Graham Hancock Die Wächter des heiligen Siegels
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Graham Hancock Die Wächter des heiligen Siegels
Graham Hancock
DIE WÄCHTER DES HEILIGEN SIEGELS Auf der Suche nach der verschollenen Bundeslade
Aus dem Englischen von Gertrud Lehnert, Matthias Vogel und Frank Witzel
marixverlag
Digitalisiert für Unglaublichkeiten.com /.info /.org im Wonnemond (Mai) 2006
Genehmigte Lizenzausgabe für Marix Verlag GmbH, Wiesbaden 2004 Nach der 3. Auflage von 1998 Copyright © by Graham Hancock 1992 Copyright © für die deutschsprachige Ausgabe by Verlagsgruppe Lübbe GmbH & Co.KG, Bergisch Gladbach 1992 Covergestaltung: Thomas Jarzina, Köln Titelmotiv: AKG, Berlin Gesamtherstellung: GGP Media GmbH, Pößneck Printed in Germany
ISBN: 3-937715-22-3 www.marixverlag.de
Inhalt
TEIL I: DIE LEGENDE Kapitel 1: Die ersten Weihen___________________________
8
Kapitel 2: Ernüchterung ______________________________
32
TEIL II: DER GRAL ALS SCHLÜSSEL Kapitel 3: Die Königin von Saba in Chartres ______________
52
Kapitel 4: Ebenholz und Elfenbein ______________________ Kapitel 5: Weiße Ritter, schwarzer Kontinent______________ Kapitel 6: Dreiste Lügen? _____________________________ Kapitel 7: Eine Suche ohne Ende _______________________
83 97 124 151
TEIL III: LABYRINTH Kapitel 8: Nach Äthiopien _____________________________ Kapitel 9: Der heilige See _____________________________ Kapitel 10: Wie ein Phantom im Labyrinth________________ Kapitel 11: »Und David tanzte vor dem Herrn« ____________
190 199 219 238
TEIL IV: DIE MACHT DES SCHREINS Kapitel 12: Magie oder Methode? _______________________
270
Kapitel 13: Weltenschöpfer ____________________________
301
TEIL V: DIE VERLORENE HERRLICHKEIT Kapitel 14: Der Grundstein der Welt_____________________ Kapitel 15: Ein gottloser König_________________________ Kapitel 16: Das Tor zum Süden_________________________
336 367 393
Inhalt
6
TEIL VI: DAS WÜSTE LAND Kapitel 17: Unter Rebellen ____________________________ Kapitel 18: Das Geheimnis hinter Gittern_________________
420 426
ANHANG Anmerkungen ______________________________________ Literaturverzeichnis _________________________________ Personen- und Ortsregister ____________________________ KARTEN_________________________
463 476 489
13,55,193,273,341,423
TEIL I: DIE LEGENDE
8
Kapitel 1 Die ersten Weihen
A
ls der Mönch erschien, begann es dunkel zu werden, und die kühle Luft des äthiopischen Hochlandes ließ mich frösteln. Vornübergebeugt auf einen Gebetsstab schlurfte er mir aus der Kapelle des Heiligtums entgegen und hörte aufmerksam zu, als ich ihm vorgestellt wurde. In Tigre, der Sprache dieser Region, forderte er durch meinen Übersetzer Aufklärung über meine Herkunft und meine Absichten: aus welchem Land ich kam, was ich vorhatte, ob ich Christ war, was ich von ihm wollte. Jede dieser Fragen beantwortete ich genau und versuchte dabei, in der Dämmerung die Gesichtszüge meines Inquisitors auszumachen. Seine Augen waren von milchigen Schleiern getrübt, tiefe Furchen durchzogen seine dunkle Haut. Er war bärtig, wahrscheinlich zahnlos - und obgleich seine Stimme tief und wohltönend war, so klang sie gleichzeitig merkwürdig undeutlich. Sicher war ich mir nur, daß er ein alter Mann war, wahrscheinlich so alt wie das Jahrhundert, daß er bei Verstand war und mir nicht aus müßiger Neugier Fragen stellte. Erst als er genug erfahren hatte, kam er die Stufen herunter, um mir die Hand zu schütteln. Sein Händedruck war trocken und rauh wie Papyrus, und seiner dicken Kutte entströmte schwach, aber unverkennbar der heilige Duft von Weihrauch. Nach diesen Formalitäten kam ich auf mein Anliegen zu sprechen. Ich deutete in Richtung des Gebäudes, dessen Umrisse sich undeutlich hinter uns abzeichneten, und sagte: »Ich habe von einer äthiopischen Überlieferung gehört, nach der die Bundeslade hier aufbewahrt wird, hier in dieser Kapelle. Man hat mir auch gesagt, daß Sie der Wächter der Lade sind. Ist das wahr?« »Das ist wahr.« »Aber in anderen Ländern glaubt niemand an diese Dinge.
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Überhaupt kennen nur wenige die Legenden, und die Menschen, die davon wissen, sagen, sie seien falsch.« »Die Menschen mögen glauben, was sie wollen. Sie mögen sagen, was sie wollen. Und dennoch, wir sind im Besitz des Heiligen Schreins, welcher die Bundeslade ist, und ich bin der Wächter...« »Das möchte ich gerne genauer wissen«, hakte ich ein, »beziehen Sie sich auf die ursprüngliche Bundeslade, auf die aus Holz und Gold gefertigte Kassette, in der der Prophet Moses die Zehn Gebote aufbewahrte?« »Ja. Gott selbst schrieb die zehn Worte des Heiligen Gesetzes auf die zwei Steintafeln. Moses legte diese Tafeln in die Bundeslade, die die Israeliten auf ihrer Wanderung durch die Wildnis bis in das Gelobte Land mit sich führten. Sie brachte ihnen den Sieg, wohin auch immer sie kamen, und machte sie zu einem mächtigen Volk. Als die Bundeslade ihre große Aufgabe erfüllt hatte, wurde sie von König Salomo in den Tempel gebracht, den er in Jerusalem hatte erbauen lassen. Wenig später verschwand sie aus dem Allerheiligsten und wurde nach Äthiopien gebracht ...« »Erzählen Sie mir, wie das geschah«, bat ich, »ich weiß nur, daß man die Königin von Saba für eine äthiopische Monarchin hält. Die Legenden, die ich studiert habe, berichten von der Reise der Königin nach Jerusalem, wo sie von König Salomo ein Kind empfing und ihm einen Sohn gebar, einen königlichen Prinzen, der viele Jahre später die Bundeslade stahl ...« Der Mönch seufzte. »Der Name des Prinzen, von dem Sie sprechen, war Menelik - und in unserer Sprache bedeutet das >der Sohn des weisen MannesUnd dann verschwand die Lade und wir wis-
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sen nicht, was mit ihr geschah< oder >Und bis heute weiß keiner, wo sie sich befindetEthiopian Airways< auf dem Leitwerk nicht täuschen, die wissen, daß wir militärische Aufgaben erfüllen ...« Die Sambier waren überglücklich, daß sie jemanden getroffen hatten, der sympathisch, weder Russe noch Kubaner war, und dem sie ihr Unglück schildern konnten. Nun fragten sie, was wir in Äthiopien wollten und schienen höchst amüsiert, als wir erwiderten, daß wir für die Regierung an einem Bildband arbeiteten. Dann erklärten wir ihnen, daß wir nach Aksum müßten. »Warum das?« fragten sie völlig verblüfft. »Nun, weil das alte Aksum von großer archäologischer Bedeutung ist. Dort begann das äthiopische Christentum und es
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war über viele Jahrhunderte hinweg die Hauptstadt des Landes. Unser Buch sähe ohne Aksum ein bißchen dünn aus.« »Wir könnten Sie schon mitnehmen«, schlug einer der Piloten vor. »Sie meinen, wenn Sie das nächste Mal Verwundete abholen?« »Nein. Das würde man kaum erlauben. Aber eine Delegation hochrangiger Offiziere wird übermorgen nach Aksum geschickt, um die Garnison dort zu inspizieren. Vielleicht können Sie da mitfliegen. Es käme auf die Fäden an, die Sie in Addis ziehen können. Versuchen Sie's doch.« Nach Aksum Den nächsten Tag verbrachten wir am Telefon und sprachen mit dem für unser Projekt zuständigen Minister. Die Angelegenheit stand auf des Messers Schneide, aber schließlich verschaffte er uns Plätze in dem Flugzeug, von dem unsere sambischen Freunde berichtet hatten. Die einstündige Verspätung und den fünfunddreißig Minuten dauernden turbulenten Flug am nächsten Morgen nutzte ich lesend, um mein Hintergrundwissen zu vervollständigen - und dabei wurde mir immer klarer, wie lohnend dieser Besuch in Aksum sein würde. Frühe historische Quellen zeichnen von Aksum das Bild eines kosmopolitischen und urbanen Zentrums. Der anonyme Autor einer griechischen Abhandlung über den Handel zum Beispiel, die nur als Periplus des Eritreischen Meeres bekannt ist, charakterisierte im Jahre 64 nach Christus den Herrscher von Aksum als »einen erhabenen Prinzen, der auch im Griechischen unterrichtet worden sei«7. Einige Jahrhunderte später beschrieb Julian, Botschafter des römischen Kaisers Justinian, Aksum in den leuchtendsten Farben als »die bedeutendste Stadt ganz Äthiopiens«. Der König, so fügte er hinzu, ging fast nackend umher und trug nur ein mit Goldstickereien verziertes leinernes
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Lendentuch, das von einem mit Perlen besetzten Gürtel zusammengehalten wurde. Goldene Reife und Ketten schmückten ihn an Armen und Brust, und sein Haupt wurde von einem goldgewirkten Turban gekrönt, von dem kostbare Bänder herabhingen. Als der römische Botschafter empfangen wurde, um seine Empfehlungsschreiben vorzulegen, stand der Monarch auf einem mächtigen, mit goldenen Platten beschlagenen Triumphwagen, der von vier Elefanten gezogen wurde.8 Im sechsten Jahrhundert nach Christus ergänzte der vielgereiste Mönch Kosmas Indikopleustes die Beschreibungen Julians. Nach seinem Aufenthalt in der Stadt berichtete er, daß »der viertürmige Palast des Königs von Äthiopien mit ebensovielen ehernen Figuren von Einhörnern« geschmückt sei. Er erzählte von einem ausgestopften Rhinozeros und von Giraffen, die man auf Befehl des Königs gefangen und gezähmt hatte, damit sie ihm zur Unterhaltung dienten.9 Diese Bilder von barbarischer Pracht und Herrlichkeit paßten gut zu einer Stadt, die sich mit der Zeit zur größten Macht zwischen dem Römischen Reich und Persien entwickelt hatte zu einer Macht, die ihre Handelsschiffe bis nach Ägypten, Indien, Ceylon und China schickte, die bereits im vierten Jahrhundert nach Christus das Christentum als Staatsreligion angenommen hatte. Rufinus, dessen Schriften als wichtige historische Quellen gelten, überliefert die Geschichte der Christianisierung Äthiopiens. Meropius, ein christlicher Kaufmann, der von Rufinus »Philosoph von Tyrus« genannt wird, unternahm eine Reise nach Indien, auf die er zwei syrische Knaben mitnahm, die er in der Tradition des christlichen Abendlandes unterrichtete. Der ältere der beiden hieß Frumentius, der jüngere Aedesius. Auf der Rückreise durch das Rote Meer wurde ihr Schiff vor der Küste von Äthiopien in einer Vergeltungsaktion gekapert, weil die Römer ein Abkommen mit dem Volk in dieser Region gebrochen hatten. Meropius fiel im Kampf. Die jungen Männer aber überlebten und wurden nach Aksum zu König Ella Amida gebracht. Aede-
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sius wurde sein Mundschenk und Frumentius, der klügere und besonnenere von beiden, sein Sekretär und Schatzmeister. Der König behandelte die Jünglinge mit Ehrerbietung und Zuneigung. Er starb jedoch bald und ließ eine Witwe und seinen Erben, einen kleinen Sohn mit Namen Ezana, zurück. Ella Amida hatte den Syrern vor seinem Tod die Freiheit geschenkt, die Königin aber bat die jungen Männer unter Tränen, bei ihr zu bleiben, bis ihr Sohn alt genug sein würde, um die Thronfolge anzutreten. Vor allem Frumentius sollte ihr beistehen, denn Aedesius war, obgleich loyal und von gutem Herzen, einfachen Geistes. In den folgenden Jahren wuchs der Einfluß Frumentius' im Königreich von Aksum. Er ließ im Land nach christlichen Händlern suchen und bat sie eindringlich, sie sollten »an verschiedenen Orten Andachtsstätten gründen, die sie zum Gebet aufsuchen könnten«. Er versah sie »mit allem, was sie benötigten, stellte ihnen Bauplätze für die Gebäude zur Verfügung und förderte das Christentum wo er nur konnte«. Kurz nachdem Ezana schließlich den Thron bestiegen hatte, kehrte Aedesius nach Tyrus zurück. Frumentius aber reiste in die ägyptische Stadt Alexandria, zu dieser Zeit ein Zentrum des Christentums, wo er dem Patriarchen Athanasius von seinem Werk berichtete. Der junge Mann bat den Kirchenführer, »einen würdigen Mann als Bischof für die vielen dort schon versammelten Christen« nach Äthiopien zu schicken. Athanasius, der die Worte Frumentius' sorgfältig bedacht hatte, erklärte vor der Versammlung seiner Priester: »Können wir denn einen anderen Mann finden, dessen Geist von Gott erfüllt ist, als denjenigen, der schon so viel vollbracht hat?« Daraufhin »weihte er ihn und bat ihn im Namen Gottes dorthin zurückzukehren, von wo er gekommen war«10. Frumentius reiste als erster äthiopischer Bischof nach Aksum zurück. Dort setzte er seine missionarischen Anstrengungen fort, die im Jahre 331 nach Christus mit der Bekehrung des Königs selbst belohnt wurden. Münzen aus der Zeit von Ezanas Herrschaft zeigen den langsamen Übergang zum Christentum:
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die älteren tragen Abbildungen des zunehmenden und des vollen Mondes, auf späteren Exemplaren ist eindeutig das Kreuz zu erkennen. Es sind dies die frühesten Münzen überhaupt, die das Symbol des Christentums tragen. Aksum, die Hauptstadt des äthiopischen Reiches vom ersten bis fast zum zehnten Jahrhundert nach Christus, gilt also als Geburtsstätte des äthiopischen Christentums - was unser Projekt anbelangte, ergaben sich jedoch noch viel interessantere Sachverhalte. So las ich zum Beispiel, daß wir auf eine Vielzahl imposanter vorchristlicher Ruinen von großer archäologischer Bedeutung stoßen würden, auf die Überreste einiger großer Paläste und Monumente: zum Beispiel die über zweitausend Jahre alten Obelisken. Aksum mußte zu dieser Zeit in künstlerischer und architektonischer Hinsicht ein hohes Niveau entwikkelt haben, das andere Zivilisationen südlich der Sahara-Region erst sehr viel später erreichten. Und die Obelisken in ihrer technischen und künstlerischen Besonderheit waren nicht einmal die einzigen Beispiele für die besondere Rolle, die Aksum einnahm. Zu meinem Erstaunen berichteten die Handbücher, die ich bei mir hatte, von äthiopischen Legenden, denenzufolge die Bundeslade in der Kapelle einer besonders geheiligten Kirche aufbewahrt werde. Diese Legenden standen in engem Zusammenhang mit dem Anspruch Äthiopiens, das Reich der biblischen Königin von Saba gewesen zu sein. Nun hatte ich gerade den ersten Indiana-Jones-Film Die Jäger des verlorenen Schatzes gesehen und war gefesselt von der (sicherlich nicht gerade naheliegenden] Möglichkeit, das kostbarste und geheimnisvollste Zeugnis des Alten Testaments, die beinahe drei Jahrtausende verloren geglaubte Bundeslade, könne sich in der Stadt befinden, die ich nun besuchen wollte. Ich faßte den Entschluß, nicht aus Aksum abzureisen, bevor ich nicht mehr von dieser merkwürdigen Geschichte erfahren hatte. Mit neuerwachtem Interesse sah ich aus dem Kabinenfenster, als der Pilot ankündigte, daß Aksum direkt unter uns liege. Die Landung der DC3 war höchst ungewöhnlich - und einigermaßen furchteinflößend. Anstelle eines gewöhnlichen, nied-
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rigen und langgestreckten Anfluges brachte der Pilot das Flugzeug direkt über der Stadt aus einer beachtlichen Höhe in engen Kreisen herunter. Ein Offizier erklärte uns, daß so die Zeit verringert werden könne, in der die Maschine Ziel der Scharfschützen auf den umliegenden Hügeln sein würde. Es war ein höchst ungemütliches Gefühl, in dieser langen Metallröhre mehrere hundert Meter über dem Erdboden, auf einem wackeligen Sitz angeschnallt, darauf zu warten, daß die Kabine jeden Augenblick von Geschossen durchschlagen werden würde. Glücklicherweise geschah an diesem Morgen nichts dergleichen, und wir landeten sicher. Bis zu den Zähnen bewaffnete Soldaten in Tarnanzügen beobachteten uns, als wir zu unserem Haltepunkt rollten. Zu beiden Seiten der Landebahn konnte man Schützengräben und unter Tarnnetzen verborgene Bunker ausmachen, aus denen die Rohre schwerer Artilleriekanonen ragten. In der Nähe des Kontrollturmes waren mehrere bewaffnete Mannschaftswagen und vielleicht ein halbes Dutzend sowjetischer Panzer postiert. Auf dem Vorfeld standen zwei Hubschrauber vom Typ Mi-24, die Raktenabschußhalterungen unter den stummelartigen Heckstabilisatoren gut sichtbar. Nicht für einen Augenblick während unseres gesamten Aufenthaltes entspannte sich die unruhige und angespannte Atmosphäre dieser belagerten Stadt auch nur etwas. Paläste, Katakomben, Obelisken Wir konnten sofort mit der Arbeit beginnen. Als wir aus dem Flugzeug stiegen, wurden wir bereits von einem älteren Abessinier erwartet. In altertümlichem, aber hervorragendem Englisch stellte er sich als Berhane Meskel Zelelew vor und erklärte, daß er über Funk aus Addis Abeba zu unserem Führer und Dolmetscher bestimmt worden war. Als Angestellter des Ministeriums für Kultur sollte er, wie er sagte, »ein Auge auf die Altertümer von Aksum haben«. In dieser Eigenschaft hatte er schon die Archäologen des Britischen Ostafrika-Instituts begleitet, deren
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Ausgrabungen durch die Revolution von 1974 unterbrochen worden waren.11 »Ich freue mich außerordentlich, nach einer so langen Zeit wieder einmal Engländer zu sehen«, rief er, als wir uns vorstellten. Wir stiegen in einen ziemlich alten, hellgrün gestrichenen Geländewagen mit zwei hübschen Einschußlöchern in der Windschutzscheibe. »Glücklicherweise wurde niemand getötet«, versicherte Zelelew. Ich brachte nur ein nervöses Lachen zustande. Als wir das Flugfeld verließen, erklärte ich ihm, warum wir nach Aksum gekommen waren und zählte die historischen Orte auf, die wir besuchen wollten. Ich erklärte ihm auch, daß mich die geheimnisvolle Geschichte der Bundeslade besonders interessiere. »Glauben Sie denn, daß die Lade hier ist?« fragte ich ihn. »Ja, ganz sicher.« »Und wo ist sie genau?« »Sie befindet sich in einer Kapelle in der Nähe des Stadtzentrums.« »Ist diese Kapelle sehr alt?« »Ihre Erbauung wurde von unserem letzten Kaiser angeordnet - ich glaube, das war 1965. Davor wurde der Schrein über viele Jahrhunderte hinweg im Allerheiligsten der benachbarten Kirche der >Heiligen Maria auf Zion< aufbewahrt.« Zelelew hielt inne und fügte dann hinzu: »Haile Selassie hatte übrigens ein besonderes Interesse an dieser Geschichte. Er war der zweihundertfünfundzwanzigste Nachkomme in direkter Linie von Menelik, dem Sohn der Königin von Saba und König Salomos. Und es war Menelik, der die Bundeslade in unser Land brachte ...« Ich wollte die Kapelle sofort besichtigen, doch Zelelew überzeugte mich, daß es wenig sinnvoll sei, die Sache zu überstürzen: »Man wird Ihnen nicht erlauben, sich der Lade zu nähern. Wo sie aufbewahrt wird, ist heiliger Boden. Die Mönche und die Bewohner von Aksum beschützen sie und würden nicht davor zurückschrecken, jeden zu töten, der dort eindringt. Nur einer darf diesen Ort betreten, und das ist der Mönch, der die Lade bewacht. Wir werden versuchen, ihn später am Tag zu treffen.
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Lassen Sie uns zuerst den Palast der Königin von Saba ansehen.« Diesem verlockenden Vorschlag stimmten wir zu. Die holperige Straße voller Schlaglöcher führte nach Südwesten. Kaum zwei Kilometer von Aksum entfernt hielten wir in der Nähe eines stark bewaffneten Militärpostens an, der, wie Zelelew erklärte, die Grenze des von den Regierungstruppen kontrollierten Gebietes markierte. Aufgeregt deutete er auf die naheliegenden Hügel: »Alles TPLF, da können wir nicht hin, das ist sehr schade. Es gibt dort eine Menge interessanter Dinge zu sehen. Dort hinten, gleich nach der Biegung der Straße, liegen die Steinbrüche, in denen die Granitsäulen geschnitten wurden. Eine ragt noch heute aus dem Felsen, nur halb herausgehauen. Dort gibt es auch eine wunderschöne geschnitzte Löwin, die sehr alt ist; sie muß schon vor Beginn des Christentums entstanden sein. Aber leider können wir da nicht hin.« »Wie weit ist es genau?« fragte ich gequält. »Ganz nah, weniger als drei Kilometer. Aber der Militärposten wird uns nicht passieren lassen, und wenn, dann würden wir mit Sicherheit von der Guerilla erwischt werden. Deshalb sollten wir hier auch nicht zu lange herumstehen. Die Scharfschützen der TPLF würden Sie als Ausländer erkennen, Sie vielleicht für Russen halten und auf Sie schießen ...« Er lachte: »Das wäre nicht gerade wünschenswert, also folgen Sie mir.« Er schlug einen Weg durch die Felder nach Norden ein, und schnell stolperten wir über die ersten Überbleibsel dessen, was einst ein imposantes Bauwerk gewesen sein mußte. »Das war der Palast der Königin von Saba«, verkündete Zelelew stolz. »Nach unseren Überlieferungen war ihr Name Makeda, und Aksum war ihre Hauptstadt. Ich weiß, daß Fremde meist nicht glauben wollen, daß sie Äthiopierin war. Aber es gibt auch kein Land, das seinen Anspruch glaubhafter formulieren könnte als das unsere.« Ich fragte, ob Archäologen schon einmal versucht hätten, bei Grabungen der Legende auf die Spur zu kommen. »Ja, Ende der sechziger Jahre hat das Äthiopische Archäolo-
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gische Institut hier Ausgrabungen durchgeführt. Ich selbst war damals dabei.« »Und was hat man herausgefunden?« Zelelew machte ein betrübtes Gesicht. »Man war der Meinung, der Palast sei nicht alt genug, um als Residenz der Königin von Saba gelten zu können.« Was die Archäologen freigelegt hatten und was wir nun kurz untersuchten, waren die Grundmauern eines einstmals großen Gebäudes mit festgefügten Steinwänden, starken Fundamenten und einem eindrucksvollen Abwassersystem. Wir sahen einen unzerstörten, mit Fliesen ausgelegten Gang, den Zelelew für den Thronsaal hielt, und eine Anzahl von Treppenschächten, die eindeutig darauf hinwiesen, daß es mindestens ein weiteres Stockwerk gegeben haben mußte. Man konnte noch die raffinierten Ziermuster der Baderäume ausmachen und die von zwei großen Steinöfen dominierte Küche. Auf der anderen Straßenseite, gegenüber dem Palast, untersuchten wir einige rohbehauene Granitstelen, von denen manche über vier Meter hoch in den Himmel ragten. Andere lagen zerbrochen am Boden. Die meisten waren nicht verziert, aber in die größte waren vier Querfriese eingemeißelt, jeder von einer Reihe reliefartig herausgehobener Kreise gekrönt - wie die herausragenden Stützbalken eines Gebäudes aus Holz und Stein. Die Stadtbewohner, so erzählte uns Zelelew, glaubten, daß dieser unfertige Obelisk das Grab der Königin von Saba markiere. Man hatte hier allerdings nie Ausgrabungsarbeiten unternommen, und das Feld war mittlerweile den Bauern zur Bewirtschaftung übergeben worden. Nachdem wir genug Fotos und Notizen angefertigt hatten, durchquerten wir Aksum bis an den Stadtrand im Nordosten. Hier erreichten wir einen weiteren, auf einem Hügel gelegenen Palastkomplex, von dem aus sich ein weiter Blick über die Gegend bot. Der Grundriß des Bauwerkes mußte fast eintausend Quadratmeter umfassen. Die Wände waren schon vor langer Zeit zusammengefallen, aber man konnte an den vier Ecken noch die Aufmauerungen von Türmen erkennen - möglicher-
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weise genau die Türme, die nach der Beschreibung des Mönches Kosmas mit den ehernen Einhörnern verziert waren. Zelelew führte uns nun über eine steile Steintreppe hinunter in eine Flucht von unterirdischen Gängen und Kammern. Die Wände und Decken bestanden aus massiven Granitquadern, die man so exakt behauen hatte, daß sie ohne Mörtel in den Fugen ganz genau aneinanderpaßten. Die Leute in der Gegend, erzählte Zelelew, hielten dieses kühle und dunkle Labyrinth für die Schatzkammer des Kaisers Kaleb (514-542 nach Christus) und dessen Sohn Gebre Maskal. Trotz der Dunkelheit konnten wir die leeren Steinkammern erkennen, von denen man glaubte, daß sie einstmals unermeßliche Reichtümer an Gold und Perlen und die einbalsamierten Körper der toten Könige beherbergt hatten. Es gab eine Reihe weiterer, noch nicht freigelegter Räume, die sich weit in den Hügel hinein erstreckten. Dicke Granitwände versperrten den Weg dorthin. Schließlich verließen wir die Hügelfestung und fuhren zurück nach Aksum. Auf dem Weg dorthin hielten wir an, um ein großes offenes Wasserreservoir zu fotografieren, das in den roten Granit der Hügel hineingehauen worden war. Über rohgemeißelte Stufen stiegen wir zu dem Becken hinunter. Wir kannten es unter dem Namen »Mai Shum« und es schien uns sehr alt - ein Eindruck, den Zelelew bestätigte, als er bemerkte, daß dies ursprünglich das Vergnügungsbad der Königin von Saba gewesen sei: »Das glaubt zumindest mein Volk. Mit dem Beginn des Christentums wurde es für Taufzeremonien benutzt und um das Dreikönigsfest zu feiern, das bei uns >Timkat< genannt wird. Und natürlich kommen die Bauern jeden Tag hierher, um ihr Wasser zu schöpfen.« Niemand von uns hatte bemerkt, wie schnell die Stunden vergangen waren, und nun war es schon spät am Nachmittag. Zelelew hielt uns zur Eile an, betonte, daß wir im Morgengrauen des nächsten Tages nach Asmara zurückfliegen müßten und daß es bis dahin noch viel zu sehen gäbe. Unser nächstes Ziel, der sogenannte »Park der Säulen«, mit Sicherheit der archäologisch interessanteste Ort in Aksum, lag
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ganz in der Nähe. Wir untersuchten und fotografierten eine bemerkenswerte Menge riesiger Obelisken, die aus großen Granitblöcken herausgehauen worden waren. Die mächtigste dieser Säulen war, so glaubte man, schon vor über tausend Jahren umgestürzt und in viele Stücke zerbrochen. Aber zu ihrer Glanzzeit mußte sie mit ihren über dreißig Metern Höhe alles um sich herum bestimmt haben. Ihr Gewicht, hatte ich gelesen, wurde auf über fünfhundert Tonnen geschätzt. Man vermutete, daß dies der größte aus einem Stück gehauene und aufgerichtete Stein des Altertums war. In diese Stele hatte man die sorgfältige Nachbildung eines hohen und schmalen Gebäudes mit dreizehn Stockwerken hineingehauen - jedes Geschoß mit kunstvoll gearbeiteten Fenstern und anderen Details, vom nächsten abgehoben durch eine Reihe angedeuteter Querbalken. Am Fuß der Säule konnte man eine in den Stein gemeißelte blinde Tür erkennen, detailgetreu mit Klopfer und Griff. Zelelew erzählte von einem anderen, viel kleineren, aber nicht zerborstenen Obelisken, der während der italienischen Besatzung von 1935 bis 1941 gestohlen, unter enormen Schwierigkeiten nach Rom transportiert und dort in der Nähe des Konstantinbogens wieder aufgestellt worden war. Seitdem bemühte sich die äthiopische Regierung um die Rückgabe, denn auch diese Stele war sorgsam verziert worden und somit von großem künstlerischen Wert. Mit einer schwungvollen Gebärde wies unser Begleiter auf einen dritten, ebenso kunstvoll bearbeiteten Monolith, der glücklicherweise an seinem Platz im »Park der Obelisken« verblieben war. Die hochaufragende Steinnadel maß über zwanzig Meter und war an der Spitze mit einem herausgehauenen Halbmond versehen. Wir schlenderten hinüber, um sie genau zu untersuchen, und entdeckten, daß auch ihre Schnitzereien ein mehrstöckiges Gebäude darstellten - in diesem Fall ein neungeschossiges Haus in der Art eines Turmes. Und wieder war die Hauptfront mit Fensterformen und genau nachgebildeten Stützstempeln versehen, wie man sie zwischen Fensterrahmen und
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Mauerwerk findet. Auch die Abstände zwischen den Stockwerken waren mit nachgebildeten Holzbalken markiert. Die gebäudeartige Erscheinung des Obelisken wurde schließlich durch eine vorgetäuschte Tür betont. Um dieses hochentwickelte Monument herum war eine Reihe weiterer Säulen angeordnet, allesamt das Ergebnis einer zweifelsohne weitentwickelten, vielseitigen und prosperierenden Kultur. An keinem anderen Ort südlich der Sahara war etwas annähernd Ähnliches je entstanden - aber genau darin bestand das Geheimnis von Aksum: Die Vorgeschichte war unbekannt, die Quellen seiner Vorbilder verschüttet. Das Sanktuarium Dem Obeliskenfeld gegenüber stand ein von Mauern umgebener Gebäudekomplex mit zwei Kirchen, von denen die eine sehr alt war, die andere aber offensichtlich aus jüngster Zeit stammte. Beide waren der »Heiligen Maria auf Zion« geweiht, erklärte uns Zelelew. Die jüngere der beiden, von Haile Selassie in den sechziger Jahren erbaut, hatte ein kuppeiförmiges Dach und einen obeliskenartigen, hochaufragenden Glockenturm. Die andere ging auf die Mitte des siebzehnten Jahrhunderts zurück und war das Werk des Kaisers Fasilidas, der, wie viele Herrscher vor und nach ihm, in Aksum gekrönt worden war. Ungeachtet der Tatsache, daß er einen anderen Regierungssitz gewählt hatte, war er voller Verehrung für die heilige Stadt. Haile Selassies ambitiös-moderne »Kathedrale« erschien uns gleichermaßen unschön wie uninteressant. Unsere Aufmerksamkeit zog vielmehr der Bau Fasilidas' auf sich, der uns mit seinen Türmchen und zinnenbestückten Brustwehren halb wie das Haus Gottes, halb wie eine Burg erschien. Doch dies paßte nur zu gut zu einer sehr alten äthiopischen Gepflogenheit, derzufolge die Grenzen zwischen Kriegswesen und Geistlichkeit von jeher fließend waren. Im Halbdunkel des Inneren konnte ich mehrere eindrucks-
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volle Wandgemälde erkennen, von denen eines das Leben der Jungfrau Maria, ein anderes die Kreuzigung und Auferstehung Christi und ein drittes die Legende vom heiligen Yared darstellte. Yared war vermutlich der Erfinder der etwas furchteinflößenden äthiopischen Kirchenmusik. Das mit der Zeit stark verblaßte Gemälde stellte Yared dar, wie er vor König Gebre Maskai spielte. Der Monarch hatte den Fuß des Heiligen mit einem Speer durchbohrt, aber beide Männer waren von den Klängen des Sistrum (jenes alten ägyptischen Saiteninstrumentes) und der Trommel derartig ergriffen, daß sie dessen nicht gewahr wurden. Nicht weit entfernt von der alten Kirche stießen wir auf die Ruinen eines Gebäudes, das einstmals große Ausmaße gehabt haben mußte, nun aber nur noch aus seinen tief eingelassenen Fundamenten bestand. Zelelew erklärte uns, daß dies die Überreste der eigentlichen Marienkirche seien, die im vierten Jahrhundert nach Christus erbaut worden war, zu der Zeit, als das aksumitische Königreich zum Christentum konvertierte. Über ein Jahrtausend später, 1535, wurde es von einem fanatischen muslimischen Eroberer namens Ahmed Gragn dem Erdboden gleichgemacht. Kurz vor ihrer Zerstörung besuchte ein umherziehender portugiesischer Mönch mit Namen Francisco Alvarez die »erste St. Maria«, wie Zelelew sich ausdrückte. Später las ich Alvarez' Beschreibung der Kirche: »Sie ist sehr groß«, schrieb er, »und hat fünf gewölbte Schiffe von erheblicher Breite und Länge; die Decke und die Seitenwände sind bemalt, und sie hat auch einen Chorraum nach unserer Art ... Diese prächtige Kirche ist auf einem weiten Platz erbaut, der ganz mit Steinplatten so groß wie Grabsteine gepflastert und von einer langen Einfriedung umgeben ist, die wiederum von einer hohen Mauer umschlossen wird, wie der Wall einer großen Stadt.. .«12 Den Beginn der Bauarbeiten datierte Zelelew ganz richtig auf das Jahr 372 vor Christus13 - was bedeutete, daß es sich überhaupt um die erste christliche Kirche der südlichen SaharaRegion handelte. Mit ihrer Konsekration wurde sie zum heilig-
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sten Ort Äthiopiens, und das mit gutem Grund, denn sie war erbaut worden, um die Bundeslade zu beherbergen. Wenn die Legenden ein Körnchen Wahrheit enthielten, dann mußte der Schrein lange vor Christi Geburt ins Land gebracht worden sein. Und zu einem bestimmten Zeitpunkt nach der Christianisierung des aksumitischen Königreiches wurde die Reliquie von der Priesterschaft für die neue Religion reklamiert. Der portugiesische Mönch war übrigens der erste Europäer, der die äthiopische Legende von der Königin von Saba und der Geburt ihres einzigen Sohnes Menelik dokumentierte.14 Als er St. Maria um 1520 besuchte, war die Lade noch an ihrem Platz im Allerheiligsten der alten Kirche. Sie verblieb jedoch nicht mehr lange dort, denn als die Truppen Ahmed Gragns immer näher rückten, wurde der Schrein in Sicherheit gebracht. So entging der Schatz dem Sturm der Zerstörung und Plünderung, den die Muslime 1535 über Aksum entfesselten. Als der Frieden nach einhundert Jahren wiederhergestellt war, brachte man die Bundeslade im Triumph zurück nach Aksum in die von Fasilidas erbaute neue Marienkirche. Erst Haile Selassie ließ die Lade 1965 von dort entfernen und in die sicherere Kapelle bringen, die zur gleichen Zeit wie seine grandiose Kathedrale errichtet worden war. Wenigstens bei der Kapelle hatte man sich bemüht, den Stil des siebzehnten Jahrhunderts zu treffen. Hier war es, wo mir der alte Mönch die erstaunliche Geschichte der Bundeslade erzählt und mich vor ihrer Macht gewarnt hatte. »Wie mächtig ist sie?« fragte ich. »Was meinen Sie damit?« Die Haltung des Wächters versteifte sich und er schien plötzlich vor etwas auf der Hut zu sein. Für einige Momente schwieg er. Dann lachte er leise in sich hinein und stellte mir eine Frage: »Haben Sie die Säulen gesehen?« »Ja«, gab ich zurück, »ich habe sie gesehen.« »Was glauben Sie, wie wurden sie aufgestellt?« Ich gab zu, es nicht zu wissen.
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»Man nahm die Bundeslade«, flüsterte der Mönch geheimnisvoll, »die Lade und das göttliche Feuer. Menschen allein hätten so etwas nie vollbringen können.« Nachdem wir Aksum verlassen hatten, nutzte ich die Bibliotheken in Addis Abeba und führte einige Nachforschungen bezüglich der historischen Glaubwürdigkeit der Legenden durch, von denen mir der Mönch berichtet hatte. Ich war nicht im geringsten von dem überzeugt, was er gesagt hatte. Sollte jedoch irgend etwas dafür sprechen, daß die Königin von Saba eine äthiopische Monarchin war, so wollte ich das herausfinden. Aber hätte sie zu Zeiten König Salomos wirklich nach Israel reisen können? War es möglich, daß sie von dem jüdischen König ein Kind empfangen hatte? Daß sie einen Sohn namens Menelik zur Welt brachte? Und vor allem: war der junge Mann nach dem Besuch am Hofe seines Vaters nach Äthiopien zurückgekehrt - mit der Bundeslade?
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Kapitel 2 Ernüchterung
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ie Fragen, die ich nun stellen mußte, waren im Addis Abeba des Jahres 1983 nicht gerade willkommen. Neun Jahre nach Haile Selassies Sturz schwebten noch immer die Reste von revolutionärem Chauvinismus in der Luft. Allenthalben traf man auf Argwohn, Haß und Mißgunst, und die Leute hatten noch bittere Erinnerungen an die späten siebziger Jahre, als Mengistus Streitkräfte den »Roten Terror« gegen all jene entfesselten, die für die Wiedereinführung der Monarchie kämpften. Von der Regierung unterstützte Todesschwadronen durchstreiften die Straßen, zerrten Verdächtige aus ihren Häusern und exekutierten sie auf der Stelle. In dieser leicht erregbaren Atmosphäre hatte ich meine ersten Nachforschungen in einer Sache anzustellen, die ganz offensichtlich mit dem letzten Kaiser Äthiopiens und der salomonischen Dynastie zusammenhing, aus der er stammte. Wie eng diese Verbindungen tatsächlich waren, wurde mir klar, als ich von einem Freund die Kopie eines unter der Hand kursierenden Dokumentes erhielt, das auf dem Höhepunkt der Macht und Popularität Haile Selassies ausgearbeitet worden war - die revidierte Verfassung von 1955. Erfüllt von der Absicht, das moderne Äthiopien darin zu bestärken, »in allen Bereichen der Staatsverwaltung mitzuarbeiten« und »an der großen Aufgabe teilzuhaben, die in der Vergangenheit von den äthiopischen Herrschern alleine erfüllt worden war«, enthielt dieses bemerkenswerte Stück Gesetzgebung noch immer die unmißverständliche Bekräftigung des seit Menschengedenken bestehenden göttlichen Rechts auf Herrschaft: »Die kaiserliche Würde soll immerdar mit dem Geschlecht Haile Selassies I. verbunden sein, das sich ohne Unterbrechung von der Dynastie Meneliks I., Sohn der Königin von Äthiopien,
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der Königin von Saba, und des Königs Salomo von Jerusalem, herleitet ... Kraft seines königlichen Blutes und kraft der empfangenen Weihen ist die Person des Kaisers heilig, seine Würde unverletzlich und seine Macht unangreifbar .. .«1 Ich stellte schnell fest, daß Zelelew, unser Dolmetscher in Aksum, zumindest in einer Sache recht hatte: Der Kaiser hatte tatsächlich den Anspruch erhoben, der zweihundertfünfundzwanzigste direkte Nachkomme von Menelik I. zu sein. Und die göttliche Abkunft der salomonischen Dynastie bezweifelten nur die wenigsten der Äthiopier, mit denen ich in Addis Abeba sprach - selbst die revolutionärsten nicht. Man munkelte sogar, daß Präsident Mengistu selbst den Ring Salomos von der Hand des toten Kaisers abgezogen habe, und ihn nun an seinem Mittelfinger trage - als ob er sich so etwas vom Charisma und den angeblich magischen Kräften seines Vorgängers aneignen wollte. Nun waren derartige Gerüchte sicherlich interessant; sie befriedigten mein Verlangen nach konkreten Informationen über die Bundeslade und ihre geheimnisvollen Verbindungen mit der entthronten Dynastie Haile Selassies jedoch nicht. Das Problem bestand darin, daß die meisten meiner äthiopischen Gesprächspartner einfach Angst hatten - sie verschlossen sich wie eine Auster, wenn das Gespräch auf die Lade, auf den Kaiser oder auf irgend etwas kam, das mit der Zeit vor der Revolution zu tun hatte. Niemand wollte den Verdacht erwecken, aufrührerische Informationen weiterzugeben. Fortschritte konnte ich erst erzielen, als ein Kollege aus England eintraf. Ich hatte Professor Richard Pankhurst, der sich in der Materie gut auskannte, gebeten, mir bei dem Buch, das ich für die äthiopische Regierung schrieb, als Co-Autor zur Seite zu stehen. Richard war der Enkel der berühmten englischen Frauenrechtlerin Emmeline Pankhurst und der Sohn von Sylvia Pankhurst, die während der italienischen Besatzung in den dreißiger Jahren heldenmütig auf der Seite des abessinischen Widerstandes gekämpft hatte. Er war und ist der maßgebende Historiker in Äthiopien. Zur Zeit Haile Selassies hatte er an der Univer-
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sität von Addis Abeba das angesehene Institut für Äthiopische Studien gegründet. Kurz nach der Revolution von 1974 mußte er das Land verlassen, nun aber lag ihm daran, neue Kontakte zu knüpfen. Unser Buchprojekt paßte also gut zu seinen Plänen, und so hatte Richard, der an der Royal Asiatic Society in London arbeitete, sich ein paar Tage freigenommen, um mit mir einige Dinge zu besprechen. Er besaß eine umfassende Kenntnis äthiopischer Geschichte, und so war die Bundeslade eine der ersten Angelegenheiten, auf die ich ihn ansprach. Ich wollte wissen, ob es eine wissenschaftliche Grundlage für den scheinbar allzu weit hergeholten Anspruch gebe, die Lade werde in Aksum aufbewahrt. Er erwiderte, daß die Legende von Salomo und der Königin von Saba in Äthiopien eine lange Geschichte habe und daß mehrere mündlich und schriftlich überlieferte Versionen existierten. »Das älteste erhaltene schriftliche Zeugnis befindet sich in einer Handschrift aus dem dreizehnten Jahrhundert, die Kebra Nagast genannt wird. Dieses Manuskript wird in Äthiopien sehr verehrt, man sagt, es enthalte >die Wahrheit, die ganze Wahrheit und nichts als die Wahrheitlingua francaverlorenen Stamm Israels< zu erklären. Diese Vorstellung hat vor wenigen Jahren auch den Segen des aschkenasischen und des sephardischen Oberrabbinats in Jerusalem erhalten, das die Falaschen eindeutig als Juden anerkannt hat. Nach den Bestimmungen des >Law of Return< sind sie damit automatisch Bürger Israels.« »Aber woher kamen die Falaschen ursprünglich?« fragte ich. »Und wieso ließen sie sich mitten in Äthiopien nieder - zweitausend Meilen von Israel entfernt?« Richard gab zu, diese Frage sei nicht ohne weiteres zu beantworten. Die Lehrmeinung war, daß eine Gruppe von Juden im ersten und zweiten Jahrhundert nach Christus von SüdwestArabien aus in das abessinische Hochland gewandert sei und
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offensichtlich Teile der Bevölkerung zu ihrem Glauben bekehrt habe. Man müsse die Falaschen also als Abkömmlinge dieser Konvertiten ansehen. »Es gilt als gesichert«, fügte er hinzu, »daß sich im Jemen eine einflußreiche jüdische Gemeinde gebildet hat, die vor der Verfolgung durch die römischen Besatzer in Palästina im ersten Jahrhundert vor Christus geflüchtet war. Theoretisch ist es also durchaus möglich, daß Missionare und Händler die Straße von Bab-el-Mandeb überquerten und nach Äthiopien gelangten.« Aber auch Richard hatte keinen historischen Beweis dafür, daß sich alles so zugetragen hatte. »Und was sagen die Falaschen selbst?« Richard lächelte: »Daß sie von König Salomo abstammen natürlich ... Ihre Geschichte entspricht in den Grundzügen derjenigen der Christen, vielleicht ist sie etwas ausgeschmückter. Wenn ich mich richtig erinnere, behaupten sie, daß Salomo nicht nur die Königin von Saba schwängerte, sondern auch ihre Dienstmagd - und somit nicht nur Menelik zeugte, sondern auch einen Halbbruder, der eine Dynastie von Falaschen-Königen begründete. Alle anderen äthiopischen Juden sind vermutlich die Nachfahren der erstgeborenen Söhne der Ältesten Israels, die Menelik und die Bundeslade begleiteten.« »Besteht denn deiner Meinung nach die Möglichkeit, daß das wahr ist - ich meine, daß die Bundeslade wirklich aus dem Tempel Salomos gestohlen und nach Aksum gebracht worden sein könnte?« Richard schnitt eine Grimasse: »Ehrlich gesagt, nein. Ausgeschlossen. Tatsache ist, daß Aksum zu dieser Zeit nicht einmal existierte. Aksum gab es nicht. Nun, ich weiß nicht genau, wann Salomo starb, es muß um 940 oder 930 vor Christus gewesen sein. Wenn Menelik sein Sohn war, dann muß er die Lade etwa zehn oder fünfzehn Jahre vorher nach Aksum gebracht haben. Aber das wäre gar nicht möglich gewesen, denn Aksum wurde frühestens im dritten, wahrscheinlich nicht vor dem zweiten Jahrhundert vor Christus gegründet - mit anderen Worten: sieben oder acht Jahrhunderte nach dem vermutlichen Diebstahl der Lade ...«
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»Nun«, sagte ich, »das macht der ganzen Sache wohl ein Ende, nicht wahr?« »Ja, obgleich ich es für möglich halte, daß die Lade an einen anderen Ort in Äthiopien gebracht wurde, dessen Geschichte sich später mit derjenigen von Aksum vermischte. Trotzdem, es gibt so viele unklare Punkte, Anachronismen und Ungenauigkeiten in dieser Legende. Daher kommt es, daß bisher kein Historiker oder Archäologe, der etwas auf sich hält, bereit war, in dieser Sache Nachforschungen anzustellen ... Dennoch, nicht alles, was die Falaschen über sich erzählen, sind komplette Phantasiegebilde, und einige Aspekte ihrer Herkunft würden weitere Untersuchungen schon rechtfertigen.« »Zum Beispiel?« »Ich erwähnte ihre Behauptung, es habe einst eine Dynastie jüdischer Könige in Äthiopien gegeben. Wenn wir einmal, sagen wir ins fünfzehnte oder sechzehnte Jahrhundert zurückgehen, würden wir einige Anzeichen finden, die das unterstützen - und es ist glaubhaft, daß es eine Monarchie auch vor diesem Zeitpunkt gab. Alles in allem: Die Juden waren eine ernstzunehmende Macht in diesem Land. Manchmal haben sie sogar erfolgreich Krieg gegen die christlichen Herrscher geführt, um ihre Unabhängigkeit zu bewahren. Doch mit der Zeit wurden sie schwächer und verschwanden nach und nach. Wir wissen, daß ihr Volk zwischen dem fünfzehnten und achtzehnten Jahrhundert ziemlich dezimiert wurde. Und unglücklicherweise hält diese Entwicklung noch immer an. Es sind wahrscheinlich nicht mehr als zwanzigtausend übriggeblieben - und die meisten wollen nach Israel.« Während der nächsten drei Tage arbeitete ich mit Richard an unserem Buchprojekt, und in dieser Zeit profitierte ich enorm von seinen genauen Analysen der äthiopischen Geschichte und Kultur. Dann kehrte er nach London zurück, und Carol, Duncan und ich brachen zu der Exkursion auf, die uns zum Tanasee, nach Gondar und in die Simienberge führen würde.
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Tabots: Repliken der Bundeslade Wir verließen Addis Abeba in einem arg mitgenommenen Toyota-Jeep, der uns für unsere Arbeit von der Regierung zur Verfügung gestellt worden war. Über die Höhen des Mount Entoto fuhren wir in nordwestlicher Richtung Meile um Meile durch rauhes und trostloses Heidehochland. Schließlich erreichten wir Dahar Bar, eine kleine Stadt am südlichen Zipfel des Tanasees. Das gewaltige Binnenmeer ist bekannt für seine unzähligen Inseln, auf denen sich über zwanzig Klöster befinden. Dank einer großen Dieselbarkasse, die uns von den Marinebehörden überlassen worden war, konnten wir einige der Klosterinseln besuchen und dort wundervolle Sammlungen alter Handschriften, sakrale Bilder und Wandmalereien fotografieren. In unruhigen Zeiten wurden Kunstschätze und wertvolle Sakralgegenstände aus dem ganzen Land an diese Orte in Sicherheit gebracht. Das Hauptanliegen der Einsiedler war es jedoch, ihr Leben in Frieden und Abgeschiedenheit ihrem Schöpfer zu widmen. Ein Mönch erzählte uns, daß er seine kleine bewaldete Insel seit fünfundzwanzig Jahren nicht verlassen habe. »Indem ich mich so vor der Welt verschließe«, sagte er, »erfahre ich die wirkliche Glückseligkeit. Mein ganzes Leben lang war ich Gott treu und das wird bis an das Ende meiner Tage so bleiben. Ich habe mich vom Leben in der Welt abgewandt. Und ich bin frei von ihren Versuchungen.« Jede Bruderschaft hatte ihre eigene Kirche, die oftmals sehr alt waren. Im Grundriß eher rund als rechteckig, besitzen sie in der Regel einen außen umlaufenden Wandelgang, der von dem überhängenden Reet des Daches bedeckt wird. Der erste innere Bereich, das »kane mahlet«, ist mit Gemälden reich verziert, der zweite innere Bereich, das »keddest«, das für Abendmahlsgottesdienste benutzt wird, umschließt das von einer Mauer geschützte Zentrum der Kirche, das »magdas«, das Allerheiligste. Ich hatte zuvor viele äthiopische Kirchen besichtigt, aber hier begann ich zum erstenmal die Bedeutung des Allerheiligsten zu verstehen. Ich fand heraus, daß jeder dieser abgeschirmten
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Bereiche, der übrigens nur vom ältesten Mönch betreten werden durfte, einen heiligen Gegenstand enthielt. Ich bat Kebran Gabriel, unseren Dolmetscher, nachzufragen, was dies für ein Objekt sei. »Das ist das >TabotTabot