Atlan ‐ Die Abenteuer der SOL Nr. 557 Oggar
Der Spiegelplanet von Hans Kneifel
Der Krieg der Spinnenvölker ...
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Atlan ‐ Die Abenteuer der SOL Nr. 557 Oggar
Der Spiegelplanet von Hans Kneifel
Der Krieg der Spinnenvölker
Mehr als 200 Jahre lang war die SOL, das Fernraumschiff von Terra, auf seiner ziellosen Reise durch die Tiefen des Alls isoliert gewesen, bis Atlan in Kontakt mit dem Generationenschiff kommt. Die Kosmokraten haben den Arkoniden entlassen, damit er sich um die SOL kümmert und sie einer neuen Bestimmung zuführt. Jetzt schreibt man an Bord des Schiffes den Mai des Jahres 3792, und der Arkonide hat trotz seines relativ kurzen Wirkens auf der SOL bereits den Anstoß zu entscheidenden positiven Veränderungen im Leben der Solaner gegeben – ganz davon abgesehen, daß er gleich nach seinem Erscheinen die SOL vor der Vernichtung rettete. Inzwischen hat das Generationenschiff viele Lichtjahre zurückgelegt, und die Solaner haben in dieser Zeit viele Konflikte mit Gegnern von innen und außen mehr oder weniger unbeschadet überstanden. Unter Breckcrown Hayes, dem neuen High Sideryt, bahnt sich nun eine weitere Stabilisierung und Normalisierung an Bord an. Allerdings sorgen unerwartete Ereignisse immer wieder für Unruhe. Diesmal muß der Flug zur fernen Galaxis Ploohnei unterbrochen werden. Schuld daran ist DER SPIEGEL‐PLANET …
Die Hauptpersonen des Romans: Atlan ‐ Der Arkonide als Friedensstifter im Krieg der Spinnenvölker. Breckcrown Hayes ‐ Der High Sideryt läßt einen Planeten zerstören. Pirt‐flyrr und Kirr‐hinc ‐ Kämpfer der Oyst‐Mesat. Purmʹtrucc und Sruumʹhult ‐ Kämpfer von Vormant. Zirc‐myrn ‐ Ein ehemaliger Soldat.
1. Der schwebende Würfel drehte sich knarrend. Die ersten Strahlen der Sonne trafen auf seine Flanken. Die hundertzwanzig Soldaten der Kommandoeinheit bewegten sich unruhig. Das düstere rote Licht brach sich an den flachen Körperpanzern, die wie Halbkugeln aus poliertem Metall aussahen. Mit dem gepanzerten Endglied des rechten vorderen Laufbeines rückte Achtauge Pirt‐flyrr das Induktionsmikrophon vor seine Mandibeln. »Achtung!« sagte er mit seinem heiseren, fast trillernden Flüstern. Die Soldaten von Cirrith erstarrten. »Wir haben eine schwere Aufgabe«, erklärte er. Achtauge war der höchstdekorierte Anführer der Zerstörer. So nannte man seit Urzeiten die Soldaten des Planeten. »Von dieser Verdammten Legion haben sich Kämpfer in der Nähe von Punkt Mesat‐Null eingenistet. Getreu unserer Aufgabe, den immerwährenden Schutz des Systems zu garantieren, greifen wir an und vertreiben sie. Für Cirrith!« Hundertzwanzig Soldaten, in ihren Höröffnungen die Empfänger, schlugen mit den Kolben ihrer langläufigen Waffen gegen die Ränder ihrer hellen Körperpanzer. Ein rasselndes, klirrendes Geräusch hallte zwischen den Mauern der Bunker wider. Langsam hob Achtauge Pirt‐flyrr sein Laufglied, griff mit den Krallen um den Schaft der Waffe und deutete nach vorn. Dort stand der gedrungene Raumtransporter. »Für Cirrith!«
schrien die Soldaten. Die tiefrote Sonnenscheibe kroch millimeterweise hinter den gezackten Bergkuppen hoch. Der Trupp setzte sich im Gleichschritt in Marsch und bewegte sich schnell und zielsicher auf die Rampe des Transporters zu. Hoch über den Köpfen der Kommandoeinheit heulte ein Stratosphärenschiff mit rauhem Jaulen hinweg. Schweigend schleusten sich die hundertzwanzig Kämpfer ein. Obwohl die Sonne – von den Oyst‐Mesat wurde das Gestirn entweder Stern oder die Sonne genannt, – voll auf den Raumhafen, auf die Bunker und das schüttere Grün an den Berghängen und auf die hügelige Ebene strahlte, blieb es kühl und feucht. Schräg spannten sich die Spinnenfäden von den Verankerungen bis hinauf zum Würfel, auf dessen vier Seiten das GESETZ eingeätzt war. Für jeden Oyst‐Mesat bedeuteten diese Worte den Sinn des Lebens. Für den Wortlaut und die Bedeutung des GESETZES kämpften die Oyst‐Mesat, dafür zogen sie ihre Brut auf, und dafür starben sie, nachdem sie gekämpft hatten. Sie kämpften gegen die Oyst‐Vormant. Auf dem hellen, federnden Belag kratzten und scharrten die Klauen der Endglieder. Die achtfüßigen Kämpfer glitten schnell an ihre Plätze. Fast alle Oyst‐Mesat gehörten zu den Überlebenden. Das bedeutete, daß sie seit dem Augenblick des Erwachsenwerdens zahllose Kämpfe bestanden hatten. Sie waren verpflichtet worden, das System der vielen Welten gegen jeden Eindringling von außen zu schützen – und gegen jeden Abweichler aus dem Innern. Also auch gegen die Oyst‐Vormant. Scharrend zog sich die Rampe zurück. An anderen Teilen des Raumhafens marschierten Mannschaften auf und folgten den schweren Maschinen, von denen andere Transporter aus den Felshöhlen herausgezogen wurden. Der Pilot des Raumschiffs, das auf acht weit auseinandergespreizten Stelzen stand – es ähnelte ein wenig den Körpern der Krieger, die sich in ihm aufhielten –, schloß die Schleuse. Einige Sirenen heulten mit ungewöhnlich schrillen
Tönen auf. Nach einigen Sekunden schossen Flammen, Rauch und Dampf aus den Düsen und breiteten sich in alle Richtungen aus. Das untere Drittel des gedrungenen, glockenförmigen Raumtransporters wurde eingehüllt. Der gewohnte Orkan aus verschiedenen Geräuschen schwoll an, als das Schiff aufstieg und schließlich in den langgezogenen Wolken verschwand. Das Schiff war unterwegs zum siebenten Planeten von Sonne. Es war von der fünften Welt des roten Sterns gestartet. * Achtauge Pirt‐flyrr stand regungslos auf beiden hinteren Beinpaaren. Mit den vier Voraus‐Augen blickte er auf den Bildschirm vor sich. Über die vielen Gelenke seiner Gliedmaßen zogen sich kugelige und zylindrische Rüstungsteile, die an den Verbindungsstellen knirschten und knarrten. Die vielen Elemente und auch der Körperpanzer bestanden aus armiertem Kunststoff, der widerstandsfähig wie dünner Stahl, aber viel leichter war. Der kalotten‐förmige Körperpanzer hatte an neun Stellen runde Aussparungen, an denen er sich über den Kopf und die Gelenke der Beine wölbte. Jedes Bein besaß als Endglied eine harte, klauenartige Handlungseinheit; einen Greifer, der auch feinste Arbeiten ermöglichte. Pirt‐flyrr war, wie alle Soldaten des Planeten, ein Männchen. Die Weibchen, die für die Gelege zu sorgen hatten und ununterbrochen ihre Fäden spannten, bevölkerten den Planeten und hatten weder im Weltall noch auf den Kampf‐Schauplätzen etwas zu suchen. Cirriths GESETZ hatte dies außerordentlich deutlich ausgedrückt. Auf dem Bildschirm zeichneten sich inmitten des leeren Raumes
deutlich einige Ortungsechos ab. Pirt‐flyrr unterschied deutlich die größeren Punkte entfernterer Planeten, die winzigen Echos feindlicher Raumschiffe oder Abfangjäger, und im Mittelpunkt des Schirmes wuchs der Planet Vormant: die siebente Welt von Sonne. Seit drei Umläufen hielten die Oyst‐Mesat auf Vormant einen großen Stützpunkt, bauten ihn aus und stießen in acht Richtungen sternförmig ins Umland vor. Ihr Ziel war ebenfalls klar definiert: Sie mußten die Krieger des Rrusʹzuum zurücktreiben, entwaffnen und, soweit möglich, in die eigenen Streitkräfte übernehmen. Aber soweit war es noch lange nicht. »Jedenfalls ist das Kriegsglück auf unserer Seite! Beim endlosen Faden!« zirpte der Anführer. Antriebslos raste der Transporter auf den Planeten zu. Die Optiken waren nur mühsam in der Lage, den fernen Hintergrund aus spiralig angeordneten Sternmassen zu erfassen. Wollte der Anführer jene unendlich weit entfernten Sonnen sehen, mußte er mindestens sechs Augen verwenden. »Uninteressant«, sagte er und wandte sich an einen der Piloten. »Gibt es mehr als die gewohnte Aktivität dort vorn?« Er deutete mit einem Greifer auf Vormant. Um das Echo des Planeten schwirrten nur wenige winzige Pünktchen. Auch sie bewegten sich auf Kreisbahnen oder Ellipsen und konnten ihren Kurs nicht sofort ändern, fielen also in den meisten Fällen als Verteidiger aus. Das eigene Schiff hatte diesmal weniger Treibstoff, dafür aber mehr Versorgungsgüter an Bord und sollte möglichst wenig manövrieren müssen. »Sie haben uns offensichtlich noch nicht bemerkt«, gab Niw‐pirz zurück. »In etwa einem halben Zeitmaß werden wir in ihren Radarbereich kommen.« Mesat und Vormant befanden sich seit etlichen Umlauf‐Zehnteln in jenen Bereichen ihrer Bahnen, die zur Konjunktion führten. Für den nächsten halben Umlauf konnten Schiffe in wenigen Stunden von einem Planeten zum anderen fliegen. Das erleichterte,
wenigstens für Pirt‐flyrrs Überlegungen, den Kampf. »Du weißt, was zu tun ist!« Es war mehr eine Bemerkung als eine Frage. Der Pilot hantierte geschickt an seinen Vergrößerungsgeräten und gab den ersten Bereitschaftsalarm. Die Kämpfer bekamen die Aufforderung, die Bordgeschütze auszufahren und durchzuchecken. »Beim Gelege! Dasselbe wie immer«, zirpte der Pilot. »Landen, ohne getroffen zu werden.« »Ein paarmal haben wirʹs schon geschafft!« sagte Pirt hart. Er und der Pilot, sie waren Veteranen eines Krieges, der von Anbeginn der Geschichte geführt wurde. Alle Archive des Planeten sagten nichts anderes aus, als daß die Oyst‐Mesat seit Anbeginn ihrer Geschichte gegen die Oyst‐Vormant gekämpft hatten. Ein scharfer Strahl des feurigen Sonnenlichts drang bei der kurzen Drehung des Schiffes durch ein Bullauge und blendete die Kämpfer. Der Pilot betätigte die Filter und wandte den runden Kopf in Pirt‐ flyrrs Richtung. »Ich glaube, wir werden erst am Boden Abwehrfeuer bekommen.« »Worauf stützt sich dein … Glaube?« »Nur ein Gefühl. Es sind verdammt wenig Jäger im Orbit.« Unaufhaltsam näherte sich der gepanzerte Transporter dem Planeten. Die schwierigste und gefährlichste Phase war das Stück Flug zwischen dem ersten Bremsmanöver und der Landung. »Mag sein, daß es so ist. Zweiter Alarm!« »Verstanden, Achtauge!« Ein Signal heulte durch das Schiff, dann ein zweites Kommando in Ultraschall. Ein Teil der Sinne, über die Oyst‐Mesat und Oyst‐ Vormant verfügten, funktionierte im Ultraschallbereich. Ausgesuchte Soldaten verließen ihre schützenden Liegemulden und tasteten sich an ihre Plätze. Sie befestigten die Haltegurte an den Panzern und schalteten die Zieloptiken ein. Der Planet wuchs auf den Bildschirmen und vor den wenigen Sichtluken. Die Welt der
Oyst‐Vormant lag zur Hälfte im Licht von Sonne; eine Welt aus vielen mittelgroßen Kontinenten, die in flachen Meeren eingebettet waren. Unter den Wolken verbargen sich die Siedlungen und die vielen Verteidigungseinrichtungen des Konkurrenzvolks. »Achtet auf Abfangjäger«, knirschte die Stimme des Anführers durch die Empfänger. »Sofort feuern, wenn der Achtungsabstand unterschritten wird.« »Verstanden, Pirt!« kam es zurück. Der Pilot versetzte den Transporter in eine langsame Drehung entlang der Bewegungsachse. Langsam bewegten sich auch die Suchantennen. Über die Bildschirme huschten kleine Punkte und näherten sich von allen Seiten. Mehr als fünfzehn Echos waren es, und jedes davon bedeutete Gefahr. »Schneller!« drängte Pirt‐flyrr. »Mindestens fünf Bahnen kreuzen sich genau auf unserer Einflugbahn.« »Bereits geschaltet!« Zweimal zündeten die Düsen und rissen das Raumschiff vorwärts. Die Jäger waren gefährlich nahe herangekommen. Die harten Vibrationen von Abschüssen dröhnten durch den Transporter, die langgezogenen grellweißen Bahnen der stabförmigen Raketen jagten auf die Jäger zu. Direkte Sicht auf die fremden Objekte war fast unmöglich. Aber die Bildschirme zeigten klar, daß das erste Geschoß sein Ziel fand. Dann breitete sich eine lautlose, mehrfarbige Explosion kugelförmig aus. Eine zweite Rakete änderte im letzten Augenblick ihre Richtung und zerfetzte einen feindlichen Jäger. »Zwei weniger. Sie werden keines unserer Schiffe mehr angreifen!« bemerkte der Anführer. »Jetzt wird es schwierig.« Ein dritter Jäger wich geschickt zwei anfliegenden Raketen aus. Ein Hagel kleiner Geschosse prasselte auf die Panzerung des Transporters. Eine Serie von knallenden Explosionen erzeugte im Schiff schwere Schläge. Ein Bordgeschütz hämmerte los, als der Jäger fast die Rammgrenze erreicht hatte und mit wild feuernden
Retrodüsen auszuweichen versuchte. Die Geschosse durchlöcherten die Kabine und die kurzen Flügel. Direkt vor dem Transporter zerlegte sich der Jäger nach drei, vier Explosionen in glühende Einzelteile. Wieder verließ eine Rakete das lange Führungsrohr einer der vielen Geschützkuppeln. Sie zischte hinaus, näherte sich in steigender Geschwindigkeit dem nächsten Jäger und zerfetzte ihn. Der Transporter senkte die Nase und tauchte hinunter in die Landekurve. Wieder verzögerte der Pilot die Geschwindigkeit des Transporters und entging einem zweiten Rammstoß, dann fiel der schwere Körper mit rauchenden Düsen auf den Planeten zu. »Hast du schon den Peilstrahl?« »Noch nicht.« Der Transporter entkam, wütend um sich feuernd, dem letzten Ansturm der Verteidiger. Er bohrte sich in die ersten hauchdünnen Schichten der Atmosphäre, der Pilot orientierte sich an den vertrauten Umrissen der Kontinente und der Küstenlinien, die unter den aufreißenden Wolken auftauchten. »Gute Arbeit, Nivv‐pirz!« erklärte der Anführer. »Noch sind wir nicht gelandet.« In einer unregelmäßigen Spirale, von drei Jägern verfolgt, stürzte sich der Transporter schräg abwärts. Die ersten Effekte des Luftwiderstands machten sich bemerkbar. Das Raumschiff sackte tief durch, fing sich wieder und wurde durch eine Serie von Bremsstößen in eine neue Richtung gezwungen. Die Rohre der Raketenwerfer schwangen nach hinten, die Soldaten schossen vier Raketen ab. Hinter dem Transporter regneten rauchende Trümmer in die rasch näher kommenden Wolken. Das Raumschiff schüttelte sich, als es durch die Wolkenschicht stieß und in einer langen Parabel auf den Rand des eckigen, buchtenreichen Kontinents zuschwebte. Tief unter dem Transporter blitzten die Abschüsse der Verteidigerbatterien auf. Irgendwo dort unten, am Rand einer fast kreisrunden Ebene, lag die umkämpfte
Stellung der Oyst‐Mesat. Rechts und links, vor und hinter dem Raumschiff detonierten die Raketen, die Höhengeschosse und die Schrapnells der Geschütze. Die Hülle des Transporters klirrte und krachte von den Einschlägen. Das Schiff war erfüllt vom Heulen und Kreischen der Windgeräusche. Wieder schlug der Pilot eine neue Kurve ein und ließ das Schiff tiefer absinken. »Ich habe den Peilstrahl«, bemerkte der Pilot. »In kurzer Zeit sind wir im Verteidigungsbereich der eigenen Leute.« »Es ging besser, als ich vermutete«, gab Pirt‐flyrr zu. Er schaltete sich wieder ins Kommunikationsnetz ein und rief seinen Soldaten zu: »Macht euch zur Landung fertig. Vorläufig darf noch keiner die Geschützkuppeln verlassen. Wir landen in einer halben Zeiteinheit.« Der Transporter hatte sich jetzt in einen Gleiter verwandelt, der in der dichten Lufthülle des Planeten hervorragend manövrierte. Der Pilot wandte all sein Geschick auf, um dem Beschuß zu entgehen. Der Transporter mit voll ausgefahrenen Tragflächen kippte, schlingerte, drehte sich um die Längsachse und trudelte abwärts. Bisher hatten die Detektoren nur unbedeutende Zerstörungen registrieren können, keine ernstzunehmenden Schäden beeinträchtigten die Manövrierfähigkeit des Raumschiffs. Die Bergkette und die Ebene kamen immer näher. Abendliches Sonnenlicht glänzte auf dem Wasser eines stark mäandernden Flusses. »Landeanflug!« schrillte die Stimme des Piloten durch alle Empfänger. »Verstanden. Wir sind bereit.« Zwei Soldaten visierten die verfolgenden Jäger an und drückten die Feuerknöpfe. Die Drillingsrohre spien einen rasenden Strom kleiner Raketen aus, die einen Pulk bildeten und ihre Vernichtungskraft zusammenballten. Die empfindlichen Suchköpfe konzentrierten sich auf die Triebwerke der atmosphärischen Flugapparate und brachten sie zur Explosion. Die Piloten sprengten
sich mit Teilen der Steuerkabine aus den Wracks und entfalteten die Fallschirme. Wieder zwang der Pilot den Transporter in eine enge Kurve. Dicht vor den Höhlen, den Erdwällen und Bunkern, auf einem durch große Mauern geschützten Platz zwang der Oyst‐Mesat, scharf auf seine Aufgabe konzentriert, den schweren Transporter in eine enge Aufwärtskurve. Gleichzeitig zündeten sämtliche Triebwerke. Auf riesigen Wolken aus Rauch und Flammen sank das Raumschiff, auf dem Düsenfeuer balancierend, langsam abwärts und setzte dröhnend auf. »Erster Teil der Mission beendet«, rief der Anführer. »Wir entladen zuerst unsere Ausrüstung, dann helfen wir den Kommandos.« »Verstanden.« Im Lauf dieses Kampfauftrags würden noch andere Transporter landen. Überdies würden die Mesat Einmal‐Container abwerfen und hierhersteuern. Jetzt schwärmten die Soldaten aus, die Ladeluken öffneten sich, die Ausrüstung und die Vorräte wurden entladen. Es war etwa die Hälfte des Tages verstrichen; die Oyst‐ Mesat erwarteten in Kürze den ersten, massierten Angriff der Oyst‐ Vormant. Die Entladearbeiten gingen in rasender Eile vor sich. In der Nacht, so war es geplant, fing das erste Kommandounternehmen an. Es würde weit in das Land des Erbfeinds hineinführen. 2. Vorlan Brick hob den Kopf, blickte auf die Schirme der Panoramagalerie und gähnte ausdauernd. Er sah sich in der Zentrale um. Alles war ruhig; sämtliche Geräte funktionierten einwandfrei, und es war seiner Erinnerung nach noch niemals so sauber und aufgeräumt gewesen wie heute.
»Stinklangweilig«, sagte er. »Dieser Flug durch den Linearraum frustriert mich. Ich wünschte, die SOL stünde über einem grünen Planeten, auf dem ich mir einen Sonnenbrand holen könnte.« Stabsspezialist Wajsto Kölsch schüttelte den Kopf und bemerkte: »Dein Bruder, Chefpilot, ist anderer Ansicht.« »Der Kleine war schon immer anderer Ansicht. Er würde es vorziehen, die nächste Ewigkeit innerhalb des Schiffes zu verbringen.« »Innen ist es genauso wie draußen«, zitierte Breckcrown Hayes knapp. »Nur anders.« Vorlan grinste und erwiderte: »Ein magerer Scherz, High Sideryt. Aber ich bin trotzdem für eine Spur mehr Abwechslung, die von außen kommt. Zugegeben: Die letzten Erlebnisse waren nicht gerade begeisternd. Aber sie haben die Strukturen innerhalb der SOL völlig verändert.« »Wem sagst du das!« knurrte Hayes. Das Ziel der SOL war die Galaxis Ploohnei. Seit Tagen raste das riesige Schiff durch das seltsame Medium, das sich auf den Bildschirmen durch ein stumpfes, schattenloses Grau zeigte. Die Stimmung an Bord war schwer zu beschreiben. Es brauchte Zeit für fast alle Besatzungsmitglieder, sich den veränderten Umständen anzupassen. Oder anders ausgedrückt: Die Zeit, in der innerhalb des Schiffes das Chaos geherrscht hatte, war allzu lang gewesen und war erst vor zu kurzer Zeit zu Ende gebracht worden. Zuviele Änderungen mit sehr tiefgreifenden Konsequenzen waren eingetreten. Hayes streckte den Arm aus und legte die Hand auf das Pult. Vor ihm befand sich ein Terminal der Biopositronischen Hyperinpotronik mit Enzephaloid‐Plasma, kurz SENECA genannt. Auch jene 125.000 Kubikmeter des Schiffsrechners waren inzwischen »normal« geworden – Atlan konnte nur mit allen anderen Verantwortlichen hoffen, daß diese Änderung durchgehend war und lange anhielt.
»Hast du eine Frage, Breck?« erkundigte sich entspannt und guter Laune der Kommandant der SZ‐1. Hayes nickte langsam und murmelte: »Ich will dem Piloten sagen, wie lange wir noch planetenlos reisen.« Im selben Augenblick, für jedermann völlig unerwartet und überraschend, schaltete sich der Terminal ein. Gleichzeitig ertönten einige akustische Signale. Der Körper des Schiffes schüttelte sich leicht. Vorlan Brick beugte sich nach vorn und drückte blitzschnell einige Tasten; wieder bedauerte er, nicht einer der legendären Emotionauten zu sein. »Die SOL ist aus dem Linearraum zurückgefallen!« erklärte SENECA. Im selben Augenblick, als zahllose Kontrollen auf den Paneelen und Pulten aufflammten und diese Meldung bestätigten, zeigten die Bildschirme die fremdartige Umgebung. Hastig erklärte der Pilot: »Tatsächlich. Verstanden. Wir befinden uns im Normalraum.« Das Ziel, die Galaxis Ploohnei, war vom letzten Standort der SOL ziemlich genau zwei Komma zwei Millionen entfernt gewesen. Jetzt befand sich die SOL im Leerraum zwischen den Milchstraßensystemen. Die Schirme der Panoramagalerie zeigten undeutlich die ferne Kugelgalaxis und irgendwo weitab der Flugrichtung einen einzelnen roten Stern, mitten im leeren Weltraum. Hayes aktivierte den Bordrechner und fragte: »SENECA! Was hat das zu bedeuten? Der Entschluß, den Linearflug zu unterbrechen, kam von dir?« »Richtig. Ich habe die Unterbrechung durchgeführt. Dem Schiff droht Gefahr.« »Erklärungen?« fragte der High Sideryt kurz. Vorlan Brick drehte sich in seinem Sessel halb herum und hob den Arm, um Sannys Aufmerksamkeit zu erregen. Dann deutete er auf den SENECA‐Terminal. Die Molaatin nickte und kam langsam
näher. »Ich habe die SOL aus dem Linearflug herausnehmen müssen, weil in der überdimensionalen Flugzone eine außerordentlich gefährliche Strahlung auf die SOL einwirkte. Ich habe herausgefunden, daß die Strahlung mit größter Wahrscheinlichkeit alle Atome des Elements Bor verflüchtigen wird. Das allerdings hat auf den Flug und die Sicherheit der SOL nur geringfügige Auswirkungen.« SENECA machte eine kurze Pause. Sanny schloß einige Sekunden lang die großen Augen mit den auffallend hellblauen Pupillen. Dann, nachdem die molaatische Paramathematikerin ihre natürliche Psifähigkeit angewendet hatte, nickte sie kurz und bestätigte dadurch, daß ihre Intuition die Computer‐Berechnungen SENECAS bestätigte und verifizierte. Bor, dachte der Arkonide, der gerade in die Zentrale hereinkam und die letzten Worte mitgehört hatte, ein Metall, Zeichen B, Ordnungszahl 5, Atomgewicht 10.81, Wertigkeit 3 und im Jahr 1808 von Gay‐Lussac und Thenard entdeckt. Was hat die SOL im Leerraum ausgerechnet mit Bor zu tun? Warte es ab, riet ihm der Logiksektor. SENECA erklärte weiter: »Die Strahlung muß erst noch intensiv untersucht werden. Ich habe nämlich vorausberechnen können, daß innerhalb einer Frist von etwa achtundvierzig Stunden diese gefährliche Strahlung nicht mehr auf Bor, sondern darüber hinaus auf Kohlenstoff einwirken wird. Ich darf erwähnen, daß Kohlenstoff mit der Ordnungszahl sechs, also das nächsthöhere Element, als nächstes angegriffen wird. Wir müssen so schnell wie möglich die Strahlung und deren Ursache ermitteln und ausschalten. Denn wenn die Strahlung den Kohlenstoff verflüchtigt, erlischt innerhalb von Sekunden alles Leben an Bord.« »Richtig!« signalisierte Sanny betroffen. Atlan, neben Hayes stehend, wandte sich an SENECA und stieß
hervor: »Wie lange dauert es deiner Meinung nach, bis die Kohlenstoffverflüchtigung eintreten wird?« »Dies muß noch errechnet werden!« erklärte SENECA. »Wir sollten schnell die Ursache herausfinden.« »Zuerst einmal brauchen wir einige gesicherte Zahlen. Wo befindet sich die SOL im Augenblick?« erkundigte sich Hayes. Alle Insassen der Zentrale konnten unschwer erkennen, daß die SOL die Austrittsgeschwindigkeit besaß und langsam ihre Fahrtgeschwindigkeit abbremste. Die Berechnungen dauerten nicht lange. Von den Ortungszentralen kamen die schnell ermittelten Zahlen. Die SOL befand sich 41.366 Lichtjahre von All‐Mohandot entfernt. Man war also noch rund 2.1 Millionen Lichtjahre vom Ziel, der Kugelgalaxis Ploohnei, entfernt. Im Leerraum stand, fast exakt 3.9 Lichtjahre entfernt, eine auffallend dunkle rote Riesensonne. Atlan schlug, nachdem die Insassen des Schiffes von den neu eingetretenen Umständen unterrichtet worden waren, für die Sonne den Namen Glutauge vor; eine offensichtliche Bezeichnung, denn vor der schleierartigen Kulisse der fernen Galaxis wirkte der Riesenstern tatsächlich wie ein böse starrendes Auge von düsterem Rot. Kohlenstoff, C, ein Nichtmetall, Ordnungszahl 6, Atomgewicht 12 mol, war schon im Altertum entdeckt worden. »Steht die rote Sonne Glutauge mit der seltsamen Strahlung in Verbindung?« wollte der Pilot wissen. Sanny, das kleine Pelzwesen, schien die schwierigen hyperphysikalischen Berechnungen SENECAs kontrolliert und bestätigt zu haben, denn sie erklärte, ohne viel zu sprechen, daß der Rechner sich höchstwahrscheinlich nicht irrte. »Das ist ungewiß. Die Wahrscheinlichkeit ist groß, denn in absehbarer Entfernung ist der rote Stern der einzige Punkt, den ich anmessen konnte. Irgendwo in seiner Umgebung sollte sich eine
Anlage oder ein Sender befinden, der für die Verflüchtigung der Bor‐Partikel verantwortlich ist. Ich werde, so bald es möglich ist, sämtliche ermittelten Zahlen und Informationen vorlegen.« SENECAs Antworten zeigten, daß der riesige Bordrechner völlig normal arbeitete. Wenigstens im technischen Bereich hatte es seit geraumer Zeit nicht die geringste Panne gegeben. Die kaum einen halben Meter große Molaatin trippelte auf den Terminal zu und ließ sich von Atlan in den Sessel heben. »Wir warten auf die Meßwerte!« entschied Hayes. »Gibt es Messungen darüber, ob die rote Sonne Planeten hat?« Sofort meldete sich die Ortungszentrale. Monitoren zeigten unterschiedliche Diagramme und Darstellungen. Die Instrumente schilderten Glutauge als einen Roten Riesenstern, einen gigantischen Gasball mit einer Korona‐Temperatur von »nur« dreitausend Grad, und nacheinander erschienen die Daten der ermittelten Planeten. »Ein Riesensystem!« stöhnte Vorlan auf. »Fünfzehn Planeten …« Auf den Monitoren erschienen, als er sprach und die einzelnen Bezeichnungen und Ziffernfolgen zu analysieren begann, noch drei Ziffernreihen. »Achtzehn Planeten!« korrigierte der Arkonide. »Allerdings beschreiben die Welten höchst seltsame Bahnen!« Tatsächlich bewegten sich vierzehn Planeten auffallend nahe um Glutauge. Nur die vier äußersten Welten, also die Nummern fünfzehn bis achtzehn, hatten elliptische Bahnen, die von den Raumfahrern als logisch und entsprechend angesehen wurden. Schweigend prüften die Frauen und Männer in der Zentrale die Daten und machten sich Notizen. Ein Rückruf in die Funkzentrale ergab, daß auf dem fünften, sechsten und siebenten Planeten, von der Sonne aus gerechnet, deutlicher Funkverkehr gemessen werden konnte. Alle anderen Welten, das ergab die schnelle, erste Überprüfung, waren funktechnisch tot. »Drei bewohnte Planeten!« stellte Hayes fest. »Ob sie etwas mit
der verdammten Strahlung zu tun haben?« Der Pilot änderte die Flugrichtung der SOL. Sie raste jetzt mit etwa zwei Drittel Lichtgeschwindigkeit auf die Sonne zu und somit in das Zentrum des Planetensystems hinein. Fast vier Lichtjahre Entfernung … also würde die SOL einen kurzen Linearsprung machen müssen, um in absehbarer Zeit Glutauge zu erreichen. »Vorsichtiges Herantasten wäre angebracht«, sagte Atlan nach einer Weile. »Wir könnten mit einer Korvette auf dem achten Planeten landen oder zumindest den Planeten anfliegen. Die Stellung der Planeten fünf bis neun ist günstig; sie nähern sich einander auf ihren Bahnen.« »Einverstanden!« erklärte Hayes. »Warten wir die Analyse SENECAs ab.« Immer mehr Menschen versammelten sich in der Zentrale. Ortung und Funkabteilung spielten die neuesten Ergebnisse ein. Verschiedene Meinungen wurden laut. Am meisten wunderte sich Atlan darüber, daß jene Sonne mit dem auffallend großen System von Welten im sternenleeren Raum zwischen den Milchstraßen hing. Schließlich wandte sich Sanny an die Versammelten und erklärte, mit ihren winzigen Händen gestikulierend: »Ich kann SENECAs Schlußfolgerungen nur bestätigen. Das Bordgehirn hat zutreffende Beobachtungen gemacht und die richtigen Analysen vorgelegt. Wir sind tatsächlich in Gefahr. Wir müssen rasch handeln! In zwei Tagen und knapp achtzehn Stunden tritt die Kohlenstoffverflüchtigung ein. Das heißt, daß wir nicht mehr zu lange überlegen, sondern schnell eingreifen, notfalls angreifen müssen. Dort, im Bereich der roten Sonne, befindet sich etwas, das uns in drei Tagen töten wird.« »Vorlan!« sagte Hayes nachdrücklich. »Leite mit SENECA einen gezielten Sprung bis nahe an den achten Planeten ein. Sofort!« »Verstanden, Breck!« antwortete Brick und wandte sich den Kontrollen zu. Atlan nickte; nach seiner Meinung hatte der High Sideryt die richtige Entscheidung getroffen, nämlich mit der SOL,
nicht mit einer Korvette oder einem anderen Beiboot, ins Zentrum des Systems zu fliegen. Die nächste Anordnung präzisierte Breckcrowns Vorstellungen. »Es wäre uns allen sicher geholfen, wenn du ein Kommando anführen würdest, Atlan. Ziel: der achte Planet, dessen Oberfläche, dazu eventuell ein Besuch der vermutlich bewohnten Welten. Einverstanden?« Die SOL nahm wieder Fahrt auf. Die Triebwerke dröhnten, das Schiff wurde von den dumpfen Vibrationen erschüttert. Atlan nickte Hayes zu und lehnte sich in seinem Sessel zurück. Er überdachte die Summe der erschreckenden Beobachtungen und Informationen der letzten dreißig Minuten. Am meisten, gab er sich gegenüber zu, überraschte ihn das präzise Handeln SENECAs. Instinktiv hatte er trotz der unbestreitbaren Erfolge damit gerechnet, daß die Biopositronik sich unvollständig artikulierte, daß sie partiell ausfiel oder sinnentstellte Dinge tat. Nichts davon war geschehen – bis zum gegenwärtigen Zeitpunkt. Daß innerhalb eines noch so ungewöhnlichen Planetensystems allerdings eine Anlage vorhanden war, die Kohlenstoff verflüchtigte, dieser Umstand war mehr als ein gefährliches Geheimnis. Ein solcher Mechanismus würde wahrscheinlich auch das Leben in dem betreffenden Teil des Kosmos auslöschen. Richteten die Planetarier diese Waffe gegeneinander? Wollten sie sich Besucher aus dem All vom Leibe halten? Oder wußten sie selbst nicht, was in der Nähe von Glutauge geschah? In kurzer Zeit würden die Solaner wohl erfahren, wie es sich verhielt. Atlan stand auf und sagte zu Hayes: »Ich werde versuchen, die Ursache dieser Strahlung zu ermitteln. Stelle ein Team zusammen; ein bewaffneter Kreuzer wäre wohl nicht falsch. Klar?« »Ich kümmere mich darum.« Die SOL führte ohne die geringsten Schwierigkeiten ein schnelles
Linearmanöver durch. SENECA arbeitete mit vorbildlicher Zuverlässigkeit. Der Schiffskoloß erschien im Normalraum und raste entlang einer Geraden tangential auf die Bahnellipse des achten Planeten zu. Auf den Bildschirmen loderte das dunkle Rot des Gasriesen und überschüttete alle Anwesenden mit einem unheilvollen Licht. Vorlan Brick steuerte die SOL aus dem All herunter in die Nähe des Planeten und ging, das Schiff abbremsend, in einen Pol‐zu‐Pol‐Orbit. Schlagartig richteten sich alle Antennen und Optiken auf die Oberfläche dieser Welt. Jedermann hoffte, den Grund dieser tödlichen Gefahr zu erfahren; noch immer war es nicht möglich, jenen Punkt zu finden, von dem die Strahlung ausging. Und wenn es SENECA nicht schaffte, die Strahlung zu lokalisieren, dann war es für die Ortungsstationen und die Stabsspezialisten doppelt schwer. Atlan stützte sich schwer auf die Lehne des Kontursessels und hob den Kopf. Langsam zogen die Bilder der Planetenoberfläche auf den Bildschirmen vorbei. Die Erfahrung des Arkoniden, fremde Welten betreffend, sagten ihm, daß dieser Planet unbewohnt sein müsse. Immer wieder sah er auf die Monitore, auf denen die Ergebnisse der Fernbeobachtungen erschienen. Keine Lufthülle, abgesehen von einigen schweren Gasen in ringförmigen Kratern und tiefen Bodenspalten. Es gab kein Chlorophyll, also auch keine Wälder und Pflanzen. Die Meere waren riesige Zonen aus getrocknetem Schlick; es gab Spuren und Hinweise, daß jeder Rest von Flüssigkeit vor undenkbar langer Zeit verdunstet war. Bis jetzt zeichneten sich auf den Bildschirmen keinerlei Reste von Bauwerken oder, Siedlungen ab. Planet Nummer acht ist zweifellos tot! stellte der Logiksektor fest. »Das bedeutet«, murmelte Atlan, »daß wir uns auf die Nummern fünf, sechs oder sieben konzentrieren müssen.« »Breck!« rief er, Hayes drehte den Kopf und zeigte auf einen Bildschirm. »Die Hangarmannschaft meldet, daß eine Korvette startklar ist«,
gab Hayes zurück. »Gehen wir nach Nummern vor?« »Nummer fünf ist am wenigsten weit entfernt!« gab der Pilot zurück. »Dann sehen wir uns Nummer fünf zuerst an«, bestätigte Atlan. »Weitere Interessenten für einen aufregenden Rundflug?« Dabei hatte er keineswegs das Gefühl, daß dieser Flug ungefährlich sein würde. Ganz im Gegenteil. Noch befand sich die SOL in einem niedrigen Orbit. Ununterbrochen zogen Ansichten eines leeren, verwüsteten Planeten mit staubiger und schlackenbedeckter Oberfläche vorbei. Auf dieser Welt gab es schon seit langem kein Leben mehr. Dennoch untersuchten die Ortungsabteilungen der SOL jeden Quadratkilometer der Oberfläche und versuchten, einen Hinweis auf die rätselhafte Strahlenquelle zu finden. Die Mannschaft für die Zentrale fand sich zusammen und entfernte sich in die Richtung auf den Hangar. Atlan blieb noch einige Minuten in der Zentrale und wandte sich schließlich an Breckcrown Hayes. »Vermutlich wäre es klug, Korvetten oder wenigstens Space‐Jets zu den anderen Planeten zu schicken. Je schneller wir herausfinden, wer oder was für diesen Zwischenfall …« Sie brauchten nicht darüber zu reden; die Zeit drängte. Etwas mehr als zwei Tage hatten sie Zeit, siebzehn andere Planeten zu untersuchen, mit dem Risiko, trotzdem nichts zu finden. »Alles klar, Atlan. Es darf keine Zeit verschwendet werden. Ich jage gleich zwei andere Korvetten los.« Fünf Minuten später befand sich der Arkonide zusammen mit Lyta Kunduran und Hage Nockemann in der Zentrale der Korvette. Das Beiboot schleuste aus und nahm sofort Kurs auf den namenlosen fünften Planeten. 3.
Die Korvette tauchte mit mittlerer Geschwindigkeit – im Schutz ihrer Schirme – in die dünne Atmosphäre von Planet fünf. Marsgroß und marsähnlich, dachte der Arkonide und erinnerte sich flüchtig an das Solsystem. Je mehr die Bildschirme zeigten, je mehr Informationen in der Zentrale zusammenliefen, desto mehr breitete sich eine gewisse Überraschung unter den Insassen des Schiffes aus. Sie sahen unter sich einen grünen Planeten mit dünner Lufthülle, einer Anziehungskraft von 0,82 g, eisbedeckten Bergzügen und großen Wäldern, mit gefrorenen Seen und Flüssen und ausgedehnten Siedlungen, die aus runden Bauwerken unterschiedlicher Größe und Höhe bestanden, die allesamt spitzkegelige Dächer aufwiesen. Auf einigen Lichtungen nahe der Städte zeigten die Vergrößerungen nicht nur riesige Fabrikationsanlagen, die meist unter großen, künstlichen Hügeln vergraben zu sein schienen, sondern auch spinnennetzähnliche Gebilde, die sich über den Lichtungen erstreckten. Atlan sagte: »Noch eine Umkreisung in geringerer Höhe, und dann können wir vielleicht daran denken, mit den Planetariern Kontakt aufzunehmen.« »Zuerst sollten wir herausfinden, wie sie eigentlich aussehen!« Die Funkabteilungen speicherten die Funkgespräche und die Sendungen, die unaufhörlich um den Planeten gingen. Es würde leicht sein, die Translatoren zu programmieren. Die Sprache der Oyst‐Mesat war hoch und schrill, trillernd und zirpend, wie von riesigen Insekten oder Kerbtieren. Nachdenklich sagte Hage Nockemann nach einigen weiteren Minuten: »Die Raumschiffe jener, die sich Oyst‐Mesat nennen, scheinen nur für Flüge innerhalb des Systems zu taugen. Jedenfalls haben wir hier einen industriell hochgerüsteten Planeten. Allerdings hat keiner von uns irgendwelche Kriegshandlungen feststellen können.« .
»Aber dafür mehrere Raumschiffstarts! Die Schiffe bewegen sich auf klassischen Ellipsenbahnen auf die Planeten sechs und sieben zu!« kam es aus der Ortung. »Wir finden heraus, was es bedeutet.« Auf einem Bildschirm erschien Breckcrown Hayes aus der SOL, hob in einer knappen Geste die Hand und erklärte: »Wir empfangen alle Überspielungen und den Text klar und deutlich, die beiden anderen Schiffe sind unterwegs.« »In Ordnung. In etwa einer Stunde versuchen wir eine Landung. Wir bereiten die Planetarier über Funk und TV vor.« »Begebt euch nicht unnötig in Gefahr«, riet Hayes. »Keine Sorge, Breck«, beruhigte ihn Atlan. »Unser Schiff ist nicht in Gefahr.« Der Pilot änderte den Kurs. Einige Wüstenbezirke tauchten auf den südlichen Kontinenten auf. Sie schienen Schauplatz wütender Kämpfe oder ebenso intensiv durchgeführter Manöver zu sein. Sand und Felsen waren geschmolzen und geschwärzt, an vielen Stellen lagen riesige Wracktrümmer im Sand. Und an einigen Stellen arbeiteten Räumkommandos, um den Schrott abzutransportieren. »So sehen sie aus, unsere schrillen Freunde!« meldete sich ein Ortungsfachmann und spielte scharfe Bilder auf eine Reihe von Monitoren. Mit nicht geringer Verblüffung sahen die Solaner etwa eineinhalb Meter hohe Spinnenwesen mit acht langen, pelzbedeckten Gliedmaßen. Die Spinnen konnten auf den beiden hintersten Beinen stehen und handhabten ihre Klauen wie die Menschen ihre Finger. Die Köpfe waren etwa so groß wie die der Menschen und ragten von der Vorderkante der elliptischen, linsenförmigen Körper schräg nach oben. Die Oyst‐Mesat besaßen winzige Gehöröffnungen, riesige Facettenaugen und breite, kräftige Mandibeln. Unter den faltigen Chitinpanzern wölbten sich dicke Muskeln. Werkzeuge oder Waffen steckten in sonderbar geformten Falten oder Taschen dieser vielfarbigen Panzerteile. Die Spinnenwesen bewegten sich schnell und sicher, und nach allen
aufgefangenen Informationen waren sie die Herren des Planeten. »Das also sind die Wesen, die jedes Raumschiff vernichten, das durch den Leerraum fliegt!« stellte Nockemann fest. »Ich kann es nicht glauben.« »Warum nicht?« fragte Atlan unruhig. »Kann ich nicht sagen«, wich Hage aus und schob sein strähniges Haar in den Nacken. »Es ist nur ein Gefühl.« Das Raumschiff beschrieb über einer Ansammlung von Siedlungsgebieten, großen Raumhäfen voller Maschinen und Schiffen, einigen Straßen und Kreuzungen und ausgedehnten Waldgebieten einen weiten Kreis. Leise verständigte sich Atlan mit der Funkabteilung. Er bekam die Information, daß der Anflug des Schiffes natürlich bemerkt worden war. In den sich überschlagenden Nachrichten war davon die Rede, daß dieses Kugelschiff die neueste waffentechnische Entwicklung des Feindes sein müsse; ein unbekannter Raumflugkörper, der größte Gefahr ausstrahlte. Atlan grinste kurz und sagte dann: »Achtung! Schaltet mich über die Translatoren in die Nachrichtensendungen der Oyst ein. Vielleicht geht unser Kontaktversuch ohne Kampf und Gefecht vor sich.« Die Sender der Korvette begannen zu arbeiten. Nach Atlans ersten Worten breitete sich über dem Planeten fast völlige Funkstille aus. Atlan sprach langsam, um die Translatoren nicht zu überfordern. »Wir sind Besucher aus einer anderen Milchstraße. Wir fanden euer Sonnensystem, die achtzehn Planeten der roten Sonne Glutauge, weil von diesem Teil des Weltalls für unser Schiff tödliche Gefahren ausgehen. Wir müssen mit euch sprechen, müssen mit den Oyst‐Mesat deswegen verhandeln. Wir werden auf dem großen, runden Raumhafen landen und bitten euch, eine Delegation zu schicken. Wir wollen keinen Kampf! Antwortet auf dieser Welle!« Während Atlan wartete, während die Besatzung voller Spannung der nächsten Aktion entgegensah, beschrieb die Korvette den letzten
Teil der Kurve, steuerte den Rand des Platzes an und senkte sich mit herauszischenden Landebeinen dem Boden entgegen. Was stand bis jetzt fest? Jeder Raumflugkörper im Linearflug – und sicher auch die Schiffe, die sich im Normalraum bewegten – wurde beim Passieren dieses Sonnensystems auf das äußerste gefährdet. Die Bewohner des fünften Planeten, die Oyst‐Mesat, befanden sich im Kampf mit einem noch unbekannten Gegner. Die Planeten eins bis vier, die Nummer acht und mit einiger Sicherheit auch alle anderen bis zum Rand des Systems waren unbewohnt und lebensfeindlich. »Bodenkontakt.« Das Schiff setzte fast erschütterungsfrei auf. Im selben Augenblick meldete sich ein starker planetarer Sender. Die Lautsprecher gaben mit der gewohnten Verzögerung die schrille Stimme eines Sprechers wider. »Wer seid ihr? Zeigt euch! Kommt ihr von Vormant?« Inzwischen waren rund um den Raumhafen sämtliche Geschütze aus den Bunkern ausgefahren worden. Nadelscharfe Raketen richteten sich auf die Korvette. Zwischen den Fahrzeugen, die von allen Seiten herankamen, fuhren schwere Lafetten, auf denen Mehrfachrohre, Geschütze und kleinere Raketen montiert waren. Die Bewohner von Mesat waren also der Auffassung, die Fremden würden den Gegner unterstützen. Welchen Gegner? Atlan erwiderte: »Wir kommen nicht von Vormant, denn diesen Begriff kennen wir nicht. Wir sind die Solaner. Unser Mutterschiff befindet sich in eurem System. Wir kommen von einer der Sterneninseln, die ihr nachts undeutlich sehen könnt.« Die Techniker in der Funkabteilung versuchten fieberhaft, sich in das Netz der Fernsehübertragungen des Planeten einzufädeln. Bisher verlief der Dialog rein akustisch. Die Korvette stand unverändert im Schutz ihrer Schirme da. Die Antwort der Oyst‐
Mesat kam schnell und klang nicht ungefährlich. »Noch zögern wir, euch anzugreifen. Seht euch um! Unzählige Waffen sind auf euch gerichtet. Wir sind von den Oyst‐Vormant oft getäuscht worden – das kann nur ein neues, unberechenbares Manöver sein.« Atlan lächelte grimmig. Durch die ziemlich einfache Waffentechnik der Oyst‐Mesat war die Korvette nicht wirklich gefährdet. Trotzdem wollte er so schnell wie möglich die Situation entkrampfen. Das Problem lag nicht bei den kriegerischen Oyst‐ Mesat, sondern bei der akuten Bedrohung der SOL. »Wir versuchen, in euer Fernsehprogramm einzusteigen«, sagte er. »Schickt eine Delegation zu uns an Bord. Ihr werdet nicht einen Gegner finden.« Der Ring der fahrbaren Geschütze und Raketenbatterien umschloß jetzt die Korvette völlig. Zusammen mit den stationären Waffensystemen war es eine zahlenmäßig beeindruckende Anzahl von Waffen. Zwei Monitoren in der Zentrale schalteten sich ein. Ein Funkspezialist sagte aufgeregt: »Wir haben ein Bild von einer Sendezentrale, Atlan. Geht vor die Linsen!« »Verstanden!« sagte Atlan und wechselte seinen Standort. Ein großer Bildschirm flackerte, es bildeten sich wirre Strukturen und falsche Farben, dann stabilisierte sich langsam ein zweidimensionales Bild. Die Besatzungsmitglieder der Korvette – und die Stabsspezialisten an Bord der SOL – blickten in einen großen, niedrigen Raum, der strahlend hell erleuchtet und voller Televisionseinrichtungen war. Etwa dreißig Oyst‐Mesat befanden sich in der Sendezentrale. Eine Serie von Linsen unterschiedlicher Brennweiten richtete sich auf Atlan und die Insassen der Zentrale. Die Facettenaugen der Oyst‐Mesat schienen aufzublinken, als sie ihrerseits auf dem Bildschirm den Arkoniden und seine Mannschaft sehen konnten. Atlan erklärte gelassen, aber voll mühsam unterdrückter Erregung:
»Sehen wir aus wie eure Gegner? Vergeßt euer Mißtrauen! Wir wollen mit euch reden, nicht gegen euch kämpfen!« Offensichtlich versuchten jetzt die Techniker in der Sendestation, ihrerseits mit den Verantwortlichen der Armee oder des Militärs oder der planetaren Verteidigung in Kontakt zu kommen. Jedenfalls deutete die Aufregung an den Schaltpulten im Hintergrund der Sendezentrale darauf hin. Wieder versuchte Atlan einen Vorstoß. »Wenn eine Abordnung von euch vor dem Schiff erscheinen wird, kommen wir heraus und reden mit euch. Wie ihr gemerkt habt, benützen wir Übersetzungsgeräte. Wer ist eigentlich der Gegner, vor dem ihr euch derart fürchtet?« Als ob er voraussetzte, daß selbst Besucher aus einer fremden Galaxis dies wissen müßten, erwiderte einer der Oyst‐Mesat: »Unser Gegner ist seit Urzeiten der siebente Planet.« Hage Nockemann und Atlan sahen sich verwundert und schweigend an. Dann murmelte der Wissenschaftler: »Jetzt ist mir einiges klargeworden! Gehen wir in die dünne Luft hinaus und reden wir mit ihnen.« »Vergiß nicht«, rief Lyta Kunduran, »daß die Zeit gegen uns läuft.« Lyta übernahm die weitere Gesprächsführung, während Atlan und Nockemann sich fertigmachten, um endlich direkt mit den Planetariern zu verhandeln. Keiner von beiden war der Illusion erlegen, daß dieser Dialog einfach sein und das Geheimnis der tödlichen Strahlung lösen könnte. 4. Curie van Herling zog den Regler des Lautsprechers zurück, betrachtete einige Sekunden lang das Bild auf dem Schirm und sagte zum Piloten: »Unser Informationsnetz funktioniert tadellos. Wir wissen jetzt,
warum der fünfte Planet so hochgerüstet ist. Und auch, daß wir hier auf dem siebenten Planeten ohne Begeisterung empfangen werden. Trotzdem – verlassen wir den Orbit!« »Geht in Ordnung, Stabsspezialistin Herling!« bestätigte der Schiffsführer und führte eine Reihe von Schaltungen aus. Die Korvette raste schräg auf die Oberfläche des Planeten zu. Von den achtzehn Planeten waren also mindestens zwei bewohnt, und beide Planeten bekämpften sich erbittert. Den Grund dafür kannten die Solaner noch nicht. In kurzer Zeit würde das Beiboot, das sich noch im Orbit des sechsten Planeten befand, einen Datenstrom übermitteln. »Wir sind der Lösung unseres Problems nicht um einen Millimeter näher gekommen!« sagte die Ex‐Magnidin halblaut. »Noch nicht. Wir haben ja auch noch nicht jeden Quadratkilometer untersucht. Die Techniker der SOL und SENECA sind dabei, gezielte Untersuchungen vorzunehmen«, meldete ein Nachrichtentechniker. Curie hob die Schultern und gab zu verstehen, daß sie das Problem keineswegs falsch einschätzte. Sie kippte die Lehne ihres Kontursessels und richtete die Augen auf die Schirme der Panoramagalerie. Das Raumschiff wurde, als es sich in einer Höhe von rund vier Kilometern befand, von zwei raketengetriebenen, delta‐flügligen Jägern angegriffen. Tief am Boden, am Rand eines kreisrunden, tiefen Kraters, blitzte es nacheinander viermal auf. Dann bauten sich die grellweißen Pyramiden der Abgase auf. »Raketen mit … Pulvertriebwerken!« meldete eine junge Frau verächtlich aus der Feuerleitzentrale. »Sie greifen alles an, was sich bewegt!« Die Korvette raste unbeirrbar mit gleicher Geschwindigkeit und in derselben Höhe auf eine Ebene jenseits einer niedrigen Bergkette zu. Die beiden Jäger fielen zurück, aber die Raketen änderten ihre Bahn, jagten mit riesigen Rauchfahnen weiter und detonierten an der Peripherie der Schutzschirme.
Die Berghänge waren von Kratern übersät. Aus einigen Löchern und Spalten drang schwarzer Rauch. Ein Stück Tal zwischen zwei steilen Hängen schien mit kochender Lava ausgefüllt zu sein. Es überraschte niemanden an Bord, als die Ortung bestätigte, daß es sich um radioaktiv strahlende Glut handelte. Ein Monitor zeigte Breckcrown Hayes. Er wirkte beunruhigt. »Wie ich sehe, befindet ihr euch im Kriegsgebiet?« »Überall auf diesem Planeten scheint Krieg zu sein«, antwortete Curie. »Sie feuern auf alles, was sich bewegt.« »Keine neuen Informationen über diese unheimliche Strahlung?« fragte Hayes. Curie schüttelte den Kopf. »Nichts. Hat Atlan …« »Nein. Er verhandelt gerade mit den Wesen vom fünften Planeten. Sie befinden sich im Kampf mit denen vom siebten Planeten. Bisher weiß keiner, aus welchem Grund.« »Wir wissen es auch nicht. Ich überlege gerade, ob wir uns nicht etwas intensiver dort umsehen sollen, wo gerade gekämpft wird. Das ist nicht schwer, denn hier scheint überall der Wahnsinn zu herrschen.« »Ihr solltet alles unternehmen, was Erfolg verspricht!« ermahnte Hayes. »Einen besseren Rat kann ich euch allerdings auch nicht geben.« »Leichter gesagt als getan«, meinte Curie. »In Ordnung. Uns fällt schon etwas ein.« »Hoffentlich.« Der siebente Planet hieß nach Atlans Informationen Vormant. Er schien im Wesentlichen aus zwei verschiedenen Arten von Oberflächen zu bestehen: aus solchen, auf denen ein erbitterter Kampf tobte, und jenen, die aus Wäldern, Feldern und Siedlungen bestanden, in denen das Leben der Planetarier mehr oder weniger friedlich verlief. Riesige Zonen waren hoffnungslos verwüstet. Unmittelbar daneben erstreckten sich Meere und Wälder, die aus größerer Höhe unversehrt wirkten. Hier gab es weiße, treibende
Wolken, daneben stiegen die Explosionswolken der detonierenden Geschosse in die Höhe. Die Korvette wurde immer wieder beschossen, aber nicht ein einziger Treffer durchschlug die Schutzschirme. Curie van Herling war noch immer nicht entschlossen, direkt einzugreifen; sie versuchte, die Motivierung für diese harten Kämpfe zu erkennen. Etwa neunzig Minuten lang raste das Beiboot entlang der Küsten, über die Gebirge und mitten durch Kampfgebiete. Funksendungen wurden aufgefangen, übersetzt und ausgewertet. Schließlich faßte Curie einen Entschluß. Das Bild auf einem der Vergrößerungsbildschirme hatte sie überzeugt. Sie schaltete sich in die Interkome ein und erklärte: »Unsere Aufgabe besteht darin, unter Zeitdruck herauszufinden, was in der Lage ist, die chemischen und molekularen Bindungen von Bor und Kohlenstoff aufzubrechen. Aus dem Verhalten der Bewohner dieses Sonnensystems können wir nur ersehen, daß sie sich gegenseitig auszurotten versuchen. Vielleicht sagen sie uns, warum sie kämpfen. Daraus können wir vielleicht erfahren, ob ihr Kampf etwas mit unserer Notlage zu tun hat. Wir werden einige Gefangene machen und intensiv befragen. Dort unten sehe ich so etwas wie eine Patrouille. Holen wir einige Oyst‐Vormant an Bord.« Der Pilot nickte; das Gelände war für ein solches Vorhaben bestens geeignet. Langsam sank die Korvette tiefer und verringerte ihre Geschwindigkeit. Die Solaner befanden sich über einem flachen, sandigen Stück Landschaft zwischen einer verwüsteten, rauchenden Hügelkette und den Brandungswellen eines geraden Stück Strandes. Über den Boden, der voller Krater, geschwärzter Abschnitte und Furchen war, tastete sich eine Truppe von Spinnenwesen, weniger als zwanzig Stück in einer sich schlängelnden Reihe hintereinander. Sie wichen verbogenen und ausgeglühten Metallteilen aus, die in phantastischen Formen aus dem Sand ragten. Die Soldaten trugen
langläufige Waffen und bewegten sich schnell und geschickt auf vier oder sechs Beinen. Ihre Körper waren durch verbeulte und schmutzüberzogene Panzer geschützt. Lautlos näherte sich das riesige Objekt der Patrouille von hinten. »Narkosegeschütze klar!« kam es aus einem Lautsprecher. »Kampfrobots fertig zum Ausschleusen«, meldete eine andere Abteilung. Curie hob die Hand und gab ein Zeichen. Als der Schatten der Korvette den letzten Krieger erfaßte, blieb dieser stehen, hob den runden Kopf und schien eine Warnung auszustoßen. Die Oyst‐Vormant reagierten wie kriegserfahrene Kämpfer. Sie rannten nach rechts und links auseinander, versuchten in Deckung zu springen und feuerten aus ihren Waffen auf das Schiff, das für sie wie ein Gigant erscheinen mußte. Nacheinander gerieten sie in den Kegel des Narkosegeschützes und erschlafften mitten in der Bewegung. Die Korvette kam vor ihnen zum Halten, glitt noch einige hundert Meter tiefer und hing bewegungslos über dem Schlachtfeld. Durch eine Strukturschleuse des Schutzschirms schwebten sechs Roboter. Sie steuerten auf die Soldaten zu, entwaffneten sie und warfen die Waffen in den geschwärzten Sand. Die Handlungsarme schoben sich unter die Körper und hoben sie vorsichtig an. Die bewußtlosen Krieger wurden ins Schiff transportiert und in zwei Laderäumen abgesetzt. Die Aktion dauerte nicht länger als zwölf Minuten. In dieser Zeit griff niemand das Schiff an, das sich vorübergehend unterhalb der Hügelkette befand. Curie van Herling kontrollierte die Bedingungen, unter denen die Gefangenen untergebracht waren. Sie entdeckte, daß sich Waffen – oder Gegenstände, von denen sie annahm, daß es Waffen sein konnten – in den Falten und Taschen der Chitinpanzer befanden. Die Roboter und einige Besatzungsmitglieder schnallten die überraschend leichten Panzer der siebzehn Gefangenen ab und zogen die Waffen aus den Chitinstücken. Entsprechend der Daten,
die man in der kalten Lufthülle des Planeten ermittelt hatte, wurden die Thermostate der Laderäume neu eingeregelt. Es wurde binnen kurzer Zeit wesentlich kühler. Die Roboter bauten Projektoren auf und schirmten damit jeweils ein Viertel der Laderäume ab. »Zurück in den Orbit!« ordnete Curie an. »Eine Bildfunkverbindung zu Hayes und eine zu Atlan!« Die Korvette beschleunigte und stieg höher. Abermals flog sie durch einen Schauer detonierender Raketen und wirkungslos verpuffender Geschosse, durch Rauchwolken und die Glutbälle der Explosionen. Noch während sie im Steigflug war, wurden die wenigen technischen Einrichtungen aufgebaut, die für das Verhör wichtig waren. Curies Unruhe stieg. Sie hatte wenig Erfahrungen mit kriegerischen Fremdwesen, sie fühlte immer stärker den Zeitdruck, der auf ihnen lastete, und sie wußte, daß es für die SOL eine rettende Flucht nicht geben würde. SENECA und Sanny irrten sich nicht. Die langen, muskulösen Gliedmaßen der gefangenen Oyst‐ Vormant zuckten schwach. Für die Solaner war es das erste Zeichen, daß die Lähmung und die damit verbundene Bewußtlosigkeit nachließen. Die Scheinwerfer der Laderäume wurden eingeschaltet und überschütteten die Körper mit gnadenlosem Licht. Ohne die Kriegspanzer wirkten die Farben der Fremden überraschend hell; die Körper glänzten in einem hellen Braun, die chitinbewehrten Beine waren dunkler, die Krallen fast silbern und die Köpfe bronzefarben. Über den honigfarbenen Facettenaugen zuckten die Deckhäute. »Ich muß mit Atlan sprechen, ehe sie erwachen«, sagte Curie laut. »Vielleicht kann er mir einen guten Rat geben.« Sie rief die andere Korvette und erhielt überraschend schnell Antwort. Aber auf dem Schirm zeigte sich Lyta Kunduran statt Atlan.
»Ich wollte eigentlich mit Atlan sprechen«, sagte Curie. »Besteht keine Möglichkeit?« »Atlan ist gerade dabei, die Mesat zu überzeugen, daß wir nicht gegen sie und auch nicht mit ihnen kämpfen, und daß wir nicht vom siebten Planeten kommen«, sagte Lyta. »In kurzer Zeit kommt ein Trupp angeblich hoher Würdenträger an Bord.« Schnell unterrichtete Curie die Stellvertreterin von Gallatan Herts von den aktuellen Ereignissen. Sie fügte hinzu: »… nicht, daß ich nicht wüßte, wonach ich fragen muß. Aber meine Erfahrungen mit Fremdwesen sind kleiner als die Atlans. Wenn er kann, soll er sich ruhig in die Befragung einschalten. Wir übertragen alles zur SOL und zu euch.« »Wir sind ebenso gespannt wie ihr!« versicherte Lyta. An Bord der anderen Korvette herrschten ebenfalls Spannung und Nervosität. Jede Sekunde brachte die Solaner dem entscheidenden Augenblick näher. »Ich glaube, wir sollten anfangen!« sagte Veress, ein ehemaliger Pyrride, ein bedächtiger Mann in Curies Alter. Er kam aus dem größeren der zwei Laderäume. »Sind sie wach?« »Ja. Die meisten. Noch etwas benommen, aber das kann für uns nur von Vorteil sein.« »Ich komme«, sagte Curie und winkte. Einige Raumfahrer schlossen sich ihr an. Die Roboter, die zwischen den Schirmen und den Eingängen zu den Laderäumen standen, schwebten zur Seite. Aus der Menge der taumelnden, schrill miteinander sprechenden Vormant schob sich langsam ein einzelner Soldat heraus. Seine Bewegungen ließen erkennen, daß er offensichtlich bemüht war, sich als Offizier oder Verantwortlicher hervorzuheben. Jedenfalls besaß er die größte Menge Mut und Entschlossenheit. Curie blieb vor den Mikrophonen stehen und sagte entschlossen: »Wir haben euch betäubt ins Schiff gebracht und entwaffnet. Wir sind weder eure Verbündeten noch die der Oyst‐Mesat.«
Die Translatoren arbeiteten mit voller Kapazität. Im Sinn dieses Verhörs besaßen die Solaner jedenfalls einen bestimmten Informationsvorsprung. »Ich, Purmʹtrucc, Anführer der Legion Sonne, spreche für meine Leute. Ihr habt meine Patrouille überfallen.« »Wir flogen als Gäste von fernen Bereichen des Weltalls euren Planeten an und wurden von Geschossen, Raketen und Abfangjägern auf höchst unschöne Weise begrüßt«, sagte Curie hastig. »Ihr schießt auf alles, was ihr seht, nicht wahr?« »Ihr kommt von Oyst‐Mesat, ihr seid von diesem Pirt‐flyrr geschickt worden«, stellte der Vormant sachlich fest. »Wir sind Gegner in einem immerwährenden Krieg und gehorchen dem GESETZ des Dronn.« »Euer Kampf ist nicht unsere Sahe. Eure Waffen können uns nichts anhaben. Wir finden eure Raumfahrt und euern Krieg bestenfalls lächerlich.« »Ein Gesetz ist dazu da, befolgt zu werden. Lasse meine Soldaten frei, Fremder!« »Erstens«, sagte die zweibeinige Gestalt im lindgrünen Bordoverall, »bin ich ein weibliches Wesen, zweitens werden wir tun, was uns als richtig erscheint. Warum, Gesetz hin oder her, kämpfen die beiden Planeten gegeneinander?« »Wir kämpfen um die Erfüllung unseres Auftrags.« »Wie lautet der Auftrag? Ausrottung der Gegner, die ebenso aussehen und vermutlich ebenso denken wie ihr?« »Wir kämpfen darum, die Wächter unseres Sonnensystems zu sein.« »Ein sinnloser Krieg«, antwortete Curie. »Mit den einfachen Raumschiffen kommt ihr nicht einmal zum äußersten Planeten eures Sonnensystems.« »Unsere Raumfahrt hat sich schnell entwickelt. Wenn wir gesiegt haben werden, bauen wir bessere und schnellere Schiffe.« »Wenn ihr den Krieg beendet, geben wir euch vielleicht einige
Hilfe zum Bau besserer Schiffe. Warum versucht ihr nicht, gemeinsam stärker zu werden?« »Die Oyst‐Mesat widersetzen sich unserer Aufforderung.« Curie van Herling schüttelte den Kopf. Aber als sie an die zurückliegenden Machtkämpfe an Bord der SOL dachte, mußte sie sich eingestehen, daß diese Art zu denken nicht ausschließlich auf die Spinnenwesen beschränkt war. Sie wagte einen neuen Anlauf und fragte: »Unser riesiges Raumschiff, das in der Lage ist, deinen Heimatplaneten zu zerstören, empfängt merkwürdige Strahlungen. In diesem Sonnensystem gibt es eine Einrichtung, die bestimmte anorganische und organische Stoffe zerstört. Sie ist zweifellos in der Lage, auch euch zu töten. Wo befindet sich dieser Strahler? Wie sieht er aus? Und warum habt ihr ihn installiert? Er muß eine gewaltige Menge Energien schlucken.« »Ich verstehe nicht, wovon du sprichst«, antwortete der Anführer. »Ich, Purmʹtrucc, weiß nichts von diesem Vernichtungsgerät.« »Ich kann dir keinen Glauben schenken!« »Wenn ich dieses … Ding hätte, würde auf Mesat niemand mehr Widerstand gegen die Oyst‐Vormant wagen.« »Dann ist es eine Waffe eures Gegners!« beharrte Curie. »Würde unser Feind diese Waffe besitzen, wären wir alle versklavt und der Krieg längst beendet!« Nachdenklich sagte die Stabsspezialistin: »Es ist logisch, was du sagst. Wenn es keine Erfindung der zwei streitenden Parteien ist, dann vielleicht diejenige einer dritten Macht. Seit wann geht euer Kampf?« »Seit Tausenden Gelegen.« Veress schirmte die Mikrophone mit der Hand ab und flüsterte: »Es sind Spinnenwesen. Spinnen legen Eier und brüten sozusagen ihre Jungen aus. Es ist das oystische Äquivalent für ›Generationen‹, denke ich. Also für mehrere Tausend Generationen. Eine verdammt lange Zeit, selbst wenn die Oyst weniger lange leben als wir.«
»Ich verstehe«, murmelte Curie und wandte sich wieder an den Anführer. »Und wer ist Dronn?« »Einer der gesetzgebenden Urahnen. Cirrith befahl den Kampf den Mesat, Dronn schrieb sein GESETZ auf Vormant in die Felswand.« »Hat jemals einer eurer großen Anführer versucht zu verhandeln, statt zu kämpfen? Ich weiß, daß eure Industrie unablässig nur Waffen und Geschosse herstellt.« »Wir kapitulieren nicht. Wir haben den Mesat schon mehrmals die Kapitulation angeboten. Seit wir nicht mehr auf Oystantsat kämpfen, denkt keiner mehr an Aufgabe.« »Was ist Oystantsat?« »Der sechste Planet.« »Er ist verwüstet, nehme ich an?« »Unter der Wolkenschicht aus Ruß, Rauch und Staub kämpfen nur noch wenige Soldaten gegeneinander. Leben ist dort unmöglich.« Erschüttert und fast ungläubig sagte Curie: »Ihr seid tatsächlich bemerkenswert. In kurzer Zeit werdet ihr auch Vormant und Mesat so zugerichtet haben, daß niemand mehr dort leben kann. Und das alles für einen Krieg, der völlig sinnlos ist. Ich glaube, die SOL sollte euch einen anderen Weg zeigen.« »Welchen Weg?« Zögernd bekannte Curie: »Das weiß ich selbst noch nicht. Aber wir werden es herausfinden.« Sie drehte sich auf dem Absatz herum, verließ den Laderaum und sagte, als sie in der Zentrale stand und über einen Ausweg nachdachte: »Diesmal muß ich mit Atlan sprechen. Wir wissen jetzt vieles über die Spinnenwesen, aber noch immer nichts über den Kohlenstoff‐ Zerstörer. Funkzentrale! Ich brauche unbedingt eine Verbindung mit Atlan. Um jeden Preis!«
Hayes schaltete sich in die Übermittlung ein und sagte: »Ich habe eben mit Atlan gesprochen. Er fliegt nach Oystantsat, dem sechsten Planeten. Bringt diesen Purmʹtrucc dorthin. Die SOL kommt ebenfalls. Atlan scheint einen erfolgversprechenden Plan zu haben.« »Ich bestätige«, sagte der Pilot. »Korvette ALHABOR nimmt Kurs auf den sechsten Planeten.« Zwischen den drei Raumschiffen flogen Nachrichten, Unterhaltungen und Informationen hin und her. Für jeden Solaner, der Zeit hatte, zuzuhören und die immer wieder eingeblendeten Bilder anzusehen, schälten sich mehr und deutlichere Umrisse eines mehr als merkwürdigen Geschehens heraus. Die beiden Völker besaßen erst seit siebzig Gelegen die Raumfahrt. Aber sie hatten die Grenzen ihres Sonnensystems niemals verlassen und konzentrierten sich fast ausschließlich auf die Flüge zwischen dem fünften, sechsten und siebenten Planeten. Andere, weiter innen liegende Welten flog man nur an, um seltene Mineralien zu schürfen. Einst, so hatte Atlan herausgefunden, kam ein gigantischer Besucher von den Sternen, der die Oyst‐Mesat zu den Hütern des Glutauge‐Systems auserkoren hatte. In der Legende der Mesat war dies Cirrith gewesen, der einen schwebenden Würfel mit dem Text seiner Versprechungen hinterlassen hatte. Curie nahm an, daß eben dieser legendenhafte Besucher auf Vormant den Namen Dronn hatte, denn Dronns Befehle befanden sich irgendwo in einer glatten Felswand. An jeder Legende war zweifellos ein Kern der Wahrheit. Warum aber führten innerhalb eines Systems zwei identische Planetenvölker einen Krieg gegeneinander, der sie dezimierte und nachhaltig verhinderte, daß sie sich gegen einen Besucher aus einer anderen Galaxis wehren konnten? Schon allein der Besuch der SOL unterstrich diese Unmöglichkeit. Endlich erschien Atlan auf einem Monitor. »Wir landen nebeneinander auf Oystantsat«, erklärte er.
»Allerdings müssen wir einen Landeplatz finden, der noch nicht völlig strahlenverseucht ist. Dort werden wir deine Gefangenen mit unseren Gästen konfrontieren und mit einigen ungewöhnlichen Ideen.« »Es wird für beide eine Überraschung werden«, versicherte Curie. »Kann dieser rätselhafte Fremde von den Sternen für unser Debakel verantwortlich sein?« »Er kann«, antwortete Atlan. »Aber alles, was er getan haben mag, verliert sich im Dunkel der Vergangenheit. Noch längst sind nicht alle Fragen beantwortet.« »Wie verhalten sich deine Gäste?« wollte Curie wissen. »Mißtrauisch, abwehrend und ratlos.« »Ratlosigkeit könnte ein Weg zur Einsicht sein. Oder vielleicht nur der erste Schritt.« Nachdenklich entwickelte Atlan seine Überlegungen: »Zwischen beiden Planeten herrscht ein mühsam ausbalanciertes Gleichgewicht der militärischen Kräfte. Es ist ein Gleichgewicht des Schreckens. Keiner wagt zurückzuweichen, weil dies als Schwäche gilt und mit Vordringen des anderen beantwortet wird. Keiner traut dem anderen und macht daher keinen Vorschlag, wie man gemeinsam weitergehen könnte. Jeder wittert ununterbrochen und überall Fallen und die Absicht des Gegners, rücksichtslos anzugreifen und zu versklaven. Es gibt keine abweichenden Meinungen, denn aufgrund dieses Gastes aus der Vergangenheit herrscht ein fast unauflöslich kollektives Denken und Fühlen. Natürlich kann man dies nicht gerade als Philosophie des immerwährenden Krieges bezeichnen, aber es läuft darauf hinaus. Das ist nach allem, was ich hier, von euch und als Analyse aus der SOL erfahren habe, meine feste Meinung.« »Leider«, sagte Breckcrown Hayes niedergeschlagen, »löst diese Einsicht unser eigenes Problem nicht. Ich denke darüber nach, einen Schwarm Korvetten auszuschleusen und die anderen Planeten untersuchen zu lassen.«
»Warte noch ab, was wir unter den atmosphärischen Rauchwolken von Oystantsat herausfinden«, schlug Atlan vor. »Vielleicht verhilft der Schock der beiden Gruppen ihnen und uns zu einer Erkenntnis.« Der Gesichtsausdruck des High Sideryt zeigte deutlich, wie wenig er dieser Entwicklung vertraute. »Vielleicht!« sagte er mit zusammengepreßten Lippen. »Fünfzehn Prozent unserer Zeit sind schon abgelaufen!« 5. Oystantsat war ein sterbender Planet. Noch bevor die Landebeine der Korvette ausgefahren wurden, hatten die Raumfahrer die grauenhafte Wahrheit erkannt. Atlan hatte unendlich viele Zerstörungen gesehen, aber er entsann sich nicht, jemals die Oberfläche einer Welt betreten zu haben, die von ihren eigenen Lebewesen derartig planmäßig ruiniert worden war. Durch die dichte, von Turbulenzen zerrissene und aufgewühlte Wolkendecke drang nicht ein Funken Sonnenlicht. Die Wolken aus radioaktivem Staub, aus breiten Schlieren leuchtender Gase und aus gas‐ und pulverförmiger Planetenmaterie, waren dick und wurden von tobenden Stürmen um den Planeten gewirbelt. Unaufhörlich zuckten zwischen ihnen und dem Boden riesige, orangegelbe Lichtblitze hin und her. Die Oberfläche dieser bemitleidenswerten Welt zeigte noch deutlicher, daß der immerwährende Krieg eine Materialschlacht unvorstellbaren Ausmaßes gewesen war. Unter der Korvette breitete sich eine riesige Ebene aus. Sie war an mehreren Stellen von riesigen, annähernd pyramidenförmigen Felsen unterbrochen und rechts, im Osten, von einer Bergkette abgegrenzt. Der Boden war voller Furchen, riesiger Löcher, Schrunde und ohne den geringsten Pflanzenwuchs. Metertief
bedeckte ihn eine Art krümeliger, schwarzer Staub, dessen Oberfläche von jedem noch so geringen Windstoß wie Wasser aufgewühlt und verformt wurde. Die Wolken waren schwarz, der Staub besaß dieselbe Farbe, und zwischen ihnen und dem Boden herrschte eine schaurige, graue Dämmerung. Die Felsen waren zerschrammt und gespalten und von zahllosen Einschlägen aller nur denkbaren Größen gezeichnet. Das Raumschiff mit eingeschalteten Tiefstrahlern war ein Gegensatz zur Umgebung, wie er größer nicht mehr zu denken war. Die Teller der Landebeine waren tief in den Staub eingesunken. Die Rampe der Polschleuse war ausgefahren und verschwand dicht vor dem Schutzschirm im Schutt. Das einzige was hier die vage Illusion von Leben hervorrief, war ein schwacher Wind, der immer wieder in einzelnen Böen auffrischte und die Korvette in einen Staubschleier hüllte. Etwa zweihundert Meter weit entfernt, im Licht zuckender Blitze, landete das andere Beiboot. Wieder erhob sich eine brodelnde Staubwolke, durch die die aufflammenden Scheinwerfer nicht hindurchstachen. An Bord der SHAMBAR wandte sich Atlan an seinen Gesprächspartner. Bisher hatte Kirr‐hinc die klügsten Antworten gegeben. Kommunikationskanäle waren in die Zentrale der anderen Korvette und in die SOL geschaltet. Das große Schiff befand sich im langsamen Flug hierher, würde aber im Orbit bleiben. »Du und deine Freunde sind auf Oystantsat gelandet. Die Bilder kennt ihr besser als wir.« »Es war der Kriegsplanet, viele Gelege lang«, bestätigte der Offizier. Atlan deutete auf die Bildschirme. »Ihr seid unbewaffnet. Dort draußen ist es warm, denn die giftige Luft ist durch die Folgen eures sinnlosen Kampfes aufgeheizt. Die Schwerkraft ist, wie du weißt, ungewöhnlich hoch und ermüdet euch Oyst sehr schnell. Wenn ihr euch zu lange ohne Waffen und Ausrüstung in dem radioaktiven Staub aufhaltet, bringt er euch
um.« Atlan hörte mit halbem Ohr mit, was Curie van Herling im anderen Schiff ausführte: »Natürlich helfen wir euch, wenn ihr schnell zu einer Einigung kommt. Ihr solltet das Ziel haben, euch zu einigen. Mit aller Kraft werden wir die beiden Planeten unterstützen.« »Warum tut ihr Solaner das?« erkundigte sich Purmʹtrucc aufgeregt. »Wir wollen Hilfe von euch. Wir helfen euch, ihr helft uns.« »Wir haben nicht angenommen, daß eure Hilfe selbstlos ist. Ihr zwingt uns zu einem Vorgehen, an das wir niemals gedacht haben.« »Jetzt ist Zeit, daran zu denken«, schloß Curie. »Wir beobachten euch sehr genau und registrieren alles, was geschieht.« »Ihr seid unerbittlich!« »Der Tod und die Vernichtung unseres Schiffes ist die Alternative«, sagte Curie hart. »Strukturschleuse! Und richtet alle Aufnahmegeräte auf die Oyst‐Vormant.« Sie kreuzte die Arme über der Brust und sah zu, wie die Spinnenwesen in militärischer Ordnung die Polschleuse verließen und über die Rampe in die 0.99 g‐Schwerkraft des verwüsteten Planeten hinausmarschierten. Atlan nickte zufrieden und blickte in die Facetten der riesigen Augen vor ihm. Die Oyst‐Mesat hatten das Gespräch zwischen ihren Gegnern und Curie zumindest teilweise mit anhören können. »Argumente überzeugen offensichtlich nicht«, sagte der Arkonide ins Mikrophon des Translators. »Ihr seid in euren Gedanken derart festgefahren, daß ihr die dritte Möglichkeit nicht sehen könnt. Unsere Aktion wird euch zumindest dazu helfen.« Er hob den Arm und zeigte auf die Schleusentür, an der Kampfroboter postiert waren. »Geht hinaus und regelt eure Angelegenheiten! Macht schnell. Dann erst werden wir uns wirklich unterhalten.« Auch die Oyst‐Mesat verließen das Schiff in Form einer
militärischen Abordnung. Und sie wirkten dabei nicht im geringsten lächerlich. Von beiden Rampen aus schoben sich die Gruppen in Zweierreihen aufeinander zu. Sie bahnten sich einen Weg durch den tiefen Staub und rutschten immer wieder aus. Schließlich standen sich die beiden Anführer gegenüber. Ihre Soldaten bildeten jeweils einen lockeren Halbkreis. Purmʹtrucc eröffnete den seltsamen Zweikampf. »Es ist nicht unsere Schuld, daß wir hier gegeneinander kämpfen – ohne Waffen, ohne Rüstung«, schrillte er. Aufmerksam lauerten die Solaner auf jedes übersetzte Wort. »Dronn wird sehen, daß wir tapfer kämpfen.« Blitze zuckten, heißer Wind blies Staubwolken hin und her und erzeugte schwarze Wirbel. Im Nu waren die glänzenden Chitinpanzer stumpf geworden. Die Oyst bewegten sich unruhig; sie wußten, daß sie sich in einer tödlichen Zone befanden. »Wir verteidigen Cirriths Befehle ebenso tapfer!« Atlan wandte sich über die stehende Verbindung direkt an Curie van Herling und fragte: »Ist dir aufgefallen, daß Cirriths Leute Namen mit hellen Vokalen tragen? Die von Dronn scheinen in ihren Namen dunkle Vokale zu führen. Kirr‐hinc … Purmʹtrucc …?« »Möglicherweise stimmt das«, murmelte sie. »Ein weiterer Beweis dafür, daß sie sich dem langen, unsinnigen Kampf unter dem Diktat ihres Meisters aus der Vergangenheit angeglichen haben.« Die beiden Anführer standen sich jetzt unmittelbar, fast Kopf an Kopf, gegenüber. »Die Solaner haben gesagt, daß Cirrith und Dronn ein und dieselbe Person gewesen sind!« rief der Oyst‐Mesat. »Das ist Blasphemie! Wir sind von Dronn zu den Herrschern bestimmt worden!« »Und wir von Cirrith!« Atlans Stimme hallte dröhnend aus den Außenlautsprechern. »Denkt daran, daß der beste und starrsinnigste Kämpfer ein
sterbender Soldat ist, wenn er von der Umgebung umgebracht wird. Auch für euch drängt die Zeit!« Die Oyst schienen von Atlans Zwischenruf wenig Notiz zu nehmen. Die beiden Anführer richteten sich auf den hinteren Beinpaaren auf. »Wer soll herrschen? Wer bestimmt von uns, wenn wir uns zusammentun?« rief aufgeregt der Oyst‐Vormant. »Natürlich wir«, gab der Oyst‐Mesat zurück. »Aber ich schlage vor, daß das Volk des Siegers zu bestimmen hat!« Der Oyst‐Vormant führte mit seinen vier vorderen Gliedern hastige und entschlossene Bewegungen aus: Sie wirkten, als ob Ringer oder Kämpfer von exotischen Techniken sich darauf vorbereiteten, einen blitzschnellen Angriff zu beginnen. Wieder wirbelte eine Staubspirale über die Planetarier hinweg. »Gut! Kämpfen wir!« kreischte der Oyst‐Vormant. »Der Sieger wird zum Hüter des Systems!« Die Szene hinterließ bei den Solanern einen zwiespältigen Eindruck. Dadurch, daß die Sinnlosigkeit dieses Kampfes für die Solaner feststand, wirkten die beiden Spinnenwesen ein wenig lächerlich in ihrer besessenen Sturheit. Aber sie waren von Begriffen wie Mut, Ehre und Treue zur Aufgabe erfüllt, und das wiederum machte den Kampf zu einer ernsten Sache. Die beiden Oyst begannen miteinander zu ringen, angefeuert von rhythmischen Bewegungen und trillernden Schreien ihrer Anhänger. Es war fraglich, ob Atlans Versuch, den Frieden herbeizuzwingen, Erfolg haben würde. Aber ohne diesen heilsamen Schock würden die Bewohner dieses Systems die Suche der SOL nicht unterstützen. Sie waren in ihrer tiefen Kriegspsychose gefangen. Inzwischen bildeten beide Kämpfer ein wirres Knäuel. Ihre Gliedmaßen peitschten und schlugen hin und her, die Krallen hinterließen auf den graubestaubten Panzern tiefe Rillen. Die Mandibeln verbissen sich in den Endgliedern und rissen Sprünge in die Chitinpanzer. Staub wallte auf und trübte das Bild. Der Oyst‐
Vormant schleuderte den Gegner in den Staub zurück und brach ihm einen Unterschenkel. Der Oyst‐Mesat warf sich herum, klammerte sich an seinen Gegner und riß ihm Teile aus dem unteren Rand des Körperpanzers. Rasend schnell bewegten sich die Schutzhäute über die Facettenaugen. Beide Kämpfer stolperten in ein Loch der Ascheschicht. Eng aneinandergeklammert tauchten sie daraus wieder hervor. Der Oyst‐Mesat drängte den Oyst‐Vormant zurück. Der Halbkreis der vor Aufregung halb rasenden Soldaten wich zurück, drang wieder vor, als der Gegenangriff den anderen auf seine Leute zutrieb. Mit einem geschleuderten Felsbrocken, den einer auf den anderen mit furchtbarer Gewalt schleuderte, knackte er dessen Panzer dicht hinter den Halsringen. Atlan war von diesem Kampf gebannt, aber plötzlich sah er außerhalb des Blickfelds eine unerwartete Bewegung. »Sie bringen sich gegenseitig tatsächlich um …«, sagte er zu Nockemann. »Was ist das?« Außerhalb der Zone, in der die Schiffsscheinwerfer für trübe Helligkeit sorgten, bewegte sich etwas. Innerhalb von mehreren Sekunden klärte sich das Bild. Einer der Felsen hatte sich bewegt. Nein! Ein Teil seiner vorderen Fläche war in mehreren Splittern auseinandergebrochen. Die Felstrümmer fielen berstend nach allen Seiten, und aus dem Raum dahinter näherte sich eine riesige Gestalt. Rund zehnmal so groß wie ein Solaner, also rund zwanzig Meter. Die Gestalt kam schnell näher und entpuppte sich als ein Wesen, das mit den Oyst nur undeutliche Ähnlichkeit hatte. Ein fast kugelförmiger Körper saß auf vier langen Spinnenbeinen, die sich rasend schnell bewegten und den Fremden über die Distanz von etwa eineinhalb Kilometern förmlich heranschleuderten. Hinter ihm wuchs eine schräge Fahne aus Staub in die kochende Luft. In diesem Augenblick fielen zwei der Oyst‐Mesat um und blieben mit zuckenden Gliedern liegen. »Die Roboter sollen sie holen!« rief Atlan. Sein Extrasinn zischte warnend:
Das ist kein Planetarier. Scheint ein Roboter zu sein! Das Ding kam näher, ohne daß es die Oyst merkten. Die beiden Kämpfer hatten sich ineinander verkrallt und wälzten sich hin und her. Inzwischen war fast nichts mehr zu erkennen, denn eine große Staubwolke verhüllte das aufgewühlte Kampffeld. Atlan wirbelte herum und schrie: »An die Geschütze! Rennt in die Feuerleitzentralen! Aber noch nicht schießen!« Als die riesige Gestalt im äußersten Bereich der Helligkeit auftauchte, sahen die Solaner, daß es eine Maschine war. Viereckige Sehzellen, an allen Stellen des Kugelkörpers und an den Gelenken der Beine verteilt, leuchteten strahlend blauweiß durch die stauberfüllte Finsternis. Der Gigant stapfte heran, blieb kurz stehen und feuerte dann ohne jede Warnung einen wilden Hagel von Strahlen auf die Kämpfenden ab. Dort, wo sie auftrafen, verwandelte sich der Staub in lodernde, expandierende Gasfontänen. Aus den Lautsprechern kam ein klirrendes Knattern, das die Geräte überforderte und bestialisch krachen ließ. Die aufgeregten Schreie der Spinnenwesen gingen in diesem Lärm unter. Eine breite Spur aus Strahlen vor sich ausbreitend, raste der Robot quer durch die Staubwolke, stellte seinen Beschuß ein und verließ nach links das Inferno aus Staub, loderndem Gas und winzigen Kratern, in denen der Staub hellrot zusammengeglüht wurde. Atlan holte tief Luft, blickte auf die Bildschirme und rief dann: »Schießt! Versucht, seine Beine zu treffen!« Dann gab er den Befehl, eine Space‐Jet bereitzuhalten. Er sah am unteren Bildrand die Roboter seines Schiffes, die jene zusammengebrochenen Oyst aufhoben. Auch aus der anderen Korvette kamen Maschinen und kümmerten sich um die Spinnenwesen, die bereits Opfer des Staubes und der Hitze geworden waren. Einige Geschütze feuerten hinter dem Robot her. Atlan rannte aus der Zentrale. Er verfluchte die Sturheit der
Spinnenwesen und sagte sich, daß er den Kampf besser mit einem gezielten Schuß aus dem Paralysator hätte entscheiden sollen. Er hatte eben noch gesehen, wie sich einer der beiden Kämpfer vom anderen löste. Der andere bewegte sich nicht mehr. Oyst‐Mesat oder Oyst‐Vormant? Du wirst es erfahren! sagte der Logiksektor. Gib acht dort draußen! Ein Mann winkte aus dem Pilotensessel der Jet, als Atlan im Hangar auftauchte. Der Arkonide schwang sich in die Polschleuse und verriegelte sie hinter sich. Es dauerte nur wenige Sekunden, bis die Maschinen des Diskus liefen und sich die Schleusentore öffneten. Augenblicklich startete der Pilot und steuerte in die Richtung, in der zuletzt der Robot gesehen worden war. »Zwei Planeten voller Irrer, Atlan«, bemerkte der Pilot, als sich Atlan neben ihn in den Sessel fallen ließ und sämtliche Schalter der Funkverbindung und das Impulsgeschütz und dessen Steuerung einschaltete. »Das wäre nichts anderes als bizarr und phantastisch«, knurrte der Arkonide, »wenn wir nicht in dieser verdammten Zwangslage wären.« »Wir werden den Robot bald gefunden haben!« Die Jet raste dicht über dem Boden dahin. Atlan aktivierte den Ortungsschirm und versuchte, in dem Halbdunkel und zwischen den Staubwolken etwas zu erkennen. Die Schutzschirme des Diskus bauten sich auf. Atlan schloß den Sicherheitsgurt über seinen Schenkeln und kümmerte sich um die Geräte. Auf dem Ortungsschirm schälten sich zwischen intensiv leuchtenden Echos am Boden und den vereinzelt stehenden Felsen undeutliche Umrisse heraus. Sie wurden binnen zwanzig Sekunden schärfer. »Hinterher! Dort ist der Mordrobot!« sagte Atlan kurz. Der Zwischenfall ergab nicht den geringsten Sinn, war völlig unlogisch. Seit Jahrhunderten oder länger wurde auf Oystantsat gekämpft, und ausgerechnet heute sprengte sich die Maschine aus der Felshöhlung.
Warum? Was hatte sie aktiviert? Etwa der Versuch, den sogenannten immerwährenden Krieg zu beenden? Jetzt zeichneten sich die Umrisse des Robots deutlich ab. Die Maschine flüchtete in rasendem Tempo. »Glaube nicht, daß wir uns mit ihm verständigen können!« bemerkte der Pilot und zog den Diskus höher. Atlan schüttelte den Kopf. Er glaubte es auch nicht. Trotzdem konnte die Maschine aus der Vergangenheit eine Quelle von dringend benötigten Informationen sein. Zehn, fünfzehn Kilometer hatte die Jet zurückgelegt. Vor dem Flugkörper tauchte eine Barriere aus Hügeln, Felsen und erstarrter Lava auf, die eine Art Wall mit fast senkrechten Wänden war. Die Jet wich in einer Rechtskurve nach oben aus. Atlan packte die Steuergriffe des Geschützes und richtete es auf den Robot. »Willst du ihn zerstören?« »Ich will die Beine treffen und vielleicht seine Waffensysteme«, sagte Atlan. »Aber sein rasender Lauf kommt hier an den Felsen wohl zum Stehen.« * Die Schüsse aus der SHAMBAR hatten nur einige ausgeglühte Spuren im Bewegungsapparat des Roboters hinterlassen. In sicherer Entfernung hielt die Jet an. Der Robot änderte die Richtung seiner Flucht, als er sich unmittelbar vor der zerklüfteten Felswand befand. Atlan zielte, drückte den Feuerknopf und traf mit dem ersten Schuß eines der Gelenke. Dann wartete er. Die Maschine hielt an, als sie eine Schlucht erreichte, einen tiefen Einschnitt mit dreieckigem Grundriß zwischen den hochragenden schwarzen Wällen. Mit einem Dutzend schneller Laufschritte rannte der Robot dort hinein. Das getroffene Gelenk blieb steif, als sei es zusammengeschweißt worden.
»Keine Gegenwehr?« wunderte sich Atlan. Der Robot wurde langsamer, als seine Laufglieder an den Felsen schrammten und lange Funkengarben erzeugten. Dann drehte er sich auf der Stelle langsam herum und schien die schwebende Jet anzustarren. Atlans Finger lagen auf dem Feuerknopf, und in der Zieloptik des Geschützprojektors stand ruhig der stumpfsilberne Körper der Maschine. Die kurzen Läufe der Robotwaffen drehten sich wie suchend hin und her. Zitternd baute der Robot einen Schutzschirm auf. »Das Ding weiß nicht, was es tun soll«, bemerkte der Pilot besorgt. »Es wird immer merkwürdiger.« »Vielleicht hat der Robot gespürt, daß sich zum erstenmal eine höherwertige Raumfahrttechnik auf dem Planeten befand?« rätselte Atlan. »Ich werde ihm die Entscheidung erleichtern.« Er senkte das Fadenkreuz der Zieloptik und feuerte eine Serie von Schüssen ab. Sie trafen die röhrenförmigen Elemente der Beine und die Gelenke. Das Metall schien sich stellenweise in gigantischen, prasselnden Blitzen aufzulösen. Aber als die Lichterscheinungen abgeklungen waren, sah Atlan auf den Treffermonitoren nur tiefe Schrammen und glühende Schnittränder. Der Robot wiegte seinen kugeligen Körper hin und her, als wisse er noch immer nicht, was er unternehmen und wie er reagieren sollte. Mitten in der Bewegung erstarrte die Maschine und zog sich völlig in den dunklen Spalt zurück. Zwei, drei Sekunden vergingen. Dann blendete eine kalkweiße Detonation auf. Ein Feuerball bildete sich zwischen den Felswänden. Eine Druckwelle erfaßte die Jet und schüttelte sie durch, trieb sie nach rückwärts ab. Der Pilot zog den Diskus hoch, und fasziniert blickten die beiden Männer durch die transparente Kuppel auf die glühenden Reste und die Schrottfetzen, die von den Wänden abprallten. Eine Rauchwolke entwickelte sich und wurde vom heißen Wind weggerissen. Der Arkonide rieb sich die Augen und sagte halblaut:
»Zurück zu unseren Oyst.« Die Jet drehte sich auf der Stelle, nahm Geschwindigkeit auf und jagte zurück zu den beiden Korvetten. Als die negative Beschleunigung einsetzte, konnten die Raumfahrer erkennen, daß sich die Situation drastisch geändert hatte. »Verdammt!« entfuhr es Atlan. »Schnell! Einschleusen!« Er schaltete die Geräte ab, verließ die Pilotenkanzel und zwängte sich in einen Raumanzug. Als die Jet wieder im Hangar stand und sich die Tore geschlossen hatten, verließ Atlan den Hangar und stapfte die Rampe hinunter. Etwa zwanzig Roboter arbeiteten im Licht der Scheinwerfer und versuchten, den Oyst zu helfen. Vier Maschinen schwebten an Atlan vorbei, zurück ins Schiff, und ihre Handlungsarme hatten sich unter die Körper von bewußtlosen Oyst geschoben. Die langen Gliedmaßen hingen schlaff herunter. Zum erstenmal sah Atlan deutlich die verkümmerten Augen in den Gelenken; sie wurden als zusätzliche Organe eingesetzt und waren, so sagten die Oyst, das Zeichen dafür, daß die Spinnenwesen von Cirrith und Dronn auserwählt worden waren. »Was ist passiert?« rief Atlan. Die Außenlautsprecher der SHAMBAR antworteten: »Der Planet hat ihnen zugesetzt. Der Kämpfer der Oyst‐Vormant ist vom Roboter getötet worden.« Solaner und verschiedene Typen von Bordrobots halfen den Oyst. Sie schleppten die Bewußtlosen ins Schiff und stützten diejenigen, die sich noch selbst bewegen konnten. Einige Oyst trugen ihren toten Anführer hinter den summenden Maschinen die Rampe hinauf. Atlan wartete, bis der Platz zwischen den Schiffen völlig leer war, und ging zurück in die Polschleuse. Die Medorobots begannen, mit kalten Wasserstrahlen die Körper der Oyst vom Staub zu befreien. Die Planetarier waren Fleisch‐ und Pflanzenesser; also konnte ihr Metabolismus von dem der Solaner nicht allzu sehr verschieden sein. Die Raumfahrer halfen, wo immer es möglich war. Über den Toten wurde eine Decke ausgebreitet. »Hat es sich unter euch schon herumgesprochen«, fragte Atlan, als
er sich inmitten von neun erschöpften Oyst in einem kalten Laderaum befand, »daß dieser Mordroboter ein Werkzeug Cirriths oder Dronns war? Ich habe daran keinen Zweifel!« Schwach scharrten die Krallen über den Belag des Laderaumbodens. Atlan schlugen helle, trillernde Laute entgegen. Der Translator konnte vorübergehend die Informationen nicht verarbeiten. »Wenn einer von euch spricht«, wehrte Atlan ab, »verstehe ich jedes Wort.« »Ich bin Virsh‐trye«, erklärte ein Oyst‐Mesat, dessen muskulöse Kiefer einen Würfel aus Trockennahrung zermahlten. »Ich spreche für meine Freunde. Was ist mit dem Roboter geschehen?« Atlan schilderte es so knapp und überzeugend wie möglich. Er schloß nachdenklich und provozierend: »Der Robot, ein Werkzeug des unbekannten Wesens, das bei euch Cirrith und bei den Oyst‐Vormant Dronn heißt, ist mit größter Sicherheit dadurch geweckt worden, daß wir hier landeten. Wir haben eine Technik präsentiert, die hoch über eurer Technik steht. Habt ihr verstanden, was ich meinte?« Der plötzliche Tod mochte für Soldaten ein Umstand sein, der kühl und gelassen ertragen wurde. Die Umstände dieser Hinrichtung durch die Maschine schienen die Krieger beider Gruppen jedoch etwas nachdenklicher gemacht zu haben. Die Antworten, die Atlan erhielt, klangen zweifelnd und sehr nachdenklich. »Ich denke, daß die beiden Planeten miteinander reden sollten – und nicht mehr kämpfen dürfen. Das ist die Meinung von zwanzig Soldaten. Aber es gibt Milliarden Oyst auf zwei Planeten.« »Wir unterstützen euch dabei, die Bevölkerung der Planeten zu überzeugen«, versprach Atlan grimmig und ging hinaus. In der Zentrale ließ er sich vor den Bildschirmen in den Sessel fallen und stützte sein Gesicht in die Hände. »Was ist los?«
Atlan sah auf und sah neben sich Curie van Herling und Nockemann. Sie wirkten so ratlos, wie er sich fühlte. »Ich weiß nicht mehr weiter!« sagte Atlan mit endgültigem Tonfall und warf einen langen Blick auf die Analogzahlen des Chronometers. * Atlan stellte den Becher mit dem heißen, kräftigenden Getränk vor sich auf das Pult und machte eine halb auffordernde, halb verzweifelte Geste. »Fragt SENECA«, sagte er müde. »Vielleicht weiß er einen Ausweg.« Die SOL schwebte im Orbit des Planeten Oystantsat. Curie und Atlan saßen in der Korvette SHAMBAR. Von allen Oyst befanden sich nur zwei Anführer in der Zentrale des Beiboots; für die Oyst‐ Mesat war es Virsh‐trye, ein gewisser Sruum‐ʹhult sprach für die Oyst‐Vormant. Im Laderaum lag der getötete Purm‐ʹtrucc. Eine Vormant‐Ehrenwache stand bei seiner ausgestreckten Leiche. »Sind alle Berichte übermittelt worden, Hayes?« erkundigte sich Lyta Kunduran. »Oder braucht ihr meine Hilfe in der SOL?« An Bord der SHAMBAR fand eine improvisierte Konferenz statt. Curie war aus der ALHABOR herübergekommen. Der High Sideryt erwiderte: »Wir haben eine Dokumentation zusammengestellt und an die Fernsehsender beider Planeten überspielt. Die Gegenkontrolle hat ergeben, daß die Nachrichten aufgefangen und weitergesendet worden sind.« Atlan wandte sich an Virsh und Sruum. Seine Stimme klang ärgerlich; er zermarterte seinen Verstand, um der Spur einer Lösung näherzukommen.
»Was sagen eure Legenden? Gegen wen sollt ihr das Sonnensystem verteidigen?« Die Suche und die Kämpfe hatten wertvolle Zeit gekostet. Und man war der Ursache der Strahlung nicht näher auf die Spur gekommen. »Es wird wohl so sein, wie ihr es uns erklärt habt«, entgegnete Virsh‐trye. »Dadurch, daß wir gegeneinander kämpften, entwickelten wir unsere Technik und unsere Waffen immer weiter. Aber um welchen Preis! Unendlich viele gute Männer sind gestorben!« »Das ist richtig«, meinte Hage Nockemann und versuchte wieder einmal vergeblich, irgendeinen Ausdruck in den exotischen Gesichtern der Spinnenwesen zu definieren. »Aber es beantwortet unsere Frage nicht.« »Wir sollen Fremde abwehren und solche Wesen, die sich gegen das Gesetz stellen.« Inzwischen hatte Curie van Herling eine weitere Seltsamkeit aufgedeckt. Sie hatte sich von einem Oyst‐Vormant und einem Oyst‐ Mesat den Text von Cirriths und Dronns GESETZ sagen lassen. Was sie vermutet hatten: Beide Texte waren nicht wortwörtlich, aber in der Bedeutung identisch. Es gab Passagen, die unterschiedliche Auslegungen zuließen. Aber nicht zwei verschiedene »Gesetzgeber« waren nach Meinung aller Solaner – und nach SENECAs Analyse – am Werk gewesen, sondern einer. Das schienen inzwischen auch die Spinnenwesen begriffen zu haben. »Wir stellen uns nicht gegen die Maximen, die den unvernünftigen und sinnlosen Krieg verschuldet haben. Der Roboter stammte nicht von Mesat und auch nicht aus der Technik der Oyst‐Vormant. Er hat versucht, einzugreifen und den Krieg wieder neu anzuheizen. Das haben wir verhindert. Aber wir suchen weiter … Ihr wißt, was wir suchen.« »Etwas Fremdes, etwas Gefährliches für euch, für das große
Schiff.« »Und für alle Lebewesen, uns hier eingeschlossen«, sagte Curie hart. »Ihr wißt nichts?« »Nichts. Wir würden euch helfen, glaubt mir.« Atlan hatte sich in der vergangenen halben Stunde mit Sanny in eine Kabine zurückgezogen. Er hatte mit der Molaatin alles diskutiert, was die Solaner bisher erfahren konnten. Es war eine unkoordinierte Mischung aus Sagen, Tatsachen, Beobachtungen, Mutmaßungen und Gerüchten, aus Berichten über Kämpfe, seltsame Ereignisse während des »immerwährenden« Krieges und einer viel zu großen Menge schwer zu verstehender Legenden. Auch Sanny hatte aus dieser Mixtur nichts berechnen können. Ihre parapsychologische Begabung brachte trotz des besten Willens nicht die geringste Erkenntnis hervor. »Meine einzige Hoffnung bleibt SENECA«, schloß die Molaatin bekümmert. SENECA meldete sich über einen Nebenkanal und erklärte auffordernd: »Unsere Suche nach einer Strahlenquelle ist bisher ohne jedes Ergebnis verlaufen. Es ist mehr als wahrscheinlich, daß diese gefährliche Anlage nicht im Normalraum arbeitet, sondern nur im Linearraum. Das bedeutet – aber diese Wahrscheinlichkeit vermag ich nicht zu berechnen –, daß wir in dem Augenblick in äußerster Gefahr sind, wenn wir das System zu verlassen versuchen. Mein Vorschlag lautet in diesem Augenblick: Sammelt alles, was die Planetarier wissen. Jeden noch so sinnlos erscheinenden Hinweis. Ich werte aus, was bei mir eingeht. Die Zeit wird allmählich knapp, Atlan.« Atlan nickte schwer. »Wir sollten die SHAMBAR auf Oyst‐Mesat landen, die ALHABOR auf Oyst‐Vormant. In der SOL laufen dann alle Meldungen zusammen. Einverstanden?« »Ein zweckentsprechender Vorschlag. Führt ihn sofort aus.« Curie van Herling wandte sich an die wenigen
Besatzungsmitglieder der ALHABOR, die in ihren staub‐ überpuderten Raumanzügen in der Zentrale standen. »In einer Stunde spätestens sind wir auf dem siebenten Planeten. Sruumʹhult! Wirst du für uns sprechen?« »Ich werde alles tun, was euch hilft!« versicherte das Spinnenwesen und schien erleichtert zu sein, die viel zu warme Luft der Zentrale verlassen zu können. Binnen weniger Minuten waren beide Korvetten startfertig und stiegen in einer gewaltigen schwarzen Wolke aus brodelndem Staub auf. Übereinstimmend waren SENECA und Sanny der Meinung, daß es im System der Sonne Glutauge keine Strahlenquelle gab! Aber beide wußten, daß es diese Strahlenquelle geben mußte. Hier, irgendwo im Umkreis der Roten Sonne. 6. Seit dem Augenblick, als SENECA den Linearflug der SOL unterbrochen hatte, waren rund zweiundzwanzig Stunden vergangen. Atlan entnahm aus den Statements SENECAs und Sannys, daß sich mangels aussichtsreicher Erkenntnisse und durch völliges Fehlen irgendwelcher Meßwerte nichts berechnen oder durch besondere Begabung kontrollieren ließ. Natürlich vertraute Atlan den Aussagen der Molaatin ebenso wie den Berechnungen SENECAs. Die Aussagen aber zeigten nicht die Wahrheit. Jedermann an Bord einschließlich der Biopositronik war sicher, daß sich das Verderben hier im System befand. Während sich die Zentrale der SHAMBAR in eine Nachrichtenstation verwandelt hatte, unterhielt sich Atlan mit Breckcrown Hayes auf einem abgeschirmten Kanal. Alle drei Schiffe waren durch ein stehendes Bildfunknetz miteinander verbunden. SENECA schaltete alles. »Wir kennen aus eigenen Untersuchungen die Planeten Mesat,
Oystantsat, Vormant und den für uns namenlosen achten Planeten. Ich brauche nicht mehr jede Einzelheit zu wiederholen.« »Ich habe bereits die Befehle erteilt. Vierzehn Korvetten können sofort ausschwärmen, wie versprochen«, knurrte Hayes. Sein narbenzerfressenes, zerklüftetes Gesicht ließ seine innere Spannung erkennen, ebenso wie es seine rauhe Stimme tat. »Einverstanden?« »Schicke sie los – mit präzise gestelltem Aufgabenbereich. Spezifikationen über die einzelnen Planeten können die Kommandanten bei uns oder bei Curie abrufen – wir haben genügend auskunftsbereite Oyst an Bord.« »Wie steht es mit der ›Verbrüderung‹ der beiden Völker?« wollte Hayes wissen. »Fortschritte?« »Wenig. Wir scheinen nicht mehr als einen vorübergehenden Waffenstillstand erreicht zu haben, Breck.« »Immerhin etwas! Ich sehe und höre, daß der Datenstrom anzuschwellen beginnt.« »Sie sind wenigstens kooperativ. Auf mich wirkt es«, führte der Arkonide zurückhaltend aus, »als ob sie froh wären, uns los zu sein, um dann wieder munter aufeinander losschlagen zu können.« »Möglich. Nicht unser Hauptproblem. SENECA saugt alles ein wie ein Trichter.« »Je mehr, desto besser«, meinte Atlan und sah am Bildrand die Signale der Hangarschleusen, die sich öffneten und schlossen. Die Beiboote waren nach den ermittelten Koordinaten unterwegs. Nockemann schaltete sich in die Verbindung ein und rief voller Aufregung: »Atlan! Ich habe eben eine denkwürdige Einzelheit aufgeschnappt. Beide Oyst‐Völker sind auf dem sechsten Planeten entstanden. Jemand muß sie sozusagen geteilt haben, denn jeder Planet entdeckte unabhängig vom anderen die einfache Raumfahrt. Dann fingen sie an, gegeneinander zu kämpfen.« »Ist das eine gesicherte … Legende?« fragte Atlan erregt. »Ja. Sowohl die Oyst‐Mesat als auch die Oyst‐Vormant haben
gleichlautende historische Wahrheiten entdeckt. Die Raumfahrt brachte die beiden Völker wieder zusammen. Und dann brach der Krieg aus.« »Ein zusätzliches Indiz dafür«, stellte Atlan nach einer Weile des Überlegens fest, »daß in diesem System ernsthafte Manipulationen stattgefunden haben. Die Strahlenquelle versteckt sich unter diesen Umständen mehr als perfekt.« Atlan bohrte den Zeigefinger in das dreidimensionale Bild Hages auf dem Bildschirm und erklärte nachdrücklich: »Versuche, diese Erkenntnis richtig zu verwenden! Sie sollte die zerstrittenen Parteien zusammenschweißen, nicht weiterhin entzweien.« »Alles klar. Ich versuchʹs.« Atlan trennte die Verbindung und hörte eine Weile lang den neuen Informationen zu. Große Teile der planetaren Bibliotheken waren computerisiert und ihre Bücher gespeichert. Die Maschinen spielten den Text ohne Auswahl in die Empfangsantennen SENECAs ein. Atlan versuchte, in dieser gigantischen Menge von Informationen etwas herauszufinden, das ihn auf eine neue Idee brachte. Uralte Spinnenwesen riefen die Sendestationen an und berichteten Legenden, von denen niemand wußte, woher sie stammten. Alles, was unerklärlich war und von den wissenschaftlichen Untersuchungen noch nicht der Geheimnisse und Rätsel beraubt worden war, sammelte sich im Lauf der Zeit in den Sendestationen. Siebzehn Generationen – also siebzehn Gelege – hatten an einem Buch gearbeitet, das versuchte, die verschwommene Vorgeschichte der Oyst‐Mesat in einen Guß zu bringen, alle Legenden, Tausende von Fundorten und archäologischen Entdeckungen, Thesen und Hypothesen miteinander in Einklang zu bringen. Auf Mesat gab es siebzehn große Siedlungen, die ihrerseits ihre Stadtgeschichte auf den unbekannten Gründer des Doppelreichs zurückführten. Märchen? Tatsachen? Es war für die Solaner
unmöglich, Fabeln von exakten Forschungsergebnissen zu trennen. Wenn du herausfindest, sagte der Logiksektor abschätzend, wer im Glutauge‐System manipuliert hat und warum, hast du die Lösung des Rätsels. Atlan hob die Schultern; dieses Einwurfs hätte es nicht bedurft. Nach einer Weile kamen in der SOL die ersten Ergebnisse der Planeten‐Untersuchungen an. SENECA machte aus den riesigen Zahlenwerken und der Datenflut halbautomatischer Geräte eine komprimierte Fassung und ließ sie von den Terminals in den Korvetten ausdrucken. Schweigend studierte Atlan die erste Niederschrift. Der sonnennächste Planet. Eine tote, glühende Welt mit langsamer Umdrehung, gleichmäßig von allen Seiten von der Korona der Sonne verbrannt. Es gab dort nicht einmal die Spuren von Ruinen, keinerlei Energiemissionen, bestenfalls Seen geschmolzener Metalle. Während der gesamten Zeit stand die SHAMBAR auf dem größten Raumhafen von Mesat, ohne Schutzschirme, mit offener Schleuse und ausgefahrener Rampe. Die meisten Räume waren verschlossen, denn innerhalb des Schiffes breitete sich die geringe Temperatur des Planeten aus. Viele Raumfahrer liefen mit geschlossenen Raumanzügen durch das Schiff. Die Zentrale befand sich im Bereich der für Solaner normalen Temperatur. Die Spinnenwesen liefen immer wieder nach draußen, um sich zu erholen. Sie schwitzten nicht wie Menschen. Aber ihre Panzer überzogen sich mit einer öligen Schicht. Aus Drüsen an den Gelenken und besonders aus den Winkeln der acht Gelenkaugen sickerte eine lympheartige Flüssigkeit. Dennoch arbeiteten die Oyst‐Mesat tapfer mit. Die Untersuchung des neunten Planeten ergab ebenfalls ein Bild, das die Solaner hoffnungslos machte. Eine eiskalte Wüstenwelt, ohne glühenden Kern, mit geradezu rasender Rotation. Leer, nicht einmal die Spur von Moosen, Flechten
oder Sporen. Atlan strich in Gedanken zwei weitere Planeten von seiner Liste. Sanny kam herein und kauerte sich auf die Armlehne seines Sessels. Atlan blickte lange in seine runden Augen mit den auffallend blauen Pupillen. »Gibt es etwas Neues?« fragte er. Sanny führte eine Reihe von schwer verständlichen Gesten aus. Alle schienen auszudrücken, daß sie von den freiwilligen Mitteilungen der Oyst nicht gerade viel hielt. Dann sagte sie: »Die Oyst sind ein kriegerisches Volk, das wenig an Vergangenheit oder Zukunft denkt. Das betrifft so gut wie ausschließlich die Männchen der Spezies.« Atlan lachte kurz und fragte zurück: »Die Weibchen – sie sind anders?« »Ja. Aus begreiflichen Gründen. Sie leben länger, sie kümmern sich intensiv um die Aufzucht, sie sind verantwortlich für viele wirtschaftliche Abläufe auf den Planeten. Sie arbeiten auch in vielen Bereichen der Wirtschaft. Es gibt keinen grundlegenden Unterschied zwischen ihrem Leben und dem, das wir in der SOL führen. Die meisten interessanten Hinweise kommen von weiblichen Oyst und von alten Männchen, die nicht mehr kämpfen können. Eines kann ich immerhin schon sagen: Die Oyst werden dadurch, daß wir alle Sagen und Legenden öffentlich diskutieren, an eine für sie unangenehme Sache erinnert.« »Etwa daran«, meinte Atlan, »daß sie manipuliert werden? Daß sie einem sinnlosen Befehl gehorchten, all diese vielen Jahre?« »Genau daran!« pflichtete ihm Sanny bei. »Vielleicht werden sie ein wenig nachdenklicher.« »Es wäre dringend zu hoffen.« Inzwischen erhielt SENECA die Nachricht, daß der zweite und der dritte sonnennahe Planet ebenso leer und unverdächtig war. Massetaster, Analysen im gesamten Bereich aller verfügbaren Untersuchungsmethoden ergaben nach blitzschnell ausgeführten
Berechnungen, daß sich auf der Oberfläche oder in einem kilometertiefen Bereich der planetaren Krusten nichts befand, was auf eine geheime Anlage schließen lassen konnte. Die Anzahl der möglichen Verstecke wurde kleiner, die Zeit drängte noch mehr. Kurz darauf startete eine Korvette von der Oberfläche der vierten Welt – sie befand sich auf der gegenüberliegenden Seite der Bahnellipse, also jenseits der riesigen Sonne – und überspielte alle Untersuchungsergebnisse an SENECA. Wieder nichts. »Bleiben neun Planeten!« brummte der Arkonide. »Halt. SENECA meldet sich.« Auf dem Bildschirm erschien kurz das Signet der Hyperinpotronik. Dann sagte SENECAs Stimme: »Ich habe soeben ermittelt, daß die gesammelten Legenden und Märchen aus der fernsten und weniger fernen Vergangenheit in siebzehn unterschiedliche Themenkreise zu untergliedern sind.« »Das ist mir etwas zu ungenau«, entgegnete Atlan brummig und betrachtete nachdenklich auf dem Bildschirm die dicht gesponnenen Netze auf den kleinen, meist kreisrunden Lichtungen der siedlungsnahen Wälder. »Was kann ich daraus folgern?« Sariny konzentrierte sich auf jedes Wort, das von SENECA kam. »Es gibt eine Unmenge von Erzählungen. Sie lassen sich thematisch bündeln. Für jede Welt existieren Geschichten von machtvollen Fremden, die als Götzen oder Wundertäter die Urahnen der jetzigen Spinnenwesen auf den Weg der Zivilisation und Kultur brachten.« Atlan lachte kurz und fragte: »Was nützt das uns?« »Nichts«, lautete SENECAs lakonische Antwort. »Planet Nummer zehn fällt auch aus. Er ist öde und ohne Energieemissionen.« »Noch immer keine Hinweise auf die Strahlenquelle?« »Nichts Berechenbares!« erwiderte SENECA. »Du meldest dich, wenn es etwas Neues gibt?« fragte Atlan, ohne
lange nachzudenken. SENECA erwiderte kühl: »Zweifellos. Wenn es etwas gäbe – das wüßte ich aber.« Atlan grinste kurz und zuckte die Schultern. In seinem Verstand bewegte sich seit wenigen Minuten eine vage Idee. Er vermochte sie nicht zu fassen, aber er spürte, daß sie da war und sich ausbreitete, immer stärker wurde. Zudem lenkte ihn Sanny ab, die alle Analysen SENECAs studierte und immer wieder kontrollierte. Zwei weitere Korvetten meldeten sich und hatten nur zu berichten, daß der siebzehnte und der elfte Planet als Zentren des Unheils nicht in Frage kämen. Die Beiboote machten sich auf den langen Weg zurück in die Hangars der SOL. Der Türsummer ertönte. Atlan öffnete das Schott und sah sich einem Spinnenwesen gegenüber. Da die Korvette auf Oyst‐Mesat stand, mußte es ein Anhänger von Cirriths Machtworten auf dem schwebenden Würfel sein. Die vielen Teile des Chitinpanzers waren stumpf, voller Risse und Schrammen und dunkelbraun. Die unangenehm hohe Stimme des Oyst schrillte: »Du bist der Solaner, der uns den Kampf verbieten will?« Atlan schaltete den Translator ein und winkte den Oyst‐Mesat herein. Er nickte und erwiderte: »Komm herein. Ich versuche, euch von sinnvollem Verhalten zu überzeugen. Verbieten kann ich euch nichts. Wer bist du? Hast du Fragen?« »Ich werde Zirc‐myrn genannt. Ich bin einer der ältesten Soldaten dieser Welt. Ich war dabei, als sie unseren Stützpunkt auf Oystantsat stürmten und alle niedermachten. Ich überlebte. Was sucht ihr wirklich hier bei uns, Solaner?« Drei Endglieder mit den Krallen fehlten. Der Rückenpanzer sah aus wie eine Landkarte. Als sich Zirc auf die hinteren Beinpaare erhob, zitterte und schwankte sein Körper. Er schien jedes Wort Atlans förmlich verschlingen zu wollen. Atlan versuchte, dem Alten zu erklären, was sie suchten. Er schloß: »Soweit wir wissen, versteckt sich diese unheilvolle Anlage auf
keinem eurer achtzehn Planeten. Wir haben auch in weitem Umkreis keinen festen, großen Körper orten können.« Die Leuchtkörper der Kabine und der Bildschirm spiegelten sich in den Facetten der riesigen Augen. Der greise Kämpfer kreischte abgehackt: »Ihr habt nicht nur den Krieg unterbrochen, sondern auch entdeckt, daß unser System achtzehn Planeten hat.« »Daran ist nichts Wunderbares«, antwortete Atlan. »Für uns Oyst ist es wunderbar oder erstaunlich«, sagte der Alte. »Wie du weißt, haben wir seit einigen Gelegen eine sehr gut entwickelte Raumfahrt. Wir haben alle unsere Planeten besucht. Es sind siebzehn.« In diesem Moment wandte Sanny ein: »Die Zahl Siebzehn hat für die Oyst eine besondere Bedeutung. Richtig?« »So ist es«, erklärte der Veteran zahlloser Schlachten. »Siebzehn … es gibt siebzehn Siedlungen, siebzehn Meere, vieles andere, das es siebzehnmal gibt. Aber es gibt auch nur siebzehn Planeten.« Atlans Finger huschten rasend schnell über die Tastatur des Interkoms. Es dauerte nur ein paar Sekunden, dann sprach er unmittelbar mit einem Funkterminal SENECAs. Aufgeregt stieß der Arkonide hervor: »Dieses Sonnensystem hat nach Aussage der Oyst nur siebzehn Planeten. Wir haben achtzehn geortet. Also muß einer dieser sechs übriggebliebenen Körper die gesuchte Strahlenquelle sein.« Du hast es! Das ist die Lösung, meldete sich das Extrahirn. SENECA versicherte: »Ich rechne alles unter diesem Aspekt nach. Eine neue Meldung. Der Planet mit Nummer zwölf wurde ebenfalls untersucht. Ergebnis negativ.« »Verstanden«, sagte Atlan und wandte sich wieder an den Oyst‐ Mesat. »Ihr habt also niemals den achtzehnten Planeten oder insgesamt achtzehn Planeten besucht?«
»Nein. Vielleicht verbirgt sich in diesem kosmischen Körper das Geheimnis, das ihr zu finden versucht?« »Nicht nur vielleicht – sehr wahrscheinlich«, murmelte Atlan. Sanny wirkte plötzlich aufgeregt und schwenkte die Ausdrucke des Terminals in ihren winzigen Händen. Sie rief: »Ich habe es herausgefunden! Es stimmt!« Noch während sie die Ergebnisse ihrer unbewußten Tiefenkontrolle vortrug, erschien der High Sideryt auf den Bildschirmen. Atlan rief ihm die neue Erkenntnis zu. Er selbst spürte die Erregung über diesen überraschenden Fund. Und er sah, daß die Erregung auch Breckcrown Hayes packte. »Die Korvetten müssen sich jeden Moment melden!« rief Hayes. »Kann es sein, daß auch hier die Ysteronen am Werk waren?« »Unwahrscheinlich«, sagte Atlan. »Aber schließlich sind die überraschendsten Dinge möglich. Was tun wir, Breck?« »Auf die Analysen warten. Es dauert nicht mehr lange. Dann startet ihr von den Oyst‐Planeten, und die SOL kümmert sich um das ermittelte Ziel. Ich weise SENECA an, noch einmal eine spezifizierte Reihe von Fernbeobachtungen durchführen zu lassen.« »Ein richtiger Entschluß.« Atlans Überlegungen beschäftigten sich blitzartig mit den Ysteronen und dem Faktor Hidden‐X; die SOL schien die Technik jener Wesen, die Planeten zerstören und wieder zusammenfügen konnten, noch lange nicht hinter sich gelassen zu haben. Wenn es eine Macht gab, die einen riesigen kosmischen Körper wie das Kugeloktogon, das Ysterioon, errichten konnte, dann war es keine größere Schwierigkeit, kein unlösbares Problem, auch einen planetengroßen Körper zu schaffen und auf eine Sonnenferne Umlaufbahn zu bringen. Der High Sideryt berichtete die aufregende Neuigkeit über alle Interkome. Atlan sprach mit Curie van Herling, deren Korvette auf dem Planeten der »Gegner« stand.
Die Solaner richteten Fragen über Fragen an die Oyst. Tatsächlich erhielten sie gleichlautende Antworten. Seit Urbeginn der Astronomie im Leerraum und seit Anfang der systembeschränkten Raumfahrt kannten alle Oyst nur siebzehn Planeten. Die Korvetten, von denen die Planeten vierzehn und dreizehn untersucht worden waren, gaben ihre Negativ‐Meldungen ab und kehrten in die SOL zurück. Breckcrown Hayes funkte nacheinander jene Beiboote ab, die sich im Orbit der Planeten fünfzehn, sechzehn und achtzehn befanden. Zwei Kommandanten antworteten. Von einer Korvette erhielten die Funktechniker der SOL keine Antworten. Das Schiff schwieg. Zu diesem Zeitpunkt erteilte der High Sideryt den Befehl, von Mesat und Vormant zu starten und die Spinnenwesen mitzubringen. Sie sollten Zeugen für die kommenden Vorgänge sein. Begeistert stimmte Zirc‐myrn zu; die ungewohnt hohe Temperatur und die wesentlich dichtere Atemluft an Bord schien ihm als einzigem nichts auszumachen. Er tappte rasselnd und mit knirschenden Gelenken hinter Atlan und Sanny her, als sie in die Zentrale der SHAMBAR rannten. * Spätestens jetzt bekamen die Oyst einen überwältigenden Eindruck von der Größe des Mutterschiffs und der Höhe der Raumfahrttechnik. Der Weg von den Hangars der SZ‐1 beziehungsweise der Zelle‐2 in die Richtung der Mittelteil‐Zentrale wurde schnell und in gespannter Aufmerksamkeit zurückgelegt. Die Solaner beantworteten, so gut es ging, den förmlichen Hagel der aufgeregten Fragen. Irgendwann bemerkte Nockemann zu Atlan:
»Ungefähr zwei Dutzend Oyst sind an Bord der SOL. Sie werden die besten Botschafter dessen sein, was wir ihnen zu raten haben.« Atlan war skeptisch und fragte sich, was die letzten Informationen ergeben hatten. Er brummte zurückhaltend: »Wenn wir die folgenden dreißig Stunden überleben, haben wir echte Chancen, uns als Friedensbringer fühlen zu können. Mich interessiert jetzt nur eines: Die Strahlenquelle.« In der Zentrale der SOL konzentrierten sich Aufregung, Neugierde, Furcht und die schleichende Verzweiflung. Mit lauter, rauher Stimme führte Hayes aus: »Die vorletzte Korvette wird sich in einem Flugmanöver einschleusen. Das Schiff, das den siebzehnten Planeten untersuchte, befindet sich bereits im Hangar. SENECA! Spiele die Aufzeichnung ab.« Große Monitoren zeigten zunächst nichts als Schwärze. Dann schälten sich nacheinander die verschiedenen Bilder hervor, die in unterschiedlichen Untersuchungsbereichen gemacht worden waren. Zuerst die Masseortung: Ein riesiger Ball erschien, nicht meßbar von der mathematisch exakten Kugelform abweichend. Es war nur ein glattes Echo, es gab auf der Seite des Planeten, die den Objektiven und Antennen zugewandt war, keinerlei Strukturen. Die Oberfläche schien glatt zu sein wie die eines Balles. Dann andere, kleinere und größere Kugelformen oder Ausschnitte davon, in verschiedenen Farben und in nur einer Struktur. Wie der eingezeichnete Ring eines Äquators schimmerte durch das Eis eine feine, scharfgezeichnete Linie hindurch, die den gesamten Planeten zu umlaufen schien. Zuletzt die normaloptische Wiedergabe. Dazu die Stimme des Kommandanten. »Wir nähern uns dem Planeten Nummer achtzehn. Inzwischen stellten wir durch Vergleiche fest, daß er tatsächlich die sonnenfernste Welt ist. Seine Oberfläche weist keinerlei erkennbare
Formationen auf.« Das rote Licht der Sonne, die an dieser Stelle des Planetensystems fast schon ein winziger Stern war, ruhte auf der Kugel des Planeten. Das Schiff änderte in Planetennähe seine Bahn, und aus der roten scheinbaren Sichel wurde mehr und mehr eine voll ausgeleuchtete Hemisphäre. »Wir nennen diesen Planeten ›Unheil‹, denn so wirkt er auf uns. Es ist eine glattpolierte Eiswelt, ein riesiger Planet von mehr als siebenundzwanzigtausend Kilometern Durchmesser. Wir werden in einen stabilen Orbit gehen und die Untersuchungen anfangen.« Atemlos und gebannt lauschten tausende Solaner und eine Handvoll Oyst hinter den Translatoren der Schilderung. Auf dem Bildschirm wuchs drohend und unheilvoll der Eisplanet. »Die eingehenden Informationen ergeben ein völlig verwirrendes Bild. Wir wiederholen zwei Drittel der Fernortungen. Das dürfte es nicht geben. Wir sind der Meinung, daß der Planet nicht …« Gleichzeitig mit dem abrupten Schweigen der Stimme riß die Aufzeichnung ab. Die Stimme des Kommandanten hatte immer aufgeregter geklungen. SENECA ließ einige Sekunden verstreichen und führte dann aus: »Damit endet die Funkverbindung. Es war bisher nicht möglich, Verbindung mit der Korvette aufzunehmen. Meine Fernortungen und die Auswertung ergeben, daß sich im unmittelbaren Bereich von Unheil kein zweites Echo befindet.« Instinktiv blickte Atlan zu Sanny hinüber. Sie nickte und bestätigte, daß sie SENECAs Schlußfolgerungen für richtig hielt. Lyta Kundurans Stimme durchschnitt die Stille. »Ich glaube, daß die Korvette spurlos verschwunden ist. Der Planet hat sie vernichtet …« »Deine Vermutung ist zu achtundneunzig Prozent richtig«, stimmte das Bordgehirn zu. »Wir nehmen direkten Kurs auf Unheil. Ich muß eine frühere Analyse zurücknehmen. Es haben sich völlig neue Parameter ergeben.
Diejenige Strahlung, die bereits an wenigen Stellen der Schiffshülle Bor‐Moleküle vernichtet hat, ist wieder zu spüren. Ich vermute, kann aber noch nicht beweisen, daß sie als Ursprungsort den Planeten Unheil hat. Ferner ist die SOL nicht nur im Linearraum, sondern auch im Normalraum gefährdet. Die Intervalle, die Stärke und die Richtung der Strahlung kann ich noch nicht errechnen. Ende.« Auf den Bildschirmen der Panoramagalerie tauchte ein deutlich erkennbarer Punkt auf. Er war schwach rot. Die SOL näherte sich Unheil mit dem Licht von der Sonne. Uster Brick, der turnusmäßige Pilot, hob die Hand und rief Hayes zu: »Ich halte die SOL in sicherer Entfernung an.« »Wir werden ein Robotkommando ausschleusen«, meinte der High Sideryt. »Dieser verdammte Planet soll nicht noch ein weiteres Menschenleben kosten.« Die SOL schwebte näher. Alle drei Schutzschirme waren eingeschaltet, die Projektoren fast auf Maximum hochgefahren. Sämtliche Ortungseinrichtungen konzentrierten sich ausschließlich auf den Planeten, der sich aus der Schwärze des leeren Raumes auf das Schiff zuzuschieben begann. 7. Etwa dreißig Minuten später lagen die aktuellsten Analysen SENECAs, die Ergebnisse der Fernortungen, in der Zentrale vor. Die Molaatin beugte sich über den Textausdruck und heftete ihren Blick immer wieder auf die Monitore, auf denen viele Ergebnisse graphisch dargestellt wurden. »Nummer achtzehn ist zweifellos eine riesige Eiswelt ohne alle Besonderheiten!« bestätigte sie. »Nicht die geringste Erhebung auf der Oberfläche.« Sanny kontrollierte die Bahndaten und die Analyse der planetaren
Masse. Sie winkte Hayes herbei und deutete auf die langen Zahlenkolonnen. »Nach meiner festen Überzeugung ist ›Unheil‹ eine Hohlwelt.« SENECA bestätigte augenblicklich diese intuitive Feststellung. Von den Bildschirmen strahlte das düstere Sonnenlicht herunter. Unheil hatte eine hohe Albedo; das Rot überschüttete die Solaner und ihre Gäste und schuf eine Stimmung der Unsicherheit und der Furcht. »Vorsichtig und langsam näher heran, Uster!« »Verstanden.« Aus der Ortungszentrale meldete sich eine junge Technikerin mit heller, aufgeregter Stimme. »Hayes! Atlan! Wir stellen fest, daß sich in der Nähe des Planeten fein verteilte Materie befindet. Sie schwebt in der Nähe der definierten Pole. Wir haben zweimal nachgemessen: Es fehlen sämtliche Spektrallinien von Bor und Kohlenstoff!« »Die Korvette! Sie ist in Atome zerstrahlt worden!« rief Curie van Herling. »Curie hat recht«, bekräftigte Sanny. An Bord des großen Schiffes breitete sich lähmende Furcht aus. Der Weg der SOL war von tödlichen Hindernissen versperrt, und es schien, als würde eine bewußt handelnde Macht den Flug systematisch behindern und ständig neue, gefährliche Barrieren auftürmen. »Wir sollten kein Risiko eingehen«, sagte Atlan schließlich. »Sicher gibt es irgendwo eine schrottreife Jet, die wir ferngesteuert zum Planeten schicken können. Damit können wir testen, wie diese Falle aufgebaut ist. Brick! Lasse dir von den Hangarmannschaften sagen, ob wir ein Wrack dieser Art haben.« Die Einschränkung der ersten Feststellung, die SENECA gemacht hatte, ließ Atlan noch nachdenklicher werden. Es schien ihm, daß diese Strahlenfalle nicht kontinuierlich arbeitete. Wer oder was schaltete das Geheimnis des Eisplaneten? Eine Reparaturmannschaft aus einem Sub‐Hangarcenter meldete sich in der Zentrale. Sie
verfügte über einen flugfähigen Apparat. Eine Space‐Jet, halb für Reparaturzwecke ausgeschlachtet, stand im Reparaturzentrum. Hayes ordnete an, einen Robotblock an die Steuerung anzuschließen und das Wrack zu starten. »Ich könnte es verantworten«, sagte der Pilot, »noch etwas näher heranzugehen. Wir sind sicher hinter den Schirmen.« »Einverstanden.« Die SOL hatte ihre Fluggeschwindigkeit abgebremst und war antriebslos auf den eisbedeckten Hohlplaneten zugeschwebt. Jetzt nahm sie wieder Fahrt auf und näherte sich vorsichtig dem rot schimmernden Planeten. Hinter diesem riesigen Objekt erstreckte sich über Millionen Lichtjahre hinweg das interstellare Dunkel. Schwach leuchtete eine unendlich weit entfernte Spiralgalaxis am rechten oberen Rand der Bildschirme. Leuchtfelder auf dem Paneel eines Nebenpults leuchteten auf und erloschen wieder. Ein Display zeigte in einfacher grafischer Darstellung den Start und den eingeschlagenen Kurs der nur halb funktionstüchtigen Space‐Jet. Schweigend verfolgten nicht nur die Insassen der Zentrale die erste Phase des unregelmäßigen Fluges. Immer wieder setzten die uralten Triebwerke aus. »Bis zu Unheil wird sich das Ding wohl schleppen können«, brummte der Pilot. »Hat jemand eine Idee, wie diese verdammte Falle funktioniert?« Hayes knurrte voll innerer Anspannung: »Ich bin sicher, daß sie ein‐ und ausgeschaltet wird.« »Das passiert zweifellos«, bemerkte Atlan zögernd. »Ich denke da in anderen Kategorien. Wir müssen damit rechnen, daß wir gegen eine Macht in der Größenordnung der nickelstehlenden Ysteronen kämpfen. Jemand oder etwas will mit aller Gewalt den weiteren Flug der SOL aufhalten.« Er machte eine kurze Pause und schien auf seine Gedanken oder eine innere Stimme zu lauschen. Dies war jedenfalls der Eindruck, den die Verantwortlichen in der SOL‐Zentrale hatten. Er fuhr mit
drängender Stimme fort: »Wir werden auch in Zukunft mit Zwischenfällen und Kämpfen dieser Schwierigkeitsgröße rechnen müssen. Falls wir den Eisplaneten überwinden – ihn und sein tödliches Geheimnis.« »Wir schaffen es!« beharrte Curie. Hayes schien es vorzuziehen, keine optimistische Antwort zu geben. Die Space‐Jet flog in einem engen Halbkreis um die SZ‐2 herum, wurde schneller und steuerte auf Unheil zu. Vor dem Bild des Planeten wirkten das Energieecho und das winzige Pünktchen auf den Ortungsschirmen verloren und stellten in Atlans Augen die wirkliche Perspektive der Bedeutung dar. Auch die SOL war nichts anderes als ein metallenes Staubkorn im Vergleich zu den gigantischen Dimensionen der Umgebung. Noch bevor die Jet sich in der unmittelbaren Umgebung des Eisriesen befand, meldete sich wieder SENECA. »Es steht fest, daß der als ›Unheil‹ bezeichnete kosmische Körper kein Planet im Sinn astronomischer Definition ist. Die letzten Ortungsergebnisse haben folgendes ergeben: Mindestens sechzig Prozent der planetaren Masse bestehen aus Metall. Die Form des Pseudoplaneten ist die einer mathematisch exakten Kugel. In meinen Speichern befindet sich keine zweite Spezifikation eines Planetenkörpers, der so ebenmäßig geformt ist. Ich führe ununterbrochen mit der Ortungszentrale weitere Untersuchungen durch. In Kürze erfolgen weitere Bekanntgaben. Eines steht jetzt schon fest: Die Kugelschale von Unheil besteht aus Eis, aus normalem, fast chemisch reinem Wasser in gefrorenem Zustand.« Die Jet schwebte, zwar gekonnt von der funktechnischen Abteilung und dem Halbrobot ferngesteuert, aber nicht anders als ein miserabel arbeitendes Wrack, ungehindert auf den Planeten zu. Eine Kamera filmte, auch ferngesteuert in ihren Schwenks und dem ständigen Wechsel zwischen Totale und Vergrößerung, die ereignislose Oberfläche der Kugel aus Eis.
»Nichts!« flüsterte Bjo Breiskoll. Er hatte schon vor Minuten Atlan zu verstehen gegeben, daß seiner sicheren Meinung nach auf dem Eisplaneten keine Lebewesen existierten. Es gab keine Schwingungen, keinen Beweis für noch so einfache Gedanken, Gefühle oder Empfindungen. Also gab es dort kein lebendes Wesen, das auf vorbeikommende Raumschiffe lauerte und versuchte, sie zu zerstören. Die Ortung meldete sich. »Die Jet ist exakt eine Lichtsekunde von der Oberfläche Unheils entfernt. Wir messen in der Eiskruste außerhalb der Metallmasse irgendwelche Metallinseln an. Sie sind treffend als ›Massekonzentrationen‹ zu bezeichnen, als Mascons. Wir können noch nicht sagen, welchem Zweck sie dienen.« Als das Wrack noch 210.000 Kilometer von der äußersten Eisschicht entfernt war, als sich die Augen fast aller Besatzungsmitglieder auf die Bildschirme, die Schirme der Ortung und die zahllosen Interkome richteten, zerfiel die Space‐Jet. Es gab keine Explosion, keinen gleißenden Strahl, kein Aufblitzen oder eine andere, auffällige Erscheinung. Nichts. Die Jet schien förmlich zu quadratdezimetergroßen Trümmern zu zerbröseln, die sich innerhalb weniger Sekunden auflösten und einen hauchfeinen Schleier leicht glimmender Staubteilchen bildeten, die sich schnell zerteilten. Aus der Ortung kam eine aufgeregte Meldung. Der Sprecher stotterte vor Verwirrung. »Die Jet … sie hat sich aufgelöst … in Atome aufgelöst! Kurz zuvor haben wir Energieemissionen eines Mascons festgestellt. Wir müssen … das braucht noch einige Zeit an Auswertungen.« Die Spinnenwesen der beiden Planeten waren ohne Zweifel von den Vorgängen und der Technik, von der sie umgeben waren, verwirrt. Soldaten von Mesat standen neben Soldaten des Planeten Vormant. Für die Solaner war es deutlich zu erkennen, daß keine der beiden verfeindeten Parteien an Kampf dachte. Mit ihren
schrillen Stimmen unterhielten sich die ehemaligen Gegner. Offensichtlich beeindruckte sie besonders das schnelle und reibungslose Zusammenspiel der einzelnen Abteilungen der SOL und die Art der Kommunikation. Die Bildschirme, die Monitoren und die holografischen Abbildungen riefen ihr nachdenkliches Staunen hervor. Für die Solaner gab es keinen einzigen Hinweis im Verlauf der letzten Stunden dafür, daß hier Kriegsgegner als Gäste anwesend waren. Freund und Feind waren nicht zu unterscheiden. »Jetzt habt ihr miterlebt, daß in eurem Planetensystem fremde Mächte am Werk sind«, sagte Atlan. »Es sind Tage voller neuer Einsichten, voller Überraschungen. Wir sehen viel und können noch nicht alles richtig bedenken«, erwiderte ein Oyst. Atlan antwortete grimmig: »Besser für euch, wenn ihr zu denken anfangt, statt weiterhin zu kämpfen wie die Geisteskranken.« »Hayes! Ich bremse die SOL ab!« rief der Pilot dazwischen. Breckcrown gab durch eine Handbewegung sein Einverständnis dazu. Durch das Schiff gingen die langen, dunklen Geräusche der Vibrationen. Wieder schaltete sich SENECA in die leise Unterhaltung ein. »Die Ortung und ich haben einige erstaunliche Entdeckungen machen können. Die Einzelheiten sind lebenswichtig für Schiff und Besatzung. Eine Sekunde, bevor die Space‐Jet in ihre Atome zerlegt wurde, aktivierte sich eine vergleichsweise winzige technische Einheit. Sie ist als Sensor zu bezeichnen. Dieser Sensor sprach an und schien Sendeimpulse abgegeben zu haben. Daraufhin sammelte sich im Innern des Planeten an einer Stelle ein hochtechnischer Impuls, strahlte ab und zerstörte die Jet.« »Was tat der Impuls? Er sammelte sich?« fragte Breckcrown Hayes verwundert. »Anders ist es nicht zu beschreiben«, erklärte SENECA.
»Vierundfünfzig Prozent des Eisplaneten bestehen aus einem Hohlspiegel, der um vier Prozent größer als die Hälfte ist. Im Brennpunkt des Spiegels sammelte sich der Impuls.« Lyta Kunduran stöhnte auf. Sie hatte begriffen. »Der Eisplanet«, schrie sie auf, »ist also nur eine dünne Schale aus Eis, die zur Hälfte über einem Parabolspiegel liegt?« »Diese Definition ist fast völlig richtig«, stellte der Bordrechner trocken fest. Atlan sagte erschrocken: »Berichtige mich, SENECA, wenn ich irre. Unheil besteht also aus einem Hohlspiegel, der unwesentlich größer ist als eine Hemisphäre?« »Richtig.« »Und in diesem Hohlspiegel wird eine Strahlung eingefangen, gebündelt und wieder abgestrahlt. Diese Strahlung vernichtete unsere Korvette und jetzt das Wrack der Jet?« »Zutreffend«, erklärte die Hyperinpotronik. Unbemerkt waren zwei Roxharen in die Zentrale gekommen und blieben neben einem weit geöffneten Schott stehen. »Der Hohlspiegel besteht aus Metall?« »Möglicherweise werden noch andere Metalle entdeckt, aber bisher liegen nur die Spezifikationen von Nickel vor«, erwiderte SENECA. »Aus Nickel!« entfuhr es Nockemann. »Ausgerechnet!« Diese Feststellung führte den roten Faden der Ereignisse wieder zurück in den Gedankenkreis der Ysteronen‐Abenteuer. Die Vermutung, daß der Eisplanet eine weitere Schöpfung des Hidden‐X war, lag nicht fern und erschien vielen an Bord für keineswegs abwegig. Der Beweis würde, wenn überhaupt, schwierig zu führen sein. Ein Spiegel mit einer Öffnung von siebenundzwanzigtausend Kilometern Durchmesser! »Gibt es neue Feststellungen über die Sensoren? Oder die Massekonzentrationen?« wollte Breiskoll wissen. Sofort antwortete SENECA:
»Ich habe ein Dutzend Sensoren anmessen können. Zwei davon wurden aktiv. Einer der Impulse war dafür verantwortlich, daß das Space‐Jet‐Wrack zerstört wurde.« Atlan fing einen langen Blick der Molaatin auf. Er versuchte ihn zu deuten. Schließlich war es wieder der Logiksektor, der ihn auf die richtige Spur brachte. Auf die richtige Spur nach seiner Meinung. Der Arkonide holte tief Atem und stand auf. Er wandte sich an alle Anwesenden in der Zentrale. Er war darüber hinaus auf sämtlichen Interkomen zu sehen. »Jetzt habe ich es!« rief er aus. »Es gibt keine Strahlenquelle im Glutauge‐System!« Seine Bemerkung schien jedermann zu überraschen. Verblüfft blickten ihn die Verantwortlichen an. Sie verstanden noch nicht, was er meinte. Er deutete auf das Bild der von roter Glut übergossenen Eiswelt und fuhr fort: »Zwischen einem Sender, der irgendwo außerhalb unserer Messungsbereiche liegt, und zwischen diesem getarnten Hohlspiegel besteht also eine Verbindung. Irgendein Sender sendet die Strahlung hierher und läßt sie durch den Hohlspiegelplaneten bündeln. Kommt ein Schiff vorbei, aktiviert sich ein Sensor, lenkt den Strahl um und vernichtet den Flugkörper. Das ist zweimal geschehen. Die geringere Masse und die große Nähe der Korvette und unseres Lockvogels bedeuteten die schnelle Zerstörung. Die SOL im Linearraum war nicht in diesem Maß gefährdet. Aber wenn wir näher herangehen, droht uns dasselbe Schicksal.« »Absolut zutreffend«, schaltete sich SENECA ein. »Atlan formulierte schneller als ich. Meine Berechnungen ergaben bis zu diesem Zeitpunkt noch kein Bild logischer Abfolgen.« Breckcrown Hayes kam langsam näher und blieb vor Atlan stehen. »Selbst der High Sideryt ist ab und zu überfordert«, sagte er. Jeder, der ihn nur ein wenig kannte, wußte, daß er es ehrlich meinte. »Ich brauche deinen Rat, Atlan.« »Gern«, bekannte der Arkonide. »Was beschäftigt dich bei diesem
Problem?« »Was können wir unternehmen? Schließlich lenkt der unbekannte Angreifer oder Verteidiger den Strahl nach der SOL um, wenn wir starten!« »Wir können die Gefahr für uns und jeden anderen, der nach uns käme, ausschalten«, antwortete Atlan zurückhaltend. »Also diesen Pseudoplaneten vernichten?« fragte Hayes. Atlan erwiderte knapp: »Darauf läuft es hinaus. Darüber hinaus«, seine Stimme wurde leiser, »könnten wir den Spinnenwesen nachdrücklich demonstrieren, welche Macht wir besitzen. Wir können sie erpressen. Nicht nur mit einer Zurschaustellung unserer Bordgeschütze, sondern auch mit einer Idee.« Atlan war mittlerweile absolut sicher, daß er Breck richtig einschätzte. Nicht so sehr die Person des neuen High Sideryt, sondern mehr die Ideen, den inneren Antrieb und die Philosophie, die Hayes besaß. Ehrlichkeit war ein Umstand, der Breckcrown auszeichnete, sachliche Korrektheit war ein anderer Charakterzug. Zwischen ihnen beiden gab es keinen Konkurrenzkampf. Wenn Breck ihn, Atlan, um einen Rat anging, so meinte er es ehrlich, und er würde ihn vermutlich befolgen, weil er sich wiederum der völligen Unterstützung des Arkoniden sicher war. Atlan sprach noch leiser weiter, er flüsterte fast: »Wir sagen ihnen, daß wir irgendwann zurückkommen. Bis zu diesem Zeitpunkt müssen sie eine neue Art der Verteidigung aufgebaut haben. Eine, die aus weniger Hochrüstung besteht und dafür aus mehr Raumfahrttechnik. Auf alle Fälle ein Ziel, das nur beide Planeten miteinander erreichen können.« Hayes blickte Atlan lange in die Augen, dann stieß er einen undefinierbaren Laut aus und knurrte: »Wie gut, daß ich dich als Freund habe – und nicht als Feind. Einverstanden! Genauso machen wirʹs! Und ab sofort gebe ich die Befehle!«
»Ich bitte darum«, erwiderte Atlan und setzte ein aufforderndes Grinsen auf. »Du solltest es möglichst dramatisch und überzeugend machen.« Die SOL hatte inzwischen einen neuen Kurs eingeschlagen. In einem riesigen Kreis umrundete sie den Planeten. Der Name Unheil erwies sich als zutreffende, von Ahnungen und Eindrücken diktierte Bezeichnung. Es war genügend viel Zeit vergangen, um alle Insassen zu überzeugen. Die Buhrlos erkannten, daß es jetzt und hier ein selbstmörderisches Unterfangen sein würde, einen Weltraumspaziergang unternehmen zu wollen. Die Roxharen wußten noch nicht, was sie denken sollten – sie identifizierten den Nickel‐Parabolspiegel eindeutig nicht als Werk der Ysteronen. Die Solaner, zum Teil noch immer unter dem Einfluß und im Bann der unzähligen Veränderungen, die innerhalb der drei Teile der SOL stattgefunden hatten, versuchten krampfhaft, die »neue Zeit« mit allen ihren überraschenden Begleiterscheinungen zu begreifen und zu verarbeiten. Aber jedes lebende Wesen, das sich an Bord befand, die Oyst eingeschlossen, verstand die Ereignisse der letzten Stunden als klare, tödliche Bedrohung der eigenen Existenz. Breckcrown Hayes entwickelte, möglicherweise unbewußt, eine geballte Menge psychologischen Geschicks und eine luzide Kenntnis der Massenpsychologie, als er sich gegen die Lehne eines leeren Kontursessels stemmte und laut zu sprechen begann. »Wir führen eine Art Stellvertreterkrieg!« sagte er laut und scharf betont. »Jemand oder etwas, so mächtig wie Hidden‐X, vielleicht sogar es selbst, will uns vernichten! Wahrscheinlich zielt es nicht nur auf uns, weil wir ein klar erkannter Gegner sind. Aber es läuft auf dasselbe hinaus. Wir sind in größter Gefahr. Glücklicherweise können wir uns wehren! Den Tod von eineinhalb Dutzend tapferer Frauen und Männer und den Verlust einer Korvette werden wir nicht demutsvoll hinnehmen. Ich werde in wenigen Minuten anordnen, daß sich die SOL in ihre drei raumflugfähigen Komponenten teilen wird. Aus
ungefährlicher Entfernung werden wir das Feuer aller unserer Geschütze auf den Hohlspiegel aus Nickel und die tarnende Eisschicht konzentrieren. Für alle Zeiten werden wir diesen Schein‐ Planeten zerstören. Unsere Gäste von Oyst‐Vormant und Oyst‐Mesat werden aufmerksame Beobachter dieses Vorgehens sein. Sie werden erkennen, daß es weitaus größere und im kosmischen Rahmen wichtigere Aufgaben als ihren selbstzerstörerischen Bruderkrieg gibt. Wir haben sicher gemeinsam ein Konzept entwickelt, wenn wir diese hinterlistige Falle beseitigt haben. Ich wiederhole: In exakt zehn Minuten trennen sich die SZ‐Eins, das Mittelteil und die SZ‐Zwei voneinander. Alle Feuerleitstellen werden besetzt. Auf mein Kommando beginnt der gezielte Beschuß. Jede Komponente konzentriert ihre geballte Zerstörungskraft auf ein Drittel des Nickel‐Spiegels. Zuerst eliminieren wir die Massekonzentrationen, also die Sensoren, die auf die Annäherung von Raumflugkörpern ansprechen. Gibt es Gegenstimmen? Sie werden genau zwei Minuten lang berücksichtigt.« Atlan ging um den Sessel herum und ließ sich zufrieden in die abgehetzten Polster fallen. Er beobachtete die Reaktion der übrigen Anwesenden. Jeder von ihnen gab dem High Sideryt recht. Falls jemand anderer Meinung war, so vertrat er sie nicht. Es gab keine Einwände. Die folgenden Minuten bewiesen auch dem letzten an Bord, daß die Befehle befolgt wurden. Aus sämtlichen Feuerleitzentralen kamen nacheinander die Meldungen. SENECA bewies abermals, daß er bis auf vernachlässigbare Einzelheiten wieder voll aktiv arbeitete. Auf den Bildschirmen, von den Solanern entsprechend belehrt und unterwiesen, erlebten die Roxharen und die Spinnenwesen mit, wie sich dieses Monstrum aus Stahl zu verändern begann.
Die Oyst waren intelligent genug, zu glauben, was sie sahen. Sie vermochten den gewaltigen Sprung von den technischen Einzelheiten ihrer Raumfahrt zu der Technik dieses Riesenschiffs gedanklich nachzuvollziehen. Die drei Zentralen wurden besetzt. Zahllose Kommandos rasten hin und her. SENECA übernahm die Feinarbeit der Trennung. Riesige Klauen wurden von Motoren, die erst vor wenigen Tagen untersucht und zum Teil repariert worden waren, bewegt. Die drei Teile der SOL dichteten sich halbautomatisch an den Schnittstellen ab. Zu einem Teil sorgten die Erschütterungen dafür, daß sich die drei Teile der SOL voneinander entfernten, zum größeren Teil arbeiteten kurz die Triebwerke und ließen die beiden Kugeln und das zylindrische Element voneinander wegdriften. Der erste Akt des Dramas, das die Zerstörung des unbewohnten Eisplaneten zum Ziel hatte, begann jetzt. 8. WyltʹRong spürte, wie sich in seinem Innern Überraschung, Schrecken und das Gefühl, an Bord des Schiffes abgekapselt und eingeschlossen zu sein, zu einer bösartigen Verkrampfung komprimierten. Er richtete nach wie vor seine Augen auf die unzähligen Bildschirme der Zentrale. Vieles wußte er, einiges hatte er verinnerlicht, und die meisten Teilbereiche seiner neuen Umwelt erfüllten ihn und die siebenundzwanzig übrigen Roxharen mit lastendem Unbehagen. Dazu kam der schwierige Prozeß der innerlichen Befreiung. Für sie alle war ein langes und schwerwiegendes Kapitel zu Ende gegangen. Es war fast unmöglich, damit fertig zu werden. Die Solaner nannten dieses Problem Selbstfindungsschwierigkeiten, oder sie sagten, es wäre schwer, die eigene Identität wiederzufinden, es sei
fast unmöglich, emanzipiert zu werden – lauter Begriffe, die schwer zu verstehen waren. Trotz aller Versuche, ihren neuen Status zu begreifen, trotz sämtlicher bewußt herbeigeführten Überlegungen, diesen neuen Abschnitt des Lebens zu akzeptieren, blieb ein deutliches Gefühl der Eingeschlossenheit zurück. Die SOL war ein Gefängnis. Trotzdem waren sie alle froh, dem Leben unter dem Diktat von Hidden‐X entronnen zu sein und nicht, mehr die auffordernde, körperlose Stimme des geistigen Faktors im Schlaf und im Wachen hören zu müssen. Diese beiden Überlegungen schienen einander zu widersprechen und erzeugten bei den Roxharen ein Unlustgefühl, das von Tag zu Tag nicht geringer, sondern stärker wurde. Jetzt aber lenkten die Vorgänge, die auf den Bildschirmen zu sehen waren, von den inneren Problemen ab. Wieder brachen die Partikelströme aus den mächtigen Düsen der Triebwerkswülste und beschleunigten die drei gigantischen Teile der SOL. Aus der Warte des Roxharen, den keiner der Solaner in der Zentrale ansprach, flog das Mittelstück senkrecht zur Flugbahn der beiden Kugeln auf den rot schimmernden Eisball zu. Beide kugeligen Teile entfernten sich in einem leicht geschwungenen Bogen nach links und rechts. Unbeweglich und ohne auf die Gefahr zu reagieren, schien der achtzehnte Planet zu warten. Aus den Lautsprechern kamen Atlans Anordnungen und die Kommandos des High Sideryt. SENECA kontrollierte die Schaltungen und koordinierte die Energieversorgung. »Sämtliche Feuerleitzentralen besetzen.« »Leitzentralen sind besetzt!« »Breitseitenbeschuß im Salventakt nach Plan vorbereiten!« »Abstimmung ist erfolgt.« »Sol‐Zelle‐Eins konzentriert den Beschuß auf die Sensoren!« »Ziele sind klar definiert!« Die SZ‐1 hatte ihre Position erreicht. Vorlan Brick, der »Große«,
saß an der Steuerung. Dieser Schiffsteil befand sich auf derjenigen Seite des Planeten, auf der es außer den Massekonzentrationen keine feststellbaren Metallansammlungen gab. Ein halbkugeliger Mantel aus einer Eisschicht unbekannter Dicke schuf hier die Tarnung. Die Hemisphäre lag auf der dunklen Seite des Planeten Unheil. Atlans Stimme wurde laut: »SZ‐Eins! Feuer frei!« »Bestätigt!« Die SZ‐1 drehte sich langsam um die Polachse. Die Geschütze und die Projektoren begannen abgestimmt zu feuern. Sie arbeiteten im Takt und schleuderten ihre Energien in den Eismantel, zerglühten die spinnenförmigen Sensoren, die mit grün geränderten Detonationskernen explodierten. Ihre Trümmer und eckige Stücke aus dem Eispanzer wirbelten nach allen Seiten. Das Eis löste sich in den Glutbällen zu Dampf und winzigen Tröpfchen auf, die sofort wieder zu winzigen Kristallen gefroren und sich im Bereich des nächsten Energieausbruchs augenblicklich auflösten. Die nächsten Salven zerfetzten die Eiskruste. Sie brach auseinander wie die Schale eines gigantischen Eies. Weiße Bruchstücke wirbelten davon und schmolzen an den Kanten ab. Mächtige Sprünge durchzogen die gerundete Fläche, die im Licht der Strahlen und Glutbälle aufschimmerte. Trümmer und Fetzen trieben, sich drehend und überschlagend, durch den Weltraum und prallten gegeneinander. Vor der SZ‐1 bildete sich eine riesige Wolke wild durcheinanderwirbelnder Bestandteile. Glühende Gase, mächtige Dampfwolken, Eisbrocken in jeder Größe, die weißglühenden Reste der Sensoren und die Strahlen, die immer wieder durch das Inferno zuckten und verheerende Zerstörungen anrichteten, breiteten sich im schwarzen All aus. Das Mittelteil der SOL feuerte entlang des Randes, der von der Außenkante des konvexen Spiegels gebildet wurde. Die Explosionen und die breiten Bahnen der weißglühenden Strahlen lösten das Nickel auf, schmolzen es zu langgezogenen
Hagelschauern aus kleinen und großen Tropfen, die vom Explosionsdruck ins Innere des Hohlspiegels geschleudert wurden. »Sol‐Zelle‐Zwei. Feuer frei!« »Wir schalten auf Salventakt.« Auf der gegenüberliegenden Seite des Hohlspiegels, jenseits des Zentrums der Polkrümmung, fingen die Geschütze des dritten Schiffsteiles mit ihrem Zerstörungswerk an. Von drei Seiten nahmen die Solaner den Planeten Unheil unter Beschuß. Trümmerwolken aus glitzerndem Eis trieben davon. Immer wieder blitzten die Strahlen durch das Inferno, schnitten breite Korridore in die schmelzenden und vergasenden Eismassen und trennten große Teile der tarnenden Hemisphäre vom Nickelspiegel ab. Der Spiegel löste sich in einzelne, schalenförmige Trümmer auf. Sie waren entlang der Schnittstellen zerfranst und ausgeglüht. Jeder weitere Treffer schob sie in eine andere Richtung. Innerhalb der eisbedeckten Trümmerstücke schienen einzelne Metalladern zu brennen und weiß zu glühen. Große Schlieren, gebildet aus Dampf und winzigen Eisstücken, trieben davon. Ein runder, unversehrter Körper driftete durch die wolkenartige, gewaltig ausgedehnte Zone der Vernichtung. Die Ortung aus dem Mittelteil meldete sich mit allen Zeichen der Aufregung in der Zentrale. »Hayes! Atlan! Auf das Schiff treibt ein Gegenstand zu. Er ist von einem Schutzschirm umgeben. Er ist zweimal getroffen und offensichtlich nicht beschädigt worden.« Vielleicht ist es der Empfänger oder Sender, der den Hohlspiegel aktiviert? rief der Logiksektor. Atlan drehte den Kopf und sah das Ortungsecho auf einem Monitor. »Holt das Ding mit aller Vorsicht ins Schiff. Traktorstrahl!« »Verstanden.« Ununterbrochen feuerten die drei Schiffe weiter. Die riesigen
Glutbälle vernichteten die wirbelnden Eisstücke. Jetzt erkannten die Solaner an den Kanten der Bruchstücke, daß die verhüllende Eisschale nicht dicker als zwanzig Meter gewesen war. Die Schicht, die auf dem Nickel‐Hohlspiegel lag, erreichte längst nicht diese Dicke. Während die Geschütze unablässig weiterfeuerten, holte ein Ladekommando den driftenden Körper ins Schiff. Als der schwarze, elliptische Gegenstand durch die Strukturschleuse schwebte, erloschen die Schutzschirmfelder des fremden Senders. Der Hohlspiegel zerbrach nun endgültig. Eine unendliche Vielzahl von sphärischen Trümmern aus Eis und Nickel, winzige und riesige, hatten ihren Zusammenhalt verloren und wirbelten entweder nach draußen auf das Innere des Sonnensystems zu, oder sie stürzten in den gewaltigen Hohlraum des Spiegels, hinein in die wirbelnden, kochenden Wolken der Reste von Unheil. »Wie sieht die Ortung aus? Ist es noch denkbar«, fragte der High Sideryt, »daß der Hohlspiegel jemals wieder funktionieren wird?« »Das ist undenkbar. Der Hohlspiegel aus Nickel ist in mehrere hundert Bruchstücke zerfallen. Es ist so gut wie unmöglich, ihn wieder zusammenzusetzen. In ein paar Stunden haben sich die Reste über das halbe Sonnensystem verteilt!« »Klingt übertrieben«, erklärte Atlan. »Jedenfalls wird diese Konstruktion niemals wieder ein Raumschiff angreifen.« »Die Gefahr für uns und andere ist vorbei«, stellte Gallatan Herts fest. »Wir haben niemals ahnen können«, schrillte ein Oyst, »daß sich in unserem Sonnensystem ein solcher Gigant aus Metall und Eis verbirgt.« Hayes wechselte mit Atlan einen kurzen Blick des Einverständnisses. Dann rief Hayes: »An alle Feuerleitzentralen: Hört mit dem Beschuß auf! Es ist vorbei!« Nacheinander kamen die Bestätigungen. Die zuckenden
Kampfstrahlen und die grellen Glutbälle der Explosionen erloschen. Auf allen drei Schiffsteilen zogen sich die Projektoren hinter die schützenden Abdeckungen zurück. Die Schalter an den Pulten klickten scharf. »Fertig zum Andocken!« »Die Manöver werden von mir gesteuert und koordiniert«, schaltete sich SENECA ein. »Bringt die Schiffsteile in eine Annäherungsposition.« In weiten Kurven verließen SZ‐2, Mittelteil und SZ‐1 den Bereich, innerhalb dessen sich die Reste des Eisplaneten verteilt hatten. Die Pseudowelt Unheil existierte nicht mehr. Einige zehntausend Kilometer abseits des Trümmerfelds fügten sich die beiden Kugeln und der Zylinder wieder zusammen. Die SOL nahm Fahrt auf und flog langsam auf das innere Drittel des Planetensystems zu, auf das tiefdunkle Licht von Glutauge. In der Zentrale des Mittelteils fand eine kurze Beratung statt, von der erste und keineswegs endgültige Feststellungen getroffen werden konnten. Bjo Breiskoll wandte seinen Blick von dem Ortungsschirm. Dort wimmelten die Echos der Bruchstücke umeinander und durcheinander. »Es gab also keine wirkliche Strahlenquelle im Glutauge‐System«, brummte er. »Die Strahlung kam aus einem ganz anderen Teil des Kosmos.« Atlan bestätigte seine Überlegungen. »Der Hohlspiegel bündelte die Strahlung und lenkte sie. In diesem Fall auf uns, auf die SOL!« »Woher kommt die gestrahlte Energie?« erkundigte sich der High Sideryt. Niemand konnte ihm antworten. »Wir wissen es nicht. Nur der Umstand, daß der Hohlspiegel aus reinem Nickel bestand«, meinte die Molaatin, »deutet auf eine Schöpfung von Hidden‐X oder eines seiner Hilfsvölker hin.« »Die es auf uns abgesehen haben«, rief Lyta Kunduran.
»Wahrscheinlich nicht nur auf uns, sondern auf jeden. Selbst die Oyst wurden in den Abwehrgürtel einbezogen«, entgegnete Atlan. »Und zwar seit langer Zeit. Der Krieg zwischen Vormant und Mesat war von langer Hand vorbereitet.« »Was hat die Untersuchung des Fundstücks ergeben?« wollte Curie wissen. Hayes deutete auf einen Interkomschirm. Das Bild zeigte die Arbeit des Kommandos, das jenes elliptische Fundstück zu untersuchen begonnen hatte. Das schwarze Ding, das einem langgezogenen, flachgedrückten Vogelei nicht unähnlich war, hing bewegungslos in den gekreuzten Strahlenfesseln einer Antigrav‐Anlage. Mehrere transportable Projektoren bauten Energieschirme auf, die im Fall einer Detonation oder Selbstvernichtung die Folgen einer Druckwelle gering halten sollten. Mehrere Roboter, gesteuert von einer Nebenkabine aus, arbeiteten an dem Gerät. Jetzt hefteten sich schwere Saugnäpfe einer Maschine an einen Teil der schwarzen Hülle. Die Gelenke des Robots stemmten sich gegen eine versteckte Befestigung und schafften es, die gerundete Klappe aus den Angeln zu reißen und hochzuheben. Die Insassen der Zentrale hatten wieder einmal den Atem angehalten. Der Robot setzte das deformierte Stück ab. Starke Scheinwerfer flammten auf und leuchteten den Fund an. Auf dem Bildschirm zeichneten sich unbekannte, kaum zu verstehende Formen und Farben ab. Bauteile in seltsam verkrümmten, ungewöhnlich eingedrückten und gekurvten Formen waren in kantige, durchsichtige Montageblöcke eingegossen. Zwischen ihnen gab es keine Leitungen oder Kabel. »Gibt es irgendwelche Impulse? Funksprüche? Etwas im hörbaren Bereich?« fragte der High Sideryt voller Spannung. Der Techniker bewegte die Steuerung der Scheinwerfer und erwiderte resignierend: »Nichts. Das Gerät ist stumm und ohne jede Energie.«
Im selben Augenblick schwebte ein Bauteil aus der Masse der anderen hervor. Es hatte den Anschein, als ob innerhalb des Fundstücks die Schwerkraftverhältnisse umgekehrt werden würden. »Auch eine Methode der Selbstzerstörung«, meinte Atlan. »Unser unbekannter Freund weist uns nachdrücklich, aber wie beiläufig darauf hin, daß er seine Geheimnisse gewahrt haben möchte.« Atlan hatte ohne viel Aufwand an Scharfsinn angenommen, daß dieser erste Baustein sich ebenso zerstören würde wie die anderen Teile, die innerhalb des seltsamen Mechanismus auseinanderrutschten, sich verschoben und lautlos hochschwebten, aus dem Einflußbereich der Fesselfelder hinaus. Verblüfft sahen die Solaner diesem Vorgang zu. »Das letzte Geheimnis!« knurrte Breiskoll. »Ist das der Impulssender der Strahlenfalle?« »Vermutlich. Oder sehr wahrscheinlich«, gab Hayes zurück. »Das letzte Bruchstück von Unheil. Es war am besten geschützt und entging zunächst unserem Feuer. Und jetzt zerstört es sich selbst.« Für Atlan war dieses Abenteuer bereits jetzt beendet. Unheil war zerstört – und damit der Umlenkspiegel des Senders jener unbekannten Macht. Die SOL konnte ihren Weg in die ferne Galaxis fortsetzen. Der nächste Blick bewies Atlan, daß damit der Aufenthalt im Glutauge‐System noch nicht beendet war. In der Zentrale befanden sich etwa die Hälfte der Oyst. Bevor die Verantwortlichen der SOL versuchen konnten, die Heimat der Roxharen, Roxha, zu finden und aufzusuchen, mußte wohl der sinnlose Krieg in diesem Sonnensystem beendet werden. Atlan versuchte, wie fast jedem an Bord bekannt war, Zonen des Friedens zu schaffen. Was auch immer die SOL‐Mannschaft und das Atlan‐Team unternehmen würden … es kostete nur wenig Zeit und noch weniger Mühen. Auf dem Bildschirm konnten sie alle verfolgen, wie die kantigen
Teile des Senders im leeren Hangar umherschwebten und sich aufzulösen begannen wie Eis, das ohne Spuren schmolz. Das harte Licht der Scheinwerfer ließ alle Vorgänge klar werden und zeigte, wie die Würfel kleiner wurden, wie die Farben verblaßten und sich das Innere des Ellipsoids leerte. Stunden bevor die SOL das Gebiet erreichte, in dem sich der fünfte, der sechste und der siebente Planet befanden, hatte sich alles aufgelöst. Langsam ging Atlan auf seinen letzten Gesprächspartner zu, hob den Translator und erkundigte sich halblaut: »Ich brauche deinen Rat, Alter. Wie schaffen wir es, euch von dem Kampf abzubringen? Und zwar auf endgültige Art?« Zirc‐myrn vollführte mit den vordersten Gliedern eine Bewegung, die er den Solanern abgeschaut zu haben schien, und dämpfte seine Stimme, als er melancholisch fragte: »Du hast hier eine Menge zu sagen und zu befehlen, wie?« Atlan nickte bedächtig und bekannte: »Ja. Man hört auf meinen Rat.« »Dann komme mit mir. Wir gehen wieder in deine Kabine und sprechen über alles. Ich will nicht, daß die jungen Hitzköpfe hören, was ich dir zu sagen habe.« »Mit Vergnügen!« In den folgenden Minuten verließen fast alle Solaner, die mit den Ereignissen nicht unmittelbar etwas zu tun hatten, die Zentrale. Atlan und der greisenhafte Oyst‐Mesat zogen sich in eine leere Kabine von Sol‐City zurück. »Du scheinst einer der wenigen Oyst zu sein, die nicht vom unausweichlichen Drang des immerwährenden Kampfes erfüllt sind«, eröffnete der Arkonide das Gespräch und wünschte sich wieder einmal, die Gesten und den Ausdruck des halb‐insektoiden Gesichts richtig deuten zu können. »Richtig?« Zögernd erwiderte Zirc‐myrn: »In meiner guten Zeit war ich ein harter, bedingungsloser Kämpfer. Aber unter den Kokons und den klebrigen Netzen sitzend,
erlebte ich mit, daß von hundert Kriegern neunzig nicht und zehn verstümmelt zurückkamen. Keiner kann siegen. Weder Mesat noch Vormant werden jemals über das System der Sonne herrschen. Und jetzt habe ich begriffen, warum wir nicht kämpfen sollen. Du verstehst, daß ich den Kampf ablehne?« »Ich verstehe es. Was rätst du mir? Ich gehe sicherlich nicht fehl, wenn ich denke, daß dein Vorschlag etwas mit Oystantsat zu tun hat.« Der Alte stieß ein langgezogenes, trillerndes Kichern aus. Es konnte ebensogut ein Laut der Bewunderung wie einer der Verblüffung sein. Der Translator vermochte dieses Geräusch nicht zu übersetzen und gab ein mißtönendes Krächzen von sich. »Ich sage dir, was du tun sollst. Aber es muß nach meiner Art durchgeführt werden!« »Wenn es technisch durchführbar ist!« sagte Atlan. Zirc‐myrn entwickelte eine Art des Vorgehens, die einfach durchzuführen war und den Vorteil der Überraschung besaß. Aber um die Lage abzurunden, brauchten die Solaner unbedingt noch die Mitwirkung eines Oyst‐Vormant. Er war rasch gefunden, und Atlan setzte seine Fähigkeiten ein, um ihn halb zu überzeugen, halb durch schamlose Lügen zu erpressen. Auf sein Kommando hin nahm die SOL direkten Kurs auf den verwüsteten sechsten Planeten. 9. Am letzten Tag des immerwährenden Krieges verwandelte sich der schwarze Planet. Unter der dicken Wolkendecke, die in mehreren tausend Metern Höhe über dem radioaktiven Staub hing, schienen weißglühende Lichterscheinungen entlangzurasen. Die winzigen Inseln, in denen noch Leben möglich war, verteilten sich über zwei Drittel dieser Welt.
Ein Drittel war von Meeren bedeckt. Die Meere bestanden aus dunklen, stinkenden Kloaken, in denen es nur noch wild wuchernde Algen gab. An den Stränden hatten sich in den geschwärzten Sand Unmengen angeschwemmter Trümmer hineingebohrt; teilweise bis zur Unkenntlichkeit deformierte Bestandteile einer Natur, von der es nicht mehr als Spuren gab. Kein einziger Sonnenstrahl durchdrang hier, an der Großen Küste, die wetterleuchtende Wolkendecke. An einer Stelle erschien ein schmaler Spalt in der dunklen Schicht. Kreisförmig angeordnete Ketten starker Lichter flammten auf. Ein gigantischer Körper senkte sich auf die verwüstete Oberfläche des Planeten hinunter und zog in rasend schnellem Flug, eine langgezogene Kaskade von leuchtendem Gas, auffunkelnden Blitzen und wirbelnden Wolkenfetzen hinter sich herschleppend, von Osten nach Westen. Immer wieder erschien in der Wandung dieses Flugkörpers ein Spalt aus Helligkeit, verbreiterte sich und wurde rasch zu einem Rechteck. Aus dieser Öffnung schoß, aus zahlreichen Düsen feuernd, eine kleinere, metallisch hell schimmernde Kugel und raste davon. Eine zweite Kugel folgte, eine dritte raste in eine andere Richtung. Das große Raumschiff zog heulend durch die kreischende Atmosphäre seine Bahn. Die wenigen Lebewesen, die noch auf Oystantsat, existierten, verließen ihre Gräben, Bunker oder Stellungen und hoben die Köpfe mit den großen Facettenaugen. Die gezielten Nachrichtensendungen von den Heimatplaneten waren schon aufregend und unheilversprechend gewesen. Jetzt sahen die letzten Kämpfer der Oyst‐Mesat und der Oyst‐ Vormant die Wirklichkeit. Mit dem Einflug dieses Schiffsgiganten in das System der Sonne schien sich die Zeit geändert zu haben. *
Siebenfuß Zuvvʹyurm rückte seine Staubmaske zurecht, zurrte zwei Schnallen fest, die den Rückenpanzer festhielten, und schob sich durch den gewundenen Gang schräg aufwärts. In dem niedrigen, muffigen Bunker schliefen seine letzten Kämpfer. Sie waren alt, verletzt, ohne Hoffnung und bereit, kämpfend zu sterben. Ein Vertrauter von Vormant wird mit den Fremden landen und euch zurückholen, Oystantsat wird aufgegeben, hatte der letzte Funkspruch gelautet. Zuvvʹyurm erreichte die Schleuse, die aus bleibeschichtetem Beton bestand. Er stemmte sich ächzend gegen die schwere Außentür. Eine staubbedeckte Glühlampe flackerte. Ihren Strom bezog sie von einem rostzerfressenen Windgenerator, der sich dank des dauernden Sturmes kreischend bewegte. Siebenfuß hörte dieses unangenehme Geräusch längst nicht mehr. Er hatte sich an viel schlimmere Dinge gewöhnt. Gewöhnen müssen, denn er war Soldat für Vormant und für Dronn. Er machte siebzehn Schritte durch Staub, Geröll und klirrende, leere Geschoßhülsen. Staub legte sich auch auf die Facetten seiner Augen und bedeckte die Sehzellen an den Gelenken. Siebenfuß blinzelte mehrmals und hob den Kopf zum Himmel. Er begann sich vor dem, was folgen mochte, zu fürchten. Obwohl er ein Leben ohne jeden Luxus führte, das aus einer nicht endenwollenden Kette von Entbehrungen bestand, obwohl er sich immer wieder gefragt hatte, welchen Sinn es ergab, daß sich auf einem verwüsteten Planeten nicht mehr als einige tausend Kämpfer gegenüberstanden und versuchten, sich gegenseitig auszurotten – das war das Leben, das er kannte. Die Zukunft kannte er nicht, und deshalb ängstigte sie ihn. »Bei Dronns ewigen Worten!« sagte Siebenfuß ratlos. »Wie soll das enden?« Zwischen den wirbelnden Wolken und dem Vorhang der Blitze entdeckte Siebenfuß den Fremden. Die Meldungen vom
Heimatplaneten hatten die Größe, die Feuerkraft und die technische Macht der Besucher in aufgeregten Berichten geschildert. Widerstand war sinnlos und ebenso unsinnig. Ein kugelförmiges Beiboot, ein Tender, löste sich von dem Koloß, schwebte überraschend schnell zur Seite und kam in einem weiten Bogen auf Siebenfußʹ Stellung zu. Das hantelförmige Schiff heulte donnernd über den Funkmast hinweg, riß einen Orkan aus Staub, Sand und radioaktiv glühenden Partikeln in die Luft, warf mit der Sturmfront das Windrad des Generators gegen die ausgeglühten Felsen und zertrümmerte es. Staunend sah Siebenfuß, daß die Raumfahrttechnik der Fremden eine Vollkommenheit erreicht hatte, von der sämtliche Waffentechniker der beiden Oyst‐Planeten bestenfalls träumen konnten. Während der Tender seinen rasend schnellen Flug abbremste, schalteten die Piloten einen Kranz mächtiger Scheinwerfer und senkrecht strahlender Lampen ein, fuhren die Landebeine aus und dirigierten das Schiff, das tiefer und tiefer sank, in gerader Linie auf seinen Standort zu. Wenige Meter über dem Boden schwebte das Boot, das plötzlich zu erstaunlicher Größe anschwoll, in einem kleinen Tornado aus Staub und versteinerten Pflanzenresten heran, landete leicht wie eine Feder und drosselte das Lärmen der Triebwerke. Bewegungslos blieb Zuvvʹyurm stehen. Eine Rampe schob sich nach unten, vergrub ihr Ende im Staub, und aus der Polschleuse des fremden Raumschiffs kam ein Oyst. »Ich bin Turnʹmuc«, schrie er. »Hole deine Krieger, falls noch welche von ihnen leben. Der Krieg ist für uns aus!« »Das sagst du. Wer gibt dir das Recht dazu?« rief Siebenfuß zurück. Aber er gestand sich ein, daß es eine lahme Verteidigung sein würde. »Ich spreche für den Planeten. Es haben Beratungen stattgefunden. Hole deine Leute!«
Der greise Vormant kam durch den tiefen Staub näher. Siebenfuß kannte die Namen der alten Kämpfer, die zu ihrer Zeit Symbole für das Gewinnen oder Verlieren gewaltiger Schlachten gewesen waren. »Was habt ihr vor?« »Zuerst versammeln wir alle Oyst im großen Raumschiff. Viele kleine Schiffe holen die Kämpfer ab, so, wie es hier passiert. Los! Bringe deine Leute ins Schiff. Es hat Eile!« »Wer trägt die Verantwortung?« erkundigte sich Siebenfuß. »Vormant«, rief der Alte. »Es ist ein Waffenstillstand beschlossen worden. Ich hoffe, du glaubst, was du hörst?« Siebenfuß verstand ein militärisches Kommando, wenn es vor ihm laut genug ausgesprochen wurde. »Ich folge dem Befehl. Willst du mitkommen?« »Bevor du jedem deiner Männer eine lange Geschichte erzählen mußt …« Die beiden Soldaten tappten durch die Dunkelheit. Inzwischen waren die Soldaten aufgewacht und hatten blakende Fackeln entzündet. Turnʹmuc erklärte kurz die Lage und gab entscheidende Kommandos. Die Kämpfer gehorchten und sammelten ihre wenigen Habseligkeiten zusammen. Minuten später trotteten sie schweigend die Rampe hinauf und verschwanden im Schiff. Die Solaner in Schutzanzügen starrten in staunendem Schweigen die zerbeulten, von Schrammen und Geschoßspuren geschwärzten und halb zerstörten Rüstungen an, die ausgemergelten Gestalten und die Staubschicht, die auf den Oyst und ihrer Ausrüstung lag. Ein Raumfahrer wandte sich an den Alten und den Oyst, dem drei Gelenke eines Hinterlaufs fehlten: »Sind das alle? Kein weiterer Bunker in der Nähe?« In das Mikrophon des Translators sagte der alte Soldat. »Nein. Wir waren eine vorgeschobene ballistische Stellung.« »Dann können wir starten?« »Ja. Sofort.« Es schien, als ob die wenigen Soldaten der Oyst‐Vormant so
erschöpft waren, daß sie kaum wahrnahmen, was um sie herum stattfand. Die Rampe wurde eingezogen, die Schleusentüren summten in die Lager, und das Beiboot startete. Zunächst blieben die Soldaten stehen, wo sie sich befanden. Dann schnallten sie mit müden, aber endgültigen Bewegungen ihre Panzer ab und schichteten sie im Schleusenraum auf einen Haufen. Der einzige Oyst, der wirkliches Interesse zeigte, war Siebenfuß Zuvvʹyurm. Er ließ sich in die Zentrale bringen und sah den Fremden zu, wie sie ihre Schaltungen ausführten, sicher und schnell, wie ununterbrochen die überraschenden Bilder auf riesigen Farbbildschirmen wechselten, und wie schließlich das Beiboot wieder mit anscheinend untrüglicher Sicherheit in einem der vielen Hangars des seltsamen Raumschiffsgiganten andockte. Hunderte der schnellen Korvetten hatten Tausende von erschöpften und unmotiviert ausharrenden Soldaten von der leeren, sterbenden Planetenwelt abgeholt. Jetzt nahm die SOL den Flug nach Oyst‐Vormant auf. * Atlan war ausgeschlafen und allein. Er fühlte sich aus höchst unterschiedlichen Gründen einigermaßen wohl. Musik aus SENECAs Speichern erfüllte den Raum in SOL‐City. Nach den Landungen auf den beiden verfeindeten Planeten, nach endlosen Diskussionen und den Versuchen der Solaner, ein neues Ziel für die Energie der Oyst zu finden, nachdem alle Spinnenwesen mitsamt den Resten ihrer ramponierten Ausrüstung die SOL verlassen hatten, waren viele Solaner als Besucher oder Gäste auf Oyst‐Mesat gewesen. Das Schiff erneuerte Teile des Atemluftvorrats, bunkerte eisiges, frisches Quellwasser und einige wenige Nahrungsmittel. Dann startete die SOL vom Planeten, faßte ihr ursprüngliches Ziel und flog langsam aus dem System hinaus.
Glutauge wurde kleiner, unbedeutender, und schließlich bildete der winzige rote Punkt nur ein unbedeutendes Echo vor der endlosen Schwärze. Das aktuelle Problem, die schnelle und entschlossene Reaktion auf die Bor‐Kohlenstoff‐Drohung, konnte in den Hintergrund treten, war als Erinnerung wichtig für das Wirken von Hidden‐X. Atlan betrachtete nachdenklich den bernsteinfarbenen Oyst‐ Alkohol in dem Glas. Der Arkonide wußte mit unumstößlicher Gewißheit, daß der Weg der SOL zu dem definierten Ziel lang war, und daß sich bereits das nächste Hindernis aufbaute. Wo es sich verbarg, wie es aussah, welche tödliche Gefahr es aufbauen würde – das konnte selbst er, Atlan, mit all seiner Erfahrung nicht ahnen. ENDE Handlungsträger des Atlan‐Bandes der nächsten Woche sind drei Solaner – genauer gesagt, ein Solaner, sowie die Bewußtseinsinhalte zweier Gefährten. Gemeinsam bilden sie ein Mischwesen, das eine atemberaubende Weltraumodyssee zu bestehen hat … Mehr darüber berichtet H. G. Francis. Sein Roman erscheint als Band 558 der Atlan‐Serie unter dem Titel: DAS MULTI‐BEWUSSTSEIN