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und sorglos reisen ohne Bargeld mir dem Postsparbuch Abhebungen überall, in Stadt und Land, im Gebirge, an der See.
KLEINE
BIBLIOTHEK
DES
WISSENS
LUX-LESEBOGEN NATUR- UND K U L T U R K U N D L I C H E
HEFTE
OTTO ZIERER
BUDDHA der Erleuchtete 2006 digitalisiert von Manni Hesse
V E R L A G S E B A S T I A N LUX MURNAU • M Ü N C H E N • INNSBRUCK • ÖLTEN
Der Knabe Siddhattha
Indien — Märchenland! Ewig verschlossenes und sich erneuerndes Wunder. Azurfarben wölbt sich von den eisigen Gipfeln des Himalaja bis zur Palmenküste des Ozeans die Himmelskuppel über das Land. Indien, das ist tropisches Dschungel, durch das Tiger und Elefanten streifen, das sind breite, von fruchtbaren Ebenen gesäumte Ströme und schreckliche Wüsten, es wechseln inmitten großartiger Berge liebliche Täler mit welligen Gartenlandschaften. Kleine, armselige Ansammlungen strohgedeckter Hütten ducken sich an den Rand dampfender Urwälder und verdorrender Grassteppen, gewaltige Städte mit allem Zauber des Orients krönen die Uferhänge majestätischer Wasserläufe. In verzauberten Mondnächten spiegeln sich Paläste und Grabtempel von sagenhafter Pracht und Größe in lotosbedeckten Teichen, an deren Rand Alligatoren wie angeschwemmte Baumstämme lagern. In diesem farbigsten Land der Erde gibt es — 50 groß wie Städte — Märchenschlösser, die aus schneeweißem Marmor gebaut sind; hundert Türme, Kuppeln, Bogengänge und Höfe liegen im Licht der Sonne; 2
die Säle dieser Paläste funkeln von Gold, Elfenbein und edlen Steinen; Seide aus China und Perlen von südlichen Inseln, Rubine aus Ceylon und Ebenholz aus Innerindien, dem Dekhan, schaffen die Atmosphäre von Überfluß, von der die Eroberer der Geschichte träumten. Aber neben dem Reichtum wohnt Tür an Tür die unvorstellbare Armut, neben den Zeugen der Macht das furchtbare Elend. Indien ist Paradies und Hölle zugleich, im heißen Rhythmus der Tropen brennt hier das Dasein rascher und wechselvoller als irgendwo auf der Erde. Nirgends sind menschliche Herrlichkeit und menschliches Leid schreiender nebeneinandergestellt als im Völkergewimmel dieser kontinentgroßen Halbinsel. Immer wieder kamen und gingen fremde Eroberer, sie alle ließen Gedanken, Baudenkmäler und Götter zurück und schufen die Vielfalt dieses wogenden Lebens. Und immer wieder erhob sich in den zahllosen Köpfen und Herzen die aufwühlende Frage nach dem letzten Sinn des Daseins. Jeder einzelne der Millionen hatte sein Eigenschicksal, sein persönliches Glück und Leid, jeder dachte anders, betet auf andere Weise. Dämonen, Gespenster, Götter und Schicksalsmächte in verwirrender Vielfalt hemmten oder förderten den Lebensablauf. Dschungelhaft wucherten die philosophischen Lehren und die geistigen Reformbewegungen. Von ewiger innerer Unruhe war das Dasein der meisten Menschen erfüllt. Aus tiefer Nacht stieg das Lehen auf, und es verlor sich nächtlicher Ferne. Wo aber war Erlösung, Wahrheit, Stille? Wo war endliche Lösung vom endlos sich drehenden Rad des Daseins . . . In diesem Lande Indien, das stärker als jedes andere Lust und Leid, Größe und Tragik des Lebens empfand, trat fünfhundert Jahre vor Christus der Schöpfer eines neuen Weltbildes auf, der einen Ausweg aus dem furchtbaren Kreislauf suchte. Es war Gauthama Buddha, der Erleuchtete . . .
Im Nordosten Indiens, zu Füßen der ragenden Himmelsmauern des Himalajagebirges, lag das Land der Sakya. Sie "waren hellhäutige, hochgewachsene Menschen, ihre Sage sprach von einer großen Wanderung, die sie aus ferner Urheimat über das Dach der Welt in das Paradies ihrer Gärten und furchtbaren Felder geführt habe. Aber dieser Zug des frühen Volkes lag weit zurück — viele Jahrhunderte waren seither vergangen.
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Von den eisigen Höhen des Himalaja stäubt das Wasser in glitzernden Fällen talwärts und näßt die schwarze, gesegnete Erde, die unter der heißen Sonne des Südens atmet und lebt. Es ist Gewohnheit dieses glücklichen Geschlechts von Sakyaherren, die warme Jahreszeit in den lieblichen Hainen, in luftigen Pavillons und am Ufer der blumenumrankten Teiche zu verbringen. Wie Schnee liegen die Lotosblüten auf den grünschillernden Wassern, rosenrote Flamingos, regenbogenfarbige Pfauen stel'zen durch die Wiesen, auf denen Sternblumen die Köpfe im kühlenden Bergwind wiegen. In einem dieser Parks — dem von Lumbini — wird dem hochadeligen Sakyafürsten Suddhodana und seiner Gemahlin Maya das Kind Siddhattha geboren. Der Knabe wächst, als seine Mutter früh verstorben ist, unter der Leitung einer Nebenfrau Suddhodanas auf; der Schauplatz seiner Kindheit wechselt zwischen der Residenzstadt Kapilavasthu und der weiten, fruchtbaren Parklandschaft im Landesinnern. Der Sakyahof von Kapilavasthu ist wie all die anderen Höfe der Zwergstaaten ein geistiger Mittelpunkt. Die Beamten sind Dichter oder Philosophen, man schart sich um Sänger der uralten Naturreligion der Veden, um geheimnisvolle Büßer, um Vorleser aus den religiösen Lehrbüchern. Nach einem berühmten vedischen Sängergeschlecht legen sich die Sakyafürsten von Kapilavasthu den Namen Gauthama zu. Die ersten Eindrücke von nachwirkender Macht im Dasein des kleinen Siddhattha sind die tiefsinnigen Märchen, die — vielfarbigen Wasserrosen auf abgründigen Teichen ähnlich — bunt über der Tiefe seiner Seele schweben. Unauslöschlich bleibt eine Märchenerinnerung aus früher Kindheit: Siddhattha kauert mit untergeschlagenen Beinen auf den Kissen und lauscht im teppichbehangenen Gemach des vornehmen Vaterhauses den Worten des Erzählers . . . „In der Stadt Dhara, die man auch Klein-Kaschmir nennt, regierte König Bhoja die Bürger; er erquickte die Rechtsuchenden, wie junger Lotos die Schwäne erquickt. Der König hatte einen Hofpriester, der Dhanapala hieß und ein gelehrter Mann war; in allen Wissenschaften war er gründlich bewandert und erstrahlte als das edelste Hauptjuwel aller derer, die dem höchsten Geiste ergeben sind. Eines Tages ritt König Bhoja, in Begleitung Dhanapalas und eines großen Schwarmes anderer Dichter und von vielen Fürsten umringt, im Walde umher, um zu jagen. Als er eine Gazelle ge4
Buddhas Geburt im Park von Lumbini
wahrte, durchbohrte er sie mit einem Pfeil, so daß dieser an ihrer anderen Seite zur Erde fiel. Dieser Anblick erweckte in dem König gewaltigen Stolz auf die Stärke seines Armes, so daß er an den Dichter Kaviraja folgende Verse richtete: Sieh, Kaviraja, wie alle Gazellen Vom Pfeile durchbohrt nach dem Himmel schnellen, Während die Eber die Erde versehren Mit ihren Hauern; kannst du mir's erklären? . . ." Eintönig plätschert die Stimme des Erzählers weiter, die Zuhörer sind stolz auf den großen Jäger Bhoja. Nur Siddhattha, von einem fremden, ihm selber unerklärlichen Schmerze angerührt, sitzt großäugig da und sinnt über den Tod des Wildes nach. Sind diese zartgliedrigen Gazellen, die mächtigen Eber nicht Lebewesen, Brüder im großen Reiche der Schöpfung? Warum müssen sie, von Pfeilen und Speeren durchbohrt, verbluten? Grausam und zerstörerisch ist das Dasein auf dieser Welt. Und als Einziger vielleicht spürt der Knabe die Tränen im Märchen, fühlt er die Klage der Kreatur . . . Aber auch er ist jung, auch er ist ein Kind, das sich freut und das glückhaft die Wiederkehr des milden Frühlings, das Strahlen des Sommers empfindet. Vor den Toren der Stadt Kapilavasthu liegen die Reisfelder, die, vom reichlichen Wassergeriesel der Himmelsberge getränkt, zwischen Kanälen, Schleusen, Wäldern und Hainen sprießen. Wenn die Regenzeit vorüber ist, ziehen die Sakya in diese Landschaft hinaus. Die buckligen, langhornigen Zebuochsen schreiten unterm Joch, die hölzernen Pflüge furchen die dampfende Erde. Siddhattha liegt unter dem Elefantenbaum, die goldene Sonne zaubert Lichtperlen ins Laub, Bienen und Käfer summen durchs Gezweig, Gräser wogen sanft im Frühlingshauch, und von der mütterlichen Erde strömt kraftvolles Leben empor. Man spürt es, wenn man ganz fein hinhört. Ein Gefühl des Einsseins mit allem Seienden ergreift Siddhattha, er möchte sich ausstrecken, Erde, Gras und Baum, Wolke, Wind und Berg, Tiere und Menschen umfangen und sich auflösen in der großen Stille des Alls. Wenn er träumend unter den Elefantenbäumen liegt und ins schweigende Blau des Himmels starrt, dann tauchen immer wieder die Fragen in ihm auf, die Priester und Heilige in den langen Abenden der Regenzeit mit schweren Gleichnissen zu beantworten suchen: Was ist der Sinn des Lebens, wohin treibt uns der Weg, was steht am Ende allen Daseins . . . 6
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Es gibt keine wirklich zwingende und beherrschende Religion im alten Indien. Die Sakya sind stolze und herrische Menschen, die keine Priesterherrschaft dulden; von den Urtagen der Einwanderung her werden wilde, widerspruchsvolle Naturgottheiten verehrt: Wishnu, der Herr der Sonne in all seinen zahllosen Verkörperungen, Schiwa, der Dreiäugige, der auf dem Himalaja thront und den Menschen Vernichtung wie Befruchtung zuträgt, Kali, seine tausendarmige Gattin, oder der weise Gott mit dem Elefantenkopf. Und zu diesem phatastischen Götterglauben des tropischen Landes gesellt sich die Lehre der Brahmanen, die Lehre von Brahma — der Weltseele —, überliefert in der religiösen Literatur des Volkes, in den Veden. Siddhattha sinnt nach. Seine Lehrer haben ihn mit den drei Stufen der vedischen Götterlehre bekannt gemacht: da ist Mantra, der Gottesdienst, Brahmana, die Theologie, und Sutra, die Anleitung. Er schließt die Augen, um sich in die Welt dieses Glaubens tief zu versenken. — Vielleicht ist Brahma, die Weltseele, die Lösung des Geheimnisses des Daseins. Von Anfang an war Brahma eine geistige Sonne, die ihre Strahlungen ausschickt und allen Stoff durchdringt. Was da lebt und strebt ist erfüllt von einem Teil dieser Weltseele; aber die Bindung der Geschöpfe" an das Niedrige, Stoffliche ist verschieden stärk, und so nehmen sie auch in verschiedenem Maße teil an Brahma. Schweigend ruht die göttliche Weltseele in Erde, Gestein und Kristall, dumpf wächst sie in der Pflanze zum Lichte auf, drängender, heller brennt sie im Tier, um sich in menschlicher Verkörperung endlich zur vollen geistigen Macht zu entfalten. Über tausend mal tausend Stufen des Alls steigen die göttlichen Kräfte des Brahma auf und nieder, je nach Verdienst, Vollendung und Reinigung oder Sünde, Bindung und Schuldverstrickung. So lehren die Asketenpriester, die weisen Brahmanen, die Männer im gelben Mönchsgewand, die manchmal am Hofe von Kapilavasthu auftreten und wie Heilige verehrt werden. Noch immer kauert der Knabe Siddhattha unter dem Elefantenbaum, das Nachdenken läßt ihn das pulsende Dasein ringsum im neuen Lichte sehen. Dieses Wuchern der Pflanzen, das warme Strahlen und Atmen der Erde, das Summen der Bienen und den Gang der Zebus vor den Pflügen, das Schreiten der Männer: All das zusammen ist ein einziger, geheimnisschwerer Akkord vielfältigster Stimmen. Man muß Brahma, dem All-Einen und Geistigen, zustreben, muß sich stufenweise loslösen vom Stofflichen und Sterblichen, um die Ruhe und Sicherheit des Herzens zu gewinnen. 7
Da aber klingen in dem Knaben Worte aus einem der Vedenbücher — den fünfundzwanzig Erzählungen eines Dämons •— wieder, und ] nachdenklich spricht er vor sich hin: „Der Leib ist nicht von Bestand, Reichtümer währen nicht ewig, der Tod ist ständig in der Nähe: darum sammle man Verdienst ein. Ungetrübte Freude gibt es nicht in der Welt. Das ist nicht gewesen und wird nicht sein . . ." Siddhattha denkt nach über dieses letzte Wort: Nein — es gab noch niemals Sicherheit des Lebens, immer und überall geht der Tod um, das Leid, die Klage, die Vergänglichkeit. Und der Knabe sieht plötzlich wie eine Vision das Bild des Menschheitsschicksals vor sich: ein riesiges Rad, an das alles Dasein gekettet ist, ein Rad, das erbarmungslos umschwingt: hinauf und hinunter, endlos und — so scheint es ihm — völlig sinnlos. Es gibt keinen Ausweg. Brahma weilt in unerreichbarer Ferne . . .
Siddhattha wird älter. Der Schmerz, der ihm zum erstenmal während jenes Frühlings, inmitten des wiedererwachenden Lebens, ergriffen hatte, kehrt wieder, wird bewußter, quälender. Seine knabenhafte Scheu vor den Göttern der alten Veden ist dahin. Er glaubt nicht mehr an das Dasein der fünf Welthüter Brahmas, nicht mehr an Indra, Yama, Varuna, Soma und Wischnu — nicht mehr an die vier Himmelswinde, an Sonne, Mond und Gestirne. Siddhatthas feinnerviges Gemüt sucht nach der Tiefe, nach dem Letzten, das hinter allen Bildern der Götter wohnen muß. Obwohl er sich nicht mehr zu den Naturgottheiten bekennen kann, verachtet er doch nicht das Bekenntnis der einfachen Leute. „Die ihr vorbei am Höllenlicht Den schmalen Pfad steigt zum Gericht, Schmält das Gebet der Heiden nicht . . ." Wieder ist es Frühling geworden, die Sakya bestellen die Felder I und ziehen in die Haine von Kapilavasthu hinaus. Die Drawidas — M rundköpfige, dunkle Ureinwohner — arbeiten im Reissumpf, die Ge- 1 spanne gehen unter Peitschenknall und Glöckchengeklingel über die I Furchen. Siddhattha, der Fürstensohn, sitzt abseits von der singen- I den und plaudernden Jugend unter einem Rosenapfelbaum. Er hat die Beine untergeschlagen, sein Auge blickt nach innen, er nimmt nach I Art des Joga, der asketischen Übung der Selbsterlösung, seinen Geist I 8
in Zucht, reguliert den Atem gleichmäßig und versinkt in Einsamkeit. Fromme Büßer haben ihm von den vierundzwanzig Jina-Asketen — den Siegern über die Welt — erzählt, und von Vardhamana, dem großen Helden, der den Weg gefunden hat, der aus allem Zwiespalt herausführt. Vardhamana ist etwas älter als Siddhattha. Er ist der Sohn eines Kriegsadelsgeschlechtes aus Videna, im nordöstlichen Himalaja. Obschon der Erbe eines Fürsten, hat dieser große Jina mit achtundzwanzig Jahren all seinem Reichtum, seiner Herrschaft und seinem Glück entsagt, hat sich in zwölf Jahren zum reinen Asketen geformt und einen Mönchsorden gegründet. Gefolgt von seinen Jüngern zieht der „allwissende Asket" durch das Land zu Füßen der Berge. Von einem seiner Sendboten hat Siddhattha die Kunst des Joga — das heißt „Anspannung" und äußerste Beherrschung des Körpers und seiner Triebe — erlernt. Die weißgekleideten Mönche Vardhamanas lehrten die Seelenwanderung, jene Vorstellung, daß die Seele nach dem Tode immer von neuem in menschlichen, tierischen oder pflanzlichen Wesen wiedergeboren wird, bis sie nach der Läuterung und Lösung von allem Stofflichen in die vollkommene Ruhe oder in das Brahma eingehen kann. Auch die den Himmel bevölkernden Wesen sind der Seelenwanderung unterworfen. Eine Erlösung, ein Aufhören der Wiederverkörperungen kann nur stattfinden, wenn eine Seele a l l e s Schicksalhafte, Erdgebundene aufgezehrt hat: dann steigt sie, von aller Schwere befreit, auf den Gipfel der Welt empor . . . Stille ist um Siddhattha, die Sonne scheint ihm nicht mehr, die Welt liegt tief unter ihm, seine Seele sinnt über diesen Weg des Joga nach, und ein Glücksrausch überkommt ihn. Aber langsam kehrt er in die Wirklichkeit zurück, findet sich unter dem Rosenapfelbaum, findet sich gefangen in einem Körper, der untenan ist allem Leid der Welt. Es war nur ein Traum •— die Unruhe des Herzens ist ihm geblieben . . . Als Sohn eines Fürsten wird er früh verheiratet, seine junge Gemahlin schenkt ihm einen Sohn Rahula. Und Jahre gehen dahin mit endlosem Nachdenken, mit immer wiederkehrenden Fragen. Siddhattha ist nun neunundzwanzig Jahre alt, viele beneiden ihn um seine Reichtümer, um das prachtvolle Erbe seines Palastes, der Haine und reichen Felder, um die schöne Gattin, den wohlgestalteten Sohn. 9
Doch ihm erscheint die Liebe, die sich einem Einzelwesen zuwendet, als neue Bindung an das Dasein, als Quelle künftigen Leides, Wurzel späteren Schmerzes! Indem wir ein Einzelwesen lieben und doch nicht für ewig festhalten können — so sagt sich der Jüngling —, ketten wir unser Herz an die Tragödie des Daseins. Was sind Kinder? denkt Siddhattha. Kann unser Wunsch sie vor Krankheit, Enttäuschung und Tod bewahren? Also sind auch sie nur Bindungen, Ketten, die uns am Rad des Lebens festhalten. Was ist Besitz? Eine Fessel, die der Seele umgeworfen wird und sie am Erdhaften hält. Nichts kann man wirklich besitzen, hinter allem steht drohend der Schatten der Vergänglichkeit. Motten und Rost, Raub und Gewalt nehmen den Besitz von unserer Seite. Was also ist Glück? Nicht Verkettung ans Rad des Seins, sondern Freiheit, Lösung, ein über alles Erdhafte Hinauswachsen . . . Und so beschließt der neunundzwanzigjährige Prinz, all das Seine: Frau und Kind, Reichtum, Macht und Herrschaft hinter sich zu lassen, nach der letzten Wahrheit zu suchen und ein Büßer zu werden. Er schneidet sich Haar und Bart ab, nimmt das gelbe Mönchsgewand und die Bettelschale, barfuß, mit dem Stab des Heimatlosen in der Hand, wandert er fort, um in der weiten, rätselhaften Welt den Torweg zur ewigen, reinen Stille der Gottheit zu finden.
Viele Wege muß der Suchende gehen, wie eine Last liegt die Schwere des Körperlichen auf ihm. Zuerst wendet er sich an einige der heiligen Lehrer, die das Land durchziehen. Indiens heißströmendes Leben, die klaffenden Gegensätze zwischen dem paradiesischen Dasein der Herrenschicht und dem grauen Elend der Unterworfenen haben die zartgestimmten Seelen dieses Volkes müde gemacht. Jede Berührung mit dem Leben tut weh, hinter Lust und Wonne erahnen sie denselben Tod wie hinter Grausamkeit, Ungerechtigkeit und Verbrechen. Das Leben selbst muß überwunden werden. Aber die Wege sind wirr, schwierig und dunkel. Siddhattha wandert eine Zeitlang mit einem Alten, der ihn die Schmerzlosigkeit lehren will, indem er den Schmerz zum Gefährten seiner Tage macht. Sie kauern auf Nagelbrettern, sie schneiden sich ins Fleisch, sie entziehen ihrem Körper Nahrung, Trank und Ruhe, um den Geist vom Stofflichen zu trennen. Doch das große Weltall bleibt stumm, die Gottheit verhüllt sich, alle Schmerzzufügung und Selbstquälung führt nicht in jene lichten Höhen, von denen der Sohn des Sakyafürsten träumt. 10
Er findet einen anderen Lehrer, einen Asketen, der über gewaltige Willenskräfte verfügt, der den Körper durch Zauber und Hypnose bezwingen will, und der die Seele entrückt. Lange verweilt der Fürstensohn aus Kapilavasthu in dem krampfhaft starren Zustand, durch den der Geist sich vom Rade des Seins lösen soll. Die Ewigkeit schweigt, die Erstarrung aller Bewegung und Lebensregung bringt nur Betäubung — nicht Lösung und Freiheit. Siddhattha erkennt, daß der Geist selber den Weg ertasten muß; alle körperlichen Bußübungen führen nur tiefer in die Verkettung des Daseins. So wandert er ohne Gefährten weiter, ein hagerer Mönch im gelben Gewand, der die Bettelschale vor sich trägt und von der Mildtätigkeit frommer Menschen lebt. Er gelangt endlich an den Fluß Naranjara im Magadha-Lande in die Nähe der Burg Uruvela. „Dort sah ich", so erzählt er später den Mönchen, „einen lieblichen Fleck Erde und ein schönes Gehölz; ein Fluß floß dort, klar und freundlich, mit schönen Badeplätzen, und ringsum lagen Dörfer, dahin man gehen konnte. Da sprach ich zu mir: Lieblich fürwahr ist dieser Fleck Erde, schön ist das Gehölz; ein Fluß fließt dort, klar und freundlich, mit schönen Badeplätzen, und ringsum liegen Dörfer, dahin man gehen kann. So ist es gut für das Streben eines edlen Jünglings, der zu sterben begehrt. So setzte ich mich denn dort nieder und dachte: So ist es gut für mein Streben." Und er setzt sich unter einen mächtigen Feigenbaum: „Geburt und Wiedergeburt sind Naturgesetz — so muß ich sie überwinden. Auch das Altern scheint Naturgesetz zu sein — so muß ich auch das Altern überwinden. Und auch die Krankheit ist naturgegeben — so werde ich auch die Krankheit überwinden. Und auch das Sterben ist naturhaft — so muß ich Unsterblichkeit gewinnen. Schmerz ist Naturgesetz — so muß ich den Schmerz überwinden. Auch das Unreine ist ein Stück der Natur — so muß ich das Unreine überwinden." Noch einmal versucht er, seinen Körper gewaltsam zu unterwerfen. Mit quälender Schmerzzufügung kämpft er gegen das Körperliche in sich, um Schmerz und Lust, Leidenschaften, Krankheiten und schweifende Gedanken zum Verstummen zu bringen. „Ich will meine Zähne aufeinanderpressen, die Zunge gegen den Gaumen stemmen und mit dem Geiste die Gedanken niederhalten, niederdrücken, niederquälen!" Er verbietet sich die Bewegung, er setzt Atmung, Nahrungsaufnahme und jede Funktion des Leibes auf ein winziges Maß herab. Die Qual dauert Tage und Wochen. 11
Die Kunde von dem heiligen Büßer, der unter dem Feigenbaume zu Uruvela sitzt, hat sich verbreitet. Am fernen Rande des Haines stehen ehrfürchtige Landleute; fünf Asketen haben sich in Siddhatthas Nähe niedergelassen und teilen seine Bußübungen, seine Martern, seine Mühe. Es ist umsonst: Das körperliche ,Ich' ist nicht mit äußerer Gewalt zu bändigen, das Tor bleibt verschlossen. Der Weg der Askese ist falsch. Nur mit einem ungeschwächten Körper wird er das Ziel der Selbstbefreiung erreichen. Siddhattha kehrt um, er nimmt Nahrung zu sich. Ein Bild aus Jugendtagen steigt in ihm auf; wie er als Knabe unter dem Rosenapfelbaum vor den Toren von Kapilavasthu saß und die zarte, geistige Versenkung des Joga übte — wie das Gefühl des AUEinen ihm aus Berg, Erde, Hain und Geister zuströmte und wie er die erste Inenschau erlebte. Die fünf Asketen verlassen ihn, gehen nach Benares, sie halten ihn für abtrünnig. Nichts Wunderbares, nichts Asketisches scheint mehr in diesem Unbußfertigen zu sein. Ein Mönch, der lächelnd zum Himmel blickt, ist kein Heiliger mehr. Der Rand des Haines ist vereinsamt, die Bauern trotten in die Dörfer zurück. Siddhattha kauert verlassen unter dem gewaltigen Blätterdach des Feigenbaumes. Und nun durchwandert sein geläuterter Geist die Geheimnisse der vier Versenkungen. „Wem hier hienieden schon Das Leid zu Ende geht, Ist von Lasten frei, Ist der Fesseln ledig.
Wer Welt und Brüdern Fremd ist und ferne bleibt, H a t den Frieden gewählt, Braucht nicht Heim und Haus.
Wer Wünsche niederkämpft, Den Weg und Abweg erschaut, Ist weise geworden, Und Höchstem geneigt.
Wer Wehr und Waffen, Und Streit und Töten scheut, Und die Tiere liebt, Und die Pflanzen liebt. .. Der kann Priester sein.
Jetzt sieht er die Zusammenhänge in allem Dasein: das Erwachen der Begierden und Wünsche vom Tage der Geburt an, und der Beginn des Leidens, wenn die Wünsche und Begehrungen nicht zur Erfüllung kommen. Und so beginnt Siddhattha, sich abzusondern, einen Kreis um sich zu ziehen, um den Begierden zu entgehen. Später wird er seinen Jüngern darüber erzählen: 12
„Indem ich also erkannte und also schaute, wurde meine Seele erlöst von der Verderbnis der Lust, und meine Seele wurde erlöst von der Verderbnis des Werdens, und meine Seele wurde erlöst von der Verderbnis des Nichtwissens . . . Die Erkenntnis entsteht: Ich bin erlöst. Vernichtet ist die Geburt und Wiedergeburt, vollendet der heilige Wandel, erfüllt die Pflicht, es gibt keine Rückkehr mehr zu dieser Welt..." Aber die Absonderung ist nur die erste Stufe der Versenkungen, die Stufe, auf der er sich bewußt losreißt aus aller Verstrickung und löst von allem Leid. In der Abgeschiedenheit überkommt ihn das Gefühl der Ruhe. Freude und Befriedigung durchströmen seinen Körper, durchdringen und umgeben ihn von allen Seiten. Da aber durchschneidet er die fünf Fesseln des Herzens in der zweiten Versenkung: Das Herz muß sich selbst beim Wollen, Fühlen, Sehen, Essen und sogar in der Vorbereitung der inneren Sammlung aller Wünsche entäußern. Nichts mehr wollen, nichts mehr begehren, nichts mehr ersehnen, das ist die Freiheit. Und sein gereinigter, verklärter Geist steigt zur dritten Versenkung nieder. Auch diese himmlische Freude der Läuterung ist noch Fessel, nun muß auch sie schwinden. „Wie wenn ein Teich voll Wasserrosen, voll blauer und weißer Lotos, ein Teich voll wassergeborener, im Wasser beheimateter und aus dem Wasser nicht hervorragender, in der Tiefe blühender Blumen von der Spitze bis zur Wurzel vom kühlen Wasser durchströmt, erfüllt, von allen Seiten durchdrungen wird, so daß kein Teilchen undurchdrungen bleibt, ebenso überströmt ihn und seinen Körper das befriedigende Gefühl darüber, daß selbst die Freude ihn unberührt läßt." Nun haben den Heiligen Schmerz und Lust, Freude, Begehren und Wünsche verlassen. Früheres Wohl- und Leidgefühl sind untergegangen in der schmerzlosen und freudlosen inneren Herzensstille. Gleichmut und Frieden füllen den Erleuchteten aus, nichts mehr bindet seinen geläuterten, reinen Geist. Nur noch wenige Empfindungen leben in Siddhattha. Jetzt, da sein Geist klarsichtig geworden ist, überschaut Siddhattha im hell strahlenden Innenlicht der Seele die lange Reihe seiner früheren, in immer neuen Geburten sich wiederholenden Leben und die Kette des Leides, das mit jeder neuen Geburt von neuem aufbrach. Der Geist sieht zugleich das ganze Universum erfüllt von diesem Leid, das aus dem brennenden Lebensdurst der Menschen wie ein 13
Verhängnis hervorgeht. Nun aber weiß Siddhattha, daß dem Leid ein Ende gesetzt wird, daß der vollkommen Geläuterte sich dem Schicksal des Wiedergeborenwerdens entziehen kann. Ist einmal der Daseinsdurst vernichtet, dann ist auch der Tod besiegt. Das Licht des ewigen Friedens liegt mild über dem Menschen. Er geht ein in das sanfte, liebliche Gefilde des Nirvana, die höchste Erfüllung eines heiligen Lebens, die dem auf Erden Wandelnden erreichbar ist. Der Keim zu neuen Wiedergeburten ist zerstört. Auch der Schatten des Todes kann diese höchste Stufe des geheiligten Daseins des Nirvana nicht mehr verdunkeln. ,Für ewig bin erlöst ich, Das ist das letzte Leben, Und nicht mehr gibt es Wiedergeburt . . .' Erschlossen sind zur Ewigkeit die Tore: Wer Ohren hat zu hören, komm' und höre . . .' Aus Siddhattha, dem Sakyasohn, ist ,Buddha' — der Erleuchtete geworden; dem Einen von all den Myriaden Menschen ist die Selbsterlösung gelungen. Gleich der strahlenden Sonne ist sein Wesen geläutert, die Fessel ist gesprengt, das Rad des Daseins rollt fern an ihm vorbei. Und Gauthama Buddha bricht in die Lobpreisungen der vier Seligkeiten aus: „Selig ist die Einsamkeit des Gelassenen, der die Wahrheit erkennt und schaut! Selig ist, sich immer ganz in Zaum halten und niemandem mehr ein Leid antun! Selig ist, die Leidenschaft ganz zu überwinden und alles Wünschen! Selig ist es, den Stolz des trotzigen Ich zu bezwingen!" Das Antlitz des Verwandelten leuchtet, Kraft und Sicherheit gehen von ihm aus . . . Ist noch etwas zu tun? Dunkel steht das Blätterdach des Feigenbaumes über dem Haupte des Erleuchteten, wie ein Fenster ins große Nirvana zeigt sich Himmelsblau in den Lücken des Laubes; fern — einem enteilenden Wasser gleichend — rauscht das unruhvolle Leben, schwirren Käfer, weht Gras, wogen Wälder, leben Menschen . . . Ja — es ist noch ein Gedanke, der wie der Saum eines Schattens an Buddha heranreicht: Noch leben Menschen, Brüder und Schwestern unter der Schwere des Schicksals. Soll das Geheimnis der Erlösung, die er für sich selbst gewann, verkündet werden? Werden die .Finsternisumhüllten, die Begierde14
Buddha im Gespräch mit einem Jünger
blinden' verstehen? Wird nicht die neue Berührung mit der Welt, das Hinaustreten vor die Menschen den inneren Glanz seiner Seele trüben? Wäre es nicht Ermüdung und Qual . . . ? Lange sinnt der Erhabene zu Füßen des Baumes von Uruvela, dann siegt die große Güte, die ihm aus der Freiheit und Höhe zuströmt. Er beschließt zu lehren, zu predigen . . .
* Der Sechsunddreißigjährige gedenkt der fünf Mönche, die ihm vor kurzer Zeit in Uruvela Gesellschaft geleistet und ihn als Abtrünnigen verlassen haben. Wo mögen sie weilen? „Und er sieht mit dem himmlischen Auge, dem geläuterten, über menschliche Grenzen hinausreichenden, den Aufenthalt der fünf verbündeten Mönche bei Benares, am Sehersteine, im Wildpark." Gauthama Buddha tritt die Wanderung nach Benares an, er sucht die Menschen. 15
Benares ist seit alten Tagen der heiligste unter den Wallfahrtsorten dieses glühenden Landes. Beinahe im Herzen Indiens, am Ganges gelegen, steigt die heilige Stadt mit ihren Palästen, Tempeln und / Grabmälern terrassenförmig, mit breitgelagerten Ufertreppen zu dem majestätischen Strom hinab, der in ruhigem, geheimnisvollem Dunkelgrün vorübertreibt. Auf den Höhen gleißen in weißem Stein und "^ kostbarem Holz die Schlösser der Fürsten, kühn geschweifte Tempel der alten Götter Schiwa, Vischnu und Brahma glänzen mit vergoldeten Dächern; purpurne Banner, gelbe Sonnensegel und die tausend Farben der Gärten prunken über den weiten Treppen, die zur reinigenden Flut des Flusses hinabführen. Die oberen Reihen der Treppenterrassen sind wie von gefallenem Schnee mit dem Weiß der Baumwollkleider der Hindus bedeckt, die unbekleidet zum Wasser hinabgestiegen sind, um die reinigenden Waschungen vorzunehmen. Schreiend bahnen sich halbnackte Wasserträger mit umgehängten Ziegenfellschläuchen Bahn. Sie besprengen die staubigen Wege, die unter der brütenden Hitze zu dampfen scheinen. Sorgfältig weichen ihnen die weißgekleideten Brahmanen aus, sie tragen über der Nasenwurzel den ,Tiluk' — das Zeichen der Priesterkaste. Die Wasserträger sind Parias — Unreine, Niedrige —, die außerhalb jeder Gemeinschaft stehen, ihre Berührung würde schänden. Sänften reicher Kaufleute, die zur höheren Kaste gehören, schwanken, von riesigen Dekhanleuten getragen, über die Stufen herab. Durch das Gewühl der Hindus schreitet ein Akali, ein Krieger aus den Bergen, dem die Haare struppig abstehen, die schwarzen Augen blitzen wie poliertes Jett; er trägt ein blaugewürfeltes, langwallendes Gewand, auf der kegelförmigen Mütze sind blaue Stahlscheiben befestigt. Ober die breite Pilgerstraße traben Reiter im Schuppenpanzer der Kriegerkaste heran, hellhäutige, blauäugige Männer mit spitzen Helmen, auf denen gefärbte Roßschweife wehen. Sie schaffen mit Lederpeitschen Platz für den Aufzug eines Fürsten, der im seidenumhüllten Tragstuhl auf dem Rücken eines Elefanten einherkommt. Sansis, arme, schmutzige Landbewohner, mit Weidenkörben voller Eidechsen und Meerschweinchen, stieben unter den Hieben der Panzerreiter auseinander, während der Fürst von seinem hohen Sitz aus Hände voll Gold zu den aschebeschmierten Asketen hinüberwirft, die unbesorgt um das Menschengewühl am Rande der Straße kauern. Eben führen Gerichtsdiener einen Dieb vorüber, sein Gesicht ist blutverschmiert, klatschend sausen Baubusstäbe auf seinen wunden 16
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Rücken. Aber auch dieser Anblick erschüttert die Büßer nicht, die auf Marterbrettern sitzend oder mit ausgestreckten Armen betend an der Palastwand verharren. Ihre abgemagerten Leiber sind nur mit einem Lendentuch bekleidet, die Haupt- und Barthaare starren nach allen Seiten, die dunklen Augen schauen glanzlos in ungreifbare Fernen. Upako, ein nackter Büßer, spricht am Rande des Getümmels zu Ananda, einem edlen Jüngling, der die Erlösung sucht: „Meine Seele wird verletzt durch die Grausamkeit des Seins. Sieh hin, Ananda, wie es brodelt von Wahn, Leid und Sorge, sieh den geschlagenen Dieb, sieh den Stolz eines Fürsten, den zusammengerafften Reichtum der Kaufleute, sieh die schreiende Armut der Sansi daneben. Hunger und Gier, Hoffnungslosigkeit und Schmerz beherrschen das Getriebe." Ananda seufzt. Auch er ist einer der Vielen, die Familie, Erbe und Heimat verlassen haben, weil sein durchgeistigtes Wesen dieses Dahinleben in Lüsten und Leiden nicht mehr ertrug. Müde und reizbar ist das Geschlecht Indiens geworden, sie alle suchen den Weg, der hinausführt aus der Sinnenwelt, der sie erhebt über das Niedere. Aber weder bei Asketen noch Priestern fand Ananda Erlösung. Da schreitet einer inmitten der Menge, ein fremder Mönch mit geschorenem Haar und Bart, im gelben Gewand, ein Leuchten geht von ihm aus, so daß sich eine Gasse vor ihm öffnet und der Lärm der Straße verstummt. Gauthama Buddha wandelt durch Benares. Upako und Ananda folgen ihm nach, an der Dasamedh-Treppe holen sie ihn ein, und Upako spricht zu dem Leuchtenden: „Heiter, o Bruder, ist dein Angesicht, hell die Hautfarbe und rein! Um wessen willen, o Bruder, bist du hinausgezogen? Wer ist wohl dein Meister? Oder zu wessen Lehre bekennst du dich?" Und Buddha erwidert: „In mir selber strahlte das Licht heiligster Erkenntnis", sagt er. „Unerschütterlich ist die Erlösung über mein Herz gekommen. Für mich gibt es keine Wiedergeburt mehr. Wer aus dem weltlichen Leben getreten ist, ihr Brüder, der muß sich vor zwei Dingen hüten: Das eine ist die Hingabe an die Lust; sie ist niedrig, gewöhnlich, gemein, unedel, zwecklos. Das andere ist die Hingabe an die Selbstpeinigung; sie ist schmerzlich, unedel, zwecklos. Ohne in diese beiden Extreme zu verfallen, ihr Brüder, habe ich einen Mittelweg gefunden, der die Augen öffnet, der den Verstand öffnet, der zur Ruhe, zur Erkenntnis, zur Erleuchtung, zum Nirvana führt. Und was, ihr Brüder, ist dieser Mittelweg, den der Vollendete gefunden, der die Augen öffnet, der den Verstand öffnet, der zur Ruhe, zur Erkenntnis, zur Erleuch17
tung, zum Nirvana führt? Es ist der achtgliedrige Weg, nämlich rechter Glaube, rechtes Sichentschließen, rechtes Wort, rechte Tat, rechtes Leben, rechtes Sichbemühen, rechtes Gedenken, rechtes Sichversenken. Dies, ihr Brüder, aber ist die Wahrheit über das Leiden: Geborenwerden ist Leiden, Alter ist Leiden, Krankheit ist Leiden, Tod ist Leiden, Vereinigung mit Unliebem ist Leiden, Trennung von Liebem ist Leiden, Gewünschtes nicht erlangen, ist Leiden, alles, was uns am Dasein haften läßt, ist Leiden. So, ihr Brüder, ging mir das Auge auf, ging mir der Verstand auf, ging mir die Einsicht auf, ging mir das Wissen auf, ging mir der Blick auf. Seitdem ich die wahrhafte Erkenntnis und Einsicht in diese Wahrheit ganz klar besitze, seitdem ich weiß, ihr Brüder, daß ich die höchste vollständige Erkenntnis erlangt habe in der Welt der Götter, des Brahma, der höchsten Weisheit unter den Wesen, einschließlich der Asketen und Brahmanen, der Götter und Menschen." Und die beiden, Upako und Ananda, beugen sich der Lehre des Erleuchteten von der Selbsterlösung und folgen ihm; sie haben den Meister gefunden — der Meister hat seine ersten Jünger. Andere stoßen dazu, es ist eine Auslese von edlen Männern und Jünglingen. Einige von ihnen folgen ihm künftig auf allen Wegen, Anandä wird der Lieblingsjünger.
Jahre der Lehre und Wanderung durch das schöne tropische Land gehen dahin. Fürsten und Staatsmänner, Gelehrte und Könige suchen den Erleuchteten auf, er öffnet jedem das Tor zum Nirvana, zur Erlösung von der Qual des Werdens und Sich-Veränderns; er predigt den Parias und den Mächtigen der Erde. Keiner naht dem Erhabenen, der nicht Milde und Güte empfinge. Unselige und Ausgestoßene werfen sich ihm zu Füßen und werden erlöst, Verbrecher gehen angesichts seines strahlenden Wesens in sich und lösen sich von Gier, Leidenschaft und Wünschen. Aber nur die Kernschar seiner Mönche macht vollen Ernst mit der heiligen Selbstbesinnung, nur wenige legen die vier Ordensgelübde ab: „Ein vollkommener Mönch darf nicht unrein sein . . . Ein vollkommener Mönch darf nichts, was man ihm nicht gibt, in diebischer Hinsicht nehmen, selbst nicht einen Grashalm . . . Ein vollkommener Mönch darf nicht wissentlich irgendein Wesen des Lebens berauben, nicht einmal einen Wurm oder eine Ameise . . . 18
Buddha predigt den Mönchen
Ein vollkommener Mönch darf sich keiner übermenschlichen Vollkommenheit rühmen." Der Weg, den der Erleuchtete seinen Mönchen weist, fordert zwei Taten: das H i n a u s g e h e n — das Verlassen von Heim und Familie, und das Zerschneiden jeder Bindung an das Leben; er fordert Armut, Wanderschaft und Lösung von allem Wünschen. Der andere Teil ist das H i n g e l a n g e n , der Vorgang der Selbsterlösung, wie ihn Buddha unter dem Baume von Uruvela erlebt hat. Doch das ist Gnade und stille, einsame Höhe, die jeder für sich allein gewinnen muß. Es gibt keinen Zwang, keine feste Organisation unter den Mönchen Buddhas; dieser neue Weg ist keine Religion im bisherigen Sinne, sondern ein Weg für einzelne, den man gehen oder nicht gehen kann. So weist der Erleuchtete bald auch den Eifer seiner wachsenden Anhänger zurück, die fanatische Forderungen und Regeln aufstellen wollen. Erlösung ist nur auf dem ruhigen, heiteren Mittelpfade, in der Harmonie des Innern zu finden. Falsch ist die Verstrickung in Begierden, denn sie fesselt und macht unruhig, aber ebenso falsch ist auch die asketische Selbstquälerei.
* Buddha durchzieht das Land. Manchmal weilt der Erhabene als Gast bei reichen Kaufleuten oder an kleinen Fürstenhöfen, meist aber sucht er stille, schöngelegene Plätze auf, die ihn an die Haine seiner Heimat erinnern. Gerne lehrt er in der ,steinernen Einsiedelei' oder im ,Siegerwalde Anathapindikos'. Er selber lebt den Mönchen vor, mit verklärtem Lächeln wandert er durch die Dörfer mit ihren Lehmhütten und Schilfdächern. ,Ruhig wie der Mond wandelt er.' Er weicht jedem Käfer im Straßenstaube aus, er rettet die in den Teich gefallene Biene und setzt die Schritte mit Bedacht, um keine Blume zu knicken. Stumm hält er die Bettelschale vor die Türe der Menschen. Wenn die Regenzeit kommt, lagern die Mönche in den Parks und Pavillons, die ihnen Gemeinden und Fürsten öffnen. „Das hab ich gehört: In jener Zeit weilte der Erleuchtete bei der Stadt Savatthi, im Siegerwalde, im Garten Anathapindikos. Und der Erleuchtete, zeitig gerüstet, nahm Mantel und Schale und ging nach der Stadt um Almosenspeise. Da nun begaben sich viele Mönche zum ehrwürdigen Ananda und sagten zu ihm: 20
„Lang ist es her, Bruder Ananda, seitdem wir vom Munde des Erleuchteten ein lehrreiches Gespräch gehört haben: Gut wäre es, Bruder Ananda, wenn wir vom Munde des Erleuchteten ein lehrreiches Gespräch zu hören bekämen." „Wohlan, Ehrwürdige, so begebt euch zur Klause des Priesters Rammanko, vielleicht werdet ihr dort vom Munde des Erleuchteten ein lehrreiches Gespräch zu hören bekommen." „Das wollen wir tun, Bruder!" erwiderten die Mönche dem ehrwürdigen Bruder Ananda. Nachdem nun der Erleuchtete in Savatthi von Haus zu Haus getreten und vom Almosengange zurückgekehrt war, wandte er sich nach dem Mahle an den ehrwürdigen Ananda. „Komm, o Ananda, laß uns in den Osthain gehen und bis gegen Abend dort verweilen." „Wohl, o Herr!" erwiderte der ehrwürdige Ananda dem Erleuchteten. Und der Erleuchtete begab sich nun für den Tag mit dem ehrwürdigen Ananda in den Osthain. Als nun der Erleuchtete gegen Abend die Gedenkruhe beendet hatte, wandte er sich zum ehrwürdigen Ananda. „Komm, o Ananda, gehen wir ins Alte Bad, die Glieder zu erfrischen." „Wohl, o Herr!" erwiderte der ehrwürdige Ananda dem Erleuchteten. Und der Erleuchtete ging nun mit dem ehrwürdigen Ananda ins Alte Bad, die Glieder zu erfrischen. Nachdem nun der Erleuchtete im Alten Bade seine Glieder bespült und besprengt hatte, nahm er eines seiner drei Kleidungsstücke um und ließ die Glieder sorgsam trocknen. Da nun sprach der ehrwürdige Ananda zum Erleuchteten also: „Jene Klause des Priesters Rammanko, o Herr, ist nicht weit von hier, entzückend gelegen, o Herr, in heiterer Ruhe. Gut wäre es, wenn der Erleuchtete sich dorthin begeben möchte, von Mitleid bewogen." Schweigend gewährte der Erleuchtete die Bitte. Und der Erleuchtete begab sich nun zur Klause des Brahmanen Rammanko. Um diese Zeit aber waren dort viele Mönche in lehrreichem Gespräche versammelt. Der Erleuchtete wartete bescheiden an der Pforte der Klause das Ende des Gespräches ab, ehe er eintrat. 21
„Zu welchem Gespräch, ihr Mönche, seid ihr hier zusammengekommen?", fragte er, „und wobei habt ihr euch eben unterbrochen?" „O Herr, wir haben ein lehrreiches Gespräch unterbrochen; denn Du, der Erleuchtete, bist gekommen." „Gut, meine Mönche, es steht euch an, die ihr als edle Söhne, von Zuversicht bewogen, aus der Heimat in die Heimatlosigkeit gewandert seid, daß ihr zu lehrreichen Gesprächen zusammenkommt. Trefft ihr euch, ihr Mönche, so ziemt euch zweierlei: lehrreiches Gespräch oder heiliges Schweigen." Nach einer Pause begann Buddha zu lehren . . . „Fünf Begierden, ihr Mönche, gibt es: welche fünf? Die durch das A u g e ins Bewußtsein tretenden Formen, ersehnt, geliebt, entzückend, angenehm, dem Begehren entsprechend und aufreizend; die durch das G e h ö r ins Bewußtsein tretenden Töne, ersehnt, geliebt, entzükkend, angenehm, dem Begehren entsprechend und aufreizend; die durch den G e r u c h ins Bewußtsein tretenden Düfte, ersehnt, geliebt, entzückend, dem Begehren entsprechend und aufreizend; die durch den G e s c h m a c k ins Bewußtsein tretenden Säfte, ersehnt, geliebt, entzückend, angenehm, dem Begehren entsprechend und aufreizend; die durch das T a s t e n ins Bewußtsein tretenden Gefühle, ersehnt, geliebt, entzückend, angenehm, dem Begehren entsprechend und aufreizend. Das sind, ihr Mönche, die fünf Begehrungen. Von allen den Asketen oder Priestern, ihr Mönche, die sich da der fünf Begehrungen verlockt, geblendet, hingerissen bedienen, ohne das Elend zu sehen, ohne an Entrinnen zu denken, von denen gelte das Wort: sie sind verloren, verdorben und der Willkür des Bösen überliefert. Gleichwie etwa, ihr Mönche, wenn sich ein Wild des Waldes in eine Fallschlinge verstrickt und sich hinlegt, so gilt von ihm das Wort: verloren, verdorben, der Willkür des Jägers überliefert. Kommt nun der Jäger heran, wird es nicht hinwegeilen können, wohin es will. Ebenso nun auch, ihr Mönche, gelte das Wort von allen Asketen und Priestern, die sich da der fünf Begehrungen verlockt, geblendet, hingerissen bedienen, ohne das Elend zu sehen, ohne an Entrinnen zu denken: verloren, verdorben, der Willkür des Bösen überliefert. Von allen Asketen oder Priestern aber, ihr Mönche, die von den fünf Begehrungen nicht verlockt, nicht geblendet, nicht hingerissen werden und das Elend sehen und des Entrinnens gedenken, von denen gilt das Wort: nicht verloren, nicht verdorben, nicht der Willkür des Bösen überliefert. Gleichwie etwa, ihr Mönche, wenn sich ein Wild des Waldes auf eine Fallschlinge hinlegt und sich nicht in sie ver22
strickt, so gilt von ihm das Wort: nicht verloren, nicht verdorben, der Willkür des Jägers nicht überliefert. Und kommt nun der Jäger heran, wird das Wild hinwegeilen können, wohin es will. Ebenso nun auch, ihr Mönche, gelte das Wort von allen Asketen und Priestern, die sich nicht von den fünf Begehrungen verlocken, nicht blenden, nicht hinreißen lassen, die das Elend sehen, des Entrinnens eingedenk sind: sie sind nicht verloren, nicht verdorben, und der Willkür des Bösen überliefert." Der Erleuchtete und Erhabene hat mit gleichbleibender Betonung und zwingender Eindringlichkeit gesprochen. Die Kraft seiner Gleichnisse, die absichtliche Zahl der Wiederholungen hämmern den Gedanken gleichsam ein, es gibt keinen Widerstand mehr, kein Nein zu den Schlüssen, die er zieht. Gebannt hängen die Augen der Mönche an den Lippen des Meisters. Wieder spricht die leise, beinah monotone Stimme, die ihre Sätze wie Spinnenfäden bestrickend um die Seelen legt. Wieder spricht er von seinem großen Anliegen, dem Stufenweg der vier Versenkungen. „Gleichwie etwa, ihr Mönche, ein Wild des Waldes, in fernen Waldesgründen schweifend, gesichert geht, gesichert steht, gesichert sitzt, gesichert liegt, und deshalb zwar, weil es sich außerhalb des Bereiches des Jägers aufhält, ebenso auch, ihr Mönche, soll der Mönch gar fern von Begierden, fern von unheilsamen Dingen, in sinnend gedenkender, ruhegeborgener seliger Heiterkeit, in der Weihe der ersten Stufe der inneren Schau verweilen. Ein solcher, ihr Mönche, wird wahrer Mönch genannt; geblendet hat er die Natur, spurlos vertilgt ihr Auge, entschwunden ist er dem Bösen. Weiter sodann, ihr Mönche: nach Vollendung des Sinnens und Gedenkens erwirkt der Mönch die innere Herzensstille, die Einheit des Gemütes, die von Sinnen und Gedanken freie, selige Heiterkeit, die Weihe der zweiten Versenkung und Schau. Ein solcher, ihr Mönche, wird wahrer Mönch genannt: geblendet hat er die Natur, spurlos vertilgt ihr Auge, entschwunden ist er dem Bösen. Weiter sodann, ihr Mönche: in heiterer Ruhe verweilt der Mönch gleichmütig, einsichtig, klar, bewußt, ein Glück empfindet sein Körper, von dem die Heiligen sagen: ,Der gleichmütig Einsichtige lebt beglückt', so erwirkt er die Weihe der dritten Schau. Ein solcher, ihr Mönche, wird wahrer Mönch genannt: geblendet hat er die Natur, spurlos vertilgt ihr Auge, entschwunden ist er dem Bösen. Weiter sodann, ihr Mönche: nach Verwerfung der Freuden und Leiden, nach Vernichtung des einstigen Frohsinns und Trübsinns erwirkt der Mönch die Weihe der leidlosen, freudlosen, gleichmütig 23
einsichtigen, vollkommenen Reine: die vierte Schau. Ein solcher, ihr Mönche, wird wahrer Mönch genannt: geblendet hat er die Natur, spurlos vertilgt ihr Auge, entschwunden ist er dem Bösen." Und höher und steiler führt der Erhabene seine Jünger hinauf, in reine, zarte Geistessphären, in denen sich alles Menschliche wie Äther im Weltall auflöst. Er zeigt ihnen die Überwindung des Raumund Zeitgefühls, endlich die Auflösung der Wahrnehmung — lautlos im seligen Dunkel der Ewigkeit tun sich die Tore des Nirvanas auf. „Weiter sodann, ihr Mönche: nach völliger Überwindung der Grenzscheide möglicher Wahrnehmungen erreicht der Mönch die Auflösung der Wahrnehmbarkeit, der Irrwahn des weise Sehenden ist aufgehoben. Ein solcher, ihr Mönche, wird Mönch genannt: geblendet hat er die Natur, spurlos vertilgt ihr Auge, entschwunden ist er dem Bösen, entronnen der Welt. Gesichert geht er, gesichert steht er, gesichert liegt er, und deshalb, weil er sich außerhalb des Bereiches des Bösen hält." Also sprach der Erhabene. Zufrieden freuten sich die Mönche der Worte des Lehrers . . ."
Vierzig Jahre lang wandelt Buddha als Lehrer unter den Menschen, seine Anhängerschaft breitet sich über ganz Nordindien aus. Da geschieht es, daß der Erhabene während der Regenzeit schwer erkrankt. Um diese Zeit zählt er achtzig Jahre. Sein Wille bändigt noch einmal den Verfall, er unterdrückt das Aufbegehren des Körpers, aber er weiß, daß die Stunde nahe ist, die ihn für immer in die todentrückte Sphäre hinüberführt. Angst ergreift seine Jünger, Ananda wendet sich klagend an den Meister. „Solltest du von uns gehen, wirst du dann nicht noch zu deiner Gemeinde sprechen?" „Ich habe ein Leben lang gesprochen, Ananda. Und ich kann immer nur wiederholen, was ich Euch gesagt habe." Er schließt die tief und müde gewordenen Augen und versinkt für eine Weile in Nachdenken. Dann aber hebt er die Stimme, sein Antlitz erstrahlt in Verklärung, ernst und einprägsam dringt es ans Ohr der Lauschenden: „Wie eine Mutter ihr Kind, ihr einziges Kind mit ihrem Leben schützt, so soll man gegen alle Wesen unermeßliche Liebe bezeigen. Gegen alle Welt soll man unermeßliche Liebe bezeigen, nach oben, nach unten, nach der Seite, uneingeschränkt, ohne Feindschaft und 24
Gegnerschaft . . . Doch soll man sich nicht in Liebe an den Einzelnen binden. Ihr sollt sie lernen, diese Liebe: Die Erlösung des Herzens wollen wir erzeugen, steigern, befördern, uns aneignen, sie ausüben, uns gewinnen, sie richtig anwenden . . . Durch Nichtzürnen überwinde man den Zorn; das Böse überwinde man mit Gutem; den Geizigen überwinde man mit Gaben; durch Wahrheit überwinde man den Lügner! . . . Die mir Schmerz zufügen und die mir Freude bereiten, gegen alle bin ich gleich; Anteilnahme und Unwille finden sich bei mir nicht. Freude und Schmerz, Ehre und Unehre halten sich in mir die Waage; gegen alles bin ich gleich; das ist die Vollendung meines Gleichmuts . . . Und man soll nicht töten, noch irgendein lebendes Wesen töten lassen, noch es billigen, wenn andere eines töten; sondern man soll sich enthalten, den Wesen ein Leid anzutun, sowohl denen, die stark sind, als auch denen, die in der Welt zittern." . . . Wieder schweigt der Erleuchtete lange, dann fährt er zu Ananda gewandt fort: „Ich bin ein Greis, Ananda, mein Weg liegt hinter mir, achtzig Jahre bin ich geworden, ein gebrechlicher Karren, den nur mehr notdürftig Stricke zusammenhalten. Denkt daran, Mönche, daß ihr eure eigene Leuchte seid, ihr braucht keinen neuen Führer, jeder ist sein eigener Meister — niemand soll den Ersten spielen wollen." Still steigt die Nacht mit tausend Silberlichtern über den Bogen des Himmels herauf. Als es aber im Osten dämmert, erhebt sich Buddha und macht sich auf zu seiner letzten Wanderung. Die Schar der Jünger folgt dem langsam Dahinschreitenden. Fern im Norden steht die blaue Wand der Himmelsberge, breit dehnt sich die fruchtbare Ebene, von Hainen und Waldstücken unterbrochen. Mit Palästen und Tempeln, ein Meer von Häusern und Hütten, liegt die Stadt Vesali auf der Anhöhe über dem Fluß. „Dies, o Ananda, ist mein letzter Blick auf Vesali!" Wie jeden Tag, so geht Buddha auch an diesem von Tür zu Tür und sammelt Gaben in seine Schale. Sie ziehen weiter, leuchtend steht der Sonnenball über der schönen, blühenden, atmenden und — ewig vergehenden, verdorrenden Welt. Hinter aller Schönheit der Erde zeigt sich dem Erleuchteten das Antlitz des Todes. Erscheinungen des Vergehens gaukeln ringsum: Blüte, Schmetterling und Vogelsang sind für ihn im Letzten nur Wahn und Trug, hinter denen das endlose 25
Leid wohnt. Der Weise verliert nichts, wenn er sich vom Daseinsrade löst, er gewinnt nur die letzte, kaum zu erahnende Freiheit. Als der Glutball des Gestirns sich gegen Westen neigt und hinter dem Dschungel davonrollt, kehrt Buddha im Dorfe Pava bei einem befreundeten Schmiede ein. Der schlichte Mann ist durch den Besuch hochgeehrt, er setzt dem Erhabenen und seinen Jüngern gekochtes Eberfleisch vor. Buddha ißt davon, doch fällt ihn die Krankheit noch heftiger an, Schmerz zerrüttet den gebrechlich gewordenen Leib. Und wieder wird es Morgen, der letzte im Leben des Erleuchteten. „Wir wollen wandern, Ananda, wir wollen nach Kusinara gehen." Ein heller Fluß strömt über silbrige Sandbänke, Buddha will baden und steigt müde zur Flut hinab. Nach dem Bade strebt er Kusinara zu, das bereits hinter der grünen Wand der Parklandschaft sichtbar wird. In einem Hain rastet die Schar. „Sieh, Ananda, dort den Zwillingsbaum! Dort breite mir den Mantel aus, damit ich ruhe." Die Mönche spüren, daß der Abschied gekommen ist, Ananda verhüllt sein Haupt und weint. Der Erhabene ruft ihn zu sich. „Klage nicht, weine nicht, Ananda! Habe ich dir nicht oft genug gesagt: von allem, was uns lieb ist, müssen wir scheiden. Wie könnte es anders sein, Ananda, was geboren ist, muß sterben, was gestaltet ist, muß vergehen . . . Du aber, mein Ananda, der mir so lange Zeit voll Freundschaft, Güte und Freude, ohne Falsch, unaufhörlich gedient hat, du hast gut gehandelt. Strebe immer nach dem Heil, bald hast auch du alle Verderbnis überwunden . . . " Die Mönche treten an das Lager des Sterbenden, sie richten den Leuchtenden, schon ganz Vergeistigten wie einen König auf, und er thront mit untergeschlagenen Beinen, ein sieghaftes Lächeln auf den Lippen: „Wohlan, ihr Mönche, ich sage euch: der Vergänglichkeit Untertan sind alle Gestalten. Laßt niemals ab von eurem Streben . . . " Als die silberne Mondscheibe über dem Hain heraufsteigt, geht Gauthama Buddha die hohe Straße hinauf ins ewige N i r v a n a . .. Keine Wiederkehr, kein Leid sind mehr möglich, die Kette ist endgültig gesprengt, das Rad des Daseins ist für diesen Einen zerbrochen.
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Die Kunde vom Heimgang des Erleuchteten eilt wie Feuer durch die Stadt Kusinara. Am anderen Morgen bewegt sich eine gewaltige Prozession von Fürsten, Vornehmen, Kaufleuten, Kriegern und Angehörigen der niederen Kasten in den Mönchshain. Ein Scheiterhaufen aus edlen Hölzern, Zimtrinde, Sandelholz und Duftkräutern wird errichtet, die Mächtigen dieser Erde schmücken den Katafalk des toten Buddha mit Kostbarkeiten, Seidenstoffen und Kleinodien. Dann werfen sie die Fackel hinein. Lodernde Flammenwände entziehen die letzte Spur des Körperlichen den Augen der schweigenden Menge; die Gestalt des Buddha fliegt im Feuersturm empor — ein Traumbild für kommende Millionen und Jahrtausende. Seine Mönche klagen in Liedern . . . „Den, der zur Ruhe ging, kein Maß ermißt ihn, Von ihm zu sprechen gibt es keine Worte. Zunichte ward, was Denken könnt' erfassen: So ward zunicht' auch jeder Pfad der Rede."
Im Jahre, als Buddha starb, es ist wahrscheinlich das 480ste vor Beginn unserer Zeitrechnung, vollzieht sich weit im Westen ein Großereignis der Weltgeschichte: Vor der Insel Salamis steht der Orient, dessen Kulturkreis Buddha, der Erleuchtete, angehörte, im Kampf gegen Hellas. Diese entscheidende Auseinandersetzung zwischen dem uralten Asien und dem in der Morgenröte seines Tages stehenden Griechentum bringt den Triumph Europas. Wie Fanfaren klingen die Verse des Dichters Äschylos: „Doch als der Tag die weißen Rosse führt herauf und, heiter strahlend, ließ die ganze Erde sehn, klang von den Griechen froh zuerst das Kampfgeschrei wie ein Gesang laut schallend. Hell erwiderte das Echo von der Insel Felsgestade drauf. An die Barbaren aber trat die Furcht heran, enttäuschend sie im Herzen, denn nicht wie zur Flucht erhoben die Hellenen dort den Streitgesang, nein — auf zur Schlacht hinstrebend hochgesinnten Muts . . . " Kampf und Lied von Salamis leben von einem anderen Geist, als es der Geist Buddhas war. In ihnen dröhnen Schwerter und Kriegslärm, bebt die wilde Lust an Leben und Kampf. Es ist die T a t , die mit Europas Morgenstunde beginnt. Noch ehe das Griechenvolk mit Waffengewalt über den Osten siegte, hatte es bereits auf dem Felde der geistigen Auseinandersetzung 28
seine Art gegen das Fremde, lähmend Verzaubernde des Orients behauptet. Die Philosophen des großen 6. vorchristlichen Jahrhunderts — Thaies von Milet, Anaximander, Anaximenes, Pythagoras und Heraklit — hatten das logische, nach Ursache und Wirkung forschende Denken des erwachenden Europas begründet. Es liegen unüberbrückbare Abgründe zwischen der geistigen Atmosphäre von Kusinara und Salamis, zwischen Indien und Europa. Denn die Grundlehre Buddhas, die den Schluß aus der endlosen Daseinsversenkung zieht, heißt L o s l ö s u n g , bedeutet Flucht vor der Welt, Versinken und Eingehen in den Strom des Unendlichen. In denselben Tagen, in denen der große Inder das ewige Sinnbild vom umschwingenden Rade des Lebensschicksal sieht, dem es zu entfliehen gilt, verkündet Heraklit, der Seherpriester von Ephesus: „Der Kampf ist der Vater aller Dinge" — nur im harten Zupacken, im Streit und Widerstreit, vollzieht sich der Fortschritt der Welt. Während Buddha als der Angehörige einer Rasse, die in einem tropischen, vor heißem Leben brodelnden Lande des Elends und Leidens müde geworden ist, im Leben nur Bewegung, Unruhe, Rastlosigkeit und damit Schmerz sieht, richtet sich in den Griechen, den Söhnen eines noch jungen, unter gemäßigten Zonen wohnenden Volkes von Seefahrern und Händlern, der Trotz auf. Bewegung und Wechsel sind willkommen, das Abenteuer des Landes lockt, selbst der Kampf ist höchste Lust. „Kampf ist der Herrscher in allem; die einen macht er zu Göttern, die anderen zu Menschen, die einen zu Sklaven, die andern zu Freien." So entschied sich das überfeinerte, weltmüde gewordene Indertum zur Flucht in die innere Herzensstille und zur Entsagung; das junge Europa aber bekannte sich zum Trotz, zur Schöpferfreude und Daseinslust.
Erst ein halbes Jahrtausend nach dem Heimgang Buddhas stellt Jesus Christus, der Erlöser, der von Kampf, Gewalt und Lust erschöpften alten Menschheit neue Ziele. Und diese Ziele sind nicht nur wenigen Erwählten, sondern sie sind jedem erreichbar, der guten Willens ist. Nicht das ungreifbare Nirvana, das Versinken ins Wesenlose, oder ein schemenhafter Brahmanenhimmel im ,A11-Einen' wartet auf die wandernde Seele, sondern ein ewiges Leben, die Erlösung am Vaterherzen eines gütigen Gottes; nicht das Sichverschließen vor dem Leben, 29
nicht das Hinaustreten aus der Gefahr des Seins, sondern die tätige Liefee ist der sichere Pfad zur Befreiung. Der Christ kämpft und leidet bewußt den Kampf seines Lebens, er ist nicht lebensfeindlich, sondern ein kraftvoller Wanderer zu Gott.
Die Lehre des großen Lehrers hatte das Schicksal aller geistigen Bewegungen; es kamen Fanatiker, Eiferer fremder Religionen, Gelehrte und Mönche, die ihre eigene Gedankenwelt in sie hineintrugen. Sekten und Richtungen entstanden, die reine Lehre vermischte sich mit den älteren brahmanischen und vedischen Ideen. Die alten, oft so furchtbaren Naturgötter eroberten sich manche buddhistischen Kulte. Schon zwei Jahrhunderte nach dem Tode ihres Stifters war Buddhas Lehre Staatsbekenntnis der indischen Fürstentümer, im dritten Jahrhundert vor Chr. ist bereits Ceylon buddhistisch. Kaschmir wird das Rom des Buddhismus, Turkestan und Afghanistan werden bekehrt, die Lehre breitet sich über die Sundainseln; um die Zeitenwende ergreift sie Tibet, China und Teile der Mongolei. Aber das Lähmende, das in Buddhas Grundanschauungen liegt, die Blindheit vor der schönen und die Furcht vor der leidvollen Welt, die Weltabkehr und ergebene Unberührbarkeit machten Indien zur willenlosen Beute von Eroberern. Es kamen die Anhänger des kämpferischen Propheten Allahs, der sich selber das angezündete Feuer der Gottheit nannte: Indiens Nordwestprovinzen, das Gangesdelta und Teile von Dekhan, Turkestan, Afghanistan und viele Landschaften der Inselwelt gingen dem Buddhismus verloren. Es kamen mongolische, persische und wieder arabische Eroberer, und dieser zweite Ansturm des Islam versetzte um die Wende zum 12. Jahrhundert der Lehre Buddhas auf vorderasiatischem Boden den Todesstoß. Der seit der vorbuddhistischen Zeit lebendig fortwirkende Hinduismus wurde neben dem Islam die bevorzugte Religion Indiens. In den einstigen „Mssionsgebieten" aber ist der Buddhismus noch immer eine Geistesmacht. In Ceylon, Sikkim, Bhutan, Burma, Siam, Laos, Kambodscha, Vietnam, Tibet, China, in der Mongolei, in Korea und Japan stehen seine Tempel. Man schätzt die verschiedenen Konfessionen angehörenden Bekenner des Erleuchteten heute auf etwa 200 Millionen. Buddha, der „Herr", thront mit gefalteten Händen auf einer steingehauenen Lotosblüte, 30
er hat die schweren Lider gesenkt, das Lächeln der Wissenden ruht auf seinen Lippen, ein Tiluk aus edlem Stein funkelt auf der gekrönten Stirn. Zu seinen Füßen stehen die Jünger. Dämonen winden sich unter den gewölbten Blättern des Lotos; engelähnliche Wesen mit Schmetterlingsflügeln schweben zu Häupten des Buddha und halten Juwelenkränze. Mönche in langen gelben oder roten Seidengewändern, mit langflügeligen Spitzhüten auf den geschorenen Häuptern knien vor dem Bilde, und die Gebetsschnüre gleiten durch ihre Hände. Durch das rote Geflacker der Öllampen dringt die Hymne . . . „Die Zeit ist kommen, die Weise einlädt zu seligem Sinnen. Wie ist's so herrlich, die Welt verlassen und Buddha folgen! Der strahlend hellen, der tief verborgnen, der schwer zu schauenden, der höchsten Stätte, der unbewegten: ihr sollst du nahen." Von den geschweiften Dächern der Tempel klappern die Windräder der Gebetsmühlen ein ewiges, unsterbliches: Om mane padme hum . . . sei gegrüßt, Heilige auf der Lotosblume . . . Er selber aber, der Erleuchtete, lächelt irgendwo fern im Nirvana . . .
Umschlaggestaltung: Karlheinz Dobsky Abbildungen im Text nach alttibetanischen Wandmalereien
L u x - L e s e b o g e n 101 ( G e s c h i c h t e ) - H e f t p r e i s 2 5 P f g . Natur- und kulturkundliche Hefte - Bestellungen (viertelj. 6 Hefte DM 1,50) durch jede Buchhandlung und jede Postanstalt - Verlag Sebastian Lux, Murnau (Oberbayern), Seidlpark - Druck: Sittler & Federmann KG., Illertissen (Bayern) Printed in Germany
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IM FALLE EINES FALLES...
SCHALTEN WIE IM AUTO mit TORPHDO-Dreigang. Mühelos überwindest Du jeden Fahrtwiderstand. Dein Fahrrad läuft leicht und sicher durch die T O R P E D O - Dreigangnabe.
F I C H T E L & S A C H S AG