HANS WOLFGANG SCHUMANN
DER BUDDHA ERKLÄRT SEIN SYSTEM PALI-BUDDHISMUS FÜR FORTGESCHRITTENE
2. Auflage 2005 © by Verla...
164 downloads
1077 Views
4MB Size
Report
This content was uploaded by our users and we assume good faith they have the permission to share this book. If you own the copyright to this book and it is wrongfully on our website, we offer a simple DMCA procedure to remove your content from our site. Start by pressing the button below!
Report copyright / DMCA form
HANS WOLFGANG SCHUMANN
DER BUDDHA ERKLÄRT SEIN SYSTEM PALI-BUDDHISMUS FÜR FORTGESCHRITTENE
2. Auflage 2005 © by Verlag Beyerlein & Steinschulte 95236 Stammbach-Herrnschrot Alle Rechte vorbehalten ISBN 3-931095-40-1 Druck: Christiani, Konstanz
INHALT
VORWORT EINLEITUNG DER HISTORISCHE ANFANG 1. Die Themen der Erleuchtungserkenntnis DIE VIER HOHEN WAHRHEITEN IM EINZELNEN 2. Die Wahrheit vom Leiden 3. Die empirische Person und die drei Kennzeichen 4. Die Person: ein Schaumgebilde 5. In der Masse des Leidens auch Glücksrnomente: Gefährliche Verlockungen 6. Liebe mündet in Leiden 7. Die Wiedergeburt: ein Meer von Tränen, ein Berg von Knochen 8. Die Bereiche der Wiedergeburt 9. Kamma: Gerechtigkeit durch Naturgesetz 10. Die Psychologisierung der Kammalehre 11. Die Kammafrucht, worin besteht sie? 12. Die Nichtseelenlehre des Buddha: Gotamas Argumente 13. Argumente der Seelenverteidiger 14. Die Mechanik der Wiedergeburt: das bedingte Entstehen 15. Die Leerheit, das Thema der Buddhalehre 16. Exkurs: Versuch einer philosophischen Entnebelung 17. Ist die Welt real? 18. Die Wahrheit vom Ursprung des Leidens 19. Die Wahrheit von der Aufhebung des Leidens 20. Die Wahrheit vom Wege zur Leidensaufhebung 21. Der Weg zur Erlösung: Themenblock "Erkenntnis"
3
5 5 14 14 16 19 21 23 25 27 29 34 37 39 45 47 54 56 59 62 65 67 69
22. Der Weg zur Erlösung: Themenblock "Ethik" 23. Der Weg zur Erlösung: Themenblock "Meditation" 24. Nibbana, das erlösende Verlöschen
70 77 80
ANHANG Anmerkungen Abkürzungen Hinweise zu einigen philosophischen Palibegriffen
86 86 89 90 99
fuda
VORWORT Siddhattha Gotama, der Mann, den die Welt den Buddha, den "Erwachten" nennt, sah das Leben wie es ist: Gelegentlich heiter und angenehm, untrennbar aber verbunden mit Mühen und Sorgen, Schmerzen und Verlust. Dennoch war er kein Pessimist. Er zeigte, daß es aus dem Kreislauf des Daseins eine Erlösung gibt und stellte dar, wie man sie verwirklichen kann. Indem seine Lehre die Ursachen und die Aufhebung des Leidens erklärt, leistet sie Hilfe zur Daseinsbewältigung und spendet Hoffnung. Das Leben des Buddha im Indien des 6./5. Jahrhunderts vor ehr. - nach neuerer Lehrmeinung rund hundert Jahre später - wird aus den Büchern in der Pälisprache gut deutlich und ist so oft beschrieben worden, daß es unnötig ist, es hier erneut zu erzählen. Der Buddha selbst betrachtete seine Person und die Ereignisse seines Lebens als unwesentlich. "Wer die Lehre sieht, der sieht mich" erklärte er dem sterbenden Bhikkhu Vakkali (S 22, 87, 13). Auf den folgenden Seiten soll der Buddha durch seine Lehre sichtbar werden - möglichst in seinen eigenen Worten . . Es gibt zahlreiche und einige sehr gute Einführungen in den Buddhismus, das vorliegende kleine Buch soll sie nicht vermehren. Es soll vielmehr Kernaussagen des Buddha, die tragenden Balken seines Lehrgebäudes, in knapper Form philosophisch erläutern und die Stringenz seines Systems deutlich machen. Das Werk ist zur Rekapitulation der Lehre für Fortgeschrittene gedacht. Der Pälikanon enthält manches, das bisher unbeachtet geblieben ist. Vielleicht kommt das eine oder andere davon im folgenden zur Sprache. Das Buch hat zudem einen praktischen Zweck. Es kann bei buddhistischen Veranstaltungen mit verteilten Rollen vorgetragen werden: Eine(r) liest die enger gedruckten Erläuterungstexte, ein(e) andere(r) die breiter gedruckten Zitate
aus den Lehrreden des Buddha. Es liegt ein beglückender Zauber darin zu hören, wie ein überlegener Geist vor fast zweieinhalbtausend Jahren dieses seltsam widersprüchliche, fließende Leben und seine Antriebskräfte durchschaute und zeigte, daß niemand uns erlösen kann außer: Jeder sich selbst. Zwei hervorragende Sachkenner haben den vorliegenden Theraväda-Abriß gefördert. Die Berliner BuddhismusForscherin und Meditationslehrerin Dr. Marianne Wachs machte Vorschläge zur philosophischen Präzisienmg und zu Fragen der Darstellung; der Dhammalehrer und Kanonfachmann Dr. Fritz Schäfer regte Harmonisierungen und die Milderung pointierter Aussagen an. Fast alle Verbesserungsvorschläge sind in das kleine Buch eingeflossen. Beiden Dhammafreunden sei von Herzen gedankt.
H W Sch.
Von buddhistischer und von indologisch-akademischer Seite ist das Buch mit großer Zustimmung aufgenommen worden; inhaltliche Korrekturen oder Ergänzungen fiir die Zweitauflage waren nicht erforderlich. Einige kleine formale Mängel wurden behoben. Verleger und Autor wünschen den Lesern der Buddhaworte anhaltende Freude.
H W Sch.
2
EINLEITUNG Wie ist die Lehre des Buddha überliefert worden? Nach dem ersten Mönchskonzil, das im Sterbejahr des Buddha in Räjagaha, der Hauptstadt des altindischen Königreichs Magadha, stattgefunden haben soll, und einem zweiten Konzil in der Stadt Vesäli, gab es ein drittes Konzil im 18. Regierungsjahr des buddhistischen Kaisers Asoka (Alleinherrschaft 268-232 v. ehr.) in Pätaliputta, dem heutigen Patna. Hatte das erste Konzil seine Aufgabe darin gesehen, die Lehrvorträge des Buddha für die Nachwelt zu sichern, und hatte das zweite Konzil sich vorrangig mit der Redaktion der Ordensregeln befaßt, so war das dritte Konzil bemüht, die Lehre des Buddha so eindeutig zu kanonisieren, daß Fehlinterpretationen verhindert wurden. Nach äußeren Kriterien wurden die Lehrreden des Meisters zu fünf Sammlungen geordnet. Neben dem bereits existenten Vinaya, dem Kodex der Ordensregeln, entstanden - eine "Sammlung der Langen Reden" des Buddha (DIghanikäya) 1, - eine "Sammlung der Mittellangen Reden" (Ma;ihimanikäya) - eine "Gruppierte Sammlung" (SaIpyuttanikäya) die Auszüge aus Buddhapredigten nach Sachthemen zusammenfaßt, - eine Angereihte oder "Gestaffelte Sammlung" (AnguttaramKäya), die in elf Sektionen Lehrreden zusammenstellt, die jeweils ein, zwei, drei usw. (bis elf) Themen behandeln, und - eine "Sammlung der Geringeren Texte" (KhuddakamKäya) in welcher (nach der heute vorliegenden Endfassung) 15 Einzelwerke vereinigt sind. Zum Khuddakanikäya gehören unter anderem: - die Versanthologie "Pfad der Lehre" (Dhammapada)
3
- "Das Buch der Sinngedichte" (Udana), - "Das Buch der Aussprüche des Meisters" (Itivuttaka), - die in Strophen gefaßte "Suttenanthologie" (Suttanipata) und - "Die Strophen der Mönche und Nonnen" (Thera-jTherigäthä).
In dieser äußeren Gestalt wurde der Kanon, der lange von spezialisierten Memorierern mündlich weitergegeben worden war, im 1. Jahrhundert vor Chr. auf der Insel Ceylon in der Pälisprache niedergeschrieben. Er ist bis in unsere Zeit überliefert. Größte Verdienste um die Herausgabe des Pälitextes in Druckausgaben hat der Brite T. W. Rhys Davids (1843-1922), der 1881 in London die Päli Text Society (PTS) gründete. Die in lateinische Schrift transkribierte Edition der PTS ist bis in die Gegenwart der meist benutzte Pälitext, obwohl inzwischen auch Ausgaben des Pälikanons in asiatischen Alphabeten vorliegen. Sogar auf CD-ROM ist das Wort des Buddha greifbar. Durch neuere Funde sind frühbuddhistische Texte auch in Sanskrit bekannt, aber es handelt sich bei ihnen nur um Einzelwerke, während der Kanon in Päli im Ganzen erhalten ist. Die Lehrreden des Buddha im Folgetext sind zur leichteren Verständlichkeit auf die jeweilige Kernaussage gekürzt; nichtphilosophische Passagen wurden gerafft, philosophische wörtlich übersetzt. Die Nummerierungen der Suttenabschnitte entsprechen teils dem Pälitext, teils den Unterteilungen, die westliche Übersetzer zwecks besserer Zitierbarkeit vorgenommen haben. Die eingestreuten Strophen stellen im Urtext stets Hervorhebungen oder ein Fazit dar und werden deshalb auch in der Übersetzung in strophischer und metrischer Form wiedergegeben, dabei möglichst zeilengetreu.
4
DER HISTORISCHE ANFANG 1. DIE THEMEN DER ERLEUCHTUNGSERKENNTNIS Siddhattha Gotama, der nachmalige Buddha, war 29, als er Haus und Familie in Kapilavatthu verließ, sich Haar und Bart schor und als Wanderbettler auf der Suche nach Erlösung in die Heimatlosigkeit zog. Südlich des Ganga-Flusses bei der Stadt Rajagaha unterstellte er sich zuerst dem Schulhaupt Alara Kalama, danach dem Schulhaupt Uddaka Ramaputta. Beide enttäuschten ihn, so daß er sich schon nach kurzer Zeit von ihnen abwandte (M 26, 13-16 = M 36, 13-16). Der Umstand, daß Siddhattha Alaras und Uddakas Unterweisungen unbefriedigend fand, hat westliche Buddhismusinterpreten folgern lassen, die Lehren der beiden Mentoren seien fur Gotamas eigenes System ohne Bedeutung gewesen. Das Gegenteil ist der Fall: Beide Lehrer lieferten Denkelemente, die später auch in der Buddhalehre auftauchen - in einem Fall in antithetischer Umkehrung. Man hat also guten Grund, den Auffassungen der beiden Buddha-Mentoren nachzuspüren. Alara Kalama war ein Meditationslehrer, der mehrere Tiefenstufen der Versenkung unterschied - die unterste war die "Erreichung des Bereichs der Nichtsheit" (M 26,15). Der Dlghanikaya (16, 4, 27) berichtet, Alara habe einst im Wachzustand unter einem Baum gesessen und dabei 500 dicht an ihm vorbeifahrende Ochsenkarren nicht wahrgenommen; da er nicht schlief, ist anzunehmen, er war in tranceartiger Entrückung. Von den meditativen Tiefenstufen des Alara erkannte Siddhattha als wertvoll nur vier, nämlich jene, in denen das Realitätsbewußtsein erhalten bleibt, und diese vier reichten aus, ihn später fur die Erleuchtung vorzubereiten (M 36, 34-38). Mehr als über Alara teilt uns der Palikanon über Siddhatthas zweiten Mentor mit, über Uddaka Ramaputta. Seine Lehre habe darin bestanden, meditativ bis
5
zur Entrückung der "weder Wahrnehmung noch Nichtwahrnehmung" zu führen (M 26,16), also eine Stufe weiter als das System des Ä!ara. Präzisere Information über Uddaka gibt der Buddha in einem Gespräch mit dem Novizen Cunda (D 29, 16). Uddaka, so sagt er, habe seinen Schülern oft vorgehalten, der gewöhnliche Mensch sehe, aber nehme nicht wahr, und zur Illustration des Gemeinten habe er auf ein Rasiermesser gewiesen, bei dem zwar die Klinge erkennbar ist, nicht aber, ihrer Feinheit wegen, die Schneide. - Dem Kenner der Upanishaden fällt die Parallelität dieses Gleichnisses zu jenem in der Chandogya-Upanishad (6, 12) auf, wo Uddalaka Äruoi seinen Sohn Shvetaketu einen der winzigen .Kerne einer Feige spalten läßt und ihm dann in der nicht mehr sichtbaren Feinheit die Essenz des Alls und der Seele (atman)offenbart. Die Analogie der Gleichnisse rechtfertigt die Annahme, daß es sich bei Siddhatthas Mentor Uddaka Ramaputta um einen Upanishadenlehrer handelte. Welche Upanishaden Siddhattha als Schüler des Uddaka Ramaputta hörte, ist bekannt - es handelt sich um die beiden ältesten: die Große Wald-Upanishad (Brhadaraoyaka-) und die Chandogya-Upanishad. Fast alle Motive, die später in der Lehre des Buddha erscheinen, sind in diesen beiden Texten bereits angeschnitten 2 : (1) Die Lehre von der Wiedergeburt, (2) die Lehre von der Steuerung der Wiedergeburt durch das Tun (kamma) und (3) die Lehre vom Antrieb der Wiedergeburtenrotation durch das Begehren. Ein weiteres Element der Upanishaden, den (4) Glauben an eine die Kette der Wiedergeburten durchwandernde Seele (Skt. atman), lehnte Siddhattha ab, weil er die Gegenthese als richtig erkannte: Es gibt keine den Tod überdauernde Seele, die Wiedergeburt vollzieht sich ohne Seelenwanderung als ein kausales - oder besser: konditionales Entstehen. Zwischen Siddhatthas Begegnung mit upanishadischen Ideen als Schüler des Uddaka, und dem Erleuchtungserlebnis, das den Sucher Siddhattha zum Buddha machte, liegen sechs Jahre.
6
Siddhattha war als junger Mann aus dem Hause in Kapilavatthu in die Hauslosigkeit gezogen, um das leidfreie, todlose {amata} Nibbäna für sich selbst zu suchen (M 26,13). Die Schilderung seiner Erleuchtung (in M 36, 38 ff.), die er, lange nach seinem Erwachen zur Buddhaschaft, dem Jainamönch Saccaka Aggivessana in der Parallelstelle M 26,18 ff. seinen Bhikkhus - gab, ist deshalb im Pälikanon als persönliches Erlebnis in der Ichform wiedergegeben. Die Gegenstände der Erleuchtungserkenntnis sind die Wiedergeburt, die Kammalehre, die die Wiedergeburt in Gang haltende Funktion der Einflüsse {äsava} und die vier Wahrheiten vom Leiden und seiner Aufhebung. Noch keinen Hinweis enthält Gotamas Erleuchtungsbericht auf den philosophisch sensationellsten Zug seiner Lehre, die Nichtexistenz einer den Tod überlebenden Seele. (TEXT: M 36, 38-44 = M 4, 27 ff.) Als mein Geist (durch die vier Versenkungsstufen) konzentriert war, rein, geläutert, makellos, von Einflüssen frei, geschmeidig, aufnahmefähig und unerschütterbar, richtete ich ihn auf die Bewußtwerdung und Erkenntnis von Vorexistenzen. Ich erinnerte mich an zahlreiche (meiner) Vorexistenzen, nämlich an eine Geburt, an zwei, drei, vier, fünf, zehn, zwanzig, dreißig, vierzig, fünfrig Geburten, (ja) an hundert, tausend, hunderttausend Geburten: 'Dort war ich, so war mein Name, so meine Familie, meine Kaste, mein Lebensunterhalt, dieses Glück und Leid habe ich durchgemacht, so war mein Lebensende. Nachdem ich dort gestorben war, trat ich an anderem Ort wieder ins Leben, so war (dort) mein Name, von jener Art meine Familie, meine Kaste, mein Lebensunterhalt, dieses Glück und Leid habe ich durchgemacht, so war mein Lebensende.' - Auf diese Weise erinnerte ich mich an zahlreiche Vorexistenzen mit den jeweils charakteristischen Zügen und Umständen. So ging mir wäh-
7
rend der ersten Wache der Nacht das erste Wissen auf. Unwissen schwand mir und Wissen entstand, Dunkelheit schwand mir und Licht entstand. Als mein Geist (weiterhin) konzentriert war, richtete ich ihn auf die Erkenntnis des Vergehens und Wiedererstehens der Wesen. Mit dem himmlischen Auge, dem klaren, über menschliche Grenzen hinausreichenden, sah ich, wie die Wesen vergehen und erstehen, sah ich hohe und niedrige, schöne und häßliche, Glückskinder und Pechvögel, wie ihnen je nach ihren Taten günstige oder schlechte Wiedergeburt zuteil geworden war. Ich erkannte: 'Die Wesen, die von Körper, Rede und Denken schlechten Gebrauch machen, die erlangen nach dem Zerfall ihres Körpers, nach dem Tode, schlechte Wiedergeburt, sinken ab, verderben, (geraten in) die Hölle. Jene Wesen hingegen, die von Körper, Rede und Denken guten Gebrauch machen, die erlangen nach dem Zerfall ihres Körpers, nach dem Tode, gute Wiedergeburt, (geraten in) den Himmel.' - So sah ich mit dem himmlischen Auge, wie die Wesen vergehen und erstehen entsprechend ihrem Tun. So ging mir während der zweiten Wache der Nacht das zweite Wissen auf. Als mein Geist (weiterhin) konzentriert war, richtete ich ihn auf die Erkenntnis der (Methode zur) Vernichtung der Einflüsse (Gier, Haß und Verblendung). Der Wahrheit gemäß erkannte ich: 'Dies ist das Leiden; dies ist der Ursprung des Leidens; dies ist die Aufhebung des Leidens und dies der zur Aufhebung des Leidens führende Weg.' Und indem ich dies erkannte und einsah, wurde mein Geist von den Einflüssen Sinneslust, Daseinsbegierde und Unwissenheit frei. Ich erkannte: 'Vernichtet ist (für mich) die Wiedergeburt, verwirklicht habe ich das religiöse Leben, was zu tun war, ist getan, diese Art (von leidhaftern) Dasein gibt es nicht mehr fur mich.' So ging mir während der letzten Wache
8
der Nacht das dritte Wissen auf. Unwissenheit schwand mir und Wissen entstand, Dunkelheit schwand mir und Licht entstand. Die buddhistische Tradition datiert die Erleuchtung des Siddhattha Gotama zum Buddha in die erste Vollmondnacht im Mai und lokalisiert sie bei dem Dorf Uruvelä (heute Bodhgayä) unter einen Pippala- oder Assatthabaum (Ficus religiosa). Als Jahr der Erleuchtung nahm die ältere Indologengeneration ± 528 v. Chr. an; jüngere Forscher errechnen ein Datum im 5. Jahrhundert v. Chr., also rund hundert Jahre später. Als der junge Buddha sich entschlossen hatte, seine Erkenntnisse öffentlich darzulegen, dachte er zunächst an seine früheren Mentoren Älära Käläma und Uddaka Rämaputta, beide aber waren kurz zuvor gestorben. Er erinnerte sich deshalb an fünf Gefährten, die im Wald von Uruvelä einst mit ihm zusammen Askese betrieben hatten und sich jetzt bei Benares aufhielten (M 26, 22-24). Zu ihnen machte er sich auf die Wanderung. Die Lehrrede (sutta), die der Buddha im Wildpark Isipatana (heute Särnäth) bei Benares vor jenen fünf ehemaligen Mitasketen hielt und mit der er "das Rad der Lehre" in Gang setzte, ist weniger eine Erlebnisschilderung als eine abstrakte Darlegung der "vier Wahrheiten", die im Detail noch der Erläuterung bedürfen. Ein Muster für sein Viererschema fand Gotama in der Vorgehensweise der Ärzte, die bei ihren Patienten zuerst die Art der Krankheit feststellen, sodann deren Ursache herausfinden, sich drittens über deren Aufhebung Gedanken machen und schließlich die Medizin verschreiben. Die vier Wahrheiten bilden den Rahmen des gesamten buddhistischen Systems. Immer wieder wird der Buddha gepriesen als der große Arzt gegen die Leiden der Welt. Der Darlegung der vier Wahrheiten vorangestellt ist die Erklärung des Buddha, warum er einst als Erleuchtungssucher die Schmerzensaskese aufgegeben hatte, und
9
daß er jetzt keineswegs in Üppigkeit lebe - wie die Asketen seinerzeit angenommen hatten (M 36, 33). Sein Weg, so erklärte er ihnen, sei ein Weg der Mitte zwischen den Extremen. - Von der Nichtseelen-Lehre ist in der Benarespredigt noch nicht die Rede. (TEXT S 56, 11, 1-15 = Mv 1, 6, 17 ff.) So habe ich gehört. Damals weilte der Erhabene (Buddha) bei Benares, im Wildpark Isipatana. Dort wandte er sich an die funfMönche 3 (KolJ. Seele; atman als Reflexivpronomen 57, 91 f. attan (P.), (ewige) Seele, vom Buddha abgelehnt 6, 11, 56 >Seele; attan als Reflexivpronomen 57, 91 f. avi;ji, Nichtwissen 25, 66; Def. 92 bedingtes Entstehen 39, 45 ff., 47 f., 53; Def. 94 f. Bewußtsein, im Konditionalnexus 49; bedingt "Name und Körper" 51; ist keine Seele 52; B. des eigenen Daseins 61; . Def. 98 Brhadärat:lyaka-Upanishad 6 Buddha, Arzt der Welt 9; Datierung 9; Def. 81 Buddhismus, mittlerer Weg zw. Weltlichkeit u. Askese 9 f.; philosophisch ein pluralistischer Dynamismus 47; ein (Skt.) Anätmaväda 44 Chändogya-Upanishad 6 Denkorgan (mana) 43, 59 Determinismus, Kammalehre kein D. 37 dhamma; Def. 92 Dhammagelehrte und Meditierer 79 dukkha 10; Def. 92 > Leiden
99
Einflüsse (äsava~ Sammelbegr. fur Gier/Haß/Unwissen 7, 64, 80 f. Elemente, funf 18; sechs 61 Empfindungen 12, 37, 45 > Khandhas Entstehen, konditionales 39 > bedingtes E. Erkenntnis 69 Erleuchtung 7 f., 9 Erlöster unbeschreibbar 84 f. Erlösungschance, beste als Mensch 27 f. Ethik, buddhistische 70 f. ewig, Ewiges; es gibt nichts E. 33, 41, 43, 47; gäbe es ein E., wäre keine Erlösung möglich 42 f., 47 Friedfertigkeit 75 Geist (atra}43; (gandhabba~ dritter Faktor der Befiuchtung 52 Geistesinhalte (dhammä) 77 f., 92 . Gier/Haß/Unwissen, Antriebe der Wiedergeburt 50, 62 ff., 65 f.; 80; ihr Verlöschen ist Nibbäna 81, 98 Gleichnisse: vom Feigenkern (upanishädisch) 6, von der Flamme 84; vom Knochenberg 26; vom Kuhmist 43; vom Rasiermesser (upanishädisch); vom Salzbrocken 35; von den Schaumblasen 19; vom Tränenozean 25 f. Glücksmomente selten 21, 23 Güte 72 ff.; Def. 93 Haß 63 f., 65 > Leidensursachen Heiliger 81; Def. 91 Ichbewußtsein 15, 43 Ich u. Selbst nur leere Wortetiketten 43, 46, 56 > AnattäLehre Identität zw. Vor- und Nachexistenz 52 f. Jhänas 5, 78 > Meditation Kamma 29, 34; K.- Gesetz 8, 29; K.-reifung 30 f.; Wirkensbereich des K. 37 f.; Def. 93 > Tatabsichten
100
Khandhas, die fünf 12 f., 15, 17f., 19 f., 21 f., 48 ff., 61, 80; Kh. nicht ewig, keine Seele 12, 17, 19 f., 40; Kh. im Parinibbäna annulliert 80, 84; Def. 93 Konditionalnexus 47 ff., 50; Def. 95 > bedingtes Entstehen Kontemplation (bhävanä) 13, 77 ff. > Meditation Konzile 3 Körper 12 > Khandhas Kreislauf der Wiedergeburt 7, 33 > Satpsära Leben ein Fließen 14, 21 Lebensunterhalt, rechter 74 leer 54 f. > anatta Leerheit = L. von einer (ewigen) Seele 54, 87 (Anm. 10); Hauptthema der Buddhalehre 55 Leiden 10, 14, 16, 21, 23; Wahrheit vom L. 14 f. Leidensaufhebung 11, 67 ff. > Achtweg Leidenskennzeichen, die drei 16 f., 59 Leidensursachen: Gier 10, 62 f., 65; Gier/Haß/Unwissen 63 f., 65 f., 80; Personsein 15, 83; Zeit u. Raum 14 f.; > Tatabsichten Meditation 5, 79; Arten der Meditation 77 f.; vier Stufen der Samadhi-Meditation 5, 78 Menschsein, beste Erlösungschance 27, 28 mettä 72; Def. 93 Mettäsutta 72 ff. nämarilpa 49; Def. 93 > Name und Körper Name und Körper 49, 51, 93 > Khandhas Neumann, K.E. 57 Nibbäna 7, 52, 80; zwei Bereiche des Nibbäna 80; von Tatabsichten nichtbedingt 82; Nibbäna das Glück 82 f.; Def. 94 Nichtfeindschaft 75 Nichtwissen 25, 66 > Leidensursachen
101
Nirvä1).a (Skt.) > Nibbäna (P.) Pälikanon 3 f Pälisprache 1, 4 Parinibbäna 80; Def 94 paticcasamuppäda 45, 47 ff; Def 94 f. > bedingtes Entstehen Person, empirische 19 > Khandhas Persönlichkeitskomponenten, die runf 12, 16 > Khandhas Pessimismus 1 Rad der Lehre 39 Recht, weltliches u. buddhistisches 71 f. Reflexivpronomen attan/ätman 57 f., 91 Rhys-Davids, T.W. 4 saddhä Def 95 Samädhi, vier Stufen 78 Sarpsära 7, 25, 33; von Tatabsichten bedingt 82; Def 95 sankhära~ i.S.v. "Tatabsichten" 34 ff., 36, 49, 82; i.S.v. "Persönlichkeitskomponenten" 97 f; Def 95 ff sankhata 82; Def 97 Seele (Skt. ätman, P. attan); in der ind. Philosophie stets als ewig angesehen 11, 40; der Buddha bestreitet Existenz einer (ewigen) Seele 6, 11, 13, 15, 17, 39, 42 f, 46 f., 54; eine ewige S. wäre nicht erlösbar 42, 54 f., 57; Glaube an eine ewige Seele ist unsinnig 39, 41 u. eine Narrenlehre 41 f, 57 Seelenwanderung, keine im Buddhismus 6, 39 Sexualethik 71, 74 Sinnestore, Bewachung der 77 sunna, leer 19, 54; identisch mit anatta 54; Def 97 sunnatä 55 > Leerheit talJhä,· Def. 97 > Gier/Haß/Unwissen Tatabsichten {sankhära}, wichtiger als Tat an sich 34 ff, 49, 50 f., 82; Zurruhekommen der Tatabsichten läßt Nibbäna eintreten 52, 82 102
Täter und Tatfrucht 52 f. Tiefenstufen der Meditation 5, 78, 88 (Anm. 16) tlJakkhana 16 > Leidenskennzeichen, die drei Uddaka Rämaputta 5 f.; 9, 13, 34 upadanakkhandha Def. 98 > Khandhas Upanishaden 6; U. und Buddhismus 13, 86 (Anm. 2) Vergänglichkeit 16 > Leidenskennzeichen, die drei Verunreinigungen (kilesa) 64 Vinaya, Kodex der Ordensregeln 3 viiiiiana; Def. 98 > Bewußtsein Vorexistenzen 7, 25, 31 Wahrheiten, die vier 9 ff., 11, 14 ff. Wahrnehmung bedarf keiner Seele 45; W.-sinne 59 Weg, achtspuriger 11, 67 ff. Welt ist real existent 59; wird subjektive Wirklichkeit durch die Sinne 60 Wiedergeburt 7; Antriebe der W. 80 > Leidensursachen; Bereiche der W. 27 f., 30; W. in westlicher und östlicher Wertung 25; W. ohne überwandernde Seele 7, 39, 47 Willensfreiheit 32 Wirtschaftsethik im Buddhismus 76
103
ZUM AUTOR Hans Wolfgang Schumann,Jg. 1928, begegnete dem Buddhismus 1946 und war ein aktives Mitglied der Buddhistischen Gemeinde Düsseldorf. Nach dem Abitur und einer Lehre als Verlagsbuchhändler studierte er an der Universität Bonn und promovierte 1957 in den Fächern Indologie und Religionswissenschaft mit einer Pali-Arbeit zur "Bedeutung des Terminus sankhara" zum Dr. phil. 1960 entsandte ihn der Deutsche Akademische Austauschdienst (DAAD) als Lektor der deutschen Sprache an die Hindu-Universität nach Benares. Schumann hat - zuerst als Lektor in Benares, später als Angehöriger des Auswärtigen Dienstes der Bundesrepublik Deutscpland - 20 Jahre in Indien und den buddhistischen Ländern Burma (Myanmar) und Ceylon (Sr1 Lanka) zugebracht, zudem einige Jahre in den USA. Während einer Heimatstationierung hatte er einen Lehrauftrag fur Buddhismuskunde an der Universität Bonn. Zuletzt, bis zu seiner Pensionierung 1993, war er Generalkonsul der BR Deutschland in Bombay und Dean des dortigen internationalen Konsular-corps. Schumann ist der Verfasser von zehn Büchern zur Buddhismuskunde. Er ist Honorary Fellow des Government Sanskrit College in Kalkutta und erhielt im Jahre 2000 fur sein Buch "Der historische Buddha" den Rabindranath TagoreLiteraturpreis.