur (p < 0,0045) liegt das Ergebnis jedoch unterhalb des Signifikanzniveaus. Im Serum finden sich keine Unterschiede im Auftreten von Antikörpern zwischen Alzheimer-Patienten und gesunden Älteren. Im Vergleich zu den jüngeren Kontrollpersonen lässt sich bei der älteren Kontrollgruppe eine Erhöhung von IgG- und IgM-Antikörper gegen Serotonin im Serum beobachten (p < 0,0095). Nach Bonferroni–Korrektur (p < 0,0045) erreichen diese Werte jedoch ebenfalls kein Signifikanzniveau mehr. Der Vergleich der Antikörperproduktion zwischen Alzheimer-Patienten und gesunden Jüngeren zeigt weder im Serum noch im Liquor signifikante Unterschiede. Zusammenfassend lässt sich feststellen, dass die in der ersten Untersuchung erzielten Ergebnisse allein altersabhängig, nicht diagnosenspezifisch sind. Hingegen zeigt sich bei der zweiten Untersuchung, dass Alzheimer-Patienten weniger Autoantikörper gegen Gm1-Ganglioside als alterentsprechende Gesunde aufweisen, so dass in unserer Studie sich kein Hinweis für eine erhöhte, vielmehr für eine verminderte Neigung zu Autoimmunphänomenen bei AD findet.
30
Tabelle 4.2 IgM und IgG-Antikörper gegen hirnspezifische Antigene in Serum und Liquor CNS
Gm1
Serotonin
Phospholipide
IgG
IgM
IgG
IgM
IgG
IgM
IgG
IgM
AD (n=29) Liquor
1
0
7(*)
0
8
0
–
–
Serum
1
1
5
0
5
1
2
3
Gesunde Liquor Ältere (n=20) Serum
0
0
11
0
2
0
–
–
1
1
3
2
5(**)
2(**)
1
1
Gesunde Serum Jüngere (n=50)
0
7
4
7
Angegeben ist die Anzahl positiver Proben. (*)
statistisch signifikanter Unterschied zwischen Alzheimer-Patienten und älteren Kontrollen
(**)
statistisch signifikanter Unterschied zwischen jüngerer und älterer Kontrollgruppe
Diskussion der Antikörper-Befunde Die Bestimmung von Antikörpern im Serum von Alzheimer-Patienten gehörte zu den frühesten Untersuchungen im Rahmen der Erforschung systemischer immunologischer Veränderungen bei AD. Die in den 70er und 80er Jahren entwickelten Methoden zum Antikörper-Nachweis wie Immunfluoreszenz führten zu zahlreichen Berichten über das Auftreten von Autoantikörpern bei unterschiedlichen Krankheitsbildern, die als Folge von Autoimmunphänomenen bzw. autoaggressiven Entzündungsreaktionen verstanden wurden. Für AD sind die Befunde in
31 der Literatur zu Antikörpern bzw. Autoantikörpern im Serum und Liquor uneinheitlich. Zahlreiche, insbesondere ältere Arbeiten berichten über eine Erhöhung verschiedener Antikörper, was auf ein Ungleichgewicht zwischen pro- und antiinflammatorischer Aktivität zugunsten einer überschieenden Entzündungsreaktion als primäres Pathologikum bei AD zurückgeführt wurde. Andere Untersuchungen konnten das Vorliegen systemischer Entzündungszeichen, insbesondere eine vermehrte Antikörper-Bildung nicht bestätigen, vielmehr wurde mittlerweile von mehreren Arbeitsgruppen eine verminderte Produktion verschiedener Antikörper bei Alzheimer-Patienten beobachtet. Antikörper gegen CD95 sind bei anderen neurodegenerativen Erkrankungen wie Amyotropher Lateralsklerose und M. Parkinson erhöht, während diese bei AD erniedrigt sind (Sengun u. Appel 2003). Auch die Konzentrationen von natürlichen Antikörpern gegen β-Amyloid, die den Abbau des toxischen Amyloids unterstützen, sind bei Alzheimer-Patienten geringer (Du et al. 2001, Weksler et al. 2002; vgl. S.35). In unseren eigenen Untersuchungen konnte im Serum keine statistisch signifikante Veränderung von Autoantikörpern im Vergleich mit gesunden altersentsprechenden Kontrollpersonen nachgewiesen werden. Erhöhte Antikörper-Konzentrationen waren altersabhängig und nicht diagnosenspezifisch. Im Liquor wiesen Alzheimer-Patienten erniedrigte Konzentrationen von Antikörpern gegen GM1-Ganglioside auf. Somit ergaben unsere Untersuchungen ebenfalls keine Hinweise für eine erhöhte, vielmehr für eine verminderte Neigung zur Bildung von Autoantikörpern bei AD. Eine mögliche Erklärung für die unterschiedlichen Ergebnisse von Antikörperuntersuchungen stellt die groe interindividuelle Variabilität der humoralen Immunantwort dar (Kalaria 1993). Dies könnte auch den Hintergrund dafür bilden, dass sich in vielen Studien die Antikörpererhöhungen jeweils in einer Subgruppe, nicht aber bei allen Patienten fanden. Darüber hinaus spielen Krankheitsdauer und Schweregrad für die Immunantwort eine Rolle sowie etwaige nicht
32 diagnostizierte entzündliche Erkrankungen oder Gefäßleiden, die zu einer Erhöhung von Autoantikörpern führen können (Lopez et al. 1992). Die Interpretation von Antikörper-Befunden ist insofern schwierig, da Antikörper einerseits Ausdruck eines spezifischen Autoimmunprozesses mit schädigenden entzündlichen Folgen sein können, andererseits auch regenerativ, z.B. im Rahmen von Reparaturmechanismen, wirken können. Zudem können sie als Sekundärphänomen auf eine primäre Schädigung des Gehirns aufgrund anderer (autoimmuner) Mechanismen auftreten (Henneberg 1997). Auch der Produktionsort der Antikörper bei der Alzheimer-Demenz ist nicht eindeutig geklärt. Es gibt keine Hinweise dafür, dass die B-Zellen als die genuinen Produzenten von Antikörpern bei AD überaktiviert wären (Kalaria 1993). Da Autoantikörper sowohl im Serum als auch im Liquor nachgewiesen wurden, scheint auch eine intracerebrale Bildung durch penetrierende B-Zellen, aber z.B. auch durch Astrozyten (Cserr u. Knopf 1992) nicht ausgeschlossen. Unverändert ist die pathogenetische Bedeutung der Befunde umstritten. a) Aus klinischer Sicht stehen die pathogenen Folgen eines Autoimmungeschehens in der Regel im Vordergrund. Autoantikörper können eine chronische Entzündungsreaktion hervorrufen. So war die gängige Hypothese der 1980er und frühen 1990er Jahren, dass eine überschießende Entzündungsreaktion eine zentrale pathogenetische Rolle für AD spielen könnte. Die Annahme einer möglichen Kreuzreaktivität der Antikörper gegen Hirngewebe wurde Grundlage der „Autoimmunhypothese“ der Alzheimer-Demenz, die zu Beginn der 90er Jahre zunehmende Anerkennung erfuhr (Neuroautoimmunitätsmodell, Singh 1994; vgl. S. 15). Es wurde u.a. postuliert, dass die bei AD zu findenden Autoantikörper durch Kreuzreaktionen sich auch gegen cholinerge Hirnantigene richten und die Cholin-Acteyltransferase inhibieren könnten, was zu dem cholinergen Defizit bei AD führen könnte. Insbesondere das intrathekale Vorkommen von Immunglobulinen bzw. Antikörpern lie zumindest für einen Teil der Patienten eine Autoimmunpathogenese vermuten (Blennow et al. 1990). Der Nachweis von Antikörpern gegen Mikroglia im Liquor und Serum (Lemke et al. 1997) von Alzheimer-Patienten unterstützt die Hypothese von AD als
33 Autoimmunerkrankung. Da die beschriebenen antimikroglialen Antikörper amöboíde, also aktive, phagozytierende Mikroglia-Zellen erkennen können, wurde diskutiert, dass diese Antikörper die neuroprotektive Funktion von Mikroglia beeinträchtigen (McRae et al. 1996). Gasiorowski u. Leszek (1997) führen eine vermehrte Bildung von Autoantikörpern bei AD darauf zurück, dass aufgrund eines Nachlassens der Immunantwort eine zunehmende Anzahl von T-Zellen ihrer natürlichen Zerstörung entkommt und sich autoreaktiv gegen körpereigene Antigene richtet. Auch neuere Untersuchungen geben Hinweise für die mögliche Beteiligung autoimmuner Prozesse an der Neurodegeneration bei AD. So wurde nachgewiesen, dass durch die beeinträchtigte Blut-Hirn-Schranke bei AD Serumproteine, darunter auch IgG-Antikörper in das Hirngewebe eindringen können. Die vermutete Neurotoxizität solcher Immunglobuline, insbesondere von Antikörpern gegen β-Amyloid, wurde mit dem apoptotischen Neuronenuntergang in Zusammenhang gebracht (D’Andrea 2003, Jannsen et al. 2004, Nath et al. 2003). Zugleich scheint bei AD jedoch die physiologische zelluläre Immunantwort auf β-Amyloid unzureichend zu sein bzw. auszubleiben. Die Spezifität der beschriebenen Antikörper ist nach wie vor ungeklärt. Lopez et al. (1992) untersuchten ähnlich unserem Design verschiedene Autoantikörper im Serum von Patienten mit Alzheimer-Demenz, vaskulärer Demenz und Mischformen. Sie fanden bei allen Patienten mit zerebrovaskulärer Beteiligung eine Erhöhung von Autoantikörpern, nicht aber bei reinen Alzheimer-Patienten. Erhöhte Antikörperspiegel bei Alzheimer-Patienten könnten somit durch vaskuläre Komorbidität bedingt sein. Zudem geht Altern generell mit einer Zunahme von Autoantikörpern einher (Burns u. Goodwin 1996), wobei Alzheimer-Patienten in den meisten Untersuchungen mehr, aber auch andere Antikörper als altersgleiche Gesunde aufweisen (Singh u. Fudenberg 1986, Kalaria 1993). b) Dass bei AD im Gehirn eine lokale chronische Entzündung besteht, ist heute unumstritten, deren Stellung innerhalb der pathogenetischen Kette jedoch ungeklärt. Grundsätzlich kommen Autoimmunphänomene physiologischerweise vor und haben protektive Funktionen gegenüber fremden oder eigenem pathogenem Material. So ist auch die Bildung von
34 Antikörpern gegen β-Amyloid zunächst Ausdruck einer physiologischen und protektiven Immunantwort auf das pathogene Amyloid, die den Abbau von Amyloid-Aggregaten unterstützt (Marx et al. 1999). So sind am Abbau cerebraler Amyloidablagerungen neben Mikroglia und infliltirierenden Gewebsmakrophagen (Shaffer et al. 1995, Paresce et al. 1996) auch Autoantikörper (Moenning 1991, Gaskin et al. 1993, Bard et al. 2003) beteiligt. Nach Bindung entsprechender Antikörper an dendritische bzw. antigenpräsentierende Zellen können diese Amyloid in seiner unlöslichen, aggregierten Form phagozytieren (Schmitt et al. 1997). Die anschließende Prozessierung und Präsentation über MHC-Moleküle kann eine amyloid-spezifische adaptive Immunantwort mit lokaler Bildung der beschriebenen Anti-Amyloid-Antikörper auslösen. CD4+-amyloidspezifische T-Zellen können dabei die B-Zellen bei der Bildung anti-Aspezifischer Autoantikörper unterstützen. Die Bindung dieser Antikörper and das Amyloidprotein fördert dessen Degradation (Marx et al. 1998; Wolf et al. 2002, Lue u. Walker 2002, Bard et al. 2003 Avidan et al. 2004). Eine spezifische, antikörpervermittelte Immunantwort auf β-Amyloid erfolgt offensichtlich nicht nur lokal, sondern auch systemisch. Extracerebral vorkommendes β-Amyloid in Gefäwänden, Subkutangewebe, Darm und Nebenniere (Joachim et al. 1989) bewirkt physiologischerweise die periphere Bildung von Anti-AmyloidAntikörpern (Haass et al. 1992). Diese können die BHS passieren, an cerebrales β-Amyloid binden und dort dessen Phagozytose und Abbau unterstützen (Wilcock et al. 2003a, 2003b, Avidan et al. 2004, Wisniewski u. Sigurdsson 2002). Darüber hinaus hemmen Anti-Amyloid-Antikörper die Oligomerisierung und die damit verbundene amyloid-induzierte Neurotoxizität (Du et al. 2003). Die Bildung von Anti-Amyloid-Antikörpern ist also offensichtlich ein normaler, lebenslanger Schutzmechanismus, zumal es sich bei Amyloidprotein nicht nur um ein dysfunktionales, sondern um ein toxisches Protein handelt. Bei Alzheimer-Patienten scheint diese Aspezifische Immunaktivierung offensichtlich beeinträchtigt zu sein (Trieb et al. 1996), insofern es ihnen nicht in ausreichendem Maße gelingt, βAmyloid als Autoantigen zu erkennen bzw. dieses zu eliminieren. Zum
35 einen könnte eine zelluläre Immundefizienz im Sinne einer T-Zell Dysfunktion oder gar T-Zell-„Anergie“ hierzu beitragen (Trieb et al, 1996, Marx et al. 1998, Saurwein-Tessl et al. 2000). Zum andern weisen Alzheimer-Patienten signifikant geringere Anti-AmyloidAntikörperspiegel als altersgleiche Gesunde auf (Du et al. 2001; Weksler et al. 2002). Dieser Mangel an protektiv wirkenden Auto-Antikörpern trägt möglicherweise wesentlich zur pathologischen Amyloidakkumulation bei. Ursache der verringerten AK-Spiegel bei AD könnte eine Veränderung der B-Zell-Aktivität sein (Wyss-Coray u. Mucke 2002). Der Befund ist mit der von uns beobachteten B-Zell-Verminderung (S. 65) vereinbar. Zusammenfassend gibt es neben den Vermutungen einer überschießenden Immunantwort mit vermehrter Antikörperbildung Berichte über eine Beeinträchtigung der spezifischen Immunantwort bei Alzheimer-Demenz. Ein Verlust einer adäquaten Immunantwort trägt möglicherweise wesentlich zur Pathogenese der AD bei. Das zusätzliche Auftreten vaskulärer Faktoren oder anderer, unerkannter inflammatorischer Prozesse könnten die ebenfalls vorhandenen Beobachtungen erhöhter AntikörperProduktion erklären.
36 4.2
Veränderungen der Cytokinexpression in Liquor und Serum bei Alzheimer-Demenz
Einführung: Cytokinbildung und -kategorisierung Cytokine sind neben Antikörpern eine weitere Form von immunaktiven Proteinen, die von zahlreichen Zellen gebildet werden können. Man kennt heute etwa 30 Cytokine, darunter die Interleukine (IL-1 bis IL-24), TumorNekrose-Faktoren (TNF) und transformierende Wachstumsfaktoren (transforming growth factors, TGF beta 1-3). Cytokine bestehen aus weniger als 200 Aminosäuren und haben ein niedriges Molekulargewicht. Sie binden an spezifische zellständige und lösliche Rezeptoren. Cytokine dienen über autokrine, parakrine oder endokrine Mechanismen der interzellulären Kommunikation. Ihre Interaktionen finden innerhalb eines komplexen Netzwerks mit positiven und negativen Rückkopplungen und Kaskadenwirkungen statt. Die jeweilige Immunantwort ist von den synergistischen oder antagonistischen Wirkungen der verschiedenen Komponenten dieses Netzwerks abhängig. Darüber hinaus können die löslichen Rezeptoren die jeweiligen Cytokinwirkungungen antagonisieren, aber auch verstärken, wie es beispielsweise für den löslichen IL-6Rezeptor bekannt ist (Ershler 1993). Im systemischen Kreislauf wirken IL1, IL-6 und TNF-Į typischerweise proinflammatorisch, IL-4, IL-10 und IL-13 antiinflammatorisch. Ihre jeweilige Wirkung ist jedoch von zahlreichen Umgebungsfaktoren abhängig. Zudem sind Cytokine pleiotrop, und sie können an den verschiedenen Wirkorten unterschiedliche, sowohl protektive als auch destruktive Wirkungen entfalten. Daher ist es schwierig, eine einzelne Cytokinwirkungen vorauszusagen. Aussagekräftiger als die Interpretation einzelner Cytokinbefunde ist die Beurteilung mehrerer Cytokine bzw. die Ausprägung von Cytokinmustern. Die Dichotomie der Cytokinmuster erlaubt die Unterscheidung unterschiedlicher Typen der Immunantwort. Die Typ1-Antwort besteht aus einer schnellen, zellulär vermittelten Akutphasereaktion. Sie wird im Wesentlichen durch die proinflammatorischen Cytokine IL-2, IL-12, IFN-γ sowie ICAM initiiert, die von aktivierten M1-Makrophagen und von TH-
37 1-Zellen gebildet werden können. Die Typ-2 Antwort ist u.a. gekennzeichnet durch die Expression von IL-6, IL4 und IL-10. Diese Cytokine werden von M2-Makrophagen sowie von TH-2-Zellen sezerniert und lösen die humorale Immunantwort aus, indem sie B-Zellen zur Bildung von Antikörpern aktivieren. Die Entscheidung, welche Immunantwort ausgelöst wird, ist von verschiedenen Faktoren abhängig. Vor allem spielt die Art des Erregers, aber auch die Antigendosis sowie der Zeitpunkt der Immunantwort eine Rolle (Mosmann u. Sad 1996). Die Bestimmung von Cytokinen kann dazu dienen, eine Aussage über die Aktivität der jeweiligen Immunzellen zu treffen. Erhöhung oder Erniedrigung bestimmter Cytokine können Hinweise für eine Verminderung, Steigerung oder für eine mögliche Verschiebung der Immunantwort bzw. der Immunzellaktivität geben. Dabei bleibt zu beachten, dass die Cytokinbildung von komplexer Natur ist. Dieselben Cytokine können von unterschiedlichen Zellen gebildet werden, andererseits können die gleiche Zellen je nach Stimulus und abhängig von weiteren Einflussfaktoren verschiedene Cytokine bilden. Auch Mastzellen, Histiozyten oder auch plazentares Gewebe sind zur Cytokinbildung fähig (Mosmann u. Sad 1996). Cytokinexpression bei Alzheimer-Demenz: Stand der Forschung Histopathologische Untersuchungen mit immunhistochemischen Methoden an Gehirnen von Alzheimer-Patienten ergaben, dass in der unmittelbaren Umgebung von Amyloid-Plaques proinflammatorische Cytokine, insbesondere IL-1 und IL-6, sowie weitere inflammatorische Moleküle wie Komplementfaktoren in erhöhter Konzentration vorliegen (Mrak et al. 1995, Hüll et al. 1996, Tarkowski et al. 1999b). Diese Befunde unterstützten die Annahme, dass im Gehirn bei AD eine chronische, langsam voranschreitende Entzündung abläuft, die durch aktivierte Gliazellen vermittelt wird. Diese Entzündungsreaktion könnte zunächst als Restitutionsversuch, zum Beispiel zur Abräumung von Amyloidplaques initiiert worden sein, dann aber als überschießendes Phänomen neurotoxische Folgen entwickeln. Gemä der „bystander damage
38 hypothesis“ (S.12) hat eine solche überschieende Entzündungsreaktion eine zentrale pathogenetische Bedeutung für die Entwicklung der Alzheimer-Pathologie. Der Ursprung dieser lokal anzutreffenden Cytokine ist nicht eindeutig geklärt. In erster Linie kommen die hirneigenen Immunzellen für die Cytokinauschüttung in Betracht, insbesondere die Mikroglia. Angesichts der bidirektionalen Durchlässigkeit der BlutHirnschranke für einzelne Moleküle sowie für Zellen ist jedoch auch ein peripherer Ursprung denkbar (Kalaria 1992, Huberman et al. 1994). Zudem können die cerebral anzutreffenden Cytokine auch von eingewanderten Zellen sezerniert werden. So hatten Fiala et al. (2002) gezeigt, dass periphere Makrophagen sowie T- und B-Lymphozyten in das Gehirn von Alzheimer-Patienten penetrieren und dort aktiv sind. Vor dem Hintergrund der komplexen immunologischen Verbindungen zwischen Gehirn und Peripherie widmeten sich zahlreiche Arbeitsgruppen der Untersuchung peripherer Cytokinveränderungen bei AD. Die wichtigsten Befunde im Liquor und Serum von Alzheimer-Patienten sind in den Tabellen 4.3 und 4.4 aufgelistet. Tabelle 4.3 Cytokinbefunde im Liquor von Alzheimer-Patienten Autoren
Untersuchte Cytokine
Befunde
Blum-Degen et al. 1995
IL-1, IL-6
Ĺ
Yamada et al. 1995
IL-6
Ļ
Nishiwaki et al. 1995
IL-6
Ļ
März et al. 1997
IL-6
ļ
Hampel et al. 1997
IL-6
ļ
Hampel et al. 1998
sIL-6r
Ļ
Lanzrein et al. 1998
IL-1, IL-6, TNF-Į, Į1-Antichymotrypsin
ļ
Engelborghs et al. 1999
IL-1, IL-6, IFN-γ, TNF- Į Neopterin
ļ ļ
Tarkowski et al. 2001
IL-1 sIL1r-Antagonist
nicht nachweisbar Ļ
Ĺ erhöht, Ļ erniedrigt, ļ keine Veränderung
39 Tabelle 4.4 Cytokinbefunde im Serum bei Alzheimer-Patienten Autoren
Untersuchte Cytokine
Befunde
Van Duijn et al. 1990
IL-6
ļ
Esumi et al. 1991
IL-2
ļ
Cacabelos et al. 1994
TNF- Į
Ļ
Androsova et al. 1995
IL-1 IL-2
nach Stimulation (Ĺ) nach Stimulation ļ
Huberman et al. 1995
IL-2 IL-6
Ĺ bei AD und VD Ĺ bei AD
Singh u. Guthikonda, 1996
IL-6 IL-12, IFN-Į , IFN-Ȗ
Ĺ ļ
Kalman et al. 1997
IL-6
Ĺ
Hampel et al. 1997
IL-6
ļ
Lanzrein et al. 1998
IL-1, IL-6, Į1Antichymotrypsin TNF-Į
ļ (Ļ)
Maes et al. 1999
IL-6
Ĺ
Lombardi et al. 1999
IL-1, TNF-Į, IL-6, IL-10
Nativ nicht nachweisbar Nach Stimulation: alle Ĺ
Licastro et al. 2000
IL-1, IL-6, Į1Antichymotrypsin
alle Ĺ
De Luigi et al. 2001
TNF-Į
nach Stimulation Ļ
Paganelli et al. 2002
TNF-Į
Ļ
Beelosesky et al. 2002
IL-2 IL-1, IL-6, TNF- Į
Ļ ļ
Sala et al. 2004
IL-1, IL-6, TNF-Į
Nach Stimulation Ļ
Ĺ erhöht, Ļ erniedrigt, ļ keine Veränderung, ( ): Veränderung ohne Signifikanz
40 Angesichts der cerebralen Entzündungszeichen schien es zunächst naheliegend, dass sich die Neigung zu proinflammatorischen Prozessen auch peripher widerspiegeln würde. Die Ergebnisse sind jedoch uneinheitlich und lassen bisher keine klaren Schlussfolgerungen zu. Insbesondere konnte die Hypothese, dass AD mit einer peripheren chronischen Entzündung einhergeht, nicht eindeutig belegt werden. WadaIsoe et al. (2004) fanden beispielsweise eine Erhöhung von Il-6 im Liquor von Patienten mit vaskulären Demenzen, nicht aber mit AlzheimerDemenzen. Eine Beteiligung entzündlicher Mechanismen nehmen die Autoren daher nur für vaskuläre, nicht für Alzheimer-Demenzen an. Ebenso uneinheitlich sind die Befunde zu löslichen Cytokinrezeptoren, die die jeweiligen Cytokinwirkungen antagonisieren können. Einige Autoren beobachteten in fortgeschrittenen Krankheitsstadien eine Zunahme von sIL-1r (Garlind et al. 1999) und sTNF-Įr (Leblhuber et al. 1998). Die Autoren führte dies zu der Annahme, dass es im Lauf der Erkrankung zu dem gegenregulatorischen Versuch kommt, die inflammatorischen Ereignisse zu reduzieren. Entsprechend beobachteten Bagli et al. (2003) eine Erhöhung von sIL-6r in Liquor und Serum von Alzheimer-Patienten. Tarkowski et al. (2001) hingegen fanden im Liquor eine Verminderung des antiinflammatorischen sIL-1r. Eine Verminderung der sIL-6r-Spiegel fanden Angelis et al. (1998) sowie Hampel et al. (1998). Dagegen konnten März et al. (1997) keinen Unterschied für sIL-6r beobachten. Ebenso stellten Lanzrein et al. (1998) weder im Liquor noch im Serum Unterschiede des löslichen Rezeptorantagonisten sIL-1-ra oder der löslichen Rezeptoren sTNF-r I und II zwischen Alzheimer-Patienten und Kontrollen fest. Interessanterweise berichtet diese Arbeitsgruppe hingegen von einer erniedrigten Konzentration an TNF-Į in verschiedenen Hirnregionen von Alzheimer-Patienten. Die Autoren schlieen auf eine Dysregulation der entzündlichen Prozesse bei AD und einer damit verbundenen unzureichenden Neuroprotektion, die den Neuronenuntergang bei AD begünstigt. Zur der Diskrepanz der Ergebnisse peripherer Cytokinbestimmungen tragen unterschiedliche Untersuchungsbedingungen sowie die Heterogenität der untersuchten Klientelen wesentlich bei. Zudem
41 bestimmten die meisten Autoren die Cytokinspiegel im Serum unter nativen Bedingungen, d.h. ohne vorherige Stimulation durch ein Mitogen. Die so erfassten Cytokinspiegel sind außerordentlich niedrig und liegen häufig nahe der Nachweisgrenze, was die Interpretation zusätzlich erschwert. Trotz dieser Einschränkungen ist jedoch zu beobachten, dass die ursprünglichen Annahmen, dass sich die im Gehirn anzutreffenden entzündlichen Veränderungen in der Peripherie widerspiegeln, sich so nicht bestätigt haben. Bei den entzündlichen Zeichen im Gehirn von Alzheimer-Patienten handelt es sich möglicherweise um lokal begrenzte Prozesse (Blum-Degen et al. 1995). Eigene Untersuchungen Ausgangspunkt unserer eigenen Untersuchungen war die Überlegung, dass Alzheimer-Patienten Veränderungen im peripheren Immunsystem aufweisen, die nicht allein als Epiphänomen Folge der cerebralen Veränderungen sind, sondern möglicherweise in einem kausalen Zusammenhang mit der Alzheimerschen Pathologie stehen. Ausgehend von der Annahme, dass das gesamte Immunsystem beteiligt sein könnte, interessierte uns nicht nur das mögliche Vorliegen einer proinflammatorischen Immunreaktion, sondern auch gegenregulatorische Cytokinantworten, wie sie im Rahmen einer Typ-2-Reaktion erfolgen. Wir bestimmten die Cytokinsekretion von TH-1- und TH-2-Zellen sowie des Monozyten/Makrophagen-Systems. In einer ersten Studiewurde die Konzentration der proinflammatorischen Cytokine IL-1, IL-2, IL-6 und TNF-Į und der löslichen Rezeptoren sIL-2r, sIL-6r und sTNF-Į gemessen, und zwar sowohl im Liquor als auch im Serum von Alzheimer-Patienten und Kontrollen (Richartz et al. 1999). Aufgrund der sehr geringen Spiegel wurden in der darauffolgenden Untersuchung im Vollblut alle relevanten Immunzellen mit Mitogenen stimuliert, was zu einer Verstärkung der Immunantwort und damit zu einer erhöhten Cytokinexpression führt (Richartz et al. 2005a). Wir bestimmten den Anstieg der Cytokinspiegel über die jeweiligen Basalwerte. Gemessen wurden die proinflammatorischen Cytokine IL-6, IL-12, IFN-Ȗ und TNF-Į sowie die antiinflammatorischen Cytokine IL-5 und IL-13.
42 Patienten Die Alzheimer-Patienten für diese Studie wurden an der UKPP Tübingen rekrutiert. Altersgleiche Kontrollpersonen für die Liquor- und Serumbestimmungen stammten aus der Neurologischen Klinik der Universität Göttingen (vgl. S. 22). Die als Kontrollpersonen aufgenommenen Personen hatten jeweils einen unauffälligen Liquorbefund bezüglich Zellzahl, Albumin, IgG sowie IgG-Index. Sie hatten keine Hinweise auf eine ZNS-Erkrankung. Als Kontrollgruppe für die Untersuchung in stimulierten Vollblutkulturen wurden gesunde altersgleiche Personen über die lokale Presse rekrutiert. Die Diagnosestellung und Ein- und Ausschlusskriterien entsprachen unserer üblichen Vorgehensweise zur Untersuchung immunologischer Veränderungen bei AD (S. 23). Die in-vivo-Konzentrationen von Cytokinen und löslichen Cytokinrezeptoren wurde bei 20 Patienten mit „wahrscheinlichem M. Alzheimer“ gemäß NINCDS-ADRDA bestimmt. Es handelte sich um 16 Frauen und 4 Männer zwischen 60 und 88 Jahren mit einem Altersdurchschnitt (Median) von 72 Jahren. Der Schweregrad der Demenz lag zwischen 10 und 23 Punkten im MMS, der Durchschnitt (Median) betrug 16 Punkte. Als Kontrollen konnten wir Liquor und Serumproben von 21 Patienten gewinnen, darunter 7 Frauen und 14 Männer zwischen 59 und 82 Jahren, ihr Altersdurchschnitt lag bei 68 Jahren. Die Krankheitsdauer der Patienten lag zwischen 1,5 und 3,4 Jahren, im Durchschnitt bei 2,5 Jahren. Für die Bestimmung von Cytokinen in stimulierten Zellkulturen wurden weitere 27 Patienten, 18 Frauen und 9 Männer rekrutiert, sowie 23 gesunde Personen, 16 Frauen und 7 Männer. Der Altersdurchschnitt dieser Alzheimer-Patienten betrug 70 Jahre (63-84 Jahre), der der Kontrollpersonen 68 Jahre (59-77 Jahre). Der MMS der Patienten lag zwischen 11 und 21 Punkten bei einem Durchschnitt von 17. Die Krankheitsdauer lag ebenfalls zwischen 1,5 und 3,5 Jahren. Alle Teilnehmer zeigten ein unauffälliges Blutbild und normale Serumparameter.
43 Methoden Die Blutentnahme erfolgte im Rahmen der Routineblutentnahme zwischen 8 und 9 Uhr morgens, um den circadianen Rhythmus zu berücksichtigen. Für die Nativ-Cytokinbestimmungen wurden die Blutproben zentrifugiert und das Serum bei -20º C bis zur Messung eingefroren. Liquor wurde im Rahmen der beschriebenen Lumbalpunktionen gewonnen und ebenfalls bei - 20º C konserviert. Für die Cytokinmessung nach Stimulation wurden frische Vollblutproben gemäß dem Lübecker Protokoll (Kirchner et al. 1982) untersucht. Die peripheren Blutzellen wurden mit LPS über 48 h oder PHA über 98 Stunden stimuliert. Anschließend wurden die Blutproben zentrifugiert und die Zellüberstände bei -80 º C bis zum Zeitpunkt der Messung eingefroren. Die Cytokinbestimmungen erfolgten mit kommerziell erhältlichen ELISA-Platten (IL-1, IL-6, TNF-Į, IFN-Ȗ, sIL-2r: Milenia, Bad Nauheim; IL-5, IL-12, IL-13, sIL-6r, sTNF-Įr: R u.D Systems, Wiesbaden). Auf der Basis von Voruntersuchungen wurde die Inkubationsdauer jeweils so gewählt, dass der Zeitpunkt maximaler Induzierung erreicht wurde: IL-5, IL-6, IL-13 und TNF-Į wurden nach 48stündiger Stimulation bestimmt, IL-12 nach 72 h, IFN-Ȗ nach 96 h. Die statistische Auswertung der Unterschiede zwischen Patienten und Kontrollen erfolgte mit Hilfe des U-Tests (Mann-Whitney-Wilcoxon) und dem Ȥ2 -Test, eine Bonferroni-Korrektur für multiple Vergleiche wurde durchgeführt.
44 Ergebnisse Nativ-Konzentrationen von Cytokinen und löslichen Rezeptoren in Liquor und Serum Die Daten dieser Untersuchung sind in Tabelle 4.5 zusammengefasst.
Tabelle 4.5 Liquor- und Serumkonzetrationen von Cytokinen und löslichen Cytokin-Rezeptoren (pg/ml): Durchschnitt (mean) und Standardabweichung des Durchschnitts (standard error of the mean, S.E.M.) in Parenthese LIQUOR
SERUM
AlzheimerPatienten
Kontrollen
AlzheimerPatienten
Kontrollen
IL-1
19,6 (2,0)
23,3 (2,1)
—
—
IL-2
—
—
—
—
sIL-2r
47,6 (1,85)
55,6 (2,97)
421
(35,57)
447
IL-6
4,6
(0,48)
10,6 (4,44)
4,7
(2,4) (*)
16,1 (3,04)
sIL-6r
575
(38,70)
767
21,03 (1,89)
24,08 (1,36)
TNF-Į
14,0 (0,37) (*)
19,3 (0,43)
—
—
sTNF-Įr
681
667
1,527 (1,88)
1,94
(33,78)
(22,43)
(34,04)
(37,55)
(0,27)
(*) = p < 0,005 (nach Bonferroni-Korrektur); “—“: Konzentrationen unterhalb der Nachweisgrenze
Die Konzentrationen von IL-2 im Liquor sowie die Serumspiegel von IL1, IL-2 und TNF-Į waren zu gering, um nachgewiesen werden zu können. Bei allen anderen Parametern finden wir bei den Alzheimer-Patienten niedrigere Konzentrationen als bei den gesunden, altersgleichen Kontrollpersonen. Angesichts von 10 gleichzeitig gemessenen Parametern wurde gemä der Bonferroni-Korrektur das Signifikanz-Nivieau mit p < 0,005 festgelegt. Danach zeigen sich in der Alzheimer-Gruppe statistisch
45 signifikante Erniedrigungen von TNF-Į (p < 0,0001) im Liquor und von IL-6 im Serum (p < 0,0012). Die Kendall tau b – bzw. PearsonKorrelation schlossen einen Einfluss des Geschlechts bzw. des Alters aus. Die Spiegel-Erniedrigungen korrelieren nicht mit der Krankheitsdauer oder dem Schweregrad d.h. den MMS-Werten.
Cytokinkonzentrationen in stimulierten Zellkulturen Wir bestimmten die Fähigkeit der stimulierten Blutzellen zur Bildung der pro-inflammatorischen Cytokine IL-6, IL-12, TNF-Į und IFN-Ȗ sowie der anti-inflammatorischen, von TH-2-Lymphozyten stammenden Cytokine IL-5 und IL-13. Die Abbildungen 4.1 - 4.3 veranschaulichen die Unterschiede zwischen den untersuchten Gruppen. Die Gruppe der Alzheimer-Patienten zeigt für alle Cytokine verminderte Konzentrationen nach Mitogen-Stimulation. Bei einem Signifikanzniveau von p < 0,008 (Bonferroni-Korrektur für 6 Messungen) finden sich folgende Cytokinspiegel mit hoher statistischer Signifikanz vermindert: IL-6 (p < 0,001), IFN-γ (p < 0,0002), TNF-Į (p < 0,0005) und IL-5 (p < 0,001). IL-12 war mit p < 0,019 erniedrigt, IL-13 mit p < 0,023. Die Ergebnisse blieben auch nach schrittweiser Regressionsanalyse (stepwise regression control) signifikant, womit ein ergebnisrelevanter Einfluss von Alter und Geschlecht ausgeschlossen werden konnte. Es finden sich auch hier keine Korrelationen zwischen den Cytokin-Konzentrationen und der Krankheitsdauer bzw. dem Schwergrad der Erkrankung (MMS-Werte).
46
IL-6
20000
pg/ml
15000
10000
5000
0 Ctrl
AD
Minimum
10%
25%
Median
75%
90%
Maximum
AD
860,4
1690,38
2388,0
3792
5486
13639,6
21036,5
Ctrl
2306,5
3342,42
5015,4
7256,9
9221
11864,16
13680,2
9 8
IL-12
7 6 5 pg/ml
4 3 2 1 0 -1 AD
Ctrl
Minimum
10%
25%
Media n
75%
90%
Maximum
AD
0
0
0,0812
0,3275
1,503
6,299
8,92
Ctrl
0
0,125
0,85
1,66
4,11
5,537
6,83
Abb. 4.1 Freisetzung der proinflammatorischen Cytokine IL-6 und IL-12 (pg/ml) in mitogen-stimulierten Vollblut-Kulturen von Patienten und Kontrollen
47 800000
IFN-γ
700000 600000 pg/ml
500000 400000 300000 200000 100000 0 –100000
Ctrl
AD
Minimum
10%
25%
Median
75%
90%
Maximum
AD
1400
2271
4450
18350
74850
130620
732700
Ctrl
8348
18036
53692
119000
188000
371978
774800
TNF-Į
pg/ml
1500
1000
500
0 Ctrl
AD
Minimum
10%
25%
Median
75%
90%
Maximum
AD
50,6
79,34
174,08
267,90
382,65
767,85
1268
Ctrl
127,2
242,83
385,98
478,15
660,63
832,01
1691
Abb. 4.2 Freisetzung der proinflammatorischen Cytokine IFNγ und TNF-Į (in pg/ml) in mitogen-stimulierten Vollblut-Kulturen von Patienten (AD) und Kontrollen (Ctrl)
48 400
IL-5
350
pg/ml
300 250 200 150 100 50 0 –50 Ctrl
AD
Minimum
10%
25%
Median
75%
90%
Maximum
AD
0,44
4,06
12,09
24,07
48,41
79,51
182,68
Ctrl
7,40
19,98
38,98
53,31
99,15
231,79
355,18
350
IL-13
300
pg/ml
250 200 150 100 50 0 –50 AD
Ctrl
Minimum
10%
25%
Median
75%
90%
Maximum
AD
0
0
11,84
34,42
77,54
157,79
232,22
K
8,25
9,14
22,68
87,68
178,37
252,04
346,31
Abb. 4.6 Freisetzung der antiinflammatorischen Cytokine IL-5und IL-13 (in pg/ml) in mitogen-stimulierten Vollblut-Kulturen von Patienten (AD) und Kontrollen (Ctrl)
49 IL-2 Bei den oben untersuchten Cytokinen handelt es sich um die Entzündungsmediatoren, die von den ausdifferenzierten Effektor-T-Zellen („armed effector cells“) auf einen spezifischen inflammatorischen Reiz hin gebildet werden. Unsere Untersuchungsergebnisse zeigen eine Erniedrigung aller untersuchten Cytokine und deuten damit eine generelle Beeinträchtigung der Produktion aller T-Zellen, nicht nur einzelner Subgruppen, an. Somit interessierte eine mögliche Veränderung von IL-2, das innerhalb der T-Zell-Reifungs- und Aktivierungskaskade den anderen Cytokinen vorgeschaltet ist. IL-2 ist nicht typisches Produkt einer der Effektor-Zellen (TH-1-, TH-2- oder cytotoxischen T-Zellen), vielmehr übt es seine wesentliche Funktion noch vor der Ausdifferenzierung zu CD4+ bzw. CD8+-TH-1 bzw. TH-2-Zellen aus (s. Abb. 4.4). IL-2 induziert unter der Mitwirkung verschiedener Cofaktoren (z.B. B7, CD28, „nuclear factor of activation in T cells“) die Proliferation und Aktivierung von naiven TZellen durch Bindung an verschiedene IL-2 Rezeptoren („low“ und „high affinity chains“). Die so aktivierten T-Zellen teilen sich 2- bis 3-mal pro Tag und tragen antigen-spezifische Rezeptoren. Diese aktivierten T-Zellen können alle Proteine synthetisieren, die zur Differenzierung zu T-Helferoder zu cytotoxischen T-Zellen benötigt werden. Die weitere Differenzierung zu spezifischen Effektor-T-Zellen („armed effector cells) erfolgt ebenfalls mit Hilfe von IL-2. Die durch IL-2 aktivierte T-Zelle übernimmt beide Funktionen: Sie antwortet auf IL-2, indem sie sich zu einer „armed effector T cell“ weiterentwickelt, und sie ist selbst in der Lage, IL-2 zu synthetisieren, wodurch aus naiven T-Zellen spezifische TZell-Clones entstehen (Janeway et al. 1998).
50 Antigen
IL-2
APC MHC-I TCR
IL-2
IL-2 B7 CD 28
Proliferation und Aktivierung Naive T- Zelle erkennt ein durch APC präsentiertes Antigen mit Hilfe ihres T-ZellRezeptors
+
+
CD-4
EffektorFunktion
Differenzierung
+ Aktivierte TZellen
+
CD-8
Effektor-T-Zellen: T-Helfer- und cytotoxische T-Zellen
Abb. 4.4 T-Zell-Differenzierung durch IL-2. APC Antigen-präsentierende Zelle, MCH-I Major Histokompatilitäts-Komplex Klasse I, TCR T-Zell-Rezeptor
Die Literatur zu Cytokinen bei AD beinhaltet im Vergleich zu Untersuchungen der pro- und antiinflammatorischen Cytokine der Effektorzellen weniger Untersuchungen zu IL-2. Die Befunde zu IL-2 bei AD sind ähnlich wie bei den anderen Cytokinuntersuchungen uneinheitlich. Huberman et al. (1994) fand eine vermehrte IL-2 Produktion von PBMC von Alzheimer-Patienten, die jedoch ebenso bei vaskulären Demenzen zu beobachten und somit nicht spezifisch war. Hingegen konnten weder Esumi et al. (1991) noch Androsova et al. (1995) einen signifikanten Unterschied in der IL-2 Expression zwischen AlzheimerPatienten und Gesunden beobachten. Beloosesky et al. (2002) fanden bei Alzheimer-Patienten signifikant niedrigere IL-2-Spiegel als bei altersgleichen Gesunden. Da wir bei unseren bisherigen Cytokinuntersuchungen unter Nativbedingungen keinerlei messbaren IL-2Konzentrationen fanden (S. 44), erfolgte nun eine Messung nach Mitogenstimulation.
51 Patienten Um IL-2 in stimulierten Zell-Kulturen zu bestimmen, wurden weitere 23 Alzheimer-Patienten, 15 Frauen und 8 Männer, sowie 14 Kontrollpersonen, 10 Frauen und 4 Männer, untersucht. Das Alter der Alzheimer-Patienten lag zwischen 56 und 88 Jahren mit einem Durchschnitt von 69 Jahren. Die Kontrollpersonen waren zwischen 61 und 77 Jahren alt, der Altersdurchschnitt lag bei 66 Jahren. Die Ein- und Ausschlusskriterien sowie die Aufnahmeuntersuchungen entsprachen dem auf S. 22 beschriebenen Protokoll. Methodik Die Gewinnung der Blutproben und das Ansetzen der Zellkulturen erfolgten gemä dem auf S.35 beschriebenem Vorgehen nach der Vollblutmethode von Kirchner et al. (1982). Die Zellkulturen wurden mit PHA über 48 h inkubiert, die Zellüberstände, wie beschrieben abzentrifugiert und bis zum Zeitpunkt der Messung bei -80º C eingefroren. Die IL-2-Bestimmung in den Überständen erfolgte mit einem Sandwich ELISA der R & D Systems. Ergebnisse Die Serumwerte ohne Stimulation ergaben wiederum keine nachweisbaren Cytokinspiegel, während nach Mitogenstimulation die Konzentrationen deutlich über die Nachweisgrenze von 7 pg/ml anstiegen. Wie Abb. 4.5 veranschaulicht, findet sich ein deutlicher Unterschied in der Cytokinsekretion zwischen den beiden Gruppen. In den Überständen der Alzheimer-Patienten ist der Anstieg der IL-2-Konzentration nach Stimulation mit p < 0,0011 signifikant geringer als in der Kontrollgruppe. Es zeigt sich keine Korrelation zwischen der Höhe der IL-2-Konzentration und dem Schwergrad der Erkrankung, d.h. den MMS-Werten. Auch bleiben Alter und Geschlecht ohne Einfluss auf die Cytokin-Werte.
52
600
IL-2
500
pg/ml
400 300 200 100 0 AD
Ctrl
Minimum
10%
25%
Median
75%
90%
Maximum
AD
29,71
39,784
80,75
140,59
229,81
394,472
449,33
Ctrl
66,59
114,88
233,90
312,33
461,11
561,68
564,82
Abb. 4.5 IL-2 Konzentrationen nach PHA-Stimulation bei Alzheimer-Patienten (AD) und Kontrollpersonen (Ctrl)
Diskussion der Cytokinbefunde Anmerkung zu Cytokinbestimmungen Die zahlreichen Veröffentlichungen zur peripheren Cytokinsekretion bei AD enthalten uneinheitliche und widersprüchliche Befunde. Wie der tabellarische Überblick auf S. 38-39 zeigt, wurden erhöhte, unveränderte sowie verminderte Cytokinspiegel bei Alzheimer-Patienten gemessen, wobei am häufigsten die proinflammatorischen Cytokine IL-6 und TNF-Į untersucht wurden. Die meisten Untersucher machen methodische Gründe für die Unterschiede verantwortlich. Schwer einzuschätzen sind Einflüsse, die auf die Verarbeitungsbedingungen der Proben zurückzuführen sind. So werden zum Beispiel in dem Zeitraum zwischen Blutentnahme und Weiterverarbeitung unter Umständen von den enthaltenen Immunzellen
53 weitere Cytokine produziert, andererseits werden vorhandene Cytokine je nach Halbwertszeit bereits wieder abgebaut. Weiterhin ist unklar, inwieweit sich die Lagerungszeit tiefgefrorener Proben auf die Cytokinkonzentrationen auswirkt. Des Weiteren sind beim Vergleich der Studien untereinander die Gewinnungs- und Kultivierungstechniken der relevanten Immunzellen zu beachten. In den meisten der zitierten Studien werden periphere mononukleäre Zellen (PBMC) über den Ficoll-DichteGradienten isoliert (Romeu et al. 1992), während wir die Mitogenstimulation an Vollblutkulturen durchführten, die einige Vorteile vereint. Die In-vivo-Bedingungen werden besser widergespiegelt, da die Zellen in ihrem natürlichen Milieu verbleiben und weniger manipuliert werden. Zudem wird eine Selektion bestimmter Zellen vermieden, und der Einfluss von weiteren Plasmafaktoren berücksichtigt (Tamul et al. 1995). Wesentlicher Nachteil besteht in dem höheren Aufwand, da jede Blutprobe unmittelbar untersucht und eine entsprechende Laborbereitschaft verfügbar sein muss. Von größerer Bedeutung für die unterschiedlichen Ergebnisse ist jedoch die Heterogenität der untersuchten Patienten und Kontrollpersonen. Zwar zielen die in annähernd allen Studien angewandten NINCDS-ADRDAKriterien (McKhann et al. 1984) auf eine möglichst exakte diagnostische Einordnung, jedoch kann die definite Diagnose unverändert nur histopathologisch, d.h. in der Regel erst post mortem gestellt werden kann. Auerdem befinden sich die Patienten in unterschiedlichen Stadien der Erkrankung und zeigen verschiedene Schweregrade. Den publizierten Studien liegen in vielen Fällen unterschiedliche Ein- und Ausschlusskriterien zugrunde, die zudem nicht in allen Arbeiten dokumentiert sind. Insbesondere bleibt häufig offen, inwieweit Komorbiditäten ausreichend erkannt und berücksichtigt wurden, zumal da auch subklinische Erkrankungen die Cytokin-Expression beeinflussen. Da auch genetische Faktoren die Cytokinspiegel beeinflussen können, kann die interindividuelle Variabilität der Höhe der Cytokinwerte durch genetische Polymorphismen mitbedingt sein (Bagli et al. 2003). Damit erlaubt die Messung einzelner Cytokine zunächst keinen Rückschluss auf krankheitsbedingte Effekte. Von größerer Aussagekraft ist die
54 Bestimmung mehrerer Cytokine und die Beurteilung, ob sie unter bestimmten Bedingungen gleichsinnige Veränderungen erfahren. Verringerte Bildung pro- und antiinflammatorischer Cytokine bei AD Unsere Untersuchungen von nativen Cytokinkonzentrationen im Liquor und Serum zeigen eine Erniedrigung proinflammatorischer Cytokine bei Alzheimer-Patienten im Vergleich mit gesunden Kontrollpersonen. Insgesamt jedoch waren alle zirkulierenden Cytokinspiegel ausgesprochen gering und befanden sich teilweise nur wenig über der Nachweisgrenze. Die Bewertung von Liquorspiegeln unterliegt besonderen Einschränkungen, da der Liquor durch sein groes Volumen zu einem erheblichen Verdünnungseffekt führt und zudem das Liquorsystem räumlich von den relevanten Hirnregionen getrennt ist (März et al. 1997). Des Weiteren ist aufgrund der Durchlässigkeit der BHS die Herkunft der Cytokine schwer zuzuordnen. Auch unsere Bestimmung von NativKonzentrationen im Serum ergab sehr niedrige Werte, während andere Arbeitsgruppen teilweise höhere Spiegel messen konnten. Dies könnte, wie erwähnt, an unerkannten Komorbiditäten oder an einer nicht erfassten Einnahme von immunologisch wirksamen Medikamenten liegen (Beharka et al. 2001). Schließlich spielen technische Unterschiede bezüglich Herkunft, Struktur und Sensitivität der verwendeten Antikörper in den unterschiedlichen Immun-Assays eine große Rolle. Die Befunde aus stimulierten Zellkulturen sind wesentlich aussagekräftiger. Durch die Stimulation werden höhere Cytokinkonzentrationen erzielt und Gruppenunterschiede deutlicher abgebildet. Darüber hinaus wird eine Aussage über die Fähigkeit der Immunzellen gemacht, auf einen inflammatorischen Reiz hin entsprechende Cytokine zu sezernieren. Wir bestimmten den relativen Anstieg der Cytokinproduktion nach Stimulation mit den Mitogenen PHA bzw. LPS. Dabei war bei den Alzheimer-Patienten insgesamt ein signifikant geringerer Anstieg zu verzeichnen als bei den Kontrollpersonen. Die verminderte Produktion von Cytokinen betrifft sowohl die proinflammtorischen Cytokine IL-6, IL-12, IFN-Ȗ und TNF-Į als auch die antiinflammatorischen IL-5 und IL-13.
55 Während die proinflammatorischen Cytokine von Typ-1-Zellen (TH-1 und Monozyten/Makrophagen Typ 1) sezerniert werden, werden IL-5 und IL13 typischerweise von Typ-2-Zellen (TH-2 und Makrophagen/Monozyten Typ 2) exprimiert. Die in dieser Studie erhobenen Cytokinwerte waren unabhängig von Alter oder Geschlecht. Darüber hinaus korrelierten sie nicht mit dem Schweregrad oder der Dauer der Erkrankung. Zahlreiche andere Arbeitsgruppen untersuchten die Cytokinexpression bei AD, worunter auch einige ebenfalls eine verminderte Cytokinbildung sowohl im Liquor als auch im Serum nach Stimulation beobachten konnten (vgl. Tabellen 4.3und 4.4, S. 38-39). Besondere Erwähnung verdient die Untersuchung von Huberman et al. (1994), die versuchten, periphere Cytokinveränderungen mit dem Krankheitsstadium in Verbindung zu bringen. Die Autoren fanden in leichten bzw. beginnenden Demenzstadien eine Verminderung proinflammatorischer Cytokine, in fortgeschrittenen Stadien hingegen eine Erhöhung. Sie schlieen ebenfalls auf einen generellen Immundefekt, der dem pathogenetischen Geschehen bei AD zugrunde liegen könnte. Der später im Krankheitsverlauf zu beobachtende Anstieg könnte Ausdruck einer sekundären Entzündungsreaktion auf die unphysiologisch hohe Amyloidakkumulation sein, was sich aufgrund der bidirektionalen Kommunikation über die BlutHirn-Schranke auch peripher widerspiegeln könnte. Auch Kalman et al. (1997) und Solerte et al. (2000) beobachteten eine Korrelation zwischen Erhöhung proinflammatorischer Cytokine und dem mit Schweregrad der Erkrankung. Der Anstieg von IL-6 mit Fortschreiten der Erkrankung wird ebenfalls als ein sekundäres Phänomen verstanden. IL-2 bei AD Wir fanden in unserer Untersuchung einen signifikanten Unterschied der IL-2-Sekretion nach Stimulation, während die Nativkonzentrationen an IL2, unverändert zu unseren Voruntersuchungen, unter der Nachweisgrenze lagen. Diese niedrigen Konzentrationen könnten erklären, warum in die Literatur – im Unterschied zu den zahlreichen Untersuchungen zu anderen Cytokinen – vergleichsweise wenig Arbeiten zu IL-2 publiziert sind. Nach Stimulation mit PHA kam es bei unserer Untersuchung in beiden Gruppen
56 zu einem Anstieg der Cytokinsekretion, wobei dieser Anstieg in der Gruppe der Alzheimer-Patienten signifikant geringer ausgeprägt war als bei der gesunden Kontrollgruppe. Da die Kontrollgruppe keinen Altersunterschied zur Patientengruppe aufweist, kann dieser Unterschied nicht auf den physiologischen Alterungsprozess zurückgeführt werden, der an sich bereits mit einer Abnahme der IL-2-Produktion einhergeht (Gillis et al. 1981). Auch fanden sich keine Korrelationen mit dem Geschlecht oder dem Schweregrad der Erkrankung. Offensichtlich weisen die von uns untersuchten Alzheimer-Patienten bereits in Anfangsstadien verringerte IL-2-Sekretion auf, so dass diese nicht Folge des Erkrankungsverslaufs zu sein scheint. Da IL-2 wesentlich an der T-Zell-Reifung und Bildung von Effektorzellen, aber auch an der B-Zell-Aktivierung beteiligt ist, kann sowohl die verminderte Gesamtzahl der T-Zellen (CD3+) und die Zahl der B-Zellen (CD19+) als auch die verminderte Bildung pro- und antiinflammatorischer Cytokine bei AD auf eine unzureichende IL-2Produktion zurückgeführt werden. Frühere Untersuchungen zu IL-2 bei AD sind uneinheitlich, wofür wiederum methodische Gründe und Unterschiede zwischen den untersuchten Personengruppen verantwortlich zu machen sind. So fanden Bessler et al. (1989), Esumi et al. (1991) sowie Androsova et al. (1995) keine signifikanten Veränderungen der IL-2-Spiegel bei AlzheimerPatienten im Vergleich zu gesunden Älteren. Huberman et al. (1995) fanden in fortgeschritteneren Stadien eine Erhöhung von IL-2 bei Alzheimer- und vaskulärer Demenz. Hingegen wiesen nur AlzheimerPatienten mit zunehmender Schwere erhöhte IL-6-Spiegel auf, was einmal mehr von den Autoren eher als Folge denn als Ursache der Erkrankung interpretiert wird. In Einklang mit unseren Befunden stehen die Beobachtungen von Fujiwara et al. (1996), die bei Alzheimer-Patienten eine herabgesetzte Bildung von IL-2 nach Stimulation mit PHA in Verbindung mit einer verminderten Proliferationsrate nicht adherenter Monozyten beschreiben. Desgleichen fanden Beloosesky et al. (2002) im Unterschied zu den oben zitierten Arbeiten signifikant geringere IL-2Spiegel bei Alzheimer-Patienten als bei altersgleichen Gesunden. Die Autoren sehen ebenfalls den IL-2-Mangel in Zusammenhang mit den
57 verminderten Spiegeln weiterer Cytokine bei AD sowie mit der von ihnen beobachteten Abnahme der Phagozytoseleistung peripherer Monozyten/Makrophagen. Vor diesem Hintergrund machen sie den IL-2Mangel verantwortlich für die erhöhte Infektanfälligkeit von AlzheimerPatienten. Eine interessante Parallele zu unseren Beobachtungen enthält eine Studie von Park et al. (2000) über immunologische Veränderungen an peripheren Leukozyten bei Down-Patienten. Das Down-Syndrom (Trisomie 21) dient als Modell für einen akzelerierten Alterungsprozess und für AlzheimerDemenz (Park et al. 2000). Die Arbeitsgruppe konnte bei den untersuchten Patienten nach PHA-Stimulation sowohl eine verminderte LymphozytenProliferation als auch eine verminderte Bildung von IL-2 beobachten, was mit Belooseskys und unseren Befunden bei Alzheimer-Patienten übereinstimmt. Ebenfalls in Einklang mit unseren Befunden stehen die Beobachtungen von Fujiwara et al. (1996), die eine herabgesetzte Bildung von IL-2 nach Stimulation mit PHA in Verbindung mit einer verminderten Proliferationsrate nicht adherenter Monozyten beschreiben. Mögliche Folgen einer eingeschränkten Cytokinproduktion Die Interpretation der zu beobachtenden Cytokinveränderungen muss die komplexem Wirkungen und Wechselwirkungen untereinander berücksichtigen. Einzelne Befunde erlauben keine eindeutigen Schlussfolgerungen auf die Auswirkungen für das Krankheitsgeschehen. Cytokine sind pleiotrop, d.h. sie setzen an verschiedenen Wirkorten an. Auerdem üben sie differenzielle Effekte aus: In Abhängigkeit von Konzentration, dem Zeitpunkt des entzündlichen Geschehens sowie der Anwesenheit von Kofaktoren können Cytokine gegenläufige Wirkungen zeigen. Sie können sie unter einem bestimmten Schwellenwert neuroprotektiv, darüber hingegen neurotoxisch wirken (Cheng et al. 1994; Barger et al. 1995). Dieses zweischneidige Schwert entzündlicher Veränderungen (Wyss-Coray u. Mucke, 2002) spielt, wie weiter unten zu zeigen sein wird, in der Diskussion um deren pathogenetische Bedeutung für die Alzheimer-Demenz eine zentrale Rolle. Die Bedeutung unserer
58 Befunde liegt in der Gleichsinnigkeit der beobachteten Veränderungen bei einer sorgfältig ausgewählten Patientenklientel. Alle untersuchten Cytokine sowie die Absolutzahlen von T- und B-Lymphozyten sind signifikant vermindert, so dass die Hypothese einer generellen Abschwächung der systemischen Immunantwort bei der AlzheimerDemenz nahe liegt. Derlei Veränderungen der Cytokinproduktion sind mit vielfältigen Folgen verbunden. 1. Proinflammatorische Cytokine unterhalten, wie ihr Name sagt, Entzündungen und können in diesem Zusammenhang Zellen und Gewebe destruieren. Andererseits zeigen z.B. IL-1, IL-6 und TNF-Į neurotrophe Effekte bei der Entwicklung von Neuronen und Gliazellen. IL-1 ist an der synaptischen Plastizität des Gehirns beteiligt, einer der wesentlichen Voraussetzungen für Lernen und Gedächtnis (Zhao u. Schwartz, 1998). IFN-Ȗ fördert die neuronale Differenzierung (Jonakeit 1997). IL-6 übt neurotrophe Wirkungen aus, indem es die Sekretion von NGF durch Astrozyten unterstützt. Zudem kann IL-6, bekannt als klassisches proinflammatorisches Cytokin, TNF-α hemmen und somit antiinflammatorisch wirken (Apelt u. Schliebs, 2001). Angesichts der unterschiedlichen, teilweise gegenläufigen Funktionen von Cytokinen kann ein Mangel an bestimmten Cytokinen eine beeinträchtigte Abwehr von pathogenem Material zur Folge haben und mit einem Nachlassen protektiver Effekte einhergehen (Dickson et al. 1996). Der wesentliche Herkunftsort der proinflammatorischen Cytokine IL-6, IL-12, IFN-Ȗ und TNF-Į ist das Monozyten-/Makrophagen-System. IFN-Ȗ und, zu einem etwas geringeren Anteil, TNF-Į werden auch von TH-1Zellen sezerniert. TH-1-Zellen wiederum spielen eine wesentliche Rolle für die Aktivierung des Monozyten-/Makrophagen-Systems. Auerdem induzieren sie B-Zellen, opsonierende Antikörper zu bilden. Die Opsonierung von pathogenem Material wiederum ist notwendige Voraussetzung für dessen Phagozytose. Ebenso ist das von Makrophagen sezernierte IL-6 ein potenter B-Zell-Stimulus (Hirano 1991). Eine verminderte Produktion dieser proinflammatorischen Cytokine könnte also mit einer verminderten Phagozytose-Kapazität einhergehen. Phagozytose nun stellt den zentralen Mechanismus für die Elimination von
59 Fremdkörpern, Zell-Debris und dysfunktionalen Proteinen dar. Somit trägt Einschränkung der Phagozytose-Leistung zur Akkumulation von AmyloidProteinen bei, wie es bei zahlreichen lokalen und systemischen Amyloidosen der Fall ist (Glenner 1980; Linke 1996) und wie es auch für AD postuliert wird (Fiala et al. 2005). Eine Verminderung von IL-6, wie es Yamada et al. (1995) im Liquor von Alzheimer-Patienten beobachten konnten, insbesondere eine verringerte Produktion mehrerer proinflammatorischer Cytokine, wie von uns beschrieben, könnte also aufgrund eingeschränkter protektiver Mechanismen neurodegenerative Vorgänge unterhalten. Vor diesem Hintergrund sind auch die Befunde erhöhter Konzentrationen von proinflammatorischen Cytokinen im Gehirn von Alzheimer-Patienten differenziert zu betrachten (Hüll et al. 1995). Zunächst kann dieser Befund im Sinn der Autoimmunhypothese (S.15) interpretiert und diese entzündlichen Veränderungen als pathogenetisch relevant im Sinne eines Autoimmungeschehens gewertet werden (Patel et al. 2005). Andererseits kann die Expression dieser Cytokine in der Nähe der Amyloidplaques Ausdruck einer protektiven Gegenregulation sein mit dem Ziel, den neurotoxischen Effekten entgegenzuwirken. Diese Annahme ist auch mit den oben referierten Beobachtungen vereinbar, dass die Erhöhung proinflammatorischer Cytokine mit dem Fortschreiten der Erkrankung korreliert. 2. Eine verringerte Ausschüttung antiinflammatorischer Cytokine hat zur Folge, dass die physiologischerweise einsetzende Gegenregulation gegen vorhandene entzündliche Prozesse beeinträchtigt ist, wie sie lokal bei AD zu beobachten sind. Szcepanik et al. (2001) zeigten, dass die antiinflammatorischen Cytokine IL-4, IL-10 und IL-13 im ZNS die durch A ausgelöste Mikroglia-Aktivierung und die in der Folge auftretende Bildung pro-inflammatorischer Cytokine inhibieren können. Eine herabgesetzte Sezernierung anti-inflammatorischer Cytokine durch ZNSresidente T-Zellen kann infolgedessen zur Aufhebung der physiologischen Gegenregulation gegen übermäßige proinflammatorische Reaktionen führen. Zudem zeigen antiinflammatorische Cytokine intrinsische neuroregenerative Wirkungen (Wolf 2002). In Einklang mit unseren
60 Befunden berichten Cazzulo et al. (2003) eine herabgesetzte Produktion des antiinflammatorischen TH-2-Cytokins IL-10 bei AD, was offensichtlich dem Fortschreiten eines chronisch-entzündlichen Prozesses, wie er bei AD stattfindet, Vorschub leistet. Klinische Beobachtungen bestätigen, dass geringere IL-10-Spiegel einen Risikofaktor für AD darstellen (Lio et al. 2003). Schlielich sind die TH-2-Cytokine wesentlich an der Initiierung der spezifischen Immunantwort beteiligt, indem sie die Antiköperproduktion durch B-Zellen unterstützen (Schwarz et al. 2001). Ein Herabregulierung der Typ-2-Cytokine hat also auch ein verminderte Antikörper-Produktion zur Folge. Dieser Zusammenhang stützt unsere oben ausgeführte Annahme, dass AD mit einer verminderten spezifischen Immunantwort einhergeht. Dies könnte eine Beeinträchtigung der Abräumfunktion von β-Amyloid nach sich ziehen. 3. Das „Schlüssel-Cytokin“ IL-2 ist für die Aktivierung naiver T-Zellen und ihre weitere Differenzierung in TH-1- oder TH-2 Zellen verantwortlich. Darüber hinaus induziert IL-2 die Aktivierung von Antigen-spezifischen Killer-Zellen, NK-Zellen sowie von BLymphozyten, und es unterstützt die Bildung von INF-Į und TNF (Esumi et al. 1991). IL-2-Rezeptoren finden sich nicht nur auf T-, B- und NKZellen sowie Monozyten, sondern auch auf Mikroglia und Astrozyten (Kasahara 1988). IL-2 führt im Gehirn zur Proliferation von Oligodendroglia. Funktionell wurde IL-2, das über die BHS das Gehirn erreicht, aber auch dort sezerniert werden kann, mit einer schlafanstoenden Wirkung in Verbindung gebracht. Bei CSF-Patienten (Chronic Fatigue Syndrome) wurden erhöhte Serumspiegel gemessen (Kendell 1991). Ein Mangel bei AD-Patienten könnte klinisch mit deren Ruhelosigkeit in Zusammenhang stehen. Vor allem aber ist ein Mangel an IL-2 mit grundlegenden Folgen für das gesamte Immunsystem verbunden. Unter IL-2-Mangel kommt es zu einer Verminderung der Absolutzahlen sowohl von CD4+-als auch CD8+-Effektor-T-Zellen sowie zu einer verminderten Aktivität aller weiteren genannten Immunzellen einschließlich der Mikroglia und Astrozyten. Ein IL-2-Mangel kann also eine Schwächung jeglicher Immunantwort, auch cerebral, zur Folge haben. Der normale Alterungsprozess geht mit einer langsamen Abnahme der IL-2-Produktion
61 einher, was allgemein für die verminderte Immunabwehr älterer Menschen eine große Rolle spielt (Gillis et al. 1981; Esumi et al. 1991). 4. Unsere Befunde weisen auf eine generelle Immunsuppression hin, die nicht nur auf eine Zelllinie beschränkt ist. Wir beobachten eine verminderte Sekretionsleistung von TH-1- und TH-2-Zellen sowie von Monozyten/Makrophagen, wobei sowohl proals auch antiinflammatorische Cytokine vermindert sezerniert werden, möglicherweise als Folge des beschrieben IL-2-Mangels. Zudem finden wir eine Abnahme der Absolutzahlen von T- und B-Zellen. Somit können wir keine Verschiebung der Immunantwort zugunsten einer der beiden Seiten beobachten, wie es z.B. Schwarz et al. (2001) für die Schizophrenien, aber auch für AD beschrieben haben. Vielmehr lassen unsere Befunde vermuten, dass bei den von uns untersuchten AlzheimerPatienten eine generelle Abschwächung der Immunantwort vorliegt.
62 4.3
Veränderungen des zellulären Immunsystems bei Alzheimer-Demenz
Stand der Forschung Lymphozyten dienen seit den Anfängen der neuroimmunologischen Forschung als Zellmodell für Neuronen, da sie viele der neuronalen Charakteristika aufweisen (vgl. S. 21). Da die Blut-Hirn-Schranke unter bestimmten Bedingungen für Lymphozyten durchlässig ist (Hickey et al. 1991, Hampel et al. 1995) und T-Zellen im Gehirn von AlzheimerPatienten nachgewiesen werden können (Rogers et al. 1988), ist ein Zusammenhang zwischen möglichen Funktionsveränderungen der Immunzellen und AD denkbar. Vor diesem Hintergrund wurden zahlreiche Untersuchungen an und über Lymphozyten von Alzheimer-Patienten durchgeführt (s. Tab. 4.6). Während die Absolutzahl an Leukozyten bzw. Lymphozyten bei AD nicht verändert ist (Ikeda et al. 1991; Singh 1994), wurden Unterschiede in der Lymphozyten-Funktion, - Differenzierung sowie Veränderungen der Subpopulationen beobachtet. Einschränkungen der Suppressoraktivität sowie der Helferfunktionen von T-Zellen wurden bereits Mitte der 80er Jahre beschrieben (Skias et al. 1985, Singh et al. 1986-87). Auch Natürliche Killer (NK) -Zellen scheinen in ihrer Funktion beeinträchtigt zu sein (Araga 1991). Nijhuis et al. (1991) beobachteten eine signifikant verminderte T-Zell-Reaktivität bei Alzheimer-Patienten im Vergleich mit gesunden Alten. Die Lymphozyten von Alzheimer-Patienten weisen eine geringere Expression muskarinerger Cholin- und Serotoninrezeptoren auf (Singh 1990, Tayebati et al. 2001). Auch der lymphozytäre Calciummetabolismus ist offensichtlich bei AD verändert (Eckert et al. 1996).
63 Tabelle 4.6 Immunzytologische Veränderungen bei AD Auffälligkeiten an Blutzellen bei Alzheimer-Demenz •
Abnahme der muskarinergen Cholinrezeptoren auf Lymphozyten
•
geringere Ca2+-Aufnahme durch Mitogen-aktivierte Lymphozyten
•
geringere Membran-Fluidität der Thrombozyten
•
verminderte Aktivität der Lymphozyten –Acetylcholinesterase
•
Reduktion immunassoziierter CRF-Rezeptoren
•
verminderte Anzahl von Serotonin-Rezeptoren auf Immunzellen
•
gesteigerte Bildung von Protein-S-100-Protein durch Lymphozyten
•
Beeinträchtigung der β-AP-induzierten Lymphozytenproliferation
Studien über die Verteilung der verschiedenen Lymphozytensubpopulationen ergaben uneinheitliche Befunde. Während in einigen Untersuchungen keine Unterschiede zu den LymphozytenPopulationen gesunder Alter zu beobachten waren (Leffel et al. 1985, Singh 1990), fanden andere Autoren eine verminderte Anzahl von CD8+Lymphozyten (Skias 1985, Pirttilä et al. 1992, Shalit et al. 1995). Hu et al. (1995) beschrieben eine Abnahme der CD8+-Lymphozyten-Subpopulation nicht nur bei Alzheimer-Patienten, sondern auch bei anderen Demenzformen, womit diese Veränderungen möglicherweise nicht spezifisch sind. Ebenso zeigten Studien zu Proliferationsraten unterschiedliche Ergebnisse. Frühere Untersuchungen (Leffel et al. 1985, Leonardi et al. 1989) ergaben keine wesentlichen Veränderungen im Vergleich zu nicht-dementen Kontrollen. Mittlerweile hingegen beschrieben einige Arbeitsgruppen eine signifikant verminderte Proliferationskapazität der Lymphozyten bei AD (Singh 1994, Shalit et al. 1995, Trieb et al. 1996).
64 Eigene Untersuchungen Die Studie ging von der Frage aus, ob Alzheimer-Patienten systemische immunologische Veränderungen aufweisen, die sich unter anderem in einer veränderten Verteilung der Lymphozyten-Subpopulationen widerspiegeln. Nachdem unsere Arbeitsgruppe in einer ersten Untersuchung eine Verschiebung der CD4+/CD8+-Ratio bei AlzheimerPatienten beobachten konnte (Noda et al. 1999), wurde in der vorliegenden Untersuchung an einer größeren Stichprobe das Verhältnis der verschiedenen Lymphozyten-Subgruppen untereinander bei AlzheimerPatienten bestimmt und mit dem gesunder Kontrollen verglichen (Richartz et al. 2006). Anhand ihrer spezifischen Oberflächenantigene (s. Tabelle 4.7) wurden hierfür der relative Anteil an T-Lymphozyten und der ihrer Subpopulationen, T-Helfer- und Suppressor- bzw. cytotoxischen T-Zellen, bestimmt sowie der Anteil an B-Lymphozyten und an Natürlichen Killer (NK)-Zellen. Tabelle 4.7 Oberflächen-Antigene der untersuchten Lymphozytenpopulationen CD 3+
Gesamtzahl der T-Zellen
CD 4+
T-Helfer-Zellen
CD 8+
T-Suppressor / cytotoxische Zellen
CD19+
B-Zellen
CD16+56+
Natürliche Killer (NK)-Zellen
Patienten Untersucht wurden 43 Patienten mit der Diagnose „wahrscheinlicher M. Alzheimer“ gemä NINCDS-ADRDA sowie 34 gesunde Kontrollpersonen. Der Altersdurchschnitt der Patienten lag bei 70,9 (+/– 8,2) Jahren, in der Kontrollgruppe bei 67,5 (+/– 7,3) Jahren. Der Schweregrad der Demenz lag im Mittel bei 17,9 Punkten im MMS (11-22 Punkte). Die genannte Krankheitsdauer lag durchschnittlich bei 2,5 Jahren. Alle Studienteilnehmer hatten ein unauffälliges Differenzial-Blutbild.
65 Methoden Von jeder Person wurden 2,5 ml Nüchternblut unter Berücksichtigung des circadianen Rhythmus zwischen 8 und 9 Uhr morgens mit einem EDTARöhrchen aus einer Kubitalvene abgenommen. Die Bestimmung der Oberflächenantigene zu Analyse der Lymphozyten erfolgte unter Verwendung von „IMK-lymphocyte SimultestTM“ (Becton Dickinson, California), bei dem es sich um eine direkte Zwei-FarbenImmunfluoreszenzbestimmung für Erythrozyten-lysiertes Vollblut handelt. Die Durchflusszytometrie wurde mit einem FACS-Scan System von Becton Dickinson, Heidelberg, durchgeführt. Für die statistische Auswertung wurde der Wilcoxon-Rang-Summen-Test angewandt. Eine Regressionsanalyse wurde durchgeführt, um den möglichen Einfluss von Alter oder Geschlecht beurteilen zu können. Ergebnisse Tabelle 4.8 fasst den jeweiligen Anteil and T-Zellen, T-Helfer- und TSuppressor-Zellen, der B-Lymphozyten sowie der NK-Zellen für die untersuchten Gruppen zusammen. Die Absolutzahlen von Lymphozyten, wie im Differenzialblutbild angegeben, weisen keine Unterschiede zwischen Patienten und Kontrollen auf. Hingegen finden sich Unterschiede im Verteilungsmuster der einzelnen Lymphozyten-Untergruppen. Am eindrücklichsten sind die Veränderungen der T-Zell- sowie der B-ZellPopulationen. Der Anteil der CD3+-Zellen, die die Gesamtzahl der TZellen darstellen, sind bei den Alzheimer-Patienten statistisch signifikant vermindert. Die Untersuchung der T-Zell-Subpopulationen zeigt eine leichte Erhöhung des Anteils an CD4+- (T-Helfer-) Zellen sowie eine geringgradige Abnahme des Anteils and CD8+- (T-Suppressor-) Zellen, wobei beide Veränderungen keine statistische Signifikanz erreichen. Entsprechend ergibt auch der Vergleich der jeweiligen CD4+/CD8+-Ratio keinen signifikanten Unterschied zwischen Alzheimerund Kontrollgruppe. Des Weiteren weist die Gruppe der Alzheimer-Patienten eine statistisch signifikante Verminderung des Anteils an CD19+-Zellen (B-
66 Lymphozyten) auf. Kein signifikanter Unterschied ist bei der Anzahl von CD16+56+- (Natürlichen Killer-) Zellen zu finden. Die Unterschiede der Anzahl der CD3+-Zellen (T-Lymphozyten) und der CD19+-Zellen (B-Lymphozyten) bleiben auch nach multipler Regressionsanalyse bezüglich Alter und Geschlecht signifikant, womit diese beiden Faktoren offensichtlich keinen relevanten Einfluss auf die Unterschiedlichkeit der Ergebnisse ausüben. Darüber hinaus zeigt sich keine Korrelation der Ergebnisse mit dem Schweregrad oder der Dauer der Erkrankung. Tabelle 4.8 Prozentsatz an Lymphozyten-Subpopulationen bei AlzheimerPatienten (A) und gesunden Kontrolle (Ctrl). Minimum
25%
Median
75%
Maximum
Ȥ2–Test p