JOHN BLOFELD
MANTRA DIE MACHT DES HEILIGEN LAUTES Die «Silben der Kraft» als Mittel der Transformation des Bewußtseins...
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JOHN BLOFELD
MANTRA DIE MACHT DES HEILIGEN LAUTES Die «Silben der Kraft» als Mittel der Transformation des Bewußtseins. Eine Einführung in die Praxis der Mantra-Meditation.
OTTO WILHELM BARTH VERLAG
Für IM K'uan-yü (Charles Luk), dem der Westen viel verdankt vor allem die klare Wiedergabe chinesischer Werke, in denen wertvolle Schätze buddhistischer und taoistischer Weisheit enthalten sind.
Neuausgabe 1988. Die Erstausgabe erschien unter dem Titel «Die Macht des heiligen Lautes». Titel des Originals: «Mantras - Sacred Words of Power». Copyright © George Allen & Unwin (Publishers) Ltd. 1977. Einzig berechtigte Übertragung aus dem Englischen von Ulli Olvedi. Gesamtdeutsche Rechte beim Scherz Verlag, Bern, München, Wien für den Otto Wilhelm Barth Verlag. Alle Rechte der Verbreitung, auch durch Funk, Fernsehen, fotomechanische Wiedergabe, Tonträger aller Art und auszugsweisen Nachdruck, sind vorbehalten. Schutzumschlag von Gerhard Noltkämper.
INHALT
Vorwort des Verfassers 9 1 Der Wald der Einsiedler 13 2 Die verlorene Tradition 33 3 Der Beginn des Verstehens 55 4 Die innere Gottheit 81 5 Einige Yoga-Mantras 107 6 Worte der Macht 125 7 Der heilige Laut (sabda) 143
Vorwort des Verfassers
Wie seltsam sich die Dinge fügen! Immer wieder stolpert man über ein Wort oder über einen Gedanken, die man lange vergessen hatte und die plötzlich innerhalb weniger Tage vielleicht zwei oder drei Mal auftauchen. Vor mehreren Jahren spielte ich mit dem Gedanken - den ich dann wieder fallenließ -, ein Buch über Mantras zu schreiben. Aber ich konnte nicht, denn ich hatte das Gefühl, heilige Dinge möglicherweise dem Spott auszusetzen oder leichtfertig die Schutzmauer niederzureißen, die jahrhundertelang mantrisches Wissen vor Profanierung bewahrte. Doch haben sich die Umstände in den letzten Jahren geändert. Das Interesse an östlicher Weisheit, das man heute bei Tausenden junger Menschen im Westen findet, ist echt; anders als ihre Väter und Vorväter machen sie sich nicht mehr über das Geheimnisvolle lustig, nur weil es nicht in die Kategorien westlichen naturwissenschaftlichen Denkens paßt. Dieser Gesinnungswandel verdient und erhält wärmste Hochachtung. Heutzutage sind selbst die konservativsten Vertreter der östlichen Traditionen geneigt, die Härte der alten Schutzmauer aufzuweichen aus Mitleid mit denjenigen, deren Verlangen nach Weisheit aufrichtig ist, die aber nicht in der Lage sind, so weit in die Ferne zu reisen und jahrelang zu Füßen der Weisen zu sitzen. Eine Reihe von scheinbar unzusammenhängenden Ereignissen brachte mich erst dann dazu, erneut über die Verflechtungen dieser Wandlung nachzugrübeln, als ich einen Brief von jenem hervorragenden Autor und Fachmann des chinesischen 9
Buddhismus, Lu K'uan-yü (Charles Luk), erhielt, der mich aufforderte, genau die Arbeit in Angriff zu nehmen, die ich einst im Sinn gehabt hatte. Meine erste Reaktion war Vorsicht. Ich antwortete, daß ich aufgrund der speziellen Gelübde (samaya), die mich hinsichtlich allen Wissens, zu dem ich durch tantrische Initiation Zugang erhalten habe, zur Zurückhaltung verpflichteten, ein Zögern empfände. Obschon mir mein Lama, der Ehrwürdige Dodrup Chen, die Erlaubnis gegeben hatte, zu schreiben, was immer ich für richtig hielte, widerstrebte es mir natürlich, in solch einem Fall Entscheidungen zu treffen. Daraufhin kam ein weiterer Brief von Lu K'uan-yü, der die frühere Aufforderung wiederholte. Nachdem ich über seinen Vorschlag nachgedacht hatte, stimmte ich zu, jedoch mit einer selbstauferlegten Bedingung - das heißt, ich beschloß, mich darauf zu beschränken, nur von Mantras zu sprechen, die, da sie bereits in veröffentlichten Werken erschienen sind, mit Sicherheit den Nicht-Initiierten bekannt (und möglicherweise von diesen mißverstanden worden) sind. Ich hoffte, auf diese Weise unverantwortliche Enthüllungen zu vermeiden und zugleich manche durchaus mögliche falsche Auffassung zu berichtigen. Indem ich im allgemeinen in derselben Weise vorging wie in meinen früheren Büchern über ähnliche Themen, habe ich mit dem begonnen, was für mich selbst den Anfang darstellte, wobei ich in mehr oder weniger chronologischer Reihenfolge meine eigenen ersten Begegnungen mit der mantrischen Methode erzählte. Darum haben die ersten zwei oder drei Kapitel keine besondere Tiefgründigkeit, obgleich ich hoffe, daß sie zumindest als unterhaltsam empfunden werden. Leser, die bisher Mantras mit magischen Zauberformeln oder Hokuspokus gleichsetzten, werden feststellen, daß dies anfangs gewissermaßen auch meine Einstellung war; doch bewahrte mich mein Vertrauen in die Weisheit meiner chinesischen Freunde davor, meinen Geist dem zu verschließen, was mir als Unsinn erscheinen mochte, auch wenn sie ganz anders darüber dachten. Ich hoffe, daß es 10
mir gelingt, Ehrfurcht vor der mantrischen Kunst und dem Glauben an ihre Wirksamkeit zu erwecken, so wie es mir selbst widerfuhr - Schritt für Schritt. Ich möchte betonen, daß ich eher zufällig an die Mantras geriet, als daß ich mich ihnen planmäßig näherte. Obgleich mein Interesse für sie, einmal geweckt, vollkommen ernsthaft war, begab ich mich nicht auf die Suche nach mantrischem Wissen, und was ich davon erworben habe, ergab sich als Folge meines Yoga-Weges, als dessen eigentliches Ziel die Erleuchtung gilt, und der manchmal mit Mantras verbunden ist. Ich hatte das ganz besondere Glück, Menschen voller Weisheit und wahrer Heiligkeit sowohl unter den Chinesen als auch unter den Tibetern zu treffen, von denen viele in der mantrischen Überlieferung wohlbewandert waren; ich selbst bin allerdings weit entfernt davon, darin Meisterschaft erworben zu haben. Daß ich es wagte, darüber zu schreiben, rührt nicht daher, daß ich viel weiß, sondern daher, daß viele andere, die nicht über meine Möglichkeiten verfügten, vermutlich noch weniger wissen. Wie der Leser am Ende feststellen wird, gibt es bis zum heutigen Tag Aspekte der Mantras, die für mich so geheimnisvoll wie je zuvor geblieben sind. Für mich selbst teile ich die Mantras in drei Kategorien ein, wobei ich glaube, mit einigem bescheidenen Fachwissen nur über die erste sprechen zu können: 1. Mantras, die bei der Yoga-Kontemplation benutzt werden und die wunderbar sind, aber keine Wunder bewirken. 2. Mantras, die anscheinend Wunder bewirken. 3. Mantras, die, wenn die Behauptungen zutreffen, die über sie aufgestellt werden, zumindest vorläufig als wunderwirkende betrachtet werden müssen, und zwar wohl so lange, bis die Art und Weise ihres Wirkens besser verstanden werden kann. Das meiste von dem, was in den ersten, einleitenden Kapiteln folgt, bezieht sich auf Yoga-Kontemplation. Auch wenn man diesen für den am wenigsten spektakulären Aspekt der Mantras halten könnte, ist er allein von grundlegender Wichtigkeit. 11
Ich bin Lu K'uan-yü sehr dankbar für seine Ermutigung; und ebenso Lama Anagarika Govinda für einen Brief, der, neben seinen veröffentlichten Schriften, so manches Problem für mich gelöst hat; dankbar bin ich auch meinem guten Freund Gerald Yorke für Informationen über die Ansicht des Hindutums zu den mantrischen Kräften und über verschiedene westliche Praktiken, die dem Gebrauch der Mantras entsprechen; und Dom Sylvester Houedard der Abtei Prinknash danke ich für die umfangreichen wissenschaftlichen Bemerkungen, denen ich meine Hinweise auf das Jesusgebet und auf das Ismu'z Zat der Sufis entnahm. John Blofeld Das Haus des Windes und der Wolken
1 DER WALD DER EINSIEDLER
Es war wie ein Traum. Der von den auf dem Altar versammelten Kelchen und den rituellen Geräten widergespiegelte Kerzenschein funkelte wie silbriges Feuer, und das Mandala-Bild der Gottheiten, das sich dahinter erhob, strahlte in allen nur vorstellbaren Farben; doch war das vorherrschende Licht in dem weißen Zimmer von blassem Gold, der Farbe der Reisstrohmatten, die sich von Wand zu Wand zogen, die makellose Oberfläche lediglich durchbrochen von dem niedrigen, viereckigen Altar aus schwarzem Holz und der Reihe bronzefarbener Meditationskissen. Die Kissen waren jetzt besetzt. Die weißgekleideten Figuren sahen aus wie Statuen, so tief war die Stille, heraufbeschworen von den tief tönenden Silben, die, begleitet vom Rhythmus der Trommel, monoton von ihren Lippen strömten. LOMAKU SICHILLA JIPIKIA NAN SALABA TATAGEATA NAN. ANG BILAJI BILAJI MAKASA GEYALA SATA SATA SARATE SARATE TALAYI TALAYI BIDAMANI SANHANJIANI TALAMACHI SIDA GRIYA TALANG SOHA!*
*
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Sofern Mantras und andere Wörter östlicher Sprachen als gesprochene Laute bzw. als Fremdwörter benutzt werden, werden sie in ihrer klanglichen Form unter Verzicht aller diakritischen Zeichen geschrieben. Wo immer jedoch es sich um Sanskritwörter handelt, die als solche in lateinische Buchstaben umgeschrieben werden sollen, findet die international gebräuchliche Umschrift Anwendung.
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Bald wurde mir klar, daß nicht einer der Gläubigen, obgleich ihr Geist fehlerlos den Gesang vollzog, den Sinn dieser Silben kannte, deren Klang beseelender war als die feierlichste Hymne! Die Sprache war nicht ihr eingeborenes Kantonesisch; ebensowenig war es Japanisch, wenn auch ihr Lehrer es von seinem Meister in Japan gelernt hatte; und es war auch nicht altes Chinesisch, obwohl das Mantra vor tausend Jahren von China aus nach Japan gelangt war; und es war nicht einmal Sanskrit - oder besser, es war ein Sanskrit, das sich im Laufe der Jahrhunderte durch immer neue Abänderungen der Modulation verzerrt hatte. Seltsamerweise machte das gar nichts aus, da die Silben eines Mantras, auch wenn sie unverständlich sein sollten, nichts von ihrer Kraft der Bedeutung auf der Ebene des begrifflichen Denkens verdanken. Hier lag der Beginn eines Geheimnisses, dem ich von da an meine fast lebenslängliche Aufmerksamkeit widmete. Jetzt, nach vier Jahrzehnten, kann ich nicht mit Gewißheit sagen, ob ich es tatsächlich aufgedeckt habe! Als ich mich als junger Mann zum erstenmal auf den Weg nach China machte, zwang mich eine plötzliche Krankheit, in Hongkong an Land zu gehen. Dort veranlaßten mich die Umstände, ein Jahr oder länger dort zu bleiben und die Freundschaft mit einer Gruppe traditionell denkender Chinesen zu pflegen, die liebevoll an der alten Weisheit und an den Überlieferungen ihres Volkes hingen. Unter ihnen befand sich ein Arzt der alten Schule, ein blaßgesichtiger Gelehrter in den frühen Dreißigern, der, da er westliche Kleidung verschmähte, ein Käppchen aus steifem schwarzem Satin mit einer roten Quaste an der Spitze trug und im Sommer in ein dünnes weißes Seidengewand, knöchellang, mit hohem abstehendem Kragen, gekleidet war. Im Winter wurde das Gewand von einem anderen aus dickerer Seide abgelöst, dunkel und warm mit Seidenwolle gefuttert, über das er oft eine strenge Mandschu-Jacke aus schwarzem, in sich gemustertem Satin zog. Wie seine Erscheinung schon deutlich machte, war Dr. Tsai Ta-hai durch und durch 14
ein Mann der Tradition - nicht ein Liebhaber fossiler konfuzianischer Steifheit, sondern durchdrungen von einem gleichermaßen humanen, mystischen und spielerischen Geist, der die erlesenste chinesische Dichtung und Malerei kennzeichnet. Zutiefst vertraut mit taoistischer und buddhistischer Überlieferung, war er eingedrungen in das Mysterium der Myriaden immer wechselnder Formen, die das formlose, sich selbst erschaffende, unwandelbare Tao aus sich entläßt, wie es so treffend in alten Gedichten und Landschaften dargestellt ist. Als wir einander zum erstenmal begegneten, war er voller Begeisterung über eine esoterische Form des Buddhismus, die in China nicht mehr gebräuchlich war, jedoch in Japan in einer etwas verstümmelten Form überlebt hatte, von wo aus sie an eine Gruppe von frommen Buddhisten in Hongkong weitergegeben worden war. Unsere Freundschaft, die Jahre später durch den Schwur der Bruderschaft verfestigt wurde, blühte seltsamerweise vom ersten Abend unserer Begegnung an auf. In einem anderen Buch Rad des Lebens (1961) - habe ich ausführlich beschrieben, wie ich, mit Wechselfieber darniederliegend, meinen zwölfjährigen kantonesischen Diener nach einem Arzt sandte, und wie dieses Kind, das nichts von den Bedürfnissen eines Fremden wußte, zum nahebei wohnenden Dr. Tsai Ta-hai rannte, einem chinesischen Kräuterspezialisten, der, wenn auch überrascht, zu einem »fremden Teufel« gerufen zu werden, umgehend kam und, indem er mit seinen zartgliedrigen Fingern abwechselnd jedes meiner Handgelenke berührte, nicht nach einem, sondern nach sechs Pulsen fühlte! Seine diagnostische Methode war nicht weniger erstaunlich für einen gerade aus Europa eingetroffenen jungen Mann; sie bestand darin, daß er seinen Geist in die innere Stille versenkte und in schweigender Intuition die Störungen meiner Körperrhythmen erspürte. Das Rezept, das er mir in schönster Kalligraphie mit dem Satz von Schreibutensilien, die den wichtigsten Teil seiner tragbaren medizinischen Ausrüstung 15
bildete, verschrieb, führte zum Erwerb vieler kleiner Päckchen mit fremdartigen Substanzen, die, zusammen gekocht, einen dünnen, schwarzen, bitteren Sud mit überraschender Heilkraft ergaben. Als er entdeckte, daß ich Buddhist war, fragte er mich mit entzückter Verwunderung aus. Ich werde niemals die Freude vergessen, die sein Gesicht erhellte, als er zum erstenmal in seinem Leben erfuhr, daß er auf einen westlichen Menschen gestoßen war, der ein eifriges Interesse hatte, von den Chinesen zu lernen, anstatt entschlossen zu sein, ihnen die westliche Lebensart aufzudrängen. Sobald ich wieder gesund war, nahm mich mein neuer Freund mit zu einer Versammlung in einem Haus, das, wie eine Lacktafel quer über dem Eingang verkündete, den seltsamen Namen »Der Wald der Einsiedler« trug. In Wirklichkeit war es ein privater Tempel, der einer Vereinigung buddhistischer Laien gehörte. Ich erfuhr, daß nahezu jede Stadt in China ihren »Wald der Einsiedler« hatte, dieser hier jedoch außergewöhnlich war, da seine Mitglieder sich einer Form des Buddhismus angeschlossen hatten, die, nachdem sie in China vor tausend Jahren ausgestorben war, nur in ihrer japanischen Version als ShingonSekte überlebt hatte. Der ortsansässige Lehrer, Lai Fo-shih (Dharma-Meister Lai), hatte einige Jahre in der Einsamkeit auf dem Berg Koya unweit von Kyoto verbracht und war dann von Japan zurückgekehrt, um seinen Landsleuten das zu vermitteln, was von der geheimen Überlieferung übriggeblieben war, die damals, als die Esoterische Sekte (Mi Tsung) noch in ihrer Blüte stand, die vorherrschende Sekte ihrer Ahnen war. Das Shingon schützt ebenso wie seine tibetische Entsprechung, das Vajrayana oder Mantrayana, seine Yoga-Geheimnisse vor der Profanierung, indem es ihre Weitergabe auf die Initiierten beschränkt. Dem besonderen Entgegenkommen von Ta-hais Freunden war es zu verdanken, daß dem jungen Engländer Ah Jon, wie sie mich nannten, erlaubt wurde, den Riten beizuwohnen und sogar aktiv an ihnen teilzunehmen, obwohl mir selbst die allererste 16
vorbereitende Initiation fehlte. Die Liebenswürdigkeit dieser Menschen war wirklich ganz außergewöhnlich. Der »Wald der Einsiedler« stand auf einer leichten Anhöhe in der Nähe von Causeway Bay in einer damals teilweise noch ländlichen Umgebung und war ein gewöhnlich aussehendes Haus in eher westlichem als chinesischem Stil. Die meisten Räume, zu denen breite, verglaste Veranden gehörten, sahen so aus, wie man sie in jener Zeit in vielen Wohnungen des Mittelstandes in Hongkong finden konnte; aber im oberen Stockwerk befand sich das wunderschöne Zimmer, das ich beschrieben habe und das immer vom Duft des Sandelholz-Räucherwerks erfüllt war. Hinter dem Altar mit seinem kunstvollen Arrangement silberner Gegenstände befanden sich mehrere bemalte Tafeln, von denen die mittlere neun »Meditations-Buddhas und Bodhisattvas« darstellte, die, um die Mitte geschart, auf den Blütenblättern einer Lotosblume saßen. Diese und die Figuren auf den seitlichen Tafeln waren in hellen, frischen Farben gehalten und hatten stilistisch eine ausgesprochene Ähnlichkeit mit den zauberhaften Fresken, die an den Wänden der alten buddhistischen Höhlentempel in China, Indien und Ceylon zu sehen sind. Die Ähnlichkeit beschränkte sich nicht nur auf Anordnung, Haltung und Symbolik, sondern lag hauptsächlich in dem feinen Ausdruck der duftigen Zartheit der Figuren; die über den Wolken schwebten, schienen wahrhaftig rein geistige Wesen zu sein, und die mit Flügeln geschmückten glaubte man wirklich fliegen zu sehen. Ikonographisch glich die mittlere Tafel in etwa einer bestimmten Form des tibetischen Mandala. Im Zentrum des Lotos befand sich der Buddha Vairocana; vier andere Meditations-Buddhas, welche die Energien der Weisheit und des Mitleids darstellten, saßen auf den Blütenblättern in jeweils einer der vier Himmelsrichtungen, und vier Bodhisattvas hatten ihren Platz auf den dazwischenliegenden Blättern. Von der Schönheit dieser Darstellung zutiefst berührt, hatte ich jedoch keine Ahnung von ihrer esoterischen Bedeutung. Wenn ich daran zu17
rückdenke, kann ich nicht an der gemeinsamen Abstammung der japanischen Shingon- und der tibetischen Vajrayana-Sekte zweifeln, wenn auch die erstere nur einen kleinen Teil ihres Erbes bewahren konnte. Als ein Neuling, von China angezogen auf Grund meiner Bewunderung für die Schönheit und Weisheit, die ich aus Waleys und Obatas Übersetzungen der chinesischen Dichtung und aus ähnlichen Quellen herausgelesen hatte, war ich begierig danach, mich jeglicher Erfahrung auszusetzen, die meine chinesischen Freunde anzubieten hatten. Und so ließ ich mich mit Leichtigkeit auf ihre Lebensweise ein und tat kritiklos alles, was sie erwarteten, wobei ich das Verstehen auf später verschob. An einem oder zwei Abenden in der Woche versammelten wir uns auf einer geschlossenen Veranda, die sich an den Altarraum anschloß. Die anderen waren in chinesische Gewänder gekleidet, die sie über weiten Seidenhosen trugen, und ich kam in den Kleidern, die ich von Europa mitgebracht hatte und die sich - vor allem die Hosen - als herzlich ungeeignet erwiesen, um darin während der Zeremonien mit gekreuzten Beinen auf einem Kissen zu sitzen. Bald begann ich, mit einer Seidenhose in der Tüte zu unserem Versammlungsort zu kommen, um sie anzuziehen, wenn wir unsere Mäntel oder Jacken gegen Gewänder aus reinweißem Stoff mit weiten Flügelärmeln austauschten, bevor wir den Altarraum betraten. Nach ungefähr einem Monat ging ich noch einen Schritt weiter, indem ich bereits in chinesischer Kleidung erschien, obwohl es damals wirklich einigen Mutes bedurfte, um als Engländer »Eingeborenenkleidung« in einer britischen Kolonie zu tragen. Das hieß, von den meisten der eigenen Landsleute zutiefst verachtet zu werden und einiges freundlich versteckte Amüsement bei den vielen Chinesen hervorzurufen, die glaubten, der Fortschritt liege im blinden Nachäffen der militärisch mächtigeren westlichen Nationen. Aber ich war zufrieden mit der Zustimmung Ta-hais und seiner Freunde. In glückseliger Kritiklosigkeit all dem gegenüber, was diese 18
Freunde meinten, mir beibringen zu können, und bereit, ohne viel Aufhebens dasselbe zu tun wie sie, versuchte ich mein Bestes, mich genau so zu verhalten wie jedes andere Mitglied des »Waldes der Einsiedler«, obwohl die anderen so entgegenkommend und gutwillig waren, daß sie jegliches Widerstreben von meiner Seite uneingeschränkt verziehen hätten. Zum Beispiel hätten sie mich angesichts dessen, daß die meisten Engländer es für entwürdigend hielten, ihren Kopf bis zur Erde zu beugen, gerne von der Verpflichtung der Kotaus vor Lai Fo-shih als unserem Dharma-Meister entbunden. Ich jedoch, ängstlich bestrebt, alles zu vermeiden, was in chinesischen Augen als Unschicklichkeit hätte erscheinen können, bestand auf dem Kotau, obwohl er mich aus mancherlei Gründen in die lächerlichste Verwirrung stürzte. Diese Beschreibung meines damaligen Verhaltens gewinnt Bedeutung hinsichtlich dessen, was ich jetzt über die Mantras erzählen will; der springende Punkt war, daß ich jeden Aspekt dieser kunstvollen Shingon-Riten für gegeben annahm, bewegt von ihrer Schönheit und überzeugt, daß sie einen tiefen symbolischen Sinn enthielten, der mir zu gegebener Zeit schon klarwerden würde. Dies halte ich für einen besseren Ausgangspunkt, um echtes Wissen über solche Dinge zu erlangen als das Gegenteil - nämlich die vorgefaßte Meinung, daß etwas, das innerhalb der Vorstellung der eigenen Kultur als trivial oder unsinnig erscheint, notwendigerweise auch so sein muß. Geduldig lernte ich, meine Finger zu Mudras (rituelle Gesten) zu verschlingen und Mantras zu rezitieren, obgleich ich es damals nicht besser verstand, als sie mit Zaubersprüchen gleichzusetzen. Außer Ta-hai nahmen mich noch zwei andere, die ein wohlwollendes Interesse für den jungen englischen Neophyten empfanden, unter ihre Fittiche - Pun Yin-ta, den die jüngeren Mitglieder mit »Älterer Bruder« ansprachen, und ein Verwandter von ihm, der »Fünfter Onkel« genannt wurde. Mit ihrer Hilfe lernte ich gerade genug über die äußere Form der Riten, um ohne allzuviel Ungeschicklichkeit mitmachen zu können. 19
Beim Betreten des Altarraumes standen wir zuerst einem Fenster zugewandt und vollzogen einige Mudras der Reinigung, jedes mit seinem zugehörigen Mantra, das meinem Ohr ebensoviel Wohlklang bescherte, wie es meinen Geist mit Geheimnissen umhüllte. Dann verbeugten wir uns dreimal vor dem Altar bis zum Boden und ließen uns dann mit gekreuzten Beinen auf den Sitzkissen nieder. Nahe bei dem niedrigen Altar saß der erste Zelebrant (oft war es der »Fünfte Onkel«), so daß der Weihrauchbehälter und andere Kultgeräte bequem in seiner Reichweite lagen. Auf der einen Seite saßen die Musiker, die den Ritus mit Klarinette und Zimbel (vom »Älteren Bruder« gespielt), klingelnden Instrumenten und einer Trommel begleiteten. Der Haupt-Ritus, der mit einem melodiösen Lobgesang begann und mit einem Mantra endete, dauerte gut eine Stunde. Einige Passagen der Liturgie wurden gesungen; andere, einschließlich der Mantras, wurden ebenfalls gesungen oder intoniert, aber in einer Weise, die eine gewisse Ähnlichkeit mit den Gesängen bei bestimmten katholischen oder orthodoxen Zeremonien hatte. Die Mantras, die im allgemeinen drei, sieben, einundzwanzig oder hundertacht Mal rezitiert wurden, je nach ihrer Länge, waren alle in der eigenartigen Sprache abgefaßt, die weder Chinesisch noch echtes Indisch war und von der ich bereits ein Beispiel zitiert habe. Sie wurden begleitet von komplizierten Gesten, von den anderen mit liebenswürdiger Anmut gestaltet, während meine Finger, die nicht über die chinesische Geschmeidigkeit verfügten, jene Unbeholfenheit verrieten, die ich empfand. Die Liturgie war so schön, daß ich, auch wenn ich nichts von ihrer Bedeutung verstand, freudig die Qual der Krämpfe in meinen Waden hinnahm. So jämmerlich der Schmerz mich in einer anderen Situation beeinträchtigt hätte, hier saß ich in Faszination versunken bis zu dem Augenblick, in dem ich mich irgendwie auf meine Füße hochrappeln mußte, um das abschließende dreifache Niederwerfen zu vollziehen. Ich wollte, ich könnte einen klaren Bericht über die innere 20
Bedeutung solcher Riten geben und über das, was auf die Gesichter der anderen Teilnehmer den Ausdruck von Menschen zeichnete, denen eine tiefgreifende spirituelle Erfahrung zuteil wurde. Aber leider konnte ich an diesen Sitzungen nicht lange genug teilnehmen, um zu einem intuitiven Verständnis zu gelangen; und obwohl meine Freunde ihr Bestes taten, um mir den Text der Liturgie zu erklären, war meine Kenntnis der chinesischen Sprache (oder besser, des kantonesischen Dialekts, der in Hongkong gesprochen wird) zu gering, als daß ich großen Erfolg damit hätte haben können. Der »Fünfte Onkel« und die anderen versuchten geduldig, mich in ihrem köstlich akzentuierten Englisch zu unterrichten, aber das Thema war zu schwierig, und vieles von dem, was sie mir vermittelten, habe ich nicht zuletzt deshalb vergessen, weil ich später meine Beschäftigung mit reineren chinesischen (und danach auch tibetischen) Formen des Buddhismus wieder aufgenommen hatte. Der Hauptzweck der Riten lag darin, die mystische intuitive Erkenntnis zweier einander durchdringender Bereiche des Bewußtseins, des relativen und des absoluten, anzuregen; die Mantras und Mudras waren ein Teil der Hilfsmittel, und die äußeren Riten weckten eine tiefe intuitive Erfahrung, die sie symbolisierten. Eine vage Ahnung von der Macht der Mudras wurde mir durch die hundertachtmalige Rezitation einer einzigen Silbe zuteil - BRONG. An einer bestimmten Stelle der Liturgie wurde die Trommel mehrmals geschlagen, und bei jedem Schlag gaben wir mit tiefer Stimme ein BRONG von uns. Was dieses Wort bedeutet und wie man es in Sanskrit aussprechen würde, weiß ich nicht, aber die Wirkung seiner rhythmischen Rezitation war ganz außergewöhnlich. BRONG! BRONG! BRONG! Während diese hundertacht Schreie nachhallten, breitete sich eine übernatürliche Stille aus. Mein Geist, der nun die Schmerzen in den Beinen völlig vergessen hatte, schwang sich auf in höhere Regionen und gelangte in einen Zustand glückseliger Klarheit. 21
Dieser Übergang, den mein Bewußtsein in kleinerem oder größerem Ausmaß auch bei andern Mantras erleben sollte, ist etwas, das man nur durch eigene Erfahrung verstehen kann; es kann nicht in Worte gefaßt werden. Damals war das so neuartig und in gewisser Hinsicht so niederschmetternd, daß die Rückkehr zu einem normalen Bewußtseinszustand ein wenig von jenem Entsetzen begleitet war, das jemand empfinden mag, der vom Rande einer ungeheuerlichen Tiefe zurücktritt! Keines der anderen Mantras, die wir bei solchen Sitzungen rezitierten, übte eine besonders bemerkenswerte Wirkung auf mich aus, und so kam ich zu dem Schluß, daß die Magie nicht im Mantra, sondern in den Trommelschlägen lag - ein Mißverständnis, das erst viele Jahre später behoben wurde. Wann immer ich Ta-hai, der kaum Englisch sprach, nach der Bedeutung, dem Zweck oder der Wirkungsweise der Mantras befragte, überließ er es dem »Fünften Onkel«, es zu erklären. Wir hatten bereits eine Unterhaltung über dieses Thema gehabt, die etwa folgendermaßen verlaufen war: »Onkel, im fa [Ritus] gibt es einige Teile, die man, soviel ich weiß, chou [Mantras] nennt. Ihre Rezitationsweise ist seltsam, selbst die Sprache klingt kein bißchen Chinesisch. Ist es etwa Japanisch?« Während er breit lächelte und seine Augen vor Vergnügen tausend Fältchen bekamen, dachte er einen Augenblick nach und ließ dann ein so greuliches Wort wie »Hongkanjapchinsanskesisch« vernehmen, worauf ein jeder in Hörweite nach einem Moment der Verdutztheit in Gelächter ausbrach. »Was in aller Welt soll das heißen?« fragte ich. »Haha. Es heißt, Laute, die du hörst, sind hongkong-kantonesische Art zu sprechen Master Lais Kantonesisch-Japanisch, wenn liest chinesische Worte, aufgeschrieben vor tausend Jahren, damit wir wissen, was für Laute indische Mönche machen, wenn gebrauchen Sanskrit-Mantras! Vielleicht Geister von indischen Mönchen erstaunt, wenn kommen hierher und hören uns jetzt. Vielleicht nicht erkennen ein Wort, eh, Ah Jon?« 22
Wie das so ist, beinhaltete Onkels kleiner Scherz einen wichtigen Grundsatz, über den ich mir viele Gedanken gemacht habe, als ich dieses Buch vorbereitete. Es wurde so oft schon die Meinung vertreten - und sogar von klugen Leuten -, daß die Wirkungskraft eines Mantra auf den »Schwingungen« beruhe, die es ausstrahle, und darum eine äußerst genaue Aussprache erfordere. Wäre das tatsächlich so, so könnten die Sanskrit-Mantras, die von Chinesen, Tibetern oder Japanern rezitiert werden, schwerlich wirkungsvoll sein, da die Laute, die man von ihnen hört, oft nicht als Sanskrit zu erkennen sind. So wird etwa SVÄHÄ in Sanskrit zu SOHA im Chinesischen und Tibetischen, und zu SAWAKA im Japanischen. Ähnlich wird AUM zu OM, UM und sogar zu UNG, ONG oder ANG in verschiedenen Sprachen und Dialekten, und dennoch behalten sie wunderbarerweise ihre Wirksamkeit, wenn die geistigen Bedingungen, unter denen die mantrischen Silben gebraucht werden, in der rechten Weise beachtet werden. Daraus folgt, daß man Lama Govindas Erklärung der Wirkungsweise akzeptieren muß, daß die eigentliche Kraft der Mantras weniger in ihrem Klang liege als im Geist dessen, der das Mantra gebraucht. Dies ist ganz unzweifelhaft der Fall bei Mantras, die im Ablauf der Yoga-Kontemplation verwendet werden, obwohl es möglicherweise weniger auf die Mantras zutrifft, die man für gewisse andere Zwecke benützt. Als ich das nächste Mal mit dem »Fünften Onkel« über dieses Thema sprach, wollte ich eine Frage stellen, die jene, die nichts von der Wirkungsweise der Mantras wissen, gerne mit ganz gehöriger Geringschätzung zu stellen pflegen. »Onkel, wie können Wörter, die nicht einmal für denjenigen einen Sinn haben, der sie ausspricht, zu irgend etwas gut sein, geschweige denn, daß sie ihn auf seinem spirituellen Weg unterstützen könnten? Man kann doch sicher nicht annehmen, daß übernatürliche Kräfte nur jenen antworten, die sich in einer speziellen Sprache an sie wenden?« 23
Diesmal lächelte er nicht. Er suchte nach einer Möglichkeit, seine Gedanken auf Englisch auszudrücken, und antwortete ernsthaft: »Wörter mit Bedeutung gerade gut für gewöhnlichen Gebrauch - nicht viel Macht, und kommen dir in den Weg wie Felsen, die Boot kentern lassen. Wörter mit viel Macht zeigen nicht wirkliche Bedeutung - am besten vergessen Bedeutung und Geist frei halten.« Ich bezweifle, daß ich ihn damals richtig verstand, aber heute weiß ich, daß er etwas von dem tiefen Mysterium zu offenbaren versuchte, das der Sache zugrunde liegt. Vorerst blieb mir nichts anderes übrig, als weiterhin die weise Klugheit meiner Freunde auf Treu und Glauben hinzunehmen und auf die Wirksamkeit der Mantras zu vertrauen. Dies tat ich noch viel bereitwilliger, nachdem ich die Gelegenheit hatte zu entdecken, daß der »Fünfte Onkel«, weit entfernt davon, sich auf blinden Glauben oder Hörensagen zu verlassen, in seiner Art ein Experte war. Durch den Gebrauch mantrischer Riten hatte er einen außerordentlichen Sieg über einen der furchtbarsten Dämonen der Menschheit davongetragen! Wie ich ausführlich in meinem ersten Buch Rad des Lebens beschrieben habe, hatte er sich vor kurzem selbst von einer lebenslangen Opiumsucht mit hohen täglichen Dosen geheilt, ohne Zuflucht zu medizinischer Hilfe oder zu der Methode des schrittweisen Entzugs zu nehmen; indem er die Droge plötzlich und vollständig absetzte, hatte er sich gänzlich auf die Hilfsquellen seines eigenen Geistes verlassen, und was ihn aufrechthielt und stärkte, war der Vollzug von YogaRiten, mehrere Stunden lang jeden Tag, über einen Zeitraum von einigen Monaten hin. Während dieser ganzen Zeit blieb er taub für die Vorhaltungen seiner besorgten Verwandten, die ihm versicherten, daß seine strikte Weigerung, sich in ärztliche Behandlung zu begeben, ihn das Leben kosten würde. Die entsetzlichen Auswirkungen des plötzlichen Entzuges bei starkem und über lange Zeit sich erstreckendem Gebrauch von Opiaten sind inzwischen so weitgehend bekannt, daß dieses Meisterstück 24
des »Fünften Onkels« heute sicherlich mit größerer Bereitwilligkeit gewürdigt wird als damals, als das frühere Buch erstmals erschien. Besonders bei älteren Leuten erweisen sich solche Auswirkungen, auch wenn sie in klinischer Behandlung abgeschwächt werden, als verhängnisvoll. Kaum weniger bemerkenswert ist die Tatsache, daß trotz der Schockwirkung auf sein Nervensystem, die auf einen plötzlichen Entzug nach mehr als dreißig Jahren Suchtbefriedigung erfolgt sein muß, der Onkel seine Gesundheit völlig wiedererlangte und danach von jeglichem Verlangen nach der Droge befreit war. Einmal, als wir den Abend mit einer Gesellschaft von Freunden in einem taoistischen Tempel in den Bergen von Kwangtung verbrachten, schlug jemand, der nichts von Onkels Vergangenheit wußte, vor, daß wir uns den Abend mit ein wenig Opium versüßen sollten, woraufhin ein Tablett mit Gerätschaften hereingebracht wurde; und der Onkel lag einige Stunden lang neben der Lampe und stopfte für einen nach dem anderen eigenhändig die Pfeife. Da lag er mit einem leichten Lächeln, während die Rauchwolken mit ihrem einst für ihn so verführerischen Duft über der Liege schwebten; vollkommen gleichmütig redete er über dies und das, während seine Finger den silbernen Spieß drehten, auf dem die aufgereihten Opiumkügelchen über der Lampe erhitzt wurden, in stiller Heiterkeit und unbewegt von dem, was für andere in seiner Situation eine bei weitem qualvollere Versuchung gewesen wäre als für einen geheilten Alkoholiker eine offene Bar ohne jemanden, der ihn zurückgehalten hätte. Als wir, heimlich beschämt darüber, daß wir es zugelassen hatten, ihn solch einer Prüfung zu unterziehen, unserer Bewunderung Ausdruck gaben, erzählte er uns lachend, daß sein eigener Altarraum die beste aller Kliniken und die Kraft der Mantras die beste aller Medizinen gewesen seien. Um zu jenen früheren Gesprächen zurückzukehren, so kam eine Zeit, da mein westlich erzogener Geist sich dagegen auf25
lehnte, die Vorstellung, daß »sinnlose Worte mit Macht erfüllt sein können«, zu akzeptieren. Je mehr ich über jene Passagen der in verfälschtem Sanskrit rezitierten Liturgie nachdachte, desto mehr hatte ich das Gefühl, daß mit ihnen ein starkes Element der Selbsttäuschung verbunden sein mußte. Dann versetzten mich eines Abends die mantrischen Rezitationen im Altarraum in einen merkwürdig gehobenen Zustand, der nicht allein auf den sinnlichen Reiz zurückzuführen war, der von der unheimlichen Musik ausgelöst wurde, und der auch nicht allein dem eintönigen Singsang und dem Geruch des SandelholzWeihrauchs zugeschrieben werden konnte. Wie üblich blieben einige von uns nach dem Ritus auf der Veranda und unterhielten sich ruhig. Jemand sagte, als er meine gehobene Stimmung bemerkte, anerkennend: »Ah Jon fängt an, seinen Weg zu finden.« Die anderen lächelten, aber ich sagte: »Merkwürdig! Die Riten sollen uns helfen, einen Zustand zu erreichen, in dem wir eine gewisse Wahrnehmung der eigentlichen Natur unseres Geistes erlangen - eines Geistes, der nicht euer oder meiner ist, sondern das Spiel des unbegrenzten Tao. Jetzt gerade schien das so zu sein, aber es könnte auch die Wirkung all dieser Schönheit gewesen sein, oder die Versunkenheit der Menschen um mich herum hat mich davongetragen.« Freundschaftlich fragten sie mich weiter aus, und irgendwie geschah es, daß ich mit meiner Meinung herausplatzte, daß Mantras und Mudras nicht mehr tun könnten, als ein bereitwilliges Gefühl für das Mysterium des Ritus hervorrufen. Darauf sagte ein alter Mann, dessen Namen ich nicht mehr weiß (obwohl ich ein klares Bild seines Gewandes aus weißer schimmernder Seide vor Augen habe, das noch nicht die freundliche gelbe Tönung angenommen hatte, die mit dem Alter kommt), kurz und bündig auf kantonesisch: »Die Jungen müssen erst gehen lernen, bevor sie Meinungen über das Fliegen äußern.« Solch ein frostiger Tadel von einem, der mehr als einmal auf 26
die Ungehörigkeit hingewiesen hatte, einen Nicht-Initiierten zu ihren Riten zuzulassen, machte es unmöglich, die Sache weiter zu verfolgen; aber ein jüngerer Mann, dem es leid tat, mich so zurückgewiesen zu sehen, überholte mich auf dem Weg zur nächsten Trambahnhaltestelle und überredete mich zu einem »burn night« (ein kantonesischer Ausdruck, der so viel wie ein spätes Abendessen bedeutet) mit ihm in einem nahe gelegenen Teehaus. Über einer Schüssel Nudeln verbreitete er sich geläufig und mit Geschick über das Thema Mantra. »Gewöhnliche Leute, Ah Jon, benützen Mantras als Zauberformeln, um Glück zu haben oder Krankheit und anderes Unheil abzuwehren. Vielleicht haben sie ganz recht damit, da die Mantras oft Erfolg haben, aber ich verlange nicht, daß du das glaubst. Was ich dich bitten möchte zu glauben, ist, daß sie die größte Hilfe auf dem Weg zur Veränderung des Bewußtseins sind. Sie bewirken das, indem sie deinen Geist zur Ruhe bringen, anstatt daß er hinter Gedanken herjagt.« Er fuhr fort zu erklären, daß sie, frei von Bedeutung, nicht wie Gebete, Anrufungen usw. das begriffliche Denken förderten, und daß, da jedes Mantra in geheimnisvoller Beziehung (er konnte nicht erklären, was für eine Art von Beziehung) zu den vielen verschiedenen potentiellen Kräften tief in unserem Bewußtsein stehe (vielleicht meinte er das Unbewußte), es einen dazu bringen könne, in einen Zustand zu fallen, der auf andere Weise nur schwer zu erreichen sei. Ich kann mich nicht genau an seine Worte erinnern, aber ich weiß, daß er der erste war, der eine Vorstellung in Worte faßte, die später durch meine eigenen Erfahrungen in reichem Maße bestätigt wurde. Darum erinnere ich mich noch heute so lebhaft an diese Begebenheit. Als er mit mir auf dem Oberdeck einer Trambahn in Richtung zum Zentrum Hongkongs saß, führte er das Gespräch weiter und sagte, daß der Gebrauch von Worten mit Bedeutung bei jeder Art von religiöser Praxis nutzlos sei, da Worte das dualistische Denken förderten, welches den Geist daran hindere, in einen wirklich 27
spirituellen Zustand zu gelangen. Seine letzten Worte, die er mir ziemlich laut nachrief, da ich schon dabei war, aus der Tram auszusteigen, waren: »Leute, die mit Worten beten, sind noch Anfanger. Tu's nicht!« Einige Passagiere, die Englisch verstanden, warfen ihm einen Blick zu, als ob sie ihn für ein bißchen verrückt hielten, und ich selbst war völlig fassungslos über sein ganz unchinesisches Ungestüm, aber ich weiß heute, daß er überaus weise war. Die Englischkenntnisse des »Fünften Onkels« reichten, wenn sie auch für die meisten Zwecke vollauf genügten, nicht aus, um mich mit Sicherheit wissen zu lassen, wie er über Mantras dachte, aber ich stelle mir vor, daß er ebenfalls glaubte, der Klang mantrischer Silben beschwöre entsprechende Regungen in den Bewußtseinstiefen dessen, der die Mantras gebraucht. Dieser Nachdruck auf dem Klang war besonders verwirrend angesichts seines Scherzes über »Hongkanjapchinsanskesisch«. Ich frage mich, ob er mehr einen »ideellen Klang« meinte - etwa eine geistige Vorstellung von dem Laut OM - als den speziellen Klang, der von den Lippen eines jeden Individuums geformt wird. Unglücklicherweise starb der »Fünfte Onkel« viele Jahre bevor sich mir diese Frage zum erstenmal stellte. Etwa einen Monat nach dieser denkwürdigen Trambahnfahrt erhielt ich die erste der zwei wichtigsten Shingon-Initiationen, die jedoch weniger Nutzen brachte, als ich erhofft hatte; das esoterische Ritualbuch, zu dem ich nun Zutritt hatte, war natürlich chinesisch geschrieben, und ich konnte selbst mit Hilfe meiner englischsprechenden Freunde nicht viel damit anfangen. Und, was noch dazu kam, mein Studium des Shingon endete plötzlich, weil ich von Ta-hais unversehens erwachter Begeisterung für einen anderen Zweig des esoterischen Buddhismus angesteckt wurde - das Vajrayana. Dieses neue und faszinierende Studium hatte viel mit Mantras zu tun, aber bald behinderte mich wieder die Schwierigkeit der chinesischen Texte. In der nächsten Zeit war das einzige, was mich davor zurück28
hielt, wieder in den völligen Unglauben gegenüber der Wirksamkeit der Mantras zurückzufallen, mein Vertrauen in die Weisheit Ta-hais, des »Fünften Onkels« und der anderen. Es wäre anmaßend von einem jungen Mann aus einer für sie fremden Kultur gewesen, irgendeine der Überzeugungen solch weiser Menschen einfach von sich zu weisen. Von den Shingon-Mantras, die ich damals lernte, lautete eines folgendermaßen: ONG KALO KALO SENDARI MATONGI SAWAKA. Ich entsinne mich nicht, welchem Zweck es dient, aber es hat sich als eigenartig wirkungsvoll erwiesen, um Furcht und Hysterie bei anderen zu beschwichtigen. Wäre die Wirkung der Mantras auf die Kraft des Beruhigens und Heilens beschränkt, so wären sie in spiritueller Hinsicht von nicht größerer Bedeutung als die Sprüche der Weißmagier; aber ich weiß, daß meine Freunde der Überzeugung waren, daß es diese und jene Mantras gibt, in aufsteigender Ordnung vom Heilmittel für Krankheiten bis zu einem verschleierten Gipfel jenseits aller Vorstellungen, außer in der Erfahrung vollendeter Mystiker. Natürlich wurden die großen Mantras nicht an die Neophyten weitergegeben - man braucht keinen Traktor, um eine Ameise zu zerquetschen, und einen Wal harpuniert man nicht mit einem Zahnstocher! Kurz bevor ich Hongkong verließ, um nach China weiterzureisen, eröffnete mir ein Ereignis von größter Bedeutung - obwohl ich zu jener Zeit noch nicht viel Bedeutung darin sah den Weg zu wertvollem Wissen über die Yoga-Kontemplation einschließlich der mantrischen Methoden und vielem anderem, was mir mehr als zwanzig Jahre später von großem Nutzen war. Dies war meine erste Initiation in die Vajrayana-Sekte, die lange Zeit die Hochburg yogischer Weisheit gewesen war, die vor fast zweitausend Jahren in Indiens großer Mönchsuniversität, Nalanda, ihre Entstehung hatte. Als Ta-hai ziemlich plötzlich damit anfing, in mich zu dringen, daß es das beste sei, irgendwo anders als in der Shingon-Sekte nach Methoden zu suchen, mit 29
denen man rasche mystische Verwirklichung erzielen konnte, kamen meine Studien der Shingon-Lehre von den zwei einander durchdringenden Bereichen des Bewußtseins, des Garbhadhatu (Relativer Bereich) und Vajradhatu (Absoluter Bereich) zum Stillstand. Meines Freundes Begeisterung für etwas, das er (zu Recht, meine ich) für den reicheren und vielfältigeren Schatz yogischen Wissens hielt und das sich im Besitz der tibetischen Lamas befand, riß mich mit fort, obwohl dies Erstaunen und eine gewisse Mißbilligung bei meinen Freunden hervorrief. Damals war das Vajrayana in Hongkong und dem südöstlichen China ganz allgemein so gut wie unbekannt, wogegen es im Norden zweimal weite Verbreitung gefunden hatte, einmal unter der Mongolenherrschaft (1280-1368) und dann noch einmal in der Ta Ching-Dynastie, die von den Mandschus errichtet worden war (1644-1911). Inwieweit bereits frühere Studien meinen Freund in diese Richtung geführt hatten, weiß ich nicht; was die Sache jedoch vorwärtsbrachte, war die Ankunft eines berühmten tibetischen Lama in Hongkong, der selbst in chinesischer Sprache lehren konnte, anstatt mittels eines (oft untauglichen) Übersetzers. Das war damals wie heute eine seltene Leistung. Auf Ta-hais Drängen hin gab der Lama nach und entschloß sich, lange genug in Hongkong zu bleiben, um eine Gruppe von chinesischen Laien zu unterrichten, die, da sie bereits in der buddhistischen Lehre und der Yoga-Praxis gut bewandert waren, bald für eine allgemeine Initiation vorbereitet werden konnten, die sie ermächtigte, die Yoga-Methoden, welche er lehrte, auch nach seiner Abreise nach Lhasa auszuführen. Noch einmal wurde der junge Engländer Ah Jon dank Ta-hais liebevoller Bürgschaft in einen Kreis von Mystikern aufgenommen, obwohl er weit davon entfernt war, dieser Ehre würdig zu sein. Nachdem Ta-hai die Erlaubnis des Lama erhalten hatte, daß ich mitmachen durfte, verkündete er voller Begeisterung auf kantonesisch: »Die Shingon-Lehren, die Meister Lai vom Berge 30
Koya mitgebracht hat, sind zwar wertvoll, enthalten aber weniger als den zehnten Teil von dem, was wir von unserem tibetischen Lama lernen!« Über diesen Punkt waren die Mitglieder des »Waldes der Einsiedler« allerdings geteilter Meinung; einige besuchten eifrig den Studienkurs des Lama; andere, einschließlich des »Fünften Onkels« und des »Alteren Bruders«, hielten sich nachdenklich abseits. Der Unterricht ging wochenlang Tag und Nacht voran. Behindert durch sprachliche Probleme und durch meine Arbeit - ich hatte angefangen, in einer Schule am entlegenen Ende der Kowloon-Halbinsel zu unterrichten machte ich wenige Fortschritte. Trotzdem wurde mir gestattet, die Initiation zu empfangen, die den Höhepunkt unserer Studien bildete. Der Lama war ebenso wie Ta-hai von Freude erfüllt, daß er einem westlichen Buddhisten (eine seltene Spezies im damaligen China) begegnet war. Einer wie der andere gestanden sie mir beispiellose Privilegien zu. Der Lama, der meine bescheidenen Einwände mit einem Lächeln beiseite schob, bemerkte, daß er, auch wenn es noch vieler Jahre bedürfe, bevor ich von der Initiation tatsächlich Gebrauch machen könne, in meinen Geist »einen Samen gelegt« habe, von dem man sicher sein dürfe, daß er zur rechten Zeit aufgehen würde. Vom heutigen Standpunkt aus betrachtet liegt die Wichtigkeit dieser Initiation darin, daß sie mich - abgesehen von dem Umstand, mir den Weg zum Studium des Vajrayana geöffnet zu haben - davor bewahrte, mich wachsender Skepsis gegenüber den Mantras zu überlassen, denn der Lama wirkte in dieser Hinsicht auf mich sehr überzeugend. Obwohl ich pflichtgetreu die Sanskrit-Mantras in ihrer tibetischen Gestalt wiederholte, die für die Initiation erforderlich waren, konnte ich nur wenig mehr als einen wehmütigen Halbglauben an ihre Macht über den Geist aufbringen. Bald nach der Abreise des Lama fuhr ich ins eigentliche China, das ich viele Jahre lang durchwanderte, wobei ich hin und wieder einen Lehrerposten annahm, wenn ich gerade kein Geld hatte, und oft wochen- oder monatelang in bud31
dhistischen oder taoistischen Klöstern lebte. Von Zeit zu Zeit kehrte ich nach Hongkong zurück, um meine Freunde zu besuchen. Nun ja, es ist Jahre her, seit der »Fünfte Onkel«, Ta-hai und der »Ältere Bruder« einer nach dem anderen dahingingen. Obschon ich besonders Ta-hai mein bleibendes Interesse für die Yoga-Kontemplation verdanke, stehe ich doch bei ihnen allen in größter Schuld. Es würde mich freuen, zu wissen, daß meine Schriften über den chinesischen und tibetischen Buddhismus eine nicht ganz wertlose Blüte der Lehren darstellen, die sie mitsamt vielen anderen Freundlichkeiten über Ah Jon ausgegossen haben, einen jungen Engländer, der mit leeren Händen zu ihnen gekommen war.
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2 DIE VERLORENE TRADITION
Vorbei waren die Abende mit den. weißgekleideten Gestalten, in goldenem Licht gebadet, verzückt die mantrische Silbe BRONG intonierend. Ich war in eine andere, wenngleich nicht völlig unähnliche Welt eingetreten, in der meine Begleiter chinesische Mönche waren, schwarz gekleidet und mit geschorenem Kopf. Es war die Stunde vor der Dämmerung, und die Szenerie war eine große Tempelhalle mit doppelreihigen, geschwungenen Dächern, die sich inmitten der blumenverzierten Höfe eines Klosters erhob. Auf dem hohen Altar flackerten unzählige Kerzen und beschienen drei große vergoldete Statuen die Buddhas der Drei Welten; noch war die Halle mit ihren prachtvoll bemalten Säulen und Dachbalken dunkel; sie war zu groß, als daß das Licht mehr vermocht hätte, als die Gesichter der Menge von Gläubigen hervorzuheben. Ihre schwarzen Mönchsgewänder verschmolzen mit der sie umgebenden Dunkelheit, so daß die blassen Gesichter zeitweise denen körperloser Geister glichen. Bisher waren die Mönche um den Altar geschart gewesen, doch jetzt hatten sie sich umgewandt und standen in zwei dichten einander gegenüberstehenden Reihen zu beiden Seiten des Mittelgangs, der vom Altar zu dem massiven Eingangstor führte. Da ich bei der rechten Gruppe stand, konnte ich den Ausdruck derer beobachten, die sich auf der linken Seite befanden. Der Vorsänger neben mir führte ein Schlagholz, das wie eine Lotosknospe geformt war, die aus einem Stiel hervorwuchs, und schlug einen mantrischen Rhythmus auf der »Holzfischtrommel«, einem riesigen abgerundeten Holzblock, 33
der wegen einer gewissen Ähnlichkeit mit einem Fischkopf so genannt wird; und hin und wieder akzentuierte ein anderer Mönch den Gesang, indem er eine große Klangschale aus Bronze anschlug. Zu dieser eintönigen Begleitung intonierte die Versammlung ein langes Mantra in einer Sprache, die man nicht mehr als Sanskrit erkennen konnte. Doch wie ich heute weiß, beruhte seine Wirkung nicht ausschließlich auf dem begrifflichen Sinn der heiligen Silben. Die Woge des Klanges war zweifellos erhebend; in diesem Dahinströmen der Töne wurde mein Geist hoch oben auf Flügeln des Nicht-Denkens geboren, dank der Macht eines alten Mysteriums, und in mir erwachte der Wunsch, meine Stimme unter die der anderen zu mischen. In solcher Umgebung war es verzeihlich, daß ich der Meinung war, die alte mantrische Tradition wäre noch lebendig. Dem war nicht so. Zu meinem Glück war nicht das Interesse für Mantras der Grund, der mich dazu brachte, mich für einen langen Aufenthalt in diesem Kloster einzurichten. Ich war nach China gekommen, um zu untersuchen, welche altehrwürdigen Lebensweisen den Ansturm der Neuerungen aus dem lauten Westen überlebt hatten, und ich war begierig, irgend etwas zu finden, das für meine spirituelle Entwicklung von Wert sein konnte. Die Mantras waren bei all ihrer Faszination in diesem Zusammenhang nicht so wichtig, und so war ich nicht allzu niedergeschmettert durch die Entdeckung, daß in China nur noch kümmerliche Reste der alten mantrischen Tradition übriggeblieben waren, wahrscheinlich, weil die Esoterische Sekte (Mi Tsung), von der das Wissen über Mantras herstammt, längst ausgestorben war. Obwohl die Mantras innerhalb der seit Jahrhunderten unveränderten klösterlichen Liturgie noch einen wichtigen Platz einnahmen, betrachtete man sie eher als ein Mittel, um Glück zu erflehen, und als magische Formeln, denn als eine Hilfe für die spirituelle Entwicklung. Die folgende ist eine von unzählig vielen Geschichten, die ich hörte und die diese Überzeugung bekräftigten: 34
Eines Abends, bald nach meiner Ankunft im Kloster, streifte ich mit Su Ting, einem jungen Mönch, der sich mir zum Berater und Gefährten angeboten hatte, durch die umliegenden Wälder. Zufällig hatte er von der Macht der Mantras gesprochen und sagte, als er mich etwas skeptisch sah, mit Wärme: »Sind alle Menschen des westlichen Ozeans so schwer zu überzeugen wie du? Wie seltsam! Du mußt nur deine Augen und Ohren ein wenig gebrauchen, um solche Dinge selbst zu entdecken. Erinnerst du dich an Hui Ting, den Mönch, dem du das Gebäck gereicht hast, als er sich mit den anderen Pilgern zur Goldenen Pagode in Burma auf den Weg machte? Er hätte es dir sagen können. Vor einigen Jahren, als er noch ein Schuljunge in seinem Geburtsort Mengtse war, hatte er einen Freund namens Kao, den Sohn eines Kaufmanns. Als der junge Hui Ting sich schließlich entschied, >sein Zuhause zu verlassen< (d. h. Mönch zu werden), hielt Kao ihn für verrückt und rief die Nachbarn zusammen, sie sollten nicht erlauben, daß ein vielversprechender junger Mensch sein Glück wegwerfe für >eine Menge abergläubischen Unsinnsjungen Chang aus Mengtse< bringen solle. Chang ist ein sehr häufiger Name, und selbstverständlich tragen wir, die wir das Zuhause verlassen haben, unsere früheren Namen nicht mehr, und so dauerte es einige Zeit, bis wir herausfanden, daß er Hui Ting meinte. Unser Besucher war, wie du wohl schon geahnt hast, Kao. Sobald die beiden allein waren, bemerkte Hui Ting: >Du hast dich verändert, alter Freund. Ich kann nicht sagen, daß du besonders gut aussiehst. Du bist dünn geworden. Früher pflegten deine Wangen so rosig wie die der Kriegsgötter zu sein, jetzt.. .< 35
>Du hast recht, kleiner Glatzkopf. Was sonst sollte mich zu diesem Stall voller irregeleiteter Eunuchen führen? Ich war krank. Die Ärzte waren mir keine Hilfe, und so bin ich als letzter Ausweg zu dir gekommen, für den Fall, daß an deinem heiligen Unsinn irgendwas dran ist. Du hattest eine ganze Menge Verstand, was mich annehmen läßt, daß du einen guten Grund gehabt haben mußt, um gar so wild danach zu sein, auf die Freuden dieser Welt zu verzichten. Als Junge hattest du ein Auge für hübsche Mädchen; jetzt kannst du dir nicht mal eine Frau nehmen, ganz abgesehen vom Spiel mit den süßen kleinen Dirnchen, die mit Musik und du weißt schon was geschickt umgehen können.< Hui Ting lächelte. Da er sich erinnerte, daß es der alte Kao selbst war, der sich mit Kurtisanen eingelassen hatte, war er nicht im geringsten schockiert über die Art und Weise des Freundes, die Dinge darzustellen. >Kümmere dich nicht um meine Probleme - sie sind nicht so, wie du denkst. Was hat dich dazu veranlaßt, zu dieser Stunde in einer kalten Winternacht an unser Tor zu klopfen ?< Kaos Geschichte war die, daß er vor einem oder zwei Jahren seine Frau allzu plötzlich ins Reich der Geister befördert hatte. Indem sie ständig auf seinen Treulosigkeiten herumritt, hatte sie ihn schließlich so sehr gereizt, daß er sie verprügelte, und als ein Schlag sie rückwärts taumeln ließ, fiel sie mit dem Kopf gegen die Eckkante eines schweren Tisches. Die Verletzung, verschlimmert durch das bösartige Gift des Hasses, hatte kurz darauf zu ihrem Tod geführt. Doch das war nicht alles. Sie war kaum in ihrem Sarg, da begann Kao an heftigen Kopfschmerzen genau in dem Teil seines Kopfes zu leiden, an dem sie ihre tödliche Verletzung erhalten hatte. >Ihr Geist greift nach mirIch kann nicht arbeiten. Ich kann nicht ruhen. Ich habe meinen Laden aufgegeben, und das Geld, das ich dafür bekam, wurde von einer Rotte unfähiger Ärzte verschlungen. Jetzt sagen sie, ich hätte einen 36
unheilbaren Tumor. Wenn Euer Hochwürden nicht ein Heilmittel dagegen wissen, so bin ich erledigt. Der Tod selbst wäre nicht so schlimm, aber stell dir vor, diesem feindseligen Gespenst in der Welt der Geister zu begegnen !< Hui Ting war kein Arzt und wußte nicht, was tun. Er wollte helfen, aber wie? Seine einzigen Fähigkeiten lagen in der Meditation. Alles, was ihm einfiel, war, den machtvollen Wunsch für seines Freundes Genesung in sich entstehen zu lassen und den Buddha der Heilung anzurufen. Dies erwies sich als unerwartet wirksam. Als er in einen Zustand der Stille eingetreten war, öffnete er kurz darauf die Augen, und als er das tat, hörte er eine Stimme, die von seinen eigenen Lippen kam und sagte: >Geh zurück nach Mengtse. Steh jeden Tag vor Dämmerung auf. Schütze dich gegen die Kälte und gehe zu dem Teich auf dem Grundstück des Tempels der Mitleidsvollen Kuan Yin im östlichen Bezirk der Stadt. Richte deinen Blick auf das Wasser und rezitiere das Mantra, das ich dich lehren werde, mehrere tausend Male jeden Morgen. Die ersten Zeichen des Erfolges werden die Erscheinung von Wellen auf dem Wasser sein, so als hätte man einen Stein hineingeworfen, begleitet von einem Nachlassen der Schmerzen. Wenn du dich richtig konzentrierst, werden diese Wellen, die dein Geist erzeugt hat, jeden Tag deutlicher werden. Fahre damit fort, bis die Gnadenreiche selbst sich manifestiert, indem sie sich aus der Mitte der konzentrischen Wellen erhebt. Wenn dies geschieht, so grüße sie demütig und geh weg. Es wird keine Notwendigkeit mehr bestehen, wieder dorthin zu gehen. < Kao tat, was die Stimme verlangt hatte. Innerhalb weniger Tage ließen seine Schmerzen nach, und obwohl er sich einmal erkältete, weil er geduldig während eines leichten Schneesturms am Teich sitzen blieb, hielt er durch, bis die mantrischen Silben, die mühelos seinem Geist entströmten, runde Wellen erzeugten, wie es prophezeit worden war. Am fünfzehnten Tag des zweiten Mondes sah er, wie ein weißer Fisch aus der Mitte der 37
Wellenkreise sprang, für die Dauer von drei Gongschlägen in der Luft verharrte und sich als strahlende Gestalt manifestierte, in Haartracht und Kleidung aus reinem Weiß und nicht größer als ein neugeborenes Kind. Kao verneigte sich dreimal zur Erde und lief voller Freude nach Hause. Die Heilung war vollkommen, und jetzt kommt er jedes Jahr zum Geburtstag der Mitleidsvollen Kuan Yin, um an den Feiern teilzunehmen und unserer Bruderschaft Geschenke zu bringen.« Su Ting versicherte mir, daß die Wellen auf dem Teich und die Erscheinung des Mitleidsvollen Bodhisattva in Miniaturform objektive Phänomene seien, die durch das Mantra in Verbindung mit der starken Konzentration in Kaos Geist hervorgerufen wurden. Wenngleich nicht überzeugt, wies ich die Möglichkeit, daß Su Ting recht hatte, nicht gänzlich zurück. Jetzt bin ich sicher, daß er recht hatte, da Mantras, wenn sie mit tiefer Ernsthaftigkeit rezitiert werden, kreative geistige Kräfte erschließen, deren wir uns normalerweise nicht bewußt sind. Außerdem illustriert die Geschichte die Vorliebe der Chinesen für einen Aspekt der Mantras, der nur von untergeordneter Bedeutung ist. Geschichten dieser Art machten mich natürlich doppelt neugierig auf die Mantras, die einen Teil der klösterlichen Liturgie darstellten, die in ganz China gebraucht wurde, ungeachtet, ob es sich nun um ein Kloster der Ch'an-Sekte (Zen), der Ching Tu-Sekte (des Reinen Landes) oder irgendeiner anderen handelte. Es erwies sich als schwierig, viele Informationen über diese Angelegenheit zu erhalten. Die älteren Mönche, an die ich mich wandte, taten meine Fragen im allgemeinen damit ab, daß sie sich weitschweifig über die Vortrefflichkeit bestimmter devotionaler Formeln ausließen, die, wenngleich den Mantras ähnlich in der Wirkung, zu einer anderen Kategorie sakraler Texte gehörten, wie man noch sehen wird. Während in China die Mantras chou genannt werden, heißen die devotionalen Formeln nien 38
fu, was dem Sanskritwort japa entspricht. Beide führen einen kontemplativen Geisteszustand herbei, der frei ist von dualistischem Denken; aber äußerlich unterscheiden sie sich weitgehend. Denn während Mantras eine Antwort unmittelbar im Geist des Gläubigen hervorrufen, sind die »«»-/«-Formeln dem Anschein nach Anrufungen um einer göttlichen Antwort von außen willen. Dieser Unterschied gilt jedoch nur auf der Ebene der relativen Wahrheit, da es im letzten Sinne keine Trennung zwischen Innen und Außen in diesen Dingen gibt. Unser individueller Geist und der kosmische Geist werden von allen vervollkommneten Yogis als eines erkannt. Tatsächlich besteht ja auch der höchste Zweck aller yogischen Bemühungen darin, die Einheit von menschlichem und kosmischem Geist unmittelbar zu erfahren. Wenn auch christliche und sufistische Mystiker diese Erfahrung als die Vereinigung zwischen Mensch und Gott betrachten und buddhistische und taoistische Adepten dies für die Verwirklichung eines Zustandes der Einheit mit der Ursprünglichen Quelle halten, die von Anfang an nie aufhörte zu sein, so sind das doch nur begriffliche Unterscheidungen ohne letzte Gültigkeit. In der buddhistischen Praxis hat der Gebrauch der «/«/-/«-Formeln eine oberflächliche Ähnlichkeit mit theistischen Formeln, wogegen die anderen Methoden einschließlich jener, die Mantras beinhalten, in offensichtlicher Weise untheistisch sind; doch in ihrer Essenz und in ihrer Auswirkung sind sie gleich. Eine Ausführung über den liturgischen Gebrauch sowohl von Mantras wie von »/«/-/«-Formeln wird noch folgen. Täglich vor Sonnenaufgang wurde die Gemeinschaft eines jeden buddhistischen Klosters vom Widerhall einer gongartigen Bronzescheibe im Wechselspiel mit dem Donner einer gewaltigen Trommel zur Altarhalle gerufen. Die Mönche versammelten sich vor den leuchtenden Statuen der Buddhas der Drei Welten, die zum Teil so hoch aufragten, daß die modellierten Gesichtszüge und ihr geheimnisvolles Lächeln, das eine geistgeborene Seligkeit andeutete, sich im Schatten verloren; sie warfen 39
sich dreimal nieder, wobei ihre Bewegungen von den Tönen eines silbernen Glockenspiels begleitet wurden. Dann erhob sich eine feierliche Hymne als Präludium zu den Riten, in denen drei Hauptlinien zu erkennen waren: Gesänge um Segen und Inspiration (das nächste buddhistische Äquivalent zum Gebet), die Rezitation von Mantras und das Wiederholen devotionaler Formeln (nien fu), die an Amitabha, die Verkörperung des Lichtes der Weisheit, oder Avalokiteshvara (Kuan Yin), die Personifizierung des Höchsten Mitgefühls, gerichtet waren. Ein wirklich gewaltiges Mantra, dessen Rezitation nahezu dreißig Minuten dauerte, bestand aus mehr als dreitausend Silben; sein Rhythmus wurde auf der Holzfischtrommel dazu geschlagen und war eher lebhaft als langsam. Solche liturgischen Mantras wurden in einer Weise rezitiert, die zu monoton war, als daß man sie als Gesang bezeichnen konnte, doch waren sie andererseits melodiöser und abwechslungsreicher als ein Psalmodieren. Obwohl die Klangfolge ihren Ursprung in Indien gehabt haben mußte, war sie nicht mehr als indisch erkennbar. Jeder Mönch wußte die gesamte Liturgie auswendig, und obwohl die mantrischen Teile keine verständliche Bedeutung enthielten, konnte ich doch dem Gesichtsausdruck derer, die mir jenseits des Ganges gegenüberstanden, entnehmen, daß sie Entrückung bewirkten. Gewiß, es gab immer eine Handvoll Mönche, die an Husten oder Erkältung litten, und einige zappelige junge Novizen, die aussahen, als sehnten sie das Ende des Rituals herbei, aber die meisten der Gemeinschaft standen regungslos, die Augen halb geschlossen, und Beseligung lag hell auf ihren Gesichtern. Auch ich fühlte mich ergriffen von diesem Strom erhabener Klänge und wünschte, ich hätte daran teilnehmen können. Entmutigt von der Schwierigkeit, sie zu behalten, lernte ich die längsten Mantras nie; aber die meisten anderen konnte ich auswendig, einschließlich des 415 Silben langen Ta Pei Chou (Mantra des Großen Mitleids), das bei manchen Gelegenheiten einundzwanzig- oder gar hundertachtmal hintereinander wiederholt wurde. 40
Es gab dort einen alten Mönch, der auf meine Frage nach dem Ursprung der heiteren Ruhe, die durch die Mantras ausgelöst wurde, antwortete, daß es ihr Klang sei, der es auf geheimnisvolle Weise dem Geist ermögliche, seine verborgene Übereinstimmung mit dem Tao, dem Ursprung allen Seins, zu erfassen, aber diese Antwort erschien mir als zu ungenau. Ich war immer noch geneigt anzunehmen, daß die Wirkung der Hypnose entsprach und eher dem Rhythmus der Holzfischtrommel und dem melodiösen Ton der großen Klangschale aus Bronze zu verdanken war als den Mantras selbst. Andererseits war ich fähig, die Überlegenheit der mantrischen Form gegenüber dem Gebet zu erkennen, da Gebete eine begriffliche Bedeutung haben und das durch sie heraufbeschworene Denken die Stille des Geistes beeinträchtigt. Der Geist kann keinen ruhigen, ungestörten Zustand erlangen, in dem die Stille des Ursprungs widergespiegelt wird, solange er an Dualismen hängt wie »Ich, der Beter« und »Er, der Angebetete«. Das Gebet ist bestenfalls eine Vorform der mystischen Vereinigung; was Gebete betrifft, die eine Bitte enthalten, so kann wohl kaum etwas unspiritueller sein, als um Sieg oder um ein bestimmtes Wetter oder um Glück zu beten, was letztlich nur auf Kosten anderer erreicht werden kann! Daß ich die Wirkungsweise der Mantras immer noch mit etwas Ähnlichem wie hypnotischer Kraft verwechselte, war nicht erstaunlich. Westliche Menschen, die erzogen sind zu fragen, zu analysieren, werden dadurch von der mystischen Erfahrung abgehalten. Was die anderen Teile der chinesischen buddhistischen Liturgie betrifft, so war der bei weitem interessanteste die Rezitation der devotionalen Formeln - nien fu; doch gefielen mir auch die Hymnen ob ihres Reichtums an Bildhaftigkeit. Bilder wie »Buddha strahlend mit dem Licht der Goldenen Blüte«, »Buddha leuchtend mit den perlweißen Strahlen von Sonne und Mond« regen vielleicht die intuitive Realisation der mystischen Erfahrungen an, die im allgemeinen von der Wahrnehmung inneren Lichts begleitet ist. 41
Namo O-mi-to Fu (Verehrung dem Amitabha Buddha oder der Verkörperung des Unbegrenzten Lichts), die am verbreitetsten gebrauchte Formel, hat natürlich eine begriffliche Bedeutung, aber sie wurde in der Weise gebraucht, wie die orthodoxe Kirche die Jesusgebete gebraucht, das heißt als ein Mittel zur Transzendierung des begrifflichen Denkens und zur Entstehung der Vereinigung mit Dem-was-innen-ist. Die Rezitation der Formel bildete einen bedeutenden Teil des Abendrituals. Die Mönche schritten, ob sie nur eine Handvoll oder Hunderte zählten, die Schreinhalle in einer Reihe ab, glitten teils hinter den vergoldeten Statuen vorbei oder fädelten sich durch den Zwischenraum zwischen den Statuen und dem Altar, auf dem die Lampen und Kerzen flackerten. An der Spitze ging der Abt oder der erste Zelebrant, gefolgt vom Vorsänger, der den Rhythmus auf einer tragbaren Holzfischtrommel schlug, die mit goldenem und scharlachrotem Lack verziert war. Zu Beginn war die Gangart langsam, und die Stimmen verweilten auf jeder Silbe: NA-a-a-a MO-o-o^o-o O-a-a-a-a Ml-a-a-a-a TO-a-a-a FU-u-u-a-a-a. Bald wurde das Tempo schneller, die tuchbesohlten Schuhe traten heftiger auf, und die Invokation nahm an Eindringlichkeit zu. Gegen Ende zu bewegten sich die Mönche so schnell vorwärts, wie es möglich war, ohne in Laufschritt zu verfallen, wobei die Invokation zu vier rasch gesprochenen Silben abgekürzt wurde: Omito Fu, Omito Fu, Omito Fu. Dann, wenn die Inbrunst aufflammte und die Stimmen sich zu einem Crescendo erhoben, wurde die Klangschale mit einem glockenartigen Ton angeschlagen, der die Prozession zum Stehen brachte. Darauf folgte ein Augenblick der Stille, die höchstens von einem Seufzer unterbrochen wurde. Dann, KLANG! Auf dieses weitere Signal der großen bronzenen Klangschale hin eilten die Mönche mit Würde auf ihre Plätze innerhalb der Halle zurück, um die abschließenden Teile des Rituals zu vollziehen. Esoterisch betrachtet hatten sie Amitabha Buddha angerufen, auf daß er sie bei ihrem Tode in sein Reines Land aufnehmen 42
möge, wo sie sich, befreit von jeglichen weltlichen Hindernissen, auf die unbeschreibliche Seligkeit des Nirwana würden vorbereiten können. Vom esoterischen Standpunkt aus wurde das Reine Land als etwas erkannt, das innerhalb des Geistes der Gläubigen selbst erlangt werden konnte - ein Zustand der Stille, der sich plötzlich einstellte, wenn der Geist von unbeherrschtem Verlangen gereinigt und von Mitleid erleuchtet war, eine vollkommene Einheit von individuellem Geist und kosmischem Geist! Es wurde gelehrt, daß die Rezitation des heiligen Namens mit vollkommener Konzentration tausendmal, zehntausendmal am Tag, mit Geist und Lippen oder nur mit dem Geist allein, und ganz ungeachtet dessen, welche oberflächliche Aufmerksamkeit den täglichen Angelegenheiten gewidmet werden muß, das Erlangen eines heiligen Zustandes jenseits des begrifflichen Denkens fördere. Das von der hinderlichen Trennung zwischen dem Denker und dem Denken, zwischen Denken und dem Objekt des Denkens befreite Bewußtsein dehne sich aus und erfahre die Unermeßlichkeit und Erhabenheit des Absoluten Ursprungs - Amitabha, der als der Reine Geist, als Tao, als Nirwana erkannt wird. Natürlich wußte ich damals noch nichts von der inneren Bedeutung der Lehre vom Reinen Land - die Mönche in ihrer Weisheit sahen davon ab, den Novizen solch erhabene Lehren zu erläutern, und ich hatte keinen Ta-hai oder »Fünften Onkel«, die mir zu meinem Verständnis Kurzfassungen ins Ohr flüsterten. Außerdem ist es das beste, man überläßt es solch lebenspendendem Wissen selbst, sich zu eröffnen. Dessenungeachtet hatte ich es bereits fertiggebracht zu begreifen, daß sich die nien /«-Übung während der Abendandacht im wesentlichen nicht von der morgendlichen Übung der Mantra-Rezitation unterschied; in beiden wurde das Wort in einer Weise gebraucht, in der die Bedeutung transzendiert wurde. Nachdem ich seit meinem elften Geburtstag aus der Ferne von China geträumt hatte, war ich begierig, mehr und mehr 43
von dem zu sehen, was für mich ein Wunderland war. Mein rastloses Reisen führte mich zu unzähligen buddhistischen und taoistischen heiligen Stätten, einige von ihnen große Klöster, andere kleine und selten besuchte Tempel. Die Standorte waren mit einem liebevollen Blick für die Schönheit der Natur gewählt worden. Man konnte geschwungenen Dächern begegnen, mit grünen, blauen oder gelben Ziegeln gedeckt, die sich gleich denen eines Märchenpalastes aus Zedernhainen oder aus gefiederten Bambusgehölzen erhoben. Manchmal sah man ihre karmin- oder magentaroten Mauern an einem Felsgesims kleben, hoch über einem schäumenden Wildwasser, oder man entdeckte eine zierliche Pagode auf dem Kamm einer Anhöhe über einem See, die elf oder dreizehn Stockwerke widergespiegelt von der Oberfläche des Wassers. Schönheit über Schönheit! Die beeindruckenden Torbögen dieser heiligen Orte bildeten den Eingang zu einer Welt der Geheimnisse. Die eigentümlichen Küchen und Waschräume, sogar die Hütten mit den Abortgruben hatten an einer Wand oder an einem Pfeiler einen scharlachroten Papierstreifen mit einem Mantra, das jeweils zum Kochen, zum Waschen oder zum Entleeren der Blase paßte, entzückende Ermahnungen hinsichtlich der Heiligkeit jeglicher Handlung und aller Dinge, ohne daß das ausgeschlossen wird, was den Kurzsichtigen mit Ekel erfüllt. Auf diese Weise wurden die Mönche dazu aufgefordert, nicht weniger Gebrauch von der Zeit, die sie bei der Hausarbeit oder beim Waschen verbrachten, zu machen als von den Stunden, während der sie in der Meditationshalle saßen. Völlige Verneinung des Ego, bewußte Vereinigung mit dem Ursprung des Seins ist eine Aufgabe, die innerhalb eines Lebens so schwer zu erfüllen ist, daß nicht ein Augenblick verschwendet werden sollte; denn wenn die Gelegenheit versäumt wurde, wer weiß, wie viele Leben vergehen müssen, bevor man wieder auf die Bedingungen trifft, die für weiteren Fortschritt nötig sind. Dieser Art waren zumindest die Überlegungen, die ursprünglich zum Aufhängen der Mantras an 44
solch unterschiedlichen Orten geführt hatten, aber die lange Gewöhnung hatte die Kraft ihrer Botschaft abgeschwächt. Es ist die Frage, ob auch nur einer von zehn oder zwanzig Mönchen tatsächlich ein Mantra rezitierte, wenn er auf dem Abtritt hockte. Ich bedauere es heute, daß ich versäumte zu fragen, warum bestimmte Mantras als zum Waschen oder zum Stuhlgang passend empfunden wurden. Die Antwort hätte vielleicht etwas Licht auf die Frage geworfen, weshalb eine ganze Reihe von Mantras gebraucht wurde, um unterschiedlichen Umständen gerecht zu werden, während eine nien-fu-¥otme\ als für jede Gelegenheit völlig ausreichend erschien. Es gab besondere Mantras, die man zu den Essenszeiten benützte. Wenn die Mönche sich im Refektorium versammelt hatten, standen sie schweigend, während einer von ihnen den wandernden Geistern, die sich - wie man glaubte - unsichtbar über uns zusammenscharten, ein Opfer darbrachte. Mit den Eßstäbchen hob er einige Reiskörner hoch und legte sie auf einen niedrigen Steinsockel, in den ein Lotos eingeritzt war und der im angrenzenden Hof stand. Während er das tat, rezitierte er ein Mantra und verwandelte das Opfer geistig in ein großes Festmahl. Wenn ich auch nicht ganz von der Existenz dieser unsichtbaren Heerscharen überzeugt war, beeindruckte mich doch die Zeremonie. Sie gemahnte mich täglich an die buddhistische Pflicht, mit allen Arten von Wesen Mitleid zu üben, und an die Yoga-Wahrheit, daß nie etwas das ist, was es zu sein scheint, da die scheinbare Körperlichkeit der Dinge illusorisch ist und Sichtbares oder Unsichtbares gleichermaßen wirklich und unwirklich sind. Die schönste und geheimnisvollste aller klösterlichen Zeremonien war diejenige, die dazu diente, den Hunger der »Giermäuler« oder der mit Tantalusqualen gestraften Geister ehemals habgieriger Menschen zu beschwichtigen. Bei einem Todesfall war es der Brauch, daß die Angehörigen des Verstorbenen mit 45
verschiedenen Wohltaten seinen Vorrat an Verdiensten anreicherten und so einen günstigen Einfluß auf seine nächste Existenz zu nehmen versuchten. Das beinhaltete im allgemeinen freies Verteilen eines heiligen Textes, wie etwa das Diamant-Sutra, und ein Opfermahl für die »Giermäuler«. Bei dieser Zeremonie saß der amtierende Geistliche, der in ein Gewand aus Scharlach und Gold gekleidet war und den fünfblättrigen Lotoshut eines Bodhisattva trug, an der Spitze eines langen schmalen Tisches, seine Assistenten auf Hockern zu beiden Seiten und mit verschiedenen Instrumenten ausgestattet, wie liturgischen Büchern, Trommeln, Glocken und anderen rituellen Gerätschaften. Der Tisch war so plaziert, daß er sich dem Hof gegenüber befand und genügend Platz für den Wirt der unsichtbaren Gäste bot - der »Giermäuler«, mit Hälsen so dünn wie Grashalme und monströsen Kugelbäuchen, die nur ein Reiskorn oder einen Schluck Wasser zu sich nehmen mußten, um augenblicklich in Flammen aufzugehen, weshalb diese Speise zu ihrem Wohle rituell in Nektar (amrta) verwandelt wurde. Im weiteren Verlauf der Zeremonie formten die Finger des amtierenden Geistlichen eine Reihe von Mudras mit einer Anmut, die an die Gesten eines indischen Tänzers erinnerte; währenddessen intonierte er eine Flut mantrischer Silben, die von den Schlägen auf eine Holzfischtrommel und dem Klingeln einer Glocke akzentuiert wurden. Echte Adepten dieser Kunst konnten Wellen hinreißend melodiöser Klänge erzeugen. Worte können weder die Schönheit dieser Zeremonie noch die Melancholie und die heilige Scheu wiedergeben, die sie in den Herzen der Anwesenden auslöste. Die wunderschönen Bewegungen und eigenartigen Gesänge mit ihren altertümlichen Kadenzen wirkten so stark auf die Sinne ein, daß es einfach war, die Scharen gefolterter Geister zu visualisieren und ihr Wehgeschrei zu hören, während sie in qualvoller Erwartung des Nektars harrten, der ihren Hunger und Durst lindern würde. Man brauchte nicht fest an solche unsichtbare Gegenwart zu glauben, um vom 46
Drama des Ritus bewegt zu werden, da die Welt von hungrigen und notleidenden Wesen wimmelt - menschlichen, tierischen und vielleicht auch von Wesen unsichtbarer Hierarchien - im äußersten Angewiesensein auf das Mitleid, das im Geist erblüht, wenn die Yoga-Erfahrung sich entfaltet. Da diese Überreste einer einstmals reichen mantrischen Tradition nicht gerade überwältigend waren, sah ich mich bald zu dem Schluß gezwungen, daß echtes Wissen über das Wesen und die Funktion der Mantras in China selten geworden war, außer in den mongolischen und tibetischen Grenzgebieten, wo das Vajrayana noch blühte, und in einigen Städten, wo es von kleinen Gruppen Gläubiger wieder eingeführt worden war. Die Vorherrschaft der Mantras in der klösterlichen Liturgie sowohl in der Ch'an-Sekte (Zen) wie in der Sekte des Reinen Landes war ein erstaunliches und vielleicht zufälliges Überbleibsel aus den Tagen, als die erloschene Esoterische Sekte noch in ihrer Blüte stand. Möglicherweise war die Liturgie in einer Form geschaffen worden, die für alle Sekten verbindlich war, auch wenn dies zu einer Zeit geschehen sein sollte, als die Esoterische Sekte noch ihre Eigenart unter den anderen bewahrte; der dahinterstehende Gedanke mag gewesen sein, daß alle Wege zu yogischer Weisheit gefördert werden sollten. Chinesische Klöster waren Festungen der Tradition, und niemand hatte daran gedacht, die Liturgie zu verbessern; aber man begegnete kaum einem Mönch, der in der Lage war, die mantrische Überlieferung zu erklären. Da sie die erhabeneren Aspekte aus den Augen verloren hatten, waren die meisten Mönche damit zufrieden, die Mantras im Licht magischer Formeln zu sehen, geeignet, um Krankheiten zu lindern und Opfer für die Geister zu verwandeln, aber nicht von unmittelbarem Belang für diejenigen, die sich mit der großen Aufgabe der mystischen Verwirklichung befaßten. Für jeden Dharma-Meister, der bereit war, sich auch nur kurz über Mantras auszulassen, gab es eine Grenze, ab der er es vorzog, über die wundervollen Früchte der ««»-/«-Übungen oder die 47
kontemplativen Methoden des Ch'an zu sprechen. Die heitere Ruhe, die während der Rezitation der liturgischen Mantras erlebt wurde, war real genug, doch ich bin sicher, daß sie mehr aus Respekt für die Tradition beibehalten wurden, als aus dem Grunde, daß man besonders hoch von ihrem Wert als Hilfsmittel zum Fortschritt im Yoga dachte. Natürlich wurde ich von den Vorstellungen meiner chinesischen Lehrer und der Mönche, mit denen ich Wochen oder Monate an einem Ort verbrachte, sehr beeinflußt, und so kam es, daß ich ihre Haltung den Mantras gegenüber teilte und weiterhin die Wirkung, die sie auf mich hatten, eher dem eintönigen rhythmischen Gesang zuschrieb als der Kraft der mantrischen Silben selbst. Doch wann immer ich durchblicken ließ, daß ich die Riten zur Fütterung der Geister und »Giermäuler« für reizvolle Allegorien hielt, die dazu dienten, spontanes Mitleid zu entwickeln, tadelten die Mönche meinen Unglauben und bearbeiteten mich mit dem, was sie für wahre Berichte über die Wunder hielten, die von Mantras vollbracht wurden. Unter diesen Geschichten war eine, die mich nachhaltig beeindruckte, da sie, ob wahr oder nicht, zu verstehen gibt, worum es sich bei der echten Quelle der mantrischen Kraft handelt, wenn solch eine Kraft tatsächlich existiert. Ich erinnere mich nicht an den Namen des Dharma-Meisters, der dabei die Hauptrolle spielte, aber ich werde ihn Hung Kuang Fa-shih nennen. Die Geschichte ist folgende: Dharma-Meister Hung Kuang war so befähigt in der Ausführung der Riten zum Wohle der »Giermäuler« und wandernden Geister, daß die Teilnehmer tatsächlich eine Schar von Geistwesen erblickten, die sich über dem Tisch drängten, an dem er, wie ein Bodhisattva gekleidet, saß und melodisch die sakralen Worte intonierte und mit wirbelnden Fingern und fliegenden Händen die Mudras ineinanderfließen ließ. Mehr als einmal hatte man ihn sagen hören: »Unter den Bewohnern aller Universen 48
der zehn Richtungen ist niemand so schlecht, daß er des Buddha unermeßliches Mitleid verwirkt hätte. Die unter euch, die um das Wohlergehen ihrer verstorbenen Verwandten fürchten, sollen mir deren Namen zuflüstern. Selbst wenn sie solch unaussprechlicher Verbrechen schuldig sein sollten wie etwa, daß sie ihre Eltern erschlagen und ihr Fleisch gegessen haben, werde ich ihnen meine Hilfe nicht versagen. So habe ich es vor dem Antlitz des Mitleidvollen Buddha gelobt.« Selbst die Nachkommenschaft der Teufel kann von kindlicher Liebe bewegt werden, und so geschah es, daß Söhne und Töchter von enthaupteten Verbrechern und anderen Unglücklichen, die im Bösen gestorben waren, im geheimen zu diesem Dharma-Meister kamen und seine Hilfe erflehten. Niemals versagte er jemandem seine Zustimmung. Eines Nachts empfing er in seiner Einsiedelei einen jungen Mann, der gekommen war, um für seinen Vater Hilfe zu erbitten, einen unverbesserlichen Banditen, der sich nicht nur eines, sondern zweier der fünf Kapitalverbrechen schuldig gemacht hatte, die nach der buddhistischen Lehre unaussprechlich grauenhaft sind. Er hatte einen Überfall auf ein einsam gelegenes Nonnenkloster angeführt und mit seinen Spießgesellen die Nonnen vergewaltigt und ermordet und das Blut des Körpers eines Buddha vergossen, das heißt mit den Schwertern auf heilige Bildnisse eingeschlagen. Seufzend beim Gedanken an solch sinnlose und entsetzliche Bösartigkeit nahm Hung Kuang Fa-shih die Entschuldigungen des jungen Mannes an, und nachdem er seinen ersten Schüler geweckt hatte, machte er sich umgehend daran, für die Erlösung des gemarterten Geistes zu kämpfen. Während des Rituals bemerkten die anderen mit Besorgnis, daß der Dharma-Meister hin und wieder wankte, mit aschgrauen Wangen, zitternden Händen und einer Stimme, die fast zu einem Flüstern herabsank; aber jedesmal schien er sich wieder zu fangen, und das Ritual ging weiter. Der Geist des Banditenführers löste sich aus der Dunkelheit und wurde sichtbar. Da stand er, gebeugt unter 49
einer erdrückenden Last von Schuld. Es war deutlich der freudige Augenblick zu bemerken, da die Last plötzlich von ihm fiel. Unmittelbar darauf richtete die Schattenfigur sich auf und schrie, indem sie auf den Sohn starrte, mit den markerschütternden Lauten jener, die sich jenseits der Schwelle des Todes befinden: »Unglücklicher Knabe! Du hättest besser daran getan, deinen Vater ein Äon der Qual lang leiden zu lassen, als die Welt dieses heiligen Mönches zu berauben, der unzählige unglückliche Wesen vor einem finsteren Schicksal errettet hat und vor dem noch viele Jahre des Lebens lagen!« Mit diesen Worten verschwand der Geist. Der Dharma-Meister, der gegen seine Schwäche ankämpfte, sammelte gerade noch so viel Kraft, um das Ritual zu Ende zu bringen, bevor er tot in die Arme seines weinenden Schülers fiel. Zuletzt sagte dieser Mönch kummervoll zu dem entsetzten jungen Mann: »Unser Meister war befähigt, zahllose Geister durch die Macht seiner Verdienste zu erlösen. Jedes Mantra, das er sprach, jede seiner heiligen Gesten war mit der lebendigen Kraft seines unerschütterlichen Geistes erfüllt. Ohne Zweifel wußte er, daß das Befreien eines Geistes, der mit solch schlimmen Verbrechen beladen war wie Euer Vater, seinen ganzen Vorrat an Lebenskraft erschöpfen würde. Doch ehe er sein Gelübde gebrochen hätte, half er Euch freudig, wenngleich er voraussah, daß es ihn sein Leben kosten würde! Das Wenigste, was Ihr tun könnt, ist, schleunigst Mönch zu werden und Eure Jahre damit zu verbringen, Verdienste zu erwerben, um damit ein paar unglücklichen Geistern bei ihrer Wandlung zu helfen.« Dies tat der Junge, aber es war ein armseliger Ersatz für einen so unersetzlichen Verlust. Es gibt eine andere Geschichte, die ich in Erinnerung behalten habe, vielleicht weil sie, sei sie nun wahr oder nur als moralische Geschichte erfunden, ein Element der Wahrheit hinsichtlich des Wesens der Mantras enthält. 50
In der Provinz Honan lebten zwei kleine Kinder, Lao San und Lao Sze. Wie seinerzeit Konfuzius liebten es diese Kinder, die Zeremonien der Erwachsenen zu imitieren. Neben der Aufführung von »Hochzeiten«, »Begräbnissen« und »Monats-Zeremonien«, bei denen sie Puppen als einen Monat alte Babies nahmen, besuchten sie oft einen verlassenen Tempel, um sich vor dem Mitleidsvollen Buddha bis zur Erde zu verneigen. Eines Tages sprach die Statue des Buddha zu ihrem verständlichen, aber gar nicht so übermäßig großen Erstaunen zu ihnen und gab ihnen eine kurze heilige Formel, deren Silben sie sich sorgfältig einprägten, wenn sie auch nicht in der Lage waren, ihren Sinn zu erfassen. Das war ein Geheimnis, das sie für sich behielten, und wann immer sie eine ihrer kindlichen Schwierigkeiten hatten, wiederholten sie flüsternd die Silben. Im folgenden Winter geschah es, daß sie sich an einem zugefrorenen Weiher aufhielten und zusahen, wie einige ältere Kinder Schlittschuh liefen. Plötzlich geriet ein Junge näher als irgendeiner seiner Kameraden zur unsicheren Mitte des Teiches hin; das Eis brach mit einem Ton wie ein Flintenschuß und begann sich durchzubiegen. So schnell wie gedacht sprachen Bruder und Schwester ihre heilige Formel, worauf das zerbrechende Eis, über welches schon Wasser hochwallte, so lange hielt, bis der Eisläufer das festere Eis in Ufernähe erreicht hatte. Lao San und Lao Sze tanzten vor Begeisterung und schrien lauthals, daß der große Junge sein Leben den magischen Worten verdanke. Halb beeindruckt, halb spöttisch scharten sich die anderen Kinder um die beiden und verlangten eine Erklärung. »Was für magische Worte?« schrie eines, wobei es Lao Sans Arm verdrehte, bis dieser um Gnade flehte. Instinktiv wußten Bruder und Schwester, was geschehen würde, wenn sie ihr Geheimnis offenbarten, aber der Schmerz war zu groß für einen kleinen Jungen. Er schluchzte bitterlich und platzte mit der geheimen Formel heraus. Natürlich wollten die anderen Kinder eine Demonstration sehen, bevor sie ihre Opfer freigaben. Aber 51
o weh, als das Mantra einen streunenden Hund vor einem wohlgezielten Steinhagel schützen sollte, versagte es. Und es wirkte niemals mehr für Lao San und Lao Sze. Die in dieser kleinen Geschichte enthaltene Wahrheit ist, daß Adepten der mantrischen Kunst, die mit ihren Errungenschaften prahlen oder sie vor anderen demonstrieren wollen, ihre Kraft verlieren. Das ist ein sehr bedauerlicher Umstand, denn da die Erkenntnis dieser Tatsache die natürliche Bescheidenheit verstärkt, die sich mit dem spirituellen Fortschritt einstellt, ergibt es sich kaum, daß man, es sei denn durch Zufall, eine überzeugende Demonstration von mantrischer Kraft zu Gesicht bekommt. Innere Überzeugung kann im allgemeinen nur als das Ergebnis der Kraft, die in einem selbst entsteht, erlangt werden. Daß echtes mantrisches Wissen in China einmal sehr verbreitet war, wird durch mehrere Passagen in der buddhistischen Liturgie bestätigt. Zum Beispiel gibt es eine Passage, »MengShan Shih Shih-I« genannt (wörtlich: »Gabe des Verborgenen Berges der Opfer«), die oberflächlich gesehen magischen Charakter zu haben scheint, insofern als der amtierende Geistliche mit der Fingerspitze eine mantrische Silbe über eine Schale mit klarem Wasser zeichnet, um es in amrta oder, wie die Chinesen sagen, in kan-lu (süßen Tau) zu verwandeln; aber es ist bemerkenswert, daß unmittelbar vor dem Mantra die Worte kommen: »Wer auch immer wünscht, die Buddhas der Drei Welten zu begreifen, muß verstehen, daß dieses gesamte Universum aus nichts anderem als Geist besteht.« Dies ist, wie ich Jahre später erfuhr, der Kontext, in dem das gesamte Wissen von den Mantras verstanden werden muß. In dieser Passage haben wir einen Hinweis auf das tiefe Wissen, das früher von der Esoterischen Sekte vermittelt wurde. Warum verschwand wohl diese Sekte mit ihren faszinierenden Geheimnissen vor fast tausend Jahren aus China? Wahrscheinlich gebrauchte sie sexuelle Vorstel52
lungsbilder, die - aus völlig ehrenhaften Gründen - für das tibetische Vajrayana charakteristisch sind. In diesem Fall mußten die konfuzianischen Behörden, die nichts von der erhabenen Bedeutung der Lehren wußten, die in diesen Bildern zum Ausdruck kamen, mit Sicherheit entsetzt sein. Die Konfuzianer waren, ohne strenge Puritaner zu sein, entsetzlich prüde und können sehr wohl den Befehl zur Vernichtung der heiligen Bildwerke und Malereien erteilt haben. Eine andere Möglichkeit ist die, daß die Konfuzianer, erschreckt von Berichten über die seltsamen Kräfte der Eingeweihten, sie für Zauberer hielten und die Sekte rigoros verboten. Im Laufe der Geschichte und in vielen Teilen der Welt wurde die Zauberkunst allzu häufig den esoterischen Formen der Religionen gleichgesetzt, ganz ungeachtet des Betragens ihrer Exponenten, das im allgemeinen untadelig und von den reinsten Absichten beherrscht war.
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DER BEGINN DES VERSTEHENS
Wieder einmal hatte sich der Vorhang über einer ungewöhnlichen Szene gehoben. Die großen Tempel, die ich in China besucht hatte, lagen tausend Meilen weit im Osten. Hier in den Vorbergen des Himalaya, die sich längs der indisch-tibetischen Grenze erheben, gab es viele Adepten des Yoga, jedoch keine architektonischen Wunder, die ein längst vergessenes Zeitalter überlebt hatten. Nach einigen Tagen des Wanderns durch die Berge war ich zu einem ländlichen Tempel gelangt, den man aus den Materialien erbaut hatte, die gerade zur Hand gewesen waren. Er war schlicht viereckig und erhob keinerlei Anspruch auf künstlerischen Wert; lediglich ein bemalter Eingang und ein pyramidenförmiges Dach deuteten auf seinen sakralen Zweck hin. Im düsteren Innenraum saß eine Handvoll Lamas in Gewändern von schmuddeligem Kastanienbraun mit gekreuzten Beinen auf ihren Sitzkissen vor einem Altar, der mit Butterlampen, Silberschalen mit Opfergaben und einigen jener eigenartigen Figuren bedeckt war, die man Torma nennt und die aus Teig und Butter gefertigt sind. Schwere Wolken von Weihrauch hingen in der Luft. Wo in einem reicheren Tempel ein großartiges Bildnis gestanden hätte, hing ein brüchiges Thanka (Rollbild), das eine weibliche Gottheit in ihrem zornigen Aspekt darstellte, ein Fuß erhoben und auf das andere Knie gestützt, der andere Fuß auf eine Sonnenscheibe tretend, die von einer Leiche gestützt wurde, welche wiederum auf einem Abbild des Mondes über einer riesigen Lotosblüte lag. Das Diadem, das ihr flammenartiges Haar umgab, bestand aus menschlichen 55
Schädeln; ein Halsschmuck aus finsteren Köpfen zierte ihr nacktes, prangend rotes Fleisch. Trotz der Unheimlichkeit dieser Attribute empfand ich nichts Unangenehmes, da der Ausdruck auf den Gesichtern der Lamas beeindruckend sanft und freundlich war. So bizarr die Symbole auch waren, die sie zu ihrer Meditation gewählt hatten, so konnte man doch schwerlich bezweifeln, daß sie Menschen mit freundlichem Gemüt und heilsamen Gedanken waren. Zu dem unheimlichen Klingeln der Vajra-Glocken und dem Pochen der wirbelnden Handtrommeln, die von Kügelchen an Lederriemen geschlagen wurden, ergoß sich eine Flut von Klängen, die eher aus ihrem Bauch als von ihren Stimmbändern zu kommen schienen. Mehr denn je zuvor erkannte ich die Macht der Mantras, den Geist in ein Gefilde seliger Stille zu erheben. Auch gefiel mir der Gedanke, daß die Szene in jeder Hinsicht so war, wie sie von Reisenden in dieser Gegend schon vor tausend oder mehr Jahren erblickt wurde. Bevor ich China verließ, war der Samen, den der tibetische Lama in Hongkong in meinen Geist gepflanzt hatte, hin und wieder begossen worden, da ich mich oft in Klöstern tibetischen Stils in den abgelegeneren Provinzen aufgehalten hatte. Doch es dauerte noch bis 1948, dem Jahr, in dem ich dem Land, das ich so sehr liebte, traurig adieu sagen mußte, bis ich in engeren Kontakt mit tibetischen Lamas kam und einen unmittelbaren Einblick in die verzaubernde Welt des Vajrayana gewinnen konnte. In dem darauffolgenden Jahrzehnt stattete ich den Vorbergen des Himalaya mehrere ausgedehnte Besuche ab - dem reizvollen Gangtok und dem von Wildwassern umtosten Kloster Tashiding, beide in Sikkim, und den Bergdörfern innerhalb der indischen Grenzen, wohin so viele hervorragende Lamas während oder nach dem chinesischen Einmarsch in Lhasa geflohen waren. Die Tibeter sind in vieler Hinsicht ein zutiefst bodenständiges Volk; andererseits sind sie wie Wesen aus einem anderen Zeitalter, so ausgeprägt ist ihre Zufriedenheit mit einfachen 56
Dingen, so spontan ihr Lachen und so beharrlich ihr Vertrauen in Chö - den Heiligen Dharma. Waren sie auch, als verarmte Exilbewohner, oft schäbig gekleidet und ließen die farbenprächtige Ausstattung vermissen, die ihren alten Ritualen prunkvollen Glanz verliehen hatte, so blieben ihre Riten doch beeindruckend - das Rollen und Klirren der Becken, die elementare Kraft der sakralen Melodie, der aufregende Rhythmus der Gesänge und der hingerissene Ausdruck auf den Gesichtern der Zelebrierenden. Man konnte sehen, daß ihr Geist sich in zeitlose Regionen voll der Freude und des Mysteriums erhoben hatte. Dort gewann ich einen neuen Einblick in das Wesen der Mantras. Als Manifestation des heiligen Klanges (sabda) haben sie ähnliche Eigenschaften wie die tibetische religiöse Musik, die ein Echo der Stimme des Windes an hochgelegenen Orten und des Getöses der Bergflüsse und des Krachens von Donnerschlägen zu sein scheint. Einige der geistigen Schätze, die man in der ehrfurchtgebietenden Region des Himalaya entdecken kann, wurden schon in dreien meiner früheren Bücher beschrieben (Rad des Lebens*, Der Weg zur Macht** und Jenseits der Götter***). Hier will ich insbesondere das beschreiben, was die Mantras betrifft. Mehr aus Zufall als planmäßig erhielt ich die Belehrungen und Initiationen von Nyingmapas, das heißt von Angehörigen einer alten Sekte, die in den östlichen Grenzgebieten Tibets - Kham und Amdo (Ch'inghai) - und in dem winzigen Himalaya-Königreich Sikkim verbreitet ist. Es gibt Buddhisten, die der Ansicht sind, daß diese »unreformierte« Sekte auf Abwege geraten sei, weil sie ihren klösterlichen Charakter zum größten Teil verloren hat und Nyingmapa-Lamas tatsächlich öfter verheiratete Laien als zölibatär lebende Mönche sind. Möglicherweise sollte man * Rascher Verlag, Zürich/Stuttgart 1961. ** Otto Wilhelm Barth Verlag, Weilheim 1970. *** Otto Wilhelm Barth Verlag, Bern/München/Wien 1976.
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dies beklagen; nichtsdestoweniger ist diese Sekte gerade deshalb, weil sie der »Reformierung« entging, in der Lage, bruchlos gewisse geheime Traditionen aufrechtzuerhalten, die in ferne Vergangenheit zurückreichen. Es gibt keine buddhistische Entsprechung zu der Feindschaft und Rivalität, die das Christentum so tragisch spalteten; die tibetischen Sekten divergieren jedoch eher hinsichtlich ihrer Methoden als in bezug auf ihre Lehre. So lehren die Nyingmapa-Lamas schon auf einer vergleichsweise frühen Stufe Yoga-Kontemplation und -Übungen, während die Gelugpa-Lamas von den Neophyten ein langes vorbereitendes Studium der Lehre verlangen, mit dem Ergebnis, daß die Yoga-Praxis oft bis ins mittlere Alter hinausgeschoben werden muß. Welches das brauchbarere System ist, bleibe dahingestellt, aber meine Begegnung mit den Nyingmapa-Lamas war sicherlich ein Vorteil, da sie bereitwillig Yoga-Unterricht erteilten. Natürlich sind keineswegs alle Tibeter Meister der geheimen Yoga-Künste. Im Gegenteil, der Buddhismus ist unter ihnen in seiner populären ebenso wie in seiner höheren Form verbreitet, und so erinnerte mich vieles von dem, was ich am Anfang sah, an die Lage in China, wo man wenig Unterschied machte zwischen Mantras und magischen Formeln. Zum Beispiel stieß ich, wohin ich in diesen Bergen auch ging, auf den Beweis eines ungeheuren Glaubens an die Wirksamkeit des Mantras OM MANI PADME HÜM als schützenden Zauber; es war auf Felsen am Wegesrand eingeritzt und in Mauern eingehauen, die man nur zu seiner Darstellung errichtet hatte, wobei oft jede Silbe in ihrer entsprechenden mystischen Farbe ausgearbeitet war. Überall sah ich Menschen ihre Gebetsmühlen drehen, die Röllchen aus Seide oder Papier enthielten, auf denen das Mantra hundert- oder tausendmal geschrieben stand. Ich habe von größeren Gebetsmühlen gehört, die von wilden Flüssen angetrieben wurden, und ich sah gewaltige metallene Gebetstrommeln neben den Toren der Tempel, wo jeder vorbeigehende Pilger sie in Bewegung setzen kann. 58
Die Gläubigen intonieren, während sie ihre Gebetsmühlen drehen, die mantrischen Silben und visualisieren sie zudem, so daß die drei Medien des Menschen sich ausdrücken, Körper, Rede und Geist, und alle zusammen am OM MANI PADME HUM teilhaben. Passagiere in Fernbussen, Bauern, die auf ihren Feldern arbeiten, und zerlumpte Flüchtlinge, die sehnsüchtig in die Auslagenfenster der Geschäfte schauen, rezitieren dieses Mantra stundenlang. Man nennt es das Mani, und es ist das Mantra des Großen Mitleidsvollen Bodhisattva Avalokiteshvara, der in der Mongolei und in Tibet in der Gestalt des Chenresig und in China (und Japan) als die liebreizende Kuan Yin (Kannon) erscheint. Daß Avalokiteshvara bei den Weisen nicht als Gott oder Gottheit gilt, sondern als eine geistgeschaffene Verkörperung einer Kraft, die zu abstrakt ist, als daß sie auf andere Weise dargestellt werden könnte, vermindert oder vermehrt die Kraft der Mantras nicht. Was für die Ungelehrten eine geliebte Gottheit ist, ist für alle gleichermaßen eine sehr ergiebige Quelle der Inspiration; denn Avalokiteshvara personifiziert, ob man ihn nun für ein selbst-existentes himmlisches Wesen hält oder als geistige Schöpfung des Gläubigen erkennt, die gewaltige Kraft des Mitleids, das sich unvoreingenommen auf alle Lebewesen in gleicher Weise erstreckt. Ebensowenig ist der Geschlechtsunterschied zwischen den zwei Manifestationen von Bedeutung, da die sexuellen Attribute der Bodhisattvas ganz und gar nur eine Sache konventioneller Vorstellung sind. Es scheint naheliegend, den Geist des Mitleids in weiblicher Form zu verkörpern, aber die männliche Verkörperung Chenresigs wird als nicht weniger freundlich aussehendes Wesen dargestellt, dessen Geschlecht nur von denjenigen eindeutig erkannt wird, die mit den Gepflogenheiten der indisch-tibetischen Ikonographie vertraut sind. Von den unzähligen Geschichten über das Mani ist diejenige, die ich am liebsten habe, zufällig eine chinesische, aber sie ist denen, die bei den Tibetern im Umlauf sind, sehr ähnlich. 59
Ein engherziger Kriegsherr, der für seine unbarmherzige Grausamkeit bekannt war, mußte mitansehen, wie seine Truppen das Schlachtfeld in überstürzter Flucht verließen, und auch er selbst mußte aus der Umzingelung seines Rivalen flüchten. Nachdem er vorsichtshalber seine Uniform weggeworfen und sich in das grobe blaue Tuch der Bauern gekleidet hatte, ritt er wie der Teufel in die Berge. Hungrig und müde hetzte er vorwärts, so schnell sein erschöpftes Pferd ihn tragen konnte. Am zweiten Abend fühlte er sich sicher genug, um die Nacht in einer Einsiedelei am Wegrand zu verbringen. Als er feststellte, daß die einzigen Bewohner ein bejahrter mongolischer Lama und sein junger Diener waren, zwang er die beiden mit brutaler Roheit, alle tragbaren Gegenstände von Wert, die in der Einsiedelei zu finden waren, in seine leeren Satteltaschen zu packen. Seinen Gastgebern ihre Besitztümer zu stehlen, war schließlich seine übliche Art, Gastfreundschaft zu vergelten, da die einzige Aufgabe der Zivilisten darin bestand, den Helden ein gutes Leben zu ermöglichen. Weil ihm die Mönchszellen zu klein und unbequem waren, befahl er, daß sie im Altarraum eine Liegestatt für ihn aufstellen sollten, und dort fiel er, ungestört vom Licht zweier Butterlampen, welche die Statue der Mitleidsvollen Kuan Yin beleuchteten, in einen unruhigen Schlaf. Der alte Lama, der seinen flegelhaften Verfolger bedauerte, schlich sich nahe zu der Liege und begann, mit gekreuzten Beinen auf den Fliesen an einer dunklen Stelle sitzend, das Mantra OM MANI PADME HUM zu wiederholen, womit er dann in leisem Gemurmel die ganze Nacht lang fortfuhr; nur wenn er den Kriegsherrn sich im Schlaf bewegen sah, formte er die Silben still mit den Lippen, aus Furcht, ihn zu stören. Im Herzen des alten Mannes war keinerlei Groll, kein Bedauern für den Verlust einiger belangloser Wertgegenstände, sondern nur die mitleidsvolle Sehnsucht, einen Gast vor den Folgen seiner Torheit zu bewahren. Die ganze Nacht lang träumte der Kriegsherr. Bild um Bild erhob sich in seinem Geist von dem Glück, dessen er sich in 60
früheren Leben erfreut hatte; immer gab es jemanden, der ihn liebevoll behandelte - eine Mutter, eine Schwester, ein lieber Freund usw. -, aber jeder dieser zärtlichen Episoden folgte eine andere, herzzerreißende, in welcher er jemanden, der sich um ihn gesorgt hatte, in der Gestalt eines seiner zahllosen Opfer sah. Mal um Mal mußte er die Qualen des Wiederauflebens seiner grausamen Taten erleiden - wie er etwa jemanden erschoß oder köpfte, den er nun als einen großzügigen Wohltäter in einem seiner früheren Leben erkannte. Es war unbeschreiblich entsetzlich, sich selbst zuerst als fröhlichen kleinen Jungen zu sehen, der von seiner bewundernden Mutter liebkost wurde, und dann als brutalen Schänder oder Mörder dieser innig geliebten Person in einer anderen, aber dennoch erkennbaren Gestalt. Wie ergreifend ihre Tränen und ihr Flehen auch waren, er konnte seine Hand nicht aufhalten. Mit dem ersten Licht der Dämmerung erwachte er, mit schweißgebadetem Körper und den Geist von Abscheu vor sich selbst verdüstert. Vor der Statue der Mitleidsvollen Kuan Yin warf er sich zu Boden und schlug seinen Kopf in einer wilden Raserei der Reue gegen die Fliesen. Währenddessen führte der Junge entsprechend den Anweisungen, die er am Abend zuvor erhalten hatte, das Pferd aus dem Stall und brachte die Satteltaschen an, die mit den erpreßten Wertsachen prall gefüllt waren. Nachdem er dies besorgt hatte, half er dem alten Lama, dem Gast ein Frühstück aus heißem Tee und der einfachen Kost, die dieser armselige Ort erlaubte, zu bereiten. Da verbeugte sich zu des Kindes großer Verwunderung der vordem so rohe Krieger vor dem Lama bis zum Boden und bat, als Schüler aufgenommen zu werden. »Nein«, war die Antwort. »Das klösterliche Leben ist noch nichts für dich. Geh deiner Wege. Wenn irgendwann dein Schicksal sich verbessert, so benütze deine Kraft und deinen Reichtum für das Wohlergehen der Unterdrückten und erinnere dich daran, daß jeder von diesen dein Vater oder deine 61
Mutter oder dein Freund in einem deiner früheren Leben gewesen sein kann, denn das Leben aller Wesen reicht unzählige Äonen weit zurück.« Bestürzt durch die enge Verbindung zwischen diesen Worten und seinen Alpträumen, drang der Kriegsherr in den Lama, ihm etwas zu geben, an das er sich in den kommenden Jahren halten könne, woraufhin der Alte antwortete: »Es gibt nichts im Universum, das stärker ist als die Macht des Mitleids. Halte dich nur daran. Solltest du eines Tages wegen deiner Last von schlechtem Karma in deinen Anstrengungen wankend werden, so laß die Worte des Mantra der Kuan Yin, OM MANI PADME HÖM, das Siegel auf deinem Gelöbnis sein, dich niemals wieder von Grausamkeit oder Habsucht beherrschen zu lassen.« So reiste der Kriegsherr ab, nachdem er beschämt seine Beute zurückgegeben hatte. Es heißt, daß Jahre später einige seiner früheren Untergebenen ihn trafen, wie er sein Brot als Maultiertreiber bei einer Mönchsgemeinschaft in einem abgelegenen Kloster am südlichen Gipfel des Berges Wu T'ai verdiente. Von Nicht-Eingeweihten wird das Mani oft als Schutzzauber gegen alle Arten von Unglück gebraucht, sowohl für sich selbst als auch für andere. Es wird jäh herausgestoßen in Augenblicken der Gefahr, sanft intoniert, wenn ein Kummer Erleichterung finden soll, und endlos rezitiert, laut oder im Geiste, von denjenigen, die nach einer Wiedergeburt im Reinen Lande streben. Zahllose Tibeter sterben mit dem Mani auf den Lippen. Es gibt auch viele spezielle Anwendungsbereiche für dieses Mantra. Kürzlich schrieb mir Herr Lu K'uan-yü über seinen heilpraktischen Gebrauch bei der Behandlung von wiederholten Halluzinationen und ähnlichen psychischen Erkrankungen. Der Leidende sollte täglich vor einer Schale mit Wasser sitzen und, während er Avalokiteshvara aus ganzem Herzen anruft, diese für eine Weile mit dem Blick fixieren und dabei das Mani rezitie62
ren. Wenn er einen Lotos aus dem Wasser emporwachsen sieht, so ist die Heilung sicher. Ich selbst erlebte, wie ich innerhalb eines Abends von einer Krankheit genas, die mich während eines wochenlangen Rittes durch die Berge in Nordchina gequält hatte. Als ich damals von meinem Maultier getaumelt und zur nächsten Herberge gebracht worden war, kam ich so weit zu Bewußtsein, daß ich einen mongolischen Lama erkannte, der an meinem Bett saß und sanft das OM MANI PADME HÖM intonierte. Wunderbar beruhigt, fühlte ich mich müde, die Krankheit fiel von mir ab, und am nächsten Morgen war ich so gesund und munter wie am ersten Tag der Reise. Man könnte argumentieren, daß die Wirkung des Mantra unter solchen Umständen rein psychologisch bedingt sei. Das ist sicher wahr, aber in einem Sinn, der nicht unbedingt einfach ist. Die Energie des Mitleids, die in Avalokiteshvara personifiziert ist, ist real und lebt in einer tiefen Schicht des Bewußtseins; sie ist in jedermann gegenwärtig, wie sehr sie auch von Hindernissen, die das Ego erzeugte, überdeckt sein mag, und sie wird von den Silben aufgerüttelt, besonders dann, wenn sie mit dem tiefen Wunsch für eines anderen Wohlergehen ausgesprochen werden. Aus bestimmten Gründen ist die Energie leichter zu erwecken als ähnliche Energien, für die es andere Mantras gibt; daher rührt die verbreitete Popularität des Mani bei denjenigen, die nicht jenes Yoga-Training erhalten haben, auf dem die Wirksamkeit dieser anderen beruht. Das Mani kann auch auf höheren Ebenen gebraucht werden, und nicht wenige gelehrte Lamas halten es für das Mantra aller Mantras, das ganz allein völlig ausreicht, vorausgesetzt, daß man die yogische Bedeutung kennt, um es wirksam benützen zu können. Ungeachtet des Anscheins gibt es dabei keine magischen Operationen. Das Mantra, das nebenbei eine psychische Affinität zu einem Element besitzt, das sich im Bewußtsein des Rezitierenden befindet, und zu einem identischen Element in der Psyche dessen, für den es gesprochen wird, befreit gewaltige 63
Kräfte aus der zusammengeballten Energie der sakralen Assoziationen, die im Laufe der Jahrhunderte vom Geist zahlloser Menschen ausgestrahlt wurden. Bei dem, was nun über einige Verwendungsarten des Mani im tibetischen Yoga folgt, nehme ich einiges vorweg, um alles beieinander zu haben, was über dieses Mantra bekannt ist. Entsprechend der Mahayana-Lehre, wie sie von den Anhängern des Vajrayana interpretiert wird, hat die höchste Energie, die dem absoluten Ursprung - und damit den Tiefen des dem Adepten eigenen Bewußtseins - entströmt, zwei Aspekte: die Weisheit der spirituellen Verwirklichung und die Weisheit des Mitleids. Die letztere wird oft von Amitabha Buddha personifiziert, dessen göttliche Emanation Avalokiteshvara ist. Die am häufigsten kontemplierte der unzähligen Formen des Avalokiteshvara Bodhisattva ist die einer gütigen vierarmigen Gottheit von reinem Weiß, zwei Hände in der Geste des Betens um ein Juwel gefaltet und zwei weitere Hände rechts und links erhoben, wobei die eine einen kristallenen Rosenkranz als Symbol der Kontemplation und die andere einen Lotos als Zeichen der spirituellen Verwirklichung hält. Zur erfolgreichen Kontemplation bedarf es jedoch nicht der genauen Reflexion über die Symbolik; daß es tiefgreifende Gründe für die Form, Haltung, Gesten, Farben und Attribute der Gottheiten gibt, ist für alle jene selbstverständlich, die wissen, daß die kontemplative Tradition, die sich vor vielen Jahrhunderten in Nalanda* entwickelt hat und in Tibet bis heute aufrechterhalten wurde, nichts enthält, was lediglich spielerisches oder willkürliches Beiwerk wäre. Außer zu Beginn der Yoga-Praxis wird allerdings über diese Angelegenheit nicht weiter nachgedacht, denn hielte man sich bei der Interpretation der Symbolik auf, so hieße das, sich der Ablenkung auszusetzen. Vielmehr ist es nötig, es den Symbolen zu ermöglichen, daß sie in einer tieferen Schicht des Bewußt* Hochberühmte buddhistische Universität in Indien, die zerstört wurde, als die Mohammedaner im 11. Jahrhundert dort ein fielen.
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seins unmittelbar wirken können. Die liebliche Form des Bodhisattva als Kuan Yin (Kannon), die allen Freunden der chinesichen und japanischen Kunst vertraut ist, ist in ähnlicher Weise ein Produkt yogischer Intuition, aber Künstler, die sich nicht im klaren darüber waren, daß Kuan Yin eine Meditationsgottheit und nicht etwa eine Göttin ist, mögen phantasievolle Details hinzugefügt haben, die man auf Bildern oder an Statuen, die speziell als Hilfe zur Kontemplation gedacht waren, nicht findet. Von denjenigen, die einiges Wissen über die Methoden der Yoga-Kontemplation besitzen oder die imstande sind, die Gestalt des Mitleidsvollen mit der Kraft zu erfüllen, die den Assoziationen, die sie im Geiste entstehen lassen, entspringt, kann das Mani zu jeder Zeit ohne irgendeine besondere Vorbereitung benützt werden. Wird es vom Adepten rezitiert, so ist es im allgemeinen von der Visualisation der Gestalt der Gottheit und der Silben begleitet, wobei jede in der ihr entsprechenden Farbe erscheint. Zu gleicher Zeit erwacht im Geist des Adepten ein tiefes Verlangen nach dem Wohlergehen aller Wesen und die Sehnsucht, allen gegenüber Mitleid zu empfinden - Mitleid nicht nur für jene, die leicht zu lieben sind, wie Freunde, Pferde, Elefanten und kleine Hündchen, sondern auch für zunächst abstoßende Kreaturen wie schädliche Insekten, Reptilien, Soldaten, Banditen, Geister und Dämonen. Als erstes kann man, auch wenn man unfähig ist, sie zu lieben, zumindest ein Mitgefühl für ihre Nöte entwickeln und sich über ihre flüchtigen Freuden mitfreuen, indem man sie als Mit-Lebewesen sieht, die ebenso wie man selbst dazu verurteilt sind, von Geburt zu Geburt zu wandern, Äon auf Äon, bis die Erleuchtung erlangt ist. Was früher für den Yogi ein Objekt der Ablehnung, Feindschaft oder sonstiger Aversionen war, dem muß als erstem die Kraft des Mani gelten, wobei der Adept seinen Geist mit aller Liebe, derer er fähig ist, auf dieses Objet richtet. Erfüllt von Bedauern für die Last, die alle tragen müssen, und von Sehn65
sucht nach universellem Glück, blickt er auf die liebenswürdigen Züge des Bodhisattva, der für sein inneres Auge strahlend sichtbar wird, und rezitiert immer und immer wieder OM MANI PADME HUM! Oder, wenn er es von einem tibetischen Lehrer gelernt hat, UM MANI PEME HUNG! OM, das den Ersten Ursprung, den Dharmakaya, das Absolute symbolisiert, ist ein mächtiges schöpferisches Wort, das oft als die Summe aller Klänge im Universum aufgefaßt wird möglicherweise als Symbol der Harmonie der Sphären. MANI PADME (Juwel im Lotos) beinhaltet Vorstellungspaare wie: die essentielle Weisheit, die der buddhistischen Lehre zugrunde liegt; die esoterische Weisheit des Vajrayana, die in der exoterischen Mahayana-Philosophie enthalten ist; der allumfassende Geist, der in jedem einzelnen Geist enthalten ist; das Ewige im Zeitlichen; der Buddha in unserem Herzen; das Ziel (höchste Weisheit) und die Mittel (Mitleid); und wenn mir die Folgerung gestattet ist: der Innere Christus, der im Geist des christlichen Mystikers wohnt. HUM ist das Bedingte im Unbedingten (es steht zu OM wie Te zu Tao in der taoistischen Philosophie); es repräsentiert die grenzenlose Wirklichkeit, die innerhalb der Grenzen des individuellen Wesens verkörpert ist, und vereinigt so jedes einzelne Wesen und Ding mit den universellen OM; es ist das Unsterbliche im Vergänglichen, abgesehen davon, daß es ein Wort mit großer Macht ist, die alle vom Ego geschaffenen Hindernisse der Einsicht zerstört. Solche Interpretationen sind natürlich interessant, aber es ist wichtig, zu betonen, daß die Reflexionen über die Symbolik nicht Teil der kontemplativen Übungen sind. Die mantrischen Silben können ihre volle Wirkung in den tiefsten Schichten des Bewußtseins nicht entfalten, wenn der Geist mit begrifflichen Vorstellungen vollgestopft ist. Reflektierendes Denken muß transzendiert, losgelöst werden. 66
Was die Art und Weise der Rezitation betrifft, so kann es keine festen Regeln geben außer jenen, die einem der eigene Lehrer auferlegt, falls er das tun will. Die Silbe OM wird im allgemeinen betont oder mehr oder weniger gedehnt, so daß das abschließende M nachschwingt. MANI PADME (oder nach tibetischer Art MANI PEME gesprochen) wird zumeist als ein Wort rezitiert. HUM (oder HUNG) wird manchmal in die Länge gezogen. Man könnte den Rhythmus so darstellen: ! Das Mantra kann monoton gesprochen werden; man kann auch das OM höher anstimmen als den Rest; oder die ersten fünf Silben werden tief und monoton angestimmt, das HUM dagegen höher, wie so über do in unserer musikalischen Skala, in welchem Fall das Diagramm sich folgendermaßen ändern würde: ! Wenn die Rezitation endet, so erlaubt der Yogi dem geistigen Bild des Bodhisattva entsprechend der jeweiligen Methode, die er gelernt hat, vor seinem inneren Auge zu verblassen, gedenkt dann mit Dankbarkeit der Ergebnisse, wie etwa der Steigerung seiner Kraft, Mitleid entstehen zu lassen und es unvoreingenommen einzusetzen, oder des tieferen und teilnahmsvolleren Einblicks in die Herzen gequälter Wesen, oder der Linderung von Schmerzen, Kummer oder geistiger Verwirrung bei der Person, auf welche die Bemühung des Adepten gerichtet war. Bevor er sich erhebt, muß er den geistigen Akt vollzogen haben, in dem das Verdienst seiner Übung dem Wohlergehen aller Wesen gewidmet wird, da dies der unbedingt notwendige Abschluß aller Yoga-Übungen und -Riten ist. Eine verbreitete Verwendungsart des Mani ist die, Mitleid gegenüber allen Wesen im Universum zu entwickeln, indem man den Geist nacheinander auf jede der sechs Ebenen der Existenz richtet und währenddessen sehr langsam - vielleicht einundzwanzig oder hundertacht Mal - das Mantra wiederholt. Während des OM fallen weiße Strahlen auf die Welt der Devas (Seligen); bei MA fallen grüne Strahlen auf den Bereich der 67
Asuras (Titanen); bei NI fallen gelbe Strahlen auf den menschlichen Bereich; bei PÄD fallen blaue Strahlen auf den Bereich der Tiere; bei ME fallen rote Strahlen auf den Bereich der Pretas (»Giermäuler« oder Hungrige Geister) und bei HUM fallen finstere, qualmende Strahlen auf die Bewohner der (geistgeschaffenen) Hölle. Die Silben werden in der Form visualisiert, daß sie im Herzen des Bodhisattva kreisen, und eine jede sendet ihre zugehörigen Strahlen jeweils in die entsprechende Richtung. Die natürliche Vorliebe der chinesischen Gläubigen, das Mitleid an weiblicher Form zu kontemplieren, wird von vielen Tibetern geteilt, die deshalb Tara, eine Emanation des Avalokiteshvara, für ihre Kontemplation wählen. Je nach individuellem Bedürfnis ist Tara verschieden dargestellt, als mütterliche Figur von großer Schönheit oder als liebliches junges Mädchen. Die Methode, Tara zu kontemplieren, ist ähnlich wie diejenige, die bei der Kontemplation anderer Yidamas (Formen der inneren Gottheit) angewandt wird und wie sie in einem späteren Kapitel dargestellt ist. Hier will ich vorerst beim populären Gebrauch der Mantras bleiben und jene aufzählen, die zu den 21 Formen gehören, in denen Tara von denjenigen angerufen wird, die Schutz vor irgendwelchem Ungemach erbitten wollen. Das sind: Die Grüne Tara (Ursprung der übrigen zwanzig Emanationen): UM TARE TUTARA TÜRE SOHA Die Tara, die Unglück abwendet: UM BANZA TARE SARVA BIGANEN SHINDHAM KURU SOHA Die Tara, die von der Erde kommendes Unheil abwendet: UM TARE TUTARE TÜRE MAMA SARVA LAM LAM BHAYA SHINDHAM KURU SOHA Die Tara, die durch Wasser bedingte Zerstörung abwendet: UM TARE TUTARE TÜRE MAMA SARVA BHAM BHAM DZALA BHAYA SHINDHAM KURU SOHA Die Tara, die von Feuer verursachte Zerstörung abwendet: UM TARE TUTARE TÜRE MAMA SARVA RAM RAM DZALA BHAYA SHINDHAM KURU SOHA 68
Die Tara, die durch Wind verursachte Zerstörung abwendet: UM TARE TUTARE TÜRE MAMA SARVA YAM YAM DZALA BHAYA SHINDHAM KURU SOHA Die Tara, die Weisheit beschert: UM RATANA TARE SARVA LOKAJANA PITEYA DARA DARA DIRI DIRI SHENG SHENG DZA DZANJIA NA BU SHENG KURU UM Die Tara, die vom Himmel kommendes Unheil abwehrt: UM TARE TUTARE TÜRE MAMA SARVA EH EH MAHA HANA BHAYA SHINDHAM KURU SOHA Die Tara, die vom Militär verursachte Zerstörung abwendet: UM TARE TUTARE TÜRE MAMA SARVA DIK DIK DIKSHENA RAKSHA RAKSHA KURU SOHA Die Tara, die von der Hölle kommendes Unheil abwehrt: UM TARE TUTARE TÜRE MAMA SARVA RANDZA DUSHEN DRODA SHINDHAM KURU SOHA Die Tara, die von Räubern verursachtes Übel abwendet: UM TARE TUTARE TÜRE SARVA DZORA BENDA BENDA DRKTUM SOHA Die Tara, die Kräfte wachsen läßt: UM BEMA TARE SENDARA HRI SARVA LOKA WASHUM KURU HO Die Tara, die von Dämonen verursachtes Übel abwendet: UM TARE TUTARE TÜRE SARVA DUSHING BIKANEN BHAM PEH SOHA Die Tara, die Übel vom Vieh abwendet: UM TARE TUTARE TÜRE SARVA HAM HAM DUSHING HANA HANA DRASAYA PEH SOHA Die Tara, die von wilden Tieren verursachtes Übel abwendet: UM TARE TUTARE TÜRE SARVA HEH HEH DZALEH DZALEH BENDA PEH SOHA Die Tara, die Giftfolgen abwendet: UM TARE TUTARE TÜRE SARVA DIKSHA DZALA YAHA RAHA RA PEH SOHA Die Tara, die Dämonen unterwirft: UM GARMA TARE SARVA SHATDRUM BIGANEN MARA SEHNA HA HA HEH HEH HO HO HUNG HUNG BINDA BINDA PEH 69
Die Tara, die Krankheiten heilt: UM TARE TUTARE TÜRE SARVA DZARA SARVA DHUKKA BRASHA MANAYA PEH SOHA Die Tara, die langes Leben verleiht: UM TARE TUTARE TÜRE B'RAJA AYIU SHEI SOHA Die Tara, die Wohlstand verleiht: UM TARE TUTARE TÜRE DZAMBEH MOHEH DANA METI SHRI SOHA Die Wünsche erfüllende Tara: UM TARE TUTARE TÜRE SARVA ATA SIDDHI SIDDHI KURU SOHA Diese einundzwanzig Mantras wurden entsprechend der tibetischen Aussprache niedergeschrieben. Die Silben SOHA stehen für das Sanskrit-Wort SVÄHÄ; PEH steht für Sanskrit PHAT; und UM steht natürlich für OM. Doch aus Gründen, die bald klar sein werden, ist die korrekte Aussprache von geringer Bedeutung, vorausgesetzt, daß man grundlegende Fehler vermeidet, wie etwa, daß man Tare ausspricht, als bestünde es nur aus einer Silbe, wie das englische Wort »tare«. Die Wirksamkeit dieser einundzwanzig Mantras ist von zu vielen Menschen bestätigt worden, als daß man sie mit einem Lächeln abtun könnte, aber ich brauchte einige Zeit, um einen Unterschied zwischen ihnen und dem Abrakadabra unserer westlichen Zauberer-Geschichten zu sehen. Später erfuhr ich, daß ihre Wirkung auf der Verbindung mit bestimmten Bewußtseinselementen beruht, die unterhalb der Ebene des begrifflichen Denkens liegen. Dennoch ist mir bis heute nicht ganz klar, wie sie wirken. Erzielen sie ihre Erfolge in einer Art und Weise, wie etwa eine Glasscheibe zerspringt, wenn man eine passend gestimmte Saite anschlägt (in welchem Fall sie eindeutig mit einer Kraft geladen sein müssen, die nicht allein durch die oben genannten Verbindungen erklärt werden kann), oder wirken sie nicht auf äußere Umstände ein, sondern auf das Wesen dessen, der das Mantra anwendet, indem es einen Glauben in ihm anregt, der seine Kraft zur Bewältigung dieser 70
äußeren Umstände noch vergrößert? Die Tibeter erbringen überzeugende Beweise für ersteres, aber das letztere ist leichter zu akzeptieren. Zwei Vorstellungen, die in der westlichen Welt erörtert werden, sind erstens, daß jede Krankheit weitgehend psychosomatisch bedingt ist, und zweitens, daß es Mittel und Wege gibt, um die »Unfallneigung« zu verringern. Wenn man solche Vorstellungen akzeptiert, ist es nicht allzu weit hergeholt anzunehmen, daß ein Mantra, indem es in der Psyche eine bis dahin unvermutete Kraft befreit, die Anfälligkeit für Krankheit oder äußere Gefahr vermindern kann. Allerdings läßt diese relativ wissenschaftliche Betrachtungsweise der Sache eine Reihe aufsehenerregender Effekte außer acht, die der mantrische Yoga für sich in Anspruch nimmt, wie etwa die Fähigkeit, Hagelstürme zu erzeugen oder abzuwenden! Einige Überlegungen zu diesem außergewöhnlichen Aspekt der Mantras finden sich im letzten Kapitel; nicht, daß er von großer Bedeutung wäre; solche Wunder werden von den Lamas als trivial gewertet, verglichen mit der Anwendung, welche die Mantras bei denjenigen finden, die sich der höchsten Aufgabe des Menschen geweiht haben die Erleuchtung zu erlangen. In dem Maße, in dem mein Interesse für den wahren Zweck der Mantras zunahm, nahm mein Eifer ab, äußere Wunder ausfindig machen zu wollen - obwohl ich gestehen muß, daß er niemals ganz eingeschlafen ist! Meine erste Begegnung mit Nyingmapa-Lamas fand in Sikkim statt, einem Land steil abfallender grüner Täler unterhalb der reizvollen Schneefelder des Kangchendzönga*. Anders als in Tibet gibt es dort keine großen Klöster, sondern vielmehr Einsiedeleien, die aus einem kleinen Tempel mit darum gescharten Holzhäuschen der Lamas bestehen, die sowohl Mönche als auch verheiratete Lamas sein können. Angesichts meiner früher erworbenen Kenntnis des Vajrayana hätte es leicht geschehen können, das Mißverständnis westlicher Reisender zu teilen, die * Dritthöchster Berg der Erde, an der Grenze zwischen Nepal und Sikkim.
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aus dem Himalaya zurückgekehrt sind und verbreiten, daß die dortige Form des Buddhismus, dick mit Magie und Dämonenglauben überkrustet, kaum als eine Manifestation des Heiligen Dharma zu erkennen sei. Das recht düstere Innere der kleinen Tempel enthielt manche Bilder von Buddhas und Bodhisattvas mit dem Ausdruck stiller Heiterkeit, der allen Buddhisten vertraut ist, die Augen halb geschlossen, die Lippen von einem Lächeln überhaucht, das von innerer Seligkeit sprach; aber es gab viel mehr Bilder von dämonischen Wesen mit grausigen Hörnern und Fangzähnen, heraushängender Zunge und glühenden Augen, und mit unzähligen Händen, die einen schauerlichen Kranz von Waffen trugen oder die so entsetzliche Dinge wie umgedrehte Schädelschalen, randvoll mit frischem Blut, zur Schau stellten. Verziert mit einem Halsschmuck aus Knochen oder finsteren Köpfen tanzten sie auf Bergen von tierischen und menschlichen Körpern oder auf sich windenden aufgeschlitzten Leibern! Was den Augen vieler, die über das Thema »Tibetische religiöse Entartung« geschrieben haben, entgangen zu sein scheint, ist das Aussehen und Verhalten der Lamas - diese andächtigen Menschen, die so weit davon entfernt waren, bedauernswerte Tröpfe zu sein, die sich in abscheuliche Phantasien der Lust, der Grausamkeit und der Angst verloren haben, hatten eine überaus gewinnende Art; freundlich, großzügig, gern zum Lachen bereit, zeigten sie weder die schmallippige Feierlichkeit noch die aufdringliche Kameraderie, die man so oft bei Priestern in anderen Ländern findet. Und aus ihren Augen strahlten Sanftmut und Weisheit, die einer langen Bekanntschaft mit dem inneren Frieden entsprangen. Als ich sie so sah, ließ ich meine noch vorhandenen Zweifel fallen und erlaubte meinen Lamas, mich zu führen, wohin sie wollten, wobei ich vertrauensvoll auch all das annahm, was mich verwirrte oder erschreckte. Es war gut, daß ich das tat, denn die Lamas, die ich in Sikkim traf, und die anderen, von denen ich später in Kalimpong und an anderen Orten unterwie72
sen wurde, hatten einen Reichtum an Geschenken zu bieten Schätze des Lebens, Schätze des Geistes. Wenn ich zuwenig Gebrauch von dem heiligen Wissen gemacht habe, das sie mir mit so viel Mühe vermittelt haben, so ist es nicht ihre Schuld. Wäre ich zu diesen Lamas mit der Einstellung gekommen, ihre Unterweisungen nur in meinen eigenen Begriffen oder in den Begriffen jenes Rationalismus, der mir in der Schule eingeimpft wurde, zu akzeptieren, wäre ich nicht bereit gewesen, einiges Vertrauen in Behauptungen zu setzen, die von dem, was ich für wissenschaftliche Evidenz hielt, nicht bestätigt wurden. Hätte ich darauf beharrt, mich an ein streng logisches Vorgehen zu halten, so hätte ich, wie ich meine, nichts gelernt. VajrayanaAdepten, die sich der Wahrnehmung der absoluten Wahrheit innerhalb ihres eigenen Geistes geweiht haben, wenden Methoden an, die mehr mit Magie als mit Wissenschaft verwandt zu sein scheinen, und sie halten das, was Vorstellung und damit geistgeboren ist, für nicht weniger wirklich als die materielle Welt - die ebenfalls als geistgeboren gilt. Zuerst hatte ich Zweifel und persönliche Vorbehalte, aber bald verstand ich, daß das, was die Mahayana-Anhänger als relative Wahrheit bezeichnen (das heißt »auf Tatsachen beruhende Wahrheit«, nämlich das, was wir die »reale Welt« nennen), das Gebiet der Wissenschaft und der Logik ist. Wohingegen die Funktion einer spirituellen Lehre darin besteht, auf die absolute Wahrheit hinzuweisen, die, da sie sich auf das Nicht-Dualistische, Unteilbare, Unmeßbare bezieht, von der Intuition wahrgenommen wird, aber niemals durch begriffliches Denken erfaßt werden kann - daher das Vertrauen des Yogin in die aktive Imagination, in die Kontemplation. Er muß das Ungreifbare in Formen und Farben kleiden, an denen der Geist sich festhalten kann, während er sich aus dem mentalen Fahrwasser freikämpft, in das er durch die ausschließliche Beschäftigung mit dem Greifbaren geraten ist. Das Vajrayana erhebt sich über die doktrinäre Belehrung und legt seinen Nachdruck auf die intuitive Erfahrung. Mit Hilfe ei73
ner besonderen Form der Kontemplation durchbrechen seine Adepten die Ebene der sogenannten unveränderlichen Gesetze, die den äußeren Bereich beherrschen. Es gibt sowohl Wissenschaftler wie Mystiker, welche den bloßen relativen Wert solcher Gesetze erkennen - wie dies etwa bei Einstein der Fall war. Vielleicht wird sogar die Wissenschaft selbst eines Tages die Notwendigkeit einer außerordentlichen Tiefe mystischer Wahrnehmungen für jene proklamieren oder zumindest gutheißen, die die Schleier von der Oberfläche der Realität heben wollen. Für die meisten westlichen Menschen ist heute die Vorstellung von mystischer Wahrnehmung als ein Mittel, zur Wahrheit zu gelangen, so ungewöhnlich, daß man verzeihen muß, wenn das Training, das dazu gehört, für höchst wunderlich gehalten wird. Ein anderer Grund, weshalb intelligente westliche Reisende dazu neigten, das Vajrayana als ein Gemisch verschiedenen Aberglaubens zu betrachten, ist, daß es darin so viele Parallelen zu volkstümlichem Brauchtum gibt, daß es vom Standpunkt der Wissenschaft aus nicht mehr zu sein scheint als ein Überrest antiquierter Unwissenheit. Doch wie die Schüler C. G. Jungs sehr gut wissen, sind die bildhaften Vorstellungen des Brauchtums und der volkstümlichen Religiosität von überaus großer psychologischer Bedeutung. Diejenigen, die sich darum nicht kümmern oder sich weigern, darauf zu achten, erleiden einen unwiederbringlichen Verlust. Obwohl meine Lamas sich mehr für die subjektive Wirkung der Mantras im Geist des Adepten als für Wundertaten durch mantrische Kraft interessierten, schienen sie niemals an der Möglichkeit letzterer zu zweifeln, wie sehr sie auch jede unfruchtbare Neugier gegenüber diesem Thema ablehnten. Im gleichen Atemzug konnten sie bestätigen, daß solche Kunststücke recht oft zu sehen seien, und mich zugleich für die Bitte zurechtweisen, mir zu gestatten, einmal dabei Zeuge zu sein. Ob ich schließlich zu dem Schluß gekommen wäre, daß ihr Widerstreben, auch nur die kleinste Demonstration vorzufüh74
ren, in Wirklichkeit nur ihrem Mangel an Vertrauen in die eigenen Kräfte entsprang, weiß ich nicht. Bevor so etwas wie ein völliger Unglaube sich in meinem Geist einnisten konnte, stolperte ich über etwas, das mich beeindruckte, weil es mir die Kraft der Mantras, objektive Wirkungen zu erzielen, zumindest teilweise bestätigte. Zufällig fand ich heraus, daß mantrische Kontrolle der Träume möglich ist. Man kann einwenden, daß das, was einem in Träumen erscheint, ganz und gar subjektiv ist, da das ganze Drama sich im Geist des Träumers abspielt. Dennoch spielt dabei eine gewisse Art von Objektivität eine Rolle, da Träume normalerweise nicht bewußt kontrolliert werden können und ihr Inhalt in beträchtlichem Gegensatz zu des Träumers Wünschen stehen kann. Um die Sache deutlich zu machen, muß ich etwas vorwegnehmen, indem ich ein Thema berühre, das eigentlich in das folgende Kapitel gehört, nämlich den Yidam oder die innere Gottheit. Yoga-Methoden, die einen Yidam miteinbeziehen, stützen sich auf ein Prinzip, das folgendermaßen dargelegt werden kann: »Schau nach innen! Kein Buddha, kein Bodhisattva, keine Gottheit, keine göttliche Kraft, hoch oder niedrig, kann von außen bei deinen Bemühungen um Erleuchtung helfen. Der Geist ist der König. Dein eigener Geist bildet deine einzige Quelle der Weisheit und yogischer Kraft. Darum lerne deinen Geist kennen, entdecke in ihm alles, was heilig und der höchsten Wertschätzung würdig ist. Denn dein Geist ist zugleich Der Geist, die reine Substanz der Grenzenlosigkeit - ewig, nicht-dual, das Absolute selbst!« Leider ist die Selbstuntersuchung, die zum Erkennen deines eigenen Geistes führen soll, die schwierigste Aufgabe, die man sich denken kann. Darum bedarf die Weisheit zusätzlich der Hilfsmittel. Die Symbolik des verzweigten Vajrayana-Systems entspringt diesen zweien: Weisheit - das Ziel; Weisheit, verbunden mit Hilfsmitteln - der Weg. Buddhas Lehre führt zur Erleuchtung, wenn sie als Doktrin überwunden ist und die Weisheit von innen heraus wirkt. 75
Eine wichtige Anwendung dieses Prinzips im Yoga ist die innere Visualisation einer Gottheit, die einen Aspekt der Realität personifiziert, der unterhalb der Schichten vom Ego geschaffener Täuschung zu finden ist. In der Form, die der Lama für des Schülers Bedürfnisse als am besten geeignet betrachtet, wird diese Meditations-Gottheit dann bildlich vorgestellt; sie personifiziert die göttliche Potentialität, mit der jede Kreatur ausgestattet ist, die Essenz des Seins, die sich in jedem Individuum befindet und die doch alle individuellen Grenzen transzendiert, da sie nicht-dual, unendlich, ewig ist. Der Yidam, der mir gegeben wurde, ist die Grüne Tara. Der Ritus, mit dem sie angerufen wird, beinhaltet die sehr häufige Wiederholung ihres Mantras, so daß OM TÄRE TUTARE TÜRE SVÄHÄ schließlich ununterbrochen in meinem Geist kreiste, gleichgültig, welcher Gedanke meinen Geist daneben gerade beschäftigte. Obwohl ich zu der Zeit, als sich die Episode, die ich beschreiben will, zutrug, noch nicht an dem Punkt angelangt war, daß das Mantra spontan kreiste, war ich doch nahe genug gekommen, um es in Krisenmomenten augenblicklich im Geist und auf den Lippen zu haben. Seit meiner Kindheit habe ich von Zeit zu Zeit Alpträume, in denen ich von unerbittlichen Feinden gequält werde, oder ich krümme mich unter einem Bombenhagel, der alle Gebäude um mich herum in Brand steckt, oder ich sehe rasende Feuerstöße aus der bebenden und aufbrechenden Erde schießen. Manchmal finde ich mich zu einem Exekutionsplatz eskortiert, ein Opfer so trüber Gedanken, wie daß ich die Sonne zum letztenmal aufgehen sähe, und mit dem verzweifelten Kummer, wie meine Kinder die Scham über die Exekution ihres Vaters ertragen würden oder wie meine jüngste Tochter ohne mich zurechtkommen sollte. Gelegentlich werde ich von Schlangen verfolgt oder von Vampiren gepackt. Immer sind diese Alpträume voller schauerlich realistischer Details, und meine Emotionen sind die eines Menschen, der sich tatsächlich in solch einer grauenvollen Lage 76
befindet. Diese Träume suchen mich noch heute hin und wieder heim, aber sie haben einen großen Teil ihrer Kraft, mich zu erschrecken, verloren. Denn eines Nachts machte ich die Entdeckung, daß ein scharfes Ausstoßen des Tara-Mantras augenblicklich jede Gefahr, die mich bedrohte, bannte. Selten erwache ich an diesem Punkt, aber die bedrohliche Situation ist bewältigt, und der Traum nimmt einen angenehmen weiteren Verlauf, wobei ich einen Berg sich aus schaumbedecktem Meer erheben sehe - Taras Potala im Südlichen Ozean -, oder es ergibt sich eine ähnlich erfreuliche Szene, deren Farben vor allem unendlich viel reizvoller sind, als ich sie je in meinem wachen Leben erblickte. Gelegentlich wandelt sich das Muster. Vor nicht allzu langer Zeit träumte ich, daß ich irgendwo eingesperrt wurde, von wo der einzige Ausgang durch ein gut bewachtes Tor führte. Irgendwie wußte ich, daß ich zu Unrecht in ein Heim für geistig Gestörte eingeliefert worden war - ein Schafott wäre mir weniger grauenvoll erschienen! Die Wärter hatten offenbar ein sadistisches Vergnügen an meinem rasenden Flehen um Entlassung. Wie üblich erhob sich das Mantra des Yidam in meinem Geist erst, als ich den Höhepunkt völliger Verzweiflung erreicht hatte. Die Erinnerung brachte einen Augenblick großer Freude; aber diesmal sagte, bevor ich es aussprechen konnte, einer meiner höhnischen Wärter das Mantra auf und fügte mit einem Grinsen hinzu: »Worauf wartest du? So schrei doch nach deinem kostbaren Yidam, wenn du deinen Atem verschwenden willst!« Ich war zutiefst entsetzt! Niemals hatte ich solch grauenhafte Mutlosigkeit empfunden. Schon wollte ich meinen Yidam aufgeben, da sprach ich das Mantra, ohne daß ich dabei recht zu hoffen wagte. Obwohl die unmittelbare Wirkung lediglich darin bestand, daß es ein Hohngelächter hervorrief, das selbst die geringste Hoffnung, die noch übrig war, verschwinden ließ, so ging ich doch innerhalb von Sekunden durch das Fenster hinaus, ohne daß seine Gitter mich hinderten! 77
Einige Jahre vor diesem Traum hatte ich eine Entdeckung gemacht, die mich von der Wirksamkeit des Mantra meines Yidam überzeugte. Ein Freund, der sich für die offensichtliche Ähnlichkeit zwischen Yoga-Erfahrungen und den Zuständen, die durch Halluzinogene hervorgerufen werden, interessierte, überredete mich dazu, Meskalin zu versuchen. Die Wirkung der Droge auf mich war grauenerregend - so sehr, daß ich mich frage, ob irgend jemand jemals einen so schlechten »Trip« erlebt hat wie den meinen! Meiner Umgebung völlig bewußt und während der ersten Stadien noch fähig zu sprechen, zu essen und zu trinken, war ich einer nervenaufreibenden Desintegration ausgesetzt, begleitet von einer geistigen Qual, die nahezu unerträglich war. Ich hätte alles in der Welt für ein Mittel zur sofortigen Erlösung gegeben, aber es war ein nationaler Feiertag, und wir hätten durch ganz Bangkok fahren können, ohne einen Arzt zu finden, der den Biß eines tollwütigen Hundes behandelt hätte, und noch viel weniger einen, der auch nur eine Minute darauf verschwendet hätte, um einen Narren von den Konsequenzen seines Unfugs zu erlösen - oder so dachte ich zumindest, obwohl allein das schon möglicherweise eine Halluzination war. Die Agonie hielt stundenlang an und verstärkte sich eher, als daß sie abnahm. Ich sehnte mich buchstäblich danach zu sterben! Schließlich rief ich in einem Zustand völliger Selbstaufgabe kläglich nach meinem Yidam, indem ich natürlich sein Mantra benützte. Mit einem Schlag war die Situation verwandelt! Das Entsetzen wich einer Beseligung von gleichermaßen gewaltiger Intensität! Ich will noch von einer weiteren Erfahrung berichten, die anders geartet ist, außer daß das Mantra meines Yidam wieder seine Wirkkraft unter Beweis stellte. An sich ist die Sache zu trivial, als daß sie des Erzählens wert wäre, hätte nicht das Mantra zum erstenmal eine Wirkung ausgelöst, die ganz außerhalb meiner selbst lag. Sich mit yogischen Kräften zu brüsten ist nicht nur pietätlos, sondern ein sicherer Weg, um sie zu ver78
Heren; in diesem Fall jedoch geht es nicht um Angeberei, denn der Erfolg, der ganz unbeabsichtigt war, weist auf keine besondere Fähigkeit meinerseits hin, sondern nur auf die Kraft des Mantra selbst. Ich war nach Hongkong gekommen, um ein paar Tage bei einem Freund zu verbringen, der in seiner Wohnung eine alte und wunderschöne Statue der Grünen Tara stehen hatte. Bevor ich zu Bett ging, bat ich um Weihrauch und eine Schale Wasser für einen kurzen Ritus, den ich nach den Anweisungen meiner Lamas ohne Ausnahme an jedem Tag meines Lebens zelebrieren sollte. Mein Freund, den ich seit unserer Begegnung im »Wald der Einsiedler« kannte, als wir beide noch sehr jung gewesen waren, war ein sehr ernsthafter buddhistischer Gelehrter, aber mit dem Vajrayana nicht sehr vertraut. Fern von Neugier bat er mich, bei dem Ritus dabei sein zu dürfen, und ich stimmte bereitwillig zu. So saßen wir Seite an Seite auf Sitzkissen vor dem Altar, auf dem die Statue der Grünen Tara stand. Wie gewöhnlich brannte ich Räucherstäbchen an und begann dann mit der Zeremonie, in der eine geistige Verwandlung der Schale mit Wasser in einen Ozean jener Flüssigkeit, welche die Weisheit symbolisiert, stattfinden sollte. Meines Wissens geschah nichts Unerwartetes; aber als wir uns nach der letzten Verbeugung erhoben, stellte mein Freund - mit großem Erstaunen ruhig fest, daß das Wasser in der Schale während meiner man frischen Rezitation grün geworden sei - Taras Farbe! Das Mantra hatte niemals zuvor diese Wirkung gehabt, noch hatte es den Zweck, irgendeine Art von physischer Verwandlung des Wassers zu verursachen. Zweifellos resultierte das Phänomen aus dem Zusammentreffen der Kraft des Mantra mit derjenigen, die sich in der antiken Statue befand. Da meine Gedanken sich nach innen gewandt hatten und ich nicht auf das Wasser in der Schale geblickt hatte, kann ich nicht sagen, ob es sich tatsächlich grün gefärbt hat oder ob dies nur im Geist meines Freundes geschehen war. Auf jeden Fall war die Wirkung eine äußere in79
sofern, als das Mantra, das ich rezitierte, etwas verursachte, das außerhalb meiner selbst geschah. Die Begebenheit hatte einen gewissen Einfluß auf meine Bereitschaft, auch Geschichten von viel spektakuläreren mantrischen Geschehnissen zu glauben. So unbedeutend sie auch gewesen sein mochte, so gehörte sie doch zu derselben Kategorie wie jene aufregenden Ereignisse, die zu glauben mir so schwergefallen war.
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DIE INNERE GOTTHEIT
Meine Erinnerungen an Szenen, die bestimmte Abschnitte in der allmählichen Entfaltung meines Wissens über Yoga bezeichneten, sind nicht immer solche von Versammlungen in großen oder kleinen Tempeln. Wie zu erwarten, gewann ich manche wertvolle Einblicke in den Stunden, die ich in meinem Altarraum hier in Bangkok verbrachte. Ich erinnere mich insbesondere meiner Freude, als wenige Monate nachdem ich mit der Praxis des Kontemplativen Yoga begonnen hatte, zum erstenmal etwas so geschah, wie es sollte, vielleicht weil ich gelernt hatte, das zu tun, was mühelos getan werden muß. Ich saß vor meinem privaten Altar, auf dem die Kerzen in einem Paar silberner Butterlampen flackerten und Weihrauch in einem länglichen Weihrauchgefäß mit einem durchbrochenen Muster in der Form der mantrischen Silben des OM MANI PADME HUM glimmte, so daß der Rauch in Gestalt einer jeder dieser Silben der Reihe nach aufstieg, entsprechend dem nach und nach herunterbrennenden Stäbchen. Tormas, Opferkuchen, gab es nicht, denn ich habe nie gelernt, wie sie gemacht werden, aber symbolische Opfergaben wie klares Wasser, Korn, Blumen und Früchte waren in kleinen silbernen Schalen arrangiert. Obwohl keines dieser Dinge für den Yoga von grundlegender Bedeutung war, empfand ich es doch als wohltuend, sie zu haben; Altarräume sollten so sauber und anziehend wie möglich aussehen. Hinter dem Altar hing ein Thanka mit einer Abbildung der Grünen Tara, meines erwählten Yidam, die Verkörperung des »Buddha in meinem Herzen«. Leise rezitierte ich ihr 80
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Mantra und sah dabei im Geiste die Gestalt der lebendigen Tara mit dem fo)d-Mantra TAM, das in ihrem Herzen strahlte. Darum herum kreisten die Silben OM TÄRE TUTARE TÜRE SV AHA als ein leuchtendes Band von kühlem grünem Feuer, wobei ihre Bewegung einen weißen Nektar hervorbrachte, der durch meinen Kopf hindurchdrang und abwärts floß und alle Unreinheiten in Form schwarzen Rauches austrieb und meinen
Körper in eine Kristallvase verwandelte, die sich bis zum Rand mit einem Elixier füllte, das weißer war als Schnee. Bald darauf zogen sich die leuchtenden Silben in das TAM zurück, das TAM verschwand, und nichts war übrig als objektlose Wahrnehmung. Die Kontemplation der inneren Gottheit, der Verkörperung unserer angeborenen Göttlichkeit, bildet die Grundlage des mantrischen Yoga, der auf rasche Erleuchtung hinzielt. Die Art und Weise, diese Gottheit zu beschwören, ist lange geheimgehalten worden und wird noch immer mit Vorsicht gelehrt. Selbst heute kann man es kaum anders als auf dem Wege der Initiation erlernen; neben der Gewähr für korrekte Unterweisung beinhaltet sie die Kraftübertragung - die Weitergabe des yogischen Geistes des eigenen Lama und der ganzen Reihe seiner Vorgänger zurück bis zu (bei den Nyingmapa und Kagyüpa) dem Kostbaren Guru Padmasambhava und schließlich zu Shakyamuni Buddha selbst. In Europa und Amerika ist eine Initiation nicht mehr sehr schwer zu erhalten, da sich einige der geflüchteten Lamas dort niedergelassen haben. Initiationen dienen auch noch einem anderen Zweck, nämlich um die Gewähr zu geben, daß kein Schaden auf Grund unkundiger Ausführung von Yoga-Riten entsteht. Wie andere machtvolle Kräfte können auch die mantrischen Yoga-Methoden je nach Anwendung aufbauen oder zerstören. Ihre zerstörerische Funktion ist auf innere Hindernisse auf dem Weg zur Erleuchtung ausgerichtet, auf die karmische Last des jetzigen und der früheren Leben, aber Mantras können versehentlich falsch angewandt werden - mit gefährlichen Konsequenzen; und es gab Yogins, die ihr Wissen bewußt für persönliche Zwecke mißbrauchten. Darum haben alle buddhistischen esoterischen Sekten - das indo-tibetische Vajrayana, das japanische Shingon und, solange sie existierte, die chinesische Mi Tsung-Sekte - die mantrische Unterweisung auf Initiierte beschränkt. Bis zum heutigen Tag werden die Methoden, in denen viele wichtige
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Mantras verwendet werden, den Uneingeweihten ferngehalten. Und obwohl andere, wie das OM MANI PADME HÜM, sehr verbreitet sind, werden sie formal erst nach zwei vorausgehenden Schritten mitgeteilt - zuerst ein niederes Sang (lies: »wang« Ermächtigung oder Übertragung) und als zweites ein lung oder die mündliche Weitergabe der Worte, die vom Lama in das Ohr des Schülers geflüstert werden müssen. Daß die Bedingungen für eine Initiation beträchtlich gelockert worden sind und daß die Erlaubnis, über Yoga-Themen zu schreiben, ohne Schwierigkeiten zu erhalten ist, rührt weitgehend von der chinesischen Besetzung Tibets her, denn Tod oder Exil so vieler Lamas ließ die Sorge um die zukünftige Weitergabe des heiligen Wissens wachsen. Ein anderer Grund ist der, daß die Lamas, vom Geist des Mitleids bewegt, sich besonders den Notwendigkeiten fremder Schüler anpassen, die selten lange genug in ihrer unmittelbaren Nähe bleiben können, um ihr Vertrauen und ihre Anerkennung in der alten Weise zu erlangen. Glücklicherweise ist ein absichtlicher Mißbrauch von Mantras bei westlichen Adepten unwahrscheinlich. Erstens ist es nicht einfach, die Techniken zu erwerben, die notwendig sind, um unheilbringende Erfolge zu produzieren; zweitens werden diejenigen, die vor Mantras keine Achtung haben, sich kaum mit ihnen abgeben, wohingegen jene, die sie haben, sich im allgemeinen der Gefahren des Mißbrauchs bewußt sind. Man frisches Yoga ist Teil einer Tradition, die die Erkenntnis beinhaltet, daß alle Aktivitäten des Körpers, der Rede und des Geistes, seien sie gut oder schlecht, Folgen haben, denen der Erzeuger möglicherweise nicht entrinnen kann. Unpassender Gebrauch von Yoga-Wissen zieht Strafe nach sich. Die karmische Last eines Adepten, der Mantras benützt, um eines Feindes Zerstörung zu veranlassen, ist doppelt schwer - zu dem Übel, Leben zerstören zu wollen, kommt noch das der Profanierung heiligen Wissens hinzu. Die Biographie von Milarepa berichtet, wie schmerzhaft sein Lehrer Marpa des Dichters Profanierung 84
mantrischen Wissens bestrafte, weil er es als junger Mensch benützt hatte, um die Verfolger seiner Familie zu zerstören. Bevor er ihn auch nur eines Brosamens der Lehre würdigte, ließ Marpa den jungen Mann Jahre harten Dienens erleiden, indem er von ihm forderte, ein Haus nach dem anderen auf entfernten Berggipfeln zu bauen, aus Mörtel und Steinen, die er von weit her schleppen mußte, um ihm dann unvermittelt den Befehl zu geben, alles niederzureißen und den Mörtel und die Steine an ihren Ursprungsort zurückzutragen. Mit schmerzenden Muskeln, Arme und Schultern mit Schürfwunden bedeckt, gehorchte der unglückselige junge Mann. Marpa war natürlich vom Mitleid bestimmt; Milarepa in seinem gegenwärtigen Leben bitteres Leiden zu verursachen, war der wirksamste Weg, um die karmische Last zu verringern, die von seinem haarsträubenden Mißbrauch von Kräften, die er durch Yoga gewonnen hatte, herrührte. Ich könnte den verderblichen Gebrauch von Mantras nicht beschreiben, selbst wenn ich das perverserweise tun wollte; denn meine freundlichen Lehrer ließen sich nicht träumen, mir solches Wissen zu vermitteln. Was man eher fürchten muß, ist der unbeabsichtigte Mißbrauch, ein wichtiger Grund für die sorgfältigen Unterweisungen, die der Initiation folgen. Das, was den Weg des Mystikers vom ausgetretenen religiösen Pfad unterscheidet, ist die Erkenntnis, daß Erleuchtung Befreiung, Erlösung - aus dem Innern des Menschen selbst kommt. Hierin liegt der Schlüssel zum höchsten Wissen. Mit dieser Gewißhit muß man sich um das wahre Verständnis der Mantras und aller anderen Hilfsmittel zum Fortschritt im Yoga bemühen. Allgemein gesagt gibt es zwei getrennte Vorstellungen von dieser Wahrheit. Während christliche und islamische Mystiker die mystische Erfahrung im Licht ihres eigenen Dogmas verstehen und glauben, die Einheit mit Gott zu erreichen, empfinden die Buddhisten und Taoisten es so, daß sie das Nirwana oder das Tao verwirklichen. Es hat wenig Bedeutung, wel85
chen Namen man dem Ziel gibt, aber es besteht ein großer Unterschied zwischen Erreichen und Verwirklichen: das erstere weist auf eine Trennung zwischen dem Gläubigen und seinem Ziel hin, die überbrückt werden muß; das letztere setzt eine Einheit voraus, die niemals zu bestehen aufhört, auch dann nicht, wenn sie durch die vom Ego erzeugten Täuschungen unerkannt bleibt. Allerdings besteht kein Unterschied in der Erfahrung selbst, ob man sie nun mit Erreichen oder Verwirklichen bezeichnet, da sie ein Ergebnis der unmittelbaren intuitiven Wahrnehmung der Höchsten Wahrheit ist. Buddhisten und Taoisten haben den Vorteil, daß es keinen Konflikt zwischen denjenigen, die sich an den mystischen, und denen, die sich an den nicht-mystischen Weg halten, gibt. Zumindest in der Theorie ist der gesamte Buddhismus mystisch; denn da er keinen omnipotenten Schöpfer kennt, lehrt er, daß es niemanden gibt, dem man gefallen oder gegen den man sich versündigen beziehungsweise den man versöhnlich stimmen könnte, und daß folgerichtig alles nur innerhalb des eigenen Wesens des Gläubigen erlangt werden kann. Die Mahayana-Schule des Buddhismus, von der das Vajrayana einen Teil darstellt, geht noch weiter, indem sie die Behauptung aufstellt, daß das ganze Universum dem Spiel des Geistes entspringe. Geist ist die einzige Wirklichkeit, und die scheinbare Individualität unseres endlichen Geistes rührt von der Unwissenheit über unser wahres Wesen her, die aus der uranfänglichen Täuschung erwächst. Diese Vorstellung vom Universum wird von bestimmten Hindu-Sekten geteilt, die eine etwas andere Art von mantrischem Yoga gebrauchen. Doch da ich nicht in eine von ihnen initiiert wurde, kann ich ihren Yoga nicht aus unmittelbarer Kenntnis beschreiben, und darum hielt ich es für das beste, es erst gar nicht zu versuchen. Vollendete Mystiker erkennen - abgesehen von Unterschieden in der Terminologie, die sie gebrauchen -, daß die Erfahrung der mystischen Einheit für alle dieselbe ist; auf dem Weg 86
zu ihrer Vollendung sind sie über widerstreitende Dogmen und Vorurteile und jeglichen Meinungsstreit hinausgewachsen. Andererseits mögen diejenigen, die erst noch die Freuden des Mystikers kosten müssen, sich fragen, was einen zu dem ausschließlich nach innen gerichteten Weg zur Weisheit motivieren kann. Viele bezweifeln die Notwedigkeit irgendeiner spirituellen Aktivität außer der Beachtung eines vernünftigen Moral-Kodexes. Manche kümmern sich nicht einmal darum. Im Falle einiger weniger Glücklicher ergibt sich die mystische Erfahrung von selbst und verleiht solche Beseligung, daß diese Fragen albern erscheinen. Ebenfalls vom Glück bedacht sind diejenigen, in denen zwar nicht die Erfahrung, wohl aber eine große Sehnsucht nach ihr spontan entsteht. Obwohl sie Qualen leiden, solange sie ungestillt bleibt, werden sie durch ein intensives Vorauswissen um die Seligkeit getröstet, die erlangt werden kann. Aber wie steht es mit dem Rest - das heißt, den meisten Menschen? Es bedarf nicht großer Überlegungen, um sich die Unbefriedigtheit des Lebens vorzustellen, wie viel Lästiges, wenn nicht gar durch und durch Schmerzhaftes oder Tragisches es ausfüllt, wie vergänglich die Befriedigungen sind, wie oft die schönsten Hoffnungen enttäuscht werden. Angesichts dieser düsteren, oft grausamen Realität suchten Generationen unserer Vorfahren ihre Zuflucht in der Frömmigkeit und in dem Glauben, daß der Himmel eine Entschädigung für alles irdische Elend bieten würde. Heute hat ein solch einfacher Glaube seine Kraft zu trösten verloren. Doch wie, wenn es eine Religion über den Religionen gibt, eine strahlende, lebendige Wahrheit, die wahre Inspiration allen religiösen Denkens, das so oft mißverstanden wurde, daß das Licht zuletzt nicht mehr zu sehen ist? Es gibt keine Möglichkeit, den Blinden zu beweisen, daß es das Licht gibt. Sie müssen ihre Blindheit überwinden und es selbst sehen, da es niemals in Worten ausgedrückt werden kann. Ich erlebte die erste Andeutung seiner Existenz, als mich die Atmosphäre von Freude und Liebenswürdigkeit gefangennahm, die 87
alle jene Persönlichkeiten durchdringt, die ihr Leben mit der Kontemplation der inneren Welt verbracht haben, anstatt ihre Kräfte im unaufhörlichen Spiel mit den äußeren Phänomenen zu vergeuden. Weil so viele Tibeter von einer alten und erleuchteten Tradition durchdrungen sind, findet man unter den Lamas eine große Anzahl von Menschen, die so sehr die Qualität von Freude, Mitleid und innerer Ruhe ausstrahlen, daß sie jeden Betrachter davon überzeugen, über ein Geheimnis zu verfugen, das von unendlichem Wert sein muß. Natürlich haben weder sie noch die Buddhisten im allgemeinen ein Monopol auf dieses Geheimnis. Ich bin Taoisten begegnet, deren Gesichter die gleiche beseligte Ruhe ausstrahlten, und ich habe Berichte von hinduistischen, sufistischen und christlichen Mystikern gelesen, die offensichtlich denselben Zustand erreicht hatten. Da die Taoisten nahezu vom Erdboden verschwunden sind und man vollendete Mystiker viel seltener als früher findet, ist es naheliegend, die Lehrer in den Grenzgebieten des Himalaya zu suchen, wo die alten kontemplativen Traditionen noch lebendig sind. Es ist wahr, daß die Hilfsmittel zur mystischen Verwirklichung nicht exklusiver Besitz irgendeines Glaubens sind. Doch bietet der Buddhismus zwei besondere Vorteile: er vermeidet es, auf festgelegten Glaubenssätzen zu bestehen, die sich oft als Behinderung für die spirituelle Entwicklung erweisen; und er liefert eine ganze Ausrüstung von kontemplativen Methoden, um die intuitive Wahrnehmungsfähigkeit zu wecken. Meine persönliche Vorliebe für die Mahayana-Form des Buddhismus wurzelt in zwei Umständen: sie bietet eine breite Vielfalt von Mitteln an, die verschiedenen Temperamenten und Verständnisebenen angepaßt sind; und, was noch wichtiger ist, sie vertritt eindeutig die Lehre vom Geist als Höchste Wirklichkeit. Innerhalb des Mahayana habe ich die kontemplativen Yoga-Methoden des Vajrayana als besonders inspirierend empfunden; wäre es anders gewesen, würde ich kaum je über Mantras geschrieben haben, 88
denn auf dem Vajrayana-Weg muß man ein profundes mantrisches Wissen entwickeln. Die Lehre des Vajrayana birgt zwei wertvolle Einsichten in die Wahrheit, von denen die eine in allen Mahayana-Sekten geläufig ist und die andere einst ein streng gehütetes Geheimnis war. Es sind dies: erstens die Erkenntnis der Identität von Samsara und Nirwana; und zweitens der zutiefst esoterische Gedanke »Ich bin Buddha!« Samsara ist der universale Strom, in dem die Wesen treiben müssen, solange die ego-geschaffene Täuschung von einer unabhängigen Existenz aufrechterhalten bleibt, da unsere Welt ein winziger Teil des Ganzen ist. Nirwana ist das höchste Sein-NichtSein jenseits aller menschlichen Vorstellung und nicht zu erlangen, bevor nicht die letzte Spur von Ego-Täuschung aufgegeben wurde. Und doch sind Samsara und Nirwana nicht zwei! Es gibt kein Gehen vom einen zum anderen, noch gibt es individuelle Wesen, die diese Reise machen könnten; es gibt nur ein Herausfallen aus der Illusion, eine plötzliche Erkenntnis der Dinge, wie sie wirklich sind, eine Offenbarung der wahren Natur des Selbst und allen 'Selbstseins, das es je gab. Um eine einfache Analogie zu gebrauchen - ein Kind, das in einem stockdunklen Raum geboren und aufgezogen wurde, muß annehmen, daß seine Umgebung ohne Farbe und sichtbare Form sei; wenn es dann Licht gibt, erscheint alles wunderbar verändert. Und doch ist der Raum derselbe, nichts hat sich geändert außer der Wahrnehmung des Kindes von seiner Umgebung. »Ich bin Buddha!« Wenn man »Buddha« als Symbol für das Höchste nimmt, für das, was die Mystiker die Gottheit nennen, so zeigt sich, daß diese gewaltigen Worte die Essenz der mystischen Wahrnehmung verkörpern. Wer sie versteht, begreift sich selbst als Betender und Angebeteter, als das Individuum und das Universale, als scheinbar bedeutungslos, in Wahrheit aber göttlich! Aus dieser Erfahrung ergeben sich drei Verpflichtungen: alle Wesen, wie widerwärtig sie äußerlich auch sein mögen, als 89
Verkörperungen des heiligen Seins zu behandeln; alle Töne, auch wenn sie das Ohr beleidigen, als Teil des heiligen Klanges zu erkennen; und stets daran zu denken, daß es überall im gesamten Universum nichts anderes gibt als Nirwana, wie dicht di dunklen Wolken der Illusion auch sein mögen. Darum ist der Adept, was immer auch geschieht, in Göttlichkeit gehüllt; mit seinem Auge der Weisheit nimmt er die Heiligkeit aller Dinge wahr, und sein Herz der Weisheit verströmt unermeßliches Mitleid. Von diesem Augenblick an beginnt der Aspirant, die Befreiung im Innern zu suchen; er löst den Dualismus von Betendem und Angebetetem auf und erkennt die Identität von »IchKraft« und »Fremd-Kraft« als Quelle der spirituellen Inspiration, und damit sind die Fesseln des Ich-Bewußtseins gelöst. Und in dem Maße, in dem die Macht des illusorischen Ich schwindet, wächst die Qualität der Geduld, des Verzeihens und des Mitleids. Allerdings beinhaltet der Befreiungs-Gedanke »Ich bin Buddha« große Gefahr; falsch verstanden, führt er zu ungeheuer verantwortungslosem Verhalten und zu anmaßendem Stolz, der, da er das Ego aufbläht, anstatt es zu verkleinern, den Adepten noch fester in die Bande der Täuschung verstrickt. Darum wurde dieses Wissen früher vor den Weltlichen verborgen, und die Lamas lehren die geeigneten Mittel, mit denen man dieser ernsten Gefahr entgegentreten kann. Niemals sollte jemand denken: »Ich bin Buddha«, ohne sich zu vergegenwärtigen, daß es auf der Ebene der absoluten Wirklichkeit so etwas wie »Ich« nicht gibt! Von der bloßen Annahme der Lehre, daß das Göttliche dem Menschen innewohne, bis zur intuitiven Erfahrung dieser Wahrheit, das ist ein weiter Weg. Nichts von bleibendem Wert hat man gewonnen, solange diese Erfahrung sich nicht einstellt. Will man eine Fußreise von, sagen wir, Paris nach Lhasa unternehmen, so beginnt man mit einem Schritt in südöstliche Richtung; schön, die Reise hat begonnen, aber man ist immer noch 90
genauso weit weg von Lhasa wie ein Pariser, der vor seine Tür gegangen ist, um Brot zu kaufen. In derselben Lage befindet sich der Aspirant. Und weil die Reise von der Anerkennung bis zur Wahrnehmung der Wahrheit so voller Fallgruben ist, liefert das Vajrayana eine Vielzahl von Hilfsmitteln, um das Ziel so schnell wie möglich - das heißt, wie es der jeweiligen individuellen Kraft entspricht - zu erreichen. Die Aufgabe wie die Mittel sind psychischer Natur, denn die lange Straße beginnt und endet innerhalb der Grenzen des menschlichen Schädels. Die Mantras bilden einen Teil der geeigneten Mittel, die von Beginn der Reise an gebraucht werden und die man bis zu jenem hohen Gipfel hinauf benützt, auf welchem »Mittel« jeglicher Art fallengelassen werden. Mantrischer Yoga beinhaltet als allererstes die Annahme eines Yidam, einer Gestalt, in welcher die innere Gottheit verkörpert ist. Für Buddhisten anderer Sekten, seien sie Zen-Anhänger oder Theravadins, mag dies als eine absurde Perversion einer ihrer geschätztesten Überzeugungen erscheinen; denn der Tradition nach wurden die Buddhisten gelehrt, Gottheiten zu meiden. Gewiß richten Gläubige oft Bittgebete auch an Gottheiten eines anderen Glaubens (des Hinduismus, des Taoismus usw., je nach der Örtlichkeit), aber die Wohltaten, auf die sie aus sind, haben nichts mit der spirituellen Entwicklung zu tun. (Ich half einmal einem jungen presbyterianischen Mädchen, das unglücklich verliebt war, in die Kirche von Walsingham zu schlüpfen, damit sie Kerzen für die Jungfrau anzünden konnte; nur war es eben so, daß ihr eigener Glaube - ebenso wie der Buddhismus - keine Möglichkeit bot, um das Happy-End einer Liebesgeschichte zu gewährleisten.) Entsprechend der buddhistischen Lehre kann es, da das ganze Universum dem Spiel des Geistes entspringt, keinen allmächtigen Schöpfer geben, der für sich steht; Götter sind nur eine von mehreren Ordnungen des Seins; und obwohl sie möglicherweise beneidenswerte Kräfte besitzen, sind sie doch den Gesetzen von Geburt, Wachstum, Verfall und Tod im Rahmen einer Zeit91
dauer, die ihrer Natur angemessen ist, unterworfen. Der Buddha sprach oft von Göttern als den Bewohnern so vieler Welten, wie es Sandkörner im Ganges gibt. Er lehrte, daß es nutzlos sei, sich an sie um Hilfe bei der spirituellen Entwicklung zu wenden, die ja ganz und gar nur auf den eigenen Anstrengungen beruht. Mit anderen Worten: man sollte die Götter etwa in gleicher Weise wie, sagen wir, Panther oder Delphine sehen - real genug, aber zu einer Spezies gehörend, die nur von geringer Bedeutung für den spirituellen Menschen ist. Nicht mit den Göttern zu verwechseln sind die Buddhas und Bodhisattvas des Mahayana-Pantheon. Diese schließen auch den historischen Buddha mit ein; aber vor allem sind sie Personifikationen von Kräften, die der Energie von Weisheit-Mitleid entspringen, welche vom Geist erzeugt wird. So wird die Weisheit von Manjushri personifiziert, das Mitleid von Avalokiteshvara, die vollkommene Aktivität von Vajrapani usw. Auf der volkstümlichen Ebene werden sie oft mit Gottheiten verwechselt, und es ist bequem, sie insgesamt mit diesem Namen zu bezeichnen; aber Yoga-Adepten erkennen sie gleichzeitig als Emanationen des allumfassenden Geistes und, in gewissem Sinn, als Schöpfung des eigenen Geistes. Doch zurück zu den Methoden des mantrischen Yoga! Diese sind, obwohl sie etwas beinhalten, das dem Außenseiter als den theistischen Riten sehr ähnlich erscheinen mag, in Wirklichkeit ausgezeichnete psychische Hilfsmittel, um die unmittelbare intuitive Realisation der Göttlichkeit in unserem Geist zu erlangen. Um die besondere Eigenart der Objekte der Kontemplation zu betonen, nenne ich sie gerne »Meditations-Gottheiten«. Jede von ihnen kann als Yidam oder »innere Gottheit« des einzelnen Adepten eingesetzt werden. Es gibt Hunderte, wenn nicht gar Tausende von ihnen, und sie sind in einer Hierarchie angeordnet, die der wachsenden Differenzierung der Energie von Weisheit-Mitleid in zunehmender Entfernung vom Ursprung ent92
spricht. Es ist unbedingt notwendig, daß der Adept erkennen lernt, daß diese Ströme aus ihm selbst fließen, aus seinem scheinbar individuellen Geist, der nichts anderes ist als der unendliche Geist; nichtsdestoweniger muß er sie zuerst als von außen hereinströmend visualisieren, wobei der unendliche Geist provisorisch als irgendwo »jenseits« liegend aufgefaßt wird; als nächstes wird er als innerhalb befindlich angesehen und zuletzt als innen und außen seiend erfahren, was beides er nun als identisch erkennt. Der unendliche Geist und sein eigener Geist sind nicht zwei! Dem Adepten wird, um ihm bei dieser Realisation beizustehen (die weit über das nur intellektuelle Akzeptieren hinausgehen muß), ein Yidam zugeteilt, der eine differenzierte Form der Energie von Weisheit-Mitleid ist. Vor allem in Asien neigen naive Aspiranten dazu, am Anfang zu glauben, daß ihre Yidams eigenständig existierende Gottheiten seien, die man einladen muß, sich im Innern niederzulassen. Mehr noch: selbst weniger naiven Aspiranten wird beigebracht, mit der Visualisation der Yidams zu beginnen, als ob sie sich außerhalb befänden; und in einem späteren Stadium müssen sie diese Übung mit der Visualisation des Yidam als innere Kraft abwechseln. Wenn die Adepten höhere Ebenen erreichen, müssen sie ihre früheren Übungen nicht etwa fallenlassen; denn während die Kontemplation einer äußeren Gottheit zu dem Irrtum des Theismus führt, kann die ununterbrochene Kontemplation der inneren Gottheit zu einer Zeit, da das Verständnis noch nicht völlig reif dafür ist, zu schlimmen Resultaten führen, da sie Stolz hervorruft und somit die Macht des Ego unterstützt. In einem gewissen eingeschränkten Sinn ist der Yidam ein separates Wesen zwar nicht wirklich von des Adepten eigenem Geist getrennt, da der Erste Ursprung und der Adept eines sind, aber getrennt insofern, als der Yidam in mancher Hinsicht zu dem Bereich der Erscheinungen gehört, in dem individuelle Wesen eine vergängliche Existenz haben. Denn die Gottheit repräsentiert nicht den 93
Ursprung selbst, sondern eine der differenzierten Energien, die ihm entströmen, Energien, die sich verästeln und immer weiter aufteilen, je mehr die Entfernung vom Ursprung wächst. Daß diese Kräfte und Objekte zugleich getrennt und nicht getrennt sein können, wird durch die Lehre von der gegenseitigen Durchdringung, die im Avatamsaka-(Hua Yen-JSutra enthalten ist, gut erklärt. Darin wird dargelegt, wie jedes Ding im Universum jedes andere Ding durchdringt und von ihm durchdrungen wird. Zu sagen, daß Yidam und Adept getrennte Wesen seien, ist in einer Hinsicht falsch; zu sagen, sie seien identisch, ist in anderer Hinsicht falsch; daher die Notwendigkeit, die beiden Übungen abzuwechseln! Dies entspricht einer anderen grundlegenden mystischen Wahrheit: ebenso wie das Universum jedes Wesen enthält, so enthält jedes Wesen das Universum. Die Kontemplation des Yidam-als-man-selbst erzeugt eine Wahrnehmung, die vollkommen in Ordnung ist, doch können Irrtümer vermieden werden, wenn man jene Wahrnehmung hinzufügt, die durch die Kontemplation des Yidam als außerhalb befindliches Wesen entsteht. Der Yidam, der einem Aspiranten beigegeben wird, dessen yogische Fähigkeiten recht bescheiden sind (wie die meinen), ist im allgemeinen eine Verkörperung einer der unterstützenden Ströme der Weisheit-Mitleid-Energie - wie Tara oder eine Dakini -, denn diese Hilfsströme sind der Ebene der relativen Wahrheit näher, zu welcher das Alltagsbewußtsein gehört, so daß sie leichter begriffen werden können als die subtileren Energien, die nur eine oder zwei Stufen vom Ursprung entfernt sind. Die Betonung liegt auf der Praxis, nicht auf dem Glauben. Während die unmittelbare Intuition das Ziel darstellt, hat der Glaube nur geringe Bedeutung, und somit hat das Ausmaß, in dem der Aspirant sich der wahren Natur der Meditations-Gottheiten bewußt ist, hinsichtlich der spirituellen Entwicklung nur wenig Bedeutung; später kommt das Verstehen von selbst. Da dies so ist, denke ich, daß Yoga-Kontemplation, die einen 94
Yidam beinhaltet, mit Erfolg von Anhängern aller Religionen praktiziert werden könnte. So, wie die Formen der Yidam, die von den Tibetern visualisiert werden, weitgehend der indischen und der Bön-Ikonographie entlehnt wurden, so könnten auch Christen oder andere die Formen ihrer Yidam der ihnen vertrauten Ikonographie entnehmen. Um solch eine Neuerung für die kirchlichen Autoritäten akzeptabel zu machen, müßte man die Yidam als psychische Hilfe zur Entwicklung der Intuition darstellen. Am Anfang würde diese ziemlich eingeengte Auffassung von der Natur des Yidam kein Problem darstellen; und wenn dann die Intuition erwacht, würden sich alle Irrtümer in der Auffassung von selbst berichtigen. Christen könnten sich niemals mit spirituellen Übungen anfreunden, die an »himmlische Gottheiten« gerichtete Rituale beinhalten, aber das würde kein Hindernis sein. Da Meditations-Gottheiten nicht mehr und nicht weniger als Personifikationen unkörperlicher Energien sind, können sie jede Form annehmen, die sich im Geist des Adepten mit heiliger Ehrfurcht assoziativ gestaltet. Das alles ist natürlich reine Spekulation; ich habe niemals daran gedacht, Lamas oder christliche Priester in dieser Angelegenheit zu Rate zu ziehen. Doch mache ich diesen Vorschlag nicht leichtfertig. Es wäre absurd, anzunehmen, daß die großen Mystiker der Vergangenheit, die von der Inspiration durch den Heiligen Geist, vom Inneren Christus und von der Einheit mit der Gottheit sprachen, etwas meinten, das grundsätzlich verschieden vom Weg und Ziel der buddhistischen Mystik war. In der Beschwörung der Meditationsgottheiten - wobei es sich oft, aber nicht immer, um den eigenen Yidam handelt spielen die Mantras ihre wesentlichste Rolle; alle anderen Funktionen, wie spektakulär sie auch sein mögen, sind lediglich sekundär. Jede dieser Gottheiten hat ein bija-Mzntra. von einer Silbe, ein Herz-Mantra, das aus mehreren Silben zusammengesetzt ist, manchmal auch ein längeres Mantra; sie alle verkörpern die Energie, die durch diese bestimmte Gottheit personifiziert ist. 95
Bija-Mmtias sind - außer Samen zu sein, die »Szenen der Verwandlung« im Geist des Adepten erzeugen, welche die Substanz der yogischen Visualisationen bilden - auch mit dem verbunden, was im Yoga als die psychischen Zentren des Körpers (chakra) bekannt ist, und sie können benützt werden, um diese Zentren und die Energien, die ihnen innewohnen, zu stimulieren. Es heißt, daß besonders £/)